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Title: Aus Berg und Tal - Charakterbilder aus dem schweizer. Bauernleben
Author: Kiebler, Ulrich
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Aus Berg und Tal - Charakterbilder aus dem schweizer. Bauernleben" ***


  Aus Berg und Tal

  Charakterbilder aus dem
  schweizer. Bauernleben

  Von Ulrich Kiebler, Gärtner
  und Lehrer der landw. Schule
  Plantahof (Graubünden)

  [Illustration]

  Druck und Verlag von Manatschal Ebner & Cie. in Chur



Inhaltsverzeichnis.


                                           Seite

  Die Geschichte eines Bauernknechtes          1

  Die Blumenliese                             29

  Auf dem Lindenbühl                          70



Vorwort.


Unter Bauern bin ich aufgewachsen und habe einen Beruf ergriffen, der
mich, wenn auch nicht ausschließlich, so doch vorwiegend mit der
landwirtschafttreibenden Bevölkerung in Berührung brachte.

So konnte es nicht ausbleiben, daß ich schon früh Anteil nehmen lernte
an den Freuden und Leiden unserer Bauernschaft. Meine Tätigkeit
als Wanderlehrer gab mir aber erst ausgiebige Gelegenheit, unsere
landwirtschaftlichen Verhältnisse in den höchsten Gebirgstälern wie im
Flachlande kennen zu lernen, und die Sitten und den Volkscharakter auf dem
Lande eingehender zu studieren.

Wenn ich aus meinen Beobachtungen in den einzelnen Kapiteln dieses
Büchleins einiges mitteile, so hat mich dabei der Gedanke geleitet,
daß neben den vielen Leitfäden und Lehrbüchern über die verschiedenen
Landwirtschaftszweige auch einige Beispiele aus unserem Volksleben
von Nutzen sein könnten. Die heutige Zeit stellt eben nicht nur große
Anforderungen an die fachliche Tüchtigkeit eines Landwirts, sondern macht
auch die weitestgehenden Ansprüche an den Charakter und die moralischen
Eigenschaften eines solchen.

Weil ich kein Schriftsteller von Beruf bin, so erhebt mein Werkchen auch
nicht Anspruch, als eine hervorragende Leistung taxiert zu werden. Meine
Arbeit geht hervor aus warmem Herzen für unsere Landwirtschaft. Das
Sprichwort sagt: Was von Herzen kommt, das geht zum Herzen. In der Hoffnung
nun, daß sich dieser Satz bei dem vorliegenden Büchlein erfülle, lasse
ich es seine Wanderung antreten durch die Ebenen und Täler unseres
Schweizerlandes.

  Plantahof, im Herbst 1903.

  Der Verfasser.



[Illustration]



Die Geschichte eines Bauernknechtes.


Meine Ferien gingen zu Ende, sie waren mir dieses Mal besonders genußreich
verlaufen. Bei dem denkbar günstigsten Wetter hatte ich seit einigen Wochen
das Graubündner Oberland nach allen Richtungen durchstreift und dabei bald
da bald dort mein Lager aufgeschlagen. Ich hatte mir vorgenommen, fernab
von dem Getriebe großer Fremdenzentren irgendwo ein Stück Naturschönheit zu
genießen und dabei Land und Leute eines mir bis jetzt ziemlich unbekannten
Teils unserer an Abwechslungen so reichen Schweiz kennen zu lernen. Alles
das hätte ich wohl nirgends besser erreichen können, als hier im Bündner
Oberland mit seinen romantischen Tälern und Schluchten, seiner großartigen
Gebirgswelt, seinen malerischen Dörfern und Höfen, bewohnt von einer
ausgesprochen landwirtschafttreibenden Bevölkerung. Hier war ich so recht
unter Bauern; denn Bauer ist da auch der Pfarrer, der Lehrer, überhaupt
jedermann, und es ist nicht besonders notwendig, eine Unterhaltung oder ein
Gespräch durch eine absichtliche Wendung auf landwirtschaftliches Gebiet
hinüberzuleiten, das ergibt sich hier ganz von selbst.

Es herrschen hier zum Teil ganz eigenartige Zustände im Bauernwesen, so
eigenartig, wie das Land selbst ist und auch die Leute, die es bewohnen.
Eine allgemeine Schilderung des Bündner Oberlandes und der Art und Weise,
wie da Landwirtschaft getrieben wird, wäre daher gewiß sehr interessant,
doch davon vielleicht ein andermal; heute möchte ich vielmehr von einer
Persönlichkeit etwas erzählen, deren Bekanntschaft ich ganz zufällig hier
gemacht habe.

Es war, wie gesagt, am Ende meiner Ferienzeit; ich kletterte schon einige
Tage in den Bergen der Tödikette herum. Es war mir darum zu tun, erstens
mein Herbarium etwas zu bereichern, zweitens aber auch verschiedenen Alpen
einen Besuch abzustatten, um deren Bewirtschaftung kennen zu lernen. War
mir das Wetter bis jetzt äußerst günstig gewesen, so drohte es nun eine
Wendung zum Schlimmern zu nehmen. Es zeigten sich am Himmel verdächtige
Wolkengebilde und die Aelpler prophezeiten aus den verschiedensten
Anzeichen, daß etwas besonderes in der Luft liege und zum mindesten ein
Gewitter, wo nicht gar ein längerer Landregen im Anzuge sei. Doch bei mir
hieß es: »Bange machen gilt nicht«, ich pochte auf mein gutes Glück und
setzte ruhig meine Bergwanderungen fort. Zunächst schien es, als sollte
ich Recht behalten, doch auf einmal war es da -- es war am Spätnachmittage
desjenigen Tages, von dem ich erzählen will -- ich wollte noch eine
Klubhütte erreichen, in welcher ich schon mehrere Nächte zugebracht hatte,
um dann am Morgen einen jener Uebergänge zu benützen, die vom Kanton
Graubünden hinüberführen ins Glarnerland.

Zuerst begannen sich im Norden einige dunkle Wolken zu ballen, der Calanda
bedeckte sein felsiges Haupt mit einer Nebelkappe und graue Dünste stiegen
aus den Schluchten des Rheintals empor. Es war ein seltsames Schauspiel,
wie die verschiedenen Wölkchen und Wolken sich sammelten und verdichteten,
bis sie einen einzigen bleifarbenen Vorhang bildeten, der die ganze
unvergleichlich schöne Landschaft, die ich noch vor kurzem bewunderte,
meinen Blicken entzog. Schon mehrere Male hatte ich Gelegenheit gehabt,
Gewitter im Gebirge zu beobachten und mit Bewunderung dem Toben der
entfesselten Natur zugesehen. Heute aber sah ich es mit einem gewissen
Bangen heranziehen, denn ich hatte ungefähr noch eine Stunde bis zur Hütte
zu gehen.

Das Terrain, das ich zu begehen hatte, war nicht besonders steil und
erlaubte ein tüchtiges Ausgreifen, so daß ich anfangs hoffte, mein heutiges
Ziel noch vor Ausbruch des Gewitters zu erreichen. Indessen schwand diese
Hoffnung allmählich; denn die drohende Wolkenwand verdunkelte sich mehr und
mehr, grelle Blitze zuckten immer häufiger über den stets sich verengernden
Horizont, das Auge fast blendend und für Momente alles in gelben
Feuerschein aufflammen lassend; das Rollen des Donners wurde bei
jedem Schlage lauter und unheimlicher. Da setzte auf einmal mit einem
unvermittelten heftigen Stoße auch der Wind ein und bald fielen die ersten
Tropfen, vermischt mit kleinen Hagelkörnern, dichte Nebel jagten an mir
vorüber, und bald war ich unfähig, auch nur fünf Schritte weit zu sehen.
Zu all' dem kam noch, daß ich bald an der größern Steigung des Geländes
wahrnehmen mußte, daß ich mich verirrt hatte, so daß ich gar nicht mehr
wußte, wo ich mich befand. Dicht in meinen Lodenmantel gehüllt, trachtete
ich jedoch immer vorwärts zu kommen, hoffend, irgendwo unter einem Felsen
Schutz zu finden, bis das Gewitter sich verzogen habe. Als ich mich so ein
gutes Stück aufwärts gearbeitet hatte, vernahm ich auf einmal Hundegebell;
bald blitzte auch ein Feuerschein durch den Nebel, ein kräftiges »Hallo!«
drang an mein Ohr, das ich freudig erwiderte, und bald saß ich wohlgeborgen
am wärmenden Feuer in einer kleinen Schäferhütte, auf die ich ganz zufällig
gestoßen war.

Der Schäfer, ein schon älterer, aber noch sehr rüstiger Mann mit grauem
Bart und freundlichen, gewinnenden Gesichtszügen, tat alles mögliche, um
es mir unter seinem einfachen Dache so bequem als möglich zu machen. Die
durchgemachten Strapazen hatten mich hungrig gemacht, und die vorgesetzte
Milch, samt Brot und Käse schmeckten mir so gut, als manchem verwöhnten
Gaumen das feinste Essen an der Hoteltafel.

Unterdessen war wohl mehr als eine Stunde verflossen, der Regen hatte
aufgehört und der Himmel begann sich wieder zu blauen, so daß ich daran
dachte, meinen Weg fortzusetzen. Das aber ließ der alte Schäfer nicht zu.
Er bedeutete mir, daß ich so weit von meiner Route abgekommen sei, daß
ich vor Nacht kaum mehr die Klubhütte erreichen könne; außerdem sei es
von seiner Hütte aus auch nicht weiter bis auf die Paßhöhe, als von dem
Schirmhaus, und den Weg wolle er mir schon zeigen. Für ein Nachtlager sei
schon gesorgt, es sei nicht das erste Mal, daß er Gäste habe. Weil ich auch
ziemlich müde war, so ließ ich mich gerne überreden und blieb. Wir zündeten
unsere Pfeifen an und setzten uns vor die Hütte, von diesem und jenem
plaudernd.

Als der Alte hörte, daß die Landwirtschaft mein Fach sei, zeigte er sich
sehr erfreut, und ich mußte ihm erzählen, was draußen im Lande vorgehe, wie
die Ernteaussichten im allgemeinen seien u. s. w. Mit Staunen mußte ich im
Laufe des Gespräches wahrnehmen, wie sehr der einfache Schafhirte auf allen
Gebieten der Landwirtschaft zu Hause sei und gab meiner Verwunderung
auch unverhohlen durch die Frage Ausdruck, wie es denn komme, daß er, der
kenntnißreiche Bauer, auf einsamer Alp die Schafe hüte? Lächelnd gab er mir
zur Antwort, daß es für einen Hirten auch Kenntnisse brauche, und wenn er
sein jetziges Amt auch als eine Art Ruheposten betrachte, so sei er
sich doch jeden Augenblick bewußt, daß er Pflichten zu erfüllen habe und
verantwortlich sei für das Gedeihen seiner ihm anvertrauten Herde, er sei
mehr als fünfzig Jahre Bauernknecht gewesen und habe ein an Erfahrungen
reiches Leben hinter sich. Ich bat ihn, mir von seinen Erlebnissen
mitzuteilen. Er zeigte sich auch bereit dazu, falls er mich nicht zu sehr
langweile, wie er meinte, und als er seine Pfeife frisch gefüllt hatte, hub
er zu erzählen an:

»Ich bin in dem Dorfe N. -- von dem Sie von hier aus gerade noch den
Kirchturm und einige Häuser sehen können -- als der Sohn armer Eltern
geboren. Mein Vater war Wegmacher und daneben taglöhnerte er da und dort
bei den Bauern. So hatte er im Sommer, nach den damaligen Verhältnissen,
einen leidlichen Verdienst, desto geringer aber war er im Winter und oft
blieb er tagelang ganz aus. Der Ertrag aus dem Gemeindegut verschaffte uns
wenigstens Kartoffeln, und dank dem unbeschränkten allgemeinen Weidgang
konnten wir zwei Ziegen halten, welche uns einen großen Teil des Jahres mit
Milch versahen. Ich hatte aber noch drei Geschwister -- zwei Schwestern
und einen Bruder -- somit waren da sechs Mäuler zu stopfen. Die Kleider, so
einfach sie auch waren, kosteten ebenfalls Geld. Also war auch die Mutter
noch aufs Verdienen angewiesen, und oft war sie auch, wie der Vater, den
ganzen Tag abwesend. Mir, als dem ältesten, war dann das ganze Hauswesen
und namentlich die Obhut über die jüngern Geschwister anvertraut. So mußte
ich denn schon als kleiner Knirps auf eigenen Füßen stehen, und ich glaube,
daß das für mich nützlich war.

Als ich dann das zwölfte Altersjahr erreicht hatte, fand mein Vater, daß
meine zehnjährige Schwester jetzt alt und anstellig genug sei, um die
Stelle als Hausmütterchen zu übernehmen, für mich aber sei es an der Zeit,
in die Reihe der Verdienenden einzutreten.

Mein Ideal wäre es nun gewesen, Gaishirt zu werden; denn die Berge und die
grünen Alpen zogen mich mächtig an. So jeden Tag mit der Herde ausziehen zu
dürfen und frei mich herumtummeln zu können, das wäre für mich das damalige
Endziel meiner Wünsche gewesen. Aber erstens war ich dazu noch zu jung und
zweitens brauchte man eben nur einen Ziegenhirten; der Bewerber waren aber
viele. Es mußte also eine andere Verdienstquelle für mich gefunden werden,
und ich konnte mich schon als kleiner Knabe darin üben, meinen eigenen
Wünschen zu entsagen.

Zu jener Zeit war noch die Schwabengängerei stark im Schwunge, und jedes
Frühjahr zogen ganze Karawanen von noch schulpflichtigen Knaben hinaus
ins Württembergische und ins Baierische, um sich für den Sommer auf die
dortigen Bauernhöfe zu verdingen und durch Viehhüten und andere leichte
Arbeiten, wenn auch nicht gerade viel Geld, so doch Unterhalt und Kleider
zu verdienen.

Oft hatte ich von den größeren Knaben, die schon einen oder mehrere Sommer
im Schwabenlande gewesen waren, erzählen gehört, wie schön es dort sei, wie
man gar nicht so streng zu arbeiten brauche und was für gute Sachen man zu
essen bekomme etc. Diese kleinen Auswanderer machten es eben damals schon,
wie es heute die großen auch noch machen: sie erzählten nur das Gute, das
sie im fremden Lande erlebt, aber von dem Trüben, das sie durchzumachen
hatten, und das sie die Fremde oft schwer ertragen ließ, sagten sie kein
Sterbenswörtchen. So ist es denn sehr leicht begreiflich, daß ich mich für
die Schwabengängerei begeisterte, als ich sah, daß ich einstweilen darauf
verzichten mußte, Ziegenhirt zu werden. Ich bat deshalb meine Eltern, mich
im Frühjahr ebenfalls mit den andern Knaben ziehen zu lassen, und nach
langem Erwägen und Hinundherraten mit den Nachbarn erhielt ich auch die
Einwilligung dazu.

Als der Tag der Abreise gekommen war, da überkam mich ein sonderbar banges
Gefühl. Während ich vorher kaum diesen Tag glaubte erwarten zu können,
fiel es mir nun auf einmal sehr schwer, meine Eltern und Geschwister,
meine Heimat und alles, was mit ihr verflochten war, zu verlassen und
hinauszuziehen in ein fremdes Land, unter fremde Menschen, einem ungewissen
Geschick entgegen, das je nach den Umständen ebensowohl ein herbes, als ein
freundliches sein konnte. Hätte nur jemand versucht, mich zum Dableiben zu
bestimmen, wie gerne hätte ich gefolgt! Aber niemand sprach dieses Wörtchen
und ich wollte mich tapfer zeigen und niemanden es merken lassen, wie es in
meinem Innern aussah. Keine Träne wollte ich vergießen; denn alles sollte
glauben, daß es mir nicht an dem nötigen Mute fehle, um in die Fremde zu
gehen; doch als die Mutter mich schluchzend zum Abschied in die Arme
schloß und mir das Versprechen abnahm, unter allen Umständen brav, treu
und ehrlich zu bleiben, da rannen auch mir dicke Tropfen über die Wangen
herunter. Mit halberstickter Stimme versprach ich den Eltern, auch in der
Fremde an sie denken zu wollen und mich so aufzuführen, daß ich in Ehren
im Herbst wieder zurückkehren könne. Dann riß ich mich los und eilte, ohne
mich umzusehen, den andern nach, die schon ein Stück voraus waren.

Wir waren eine Truppe von sechzehn Knaben im Alter von zwölf bis
fünfzehn Jahren, unter Führung eines alten Mannes, der schon viele Sommer
hintereinander draußen am gleichen Platze arbeitete, im Frühjahr immer eine
Anzahl Knaben mitnahm und sie im Herbste auch wieder zurückbrachte.

Die Reise wurde natürlich vollständig zu Fuß ausgeführt und ging über Chur
und die Luzisteig hinein ins Liechtensteinische, dann durchs Vorarlberg
hinunter nach Bregenz und Lindau und von dort nach Ravensburg. In
letztgenannter Stadt mußten wir an einem bestimmten Tage eintreffen,
an welchem, wie das zu jener Zeit alle Jahre üblich war, der sogenannte
Gesindemarkt abgehalten wurde. Auf diesen Märkten boten sich Dienstboten
jeglicher Art den Bauern zum Verding an, und es ging da oft an ein
Feilschen, an ein Herausstreichen und Heruntermachen, ärger als an unsern
heutigen Viehmärkten.

Unser Führer hatte uns schon unterwegs instruiert, wie wir uns auf diesem
Markte zu benehmen hätten, um einen guten Platz zu bekommen, und weil
namentlich wir Neulinge uns noch nicht für unser Interesse zu wehren
imstande waren, so versprach er, so gut als möglich für uns einzustehen.
Wir machten auch aus, an welchem Ort und an welchem Tage wir uns im Herbste
wieder treffen sollten zum Zwecke der gemeinschaftlichen Heimreise. Der
gute Alte, dem an unserem Wohlergehen viel gelegen war, und der sich in
väterlicher Weise um uns annahm, nannte uns dann noch seinen Aufenthaltsort
während des Sommers, damit sich ein jeder an ihn wenden könne, wenn er
eines Beistandes bedürfe. So betraten wir denn ohne Furcht den Markt und
harrten der Dinge, die da kommen sollten.

Wir kamen etwas spät auf dem Marktplatze an, und die Geschäfte waren schon
im Gange. Es schien aber, daß viele Bauern auf das Erscheinen unseres
Führers gewartet hatten; denn wir waren bald umringt, und viele schüttelten
dem Alten als einem guten Bekannten die Hände, ihn fragend, wie es ihm gehe
und was er gutes mitbringe. In kaum einer Stunde waren denn auch schon 14
von uns versorgt und nur noch ich und ein anderer blieben zurück, weil
wir anscheinend die schwächsten waren. Ich speziell war etwas hoch
aufgeschossen und dabei schmächtig und bleich, niemand erkannte in mir den
zähen Burschen, der ich in Wirklichkeit war. Es begann mir schon der Mut
zu sinken, und ich glaubte, daß mich niemand annehmen wolle, doch der
Alte machte uns darauf aufmerksam, daß viele, die er kenne, noch gar nicht
erschienen seien und also noch lange keine Veranlassung dazu da sei, zu
glauben, wir bekommen keinen Platz; er wolle einmal ein wenig Umschau
halten und wir sollen nur ruhig warten, bis er wieder komme. Bald kehrte
er auch in Begleitung eines uns freundlich anblickenden Mannes zurück, der
nach kurzer Unterhandlung geneigt war, uns anzunehmen. So hatten also auch
wir einen Meister, oder wie man das draußen kurzweg nennt, einen »Bauer«,
gefunden. Wir dankten unserem Führer und verabschiedeten uns von ihm, dann
folgten wir unserem Bauern ins Wirtshaus, wo er sein Gefährt eingestellt
hatte. Dort erhielten wir zunächst etwas zu essen, was wir auch wirklich
nötig hatten; denn wir waren unterdessen hungrig geworden. Nachher wurde
eingespannt und wir fuhren dem zwei Stunden von Ravensburg entfernten
Schachenhof zu, wie das Besitztum unseres Bauern hieß.

Als wir gegen Abend dort anlangten, empfing uns die Bäuerin, die uns eine
Kammer anwies, unsere Habseligkeiten durchmusterte und alles in einen
kleinen Kasten einräumte, den sie uns zur Verfügung gestellt hatte zum
gemeinsamen Gebrauch.

Eine Beschreibung des prächtigen Hofgutes, welches nun unsern
Aufenthaltsort und unser Tätigkeitsfeld ausmachte, will ich unterlassen.
Die großen Bauernhöfe in jener Gegend gleichen sich, was die Art der
Bewirtschaftung anbelangt, ja wie ein Ei dem andern. Die Hauptsache war zu
jener Zeit immer der Getreidebau; auch Hopfen wurde schon angebaut, wenn
auch noch lange nicht in dem Umfange wie heute. Daneben spielte auch
die Viehzucht eine Rolle, und auf jedem Hof war eine mehr oder weniger
zahlreiche Gänseherde vorhanden. Der Unterschied war aber vorhanden, daß
das eine Gut sich vor dem andern durch rationelleren Betrieb hervortat; der
eine Besitzer wirtschaftete gut, der andere schlecht. Das war damals
schon so, wie es auch heute noch ist. Der Schachenhof nun war eine
Musterwirtschaft in jeder Beziehung und wir hatten es also sehr
gut getroffen. Wir mußten ja alle Arbeit erst lernen und waren also
gewissermaßen nichts anderes als Lehrjungen, und lernen kann man, wie
bekannt, da am meisten, wo jede Verrichtung, wenn sie an und für sich auch
noch so gering ist, mustergiltig ausgeführt wird. Wir mußten nun aber nicht
nur die Arbeit lernen, sondern auch die Sprache; denn die paar Brocken
Deutsch, welche wir verstanden, reichten nicht weit. Da brauchte es Geduld
von seite unserer Dienstherrschaft und großen Fleiß unsererseits, um sich
möglichst schnell in alles hineinzufinden. Weil alles mit uns freundlich
war und niemand mehr von uns verlangte, als wir wirklich leisten konnten,
so verrichteten auch wir unsere Arbeiten mit Lust und Liebe und setzten
alles daran, die Zufriedenheit der Meistersleute und der Nebendienstboten
zu erwerben. Es gelang uns dies auch, und wir sahen alle Tage besser ein,
daß es ein Glück für uns gewesen sei, gerade hier einen Platz gefunden zu
haben.

Meinem Kameraden war die Stelle eines Gänsehirten zugefallen, er hatte sich
den ganzen Sommer fast ausschließlich mit diesem Federvieh abzugeben.
Das war keine schwere Arbeit, und das Gänsehüten bietet einem Knaben
Gelegenheit, dabei faul und gedankenlos zu werden. Der Schachenbauer
aber wußte es einzurichten, daß eine gewisse Verantwortlichkeit mit dem
Hirtenstand verbunden war. Der Stall mußte immer sauber sein, er mußte
pünktlich geschlossen werden, die Futterrationen waren genau einzuhalten,
er belehrte den Hirten über den Wert der Tiere, so daß die Arbeiten nicht
nur mechanisch verrichtet wurden, sondern man dabei auch unwillkürlich
an etwas denken mußte, was den Zweck der Arbeit betraf. Mein Genosse
entwickelte einen wahren Eifer, um seinen Pflichten so gut als möglich
nachzukommen. Die Bäuerin -- zu deren Departement eigentlich die Gänse,
sowie sämtliches Geflügel gehörte -- belohnte denn auch seinen Fleiß mit
manchem Geschenk.

Etwas schwierigerer Natur waren die Obliegenheiten, die mir zufielen; denn
ich hatte namentlich im Anfang keine bestimmte Beschäftigung, sondern wurde
bald diesem, bald jenem Betriebszweige zugeteilt. Zuerst kam die Bestellung
der Felder; da mußte ich dem Ackerknecht die Mähne treiben (beim Pflügen
die Zugochsen führen). Dann kam die Heuernte und namentlich die Ernte des
Getreides, welche für alle harte Arbeit im Gefolge hatten; da gab es die
verschiedensten Arbeiten, die meinen jungen Armen zugemutet wurden. Doch
mir war nichts zu viel, sah ich doch, daß alle andern ohne Murren, jeder an
seiner Stelle, sich ihrer schweren Aufgaben entledigten. Nachdem dann die
Erntearbeiten vorüber waren, kamen auch für mich bessere Zeiten, indem nun
das Vieh auf die Weide getrieben und meiner Obhut anvertraut wurde. So ging
es nun fort, bis die kalten Herbsttage sich einstellten, die Weide anfing,
spärlich zu werden, und das Vieh wieder im Stall gefüttert wurde. Es rückte
nun die Zeit heran, wo wir wieder nach unserer Heimat zurückkehren sollten.

Das Heimweh nach unsern Eltern, nach unserem schönen Heimattal und
namentlich nach unsern Bergen war den ganzen Sommer in unsern jungen Herzen
wach geblieben, und wenn bei klarem Wetter die schneeigen Häupter unserer
Schweizerberge herübergrüßten, so weilten wir in Gedanken dort, wo auf
grünem Bergeshang die Alpenrosen blühen und der Hirten Jauchzen von der
Felswand widerhallt, wo der Bergbach tosend von Fels zu Fels stürzt, bis er
sich mit dem Fluß vereinigt, der durch die enge Schlucht sich zwängt. Das
ist das Schweizerheimweh, das sich nicht beschreiben, sondern nur empfinden
läßt.

Durch die gute Behandlung, welche uns zu teil wurde, hatte man uns diese
Sehnsucht nach der Heimat so erträglich als möglich gemacht, so daß, als es
zum Abschiednehmen kam, ein fast schmerzliches Gefühl sich mischte mit der
Freude, die Heimat wieder sehen zu dürfen. Wir schieden mit innigem Danke
von den Leuten, die uns so viel Gutes erwiesen hatten.

Der Bauer hatte uns ein gutes Zeugnis ausgestellt und versprach, uns
entsprechend mehr Lohn zu geben, wenn wir im Frühling wieder in seinen
Dienst treten wollten. Er sagte, es sei ihm darum zu tun, die gleichen
Leute länger zu behalten, und da er gesehen habe, daß wir anstellige
Burschen seien, so können wir sogar auch im Winter bei ihm bleiben; wir
hätten dann Gelegenheit, die Dorfschule zu besuchen und auf diese Weise
perfekt deutsch zu lernen. Daneben gebe es allerlei leichte Verrichtungen,
die von uns gut ausgeführt werden könnten. Wir sollen dieserthalben
mit unsern Eltern sprechen und, wenn sie zufrieden seien, sein Angebot
annehmen.

Unser Lohn bestand aus doppelter Kleidung und 10 Gulden. Als wir alles
in Empfang genommen und samt dem, was wir von der Bäuerin noch für die
Wegzehrung und für die Eltern und Geschwister zugesteckt erhielten, in
unsern Reisesäcken eingepackt hatten, waren wir reisefertig. Bis nach
Ravensburg brachte uns der Bauer mit seinem Gefährt, dort trafen wir wieder
mit unserm Führer und den andern Schwabengängern zusammen, und auf gleiche
Weise, wie wir gekommen -- mit dem einzigen Unterschied, daß wir lustiger
waren und auf dem Marsche mehr Ausdauer zeigten, trotzdem unsere Säcke mehr
drückten -- ging es nun der lieben Heimat zu.

Das war mein erstes Lehrjahr als Bauernknecht, und wenn ich es etwas
ausführlich geschildert habe, so bitte ich das zu entschuldigen; denn
dieses erste Jahr war grundlegend für mein ganzes späteres Leben. Nicht
alle, welche von unsern Hochtälern hinauszogen über den Bodensee, waren so
glücklich wie mein Kamerad und ich; denn gar viele Bauern waren nur darauf
bedacht, die armen Schweizerknaben so gut als möglich auszunützen, nicht
im entferntesten kam es ihnen in den Sinn, auch erzieherisch auf die jungen
Herzen einzuwirken und dazu beizutragen, sie zu nützlichen Gliedern
der menschlichen Gesellschaft heranzubilden. Heute noch preise ich die
Vorsehung, daß sie mich in den Dienst des Schachenhofbauers geführt hatte;
denn daß ich ein rechter Mensch und brauchbarer Bauernknecht geworden bin,
das habe ich fast einzig jenem Manne zu verdanken.

Meine Eltern waren natürlich sehr erfreut, daß es mir so gut ergangen im
Schwabenland, und sie hatten nichts dagegen einzuwenden, daß ich mich zum
zweitenmal auf den Schachenhof verdinge; auch war es ihnen recht, daß ich
im Winter dort bleibe und die Schule besuche. Mein Genosse vom letzten
Jahre war unterdessen mit seinen Eltern nach Amerika ausgewandert und lebt
heute noch als glücklicher Besitzer einer Farm in Kansas. So schloß ich
mich denn im Frühjahr allein der ausziehenden Schar der Schwabengänger an
und kam glücklich wieder im Schachenhof an, wo man über mein Kommen sehr
erfreut war.

Es würde mich nun viel zu weit führen, wenn ich alle meine ferneren
Erlebnisse auf diesem Hof schildern wollte. Wenn ich mitteile, daß
ich volle 16 Jahre dort blieb und mich vom Küherbub nach und nach zum
Oberknecht aufschwang, so mag das genügen. Hingegen kann ich nicht
unterlassen, etwas näher einzugehen auf das Leben und Treiben, das auf
diesem Bauernhofe herrschte, und auf das Verhältnis zwischen der Herrschaft
und den Dienstboten.

