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Title: Gräfin Elisa von Ahlefeldt, die Gattin Adolphs von Lützow, die Freundin Karl Immermann's - Eine Biographie von Ludmilla Assing Nebst Briefen von Immermann, Möller und Henriette Paalzow
Author: Assing, Ludmilla
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Gräfin Elisa von Ahlefeldt, die Gattin Adolphs von Lützow, die Freundin Karl Immermann's - Eine Biographie von Ludmilla Assing Nebst Briefen von Immermann, Möller und Henriette Paalzow" ***

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GATTIN ADOLPHS VON LüTZOW, DIE FREUNDIN KARL IMMERMANN'S***


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GRÄFIN ELISA VON AHLEFELDT, DIE GATTIN ADOLPHS VON LÜTZOW,
DIE FREUNDIN KARL IMMERMANN'S.

Eine Biographie von Ludmilla Assing.

Nebst Briefen von Immermann, Möller und Henriette Paalzow.

Mit dem Bildniß Elisa's.



Berlin.
Verlag von Franz Duncker.
(W. Besser's Verlagshandlung.)
1857.



[Illustration]



  Meinem theuren Onkel
  K. A. Varnhagen von Ense,
  in
  herzlicher Liebe und Verehrung
  zugeeignet.



  So lang noch edler Frauen Brust
  Bei hoher Kunde rascher schlägt,
  So lang des Liedes reine Lust
  Ein zartes Frauenherz bewegt:

  So lange wird der Held voll Muth
  Hienieden seinen Kampf bestehn,
  So lange wird des Dichters Gluth
  Auf dieser Erde nicht verwehn.

  Sie haben's beide nur gewagt,
  Ihr kühnes, heiliges Gefecht,
  Daß eine schöne Seele sagt:
  So war es gut, so war es recht!

    Karl Immermann.



Wenn ich es unternehme, ein Lebensbild der Gräfin _Elisa von Ahlefeldt_ zu
entwerfen, so geschieht dies einmal für ihre zahlreichen Freunde, die ihr
ein liebendes, verehrungsvolles Andenken widmen, und denen, wie ich weiß,
alles wichtig und theuer ist, was sie betrifft, andrerseits aber auch, weil
diese Frau durch ihre seltenen Geistes- und Herzenseigenschaften sowohl,
wie durch ihre merkwürdigen, wechselvollen und oft wahrhaft romanhaften
Lebensschicksale eine ungewöhnliche Bedeutung in der Gesellschaft und in
der Literatur erlangte. Wenn ihre zu große Bescheidenheit sie nicht als
Schriftstellerin auftreten ließ, sie, die dazu mehr Befähigung besaß als
viele Frauen, die sich auf diesem Gebiete Anerkennung erworben, wenn sie
sich auch überhaupt niemals in die Oeffentlichkeit wagte, so hat sie doch
auf ihre Zeit und die ausgezeichneten Menschen, die sich ihr angeschlossen,
einen so weitgehenden und entscheidenden Einfluß ausgeübt, daß ihr Name vor
vielen andern verdient aufbewahrt und gefeiert zu werden. Wie Madame
Roland die edlen Girondisten in der französischen Revolutionszeit zum
aufopferndsten Kampfe für die Freiheit anfeuerte, so begeisterte und
beseelte Gräfin _Elisa von Ahlefeldt_ die jungen Helden der Lützow'schen
Freischaar für die Befreiung des unterdrückten Vaterlandes. Trug sie nicht
wie Johanna d'Arc selbst die Fahne in die Schlachten, so umschwebte doch
ihr edler, hochfliegender Geist die tapferen Streiter in Kampf und Gefahr.
Nachdem der Krieg beendet war und Deutschland seine innere
Herstellung begann, finden wir die seltene Frau in stiller, poetischer
Zurückgezogenheit als die Muse eines begabten deutschen Dichters, dessen
Lorbeer ohne den Sonnenschein ihrer Nähe nie so schön erblüht wäre. Dann,
als ein tragisches Geschick sie von dem Dichter trennte, verlor sie trotz
ihres tief verwundeten Herzens doch nicht die edle Fassung, die ihr zu
allen Zeiten eigen war. Noch im späteren Lebensalter, in dem sie sich die
zarte Anmuth und Grazie der Jugend in seltenem Grade bewahrt hatte, war
sie der Mittelpunkt, die Beschützerin und Erweckerin eines Kreises junger
Talente, die sie mit begeisterter Verehrung und zärtlicher Neigung umgaben;
so ist ihr ganzes Dasein für alle die ihr nahten, anregend, erhebend und
segensreich gewesen. Wenn ihr Leben von schwerem Unglück durchflochten war,
so müssen ihre Freunde sich mit schmerzlicher Bewunderung gestehen, daß
sie mit einer minder großartigen, uneigennützigen und aufopfernden Seele
vielleicht glücklicher geworden wäre. Wo sie verkannt wurde, was übrigens
nur von ihr Fernstehenden geschehen konnte, da war dies nur der Fall, weil
man so viel zarte Rücksicht, Edelmuth und Schonung, wie sie solche in
allen Lebenslagen ausübte, für unwahrscheinlich hielt. Die holde
Liebenswürdigkeit ihrer persönlichen Erscheinung ist denen schwer zu
schildern, die sie nie sahen, aber um sie in dem vollen Glanz ihres
Charakters zu zeigen, braucht man nur einfach und wahr ihr Leben zu
erzählen. Dies hat mich zu der vorliegenden Biographie ermuthigt. Für die
Wahrheit dieser Mittheilungen kann ich um so mehr einstehen, da ich nicht
nur das Glück hatte, mit der ausgezeichneten Frau auf das innigste vertraut
und befreundet zu sein, sondern da mir auch die Einsicht geworden in alles,
was sich von ihrem handschriftlichen Nachlaß erhalten hat.

_Elisa Davidia Margaretha_ Gräfin von Ahlefeldt-Laurwig wurde im Jahre
1790 den 17. November an dem Geburtstage ihres Vaters auf dem Schlosse
Trannkijör zu Langeland geboren. Ihr Vater, Graf Friedrich von
Ahlefeldt-Laurwig, geboren den 17. November 1760, gehörte einem altadlichen
Geschlechte an, welches im Jahre 1665 von Kaiser Leopold dem Ersten in
den Reichsgrafenstand und 1672 vom König von Dänemark in den dänischen
Grafenstand erhoben und mit der Grafschaft Langeland belehnt wurde. Er
genoß durch Rang, Macht und Reichthümer eines ungewöhnlichen Ansehens; er
war ein besonderer Liebling des Königs Friedrich des Sechsten von Dänemark,
in dessen Dienst er als Kammerherr und als Offizier stand; der König
zeichnete ihn nicht nur mannigfach aus, sondern bewies ihm eine
fortwährende Freundschaft; gern und oft besuchte er ihn auf dem prächtigen,
nahe am Meeresufer belegenen Trannkijörschlosse, wo auch viele andere
Mitglieder des Königlichen Hauses häufig einkehrten. Am Kopenhagener Hofe
spielte Graf Friedrich eine um so bedeutendere Rolle, da man seinen Einfluß
auf den Königlichen Gebieter allgemein kannte. Er war ein kräftiger,
stattlicher Mann, lebhaften Temperaments, dem Wohlleben, der Jagd und
anderen Vergnügungen leidenschaftlich ergeben. Seine Gemahlin, _Louise
Charlotte_, geborene _von Hedemann_ aus Holstein, schön, fein, verständig
und edlen Sinnes, war ihrem Gatten mit zärtlicher Neigung zugethan. Ein
Sohn, welcher der Erbe aller Besitzungen geworden wäre, starb gleich nach
der Geburt. So blieb _Elisa_ ohne Geschwister.

Sie genoß als Kind der äußersten Sorgfalt und Aufmerksamkeit beider Eltern,
eine glänzende Zukunft schien vor ihr zu liegen, alle äußeren Glücksgüter
sich ihr in reicher Fülle darzubieten. Alles was zum Schloß gehörte, wollte
der kleinen Comtesse seine Zuneigung bezeigen, sechs Tanten wetteiferten
mehr noch als sie zu erziehen, sie auf den Händen zu tragen, ihre
körperliche und geistige Ausbildung ließ man sich in jeder Weise angelegen
sein.

Eine sehr glückliche Wahl traf man in ihrer Erzieherin, _Marianne Philipi_
aus Hamburg, die durch Gemüth und Charakter ausgezeichnet war, und
lebenslänglich mit ihrer Pflegebefohlenen in der innigsten Beziehung blieb.
Marianne, von jener schlichten Tüchtigkeit, wie sie oft den Hamburgerinnen
eigen zu sein pflegt, liebte _Elisen_ mit mütterlicher Anhänglichkeit, und
war schon früh bemüht, in einer Umgebung voll Genuß und Zerstreuung, den
Sinn ihres Zöglings auf jenen Kern der Dinge aufmerksam zu machen, der so
leicht ob ihres äußeren Prunks und Schimmers in solchem Kreise übersehen
wird. Den Menschen nach seinem Menschenwerth zu schätzen und zu
beurtheilen, und nicht nach Rang und Geburt, in ihrer bevorzugten Stellung
bescheiden, frei von allen Vorurtheilen, ohne allen Stolz und Hochmuth zu
bleiben, das lernte _Elisa_ von der vortrefflichen Philipi; eine lebhafte
Verehrerin Klopstock's, Herder's und Schiller's, suchte diese auch
_Elisens_ Theilnahme für die Werke dieser Schriftsteller zu erwecken.
_Elisens_ frischer Geist ergriff mit jugendlicher Wärme und Begeisterung
diese Lectüre, und lebte neben dem äußeren Leben voll einschmeichelnder
Oberflächlichkeit, mit ihrer Erzieherin ein inneres voll ernsten
Nachdenkens, sinniger Betrachtung und poetischer Träumerei. Der Genuß der
Natur, der großartige Anblick des Meeres, das sie aus den Schloßfenstern
beständig in jeder Beleuchtung vor Augen hatte, wirkte mächtig auf sie, und
wir dürfen wohl sagen, daß die Stunden, welche sie in solcher Anschauung
oder mit ihren Lieblingsdichtern zubrachte, ihr lieber waren, als alle die
ausgesuchten Artigkeiten, mit denen man ihr begegnete.

_Elisa_ wuchs heran und die Reize ihrer blühenden Jugend entfalteten sich
im Verein mit denen ihres Geistes und Herzens. Sie war mittlerer Größe,
von zarter, anmuthiger Gestalt, die schönste Fülle blonder Locken umkränzte
ihren schneeweißen Teint, aus den großen, sanften, himmelblauen Augen
sprachen Güte, Geist und Liebreiz, die Nase war fein geschnitten,
die frisch geschwellten Lippen umspielte ein Lächeln voll milder
Freundlichkeit, und die fröhlichste Munterkeit belebte ihre Züge;
ihre Hände und Füße zeichneten sich durch ungewöhnliche Kleinheit und
Zierlichkeit, so wie durch die vollendetste Form aus; sie schwebte mehr als
sie ging, in jeder ihrer Bewegungen war Harmonie und Ebenmaß. Sie tanzte
wie eine Sylphide, ritt mit eben so viel Kühnheit als Grazie; begabt mit
einer herrlichen Stimme, sang sie mehrmals in der Kirche bei der Aufführung
von Oratorien die Hauptparthien. Am Hofe zu Kopenhagen erregte sie
Bewunderung durch ihre Liebenswürdigkeit, Schönheit und Anmuth, und von den
Mitgliedern des Königlichen Hauses wurde ihr gehuldigt.

Die mannigfaltigen Kreise und Lebensverhältnisse, die sich früh ihrem Auge
darboten, schärften ihren Blick, der immer unbefangen und klar die Dinge
betrachtete, und schnell lernte sie sich ein eigenes Urtheil bilden. Im
Trannkijörschloß war immer ein bunter Menschenverkehr; der gastliche
Graf, der Geselligkeit liebte, lud außer den benachbarten Adlichen auch
durchreisende Fremde aus allen Ständen an seine prächtige Tafel. _Elisa_,
die sich freimüthig mit Allen unterhielt, machte so Bekanntschaft mit
Künstlern, Gelehrten, Militairs, Kaufleuten und Seefahrern, und erweiterte
ihren Gesichtskreis, indem sie sich von fremden Ländern, Gegenden und
Zuständen erzählen ließ. Ihrer Beobachtung konnte es hiebei nicht entgehen,
daß feine Bildung und gründliche Kenntnisse nicht immer vorzugsweise auf
Seiten der Vornehmen waren. Eine alte Gräfin aus Holstein, die wenig von
ihrem Gut gekommen war, und bei ihrem Besuche auf dem Schlosse, als sie den
Mohren des Grafen bei der Tafel aufwarten sah, ängstlich zusammenfuhr
und leise fragte: »Färbt der Mensch auch ab?« war wohl nicht das einzige
Beispiel von Unwissenheit, welches _Elisa_ unter der hohen Aristokratie
wahrnahm, während sie aus dem Verkehr mit dem intelligenten Mittelstand
viel mehr Belehrung und Anregung zog. Marianne Philipi hatte, um _Elisa_
vor Eitelkeit zu bewahren, ihr oft versichert, die Herren pflegten junge
Damen nur dann mit leeren Schmeicheleien zu unterhalten, wenn sie ihnen
nicht Geist und Verstand genug zutrauten, um mit ihnen über ernstere Dinge
zu reden. Als daher eines Tages ein vornehmer Herr ihr seine ziemlich faden
Huldigungen darbrachte, und sich davon den günstigsten Eindruck versprach,
fühlte sich das junge Mädchen bitter gekränkt, und rief in naiver Empörung:
»Wie so halten Sie mich denn für so einfältig, daß Sie meinen, mich nicht
von interessanteren Gegenständen unterhalten zu dürfen?« --

Wie sehr _Elisa_ überall gefiel, ahnte sie selbst nicht; unschuldig und
bescheiden, war sie immer erstaunt und überrascht, wenn ihr irgendwo
besondere Verehrung entgegentrat. Daß sie schon von ihrem zwölften Jahre an
die zärtliche Neigung eines ausgezeichneten Mannes erregte, beweist uns ein
Brief des hannöverischen damaligen Obersten _Karl von Alten_, der später
als Führer der hannoverschen Truppen in Portugal und Spanien sich großen
Ruhm erwarb, dann 1815 in der Schlacht von Belle-alliance, wo er eine
schwere Verwundung erlitt, sich auszeichnete, und als General in den
Grafenstand erhoben wurde. Er starb erst 1840, und sein ehernes Standbild,
welches von Kümmel entworfen und 1848 auf dem Waterlooplatz zu Hannover
aufgestellt wurde, feiert sein Andenken. Karl von Alten, damals
einundvierzig Jahre alt, schrieb an die noch kaum fünfzehnjährige _Elisa_
aus Hamburg den 29. August 1805 die folgenden Zeilen, die eben so viel
zarte Achtung als leidenschaftliche Ergriffenheit aussprechen, und von
dem Schreiber, wie von der noch so überaus jungen Empfängerin die
vortheilhafteste Vorstellung erwecken: »Gnädigste Gräfin! In dem
Augenblick, da das traurige Schicksal, das mein Vaterland betroffen,
mich veranlaßt dasselbe zu verlassen und nach England zu gehen, hoffe ich
Verzeihung zu erhalten, wenn ich Sie, gnädigste Gräfin, mit denjenigen
Gesinnungen bekannt zu machen wage, die beinahe seit drei Jahren mein
ganzes Wesen erfüllen. Alles das Gute, was ich von allen denen, die das
Glück haben Sie zu kennen, erfahren hatte, mochte wohl Veranlassung
sein, daß meine erste Bekanntschaft mit Ihnen auch den Grund zu einer
Leidenschaft legte, die keine Zeit und keine Abwesenheit hat auslöschen,
sondern vielmehr nach einer näheren Kenntniß Ihres fürtrefflichen
Charakters zum Nachtheil meiner Ruhe nur zu sehr zugenommen hat. Ihre
damalige Jugend, und nachher die mißliche Lage meiner Gesundheit machten es
mir zur Pflicht zu schweigen, und meine Empfindungen, so schwer es mir auch
ward, in mich zu verschließen. Auch noch jetzt, obgleich diese Hindernisse
gehoben sind, und meine Gesundheit längst völlig wiederhergestellt ist,
erlaubt mir meine jetzige Lage nicht, etwas Entscheidendes über mein
künftiges Glück von Ihnen, noch von Ihren theuren Eltern zu hoffen. Alles
was ich jetzt von Ihrer edlen Denkungsart erwarten darf, ist bloß die
Versicherung, daß Sie meine freimüthigen Aeußerungen nicht beleidigen, und
wenn ich das Glück habe, Ihnen nicht ganz gleichgültig zu sein, mir nicht
alle Hoffnungen zu benehmen, im Fall glücklichere Zeiten wieder eintreten
sollten. Verzeihen Sie, theuerste Gräfin, die offene, ungekünstelte Sprache
eines Soldaten, es war mir aber unmöglich länger zu schweigen, es
war durchaus nothwendig zu meiner Beruhigung, daß ich Ihnen mein Herz
eröffnete. Nur aus diesem Grunde verspreche ich mir Ihre gnädige Nachsicht,
und wenn mein hartes Schicksal es auch wollte, bei Ihnen diejenigen
Gesinnungen nicht anzutreffen, die mich zum glücklichsten Menschen machen
würden, so hoffe ich wenigstens daß Sie mich Ihrer Achtung nicht unwerth
halten werden.« -- _Elisa_ war gerührt durch diesen Brief, doch empfand sie
keine Neigung für den so viel älteren Mann.

Eine Huldigung ganz anderer Art wurde _Elisen_ zu Theil, als sie im Jahre
1806, sechzehnjährig zum erstenmal einen Ausflug nach Hamburg machte. Sie
ging dort an der Seite ihrer Erzieherin über den Jungfernstieg, als ein
junger muntrer Matrose ihnen begegnete. Das schöne junge Mädchen, frischer
und blühender als die frische, blühende Rose, die er an seinem schwarzen
Strohhut trug, mochte ihm wohl besonders gefallen, denn er hob sie wie ein
Kind vom Erdboden auf, gab ihr einen Kuß, und setzte sie dann sanft wieder
nieder, zu ihrem eigenen großen Schrecken und dem nicht minderen ihrer
bestürzten Erzieherin, die dem dreisten Burschen sprachlos nachblickte, als
er rasch und vergnügt davon eilte.

Graf Friedrich war ein eifriger Musik- und Theaterliebhaber; er besoldete
nicht nur eine große Schaar ausgezeichneter Musiker, die seine beständige
Kapelle bildeten, sondern er zog auch ganze Schauspielertruppen zu sich
auf das Schloß, die deutsche und französische Komödien aufführen mußten. Er
verlangte, daß seine schöne, begabte Tochter dabei mitwirke durch Spiel und
Gesang; sie that es, aber sehr ungern, da die Schauspieler ihr durch manche
Rohheit und Leichtfertigkeit bald mißfielen, und durchaus nicht den idealen
Vorstellungen entsprachen, die sie sich anfänglich von solchen Künstlern
gemacht hatte, und es entstand bei ihr eine Abneigung gegen den
Schauspielerstand, die sie für immer beibehielt.

So schön und vielversprechend _Elisens_ Jugendleben begonnen hatte, so
sollte es doch bald durch manchen Kummer getrübt werden. Zwischen den
Eltern entstanden Zwiespalt und Entfremdung in solchem Maße, daß
es _Elisens_ Augen nicht verborgen bleiben konnte. Der Vater,
vergnügungssüchtig, leichtsinnig und gewohnt sich keinen Genuß zu versagen,
machte einen Aufwand, der selbst für die außerordentlichen Mittel, die
ihm zu Gebote standen, zu bedeutend war, und seine mannigfaltigen
Liebesverhältnisse mußten das häusliche Glück auf das bedenklichste stören.
Die Mutter, die ihren Gatten innig liebte, fühlte sich tief gekränkt und
unglücklich, sie trennte sich von ihm, und zog nach dem Gute Ludwigsburg,
wohin ihr die Tochter folgte. _Elisa_, die immer besonders zärtlich an der
Mutter gehangen, theilte mit ihr Schmerz und Betrübniß, und litt schwer von
diesen so traurigen und zerrissenen Verhältnissen.

Nach einem still und zurückgezogen verlebten Winter in Ludwigsburg,
beschloß die Gräfin Charlotte, deren Gesundheit etwas zu leiden begann,
im Sommer 1808 mit ihrer Tochter nach dem Bade Nenndorf zu gehen. Eine
Freundin _Elisens_, eine junge Engländerin, Namens _Fanny Harward_, die
seit einiger Zeit bei ihnen lebte, begleitete sie dahin.

Mit frischem Jugendmuth, der trotz aller Trübung doch immer wieder fröhlich
hervorbrach, sahen die beiden jungen Mädchen dieser Reise entgegen. Wie
viel Unerwartetes, Schönes, Abentheuerliches dachten sie sich aus, das
ihnen unterweges begegnen könne! Sie wurden nicht müde, sich auszumalen,
was ihnen alles Neues und Bedeutsames bevorstehen möchte, und beide waren
bereit, alles mit offenem, empfänglichem Sinn aufzunehmen. Diese Vorahnung
wurde zum Theil mehr als bestätigt, denn was _Elisen_ betraf, so sollte
allerdings ihr Aufenthalt in Nenndorf für ihr ganzes Leben entscheidend
werden.

Die Reise wurde gegen die Mitte des Juni angetreten; man kehrte zuerst
in Holstein bei Gräfin Charlottens Bruder, dem Gutsbesitzer _von
Hedemann-Heespen_ auf Deutsch-Nienhof ein, bei jenem vortrefflichen Onkel
_Elisens_, dem sie immer, mehr noch wie ihrem Vater, zugethan war, und der
sich ihrer in der Folge auch stets väterlich annahm; dann verweilte man
einige Tage in Hamburg, wohnte einer Revüe bei, welche der damalige _Fürst
von Ponte-Corvo_, der nachherige Kronprinz von Schweden, auf dem Walle über
holländische Truppen abhielt, und besuchte die schönen Elbufer. In Hannover
wurden die Gärten von Herrenhausen besehen, und als man in Nenndorf
anlangte, glaubten _Elisa_ und ihre Freundin schon viel des Interessanten
und Hübschen erfahren zu haben.

       *       *       *       *       *

Wie viel mehr noch sollte ihnen das bunte Badeleben von Nenndorf darbieten,
wo sich eine mannigfaltige Gesellschaft froh bewegte! Die verständige
Gräfin, ihre reizende Tochter und die muntre Fanny waren überall gern
gesehen, man kam ihnen von allen Seiten mit Beeiferung und Freundlichkeit
entgegen; sie hörten die Conzerte des dort anwesenden berühmten
Violinspielers _Kiesewetter_, sie tanzten und fuhren spazieren in der
angenehmsten Umgebung und heitersten Laune. Einige französische Offiziere,
die sich in der Gesellschaft befanden, wußten den jungen Damen in feinster
und liebenswürdigster Weise den Hof zu machen, _Elisa_ besonders war immer
der Hauptgegenstand aller Auszeichnung.

Eines Tages saß an der Table d'hôte neben _Elisen_ ein ihr bereits
bekannter junger französischer Offizier, der sich in ein lebhaftes
Gespräch mit ihr vertiefte. Plötzlich geschah es, daß er in dem Eifer der
Unterhaltung ihre Hand erfaßte. _Elisa_ erschrack auf das heftigste, und
die Berührung war ihr so widrig, daß sie ohne sich zu besinnen in ihrer
Angst eine Wasserflasche ergriff, die vor ihr auf dem Tische stand, und
vor aller Augen ihre Hand damit begoß und abwusch. Der Franzose sah sie
bestürzt an.

Einige an der Tafel sitzende preußische Offiziere hatten aus einiger
Entfernung dem Vorgang zugesehen; unter diesen waren _Adolph von Lützow_,
der nachherige berühmte Freischaarenführer, und sein Freund, _Gustav
von Bornstedt_, welcher in der Schlacht von Auerstädt große Proben von
Unerschrockenheit abgelegt und nach dem Tilsiter Frieden seinen Abschied
genommen hatte. In jener Zeit, wo das Vaterland von Napoleon unterdrückt
war und man den Franzosen so vielfältig mit Haß begegnete, war es leicht
erklärlich, daß die Preußen die Meinung faßten, die ihnen unbekannte junge
Dame wolle durch ihre Handlung ihren deutschen Patriotismus an den
Tag legen, und damit ausdrücken, daß ihre Hand ihr durch die geringste
Berührung eines Franzosen wie befleckt erschiene, ja, sie waren so erfreut
über diesen energischen Haß, für den sie es hielten, daß sie am Nachmittag
bei _Elisens_ Mutter um die Erlaubniß anhielten, ihr die Aufwartung machen
zu dürfen, um die schöne, franzosenfeindliche deutsche Jungfrau kennen zu
lernen.

Sie hatten sich indessen sehr geirrt. Ganz abgesehen davon, daß _Elisa_
eigentlich keine Deutsche, sondern eine geborene Dänin war, so lag es
überhaupt durchaus nicht in ihrem Charakter, einem Einzelnen, mit dem sie
sich noch eben harmlos unterhalten hatte, und dem sie auch außerdem ganz
freundlich gesinnt war, eine so harte Kränkung zuzufügen, und ihn allein
ungerechterweise entgelten zu lassen, was seine Nation, oder vielmehr
Napoleon an Deutschland verbrochen hatte. Im Gegentheil bedauerte sie, wie
sie sich von ihrem Schreck erholt hatte, den Franzosen so verletzt zu haben
und suchte sich möglichst bei ihm zu entschuldigen. Dieser Vorfall war
es jedoch, der den ersten Anlaß zu _Elisens_ Bekanntschaft mit Adolph von
Lützow gab, und noch in ihrem späteren Alter pflegte sie zuweilen scherzend
zu sagen, jenem seltsamen Mißverständniß habe sie ihren Gatten verdankt.

Wenn Adolph von Lützow auch nicht die Franzosenfeindin in _Elisen_ fand,
die er in ihr erwartete, so fand er dafür besseres in ihr. Wenn auch von
Geburt eine Dänin, so war sie doch dem Sinn und Geiste nach eine Deutsche,
die deutsche Mutter und die brave Marianne Philipi hatten in diesem Betreff
entschiedenen Einfluß auf sie ausgeübt, und viel mehr fühlte sie sich zu
den Deutschen hingezogen als zu den Dänen. Mit ihrem warmen Herzen, mit
ihrer lebhaften Phantasie hatte sie tief den Druck mitempfunden, der
auf Deutschland ruhte, und in ihrem begeisterten Gemüthe fanden die
Freiheitshoffnungen, die sich in der ganzen deutschen Jugend mächtig
regten, ihren reinsten Wiederhall.

Es war nicht anders möglich, Adolph von Lützow, welcher bereits die Kriege
am Rhein mitgemacht, sich in der _Schill_'schen Freischaar ausgezeichnet
hatte, und bei der ruhmvollen Vertheidigung von Kolberg gegenwärtig war,
wofür er als Hauptmann schon den Orden =pour le mérite= erhielt, mußte
_Elisens_ besonderen Antheil erwecken. Die Wunden, welche er von Kolberg
davongetragen, und deren Heilung ihn nach Nenndorf geführt, durften ihr
Interesse für ihn nur erhöhen; sie sah in ihm einen deutschen Krieger,
welcher mit ganzer Seele für das Vaterland glühte, das auch sie wie das
ihrige liebte.

Adolph von Lützow war damals sechsundzwanzig Jahre alt, von mittlerer
Größe; er sah weder regelmäßig schön, noch geistreich und bedeutend aus,
aber gutmüthig und angenehm; seine großen blauen Augen trugen den Ausdruck
von Treue, Wohlwollen und Bravheit; sein rundes Gesicht war von schlichten
blonden Haaren umgeben, ein blonder Bart bedeckte die Oberlippe; das Kinn
war kurz und etwas vorspringend. Sein offenes, männliches Wesen durfte
gefallen, und ein Zug von soldatischer Munterkeit stand ihm wohl an.

_Elisa_ trat ihm entgegen in der vollen Blüthe ihrer Jugend und Schönheit,
eine wahrhaft ätherische Erscheinung, achtzehn Jahre alt, voll Geist, Leben
und Frische, mit liebenswürdig kindlicher Unschuld schon ernsten Sinn und
tiefere Einsicht verbindend, und jene süße Anmuth, die alles bezauberte,
was ihr nahte. Gewiß, sie durfte darauf rechnen, sich viele Herzen zu
gewinnen, auch wenn sie nicht die vornehme Grafentochter, die künftige
Erbin großer Reichthümer gewesen wäre!

Lützow bezeigte ihr seine Verehrung und Bewunderung auf das lebhafteste;
als er sie kennen lernte, hatte er seine Abreise schon festgesetzt,
die nach zwei Tagen erfolgen sollte; nun konnte er sich aber nicht
entschließen, sich so rasch aus solcher Nähe zu verbannen, und er blieb von
einem Tage zum andern.

»Welche von den beiden Damen ist es denn,« fragte ein alter _Graf
Löwenhielm_ leise und lächelnd zu _Elisen_ und Fanny gewandt, indem er
auf Lützow deutete, »die jenen schnurrbärtigen Offizier dort festhält, der
immer morgen abreisen will und immer hier bleibt?« -- »Ich nicht!« rief
Fanny, aber _Elisa_ erröthete.

Lützow verweilte beinahe drei Wochen und trat immer offener und dringender
mit seinen Bewerbungen hervor. Daß er _Elisens_ Neigung erobert, durfte
er hoffen, und auch der Gräfin Charlotte wußte er Zutrauen und Wohlwollen
einzuflößen. Beide Frauen konnten sich aber nicht verhehlen, welche
Schwierigkeiten einer Verbindung im Wege standen, da sie wohl wußten, daß
Graf Ahlefeldt sich nicht leicht entschließen würde, seine Tochter außer
Landes zu geben, und noch dazu einem jungen preußischen Offizier, der zwar
von guter Familie war, tapfer und brav, aber weder durch Rang noch Vermögen
die Ansprüche befriedigte, die jener an seinen künftigen Schwiegersohn
glaubte machen zu dürfen; in der That fanden sich überall Gelegenheiten zu
glänzenderen Parthien. Die zärtliche Mutter freilich konnte der Wahl der
Tochter nicht entgegen sein, und fand, daß ein wahres Herzensglück, wie es
sich hier darzubieten schien, solchen äußeren Vortheilen vorzuziehen sei.
Lützow seinerseits betheuerte, daß er nicht eher ruhen würde, bis alle
Hindernisse hinweggeräumt seien, und er _Elisen_ errungen hätte.

So reiste er ab. Bald nach ihm verließ auch die Gräfin Charlotte mit ihrer
Tochter und Fanny das freundliche Nenndorf, um nach Pyrmont zu gehen, wo
noch eine Nachkur gebraucht werden sollte.

Dort erhielt _Elisa_ den ersten Brief von Lützow; wir theilen denselben, so
wie einige folgende mit, da es interessant sein dürfte, Adolph von Lützow,
der meist nur als muthiger Offizier und Führer der Freischaar genannt wird,
hier als eifrigen Liebhaber und Bewerber kennen zu lernen. Er schrieb ihr
aus Welle bei Tangermünde an der Elbe, den 2. August 1808: »Gnädige
Gräfin! Nicht allein Eigennutz, etwas von Ihren weißen Händen zu besitzen,
veranlaßt mich, Ihnen zu schreiben, sondern ich verbinde noch das Vergnügen
damit, mich mit Ihnen unterhalten zu können, und weiß doch gewiß, daß
während Sie diese Zeilen lesen, Sie die Güte haben müssen -- an mich zu
denken. -- Meine Reise habe ich bisher glücklich zurückgelegt, der Himmel
war klar und unbewölkt, mich konnte dies aber nicht freuen, denn ich kann
es nicht ausstehen, wenn alles um mich her heiter ist, während ich mich
den Träumen einer zweifelhaften Zukunft überlasse. -- Wie ist es Ihnen in
Nenndorf gegangen? Ich hoffe, vergnügt, und wünsche doch so herzlich, daß
Sie wenigstens den ersten halben Tag nach meiner Abreise nicht ganz froh
gewesen sein möchten. So groß ist meine Selbstsucht, daß ich sogar auf
Kosten Ihres Vergnügens die Hoffnungen meines Herzens recht sehr ungern
getäuscht wissen möchte. -- Wie wird es aber in Pyrmont werden? Werden
Sie nicht dort, meine innigverehrte Gräfin, über alle interessante
Bekanntschaften der blauen Farbe treu zu bleiben vergessen? Die Farbe der
Beständigkeit hat, vorzüglich jetzt, tausendfachen Werth für mich, und das
Schönste aus Ihren Händen selbst, ohne diese keinen Reiz für mich. -- Aber
was schreibe ich für dummes Zeug! Sie versprechen mir ein Geschenk, und ich
mache schon Bedingungen. Um Gotteswillen, Gräfin, nehmen Sie sich in Acht!
-- Habe ich nur etwas Hoffnung, so werde ich übermüthig. -- Sagen Sie
nicht, daß Sie mir nicht abgeneigt sind, dann übertreibt meine Phantasie,
dann werde ich unbändig und glaube schon das zu besitzen -- was ich
herzlich empfinde, aber nicht nennen will, weil es so Viele nennen, ohne
es zu empfinden. Ist diese Hoffnung erst zur Ueberzeugung geworden, dann
möchte mein lahmes Bein mich umsonst abhalten wollen, den weitesten Weg
zurückzulegen, um mein Glück zu erreichen, meine krumme Hand stark genug
sein, es festzuhalten, und mein deutsch ehrlicher Kopf die Mittel wohl
finden, wodurch es mein werden muß.« --

Lützow täuschte sich nicht, wenn er auf _Elisens_ Treue rechnete; sie hatte
mit jener Energie, die ihr in allen wichtigen Lagen ihres Lebens eigen war,
fest beschlossen, keinem Anderen als Lützow ihre Hand zu geben.

Auf der Rückreise von Pyrmont wurde Hamburg wieder berührt, und die
Reisenden suchten in Altona den Schriftsteller und Arzt, Professor
_Johann Christoph Unzer_ auf, mit dem und dessen Gattin sie in Nenndorf
zusammengetroffen, und in freundlichen Verkehr getreten waren. Es ist
dies derselbe Unzer, welcher mit der schönen, berühmten Schauspielerin
_Charlotte Ackermann_ befreundet war, deren Andenken durch Otto Müller's
interessanten Roman dieses Namens neu aufgefrischt worden ist. Professor
Unzer war damals zweiundsechzig Jahre alt, und starb das folgende Jahr in
Göttingen auf einer Reise.

Ende Augusts langte man wieder in Ludwigsburg an, und nun mußte ernsthaft
daran gedacht werden, den Vater für die beabsichtigte Verbindung zu
gewinnen. Dies war nicht leicht. Unterdessen schrieb Lützow an _Elisen_ aus
Treptow, den 1. Oktober 1808: »Ihrer verehrungswürdigen Frau Mutter küsse
ich die Hände in Gedanken, und bitte Sie, ihr zu sagen, daß ich mich gerne,
um ihren Beifall zu haben, in allen Tugenden üben wollte, aber Geduld -- in
einem gewissen Punkte, das ist eine Tugend, die ich nicht erreichen werde,
und unter uns gesagt, nach der ich nicht strebe. Schlimm genug, wenn das
unglückliche Schicksal jemanden so hart prüft, wie mich; wie lange wäre ich
nicht schon so kühn gewesen, nach Ludwigsburg zu kommen, aber leider haben
es die Verhältnisse _nicht_ gestattet, und was würden Sie von einem Manne
denken, der seine Pflicht nicht erfüllt, und wenn ihm dies auch noch so
schwer würde.« --

Nach langem Zögern sprach der Vater seinen Willen aus, der aber sehr wenig
die Wünsche der Liebenden befriedigte; er war der Verbindung entschieden
abgeneigt, und verlangte vor allem, daß Lützow nicht eher nach Ludwigsburg
komme, als bis er ihm die Erlaubniß dazu gebe; er wies die Tochter schnöde
zurecht, meinte, sie würde es ihm später einmal Dank wissen, daß er so und
nicht anders handle; es gebe der schlechten Romane genug in der Welt, er
wünsche nicht, daß _Elisa_ sie vermehre, und »z. B. eine irrende Ritterin
werde, wie die Ahlefeldten von Saxtorf!« -- Das war wenig tröstlich!

Mit immer sich steigernder Sorge und Ungeduld schrieb Lützow aus Berlin,
den 1. Januar 1809: »Liebe, gute Elise! Von ganzem Herzen habe ich
mich gefreut, einen Brief von Ihnen zu erhalten, ich eile zu danken und
versichere, daß mich nichts glücklicher macht, als der Beweis, daß ich noch
bei Ihnen in gutem Andenken stehe. Zugleich danke ich für die Abschrift des
Briefes an Ihren Vater, was aber das Mißtrauen betrifft, so traue ich so
fest, daß ich selbst diese nicht verlangt hätte. Habe ich Mißtrauen, so ist
es an meiner eigenen Liebenswürdigkeit, so entspringt es aus dem Zweifel,
daß Ihnen ein schlichter, grader Sinn nicht Ersatz genug sein wird für
Bildung und feine Welt. -- Ich mache mir die Freude Ihnen mein Ideal der
Treue zu übersenden[1]; ich versichere, daß ich in meinem ganzen Leben
nicht schlechter als dieser Pudel sein werde, der fest entschlossen ist,
und nichts inniger wünscht, als seine liebenswürdige Gebieterin nie zu
verlassen. Er ruht auf dem Beweis, daß ich Kraft genug habe, dem, was ich
liebe, alles zu opfern.« --

  [1]: Lützow schickte Elisen einen Ring mit einem Pudel verziert.

Dieser Verkehr mit dem Entfernten erfüllte _Elisens_ Herz beinahe
ausschließlich in dem Winter in Ludwigsburg, den sie wieder still und
einsam mit ihrer Mutter dort zubrachte. Lützow schrieb ihr aus Berlin, den
7. Januar 1809: »Wie muß einem Menschen zu Muthe sein, dem sich der Himmel
öffnet, er glaubt das höchste Glück erreicht, und wird in den tiefsten
Abgrund des Unglücks gestürzt. -- Die Natur schuf mich fest und resignirt,
doch diesen Wechsel würde ich nie aufhören zu empfinden, er raubte mir das
letzte Vertrauen an die Menschen. -- Was ein Mensch opfern darf, lege
ich Ihnen zu Füßen, mit Ihnen vereinigt, will ich an _jedem_ Ort der Welt
glücklich leben. Alle äußeren Verhältnisse will ich zerbrechen, bleibt mir
nur die Aussicht meinem Vaterlande noch in meinem Leben einmal nützen zu
können. Was wäre ich Ihnen ohne dieses Gefühl, was wäre Ihnen ein Mann
ohne feine Politur, wenn diese nicht durch einigen inneren Werth ersetzt
würde.« --

       *       *       *       *       *

Lützow versäumte unterdessen nicht, seinen Eltern, seinen Brüdern und
seiner Schwester in Berlin von seiner herrlichen Braut soviel mitzutheilen,
daß sie gleich ihm dem Augenblick mit Ungeduld entgegen sahen, wo er sie
heimführen würde. Wie sehr er _Elisens_ Werth fühlte, drücken lebhaft die
folgenden Zeilen aus, die er ihr aus Berlin den 27. Jan. 1809 schrieb:
»Liebe Elise! Sie sind besorgt für mein Glück? Sie verstehen sich wenig auf
Ihre eigenen Vorzüge; wer nicht mit Ihnen glücklich ist, dem hat die Natur
stiefmütterlich den Stoff der Freude versagt. -- Ich bin kein so eifriger
Verehrer des Plato, daß die Vorzüge Ihrer Gestalt keinen Eindruck auf mich
schwachen Menschen machen sollten. -- Ich bin nicht _so_ ernst, daß Ihre
frohe Laune nicht auch mich zur Freude umstimmen müßte. Ihre liebenswürdige
Aufrichtigkeit gäbe auch einem Greise dieses Prädikat der Jugend zurück.
Bei wem nur ein Funke Gefühl für Großes und Edles ist, dem wird Ihr Umgang
dies zur erwärmenden Flamme erheben. Wen der Himmel nicht mit einem Staar
gestraft hat, der muß täglich neue Vorzüge an Ihnen entdecken und sich
glücklich fühlen! -- Aber daß diese Eigenschaften nicht zur Geduld
einladen, welche Sie, meine schöne Priesterin, predigen, das ist
begreiflich, und Ihr Vater, den die erste dieser Eigenschaften schon allein
hinreißt, der sollte etwas billiger denken. -- Nur für Elise allein will
leben Ihr Adolph.« --

Erst als nach einiger Zeit Graf Friedrich selbst nach Ludwigsburg kam,
konnten Mutter und Tochter diese Gelegenheit benutzen, ihn etwas günstiger
zu stimmen. Die Beständigkeit der Neigung _Elisens_ mochte denn doch
wohl Eindruck auf ihn machen, aber er wollte noch nichts festsetzen und
verlangte als erste Bedingung, daß Lützow Preußen ganz verließe und nach
Dänemark übersiedelte, wo er vielleicht eine Anstellung im Forstwesen oder
am Hofe fände, die Graf Friedrichs Einfluß ihm wohl verschaffen konnte. Die
Bedingung, Vaterland und Beruf aufzugeben, war hart für Lützow; er
schrieb hierüber: »Der Segen, den Ihr Vater über Sie die Güte haben will,
auszuschütten, dieser goldene Segen ist hinreichender Grund alle übrigen
Forderungen des Vaters als rechtskräftig zu beweisen? -- Ich verwerfe
diesen kalten Richter! Schon die uralte Fabelzeit übergab dem Weibe
die Wage der Gerechtigkeit; ein fühlend Herz muß über das Schicksal der
Menschen entscheiden, sprechen Sie das Urtheil! -- Muß ich unbedingt dem
Willen des Vaters gehorchen? _Ihr_ Wille sei mein Gesetz. Hören Sie aber
meinen Vorschlag. Ihr Vater erlaubte uns vielleicht in Ludwigsburg zu
wohnen; eine prosaische, ökonomische Untersuchung fände diesen Vorschlag
vernünftig, und wir erhielten die gewünschte Einwilligung. Wir reisten,
damit ich die Freude hätte, meine Gemahlin meinen Eltern vorzustellen, nach
Berlin. -- Ich wüßte schon vorher bestimmt, daß man mir Dienste anböte, und
ich aus falscher Scham überrascht, nehme diese an, dann bin ich gefesselt.
-- Glauben Sie, Sie werden von meinen Landsleuten artiger als ich von den
Ihrigen empfangen. -- Ist dieser Plan auszuführen? entscheiden Sie!« --

_Elisa_ beklagte, den Willen des Vaters nicht ändern zu können; sie
verlangte keine glänzende Stellung für ihren Gatten, und versicherte
ihrerseits in den bescheidensten Verhältnissen mit ihm glücklich werden zu
können. Er antwortete hierauf: »Ich will nie aufhören, Ihr treuer Sclave zu
sein, bleiben Sie meine gütige Herrin, welche die Ketten, in die sie mich
legte, durch Freundschaft und Liebe zu den süßesten umschuf. -- Sie haben
zu viel eigenes Verdienst, um das Ererbte höher zu schätzen; es gehört aber
viel Geistesstärke dazu, dem Fehler des Zeitalters, der Sucht zu glänzen,
zu widerstehen. Wenn der Vater Fürst ist, wird der Tochter ein fühlend
Herz Ersatz genug für äußeren Glanz sein? Meine Vorfahren haben zwar das
Herzogthum Verona besessen, mir aber, gute Elise, bleibt nichts übrig als
die Leiter, welche diese Stadt und ich im Wappen führen. Doch eine Leiter
ist genug für mich, ist mir das Glück beschieden, damit Ihr Herz zu
erstürmen, und versichern Sie, daß das, was ich besessen habe, mir durch
keinen entrissen werden kann. Geben Sie mir diesen Trost, und ich bin
glücklich. Adolph.« --

Da zuletzt nichts anderes übrig blieb, entschloß sich Lützow einstweilen
Preußen zu verlassen, nahm seinen Abschied, und erklärte sich bereit, dem
mißtrauischen Grafen Friedrich alle darauf bezüglichen Papiere, unter denen
auch Königliche Kabinetsschreiben, die sehr zu seinem Vortheil sprachen,
mitzutheilen; allein trotzdem versagte der Vater noch immer seine
Einwilligung. Lützow schrieb darüber aus Schöneiche, den 27. Juli 1809:
»Aus Deinem letzten gütigen Schreiben habe ich leider ersehen, daß Dein
Vater fortfährt, sich unserer Verbindung zu widersetzen. Wie hart von ihm,
zwei Wesen zu trennen, welche wahrhaftig für einander geschaffen sind, wie
hart von ihm, uns in diesem Augenblick trübe Tage der Einsamkeit verleben
zu lassen, da wir so glücklich mit einander sein könnten! -- Deinem Vater
habe ich keine Gelegenheit zur Unzufriedenheit gegeben. Das Aeußere habe
ich menagirt, und sonst haben Leute von Gefühl dieselben Gesinnungen,
wenngleich das Alter klüglich schweigt, wo die Jugend aufbraust. Genug von
Verhältnissen, die waren und nicht wiederkehren können. Glücklich der,
dem das Glück beschieden, sie in _so_ zärtlichen Armen wie die Deinigen zu
vergessen. -- Wir wollen eine Welt für uns im Kleinen bilden und die
große vergessen, welche nicht einmal die Gefühle eines Mannes zu würdigen
versteht, viel weniger nachzuahmen weiß. Du aber wirst mich verstehen, wir
werden uns gegenseitig schätzen und glücklich sein! Wie kamst Du in Deinem
Lande zu solcher Freiheit von Vorurtheilen?« --

Lützow reiste nun nach Königsberg, um vom König die Erlaubniß nachzusuchen,
in fremde Dienste treten zu dürfen. In einem Briefe von dort vom
6. September 1809 drücken sich seine kräftige Gesinnung und seine Ansichten
über die Umgebung des Königs so entschieden aus, daß wir nicht unterlassen
können, ihn mitzutheilen; er lautet: »Meine beste Elise! Dein Brief war mir
ein wahrer Trost in der Wüste. Königsberg bleibt für mich eine Wüste, denn
was ist die schönste Gegend ohne Bewohner, und was helfen uns Menschen,
wenn nicht gleiche Charaktere uns verbinden. Liegt es an mir, kurz, ich
gefalle mir nicht hier. Ich finde hier dieselben Leute, mit welchen ich in
Potsdam lebte, als ich bei der Garde stand. -- Die Umgebungen des Königs
sind mit weniger Ausnahme dieselben, und das herbe Schicksal hat sich
umsonst erschöpft, ihnen die Augen zu öffnen. -- Das Corps Offiziere der
Garde, welches die ganze Campagne durch beinah nie vor dem Feinde gewesen,
ist schwach genug zu glauben, es sei ein größeres Verdienst bei dem
Könige zu leben, als für ihn zu sterben. -- Die Menschen hier sind in zwei
Partheien getheilt und hassen sich auf eine fanatische Art; und dennoch
sind beide Theile sich völlig gleich, denn jeder liebt nur sich selbst. --
Die eine Parthei sucht zwar durch einen sogenannten Patriotismus sich einen
Werth zu geben, die andere setzt in eine kalte Klugheit ihren Werth, beide
sind aber darin gleich, daß sie mit einem Heißhunger jeden einträglichen
Posten zu verschlingen suchen. -- Keiner weiß, was ich eigentlich hier
will, denn etwas für sich zu suchen und zu bitten, natürlich, darum kann
man nur in Königsberg sein. -- Daß ich mir die Sache eigentlich besehen
will, wie man in die Komödie geht, ohne selbst Lust zu haben, etwas vom
Gehalte des Schauspielers zu erwischen, das glauben sie nicht. -- Oefters
stoßen sie sich auch an und glauben, ich sei verrückt, wenn ich deutlich
zu erkennen gebe, daß fürchterliche Ordenssterne himmelweit von großen
Verdiensten verschieden sind. -- Die Frau, deren Mann der Zufall früh
einen tiefen Blick in den Glanz der großen Welt thun ließ, braucht nicht
zu besorgen, daß er das stille häusliche Glück diesem Prunke zurücksetzen
werde. Am wenigsten dann, wenn sie eine Elise ist, und so zärtlich von
ihrem Gemahl geliebt wird, als Du von Deinem Adolph.« -- Die Betheurungen,
die Verheißungen der Beständigkeit, die er hier und an so vielen anderen
Stellen so verschwenderisch aussprach, sie mögen ihm später, wenn er ihrer
gedachte, manchmal schwer auf die Seele gefallen sein! --

_Elisa_ fühlte, daß endlich eine Entscheidung erfolgen müsse, und reiste
nun zu ihrem Vater nach Langeland, und dort scheinen ihre Vorstellungen
ihn endlich bestimmt zu haben, in ihre Wünsche zu willigen. Nach langen
Verhandlungen, die den Liebenden endlos vorkamen, waren endlich alle
Verhältnisse geordnet, und Lützow eilte zu seiner Braut, die so treu und
unerschütterlich an ihm festgehalten hatte, und die den 20. März 1810 die
Seine wurde. --

Bald nach der Hochzeit reiste Lützow mit seiner jungen Frau nach Berlin,
um sie seiner Familie vorzustellen. Sie gewann bald deren Zuneigung,
und besonders schloß sich Lützow's jüngster Bruder _Wilhelm_ ihr mit
brüderlichem Zutrauen und unbegränzter Verehrung an. Das Leben in Berlin
machte auf _Elisa_ den günstigsten Eindruck; sie besuchte den Hof, der aber
bald nach ihrer Ankunft durch den Tod der Königin Luise in Trauer versetzt
wurde; in den sonstigen geselligen Kreisen knüpfte sie manche interessante
Bekanntschaft an, und befreundete sich auf das herzlichste mit dem
Philosophen _Solger_ und seiner Frau. Sie besuchte auch das Theater, und
erfreute sich der vortrefflichen Darstellungen classischer Stücke, die
durch das ausgezeichnete Spiel _Iffland_'s und der _Bethmann_ besonders
anziehend waren. Nur die Ungewißheit ihrer Lage hatte etwas Störendes;
Lützow war noch immer ohne Thätigkeit, nach der er doch so sehr verlangte;
da sich eine dänische Anstellung nicht sogleich erwirken ließ, so war
die Rede davon, ob er ein Gut in Langeland übernehmen solle; doch er und
_Elisa_ wünschten lebhaft, in Preußen bleiben zu können.

Unterdessen hatten die schlimmen Zeiten, und zugleich der Aufwand, den
er machte, _Elisens_ Vater in mancherlei Verwicklungen gebracht, und der
Ertrag seiner Güter verminderte sich immer mehr. Die großen Einkünfte, die
_Elisen_ bestimmt waren, mußten unter solchen Umständen ausbleiben.

Nach zwei Jahren peinlicher Spannung rief ein trauriges Ereigniß _Elisen_
plötzlich in die Heimath zurück: ihre Mutter war durch den Kummer über den
Gemahl, die Trennung von ihrer einzigen, ihr so theuren Tochter und die
unglücklichen allgemeinen Zustände sehr niedergedrückt, ihre Gesundheit
litt, und sie starb den 30. März 1812 zu Kopenhagen.

Das war ein Schmerz für _Elisen_, den sie ihr ganzes Leben lang fühlte; sie
konnte sich nicht trösten, und nach langen Jahren noch gestand sie, daß
die Zeit ihre Betrübniß nicht zu lindern vermöge. Vor Kummer verlor sie
plötzlich ihre schöne Stimme, und nie konnte sie wieder singen.

Mit den traurigsten Gefühlen kehrte _Elisa_ in der Begleitung Lützow's, der
ihr nach Kopenhagen gefolgt war, um sie abzuholen, nach Berlin zurück. Hier
sollten bald neue unerwartete Umstände ihr Leben zu einem unruhigen und
wechselvollen machen.

Das Jahr 1813 begann, und mit ihm jene denkwürdige Zeit unserer Geschichte,
die ewig unvergessen dastehen wird. Des Königs Friedrich Wilhelm des
Dritten Ruf zu den Waffen: »Die Jugend meines Volkes rüste sich zum Schutze
des Vaterlandes!« schlug wie ein Blitzstrahl in die aufgeregten Gemüther,
und in den hochfliegenden Geistern ging die Hoffnung auf, das geliebte
Vaterland von fremder Unterdrückung zu befreien, und ihm zugleich eine
Freiheit im Inneren zu gewinnen, wie es sie nie zuvor besessen.

Lützow brannte vor Ungeduld wieder in Dienst zu treten; die Begeisterung
seiner Gattin entflammte und steigerte noch die seinige. Es ist bekannt,
wie er als Major jene Freischaar bildete, welche eine so wunderbare
und eigenthümlich gemischte Genossenschaft ausmachte, und von
Geschichtschreibern und Dichtern so vielfach gefeiert wurde.

Lützow eilte nach Breslau, um dort seine Truppen anzuwerben. In dieser
Stadt war ein so großer Zusammenfluß von Menschen, daß Lützow in den ersten
Tagen, ehe sich später im Hotel zum »Scepter« Platz fand, für sich und
_Elisen_ kein anderes Unterkommen erlangen konnte, als in einer ganz
geringen Schenke.

Während ihn seine Geschäfte außerhalb des Hauses in Anspruch nahmen,
übertrug er _Elisen_, die sich zum Kriegsdienst meldenden Freiwilligen
anstatt seiner zu empfangen, und sofort anzuwerben. Dort nahm sie, da kein
anderer Raum vorhanden war, in einer elenden Bierstube mit hölzernen Bänken
jene stürmische Jugend auf, die sich zum Befreiungskampf herandrängte.

In dieser ärmlichen Umgebung erschien den jungen Leuten die schöne, edle,
von den lebhaftesten Vaterlandsgefühlen beseelte Frau wie ein höheres
Wesen, von dem sie wie bezaubert wurden, ja, wie der Genius der Freiheit
selbst, der ihnen ihre Bahn anwies und ihnen Todesmuth und Opferfreudigkeit
verlieh. In der That war _Elisens_ ganzes Wesen in jener großen Zeit wie
von einem ungewöhnlichen Glanze verklärt; sie liebte ihren Gatten treu
und warm, aber jene höchste Höhe feurigster Leidenschaft und extatischster
Begeisterung, wie sie sie damals an den Tag legte, konnte ihre große
Seele nie für einen einzelnen Menschen, sondern nur für ein mächtiges
Weltgeschick, für Vaterland, Freiheit und Poesie empfinden. Hier floß
alles zu Einem Brennpunkt zusammen, die Geschichte selbst schien einer
wunderbaren Dichtung gleich, die Dichter griffen mit zum Schwerte, und
der Donner der Schlachten vereinigte sich mit ihren enthusiastischen
Vaterlandsgesängen.

In der kleinen, ärmlichen Schenke zu Breslau wurden viele Tapfere von
_Elisen_ angeworben; zu diesen gehörte auch _Theodor Körner_, der von Wien
herbeigeeilt, und so viele Andere, die sich ihr mit Verehrung anschlossen
und ihr für immer ergeben blieben.

Bald nach Theodor Körner's Eintritt in die Schaar sollte dieselbe im Mai in
dem Dorfe Rogau bei Zobten feierlich den Eid der Treue ablegen, und in
der Kirche eingesegnet werden. Der junge feurige Dichter, der zu dieser
Festlichkeit ein Lied gedichtet hatte, das als Choral vorgetragen werden
sollte, war in der äußersten Verlegenheit, weil der Schneider ihm trotz
aller Vorstellungen betheuerte, er sei so mit Arbeit überhäuft, daß es
ihm unmöglich falle, ihm bis dahin seine Uniform anzufertigen. In der
Verzweiflung eilte Körner zu _Elisen_, und klagte ihr sein Mißgeschick.
Diese zeigte auch bei diesem Anlaß, wie bei vielen größeren, ihre gütige
und hülfreiche Fürsorge. »Niemand als Sie, gnädige Frau,« rief Körner,
»kann mir helfen, Sie aber vermögen alles!« Auf sein dringendes Ersuchen
versprach ihm _Elisa_, selbst zu dem Schneider, der zufällig in dem Hofe
ihres Hauses wohnte, zu gehen, und ihn selbst um die Anfertigung der
Uniform zu bitten. Sie that dies denn auch wirklich, ging in die Werkstatt
des Schneiders, und stellte ihm die Begeisterung und Ungeduld des jungen
Mannes vor, so wie seine Betrübniß, wenn er bei dem Feste fehlen müßte. Der
Schneider war so entzückt und hingerissen von der holden, liebenswürdigen
Frau, daß er ihr verhieß, er wolle die Nächte zu Hülfe nehmen, und die
Uniform zur bestimmten Zeit liefern. Nicht nur hielt er Wort, zur größten
Freude Körner's, der _Elisen_ für die glückliche Entscheidung, die sie
herbeigeführt, lebhaft dankte, sondern so sehr hatte die letztere den
einfachen Handwerker begeistert, daß er sich selbst sogar eiligst noch eine
Uniform nähte, und gleichfalls in die Freischaar mit eintrat. --

Nie ist Schiller's Ausspruch: »Schöne Seelen wirken durch ihr Sein« mehr
bestätigt worden als durch _Elisen_; der Einfluß, den sie auf die ganze
Freischaar ausübte, war ein ungeheuer; man versteht erst recht den
Geist; welcher diese jungen feurigen Helden beseelte, die aus den
ausgezeichnetsten Männern, aus Künstlern, Aerzten, Geistlichen, Dichtern,
Lehrern und Naturforschern, aus Vornehmen und Geringen seltsam gemischt
waren, diese Verbrüderten, die zum großen Theil jenem deutschen Bund
angehörten, der mit kühnen Planen umging, diese Schwarzen, welche nur diese
und keine andere Farbe trugen, weil sie damit ausdrücken wollten, daß das
deutsche Leben noch verfinstert sei, diese ganze Schaar, welche eben
so richtig von Theodor Körner die »wilde, verwegene Jagd,« als von Karl
Immermann die »Poesie des Heeres« genannt werden konnte, diese ganze
Gestaltung versteht man erst recht, wenn man weiß, daß eine reizend schöne,
von den kühnsten Idealen beseelte Frau ihren Mittelpunkt bildete, und die
Herzen entflammte. Darum waren die Schwarzen ebenso gesittet als muthvoll
und tapfer, ebenso poetisch gefühlvoll als hartnäckig im Kampfe. Indem sie
sich »die Lützower« nannten, trugen sie ja auch _Elisens_ Namen, und ihr
wollten sie Ehre bringen, wie dem Vaterlande; ein Blick _Elisens_ stimmte
sie zu ihren Liedern, und trieb sie todesfreudig in den Kugelregen; wie in
den alten Ritterzeiten stritten sie zugleich für die gute Sache und für den
Ruhm ihrer Dame.

_Elisa_ war so durchaus edel, daß sie gewissermaßen alles um sich her
zwang, nur edle Empfindungen für sie zu hegen, aber diese steigerten sich
denn auch bei der Mehrzahl zur innigsten Verehrung und Freundschaft, ja zur
Anbetung. Sie war keine wilde Amazone, sie blieb immer zart und mild und
weiblich, aber durchglüht von dem reinsten Feuer der Begeisterung. Dürfen
wir Lützow, den braven, tapferen Führer, dem seine ganze Schaar, wenn er
auch nicht immer so rasch in seinen Unternehmungen war, als diese brausende
Jugend es wünschen mochte, mit Liebe und Hochachtung anhing, das
kräftige Schwert der Schaar nennen, das wacker dreinschlug, und dem alles
nacheiferte, so war _Elisa_ dagegen der Geist, der sie beherrschte, und
über sich selbst hinaushob.

_Elisa_ hielt sich immer in möglichster Nähe des Kriegsschauplatzes auf;
bei den häufigen schweren Verwundungen, welche Lützow erlitt, kam sie
gleich herbei, und pflegte ihn mit aufopferndster Treue und Liebe; auch
viele der anderen Verwundeten pflegte sie mit ihren eigenen Händen, und
erschien bei den leidenden Kriegern wie ein hülfreicher Genius, voll
zarter Sorgfalt, tröstend und wohlthuend. Wie sie die Lebenden ermuthigte,
betrauerte sie die Gefallenen auf das tiefste.

So sehr strebte jeder danach von _Elisen_ geachtet zu werden, daß, als
ein Offizier eine Verpflichtung, die er gegen einen andern hatte, nicht
erfüllen wollte, dieser letztere sich an _Elisen_ wandte, mit der Bitte,
sie möchte jenen doch daran mahnen, dann würde er es thun, da er doch noch
nicht so sehr ohne Ehrgefühl sei, um ertragen zu können, vor ihren Augen so
schlecht zu erscheinen.

Viele Siegesbeuten, die gemacht wurden, schenkten die Lützower _Elisen_,
da sie dieselben in ihren Händen am liebsten sahen. Lützow selbst gab ihr
mehrere solche; noch im letzten dieser Feldzüge, im Jahre 1815, als nach
der Schlacht von Belle-Alliance der Lieutenant _Leo Palm_ der Erste war,
der in den eroberten Wagen Napoleons hineinstieg, verschmähte dieser von
den vielen Schätzen, die sich darin befanden, etwas für sich zu nehmen,
aber zwei Gläser und ein paar Handschuhe des Kaisers überbrachte er
_Elisen_ als Andenken. Sogar ein auf dem Schlachtfeld gefundener großer
Hund von seltener Schönheit wurde ihr geschenkt, und ist viele Jahre lang
ihr treuer Begleiter geblieben.

Werfen wir nun einen Blick auf die Männer, aus denen die Freischaar
gebildet war; wir finden da viele Gestalten von besonderer
Eigenthümlichkeit, viele, welche sich Namen und Ruf erwarben. Da war der
wunderliche Alte im Bart, der Turner _Friedrich Ludwig Jahn_, der »erste
deutsche Freiwillige,« wie er genannt wurde, mit seiner Devise: »frisch,
frei, fromm, fröhlich«! Theodor Körner, der edle Dichter, welcher kämpfend
dichtete, und dichtend fiel in der Blüthe der Jugend; der mehr als
siebzigjährige Rittmeister von _Fischer_, die komische Figur unter ihnen,
der die Listen des Odysseus geerbt zu haben schien, und der mit einem alten
Richtschwert bewaffnet einher ging, weil ihm kein anderes groß genug war;
dann _Peter Beuth_, welcher sich seltsam gerüstet hatte, Lützow's
Brüder _Leo_ und _Wilhelm_, sein Schwager Graf zu _Dohna_, die braven
_Petersdorff's_, _Palm_, _Thümmel_, _Helmenstreit_, _Ennemoser_,
_Kruckenberg_, _Reil_, _Eckstein_, _Dorow_, _Berenhorst_, _Karl Müller_,
_Meckel_, _Friedrich Förster_, _August von Vietinghoff_, der Freund von
Friedrich Friesen, und endlich _Friedrich Friesen_ selbst, der edle,
schöne, blonde Jüngling, mit den feinen, fast mädchenhaften Zügen, welcher
von allen, die ihn kannten, heiß geliebt wurde, »an Leib und Seele
ohne Fehl, voll Unschuld und Weisheit, beredt wie ein Seher, eine
Siegfriedsgestalt von großen Gaben und Gnaden«, wie ihn Jahn beschreibt,
»ein lichter Schönheitsstrahl«, wie Arndt von ihm gesungen. Sein früher
Tod in den Ardennen, und die Ausdauer, mit welcher sein Freund Vietinghoff
seine Ueberreste aufsuchte, getreu seinem Wort, ihn in deutscher Erde
bestatten zu lassen, ist vielfach bekannt geworden.

An Friesen, Palm, Friedrich von Petersdorff und Thümmel, einem Verwandten
des bekannten Schriftstellers, gewann sich _Elisa_ Freunde für das
ganze Leben. Sie und Friesen fühlten sich auf das innigste zu einander
hingezogen, es bestand eine schwärmerische Freundschaft zwischen ihnen, sie
waren sich ihrem ganzen Wesen nach verwandt, in Friesen fand _Elisa_ eine
Seele, die dem hohen Flug der ihrigen folgen konnte.

Da wir keine Kriegsgeschichte schreiben, so kann es nicht unsere Aufgabe
sein, die übrigens vielfach bekannten Schicksale der tapfern Lützow'schen
Freischaar hier einzeln vorzuführen. Als den 16. September 1813 das Gefecht
bei der Görde stattfand, wo Lützow lebensgefährlich verwundet wurde, eilte
_Elisa_ gleich zu ihm, um sich ganz seiner Pflege zu widmen.

Wir lassen nun einen Brief von Friedrich Friesen an _Elisen_ folgen vom
30. October 1813, in welchem er ihr die tödtliche Erkrankung seiner Mutter
meldete. Er lautet: »Das inliegende Blatt sagt Ihnen, theure Frau, mein
Unglück. Ich versuche vergeblich mich frei zu halten. Sie verstehen meine
Scheinruhe, weil Sie männlichen Gleichmuth besitzen, und feinfühlend sich
in das Wesen Andrer versetzen.

