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Title: Der Dichter Lenz und Friedericke von Sesenheim - Aus Briefen und gleichzeitigen Quellen; nebst Gedichten und Anderm von Lenz und Göthe Author: Lenz, Jakob Michael Reinhold Language: German As this book started as an ASCII text book there are no pictures available. *** Start of this LibraryBlog Digital Book "Der Dichter Lenz und Friedericke von Sesenheim - Aus Briefen und gleichzeitigen Quellen; nebst Gedichten und Anderm von Lenz und Göthe" *** This book is indexed by ISYS Web Indexing system to allow the reader find any word or number within the document. VON SESENHEIM*** page images generously made available by the Google Books Library Project (http://books.google.com) Images of the original pages are available through the Google Books Library Project. See http://www.google.com/books?id=fLiPxw7fICUC Anmerkungen zur Transkription Im Original gesperrt gesetzter Text wurde mit = markiert (+gesperrt=). Text, der im Original nicht in Fraktur, sondern in Antiqua gesetzt war, wurde mit _ markiert (_Fraktur_). [Illustration: _N. Weiß Ktn. Lith. de Hasler & Cie., =Basel=._] DER DICHTER LENZ UND FRIEDERICKE VON SESENHEIM. Aus Briefen und gleichzeitigen Quellen; nebst Gedichten und Anderm von Lenz und Göthe. Herausgegeben von AUGUST STÖBER. Basel, Druck und Verlag der =Schweighauser=’schen Buchhandlung. 1842. Vorwort. Das Sesenheimer Idyll, =Göthe’s= und =Friedericke’s= Liebe, hat von jeher die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich gezogen und bei mancher empfindsamen Seele das tiefste Mitgefühl erregt. Die Schuld oder Schuldlosigkeit, welche Göthe in dieser Geschichte hat, gab namentlich in neuerer Zeit zu leidenschaftlichen Streitigkeiten Anlaß, und je nachdem man sich auf die eine oder auf die andere Seite schlug, fühlte man sich für oder wider den ganzen Menschen gestimmt. Neben der Göthe-Literatur ist eine Friedericken-Literatur, sowohl in einzelnen Werkchen, als in Zeitungsartikeln, und dieß besonders in der Allgemeinen Leitung, entstanden. Auch den Namen des unglücklichen Dichters =Lenz= hat man dabei genannt; aber von Friedericke’s Vertheidigern ist mit Entschiedenheit jedes entehrende Verhältniß zwischen Beiden abgewiesen worden. In allen Literaturgeschichten, wo von Lenz die Rede ist, wird von dessen Wahnsinne gesprochen, allein der wahren Quelle desselben nicht erwähnt. Nachfolgende Mittheilungen geben darüber Aufschluß. Daß Lenz, nach Göthe’s Abreise aus dem Elsaße, nach Sesenheim kam, berührt Göthe selbst; er sah Friedericke auf der Rückreise aus der Schweiz wieder und sagt von diesem Wiedersehen: „Ich finde Friedericke Brion wenig verändert, noch so gut, liebevoll, zutraulich wie sonst, gefaßt und selbstständig. Der größte Theil der Unterhaltung war über Lenzen. Dieser hatte sich nach meiner Abreise im Hause introducirt, von mir was nur möglich war, zu erfahren gesucht, bis sie endlich, da er sich die größte Mühe gab, meine Briefe zu sehen und zu erhaschen, mißtrauisch geworden. Er hatte sich indessen nach seiner gewöhnlichen Weise verliebt in sie gestellt, weil er glaubte, das sei der einzige Weg hinter die Geheimnisse der Mädchen zu kommen, und da sie nunmehr gewarnt, scheu seine Besuche ablehnt, und sich mehr zurückzieht, so treibt er es bis zu den lächerlichsten Demonstrationen des Selbstmords, da man ihn dann halbtoll erklären und nach der Stadt schaffen kann. Sie klärt mich über die Absicht auf, die er gehabt hat mir zu schaden, und mich in der öffentlichen Meinung und sonst zu Grunde zu richten, weshalb er denn auch damals die Farce gegen Wieland drucken lassen.“ -- Daß Lenz von Friedericke’s Liebe überzeugt war, davon geben die Briefe an Salzmann genugsame Beweise; daß er wegen ihrer wahnsinnig geworden, darüber berichtet Oberlin’s Aufsatz. Ob Friedericke ihm ebenfalls geneigt war, oder ob er sich selbst getäuscht und ihre Gegenliebe nur eine eingebildete war, das möge der Leser entscheiden. Wie hoch Lenz Göthe als Mensch und Dichter stellte, sagen seine Schriften. In Straßburg besaß ich ein Exemplar von Shakspeare’s Othello, welches Göthe Lenz zum Geschenke gemacht hatte; unter die hierauf bezüglichen Worte Göthe’s, die also lauten: „Seinem und Shakspeare’s würdigem Freunde Lenz, Göthe“, hatte Lenz geschrieben: „Ewig, ewig bleibt mein Herze dein, mein lieber Göthe!“ und bei Göthe’s Abschied sang er: Ihr stummen Bäume, meine Zeugen, Ach! käm er ohngefähr Hier, wo wir saßen, wieder her, Könnt ihr von meinen Thränen schweigen? Dieß Alles ward vor Lenz’s Erscheinen in Sesenheim geschrieben; nach demselben nahm die Sache eine andere Wendung. Lenz beneidete nicht nur Göthe’s Liebe, sondern auch seinen Ruhm, worüber sich Göthe, außer der angeführten Stelle, sonst noch mehrere Male in seiner Dichtung und Wahrheit ausspricht. Die Briefe von Lenz an Salzmann habe ich schon 1831 im Morgenblatte (Nr. 250 bis 295), jedoch nur stellenweise abdrucken lassen; hier erscheinen sie vollständig, nebst einigen dort nicht vorkommenden, und diplomatisch genau wiedergegeben, wie sie sich in Salzmann’s Nachlasse, auf der Straßburger Stadtbibliothek, befinden. In derselben Schachtel, in welcher sie liegen, sind auch Göthe’s Briefe an Salzmann aufbewahrt, welche Moritz Engelhardt im Morgenblatt veröffentlicht hat. Diese Briefe, nebst Oberlin’s Aufsatz über des armen Lenz Aufenthalt im Steinthale, füllen die Lücke aus, welche sich in L. Tieck’s[1] biographischen Notizen über Lenz vorfindet und geben über manche Leistungen des Dichters Aufschluß. Die Mittheilungen über die Straßburger gelehrte Gesellschaft, unter Salzmanns Vorsitze, habe ich dem Protokoll der Gesellschaft selbst entnommen, von welchem mir eine getreue Abschrift vorliegt. Als Zugabe folgen einige Gedichte von Lenz, welche Tieck übergangen hat; so wie =Göthe’s= ursprüngliche Uebersetzung von =Ossians= Gesang von =Selma=, im Werther, und Gedichte an =Friedericke=. =Mülhausen=, im Oberelsaß, Ende Jänner 1842. Der Herausgeber. Inhalt. Seite. =Vorwort= III-VII. I. =Lenz= im Elsaß 1 II. =Briefe= von Lenz an den Aktuar =Salzmann= 48 III. =Gedichte= von Lenz 85 IV. =Göthe’s= ursprüngliche Uebersetzung der Ossianischen Gesänge von Selma 95 V. =Gedichte= von Göthe an Friedericke 109 _Fac simile_ von Göthe. Das =Titelbild= stellt das Sesenheimer Pfarrhaus vor, wie es zu Göthe’s Zeit und noch bis vor wenigen Jahren stand; es ist von der Hofseite genommen; das untere Zimmer links am Garten, war die Wohnstube; das letzte obere, rechts, das Fremdenzimmer, von Göthe bewohnt. Das Bild ist nach einem Oelgemälde gemacht, das ein Freund des Herausgebers verfertigt; nach demselben ist auch der Holzschnitt in Lewald’s =Europa= genommen. D. H. I. Lenz im Elsaß. „Er stößt mich eben so sehr ab, als er mich anzieht; so zart, rührend, kräftig, ja groß er zu Zeiten sein kann, so klein, widerwärtig und roh erscheint er dann wieder, und zwar aus Willkür, um mit dem Enthusiasmus ein verhöhnendes Spiel, und mit dem Spiele selbst ein anderes, ganz außer der Poesie liegendes zu treiben, welches dieses und jede Poesie vernichtet.“ =L. Tieck=, Einleitung zu Lenz’s Schriften. =Jakob Michael Reinhold Lenz= wurde zu Seßwigen in Liefland den 12. Jänner 1750 geboren. Er studirte 1768 in Königsberg, und begab sich von da aus nach Berlin, wo er mit Ramler und Nicolai verkehrte. Im Jahr 1771 begleitete er einen jungen Edelmann, Herrn von Kleist, nach der damals weit berühmten, alten Universität Straßburg. Hier verband er sich auf’s Innigste mit seinem =guten Sokrates=, dem freundlichen, gemüthreichen =Aktuarius Salzmann=[2], von welchem Göthe und Jung-Stilling in ihren Selbstbiographien mit so vieler Ehrfurcht sprechen. Salzmann hatte einen Kreis talentvoller Jünglinge um sich her versammelt, deren literarische Arbeiten er leitete. Die heiterste Lebensphilosophie, verbunden mit reichen, vielseitigen Kenntnissen, einem richtigen Blick und feinem Geschmacke gewannen ihm bald alle Herzen. Besonders Lenz, dessen Geist sich in diesem Zirkel schwärmerisch allen Eindrücken des Schönen aufschloß, gewann ihn für das Leben lieb. Auch Herder, Stilling und Lerse lernte er hier kennen, und was für sein Dichten von bedeutenderm Einflusse war, Göthe. Es gieng ihm eine neue, schönere Welt auf. Shakspeare namentlich übte auf die jungen Gemüther einen mächtigen Zauber aus. Göthe äußert sich in dieser Hinsicht also: „Will jemand unmittelbar erfahren, was damals in dieser lebendigen Gesellschaft gedacht, gesprochen und verhandelt worden, der lese den Aufsatz =Herder=’s über Shakspeare, in dem Heft von deutscher Art und Kunst; ferner Lenzens Bemerkungen über das Theater, denen eine Uebersetzung von _Lowe’s labours lost_ hinzugefügt war. Herder dringt in das Tiefere von Shakspeare’s Wesen und stellt es herrlich dar; =Lenz= beträgt sich mehr bilderstürmerisch gegen die Herkömmlichkeit des Theaters, und will denn eben all und überall nach Shakspeare’scher Weise gehandelt haben. Da ich diesen so talentvollen als seltsamen Menschen hier zu erwähnen veranlaßt werde, so ist wohl der Ort, versuchsweise, einiges über ihn zu sagen. Ich lernte ihn erst gegen das Ende meines Straßburger Aufenthaltes kennen. Wir sahen uns selten; seine Gesellschaft war nicht die meine, aber wir suchten doch Gelegenheit uns zu treffen, und theilten uns einander gern mit, weil wir, als gleichzeitige Jünglinge, ähnliche Gesinnungen hegten. Klein, aber nett von Gestalt, ein allerliebstes Köpfchen, dessen zierlicher Form etwas abgestumpfte Züge vollkommen entsprachen; blaue Augen, blonde Haare, kurz ein Persönchen, wie mir unter nordischen Jünglingen von Zeit zu Zeit eins begegnet ist; einen sanften, gleichsam vorsichtigen Schritt, eine angenehme nicht ganz fließende Sprache, und ein Betragen, das zwischen Zurückhaltung und Schüchternheit sich bewegend, einem jungen Manne gar wohl anstand. Kleinere Gedichte, besonders seine eigenen, las er sehr gut vor, und schrieb eine fließende Hand. Für seine Sinnesart wüßte ich nur das englische Wort _whimsical_, welches, wie das Wörterbuch ausweist, gar manche Seltsamkeiten in Einem Begriff zusammenfaßt. Niemand war vielleicht eben deßwegen fähiger als er, die Abschweifungen und Auswüchse des Shakspear’schen Genies zu empfinden und nachzubilden. Die obengedachte Uebersetzung giebt ein Zeugniß hievon. Er behandelt seinen Autor mit großer Freiheit, ist nichts weniger als knapp und treu, aber er weiß sich die Rüstung oder vielmehr die Possenjacke seines Vorgängers so gut anzupassen, sich seinen Gebärden so humoristisch gleichzustellen, daß er demjenigen, den solche Dinge anmutheten, gewiß Beifall abgewann.“ Im Sommer 1772 verließ Lenz Straßburg und zog mit Herrn von Kleist nach Fort-Louis, einer jetzt zerstörten Inselfestung auf dem Rheine. In der Nähe liegt =Sesenheim=; Lenz machte die Bekanntschaft des Pfarrers =Brion=[3], und wurde von der patriarchalischen Familie auf’s Freundschaftlichste aufgenommen. =Friedericke’s= liebliche Gestalt trat ihm entgegen und fesselte ihn mit unauflöslichen Banden. Er trank einen vollen Kelch der süßesten Wonne, die sich leider in der Folge in den bittersten Schmerz verwandelte und seine Seele mit jenem tiefen Gram erfüllte, der sie verzehrte. Der Gedanke an Sie absorbirte ihn ganz; in ihm giengen alle andern Gedanken unter und nur das Studium seiner beiden Lieblingsdichter Plautus und Shakspeare, die er mit schwärmerischer Verehrung las, studirte und bearbeitete, brachte ihn wieder, auf Augenblicke wenigstens, zu sich selbst zurück. Sein Sinnen und Dichten, in Licht und Schatten, sind aus seinem Gemüthszustande in jener Zeit erklärlich. Gegen das Spätjahr 1772 begab sich Lenz nach Landau, und kehrte hierauf, wie es schien, mit erneuetem Lebensmuthe nach Straßburg zurück, wo er, einige Zwischenreisen ausgenommen, bis in den März 1776 blieb. Salzmann hatte den 2. November 1775 eine neue Gesellschaft „zur Ausbildung der deutschen Sprache“ gegründet. Das Protokoll der Sitzungen beginnt also: „Den 2. November des Jahres 1775 ist unter göttlichem Beistande zu der Eröffnung einer Gesellschaft deutscher Sprache in dem Hause des Herrn Aktuarius Salzmann, gegenüber dem Rathhause, Nachmittags um 3 Uhr, geschritten worden.“ Lenz hielt, als Sekretär, eine Anrede an die Mitglieder „über die Vortheile einer Verbindung dieser Art zu einer hoffentlich zu erwartenden allgemeinen deutschen Sprache“, und hat darin zu zeigen gesucht, wie sehr eine Provinz von ihren Rechten vergebe, wenn sie die Ausbildung des sogenannten Hochdeutschen, einer einzigen Provinz oder einem einzigen Kreise Deutschlands überließe. Tieck hat diese Anrede aufbewahrt (Lenz, Schriften Th. II. S. 326 u. ff.). Lenz war das thätigste Mitglied dieses Vereins, mit dem er auch =Michaelis= von Göttingen und =Schlosser= von Emmendingen, in Verbindung brachte. Er gab folgende Beiträge, von welchen sich die mit * bezeichneten in Tieck’s Ausgabe seiner Schriften vorfinden: 1.* Anrede an die Gesellschaft (S. oben). 2.* Vorzüge der deutschen vor der französischen Sprache. 3.* Ueber die Bearbeitung der deutschen Sprache im Elsaß, Breisgau und den benachbarten Gegenden. 4. Nachahmung von _Plautus Captirei_. 5.* Die beiden Alten, ein Familiengemälde (dramatisch), nach einer Zeitungsanekdote. 6. Ballade aus Dodley’s Sammlung altenglischer Gedichte. 7.* Neujahrsgedicht. 8.* Etwas über die Veränderung des Theaters beim Shakspeare. 9. Etwas über den Charakter des Sokrates, aus dem Xenophon. 10. Briefe über die Moralität des jungen Werthers. 11. Koriolan von Shakspeare. Die merkwürdigsten unter den übrigen Mitgliedern waren, außer Salzmann, der das Präsidium führte, Magister =Leypold=[4] (1730 zu Straßburg geboren, gestorben als Professor am Gymnasium daselbst 1792), ein Schützling Schöpflin’s, auf dessen Veranlassung er gelehrte Reisen nach Italien, der Schweiz und nach Holland machte; ein gründlicher Philologe und geschmackvoller Dichter; als Republikaner eifrig und seine Schüler für wahre Vaterlandsliebe begeisternd; übrigens ein Original, von dem noch jetzt die drolligsten Anekdoten kreisen. Er trug in der Gesellschaft eine Charakteristik von Sebastian Brant’s Narrenschiff vor. -- Dr. =J. Lorenz Blessig=, Professor der Theologie (gestorben 1816), als anregender Lehrer der akademischen Jugend und geistlicher Redner ausgezeichnet. -- Der gelehrte, geistreiche Dr. =Isaac Haffner= (gest. 1831), zuletzt Dekan der theologischen Fakultät zu Straßburg, dessen Predigten, hinsichtlich der Form, als klassische Muster anerkannt sind. -- =Johannes von Türkheim=, dessen Geschichte von Hessen, in drei Theilen, berühmt geworden. -- =Otto=, ein Gehülfe des Philologen Brunk, ein Mann von großem politischem Einflusse; zuletzt französischer Gesandter in London. -- =Schönfeld=, ein Komponist und launiger Knittelversemacher. -- =Leopold Wagner= (geb. zu Straßburg 1747, gest. 1779), ein Kraftgenie, mit der Lenzischen Muse verwandt. Göthe hat ihn im Faust verewigt, es ist der Famulus Wagner. Er hat mehrere Dramen geschrieben, voller Excentrität und gräulicher Scenen: „die Kindesmörderin“ (1776), deren Stoff er Göthe weggenommen hat; „die Reue nach der That“ (1775); Gervinus hält ihn auch für den Verfasser des kleinen Nachspiels „die frohe Frau“ (1775).[5] -- Graf =Ramond=, aus Kolmar, gestorben als Staatsrath und Präfekt der obern Pyrenäen. Als Schriftsteller zeichnete er sich durch sein (im Geiste von Shakspeare und von Göthe’s Götz von Berlichingen geschriebenen) _guerre d’Alsace_, einem historischen Drama (_Bâle_ 1780), und durch _les dernières aventures du jeune d’Olban, fragment des amours alsaciennes_ (_Yverdun_ 1777) aus. Ramond kann als Vorläufer der romantischen Schule Frankreichs gelten. Er schloß sich namentlich an Lenz an, dem die letztere Schrift zugeeignet ist, und mit dem er in seiner leidenschaftlichen Liebe zu Shakspeare sympathisirte. -- Als Mitglieder der Gesellschaft kommen noch vor: =Breu=, =Lobstein=, =Meyer=, =Müller=, =Fries=, =Röderer= und =Corvinus=.[6] Im Frühjahr 1776 verließ Lenz Straßburg und hielt sich in Weimar auf, wo er mit Göthe umgieng und mit Herder und Wieland näher bekannt wurde. Wie von einem unvermeidlichen Schicksale getrieben, kam er aber gegen das Ende des folgenden Jahres wieder in das Elsaß. Nun brach sein oft in dumpfes Hinbrüten, in bange Schwermuth versunkenes Gemüth in vollen Wahnsinn aus, der zuweilen zur unbändigsten Raserei wurde. Er irrte im tiefen Winter, in Schnee und Wind, durch die Vogesen und kam im Jänner 1778, in seinem Aeußern aufs Höchste vernachläßigt und die traurigsten Spuren der Verirrung tragend, nach Waldbach, in’s Steinthal, wo der würdige Pfarrer =Oberlin= ihn mit hingebender Liebe aufnahm. Nachfolgender Aufsatz, der sich in Oberlin’s Papieren vorfand, mag dem Leser die herzzerreißenden Scenen, die während Lenz’s Aufenthalt im Steinthale vorfielen, schildern.[7] „Den 20. Januar 1778 kam er hieher. Ich kannte ihn nicht. Im ersten Blick sah ich ihn, den Haaren und hängenden Locken nach für einen Schreinergesellen an; seine freimüthige Manier aber zeigte bald, daß mich die Haare betrogen hatten. -- „Seien Sie willkommen, ob Sie mir schon unbekannt.“ -- „ich bin ein Freund K...’s[8] und bringe ein Compliment von ihm.“ -- „Der Name, wenn’s beliebt?“ -- „=Lenz.=“ -- „Ha, ha, ist er nicht gedruckt?“ (Ich erinnerte mich einige Dramen gelesen zu haben, die einem Herrn dieses Namens zugeschrieben wurden.) Er antwortete: „Ja; aber belieben sie mich nicht darnach zu beurtheilen.