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Title: Kunst und Künstler Almanach 1909
Author: Various
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Kunst und Künstler Almanach 1909" ***


                      KUNST UND KÜNSTLER ALMANACH

                                  1909

                     BRUNO CASSIRER, VERLAG, BERLIN


                    DRUCK VON W. DRUGULIN IN LEIPZIG



                                INHALT:

  Vorwort.                                                   Seite

  Hermann Schlittgen, Erinnerung an Wilhelm Leibl                1

  Eine autobiographische Note Adolf Menzels                     16

  Max Liebermann, Zwei Holzschnitte von Manet                   23

  Alfred Sisley: Über Landschaftsmalerei                        35

  Jozef Israels: Rembrandt                                      41

  Edward Gordon Craig: Über Bühnenausstattung                   59

  Max Liebermann: Erinnerungen an Karl Steffeck                 71

  Maurice Denis: Aristide Maillol                               83

  Aubrey Beardsley über Turner                                 100

  Anselm Feuerbach: Drei Briefe                                105

  Mac Neill Whistler: Der rote Lappen                          117

  Mac Neill Whistler: Wann ein Kunstwerk vollendet ist         120

  Francisco de Goya: Drei Briefe                               124

  Christian Morgenstern: H. C. Andersens Silhouetten;
  Des Märchendichters Scheere                                  132

  Franz Krüger, Briefe an Karl Steffeck                        141

  Karl Hagemeister: Karl Schuch                                148

  Émile Zola: Edouard Manet                                    164

  Ferd. Georg Waldmüller, Aus seinen hinterlassenen Schriften  177

  Hans von Marées: Briefe                                      193



                      VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN:

                                                             Seite

  Max Slevogt, Deckelzeichnung, farbig

  Menzel, Aus Künstlers Erdenwallen                             17

  Edouard Manet, Pariserin, Holzschnitt                         21

  Edouard Manet, Olympia, Holzschnitt                           33

  Rembrandt, Zeichnung                                          39

  Edward Gordon Craig, Zeichnung                                57

  Max Liebermann, Zeichnung                                     69

  Aristide Maillol, Studie                                      81

  Aubrey Beardsley: Zeichnung zu E. A. Poe                     103

  Anselm Feuerbach, Zeichnung                                  115

  M. N. Whistler, Mallarmé                                     121

  Francisco de Goya, Zeichnung                                 129

  H. C. Andersen, Silhouette                                   139

  Franz Krüger, »Maler Menzel«                                 145

  Max Liebermann, Zeichnung                                    161

  Wilhelm Leibl, Selbstporträt                                 175

  Franz Krüger, Porträt einer Dame                             191



                                VORWORT


_Wo Künstler über Kunst sprechen, da wird der Laie fast stets ruhige
Objektivität und Vollständigkeit vermissen; ja, er wird oft noch
verwirrter werden durch die leidenschaftlichen Einseitigkeiten der
Produzierenden als er es schon war. Dennoch wird er nach einiger Zeit
merken, dass ihn die einseitigen Ideen der Künstler mehr gefördert
haben, als es sachliche Auseinandersetzungen eines Schriftstellers
hätten tun können. Denn die Urteile der Künstler sind Willensäusserungen
und es wohnt ihnen als solchen fortreissende Kraft inne. Es ist
durchaus richtig, was Gottfried Keller einmal schrieb: »Die Literaten
sind wohl nützlich für das Logische und Chronologische, das Graphische
und Biographische, für das Einfügen des Festgesetzten; vor dem
Gegenwärtigen, sofern es als neu oder überraschend erscheint, stehen
sie in der Regel unproduktiv und ratlos, und die ersten Stichworte
müssen immer von Künstlerkreisen ausgehen und sind daher meist
parteiisch, welche Parteilichkeit von den Literaten, nachdem die erste
Kopflosigkeit überwunden, weiter ausgesponnen wird, bis der Gegenstand
der Vergangenheit angehört und einer verständigen Registrierung fähig
geworden ist.«_

_Von solchen Gedanken geleitet, hat sich der Verlag entschlossen,
einige der markantesten Aeusserungen von Künstlern über Kunst oder über
andere Künstler, die im Laufe von sechs Jahren in der Kunstzeitschrift
»Kunst und Künstler« veröffentlicht worden sind, gesondert in diesem
Almanach abzudrucken. Der Verlag glaubt, dass es den Lesern willkommen
sein muss, die in verschiedenen Jahrgängen verstreuten Aeusserungen
einmal zu bequemem Genuss und Vergleich beisammen zu haben. Es soll
nichts Vollständiges gegeben werden, es wird in keinem Punkte eine
systematische Uebersicht über das Wollen und Vollbringen der modernen
Kunst dargeboten; was der Leser hier findet, gleicht vielmehr einem
merkwürdigen Feuerwerk von Geistesblitzen, vom Zufall oft entzündet und
gleich dann wieder erloschen. Aber man wird finden, dass die Strahlen
leidenschaftlichen Erkenntnisdranges, die von diesen Künstlerworten
ausgehen, sehr oft mit ihrem jähen Glanz in neue Welten hineinleuchten
und den Geist so zu jener Selbstthätigkeit zwingen, die dem denkfrohen
Menschen höchster Genuss ist. Wenn diese Proben daneben Diesen oder
Jenen begierig machen sollten, die Zeitschrift kennen zu lernen, aus der
sie stammen, so wird diese Nebenwirkung sehr willkommen sein. Das ist
selbstloser gemeint als es klingt. Denn die Zeitschrift, die denselben
Titel trägt wie dieser Almanach, folgt im grossen derselben Tendenz,
wie dieses kleine Buch; auch sie will Freude an der Kunst und Liebe
zu den Künstlern erwecken und immer dem Grundsatz folgen, dem dieser
Almanach seine Existenz verdankt: die Künstler über sich und ihre
Arbeitsleidenschaften zum Sprechen zu bewegen und so zu erreichen, dass
sich die Ideen der Kunst an sich selbst immer von neuem entzünden, dass
die »Stichworte« immer rechtzeitig gegeben werden, worauf die andern
Akteure der fortschreitenden Kultur nur warten, um in Tätigkeit zu
treten._
                                           _DER VERLAG BRUNO CASSIRER_

                   *       *       *       *       *



                      ERINNERUNG AN WILHELM LEIBL

                                  VON

                           HERMANN SCHLITTGEN


Im Sommer 1892 musste ich nach Aibling, um Moorbäder zu nehmen. Aibling
war sonst ein langweiliges Nest; aber bei den Künstlern hatte es einen
guten Ruf: Leibl wohnte dort, seit vielen Jahren. Ich war von jeher
ein grosser Verehrer von Leibls Kunst gewesen; als junger Mensch nach
München gekommen, gehörte ich zu einem kleinen Kreise, dem schon damals
(es war im Jahre 1880) Leibl ein ganz Grosser war. Auch mein späterer
langjähriger Aufenthalt in Paris, wo ich die moderne Kunst an der Quelle
studieren konnte, that dieser Liebe keinen Eintrag; im Gegenteil: als
ein »rocher de bronce« stand Leibl gross und einzig in meiner Münchner
Erinnerung.

Doch wusste ich von seinem Misstrauen gegen Kollegen; man hatte ja so
viel über seine Menschenscheu erzählt. Deshalb kam mir auch gar nicht
die Idee, dass ich ihn vielleicht kennen lernen würde.

Den Abend nach meiner Ankunft in Aibling promenierte ich auf dem Markt
und freute mich über das originelle alte Rathaus mit dem gemütlichen
hohen Dachstuhl; da kommt Sperl aus einer Seitengasse auf mich
zugeschossen, Sperl, der einzige langjährige Freund und Kamerad Leibls.
»Kommen Sie doch mit auf den Keller, Leibl ist auch da und wird sich
sehr freuen!« Das erlaubte ich mir stark zu bezweifeln, aber Sperl
wurde dringend, stellte mir mit Sicherheit in Aussicht, dass ich nicht
schlecht behandelt werden würde und so ging ich mit.

Die Bekannten Leibls waren schon versammelt, Aiblinger Honoratioren und
Bürger, unter andern ein kunstsinniger Herr Justizrat und Baron, der
später über Leibl einen ausgezeichneten kleinen Nekrolog im Aiblinger
Tageblatt veröffentlicht hat, und der Kreistierarzt, dessen Freundschaft
mit Leibl ihm ein seltenes Glück gebracht hat: er und seine ganze
Familie wurden von Leibl in vielen kleinen Werken gezeichnet und gemalt;
die Kinder in allen Lebensaltern, in Oel, in Kreide, in Bleistift,
mit der Feder. Leibl, der auf der Jagd gewesen, kam erst spät auf den
Keller. Er war in oberbayrischer Gebirgstracht, die ihm vorzüglich
stand. Freundlich, wie einen alten Bekannten, begrüsste er mich. Wir
kamen schnell in ein Gespräch; gurgelnd und schwer in reinstem kölner
Dialekt floss seine Rede. Ich habe das nie begriffen: seit seiner
Jugend war er von Köln weggekommen, hatte fast ausschliesslich mit
oberbayrischen Kleinstädtern und Bauern verkehrt und nicht ein Atom von
seinem Kölner Platt war verwischt worden.

Bald wurden wir gute Freunde. Wenn wir zu dritt, Leibl, Sperl und ich,
bei verschiedenen Schoppen guten Tyrolers allein hinten im Wirtszimmer
sassen, vergass ich den Rheumatismus, der mich nach Aibling gebracht
hatte. Hoch gingen da die Wogen der Kunstbegeisterung; Leibl taute auf
und erzählte von seinen Anfängen, seinen Kämpfen. Sein Auge leuchtete,
wenn von den alten Meistern geschwärmt wurde: Holbein, Rembrandt, Hals,
Velasquez! -- Der Plan einer Reise nach Madrid zu Velasquez wurde
erwogen.

Schlecht, elend schlecht erging es den Modernen im allgemeinen und den
Münchnern im besonderen.

Ich zeigte Leibl einmal die Lithographie von Daumier: ein Maler sitzt in
der Landschaft vor seiner Staffelei, hinter ihm ein zweiter, ein dritter
und so fort in endloser Reihe. -- Der erste studiert die Natur, der
zweite kopiert den ersten, der dritte den zweiten und so weiter.

»Sehen Sie,« sagte Leibl lachend, »da haben Sie die ganze münchner
Kunst.«

Leibl war weniger menschenscheu als kollegenscheu. »Was soll ich mir
ihre schlechten Bilder ansehen, ich kann dann acht Tage lang nicht
arbeiten.«

Die Fontainebleauer und Courbet waren seine Liebe. Von ihnen sprach er
mit der grössten Begeisterung. Mit Courbet war er nach Paris gegangen,
Courbet hatte ihn dort in seinen engeren Freundeskreis eingeführt, in
revolutionärer Zeit, kurz vor dem Kriege. Im Hinterzimmer eines Cafés
hatten sie sich versammelt, in dem leise gesprochen wurde. Von Zeit zu
Zeit kam der Wirt herein und legte den Finger auf den Mund, wenn sich
draussen etwas Verdächtiges zeigte. Die Napoleonische Polizeiwillkür
stand in Blüte.

Mit wem er da zusammen sass, wusste Leibl nicht; er wusste nur das eine:
es waren Künstler und Schriftsteller.

Courbet klopfte ihn dabei hier und da freundschaftlichst auf die
Schulter: Gut Freund. Das empfahl Leibl bei der Tischgesellschaft.
Leibl, der kein Wort französisch verstand, hatte keine Ahnung, wovon
die Rede war. Nur in den Gesichtern der Leute las er, dass es etwas
Unerlaubtes war, wovon gesprochen wurde.

Courbet besuchte Leibl öfter im Atelier, wo er damals »die Cocotte«
und die »alte Pariserin« malte. Courbet erkannte ihn an: durch
Schulterklopfen und kräftigen Händedruck.

Leibl hatte aus dieser Zeit eine grosse Sympathie für die Franzosen
bewahrt; und später waren sie ja die ersten, welche seine Kunst
verstanden und anerkannten.

Mit grosser Bitterkeit erzählte Leibl, dass in der ersten Zeit Bilder
von ihm teilweise »verbessert« wurden. Entweder hatte er sie nicht genug
ausgeführt, dann wurden einzelne Stellen sauber übermalt, oder sie waren
zu leer, dann wurde noch etwas hineingemalt, z. B. auf dem »Jäger« (der
junge Baron Perfall) hinten am Seeufer ein Boot und ein idyllisches
Häuschen hinzugefügt.

(Nach Leibls Tode wurde Sperl ein Bild übersendet, er möge urteilen, ob
das Bild echt sei. Sperl schrieb: das ganze Bild ist unecht, bis auf
einen schmalen Streifen ringsum, welcher vom Rahmen verdeckt war.

Das Bild war ganz übermalt worden!)

Eines Abends erschien an unserm Tisch ein Kunstmaler. Wie gewöhnlich war
Leibl sehr zugeknöpft gegen den Gast. Dieser, um sich gut einzuführen,
begann: »Herr Professor, Sie werden sich wundern, in mir einen
Mitarbeiter zu sehen.« Leibl sah den Mitarbeiter scharf an.

»Ja, ich habe einmal auf eines Ihrer Bilder ein Stück Hintergrund hinein
gemalt.« (Dann schalkhaft:) »Sie hatten sich's hinten herum etwas leicht
gemacht, so huschel-buschel.«

Leibl sprang auf und ich dachte, etwas Furchtbares müsste geschehen.
Aber er beherrschte sich und ging hinaus in den Garten.

Als er nicht wiederkam, wurde ich ängstlich und suchte ihn draussen.
Mit grossen Schritten ging er auf und ab: »Ist der Mensch noch da? Ich
schlage ihn nieder!«

Es gelang mir endlich, Leibl zu beruhigen. Der Gast musste sich aber für
den Abend mit der Rückenansicht Leibls begnügen.

Der Ahnungslose flüsterte mir noch zu: »Leibl ist wirklich sehr
unzugänglich.«

Einmal warm geworden, unterhielt sich Leibl gern von seiner Arbeit.
Da er jeden Strich direkt nach der Natur machte, so hatte er oft mit
grossen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die »politisierenden Bauern« z. B.
sind unter den denkbar schlechtesten äussern Verhältnissen entstanden.
Niedrig, eng und schlecht beleuchtet war das Zimmer, in welchem er
das Bild malte. Alle fünf Bauern mussten sitzen, auch wenn er nur an
Nebensächlichem arbeitete. Leibl stand in der Thür und konnte kaum
sehen, was er malte. Um seine Arbeit betrachten zu können, musste Leibl
von Zeit zu Zeit ins Freie gehen. Manchmal schlief ein Bauer ein und
brachte das Ensemble durcheinander.

Ueberhaupt musste er die Gesellschaft immer an Händen und Gliedmassen,
wie Marionetten, zurechtrücken.

Die »drei Frauen in der Kirche« hätte er beinahe unfertig stehen lassen
müssen, nachdem er bereits zwei Sommer daran gearbeitet hatte.

Sein Freund, der Pfarrer, der ihn bestimmt hatte, vom Ammersee nach
Aibling überzusiedeln, starb plötzlich. Und der Nachfolger verbot Leibl
das Arbeiten in der Kirche. Erst durch die Vermittlung eines sehr hohen
Herrn wurde das Verbot zurückgenommen.

Leibl malte an diesem Bilde drei Sommer (nicht 10 Jahre, wie in münchner
Künstlerkreisen allgemein erzählt wurde).

Da er meist in engen Bauernstuben arbeitete, in denen er nicht
zurücktreten konnte, so »verhaute« er sich oft in den Verhältnissen der
Figuren. Die junge Bäuerin z. B. im Vordergrunde des Kirchenbildes,
welche jetzt noch zu lang ist, war einmal noch länger. Sperl kam und sah
es. Leibl musste das ganze Stück herauskratzen, eine Arbeit von drei
Monaten.

Auf die »Wilderer« hatte er grosse Hoffnungen gesetzt; das sollte
wieder einmal ein grosses figurenreiches Werk werden. Die Hosenträger
des vordern jungen Bauern reizten ihn besonders in der Farbe; er fing
an, daran zu malen und wollte das Ganze danach stimmen. Das Modell,
vor kurzem erst vom Militär gekommen, reckte sich fortwährend mit
»Stillgesessen« krampfhaft in die Höhe. So geriet die Figur bei Leibl
furchtbar in die Länge. Sperl war gerade in München. Da besuchte ihn der
alte Bauer, welcher für den Wilderer im Hintergrunde sass. Er war nach
einem Ort bei München gewallfahrtet.

»Herr Sperl, mit dem Herrn Leibl geht's schlecht. Er bringt sein Bild
net z'samm'. Er ist ganz auseinand!«

Sperl fuhr nach Aibling hinaus und sah das Unglück. Zu ändern war da
nichts mehr. Leibl hatte das Bild bereits für eine Ausstellung nach
Paris versprochen und schickte es dorthin.

Im Cercle international bei Georges Petit sah ich es. Ich fragte
Leibl später, was aus dem Bilde geworden wäre. Mit tiefer
Niedergeschlagenheit, wie von einem grossen Unglück, erzählte er, dass
er das Bild zerschnitten hätte, als er es wiedersah.

Einige Fragmente existieren noch davon und zeigen Leibls ganz
wundervolle Charakteristik.

Mit dem Zerschneiden war Leibl immer schnell bei der Hand. Die
verschiedenen Handfragmente, die man von ihm kennt, rühren alle von
zerschnittenen Bildern her. Erbarmungslos wurde oft die Arbeit langer
Monate vernichtet.

Hände zu malen war ihm das grösste Vergnügen; charakteristisch ist, dass
bei den nach seiner Ansicht misslungenen Bildern die Hände immer gut
waren, Gnade vor seinen Augen fanden und gerettet wurden.

Der Fehler, in den er oft verfiel, dass der Kopf zu klein wurde, kam
wohl daher, dass er meist zu nahe am Modell sitzen musste. Auch auf dem
Porträt des alten Baron Perfall in der Münchner Pinakothek fällt der
etwas zu kleine Kopf auf; für mich sind die Hände das schönste auf dem
Bilde, wahre Wunderwerke einfacher, köstlicher Malerei.

Eines Abends war in unsrer Gesellschaft eine Dame, an deren Händen
Leibls Blicke wie gebannt hingen. »Solche wundervollen Hände, mein
ganzes Leben lang möchte ich nur Porträts mit Händen malen. Die Damen
sitzen aber nicht ruhig, die Bauern sitzen besser. Dann muss man die
Damen dabei unterhalten, das kann ich nicht. Ich muss doch bei den
Bauern bleiben.«

Als ihm ein Bekannter aus Florenz die Photographie nach dem Triptychon
des Hugo van der Goes schickte, geriet Leibl in helle Begeisterung über
die Hände der Hirten.

Meisterhaft in ihrer Einfachheit war die Technik Leibls. Er war
fanatischer Prima-Nass- in Nassmaler. Die zwei grossen Feinde waren das
Einschlagen und das zu schnelle Trocknen der Farben. Er war überzeugt,
dass die Alten ein Mittel besassen, um die Farbe lange nass zu erhalten.
Was hat er nicht alles versucht! In nasse Tücher gegen die kühle Wand
wurde das Bild gestellt, im Sommer wurde im Garten eine tiefe Grube
gegraben als Nachtquartier für das Bild.

In fortwährender Sorge war Leibl, in welchem Zustande am folgenden Tage
die Farbe sein würde; ging es nicht mehr, war sie schon zu trocken, dann
wurde das ganze Stück ausgekratzt. Zwei scharfe Rasiermesser, die er
bei dieser Gelegenheit mit grosser Meisterschaft handhabte und Spiritus
waren die Mittel zur Vernichtung. Auf trockne Farbe zu malen, war ihm
einfach unmöglich; für ihn war der schöne Guss der Farbe, die Reinheit,
der Schmelz alles. Deshalb haben sich auch alle seine Bilder wundervoll
erhalten.

Wenn über Böcklins Technik ganze Bände geschrieben werden konnten, so
ist die von Leibl in wenigen Worten zu beschreiben. Von ihm existiert
kein einziges gesprungenes Bild.

Die letzten 20 Jahre seines Lebens hat Leibl nur in Oel gemalt. Mitte
der siebziger Jahre versuchte er sich in Temperamalerei; der »Offizier«
(Freiherr von Stauffenberg) auf der Münchner internationalen Ausstellung
1901 war in Tempera; dann hat er noch die Gräfin Fichler-Treuberg, deren
herrliches Porträt in gestreiftem Kleid die Perle dieser Ausstellung
war, ein zweites Mal in Tempera angefangen (das Bild ist verschollen),
und als dritten und letzten Versuch malte er Langbehn in Tempera, den
Verfasser von »Rembrandt als Erzieher«. Dieses Bild muss sehr schwarz
geworden sein.

Leibl hatte viel Angst vor dem Firnissen. Bei dem Bilde Langbehns
erlaubte Sperl, der immer sonst das Firnissen allein ausführte, Leibl
einige Pinselstriche. Dabei kam Leibl in eine grosse Firnissierwollust
hinein, so dass das ganze Bild von Firnis schwamm, der auf der Rückseite
in grossen Tropfen herausrann.

Ueberhaupt war Leibl unpraktisch. Als er das wunderbare Bildnis
seiner Mutter (mit den herrlichen Händen) mit der Feder zeichnete,
war das Papier so miserabel aufgespannt, dass die alte Frau in helle
Verzweiflung über die Zukunft ihres Sohnes geriet.

Leibls Palette war die denkbar einfachste.

  Cremserweiss.          Cobalt.
  Cadmium hell.          Terra di Sienna.
  Cadmium dunkel.        Patentzinnober.
  Ocker licht.           Krapplack.
  Ocker dunkel.          Elfenbeinschwarz.

                               Manchmal:

  Gebrannter lichter Ocker.
  Goldocker.

                              Sehr selten:

  Ultramarin.
  Preussisch Blau.

Mancher Kollege wird hier eine Farbe vermissen, welche heute als fast
unentbehrlich gilt: Vert Emeraude. Sperl und ich hatten sie ihm einige
Male empfohlen, wir fanden die Tube später vertrocknet auf seinem
Maltisch.

Moderne Maler wird es empören, dass Leibl Elfenbeinschwarz in das
Fleisch nahm; ich kann die Tatsache aber leider nicht verschweigen.

Aufgezeichnet wurde das Bild mit wenigen Kohlenstrichen oder mit dem
Pinsel und Elfenbeinschwarz; nur in den grossen Verhältnissen.

Wunderbar war es zu sehen, wie Leibl eine Figur, einen Kopf, eine Hand
baute.

Welch enormes Können gehört dazu, ohne grosse Vorbereitungen ein
Stück prima in dieser Meisterschaft zu vollenden. Jedes Material, das
er in die Hand bekam, beherrschte er. War es Oelfarbe, Kohle, Kreide,
Bleistift, die Radiernadel, Tinte; mit der Feder, mit dem Pinsel, mit
dem Finger hineingewischt: alles fügte sich seinem starken Willen.

Es war ein grosser Genuss, ihn in seiner ruhigen Kraft arbeiten zu sehen.

Bedächtig und langsam wurden die Töne gemischt, vorsichtig und bedächtig
hingesetzt. Keine Aufregung, keine Zappelei, hervorgegangen aus
Unzulänglichkeit. Ruhig, sicher und bewusst: ein ganzer, echter Meister.

Fing ein Stück an, einzuschlagen, dann kam Sperl und tränkte es mit
seinen feineren, geschickteren Fingern vorsichtig mit Oel.

Aus einem ganzen Guss musste das Werk entstehen, ohne schmutzige, ohne
blinde Stellen; das fertige Stück eine Augenweide, ein Anreiz für die
spätere Arbeit.

Natürlich war diese Art des Schaffens nur möglich bei einem Künstler wie
Leibl. Auch kannte er genau die Grenzen seiner Kunst. Lebhaft bewegte
Figuren malte er nicht, alles war bei ihm ruhige Grösse.

Mitte der siebziger Jahre waren vier Meisterwerke von Leibl in München
ausgestellt: Die Dachauerinnen, Die Cocotte, Ungleiches Paar und
Dachauerin in Pelzhaube mit Kind. Mit Ausnahme des »Ungleichen Paars«,
welches Defregger erwarb, ging alles ins Ausland. Munkaczy erstand die
Dachauerinnen, die Dachauerin mit Pelzhaube kam nach Paris, für die
Cocotte dauerte es lange, bis ein Liebhaber kam: der amerikanische Maler
Chase.

Noch vor zehn Jahren hätte man für ein Butterbrot folgende Meisterwerke
haben können: Die Pariserin (alte betende Frau), Tischgesellschaft,
Bildnis des Bildhauers Schreibmüller und andere schöne Werke aus Leibls
bester Zeit.

Auch Defregger hat vor einiger Zeit das »Ungleiche Paar« verkauft; man
liess es von München fortgehen und regte sich nicht auf. Die Aufregung
spart man sich für die Zeit, in der es gilt, Bilder von fragwürdigen
Tagesgrössen zu erwerben. Beim Tode Munkaczys verkaufte die Witwe die
»Dachauerinnen«, Leibls wunderbarstes Maler-Werk, das heute in der
Berliner Nationalgalerie ist.

Leibls Verbitterung gegenüber München war ungerecht. Wir haben ihn doch
immer anerkannt.

Siehe oben.

Wenn man heute Gelegenheit hätte, in der Neuen Pinakothek nach der
Durchwanderung der öden Säle, in denen die gute Kunst aus der neuesten
Zeit so dünn gesät ist, in einem »Leiblzimmer« mit den genannten
Meisterwerken auszuruhen, welche Wohlthat wäre das!

In den späteren Werken Leibls spürt man deutlich eine gewisse
Schwächlichkeit und Zaghaftigkeit. Die Kraft liess nach.

Eine Reise nach den Niederlanden rüttelte ihn noch einmal auf. Verjüngt
kehrte er zurück. »Einen Grössern, als Franz Hals hat es nie gegeben und
wird es nie wieder geben,« schrieb er mir. Ich fuhr damals ohne ihn nach
Madrid, und ich glaube, er schrieb das, um sich damit zu trösten.

Als ich im vorigen Sommer wieder einmal nach Aibling kam, um Freund
Sperl in seiner Vereinsamung zu besuchen, wurde das Atelier ausgeräumt;
die Sachen sollten nach München zur Versteigerung kommen. Auf dem
Fussboden lagen alte Briefe, zerrissene Zeichnungen, Leinwandreste,
vernichtete Studien.

Auf dem Schranke standen zwei Gipsbüsten eines Kunsthändlers, welcher
Leibl in den letzten Jahren für den Kunsthandel entdeckt hatte. Die
beiden Gipsköpfe sahen scharf und forschend in das Chaos.

Unten am Boden lag eine heute kostbare Kunstgeschichte, in Stücke
gerissen.

Ich erinnerte mich, wie Leibl sich über eine Stelle in dem Buche masslos
aufgeregt hatte, in der es von Menzel geheissen hatte, er hätte nie
geliebt.

Eine schöne schwarze Marmortafel haben die Aiblinger an dem Kaufmann
Mayerschen Hause am Marktplatz angebracht, darauf mit Goldschrift zu
lesen ist, dass in diesem Hause der berühmte Maler Wilhelm Leibl aus
Köln am Rhein viele Jahre wohnte und 56 Jahre alt geworden ist.

Grösser wäre die Ehre gewesen, wenn die Tafel im Rathaus angebracht
worden wäre, denn da gehören die Männer hin, welche sich um die Stadt
ganz besonders verdient gemacht haben. Die Stadträte haben in ihrer
Weisheit erwogen und beschlossen, dass dies Leibl nicht gethan hat.

Deshalb musste er hinaus, ins Freie, auf den Markt. Es ist auch besser
so.

Als die guten Aiblinger nach Leibls Tode all' die schönen Aufsätze in
den Zeitungen lasen, wurde es ihnen aber doch etwas bange ums Herz:
»Haben wir ihn auch genug zu schätzen gewusst?« Ja, wer hätte denn auch
gedacht, dass er ein so grosser Meister wäre. Er kam ja so einfach
daher, wir liebten ihn und wussten, darin steckt etwas Tüchtiges. Aber
dass er ein so grosser Mann war, wussten wir nicht. Ueber alle grossen
Meister in München drinnen wird doch so ausgiebig in den Zeitungen
berichtet. Und bei unserm Leibl haben sie gar nichts geschrieben. »Herr
Professor« ist er ja geworden, aber erst in späten Jahren. Auch einen
Orden hat er bekommen. Vierter Klasse sogar.

Aber die in München drin, die müssen doch viel grössere Meister sein.
Man braucht sie nur zu sehen, wie sie daher kommen.

Einfach und still war es bei Leibls Begräbnis. Manche offizielle Stelle,
manche Künstlervereinigung vergass eine kleine Ehrung für den Meister.
Freilich: er war ja nur »ein guter Handwerker«.

Möchten wir alle doch etwas von diesem guten Handwerk erlernen!



               EINE AUTOBIOGRAPHISCHE NOTE ADOLF MENZELS


Früh erwachter Kunsttrieb machte sich ... in so ausschliesslicher
Weise geltend, dass der Vater sich bestimmen liess,... Pläne
aufzugeben. Die Ergebnisse einiger Versuche, mich nunmehr in die
Förderung künstlerischer Schulung einzuführen, blieben hinter gehegten
Erwartungen zurück. Fand ich doch Erbauung, Belehrung, höchsten Genuss
in oft stundenlangem Verweilen in Sonnenbrand und Schnee vor ein paar
kleinen Schaukästen italienischer Kupferstichhändler -- das schon: die
Sixtina, das Abendmahl, Schule von Athen, Heliodor und was nicht alles
noch verschlingen zu können!!! Und wie manch Andachtmartyrium ward in
der Kirchen ehrwürdiger Nacht, hinter Staub und Kerzenqualm, für die
Knabenphantasie zum Meisterwerk umgezaubert! Beiher wurde Fortbildung
nicht etwa vernachlässigt. Der Büchertrödel erschloss mir »Damms
Götterlehre«, auch manch andere Aesthetica.

[Illustration: Ad. Menzel, Aus Künstlers Erdenwallen]

In römischer Geschichte hatte ich schon auf der Schulbank festen Fuss
gefasst. Virginias Tod beschäftigte mich auf das Lebhafteste, noch
vielmehr als vorher die Allüren des Metellus. Jetzt ward auch der
ganze Olymp porträtiert, versteht sich, in ganzer Figur, in Kontur und
als Plastik gedacht! Streng ohne Augäpfel; ich tat mir hierin einige
Gewalt an. Innerhalb dieser Zeit nahm ich auch bereits teil an der
Geschäftstätigkeit durch Zeichnen. Diesem Treiben, das dem Auge jedes
regulär Gesinnten doch nur als ein wildes erscheinen konnte, musste ein
Ende werden.

Wesentlich also um für mich die Gelegenheit zur künstlerischen
Ausbildung zu gewinnen, führet mein Vater die Uebersiedelung von Breslau
nach Berlin aus. Hier in diesem neuen Horizont, unter dem Eindruck der
öffentlichen Monumente -- Schlüter, Rauch, Schadow -- und auch was die
Schaufenster in so anderer Fülle boten -- setzte das alte Leben sich
fort, freilich so viel fruchtbarer für mein Lernen! Vorzugsweise an
Chodowiecki.

Da, im Januar 1832, versetzte der schnelle Tod meines Vaters mich
in die Lage der Selbständigkeit. Statt nun in meiner Hilflosigkeit
(16 jährig) nach Unterstützung zur Förderung meines künstlerischen
Strebens auszuschauen, zog ich es vor, den geplanten Besuch der Akademie
aufzuschieben und nur dem Erwerb zu leben, darin aber, mochte das
Jedesmalige wie bisher gleichviel wie geringfügig sein, so gut ich
konnte, und viel besser als nötig und verlangt wurde, zu leisten.

Ostern 1833 meldete ich mich dann (ohne Sehnsucht), um es doch zu
thun, zur Akademie, frequentierte dieselbe nur sehr lückenhaft, und
blieb gegen Ende des Jahres ganz fort. Ich will damit das damalige
Lehrwesen nicht schelten; es konnte nicht anders sein. Ich hatte mir
das alles schon auf anderem Wege angeeignet, hatte schon meinen ersten
öffentlichen Erfolg -- Weihnachten 33. »Künstlers Erdenwallen«, freie
Illustration nach Goethe, schaffte mir, dem in der Künstlerwelt noch
ganz verborgen Gebliebenen, sofort die einstimmige Aufnahme in den
Künstlerverein, 22. Februar 34...«



[Illustration: Ed. Manet, die Pariserin, Original-Holzschnitt]

                      ZWEI HOLZSCHNITTE VON MANET

                                  VON

                             MAX LIEBERMANN


Einen erläuternden Text zu den wunderschönen Reproduktionen nach Manet?
Qui bono? Wer Manet versteht -- und ihn daher liebt -- braucht keine
Erläuterungen, und wer ihn nicht versteht, noch viel weniger.

Auch Holzstöcke scheinen ihr Schicksal zu haben. Während der
Holzschnitt der Olympia erst wieder durch Duret ans Tageslicht gezogen
wurde, ist das Porträt der Dame, die den Kopf auf die Hand stützt,
verschwunden gewesen: ebenso wie die Olympia hatte Manet das Porträt
für ein Journal gezeichnet, das vor der Veröffentlichung der Zeichnung
einging. Der Holzstock ist verloren gegangen und nur ein Probedruck
hatte sich erhalten, und nach ihm hat derselbe Xylograph, der seinerzeit
Manets Zeichnung geschnitten, einen zweiten Holzstock hergestellt. Beide
Holzschnitte sind im Original wiedergegeben: wir haben also Manets
Handschrift vor uns. --

Wenn ich früher einmal Zeichnen als die Kunst wegzulassen, definiert
habe, so könnte ich keine besseren Beispiele für diese Definition
auswählen, als die vorliegenden beiden Holzschnitte.

Alle Kunst ist Form und alle Form: Vereinfachung.

Wie die tausend Formen und Flächen des Gegenstandes, den der Künstler
darstellen will, sich in seinem Kopfe zu wenigen, charakterischen
vereinfachen, während seine Hand sie niederschreibt: das bildet den
Zeugungsprozess eines jeden Kunstwerkes. Weder der Kopf allein, noch die
Hand ohne Kopf können ein Kunstwerk hervorbringen; beides ist, wie die
Seele mit dem Körper, verbunden. Der Kopf ist der Vater, die Hand die
Mutter, und nur die aus dieser Ehe hervorgegangenen Kinder sind legitim,
d. h. echte Kunstwerke.