Wer auf den Hof kam, dem mußte vor allen Dingen die peinliche Ordnung und
Sauberkeit auffallen, die allenthalben, selbst in dem entlegensten Winkel,
sich bemerkbar machte. Die Gebäude und alle Einrichtungen waren zwar
sehr einfach, von behäbigem Luxus oder gar protziger Zurschaustellung des
Reichtums war da nichts zu bemerken. Der Schachenhofbauer hatte das Gut von
seinem Vater übernommen und war bestrebt, nicht nur alles gut zu erhalten,
sondern auch zeitgemäße Verbesserungen vorzunehmen. Dabei aber hütete er
sich, irgendwelche Einrichtungen zu treffen, die sich nicht rentierten
oder nur totes Kapital darstellten. Während er auch die kleinste Ausgabe
vermied, die ihm nicht gerechtfertigt erschien, geizte er nicht, wo es
galt, irgend etwas einzuführen oder anzuschaffen, das den Betrieb zu
vereinfachen oder zu erleichtern geeignet war oder höheren Ertrag sicherte.
Obwohl er sich nicht leicht in Sachen einließ, die praktisch nicht durch
und durch erprobt waren, so war er doch ein echter Fortschrittsbauer, der
nicht zäh am Alten festhielt, sobald er sich überzeugt hatte, daß Neues
vorteilhafter sei.

Auf dem Schachenhof wurde großer Wert auf richtige Zeiteinteilung gelegt
und der ganze Betrieb wurde nach einem bestimmten Plan geregelt. So kam es,
daß man alles zur rechten Zeit fertig brachte, und wenn bei uns eine Arbeit
angefangen wurde, so konnte jeder Bauer der Umgegend sicher darauf rechnen,
daß er weder zu früh noch zu spät komme, wenn er auch damit beginne. Weil
alles so gut eingeteilt wurde, so gab es auch keine Hasterei und keine
Uebereilung, und das hatte den weiteren Vorteil im Gefolge, daß alle
Arbeiten auch recht und gründlich getan wurden und nicht nur oberflächlich,
wie man das leider so oft in unserer heutigen Zeit wahrnehmen muß.

Wenn unsere Kulturen auch manchmal selbst in schlechten Jahrgängen
verhältnismäßig schön standen, so hörte man die andern Bauern oft sagen:
»Was doch der Schachenhofer für ein heidenmäßiges Glück hat!« Ich aber
lernte hier die Wahrheit des Sprichworts kennen: »Jeder ist seines Glückes
Schmied.« Und wenn ich dazu berufen wäre, unsern Bauern gute Lehren zu
erteilen, so würde ich ihnen vor allen Dingen zurufen: »Haltet gute
Ordnung in allen Dingen; denn das ist das Fundament, auf dem sich ein guter
Wirtschaftsbetrieb aufbauen muß!«

Unser Bauer aber hatte nicht nur schöne, ertragreiche Aecker und Wiesen
und leistungsfähiges Vieh, sondern er hatte auch weit und breit die besten
Dienstboten und meistens solche, die schon eine Reihe von Jahren in
seinen Diensten standen. Das kam hauptsächlich daher, weil er es nicht nur
verstand, Knechte und Mägde richtig zu behandeln und sie als Menschen zu
achten, sondern ihnen auch einen rechten Lohn bezahlte und es ihnen gönnte,
wenn sie in seinem Dienst etwas fürs Alter ersparen konnten.

Es wäre indessen weit gefehlt, wollte man glauben, daß bei uns nicht
tüchtig und streng gearbeitet wurde von früh bis spät, und hätte sich etwa
ein Knecht auf den Schachenhof verdingen wollen in der Meinung, da
ein Schlaraffenleben führen zu können, so wäre er jedenfalls von der
Wirklichkeit stark enttäuscht gewesen. Mancher neu eingestandene Dienstbote
hat es denn auch einsehen müssen, daß es auf dem Schachenhof noch manches
zu lernen gebe, bevor man imstande sei, den Bauer vollauf zu befriedigen.

Manchem, der noch nicht an stramme Ordnung gewöhnt war, kam es in den
ersten Wochen hart an, sich dem strengen Regiment zu fügen, aber da half
kein Murren. Der Schachenhofer wußte seinen Willen durchzusetzen, zwar
nicht mit Fluchen oder groben Worten, aber mit klaren und deutlichen
Befehlen, die nicht so leicht einer zu übertreten wagte. Jeder merkte denn
auch bald, daß die Arbeit so viel leichter von statten gehe, als da, wo
Unordnung einem ungestörten Arbeitsverlauf jeden Augenblick im Wege steht.
Weil alles Arbeitsgeschirr an seinem bestimmten Orte aufbewahrt war,
so mußte man nie etwas suchen, und weil jedes Gerät nach dem Gebrauche
gereinigt wurde und jede notwendig gewordene Reparatur sofort ausgeführt
werden mußte, so war auch immer alles gebrauchsfähig. Nur dieser einzige
Umstand bewahrte uns vor vielen Zeitverlusten und Ausgaben, die mancher
nur als Kleinigkeit betrachtet, die aber in ihrer Summierung allein schon
hinreichen können, einen Bauer dem Ruin entgegen zu führen.

Auf dem Schachenhof wurden alle Mahlzeiten gemeinschaftlich eingenommen;
der Bauer und die Bäuerin verschmähten es nicht, mit den Dienstboten
am gleichen Tische zu sitzen. Das brachte zwei große Vorteile mit sich.
Erstens war damit allen Reklamationen über die Beköstigung die Spitze
abgebrochen; denn was der Herrschaft recht war, das mußte auch den
Dienstboten gut genug sein. Zweitens war es da notwendig geboten, daß
alle ordentlich und reinlich am Tisch erschienen, sich dort auch anständig
benahmen und daß eine regelmäßige Essenszeit eingehalten wurde, alles
Punkte, die meistens dort vermißt werden, wo das Gesinde abgesondert von
der Herrschaft ihr Essen erhält.

Der Bauer hielt überhaupt darauf, daß sich seine Leute auch an ihrer Person
der Reinlichkeit und Sauberkeit beflissen. Er meinte, wenn der Bauer oft so
gering geachtet werde, so rühre das vielfach nur daher, weil er denke, es
vertrage sich mit seinem Stande nicht, daß er auch sauber gekleidet sei
und sich anständig benehme. Die landwirtschaftlichen Arbeiten bringen es ja
gewiß mit sich, daß man nicht immer wie aus dem Kasten heraus daherkommen
kann, aber es ist durchaus nicht notwendig, das, was von rechtswegen auf
den Miststock gehört, an den Kleidern und Schuhen mit sich herumzutragen,
oder zu glauben, daß die Unsauberkeit des Stalles auch auf das Wohnhaus
übertragen werden müsse.

In dieser Angelegenheit tat dann freilich auch die Bäuerin das ihrige zur
Sache. Sie trug Sorge dafür, daß jedem Dienstboten alles gewaschen und
geflickt wurde, verlangte aber auch, daß die Leute selbst sich daran
gewöhnten, ihre Kleider gut zu halten. In den Kammern duldete sie keine
Unordnung, und ich habe da oft bemerken können, daß es eigentlich gar nicht
so schwer ist, auch den gröbsten Knecht zur Reinlichkeit und guten Sitte
anzuhalten, wenn man es nur richtig anfaßt. Freilich, wo es dem Bauer
höchstens darauf ankommt, daß die Ställe in Ordnung sind, er es aber unter
seiner Würde hält, einmal eine Knechtenkammer zu betreten, wo nur das Vieh
geputzt wird, der Knecht aber wie eine wandelnde Düngerstätte herumlaufen
darf, da muß es einen nicht Wunder nehmen, wenn es mit der Reinlichkeit
schlecht bestellt ist.

Unser Bauer liebte es, wenn die Sonntage möglichst eingehalten wurden. Am
Samstag mußten alle Reinigungsarbeiten vorgenommen werden und nur wenn man
in der Erntezeit bei zweifelhaften Witterungsaussichten mit ganz dringenden
Arbeiten überhäuft war, durfte man so etwas auf den Sonntag verschieben.
Er liebte es, wenn an Sonn- und Festtagen eine feierliche Ruhe auf dem Hofe
herrschte, die Leute die Kirche besuchten oder einen Spaziergang durch die
Felder machten. Häufig unternahm er selbst einen solchen Gang und meinte,
man werde da auf manches aufmerksam, an dem man am Werktag, wo der Kopf mit
den Sorgen der Arbeit erfüllt sei, achtlos vorübergehe. Ging etwa einer
der Knechte am Sonntag nachmittag ins Wirtshaus, so hatte der Bauer nichts
dagegen. Hingegen duldete er keine Ausschreitungen und Trunkenbolde behielt
er nicht in seinem Dienst.

Es war eine Freude, zu sehen, wie auf dem Schachenhofe selbst der geringste
Hirtenknabe mit eigenem Interesse an der Arbeit beteiligt war. Das kam
daher, weil der Bauer nicht nur trockene Befehle austeilte, sondern
eine wirkliche Besprechung der Arbeit miteinflocht; er achtete auch die
Ansichten anderer und regte so jeden zu selbständigem Denken an. Es läßt
sich leicht begreifen, daß die Arbeit so ganz andere Resultate zeitigte,
als wenn nur mechanisch gearbeitet worden wäre.

Wo der Bauer eine Belehrung bei uns Dienstboten anbringen konnte, da
unterließ er es nie, und namentlich die langen Winterabende benützte er
dazu, uns mit den Neuerungen auf dem Gebiete der Landwirtschaft bekannt zu
machen. Damals gab es noch nicht die Flut landwirtschaftlicher Literatur,
wie heute, dafür wurde alles gründlicher gelesen und studiert, und auch wir
Knechte erhielten die Bücher zu lesen, welche der Bauer besaß. Allfällige
neue Anregungen wurden besprochen und beraten, in welcher Weise sie
ungefähr für unsere Verhältnisse passen und wie sie verwendet werden
könnten.

Man kann leicht begreifen, daß ich auf dem Schachenhof unter den
geschilderten Verhältnissen alle Arbeiten gründlich gelernt habe.
Ich lernte nicht nur, wie und wann die verschiedenen Beschäftigungen
vorzunehmen sind, sondern, weil ich mich auch mit dem Kopf an der Arbeit
beteiligte, über alles nachdachte und den Erfolg beobachtete, lernte ich
einigermaßen auch das »Warum« einer Hantierung kennen, soweit das nach den
damaligen Verhältnissen und ohne Fachschulen möglich war. Unleugbar war es
für mich ein großer Vorteil, daß ich auf der untersten Stufe, nämlich als
Hirtenknabe, meine Tätigkeit auf dem Hof begonnen hatte. So kannte ich den
ganzen Betrieb durch und durch und konnte dem Bauer kräftig an die Hand
gehen.

Ohne etwa mich selbst rühmen zu wollen, darf ich doch sagen, daß ich
nicht mit größerem Eifer und Interesse hätte arbeiten können, wenn ich
der leibliche Sohn von Schachenhofers gewesen wäre. Hingegen darf ich auch
nicht verschweigen, daß ich fast wie ein Sohn gehalten wurde. Man räumte
mir mehr Rechte ein, als ich je benützen wollte. Auch der Lohn war
ein recht guter für einen Bauernknecht; fast jedes Jahr gab man mir
Aufbesserung, und ich konnte meinen Eltern nette Sümmchen nach Hause
senden. Zweimal kam ich während meines Aufenthaltes auf dem Schachenhof zu
einem kurzen Besuch nach Hause und fand zu meiner Freude immer geordnetere
Zustände vor. Aus meinen kleinen Geschwistern wurden mit der Zeit große
Leute; die beiden Schwestern verheirateten sich, mein jüngerer Bruder wurde
ein Schmied und hat jetzt ein gutgehendes Geschäft drunten im Dorfe.

Sie sehen, daß ich nicht nur über nichts zu klagen hatte, sondern es ging
mir so gut, wie ich es mir eigentlich nie zu wünschen getraut hatte. Doch
es sollte anders kommen, und wenn ich bisher nur die Lichtseiten meines
Standes kennen gelernt hatte, so sollten mir nun auch die Schattenseiten im
Leben eines Bauernknechtes bekannt werden.

Eines Tages -- es war gerade in der Zeit der Heuernte -- wurde der Bauer,
der sonst immer ein Bild der Gesundheit gewesen war, auf einmal krank, und
ich mußte schnell einen Arzt aus der Stadt holen. Als dieser den Kranken
untersucht hatte, schüttelte er bedenklich den Kopf und bedeutete der
Bäuerin, daß sie sich auf das Schlimmste gefaßt machen müsse, indem eine
heftige Lungenentzündung zu konstatieren sei. Alle ärztliche Kunst war denn
auch vergebens, und nach vier Tagen standen wir tiefbetrübt an der Bahre
unseres Brotherrn, den wir alle wie einen Vater verehrt hatten.

Nun kamen trübe Zeiten. Der ganze Gutsbetrieb ruhte auf meinen Schultern.
Die Schachenhoferin, die den Verlust ihres Gatten kaum überwinden konnte,
wollte sich um nichts mehr annehmen. Ihre Ehe war kinderlos geblieben, und
somit hatte sie niemanden, dem sie den Hof übergeben konnte. So entschloß
sie sich, denselben zu verkaufen und in die Stadt zu ziehen. Die Sache
wurde einem Notar übergeben und bald stellten sich Kaufliebhaber zur
Besichtigung des Hofes ein.

Ein junger Herr, der eben seine Studien in Hohenheim beendigt hatte und im
Begriffe stand, sich zu verheiraten, wurde Besitzer des Schachenhofes, und
weil er auch die Dienstboten mit übernommen hatte, unser neuer Herr.

Nun begannen Umwälzungen im großen Stil. Zunächst rückte ein Heer der
verschiedensten Handwerker ein; denn es galt nun, das Wohnhaus für den
Empfang der jungen Frau würdig herauszuputzen. Es wurde auch jetzt noch
der Betrieb fast vollständig mir überlassen. Herr Rasch -- so hieß der neue
Hofbesitzer -- kündete mir zwar vorläufig an, daß da vieles anders werden
müsse; vorerst freilich habe er nicht Zeit dazu. Meistens war er denn
auch abwesend, entweder in der Stadt, oder auf Besuch bei seiner Braut
in Stuttgart, und wir konnten alle Arbeiten wie gewohnt verrichten. Eine
Haushälterin besorgte das Hauswesen, zwar nicht in der Weise, wie unsere
Bäuerin es getan, aber wir hatten auch nicht gerade Anlaß zu Klagen.

Gegen den Herbst kam die Ausstattung der zukünftigen Herrin, alles ganz
städtisch, sogar ein Klavier wurde im »Salon« aufgestellt. Bald kam auch
das neuvermählte Paar selbst an, und Herr und Frau Rasch begannen nun, die
Zügel der Regierung selbst in die Hand zu nehmen.

Sehr bald mußte ich bemerken, daß unser Herr zwar sehr viel wisse -- er
hatte jedenfalls die Schule mit sehr gutem Erfolge absolviert -- aber daß
ihm die notwendige Praxis und die nötige Energie, das Gelernte auch
richtig zu verwerten, fehlte. Dabei nahm er auch zu wenig Rücksicht auf
die örtlichen Verhältnisse. So konnte es nicht ausbleiben, daß falsche
Maßnahmen Mißerfolge zeitigten. Zu stolz nun, den Fehler bei sich selbst zu
suchen, glaubte Herr Rasch, die Ursachen wo anders suchen zu müssen.
Bald mußten die schlechten Einrichtungen schuld sein, bald suchte er
die Dienstboten verantwortlich zu machen. Das zeitigte natürlich
Unzufriedenheiten auf beiden Seiten, und als Lichtmeß heranrückte,
kündigten schon einige derjenigen Dienstboten, die mehrere Jahre unter dem
verstorbenen Schachenhofer gedient hatten.

Von den Mägden blieb keine einzige, denn bei der jungen Frau war es gar
nicht zum Aushalten. Sie wollte regieren, während sie doch weder von der
Führung des Hauswesens, noch von der Landwirtschaft viel verstand. Um das
Wohl oder Wehe der Dienstboten kümmerte sie sich nichts, dazu hatte sie
eine Haushälterin, die aber auch, wie die Mägde, den Dienst gekündet hatte
aufs erste Ziel.

Nach und nach riß überall Unordnung ein, besonders auch deswegen, weil
planlos bald dieses, bald jenes in Angriff genommen wurde, ohne etwas
zu beenden. Da war es unausbleiblich, daß hier ein Gerät liegen gelassen
wurde, dort etwas anderes verloren ging. Aber auch ungemein viel Zeit
ging bei dem unsichern Hinundherlaufen verloren. Weil alles am Sonntag
aufgeräumt und geputzt werden sollte, so geschah es nur oberflächlich und
mit Unlust. Weil unser Herr nie gründlich nachschaute, so merkte er nicht,
daß unter dem äußerlichen Schein der Sauberkeit das schlimmste Krebsübel
eines Bauernwesens, die Unordnung, an seinem schönen Gute zu zehren begann.

Herr Rasch hatte auch einen andern Fehler, der schon manchen Landwirt zu
grunde gerichtet hat. Er war prunksüchtig und wollte um jeden Preis den
andern Bauern der Umgebung imponieren. Hätte er die nötige Energie und
Schaffenslust besessen, seine Kenntnisse in richtiger Weise zu verwerten,
so wäre ihm das vielleicht auch gelungen; denn ich glaube bestimmt, daß es
ihm geglückt wäre, den Ertrag des Hofes bedeutend zu erhöhen, trotzdem der
frühere Besitzer nach seiner Art mustergiltig gewirtschaftet hatte. Ich
merkte z. B. gar bald, daß mit den neueren Geräten eine ganz andere Arbeit
geliefert werden konnte. Aber was nützte uns der beste Hohenheimer Pflug,
wenn er zu spät in Anwendung kam, und was frommte das bessere Saatgut, wenn
es zur unrichtigen Zeit in den Boden kam, oder wenn die aufgehende Saat
im Unkraut halb erstickte. Weil es nun in diesem Punkte nicht ging, sich
hervorzutun, und er dabei nur erzielte, daß die Nachbarn im Stillen über
den »studierten Bauer« lachten, so wurde es auf andere Weise versucht. Die
schlichten, aber zweckmäßigen Wirtschaftsgebäude wurden niedergerissen und
durch massive Prachtbauten ersetzt. Diese neuen Stallungen und Scheunen
erfüllten den Zweck nicht viel besser als die alten. Sie gewährten nur den
Vorteil, daß sie schöner aussahen, hatten aber den sehr schwerwiegenden
Nachteil, daß in ihnen ein unproduktives Kapital angelegt war.

Es wird Ihnen aufgefallen sein, daß ich noch gar nichts erzählte über das
Verhältnis zwischen Herrn Rasch und mir, doch werden Sie sich, nach meiner
Beschreibung der allgemeinen Zustände, schon ein Bild machen können, wie
wir zu einander gestanden haben. Bei diesem Punkte angelangt, muß ich
jedoch gestehen, daß mein Herr die Schuld nicht allein trug, wenn die Kluft
zwischen uns immer größer und unüberbrückbar wurde; auch ich selbst trug
sehr viel dazu bei. Herr Rasch überragte mich natürlich an Bildung und
theoretischem Wissen himmelweit, wogegen ich im praktischen Können und
im Bekanntsein mit den örtlichen Verhältnissen im Vorteil war. Beide aber
hatten wir den gleich großen Fehler, daß wir dem eigenen Wissen die größte
Wichtigkeit beimaßen und mit Geringschätzung auf die Fähigkeiten des
andern blickten. Ich glaube heute bestimmt, daß wenn wir darnach getrachtet
hätten, uns gegenseitig zu ergänzen, alles ins richtige Geleise gekommen
wäre. Ich war der Untergebene, und an mir wäre es also gelegen, damit den
Anfang zu machen. Statt dessen verspürte ich eine stille Freude, wenn ich
sah, daß etwas schief ging. Ich befolgte willig die verkehrten Anordnungen
meines Herrn, auch dann, wenn es in meiner Macht gelegen hätte, die daraus
resultierenden Mißerfolge abzuwenden. Erhielt ich dann Vorwürfe, so meinte
ich, das sei ungerecht, und beklagte mich über schnöde Behandlung. So kamen
wir denn beide zur Einsicht, daß wir nicht weiter mit einander arbeiten
können, und als ich schließlich den Dienst kündigte, kam ich damit nur
Herrn Rasch zuvor, der mich sicherlich nicht mehr auf dem Hof geduldet
hätte.

Was nun meinen ferneren Aufenthalt im Schwabenlande anbetrifft, so gibt es
davon nicht mehr viel zu erzählen. An zwei andern Plätzen hatte ich auch
mehr schlechte als gute Erfahrungen zu machen und zwar hauptsächlich
deswegen, weil ich noch eines nicht gelernt hatte, nämlich mich, wie es
einem Dienstboten geziemt, dem Arbeitgeber unterzuordnen und mich den
verschiedenen Verhältnissen anzupassen. Ich hielt mich für eine viel zu
wichtige Persönlichkeit und hatte geglaubt, gleich überall eine wichtige
Rolle spielen zu können. Der verstorbene Schachenhofer schwebte mir als das
Ideal eines Bauern vor, und weil ich dieses Ideal nicht gleich wieder fand,
so hielt ich alle andern Bauern für dumm und meinte, sie seien nicht wert,
einen Knecht in ihrem Dienst zu haben, wie ich einer sei. So wurde ich
immer unduldsamer und mancher Bauer ließ mich gerne aus seinem Dienste
scheiden, trotzdem er mich vielleicht als tüchtigen Arbeiter und soliden
Menschen schätzen gelernt hatte. Dabei wurde bei mir die Sehnsucht nach der
Heimat immer größer, und als mich die Trauerkunde ereilte, daß mein Vater
plötzlich gestorben sei, hielt ich es für meine Pflicht, mich meiner alten
Mutter anzunehmen und mich mit meinen Geschwistern in die Sorge um dieselbe
zu teilen.

So sagte ich dem Schwabenlande adieu, zog in mein heimatliches Tal zurück
und suchte hier einen passenden Platz. Weil man mich für einen ordentlichen
Burschen hielt, so brauchte ich auch nicht lange Umschau zu halten, und es
tat mir wohl, in eine ganz veränderte Umgebung zu kommen.

Die Betriebsrichtung in der Landwirtschaft war und ist eine ganz andere
hier in unserer Berggegend, als draußen im oberschwäbischen Flachlande, und
das brachte mit sich, daß es zunächst für mich wieder vieles zu lernen
gab. Das sah ich glücklicherweise auch ein, und ich warf mich mit wahrem
Feuereifer auf meine Ausbildung in der Viehzucht, in der Milchwirtschaft
und im Alp- und Weidewesen.

Es begann damals gerade ein frischer Zug durch unsere schweizerische
Landwirtschaft zu wehen, der auch bis herauf in unsere Berge bemerkbar
wurde. Der schweizerische Landwirtschaftliche Verein entwickelte eine
segensreiche Wirksamkeit. Zu einigen Ackerbauschulen gesellte sich die
landwirtschaftliche Abteilung am Polytechnikum in Zürich, und bei uns
war es besonders Schatzmann, der sich ein großes Verdienst um unsere
Milchwirtschaft erwarb. Bücher und Zeitschriften wurden jedem zugänglich,
und erst jetzt empfand ich es als ein Glück, daß ich draußen in der
schwäbischen Dorfschule deutsch lesen und schreiben gelernt hatte.

Ich habe von jeher Freude an den Büchern gehabt, und manchen Franken habe
ich ausgegeben, um dieses oder jenes kleinere landwirtschaftliche Werk
anzuschaffen. So gelangte ich nach und nach zu einer kleinen Bibliothek,
die heute noch mein Stolz ist.

Weil es mir an Geld fehlte und ich mich vor dem Schuldenmachen fürchtete,
so konnte ich meine Erfahrungen nie für mich selbst verwerten, aber es gab
Leute genug, die gerne eine Anregung und einen guten Rat auch von einem
Knecht annahmen, und mancher Bauer ist mir heute noch dankbar für diesen
oder jenen praktischen Wink, den er von mir erhalten, und der ihm von
Nutzen war.

Immer mehr lernte ich erkennen, was für einen eminenten Vorteil unsere
Alpen und Weiden für unsere Viehzucht und Viehhaltung bedeuten; leider
mußte ich auch sehen, wie gerade auf diesem Gebiete eine schreckliche
Mißwirtschaft herrschte, die zum Teil heute noch nicht ganz beseitigt ist.
Ich mußte sehen, wie in unsern Wäldern und namentlich in den Hochwäldern
eine wahre Raubwirtschaft getrieben wurde, wie die besten Alpen
verunkrauteten und vergandeten, wie das Vieh bei denkbar schlechtesten
Einrichtungen ohne Schutz und Futter den stärksten Unbilden der Witterung
ausgesetzt blieb, wie die Milch schlecht verarbeitet wurde, wie man die
Tiere den gewissenlosesten Leuten zur Hut anvertraute u. s. w. Namentlich
dieser letzte Punkt gab mir viel zu denken, und ich konnte je länger je
weniger begreifen, daß Bauern, die sonst das Herz auf dem rechten Fleck
hatten und bei Aufzucht und Pflege des Viehes im Stall sehr exakt waren,
ihre wertvolle Viehhabe auf der Alp Leuten anvertrauten, von denen
jedermann wußte, daß sie faul, leichtsinnig und in allen Teilen unfähig
seien, ihren Dienst pflichtgetreu zu versehen, und das alles nur, weil
solche Hirten ein paar Franken weniger kosteten, als gewissenhafte
Personen, denen aber auch etwas daran lag, ihre Pflicht voll und ganz zu
erfüllen.

Um nun selbst hier mit gutem Beispiel voranzugehen und um zu zeigen, was
ein richtiger Aelpler zu leisten im stande sei, entschloß ich mich, nachdem
ich mehrere Jahre am gleichen Platze Knecht gewesen, selbst Senn zu werden.
Ich bot mich der Gemeinde als solchen um geringen Lohn an, aber mit
der Bedingung, das übrige Alppersonal selbst auswählen zu dürfen. Wider
Erwarten ging man auf meine Forderung ein, und zur gegebenen Zeit trat ich
mein neues Amt an.

Da gab es wieder ein reiches Arbeitsfeld für mich; denn mit den denkbar
schlechtesten Einrichtungen mußte ich beginnen. Dazu kam noch der Umstand
erschwerend hinzu, daß es Leute gab, die zäh am Alten festhingen und
jeder Neuerung abhold waren, besonders solchen, welche etwelche Ausgaben
erforderten, und wären sie auch noch so klein gewesen. Diese hatten schon
meine Wahl bekämpft und arbeiteten mir jetzt direkt entgegen. Doch ich
hatte schon im ersten Jahre Glück. Durch einen richtigen Weidewechsel,
durch Verbesserung der Tränkstätten und andere kleine Maßnahmen, die ich
mit meinen Leuten ohne weitere Kosten durchführen konnte, behielt ich die
Kühe gesund und leistungsfähig. So steigerte ich den Ertrag und verbesserte
zugleich durch bessere Verarbeitung der Milch die Produkte. Mit zäher
Energie steuerte ich auf das mir vorgesteckte Ziel los, und ich habe es
erreicht, wenn es auch manchen harten Kampf kostete. Dreißig Jahre lang
war ich Senn auf unserer Gemeindealp, und wer dieselbe heute betritt,
muß sagen, daß es eine Musteralp geworden ist. Sie wirft heute mit den
verbesserten Einrichtungen und bei der rationellen Bewirtschaftung den
dreifachen Nutzen ab von damals, als ich zum erstenmal ihr als Senn
vorstand. Es ist zwar richtig, daß die Gemeinde sich etwas hat kosten
lassen müssen, aber sie erhielt auch ansehnliche Subventionen von Bund und
Kanton, und selbst wenn sie alles hätte allein bezahlen müssen, so hätte
die Ausgabe dennoch gut rentiert.

Sehen Sie, so war es mir doch vergönnt, etwas wirken zu können, und wenn
ich auch bis heute nichts anderes als ein Knecht geblieben bin, so darf ich
doch sagen, daß ich meinen Platz in Ehren ausgefüllt habe.

Auch heute bin ich mit meinem Streben noch nicht zu Ende. Als ich als Senn
das erreicht hatte, was ich erreichen wollte, und ich getrost mein Amt
einer jüngeren Kraft abtreten konnte, da bin ich mit ganz bestimmten
Absichten Schafhirt geworden. Ich war längst überzeugt, daß die Schafzucht
für unsere Gegend einen sehr einträglichen Landwirtschaftszweig ausmache
und besonders dann, wenn sie so betrieben würde, wie es die Neuzeit
erfordert. Ich erkannte, daß man durch richtige Zucht die Rasse verbessern
müsse, daß eine bessere Haltung und Pflege platzzugreifen habe und daß der
Weidebetrieb anders zu regeln sei. Ueber die ersten beiden Punkte suche
ich stets unsere Bauern aufzuklären, und, wie mir scheint, mit Erfolg. Die
Hirtschaft übernahm ich selbst und besorge dieselbe seit drei Jahren.

Wie ich Ihnen bereits anfangs mitteilte, betrachte ich mein jetziges Amt
als eine Art Ruheposten. Im Winter, wenn die Schafe im Stall gehalten
werden, pflege auch ich der Ruhe. Ich habe mir so viel erspart, daß ich
während dieser Zeit nicht auf Verdienst ausgehen muß; da bleibe ich ruhig
in meinem Häuschen, das mir als Erbteil von meinen Eltern zugefallen ist.
Da lebe ich meinen Büchern, und gar nicht selten werde ich von den Bauern
unseres Dorfes um diesen oder jenen Rat angegangen, den ich stets, wo ich
kann, gerne erteile. Im Herbst und Frühjahr besorge ich die Heimweide,
und im Sommer ziehe ich herauf in diese Hütte, die ich mir wohnlicher
eingerichtet habe. Jede Woche bringt man mir meinen Proviant herauf und
damit ich nicht ohne Nachrichten bleibe von dem, was draußen in der Welt
vorgeht, auch die Zeitungen. Am meisten freue ich mich dabei immer auf die
»Grüne«, deren langjähriger Abonnent ich bin.