“ Wir waren vergnügt unter einander; er zeichnete uns verschiedene Kleidungen der Russen und Liefländer vor; wir sprachen von ihrer Lebensart, u. s. w. Wir logirten ihn in das Besuchzimmer im Schulhause. Die darauf folgende Nacht hörte ich eine Weile im Schlaf laut reden, ohne daß ich mich ermuntern konnte. Endlich fuhr ich plötzlich zusammen, horchte, sprang auf, horchte wieder. Da hörte ich mit Schulmeisterstimme laut sagen: _Allez donc au lit -- qu’est-ce que c’est que ça -- hé dans l’eau par un temps si froid! -- Allez, allez au lit._ Eine Menge Gedanken durchdrangen sich in meinem Kopf. Vielleicht, dachte ich, ist er ein Nachtwandler und hatte das Unglück in die Brunnbütte zu stürzen; man muß ihm also Feuer, Thee machen, um ihn zu erwärmen und zu trocknen. Ich warf meine Kleider um mich und hinunter an das Schulhaus. Schulmeister und seine Frau, noch vor Schrecken blaß, sagten mir: Herr Lenz hätte die ganze Nacht nicht geschlafen, wäre hin und her gegangen, auf’s Feld hinter dem Hause, wieder herein, endlich hinunter an den Brunnentrog, streckte die Hände ins Wasser, stieg auf den Trog, stürzte sich hinein und plattscherte drin wie eine Ente; sie, Schulmeister und seine Frau, hatten gefürchtet, er wolle sich ertränken, riefen ihm zu -- er wieder aus dem Wasser, sagte, er wäre gewohnt sich im kalten Wasser zu baden, und gieng wieder auf sein Zimmer. -- Gottlob, sagte ich, daß es weiter nichts ist; Herr K... liebt das kalte Bad auch, und Herr L... ist ein Freund von Herrn K... Das war für uns Alle der erste Schreck; ich eilte zurück um meine Frau auch zu beruhigen. Von dem an verrichtete er, auf meine Bitten, sein Baden mit mehrerer Stille. Den 21sten ritt er mit mir nach Belmont, wo wir die allgemeine Großmutter, die 176 Abstämmlinge erlebt, begruben. Daheim communicirte er mir mit einer edeln Freimüthigkeit, was ihm an meinem Vortrag u. s. w. mißfallen; wir waren vergnügt bei einander, es war mir wohl bei ihm; er zeigte sich in allem als ein liebenswürdiger Jüngling. Herr K... hatte mir sagen lassen: er würde, seiner Braut das Steinthal zu zeigen, zu uns kommen und einen Theologen mitbringen, der gerne hier predigen möchte. Ich bin nun bald eilf Jahre hier; anfangs waren meine Predigten vortrefflich, nach dem Geschmacke der Steinthaler. Seitdem ich aber dieser guten Leute Fehler kenne und ihre äußerste Unwissenheit in Allem, und besonders in der Sprache selbst, in der man ihnen predigt, und ich mich daher so tief mir immer möglich herunterlassen und dem mir nun bekannten Bedürfniß meiner Zuhörer gemäß zu predigen mich bemühe, seitdem hat man beständig daran auszusetzen. Bald heißt es: ich wäre zu scharf; bald: so könne es Jeder; bald: meine Mägde hätten mir meine Predigt gemacht u. s. w. Ueberdieß macht mir das Predigen oft mehr Mühe als alle andern Theile meines Amtes zusammengenommen. Ich bin daher herzlich froh, wann bisweilen jemand anders für mich predigen will. Herr L..., nachdem er die Schulen der _Conductrices_ und Anderes in Augenschein genommen, und er mir seine Gedanken freimüthig über Alles mitgetheilt, äußerte mir seinen Wunsch für mich zu predigen. Ich fragte ihn, ob er der Theolog wäre, von dem mir Herr K... hätte sagen lassen? „Ja,“ sagte er, und ich ließ mir’s, um obiger Ursachen willen, gefallen; es geschah den darauf folgenden Sonntag, den 25sten. Ich gieng vor den Altar, sprach die Absolution, und Herr L... hielt auf der Kanzel eine schöne Predigt, nur mit etwas zu vieler Erschrockenheit. Herr K... war mit seiner Braut auch in der Kirche. Sobald er konnte, bat er mich, mit ihm besonders zu gehen, und fragte mich mit bedeutender Miene, wie sich Herr L... seitdem betragen und was wir mit einander gesprochen hätten. Ich sagte ihm, was ich noch davon wußte; Herr K... sagte: es wäre gut. Bald darauf war er auch mit Herrn L... allein. Es kam mir dieß alles etwas bedenklich vor, wollte da nicht fragen, wo ich sah, daß man geheimnißvoll wäre, nahm mir aber vor, meinen Unterricht weiter zu suchen. Herr K... lud mich freundschaftlich ein, mit ihm zu seiner Hochzeit in die Schweiz zu gehen. So gern ich längst die Schweiz gesehen, einen Lavater, einen Pfenninger und andere Männer gekannt und gesprochen hätte, so sehr meinem Leibe und Gemüthe (ich hatte einige harte Monate gehabt), eine Aufmunterung und Stärkung durch eine Reise wünschbar war, so unübersteigliche Hindernisse fand ich auf allzuvielen Seiten. Herr K... räumte einen großen Theil durch Mittheilung seines Reiseplanes aus dem Wege: ich überlegte den Rest und fand Möglichkeit. Am Montag, den 26sten, nachdem ich meine letzten damaligen Patienten begraben hatte, gieng ich den nächsten Weg über Rhein. Herr L... sollte die Kanzel und mein Herr Amtsbruder die eigentlichen _Actus pastorales_, die den damaligen Umständen nach sparsam oder gar nicht vorkommen sollten, versehen. Ich kam nicht weiter als bis nach Köndringen und Emmendingen, wo ich Herrn Sander, und am zweiten Ort, Herrn Schlosser zum ersten Mal sah und besprach; sodann über Breisach nach Kolmar, wo ich Herrn Pfeffel und Lerse kennen lernte; und zurück ins Steinthal. Ich hatte nun hinlänglichen Unterricht in Ansehung Herrn L... bekommen, und übrigens so viel Satisfaction von meiner Reise, daß, so rar bei einem Steinthaler Pfarrer das Geld ist, ich sie nicht um hundert Thaler gebe. Ueber meine unvermuthete Rückkunft war Herr L... betroffen und etwas bestürzt, meine Frau aber entzückt, und bald darauf, nach einiger Unterredung, auch Herr L... Ich hörte, daß in meiner Abwesenheit Vieles, auf Herrn L...’s Umstände Passendes und für ihn Nützliches, gesprochen worden, ohngeachtet meine Frau die Umstände selbst, die ich erst auf meiner Reise erfuhr, nicht wußte. Ich erfuhr ferner, daß Herr L..., nach vorhergegangenen eintägigen Fasten, Bestreichung des Gesichtes mit Asche, Begehrung eines alten Sackes, den 3. Hornung ein zu Fouday so eben verstorbenes Kind, das Friedericke hieß, aufwecken wollte, welches ihm aber fehlgeschlagen. Er hatte eine Wunde am Fuß hieher gebracht, die ihn hinken machte und ihn nöthigte hier zu bleiben. Meine Frau verband sie ihm täglich, und man konnte baldige Heilung hoffen. Durch das unruhige Hin- und Herlaufen aber, da er das Kind erwecken wollte, verschlimmerte sich die Wunde so sehr, daß man die Entzündung mit erweichenden Aufschlägen wahren mußte. Auf unsre und Herrn K...’s häufige Vorstellungen hatte er sein Baden eingestellt, um die Heilung der Wunde zu befördern. In der Nacht aber, zwischen dem 4. und 5. Hornung, sprang er wieder in den Brunnentrog, mit heftiger Bewegung, um, wie er nachher gestand, die Wunde auf’s Neue zu verschlimmern. Seit Herrn K...’s Besuch logirte Herr L... nicht mehr im Schulhaus, sondern bei uns in dem Zimmer über der Kindsstube. Den Tag hindurch war er auf meiner Stube, wo er sich mit Zeichnen und Malen der Schweizergegenden, mit Durchblättern und Lesen der Bibel, mit Predigtschreiben, und Unterredung mit meiner Frau beschäftigte. Den 5. Hornung kam ich von meiner Reise zurück; er war, wie ich oben gesagt, anfangt darüber bestürzt, und bedauerte sehr, daß ich nicht in der Schweiz gewesen. Ich erzählte ihm, daß Herr Hofrath Pfeffel die Landgeistlichen so glücklich schätzt, und ihren Stand beneidenswerth hält, weil er so unmittelbar zur Beglückung des Nächsten aufweckt. Es machte Eindruck auf ihn. Ich bediente mich dieses Augenblicks, ihn zu ermahnen, sich dem Wunsche seines Vaters zu unterwerfen, sich mit ihm auszusöhnen u. s. w. Da ich bei manchen Gelegenheiten wahrgenommen, daß sein Herz von fürchterlicher Unruhe gemartert wurde, sagte ich ihm, er würde sodann wieder zur Ruhe kommen, und schwerlich eher, denn Gott wüßte seinem Worte: „Ehre Vater und Mutter,“ Nachdruck zu geben u. s. w. Alles, was ich sagte, waren nur meistens Antworten auf abgebrochene, oft schwer zu verstehende Worte, die er in großer Beklemmung seines Herzens ausstieß. Ich merkte, daß er bei Erinnerung gethaner, mir unbekannter, Sünde schauderte, an der Möglichkeit der Vergebung verzweifelte; ich antwortete ihm darauf; er hob seinen niederhängenden Kopf auf, blickte gen Himmel, rang die Hände, und sagte: „Ach! ach! göttlicher Trost -- ach -- göttlich, o -- ich bete -- ich bete an!“ Er sagte mir sodann ohne Verwirrung, daß er nun Gottes Regierung erkenne und preise, die mich so bald, ihn zu trösten, wieder heimgeführt. Ich gieng im Zimmer hin und her, packte aus, legte in Ordnung, stellte mich zu ihm hin. Er sagte mit freundlicher Miene: „Bester Herr Pfarrer, können Sie mir doch nicht sagen, was das Frauenzimmer macht, dessen Schicksal mir so zentnerschwer auf dem Herzen liegt?“ Ich sagte ihm, ich wisse von der ganzen Sache nichts, ich wolle ihm in allem, was ihn wahrhaft beruhigen könne, aus allen Kräften dienen, er müßte mir aber Ort und Personen nennen. Er antwortete nicht, stand in der erbärmlichsten Stellung, redete gebrochene Worte: „Ach! ist sie todt? Lebt sie noch? -- Der Engel, sie liebte mich -- ich liebte sie, sie war’s würdig -- o, der Engel! -- Verfluchte Eifersucht! ich habe sie aufgeopfert -- sie liebte noch einen Andern -- aber sie liebte mich -- ja herzlich -- aufgeopfert -- die Ehe hatte ich ihr versprochen, hernach verlassen -- o, verfluchte Eifersucht -- -- O, gute Mutter! auch die liebte mich -- ich bin euer Mörder!“ Ich antwortete wie ich konnte, sagte ihm unter Anderm, vielleicht lebten diese Personen alle noch, und vielleicht vergnügt; es mag sein wie es wolle, so könnte und würde Gott, wenn er sich zu ihm bekehrt haben würde, diesen Personen auf sein Gebet und Thränen, so viel Gutes erweisen, daß der Nutzen, den sie sodann von ihm hätten, den Schaden, so er ihnen zugefügt, leicht und vielleicht weit überwiegen würde. -- Er wurde jedoch nach und nach ruhiger und gieng an sein Malen. Herr C... hatte mir zu Emmendingen einige in Papier gepackte Gerten nebst einem Brief für ihn mitgegeben. Eines Males kam er zu mir; auf der linken Schulter hatte er ein Stück Pelz, so ich, wenn ich mich der Kälte lange aussetzen muß, auf den Leib zu legen gewohnt bin. In der Hand hielt er die noch eingepackten Gerten; er gab sie mir, mit Begehren, ich solle ihn damit herumschlagen. Ich nahm die Gerten aus seiner Hand, drückte ihm einige Küsse auf den Mund und sagte: dieß wären die Streiche, die ich ihm zu geben hätte, er möchte ruhig sein, seine Sachen mit Gott allein ausmachen; alle möglichen Schläge würden keine einzige seiner Sünden tilgen, dafür hätte Jesus gesorgt, zu dem möchte er sich wenden. Er gieng. Beim Nachtessen war er etwas tiefsinnig. Doch sprachen wir von allerlei. Wir giengen endlich vergnügt von einander und zu Bette. -- Um Mitternacht erwachte ich plötzlich; er rannte durch den Hof, rief mit harter, etwas hohler Stimme einige Sylben, die ich nicht verstand; seitdem ich aber weiß, daß seine Geliebte =Friedericke=[9] hieß, kommt es mir vor, als ob es dieser Name gewesen wäre, -- mit äußerster Schnelle, Verwirrung und Verzweiflung ausgesprochen. Er stürzte sich, wie gewöhnlich, in den Brunnentrog, patschte drin, wieder heraus und hinauf in sein Zimmer, wieder hinunter in den Trog, und so einige Mal -- endlich wurde er still. Meine Mägde, die in dem Kindsstübchen unter ihm schliefen, sagten, sie hätten oft, insonderheit aber in selbiger Nacht, ein Brummen gehört, das sie mit nichts als mit dem Ton einer Habergeise zu vergleichen wüßten. Vielleicht war es sein Winseln mit hohler, fürchterlicher, verzweifelnder Stimme. Freitag den 6ten, den Tag nach meiner Zurückkunft, hatte ich beschlossen, nach Rothau zu Herrn Pfarrer Schweighäuser zu reiten. Meine Frau gieng mit. Sie war schon fort, und ich im Begriff auch abzureisen. Aber welch ein Augenblick! Man klopft an meiner Thüre, und Herr L... tritt herein mit vorwärts gebogenem Leibe, niederwärts hängendem Haupt, das Gesicht über und über und das Kleid hier und da mit Asche verschmiert, mit der rechten Hand an dem linken Arm haltend. Er bat mich, ihm den Arm zu ziehen, er hätte ihn verrenkt, er hätte sich vom Fenster heruntergestürzt; weil es aber Niemand gesehen, möcht’ ich’s auch Niemand sagen. Ich that was er wollte, und schrieb eilends an Sebastian Scheidecker, Schullehrer von Bellefosse, er solle herunter kommen, Herrn L... hüten. Ich eilte fort. Sebastian kam und richtete seine Commission unvergleichlich aus, stellte sich, als ob er mit uns hätte reden wollen, sagte ihm, daß, wenn er wüßte, daß er ihm nicht überlästig oder von etwas abhielte, wünschte er sehr, einige Stunden in seiner Gesellschaft zu seyn. Herr L... nahm es mit besonderem Vergnügen an, und schlug einen Spaziergang nach Fouday vor, -- gut. Er besuchte das Grab des Kindes, das er hatte erwecken wollen, kniete zu verschiedenen Malen nieder, küßte die Erde des Grabes, schien betend, doch mit großer Verwirrung, riß etwas von der auf dem Grabe stehenden Krone ab, als ein Andenken, gieng wieder zurück gen Waldersbach,[10] kehrte wieder um, und Sebastian immer mit. Endlich mochte Herr L... die Absicht seines Begleiters errathen; er suchte Mittel ihn zu entfernen. Sebastian schien ihm nachzugeben, fand aber heimlich Mittel, seinen Bruder Martin von der Gefahr zu benachrichtigen, und nun hatte Herr L... zween Aufseher statt einen. Er zog sie wacker herum; endlich gieng er nach Waldersbach zurück, und da sie nahe am Dorf waren, kehrte er wie ein Blitz um, und sprang, ungeachtet seiner Wunde am Fuß, wie ein Hirsch gen Fouday zurück. Sebastian kam zu uns, um das Vorgegangene zu berichten, und sein Bruder setzte dem Kranken nach. Indem er ihn zu Fouday suchte, kamen zwei Krämer und erzählten ihm, man hätte in einem Hause einen Fremden gebunden, der sich für einen Mörder ausgäbe, und der Justiz ausgeliefert sein wollte, der aber gewiß kein Mörder sein könne. Martin lief in das Haus und fand es so; ein junger Mensch hatte ihn, auf sein ungestümes Anhalten, in der Angst gebunden. Martin band ihn los und brachte ihn glücklich nach Waldersbach. Er sah verwirrt aus; da er aber sah, daß ich ihn wie immer freundschaftlich und liebreich empfieng und behandelte, bekam er wieder Muth, sein Gesicht veränderte sich vortheilhaftig, er dankte seinen beiden Begleitern freundlich und zärtlich, und wir brachten den Abend vergnügt zu. Ich bat ihn inständig nicht mehr zu baden, die Nacht ruhig im Bette zu bleiben, und wann er nicht schlafen könnte, sich mit Gott zu unterhalten u. s. w. Er versprach’s, und wirklich that er’s die folgende Nacht; unsere Mägde hörten ihn fast die ganze Nacht hindurch beten. Den folgenden Morgen, Samstag den 7ten, kam er mit vergnügter Miene auf mein Zimmer. Ich hoffte, wir würden bald am Ende unserer gegenseitigen Qual seyn; aber leider der Erfolg zeigte was anders. Nachdem wir Verschiedenes gesprochen hatten, sagte er mir mit ausnehmender Freundlichkeit: „Liebster Herr Pfarrer, das Frauenzimmer, von dem ich ihnen sagte, ist gestorben, ja gestorben -- o, der Engel!“ -- Woher wissen Sie das? -- „Hieroglyphen -- Hieroglyphen!“ -- und dann gen Himmel geschaut und wieder: „Ja -- gestorben -- Hieroglyphen!“ -- Er schrieb einige Briefe, gab mir sie sodann zu, mit Bitte, ich möchte noch selbst einige Zeilen darunter setzen. Ich hatte mit einer Predigt zu thun und steckte die Briefe indessen in meine Tasche. In dem einen an eine adelige Dame in W. schien er sich mit Abadonna zu vergleichen; er redete von Abschied. -- Der Brief war mir unverständlich, auch hatte ich nur einen Augenblick Zeit ihn zu übersehen, eh ich ihn von mir gab. In dem andern an die Mutter seiner Geliebten, sagt er, er könne ihr dießmal nicht mehr sagen, als daß ihre Friedericke nun ein Engel sey und sie würde Satisfaktion bekommen. Der Tag gieng vergnügt und gut hin. Gegen Abend wurde ich nach Bellefosse zu einem Patienten geholt. Da ich zurückkam, kam mir Herr L... entgegen. Es war gelind Wetter und Mondschein. Ich bat ihn, nicht weit zu gehen und seines Fußes zu schonen. Er versprach’s. Ich war nun auf meinem Zimmer und wollte ihm Jemand nachschicken, als ich ihn die Stieg herauf in sein Zimmer gehen hörte. Einen Augenblick nachher platzte etwas im Hof mit so starkem Schall, daß es mir unmöglich von dem Fall eines Menschen herkommen zu können schien. Die Kindsmagd kam todtblaß und am ganzen Leibe zitternd zu meiner Frau: Herr L... hätte sich zum Fenster hinausgestürzt. Meine Frau rief mir mit verwirrter Stimme -- ich sprang heraus, und da war Herr L... schon wieder in seinem Zimmer. Ich hatte nur einen Augenblick Gelegenheit einer Magd zu sagen: «_Vite, chez l’homme juré, qu’il me donne deux hommes_,» und hierauf zu Herrn Lenz. Ich führte ihn mit freundlichen Worten auf mein Zimmer; er zitterte vor Frost am ganzen Leibe. Am Oberleib hatte er nichts an als das Hemd, welches zerrissen und sammt der Unterkleidung über und über kothig war. Wir wärmten ihm ein Hemd und Schlafrock und trockneten die seinigen. Wir fanden, daß er in der kurzen Zeit, die er ausgegangen war, wieder mußte versucht haben sich zu ertränken, aber Gott hatte auch da wieder gesorgt. Seine Kleidung war durch und durch naß. Nun, dachte ich, hast du mich genug betrogen, nun mußt du betrogen, nun ist’s aus, nun mußt du bewacht seyn. Ich wartete mit großer Ungeduld auf die zwei begehrten Mann. Ich schrieb indessen an meiner Predigt fort und hatte Herrn L... am Ofen, einen Schritt weit von mir sitzen. Keinen Augenblick traute ich von ihm, ich mußte harren. Meine Frau, die um mich besorgt war, blieb auch. Ich hätte so gerne wieder nach den begehrten Männern geschickt, konnte aber durchaus nicht mit meiner Frau oder sonst Jemand davon reden; laut, hätte er’s verstanden, heimlich, das wollten wir nicht, weil die geringste Gelegenheit zu Argwohn auf solche Personen allzu heftig Eindruck macht. Um halb neun giengen wir zum Essen; es wurde, wie natürlich, wenig geredet; meine Frau zitterte vor Schrecken und Herr L... vor Frost und Verwirrung. Nach kaum viertelstündigem Beisammensitzen fragte er mich, ob er nicht hinauf in mein Zimmer dürfte? -- Was wollen sie machen, mein Lieber? -- etwas lesen -- gehen Sie in Gottes Namen; -- er gieng, und ich, mich stellend, als ob ich genug gegessen, folgte ihm. Wir saßen; ich schrieb, er durchblätterte meine französische Bibel mit furchtbarer Schnelle, und ward endlich stille. Ich gieng einen Augenblick in die Stubkammer, ohne im allergeringsten mich aufzuhalten, nur etwas zu nehmen, das in dem Pult lag. Meine Frau stand inwendig in der Kammer an der Thür und beobachtete Herrn L...; ich faßte den Schritt wieder herauszugehen, da schrie meine Frau mit gräßlicher, hohler, gebrochener Stimme: „Herr Jesus, er will sich erstechen!