Aber in den bildenden Künsten sind Inhalt und Form nicht nur, wie in
den andern Künsten, untrennbar, sie sind auch in der philosophischen
Bedeutung des Wortes identisch: ihr Inhalt ist die Form.

Natürlich können Malerei, Plastik oder Architektur -- die man sogar
gefrorene Musik genannt hat -- poetische oder musikalische Gefühle in
uns hervorrufen, aber sie dürfen sie nur durch die einer jeden der
bildenden Künste eignen Ausdrucksmittel hervorrufen wollen. Sonst macht
der Maler oder Bildhauer bei der Poesie oder Musik Anleihen, die er mit
den rechtmässigen Mitteln seiner Kunst nicht bezahlen kann.

Manet ist »Nur-Maler«. Er malt ebensowenig Poesie wie Musik; worüber
die sogenannten Gebildeten aller Nationen quittierten, indem sie ihn
gleichermassen verabscheuten, und wohl immer noch verabscheuen, wenn sie
sich jetzt auch schämen, es einzugestehn.

Manet so recht verstehn kann wohl nur der Maler, und auch nur der,
welcher in der Wiedergabe der Natur das A und O der Malerei sieht;
was freilich der moderne Maljüngling, und noch viel mehr der moderne
Kunstskribifax für einen überwundenen Standpunkt hält. Wie jener
Maler, den Einer fragte, warum er aus einem Naturalisten ein Symbolist
geworden, antwortete: »nach der Natur malen ist zu leicht«. Ja! nach der
Natur malen kann heutzutage fast jeder Malklassenschüler, beinahe so gut
wie Manet, jedenfalls viel zu viel à la Manet.

Und sind doch keine Manets worden!

Bei der Wahl seiner Themata -- er malt einen Schinken oder ein
Blumenbouquet, Pfirsiche oder eine Melone, Fische oder eine Brioche,
Porträts, männliche und weibliche, oder einen Akt wie die Olympia --
ist es klar, dass das Aussergewöhnliche nicht in seinen Sujets liegt.
Manets Kunst beruht also, wie die eines jeden echten Malers, in seiner
neuen Auffassung. Der eigentliche Maler sucht nichts Neues zu malen,
sondern das Alte neu zu malen. Ueberhaupt ist es ganz gleichgültig, ob
der Künstler ein schon tausendmal dargestelltes Thema behandelt oder
ein funkelnagelneues -- was übrigens schwer zu finden sein dürfte -- da
es in der Kunst nur darauf ankommt, dass das Thema in persönlicher und
daher neuer Weise dargestellt wird. Wenn Einer einen Rosenstrauss oder
einen Schinken so persönlich wie Manet zur Darstellung bringen kann, so
ist er, wie es in der Kunstgeschichte heisst, ein bahnbrechendes Genie:
denn indem er neue Reize an dem Schinken entdeckt und dargestellt hat,
hat er das Bereich der Malerei erweitert.

Der Maler sucht überhaupt nicht, sondern er findet. Er empfängt, wie
Schiller von Goethe sagt, sein Gesetz vom Objekt. Tausend Maler haben
einen liegenden Akt oder ein Damenporträt gemalt: dass Manet den Akt
oder das Porträt in dieser Einfachheit sah und für diese Vereinfachung
die adäquate Form fand, darin liegt sein Genie.

Nicht in seiner Maulfaust, sondern in seiner malerischen Phantasie
liegt seine Grösse. Er sieht malerisch: er weiss aus dem Frauenkörper
das Typische herauszuholen, ohne die momentanen und zufälligen
Reize, die die Natur bietet, einzubüssen. Er malt nicht nur, wie der
»akademische Maler«, was er gelernt hat, was er kann, sondern wie der
wahre geborene Maler, was er sieht. Aber er ist auch ein Poet dazu, denn
die Idee »verdichtet« sich unter seinem Pinsel zur plastischen Form.
Daher das Verblüffende des Eindrucks eines jeden Striches Manetscher
Kunst: die Form, die er uns zeigt, hat nur er gesehen.

Es ist daher der grösste Unsinn, Manets Bedeutung in seiner Technik
zu sehen, wie wir's täglich zu lesen bekommen -- und welcher Unsinn
würde nicht gedruckt! -- als wäre er ein virtuoser Maler gewesen, nur
ein äusserlicher Kopist der Natur. Man vergleiche nur einen nach der
Natur photographierten Akt mit der Olympia, um -- was aus dem Bilde
natürlich noch viel deutlicher als aus dem Holzschnitte hervorgeht -- zu
erkennen, dass nie ein Maler einen Frauenkörper weniger von der Natur
»abgeschrieben« hat: weder Tizian noch Rembrandt noch Velasquez haben
einen Akt persönlicher aufgefasst.

Aber ebensowenig wie die Natur hat Manet die Alten kopiert. Die liegende
Venus des Velasquez in der Sammlung Morrit hat viel mehr Verwandtschaft
mit Tizian, als die Olympia mit Velasquez.

Manet hat mehr als je ein Maler vor ihm oder nach ihm die
konventionelle »schöne Form« vermieden: die ganze Pose, die Linie,
der Rhythmus in der Bewegung -- um von der Malerei ganz zu schweigen
-- sind in der Olympia ebenso wie in dem Damenporträt so momentan, so
ungezwungen, als hätte er das Modell in einem unbelauschten Augenblicke
gesehn und gemalt. Daher das Ueberraschende, das Frappierende, dass
wir beim ersten Anblick jeder Arbeit von Manets Hand, sei es Oelbild,
Pastell, Aquarell, sei's Radierung, Lithographie oder Zeichnung, die
Empfindung haben, als hätten wir Aehnliches nie zuvor gesehn.

Und dieses Wunder sollte die Hand vollbringen können? Nein, nur der
Geist vermag Geist zu erzeugen, nicht aber die Hand oder der Körperteil,
der uns von der Natur zum Sitzen gegeben ist.

Manets Technik, weit davon entfernt, Virtuosität zu sein, ist -- wie es
bei jedem echten Künstler sein muss -- der Ausfluss und der Ausdruck
des innerlich Geschauten. Nach der Vorschrift, die der alte Hippokrates
dem Arzte giebt, lässt uns Manet aus dem Sichtbaren das Unsichtbare
erkennen. Wie der wahre Maler geht er stets von der Erscheinung aus,
nicht aber -- wie das leider nicht nur bei deutschen Künstlern geschieht
-- umgekehrt, sucht er für den Gedanken die plastische Form. Er will
nicht grosse, philosophische Gedanken in Malerei umsetzen, sondern er
sucht das Einfachste, was freilich das Schwerste -- die Natürlichkeit
und -- mit einer leichten Umschreibung der Worte Merks an Goethe --
möchte ich sagen: er sucht nicht das sogenannt »Malerische«, sondern
er fasst das Leben malerisch auf: die höchste Aufgabe des malenden
Künstlers.

Es versteht sich von selbst, dass der Maler desto mehr die
Ausdrucksmittel seiner Kunst beherrschen muss, je mehr er sich auf
die Malerei beschränkt, d. h. je mehr er auf literarischen Inhalt
verzichtet, und wir müssen schon bis auf Velasquez und F. Hals
zurückgehen, um einen »Malermeister« wie Manet zu finden.

Aber selbst Justi, der berühmte Verfasser des Velasquez, nennt noch
Manet in seinem Pamphlet gegen die moderne Kunst (das, obgleich oder
richtiger weil es nur als Manuskript gedruckt ist, in aller Händen ist)
einen geistreichen Skizzisten. Was freilich nicht geschimpft ist, wenn
damit gesagt sein soll, dass Manets Bilder die Frische der Skizze, die
leider im Bilde fast immer verloren geht, bewahren.

In der Skizze feiert der Künstler die Brautnacht mit seinem Werke; mit
der ersten Leidenschaft und mit der Konzentration aller seiner Kräfte
ergiesst er in die Skizze, was ihm im Geiste vorgeschwebt hat, und er
erzeugt im Rausche der Begeisterung, was keine Mühe und Arbeit ersetzen
können. Im längeren Zusammenleben mit seinem Werke erkaltet die Liebe,
und der Künstler sieht zu seinem Schrecken, daß das Bild nicht hält, was
die Skizze versprochen hat.

Aber Justi verbindet mit dem Worte »Skizze« einen Vorwurf; er meint,
dass Manet -- und die moderne Kunst überhaupt -- keine vollendeten Werke
geschaffen hat. Freilich hat Manet seine Bilder nicht vollendet wie
Metsu, Mieris oder Meissonier. Aber hat er deshalb weniger vollendet?
Ist etwa die berühmte Kürassier-Attacke von Meissonier durchgeführter?
Allerdings sieht man jedes Hufeisen der Pferde, jedes Glanzlicht auf der
Nase der Reiter, jeden Strohhalm des Kornfeldes. Nur leider fehlt die
Hauptsache: das Stürmen und Dahersausen der Kürassiere, es fehlt das
»hurre, hurre, hopp, hopp, hopp, ging's fort im sausenden Galopp«. Wie
Manet ebenso treffend wie boshaft vor dem Bilde sagte: alles ist wie
aus Erz, bis auf die -- Kürasse. In einem Bildchen, nicht grösser als
eine Seite von »Kunst und Künstler« hat Manet ein Wettrennen gemalt.
Drei oder vier Jockeys, ganz von vorn gesehen, die auf den Beschauer
losjagen. Man fühlt das Vorbeisausen der Pferde, wie die Jockeys sie zur
höchsten Schnelligkeit im Laufe anspornen, und obgleich man kaum die
Beine der Pferde oder die Köpfe der Reiter sieht, ist Manets Bild im
Eindruck viel vollendeter als das Meissoniers, wo jeder Pferdehuf, ja
fast jeder Nagel im Hufe zu sehen ist.

Freilich malt Manet nicht wie Velasquez, und das ist ein Glück, denn
sonst hätten wir ein Genie weniger und nur einen lumpigen Nachahmer
mehr. Manet hat uns etwas Eignes zu sagen: daher hat er seine eigne
Sprache, die zu verstehen wir erst lernen müssen, denn nur das Gemeine
wird allgemein und sogleich verstanden. Er malt keine Kunststücke,
sondern Kunstwerke; keine Spur von Kalligraphie.

Ausführung heisst nicht Ausführlichkeit. Kunst giebt nicht breite
Bettelsuppe, sondern Extrakt. Manet macht keinen Strich zu viel, aber
auch keinen zu wenig, ein jeder ist notwendig. Man betrachte die beiden
Holzschnitte: jeder Strich »zieht«; er modelliert mit dem Kontur, mit
der Linie weiss er das Schwellende des Körpers wiederzugeben, mit zwei
dunklen Punkten das Funkelnde der Augen. Der Körper leuchtet. Und die
Verteilung von Schwarz und Weiss: der ganze Raum ist angefüllt von
»Licht und Luft und bewegendem Leben« -- daher die Grösse des Eindruckes
auch bei dem kleinsten Format.

Darin beruht die Poesie der wahren Malerei: mit den ihr eignen
Ausdrucksmitteln, d. h. mit der Zeichnung und Farbe das Gefühl von Licht
und Luft uns vorzuzaubern; sonst ist sie vielleicht Poesie oder Musik,
keinesfalls aber Malerei.

Wie jeder wahre Maler, ist Manet vom höchsten sinnlichen Reize. Die
Mathematik in seiner Kunst ist völlig versteckt. Aber hinter der
scheinbaren Zufälligkeit verbirgt sich die vollkommenste Kunst der
Komposition und die Kultur der Holländer, Spanier und -- last not least
-- der Japaner.

Was er macht, ist eine Freude anzuschauen; jedem Material weiss er
seinen geheimsten Zauber zu entlocken: welche Sattheit der Farbe, welche
Fülle des Tons selbst in diesen kleinen Schwarz-Weiss-Blättchen; diese
Kraft und dabei die Zartheit! Die wunderbaren Aktzeichnungen Rembrandts
im Amsterdamer Kupferstichkabinett fallen mir ein: nur Rembrandt wusste
mit so wenigem so viel zu geben!

Und das sollte keine Kunst sein? Weil die Alten es anders gemacht haben?

Wer das behauptet, beweist nur, dass er von alter Kunst ebensowenig
versteht wie von moderner.

Denn es giebt nur eine Kunst: die lebt, ob sie alt ist oder modern.
Was jung geblieben an der alten Kunst, wird an der modernen Kunst jung
bleiben. Das übrige veraltet.

Wer aber an der alten Kunst anderes schätzt als das Leben, läuft
Gefahr, nicht das Werk der alten Meister zu schätzen, sondern in den
meisten Fällen nur das Werk des Restaurators.

[Illustration: Ed. Manet, Olympia, Holzschnitt]



                        UEBER LANDSCHAFTSMALEREI

                                  VON

                             ALFRED SISLEY


Aperçüs über Kunst niederschreiben, was man heutzutage so etwa sein
ästhetisches Glaubensbekenntnis nennt: das scheint mir eine recht heikle
Sache zu sein, und wenn ich es versuche, muss ich gleich an Turner
denken und an eine Anekdote, die mir von ihm erzählt wurde. Er ging
von ein paar befreundeten Malern fort, wo nicht schlecht über Malerei
gerauft worden war. Im Innern hielt natürlich jeder seine Kunst für die
beste, äusserlich versuchte aber jeder, diese Vorliebe hinter grossen
Worten und schönen pompösen Theorien zu verbergen. Während der ganzen
Diskussion hatte Turner kein Wort geäussert. Auf der Strasse erst
wendete er sich an einen Freund, der ihn begleitete, und sagte: »Eine zu
komische Sache, die Malerei, was?«

Denselben Widerwillen, den Turner empfand, Theorien aufzustellen,
empfinde auch ich und glaube, dass es tausendmal leichter ist, mit dem
grossen Mund ein Meisterwerk zu schaffen, als mit dem Pinsel oder einem
anderen Material.

Doch ohne irgend welchen Anspruch darauf zu erheben, eine Art Vortrag
über die Landschaftsmalerei zu halten, werde ich ganz einfach sagen, was
ich darüber denke.

Das Interesse an einem Bilde beruht auf verschiedenen Ursachen.

Das Sujet oder das Motiv muss stets in einer für den Beschauer
einfachen, verständlichen und packenden Weise wiedergegeben werden.

Der Maler muss den Beschauer zwingen durch Fortlassen alles
überflüssigen Details denselben Weg mit ihm zu gehen und sofort das zu
sehen, was den ausübenden Künstler gepackt hat.

Auf einem Bilde giebt es immer ein Eckchen, das man besonders liebt.

Dies bildet einen besonderen Reiz von Corot und auch von Jongkind.

Neben dem Sujet liegt das Hauptinteresse innerhalb der
Landschaftsmalerei in dem Leben und in der Bewegung.

Und darin liegt zugleich auch die Hauptschwierigkeit. Seinem Werke
Leben einzuhauchen, ist die unerlässliche Bedingung für den echten
Künstler. Alles muss dazu beitragen: die Form, die Farbe, die
Ausführung. Die Erregung des Schaffenden erzeugt das Leben und erweckt
dieselbe Erregung beim Beschauer.

Und obgleich der Maler über seinem Werke stehen soll, so muss in
gewissen Momenten die Ausführung leidenschaftlich sein, um dem Beschauer
die Erregung zu suggerieren, die der Künstler empfunden hat.

Daraus sehen Sie, dass ich für eine verschiedenartige Ausführung auf ein
und demselben Bilde bin. Das ist nicht die landläufige Meinung, doch
glaube ich recht zu haben, hauptsächlich wenn es sich darum handelt,
Lichteffekte wiederzugeben. Denn die Sonne mildert manche Teile der
Landschaft und hebt andere kräftiger heraus, und diese Lichtwirkungen,
die sich in der Natur beinah materiell nachweisen lassen, müssen auch
materiell auf der Leinwand wiedergegeben werden.

Es ist wichtig, dass die Gegenstände richtig und fest aufgebaut sind,
absolut notwendig ist aber, dass sie von Licht umflutet dargestellt
werden, wie sie es in der Natur sind.

Der Himmel muss das Mittel dazu sein. Er darf nicht nur als Hintergrund
behandelt werden. Er hat nicht allein die Aufgabe, dem Bilde Tiefe durch
seine verschiedenen Pläne zu geben -- denn auch der Himmel hat Vorder-,
Mittel- und Hintergrund wie das Terrain -- sondern er belebt es auch
durch seine Wolkenbildungen.

Giebt es etwas Herrlicheres und Bewegteres als einen blauen Himmel mit
leichten weissen Wölkchen, wie man ihn oft im Sommer sieht? Welche
Bewegung, welcher Schwung darin, nicht wahr?

Er hat dieselbe Wirkung wie die Welle, wenn man auf dem Meer ist: man
wird begeistert, hingerissen. Und ein anderer Himmel, später, am Abend.
Die Wolken dehnen sich länger, fliessen zusammen wie das Wasser am Kiel
des Schiffes; sie scheinen in der Luft erstarrte Wirbel zu sein, bis sie
nach und nach, von der untergehenden Sonne eingesogen, verschwinden.
Solch ein Himmel ist noch zärtlicher, melancholischer; er hat den Reiz
der Dinge, die Abschied nehmen, und ich liebe ihn ganz besonders.

Nun will ich aber nicht etwa alle Himmel aufzählen, die dem Maler lieb
sind. Ich habe hier nur von solchen gesprochen, die mich vor allen
andern anziehen.

Auf diesen Teil des Landschaftsbildes bin ich so ausführlich
eingegangen, um Ihnen zu beweisen, welchen grossen Wert ich darauf lege.

Als Fingerzeig diene: ich fange immer ein Bild mit dem Himmel an.....

Welches meine Lieblingsmaler sind? Um nur von den Zeitgenossen zu
sprechen: Delacroix, Corot, Millet, Rousseau, Courbet -- unsere Meister.
In kurzen Worten: alle jene Künstler, die die Natur geliebt und stark
empfunden haben!



[Illustration: Rembrandt, Zeichnung]

                               REMBRANDT

                                  VON

                             JOZEF ISRAELS


Es war so etwa gegen die Hälfte des vorigen Jahrhunderts, dass
ich nach Amsterdam ging, um mich unter der Leitung des damals sehr
renommierten Porträtmalers Krusemann zum Maler auszubilden. Bald erhielt
ich Zutritt in das Atelier meines Meisters und sah mit Bewunderung
die Porträts von vornehmen Personen Amsterdams, an denen er gerade
arbeitete. Die Rosafarbe der Gesichter und die feine Behandlung der
Stoffe, die sich manchmal vor einem Hintergrund mit dunkelrotem Sammet
abhoben, gefielen mir sehr. Als ich den Wunsch ausdrückte, einige dieser
Porträts kopieren zu dürfen, wurde mir dies von meinem Lehrmeister
rundweg abgeschlagen. 'Wenn Du kopieren willst,' antwortete er, 'dann
gehe nach dem Museum im Treppenhaus.' Ich wagte nicht, es einzugestehen,
dass dies eine grosse Enttäuschung für mich war, ich war so grasgrün
aus der Provinz gekommen und die alten Meister waren für mich noch ein
Geheimnis, denn ich konnte in den alten Gemälden und in dieser dunkeln
Leinwand die Schönheit nicht entdecken, die von jedermann gerühmt
wurde, für mich waren die Ausstellungen in 'Arti' viel schöner und ich
bewunderte besonders Pienemann, Gallait, Corot und Kukuk. Nicht, als ob
ich so viel rückständiger gewesen wäre als die andern, aber es fehlte
mir Studium und Uebung, ohne die man das Fremdartige und so ungemein
Künstlerische der holländischen Meister nicht begreifen kann, und ich
behaupte heute noch, dass man, mag man noch so intellektuell sein, diese
grossen Alten nicht nur so ohne weiteres geniessen kann, wenn man sie
nicht viel und oft gesehen und sich in ihre Kunst eingelebt hat. Es
dauerte lange, ehe ich den Mut hatte, mich mit Farbe und Pinsel nach
dem Heiligtum zu begeben, aber, nachdem ich eine Zeitlang viel nach der
Natur gemalt, viel Nacktstudien und noch viel mehr Stilleben gemacht
hatte, ging mir ein Licht auf. Ich begriff, dass es nicht die gefällige
zarte Behandlung des Stoffes sei, was erreicht werden müsse, sondern
dass ich zuerst auf das Relief der Gegenstände, auf die Haltung der
Figuren in ihrem Verhältnis zu Licht und Schatten, ihre Gebärden und
Bewegungen zu achten hätte. Mit dieser Ueberzeugung besuchte ich das
Treppenhaus. Hier wurde mir allmählich deutlich, worin die Schönheit und
Wahrheit dieser bewundernswürdigen alten Meister eigentlich bestand,
denn ich merkte, dass ihre so einfachen Vorwürfe durch ihre Behandlung
reich und vielsagend wurden. Sie waren Genien, ohne es selbst zu wissen,
und die sie umgebende Welt wusste es damals auch nicht.«

(Nachdem Israels es zuerst mit einem kleinen Gemälde von Gerard
Dou und dann mit einem Kopf von van der Helst versucht hatte, ohne
davon befriedigt zu sein, wandte er sich zu einem der Köpfe der
Staalmeesters.) »Der Mann in der Ecke links mit seinem spitz zulaufenden
Hut und seinen grauen Haaren hatte es mir angethan. Ich fühlte, dass
hier etwas sei, dessen Schönheit ich wiedergeben konnte, wiewohl ich
alsbald sah, dass die Bearbeitung eine ganz andere sein musste, als
bei meinen bisherigen Versuchen; aber das Verlangen, dieses Neue und
Breite zu erreichen, zog mich derart an, dass ich beschloss, es zu
wagen. Wie diese Kopie geworden ist, weiss ich nicht mehr, wohl aber
weiss ich, dass sie jahrelang in meinem kleinen Malerkämmerlein gehangen
hat. So trachtete ich, das Kolorit und die Behandlung des grossen
Künstlers zu erfassen, bis endlich die Schönheiten der Nachtwache und
der Staalmeesters mich so beherrschten, dass mich überhaupt nichts mehr
anzog, was nicht die Hand des grossen Rembrandt geschaffen hatte. In
seinen Werken sah ich etwas, was ich bei den anderen nicht fühlte: es
war seine Freiheit und Ungezwungenheit, die ich bewunderte und die auf
der Zeichenakademie und im Atelier meines Lehrmeisters verpönt waren.

Hatte ich nun eine Zeitlang Rembrandts Gemälde von allen Seiten
betrachtet, dann ging ich in den unteren Stock des Treppenhauses,
wo sich die sogenannte Prentenkamer befand. Hier waren Rembrandts
Radierungen in ausgezeichnetem Zustande zu sehen. Oft und immer sehr
lange sass ich da, um mich in diese 240 Kunstwerke zu vertiefen, häufig
mahnte mich der Konservator zur Vorsicht, wenn ich die Blätter allzu
eifrig umschlug, um sie miteinander zu vergleichen. Ich war erstaunt,
dass der Künstler, der die ruhmreiche Nachtwache und die breiten
Staalmeesters mit Farben geschaffen hatte, hier als ein ausgezeichneter
Stecher erschien, der nicht nur mit der Kraft und der Leichtigkeit eines
echten Führers des Pinsels ausgestattet war, sondern alles beherrschte,
was die Nadel auf dem harten, glänzenden Kupfer hervorzubringen im
Stande war. Es war aber nicht diese aussergewöhnliche Kunstfertigkeit,
welche mich bei diesen Radierungen so fesselte, noch viel mehr wurde
ich durch die erfinderische Vielseitigkeit der Vorstellungen, durch die
wundervollen Beleuchtungen und die naiven kindlichen Manieren, die er
seinen Figuren zu geben wusste, getroffen. Nicht nur das Gemüt sprach
laut in der Vorstellung, sondern es durchdrang alles durch die subtile
Anwendung der Nadel. Die biblischen Scenen werden in alt-amsterdamscher
Weise vorgestellt, aber welche Kunstfertigkeit bei der Verteilung von
Licht und Schatten und welche Phantasie in der Komposition! So wunderbar
originell, so vollendet im Ausdruck war hier alles, dass andere Bilder
dagegen, mochten sie noch so kunstreich bearbeitet sein, die Schule
und die Akademie verrieten. Hier waren herrliche Porträts, selten
schöne Köpfe, oft von ihm selbst oder seinen Freunden. Aber wenn man
das kleine Bild seiner Mutter gesehen hat, muss man die Mappe einen
Augenblick zuschlagen ... und seine Augen wischen. Etwas Schöneres,
was mit solchem Gefühl gestochen ist, besteht nicht: die mütterliche
Milde, das Wohlwollen und die Innigkeit des alten Frauchens blickt uns
aus jedem Strich, aus jedem Häkchen der Nadel entgegen, jede Linie hat
etwas zu bedeuten, kein Pünktchen hätte weggelassen werden können. Und
dieses lebensvolle Porträt hat Rembrandt in dem jugendlichen Alter von
24 Jahren geschaffen! Ich schlage die Mappe wieder auf und sehe die
reich bearbeiteten Bettler. Das sind Typen, nach denen er damals nur
zu greifen hatte und die er so gerne und so oft darstellte: man sollte
sie eigentlich gar nicht arm nennen, so warm, so farbig hat sie der
Meister ausgestattet. Dann kamen die wirkungsvollen Landschaften an die
Reihe, jene merkwürdigen Nacktstudien, mit einem Wort ein Kosmos. Wenn
ich dann, nachdem ich eine Mappe durchgeblättert hatte, wieder in die
Stadt zurückkehrte, war es mir, als ob ich allerlei Gestalten begegnete,
welche den seinigen glichen. Vom Treppenhaus nach der Hoogstraat, dann
durch die Sint Anthoniebreestraat und endlich in der Joodenbreestraat,
wo ich damals einige Schritte von dem Hause entfernt, in dem Rembrandt
so viele Jahre geschaffen hat, wohnte, überall da sah ich wieder die
malerische Menge, dieses geräuschvolle Leben, diese warmen jüdischen
Gesichter mit ihren eisgrauen Bärten, die Frauen mit ihren fuchsrothen
Haaren, die Karren voll von Fischen und Früchten und allerlei Waren. --
Alles war Rembrandt!

Es giebt aber noch eine dritte Aeusserung von Rembrandts Talent:
das sind seine Zeichnungen. Für einen jungen Maler, der nach Mitteln
sucht, um seine Gedanken auszusprechen, waren diese Zeichnungen ebenso
rätselhaft wie ermutigend. Da sie nicht so deutlich waren wie seine
Radierungen, dauerte es einige Zeit, ehe ich mich mit ihnen befreunden
konnte, aber als ich begriffen hatte -- was ich heute noch glaube --
dass der Meister diese Zeichnungen nicht gemacht hatte, um sie mit
zierlichen Linien zu umgeben und sie dann dem Publikum vorzuführen, da
fühlte ich ihre wahre Tragweite. Es waren meistens Gefühlsäusserungen,
um seinem phantasiereichen Gemüt zu Hülfe zu kommen. Ohne jedes
Nachdenken auf das Papier geworfen, aber mit einer Hand, die bei jedem
Zucken und bei jeder Erregung Meisterstücke schuf. Oberflächlich
betrachtet, werden diese Zeichnungen durch allerlei Tintenflecke und
harte dicke Striche, die wild und wunderlich durcheinander gingen,
entstellt, betrachtet man sie aber gut, dann scheint alles wohl
berechnet und gefühlt.

So sah ich also diesen Rembrandt als den Mann, der mit seinem Pinsel,
seiner Feder oder dem Grabstichel alles darzustellen und vor die
Phantasie zu zaubern vermochte. Vom Himmel und von der Erde, von
den Helden der Geschichte und von den alltäglichen Menschen, von
einem Stückchen des Turms der Westerkirche wusste er eine schöne
Zeichnung zu machen, Löwen und Elefanten wurden in der seltsamsten
Weise wiedergegeben. Besonders seine Nacktfiguren von Frauen sind
deshalb so merkwürdig, weil bis jetzt kein Maler es gewagt hatte, sie
so darzustellen, wie sie im Atelier vor ihm standen, aber Rembrandt,
bezaubert durch das Licht und die Glut der Fleischfarbe, zauderte
keinen Augenblick, sie so zu malen, wie er sie sah. Es war keine Venus,
keine Juno oder Diana, es war die Waschfrau seines Nachbars, die er
entkleidete und in der Herrlichkeit ihres Fleisches wiedergab. Und seine
Handschrift allein, ich meine die Manier, mit der er seine Schnörkel
und Striche hinwarf, war an sich schon ein genussreicher Anblick, von
dem man sich nur schwer trennen konnte. Und das alles that er mit einer
Leichtfertigkeit, mit einer Ausgelassenheit und mit einer Sicherheit,
welche den Gedanken eines Studiums oder irgend einer Anstrengung gar
nicht aufkommen liess.

                   *       *       *       *       *

Und wie denke ich jetzt über den Meister, nachdem so viele Jahrzehnte
verflossen sind? Wohlan denn, Leser, betrachte mit mir die gewaltigste
Aeusserung von Rembrandts grossartiger Malkunst, die er in seiner
»Nachtwache« niedergelegt hat.

Schon beim ersten Anblick werden wir sofort durch breite Bewegungen
von Schatten und Licht getroffen, die wie Farbentöne durch die enorme
Fläche der Leinwand singen. Dann kommen plötzlich zwei Männer auf uns
zu, die aus der Gruppe nach vorne treten, der eine ganz dunkel, der
andere ganz hell gekleidet. Das ist Rembrandt! Er wagt, schreiendes
Licht gegen Dunkel zu stellen. Und um diesen Gegensatz von grossen
Linien harmonisch zu machen, ersinnt er etwas: der linke Arm des dunklen
Mannes ist ausgestreckt, als ob er mit der vorgehaltenen Hand etwas
behaupten will, und so wirft er mit seiner Hand einen grossen sonnigen
Schlagschatten auf seinen weissen Kameraden! Das Genie weiss sich zu
helfen, wo gewöhnliche Menschen keinen Rat mehr wissen. Diese Männer
sind offenbar miteinander im Gespräch, man sieht es, sie sind die
Anführer des ganzen Trupps. Da stand er jetzt, der grosse Meister, als
alles auf die Leinwand gebracht war, was darauf kommen musste -- aber
er schüttelte das Haupt. Nach seiner Meinung traten diese beiden Männer
noch nicht genügend in den Vordergrund. Dann nahm er noch einmal seine
grosse Palette, seinen breitesten Pinsel taucht er noch einmal tief in
den Farbentopf, und diese zwei vordersten Figuren wurden noch einmal mit
kräftigen Strichen behandelt, hier mehr Tiefe, dort noch mehr Licht,
und so versuchte er alles, um dem, was in den Vordergrund zu kommen
hatte, noch ein kräftigeres Relief zu geben -- und dann sah er, dass
es gut war, und so liess er es dann auch stehen. Vielleicht war die
Aehnlichkeit seiner Herren Auftraggeber etwas weniger sprechend, auch
beklagte man sich bei ihm über Mangel an Ausführlichkeit, aber für ihn
war die Hauptsache, dass die Figuren lebten, und dass sie sich bewegten.
Wie herrlich ist ihm dies gelungen! Von den Federn ihrer Hüte an bis zu
den Sohlen ihrer Schuhe, die beinahe den Rand des Gemäldes erreichen,
ist alles, als ob man es mit der Hand prüfen könnte. Wie sind die Köpfe
voll Energie und Charakter, ihre Kleidung ist auf den Leib gegossen,
der stählerne Halsberg, die Schärpe, die Stiefel des hellen Mannes sind
von wunderbarer Malkraft; dann der dunkle mit dem roten Wehrgehänge,
mit dem Handschuh und dem Stock ist von einer Erfindungsgabe, die nur
deshalb nicht auffällt, weil alles so richtig, einfach und natürlich
ist. Ich kenne keine Darstellung, welche die Pracht und das Malerische
jener Zeiten so stark ausdrückt, wie diese zwei Männer, die auf diesem
Riesengemälde einherschreiten.

Wenden wir uns nun zu der rechten Seite, um den schwitzenden Trommler
zu betrachten. Sein scheinbar pockennarbiges Gesicht unter dem Schatten
seines verschlissenen Huts ist eine echte Falstafffigur, die dicke
Trunkenboldnase, sein fettiger Mund, alles, was an ihm ist, sind von
einer malerischen Bravour, die den Wagemut des Meisters so besonders
charakterisieren; man sehe nur, wie er darauf lostrommelt, als ob er
jedermann sagen wollte, dass er eine der prächtigsten Figuren des
berühmten Meisters sei, den man Rembrandt nennt. Ich begreife sehr gut,
dass beim Anblick dieses Mannes, wie er vor uns webt und lebt, der
beschränkte, quasi gelehrte und dummgewissenhafte Gérard de Lairesse in
seinem grossen Buch über die Malkunst (in welchem Rembrandt der grösste
Farbenklekser genannt wird) ausrief: »Bei Rembrandt läuft die Farbe wie
Dreck aufs Paneel!« Genialität und philisterhaftes Knotentum sind und
bleiben geschworene Feinde.

Wenden wir uns jetzt nach der linken Seite des Gemäldes. Hier steht
der durchgeistigte Landsknecht, ganz in Rot gekleidet. Ein Maler mit
dem Hell- und Brauntalent brauchte nicht bange zu sein, jemand von Kopf
zu Fuss rot zu malen, er wusste, dass das Spiel von hell und dunkel ihm
helfen würde. So liegt denn auch hier das Rot teilweise im Schatten
einer herrlichen Nuance und vereinigt sich trefflich mit den gräulich
grauen Tönen der übrigen Figuren. Auch dieser rote Mann ist in der
eben beschriebenen Weise mit dem Pinsel behandelt worden; betrachtet
man ihn gut, dann scheint es, als ob Rembrandt diesen malerischen
hervortretenden Mann mit einem vollen Pinselstrich von oben bis zu den
Füssen hingeworfen hat. Wie fest ist die Behandlung der Hand, welche das
Gewehr ladet, wie forsch die Striche auf seinem roten Hut, auf dem roten
Wams, wie kräftig, lebhaft, beweglich und reich steht er da!