So, da haben Sie nun meine Geschichte, und wenn ich Sie damit gelangweilt
habe, so bitte ich um Entschuldigung. Sie haben es übrigens ja selbst so
haben wollen.«

Ich drückte dem alten Schäfer die Hand zum Danke für seine sehr
interessante Erzählung und sagte ihm, daß mein Herz viel zu sehr an
allem Anteil nehme, was die Landwirtschaft betreffe, als daß ich seine
Mitteilungen langweilig finden könnte. Nur eine Frage müsse ich noch an ihn
richten, nämlich die, wie es gekommen sei, daß er nie daran gedacht habe,
sich eine eigene Familie zu gründen.

»Ja, lieber Herr,« entgegnete er, »das war bei mir so eine eigene Sache.
Zuerst fehlten mir die Mittel zum Heiraten; ich mußte meine Eltern und
Geschwister unterstützen. Dann war mein Lohn überhaupt nicht so groß, daß
ich hätte Frau und Kinder ernähren können, und als ich später etwas besser
gestellt war, war ich zu alt und mußte dafür sorgen, daß aufs Alter auch
noch etwas bleibe. Sehen Sie, das ist überhaupt ein dunkler Punkt in
unserem Stand. Ein armer Bauernknecht darf, wenn er nicht leichtsinnig ist,
überhaupt nicht so leicht ans Heiraten denken, und das mag auch sehr viel
dazu beitragen, daß gar mancher seinen Verdienst anderswo sucht als bei der
Landwirtschaft. Es wird ja heutzutage sehr viel über die Dienstbotenfrage
geschrieben, und allenthalben führt man Klage darüber, daß niemand mehr
gerne Bauernknecht sein wolle, und daß alles nur den Städten und den
Kurorten zulaufe. Diese Klage ist ja berechtigt, aber auf der anderen Seite
muß man auch bedenken, daß das Los eines Knechtes oft kein beneidenswertes
ist. Die Hauptarbeiten bei der Landwirtschaft wickeln sich draußen unter
freiem Himmel ab; da geht es nicht anders, als daß man mit Wind und Regen,
mit Schnee und Kälte in Berührung kommen muß. Das würde man gerne noch in
den Kauf nehmen, obwohl es sicher ist, daß bei richtiger Arbeitseinteilung
auch in dieser Hinsicht die Dienstboten etwas mehr geschont werden könnten.
Das Schlimmste aber ist, daß bei gar vielen Bauern der arme Knecht, nachdem
er den ganzen Tag bei schlimmster Witterung draußen gewesen und bis auf die
Haut durchnäßt heimgekommen ist, oft nicht einmal Gelegenheit findet, seine
Kleider zu trocknen; es wird ihm für die Winterabende kein warmes Zimmer
geboten, und nur zu oft ist ihm für seine müden Glieder ein gar schlechtes
Lager bereitet. Ich mußte mich oft überzeugen, daß mancher Bauer viel
mehr für sein Vieh besorgt ist als für seine Knechte. Wenn man in dieser
Beziehung Besserung schaffen wollte, würde mancher auch lieber Bauernknecht
sein.«

Ich konnte natürlich nicht anders, als auch dieser Ansicht des Alten
beipflichten. Unterdessen war es ziemlich spät geworden. Ueber dem Talgrund
lagerte sich bereits die Dämmerung; auf den schneebedeckten Zacken und
Kuppeln der Berge erlosch der letzte Hauch des Abendrotes, und schon
erglänzte hie und da ein Stern in mattem Licht. Die Luft war wunderbar
rein und würzig, aber es begann sich eine empfindliche Kühle bemerkbar zu
machen, und wir verließen die Bank und wandten uns dem Innern der Hütte zu,
um unsere Schlafstätten aufzusuchen.

Als ich am andern Morgen erwachte, hatte mein Wirt schon das Frühstück in
Bereitschaft. Er meinte, es sei ein ordentlicher Marsch bis hinüber ins
Glarnerland, und da sei es gut, wenn ich mich nicht mehr lange aufhalten
müsse.

Es ging denn auch nicht gar zu lange, bis ich zum Aufbruche bereit war.
Der Alte begleitete mich ein Stück, um mir den Weg zu zeigen bis zu einer
Stelle, von der aus es dann nicht so leicht war, irre zu gehen.

Auf dieser Wanderung kamen wir nochmals auf die Erlebnisse meines
Begleiters zu sprechen, und ich gab meinem Bedauern Ausdruck, daß in
unserer Fachliteratur die Dienstbotenfrage zu einseitig vom Standpunkte der
Arbeitgeber behandelt werde. »Es würde gewiß nichts schaden,« äußerte ich,
»wenn sich auch die Dienstboten selbst hie und da hören ließen, und gerade
so eine schlichte Erzählung aus dem Leben, wie sie mir gestern abend
aus Ihrem Munde geboten wurde, dürfte viel nützlicher sein, als manche
theoretische Abhandlung über die landwirtschaftliche Arbeiterfrage. Könnten
Sie nicht einmal Ihre Winterferien dazu benützen, um Ihre Lebensgeschichte
so zu Papier zu bringen, wie Sie mir dieselbe erzählten?«

Lächelnd antwortete mir mein Führer: »Um in meinen alten Tagen noch
Schafhirt zu werden, dazu hatte ich Lust und Energie genug, aber zum
Schriftstellern langt's nicht mehr. Meine Hand ist steif geworden, und ich
würde die Gedanken nicht mehr aneinander reihen können, wie es sich gehört;
hingegen erlaube ich Ihnen gerne, meine Erlebnisse zu veröffentlichen, wenn
Sie glauben, daß das jemand von Nutzen sein könnte.«

Von dieser Erlaubnis habe ich nun Gebrauch gemacht und wenn Du, lieber
Leser, ein Bauer bist, so denke daran, daß Du selbst sehr viel dazu
beitragen kannst, um die Dienstboten an Dich zu fesseln, sie
brauchbarer, treuer und fleißiger zu machen. Du brauchst Dir nur stets zu
vergegenwärtigen, daß Deine Knechte, Mägde und Taglöhner Menschen sind, die
einen Anspruch haben auf eine gute Behandlung, und die dankbar sind, wenn
ihnen ihre keineswegs leichten Aufgaben erleichtert werden durch möglichste
Bessergestaltung ihrer Lage.

Bist Du aber ein Knecht, so bedenke, daß Du bei treuer Pflichterfüllung in
Deinem sehr ehrenhaften Stand es so gut zu einem Erfolge bringen kannst
als in jedem andern. Trachte darnach, daß Du im Alter auch so zufrieden
auf Dein Wirken zurückblicken kannst wie der alte Schäfer, von dem ich Dir
erzählt habe.



[Illustration]



Die Blumenliese.



I.


Es war an einem jener warmen, sonnenklaren Herbsttage, an welchen man
so recht den eigenartigen Zauber der langsam zum Winterschlafe sich
vorbereitenden Natur herausfühlt, als ein mit allerlei Hausrat beladener
Wagen, von zwei kräftigen Pferden gezogen, sich langsam die in mehreren
Windungen nach dem Bergdorfe D. führende Bergstraße hinaufbewegte.

Den Möbelstücken sah man es an, daß ihr Besitzer nicht gerade ein
reicher Mann sei; indessen deutete auch nichts darauf hin, daß er sich in
Verhältnissen befinde, die ihn zwängen, notwendige Haushaltungsgegenstände
entbehren zu müssen. Der sofort auffallende Unterschied der Mobilien in
Bezug auf Alter, Herstellungsweise und Material, ließ darauf schließen, daß
viele der einzelnen Stücke nach und nach, je nach Gelegenheit und Bedarf
angeschafft wurden. Es war deutlich zu erkennen, daß einige Schränke und
Kommoden schon mehreren Generationen gedient hatten. Wie vorteilhaft nehmen
sich doch diese schweren, harthölzernen, von ihren Erstellern scheinbar
für die Ewigkeit bestimmten Möbel gegen manche Erzeugnisse der heutigen
Möbelfabrikation aus, wo alles für das Auge berechnet ist und beim ersten
rechtschaffenen Putsch aus dem Leim geht.

Verschiedene Anzeichen deuteten darauf hin, daß das hier seinen Wohnsitz
wechselnde Ehepaar oder wenigstens die eine Hälfte davon Liebhabereien für
Blumenzucht hege. Ein ziemlich geräumiger Waschzuber, der zu oberst auf dem
hochgeladenen Fuder tronte, schien ganz mit Topfpflanzen gefüllt zu sein,
wenigstens schauten die Blütendolden verschiedener Geranien wie verwundert
in die Welt hinaus, und die schwellenden Knospen einer Monatrose hingen
nickend über den Rand des Zubers hinunter. Hinten an dem Fuder aufgehängt,
baumelte ein Blumentisch aus einfachem Weidengeflecht und mit Föhrenzapfen
verziert -- wohl von eigener Hand des Besitzers gefertigt.

Der Hausrat gehörte dem aus D. gebürtigen Zimmermann Martin Müller,
der gleich nach beendigter Lehre ins Unterland gezogen war, wo er an
verschiedenen Orten gearbeitet und sich zu einem tüchtigen Arbeiter
ausgebildet hatte. Der lebenslustige, dabei sehr fleißige und sparsame
Zimmergeselle wurde überall, wo er hinkam, gerne gesehen. Als er bei einer
größern Baufirma einen gutbezahlten Palierposten erhielt, verheiratete er
sich mit der Tochter eines Kleinbauern, die freilich keine große Mitgift in
die Ehe brachte, ihren Mann aber wahrhaft liebte und über zwei gesunde Arme
und einen häuslichen Sinn verfügte. Zwölf glückliche Jahre hatten sie
nun schon mit einander verlebt; sie waren zufrieden in ihren einfachen
Verhältnissen und dankten Gott, daß er sie bis jetzt vor herben Prüfungen
verschont hatte.

Martin hatte seine Mutter schon früh verloren, und nun war vor einem halben
Jahre auch sein Vater gestorben. Dieser war Maurer gewesen, der seit Jahren
für die Bewohner von D. die etwa notwendigen Reparaturen an ihren Häusern
ausführte und hie und da auch kleinere Bauten übernahm. Daneben versah er
die Stelle eines Gemeindeweibels und galt überall als ein äußerst fleißiger
und rechtschaffener Mann. Eine alte Verwandte, die dem Weibelhannes (so
wurde der alte Müller allgemein genannt) nach dem Tode seiner Frau die
kleine Haushaltung geführt hatte, zog jetzt zu einer im Oberland wohnenden
Schwester, und unser Martin erbte das kleine, mitten im Dorfe stehende Haus
samt angrenzendem Baumgarten und einigen andern kleineren Grundstücken.
Dieser Umstand hatte ihn bewogen, in die Heimat zurückzukehren und auf
eigene Rechnung ein kleines Geschäft zu gründen. Wir finden ihn heute mit
seiner Familie auf dem Wege dahin.

Martin ging neben dem Fuhrmann her; sie beide waren Schulkameraden und
hatten einander natürlich vieles zu erzählen, besonders Martin hatte
manches zu fragen über die heimatlichen Verhältnisse, in denen sich so
manches in den vielen Jahren seiner Abwesenheit geändert hatte.

Die an der Seite des Wagens dahinschreitende Mutter hatte vollauf zu tun,
all die Fragen zu beantworten, die zwei Knaben im Alter von sechs und acht
Jahren immerfort an sie richteten. Sie saßen auf dem Kanapee, das vorn auf
dem Wagen Platz gefunden, und schienen ein großes Wohlgefallen an der Fahrt
zu haben. Ein zehnjähriges Töchterchen, das an der Seite der Mutter den Weg
zu Fuß machte, war ganz in das Anschauen der ihm fremdartig erscheinenden
Berglandschaft versunken. Bald entlockte ihr der in den verschiedensten
Färbungen prangende Wald, bald die den Hintergrund des Tales bildenden
Bergriesen, die schon mit frischem Schnee bedeckt waren, laute Ausrufe
des Entzückens; bald machte sie die Mutter auf eine sich aus dem Gebüsch
erhebende Ruine oder auf die oben am Bergeshang zerstreut liegenden Hütten
aufmerksam.

Wir überlassen die vier Personen ihren Betrachtungen und wenden uns
den beiden Männern zu, um zu lauschen, über was sie so angelegentlich
miteinander verhandeln.

»Ja, Ja, Martin,« hub der Fuhrmann eben wieder an, »Du wirst sehen, daß wir
jetzt ganz andere Verhältnisse in D. haben als früher, und namentlich
Dir, der Du so lange abwesend warst, wird es erst recht auffallen, daß die
Zustände leider nicht besser, sondern schlimmer geworden sind.«

»Aber,« erwiderte Martin, »es ist mir doch, als ich beim Begräbnis meines
Vaters war, aufgefallen, daß viele Häuser ein vorteilhafteres Aussehen
haben als früher, daß auch einige neue freundliche Behausungen entstanden
sind, ein neues Schulhaus ist ja auch gebaut worden, und es schien mir, als
ob viele Leute am Sonntag viel besser gekleidet wären als früher. Alles das
deutet doch auf einen vermehrten Wohlstand hin, und der kann nicht aus so
mißlichen Zuständen entspringen, wie Du sie mir darstellst. Freund, ich
glaube, Du siehst die Sache mit einer zu schwarzen Brille an!«

»Wenn Du aus den eben angeführten Veränderungen, die bei uns stattgefunden
haben, den Schluß ziehst, daß mehr Geld vorhanden, also der Verdienst ein
größerer geworden sei, so ist das im ganzen genommen richtig, obwohl damit
noch lange nicht bewiesen ist, daß das für unsere Leute ohne weiteres einen
Vorteil bedeute. Du weißt, wie einfach es früher in unserm Dorfe
zuging. Die Leute bebauten ihre Wiesen und Aecker, hatten keine andere
Erwerbsquelle als die Landwirtschaft und waren gesund und zufrieden dabei.
Verdiente man weniger, so brauchte man auch weniger. Man kleidete sich in
selbstgesponnene und gewobene Stoffe, die freilich nicht so schön waren
als die heutige Fabrikware, sich dafür aber durch viel größere Haltbarkeit
auszeichneten. Nachdem man die ganze Woche tüchtig geschafft hatte, freute
man sich, den Sonntag als wirklichen Ruhetag feiern zu dürfen. Die einzige
Wirtschaft, die es damals bei uns gab, hätte als solche für sich allein
gewiß nicht rentiert, wenn nicht noch ein Kramladen damit verbunden
gewesen wäre. Am Werktag ging -- von einigen gewohnheitsmäßigen Schnapsern
abgesehen -- niemand ins Wirtshaus, und auch an gewöhnlichen Sonntagen war
der Zulauf kein großer; nur an der Bsatzig*), in der Fastnacht und bei
ähnlichen Anlässen ging es etwas höher her. Seit nun aber auch bei uns
alles darnach trachtet, in der Hotelerie und bei der Fremdenindustrie
Stellung und Verdienst zu finden, ist alles anders geworden. Du wirst
staunen, wenn Du im Frühling die Völkerwanderung siehst. Die jungen ledigen
Leute gehen sozusagen alle fort, und es gilt schon bald für eine Schande,
im Sommer hier bleiben zu müssen. Aber auch genug verheiratete Männer sind
den ganzen Sommer abwesend. Frauen, Kinder und Greise bilden der Hauptsache
nach im Sommer die Bevölkerung unseres Dorfes. Da werden im Frühjahr
vor dem Auszug die Aecker bestellt, die Wiesen gedüngt, überhaupt das
Notwendigste gemacht, und alle Sommerarbeit -- manchmal auch ein großer
Teil der Herbstarbeiten -- den Frauen und alten Leuten überlassen. Auch
die Kinder, die den ganzen Sommer keine Schule haben, müssen tüchtig
mit anfassen. Du kannst Dir denken, daß unter solchen Verhältnissen die
Landwirtschaft nicht sonderlich gehoben werden kann, weil alle Arbeiten nur
notdürftig und oberflächlich gemacht werden. Aber auch die Familienbande
lockern sich, und die Kindererziehung läßt vieles zu wünschen übrig.«

  *) Wahl des Kreisgerichtes.

Martin, der ohne Unterbrechung den Worten des Fuhrmanns zugehört hatte,
war etwas nachdenklich geworden und sagte dann: »Ich weiß, daß Du es gut
meinst, und daß Deine Worte aus einem für die Heimat besorgten Herzen
kommen; aber es nützt nun einmal alles nichts, die Zeiten lassen sich nicht
ändern, was vergangen ist, kehrt nicht mehr. Das einzig Richtige ist, sich
den einem ewigen Wechsel unterworfenen Verhältnissen so gut als möglich
anzupassen; wer das am besten versteht, bleibt über Wasser und wird nicht
Heimweh haben nach der guten alten Zeit. Wenn es der Fremdenindustrie
gelungen ist, sich emporzuschwingen, oder wenn sie wenigstens das Bestreben
hat, es zu tun, so soll man sie unterstützen; denn wo diese Industrie
blüht, da bietet sie vielen Leuten Lebensunterhalt und Verdienst und stellt
eine vortreffliche Absatzquelle für alle landwirtschaftlichen Produkte
dar. Ich glaube, daß die besten Zustände da herrschen, wo die verschiedenen
Erwerbsgruppen sich gegenseitig unterstützen und ergänzen. Freilich gehe
ich mit Dir einig, daß es für unsere Verhältnisse nicht zum Nutzen
ist, wenn fast unsere gesamte Jungmannschaft und natürlich gerade der
intelligentere Teil derselben, ganz oder zeitweise auswandert, und wenn
dadurch das Bebauen der heimatlichen Scholle mangelhaft ist und überhaupt
fast jeder gesunde Fortschritt gehemmt wird. Doch ich denke, daß die
Auswüchse dieser Art von Auswanderung von selbst eingehen werden. Die
gesunden Elemente unserer Bevölkerung werden einsehen, daß auch manchmal
das Los eines Hotelangestellten nicht ein sehr beneidenswertes ist, und daß
man daheim im Kreise der Familie und bei landwirtschaftlicher Betätigung
ein Leben führen kann, das weit mehr Befriedigung verschafft, als die
abhängige und oft sehr aufreibende Tätigkeit in einem Hotel. Zu wünschen
wäre es, daß einige Männer sich unserer Landwirtschaft annehmen und an
deren Hebung arbeiten würden; das gute Beispiel würde andere hinreißen, und
der Erfolg müßte ein bedeutender sein.«

»Ich sehe schon,« fiel der Fuhrmann wieder ein, »Du fassest alles von der
leichten Seite auf, indessen möchte ich selbst nur wünschen, daß Du recht
behalten möchtest und alles wieder von selbst ins richtige Geleise käme.
Einstweilen sind viele unserer engern Landsleute zu bedauern, hauptsächlich
auch deswegen, weil sie moralisch allmählich auf abschüssige Bahnen kommen.
Das beweist schon das sich immer mehr entwickelnde Wirtshausleben unserer
Dorfbewohner. Wo früher eine Wirtschaft kaum bestehen konnte, rentieren
jetzt deren drei, wie es scheint, sehr gut. Nicht nur Wein und Branntwein
wie früher, sondern auch Bier und allerlei fremde Liqueure, die man früher
nicht einmal dem Namen nach kannte, werden jetzt ausgeschenkt. Das ganze
gesellschaftliche Leben spielt sich jetzt im Wirtshause ab. Unsere
jungen Männer, die im Sommer abwesend sind, finden es zu langweilig,
die Winterabende im Kreise ihrer Eltern und Geschwister zuzubringen; sie
glauben, es fehle ihnen etwas, wenn sie einmal abends nicht im Wirtshaus
gewesen sind. Sollte es einmal den Eltern einfallen, einen halberwachsenen
Jungen an Sparsamkeit und Häuslichkeit zu ermahnen, dann heißt es gleich:
»Ich verdiene ja das Geld, und wenn es Euch nicht gefällt, kann ich im
Winter auch fortgehen, denn ich bin mein eigener Herr und Meister und
brauche mich nicht wegen jedem Glas Bier, das ich trinke, auszanken zu
lassen.« Aber auch viele Familienväter fühlen sich zu Hause nicht wohl;
Kneipen und Spielen ist auch bei ihnen an der Tagesordnung, und wohin
das alles führen mag, kannst Du Dir leicht selbst vorstellen. Viele, die
Jahresstellen haben, oder den Winter in südlichen Gegenden verbringen,
kommen etwa einmal im Jahr, oder alle drei bis vier Jahre für einige Wochen
in die Heimat, um sich zu »erholen«; diese drehen dann erst recht alles
auf den Kopf, sie bestimmen gewöhnlich schon vorher eine gewisse Summe, die
während der »Ferien« verklopft werden soll. Wenn man so lange Zeit, ohne
sich einmal Ruhe zu gönnen, gearbeitet und dabei viel Geld verdient habe,
dürfe man sich schon etwas zu gute tun, denken solche Leute; etwas müsse
man vom Leben doch auch haben. Da werden denn allerlei Festlichkeiten
arrangiert, es gibt Bälle, Ausflüge, Kneipgelage und dergleichen mehr.
Teils weil jeder Genuß ohne passende Gesellschaft zuletzt langweilig wird,
teils aus verwandtschaftlichen Rücksichten oder aus alter Freundschaft,
teils aber auch aus purer Prahlerei oder Mitleid mit den »armen
Schluckern«, die immer zu Hause bleiben und die heimatliche Scholle bebauen
müssen, ergehen Einladungen an die nicht ausgewanderten oder sonst zufällig
ortsanwesenden Bekannten, denen dann meistens, um nicht zu verletzen, oder
um die willkommene Gelegenheit, auch einmal etwas mitmachen zu können,
nicht unbenutzt vorüber gehen zu lassen, Folge geleistet wird. Es kommt
sogar häufig genug vor, daß Jünglinge und Männer von der Arbeit weg ins
Wirtshaus geholt werden. Da braucht man sich nun gewiß nicht zu verwundern,
wenn bei den zum Hierbleiben verurteilten Handwerkern und Landwirten die
Unzufriedenheit mit ihrem Geschick immer mehr sich ausbreitet, wenn bei
ihnen gewisse Lüste und Leidenschaften wach werden, und wenn sich viele
eine Lebensweise angewöhnen, die mit ihrem Beruf und ihrem Verdienst
keineswegs in Einklang stehen.« So hatte sich der Fuhrmann in einen wahren
Eifer hineingeredet, und die Debatte zwischen den beiden Freunden wäre
jedenfalls noch lange nicht zu Ende gewesen, hätte man sich jetzt nicht
dem Dorfe genähert, welcher Umstand natürlich dem Gespräch ein Ende machte.
Martin wendete sich seiner Frau und den Kindern zu, während der Fuhrmann
vollständig von seinem Fuhrwerk in Anspruch genommen wurde.

Weil es gerade um die Mittagszeit war, als der Wagen über die holprige
Dorfstraße fuhr, hatten die Leute Gelegenheit, sich den Einzug der
Müllerschen Familie mit Muße anzusehen, und diese Gelegenheit wurde auch
reichlich ausgenützt.

Während sich die Dorfjugend in der Straße aufstellte und so von ihrem
Vorrecht, sich nicht genieren zu müssen, Gebrauch machte, standen die
Alten unter den Haus- oder Stalltüren, schauten zu den geöffneten oder
geschlossenen Fenstern heraus, und manche, welche sich nicht sehen lassen
wollten, hatten sich hinter den Fenstervorhängen postiert. Die einen
musterten mit kritischem Blick die Möbel, andere schienen sich für die
Kinder zu interessieren, während wieder andere die Augen nur auf die Frau
und ihre Kleidung gerichtet hatten.

Unterdessen hatte der Wagen seinen Bestimmungsort erreicht und hielt vor
dem Hause, das fortan unsern Martin und seine Familie beherbergen sollte.
Der Fuhrmann spannte die Pferde aus und zog mit ihnen ab, seiner nicht weit
entfernt liegenden Behausung zu.

Einige Verwandte und alte Bekannte Martins hatten sich schnell eingefunden;
sie boten sich zur Hilfeleistung beim Abladen der Möbel an, und einige
Frauen zeigten sich bereit, so schnell als möglich für die leiblichen
Bedürfnisse der Familie sorgen zu wollen, da alle, wie sie meinten, von
dem ziemlich weiten Weg doch gewiß hungrig und durstig sein müssen. Martin
dankte allen für den freundlichen Willkomm und nahm gerne die dargebotene
Hilfe an; denn er meinte, es sei gut, wenn abgeladen werden könne, so lange
es noch Tag sei. Für das Essen aber sei bereits gesorgt, da der Fuhrmann
sie alle schon unterwegs eingeladen habe. Er gedenke nur noch schnell seine
Frau und die Kinder durch das Haus zu führen und dann der Einladung Folge
zu leisten, damit dann schnell mit dem Unterbringen des Hausrates begonnen
werden könne.

Elise, so hieß die Gattin Martins, zeigte sich sehr erfreut, nun einmal
eine geräumige Wohnung zu besitzen, in welcher man sich viel besser
einrichten konnte als in den engen Mieträumen, auf die man vorher
beschränkt war. Die vom Vater ererbten Einrichtungsgegenstände, zusammen
mit den mitgebrachten Mobilien, mußten eine Ausstattung geben, an welche
die bescheidene Frau vorher nie hatte denken dürfen.

Martin durchschritt mit einer gewissen Wehmut die ihm so wohlbekannten
Räume, wo alles ihn an seine Jugendzeit und an die nun heimgegangenen
Eltern erinnerte.

Wir überlassen es nun den Leutchen, ihr Mittagessen einzunehmen, ihre
Habseligkeiten abzuladen und sich notdürftig einzurichten, und wollen
unterdessen einen Rundgang durch das Dorf machen, um die herrschenden
Zustände etwas näher kennen zu lernen.

D. liegt an einem Abhang nach Süden, so daß es von rauhen Nordwinden
vollständig geschützt ist. Dieser glücklichen Lage ist es jedenfalls auch
zu verdanken, daß trotz der bedeutenden Höhe ein ziemlich ausgedehnter
Obstbau betrieben wird. Namentlich die unter der von Ost nach West sich
durch das Dorf ziehenden Hauptstraße gelegenen Häuser sind fast ganz in
dem Obstbaumwalde versteckt. Die Wohnhäuser und Ställe sind meistens mit
Schindeln gedeckt und gewähren in ihrer unregelmäßigen Gruppierung einen
pittoresken Anblick. Die Gassen und Plätze sind nicht gerade unsauber, doch
machen sich auch hie und da die braunen Bächlein bemerkbar, die von den
Düngerstätten abfließen und wenig Sparsinn der Bauern verraten. Manche der
Häuser lassen es deutlich erkennen, daß ihre Besitzer in der glücklichen
Lage sich befinden, etwas wagen zu dürfen zur Verschönerung und
Verbesserung ihrer Wohnstätten. Abgesehen von dem frischen Verputz, sehen
wir dort ein neues Ziegeldach, hier neue Fensterstöcke mit entsprechenden
Fenstern, an einem andern Hause ist sogar ein kleiner Balkon angebracht.
Auch einigen größeren und kleineren Neubauten begegnen wir beim
Durchschreiten der Hauptstraße. Wir vermuten, daß in diesen neuen und
frisch renovierten Behausungen jene Glücklichen wohnen, denen es gelungen
ist, fern von der Heimat, in den verschiedensten Lebensstellungen, sich ein
schönes Stück Geld zu verdienen, und die nun sich teils aus dem Getriebe
der großen Welt in ihr stilles Heimattal zum Ausruhen zurückgezogen, teils
aber noch mitten im Strudel des Erwerbes stecken und nur hin und wieder
einmal für kurze Zeit nach D. kommen, um sich etwas zu erholen von den
Anstrengungen ihres Berufes. Dieser Umstand läßt uns auch begreifen, warum
die Fensterläden vieler Wohnungen geschlossen sind, ein Zeichen, daß diese
leer stehen.

Mitten im Dorfe, wo auf einem freien Platze ein Brunnen steht, der aus zwei
Röhren das geräumige Brunnenbett mit klarem Quellwasser speist, steht das
Gasthaus zur Post, mit dem Postbureau, Laden und einer kleinen Gaststube
im Parterre. Einige Fuhrleute, die hier den Pferden eine kurze Rast
gönnen, schneiden Brot in die Futtertröge, schütten etwas Hafer aus
den mitgebrachten Säcken dazu, um sich dann zu einem Glase Wein in die
Gaststube zu begeben. Sonst ist es um diese Zeit hier ruhig und von
weiteren Gästen nichts zu bemerken. Es herrscht überhaupt eine gewisse
Stille im Dorfe; die Kinder sind in der Schule, die Erwachsenen aber bei
dem schönen Wetter meistens auf dem Felde beschäftigt. Machen also auch
wir einen Gang vor das Dorf, um die Leute bei ihren Erntearbeiten zu
beobachten.