“ In meinem Leben habe ich keinen solchen Ausdruck eines tödtlichen, verzweifelten Schreckens gesehen, als in dem Augenblick, in den verwilderten, gräßlich verzogenen Gesichtszügen meiner Frau. Ich war haußen. -- Was wollen Sie doch immer machen, mein Lieber? -- Er legte die Scheere hin. -- Er hatte mit scheußlich starren Blicken umher geschaut, und da er Niemand in der Verwirrung erblickte, die Scheere still an sich gezogen, mit fest zusammengezogener Faust sie gegen das Herz gesetzt, alles dieß so schnell, daß nur Gott den Stoß so lange aufhalten konnte, bis das Geschrei meiner Frau ihn erschreckte und etwas zu sich selber brachte. Nach einigen Augenblicken nahm ich die Scheere, gleichsam als in Gedanken und wie ohne Absicht auf ihn, hinweg; dann, da er mich feierlich versichern wollte, daß er sich nicht damit umzubringen gedacht hätte, wollte ich nicht thun, als wenn ich ihm gar nicht glaubte. Weil alle vorigen Vorstellungen wider seine Entleibungssucht nichts bei ihm gefruchtet hatten, versuchte ich’s auf eine andere Art. Ich sagte ihm: Sie waren bei uns durchaus ganz fremd, wir kannten sie ganz und gar nicht; ihren Namen haben wir ein einzigmal aussprechen hören, ehe wir Sie gekannt; wir nahmen Sie mit Liebe auf, meine Frau pflegte Ihren kranken Fuß mit so großer Geduld, und Sie erzeigen uns so viel Böses, stürzen uns aus einem Schrecken in den andern. -- Er war gerührt, sprang auf, wollte meine Frau um Verzeihung bitten; sie aber fürchtete sich nun noch so viel vor ihm, sprang zur Thüre hinaus; er wollte nach, sie aber hielt die Thüre zu. -- Nun jammerte er, er hätte meine Frau umgebracht, das Kind umgebracht, so sie trage; Alles, Alles bring’ er um, wo er hin käme. -- Nein, mein Freund, meine Frau lebt noch und Gott kann die schädlichen Folgen des Schreckens wohl hemmen, auch würde ihr Kind nicht davon sterben, noch Schaden leiden. -- Er wurde wieder ruhiger. Es schlug bald zehn Uhr. Indessen hatte meine Frau in die Nachbarschaft um schleunige Hülfe geschickt. Man war in den Betten; doch kam der Schulmeister, that, als ob er mich etwas zu fragen hätte, erzählte mir etwas aus dem Kalender, und Herr L..., der indessen wieder munter wurde, nahm auch Theil am Discurs, wie wenn durchaus nichts vorgefallen wäre. Endlich winkte man mir, daß die zwei begehrten Männer angekommen -- o wie war ich so froh! Es war Zeit. Eben begehrte Herr L... zu Bette zu gehen. Ich sagte ihm: „Lieber Freund, wir lieben Sie, Sie sind davon überzeugt, und Sie lieben uns, das wissen wir eben so gewiß. Durch Ihre Entleibung würden Sie Ihren Zustand verschlimmern, nicht verbessern; es muß uns also an Ihrer Erhaltung gelegen seyn. Nun aber sind Sie, wenn Sie die Melancholie überfällt, Ihrer nicht Meister; ich habe daher zwei Männer gebeten in Ihrem Zimmer zu schlafen (wachen dachte ich), damit Sie Gesellschaft, und wo es nöthig, Hülfe hätten.“ Er ließ sich’s gefallen. Man wundere sich nicht, daß ich so sagte, und mit ihm umgieng; er zeigte immer großen Verstand und ein ausnehmend theilnehmendes Herz; wenn die Anfälle der Schwermuth vorüber waren, schien alles so sicher und er selbst war so liebenswürdig, daß man sich fast ein Gewissen daraus machte, ihn zu argwohnen oder zu geniren. Man setze noch das zärtlichste Mitleiden hinzu, das seine unermeßliche Qual, deren Zeuge wir nun so oft gewesen, uns einflößen mußte. Denn fürchterlich und höllisch war es, was er ausstund, und es durchbohrte und zerschnitt mir das Herz, wenn ich an seiner Seite die Folgen der Principien, die so manche heutige Modebücher einflößen, die Folgen seines Ungehorsams gegen seinen Vater, seiner herumschweifenden Lebensart, seiner unzweckmäßigen Beschäftigungen, seines häufigen Umgangs mit Frauenzimmern, durchempfinden mußte. Es war mir schrecklich und ich empfand eigene, nie empfundene Marter, wenn er, auf den Knieen liegend, seine Hand in meiner, seinen Kopf auf meinem Knie gestützt, sein blasses, mit kaltem Schweiß bedecktes Gesicht in meinen Schlafrock verhüllt, am ganzen Leibe bebend und zitternd; wenn er so, nicht beichtete, aber die Ausflüsse seines gemarterten Gewissens und unbefriedigten Sehnsucht nicht zurückhalten konnte. -- Er war mir um so bedauerungswürdiger, je schwerer ihm zu seiner Beruhigung beizukommen war, da unsere gegenseitigen Principien einander gewaltig zuwider, wenigstens von einander verschieden schienen. Nun wieder zur Sache: Ich sagte, er ließ sich’s gefallen, zwei Männer auf seinem Zimmer zu haben. Ich begleitete ihn hinein. Der eine seiner Wächter durchschaute ihn mit starren, erschrockenen Augen. Um diesen etwas zu beruhigen, sagte ich dem Herrn L... nun vor den zwei Wächtern auf Französisch, was ich ihm schon auf meinem Zimmer gesagt hatte, nämlich, daß ich ihn liebte, so wie er mich; daß ich seine Erhaltung wünschte und wünschen müßte, da er selbst sähe, daß ihm die Anfälle seiner Melancholie fast keine Macht mehr über ihn ließen; ich hätte daher diese zwei Bürger gebeten bei ihm zu schlafen, damit er Gesellschaft und, im Fall der Noth, Hülfe hätte. Ich beschloß dieß mit einigen Küssen, die ich dem unglücklichen Jüngling von ganzem Herzen auf den Mund drückte, und gieng mit zerschlagenen, zitternden Gliedern zur Ruhe. Da er im Bett war, sagte er unter Anderm zu seinen Wächtern: «_Ecoutez, nous ne voulons point faire de bruit, si vous avez un couteau, donnez-le moi tranquillement et sans rien craindre._» Nachdem er oft deßwegen in sie gesetzt und nichts zu erhalten war, so fieng er an sich den Kopf an die Wand zu stoßen. Während dem Schlaf hörten wir ein öfteres Poltern, das uns bald zu-, bald abzunehmen schien, und wovon wir endlich erwachten. Wir glaubten, es wäre auf der Bühne, konnten aber keine Ursache davon errathen. -- Es schlug drei, und das Poltern währte fort; wir schellten, um ein Licht zu bekommen; unsere Leute waren alle in fürchterlichen Träumen versenkt und hatten Mühe sich zu ermuntern. Endlich erfuhren wir, daß das Poltern von Herrn L... käme und zum Theil von den Wächtern, die, weil sie ihn nicht aus den Händen lassen durften, durch Stampfen auf den Boden Hülfe begehrten. Ich eilte auf sein Zimmer. So bald er mich sah, hörte er auf sich den Wächtern aus den Händen ringen zu wollen. Die Wächter ließen dann auch nach ihn festzuhalten. Ich winkte ihnen ihn frei zu lassen, saß auf sein Bette, redete mit ihm, und auf sein Begehren, für ihn zu beten, betete ich mit ihm. Er bewegte sich ein wenig, und einsmals schmiß er seinen Kopf mit großer Gewalt an die Wand; die Wächter sprangen zu und hielten ihn wieder. Ich gieng und ließ einen dritten Wächter rufen. Da Herr L... den dritten sah, spottete er ihrer, sie würden alle drei nicht stark genug für ihn seyn. Ich befahl nun in’s geheime mein Wäglein einzurichten, zu decken, noch zwei Pferde zu suchen zu dem meinigen, beschickte Seb. Scheidecker, Schullehrer von Bellefosse, und Johann David Bohy, Schullehrer von Solb, zween verständige, entschlossene Männer und beide von Herrn L... geliebt. Johann Georg Claude, Kirchenpfleger von Waldersbach, kam auch; es wurde lebendig im Haus, ob es schon noch nicht Tag war. Herr L... merkte was, und so sehr er bald List, bald Gewalt angewendet hatte los zu kommen, den Kopf zu zerschmettern, ein Messer zu bekommen, so ruhig schien er auf einmal. Nachdem ich alles bestellt hatte, gieng ich zu Herrn L..., sagte ihm, damit er bessere Verpflegung nach seinen Umständen haben könnte, hätte ich einige Männer gebeten, ihn nach Straßburg zu begleiten, und mein Wäglein stünde ihm dabei zu Diensten. Er lag ruhig, hatte nur einen einzigen Wächter bei sich sitzen. Auf meinen Vortrag jammerte er, bat mich nur noch acht Tage mit ihm Geduld zu haben (man mußte weinen, wenn man ihn sah). -- Doch sprach er, er wolle es überlegen. Eine Viertelstunde darauf ließ er mir sagen: Ja, er wolle verreisen, stund auf, kleidete sich an, war ganz vernünftig, packte zusammen, dankte Jedem in’s Besondere auf das Zärtlichste, auch seinen Wächtern, suchte meine Frau und Mägde auf, die sich vor ihm versteckt und stille hielten, weil kurz vorher noch, so bald er nur eine Weiberstimme hörte oder zu hören glaubte, er in größere Wuth gerieth. Nun fragte er nach Allen, dankte Allen, bat Alle um Vergebung, kurz, nahm von Jedem so rührenden Abschied, daß Aller Augen in Thränen gebadet stunden. Und so reiste dieser bedauerungswürdige Jüngling von uns ab, mit drei Begleitern und zwei Fuhrleuten. Auf der Reise wandte er nirgends keine Gewalt an, da er sich übermannt sah; aber wohl List, besonders zu Ensisheim, wo sie über Nacht blieben. Aber die beiden Schulmeister erwiederten seine listige Höflichkeit mit der ihrigen, und Alles gieng vortrefflich wohl aus. So oft wir reden, wird von uns geurtheilt, will geschweigen, wenn wir handeln. Hier schon fällt man verschiedene Urtheile von uns; die Einen sagten: wir hätten ihn gar nicht aufnehmen sollen, -- die Andern: wir hätten ihn nicht so lange behalten, -- und die Dritten: wir hätten ihn noch nicht fortschicken sollen. So wird es, denke ich, zu Straßburg auch sein. Jeder urtheilt nach seinem besonderen Temperament (und anders kann er nicht) und nach der Vorstellung, die er sich von der ganzen Sache macht; die aber unmöglich getreu und richtig sein kann, wenigstens mußten unendlich viele Kettengleiche darin fehlen, ohne die man kein richtig Urtheil fällen kann, die aber außer uns nur Gott bekannt seyn und werden können; weil es unmöglich wäre sie getreu zu beschreiben, und doch oft in einem Ton, in einem Blick, der nicht beschrieben werden kann, etwas steckt, das mehr bedeutet, als vorhergegangene erzählbare Handlungen. Alles, was ich auf die nun, auch die zu erwartenden, einander zuwiderlaufenden, sich selbst bestreitenden Urtheile antworten werde, ist: Alles, was wir hierin gethan, haben wir vor Gott gethan, und so, wie wir jedesmal allen Umständen nach glaubten, daß es das Beste wäre. Ich empfehle den bedauerungswürdigen Patienten der Fürbitte meiner Gemeinen und empfehle ihn in der nämlichen Absicht Jedem, der dieß liest.[11]“ * * * * * In Straßburg blieb Lenz einige Wochen und gieng sodann nach Emmendingen, wo er den Tod von Schlosser’s Gattin, Göthe’s Schwester, erfuhr, was seine reizbare Seele von Neuem heftig ergriff. „Lenz ist bei mir,“ schreibt =Schlosser= an =Oberlin= (2. März 1778) „und drückt mich erstaunlich. Ich habe gefunden, daß seine Krankheit eine wahre Hypochondrie ist. Ich habe ihm heut eine Proposition gethan, wodurch ich ihn gewiß curiren würde. Aber er ist wie ein Kind, keines Entschlusses fähig; ungläubig gegen Gott und Menschen. Zweimal hat er mir große Angst eingejagt; sonst ist er zwischen der Zeit ruhig. Ich würde Euch mit mehr Freiheit schreiben, wenn er nicht da wäre, aber er schlägt mich mit Fäusten und verengt mein armes Herz.“ Wie dankbar Lenz Schlosser’s freundschaftliche Bemühungen anerkannte, sagen folgende Verse, die aus jener Zeit herrühren: Wie freundlich trägst du mich auf deinem grünen Rücken, Uralter Rhein, Wie suchest du mein Aug’ empfindlich zu erquicken Durch Ufer voller Wein, Und hab ich doch die tausend Lustgestalten Tief im Gedächtniß zu behalten. Nun weder Dinte noch Papier, Nur dieses Herz, das sich empfindet hier! Es scheinet fast, du liebest, Allzugroßer, Nicht mehr der Maler Prunk, der Dichter Klang, Es scheint, du willst, wie =Schlosser=, Nur stummen Dank. Der Wahnsinn des Unglücklichen brach in Schlosser’s Hause mit solcher Heftigkeit aus, daß man ihn in Ketten legen mußte.[12] Schlosser übergab ihn einem Schuster in der Nachbarschaft zur Pflege. Er wurde ruhiger und erlernte von ihm das Schusterhandwerk. Er schloß sich in schwärmerischer Liebe an einen jungen Gesellen, Namens Konrad, an, der sich aber nach drei Monaten auf die Wanderschaft begeben mußte. Diese Trennung schmerzte Lenz auf’s Tiefste. Die rührenden Briefe, welche er deswegen an =Sarasin= in Basel richtete, theilt Tieck mit. Ich lasse sie hier folgen; sie sind gewiß manchem Leser noch unbekannt und werden durch ihren wehmüthigen Ton und kindlichen Sinn sein inniges Mitgefühl erregen. Merkwürdig contrastiren sie mit denjenigen an Salzmann: Hier erscheint er leidend, zutrauensvoll, bittend; dort, seiner Kraft bewußt, stürmisch und leidenschaftlich. 1. „Lieber Herr S. Es freut mich, daß ich Ihnen wieder schreiben kann. Ich habe eine große Bitte an Sie, die Sie mir nicht abschlagen werden: daß Sie so gütig sind, und meinem besten Freunde und Kameraden, dem Herrn Konrad Süß, doch einen Meister verschaffen, wenn er außer der Zeit nach Basel kommt, weil jetzt die Handwerksburschen stark gehen, und ich den Herrn Hofrath[13] bitten will, daß er seinem Vater zureden soll, ihn noch länger als Johannis bei sich zu behalten, damit ich die Schusterei bei ihm fortlernen kann, die ich angefangen habe, und er ohnedem bei seinem Herrn Vater und mir viel versäumt. Es wird das nicht schwer fallen, da er gewiß ein guter und fleißiger Arbeiter und sonst wohlerzogenes Kind ist, und Sie werden mich dadurch aus vieler Noth retten, die ich Ihnen nicht sagen kann. Ausgehen ist mir noch nicht gesund, und was würd’ ich anfangen, wenn er auch fortgienge, da ich gewiß wieder in meine vorige Krankheit verfallen müßte. Hier bin ich dem Herrn Hofrath gegenüber, und ist mir so wohl, bis es besser mit mir wird. Wenn es nur einige Wochen nach Johannis sein könnte! Melden Sie mir doch, ob sich dort keine Meister finden, die auf die Zeit einen Gesellen brauchen. Wenn Sie nur wollten probiren, sich von ihm Schuhe machen zu lassen, ich bin versichert, daß er sie gut machen wird; besonders wenn er einige Zeit in Basel gewesen, und weiß, wie Sie sie gerne tragen. Fleißig ist er gewiß, davon bin ich Zeuge, und er arbeitet recht nett, besonders wenn er sie angreift. Viel tausend Grüße an Ihre Frau Gemahlin und an den Herrn Hofmeister und an die Kleinen. Ich bin bis an’s Ende Ihr gehorsamer Freund und Diener =Lenz=.“ „Er soll jetzt das erstemal auf die Wanderschaft, und ich bin jetzt bei seinen Eltern ein Vierteljahr lang wie das Kind im Hause gewesen. Er ist mein Schlafkamerad und wir sitzen den ganzen Tag zusammen. Thun Sie es doch, bester Herr Sarassin, lieber Herr Sarassin, es wird Sie nicht gereuen. =Emmedingen=, einige Tage vor Johanni 1778. Ich könnte mich gewiß nicht wieder so an einen Andern gewöhnen, denn er ist mir wie ein Bruder.“ 2. „Lieber Herr S. Ich habe ein großes Anliegen; ich weiß, daß Sie meine Bitte erhören werden. Es betrifft meinen Bruder Konrad, der für mich auf der Wanderschaft ist: daß Sie ihm dazu verhelfen, daß er für Sie in der Fremde arbeiten kann. Er war schon fort, als ich Ihr werthes Schreiben erhielt, und seine Abreise war so plötzlich und unvermuthet, daß ich ihm kein Briefchen an Sie mitgeben konnte. Seitdem hab’ ich immer auf Nachricht von ihm gewartet, bis er endlich schrieb, daß er in Basel keine Arbeit bekommen, sondern in Arlesheim, einem katholischen Orte, anderthalb Stunden von Basel. Nun hab’ ich kein Anliegen auf der Welt, das mich mehr bekümmert, als wenn ich nur so glücklich sein könnte zu hören, daß er bei Ihrem Schuhmacher wäre, und Ihnen arbeiten thäte. Das würde mich in kurzer Zeit gesund machen. Erzeigen Sie mir diese Freundschaft und Güte. Die Freude und der Trost, den ich daran haben werde, wird unaussprechlich seyn: denn das Wasser[14] allein hilft mir nicht, wenn meine Freunde nicht mit wollen dazu beitragen. Ich kann Ihnen das nicht so beschreiben, warum ich so ernstlich darum bitte: er ist auf Mannsschuhe besprochen, und ich hoffe, wenn er nur erst Ihre Gedanken weiß, wie Sie’s gerne tragen, Sie werden gewiß mit seiner Arbeit zufrieden sein, wenn auch das erste Paar nicht gleich gerathen sollte. Herr Süß hat mir versprochen, so bald Sie ihn unterbringen, soll er seinem Meister in Arlesheim aufkündigen; und ich bin versichert, er wird es aus Liebe für mich thun, und aus Liebe für sich selbst, welches einerlei ist: denn ich werde keine ruhige Stunde haben, wenn er an dem katholischen Orte bleibt, und wenn er jetzt schon weiter wandern sollte in der großen Hitze, das würde mir auch keine Ruhe lassen. Es freut mich recht sehr, daß Sie wieder einen Hofmeister haben und Ihre Frau Gemahlin sich gesegneten Leibes befindet. Gott wolle ihr eine glückliche Entbindung schenken, daß Ihre Freude vollendet werde, und Sie auf dieser Welt nichts mehr zu wünschen haben mögen. Dann werde ich auch gesund werden, und wenn der Konrad für Sie arbeitet. Weiter weiß ich nichts zu schreiben, als, ich gehe alle Morgen mit meinem lieben Herrn Süß spazieren, und bekomme auch alle Tage den Herrn Hofrath zu sehen. Nun fehlt mir nichts, als daß es Alles so bleibt, und Gott meine Wünsche erhört, und Sie meine Bitte erfüllen, daß der arme Konrad wieder zu seinen Glaubensgenossen kommt. Und ich verharre unaufhörlich und zu allen Zeiten Ihr bereitwilliger Diener und gehorsamer Freund, J. M. R. =Lenz=.“ „Ich trage Ihren Brief immer bei mir, und überlese ihn oft: er hat mir eine große Freude gemacht, und daß Sie sich auch meines Konrad’s so annehmen.“ 3. „Ich kann in der Eile Ihnen, theurer Herr und Gönner, nichts schreiben als hundertfältigen Dank, für die Freundschaft und Güte, die Sie für mich und meinen lieben Konrad haben, an den ich mir die Freiheit nehme, einige Zeilen mit beizulegen, und Ihnen zu melden, daß ich jetzt nach Wiswyll hinaus reisen soll, wo ich brav werde Bewegung machen können, mit der Jagd und Feldarbeit. Ich bin so voller Freude über so viele glückliche Sachen, die alle nach meines Herzens Wunsch ausgeschlagen sind, daß ich für Freude nichts Rechtes zu sagen weiß, als Sie zu bitten, daß Sie doch so gütig sind und Ihr Versprechen erfüllen, dem ehrlichen Konrad für Sie Arbeit zu geben, weil es mir nicht genug ist, wenn er bei Ihrem Meister Schuhmacher ist, und nicht auch für Sie arbeitet. Verzeihen Sie meine Dreistigkeit, ich bitte doch um Nachricht von Ihnen und Ihrer Familie, auch nach Wiswyll. Zwar ist der Herr Hofrath jetzt nach Frankfurt verreist; der Konrad wird mir aber Ihr Briefchen schon durch seinen Vater zuschicken: ich werde wohl einige Zeit ausbleiben. Hunderttausend Grüße Ihrer Frau Gemahlin und sämmtlichen Angehörigen. Ihr gehorsamer Freund und Diener =Lenz=.