In diesem wunderbaren Gemälde stossen wir jeden Augenblick auf etwas
Interessantes. Sprechend ist der Hellebardier, der vom Rande links
rückwärts blickt, dann der Mann, der hinter dem weissen Mann sein
Gewehr untersucht, und wie herrlich wirkt der lachende, von dunklem
Hintergrunde sich abhebende Junge mit seinem grauen Hut! Der Kopf
des Mannes, der mit seinem Arm auf etwas zeigt, ist auch wieder von
besonderer Farbe und Malweise; selbst der graue Pfeiler, gegen den
sich der Kopf mit dem Helm abhebt, wirkt trefflich zum Gesamteindruck
mit. Aber hier ist noch etwas Wunderbares, und zwar das fremdartige
Mädchen, das sich zwischen allen diesen männlichen Figuren bewegt. Viele
Kritiker und Kunsthistoriker haben sich den Kopf darüber zerbrochen, was
dies eigentlich zu bedeuten habe und gefragt, ob diese Figur überhaupt
hierher gehöre. Hätte Rembrandt sie gehört, denn würde er lächelnd
geantwortet haben: Seht ihr denn nicht, dass ich dieses liebumflossene
Kind hier nötig hatte, um gegen alle diese nach unten laufenden Linien
und diese dunklen Farben einen Kontrast zu schaffen? Der Mann mit der
Fahne im Hintergrund, der weglaufende Hund -- alles unterstützt und
hilft einander in Farben, Linien und Effekt. Da ist auf diesem Gemälde
auch keine winzige Stelle, die nicht ein seltsames Malertalent verrät.
Hier gilt die Behauptung: Schneide nur ein kleines Stück aus einem
Gemälde heraus, und ich will dir sagen, ob der Maler ein Künstler ist.

Und nun noch die »Staalmeesters«.

Hier schallt uns eine ganz andere Musik entgegen, als aus den Tönen
der »Nachtwache«. Still und vornehm ist hier alles, hier herrscht allein
die hohe Auffassung des menschlichen Antlitzes. Sie sitzen hier, diese
alt-holländischen Männer und beratschlagen, ihre Geschäftsbücher vor
sich auf dem Tisch. Rembrandt hat uns ihre Köpfe mit so viel Leben
verdeutlicht, dass sie im Laufe der Zeiten alte Bekannte geworden
sind. Ja, alte Bekannte, die schon einige hundert Jahre gelebt haben,
ehe wir da waren. Wie lange schon kenne ich diesen Mann an der linken
Seite mit seiner Hand auf dem Lehnstuhl, mit den grauen, feinen Haaren,
die unter seinem hohen spitzigen Hut von seiner breiten gerunzelten
Stirn hervorquellen. Hier giebt die Farbe, sowohl im Licht, wie im
Schatten, ein Durcheinander von Fleischtönen, Zwischentönen von Grün
und Rot, Grau und Gelb, sie ist so aneinander gereiht, dass hier etwas
erreicht ist, wobei der Verstand förmlich stille steht. Das Relief, das
Hervorspringen aus dem Hintergrund ergreift uns wunderbar, aber auch
welches Modell, wie sieht uns der Mann mit dem einfachen Blick aus den
tiefen Augenhöhlen an -- es ist ein Unikum, wie es Rembrandt selbst
niemals übertroffen hat. Auch alle anderen Köpfe, besonders der Mann,
der sich nach vorn beugt, dieser wunderbar natürliche Zunftmeister, der
vor dem Buch Platz genommen hat und sein neben ihm sitzender Nachbar
bis zum fünften Kaufmann an der rechten Seite mit dem Diener hinter
sich -- alles ist Männlichkeit, Reichtum und Leben. Der Hintergrund
ist wieder eine Schöpfung, wie sie nur Rembrandts feines Gefühl für
Linien hervorzubringen wusste. Die Wand und das Getäfel umgeben diese
Komposition, als ob sich dies von selbst verstände, und als ob es auch
thatsächlich so gewesen wäre. Und doch wird dieser geniale Kunstgriff
noch durch die Herrlichkeit des Kolorits des roten warmen Tischtuchs
übertroffen, welches dem ganzen Gemälde einen tieferen dunkleren
Ton verleiht. Ob über dieses Gemälde nach seiner Vollendung von den
Zeitgenossen viel gesprochen und geschrieben worden ist, weiss ich
nicht, aber für uns stellen diese Männerköpfe das Höchste dar, was die
Malkunst erreichen kann. In Madrid, wo mich die Gemälde von Velasquez
bezauberten, machte ich mit Bekannten einen Spaziergang durch die
Strassen und über die Plätze der Stadt, an einem Gebäude sahen wir
einen grossen, vielfarbigen Anschlagezettel, auf dem vermerkt war,
dass hier eine Ausstellung moderner spanischer Künstler zu sehen war.
Neugierig traten wir ein, wir sahen viel Schönes und Gutes, aber
plötzlich standen wir, wie aus Spanien weggeblasen, vor drei Köpfen aus
den Staalmeesters, die ein spanischer Maler in Amsterdam kopiert hatte.
War es Chauvinismus, war es Ueberzeugung? Diese Kopien redeten zu uns
einen Geist grösserer Einfachheit, grossartigerer Auffassung der Natur
und der Menschenwürde als alles, was wir im Prado bewundert hatten. Ja,
dieses Gemälde ist selbst ein Totschläger für die alt-holländischen
Kunstbrüder: Der tüchtige van der Helst wird neben ihm oberflächlich,
der prächtige Frans Hals skizzenhaft und durchsichtig, denn so viel
Genialität, so viel Relief bei solcher Natürlichkeit der Haltung und
Gebärden wird nicht mehr gefunden. Und der Mann, der dieses Wunderwerk
geschaffen, war damals ein armer Bürger, der in einem dunklen Winkel der
Stadt wohnte, in der jetzt zu seinen Ehren ein Fest gefeiert wird.

Rembrandt steht in unseren Tagen im Zenit seines Ruhms; Gold hat neben
seinen Meisterstücken keinen Wert mehr; um das Unbedeutendste davon
zu besitzen, opfert man Hände voll Gold, man durchreist nach ihm die
Welt, und die Kritik, die sich lange Jahre hat hören lassen, ist jetzt
verstummt. Merkwürdig ist es, dass keine der allgemein anerkannten
Grössen der Malkunst im Laufe der Zeiten der Gegenstand so vieler Kritik
gewesen ist wie das Werk Rembrandts. Und dennoch, was man auch über
die Unwahrscheinlichkeit der Vorstellung und die Uebertriebenheit des
dunklen Hintergrunds gesagt, bleibt die »Nachtwache« noch stets, wie
die Engländer sie nennen, das Wunder der Welt. Schon während seines
Lebens gab es Leute genug, die es ihm übel nahmen, dass er nicht bei
der Antike und bei den Italienern in die Schule gegangen war, und dass
er die Natur so malte, wie er sie wirklich zu sehen glaubte. Uns dünkt
dies befremdend, aber es ist doch wahr, denn schon während der letzten
Jahre von Rembrandts Leben war man mit den alten holländischen Begriffen
in Kunst und Literatur nicht mehr zufrieden, und jetzt noch lese ich
mit Widerwillen, wie man die Namen latinisierte und in holländischen
poetischen Werken über griechische Götter und mythologische Figuren
sprach, die zu unserem holländischen Himmel so schlecht passen. Aber
zum Glück hat sich Rembrandt stark genug gefühlt, um unbeirrt seinen
eigenen Weg zu gehen, und die Zeit liegt hinter uns, in der man von
den kunstgefährlichen Theorien sprach, die seinen Gemälden anhaften
sollten, man hielt sich an die Behandlung der Technik, aber zu der
tiefen, ihr zu Grunde liegenden Idee wusste man nicht durchzudringen.
Aber die liberalen Ansichten der modernen Welt sind auch auf dem
Gebiete der Kunst siegreich gewesen, heute fühlen und wissen wir, dass
die vermeintlichen Schwächen und Uebertreibungen nur die Eigenart
eines ausserordentlichen Menschen bilden, und wir entbehren sie nicht
gerne, weil wir dann befürchten müssen, ein unvollständiges Bild der
Persönlichkeit vor uns zu haben, von der jede Lebensäusserung unser
Interesse rege macht.

Ich schliesse ... aber, wie so manches Mädchen an ihren Liebhaber
schreibt: ich höre mit der Feder auf, aber nicht mit dem Herzen ... ich
denke an das Porträt von »Jan Six«, dieses seltene Juwel, ich denke an
das Louvre, an Kassel, an Braunschweig und an was nicht alles -- aber
genug. Ich wollte in diesen Zeilen dem Leser nur sagen, wie ich mir
Rembrandt stets vorgestellt habe, als das Ideal des Künstlers, frei und
ungebunden in seinem Werk, genial in allem, was er tat, eine Figur, in
der sich die Grösse unserer alten Republik abspiegelt.



[Illustration: E. Gordon Craig, Holzschnitt]

                         ÜBER BÜHNENAUSSTATTUNG

                                  VON

                          EDWARD GORDON CRAIG


Es giebt drei Arten von Bühnendekoration, die phantastische, die
realistische und die schlechte. Schlecht ist die Ausstattung, die weder
ganz und gar realistisch noch ganz und gar phantastisch ist. Diese
Dekoration findet der Londoner Theaterbesucher allabendlich.

Diese Dekoration ist schlecht, weil sie zugleich echt und schön sein
soll und weder das eine noch das andere ist. Es giebt zwei Gründe
dafür, dass es damit so steht: erstens weil dem Bühnenmaler, auch wenn
er grosses technisches Talent hat, nicht bis zu dem Moment, in dem
der Vorhang aufgeht, freies Spiel gelassen wird, oder aber weil man
ihm gestattet, der eigenen Idee zu folgen und dadurch die schönere
Vorstellung des Dichters zu verdrängen.

Ich habe verschiedentlich gesehen, wie Dekorationen, nachdem sie ins
Theater gebracht worden waren, durch die Unfähigkeit des Schauspielers,
der Direktor ist, vollkommen verdorben wurden. Der Schauspielerdirektor,
der von der Kunst und Technik der Bühnendekoration keinen Begriff hatte,
war der Ansicht gewesen, entweder dass er es besser gemacht haben würde,
oder dass er in dieser Dekoration nicht spielen könne, -- und vor
allen Dingen hatte er gewähnt, er müsse ein Wort mitzureden haben. Mit
diesem Worte streicht er ein paar Stunden hintereinander freundlichst
Fehler heraus, und die Scene wird dann dem Publikum vorgeführt, nachdem
allmählich Vernunft und Sachlichkeit aus ihr entfernt worden. Die Form
wird verändert, Monde werden hinzugefügt, Farben gewechselt, Schatten
dort unterdrückt, wo der Maler sie mit bewusster Absicht hingesetzt
hatte, und alles das geschieht, damit sich der Schauspielerdirektor zu
Hause fühle. Nach meiner Ansicht kostet diese Verwüstung viel Geld.

Für den Theatermaler muss, obwohl sich solche Sorte von Betrieb für
ihn bezahlt macht, darin etwas ausserordentlich Verletzendes liegen;
ja, diese Art kann ihn aus dem Theater und einem Institut in die
Arme treiben, das des Theatermalers Paradies ist: es ist eine von
dem berühmten Theatermaler de Loutherbourg gemachte Erfindung. De
Loutherbourg, der im 18. Jahrhundert lebte, hatte anfangs für David
Garrick, später für sich selbst gearbeitet. Bei diesem seinem eigenen
Unternehmen hatte er von den Schauspielern Abstand genommen. Weshalb
sollten die Schauspieler die Aussicht verderben, indem sie zwischen der
Bühne und den Zuschauern standen? Weshalb sollte man ihnen gestatten,
über Herrn N.'s Rasenplätze oder Herrn so und so's Waldungen zu
schreiten? Mochten diese Herren lieber ein Schild aufstellen mit der
Bemerkung, dass das Betreten verboten sei, oder auf dem die Worte
standen: Achtung, hier ist die Bühne.

Anstatt mit Worten unterhielt de Loutherbourg das Ohr seines Publikums
mit Geräuschen. Die Aufführung bestand entweder aus der naturalistischen
Darstellung eines Schiffsbruchs oder aus der eines brennenden Hauses
oder aus irgend einem sonstigen realistischen Vorgang. Wirkliche
Wellen schienen gegen das Schiff zu schlagen, und der Regen strömte
unaufhörlich hernieder, der Wind heulte und zerwirbelte die Raketen,
die in der dunklen Nacht aufschossen, er verteilte feurige Garben
rings um das Boot, dazu hörte man die Stimmen der Mannschaft, die
mit den Elementen kämpfte, und jedes Detail war bis zur Vollendung
ausgearbeitet. Wahrscheinlich war dies die grösste Annäherung an die
Wirklichkeit, die je auf der Bühne versucht worden ist.

Es ist evident: so faszinierend diese Art bei der Darstellung
von Feuerwerk ist, so lächerlich und unreal ist sie in einem
Shakespeareschen Stück.

Vor kurzer Zeit suchte ein bekannter Londoner Schauspieler, der sein
eigener Direktor ist, zu beweisen, dass »vollkommene Illusion« durch
grösste Genauigkeit der Details erreicht werden könnte. Er wähnte, dass,
wenn im Laufe des Dramas eine Scene »vor einem Schlosse« spiele und
im Dialog dieses Schloss erwähnt würde, man dies Schloss mit grösster
Genauigkeit vor dem Zuschauer aufbauen müsste. Nehmen wir einmal eine
Aufführung von Macbeth. Ich stelle mir vor, wie der Schauspielerdirektor
zum Theatermaler sagt: Machen Sie mir diese Ausstattung möglichst
prächtig, benutzen Sie alle Ihnen zu Gebote stehenden Mittel, um sie
möglichst brillant zu machen. -- Er sagt nicht nur dies, sondern geht
noch einen Schritt weiter, z. B. sagt er: Wir brauchen eine Scene
»vor einem Schloss«: ich finde es nötig, dass Sie diese Bücher von
unschätzbarer Wissenschaftlichkeit ansehen. Gehen Sie mit Herrn so und
so nach dem South Kensington Museum, suchen Sie dort soviel Bilder als
möglich vom Schloss Glamis, machen Sie Skizzen, wenn es Ihnen erlaubt
wird und reisen Sie mit ihnen im nächsten Zug nach Schottland. Messen
Sie das Schloss aus, nehmen Sie den Grundriss und nehmen Sie Ansichten
von den verschiedenen Punkten auf. Die Zeichnungen machen Sie mit recht
viel Gefühl und mit Lokalkolorit. Dann legen Sie mir die Zeichnungen
vor, und ich werde Ihnen sagen, welche ich für am meisten geeignet für
unsere Zwecke halte.

Diese kleine Reise wird ziemlich viel Geld kosten. Modelle werden
gemacht werden und werden mehr Geld kosten, und das Ergebnis von all
diesen Mühen und diesen Geldausgaben wird eine genaue Wiedergabe des
kolossalen Schlosses Glamis sein, auf die »Forderungen der modernen
Bühne reduziert«, 25 Fuss im Quadrat... Durch diese Genauigkeit der
Details hofft der Direktor »vollkommene Illusion« zu erreichen.

Aber diese beiden Dinge sind wie zwei Pole einander entgegengesetzt. Die
vollkommene Illusion wird durch die sogenannte Akkuratesse viel eher
verhindert. Der Schauspielerdirektor ruft dem Geist zu: »Steh, Phantom«,
und versucht ihn mit einer Hellebarde aufzuhalten.

So wird ein Schloss mit imitierten Steinen, mit scheinbar wirklichem
Epheu an den Mauern und manchen anderen trefflichen Einzelheiten
vorgeführt, und danach hängen sie vier oder fünf Streifen blauen Tuchs
hin, jeden in einer verschiedenen Nuance, und von uns wird erwartet,
wir sollten ernst bleiben, weil ein Schauspieler, der auf den hölzernen
Boden stampft, um zu beweisen, dass hier nicht solide Erde ist, mit
einer abstrakten Miene deklamiert:

  »This castle hath a pleasant seat; the air
  Nimbly and sweetly recommends itself
  Unto our gentle senses.«

und ein anderer Schauspieler, ohne im mindesten auf die Stelle einen
Blick zu werfen, fortfährt:

                   »This guest of summer,
  The temple-haunting martlet does approve,
  By his loved mansionry, that, the heaven's breath
  Smells wooingly here: no jut, frieze,
  Buttress, nor coign of vantagety, but this bird
  Hath made his pendent bad and procreant cradle
  Where they most breed and haunt, I have observed,
  The air is delicate.«

Die Worte, wie sie auch gesprochen werden mögen, rufen das Bild
einer wundervollen Scene herauf, etwas, was ganz verschieden ist von
der Pappdeckelgeschichte, die uns vorgeführt wird. Doch ich kann mir
durchaus denken, dass der Schauspielerdirektor sich vorstellt, er lasse
die Scenerie sich den Worten anpassen. Er sieht durchaus nicht, wie
das alles lächerlich ist. Und liesse ich einen Augenblick gelten, dass
Genauigkeit im Detail vollkommene Illusion hervorbrächte, so halte ich
doch fest, dass niemals, seit das Theater besteht, irgend eine Scene
vorgeführt werden konnte, in der alle Details genau waren. Denn es ist
unmöglich, die Bewegung der Zweige und Blätter accurat wiederzugeben,
unmöglich, eine genaue Wiedergabe eines Kornfeldes zu zeigen; und so
weiter auf allen Gebieten der Natur. Die meisten dieser Dinge können
suggeriert werden -- doch kann man sie nicht in einem Netz auffangen, so
dass sie körperlich auf der Bühne eines Theaters wieder erscheinen.

Wer auch immer versuchen mag, eine genaue Darstellung zu geben, ohne
dass er zuvor ein genaues Tageslicht geschaffen hat, müsste nach
meiner Meinung von dem ganzen Ding bleiben. Ich zweifle, auch wenn er
alle Zeit zur Verfügung hätte, ob er es möglich machen kann, all die
tausend kleinen Geräusche wiederzugeben, die ich in einem gewissen
Moment um mich höre, die Stimme des Wachsens im Walde, das Geräusch der
kleinen Zweige, den Wirrwarr und das Singen der Hunderte von Vögeln;
unzählige Schatten liegen über dem Boden und haften an den Wolken, an
diesen unnachahmlichen Wolken, die sich unaufhörlich bewegen und ihre
Form verändern und wieder verändern, und die Erde sendet ihre tausend
verschiedenen Gerüche aus und füllt mit ihnen die Luft, in fortwährendem
Wechsel. Die Wiedergabe von all diesen Dingen ist etwas, was über die
Arbeit einer Million von herkulischen Regisseuren und Technikern ginge.

Realistische Scenerie ist an ihrem Platze nur, wenn sie die Fassung
realistischer Dramen ist. Man sieht sie jetzt selten, und nur im
Auslande.

Ich will mich nun mit der Scenerie beschäftigen, wie sie aus der
Einbildungskraft gewonnen werden kann. Einige Aufführungsleiter zeigen
uns drei Vorhänge und einen Teppich, und nennen das eine Scenerie,
die von der Einbildungskraft geschaffen worden. Doch das ist nur
eine Scheinscenerie; es ist ein geschmackvoller Weg, der aus einer
Schwierigkeit herausführen soll, eine Idee, die von einem Naturell
ausgeht, das des malerischen Sinnes entbehrt. Eine Scenerie, die aus
der Einbildungskraft geschaffen wird, ist für Shakespearesche Dramen,
für Phantasiestücke und Opern geeignet. Ein künstlerischer Regisseur
müsste die Fähigkeit haben, durch Suggestion für uns das ganz Innerste
der Natur wiederzugeben. Suggestion, nicht Realismus durchflutet alle
Shakespeareschen Dramen.

Des Regisseurs Aufgabe wird leichter, wenn, wie dies bei Shakespeare
der Fall ist, der Dichter bereit ist, ihm Hilfe zu leisten. Unter diesem
Beistand verstehe ich nicht die Bühnenanweisung, denn Shakespeare hat
das Besondere, keine Bühnenvorschriften zu geben, und nur sehr wenige
Andeutungen sind es, die er für den Schauspieler hinterlassen hat.
Nehmen wir z. B. Akt 1, Scene 1 aus Hamlet. Nicht Shakespeare, sondern
erst seine Herausgeber Malone, Theobald, Capell, Pope und andere, die
befürchteten, dass Shakespeare sich nicht klar genug ausgedrückt hätte,
fügten solchen Unsinn wie: »ein offener Platz vor dem Palaste« oder
»eine Terrasse vor dem Palaste« hinzu. Bevor diese Leute das Gemälde
nach ihrer eigenen Auffassungskraft erniedrigten, war die Scene so weit
wie die Einbildungskraft Shakespeares. Seine einzige Notiz zu Anfang
ist: »Actus Primus, Scaena Prima«. Kein Wort auch nur über Dänemark,
oder über Helsingör, ebensowenig wird über eine Terrasse gesagt. An
Stelle von all dem hilft Shakespeare uns auf einem andern Wege. Er führt
uns ein Gemälde aus der Einbildungskraft vor. Ein Streifen schwarzen
Himmels wird angedeutet durch einen einzelnen Stern. Es ist eine kalte
Nacht. Nichts rührt sich. Plötzlich schlägt eine Uhr die Stunde an. Ein
Mann, der bis jetzt im Schatten verborgen gewesen, steht langsam auf
und bleibt horchend stehen. Dann geht er ruhelos hin und her. Der Platz
erfüllt ihn mit einer gewissen Furcht. Er fährt fort zu gehen, er geht
uns gegenüber vorbei. Nun ist er in einen ungeheuren, unergründbaren
Schatten versunken, aus welchem er jetzt wieder in das graue Licht
auftaucht. Er erscheint wie irgend ein Gespenst; das, was er zu treffen
fürchtet, ist das, womit er am meisten Aehnlichkeit hat.

So weit führt Shakespeare uns, dann überlässt er dem Regisseur die
Ausführung mit der auf jeder Seite seines Dramas niedergeschriebenen
Bemerkung, dass die Scenerie und die Scheingegenstände beredtsam sein
sollen und Sohnesliebe, Mord und Melancholie, Gewalt und Uebergewalt
ausatmen müsse.

Genauigkeit ist einen Pfifferling wert! Shakespeares Meinung vom Werte
der Genauigkeit bei einer solchen Gelegenheit ist im Hamlet bezeugt.
Douce erwähnt einige Anachronismen. Er führt aus, dass die dänische
Geschichte Hamlet in märchenhafte Zeiten versetzt hat, lange bevor
das Christentum nach Nordeuropa gebracht wurde, und dass mithin die
häufigen Anspielungen auf Gewohnheiten der Christen unsachgemäss sind.
Hamlet schwört beim heiligen Patrick und spricht von den Chorknaben der
Pauls-Kirche. Wir sehen Kanonen, ein Königssiegel, bevor eines gebraucht
wurde, eine Universität in Wittenberg, Schweizer Garden, Glocken,
Dukaten, moderne Herolde, Rappiere, und wir hören von Ausdrücken der
modernen Fechtkunst.

Wenn aber Shakespeare akkurater gewesen wäre, könnte man glauben, dass
wir dann ein besseres Drama hätten, eines, das treuer gegen die Natur
ist? Genauigkeit ist da von keiner Bedeutung. Was wichtig ist, ist
allein, dass der, der die Stücke aufführt, jede Scene und jeden Teil
einer Scene wägt, wie ein Redner jede Silbe seiner Rede wägt. Nichts
muss dem Zufall überlassen bleiben. Die Form der Scene ist so wichtig
wie ihre Farbe. Schlösser mögen architektonisch korrekt sein oder nicht,
aber vor allem müssen sie sich prächtig im Luftraum erheben. Gärten
müssen voll von unbekannten Bäumen und Pflanzen sein. Die Form der
Zimmer und Möbel darf niemals zuvor gesehen worden sein ausser in der
Phantasie. Die Kostüme müssen so sein wie sie niemals getragen worden
sind ausser in den Bildern, die die Vision der Poeten bevölkern. Diese
Dinge müssen geschaffen werden, sie müssen voll Bedeutung sein, oder sie
sind nutzlos.

Ich habe Regisseure allem seine Bedeutung rauben sehen, indem sie
gleichgültig gegenüber dem Wert von Linien und Farben waren.



[Illustration: Max Liebermann, kleine Strasse in Naarden, 1901]

                      ERINNERUNGEN AN KARL STEFFECK

                                   VON

                             MAX LIEBERMANN


Ich kam als Sekundaner zu Steffeck, 1863 oder 64, um Mittwoch und
Sonnabend Nachmittags bei ihm zu zeichnen. Nachdem ich 1866 das
Abiturientenexamen gemacht hatte, trat ich in sein Schüleratelier
ein, um Maler zu werden. Möglich also, dass mir Steffecks Bild als
zu »verklärt« in der Erinnerung geblieben ist, im Licht der goldenen
Jugendzeit. Steffeck erscheint mir wie »der grosse Künstler« in Romanen:
schön, geistreich, witzig, unter dessen Pinsel mühe- und sorglos, bei
anmutigem Getändel mit schönen Damen und klugen Reden mit vornehmen
Herren, Meisterwerke entstehen.

Steffeck bewohnte in seinem Hause Hollmannstrasse 17 -- er war aus
begüterter Familie -- das Erdgeschoss; in den anstossenden Garten
hatte er zwei Ateliers bauen lassen für sich und seine Schüler. Die
Hochschule für bildende Kunst, die damals Akademie hiess, war sehr
versumpft und erfreute sich keines besonderen Renommés. Desto mehr
Zuspruch hatte Steffeck, dessen Schule nach Pariser Vorbild -- dem
einzig nachahmenswerten -- eingerichtet war: Vormittags von 9-1 Uhr
wurde nach dem lebenden Modell gearbeitet, nachmittags nach Gips
gezeichnet und abends von 6-8 Uhr war Aktsaal, wo neben uns angehenden
Malern Architekten wie Kayser und von Grossheim, Kunsthistoriker wie
Wilhelm Bode die menschliche Figur studierten. Oft zeichnete Steffeck
selbst mit, und es war eine Freude, zu sehen, mit welcher Sicherheit
und Leichtigkeit er das Modell hinunterfegte, fast ohne den Bleistift
abzusetzen. Korrekturen gab's bei ihm nicht, wie bei seinem Meister
Gottfried Schadow, von dem Steffeck oft die niedliche Geschichte
erzählte, dass, als sein Sohn Wilhelm, der spätere Akademiedirektor in
Düsseldorf, ihn um einen Groschen für Gummi gebeten, er ihn gefragt
hätte, wozu er Gummi gebrauchte, er, Gottfried Schadow, mache keinen
falschen Strich, den er wegzuwischen hätte.

Nach seinem allmorgendlichen Spazierritte, so gegen 10 Uhr, kam
Steffeck ins Schüleratelier, gewöhnlich noch in Reithosen und mit Sporen
an den Stiefeln; im Munde die Zigarre, die er in einem fort ausgehen
liess, um sie ebenso oft wieder in Brand zu stecken. Er interessierte
sich nur für die Arbeiten, in denen er etwas in der Natur Beobachtetes
wiedergegeben fand. Routine und Chick waren ihm ein Greuel, ebenso
wie die gewerbsmässige Kalligraphie, wie sie damals auf den Akademien
gelehrt wurde. Ueberhaupt wurde er nicht müde, vor diesen Pflanzstätten
des Künstlerproletariats zu warnen: »Entweder hat einer genügend Talent,
dann braucht er den akademischen Unterricht nicht, oder er hat nicht
genügend Talent, dann nützt er ihm nichts.« Richtig zeichnen lernen, das
Uebrige war ihm Hekuba.

»Zeichnet, was Ihr seht«, war seine immer wiederholte und beinahe
einzige Lehre. Mit sonstiger Aesthetik behelligte er uns nicht, denn er
wusste, dass alles Lernen in der Kunst in nichts anderem bestehen kann,
als die Form zu finden, das Gesehene wiederzugeben.

Daher hatte er nur Schüler, die ihn grenzenlos verehrten, oder solche,
die ihn ebenso grenzenlos hassten und -- bald weiterzogen, besonders
nach München, wo Piloty den Nürnberger Trichter zu haben schien, d. h.
in ein paar Monaten hatten ihm seine Schüler, die vornehmlich Polen,
Tiroler, Böhmen waren, sämtliche Mal-Tricks und Schlenker abgeguckt, und
nacheinander gab's eine berühmte tiroler, eine polnische und böhmische
Malergeneration. Neben dem vielen G'schnass und dem talentvollen Kitsch
trat damals gerade ein wirkliches Genie wie Makart auf, und ich erinnere
mich noch des beispiellosen Erfolges seiner Pest von Florenz. Steffeck
sagte von dem Bilde: es ist schlecht gezeichnet und mit Hurensalbe
lasiert. Und wenn er das Wort nicht erfunden hatte, so hätte er's
jedenfalls erfunden haben können.

Er war ein zu getreuer Schüler Schadows und seines vergötterten Lehrers
Franz Krüger, dazu Berliner bis auf die Knochen, um sich irgendwelcher
Gefühlsduselei in Form oder Farbe hinzugeben. Für das französische
Blut in ihm -- er gehörte zur Kolonie -- war nur der Gedanke, der klar
ausgedrückt war, klar gedacht. Auf Klarheit und Richtigkeit war sein
Streben in der Kunst gerichtet, wobei er leider, ohne es zu merken,
in allzu grosse Nüchternheit und Trockenheit verfiel. Die Franzosen
schienen ihm seinem Kunstideale am nächsten zu kommen: er hatte ein paar
Jahre in Paris studiert, er sprach glänzend französisch und wurde nicht
müde, Paris als das Dorado der Kunst uns zu schildern. Seit Napoleon
III. herrschte Couture als französischer Malerkaiser, und jeder Maler,
der sich einigermassen respektierte, suchte sich dessen Rezept für
die alleinseligmachende Malerei zu verschaffen. Der alte Ravené hatte
den berühmten Edelknaben von Couture für seine Galerie erworben, und
es ist wohl nicht zu viel gesagt, wenn ich behaupte, dass er bis zum
französischen Krieg als schönstes Stück Malerei bei uns angesehen wurde.

Auch Steffeck lehrte nach Coutures Methode: die Zeichnung wurde zuerst
mit einem dünnen Umbraton angetuscht, dann wurden die Lokaltöne in die
braune Untermalung hineingesetzt, die Schatten blieben womöglich von
der Untermalung, jedenfalls ganz dünn und transparent, stehen, und zum
Schluss wurden ein paar pastose Glanzlichter aufgesetzt. Neben der
Korrektheit der Zeichnung handelte es sich für Steffeck um Eleganz des
Vortrages. Wo diese beiden Eigenschaften einem höheren, gesteigerten
Leben geopfert waren, wie bei Menzel, war's aus mit seiner Anerkennung.
Ueberhaupt hatte er eine ausgesprochene Abneigung gegen Menzel, vor
dessen »Karikaturen« er uns eindringlich warnte.

Freilich stand Steffeck damals mit dieser seiner Abneigung gegen
Menzel durchaus nicht vereinzelt da. Dieser war noch der Apostel des
Hässlichen, wie ihn W. v. Kaulbach genannt hatte, und noch längst nicht
der »Altmeister mit dem Schwarzen Adlerorden«.

Man weiss, wie Schadow über Menzels erste Illustrationen zu Kuglers
Friedrich dem Grossen in der Haude und Spenerschen Zeitung geurteilt
hatte: »Die Kritzeleien oder Griffonagen eines gewissen Menzel seien des
grossen Königs unwürdig«, und noch 1861 erwähnt Wagen in seinem Katalog
zu der Wagnerschen Sammlung, Menzels, von dem kein Bild in der Sammlung
war, überhaupt nicht. Bis vor dem französischen Kriege waren neben
Steffeck der alte Eduard Meyerheim, Gustav Richter, Eduard Hildebrandt
und Carl Becker viel berühmter als Menzel, und Steffecks Urteil über
ihn erhellt aus folgender Geschichte, die mir mein damaliger Meister
öfters als einmal erzählte (denn er war sehr stolz darauf). Menzels
Krönungsbild war gerade ausgestellt und war sehr abfällig beurteilt,
besonders von Steffeck. Menzel, dem das zu Ohren gekommen sein mochte,
hatte sich an Steffeck brieflich mit der Bitte gewandt, wenigstens vor
dem Publikum sein ungünstiges Urteil über das Bild etwas zurückzuhalten,
worauf ihm Steffeck geschrieben, dass er sich der grössten Mässigung
befleissigt hätte, sonst hätte er erklärt, dass das Krönungsbild
aussähe, als ob 14 Tage -- S....dreck darauf geregnet hätte. Menzels
Genie war seiner Zeit um eine Generation voraus, deshalb war unserem
Meister, der trotz seines Talentes ganz in seiner Zeit steckte, Menzel
zuwider, wie diesem dreißig Jahre später etwa die Impressionisten
zuwider waren.

Steffeck war Vater von 14 Kindern, und während der zweieinhalb Jahre,
die ich sein Schüler war, hatte ihm seine Gattin drei Zwillingspaare
hintereinander »geschenkt«; trotzdem glaube ich nicht, dass die Sorge
um seine grosse Familie ihn -- wie er oft im Missmut behauptete -- an
der vollen Entfaltung seines Talentes gehindert hat. Sein kolossales
Jugendwerk »Albrecht Achill«, das er als Dreissigjähriger gemalt, hatte
sein Renommee gegründet; 20 Jahre später malte er das fast ebenso grosse
Bild, das jetzt im Schlosse hängt: »König Wilhelm nach der Schlacht von
Königgrätz«, leider ohne den erhofften Erfolg. Das grosse Format lässt
die Fehler oder richtiger das Fehlende in Steffecks Talent natürlich
vergrössert erscheinen. Ihm fehlte die innere Leidenschaft, der Kampf
und das Ringen nach dem Höchsten, die Konzentration, vor allem aber der
künstlerische Egoismus, der alles seinem Werke opfert. Weil sein Werk
ihn nicht mit sich fortreisst, reisst er auch uns nicht mit sich, wie
z. B. Schmitson, der gerade damals, Anfang der sechziger Jahre, Berlin
enthusiasmierte.