  »Wenn Fremde sich in unsre Lage fühlen,
  Sind sie wohl näher als die Nächsten uns verwandt.«

Mich erfreut und stärkt Ihre Theilnahme, der ich gewiß bin. -- Ich verliere
eine wackere Mutter, der ich unendlich viel verdanke. -- Sie haben mich
schreibend gefunden. Erhalten Sie mir Ihre Güte, und lassen Sie dieses
Blatt und mein offenes Geständniß, dessen ich mich gegen Sie nicht schäme,
ein harmloses Geheimniß sein. -- Ich bin nicht gewöhnt mit meiner Lage, mit
meinen Wünschen und meinem Unglück zu stören, aber von Ihnen erwarte ich
weder Vorwurf noch von mir Reue -- die bei Fehlgriffen schmerzlich kränkt.
Friesen.«

Friesen eilte nun athemlos nach Berlin, wo er seine Mutter noch lebend
antraf, und ihr in ihren letzten Augenblicken beistehen konnte. Nach ihrem
Tode schrieb er _Elisen_ aus Berlin, den 6. November 1813: »Meine Freunde
suchen meinen Schmerz durch ihre wahrhafte Theilnahme zu mindern. Ich
erkenne das mit Dank. Ihnen aber, theure Frau, fühle ich mich besonders
verpflichtet für Ihren Zuspruch und Trost. -- Unglückliche sind
mißtrauisch, gegen Sie bin ich es nicht. Tiefes Gefühl, eigener
Verlust, und die unverkennbare Wahrheit Ihres Wesens verbürgt mir Ihre
Mitempfindung, und Ihnen die Gewißheit meiner Anerkennung. -- Wie geht
es Ihrem Gemahl? -- Ich bitte Sie recht dringend, versuchen Sie alles ihn
seinen Freunden in wahrer Gesundheit zu erhalten, wenn noch eine Prüfung
von Muth und Ausdauer beschlossen sein sollte. Ich weiß, was ich von Ihnen
fordere und was Sie der Zeit opfern -- aber ich kenne Sie, um gewiß zu
sein über vieles, was Sie mit Selbstverläugnung und edlem Stolz gegen das
Schicksal über sich vermögen. In der jetzigen Zeit wird der Begriff wahrer
Weiblichkeit dem ungetrübten Blick erst klar und verständlich. Ich denke
an Sie mit unbedingtem Vertrauen. -- Ich versuche mich aufzurichten,
und freien Blickes in die Zukunft zu sehen, und des eigenen Unglücks zu
vergessen, oder es doch mit ruhiger Besonnenheit zu tragen. -- Mir ist
nicht wohl. -- Denken Sie meiner. Ich verehre in Ihnen das erfreuliche Bild
einer Frau, die nicht in der Zeitbildung befangen, ein schönes Leben in
ruhiger Würde lebt. Friesen.«

Diese wenigen Zeilen, die wir um so lieber mittheilen, da wir wissen,
wie besonders theuer Friesen allen seinen Waffengenossen war, sie
charakterisiren genau das edle Verhältniß, welches zwischen ihm und
_Elisen_ bestand, und zeigen ein feines, tief empfindendes, liebenswürdiges
Gemüth.

Wie die Freischaar in's Holsteinische eingerückt war, schrieb Friedrich
von Petersdorff an _Elisen_ vom Vorposten zu Syke bei Oldeslohe, den
8. Dezember 1813: »Wir hoffen noch immer, daß mit Dänemark thätig am
Frieden gearbeitet wird, und daß dieser Krieg, der nicht unmittelbar gegen
den Erbfeind geht, bald geendigt sein werde. -- Vergessen Sie uns nicht,
liebe, gute Elisa, und rechnen Sie es nicht uns an, wenn Ihre Landsleute
etwas hart mitgenommen werden, wir steuern, was wir können, dankt Adolph
doch dem Lande das Glück seines Lebens, und ich das Glück der göttlichen
Freundschaft. Ihr Friedrich.«

In der Nacht des 15. März 1814 war es _Elisen_ als träte Friesen vor ihr
Bett, und zeige ihr eine tiefe Wunde, die er erhalten habe; bewegt und
erschrocken rief sie ihr Mädchen herbei, ob sie die blutige Gestalt dort
nicht stehen sehe; diese sah jedoch nichts. Fünf Tage später, an ihrem
Hochzeitstage, erfuhr _Elisa_, daß Friesen damals grade, als sie geglaubt
hatte, ihn zu sehen, geblieben war. --

Sie war tief ergriffen. In einem kleinen Notizbuche, welches sie bei sich
führte, finden wir dieses Ereigniß mit den kurzen, aber schmerzlichen
Worten bezeichnet: »Der erste und beste Mann, Deutschlands Stolz und das
höchste Glück seiner Freunde, verlor auf die schrecklichste Weise sein
Leben.«

Auch Lützow, dessen Adjutant er gewesen war, betrauerte ihn schmerzlich,
und äußerte, von allen Menschen, die er kennen gelernt, sei Friesen
derjenige, welcher am wenigsten zu missen sei, und an dem das Vaterland am
meisten verliere.

Wir können nicht umhin, hier eine Schilderung anzuführen, welche Karl
Immermann im zweiten Bande der »Epigonen« von _Elisen_ entworfen hat.
Immermann ließ seine Heldin nicht die Freundin, sondern die Geliebte
Friesens gewesen sein, und sie, anstatt Vietinghoff's, jenen Sarg mit
seinen Ueberresten bei sich aufbewahren. Diese und noch einige andere
kleine Abweichungen, welche der Roman erforderte, wird der Leser leicht
herauserkennen, außer diesen aber _Elisens_ Bild wie in einem Spiegel
wiederfinden.

Es ist von der Zeit des Befreiungskrieges die Rede.

»Sie war die hohe Brautwoche, der süße Honigmonat meines Lebens! rief
Johanna und ihre Augen glänzten. Ich war zwanzig Jahre alt, auf meines
Vaters Schlosse erwachsen, der, wie ihn die Leute auch beschelten mögen,
mir ein guter Vater war, und mich aufstreben ließ, frei und ungezwängt,
gleich den Tannen in unserm Park. An seiner Seite zu Pferde, oder im
leichten Jagdwagen, wenn der Hirsch verfolgt wurde, war es mir oft, als
müßten Flügel mir an beide Schultern wachsen, so leicht und rein rollte in
mir das muthige Leben! Daheim horchte ich den Erzählungen der Reisenden und
klugen Männer, welche meinen Vater besuchten, und von fremden Ländern
und Menschen sprachen, oder ich las Geschichte mit meiner alten, würdigen
Erzieherin. Denn, Dank sei es denen, welche über mein Geschick geboten,
nichts Gemeines und Eitles durfte mich berühren, und ich erinnere mich
noch, daß in meinem Zimmer der Spiegel fehlte. Welt und Vorzeit umgaben
mich wie ein schönes, sinnvolles Mährchen, in dessen Mitte ich, allen
Helden und Weisen vertraulich nahe, liebe Tage hinspann.«

»Nun erschien jener große Winter mit seinen Eis- und Leichenfeldern, mit
seinem Stadt- und Herzensbrande! Meines Vaters Entschluß war sogleich
gefaßt, als die ersten Zuckungen des wiedererwachenden Lebens sich
verspüren ließen. Obgleich, nach der Sitte seiner Jugend, gern die fremde
Sprache redend, war er ein deutscher Mann und Edelmann geblieben; sein
Herz hatte bei dem Jammer des Vaterlandes oft geblutet. Wir zogen, damit er
thätiger eingreifen könnte, auf eine Zeitlang nach der großen Stadt, welche
der Heerd des heiligen Feuers war. Was schwatze ich Ihnen vor? Sie waren
ja selbst dabei, haben selbst die Waffen getragen. Welche Tage! Welche
Gefühle! Nun waren Rom und Griechenland und die Ritterzeit kein Mährchen
mehr für mich, alles Größte strahlte wiedergeboren im grünen, frischen
Lichte mich an. Mein Mädchenherz wollte mir oft die Brust zersprengen,
wenn ich bis Mitternacht, ja bis an den frühen Morgen die Binden zuschnitt,
welche das Blut der Wunden hemmen sollten. Ich weinte, daß mein Vater reich
war, daß ich nicht auch mich genöthigt sah, mein Haupthaar auf dem Altare
der allgemeinen Begeisterung zu opfern. Nie, nie kann ich das vergessen,
und wenn die ganze Welt umher in Zweifel und Klügelei starr wird, so soll
der Busen einer armen Frau wenigstens ewig das Fest der Erinnerung feiern!«

»Sie war aufgestanden und ging mit großen Schritten durch das Zimmer. Ihre
Züge hatten sich verklärt, sie glich einer Priesterin, einer Velleda. Nach
einer Pause, während welcher ihr Antlitz vom herrlichsten Angedenken wie
durchsichtig zu werden schien, stand sie still und rief: Ja, wenn es eine
Liebe je auf Erden gegeben hat, so habe ich geliebt! Und o des Glücks!
Die zärtlichste Empfindung war nur eins mit der heiligsten und größten! Im
Waffenschmuck trat er mir entgegen, dem Kampfe sich entgegensehnend, in den
er nach wenigen Wochen zog. Mild war er und edeln Zornes zugleich voll, nie
hat ein reineres tugendhafteres Herz unter dem Rocke des Kriegers geklopft.
Er war wie ein Verschlagner von einer fernen seligen Insel unter uns
Andern. Die Augen pflegte er zu senken, als erliege seine Seele unter ihrer
eignen Größe. Stumm war unsre Liebe und ohne Erklärung. Nur, als ich ihm
beim Abschiede die Feldbinde reichte, verstanden sich unsre Blicke. Er zog
dahin und ich sah ihn nicht wieder.«

»Er trug, wie alle jugendliche Frühlingsherzen, die Todesahnung im Busen.
Sein einziger Wunsch war, in deutscher Erde zu ruhn, er schauderte vor dem
Gedanken, fern unter den Fußtritten des feindlichen Volkes vermodern zu
müssen. Das Schicksal ist oft grausam, es kann uns nicht allein das Leben,
wie wir es wünschen, sondern auch den Tod, wie wir ihn zu sterben
würdig gewesen wären, versagen. Nicht in einer der großen herrlichen
Befreiungsschlachten fiel mein Freund, nein, vereinzelt, seiner Schaar
nachgeblieben, wurde er von umherstreifendem Gesindel auf dem fremden Boden
erschlagen. Ich erfuhr seinen Tod, noch ehe die Nachricht davon zu mir
gelangte. In der Nacht aus tiefem Schlummer ohne vorhergegangnen Traum
emporschreckend, sah ich das blutige Haupt des Ermordeten am Fuße meines
Lagers aufsteigen, und alsobald auch wieder verschwinden. Augenblicklich
wußte ich um meinen ungeheuren Verlust, aber zugleich durchdrang mein
Herz ein unvergänglicher Trost, der es so ganz erfüllte, daß ich mich kaum
erinnere, damals geweint oder sonst getrauert zu haben. Nur jetzt, nach
manchem Jahre fließen meine Thränen zuweilen. Als die Ruhe hergestellt war,
beschäftigte uns Alle, die wir ihn geliebt hatten, sein Wunsch. Ein treuer
Gefährte seiner Tage machte sich endlich in der Stille auf, scheute nicht
Mühe noch Gefahr unter dem noch immer schmerzlich empörten Volke, fand die
Grube, in welcher man den Körper verscharrt hatte, kaufte die theuren Reste
los, und brachte sie in die Heimath.«

»Sie näherte sich einer schmalen, länglichen Kiste, welche in der Ecke des
Gemachs stand, öffnete sie und warf sich mit Lauten des tiefsten Schmerzes
über sie. Hermann trat hinzu und fuhr zurück; ein menschliches Gerippe
starrte ihm aus der Kiste entgegen. Warum erschrickst Du? Was macht Dich zu
fürchten? rief sie. Dies ist mein lieber, mein einziger Freund, den ich nun
wiederhabe, und nicht von mir lasse. Betrachte den holdseligen Mund, die
guten, schönen Augen, die denkende Stirn! Nun ruht er, umweht vom Hauche
der Liebe, nun ist ihm wohl!«

»Theure, warum gaben Sie der Erde nicht wieder, was der Erde gehört? fragte
Hermann, als er sich einigermaßen von seinem Erstaunen erholt hatte.«

»Sie versetzte nichts. Mit den zärtlichsten Namen rief sie den geschiedenen
Freund, schmeichelnd strich sie über den kahlen Schädel, ihre Lippen
küßten die leeren Augenhöhlen. Dazwischen führte sie Reden, deren Sinn
und Bedeutung Hermann nicht verstand. Sie sprach von dem Vampyr, der,
auferstandne Leiche, umhergehe, und den Lebenden das Blut aussauge, und
beschwor die Gebeine des Todten, sie wie bisher, so auch ferner vor dem
Schreckniß zu schützen.« --

Im Sommer 1814 hielt sich _Elisa_ eine Weile mit Beuth's Mutter in Kleve
auf, dann bezog sie ein Landhaus vor der Stadt, wo Lützow mit seinen
Kameraden sie Abends zu besuchen pflegte; unter den schattigen, grünen
Bäumen, in einer freundlichen Natur kam dort bei _Elisen_ ein Kreis
zusammen, bestehend aus Palm, Karl und Friedrich von Petersdorff, Wilhelm
von Lützow und Andern, die alle noch spät mit Entzücken von der reizenden
Geselligkeit erzählten, die _Elisa_ um sich her zu schaffen, und mit
dem Zauber ihres anmuthigen Geistes zu beleben wußte. Aehnliche Abende
wiederholten sich etwas später in Aachen, wo sie auf der alten Ketschenburg
in einem Zimmerchen, welches so niedrig war, daß die Freunde es scherzend
»die Schiffskajüte« nannten, sich ein blumengeschmücktes und überaus
wohnliches Asyl geschaffen hatte; hier war auch der Dichter _Max von
Schenkendorff_ ein häufig und gern gesehener Gast.

Im Sommer 1815 hatte Lützow das Unglück in der Schlacht von Ligny in
französische Gefangenschaft zu gerathen, aus der ihn jedoch der bald darauf
erfolgende Frieden wieder befreite. _Elisa_ war sehr in Angst um ihn; sie
theilte so gern alle seine Mühen und Gefahren, sie war nur immer darauf
bedacht, ihn zu pflegen, und für sein Behagen zu sorgen, um so mehr, da die
vielen Verwundungen ihn viel leiden ließen. Heinrich Pröhle sagt, in seiner
Biographie Jahn's, von Lützow, daß er fast in jedem Gefecht verwundet
wurde; »wenn er ging,« heißt es dort, »so war er durch seine vielen Wunden
halb Invalide; stieg er zu Pferde, so bedurfte er ihrethalben einiger
Hülfe -- aber saß er einmal im Sattel, so war er das Muster eines
Husarenoffiziers, ein Ritter ohne Furcht und Tadel.«

Die liebevolle Sorgfalt, welche _Elisa_ ihrem Gatten erwies, konnte dieser
ihr wohl nicht in gleichem Grade erwiedern, denn unpraktisch, und in allem,
was nicht zu seinem Kriegesberufe gehörte, unkundig oder zerstreut, war er
selbst bei dem besten Willen wenig geeignet, eine zarte Frau in seine
Obhut zu nehmen; sie, die auf dem Trannkijörschlosse in den glänzendsten
Lebensverhältnissen erwachsen war, ertrug aber mit der äußersten Entsagung
und ohne Klage Entbehrungen aller Art, und es war wie wenn ihr starker
Geist ihrer zarten Gestalt dazu die Kraft verliehe.

Endlich beschloß die blutige Völkerschlacht von Belle-Alliance diese
großartige Kriegszeit. In jener Schlacht gehörte ein junger Mann von
neunzehn Jahren, von gleicher Begeisterung für die deutsche Sache erfüllt,
wie _Elisa_, zu den Mitkämpfern, welcher dazu bestimmt war später in ihrem
Leben eine bedeutende Rolle zu spielen: es war _Karl Immermann_. Damals
wußten sie noch nichts von einander; erst nach Jahren sollte das Geschick
sie zusammenführen. --

Nachdem der Krieg beendet, ging _Elisa_ im Anfang des Jahres 1816 nach
Berlin, wo _Ernst Moritz Arndt_ sie besuchte, den sie schon das Jahr zuvor
in Düsseldorf kennen gelernt hatte; sie war so erfreut über die Erscheinung
des gefeierten Mannes, den sie schon lange als patriotischen Dichter und
Schriftsteller geliebt und verehrt hatte, daß sie sagte, kein Besuch eines
Königs würde sie so glücklich gemacht haben.

_Elisa_ verweilte nicht lange in Berlin, da sie bald Lützow nach Königsberg
nachfolgte, welche Stadt seinem Regiment als Garnison angewiesen war. Dort
lernte sie den alten Kriegsrath _Scheffner_ kennen, den Freund von Kant und
Hippel, der sie sehr hochschätzte, und _Johanna Motherby_, welche später
die Gattin Dieffenbach's wurde, eine energische und ausgezeichnete Frau,
von der noch öfter hier die Rede sein wird, und die sogleich zu _Elisen_
eine leidenschaftliche Zuneigung faßte.

Sie begegnete _Elisen_ zuerst in einer Gesellschaft, und bei ihrem
lebhaften Gefühl für Schönheit fiel ihr die ungewöhnlich anmuthige und
liebreizende Erscheinung sogleich auf. Sie hatte die Eintretende kaum
einige Minuten betrachtet, als sie mit den Worten: »Wir werden und wir
müssen Freundinnen sein!« auf sie zueilte. Sie wurden es in der That.

Es konnte nicht leicht einen größeren Contrast geben, als diese beiden
Frauen; während in _Elisen_ alles Schönheit, Harmonie und Zartheit war,
erschien Johanna beim ersten Anblick scharf und eckig; sie war klein, von
starker Figur, von scharfgeschnittenen, bedeutenden, aber eher häßlichen
als schönen Gesichtszügen; doch war ihr Geist und Schönheitssinn so
mächtig, daß im Gespräch und der Begeisterung, welche in demselben über sie
kam, Grazien und Amoretten ihr ganzes Wesen zu umgaukeln schienen, so
daß sie nicht nur anmuthig, sondern gradezu schön aussehen konnte. Die
Häßlichkeit lag nur wie ein Flor auf ihr, unter dem die innere
Schönheit siegreich durchschimmerte. Auch besaß sie wahrhaft
großartige Charaktereigenschaften, Thatkraft und Entschlossenheit,
Aufopferungsfähigkeit und Herzensgüte in seltenem Grade; ihr ganzes Wesen
war Leidenschaft und erregte auch die heftigsten Leidenschaften; ihr
stürmisches Feuer konnte fortreißen, während _Elisens_ milde Ruhe
bezauberte.

Sie lebte damals mit ihrem Gatten, dem Arzte _Motherby_, einem geistvollen
und vorzüglichen Manne, noch im besten Einvernehmen, und auch er trat mit
_Elisen_ in freundschaftliche Beziehung.

Auch manche von Lützow's Kriegskameraden besuchten ihn und _Elisen_ in
Königsberg, Friedrich von Petersdorff kam aus dem nahen Memel, Helmenstreit
wurde dorthin versetzt; mit Palm trafen sie in Graudenz zusammen.

Noch ehe ein Jahr verflossen war, im Mai 1817, wurde Lützow nach Posen
versetzt, wo sie aber kaum angelangt waren, als seine Versetzung als
Brigade-Kommandeur nach Münster erfolgte.

Auf dem Wege dorthin berührten sie Nenndorf, wo sie unerwartet Karl von
Alten sahen, und es war nicht ohne Bewegung, daß er und _Elisa_ sich hier
begegneten. Außerdem mochte der Anblick von Nenndorf manche schwermüthige
Gefühle in _Elisen_ wecken; wie sie vor neun Jahren als fröhliches Mädchen
hier weilte, da hatte sie doch mit andern Erwartungen in die Zukunft
geblickt, als sie jetzt erfüllt sah! --

Im Juli langten sie an ihrem neuen Bestimmungsort an. _Elisa_ fühlte sich
dort anfänglich sehr fremd, und die kleine Stadt, die engen Verhältnisse
sagten ihr wenig zu. Lützow, dem nach dem bewegten Kriegsleben der leere
Friedensdienst gar nicht behagte, suchte sich durch seine Leidenschaft
für Pferde in seiner freien Zeit möglichst zu zerstreuen; er schaffte sich
deren viele an, die der Gegenstand seiner beständigen Beobachtung
waren; auch liebte er es sehr mit _Elisen_ auszureiten, welche eine so
ausgezeichnete Reiterin war, daß er oft behauptete, von ihr habe er erst
die wahren Feinheiten der Reitkunst gelernt. Konnte er sich nun noch dann
und wann mit einigen seiner Kameraden unterhalten, wo dann seine ihm so
lieben Pferde beinahe immer den Stoff zum Gespräche lieferten, so war für
ihn leidlich gesorgt. Aber _Elisens_ feiner und lebhafter Geist, der sich
immer nach Anregung sehnte, konnte hier keine Befriedigung finden. In den
begeisterten Kriegsjahren, wo ihr ganzes Wesen in der Liebe zum Vaterlande
aufging, war es ihr gewissermaßen nicht möglich gewesen, an sich selbst, an
ihr persönliches Geschick zu denken. Jetzt aber konnte sie sich nicht mehr
verhehlen, daß der Verkehr mit ihrem Gatten den höheren Ansprüchen, die sie
zu machen berechtigt war, nicht mehr genügte.

Der Abstand zwischen ihr und Lützow trat immer schärfer hervor; gutmüthig
und brav und nicht ohne natürlichen Verstand, war er doch weder an Bildung
noch an Geist und Feinheit _Elisen_ ebenbürtig. Im Laufe der Jahre hatte
sich ihr Wesen immer reicher entwickelt, und überflügelte immer mehr
ihre Umgebung. Ihre Heiterkeit verwandelte sich in wehmüthigen Ernst; sie
suchte, wie es ihre Art war, Trost in der Natur und bei ihren Dichtern,
aber ihr Herz sehnte sich vergeblich nach einem Glücke, das sie einst
geträumt, und das ihr nicht beschieden zu sein schien. Sehr wohlthuend war
ihr die Freundschaft ihres Schwagers Wilhelm von Lützow, der ihren ganzen
Werth zu würdigen wußte, und mit rückhaltsloser Offenheit sie an allem
Theil nehmen ließ, was ihn betraf.

Mochte nun aber auch Münster noch so geistig todt, so steif, so kleinlich
und bigott katholisch sein, alles Eigenschaften, die _Elisen_ in tiefster
Seele zuwider waren, so konnte sie bei ihrer besonderen Gabe, einen
angenehmen und geistig bewegten Kreis um sich zu gestalten, doch nicht
lange diesen Ort bewohnen, ohne alle jene Elemente aufgefunden, und um sich
gesammelt zu haben, welche sich dazu eigneten.

Hier machte sie die Bekanntschaft von _Henriette Paalzow_, geb. _Wach_, die
damals noch nicht als Schriftstellerin aufgetreten war, viel anspruchslose
Liebenswürdigkeit besaß, und bis an ihr Lebensende mit _Elisen_ befreundet
blieb; hier begegnete sie zuerst der edlen, feinen, liebevollen _Adele
von A._ und ihrem Gatten, die sie sehr lieb gewannen; Adele, eine durchaus
weibliche und sinnige Natur, wurde bald ihre Herzensfreundin; hier wurde
der Consistorialrath und Schulrath _Friedrich Kohlrausch_, dessen deutsche
Geschichte damals alle Gemüther erfreute, ihr Freund; auch mit _Wilhelmine
von G._ trat sie in lebhafte Beziehung. Eine alte Freifrau von _Aachen_,
die sich in Malerei, Dichtkunst und Musik versuchte, und mit dem damaligen
Kronprinzen Ludwig von Baiern, den sie in Italien kennen gelernt hatte, im
Briefwechsel stand, wurde zuweilen mit in den Kreis gezogen, so wie einige
Offiziere, die Bildung und höheren Sinn besaßen. Hier auch lernte _Elisa_
den würdigen Oberconsistorialrath _Anton Möller_ kennen, der ihr besonders
theuer wurde, und dessen segensreiche Wirksamkeit als anregender und
begeisternder Universitätslehrer, als Schriftsteller und Prediger
vorzüglich in Münster, wo er so lange gelebt, in Aller Andenken steht.

Eine so eigenthümliche Erscheinung wie Möller, dürfte selten zu finden
sein; damals war er schon in den Fünfzigen, aber vereinigte jugendliche
Frische mit einem enthusiastischen Gemüthe. Er war ein eifriger Anhänger
der Kantischen Philosophie, liebte feurig das classische Alterthum der
Griechen und Römer, die er häufig zu citiren pflegte, las Goethe mit
Entzücken, und mit einer Vorurtheilslosigkeit, welche einem geistlichen
Herrn doppelt hoch anzurechnen ist; an der Natur, der Musik, den schönen
Künsten hatte er die innigste, reinste Freude; er war ein durch und durch
edler Mensch, sein ganzes Wesen war von Poesie durchglüht; eine seltene
Gabe der Beredtsamkeit, die dem lebhaften Manne fortwährend von den
Lippen strömte, verlieh nicht nur seinen Vorträgen, sondern auch seiner
Unterhaltung eine fortreißende Gewalt. Ohne alle priesterliche Salbung war
er immer menschlich offen, freien Sinnes, natürlich, anspruchslos wie ein
Kind, und verbarg nie seine warme Freude an der Schönheit dieser Welt. Eine
Schilderung von ihm, die im »Westphälischen Merkur« erschien, beschreibt
ihn folgendermaßen: »Von Charakter war Möller ein echter deutscher Mann,
und wie gediegen auch sein Geist, so war doch auch sein Gemüth nicht minder
tief und zart. Seine äußere Erscheinung war stattlich, freundlich und
ehrwürdig. Seine hohe, gewölbte Stirn verrieth sofort den Denker, seine
Lippen umschwebten Anmuth und Heiterkeit; seine ganze Persönlichkeit
war liebenswürdig und herzgewinnend, und gewährte den Eindruck eines _im
Dienste der Ideen_ ergrauten Lebens. Zeigte er schon ein rein menschliches
Wohlwollen und eine aus dem Herzen kommende Freundlichkeit gegen Jedermann,
so war insbesondere seine Freundschaft ihm selbst ein Seelenbedürfniß
-- hingebend und treu, und für Geist und Gemüth gleich genußreich. Die
Gesellschaft, welche er angenehm zu unterhalten und zu beleben wußte,
liebte und suchte er, besonders solche erlesenere Kreise, wo der _Geist_
den Vorsitz führt, und war in ihnen gern gesehen, bis in seine letzten
Tage.« --

In Münster sind noch viele Charakterzüge und kleine Anekdoten von dem
seltsamen Manne aufbewahrt. Als er einmal bei einem Festmahl einen
begeisterten Toast ausbrachte, lehnte er sich in seiner Lebhaftigkeit etwas
zu weit zurück, so daß er das Gleichgewicht verlor, und mit sammt seinem
Stuhl hinten über auf die Erde fiel; dadurch ließ er sich aber in seiner
feurigen Beredtsamkeit nicht stören, und erst als er seinen langen Vortrag
ganz beendet hatte, richtete er sich vom Boden auf. -- Schon früh zum
Wittwer geworden, lebte er lange für sich allein, aber so sehr in seine
Studien und Gedanken vertieft, daß er seiner Umgebung wenig achtete. Als
später seine würdige Freundin, die alte, vortreffliche _Christiane Engels_
zu ihm zog, um seine Wirthschaft zu führen, fand sie nicht nur, daß er von
seinen Leuten um beträchtliche Summen bestohlen worden war, sondern auch,
daß in seiner großen, wüsten Wohnung sich Ratten vollauf, groß wie junge
Katzen, umhertrieben, die Abends oft drei, vier zugleich, in Gegenwart der
Mägde auf den Tisch sprangen, und den Talg von den Leuchtern fraßen. Hatte
Möller dies alles nicht bemerkt, so bemerkte er doch das neue Behagen im
Hause und den neu geordneten Garten, und dankte der Freundin ihre Fürsorge.
-- Wie Möller Besuchsreisen zu seinen verheiratheten Kindern machte,
geschah es zweimal, daß er nahe daran war, ihnen das Haus anzustecken, da
er in seiner Zerstreutheit vergessen hatte, Abends sein Licht auszulöschen;
es fehlte wenig, daß in solcher Weise das Feuer, welches er in seinem
Gemüthe trug, oben zum Dach herausgeschlagen wäre! --

Für _Elisen_ faßte Möller eine schwärmerische Zuneigung, wie die Briefe
beweisen mögen, welche wir von ihm im Anhang mittheilen, da sie, wie wir
glauben, von ihm so wie von _Elisen_ ein lebhaftes Bild geben, denn es ist
eigenthümlich, daß man diese weit mehr aus den von ihren Freunden an sie
gerichteten Briefen, in denen sich der Eindruck, den sie hervorbrachte,
abspiegelt, kennen lernt, als aus ihren eigenen Aufzeichnungen und Briefen,
die zwar sehr fein und anmuthig sind, aber doch nur einige Seiten ihres
Wesens wiedergeben. Sie brauchte darin nie eine leere Phrase, jedes Wort
war beseelt, innig, und ihr aus dem Herzen kommend, und entzückte wohl den
Empfänger, der sie kannte, und gewissermaßen den Duft ihrer Seele darin
empfing, aber die ganze Bedeutsamkeit und Tiefe ihres Innern war daraus
nicht wahrzunehmen. Auch in ihrer Art zu sprechen, konnte sie leicht von
Andern, selbst von solchen, die geistig weit unter ihr standen, überglänzt
werden, denn sie besaß keine Beredtsamkeit, wie zum Beispiel der edle
Möller, und wenn sie sich auch wohl graziös und artig auszudrücken wußte,
so war dies doch nicht das Hervorstechendste an ihr.

Dagegen konnte sie nicht übertroffen werden an seltenem Schönheitssinn, an
Tiefe, Feinheit und Schärfe der Auffassung. Es lag ein Zauber darin,
sich mit ihr über Lebensverhältnisse und über Gegenstände der Kunst und
Literatur zu unterhalten, weil sie mächtig von allem Schönen ergriffen
wurde, und es, wie mit seinen Fühlfäden begabt, überall herausfand; eine
edle Regung in einem Menschen, eine bedeutende Idee in einer Dichtung, eine
Schönheit in einem Kunstwerk entgingen ihrem Auge nie; sie hatte wie einen
sechsten Sinn dafür. Darum war ihr Beifall und ihr Umgang vielen Dichtern
und Schriftstellern so unschätzbar, weil sich in Einem Kopfnicken, in Einem
zustimmenden Lächeln, in Einem leise hingeworfenen Worte _Elisens_ mehr
Verständniß und mehr tiefes Eingehen aussprach, als in mancher geistreichen
und wohlgesetzten Rede eines Andern. So sehr wie alles Hohe, Edle und
Poetische sie anzog, so sehr war ihr alles Rohe und Gemeine in tiefster
Seele zuwider; wenn sie gegen ein Buch, oder einen Menschen ihre Abneigung
erklärte, so konnte man sicher sein, daß etwas Unschönes oder Geringes
an ihm war. Ihr Urtheil war im Ganzen sehr milde, aber durchaus fest und
entschieden; sie ließ sich nie durch fremden Einfluß bestimmen, sondern
schöpfte es nur aus ihrem eigenen Geiste und eigenen Gefühl. Eine Dichtung
würdigte sie nur als solche, allein vom ästhetischen Standpunkt aus, ohne
sich je durch Partheirücksichten dabei beschränken zu lassen. Auf ihre
ganze Umgebung wirkte sie so mächtig, daß Jeder, durch sie angefeuert,
seine edelsten Seiten herauskehrte, und was von Geist und Talent noch als
verschlossene Knospe geruht hatte, ihr gegenüber zur schönsten Blüthe sich
entfaltete.

Hiermit glauben wir einigermaßen angedeutet zu haben, wie sehr _Elisa_
befähigt war, der Mittelpunkt einer anregenden und reizvollen Geselligkeit
zu sein, ein Talent, das leider immer seltener wird, und beinahe zu
verschwinden droht. Sie liebte es, daß man bei ihr vorlas, und dann über
das Mitgetheilte seine Gedanken austauschte. Wir nehmen aus dem Briefe
einer ihrer Freundinnen die folgende Schilderung jener schönen Abende bei
_Elisen_. »Es bestanden damals Abendcirkel bei der geliebten Elise, an
denen sie uns viel, wenn ich nicht sagen will, fast immer Theil nehmen
ließ. Es wurde dann vorgelesen, auch mit vertheilten Rollen, wie namentlich
»Tasso,« zu dem sie auch uns welche zutheilte. Dabei waren Henriette
Paalzow, dann eine würdige, alte, geistreiche Dame, Frau von Aachen, der
alte Consistorialrath Möller, zwei Offiziere, Lieutenant Hoffmann und
Lieutenant Rördantz, und noch einige Andere, so wie überhaupt dieser Cirkel
kein streng abgeschlossener war, und Lützow, so wie noch mehrere
ganz heterogene Elemente, den Thee mit dabei tranken, und darauf in
abgesonderter Unterhaltung und abgerücktem Platze den Abend auf ihre Weise
auch da verlebten. -- Sie, die liebliche Sylphe, mit den treuen, blauen
Augen, den blonden, klaren Locken, den zarten, durchsichtig weißen, feinen
Händen, war die Seele der kleinen Versammlung, und wenn wir uns spät von
ihr trennten, und bei Sternenhimmel und Mondenschein der kleine Schwarm
heimzog, so war es immer noch in Begeisterung und im Nachhall der schönen
Stunden, die wir bei ihr zugebracht, was Eins vom Andern hörte, bis wir
uns allgemach auf dem Heimwege von einander abgetrennt hatten. Das war eine
liebe, unvergeßliche Zeit!« --

Ein seltsames Mißverständniß war es, daß, als im März 1819 Kotzebue von dem
Studenten Sand ermordet worden war, ein ganzer Zug von Münsteranern, die
freilich nicht zum nächsten Umgang _Elisens_ gehörten, zu ihr kam, um ihr,
die sie an allen Dichtern ein so lebhaftes Interesse nähme, wegen dieses
Ereignisses ihr Beileid zu bezeigen. _Elisa_ mußte lächeln, denn grade,
_weil_ sie die echten Dichter liebte, war ihr der rohe und gemeine Kotzebue
immer zuwider gewesen! --

Im Frühjahr 1819 verließ Adele von A. mit ihrem Gatten Münster, um es
gegen Königsberg zu vertauschen. _Elisa_ trat nun mit ihr in eifrigen
Briefwechsel, wie sie überhaupt mit allen ihren entfernten Freunden in
beständiger Beziehung blieb. Sie vermißte Adelens vertraute Nähe;
doch sollte bald darauf eine andere Erscheinung in jenen Kreis voll
Empfänglichkeit für alles Schöne und Gute, voll Geist und Leben treten, und
dieser schönen Geselligkeit einen neuen Reiz geben; es war dies ein junger
Dichter in der ersten Frühlingsfrische seines Daseins, sich des Genius noch
kaum ganz bewußt, der eben erst in ihm seine Schwingen zu regen
begann. Karl Immermann, geboren 1796 zu Magdeburg, war, nachdem er bei
Belle-Alliance den Kampf für das Vaterland mitgekämpft, 1817 in den
Staatsdienst getreten, und nachdem er bis 1819 als Referendar in Magdeburg
und Groß-Aschersleben gearbeitet, als Auditeur nach Münster versetzt
worden.

Der erste Anlaß der Bekanntschaft war ein geschäftlicher. Bei den
verwirrten Vermögensverhältnissen des Grafen Friedrich, erhielt _Elisa_
weder ihr mütterliches Erbtheil, noch die ihr von ihrem Vater verheißenen
Einkünfte ausgezahlt, und in diesen widrigen Angelegenheiten, die sich
jahrelang schon hingezogen hatten, bedurfte _Elisa_ des Raths und der Hülfe
eines Rechtskundigen. Der junge Auditeur schien hiezu vorzüglich geeignet,
und wurde ihr zugeführt.

Gleich bei dem ersten Besuche war dieser von der neuen Erscheinung, die
sich ihm in der reizenden Dame zeigte, wie geblendet und berauscht. Er
hatte bisher in ziemlich engen und beschränkten Verhältnissen gelebt, nie
war ihm eine Frau vorgekommen, die auch nur entfernt an diese heranreichte.
Alle die Eigenschaften, welche wir an ihr geschildert, mußten ihn
unwiderstehlich zu ihr hinziehen; er glaubte das Ideal seiner Träume
verwirklicht zu sehen. Nie hat Tasso mit mehr Bewunderung und Liebe zu der
Prinzessin von Este aufgeblickt, als Karl Immermann zu _Elisen_. Dieser
Vergleich liegt uns um so näher, da _Elisens_ Freunde sie häufig der
edlen Leonore ähnlich fanden; sie hatte dieselbe feine, vornehme Seele, den
milden Ernst, die mondscheinartige Schwermuth, die sanftglühende Innigkeit
wie jene, und die Hoheit ihres Wesens gebot zugleich Scheu, indem sie
anzog.

Immermann hatte wohl schon auf der Universität seine ersten dichterischen
Versuche gemacht, aber hier in Münster erst, in so begeisternder und
fördernder Nähe, erwachte in ihm mächtig die Lust zum dichterischen
Schaffen, und in rascher Folge entstanden in den vier Jahren, welche er in
Münster zubrachte, unter den Augen _Elisens_ die Gedichte »Jung Osrik« und
»das Requiem,« das Lustspiel »die Prinzen von Syracus,« die Trauerspiele
»das Thal von Ronceval,« »Edwin,« »Petrarca,« eine Sammlung Gedichte
und der viel zu wenig bekannt gewordene Roman »die Papierfenster eines
Eremiten,« in dem die Seelenzustände eines feurigen, jungen Herzens mit
großer Wahrheit geschildert sind. Dann dichtete er das Trauerspiel »König
Periander und sein Haus,« das Lustspiel »das Auge der Liebe« und endlich
die feine und geistvolle Novelle, »der neue Pygmalion.«

Er selbst war nicht weniger als seine Freunde erstaunt über diese
plötzliche Productionskraft, die wie ein neues Glück über ihn gekommen war;
in zarten, lyrischen Ergüssen, die er niemand zu zeigen wagte, feierte er
diejenige, welche durch ihre Anregung all diesen Reichthum in ihm geweckt
hatte, und in seine entzückte Dankbarkeit mischte sich der Schmerz, daß sie
ihm so unerreichbar fern stand, noch ferner als Tasso'n Leonore.

_Elisa_ genoß mit reiner Freude diesen Verkehr mit einem jugendlich
strebsamen Geiste, der sich so schön entfaltete. Ihre Gesellschaftsabende
nahmen einen noch lebhafteren Aufschwung als zuvor; oft las Immermann dort
mit seiner kräftigen, wohltönenden Stimme aus Goethe, Kleist, Shakespear
und Calderon vor, und fesselte durch seinen ausdrucksvollen Vortrag;
dazwischen las er seine eigenen Werke, in denen er die Empfindungen seines
Herzens frei ausströmen ließ; die Gespräche, welche sich daran knüpften,
waren für den jungen Dichter von unbeschreiblichem Werth, und besonders
_Elisens_ Urtheil entscheidend für ihn. Seine glänzenden Gaben kamen hier
zur schönsten Geltung; eine eigenthümliche Mischung von scharfem Verstand
und lebhafter Phantasie, eine liebenswürdige Erregtheit, gaben seiner
Persönlichkeit etwas ungemein Gewinnendes.

Adolf Stahr, in seiner vortrefflichen Biographie Immermann's, schildert uns
den Dichter, wie er ihn gesehen, als er bereits in den Vierzigen war, von
mittler Größe, aber stark und kräftig gebaut, eine gedrungene, antike,
römische Gestalt mit breiter Brust und starken Schultern, wie einer der
alten Imperatoren. »Eine breite, hohe majestätische Stirn,« sagt Stahr
weiter, »von dem starken, dunkeln, schon hier und da in's Graue neigenden,
schlichten Haare mäßig beschattet, spiegelte eine gehaltene Hoheit und
Ruhe, welche durch die kräftig geschlossenen Lippen und das scharf und
tief blickende Auge zu dem Charakter strengen Ernstes und fester
Entschlossenheit gesteigert wurde.« Damals jedoch, wo _Elisa_ Immermann
kennen lernte, war er dreiundzwanzig Jahre, schlank und jugendfrisch, ein
poetischer Schmelz verklärte seine Züge, und aus den dunkeln, herrlichen
Augen strahlte Geist und Leben.

In dem Freundeskreis, der _Elisen_ umgab, mußte sie umsomehr Trost suchen,
da die Betrachtung der allgemeinen Zustände wenig Erfreuliches hatte.
Man mußte sich eingestehen, daß die Hoffnungen, welche man auf den
Befreiungskrieg gesetzt, nicht in Erfüllung gegangen waren, dem Aufschwung
war eine Erschlaffung gefolgt, die verheißenen Freiheiten nicht gewährt
worden; die Lützower besonders waren unzufrieden, und hatten Ursache es
zu sein, da man sie eher zurücksetzte, als nach Verdienst anerkannte.
-- Lützow war oft verstimmt, und fühlte sich gekränkt, Friedrich von
Petersdorff, den die Gegenwart so wenig befriedigte, daß sein sehnlichster
Wunsch dahin ging, sich einmal mit seiner Familie in die tiefste Stille
auf's Land zurückziehen zu können, schrieb aus Memel klagend an _Elisen_:
»Seit Friesen nicht mehr ist, sind Sie die Einzige, mit der ich die
alten Zeiten mit den neuen vergleichen kann. Das Ideal, das uns damals
vorschwebte, worauf wir mit graden Schritten loszugehn glaubten, das wir zu
erreichen gewiß hoffen konnten, ist nicht allein weit entfernter von uns,
sondern sogar jede Hoffnung es zu erreichen verschwunden. -- Meine Idee
von der Menschheit Glück ist noch dieselbe wie damals in Breslau, wo die
Unterhaltung mit Ihnen darüber mir viele herrliche Stunden bereitete, doch
bald nachher, noch in den ersten sechs Monaten, fand ich, daß meine Idee
nur Wenige ansprach, und ich zog mich in mich selbst zurück, und ließ
geschehn was ich nicht ändern konnte, ohne weiter Theil zu nehmen an dem,
was geschah. -- Wenn wir uns zu Zeiten einige Stunden sprechen könnten,
dann wäre ich ganz glücklich, Elisa! Denn das ist, was mir hier ganz fehlt,
ein Freund oder eine Freundin aus jener Zeit der glücklichen Ideenwelt. Die
Zeit ist nun ganz vorüber, der schimmernde Stern verlosch schnell, so sehr
schnell und bald, daß er nur ein schönes Traumgesicht gewesen, aber Sie,
theuerste Elisa, sahen mit mir den Stern hell leuchten, und seine Strahlen
werden unsre Herzen bis in den Tod erwärmen.« --

_Elisa_ fühlte mit dem Freunde, daß die damaligen Zeiten verklungen waren,
hatte aber doch wirksame Worte des Trostes für ihn, auf die er erwiederte:
»Ihre Freundschaft macht mich unendlich glücklich, sie giebt meinem Leben
einen goldenen Schein der freudigsten Phantasie, durch den ich immer
in jenen Zeiten erhalten werde, wo die Hoffnungen zur Erreichung einer
allgemeinen Beglückung uns beseligten. Durch das Andenken an jene Zeit,
in welcher mir Ihre Freundschaft zuerst zu Theil wurde, schwindet die
allgemeine Gegenwart, und jeder Brief von Ihnen überzeugt mich, daß,
obgleich werthlos für's Allgemeine jene Zeit hinabgesunken, ist mir doch
ein köstlicher Juwel -- Ihre Freundschaft geblieben. Manchmal scheint es
mir, als hätte ich in voriger Zeit geträumt, dann denke ich an Sie, an die
hohe Begeisterung, die sich in Ihnen aussprach, und ich fühle mich wieder
in die Wirklichkeit versetzt, die Ueberzeugung gewinnt neue Stärke in mir,
daß, wenn ich es auch nicht erlebe, doch einmal gewiß die Zeit der
Wahrheit kommen wird. Ihr Blick strahlte diese Zuversicht in mein Herz,
die unveränderliche Verehrung für Sie wird sie mir bis an das Ende meines
Lebens erhalten!« --

Von allen Seiten trafen _Elisen_ in jener Zeit betrübende Eindrücke.
Von ihrem Vater erhielt sie nur wenig Nachrichten; er war ihr um so mehr
entfremdet worden, als er sich schon vor längerer Zeit mit einer Frau
verheirathet hatte, die an Stand, Alter und Erziehung sehr verschieden von
ihm und wenig seiner würdig war. -- Lützow's Bruder Wilhelm verlobte
sich Ende 1819, und _Elisa_ konnte sich dabei einer stillen Wehmuth nicht
erwehren, weil sie richtig vorausfühlte, daß die künftige Gattin für den
Schwager wenig passen, und ihn schwerlich befriedigen würde; doch konnte
sie damals noch nicht ahnen, daß jene dazu bestimmt war, später ihre eigene
Stelle einzunehmen! --

Im Jahre 1820 trafen von Johanna Motherby beunruhigende Briefe ein; die
leidenschaftliche Frau hatte ihren Gatten und ihre beiden Kinder verlassen,
um dem jungen Arzte _Johann Friedrich Dieffenbach_ nachzureisen, von dessen
eigenthümlich gewinnender Persönlichkeit sie in dem Grade bezaubert war,
daß sie glaubte, nicht ohne ihn leben zu können. Viele ihrer Freunde
wandten sich in Mißbilligung und Tadel von ihr ab, _Elisa_ aber, die ganz
andere Begriffe von Freundschaft hatte, bewahrte ihr nur um so treuer
ihre Anhänglichkeit, und erwies sich ihr um so eifriger hülfreich und
antheilvoll, da sie die Arme bedauerte, und dabei fürchten mußte, daß das
neue Verhältniß ein unglückliches Ende nehmen würde.

Ein Vetter _Elisens_ aus Dänemark kam zum Besuch zu ihr, um sich in ihrer
Nähe Trost und Zerstreuung zu suchen gegen häusliche Verdrüsse, da er
im Begriff war, sich von seiner Frau scheiden zu lassen. Auch Henriette
Paalzow lebte in sehr unglücklicher Ehe.

So sah _Elisa_, Adele von A. ausgenommen, die in sehr beglückenden
Verhältnissen lebte, rings um sich her lauter unglückliche Ehen! --

Eine Reise, die sie mit Lützow an den Rhein machte, dessen poetische Ufer
sie sehr liebte, gab einige angenehme Zerstreuung.

Im Herbst dieses Jahres bezog sie mit Lützow das Wittig'sche Haus
in Münster, ein ehemaliges Kloster, welches jetzt zur Dienstwohnung
eingerichtet war. Die äußeren Mauern des alterthümlichen Gebäudes waren mit
Statuen von Heiligen und anderer Schnitzarbeit verziert. Die inneren
Räume sahen ernst und feierlich aus; die hohen Fenster, die mächtigen
Flügelthüren hatten etwas Schloßartiges; _Elisa_ erschien darin wie eine
Ritterdame aus der alten Zeit. Sie besaß ein besonderes Talent, sich ihre
Zimmer mit Sinn und Geschmack auszuschmücken. Man glaubte in eine schönere
Welt zu gelangen, sicher in eine, in der ein guter Genius waltete, wenn
man ihre Wohnung betrat. Dort lebte sie unter Blumen, Büsten, Büchern und
Bildern, umgeben von ihren Vögeln und Hunden, unter denen der große, schöne
Hector, vom Schlachtfeld von Belle-Alliance, eine Hauptperson war, meist
entweder an ihrem Schreibtisch oder dem Stickrahmen beschäftigt, oder auch
lesend. Die holde Freundlichkeit, mit der sie jeden Besucher empfing, hatte
darum etwas so Herzgewinnendes, weil sie aus dem Herzen kam.

Einen zu ihrer Wohnung gehörenden Garten besorgte _Elisa_ selbst wie eine
Gärtnerin, und die Blumen und Gesträuche gediehen auf das schönste unter
ihrer Pflege; eine schattige Weinlaube vereinigte oft den Freundeskreis,
der sie umgab. Immermann erschien auch oft allein, da _Elisa_, die des
Englischen sehr kundig war, ihm in dieser Sprache Unterricht ertheilte;
in artigen, englischen Billetten schalt sie ihn aus, wenn er nicht
fleißig genug war, und er entgegnete ihr darauf in scherzhaften englischen
Gedichten. Ein deutsches Gedicht Immermann's aus jener Zeit an _Elisen_
theilen wir mit, das, am Todestage ihrer Mutter verfaßt, sie in zarter
Weise über diesen Verlust zu trösten sucht. Es lautet:

  Die Blumen an eine trauernde Tochter, am 30. März.

  Der fromme Schmerz zieht seine Nebelschleier
  Vor Deiner Augen himmelvolle Sterne,
  Ach, einer theuren Todten gilt die Feier,
  Die Wehmuth naht, Du hegst die Wehmuth gerne,
  Nun lichtet sich der Blick, nun wird er freier,
  Es dringet Sehnsucht in die weitste Ferne --
  Allein ermattet sinkt die Seele wieder
  Auf jenem öden dunkeln Grabe nieder.

  Da treibt es _uns_, von unten aufzubringen
  Uns selbst zu Dir, und Trost zu Deinem Leid!
  Wir möchten Dir zu Brust und Herzen dringen
  Mit tiefster Treue ganzer Innigkeit!
  Uns hat ein Gott in seiner Liebe Ringen
  Zu frohen Boten immerdar geweiht:
  Daß Leben schlägt und glüht an jedem Orte,
  Und daß der Tod ein Wort, wie andre Worte.

  Denn lagen wir nicht dürftig eingefaltet
  Und stumm und bang in unserm kleinen Grabe?
  Denn waren wir nicht ganz und gar erkaltet,
  Vom feuchten Frost in unserm schaur'gen Grabe?
  Hat nicht das Schweigen räthselvoll gewaltet
  Auch über uns, auch über unserm Grabe?
  Nun sieh, wie dennoch Wärm' und Licht verbündet,
  Zu Farb' und Duft uns wunderbar entzündet!

  Und Farb' und Duft, sie wünschen auszusagen
  Die eine unbegreiflich hohe Kunde!
  Doch weil das Siegel unsre Lippen tragen,
  Küßt Ahnung nur sie still von Blumenmunde,
  Die Welt hat keine Zeit zu Schmerz und Klagen,
  Der reichste Segen keimt aus schwerster Wunde.
  Wir täuschen nicht! Das ist nicht eitel Wähnen!
  Die _Mutter_ trocknet Dir durch und die Thränen.

Auch die folgenden Verse Immermann's gehören hierher:

  Nicht immer füllen
  Die schwebenden Horen
  Den Becher der Freude
  Mit frischem Wein!

  Dann geh zum Born
  Der heil'gen Erinnrung
  Und trinke Dir Muth
  Für heut' und morgen!

Im Herbst 1821 reiste _Elisa_ mit Lützow nach Berlin, wo sie alte Freunde
und Bekannte wiedersahen. Im Anfang des folgenden Jahres kam Johanna
Motherby nach Münster, und ihr scharfer Blick entdeckte bald die heftige
Neigung Immermann's, die er bisher möglichst zu verbergen gesucht hatte,
und die _Elisa_ noch nicht in ihrem ganzen Umfang ahnte. Hier wären
zwei Menschen, die für einander bestimmt seien, äußerte Johanna in ihrer
lebhaften Weise, und beklagte, daß die Verhältnisse sie trennten. Sie
selbst war damals von den leidenschaftlichsten Empfindungen zerrissen,
die durch die Trennung von ihren Kindern, und die mancherlei Hindernisse,
welche ihrer Verbindung mit Dieffenbach noch im Wege standen, veranlaßt
wurden.

Lützow's Ernennung zum General, die im Jahre 1822 erfolgte, brachte in
_Elisens_ Verhältnissen keine Veränderung hervor.

Wir haben schon früher erwähnt, daß die Charaktere von Lützow und _Elisen_
eigentlich wenig zu einander paßten, doch hatte letztere immer in dem
Gedanken Beruhigung gefunden, daß sie an ihm einen treuen Freund besäße,
der ihr von ganzem Herzen ergeben sei. Um so mehr wurde sie betroffen, als
Lützow eines Tages mit einem alten Kriegskameraden plaudernd im Garten
saß und in ihrer Gegenwart darauf die Rede kam, daß Lützow, der anwesende
Freund und noch zwei andre Offiziere sich als junge Leute verabredet
hatten, sie wollten alle darauf ausgehen, reiche Frauen zu heirathen. Es
wurde davon ganz offenherzig und in etwas derben Scherzreden gesprochen und
zugleich erwähnt, daß keiner von den Vieren sein Ziel erreicht habe, denn
zwei blieben unvermählt, und die andern beiden waren in ihren Erwartungen
getäuscht worden, indem sie mit ihren Gattinnen nicht so bedeutendes
Vermögen erhielten, als sie vermutheten. Zu diesen Letzteren gehörte auch
Lützow, da ja _Elisen_ das ihr gebührende Vermögen vorenthalten war.

Wie ein Stich in's Herz traf sie diese Entdeckung! Daß solche Motive bei
Lützow's Bewerbungen mitgewirkt, wie hätte sie das je ahnen können! Und
hier hörte sie von ihm selbst dieses Geständniß, ohne Rückhalt, wie einen
lustigen Spaß, der niemand verletzen könne! -- Welche andre Illusionen
hatte sie gehegt, als sie bei ihrem Vater so treu und beständig diese
Verbindung durchgesetzt! So jung, so schön, so liebenswürdig und begabt,
und doch um des Geldes willen geheirathet! -- Eine so schmerzliche
Täuschung war schwer zu überwinden. --

Wir würden Lützow Unrecht thun, wenn wir glauben wollten, daß nur ein
solcher Beweggrund ihn hätte _Elisen_ erwählen lassen, gewiß erkannte
er ihre edlen Eigenschaften, aber schlimm genug blieb es immer, daß ihr
Reichthum eine so große Rolle dabei gespielt. Johanna Motherby und Adele
von A. scheinen die Einzigen gewesen zu sein, denen _Elisa_ ihr Leid
anvertraute. Tröstend schrieb ihr die Letztere, den 16. November 1822:
»Wehre dem Trübsinn! Fühlst Du es nicht, wie Dein eigentliches Sein und
Wesen gewiß nur beglückt und darüber jegliches andere Gut, das doch nur der
bloßen Existenz wegen zu berücksichtigen bleibt, gänzlich davon abfallen
muß. Traute Elise, sei doch froh! -- In _Dir_ liegt ein reicher Schatz, Du
hast der köstlichen Gaben so viele -- und Du beglückst!« --

Im Sommer 1823 machte _Elisa_ mit Lützow eine Reise nach Bremen, bei
welcher Gelegenheit sie ihre alte Erzieherin wiedersah; diese wohnte
seit längerer Zeit in Hamburg und war ihrem geliebten Zögling bis nach
Rothenburg entgegen geeilt. Wie sehr Marianne Philipi _Elisen_ schätzte,
geht unter anderem aus der folgenden Briefstelle hervor: »Auch Du, meine
gute, fromme, sanfte Elisa, kannst hoffnungs- und vertrauungsvoll in die
Zukunft blicken, denn Du hast viel geliebt, viel gelitten, viel geduldet.
Das Geschick, indem es meine Kindheit und Jugend durch rauhe Wege führte,
verfuhr ernst mit mir, wodurch sich jedoch manches in meinem Innern
glücklicher für mich entwickeln mußte. Wenn die Vorsehung aus uns
unbegreiflichen Absichten einen andern Weg mit Dir ging, wer darf sich
erkühnen, sie zu tadeln? Auf den Händen der Liebe in Deiner Kindheit
getragen, von den Menschen und dem Glück geliebkoset, verzärtelt, Dir
unbewußt von tausend Gefahren umringt, mußte das Leben eine ganz andre
Gestalt gewinnen, die Täuschungen des schönen Frühlingsalters Dir erst
später entschwinden. Setze mich in Deine so vortheilhaft scheinende Lage,
ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, aber gewiß keine sanft duldende,
genügsame Elisa.« --

Das Jahr 1824 brachte nur düstre und verhängnißvolle Ereignisse. _Elisens_
Vater, welcher trotz aller Bedrängniß seiner Vermögensangelegenheiten
sein vergnügungssüchtiges Leben unverändert fortsetzte, war bei einer
Gesellschaft, die er am Geburtstage des Königs von Dänemark bei sich
vereinigt hatte, von einem Nervenschlag betroffen worden, und man mußte
ihn bewußtlos von der Tafel forttragen; er erholte sich zwar wieder,
jedoch sehr langsam. Von seiner zweiten Gattin hatte er sich bereits wieder
getrennt.

Nun war auch der Zeitpunkt gekommen, wo Immermann Münster verlassen mußte,
da er als Kriminalrichter nach seiner Vaterstadt versetzt wurde. Mit
schwerem Herzen schied er aus _Elisens_ Nähe, gegen die ihm das prosaische
Magdeburg einen traurigen Contrast bieten mußte. Er sollte von dort aus
einen Theil von _Elisens_ dänischen Vermögensangelegenheiten weiter führen,
außerdem aber hatten sie ausgemacht, daß sie sich wöchentlich schreiben
wollten, und sich alles Interessante mittheilen, was ihnen begegnete. Wir
geben im Anhang Immermann's Briefe aus Magdeburg, die uns den Dichter in
frischer Jugendlichkeit zeigen, und schon jene Lust an der Poesie und
jene feine Beobachtung der Schauspielkunst bekunden, die er später so
entschieden an den Tag legte. Außerdem tritt uns in diesen Briefen deutlich
sein Verhältniß zu _Elisa_ vor die Augen, eine zarte Neigung, welche
niemals wagt, über die Gränzen eines freundschaftlichen Gedankenaustausches
hinauszugehen.

Grade in jene Zeit, als dieser Briefwechsel zwischen Immermann und _Elisen_
stattfand, fiel ein Ereigniß, welches letztere schmerzlich aufregte.
Lützow, der leicht von unbedeutenden und koketten Frauen angezogen wurde,
hatte die Bekanntschaft einer jungen reichen Dame gemacht, welche ihm
außerordentlich gefiel, und deren Neigung er sich versichert zu haben
glaubte; in seiner Schwäche und verliebten Verblendung ging er sogar so
weit zu äußern, daß er hier ein Glück vor sich sähe, das ihm über alles
werth sei.

_Elisen_ war es nie in den Sinn gekommen, sich von ihrem Gatten zu trennen;
trotz der bittern Enttäuschungen, die ihr durch ihn geworden, hielt sie
das Band, welches sie an ihn knüpfte, für ein unauflösliches. Als sie aber
seinen Wunsch vernahm, jene junge Dame heirathen zu können, erklärte sie
sogleich, sie wolle seinem Glücke nicht entgegen sein, und sich von ihm
scheiden lassen. Lützow war gerührt von solcher Großmuth und Entsagung,
aber so sehr erfüllt von dem Reiz des neuen Verhältnisses, welches er vor
sich sah, daß er _Elisens_ Vorschlag annahm.

Kein hartes, leidenschaftliches Wort fiel zwischen den Gatten vor; es
wurde alles mit äußerer Ruhe und Würde besprochen und überlegt; Lützow
bat dringend, daß _Elisa_ immer seine Freundin bleibe, daß sie einen
fortwährenden Briefwechsel unterhalten möchten, daß sie ihm erlaube auch
ferner, wie er es bisher gethan, sich um ihre Geschäfte in Dänemark zu
bekümmern.

_Elisa_ hatte keinen Augenblick geschwankt, Lützow seine Freiheit
anzubieten, aber sie litt tief dabei, sie sah sich plötzlich verlassen und
heimathlos, und so fest, wie ihr Entschluß stand, fortzugehen, so wußte sie
doch noch nicht, wohin sie sich wenden sollte. Ihr Leid einstweilen still
in sich verschließend, scheint sie es damals noch keinem ihrer Freunde
mitgetheilt zu haben, und auch Immermann, ohne zu ahnen, was vorgegangen,
schrieb ihr noch lange unbefangen und harmlos wie bisher. Erst als sie
beschlossen hatte vorerst nach Dresden zu gehen, wo ihre Freundin Henriette
Solger als Wittwe lebte, scheint sie ihm über diese Absicht und die Ursache
derselben einige unbestimmte Andeutungen gemacht zu haben, wie aus seinen
Briefen zu ersehen ist. Bald darauf gerieth Immermann durch die nähere
Mittheilung von dem Schicksal der geliebten Freundin in die größte
Aufregung; so sehr, wie er sie bedauerte, so hoffnungsvoll machte ihn
zugleich der Gedanke, daß sie bald frei sein würde; er schrieb ihr voll
Herzlichkeit, aber doch mit zarter Furcht, sie durch dringende Fragen zu
verletzen.

Gegen die Mitte des Augusts reiste _Elisa_ von Münster ab, nicht ohne
Wehmuth einen Ort verlassend, an dem sie manche Freude, aber auch vielen
Kummer erlebt hatte. In Dresden wollte sie außer Henriette Solger wenig
Menschen sehen, da sie nach Einsamkeit und Stille verlangte; doch ließ sie
sich von ihrer Freundin bei _Ludwig Tieck_ einführen, wo er selbst sowohl
als seine Familie und die Gräfin _Finckenstein_ ihr auf das freundlichste
entgegenkamen.