Wir kommen jetzt auch an der Kirche vorbei, die auf einer kleinen Anhöhe
liegt und mit ihrem spitzen Turm und den hohen gemalten Fenstern einen
freundlichen Eindruck macht. Dicht neben der Kirche liegt das Pfarrhaus,
und vor demselben finden wir den einzigen wohlgepflegten Garten, dem
wir bis jetzt in D. begegnet sind. Auf einer dem Zaune entlang führenden
Rabatte blühen feurigrote Dahlien, und gelbe und weiße Winterastern
beginnen ihre Blütendolden zu entfalten, gut entwickeltes Gemüse harrt
der Einwinterung und an der Hauswand bemerken wir schöngezogene und mit
Früchten vollbehangene Zwergbäume. So gewährt denn das Pfarrhaus mit
seinen blank geputzten Fensterscheiben, durch welche die Blüten einiger
Topfgewächse zwischen den blendendweißen Vorhängen herausschauen, inmitten
der freundlichen Umgebung einen höchst einladenden Anblick.

Zu äußerst im Dorfe und nicht weit voneinander entfernt, finden wir die
zwei vom Fuhrmann genannten neuen Wirtschaften, das Gasthaus zum Freihof
und das Restaurant National. Der Besitzer des letzteren ist jedenfalls
ein Wirt, der es mit seinem Berufe ernst nimmt und es versteht, die Gäste
heranzulocken und es ihnen bei ihm so angenehm als möglich zu machen.
Neben dem im Châletstil erstellten Hause befindet sich eine kleine
Gartenwirtschaft und eine Kegelbahn, aus der das Rollen der Kugeln und
lautes Gelächter an unser Ohr dringt, als Beweis, daß auch heute eine
lustige Gesellschaft sich mit Kegelspiel die Zeit vertreibt.

Gleich hinter den Wirtschaften liegen rechts und links von der Landstraße
einige Aecker, da und dort im Wiesland zerstreut. Weil die Kartoffeln hier
die wichtigste Feldfrucht ausmachen und jetzt gerade die Zeit der Ernte
ist, so herrscht reges Leben auf den Feldern. Ueberall sehen wir die
kleinen Bergwagen, zum Teil schon mit gefüllten Säcken beladen, an den
Ackergrenzen stehen. Die Kühe, welche als Zugtiere dienen, weiden daneben
in der Wiese. Die Leute arbeiten emsig; man sieht es ihnen an, daß es ihnen
sehr darum zu tun ist, bei dem schönen Wetter möglichst viel auszurichten.
Uns, denen die Verhältnisse fremd sind, fällt es auf, daß wir so wenige
Männer an der Arbeit sehen und die ganze Arbeit der Kartoffelernte fast
ausschließlich von Frauen besorgt wird. Es fällt uns aber das Gespräch
zwischen Martin und dem Fuhrmann ein, und wir vermuten, daß die
Fremdensaison noch nicht zu Ende und die meisten der männlichen Bewohner
infolgedessen noch abwesend seien. Die verschiedenen Aecker lassen auch auf
den ersten Blick die Unterschiede in der Art und Weise der Bewirtschaftung
deutlich erkennen. Während einige Stücke rein von Unkraut sind, zeigen sich
auf andern meterhohe Stauden von Melden und andern Unkräutern, welche durch
reichlichen Samenansatz dafür gesorgt haben, daß auch für ihre Verbreitung
im nächsten Jahre der Grund gelegt ist. Eine Frau fand es sogar für
zweckmäßig, das Unkraut zuerst abzumähen, um das Ausgraben der Kartoffeln
leichter vornehmen zu können.

So ist es denn über unsern Betrachtungen allmählich spät geworden, der
Rauch der verbrannten Kartoffelstauden vermischt sich mit der Dämmerung zu
einem leichten Nebel; da und dort sieht man bereits die Kühe einspannen
und zum Heimweg rüsten. Auch für uns wird es Zeit, zu unserer
Zimmermannsfamilie zurückzukehren, die wir in ihrem neuen Heim
zurückgelassen haben. Der kurze Rundgang hat uns belehrt, daß die
Verhältnisse in D. im ganzen nicht besser und nicht schlimmer sind als an
andern Orten, daß es auch hier zu loben und zu tadeln gibt wie allerwärts.
Wenn aber der Fuhrmann von Martins Habseligkeiten heute morgen der
Ueberzeugung Raum gab, daß die Auswanderung und das Streben nach
Hotelstellen, im Umfange wie beides heute besteht, in landwirtschaftlicher
und allgemein moralischer Beziehung einen ungünstigen Einfluß auf die
Zustände in D. ausübe, und daß dieser Uebelstand nicht ganz aufgehoben
werde durch die Erhöhung des Verdienstes und den Zufluß reicherer
Geldquellen nach D., so müssen wir ihm ein wenig recht geben.



II.


Im Müllerschen Hause war alles in reger Tätigkeit, besonders Frau Elise tat
sich in ihrer Eigenschaft als Hausfrau tüchtig hervor. Mit sicherem Blick
ordnete sie das Plazieren der verschiedenen Möbelstücke so an, daß jedes
Stück gleich an den richtigen Platz kam und nicht nachher alles wieder
von einem Zimmer ins andere gebracht werden mußte. Noch bei vollständiger
Tageshelle war alles unter Dach gebracht und die schwerste Arbeit getan.

Begreiflicherweise herrschte im ganzen Hause noch eine große Unordnung, und
bis Kisten und Körbe ausgepackt und jede Kleinigkeit ihren Platz gefunden,
waren noch einige Tage erforderlich.

Elise ließ es sich nun vor allem angelegen sein, die Küche so in den Stand
zu stellen, daß es ihr möglich war, selbst zu kochen und sie nicht mehr
nötig hatte, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen. Schon beim Einpacken hatte
sie auf diesen Umstand Bedacht genommen und alles so eingerichtet, daß
die verschiedenen Gegenstände leicht gefunden und sofort benützt werden
konnten. Die kleine Marie ging der Mutter fleißig an die Hand, und bald
stand auf dem Tisch eine kräftige Mahlzeit, der dann auch -- zum erstenmal
im neuen Heim -- von allen Seiten tüchtig zugesprochen wurde. Als dann
auch in den Schlafzimmern alles soweit in Ordnung war, daß man die Betten
benutzen konnte, begab sich die ganze Familie zur Ruhe. »Es tauge nichts,«
meinte Martin, »wenn man sich noch länger abmühe; es gehe dann alles viel
leichter morgen, wenn man die Nacht gut ausgeruht habe. Zudem komme man
doch bei Licht mit solcher Arbeit nicht so recht vom Fleck, das gehe
doppelt so schnell, wenn das Tageslicht einem helfe.«

So ruhig wie am ersten Tage wurde auch an den folgenden gearbeitet, bis
das ganze Haus von oben bis unten in Ordnung war. Als auch die letzte
Verrichtung, das Befestigen der Fenstervorhänge, beendigt war, da
freuten sich Martin und Elise wie die Kinder und fühlten sich froher und
glücklicher in ihrem kleinen Hause, als ein Fürst in seinem Palaste.

Das freundliche Aussehen, das Martins Häuschen nun erhalten hatte, als auch
Elisens Topfpflanzen vor den blitzblanken Fenstern ihren Platz
gefunden hatten, veranlaßte nicht nur manchen Vorübergehenden zu kurzem
Stehenbleiben und Hinaufschauen zu den heruntergrüßenden Blumen, welche
die kurze Zeit, die ihnen der Herbst noch gewährte, durch reiches Blühen
ausnützen zu wollen schienen, sondern erregte auch -- namentlich bei
einigen Nachbarinnen Elisens -- den Wunsch, einmal einen Blick hineinwerfen
zu dürfen in die innere Häuslichkeit der Müllerschen Familie. An Vorwänden
für allerlei Besuche fehlte es nicht, und so sah sich denn Elise --
namentlich wenn Martin in seinen Geschäften abwesend war -- häufig in
Gesellschaft von Bewohnerinnen D's, die ihr bald in dieser, bald in jener
Angelegenheit ihre Aufwartung machten.

Elise ließ sich durch solche Visiten in ihren häuslichen Verrichtungen
gewöhnlich nicht stören, erteilte aber gerne Auskunft, wenn eine solche von
ihr verlangt wurde und sie imstande war, eine solche zu geben. Sie müßte
auch keine Evastochter gewesen sein, wenn sie sich nicht gefreut hätte über
das Lob, das ihr hin und wieder bei solchen Gelegenheiten gespendet wurde.
Elise verdiente aber dieses Lob auch, besonders wegen ihrer Reinlichkeit
und ihrem strengen Ordnungssinn, der sich auch in dem kleinsten Winkel
ihres Hauses bemerkbar machte. In der Küche glänzte und blitzte alles. Auf
einem Gestell, welches mit ausgezacktem Papier belegt war, war das etwas
ungleiche Geschirr so geordnet, daß dieser Mangel kaum bemerkbar war, wie
es Elise überhaupt verstand, ihre im ganzen ja sehr einfache Einrichtung
so herauszuputzen und in ein solches Licht zu stellen, daß alles mehr
vorstellte, als es eigentlich in Wirklichkeit war. Der kleine eiserne Herd
und der Fußboden aus Steinplatten waren stets so sauber, als wenn sie gar
nicht gebraucht würden. So war es in der freundlichen Wohnstube, in den gut
gelüfteten Schlafzimmern und hinauf bis auf den Dachboden.

Den Nachbarinnen gefiel das alles sehr wohl, wenn auch einige meinten, es
sei für gewöhnliche Leute nicht notwendig, daß alles so glänze, daß man
sich drin spiegeln könne; von dem ewigen Putzen, Wischen, Abstauben habe
man nicht gegessen, das müsse man den Herrenleuten überlassen, die hätten
Zeit und Geld für solche unnützen Sachen. Die Elise würde es auch bald
bleiben lassen, wenn sie im Feld und im Stall herum hantieren müßte; aber
die habe es lange gut, sie könne den ganzen Tag in der Stube sitzen, indem
das bißchen Hausarbeit schnell gemacht sei. Das werde aber schon noch
anders kommen, der Martin verrechne sich allweg mit seinem Verdienst; im
Winter könne ein Zimmermann auch nicht jeden Tag etwas verdienen und dann
werde es bei den teuren Zeiten wohl ohne den Nebenverdienst der Frau nicht
ausreichen, um fünf Mäuler zu stopfen. Solche Redensarten bedeuteten aber
nichts anderes, als eine schlechtangebrachte Verdeckung des Neides und der
Unzufriedenheit mit dem eigenen Los.

Manche der Frauen, die mit Elise in Berührung kamen und sie ganz aufrichtig
wegen ihrer musterhaften Ordnung und Reinlichkeit im Hauswesen lobten,
ließen durchblicken, daß sie das gerne auch hätten, aber die Fülle der
landwirtschaftlichen Arbeiten, die auf ihren Schultern ruhe, lasse sie
nicht dazukommen, alles so im Stande zu halten, wie sie es gerne möchten.
Fremde Leute zu halten, das sei viel zu teuer, und außerdem bekomme man
auch gute landwirtschaftliche Arbeiter selbst um hohen Lohn nicht mehr. Die
Männer und zum Teil auch die Töchter seien gezwungen, auswärts Verdienst
zu suchen, weil das »Bauern« nicht mehr so rentiere, um ein gesichertes
Auskommen zu haben. Da müsse man sich halt nach der Decke strecken und die
Verhältnisse nehmen wie sie seien.

Bei Gelegenheit solcher Gespräche hielt dann auch Elise nicht hinter dem
Berg mit ihren Gedanken und machte durchaus kein Hehl daraus, daß ihr die
Verhältnisse in D. gar nicht gefallen. Sie führte dann ihre Heimat als
Beispiel an, indem sie auseinandersetzte, daß man im Unterland auch
Landwirtschaft treibe, daß sie ja selbst die Tochter eines Bauern sei, aber
es falle dort niemanden ein, den Frauen und Töchtern die schwerste Arbeit
sozusagen allein aufzubürden; solche besorgen die Männer schon selbst und
die Frauen seien in erster Linie zur Führung des Hauswesens da, was dann
freilich nicht ausschließe, daß auch sie zu gewissen Zeiten tüchtig in
Feld, Wiese und Weinberg mit Hand anlegen müssen. Daß unter Umständen die
Frauen auch beim Erwerb mithelfen sollen, sei ganz recht, aber man dürfe
nicht vergessen, daß eine tüchtige Hausfrau auch indirekt viel mehr
verdienen könne, als man im allgemeinen annehme. »Rechnet nur aus,« sagte
sie einmal zu zwei Nachbarinnen, mit denen sie über diesen Gegenstand zu
reden kam, »wie viel müßte ich der Schneiderin und dem Schneider geben,
wenn ich die Kleider für mich und die Kinder nicht selbst anfertigen
könnte. Mein Vater hat nicht gesagt, daß ich keine Zeit habe, als ich einen
Zuschneidekurs besuchen wollte; er wußte, daß die Zeit gut angewandt sei.
Schaut, da habe ich gerade meinem Manne ein Paar Pantoffeln gemacht, auch
das habe ich in wenigen Tagen in einem Kurs gelernt. So ist es noch mit
vielen Sachen, und es ist deshalb unrecht zu glauben, daß ich nichts
verdiene, wenn ich nicht gerade Mist führe und Erde schaufle wie ihr
andern. Mein Mann hat mir schon versprechen müssen, einen kleinen Garten
anzulegen und damit hoffe ich dann viele Auslagen zu sparen, indem ich
darin Gemüse ziehe, so daß wir das ganze Jahr genug davon haben. Wir sind
an den Genuß der verschiedenen Gartengemüse gewöhnt und haben sie als
gesunde und billige Nahrungsmittel schätzen gelernt. Selbst das Putzen
und Waschen trägt noch etwas ein. Die Reinlichkeit ist wie nichts anderes
geeignet, den Krankheiten vorzubeugen und Seife und Bürsten sind viel
billiger als die hohen Doktorrechnungen. Durch gute Ordnung nutzen sich
alle Dinge weniger ab, man spart also Geld und hat obendrauf weniger
Arbeit, als wenn alles in Unordnung herumliegt und oft allein mit Suchen
nach Dingen, die irgendwo verlegt sind, sehr viel Zeit verloren geht. Das
einzige was mir vielleicht nichts einbringt, sind meine Blumen; aber ein
Vergnügen muß der Mensch doch auch haben. Die Pflege meiner Topfpflanzen
gewährt mir Erholung von meiner Arbeit, und weil diese Freude sehr wenig
kostet, so mag man mir dieselbe wohl gönnen.«

Diese und ähnliche Auseinandersetzungen von seite Elisens waren geeignet,
die Frauen von D. zu überzeugen, daß bei ihnen manches anders sein könnte,
als es war, und sie begannen die »Unterländerliese« -- wie man unsere Elise
in D. kurzweg nannte -- zu beneiden. Es war deshalb kein Wunder, daß man
immer mehr von ihr sprach. Freilich hatte das keine weitere Aenderung zur
Folge, als daß die Unzufriedenheit bei den Frauen wuchs und die Männer
infolgedessen manchen Vorwurf zu hören bekamen über die ungerechten
Zumutungen der Männer. Diese waren deshalb nicht gut auf Elise zu sprechen
und meinten, sie wäre besser im Unterland geblieben, als da herauf zu
kommen und ihren Weibern die Köpfe zu verdrehen. Die Frauen glaubten
zuletzt selbst, daß an der Sachlage nichts zu ändern sei; sie stellten,
teils um des lieben Friedens willen, teils weil ihre Neugierde über die
häuslichen Verhältnisse Elisens befriedigt war, den Verkehr mit ihr nach
und nach ein, und alles blieb vorerst beim alten.

Elise ihrerseits hielt das Verhalten ihrer Nachbarinnen für Hochmut. Sie
hatte sich schon von Anfang an nicht aufgedrungen und wollte das auch
ferner nicht tun, obwohl sie sich eine Zeitlang in dem Gedanken gefallen
hatte, etwas beitragen zu können zur Verbesserung des harten Loses vieler
Frauen von D.

Die einzige Person, welche die Bestrebungen der Unterländerliese nicht
verkannte, sie vielmehr zu unterstützen trachtete, war der Pfarrer. Er war
in der Gegend aufgewachsen und kannte die Verhältnisse genau. Die sozialen
Uebelstände, die nach und nach in der Talschaft eingerissen, hatte er mit
schwerem Herzen bemerkt, war aber unfähig, ihnen zu steuern, da es ihm an
tatkräftiger Hilfe mangelte. Es war ihm deshalb sehr willkommen, als er
das schöne Familienleben im Müllerschen Hause bemerkte, und er sagte sich
gleich, daß ein solches Beispiel nicht ohne wohltätigen Einfluß bleiben
könne. Als ihm Elise nun klagte, wie alle Nachbarinnen sich voll Hochmut
von ihr abgewandt und ihre guten Absichten mißdeutet haben, da lächelte
er nur und meinte, das werde schon wieder anders werden. Ein wenig sei sie
vielleicht auch selbst schuld, weil sie den hier herrschenden Verhältnissen
zu wenig Rechnung getragen habe. Es gehe nicht an, die hiesigen Frauen auf
einmal zu Unterländerinnen umformen zu wollen. Um Besserung erzielen zu
können, müsse man die Ursachen kennen, aus welchen die ungünstigen Zustände
entsprungen seien. Indem man dann durch gutes Beispiel zeige, daß diesen
mit Erfolg entgegengetreten werden könne, werde man Frauen und Männer für
durchgreifende Reformen gewinnen. Er möchte ihr den Rat geben, mit
allen Leuten freundlich zu sein, ihren Nachbarinnen gegenüber nicht als
Besserwisserin und Lehrmeisterin aufzutreten, und namentlich das Unterland
als Beispiel ganz aus dem Spiel zu lassen. Die Verhältnisse seien dort zu
verschieden im Vergleich zu den hiesigen. Die Landwirtschaft leide
unter der großen Güterzerstückelung, dem allgemeinen Weidgang und andern
ungünstigen Einflüssen, von denen man im Unterland nichts wisse derart,
daß es nur zu natürlich sei, wenn andere sich bietende Erwerbsquellen
bereitwillig ausgebeutet werden. Die landwirtschaftliche Lage sei zwar
nicht derart, daß keine Besserung mehr zu hoffen sei, im Gegenteil, es
zeige sich schon Tendenz zu einer solchen; aber es brauche Zeit und Geduld
und Männer, die sich mit ganzer Kraft der Sache widmen. Vor allen Dingen
gelte es, die Leute so gut als möglich an die Heimat zu fesseln, und das
geschehe am besten durch die Bande der Familie. Hier müsse man vor allen
Dingen veredelnd eingreifen, und hier rechne er auch am meisten auf Elisens
Hilfe.

Martin hatte vollauf zu tun. Große Unternehmungen waren es vorderhand
freilich nicht, mit denen er sich beschäftigte; denn es waren meist nur
kleinere Reparaturen, mit denen man ihn betraute, und die man vielfach
aufgeschoben hatte, um sie von Martin ausführen zu lassen, weil in D.
vorher kein Zimmermann ansässig war. Es waren das alles Arbeiten, die
kein großes Betriebskapital erforderten und doch einen sichern Verdienst
abwarfen. Das war ganz im Sinne Martins; denn er wollte nur nach und nach
sein Geschäft vergrößern.

Zufrieden und vergnügt ging er seiner Arbeit nach. Die Sonntage und die nun
immer länger werdenden Abende verbrachte er in seiner Familie. Schon hie
und da hatten alte Freunde versucht, ihn in diese oder jene Gesellschaft
hineinzuziehen, ihn zu einem Kegelabend einzuladen, zu einem gemütlichen
Jaß aufzufordern oder sonst, eine Gelegenheit vorschützend, ihn ins
Wirtshaus zu ziehen; freundlich aber entschieden lehnte er jedesmal ab.
Viele sahen in ihm deshalb einen erbärmlichen Pantoffelhelden, der nach der
Pfeife seiner Frau tanzen müsse. Weil sie keinen Sinn hatten für das Glück
einer stillen Häuslichkeit und eines durch nichts getrübten Familienlebens,
hielten sie die Anhänglichkeit Martins an seine Familie für eine nicht
ganz freiwillige, und während ihn einige bemitleideten, meinten andere, es
geschehe ihm ganz recht; warum habe er diese Unterländerin geheiratet,
er hätte eine aus der Talschaft nehmen können, dann hätte er nicht nötig
gehabt, innerhalb seiner vier Wände Trübsal blasen zu müssen.

Martin, dem natürlich solches Gerede auch zu Ohren kam, lächelte nur
darüber; ihm war es gleichgültig, was andere Leute in dieser Beziehung
über ihn dachten. Nur als es einmal einer wagte, sich ihm gegenüber direkt
mißbilligend über Elise zu äußern, indem er sagte: »Es schaut gewiß nichts
dabei heraus, wenn in einer Familie, die nicht reich ist, die Frau nichts
als putzt und wascht, sich und die Kinder stets in frische Kleider steckt,
die doch schnell wieder schmutzig werden. Das ist gut für Herrenleute, die
Geld genug haben, aber für einen gewöhnlichen Handwerker oder Bauer paßt
das nicht; ich wenigstens möchte es mit so einer Frau nicht machen; ich
wüßte nicht, wo Geld genug auftreiben, wenn mein Weib, statt auf dem Feld
und im Stall zu arbeiten, nur immer ans Kochen, Putzen und Waschen denken
würde, wie es die Liese tut.« Da konnte er sich denn nicht enthalten, dem
Manne ziemlich aufgebracht zu erwidern.

»Du denkst wahrscheinlich nicht daran,« hub Martin seine Entgegnung an,
»daß Du da meiner Liese die größte Lobrede gehalten hast; denn ich bin ihr
z. B. sehr dankbar, daß sie auf Reinlichkeit bei den Kindern hält; ist es
doch mein Stolz, daß sie so gut geraten; nichts trägt mehr zum Verderbnis
von Leib und Seele bei, als Schmutz und Unreinlichkeit. Gerade so ist es
mit dem Schmutz auf den Böden und an den Fenstern; denn wo derselbe auf den
Geräten liegen bleibt, bleibt er auch gerne im Herzen und in den Gedanken
liegen; und Du so wenig wie ich, hast je durch eine schmutzige Scheibe
ein fröhliches Gesicht schauen sehen. Daß mein Weib vollends keine Lumpen
aufkommen läßt, däucht mir gerade das schönste an ihr; denn ich weiß nicht,
ob lumpige Menschen lumpige Kleider machen oder lumpige Kleider lumpige
Menschen; eines aber ist gewiß, daß sie stets bei einander sind. Deine
Kathrine ist eine fleißige und brave Frau, der man gewiß nichts nachsagen
kann; aber bedauert habe ich sie schon oft, wenn ich sie schon am morgen
in aller Frühe im Stall und auf dem Miststock hantieren sah, während Du
gemütlich drüben in der Post Deinen Schnaps trankst. Und dann, was meinst
Du? Wie viel Seife und Bürsten ließen sich bezahlen aus dem Gelde, das Du
abends und Sonntags bei Spiel und Wein verbrauchst? das würde noch so weit
reichen, daß Du Dir eine Häuslichkeit schaffen könntest, in der es Dir weit
besser als in der dumpfen Wirtsstube gefallen würde. Schau! wenn ich an den
Feierabend denke, da geht mir meine oft schwere Arbeit nochmal so gut aus
den Händen. Komme ich heim, so wartet meiner ein, wenn auch einfaches, so
doch kräftiges und schmackhaftes Essen. Während mir mein kleiner Hans die
Pantoffeln bringt, holt der Franz Pfeife und Tabak, die Zeitung liegt schon
parat, und wenn ich so rauchend, plaudernd oder lesend im gut durchlüfteten
und erwärmten Zimmer, im Kreise meiner Familie, von des Tages Mühen
ausruhe, so danke ich jedesmal im Stillen meiner Liese, daß sie es
versteht, mir ein Heim zu bieten, mit dem kein Wirtshaus der Welt den
Vergleich aushalten kann.«

Der auf diese Weise von Martin Zurechtgewiesene wagte nichts mehr zu
entgegnen und schlich sich wie ein begossener Pudel von dannen, innerlich
denkend, daß der Zimmermann eigentlich recht habe, und daß es einen Versuch
wert sei, die erhaltenen Ermahnungen sich nicht nur zu Herzen zu nehmen,
sondern sie auch zu befolgen.

Mit den Arbeiten, die Martin ausführte, war man allgemein zufrieden. Es
konnte eben leicht wahrgenommen werden, daß er wußte, als Handwerker nicht
nur das Anrecht auf den Taglohn zu haben, sondern daß ihm auch die Pflicht
zukam, etwas vollwertiges dafür zu leisten. Alle Arbeit ging ihm rasch
aus den Fingern, wobei aber auch beim Kleinsten auf Genauigkeit und
Dauerhaftigkeit gesehen wurde. So wurde Martin mit Aufträgen überhäuft,
trotzdem er einen höheren Lohn verlangte, als mancher der andern
Zimmerleute, mit denen man sich bis jetzt hatte behelfen müssen.

Weil Martin sich nur selten einmal im Wirtshaus blicken ließ, so waren
diejenigen, welche einen Auftrag für ihn hatten oder in irgend einer
Angelegenheit etwas mit ihm besprechen sollten, genötigt, ihn zu Hause
aufzusuchen. So kam es nun immer mehr vor, daß am Abend oder an Sonntagen
Leute im Müllerschen Hause vorsprachen. Merkwürdig war es dabei, zu
beobachten, wie mancher, der nur das Geschäftliche schnell abtun wollte,
um sich dann gleich wieder zu entfernen und vor Eile kaum die Türklinke
aus der Hand ließ, der freundlichen Einladung zum Sitzen nicht widerstehen
konnte und dann oft für mehrere Stunden nicht ans Fortgehen dachte. Das
bewirkte der eigenartige Zauber, der von der Häuslichkeit Martins ausging,
das freundliche Wesen Elisens und die ernsten und heiteren Gespräche
Martins, der ein guter Gesellschafter war und mancherlei zu erzählen wußte.

Es läßt sich leicht begreifen, daß da mancher sozusagen gezwungen
wurde, einen Vergleich anzustellen zwischen den anheimelnden, traulichen
Verhältnissen in der Familie und in dem Heim Martins und denjenigen, die in
seinem Hause herrschten. Andere konnten es zuerst absolut nicht begreifen,
wie sie es, ohne die mindeste Langeweile empfunden zu haben, einen ganzen
Abend oder Sonntag-Nachmittag haben aushalten können, in Martins Stube zu
sitzen, ohne Karten und ohne Bier und Wein. Der eine oder andere merkte es
dann vielleicht, daß er das auch in seiner Stube könnte, wenn es dort so
behaglich wäre, wie bei Martin, und nahm sich dann wohl vor, einmal zu
probieren, ob sich nicht in seinem Haushalt hie und da etwas ändern ließe.
Sei dem wie ihm wolle; Tatsache ist, daß nach und nach mancher gestrenge
Eheherr, der noch vor wenigen Wochen seiner Frau Vorwürfe machen wollte,
wenn sie der Unterländerliese etwas nachmachen wollte, geradezu befahl,
künftig mehr im Hause zu arbeiten und nachzusehen, daß es dort eine bessere
Ordnung gebe, dabei aus freien Stücken von der Stallarbeit etwas mehr
übernahm und manchmal sogar am Abend zu Hause blieb und mit der Frau einen
Jaß machte, statt mit den alten Freunden drüben im Wirtshaus.

So begann sich ganz langsam, ohne daß es eigentlich jemand gewahr wurde,
ein Umschwung in D. anzubahnen, ausgehend von dem Müllerschen Hause, wo
Reinlichkeit und Ordnung waltete, und wo das schönste Familienleben jene
Zufriedenheit schuf, welche Eltern und Kindern aus den Augen leuchtete.



III.


Der Winter, der diesmal seine strenge Herrschaft auch in D. geltend gemacht
hatte, begann dem Frühling zu weichen. Ein lauer Föhn, im Bunde mit den
kräftigen Strahlen der Märzsonne, hatte die mächtigen Schneemassen schon
ein gutes Stück den Hang hinauf zum Schmelzen gebracht. Die Wiesen ob dem
Dorfe begannen sich mit zartem Grün zu bedecken, in den Baumgärten blühten
die Maßliebchen, und hie und da begann schon eine vorwitzige Primel
ihre gelben Blüten zu entfalten. Die Zeit rückte allgemach heran, wo die
Landwirte wieder ihre Arbeit draußen in Feld und Wiese aufnehmen konnten.

Unsere Liese freute sich, daß auch sie bald wieder hie und da das Haus
verlassen und ihre Gartenarbeit aufnehmen könne. Schon im Herbst hatte
Martin neben dem Haus zwei große, aber altersschwache Birnbäume gefällt
und so einen freien und sehr günstig gelegenen Platz für einen kleinen
Hausgarten gewonnen. Ebenfalls schon vor Anbruch des Winters wurde die
Erde gut umgearbeitet und mit Dünger durchsetzt. Es hatte dann auch Tage
gegeben, an welchen Martin seiner gewohnten Arbeit nicht nachgehen konnte;
da wurde dann Holz vorbereitet für einen Gartenzaun und ein Gartenhäuschen,
welche jetzt beide beinahe vollständig erstellt waren. Liese hatte an
einer Geröllhalde unweit vom Dorfe geeignete Steine entdeckt, die für die
Wegeinfassungen paßten; diese wurden jetzt mit dem Handwagen unter Beihilfe
der Kinder herbeigefahren und den Wegen entlang so aufrecht eingegraben,
daß die Erde nicht in die Wege hinausfallen konnte. Dann holte Elise auch
noch Sand, den der Bergbach hie und da an seinen Ufern ablagerte, um
die Wege etwa fünf Centimeter hoch damit zu bedecken. Die Einteilung des
Gartens war höchst einfach ausgeführt. Rings um den Garten herum,
sowohl dem Zaune, als dem Hause entlang wurde eine Rabatte angelegt, die
80 Centimeter breit war; auf dieser sollten gegen den Zaun hin allerlei
Beerensträucher Platz finden. Die am Hause gelegene Rabatte, welche sehr
geschützt und sonnig gelegen war, wollte Elise im Frühjahr teils
als Anzuchtsbeet für frühe Setzlinge, teils zur zeitigen Aussaat von
Schnittsalat, Kresse, Radieschen u. s. w. benützen. Ein Mittelweg, der von
der hintern Haustüre zum Gartenhäuschen führte, teilte den Garten in zwei
Hälften, während ein anderer, etwas schmälerer, rings herum führte und die
Rabatte von den beiden Quartieren trennte.