Besser als in den grossen Maschinen, wie »Albrecht Achill« oder »Die
Schlacht von Königgrätz«, erscheint daher Steffecks Talent in den
unzähligen Pferde- und Hundebildern kleineren Formats; am schönsten aber
in seinen Pferde- und Reiterporträts, die er zu sechs Friedrichsd'or
das Stück und gewöhnlich à la prima in einer Sitzung heruntermalte --
auch darin, dass er nur prima malte, zeigte sich sein gesunder Instinkt
-- und die die glücklichen Besitzer oft noch nass mit nach Hause nehmen
konnten. Ausser Franz Krüger verstand wohl keiner ein Pferd so gut wie
Steffeck. Bevor er den Gaul malte, liess er ihn sich in dem kleinen
Garten hinter seinem Atelier vorreiten -- ach! wie oft und wie gern
habe ich's gethan -- um seine Gangart kennen zu lernen. Mit wunderbarer
Sicherheit und mit photographischer Treue wusste er sie nachher
wiederzugeben. Er hatte eine Steeplechase gemalt, wie ein Gaul, alle
vier Beine unterm Leib, über eine Hürde setzte, und die Kritik hatte
ihn wegen der allerdings höchst ungewöhnlichen und gewagten Stellung
der vier Pferdebeine, als unmöglich in der Natur, heftig angegriffen.
Eines Tages zeigte er uns triumphierend eine Momentphotographie, die
inzwischen erfunden worden war und woraus deutlich hervorging, dass er
ganz richtig die Stellung der Pferdebeine wiedergegeben hatte. Und nur
jemand, der sich mit ähnlichen Problemen beschäftigt hat, weiss, was es
heisst, derartige Bewegungen zu beobachten und richtig wiederzugeben.
Sein Sinn für Zeichnung war eminent: wie jedes wahrhaft künstlerische
Zeichnen, beruhte er auf dem Gefühl für richtig und gross gesehene
Verhältnisse. Ich entsinne mich noch eines seiner Skizzenbücher
mit Studien zu einer Parforcejagd, die er für den Grossherzog von
Mecklenburg malen sollte; oft nur Andeutungen, der Kopf in Form eines
Ovals und mit ein paar Strichen für Augen, Nase und Mund, aber die
Proportionen waren so richtig, dass man aus den wenigen Strichen die
dargestellten Personen erkennen konnte.

Doch, wie gesagt, Steffeck war nicht nur Berufsmensch und
Familienvater: er war auch Genussmensch. Er interessierte sich für
alles, für Politik, für alles, was in der Welt, d. h. in Berlin,
passierte. Er sass in unzähligen Kommissionen und er war wohl durch 20
Jahre Präsident des Vereins Berliner Künstler. Nicht nur Präsident,
sondern dessen Seele: er hatte es verstanden, durch Heranziehen von
führenden Männern aus andern Berufen aus dem Verein den geselligen
Mittelpunkt Berlins zu machen. Ich glaube, dass er Präsident des Vereins
blieb bis zu seinem Weggange nach Königsberg, wo er Direktor der
dortigen Akademie wurde. Jetzt ist aus dem Verein, der ursprünglich nur
gesellige und wohlthätige Zwecke verfolgte, weder zu seinem Vorteile,
noch zu dem seiner Mitglieder ein kunstpolitischer geworden: nachdem
er die Mitwirkung an den grossen Kunstausstellungen erlangt hat,
wird er versuchen, auch Juryfreiheit für die Mitglieder des Vereins
herauszuschlagen. Und es liegt auf der Hand, dass dadurch das Niveau der
Kunst in Berlin unendlich leiden muss.

Ich sah Steffeck zum letzten Male im Jahre 1886, als er von Königsberg
auf der Durchreise nach Karlsbad sich ein paar Tage hier aufhielt; er
war ein Greis geworden, der, von Rheumatismus geplagt, sich nur mühsam,
auf den Stock sich stützend, fortbewegen konnte, und wenige Jahre
darauf, 1890, ist er gestorben.

Es wäre lächerlich, von Steffeck in Superlativen zu reden: er selbst --
denn er war wie Th. Fontane, mit dem er auch sonst manche Aehnlichkeit
hat, ein Cyniker, und zwar von der Sorte, der sentimentale Phrasen und
feierliche Redensarten am ekelhaftesten sind -- würde am lautesten
darüber lachen. Aber er war ein ganzer Mensch und ein echter Künstler,
der sein Handwerk ehrte, und darum sollte auch ihn das Handwerk ehren.

Seine Kunst und sein Leben waren ausgeglichen und in Harmonie, daher
die Liebenswürdigkeit, die beides umstrahlt.

Ich aber wollte der Liebe und Verehrung, die ich ihm übers Grab
hinaus bewahrt habe und bewahren werde, Ausdruck geben: Nehmt alles nur
zusammen, Steffeck war ein famoser Kerl.



[Illustration: A. Maillol, Studie]

                            ARISTIDE MAILLOL

                                  VON

                             MAURICE DENIS

                  I. Die Begabung für das Klassische.


Es gereicht der französischen Skulptur zur besonderen Ehre, dass die
Kunst Aristide Maillols ihre Blüte und ihren Erfolg zur gleichen Zeit
feiert, in der der ungeheure Ruhm von Rodin uns noch mit seinem ganzen
Zauber beherrscht. Rodin hat uns aufgezwungen das Gefühl für seine
schneidende Art, für seinen Geschmack an dogmatischer Schönheit an
Charakter und Ausdruck, hauptsächlich an seinem Stil, der ganz nur ihm
eigentümlich ist, der feurig und kompliziert, leidenschaftlich ist,
der zum Fremdartigen neigt und der, was dies Alles besagt, durchtränkt
ist von Romantik. Er wird auf unsere Epoche einen ähnlichen Einfluss
haben wie Richard Wagner: er ist das Haupt der modernen Schule, alle
Neuerer werden aus ihm hervorgehen. -- Und nun entdeckt uns ein neuer
Meister ein anderes Ideal, andere Schönheiten, deren naive Sinnlichkeit,
Einfachheit und Vornehmheit ohne Pose wieder mehr den Geschmack für das
Klassische hervorheben und den Reiz eines frischen und kristallklaren
Wassers haben.

Seine Kunst ist eine vornehmlich synthetische Kunst. Ohne durch irgend
eine Theorie dahin geführt zu werden, nur durch seinen eigensten
Instinkt, hat er an der neoklassischen Bewegung teilgenommen, deren
Ursprung man bei Cézanne und Gauguin suchen muss. Die Terrakotten und
die Holzschnitzereien des Meisters von Tahiti, ebenso wie die Kartons
zu Gobelins von Emile Bernard sind nicht ohne Einfluss auf seine
Entwicklung gewesen. Die Kunstleistungen der Synthetischen, die sich
gegen den eklektischen Realismus der Akademien empörten, haben in
Maillol, der ein Schüler von Cabanel war, seine wahrhafte Natur erweckt.

Aber während wir jene Einfachheit, jenen grossen Stil nur in Paradoxen
suchten und nur unter grössten Opfern fanden, entdeckte ihn Maillol in
sich selbst, fast mühelos. Er verstand es, die kleinlichen Berechnungen,
die Vorurteile der akademischen Schule einfach über Bord zu werfen,
und kam früh dazu, auf allen Gebieten Werke von wirklich synthetischer
Schönheit zu schaffen.

Jeder denkende Künstler kommt früher oder später dahin, diese Art
Schönheit jeder anderen vorzuziehen. Das Ideal der Kunst ist, in
wenigen klaren und bestimmten Formen die unendlich verschiedenartigen
Beziehungen zu kondensieren und zusammenzuziehen, die wir in der Natur
beobachten. Gegen Ende ihrer Laufbahn verzichten ein Degas, ein Rodin,
ein Renoir auf die köstlichsten Feinheiten ihrer früheren Malweise und
erweitern ihr Handwerk, kürzen ab, vereinfachen und bringen Opfer. Wer
unter uns, der sich der wahren, der einzigen Schwierigkeit unserer
Kunst bewusst ist, würde nicht gern all seine Qualitäten von Geschmack,
Feinfühligkeit und Technik eintauschen gegen jene kostbare Gabe, die
vorzüglich die Begabung Maillols ist: die klassische Begabung.


                      II. Ueber klassische Kunst.

In der Kenntnis der klassischen Kunst herrscht vor allem die Idee
der Synthese. Kein Klassiker, der nicht ökonomisch mit seinen Mitteln
umgeht, der nicht die Grazie des Details der Schönheit des Ensembles
unterordnet, der nicht die Grösse durch Prägnanz erreichen will. --
Aber die klassische Kunst verlangt ausserdem den Glauben an notwendige
Beziehungen, an mathematische Proportionen, an einen Schönheits-Standard
-- entweder ein Sujet des Kunstwerks (Kanon des menschlichen Körpers)
oder in der Oekonomie des Werkes (Gesetze der Komposition). Wichtig ist
auch, das Gleichgewicht zwischen Natur und Stil, zwischen Ausdruck und
Harmonie zu finden. Der Klassiker handelt nach synthetischer Methode,
stilisiert oder erfindet sogar vielleicht Schönheit, nicht nur beim
Bildhauen oder Malen, sondern schon beim Sehen, wenn er die Natur
anschaut. Jedes Objekt, das er betrachtet, erschafft er neu; wenn er
ihm auch seine hauptsächliche logische Berechtigung belässt, wandelt er
es seinem eigenen Genie gemäss um. Der griechische Bildhauer aus der
Schule des Phidias weicht nicht dem Modell aus, indem er vereinfacht;
er lässt nichts aus, aber so meisterhaft beherrscht er jedes Detail
der Mathematik, dass sie sich alle in erhabener Harmonie auflösen.
Der Körper, den seine Kunst erdenkt, ist so objektiv, dass er wahr
erscheint, und doch hat ihn der Gedanke des Menschen konstruiert,
er hat Stil. So bildet der Klassiker aus den der Natur entlehnten
Elementen nicht nur die Elemente von Kunstwerken, wie der Orientale,
der Romantiker oder der Impressionist, sondern auch die Elemente einer
Natur, wie er sie sieht, ideal verständlich und nach seinem Bilde
erschaffen. Es scheint übrigens, dass es die Griechen des fünften
Jahrhunderts und die Aegypter sind, welche die allgemein verbreitetsten
Schönheitstypen und die besten Proportionen geschaffen, sowie am meisten
Leben und Realität in eine bis dahin rein architektonische Auffassung
des menschlichen Körpers gebracht haben. Und ist es nicht gerade das,
was wir auch in anderen Epochen bei den Meistern der Bildhauer- und
Malkunst am Mittelmeer, bei den Mosaikkünstlern von Rom und Ravenna, bei
den Giottisten bewundern?


                III. Griechische oder gotische Klassik?

Wie jene bemüht sich auch Maillol vollkommen schöne und vollkommen
einfache Formen zu schaffen. Den Gegenstand seiner Sinnlichkeit, alles,
was er in der Natur liebt, kleidet er in gewisse Konventionen, die er
erfunden hat. Er erschafft, ganz naiv, vielleicht sogar unbewusst,
klassische Synthesen. Nichts Ueberflüssiges belastet die Knappheit
seiner Figuren, von denen so manche die Reinheit einer Tanagra-Figur
hat. Durch seine Geburt, durch seine Rasse gehört er dem Süden
Frankreichs an: er kommt uns von den Ufern des Mittelmeers, dessen
blaue Fluten die Geburt der Venus gesehen und zu so vielen berühmten
Kunstwerken begeistert haben. Irgend ein Grieche, sein Ahnherr, hat
vielleicht an unsere südlichen Küsten mit dem Kultus der Schönheit auch
den der Pallas Athene mitgebracht, also den Kultus des klassischen
Geistes. Er selbst, mit seiner gut gebauten Stirn, seiner geraden Nase,
seinem borstigen Bart, gleicht einem der Krieger aus dem äginetischen
Giebelfeld; er ruft in einem die Gedanken an einen Begleiter des
schlauen Odysseus wach, den eine keltische Nymphe an diesen Ufern
zurückgehalten hat. In Bauyulx in Roussillon geboren, wo er auch
alljährlich die Wintermonate verlebt, ist er zwischen den Pyrenäen
und dem Meer aufgewachsen, unter Olivenbäumen und in Weingärten. Da
erhält eine freigebigere Sonne die Geister der Menschen, eine lächelnde
Jugend. Sie sind immer zum Enthusiasmus bereit, feurig in Worten, zu
wunderbaren Erzählungen geneigt. Wer Maillol gehört hat, wie er Melodien
seines Vaterlandes singt, den Himmel, die Sonne und den Wein rühmt,
der weiss, wie tiefe Wurzeln ihn an den lieben Boden des Vaterlandes
knüpfen, [Greek: Philên es patrida gaian], dort hat er die
Weisheit Houdon's wiedergefunden, da knüpft er mit leichter Grazie an
die Traditionen der griechischen Bildhauerkunst an.

Von anderer Seite[1] wird behauptet, dass Maillol ein Anhänger der
Gotik sei. Und das scheint ein direkter Widerspruch gegen uns zu sein.
Ich gebe zu, er hat die Grazie, die Intimität, die Feinfühligkeit des
Occidentalen. Seine Auffassung des Realen berührt uns näher als die
Vollkommenheit der Antike, er hat eine anmutende Heiterkeit, »incessu
patuit dea« lässt sich nicht auf seine nackten Figuren anwenden. Sein
Klassizismus liegt uns näher, mit einem Wort, er ist ein Moderner. Aber
man muss sich darin verstehen. Ich teile nicht das Vorurteil unserer
lateinisch-heidnischen Erziehung, die uns unser Mittelalter als eine
dunkle Epoche der Askese und der Barbarei zeigt. Im Gegenteil, das
Christentum erweckte die Leidenschaft für die Natur: die Kunst des
Mittelalters, bald mystisch, bald sinnlich, hatte ein sehr lebhaftes
Gefühl für alles, was reizvoll auf der Erde ist. Die Meisterwerke
unserer Bildhauerkunst des XIII. Jahrhunderts lassen sich ganz mit den
Meisterwerken des griechischen V. Jahrhunderts vergleichen. Obgleich
sie verschiedenartiger, lebendiger, ausdrucksvoller sind, dürfte man
ihnen den Charakter allgemeiner Menschlichkeit, und jene erhabene
Roheit absprechen, durch die Maillols Statuen mit den schönsten Antiken
verwandt sind. Aber von unserm Standpunkt, d. h. vom klassischen
Standpunkt aus, muss jeder zugeben, dass z. B. die Statuen von Chartres
eine ebenso geläuterte Kunst, einen ebenso gefeilten Stil, ein ebenso
reines Formgefühl zeigen wie die schönsten griechischen Statuen. Und
es giebt wenig Darstellungen der Frau in der griechischen Kunst des V.
Jahrhunderts, die so frisch und köstlich wirken, wie die Darstellung der
heiligen Jungfrau, die die Gotik uns so rundlich und heiter lächelnd
zeigt. Das Buch über die Sinnlichkeit und die Vollkommenheit der Form
der französischen Bildhauerkunst des Mittelalters ist noch nicht
geschrieben.

  [1] Jacques Blanche.

Ich weiss nicht, ob Maillols synthetische Methode sich an die Griechen
oder an die Gotiker lehnt. Aber unbedingt sehe ich bei ihm ein
entschiedenes Eingehen auf die Natur und auf das individuelle Leben,
das er, wie in den Kirchenbildern, durch absolute Wahrheit übersetzt,
die ihn bis zur Missbildung und zum Linkischsein führt. Am Portal von
Notre Dame in Paris, in der Herodias von Rouen, im Vierblatt von Amiens,
im Giebelfeld der Brautthür von St. Sebaldus in Nürnberg finden sich
Rundungen, eine Grazie, Naivitäten, die der reine Maillol sind.

In ihm vereinigen sich versöhnlich zwei aufeinanderfolgende Traditionen,
das griechische V. und das christliche XIII. Jahrhundert, zwei
Kunstformen, die den idealen Typus der Menschheit durch die Fülle der
Form verwirklicht haben.


                          IV. Fülle der Form.

Bis zu welchem Grade Maillol das Gefühl für die Form, für die
Schönheit einer Linie, für die geometrische Vollkommenheit eines Körpers
hat, das drücken schon vollkommen seine Entwürfe, seine flüchtigen
Skizzen aus. Ein einfacher Zug genügt ihm, um sein plastisches Interesse
an einem Werke zu rechtfertigen, an dem wir ihn dann lange Monate
arbeiten sehen. Die zauberhaften Arabesken seiner Tapisserien zeigen
sein erstes Tasten nach der Form; allerdings sind sie farbig und das
ist auf den ersten Blick ihr grösster Reiz. Wenn er auch aus einem Land
stammt, das Poussinsche Linien und mehr graue Tinten zeigt, so reizte
ihn doch von Jugend an das Spiel der Farben. Er war ein malerisches
und dekoratives Talent, ehe er Bildhauer wurde. Man kennt die schönen
gewirkten Tapeten, die er im Salon der Société Nationale ausstellte:
grosse Figuren genial drapierter Frauen in der Umgebung eines
Obstgartens oder Parks. Aber gerade in diesen ersten Werken, ebenso in
seinen wenigen Malereien, Lithographien und Holzschnitten entdeckt man
unter der Zartheit der Farben sein tiefes Gefühl für die Form, auf den
emaillierten Fayencetellern, die aus seiner Anfangszeit stammen, z.
B. den beiden jungen Mädchen, die eine Giesskanne tragen, stehen die
Umrisse in voller Schärfe, und doch treten schon die Modellierungen
bedeutungsvoll hervor. Und schon seine ersten Figurinen zeigen in ihrer
Fülle all seine plastischen Qualitäten. Seine Meisterschaft bestätigt
sich in den Statuen und Statuetten der letzten Jahre, der halbdrapierten
Figur von Octave Mirbeau; den Kämpferinnen und dem sitzenden jungen
Mädchen von Herrn Vollard, einer stehenden Frau von Mr. Fayet, einer
kauernden weiblichen Gestalt vom Grafen Kessler; in allen entdeckt man
erstaunliche Kombinationen von Flächen und gefälligen Rundungen, ein
vollkommenes Verständnis der relativen Wichtigkeit der Volumen, eine
starke Modellierung und Breite in der ganzen Ausführung. Was ist nun in
der Ausarbeitung seines Werkes sein Kriterium, sein Führer? Es ist nicht
der Charakter eines ein für allemal gewählten Typus; denn er entnimmt
verschiedenen Modellen, Abgüssen und selbst Photographien die ganz
verschiedenen Elemente, die er zu einem Ganzen verschmilzt. Es ist auch
nicht die Bewegung, denn er verändert sie im Laufe seiner Arbeit, es ist
einfach das wundervolle, instinktive, natürliche Gefühl für die Form.

Keiner komponiert so wie Maillol das Element des Fleisches, die
Symmetrie eines Torsos und die ganze Architektur der Sinne, in der sich
seine Phantasie entfaltet. Er braucht absolute Freiheit, um nach seinem
sicheren Instinkt zu erfinden und die Materie zu gestalten. Aber auch im
Meistern der Ueberfülle seiner Gaben, in der Art, wie er unter tausend
verschiedenen Elementen diejenigen wählt, die am geeignetsten sind, ihn
zu befriedigen, fühlt er ganz wie die Klassiker das Bedürfnis eines
Zwangs. Dieser Nachkomme der Aegypter, der Griechen und des herrlichen
Pradier schreibt sich selbst festgelegte Proportionen, feste Satzungen
vor: nach seinen gewöhnlichen Modellen hat er die Maasse präzisiert,
die ihm gefallen, und einen idealen Typus geschaffen, dem er nach
Möglichkeit alles unterwirft. Ich habe beobachtet, dass er sich, indem
er möglichst systematisch kugel- und cylinderähnliche Formen verwendet,
den Rat von Ingres zu verwirklichen bemüht: »dass die Beine wie
Säulen sein müssen«. -- Und er verwendet die vom Meister bezeichneten
Mittel: »Um die Schönheit der Form zu erreichen, muss man rund und
ohne innere Details modellieren. Denn »schöne Form ist gerade Flächen
mit Rundungen«. -- Und Ingres fügte hinzu: »Warum schafft man nicht
grossen Stil? weil man statt einer grossen Form drei kleine macht.« Eine
glänzende Formel, welche die ganze Kunst und Methode Maillols umfasst!


                       V. Der Sinn für das Reale.

So haben wir nun untersucht, welche Qualitäten er für sein Schaffen
mitbringt und mit welcher Beherrschung er eine ganz konkrete und ganz
mit Realismus genährte Phantasie beherrscht. Denn solche Kunst wäre in
der That akademisch, wenn die Liebe zum Realismus nicht überall darunter
hervorblühen würde. Aus seinen vollendetsten Synthesen ist es leicht,
seine Begeisterung für die Natur herauszufühlen. Dieser grosse Klassiker
hat eine ganz kindliche Empfindung. Jedes noch so vertraute Schauspiel
in der Natur sieht er jedesmal wieder mit entzückten Augen und einem
frischen Herzen. Die ganze Aussenwelt liebt er leidenschaftlich. Giebt
er nun wirklich dem was er sieht den Vorzug vor dem, was er erfindet?
Eine offene Frage. Jedenfalls hat er die Gabe der Frische in einem
unerhörten Grade. Ich habe ihn in Ekstase geraten sehen über einen
Kieselstein, über ein Stückchen Erde, über den Glanz eines Metalls.
Seine Zärtlichkeit ist unermesslich, er ist für den Zauber jeder Sache
empfänglich.

Wenn seine künstlerische Neugierde so universell ist, wenn er sich
so warm mit dem anzuwendenden Material, mit der Patina, beschäftigt,
wenn er gern neue Mischungen zum Modellieren erfindet, wenn er bei
seinen Spaziergängen auf dem Lande Pflanzen sammelt, um ihren Saft zu
Farbstoffen auszupressen, so kommt das daher, dass nichts in der Natur
ihn gleichgültig lässt. Er ist eben mit allen Sinnen der geborene
Realist.


                       VI. Maillols Sinnlichkeit.

Dies ist auch das Geheimnis seiner sexuellen, mehr griechischen als
christlichen Sinnlichkeit, in der seine Kunst sich gefällt. Ein voller
Rücken, strotzende Schenkel, runde Schultern, die Weichheit des Leibes,
straffe Brüste -- bei all diesen Reizen des weiblichen Körpers verweilt
zärtlich sein Meissel. Die Antike, die nicht die Frauen liebte, hat uns
wenige so verführerische Figuren hinterlassen. Keine Romantik, keine
Literatur kompliziert ihm die jugendliche Vision dieser schönen, zur
Liebe bereiten Körper, ohne Scham und ohne Leidenschaft, Geschöpfe der
feinsten und köstlichsten Bestialität, kräftig gebaute und gesunde
Musen, deren lässige Stellungen sie der Mutter Erde nähern, oder die
manchmal ohne Bewegung im Glanz ihrer Nacktheit dastehen; Architekturen
des Fleisches, die kalt wären ohne jenes Erzittern der Haut, ohne
jene Unbestimmtheit der Geste, ohne die Zärtlichkeit, die ihnen die
wundervolle Schüchternheit Maillols einhaucht.


                 VII. Das Linkische in Maillols Kunst.

So oft er aufrichtig ist, wird er linkisch. Ich verstehe unter
»linkisch« jene Art von Ungeschicklichkeit, durch die sich, nicht
gebunden an äussere Formen, die persönliche Erregtheit des Künstlers
offenbart. Nicht nur unsere alten Meister, die frühen Gotiker, nein,
auch die grössten unserer Modernen haben uns Zeugnis von dieser
glücklichen Naivität gegeben. Ingres ließ sich, statt sich mit den
akademischen Vorschriften der Schule Davids zu begnügen, ruhig der
Ungeschicklichkeit zeihen und wagte die Thetis zu zeichnen! Der alternde
Puvis de Chavannes bäumte sich gegen den Verfall der Ingres-Schule
auf und in ihm erstand die Kindlichkeit der Giottoschule wieder. Um
der jämmerlichen Oberflächlichkeit der Kunst des zweiten Kaiserreichs
zu entgehen, begnügten sich Manet, Renoir, Degas damit, aufrichtig zu
sein und verachteten die Virtuosität, und die Kritik witzelte über ihre
Unkenntnis der Prinzipien von Kunst, Farbe und Zeichnung!

Der Fall Maillol ist ein komplizierterer; seine Kunst ist eine Kunst
der Formeln, aber sein Instinkt stellt sie auf: er enthält sich jedweder
Konvention, wenn er sie nicht, wenn ich so sagen darf, selbst erlebt
hat. Man muss folgendes richtig verstehen: Seine Aufrichtigkeit kennt
nur Grenzen insoweit, als sein klassischer Geschmack in Betracht kommt.
Immerhin ist sie aber begrenzt; und trotz dieses Zwanges bricht sie
überall siegreich hervor, sie macht diese kanonische Schönheit lebendig,
so dass, so vollendet er auch erfindet, seine Kunst doch der Triumph des
Instinkts ist. Wie naiv sieht er sein Modell, wie natürlich formt er es!
Die Kühnheiten, die er sich mit der Natur erlaubt, die Missbildungen,
durch die er eine Bewegung, eine Stellung betont, der Rhythmus
eines schönen Körpers, kein Kunstgriff verbirgt sie: man sieht sie
deutlich, er hat gar nicht die Absicht, etwas zu verbergen! Keinerlei
Erleichterung, kein Notbehelf! Wie seine Frauengestalten sind, ist
seine Kunst nackt und natürlich! Und wie sie hat er auch jene bäurische
Derbheit, eine ganz altmodische Gesundheit und jene Schamhaftigkeit, die
jeder von Natur offene Mensch einer komplizierten Zivilisation gegenüber
hat. Welch herrliches Naturell! er vereinigt die Tugend eines Klassikers
mit der Unschuld eines Primitiven!


                   VIII. Ein klassischer Primitiver.

Wie die Primitiven hat er die Achtung vor seinem Handwerk. Er macht
sich gar nichts aus den Klassifikationen der Theoretiker, und er
glaubt nicht, dass die Inspiration allein genügt ohne die Fügsamkeit
der Hände. Er lässt sich nicht durch leere Worte düpieren, er weiss,
dass die Kunst kein Priesteramt ist, dazu bestimmt, um die Gesetze der
»essentielle humanité« zu entwirren und zu verkünden. Die Dilettanten
unserer Zeit, die abergläubisch die geringfügigsten Skizzen irgend eines
geschickten Talentes verehren, werden in Maillol keinen Mitschuldigen
für ihren Fanatismus finden. So durchdrungen er von seinem Werte ist,
so will er weder sich noch uns durch eine Skizze zufriedenstellen. Er
hat den Ehrgeiz und die Anständigkeit, zu vollenden, zu glätten, mit
einem Wort, ein vollkommenes Kunstwerk zu schaffen. Er nimmt sich dazu
die notwendige Zeit, er hat die Redlichkeit des Kunsthandwerkers aus
früheren Tagen: er hat Geduld. Solch ein Praktiker ist eine Seltenheit
in unserer Epoche des Impressionismus und der Improvisation, er
verschmäht, mit den Abdrücken seiner Finger im Thon zu modellieren, und
ist nicht zufrieden, bis sein Holz hübsch sauber, sein Thon geglättet
ist und bis die Bronze unter der Feile die Fülle der Oberflächen und
die Eleganz der Rundungen angenommen hat. Wenn er die Geduld der
Primitiven hat, so treibt er auch wie sie sein Handwerk einfach, indem
jede Handhabung aus der Erfahrung seiner Hände resultiert. Die moderne
Industrie mit ihren flinken Hülfsmitteln schädigt nicht seine eifrigen
Versuche, ja, ich wage zu sagen, er verachtet sie; ebenso hat er kein
grosses Zutrauen zu den Neuerungen auf wissenschaftlichem Gebiete: er
verlangt von der Natur direkt alle Hülfsmittel, die sie ihm bieten kann,
und für das übrige nimmt er zu den Traditionen des Handwerks Zuflucht.

Auf seinen zufälligen Spaziergängen in Banguls entdeckte er die
seltensten und dauerhaftesten Tinkturen, ein alter Apotheker leitete
seine botanischen Sammlungen und um seine Färbmittel herzustellen,
bediente er sich der Rezepte von Empirikern. Und so gelang es ihm, Wolle
von absolut echten Farben herzustellen, die, wie Herr Meier-Graefe
versichert, denen aus der Manufaktur der Gobelins vorzuziehen sind. Ich
muss noch hinzufügen, dass er dieselbe Methode in der Zusammensetzung
der Thonerde und der Emaille anwendet, ebenso in der Wahl und der
Verfertigung seines Handwerkszeugs.

Voller Verehrung für die Vergangenheit, gehorsam den Lehren der
Museen, ahmt er keine Epoche sklavisch nach und liebt sie alle.
Daher archaisiert er auch nie mit Absicht, er erschafft jede seiner
Formeln neu. Wenn er manchmal den Griechen aus der Zeit des Phidias
sich nähert -- und das springt bei einer lebensgrossen Figur, an der
er jetzt arbeitet, in die Augen, kommt das nicht etwa durch eine
mühsame gnostische Nutzanwendung, durch die Vermittlung einer kühlen
Ueberlegung, oder durch Nachahmung -- nein, er fühlt eben einfach ganz
wie sie, und ihre Vollendung ist die seine, die ganz mit seinem Instinkt
übereinstimmt. Er ist ein primitiver Klassiker.


             IX. Inwiefern ist er Meister seines Geschicks?

Ich habe gezeigt, welchen selbst erwählten Platz Aristide Maillol
unter den Neueren in der Kunst unserer Epoche einnimmt. Keine
Versuchung, kein Einfluss (wenn es nicht etwa der Rausch des Erfolges
wäre) könnte ihn von einem so scharf gezeichneten Wege ableiten, auf
dem er schon Werke von einer seltenen Vollendung geschaffen hat.
Und doch entwickelt er sich noch. Es sei erlaubt, dem nachzudenken,
nach welchen Zielen seine letzten Arbeiten streben. Seine ersten
Terrakotta-Plaketten, in denen er bei seinem Auftreten so geglückte
Silhouetten prägte, seine Bronze-Figurinen, hauptsächlich seine letzten
Statuetten, waren schon trotz ihrer kleinen Proportionen monumentale
Werke. Es wäre von nun an richtig, dass die Architekten ihn teilnehmen
liessen an der Ausschmückung künftiger Paläste. Niemand verstünde besser
als er, seinen Statuen die gebührende Rolle zu geben, die der Skulptur
in der Oekonomie eines Gebäudes zukommt. Sie würden den strengen
Linien der Steine ein heiteres Leben einhauchen, ohne die Grösse der
Gesamtheit zu zerstören, ohne die Uebertreibung einer Bewegung oder
die Aufdringlichkeit eines Ausdrucks. Wie selten sind aber moderne
Architekten, die soviel Stil und soviel Mässigung verdienen! Ich denke
mir ihn lieber, wie er die Alleen eines Parks verschönt und wie er unter
dem dichten Grün eines neuen Versailles, in der klassischen Umgebung
eines französischen Parks, edle und verführerische Bildwerke errichtet,
eine Freude für die Augen und ein Ausruhen für den Geist.



                            AUBREY BEARDSLEY

                                  ÜBER

                                 TURNER


Sobald ausserordentliche Künstler über Künstler sprechen, ist es
bemerkenswert; sie übertreffen die »richtigen« Meinungen, ebenso wie
ausserordentliche Gemälde in den Geist der Kunst selbst dann einführen,
wenn sie Fehler haben. Die Fehler gehen aus dem Begnadetsein des
Künstlers hervor; wer den Künstler liebt, wird ihn auch in seinen
Uebertreibungen lieben und lernt durch ihn unsagbare Dinge. In
glänzender Weise hat Ruskin, der, obzwar Schriftsteller von Profession,
doch gleichfalls ein Künstler war, der sich in Uebertreibungen erging,
gesagt: Michelangelo und Turner waren Gegenpole und die beiden grössten
Künstler jeder in seiner Art, der eine der grösste Monumentalkünstler,
der andere der grösste Landschaftsmaler. Er hat sich geirrt. Derartiges
Generalisieren führt notwendig einen Mangel an Feinheit des Urteils
herbei. Er hat jedoch in grossen Strichen gezeichnet und sein Urteil
wirkt anschaulich. Aber wunderbar hat andererseits der geniale Zeichner
Aubrey Beardsley den englischen Landschaftsmaler charakterisiert --
ebenfalls mit paradoxen Mitteln. In einer Novelle hat Aubrey Beardsley
dies Kunsturteil über Turner niedergelegt. Zauberhaft geschrieben ist
sie. Beardsley zeigt den Helden seiner Novelle in einer Morgenstunde,
den sonderbar gemusterten Betthimmel anblickend und seinen Ideen
nachhängend. Nachdem er erzählt hat, an was alles sein bizarrer Held in
diesem Augenblick denkt, an lauter schöne, anmutige und interessante
Dinge, fährt Aubrey Beardsley, der sich mithin nicht allein zum
Novellisten sondern auch zum Kritiker geeignet zeigte, in seiner
Erzählung fort:

»Er dachte auch an den Claude Lorrain in Lady Delaware's Sammlung, das
Hauptwerk eines anbetungswürdigen und unfehlbaren Meisters, der mehr
als irgend ein anderer Landschaftsmaler uns von der Atmosphäre unserer
Städte frei und uns vergessen macht, dass das Land zuweilen schon
steif, langweilig und ermüdend sein kann. Es scheint fast unglaublich,
dass man Claude jemals in ungünstigem Sinne mit Turner, dem Wiertz
der Landschaftsmalerei, verglichen habe. Corot ist sein einziger
ebenbürtiger Rival, doch verdunkelt oder ersetzt er Claude Lorrain
nicht. Ein Corot'sches Gemälde ist wie ein zartes lyrisches Gedicht voll
Liebe und persönlicher Aussprache; während eine Landschaft von Claude an
eine vornehme, gedankenschwere Ekloge erinnert.«

Eine feinere Bemerkung als der Vergleich von Turner mit Wiertz, dem
belgischen Gernegross, ist selten gemacht worden. In der Verurteilung
Wiertz' ist sich alle Welt einig, in der Geringschätzung Turner's ist
man sich so wenig einig, dass Aubrey Beardsley gewiss der Letzte gewesen
sein würde, der den Vergleich mit Wiertz ernstlich aufrecht gehalten
hätte. Dennoch fühlt man, wie etwas Treffendes in dem Worte liegt.

[Illustration: Aubrey Beardsley, Zeichnung zu E. A. Poe]



                              DREI BRIEFE

                                  VON

                            ANSELM FEUERBACH


     Liebe Mutter!

Du wirst mit Einpacken für Emilie[2] beschäftigt sein und ich freue mich
darüber, dass wenigstens Eines Deiner Kinder entschlossen ist, während
auf mir noch immer der Dämon der Unentschlossenheit ruht.

  [2] Die Schwester des Malers.

Ich habe wahrhafte Sehnsucht an die Arbeit zu kommen. Vorgestern Abend
wurde mir allerseits zugesetzt, den Winter hier zu bleiben.

Professor Schwind, mit dem ich von früherher ganz auseinander war,
wurde ich vorgestellt und er hat sich den ganzen Abend mit mir auf das
herzlichste unterhalten. Gestern war ich bei ihm und ich muss ihm,
trotzdem er nicht malen kann, den Preis geben vor allen Andern. Er ist
wirklich der Genialste, der mir noch vorgekommen.

Spät in der Nacht, nach dem Abendessen, liess er die Musiker, welche bei
Tafel gespielt hatten, noch ein Quartett von Haydn machen.

Er findet es schlimm, dass ich bloss vom Verkaufe meiner Sachen leben
muss, und meint, es hätte einen bessern Klang, wenn ein Bild aus
München, als aus Karlsruhe komme.