“ 4. „Eben jetzt, theurer Gönner, erhalte ich noch den Brief von Konrad zu dem Ihrigen und muß hunderttausend Dank wiederholen, daß Sie so gütig sind, und für uns beide so viel Sorge tragen, und sich auch nach mir erkundigen wollen. Auch Herr Süß und seine Frau haben mir aufgetragen, Ihnen doch recht viele Danksagungen zu machen, für die Güte, die Sie für ihren Sohn gehabt, und daß der Herr Hofrath nach Frankfurt verreist sey, sonst würden sie es auch durch ihn haben thun lassen. Gott wolle Ihnen alles das auf andere Art wieder vergelten, was Sie mir für Freude gemacht haben. Ich habe jetzt auf lange Zeit genug an des Konrad’s Brief, den ich im Walde recht werde studiren können. Sagen Sie nur dem Konrad, er soll Wort halten und seine Eltern vor Augen haben, am meisten aber Sie, seinen Wohlthäter, und dann auch den Herrn Hofrath Sch., und dann auch mich, und meinen Zustand der Zeit her, daß es ihm nicht auch so ergehe, wenn er nicht folgt. Sey’n Sie hunderttausend Mal gegrüßt alle zusammen, nochmals von Ihrem gehorsamsten =Lenz=.“ Lenz brachte, ehe er nach Emmendingen kam, einige Monate im obern Elsaße zu, bei dem ehrwürdigen Patriarchen des Thals, Pfarrer =Luce=, der durch seine lieblichen Beiträge im =alsatischen Taschenbuche= bekannt ist. In Kolmar erfreute er sich =Pfeffel=’s Umgang, und besuchte ihn öfters. Pfeffel schrieb, nachdem er durch Oberlin von jenen unglücklichen Verirrungen Nachricht erhalten hatte, an diesen: (25. Hornung 1778) „=Lenz= schrieb uns erst heute von Emmendingen aus, er habe eine weite Reise vor und wolle uns zuvor noch besuchen. Unser Mitleid für den armen Menschen übersteigt allen Ausdruck.“ In Freiburg verkehrte er mit =Jakobi=, dem er Beiträge für seine Iris lieferte.[15] Der Wahnsinn des Unglücklichen hatte nach und nach eine mildere Gestalt angenommen und sich in stille Schwermuth verwandelt. Da aber an völlige Genesung nicht zu denken war, und er auch für jede ernste Beschäftigung und einen Beruf untauglich blieb, schrieben seine Freunde an seine Familie, sie möchte ihn zu sich nehmen. Sein älterer Bruder =Karl Heinrich Gottlieb= holte ihn daher im Sommer 1779 ab und brachte ihn in seine Heimath. Ein Brief desselben an Salzmann lautet also: =Erfurt=, den 3. Julius 1779. „Ich hoffe in der gemachten und mir sehr schmeichelhaften Bekanntschaft mit Ihnen, schon dahin gekommen zu seyn, daß Sie, wegen der bisherigen Nichterfüllung meines Versprechens keine große Entschuldigung erwarten, oder gar mich einer vorsätzlichen Nachlässigkeit hierin fähig halten werden. Kurz gesagt, so war es die große Eilfertigkeit meiner Rückreise und die beständige Gegenwart meines Bruders, die mich bisher dieser Beruhigung beraubt haben, Ihnen die Versicherungen meiner Hochachtung und Ergebenheit wiederholen zu können. Ich habe meinen Bruder aus Hertingen (an den Gränzen der Schweiz und nur drei Stunden von Basel) abholen müssen. Von jener Scene, da ich ihn nach eilf Jahren wieder gesehen, da er stumm seine Freude blicken ließ -- lassen Sie mich nichts sagen, weil sie nur gefühlt werden kann. Ich fand ihn, bis auf eine unglaubliche Schüchternheit, völlig wieder hergestellt, und auch diese verliert sich von Zeit zu Zeit. Straßburg mußte ich mit ihm vermeiden, so leid es mir auch that. Die Reise scheint ihm sehr zuträglich zu seyn, und ich hoffe, daß vaterländische Luft und geschwisterliche Pflege das Letzte zu seiner völligen Genesung beitragen werden. Er läßt sich Ihnen bestens empfehlen und hofft nächstens selbst zu schreiben. -- Unsere Reise geht gegenwärtig, so schleunig als möglich, nach Lübeck zu, um von dort aus noch zeitig in die See gehen zu können. Ueberaus angenehm würde es mir seyn, wenn ich mich einer gütigen Antwort, unter beiliegender Adresse nach Jena, schmeicheln dürfte: der benannte Freund wird mir selbige allemal zuzustellen wissen. Den Herren Simon und Schweighäuser[16] bitte ich ergebenst gelegentlich die besten Komplimente zu machen. Die Zeit ist mir dießmal zu kurz, ihnen für die bewiesene gütige Freundschaft schriftlich Dank sagen zu können. Leben Sie wohl! und trauen den Versicherungen meiner aufrichtigen Hochachtung und Ergebenheit. =Carl Heinrich Gottlob Lenz=.“ =Lenz= starb in Moskau, nicht, wie Tieck vermuthet[17], bald nach 1780, sondern erst den 24. Mai 1792. „Er starb,“ heißt es in der allgemeinen Literaturzeitung (1792, Intelligenzblatt Nr. 99) „von Wenigen betrauert, und von Keinem vermißt. Dieser unglückliche Gelehrte, den in der Mitte der schönsten Geisteslaufbahn eine Gemüthskrankheit aufhielt, die seine Kraft lähmte und den Flug seines Genie’s hemmte, der demselben wenigstens eine unordentliche Richtung gab, verlebte den besten Theil seines Lebens in nutzloser Geschäftigkeit ohne eigentliche Bestimmung. Von Allen verkannt, gegen Mangel und Dürftigkeit kämpfend, entfernt von allem, was ihm theuer war, verlor er doch nie das Gefühl seines Werthes; sein Stolz wurde durch unzählige Demüthigungen noch mehr gereizt, und artete endlich in jenen Trotz aus, der gewöhnlich der Gefährte der edeln Armuth ist. Er lebte von Almosen, aber er nahm nicht von Jedem Wohlthaten an, und wurde beleidigt, wenn man ihm ungefordert Geld oder Unterstützung anbot, da doch seine Gestalt und sein ganzes Aeußere die dringendste Aufforderung zu Wohlthätigkeit waren. Er wurde auf Kosten eines großmüthigen russischen Edelmannes, in dessen Hause er auch lange Zeit lebte, begraben.“ II. Briefe von Lenz an den Aktuar Salzmann, aus den Jahren 1772 und 1776. Aus Salzmann’s literarischem Nachlasse. (Straßb. Stadtbibliothek.) 1. =Fort-Louis=, den 3. Juni 1772. Mein theuerster Freund! So nenn’ ich Sie, die Sprache des Herzens will ich mit Ihnen reden, nicht des Ceremoniels. Kurz aber wird mein Brief werden, denn sie ist lakonisch, lakonischer als Sallustius, lakonischer als der schnellste Gedanke eines Geistes ohne Körper. Darum hasse ich die Briefe. Die Empfindungen einer so geläuterten Freundschaft als Sie mich kennen gelehrt, gleichen dem geistigen Spiritus, der wenn er an die Luft kömmt, verraucht. Ich liebe Sie -- mehr verbietet mir mein Herz zu sagen, der plauderhafte Witz ist nie sein Dollmetscher gewesen. Ich bin wieder in Fort-Louis, nach einigen kleinen Diversionen, die meine kleine Existenz hier, auf dem Lande herum, gemacht hat. Ob ich mein Herz auch spatzieren geführt -- -- -- Ich habe die guten Mädchen von Ihnen gegrüßt: sie lassen Ihnen Ihre ganze Hochachtung und Ergebenheit versichern. Es war ein Mädchen, das sich vorzüglich freute, daß ich so glücklich wäre, Ihre Freundschaft zu haben. Mündlich mehr. Ich komme in der Frohnleichnamswoche zuverläßig nach Straßburg. -- Schon wieder eine Visite -- und schon wieder eine -- Ich bin mit einigen Offiziers bekannt und diese Bekanntschaft wird mir schon, in ihrer Entstehung lästig. Ich liebe die Einsamkeit jetzt mehr, als jemals -- und wenn ich =Sie= nicht in Straßburg zu finden hoffte, so würde ich mein Schicksal hassen, das mich schon wieder zwingt, in eine lärmende Stadt zurückzukehren. Was werden Sie von mir denken, mein theuerster Freund? Was für Muthmaßungen -- Aber bedenken Sie, daß dieses die Jahre der Leidenschaften und Thorheiten sind. Ich schiffe unter tausend Klippen -- auf dem Negropont, wo man mir mit Horaz zurufen sollte _Interfusa nitentes Vites aequora Cycladas._ Wenn ich auf einer dieser Inseln scheitre -- wäre es ein so großes Wunder? Und sollte mein Salzmann so strenge seyn, mich auf denselben, als einen zweiten Robinson Crusoe, ohne Hilfe zu lassen? Ich will es Ihnen gestehen (denn was sollte ich Ihnen nicht gestehen?), ich fürchte mich vor Ihrem Anblick. Sie werden mir bis auf den Grund meines Herzens sehen -- und ich werde wie ein armer Sünder vor Ihnen stehen und seufzen, anstatt mich zu rechtfertigen. Was ist der Mensch? Ich erinnere mich noch wohl, daß ich zu gewissen Zeiten stolz einen gewissen G. tadelte und mich mit meiner sittsamen Weisheit innerlich brüstete, wie ein welscher Hahn, als Sie mir etwas von seinen Thorheiten erzählten. Der Himmel und mein Gewissen strafen mich jetzt dafür. Nun hab’ ich Ihnen schon zu viel gesagt, als daß ich Ihnen nicht noch mehr sagen sollte. Doch nein, ich will es bis auf unsere Zusammenkunft versparen. Ich befürchte, die Buchstaben möchten erröthen und das Papier anfangen zu reden. Verbergen Sie doch ja diesen Brief vor der ganzen Welt, vor sich selber und vor mir. Ich wünschte, daß ich Ihnen von Allem Nachricht geben könnte, ohne daß ich nöthig hätte zu reden. Ich bin boshaft auf mich selber, ich bin melancholisch über mein Schicksal -- ich wünschte von ganzem Herzen zu sterben. Den Sonntag waren wir in Ses.[18]; den Montag frühe gieng ich wieder hin und machte in Gesellschaft des guten Landpriesters und seiner Tochter eine Reise nach Lichtenau. Wir kamen den Abend um 10 Uhr nach S. zurück: diesen und den folgenden Tag blieb ich dort. Nun haben Sie genug. Es ist mir, als ob ich auf einer bezauberten Insel gewesen wäre, ich war dort ein andrer Mensch, als ich hier bin, alles was ich geredt und gethan, hab’ ich im Traume gethan. Heute reiset Mad. Brion, mit ihren beiden Töchtern, nach Saarbrücken, zu ihrem Bruder, auf 14 Tage und wird vielleicht =ein Mädchen da lassen=, das ich wünschte nie gesehen zu haben. Sie hat mir aber bei allen Mächten der L-- geschworen, nicht da zu bleiben. Ich bin unglücklich, bester, bester Freund! und doch bin ich auch der glücklichste unter allen Menschen. An demselben Tage vielleicht, da sie von Saarbrücken zurückkömmt, muß ich mit Herrn von Kleist nach Straßburg reisen. Also einen Monat getrennt, vielleicht mehr, vielleicht auf immer -- Und doch haben wir uns geschworen, uns nie zu trennen. Verbrennen Sie diesen Brief -- es reut mich, daß ich dieß einem treulosen Papier anvertrauen muß. Entziehen Sie mir Ihre Freundschaft nicht: es wäre grausam mir sie jetzt zu entziehen, da ich mir selbst am wenigsten genug bin, da ich mich selbst nicht leiden kann, da ich mich umbringen möchte, wenn das nichts Böses wäre. Ich bin nicht Schuld an allen diesen Begebenheiten: ich bin kein Verführer, aber auch kein Verführter, ich habe mich leidend verhalten, der Himmel ist Schuld daran, der mag sie auch zum Ende bringen. Ich werfe mich in Ihre Arme als Ihr melancholischer =Lenz=. Am Rande dieses Briefes steht noch: Haben Sie die Gütigkeit, der ganzen Tischgesellschaft meine Ergebenheit zu versichern. Ums Himmels, um meines Mädchens und um meinetwillen, lassen Sie doch Alles dieß ein Geheimniß bleiben. Von mir erfährt es Niemand als mein zweites Ich. 2. =Fort-Louis=, den 10. Junius. Guter Sokrates! Schmerzhaft genug war der erste Verband, den Sie auf meine Wunde legten. Mich auszulachen -- ich muß mitlachen, und doch fängt meine Wunde dabei nur heftiger an zu bluten. Nur fürchte ich -- soll ich Ihnen auch diese Furcht gestehn? Ja da sie mein Herz einmal offen gesehen haben, so soll kein Winkel Ihnen verborgen bleiben. Ich fürchte, es ist zu spät an eine Heilung zu denken. Es ist mir wie Pygmalion gegangen. Ich hatte mir zu einer gewissen Absicht in meiner Phantasie ein Mädchen geschaffen -- ich sah mich um und die gütige Natur hatte mir mein Ideal lebendig an die Seite gestellt. Es gieng uns Beiden wie Cäsarn: _Veni, vidi, vici_. Durch unmerkliche Grade wuchs unsere Vertraulichkeit -- und jetzt ist sie beschworen und unauflöslich. Aber sie ist fort, wir sind getrennt: und eben da ich diesen Verlust am heftigsten fühle, kommen Briefe aus Straßburg und -- Vergeben Sie mir meinen tollen Brief! Mein Verstand hat sich noch nicht wieder eingefunden. Wollte der Himmel, ich hätte nicht nöthig, ihn mit Vetter Orlando im Monde suchen zu lassen. Ich bin, um mich zu zerstreuen, die Feiertage über, bei einem reichen und sehr gutmüthigen Amtsschulz in Lichtenau zu Gast gewesen. Ich habe mich an meinem Kummer durch eine ausschweifende Lustigkeit gerächt: aber er kehrt jetzt nur desto heftiger zurück, wie die Dunkelheit der Nacht hinter einem Blitz. -- Ich werde nach Straßburg kommen und mich in Ihre Kur begeben. Eins muß ich mir von Ihnen ausbitten: schonen Sie mich nicht, aber -- lassen Sie meine Freundin unangetastet. Den Tag nach meinem letzten Briefe an Sie, gieng ich zu ihr: Wir haben den Abend allein in der Laube zugebracht; die bescheidene, englischgütige Schwester unterbrach uns nur selten und das allezeit mit einer so liebenswürdigen Schalkheit. -- Unser Gespräch waren Sie -- ja Sie, und die freundschaftlichen Mädchen haben fast geweint für Verlangen, Sie kennen zu lernen. Und Sie wollten, mit gewaffneter Hand, auf sie losgehen, wie Herkules auf seine Ungeheuer? -- Nein, Sie müssen sie kennen lernen und ihre Blicke allein werden Sie entwaffnen. Ich habe meiner Friedericke gesagt, ich könnte für Sie nichts geheim halten. Sie zitterte, Sie würden zu wenig Freundschaft für eine Unbekannte haben. Machen Sie diese Furcht nicht wahr, mein guter Sokrates! Uebrigens thun Sie was Ihnen die Weisheit räth. Ich will mich geduldig unterwerfen. Es ist gut, daß Sie meinen freundschaftlichen Ott nicht mit meiner Thorheit umständlich bekannt machten. Ich verbärge mich gern vor mir selbst, nur nicht vor Ihnen. Leben Sie wohl! Gestern ist der Herr Landpriester bei mir zu Gast gewesen. Es ist ein Fielding’scher Charakter. Jeder Andere würde in seiner Gesellschaft Langeweile gefunden haben; ich habe aber mich recht sehr darin amusirt; denn ein Auge, womit ich ihn ansah, war poetisch, das andere verliebt. -- Er läßt sein Leben für mich und ich für seine Tochter. 3. =Fort-Louis=, den 28. Juni. Gütigster Herr Aktuarius! Ich habe einen empfindlichen Verlust gehabt, Herr Kleist hat mir Ihren und meines guten Ott’s Briefe recht sorgsam aufheben wollen und hat sie so verwahrt, daß er sie selbst nicht mehr wieder finden kann. Ich bin noch zu sehr von der Reise ermüdet, als daß ich Ihnen jetzt viel Vernünftiges schreiben könnte. Denn ich habe noch fast keine Minute gehabt, in der ich zu mir selbst hätte sagen können: nun ruhe ich. Eigene und fremde, vernünftige und leidenschaftliche, philosophische und poetische Sorgen und Geschäfte zertheilen mich. Mein Schlaf selber ist so kurz und unruhig, daß ich fast sagen möchte, ich wache des Nachts mit schlafenden Augen, so wie ich des Tages mit wachendem Auge schlafe. In Sesenheim bin ich gewesen. Ist es Trägheit oder Gewissensangst, die mir die Hand zu Blei macht, wenn ich Ihnen die kleinen Scenen abschildern will, in denen ich und eine andere Person, die einzigen Akteurs sind. Soviel versichere ich Ihnen, daß Ihre weisen Lehren bei mir gefruchtet haben und daß meine Leidenschaft dieses Mal sich so ziemlich vernünftig aufgeführt. Doch ist und bleibt es noch immer Leidenschaft -- nur das nenne ich an ihr vernünftig, wenn sie mich zu Hause geruhig meinen gewöhnlichen centrischen und exzentrischen Geschäften nachhängen läßt, und das thut sie, das thut sie. Die beiden guten Landnymphen lassen Sie mit einem tiefen Knicks grüßen. -- -- Mein Trauerspiel (ich muß den gebräuchlichen Namen nennen) nähert sich mit jedem Tage der Zeitigung. Ich habe von einem Schriftsteller aus Deutschland eine Nachricht erhalten, die ich nicht mit vielem Golde bezahlen wollte. Er schreibt mir, mein Verleger, von dem ich, durch ihn, ein unreifes Manuscript zurück verlangte, habe ihm gesagt, es wäre schon an mich abgeschickt. Noch sehe ich nichts. Lieber aber ist mir dies, als ob mir Einer einen Wechsel von 1000 Thalern zurückschenkte. Lesen Sie dieß andere Blatt[19] in einer leeren Stunde. Unsere letzte Unterredung und die darauf folgende schlaflose Nacht, hat diese Gedanken veranlaßt. Schreiben Sie Ihr Urtheil drüber Ihrem ergebensten =Lenz=. 4. Mein theurer Sokrates! Ich umarme Sie mit hüpfendem Herzen und heiterer Stirne, um Ihnen eine Art von Lebewohl zu sagen, das in der That nicht viel zu bedeuten hat. Einige Stunden näher oder ferner machen, für den Liebhaber erschrecklich viel, für den Freund aber nichts. Der Erste ist zu sinnlich eine körperliche Trennung zu verschmerzen, der andere aber behält, was er hat, die geistige Gegenwart seines Freundes, und achtet die zwei Berge oder Flüsse mehr oder weniger nicht, die zwischen ihm und seinem Gegenstande stehen. Nur das thut mir wehe, daß ich nicht so oft werde nach Straßburg kommen können, indessen soll es dafür jedesmal auf desto längere Zeit geschehen. Ich denke, Sie werden mich nicht vergessen, meinerseits sind die Bande der Freundschaft so stark, daß sie noch hundert Stunden weiter gedehnt werden können, ohne zu reißen. Bis in mein Vaterland hinein -- bis ins Capo de Finisterre, wenn Sie wollen. -- In Ihrem letzten Briefe haben Sie mir Unrecht gethan. Wie, mein liebenswürdiger Führer, ich sollte wie ein ungezähmtes Roß allen Zaum und Zügel abstreifen, den man mir überwirft? Wofür halten Sie mich? Ach jetzt bekomm’ ich einen ganz andern Zuchtmeister. Entfernung, Einsamkeit, Noth und Kummer, werden mir Moralen geben, die weit bitterer an Geschmack seyn werden, als die Ihrigen, mein sanfter freundlicher Arzt. Wenn ich mit Ihnen zusammenkomme, werde ich Ihnen viel, sehr viel zu erzählen haben, das ich jetzt nicht mehr der Feder anvertrauen kann. Auftritte zu schildern, die weit rührender sind, als alles, was ich jemals im Stande wäre zu erdichten, Auftritte, die, wenn Sie Ihnen zugesehen haben würden, Sie selbst noch (meinen Sokrates) zu weinen würden gemacht haben. Noch ist meine Seele krank davon. Sie sind mein bester Freund auf dem Erdboden, Ihnen, aber auch nur Ihnen, will ich Alles erzählen, sobald ich Sie spreche. Zeigen Sie diese Stelle meines Briefes, nicht meinem guten Ott -- wenn er nicht noch Jüngling wäre, wenn er die Stufe der Weisheit erstiegen hätte, würde ich über diesen Punkt nicht gegen ihn zurückhaltend seyn. Heute komme ich von Lichtenau, aus einer sehr vergnügten Gesellschaft, in welcher ich vielleicht allein die Larve war. Ich will meinen Brief an Sie zum Ende bringen, ich erwarte heute Abend noch einen Gnadenstoß. O lassen Sie mich, mein beschwertes Herz an Ihrem Busen entladen. Es ist mir Wollust zu denken, daß Sie nicht ungerührt bei meinem Leiden sind, obschon es Ihnen noch unbekannt ist. Denn Trennung ist nicht die einzige Ursache meines Schmerzens. -- Wir wollen von andern Sachen reden. Ich werde noch, vor meiner Abreise, einmal aus Fort-Louis an Sie schreiben und alsdann aus Landau, sogleich nach meiner Ankunft. Mein Studiren steht jetzt stille. Der Sturm der Leidenschaft zu heftig. Ich wünsche mich schon fort von hier, alsdann, hoffe ich, wird er sich wieder kümmerlich legen. In Landau will ich, so viel es mein zur andern Natur gewordenes Lieblingsstudium erlaubt, das _Jus_ eifrig fortsetzen. Auf den Winter denk’ ich mit Herrn von Kleist, der sich Ihnen gehorsamst empfehlen läßt, einige Monate in Mannheim, einige in