Die notwendigen Sämereien hatte Liese schon beizeiten aus einer größeren
Samenhandlung kommen lassen, und als nun die Erde etwas abgetrocknet und
sonst alles vorbereitet war, ging es an das Umgraben und Ausebnen des
Bodens; es wurden Beete abgeteilt und solche Gemüse ausgesät, die von der
Kälte nicht so schnell leiden. Die Kinder mußten bei dieser Arbeit helfen,
und bald lag der Garten in schönster Ordnung da. Die Sicherheit, mit
welcher unserer Liese diese Verrichtungen durch die Hand gingen, ließ
leicht erkennen, daß sie mit den Gartenarbeiten vertraut war. Sie hatte
auch in der Tat schon als kleines Mädchen von der Mutter Anregung zu
allerlei leichten Beschäftigungen im Garten erhalten, und als sie dann
später an einem Gemüsebaukurs teilgenommen hatte, wurde ihr der
Garten sozusagen ganz allein zur Besorgung übertragen. Auch nach ihrer
Verheiratung verfügte sie über einen kleinen Hausgarten, wo sie dann erst
recht nach ihrem eigenen Willen schalten und walten konnte. Ihr Gärtchen
war denn auch immer ein wahres Schmuckstück gewesen; denn sie hatte nicht
nur immer die schönsten Gemüse gehabt, sondern auch ihre Blumenrabatten
hatten manchen der Vorübergehenden gezwungen, stehen zu bleiben und einen
bewundernden Blick über den Zaun zu werfen. Hier in D. hoffte sie nun, noch
bessere Erfolge mit dem Garten zu erzielen; hatte sie ja doch schon bei der
Anlage auf alles ihr Wünschenswerte Rücksicht nehmen können; auch war der
Garten ihr Eigentum und sie brauchte also nicht zu befürchten, denselben
nach einiger Zeit wieder andern Händen übergeben zu müssen.

Freilich wußte Liese wohl, daß nicht alles, was sie aus ihrem Garten zu
machen gedachte, gleich im ersten Jahre möglich war. Sie wollte sich auch
gerne mit manchem gedulden und zufrieden sein, wenn sie es nur soweit
brachte, daß der Garten so viel Gemüse hervorbrachte, als sie für ihre
Familie das ganze Jahr über notwendig hatte.

Martin und seine Familie waren so an den Genuß von Gemüse gewöhnt, daß sie
kaum erwarten konnten, bis die erste Kresse geschnitten werden konnte, und
als Liese an einem Sonntag die ersten Radieschen auf den Tisch brachte, da
gab es besonders bei den Kindern großen Jubel.

Der neue Garten und besonders das Gartenhäuschen beim Müllerschen Hause
hatte in D. wieder viel zu reden gegeben. Daß sich der Pfarrer mit solchen
Sachen abgab, das war weiter nicht aufgefallen. Immer konnte er doch nicht
innerhalb seiner vier Wände sitzen, und wenn er also zum Zeitvertreib sich
im Garten beschäftigte, so konnte man ihm diese Liebhaberei wohl verzeihen.
Er müsse ja auch nicht streng arbeiten -- hieß es -- und da schade es ihm
nichts, wenn er zur Abwechslung von seinem Grünzeug esse. Spare er damit
etwas an seiner Lebenshaltung, so sei das für alle gut, weil es ihm dann
viel weniger in den Sinn komme, auf eine Gehaltserhöhung bei der Gemeinde
zu dringen.

Mit ganz andern Augen verfolgte man hingegen die Bestrebungen von Martin
und Liese. Daß ein einfacher Zimmermann, von dem man wußte, daß er nicht
reich war, sich den Luxus erlaubte, einen Garten anzulegen und sogar eine
Laube zu erstellen, das konnte niemand recht begreifen. Man glaubte in D.
allgemein, daß Martin weit über seine Mittel hinausgehe. Wenn er bis jetzt
auch einen guten Verdienst gehabt habe und Anzeichen vorhanden seien,
daß derselbe nicht so bald nachlasse, so dürfe er doch nicht gleich daran
denken, es den Herrenleuten nachmachen zu wollen und alles aufs feinste
einzurichten.

»Wenn das sein Vater selig wüßte, wie jetzt mit dem ererbten Heimwesen
umgegangen wird!« meinte einer. »Was war doch der Weibelhannes für ein
einfacher Mann! Nie hat er einen Rappen umsonst ausgegeben, und kaum hat
nun der Martin sich ins warme Nest gesetzt, so ist ihm auch nichts mehr gut
genug; er tut gerade, als wenn er in der Fremde Wunder was verdient oder
erheiratet hätte, während man doch gesehen hat, daß es mitunter auch recht
alter Plunder war, den er mitbrachte, so daß er recht froh sein konnte, daß
der größte Teil der Möbel vom Vater auch noch da war.«

»Ich wette,« meinte ein anderer, »daß Martin auch anders wäre, wenn ihm die
Unterländerliese nicht ganz den Kopf verdreht hätte. Sie will jetzt einmal
ihren Garten haben und dabei bleibt's! Aber, was gilt's, dem Martin werden
schon die Augen aufgehen, wenn ihm erst einmal all das Kraut aufgetischt
wird, das die Liese in ihrem Garten großzieht! Grünfutter ist gut fürs
liebe Vieh; aber um die Arbeit eines Zimmermanns verrichten zu können, muß
einer etwas anderes als Salat und Spinat im Magen haben.«

Wie es immer in der Welt zu gehen pflegt, daß man das Alte ob dem Neuen
vergißt, so ging es auch hier. Als die Gartenangelegenheit und die
vermeintliche Verschwendungssucht Martins genügend breitgeschlagen und
durchgeklatscht war, begann man sich allmählich zu beruhigen. Die Arbeiten
in Feld und Wiese wurden auch immer dringender, und bald ging jedermann an
dem neuen Zaune vorüber, ohne etwas besonderes zu denken, ja einige Frauen
begannen sich schon hie und da für die so regelmäßig aufgehenden Saaten zu
interessieren.

Bald rückte wieder die Zeit des allgemeinen Auszuges heran; der größte
Teil der jungen Männer, der Jünglinge und erwachsenen Töchter traten ihre
gewohnten Saisonstellen an, und es wurde sehr ruhig in D.

Martin hatte für zwei Neubauten die Zimmerarbeit übernommen, und es fehlte
ihm deshalb nicht an Beschäftigung. Neben den Hausarbeiten besorgte Liese
die zwei kleinen Aecker, die sie mit Kartoffeln bepflanzt hatte, oder sie
hatte im Garten irgend eine Verrichtung; war sie aber mit allem fertig, so
saß sie in der Laube bei irgend einer Näharbeit. Die Kinder, welche jetzt
im Sommer nicht mehr den ganzen Tag in der Schule zubringen mußten, halfen,
wo sie konnten, nach Kräften mit. Die beiden Knaben zogen wohl auch mit
einem leichten Wagen auf die Landstraße hinaus, um Mist zu sammeln, der
dann an geeigneter Stelle zusammen mit allerlei Abfällen auf einen Haufen
geschüttet wurde und Kompost für den Garten liefern sollte. Das gab
den Leuten wieder frischen Stoff zu allerlei Gerede, und männiglich
bemitleidete die »armen Buben«, welche stets barfüßig waren, und wie
es schien, mit dem größten Vergnügen dem Geschäfte des Düngersammelns
nachgingen. In D. war es nie der Brauch gewesen, barfuß zu gehen, und
selbst die kleinen Kinder trugen auch im Hochsommer Schuhe und Strümpfe;
deshalb fiel es auf, daß Liese ihre Kinder barfuß laufen ließ, und gleich
hieß es: »Da sieht man es. Zu Hause ein solcher Luxus, und dabei haben die
Kinder nicht einmal Schuhe, und sogar Mist müssen sie zusammenlesen. Es ist
also bei Müllers doch nicht alles Gold, was glänzt, sonst müßten sie nicht
am Notwendigsten sparen.«

Elise, der wohl hie und da von solchen abfälligen Redensarten etwas zu
Ohren kam, kehrte sich nicht im mindesten daran. Sie merkte es an den roten
Backen der Kinder, daß ihnen das Barfußgehen nicht schade. Mit Freuden sah
sie auch ihren Komposthaufen zu immer größeren Dimensionen anwachsen. Sie
betrachtete ihn als eine Sparbüchse, gespeist mit Kapitalien, die sonst
nutzlos auf der Straße zugrunde gehen würden.

Die Gemüse in Lieses Garten standen prachtvoll, und als erst die
verschiedenen Sommerblumen auf den Rabatten zu blühen begannen, da dachten
sogar einige der Nachbarinnen, daß so ein Gärtchen doch unter Umständen
eine angenehme Sache sei. Die eine oder andere der Frauen blieb hie und
da am Zaune stehen, wenn Elise im Garten arbeitete, und hatte bald dieses,
bald jenes zu fragen. Besonders suchten sie in Erfahrung zu bringen,
wie dem Martin die Gemüsekost munde, und erstaunten nicht wenig, als sie
hörten, daß er sich ja längst daran gewöhnt habe, und ohne Gemüse gar nicht
mehr sein könnte. Freilich, erklärte ihnen Elise, müssen alle Gemüse auch
gut und schmackhaft zubereitet werden, das sei gerade so notwendig als die
richtige Kultur im Garten selbst. Sie rief auch manchmal diese oder jene
der Frauen in die Küche, machte sie mit der Art und Weise des Kochens der
Gartengewächse bekannt oder ließ sie die fertigen Gerichte probieren. Sie
zeigte ihnen auch, wie sie Gemüse in Gläser einmache, um auch Vorräte für
den Winter zu haben. Bald sahen denn auch die Nachbarinnen die Gartenkunst
Elisens mit ganz andern Augen an, und manche begann, sich auch einen
kleinen Garten zu wünschen.

Indessen waren es nicht nur Lieses Nachbarinnen, welche der Sache Interesse
abgewannen, sondern auch in weiteren Kreisen wurde man auf das schmucke
Gärtchen und seine Produkte aufmerksam.

Als einst ein Hotelbesitzer aus dem benachbarten Kurort F. mit seinem Wagen
durch D. fuhr und in der Post einkehrte, bewunderte er die gut entwickelten
Gemüse in dem Müllerschen Hausgarten und fragte gleich bei Elise an, ob sie
nicht gewillt sei, ihm von ihren Gartenerzeugnissen etwas zu verkaufen;
er sei bereit, gute Preise zu bezahlen, da es stets an frischen Gemüsen
mangle. Er sehe sich genötigt, seinen ganzen Bedarf kommen zu lassen, und
müsse da oft mit ganz minderwertiger Ware vorlieb nehmen. Sie bedeutete
ihm, daß sie leider zum Verkauf nicht eingerichtet sei; daß sie aber ein
anderes Jahr leicht auf einem Acker Gemüse bauen könne, und wenn er ihr
Aussichten auf Absatz eröffne, so werde sie das auch ausführen. Der Herr
war damit ganz einverstanden, und nachdem ihn Liese noch mit einem hübschen
Blumenstrauße beschenkt hatte, fuhr er von dannen.

Es braucht wohl nicht besonders bemerkt zu werden, daß Elise ob den andern
Arbeiten ihre Topfpflanzen nicht vergaß. Als sie im Frühjahr einmal in der
Stadt war, hatte sie beim Gärtner noch einige junge Pflanzen von leicht zu
kultivierenden Arten gekauft; diese gediehen jetzt prächtig und blühten
zum Teil schon. Der Pfarrer hatte ihr einige Ableger von jenen großblumigen
Nelken geschenkt, die man im Kanton Graubünden in einigen Talschaften
in oft prachtvollen Exemplaren bewundern kann. Diese bildeten nun ihren
besondern Stolz, da sie schon im Unterland von diesen Riesennelken gehört,
nie aber welche gesehen hatte. Elise besaß schon vorher einige hübsche,
wenn auch kleinblumige Topfnelkenarten, und so konnte sie jetzt zwei
Fenster gegen die Straße, wo die Sonne nicht so heiß hinbrannte, mit
ihren Nelkenstöcken dekorieren. Diese Nelken bildeten nun einen besonderen
Gegenstand ihrer Pflege; denn sie hatte von jeher eine große Liebhaberei
für diese Blumen gehabt. Als dann aber die Blütezeit herannahte, sah sie
sich auch reichlich für alle Mühe entschädigt. Die Pflanzen waren in Laub
und Blüte wunderbar gut entwickelt, und weit herum waren keine solchen
Nelken zu sehen.

Da geschah es eines Tages, daß eine reiche Familie aus Deutschland nach D.
kam. Sie wollte nach F. reisen, es war aber unterwegs etwas an dem Wagen
gebrochen, und somit gab es hier einen unfreiwilligen Aufenthalt, bis
der Schaden wieder gut gemacht war. Nachdem die Fremden im Gasthaus eine
Erfrischung genommen hatten, machten sie einen Spaziergang durch das Dorf
und entdeckten dabei gar bald Elisens Nelkenstöcke. Ganz verwundert blieben
sie unter den Fenstern stehen; denn solche Nelken hatten sie noch nie
gesehen. Die junge Frau äußerte denn auch sofort den Wunsch, eine solche
Pflanze zu kaufen, um sie mit nach Deutschland zu nehmen.

Elise war gerade in der Küche mit Konservieren von Gemüse beschäftigt und
erstaunte nicht wenig, als die Herrschaft bei ihr eintrat; fast noch mehr
erstaunt aber war sie, als sie hörte, daß sie einen ihrer Nelkenstöcke
verkaufen sollte. Ganz unumwunden erklärte sie denn auch, daß sie diese
Nelken nicht zum Verkaufen, sondern aus eigener Liebhaberei gezogen habe.
Das half indessen nicht viel, der Herr, welcher den Wunsch seiner Frau zu
dem seinigen gemacht hatte, fuhr fort zu bitten; er versprach, gerne jeden
verlangten Preis zu bezahlen und offerierte, als Liese noch zögerte, 15 Fr.
für eine der großblumigen Pflanzen. Als Elise diesen Preis nennen hörte,
meinte sie doch, es wäre eine Sünde, eine solche Einnahme von der Hand zu
weisen. Sie willigte also in den Handel ein und erlaubte der Dame, unter
sämtlichen Pflanzen diejenige auszuwählen, welche ihr am besten gefalle. So
war denn die Sache zur allgemeinen Zufriedenheit geregelt, und während der
Nelkenstock verpackt wurde, ermunterte die fremde Dame Elise, nur möglichst
viele solcher Nelkenpflanzen zu ziehen, an Absatz werde es ihr gewiß
nicht fehlen. Der Herr war der gleichen Meinung und versprach, einen ihm
bekannten Blumenhändler in F. auf diese prachtvollen Blumen aufmerksam zu
machen. Es sei ja gar nicht ausgeschlossen, daß dieser dann auch allerlei
andere Blumen in D. ziehen lasse, sobald sich Elise nur entschließen könne,
einen solchen Auftrag zu übernehmen. Diese dankte ihren Gönnern für das
bewiesene Wohlwollen und versprach, die Sache überlegen zu wollen; es sei
ihr selbst auch schon durch den Sinn gefahren, ob sie vielleicht nicht
imstande wäre, mit Gemüse- und Blumenzucht ein hübsches Stück Geld zu
verdienen. Sie erzählte dann von dem Besuch des fremden Hotelbesitzers und
wie sie darauf den Vorsatz gefaßt habe, nächstes Frühjahr mit der Zucht von
Gemüsen zum Verkauf beginnen zu wollen. Nun ihr auch Aussicht gemacht
sei, Blumen und namentlich Nelken gut verkaufen zu können, so würde es
vielleicht nicht schaden, auch damit einen Versuch zu wagen. Nachdem die
Fremden versprochen hatten, Elise im nächsten Sommer wieder zu besuchen,
nahmen sie Abschied, und der kleine Hans trug ihnen den gekauften
Nelkenstock noch bis zum Wagen.

Martin war nicht recht einverstanden, als Elise ihm ihren Plan mitteilte,
im kommenden Jahr einen kleinen Gemüseversand einrichten zu wollen. Er
meinte, das verursache im Verhältnis zur Einnahme viel zu viel Arbeit,
und es sei ja nicht notwendig, daß sich Liese über Gebühr anstrenge wegen
einigen Franken, die vielleicht damit zu verdienen seien. Im Geheimen
mochte er wohl Angst haben, daß Elise die Hausgeschäfte vernachlässige,
wenn die vermehrte Gartenarbeit auf sie einstürme, und denken, daß es dann
um die Gemütlichkeit in seinem Hause geschehen sei. Sobald deshalb Elise
auf diesen Gegenstand zu sprechen kam, gab er ausweichende Antworten und
suchte das Gespräch auf etwas anderes zu bringen.

Als ihm nun aber Elise die 15 Fr. für die Topfnelke aufzählte, da meinte
er nun doch: »Ja, wenn solche Preise die Regel wären, würde ich Dir selbst
raten, die Sache in etwas größerem Maßstabe zu probieren. Ueberhaupt
glaube ich, daß bei der Blumenzucht mehr herausschauen dürfte, als beim
Gemüsebau.« »Aber schau Martin,« entgegnete Elise, »ich kann ganz gut
das eine tun und das andere nicht lassen. Manche Flickerei und andere
Handarbeiten kann ich ganz gut auf den Winter versparen. Dann mußt Du
bedenken, daß die Kinder größer werden und manches zu helfen imstande sind.
Auch wirst Du verstehen, daß ich mich mit keinem Gedanken mit der ganzen
Angelegenheit befassen würde, wenn ich denken müßte, deswegen auch nur das
Kleinste der notwendigen Hausgeschäfte vernachlässigen zu müssen.« So ward
denn der Widerstand Martins gebrochen, und es wurde endgültig der Beschluß
gefaßt, nächstes Jahr regelrechten Gartenbau zu treiben und den Verkauf der
erzielten Produkte an die Hand zu nehmen.



IV.


Der zweite Winter war für die Familie Müller wieder so ruhig verlaufen
wie der erste. Liese hatte in verschiedener Beziehung aufs kommende Jahr
vorgearbeitet. Fürs erste hatte sie sich mit allerlei Näharbeiten, mit
Strümpfestricken und dergleichen derart beflissen, daß sie sich damit im
Sommer -- von etwa nötig werdenden Ausbesserungen abgesehen -- nicht
zu befassen brauchte. Dann hatte sie auch schon für das notwendige
Packmaterial gesorgt. Ein Korbmacher erbot sich, allerlei größere und
kleinere Körbe jetzt billiger zu liefern als im Sommer. Im Laden hatte
sie passende Kistchen für den Blumenversand erstanden, und auch gebrauchte
Packleinwand zum Uebernähen der Gemüsekörbe erhielt sie dort für billiges
Geld.

Auch Martin war in seiner freien Zeit für das Gartengeschäft tätig.
Im Herbst schon hatte er an einer geschützten Stelle im Garten einen
Frühbeetkasten angebracht, denselben mit guter Erde gefüllt und gegen Frost
gut bedeckt. Nun arbeitete er an den Fenstern und bald gingen sie ihrer
Vollendung entgegen. Aus Gipslättchen wurden Schattengitter hergestellt,
welche bei Aussaaten ins Frühbeet die grellen Sonnenstrahlen fernhalten
sollten. Selbst einige Dutzend Ansteckhölzer zum Bezeichnen der
verschiedenen Sorten hatte er an einigen der langen Winterabende
angefertigt. So lag denn alles bereit, um beim ersten Frühlingszeichen mit
dem Aussäen beginnen zu können.

Der Winter war dieses Mal ungewöhnlich streng und schneereich gewesen; als
aber Ende Februar die Sonne schon ziemliche Kraft entfaltete, glaubte Liese
nicht mehr länger warten zu dürfen. Sie deckte den Kasten ab, lockerte
die Erde und legte die Fenster auf. Als dann nach einigen Tagen die Erde
abgetrocknet war, säete sie Sellerie, Lauch, Salat, Blumenkohl, Wirsing und
überhaupt allerlei Setzlinge, welche sie früh haben wollte. So folgten
dann in kurzen Abständen mehrere Aussaaten aufeinander, und als im März
die Sonne und der Föhn den Schnee hinweggeschmolzen hatten, konnten die
Arbeiten auch im freien Lande beginnen. Die Setzlinge im Frühbeet waren
schnell auch zum Auspflanzen groß genug, und bald prangte der Garten wieder
im schönsten Grün. Aber nicht nur im Garten, sondern auch auf dem Acker,
wo Liese namentlich solche Gemüse gepflanzt und gesät hatte, welche einer
weniger sorgfältigen Kultur bedurften, versprach es einen guten Ertrag
zu geben. War also in Bezug auf die Gemüse alles in bester Ordnung, so
berechtigten die Blumen nicht weniger zu den besten Hoffnungen.

Weil Liese im Herbst ihre Nelken so stark als nur möglich durch Stecklinge
und Ableger vermehrt hatte, so besaß sie jetzt über hundert Stück, die mehr
oder weniger Blütenstengel getrieben hatten. Da an den Fenstern
natürlich nicht für so viele Pflanzen Platz war, so hatte Martin an einer
halbschattigen Hauswand ein Gestell angebracht, auf welchem nun die in
größere und kleinere Holzkistchen gepflanzten Nelken Aufstellung fanden.
Im Garten befanden sich noch einige hundert Nelkenpflanzen, die Liese aus
Samen gezogen hatte, und die nun hauptsächlich billigere Schnittblumen
liefern sollten. Liese hatte einstweilen davon abgesehen, andere Blumen
zum Verkauf zu ziehen; denn erstens wollte sie nicht zu viel auf einmal
beginnen, und zweitens hatte ihr der Blumenhändler keine sehr verlockenden
Preise in Aussicht gestellt.

Als Ende Juni die Fremdensaison allmählich in Gang kam, konnte endlich der
Versand der Gemüse beginnen, und bald gingen auch die ersten Kistchen mit
abgeschnittenen Nelken nach F. ab.

Es ist natürlich, daß sich das ganze Geschäft nur in sehr kleinem Rahmen
bewegte; waren es ja nur zwei Kunden, an welche Liese ihre Produkte
lieferte, nämlich der Hotelbesitzer, welcher voriges Jahr die erste
Aufmunterung zum Gemüseversand gegeben, und der Blumenhändler, welchem der
deutsche Kurgast Liese empfohlen hatte. Aber selbst diesen beiden konnte
nicht genug geliefert werden. Die Art und Weise, wie sich der Versand
vollzog war sehr einfach. Liese machte wöchentlich zwei Sendungen, bald
größere, bald kleinere, je nachdem, was sie gerade abzugeben hatte. Sie
brauchte also nicht auf Bestellungen zu warten, weil ihre Abnehmer alles
verwenden konnten, sobald es nur schöne, vollwertige Ware war. Daran ließ
es nun Liese freilich nicht fehlen; denn sie handelte nach dem Grundsatz,
für ihre Kundschaft sei das Beste gerade gut genug. Für alles, was nicht
von erster Qualität war, hatte sie im eigenen Haushalt ja gute Verwendung,
und sie kam schon deswegen nicht in Versuchung, ihr Absatzgebiet durch
unreelle Lieferung zu verscherzen.

Gerade der gewissenhaften und pünktlichen Bedienung war es zuzuschreiben,
daß Liese für ihre Produkte einen schönen Preis erzielte. Trotz des
verhältnismäßig kleinen Quantums, das sie absetzen konnte, hatte sie doch
bis zum Herbst eine ganz hübsche Einnahme erzielt -- die Nelkenblumen
allein brachten ihr einen Erlös von über hundert Franken.

Nun lachte auch niemand mehr in D. über Lieses Liebhaberei für den
Gartenbau; alles mußte vielmehr lobend anerkennen, daß sie es verstanden
hatte, nicht nur notwendige Lebensmittel für den eigenen Haushalt zu
pflanzen und mit ihren Blumen ihr Heim zu verschönern, sondern Gemüse- und
Blumenzucht auch zu einer ergiebigen Einnahmsquelle zu gestalten.

Weil man Liese fast nie anders sah als im Garten oder mit ihren Blumen
beschäftigt, so nannte man sie jetzt nur die »Blumenliese«, und diesen
Namen behielt sie fortan, weshalb auch wir sie nur noch so nennen wollen.

Hatten schon im vorigen Sommer einige Frauen den Wunsch gehegt, gleich wie
die Blumenliese ein Gärtchen zu haben, so nahmen jetzt solche Wünsche eine
bestimmtere Gestalt an. Man hoffte jetzt eher auf die Einwilligung der
Männer, wo man ihnen nun doch schlagend beweisen konnte, daß ein Garten
nicht einfach als ein Luxus zu bezeichnen sei, wie man bisher angenommen
habe. Einige der Männer kamen denn wirklich auch den Frauen schon auf
halbem Wege entgegen; denn auch sie waren hingerissen von den Erfolgen der
Blumenliese.

Wenn die Anlage von verschiedenen Gärten nicht sofort an die Hand genommen
wurde, so hatte das seinen Grund nur darin, daß niemand etwas von der Sache
verstand. Man bestürmte deshalb die Blumenliese von allen Seiten mit den
verschiedensten Fragen und Auskunftsbegehren. Diese freute sich natürlich,
daß es ihr so schnell gelungen, die Leute für den Gartenbau zu begeistern,
und ließ es an gutem Rat nie fehlen, wo solcher verlangt wurde. Indessen
sah sie ein und äußerte sich gelegentlich darüber, daß es gewiß nicht gut
werde, wenn jetzt alles über Hals und Kopf planlos sich auf den Gartenbau
stürze, in der Meinung, damit in einigen Jahren reich zu werden; man sollte
sich doch vorerst die allernötigsten Kenntnisse verschaffen und erst auf
Grund derselben zielbewußt vorgehen.

Der Pfarrer war auch der gleichen Ansicht; er dachte, es müsse etwas
geschehen, um einerseits die gegenwärtige Begeisterung nicht unbenützt
vorübergehen zu lassen, anderseits aber die Leute vor einem Mißerfolg zu
bewahren. Er beriet sich zu diesem Zweck mit einem der Lehrer, von dem er
wußte, daß er ebenfalls ein Gartenfreund sei, und dieser meinte, es wäre am
besten, in D. einen Gemüsebaukurs abhalten zu lassen, an welchem dann die
Leute Gelegenheit hätten, sich über die verschiedenen Fragen klar zu werden
und sich grundlegende Kenntnisse zu erwerben, auf denen sie dann ihre
Praxis aufzubauen imstande wären. Er selbst wolle sich der Sache annehmen,
eine Versammlung im Schulhause einberufen und sehen, was sich dann weiter
tun lasse.

Eine solche Versammlung fand dann auch richtig statt, und es ergab sich,
daß eine genügende Anzahl von Frauen und Töchtern -- sogar einige
Männer hatten sich angemeldet -- bereit waren, an einem Gartenbaukurs
teilzunehmen. Der betreffende Lehrer stellte dann im Namen der Angemeldeten
bei der Regierung das Gesuch um Bewilligung eines solchen Kurses, welchem
Ansuchen auch gerne entsprochen wurde. Damit war die Angelegenheit
einstweilen geregelt und in die richtige Bahn geleitet.

Als im Frühjahr die günstige Zeit herangerückt war, erschien der von der
Regierung bestimmte Kursleiter und begann seine Unterweisungen. Er zeigte
den Teilnehmern nicht nur, wie man einen Garten anlegen solle, wie man den
Boden bearbeite, ihn verbessere und dünge, wie man säen und pflanzen solle,
sondern wies auch auf die eigenartigen Verhältnisse in D. hin, Belehrungen
anknüpfend, wie man dieselben am geeignetsten ausnützen könne. Er hob
besonders hervor, daß es in erster Linie gelte, für die eigenen Bedürfnisse
zu sorgen. An den Verkauf könne man erst denken, wenn man durch die Praxis
die notwendige Routine erworben habe, welche erforderlich sei, um
Gemüse erster Qualität zu ziehen; denn nur mit solchen könne der Verkauf
andauernden Erfolg haben. Die Aussichten, daß D. Hauptproduktionsgebiet
von Gemüsen für die benachbarten Kurorte werden könne, seien vorhanden.
Indessen dürfe man nicht meinen, daß es sofort alle der Blumenliese
gleichtun können. Sobald eben mehrere die Sache einander nachmachen, gebe
es Konkurrenz; die Preise werden heruntergetrieben, und in einigen Jahren
finde alles, daß sich in hiesiger Gegend der Gemüsebau nicht rentiere. Der
Gemüsebau zum Verkauf könne, so wie die Verhältnisse liegen, nur dann
ein befriedigendes Resultat zeitigen, wenn der Handel richtig organisiert
werde, d. h. wenn man ihn genossenschaftlich betreibe. Diese Einrichtung
ermögliche es allein, erstens hohe Preise zu erzielen, zweitens
große Quantitäten liefern zu können und drittens auch dem kleinsten
Gartenbesitzer die Möglichkeit zu bieten, sich am Verkaufe zu beteiligen.