An Böcklin schreibe ich heute. Piloty war von exquisiter Freundlichkeit.
Der Grossherzog von Weimar hielte viel auf mich; er selbst gehe auf
Besuch hin und nach Berlin und schlug mir vor, mitzugehen, aber nicht
vor Anfang November, da der Herzog auf der Jagd wäre und er es mir sehr
übel nähme, wenn ich zu einer Zeit hinkäme, wo er abwesend...

Wenn ich (hier) die Behaglichkeit der Leute sehe, den Reichthum ihrer
Ateliers, der Hilfsmittel, die ihnen dadurch zu Gebote stehen, so möchte
ich mich sofort ersäufen...

Mit Modellen sieht es hier schlecht aus, in Weimar auch...

Was habe ich von Karlsruhe, wo man mir nicht einmal einen Auftrag
gegeben? Böcklin hatte nach langem Kampfe sein Bild[3] endlich für
sechshundert Gulden in die Galerie hier gebracht!

  [3] Den Pan im Schilf in der neuen Pinakothek.

Ich besuche alle Ateliers, manche mehrmals, weil ich durchaus wissen
will, woran ich bin. Es hat mich Manches so frappiert, erfreut,
abgestossen und die Behaglichkeit der Hülfsmittel verblüfft, dass ich,
nach meinem unkünstlerischen heidelberger Aufenthalt, mir manchmal
vorkam, wie der Bauer, der zum Erstenmal in die Residenz kommt. Auf
jeden Fall ist der Aufenthalt ein sehr lehrreicher.

In ruhigen Augenblicken will mich's bedünken, als ob mein Farbensinn
feiner sei und mein Streben, mein Weg, immer der gleiche bleiben müsste,
um ein grosser Künstler zu werden, oder zu sein. Allein diese Perioden
der Unentschlossenheit, die ich nur meiner Erfolglosigkeit zu verdanken
habe, ruinieren mir gar zu viel. Alles arbeitet darauf los, und nur ich
bin auf dem Punkte, nicht zu wissen, wohin ich meinen Stab lenken soll.
-- Die Unthätigkeit ist mir wahrhaft verhasst.

Was das Alterthümeln meiner Bilder anbelangt, so sind das Kleinigkeiten,
die die Leute abstossen, und ist dies leicht zu vermeiden.

An Böcklin habe ich das Beispiel, wie weit man kommt; seine Sachen
stehen gegen die römischen zurück. Wie sollte es auch anders sein, da
ihm die Anschauung fehlt und immerwährende Nahrungssorgen seine reizbare
Natur aufreiben.

Piloty hat sich gut geäussert über ihn und mir gesagt, wie sehr er an
mir hänge.

Fries... ist der Einzige, der mir nach Rom räth, da alles Glaubenssache
sei. Doch ist Unentschlossenheit begreiflich bei diesen Zeiten, mit
tausend Franken in der Tasche, die noch dazu gepumpt sind.

Morgen sehe ich mich nach Atelier um, obgleich bei kalten leeren
Wänden sich der Genius nicht gleich einstellen dürfte, nur um Alles zu
versuchen. Briefe Riedels und Böcklins erwarte ich noch hier.

Dass in München doch eine Künstlerluft ist, thut wohl gegen Frankfurt
und Karlsruhe.

Nach Berlin schicke ich nie mehr was, es kommt gar nichts dabei heraus.

Mein einziger Trost ist meine rasche Art zu produzieren, was mich diesen
ewigen Zeitverlust verschmerzen lässt. Eines ist sicher, dass man
herumreisen muss, anschauen etc. heut zu Tage, sonst bleibt man zurück.

Ich habe nun immer mehr die Ueberzeugung, dass mein Weg ein feiner und
bedeutender ist, dass ich wohl so fortfahren muss; doch ist mit der
Energie nicht Alles gethan und dass ich dabei immer arm bleiben werde
scheint ausser allem Zweifel.

Hier sind die gegensätzlichsten Richtungen; in meiner liegt eigentlich
Alles versöhnt...

Dass ich Rom wiederbetreten werde, steht fest in meiner Seele; möchte
ich doch bald dieser zweifelnden Ungewissheit enthoben sein.

Es ist zum Verzweifeln, Alles will mich haben und Niemand bietet Etwas.
-- Nachher will ich zu Kaulbach, der gewiss ein ganz heruntergekommener
Mann ist.

Man ist sehr artig gegen mich und habe ich dies Wenige nicht blos
meiner Arbeit und Rom zu verdanken. Es kann sich kein Mensch mehr
Vorwürfe über diese Unschlüssigkeit machen, als ich selbst; ich
verfluche sie und werde deshalb doch nicht klüger...

Wie freue ich mich, dass Emilie ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt;
es kann und soll ihr leichter fallen, als mir, der ich ganz Künstler bin
und den man nicht so verpflanzen kann nach Belieben...

Eines habe ich gesehen, dass meine Kunst ein delikates Pflänzchen ist
und ich kann noch übertölpelt werden, auch wenn ich unverdrossen weiter
mache.

Wenn ich hier geblieben wäre, so hätten meine Bilder hierher gemusst,
denn es wäre doch möglich, dass mir eine Bestellung vom König geworden
wäre; so sind sie in Berlin, was mich am meisten ärgert, gehen dann nach
Hannover, wo ich wenig Hoffnung habe zum Verkaufe...

Der Gedanke an ein grosses Werk in Rom steht unverrückt fest in meiner
Seele und die Zeit, wann, kommt nicht einmal so sehr in Betracht, nur
dürfte es nicht zu lange anstehen.

Eine blosse Reise nach Weimar kostet mir zu viel. --

Schwind ist der einzige, echte Künstler; bei den Andern sind es
frappante, photographische Studien, wobei das Detail immer besser ist,
als die Gestaltung.

Mein Studium des Menschen ist eine heut zu Tage brodlose Kunst.

Schwind nahm mich gleich unter den Arm und schimpfte furchtbar über
meinen Hafis.[4]

  [4] Schwind hasste den französischen Kolorismus und also auch
      Feuerbachs in Paris entstandenen »Hafis vor der Schenke«.

                   *       *       *       *       *

     Liebe Mutter!

Ich habe gestern einen sehr schönen Tag verlebt, Vormittags in der
Galerie, Nachmittag und Abend mit Schwinds Familie. Er hatte die Güte,
mir die sieben Raben zu zeigen, Eigenthum des Grossherzogs von Weimar,
ein Werk so köstlicher Genialität und so ergreifender Lieblichkeit,
dass ich ganz selbst verzaubert bin. Ich glaube, dass sich Niemand der
Thränen erwehren kann, wie am Schlusse die langersehnten Kinder, als
Jünglinge, jauchzend herangesprengt kommen und den Scheiterhaufen, auf
welchem die Schwester steht, umringen. Es hat mich lange nichts so
ergriffen.

Abends gingen wir noch in die Redaktion der Neuesten Nachrichten und
da habe ich ein Atelier ausschreiben lassen, vielleicht hilft es. Sie
wollen mich wenigstens bis Donnerstag halten, wo Händels Esther gegeben
wird. Aber ich thue es nicht, sondern gehe, so schwer mir der Abschied
wird, nächste Woche nach Rom.

Was werden mir die Karlsruher denn schreiben, die Philister?

Schwinds haben mir sogar ihre Villa angeboten am Starnbergersee, für den
Winter, wo auch Du hinziehen sollst. Doch das sind Träume. Du siehst
daraus, wie herzlich man hier gegen mich ist.

Ich habe hier viel gelernt und bereue keine Stunde, die ich hier
verlebte. Ich habe jetzt noch einige Tage zum Zuwarten, dann gehe ich --
mein Koffer steht noch in Friedrichshafen -- aber für nicht länger, als
anderthalb bis zwei Jahre; dann will ich an ein fröhliches, deutsches
Schaffen gehen, weil ich fürchte, in Rom Hypochonder zu werden.

Dass mir Schwind die Bilder zeigte, darf ich hoch genug anschlagen, da
sie beim Photographieren sind und Tausende sie zu sehen verlangten.
Seine Frau, die mich noch vom Maskenfeste[5] her kennt, meint, ich sei
jünger geworden seit damals.

  [5] Feuerbach war 1848 und 1849 studienhalber in München gewesen.
      Schwinds waren seit 1847 in München.

In Schwinds Sachen weht ewige Jugend und ein Duft, dass ich mich
wirklich, mit all meinem Talente, tief unter ihm fühle.

Ich werde hier kein Atelier finden und dann heisst es nächste Woche
fort. Wäre ich geblieben, so hätten alle meine Bilder hergemusst. Mit
Karlsruhe will mir's nicht in den Kopf, ich würde dann doch gleich im
Frühling hierherkommen.

Es gehen mir nach und nach die Augen auf; ich habe viel gelernt und
bin ein feiner Künstler -- aber ob ich je so sprudeln lassen kann, wie
Schwind, daran zweifle ich.

Was ist es ein eigenes Ding um das innere Gefühl! Warum bin ich von
Friedrichshafen nach München? -- Ich glaube, dass sich in meinem Innern
Etwas umgestaltet und ich werde auch in Rom andere Sachen machen.

Schwind sagte mir, er habe nach langen Kämpfen endlich so viel, dass
seine Familie nach seinem Tode leben könne.

Man sagt hier, dass die Polizei in Karlsruhe die Künstler scharf
bewache, wegen der Modelle!!!

Gönne mir noch die paar Tage ruhigen Betrachtens, der Abschied kommt
früh genug. Ich will dann doppelt und dreifach fleissig sein. Später
komme ich dann nach München, wo ich mich an Schwind anschliessen will.
Ich kann lernen von ihm, wie man heiter bleibt und gesund. Meine Farbe
bleibt mir immer. Ich halte ihn für den Ersten, und blos, weil er das
Herz bewegt mit seinen Sachen.

Briefe von Dir treffen mich noch hier...

Ich komme mir manchmal wie ein rechtes Rindvieh vor, Gottlob sind das
nur vorübergehende Stimmungen...

Schreibe mir noch einmal hierher, wie ich Dich bereits im vorigen Briefe
gebeten.

Jenes feuchte, kleine Atelier nehme ich nicht, man kann sich dort den
Tod holen[6]. Jetzt warte ich noch bis Anfang nächster Woche, dann muss
ich weg.

  [6] In Karlsruhe.

Heute gehe ich zu den Antiken.
                                                          Dein Anselm.

                   *       *       *       *       *

     Liebe Mutter!

Als kurze Antwort auf deinen wohlgemeinten Brief kann ich nur sagen,
dass mir München das Liebste wäre, doch wird es am Ateliermangel
scheitern, so wie es Knaus ging. Ich bin deshalb immer auf den Beinen
und habe auch Auftrag gegeben. Ich kann nicht mehr thun. Hier stünden
mir alle Hilfsmittel zu Gebote und wenn ich Etwas auftreibe, so wäre ich
gleich bei der Hand.

Genelli hat geschrieben und ich habe Gelegenheit gehabt über Weimar so
viel zu hören, dass mir die Lust ein für allemal vergangen ist...

Was Rom betrifft, so ist Ende November noch nichts verloren, und
schreibt Riedel günstig, so wäre kein Hindernis.

Wenn Du anfragen willst in Karlsruhe, so thue es, nur weiss ich keine
Ateliers dort, ausser die der Kunstschule und da gehe ich wirklich nicht
gern hinein und auf andere Geschichten lassen sie sich nicht ein.

Ich benütze die nächsten Tage zur Atelierjagd; an Umgang würde es
nicht fehlen, auch habe ich noch für acht Tage genug zu sehen und zu
studieren...

Finde ich hier kein Atelier, und ist die Antwort der Karlsruher nicht
so, wie wir es wünschen, und (lautet) Riedels Brief nur halbwegs
acceptabel, dann breche ich zum zweiten Mal Alles ab und gehe nach Rom
und wenn es Ende November wäre.

Die Motive die mich nach München trieben sind klar; es entsprang aus dem
innersten Bedürfniss, mitlebende Künstler sehen und schätzen zu lernen
und meine Sache in Rapport damit zu bringen, weil ich Isolierung als
Mensch und Künstler in Rom befürchtete. Dem Uebelstand wäre jetzt schon
abgeholfen, da ich Eindrücke genug habe, um sie für ein Jahr in der
Stille zu verarbeiten. Hier wäre ich gut am Platz, weil meine Richtung
mittendurch geht. Ich kann nichts weiter sagen, als dass ich in München
bleibe, wenn ich Etwas finde... Scheitert es, dann bin ich reduziert auf
Rom oder Karlsruhe.

Du wirst bald an der Antwort merken, ob sie flau oder ermuthigend ist,
und dann breche ich die Zelte ab und laufe dem Teufel in den Rachen,
wenn es sein muss. Ich weiss nichts Besseres. Weimar und Frankfurt sind
mir ganz Null geworden.

Hier ist neutraler Boden, billiges Leben und ernsthaftes Streben -- aber
auf der Strasse kann ich nicht arbeiten...

Ich beschliesse diesen Brief, weil ich wieder herumlaufen will... Hätte
ich ein Atelier gefunden, dann sässe ich heute schon drinnen... Hier
wird doch was geleistet, man giebt und empfängt Anregung und ich habe
nur einen Wunsch, dass es mir gelingen möge ein Atelier zu finden...

Dass mir Rom immer das Edelste bleiben wird, versteht sich von selbst,
denn dort allein habe ich nie geschwankt!
                                                          Dein Anselm.

[Illustration: A. Feuerbach]



                           MAC NEILL WHISTLER

                            Der rote Lappen


Warum sollte ich meine Werke nicht Symphonien, Arrangements,
Harmonien und Nocturnos nennen? Ich weiss recht wohl, dass manche
braven Leute meine Bildertitel komisch und mich selbst exzentrisch
finden. Ja, exzentrisch ist das Wort, das sie für mich aufgebracht
haben. Die grosse Mehrheit des englischen Publikums kann und wird nie
ein Bild einfach als Bild ansehen, losgelöst von allen literarischen
oder historischen Momenten. Mein Bild -- eine Harmonie in Grau und
Gold -- eine Schneestimmung mit einer einzelnen schwarzen Gestalt
und einer erleuchteten Schankwirtschaft, ist hierfür ein Beispiel.
Mir ist die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der schwarzen Figur
vollkommen gleichgültig und ich habe sie dorthin gemalt, einfach weil
an diesem Punkte eine schwarze Note hingehörte. Das einzige, was
mich dabei interessiert, ist, dass die Kombination von Grau und Gold
der Grundton des Bildes ist. Und das ist gerade, was meine Freunde
nicht begreifen können. Sie sagen: »Warum soll man es nicht 'Trotty
Veck' nennen und diese Harmonie von Grau und Gold dadurch in einen
hübschen Haufen Gold und Silber verwandeln? Und geben damit ganz naiv
zu, dass, ohne einen netten Taufnamen, kein Geschäft zu machen ist.
Aber selbst vom kaufmännischen Standpunkt aus wäre dies Anfüllen
seines Ladens mit den Waren eines Anderen unanständig, wenn es nicht
durch den Brauch geheiligt wäre. Selbst die Beliebtheit eines Dickens
dürfte nicht heraufbeschworen werden, um einer ganz anders gearteten
Kunst zum Erfolge zu verhelfen. Ich würde es als einen gemeinen und
niederträchtigen Trick ansehen, das Publikum durch den Namen Trotty
Veck anzulocken. Denn wenn es überhaupt Sinn für die Malerei hätte, so
müsste es wissen, dass ein Bild sein eigenes Verdienst hat und nicht auf
dramatisches, anekdotisches oder lokales Interesse angewiesen ist. Wie
die Musik die Poesie des Schalles, so ist die Malerei die Poesie der
Farbe und die Anekdotenmalerei hat nichts mit der Harmonie des Schalls
oder der Farbe zu thun. Die grossen Musiker wussten dies. Beethoven und
die anderen Grossen komponierten Musik, einfach Musik, eine Symphonie in
dieser Tonart, ein Konzert oder eine Sonate in einer anderen. Auf F oder
G bauten sie himmlische Harmonien auf -- Tonverbindungen, die sie aus F
oder G und deren verwandten Moll-Tonarten entwickelten. Dies ist reine
Musik und ebenso verschieden von den beliebten Liedchen, die an und für
sich trivial sind, aber durch die Gedankenverbindungen interessieren,
wie z. B. der Jankee Doodle oder Partant pour la Syrie. Die Kunst sollte
auf all solche Köder verzichten, sollte ganz allein stehen, und zu dem
künstlerischen Sinn des Auges oder Ohres sprechen, ohne damit Erregungen
zu vermischen, die ganz fremd dazu stehen, wie Frömmigkeit, Mitleid,
Liebe, Patriotismus und dergleichen. All diese Empfindungen haben
keinerlei Beziehung zum Kunstwerk und darum lege ich so grosses Gewicht
darauf, meine Werke Arrangements oder Harmonien zu nennen. Man nehme das
Bild meiner Mutter, das ich in der Königl. Akademie als ein »Arrangement
in Grau und Schwarz« ausgestellt habe. Dieser Titel sagt, was es ist.
Für mich hat es Interesse als das Bild meiner Mutter. Was kann oder darf
aber das Publikum die Identität des Porträts interessieren?

Der blosse Nachahmer ist ein armseliges Geschöpf. Wenn der Mann schon
ein Künstler wäre, der einen Baum, eine Blume, oder irgend einen
Gegenstand einfach abmalt, so müsste der Photograph der König der
Künstler sein. Der Künstler muss mehr als dies thun: bei einem Porträt
muss er mehr auf die Leinwand bringen als das Gesicht, das das Modell
gerade an diesem einen Tage zur Schau trägt, er muss, kurz gesagt,
den ganzen Menschen malen, nicht nur den momentanen Ausdruck. Beim
Farbenarrangement muss er die Blume als die Tonart betrachten, in der
er komponiert, nicht als das trockene Modell. Dies wird jetzt leidlich
gut verstanden, wenigstens von den Schneidern. In jedem Kleid ist man
jetzt auf eine gewisse Tonart in bezug auf die Farbe bedacht, die in
der Komposition immer wiederkehrt, wie der Gesang der Wiedertäufer im
»Propheten« oder das Hugenotten-Lied in der Oper gleichen Namens.

                   *       *       *       *       *

                   Wann ein Kunstwerk vollendet ist.

Ein Gemälde ist vollendet, sobald jede Spur der Mittel, die zur
Erreichung des beabsichtigten Resultates angewandt wurden, verschwunden
ist.

Von einem Gemälde sagen, -- wie das so oft zu seinem Lob geschieht, --
dass es eine grosse und ernste Arbeit erkennen lasse, das heisst sagen,
dass es unvollendet ist, und unwert, gesehen zu werden.

Der Fleiss in der Kunst ist eine Notwendigkeit -- nicht etwa eine
Tugend -- und jedes Zeichen, das man von ihm in einer Schöpfung
wahrnimmt, ist ein Fehler, nicht ein Vorzug, ein Beweis, nicht der
Vollendung, sondern von unbedingt ungenügender Arbeit; -- denn die
Arbeit allein nur kann die Spur der Arbeit auswischen.

[Illustration: Whistler, Stéphane Mallarmé]

Am Werke des Meisters darf man nicht nur nicht den Schweiss seiner
Stirne riechen, sondern auch nicht die leiseste Anstrengung seiner
Arbeit fühlen; es ist beendet, sobald es begonnen worden.

Eine Aufgabe, die durch Fleiss und Beharrlichkeit allein zu Ende geführt
worden ist, ist niemals begonnen worden und wird ewig unvollendet
bleiben: -- sie ist ein Monument des guten Willens, -- des guten Willens
und der Dummheit.

Je mehr sich einer abringen, je mehr er sich Mühe geben und beeilen mag,
umsomehr wird er zurückbleiben.

Das Meisterwerk muss uns erscheinen wie die Blume dem Maler erscheint,
in ihrer Knospe vollendet wie in ihrer Entfaltung, ohne ihre Gegenwart
zu begründen, ohne eine Mission, die sie zu erfüllen hätte -- einfach
eine Freude für den Künstler, eine Illusion für den Menschenfreund,
ein Rätsel für den Botaniker -- ein Erwecker des Gefühls und seiner
Allitterationen für den Dichter.



                           FRANCISCO DE GOYA

                              Drei Briefe


Lieber Martin, ich habe sehr bedauert, dass Dir die
Festlegung des Kapitals auf Leibrente schlecht erschienen, aber glaube
mir, wenn es noch Zeit wäre, würde ich Dir danken und Deinem Rat folgen,
aber da ist nichts mehr zu ändern, man muss sich damit abfinden. Es
entschuldigt mich gewiss, dass ich mir von einem Beichtvater raten liess
(freilich habe ich ihn selbst um Rat gefragt); kurz das ist vorbei.
Ich habe etwas mehr als die 1000 Doblonen daran gewandt. Meiner Frau
habe ich so täglich 6 Realen ausgesetzt. Doch verlassen wir diesen
Gegenstand, um ihn zu vergessen. Bei dem Hause sehe ich, dass Du uns
soviel Gefälligkeiten wie nur möglich erweisest, auch meine Frau ist Dir
dafür unendlich dankbar und beauftragt mich, dir zu sagen, dass, da das
Haus das Grab der Frauen ist, so erscheint ihr die Lage traurig; aber
ich wiederhole, dass Du, wenn Du weisst, dass es geeignet ist, es machen
mögest.

Ich für mein Teil sage Dir, dass alles, was Du thust, immer meinen
Beifall finden wird, mag es sich um Monate oder um Jahre handeln,
einerlei, wie es Dir am besten erscheint. Betreffs der Wohnung genügt
sie mir reichlich für meine Frau, eine Magd und einen Diener und
höchstens noch Jemand, denn ich hatte vergessen Dir zu sagen, dass meine
Eltern lieber die Zurückgezogenheit wünschen und mit meiner Schwester
fortziehen wollen.

Ich habe den ersten Entwurf einer Kuppel beendet, aber ich werde
wahrscheinlich noch 2 Monate hier sein, denn bevor alles hergerichtet
sein wird, werden damit allein mindestens 40 Tage vergehen; noch sind
keine Anzeichen vorhanden, es scheint, dass es um so mehr sich hinzieht,
als ich es dringend wünsche.

Möglicherweise bekomme ich hier ein Pferd; teile mir deine Ansicht
mit und wenn es sich macht und Dir gut scheint, ob ich es von hier
mitbringen soll. Leb wohl! und Vorsicht mit den langfingrigen
H....-weibern, die beissen. Ich weiss nicht, ob ich Dir auf alles
antworte, nur weiss ich soviel, dass das, was Du thust, wohlgethan sein
wird.
                                                     Dein Fran de Goya
     Madrid 9 de Agoto de 80.

                   *       *       *       *       *

Lieber Martin, wie ich in meinen früheren Briefen sagte, will ich
sehen, ob sie mir meinen Wunsch erfüllen lassen, Dir ausführlich zu
schreiben, obgleich ich hinke von einem Sturze, den wir mit einem
Wagen hatten, der schon halb ausgehandelt war zu 90 Doblonen. Er ist
wirklich ein Prachtstück (es giebt in Madrid nur 3 solche Wagen), er ist
englischer Bauart und daher so leicht, dass man keinen zweiten finden
würde, von ausgezeichneter Eisenarbeit, vergoldet und lackiert, fein!
auch bleiben die Leute hier stehen, um ihn anzugaffen! Wir fuhren aus um
ihn zu probieren mit einem Pferde, das ich auch kaufte, sehr gut, schon
10 Jahre alt, aber mit allen guten Eigenschaften für meinen Zweck. Wir
fuhren, sein Besitzer und ich, so flott in feinem Trab und es konnte
garnicht besser gehn. Schon ausserhalb von Madrid fingen wir an scharf
zu fahren, ich führte die Zügel, da sagte er zu mir: soll ich ihn einmal
umdrehen lassen à la Napolitana. (Das Pferd stoppte daher), ich gab ihm
die Zügel, da ich wünschte, etwas Neues zu sehen und kennen zu lernen
und im Galopp, wie er in der Mitte des Weges ging, -- obwohl dieser
breit war, war er es doch nicht genug, um sich das, was er ausführte,
vorstellen zu können -- kamen wir beim Umbiegen zum Stillstand, Wagen,
Pferd und wir überschlugen uns und Gott sei Dank, war der, welcher am
schlechtesten davonkam, nur ich, es hatte nichts weiter zu bedeuten, als
dass ich seit dem Santjago-Tage, als dieses passierte, bis heute meinen
Hofarzt erwarte, um zu wissen, ob er mir erlaubt, etwas zu gehen. Es
ist nämlich am Knöchel das rechte Bein verletzt, aber nichts gebrochen
noch ausgerenkt. Ich hatte mir ein beneidenswertes Dasein geschaffen,
schon hatte ich nicht mehr zu antichambriren. Wer etwas von mir wollte,
kam zu mir, ich machte mich immer rarer, und wenn es nicht eine sehr
hohe Persönlichkeit war oder mit Empfehlung eines Freundes kam, führte
ich für Niemanden eine Arbeit aus, und je unentbehrlicher ich mich
machte, desto weniger verliessen sie mich (noch verlassen sie mich), so
dass ich nicht weiss, wie fertig werden. Indem ich auf diese Weise so
ahnungslos war wie du es nur im entferntesten sein kannst, erfuhr ich,
dass es Anwärter für die Teppichfabrik gab, und es interessierte mich
nicht weiter, als dass ich mich freute, dass einige der verdientesten
Professoren ihr Auskommen finden würden. Eines Tages liess mich
Bayeu rufen -- wir standen uns nicht besonders (?), was mir grosse
Verwunderung verursachte und begann mir zu sagen, dass der Dienst des
Königs immer begehrenswert wäre und dass er mit 12000 Realen angefangen
hätte und dass er diese aus der Hand Mengs erhalten und zwar nur als
Gehilfe, dass ich jetzt aber eine bessere Gelegenheit hätte, in den
Dienst des Königs zu treten zugleich mit Ramon, und dass wir schon in
Betracht gezogen wären, denn ihm und Maella wäre ein Befehl des Königs
zugegangen, die besten Maler in Spanien auszusuchen, und dass ein Jeder
einen vorschlagen solle, und dass er seinen Bruder vorgeschlagen und es
derart arrangiert hätte, dass Maella mich vorschlüge, um die Vorlagen
für die Teppichfabrik zu malen und für jede andere Art von Arbeit
für den königlichen Dienst mit jährlich 15000 Realen. Ich dankte ihm
und wusste nicht, was mir geschah; nach 2 Tagen hatten wir schon die
Mitteilung, dass der König es zu denselben Bedingungen, wie angegeben,
dekretiert habe, derart, dass, als ich es erfuhr, es schon dekretiert
und dem Schatzamt angewiesen war. Wir gingen dem Könige, Kronprinzen
und Infanten uns vorzustellen, und da bin ich ohne zu wissen, wie das
Abscheuern geschah.

Mit dem, was ich hatte, bringe ich es auf beinah 28000 Realen und nicht
will ich mehr Gnade bei Gott, was ich Dir aufrichtig zur Verfügung
stelle, Du musst nicht sagen, dass ich nicht ein Schwätzer bin. Bitte
grüsse D. Juan Martin und sorge, dass diese Beilage meine Schwester
empfange.
                                                     Dein Fran de Goya
     Madrid, den 1. August 1786.

Ich habe Pallas noch nicht gesehen, um ihm den Brief zu geben.

[Illustration: Franc. Goya, Zeichnung]

                   *       *       *       *       *

Lieber Martin, ich schreibe Dir nicht französisch, bis ich es besser
zu sprechen verstehe, weil es mir noch viel Arbeit kostet. Durch
Yoldi erfuhr ich, dass du Drosseln fängst und dich so gut wie möglich
zerstreust, wir sind einige Mal auf Lerchen gegangen und schossen so
schön vorbei, wie Du, aber wir brachten den Tag vergnügt und im Freien
zu. Alles erscheint einem Zerstreuung, nur das Beschmutzen der Flinten
ist unangenehmer als es erscheint. Ich möchte wissen, ob Du schmuck,
vornehm oder ruppig bist, ob Du Dir einen Bart zugelegt hast, ob Du alle
Zähne hast, ob dir deine Nase gewachsen ist, ob du Brillen trägst, ob
du stramm schiffst, ob du irgendwo weiss geworden bist und ob für dich
die Zeit wie für mich verstrichen ist. Mich hat sie alt gemacht mit
vielen Runzeln, so dass Du mich nicht erkennen würdest, ausser an der
Stumpfnase und an dem feuchten....... Sicher beginne ich schon recht die
41 Jahre zu fühlen. Du aber hast dich vielleicht so conserviert, wie in
der Schule des Pater Joaquin.

An den Mönch in Valencia habe ich wegen der Farben geschrieben. An meine
Schwester schreibe ich heute Abend, dass sie zu Dir gehen soll und Du
wirst ihr die 15 Duros geben, die ich hier an Piran und an Joldi zahlen
werde, denen ich, bevor ich die Summe wusste, die sie Dir schuldete, 200
Realen gab, aber auf dein Conto rechne ihm nur die 9 Thaler an, denn er
sagte mir schon, dass er mir den Rest gutschreiben würde, aber ich brach
in Lachen aus, indem ich ihm für die Rechtschaffenheit dankte.

Gute Nacht, Friede auf Erden und Wohlgefallen in Ewigkeit, Amen.
                                                          Fran de Goya
     28. November 87.

                         Entschuldige die Mühe.



                      H. C. ANDERSENS SILHOUETTEN

                      Des Märchendichters Scheere.

                                  VON

                         CHRISTIAN MORGENSTERN


Klipp, klapp, sagte die Scheere, dieweil sie nun wieder einen Gang
in dem weissen Papier vollendet hatte, klipp klapp, klipp klapp, so wie
jemand, der befriedigt mit den Lippen schmatzt, nachdem er ein grosses
Stück Kuchen abgebissen und verschluckt hat. Und dann ging es von
neuem an die Arbeit. Sie war eine kluge Scheere und wusste gar viele
lustige Sächelchen auszuschneiden: als da kleine Damen, die tanzten,
Liebesgötter, Schwäne, Palmen, Männer mit Schirmen, Engel mit langen
feierlichen Flügeln. Und wie sie gab es viele Scheeren im Land, und alle
konnten mit mehr oder weniger Glück dieselben Bilder ausschneiden wie
sie. Nur eines konnten sie nicht, und das war gerade die Hauptsache.
Unsere Scheere nämlich hatte zu ihrer grossen Geschicklichkeit, die sie
mit mancher ihrer Schwestern teilte, auch noch eine Art Seele, die sie
zu einem ganz neuen und ausserordentlichen Wesen machte, sobald es ihr
einfiel, in sie zu fahren. Sie fuhr aber immer zugleich mit den Fingern
ihres Herrn in sie, so dass es aussehen konnte, als wären diese selbst
ihre Seele. Da würde man sich aber sehr getäuscht haben. Denn unsere
Scheere ward von diesem Augenblick an ein ganz eigenwilliges Persönchen,
das bald so, bald so dachte und that, recht wie eine kleine Prinzessin,
die sich nichts zu versagen braucht, wonach ihr das Herz steht. Und
die guten dicken Finger mussten immer mit, immer mit und konnten froh
sein, wenn sie nicht ganz rot geschunden wurden. Ja, das war eine
wunderliche Scheere. Während die anderen immer ganz genau wussten, was
sie wollten, und nie mehr wollten als sie konnten, erlebte man von ihr
die unerwartetsten Dinge, sei es, dass sie sich einfach in ihren Stoff
hineinstürzte und dann dem Zufall überliess, sei es, dass sie sich
von vornherein sagte: Jetzt soll es einmal etwas ganz Absonderliches
werden, etwas über die Maassen Spassiges, oder Verwirrendes, oder
Geheimnisvolles. So fing sie eines Tages an, einen Baum auszuschneiden.
Als sie an den zweiten Ast von unten kam, fuhr es ihr durch den Kopf,
ihn in einen Cupido auslaufen zu lassen; und da sie den kleinen Gott
schon auszuschneiden geübt war, verwandelte sie das Ende des Zweigs
stracks in ein Büblein mit Flügeln. Und weil der Baum nun schon ein
Märchenbaum geworden war, konnte es gewiss nichts schaden, wenn man ihn
oben mit einer Balleteuse krönte, die sich in einem Storchennest auf
der Fussspitze wippte, im Begriff, in kühnem Bogen empor und herab zu
schweben. Zur Ergänzung sodann -- denn was sollte wohl solch ein Baum
(und nun gar einer mit einem Amor und einem Frauenzimmer) allein auf
der Welt -- erfand sie einen komisch bestürzten Mann hinzu, wie einen,
der vor diesem sonderbaren Baum halb überrascht, halb auch schon »im
Bilde« sich fühlend, so zu reden begonnen haben möchte: »Es ist mir
ungemein schmeichelhaft, sehr verehrter Herr Baum -- oder soll ich
sagen: sehr verehrte Madame Baum und Mutter zweier so liebreizender
Sprösslinge -- hier auf freiem Felde Ihre Bekanntschaft zu machen;
wiewohl ich stets überzeugt war, dass Euer Hochwohlgeboren durchaus
nicht nur so ein Baum wären, wie meine lieben Kopenhagener dort hinten
anzunehmen nur allzu geneigt sein dürften... Also, wie wäre es etwa,
wenn Ihro Gnaden, die leicht beschwingte Tänzerin da droben, mir auf
die Schulter zu springen geruhten, während der kleine Herr vor mir sein
Füsschen vielleicht auf meine Nase setzen will, damit ich ihn mit einem
kurzen Ruck seinem Fräulein Schwester auf die linke Hüfte werfen kann.
Es wäre mir ein Vergnügen, den Kinderchen dann ein wenig mein liebes
Kopenhagen dort hinten zu zeigen und ganz besonders mein wunderschönes
Schloss mit seinen feenhaften Gärten, Grotten und Wasserkünsten, das mir
der König und die Königin geschenkt haben, und wo sie gewiss die beste
Gesellschaft finden würden.«

Ein ander Mal ging unsere Scheere bewusster vor. Sie hatte zudem kein
einfaches, sondern ein wie ein Briefbogen zusammengelegtes Stück Papier
zu verarbeiten, und da musste man schon etwas nachdenklicher zu Werke
gehen. Denn was nun heraus kam, wurde zugleich eine Art Ornament,
indem, wenn man das Papier auseinanderfaltete, dasselbe von zwei Seiten
sich entgegenkam und ein von der Spitze eines Schwanenfittigs vorwärts
stürmender Mann zum Exempel auf diese Weise zu einer Doppelgänger-Szene
ward, in welcher zwei auf Schwänen balancierende Turnkünstler sich mit
ihren Nasen und linken Beinen im Gleichgewicht hielten, während hinter
sich jeder seine Fächerpalme und seinen Schutzengel hatte, der nur
darauf wartete, bei einem etwaigen Unglücksfall helfend einzugreifen.
Aber wie wir sehen, warten sie heut noch darauf, und das kommt
wahrscheinlich daher, dass der von den Männern und der von den Schwänen
eingeschlossene Raum ein so zierliches Ornamentenpaar darstellt,
dass man garnicht lange hinzugucken braucht, um zu meinen, _er_ sei
eigentlich die Hauptsache und das andere nur ein Drumherum. Und das
empfand die Scheere auch selbst und liebte deshalb diese Doppelbilder
mit ihrem doppelten Reiz und Sinn ganz besonders.