Wie sehr Lützow von _Elisens_ Abreise erschüttert war, möge der folgende
Brief beweisen, den er ihr von Münster den 26. August 1824 schrieb: »Meine
ewig geliebte Elise! Glücklich -- nein unglücklich bin ich hier angekommen,
und habe freilich alles -- nur Dich nicht gefunden. -- Besonders vermißte
ich die Dir lieben kleinen Gemälde von Solger, seiner Frau, Friesen und
Wilhelm -- da sie Dir theuer sind, haben sie für mich einen hohen Werth,
und krampfhaft fahre ich zurück, wenn ich die leeren Plätze sehe. -- Hector
ist viel bei mir, und freute sich mehr, mich wiederzusehen, als er sonst zu
thun pflegte, -- er stieß mich mit der Schnauze und forderte Dich von
mir. -- Ein altes holsteinisches Schaustück, was ich zum Block an dem Tage
unserer Hochzeit gebraucht, findet sich auch wieder vor und macht einen
tiefen Eindruck auf mich. -- Unser Platz im Garten ist beinah wie eine
Laube zusammengewachsen, die Leute machen die Stege rein, und fast möchte
ich böse werden und fragen für wen? -- Neulich war ich bei G.'s in Loburg,
es war Vogelschießen, ich erschien unerwartet und wurde ungewöhnlich
freundlich aufgenommen; ich wollte in dieser Gesellschaft, die Dich so sehr
liebt, auf Dein Wohl trinken, ich vermochte es aber nicht, denn Thränen
würden mich erstickt haben; nur von der lustigen Stimmung der Gesellschaft
konnte meine innere Bewegung unbemerkt bleiben. -- Mein Urlaub nach
Kopenhagen ist angekommen. Auf jeden Fall erwarte ich vor der Abreise noch
ein Schreiben von Dir und schreibe noch einmal an Dich. Hast Du die Solger
wohl gefunden, bist Du ein wenig froh? Sei es ja -- und sei fest überzeugt,
daß Dein Glück mein höchster Wunsch ist, und unter allen Umständen bleiben
wird, sei offen und wahr gegen mich, ich werde es auch sein, denn es ist
nun einmal meine Natur so zu sein. -- Lebe ein wenig vergnügt und schreibe
bald an Deinen Dich herzlich liebenden Mann Lützow.« --

Nachdem er seine Reise nach Kopenhagen, die er in ihren Angelegenheiten
machte, beendet, schrieb er ihr aus Münster, den 26. Oktober 1824,
nachstehende Zeilen, in denen sich bereits die Reue über sein Betragen
lebhaft ausspricht: -- »Schlüsser hat Immermann gesprochen; des ersteren
Brief hat mich einigermaßen über Dein künftiges Schicksal beruhigt. --
Deine Zufriedenheit wünsche ich von ganzem Herzen, diese zu befördern, ist
mein höchster Wunsch, meine heiligste Pflicht; unendlich fühle ich, daß
ich nicht immer so gehandelt habe, wie ich gesollt, aber die unglücklichen
Geldverhältnisse am Anfang unserer Verbindung, Vaterlandsliebe und Ehrsucht
zogen mich aus dem häuslichen Verhältniß störend in eine äußere Welt. --
Mit Thränen bereue ich die Art und Weise, wie ich Dich von Aachen in Kleve
eingeführt habe. Vergieb mir! -- Nun noch eine Bitte; laß Dich von dem
besten Maler in Dresden malen -- es koste, was es wolle, mir ist kein Preis
zu hoch -- und schicke mir Dein Bild, Dein ewig unvergeßliches Bild! --
Schlüsser wird Immermann in Magdeburg besuchen; ich erwarte ihn mit großer
Bewegung. -- Lebe wohl, glücklich, und gedenke Deines treuesten Freundes
mit Güte und Freundschaft. Adolph.« --

Wie sehr das Andenken an _Elisen_ Lützow ergriff, zeigt ein Schreiben von
Wilhelmine von G. an _Elisen_, aus Loburg, den 29. Oktober 1824, die,
noch nicht ahnend, daß _Elisa_ von Münster für immer abgereist sei, sich
folgendermaßen äußert: »Ehe Lützow wegreiste, theilte er uns immer mit, wie
es Dir ging, er vermißte Dich unendlich, dies war aus allem zu merken, er
war immer ganz ergriffen, wenn er von Dir sprach, so daß ich scheute nach
Dir zu fragen, auch jetzt, als er nach Hamburg kam, war er ganz glücklich,
von mir zu hören, daß Du wohl wärest, und er war kaum im Zimmer, als
er fragte: »Was schreibt Elise? Ist sie vergnügt?« Ich konnte nicht
unterlassen, ihm Deinen Brief vorzulesen; am Ende sagte er: »Nicht wahr,
sie ist vergnügt und wohl?« Nun, Du kennst ja seine Art, wenn ihn etwas
sehr interessirt; er war ganz weich und sprach immer über Dich mit vieler
Liebe, ich hätte ihn dafür küssen können. Zwar zweifelte ich nie an seiner
Liebe zu Dir, denn wer Dich kennt, muß Dich lieb haben, aber an Lützow
sucht man so tiefe Empfindungen nicht, er gewinnt, je mehr man ihn sieht,
er hat ein herrliches Gemüth, und bei mir hat er den Vogel abgeschossen,
nun ich sehe, wie wahrhaft er Dich liebt und jetzt vermißt. Deine
Gesundheit haben wir oft getrunken, und Lützow brachte sie immer aus.« --

Von Lützow's Gemüthsstimmung geben die folgenden, auf einer Dienstreise
geschriebenen Zeilen ein deutliches Bild: »Meine herzlich geliebte, höchst
seltene Elise! Mir geht es unter Pferden, Kuirassieren und Husaren viel
besser als es sein sollte! -- Nur selten schleiche ich fort, und Thränen
müssen meinem zerrissenen Herzen in diesem Augenblick Luft machen. -- Nicht
was die Zukunft bringen wird, bekümmert mich, denn das fühle ich, daß Dein
Glück _möglichst_ zu befördern, meine _heiligste_ Pflicht ist, -- aber wie
habe ich Dich schon gequält, wie quäle ich Dich noch in diesem Augenblick,
-- Deine zarte Gesundheit, wie habe ich sie nicht untergraben! -- Schreibe
mir doch ja mit der zurückkehrenden Ordonanz, wie Du Dich befindest,
und tröste den, der _ohne Ausnahme_ in dieser Welt Dein treuester Freund
ist.« --

Unterdessen war die Scheidung der beiden Gatten eingeleitet, und ihre
Trennung konnte nun niemand mehr ein Geheimniß bleiben; Freunde und
Verwandte geriethen dadurch in Sorge und Bestürzung. Lützow's Schwester,
die Gräfin _Minona von Dohna-Wundlacken_, schrieb im ersten Schrecken
darüber, nicht an ihren Bruder, sondern an _Elisen_ zu der sie ein
unbegränztes Vertrauen hatte; ihr Brief aus Köslin, den 22. Dezbr. 1824,
zeigt wie sehr sie die Schwägerin liebte und anerkannte. Es heißt darin:
»Ich höre durch Briefe meiner Brüder, die ich eben empfange, Du seist noch
in Dresden, es wäre auch möglich Du kämest nach Berlin. Zu gleicher Zeit
giebt man mir Nachrichten von Gerüchten, welche mein Herz zerreißen, und
mit innigem Schmerz und Betrübniß die Seele erfüllen. Ein dichter Schleier
umhüllt noch das Ganze, nur mit banger Besorgniß bin ich befangen, ich
bitte Dich um Gotteswillen, reiße mich aus dieser tödtlichen Ungewißheit;
mein treuer Dohna theilt meinen Jammer, er bittet mit mir, Dich doch uns
anzuvertrauen, und doch recht treu und wahr Dich gegen mich auszusprechen;
Du weißt ja, meine theure, einzige Elisa, wie innig ich Dich liebe, schätze
und verehre, Du weißt, daß ich nicht einseitig denke, Du weißt, wie ich
Dein Verhältniß mit Adolph kenne, und wie ich es beurtheile -- Du weißt,
wie sehr wir Alle Deine Vorzüge und herrlichen Eigenschaften zu schätzen
wissen, Du weißt, wie hoch ich Dich stelle, und wie ich Dein vorzügliches
Benehmen gegen Adolph zu würdigen wußte. Ich weiß, daß Dir der Himmel in
den Jahren Deiner Verbindung mit Adolph harte Prüfungen und ein schweres
Loos auferlegte, mit Bewunderung sah ich, wie schön, zart, liebevoll
und nachsichtig Du das Band hieltest, welches ich durch gegenseitiges
Reiferwerden immer fester geknüpft glaubte; was kann Euch lieben Menschen
bewegen, bestimmen, ein Band zu lösen, eben jetzt, wo, jemehr man in die
Zukunft blickt, Ihr Euch immer mehr und mehr bedürfet? Ich bin trostlos
über die Möglichkeit dieses Gedankens! Kleine Verirrungen, unbedeutende
Mißverständnisse können doch nur die Veranlassung zu demselben gegeben
haben! Ich bitte Dich himmelhoch, geliebte Elisa, überlege diesen wichtigen
Schritt; könntest Du glücklich, ruhig und zufrieden werden? Gedenke doch
der Zeit, wo Du Dich Deinem Manne mit so vieler Aufopferung hingegeben
hast, wie Du ihn liebtest und bewundertest! Sollte der Arme nicht mehr
derselbe sein? Sollte er Dich jetzt nicht mehr verdienen, Deiner nicht mehr
würdig sein? Wolltest Du ihn verlassen, da Ihr endlich im Hafen der
Ruhe seid, und so glücklich leben könnt? -- Zwei so edle Naturen, so
ausgezeichnet, und ich möchte sagen, doch für einander geschaffen!
Geliebte, einzige Elisa, flehentlich bitte und beschwöre ich Dich, sag' mir
ein tröstliches Wort, und gieb mir Klarheit. -- Schreibe mir doch gleich,
und halte Dich der treuesten, unwandelbarsten Gesinnungen überzeugt, mit
welchen ich ewig bin und sein werde, Deine treue, Dich innig liebende
Minona.« -- Alle, welche in die näheren Verhältnisse eingeweiht waren,
erkannten _Elisens_ uneigennützige Handlungsweise und bedauerten sie,
während sie Lützow's Benehmen mißbilligten. »Du hast edel gehandelt, meine
Elisa,« schrieb ihre Jugendfreundin Fanny Harward, »und so wie ich es von
Dir erwarten konnte. Du hast das größte Opfer gebracht, welches eine Frau
bringen kann, Du hast alle Befriedigung und Dein ganzes häusliches Glück
aufgegeben, um das Glück dessen zu sichern, der vierzehn Jahre der Gefährte
aller Deiner Sorgen und Freuden war. Der große, uneigennützige Charakter
meiner Elisa erscheint mir in einem noch höheren Glanze als bisher, während
der von Lützow, ich kann es nicht läugnen, in meinen Augen gesunken ist.
Es ist unbegreiflich, daß er ein solches Opfer annehmen, daß er sich
entschließen konnte die Gattin seiner Jugendtage, die Erwählte seines
Herzens freiwillig ihr Glück opfern zu lassen, um das seinige zu sichern.
Wäre er noch in dem Alter jugendlicher Leidenschaften, so dürfte man ihn
eher entschuldigen, aber er ist ein Mann, der mehr als vierzig Sommer
dahinschwinden sah, und im Stande hätte sein müssen, eine Leidenschaft zu
beherrschen, die so schnell eine schuldige wurde. Er hätte sich bestreben
müssen, sie in ihrem Beginn zu ersticken, anstatt sein, Dein und _ihr_
Glück auf's Spiel zu setzen.« --

Liest man die Briefe von Lützow, so wird man versöhnt durch seine Reue;
er schrieb an _Elisen_ aus Münster, den 24. Februar 1825: »Wenn ich lange
nichts von Dir erfahre, wird mir immer so bange. -- Eine Veränderung des
Aufenthalts wünsche ich mir sehr, und denke sie zu erhalten. -- Dein Glück
ist mein einziger Wunsch, wenn ich weiß, daß Du es bist, habe ich meine
Ruhe wieder, meine zerreißenden Gewissensbisse schweigen, denn ich bin
zu wahr, um mich selbst zu betrügen. -- Aus Mitleid gegen mich sei
glücklich!« --

Adele von A., die liebevolle, zärtliche Freundin, schrieb _Elisen_ aus
Keimkallen, den 24. Februar 1825: »Ich hatte, wie Du es vermuthest, schon
etwas von dem gehört, was Du mir nun selbst geschrieben. Mein Herz war mit
großer Betrübniß erfüllt, und ich konnte es nicht glauben, was das Gerücht
sagte -- nun ist es dennoch wahr! -- Ach, denke es doch nicht, Geliebte,
daß dieser Schritt, den Du gethan, uns bewogen hätte, lieblos über Dich
zu urtheilen. Auch nicht einen Augenblick! Wir kennen ja Dich, und Du
hast gehandelt nach langen Kämpfen und bester Einsicht. -- Mir ist es sehr
wehmüthig, wenn ich daran gedenke, und die Versicherung, die Du mir giebst,
daß Deinerseits kein anderer Grund ist, als der, den Du nennst, und den
ich von ganzem Herzen ehre, giebt mir einen großen Trost, und eine rechte
Freudigkeit. Du liebe Elise, wenn dies doch klar und deutlich der Welt vor
Augen stehen könnte, was Dich bewogen -- und Du verbietest es zu nennen!
Ich erkenne darin Dein edles Herz. -- Wie ist es denn mit Lützow, und
ist er noch in Münster? Und glaubst Du, daß er hoffen darf, und es auch
wirklich seine Absicht ist, das Ziel seiner Wünsche zu erreichen?« --

_Elisens_ Onkel, von Hedemann-Heespen, bat sie sogleich zu ihm auf sein Gut
zu kommen, und ganz bei ihm zu leben. Zugleich schrieb er ihr bei dieser
Gelegenheit aus Deutsch-Nienhof, den 1. März 1825: »Nicht leicht hätte eine
traurige Nachricht mir unerwarteter kommen können, als wie die, die Du,
meine beste Elisa, mir mitgetheilt hast. Auch nicht die entfernteste Ahnung
habe ich von einem solchen Stand der Dinge zwischen Dir und Lützow gehabt.
Wie wäre dies auch möglich gewesen, keinem Andern wie Dir selbst, würde ich
es geglaubt haben. Noch immer kann ich den Gedanken nicht fassen, und mir
als möglich denken. Ein Mann wie Lützow, der über die Jahre der Jugend
hinaus ist, der nach allen seinen Aeußerungen ein so richtiges Gefühl
von Ehre besitzt, der einen so Zutrauen einflößenden, offnen und
biedern Charakter zu haben scheint, ein solcher Mann könnte eine solche
unwiderstehliche Leidenschaft für eine Andere fassen, daß er seine Frau,
die seine eigne Wahl ist, mit der er bereits vierzehn Jahre glücklich
gelebt, die ihm keine Veranlassung zu Mißverhältnissen gegeben, ohne allen
andern Grund verstoßen könnte, als um eine Leidenschaft zu befriedigen, der
Welt auch solches ärgererregendes Schauspiel, als eine Ehescheidung ist,
zu geben. Mit kaltem Blut könnte dieser Mann seine Frau, die er doch früher
geliebt, unglücklich machen und wissen? Die ganze Sache ist mir wie ein
unglücklicher Traum, von dem mir die Wirklichkeit ganz unmöglich scheint.
Was hast Du gute, arme Seele, denn verbrochen, daß das Schicksal Dir so
hart mitspielt, daß Du, die Du so viele Erwartungen von der Welt zu hegen
berechtigt warst, nun isolirt und verlassen darin stehen sollst? Ich
bedaure Dich von ganzem Herzen, meine beste, gute Elisa, und um so mehr,
da Du nach Deinem Briefe Lützow noch zu lieben und zu achten scheinst. Hast
Du, gute, liebe Seele, Dich nicht übereilt, indem Du ihm zu rasch seine
Freiheit angeboten? Hätte ich nur irgend etwas der Art ahnen können, ich
zweifle fast nicht, daß es mir geglückt wäre, Lützow hier zu bewegen, so
daß alles wenigstens wieder in ein ruhiges Geleise gebracht wäre. Ist denn
wirklich alles schon zu spät, und sind die Schritte, die zu Eurer Trennung
geschehen, nicht wieder rückgängig zu machen?« --

Auch Lützow's Brüder fühlten sich gedrungen _Elisen_ zu schreiben. Leo von
Lützow's Brief aus Berlin, den 23. März 1825, lautet: »Die Nachricht, daß
Sie, liebe Elisa, sich von Adolph zu trennen beabsichtigen, hat mich sehr
erschüttert, und betrübt mich ernsthaft. Ueber dem Zusammenhang dieses
Vorgangs liegt für mich noch ein solcher Schleier, daß ich ihn immer noch
nicht zu beurtheilen vermag. Ich habe die Hoffnung gehegt, daß vielleicht
augenblickliche Verstimmungen die Veranlassung wären, und daß sich noch
alles wieder einrichten würde, und noch jetzt möchte ich diese Hoffnung
noch nicht ganz aufgeben. Ich habe mich an Adolph gewendet, und um
Aufschluß gebeten, seine Briefe sind voller Achtung und Herzlichkeit für
Sie, liebe Elisa, aber ohne mir Klarheit zu gewähren. Ich gestehe, daß das
Dunkel, welches über dieser Angelegenheit liegt, die Veranlassung gewesen
ist, daß ich Ihnen bis jetzt nicht geschrieben habe, ich glaube es Ihnen
aber schuldig zu sein, daß ich Ihnen endlich meinen herzlichen Antheil
bezeige, und Sie bitte, von meiner Achtung und treuen Anhänglichkeit
überzeugt zu sein. Meine Frau ist mit mir von der ganzen Sache innig
ergriffen. Seien Sie überzeugt, daß Bertha und ich, daß wir beide für Sie
immer recht wahrhaft freundschaftliche Gesinnungen gehabt haben, vielleicht
mehr als Sie hin und wieder geglaubt haben, und seien Sie überzeugt,
daß die gegenwärtige, traurige Verwicklung in unseren Gesinnungen nichts
ändert. August wollte Ihnen schreiben, vielleicht haben Sie seinen Brief
schon bekommen, von Wilhelm werden Sie Briefe gehabt haben. Welchen
herzlichen Antheil Minona an dem ganzen Vorgang nimmt, und wie sehr
Dohna diesen Antheil theilt, hat sie Ihnen selbst ausgesprochen. Daß Ihre
Gesundheit gelitten haben muß, ist sehr natürlich; sehr wünsche ich, daß
das herannahende Frühjahr vortheilhaft wirken möge. Ich bitte sehr, daß Sie
mir sagen, welche Absichten Sie für die nächste Zukunft haben. Seien Sie
überzeugt, daß wir uns sehr freuen werden, wenn Sie vielleicht nach Berlin
kommen wollten, und daß wir Sie mit der alten Herzlichkeit aufnehmen
werden.« --

August von Lützow schrieb _Elisen_ aus Potsdam, den 27. März, 1825 die
folgenden anerkennenden Zeilen: »Es ist mir Bedürfniß wenigstens in wenigen
Worten mich über den von Ihnen und meinem Bruder gefaßten entscheidenden
Entschluß, der von der ersten Zeit an, wo ich ihn in Erfahrung gebracht,
ein sehr häufiger und sehr schmerzlicher Gegenstand meiner Gedanken gewesen
ist, gegen Sie auszusprechen, indem bei der großen und gewiß von allen
Mitgliedern der Familie anerkannten Schonung und Standhaftigkeit, mit
welcher Sie von jeher manche Eigenthümlichkeit meines Bruders ertragen
haben, und da Adolph uns ihr Andenken jetzt wiederholentlich auf das
lebhafteste anempfohlen hat, meine Anhänglichkeit gegen Sie bei diesem
betrübenden Ereigniß unverändert geblieben ist. Erlauben Sie mir daher
Ihnen hierdurch meine innige Theilnahme über die Sie betroffenen Fügungen
des Himmels zu bezeugen, und Sie zu ersuchen, mich ferner mit Ihrer
Freundschaft beglücken zu wollen. -- Höchst glücklich würde es mich
machen, wenn ich je Gelegenheit haben sollte, Ihnen meinerseits Beweise der
fortdauernden hohen Achtung, welche ich sowohl, als alle meine Geschwister
stets für Sie hegen werden, geben zu können, und bitte ich Sie inständigst,
es nicht zu verabsäumen, wenn Sie Ihrerseits dazu auf irgend eine Weise
jemals Veranlassung geben können. -- Mir von Ihrem ferneren Ergehen
Nachricht zu verschaffen, werde ich gewiß jede Gelegenheit benutzen. Zum
großen Trost würde es gewiß allen Mitgliedern der Familie gereichen, wenn
Sie darüber von Zeit zu Zeit etwas an einen von uns Geschwistern mittheilen
wollten, in so fern Sie sich nicht eben entschließen sollten, uns in der
Nähe Ihren Wohnsitz aufzuschlagen, was uns gewiß allen sehr angenehm sein
würde. -- Ich sage Ihnen herzlich lebe wohl. Die Erinnerung an so viele
Gegenstände der Vergangenheit und die Zukunft erregt mich in diesem
Augenblicke zu lebhaft, als daß ich Ihnen mehr sagen könnte. Meine
Frau, welche meine Gefühle ganz theilt, empfiehlt sich Ihnen auf das
herzlichste.« --

Während die geschiedene Frau so von allen Seiten Beweise der Zuneigung
und Achtung erhielt, bat Lützow _Elisen_ ihn mit ihren Verwandten in
gutem Einvernehmen zu erhalten. Als ihr Vetter _August von Hedemann_, der
nachherige General, ihm nicht geantwortet hatte, schrieb Lützow _Elisen_
aus Münster, den 31. März 1825: »August Hedemann hat mir nicht geantwortet;
ich will mich nicht entschuldigen, ich thue es bei mir selbst nicht, ich
bin nicht ganz schlecht -- aber ein Mensch, und es ist unser Schicksal, daß
die verschiedensten Gefühle uns peinigen. Ich erbitte mir von Deiner Güte
seine Freundschaft zurück. -- Ewig werde ich Deinen Werth fühlen, achtend
anerkennen, kein Mißton regt sich in mir, nur die herzlichste Theilnahme,
die unwandelbarste Freundschaft.« -- Unterdessen fuhr Lützow fort,
_Elisens_ Geschäfte weiter zu führen, und zum Weihnachten und den
Geburtstagen schickten sie sich regelmäßig einander Geschenke.

Im Laufe des Sommers reiste _Elisa_, um sich etwas zu erholen, da ihre
Gesundheit sehr gelitten hatte, mit Fanny Harward, und einer befreundeten
Familie von Dresden nach Ems und Schlangenbad. Wieder eine Badereise mit
der Jugendfreundin, aber siebzehn Jahre lagen dazwischen, damals war sie
voll froher Hoffnung, jetzt resignirt und freudlos! --

In diese Zeit fällt ein Brief von _Elisens_ Onkel Hedemann-Heespen aus
Deutsch-Nienhof, den 4. August 1825, in dem es heißt: »Von Lützow weiß ich
nichts; wie Du weißt, habe ich ihm auf seine mir gemachte kurze Anzeige
geantwortet; nachdem hat er nicht wieder geschrieben. -- Seid Ihr denn
nun förmlich geschieden? und hat Lützow schon Schritte zu einer neuen
Verbindung gemacht? Wäre das erstere, so wünschte ich für Dich das
letztere, und daß es ihm damit glücken möchte, damit jeder die wahre
Veranlassung erführe, und es nicht länger in der Willkür eines Jeden liegt,
eine Auslegung zu machen wie er will. Ein kluger General sondirt doch wohl
vorher das Terrain, auf dem er seinen Angriff zu machen gedenkt, bevor er
Schritte unternimmt, die nachher nicht zurück geschehen können; man sollte
daher von ihm glauben, daß dieses von ihm schon längst geschehen sei, er
seines Sieges gewiß war, bevor er die Scheidung veranlaßte. Daß er für Dich
nach besten Kräften sorgt, ist seine Pflicht, und das Wenigste, was er für
Dich thun muß. Thäte er auch dieses nicht mal, so würde er alle Achtung in
den Augen jedes redlich Denkenden verlieren.« --

Während dem war schon den 22. April 1825 die Publikation des
Scheidungserkenntnisses erfolgt, dessen Gründe lauteten: »Obgleich diese
Ehe anfänglich glücklich war, so ward doch der eheliche Friede späterhin
durch verschiedene Ansicht von der Welt und dem menschlichen Leben gestört.
-- Keinem Theil ist ein Uebergewicht der Schuld beizulegen. Beiden Theilen
ist die Wiederverheirathung in unverbotenen Graden gestattet.« --

Die Freunde bedauerten, daß _Elisa_ aus zarter Schonung gegen Lützow den
Wenigsten die Ursache ihrer Scheidung mittheilte, und durften mit Recht
fürchten, daß Fremde sie sich anders auslegen möchten. »Wäre es doch erst
klar,« schrieb Adele von A. aus Keimkallen den 30. November 1825, »weßhalb
dieser Schritt geschehen; ich wollte viel darum geben, wenn alle Welt es
wissen könnte, weshalb es so gekommen.« --

_Elisa_ war lange unentschlossen, welchen Wohnort sie wählen solle; es war
ihr alles gleichgültig, sie wünschte nur Ruhe und Stille. Nach beendigter
Badereise, ging sie endlich nach Magdeburg, mit der Absicht, sich dort in
der Nähe der Stadt ein kleines Landhaus zu kaufen. Immermann begrüßte
die geliebte Freundin, die ihm nun unter so ganz andern Verhältnissen
gegenüberstand, mit tausend Freuden; er machte sie mit seiner Mutter und
seinen Brüdern bekannt, die sich ihr freundlich anschlossen. Außer diesen
wollte sie aber niemanden sehen; niemand kannte sie dort, die Wenigsten
wußten wer die verschleierte Dame sei, die man nur flüchtig auf der
Straße gesehen hatte. Sie machte mit Immermann im Herbst in den schönen
Octobertagen noch einen Ausflug nach dem Harz, und bezog, nach Magdeburg
zurückgekehrt, da der Ankauf eines Landhauses noch nicht erfolgt war,
einstweilen eine Wohnung in der Stadt.

In jener Zeit ließ _Elisa_ ein junges Mädchen aus Hamburg zu sich kommen,
die sie sich zur Gesellschafterin erwählt, und wie eine Pflegetochter
behandelte. Dieses Mädchen war eben erwachsen, und trotz großer
Verschiedenheit wollte man doch in ihren Gesichtszügen manche Aehnlichkeit
mit denjenigen _Elisens_ erkennen. Wer war sie? Wo kam sie her? War da
nicht ein geheimnißvoller Zusammenhang? so fragte man neugierig, selbst im
Kreise der Bekannten. Wie viele Mährchen wurden da nicht ersonnen, und bald
flüsterte man sich zu, daß man hier wahrscheinlich eine natürliche Tochter
der Frau Generalin von Lützow vor sich habe, die vielleicht gar den Anlaß
zu der Scheidung von ihrem Gemahl gegeben! -- Wie falsch dies war, zeigt
unter anderem eine Briefstelle Lützow's, in welcher er erwähnt, sie habe
sich des jungen Mädchens »so großmüthig angenommen,« und dann hinzufügt:
»Wie bleibst Du Dir doch immer gleich, selbst hülflos, findest Du einen
Trost, Andern beizustehn!« --

Der Zusammenhang war folgender: _Elisens_ Vater hatte mit einer Schwester
von Marianne Philipi, welche auf dem Trannkijörschlosse eine Stelle als
Wirthschafterin vertrat, ein Liebesverhältniß gehabt; sie gebar eine
Tochter, und _Elisa_ war gleich so großmüthig gewesen, ihrer würdigen
Erzieherin zu versprechen, daß sie sich dieses Kindes, dieser Tochter ihres
Vaters, annehmen wolle. Man ertheilte ihr die sorgsamste Erziehung, und
als sie herangewachsen, nahm _Elisa_ sie in ihre Nähe. Sie äußerte sich nie
über die Herkunft des Mädchens, und ließ sich lieber falsch beurtheilen,
als daß sie andre angeklagt hätte.

Die belebende Nähe Immermann's war dasjenige, was _Elisens_ einsamem
Leben in Magdeburg den meisten Reiz darbot; sie war es wieder, die ihn zum
Schaffen anregte, und an allem Antheil nahm, was er dichtete. In jener Zeit
vollendete er die Uebersetzung von »Ivanhoe«, von der in den mitgetheilten
Briefen die Rede ist, dichtete »Cardenio und Celinde«, und schrieb die
Abhandlung über den »rasenden Ajax« des Sophokles. Immermann hat später im
dritten Bande der »Epigonen« _Elisen_ in folgender Stelle geschildert,
so wie sie ihm damals erschien: »Es giebt nichts Erquickenderes, als den
Anblick einer großen, vornehmen Seele, welche das Unglück als etwas ihr
Gehöriges, als das ihr von den oberen Mächten verliehene Eigenthum nimmt
und hinnimmt, während kleine Gemüther sich gegen dieses Erbtheil unsres
Lebens unter Winseln und Wehklagen fruchtlos sperren. Johanna war ruhig,
selbst heiter. Sie verhehlte gegen Hermann nicht, daß ihr Loos ihr für
immer zerstört zu sein scheine, aber, setzte sie hinzu, wie unendlich
wohler ist mir jetzt, wo ich die Brandstätte überschaue, als damals, wo ich
noch mit Rauch und Flammen unselig kämpfte! -- Ueber die Geheimnisse ihrer
unglücklichen Ehe, über Medon's Charakter, und die plötzliche Wendung
seines Schicksals beobachtete sie ein strenges Stillschweigen. Einmal hatte
Hermann versucht, von weitem und in der bescheidensten Weise ihre Lippen
über diese Dinge aufzuschließen, war aber mit den Worten, daß man von
unheilbaren Schäden nicht reden müsse, zurückgewiesen worden. Alle diese
sonderbaren Verwicklungen blieben ihm also tief zugehüllt, und er brachte
von denselben nur in Erfahrung, was die Gerüchte aus der Hauptstadt
meldeten.« --

Während _Elisa_ ihrer Schwermuth nachhing, verlebte auch Lützow in Münster
keine frohen Tage. Die junge Dame, deren Gunst er so sicher zu sein
glaubte, lehnte seine Hand ab; auch seine Leidenschaft verrauschte dadurch
schnell, und nun in der Ferne _Elisens_ Werth doppelt empfindend, beklagte
er um so tiefer das Unglück, welches er über sie und sich selbst gebracht
hatte. Trösten und aufrichten konnte ihn nur _Elisens_ Freundschaft, und
die bewahrte sie ihm auch getreulich aus aufrichtigem Herzen. Im Anfang des
Jahres 1827 starben schnell hintereinander seine beiden Brüder August
und Wilhelm; auch diesen Kummer theilte _Elisa_ mit ihm, die ganz davon
ergriffen war.

Immermann wünschte feurig, sich mit _Elisen_ zu verbinden, aber diese
konnte sich zu einer zweiten Ehe nicht entschließen. Wohl war sie dem
Freunde von Herzen zugethan, der betheuerte, nicht ohne sie leben zu
können, wohl war sie von seiner heißen Liebe ergriffen, aber sie hatte nun
schon so viel Unglück erlebt, und konnte sich der bangen Vorstellung nicht
erwehren, daß seine jetzt so heftige Zuneigung nicht immer die gleiche
bleiben würde. Die sechs Jahre, welche sie älter war, als er, schienen
hierbei am wenigsten in Betracht kommen zu können, da Schönheit, Geist und
Liebenswürdigkeit dies wohl auszugleichen vermochten, aber _Elisen_ flößte
diese Ungleichheit Bedenken ein, und dann -- war es eine Ahnung, war es
eine richtige Kenntniß seines Charakters -- sie fürchtete, ihm einstmals
eine Fessel werden zu können, und war von ihrer Verneinung nicht
abzubringen. Hätte sie diese Scheu, der so edle Ursachen zu Grunde lagen,
überwunden, mehr an sich, als an den Freund gedacht, ihr Schicksal hätte
wahrscheinlich eine glücklichere Wendung genommen! --

Als Immermann in jener Zeit grade die Ankündigung seiner Versetzung als
Landgerichtsrath nach Düsseldorf erhielt, bestürmte er _Elisen_ mit neuen
Bitten. Da verhieß sie ihm dann endlich, ihm nach Düsseldorf zu folgen;
heirathen wollte sie ihn nicht, dagegen gaben sie sich aber gegenseitig das
Gelöbniß, daß keiner von ihnen je eine andre Heirath eingehen würde; dies
war die Bedingung, die _Elisa_ stellte, und die Immermann, da sie einmal
die Seine zu werden verweigerte, mit Freuden einging. _Elisens_ Nähe war
ihm mehr werth, als jede andere Verbindung; durfte er sie nicht zu seiner
Gattin machen, so war er doch halb getröstet in dem Gedanken, sie als seine
Freundin, seine Gefährtin, seine Muse, an sich zu fesseln.

_Elisens_ ideale Ansprüche an das Leben waren durch diesen Entschluß ganz
befriedigt, sie wurde ruhiger, nachdem sie ihn gefaßt hatte. Sie war
mehr phantastisch, als leidenschaftlich, sie dachte es sich schön, einem
begabten Dichter in solcher Art sein Dasein zu versüßen, mit zarter
Sorgfalt und antheilvollem Geiste, und nur für ihn zu leben. Wie dachten
sie sich zu erheben über alles Niedere und Gemeine, aus ihrer Umgebung
alles Widrige und Gewöhnliche zu verbannen, und nur in der Natur, in Kunst
und Poesie, und in der Freundschaft ihre Befriedigung zu suchen! War es
nicht eine würdige Bestimmung, die Leonore eines Tasso zu werden? -- Ein
neuer Sonnenschein verschönte _Elisens_ Tage, ihre Züge verklärten sich
in froher Hoffnung, ein neues Lebensglück schien sich ihr reizend
aufzuschließen. -- Die Welt, und was die urtheilen würde, kam ihr hiebei
durchaus nicht in Betracht; diejenigen, welche nicht fähig waren, eine
solche Freundschaft zu verstehen, konnten ihr gleichgültig sein, und von
ihren Freunden durfte sie gewiß sein, daß sie von ihr nur Edles und
Schönes voraussetzten. Da war auch nicht Einer, den ein so ungewöhnliches
Verhältniß irre gemacht hätte! Der würdige Consistorialrath Möller, die
streng sittliche Henriette Paalzow, alle Freunde und Freundinnen ohne
Ausnahme bewahrten _Elisen_ unverändert ihre Verehrung und Liebe. Auch
benahm sie sich so zart, so sicher, und so tactvoll, daß Alle sie bewundern
mußten.

Immermann ging im Anfang des Jahres 1827 an seinen neuen Bestimmungsort ab;
_Elisa_ reiste in Begleitung ihrer Pflegetochter nach Ems, und folgte ihm
dann mit dieser nach, die noch mehrere Jahre bei ihr blieb, und sich später
verheirathete.

       *       *       *       *       *

Es war im August 1827, daß _Elisa_ in Düsseldorf anlangte. Ein Landhaus,
das sie mit Immermann in dem freundlichen Dorfe Derendorf bezog, schien
ganz dazu geeignet, das stille Asyl eines Dichters zu sein. Ein großer
Garten, der es umgab, wurde von _Elisen_ anmuthig angepflanzt; bald
entfalteten eine Fülle von Rosen darin ihre Pracht, alle Beete waren damit
eingefaßt, und am schönsten blühten sie unter des Dichters Fenstern. Zwei
Büsten, Plato und Aristoteles darstellend, schimmerten durch die
schattigen Gebüsche. Eine hohe Weißdornhecke, die Immermann später in einer
Liebesscene seines »Merlin« verewigt hat, erglänzte in duftigen Blüthen.
In zwei aneinanderstoßenden Zimmern, die durch seine Bibliothek und
Münzsammlung angefüllt, und durch Gemälde, Kupferstiche, Statüetten
und mancherlei Zierrathe geschmackvoll ausgeschmückt waren, und deren
harmonische Anordnung eine Frauenhand verrieth, überließ sich Immermann
seinen Arbeiten. Seine Erholungsstunden brachte er in den Räumen der
Freundin zu, bei der er immer Anregung und Erfrischung fand.

Düsseldorf hatte damals grade plötzlich einen frischen Aufschwung genommen,
den uns Immermann selbst in seinen »Düsseldorfer Anfängen« im dritten Band
der »Memorabilien« so vortrefflich geschildert hat. _Wilhelm von Schadow_
war Ende 1826 eingetroffen, und hatte die Stelle von Cornelius an der
Akademie übernommen. Mit ihm waren _Lessing_, _Hildebrandt_, _Sohn_,
_Mücke_ und _Hübener_ angelangt. _Bendemann_ und _Schirmer_ folgten bald
darauf. Eine neue Kunstepoche blühte unter Schadow's Leitung schnell empor.
»Gemälde waren etwas Neues geworden,« sagt Immermann in den »Düsseldorfer
Anfängen«, »da die Baiern schon zwanzig Jahre früher die Galerie entführt
hatten; die inhaltreiche Conversation des Künstlers, der Menschen, Werke,
Welt gesehen hatte, war auch etwas Neues. All dieses Neue erhielt einen
pikanten Zusatz durch die Figuren der jungen hübschen, bescheidenen
Künstler, welche bloße Hälse und lange Bärte trugen, und von denen der
Meister mit Sicherheit den späteren Ruhm vorhersagte.«

Immermann fühlte sich wohl in diesem heiteren Kreis, »dessen Arbeit auf die
Schönheit ging«; er nahm Theil an der angenehmen Gesellschaft, die sich
in dem Schadow'schen Hause vereinigte. Er hatte eben »Andreas Hofer«
vollendet, und wurde bald zu neuem Schaffen angeregt; er schrieb 1828
das Trauerspiel: »Kaiser Friedrich der Zweite,« die Lustspiele: »Die
Verkleidungen,« und: »Die schelmische Gräfin,« 1829: »Die Schule der
Frommen,« ließ eine neue Folge der »Gedichte« erscheinen und einen Band
»Miscellen.« 1830 schrieb er sein »Tulifäntchen,« dieses scherzhafte
Heldengedicht, das Heine einen »epischen Kolibri« genannt, dichtete die
Trilogie »Alexis,« und den phantastischen, tiefsinnigen »Merlin,« und
arbeitete an den »Epigonen.«

Unterdessen wurde der Kunstverein gegründet, Lessing malte sein Königspaar,
Bendemann die Ebräer im Exil, Sohn den Hylas, Hübener den Roland,
Hildebrandt Judith und Holofernes, Schirmer malte Landschaften, es war ein
reges Leben, das Immermann ein zweites Studentenleben nannte, »aber kein
rüdes, sondern ein phantasievolles.«

Mit Schadow trat Immermann in lebhafte Beziehung; trotz der großen
Verschiedenheit ihrer Naturen zog ihn sein unläugbarer Künstlergeist
an, und wenn auch Schadow's eifriger Katholizismus später das Verhältniß
erkalten machte, so hörte Immermann doch nie auf, ihn zu schätzen, und
seine seltenen Verdienste zu würdigen. Wie sehr dies der Fall war, beweist
folgende Stelle in den viel später geschriebenen »Düsseldorfer Anfängen.«
-- »Wir haben hier Großes werden sehen. Ein Mann kommt vor dreizehn Jahren
daher, gefolgt von fünf Schülern, die recht hübsche Sachen gemacht haben,
doch aber noch völlig unfertig sind. Er betritt ein fremdes Terrain, ohne
mächtige Verbindungen zu haben, er muß sich alles erst selbst schaffen.
Sein Gouvernement unterstützt ihn wohl, jedoch nur mäßig; keines Königes
mächtiger Arm hält ihn, stellt ihm die geniusentflammenden Aufgaben. Einen
Namen bringt er mit, genannt allerdings in der Kunstwelt, keineswegs aber
mit der Glorie allgemeiner Berühmtheit. Und nach dreizehn Jahren steht
er an der Spitze einer Anstalt, worin die Hunderte nun fast statt der
ursprünglichen Einheiten zählen. Die Räume sind zu eng für den Andrang,
der Ruf der Anstalt geht durch Europa, und zieht die Lehrlinge aus allen
Landen, bis zum hohen Norden hinauf, herbei. Die Werke der Schule zieren
Königs- und Kaiserpaläste, die Erben großer Reiche besuchen den Chef, und
treten zum Theil unter sein Dach. Der Kunstverein, der doch auch ohne ihn
nicht entstanden wäre, hat jährlich zwanzigtausend Thaler zu verwenden. Die
Schule sandte Kolonien aus nach Dresden und Frankfurt. Was aber noch mehr:
das Haupt wurde längst von den Gliedern überflügelt, und dennoch lösen sich
viele der edelsten Glieder nicht ab, wohl wissend, daß der Zusammenhang,
wie er war, ihnen auch noch jetzt fromme.« --

Noch andere Gestalten traten in diesen Kreis; _Friedrich von Uechtritz_,
der liebenswürdige Dichter der Trauerspiele: »Alexander und Darius,« und
»Rosamunde,« der bald mit Immermann dessen literarische Interessen theilte,
und zugleich sich mit den Malern befreundete, denen besonders seine
Geschichtskenntnisse werthvoll und anregend waren; _Schnaase_ schloß
sich an als Kunstforscher und sinniger Kunstbetrachter, dessen Wissen und
combinatorischen Scharfsinn Immermann rühmend anerkannte.

_Elisa_ wollte sich anfänglich von aller Geselligkeit fern halten, aber
der frische Strom all dieses Wirkens und Genießens drang doch bis in ihre
idyllische grüne Einsamkeit zu Derendorf, vielfach wünschte man in ihre
Nähe zu gelangen, und oft vereinigte sich Abends in ihren Räumen ein
auserlesener Kreis näherer Freunde: der Maler _Hildebrandt_, Uechtritz,
Schnaase, die Dichterin _Elisabeth Grube_, und manche Andere. Von der
letzteren sei hier ein Gedicht aus ihrem »Liederkranz« mitgetheilt, welches
_Elisen_ und Immermann anmuthig schildert:

  Der Baum.

  Die hohe Frau, die mir gebeut,
  Schaut auf zum Blüthenbaum,
  Der seine duftigen Flocken streut
  Auf einer Wiese Saum,
  Und Jedem, der vorüber geht,
  Mit weißen Fahnen Grüße weht.

  Wie ist der Baum so wunderschön!
  Wie freudenreich sein Dach!
  Der muntren Vögelein Getön
  Ruft träge Käfer wach;
  Es schwirrt und girrt, es springt und singt;
  Ein Summen, Brummen rings erklingt!

  Froh spricht die Herrin: »Mein Poet,
  »Der Baum ist liedeswerth!
  »Der hier, ein Frühlingswunder, steht
  »Und Allen Lust bescheert;
  »Wär' ich ein Musenkind wie Du,
  »Dem Baum säng' ich ein Liedchen zu.«

  Der Sänger sieht allüberall
  Der Herrin holdes Bild,
  Und von dem Schlag der Nachtigall
  Das Herz ihm überquillt;
  Beim Baum hat er an _sie_ gedacht,
  Zugleich ist dieses Lied erwacht.

  Wohl ist der Baum der Herrin Bild
  So hehr, so freudenreich!
  Wie jener tausend Wünsche stillt
  Mit einem Blüthenzweig:
  So ist _ihr_ Lächeln Sonnenschein!
  So ist _ihr_ Lieben goldner Wein!

Bei _Elisen_, im traulichen Freundeskreise, fühlte sich Immermann stets am
wohlsten, und entfaltete voll froher Laune und heitren Geistes seine ganze
Liebenswürdigkeit. Er war befriedigt wie nie zuvor, und gewiß wird jene
Zeit, die er in täglichem, beglückendem Verkehr mit der angebeteten
Freundin, in Ruhe und Stille dem dichterischen Schaffen hingegeben, und
von neuen Kunstanschauungen und belebendem Verkehr getragen, in Derendorf
zubrachte, die glänzendste seines Lebens genannt werden müssen. Alle Prosa,
über die er so oft in Magdeburg geklagt, war plötzlich verschwunden,
er lebte in Wahrheit ein Dichterleben! -- Wenn ihn die Kritik mitunter
verstimmte, die ihm nicht immer die gewünschte Anerkennung gewährte, wenn
ihn der Angriff von Platen ärgerte, den er seinerseits erwiederte, so wußte
ihn _Elisa_ doch immer zu erheitern. Nun sollte noch eine neue Wirksamkeit
für ihn hinzukommen, die ihn ganz in Beschlag nahm; das Theater.

Die halböffentlichen Vorlesungen dramatischer Werke, die er zwei Winter
hintereinander vor einer großen Versammlung hielt, und die förmlich in
Düsseldorf Mode geworden waren, bildeten dazu eine Art Uebergang. Die Kunst
des Vorlesens, in der zuerst Tieck sich auszeichnete, und in der ihm bald
Holtei und Andere nachstrebten, diese Kunst, welche Immermann schon in
Münster in _Elisens_ Abendgesellschaften so gern geübt, bildete er nun noch
weiter aus. Die befreundeten Maler hatten ihm ein Atelier eingeräumt, das
man bemüht war, möglichst würdig für die elegante Welt einzurichten und
zu erleuchten, dessen eigentliche Bestimmung aber doch lustig zu Tage
kam, durch die Zeichnungen, Cartons und Farbenskizzen, welche die Wände
bedeckten, und das gute Einvernehmen anzeigten, in dem hier verschiedene
Künste neben einander gingen. Iphigenie, Blaubart, Wallenstein, König
Johann, Romeo und Julia, das Leben ein Traum, der standhafte Prinz, das
Däumchen, Hamlet, der Prinz von Homburg, der gestiefelte Kater, König
Oedipus, und Oedipus in Kolonos wurden dort von Immermann vorgetragen, mit
Kraft der Stimme, mit Feuer des Ausdrucks, mit mimischem Talent.

Bald entstand dadurch das Verlangen in ihm, nun auch dergleichen auf der
Bühne vorstellen zu lassen, in Wirklichkeit zu sehen, was hier nur in
idealen Umrissen sichtbar war. Es wurde ein Theaterverein gestiftet, und
mit einer Reihe von Mustervorstellungen Versuche gemacht, die Immermann,
unterstützt von seinen Freunden, der Düsseldorfer Schauspielergesellschaft
einstudierte. Das neugebaute, hübsche Theater kam ihnen hiebei vortrefflich
zu statten; fremde Künstler wurden aus der Ferne dazu herangezogen,
_Seydelmann_ kam um den »Nathan« zu spielen, _Weymar_ nahm an der »Braut
von Messina« und dem »Andreas Hofer« Theil. Uechtritz leitete die Proben
von »Stille Wasser sind tief,« und war thätig mit Rath und Hülfe; _Felix
Mendelssohn_ nahm sich der beiden Opern »Don Juan« und »der Wasserträger«
an; das meiste leitete Immermann selbst.

Schadow hatte ihm eine abgelegene, klösterliche Zelle auf der Akademie
zu den Leseproben abgetreten. »Unter den Fenstern rauschte der Rhein, die
weißen Wände röthete die Frühlingssonne. Bei dem Klange der Wellen, in
dem rosigen Schein wurden da Sylben gemessen, Accente festgestellt,
die Schattirungen der Rede ausgearbeitet,« sagt Immermann davon in den
»Düsseldorfer Anfängen.« Zu der Vorstellung des »standhaften Prinzen«
entwarf Schirmer die Ansicht von Fez, Hildebrandt stellte die
Ausschiffungs- und Kriegsgruppen, Felix Mendelssohn componirte die Musik,
zwei herrliche Sclavenchöre, und zur Erscheinung des Geistes einen ganz
eigenthümlichen Marsch, der »wie aufgelöste katholische Kirchenhymnen«
klang. So reichten sich alle Talente freundschaftlich die Hände zu einem
schönen Ganzen. Der Erfolg war überraschend.

Man ging nun weiter; eine bedeutende Summe wurde durch Actien gedeckt,
Immermann erhielt auf ein Jahr Urlaub, um sich ganz der Leitung des
Theaters widmen zu können. So erstand eine Bühne, die nach edlen Idealen
strebte, die poetischen Schöpfungen in ihrer wahren Höhe und Schönheit
darzustellen suchte, ohne sie herabzuziehen in die gewöhnliche Bretterwelt.
Es war kein geringer Regisseur oder unwissender Cavalier, sondern ein
Dichter, der sich in den Geist der darzustellenden Werke versenkte, und ihn
voll Begeisterung zur Erscheinung zu bringen sich bemühte. Es war wieder
_Elisens_ feiner Hauch, welcher diese Bestrebungen beseelte, denn von ihr
empfing ja Immermann die Anregung zum Schaffen und Wirken, an sie und ihren
Beifall dachte er dabei unablässig, und so wie die Lützow'sche Freischaar
nie geworden wäre, was sie war, ohne _Elisen_, so ist es auch mit jenen
Düsseldorfer Bühnenversuchen, die sich eine Veredlung der Schauspielkunst
zum Ziel gewählt hatten, und ohne _Elisen_ niemals einen so hohen Flug
genommen hätten, der bei verhältnißmäßig so beschränkten Mitteln doppelt
staunenswerth war. _Elisa_ verlangte nie hervorzutreten, und genannt zu
werden; sie besaß nicht die geringste Eitelkeit, und es war im Gegentheil
ihre Freude, den Glanz, welcher von ihr ausging, auf Andre zu übertragen.
So wirkte sie stets im Stillen, aber ihr Einfluß war immerfort wirksam, und
den Vertrauten unverkennbar.

Der beständige Fremdenverkehr brachte fortwährend neue, interessante
Persönlichkeiten nach Düsseldorf, von denen manche, angezogen durch die
künstlerischen und literarischen Kräfte, die sich dort vereinigten, länger
verweilten. Zu diesen gehörte besonders der Dichter _Michael Beer_, mit
dem sich Immermann sehr befreundete, wie auch der zwischen ihnen geführte
Briefwechsel beweist, der nach Michael Beer's Tode erschienen ist;
dann _Wilhelm von Normann_, Verfasser des Gedichtes: »Mosaik,« ein
liebenswürdiger junger Mann, der lange und innig eine schottische Dame
liebte, und bald nachdem er sich endlich, nach vielen Hindernissen mit
ihr verbunden hatte, noch nicht dreißig Jahre alt, starb. Ferner _Felix
Mendelssohn_, der berühmte, geniale Componist; mehrmals kam auch der gute,
begeisterte Möller zum Besuch, so wie _Elisens_ Freundin Johanna, die
sich mit Dieffenbach verheirathet hatte, aber nach kurzem Glücke von ihm
geschieden worden war, da ihre leidenschaftliche Eifersucht, zu der er
übrigens wohl manchen Anlaß geben mochte, ihm unerträglich wurde. Henriette
Paalzow, die sich über ein Jahr in Köln aufhielt, sprach gleichfalls mit
ihrem Bruder, dem Maler _Wilhelm Wach_, in dem freundlichen Derendorf ein.

Wir dürfen auch _Dietrich Christian Grabbe_ nicht vergessen, dieses
verwilderte Genie, das Immermann vergeblich strebte, zu sich zu
erheben. Grabbe, 1801 zu Detmold geboren, war bekanntlich der Sohn eines
Zuchtmeisters, er selbst hatte auf dem Zuchthofe das Licht der Welt
erblickt; rings um ihn her waren die Zellen der Verbrecher. Sollte man
nicht glauben, jene ersten Eindrücke hätten ihm jene Lust am Gräßlichen
und Rohen eingeflößt, die sich in seinen Dichtungen ausspricht? -- Grabbe
eröffnete die Bekanntschaft mit Immermann dadurch, daß er ihm schrieb: »Ich
und eine alte Mutter sind verloren, wenn Sie mir nicht zu helfen suchen.«
-- Immermann forderte ihn sogleich freundlich auf, nach Düsseldorf zu
kommen, sorgte für seine häusliche Einrichtung, lud ihn häufig zu sich
in größere und kleinere Gesellschaften, führte ihn bei mehreren seiner
Bekannten ein, unterstützte ihn mit seinem Rath bei der Tragödie
»Hannibal,« die Grabbe unvollendet mitgebracht hatte, und bewies die größte
Nachsicht mit seinen Launen und seiner mangelhaften Erziehung. Grabbe
seinerseits nahm dagegen den lebhaftesten und eifrigsten Antheil an
Immermann's Theaterbestrebungen. Immermann erkannte in Grabbe eine
schöpferische Kraft, wenn auch mehr eine Kraft der Häßlichkeit, als der
Schönheit, mehr Ungeheuerlichkeit als wahre Größe, mehr Verzerrung als
Genialität, wie er denn auch den »Theodor von Gothland« ein »Conzert der
Verzweiflung« nannte.

Immermann entwirft in den »Memorabilien« folgendes Bild von Grabbe: »Nichts
stimmte in diesem Körper zusammen. Fein und zart -- Hände und Füße von
solcher Kleinheit, daß sie mir wie unentwickelt vorkamen -- regte er sich
in eckigten, rohen und ungeschlachten Bewegungen; die Arme wußten
nicht, was die Hände thaten, Oberkörper und Füße standen nicht selten im
Widerstreite. Diese Contraste erreichten in seinem Gesichte ihren Gipfel.
Eine Stirn, hoch, oval, gewölbt, wie ich sie nur in Shakespear's (freilich
ganz unhistorischem) Bildnisse von ähnlicher Pracht gesehen habe, darunter
große, geisterhaft weite Augenhöhlen und Augen von tiefer, seelenvoller
Bläue, eine zierlich gebildete Nase; bis dahin -- das dünne, fahle Haar,
welches nur einzelne Stellen des Schädels spärlich bedeckte, abgerechnet --
Alles schön. Und von da hinunter alles häßlich, verworren, ungereimt! Ein
schlaffer Mund, verdrossen über dem Kinn hängend, das Kinn kaum vom
Halse sich lösend, der ganze untere Theil des Gesichts überhaupt so scheu
zurückkriechend, wie der obere sich frei und stolz hervorbaute.« --

Es muß ein ergötzlicher Anblick gewesen sein, wenn Grabbe zu Immermann zum
Besuch kam. Letzterer erzählt davon: »Zuweilen kam er aber auch zu mir,
wenn die verdrossenen Füße ihm den Gang nach meiner entlegenen Wohnung
erlauben wollten. Da gab es denn den lächerlichsten Anblick. Weil er sich
nämlich nie in den Wegen finden lernte, so mußte ihn seine Magd jederzeit
zu mir begleiten. Auf diese Weise aber langte das Paar in meinem Garten an:
Grabbe mit ernfthaftem Gesichte hinter der Magd unsicher einherschreitend,
die Magd aber ihr erröthendes Antlitz halb in der Schürze verborgen, sich
schämend, »daß sie einen so großen Herrn bei Tage über die Straße führen
müsse.« --

_Elisa_, an der alles feine Sitte, Anstand und Schönheitssinn war, mußte
von der äußeren und inneren Vernachlässigung, und dem wilden und formlosen
Wesen des seltsamen Mannes unangenehm berührt werden, nahm sich seiner aber
dennoch mit Wohlwollen und Güte an, und zu ihrer Verwunderung über ihn,
gesellte sich das Mitleid. In der ersten Zeit seines Aufenthaltes nahm sie
ihn mehrmals in ihrem Wagen zu kleinen Ausflügen in die Umgegend mit, wo
er dann mit der übrigen Gesellschaft Berge steigen mußte, was er sonst nie
that. Einmal improvisirte er bei Sonnenuntergang, auf einem Berge stehend,
so schöne Verse, daß _Elisa_ und ihre Begleitung ganz entzückt davon waren.
Gleich darauf benahm er sich aber wieder so cynisch, daß das Entzücken sich
in Widerwillen verwandelte. _Elisa_ durfte ihm mit ihrer schönen Hand nicht
zu nahe kommen, sonst biß er sie hinein, weil sie »so appetitlich« sei. »Er
war wie ein Kind,« sagte sie oft von ihm, »so gut, so unartig, so lenksam,
aber auch so schmutzig!« -- Grabbe verehrte sie sehr, und fühlte sich
geschmeichelt durch die Freundlichkeit einer so vornehmen und edlen Frau.
Wenn er sich gegen _Karl Ziegler_ rühmte, _Elisa_ habe ihm täglich lange
Briefe geschrieben, wie letzterer in seinem Buche: »Grabbe's Leben und
Charakter« mittheilt, so halten wir das für eine Uebertreibung von Grabbe.

Leider war der wunderliche Mann schon zu sehr gesunken, als daß es möglich
gewesen wäre, ihn an eine thätige und geregelte Lebensweise zu gewöhnen; er
wurde bald selbst seiner eigenen Anstrengungen müde, sich zu erheben, ergab
sich dem zu häufigen Genuß geistiger Getränke, und zuletzt verkannte sein
mißtrauischer Sinn Immermann's wahre, uneigennützige Freundschaft und Güte.
Das Verhältniß war ziemlich erkaltet, als er 1836 nach seiner Vaterstadt
Detmold zurückkehrte, wo er den 12. September desselben Jahres, erst
fünfunddreißig Jahre alt, starb. --

Werfen wir nun wieder einen Blick zurück, auf Lützow! Dieser, der sich in
seine vereinsamte häusliche Lage, welche er selbst herbeigeführt, gar
nicht finden konnte, hatte sich plötzlich, im Jahre 1828, entschlossen,
die Wittwe seines Bruders Wilhelm zu heirathen. In einem Briefe, der seinen
aufgeregten Gemüthszustand ausdrückt, und in dem er sich vor _Elisen_
gewissermaßen zu entschuldigen sucht, zeigt er dieser seinen Schritt an;
er lautet: »Meine liebe, beste Elise! Es war mir unmöglich, Dir das zu
schreiben, was Schlüsser's Brief ausspricht. Ich fühle, daß ich mich
eigentlich zu _keinem_ häuslichen Verhältniß passe -- sonst wäre ich gewiß
vom Anfange an mit Dir unaussprechlich glücklich gewesen, denn wer könnte
mehr wünschen, als ich besaß. -- Auguste ist allerdings eine angenehme
Frau, indessen mehr noch die Wittwe Wilhelms hat eine Lage der Dinge
herbeigeführt, wozu ich den Himmel um seinen Schutz anrufe, denn eine
verkehrte Persönlichkeit und ein zerrissenes Gefühl machen mir einen
höheren Beistand nöthig und unentbehrlich. -- Die Liebe und Freundschaft
bis in den Tod zu einem Wesen, was ich unendlich verehre, meine beste
Elise, die bleibt sich gleich, nichts kann Dich aus meinem Herzen reißen!
-- Von Deiner Großmuth erwarte ich auch jetzt Liebe, Freundschaft und
Theilnahme. -- Deine großherzigen Absichten für Wilhelms Tochter erkenne
ich mit Dank. Jedoch Dein Vermögen gehört Deiner Familie. Ein _kleines_
Andenken dereinst für die Kleine, nehme ich in ihrem Namen um so lieber an,
da unserem Wilhelm alles so lieb war, was von Dir kam. -- Glaubst Du Deiner
Familie näher zu treten, wenn Du Deinen Geburtsnamen wieder annimmst, so
thue dies, meinem Herzen bleibst Du gleich theuer und nahe. -- Aus der
Fülle meiner Seele Dein Dich unbeschreiblich liebender Freund Adolph.
-- Schreibe mir nach Münster; Deine Briefe kommen nicht in fremde Hände,
darauf rechne!« --

In einem schnell darauf folgenden Briefe aus Münster, den 19. Juli 1828
schrieb er: »Auguste hat gute und ausgezeichnete Eigenschaften; -- das
Unglückliche ihrer Lage, eine zärtliche Freundschaft für Wilhelm, haben
mein Gefühl aufgeregt, meinen Entschluß schnell erzeugt, und machten, daß
ich mich sogleich erklärte; schenke Du mir Nachsicht, der Himmel seinen
Segen. Wilhelms Tochter wird Elsbeth genannt, und heißt Elisabeth. -- Mich
zerreißen die widersprechendsten Empfindungen. Dein Andenken, meine beste
Elise, bleibt mit eisernen Ketten an mein Herz gefesselt. Adolph.« --

Es ist bereits in dem ersten dieser Schreiben erwähnt, daß _Elisa_, als sie
von Lützow's zweiter Heirath vernahm, wieder ihren Familiennamen Ahlefeldt
anzunehmen wünschte, da sie die etwanige Verwechselung mit jener neuen Frau
von Lützow aus manchen Gründen vermeiden wollte; sie wandte sich deßhalb an
den König von Dänemark mit dem Ansuchen, sich wieder Gräfin von Ahlefeldt
nennen zu dürfen.

Auch Lützow's neue Verbindung konnte die freundschaftliche Beziehung
zwischen ihm und _Elisen_ nicht hindern; sie wechselten Briefe nach wie
vor in herzlicher Weise. Von _Elisens_ Seite kam bald noch Mitleid für den
unglücklichen Freund hinzu, der vergeblich Ruhe und Befriedigung suchte. Er
bedurfte theilnehmenden Trostes, und _Elisa_, die geschiedene Gattin, war
die Einzige, die ihm solchen bieten konnte. Keine kleinliche Regung war in
ihrer Seele; sie hatte ihm alles vergeben.

Man wird nicht ohne Rührung die folgenden Zeilen lesen können, die er ihr
aus Münster, den 25. April 1829 schrieb: »Meine liebe, beste Elise! Ich
schreibe Dir gleich nach meinem Eintreffen in Münster, und erwarte so
sehnlich eine freundliche Antwort von Dir! Wenn Du mir in's Herz sehen
könntest, Du würdest mir diese nicht versagen. Ich bin unaussprechlich
unglücklich! -- Mit Recht kannst Du sagen, ich habe mich selbst unglücklich
gemacht; so richtig dies auch ist, so würdest Du mich entschuldigen, wenn
Du von allen Verhältnissen unterrichtet wärest. Es gehe mir wie es wolle,
nur den Trost Deiner freundschaftlichen Theilnahme, den laß mir, sonst gehe
ich unter! -- Könnte ich Dich nur einmal wiedersehen! -- Noch einmal bitte
ich Dich, beglücke mich recht bald mit einigen theilnehmenden Zeilen. --
Von ganzem Herzen, selbst wenn ich es nicht wollte, dennoch, ich fühl's,
bis an das Ende meines Lebens, Dein Freund Lützow.« --

Das Verlangen, _Elisen_ wiederzusehen, von welcher er sich in einer nur so
kurz dauernden Verblendung getrennt hatte, wurde so mächtig in ihm, daß er
ihm nicht länger widerstehen konnte, und so schrieb er ihr aus Münster, den
6. Mai 1829: »Meine liebe, beste Elise! Sei mein Verhältniß wie es wolle,
ich muß Dich sehen, von Dir Trost und Leben erhalten! -- Ich reise von
Paderborn mit der Schnellpost nach Düsseldorf, kann von hier nicht wohl
ganz genau bestimmen, wann ich ankomme, gegen den 16. oder 17. kannst Du
mich erwarten. Du wirst doch nicht so unmenschlich sein, mich abzuweisen?
Das wäre schrecklich! -- In der Erwartung des hohen Glücks Dich
wiederzusehn, von ganzem Herzen der Deinige, Adolph.« --

Er reiste nun wirklich nach Düsseldorf, und mit tiefer Bewegung sahen sich
die ehemaligen Gatten wieder. Lützow konnte sich kaum fassen, beklagte
tausendmal, die theure Frau durch seine eigene Schuld auf ewig verloren zu
haben, und vertraute ihrem treuen Antheil all den Kummer und all das Leid,
die ihn drückten. Wie sehr dies Wiedersehn ihm wohlgethan, zeigen die
folgenden Worte, die er ihr nach seiner Rückkehr, aus Münster, den 31. Mai
1829 schrieb: »Für mich werden dereinst die Thränen reden, die ich bei
Deinem Andenken weine, wenn ich die Schuld verantworten soll, die ich gegen
Dich begangen. -- Du bist zu großmüthig, zu gütig, und so darf ich
denn überzeugt sein, Du verzeihst mir, und läßt mir den Trost Deiner
Freundschaft, wie ich bis in den Tod der Deinige bin. -- Wie bereitwillig
bist Du nicht stets, um Andern nützlich zu sein, das Glück Anderer liegt
Dir stets am meisten am Herzen, an Dich denkst Du zuletzt; möchte Dir doch
vergolten werden!« --

Ueber seine Versetzung nach Torgau schrieb er ihr aus Münster den 8. April
1830: »Du wirst vielleicht schon erfahren haben, daß ich Brigade-Kommandeur
in Torgau geworden bin. -- Seitdem Du nicht mehr in Münster bist, habe ich
mich immer so sehr von hier weggewünscht, um Erinnerungen los zu werden,
die mein Herz zerreißen!« --

Seine Abreise an den neuen Bestimmungsort meldete er ihr in einem Briefe
aus Münster, den 15. April 1830, der nichts enthielt, als die Worte: »Meine
beste Elise! Morgen verlasse ich Münster, wo ich das Glück meines Lebens
eingebüßt habe. -- Wenn es Dir nur gut geht, so mag der Himmel über mir
zusammenschlagen. Mit den tiefsten Gefühlen, der Deinige, Adolph«. -- Wie
viel gepreßter Schmerz in diesem Ausruf! -- _Elisens_ Antworten las er
nie ohne Thränen der Wehmuth, und wenn sie einmal etwas länger mit dem
Schreiben zögerte, klagte er immer auf's Neue, es sei ihm so bange um's
Herz.

Als nach eingetroffener Erlaubniß des Königs von Dänemark _Elisa_ wieder
den Namen Gräfin von Ahlefeldt-Laurwig annahm, schrieb ihr Lützow aus
Erfurt, wohin das Armeekorps, dem er angehörte, marschirt war, den
28. Mai 1831: »Sehr angemessen finde ich es, daß Du Deinen Familiennamen
angenommen, es bringt Dich Deiner Familie wieder näher, und wird beim
äußeren Auftreten manche schmerzhafte Erinnerung vermeiden -- und in dieser
Beziehung ein neues Leben begründen. -- Doch den Menschen beherrschen
doppelte Gefühle, und so konnte ich mich der egoistischen Thränen nicht
erwehren, als ich erfuhr, daß Du meinen Namen nicht mehr trägst; -- ich
fürchtete, Du wärest mir dadurch _entfernter_ getreten. -- Ueber die
Inconsequenz der Menschen, die erst handeln, und dann erst begreifen, was
sie gethan haben!«--

Da der Zustand von _Elisens_ Vater damals große Besorgnisse einflößte, und
man vermuthen durfte, daß ihr Vetter _Christian_, der sie dringend zu sich
einlud, bald der Besitzer von Langeland sein würde, so drückte Lützow
den Wunsch aus, sich dort mit _Elisen_ treffen zu dürfen, denn, sonderbar
genug, verbinde er mit Langeland noch immer den Begriff, als wäre er dort
in der Familie, und, setzte er hinzu, wäre er frei, so möchte er seinen
Abschied nehmen, sich auf Langeland eines der ehemaligen Musikantenhäuser
miethen, und im Andenken an _Elisen_ dort ganz still leben. Es ist gewiß
sehr ungewöhnlich, daß ein Mann solche Gefühle für seine geschiedene Gattin
hegt, wie es in diesem eigenthümlichen Verhältniß der Fall war. --

Die Befürchtungen in Betreff von _Elisens_ Vater trafen bald ein. Den
8. März 1832, in demselben Monat, in dem sie ihre Mutter verloren hatte,
erfolgte sein Tod; sanft und ohne Schmerzen entschlief er an den Folgen
eines Nervenschlages, zweiundsiebzig Jahre alt. _Elisa_ hatte ihm mehrmals
und zu verschiedenen Zeiten angeboten, zu ihm nach Langeland zu kommen, und
ihn zu pflegen, aber er hatte dieses Opfer abgelehnt, und ein solches wäre
es unläugbar für sie gewesen, da in dem Kreise, in welchem er schon lange
Zeit lebte, seit Jahren keine Dame von Erziehung und wirklicher Bildung
gewesen war, und ein roher Ton und leichtfertige Sitten herrschten.

Er hinterließ beträchtliche Schulden. _Elisa_ schloß nun mit ihrem Vetter,
dem Grafen _Christian von Ahlefeldt-Laurwig_, an den nun die Grafschaft
fiel, einen Vergleich, der darauf hinauslief, daß ihr auf Lebenszeit
eine jährliche Rente ausgezahlt wurde; sie erhielt freilich nicht die
Reichthümer, die ihr in der Jugendzeit zugedacht gewesen, aber
zum wenigsten sah sie sich doch endlich in geordneten und sichren
Verhältnissen.