Straßburg zuzubringen. Wo zuerst weiß ich nicht. Seyen Sie so gütig und sagen es der Jungfer Lauthen noch nicht, daß ich von Fort-Louis weggehe, ich will es ihr, wenn ich noch einen Posttag abgewartet, selber schreiben. Das weibliche Herz ist ein trotzig und verzagt Ding. Leben Sie wohl bis auf meinen nächsten Brief. Ich bin von ganzem Herzen Ihr Sie ewig liebender =Alcibiades= J. M. R. L. 5. =Fort-Louis=, den 5ten oder 6ten August, oder 10ten 1772. Sie bekommen heut’ einen sehr elenden Brief von mir, darum wollt’ ich anfangs lieber gar nicht schreiben. Aber _non omnia possumus omnes_ dacht’ ich, mit Herrn Rebhuhn und geantwortet muß doch seyn. Ich komme eben aus der Gesellschaft dreier lieben Mädchen und einer schönen, schönen Frau und in allen solchen Gesellschaften wird das Fleisch willig und der Geist schwach. Wie dieser Brief in Ihre Hände kommt weiß ich noch nicht. Es soll ein Hauptmann nach Straßburg gehen, der dorthin allerlei mitnehmen wird, unter anderm Ihren _Hobbes civem Malmesburgiensem_, den ich mich nicht überwinden kann zu Ende zu bringen. Es geht mir wie einem Kinde, das über ein neues Spielzeug eines alten vergißt, das es doch so fest mit seiner kleinen Patsche umklammert hatte, als ob es ihm erst der Tod herausreißen sollte. Der Zustand meines Gemüthes ist wie er ist; den Haß kann man wohl auswurzeln, aber die Liebe nie, oder es müßte ein Unkraut seyn, das nur die äußere Gestalt der Liebe hätte. Wenn mir Einer Mittel vorschlagen wollte, Sie nicht mehr zu lieben, glauben Sie, daß diese Mittel bei mir kräftig seyn würden? Vergeben Sie mir mein böses Maul, ich wünschte es allemal böser als mein Herz. Ich habe einen vortrefflichen Fund von alten Liedern gemacht, die ich Ihnen, sobald ich nach Straßburg komme, mittheilen werde. Wollen Sie meine letzte Uebersetzung aus dem Plautus lesen, so fodern Sie sie unserm guten Ott ab, denn ich glaube schwerlich, daß sie so bald in der Gesellschaft wird vorgelesen werden. Sie haben mir keine Nachricht gegeben, wie sie mit der letztern gegenwärtig zufrieden sind. Vernachläßigen Sie diese Pflanzschule Ihrer Vaterstadt nicht, theurer Freund, vielleicht könnten wohlthätige Bäume draus gezogen werden, auf welche Kindeskinder, die sich unter ihrem Schatten freuten, dankbar schnitten: Auch dich hat Er pflanzen helfen. Es sieht noch ziemlich wild und traurig in Ihrer Region aus -- aber der erste Mensch ward in den Garten Eden gesetzt um ihn zu bauen. Wollten Sie wohl einst so gütig seyn, mir, zum _aequivalent_ für _Hobbes_, noch eine glühende Kohle aufs Haupt zu sammeln und etwa Puffendorfs _historiam juris_ schicken. Oder ein anderes juristisches Buch, denn Jurist muß ich doch werden, wenn mir anders die Theologie nicht verspricht mich zum Pabst von Rom zu machen. Ich halte viel auf die Extreme und Niklaus Klimm’s _aut_ Schulmeister _aut_ Kaiser ist eine Satire auf Ihren Ihnen stets ergebenen =Lenz=. Herr von Kleist befindet sich wohl und empfiehlt sich Ihnen bestens. 6. Mein theuerster Freund! Auf einem Fuß, wie ein reisefertiger Kranich, steh’ ich jetzt und schmiere Ihnen mit dem andern mein Adieu auf’s Papier. Ich glaube zum wenigsten, daß dieß mein letzter Brief von Fort-Louis seyn wird. Ich gehe jetzt nach Sesenheim hinaus, um den letzten Tag recht vergnügt dort zuzubringen. Recht vergnügt -- Nicht wahr, Sie lächeln über meine stolze platonische Sprache, mittlerweile mein Herz mit dem Ritter Amadis (oder was weiß ich, wie der Liebhaber der Banise hieß) von nichts als Flammen, Dolchen, Pfeilen und Wunden deklamirt. Was soll ich sagen? Ich schäme mich meiner Empfindungen nicht, wenn sie gleich nicht allezeit mit festem Schritt hinter der Vernunft hergehen. O! und Salzmann bedauert mich -- sehen Sie die Schürze von Feigenblättern, die meine gefällige Vernunft mir allezeit vor die Blöße meines Herzens bindet. Ich habe in Sesenheim gepredigt, sollten Sie das glauben? Den Sonnabend Nachmittags karessirt; nach Fort-Louis gegangen; das Thor zu gefunden; zurückgegangen; den Pfarrer am Nachtessen unruhig gefunden, daß er so viel zu thun habe; mich angeboten; bis vier Uhr in der Laube gesessen; mich von meinen Fatiguen erholt; eingeschlafen; den Morgen eine Bibel und eine Concordanz zur Hand genommen und um 9 Uhr vor einer zahlreichen Gemeine, vor vier artigen Mädchen, einem Baron und einem Pfarrer gepredigt. Seh’n Sie, daß der Liebesgott auch Kandidaten der Theologie macht, daß er bald in Alexanders Harnisch wie eine Maus kriecht, bald in die Soutane eines Pfarrers von Wackefield, wie ein der Liebesgelahrtheit Beflissener. Mein Text war das Gleichniß vom Pharisäer und Zöllner und mein Thema die schädlichen Folgen des Hochmuths. Die ganze Predigt war ein Impromptu, das gut genug ausfiel. -- Himmel die Uhr schlägt sechs und ich sollte schon vor einer Stunde in S. seyn. Dießmal sollen Sie mich dort entschuldigen. Ihren _Heineccius_ nehme ich mit. Ohne Erlaubniß -- ach, mein Freund, _dura necessitas_ läßt mich nicht erst lange fragen, ich greife zu -- aber ich gebe auch wieder. Allein was werden Sie sagen, wenn ich Ihnen Ihren _Tom Jones_ noch nicht zurückschicke? Ich bin schuld daran, daß ihn mein faules Mädchen noch etwas länger behält, er soll sie für meinen Verlust entschädigen, denn wenn man gute Gesellschaft hat, sagte sie, so kann man nicht viel lesen. Ich habe so brav auf Ihre Güte gethan, daß ich ihr mein Wort drauf gegeben, Sie würden es verzeihen, wenn sie Ihnen denselben erst durch Mamsell Schell zuschickte; ja Sie würden sogar so gütig seyn und ihr noch die zween letzten Theile alsdann dazu leihen, wenn sie die ersten wieder gegeben. Das heißt gewagt, mein bester Sokrates, aber Jugend ist allezeit ein Waghals, und bricht doch nur selten den Hals; ich denke, Sie werden meine tollkühne Freundschaft noch nicht fallen lassen: wenn sie älter wird, soll sie weiser und vorsichtiger werden. Für Ihre Adressen in Landau danke ich Ihnen unendlich, wer weiß, wozu sie gut sind. Ich hoffe eher nach Straßburg zu kommen, als nach Mannheim. Ich kann nicht mehr, theuerster, bester, würdigster Freund! ich bin schon ein Jahr über meine bestimmte Stunde ausgeblieben. Leben Sie recht sehr glücklich; mein Großfürst heirathet eine darmstädtische Prinzessin; leben Sie allezeit gleich heiter und vergnügt; ich möchte gerne den Namen des Russischen _Envoyé_ an diesem Hofe wissen; erinnern Sie sich meiner zuweilen; der Friede soll auch schon geschlossen seyn; grüßen Sie die Lauth’sche Gesellschaft und die Mademoiselles tausendmal; doch was berichte ich Ihnen Neuigkeiten, die bei Ihnen schon in der Hitze werden sauer geworden seyn -- und bleiben Sie gewogen Ihrem verschwindenden =Alcibiades= J. M. R. L. 7. =Landau=, den 7. September. So wenig Zeit mir auch übrig ist, so muß ich Ihnen doch sagen, daß ich Sie in Landau noch eben so hoch schätze, eben so liebe, als in Fort-Louis. Unser Marsch war angenehm genug: vor Tage zu Pferde, und vom Mittag, bis in die Nacht gerastet. Ich möchte so durch die Welt reisen. Weißenburg hat mir gefallen, die dortige Schweizergarnison glich den Priestern der Cybele, so erfreute sie die Ankunft eines deutschen Regiments. Landau kann in der That das Schlüsselloch von Frankreich heißen, da es nur zween Thore hat, eins nach vorne, das andere nach hinten. Unsern Ausgang segne Gott, unsern Eingang -- -- Ich wohne bei einem Herrn Schuch, der ein naher Verwandter vom Herrn Türkheim seyn will. Seine Frau und er spielen mir alle Abende Komödie, wobei mein Herz mehr lacht, als bei allen Farcen des Herrn Montval und Ribou. Er ist ein gutwilliger Schwätzer, gegen seine Frau, ein rechter Adventsesel und auch gegen die Füllen bei ihr. Sie trägt Hosen und Zepter, eine Teintüre von Andacht und koketter Prüderie -- in der That, meinen kleinen Plautus hinterdrein gelesen und ich brauche kein Theater. Melden Sie mir doch, was das Ihrige in Straßburg macht und ob dort kein deutsches zu erwarten sey. Beim Herrn Senior, der fast die alleinige Materie des Gesprächs meiner Wirthsleute ist (ausgenommen den gestrigen vortrefflichen Abend, wo wir lauter Haupt- und Staatsaktionen ausmachten) bin ich noch nicht gewesen. Der Bürgermeister Schademann soll schon seit geraumer Zeit todt seyn. Vielleicht erlange ich die Bekanntschaft seines Sohnes, der sehr reich seyn soll. Ein Rektor bei der hiesigen Schule, der im Kloster einen Sohn hat, der schon Magister ist (wo mir recht ist, hab’ ich ihn dort gesehen) soll eine gute Bibliothek haben: da muß ich suchen unterzukommen. Seyen Sie doch so gütig und schreiben mir in Ihrem nächsten Briefe den Namen des Churfürsten von der Pfalz; wie auch den Charakter und die Adresse des Herrn Lamey[20], ein Name, den ich in Straßburg oft gehört. Sie lachen -- wozu das? Nun, nun, es hat nichts zu bedeuten, ein guter Freund hat mich um beide in einem Briefe ersucht. Einen Nachmittagsprediger habe ich hier gehört, der keine Pfeife Toback werth vorgebracht. Ich gieng nach Hause und las Spalding, vom Werth der Gefühle im Christenthum. Welch ein Kontrast! Dieses Buch müssen Sie auch lesen, mein Sokrates! es macht wenigstens Vergnügen zu finden, daß Andere mit uns nach demselben Punkt visiren. Ich freue mich, daß man in einem Tage von hier nach Straßburg kommen kann, wer weiß wenn ich Sie überrasche. Fahren Sie fort mit Ihrer Gewogenheit für mich. -- =Lenz.= 8. =Landau=, den 18ten. Guter Sokrates! „Ohne mich nicht ganz glücklich“ -- Fürchten Sie sich der Sünde nicht, einen jungen Menschen stolz zu machen, dessen Herz nach allen Passionen offen steht und durch Zeit und Erfahrung nur noch sehr wenig verbollwerkt ist? Da ich so tief in Ihr System geguckt, da ich weiß, daß Ihre Religion die Glückseligkeit ist -- so konnte mir kein größeres Kompliment gemacht werden, als, daß ich im Stande sey, mit etwas dazu beizutragen, wenn’s auch nur so viel ist, als ein Mäuschen zum Rhein. -- Spaß bei Seite, die Glückseligkeit ist ein sonderbares Ding, ich glaube immer noch, daß wir schon hier in der Welt so glücklich seyen, als wir es nach der Einrichtung unseres Geistes und Körpers werden können. Die Tugend ist das einzige Mittel diese Glückseligkeit in ihrer höchsten Höhe zu erhalten und die Religion versichert uns, sie werde auch nach dem Tode währen und dient also dieser Tugend mehr zur Aufmunterung, als zur Richtschnur. Da kommt nun aber die verzweifelte Krankheit, von der Sie schreiben und wirft mir mein ganzes Kartenhaus über den Haufen. Allein sie muß doch auch wozu heilsam seyn, vielleicht, wie Sie sagen, ist sie das Fegfeuer unserer Tugend, wenigstens macht sie uns die Gesundheit desto angenehmer und trägt, durch den Contrast, also zu dem Ganzen unserer Glückseligkeit auch mit das Ihre bei. Wiewohl, ich habe gut philosophiren, da ich sie, dem Himmel sey Dank, schon seit so langer Zeit, blos vom Hörensagen kenne. Ich bin jetzt auch von lauter Kranken eingeschlossen und denke dabei beständig an Sie. Wiewohl ich aus dem Schluß Ihres letzten Briefes zu meiner Beruhigung schließe, daß Sie jetzt wieder völlig hergestellt seyen. Sie werden von Herrn Ott hören, wie ich mich amusire. Wenig genug und doch sehr viel. Wenn man Käse und Brod hat, schmeckt uns die Mahlzeit eben so gut, als wenn das Regiment _de Picardie_ traktirt, vorausgesetzt, daß wir in einem Fall, wie im andern, recht derben Hunger haben. Um also glücklich zu seyn, sehe ich wohl, werde ich künftig nur immer an meinem Magen arbeiten, nicht an der Mahlzeit, die ich ihm vorsetze. Die Umstände, in denen wir uns befinden, müssen sich schon nach uns richten, wenn wir selbst nur fähig sind, glücklich zu seyn. -- Bin ich doch ganz Philosoph geworden, werden Sie nur über mein Geschwätz nicht von Neuem krank! Den Herrn Senior habe ich nur in seiner Kirche besucht und noch nicht recht das Herz, ihn näher kennen zu lernen. Den Rektor der hiesigen Schule hab’ ich in seinem Hause besucht und möchte wohl schwerlich wieder hingehen. Ich fragt’ ihn nach den hiesigen Gelehrten: er lachte. Das war vortrefflich geantwortet, nur hätte der gute Mann die betrübte Ahndung, die dieses Lachen bei mir erregte, nicht bestätigen sollen. Er beklagt sich über den Schulstaub und die häuslichen Sorgen -- da, da, mein theuerster Freund, fühlte ich eine Beklemmung über die Brust, wie sie Daniel nicht stärker hat fühlen können, als er in den Löwengraben hinabsank. In seiner Jugend, sagt’ er, hätte er noch _fait_ vom Studieren gemacht, jetzt -- o mein Freund, ich kann Ihnen das Gemälde nicht auszeichnen, es empört meine zartesten Empfindungen. Den heiligen Laurentius auf dem Rost hätt’ ich nicht mit dem Mitleiden angesehen, als diesen Märtyrer des Schulstandes, eines Standes, der an einem Ort wie Landau, mir in der That ein Fegfeuer scheint, aus dem man alle guten Seelen wegbeten sollte. Er hatte seine Bibliothek nicht aufgestellt, es waren bestäubte, verweste Bände, die er vermuthlich nur in seiner Jugend gebraucht -- ausgenommen die allgemeine Welthistorie figurirte, in Franzband eingebunden, besonders. -- Vielleicht daß ich da mich einmal bei ihm zu Gast bitte. Er scheint übrigens der beste Mann von der Welt -- o Gott, eh’ so viel Gras über meine Seele wachsen soll, so wollt’ ich lieber, daß nie eine Pflugschaar drüber gefahren wäre. Jetzt bin ich ganz traurig, ganz niedergeschlagen, blos durch die Erinnerung an diesen Besuch. Nein, ich darf nicht wieder hingehen. Wie glücklich sind Sie, mein Sokrates, wenigstens glänzt eine angenehme Morgenröthe des Geschmacks in Straßburg um Sie herum, da ich hier in der ödesten Mitternacht tappend einen Fußsteig suchen muß. Keine Bücher! ha Natur, wenn du mir auch dein großes Buch vor der Nase zuschlägst (in der That regnet es hier seit einigen Tagen anhaltend), was werd’ ich anfangen? Dann noch über die Glückseligkeit philosophiren, wenn ich von ihr nichts als das Nachsehen habe? Doch vielleicht kriegt mich ein guter Engel beim Schopf und führt mich nach Straßburg. -- -- Meine Lektüre schränkt sich jetzt auf drei Bücher ein: Eine große Nürnbergerbibel mit der Auslegung, die ich überschlage, ein dicker Plautus, mit Anmerkungen, die mir die Galle etwas aus dem Magen führen und mein getreuster Homer. Ich habe schon wieder ein Stück aus dem Plautus übersetzt und werd’ es ehestens nach Straßburg schicken. Es ist nach meinem Urtheil das beste, das er gemacht hat (doch ich kenne noch nicht alle). Noch an eins möcht’ ich mich machen: es ist eine Art von Dank, den ich dem Alten sage, für das herzliche Vergnügen, das er mir macht. Ist es nicht reizend, nach so vielen Jahrhunderten, noch ein Wohlthäter des menschlichen Geschlechts zu seyn? Heut’ möcht’ ich Ihnen einen Bogen voll schreiben, aber ich besinne mich, daß das, was mir ein Präservativ für eine Krankheit ist, Ihnen leicht ein Recidiv geben kann. Ich bin ganz der Ihrige =Lenz.= 9. Aus Landau. Würdiger Mann! Ich sehe in Ihrem Raritätenkasten -- alles, was uns die Herrn Modephilosophen und Moralisten, mit einer marktschreierischen Wortkrämerei, in großen Folianten hererzählen, in zwei Worten zusammengefaßt und so glücklich zusammengefaßt, daß sich dazu weder zusetzen noch davon abnehmen läßt. Das ist vortrefflich -- also das Ziel ist gesteckt, nun Ihre Hand her, mein Sokrates, wir wollen darauf zugehen, wie auf ein stilles und friedelächelndes Zoar und die hinterlassenen Vorurtheile immer in Feuer und Schwefel aufgehen lassen, ohne uns darnach umzusehen. Mögen furchtsame Weiber sich darnach umsehen und drüber zu Salzsäulen werden. Um noch eine Stelle Ihres ohnendletzten Briefes zu berühren, wo Sie mir zu bedenken aufgaben, ob Gott wohl uns das Gute könne schwerer machen, als das Böse, oder (um mit Ihren Worten mich auszudrücken) ob er wohl die _vim inertiae_ in uns stärker könne gemacht haben, als die _vim activam_. so antworte ich, daß ich keine _vim inertiae_ glaube. Bedenken Sie doch, mit welchem Fug, wir wohl für die Unthätigkeit eine =Kraft= annehmen können? Vereinigung einer Kraft ist sie, Vernachläßigung der _vis activa_, welche in Wirksamkeit und Thätigkeit zu setzen, allemal in unserm Belieben steht oder nicht. Es ist aber die Natur einer jeden Kraft, daß sie nur durch Uebung erhalten und vermehrt, durch Vernachläßigung aber, so zu sagen eingeschläfert und verringert wird. Und daß die Uebung dieser Kraft schwerer, als ihre Vernachläßigung sey, liegt in der Natur der Sache und konnte von Gott nicht verändert werden. _Positio_ ist allemal schwerer als _negatio_, wirken schwerer als ruhen, thun schwerer als nicht thun. Was die Einwirkung Gottes in die Menschen betrifft, so kann ich mir nur vier Arten davon denken. Er unterstützt und erhält die in uns gelegten Kräfte und Fähigkeiten -- diese ist =natürlich=, das heißt, unsere Vernunft kann sie auch ohne Offenbarung erkennen; und =unmittelbar= -- hernach, er leitet die äußern Umstände und Begebenheiten in der Welt so, daß eine oder die andere Fähigkeit in uns entwickelt oder vergrößert werde, je nachdem es sein Rathschluß für gut befindet, diese ist gleichfalls =natürlich= aber =mittelbar=. Zum dritten wirkt er durch die in uns geoffenbarten Wahrheiten -- diese ist also, ihrem ersten Ursprung nach, =übernatürlich=, aber zugleich =mittelbar= und den Gesetzen der Natur gemäß. Zum vierten wirkt er übernatürlich und unmittelbar, wie in den Propheten und Aposteln; diese Einwirkung ist über die Gesetze der Natur erhaben, läßt sich also nicht mehr erklären (wiewohl wir auch nicht das Recht haben, sie noch jetzt aus der gegenwärtigen Welt auszuschließen, im Fall die Gottheit gewisse außerordentliche Endzwecke dadurch befördern wollte, welchen Fall aber, meiner Meinung nach, unsere Vernunft nie determiniren kann, sondern vielmehr jedes Phänomen für verdächtig halten muß, welches nicht die dazu erforderlichen Kennzeichen bei sich hat). Jetzt möge meine philosophische Muse ruhen, sich still zu Ihren Füßen setzen und von Ihnen lernen. Spekulation ist Spekulation, bläset auf und bleibt leer, schmeichelt und macht doch nicht glücklich. Zusammen mögen sich die Fittige des Geistes halten, und im Thal ruhen, ehe sie, wenn sie der Sonne zu nahe kommen, in zerlassenem Wachs heruntertröpfeln und den armen Geist, welcher auf dem Lande so sicher und lustig hätte einher gehen können, aus der Luft in das Meer herab wirft. -- -- Hier ist mein Trauerspiel mit dem Wunsch: möchte dieser Raritätenkasten des Ihrigen werth seyn. Das Beste ist, daß wir beim Tausch nicht verlieren, denn unter sympathisirenden Seelen ist _communio bonorum_. Es ist wahr, meine Seele hat bei aller anscheinenden Lustigkeit, jetzt mehr als jemals, eine tragische Stimmung. Die Lage meiner äußern Umstände trägt wohl das Meiste dazu bey, aber -- sie soll sie, sie mag sie nun höher oder tiefer stimmen, doch nie verstimmen. Eine sanfte Melancholei verträgt sich sehr wohl mit unserer Glückseligkeit und ich hoffe -- nein ich bin gewiß, daß sie sich noch einst in reine und dauerhafte Freude auflösen wird, wie ein dunkler Sommermorgen, in einen wolkenlosen Mittag. Auch fehlen mir jetzt öftere Sonnenblicke nicht, nur kann freilich ein Herz, dem die süßen Ergötzungen der Freundschaft und -- der Liebe -- sogar einer vernünftigen Gesellschaft genommen sind, bisweilen einen Seufzer nicht unterdrücken. An den Brüsten der Natur hange ich jetzt mit verdoppelter Inbrunst, sie mag ihre Stirne mit Sonnenstrahlen oder kalten Nebeln umbinden, ihr mütterliches Antlitz lächelt mir immer und oft werd’ ich versucht, mit dem alten Junius Brutus, mich auf den Boden niederzuwerfen und ihr mit einem stummen Kuß für ihre Freundlichkeit zu danken. In der That, ich finde in der Flur, um Landau, täglich neue Schönheiten und der kälteste Nordwind kann mich nicht von ihr zurückschrecken. Hätt’ ich doch eines göttlichen Malers Pinsel, ich wollte Ihnen gleich einige Seiten von diesem vortrefflichen Amphitheater der Natur hinmalen, so lebhaft hat’s sich in meiner Fantasei abgedrückt. Berge, die den Himmel tragen, Thäler voll Dörfnern zu ihren Füßen, die dort zu schlafen scheinen, wie Jakob am Fuß seiner Himmelsleiter. -- Doch ich würde nur schwärmen, wenn ich fortführe und dafür muß ich meinen Geist in Acht nehmen. Ich hatte vor einigen Tagen einen Brief an Sie fertig, aber ich verbrannte ihn, denn ich hatte darin geschwärmt. Ich habe schon viel Papier hier verbrannt -- ein guter Genius hat über dies Trauerspiel gewacht, sonst -- und vielleicht hätten Sie nichts dabei verloren. So viel muß ich Ihnen sagen, daß ich es bei diesem ersten Versuch nicht werde bewenden lassen, denn ich fühle mich dazu -- Ich muß abbrechen und Ihnen gute Nacht sagen. Möchten Sie doch aus Ihren Träumen lachend erwachen, wie ich heute Morgen aus den meinigen. =Lenz.