»Ich möchte manches von diesen Sachen sticken« -- sagte eines Tages eine
Dame, die bei dem Dichter zu Besuch war. »Es würde ausserordentlich
wohlthuend sein, diese durch Symmetrie gebändigten, ja fast beruhigten
Bizarrerien vor seinem Nähtisch liegen zu haben.«

»Und seinen niedlichen Schuh darauf zu stellen!« fügte der Dichter
hinzu, indem er mit einer galanten Handbewegung sich leicht verbeugte.

Die Scheere aber, die das gehört hatte, ersann am selben Abend noch
einen schneeweissen Hain auf güldenem Grund, darinnen zwei junge Mädchen
tanzten. Dabei kam dem Dichter eine ganz merkwürdige Empfindung. Als er
nämlich den schneeweissen Hain so ansah, schien er ihm nicht nur ein in
Erfindung und Anordnung gut geglücktes Bildchen, sondern auch noch etwas
anderes, etwas fast wie ein richtiges kleines Gemälde, so recht keck und
unbekümmert um alle anatomischen Einzelheiten, nur als Lichteindruck,
zusammenfassender Farbenfleck, ornamentale Abbreviatur lebendiger
Wirklichkeit hingeworfen. Aber das flog nur so wie der Schatten eines
Vogels durch sein Hirn. Denn im allgemeinen sah er doch nur hübsche
Spielereien in diesen Sachen und litt wohl kaum an Weltschmerz darüber,
dass sie nicht _mehr_ waren.

Was im übrigen unsern Dichter als Maler gelockt hätte, würde man
vielleicht am besten aus einem Ofenschirm, dessen vier Flügel er in
seinem letzten Lebensjahr mit aus aller Welt zusammengesammelten
Bildern beklebte, ersehen haben. Nach Ländern -- Dänemark, Schweden und
Norwegen, Deutschland, Frankreich, England -- geordnet, gaben die ein
ebenso geschickt komponiertes wie traumhaft romantisches Durcheinander
von Porträtbildnissen, Gruppen, Aufzügen, Sälen, Kirchen, Palästen,
Wäldern, Gebirgen und was weiss ich noch allem, und mochten aus der
ganzen Ferne ihres Schwindschen Barock an Fresken alter Italiener wie
den trionfo della morte des Campo Santo in Pisa oder die festlichen,
kindlich redseligen Wandmalereien des Benozzo Gozzoli in der Hauskapelle
der Medicäer erinnern. --

Klipp klapp machte die Scheere, -- aber nicht die, von welcher wir
hier geredet haben, sondern die der alten weisen Parze; und was sie
zerschnitt, war nicht einfältiges Papier, sondern der Lebensfaden des
grossen Märchendichters Hans Christian Andersen selbst.

Unsere irdische Scheere aber, nachdem sie ihren Besitzer verloren
hatte, wurde wieder eine gewöhnliche Scheere wie alle andern. Sie
schnitt auch ferner Putten und Palmen aus, aber es war kein rechter Sinn
mehr dabei, denn sie hatte mit ihrem Meister zugleich ihre besondere,
übermütige Seele eingebüsst. Eines Tages aber ging sie hinaus in den
Garten ihres ehemaligen Herrn und suchte sich ein Plätzchen, wo die
Levkojen am dichtesten standen. Und schnitt mit sich selber einen
Stengel nach dem andern ab, bis dass sie ganz von Blumen wie von einem
kleinen goldenen Grabhügel bedeckt war. Und so blieb sie liegen. Und
wenn sie der Rost nicht gefressen hat, so liegt sie dort heute noch.

[Illustration: Andersen, Silhouette]



                              FRANZ KRÜGER

                        Briefe an Karl Steffeck


     Mein lieber Herr Steffeck!

Sie haben mich durch Ihren eben so lieben als interessanten Brief recht
sehr erfreut; er hat mich einestheils über Ihr Wohlergehen beruhigt,
anderntheils von dem Zustande der dortigen Kunst in Kenntniss gesetzt.
Ich danke Ihnen recht herzlich dafür und sollten Sie einmal wieder die
Idee bekommen, mir schreiben zu wollen, so genieren Sie sich keineswegs
wegen der Länge des Briefes und lassen Sie dabei das Sprichwort gelten:
je länger je lieber! Ohne nun auf die einzelnen Punkte in Ihrem Briefe
zurückzukommen, so hat mich besonders die Schilderung über die Art des
Grau-Malens der dortigen jungen Künstler um so mehr in Verwunderung
gesetzt, als uns Deutschen ja die Farbe in den französischen Bildern
vorzugsweise zusagt. Sollte dies Verfahren nicht dazu dienen, die
Leutchen im Zeichnen und Modelliren erst recht fest zu machen? Dieser
einzig guten Grundlage folgt alsdann, vorausgesetzt, dass einer
Farbensinn hat, die Farbe von selbst. -- Wie beneide ich Sie so viel
Schönes sehen, die Ateliers der berühmtesten dortigen Künstler besuchen
zu können! etc. Wills Gott, im nächsten Frühjahr; dann hoffe ich, Sie
auch noch dort zu treffen und nehme im Voraus Ihren Schutz und Beistand
in Anspruch. Sehr freue ich mich, Arbeiten von Ihnen zu sehen, bitte Sie
aber, doch die Pferde nicht ganz zu vernachlässigen. Sollte auch die
franz. Cavalerie deren nicht die schönsten haben, wie ich schon vielfach
gehört habe. -- An Le Poitteoin 1000 Grüsse sowie an meine Landsleute,
die sich meiner erinnern -- Hier ist alles beym alten. Perdisch geniert
mich sehr durch seine feurige Lebhaftigkeit und Raabe durch sein
burschikosen, lüderlichen Lebenswandel!! Themann will ein religiöses
historisches Werk auf die Reformation bezüglich herausgeben und hat
Herrn Perdisch dafür angepumpt, jedoch vergebens. Wollen Sie ihm nicht
4-500 Thaler dazu vorschiessen oder schei...... Meine Wenigkeit ist
jetzt mit den Hannoverschen Bildern beschäftigt und ich werde nun bald
diesen liebenswürdigen Monarchen zu Pferde mit Umgebung in der Art wie
den Kaiser von R. eben so gross beginnen. -- Nun leben Sie recht wohl,
mein lieber Herr Steffeck. Gott erhalte Sie gesund, heiter, lasse Sie
recht ernst und fleissig wie Sie es immer waren und gebe ihnen die
gute Idee ein, mir recht bald wieder zu schreiben. Meine Frau grüsst
Sie herzlich und vereinigt ihre Wünsche für Ihr Wohl mit den Meinigen.
Behalten Sie lieb

                                                      Ihren
                                         aufrichtigen Freund F. Krüger
     Berlin d. 6. April 40.


     Mein verehrter lieber Herr Steffeck!

Ihre freundliche Zuschrift aus Rom hat mir eine recht herzliche Freude
verursacht, nicht allein seines interessanten Inhaltes wegen, sondern
hauptsächlich deshalb, weil ich daraus erkenne, dass Sie meiner noch
freundlich gedenken. Ich danke Ihnen für diese Teilnahme und wünsche
Ihnen aufrichtig alles Wohlergehen in Ihrer künstlerischen Laufbahn.
Ein Bild, was Ihr Herr Vater die Güte hatte, mir zu zeigen, das erste,
glaub' ich, was Sie in Rom vollendet, hat mir in Farbe, Composition und
theilsweiser Technik recht wohl gefallen, nur (nehmen Sie, ich bitte,
den freundlichen Rath Ihres Freundes wohlgefällig auf) in der Zeichnung,
besonders der Hände etc. dürften Sie etwas gewissenhafter sein, da
Zeichnung, wie ich mir einbilde, die Grundlage alles Malens ist. Die
Studien die Sie in Paris gefertigt und die mir von Ihren verehrten
Eltern auch gezeigt wurden, haben mir in jeder Einsicht, besonders aber
in der Farbe ausserordentlich gefallen und mit aufrichtiger Freude
habe ich darin die grossen Fortschritte bemerkt, die Sie in der Kunst
gemacht. Gebe der Himmel Ihnen frohen Sinn, Ausdauer in der begonnenen
Laufbahn, Gesundheit und es wird Ihnen nicht fehlen. --

Was mich anbelangt, so habe ich, Gott sei Dank, immer vollauf zu thuen.

[Illustration: Franz Krüger, Bildniszeichnung des »Maler Menzel«]

Ausser den König und Hannover in Lebensgrösse zu Pferde, von dem
Kronprinzen, von einigen Generalen umgeben, (ein Bild, was mich
interessierte) habe ich kürzlich unseren König zu Pferde, halbe
Lebensgrösse, mit zahlreichem Gefolge eine Parade seines Regimentes
abnehmend, vollendet und die Composition, die Russischen Garden auf
einem Bilde darstellend, von welchen Sie die Skizzen bei mir noch
gesehen haben, ist in 8-14 Tagen auch fertig. Es ist ein reiches aber
sehr buntes Bild, was sehr mühsam auszuführen war. Nächst diesen
Arbeiten habe ich noch zwei grosse Bilder begonnen, wovon das eine mich
lebhaft beschäftigt, das andere mich dagegen eben so sehr langweilt. Das
Erste ist der russische Fürst Wittgenstein neben seinem Pferde stehend,
mit Umgebung in Lebensgrösse, das Zweite die Huldigungsszene, die in
der Natur über alle Beschreibung grossartig war, in der Ausführung zu
einem Gemälde indessen höchst monoton und langweilig ist. Indessen
ich habe den Auftrag einmal angenommen und lasse durch Schwarz auch
schon tapfer die Architectur (von der Schlossapotheke nach den Linden
zu) aufzeichnen. -- Sonst wüsste ich Ihnen nichts weiter von meiner
Wenigkeit zu melden, als dass ich mich mit meiner Frau wohl und munter
befinde, was wir Ihnen von Herzen auch wünschen. -- Rabe ist wie Sie
wissen werden, in Paris und hat auf 2 Jahre vom König 1000 Thaler
bekommen; eine Vergünstigung, die natürlich viele Neider fand bey ihn,
der vermögende Eltern hat. Perdisch ist stets noch mein treuer Gefärte
im Atelier, sonst hätte aber auch, ausser Schwarz, der wie ich eben
schon bemerkt, am Huldigungsbilde zeichnet, Niemand weiter Platz, da es
für den Augenblick recht sehr mit Arbeiten angefüllt ist. -- Mein Pferd,
ein sehr kräftiger Yvenacker dunkelbrauner Wallach, sowie meine Hunde,
deren ich 6 Stück sehr schöner habe, die aber für den Augenblick durch
einen unglücklichen Zufall sich fasst alle lahm gelaufen haben, lassen
sich Ihnen schönstens empfehlen. -- Nun mein lieber Herr Steffeck,
muss ich schliessen, da es mir an Raum gebricht und ich Sie mit meinem
Gewäsch auch nicht länger langweilen möchte. -- Meine Frau und ich
grüssen Sie von ganzem Herzen und wünschen Ihnen alles Wohl im fernen
Süden. Der Himmel erhalte Sie gesund und ........... tugendhaft und
lassen Sie Ihre Freunde in der Heimat nicht ganz vergessen, besonders
aber nicht
                                         Ihren treu ergebensten Freund
                                                    F. Krüger
     Berlin, den 18. Sept. 41.



                              KARL SCHUCH

                                  VON

                            KARL HAGEMEISTER


Dass die deutsche Kunstwissenschaft in den letzten Jahren auf den Namen
Schuch immer mehr hingewiesen wurde, ist nur dadurch zu erklären,
dass Schuch eine Persönlichkeit ist, die klar und deutlich aus einem
bedeutenden Lebenswerk spricht und so stark ist, dass ihre dauernde
Stellung in der deutschen Kunst nicht mehr bestritten werden kann.

Schuchs ganzes Wesen war deutsch; dass er in Wien geboren wurde, ist
zufällig. Sein Vater, ein Pfälzer, war nach Wien eingewandert, wo ihm
im Jahre 1846 sein Sohn Karl geboren wurde. Ich weiss, dass er Karl
hiess und nicht Charles; wir nannten ihn immer so. Der Umstand, dass
er eine Französin zur Erzieherin hatte und dass seine spätere Frau,
eine Französin, ihn wahrscheinlich auch Charles nannte, ist nicht
imstande seinen Namen zu ändern. Ich muss ihn unbedingt für Deutschland
reklamieren und habe nur ein bitteres Lächeln, wenn ich jetzt hören
muss, dass Oesterreicher sagen: Unser Schuch. Und ebenso darüber, dass
der österreichische Staat nicht ein Bild von ihm erworben hat.

In kleinem Kreis war Schuchs Kunst längst geschätzt. Da er aber den
schweren Kampf Leibls und Trübners um Anerkennung sah und nicht
gezwungen war des Erwerbs wegen auszustellen, blieb er so lange
unbekannt. Durch einen Hinweis Trübners kam dann die Ausstellung
bei Schulte zu Stande, die mit einem Mal die Sachlage änderte. Die
Kennerschaft von Tschudis, und Schuchs Zugehörigkeit zum Kreise Leibs,
die durch die Jahrhundertausstellung deutlich wurde, brachten dem toten
Künstler allgemeine Anerkennung, als deren logische Folge die Ankäufe
für die Nationalgalerie, für Düsseldorf, Hamburg und viele andere
Galerien zu betrachten sind.

Zufällig besuchte ich die Ausstellung bei Schulte und alte köstliche
Erinnerungen wurden in mir wach, als ich die herrlichen Bilder sah, von
denen so viele neben mir, Staffelei an Staffelei, entstanden waren.
Ich fühlte den Drang für mich festzustellen, wie Schuch zu Leibl und
Trübner steht. In der Nationalgalerie konnte ich den Gedanken dann nicht
unterdrücken: ein Ebenbürtiger und von unvergänglichem Wert. Trotz
Sperl, Hirth und Anderer aus dem Leibl-Kreis.

Was Schuch als Künstler und Mensch war, will ich versuchen aus
der Erinnerung und auf Grund einer umfangreichen Korrespondenz
festzustellen, wenn ich auch weiss, dass von der Frische, die ein
zeitiges Zusammensein erzeugt, viel verloren geht.

Im Sommer 1873 lernten wir uns am Hintersee kennen und schlossen eine
Freundschaft, die die schönste Erinnerung meines Lebens bildet. Schuch
war aus München von Leibl und Trübner gekommen, um seinen Weg zu suchen.
Sein erster Lehrer war Halauska, Gebirgsmaler in Wien, gewesen. Unter
ihm malte er schon in letzter Zeit eigenartig gesehene Studien, wahr,
breit und durchdrungen von einem starken Naturgefühl.

Ein Bild, das ich noch heut in der Erinnerung habe, Erlen, die über
einen Bach mit rotbraunem Gestein hängen, war mir voller Beweis für ein
angeborenes Talent.

»Das Rezept Halauskas«, sagte er mir, »mag für sein Gefühl ausreichend
sein, für mich war es aber nicht genügend. Ich ging darum nach
München und schloss mich Leibl und Trübner an, als den echtesten
Wahrheitssuchern, die Deutschland damals hatte.«

Der Verkehr mit Leibl und Trübner liess ihn erkennen, dass der
engste Anschluss an die Natur die Grundlage sein musste, um Eigenart
zu entwickeln und dass nur Holbein als direktes Vorbild für ihn in
Betracht kommen konnte. »Der Ernst und die Ehrlichkeit, jene tiefe
leidenschaftliche Wahrheitsliebe Holbeins«, waren ihm und auch Leibl
und Trübner Vorbild. Was diese Künstler dem Vorbild hinzufügten, war
die Tonschönheit im Sinne einer gesetzmässigen Entwicklung von Luft und
Licht über der konkreten Form. Dieses Ziel suchte jeder von ihnen zu
erreichen und geschah das mit einer bewundernswerten Scharfsinnigkeit
und Gewissenhaftigkeit, die Alle in ihren besten Arbeiten gemein haben.
Was sie unterscheidet, ist im Grunde nur das impulsive Gefühl, womit sie
ihre Naturbeobachtungen auf die Leinwand übertragen. Wenn das bei dem
Einen mehr verstandesmässig geschieht, beim Andern mehr gefühlsmässig,
so ergeben sich daraus die Unterschiede für ihre Wertschätzung. Ich
halte es für belanglos, den Einen aus dem Andern zu erklären und kann
nicht zugeben, dass Einer vom Andern etwas direkt genommen hat; denn
solche starke Naturen sind weder Nachahmer noch geistige Diebe, nur ihr
intensives Streben lässt sie zu verwandten Resultaten kommen.

In letzter Instanz ist für mich massgebend: was für ein Mensch steht
hinter dem Werk, und wie stark ist seine Ausdrucksfähigkeit.

Mir liegt nichts ferner als die Reihenfolge der Künstler aus dem
Leibl-Kreis nach ihrer künstlerischen Bedeutung festzustellen.

Gefestigt in seinen Kunstanschauungen und klar in seinen Zielen malte
Schuch am Hintersee nicht Bergriesen, Gletscher oder den See, sondern
intime Dinge, alte Ahornbäume, Weiden, kleine Bäche usw. und jedesmal
suchte er dabei eine malerische Aufgabe zu lösen. Was alle Arbeiten
gemeinsam haben, ist die Tonschönheit, die immer prima erreicht worden
ist. Sie war ihm die wichtigste Erscheinungsform. Was er darunter
verstand, geht aus einem Brief hervor, in dem er sagt:

»Meine früheren Stilleben sind mir alle zu aufdringlich an Realität,
es fehlt Distanz, Luft, die Dämmerung des Raumes, meine Sachen sind
alle bis an stärkste Lokalfarbe getrieben, woraus sich ein Widerspruch
ergiebt, denn die Lokalfarbe ist so genommen, als hätte man das Objekt
unter der Nase und durch Zeichnung und Perspektive als stünd's doch in
der Entfernung. Der Ton deutet letzteres auch an, aber die Lokalfarbe
widerspricht und ist zu hart, zu laut. Was ist denn der Ton als die
Modifikation, die die Lokalfarbe erleidet durch die zweifache Bedingung
des Lichts und der Entfernung? und doch Ton mit ganzer Kraft? ein
ganzer Unsinn, selbst im Atelier -- denn diese Bedingungen sind immer
da. Absolutes Licht und absolutes Dunkel ist der äusserste Ton, und
beides vernichtet die Lokalfarbe und die Plastik. Daraus geht als
logischer Schluss hervor: dass wer in voller Kraft und Plausibilität
malen will, notwendig den Ton ausschliesst und umgekehrt; wer Ton malen
will, notwendig die Plastik und Lokalfarbe unterordnen muss. Ich denke,
das ist klar; sollte aber meine Logik und Empfindung falsch sein, so
will ich doch lieber mit Leibl, Trübner und den Alten irren als mit
der neupreussischen Kunst und mit Gussow. Wollen die Leute bloss den
plausiblen Schein der Natur malen, so sehe ich den Zweck ihres Malens
nicht ein -- ich begreife nicht, warum ich mir dann lieber nicht die
Natur selbst ansehe -- darin lässt sich ja diese doch nicht erreichen
und wenn, so wäre gar kein Unterschied mehr zwischen Bild und Vorbild,
zwischen Kunst und Natur und mir bliebe weiter nichts zu bewundern übrig
als die Fertigkeit des Nachbildners; und das sollte Kunst sein und der
Maler ein Künstler? Nein, hier handelt es sich um etwas Anderes: um das
Begreifen der Natur und das Wiedergeben ihrer geistigen Wahrheiten,
um das »Warum« der Erscheinung, das Hervorheben ihrer Gesetzlichkeit,
und so sind Trübner, Leibl, Daubigny usw. Künstler, wenn sie die
Eigenschaften des Lichts und des Tons studieren, und ein Gussow trotz
aller Fertigkeit und Geschicklichkeit ein Affe der Natur. Für diese Art,
das Hervorheben, Hervorsuchen der Gesetzlichkeit in den Erscheinungen,
wird man aber keine Maschine erfinden, das wird immer der Geist besorgen
müssen und zwar der künstlerische Geist. Einerlei Licht und Luft ist der
Ton, aber nicht einerlei Farbe wie bei Vollon, diesem geschickten Lügner
in Asphalt, und die Bedeutung des Tons ist die, dass er den Dingen das
Materielle nimmt und nur die ätherische Essenz der Erscheinung festhält.«

Dieser Brief giebt am klarsten seine gesamte Kunstanschauung wieder.

Vom Hintersee gingen wir über Wien und Dresden nach Brüssel, um den
Holländern näher zu sein. Nach Neujahr kam auch Trübner. Erst ging
Schuch mit mir nach Holland, um Galerien zu sehen und gleich dann
nochmals mit Trübner, so begeisterten ihn die Holländer. Wenn ihn
ein Bild interessierte, belagerte er es förmlich und wie ernst er
sich vertiefte, mag daraus erhellen, dass er immer und immer wieder
drängte, die Natur zu sehen, die dargestellt war, um so den Zusammenhang
zwischen Natur und Kunst zu finden. Die grossen Meister Rembrandt, Hals
usw. begeisterten ihn; doch ein Bild ging ihm über alles: die kleine
Architektur von van der Meer in der Galerie Six. »Trotz Leibl, trotz der
grössten Modernen, trotz der grössten Formate und Farbenwirkungen und
Geschicklichkeiten -- eine solche Arbeit hat doch Keiner gemalt, d. h.
so tief hat Keiner mehr die Natur angesehen«, sagte er zu mir.

Nach den tiefen Eindrücken Hollands wurde fleissig studiert und als
Hauptleistung ist der Christus von Trübner daraus hervorgegangen.

Im Jahre 1875 war Schuch in Olevano, um Architekturen zu malen, jene
schmutzigen, grauen Strassen in unbeschreiblicher Tonschönheit.

1876 waren wir in Venedig zusammen. Schuch mietete ein Haus am Canal
grande, wo ich ganz oben ein Atelier einrichtete, mit einer Treppe nach
der Plattform des Daches, von wo wir oft des Abends die versinkende
Pracht Venedigs bewunderten. Schuchs Aufenthalt in Venedig hatte den
Zweck, ausserhalb jeder Konvention selbst auszureifen und vom Stilleben
zur Architektur und von dieser zur Landschaft zu kommen. Hier in tiefer
Einsamkeit mit mir als Mitstrebenden bildete er sich weiter und es
entstanden die grossen wunderbaren Stilleben: das »Küchenstilleben«,
das »Stilleben mit der Figur seines Dieners aus Cadore« und das
»Studierzimmer«. Die Einsiedelei in Venedig war etwas Wunderbares an
Arbeit, wenn ich die Gondelfahrten, die Ausflüge nach Chioggia, ins
Gebirge usw. mit hinzurechne; denn immer war es Forschung, die zu allem
trieb. Von ihm mit Mitteln ausgestattet, schleppte ich alles Malenswerte
herbei, sogar einen lebenden Uhu aus den Cadorischen Alpen.

Die Art und Weise wie Schuch arbeitete, war ungeheuer interessant.
Er hat, so lange ich mit ihm malte, niemals gezeichnet, weil er nur
malerisch empfand und eine Zeichnung ihm nicht ausdrucksvoll genug war.
Wenn er ein Stilleben gestellt hatte, betrachtete er es lange und hielt
eine förmliche Konsultation ab, um das Bild geistig fertig zu bekommen
und die Mittel festzustellen, womit die Absicht am besten zu erreichen
war. Die Palette mit den wenigsten Farben war ihm die liebste. Fand
er nach einer prima Malerei, dass ein Stück nicht recht gelungen war,
so wurde es mit Ossa sepia wieder ausgeschliffen und neu gemalt. So
sind oft Dinge, namentlich in den grossen Stilleben, zweimal gemalt.
Es sind auch oft gute Sachen abgeschliffen und einmal standen sogar 38
abgeschliffene Leinwände da, um Neues aufzunehmen. Matheo, der Diener,
schliff manchmal wie ein Besessener.

Er liess ein gestelltes Stilleben stehen und malte es oft mit einer
anderen Farbenzusammenstellung, wenn er glaubte es treffender und
vollkommner auszudrücken. Ueber alle Erfahrungen, Beobachtungen,
Paletten usw. führte er Buch. Jede Farbe prüfte er auf ihre
Ausdrucksfähigkeit für Schatten, für Licht usw. Worauf Schuch gar keinen
Wert legte, das war sein empfindungsvoller Vortrag, der seinem die
Dinge förmlich befühlenden Blick entsprach. Und so sehr er Meister der
Technik war, so hasste er die Geschicklichkeit, die nichts ausdrückt.
Jeder Strich hatte bei ihm etwas zu sagen und wenn er früher einer
Fleckentheorie huldigte, als er noch in München war, so kam er nach und
nach davon ab. Er hatte erkannt, dass er, wenn er alle Töne ehrlich
abschrieb, doch nur eine Seite der Erscheinung gab, selbst wenn alles im
Ton war. Er wollte kein Mosaik der Erscheinung geben, sondern auch in
seiner Darstellung den Gehalt der Dinge ahnen lassen. Er wusste, dass
er über diese Stufe hinweg musste und wurde nun breiter und freier in
seinen Stilleben, namentlich in seinen Riesenstilleben von Venedig. Die
Empfindungsweise seiner frühen Arbeiten war gleichmässig und nicht durch
sein Temperament variiert, wie es später geschah, wo die Skala immer
grösser wurde. Am feinsten sind für mich seine Skizzen, worin die ganze
Feinfühligkeit mit dem Temperament gepaart zum Ausdruck gekommen ist.

Als Beispiele seiner ersten Art führe ich an: »Krebsstilleben«; als
seiner zweiten Art entsprechend: »Die Wildente«, und von Skizzen das
Atelier in Venedig.

Wenn Schuch in Venedig immer das Ziel hatte, vom Stilleben zur
Landschaft über die Architektur zu gelangen, so giebt es doch nur eine
Architektur von ihm: Abazzia St. Gregorio. Dagegen viele Blumenstücke,
die denselben instruktiven Zweck hatten.

Die alten Italiener übten den Einfluss, dass Schuch aus seiner früheren
Schwärze herauskam; nur Tizian mit seinem warmen Licht bewog ihn
mehrmals Stillleben des Spätnachmittags in seinem Atelier zu malen.
Dieses hatte ich mit Holztäfelung versehen, die ein brütendes Licht
erzeugte, wenn die Sonne schien.

Eine Sendung meiner Federzeichnungen aus Ferch bewog Schuch dann
hierher zu kommen und nur zu landschaftern. Drei Sommer malten wir
zusammen und Ferch war nur die Fortsetzung der wunderbaren Einsiedelei
von Venedig. Als er klar über das Stilleben war, suchte er auch für
die Landschaft die reinste Vorstellung. Er fasste die Natur als etwas
Lebendiges auf, worin Licht und Luft das eigentliche Leben erzeugen; er
wollte aus der Natur nichts machen, sie nicht aufbauschen, sondern durch
feinste Beobachtung ihr eigenstes Leben geben und die Natur von Ferch,
die Wiesen mit kleinen Wässern, die graziösen Birken waren immer wieder
Gegenstand seines intimsten Studiums.

Im Winter 1883-84 waren wir in Paris. Ein Ereignis für ihn war die
Ausstellung Manet und selbstredend war der Impressionismus Gegenstand
seines tiefsten Nachdenkens. Er erkannte die impressionistische
Darstellungsart nur als Ausdruck, Sprache, die nicht für jeden passt
und darum für viele gefährlich werden muss. Er bewunderte das Licht,
das Leben in den Arbeiten; am meisten aber eigentlich Monet, den er als
Genie betrachtete, weil er den Darstellungskreis bereichert hat, indem
er das bewegte Licht ausdrückte. Dass Monet alle möglichen Dinge malte,
dass er alle Stimmungen zum Ausdruck brachte, interessierte ihn nicht
sehr, sondern nur, dass er durch feinste Beobachtung der Valeurs ein
bewegtes Licht schuf und dass alle Gegenständlichkeit doch nur die Folie
war, auf der der Kampf zwischen Luft und Licht ausgekämpft wurde. Diese
That Monets war ihm das Wertvolle am ganzen Impressionismus und die
grösste Errungenschaft der modernen Malerei.

Die Auswüchse des Impressionismus (die oft den Eindruck gestopfter
bunter Wolle machten), verlachte er als geistloses Gestupfe, ebenso
hatte er für jede Schmierskizze, die Impressionismus sein sollte, ein
bitteres Lachen.

Die ungeheure Energie aber, womit Alle das Prinzip erfassten,
bewunderte er und sie war für ihn ein Sporn, seine Art weiter zu
entwickeln. Während einer Debatte, die es schon des Morgens beim Kaffee
gab, sagte er mir:

»Ich möchte am liebsten gar nichts, weder Impressionismus noch Leibl,
weder Daubigny noch Millet -- ich möchte treu und ehrlich sein können
und nicht ein Verhältnis zur Natur wie Troyon oder X und Y, sondern wie
ich selbst.«

Er meinte hiernach auf das Klarste, dass in letzter Instanz ein Werk nur
Wert hat durch die Persönlichkeit, die dahinter steht, nicht durch die
Ausdrucksform, Sprache, in der es vorgetragen. Dass er sich treu blieb,
sieht man an seinen grossen Waldbildern vom Doubs, wohin er in den
achtziger Jahren oft ging. Das Licht zittert in den Bildern, aber der
Helle ging er doch eher aus dem Wege, als dass er sie suchte. Es zittert
durch die mannigfaltigen Valeurs. Nur ein Deutscher konnte Waldbilder
schaffen von solcher Intimität und Wucht, diese Waldbilder vom Doubs
geben mir Recht, wenn ich behaupte, dass Schuch sein Ziel vom Stilleben
zur Architektur und Landschaft zu kommen erreichte. Statt aber, dass
eins dieser grossen Waldbilder mit dem grossen Küchenstilleben, das
Schuch für sein Hauptwerk hält, eine deutsche Galerie schmückt und sein
Bild vervollständigt, sind sie in Wien begraben.

Dass Schuch auch Köpfe, von denen mein Porträt Leiblsche Qualitäten
hat, und auch Akte malte, darf ich nicht unerwähnt lassen. Leider werden
nur meine Sachen übriggeblieben sein.

Schuch als Menschen zu schildern, würde auch sehr interessant sein, doch
muss ich mich kurz fassen. Wenn bei einer künstlerischen Persönlichkeit
der Künstler nur der Extrakt von seinem Menschen ist, so ist der
Rückschluss bei Schuch nicht trügerisch. Nur ein tief- und feinfühlender
Mensch konnte diese Kunst schaffen, und wenn für den Liebhaber der Sinn,
Bilder zu sammeln, der ist, dass er hinter seinen Kunstwerken ihre
Erzeuger von der Wand deutlich reden hört, so muss ich sagen, dass mir
mein Porträt von ihm ein kostbarer Besitz ist, der mir sein Andenken als
Freund und Lehrer immer gegenwärtig und lebendig erhält.

Bei allseitiger Bildung, bei lebhaftem Temperament, bei grosser
Opferfreudigkeit und Aufrichtigkeit, war es eine Freude, mit ihm
zu leben und zu streben. Seine Treue war gross; und für mich war
es die schönste Zeit, meine eigentliche Lehrzeit, als ich mit ihm
zusammenstrebte und lebte.

[Illustration: Max Liebermann, Zeichnung]

Wenn ich neuerdings lese, in welcher Weise Trübner über seinen
verstorbenen Freund spricht, so befremdet mich das sehr. Ich weiss,
dass Schuch mit Trübner intim befreundet war, dass Schuch mit ihm
Freundschaft schloss, um gemeinsam zu streben und dass Schuch der Letzte
sein würde, einen Einfluss Trübners zu bestreiten. Wieviel Einer dem
Andern gab, ist schwer festzustellen und auch vollkommen gleichgültig,
da es in letzter Instanz für die Bedeutung Schuchs doch nur darauf
ankommt, was er ohne Einfluss geschaffen hat. Ich glaube aber, dass bei
der starken Intelligenz Schuchs, die aus seinem Lebenswerk sowie aus
seiner Korrespondenz spricht, auf der ich fusse, von einer Abrichtung
keine Rede sein kann. Wenn Trübner diese Briefe, in denen Schuch über
ihn spricht, lesen würde, so könnte er keinen Augenblick im Zweifel
sein, wie ihn Schuch als Freund verehrte, wie er sein Talent anerkannte
und stets für ihn eingetreten ist. Sicher hätte Trübner nicht in solcher
Weise über seinen toten Freund sprechen können. Wenn Talent gestaltendes
Gefühl ist, so hatte Schuch sehr viel und sein Lebenswerk wird für
Einsichtige bekunden, inwieweit er von Trübner beeinflusst war und was
er unbeeinflusst schuf. Dies Lebenswerk (die grossen genannten Bilder an
der Spitze), wird deutlicher für ihn reden als ich es jemals vermöchte.



                             EDOUARD MANET

                                  VON

                               EMILE ZOLA


Edouard Manet ist mittelgross, eher klein als gross. Sein Haar und
Bart sind blass kastanienbraun, die Augen, dicht bei einander und tief,
haben jugendliches Leben und Feuer. Der Mund ist charakteristisch
dünn, beweglich, etwas spöttisch in den Mundwinkeln. Das ganze Gesicht
von einer feinen, intelligenten Unregelmäßigkeit zeigt Biegsamkeit,
Kühnheit, Verachtung des Banalen und der Dummheit. Wenn wir vom Gesicht
zum Wesen kommen, so finden wir in Manet einen Menschen von einer
ausgesuchten Liebenswürdigkeit, sehr höflich, von vornehmen Allüren und
sympathischem Eindruck.

Der Künstler hat mir eingestanden, dass er leidenschaftlich gern in die
Gesellschaft geht und eine geheime Wollust bei der parfümierten und
leuchtenden Zartheit der Soiréen empfindet. In die Gesellschaft treibt
ihn ohne Zweifel seine Liebe für breite und lebhafte Farbströme, aber es
ist in seinem Inneren auch ein angeborenes Bedürfnis nach Vornehmheit
und Eleganz, und dieses mache ich mich anheischig, ebenfalls in seinen
Werken zu finden.