Die erste Anwendung, die sie von einem Theil ihres neuen Einkommens machte,
war, daß sie ihrer theuren alten Erzieherin, die bereits sechsundsiebzig
Jahre alt, noch in Hamburg lebte, eine jährliche Pension gab, die
Graf Friedrich von Ahlefeldt ihr auf Lebenszeit verheißen, aber seit
einundzwanzig Jahren nicht mehr ausbezahlt hatte. --

Im Frühjahr 1833 wurde Lützow ganz unerwartet zur Disposition gestellt; er
schrieb _Elisen_ hierüber aus Torgau den 1. Mai: »Meine beste Elise! Der
König hat meine Brigade dem Prinzen Albrecht gegeben, und wenn es nun
allerdings nichts Ungewöhnliches ist, einem Königssohn zu weichen,
so bleibt es doch allerdings nichts Angenehmes. -- Es sind mir die
allerschönsten Versprechungen gemacht worden, indeß ist haben besser
als bekommen, die Leute, denen meine Art zu denken eben _nicht gefällt_,
schätzen mich sehr hoch, finden aber, daß es schade sei, so oft verwundet
zu sein, u. s. w. Im ersten Augenblick fehlte mir die Kraft nicht, indeß
läugne ich nicht, daß ich im Inneren verstimmt bin; meine Absicht ist,
eine Wohnung im Thiergarten zu miethen, und dort das Weitere abzuwarten.
Erstlich wollte ich nach Dresden gehn, wo ich gewesen bin, und wo es mir
ganz besonders gefällt, indeß wünscht Witzleben, daß ich in Berlin bleiben
möchte. Ich bin ganz wohl, und habe zu wenig Uebung mich selbst nur allein
mit mir zu beschäftigen, um auf eine Anstellung völlig verzichten zu
dürfen.« --

Auch über diese Kränkung, die er tief fühlte, sprach er sich am liebsten
gegen die Freundin aus; er konnte sich schwer in seine neue Lage finden.
Er ging nun nach Berlin, und bezog eine Wohnung im Thiergarten. An die
höflichen Redensarten, mit denen man ihn hinhielt, glaubte er wenig, und
nahm sich vor, noch einige Zeit die Dinge ruhig zu erwarten, wenn er
aber nicht, wie man ihm mündlich und schriftlich zugesichert, auf eine
angemessene Art angestellt werde, so wollte er Preußen verlassen, und es
nie wiedersehen. --

In einem Briefe aus Berlin, den 28. November 1833 sprach Lützow seinen
allerdings gegründeten Unmuth aus; er lautet: »Meine beste Elise! Ich habe
lange nicht geschrieben, aber es wird mir schwer, Dir zu sagen, wie ich
lebe! Beinahe schäme ich mich, es zu erzählen. Meine Wohnung im Thiergarten
ist allerdings angenehm, außerdem bin ich völlig ohne Geschäfte; kein
Mensch, sage keine menschliche Seele erinnert sich meiner. Leo ist der
einzige, der alle Monat einmal pflichtmäßig zu mir kommt, er ist mehr
achtbar als angenehm, und verläßt mich nie, ohne mein Gefühl verletzt
zu haben. -- Daß der Lützow'sche Name nicht florirt, ist ihm allerdings
unangenehm, mir persönlich mag er wohl eine Demüthigung gönnen, wenn er
auch darüber -- wie die Menschen in so vielen Verhältnissen -- nicht ganz
klar sich selbst Rechenschaft giebt. -- Ich bin stumpf geworden, die Dinge
haben ihren Eindruck auf mich verloren. Es bedarf eines äußeren Anklangs,
um mich wieder zu erheben, ich werde ihn suchen und finden! -- Berlin ist
übrigens ein fatales Offiziantenloch. Alles äfft dem Hofe nach. Bildung des
Verstandes will ich den Berlinern nicht allgemein absprechen; das Gemüth
ist ohne Fülle, sie sind in Vielwisserei, äußeren Schein und Vornehmthun
versunken. Der Luxus ist groß. Ein Hausvater läßt seine Kinder nach seinem
Tode lieber betteln, als seine Gäste ohne Champagner. Die Frauen bedürfen
unaufhörlich neuer Lumpen, und bedenken nicht, daß ihre Kinder dereinst
zerlumpt einher wandern müssen. In diesem Augenblick passiren lauter schöne
Wagen und Pferde, die Livreen gleichen den Hoflivreen, denn jede arme
Lieutenantsfrau glaubt ein Stück des Hofes sein zu müssen. -- Hinter dem
Wagen steht ein Neufchateller Jäger, der nie einen Hasen geschossen, und
noch überdies das Französische seiner gnädigen Frau nicht recht zu deuten
versteht, so laut sie auch das ganze Publikum damit unterhält. Vor 1813
hatte das Unglück die Berliner vernünftig gemacht, seitdem die Staatskassen
richtig zahlen, und die Orden fliegen, sind sie die alten, und noch
schlimmer wie vor 1806. -- Darf ich Dich besuchen, wenn ich im Frühjahr
nach dem Rhein komme? Gern sagte ich Dir mündlich, daß ich nie aufhören
kann der Deinige zu sein.« --

Immer auf's Neue äußerte Lützow den Wunsch _Elisen_ wiederzusehen, um sich
bei ihr zu entschädigen für sein häusliches Leid. »Lange bin ich in Dresden
gewesen,« schrieb er ihr aus Berlin, den 1. November 1834, »und habe
eigentlich die Absicht dort für immer zu leben. Dir hat es ja auch stets
dort gefallen, kommst Du nicht vielleicht einmal wieder nach Dresden? Wir
wollten recht freundlich zusammen leben. Ueberlege Dir meinen Vorschlag,
der aus meinem tiefsten, innersten Gefühl hervorgegangen. -- Die Tochter
unseres Wilhelms würde Dich interessiren, sie ist stark, kräftig, und ob
sie gleich für das ungezogenste Mädchen gehalten wird, und alle Dinge mit
ihren eigenen Augen ansieht, so ist dennoch in ihrem kleinen Herzen
eine Welt von Empfindungen und unendliche Tiefe des Gefühls. --
Meine felsenfeste Gesundheit ist erschüttert, und ich bin oft krank.
Gemüthsbewegungen kann ich durchaus nicht vertragen, diese machen, wie
Aerger, da ich nicht wie sonst durch heftiges Aufwallen Luft mache, mich
stets krank. -- Ich erwarte viel von einer gänzlichen Zurückgezogenheit im
herrlichen Dresden, besonders wenn auch Du durch Deine Gegenwart das Leben
verherrlichen wolltest. Mit tiefer Anhänglichkeit und treuer Freundschaft
der Deinige Adolph.« --

Was Lützow hier von seiner Gesundheit sagte, war leider nur zu wahr!
Ein Brief aus Berlin, den 18. November 1834, in welchem er _Elisen_
nachträglich auf gewohnte Weise zu ihrem Geburtstag Glück wünschte, und
lebhaft über ein dreitägiges Fieber klagte, war der letzte, den er der
geliebten Freundin geschrieben, denn schon den 4. Dezember 1834 starb er
plötzlich, erst zweiundfünfzig Jahre alt. --

Er wohnte, da seine Frau in Dresden lebte, und er dadurch wieder ganz
allein war, die letzte Zeit im Thiergarten beim Hofjäger, wo er ein
einzelnes Zimmer seiner früheren Wohnung gemiethet hatte. Er war den Abend,
über Unwohlsein klagend, nach Hause gekommen, und den andern Morgen fand
ihn sein Diener todt im Bette. Seine Gesichtszüge sahen so ruhig aus, als
wenn er schliefe. Auf einem Tische neben ihm lagen einige Bände Shakespear,
Tasso, Faust und Wallenstein, Werke, die ihm nur als Erinnerung an _Elisen_
lieb sein konnten, da er sonst an solcher Lectüre keinen Geschmack fand.

_Elisa_ war tief erschüttert von der Nachricht, welche die treue Johanna
Dieffenbach sogleich an Immermann schrieb, damit dieser sie in schonender
Weise der Freundin mittheile. Allgemein wurde der tapfre und ruhmreiche
Freischaarenführer betrauert, der durch seine Unerschrockenheit und
Biederkeit, durch seine Gutmüthigkeit und Offenheit viele Freunde
besaß, und von der ganzen preußischen Armee hochgeachtet wurde. Für die
Handlungen, zu denen ihn Leidenschaft und Charakterschwäche verleitet,
hatte er bitter gebüßt durch tiefe Reue, und wenn er selbst sich auch sein
Unglück zugezogen, so mußte man ihn doch herzlich darum bedauern. Er wurde
vor der Zeit alt. Seine zweite Heirath war es vor allem, die ihm viel
Kummer bereitete, nun kam noch seine leidende Gesundheit dazu, und die
kränkende Zurücksetzung, die er, der sich um das Vaterland so sehr verdient
gemacht hatte, erfahren mußte. -- Sein Andenken wird fortleben in der
Geschichte, wenn diejenigen, die ihn in den Schatten zu stellen suchten,
längst vergessen sind.

Wir müssen verschiedene Reisen erwähnen, welche _Elisa_ während ihres
Aufenthalts in Düsseldorf machte, theils begleitet von Immermann, theils
allein. Die schönen Rheingegenden forderten zu manchen romantischen
Ausflügen auf; in Dresden wurde Tieck besucht, dessen Kreis vielfach
Anregung bot, und der mit Immermann das Interesse für die Bühne theilte.
Als Immermann 1831 jene Reise machte, die er in seinem gedruckten
»Reisejournal« geschildert, schrieb er alle jene darin enthaltenen Briefe
an die in Derendorf zurückgebliebene _Elisa_; sie legen in manchen kleinen
Zügen dar, wie auch in der Ferne sich alle seine Gedanken zu der Freundin
richteten, wie er nichts genoß und nichts erlebte, was er nicht mit ihr
zu theilen verlangte. Im Jahre 1834 unternahmen er und _Elisa_ eine
gemeinschaftliche Reise nach Holland, auf der die Malerin _Karoline Lauska_
sie begleitete. Sie gingen über Nymwegen, Rotterdam, Delft, den Haag, nach
Scheveningen. Hier hatte _Elisa_ die Freude nach langen, langen Jahren
wieder einmal das Meer zu erblicken, das Meer, bei dessen majestätischem
Anblick, bei dessen geheimnißvollem Wogen und Brausen sie ihre Kindheit und
ihre Mädchenjahre verlebt, und manche goldene Jugendträume geträumt.
Froh schlug ihr Herz, als sie am frühen Morgen am Strand von Scheveningen
entlang gingen, und ihnen die grünlich silberne Fluth entgegenschäumte;
sie jubelte vor Entzücken, sie athmete mit Wonne eine Luft, die sie an
die Heimath erinnerte. Ihr scharfes Auge entdeckte zuerst die mächtigen
Segelschiffe, die am Saume des Horizonts wie ferne Nebelgestalten grau und
geisterhaft erschienen, und die _Elisa_ wie Freunde begrüßte. Die Wellen
hatten die zierlichsten Schaumlinien auf dem Strande zurückgelassen,
und das Meer warf phantastische grüne Schilfkränze und die leuchtendsten
Muscheln und Schneckenhäuser zu _Elisens_ Füßen, wie wenn es ihr, der
Tochter des Meeres, damit Geschenke darreichen wollte. Alle diese Schätze
wurden als Andenken gesammelt.

Sie gingen weiter über Harlem nach Amsterdam. Als sie an dem letzteren Orte
nach Frascati kamen, einem Wirthshaussaal, den man ihnen sehr empfohlen
hatte, trafen sie dort in dem hellen Raume ein paar hundert Menschen,
welche rauchten und tranken. Sie fanden an einem Tisch in einer Ecke mühsam
Platz, und Immermann, mit seinem Sinn und Auge für das Charakteristische
ergötzte sich die vielen seltsamen Gruppen ringsumher zu betrachten. Da
waren viele Nordholländer und Nordholländerinnen, die letzteren an Kopf,
Hals und Nacken mit Goldplatten und Brillanten bedeckt, übrigens in
bäuerlicher Tracht. Ihre Begleiter saßen, die Hüte auf dem Kopf, neben
ihnen, sahen starr vor sich hin, bliesen den Rauch aus den Thonpfeifen,
und gaben keinen Laut von sich. Das Ganze sah aus wie ein gemaltes Bild.
Immermann entdeckte hier mit Vergnügen so komische Originale, wie er sie
später in seinem »Münchhausen« geschildert, aber _Elisa_, die stets den
größten Widerwillen gegen Wirthshausluft und Tabacksqualm gehabt, wurde es
plötzlich so unheimlich dort, daß sie mit Einemmale, ohne sichtbares Motiv
sich voll Entsetzen erhob, und mit einem Ausdrucke des Grauens erklärte,
daß sie es hier unmöglich länger aushalten könne. Von ihren Gefährten
gefolgt, verließ sie eilig den Saal. --

Wie Immermann im Museum zu Amsterdam ein Gemälde von Gerhard Dow, welches
man, um es besser zu schützen, unter Glas gebracht hatte, anfaßte, um es
in helleres Licht zu bringen, schoß ein langer, wunderlicher Galeriediener
wüthend auf ihn zu und rief mit giftigem Blicke: die Schildereien wären
zum Bekeeken und nicht zum Anfassen da! Dieser komische Auftritt blieb
_Elisens_ lustigste Reiseerinnerung aus Holland. -- Ueber Utrecht und
Arnheim kehrten sie nach Düsseldorf zurück. --

Immermann dichtete nichts, das er nicht zuerst _Elisen_ vorlas, und ihrem
Urtheil unterwarf. So sehr sie sein Talent liebte und anerkannte, so war
sie doch keinesweges eine blinde Bewundrerin seiner Werke; weit entfernt,
wie so viele Frauen, die den Schriftstellern, welche ihnen nahe stehen,
durch ein maßloses Lob, welches größtentheils aus Beschränktheit und Mangel
an Geist entsteht, mehr schaden als nützen, sprach sie immer ihre offene
Meinung gegen ihn aus, mochte sie nun von der seinigen abweichend oder
zustimmend sein. Als sie einmal an seinem »Alexis« etwas tadelte, brach der
empfindliche Dichter in den klagenden Ausruf aus: »Wie, auch Sie verstehen
mich nicht?« -- _Elisa_ ließ sich, so sehr diese Worte sie schmerzten,
dadurch nicht irre machen, und hatte die Genugthuung, daß ihr Immermann
bald den ungerechten Vorwurf abbat, und an seinem Werk die Veränderung
vornahm, die _Elisa_ ihm angerathen hatte. Er schrieb keinen Brief, den
er ihr nicht, ehe er ihn abschickte, vorgelesen hätte; alle seine
Briefschaften, seine Manuscripte, schenkte er ihr; sie besaß einen
Schlüssel zu dem Schrank, in dem er alle seine Papiere verwahrte, er hatte
kein Geheimniß vor ihr, und es war ihm lieb, wenn sie in die innerste
Werkstätte seiner Gedanken blickte. Mit eigner zarter Hand ordnete
sie seinen Schreibtisch, und schmückte ihn auch wohl mit Blumen. Zu
wiederholten Malen bat Immermann _Elisen_, ihm ihre Hand zu reichen, und
damit seinem Glück die Krone auszusetzen; er stieß immer auf denselben
Widerstand. »Wird er immer so fühlen?« dachte sie zaghaft und bescheiden,
und hielt es für das beste, nichts an ihrem schönen Zusammenleben zu
ändern. --

       *       *       *       *       *

Ein großer Schmerz war für Immermann, daß das Düsseldorfer Theater, welches
unter seiner Leitung einen so schönen Aufschwung genommen, wegen Mangel
an Geldmitteln eingehen mußte. Die Opfer, welche er selbst brachte, es zu
erhalten, wollten nicht ausreichen; keine Anstrengung, keinen Verdruß, der
bei einer solchen Stellung unvermeidlich war, hatte er gescheut, und mit
unermüdetem Eifer sich der Sache gewidmet, die ihm so sehr am Herzen lag.
Bis zuletzt hoffte er, daß sich im Publikum so viel Theilnahme finden
würde, um die sinkenden Kräfte zu unterstützen, aber mit Bitterkeit mußte
er wahrnehmen, daß die Reichen und Großen sich um die Hebung der wahren
Kunst viel zu wenig kümmerten, um zu einem solchen Zwecke beizusteuern,
und noch viel später, in den »Düsseldorfer Anfängen« klagte er, daß in dem
Staate der »Intelligenz« das Gouvernement, während es Hunderttausende für
die Frivolitäten des Ballets und der Oper in der Hauptstadt verschwenden,
nicht daran dachte, eine jährliche Unterstützung von 4000 Thalern einem
Institut zuzuwenden, das bestimmt war, in die Reihe der Rheinischen
Kunstanstalten mit einzurücken.

Am 1. April 1837 mußte die Bühne, nach dreijährigem, ruhmreichen Bestehen,
geschlossen werden; sie ging unter, aber in höchster Kraft und vollster
Blüthe, in einer Weise, die ihrer würdig war. Die Schauspieler fühlten
sich so von Eifer beseelt, daß sie bis zuletzt den größten Fleiß auf die
schwierigsten Aufgaben verwandten. Immermann sagte selbst, daß sie bis
zuletzt so viel leisteten, »weil sie ihre Ehre darein setzten, daß die
Bühne im höchsten Glanz ihrer Thätigkeit untergehe.« Die letzte Vorstellung
wurde mit einem Epiloge von Immermann geschlossen, den die Schauspielerin,
Madame Limbach vortrug, und in welchem, nachdem die Klage ausgedrückt,
daß das Glück in dieser bunten Thätigkeit nur so kurz gedauert, es weiter
heißt:

  »Doch auch das Trübste sei an diesem Orte,
  Von dem der Druck des Lebens fern sich hält,
  Mit Heiterkeit betrachtet! Wenn die Bühne
  In ihrer Kraft und Frische, jugendlich,
  Dem Dienst der Göttertochter Poesie
  Sich weih'nd, hier untergeht,
  Ist's nicht im Grund ein Heil? _Der_ Tod galt stets
  Noch für den glücklichsten, der an die Kraft,
  Die ungeschwächte, rasch die Sichel legt,
  Der trifft, noch eh' das Leben allgemach
  Bewußtsein, Muth und Sinne ausgelöscht.

  Sei dieser Tod ein Gleichniß unsres Falls.
  Und dieses Gleichniß heut uns sanften Trost.« --

Immermann war sehr verstimmt; neben dem Scheitern seiner Bühnenwirksamkeit
verdroß es ihn, daß er als Schriftsteller nicht die Anerkennung fand,
die er zu verdienen glaubte. Persönliche Verdrüsse kamen hinzu, wie zum
Beispiel schon früher das Erkalten seines Freundschaftsverhältnisses mit
Schadow. Doch konnten ihn alle solche Verstimmungen nicht an neuem Schaffen
hindern; er gab die »Memorabilien« heraus, die »Epigonen,« dichtete an
seinem »Münchhausen« und begann »Tristan und Isolde.«

Eine Reise nach der Fränkischen Schweiz, im Jahre 1837, mit der er einen
Besuch in Weimar verband, heiterten ihn etwas auf. Er las an dem letzteren
Orte sein neuestes Drama »Ghismonda, die Opfer des Schweigens« vor, und
leitete dessen spätere Aufführung dort ein. Die Erinnerung an Goethe regte
ihn an, und erhob ihn; die freundlichste Aufnahme am Hofe wurde ihm zu
Theil, und das Weimarer Theater mochte wohl den Wunsch in ihm erregen,
ein solches unter seiner Leitung zu sehen. Die ganze, nach seinem Tode
abgedruckte »Fränkische Reise« bestand aus Briefen, die er an _Elisen_
schrieb.

Als bei seiner Rückkehr die Freundin ihn voll Liebenswürdigkeit und
Herzlichkeit empfing, dichtete er die folgenden Strophen an sie:

  Symbol
  in der Nacht der Heimkehr
  den 12. October 1837.

  Auf dem Tische lag der Kranz gewunden,
  Steine aber legte ich, gefunden
  In den Höhlen, Stalactiten, Pflanzen
  Auf den Tisch aus meinem Reiseranzen.

  Autographen und so manches Blatt,
  Das mir mancher Freund verehret hat,
  Wurden ausgebreitet auf dem Tisch. --
  Als ich nun beschaute dies Gemisch.

  Sieh, da gab's ein hübsches Symbolum,
  Eins der ächten, redend, wenn auch stumm!
  Petrefact und Stalactit und Pflanze
  Lag gehäufet außerhalb dem Kranze.

  Innerhalb des Kranzes aber hat
  Seinen Platz gefunden Schrift und Blatt.
  Der Natur Producte lagen drüben,
  Und der Kunst, des Menschenlebens hüben!

  Zwischen Kunst, Natur und Menschenleben
  Hat also den Mittler abgegeben
  Jener holde Kranz, den ich gefunden
  In der Nacht, von lieber Hand gewunden.

Im Februar 1838 nahm Immermann an dem Fest der Freiwilligen zu Köln Theil,
das zur Feier des fünfundzwanzigjährigen Jubiläums begangen wurde. Sein
Gedicht: »Die silberne Hochzeit,« das er den Kameraden vortrug, zeigt seine
Begeisterung für das Vaterland, und wurde mit lautem Beifall aufgenommen.
Seine spätere Beschreibung des Festes feierte die große Zeit, deren er und
die Freundin so gern gedachten.

Im Laufe des Sommers erschien unter den Fremden in Düsseldorf auch _Adolf
Stahr_, der damals zuerst die Bekanntschaft von Immermann und _Elisen_
machte; er kam aus Oldenburg mit seinem Freunde, dem humoristischen
Schriftsteller _Theodor von Kobbe_, der sich selbst in seiner lustigen
Weise Immermann's =enragé= nannte. Bald darauf schilderte Stahr sehr
anziehend im »Bremer Conversationsblatt« seinen Besuch bei dem Dichter, für
den er voll Liebe und Verehrung war. --

Im Herbst dieses Jahres wünschte _Elisa_ nach so langer Zeit endlich
einmal wieder ihren guten alten Onkel von Hedemann-Heespen in Holstein zu
besuchen, der nun bereits den Siebzigen nahe war, und dringend verlangte,
sie wiederzusehen. Da Immermann seine Familie in Magdeburg sehen, und eine
Taufe bei seinem Bruder wollte mitfeiern helfen, auch einen Ausflug nach
Hamburg, wo er _Karl Gutzkow_ und _Ludolf Wienbarg_ aufzusuchen wünschte,
und nach Bremen beabsichtigte, so ließ sich die Reise theilweise
gemeinschaftlich machen. Immermann blieb in Magdeburg, während _Elisa_ bei
ihren Verwandten verweilte.

Auf der Durchreise durch Münster erwartete _Elisen_ der alte, würdige
Möller mit der feurigen Sehnsucht eines Jünglings. Wo sie erschien,
bezauberte sie wieder alle Herzen; der alte Onkel wurde beinahe wieder
jung vor Freude über ihre Gegenwart; in Hamburg begrüßte sie nach so langer
Trennung mit gerührtem Herzen ihre Erzieherin, Marianne Philipi, die
nun Zweiundachtzigjährige, deren sehnlichster Wunsch es gewesen war, das
»holdselige Angesicht« ihrer _Elisa_ vor ihrem Ende noch einmal zu sehen.
Wie wohlthuend und beglückend ihre Erscheinung auf ihre alte Freundin
wirkte, mögen die folgenden, bald nach diesem Wiedersehen geschriebenen
Zeilen der letzteren, aus Hamburg den 31. October 1838 andeuten:
»Herzlichen Dank, Du theuerste Elisa, für Deine mich beruhigenden,
liebevollen Zeilen, so wie für Deine wohlthuende Nähe, deren ich mich
länger und öfterer, als ich zu hoffen mir getraute, während Deines
Aufenthalts in Hamburg erfreute. Möge die uns zu Liebe gemachte Reise in
ihren Folgen sich eben so beglückend Dir erweisen! In Gedanken blicke
ich Dir noch immer, wie das letzte Mal an meinem Schreibtisch, in Dein
seelenvolles Auge, Dein freundliches Gesichtchen, dessen Züge ich mit
schwärmerischer Mutterliebe in mein Innerstes einzuziehen und unauslöschbar
festzuhalten mich bestrebte. Gestehen darf ich Dir wohl, ohne Deine
Bescheidenheit, den Grundton des echt weiblichen Wesens, zu verletzen, daß
ich Dich liebenswürdiger, meinem Herzen näher als je, wiederfand. --
Mit Deiner holden Erscheinung ist mir ein neues, schöneres Dasein wieder
geworden So überwiegt ein Stündchen traulicher, mündlicher Mittheilung
den ganzen Inhalt eines Briefwechsels mehrerer Jahre, unter der Furcht
unheiliger, über die Schulter einkuckender, mitlesender Augen! Auch darf
ich Dir ferner nicht verhehlen, daß Du neue Lebenslust und neuen Lebensmuth
wieder in mir angefacht. Wem hätte es je einfallen können, daß das vormals
ihre Erzieherin so muthwillig umhüpfende Elischen einst derselben eine so
wirksame Arznei reichen würde! -- Wie ruhig bin ich, Dich jetzt so wohl,
und Deine Angelegenheiten in so guten, geschickten Händen zu wissen.
Der Himmel erhalte Dir bei Gesundheit und Frohsinn alles, was zu Deiner
Zufriedenheit gereicht, und schenke Dir einen so heitern Lebensabend, als
der, dessen ich mich durch Deine Liebe erfreue. Dem gefälligen Immermann
bitte ich seinen Gruß freundlichst zu erwiedern, und für sein gütiges
Anerbieten zu danken. Welch ein Genuß, könnte ich seinen Vorlesungen und
seiner geistreichen Unterhaltung lauschen! -- Das Sträuschen, das Du mir
scheidend gabst, ruft, wohlverwahrt, alle die lieblichen Bilder, womit
Deine holde Gegenwart mein Zimmerchen beseelte, wieder zurück, es wird mir
immer zur Seite bleiben. -- Lebe wohl, geliebte Elisa! Gedenke mein wie
bisher mit Liebe, überzeugt, daß Du keinem Wesen theurer sein kannst als
mir, die Dich im Herzen trägt, und tragen wird, bis es bricht. Marianne
Philipi.« --

Wer läse nicht mit Wehmuth diese liebenden Wünsche in einem Augenblick, wo
das Verhängnis schon das Gegentheil beschlossen hatte! --

Immermann hielt sich unterdessen, wie schon bemerkt, in Magdeburg auf.
Das Familienfest bei seinem Bruder _Ferdinand_ versetzte alles in frohe
Stimmung. Ein junges, achtzehnjähriges Mädchen, dessen Vormund Ferdinand
Immermann war, _Marianne Niemeyer_, aus Halle, befand sich dort im Hause.
Als Immermann in seiner gewohnten Art in dem Kreise vorlas, fiel ihm
der eifrige Antheil auf, den Marianne daran zu nehmen schien; dadurch
interessirte er sich für sie, und beschäftigte sich mit ihr; doch konnte es
zu keiner genaueren Bekanntschaft kommen, da er sich nur so kurze Zeit bei
den Seinigen aufhielt, und Mariannen nur ein paar Mal gesehen hatte.

Als er wieder mit _Elisen_ zusammentraf, und mit ihr gemeinschaftlich die
Rückreise nach Düsseldorf antrat, machte er ihr auf's neue den Vorschlag,
ihn zu heirathen; er that es diesmal mit einer Art von beklommener
Heftigkeit, die _Elisa_ nicht zu deuten wußte; sie blieb wie immer bei
ihrer Weigerung.

Zu Hause angelangt, schrieb Immermann sogleich an Mariannen; sie antwortete
auf der Stelle. Immermann fand den Verkehr mit einem so jungen Mädchen
pikant und neu, und setzt den Briefwechsel eifrig fort, den er, der sonst
kein Geheimniß vor _Elisen_ hatte, vor ihr verschwieg. Seine Beziehung zu
Mariannen gewann durch die kurze Bekanntschaft, die Entfernung, die Hast
und Ueberstürzung, einen Anflug von Leidenschaftlichkeit.

Ferdinand Immermann, der Vormund Mariannens, äußerte seine entschiedene
Mißbilligung; er verlangte zum wenigsten Einsicht in den Briefwechsel, und
machte seinem Bruder die heftigsten Vorwürfe, den er durchaus als gebunden
ansah. Die Großmutter Mariannens, die alte Kanzlerin _Niemeyer_ in Halle,
betrachtete die Sache von einer andern Seite; sie liebte es, Heirathen zu
stiften, und behauptete, sie sähe durchaus nicht ein, warum Immermann ihrer
Enkelin nicht seine Hand anbieten könne, da er ja nicht verheirathet sei.
Es war ihr leicht, es durch ihren Einfluß dahin zu bringen, daß Immermann
in einem Briefe anfragte, ob Marianne die Seine werden wolle? Diese gab
sogleich ihr Jawort.

Das alles geschah so plötzlich, so rasch hintereinander, wie wenn ein
unvorhergesehener Gewitterregen einbricht, und in Einem Augenblick
alle Blüthen schonungslos vernichtet. Immermann wagte nicht _Elisen_ zu
gestehen, was er gethan; sein böses Gewissen nahm ihm den Muth dazu. Und
dennoch ist nichts so schwer, als eine Verlobung lange geheim zu halten!
Bald wußten mehrere Personen in dem Düsseldorfer Kreise darum, nur _Elisa_
nicht! --

Immermann las ihr in jener Zeit ein Gedicht vor, das er an Mariannen
gerichtet hatte. _Elisa_ blickte ihn an, und sagte mit ihrer wunderbaren
Divinationsgabe, halb ruhig, halb scherzend: »Ich glaube diejenige, an
welche dies Gedicht gerichtet ist, werden Sie noch einmal heirathen!« --
Immermann läugnete dies auf das entschiedenste; sie aber hatte richtig
vorausgefühlt! --

Es waren beklommene, unheilverkündende Tage; Immermann fühlte sich nicht
mehr frei und unbefangen _Elisen_ gegenüber, wie sonst; er konnte ihr nicht
mehr mit der gewohnten Offenheit begegnen; wenn sie die sanften, blauen
Augen zu ihm aufschlug, senkte er verlegen die seinigen. _Elisa_ konnte
es sich nicht mehr verbergen, daß sich das Betragen des Freundes gegen sie
verändert habe. Was war es, das wie eine dunkle Wolke zwischen ihnen lag?
-- Sie litt in der Stille, und litt unendlich. --

Niemand als der treuen Johanna Dieffenbach vertraute sie ihre Gefühle.
Diese, die ihre Freunde nie im Stiche ließ, wo es galt, schrieb sogleich
aus Berlin, den 18. Dezember 1838: »In dieser Minute habe ich Deinen Brief
erhalten, und rufe Dir auf der Stelle zu, komm, komm hieher, zu mir,
zu mir, Du geliebte Elisa! Für's erste würde Dir die Stille hier auch
wohlthun, und weitere Pläne lassen sich hier gemeinschaftlich berathen.
Soll ich, soll mein Freund Kaufmann Dich holen kommen? Ein Wort, und Du
sollst nicht einsam, mit schwerem Herzen, den Weg hieher machen; denn
hieher, und nirgends anders gehe zuerst. -- Und wenn innige, herzliche
Freundschaft Trost gewährt, so findest Du ihn an meinem Herzen, das mehr
als ein anderes Dir nachfühlen kann. Gott hat mir beigestanden, wo ich so
ganz verzagte, und mir ein ruhigeres Leben geschenkt, als ich's je
vorher hatte. Vertraue Du nur, es wird Dir auch nicht fehlen! Ewig Deine
Johanna.« --

Es ist schwer zu glauben, daß ein Verhältniß zerstört sei, das für
das Leben dauern sollte, daß nach so vielen Jahren einer poetischen,
beglückenden Freundschaft ein solches Ende folgen könne. _Elisa_ duldete
weiter. Die Freundin schrieb ihr den 24. Januar 1839 wieder, wie folgt:
»Wärest Du armes Herz nur erst hier, fort von da, wo Du jede Stunde
auf's neue verletzt werden mußt. Kein Schmerz verwundet so tief, als sich
getäuscht zu finden, wo man so ganz vertraut hat, erkaltet zu fühlen, was
unser Herz so lange mit unwandelbarer Treue festgehalten, sich abwenden
zu sehen, was durch Hingebung unseres ganzen Wesens wir für immer uns
verbunden glaubten. O, so grausam scheidet nicht der Tod, unsere theuren
Gestorbenen leben uns in der Seele fort, wir dürfen ihrer freudig gedenken.
Aber Freunde, die dieses Namens unwerth, aller Liebe, Treue, Hingebung,
aller Opfer uneingedenk, dies alles mit engherziger Selbstsucht und Undank
lohnen können, die verbittern nicht bloß die Gegenwart, auch der schönen
Vergangenheit können wir nicht gedenken, ohne daß uns wie eine dunkle Wolke
die schmerzliche Erfahrung vor die Seele tritt. Glaube Du Geliebte, Tag und
Nacht beschäftigt Dein Schicksal mich, ich fühle Dir alles nach, weil Dein
Loos das meine war. Dieser Zustand des Verlassenseins, der Einsamkeit ist
furchtbar, auch ich dachte damals verzweifeln zu müssen, keines Menschen
Trost fand bei mir Gehör.« -- Mit ihrer großartigen Freundschaft stellte
sich Johanna _Elisen_ vollständig zur Verfügung; diese sollte bestimmen, ob
sie kommen, und _Elisen_ mit sich führen, ob sie zusammen reisen, wie und
wo sie leben wollten; sie hoffte, eine Reise in neue, schöne Gegenden solle
_Elisen_ zerstreuen und ihren Kummer heilen.

Diese zögerte noch immer, einen Entschluß zu fassen; sie ahnte, daß etwas
Entsetzliches vorginge, ohne zu wissen, was es sei. Was Immermann ihr
verschwieg, wurde ihr nun von Andern mitgetheilt: daß er verlobt sei. Das
konnte sie nicht glauben! Ihr edles Gemüth hielt es für nicht möglich, daß
er dasjenige, was er vor allen Andern ihr mitzutheilen schuldig war, ihr
verheimlichen könne.

Die Gewißheit ließ nicht lange auf sich warten. Immermann legte ihr eines
Tages auf seinen Schreibtisch, den sie, wie bereits gesagt worden, allein
zu ordnen pflegte, und dessen Papiere sie alle lesen durfte, einen Brief,
der ihr alles entdeckte. Es war der schrecklichste Augenblick ihres Lebens.
Nach zwölf Jahren, die sie dem Glücke des Freundes ausschließlich gewidmet
hatte, nach zwölf Jahren voll Treue und liebender Sorgfalt, war nun alles
zu Ende! -- Ihre bangen Ahnungen hatten sie nicht getäuscht! Und der
einfachen Jugendlichkeit eines Kindes war es vom Schicksal bestimmt, den
Sieg davonzutragen über eine Frau von so feinem und hohen Geist, von so
schönem Herzen, von so bezaubernder Liebenswürdigkeit wie _Elisa_! -- Sie,
die vertraute Freundin, wollte er aufgeben, für ein fremdes junges Mädchen,
das er nur einige Male erblickt hatte! --

Wie _Elisa_ in Magdeburg lebte, hatte sie bei Immermann's Mutter ein Kind
gesehen, das dort fröhlich umherspielte: es war Marianne Niemeyer! So
war diejenige, die _Elisens_ Freundschaftsverhältniß zu Immermann stören
sollte, schon beim Beginne desselben gegenwärtig gewesen. Seltsame
Fügung! --

Diesem tragischen Geschick gegenüber, fühlte _Elisa_ unwiderleglich in
ihrem Herzen, daß es nur _einen_ Ausweg für sie gebe: fortzugehen auf
immer. Immermann hatte das nicht gedacht, sondern die inneren Vorwürfe, die
er sich machen mußte, mit der Hoffnung zu besänftigen gesucht, sie werde
sich bereden lassen, trotz seiner Heirath, bei ihm zu bleiben; die Freundin
könne einen Platz neben der Frau haben. Aber mit edlem Unwillen wies
_Elisa_ solch einen Vorschlag zurück, den anzunehmen unter ihrer Würde
gewesen wäre. Immermann war bestürzt, außer sich, als er vernahm, daß er
sie verlieren sollte! --

Sie schwieg, außer gegen Johannen, gegen alle Welt über das, was
vorgefallen; gegen niemand kam ein Wort der Klage über ihre Lippen.
Anders er; in der Aufregung lief er zu allen gemeinschaftlichen
Freunden, vertraute ihnen, _Elisa_ zürne ihm, und bat um ihre begütigende
Vermittelung und Ausgleichung. In so zarte Verhältnisse kann kein Dritter
sich mischen, ohne zu verletzen; die Freunde, die nun kamen, und _Elisen_
bestürmten, sie solle doch bei Immermann bleiben, konnten natürlich nichts
ausrichten; vergeblich wollten sie es so schön finden, wenn _Elisa_ die
mütterliche Freundin der jungen Gattin würde. -- Immermann erwartete damals
von Düsseldorf versetzt zu werden, _Elisa_, meinten sie, solle dann das
junge Ehepaar an den neuen Wohnort begleiten. -- _Elisa_ empfand aber tief
das Widrige solchen Vorschlags, und das Unpassende solcher Unterredungen;
sie blieb bei ihrem Vorsatz. Alle wollten sie nicht begreifen können, warum
_Elisa_ ginge, nicht begreifen, was doch das einfache Gefühl zu begreifen
lehrt! Auch ein Theil von _Elisens_ Familie war unzufrieden mit ihrem
Entschluß. Sie ließ sich nicht irre machen, und schrieb an Alle: man möge
nicht weiter in sie dringen: Immermann habe ihr früher mehrmals seine Hand
angeboten, sie habe sie ausgeschlagen; nun heirathe er, das fände sie in
der Ordnung, aber die Art, wie er es gethan, habe sie gekränkt. -- So übte
sie noch bis zuletzt Schonung und Entsagung für ihn. --

Die Einzige, die _Elisen_ ganz verstand, und begriff, daß hier eine
Trennung nöthig sei, war die Freundin Johanna; sie schrieb aus Berlin, den
8. April 1839: »Geliebte Elisa! Schon lange weiß ich nichts von Dir, und
erwarte auch jetzt kaum Dein Herkommen. Täglich suche ich in der Zeitung
nach Immermann's Versetzung, und da sie bis jetzt nicht erfolgt ist,
bleibst Du auch wohl noch dort. Ach, ich kann's nur zu deutlich denken,
wie schwer Du Deine Wohnung verlassen wirst, und wie gern Du selbst alles
verschiebst, wenn auch das frühere Leben darin geendet hat. Daß Immermann
wünscht, Du zögest nach seinem künftigen Wohnort, finde ich natürlich
-- aber ob Dir's heilsam wäre, wage ich nicht zu glauben, Du würdest
fortkranken, ihn so ganz anders zu sehen. -- Deine Wunde ist nicht mit
Rosenwasser zu heilen, da gehört ein noch tieferer Schnitt, ehe Du auf
Genesung rechnen kannst. -- Sage mir sehr bald, wie Du Dich fühlst, und was
Du beschließest, und gebrauche mich, worin Du glaubst, daß ich Dir dienlich
wäre. Ich glaube fest, es würde Dir wohler, bei meiner Liebe zu leben, als
jetzt -- weil unser Band von Herz zu Herzen geht. -- An die Verhältnisse in
Halle kann und mag ich gar nicht glauben, doch möcht' ich näheres darüber
hören. -- Gott schenke Dir Kraft und Geduld, Du theuerste _Elisa_, und mir
erhalte er Deine Liebe. Bis in den Tod Deine Johanna.« --

_Elisa_ verabredete nun mit Johannen eine gemeinschaftliche Reise nach dem
Süden, auf welcher der letzteren junger Freund, _Philipp Kaufmann_, der
Uebersetzer von Shakespear und Burns, die beiden Damen begleiten und
beschützen sollte.

Während dies sich vorbereitete, lebten _Elisa_ und Immermann zusammen
weiter, aber ach! wie anders als ehemals! Nach den ersten Stürmen der
Aufregung verkehrten sie scheinbar ruhig miteinander, aber was sie
innerlich fühlten, läßt sich nicht schildern. Immermann vertraute einem
Freund, wenn er sich das alles so vorher vorgestellt hätte, er würde sich
nie zu der Heirath entschlossen haben! Nun war es zu spät; er glaubte
sich gebunden. So vergingen Wochen, Monate. In der Mitte des Juli erschien
Johanna wie eine hülfreiche Retterin aus diesem unseligen Zustand; sie
umschlang voll Zärtlichkeit die geliebte Freundin, und ihr mitfühlendes
Herz schlug an dem tieftrauernden _Elisa's_.

Den 14. August 1839 verließ _Elisa_ in Gesellschaft Johannens ihren
heitern, ländlichen Wohnort Derendorf, das stille Haus unter den schattigen
Bäumen, wo sie zwölf Jahre ihres Lebens zugebracht hatte, auf immer. Mit
schwerem Herzen begleitete Immermann die theure Freundin bis Köln; der
Abschied war erschütternd; es war, wie wenn die ganze ehemalige, zarte
Innigkeit dieses Verhältnisses noch einmal aufflackerte; es war ein
Abschied für ewig! --

Bis dahin hatten sich _Elisens_ Schönheit und Jugendreiz wunderbar
erhalten, aber dieser Abschnitt ihres Lebens war auch zugleich die Gränze
ihrer Jugend; sie war nun neunundvierzig Jahre, und sah mit vollkommener
Entsagung in die Zukunft; sie hoffte, sie wollte und wünschte nichts mehr
vom Leben. Johannens Liebe suchte sie zu stützen und aufzurichten. Die
schöne Natur that ihr wohl. »Es war das Schrecklichste, was mir begegnen
konnte,« sagte sie später einmal zu einer Freundin, »aber wenn man es
überwunden hat, wird man sehr ruhig.« -- Nachdem der junge Philipp
Kaufmann sich den beiden Freundinnen angeschlossen, nahmen sie den Weg über
Straßburg und Freiburg nach der Schweiz.

Während _Elisa_ so immer weiter in die Ferne ging, blieb Immermann mit
Empfindungen zurück, die von denen eines glücklichen Bräutigams weit
abwichen. Der Abschied von _Elisen_ hatte die schmerzlichsten Gefühle in
ihm erregt, und schon jetzt begann er zu ahnen, daß mit ihr sein guter
Genius von ihm gewichen sei. Welch ein Dämon war es, der ihn einen Theil
von jenen zerreißenden Seelenzuständen erleben ließ, die er in seinen
»Papierfenstern eines Eremiten« in früher Jugend mit vorahnendem
Dichtergeist geschildert! -- Noch wenige Tage verweilte der Dichter allein
in dem romantischen Häuschen zu Derendorf, dem ehemaligen Schauplatze eines
idealen Glückes; er fand keine Ruhe mehr zwischen diesen Blumenbeeten und
Rosengebüschen, diesen schattigen Gängen und traulichen Ruheplätzchen,
alles sprach zu ihm mahnend und eindringlich von der Vergangenheit, er
fühlte ein Weh bis in's innerste Herz, und eilte diesen Ort auf immer zu
verlassen. --

Bereits den 20. August schrieb eine Freundin von Immermann und von
_Elisen_, _Amalie von S._ an die letztere aus Düsseldorf die folgenden
Zeilen: »Ich gestehe Ihnen offen, daß ich es Immermann gönnte, Sie nicht so
weit von ihm getrennt zu wissen. Der Schmerz des Abschiedes von Ihnen
hat das Bild Ihrer Treue und Liebe, welches nie verlöscht war, mit einer
solchen Gewalt in ihm hervorgerufen, daß Sie, wenn Sie dies in
persönlicher Gegenwart sähen, und Ihre Seele noch nicht zum alten Vertrauen
zurückgekehrt wäre, schon in, darf ich sagen, christlicher Milde, etwas zu
seiner Beruhigung thun würden. Ich kann es wahrhaft sagen, wie es auch
in Zwischenstimmungen gewesen sein mag, jetzt lebt Ihnen kein ergebenerer
Freund auf Erden.« --

Bald nach _Elisens_ Abreise wurde Immermann's Verlobung öffentlich erklärt;
er reiste nach Halle zu seiner Braut, mit der er sich den 2. October 1839
verband.

Auf der Rückreise nach Düsseldorf nahm er mit seiner jungen Frau den Weg
über Weimar, wo ihm wieder von allen Seiten die ehrenvollste Aufnahme
zu Theil ward. Am Abend seiner Ankunft wurde er im Theater mit einer
Aufführung seiner »Ghismonda« bewillkommnet; seine junge Frau wohnte neben
ihm der Vorstellung bei. Da ergriff ihn das Gefühl des ungeheuren Abstandes
zwischen jetzt und ehemals; er mußte sich vorstellen, welchen warmen
Antheil _Elisa_ an der Darstellung dieser seiner Dichtung genommen haben
würde, ihm fehlte überall ihr feines Eingehen, ihr tiefes Verständniß
seines innersten Lebens. Es lag eine Art von Ungerechtigkeit in solchen
Vergleichen, er konnte, er durfte von einem so jungen Wesen zum wenigsten
nicht jene volle Reife des Geistes verlangen, die er an _Elisen_ gewohnt
war.

Bei einem Aufenthalt in Dresden ging es nicht anders. Als Marianne Morgens
in der Galerie sich für die Bilder nicht so lebhaft interessirte, als er
erwartet hatte, als sie Abends bei einer Tieck'schen Vorlesung ermüdete,
rief er schmerzlich, solche Gleichgültigkeit wäre bei _Elisen_ unmöglich
gewesen! -- Er vergaß in seiner Aufregung, daß die arme junge Frau keine
Schuld daran hatte, daß sie nicht _Elisa_ war, und daß nur Wenigen die
hohen und bezaubernden Gaben zuertheilt werden, welche die letztere
besaß! -- Immermann empfand Augenblicke der Verzweiflung, in denen er mit
Leidenschaft nach _Elisen_ verlangte, ja, er veranlaßte sogar Mariannen
ihr zu schreiben, und sie flehentlich zu bitten, zu ihnen nach Düsseldorf
zurückzukehren. Das war jetzt zu spät; _Elisa_ hatte mit ihrem früheren
Leben bereits abgeschlossen! --

Da aus Immermann's von ihm so lebhaft erhoffter Versetzung nichts geworden
war, so mußte er in Düsseldorf bleiben, das er sehnlichst zu verlassen
wünschte. Er bezog mit seiner Gattin eine kleine Wohnung in der Stadt, in
der unschönen Grabenstraße. Die engen Zimmer, die zwei Treppen hoch gelegen
waren, beklemmten und bedrückten ihn; er seufzte laut nach Raum und Luft,
nach dem freundlichen Derendorfer Garten; er kam sich wie in einem Käfig
vor. Er fühlte sich wie Tasso, der aus den Gärten von Belriguardo verbannt
ist. -- Außer einigen Gesängen von »Tristan und Isolde« hat er auch nichts
mehr gedichtet, seit _Elisa_ ihn verließ. Wie schwer lasteten auf ihm die
engen, bürgerlich häuslichen Sorgen, die sein neuer Lebensweg mit sich
brachte! Jetzt erst fühlte er ganz, wie er verwöhnt worden war durch
_Elisens_ zarte Pflege, wie sie alle hemmende Prosa der Wirklichkeit von
ihm entfernt, und eine Atmosphäre der Freiheit und der Schönheit um ihn
geschaffen hatte, in der er sich ungestört der »süßen Gewohnheit des
Daseins und des Wirkens« hingeben konnte. Die tröstende, hülfreiche,
begeisternde Muse war von ihm entflohen, wer konnte ihn für solchen Verlust
entschädigen! --

_Elisa_ setzte unterdessen mit ihren Gefährten ihre Reise fort. Sie waren
über den Gotthard nach dem schönen Italien gelangt, über Genua, Florenz,
Bologna, Ferrara und Padua nach Venedig. Die herrlichen Gegenden, die
wunderbaren Kunstwerke entzückten _Elisen_; sie empfand es als einen
beglückenden Trost, daß während alle Menschenbeziehungen so unsicher, so
wandelbar sind, die Freuden, welche die Natur, die Kunst und die Poesie
gewähren, für denjenigen, der einmal wahren und echten Sinn für sie
besitzt, wie unerschütterliche Säulen dastehen, an denen man Herz und Geist
ewig aufrichten kann; die reiche Fülle des Schönen, die sich ihr hier auf
jedem Schritte darbot, sie mußte wie mit mildem Sonnenschein ihr Inneres
erhellen und beleben.

Als sie in Ferrara Tasso's Kerker und das alte Schloß der Este, einst der
Sitz der Musen und Grazien, betrachtete, mochten wohl wehmüthige Gedanken
in ihr aufsteigen über die Vergänglichkeit alles Glückes. In dem alten
verzierten Himmelbette des Hôtels träumte sie von den goldenen Tagen, da
Tasso, zu den Füßen der Prinzessin sitzend, dieser seine unsterblichen
Werke vorlas. War es nicht zugleich ihre eigene Geschichte, die sie
träumte? -- Mitten aus diesen Phantasien weckte sie ein heftiger Stich am
Finger, und wie sie hinfühlte, fehlte ihr der Trauring ihrer Mutter, den
sie immer zu tragen pflegte, und nie fand er sich wieder! -- Es war einer
jener seltsamen, räthselhaften Vorgänge in ihrem Leben, wie wir schon deren
mehrere berichteten.

Von den Wundern Venedigs sprach _Elisa_ noch in später Zeit nie ohne
Entzücken. Den Rückweg nahmen sie über Tyrol. Alle Erinnerungen aus
_Elisens_ Jugendzeit, wo Andreas Hofer sie mit Bewunderung erfüllte,
traten hier lebendig vor ihre Seele; auch ohne Bitterkeit das Andenken
Immermann's, und sie gedachte mit Freuden seines Drama's »Andreas Hofer,«
dessen wahren Schauplatz sie hier betreten hatte.

Im Wirthshaus des hohen Gebirgsdorfes Achenthal waren die Zimmer so
überfüllt, daß sie es verzog, in der reinlichen Küche bei der Wirthin ihr
Frühstück zu nehmen, die ihr vom Hofer erzählen mußte, während _Elisa_
dagegen ihr sein schönes Denkmal in Inspruck beschrieb, von dem sie eben
herkamen. Während dieses Gespräches hatte sich eine Anzahl Tyroler um
den Heerd versammelt; sie hörten ruhig und aufmerksam zu, und als _Elisa_
fortging, gaben ihr mehrere von ihnen herzlich und vertraulich die Hand zum
Abschied.

In München fand _Elisa_ die Nachricht von dem Tode ihrer geliebten
Erzieherin, Marianne Philipi, die dreiundachtzig Jahre alt geworden war.
Das Blumensträußchen, welches ihr _Elisa_ das Jahr zuvor beim Abschied
gegeben, hatte die zärtliche Freundin, mit dem Datum und _Elisens_ Namen
bezeichnet, und sorgfältig getrocknet, seitdem beständig bis zu ihrem
letzten Augenblick bei sich liegen gehabt. _Elisa_ betrauerte innig das
treue Herz, welches sie in ihr verloren hatte.

Eine Krankheit Johannens, so wie ihres Reisegefährten, die beide _Elisa_
angestrengt pflegte, gab noch außerdem dem Aufenthalt in München eine trübe
Färbung. Nachdem sie sich genugsam erholt und gefaßt, nahmen sie ihren Weg
weiter nach Berlin, das sie zu ihrem Wohnort bestimmt hatten.

Es war grade der Weihnachtsabend als _Elisa_ bei einer ihr befreundeten
Familie, dem jetzigen Oberregierungsrath _Albert Solger_ und seiner Gattin,
in Potsdam anlangte. Wir finden in ihrem Reisetagebuch keine Klage, kein
Wort, das man gegen irgend einen Menschen als Vorwurf deuten könnte,
aber rührend sind die Schlußworte desselben: »Den 24. Dezember Abends bei
treuen, lieben Freunden auf's herzlichste empfangen; welch ein Labsal für
die Heimathlose!« -- --

Wenige Tage darauf, zu Anfang des Jahres 1840, ging sie nach Berlin.
_Elisa_ und Johanna hatten beschlossen, sich nie mehr zu trennen; sie waren
sich gegenseitig so viel Dank schuldig, daß sich nicht mehr berechnen
ließ, welche mehr für die andere gethan hatte, so wie es in der wahren
Freundschaft auch sein muß. Sie bezogen, da sie beide einen ländlichen
Aufenthalt liebten, eine freundliche Wohnung auf der Potsdamer Chaussee 38,
in der Nähe des botanischen Gartens. Für die Rheingegend konnte das
freilich kein Ersatz sein, aber für die Berliner Umgegend war es anmuthig
genug. Von dem artigen Balkon hatte man die Aussicht in die weite, grüne
Ebene nach dem Kreuzberg, aus den hinteren Zimmern den Blick nach dem
Thiergarten, den Pichelsbergen und dem Grunewald, und dazu, wie Johanna
sagte, »Sonne und Mond immer aus erster Hand.«

Die lebhafte Freundin ließ _Elisen_ keine Zeit zu einer wehmüthig
stimmenden Einsamkeit; sie zog eine Menge Menschen in ihren Kreis; _Elisa_
besaß ohnehin von ehemals her viele Freunde und Bekannte in Berlin, und
so hatten die beiden Frauen bald eine interessante und mannigfache
Gesellschaft um sich versammelt. Philipp Kaufmann war ein täglicher Gast;
sein Interesse für Literatur, sein weiches Gemüth machten ihn angenehm.
Johanna pflegte von ihm zu sagen: »Die zarteste Frau kann nicht zarter
und feiner empfinden als er, und das ist unendlich wohlthuend, er ist eine
echte Kinderseele, aber noch kein Mann.« Mit diesen wenigen Worten ist er
treffend charakterisirt.

Berlin mit seinem Reichthum an Kunst, Theater, Musik und bedeutenden
Menschen, von dem _Elisa_ oft scherzend gesagt hatte, es wäre die Stadt,
wo mehr noch als die Schornsteine, die Köpfe rauchten, bot den beiden
Freundinnen die mannigfaltigsten Genüsse. _Elisa_ war mit _Cornelius_
bekannt, dessen großartige Schöpfungen sie bewunderte, mit _Rauch_, dem
begabten Bildhauer, dessen schöner, ausdrucksvoller Kopf noch im Alter
aussieht, als wenn er aus seinen eigenen Meisterhänden hervorgegangen wäre,
mit _Wilhelm von Humboldt_, der ein feuriger Anbeter Johannens war, und
sich auch zu _Elisen_ sehr hingezogen fühlte; sie sah _Ludwig Tieck_
wieder, den der König unterdessen nach Berlin berufen hatte; dann ihre
Freundin Henriette Paalzow, die mit ihrem Bruder Wilhelm Wach in vertrauter
Gemeinsamkeit lebte, und sich des Beifalls freute, den die damalige
Berliner Gesellschaft ihren Romanen so reichlich spendete. Auch Professor
_Wilhelm Zahn_, der thätige Nachbildner der Wandgemälde von Herkulanum
und Pompeji, der oft mit freundlicher Bereitwilligkeit seine schönen
Prachtwerke in die Gesellschaft mitbrachte, der geistvolle _Henrich
Steffens_ und seine liebenswürdige Familie, _Friedrich von Raumer_, den
_Elisa_ sehr schätzte, und dessen spätere geschichtliche Vorlesungen sie
immer eifrig besuchte, der muntre Professor _Wilhelm Stier_, die fleißige
Malerin Karoline Lauska, Geheimerath _Kortüm_ und seine Gattin, Beuth und
seine Schwester, wären hier zu nennen.

Auch mit ihren entfernten Freunden, mit denen sie durch ihre Abreise von
Düsseldorf und ihren Aufenthalt in Italien außer Beziehung gekommen war,
erneuerte _Elisa_ ihren Briefwechsel. Nicht viele Frauen in dem Alter, in
dem sie jetzt war, dürfen sich so begeisterter und hingebender Verehrung zu
rühmen haben, wie zum Beispiel die Briefe Möller's ausdrücken, mit denen er
sie nach ihrer Wiederkehr begrüßte. Ein dänischer Graf R. hielt um dieselbe
Zeit um ihre Hand an. Ja, wir dürfen es kühn behaupten, sie gewann sich
nicht minder alle Herzen, als in ihren früheren Jahren. Wenn auch ihr
Jugendreiz dahin war, so hatte sie doch die feine, zierliche Gestalt,
die beseelten blauen Augen, die schönen Hände, die Grazie der Bewegungen
behalten; in jenem bedenklichen Alter der Frauen, in welchem der Schimmer
der Schönheit und Frische sie verläßt, und es nun unabwendbar an den Tag
kommt, ob sie außer diesen anmuthigen aber vergänglichen Vorzügen auch
einen wahren Kern von Geist, Charakter und Gemüth haben, zeigte sich von
neuem _Elisens_ voller Werth; sie war das seltene und schöne Beispiel, daß
auch eine Frau mit Anstand und Anmuth alt werden könne.

Das viele Unglück, welches sie erlebt, hatte nicht die geringste Bitterkeit
in ihr erregt; sie trug es still für sich allein, und zeigte ihrer Umgebung
beinahe immer eine ungetrübte Heiterkeit; ihr lebhafter Geist, ihr reger,
empfänglicher Sinn für alles Schöne, ihre Güte, Milde und Liebenswürdigkeit
blieben sich stets gleich, eine wunderbare Harmonie ging durch ihr ganzes
Wesen. Niemand konnte seine Freunde mehr im Herzen tragen als _Elisa_ es
that; sie lebte in ihren Gedanken beständig mit ihnen. Wenn man sie
auch längere Zeit nicht gesehen hatte, mußte man durch tausend kleine
Aufmerksamkeiten, die sie einem bewies, die Ueberzeugung gewinnen, daß sie
sich so lange fortwährend mit dem Abwesenden beschäftigt, daß sie für ihn
alles gesammelt, bewahrt, behalten hatte, von dem sie wußte, daß es ihn
interessiren konnte. -- Niemals fiel ihr ein, eine falsche Würde annehmen
zu wollen, sie blieb durchaus anspruchslos, und verlangte nie zu glänzen.
Einer geistreichen und anregenden Unterhaltung zuzuhören, war ihr
eigentlich noch lieber, als sie selbst mit zu führen; wo ihr dies zu Theil
wurde, rief sie oft entzückt: »Welch ein Glück so zuhören zu können!
Ach, wiederholte es sich mir doch immer wieder! Die Klugen finden keine
dankbarere Zuhörerin als mich!« --

Eben war _Elisa_ etwas aufgelebt, als eine tragische Nachricht sie tief
berührte. Immermann war an einem heftigen Fieber erkrankt, und starb nach
kurzen Leiden den 25. August 1840 plötzlich an einem Lungenschlag. Wenige
Tage zuvor hatte ihm seine junge Frau eine Tochter geschenkt; selbst noch
leidend, konnte sie sich nicht einmal seiner Pflege widmen; doch wachten
treue Freunde an dem Lager des Kranken.

Zu seinem Arzte, dem wackern, ihm sehr vertrauten Doctor _Ebermayer_,
sprach er noch ganz kurz vor seinem Tode in herzlichster, innigster Weise
von _Elisen_. -- Als man ihm zum erstenmale sein Kind brachte, rief er:
»Ach! -- Wenn doch _Elisens_ Herz mir einmal vergeben könnte, wie glücklich
wär' ich dann!« -- Sie hatte ihm vergeben. --

Am 28. August, an Goethe's Geburtstag, wurde der ausgezeichnete Dichter
bestattet. Die Akademie, die Regierung, das Landgericht, das Gymnasium
und zahlreiche Freunde gaben ihm das letzte Geleite; die Künstler stimmten
Gesänge an seinem Grabe an, die ganze Stadt war voll Trauer und Antheil.
Von einem Lorbeerbäumchen, das _Elisa_ ihm einst in glücklichen Tagen
geschenkt, wurde der Kranz genommen, mit dem man seine edle Stirne
schmückte. Es lag etwas besonders Tragisches in diesem Tode, und zugleich
etwas Versöhnendes, wie in den Tragödien der Dichter. --

_Elisa_ bewies bei diesem schmerzlichen Verlust ihr edles, großartiges Herz
nach allen Seiten; sie, selbst des Trostes bedürftig, war der Trost,
die Stütze der jungen Wittwe, der ganzen trauernden Familie Immermann's.
Sogleich schrieb sie an Mariannen, und bot ihr auf das liebevollste ihr
Haus zur Wohnung an. Da Marianne, die in Düsseldorf zu bleiben wünschte,
dies Anerbieten nicht annahm, so setzte _Elisa_, obgleich der König der
Wittwe des Dichters eine Pension bewilligte, Immermann's Tochter eine
jährliche Rente aus. Auch auf alle ihr gehörigen Manuscripte Immermann's
verzichtete sie zum Besten seines Kindes.

Ein Brief von Ferdinand Immermann über den Tod seines Bruders verdient
hier eingeschaltet zu werden, als ein schöner Beweis, wie sehr _Elisa_ von
Immermann's Angehörigen verehrt und geliebt wurde; er lautet: »Ihr Brief,
liebe Frau Gräfin, ist uns die Stimme eines Engels vom Himmel gewesen. Das
ist nicht etwa nur so ein Wort: es ist die vollste und lauterste Wahrheit.
O hätten Sie es doch sehen können, wie Sie uns beglückt haben! Denn wer
darf es wagen, den tiefen, himmlischen Sinn jenes Augenblicks mit einem
Worte anzurühren. Meine Mutter läßt Sie vom Grunde ihres Herzens grüßen,
und Ihnen in großer Liebe für die Erhebung Dank sagen, die sie in Ihren
Zeilen gefunden hat. -- Der furchtbare, ganz unvorbereitet auf uns
niederfahrende Schlag traf ihr Haupt so zerschmetternd, daß wir mit aller
Gewalt ihren Geist, der zu wiederholten Malen die Besinnung verlieren
wollte, innerhalb der Gränzen ungestörten Bewußtseins zurückhalten mußten.
Als wir die Abwehr dieses Schrecklichsten endlich erzwungen hatten, da
begann die Fülle ihrer Liebe in so herzzerreißenden Schmerzenstönen, mit
einem so unergründlichen Jammer um den unwiederbringlich Dahingegangenen,
ihren lieben ältesten Sohn, ihren lieben, lieben Karl auszuströmen, daß
wir allesammt, den tausendköpfigen Schmerz im eignen Herzen dazu, ein ganz
elender und zerschlagener Haufen Menschen waren. -- O, Sie sollten die
Mutter sehen! Das Gesicht, das Sie kennen, ist inzwischen recht klein, und
der Kopf ist ganz weiß geworden. Aber sie ist wohl ein recht erbaulicher
Anblick; denn seitdem ihr Schmerz stiller geworden, ist sie nichts als
Wehmuth, Ergebung, Fürbitte, Liebe, Sanftmuth und Mütterlichkeit. Ich
sollte zu Ihnen reisen; ich wollte es auch: ich habe die lebhafteste
Sehnsucht nach Ihnen; aber noch bin ich ganz gelähmt und stumm; auch weiß
ich ja noch nichts Genaueres von den Tagen von Karls Krankheit und von
seinem Tode. -- Die Anlagen, die ich Ihnen sende, sind ein schlechter
Trost; aber sie sind doch ein Trost. -- Lassen Sie uns, die wir ihn am
längsten kannten, und am meisten liebten, fest zusammenhalten, und ein
rechtes Bündniß des Trostes, der Erinnerung, der Hoffnung, der liebsten
Zuflucht, des unbedingtesten Vertrauens, und einer felsenfesten, herrlichen
Zugehörigkeit und Gemeinschaft stiften. Der Gott des Lebens sei mit Ihnen,
und lasse für Sie und uns sein ewiges Leben in Liebe aus diesem Tode
hervorgehen.« --

       *       *       *       *       *

Mit Mariannen trat _Elisa_ in einen fortgesetzten brieflichen Verkehr,
und nahm den wärmsten Antheil an ihr und ihrem Kinde; Marianne war voll
Dankbarkeit für _Elisens_ gütigen, herzlichen Zuspruch, der ihre Seele
erquickte, und mit süßem Frieden erfüllte; sie äußerte oft, niemand
verstände wie _Elisa_ sie in ihrem Schmerze aufzurichten, und zu erheben.
Immermann's kleine Tochter wurde von _Elisa_ durch mannigfache sinnige
Geschenke, und später auch durch das Bild des Vaters erfreut. --

Ein Jahr nach Immermann's Tode hatte _Elisa_ einen zweiten schweren
Verlust zu erleiden, der auf ihr ganzes Dasein einwirken mußte: ihre theure
Freundin Johanna starb nach kurzer Krankheit den 22. August 1842 in ihren
Armen. In dieser ausgezeichneten Frau verlor _Elisa_ die treue Gefährtin
ihres Lebens, die an all ihren Leiden und Freuden warmen Antheil nahm, und
durch ihren lebhaften, feurigen Geist beständige Anregung schaffte. _Feodor
Wehl_, der kurz vor Johannens Tode durch diese Letztere mit _Elisen_
bekannt und befreundet wurde, schildert beide Frauen in einem Briefe, wie
folgt: »Die Gräfin Ahlefeldt und die Professorin Dieffenbach waren die
ersten bedeutenden Frauenerscheinungen, die in mein Leben traten, und wenn
die Erstere darin von größerem Einflusse und tieferer Wirkung wurde, so
geschah dies nicht nur, weil sie mir länger blieb und näher trat, sondern
auch weil ihr milder Ernst und ihre freundliche Würde mir besonders
imposant und zusagend waren. Ich erinnere mich noch sehr genau, daß ich
die Professorin Dieffenbach schon geraume Zeit kannte, und doch die Gräfin
Ahlefeldt, die mit ihr in Einem Hause und in derselben Etage wohnte, noch
nicht gesehen, sondern immer nur hatte von ihr reden hören. Die Gräfin
Ahlefeldt war der Professorin Dieffenbach wie der Schatz des heiligen
Graal's, und man mußte erst viele Proben und Grade der Tüchtigkeit abgelegt
haben, um würdig befunden zu werden, ihres Umgangs zu genießen. Erst
als ich damals mein erstes Lustspiel: »Alter schützt vor Thorheit nicht«
geschrieben, und bei Johanna Dieffenbach gelesen, ward mir gewissermaßen
zur Belohnung die Bekanntschaft der Gräfin Ahlefeldt versprochen. Und nie
werde ich die Feierlichkeit vergessen, mit der mich Johanna Dieffenbach zu
ihr führte! Ach, es war die höchste und letzte Liebe, die sie mir erwies,
denn bald nachher starb sie, ebenso in Eil' und Hast, als sie gelebt hatte!
Sie war der größeste Contrast, den es der Gräfin Ahlefeldt gegenüber
geben konnte. Nicht nur daß sie klein, corpulent und häßlich, nein, auch
ungeheuer beweglich und immer fieberhaft erregt war sie. Aber sie
hatte eine unendliche Fülle von Geist und Liebenswürdigkeit, einen
unerschöpflichen Fond von Gutmüthigkeit und begeisterter Hingabe an alles
Schöne und Gute. Beide Frauen ergänzten sich, und zwar in einer Weise, wie
es schwerlich so bald wieder der Fall sein wird.« --

_Elisens_ Freunde suchten möglichst sie in ihrer Einsamkeit zu trösten, und
ihr Theilnahme und Liebe zu beweisen. Liebe Bekannte aus der Ferne brachten
manche neue Freude und Zerstreuung. Nicht lange bevor Johanna starb,
kam Adele von A. aus Preußen zum Besuch, und begrüßte ihre _Elisa_ nach
zweiundzwanzigjähriger Trennung. Man muß _Elisen_ gekannt haben, um zu
wissen, wie lebhaft sie sich solchen Wiedersehens freuen konnte. Später
sahen sich die Freundinnen noch öfter, und immer mit gleicher Innigkeit.
Ein anderer Besuch war Marianne Immermann, welche seit ihren Kinderjahren
in Magdeburg die verehrte Frau nicht wiedergesehen hatte, und ihr nun die
kleine Karoline zuführte, deren Züge an die des Vaters lebhaft erinnerten.
Auch diese kehrte mehrmals wieder, mit innigem Danke für _Elisens_
unwandelbare Güte.