Solche und ähnliche Belehrungen waren geeignet, die Teilnehmer für die
Sache zu begeistern. Mit ganz andern Begriffen konnten sie jetzt, als der
Kurs beendigt war, die Anlage ihrer Gärten an die Hand nehmen.

Soweit war nun alles so ziemlich im richtigen Geleise. In den neuen
Gärtchen keimte und grünte es, daß es eine Freude war. Da und dort war
schon der Spinat zum Schneiden groß genug, hie und da sah man schon
ziemlich entwickelte Salatköpfe, und in einem Garten streckten schon die
Erbsen ihre jungen Schötchen aus den abwelkenden Blüten hervor. Bald kam
also der Zeitpunkt, wo man neben Fleisch und Kartoffeln auch etwas
»Grünes« auf den Tisch stellen konnte. Die meisten der glücklichen
Gartenbesitzerinnen sahen mit einiger Sorge diesem Ereignis entgegen; denn
erstens beschlich manche ein banges Gefühl, wenn sie an die Zubereitung der
Gemüse dachte. Andere aber fragten sich: »Was werden wohl die Männer dazu
sagen?« Diese Sorgen waren berechtigt; denn weil Gemüse in den meisten
Haushaltungen in D. etwas neues waren, so hatten die Hausfrauen und Töchter
bis jetzt auch keine Gelegenheit gehabt, sich im Kochen der Gemüse zu üben.
Den Männern aber steckte der Erfolg im Kopfe, den die Blumenliese mit dem
Verkauf ihrer Gemüse erzielte. Als es aber hieß, man müsse vorläufig im
eigenen Haushalt den Genuß der Gemüse einführen, da waren sie unzufrieden,
und gerade die älteren Männer, welche im Sommer daheim geblieben, waren
sehr hartnäckig; denn sie wollten sich in ihren alten Tagen nicht mehr an
das »Grünfutter« gewöhnen, wie sie das Gemüse verächtlich nannten.

Es ging indessen alles viel besser als man meinte. Die Blumenliese mußte
mit ihren Ratschlägen und Rezepten den mangelnden Kenntnissen in der
Kochkunst nachhelfen, und als dann Erbsen, Spinat, Kohlrabi u. s. w.
richtig zubereitet auf dem Tisch erschienen, da probierten aus purer
Neugierde auch die Männer die bisher unbekannten Speisen, fanden sie zuerst
leidlich, dann gut, und hatten bald nichts mehr dagegen einzuwenden, ein
Zeichen, daß sie sich schnell daran gewöhnt hatten.

Indessen konnte schon wider Erwarten in diesem ersten Jahre von mancher der
neugebackenen Gärtnerinnen ziemlich viel verkauft werden. Die Blumenliese
wurde nämlich mit Bestellungen überhäuft und um manchmal einen guten
Auftrag nicht zurückweisen zu müssen, kaufte sie da und dort schöne Gemüse
zusammen und leitete so einen allgemeinen Gemüseexport aus D. ein.

Der Gemüsebau, den die Blumenliese unter so kleinen Verhältnissen begonnen
hatte, nahm nun einen raschen Aufschwung. Schon im folgenden Jahre wurde
eine Genossenschaft zum Zwecke des Gemüseversandes in größerem Maßstabe
gegründet. Diese Gründung wurde besonders dadurch ermöglicht, daß ein
junger, unternehmender Mann, der schon mehrere Jahre die Stelle eines
Kontrolleurs in einem Hotel versehen hatte und also genaue Kenntnis, von
dem was in einem Hotel gebraucht wird, besaß, die Leitung und den Verkauf
der von den Genossenschaftern erzielten Produkte übernahm. Auch die
Blumenliese trat dieser Vereinigung bei, und so geht denn in D. bis auf
den heutigen Tag der Verkauf sämtlicher Gemüse nur durch eine Hand, nämlich
durch die Genossenschaftsleitung. Es kann sich auch die ärmste Frau, die
nur ein kleines Gärtchen hat, an dem Versand beteiligen; die einzelne
Gartenbesitzerin braucht sich nicht um Absatzgebiete zu kümmern und der
Preis wird nicht durch zu große Konkurrenz herabgedrückt.

Als man den großen Erfolg mit dem Gemüsebau sah, blieb man
selbstverständlich dabei nicht stehen. Einige Frauen versuchten sich mit
Glück in der Nelkenzucht. Ein denkender Bauer dachte, der Obstbau könnte
jedenfalls auch noch viel einträglicher gemacht werden, wenn er etwas
intensiver betrieben würde. Er bezog aus einer landwirtschaftlichen
Bibliothek Bücher, holte sich auch persönlich von Fachleuten Belehrung,
verbesserte seinen Baumbestand durch Neupflanzungen und Umpfropfen und
brachte dann durch rationelle Düngung und gute Pflege seinen Baumgarten zu
so reichen Erträgen, daß ihm viele nachzuahmen begannen.

Jetzt sah man auf einmal ein, daß in D. auf landwirtschaftlichem Gebiet
viel mehr zu machen war, als man früher annahm. Mancher, der vielleicht
schon seit mehreren Jahren gewöhnt war, seinen Verdienst auswärts zu suchen
und noch vor kurzer Zeit gewiß steif und fest behauptet hatte, daß es in D.
einfach unmöglich sei, so viel zu verdienen, um anständig leben zu können,
fing an ernstlich zu erwägen, ob es vielleicht nicht besser sei, zu Hause
zu bleiben und nach irgend einer Richtung hin sich mit der Landwirtschaft
abzugeben.

Weil man jetzt anfing, intensiver zu wirtschaften, den alten Schlendrian
beiseite zu lassen und nach vollständig neuen Gesichtspunkten zu handeln,
so mußten allerlei Verbesserungen die notwendige Folge sein. Die Feldwege
wurden verbessert und neue angelegt, durch Kauf und Austausch suchte man
die Güter zu arrondieren, und der allgemeine Weidgang wurde abgeschafft.

Freilich lief das alles nicht so glatt ab, und gegen manche Neuerung wurde
heftig Opposition gemacht; aber als dann alles glücklich durchgeführt
war, sah man allgemein den Nutzen ein. Man fühlte auch das Bedürfnis
nach Belehrung in den verschiedenen landwirtschaftlichen Fragen. Es wurde
deshalb ein landwirtschaftlicher Lokalverein gegründet, der namentlich
im Winter eine regsame Tätigkeit entwickelte. Vorträge und Kurse über
die verschiedensten Zweige der Landwirtschaft wurden abgehalten und
die Wanderlehrer waren häufige Gäste in D. Zwei Jünglinge besuchten die
landwirtschaftliche Schule. Einer war der jüngere Sohn Martins -- der
ältere war wie sein Vater Zimmermann geworden.

Alle die Veränderungen, die in den letzten Jahren in D. vor sich gegangen
waren, wirkten auch günstig auf die moralischen Verhältnisse ein, und wer
heute durch die Ortschaft wandert, erhält einen ganz andern Eindruck
als früher. Die sauber gehaltenen Gärten, die gesunden, kraftstrotzenden
Obstbäume, die blühenden Topfgewächse geben dem Dorf ein freundlicheres
Ansehen. Die Männer haben die schweren Arbeiten längst den Frauen
abgenommen. Infolgedessen sind sie so beschäftigt, daß sie nicht mehr Zeit
haben, alle Tage ins Wirtshaus zu gehen, und geschieht es hie und da, so
haben sie auch dort besseres zu tun als Karten zu spielen; denn es gibt
öffentliche Angelegenheiten zu besprechen, über wichtige Projekte und
Tagesfragen zu verhandeln etc. Die häuslichen Verhältnisse sind angenehmere
geworden, und der veredelnde Einfluß eines glücklichen Familienverbandes
macht sich immer mehr geltend. Die Auswanderung hat zwar nicht ganz
aufgehört, aber sie beschränkt sich auf das richtige Maß. Dafür hat
sich ein Stand von tüchtigen Professionisten am Orte gebildet, und die
verschiedensten Handwerker aus D. sind auch in den benachbarten Dörfern
geschätzt und geachtet.

Der alte Pfarrer, der noch immer in der Gemeinde amtiert, hat seine
helle Freude an den Veränderungen, die in seiner Pfarrei vorgehen, und
er behauptet steif und fest, daß man das alles nur dem gutem Beispiel der
Müllerschen Familie zu verdanken habe, und namentlich die Blumenliese habe
den deutlichen Beweis geleistet, wie sehr es auch heutzutage noch auf die
Tüchtigkeit einer Frau ankomme. Man dürfe daher nicht außer acht lassen,
die heranwachsenden Mädchen auf ihren zukünftigen Beruf vorzubereiten und
sie vor allem zu guten Hausfrauen und pflichtgetreuen Müttern zu erziehen.

Martin meint zwar, der Pfarrer übertreibe mit seinem Lob, er und seine
Frau hätten sich nicht besonders hervorgetan, sie seien vielmehr stets nur
bestrebt gewesen, dafür zu sorgen, daß sie für ihre Verhältnisse möglichst
zufrieden und sorgenlos haben leben können. Als ihnen das gelungen, haben
es zwar andere nachzumachen gesucht; aber das sei noch lange nicht der
Grund zu dem allgemeinen Umschwung gewesen; dieser sei vielmehr bedingt
worden durch das Unhaltbare der Zustände, die man gehabt habe. Es habe
einsichtige Leute genug gegeben, die Verbesserungen für unabweisbar hielten
und sie auch durchführten.

Sei dem nun wie ihm wolle; Tatsache ist, daß die Bewohner von D. mit
großer Achtung von der Blumenliese sprechen. Sie ist immer noch die gleiche
bescheidene, tüchtige Hausfrau. Auch ihre Liebhaberei für Gartenbau und
Blumenzucht hat sie bewahrt, wenigstens kann man sie häufig im Garten
hantieren sehen, wenn man durch D. geht.

[Illustration]



[Illustration]



Auf dem Lindenbühl.



I.


In einem fruchtbaren Tale, durch welches sich ein breiter Fluß windet und
dessen beide Flanken hohe Berge bilden, liegt auf einem Schuttkegel sehr
malerisch gruppiert das Dörfchen Haldenburg.

Wer von der Landstraße, welche sich mitten durch das Tal, dem
Flusse entlang dahinzieht, nach Haldenburg gelangen will, muß in ein
Seitensträßchen einbiegen, das in einigen Windungen sich durch üppige
Wiesen und wohlgepflegte Baumgärten den Hügel hinaufschlängelt, auf welchem
das Dorf liegt.

Noch vor 10 Jahren führte dieser Weg in gerader Richtung, den sogenannten
»Haldenburgerstutz« bildend, den Berg hinauf. Rechts und links waren
halb zerfallene Mauern, in deren Trümmern hie und da Holunder- und
Spitzbeerensträucher wucherten. Der Fußgänger, der die steile Straße
hinaufkeuchte, mußte unwillkürlich daran denken, wie beschwerlich es sein
müsse, das Heu und andere Produkte, aus den Gütern, die da unten in der
Ebene liegen, ins Dorf hinauf zu schaffen. Die Haldenburger aber waren
daran gewöhnt; denn seit Menschengedenken war es nicht anders gewesen. Wenn
es je einem einfiel, ihnen den Rat zu erteilen, sich durch den Bau einer
neuen Straße bequemere Verhältnisse zu schaffen, so wurde er ausgelacht
und gefragt, wer da wohl die Kosten zu übernehmen hätte? Ob vielleicht die
Gemeinde es tun solle? Die habe sonst schon Schulden übergenug. Die reichen
Bauern werden sicher auch nicht in die Tasche greifen wollen; denn wenn
eine Last zu schwer sei für ein Pferd, so spannen sie eben zwei an. Die
armen Kuhbauern aber würden sich schon gar nicht an einem Straßenbau
beteiligen wollen, der andern größeren Nutzen bringen müßte, als ihnen.
Man sieht, die guten Haldenburger waren nicht so leicht für Neuerungen
zu haben, sie meinten, was von alters her gut gewesen sei, müsse es auch
ferner sein.

Dieses starre Festhalten am Althergebrachten machte sich denn in Haldenburg
allenthalben geltend, und wer den steilen Stutz überwunden und sich,
nachdem er den Schweiß abgetrocknet und ein wenig atemholend einen Blick
auf das schöne Landschaftsbild, das sich hier einem darbietet, geworfen,
dem Innern des Dorfes zuwandte, fand nicht gerade die einladendsten
Zustände.

Die Dorfstraßen waren löcherig und kotig oder staubig, je nach der
Jahreszeit oder der Witterung, und namentlich die Umgebung der großen
Brunnen, wo das Vieh zur Tränke geführt wurde, war derart, daß man sie in
weitem Bogen umgehen mußte, wollte man nicht riskieren, im Moraste stecken
zu bleiben. Es fehlten in Haldenburg zwar nicht einige massiv gebaute
Bauernhäuser, mit allerlei unnützem Zierrat ausgeschmückt, welche den
Reichtum der Besitzer protzig zur Schau stellten; aber auch da vermißte
man die saubere Umgebung, welche auf den Fremden so einladend wirkt. Einen
geradezu kläglichen Eindruck aber machten die Behausungen und Ställe
der ärmeren Bauern. Schiefe Dächer, graue verwitterte Mauern, wackelige
Fensterläden und trübe Scheiben, durch welche trübe Gesichter schauten,
gaben Zeugnis von der wenig beneidenswerten Lage der Leute, die da hausten.

Gärten sah man wenig und gutgepflegte schon gar keine, statt dessen aber
hart an den Straßen verschiedene größere und kleinere Miststöcke, umgeben
von den obligaten braunen Pfützen, aus denen sich ganze Schwärme von Mücken
und Fliegen erhoben, wenn man sich im Sommer ihnen näherte.

Rümpfte etwa ein Fremder über die Zustände in Haldenburg die Nase, so
machte sich niemand etwas daraus; man war überhaupt nicht gut auf die
Fremden zu sprechen, und man meinte, es sei das beste, wenn sie wegblieben.
Nach diesem Grundsatz behandelte man auch die wenigen ortsansässigen
Nichtbürger, die sogenannten Beisässe, denen man zwar großmütig einen guten
Teil der Steuern aufbürdete, es ihnen aber furchtbar übel nahm, wenn sie
auch einmal in die Gemeindeangelegenheiten hineinreden wollten.

Daraus sieht man schon, daß auch in der Gemeindeverwaltung verschiedenes
faul war. Es hatte sich mit der Zeit in Haldenburg ein eigentliches
Dorfmagnatentum herausgebildet. Weil die ärmeren Bauern von den reichen
abhängig waren, so wurden selbstverständlich nur die letzteren in den
Vorstand gewählt, und diese wußten es stets so einzurichten, daß sie
dabei in erster Linie auf ihre Rechnung kamen; ein System, das, wenn auch
langsam, so doch sicher zum Ruin der Gemeinde führen mußte, wenn nicht eine
Aenderung eintrat. Eine solche Aenderung kam und sie war notwendig; denn
der allgemeine Kredit hatte schon stark gelitten.

Wer heute Haldenburg betritt, dem bietet sich ein ganz anderes Bild
als ehedem. Die Straßen sind sauber und gut im Stande gehalten; die
Düngerstätten sind größtenteils hinter die Häuser verlegt worden oder, wo
das nicht anging, doch wenigstens mit Mauern umgeben, und die Bauern haben
jedenfalls indessen gelernt, die Düngemittel besser zu verwerten, als sie
nutzlos auf der Straße zu Grunde gehen zu lassen. Hie und da sind kleinere
und größere Hausgärten entstanden, die dem Ort zur Zierde gereichen. An
vorher kahlen Wänden sieht man jetzt gut gezogene Spalierbäume, und an
manchen Fenstern prangen schön blühende Topfpflanzen. Auch an der kleinsten
Hütte sieht man, daß der Wohlstand gestiegen ist. Haldenburg wird jetzt
von den Sommergästen als Ausflugspunkt geschätzt, und aus dem gut
eingerichteten Gasthaus und dem reichhaltigen Ansichtspostkarten-Sortiment
im Schaufenster des Krämerladens schließen wir, daß man heute das Geld sehr
zu schätzen weiß, welches diese Fremden ins Dorf bringen.

Woher nun dieser auffallende Umschwung? Die nachfolgende Schilderung soll
die verehrten Leser darüber aufklären.

Etwas abseits vom Dorfe liegt auf einem terrassenartigen Vorsprunge des
Geländes ein kleineres Bauerngut. Zwischen dem zweistöckigen Wohnhaus,
dessen Bauart ein schon hohes Alter verrät, und der gegenüberliegenden
Scheune befindet sich ein geräumiger Hof, welcher von den mächtigen Kronen
zweier Linden beschattet wird. Diesen majestätischen Bäumen hat das Anwesen
seinen Namen »Lindenbühl« zu verdanken.

Wenn heute die blankgeputzten Fensterscheiben, das nett in Ordnung
gehaltene Gärtchen und die ganze reinliche Umgebung des Gehöftes auf
geordnete Zustände des Besitzers schließen lassen, so war das noch vor
wenigen Jahren ganz und gar nicht der Fall. Damals gehörte der Lindenbühl
einem Manne, der sich zwar auch Bauer nannte, sich aber in Wahrheit um
den Stand seiner Wiesen und Aecker wenig kümmerte. Um der Arbeit besser
ausweichen zu können, und um für sein Herumtreiben in den Wirtshäusern und
auf den Märkten eine Ausrede zu haben, betrieb er den Viehhandel, der ihm
aber häufiger Verlust als Gewinn einbrachte; denn auch beim Handel ist es
mit hohlen Redensarten und prahlerischem Wirtshausgeschwätz nicht getan.
Gewandtheit und Energie aber gingen ihm ab. So kam er immer mehr zurück,
die Schuldenlast, welche auf seinem Heimwesen ruhte, wurde immer größer,
und zuletzt kam es so weit, daß ihm alles versteigert wurde, und er mit
seiner Familie im Hauszinse wohnen und als Taglöhner seinen Unterhalt
verdienen mußte.

Den Lindenbühl erwarb nun ein junger Landwirt, der bisher auf einem
größeren Gute eine Verwalterstelle innegehabt hatte, aber schon lange
darnach trachtete, ein eigenes Heimwesen zu kaufen, auf dem er nach eigenem
Gutdünken schalten und walten könne.

Johannes Wachter, so heißt der jetzige Bauer auf dem Lindenbühl, ist der
jüngste Sohn eines sehr vermöglichen Bauern, der einen großen Hof im Kanton
Thurgau besitzt.

Weil Johannes sich schon in der Schule durch große Intelligenz und emsigen
Fleiß im Lernen auszeichnete, so hätte es sein Vater gerne gesehen, wenn
er sich hätte zum Studieren entschließen können. Es hätte dem alten Wachter
geschmeichelt, wenn sein Jüngster dereinst Pfarrer, Arzt oder gar Advokat
geworden wäre. Johannes wollte indessen davon nichts wissen, und er bat den
Vater, ihn nicht in einen Beruf hineinzwingen zu wollen, zu dem er keine
Neigung verspüre. »Ich bin bei der Landwirtschaft aufgewachsen,« sagte er,
»und möchte auch beim Bauernstand verbleiben. Du hast ja schon oft selbst
behauptet, daß ein rechter Bauer auch ein heller Kopf sein müsse; es
widerspricht also Deinen eigenen Ansichten, wenn Du mich der Landwirtschaft
entfremden willst, nur weil ich zufällig in der Schule etwas weiter voran
bin als mancher andere. Schau, solche, die sich dem Studium zuwenden, gibt
es schon genug; hingegen wird allenthalben geklagt, daß sich niemand mehr
mit der Landwirtschaft abgeben will. Zeige deshalb, daß Du Deinen Beruf
hoch hälst, und Deine Söhne das werden lässest, was Du selber bist, nämlich
richtige, schlichte Bauern, die zeigen wollen, daß auch heute noch die
Scholle ihren Besitzer nährt.«

Vater Wachter war wirklich ein Bauer, der, wie man sagt, mit Leib und Seele
an seinem schönen Berufe hing. So konnte er nicht anders als Freude
haben an solchen Aeußerungen seines Sohnes, und gerne gab er ihm die
Einwilligung, ein Landwirt werden zu dürfen, obwohl er anfänglich der
Meinung war, daß es genüge, wenn einer seiner Söhne sich dem Bauernstande
widme, um dereinst den Hof übernehmen zu können. Es erfüllte ihn auch
stets mit Stolz, daß Franz, sein Aeltester, in dieser Beziehung ganz seinen
Wünschen entsprach. Zu Johannes aber sprach er: »Es fällt mir nicht ein,
Dich zum Studieren zwingen zu wollen, wenn Du nicht Lust dazu hast, und daß
Du gerade so große Neigung verspürst, ein Bauer zu werden, obwohl Dir im
ganzen auch die Leiden und Unannehmlichkeiten, die dieser Stand mit sich
bringt, bekannt sind, das freut mich; denn es gibt mir den Beweis, daß es
Dir ernst ist mit Deiner Wahl. Wenn ich nun endgiltig Deiner Bitte Gehör
schenke, so mußt Du mir auch versprechen, daß Du alles daran setzen willst,
in allen Teilen ein rechter Bauer zu werden. Die heutige Zeit erfordert für
unsern Beruf ganze Männer, die über ein vollgerütteltes Maß von Kenntnissen
verfügen und dieselben mit Fleiß und Energie stets am rechten Orte
anzuwenden wissen. Werde aber nicht nur ein rechter Bauer, sondern im
ganzen ein guter, rechtschaffener Mensch; erfülle stets getreulich Deine
Pflichten in der Familie, in der Gemeinde und im Staate. Es ist ein
schwerer Irrtum, wenn mancher Bauer glaubt, er habe nur auf sich selbst
zu schauen, die Interessen anderer aber gehen ihn nichts an. Manche schöne
Ziele der Landwirtschaft lassen sich eben nur gemeinsam erreichen. Zeige
deshalb stets einen gemeinnützigen und genossenschaftlichen Sinn und
bedenke, daß Du, indem Du andern hilfst, Dir selbst auch Hilfe sicherst.
Halte nie mit Erfahrungen und Beobachtungen hinter dem Berg; denn indem
Du andere belehrst, arbeitest Du an der Hebung des bäuerlichen Berufes und
kommst so selbst auf eine höhere Stufe. Auf politischem Gebiete verfechte
stets die Sache der Landwirtschaft und halte treu zu ihrer Fahne; vertraue
unsern Führern, sie meinen es gut und wissen, wo die Bauern der Schuh
drückt. Mehr will ich Dir heute nicht sagen; es wird noch oft genug
Gelegenheit geben, wo Dir meine väterlichen Ermahnungen und Winke nützlich
sein können.«

Es wurde nun einstweilen nicht mehr viel über die Sache gesprochen, und
Vater und Sohn betrachteten die Angelegenheit als endgiltig beschlossen.

Als Johannes die Realschule seines Heimatortes absolviert hatte, verblieb
er vorerst im väterlichen Hause, um unter Anleitung seines Vaters die
wichtigsten landwirtschaftlichen Arbeiten gründlich kennen zu lernen. Diese
grundlegende Praxis -- so meinte Vater Wachter -- sei notwendig, um mit
Erfolg eine landwirtschaftliche Winterschule besuchen zu können.

»Ich halte nicht viel davon,« sagte er zu Johannes, »wenn Bürschchen,
welche den Ernst der Arbeit noch nicht kennen, in solche Schulen eintreten.
Auch den eifrigsten und fleißigsten dieser jungen Schüler wird es an dem
notwendigen Verständnis für die theoretischen Wissenschaften fehlen, und
sie werden nur zu oft geneigt sein, manches für nebensächlich und weniger
notwendig zu halten, was doch für eine der heutigen Zeit entsprechende
Praxis von großer Wichtigkeit ist. Die theoretische Bildung eines
Landwirtes ist heutzutage von so großer Bedeutung, daß man sich ihr
mit vollem Eifer widmen muß, und das kann nach meiner Ansicht nur dann
geschehen, wenn man den Ernst des Lebens schon kennt. Lerne deshalb erst
praktisch arbeiten, und Du wirst sehen, daß Du dann Deine Lehrer viel
besser verstehen kannst, weil Du einsiehst, wie wichtig ihre Lehren für
Deine spätere Praxis sind.«

Johannes sah ein, daß sein Vater recht hatte. Er gab sich Mühe, alle
Arbeiten, die man ihm auftrug, richtig auszuführen und sich Uebung zu
verschaffen. Oft genug kam es freilich vor, daß ihm selbst einfache
Hantierungen nicht gelingen wollten. Da hieß es dann probieren, bis es
ging. Bei solchen Gelegenheiten trat dann oft der Vater hinzu und machte
ihn auf diesen oder jenen Vorteil aufmerksam, mit dem die Sache angefaßt
werden mußte, und auf dessen Anwendung oft genug das Gelingen beruhte. Der
alte Wachter bestand überhaupt darauf, daß alles gründlich gemacht wurde,
und duldete auch bei seinen Söhnen nicht, daß sie über Ungenauigkeiten
einfach hinweggingen. So sprach er einmal ermahnend zu Johannes:

»Schau, Du mußt Dich von Anfang an schon daran gewöhnen, alles recht zu
machen. Halbe Arbeit ist keine Arbeit. Weil Du dieses oder jenes erst
lernen mußt, wirst Du längere Zeit dazu gebrauchen; das schadet jedoch
nichts, wenn's nur schließlich recht herauskommt. Ein großer Fehler aber
wäre es, wenn Du schnell über eine Arbeit hinweg hasten würdest, nur um sie
so schnell zu Ende zu führen wie ein geübter Knecht. Der Wert der Arbeit
eines Lernenden liegt nicht in der Quantität, sondern in der Qualität.
Wer sich das Pfuschen einmal angewöhnt, der bleibt sein Leben lang ein
Pfuscher; ein solcher aber taugt in der Landwirtschaft so wenig als in
jedem andern Beruf.«

Solche und ähnliche Ermahnungen und Lehren erteilte der Vater seinem Sohne
stets, wenn sie miteinander arbeiteten oder am Sonntag einen Spaziergang
durch Wald und Flur machten, und der Samen solcher Unterweisungen fiel
bei Johannes auf einen fruchtbaren Boden. Er gewöhnte sich unter der
väterlichen Leitung daran, über jede Arbeit nachzudenken und nicht nur
mechanisch in den Tag hinein zu arbeiten. Wer ihm bei der Arbeit zusah, der
merkte gleich, daß er mit Lust und Liebe dabei war, und mußte sich sagen,
daß er das Zeug habe, um dereinst ein tüchtiger Bauer zu werden.

So waren denn zwei Jahre verstrichen und Johannes hatte in dieser Zeit
in den meisten landwirtschaftlichen Arbeiten eine derartige Fertigkeit
erlangt, daß er es bald mit einem tüchtigen Knecht aufnehmen konnte.
Der Vater meinte, es wäre jetzt an der Zeit, daß sein Sohn eine
landwirtschaftliche Winterschule besuche, und Johannes war mit Freuden dazu
bereit.

Weil sein älterer Bruder schon früher die gleiche Schule besucht hatte, in
die auch er nun eintreten sollte, so wußte er im großen und ganzen schon,
wie es in einer solchen Anstalt zugeht; trotzdem aber fand er sich bei
seinem Eintritt wie in einer fremden Welt. In gar vielen Sachen, in denen
er zu Haus seine Eltern hatte sorgen lassen, fand er sich jetzt auf sich
selbst angewiesen. Das Internat, die strenge Disziplin und Hausordnung,
die pünktlich nach Minuten abgemessene Zeiteinteilung, die ganz andere Kost
u. s. w. waren alles Dinge, die ihm ganz ungewohnt vorkamen. Johannes hatte
sich indessen von Anfang an vorgenommen, sich in alles zu fügen, eingedenk
des Sprichwortes: »Lehrjahre sind keine Herrenjahre«. Er war sich wohl
bewußt, daß er noch vieles über sich ergehen lassen müsse, bis er ein
rechter Bauer sei und selbständig nach eigenem Gutdünken schalten und
walten könne.

So hatten denn der Direktor und die Lehrer an dem jungen Wachter einen
willigen und gehorsamen Schüler, der sich ohne Murren in alles fügte und
bald als Muster und Vorbild für die andern Schüler gelten konnte. Weil
er einer der ältesten Schüler seiner Klasse war, sich durch seine großen
Fähigkeiten und ein männliches Auftreten auszeichnete, so errang er
sich, ohne daß er es eigentlich wollte, eine gewisse Autorität über seine
Mitschüler und übte einen vorteilhaften Einfluß auf dieselben aus.

Johannes wollte die Zeit, die er in der Schule zu verbringen hatte, so gut
als möglich ausnützen; er betrachtete deshalb das Lernen nicht als eine
Last, sondern als ein wichtiges Mittel, sich zum brauchbaren Landwirt
auszubilden.

Schon durch das, was im ersten Winterhalbjahr im Unterricht geboten wurde,
lernte er die Landwirtschaft von einer neuen Seite kennen, und als er nach
wohlbestandenem Examen zunächst wieder auf das väterliche Gut zurückkehrte,
schaute er alles mit ganz andern Augen an.

Unter fleißiger Arbeit verstrich der Sommer rasch, und Johannes freute
sich, bald wieder in die Schule zurückkehren und das Studium von neuem
aufnehmen zu können.

Der zweite Lehrkursus wurde mit dem gleichen Eifer absolviert wie der
erste, und ausgerüstet mit einem guten Zeugnis und dem Abgangsdiplom der
Schule, begleitet von den Glückwünschen des Direktors und der Lehrer,
konnte der junge Wachter hinaustreten ins praktische Leben, um seine
erworbenen Kenntnisse zu seinem Lebensunterhalte zu verwerten.