= 10. Herr Simon kommt zurück eh’ ich ihn haben will: ich kann Ihnen also das Versprochene nicht zuschicken. Es war mein Trauerspiel, welches ich jetzt eben für Sie abschreibe. Ich werde schon eine andre Gelegenheit finden es Ihnen zukommen zu lassen. Nicht einmal einen langen Brief erlaubt mir seine beschleunigte Abreise. Gut, daß ich dann und wann, bei Lesung des Leibnitz ein hingeworfenes Blatt für Sie beschrieben habe. Vergeben Sie mir, daß ich es nicht abschreibe und meine Gedanken in Ordnung bringe. Ihnen, als einem unverwöhnten Auge, darf ich sie auch im Schlafrock zeigen; wenn sie wahr sind, werden sie Ihnen auch alsdann besser gefallen, als falsche in einem Gallakleide. -- Wie ich Ihnen gesagt habe, meine philosophischen Betrachtungen dürfen nicht über zwo, drei Minuten währen, sonst thut mir der Kopf weh. Aber wenn ich einen Gegenstand fünf, zehnmal so flüchtig angesehen habe, und finde, daß er noch immer da bleibt und mir immer besser gefällt, so halt’ ich ihn für wahr und meine Empfindung führt mich darin richtiger als meine Schlüsse. Nro. II. ist eine Apologie meines allerersten Briefes über die Erlösung. Nachdem ich aber Ihre Antwort wieder durchgelesen, finde ich, daß wir fast einerlei gedacht und dasselbe mit andere Worten ausgedrückt haben. Sie haben mich unrecht verstanden, wenn Sie glaubten, ich ließe Gott die übeln Folgen der Sünde auf den Mittler lenken, blos um seine strafende Gerechtigkeit zu befriedigen. Leibnitz glaubt dieses; er sagt, es ist eine Convenienz, die ihn zwingt Gutes zu belohnen und Böses zu bestrafen. Ich denke aber, es geschieht blos um unsertwillen, weil, auf das moralische Uebel kein physisches Uebel, als eine Strafe folgt; wir lieber Böses als Gutes thun würden, da das Böse leichter zu thun ist. Und warum Gott das Gute für unsere Natur schwerer gemacht hat, davon ist die Ursache klar, damit wir nicht müßig gehen; unsere Seele ist nicht zum Stillsitzen, sondern zum Gehen, Arbeiten, Handeln geschaffen. Doch _seriosa in crastinum_. -- Ich werde hoffentlich noch mit Ihnen diesen Winter zusammenkommen; wiewohl das Regiment jetzt die letzte Ordre erhalten hat, hier zu bleiben. Wenn ich Sie sehe -- Jetzt fühle ich, daß die ideale Gegenwart eines Freundes die persönliche nicht ersetzen kann, so werde ich Ihnen viel zu sagen haben. Meine Seele hat sich hier zu einem Entschlusse ausgewickelt, dem alle Ihre Vorstellungen -- dem die Vorstellungen der ganzen Welt vielleicht, keine andere Falte werden geben können. Wenn ich anders ihn einem Menschen auf der Welt mittheile, ehe er ausgeführt ist. -- Mein guter Sokrates, entziehen Sie mir um dessentwillen Ihre Freundschaft nicht; bedenken Sie, daß die Welt ein Ganzes ist, in welches allerlei Individua passen; die der Schöpfer jedes mit verschiedenen Kräften und Neigungen ausgerüstet hat, die ihre Bestimmung in sich selbst erforschen und hernach dieselbe erfüllen müssen; sie seye welche sie wolle. Das Ganze giebt doch hernach die schönste Harmonie die zu denken ist und macht daß der Werkmeister mit gnädigen Augen darauf hinabsieht und =gut findet= was er geschaffen hat. Nicht wahr, ich rede mystisch, Ihnen fehlten die Prämissen, um meine Folgesätze zu verstehen. Sie werden sie verstehen, nur Geduld. -- In der Erwartung will ich Ihnen nur mit der größten logischen Deutlichkeit sagen, daß ich von ganzem Herzen bin und bleibe Ihr drollichter =Alcibiades=. Sagen Sie doch dem Ott, daß er den =Lenz= nicht über dem =Herbst= vergesse. 11. Ich will Sie auch drücken, mein Sokrates, aber erst, wenn ich Sie =ganz= kennen gelernt und von ferne bewundert habe. -- Recht so -- wir stehen ganz beisammen; allen Ihren übrigen Meinungen unterschreibe ich. Wir müssen das Ordentliche von dem Außerordentlichen, das Natürliche vom Uebernatürlichen unterscheiden, nur müssen wir das Uebernatürliche nicht für unnatürlich halten, oder aus einer Welt verbannen, in der Gott nach einem höhern Plane arbeitet, als unser kurzsichtiger schielender Verstand übersehen kann. Ich bin sehr für das Ordentliche, für das Natürliche -- nur eine aufmerksame Lesung der Briefe Pauli (der wirklich ein großer -- ein übernatürlicher Mann war) zwingt mich eine übernatürliche Einwirkung nicht allein für möglich, sondern auch in gewissen Fällen (wie das z. E. da die Religion erst im Keimen war) für nothwendig zu halten. -- -- Um auf dem hohen Berge nicht stehen zu bleiben, sondern auch im Thale herumzuhüpfen -- muß ich Ihnen sagen, daß Friedericke aus Straßburg an mich geschrieben und mir gesagt hat, sie habe dort eine besondere Freude gehabt, die ich vielleicht boshaft genug seyn würde, zu errathen. Und das war die, Sie am Fenster gesehen zu haben. Sie schreibt ferner, sie wäre durch Ihren bloßen Anblick so dreist geworden, nach dem andern Theile des _Tom Jones_ zu schicken und bittet mich sie desfalls zu entschuldigen. -- Ist das nicht ein gutes Mädchen? -- Und doch muß ich meinen Entschluß vor Ihnen verbergen. -- Was ist das für ein Zusammenhang? -- Ein trauriger -- Ich bin dazu bestimmt, mir selbst das Leben traurig zu machen -- -- aber ich weiß, daß, so sehr ich mir jetzt die Finger am Dorne zerritze, daß ich doch einmal eine Rose brechen werde -- Zu allem diesem werde ich Ihnen die Schlüssel in Straßburg geben -- Der älteste Hr. von Kleist hat mir geschrieben, daß Briefe von meinem Vater da wären; er schickt sie mir aber nicht; ich soll sie selbst abholen. Nun aber stößt sich meine Hinreise noch an vielen Dingen. Ich muß schließen, ich sehe, ich kann dieß Blättchen nicht mehr zusiegeln, aber wenn es auch nicht unser Freund Ott wäre, durch dessen Hände es gienge, so sind unsere Briefe von der Art, als die spartanischen Ephori an ihre Feldherrn schickten, die an einen gemeinschaftlichen Stab müßten gewickelt werden, wenn man sie lesen wollte. Ich bin bis ins Grab Ihr =Lenz=. 12. =Landau=, im Oktober 1772. Mein -- -- Doch ich will, von jetzt an, immer ohne Titel an Sie schreiben. Wenn Geister zu einander treten und sich miteinander besprechen, so können sie, mein’ ich den Scharrfuß wohl weglassen. Ich schreibe an Sie, um Ihnen eine Veränderung zu melden, die mit mir vorgegangen. Ich bin ein Christ geworden -- glauben Sie mir wohl, daß ich es vorher nicht gewesen? Ich habe an allem gezweifelt und bin jetzt, ich schreib’ es mit von dankbarer Empfindung durchdrungenem Herzen, zu einer Ueberzeugung gekommen, wie sie mir nöthig war, zu einer philosophischen, nicht blos moralischen. Der theologische Glaube ist das _complementum_ unserer Vernunft, das dasjenige ersetzt, was dieser zur gottfälligen Richtung unsers Willens fehlt. Ich halte ihn also blos für eine Wirkung der Gnade, zu der wir nichts beitragen, als daß unser Herz in der rechten Verfassung sey, sie anzunehmen; diese Verfassung aber besteht in einer vollkommen ernstlichen Liebe zur Tugend, zum Wahren, Guten und Schönen. Dieser Glaube ist eine notwendige Gabe Gottes, weil bei den meisten Menschen die Vernunft noch erst im Anfange ihrer Entwicklung ist, bei vielen aber niemals entwickelt wird. Je mehr sich aber unsere Vernunft entwickelt (das geht bis ins Unendliche), desto mehr nimmt dieser =moralische= Glaube, der in der That mehr in den Empfindungen als in der Erkenntniß gegründet ist, ab und verwandelt sich in das Schauen, in eine Ueberzeugung der Vernunft. Ueberhaupt bedürfen wir nicht mehr und nicht weniger moralisch zu glauben, als zur Seligkeit nothwendig ist, das Uebrige haben wir immer noch die Freiheit _in suspenso_ zu lassen. Aber auch dieses müssen wir viel mehr suchen in Erkenntniß und Anschauen zu verwandeln, weil, nach der Ordnung Gottes, unser Wille sich nach unserer Erkenntniß richtet. Dieses sind die Prämissen, die ich Ihnen voranschicke, um Ihnen eine vollständige Idee von meiner Überzeugung von unsrer Religion zu geben. Ich habe bisher die Erlösung unsere Heilands für nichts, als ein in die Augen fallendes Beispiel der Folgen der Sünde gehalten, das uns an der Person des vollkommensten Menschen, zur heilsamen Warnung aufgestellt worden. Denn, hab’ ich gedacht, die Idee eines Verdienstes, und wär’ es auch des vollkommensten, widerspricht der allervollkommensten Barmherzigkeit Gottes, als welche nicht braucht erst durch ein Verdienst sich die Vergebung unserer Sünden gleichsam abfodern und abzwingen zu lassen. Aber ich habe gefunden, daß ich sehr irrte. Gott ist die Liebe -- allein die übeln Folgen der Sünde aufzuheben (denn das heißt Sünde vergeben) ohne die Sünde durch eben diese übeln Folgen zu strafen, hieße die Natur dessen, was gut und böse ist, verändern und uns eben so viel Aufmunterung zum Bösen, als zum Guten, geben. Aber -- diese übeln Folgen der Sünden einer ganzen Welt, auf einen dritten Gegenstand lenken, das konnte Gott, das wird der Vernunft nicht schwer zu begreifen, das war das einzige Mittel, Sünde zu vergeben, ohne sie zu strafen. Und eben dieß läßt seine Barmherzigkeit in dem nemlichen Glanze. Freilich könnt’ es scheinen, daß sie, gegen diesen dritten Gegenstand, welchen wir so lange unsern Heiland nennen wollen, nicht ausgeübt worden, allein eben dieses ist der Gegenstand unsers Glaubens, hier kann die Vernunft nicht weiter. Die Offenbarung sagt uns, dieser Heiland sey ein ganz reiner vollkommener Mensch, vielleicht das Ideal der menschlichen Natur gewesen, dem sich die Gottheit selbst, auf eine, uns unbegreifliche, Weise offenbart und mitgetheilet (das Wort vereinigt find’ ich nicht in der Bibel und ist schon ein Schritt zu weit von unsern Theologen), den die Gottheit selbst, zu diesem großen Geschäft unterstützt; den die Gottheit selbst, nach Vollendung desselben belohnt und ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist. Dieser Heiland aber, hat uns, außer seiner Lehre und Beispiel, auch sein Verdienst gelassen, dessen er uns durch die Sakramente theilhaftig macht. Indem er sich besonders durch das Sakrament des Abendmals auf eine, zwar unbegreifliche, aber doch der Vernunft nicht widersprechende, Art, mit uns geistig verbindet, so daß wir jetzt gleichsam Alle an seiner vollkommnen menschlichen Natur Antheil nehmen. Die Pflichten des Christenthums aber, laufen alle dahin zusammen, diese Wahrheiten, die Christus uns verkündigt, zu glauben, gegen ihn voll Liebe und Dankbarkeit sein Leben immer besser zu studiren, damit wir ihn immermehr lieben und nachahmen, von ihm aber (welches die Hauptsache ist) zu Gott, als dem höchsten Gut, hinauf zu steigen, ihn immer besser erkennen zu lernen, ja, alle Erkenntnisse, die wir hier erwerben, zu ihm, als dem letzten Ziel zu lenken, um ihn als die Quelle alles Wahren, Guten und Schönen mit allen Kräften unserer Seele zu lieben und (das ist die natürliche Folge davon) seinen Willen auszuüben, d. h. ihn von ferne, im Schatten, nachzuahmen, wie er ganz Liebe und Wohlthätigkeit gegen das menschliche Geschlecht, so kein größeres Glück kennen, als Andere glücklich zu machen. Sehen Sie hier den Extrakt meiner Religion, das Fazit einer aufmerksamen Lesung der Evangelisten, deren göttliche oder menschliche Begeisterung ich unausgemacht lasse, und sie bloß als aufrichtige Erzähler ansehe. Denn dieses ist gut zu wissen, aber nicht verderblich nicht zu wissen. Ich habe es für nöthig gehalten, Ihnen den Zustand meiner Seele zu schildern, damit wir uns ganz kennen lernen. Ich bin also jetzt ein guter evangelischer Christ, obgleich ich kein orthodoxer bin. Kann ich in meiner Ueberzeugung weiter kommen, so will ich dem Gott dafür danken, der es weiß, daß dieses das Lieblingsstudium meiner Seele ist und ewig bleiben wird. Doch hoffe ich, niemals Prediger zu werden. Die Ursachen -- da müßt’ ich Ihnen Bogen voll schreiben. Ich fühle mich nicht dazu. Dieß ist aber kein dunkles, sinnliches -- sondern das Gefühl meines ganzen Wesens, das mir so gut als Ueberzeugung gilt. -- Aber ich fühle mich als Ihren Freund =Lenz=. 13. =Landau=, den -- Oktober 1772. Es scheint, daß Sie dazu gemacht sind, mir meine kleinen Systeme alle zu zerstören und zu schleifen. Kaum habe ich eine recht artige bunte Seifenblase vor dem Munde, so fahren Sie unbarmherzig drüber her und lachen mich aus, wenn ich stehe und den Kopf kratze. Ich muß Ihnen aber auch sagen, daß ich meine Kartenhäuser gern niederreißen lasse, weil in einer Stunde wieder ein neues da ist. An mir ist von Kindesbeinen an ein Philosoph verdorben, ich hasche immer nach der ersten besten Wahrscheinlichkeit, die mir in die Augen flimmert, und die liebe, bescheiden nackte Wahrheit kommt dann ganz leise von hinten und hält mir die Augen zu. Eine lange Kette von Ideen, wo eine die andere gibt, bis man, wenn man eine Weile gereist hat, die letzte find’t und sich seines Zieles freuen kann, ist für meine Seele eine wahre Sklavenkette -- wie glücklich bin ich, wieder an Ihrer Hand zu gehen, wenn ich lange genug auf blumigen Wiesen herumgesprungen. -- Welch’ ein Wust von Allegorien! kann ich doch nicht davor, daß meine Seele jetzt so gestimmt ist. Mein Hauptsystem bleibt dennoch unverrückt, und das ist freilich einfach genug, aber darum für meine Seele zuträglicher, weil sie Pein empfindet, wenn sie sich =lange= bei Wahrheiten aufhalten soll. Und das ist dieß: es geht mir gut in der Welt und wird mir in Ewigkeit gut gehen, so lang ich selbst gut bin, denn ich habe dort oben einen sehr guten Vater, der alles was er gemacht hat, sehr gut gemacht hat -- und wenn sich dieß letztere mir nicht allezeit so darstellt, so liegt die Schuld an meinem dummen Verstande. Eine gewisse Offenbarung bestätigt dieß mein Gefühl -- _tant mieux_! sie sagt mir, das anscheinend und wirklich Böse, in der Welt, fange jetzt schon an und solle dereinst ganz aufgehoben werden, und das hab’ ich dem Sohne Gottes zu danken, ob nun seiner Lehre allein, oder auch wirklich seinem Verdienste (wenn anders, um von Gott nicht menschlich zu reden, bei Gott ein Verdienst statt finden kann, denn bei ihm ist Alles Gnade), _tant mieux_! sage ich, das ist eine schöne frohe Botschaft (Evangelium); ich glaube sie herzlich gern und freue mich darüber und dieß, denk’ ich, ist der Glaube, der mich selig machen soll und schon hier glückselig oder selig macht, denn diese beiden Wörter, denk’ ich, sind auch eins. So werden wir, denk’ ich, in dem Extrakt unserer Religion ziemlich nahe bei einander stehen. Freilich haben Sie in vielen Punkten, die ich mir unterstrichen habe, mich so unter sich gekriegt, daß ich mich kaum noch rühren kann, in andern bin ich noch _in suspenso_, als daß Gott gar nichts in uns wirken kann u. a. m., wovon ich mündlich mehr mit Ihnen zu reden hoffe. Das Eine bitte ich mir aus, nicht so verächtlich von dieser Welt zu sprechen. Sie ist gut, mein Gönner, mit allen ihren eingeschlossenen Uebeln, das Reich Gottes, wovon Christus immer red’t, ist nicht allein in jenem Leben zu hoffen, denn er selbst hat uns im Vaterunser beten gelehrt „dein Wille geschehe im Himmel, wie auf Erden.