Auch die Erinnerungen an den Befreiungskrieg sollten durch einen besondern
Anlaß wohlthuend in _Elisen_ erneuert werden. August von Bietinghoff
hatte sich die Erlaubniß erwirkt, seinen Freund Friedrich Friesen auf
dem Invalidenkirchhof in Berlin bestatten zu lassen, und war zu dieser
Feierlichkeit, die am 15. März 1843, dreißig Jahre nach dem Tode stattfand,
mit den Ueberresten des Gebliebenen, die er so lange mit sich umhergeführt
hatte, nach Berlin gekommen. Er suchte _Elisen_ auf, die er innig verehrte.
Bald nach diesem kam auch ihr theurer Jugendfreund Leo Palm, der Freund
Lützow's und Friesen's, aus Danzig, zum Besuch, den sie in dreiundzwanzig
Jahren nicht gesehen hatte. Palm führte ihr den braven Friedrich von
Petersdorff wieder zu, der in stiller Zurückgezogenheit in Berlin lebte,
ohne zu wissen, daß _Elisa_ auch dort sei. In erneuerter Herzlichkeit
schloß man sich aneinander, und gedachte auch Lützow's mit Liebe. Auf
_Elisens_ Anregung veranlaßte Palm, daß die noch lebenden ehemaligen
Freiwilligen der Lützow'schen Freischaar ihrem tapfern Führer auf dem
Garnisonkirchhof zu Berlin ein Denkmal von Granit setzen ließen, welches
vier Jahre später, im März 1847, aufgestellt wurde, wozu wieder die alten
Waffenbrüder von nah und fern herbeikamen und eine ehrende Gedächtnißrede,
so wie der Gesang der Körner'schen »wilden, verwegenen Jagd« das Andenken
des ruhmvollen Kriegers feierte.

Im Jahre 1846 verließ _Elisa_ die Wohnung, in der sie mit Johanna gelebt,
und bezog eine der Stadt nähere in der Schulgartenstraße 1 a. Die Freunde
werden sich noch gern der freundlichen, sonnenhellen Raume mit dem Balkon
und der Aussicht in's Grüne, der geschmackvoll eingerichteten Zimmer
erinnern, geschmückt mit den schönen Kupferstichen nach Raphael, Gemignano
und Andern, mit den Büsten des Apoll und der Niobe, der Graziengruppe von
Canova, dem Dornauszieher, der Statuette von Ludwig Tieck und dem Medaillon
von Henrich Steffens, mit den hohen Gummibäumen, dem rankenden Epheu, den
anmuthigen Schlinggewächsen. Lützow's Portrait hing neben denen anderer
Freunde an der Wand; auf dem Schreibtisch standen die kleinen Bildchen von
Friesen, Wilhelm von Lützow, dem Philosophen Solger und seiner Frau. Der
Tisch, der immer mit den neuesten Büchern bedeckt war, zeigte, daß neben
dem treuen Angedenken an die Vergangenheit auch das neueste, frischeste
Leben der Gegenwart hier seine Stätte fand. Alles war so harmonisch und
sinnig geordnet, daß man sich wohlfühlen mußte, wie man die Schwelle
betrat. Welche glückliche, unvergeßliche Stunden bereitete _Elisa_ hier den
Freunden! --

Wir haben noch viele Personen von Namen und Auszeichnung zu erwähnen, mit
denen sie in freundschaftlicher, geselliger Beziehung stand, Personen,
welche die verschiedensten Richtungen vertraten, aber alle in dem Einen
übereinkamen, _Elisen_ anzuerkennen und zu verehren: _Eduard Schnaase_, der
verdiente Kunstforscher und seine Gattin, die von Düsseldorf nach Berlin
übergesiedelt waren; _Friedrich Krummacher_, der berühmte Kanzelredner, der
bei _Elisen_ mit manchen Schriftstellern der modernen Literatur sich mit
weltmännischem Tact friedlich zu unterhalten wußte; _Rudolf v. Auerswald_,
der spätere Minister; _Adolf Stahr_, dem _Elisa_ schon von Düsseldorf her
ein lebhaftes Interesse bewahrt hatte, und dessen vortreffliches Buch:
»Ein Jahr in Italien,« das ihr große Freude gewährte, sie an ihre eigene
italienische Reise angenehm erinnerte, _Fanny Lewald_; _Theodor Mundt_
und seine Gattin; der Maler _Louis Blanc_; _Eduard von Bülow_; der Dichter
_Karl Beck_, und noch viele Andere. Sogar der alte achtzigjährige Minister
von _Kamptz_, der Verfolger der deutschen Jugend, welcher mit _Elisen_ in
Einem Hause wohnte, kam zuweilen in ihren Kreis.

Als Fremde erschienen die liebliche, anmuthige _Therese von Bacheracht_,
die weit mehr noch als durch ihre Romane, durch ihre seltene Schönheit
und Liebenswürdigkeit alle Herzen gewann, _Betty Paoli_, die interessante
östreichische Dichterin, _Therese Robinson_, die gelehrte Schriftstellerin,
die sich unter dem Namen _Talvj_ rühmlich bekannt gemacht hat, _Fanny
Tarnow_, die sich noch im Alter in seltenem Grade einen frischen Geist
und eine beinahe jugendliche Lebhaftigkeit bewahrt hat, _Heinrich Laube_,
_Gustav Kühne_ und der talentvolle junge Dichter _Julius Rodenberg_. --
Mild und gütig wie _Elisa_ war, verkehrte sie aber auch mit Menschen, die
an Geist und Bildung weit unter ihr standen, doch diese wußte sie bis zu
einem gewissen Grade zu sich zu erheben; sie verlangte durchaus nicht
immer eine gelehrte Unterhaltung, aber geringe Klatscherei und boshafte
Medisance, wie sie auch wohl oft in der sogenannten guten Gesellschaft
auftaucht, litt sie nicht in ihrer Nähe.

Zu ihren nächsten und liebsten Freunden gehörten _Feodor Wehl_, _Gustav zu
Putlitz_, _Hermann Sagert_, _Katharina Diez_, die sinnige Verfasserin der
»Frühlingsmährchen,« _Rudolf Gottschall_, _Emil Palleske_ und seine schöne
liebenswürdige Frau. Auf alle diese übte sie den entschiedensten Einfluß
aus, und widmete ihnen die herzlichste Zuneigung. An den Sonntagabenden
pflegte sie immer einen kleinen Kreis von jungen Leuten bei sich zu sehen,
die sich für Kunst und Literatur interessirten, oder selbst Künstler und
Schriftsteller waren; es wurde vorgelesen, man besah mitunter Kupferstiche
und Zeichnungen, und immer knüpfte sich ein angeregtes Gespräch an das
Mitgetheilte. Man konnte oft von _Elisen_ eingeladen werden, und doch nicht
zu jenen bevorzugten Sonntagen von ihr auserwählt sein, von denen sie gern
alle nicht dazu passenden Elemente entfernt hielt. Wie manche junge Talente
haben dort ihre ersten Werke vorgetragen, und Ermuthigung und Strebelust
durch _Elisens_ Antheil empfangen! Sie waren ihr alle mit einer
Begeisterung ergeben, wie eine Frau in ihren Jahren sie selten einzuflößen
vermag; es war die vollkommene Schönheit und Zartheit ihres Wesens,
die auch ihr Alter verklärte. -- Hier las Feodor Wehl sein Trauerspiel:
»Hölderlin's Liebe,« hier las Gustav zu Putlitz sein erstes hübsches
Lustspiel: »Die blaue Schleife,« das unter _Elisens_ Augen entstanden war,
und oft noch später pflegte er voll Dankbarkeit zu versichern, das wären
doch die glücklichsten Stunden für ihn gewesen, da _Elisen_ das eben fertig
Gewordene vorzulesen, ihm der schönste Zweck seiner Production war; hier
begeisterte Rudolf Gottschall, der geniale Dichter, die Anwesenden mit dem
Vortrag seiner »Lambertine von Méricourt« und seines »Carlo Zeno«; hier las
der begabte Dichter Emil Palleske seinen vortrefflichen »König Monmouth«
vor, welchen er _Elisen_ zueignete, da sie so warmen Antheil an der
Entstehung und Vollendung dieses Drama's genommen hatte und ihm den
lebhaftesten Beifall schenkte. Häufig auch las Palleske Shakespear'sche
Stücke vor, und bei dem Ton seiner kräftig schönen Stimme, bei seinem
lebendigen, geistvollen Vortrag wurde _Elisa_ oft an jene Zeit erinnert, da
Immermann ihr diese selben Dramen vorgelesen hatte.

Feodor Wehl stand _Elisen_ unter den jüngeren Freunden am nächsten, sie war
ihm mit wahrhaft mütterlicher Zuneigung zugethan, sie freute sich seines
Strebens, und seiner neidlosen Anerkennung Anderer, die in der heutigen
Literatur so selten ist. Gustav zu Putlitz erheiterte alles durch seine
gute Laune und angenehme Munterkeit, während Hermann Sagert, der
ebenso bescheidene als talentvolle Künstler, durch seine stets rege
Empfänglichkeit wohlthuend wirkte; Rudolf Gottschall belebte den Kreis
durch seine frische Liebenswürdigkeit und seinen eigenthümlichen Humor, und
Emil Palleske, der feinsinnige, begeisterte Bewunderer Shakespear's gab der
Unterhaltung immer neuen Schwung, indem er durch sein tiefes Eindringen in
die einzelnen Dramen des großen Dichters den anregendsten Gedankenaustausch
veranlaßte.

Wir fügen hier eine Schilderung ein, die Feodor Wehl in einem längeren
Artikel in den »Jahreszeiten« von _Elisen_ und ihrer Gesellschaft entworfen
hat. Es heißt darin von ihr: »Durchaus maßvollen Geistes, allem Edlen und
Schönen schwärmerisch zugewendet, und stets in einem rührenden Cultus für
die Größe im menschlichen Herzen sowohl wie im Bereiche der Literatur
und bildenden Künste begriffen, erhob dieselbe durch ihren Einfluß eine
Gesellschaft von Künstlern, Literatoren, Staatsmännern, Militairs, und
selbst geistig untergeordneten Menschen, zu einer Höhe der Unterhaltung,
zu einem Aufschwung der Welt- und Kunstanschauung, wie das wohl nur selten
wieder nach ihr der Fall sein wird. -- Sonderbar und eigenthümlich an
dieser außerordentlichen, nicht genug zu würdigenden Frau war, daß sie
ihre Gesellschaften wie der Feldherr eine Schlacht aus dem Zelt heraus, das
heißt gewissermaßen nur mit anfeuernden Blicken, zustimmendem Lächeln
oder abweisenden Mienen dirigirte. -- Sie sprach im Ganzen in ihren
Gesellschaften nur wenig, aber doch immer und jeder Zeit, wo es nöthig
war. Sie wußte mit wunderbarem Geschick das Gespräch zu entfesseln, und an
passender Stelle wie mit einem Zauberwort auch aus sonst unergiebigen
und spröden Naturen eine Fülle von schönen Anschauungen und tieferen
Bemerkungen herauszulocken. Ihre fein organisirte Seele besaß jene
Springwurzel des Geistes, mit der sie alle verborgenen Schätze einer
Menschenbrust nicht nur für sich zu entdecken, sondern auch für die
gesellschaftliche Conversation in Circulation zu setzen vermochte. -- Man
wird aus ihren Aussprüchen, Briefen und sonstigem Nachlaß in Schriften
wenig Frappantes und gewiß nichts derartiges aufzustellen vermögen, daß
sich auch nur annäherungsweise die Bedeutung ermessen ließe, die sie
persönlich in der That auf ihren Umgang ausgeübt hat. -- Es lag eine
gewisse stille Sonntäglichkeit in ihrem Innern, die jeden und auch den
betäubendsten Lärm der Geister besiegte. Es klang aus ihren Reden etwas wie
ein verlorenes Glockenläuten, wie ein ferner Sphärengesang. Man mußte sich
unwillkürlich zum Lauschen veranlaßt sehen, wenn man in ihren Umgang kam.
Nie hat es eine Frau gegeben, die würdiger war, das Ideal eines Dichters
oder Künstlers zu sein, als sie. Ihr helles, schönes, blaues Auge, auch im
Alter noch seelenvoll und tief, ihre hohe schlanke, immer und bis zum Tode
jugendlich anmuthige Gestalt, ihre lang und edelgeschnittene Hand mit
dem unverwischlichen Pfirsichdufte über der zarten Haut, das stumme, nie
lautwerdende Lächeln ihres Mundes, der sonst an sich das wenigst Schöne an
ihr war, ihre Milde, Güte und Resignation erschienen wahrhaft bezaubernd.
Sie machte edel und gut, und besaß einen feinen Tact, wie er nicht oft
gefunden werden kann. Die Kunst des Zuhörens besaß sie in einem seltenen
Grade. Es war eine Lust ihr vorzulesen oder etwas zu erzählen, denn es
entging ihr nichts, und das Subtilste verstand sie, wie es verstanden
werden mußte. Wenn auch selbst keine Dichterin, lag doch im Duft und Hauch
ihrer Seele die Welt der Dichtung so ahnungsreich und golden ausgebreitet,
daß es nur eines leisen Lichtstrahles von außen, das heißt eines echten
und rechten Dichterwortes bedurfte, um sie in aller Pracht aus ihr heraus
erkennen und wahrnehmen zu machen. Ihr Herz war ein Vineta der Poesie, das
vielen, und wir dürfen sagen, den bedeutendsten Menschen einer bewegten
Zeit anmuthend und zauberhaft durch das Wogen und Wallen ihrer Tage
heraufgeleuchtet und geschimmert hat.« --

In größere, steife Gesellschaften, wo man, wie _Elisa_ zu sagen pflegte,
den Geist im Wagen lassen könne, und im besten Kleide die beste Langeweile
genösse, ging sie nicht gern. Am liebsten sah sie ihre Freunde im eigenen
Hause.

Ueber ihre liebenswürdige Art zu grüßen, sagt Feodor Wehl in einem andern
Artikel in den »Jahreszeiten«: »Ihr Gruß war noch der Gruß mit der
ganzen Liebenswürdigkeit und Grazie, welche dabei in natürlicher Weise in
Anwendung zu bringen sind. Der Gruß war ein Gruß der ganzen Person, ein
Gruß, in dem ein Hauch der schönen und edlen Seele lag, von der er gegeben
ward. Aus allen Schleiern und Nebeln der Vergangenheit heraus, sehen wir
in unvergänglicher Frische ihn sieghaft in unsere Erinnerung hereinlächeln,
diesen Gruß, der im Blick des Auges, in den Zügen des Mundes der Beugung
des Kopfes, der Bewegung der Hand, kurz durch die ganze, hohe, edelgeformte
und anmuthige Gestalt der Gräfin zu gehen pflegte, ohne doch, wie man
vielleicht denkt, ein Knix oder eine Verbeugung zu sein. Sie grüßte mit dem
vollen und bezaubernden Ausdruck der Freude, die sie darüber empfand,
auf der Straße, in der Gesellschaft oder im Theater unter vielen fremden
Personen einen Freund oder Bekannten gefunden zu haben. Sie grüßte, wir
können nicht anders sagen, als mit einer gewissen Inbrunst des Herzens, das
Glauben und Zuversicht zu seinen Verbindungen hat. Ihr Gruß war eine Art
Verpflichtung, die einem auferlegt ward, stets nur lieb und gut gegen sie
zu sein, denn die Art, wie sie ihn gab, bewies und bekundete, daß sie nur
Gutes und Edles von dem erwartete, dem er geboten wurde. Sie grüßte
in jeder Frau eine gleichgestimmte, feine Seele, in jedem Mann ein
ritterliches Wesen, und zwar that sie es ebenso weit von Ueberhebung als
von Unterordnung entfernt.« --

Wenn _Elisa_ von ihrer großen Vergangenheit erzählte, überflog sie eine
jugendliche Begeisterung; ihren Vertrauten zeigte sie dann wohl ein
Kästchen, in dem sie eine Locke von Friesen bewahrte, die ihr Vietinghoff
nach der Auffindung des verstorbenen Freundes schenkte, eine französische
Kugel, von der Lützow getroffen worden war, einige ihr besonders werthe
Briefe, und noch mehrere Andenken dieser Art.

Von Lützow sprach sie nie anders, als mit herzlicher Achtung und
Freundschaft. Als sich einmal jemand herausnehmen wollte, Lützow's Betragen
gegen sie zu tadeln, erwiederte sie sanft aber entschieden: »Sie thun
Lützow sehr Unrecht, er ist immer sehr gut gegen mich gewesen; wenn alle
Menschen so gut mit mir verfahren wären, wie Lützow, so wollte ich mich
nicht beklagen, und sehr zufrieden sein.« -- Oft sagte sie, sie würde
keiner Frau rathen, sich scheiden zu lassen, und wenn sie auch noch so viel
zu erdulden habe. »Lützow ist mir immer ein treuer Freund geblieben,« sagte
_Elisa_ einmal zu einer Freundin mit bewegter Stimme, »und wir haben beide
oft bereut uns getrennt zu haben.« -- An seinem Todestage fuhr sie immer
nach seinem Grabe, einen Kranz darauf zu legen. Selbst über Immermann kam
niemals ein hartes Wort über ihre Lippen, und sie sprach oftmals mit Wärme
von seinem Dichtertalent.

Im Jahre 1848, in der Zeit der Revolution, wo so viele Menschen sich wegen
Meinungsverschiedenheiten entzweiten, verlor _Elisa_ nicht einen ihrer
Freunde; sie war ihrem ganzen Wesen nach freisinnig, ließ aber auch andere
Ansichten gelten, sofern man sie ihr nur nicht mit Gewalt aufdringen
wollte. Das viele politische Gezänke in den Gesellschaften war ihr zuwider,
und oft klagte sie über eine Zeit, in der alle Theilnahme für Kunst und
Poesie zu schwinden drohe. Besonders betrübend war für sie der Krieg in
Schleswig-Holstein, da dort ihre theils dänischen, theils holsteinischen
Familienmitglieder, die ihr alle theuer waren, sich feindlich gegenüber
standen, und der Bruder gegen den Bruder kämpfte; sie sehnte sich auf
das lebhafteste nach Ruhe und Frieden, nach einem Ende all des traurigen
Blutvergießens.

Als den 28. August 1849 Goethe's hundertjähriger Geburtstag gefeiert
wurde, war _Elisa_ ziemlich einsam in Berlin, da alle ihre näheren Freunde
verreist waren; da zündete sie sich aber dennoch Abends in ihrem stillen
Zimmer alle Lampen und Kerzen an, schmückte es festlich mit Blumen, und
las allein für sich, die »Iphigenie,« auf diese Weise das Andenken des
geliebten Dichters feiernd.

       *       *       *       *       *

Im Jahre 1851 hatte sie die Freude, daß ihr edler, würdiger Freund, Leo
Palm, der als General seinen Abschied genommen hatte, nach Berlin zog. Die
frühe Jugendfreundschaft hatte sich durch ein langes, wechselvolles Leben
unverändert erhalten, und sollte nun den Abend desselben verschönen und
erhellen. Da sich eine Wohnung für ihn in _Elisens_ Hause fand -- später
zog er mit ihr in die Dessauerstraße 7, wo sie die letzten Jahre wohnte
-- so hatte sie den Freund nun ganz in ihrer Nähe, der sich ihr auf das
liebevollste widmete, an dem sie einen Beschützer und die erwünschteste
Gesellschaft hatte. Er ging mit ihr spazieren, er las ihr vor, und bewahrte
mit ihr die Erinnerungen der Vergangenheit. Niemals fehlte er in jenem
schönen Gesellschaftskreise _Elisens_, von dem wir vorhin sprachen, wo
alles sich an seiner Gegenwart erfreute, weil er wie _Elisa_ die Gabe
besaß, mit der frischen Jugend fröhlich zu verkehren, und mit freiem,
unbefangenem Geist und edlem und feinem Sinn an allem Guten und Schönem
theilzunehmen. Durch seine Freundschaft war _Elisa_ in ihrem Alter von
einer zarten Aufmerksamkeit und Sorgfalt umgeben, um die manche jüngere
Frauen sie beneideten.

Beinahe jeden Sommer machte _Elisa_ eine Reise; oft besuchte sie ihre
lieben Verwandten in Holstein. Ihre leidende Gesundheit erforderte häufige
Badekuren; sie ging nach Gastein und später mehrmals nach Karlsbad, wohin
der Freund sie begleitete. An letzterem Orte lernte sie den Dichter _Alfred
Meißner_ kennen, dessen frische, jugendliche Erscheinung, und angenehmes
Wesen ihr sehr wohl gefiel. In Holstein bei ihrer Cousine, der Gräfin
_Margarethe von Scheel-Plessen_ auf Sierhagen sah sie viel die Gräfin _Ida
Hahn-Hahn_, deren Geist sie anzog, wenn sie auch ihren politischen und
späteren religiösen Fanatismus nicht theilte: dort auch befreundete sie
sich mit der Jugendschriftstellerin _Margarethe Wulff_, deren allerliebste
Kinderschriften unter dem Namen _A. Stein_ erschienen, und vortheilhaft
bekannt sind.

Die letzten Jahre wurde _Elisens_ Gesundheit immer schwächer; sie fing auch
an etwas am Gehör zu leiden, wodurch ihr mancher Genuß entzogen wurde.
Im Sommer 1854 reiste sie nach einem leidensvollen Winter nach Teplitz,
begleitet von ihrem Freunde, dessen Pflege und Sorgfalt allein es noch
möglich machte, eine solche Reise zu unternehmen. Leider kehrte sie ohne
merkliche Besserung von dort zurück.

Sie war beinahe nie mehr ohne Schmerzen, aber die harmonische
Gleichmäßigkeit und liebliche Heiterkeit ihres Wesens konnte dadurch nicht
gestört werden; bei niemand ist jener Schleier, von dem die Prinzessin im
»Tasso« spricht »den uns Alter oder Krankheit überwirft,« durchsichtiger
gewesen als bei _Elisen_. Wenn man bei der Leidenden eintrat, fand man sie
immer in ihrem Sessel vor dem Tische sitzend, der stets mit frischen Blumen
und Büchern bedeckt war. Sie empfing einen Jeden mit freundlichem Lächeln,
fragte nach allen neuen Erscheinungen in Kunst und Literatur, und wenn
man sich nach ihrem Befinden erkundigen wollte, sagte sie wohl oft leise
abwehrend: »Nicht von meiner Krankheit reden! Still davon!« -- Sie ahnte,
daß sie nicht besser werden würde, und war ruhig und gefaßt, wenn sie wohl
auch gern ein Dasein noch weiter gelebt hätte, das so viele ihrer Freunde
beglückte, und das ihr grade in diesen letzten ruhigen Lebensjahren bei
ihrem regen Sinn noch manches Gute bieten konnte. Kurz vor ihrem Tode,
schrieb sie sich noch, obgleich es ihr bereits schwer wurde, die Feder zu
führen, die folgenden Verse des edlen Dichters _Moritz Hartmann_ ab:

  »Von keinem Leid, wie schwer es sei,
  Laß stimmen deine Seele trüber:
  Geht auch dein Leiden nicht vorbei,
  So gehst doch du vorüber.« --

Viele ihrer älteren und auch manche jüngere Freunde waren ihr
vorangegangen, deren Verlust sie schmerzlich empfand. Im Mai 1846
entschlummerte sanft der edle Möller, vierundachtzig Jahre alt. In
demselben Jahre endete Philipp Kaufmann in einem Anflug von Verzweiflung
selbst sein Leben in Paris. Im Februar 1847 verlor _Elisa_ ihren würdigen,
achtundsiebzigjährigen Onkel von Hedemann-Heespen, und im Herbst desselben
Jahres starb nach vielen Leiden Henriette Paalzow. Auch die schöne,
liebliche Therese von Bacheracht, später mit einem mecklenburgischen Herrn
von Lützow verheirathet, dem sie nach Batavia gefolgt war, endete früh,
als sie eben in die Heimath zurückkehren wollte, im Jahre 1850. _Elisens_
ältester Jugendfreund, der brave General Friedrich von Petersdorff, der
im späten Alter endlich seinen frühen Jugendwunsch, sich auf das Land
zurückzuziehen, ausgeführt, und mit seiner Familie nach Plauenthin bei
Kolberg gezogen war, aber die Beziehung mit _Elisen_ nie hatte aufhören
lassen, und sich in seinen Briefen noch als Achtzigjähriger als ihr »treuer
Verehrer und Anbeter Friedrich« unterzeichnete, starb im Mai 1854. Dieser,
so wie Möller, Hedemann und Marianne Philipi haben alle ein ungewöhnlich
hohes Alter erreicht, wie wenn _Elisens_ innige und treue Freundschaft
ihnen ausdauernde Lebenskraft eingehaucht hätte.

Mit Marianne Immermann, die später eine zweite Ehe einging, so wie mit
ihrer Tochter blieb _Elisa_ immer im freundschaftlichsten Einvernehmen.

_Elisa_ selbst schwand langsam dahin. So kam der März 1855 heran; gegen
diesen Monat hatte sie stets eine besondere Abneigung gehabt, weil ihr
so viel Unglück in ihm begegnet sei; im März hatte sie ihre beiden Eltern
verloren, Friesen war im März geblieben, und den 20. März, an ihrem
Hochzeitstage, hauchte sie selbst den letzten Seufzer aus, im noch nicht
vollendeten fünfundsechzigsten Jahre.

Sie war immer bei vollem Bewußtsein gewesen, und erst den Tag vor ihrem
Ende verlangte sie zu Bette gebracht zu werden. Der treue Freund wachte an
ihrem Lager. In der Nacht rief sie mehrmals nach ihrer Mutter, die sie so
sehr geliebt hatte. Wie sie schon nicht mehr reden konnte, sprachen ihre
liebevollen Blicke, ihr sanftes Lächeln ihren Dank für die Theilnahme aus,
die sie umgab. Die tieftrauernden Freunde empfanden schmerzlich, daß sie
durch das Dahinscheiden dieser schönen, edlen Seele einen Verlust erlitten,
der ihnen niemals ersetzt werden könne. Wer sie kannte, wird sich ihrer
stets mit unbegränzter Liebe und Verehrung erinnern.

Zuweilen geschieht es, daß ein Verstorbener, der uns theuer war, durch
all das, was man bald nach seinem Tode von ihm zusammenträgt, erfährt,
bespricht, uns wie noch einmal auflebend erscheint, ja vielleicht war
er uns niemals vertrauter und näher, als in solch einem Augenblick,
wo gewissermaßen sein ganzes Wesen und Sein zu Einem Bilde vereinigt,
vollständig vor uns hintritt. Wie eine Blumenknospe, welche bereits von
ihrem Stengel abgeschnitten, noch im Wasser aufblüht, und ihren Kelch
erschließt, so blüht die Menschengestalt, die der Tod schon gepflückt, in
den Thränen unserer Erinnerung noch einmal vor uns auf. So schließen wir
denn diese Blätter mit den Worten Goethe's: »Liebreiches, ehrenvolles
Andenken ist alles, was wir den Todten zu geben vermögen.« --



Anhang.



Briefe von Immermann an Elisa.


1.

  Münster, den 2. Februar 1822.

Da Sie so freundlichen Antheil an den Versuchen eines Neulings nehmen,
meine gnädige Frau, so erlauben Sie mir gewiß gütigst, die Ueberreichung
der Leichenrede, die ich betrübten Herzens gefertigt habe. Sie ist so durch
Druckfehler entstellt, daß ich mit der Zusendung der gereinigten Ausgabe
eilen mußte. Sonst möchten Sie das Opus aus andrer Hand früher erhalten,
und jene Feinde der Autoren würden auch das Wenige von Gunst zerstören, was
Sie der Stachelnuß sonst vielleicht noch zuwenden.

  Gehorsamst

  Immermann.


2.

  Münster, den 16. Februar 1822.

Die anliegende Abhandlung aus der Naturgeschichte darf sich vielleicht
heute unter dem ernster, wissenschaftlicher Betrachtung so günstigen
Himmel von bekanntem Stoff, Ihrer Aufmerksamkeit erfreuen. Sollten Sie die
Ausfüllung der Gedankenstriche wünschen, so werde ich sie mündlich zu geben
im Stande sein. Leider kann ich Ihnen morgen den »Prinzen von Homburg«
nicht vortragen, da ich noch nicht im Besitz meines Exemplars bin. Indessen
wird sich wohl etwas andres finden, vielleicht kann ich »Freia's Altar« von
Oehlenschläger verschaffen.

  Immermann.


3.

  Münster, den 22. Februar 1822.

Mit dem herzlichsten Danke für Ihre so gütige Einladung auf heute Abend,
verbindet sich das Bedauern bei mir, nicht folgen zu dürfen, da ich
anderwärts versagt bin.

Wollen Sie mir erlauben, morgen zu erscheinen? Ich werde für die Bejahung
auslegen, wenn mir kein Verbot entgegenkommt.

Sie kennen meine _gesellschaftlichen_ Freuden, und erlassen mir die
Beweisführung, daß ich mit der höchsten Freude den Vorschlag, am Donnerstag
und Sonntag Ihnen vorlesen zu dürfen, annehme.

  Mit großer Verehrung

  Immermann.


4.

  Münster, den 5. März 1822.

Ich sende Ihnen eine Folge von Landschaften von Antonius Waterloo, die,
wenn Ihr Auge nicht vom alterthümlichen Aufzug dieser Blätter beleidigt
wird, Ihnen wegen der geistreichen Ausführung vielleicht gefallen werden.
Einige Wille's liegen auch dabei.

Als ich mich heute wieder lebhaft und freudig unsres vorgestrigen Abends
erinnerte, kam mir das mitfolgende Gedicht in's Gedächtniß, welches das
Gefühl einer einst verlebten wunderbaren Mondnacht bewahrt. Ich habe es
für Sie abgeschrieben, weil es mir vielleicht Verzeihung für meine fatale
Englische Krankheit erwirkt.

Ich denke, es soll schön und heiter bleiben. Wie herrlich wird dann unser
Ausflug sein!

  Immermann.


5.

  Magdeburg, den 1. Februar 1824.

Die heutigen Stunden der Muße seien Ihnen gewidmet, meine liebe Freundin.
Ich bin hier noch nicht recht zur Ruhe gekommen, sonst würde dieser Brief
früher abgegangen sein; möchte er sie gesund treffen! Meine Reise war im
Ganzen sehr einförmig, das wahre Muster einer Winterreise. Am Dienstag vor
acht Tagen kam ich bei meiner Schwester an, fand dort die Mutter, und
bin nun seit acht Tagen in der Vaterstadt, die mir aber bei dem reißenden
Wechsel aller Verhältnisse fast fremd geworden ist, und worin niemand,
bis auf meinen Bruder _Ferdinand_, der unterdessen außerordentlich sich
entwickelt hat, meine Sprache zu reden scheint. Diese Erfahrung haben
Sie wohl auch schon gemacht, daß Sie deutsche Worte und Reden hörten,
und dennoch merkten, wie die Leute mit diesen Worten ganz andre Begriffe
verbanden, als Sie.

Ich wohne im Hause meiner verstorbenen Großmutter, und ihre alte
langjährige Freundin, von der ich Ihnen erzählte, sorgt für mich auf das
beste, so daß ich nur nöthig habe, mich vor Verwöhnung in Acht zu nehmen,
wie man denn in dieser Beziehung sich immer hüten muß, wenn man das Glück
hat, ein Gegenstand weiblicher Sorge und Pflege zu sein. Glücklicherweise
ist das Leben zu strenge, als daß die weichen und weichlichen Seiten in
unsrer Natur so leicht überhand nehmen können.

Die Stadt hat sich in mancher Hinsicht verschönert. So sind zum Beispiel
am Fürstenwall, an einer Stelle, wo sich sonst nur eine kahle Mauer befand,
schöne grüne Terrassen angelegt, welche mit Rosen und andrem Gesträuch
besetzt werden. Das Ganze muß, wenn es fertig ist, einen erfreulichen
Anblick geben. Die Anpflanzungen, welche der alte Horn anlegte, scheinen
auch gediehen zu sein, soweit sich dies im Winter sehen läßt; kurz, meine
Freundin, Sie brauchen sich jetzt grade keine Wüste um Magdeburg zu denken,
wenn wir gleich durch Natur und militairisches Verhältniß immer nur auf das
Nothdürftige hingewiesen sein werden. -- Das Theater ist zweimal besucht
worden, außer einem gewissen _Hartmann_ senior, von dem ich den Hugo in
der Schuld sah, ist nichts des Nennens Werthes unter der Gesellschaft. Die
Erleuchtung ist zu Gunsten derer, welche Ursach haben, ihr Gesicht nicht
zu zeigen, denn es ist so finster darin, daß man kaum die Gesichtszüge der
Schauspieler erkennen kann. Was man sonst hier für Aesthetik treibt, darum
habe ich mich noch nicht bekümmern können.

Denn es ist eine solche Masse von Arbeit über mich gestürzt, daß ich
freilich, der ich dort doch eigentlich nur ein Müßiggänger war, alle Hände
voll zu thun habe, und die frühen Morgenstunden zum Actenlesen benutzen
muß, damit ich vorbereitet am Tage verhören kann. -- Hiervon nichts weiter!
Wenn ich mich mit Ihnen unterrede, wollen wir in freieren und heiterern
Regionen wandeln, als wohin den Juristen sein Pfad führt.

Ueber meine hiesigen Umgebungen und Verhältnisse erwarten Sie wohl noch
kein Urtheil von mir. Personen und Sachen darf ich das Mißbehagen, welches
mich nicht verläßt, wahrlich nicht zur Last legen. Aber ich habe in jeder
Beziehung zu viel verloren, als daß ich vergnügt sein dürfte. Neigung und
Dank wandern beständig in die Ferne, da kann man freilich in der Nähe und
Gegenwart nicht zu Hause sein. Indessen bin ich gefaßt, denn ich habe,
wie Sie wissen, meinen ganzen gegenwärtigen Zustand in Münster schon
vorhergesehen.

Die Koffer, worin Ihre Papiere aus Versehen mit eingepackt sind, habe ich
noch nicht. Sobald sie ankommen, erfolgen die Papiere zurück. Ich bitte,
dieß dem Herrn General nebst meiner besten Empfehlung und nochmaligen
Danksagung für alle erwiesene Gewogenheit, zu melden. -- Ueber Ihre
Geldangelegenheiten nächstens mehr, ich muß diesen Brief gleich absenden,
und kann deßhalb jetzt über jenen Punkt mit Ihnen nicht ausführlich reden.

Möge mir nun bald gute und schöne Kunde von Ihnen zukommen! Ich habe den
Wunsch und das Bedürfniß mit Ihnen in beständiger naher Verbindung zu
bleiben. Die heutigen flüchtigen Zeilen sehen Sie nur wie ein Billet an,
welches Ihnen in der Eile von einem fernen Freunde und seiner Gesinnung
Nachricht giebt.

Der Reiz, die Anmuth und Würde Ihres Wesens, werden Sie gewiß immer tragen
und halten. In dieser Zuversicht sage ich Ihnen heute Lebewohl als

  Ihr treuer Freund

  Immermann.


6.

  Magdeburg, den 8. Februar 1824.

Ich benutze den Sonntag, liebe Freundin, um mich im Gespräch mit Ihnen
von manchem Drückenden zu erholen. Möchten Ihnen denn meine Worte auch nur
Erholung und Heiterkeit bringen! Ich sehe Sie nun im Geist bald mit dem
Garten beschäftigt, und freue mich, daß die Zeit der Erlösung aus dem engen
Zimmer nahe ist. Wir hatten hier schon einige sehr heitre, warme Tage,
leider haben sie wieder unfreundlichen Platz gemacht.

Wenn alle, die von Münster kommen, jene Stadt so loben, wie ich, so wird
bald das Vorurtheil gegen dieselbe verschwinden. Ich mache mir es zum
Geschäft, alle ihre Vorzüge herauszuheben, und muß mich nur in Acht nehmen,
daß ich nicht bei meinen lieben Landsleuten in den Ruf eines schlechten
Patrioten komme. Ernsthaft gesprochen, so scheint es mir in unserem, so
verschiedenartig componirten Staate recht eigentlich die Pflicht eines
jeden wohldenkenden Beamten, den sein Geschick in eine neue Provinz warf,
zu sein, die üble Meinung und das Mißtrauen, welches zwischen den alten und
neuen Bürgern herrscht, so viel in seinen Kräften steht, zu zerstreuen.

Möchte man nur immer zu allem seinen Beifall geben können! Auch wir sind
hier nicht von Verhaftungen verschont geblieben. Ein junger Mensch, ein
Referendarius Caspari, aus einer mir bekannten und befreundeten
Familie, wurde vor acht Tagen nach Berlin gebracht. Zur Freude jedes
Vaterlandsfreundes hat aber das hiesige Oberlandes-Gericht feierlich gegen
diese Handlung protestirt, und den Justizminister offiziell aufgefordert,
das Recht zu schützen. -- So etwas hilft zwar in der Regel nichts, aber es
zeigt doch, daß die Gerichtshöfe in Preußen immer noch ihrer hohen Würde
eingedenk sind. --

Wie oft wünsche ich des Abends, bei Ihnen zu sein! Meine Tage gehn hier
sehr streng und arbeitsam hin. Ein großer Abstich gegen sonst. Indessen
sehe ich ein, daß, wenn ich meine Zwecke erreichen will, doch einmal diese
strenge, arbeitsame Zeit eintreten mußte. Ein _schönes_ Leben zu führen,
gelingt nun einmal in Norddeutschland nicht, der Fleiß ist unser Apollo,
und die Mühe unsere Muse! Nichts ist lächerlicher, als ein norddeutscher
Geschäftsmann, der zu seiner Erholung des Sommers vier Wochen in's Bad
geht, und nun durchaus nichts mit Zeit und Natur zu beginnen weiß. Ein
solcher Mann ist eine ächt komische Figur, und ich muß sie mir für meinen
Roman ausbilden.

Ihre Papiere sind angekommen, und ich sende sie Ihnen bald mit der
fahrenden Post. Sehr glücklich würden Sie mich machen, wenn Sie mich auch
in der Ferne zu Ihrem Geschäftsträger erwählten.

Meine Zeit ist etwas knapp, ich muß Ihnen herzliches Lebewohl sagen.

  Ihr Freund

  Immermann.


7.

  Magdeburg, den 15. Februar 1824.

Heute, meine liebe Freundin, sollen Sie einen Brief voll Stadtneuigkeiten
haben, damit Sie sehen, wie nachtheilig die Entfernung von Ihnen auf mich
wirkt. Ich fange an zu klatschen.

Unsre Jünglinge hier sind ganz andre Leute, als die dortigen. Auf einem
Ball vor acht Tagen ist zwischen einem Referendarius und zwei Offizieren
über einen Tanz der heftigste Streit entstanden, der sich durch zwei
Duelle, eins auf den Degen und eins auf Pistolen, in dieser Woche
ausgeglichen hat. Sie können denken, in welchem Aufruhr die hiesige
Damenwelt sich befindet, und es ist nur schade, daß niemand blieb, alsdann
würde erst der Jubel vollständig sein.

Ein armer Criminalrichter, der vom Morgen bis zum Abend inquirirt, darf
leider an dergleichen nicht denken, und so fehlt ihm jedes Mittel, sich dem
schönen Geschlechte interessant zu machen. Wenn ich genöthigt wäre, mich zu
schlagen, so müßte ich es wahrhaftig am lieben, heiligen Sonntag thun, denn
in der Woche hätte ich keine Zeit dazu.

Ich zähle jetzt jeden Tag, der uns dem Frühlinge näher bringt, mehr um
Sie, als um mich. Wenn ich Sie nur erst mit Harke und Spaten im Garten
beschäftigt, glühendroth im Antlitz, pflanzend und säend weiß, dann ist
mir nicht bange für Sie, dann schweigt vor der äußeren Anstrengung die
Erinnerung an die harten Schicksale, mit welchen der Himmel Sie prüfen,
durch welche er Sie verklären will. -- Unter den vielen guten Gaben, mit
welchen Natur und Erziehung Sie bedachte, pries ich immer die Neigung, sich
körperlich zu regen und zu bewegen. Es ist unbeschreiblich, was Sie dadurch
für Vortheile über die stillsitzenden Damen erlangen. Ich bin zwar kein
Wahrsager, aber Ihnen getraue ich mir doch ein recht zufriednes und
gesundes Alter zu prophezeihen. Einer gewöhnlichen Frau dürfte man freilich
nicht von ihrem Alter reden, entschuldigen Sie mich mit der Freimüthigkeit,
die Sie mir immer erlaubten, daß ich zu Ihnen so ungalant sprach.

Liebe Freundin, Sie müssen sich wirklich meiner annehmen, wenn ich nicht
dem Schönen absterben soll. Ich meine, daß Sie mir aus Ihrer Lectüre hin
und wieder das Wissens- und Merkenswürdige mittheilen. Wenn ich jetzt nicht
aufmerksam gemacht werde, so erfahre ich nichts, denn lange zu suchen
und zu forschen, dazu fehlt die Zeit. -- Wie oft besucht mein Geist den
Bücherschrank und alle die Plätze, wo bei Ihnen die Literatur aufgestapelt
liegt! Als ich Sie erst kennen lernte, hielt ich Sie für grundgelehrt, und
scheute mich, weil ich meiner eigenen Ignoranz mir bewußt war, etwas vor
Ihnen. Nachher habe ich denn erfahren, daß Sie etwas viel besseres sind,
nämlich _gebildet_, das heißt nicht in dem abgenutzten Sinne der Zeit,
sondern in dem Sinne, wo das Wort die harmonische Gestaltung des ganzen
Wesens durch Lehre, Geschick und Nachdenken bezeichnet.

Diese Nacht habe ich im Traum den ganzen Tasso aufgeführt. Das ist ein
Zeichen, daß wir uns bald wiedersehn werden, denn ohne Sie kann ich das
Stück nicht geben.

Ihre Papiere sind am vorigen Posttage nicht angenommen worden, weil sie in
Wachsleinwand eingeschlagen werden mußten. Sie langen nun künftigen Freitag
an. Nebst meiner Empfehlung an den Herrn General bitte ich ihn in meinem
Namen wegen dieser Verzögerung um Entschuldigung zu bitten.

Es sagt Ihnen herzliches Lebewohl

  Ihr treuer Freund

  Immermann.


8.

  Magdeburg, den 22. Februar 1824.

Ich muß zwar fast verzweifeln, meine liebe Freundin, Ihnen Neues und
Interessantes zu melden, denn mein Leben geht hier sehr einförmig hin,
indessen will ich die gute Gewohnheit der wöchentlichen Correspondenz doch
nicht gleich in ihrem Entstehen wieder vergehn lassen, weil mir gar zu viel
daran liegt, mit Ihnen in beständiger Verbindung zu bleiben, und diese nur
durch ununterbrochene Correspondenz möglich wird. Briefe müssen sich dem
Tagebuche nähern, dann ist ein Leben mit dem Entfernten gedenkbar, setzt
man sich nur alle Monat einmal hin, um zu schreiben, so ist es keine
Unterredung mehr, sondern ein Bericht, ein Vortrag.

Diese Woche war hier ein großer Ball bei _Hake's_ in köstlich verzierten,
nur etwas zu engen Zimmern. Die Dame muß außerordentlich viel Geschmack
besitzen, alles zeugte von ihrem feinen Sinn. Ich tanzte nicht, spielte
nicht, sondern bewegte mich, den Hut in der Hand, umher, und suchte --
Sie! -- Ich erinnerte mich nämlich einer ähnlichen steifen Geschichte bei
_Horn's_, vor der ich mich sehr gescheut hatte, die mir aber das Gespräch
mit Ihnen noch immer zur vergnügten Erinnerung macht. Sie können sich
als Frau -- mit angeborenem und durch Ihre Lage ausgebildetem Talente für
gesellige Verhältnisse gerüstet, keine Idee von der Befangenheit machen,
die mich jederzeit in großen Kreisen, besonders im Anfange befällt. Ich
muß jederzeit alle Standhaftigkeit zusammennehmen, um nicht lächerlich
zu erscheinen. Indessen tröstet mich zuweilen die Betrachtung, daß ich so
viele Andere, welche recht routinirt zu sein glauben, bei dem Bestreben,
sich zu produciren, die kuriosesten Figuren machen sehe. Die ächte feine
Lebensart und Sitte ist etwas sehr Ausgezeichnetes, und eben so wenig durch
Mühe und Arbeit zu erringen, wie jedes andre Talent. -- Hake und die Gräfin
besitzen es wirklich, es ist nicht möglich, mit mehr Anstand und Würde ein
Fest zu geben, als sie thaten.

Sonst sind in dieser Woche für mich zum Theil recht unruhige und
unangenehme Tage gewesen. Die Auction des Mobiliarnachlasses meiner
Großmutter wurde vorgenommen, wobei ein solcher Lärm herrschte, daß ich
immer meinte, sie würden mich mit losschlagen. Meines Verweilens in diesem
Hause wird nicht lange sein, es wird höchst wahrscheinlich verkauft.
Ich sehe mich deßhalb auch schon nach einer andern Wohnung um, und werde
vermuthlich Ostern ausziehen.

Ich freue mich, daß _Paulmann's_ Benefiz so gut ausgefallen ist. Er
verdient wohl, daß man ihn achte. Menschen, die einen so hohen Begriff von
der Kunst und ihrer Schwierigkeit haben, sind heutzutage selten, weil
die Welt mit lauter Genies, denen nichts Mühe macht, besät ist. Es ist
unglaublich, wie die ästhetische Oberflächlichkeit um sich gegriffen hat,
und man kann es dem Publico nicht verdenken, wenn es am Ende von Kunst
und Dichtung gar nichts mehr wissen will. Alles glaubt jetzt, wenn es das
Patent der Bildung gelöst hat, musiciren, recitiren und dichten zu können.
So verderben die vielen Pfuscher das Handwerk.

Wenn Sie wirklich nicht im »Ivanhoe« übersetzen, so haben Sie wohl die
Güte, mir das Buch bald zu übersenden. So lieb mir Ihre Hülfe sein würde --
ich glaube doch, daß ich mich nun wieder allein werde daran machen müssen.

Leben Sie wohl, theure Freundin! Mögen diese Zeilen Sie zu guter Stunde
antreffen. Dies wünscht

  Ihr Freund

  Immermann.


9.

  Magdeburg, den 1. März 1824.

Recht herzlich freut es mich, liebe Freundin, von Ihnen vernommen zu
haben, daß Sie gesund und wohl sind. Ihre Zeilen sind mir eine freundliche
Erscheinung in meinem hiesigen strengen und ernsten Verhältniß, sie wehen
mir wie die ersten lauen Lüfte des Frühlings Trost und Freude in's Herz,
und erinnern mich wieder, daß es noch eine schönere Welt giebt, als die der
sauren Arbeit und der todten Mühe. Es ist aber gut, wenn man auch solche
Zeitläufte einmal durchmacht, damit man Fleiß an Andern schätzen lernt. Ich
komme mir, wenn ich beim Schein meiner Morgenlampe mich zu den Akten setze,
vor, wie einer von den Schmiedegesellen des Vulkan, die auch mit frühem
Morgen das berußte Schurzfell umnehmen und in der Esse zu hämmern beginnen.
Mit meinem Bruder, der in ähnlicher beständiger Arbeit steckt, scherze ich
oft über unsere Lage und wir nennen uns gegenseitig die zwei _Banausen_.
Sie erinnern sich des Worts, welches durch Vossens und Stolberg's Streit
allgemein bekannt wurde, und in der ursprünglichen Bedeutung einen
Menschen anzeigt, der beim Feuer arbeitet, in der abgeleiteten aber jeden
bezeichnet, der sich handwerksmäßig abmüht.

Sie sind dort recht reich an Kunstgenüssen gewesen, und ich möchte fast mit
Ihnen schelten, daß Sie den »König Lear« verschmähen konnten. Doch werde
ich über diesen Punkt wohl nicht mit Ihnen fertig werden und wir wollen die
Partie lieber für remis erklären, da ich um der Wahrheit willen mich nicht
für matt erklären kann, auf der andern Seite es aber für unbescheiden
halte, Ihnen fernerhin immerfort Schach zu bieten. Dem Herrn General danke
ich im Namen der Kunst für die Paulmann zuerst angethane Ehre. -- Hier
steht es schrecklich mit dem Theater -- nicht sowohl mit dem Personal,
welches wirklich mittelmäßig genug ist, sondern mit dem Publico, welches
kalt wie Eis sich nimmt, und nur am Sonntag -- wenn das Haus voller
Schüler, Handlungsdiener und Handwerksgesellen steckt, warm wird. -- Die
Musik ist die einzige liberale Beschäftigung, welche hier, wie aller Orten,
blüht, wenn man die armselige Koketterie, die mit dieser Kunst getrieben
wird, eine Blüthe nennen kann. Doch ist eine Diskantstimme hier -- deren
Genuß ich Ihnen wohl wünschte. Ein so herrlicher, reiner und unverbildeter
Glockenton, daß man nichts Schöneres und Herzergreifenderes hören kann.

Nächstens werde ich auch einige Zeilen des Dankes und der Erinnerung an den
alten Horn abgehen lassen. Er bleibt mir immer im Herzen. Hier steht
sein Andenken -- wenigstens bei den Männern -- überall auf das beste
angeschrieben. Sie sehen also, daß diese Liebschaft unsres Geschlechts
-- wie Sie oft die Neigung zu ihm nannten, eine allgemeine ist, und der
würdige Herr zu den umworbenen und gefeierten Schönen gehört.

Leben Sie wohl, meine Freundin, und gedenken Sie Ihres Freundes in Gutem.

  Immermann.


10.

  Magdeburg, den 6. März 1824.

Ihre letzten lieben Zeilen, meine Freundin, habe ich erhalten, und sage
Ihnen herzlichen Dank dafür. Ich freue mich, daß Ihnen der projectirte
Frauenverein Gelegenheit zur Thätigkeit geben wird, in der Ihnen so wohl
ist; nur fürchte ich, daß die edle Errichterin Sie bald aus der schönen
Vereinigung jagen wird, da mir ihr Talent zu lösen und zu stören, wohl --
die Fähigkeit zusammenzuhalten aber weniger bekannt ist. Sie müssen sich
indessen doch zwingen und so lange aushalten als möglich, denn etwas
äußeres Leben ist jedem Menschen, besonders aber Ihnen, nöthig, wenn Sie
nicht in düstern Trübsinn versinken sollen.

Wäre ich doch einer Ihrer reichen Verwandten, Sie sollten sich gewiß nicht
über Verlassenheit zu beklagen haben. Wie traurig ist es, daß Freunde so
selten Verwandte und Verwandte so selten Freunde sind! Die Verwandtschaft
pflegt in der Regel sich nur durch Hemmen und Schenken bemerkbar zu machen,
wenn aber Noth eintritt und man dann nach der Familie sich umsieht, da ist
man ganz frei und unbeschränkt.

Vor einigen Tagen fand ich in »Des Knaben Wunderhorn« zwei Gedichte: »Lob
der himmlischen Freuden« und »Antonius Fischpredigt,« die Ihrem komischen
Sinne zusagen werden und deren Abschrift ich Ihnen das nächste Mal
mitschicke. Könnte ich sie Ihnen nur vorlesen! Hier nimmt niemand irgend
etwas von mir in Anspruch, als das Geschäftstalent, und das ist meine
schwächste Seite. Ein Dichter ist wirklich ein sehr unglücklicher Mensch
-- alle andren Künste haben doch auch eine Art von Stelle in der Welt, der
Dichter aber schwebt vogelfrei zwischen Himmel und Erde. Drum müssen wir
uns an den Genuß halten, den wir selbst von unsren Vortrefflichkeiten
haben, und unser Heil in der Einbildung suchen. --

Der Winter scheint seine Rechte nachholen zu wollen, es ist empfindlich
kalt, jedoch heitrer, klarer Himmel; und wäre ich dort, so holte ich Sie
heute zu einem Spaziergange ab. Hier komme ich nicht viel zum Wandern, ich
suche mir aber dadurch zu helfen, daß ich stehend arbeite und beim Dictiren
hin und her gehe.

Wenn jemand das Unglück hat, zur Festung verurtheilt zu werden, so wünsche
ich ihm keinen andern Strafort, als Magdeburg. Denn um hier Glück in der
Gesellschaft zu machen, muß man durchaus Staatsgefangener sein -- diese
dürfen überall erscheinen und erregen das meiste Interesse. Mehrere haben
sich schon von hier Frauen geholt. -- Mir kommt es mitunter so vor, als sei
ich zur Festung verurtheilt, aber von Glück hat sich noch nichts einfinden
wollen.

Leben Sie wohl, theure Freundin, und vergnügter als

  Ihr Freund

  Immermann.


11.

  Magdeburg, den 14. März 1824.

Was Sie mir, theure Freundin, von den Carnevalslustbarkeiten und Ihren
Aengsten erzählt haben, hat mich (Sie verzeihen mir) sehr ergötzt, und
ich sah Sie ganz deutlich bei verschlossenen Thüren hinter dicken Mauern
zittern. Ehe ich Sie näher kannte, hielt ich Sie immer für eine Art von
Heroine, bei genauerer Betrachtung ist zwar dieser erhabne Glanz von Ihnen
abgefallen, dafür sprang aber eine um so angenehmere Aengstlichkeit hervor,
wie denn überhaupt alles bei Ihnen sich in Liebenswürdigkeit kleidet. --
Ich habe diese Tage, wie alle meine Tage, hier sehr still verlebt, nichts
erinnert hier an das Fest, welches den Süden so tumultuarisch bewegt, als
die sonnabendlichen Redouten im Schauspielhause, die aber auch herzlich
schlecht sind. Sonst waren in den kleinen Städten um Magdeburg Maskenbälle,
wozu die _Honetten_, welche sich auf die hiesigen nicht wagen dürfen,
eilten, jetzt ist das auch eingegangen. Was soll aus der Welt werden, wenn
wir im trocknen Ernste so fortschreiten, wie bisher? Nicht viel Kluges,
meiner Meinung nach, denn die Menschheit bedarf, wie der Einzelne, zuweilen
einen Thorensprung, um sich zu erfrischen, und um mit desto größerer
Kraft sich nachher wieder auf Tugend und Vernunft legen zu können.
Die bedeutendsten, würdigsten Ereignisse in der Geschichte sind immer
diejenigen Handlungen, durch welche ein Einzelner oder ein Volk eine
große Narrheit oder Sünde gut zu machen strebt, wie soll er aber dazu noch
kommen, wenn man am Ende nur regelrechte Verstandesmäßigkeit kennt?

In diesen Tagen las ich in den Charakteristiken und Kritiken von den beiden
Schlegel's manches gute, treffende Wort, welches ich Ihnen gern, frisch
wie ich es empfangen, wiedererzählt hätte. Lassen Sie sich doch einmal die
beiden Bände geben, und lesen Sie was darin über »Romeo und Julia« und
über »Wilhelm Meister« gesagt wird. Es ist gar nicht zu läugnen, daß die
Schlegel's den Funken, der zuerst durch Lessing entzündet wurde, zur
Flamme angefacht, und eine neue Art der Kritik gegründet haben, nämlich die
auslegende, ergänzende, nachweisende, statt daß früher die vernichtende,
zersetzende, absprechende galt. Der Streit zwischen beiden ist noch nicht
ganz ausgefochten, doch neigt sich der Sieg schon sichtbar auf die Seite,
welche mir die bessere zu sein scheint.

Der Grundbegriff der Schule, welcher ich auch angehöre, ist: daß man zu
einem Kunstwerk nicht mit dem bloßen Verstande, sondern mit dem Einklang
aller seiner Kräfte, Phantasie und Gefühl mitgerechnet, treten muß, wenn
man es begreifen will, daß man von dem Glaubenssatze ausgeht: alles, was
einmal entstand, mußte nach Gesetzen entstehen, und daß man eine unendliche
Mannigfaltigkeit der Wege, die das künstlerische Vermögen einschlagen
kann, zugiebt. -- Hieraus folgen gewisse Maximen. Man wird nichts unbedingt
verwerfen, sondern die Gesetze, aus denen sich die einzelne Erscheinung
nachweisen läßt, aufsuchen, man wird nicht bei der ersten Lesung oder
Anschauung ein Urtheil fällen, sondern zuerst das Werk auf die offene Seele
einwirken lassen, und endlich, man wird die kritische Wissenschaft für
eine äußerst schwere halten, weil eine große Menge von Erfahrungen,
Beobachtungen und Beispielen dazu gehört, um darin nur zu den ersten
Resultaten zu gelangen.

Ich steige von meiner Kanzel, auf der ich Ihnen bisher predigte, und Ihre
Geduld ermüdete, um Sie zu bitten, den einliegenden Brief an Bilstedt dem
Herrn General nebst bester Empfehlung von mir zu geben. -- Mit Vergnügen
bin ich zu aller ferneren Correspondenz bereit. --

Ein herzliches Lebewohl sagt

  Ihr Freund

  Immermann.


12.

  Magdeburg, den 21. März 1824.

Endlich wird sich doch, theure Freundin, der Himmel bei Ihnen entwölkt
haben, wie hier geschehen ist, und Sie zu einem heitern Gefühl Ihres
Daseins gelangen lassen. Seitdem ich Ihre vom Wetter abhängige Natur kenne,
interessirt es mich sehr, und Sie erlauben mir, da es ein Gegenstand von
Wichtigkeit ist für Sie, davon zu reden, wenn man gleich dies Gespräch aus
der guten Unterhaltung verbannt hat. Freilich sind die Gespräche über die
Fehler der Nächsten ein viel interessanteres und reichhaltigeres Kapitel.

Für das übersendete Buch meinen herzlichen Dank, so wie für den Anfang der
Uebersetzung. Ich bedaure nur, daß letztere, wie ein unschuldiges Kind,
bei dem ersten Kapitel stehen geblieben ist. Meine Arbeit hat gleich wieder
begonnen, und es ist auch hohe Zeit damit.

Ich kann mich ganz in Ihr Gefühl und in Ihren Wunsch nach Beschäftigung
hineinfinden, und sinne nur, was für Arbeit ich Ihnen rathen soll. Möglich
wäre es, daß Sie für Ihre eigne Rechnung den Frauenverein überbieten, und
in der Stille Mutter einiger Dürftigen werden könnten, die Ihr Auge wohl zu
entdecken im Stande wäre; denn es giebt in allen Orten des Elendes genug.
Wohlthätigkeit und Werke der Menschenliebe haben zu allen Zeiten edle
Herzen beruhigt. Glück kann die Erfüllung der Pflicht nie schaffen, wer
das behauptet, kennt das Leben und das menschliche Gemüth nicht, aber
beschwichtigen kann sie, versöhnen und den herben Schmerz mildern. Auch
ich ertrüge ein nüchternes, leeres Dasein nicht, wenn nicht jede Stunde ihr
beschiednes Theil Arbeit hätte. Diese fortgesetzte Beschäftigung macht mich
allein fähig, zu existiren, und es graut mir vor allen Gesellschaften,
vor allen Besuchen bei meinen Bekannten und Verwandten in der Gegend,
weil solche arbeitslose Stunden und Tage mich sehr unglücklich machen und
verstimmen. -- Mitunter kommt es mir so vor, als sei unser jetziges Leben
und Treiben besonders veraltet und abgenutzt -- dann aber lese ich wieder
in einem griechischen Tragiker oder in Shakespear Stellen, die nur aus
demselben Gefühl entspringen konnten, und es kommt der Trost über mich,
daß das Leben zu keiner Zeit ohne Dissonanzen gewesen ist, und daß sich in
allen Zeiten Annäherungen zur Harmonie finden lassen.

Man spricht in der hiesigen Militairwelt von Veränderungen. Hake soll
abgehn, wohin weiß ich nicht, und das Generalcommando des 4. Armeekorps
hieher kommen. Dem Herrn General bitte ich diese Notizen nebst meiner
Empfehlung zu sagen, wenn sie ihn interessiren.

Es fehlt hier in Magdeburg gar nicht an Gelegenheit, das _charmanteste_
Leben zu führen, und jeder junge Mann hat es, wie die Tanten behaupten,
sich selbst beizumessen, wenn er nicht in Cours kommt; hohe Generalität,
Präsidentschaft, Beamte mit unversorgten Töchtern, Kaufleute, welche die
Geige spielen u. s. w. alle Ingredienzien, die zum herrlichsten Dasein
gehören. Leider hat es Ihrem Freunde noch nicht gelingen wollen, in dieses
große Räderwerk als brauchbare Walze einzugreifen. Ich finde, daß die
Leute, die ich zufällig kennen gelernt habe, so unendlich mit sich
zufrieden sind, daß ein Dritter ihnen nichts mehr bieten kann, und finde es
daher angemessen, sie ihrem Reichthum zu überlassen.

Mit herzlichster Erinnerung und Freundschaft

  der Ihrige

  Immermann.


13.

  Magdeburg, den 27. März 1824.

An diesem regnichten Nachmittage, liebe Freundin, will ich wenigstens im
Geiste mich in heitre Regionen -- nämlich zu Ihnen flüchten. Es ist ganz
abscheuliches Wetter, so recht zum Todtschießen geeignet, wenn man sonst
dazu Gelüst hat.

Nun ist es beinahe ein Vierteljahr her, daß wir getrennt sind, und ich weiß
nicht, wo die Zeit blieb. Freilich lebe ich hier auch nur wie im Traume,
und meine Existenz hat durchaus kein Interesse und keine Bedeutung. Ich
hoffe, es soll anders werden, denn würde es nicht, so wäre es freilich
schlimm.

Ich freue mich, daß Ihnen der »Kaufmann von Venedig« einen heitern Abend
gemacht. Diese herrliche Dichtung gehört zu dem Besten, was ich kenne. Es
giebt Poesien, die wie manche Häuser sind, ohne durch Pracht zu blenden,
ziehen sie unwiderstehlich an, man verweilt gern darin, man fühlt sich
überall heimisch, und wie in guter, bequemer Gesellschaft. Solch einen
Eindruck macht immer das Stück auf mich.

Selbst das Gewitter, welches über den armen Antonio heraufzieht, kann nur
mäßig erschrecken, denn man ahnet gleich seine Rettung -- wo ein Weib wie
Portia mit in die Handlung verflochten ist, da kann nichts untergehn. In
dieser Portia spiegelt sich die reinste Weiblichkeit, und jene reizende
Mischung von tiefem Gefühl, weicher Herzlichkeit, Schalkheit und einem
gewissen Hang zur Intrigue ab, die Ihr Geschlecht auszeichnet. Auch die
vielen Freier dienen vortrefflich, die Erscheinung hervorzuheben; wenn man
einen Mann bedeutend schildern will, so muß man ihn an der Spitze eines
Heers, oder unter einem Haufen von Schülern und Anhängern zeigen, soll
dagegen eine Frau recht prächtig erscheinen, so muß sie eine vielumworbene
sein. -- Bassanio und sie werden ein herrliches Paar machen, recht
geschaffen Glück und Glanz um sich zu verbreiten.