Sein Vater und auch der Direktor waren der Ansicht, daß es Johannes bei
seiner Tüchtigkeit wohl wagen dürfe, irgend eine Stelle als Oberknecht oder
Werkführer anzunehmen; doch Johannes wollte davon nichts wissen. Er meinte,
es sei besser als einfacher Knecht anzufangen; denn um dereinst Dienstboten
richtig behandeln und befehligen zu können, müsse er selbst ein solcher
gewesen sein. Er habe sich vorgenommen, in allen Teilen ein richtiger Bauer
zu werden, und da sei es notwendig, unten anzufangen. Seine Kenntnisse
könne er als Knecht auch wohl gebrauchen, man klage ja immer über großen
Mangel an tüchtigen Dienstboten.

So arbeitete denn der energische junge Landwirt in verschiedenen größeren
und kleineren Betrieben mehrere Jahre als Knecht und lernte gar mancherlei
Verhältnisse kennen. Mit eisernem Fleiß tat er überall seine Pflicht,
freute sich am Angenehmen und fügte sich dem unabweisbaren Unangenehmen,
das er sehr oft auch zu kosten bekam. Er merkte gar bald, daß wenn die
Dienstbotenfrage in günstigem Sinne gelöst werden solle, auch von seiten
der Arbeitgeber manche Reformen durchgeführt werden müssen, und nahm sich
vor, darnach zu handeln, wenn er erst sein eigener Herr geworden sei.

Zuletzt diente Johannes auf einem großen Gute, dem ein Verwalter vorstand,
der ein sehr tüchtiger Mann, aber etwas kränklich war und oft Mühe hatte,
seinen Pflichten in vollem Umfange nachzukommen. Der Besitzer, der nur
kurze Zeit des Jahres auf dem Gute anwesend war, wollte seinen treuen
Beamten schonen und bevollmächtigte ihn, eine tüchtige Kraft zu seiner
Unterstützung anzustellen. Als daher der Verwalter auf die Fähigkeiten
seines Knechtes Wachter aufmerksam wurde, erhob er denselben zum
Unterverwalter und stellte namentlich die ganze Feldwirtschaft unter seine
Aufsicht.

Jetzt zeigte es sich, daß Johannes nicht nur gelernt hatte zu gehorchen,
sondern wenn es sein mußte, auch zu befehlen verstand. Die Knechte und
Taglöhner stellten sich willig unter seinen Befehl, weil er nicht mit
Stolz und Ueberhebung auf sie herabsah und nicht nur Pflichten von ihnen
verlangte, sondern ihnen auch diejenigen Rechte einräumte, die jeder
Arbeiter von seite seines Arbeitgebers verlangen darf. Weil jeder das
Gefühl hatte, daß das was man ihnen befahl, auch wirklich das Richtige sei,
so wurde es auch ausgeführt ohne Widerrede und Murren.

Der Zustand des Verwalters verschlimmerte sich immer mehr und bald ruhte
die ganze Gutsverwaltung auf den Schultern des Unterverwalters. Zeitweilig
besorgte Johannes sogar die sämtlichen Bureauarbeiten, und es zeigte sich,
daß er überall gleich tüchtig war. Man bemerkte an ihm nichts von jenem
unsicheren Umherhasten. Zielbewußt wurden die verschiedenen Arbeiten in
richtiger Reihenfolge durchgeführt, so daß stets alles zur rechten Zeit
fertig wurde.

Es war eine Freude zu sehen, wie Johannes sich selbst durch die
schwierigsten Verwaltungsgeschäfte verhältnismäßig leicht hindurcharbeitete
und sich vollste Autorität zu verschaffen wußte, was jedenfalls nicht
leicht war, wenn man bedenkt, daß er vorher einfacher Knecht gewesen und
mit denen auf gleicher Stufe stand, die jetzt seinen Befehlen zu gehorchen
hatten. Man sah da wieder deutlich, was sich durch richtigen Takt erreichen
läßt.

Johannes war nicht nur bemüht, das Gut unter seiner Leitung auf gleicher
Höhe zu erhalten, sondern er bestrebte sich auch, durch geeignete
Verbesserungen den Ertrag zu steigern und den Wert der Besitzung zu
erhöhen. Jetzt konnte er endlich seine praktischen und theoretischen
Kenntnisse selbständig verwerten und seiner Freude am landwirtschaftlichen
Berufe Genüge leisten.

Der Gutseigentümer sah denn auch gar bald ein, daß er in dem jungen Wachter
eine sehr brauchbare Persönlichkeit gewonnen habe, und als der Verwalter
seinen Leiden erlegen war, bat er Johannes, die Stelle, der er ja schon
einige Zeit mit dem besten Erfolge aushilfsweise vorgestanden, nun
definitiv zu übernehmen.

Dieser hatte zwar von Anfang den Plan gefaßt, einmal ein eigenes Gut zu
erwerben, um unumschränkt nach seinem alleinigen Gutdünken schalten und
walten zu können. Er dachte aber, als ihm sein Herr ein so vorteilhaftes
Anerbieten machte, daß es bei seiner Jugend noch immer Zeit sei, sich
selbständig zu machen. Dann sah er auch ein, daß er in seiner jetzigen
Stelle noch manche wertvollen Erfahrungen sammeln könne, die ihm später im
eigenen Betrieb von großem Nutzen sein könnten. So teilte er denn seinem
Herrn ganz offen seine Absichten mit und sagte ihm, daß er seine Offerte
dankbar annehme, wenn er sich einverstanden erkläre, ihn nach einigen
Jahren ziehen zu lassen.

Der Gutsbesitzer mochte denken, es werde ihm im Laufe der Zeit noch
gelingen, den jungen Wachter ganz an sich zu fesseln. Dieser willigte ein
und wurde nun Verwalter des schönen Gutes, auf das er vor etwas mehr als
einem Jahr als einfacher Knecht gekommen war.

Es ist hier nun nicht der Platz, die Laufbahn Wachters als Verwalter weiter
zu schildern; nur eine Begebenheit, die in diese Zeit fällt, soll erwähnt
werden, nämlich die Verehelichung Johannes und die Umstände, welche
dieselbe vorbereiteten.

Seine Stellung brachte es mit sich, daß er häufig mit den benachbarten
Bauern zusammenkam, sie auf ihren Höfen dieses oder jenes Geschäftes wegen
besuchte, und weil der junge Verwalter bald überall als ein tüchtiger
Landwirt bekannt war, der gerne von seinem Wissen auch andern mitteilte und
stets mit gutem Rat zur Hand war, wo solcher gewünscht wurde, niemals aber
sich wichtig zu machen suchte, oder gleich alles heruntermachte was ihm
gerade nicht gefiel, so sah man seine Besuche gerne und trachtete, davon so
viel als möglich zu profitieren.

Namentlich eines der Nachbargüter schien das Interesse Johannes in hohem
Grade erweckt zu haben, wenigstens hatte er auffallend oft dort Geschäfte
und bald wollten einige, welche gewohnt waren, ihre Nasen besonders tief
in die Angelegenheiten anderer zu stecken, wissen, daß nicht allein
der musterhafte Betrieb des Gutes und der leutselige Charakter der dort
hausenden Bauersleute den Anziehungspunkt ausmache, und die Folge bewies,
daß sie im Grunde nicht so unrecht hatten.

Gleich das erste Mal, als er wegen eines Ochsenhandels auf den besprochenen
Nachbarhof kam, fiel ihm dort eine Magd auf, die zwar nicht gerade das
darstellte, was man eine besondere Schönheit zu nennen pflegt, aber durch
ihr munteres Wesen, durch die Art und Weise wie sie ihre Arbeit verrichtete
und durch ihre bei aller Aermlichkeit doch sauberer Kleidung einen äußerst
vorteilhaften Eindruck machte. Auf Johannes wirkte dieser Eindruck derart,
daß er beschloß, dieses Mädchen möglichst zu beobachten und soweit das
unauffällig geschehen konnte, auch Erkundigungen über sie einzuziehen.
So erfuhr er denn, daß Marie -- so hieß die Magd -- die Tochter armer
Taglöhnersleute aus einem benachbarten Dorfe sei. Die Eltern seien vor
mehreren Jahren gestorben und infolgedessen sei die Tochter schon sehr früh
darauf angewiesen gewesen, auf eigenen Füßen stehen zu müssen. So kam sie
in den Dienst der Bäuerin und fand in ihr eine gute Lehrmeisterin, die sie
in alles einführte, was eine Bäuerin wissen und kennen muß. Marie war
eine gelehrige Schülerin und hatte sich nach und nach zur rechten Hand und
wirksamen Stütze der Meisterin aufgeschwungen. Diese sowohl, als auch der
Bauer waren voll Anerkennung über ihre Magd, und sie hielten auch nicht mit
ihrem Lobe hinter dem Berge; denn sie glaubten nicht Angst haben zu müssen,
daß der Herr Verwalter etwa dadurch bewogen werden könnte, Marie für seinen
Dienst zu gewinnen; sie kannten ihn zu gut, als daß sie ihn zu einer solch
eigennützigen Handlung für fähig hielten, und außerdem würde ja das Mädchen
nie in ein solches Anerbieten eingewilligt haben. Daß es ihm gar einfallen
würde, ihre Magd zu seiner Frau zu machen, das kam ihnen gar nicht in
den Sinn; denn ein Mann in solcher Stellung, der zugleich der Sohn eines
vermöglichen Großbauern sei, würde ja nach ihrer Meinung gewiß nicht die
Torheit begehen, ein blutarmes Mädchen zu ehelichen.

Johannes indessen war von ganz andern Anschauungen beseelt; er fand durch
seine Beobachtungen und Erkundigungen gar bald heraus, daß Marie in reichem
Maße gerade diejenigen Eigenschaften besaß, die nach seiner Ansicht eine
gute Bäuerin haben müsse. Daß sie arm sei, war in seinen Augen kein Grund,
der ihn bewegen konnte, vor einer Heirat mit ihr zurückzuschrecken.

Der geneigte Leser hat unsern Johannes bereits als einen Mann kennen
gelernt, der zwar alles reiflich überlegte, aber das als gut und richtig
erkannte dann auch mit zäher Energie in Angriff nahm und durchführte. So
handelte er auch in dieser Heiratsangelegenheit. Sobald er mit sich darüber
im reinen war, daß er das Mädchen liebe und sie für ihn passe, so suchte
er zu erfahren, wie es selbst in dieser wichtigen Angelegenheit denke;
denn alles hing ja schließlich doch davon ab, ob Marie auch wirklich
einwilligte, seine Frau zu werden. Er nahm sich also vor, bei nächster
Gelegenheit mit ihr zu reden und ihr seine Hand anzubieten.

Eine solche Gelegenheit fand sich bald. Als er an einem der nächsten Tage
bei seinem Nachbar vorbeiging, fand er Marie allein im Garten beschäftigt.
Er trat zu ihr hinein und teilte ihr ohne Umschweife den Zweck seines
Kommens mit. Er sagte ihr, wie sie schon bei der ersten Begegnung Eindruck
auf ihn gemacht habe, und was er seither von ihr erfahren und an ihr
beobachtet habe, sei dazu angetan gewesen, ihm Liebe und Achtung zu ihr
einzuflößen. Er hoffe, daß auch sie ihn lieben lerne, und wenn sich diese
Hoffnung erfülle, so wäre es sein sehnlichster Wunsch, daß sie seine Frau
werde.

Man kann sich denken, daß Marie erstaunt war ob diesem unvermittelten
Antrag. Sie sagte denn auch weder ja noch nein, sondern gab einfach
zur Antwort, daß sie sich geehrt fühle durch das Anerbieten des Herrn
Verwalters, aber sie habe bis jetzt noch gar nicht ans Heiraten gedacht,
und eine solch hochwichtige Sache wolle gehörig überlegt sein. Auch müsse
sie mit ihren Meistersleuten sprechen; denn weil sie ja keine Eltern und
nahe Verwandte mehr habe, so seien das ihre einzigen Berater.

Johannes mußte einsehen, daß das Mädchen recht habe, er versprach, geduldig
warten zu wollen und sich in einigen Tagen den Entscheid zu holen.

Als Marie wieder allein war, wollte es mit der Arbeit nicht mehr recht
vorwärts; immer mußte sie an das Ereignis denken, das sie so unerwartet
traf, und je mehr sie darüber nachgrübelte, wie sie sich nun verhalten
solle, desto verwirrter wurde sie. Zwei Stimmen in ihrem Innern stritten
um den Entscheid. Die eine sagte ihr, es sei ein großes Glück, daß sie als
arme Waise für würdig befunden werde, einem so tüchtigen Manne, wie Herr
Wachter, die Hand zur ehelichen Verbindung zu reichen, und daß es eine
große Torheit genannt werden müßte, wollte sie ein solches Anerbieten von
der Hand weisen, das anzunehmen manche reiche Bauerntochter sich keinen
Augenblick besinnen würde. Die andere Stimme hingegen riet ihr, die Sache
von der andern Seite zu betrachten und zu untersuchen, ob vielleicht
nicht doch -- trotzdem sie arm sei -- Johannes bei seinem Antrag von
eigennützigen Bestrebungen geleitet worden sei. Könnte er nicht am Ende auf
ihre Arbeitskraft spekuliert haben, denkend, daß sie ihm eine Magd ersparen
würde? Und könnte nicht gerade ihre Armut später der Anstoß zu allerlei
Unzufriedenheiten werden? Alles dieses und noch mehr des Unangenehmen
könne ja sehr leicht hervorgehen, wo so ungleiche Verhältnisse sich
zusammenfinden, wie das ja tatsächlich bei ihr und Johannes der Fall sei.
Ungetrübtes Eheglück könne jedenfalls aus einer solchen Verbindung nur dann
hervorgehen, wenn die Ungleichheiten ausgeebnet werden durch eine wahre,
uneigennützige Liebe. Aber liebte sie denn Johannes? Bis jetzt hatte sie
ihn ja kaum gekannt, also konnte vorerst noch von Liebe nicht die Rede
sein. Sie glaubte zwar, daß sie ihn lieben lernen könne, den schönen
stattlichen Mann mit dem ernsten und doch sanften Blick, den sie schon
so oft als das Muster eines tüchtigen Landwirtes hatte erwähnen hören.
Wenigstens hatte sie eine hohe Achtung vor demselben, und das konnte
immerhin der Anfang von der Liebe sein.

So von streitenden Gefühlen erfüllt, in tiefes Nachsinnen versunken auf
die Hacke gelehnt, sah sie sich auf einmal von der Bäuerin ertappt, die
unvermerkt zu ihr in den Garten getreten war.

Diese merkte gleich an der Verwirrung und an dem tiefen Erröten der Magd,
daß etwas besonderes vorgefallen sein müsse, und auf ihre Frage erzählte
denn auch Marie die ganze Begebenheit, sie zugleich um ihren Rat bittend in
der für ihre Zukunft so wichtigen Angelegenheit.

Nun war das Erstaunen auf seite der Meisterin, und das erste, was ihr bei
der Erzählung Maries durch den Kopf fuhr, war der egoistische Gedanke, ihre
treue Magd verlieren zu müssen. Doch sprach sie diesen Gedanken nicht aus;
denn die angeborene Gutmütigkeit und ihr Wohlwollen gegen Marie siegten
schnell über den anfangs sich regenden Eigennutz. Ein wenig machte sich
auch der Stolz bei ihr geltend in dem Gedanken, selbst am meisten dazu
beigetragen zu haben, daß Marie das geworden war, was sie heute so
begehrenswert erscheinen ließ.

»Liebes Kind,« sprach sie, »Du weißt, daß ich stets wie eine Mutter an Dir
gehandelt und auch in dieser Sache gewiß nur Dein Bestes im Auge habe. So
wirst Du es also auch nicht als eine leere Redensart betrachten, wenn
ich Dir sage, daß Dir durch den Antrag des Herrn Verwalters ein Glück
widerfahren ist, das Du nicht von der Hand weisen solltest. Deine Zweifel,
die Du mir gegenüber geäußert hast, kann ich nicht gelten lassen. Es
freut mich zwar, daß Du Dich nicht kopfüber, ohne zu überlegen, in die Ehe
stürzen willst, aber gar zu bescheiden brauchst Du auch nicht zu sein.
Wenn Du auch kein Barvermögen besitzest, so fallen dagegen andere Deiner
Eigenschaften umso mehr in die Wagschale. Deine Treue, Deine Arbeitslust,
Dein Sinn für Ordnung und Reinlichkeit und Dein munteres Wesen gelten
in den Augen des Herrn Verwalters mehr als Geld und Gut und gerade das
Vorhandensein dieser Wertschätzung solcher Eigenschaften bietet die beste
Gewähr für Euer zukünftiges Glück. Mein Rat geht also dahin, Deine Zweifel
niederzuschlagen und den Antrag anzunehmen, und ich glaube bestimmt, daß es
Euch beiden so gut gehen wird, wie Ihr es in der Tat verdient. Mit meinem
Glückwunsch will ich aber gleich eine Mahnung für Dich verbinden, die Du
nicht vergessen darfst, sie lautet: Werde nicht stolz. Die Bescheidenheit,
die als Magd Dich zierte, behalte bei auch als Frau Verwalter; nichts steht
einer Bauersfrau, ob sie so oder anders tituliert werde, weniger gut an als
der Stolz. Schaue nie mit Ueberhebung auf Deine Untergebenen herab, dann
wirst Du von ihnen gerade so geachtet werden, wie der Herr Verwalter heute
geliebt und geschätzt wird von seinen Dienstboten, in deren Mitte er einst
selbst gedient hatte. Bedenke auch, daß es Deine Pflicht sei, namentlich
auf jüngere Leute erzieherisch einzuwirken, ihnen mit dem guten Beispiel
voranzugehen und sie so zu brauchbaren, braven Dienstboten zu machen. Es
ist meine feste Ueberzeugung, daß der Mangel an guten landwirtschaftlichen
Arbeitskräften nicht zum wenigsten daher rührt, daß keine solchen erzogen
werden. Das, liebe Marie, sind einstweilen diejenigen Ratschläge, die ich
Dir geben möchte, falls Du das Anerbieten annimmst und Frau Verwalterin
wirst.«

Auch der Bauer, als er von dem Vorfall Kunde erhielt, war der gleichen
Meinung wie seine Frau; auch er sagte, daß das Zurückweisen eines solchen
Antrages gleichbedeutend wäre mit einem leichtsinnigen Verscherzen seines
Glückes.

So gab denn Marie dem Johannes ihr Jawort und knüpfte nur daran noch die
Bedingung, daß auch seine Eltern mit seiner Wahl zufrieden seien; denn
nie solle es auch nur den Anschein haben, als hätte sie sich in eine
wohlhabende Familie hineindrängen wollen.

Johannes konnte ihr über diesen Punkt sofort zufriedenstellende Auskunft
geben; denn schon bevor er bei Marie seine Werbung angebracht, hatte er
seinen Eltern geschrieben und ihren Rat eingeholt.

Der alte Wachter, der mit Johannes von Anfang an etwas höher hinaus wollte,
war mit dessen Wahl zuerst nicht ganz einverstanden, zuletzt mußte er
aber selbst zugeben, daß Reichtum nicht diejenige Eigenschaft einer
Frau ausmache, auf die zuerst gesehen werden müsse. Auch er schätzte die
Tugenden, die Marie nach den Angaben seines Sohnes hatte, und namentlich
für einen Bauer, als bedeutend wertvoller denn eine reiche Mitgift, und so
meinte er selbst, daß sein Johannes glücklich werden könne mit der von
ihm erwählten Braut, und gegen das Glück seiner Kinder wolle er nichts
unternehmen.

So waren denn alle Hindernisse beseitigt, die Verlobung konnte gefeiert
werden, und als Marie noch einen Kurs an einer Haushaltungsschule
durchgemacht hatte, zog sie als Frau Verwalter auf dem Gutshofe ein.



II.


Johannes hatte mit seiner jungen Frau bereits mehrere Jahre das ihm
unterstellte Gut verwaltet, und war in dieser Zeit so mit seinem
Wirkungskreise verwachsen, daß er gar nicht mehr daran dachte, einen
eigenen Hof zu erwerben. Das Verhältnis zwischen ihm und seinem Herrn
war ein so schönes, daß es ihn nicht sonderlich drängte, seine gesicherte
Existenz mit einer andern zu vertauschen.

Da trat auf einmal ganz unverhofft ein Ereignis ein, das seinem friedlichen
Wirken einen argen Stoß versetzte.

Bei einem Unfall, den der Gutsherr erlitt, büßte dieser sein Leben ein.
Seine drei Söhne beschlossen, das Gut weder zu verteilen noch zu veräußern,
sondern es gelegentlich als Landaufenthalt zu benützen und sich in den
Ertrag, den es abwarf, zu teilen.

So bekam Johannes nun statt eines Herrn deren drei, und zwar solche, deren
Beruf weit ab von dem des Landwirtes lag. Wenn nun zwar auch keiner direkt
in den Gutsbetrieb hineinregieren wollte, so hatte doch jeder Wünsche, die
sich manchmal nicht mit der rationellen Bewirtschaftung in Einklang bringen
ließen.

Es ist begreiflich, daß dieser Besitzwechsel manche Verdrießlichkeit für
den Verwalter im Gefolge hatte, und Frau Marie bemerkte öfters, daß sich
eine Wolke auf der sonst so heiteren Stirne ihres Mannes lagerte, die zu
zerstreuen ihr mit all ihrem Liebreiz nicht immer gelang.

Als deshalb Johannes nach und nach wieder auf seinen alten Plan zurückkam,
ein eigenes Gut erwerben zu wollen, unterstützte sie denselben lebhaft, und
die Suche nach einem geeigneten Kaufobjekt begann.

An Angeboten fehlte es nicht. In allen Landesgegenden waren große und
kleine Bauerngüter feil, und gar bald begann für Johannes die Qual der
Wahl. Als Verwalter hatte er sich an große Verhältnisse gewöhnt, und es
wäre deshalb nur zu natürlich gewesen, wenn er sich für einen größeren
Betrieb entschieden hätte. Seine praktischen Erfahrungen und die Lehren,
die er in der Schule erhalten hatte, waren indessen bei ihm zu tief
gewurzelt, als daß er die Klugheit seinen persönlichen Liebhabereien
geopfert hätte. Er sagte sich, daß der Grundsatz, die verfügbaren Mittel
allein über die Größe des zu erwerbenden Gutes entscheiden zu lassen, der
allein richtige sei.

So entschied er sich denn für den Lindenbühl. Johannes mußte zwar zugeben,
daß dieser Besitz seine Vorteile und Nachteile hatte, aber er sagte sich,
daß es ihm schwerlich gelingen könnte, ein Gut zu finden, an welchem es
nicht das oder jenes auszusetzen gebe. Für den Erwerb des Lindenbühls
sprachen hauptsächlich die geeignete Größe, die günstige Lage, der gute
Boden und der verhältnismäßig billige Kaufpreis. Bei sofortiger Barzahlung
behielt Johannes noch genügend Kapital, um das sehr vernachlässigte Anwesen
wieder einigermaßen in den Stand zu setzen, die mangelhaften Einrichtungen
zu ergänzen und den Betrieb rationell zu regeln.

Das alles hatte er genau überlegt und berechnet, und erst nachdem alles,
was für und gegen den Kauf sprach, genau abgewogen war und sein Vater
den Hof besichtigt und ebenfalls für den Erwerb eintrat, wurde die
Angelegenheit perfekt.

Nach erfolgter Kündigung verließ er seine Stelle und siedelte nach
Haldenburg über, um vom Lindenbühl Besitz zu ergreifen, und dort als
selbständiger Bauer ein neues Arbeitsfeld zu eröffnen.

Vorerst kümmerte sich Wachter um nichts anders, als um sein Heimwesen,
und da gab es wahrlich genug zu tun; denn, wie wir schon wissen, hatte der
frühere Besitzer sehr schlecht gewirtschaftet, zuletzt alles, was irgend
anging, zu Geld gemacht, das übrige aber verlottern lassen. Zum Glück waren
die Gebäude ziemlich gut im Stande; sie waren zwar äußerst schlicht und
einfach, und mancher Landwirt, der in so guten Verhältnissen sich befunden
hätte wie Johannes, hätte sich gewiß mit dem Gedanken getragen, wenigstens
einen Teil der alten Bauten abzutragen und etwas schöneres, der Neuzeit
entsprechenderes an ihre Stelle zu setzen. Unser Wachter aber begnügte
sich, die notwendigen Reparaturen durchzuführen. Er wußte, daß das
Gebäudekapital bei der Landwirtschaft das allerunproduktivste sei. Die
alten Ställe und Scheunen erlaubten ihm, das Vieh und die Produkte gut
unterzubringen, und das genügte ihm vollständig. Daß das ganze von außen
nicht gerade luxuriös aussah, kümmerte ihn nicht so viel. Lieber als
für Neubauten, wollte er sein Betriebskapital dazu verwenden, den Boden
produktiver zu machen, und dadurch dafür zu sorgen, daß er die alten Ställe
und Vorratsräume wenigstens füllen konnte.

Einigen Aufwand leistete er sich einzig bei der Instandstellung seiner
Wohnung. Da ließ er seiner Frau freien Spielraum, wohl wissend, daß sie die
richtige Grenze einhalten werde zwischen unnötigem Luxus und unangebrachter
Sparsamkeit.

Nach dem gleichen Prinzip wie bei der Renovation der Gebäude verfuhr
Johannes bei der Einrichtung seines ganzen Betriebes. Praktisch und gut
unter Verpönung jeden Luxus, das war auch hier sein Grundsatz.

Dem jetzigen Ertrag des Gutes entsprechend, füllte er seinen Stall mit
leistungsfähigem Vieh, bei dessen Ankauf er nicht knauserte. Später
gedachte er durch Anlegung von Kunstwiesen und durch eine rationelle
Düngerwirtschaft den Futterertrag bedeutend zu steigern und
dementsprechend den Viehstand zu vermehren. Die vorhandenen Geräte und
Betriebseinrichtungen waren größtenteils sehr mangelhaft und unzureichend.
Da wurde denn alles so ergänzt, daß nicht unnötige Arbeitskraft
verschwendet werden mußte, und zugleich eine Arbeit geleistet werden
konnte, die einen vollen Erfolg erhoffen ließ. Großes Gewicht wurde
auch darauf gelegt, Einrichtungen zu treffen, um die erzielten Produkte
bestmöglich verwerten und alles gut ausnützen zu können.

So stellte denn das Gehöft unseres Wachter bald, trotz aller Einfachheit
und Schlichtheit, ein Bauerngut dar, das ganz den Anforderungen der
Neuzeit entsprach, das bei der herrschenden Ordnung und Sauberkeit einen
wohltuenden Eindruck machte und vorteilhaft abstach von der im Dorfe
herrschenden Unordnung und Nachlässigkeit.

Die Haldenburger verfolgten alles, was auf dem Lindenbühl vorging, mit
Mißtrauen, und wo man von Wachters redete, geschah es mit Spott und
unter Anwendung fauler Witze. Daß es dieser Herrenbauer, trotz all seiner
Studiertheit, nicht lange treiben werde mit seinen neumodischen Ideen, wenn
er nicht ein steinreicher Mann sei, darüber schienen alle einig zu
sein. Johannes machte im Anfang auch einige Mißgriffe, welche aus der
ungenügenden Kenntnis der örtlichen Verhältnisse hervorgingen. Das war dann
Wasser auf die Mühle der Spötter, und es hieß dann gleich allgemein, da
sehe man es, wie weit man komme mit solch gelehrten Firlefanzereien.

Zuerst kümmerte sich Johannes gar nicht um das, was man im Dorfe über ihn
dachte oder redete; er lebte nur für sich und tat, als ob niemand weiter
für ihn existiere. Bald aber mußte er einsehen, daß er da einen falschen
Weg eingeschlagen habe, auf dem man nur sehr mühsam und auf großen Umwegen
ans Ziel gelangen könne. Er sah sich bald vor Aufgaben gestellt, die allein
zu erfüllen ihm nicht möglich war. Auch merkte er gar bald heraus,
wie schädigend eine schlechte Gemeindeverwaltung in den einzelnen
Landwirtschaftsbetrieb hineingreifen könne, und zur rechten Zeit erinnerte
er sich daran, daß sein Vater ihn einst gelehrt habe, nicht nur an sich
selbst zu denken, und auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein, sondern auch
das Allgemeine im Auge zu haben, und zu arbeiten an der Hebung des gesamten
Bauernstandes.

Er schämte sich jetzt, daß er in seinem Stolze sich hoch erhaben geglaubt
habe über seine Nachbarn, die doch auch seinesgleichen waren, und die gewiß
auch zum Fortschritt zu bekehren seien, wenn man nur den richtigen Weg
einschlage. Er dachte daran, was sich alles erreichen ließe bei solch
günstigen klimatischen Boden- und Absatzverhältnissen, wie sie Haldenburg
aufwies, und es schien ihm jetzt unerklärlich, wie er nur einen Augenblick
hatte von seiner Pflicht abweichen können. Freilich durfte er sich
nicht verhehlen, daß es unsägliche Mühe kosten werde, gegen den
tiefeingewurzelten Schlendrian, der sich seit altersher in Haldenburg
breitmachte, anzukämpfen und einem gesunden Fortschritt zum Siege zu
verhelfen. Am meisten würden sich wohl die Reichen und die Dorfmagnaten
dagegen wehren, und weil die Aermeren von den Wohlhabenden mit der Zeit
stark abhängig geworden seien, so werde er auch bei diesen einen schweren
Stand haben. Der Nutzen aber, der für ihn und das ganze Dorf aus einem
Umschwung zum Besseren resultieren müßte, dünkte ihm eines Kampfes wohl
wert, und so beschloß er denn, das große Werk zu beginnen.