“ Wenn’s Glück gut ist, bin ich noch immer ein heimlicher Anhänger vom tausendjährigen Reiche, wenigstens glaub’ ich gewiß, daß der Zustand unserer Welt nicht immer derselbe bleiben wird. Und christlich-physisches Uebel muß immer mehr drin abnehmen, wenn das Moralische darin abnimmt, und das wollt’ ich beinahe beweisen, wenn anders eine Seele, die immer _entrechats_ macht, wie eine Närrin, in ihrem Leben jemals etwas wird beweisen können. -- -- Eine Lieblingsidee haben Sie, mein Theurer, und das freut mich, weil ich auch =eine= habe. So bin ich Ihnen doch in einem Stück ähnlich, denn, wenn es auf eine Aussicht in eine aneinanderhangende Reihe von Wahrheiten ankömmt, da kann ich mich mit Ihnen nicht messen. Wissen Sie worin unsere Lieblingsideen bestehn? Die Ihrige ist -- die =Liebe= -- und die Meinige, die =Schönheit=. Vielleicht stehn diese, beide, nahe bei einander, oder fließen gar zusammen -- -- wenn nur meine Brille schärfer wäre! So viel ist gewiß, daß die letztere die einzige Idee ist, auf die ich alle andern zu reduziren suche. Aber es muß die ächte Schönheit seyn, die auf Wahrheit und Güte gegründet ist, und in der höchsten und faßlichsten Uebereinstimmung -- der Henker mag sie definiren; ich fühle sie und jag’ ihr nach; freilich tritt sie mir noch oft hinter eine Wolke, aber ich werde sie einmal finden -- diese allein kann mein Herz mit Liebe gegen Gott (die Schönheit _in abstracto_) und gegen alles was geschaffen (die Schönheit _in concreto_) füllen. Freilich so nach Graden, so wie die Schönheit selber Grade hat. Da haben Sie meine Brille -- Ihre ist vortrefflich, aber ich kann noch nicht dadurch sehen, darum sind wir Individua. Genug, wir passen in das Ganze das Gott geschaffen hat und das ihm gefällt, so verschieden wie es ist, denn in der Natur sind keine vollkommene Aehnlichkeiten, sagen die Philosophen. Genug, ich fühle eine Affinität zu Ihnen, die ganz erschrecklich ist und obgleich ich die Lichtstralen, die Sie mir zuschicken, nicht mit den meinigen vereinigen kann, so mag ich sie doch gern damit verschwägern. Nun ist’s Zeit, daß ich vom Pegasus herabsteige, sonst wirft er mich ins Meer. Kaum hab’ ich so viel Athem Ihnen zu sagen, daß ich, zu der höchsten Uebereinstimmung der Welt das Zutrauen habe, daß sie mich nach Straßburg in Ihre Armen führen wird. =Lenz=. Von 1772 bis 1776 ist nur noch folgender Brief vorhanden; Lenz hielt sich in der Zwischenzeit meistens in Straßburg auf. Die Schrift in diesem Briefe ist eine ganz veränderte, und von derjenigen der vorigen dadurch unterschieden, daß sie etwas mehr gezogen und flüchtig ist, während jene gedrängter und kleiner ist. Die ganze zweite Hälfte desselben ist mit noch sehr gut erhaltenem Bleistift geschrieben. D. H. 14. =Kochberg=, den 23sten Oktober 1776. Wollten Sie so freundschaftlich seyn, lieber Aktuarius, Röderern, falls er noch in Straßburg ist, zu sagen, er möchte mir das Paket von Herrn von Kleist, nur mit der Post zuschicken, weil ich sehr ungeduldig darauf bin; die Briefe könnt’ er mir selbst mitbringen. Ich bin in Kochberg bei der liebenswürdigsten und geistreichsten Dame, die ich kenne, mit der ich seit vier, fünf Wochen den englischen Shakspeare lese. Künftige Woche gehts leider schon wieder nach Weimar. Der Herzog hat neulich hier einen sonderbaren Zufall gehabt: er fiel von einem Floß im Schloßgraben ins Wasser, ich sprang nach und hatte das Glück ihn, ohne Schaden, heraus zu ziehen. =Herder= ist mit ihm hier gewesen und find’t allgemeinen Beifall. Wer sollte ihm auch den streitig machen können? Er und =Wieland= sind, wie der Letzte es von Jedem seyn muß, Freunde und werden es noch immer mehr werden. =Göthe= hab’ ich nun lang nicht gesehen; er ist so von Geschäften absorbirt in W., daß er den Herzog nicht einmal hat herbegleiten können. Leben Sie wohl und grüßen alle guten Freunde, auch Jungfer Lauth. =Lenz=. Am Rande: Wäre es nicht möglich, daß ich, durch Ihre Vermittlung einige der neuesten Allemanden in Straßburg abgeschrieben herbekommen könnte. Was Sie dafür auslegen, will ich wieder erstatten. Die von Edelmann würde Ihnen hier ein ewiges Denkmal setzen. Nachschrift, mit Bleistift geschrieben: Kennen Sie =Kaufmann=? Er ist, wie mir die Herzogin Mutter gesagt, durch Weimar gegangen und hat sehr gefallen. Auch ist er im Merkur. Grüßen Sie die =deutsche Gesellschaft= und melden Sie mir recht viel Neues aus Straßburg und Paris. Ist eine gewisse Exzellenz von =Vietinghof= durch Straßburg gegangen? Er ist ein Vetter von General bei Baviere. -- Vielleicht sehen Sie mich einmal in herzoglich sächsischer Uniform wieder. Doch das unter uns. Melden Sie mir doch ob Herr =Fries=, mit dem ich nach Italien wollte, noch in Straßburg ist und grüßen ihn, wenn Sie ihn sehen. Sollte Röderer etwa gar das benannte Paket von Herrn von Kleist noch nicht erhalten haben, so seyen Sie doch so gütig und begrüßen ihn selbst darum. Er weiß schon wovon die Rede ist. Und versichern ihm von mir viele Empfehlungen. III. Gedichte von Lenz, welche in Tiecks Ausgabe von dessen Schriften fehlen. Pygmalion. An diesen Lippen, diesen Augen, Die Welt vergessend, hinzuhangen, Und aus den rosenrothen Wangen Des Lebens Ueberfluß zu saugen; An dieses Busens reiner Fülle, Die Schmerzen meiner Brust zu wiegen Und auf des Schooses Fried’ und Stille Mit thränenmüdem Haupt zu liegen: Das war mein Wunsch und ist mein Grämen, Und soll mir doch kein Schicksal nehmen. An Minna. Geduld und unerschrockner Muth Beseelen mein getreues Blut; Ich fürcht’ mich nicht zu sterben. Der Himmel kostet Leiden hier, Ich leide froh, kann ich von dir Mir einen Blick erwerben. Nur du verdienst beglückt zu seyn; Drum will ich gerne Gram und Pein In meiner Brust verschließen. Den Thränen will ich widerstehn; Du Engel sollst sie niemals sehn Auf meinen Wangen fließen. Ach! traue deutscher Redlichkeit, Die sich zu deinem Dienste weiht; Und willst du sie belohnen, So müße Tag und Nacht der Schmerz Dir Freude seyn, und Lust und Scherz Dein schönes Herz bewohnen. Alsdann, mein Kind, ist alles gut, Alsdann, so mag mein junges Blut Für dich die Erden färben. Es ist mir sonst nichts fürchterlich, Als dich betrübt zu sehen, dich! Viel sanfter thut’s zu sterben. Drum fleh’ ich, heitre dein Gesicht, Ich scheue Höll’ und Himmel nicht; Bleibt mir dein Auge offen. Wenn du vergnügt und glücklich bist, Und stünd’ ich auf dem Richtgerüst, So ist mein Ziel getroffen. Und wär’ ich in der Sklaverey, Und hätte nur den Trost dabey, Für dich, für dich zu leiden, Und wär’ ich jenseit überm Meer, Und wüßt’, daß Minna glücklich wär’, Doch wär’ ich zu beneiden! Nur sie, nur sie muß glücklich seyn, Nur sie, nur sie verdient’s allein, Und gieng die Welt zu Grunde! Ich selber mit! O wie so schön Würd’ ich alsdann zu Grunde gehn! Schlag bald, du schöne Stunde. In einem Gärtchen am Contade[21], nachdem der Verfasser im Flusse gebadet hatte. Erlaube mir, du freundlichster der Wirte, Du Bild der Gottheit! daß ich diese Myrte Verflecht’ in dein verzoddelt Haar. In deinem Gärtchen, das du selbst erzogen, Sing’ ich, für dich, was Hunderte gelogen, _Beatus ille_ -- und was Keiner war. Für meine fünf zehn Sols, nehm’ ich die Stelle Von dir auf eine Stunde ein. Denn sieh’, ich komm’ aus Aganippens Quelle, Und bin von jeder Sorge rein, Von jeder Leidenschaft -- in diesem Augenblicke Schickt mich die Gottheit her, dir zuzusehn, Ganz Herz, ganz Ader für dein Glücke, Und find’ es unaussprechlich schön. Das muß gesungen seyn. Da alles singet In unsern Tagen, schwieg’ ich lang. Die Freude, dacht’ ich, welche klinget, Verliert sich schneller als ihr Klang. Doch deine stille Lust die niemand neidet, Die niemand fühlt, als du allein, und ich, Wird die mit einem Lied’ umkleidet, Erhöhet und verbessert sich. Was hält mich ab dir dieses Lied zu zeigen? Ach du verstehst es nicht. Doch zeig’ ich’s hier Den Bäumen, die wie du ihr Glück verschweigen. Heut’ Abend sitz hieher, dann rauschen sie es dir. Die Geschichte auf der Aar. Aus einem Briefe an Herrn Pf. Mäder in Mühlhausen, von Herrn Pf. Luce in Münster, vom 14. August 1806; im alsatischen Taschenbuch 1807. „Sie haben vermuthlich den guten Lenz, Verfasser des Hofmeisters und anderer geistreichen Schriften, persönlich gekannt. Er hatte sich, in den siebziger Jahren, lange zu Straßburg aufgehalten, und war auch manchmal in unsere obern Gegenden gekommen. Einst nach meiner Zurückkunft von der Helvetischen Gesellschaft zu Olten, erzählte ich ihm die traurige Begebenheit, die einige Zeit vorher in jener Gegend vorgefallen war. Es verunglückte ein Schiff auf der Aar. Eine Bürgersfrau, die mit ihrem Manne ein Raub der Wellen geworden, ergriff ein Stück des zertrümmerten Schiffes und hielt sich an demselben über dem Wasser. Der Mann hatte sie beim Rocke gefaßt, und zog sie, durch die Last seines entnervten Körpers, beinahe ganz unter die Fluthen. -- Ach! lieber Mann, rief sie in der Angst, wie schwer bist du! ich gehe zu Grunde! So lebe wohl, liebe Frau! sprach der Edle und sorge für unsere Kinder! -- Den andern Morgen brachte mir Lenz diese rührende Geschichte in Versen, und erst die vorige Woche fand ich sein Manuscript wieder unter meinen Collectaneen. Bewundern Sie mit mir, mein Lieber, wie meisterhaft der Dichter den Gegenstand behandelt hat, und urtheilen Sie, ob sein Gedicht, da es gleichsam auf unserm Grund und Boden gewachsen ist, nicht verdiente, in einer vaterländischen Schrift aufgewahrt zu werden?“[22] „Was machst du hier, lieb Mägdelein! Am Wasser tief und schnelle? Und sitzest da am Bach allein, Mit nassen, rothen Bäckelein, Und guckst auf =eine= Stelle? Hat dich der Vater was bedroht? Bekommst du heut kein Morgenbrod? Hat Bruder dich geschlagen? Du kannst mir alles sagen.“ Das Mägdlein schaut ihm ins Gesicht, Sieht, kehrt sich weg und redet nicht. „Sag, wo bist du zu Hause?“ „„Herr, dort in jener Klause.““ -- Er kriecht zur kleinen Thür hinein, Und findt ein hagres Mütterlein Auf schlechten Binsen liegen. „Sagt, gute Frau, was fehlt dem Kind? Es sitzt da draußen in dem Wind, Und ist nicht still zu kriegen.“ „„Ach, lieber Herr!““ das Mütterlein Mit schwerem Husten saget, „„Es geht den ganzen Tag allein Und leidt nicht, daß man’s fraget; Es hat von seiner Kindheit an Nichts als beständig weinen ’than.““ „So wahr ein Gott im Himmel ist! Euch muß was heimlich quälen; Ihr sagt nicht alles, was ihr wißt, Ihr sollt mir nichts verhehlen.“ „„Nun, lieber Herr““ -- und faßt den Mann Mit beiden welken Händen an -- „„Geht an den Strom, fallt auf die Knie, Und dann kommt wieder morgen früh; Wird sich mein Husten kehren, So sollt ihr alles hören.““ Der Blick, der Ton, der Händedruck Dem Fremden an die Seele schlug. Er geht zum Bach, fällt auf die Knie, Kömmt zu dem Weiblein Morgens früh, Findt sie in bittern Zähren. „„Ach Herr! was uns verloren gieng, Kann dieses Blatt und dieser Ring Am besten euch erklären.““ Mit diesem Wort zieht sie ein Tuch Aus ihrer Brust, darin ein Buch Und in dem Buch ein Blättlein war, Bemalt mit bunten Farben zwar, Und an dem Farbenblättlein hieng, Als Siegel ihr Verlöbnißring. Auf diesem Blättlein schwamm ein Weib Im höchsten Strom mit halbem Leib. Ihr Kahn war umgeschlagen; Und an des Weibes Rocke faßt Ihr Ehmann sich, doch diese Last Schien’s Wasser nicht zu tragen. Je mehr der Fremd’ aufs Blättlein sieht, Je mehr ihm Aug und Stirne glüht, Und darf sie nicht mehr fragen. Das Weiblein weint, heult außer sich, Beginnt die Brust zu schlagen: „„Seht, lieber Herr, das Weib bin ich, Um mich mußt er ertrinken! Ich, in dem Schrecken, rief ihm: Mann, Ach, warum faßt du mich denn an? Und gleich sah ich ihn sinken.““ „Er rief“ -- bei dieser Stelle quoll Ihr starrend Auge minder -- „„Er rief im Sinken: Frau, leb wohl, Und sorg für unsre Kinder!““ IV. Göthe’s ursprüngliche Uebersetzung der Ossianischen Gesänge von Selma. Aus Friederickens Nachlasse und nach Göthe’s Handschrift abgedruckt. Die Gesänge von Selma.[23] Stern der niedersinckenden Nacht! Schön ist dein Licht im Westen! Du hebest dein lockiges Haupt aus deiner Wolke: ruhig wandelst du über deinen Hügel. Was siehst du nach der Ebne? Es ruhen die stürmischen Winde. Das Murmeln der Ströme kommt aus der Ferne. Brüllende Wellen klettern den entlegenen Felsen hinan. Die Fligen des Abends schweben auf ihren zarten Schwingen, das Summen ihres Zug’s ist über dem Fels. Wo nach blickst du, schönes Licht? Aber du lächlest und gehst. Fahrewohl du schweigender Stral, dass das Licht in Ossians Seele heraufsteige. Und es steigt herauf in seiner Stärcke. Ich sehe meine verschiedenen Freunde. Ihre Versammlung ist auf Lora, wie in den Tagen die vorüber sind. Fingal kömmt wie eine wässrige Säule von Nebel; seine Helden sind um ihn her. Und sieh! die Sänger der Lieder; grauhariger Ullin! ansehnlicher Ryno! Alpin mit der melodischen Stimme! und die sanfte Klage von Minona! O wie habt ihr euch verändert, meine Freunde, seit den festlichen Tagen von Selma; da wir wetteiferten wie Lüffte des Frühlings, sie fliegen über den Hügel und beugen wechselnd das sanftlispelnde Gras. Minona trat hervor in ihrer Schönheit, mit niedergeschlagenem Blick und weinendem Auge. Schwer flossen ihr die Locken am Wind, der nur manchmal vom Hügel her sties. Die Seelen der Helden wurden trüb, da sie die liebliche Stimme erhub; denn offt hatten sie das Grab Salgars gesehen, und die dunckle Behausung der weisbusigen Colma. Colma blieb allein auf dem Hügel mit ihrer melodischen Stimme. Salgar hatte versprochen zu kommen, aber die Nacht stieg rings umher nieder. Hört die Stimme von Colma da sie allein sas am Hügel. Colma. Es ist Nacht; -- Ich binn allein verlohren auf dem stürmischen Hügel. Der Wind braust zwischen dem Berge. Der Wasserfall sausst den Felsen hinab. Keine Hütte nimmt mich vorm Regen auf. Ich bin verloren auf dem stürmischen Hügel. Tritt, o Mond! hervor hinter deiner Wolcke; Sterne der Nacht erscheint. Ist denn kein Licht das mich führe zum Platz wo mein Liebster ausruht von der Mühe der Jagd! Sein Bogen neben ihm ohngespannt. Seine Hunde schnobend um ihn her. Aber hier muss ich allein sitzen an dem Felsen des mosigen Stroms. Und der Strom und der Wind sausst, und ich kann nicht hören die Stimme meines Geliebten. Und wie, mein Salgar, wie, der Sohn des Hügels hält sein Versprechen nicht? Hier ist der Felsen und der Baum, und hier der wilde Strom. Du versprachst mit der Nacht hier zu seyn. Ach! wohin ist mein Salgar gangen. Mit dir wollt ich meinem Vater entfliehn; mit dir meinem stolzen Bruder. Unsre Stämme sind lange schon Feind, aber wir sind nicht Feinde, o Salgar. Ruh eine Weile, o Wind! Strom sey eine Weile still, dass meine Stimme über die Haide schalle, und mich mein Wandrer höre. Salgar! Ich binn’s das rufft. Hier ist der Baum und der Fels. Salgar mein Liebster! ich binn hier. Warum zögerst du zu kommen? Sieh! der Mond erscheint, die Flut glänzt in dem Thal. Die Felsen sind grau an dem Hange des Hügels. Aber ich seh ihn nicht auf dem Pfad. Keine Hunde vor ihm her verkünden dass er kommt. Hier muss ich sitzen allein. Aber wer sind die, die vor mir auf der Haide liegen? Ist’s nicht mein Liebster und mein Bruder? Redet, o meine Freunde! Sie antworten nicht. Ach, ich fürchte -- Ah! Sie sind todt. Ihre Schwerter sind roth vom Gefecht. O mein Bruder! mein Bruder! warum hast du meinen Salgar erschlagen? warum, o Salgar, hast du meinen Bruder erschlagen? Lieb wart ihr mir beyde! Was soll ich zu euerm Ruhm sagen? Du warst schön auf dem Hügel unter tausenden; er war schröcklich in dem Gefecht. Redet; hört meine Stimme, Söhne meiner Liebe. Aber ach! sie sind stumm; Stumm für ewig, ihr Busen ist kalt wie das Grab. Oh! von dem Felsen des Hügels; von dem Gipfel des windigen Berges, redet ihr Geister der Todten! Redet ich will nicht erschröcken. -- Wohin seyd ihr zu ruhen gegangen? In welcher Höhle des Hügels kann ich euch finden? Keine schwache Stimme vernehm ich im Wind, keine halbverwehte Antwort in den Stürmen des Hügels. Ich sitze in meinem Jammer. Ich erwarte den Morgen in meinen Trähnen. Erhebt das Grab ihr Freunde der Todten; aber schliesst es nicht biss Colma kommt. Mein Leben fliegt weg wie ein Traum: wie könnt ich zurück bleiben? Hier will ich mit meinen Freunden ruhn, an dem Strom des schallenden Fels. Wenn die Nacht über den Hügel kommt; wenn der Wind über die Haide bläst; dann soll mein Geist im Winde stehn, und meiner Freunde Todt betrauern. Der Jäger höret mich unter seinem Reiserdach, und fürchtet meine Stimme und liebet sie. Denn süss soll meine Stimme seyn um meine Freunde, denn lieb waren sie beyde mir. So war dein Gesang, Minona, sanft erröthendes Mädgen von Torman. Unsere Trähnen flossen um Colma, und unsre Seelen waren trüb. Ullin kam mit der Harfe, und sang Alpins Lied. Die Stimme Alpins war lieblich, die Seele Rynos war ein Feuerstral. Aber sie ruhten schon im engen Haus, und ihre Stimme hörte man nicht in Selma. Ullin kam einst zurück von der Jagd eh die Helden fielen. Er vernahm ihren Streit am Hügel, ihr Gesang war sanft aber traurig. Sie betrauerten den Fall Morars, des ersten der sterblichen Menschen. Seine Seele war wie die Seele Fingals; sein Schwert wie das Schwert Oskars. Aber er fiel, und sein Vater trauerte: seiner Schwester Augen waren voll Trähnen. Minona’s Augen waren voll Trähnen der Schwester des edelgebohrenen Morar. Sie wich zurück vor Ullins Gesang, wie der Mond im Westen, wenn er den Regen voraussieht, und sein schönes Haupt in eine Wolke verbirgt. Ich rührte die Harfe mit Ullin, der Trauergesang begann. Ryno. Der Wind und der Regen sind vorüber, still ist die Mitte des Tags. Die Wolken sind getheilt am Himmel. Ueber die grünen Hügel fliegt die unbeständige Sonne. Roth durch das steinige Thal kommt nieder der Strom von dem Hügel. Süs ist dein Gemurmel, o Strom, aber süser ist die Stimme die ich höre. Es ist die Stimme Alpins; der Sohn des Gesangs trauert um den Todten. Von Alter ist sein Haupt gebeugt und roth sein trähnevoll Aug. Alpin du Sohn des Gesangs, wie so allein auf dem schweigenden Hügel. Warum klagst du wie ein Windhauch im Wald; wie eine Well’ um das ferne Gestade. Alpin. Meine Trähnen, o Ryno! sind für den Todten; meine Stimme für die Bewohner des Grabs. Schlanck bist du auf dem Hügel; schön unter den Söhnen der Ebne. Aber du wirst fallen wie Morar; und auf deinem Grabe wird der Klagende sitzen. Die Hügel werden dich nicht mehr kennen; dein Bogen wird in deiner Halle liegen ohngespannt. Du warst leicht, o Morar! wie ein Reh auf dem Hügel, schröcklich wie ein feurig Meteor. Dein Grimm war wie der Sturm. Dein Schwert in der Schlacht wie das Wetterleuchten im Feld. Deine Stimme war wie ein Strom nach dem Regen; wie der Donner auf fernen Hügeln. Viele stürzten durch deinen Arm; sie wurden verzehrt in den Flammen deines Zorns. Aber wenn du zurück kehrtest vom Krieg, wie friedlich war deine Stirne. Dein Gesicht war gleich der Sonne nach dem Regen; gleich dem Mond in dem Schweigen der Nacht; still wie der Busen des Teichs wenn der laute Wind sich gelegt hat. Eng ist nun deine Wohnung; finster der Platz deines Aufenthalts. Mit drey Schritten mess’ ich dein Grab, o du der du sonst so gros warst. Vier Steine mit ihren mosigen Häuptern sind dein einziges Denkmal. Ein halb verdorrter Baum, langes Gras das im Winde