Ich möchte wohl wissen, ob jemand schon den Grund von Antonio's
Traurigkeit, mit der er gleich Anfangs auftritt, erklärt habe. Die Wirkung
derselben ist groß, er steht gleich mit Einem Zuge unter den schwatzenden,
lachenden Freunden als eine fremdartige, von ihnen nicht begriffene
Erscheinung da, seine schwärmerische Freundschaft für Bassanio, sein
sonderbares _Pfui!_ als man ihn fragt, ob er verliebt sei? -- alles, der
Abscheu vor den Zinsen mit dazugenommen, charakterisirt ihn als einen von
denen, mit welchen das Schicksal sich gern eine kleine Belustigung macht,
und so bringt er gleich einen ernsten Ton in das sonst so fröhliche Stück.

Der Grund seiner Schwermuth läßt sich leicht finden, wenn man ihn in
Beziehung auf seinen Stand betrachtet. Kann es wohl eine schlechtere
Anlage zu allem Kaufmännischen geben, als er besitzt? Mit dieser Weichheit,
Empfindsamkeit, mit diesem ritterlichen Zuge in der Seele, unter Handel
und Wandel, Wechsel und Geldverkehr, muß sich ein stilles Mißbehagen in
ihm ausbilden, welches er selbst nicht versteht, wie es seinen Freunden
unerklärlich ist.

Nehmen Sie, Beste, heute mit dieser Abhandlung statt eines Briefes vorlieb.
Ich habe eben nichts besseres zu geben, und wünschte nur, daß ich mich in
Ihrer Nähe von manchem ausheilen könnte, was mein Gemüth bedrängt. Gedenken
Sie meiner, wie ich Ihrer gedenke.

  Immermann.


14.

  Magdeburg, Sonntags, den 18. April 1824.

Wenn Sie das Fest, theure Freundin, so heiter verleben, als ich es
Ihnen wünsche, muß es Ihnen Festtage bieten. Sie haben nun den Druck der
Charwoche überstanden, der auch uns Protestanten dort fühlbar genug wird,
der Leib des Herrn ist aus dem Grabe genommen, und die Auferstehung zeigt
ihr fröhliches Symbol in den Knospen und Blüthen, die sich schon überall
hervordrängen. Ich mag gern ein etwas spätes Ostern, es ist häßlich, wenn
das Sommerhalbjahr uns noch mit Schnee und Reif bewillkommnet. -- Wie ich
bei allem, was mir Gutes begegnet, immer zuerst an Sie denke, so wünschte
ich Sie auch in voriger Woche zu mir, da ich die Gewächshäuser des reichen
Gutsbesitzers _Nathusius_ in Althaldensleben besah. Sie werden vielleicht
von den ausgedehnten Besitzungen und weitgreifenden Wirkungen dieses Mannes
gehört haben, der aus einem Bettler ein Millionair wurde, und sein eignes
Papiergeld fabricirt, welches bei allen Wechslern Cours hat. Er ist selbst
Botaniker, und bei seinen Mitteln lassen sich denn freilich herrliche
Pflanzen und Blumen ziehen. Sie würden das alles aber noch vielmehr
genossen haben, als ich.

Ein Besuch von _Heine_ fällt in die Zeit, da ich Ihnen nicht geschrieben.
Er hat mir einige sehr schöne Gedichte recitirt, von denen eins besonders
(eine Rheinfahrt schildernd) mir ungemein gefallen hat. Wenn Sie es
lesen wollen, Sie finden es in einer von ihm in den letzten Stücken des
»Gesellschafters« abgedruckten Sammlung von 33 Liedern. Es ist das Letzte
der Sammlung.

Wenn ich nur durch meine Arbeiten erst durch wäre! Ein und einen halben
Band »Ivanhoe« zu übersetzen, einen Aufsatz über das Verhältniß Falstaff's
zum Prinzen Heinrich, den ich nothwendig bis zu Johannis liefern muß, zu
fertigen, und dabei die Vorbereitungsarbeiten zum dritten Examen zu machen
-- das ist keine Kleinigkeit. Wenn ich aber erst durch bin, und meine
Zwecke damit erreicht habe, dann will ich mir auch wohl sein lassen, und
mein Leben genießen.

Leben Sie wohl, meine liebe Freundin, und gedenken Sie Ihres

  Freundes

  Immermann.


15.

  (Ohne Datum.)

-- Ruhe und Stille werde ich wohl haben im Sommer, ich ziehe in ein
Gartenhaus, und werde da ganz für mich leben. Sie trauen Magdeburg gar
nichts zu, Sie sehen aber hieraus, daß wir wenigstens Gärten haben. -- Was
ich Ihnen eigentlich sagen wollte, ist, daß _Eßlair_ hier angekommen ist,
um Gastdarstellungen zu geben, heute beginnt er mit dem Wallenstein. Ich
freue mich, daß das stockende Leben doch einmal etwas geistig aufgeregt
wird, wie sehnlich wünschte ich, mit Ihnen den Genuß zu theilen. Ich werde
mich ohne alle Kritik heute Abend in einen Sperrsitz setzen, und das Schöne
mit dankbarer Seele empfangen, werde Ihnen auch getreulich berichten, was
ich gesehen.

So schmerzlich der Todesfall den alten _Möller_ getroffen haben mag, so war
es doch eigentlich ein Glück zu nennen. Die Jugendlichkeit des Alten wird
ihn hoffentlich wieder aufrichten. -- Der ** hat sich also wieder einen
Korb geholt? Er scheint dazu vom Schicksal vorherbestimmt. Leben Sie wohl!

  Ihr Freund

  Immermann.


16.

  Magdeburg, den 22. April 1824.

Die Wunder treten uns nahe. Ein Schäferknecht, Namens _Gottlieb Grabe_, hat
in Torgau ein Siechenhaus von Gichtbrüchigen und Lahmen um sich versammelt,
heilt durch Berührung verjährte Uebel. Mehrere Hunderte von Kranken
befinden sich in Torgau, viele Menschen sind von hieraus hingereist, und
was man zu vernehmen bekommt, klingt sonderbar genug. Indessen ist der
Schäferknecht bereits denen in die Hände gefallen, welche ein Privilegium
haben, das Publikum zu schröpfen, den Obrigkeiten, und sie verfolgen
bereits den Unprivilegirten. Von Rechtswegen, denn jedes Gewerk haßt den,
der hineinpfuscht.

Was Sie mir von dem Baron _von Sydow_ und seiner goldnen Dose sagen,
bestätigt die alte Erfahrung, daß den Narren die Welt gehört. Oft ist
mir dieser Mann, so unbedeutend er auch sein mag, ein Gegenstand stiller
Betrachtung gewesen. Selbst ein Nichts, drehn sich seine Tage um nichts,
er kommt, ohne daß man weiß, warum, und geht, ohne daß wir sagen können, zu
welchem Zwecke. Und doch lebt er, ist überall eingeführt, gilt so viel als
jeder andere, und bringt sich durch -- lauter Dinge, die Andere ebenfalls
nur mit Kenntnissen und Kraftanstrengungen erreichen. Ich fürchte, er wird
Sie, wenn er von Kopenhagen absegelt, wieder heimsuchen. Jetzt wollte
ich mich schon besser fassen, noch immer macht mir die Erinnerung an das
Vergangene manche unangenehme Stunde. Sich über einen solchen Paradiesvogel
zu ereifern, es war wirklich thöricht! Ein Unglück, daß man selbst so
schwerfällig angelegt ist. Wie leicht wäre mir's mein Glück zu machen,
könnte ich mich nur von manchen Vorurtheilen befreien. Ich glaube, wenn ich
mir recht viel Mühe gäbe, wollte ich wohl Clauren oder Houwald überbieten,
und beide bei dem Publico ausstechen, denn ich weiß ja auch, wo deren
aesthetische Zwiebeln wachsen -- und wäre ein angesehener, wohlhabender
Mann, es will aber nicht gehn. Mit den Musen geht es einem, wie mit jedem
geistreichen Umgange, im Anfang fürchtet man sich davor, wenn man
aber einmal vertraut ist, kann man nicht wieder los, und ist für den
Gevatterschnack verdorben.

Von Eßlair habe ich noch nachzuholen, daß er einen sehr großen, würdigen
Begriff von der Kunst in sich trägt. So sagte er mir, es sei ein Ehrenpunkt
bei ihm, wenn ein Componist einen seiner tragischen Charaktere zu einer
Oper verarbeitet habe, denselben zurückzulegen. Er spielt z. B. den
»Othello« nicht mehr, seitdem Rossini ihn in Musik gesetzt hat. Er ist auch
der Meinung, daß wir dem gänzlichen Verfall aller wahren Kunst mit starken
Schritten entgegengehn. Eine tröstliche Ansicht, wenn man noch nicht
dreißig Jahr alt ist.

Die anliegenden Briefe theile ich Ihnen unsrer Verabredung gemäß mit. Ich
werde von der Post reichlich bedacht; was irgend Interesse hat, erhalten
Sie von mir. Leider hat mir Heine die Karte, deren sein Brief gedenkt, von
_Hitzig_ nicht mitgesendet, ich würde sonst gewiß die Bekanntschaft gemacht
haben.

Ich stehe von der Kälte in meiner Gartenstube etwas aus, und schreibe Ihnen
dieses mit frostblauen Händen. Ich komme mir mitunter in meiner Klause
vor wie ein in den Polargegenden eingefrorner Seefahrer, und stehe oft in
Versuchung die Sommerfreude in Pelzstiefeln und Klappmütze zu genießen. Ein
seltsamer Zustand in meinem hiesigen überhaupt seltsamen Leben! Wir wollen
beide den Himmel um Phlegma anflehen, ich finde, daß die Phlegmatiker die
einzigen Weisen sind. Dagegen ein armer empfindsamer Thor sich fruchtlos
abhaspelt, bis ihn der Tod zum unfreiwilligen Phlegmatiker macht.

Leben Sie wohl, theure Freundin, und erhalten Sie mir Ihre Gesinnung.

  Immermann.


17.

  Magdeburg, den 8. Mai 1824.

Wie ich mir es vorgenommen hatte, liebe Freundin, so will ich es ausführen,
mich mit Ihnen über Eßlair's Spiel auf der hiesigen Bühne diesesmal
unterhalten. Ich beschloß anfangs, an jedem Abend Ihnen den frischen
Eindruck hinzuschreiben, indessen ich gab bald diesen Vorsatz auf, da bei
einer unerwarteten Erscheinung der Mensch zuerst zu befangen ist, als daß
er einem andern ein Bild geben könnte.

Um vom Aeußeren zu beginnen, denken Sie sich einen Mann nahe an den
Fünfzigen (so dünkt mich wenigstens sein Alter) in reinen, kraftvollen
Verhältnissen aufgebaut, etwas zu viel Embonpoint, welcher jedoch wegen
seiner Größe nicht gar zu störend wird, Hände und untere Theile des Körpers
von außerordentlicher Schönheit, die Brust eines Löwen, das Gesicht
ein herrliches Oval, die Nase groß und gebogen, die dunkeln Augen von
unendlichem Feuer, welches durch sehr viel Weißes noch mehr erhöht wird,
auf dem Haupte das Zeichen des herannahenden Alters -- der Anfang einer
Platte -- welcher aber, wie dies immer zu sein pflegt, die Verhältnisse des
Kopfes um so bedeutender hervorhebt.

Diese Gestalt trat dann am Sonntag vor acht Tagen als »Wallenstein« durch
die Flügelthür, in höchst einfacher Kleidung, ruhig majestätisch. Der
Anfang des Spiels war ganz gelassen, fast trocken zu nennen, ohne alle
Prätention. Nur die große Anmuth aller Bewegungen deutete das Besondre an.
Richtiges Einfallen, gutgehaltne Pausen, Benutzung aller Höhe und Tiefe
des Theaters gaben dem Zuschauer das Gefühl der Sicherheit, welches der
Künstler in sich trug. Was nun aber immer mehr eigentlich fesselte, war
der große Sinn, in welchem der Charakter genommen wurde. Ganz vortrefflich
entfaltete er denselben in der Scene mit Illo und Terzky, worin er diesen
den Traum vor der Lützner Schlacht erzählt. Da trat die Doppelnatur
Wallenstein's ganz hervor, die Verachtung der Menschen, welche er unter
sich erblickt, und die ahnungsvolle Seite, die den Sternen zugekehrt ist.
Die Worte:

  »Es giebt im Menschenleben Augenblicke« --

sprach er sonderbar heimlich, die Schauder des herannahenden Schicksals
wehten über die Bühne, man fühlte sich in seinem Innersten berührt, man
war nun schon ganz in seinen Banden. Unübertrefflich war das Spiel bei
dem Aufstande der Truppen, nie werde ich diese Feldherrnstellungen, diese
militairische Kürze und Schärfe vergessen. Als er zurückkommt, und alles
verloren ist, sprach er die befehlenden Worte an Buttler und an Terzky sehr
streng, fast tyrannisch -- wie mich dünkt außerordentlich richtig. Denn
Wallenstein kann das Unglück nur noch fester und herrischer machen. In der
Attitüde, worin er zu Max sprach:

  »Wie ist's? Versuchst Du einen Gang mit mir?«

hätte ich ihn mögen gemalt sehen, er stand wirklich wie ein Römischer
Imperator da, die Füße übereinander geschlagen, den rothen Mantel halb
emporgezogen. Das Herantreten an die Liebenden geschah, ohne daß er auch
nur die geringste Bewegung machte, und das Wort: »Scheidet!« wurde ohne
allen Affekt gesprochen, wirkte aber eben deßhalb um so furchtbarer. Der
Ausdruck in seiner Darstellung, als er den Tod des Max erfährt, war einfach
groß. Eine bloße Seitenbewegung und ein Zusammenziehn des ganzen Körpers,
dann aber wieder der Schein völliger Ruhe und Fassung. Im fünften Auszug
erreichte das Spiel stellenweise seinen Gipfel. Als er am Fenster in die
Nacht hinausstarrte, sah man wirklich mit ihm in die unendlichen Tiefen des
Himmels, nun sank er mit ungemeiner Grazie über den Stuhl, und das Gesicht
zeigte die rührendste Trauer, auch wurden die schönen Worte über Maxens Tod
ganz ihrem Werthe gemäß gesprochen. Er hielt sich auf dieser Höhe bis zum
Ende, wo er mir die Worte:

  »Ich denke einen langen Schlaf zu thun,
  Denn dieser letzten Tage Qual war groß,
  Sorgt, daß sie nicht zu zeitig mich erwecken.«

doch mit zu viel Wichtigkeit aussprach, da sie nach meiner Meinung ganz
leicht und sorglos vorgetragen werden müssen.

Sehr oft erscheint die Schönheit in seinem Spiel, welches das höchste
ist, was man von einem Künstler sagen kann, so gewaltig das Wort auch
verschwendet und gemißbraucht wird. Das sogenannte interessante und
charakteristische Spiel ist noch himmelweit davon verschieden. Es ist
offenbar etwas Bedeutendes, wenn man die größte Kraft, Wahrheit und Natur
schaut, und alles dieses durch eine Anmuth gemildert, und in einem sanften
Reize verklärt wird, so daß man nirgends sich erdrückt, sondern immer
erhoben und befreit fühlt. Vor allem zu loben ist seine Action, der Körper
ist ganz Muskel, er ist im Stande mit dem kleinen Finger mehr zu machen,
als andre, wenn sie mit Armen und Beinen hanthieren. Sein Auftreten und
Abgehn ist wahrhaft königlich, er sitzt und steht ganz herrlich. Eine
Eigenheit von ihm ist, daß er sich gern über den Stuhl lehnt. -- Seine
Recitation und Declamation ist nicht so tadelfrei, häufige, fehlerhafte
Betonung, mitunter leerer Pathos, entstellen sie. Das Organ leidet,
obgleich die Stimme tief und sonor ist, an einiger Rauhheit, und der
oberdeutsche Dialect spricht zuweilen durch. Am meisten leistet er im
ruhigen, würdevollen, kräftigen Vortrag, auch im Ausdruck des Rührenden,
weniger in den leidenschaftlichen Scenen, wo zuweilen Uebertreibung ohne
eigentliche Gediegenheit eintritt. Eine köstliche, trockne Ironie hat er
in seiner Gewalt, glänzend zeigte er sie in seinem Spiel zu den Frauen im
»Wallenstein,« die er sichtlich als Beiwerk behandelte, wie sie es auch in
dieser Tragödie sind. --

Montag gab er Kriegsrath Dallner in »Dienstpflicht« -- Mitwoch »Wilhelm
Tell,« Donnerstag Hugo in der »Schuld,« Freitag den Oberförster in den
»Jägern.« Morgen wird »Dienstpflicht« repetirt, dann giebt er noch eine
Vorstellung, die bis jetzt unbestimmt ist. -- Wallenstein ist mir als die
großartigste Erscheinung vorgekommen; obgleich er in den übrigen Stücken,
namentlich als Dallner eigentlich viel correcter gespielt hat, so fehlte
die von innen nach außen dringende Poesie, welche aber freilich auch nur
von einem ächten Dichterwerke hervorgerufen werden kann. Das Publikum zeigt
sich im Ganzen theilnehmend, empfängt ihn jedesmal mit Applaus.

Wie sehr hätte ich gewünscht, theure Freundin, daß Sie ihn sehen möchten.
Ihr feiner Sinn für das Schöne würde großen Genuß gehabt haben. Alles Gute
wünscht, wie Sie wissen, mit Ihnen zu theilen

  Ihr Freund

  Immermann.


18.

  Magdeburg, den 16. Mai 1824.

Da ich Ihnen, theure Freundin, nur von dem erzählen kann, was ich sehe und
erlebe, und dessen jetzt nicht viel ist, so müssen Sie sich schon gefallen
lassen, mit mir in dem engen Kreise meines gegenwärtigen Zustandes
umherzuwandern. -- Von Eßlair hole ich noch einiges nach. Er hat am vorigen
Sonntage den Kriegsrath Dallner, am Montage den Oberförster in den »Jägern«
wiederholt, und am Dienstag »Nathan den Weisen« gegeben. Bei näherer
Bekanntschaft findet sich unendlich viel zu tadeln, unerträglich falsche
Betonungen, ein Singen der Stimme, wie ich es nun leider bei allen ernsten
Darstellungen, die ich bis jetzt gesehen, vernommen habe, und welches dem
wahren und natürlichen Ausdruck ganz entgegenläuft, eine gewisse Weichheit
des Spiels, die auf Kosten des Tiefen und Bedeutenden uns geboten wird,
und noch mehrere solche Flecken. Indessen bleibt der Gehalt des Guten
und Vortrefflichen sehr groß, und es giebt Seiten an seinem Spiel,
die hinreißend schön sind, und entzücken müssen. Seine Stärke ist die
Darstellung der Grazie in der Kraft; in allen solchen Scenen, wo der Held
gefaßt und ruhig ist, möchte ihn wohl keiner so leicht übertreffen, ja
nur ihm gleichen. Da umweht ihn ein wunderbarer Hauch der Anmuth, Worte,
Mienen, Stellungen und Bewegungen sind in einem zarten, hellen Dufte
zugleich gemildert und verklärt, und alles ist nur eine Musik.

So schuf er aus dem alten Kriegsrath Dallner in »Dienstpflicht« von Iffland
ein Bild, welches mich noch jetzt bei der Erinnerung in Staunen versetzt.
Das Stück ist eines der elendesten Iffland'schen, welches ich kenne. Lauter
miserable, peinliche, armselige Verhältnisse, der Held des Stückes,
der alte Dallner, der personifizirte Dienstbegriff, eine ächte Berliner
Offiziantennatur. Diesen traurigen Charakter wußte nun aber Eßlair durch
die Macht seines Spiels in eine so hohe poetische Sphäre zu rücken, daß man
ihn wahrhaft bewundern mußte. Wodurch er dies bewirkte? Durch einen Ton
der Sanftmuth, Heiterkeit, Milde und Fassung, wodurch er das Gemälde eines
schönen, in sich vollendeten, zum höchsten Seelenfrieden gekommenen Greises
hervorbrachte. Dallner ist, wenn man von Correctheit ausgeht, seine beste
Leistung, denn sie ist durchaus fleckenlos, Wallenstein bleibt seine
größte. Schade, daß er den »Lear« hier nicht geben durfte, den einige
nervenschwache Damen von Einfluß sich verbeten hatten. Ich mache Sie
besonders auf den Wallenstein und den Dallner aufmerksam.

Er kommt nämlich, wie er mir bei einem Besuche, den ich ihm abstattete,
sagte, Ende dieses Monats nach Münster, wohin ihn Pichler zurückbegleitet.
Sein ganzen Wesen ist sehr würdig, nichts Komödiantenmäßiges; ein kleiner
Umstand erinnerte mich indessen doch bei jenem Besuche, daß ich zu einem
Schauspieler gegangen war. Ich hatte mich ihm schriftlich angemeldet, ging
gegen zehn Uhr morgens zu ihm, und blickte, als ich in's Zimmer trat, nicht
rechts noch links, sondern setzte mich sogleich mit ihm in ein Fenster,
den Rücken nach der Thür gewendet. Ich war in einer lebhaften Unterhaltung
begriffen, als die Thür sich öffnete, und ein junger Schauspieler
hereintrat, der, ohne von uns Notiz zu nehmen, sich seitwärts wandte und
sagte: »Mein Gott, finde ich Sie gar im Bette!« Ich wandte mich um, und sah
eine Dame im Bette neben der Thür liegen. Eßlair sagte ganz trocken: »Meine
Tochter, die nicht recht wohl ist.« -- Ich ergriff sogleich den Hut und
empfahl mich; wenn ich nicht irre, so war ich in dem Augenblick verlegner,
als die Schöne.

Magdeburg sollte von fremden Sternen nicht leer werden. Am Donnerstag
langte Madame _Neumann_ vom Karlsruher Theater an, gab die Margarethe
in den »Hagestolzen« außerordentlich natürlich und brav, und auf vieles
stürmisches Begehren am folgenden Tage die »Preciosa.« Dieser Charakter,
oder Rolle, oder wie man es nennen will, ist bekanntlich eine bloße
Declamirübung, und die beste Künstlerin kann nichts hineinlegen, was
den Freund wirklicher Darstellung zu berühren vermöchte. So ging es
auch diesmal, Madame Neumann zeigte ihre geschmackvolle Garderobe, ihre
Schönheit, declamirte sehr sentimental, und tanzte recht hübsch, von Spiel
konnte nicht die Rede sein.

Das Publikum war sehr dankbar. Gegen den Schluß der Vorstellung regneten
von allen Seiten Kränze und Bouquets auf die Bühne; ein Schauspielerkind
brachte aus der Coulisse auf einer Schüssel ihr Blumen, die Schauspieler
umwanden sie mit allerlei grünem Zeuge, der erste Liebhaber setzte die
Rolle in der Wirklichkeit fort, und fiel vor ihr förmlich auf die Kniee,
die Schauspielerin, welche die Mutter gespielt hatte, umarmte sie zärtlich,
Madame Neumann küßte einen Blumenstrauß, gegen das Parterre gewendet, das
Publikum schrie und tobte vor Entzücken, als wollte es aus der Haut fahren,
die Schauspieler sangen einen Chor zu Ehren der Gefeierten, unter diesem
Spektakel fiel der Vorhang, und ich hatte, an eine Säule gelehnt, meine
ganze mephistophelische Fassung nöthig, um nicht auch in dieses gerührte,
herzlich theatralische Verderben hineingerissen zu werden.

Was hieran bitter klingt, vergeben Sie. Sie kennen und fühlen meine Lage.
Ich bin ein Einsiedler, wie ich noch nie gewesen. So lange ich an
Ihrem immer nach dem Guten, Rechten und Schönen mit heitrer Festigkeit
gerichteten Sinne mich stärken konnte, und in diesem Sinne volles
Verständniß meiner innersten Gedanken fand, hatte ich Trost und Ersatz
für die vielen Thorheiten und Gemeinheiten, die uns umgeben, jetzt ist das
anders.

Meine Arbeiten schleichen langsam fort. Der Walter Scott schwatzt mir doch
fast zu breit. Ich verliere so manche breite Schilderung unter den Händen,
weiß nicht, wo sie bleibt, und ich denke, die Recensenten sollen auch
nichts merken.

Mit den Gefühlen, welche Sie kennen, immerdar

  Ihr Freund

  Immermann.


19.

  Magdeburg, den 26. Juni 1824.

Wenn Sie solche düstre Regentage dort gehabt haben, theure Freundin, als
wir hier, so wird Ihr Herz Ihnen wieder etwas bange geworden sein. Ich
lebte in meinem Gartenhause, wie in der Arche Noä, nur Ihre Briefe waren
die Oelblätter, welche mir Zeugniß gaben, daß es noch grüne Stellen des
Lebens gebe. Ich will diese Zeit, die schwer genug für mich ist, redlich
durcharbeiten, es ist eine eiserne, die mich in der Entbehrung und
Entsagung übt -- dann muß es aber besser werden.

Vor einigen Tagen hatte ich hier eine sonderbare Ansicht. In meiner guten
Vaterstadt, worin alles Nützliche wirklich mit großem Eifer emporgebracht
wird, ist ein großer Wollmarkt arrangirt. Denken Sie sich auf dem
Domplatze, den Dom und grüne Bäume im Hintergrunde, wenigstens 300
Wollwagen in zwei Reihen aufgefahren, einer wie der andre, alle grau,
dazwischen Schafknechte und Fuhrleute auf Wollsäcken und Stroh liegend,
und Sie haben das vollständige Bild einer auf der Wanderung begriffenen
Tatarenhorde, nur die Koch- und Lagerfeuer fehlten. Es sind gute Geschäfte
gemacht, und die Einrichtung flicht unserm für das Wohl der Stadt
unablässig bemühten Oberbürgermeister _Francke_ eine neue Bürgerkrone.

Quedlinburg ist durch das Conversations-Lexicon jetzt dahinter gekommen,
daß Klopstock in seinen Mauern das Licht der Welt erblickte. Am nächsten
Mittwoch wird dort zur Feier seines Geburtstages ein großes Musikfest
gegeben, der »Messias« von Händel wird aufgeführt und Karl Maria von Weber
dirigirt. Ich würde es auf die Gefahr, aus dem Städtlein, welches ich so
gröblich beleidigt habe, gewiesen zu werden, wagen, hinzureisen, wenn meine
Geschäfte es erlaubten. Der Zusammenfluß von Musikern, Dilettanten und
Hörern wird allem Anschein nach sehr groß sein. Bei diesen und ähnlichen
Gelegenheiten kann ich mich eines gewissen Unmuths nicht erwehren.
Unter allen Aeußerungen des menschlichen Bildungstriebs wird doch der
dichterische am schlechtesten behandelt. Was geschieht wohl im Aeußeren für
Poesie? Gar nichts. Der Dichter immer muß sich zurückgewiesen sehen, muß
zuletzt einseitig werden. Wenn ich bedenke, daß die Athener dem Sophokles
für seine Antigone eine Feldherrnstelle gaben, so muß ich das griechische
Volk bewundern, dessen ganzes Leben und Dasein nur in der Schönheit ruhte.

Ich lese jetzt Wilhelm von Humboldt's ästhetische Versuche, namentlich
den Theil, der über »Hermann und Dorothea« redet. Es ist ein ganz
vortreffliches Werk, voll tiefer Einsicht, und doch sehr klar und einfach
dargestellt. Hätte ich nicht solche unüberwindliche Abneigung gegen das
Abschreiben, so hätte ich schon einige Stellen copirt und sendete sie Ihnen
mit. Ich werde Ihnen aber das Buch nach Dresden senden, da sollen Sie sich
an ihm erbauen. Ich werde auch fleißig Zeichen einlegen, denn ganz werden
Sie es freilich wohl nicht lesen mögen.

Morgen sende ich Ihnen eine Ansicht von Magdeburg, Papier und einige
Briefe. Die Ansicht ist schlecht genug, sie darf sich nicht viel Gunst von
Ihnen versprechen, die Stadt ist auch bei Ihnen zur Ungnade vorherbestimmt;
(Sie wissen, daß ich glaube, Neigung und Abneigung der Damen werde durch
ein reines Verhängniß bestimmt,) zerreißen Sie nur das Blatt nicht in Ihrem
Zorne. Die Stadt hat wenigstens das Gute, daß sie Ihnen Freunde gab.

Erzählen Sie mir recht viel von sich, und schenken Sie mir, wie früher,
volles Vertrauen. Ich hoffe es zu verdienen, und glaube Ihnen sagen zu
können, daß meine Gesinnung sich Ihnen in jeder Lage des Lebens bewähren
wird; daß es keinen Dienst giebt, den ich Ihnen nicht mit Freuden leisten
kann, keine Treue, welche mein Gemüth Ihnen nicht bewahrt. Mit diesen
Worten lassen Sie mich diesmal Ihnen Lebewohl sagen.

  Immermann.


20.

  Magdeburg, den 10. Juli 1824.

Ich habe mich sehr, theure Freundin, gefreut, aus Ihrem letzten Briefe zu
sehen, daß Sie ruhiger und heitrer geworden waren. Gewiß verläßt Sie der
Himmel nicht, auch Sie sind ein Wesen, welches er dazu bestimmte, Freude
und Behagen zu empfinden und des Daseins nach den Gesetzen seiner Natur zu
genießen, ja, Sie sind vor Vielen dazu berufen, da Ihr reiches Herz so viel
Gutes um sich verbreitet, so manchen Segen um sich zu pflanzen weiß. Dieses
Gute, dieser Segen muß aber, nach den ewigen Gesetzen der Welt, zu
Ihnen zurückkehren, und gewiß haben Sie dies auch schon in mancher
Anhänglichkeit, die Ihnen auf dem Lebenswege wurde, dankbar gegen Gott,
empfunden. Daß wir in dem schönen Wolbeck nicht zusammen gewesen sind,
bedauert gewiß niemand mehr als ich -- ich war so gern mit Ihnen in der
Natur, und hatte meine Freude an Ihrem für alle Schönheiten des Daseins
aufgeschlossenen Sinn. Sonst haben wir wohl so ziemlich in Münster alle
hübsche Parthien mit einander gesehen.

Ihr nächster Brief wird mir sagen, was weiter zu besprechen ist -- bis zum
Eingang desselben, vermeide ich die Berührung dieser Dinge.

Es freut mich, daß Sie Eßlair auch persönlich kennen gelernt haben, und
daß er so galant gegen Sie gewesen ist. Sein Wesen hat wirklich etwas sehr
Ansprechendes. Ueber die Jugendgeschichte dieses Mannes ist man noch sehr
im Dunkeln. Das Conversations-Lexicon drückt sich mystisch genug aus. Er
soll aus einem alten gräflichen Geschlechte sein, von Slavonien herstammen
u. d. m. Die Ahnen werden sich daher wohl etwas gerührt haben, als der
ungerathne Enkel unter die Schauspieler ging.

Auf meinem Tische liegt der zweite Theil des Tagebuchs von Wilhelm Meister,
von Pustkuchen. Dieses Pfäfflein wandelt getrost seinen trutzigen Gang
fort, versteigt sich aber in diesem Theile, wie ich aus den ersten zwanzig
Seiten bereits ersehen habe, bedeutend in's Ungereimte, und so steht
denn zu hoffen, daß das Horn seines Uebermuthes nahe am Zerbrechen ist.
Vielleicht rühre ich meine Feder auch noch zu diesem Ende, doch ist es sehr
zweifelhaft, da ich eigentlich zu solchen Arbeiten keine rechte Lust habe.

Ich wünsche Ihnen alles, was Sie bedürfen, und bleibe mit alter
Anhänglichkeit

  Ihr Freund

  Immermann.


21.

  Magdeburg, den 17. Juli 1824.

Recht leid thut es mir, von Ihnen hören zu müssen, daß Ihre Freundin
in Dresden vielleicht behindert sein wird, Ihnen ganz ihre Zeit und
Gesellschaft widmen zu können. Doch bietet Dresden so viel Schönes dar, was
Sie für sich genießen können, daß Ihnen dennoch der Aufenthalt dort sehr
heilsam werden wird. Die Dissonanzen des Lebens gleichen sich am ersten in
der ewigen Harmonie der Natur und schönen Kunst aus; indem das Gemüth mit
stiller Gewalt auf die ewigen Gesetze der Schönheit aufmerksam gemacht
wird, findet es sich selbst zu seiner Klarheit und Schönheit zurück. Recht
begierig bin ich aus Ihren Briefen den Eindruck zu vernehmen, welchen die
Antiken auf Sie machen werden. Mir ist die Statue immer lieber gewesen
als das Gemälde, sie bringt auf mich die reinste und gründlichste Wirkung
hervor, nie werde ich die Stunden vergessen, welche ich vor den großen
Werken des Alterthums, deren Anschaun mir zu Theil ward, zugebracht habe.
Ich glaube auch, daß meine Poesie sich immer mehr zur Sculptur neigen wird
-- wenn ein heitres und in seinen nothwendigen Wünschen befriedigtes Leben
mich überhaupt noch für die Zukunft als Dichter gelten läßt. Schon jetzt
empfinde ich eine Abneigung gegen alles, was nicht nothwendig ist, und
ein eigenthümlicher Fehler meiner Poesie ist, daß sie der malerischen
Perspective entbehrt und alle ihre Gestalten wie eine Steingruppe
hinstellt.

Doch Sie können zürnen, daß ich jetzt von mir rede und mich nicht bloß mit
Ihnen beschäftige. Mögen die Kräuterbäder Ihnen Heil und Segen bringen. Sie
werden diesen Theil Ihrer Kur doch gewiß in Dresden fortsetzen, und haben
dazu im Lincke'schen Bade die beste Gelegenheit, zugleich den Vortheil, mit
dem Bade eine hübsche Spazierfahrt zu verbinden. Die Brühl'sche Terrasse
und die große Brücke müssen Sie ja einmal bei Mondschein besuchen, es ist
ein eigenthümlicher, schöner Anblick, den ich mehrmals genossen habe.

Ein böser Stern gab mir vor einigen Tagen die Fortsetzung der falschen
Wanderjahre, Wilhelm Meister's Meisterjahre, von Pustkuchen in die Hand.
Da der Mensch in seiner doppelten Natur immer auch gern mit dem Schlechten
sich bekannt macht, so las ich das Buch in einem Zuge durch, kann aber doch
fast den Ekel, den diese abgeschmackte, saft- und salzlose Schüssel in
mir zurückließ, nicht beschreiben. Das Frühere ist gegen dieses ein
Leckerbissen, ich fürchte sehr, der Verfasser wird nun seinen eignen
Anhängern verdächtig werden.

Ich wünsche Ihnen Zurückkehr der Körperkräfte und ruhige Stunden. Mit
bekannten Gesinnungen

  Ihr Freund

  Immermann.


22.

  Magdeburg, den 24. Juli 1824.

-- Es ist gut, daß Ihre Reise spät fällt, früher würde Ihnen die große
Ueberschwemmung manchen Genuß verdorben haben, sie hat unendlich viel
Schaden gestiftet, auch in der hiesigen Gegend.

Vor einigen Tagen aß ich in einem Gasthofe (denn meine Mutter ist verreist,
und ich lebe wieder wie sonst) mit einer Dame zusammen, die man fragte, ob
sie eine Engländerin sei. Sie verneinte dies mit großer Lebhaftigkeit, und
fügte hinzu: »Gottlob, ich bin eine Hamburgerin.« Es thut wohl in diesen
Zeiten einmal jemand zu hören, der sich seines deutschen Vaterlandes freut.
Ich kann von mir behaupten, daß ich diese Liebe immer im Herzen getragen
habe. Es fällt meinem Verstande unendlich viel Tadelnswerthes ein, was sich
bei uns findet, und dennoch ist mir das Vaterland das liebste, was ich
mit keinem andern vertauschen möchte. Es erscheint mir eben in seinem
unbeholfenen, zerrissenen Wesen so bedürftig und so würdig des Mitleids,
und ich glaube, daß ihm die Besseren durch heiße Anhänglichkeit den Schutz
und die Sicherheit geben müssen, welche ihm die Natur und die politische
Verfassung nicht giebt. Das ist wohl überhaupt das Wesen jeder Liebe,
daß sie ihren Gegenstand ganz und ungestört umfaßt, und seine Mängel und
Flecken in ihrer Wärme und Fülle ausgleicht.

Ich sage Ihnen für diesesmal Lebewohl, und bitte Sie, meiner im Guten zu
gedenken.

  Ihr Freund

  Immermann.



Briefe von Möller an Elisa.


1.

  Münster, den 25. Dezember 1830.

Daß der wackere Lord Byron, meine Verehrteste, mir Veranlassung giebt,
Ihnen zu schreiben, soll ihm noch in seiner Familiengruft zu Nottingham
gedankt werden. Nehmen Sie gütigst sein Bild und seine Gedichte als ein
Scherflein zum Andenken -- an mich! Das ist wohl kühn gesagt! Aber Liebe
und Vertrauen wagen etwas. -- Seitdem Freundin _Engels_ bei mir ist,
theilen wir sehr oft das Verlangen, Ihnen näher, ja ganz und gar mit Ihnen
zu sein. Die schönen, unvergeßlichen Tage und Stunden, die einst durch Sie
mir hier wurden, ließen sich dann erneuern, und die verbesserte Auflage
meines häuslichen Lebens könnte so etwas dazu mitwirken. Unter den vielen
Revolutionen unserer Zeit ist die, welche Christiane mit mir, ihrem
Häuptlinge, und dem ganzen Gebiete meiner Herrschaft unternommen hat, so
weit ich vergleichen kann, noch immer die beste, und würden die andern
wohlthun, ihr Muster nach dieser zu nehmen. Die Veränderungen sind nicht
nur unblutig, sondern sogar unmerklich, und auch diejenigen, welche dem
auf Gewohnheit haltenden Häuptlinge unbequem sind, weiß die
Constitutionskünstlerin so fein anzurichten, daß sie am Ende ihm glatt
eingehn. Ja, ich muß ihr die Gerechtigkeit widerfahren lassen, -- sie
bereitet mir ein tägliches Wohlleben; ich nenne sie aus Dankbarkeit
mitunter Melitta (die Honigträgerin.)

Ich bitte mich einmal über das andere zu empfehlen dem seltenen Humoristen
und trauten Freunde _Immermann_. -- Ungern trenne ich mich von der Rede mit
Ihnen. Sie wollen mich weiterhin wieder anknüpfen lassen. Glauben Sie daß
mein Geist Sie oft umschwebt, und daß zu meinen liebsten und schönsten
Wünschen gehört, daß Sie zugethan bleiben

  Ihrem herzlich ergebenen

  Möller.


2.

  Münster, den 25. April 1831.

-- Ich habe nun auch die Frau _von Aachen_ gesprochen, und gehört, daß Sie
uns freundlich entgegengesehn, und des schönen Frühlings sich freuen. Ich
weiß wie Sie den Himmelsjüngling lieben,

  »Wenn er kommt aus seiner Morgenröthe Hallen,
  Und sein Antlitz ist ihm weiß und roth,
  Und auf seiner Schulter Nachtigallen!«

Möchten wir ihm in der Neanderhöhle einen Maitrank opfern können!
Christiane präparirte ihn, unser Immermann besänge ihn, Sie, als
Priesterin, verrichteten die Libation, und ich (nicht etwa: Ich trinke für
Euch Alle!) reichte ihn segnend umher von Mund zu Munde. Welch eine Scene!
Ich meine schon dabei zu sein. Zum Schlusse hallten dann die Felsen nach
von einer Novelle, deren ich neulich gar schöne in Immermann's »Miscellen«
gelesen. Wie reich sind die Gaben unseres Freundes! In unseren Haiden kommt
dergleichen nicht vor.


3.

  Münster, den 25. Juni 1831.

Wie könnte ich, meine Verehrte, so frühlingsduftige Worte wie die Ihres
lieben Grußes, einen Augenblick unerwiedert lassen? Wäre ich doch nur der
Frühling selbst, dem Sie immer so hold gewesen, um alles auf's schönste zu
vergelten. Ich danke Ihnen für Ihre Freundlichkeit, ist sie doch lieblicher
als alle Gaben des Lenzes. Gewiß hat die blühende Natur auch Ihrem Herzen
manches stille Fest bereitet. Möge nur der leidige Medardus Ihnen und
allen Kindern der Natur die Freude nicht verderben. Das wäre auch mir sehr
genehm, da ich zu großen Thaten hinaus in die Welt will -- zum Weltmeer,
zum Kampf mit seinen Wogen und Delphinen.

Ihr Staunen über solchen Heroismus wird schnell wie eine _Woge_ sinken,
wenn ich sage, daß ich zum Seebade auf der Insel Wangerog (bei Jever im
Oldenburgischen Frieslande) mich aufzumachen gedenke. Es ist mir sehr
empfohlen. Vier bis fünf Wochen muß ich jedoch noch damit anstehen. Damit
wäre denn Zeit genug für die liebe Frau Generalin, sich anzuschließen.
Wie würden Sie, eine Tochter des Meeres, mit diesem Elemente mich vertraut
machen können, wie mir Muth einflößen, mich auf den Rücken des Oceans, und
in dessen Fluthen zu wagen! -- Könnte dies nicht wirklich werden, so gönnen
Sie mir wenigstens Ihre Erscheinung auf den Wogen oder Dünen, denn wie ich
wohl gehört, ist auf Meeren manches Mystische. Bericht soll Ihnen von
dem Abentheuer werden; am liebsten mündlich; ich denke nun die lange
verschobene Reise nach dem Rhein gleich an die Wassertour zu knüpfen. --
Ihnen dann meinen Gegengruß zu sagen, wäre die Krone der Reise.

Viel häusliche Freude ist in diesen letzten Wochen mir geworden durch
Besuche von meinem Schwager dem Dichter _Krummacher_ aus Bremen, und dessen
Familie; von meinem Sohne zu Lübbecke und meiner Tochter _Gessert_, die
eben jetzt noch bei mir ist, und sich Ihnen mit dem ergebensten Herzen
empfiehlt. -- Freundin Engels treibt mich, daher ich zum letzten Worte
eile -- daß Sie mit Ihrem lieben Herzen zugethan bleiben wollen Ihrem innig
ergebenen

  Möller.


4.

  Münster, den 8. November 1831.

Es ist nicht anders, liebe Verehrte, ich muß noch ein Wörtchen Nachruf zu
Ihnen herüber lispeln lassen. Wer kann gegen das Getreibe des Herzens. Ich
meine Ihnen noch nahe zu sein, trotz den zwischen uns liegenden Strecken,

  »Wo im Sande der Weg verzogen fortschleicht.«

Möchte ich für so viel Güte Sie mit einer anziehenden Reisebeschreibung
erfreuen können. Aber weder die öden Haiden, noch die zahlreiche
Passagiergesellschaft, mit der ich in dem großen Kasten eingepfercht war,
wollen mir Stoff dazu reichen. Um jene interessant zu machen, müßte mir
die Phantasie eines Georg Jacobi, der die in seine Gedichte aufgenommene
Winterreise von Halberstadt nach Düsseldorf so lieblich erzählt, und um aus
dieser etwas zu machen, der reiche Humor eines uns wohl bekannten Freundes
beistehn. -- Als ich abfuhr schimmerten noch die Lichter des Himmels, von
denen Jesus Sirach sagt: »Sie wachen sich nicht müde!« -- Der trübe Morgen
verscheuchte sie bald, allmählig wurde der Tag freundlicher, und als er
sich neigte, zogen die Sterne wieder herauf, und in schöner Pracht schien
der Orion grade in mein Wagenfenster. Immer habe ich diese Himmelskinder
geliebt; schon als Knabe konnte ich mich oft nicht satt an ihnen sehn.
Seltsam war es mir da zu hören, daß die Grönländer die Sterne für verklärte
Grönländer halten, und den Mond für den ersten unter ihnen, weil er
einst die mehrsten Seehunde gefangen. Freilich muß der Mensch sich alles
vermenschlichen, womit er sympathisiren soll! Ich sah zu ihnen auf, wie zu
alten, lieben Freunden, und in einem von ihnen gar freundlichen und milden
glaubte ich Ihren Blick zu sehen. Endlich war die Mitternacht gekommen, sie
brachte mich an meine Wohnung. Die Augen meiner Freundin hatten sich wacker
gehalten; gleich beim Geklingel der Schelle kam sie mir herzlich entgegen,
und eine der ersten Fragen waren Sie -- ich brachte ihr mit Innigkeit Ihren
innigen Gruß. Noch wurde eine Stunde fröhlich verschwatzt, nun aber war
es mit meinem langen Heldenlaufe aus, und ich schlich ermüdet zum Schlafe.
Heute bin ich wieder frisch auf, und ich habe mich bereits an vorgefundenen
Briefen von meinen Kindern und Freunden, von Krummacher, von Professor
_Augusti_ in Bonn u. a. m. ergötzt. -- Der Letztere, mein herzlicher
Freund, thut mir unter anderem den Vorschlag, daß wer von uns beiden den
andern überlebt, ihm ein kleines schriftliches Denkmal stifte. »Sie haben
dies,« schreibt er, »bei Berg und Nonne mit so viel Liebe und Einsicht
gethan, daß ich mir's als etwas recht Erwünschtes denke, eben von Ihnen
einen solchen Dienst zu erhalten. Sollte ich aber Sie überleben, so würde
ich, obwohl mit schwerem Herzen, Ihnen ein gleiches thun. Lachen Sie
nicht über den seltsamen Einfall! Wir sind in Hinsicht der Denkart und des
Gefühls nahe genug verwandt, um auch in dieser Hinsicht für einander zu
passen, und daß es dem Zurückbleibenden darum nicht übel anstehn würde,
zu sagen: »es ist mir leid um Dich, mein Bruder Jonathan!« -- Wie sehr
hat mich das alles gerührt, und mir meinen Augusti wo möglich noch lieber
gemacht!

Jetzt kommt für mich die liebe Arbeit herbei, die mich eine Zeitlang nur zu
sehr festhalten wird. Aber für schöne Erinnerungen soll sie mir doch Raum
lassen. -- Wenn Sie mitunter ein geisterhaftes Säuseln um sich vernehmen,
so erkennen Sie darin die Nähe eines Freundes, der zu seinen liebsten
Gedanken auch den an Sie zählt! Wie ist es mir so lieb, daß ich nun auch
Ihre nächsten Umgebungen weiß. An Immermann meinen besten Gruß. Seinen
jüngsten Gedichten habe ich manche schöne Stunde zu verdanken. Ich habe
es ihm aber nicht gesagt, weil ich mir zu wenig bin, solchen Dichter zu
preisen. -- Vorgestern, in eben der Stunde, wo ich dieses schreibe, sagte
ich Ihnen ein Lebewohl. Möchte es nicht zu lange dauern, daß ein Willkommen
darauf folge! Ganz und von Herzen der Ihrige

  Möller.


5.

  Münster, den 31. Mai 1832.

Ich kann es nicht bei den mündlichen Herzensgrüßen bewenden lassen, die
ich so eben der Freundin Engels auf den Weg gebe, für Sie -- verehrte und
geliebte Freundin! Ein lebendigeres, aber doch leider in todte Buchstaben
gebanntes Zeichen meiner zu Ihnen sich neigenden Seele möchte ich vor Ihnen
erscheinen lassen. Noch klingt in meinem Innersten der Silberton Ihres
letzten Grußes. Wie sehr danke ich dafür! Möchte ich zugleich mit der
Engels in Ihre ländliche Wohnung eintreten können, und so den Frühling
doppelt sehen! Aber ich werde nach Bonn, und wie, wenn ich dann mit
Ihnen eine Rheinfahrt machen könnte! Sie sind ja eine Vertraute des
Wasserelements wie Amphitrite! Der dritte Mann, ein wackrer Tritone, fände
sich dann wohl auch. Ich bitte um die Gefälligkeit, ihn zu grüßen; sein
Kranz auf Goethe's Sarg hat mich gerührt. Haben Sie, meine Theure,
etwa auch schon Falk's Denkschrift auf Goethe gelesen? Ich fand viel
Interessantes von dem interessanten Falk. Ich will hoffen, Sie haben sie
noch nicht gelesen und darum mir erlauben, sie Ihnen zu senden mit der
Bitte, sie in Ihren lieben Händen zu behalten. So etwas kann mir nicht
anders als ein süßer Gedanke sein.


6.

  Münster, den 4. Septbr. 1832.

-- Sie glauben wohl nicht ganz, wie sehr ich Sie liebe, wie der holde
Gedanke an Sie mir wie ein frischer Thautropfen ist, in welchem die
schönsten Farben des Morgenhimmels sich spiegeln. O bleiben Sie dem alten
Freunde treu und ertheilen ihm dadurch eine verjüngende Kraft!

Unser gemeinschaftlicher, lieber Freund _Kohlrausch_ ist im Begriff zu uns
zu kommen. Möge er eilen, daß ich ihn nicht noch verfehle. Er hat mir, seit
er Münster verlassen, keine Zeile geschrieben, auch selbst da nicht, als
ich ihm vor einem Vierteljahr ein Gedicht auf seine silberne Hochzeit
drucken ließ und dieses mit einem theilnahmsvollen Briefe an ihn nach
Hannover schickte. -- Ich bin nicht irre geworden; er liebt dennoch, weil
er muß! -- Leben Sie wohl, liebe Holde! Gruß an Immermann, aus dessen
»Alexis« ich bereits einiges auswendig weiß. Mit vollem Herzen

  der Ihrige

  Möller.


7.

  Münster, den 30. Dezember 1832.

Wie habe ich doch einen so langen Zeitraum hinschwinden lassen können,
theure Gräfin, ohne Ihnen zu danken! Ach! Im Getreibe meines Lebens wollen
so oft die liebsten Vorsätze nicht zur Wirklichkeit kommen! -- Dennoch habe
ich mehr als Sie denken mögen mit Ihnen gelebt. Meine täglichen einsamen
Ausflüge in's Freie sind meistens solchem idealischen Leben gewidmet.
Wollen die Haiden nichts geben, so müssen mir die Wolken eine Schweiz
bilden; da besteig' ich dann mit Ihnen den Rigi, oder wandle mir Ihnen im
Haslithal, oder wir schiffen auf dem Lac. Oder ich wiederhole mir den Gang
nach Derendorf, wo mir eine Gestalt erschien, die mich wundersam hinzog
-- bald mich ahnden ließ, daß Sie in derselben verborgen seien -- bis
ein kühner Blick unter Ihren Hut mir die süße Gewißheit gab. -- Schöner,
unvergeßlicher Augenblick, kehrtest du mir hier wieder! -- Vergeblicher
Wunsch! -- Bei Ihnen werden die friedlichen, die schönen Künste gefeiert.
Mit Freude vornehme ich, daß sich um Herrn Immermann ein auserlesener Kreis
bildet, ihn vorlesen zu hören. Die Iphigenie hat hoch gefallen. Möchte ich
dabei sein können! Es würde ein Fest für mich sein, das Opern, Conzerte
etc. weit hinter sich ließe. So habe ich nirgends sonst lesen gehört.
Düsseldorf wird sich zur Kunststadt erheben. --

Ich fasse Ihre Hand! -- Liebe, liebe Freundin!

  Ihr ergebener

  Möller.


8.

  Münster, 3. November 1833.

Theure Frau Gräfin!

Ihre unerwartete Zuschrift hat mich eben so hoch entzückt, als tief
niedergeschlagen. Die letztere Empfindung -- ich schreibe dieses, nachdem
ich eben erst die Züge Ihrer lieben, lieben Hand empfangen, -- ist noch die
vorherrschende. Nein! ich kann es mir nicht vergeben, daß ich so unbesonnen
rasch, ja, so dumm und toll verfahren.[2] Ein feindseliger, neidischer
Dämon muß es gewesen sein, der mir immer zuraunte, daß Sie nicht kämen,
sicher nicht kämen, nicht kommen _könnten_ -- und mich so zum wüsten Köln
entführte. Das in Elberfeld vorgefundene Briefchen Ihrer Güte wollte mich
nun auch gewissermaßen hierüber trösten. Nun aber sehe ich alles anders.
Sie sind also doch in Godesberg gewesen! Ach, mehr als jemals würde es sich
mir verklärt haben, hätte ich es mit Ihnen wieder betreten, mit Ihnen es
genossen, wie würde mir der Mißmuth über das Verfehlen meines eigentlichen
Reiseziels versüßt, ja, sofort ganz und gar vergessen worden sein! O, wie
beschämend ist der Takt und die Standhaftigkeit eines weiblichen Herzens
gegen die Verkehrtheit und Unbeholfenheit der meisten Männer, die nach
meiner und fremder Erfahrung dem leidigen Schicksal unterliegen, in
entscheidenden Augenblicken des Handelns linkisch zu verfahren. Ich bin arg
dafür gestraft, so sehr, daß ich lange daran genug habe.

Und nun, großmüthige Freundin, schreiben Sie mir noch dazu! Könnte ich doch
in diesem Augenblicke Ihnen die liebe, liebe Hand küssen, in's liebe Auge
blicken! Die Ungeduld -- o, wie ergreift sie mich, holde, süße Freundin!

Daß die _Paalzow_ meiner noch gedacht, hat mich überrascht. Es waren schöne
Tage in Godesberg, wo ich sie sah, und auch an Mondabenden ihr geistreiches
Spiel und Gespräch genoß, das noch unvergessen bei mir ist. Die Kohlrausch
war auch da. Ich mußte mich mit Gewalt von Godesberg wegreißen. Gern sagte
ich der Paalzow meinen schönsten Gruß, wenn ich sie zu finden wüßte.

Sehr danke ich für die Worte über Immermann. Möchte er bald und frisch
und wohl wiederkommen. Zu seiner Zeit wird über seine Reise Näheres kund
werden, was von _ihm_ mitgetheilt, jeder gern vernehmen wird.

Oft habe ich Sie im Geiste zum Rhein blicken sehen, auf seine empörten
Wogen, seinen brausenden Sturm, eine Ariadne, -- doch ohne deren Klagen!
Wie lange wird es währen, ehe der Himmel die Erde wieder küßt, und sie
damit zu seiner blühenden Braut erhebt! --

  Ihr innigst ergebener

  Möller.

  [2]: Elisa und Möller hatten verabredet, in Godesberg
  zusammenzutreffen, letzterer war aber gleich weiter gereist, weil er
  dachte, bei dem schlechten Wetter würde die Freundin nicht gekommen
  sein.


9.

  (Ohne Datum.)

Sie bestreuen mir, geliebteste Gräfin, meine letzten Tage bis zur letzten
Minute mit Rosen und Vergißmeinnicht. Möchte ich doch von Mund zu Mund und
Auge in Auge Ihnen danken können! Ihr eben erhaltenes, liebes Briefchen,
sammt dem gestrigen rosigen, nehme ich mit als holde Unterpfänder Ihres
so lieben herzigen Wesens. Daß ich heute noch einmal Sie sähe -- habe ich
schon mit Sehnsucht gedacht in den schlaflosen Stunden der letzten Nacht.
Aber ich bin mit dem heillosesten Husten beschwert, der mich schon in der
letzten Stunde bei Ihnen matt gemacht hatte. Aufschieben darf ich die Reise
dennoch nicht, da sie mit meinem zeitigen Erscheinen auf der Synode in Unna
zusammenhängt, und da die Luft nicht kalt ist, fürchte ich nichts. Ich bin
nach drei Stunden schon bei meinen Kindern in Elberfeld und kann mich dort
pflegen bis morgen Abend. Wollte ich aber auch hier bleiben bis morgen, so
gewönne ich nichts hinsichtlich Ihrer, geliebte Freundin, denn ich könnte
Ihnen gar nichts sein! -- Die armen Erdenkinder! Wie müssen sie verleugnen
lernen! -- Doch ich habe ja viel Schönes genossen und erfahren. Dank,
süßen, schönen Dank Ihnen dafür! -- Ich grüße Immermann!

O, leben Sie wohl und erfreuen auch dadurch

  Ihren

  Möller.


10.

  Münster, den 17. Februar 1835.

Kaum weiß ich ein Jahr wie das vorige erlebt zu haben, wo ich so viele mir
werthe und befreundete Menschen durch den Tod verloren. Mit welcher Wehmuth
erfüllt es mich auch eben jetzt wieder, daß hierzu auch der Name von
_Lützow_ zu zählen ist. Ein beweinenswerthes Geschick, das mich so innig
auch und anhaltend an Sie, die edle, gefühlvolle Freundin, denken ließ.
Auch hier ist Klage erschollen, und es zeigt sich überall Theilnahme.
Edelmüthig hat sich hier auch Berlin und der Hof gezeigt; und dies auch
neulich noch bei dem Erinnerungsfeste an den Königlichen Aufruf im Februar
1813 von Breslau aus, den ich damals aus erster Hand in Breslau selbst
mitvernahm. Die Freiwilligen in Berlin haben bei jenem Feste in herrlicher
Weise unseres Lützow gedacht! Gewiß haben Sie die Zeitungsberichte hierüber
gelesen. -- Wie oft habe ich in der nächstverflossenen Zeit mir die Worte
Klopstock's gesagt:

  »Ihr Edleren, ach! es bewächst
  Eure Male schon ernstes Moos;
  O wie glücklich war ich, als ich mit Euch noch
  Sahe sich röthen den Tag, schimmern die Nacht!«

Der Frühling kommt und giebt der Welt und dem Leben wieder neuen Reiz. Ich
freue mich der Hoffnung, Sie grade dann zu sehn -- liebe, holde Freundin!
Mein Herz schlägt Ihnen entgegen! Leben Sie wohl! Ich grüße Immermann.

  Der Ihrige

  Möller.


11.

  Münster, den 9. Oktober 1835.

Ich komme zur Vielgeliebten mit dem Wunsche, daß die Biographie eines
Lieblings der deutschen Frauen, Jean Paul's, eine gütige Aufnahme finde.
Wie erinnere ich mich in diesem Augenblicke so lebhaft der schönen Stunden,
in welchen sein »Komet« in einem Kreise, der Sie so gern umschlang, gelesen
wurde! Höchst wahrscheinlich kennen Sie schon beiliegendes Werk, (ich sah
es jüngst im Buchladen und sogleich stieg mir Ihr liebes Bild vor meiner
Seele auf,) und haben es wohl schon genossen. Aber wenn Sie dann auch nur
beim Anblick desselben meiner gedenken, so habe ich sehr viel erreicht.
Denn in Ihrem Herzen zu leben -- welch eine süße Vorstellung! -- Wie
willkommen sind mir Ihre jüngsten Grüße gewesen, als holde Laute aus der
Ferne, und liebe Zeugen Ihres Andenkens! -- Wie lange schon harre ich der
Stunde, Sie endlich einmal wiederzusehen! Wie ungeduldig wird oft mein
Sehnen! -- Gegen Ende der künftigen Woche habe ich eine Reise in die
Grafschaft Mark zu machen, zu einem großen Predigerconvent, der leicht zehn
Tage währen kann. Da trage ich mich nun mit dem heimlichen, tiefen Wunsche,
von dort aus einen Ausflug nach dem Rhein, und so auch nach Ihnen zu
machen! O, daß der Himmel mich so lieb hätte, mir ihn zu erfüllen! -- Ohne
dies in den langen öden Winter hinabzusteigen, würde mir schwer fallen;
im entgegengesetzten Falle aber mancher trübe Nebeltag mir heller werden.
Warum müssen doch unsre liebsten Wünsche so schwer ihre Erfüllung finden?
Warum müssen sie wie Rosen unter Dornen sein? Warum _die_ in der Ferne, mit
denen man sich immer gern möglichst nahe sähe? -- Wenn ich Ihnen doch die
schönsten Stellen in Jean Paul's Leben, in Ihr Auge blickend, Ihre liebe
Hand fassend, vorlesen könnte; ganz allein, daß nichts von außen uns
störte; oder mehr noch, das dort so anziehend beschriebene Fichtelgebirge
durchwandern könnte mit Ihnen! --

Ich habe eine kleine Pause gemacht und mich losgerissen von solchen
aufregenden Bildern. Ich muß Ihnen nur eben noch sagen, daß meine liebe
Tochter bei mir ist, frisch und roth, und mich bittet sie in Ihr theures
Andenken zu bringen. Sie erwähnte eben noch Ihres einstigen Besuches in
Lienen mit großem Danke. _Gessert_ kommt auch; er ist sehr wohl, und ist
eben von Berlin mit seinem älteren Töchterchen wieder eingetroffen. Manches
andere, Sie vielleicht Interessirende, würde ich mündlich besser mittheilen
können, und will ich dies inbrünstig zu hoffen fortfahren. Auch die Engels
grüßt mit Ergebenheit.

Leben Sie, Holdeste, wohl! Mit Herz und Seele der Ihrige

  Möller.


12.

  Münster, den 3. Juni 1836.

Heute Mittag, geliebte Freundin, erhalte ich Ihre lieben und abermals
lieben Zeilen! Hätten Sie gesehen, wie die Freude aus meinen Augen
strahlte! Ich habe recht gefühlt, wie lieb ich Sie habe. Ich mußte bald
heraus, Geschäfte abzuthun, Besuche zu machen etc., aber immer dacht' ich
an Sie. Nun komme ich gegen Abend nach Hause, müde vom Pflaster, naß vom
Regen, schmollend, daß ich bei Ihnen nicht schauen konnte -- und eile zum
Papiere, das mein Verlangen nach Ihnen, meinen Dank, meine süßesten Wünsche
für Sie herüberbringen soll. Nimmer hätte mich das Musikfest hier lassen
können, wenn nicht grade an diesem Tage meine Kinder- und Enkelschaar zum
Besuch bei mir angekommen wäre. Ich konnte es nicht über das Herz bringen,
sie, die nur einmal im Jahr zu mir kommen, sogleich zu verlassen; sie
hatten nicht daran gedacht, daß ich an jenem Feste vielleicht theilnehmen
würde. -- Uebrigens war bei meinem Entschluß, mit Professor _Haindorf_ nach
Düsseldorf zu reisen, weniger die Musik, als -- Sie, mein Gedanke. Eine
solche gigantische Musik erträgt kaum mein Nervensystem; sie würde mich in
Entzückungen versetzt und außer mir gebracht haben. Nur eine Weile würde
ich haben zulauschen dürfen, um dort einige Vorstellung von einem solchen
Ocean von Tönen und Stimmen, von einer solchen Musik der Sphären zu
erhalten, alle übrige Zeit hätte ich fern vom Getümmel, an Ihrer Seite
zugebracht und damit erfahren, daß es noch etwas giebt, was eine innigere
Befriedigung gewährt, als selbst die himmlische Kunst der Polyhymnia. Hier
ist viel Rühmens und Preisens von der genossenen Herrlichkeit, und Haindorf
bedauert jetzt innig, Ihnen nicht aufgewartet zu haben.

Immermann's, den ich gar sehr grüße, schöne Wirksamkeit, ist anerkannt
genug, aber zu zahlreich sind noch die groben deutschen Tolpatschen,
mit ihren langen Ohren, die Luther schon gezüchtigt, vor denen die Musen
reißaus nehmen müssen. Ein unschlachtiges Geschlecht! -- Ich blicke im
Geiste Sie an, und bin wieder mit der ganzen Welt versöhnt. Wie lange
schriebe ich noch gern! -- O, leben Sie wohl! -- Mit Herz und Seele der
Ihrige

  Möller.


13.

  Münster, den 13. August 1836.

Es macht mir, vielgeliebte Freundin, eine eigne Freude, Ihnen etwas, das
Sie für Ihren Garten gewünscht haben, gleich zusenden zu können. Noch
stehen Sie als Gärtnerin vor mir, -- den Rechen in der Hand emsiglich
arbeitend, indem ich Sie überraschend umschlinge, und in den blauen Himmel
Ihrer Augen schaue! -- Könnte ich Ihnen nun auch pflanzen helfen und so
lange bei Ihnen bleiben, daß ich die röthliche Frucht Ihnen reichte! --

Ich bin nun so weit wieder von Ihnen! -- Wie habe ich mich bei Ihnen
und mit Ihnen gefreut. Wie sehne ich mich wieder zu Ihnen! Es waren doch
liebliche Stunden. Wie danke ich Ihnen für jeden Augenblick, obwohl keine
volle Befriedigung! -- Es ist mir wie ein Traum flüchtiger Gefühle. Ein
so kurzes Zeiträumchen sollte man Sie nicht besuchen. Ich hatte mir
eingebildet, ein paar Tage in Rolandseck mit Ihnen zu verleben, ein Wunsch,
den ich gleich beim ersten Wiedersehen gegen Sie aussprach. -- Erstes
Wiedersehen! -- Wie gern wiederholt es mir die Phantasie!

Die Engels hat mir mit hellen Farben den schönen Abend bei Ihnen vorgemalt,
mit dem Zusatze, daß auch meiner gedacht sei von Ihnen! Sie weiß nicht
ganz, wieviel sie mir damit gesagt hat.

Indem ich Immermann grüße und danke, sage ich Ihnen das schönste Lebewohl!
O daß eine gütige Schickung mich bald wieder zu Ihnen führe! Fröhlich in
Hoffnung küßt Ihre lieben Hände der Ihnen so ergebene

  Möller.


14.

  Münster, den 25. Mai 1837.

Endlich, theuerste Frau Gräfin, komme ich zu dem frohen Augenblick,
Ihnen schreiben zu können. Wie sehr habe ich längst darnach verlangt! Wie
vielmehr nach Ihnen selbst! -- Ein schönes Wohlgefühl durchdringt mich bei
dem Gedanken, daß auf diesen Zeilen Ihre lieben Blicke weilen werden!