Ueberstürzen durfte man die Sache nicht, wenn man ans Ziel gelangen wollte,
das merkte Johannes gleich. Er tat deshalb einstweilen auch nichts weiter,
als daß er sich hie und da mit dem einen oder dem andern seiner Nachbarn
in ein Gespräch über allgemeine landwirtschaftliche Zustände einließ.
Dabei vermied er es ernstlich, sich als Besserwisser aufzuspielen oder
die Verhältnisse und Maßnahmen anderer zu kritisieren. Hauptsächlich aber
gedachte er, das gute Beispiel wirken zu lassen und durch die eigenen
Erfolge den Neid der andern zu erwecken, sie so zur Nachahmung zu
veranlassen und also gleichsam aus einem Laster eine Tugend zu machen.

Gar bald zeigte es sich auch, wie richtig diese Voraussetzung gewesen war.
Hatten die Haldenburger Bauern z. B. nur spöttisch zugesehen, als Johannes
Kunstdünger auf einer Wiese ausstreute, so standen sie nachher, als der
Erfolg sich zeigte, um so verblüffter an derselben Wiese, und meinten, die
Sache sei doch nicht ganz so dumm. Keiner hätte sich aber herbeigelassen,
bei Johannes anzufragen, wie es sich eigentlich mit dem Kunstdünger
verhalte, ob es verschiedene Qualitäten gebe, wie er am besten angewendet
werde u. s. w. Wohl aber probierte es einer auf eigene Faust; er wußte sich
die Adresse eines Händlers zu verschaffen, verlangte von demselben einfach
Kunstdünger, ohne nähere Bezeichnung der Qualität, und erhielt so eine ganz
unpassende Marke, und dazu noch geringwertige Ware. Der Kaufmann mochte
denken: Für einen Haldenburger sei es gut genug, die verständen es doch
nicht besser. Der Bauer, der diesen Versuch machte, hatte den gleichen
Erfolg erhofft, den Johannes mit seinem Kunstdünger erzielte, sah sich aber
bitter enttäuscht, und schwur hoch und teuer, nie mehr etwas von diesem
neumodischen Hokuspokus wissen zu wollen.

Unserm Johannes war die so klug eingeleitete Düngerprobe nicht verborgen
geblieben, und er beschloß, dieselbe für seine Zwecke auszunützen. Als er
deshalb einmal mit dem betreffenden Bauer im Wirtshaus zusammentraf, fragte
er ihn möglichst unbefangen, was er für einen Erfolg erzielt habe mit dem
angewendeten Kunstdünger. Der Mann, der glauben mochte, Johannes wolle
ihn foppen, geriet in Zorn und warf ihm vor, daß er jedenfalls darauf
spekuliert habe, daß man ihm seine Narrheiten nachmache und Spott und
Schaden davontrage; leider sei einer so dumm gewesen, auf den Leim zu
gehen, aber er brauche keine Sorge zu haben, daß es zum zweiten Male
geschehe. Ruhig ließ Johannes die Vorwürfe über sich ergehen, suchte
dieselben aber zu entkräften durch eine einfache, klare Belehrung über
das Wesen, den Ankauf, die Anwendung und die Wirkung der Handelsdünger. Er
schloß damit, daß er gerne von Anfang an bereit gewesen wäre, jedem, der
sich um die Sache interessiert hätte, genauen Aufschluß zu geben; niemand
aber habe eine Frage an ihn gestellt. »Es tut mir leid,« sagte er zu dem
betreffenden Bauer, »daß Sie durch Ihre Unkenntnis der Sache zu Schaden
gekommen sind. Ein noch größerer Schaden entsteht aber dadurch, daß jetzt
ganz Haldenburg den Kunstdünger für Schwindel hält, trotz den augenfällig
günstigen Resultaten, die ich mit demselben erzielte. So liegt aber die
Gefahr nahe, daß bei uns ein sehr wichtiges Hilfsmittel zur Steigerung der
Bodenerträge geraume Zeit nicht zur Anwendung kommen wird. Diese Gefahr
muß abgewendet werden, und dazu ist es notwendig, daß Sie eine zweite Probe
machen. Ich begreife zwar, daß Sie nicht noch einmal Geld für einen solchen
Versuch auswerfen wollen; aber ich werde Ihnen die Sache erleichtern, und
Ihnen ein Quantum geeigneten Kunstdüngers zur Verfügung stellen, den
Sie dann unter meiner Anleitung anwenden. Damit hoffe ich, nicht nur das
untergrabene Ansehen des Kunstdüngers wieder herzustellen, sondern auch
eine günstigere Gesinnung gegen mich bei Ihnen zu erwecken.«

Diese Ausführungen hatten nicht nur den vorher so aufgebrachten
Kunstdüngerfeind wieder besänftigt, sondern auch auf die andern im
Wirtshause anwesenden Bauern einen guten Eindruck gemacht. Johannes
beschloß, diese günstige Stimmung auszunützen, begann von allerlei
Verbesserungen zu reden, die in Haldenburg durchgeführt werden könnten
und führte an, wie wichtig es wäre, daß solche Sachen unter den Bauern
besprochen und erörtert würden. Gerade die Angelegenheit mit dem
Kunstdünger habe gezeigt, wie oft man nur zu geneigt sei, eine sehr
wichtige Neuerung einfach als Schwindel zu erklären, bloß deswegen, weil
man nichts davon verstehe. Eine einfache Aufklärung aber könne oft die
Sache verständlich machen und die Zweifel zerstreuen. Er erzählte, wie
segensreich gerade in dieser Hinsicht die landwirtschaftlichen Lokalvereine
zu wirken imstande seien, hinzufügend, für wie nützlich er es halten würde,
wenn auch in Haldenburg ein solcher Verein ins Leben gerufen würde. Alle
Anwesenden nahmen diesen Vorschlag begeistert auf und baten Johannes, die
Angelegenheit vorzubereiten und eine Versammlung einzuberufen zur Gründung
eines Bauernvereins.

Eine solche Zusammenkunft wurde denn auch in den nächsten Tagen einberufen
und Wachter, der sich von dem am Sonntag errungenen Erfolg blenden
ließ, setzte große Hoffnungen auf diese Versammlung. Er hatte einen
Statutenentwurf ausgearbeitet und gedachte eine zündende Rede zu halten,
um, wie er meinte, das Eisen zu schmieden so lange es warm sei. Groß war
daher seine Enttäuschung, als nur sechs Mann erschienen. Die »Großen« des
Dorfes hatten von der Sache gehört und befürchteten, daß Johannes zu viel
Einfluß erhalten könnte, wenn der Verein zustande käme. Es gelang ihnen
noch rechtzeitig, die Sache zu vereiteln und dem »Fremden« ein Schnippchen
zu schlagen.

Jeder andere hätte nun auf eine solche Niederlage hin den Mut sinken
lassen, nicht so unser Johannes. Nachdem es ihm gelungen war, den Aerger zu
unterdrücken, kehrte die gewohnte Energie wieder und er sprach zu den
sechs anwesenden Männern, daß unter solchen Verhältnissen natürlich von der
Gründung eines Vereins vorläufig keine Rede sein könne, daß aber auch ohne
einen solchen ein halbes Dutzend Bauern mehr ausrichten können, als ein
einzelner, wenn es ihnen nur nicht an gutem Willen fehle. Daß sie aber
trotz aller Machinationen anders gesinnter hiehergekommen seien, halte er
für den besten Beweis, daß es ihnen mit ihrem Streben nach Fortschritt auch
wirklich ernst sei. Der herannahende Winter mit den langen Abenden biete
Gelegenheit genug, zu überlegen und zu beraten, wie sie sich gegenseitig
am besten in ihren Bestrebungen unterstützen können. Gelinge es ihnen,
Vorteile zu erringen, so sei es sicher, daß sie bald Anhang erhalten
werden, und daß in kurzem, trotz aller Anfeindungen, der Verein doch
zustande kommen werde. Er lade sie ein, jede Woche an einem bestimmten Tag
zu ihm auf den Lindenbühl zu kommen, um zu beraten, was getan werden
könne, um eine Besserung sowohl ihrer eigenen, als auch der allgemeinen
Haldenburger Verhältnisse anzubahnen. Das wurde beschlossen und
zuversichtlich ging man nach Hause.

Johannes hatte in seinen neuen Anhängern Leute gefunden, die von
ernstlichem Streben beseelt waren. Es waren durchwegs kleinere Bauern,
aber vollständig unabhängig, so daß sie es nicht nötig hatten, sich am
Gängelbande der Großen führen zu lassen. Sie erkannten gar bald, daß
Wachter ein Mann sei, dem man vertrauen könne und der es gut mit ihnen
meine. Die Diskussionsabende auf dem Lindenbühl wurden fleißig besucht und
es begann ein ruhiges, aber zielbewußtes Arbeiten, dessen Früchte nicht
ausblieben.

Die Hauptaufgabe des kleinen Klubs mußte vorerst darin bestehen, in ihren
eigenen Betrieben Verbesserungen durchzuführen. An große öffentliche
Fragen durften sie ja nicht herantreten. Mit kluger Berechnung blieben sie
überhaupt allen großen Projekten fern. Sie sagten sich, daß sie nicht zu
viel wollen dürfen; denn Mißerfolge könnten auch sie entmutigen und dann
wäre alles verloren. Johannes belehrte bei den Zusammenkünften die Leute,
wie sie durch eine rationelle Düngerwirtschaft ihre Güter ertragreicher
machen können, wie sie auch mit dem kleinsten haushalten sollen und wie sie
selbst noch aus allen Abfallstoffen, die sie bis jetzt nicht zu beachten
gewohnt waren, noch Nutzen zu ziehen vermögen. Er zeigte ihnen, wie sie
durch richtige Zeiteinteilung und strenge Ordnung in allen Dingen den
Betrieb vereinfachen und müheloser gestalten können. Durch gemeinsamen
Bezug von Kunstdünger, Sämereien, Futtermitteln u. s. w. verringerten
sie ihre Auslagen, schützten sich vor Betrug und sicherten sich bessere
Qualitäten. Zufällig hatte man gerade ein sehr gesegnetes Obstjahr, da
legten sie die auf rationelle Art geernteten und sortierten Früchte
zu gemeinschaftlichem Verkauf zusammen und erzielten, dank der guten
Verbindungen, die Johannes hatte, viel höhere Preise, als die andern
Bauern. Auf diese Weise ist es erklärlich, daß jeder schon im ersten Jahr
einen großen Nutzen aus der zwanglosen Vereinigung davontrug. Das merkten
jetzt natürlich auch die andern Bauern und manchen reute es, daß er an
jenem Abend der Versammlung ferngeblieben war.

Wachter mußte sich sagen, daß er sehr viel erreicht habe, vielleicht sogar
mehr, als wenn vor einem Jahr der Verein wirklich zustande gekommen wäre;
denn »viel' Köpf', viel' Sinn'«. Bei einem größeren Verein hätte es gewiß
auch solche gegeben, die der Sache zum mindesten nicht förderlich gewesen
wären, oder gar als Radschuh am Fortschrittswagen figuriert hätten.

Es darf nun hier nicht verschwiegen werden, daß unterdessen auch Frau Marie
nicht untätig geblieben war. Als treue Bundesgenossin ihres Mannes hatte
sie seine Bestrebungen zu den ihrigen gemacht, und hatte jener bei den
Männern Erfolge aufzuweisen gehabt, so konnte sie sich rühmen, dasselbe bei
den Frauen erreicht zu haben.

War der Lindenbühl für die sechs Männer der Versammlungsort und der
Mittelpunkt ihres Wirkens geworden, so ist es fast selbstverständlich, daß
auch ihre Frauen hie und da dort verkehrten. Auch sie wollten etwas lernen,
und Marie erteilte gerne Rat, wo sie konnte. Bald hatte sie Fragen zu
beantworten die Küche betreffend, bald bildete die Milchwirtschaft den
Mittelpunkt der Besprechung, oder es kam das Kapitel Hühnerzucht zur
Erörterung, und als der Frühling herankam, trat die Gartenwirtschaft in den
Vordergrund. Auf allen diesen Gebieten war ja Frau Wachter vollständig zu
Hause und in aller Bescheidenheit erteilte sie Auskunft, ohne mit ihren
Kenntnissen zu prahlen.

Bald genug wußte man im Dorfe auch noch von einer andern Tätigkeit Mariens
zu erzählen, die sich ganz im stillen abspielte. Ihr gutes Herz und ihr
Wohltätigkeitssinn trieben sie, die Not und das Elend zu mindern, wo sie es
antraf. Hier sah man sie mit wohlgefüllter Schürze in die Hütte einer armen
Wöchnerin eintreten, dort stand sie am Bette eines Schwerkranken, tröstend
und helfend, wo sie konnte. Der Arzt und der Pfarrer wußten ihre Dienste
und aufopfernde Mitarbeit dankbar zu schätzen, und manche genesende Person
segnete das stille Walten, das vom Lindenbühl ausging. Lange bevor Johannes
mit seinen Fortschrittsideen bei den Männern durchgedrungen war, zollte man
seiner Frau allgemeine Achtung und Verehrung.

Hie und da kam Vater Wachter auf Besuch, um zu sehen, wie sein Sohn
wirtschafte, und er konnte sich nicht genug wundern, was Johannes in
den wenigen Jahren aus dem vernachlässigten Gute gemacht hatte. Er mußte
bekennen, daß sein Sohn sein Wort gehalten und ein rechter Bauer geworden
sei. Die sorgfältig geführten Bücher ergaben aber auch, daß die Rendite mit
dem äußeren Ansehen des Hofes im Einklang stand. Mit Stolz erfüllte es ihn,
als er hörte, wie, von seinem Sohne ausgehend, eine Hebung der allgemeinen
landwirtschaftlichen Zustände in Haldenburg angestrebt wurde, und er
prophezeite Johannes gerade in dieser Hinsicht noch einen besondern Erfolg.
Er meinte, so hartgesottene Anhänger des Althergebrachten können
diese Bauern doch nicht sein, daß sie nicht merken sollten, daß diese
wohlgepflegten Wiesen nicht mehr und besseres Futter liefern, als die
schlechten daneben; daß diese glatthaarigen, wohlgeformten und gutgenährten
Kühe nicht leistungsfähiger seien und auf dem Markte einen größeren Wert
repräsentieren, als andere mit allen möglichen Fehlern behaftete, und daß
diese kraftstrotzenden, sauber in Ordnung gehaltenen Obstbäume nicht einen
weit größeren Nutzen abzuwerfen imstande seien, als jene Serblinge, die
über und über mit Schmarotzern bedeckt seien. Wenn sie es aber sehen, so
müsse der erste Schritt der sein, daß sie es auch so haben wollen.

Wie recht der alte Wachter mit seiner Voraussage hatte, zeigte sich in der
Tat immer mehr. Die Sticheleien, denen Johannes und seine sechs Anhänger im
Anfang ausgesetzt waren, hörten nach und nach auf. Man gewöhnte sich daran,
sie ihren eigenen Weg gehen zu sehen, und ließ sie gewähren. Als dann aber
so nach und nach die Erfolge ihres veränderten Vorgehens sich bemerkbar
machten, wurde mancher stutzig und fing an zu fragen, was die Ursache
dieser oder jener Erscheinung sei. Bereitwilligst wurde natürlich immer
Auskunft gegeben, und gewöhnlich tat man bei solchen Erörterungen auch des
Lindenbühls Erwähnung, als Ausgangspunkt der verschiedenen Anregungen und
Belehrungen. So begannen denn die Haldenburger Bauern doch einzusehen, daß
man die Ansichten Johannes' etwas mehr beachten müsse; denn es seien eben
unzweideutige Beweise vorhanden, daß er mit seiner Methode zu ganz andern
Resultaten gelange, als sie mit ihrem alten System. Verfehlt wäre es
jedoch, zu glauben, daß diese guten Leute jetzt ihren Irrtum und ihr
Unrecht offen bekannt hätten. Nein, nur zu hinterst in ihrem Gewissen
begann das Gefühl, nicht ganz im Recht zu sein, langsam aufzutauchen. Aber
noch ein anderes Gefühl machte sich geltend, und das war der Neid. Diese
beiden Regungen hielten sich eine Zeitlang die Wage und ließen einander
nicht vorwärts kommen. Zuletzt zeigte sich aber doch der Neid als stärker,
und namentlich als man sah, daß Johannes nicht zürnte, sondern gerne jedem
Bescheid gab, der sich an ihn wandte, wollte jeder so viel als möglich von
seinen Kenntnissen profitieren.

Manche der vielen wichtigen Fragen, die da zu erörtern waren, ließen sich
indessen nicht nur so im Vorbeigehen behandeln, und man sah ein, daß da
größere Zusammenkünfte nötig wären. Immer häufiger sprach man deshalb
wieder von dem Projekt einer landwirtschaftlichen Vereinigung und bedauerte
lebhaft, daß man das vorige Jahr der Sache so feindselig begegnet sei.
Indessen ließe sich vielleicht auf die Angelegenheit zurückkommen. Und als
sich einmal eine günstige Gelegenheit bot, frug einer den Johannes, wie es
eigentlich mit der Gründung eines landwirtschaftlichen Vereins stehe, ob
er nicht glaube, daß man noch einmal einen Versuch wagen sollte, das
Entgegenkommen werde jetzt gewiß ein besseres sein, als das erste Mal.

Johannes wollte aber zuerst nichts mehr davon wissen, er sagte: »Ich habe
an einer Niederlage gerade genug und bin nicht nach Haldenburg gekommen, um
mich öffentlich zum Narren halten zu lassen. Ich hatte lediglich Euer Wohl
im Auge, als ich vor einem Jahr die erste Versammlung einberief. Statt
dieses anzuerkennen, hat man mich sogar noch schlechter Absichten geziehen,
und nun soll ich mich dieser Gefahr von neuem aussetzen?«

Erst als man von allen Seiten in ihn drang und selbst seine Freunde ihn
eines befriedigenden Erfolges versicherten, beschloß er endlich, nochmals
die Zusammenberufung einer Versammlung zu wagen, hatte dann aber auch die
Freude, die Sache vollständig gelingen zu sehen. Der Besuch war nicht nur
ein sehr großer, sondern viele der anwesenden Bauern erklärten sich auch
gleich bereit, dem Verein beizutreten.

Johannes, der nun schon aus Erfahrung wußte, daß man so einen aufflammenden
Eifer möglichst gut auszunützen suchen müsse, legte der Versammlung einen
Statutenentwurf vor, und als die verschiedenen Paragraphen durchberaten
und angenommen waren, wurde zur Wahl des Vorstandes geschritten, wobei
natürlich Johannes als Präsident hervorging. So wurde in einer Sitzung
in Haldenburg ein landwirtschaftlicher Verein gegründet, der über 30
Mitglieder zählte. Selbst einige der Dorfmagnaten waren dem Verein
beigetreten. Sie mochten darauf rechnen, auch hier eine Rolle spielen zu
können.

Nun ging es in Haldenburg rasch vorwärts mit dem Fortschritt in der
Landwirtschaft. Ein Cyklus von Vorträgen über die verschiedensten Gebiete
der Landwirtschaft, sowie einige Kurse sollten den Bauern Gelegenheit
geben, sich grundlegende Kenntnisse zu verschaffen, mittelst denen es ihnen
möglich sein sollte, aus ihren Betrieben einen größeren Nutzen zu ziehen.

Die Mitglieder des Vereins suchten nicht nur aus Büchern und Zeitschriften
zu erfahren, wie man anderwärts vorgehe, oder diese oder jene Neuerung sich
zunutze mache, sondern sie tauschten auch ihre eigenen Beobachtungen und
Erfahrungen gegenseitig aus, was von großem Nutzen war; denn unter den
verschiedenen Verhältnissen, namentlich in Bezug auf Boden und Klima,
verändern sich ja bekanntlich die Resultate der landwirtschaftlichen
Tätigkeit oft um ein beträchtliches, so daß die Beobachtungen, die an Ort
und Stelle selbst gemacht werden, immer die beachtenswertesten sind.

Der gemeinschaftliche Bezug von Dünger, Samen und andern
landwirtschaftlichen Bedarfsartikeln hatte sich schon vorher bewährt. Es
wurde deshalb diese Institution in die Vereinstätigkeit aufgenommen
und stetig erweitert. So wurde der genossenschaftliche Sinn bei den
Haldenburgern trefflich genährt, bald wurde eine Viehzuchtgenossenschaft
gegründet und die Sennerei, die schon früher genossenschaftlich betrieben
wurde, besser eingerichtet und nach den Anforderungen der Neuzeit
umgestaltet.

Allen diesen Maßnahmen war es zu verdanken, daß nicht nur die Erträge
beträchtlich erhöht, sondern auch die Produkte bedeutend verbessert wurden,
so daß sie an Ansehen gewannen und marktfähiger wurden. Während man früher
von Haldenburg nie etwas gutes erwartete und daher der Absatz ein äußerst
schlechter war, stellten sich jetzt Käufer ein, welche gute Ware suchten
und auch dementsprechend bezahlten. So sah man sich jetzt auch für seine
Mühe entschädigt und arbeitete mit viel größerer Lust. Der Aufschwung
bedeutete also direkten und indirekten Nutzen.

Freilich wäre es ein Irrtum, zu glauben, daß sich die günstige Veränderung,
welche so viel Gutes mit sich brachte, so glatt vollzog, wie sie eben
geschildert wurde. Da galt es anzukämpfen gegen eine ganze Menge von
Vorurteilen und Scheingründen. Die Gutgesinnten bildeten noch lange die
Minderheit. Viele wollten sich durchaus vom Alten nicht losmachen, obwohl
eigentlich mancher keinen andern Grund dafür angeben konnte, als seine
Engherzigkeit, seinen Hochmut und die Lust am Streiten.

Die größten Schwierigkeiten traten ein, als der landwirtschaftliche Verein
es als seine Aufgabe erkannte, sich auch mit Angelegenheiten zu befassen,
welche die Gemeinde angingen, wie z. B. Weganlagen, Alpverbesserungen, eine
neue Waldordnung u. s. w. Alles dies waren Projekte, die nicht mehr länger
aufgeschoben werden durften, wollte man nicht auf halbem Wege stehen
bleiben.

Johannes sah zwar voraus, daß enorme Schwierigkeiten zu überwinden seien,
bis man in dieser Beziehung ans Ziel gelange, aber jetzt, da er nicht mehr
allein dastand im Kampfe, schreckten ihn die Hindernisse nicht.

Mit wohlberechneter Klugheit trat er nie für etwas ein, das er nicht vorher
wohlerwogen und ausgedacht hatte. Bevor er einer Verbesserung das Wort
redete, berechnete er immer die Opfer, die dafür zu bringen seien und
den Nutzen, den man nach der Ausführung erwarten durfte. So konnte er der
Opposition mit ziffernmäßigen Belegen gegenübertreten, und dieser Umstand
half manchmal allein schon der Sache zum Durchbruch.

Als einige kleinere Projekte dieser Art wirklich zur Ausführung gelangten
und man allgemein das Gute anerkennen mußte, gewann Johannes immer mehr
Achtung und Ansehen, und er wurde sogar in den Gemeinderat gewählt.

Dieses Ereignis war ein schwerer Schlag für den Bürgerzopf; denn so etwas
war noch nie erhört worden in Haldenburg, und manches alte Bäuerlein, das
sich nicht mehr in die neue Zeit hineinfinden konnte, meinte, die
Vorfahren würden sich noch im Grabe umdrehen, wenn sie wüßten, wie man ihre
heiligsten Ueberlieferungen mißachte.

Von jetzt an ging es rasch vorwärts im neuen Kurs. Der Stein war nun
einmal ins Rollen gekommen und niemand vermochte ihn aufzuhalten.
Die notwendigsten der geplanten Verbesserungen wurden nacheinander
durchgeführt, andere, weniger dringende, wurden einstweilen noch
zurückgelegt, da man bei den mißlichen Verhältnissen, in welche die
Gemeinde durch die fortwährend schlechte Verwaltung nach und nach gekommen
war, nicht zu viel auf einmal wagen durfte.

Der allgemeine Aufschwung hatte eine bedeutende Verkehrssteigerung zur
Folge, welche sich hauptsächlich durch vermehrte Ab- und Zufuhr geltend
machte. Auch hatte man durch Entwässerung eines großen Sumpfgebietes in
der Ebene drunten mehr Kulturland gewonnen, dessen Erträge ins Dorf
heraufgeführt werden mußten. So war es zur dringlichen Notwendigkeit
geworden, einen bequemeren Zufahrtsweg zu schaffen. Es gehörte denn bald
auch der berüchtigte »Haldenburgerstutz« der Vergangenheit an. An einer
Biegung der neuen Straße wurde ein Felsblock aufgestellt, den man beim Bau
derselben ausgegraben hatte, und darauf ist der Spruch eingemeißelt:

  »Rastlos vorwärts mußt du streben,
  Nie ermüdet stille steh'n,
  Willst du die Vollendung seh'n.«

Dieses sollte der Wahrspruch werden für die Weiterentwicklung Haldenburgs,
und wer heute dorthin kommt, der muß bekennen, daß das rastlose,
unermüdliche Vorwärtsstreben auch zu einem schönen Erfolge geführt hat;
denn Haldenburg kann mit seinen geordneten Verhältnissen, unter denen
Landwirtschaft und Gewerbe blühen, den umliegenden Gemeinden als Muster
dienen. Die Geschichte seines Aufschwungs aber beweist, wie wichtig es für
ein Gemeinwesen ist, wenn Männer in ihm wirken, denen das öffentliche Wohl
am Herzen liegt, und die mit Energie und Tatkraft in umsichtiger Weise für
dasselbe einstehen, wo immer es notwendig ist.

Unsere Bauern aber mögen aus vorstehender Schilderung die Lehre ziehen, wie
notwendig es ist, daß bei der Ausbildung junger Landwirte nichts versäumt
wird. Echte und rechte Bauern sind notwendig, Männer, die imstande sind,
mit Energie und Intelligenz den althergebrachten Ideen und Ansichten die
Stirne zu bieten und einzutreten für einen gesunden Fortschritt, durch
welchen die Hebung der Landwirtschaft sich vollziehen soll.

In der Voraussetzung also, daß Johannes Wachter nicht nur allein für
Haldenburg so nutzbringend gewirkt habe, sondern auch vielen andern seiner
Berufsgenossen als leuchtendes Beispiel diene, nehmen wir von ihm und dem
Lindenbühl Abschied.

[Illustration]



[ Hinweise zur Transkription


Das Originalbuch ist, abgesehen von der Titelseite, in Frakturschrift
gedruckt.

Im Rahmen der Transkription wurde die Stellung der Satzzeichen
bei wörtlicher Rede (jedoch nicht bei Zitaten) in ",«" und ".«"
vereinheitlicht.

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, mit folgenden
Ausnahmen,

  Seite 3:
  "Schäferhüte" geändert in "Schäferhütte"
  (am wärmenden Feuer in einer kleinen Schäferhütte)

  Seite 8:
  "bekommrn" geändert in "bekommen"
  (zu glauben, wir bekommen keinen Platz)

  Seite 22:
  Komma verschoben von "Bauern," nach "vor,"
  (schwebte mir als das Ideal eines Bauern vor, und weil ich)

  Seite 24:
  "Verarbeituug" geändert in "Verarbeitung"
  (durch bessere Verarbeitung der Milch)

  Seite 32:
  "," eingefügt
  (freundliche Behausungen entstanden sind, ein neues Schulhaus)

  Seite 39:
  "Fuhrmaann" geändert in "Fuhrmann"
  (die zwei vom Fuhrmann genannten neuen Wirtschaften)

  Seite 39:
  "Kegelspliel" geändert in "Kegelspiel"
  (lustige Gesellschaft sich mit Kegelspiel die Zeit vertreibt)

  Seite 39:
  "und und" geändert in "und"
  (die wichtigste Feldfrucht ausmachen und jetzt gerade die Zeit)

  Seite 44:
  "Gespäche" geändert in "Gespräche"
  (Bei Gelegenheit solcher Gespräche hielt dann auch Elise)

  Seite 44:
  "Gegestand" geändert in "Gegenstand"
  (über diesen Gegenstand zu reden kam)

  Seite 54:
  "Grünfutrer" geändert in "Grünfutter"
  (Grünfutter ist gut fürs liebe Vieh)

  Seite 56:
  "Nachberinnen" geändert in "Nachbarinnen"
  (da dachten sogar einige der Nachbarinnen, daß so ein)

  Seite 57:
  "Blumenstraße" geändert in "Blumenstrauße"
  (noch mit einem hübschen Blumenstrauße beschenkt hatte)

  Seite 61:
  "verkockenden" geändert in "verlockenden"
  (keine sehr verlockenden Preise in Aussicht gestellt)

  Seite 62:
  "nnd" geändert in "und"
  (für den eigenen Haushalt zu pflanzen und mit ihren Blumen)

  Seite 62:
  "Einnahmsqunelle" geändert in "Einnahmsquelle"
  (zu einer ergiebigen Einnahmsquelle zu gestalten)

  Seite 77:
  "Flnr" geändert in "Flur"
  (einen Spaziergang durch Wald und Flur machten)

  Seite 90:
  "kömmerte" geändert in "kümmerte"
  (nicht gerade luxuriös aussah, kümmerte ihn nicht so viel)

  Seite 92:
  "." eingefügt
  (anderer zu kritisieren. Hauptsächlich aber gedachte er)

  Seite 99:
  "Gfühl" geändert in "Gefühl"
  (noch ein anderes Gefühl machte sich geltend)]





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