flüstert zeigen dem Auge des Jägers das Grab des mächtigen Morars. Morar, fürwahr, du bist tief gesuncken. Du hast keine Mutter die dich beweinte, kein Mädgen mit ihren Trähnen der Liebe. Todt ist sie die dich gebahr, gefallen ist die Tochter von Morglän. Wer ist der auf seinem Stabe? Wer ist der, dessen Haupt von Alter so grau ist, dessen Augen von Trähnen so roth sind, der bei jedem Schritte wanckt. -- Es ist dein Vater, o Morar! der Vater keines Sohnes ausser dir. Er hörte von deinem Ruhm in der Schlacht; er hörte von zerstreuten Feinden. Er hörte von Morars Ruhm, wie? und hörte nichts von seiner Wunde? Weine du Vater von Morar! weine; aber dein Sohn hört dich nicht. Tief ist der Schlaf der Todten, tief ihr Küssen von Staub. Nimmer wird er deine Stimme vernehmen, nimmer wird er erwachen wenn du ihm rufst. Wann wird es Morgen im Grabe werden, der den Schlummerer erwecke. Fahre wohl du edelster der Menschen; du Erobrer im Feld. Doch das Feld wird dich nimmer mehr sehen; nimmer der Wald mehr erleuchtet werden vom Glanze deines Strals. Du hast keinen Sohn hinterlassen; aber der Gesang soll deinen Nahmen erhalten. Künftige Zeiten sollen von dir hören, sie sollen hören von dem gefallenen Morar. Nun erhub sich die Trauer der Helden, aber am meisten Armins berstender Seufzer. Er dacht’ an den Tod seines Sohns; er fiel in den Tagen seiner Jugend. Carmor sas nächst an dem Helden, der Führer des schallenden Galmal. Warum birstet der Seufzer von Armin, sagt er? Ist hier eine Ursach zum Jammer. Der Gesang kommt mit seiner Musick, die Seele zu schmelzen, und zu vergnügen. Es ist wie der sanfte Nebel, der von einem Teiche heraufsteigt, und über das schweigende Thal zieht; die grünen Blumen füllen sich mit Thau, aber die Sonne kehrt zurück in ihrer Stärcke, und der Nebel ist weg. Warum bist du so trüb o Armin, Führer des seeumgebenen Gorma. Trüb! das binn ich fürwahr: und nicht gering die Ursach meines Jammers. Carmor, du hast keinen Sohn verlohren; du hast keine Tochter verlohren in ihrer Schönheit. Colgar der tapfere lebt; und Annira die schönste der Mädgen. Die Zweige deines Geschlechtes blühen, o Carmor! Aber Armin ist der letzte seines Stamms. Dunckel ist dein Bed o Daura! und tief dein Schlaf in dem Grabe. Wann wirst du erwachen mit deinem Gesang mit deiner Stimme der Lieder. Auf ihr Winde des Herbsts, auf; stürmt über die finstere Haide! Ihr Ströme der Berge, brüllt! heult ihr Stürme in dem Gipfel der Eiche! wandele durch zerrissene Wolcken o Mond! Zeige manchmal dein blasses Gesicht! Bring vor meine Seele jene schröckliche Nacht da alle meine Kinder fielen; Arindal der mächtige fiel; Daura die liebe dahinsanck. Daura meine Tochter du warst schön; schön wie der Mond auf den Hügeln von Fura; weis wie der gefallene Schnee; süs wie die athmende Luft. Arindal dein Bogen war starck, dein Speer war schnell in dem Feld. Dein Blick war wie Nebel über der Welle, dein Schild eine rothe Wolcke im Sturm. Armar berühmt im Kriege, kam und suchte Daura’s Liebe, er ward nicht lang verschmäht; schön war die Hoffnung ihrer Freunde. Erath der Sohn von Odgal, ergrimmte; seinen Bruder hatte Armar erschlagen. Er kam verkleidet in einen Sohn der See: schön war sein Kahn auf der Welle; weis seine Locken des Alters; ruhig seine ernstliche Stirne. Schönste der Mädgen, sprach er; liebliche Tochter von Armin! Ein Fels nicht weit in der See trägt an seiner Seit’ einen Baum, roth scheinet die Frucht aus der Ferne. Dort wartet Armar auf Daura. Ich kam seine Liebe zu holen, hinüber die rollende See. Sie ging, und rief nach Armar. Niemand antwortete als der Sohn des Felsens[24]. Armar! Mein Liebster! Mein Liebster? Wie lange ängstest du mich mit Furcht? Höre, Sohn von Ardnart höre; es ist Daura die dich ruft. Erath der Verräther floh lachend zurück nach dem Land. Sie hub ihre Stimme auf, und rief nach ihrem Bruder und ihrem Vater. Arindal, Armin! Keiner, seiner Daura zu helfen. Ihre Stimme kam über die See. Arindal mein Sohn stieg nieder vom Hügel, wild in der Beute der Jagd. Seine Pfeile rasselten an seiner Seite; sein Bogen war in seiner Hand; fünf dunkelgraue Docken strichen um seine Tritte. Er sah den kühnen Erath an dem Ufer, ergriff und band ihn an eine Eiche. Fest mit Riemen, rings um die Lenden gebunden beladet er den Wind mit seinem Geheule. Arindal besteigt in seinem Nachen die Welle Dauren zum Lande zu bringen. Armar kam in seinem Grimm und schoss den graubefiederten Pfeil. Er klang; er sanck in dein Herz, o Arindal mein Sohn; für Erath den Verräther stirbst du. Das Ruder starrt in seiner Hand, er sanck über den Felsen und verschied. Ach welcher Jammer, Daura, ringsher um deine Füsse quillt deines Bruders Blut. Den Nachen schlagen die Wellen entzwey. Armar stürzt sich in die See, seine Daura zu retten oder zu sterben. Ein Windstos vom Hügel kommt schnell über die Wellen. Er sanck, ich sah ihn nicht mehr. Allein von dem seeumstürmten Felsen hörte man meine Tochter jammern. Viel und laut war ihr Schreyn, und ihr Vater konnt sie nicht erlösen. Die ganze Nacht stund ich am Ufer. Ich sah sie beym schwachen Stral des Monds. Die ganze Nacht hört ich ihr Geschrey. Laut war der Wind, und der Regen schlug hart an die Seite des Felsens. Eh der Morgen erschien, ward ihre Stimme schwach. Sie starb weg wie der Abendhauch zwischen dem Gras auf dem Felsen. Verzehrt von Jammer verschied sie. Und ließ dich Armin allein: hin ist meine Stärcke im Krieg, gefallen mein Stolz unter den Mädgen. Wenn die Stürme des Bergs kommen. Wenn der Nord die Wellen in die Höh’ hebt; Sitz ich am schallenden Gestad, und schau auf den schröcklichen Felsen. Offt am niedersinckenden Mond seh’ ich die Geister meiner Kinder. Halb unsichtbaar wandeln sie in traurigem Gespräch neben einander.[25] Will keins von euch aus Mitleiden reden? Sie sehen ihren Vater nicht an. Ich bin trüb o Carmor; aber nicht gering die Ursach meines Schmerzens! So waren die Worte der Barden in den Tagen des Gesangs; da der König den Klang der Harfen hörte, und die Geschichte vergangener Zeiten. Die Fürsten erschienen von allen ihren Hügeln, und hörten den lieblichen Ton. Sie priesen die Stimme von[26] Cona des ersten unter tausend Barden. Aber das Alter ist nun auf meiner Zunge, mein Geist ist weggeschwunden. Ich höre manchmal die Geister der Barden und lerne ihren lieblichen Gesang. Aber das Gedächtnis schwindet in meiner Seele. Ich höre den Ruf der Jahre. Sie sagen wie sie vorübergehn, wie? singt Ossian. Bald wird er liegen im engen Haus, kein Barde seinen Ruhm erheben. Rollt hin ihr dunkelbraunen Jahre, ihr bringt mir keine Freude in eurem Lauf. Eröffnet Ossian sein Grab, denn seine Stärcke ist dahin. Die Söhne des Gesangs sind zur Ruhe gegangen, meine Stimme bleibt über wie ein Hauch der fern um den seeumgebenen Felsen saust, wenn sich der Sturm gelegt hat. Das finstere Moos rauscht, und aus der Ferne sieht der Schiffer die wallenden Bäume. V. Gedichte von Göthe an Friedricke.[27] 1. Erwache Friedericke, Vertreib’ die Nacht, Die einer deiner Blicke Zum Tage macht. Der Vögel sanft Geflüster Ruft liebevoll, Daß mein geliebt Geschwister Erwachen soll. Ist dir dein Wort nicht heilig Und meine Ruh? Erwache! Unverzeihlich! Noch schlummerst du? Horch, Philomelens Kummer Schweigt heute still, Weil dich der böse Schlummer Nicht meiden will. Es zittert Morgenschimmer Mit blödem Licht, Erröthend durch dein Zimmer Und weckt dich nicht. Am Busen deiner Schwester, Der für dich schlagt, Entschläfst du immer fester Je mehr es tagt. Ich seh dich schlummern, Schöne! Vom Auge rinnt Mir eine süße Thräne Und macht mich blind. Wer kann es fühllos sehen, Wer wird nicht heiß -- Und wär’ er von den Zehen Zum Kopf von Eis! Vielleicht erscheint dir träumend, O Glück! mein Bild, Das halb voll Schlaf und träumend Die Musen schilt. Erröthen und erblassen Sieh’ sein Gesicht, Der Schlaf hat ihn verlassen, Doch wacht er nicht. Die Nachtigall im Schlafe Hast du versäumt, Drum höre nun zur Strafe Was ich gereimt. Schwer lag auf meinem Busen Des Reimes Joch, Die schönste meiner Musen, Du -- schliefst ja noch. 2. Ein grauer trüber Morgen Bedeckt mein liebes Feld, Im Nebel tief verborgen Liegt um mich her die Welt. O liebliche Friedricke, Dürft’ ich nach dir zurück, In =einem= deiner Blicke Liegt Sonnenschein und Glück. Der Baum, in dessen Rinde Mein Nam’ bei deinem steht, Wird bleich vom rauhen Winde Der jede Lust verweht. Der Wiesen grüner Schimmer Wird trüb wie mein Gesicht, Sie sehn die Sonne nimmer Und ich Friedricken nicht. Bald geh’ ich in die Reben Und herbste Trauben ein, Umher ist Alles Leben, Es sprudelt neuer Wein. Doch in der öden Laube, Ach, denk’ ich, wär’ Sie hier? Ich brächt’ ihr diese Traube, Und Sie -- was gäb’ Sie mir? 3. Ach, bist du fort? aus welchen güldnen Träumen Erwach’ ich jetzt zu meiner Qual! Kein Bitten hielt dich auf, du wolltest doch nicht säumen, Du flogst davon zum zweitenmal. Zum zweitenmal sah ich dich Abschied nehmen, Dein göttlich Aug’ in Thränen stehn, Für deine Freundinnen -- des Jünglings stummes Grämen Blieb unbemerkt, ward nicht gesehn. O warum wandtest du die holden Blicke Beim Abschied immer von ihm ab? O warum ließest du ihm nichts, ihm nichts zurücke Als die Verzweiflung und das Grab? Wie ist die Munterkeit von ihm gewichen! Die Sonne scheint ihm schwarz, der Boden leer, Die Bäume blühn ihm schwarz, die Blätter sind verblichen, Und Alles welket um ihn her. Er läuft in Gegenden wo er mit dir gegangen, Im krummen Bogengang, im Wald, am Bach -- Und findet dich nicht mehr -- und weinet voll Verlangen Und voll Verzweiflung dort dir nach. Dann in die Stadt zurück, doch die erweckt ihm Grauen, Er findet dich nicht mehr, Vollkommenheit! Ein andrer mag nach jenen Puppen schauen, Ihm sind die Närrinnen verleid’t. O laß dich doch, o laß dich doch erflehen, Und schreib’ ihm einmal nur -- ob du ihn liebst! Ach, oder laß ihn nie dich wiedersehen, Wenn du ihm diesen Trost nicht giebst! Wie? nie dich wiedersehn? -- Entsetzlicher Gedanke! Ström’ alle deine Qual auf mich! Ich fühl’, ich fühl’ ihn ganz -- es ist zu viel -- ich wanke -- Ich sterbe, Grausame -- für dich! 4. Jetzt fühlt der Engel was ich fühle, Ihr Herz gewann ich mir beim Spiele, Und Sie ist nun von Herzen mein. Du gabst mir, Schicksal, diese Freude, Nun laß auch morgen sein wie heute, Und lehr’ mich ihrer würdig sein. Nun sitzt der Ritter an dem Ort, Den ihr ihm nanntet, liebe Kinder, Sein Pferd gieng langsam fort Und seine Seele nicht geschwinder. Da sitz’ ich nun vergnügt bei Tisch, Und endige mein Abentheuer Mit einem Paar gesott’ner Eier Und einem Stück gebratnem Fisch. Die Nacht war wahrlich ziemlich düster, Mein Falke stolperte wie blind, Und doch fand ich den Weg so gut als ihn der Küster Des Sonntags früh zur Kirche find’t. Ich komme bald, ihr goldnen Kinder, Vergebens sperret uns der Winter In unsre warmen Stuben ein. Wir wollen uns zum Feuer setzen, Und tausendfältig uns ergötzen, Uns lieben wie die Engelein; Wir wollen kleine Kränze winden, Wir wollen kleine Sträußchen binden, Wir wollen wie die Kinder sein! [Illustration: Handschrift] Fußnoten: [1] Gesammelte Schriften von =J. M. R. Lenz=, herausgegeben von L. Tieck. Berlin, bei Reimer 1828, 3 Theile. Das Trauerspiel das =leidende Weib=, hat Tieck fälschlich unter die Lenzischen Schriften gesetzt; es ist von =Klinger=, wie Gervinus (Neuere Geschichte der deutschen Nationalliteratur Th. I. S. 584) nachgewiesen hat. [2] S. Salzmann’s Nekrolog von =Moriz Engelhardt=, Morgenblatt 1812. -- Gelegentlich stehe hier, daß Göthe während seines Aufenthaltes in Straßburg, 1770 bis 1771 auf dem alten Fischmarkte, im Hause Nr. 80 wohnte. Die von Salzmann präsidirte Tischgesellschaft, bei den Jungfern Lauth, kam in der Krämergasse Nr. 13 zusammen. [3] Das Andenken des Pfarrers =Johann Jakob Brion= und seiner von Göthe als Muster einer tüchtigen, einsichtsvollen und verständigen Hausfrau geschilderten Gattin, Maria Magdalena, geb. Schöll, steht noch immer in Sesenheim in Segen. Das alte Pfarrhaus ist seitdem abgerissen worden und hat einem größern, stattlichen Wohngebäude Platz gemacht. Die Jasminlaube, die seitdem auch verpflanzt worden ist, wird häufig von Reisenden, namentlich von Deutschen und Engländern, aufgesucht und geplündert. -- Göthe’s damalige Vorliebe für Ossian war auch auf Friedericke übergegangen. Ich besitze den schon besprochenen Gesang: „Stern der dämmernden Nacht“, welchen er für Friedericke übersetzte, und sodann, sehr verändert, in den Werther aufnahm, von seiner Hand geschrieben und hin und wieder verbessert. Er folgt im Anhange. Die älteste Tochter, =Marie Salome= (bei Göthe =Olivie=), war an einen Pfarrer Marx in Meißenheim, bei Lahr, verheirathet; bei ihr starb =Friedericke= (November 1813) im 58. Lebensjahre. Der Bruder (=Moses=) starb 1817 als Pfarrer zu Barr. Die jüngste Schwester, zu Göthe’s Zeit ein kleines, munteres Mädchen, hieß =Sophie=; sie lebte eine Zeit lang mit Friedericke im Steinthale, wo beide eine Mädchenschule leiteten; später zog sie nach Niederbronn, wo sie im Dezember 1838 in hohem Alter starb. Sie war bis an ihr Ende heiter und sprach von Göthe nicht anders als mit Achtung; sie klagte ihn nie an und wußte nichts von einer förmlichen Verlobung zwischen ihm und ihrer Schwester. Sie wurde oft von Fremden besucht und war unter dem Namen „Täntele“ in Niederbronn und in der Umgegend bekannt und allgemein geschätzt. Die bis dahin ungedruckten Gedichte Göthe’s, die ich in Chamisso’s und Schwab’s Musenalmanach 1838 einrücken ließ, hatte ich von ihr erhalten; sie sind aber nicht eigenhändig von Göthe geschrieben. [4] _Strobel, hist. du Gymn. de Strasb._ 1838. S. 159 u. 160. [5] =Gervinus=, neuere Geschichte der poetischen Nationalliteratur der Deutschen. Th. I. S. 581 u. 584. [6] Viele Beiträge der Gesellschaft wurden in den damals in Straßburg erscheinenden =Bürgerfreund= eingerückt, an welchem namentlich =Blessig= thätigen Antheil hatte. [7] Dieser in der =Erwinia= 1839, S. 6 u. ff., mitgetheilte Aufsatz bildet die Grundlage der leider Fragment gebliebenen Novelle „Lenz“ meines verstorbenen Freundes =Georg Büchner=. Er trug sich schon in Straßburg lange Zeit mit dem Gedanken Lenz zum Helden einer Novelle zu machen, und ich gab ihm zu seinem Stoffe alles, was ich an Handschriften besaß. Das Fragment ist abgedruckt im =Telegraphen= 1839, Nummer 5 u. ff. [8] =Kaufmann= aus Winterthur. [9] Daß diese -- Friedericke aus Sesenheim war, geht aus den Briefen von Lenz an Salzmann unzweifelhaft hervor. [10] Oberlin schrieb und sagte später immer =Waldbach=; dies ist auch der offizielle Name, den das Dörfchen trägt. [11] Aus =Oberlin’s= Papieren gezogen und ohne Veränderungen abgedruckt. [12] Herr Kommerzienrath =Vogel=, in Emmendingen, hatte die Güte mir einige Notizen über Lenz’s Aufenthalt daselbst mitzutheilen; sie beziehen sich meistens auf die Ausbrüche seines Wahnsinns, an deren Erzählung der Leser, aus Oberlin’s Aufsatze, gewiß schon volle Genüge hat. [13] Schlosser. [14] Es war ihm nämlich eine Wasserkur verordnet; namentlich das Baden im fließenden Wasser, was er oft und gerne im Rheine that. [15] Die Uebersetzungen aus Ossian, Band 3 u. 4, sind von ihm. Er war auch ein eifriger Mitarbeiter am =deutschen Museum=; die Jahrgänge 1776 und 1777 enthalten viele Beiträge von ihm; auch am =deutschen Merkur= und =Vossischen Musenalmanach=. [16] Der erste starb als Lehrer an einem Institut in Paris. Der zweite war Professor am Buchsweiler Gymnasium; beide waren früher Gehülfen Basedow’s. [17] Gesammelte Schriften von =J. M. R. Lenz=, Bd. I. S. CXX. [18] Sesenheim. [19] Ich weiß nicht was hier gemeint. Es liegen einige unvollständige Blättchen bei den Briefen, welche einzelne philosophische und theologische Betrachtungen, besonders über Leibniz, enthalten. D. H. [20] =Andreas Lamey=, gebürtig aus Münster, im oberen Elsaße; ein Mann von niederer Abkunft, den aber sein Fleiß und seine Talente, so wie seine wunderbaren Lebensschicksale, zu einem großen, wichtigen Wirkungskreise führten. Er war ein Freund und Gehilfe =Schöpflin’s=, leistete dem Churfürsten der baierischen Pfalz wesentliche Dienste durch Auffindung verlorener Dokumente und starb in Mannheim, allverehrt und allgesegnet, als Hofrath, Oberbibliothekar und beständiger Sekretar der Gesellschaft der Wissenschaften. Der geistreiche =Luce= hat die wunderbaren Fata Lamey’s in einer lieblichen Geschichte „die Wunder des Fäßchens“ erzählt. S. =alsatisches Taschenbuch= auf d. J. 1807. D. H. [21] Spatziergang, bei Straßburg. D. H. [22] In einem Briefe =Pfeffel’s= an meinen sel. Vater (Kolmar 13. Dezember 1806) finde ich hierüber folgende Stelle: „Die Geschichte an der Aar hat Luce irrig ungedruckt geglaubt. Der gute Lenz verfertigte das Stück nach unserer Erzählung (denn er hatte damals die Schweiz noch nicht gesehen) an einem Winterabende auf meiner Stube, und ich erinnerte mich sogar, daß ich ihm einen Reim dazu lieferte. Er hinterließ Luce und mir eine Abschrift des Gedichtes, das ich mit seiner Bewilligung in den Göttinger Musenalmanach von 1777 oder 1778 einrückte; es verdiente aber mit allem Recht wieder auferweckt zu werden.“ D. H. [23] Mit Beibehaltung der Orthographie des Originals abgedruckt. D. H. [24] Das Echo. G. [25] Göthe nahm diesen Gesang nur bis dahin in seinen Werther auf. D. H. [26] Ossianen. G. [27] =Bemerkung=. Diese Gedichte, die ich 1838 schon im Musenalmanach von Chamisso und G. Schwab mittheilte, waren im Besitze von Sophie Brion, Friederickens jüngster Schwester; die Originalien kamen ihr abhanden; allein sie versicherte, die Abschriften seien getreu. Außer den hier mitgetheilten stand noch abgerissen dabei: „Es schlägt mein Herz, geschwind zu Pferde!“ bis „Sah schläfrig aus dem Duft hervor.“ Ebenso das bekannte „Kleine Blumen, kleine Blätter.“ D. H. * * * * * * Anmerkungen zur Transkription Zeichensetzung und Rechtschreibung wurden übernommen auch dort wo mehrere Schreibweisen nebeneinander benutzt werden, wie gieng und ging. Nur offensichtliche Druckfehler wurden berichtigt. *** End of this LibraryBlog Digital Book "Der Dichter Lenz und Friedericke von Sesenheim - Aus Briefen und gleichzeitigen Quellen; nebst Gedichten und Anderm von Lenz und Göthe" *** Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.