Es ist der erste schöne Frühlingsmorgen, den ich erheitert in meinem Garten
zugebracht habe und der mir durch die Vorstellung noch schöner geworden,
daß ich sofort Ihnen schreiben wollte. Ich habe lebhaft gedacht, daß Sie
auch dieses Morgens sich freuten; aber auch wie viel Sie entbehrt bei dem
ewigen Zögern des Frühlings. Man hat hier kaum einzuheizen aufgehört. Der
Nord hat Blüthen und Nachtigallen fast bis auf heute hier verscheucht. Doch
ein Aergeres noch ist uns hier, und namentlich auch mir, durch die Grippe
widerfahren. Diese hat mich wie eine Harpye lange umklammert gehalten, wie
jene Riesenschlange einst den Laokoon, und monatelang habe ich mich
nicht von ihr loswinden können. Ich habe nie solche entsetzliche Gefühle
gekannt. -- --


15.

  Münster, den 22. Februar 1838.

Daß Sie, theure Frau Gräfin, seit kurzem zweimal durch einen lieben Gruß
mir Ihr köstliches Andenken bewiesen, hat mich mehr erfreut, als ich zu
sagen vermag. Es hat mich gerührt, da ich nach so langem Schweigen solcher
Großmuth mich nicht werth gefühlt. Ja, es hat mich entzückt, eine
solche immer gleiche Güte und Treue! O, daß ich bei Ihnen wäre, und mit
seelenvollen Worten und Blicken Ihnen, holde Freundin, danken könnte. Ach!
wie oft wünsche ich mir Ihre liebliche Nähe, versetze mich in dieselbe,
vergesse dann den rauhen Winter und athme Frühlingsluft. Noch habe ich es
nicht verschmerzt, daß ich im vorigen Spätsommer Sie nicht sah. -- Eine
plötzliche Versetzung zu Ihnen wäre mir ein Himmel gewesen.

Das alltägliche Lebensgetreibe hat, je länger je weniger Reiz für mich. Ich
lebe zurückgezogen, doch freilich nicht ungesellig, was meinem ganzen Wesen
widerstrebt. Aber des wahrhaft Freundschaftlichen wird immer weniger
bei dem Egoismus und Materialismus der Zeit. Mögen die Eisenbahnen kein
Sinnbild eines werdenden eisernen Säculums sein!

Es ließ sich mit Anfang der herben Zeit das gesellschaftliche Leben gut an;
sehr gutes Theater u. s. w. Da erhob sich der Kampf mit dem Erzbischof
und päpstlichen Stuhle, worüber sich sogar eine städtische Revolution
einstellte, von der die Zeitungen zum Ueberfluß berichtet haben. -- Die
nächsten leidigen Folgen am hiesigen Orte sind ein Zerfall der geselligen
Verhältnisse, Partheisucht und Erbitterung. Alle Zurechtweisungen und
Belehrungen durch so viel Königliche- und Ministerialerklärungen und so
manche treffliche Brochüre sind vergeblich. Adel und Geistlichkeit und das
durch letztere aufgeregte Volk meinen, es sei himmelschreiend, so mit einer
Erzbischofsmütze und selbst mit dem Abgott zu Rom zu verfahren. -- Ich
aber habe mich dessen von Herzen gefreut und habe jetzt unsern ritterlichen
König noch einmal so lieb. Oft habe ich an Klopstocks Worte in seiner
Ode an Kaiser Joseph gedacht, als dieser seine große Fehde mit dem Papste
begann:

  »Nun mag der dreikronentragende Obermönch,
  Mit seinem purpurbemäntelten Mönchlein,
  Das Kanonsrecht, so weit er wollte, beschielen
  Denn _Du_ wirst sehn!« --

Eine herrliche Unterbrechung dieser odiösen Dinge war das Fest der
Freiwilligen im Anfang dieses Monats. Der Verein war zum Gastmahl der
tapfern Männer, deren hier über hundert anwesend waren, mit Trophäen
geschmückt; die Kriegsmusik und Körner's Lieder ließen sich hören und auch
die deutschen Frauen und Mädchen freuten sich im höhern Chor des Lebens bis
in die nächsten Tage fort. Ich versetzte mich nach Breslau, wo mich, wie
so viel Tausende, das Wort des Königs, der in unserer Mitte war »an mein
Volk!« entzückte und hinriß. Auch Sie waren dort -- wie ich viel später
hörte -- wie sehr hätte ich Sie da sehen mögen -- eine wackere Thusnelda!

Die Engels empfiehlt sich Ihnen mit herzlicher Ergebenheit. Sie ist
sehr wohl und mit ihrem glücklichen Handel[3] innig vermählt. Ich liebe
eigentlich _solche_ Vermählungen nicht. Sie kommen mir so kalt vor, wie
einst die Vermählung des Dogen von Venedig mit -- dem Meere! -- Wie viel
lieber vermählte ich mich, holdeste Freundin, mit Ihrem Herzen! -- O, leben
Sie wohl und auch immer ein Bischen eingedenk des Ihnen mit Wärme ergebenen

  Möller.

Unser Immermann ist, wie ich höre, mit Herrn _von Voß_ und Andern auf dem
Jubelfeste zu Köln gewesen. Ohne Zweifel hat er es mit poetischen Kränzen
geschmückt. -- Möchte doch der schöne Cirkel, dessen Mittelpunkt einst
_Sie_ und Ihre Güte hier waren, noch fortexistiren! Das dünkt mir jetzt
eine _goldene_ Zeit, -- leider auch mit Anrufung aller himmlischen Mächte
nicht zurückzuführen! -- Aber die schöne Erinnerung thut mir noch heute
wohl, und Ihre liebe Hand küsse ich noch jetzt dafür mit Dank und süßer
Liebe! -- Freundlich lächle Ihnen, nach unsern jetzt so herrlichen
Sternennächten, jeder Morgenhimmel und verbreite Frieden und Freude über
das Herz der Holden, die ich meine! --

  [3]: Christiane Engels hatte einen kleinen Handel zum Besten der Armee
  errichtet.


16.

  Münster, den 16. Juni 1838.

Wie sehr, theuerste Frau Gräfin, Ihr jüngstes holdes Schreiben tief im
Herzen mich erfreut hat, wie sehr es mich zu Ihnen hingezogen hat -- wie
wäre das in Buchstaben darzulegen! Es hat bei mir angeklungen, wie einst
der Ton der Memnonssäule beim Sonnenaufgang! Es hat in mir eine Sehnsucht
erregt nach Ihnen, die zum Schmerz werden würde, wenn ich nicht mit
Zuversicht darauf rechnen könnte, Sie bald zu sehen. -- Ich reise morgen
nach Bremen und will von da zurück, so daß ich in gerader Richtung zum
Rhein komme und zu dem heitern Dörflein, wo eine Liebenswürdige waltet, der
ich so oft, mehr als sie glauben kann, im Geiste nahe bin! -- Es mögen
wohl nahe an drei Wochen vergehen, bis ich zu diesem schönen Ziele komme;
wahrscheinlich noch früher. Alsdann hoffe ich den Strom noch weiter
heraufzukommen. Fände sich doch dort irgendwo auf ein paar Tage ein
gemeinschaftliches, schönes Plätzchen! -- Sollten Sie etwa um dieselbe Zeit
verreist sein, so möchte ich inständig bitten, mir durch ein paar Zeilen
Kunde zu geben, wo Sie athmen, wo Sie wandeln, wo die Fluren Ihnen zu Liebe
schöner werden, damit ich womöglich Sie aufsuchen könne.

Für die Festbeschreibung von Immermann danke ich Ihrer Güte mehr als
einmal! -- Sie ist gar schön, glänzend Styl- und Dichtkunst. In unserem
ganzen Reich ist sicherlich nichts Schöneres, ja nichts Gleiches
erschienen. Wäre ich König, ich sagte zu Immermann: »Setze Dich zu meiner
Rechten!« --

Darf ich glauben, daß Sie mir noch gut sind? Ihr Schreiben trägt die
_grüne_ Farbe! Das soll mir Hoffnung geben! -- Adieu, adieu!

  Der treu ergebene

  Möller.


17.

  Münster, den 26. August 1838.

Wie sehr, meine Theure, hat mich Ihre gütige Nachricht erfreut, daß endlich
einmal Ihre holde Erscheinung mir _hier_ werden soll. Kaum kann ich diese
Freude aussprechen.

Könnten Sie sich entschließen, hier eine Weile zu sein und sogleich an
meiner Wohnung, Böselagerhof auf der Hollenbeckerstraße abzusteigen und
das Logis zu nehmen! Ich bin zwar ganz allein, aber desto romantischer für
mich! Meine Hausgenossin ist nach Elberfeld.

Könnte ich doch durch Eine Zeile von Ihnen erfahren, an welchem Tage Sie
hier eintreffen. Ich würde dann auf dem Posthofe um acht Uhr sein und
in der Passagierstube Sie begrüßen, und zur Erquickung etwas darbieten.
Erhalte ich die Zeilen nicht, so wird doch vom 2. September an,
jeden Morgen ein Wesen auf dem Posthofe sein, das bei der Ankunft des
Düsseldorfer Wagens nach Ihnen fragt. -- Wäre ich ein freier Mann, statt
ein gebundener zu sein, ich führe mit Ihnen bis -- Hamburg -- Holstein! --
Mein Herz will schon jubeln, es wird aber geschwind in das Schnürleib der
eisernen Nothwendigkeit eingeklemmt.

Und wenn denn auch nur ein Blick von Ihnen jetzt mir werden soll, so muß
ich doch dringend bitten, hoffen, flehen, beschwören, daß Sie auf der
Rückreise meine unvergleichlichen Gärten sehen wollen. Mein Haus ist reich
an Zimmern, ganze Familien sind oft bei mir -- dabei reich an gutem Willen
-- an Liebe! Ich meine letztere besonders jetzt ganz eigen zu fühlen. Es
ist mir innig wohl zu Muthe.

Ich muß abbrechen, da ich zu Vinckens zum Mittag gebeten bin. Prinz Wilhelm
wird zum zweitenmale erwartet.

Tausendmal grüßt Sie mein Herz! Wie viel öfter noch ruft es: Willkommen! --
Wie sind Sie jetzt schon in meiner warmen Phantasie so nahe

  Ihrem ergebenen

  Möller.


18.

  Münster, den 9. November 1838.

O, wie sehr, Holdeste, haben mich die jüngsten Zeilen Ihrer lieben Hand
erfreut. Ich konnte sie nicht ungeküßt lassen und fühlte mich dann wie
vermählt mit Ihrem Wesen. O, daß ich Ihrer süßen Lockung nach Derendorf
folgen könnte! Ich bin jetzt durchaus gebunden, aber das Möglichste wird,
so der Himmel will, geschehen. Ein feindseliges Geschick hat mich schon
mehrmals gehindert zu kommen, als sollte ich nur unter Wünschen leben! --
Selbst habe ich bei Ihrer zweiten Durchreise Sie -- auch nicht einmal
-- _erblicken_ sollen! Ich _weiß_ dies nicht zu verschmerzen! -- Selige
Augenblicke, Sie bei mir gesehen zu haben! Sehr Weniges weiß ich jetzt mir
selbst davon zu sagen, -- denn ich habe _nur Sie_, _nur Sie_, Geliebte,
empfunden. Meine Wohnung ist mir viel lieber, seitdem Sie in derselben
geathmet. Hätte ich Sie doch auch in den oberen Theil derselben geführt
-- und dann auch Ihr Schatzkästlein gezeigt, voll weißer, grüner, rother,
lieber Blätter! Das Alles ist jetzt vorüber, wie der Schmuck der Bäume und
Gärten vor den Stürmen des Herbstes. Nur _jene_ Blätter werden mir bleiben
-- sie tragen ja liebe Worte Ihres Herzens! --

Ich freue mich herzlich, daß Sie Ihre vaterländischen Gegenden glücklich
erreicht und die Ihrigen wohlauf wiedergesehen haben. Liebe Erinnerungen
werden Ihnen eine schöne Nachlese von dieser Reise geben. Ich war während
jener Zeit im alten Soest auf einer Synode von sechzig Predigern und
Kirchenältesten, unter welchen ich dem größeren Theile nach befreundet bin.
Im Kreise der Geistlichen befanden sich drei Bischöfe: _Roß_ zu Berlin,
_Eylert_ zu Potsdam, _Dräseke_ zu Magdeburg. -- Nach vierzehn Tagen fuhr
ich nach Arnsberg, eine neue Stadt in modernem Styl gebaut, in einer
schönen gebirgigen Gegend. Ich begrüßte dort mehrere gute Freunde, unter
anderen den Präsidenten _Kesler_, Verfasser des Lebens seines seligen
Schwiegervaters, Doctor Heim, das so unzählige Leser gefunden. Der
Aufenthalt war mir um so lieber, da ich in der Nähe des Stammsitzes meiner
Familie väterlicherseits, Warstein, mich befand. Die Jahre meiner Kindheit
und ersten Jugend sind in diesen romantischen Umgebungen dahingeflogen;
fröhliche Erinnerungen ohne Zahl traten mir dort vor die Seele. Aber jetzt
hatte ich mit Ossian zu singen:

  »Ich bin allein auf diesen schweigenden Hügeln!«

Keiner war jetzt dort mir, ich keinem bekannt. -- Darum halte ich mich
so fest an dem, was jetzt noch mein ist. O Theure, bleiben Sie mir
zugethan! --

Der 18. Oktober ist hier in einer großen Gesellschaft von Generalen, von
_Pfuel_,[4] von _Wrangel_ etc. und Offizieren und Beamten und ehemaligen
Mitstreitern gefeiert. Auch mich ergriff das patriotische Feuer, und ich
habe zur Ehre Preußens mit hinreißender Beredtsamkeit geredet, -- ohne
vorher daran _gedacht_ zu haben. Aber alle dankten mir. Ich weiß _noch_
nicht, wie mir geschehen! -- Es ist ein herrliches Gefühl, einmal über sich
selbst erhoben zu werden. Wie selten ist aber Veranlassung, dazu zu kommen,
in unserer trockenen schlechten Welt. Am folgenden Tage wurde ich zum Mahl
auf's Schloß gebeten, wo ich unter anderen in der Familie von Pfuel wohl
aufgehoben war.

Da muß ich nun schließen! Ach, Abschied, immer Abschied -- von der ich
nimmer scheiden möchte. Da steht sie vor mir, die liebe, holde Gestalt! --
-- Ich fasse ihre Hände, ich schmiege mich ihr an. -- Adieu, Adieu! --

  Möller.

  [4]: General Ernst von Pfuel, 1848 Ministerpräsident und
  Kriegsminister.


19.

  Münster, den 6. Mai 1839.

Wie haben Sie, Holde, Gütige, mich durch Ihre goldenen Worte erfreut! --
Ich hatte sie nicht geträumt, nicht gehofft! -- Ich eile, sofort sie
zu erwiedern, sofern dies möglich ist! -- Ich erröthe, daß ich mir habe
zuvorkommen lassen, denn wie oft habe ich schreiben wollen. Ich meine dann
immer, ich müsse eine schönere, gedankenreichere Stunde abwarten! -- Jetzt
ist mir der nächste Augenblick der beste. -- Ich fühle mich Ihnen so nahe,
und wie könnte ich das, ohne die süßesten Bewegungen des Herzens. -- Sie
gedenken des Musikfestes. Wie oft habe ich schon desselben gedacht. Es ist
mein ernster Wille, es zu benutzen Sie wiederzusehen, denn die Musik wäre
mir doch nur, so sehr ich sie liebe, Nebensache. Ich komme aber eher los,
wenn ich zum Musikfest reise, wohin alle Welt reist. Was ich beabsichtige,
weiß niemand. -- Es wird mir nicht leicht gemacht, dahin zu kommen, da
alsdann grade geschäftsvolle Tage hier sind. Möge ich wie ein tapfrer
Ritter um seine Dame mich durchschlagen! Es treibt mich sehr, vorzudringen.
Welche Freude wäre mir ein solches Wiedersehen! Ich muß mich üben zu einer
ruhigen Fassung. Auch bin ich hierin schon weitergekommen, so daß ich mit
Ossian singen kann:

  »Die stürmenden Winde haben sich gelegt,
  Von ferne tönt des Gießbachs Murmeln,
  Sanfte Wellen spielen am Ufer ferne.« --

Daß Sie, vortreffliche Freundin, in dem gräulichen Winter an Unwohlsein
gelitten, betrübt mich sehr. Sie müssen immer wohl sein! Ich kann und mag
Sie nicht anders denken, als heiteren Blicks, aus blauem Auge. -- Kehrten
Sie doch noch einmal so in meine Wohnung ein; und dies auf lange und immer
längere Zeit! -- Im Gärtchen säßen wir dann Morgens unter der Kastanie
und Abends in der Weinlaube. -- Lange könnte ich noch fortfahren in dieser
Weise zu denken und immer weiter und schöner zu träumen. Und warum nicht?
Gehört's nicht auch in's Leben? -- Hätte ich nur eine Seele neben mir, die
also sich gehen zu lassen liebte!

Uebrigens haben wir den Winter hindurch doch manche Erfreuung von außen
gehabt; ein sehr gutes Theater und treffliche Conzerte und mancherlei
gesellige Kreise. In die Familie von Vincke komme ich oft, und jetzt ist
im Schlosse auch noch eine andere, die von Pfuel; er ist ein gar wackerer
Mann, und sie eine angenehme, gesellige Dame, so wie ihre Tochter. Beide
waren noch gestern Abend bei uns.

Wenn Sie mir Immermann's neueste Schriften nennen, wird mir ängstlich zu
Muthe. So auch bei den Namen _Freiligrath_, _Uechtritz_, und so manchen
andern schönen Geistern, die unter uns auftreten. Wer möchte sich nicht an
ihren Gaben erfreuen, laben, erquicken, jubeln! Aber im Strome der Zeit,
der täglichen Berufsarbeiten, so vieler anderer nöthiger Studien kommt man
zurück, was man dagegen auch thue. Dabei fast lauter Menschen um sich her,
die nichts dergleichen denken und suchen, in unserem sterilen und hölzernen
Zeitalter.

  Den 16. Mai.

Ich bin abgehalten worden, das vorstehende Schreiben zu vollenden.
Sie glauben nicht, meine Theuerste, welch ein Leben voll Arbeit und
unvermeidlichem Getreibe ich führe. Die Hoffnung zum dortigen Musikfest
habe ich noch immer unterhalten, muß sie aber jetzt erwürgen. Welche
Schaaren werden dort sein! -- Ich aber bleibe wie ein Gescheiterter an der
Küste. Was mich tröstet ist einestheils, daß das Getümmel dort so groß
sein wird, daß kaum ein musikalischer Genuß möglich ist, und auch _Sie_ in
demselben mit begriffen sein werden, daß mir Ihre Nähe wenig erquicklich
und genußreich sein würde; das Aergste, was mir begegnen könnte. Daher habe
ich jetzt den Entschluß gefaßt, einer mir gewordenen Einladung nach Koblenz
zu folgen, und auf diesem Zuge auch Düsseldorf oder vielmehr -- Sie zu
sehen. O, des süßen Gedankens, der so unzähligemal in meinem Innersten
aufgewallt, endlich gestillt werden wird! Das menschliche Leben erstirbt
unter Wünschen. Ich erfahre dies in einer ausgezeichneten Weise. Wenn
alles geht, wie es soll, bin ich etwa in der zweiten Woche des Junius in
Düsseldorf. -- Auch jetzt vermag ich beim Gedränge der Geschäfte leider
nichts mehr. Von hier sind auch Viele dort. Hätte ich mich diesen
anschließen können, -- ich hätte die Musica fahren lassen können, um bei
und mit Ihnen zu sein. »Selig allein ist die Seele, die liebt.« -- Tausend
Lebewohl und Herzensgrüße!


20.

  Münster, den 4. August 1839.

So eben, holde Freundin, wird mir durch die Engels die Nachricht, daß Sie
in eine weite Ferne reisen, und wohl auch künftighin in andern Regionen
weilen werden. -- Das hat mir eine Thräne in's Auge gerufen. -- Ich
schmiege mich Ihnen an, als ob ich Sie halten könnte und drücke Ihnen
tausendmal küssend die lieben Hände. -- Ach, wann sähe, wann fände ich Sie
wohl wieder! -- Wie könnte ich je aufhören, nach Ihnen zu verlangen, mit
meinem Herzen je ferne von Ihnen sein! -- Wundersam, wie so unablässig
Ihr Wesen mich anzieht. Irgend einmal werde ich doch erfahren, in welchen
glücklichen Gefilden Sie weilen; wo Sie durch Ihr Walten, durch Blick und
Wort, Güte und Liebe, Anmuth und Liebreiz Herzen erfreuen! -- O, wie danke
ich Ihnen, daß dies alles so vielfach durch Sie mir geworden. -- Möge der
Himmel Ihnen durch lauter Liebes, Gutes und Schönes dies alles vergelten!
-- O, wenn Sie in einer lieblichen Natur, Ihrem Bilde ähnlich -- in der
Abendröthe, in einer Sternennacht, auch meiner noch einmal gedächten, und
in dem sanften Schauer, der Ihre Seele durchdränge, die Herzensnähe eines
Freundes ahnten, der so sehr Sie liebt! -- Gott befohlen! Holde Freundin!
Süßes Leben!

  Der Ihrige

  Möller.


21.

  Münster, den 21. Mai 1840.

Ein wunderschöner Moment des Lebens, Theuerste, ist mir geworden durch Ihr
überraschendes, so eben bei mir eingetroffenes, herrliches Schreiben! Ich
fühle mich davon wie von einem Nectar berauscht. Sie immer noch in den
Gärten der Hesperiden mir denkend, wo ich mich so oft Ihnen nahe geträumt,
wird mir auf einmal der Anblick der Züge Ihrer holden Hand, -- zweifelnd,
ob ich meinen Augen trauen dürfe, bis die Lösung des Siegels Gewißheit gab.
Ich muß es Ihnen offenbaren, daß ich bei der Eröffnung Ihrer Zeilen in den
ersten Augenblicken mehr geküßt, als -- gelesen! Hocherfreut über die treue
Freundin, die kaum von den Apeninnen und Alpen zurückgekehrt, sofort auch
schon des alten Freundes nicht nur gedenkt, sondern auch alle genossenen
Wonnen mit ihm theilt! O, wie dankbar wallt das Herz! Eine so schöne
Bewegung hat es lange nicht erfahren!

  Ist es nur ein Traum, Elise?
  Jeder Hain und jede Wiese
  Ist Gesang um mich herum!
  Friede, nie gefühlter Friede,
  Tönet hier in jedem Liede, --
  Dieses ist Elysium!

Sie lächeln des Schwärmers im Alter? -- Aber was sind Jahre für's Herz! Es
hat nichts mit der Zeit zu thun! -- O wie oft habe ich auf Spaziergängen
die Wolken über mir gefragt, wo Sie weilen möchten! -- Wie oft in
nächtlicher Stunde den Sternen zugeflüstert: Sagt mir, wo sie ruht, und
zwei andere bläulichte Sterne jetzt zum Schlummer sich geschlossen? --
Keine Antwort! -- Plötzlich vernehme ich wie ein Echo Ihres Herzens,
köstliche Botschaft! -- fröhliche Nachricht! -- herzgewinnende,
liebeathmende Worte! Herrliche Mittheilungen über die Reise, -- Lombardei,
Genua, Venetia, Padua, Firenze etc. oder über das Beste und Schönste --
über Sie selbst! Nun erst gefällt mir Italien vollständig! Habe mehr als
zuviel darüber gelesen, daß ich's auswendig kann, -- aber erst jetzt hat
das große schöne Bild für mich Reiz, Leben, warmen Athem erhalten! Wie jede
Stätte uns dann erst recht lieb wird, wo ein uns hochverehrtes und liebes
Wesen geruht, gewandelt, gewebt hat, so mir von nun an _Italia_! -- aber
auch jedes andere noch so klein und gering scheinende Plätzchen. Noch heute
bin ich vorzugsweise gern an der Stelle meines Kanape's, wo Sie vor einiger
Zeit -- ach, nur für Augenblicke! -- meine Wohnung beglückten.

Tausend Fragen und Bemerkungen zu Ihrer Mittheilung kommen mir entgegen --
aber mein ganzes Wesen drängt sich zu Ihnen selbst. -- Ueber jenes
erlauben Sir mir weiterhin mich zu äußern. Ich komme nach einiger Zeit nach
Elberfeld und so auch nach Düsseldorf. Dort werde ich Immermann von Ihnen
erzählen und auch was Sie ihm gesagt wünschen, in zarter Weise mittheilen.

Mit mir ist einiges vorgefallen, was mich sehr angegriffen hat. -- Indem
man dem Prediger _Daub_ die mir angehörige Pfarrstelle an unserer hiesigen
evangelischen Kirche angewiesen, bin ich nach ganz unrichtiger Angabe beim
geistlichen Ministerii (mit Beibehaltung meines Consistorialpostens) als
Pfarrer emeritirt worden. Ich habe gleich protestirt. -- Schon wollte ich
deshalb nach Berlin reisen. Wie hocherfreulich wäre es dann, Sie dort
zu sehn und ganz in Ihrer Nähe zu leben! -- Ja, so sehr, daß mir dieser
herrliche Umstand jenen Vorsatz sehr verstärken und beleben könnte! Auf
einmal durchströmt mich schon Leben und Wonne! -- O, daß Sie so weit
entfernt sind! -- Es ist in Münster jetzt viel schöner als früher, und eine
auch für mich neue Menschenwelt, mit wenig Ausnahmen. Sie fänden hier gewiß
ein freies Leben. -- Freundin Engels, die einen großen schönen Handel
zum Besten der Armen führt, und hier zahlreiche Verbindungen hat, grüßt
tausendmal. -- Wie ungern endige ich! Aber die längsten Briefe würden
nicht ausreichen zu sagen, wie sehr, wie mit der gefühlvollsten Liebe, Sie,
Liebenswürdige, umfaßt, und Ihr ganzes Wesen sich anschmiegt

  Ihr treu ergebener

  Möller.

In der That, liebe Freundin, es scheint ein guter Vorschlag, daß Sie
hierher kommen. Der Adel ist freilich immer auf dem Lande. Unter denen
vom Militär sind treffliche Familien, so grade jetzt von Felden, Pfuel's,
Grabowsky u. a. m., mit denen wir auch Umgang haben. -- Sie können nichts
ersinnen, was Ihnen hier unangenehm sein könnte. Und _mir_ ginge ein
Morgenstern auf, ein neuer Himmel und eine neue Erde! Wie wollten wir so
wonniglich zusammensein! O, bedenken Sie dies Wörtchen und erwägen Sie es
in Ihrem feinen und guten Herzen, und fixiren Sie sich nicht ganz und gar
an der Potsdamer Chaussee 38, die ich übrigens doch auch gern sähe! Ich
fasse Ihre lieben Hände mit Kuß und Gruß!


22.

  Münster, den 17. August 1840.

Nachdem ich, holdeste Freundin, für Ihre unvergleichlich lieben Zeilen
Ihnen tausendmal im Herzen gedankt, kann ich's nun auch endlich auf diesem
Blättchen, das fröhlich unter Grüßen und Küssen zu Ihnen hinüberfliegt.
Ich bin nun auch mit Briefen aus Berlin erfreut worden, die mich zur
Reise dorthin ermuthigt haben. Leider kann ich sie erst in der zweiten
Octoberwoche antreten. -- O, weilte ich schon an der Potsdamer Chaussee 38!
-- Das ist mir, Lieblichste, mehr als alles, was Großes und Schönes mir
dort zum Anschaun und Genusse erwiesen werden kann. --

Ich habe lange wie in der Solitüde gelebt, wo ich dann auch Ihrer um so
genußreicher gedenken, und unter anderem auch nach Ihrer Italienischen
Reiseskizze mit Ihnen lustwandeln konnte; welche süße Freude haben Sie mir
hierdurch gemacht, welche liebliche Eindrücke hat Ihre Gestalt bei diesen
Wanderungen auf mich gemacht; wie habe ich oft mit Klopstock in seiner Ode
an Edone gewünscht:

  »Verwandle die Erscheinung und werd' Edone selbst!« --

Des neuen Königs erste Eröffnungen seines schönen Sinnes entzücken die
Welt. Arndt's und Jahn's Befreiung von ihren bisherigen Schranken werden
mit Jubel begrüßt. Die Befreiung aller sogenannten Demagogen findet
ebenfalls überall Anklang.

Ich muß scheiden, wenn auch so ungern! Edle, Liebenswürdige! -- Mit den
schönsten Wünschen umschwebt Sie täglich

  Ihr so sehr ergebener

  Möller.


23.

  Münster, den 18. September 1840.

  Meine theure Freundin!

So viel Regengüsse in diesen Tagen vom Himmel herab, so viel Wünsche und
Seufzer zum Himmel hinauf sind aus meiner Brust gestiegen, daß es mir
gelingen möge, zu Ihnen zu kommen. Es ist aber der entschiedene Wille der
Götter, daß es nicht geschehe. Mein gewaltiges und ungeduldiges Verlangen
soll bestraft werden. Dergleichen habe ich so viel im Leben erfahren, daß
man wohl zahm werden muß. Ich beklage es dennoch -- denn Ihr jüngstes,
so liebes seelenvolles Schreiben hatte mein Verlangen auf's höchste
gesteigert. Wie kann solche Güte -- ich möchte sie neben vielen andern
schönen Bezeichnungen auch eine mütterliche nennen -- anders als entzücken!
Wie könnte ich anders als stolz sein, ein so holdes Wesen mir so geneigt
zu wissen! -- Wie Thau auf Rosen sind mir Ihre lieben, freundlichen
Anerbietungen! -- Wie Byron durch die Meerenge, möchte ich durch meine
Hindernisse dringen, die mich von der Nummer 38 abhalten. Aber mein
Schicksal lacht meines Muthes. Mein einzig möglicher Gefährte, Gessert, ist
durch seine Amtsverhältnisse verhindert, jetzt mich zu begleiten. Dazu nun
das kalte regnichte Wetter, das den Ofen verlangt und bald ganz winterlich
sein wird. -- Sie selbst, liebe Freundin, bei Ihrem zarten Wohlwollen,
geben mir dies zu bedenken -- und ich gehe darauf ein! Doch nur als
Aufschub! -- Unmöglich ist ganz zu verzichten. Solch Opfer wird mir
nicht zugemuthet werden! -- Der einmal so tief gefaßte Gedanke wird nicht
aufhören und ein rechter Zeitpunkt der Ausführung ergriffen werden. --
Finde ich doch auch nach kurzem Aufschub in Ihnen dieselbe wieder! --
Dasselbe holde Wesen, geboren um Herzen zu verstehen und durch Vertrauen zu
beglücken!

Grade jetzt, liebe, theure Gräfin, wäre ich besonders gern bei Ihnen, da
gemeinsame Thränen einen gerechten Schmerz so sehr besänftigen. Als ich
Immermanns so unerwartetes Hinscheiden vernahm, gedachte ich in der ersten
Erschütterung sogleich auch Ihrer! -- In Düsseldorf und der ganzen Gegend
ist Trauer gewesen. Mein Schmerz war um so lebhafter, als ich noch so kurz
vorher den Freund gesehen. Eine ganze Reihe von Jahren ist er mir ein sehr
werther Freund gewesen, an dessen großen Talenten, wie an seiner treuen und
immer edelmüthigen Freundschaft ich mich stets so sehr gefreut. Ich kann
mich wohl nie gewöhnen an den Gedanken, nicht mehr mit ihm auf Erden
zu sein. -- Als ich im vorigen Jahre in Düsseldorf über den Markt ging,
begegneten wir uns, und als ich auf seine Frage, wohin ich zunächst wolle,
antwortete: zur wohlbekannten Gräfin! erwiederte er: -- das machen Sie gut!
dessen wird sie sich freuen! -- Ich sehe noch den bestimmten Blick,
die redende, heitre Miene, womit er dies sagte. Wie viel haben so Viele
verloren!

  »Warum sind der Thränen unterm Mond so viel?
  Und so manches Sehnen, das nicht still sein will?«

Ich habe ein wenig mein Gärtchen durchlaufen -- und bin ganz und gar bei
Ihnen. Und doch sind Sie so ferne. -- Und doch kann ich mit Ihnen reden!
-- Das ist dann aber immer nur Ein Thema! -- Wie viel ist uns mit der
Phantasie gegeben! -- Und diese soll die ernstere Schwiegermutter --
»Weisheit« -- (nach Goethe's Erinnerung) mir nimmer rauben! -- Von nun
an wird jede Zeitung, wo alles voll von Berlin ist, auch Sie mir
vergegenwärtigen. -- Wie herrlich hat der König in Königsberg gesprochen!
-- Es ist als ob ein neues Zeitalter begönne! --

Mehr als Sie denken, gedenkt Ihrer mit Grüßen und Küssen

  der herzlich ergebene

  Möller.


24.

  Münster, den 11. Februar 1841.

Endlich, gütigste Frau Gräfin, kann ich für Ihr köstliches
Neujahrsgeschenk, Ihre unvergleichliche Zuschrift vom 1. Januar, meinen
Dank bezeigen, einen Dank, der nie inniger ausgesprochen ist. Wie hätte ich
damit bis hieher zögern können, wenn es mir eher möglich gewesen! --
Aber es sind dies die ersten Zeilen meiner Hand seit dem vorigen
Weihnachtsfeste, wo die sibirische Witterung, die erstarrende, ewige
Kälte meine Natur und namentlich die Brust so angegriffen und mit einem
unablässigen Husten, den ich nie gekannt, dergestalt gequält hat, daß mir
alle Lust am Leben entfloh. -- Jetzt ist alles wieder in guter Ordnung; das
schöne Genesungsgefühl durchdringt mich lieblich, und Auge und Herz sind
wieder mit neu erwachten süßen Gefühlen auf die edle Freundin gerichtet.
Wie oft hat in den schlimmen Tagen und schlaflosen Stunden der Inhalt
Ihrer Zeilen mich erquickt -- wie oft habe ich an Ihr schönes Herz mich
geschmiegt! Und wie schmerzhaft war es mir, Ihnen nichts sagen zu können!
-- Sie haben mich mit neuer Kraft gestählt; mein Geist schwingt sich
über die weite Schneewelt empor; ich kann mich wieder des Lebens und der
Freundin freuen! Möchte ich nur aus diesem Schwunge Sie selbst erreichen!
-- Holdes Wiedersehen -- wirst Du mir werden? -- O, ich hoffe! -- ich
glaube. -- Bei Ihrem vor mir liegenden Blättchen wird mir zu Muthe, als ob
ich in Ihr liebes Auge sähe, was ich immer so gern gethan! -- Mit Poesie
und Kunst eröffnet mir Ihre schöne Hand die Pforte der neuen Zeit. Möge
sie für uns heilbringend sein. -- Alle Schritte, Worte, Thaten unseres
trefflichen Königs nehme ich zu Herzen. Wie viel Schönes hat er in kurzer
Zeit vollbracht. O, hätte ich, trotz dem Regen, ihn selbst gehört! --
Es lassen sich Stimmen hören, als halte man den Rosenglanz jener
unvergleichlichen Feier schon für erblichen! Ich meine aber, so kann nur
hypochondrischer Mißmuth reden. -- Daß der König gleich seinen Sitz in
Sanssouci genommen, seine erste Verfügung von dort aus ergehen ließ, war
mir ein sehr angenehmes und willkommenes Zeichen der neuen Zeit. -- Die
hiesigen Katholiken -- namentlich der Adel -- waren nie so preußisch.
Doch werden sie sich ohne Zweifel in der Hoffnung betrügen, daß ihnen der
Erzbischof wiedergegeben wird! Das kann und will ich nicht denken!

Wie oft gedenke ich Immermann's! O, theurer Name, von so Vielen beweint!
-- Wie herrlich, daß der König seiner jungen Wittwe nun die volle Summe von
400 Thalern als Pension bewilligt! --

Ach, so ist nun auch schon die kleine Unterhaltung zu Ende. Ich muß
schließen, womit ich begonnen habe, mit Ergüssen des Dankes, der Freude
und Liebe gegen die edle, die liebenswürdige Freundin -- an die ich so gern
denke, an deren Bilde ich oft mit ganzer Seele hänge, in die ich mich oft
hineinlebe, als wäre ich eins mit ihr. O, daß ich schließen muß, und damit
alles sich wieder in die Ferne zieht! -- Bis zum Wiedersehen der geliebten
Elisa

  der ergebenste Freund

  Möller.


25.

  Münster, den 11. Februar 1842.

  Theuerste Frau Gräfin!

Ich bin aus langer Finsterniß an's Licht gekommen, der Erstling meiner
neuen Tage sei der innigste Herzensgruß an Sie, meine holdselige Freundin!
-- Nie kann ein Dank beseelter ausgesprochen sein, als der, den ich hiermit
ausdrücke dafür, daß Sie, sich immer gleich, mir hold und zugethan bleiben,
Sie sind mir dadurch wie ein Stern aus besseren Welten. Sie denken wohl
nicht, wie oft in den nächstvorigen Tagen Sie wie eine holde, unsichtbare
Macht aus weiter Ferne mich getröstet und erhoben haben. Ich habe nämlich
eine lange Zeit durch den barbarischen Winter gelitten, mit Nervenschwäche
und einem grippenartigen Uebel gekämpft. Es kam hinzu, daß auch meine guten
Kinder und Enkel von ähnlichen Uebeln heimgesucht wurden. --

Jetzt bin ich an den hellen Tag gekommen und freue mich unaussprechlich,
Ihnen wieder frisch und fröhlich schreiben zu können. Die hier
eingetretenen frühlingsmäßigen Tage durchströmen mich mit neuer Lebenslust.
O, daß ich heute Sie sähe -- die Freundin auch der Natur -- gewiß röthet
die so schön aufgegangene Morgensonne höher Ihre Wange, und die blauäugigte
Athene blickt lächelnd zu dem ihr befreundeten Himmel! Gewiß ist es so,
denn ich sehe Sie ja! An diese liebliche Vorstellung -- (o, wie sie mich
anzieht!) knüpft sich eine andere, schon ältere, aber immer wiederkehrende,
und immer ungestümer werdende -- Sie nicht mehr nur im Geiste -- sondern
Auge in Auge, Hand in Hand -- mit einem Worte -- von Angesicht zu
Angesicht, leibhaftig zu sehen, und daß ich Sie -- Potsdamerstraße 38
begrüße und besuche! Der Mai müßte dazu gewählt, und von mir ein Urlaub
auf längere Zeit erbeten werden. Himmel, wenn ich dann ganz frank und frei,
gleich den Vögelein über den Wolken mich bewegen, frei athmen, die Welt
wie mein fühlen, und das Leben recht eigentlich genießen kann -- und das in
Ihrer Nähe -- des ewigen Zwanges entledigt!

Wie danke ich dem Himmel, daß die Götterkraft der Freuden, der Liebe, mich
wieder durchdringt. Wie leicht und schön wird da das Leben! --

Die ganze Reise des Königs ist ein Triumphzug der edelsten Art, nicht nach
blutigen Siegen, sondern nach einer unermeßlichen Herzenseroberung. Mehr
ist kein Titus geliebt worden. -- Ohne Zweifel wird in Elberfeld auch
_Friedrich Krummacher_, meiner Schwester Sohn, zur Cour kommen, und es wird
sich nun wohl bald zeigen, ob man ihn nach Berlin will. Er hat mir gar
sehr gerühmt, Ihnen seine Aufwartung gemacht zu haben, wie auch der Frau
Paalzow.

Eben komme ich von Fräulein von _Wrede_; sie wurde beredt, als sie Ihr Lob
aussprach, und kann nicht genug rühmen von Berlin und des schönen Tages, wo
sie mit Ihnen und Wach's zusammengewesen. -- Freundin Engels empfiehlt sich
sehr. Im Ganzen hält sie sich wohl und thätig in Handel und Wandel.

Herr von Vincke ist dem König entgegengereist, seine Familie sehr wohlauf.
So auch die von Pfuel'sche, die uns auch hier sehr werth ist.

Die Berliner Zeitungen lese auch ich sehr fleißig, und grade diese um so
lieber, da ich dadurch an Sie zu denken veranlaßt werde. Ist etwas Hübsches
vorgefallen, so sehe ich Sie dabei gegenwärtig, z. B. bei den Conzerten
des dort so hoch gefeierten Liszt, der übrigens auch bei uns einige große
Concerte gegeben.

Wie viel auch historisch Wichtiges haben Sie mir im jüngsten Briefe
erzählt. Wie soll ich dabei Ihnen genug danken. Sie verstehen sich vor
allem auf die Freuden des Freudemachens.

Buchstaben befriedigen mich so wenig, ich meine immer noch nichts gesagt
zu haben. Bei und mit und in Ihnen sein, ist allein das Rechte. Das Sie mir
nur hold bleiben mögen! Fräulein von Wrede sagte mir heute, Sie seien eine
unvergängliche Schöne! Ich hörte das mit Freude und den besten Wünschen.
Hoffentlich führt mich der Mai zum fröhlichen Anschaun! Ihre lieben, holden
Hände tausendmal küssend, empfiehlt sich Ihnen mit warmem Herzen der innig
ergebene Freund

  Möller.


26.

  Münster, den 14. April 1843.

Eben, holdselige Freundin, geht die Morgensonne auf und verklärt mein
Gärtchen, aber auch, und mehr noch, meinen Sinn, mein Herz und Gemüth.
Denn ich habe Muth gefaßt, Ihnen zu schreiben. Emil Krummacher, Prediger in
Duisburg, Sohn meiner Schwester in Bremen, Bruder des Fritz Krummacher zu
Elberfeld, der im vorigen Jahr Ihnen einen Besuch zu machen so glücklich
gewesen, zieht in diesen Tagen nach Berlin, den König einer Kirchensache
wegen zu sprechen. Diesem will ich dies Blättchen geben, es Ihnen zu
überbringen. -- Daß ich so lange habe schweigen können, möchte ich die
Götter befragen. Und doch gehören Sie zu einem meiner herrschendsten
Gedanken, und wird dies auch nie bei mir aufhören. Sie sind mir auf dem
Wege meines Lebens eine so theure, unvergeßliche Erscheinung geworden,
daß es keiner Schriftzeichen bedarf; sie reichen nie hin, mein Innerstes
auszudrücken; ein holder Genius aus einer schöneren Welt sind und bleiben
Sie mir. -- O, lassen Sie mir den unentbehrlichen Trost, daß Sie mir
zugethan bleiben! Mehr als ich auszudrücken vermag,

  Ihr ergebener

  Möller.


27.

  Münster, den 28. August 1844.

Unmöglich ist es mir, hochgeliebte Freundin, meinen sehr werthen Freund,
Consistorialassessor Daub, (Prediger an der hiesigen evangelischen Kirche)
nach Berlin zum dortigen Gustav-Adolphverein abreisen zu lassen, ohne ihm
ein Wörtchen an Sie mitzugeben, ohne ihn zu bitten, den Muth zu fassen, zu
Ihnen zu eilen, daß er meinen Liebes- und Friedensgruß Ihnen bringe, und
mir dafür einen Abglanz Ihres holden lieben Wesens zurückgebe. Wie mit
erneuerter Liebe werde ich seiner mich freuen, wenn er von _Ihnen_ zu
mir gekommen ist. Ich glaube an eine Welt, wo Alles vergolten, an ein
Unvergängliches -- schon darum, weil meine Liebe, mein Vertrauen, meine
Sehnsucht -- nach Ihnen, Ihrem Herzen und Wesen schlechthin unveränderlich
und unvergänglich ist. Sobald Ihr liebes Bild in mir lebendig wird,
ergreift mich ein wundersam schönes Gefühl, dem ich keine Abnahme, kein
Ende wünschen möchte. -- Sie lächeln wohl eines solchen Bekenntnisses? Wie
sollte ich es aber verhehlen! Es ist mir ein gar zu süßes Bedürfniß, es
auszusprechen.

Eine völlige Unmöglichkeit wäre es jetzt für mich, mit Herrn Daub mich
aufzumachen, bei der Eile, womit gereist werden muß -- bei hiesiger
äußerster Geschäftigkeit, und bei der Sündfluth des Regens, obwohl ich
mir es für Augenblicke romantisch denke, Ihnen zur Seite, auch über den
Weltocean in einer Noah'schen Arche zu segeln. --

Meine einzige, herzlichtreue Schwester, Eleonore Krummacher zu Bremen habe
ich durch den Tod verloren, was eine Wehmuth über mein ganzes noch übriges
Leben bringt. Es ist dadurch auch die ohnehin geschwächte Gesundheit meines
Schwagers so stark angegriffen, daß er es schwerlich überwinden wird. Mit
diesem Schwager, dem Dichter und Schriftsteller, habe ich das Schönste auf
Erden genossen -- vollkommene Freundschaft! Diesen Engel des Lebens habe
ich in allen seinen Seligkeiten kennen gelernt, so daß ich schon deßhalb
sagen darf: Ich habe nicht umsonst gelebt!

  »Das arme Herz hienieden --
  Von manchem Sturm bewegt!
  Wann findet es den Frieden? --
  Wenn es sich nicht mehr regt.«

Meine alte Freundin Engels hält sich zum Bewundern froh und gesund. Immer
dieselbe! gekräftigt und glücklich im Handel für Bedürftige. -- Von
Pfuel's sind noch nicht aus Ostende zurück; sie sind mir sehr lieb. -- Die
Milanollo's haben Sie auch gehört? Nichts Schöneres in dieser Art hab' ich
vernommen.

Aber wohin habe ich mich verirrt -- so zu schwatzen! Doch werden Sie es
gütig beurtheilen. Mit Geliebten plaudert sich's so gern! --

Ach, daß ich schließen muß. Es war mir, als ob ich bei Ihnen wäre! Selige
Zeit, wo es sich einst wirklich so verhielt! -- Lassen Sie mir den
Trost, daß Sie noch mein gedenken -- mir noch zugethan sind -- mich nicht
vergessen! Ich habe Sie gar zu lieb! Christiane Engels empfiehlt sich
bestens. Ein freundlicher Himmel umschwebe Sie stets! Immer und immer, o,
liebe holde Elisa! --

  Der herzergebene

  Möller.



Briefe von Henriette Paalzow an Elisa.


1.

  Berlin, den 29. Oktober 1833.

Es kommt ein Briefchen angeflogen, das will der gütige Freund _Immermann_
Ihnen geben, daß Sie nicht erschrecken und denken, ich bürde Ihnen einen
Briefwechsel auf -- nichts soll es -- nichts will es, als Ihnen sagen: es
ist zu schwer, Sie ganz zu lassen, wenn man Sie einmal wieder gesehen hat
-- und daran knüpft sich die Lust, so ein Blättchen voll zu schreiben mit
kleinen Liebkosungen -- und daß ich es eben thue, das hat wieder der Freund
mit seiner überzeugenden Zusage, Sie gegen jeden Schreck zu bewahren,
herbeigeführt. Sie wissen also damit, daß wir ihn wirklich noch hier
getroffen, und der Wunsch uns erfüllt ist, ihn zu sehen -- dabei war er gut
zu uns, wie es unglaublich wär', wüßte ich nicht, daß Sie ihn sicher darum
gebeten hatten -- aber er war mir nur desto lieber darum, und wir beide
sind ihm so recht dreist gleich nachgelaufen, und haben von ihm erwischt,
was die Andern über ließen -- aber, was ließ das auf Immermann wartende
Berlin übrig? Sie können denken, nicht viel -- täglich saß er überdieß
an den Fleischtöpfen des gräflichen Camachus, so daß mir gleich der Athem
stockte, als ich ihm meine kleine zweibeinige Junggesellenwirthschaft
anbieten wollte -- lange hielte er es nicht aus, trotz der stillen
Absonderung bei sich, deren er gewiß in hohem Maaße fähig ist, und der
Stempel eines großen Geistes, wie ich immer gefunden.

Wenn man ihm Ruhe und Einsamkeit mitten in Berlin verschaffen könnte --
würde ich von nun an nichts wünschen, als er wohnte künftig hier -- aber
er würde Mode werden, alle Soireen, bei denen Immermann fehlte, würden sich
disgustirt halten -- müßte man da nicht Trauer um ihn anlegen, oder einen
Verhaftsbefehl auswirken, und ihn in ein hübsches, stilles Gefängniß
befördern -- ich kann mir keine passende Lage für ihn hier denken, und
freue mich, wie er wieder hinter der hohen, grünen Hecke in die stillen
Raume verschwinden wird, wo die Geister gehorsam und unverscheucht von dem
leeren Lärm geschäftigen Müßiggangs ihm dienen.

Wie gefällt er uns so noch bei weitem mehr, als wir sicher hatten --
wie ist er über all das andere, still heiter, jugendlich unbefangen und
bescheiden wie alle bedeutende Menschen, die sich immer was besseres denken
können als sie leisten, gar nicht kraus, gar nicht tragisch oder bitter
blickend -- wir hatten das alles auch ausgehalten, und ihn doch lieb
gehabt, aber nun sich es nicht vorfindig, bin ich so lustig und unbefangen,
wenn ich ihn sehe, und wie Kinder sich fragen: wollen wir zusammen spielen?
so möchten wir auch was ähnliches.

Ach, könnte ich zuweilen in Ihr Bauernhaus laufen! wie steht es mir vor in
all seinen Einzelnheiten -- und Sie! wie entzückt mich jeder heitere Blick,
den ich Ihnen abgelauscht -- diese ruhigen, milden Züge, aus denen der
Streit verschwunden, und die Anmuth, mit der Gesundheit zurückgekehrt. Sie
müssen glücklich sein, denn so sieht Glück aus!

Dann blicke ich in meinen Räumen umher -- und frage, ob es Ihnen just
so recht sein würde, und denken Sie nur, ich sage immer: ja! und nicke
ordentlich meinem grünen Thurm (wie ich und die Freunde es bei mir nennen)
zu, als wär' er unruhig darum. Albern bin ich auch immer noch, das haben
Sie längst gemerkt, und besser, ich gestehe es Ihnen ein.

Schön war unsere Rückreise! Einmal an der Ahr saßen wir auf einem Felsen
bei dem alten Ahrschloß und dem höchsten Wunder herbstlicher Lichteffecte;
wenn mir das einfällt, nun mich Berlin wieder eingefangen hat, so begreife
ich nicht, warum wir wiedergekommen sind. Berlin erdrückt mich, dieser
Lärm! so viel Leute! so viel Redensarten -- ich wünsche oft, es wäre eine
große Schlafstube und alle Leute lägen zu Bett und schliefen, vielleicht
hätte ich dann Muth zu wachen, aber so kribbelt alles so begierig
durcheinander, daß ich die Augen zumachen muß, um nicht zu schwindeln.
Besser wird es mit der Zeit, das weiß ich auch -- wenn ich erst keine
Visitenkarte mehr habe, und des Morgens im Bett mir den Tag eintheile,
wie eine fleißige Maid, die noch bei der Mutter ist -- dann werde ich jede
Stunde heiterer und finde zuletzt alle Menschen liebenswürdig, weil ich
sie nicht mehr besuchen muß -- einige besuche ich natürlich gern, und diese
unterbrechen dann reizend diese glückseligste Ruhe! Ruhe! es ist für mich
ein Zauber in dem Worte -- mein schwer sich entwickelnder Geist hat sie
zu Allem nöthig, ich fühle, ich bin nichts, oder mit dem wenigen, was ich
geben kann, ganz verschüchtert, und wie mit festen Deckeln verschlossen,
wenn es um mich lärmt und sich beträgt und weiß und thut -- und ich alles
nicht begreife, und den Anfang nicht verstanden habe, wenn sie schon
prätendiren das Ende gemacht zu haben. Denken Sie selbst, wie schlecht
ich da zurecht komme, überdieß mit meinem Verlangen die Dinge wirklich zu
verstehn.

Wenn da eine liebe Hand kommt, die nicht eine rednerische Stimme bei sich
hat und die Deckel springen lassen kann, weil sie nicht darauf hämmert,
sondern bloß aufheben hilft, wie ich da glücklich bin. Sie könnten das
auch! und da haben Sie meine hundertste Liebeserklärung! -- und lassen Sie
meinen Bruder noch überdies Ihre schönen Hände küssen und vergessen Sie ihn
nicht, wie er Sie verehrt und bewundert -- und seien Sie gut und nicht böse
über dies styllose Brieffragment -- und -- Immermann sagt, Sie hätten sich
auch zu mir gefreut -- und ich glaube es und bin Ihnen gut und getreu bis
in den Tod.

  Henriette P. geb. Wach.


2.

  Berlin, den 17. Dezember 1833.

Mein grüner Thurm war von Dezemberstürmen und Regenströmen wie in ein
doppeltes Bollwerk gegen die Außenwelt gehüllt und ich saß vergnüglich
mitten drin, und freute mich des schwierigen Hinein- und Hinauskommens.
Da kam Ihr Briefchen und mir war, als ob ein Blumenstrauß durch's Fenster
geflogen wäre, und wie man nicht aufhört, Blumen zu betrachten, und wie sie
bald die Atmosphäre umwandeln, und wie ein Glück ohne Namen uns erhöhn, so
war mir und keine liebere Stunde Ihnen zu antworten, als die, die ich Ihnen
so schön verdanke!

Als ich es gefunden hatte, daß ich Ihnen antworten _müßte_, lachte ich ganz
lustig hin, und mit allem Guten, was die Stunde mir gebracht, dankte ich
dies meiner jungen Freundschaft mit Immermann herzlicher als er denkt.

Denn sicher ist, liebe, theure Freundin, vor Ihren holdseligen Worten wäre
ich doch noch mit allen ins Leben springenden Empfindungen blöde stehen
geblieben, zweifelnd ob ich antworten dürfe -- aber mein junger Freund
schenkt mir etwas, und wo seit dem Christenthum hätte man nicht gedankt ob
einer Gabe?

Dabei ist es äußerst reizend für mich, daß ich noch nicht weiß, was er mir
schenkt; denn mein treuer Diener ringt erst darum mit Sturm und Regen und
Postdienern und Packkammern. Ich denke, es ist »Merlin«! -- Dies wollte
ich längst schon der Welt gern aus den rohen Händen nehmen und wäre ich ein
König, wollte ich die Tafelrunde wählen, die es wie ein goldner Reif den
Juwel umschließen sollte. Ich erfuhr daran wieder eine Erfüllung! -- gleich
Ruhe damit! -- ein unerschütterliches, reines, drüber Genießen -- entweder
ein nicht Verstehn, oder ein _durch_ Verstehn dessen, warum die Welt roh
mit wird! Wenn es also das ist! was wird es hübsch sein, wenn ich weiß, er
selbst dachte es mir zu!

Theure Gräfin! Mein ganzes Briefchen wird -- zwar nicht bunt wie ein
Blumenstrauß, aber bunt wie heitere Gedanken! -- und sie kann ich nicht
lassen, wenn ich Sie denke! Nichts Süßeres, als wenn die Welt wieder um
eine kleine glückselige Insel größer wird -- Felsen und Ströme und Wälder
und Schlösser und Hütten, die thun's nicht -- sondern die göttliche
Staffage der Erde, die Menschen! Weiß ich nur irgendwo dies beste Geschenk
des Himmels, ist mir so selig wie dem Astronomen, vor einem sich plötzlich
mit einem neuen Sternenbild anfüllenden leeren Himmelsraum! Immer und für
immer habe ich Sie bei aller Trennung festgehalten, froh mich begnügend,
daß ich wußte Sie waren da! Aber Sie so wiederzufinden, an den langen
bescheiden empfundenen Besitz das lebendige Glück eines verstehenden
Ineinanderblickens zu reihen, das sind Glanzlichter, zu denen man sagt: das
Leben ist doch schön! Leicht sehe ich ein Bild von dem, was mich lebhaft
erfaßt hat, und jeder Blick hin giebt mir das Bild -- es ist dann das
geistige Resultat, was in mir davon gekommen. So sehe ich _nicht_ die Thür
zu Ihrem Häuschen, sondern ich sehe einen Eingang zu Ihnen mit goldnen
Saiten bespannt! auch _Immermann_ sehe ich nicht dahinter, aber einen
Dichter. Drüber sehe ich _Sie_ nicht -- aber einen schönen weißen Schwan
mit breiten weiten Flügeln -- _nicht_ Ihre Zimmer, aber tief grünen,
frischen Epheu dicht in einander gerankt, darauf ruht der Schwan, und hört
zu! Sehen Sie, so allerliebst kommt es mir jedesmal in die Seele, wenn ich
an Sie denke!

Ob ich müde würde, die Thür zu öffnen, an die Sie klopften?

Am liebsten spreche ich mit Wilhelm von Ihnen! Wie glücklich bin ich, daß
er so glücklich war, Sie zu sehen! Er küßt Ihre schönen Fingerspitzen!
Lassen Sie ihn gut wohnen in Ihren holden Gedanken neben mir!

  Von ganzem Herzen

  Ihre Henriette, nicht wahr? Wach?

(Ich mache Ihnen Alles nach vor Vergnügen! Dies ist an Immermann!)

»Merlin« war's nicht! sondern was ganz Neues, wo Sie immer mitspielen,
was ich noch gar nicht kenne und nun recht vergnügt heute Abend am Kamin
ergreifen werde. Wären Sie's nicht just, ein wunderbar alter Freund in
ganz neuer Gestalt! -- Könnte ich mein Briefchen an unsere Gräfin nur
verbrennen, so aber lasse ich es -- und fürchte nicht einmal, daß Sie nun
»Merlin« nachschicken, da ich kindisch fast meine Lust darauf verrieth.
Ich besitze es auch schon -- _Schadow_ merkte leicht meinen Wunsch seines
Besitzes, er schrieb einen freundlichen Gruß hinein, und ich nahm's mit
Freuden! Also war meine Hoffnung »Merlin« käme aus der Hülle, weiter
nichts, als Sie sollten es mir damit gönnen -- das können Sie nun
nachträglich besorgen -- wenn's Ihnen so ist, und dann bin ich durch Ihre
heutige Gabe im Vortheil! Wie lieb ist es von Ihnen, daß Sie mich anreden,
und dann sogar beschenken! Beides danke ich Ihnen herzlich! Was Sie
mitbrachten nach dem grünen Thurm -- das dachten Sie, fänden Sie vor --
Ihr Gefolge saß bloß nieder an unserem Heerd, Sie glauben in Ihrer
unergründlichen Bescheidenheit, es seien unsere Hausgötter! -- Doch auch
so bleibt uns noch ein schöner Antheil, auch daß Sie eintreten wollten, und
daß Sie ihre Anwesenheit fühlten, bedenke ich mit Behagen, und lege es mir
zum Troste zurecht, wenn viele Gäste kommen und gehen, und der Heerd leer
bleibt von dem unsichtbaren Gefolge, das die Götter nur denen geben, die
sie lieben! Außer was Sie mir durch Ihr persönliches Kennen an reicherem
Antheil geschenkt, haben Sie mir noch so besonders in meinem Bruder
wohlgethan -- seine jungfräuliche Sprödigkeit fremden Geistern gegenüber,
war an Ihnen wie umsonst oder vergessen -- dabei sah ich das erstemal nicht
zu, wie sie ihn so selten schnell belebt, sondern ich bekam ihn von Ihnen
schon als aufgeblühte Blume zurück!

Ich möchte, daß Sie ihn liebten! ja, Sie thun es wahrscheinlich schon, denn
ich glaube nicht an eine Liebe ohne die andere! -- Mit alledem überlege
ich mir immer, ob ich Sie lieber hier möchte, oder dort weiß! Ich habe eine
Leidenschaft zur Resignation! -- Das spielt mir ebensoviel Streiche, als
andern Leuten die Begehrlichkeit -- dann träume ich wieder von der stolzen
Festigkeit, womit wir das äußere Leben in aller Gestalt zwingen uns den
Inhalt zu geben, den wir just nöthig -- das wende ich alles auf Sie an!
Denn ich will lieber den großen Gewinn hingeben, Sie hier zu wissen, als
Ihnen den dürren Boden, auf dem meine dünnen Sohlen oft brennen, unter
Ihren cothurnten Fuß wünschen! Aber wenn Sie gut zwingen können, und das
traue ich Ihnen zu -- schlage ich mir alle Resignation aus dem Sinn!

Auch rechne ich dann zusammen, was wir haben! _Koppe_, den haben Sie
erkannt! und mit dem ganzen Stolz der Freundschaft fühle ich, wie er Ihnen
ausreichend sein müßte -- an Tiefe und Fülle des Wissens -- an gehender
und nehmender Kraft der Ideen, an Schönheit des Gemüths und des Herzens! Er
machte Ihnen eine Sendung -- Grüße von uns contrebandiren schon mit -- nun
kann ich ihn wieder grüßen von Ihnen und bin dessen froh!

Ob ich Wilhelm noch das Eckchen lasse? ich thue es wegen meiner
Leidenschaft zur Resignation! Es gehe Ihnen so gut als Sie verdienen und
wir wünschen!

  Henriette.

Herzlichen Dank, mein hochverehrter Freund, für die freundlichen Zeilen
Ihres Andenkens! Möchten Sie in glücklicher Einsamkeit und Ruhe, welche
paradiesisch sein muß, dem unnützen Gehämmere und Geklatsche der Welt
zusehen, welches andrerseits Vortreffliches liefert, doch wobei man gern
Zuschauer ist, wenn man selbst schafft! Der gnädigen Gräfin mich zu Füßen
legend, verbleibe ich in herzlicher Ergebenheit

  Wilhelm Wach.


3.

  Berlin, den 10. Januar 1834.

Theure, liebe Gräfin! Mit der größten Unruhe erfüllt uns die Nachricht von
Immermann's Krankheit, und nachdem wir uns die Nachrichten durch Zufall
über ihn als zu ungenügend für unser Gefühl erklärt, wage ich Sie um
Vermittlung zu bitten -- nicht daß Sie mir selbst schreiben sollten, im
Fall er noch bedeutend krank wäre, aber Sie beauftragten einen Andern zu
einigen klaren Worten über seinen Zustand!

Sie entschuldigen gewiß diese Bitte mit dem natürlichen, unerläßlichen
Interesse, das dies vaterländische Besitzthum, auf das wir alle stolz und
angewiesen sind, uns Beiden giebt, und wollen gar nicht -- und sollen auch
nichts weiter von mir hören -- als wie ich Ihnen treu bin und bleibe --

  Henriette P. g. Wach.


4.

  Berlin, den 14. April 1834.

Ehe ich Ihnen anfing zu schreiben, habe ich mich erst recht in den Gedanken
vertieft, daß ich das nun überhaupt jetzt darf, und wie hübsch es von uns
beiden ist, dies endlich als eine kleine anmuthige Zugabe unseres Lebens
erkannt zu haben -- Freund Immermann, welcher sich zuerst liebenswürdig
entwickelnd diesem meinem schüchternen Wunsch zur Seite stellte, soll auch
immer dafür mit freundschaftlicher Liebe anerkannt und besonders gemeint
und gegrüßt sein in jedem Blättchen, das hinüber fliegt! Und so merke ich
fast, daß ich die subtilste Spitze eines Briefanfanges niedergeschrieben,
und könnte mich nun fortwährend nach allen Regeln betragen, wohnte mir das
geringste Geschick dazu bei, und risse mich nicht Andenken und Antheil für
den, dem ich schreibe, über so schöne, dezente Gränzen stets hinweg. Aber
Sie haben mich ja nie anders gemocht als ich sein konnte, und mich oft
erkannt, da wo der spanische Kragen meiner früheren Verhältnisse mein
eigentliches Wesen bis zur Unkenntlichkeit einspannte -- und was giebt es
Süßeres, als dies Zeugniß einer schönen Seele für bange und unverständliche
Zeugnisse in uns! -- Ich begreife auch gar nicht, warum man sich bloß darum
liebt, weil man sich alle Tage genau versteht, einmal muß man es freilich
gekonnt haben, und dann für immer! und was das Leben drüber und dran
wachsen läßt, begrüßen ohne Frage: woher kömmst du? Immer sicher _daher_,
wo wir einmal die Heimath fanden. -- Heimath! könnt' ich einmal aus den
hellen Fenstern Ihres wohnlichen Zimmers in die grüne, zierliche Ordnung
des kleinen Gartens niedersehn, durch dessen grüne Heckenwand ich Sie nach
Jahren zuerst sah -- wie Sie leicht dem Hause zuflogen, das uns bald Alle
umschloß! -- Es sollte mir heimathlich werden, sein Sie gewiß! Oder Sie
steckten die kleinen Füße unter meinen Theetisch, und der grüne Thurm hätte
keinen Eingang mehr, nachdem er Sie eingelassen! Nun, ich will warten auf
Sie! Den ganzen grünen Sommer hindurch, vielleicht wenn Sie so sicher ein
Plätzchen wissen, wo Ihnen frohes Willkommen entgegen kömmt, überlegen
Sie es auf Ihrem grünen Epheukranz, worauf ich Sie immer ruhen weiß. Wir
bleiben, wie Sie daraus sehn, in dem steinernen Berlin! Das ist nur die
wahre Bezeichnung, keine Verunglimpfung oder Klage!

Ich liebe mich in verschiedenen Situationen zu finden, mit mir bekannt
zu bleiben, und den Aufgaben ihren Inhalt abzufragen; ist man des einen
Zustandes gewiß -- reizt uns der andere mit seinem Widerspruch, der in uns
seine Aussöhnung verlangt!