So ist also sein Leben. Er arbeitet hartnäckig und die Zahl seiner
Bilder ist schon beträchtlich. Er malt, ohne entmutigt zu werden,
ohne müde zu werden, und schreitet geradeaus, seiner Natur gehorsam.
Nach der Arbeit geniesst er die ruhigen Freuden des modernen Bürgers,
geht in Gesellschaften und führt das Leben eines Jeden, nur mit dem
Unterschiede, dass er vielleicht noch friedlicher und noch besser
erzogen ist, als die Andern.

Was mich in Manets Bildern zuerst frappiert, ist eine sehr zarte
Richtigkeit in den Beziehungen der Töne unter einander. Früchte sind
auf eine Tafel gesetzt und heben sich von einem grauen Hintergrunde ab.
Es giebt unter den Früchten, je nachdem sie mehr oder minder nahe sind,
Farbenwerte, die eine ganze Tonleiter bilden. Wenn ihr von einer Note
ausgeht, die heller als die wirkliche Note ist, müsst ihr einer Leiter
folgen, die immer heller bleibt. Und umgekehrt muss es sein, wenn ihr
von einer dunkleren Note ausgeht. Das ist, was man, glaube ich, das
Gesetz der Valeurs nennt. Ich kenne in der modernen Schule niemanden
ausser Corot, Courbet und Edouard Manet, die ständig diesem Gesetze
gefolgt sind, wenn sie Figuren malen. Die Werke gewinnen dabei eine
seltsame Reinlichkeit, eine grosse Wahrheit und einen grossen Reiz.

Edouard Manet geht gewöhnlich von einer Note aus, die heller als die
in der Wirklichkeit existierende Note ist. Seine Malereien sind blond
und leuchtend, von einer soliden Bleichheit. Das Licht fällt weiss und
breit auf die Gegenstände und beleuchtet sie auf ein sanfte Art. Es
giebt da nicht den geringsten erzwungenen Effekt. Die Personen und die
Landschaften baden sich in einer heiteren Klarheit, welche das Bild
völlig erfüllt.

Was mich danach frappiert, ist die notwendige Folge der genauen
Beobachtung des Gesetzes von den Werten. Der Künstler lässt sich
irgend einem Gegenstand gegenüber durch seine Augen leiten, die diesen
Gegenstand in breiten Tinten bemerken, welche gegenseitig Einfluss auf
einander nehmen. Ein Kopf gegen eine Mauer ist nur noch ein mehr oder
minder weisser Fleck auf einem mehr oder minder grauen Hintergrund;
und das Kleid, an das Gesicht herangesetzt, zum Beispiel ein mehr oder
minder blauer Fleck neben dem mehr oder minder weissen Flecke. Daher
eine grosse Einfachheit, fast gar keine Details, eine Gesamtheit von
richtigen und zarten Flecken, die in einigen Schritten Entfernung dem
Bilde ein ergreifendes Relief geben. Ich lege auf diesen Charakter der
Werke von Edouard Manet Nachdruck, denn er herrscht in ihnen und macht
sie zu dem, was sie sind. Die ganze Persönlichkeit des Künstlers besteht
aus der Art, in der sein Auge gebildet ist: er sieht blond und in Massen.

Was mich in dritter Linie frappiert, ist eine etwas trockene, jedoch
reizvolle Grazie. Man verstehe mich richtig: ich spreche nicht von
der rosa und weissen Grazie, die die Porzellanköpfe der Puppen haben,
sondern von einer durchdringenden und wahrhaft menschlichen Grazie.
Edouard Manet ist ein Weltmann und in seinen Bildern sind gewisse
auserlesene Linien, gewisse schlanke hübsche Haltungen, die von seiner
Liebe für die Eleganzen des Salons zeugen. Das ist das Element des
Unbewussten, die Natur des Malers.

Nach der Zergliederung die Zusammenfassung. Nehmen wir gleichviel
welches der Bilder Manets und suchen nichts anderes, als was es enthält:
beleuchtete Gegenstände, wirkliche Geschöpfe. Der Gesamtanblick ist,
wie ich es gesagt habe, leuchtend blond. In dem ausgebreiteten Licht
sind die Gesichter in breiten Fleischflächen behandelt, die Lippen
werden einfache Striche, alles vereinfacht sich und hebt sich vom
Hintergrunde in machtvollen Massen ab. Die Richtigkeit der Töne stellt
die Pläne fest, erfüllt das Bild mit Luft, giebt jedem Gegenstande
Kraft. Man hat, um sich über Manet lustig zu machen, behauptet, dass
seine Bilder an die Bilderbögen von Epinal erinnern; sehr viel Wahrheit
liegt in diesem Spott, der ein Lob ist. Dort auf den Bilderbögen und
hier auf den Bildern sind die Verfahren die gleichen, die Tinten sind
schichtweise angewendet, mit dem einzigen Unterschiede, dass die
Arbeiter der Bilderbögenfabrik die Töne rein brauchen, ohne sich um
die Werte zu kümmern, Edouard Manet die Töne jedoch vervielfacht und
sie in die richtigen Beziehungen bringt. Es würde eher am Platze sein,
Manets vereinfachte Malerei mit den japanischen Farbenholzschnitten
zu vergleichen, die ihnen durch ihre seltsame Eleganz wie durch ihre
prachtvolle Fleckenverteilung ähnlich sind.

Der erste Eindruck, den ein Bild von Edouard Manet hervorbringt, ist
ein wenig hart. Man ist nicht daran gewöhnt, so einfache noch auch so
aufrichtige Uebersetzungen der Wirklichkeit zu sehen. Dann giebt es,
wie ich gesagt habe, einige elegante Schroffheiten, die überraschend
wirken. Das Auge bemerkt zuerst nur breit geschichtete Tinten. Bald
zeichnen die Objekte sich und stellen sich an ihre Plätze. Am Ende
einiger Augenblicke erscheint das Ganze, kraftvoll, und man empfindet
einen wirklichen Reiz, indem man diese helle und gewichtige Malerei
betrachtet, die die Natur mit einer sanften Brutalität, wenn ich mich
so ausdrücken darf, wiedergiebt. Wenn man sich dem Bilde nähert, sieht
man, dass die Behandlung mehr delikat als schroff ist. Der Künstler
benutzt nur den Pinsel (nicht den Spachtel) und bedient sich seiner sehr
vorsichtig. Er giebt keine Farbenanhäufungen, sondern eine einfache
Schicht. Dieser Wagehals, über den man sich lustig macht, hat eine
Technik, die sehr vorsichtig ist, und wenn seine Werke einen besonderen
Anblick gewähren, so verdanken sie das nur der persönlichen Art, in der
Manet die Objekte sieht und übersetzt.

Wenn man mich prüfte, wenn man an mich die Frage stellte, welche neue
Sprache Edouard Manet spräche, so würde ich hinsichtlich des Ganzen
antworten: er spricht eine Sprache, die aus Einfachheit und Richtigkeit
gemacht ist. Die Note, die er bringt, ist das Blond, das das Bild mit
Licht erfüllt. Die Uebersetzung, welche er uns giebt, ist eine richtige
und vereinfachte Uebersetzung, die in Ensembles vorgeht und nur die
Massen angiebt.

Nicht oft genug kann ich wiederholen, dass wir tausend Dinge vergessen
müssen, um dieses Talent zu verstehen und zu geniessen. Es handelt
sich hier nicht mehr um eine Untersuchung der absoluten Schönheit; der
Künstler malt weder die Geschichte noch die Seele; was man Komposition
nennt, existiert für ihn nicht, und die Aufgabe, die er sich stellt,
ist nicht, diesen Gedanken darzustellen oder jenen historischen
Vorgang. Darum muss man ihn auch nicht vom Standpunkt des Moralisten
oder des Literators beurteilen, sondern als Maler. Er behandelt die
Figurenbilder, wie es in den Kunstschulen erlaubt ist, die Stilleben
zu behandeln; er stellt, will ich damit sagen, die Figuren ein bißchen
dem Zufall nach vor sich hin, und hat nur danach Verlangen, sie auf die
Leinwand zu bringen, wie er sie sieht, mit den lebhaften Gegensätzen,
welche sie bilden, indem sich eine von ihnen von der anderen absetzt.
Fordert von Manet nichts anderes als eine Uebersetzung von wörtlicher
Richtigkeit. Er kann nicht singen und philosophieren; er kann malen. Er
hat die Gabe, und das da ist sein Eigentum, sein Temperament, in ihrer
Feinheit die hauptsächlichen Töne zu ergreifen und solcherweise in
grossen Plänen die Dinge und die Wesen zu modellieren.

Man hat Manet vorgeworfen, dass er die spanischen Meister nachahme.
Ich gebe zu, dass einige Aehnlichkeit zwischen seinen ersten Arbeiten
und den Arbeiten dieser Meister ist. Man ist immer jemandes Sohn.
Aber von seinem »Mittagessen im Grase« an scheint mir Manet klar die
Persönlichkeit zu zeigen, die ich kurz zu erklären und auszulegen
gesucht habe. Die Wahrheit ist vielleicht, dass das Publikum, indem
es sah, dass er Scenen und Kostüme aus Spanien malte, auch annahm,
dass Manet seine Modelle von jenseits der Pyrenäen nähme. Von da bis
zur Anklage des Plagiats ist es nicht weit gewesen. Daher ist es gut,
bekannt zu geben, dass Edouard Manet die »espada« und den »majo« gemalt
hat, weil er in seinem Atelier spanische Kostüme hatte und sie schön in
der Farbe fand. Er bereiste Spanien erst im Jahre 1865, und seine Bilder
tragen einen zu persönlichen Accent, als dass man in Manet nur einen
Bastard von Velasquez und Goya erblicken könnte.

Das erste, was ich empfand, als ich ins Atelier von Edouard Manet trat,
war ein Gefühl von Einheit und von Kraft. Es ist Herbheit und Sanftheit
beim ersten Blick, den man auf die Wände wirft. Ehe die Augen sich
auf einer bestimmten Leinwand festsetzen, irren sie von ungefähr von
unten nach oben, von rechts nach links, und diese hellen Farben, die
eleganten, sich mischenden Formen haben eine Harmonie, einen Freimut von
äusserster Einfachheit und Energie.

Dann habe ich langsam die Werke hintereinander zergliedert. Hier gebe
ich in einigen Zeilen mein Gefühl über jedes von ihnen, mit etwas
Nachdruck bei den umfangreicheren.

Das älteste Bild ist der »Absynthtrinker«; ein abgezehrter,
abgestumpfter Mann, in eine Ecke seines Mantels gehüllt und in
sich versunken. Der Maler suchte sich noch; es ist beinahe eine
melodramatische Absicht in diesem Gegenstand; und dann finde ich hier
nicht das einfache und genaue, mächtige und grosse Temperament, das der
Künstler später hat.

Danach kommen der »spanische Sänger« und das »Kind mit dem Degen«.
Das sind die Pflastersteine -- jene ersten Werke, deren man sich
bedient, um mit ihnen die letzten Werke des Künstlers zu erschlagen.
Der »spanische Sänger«, ein Spanier, der auf einer Bank von grünem
Holz sitzt und singend Guitarre spielt, hat auf der Ausstellung eine
»mention honorable« bekommen. Das »Kind mit dem Degen« ist ein kleiner
Knabe, stehend, mit naiver Miene, und uns anstaunend. Er hält mit beiden
Händen einen grossen Degen mit Wehrgehänge. Diese beiden Malereien sind
fest und solide, übrigens sehr fein, und sie verwunden in gar nichts
den schwachen Blick der Menge. Man behauptet, dass Edouard Manet einige
Verwandtschaft mit den spanischen Meistern hat und er hat es nie so
sehr bekundet wie in dem »Kinde mit dem Degen«. Der Kopf des Knaben ist
ein Wunder von Modellierung und besänftigter Kraft. Hätte der Künstler
immer derartige Köpfe zu malen unternommen, so würde er vom Publikum
gehätschelt, mit Lob und Geld überschüttet worden sein. Freilich wäre er
ein Reflex geblieben, und nie würden wir die schöne Einfachheit kennen
gelernt haben, die sein ganzes Talent bildet. Für mich, ich gestehe es,
ist das Sympathische in seinen Werken anderswo als in diesen Stücken;
ich ziehe die freimütigen Schärfen, die richtigen und mächtigen Flecke
der »Olympia« den gesuchten und engen Feinheiten des »Kindes mit dem
Degen« vor.

Aber von jetzt an habe ich nur noch von solchen Bildern zu sprechen,
die mir das Fleisch und Blut Edouard Manets zu sein scheinen. Zu
Anfang kommen die Bilder, die im Jahr 1863 bei Martinet auf dem
Boulevard des Italiens einen wirklichen Auflauf verursachten.
Pfeifen und Hohngelächter kündigten, wie es Brauch ist, an, dass
ein neuer originaler Künstler sich offenbart habe. Die Zahl der
damals ausgestellten Bilder war vierzehn. Acht von ihnen werden
wir in der Weltausstellung wiederfinden: den »alten Musiker«, den
»Leser«, die »Gitanos«, einen »Strassenjungen«, »Lola de Valence«,
die »Strassensängerin«, das »spanische Ballet« und die »Musik in den
Tuilerien«.

Die vier ersten der Reihe citiere ich nur. »Lola de Valence« ist durch
den Vierzeiler von Charles Baudelaire berühmt, der ebenso ausgezischt
und übel behandelt wurde wie das Gemälde selbst:

             Entre tant de beautés que partout on peut voir
             Je comprends bien, amis, que le désir balance,
             Mais on voit scintiller dans Lola de Valence
             Le charme inattendu d'un bijou rose et noir.

Ich beabsichtige nicht, zur Verteidigung dieser Verse beizutragen und
sage nur, dass sie für mich das Verdienst haben, ein gereimtes Urteil
über die ganze Persönlichkeit des Künstlers zu geben. Ich weiss nicht,
ob ich übertreibe. Es ist vollkommen wahr, dass »Lola de Valence« ein
»bijou rose et noir« ist. Der Künstler geht bereits nur durch Flecke vor
und seine Spanierin ist breit, mit lebhaften Gegensätzen gemalt; die
ganze Leinwand von zwei Tinten bedeckt.

Das Bild, das ich unter den aufgeführten aber vorziehe, ist die
»Strassensängerin«. Eine junge, auf den Höhen des Panthéon wohlbekannte
Person tritt aus einer Schenke heraus, während sie Kirschen isst,
die sie aus einer Tüte nimmt. Das ganze Werk ist von einem sanften
blonden Grau. Die Natur scheint mir in diesem Bild mit der äussersten
Einfachheit und Genauigkeit zergliedert zu sein. Ein derartiges Bild
hat, von seinem Gegenstande unabhängig, eine Erhabenheit, welche den
Rahmen erweitert; man fühlt darin die Erforschung der Wahrheit, die
gewissenhafte Arbeit, die ein Mann leistet, der vor allem freimütig
sagen will, was er sieht.

Die beiden andern Bilder, das »spanische Ballet« und die »Musik in
den Tuilerien« waren es, bei denen damals das Pulver explodierte. Ein
aufgeregter Amateur ging so weit, zu drohen, dass er handgreiflich
werden würde, wenn man die »Musik in den Tuilerien« länger in dem
Ausstellungssaal hängen liesse. Ich begreife den Zorn dieses Liebhabers;
denkt euch unter den Bäumen des Tuileriengartens eine ganze Menge --
hundert Personen vielleicht, die sich in der Sonne bewegen. Jede Person
nur als einfachen Flecken, kaum bestimmt, und die Details zu Linien
und schwarzen Punkten geworden. Wäre ich dagewesen, so hätte ich den
Liebhaber gebeten, sich in eine achtungsvolle Entfernung zu begeben.
Dann hätte er gesehen, dass diese Flecke lebten, dass diese Menge sprach
und dass dieses Bild eins der bezeichnendsten des Künstlers sei, eines
von denen, bei denen er am meisten seinen Augen und seinem Temperamente
gefolgt ist.

[Illustration: W. Leibl, Selbstbildnis]



                         FERD. GEORG WALDMÜLLER

                  Aus seinen hinterlassenen Schriften


Seiner Excellenz dem Herrn Staatsminister Anton Freiherrn von
Schmerling, Grosskreuz des Öst. Leopold-Ordens etc. etc. etc.


     Eure Excellenz!

Ich erlaube mir diese Zeilen an Eure Excellenz zu richten, in denen ich
eine getreue durchaus wahrheitsgemässe Darstellung der Verfolgungen, und
moralischen Misshandlungen zu Ihrer Kenntnis zu bringen beabsichtige,
und es der Gerechtigkeitsliebe Eurer Excellenz anheim stelle, darüber
zu entscheiden, ob mein Verlangen nach einer Rehabilitierung ein
gerechtfertiges sei oder nicht.

Die Verfolgungen, welche ich erlitten, haben ihren Grund lediglich
in meinem Streben die Übelstände unseres bisherigen akademischen
Unterrichtes der Wahrheit gemäss zu beleuchten, und der Kunst überhaupt
jene Stellung zu erringen, welche ihr in civilisirten Staaten gebührt.
Dieses Streben habe ich in mehreren Broschüren entwickelt, besonders
in jener, welche den Titel führt: Andeutungen zur Belebung der
vaterländischen bildenden Kunst.

Die in dieser Broschüre ausgesprochenen Enthüllungen über den in dem
akademischen Lehrsystem herrschenden Schlendrian erweckten natürlich
das grösste Missfallen in den diesem Schlendrian, bei welchem sie ihren
Vorteil fanden, huldigenden akademischen Kreisen, und es ward das
Anathema über den kühnen Reformator ausgesprochen, der es unerschrocken
aussprach, was Not thue, um dem Verfalle der Kunst entgegen zu treten.

Der damalige Herr Minister des Unterrichtes, Graf Leo Thun, gestand
mir mündlich, dass er zwar die Wahrheit der Enthüllung des gänzlich
mangelhaften =kunsttötenden= statt =kunstlebenden=
akademischen Unterrichtes in meiner Broschüre nicht bestreite, dass
aber Enthüllungen solcher Art, von einem Mitgliede der Akademie, und
ihres Rates selbst, von einem Professor der Akademie ausgehend, offenbar
als ein Disciplinarvergehen betrachtet werden müsse, welches mit der
Enthebung von meiner Anstellung bei der Akademie zu bestrafen sei.
Diese Bestrafung ward dann auch vollzogen, da ich am 4. September 1857
in Pension gesetzt ward, jedoch nur mit dem Bezuge einer Pension von
400 fr. statt meines Gehaltsbetrages von 800 fr., welche ich in meiner
Anstellung bezog.

Dass meine Beleuchtung der damals an der Akademie eingeführten
sog. Reform, deren Entwurf und Fassung von dem ministeriellen
Berichterstatter Herrn Grafen =Franz Thun= und seinem Freunde
Herrn Ruben herrührte, und dem Herrn Minister gleichsam oktroyiert
ward, da er, wie er in einer Unterredung mit mir unverhohlen äusserte,
dass er in Sachen der Kunst kein Verständnis habe, -- dass, sage ich,
meine Beleuchtung jener Schöpfung des Herrn Grafen Franz Thun und des
Herrn Ruben diesen Herrn und ihren Schmeichlern unbequem gewesen,
begreife ich, um so mehr, als meine Wahrheitsliebe und Freimütigkeit
nicht gestattete, auch in Unterredungen mit diesen Herren selbst meine
Ansichten zu verhehlen. In einer solchen Unterredung mit dem Herrn
Grafen Franz Thun äusserte ich, dass ich die Ernennung des Herrn Ruben
zum Direktor der Akademie gegenüber der Einführung von Meisterschulen
befremdlich fände, da ja doch nicht angenommen werden könne, dass die
Meister sich =dirigieren= lassen würden, und der Graf antwortete
mir: Er lasse dies dahin gestellt sein, die Ernennung des Herrn Ruben
zum Direktor sei nur erfolgt um demselben =einen grösseren Gehalt
zuzuwenden=! Ich glaube, dass die Anführung eines solchen Motives zur
Anstellung keines Kommentars bedarf, um die Zustände der akademischen
Gebahrung, sowohl im Kunst- als im Geschäftswesen zu charakterisieren.

Meine eigenen Bestrebungen wurden nie von unlauteren Interessen
beeinflusst. Ich glaube dies durch alle Handlungen meines künstlerischen
und bürgerlichen Lebens bewiesen zu haben. Ich erhielt von Sr.
Majestät dem verewigten Kaiser Nikolaus von Russland eine höchst
ehrenvolle, von den wesentlichsten persönlichen Vorteilen für mich
verbundene Aufforderung, mich in Petersburg zu etablieren, und daselbst
eine Meisterschule zu gründen. Ich leitete damals auch hier eine
Privat-Meisterschule, und konnte es nicht über mich gewinnen, meine
Schüler, talentierte Jünglinge, welche ihre künstlerische Ausbildung mir
anvertraut hatten, zu verlassen. Ich wies ohne Bedenken den glänzenden
Antrag zurück, und sandte einen meiner besten Schüler, Herrn von Zichy
nach Petersburg, welcher sich dort eine ehrenvolle und lukrative
Existenz gründete, was er auch vollkommen durch sein Talent verdient.
Ich habe mir erlaubt auf diese Episode meines künstlerischen Lebens
hinzudeuten, weil sie wohl den sprechendsten Beweis liefert, wie ich es
mir (als) meine Lebensaufgabe erachtete, alle meine Kräfte der Belebung,
und dem Gedeihen der =vaterländischen= Kunst zu widmen, und dadurch
meinen echten Patriotismus zu bethätigen.

Dass diese meine Bestrebungen in jenen Kreisen künstlerischer und
akademischer Thätigkeit, welche in der Erhaltung des Schlendrians
Vorteile finden, angefeindet wurden, darauf musste ich bei meinem
Vorgehen gefasst sein, dass aber diese feindliche Gesinnung auch in
jene Sphären gedrungen sei, welche ihrer Natur nach erhaben über alle
Einflüsse solcher Art stehen sollten, darüber habe ich in neuerlichster
(Zeit) die überraschendsten Beweise erhalten. Ich hatte es nämlich
für meine Pflicht gehalten, die oben erwähnte Broschüre Sr. Majestät
dem Kaiser ehrfurchtsvoll zu Füssen zu legen. Der Vorschrift gemäss
reichte ich das Exemplar in dem k. k. Oberstkämmereramt ein. Nach
einiger Zeit ward ich zu Seiner Excellenz dem Herrn Oberstkämmerer
Grafen von Lauzcownski beschieden, und empfing aus seinem Munde folgende
Abfertigung: »Ich soll Ihre Broschüre dem Kaiser geben, dass Sie eine
Auszeichnung, etwa gar einen Orden bekommen! Nein, das thue ich nicht!«

Auch diese Rede bedarf keines Kommentars. Ein solcher Beweggrund dem
Kaiser ein Werk nicht zu überreichen dürfte so ziemlich beispiellos
genannt werden, und noch verwunderlicher ist es, wie ein Kavalier, dem
man doch wenigstens einen gewissen Grad von Bildung beimessen dürfte,
sich so weit vergessen kann, in solch unanständiger Weise einen solchen
Bescheid einem Manne zu erteilen, der durch die Haltung seines ganzen
Lebens als Bürger und Künstler makellos stehend den vollen Anspruch,
und die Berechtigung, wenn auch nicht auf die =Zuneigung= doch
jedenfalls auf =die Achtung= auch des höchsten Würdenträgers hat.

Einen zweiten Beweis, wie man sich in jenem Bureau die grösste
Geringschätzung gegen mich erlauben zu dürfen glaubte, fand ich in dem
folgenden Vorgange. Ich hatte mir erlaubt eines meiner neueren Gemälde,
welches die Anerkennung als eines meiner besten Werke erhielt, Seiner
Majestät dem Kaiser vorzustellen, und um dessen Ankauf zu bitten. Diese
Bitte wurde indessen, obschon Seine Majestät dem Bilde Beifall schenkte,
abschlägig beschieden, und ich erhielt meine Bittschrift mit diesem
Bescheide aus dem Oberstkämmereramt =zerrissen= zurück, also mit
einer durch keine Amtsvorschrift gebotenen Verschärfung des Ausdruckes,
einer in keiner Weise gerechtfertigten verächtlichen Missachtung.....

Abgesehen davon, dass die juridische Entscheidung, ob durch freimütige
Besprechung bestehender unleugbarer Übelstände in einem Institute, von
Übelständen, für welche ich bereit bin, den thatsächlichen Beweis vor
jeder Kommission von Fachmännern, und einem Vorsitzenden zu liefern,
ob Mitteilungen solcher Art unbedingt und =in allen Fällen=,
wo sie von einem Mitgliede eines solchen Institutes selbst ausgehen
als Disciplinar-Vergehen, und strafwürdig zu behandeln seien, immer
noch erst zu erwarten wäre, da sich ohne Zweifel hoch Vieles pro et
contra sagen liesse, so halte ich dafür, dass in diesem Falle, wenn
ich wirklich straffällig wäre, die Strafe durch meine Pensionierung
=überhaupt= in genügender Weise hätte befunden werden mögen, auch
wenn ich mit 28 Dienstjahren in Berücksichtigung meiner Verdienste um
die Kunst, als ausübender Künstler, und als Lehrer und Rat, mit meinem
=ganzen= Gehalt bedacht worden wäre, statt mit einem Bruchteile
desselben. Ich glaube mir also die Bitte erlauben zu dürfen, mir in so
ferne eine Rehabilitierung zu Teil werden zu lassen, wodurch mir die
Beziehung meines gehabten Gehaltes von 800 fr. im Ruhestand belassen
würde, wobei ich mich aber erbiete auch noch eine Meisterschule zu
leiten, von welcher ich mir guten Erfolg, sowohl die Resultate meiner
früheren Leistungen, als durch den Umstand hoffen zu dürfen mich
berechtigt halte, da sich fortwährend viele akademische Schüler an mich
wenden, welche unter meiner Leitung studieren wollen, und mir dadurch
ihr Zutrauen in meine Lehrmethode, und in das Prinzip, welches ich
derselben zum Grunde lege, aussprechen.

Somit fühle ich mich denn ermutigt, die Entscheidung dieser Frage der
Weisheit und Gerechtigkeitsliebe Eurer Excellenz anheim zu stellen, in
festem Vertrauen, dass der erleuchtete Geist Eurer Excellenz am besten
zu beurteilen wissen wird, in wie ferne mein Ansuchen gerechtfertigt
erscheint, und zu würdigen sei.

     Im Gefühle der aufrichtigsten Verehrung
                                              Eurer Excellenz
                                      Unterthänigst ergebenster Diener
                                                    F...


                        Was soll uns die Kritik?

Was soll uns die Kritik? Soll sie die bildende Kunst fördern? Als die
Kunst auf ihrer Höhe, als es eine wahrhafte Kunst gab, existierte
damals eine Kritik? Eine Kritik in solcher Weise wie jetzt, vornehmlich
bei uns? Nein! Das »ne sutor ultra crepidam« ist auch jetzt noch die
passendste Antwort auf alle und jede Kritik in der bildenden Kunst.

Der Künstler, welcher sein Kunstwerk in die Öffentlichkeit giebt,
unterzieht sein Werk der Beurteilung des Publikums. Jeder Beschauer
wird nach seinem individuellem Empfinden und Erkennen in seinem
Gemüte von dem Werke ergriffen werden, oder kalt bleiben. Es kann der
Gegenstand schon die Ursache sein, obwohl Kunstwerke in ihrem Inhalte
für alle Beschauer ein allgemeines Interesse haben sollen, es ist eine
Bedingung, denn wenn es nur für eine Person, oder für einen kleinen
Kreis Interesse hat, so soll es nicht in die Öffentlichkeit. Dass aber
weder das Publikum noch Kunstliebhaber eine eigentliche Kritik zu fällen
im stande sind, ist gewiss; sie sprechen ihre Empfindung des Gefallens
oder Missfallens aus, und dieses ist für den Künstler genügend, ihn in
der Wahrheit zu bestärken, oder einzulenken auf den Weg der Wahrheit.
Solcher Art Kritik erreichte bei den Griechen und im Mittelalter jene
hohe Stufe der Ausbildung.

Betrachten wir dagegen die Folgen, welche das Gefasel unserer
sogenannten Kunstkritiker in den Journalen mit sich bringt, welche ganz
gewiss schamrot würden -- ich thue ihnen die Ehre an, es zu glauben
-- wenn sie eine Ahnung hätten, wenn es nur ihr Dünkel zuliesse zu
erkennen, dass ihre Aussprüche voll Widersprüche sich selbst aufheben,
welches durch ihre völlige Unkenntnis veranlasst wird. Durch was und an
wem sind sie berufen, decidierte Urteile, Belehrungen u. s. w. über die
Kunst abzugeben? Gewöhnlich sind es Schreiber in Bureaus, oder Personen,
die durch Talentlosigkeit und Faulheit sich keinem Berufe widmen
konnten, nichts sind, der Gesellschaft zur Last fallen, wogegen jeder
Taglöhner Nutzen bringender ist. Es geschieht wohl manchmal, dass sie
von Künstlern, welche durch die Feder das Publikum aufmerksam machen,
was man von solchen Aussprüchen zu halten hat, zurechtgewiesen werden,
allein, die Frechheit geht so weit, dass sie drohen einen solchen
Künstler, der sie lächerlich gemacht, zu vernichten! Welche Macht steht
ihnen als Hintergrund zu Gebote? Es wäre die grösste Schmach, wenn hohe
Staatsmänner sich von solchen Individuen ihre Handlungsweise bestimmen
liessen. So ist es gerade dem Gedeihen wahrer Kunst nur hinderlich;
einmal schon durch die dreisten Behauptungen ihrer lächerlichen, oder
persönlich verleumdenden Aussprüche, und da das Publikum in der Regel
derlei Aussprüche glaubt, weil sie gedruckt sind, ja sogar viele diese
Kritiken bei den Bildern in der Ausstellung zur Hand haben, um nur ja
kein eigenes Urteil zu haben, sich in solcher Weise gängeln lassen, und
dann um gleichsam der Kunst Hohn zu sprechen, indem sie Leistungen von
Malern ihrer Clique, die unter aller Kritik sind, mit Weihrauch der
höchsten Huldigung bestreuen.

Was haben also diese Kritiker geleistet? Die heimische Kunst ist immer
mehr und mehr, statt sich zu heben, gesunken. Diese Aussprüche haben
viele junge Talente schon bei ihrer Entwicklung in solcher Weise beirrt,
dass jede Hoffnung für sie dahin ist.

Ich habe bei einigen Gelegenheiten versucht dieses Treiben durch
Entgegnungen in den Journalen zu paralisieren, und es ist mir auch
zeitweise gelungen, gewisse Stimmen in ihrer Lächerlichkeit dem
Publikum zu bezeichnen, und zum Schweigen zu bringen; allein die Herren
Redakteure nehmen sehr ungern, oder einige auch gar nicht, derlei
Beleuchtungen in ihr Journal auf, ausser mit Insertionskosten, und da es
das Beste der Kunst betrifft, und nicht meinen persönlichen Vorteil, so
musste ich meinem Eifer Einhalt thun. Die Herren Redakteure besorgten
vor allem, ihre von ihnen bezahlten Berichterstatter als unfähig erklärt
zu sehen, und bei der Gleichgültigkeit, welche sie für die bildende
Kunst haben, beschützen sie lieber ihre Lieblinge, und lassen die
Spalten ihrer Journale nur diesen erbärmlichen Umtrieben offen. Wäre
es nicht besser die Räume ihres Blattes mit etwas andern zu füllen,
über bildende Kunst lieber ganz und gar zu schweigen? Denn derlei hebt
kein Journal. Wird auch manchmal die Wahrheit verkündet, so erscheint
es so ausser aller Gewohnheit, wird für Sotise gegeben, und man macht
Pressvergehen daraus; wer soll aber bei einem solchen Pressprozesse
das richtige Urteil fällen, da unsere Kunstzustände weder erkannt noch
beachtet sind?....

Jene Journalisten sind nebst dem, dass sie Ignoranten sind, auch
böswillige parteiische, die auf Kosten der Sache, der Kunst, Individuen
lobhudeln, in einer Art, die angesichts der Kunst wohl höchst lächerlich
ist, aber wegen obiger Ursachen das wahrhaft Gute beeinträchtigt. Ihre
Aussprüche sind gewöhnliche, allbekannte, abgenützte Phrasen.

Wenn es diesen Kritikern wirklich um die Sache und nicht um Personen
zu thun wäre, wenn sie im stande wären, durch ihre Kritik nützen
zu können, so ist nicht das Journal der Platz dazu, auch nicht die
Öffentlichkeit, sondern das Atelier der Künstler. Dort könnten sie ihre
Meinung gegenüber dem Künstler aussprechen, insofern sie eine haben, und
der Künstler sie erwidern; es würde sich bald zeigen, wer der Belehrung
bedarf. Denn belehren soll ja die Kritik, das ist ihr Zweck.

Wenn nun die Herren Kritiker sich befähigt wähnen, gegenüber
dem Künstler ihre Meinung zur Geltung bringen zu können, ihn zu
=belehren,= ihm wenn er auf Abwegen wandelt den rechten Weg zum
Heile der Kunst zu zeigen, so dürften sie insgesamt diesen Vorschlag,
derlei Besprechungen in den Ateliers der Künstler zu pflegen, ihre
begonnenen und vollendeten Leistungen kritisch zu beleuchten, annehmen,
und ich verpflichte mich, der erste zu sein, der in seinem Atelier
seine Werke einer solchen Besprechung unterzieht. Nur eine kleine
Bedingung setze ich daran: dass meinerseits einige Zeugen, wenn auch
stillschweigend, diesen Verhandlungen beiwohnen.

Nun meine Herren, kann man billiger sein, haben Sie eine bessere
Gelegenheit Ihre Beurteilungsfähigkeit zu beweisen?

Auch verpflichte ich mich der erste zu sein, der über diese Fähigkeit in
der Öffentlichkeit seine Anerkennung ausspricht, und alles widerruft,
was er über ihre Ignoranz zum öftern gesagt und geschrieben, wenn sie
das Gegenteil in solcher Art beweisen. Im Gegenteil aber müssen sie
die Sache, wenn auch eine Lieblingssache von ihnen, aufgeben und keine
Kritik mehr schreiben, denn sonst würde ich auch ihr Fiasko, bestätigt
durch ihre Zeugen, dem Publikum zur Einsicht stellen.....