Die Sonne scheint, während ich schreibe, warm und verheißend auf meine
Schultern -- es ist gewiß, wir sollen das liebliche Wunder auf's Neue
erleben, Blumen, Blüthen und Blätter zu sehn! -- Den langen Winter wird man
ganz träumerisch, ob solch Glück wiederkommen kann, und naht sich die Zeit,
bewegt sie nicht _allein_ die keimende Erde; in der ewig keimenden Brust
findet sich auch ein neuer Eifer -- etwas soll anders werden, zur Klarheit,
zur Blüthe soll durchbrechen, was im Winterschlaf eingehüllt lag, wir
fordern von uns, und die Gewährung ist schon halb erreicht -- an Licht und
Sonne hängt nicht blos das Blüthenleben mit seiner zarten Existenz, der
Mensch selbst hofft in diesem freieren Spielraum etwas Größeres zu leisten,
zu vollbringen. Fragen wir nicht nach dem Geleisteten, es muß nicht alles
nach außen Existenz gewinnen, was darum doch als Errungenes, als Wahrheit
aus solchen Epochen der Seele verbleibt! Während Berlin von dem ärgsten
Paroxismus des Carnevals befallen war -- hüllte mich ein kleines,
glückseliges Fieberlein in die grünen Wände meines sichern Thurmes -- auch
besucht konnte man nicht viel werden, weil die Leute den göttlichen Einfall
haben, ihre hohlen Gesichter dem Tageslicht zu =déjeunés dansants= zu
produziren! So kamen nur die Freunde! Sage ich aber Freunde, so fällt mir
Ihnen und Immermann gegenüber fast niemand ein, als die herrliche Familie,
die ersterer gern hier wiederfand, ich meine Koppens. Liebe Freundin! es
ließe sich in einem Urwald, oder auf einer wüsten Insel mit den Elementen,
woraus diese Familie zusammengesetzt ist, lange haushalten als reicher
Mann!

Gern rede ich mit Ihrem Vetter von Ihnen![5] Jetzt ist er General! es
kleidet ihm gut! und ich freute mich, daß er nicht zugeknöpft die Achseln
zuckte über eitle Ehre, sondern menschlich und natürlich eingestand -- Ehre
sei keine Schande! Ich soll Ihnen auch tausend Grüße sagen.

Und nun grüßen Sie Immermann auf's herzlichste! und wenn Sie erlaubt haben,
daß Ihnen Wilhelm mit allen Gefühlen der Verehrung die schönen Hände
küßt -- so sagen Sie auch von ihm dem liebenswürdigen Freund, wie warm
anhänglich und erkennend er ihm zugethan bleibt! Und Schadow's? Ob mein
Briefchen im Rhein ertrunken ist, oder die holde Frau Schadow in den
Carnevalsfreuden? -- Ein Lebenszeichen empfing ich nicht wieder! Soll ich
wagen sie zu grüßen?

Ach! nicht wahr, ob dies Briefchen glücklich hinüberkam, über den
vaterländischen Strom -- das erfahre ich bald -- und von Immermann auch
recht viel -- und von Ihren holdseligen Gedanken, und in welcher Rubrik ich
eingeschoben bin!

  Ihre

  Henriette P. g. Wach.

  [5]: General August von Hedemann.


5.

  Berlin, den 5. Juni 1834.

Meine theure Gräfin!

Wie klar und deutlich blicke ich in den Tag hinein, an dem mein letzter
Brief mit der Sendung des Freundes bei Ihnen eintraf, und den Sie so
reizend schildern, daß ich die Blüthen zu athmen glaubte, die alle wie
aufgeblüht für den Dichter ihn begrüßten.

Es ist gar nicht wahr, lasse ich ihm sagen, daß die Blüthen allein diesen
Versuch machen, und wenn er ganz ungeduldig ruft »warum die Menschen es
nicht auch thun?« -- so sage ich, sie thun es auch, aber können nicht
alle es zum Duft bringen, oder gar zur Frucht -- sie müssen bald den
unschuldigen Versuch ermüdet, mit losgerissenen Blättern am Boden streuen,
und wenn keiner zur rechten Zeit Acht gab, als sie sich um den kleinen
Stiel reihten, so heißt's hinterher, sie haben sich gar nicht bemüht. Mein
eigentliches geheimes Frühjahrsgeschäft ist, die Leute zu belauern -- etwas
ist in Jedem los -- mitunter reine, baare Tollheit! etwa daß Spinat Rosen
treiben will, oder Salat zum =Cactus alatus= befördert sein will durch
irgend einen winzigen Schuß, den er hier oder dort hin thut u. s. w. --
aber am allerlustigsten bin ich selbst, denn ich bin es mir recht klar
bewußt, daß ich was will, und recht was tüchtiges, wovon der Herbst soll
noch zu sagen wissen -- aber was denn? Glauben Sie nicht, daß ich mich
ausnehme, und denke, ich wolle keine andere Blüthe als die Wurzel in der
grünen Erde mir verheißen kann -- sicher habe ich eben so gut als alle,
die ich darauf anschaue, etwas im Sinn, wobei die arme Wurzel seufzend
sich tiefer in die Erde gräbt, damit das tolle Pflänzchen nicht an seinem
Getriebe um alle Lebenskraft kommt. Aber was wäre es denn auch, wenn nicht
dieser Frühjahrstrieb die Menschen wenigstens mit dem _Gedanken_ neuer
Gewinne erquickte! -- --

Besorgt tragen sich Immermann's hiesige warme Verehrer mit dem Gerücht, daß
er seine sichere bürgerliche Stelle aufgebend, sich ganz der Bildung des
dortigen Theaters widmen werde. -- Jeder fühlt dadurch die Aussicht ihn für
einen größeren Wirkungskreis in der Hauptstadt zu gewinnen, bedroht, und
um so weniger geneigt diesem Opfer ergeben zu sein, wenn ihm selbst an dem
Ort, wo er so große Kräfte verbrauchen will, nicht ein volles geistiges
Zuströmen an Menschen und Verhältnissen sicher ist. Es macht mir den
Eindruck, als läse ich ein Nachspiel von Torquato Tasso, wenn Sie, holde
Eleonora Este, mir von der Krönung des Dichters schreiben! Leider zugleich
_den_, auch des fern Liegenden, einer andern Zeit, einer andern Luft
Angehörenden!

Unsere Bühne hat mich von jeder Hoffnung einer dort zu gewinnenden Erhebung
rein verschüchtert -- ich habe es verlernt dort auf Genuß zu hoffen -- aber
ich hoffe nicht zugleich die Empfänglichkeit dafür -- ja, ich ziehe dies
Zürnen, möchte ich sagen, dem Nachgeben vor, mit dem Schlechten vorlieb
zu nehmen, wodurch die schädliche Gewöhnung endlich uns von dem Standpunkt
zieht, auf den uns freiwillige Entsagung eingehegt läßt, wenigstens für
eine höhere Idee unentweiht! -- Ich darf mir also wohl eingestehn, daß
ich für die unschätzbaren Anziehungskräfte des Rheines oder Derendorfs
empfänglich zu werden oder zu bleiben suche, und Ihre lieben Worte um
Fortunats Säckel oder Hut trafen ein begehrliches Herz! Aber froh empfinde
ich um so mehr wie wir jetzt nicht mehr so ohne alle Beziehung als früher
stehn, und freue mich wie Immermann desgleichen unserem geistreichen Freund
hier sich anschließt, und wir uns hineinschlingen, daß es ein rechtes
Ganzes zu werden denkt!

Wilhelm ist im rechten Sommerdienst begriffen. Schöne und häßliche
Frauen begehrten aber seines Pinsels, der Nachwelt sich zu überliefern --
dazwischen spielt eine Nymphe mit Blumen, und Amor giebt ihr einen Kuß! --
Wenn Sie denken, ich freute mich zur Ausstellung, so irren Sie sich, und
halten mich größer als ich bin -- ich blute noch aus all den Wunden, die
mir einfielen, als man die letzte benutzte, meinen Bruder zu mißhandeln --
mein Leben ist wie das Blatt, das sich auf der Welle gerettet hat, es
tanzt oben, wenn sie steigt, und ist verschwunden, wenn die nächste sie
verschlingt. Sie möchten mich besser -- ich weiß es. Es thut Ihnen leid,
daß ich so kleinlich diese Zeilen schließe. Beklagen Sie mich, vielleicht
wird es mit der Zeit besser, jetzt habe ich nur einen Dämmerschein von dem,
was ich unter solchen Leiden sein könnte, aber es ist außer mir, ich bin
isolirt in subjectiver Verdorbenheit!

Dem liebenswürdigen Freund, dem herrlichen Dichter die schönsten Grüße,
erstlich von mir, dann von meinem Bruder, wenn er erst Ihnen hat in
hochachtender Ergebenheit die Hand küssen dürfen.

  Ihre Henriette.


  6.

  Berlin, den 10. November 1834.

Es möchte sogar fein, bescheiden und sehr schicklich erscheinen, wenn
ich noch drei bis vier Wochen wartete, ehe ich Ihren inhaltreichen Brief,
theure Freundin, beantwortete, und wenn ich statt dem nichts thue, als den
ersten ruhigen Augenblick erwarte, um das Gegentheil zu vollführen, muß ich
mich Ihnen auf Discretion ergeben! Das thue ich denn mit dem frohsten Muth!
und außerdem drücke ich Sie an mein Herz, und sage Ihnen und Immermann den
tiefgefühltesten Dank just für dies lang ersehnte Lebenszeichen -- das uns
so viel mehr sagt als daß Sie athmen und die Sonne auch über Ihnen scheint.
Der Eindruck dieser Mittheilungen war erschütternd für uns Alle! -- Wir
hatten uns im Thiergarten bei den Freunden still zusammengerückt, und wie
es die Ankündigung in Ihrem Briefe vorbereitete, mit Ernst und Bewegung
fast, die Blätter des Freundes zur Hand genommen, die er uns gönnte, von
seinem Innern zu hören!

So sind wir, nicht unwürdig seines Vertrauens, ihm Zeile vor Zeile gefolgt!
ich denke, es wird uns Allen ein unvergeßlicher Abend bleiben -- aber meine
ganze Seele ruft ihm zu, nicht was in der Welt daraus wird, darf er
mehr fragen, dürfen die Freunde fragen, wie es in ihm _so ward_, zur
unabweislichen Nothwendigkeit, das ist die Hauptsache, von der aus es
keinen Rückblick giebt-- nie werde ich von der Welt so gering denken zu
glauben, daß eine so mächtige, individuelle Wahrheit als hier ausgesprochen
liegt, nicht schon hinübergreift in eine objective Wahrheit, die ihrer
Entwicklung sich entgegen drängt; weiß er in sich von der Morgenröthe
einer neuen Kunstepoche, so muß sie anbrechen. Der Gedanke, wie er sich
durchringt aus der Seele des Menschen -- der Gedanke ist schon der Anfang
der Erfüllung, ja die Nothwendigkeit seiner wahren Existenz! Sagt es nicht
Schiller? Dem Gedanken des Columbus mußte sich die neue Insel aus dem Meere
entgegen heben! -- er konnte nicht vergeblich nach ihr suchen! So haben
sich die Freunde nur still um den muthigen Segler zu schaaren, und immer
nur: Glück auf! zu rufen. -- Glücklich aber muß er sein, denn jeder muß es
sein, der seinem innern Leitstern folgt, und an eine Idee, die sein Inneres
ganz durchdringt, das Leben setzt!

Wie rührte uns um so tiefer der Verlauf des Abends, an dem uns Koppe mit
der vollen Begeisterung seines ihn verstehenden Herzens einige aus den
Juwelen seiner einzelnen kleinen Gedichte auslas. Wie erfüllte sich an uns
Allen, was er so schön ausspricht als vorgesetztes Ziel »etwas zu leisten,
was den Zustand der Menschen und der Welt erhöht.« Wir fühlten uns Alle
erhöht! -- Ich fühlte den Zustand, den ich am höchsten und liebsten in mir
halte, den einer ganz _allgemeinen_ Begeisterung -- in der nichts einzelnes
hervortritt, aber alles einzelne inbegriffen ist, aber eben als einzelnes
zu gering die weit und groß gewordene Seele zu beherrschen, die in
dem Resümé von allen nur die Existenz findet. Es ist zugleich der
leidenschaftsloseste und durchfühlteste Zustand der Seele!

Mir gefiel nicht eins oder das andere, weil es just diese oder jene
Gefühlswelt mächtig und schön entwickelt -- alles erfüllte die tiefe
Sehnsucht der menschlichen Brust nach etwas Vortrefflichem, Erreichten,
gleichviel in welcher Richtung, und löste, sonderbar genug, von dem
Gegenstand los, indem es uns über ihn stellte, just in dem Augenblick, wo
wir seiner wahrhaften Entwickelung alles verdankten. Bis zu Thränen waren
wir, als wir nun seines Vertheidigungsbriefes gedachten! Derselbe, der uns
dies gegeben, mußte sich vertheidigen gegen die knappe, rauhe Form, die
ihm auf's Neue über die Flügel gedrückt werden sollte, mit der Hoffnung, er
ginge wohl hinein, wenn er nicht ersticke!

Wie fern, wie nah ein Resultat für sein ungemeines Streben sei, dies ist
eine Frage, der wir mit allen warmen Grüßen der Freundschaft, dem Glücke
vertrauend, entgegensehen! Das Bedürfniß ist da! wird immer mehr erstarken,
je mehr der Gegensatz: das Sinken der Bühnen -- bis zum Ekel hervortritt.
-- Beide sich gegenüberstehende hart sich abstoßende Stufen auf der in
Immermann gedachten, zu verbinden, ist das natürlich sich als nothwendig
ergebende Ziel für die Zukunft. -- Ich freue mich um so mehr noch
Zeitgenossin dieser Ideen zu werden, da ich mich schüchtern von jeder
Hoffnung zurückgezogen hatte, und die Idee eines besseren Zustandes für
mich behütete, vor der flachen Berührung mit bloß zeittödtender Zerstreuung
sie allein noch vorhanden.

Ich träumte mit den Freunden von einer kleinen Normalbühne, die unter
Immermann lebengewinnend die Aufmerksamkeit dahin richtet, und von wo aus
sich der wahre Geist über Deutschland, oder für's Erste, dem Vaterlande,
ausbreitete. Möge doch der treue Bruder, dessen verständig besorgten Brief
man in der Antwort verfolgen kann, ihn nicht mehr beunruhigen, und
mein lieber Herr, der König, sich geneigt fühlen zu allen äußeren
Arrangements. --

Ihr schöner Brief reihte sich so wohlthuend heran! -- Welch eine schöne
Landschaft haben Sie gemalt mit Ihrer Beschreibung jenes ersten Abends an
der See! Ich sah sie augenblicklich, und hätte nicht einer unserer kühnen
Seemaler sein müssen, hätte Sie Ihnen auf Leinwand zurückgesandt.

Dieser Brief blieb acht Tage liegen -- ich war indessen in Tegel bei
_Wilhelm von Humboldt_. Es geht ihm wieder viel besser -- und wir hoffen,
er lebt uns noch eine Zeitlang. Sein Geist blüht zum Erstaunen schön und
vollständig aus diesem kaum noch verständlichen Körper! Er hat noch immer
diese bezaubernde Heiterkeit, diese Ironie, die den Dingen ihren falschen
Schein abstreift, aber wie würde Sie der tiefe, gefühlvolle Ernst
überraschen, womit er in sich und andern das Gefühlsleben schätzt, liebt,
möchte ich sagen, und entwickelt. -- Meine Seele sitzt ihm, wie das Kind
dem Vater, zu Füßen, ich bin wie eine junge Verliebte über seine Stuhllehne
gebeugt, und werde so sorglos geschwätzig, als wäre ich schon mit ihm aus
der Welt! Aber ich kann es Ihnen auch nicht verschweigen -- er liebt mich
vollständig wieder, und die Kinder bedauern nichts so sehr, als daß ich ihn
nicht mehr heirathen kann. =Mais, que faire?= -- seine liebe Hand zittert!
Er könnte mir nicht mehr den Ring anstecken!

Ihr Andenken erfreute ihn sehr -- er empfiehlt sich Ihnen herzlich, und
sprach recht schön, recht bewundernd von Ihnen!

Eben so herzlich empfiehlt sich Ihr Vetter General; ich habe ihm
versprochen Immermann's Brief vorzulesen. Dem Minister habe ich davon
erzählt -- er bewundert Immermann! -- ich theilte ihm schon früher den
»Merlin« mit -- und er hat allerdings auch das Gefühl, daß der Moment
vielleicht gekommen ist, eine neue Bühnenwelt heraufzuführen!

Sommergedanken habe ich noch nicht! Erst bau' ich mich im Winter emsig an!
Ach! wenn ich nicht fröre -- hätt' ich ihn sehr lieb.

Die Kunstausstellung ist wegen Anwesenheit des Kaisers noch offen. Seit
gestern hängt dort das letzte Bild meines Bruders, der sehr fleißig
gewesen ist. Er küßt Ihre schöne Hand, und bittet Sie, ihn gern unter Ihren
Verehrern zu sehn. In der herzlichsten Freundschaft grüßen wir beide unsern
lieben Freund Immermann, und stets bleibe ich Ihnen, holde Frau, getreu.

  Henriette P. g. Wach.


7.

  Berlin, den 12. März 1834

Wenn ich den Wunsch fühlte, Ihnen zu schreiben, theure Gräfin, erschrack
ich immer vor dem Umfang des bisher Erlebten! -- ein Stoff, den ich keine
Kraft fühlte, zu bewältigen -- es machte mich müde, oder vielmehr die
Müdigkeit meiner Seele und meines Körpers hatte damit zu viel. Wie es mir
nun heut doch dazu kömmt, daß die lebhaftere Erinnerung an Sie, die mir ein
Bild Ihres freien, schönen, ungetrübten Wesens giebt -- mit ungetrübt meine
ich, daß Sie in keine fertige Form hineingepreßt worden sind, oder sich
haben hineinpressen lassen, sondern schön menschlich sich selbst und andern
gerecht bleiben. Ich sehe Sie, wie Sie aus dem Fenster schon die lieben
Augen mit tausend lockenden Fragen unter das welke Laub stecken, um die
Geheimnisse zu erlauschen, die da unten von Erde, Tropfen und Wärme in der
kleinen Werkstatt gezimmert werden, und bald ganz naiv die kleinen grünen
Mützen hervorstecken, innerlich so sicher und fertig, und des Erfolges
gewiß, wie nie ein armes Menschenherz, das immer überbaut bleibt mit seinen
treibenden Keimen von der kalten Erde überdeckt. Möge Ihnen und Ihrer
reizenden Seele der Frühling recht erquickend, recht neu belebend einziehn
-- ich gönne es Ihnen mit alter treuer Liebe -- und mußte Ihnen erst recht
Gutes wünschen, ehe ich fortfahre.

Gott weiß, womit ich es verdient habe, daß man mir so viel buntes Papier
geschenkt hat, daß ich mir ein Gewissen daraus mache, weißes zu kaufen --
dabei mußte ich mich mit süßlicher Empfindsamkeit ansehn lassen, als hätte
man eine große Zartheit in mir errathen. Es hat mir nichts geholfen, daß
ich das Leben ernst, thätig und praktisch ergriffen habe, ich sehe immer
noch den schalkhaft erhobenen Finger der Leute, die mir die Augen naß
glauben bei Matthison's Mondschein und Cypressengelispel, oder Tiedge's
religiösen Uranien. -- Man denkt in der Jugend, wenn man nicht für das
gehalten wird, was man sich innerlich zugesteht, ist man's nicht, und
strebt und ringt, daß sie es begreifen sollen. Ach! liebe Freundin! Das ist
recht rührend, wenn mir das Weinen nicht so weh thäte, das könnte mich dazu
bringen, aber viel rührender ist es noch, daß man später nichts so wenig
erwartet, als verstanden oder gehalten zu werden, für was man sich selbst
halten darf! Wie darf man eigentlich einen Zustand, in dem wir mitten
drin sitzen, verstehen wollen? Weit von uns gerückt müssen erst die
Erscheinungen unseres Lebens sein, ehe sie sich von uns trennen und
objectiv werden -- mit weißen Locken, die ersten zarten blonden, um
derenwillen wir die Kindermütze ablegen, am Rande des Grabes die erste
Liebe beschauen und ihre Bedeutung erkennen, das möchte möglich sein,
aber von selbst fehlt da die Zeit, wo uns die reiche Sommerzeit des Lebens
anzuschauen käme -- genug, wir sollen uns für incompetent erklären -- und
doch, wie sträubt sich das Herz gegen so kaltes Begehren!

Daß ich erst bei der letzten Zeile im vorigen Blatt den Irrthum mit dem
Umwenden einsah, mögen Sie gütig entschuldigen, abschreiben -- nicht wahr,
es wäre unerträglich, abzuschreiben -- es hat immer etwas Lügenhaftes
-- ich würde beschämt sein, den Brief an eine Freundin abgeschrieben
zu übersenden -- und wozu noch Lügen, deren man sich bewußt ist, da die
unbewußten oder als solche uns überraschenden schon so viele sind.

An meinem Geburtstag bekam ich Immermann's sämmtliche Werke, schön grün
eingebunden, geschenkt. Welch ein besonderer Reiz liegt darinnen, so
etwas zu besitzen -- hingehn zu können, und so einen stillen grünen Band
herauszuziehen und sich mit der Hoffnung, es werde genug regnen oder
schneien, um keinen lästigen Besuch einzulassen, so in einen Armstuhl zu
drücken und nun aufzuschlagen und lesen zu dürfen, was das Geheimniß eines
Geistes war, der die Sprache der Erde verstand, und sie empfing mit ihren
Schätzen, und an den sie sich ergab mit der liebevollen Ungeduld des
Gebens, das nur aufsteigt, wo das Empfangnehmen Verstehen und Wiedergeburt
ist!

Alle Worte sind schon so oft nach falschem Ziel verschossen, wie schön
und richtig könnte ich sonst sagen: ich habe alles so lieb! Auch rührt und
beschämt es mich fast, daß wir gedruckt lesen können, und in beliebigen
Gebrauch nehmen, was so in heiliger Einsamkeit von ihm ausging, sich selbst
erst zur Genüge, weil er's nicht lassen konnte an sich und dem Gegenstand
diese Liebe zu thun! Ich möchte um Verzeihung bitten, daß ich so roh
darüber herfahre und wünsche, in mir wäre wenigstens Sabbathstille, und
ich hörte nichts als die Glocken zum Festtag! Auch danken möchte ich ihm --
könnte denken, er röthete sich vor edlem Zorn und früge, um wen anders
als mein selbst willen dachtest Du, daß ich's geschehen ließ? -- ist
dies erledigt, mag es auch seinen Weg bis zu Dir finden, und was Du damit
kannst, sei Dein Antheil, mir unbekümmert!-- Und möchte er nur so stolz
reich thun; da so viel Armuth ist, soll der Reiche ausstreuen, daß der Arme
findet, der sucht; was verschlägt es ihm, ob er damit die nothleidenden
Stunden fristet, ihm mehrt sich im Geben der Schatz!

Die nothleidenden Stunden! -- ich habe deren viele! Wissen Sie, was
ich überstanden habe, wissen Sie doch vielleicht nicht, was ich noch zu
überstehn habe; denn meine Nerven beben lange nach und verfallen jeden
Abend um halb sechs Uhr in schwere Zustände -- einen Krampf im Kopf, aus
dem sich ein schwermüthiges Deliriren mit Brustbeklemmungen entwickelt.
Ich habe eine neue, eine ungeheure Erfahrung gemacht! Ich kannte den
körperlichen Schmerz noch nicht -- ich wußte nicht, welch ein Ungeheuer
er ist, wie er sich über uns wirft und uns verschlingt. Die heiligen
Schmerzen, die jede Frau mit eben so viel Hoffnung als Furcht erwartet
-- sie sollen leicht sein dagegen -- wie das natürlich Bedingte gegen das
unnatürlich Gewaltsame immer. -- Die Aerzte schickten mich dann nach Ems.
O, liebe Freundin! saßen Sie schon je zwischen diesen Felsen, wo die
kleine monströse Putzschachtel mit dem Greuel aus der vornehmen Welt
hineingeklemmt ist? Dort brach mir schon das Herz in unaufhaltsamer
Nervenschwermuth! Aber ich täuschte alle, selbst die mich liebten, also
beachteten, -- ich flatterte wie ein geängstigter Vogel in und um meinen
Käfig her, und hatte keine Ruh und keine Rast, und nach einer schlaflosen
Nacht, in gegenstandlosen Thränen hingebracht, wünschte ich auf dem
höchsten Felsen zu frühstücken und war vor den andern schon oben, und
konnte dort nicht bleiben und hoffte auf den Eselritt am Nachmittag -- und
ging noch zuerst an der Lahn und wünschte an die Table-d'hôte zu kommen und
ließ unter ewigem Hören und Sehen und den tödtenden Klängen der Tischmusik
Thränen ungezählt über das hastig und gern genossene Mahl fallen -- fünf
Stunden ritt ich oft an einem Tage, und schloß der frühe Abend dies irre
Treiben, glaubte ich, die Zimmer verschlängen mich, und mein kräftiger
Gesang war dann oft noch lang zu hören. Dabei glühten Wangen und Augen, und
in der ewigen Quarantaine eines steten Angekleidetseins, nöthigte ich
jedem die Versicherung ab -- ganz gesund zu sein! Dabei -- hatte ich die
Ueberzeugung, daß ich jeden Abend mit den Kleidern die Haut von meinem
Körper zog, des Morgens weinte ich, daß ich über die Wunden mich kleiden
mußte. -- Gleichgültiger ist niemanden je die ganze Welt gewesen,
aber einzelne tödtende Schmerzen über meine Zerstörung, die ich mit
fürchterlicher Arglist ganz gescheut war zu beobachten, schnitten durch
mein Inneres! -- Ich wußte bis dahin nicht, was es heißt, durchaus trostlos
sein -- erst in dieser schrecklichen Zeit erfuhr ich es -- und hatte kein
Verlangen als den Tod! Mit der größten Anstrengung erhielt ich mich auf der
Rückreise, jeden Morgen bedrohte ich mich, gesund zu erscheinen. -- Als man
die letzte Station vor Berlin die Pferde vor den Wagen legte, sagte ich:
nun kannst Du krank sein!

Im Augenblick lag ich bewußtlos im Wagen, ohne Besinnung brachte man mich
in meine Wohnung! Da brachen Krämpfe aus, die mit dem schwersten Deliriren
verbunden waren. Seit dem 26. September kehren sie alle Abend wieder.
Durch die sorgfältige, umsichtige Behandlung meines Arztes, des Homöopathen
Stüler, sind sie ermäßigt bis zu schwachen Anklängen des ersten Zustandes
-- aber sie sind da -- und mein Geist kann wohl nie ausruhen von der
Ermüdung, die er erlitten. Ich leide ein tiefes unaussprechliches Leiden,
ich weiß, daß ich jetzt erst Leiden kennen lernte -- und dachte doch, ich
hätte sie gekannt!

Niemals glaubte ich, könnte ich von mir erzählen, wie ich anfing zu
schreiben, dachte ich es noch nicht und jetzt -- -- liebe, wunderbare Frau,
verstehen Sie mich?

Meine Handschrift ist schlecht! Leicht ermüdet der rechte Arm!

Grüßen Sie herzlich Immermann! Mein Bruder küßt voll Ehrfurcht Ihre schöne
Hand -- ach! wie gern hörte ich von Ihnen!

  Ihre

  Henriette.


8.

  Köln, den 13. September 1837.

Liebe, theure Frau Gräfin!

Ihr holdseliges Briefchen erreichte mich später, da ich nicht in Köln
anwesend, sondern auf der Kitschburg bei Frau Schaafhausen vier Wochen
wohnte. Fast hätte ich die Beantwortung verzögert, bis ich selbst eine
wichtige Antwort aus Berlin erhalten und jedenfalls hätte ich Ihnen dann,
was ich jetzt nicht kann, über meine nächste Zukunft etwas Sicheres sagen
können, aber ich sehnte mich danach, Ihre lieben Zeilen zu beantworten, und
sende Ihnen die Entscheidung, die ich erwarte, später nach. Unser
früherer Plan war nämlich, wenn mein Bruder hierher kömmt, im Oktober
nach Düsseldorf zu kommen, dort von allen Lieben Abschied zu nehmen; der
Ausbruch der Cholera in Berlin, der mir lange ganz verheimlicht ward, hat
aber, nachdem ich ihn erfahren, meine Abneigung und Furcht vor Berlin so
gänzlich überwunden, daß ich meinen Bruder dringend gebeten habe, mich
zurück zu berufen, und ich seine Einwilligung oder die Freistellung meines
Willens nur abwarte, um sogleich mit meiner Jungfer dahin abzureisen. In
diesem Fall würde ich auf das Wiedersehn meiner lieben Düsseldorfer
Freunde verzichten müssen und mir so ihren Segen ausbitten! Wie sehr ich es
entbehren müßte, Sie nicht wiederzusehn, da ich Sie nur einmal sah -- das
brauche ich Ihnen nicht zu sagen, denn warum sollten Sie noch an meiner
treuen und innigen Liebe zweifeln! Und doch scheint mir das Opfer, daß Sie
hierher kommen wollen, so groß, daß, wenn ich nicht dächte, Sie hätten noch
ein anderes Interesse, was Sie dazu nöthigt, ich ganz beschämt davon sein
würde.

Während ich diese Zeilen schreibe, ist meines Bruders Antwort eingetroffen!
Er verbittet meine Rückkehr ganz bestimmt und kündigt seine Hierherkunft
auf Anfang Oktober an. Wir kommen dann entweder nach Düsseldorf, oder wir
treten unsere Rückreise über Düsseldorf an. Sehn werde ich Sie also gewiß,
meine liebe Freundin, denn wenn Sie in anderem Interesse nach Köln Anfang
Oktober kommen, richte ich mich jedenfalls ein, Sie hier zu erwarten, wenn
ein paar liebe Worte mir die Zeit bestimmen, aber um meinetwillen müssen
Sie das Opfer dieser Reise nur nicht bringen, denn ich komme gewiß zu
Ihnen! Wenn wir nur unsern lieben Immermann nicht bei den verschiedenen
Reisen verfehlen! -- Wenn er nur zurück ist zur Zeit, daß wir zu Ihnen
kommen, oder wenigstens ich in Köln, wenn er hierherkömmt, obwohl Immermann
ein Gut ist, warum man sich mitten in der Freude es zu besitzen, beneidet,
weil man es dann auch den Liebsten zugleich gönnt. Doch ich will hoffen,
uns einigt ein lieber Abend in Ihrem Hause zu dreien!

Mit welcher Bewegung las ich Ihre Erwähnung einer Sache, die viel
bedeutender in meinem Leben eingeschritten ist, als ich ahnte!

Von dem ersten Bogen an, den ich faltete, bis zu der letzten Seite, die das
Ganze beschloß, war ich wunderbar von dem Gegenstand beherrscht! Es
hatte sich aus mir heraus eine Forderung gestellt, die mich zum dienenden
Werkzeug machte. Der Stoff lag gesammelt in mir -- er belastete mich,
kann ich sagen -- aber in welcher Form er sich entladen könnte, blieb
zweifelhaft und hielt ihn länger zurück, als er geneigt war. Der Roman kann
alle Zustände des Lebens umfassen, am leichtesten legt sich in ihm nieder,
was sich als Erfahrung und Beobachtung in uns vorfindet. In die bequeme
Form floß nun schnell und ohne Säumen das Innen Gesammelte! Ich -- liebe
Freundin -- habe schöne Stunden damit verlebt! Der erste Theil war
fertig -- mir nur sollte das Ganze gehören -- da verrieth ein Zufall dies
Unternehmen meinem Bruder -- sein Beifall war eine schöne Befriedigung!
Wieder blieb es lange unser Geheimniß; -- er verrieth mich einem gelehrten
Freund! Es wußten es jetzt drei -- man sagt, dies sei für ein Geheimniß zu
viel! -- Von da an ward ich gebeten, es drucken zu lassen. Wie sicher
war ich -- das könne und dürfe nie geschehen! Zwei Jahre lag es fertig,
abgeschrieben, wie rein oft vergessen! Man verstärkte endlich die Bitten,
es drucken zu lassen, durch die Täuschung, es könne dennoch Geheimniß
bleiben -- ich war zu unerfahren -- ich glaubte daran. -- Mein Verleger
hat die Wahrheit gesagt, er erfuhr meinen Namen erst, als ich die ersten
gedruckten Exemplare erhielt. Es blieb lange geheim -- und die große Zahl
der Autoren, die genannt ward, ließen mich hoffen, ich bliebe unerkannt!
Wer es verrathen, noch weiß ich es nicht! -- Ich erfuhr aber, was ich immer
gewußt, daß eine Frau nicht bestimmt ist, der Oeffentlichteit anzugehören
-- ich war wund, wund bis in mein tiefstes Leben hinein! Als mein Bruder
nach Berlin voranging, entschlossen wir uns, es einzugestehen, ich hoffte
damit die Sache bis zu meiner Rückkehr durchgesprochen und abgethan.
Wie oft ich an Sie, an Immermann in dieser Zeit dachte, darf ich ja wohl
gestehen -- daß ich es dennoch Ihnen beiden nicht eingestand, es Ihnen
nicht geben konnte, verstehen Sie es wohl? Es gereicht mir nicht und Ihnen
nicht zum Vorwurf! Was Sie nun in wenigen Worten liebevoll anerkennend
darüber sagen, thut mir sehr wohl! es rührt mich, wenn ich denke, daß Sie
lasen, was ich dachte und fühlte -- man hat selbst immer nur ein kleines
Publikum, das große täuscht sich, wenn es sich dazu rechnet -- Sie werden
immer zu meinen Autoritäten gehören, und wenn ich Ihrer edlen Seele darin
nichts zu leide gethan habe, ist mir viel gelungen!

Sein Schicksal in der Welt ist wunderlich gewesen, und ich sehe ihm nach
und möchte fragen: wie kam das? Nachdem ich aber beruhigt bin, genannt zu
sein und Zeit und Gewohnheit ihr altes Recht an mir geübt, bin ich so still
und gelassen mit ihm, daß ich wohl fühle, es konnte selbst dies abweichende
Ereigniß mich nicht mehr meiner Stille berauben, und die Sache ist dadurch,
daß sie aus mir herausgetreten ist, zugleich von mir abgelöst, sie hat ihr
eigenes Schicksal, und ich sehe wie einem fremden bloß zu!

Wenn es unter uns zur Sprache kam, war ich Ihnen eine Art Uebersicht
schuldig! Haben Sie sie jetzt? Und wollen Sie das Gesagte auch für
Immermann sein lassen, dessen edler Natur ein theilnehmendes Verständniß
meines Verhältnisses dazu nicht fremd bleiben durfte, denn ich denke gern,
daß er mein Freund ist und vielleicht nicht ohne Besorgniß mich auf diesem
Weg wiederfand. Sagen Sie ihm noch außerdem, er soll gar nicht denken,
daß ich mir dicke Sohlen untergebunden habe, und mich als Schriftstellerin
salutire! Für nichts auf der Welt habe ich so große Furcht, wie für diesen
Namen! -- Nichts, denke ich, hat unsere Literatur so krank an schlechten
Produkten gemacht, -- als die Selbsterhebung zu dem seltensten Beruf der
Erde! -- Ich bin allerdings eine Frau geworden, die ein Buch geschrieben
hat, aber damit noch bei weitem keine Schriftstellerin, ja, ich bin gewiß,
der Stoff ist jetzt in mir verbraucht, und ich bin zur Ruhe damit gesetzt!

Nun leben Sie wohl, theure Liebe! Ich bleibe Ihnen treu bis an's Ende
meines Lebens!

  Henriette P. g. Wach.


9.

  Köln, den 4. November 1837.

Meine theure, liebe Gräfin!

Mit wie wehmüthigem Herzen werde ich diese Zeilen niederschreiben, da sie
Ihnen sagen sollen, daß ich Sie nicht wiedersehen werde. Eine neue Kette
von Leiden hat dies traurige Resultat ergeben, und nur die Gewöhnung langer
Geduld und Ergebung in die widerstrebendsten Anforderungen läßt mich dieses
schmerzliche Opfer bringen.

Ende September ward ich krank, und das an einer Brustentzündung bis zum
Tode -- als die dringendste Gefahr vorüber war, stellte sich ein Husten
mit gefährlichen Symptomen heraus, der die Ankunft meines Bruders
beschleunigte, seit er hier ist (s. d. 24. Okt.) haben die schmerzhaftesten
allopathischen Mittel wenigstens einen Stillstand des Uebels
hervorgebracht, und wir haben unsere Abreise auf den 6. November
festgesetzt.

Aber meine Gesundheit ist dadurch auf den früheren geringen Standpunkt
versetzt, und jede Aufregung welcher Art ist für mich nachtheilig. So
habe ich eingewilligt Sie nicht wiederzusehn, obwohl es mir ein paar heiße
Thränen gekostet hat. --

Leben Sie also schriftlich wohl! Wie viel Liebe, Achtung und Treue dränge
ich in diese Worte! Erwiedern, erhalten Sie mir das, was mir so lange den
Muth gab, Ihnen meine Liebe zu zeigen!

Wo mag Immermann sein? Vielleicht schon bei Ihnen -- und schwerlich finden
wir ihn irgendwo, denn unser erstes Nachtlager wird Schwelm sein!

Von Schadow's, wo sie sein mögen, wissen wir auch nichts! Grüßen Sie sie,
wenn sie zurückkommen; an dem Abend ihrer Durchreise durch Köln brach die
Brustkrankheit aus.

In einigen Wochen werden Sie ein Paquetchen bekommen -- was darin
ist, bitte ich Sie und Immermann so liebevoll und schonend nachsichtig
hinzunehmen, als es mit wahrer Demuth Ihnen dargebracht wird. Ich hoffe
diese zweite Auflage wird weniger Fehler enthalten als die erste!

Nicht wahr, Sie schreiben mir einige Trostesworte nach Berlin? nach diesem
öden, modernen, ausgeblaßten Berlin!

Wie kalt wird mir, wenn ich daran denke!

Leben Sie wohl! Mein Bruder theilt aus eigner Empfindung meinen Schmerz
Sie und Immermann nicht wiedersehn zu können, und er wagt es, Ihre schönen
Hände zu küssen, und seine tiefste Verehrung Ihnen zu Füßen zu legen.

Noch einmal sein Sie und Immermann mit dem treuesten Gruß der Freundschaft
gegrüßt.

  Ihre

  Henriette P. g. Wach.


10.

  Berlin, den 12. Dezember 1837.

Theure, liebe Frau Gräfin!

Seit dem 14. November bin ich hier und blicke noch immer so blöde und
verzagt in die bunte, laute Welt jenseits meines Asyls -- daß -- schlössen
mich nicht die wohnlichen Räume meines grünen Thurms ein, ich nie aus einem
tiefen Bangen und Fürchten herauskommen würde. Die Reise war von mancher
Seite her unsicher und bedroht, ich reiste ab mit so wenig Kräften, so halb
nur von der heftigen Krankheit genesen. -- Die Wege waren so schlecht,
die Nachtquartiere so winterlich verstört, und nur ein vortrefflicher
Reisewagen, wie ein Zimmer warm und hell, gab eine Ausgleichung so vieler
Uebelstände.

Ich habe die erste Zeit in einer Betäubung und Abspannung zugebracht, die
sich erst langsam verliert, und mich so gefühllos und kalt den Eindrücken,
die ich seit lange fürchtete wieder zu empfinden, gegenüberstellte, daß
ihre Erscheinung mir bekannt geworden war, ehe ich sie wieder erkannte.
Die große Güte, womit meine Freunde mich empfangen haben, hatte vorzüglich
diese Wahrheit, meinen Zustand wirklich zu berücksichtigen. Sie kamen alle
zu mir, jeden Gegenbesuch ablehnend, und vorher anfragend, so daß ich nicht
die Ermüdung und Abspannung, sondern bloß die Dankbarkeit für so viel
Liebe empfunden habe. _Hedemann's_ und _Bülow's_, dies letzte Andenken der
herrlichen Humboldt's, sind nie die letzten in treuer Anhänglichkeit -- sie
sind mir an sich werth, und außerdem wie ein Vermächtniß! -- Wie mancher
Frage hatten wir Rede zu stehn, nachdem die Leuchtkugel über Köln
gestiegen, und die Wege erhellt waren, die das Böse in der alten, seit
Jahrhunderten wohlbekannten Maske unter Tonsur und Mitra wohlgehegt,
schlich -- die schnelle, energische Procedur soll Wege aufgedeckt haben,
auf denen sich Viele mit gelindem Entsetzen betroffen finden werden, gewiß
ist es, daß diesmal die Hambacher sich im Beichtstuhl versammelten, und
zwar Hochverräther, die nach Wien und Paris die Hände ausstreckten, und
in Belgien den Succurs fertig wußten. Was mögen bei Ihnen Alt- und
_Neu_katholiken sagen -- ich denke die neuen werden besonders das düstere,
gesenkte Haupt mit Asche bestreuen, um Verzeihung zu erhalten für den
verpönten Namen eines Altpreußen!

Jetzt glaubt man mit der liebenswürdigsten Confusion über Art und Zeit,
womit sich die Leute ihre gelegentlichen Einfälle bequem machen -- in
»Godwie-Castle«, da habe der Verfasser so recht die Dinge beleuchten
wollen, und alles sei bloß darum so und nicht anders, jener Confession in
eingehender Form eine Fehde zu machen -- gelegentlich sagt der Unschuldige
wohl, es sei 1835 schon fertig gewesen, nie zum Druck bestimmt, aber oft
schweigt er auch, denn wenn die Leute eingefahren sind, muß man sie
nicht stören. Sie aber wissen, was ich immer von der schönen, malerisch
romantischen Trümmer dieser Kirche gedacht habe, und werden gewiß nichts
in den durchgeführten Ansichten finden, was nicht unsere früheren Gespräche
enthielten.

*** sehe ich oft -- sie ist gänzlich wieder eingebürgert. Ihr heiteres
Gesicht, ihre bequeme Weise, macht sie überall zum willkommenen Gast! Ihre
kleinen Thorheiten schaden keinem andern, gelegentlich ihr selbst, das
haben die Leute gern, und sie lachen dann so _mit_ ihr, als _über_ sie, was
sie nicht zu unterscheiden versteht, und die Confusion vermehrt, in der
sie mit Jugend, Schönheit, Geist und Talent dahin schwebet, sich gegen
jede Enttäuschung sichernd, durch unschuldige Liebkosungen! Wir haben viel
Erinnerungen gemeinschaftlich; ihr Gatte hielt diesen Schmetterling immer
zwischen Gaze, da hatte sie mehr Puder behalten!

Auf diesem Blättchen nun schenke ich Ihnen und Immermann mit klopfendem
Herzen, aber zugleich mit der zärtlichsten, treuesten Anhänglichkeit
für Sie beide das beifolgende Buch! Lieber Immermann, wenden Sie Ihr
vortreffliches Herz nicht unlustig von mir ab, weil ich das eine Buch habe
schreiben müssen! Ich bin darum bei Gott keine Schriftstellerin, die Ihnen
gewiß so gründlich zuwider sind, als mir selbst, denken Sie nachher so
milde und gütig von mir als vorher, ich verdiene es heute noch, wenn Sie es
früher dafür hielten, denn obwohl ich das eine nicht läugnen kann, würde
es Sie doch rühren, wenn Sie hörten, wie ich es habe schreiben müssen,
als hätte mich einer am Kragen, und daß nur die dumme Vorstellung des
Geheimbleibens mich über das Hervortreten getäuscht, und es zugelassen hat
-- auch würden Sie keine andern bösen Symptome entdecken, weder schwarze
Finger, noch ungekämmtes Haar, mein Bruder ißt weder angebrannte Suppe,
noch greift er durch die Löcher hindurch -- und Sie, geliebte Freundin,
Sie, eine Frau in der schönsten Bedeutung, Sie vertreten mich, denn ich
weiß, Sie halten Glauben an mich -- wie ich an Sie, und beide nehmen die
Gabe hin, freundlich wie sie gemeint ist! Ihnen beiden treu ergeben

  Ihre

  Henriette.

Mein Bruder küßt voll Verehrung Ihre schönen Hände -- und grüßt Immermann
mit der verehrendsten Liebe! Vielleicht, lieber Immermann, grüßen Sie beide
Schadow's freundlich von uns.


11.

  Berlin, den 6. Februar 1838.

Meine theure Frau Gräfin!

Wie liebe ich jedes Wort, was Sie niederschreiben, und wie innig fühle
ich mich dann immer von dem Verlangen belebt mit Ihnen sein zu können, nur
zuweilen mich an Ihrer wahrhaft weiblichen Natur erfreuen zu können, darum
wenden Sie immer zuweilen ein paar Zeilen an mich, Sie verschwenden sie
nicht.

Ich schreibe Ihnen heute nur einige Worte, denn die Kälte macht mich
matt und müde, und ich mußte heute schon viel schreiben. Dies von Köln
herübergekommene Exemplar von »Godwie-Castle« ist ein Irrthum, und die
Person, die ihn machte, schrieb es mir bereits.

Die Zuckungen über den entführten Erzbischof fühlen sich noch überall. Die
Partheiungen sind groß! Der König, der Kronprinz, die Minister nehmen, wie
es scheint, eine feste Stellung! Gott erhalte sie dabei! nur Festigkeit
kann uns gegen die Geißel Rom's schützen.

Sehr unangenehm ist die Stellung, die *** sich erwählt hat. Ich denke dabei
oft an Sie und Immermann! Sie haben sie so oft gesehen -- ist Ihnen denn
die Ansteckung ihrer religiösen Gesinnungen auffallend gewesen? Wir sind
oft recht verlegen über ihr Betragen. Sie vertheidigt in blinder Heftigkeit
den Erzbischof, den Papst, die Katholiken, genug alles, was uns jetzt
feindlich entgegen tritt, und zwar ohne Gründe, mit schwebelnden
Gemeinplätzen in der unweiblichsten Heftigkeit -- ich sowohl wie Wilhelm
sind ihr so viel als möglich mit Ernst entgegen getreten, weil sie sich den
nachtheiligsten Gerüchten aussetzt, wir müssen aber jetzt schweigen, denn
sie erklärt uns für Fanatiker! -- Sollte die Ansteckung in München
geschehn sein? Doch schwerlich in Düsseldorf! Letzthin aber, wo sie von der
Beschlagnahme von Papieren hörte, ward ihre Angst und ihr Nachforschen so
auffallend, daß ich seitdem die Angst habe, sie könnte bei ihrer wenigen
Beurtheilungskraft in die Hände irgend einer Parthei gemißbraucht
werden. Dagegen glaubt mein Bruder, daß ihre ganze Art aus der Eitelkeit
entspränge, sich durch geheimnißvolle Andeutungen interessant zu machen!
Was glauben Sie und Immermann davon? -- Ich bin wirklich besorgt um sie.

Theilen Sie mir etwas über die dortige Stimmung mit -- es sind Lebensfragen
-- das ist entschieden!

Ich sage Ihnen heute ein herzliches Lebewohl! Voll Ehrfurcht küßt mein
Bruder Ihre Hand, treu und herzlich bleiben wir beide Immermann ergeben, er
soll es uns sein!

  Ihre

  Henriette P. g. Wach.


12.

  Berlin, den 23. September 1840.

Wir beide, mein Bruder und ich, nehmen mit rechter Freude Ihre liebe
Einladung an -- und danken Ihnen sehr, daß Sie uns so ehren wollen --
und doch -- machte mir diese Einladung einen Eindruck, wie ich nicht
beschreiben kann, und ich dachte an Sie mit ein paar heißen Thränen! Liebe,
theure, edle Freundin -- so sind Sie überall zum Siege bestimmt -- Ihre
Freunde haben nur das Zusehn -- ein schönes, befriedigtes Gefühl, wenn
immer das hervortritt, was wir schüchtern wegen der Schwierigkeit doch
hofften, Ihres hohen Werthes halber!

Gott schütze Sie weiter!

  Ihre

  Henriette P. g. Wach.


13.

  Berlin, den 8. Mai.

O, meine liebe, theure Freundin!

Wenn Sie wüßten, welch ein leidendes Leben ich seitdem führte -- ich bin so
nervös seit ein paar Monaten, daß ich wie im Fieber lebe!

Während ich oft zwei, dreimal des Tages mit Ohnmacht ringe -- kommen dann
Stunden dazwischen, die mich täuschend gesund sein lassen!

Was mich nicht ergreift, mit fortreißt, habe ich nicht, denn ich bin so
geistesmatt, daß ich nur nachgebe!

Aber unserer alten Liebe glauben Sie es gewiß, daß ich mich nach Ihnen
sehnte, wie nach warmer Sommerluft -- und daß ich oft dachte, wüßte sie es
doch -- sie käme! Nun wollen Sie mich haben -- und ich komme jedenfalls ein
paar Stunden, wenn ich auch etwas früher fort müßte. -- Denn zuweilen halte
ich es nicht aus. --

Wilhelm ist nicht zu Hause -- ich theile es ihm gleich mit, und er wird so
gern kommen.

Nicht wahr -- eine große Gesellschaft haben Sie nicht?

Vergeben Sie diesen verworrenen Liebesbrief, wie viel behalte ich zurück!

  Ihre

  Henriette P. g. Wach.



August von Vietinghoff an Helmenstreit.


  (Wir theilen diesen Brief mit, da er einen genauen Bericht über das
  Ende _Friesen's_ enthält, der so oft in diesen Blättern genannt wurde.)

Deinem Wunsche gemäß liefere ich Dir die bei Deinem Hiersein über den
Meuchelmord unsres Freundes _Friesen_ mündlich mitgetheilten näheren
Umstände, nachstehend, jedoch nur in gedrängter Kürze noch einmal.

Als nach dem unglücklichen Gefechte im Februar 1814 die Unsrigen sich
zurückziehen mußten, bestand der Nachtrupp des linken Flügels zum Theil
aus der Reiterei der Lützow'schen Schaar und aus einem Schwarm Kosacken.
Täglich drängte und verfolgte der Feind die Unsrigen, wobei viele gefallen
und in Gefangenschaft gerathen sind. Die noch Freien und Rüstigen aber
waren in einzelne kleine Haufen versprengt, und somit den bewaffneten
Bauern im Ardennenwalde Preis gegeben.

Am 15. März befand sich unser Freund bei einem dieser Haufen.
Unglücklicherweise ritt er gerade an diesem Tage ein sehr schlechtes Pferd,
einen Falben von Farbe. Er wurde auf der Straße von Rheims nach Mezières,
unweit Rethel angegriffen, in einen Wald gesprengt und darin von den Bauern
ermordet und sodann auf Verwendung eines Bürgermeisters auf dem Kirchhofe
eines Dorfes feierlich beerdigt.

Dies waren die mir zur Kenntniß gekommenen Thatsachen, als ich den
Tod meines Freundes Ende März 1814 erfuhr, wo wir mit dem Fußvolk der
Lützow'schen Schaar vor Jülich durch die Mecklenburger abgelöst und auf
dem Marsch nach Frankreich begriffen waren. Die Ausführung des mir von dem
Augenblick an zur Pflicht gewordenen Vorhabens, die Gebeine meines Freundes
aufzusuchen und sie dem vaterländischen Boden zu überliefern, ward indeß
durch den bald darauf erfolgten Friedensschluß und unseren Rückmarsch aus
Frankreich, wenn auch nicht gänzlich vereitelt, doch wenigstens auf lange
Zeit hinaus aufgeschoben. -- Nächstdem, daß mir der Ausbruch des Krieges
1815 hinsichts des für mein Vaterland gehofften Heils sehr erwünscht
war, hoffte ich auch dadurch von neuem Gelegenheit zur Ausführung
meines mehrerwähnten Vorhabens zu finden. Durch mancherlei eingetretene
Hindernisse sah ich mich aber leider abermals daran verhindert. Jedoch
mein, obgleich in mancher andern Rücksicht sehr ungünstiges Geschick,
führte mich bald darauf zum vierten Mal nach Frankreich und zwar gerade
unmittelbar in die Gegend, wo mein Freund ermordet wurde, indem ich
mittelst Cabinets-Ordre vom 2. Februar 1816 zu meinem jetzigen Regiment,
dem 14. (3. Pommerschen), welches im Ardennendepartement beim Armeecorps in
Frankreich steht, versetzt ward.

Endlich, Ausgangs November 1816 wurde mir durch einen meiner Kundschafter
angezeigt, daß ein Unteroffizier meiner Kompagnie, mit Namen Danner, von
seinem Wirthe zu Launoy ein preußisches Dienstsiegel zum Geschenk erhalten
habe, welches ein im Monat März 1814 im Bois de Huilleux erschossener
preußischer Offizier, der in la Lobbe begraben sei, besessen hätte. Ich
ließ mir hierauf sogleich den Unteroffizier nebst seinem Wirth rufen
und fand -- was ich ahndete -- das Dienstsiegel der Lützow'schen Schaar,
welches unser Freund, da er Adjutant war, gewöhnlich bei sich führte, und
welches mir, als ich es erblickte, um so mehr durch einen in dem Holzknopf
befindlichen Kreuzschnitt unverkennbar war, da ich mich hierbei sofort
jener Worte meines Freundes lebhaft erinnerte, als ich ihn in Holstein
frug, warum er dieses Mal hineingeschnitten, er mir sagte: »Siehe, da
kannst Du sehen, wie pfiffig ich bin; ich habe es deshalb gethan, um beim
Siegeln sehen zu können, ob der Kopf des Adlers oben steht.« --

Durch das zufällige Vorfinden des Siegels ward mir nun auf einmal die Bahn
zur Erreichung meines längst ersehnten Ziels gebrochen. Ich ritt daher am
5. Dezember 1816 nach dem Dorfe la Lobbe, welches drei Stunden von Launoy
entfernt ist, und erhielt von dem dortigen Bürgermeister, Namens Deslyon,
nicht nur die Bestätigung des oben Gesagten, sondern ersah auch aus der
mir von demselben über den ganzen Hergang der Sache aufgenommenen
protokollarischen Verhandlung die genausten darauf Bezug habenden
Nebenumstände. Denen zufolge war unser Freund am 16. März 1814, des
Nachmittags zwischen 3 und 4 Uhr, in dem etwa eine Viertelstunde von la
Lobbe entfernt liegenden Bois de Huilleux, sein Pferd am Zügel leitend,
angekommen, und darin auf zwei Bauern aus la Lobbe, die daselbst Brennholz
schlugen, gestoßen. Er forderte sie auf, ihn ins nächste Dorf zum
Bürgermeister zu bringen. Als sie beinahe aus dem Walde heraus waren,
begegnete ihnen ein Haufe mit Flinten versehener Bauern, die, als sie
unsern Freund erblickten, von seinen Führern sogleich dessen Auslieferung
verlangten, und da sie ihnen dies nicht zugestanden (wobei es
wahrscheinlich zum Handgemenge gekommen ist, welches ich aus einem Umstand
schließe, den ich Dir weiter unten mittheilen werde), so schoß einer
von ihnen, Namens Brodico, Schäfer auf der unweit des Dorfes Grand-Champ
belegenen Ferme la Puisieux, seine Flinte auf meinen Freund ab, wobei
die Kugel, die ihn tödtete, in die linke Brust durchs Herz und das linke
Schulterblatt drang, worauf augenblicklich er todt zur Erde sank, von
seinen Mördern ausgeplündert und ganz nackt liegen gelassen ward. --
Die beiden Bauern aus la Lobbe machten hierauf dem dasigen Bürgermeister
Anzeige, der, ob aus Politik oder Menschlichkeit, will ich dahin gestellt
sein lassen, den Leichnam sofort nach la Lobbe bringen, ihn in einen
Sarg legen, und am 17. März 1814 des Morgens um zehn Uhr auf dem dortigen
Kirchhofe mit allen dabei üblichen Feierlichkeiten, d. h. nach der
katholischen Liturgie, beerdigen ließ. -- Von den beiden mehrerwähnten
Bauern, die ich mir hatte rufen lassen, erhielt ich dann auch die
Bestätigung des eben Gesagten, und überdieß, außer mehreren näheren
Aufschlüssen, noch eine genaue Beschreibung meines Freundes, hinsichts
seiner Gesichtsbildung, Haupthaare, Gestalt und Kleidung, und des mir sehr
wohl bekannten schlechten russischen Pferdes. Einer dieser Bauern war auch
noch im Besitz einer bei unserem Freund gefundenen Karte von der Champagne,
die ich mir natürlich sogleich aushändigen ließ und dieselbe augenblicklich
an der mir bekannten Art, wie mein Freund gewöhnlich die Orte bezeichnete,
woselbst er gewesen war, erkannte, daß er sie mußte besessen haben.

Nachdem ich nun hinlängliche Thatsachen genug gesammelt hatte, die mich zu
der Ueberzeugung führten, daß der in la Lobbe begrabene Preußische Offizier
ohne Zweifel unser Friesen sein mußte, schritt ich an die, Behufs des
Ausgrabens desselben nöthige Arbeit. Bevorworten muß ich, daß ich beim
Vorfinden der Gebeine durchaus keine Täuschung zu befürchten hatte, weil
ich an den, mir ganz lebhaft erinnerlichen Zeichen unfehlbar die meines
Freundes erkennen mußte.

Erstlich hatte er im Unterkiefer einen Vorderzahn, der ihm einstmals beim
Fechten auf dem Fechtboden zu Berlin ausgeschlagen ward, den er sich zwar
gleich wieder eingesetzt hatte, der aber dessen ungeachtet (da er etwas
nach vorn stand, und auch an dem Hieb des Fechtens unverkennbar war) mir
ein untrügliches Kennzeichen gewährte.

Zweitens wußte ich ganz bestimmt, daß ihm nicht nur kein Zahn fehlte,
sondern daß er auch vorzugsweise gute und schöne Zähne hatte. Drittens
hatte er an der Stirn über dem rechten Auge eine Narbe, die er, wenn ich
nicht irre, in seiner frühsten Jugend durch einen Steinwurf erhalten hatte.

Viertens dienten mir auch seine überaus starken Backen- und
Augendeckelknochen, so wie überhaupt die ganze Gestalt seines Kopfes zu
hinlänglicher Erkennung desselben.

Demzufolge hatte ich an dem mir vom Bürgermeister Deslyon und mehreren
Einwohnern des Dorfes bezeichneten Ort, wo unser Freund begraben liegen
sollte, bereits sechs Gräber ohne erwünschten Erfolg öffnen lassen, als
die Nacht einbrach und mich an allem weiteren Aufsuchen für diesen Tag
verhinderte. Am folgenden Tage, nämlich den 6. Dezember v. J. mußte das
von mir commandirte Füsilier-Bataillon seine damaligen Cantonnirungen
verlassen, und die jetzt von demselben besetzten Orte beziehen, vorher aber
nach Charleville marschiren, um daselbst am 7. Dezember vom G. von Zieten
besichtiget zu werden. Der Dienst gebot mir daher noch in der Nacht nach
Launoy zurück zu reiten, ehe ich aber la Lobbe verließ, machte ich es dem
Bürgermeister Deslyon zur ausdrücklichen Bedingung am folgenden Tage mit
dem Aufsuchen der Gebeine meines Freundes fortfahren zu lassen, und
wenn man sie gefunden, er sie unverzüglich nach Launoy an einen meiner
Kundschafter, den ich mit dorthin genommen hatte, überschicken solle. Nach
meinem Eintreffen in Launoy befand ich mich aber so höchst unwohl, daß
ich mich außer Stand gesetzt sah, mit meinem Bataillon von dort nach
Charleville abzumarschiren.

Ueber alle Beschreibung aber fühlte ich mich überrascht, als mir der
Bürgermeister Deslyon am 6. Dezember vorigen Jahres des Nachmittags um
3 Uhr meinen Freund ganz so, wiewohl verweset, wie er zur Erde bestattet
ward, übersandte. Augenblicklich erkannte ich die Gebeine an den oben
erwähnten Kennzeichen für die unseres Friesen, und zwar ganz vollzählig,
ausgenommen zweier Vorderzähne am Oberkiefer, die ihm, da sie ihm bei
seinen Lebzeiten nicht fehlten, vermuthlich bei dem oben angeführten
Handgemenge von seinen Mördern ausgeschlagen wurden, welches mir um
so wahrscheinlicher ist, da die beiden Augenzähne eine widernatürliche
Richtung haben, indem sie ganz nach hinten stehen, und auch sehr tief im
Kiefer stecken, denn wenn sie ihm im Grabe ausgefallen wären, so hätte ich
sie im Sarge vorfinden müssen.

Meine Freude und mein Schmerz über den nunmehrigen Besitz dieser theuren
und herrlichen Ueberreste ist überaus und gleich groß. -- Ich habe beim
Anschauen und gewissenhaften Ueberzählen derselben die bittersten Thränen
vergossen und seinen wahrhaft königlichen Schädel mit eben der Liebe und
Freundschaft geküßt, wie ich dies bei seinen Lebzeiten im Glück und Unglück
stets gethan! -- Es fehlen mir die Worte um Dir meine Empfindungen in ihrem
ganzen Umfange auszudrücken, die mich bei dem Bewußtsein durchdringen, die
Gebeine meines Freundes, dessen Andenken die Zeit nie und nimmer aus meiner
Seele verwischen kann und wird, in meiner Stube zu wissen.

Das Hirn ist im Schädel noch ganz erhalten, jedoch schon ziemlich
vertrocknet. Den Gang der Kugel, durch die er getödtet ward, entdeckte
ich sofort im linken Schulterblatt. Ungefähr so viel Haupthaar als zu drei
Locken nöthig sind, wie sie die Frauen gewöhnlich in einer Glaskapsel
auf dem Busen zu tragen pflegen, sind seltsam genug unter dem Schädel der
Verwesung ganz entgangen.

Während der Belagerung von Mezières 1815 hatten die Hessen den Brodico,
Mörder unseres Freundes verhaften lassen. Der damalige Bürgermeister
von Launoy, jetziger Notaire daselbst, Namens Coche, ließ denselben aber
absichtlich entspringen, wofür er seines Postens entsetzt ward und
50 Stockhiebe erhielt. -- In Novion soll sich das Schwert und mehrere
Kleidungsstücke von unserem Freunde befinden, bis jetzt ist es aber meinen
Kundschaftern noch nicht gelungen, die Besitzer derselben auszumitteln, was
deßhalb sehr schwer hält, da die Bewohner der ganzen Gegend befürchten,
daß sie wegen der Ermordung unseres Freundes noch einmal dürften gezüchtigt
werden, und daher alles sehr geheim halten. -- Der Bürgermeister Deslyon
hat mir bei Uebersendung der Gebeine ein Zeugniß ausgestellt, daß
es wirklich die des am 16. März 1814 im Walde de Huilleux getödteten
Preußischen Offiziers seien, wogegen ich ihm auf sein Ansuchen einen
Empfangsschein gegeben habe.

Eine gleiche Geschichtserzählung, wie die vorstehende ist, habe ich vor
Kurzem an den Doctor Jahn nach Berlin gesandt, und mich erboten alle
Gebeine unseres Freundes ihm zu übersenden, wenn er, seiner mir früher
gegebenen Zusicherung gemäß, sie auf dem Turnplatz bei Berlin unter der
Mahlsäule der heimathlichen Erde überliefern will; widrigenfalls ich
sie sonst durchaus nicht aus meinem Verwahrsam gebe, sondern sie lieber
verbrenne, als wissentlich zugebe, daß sie vertrödelt werden.


  Druck von Gebrüder _Katz_ in Dessau.



      *      *      *      *      *      *



Hinweise zur Transkription

Eine auf den Halbtitel folgende ganzseitige Illustration wurde hinter die
Titelseite verschoben, und der Halbtitel entfernt.

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, mit folgenden
Ausnahmen,

  Seite 4:
  "Traunkijör" geändert in "Trannkijör"
  (auf dem Schlosse Trannkijör zu Langeland geboren)

  Seite 49:
  "Vaterandes" geändert in "Vaterlandes"
  (sein Herz hatte bei dem Jammer des Vaterlandes oft geblutet)

  Seite 99:
  "Anheil" geändert in "Antheil"
  (und wie sehr Dohna diesen Antheil theilt)

  Seite 112:
  "»" eingefügt
  (»da die Baiern schon zwanzig Jahre früher)

  Seite 112:
  ";«" geändert in "«;"
  (»dessen Arbeit auf die Schönheit ging«; er)

  Seite 114:
  "»" eingefügt
  (»Wir haben hier Großes werden sehen.)

  Seite 130:
  "uuter" geändert in "unter"
  (sonst gehe ich unter! -- Könnte ich Dich nur)

  Seite 186:
  ";«" geändert in "«;"
  (und seines »Carlo Zeno«; hier las der begabte Dichter)

  Seite 216:
  "," eingefügt
  (Magdeburg, den 1. März 1824)

  Seite 266:
  "." eingefügt
  (Enkelschaar zum Besuch bei mir angekommen wäre.)

  Seite 289:
  "«" eingefügt
  (Sehnen, das nicht still sein will?«)

  Seite 293:
  "befrenndeten" geändert in "befreundeten"
  (blickt lächelnd zu dem ihr befreundeten Himmel!)

  Seite 299:
  "kuüpft" geändert in "knüpft"
  (und daran knüpft sich die Lust)

  Seite 318:
  "iu" geändert in "in"
  (Begeisterung -- in der nichts einzelnes hervortritt)]





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