Auch dürfte ihre Anonimität aufhören (vielleicht verschweigen sie aus
zarten Rücksichten für ihre Angehörigen ihre Namen!) sie müssten ihre
Kritiken mit ihren wirklichen, nicht Pseudonamen unterzeichnen, damit
das Publikum gleich ersehe, mit wem es zu thun hat, auch würden dann
die Künstler sich an sie wenden können ihren Rat einzuholen, überhaupt
Nutzen schöpfen von ihren Kenntnissen. Es wäre auch für die Nachwelt
wünschenswert ihre Namen zu wissen, damit sie bei der verdienten
Anerkennung manches Künstlers und seiner Werke auch ihren Teil bekämen.

Wie sind Mozart, Beethoven bei ihren Lebzeiten von gewissen Richtern
heruntergerissen worden! Die Nachwelt denkt anders; ihre Werke in
ihrer Vortrefflichkeit und Originalität stehen vor den Jetztlebenden
unerreicht da. Mozart, Beethoven haben in dürftigen Verhältnissen
gelebt, niemand dachte daran, ihnen wegen ihrer genialen Leistungen
Auszeichnungen zukommen zu lassen, während jetzt manche Kompositeure (ja
wohl ist jetzt alles aus Verschiedenen gestohlen, =komponiert=!)
mit mehreren Orden prangen, die nicht würdig sind, Jenen die
Schuhriemen aufzulösen. Beethoven hätte sich hoch geehrt und glücklich
gepriesen, wenn er die goldene Medaille erhalten hätte als Anerkennung
seiner künstlerischen genialen Leistungen. Die Anerkennung wirklich
künstlerischen Verdienstes ist aber jedem Staate Pflicht und gereicht
ihm zur Ehre.

Wie in der Musik, ebenso in der bildenden Kunst sowohl in Österreich
als in Deutschland. Diejenigen Maler oder Bildhauer und Architekten,
die so recht aus den vorhandenen Kunstwerken aller Zeiten zu stehlen
wissen, werden für diese Diebstähle honoriert und dekoriert. Bei
solchem Treiben wäre es am Platze, dass die Kunstgelehrten ihre Stimme
erheben und darauf hinweisen sollten; was ist aber die Ursache ihres
Stillschweigens? Unkenntnis, Parteilichkeit.....

Mögen derlei geschichtliche Thatsachen das Publikum für die Folge
aufmerksam auf die Unterscheidung von Wahrheit und Trug machen.

[Illustration: Franz Krüger, die Fürstin von Liegnitz, Zeichnung]



                            HANS VON MARÉES

                                 Briefe


                      _I diavoli tengano sempre una buonissima memoria
                          specialmento quando s'incontrano con angeli:
                           anche che siamo angeli di giorno a giorno._


                                   I.

                                                Neapel, 18. Juli 1873.

... -- Sie müssten eigentlich wissen, dass ich Versprechen selten
halte, mich aber hie und da bemühe, mehr zu leisten, als ich verspreche.
Bei einer gewissen Fähigkeit, mich in die Lage Anderer hineinzudenken,
ist es ein Zug meines guten Herzens, dass ich Ihnen bisher nicht
wissentlich Langweile bereitet habe. Doch kein Mensch entgeht seinem
Schicksale und selbst Sie nicht. So hören Sie denn! Die erste Bedingung,
um in einer Kunst etwas Gutes zu leisten, ist der Takt. Hier stehe ich
nun schon da wie Faust. Denn um zu erklären und deutlich zu machen, was
ich damit meine, müsste ich schriftlich viele, viele Seiten ausfüllen,
wobei dann allerdings sich auch herausstellen würde, dass eben dieser
Takt die erste und auch die letzte Bedingung zu allem künstlerischen
Treiben in sich schliesst. Ist man sich nahe, so bieten sich tausend
Gelegenheiten dar, die Einem den Ausdruck der eigenen Gesinnung und
Meinung erleichtern; und auch wenn man lange zusammengelebt, kann Einer
dem Andern mit wenig Worten viel sagen, doch so auf Distanze zu wirken,
befällt mich doch bei meiner mangelhaften Ausdrucksweise eine gewisse
Furcht, missverstanden zu werden. Und zumal bei einer Kunst, die Dinge
sagen soll, für die keine Worte gemacht sind. Bei der grössten Achtung
für Ihre Auffassungskraft. Indessen erscheint es mir ganz richtig, dass
Sie jetzt ein Stilleben malen. Ich mache Sie piccola pittrice (verzeihen
Sie diese Interjection) darauf aufmerksam, dass Sie dabei niemals einen
Gegenstand für sich betrachten, sondern stets beobachten, wie sich
derselbe zu seiner Umgebung verhält, sei es nun in seiner Begrenzung,
d. h. Form, oder auch in der Farbe. Wenn Sie sich das zur Gewohnheit
machen, so werden Sie bald dahinter kommen, dass man rund malen kann
ohne zu modellieren. Unser Auge nimmt zunächst in der Natur nur
verschieden begrenzte und gefärbte Flecken wahr und nur unsere Erfahrung
und unser Wissen lassen uns auch die ganzen Gegenstände erkennen. Schon
die blosse naive Nachahmung dieser Flecken bringt stets eine gewisse
Täuschung hervor. Davon würde ich an Ihrer Stelle ausgehen, weil Sie
auf diese Weise zuerst dazu kommen, die Mittel, mit denen man nachahmt,
zu beherrschen. Ganz falsch ist es, sich die Manier, die Handgriffe
eines Andern anzugewöhnen, weil man sich damit einen Block zwischen die
Augen und die Natur, der besten Meisterin setzt. Es versteht sich ganz
von selbst, dass auf diese Weise kein erschöpfendes Bild gemalt wird,
doch wollen wir heute bei diesem Punkte stehen bleiben, weil sich dann
nach und nach aus diesem rohen Block etwas Feines herausmeisseln lässt.
Es kommt auch darauf an, ob Sie an das, was ich sage, glauben können:
das ist eine conditio sine qua non. Also denn nach dem italienischen
Sprichwort chi va piano arriva sano, wer langsam geht, erreicht sein
Ziel gesund. Wenn Sie sich auch mit Blumen befassen möchten, so würden
Sie um so mehr himmlische Kränze durchs irdische Leben flechten und
weben. Doch ich bin des trocknen Tones nun endlich satt, möcht einmal
wieder den Teufel spielen. Nein, haben Sie keine Angst, die Hitze,
wenn auch Teufelselement, macht mich dazu unfähig. Ich fühle mich ganz
Maresele. Freuen Sie sich, dass Sie Gebirgsluft atmen können. -- Um
der Hitze einer Nacht zu entgehen, kam ich neulich auf den Einfall, um
Mitternacht auf einem kleinen Kahne nach Sorrent zu fahren, doch da
machte ich die Erfahrung, dass zur Nacht es zur See noch heisser ist
als auf dem Lande. Aber es war doch eine der reizendsten Nächte, die
ich erlebt habe. Die See spiegelglatt, der hellste Vollmond, dazu noch
später Frau Venus, die strahlend die rauchige Werkstätte ihres Herrn
Gemahls verliess und sich im Meere spiegelte. Nur hie und da strich
geisterhaft ein Fischerkahn bei uns vorüber; bis sich endlich ein
frischer Wind erhob, der das Meer gleich schwarz erscheinen liess, auf
dem wir dann mit aufgezogenen Segeln uns schnell unserem Ziele näherten
und mit der aufgehenden Sonne erreichten. Sorrent mit seinen Gärten ist
schon ein kleines Paradies, wenn ich Zeit hätte, führe ich jede Woche
hin. Es sind keine Sirenen dort, aber ein Gasthof nennt sich zu den
Sirenen und solche könnten wohl da einmal ihr Quartier aufschlagen. -- ...

Der Schluss, der leider ein wenig verfrühte Ihres Briefes hat mich
bewogen, Sie in den Teufelsorden aufzunehmen, und zwar verdienen Sie
einen verteufelt hohen Rang in demselben. Also carina diavoletta oder
diavoletta carina, als solche werden Sie zur Zeit der festlichen
Aufnahme Ihr Diplom empfangen. -- ...

(Unterschrift) Der arme, jetzt ein wenig gebratene Teufel, Maresele
genannt.


                                  II.

                                            Neapel, den 9. Sept. 1873.

Gestern Abend wurde ich durch ein verteufeltes Kunstwerk überrascht.
Es ist schwer zu sagen, ob die glückliche Wahl des Gegenstandes oder
die Conzeption und Verarbeitung mehr zu loben ist. Nun, in meine Hände
gelangt, wird es demselben an einem würdigen Platze nicht fehlen.
Hoffentlich und anscheinend hat meine schöne Fleckentheorie Wurzel
gefasst.

Indess soll ich wohl die gestellte Frage unverzüglich beantworten? Fast
möchte ich mich weigern und darin Ihrem teuren Beispiele folgen. Ist das
recht, so gut gemeinte Fragen, wie die meinen, unbeantwortet zu lassen?

Doch ich will Ihren allerhöchsten Unwillen nicht erregen, und meinem
Naturell folgend, ganz zahm und artig folgen.

Erstens also habe ich vor 3 Wochen eine Fortsetzung zu meinem ersten
höchst erbaulichen Kunstschreiben verfertigt, aber allerdings dieselbe,
zunächst aus Zerstreutheit, statt abzusenden, in der Tasche mit
herumgetragen, ein Los, das meinen Schriften häufig genug zufällt.
Zweitens folgt hier eine Beschreibung meines täglichen Lebens. Wie die
meisten Menschenkinder stehe ich morgens auf. Ohne weiteren Verzug,
als den Genuss von etwas gefrorener Limonade, gehe ich an die Arbeit.
Zuerst also den Arbeitern ihre Tagesarbeit bestimmen, das heisst, die
Grösse des Stückes Mauer angeben, das ich bemalen will. Dann wird einige
Stunden nach dem Modell in Oel gemalt und zwar in der grössten Eile;
dann ist der Grund präpariert, und da muss nun oft kolossal viel an
einem Tage zusammengearbeitet werden, bei welcher Gelegenheit nicht
nur Kopf und Hand, sondern auch der ganze Körper in Anspruch genommen
wird, da man oft recht verzweifelte Stellungen einnehmen muss. Bei einer
solchen Geistesgegenwart verlangenden Arbeit vergisst man zwar selbst
die erdrückendste Hitze, aber ist der Abend herangenaht, so ist man auch
zu allem unfähig. Dann lass ich mich höchstens von einer Leib und Seele
erschütternden Carosetta zum kleinen Hafen hinfahren und mir von der See
den Rest geben. Die Seeluft setzt Einen dann wenigstens in Stand, sein
Souper mit einigem Behagen zu halten; schlechtgespielte Strauss'sche
Walzer, korallenfeilbietende Hausierer, scheussliche Moden noch
übertreibende Neapolitanerinnen treiben einen dem Lager zu, wo Freund
Morpheus von summenden, stechenden Janzaren nur zu bald vertrieben
wird. So geht es seit sechs Wochen Tag für Tag. Ist es da ein Wunder,
wenn zuletzt statt eines Menschen oder auch Teufels nur ein dünner
Sommerfaden übrig bleibt, mit dem wenig abzuspinnen ist?... --


                                  III.

                                               Neapel, 19. Sept. 1873.

... -- Wenn ich sicher wäre, dass die Wesen ohne Schnurrbart so
verschwiegen wären, wie die mit, so würde ich Ihnen jetzt sehr -- sehr
viel zu sagen haben. Doch wollen wir jetzt einmal zuerst mit Ihnen
beginnen, in Parenthese, an meine barsche Manier müssen Sie sich nun
schon gewöhnen. Wenn Sie zufrieden mit sich wären, so wäre auch alle
Hoffnung verloren, denn das müssen Sie wissen, dass der Künstlerstand
der wahre Stand der Unzufriedenheit mit sich ist. Je weiter man gelangt,
desto grössere Ansprüche stellt man an sich: das alte Sprichwort:
lang ist die Kunst, kurz ist das Leben, bewährt sich nur zu sehr als
zutreffend. Uebrigens bin ich auch nicht direkt der Ansicht, dass der
Schnurrbart das allein seligmachende Mittel zum Leisten ist; jedoch
sind den Frauen grössere Hemmnisse in den Weg gelegt. Vor allen Dingen
hinderlich ist es ihnen, dass sie vorzugsweise und in erster Linie
Damen sein wollen, mit anderen Worten die Männer mehr vom Leisten
abhalten, anstatt sie darin, wie ihre Geschlechtsgenossinnen, die Musen,
anzueifern und zu bestärken. Wer etwas leisten will, darf den Teufel
darnach fragen, was man sagt, sondern muss unverrückt sein Ziel vor
Augen haben; und das soll nicht ganz leicht sein. Man muss sich mehr
für eine Sache als für die Leute interessieren. Vor allem aber muss
man lernen, das Gute vom Mittelmässigen zu unterscheiden; das ist der
einzige Weg zum Heil. Glauben Sie nicht, dass ich Sie einschüchtern
will, sondern ich gebe Ihnen nur zu überlegen, was doch erwähnenswert
ist. Bei allen Leistungen von dauerhaftem Werte spielt der Charakter
eine grössere Rolle als man glaubt. Das grösste Hindernis bleibt stets
die gute Gesellschaft; um comme il faut zu sein, bedarf es nicht
mehr Verstandes, als der eines Nussknackers, während die verlangten,
erbärmlichen Rücksichten den Gescheiten seiner besten Zeit und besten
Gedanken berauben. Ein Mann kann sich über dergleichen Dinge mit
Leichtigkeit hinwegsetzen; aber einer jungen Dame dürfte das schon
eine schwierige Aufgabe sein, wenn auch nicht unmöglich. So, für heute
erlassen Sie mir die Fortsetzung meiner Predigt; Sie müssen wissen,
dass ich heute schon eine lebensgrosse Giovinetta in einen Orangenhain
gesetzt habe, am liebsten wäre es mir gewesen, ich hätte Ihr liebes
Konterfei statt dieses machen können. Aber Ihre Photographie ist zu
sehr verschieden vom Original. -- ..... -- Doch muss ich Sie zunächst
noch um sechs Wochen Urlaub bitten, damit ich als ein Mann erscheinen
kann, der in Wahrheit etwas geleistet hat. So lange brauche ich, um mein
ganzes Werk, das Jahre in Anspruch zu nehmen schien, zu vollenden. Einen
solchen Einfluss hat die italienische Luft auf mich ausgeübt.

Diese neue Erfahrung lässt mich allerdings mit Grauen an den Norden
und speziell an Dresden, die Capitale der Mittelmässigen, denken. Ich
habe grosse Pläne, sobald sie sich realisieren oder die Möglichkeit dazu
sich herausstellt, so werde ich dieselben Ihnen mitteilen... -- Es wird
dunkel und ich schliesse. Duncque carissima carina non dimenticate me
poveretto, perchè sarebbe poco bene a me di cantare come la mia bella
vicina: Ti voglio ben assai e tu non pensa me -- ...


                                  IV.

                                            Florenz, 3. Dezember 1873.

... -- Die Wahrheit zu gestehen, befand ich mich die ganze Zeit in
einem sehr anormalen und jedenfalls für das Briefschreiben höchst
ungeeignetem Zustande, der erklärt und entschuldigt wird durch die für
mich allerdings grossen Anstrengungen. Zu Beginn voriger Woche bin ich
mit meinen Arbeiten in Neapel zu Ende gekommen und gleich darauf über
Rom hierher gereist. Es war meine Absicht, nach Deutschland zu reisen,
die habe ich aber, da ich in der That zu sehr der Erholung bedarf,
vorläufig aufgegeben. Dafür habe ich aber hier ein Lokal in einem
reizend gelegenen Kloster gemietet und wenn wir es bei der Ortsbehörde
durchsetzen können, werden wir nach und nach Herren des ganzen Gebäudes
werden. Was ich mir nach dieser Seite gewünscht, scheint nun in
Erfüllung zu gehen -- ...

... -- Soeben habe ich Frau Koppel aufgesucht und habe da zu meiner
Ueberraschung gehört, dass la bella in diesen Tagen hierher kommt.
Da wird denn wohl die Zeit nicht fern sein, wo auch die carina hier
erscheinen wird und ebenso la graziosa, um dann den Sirenengesang in
choro anzustimmen. Dann würden Sie im Frühjahr nach der Heimat Ihrer
Kolleginnen wandern und sich bei der Gelegenheit überzeugen können,
welche Schandthaten ein von den Sirenen Bethörter verrichtet hat. Diesen
Brief, es ist der fünfte, schicke ich jetzt definitiv ab -- ...


                                   V.

                                                 Neapel, 1. Juli 1874.

... -- Ein trauriger Anlass rief mich zu Beginn des Frühjahres nach
Deutschland und nachdem ich dort meinem von mir hochverehrten Vater die
letzte Ehre erwiesen hatte, strebte ich sobald wie möglich die Stätte
trauriger Erinnerungen zu verlassen und kehrte so über Paris nach
Florenz zurück. Dort hatte indessen Hildebrand den Kauf eines Klosters
abgeschlossen, wo nun jetzt auch für mich eine bleibende Stätte bereitet
wird. Wenn Sie nach Florenz kommen und den berühmten Aussichtspunkt
Bello-Sguardo besuchen wollen, so können Sie nicht vermeiden, bei der
Statue des S. Francesco vorbeizukommen. Das Bildwerk ist schlecht,
doch, wenn auch mit bedauerndem Gesichtsausdrucke, zeigt seine erhobene
Hand dahin, wo der stets fidele Giovanni Cerbero weilt. Unmittelbar
hinter ihm -- dem Heiligen -- öffnet sich gross und weit die Pforte des
Verderbens. Doch fürchten Sie nichts und treten Sie unbekümmert hinein,
das höllische Ungeheuer wird Sie sofort als Herrin begrüssen. Oben aus
den ehemaligen Zellen geniesst man die herrlichste Aussicht auf die
friedlichen Stätten, denen unsere Kultur soviel zu verdanken hat. -- Da
es jetzt gar zu heiss in Florenz ist und bei uns gebaut wird, so lebe
ich für die zwei Monate Juli und August hier in Neapel, wo ich mich mit
der Beobachtung der Menschheit in ihrem wahren Naturzustande
beschäftige -- ...

[Als Adresse angegeben: H. v. M. jetzt Napoli Stazione zoologica oder
Firenze 19 San Francesco di Paola fuori porta Romana.]


                                  VI.

[Unterzeichnet: Spiriti capuzineschi di S. Francesco di Paola].


                                  VII.

                          Florenz, S. Francesco di Paola, 29. I. 1875.

Hoffentlich wird sich Eure Engelschaft von dem Entsetzen über meine
Heiligkeit wieder einigermassen erholt haben. Was ist zu thun,
heutzutage muss man sich eben gewöhnen, für etwas gehalten zu werden,
was man nicht ist. So kann ich Ihnen im Vertrauen sagen, dass ich
allerdings weder in heiligen, noch in profanen Sachen ein grosser
Meister bin, was ja auch schliesslich gar nicht nötig ist. Es ist genug,
wenn man es dahin bringt, das Unglück, in unserem reizenden Jahrhundert
geboren zu sein, mit Geduld zu ertragen. Die Herren Damen können lachen,
sie haben weniger Grund, unzufrieden zu sein, wenigstens brauchen sie
es nicht zu merken. Und nun soll ich Ihnen wohl sagen, wo das Unglück
steckt: das werde ich aber fein bleiben lassen. Im Gegenteil, wenn
Sie nicht in der Stadt der Phäaken lebten, würde ich ein wenig Ihren
Neid zu erregen suchen, durch Erzählungen von Sonnenschein, blühenden
Rosenbüschen und dem friedlichen Klosterleben. Es könnte das vielleicht
auch einen Engel reizen, wenn nicht Wolken von Anbetern noch reizender
wären. Doch, wenn das paradiesische Dasein darin besteht, dass ein Tag
wie der andere vorübergeht (denn so ist es ja doch), so scheint mir hier
das wahre Engelsklima zu sein. Nur bringt das Land wenig dergleichen
hervor, nichts natürlicher daher, wenn man wünscht, dass sie von
anderwärts daher geflogen kommen. Sie sehen, Einsamkeit und Klosterleben
bringen einen in etwas heiligen Geruch, mit Engeln dagegen würde man
selig sein. Doch im Ernst, der selige Marées möchte ich vor der Hand
noch nicht genannt werden. In der Kunst bin ich indessen ziemlich dahin
gelangt und wenn mein Herr Genius sich nicht bald mit neuem Vorrate im
Lande der Seligen versieht, so mag er sich vom Teufel holen lassen.
Was treiben Sie denn eigentlich? Von der Hauptsache, das heisst von
sich, lassen Sie ja Ihren caro maestro gar nichts hören. Ich muss mich
ja schämen, jedesmal so viel von meiner Wenigkeit zu plaudern, und
fürchten, für einen selbstsüchtigen Narren gehalten zu werden. Immerhin
glaube ich kein Narciss zu sein -- ...


                                 VIII.

                               Roma Via Sistina 107. 25. Mai 1877 (?).

... -- Wie werden Sie aufatmen, nun vor schwerfälligen Römern sicher
zu sein, die andern Menschen nur das Dasein verleiden und vor lauter
Eitelkeit nicht einmal Hinz noch Kunzen aufkommen lassen möchten. -- ...
-- Nachdem wir, Adonis und ich Sie verlassen hatten, befanden wir
uns glücklich in einem Bummelzuge, der erst 9 Uhr abends in Florenz
ankam. Dies setzte uns jedoch in die Lage, der heiligen Cäcilia in
Bologna unsere Bewunderung und Verehrung darbringen zu können. Zwei
Tage blieb ich noch in Florenz, wo auch Ihre Angelegenheiten erledigt
wurden, und bin heute wieder in meine mehr traurige als trauliche
Einsamkeit eingekehrt. Sie sehen in diesen schlechten Zeilen meine erste
Beschäftigung. -- ...


                                  IX.

... -- Denn nichts ist trauriger in der Welt als Missverstehen und man
soll vom Apfel nicht verlangen, dass er auch eine Rose sei. -- ...


                                   X.

                                                                 1877.

... -- So entsteht eine sehr schöne Sammlung, in der die launige,
schlechtlaunige, gutlaunige, strenggelaunte, ernstgelaunte
Selbstschilderung eines so interessanten Individuums als das meinige,
enthalten ist. Daneben Sprüche der Weisheit, tiefsinnige Bemerkungen
über Kunst und goldene Lebensregeln. Es ist blos schade, dass das alles
doch am Ende ein Raub der Flammen sein wird -- ...

... -- Ich bin überzeugt, dass mein Streben nach Klarheit und Wahrheit
in Kunst und Leben des Lohnes nicht entbehren wird. -- Ich gedachte
nach Deutschland zu gehen, doch nach reiflicher Ueberlegung habe ich
das aufgegeben, ich darf mich nicht zu sehr zerstreuen und werde Ischia
als Badeort und Villegiatur benutzen, und vielleicht finde ich an jener
homerischen Küste auch eine Bucht, an der ich die künftige Villa erbauen
kann. Das Geplätscher der Meereswogen ist unbedingt notwendig zu einem
erspriesslichen Landaufenthalt. -- ...


                                  XI.

                                        (wahrsch. Rom, Ende Mai 1877.)

Vielleicht weiss die unvergessliche, vergesslichste Pallas trotz ihrer
Göttlichkeit nicht, dass dieser Monat der Monat der »Allegria« ist.
Hier in Rom, auf seinem Siegeszug von Indien aus, gelangte endlich Gott
Bacchus auch hierher; auf dem Janiculus pflanzte er seinen Thyrsusstab
in den Boden und sagte: Auch ich will von hier aus die Welt beherrschen!
Und in der That, wenn ein Kult in der ewigen Stadt unvergänglich und
unerschüttert bleibt, ist es der seine. Namentlich ist es in diesem
Monate, dass er seine Macht zeigt, dann müssen sich alle anderen
Gottheiten, selbst Venus und Amor, ihm beugen. Gross und klein, Mann
und Weib huldigen ihm in dieser Zeit und zwar in bacchantischem Jubel.
Darf nun wohl der Priester der Pallas, der hohen, über gewöhnliche
Weiberschwächen erhabenen Pallas, der schon oft zürnenden Pallas, sich
in diesen wilden Strudel der Begeisterung fortreissen lassen? Er vor
allen Dingen sollte den Ruhm und die Ehre seiner Gottheit aufrecht
halten. Doch wie kann er das, wenn sie selbst in undurchdringlichen
Nebel tiefen Schweigens gehüllt sich seinem Aug' und Ohr verbirgt?
Verlassen ohne Trost, ohne Stärkung, was soll er thun? Dort steht der
Knabe, der lächelnde, mit gefüllter Schale, komm, winkt er und trinkt
den Trank freudiger Begeisterung, süssen Vergessens. Komm, was dein Herz
auch beunruhigt, hier bei mir findest du Trost, Ruhe und Freude. Komm,
deinen Gliedern gebe ich Kraft und Rüstigkeit, deine Phantasie erfülle
ich mit den lieblichsten Bildern, und sagst du Schmeichler, ich verlange
von dir nichts als Nehmen, kein Gelübde, keinen Schwur, keine Treue,
nimm du nur und ich will nur geben. So spricht er, der Jubel seiner
Scharen, die fliegenden Haare, die leuchtenden Augen, die schwellenden
Lippen, Gesang und Tambourinen -- das alles betäubt mich, ich kann nicht
länger widerstehen, ich schwanke -- nein, ich schwanke nicht, denn ich
weiss, der Pallasdienst gewährt höhere, bewusstere Freuden. -- ...


                                  XII.

                                                    Rom, 2. Juni 1877.

... -- Von meinem versteinerten Dasein wird sich wenigstens das Haupt
in nächster Woche in einen vergipsten Zustand verwandeln und die
Metamorphose einer zweiten Versteinerung wird im nächsten Winter vor
sich gehen. Sollte dieses Gipsscheusal in Wien willkommen sein, so würde
sich dasselbe gehörig eingetrocknet dorthin bewegen. Di Lei umilissimo
servitore e sciavo.
                                                              H. v. M.


                                 XIII.

                                                 jedenfalls Juni 1877.

... -- denn klar und ehrlich sein, ist sich selbst offen zeigen. Der
ganze Vorgang meines Lebens ist eigentlich dies Bestreben gewesen und
ich weiss auch, dass dadurch sowohl ich als andere mehr gewonnen wie
verloren haben. Durch nichts wird die gegenseitige Teilnahme mehr
gesteigert. -- ...

... -- Sie werden nicht böse sein, wenn ich ein Beispiel anführe: Après
nous le déluge, d. h. ich will mitnehmen was ich kann, mag auch die
Welt darüber zu Grunde gehen. Könnte man sich, wenn solch ein Grundsatz
wirklich ins Gemüt gedrungen wäre, noch Liebe zu einer Person oder Sache
vorstellen? Beides, Glück und Genuss, werden dann unmöglich sein und
auch die Wirkung auf die Umgebung ist vernichtend. Besser, richtiger,
glaube ich, wäre es zu sagen, handle, lebe deiner Ueberzeugung treu,
sollte auch deine Person darüber zu Grunde gehen. So und nicht anders
sind alle Menschenwerke entstanden, die das Leben, die Welt auch nach
dem Hingange ihrer Schöpfer schliesslich zusammenhalten... --

-- ... -- Rom ist auch der Ort, wo ich mich selber doch am meisten
fühle, denn hier ist mein Wesen erst zu sich selbst gekommen und
lernen kann hier jeder; denn auch die Sitten, richtig gesehen, können
nur günstigen Einfluss haben, namentlich die der Frauen. Ich freilich
habe einige, nicht ganz mit meinen übrigen harmonierende italienische
Eigenschaften angenommen, die man mir wohl wieder abgewöhnen kann. -- ...

... -- Hoffentlich wird der Abguss wohlerhalten ankommen, es dauert
immer etwas lange. Vom Verfertiger desselben erhalte ich soeben aus
Deutschland die Anzeige seiner Verlobung und demnächstigen Heirat.


                                  XIV.

                                                            Juni 1877.

... -- Das Schicksal hat mir doch die grosse Gunst erwiesen, dass ich
auf weitere und nicht gemeine Ziele lossteuern durfte. Im Grossen und
Ganzen habe ich die Zeit nicht unbenützt vorüberziehen lassen; ich habe
manches erworben, was vielleicht nicht zu verachten ist. Ich habe nicht
planlos gelebt, und die Zeit nähert sich, in der sich das zeigen wird.
Von Natur nicht ohne Mut, beseelt von Glauben und bewährt mit festen
selbsterrungenen Ueberzeugungen hat mich der Blick in die Zukunft nie
zittern gemacht. -- Von Haus aus hielt ich es unter der Würde meines
Berufes, der ein edler ist, denselben zum eigentlichen Erwerb zu
missbrauchen, obgleich es mir oft, wenn ich wollte, nicht so schwer
wurde -- ...

... -- Und so hätte ich vor der Hand weiter nichts zu sagen, als
dass die Büste heute abgegangen ist, mögen die starren, harten Züge
derselben, weil sie die Hülle eines weichen, treuen und zarten Gemütes
sind, nicht unwillkommen sein. Der Pallas die gebührende Verehrung und
Kniebeugung von ihrem getreuen Ritter Hans.


                                  XV.

                     Ischia, Marina della Mandra, wahrscheinlich 1878.

... -- Wer nach irgendetwas in der Welt strebt, kann von
Kleinlichkeiten nur momentan befangen sein und wird sie auch bei
niemand anderem voraussetzen. So wie man in der Kunst sich bemühen
soll, die vorzüglichen Seiten der Kunstwerke zu erkennen, anstatt der
mangelhaften, so soll man es im Leben auch machen, im anderen Falle
würde letzteres sehr freudlos sein. Darum muss ich immer wiederholen,
dass ich selbst auf einen vollen Lebensgenuss stets erpicht bin und mich
darum wohl befähigt fühle, auch anderen darin etwas beizustehen und
da muss es Einen natürlich betrüben, wenn man sieht, wie die Meisten
dem momentanen Amüsement dauerndes Vergnügen, Wohlbehagen und Glück
ohne weiteres zum Opfer bringen. Um von allgemeinen Betrachtungen auf
mich selbst zurückzukommen, so kann ich sagen, dass ich mich hier
durchaus heimatlich fühle. Und wie könnte es anders sein. Lachend Himmel
und Meer, lachende Landschaft und fröhliche Menschen, da müsste man
allerdings versteinert sein, wenn man nicht auch eine etwas heiterere
Physiognomie wie gewöhnlich annähme. Ich führe hier allerdings ein
reines Schlaraffenleben. Baden, segeln, reiten, auch auf den Bergen
herumklettern und sich dann gelegentlich erfrischen und stärken, ist
jetzt meine ganze Thätigkeit, und nebenbei fehlt es nicht an der
vortrefflichsten Unterhaltung, da ein Freund von mir hier lebt, den man
schon zu den ungewöhnlich intelligenten Menschen rechnen darf. Soviel
steht fest, dass, wenn man sich von der Arbeit erholen und zu neuerer
frischerer Thätigkeit vorbereiten will, es kein anderes Land giebt,
dass das so möglich machte als die glücklichen Küsten dieses Meeres.
Hier von meinem Fenster aus sehe ich die Stelle, wo die Elite der Römer
sich ihre Landsitze baute, und dass es heute nicht mehr so ist, beweist
nur, wie wenig man jetzt zu leben versteht. In diesem verdienstlosen
Hinschlendern habe ich doch ein kleines Verdienst, dass ich nämlich den
Lockungen von Sirenenkünsten und Najaden standhaft widerstehe. Doch
was schreibe ich das, da ich doch weiss, dass dasselbe, weil es nicht
berührt, auch nicht anerkannt wird. Im übrigen hoffe ich, dass Pallas
sich wohl befinde und überhaupt (als solche nämlich) existiert. Dass die
Ueberzeugung hiervon mein Wohlbefinden unendlich heben würde, versteht
sich von selbst und ich verbleibe bis dahin ein knurrendes Meerscheusal.

                   *       *       *       *       *

                                             Neapel, den 26. Mai 1873.

Verehrteste gnädige Frau! Aus den blauen Wogen, auf denen ich mich
jetzt täglich schaukeln kann, steigen immer lebhafter die Erinnerungen
an die verlebten schönen Tage in Wien empor. Damit mir dieselben nicht
auch zu gleicher Zeit Gewissensbisse erzeugen sollen, so erlaube
ich mir, Ihnen noch einmal meinen lebhaftesten, herzlichsten Dank
auszusprechen für alle Liebenswürdigkeiten, die dem Eindringling von
Ihnen und den bösen Sirenen zuteil geworden sind. Anders kann ich leider
die letzteren nicht nennen, denn während Odysseus nur die Knochen der
Verlockten am Strande erblickte, so sind diese wertlosen Gegenstände
das Einzige, was ich so halbwegs gerettet habe. Als das Palladium für
das übrige ist der Hut in Wien geblieben, der wohl noch so schwarz wie
früher sein wird.

Uebrigens ist es besagten Knochen in der Gesellschaft eines
liebenswürdigen gescheiten Freundes bisher nach Umständen gut ergangen.
Der Himmel verhüllte während der ganzen Reise gnädig das Antlitz der
Sonne. Vergeblich suchte ich in Venedig Ihren Herrn Sohn zu entdecken,
in Florenz verlebte ich mit alten und neuen Freunden zwei angenehme
Tage, in Rom nur einige Stunden als Herr von Münchhausen und bin
seit drei Tagen hier mit den Vorbereitungen zu einer vita pittoresca
beschäftigt. Meine demnächstige Werkstätte wird fast vom Meer bespült,
wodurch die Einwirkungen der nun hereinbrechenden Sommerhitze bedeutend
abgeschwächt werden.

Verzeihen Sie meine gnädige Frau, dass ich soviel von mir geschrieben
habe, es ist nur aus dem Beweggrunde geschehen, so doch einmal etwas von
Ihnen vernehmen zu können.

Ich hoffe, dass Frau H. nun gänzlich hergestellt sein wird und dass
sich Ihre ganze Familie eines wünschenswerten Wohlbehagens erfreut.
Ihrem Herrn Gemahl bitte ich mitzuteilen, dass ich mich bereits
umgesehen habe, doch bei dem einzigen vorgefundenen wegen ganz
übertriebener Forderungen von den Unterhandlungen abstand. Da ich einmal
im Bitten bin, so bitte ich Sie auch noch Ihr jüngstes Fräulein Tochter
auf ein künstlerisch-pädagogisches Sendschreiben vorzubereiten von einem
al fresco-pittore, der sich zum Schluss dem geneigten Andenken von Ihnen
und Ihrer ganzen Familie empfiehlt und in dankbarster Ergebenheit nennt

Hans von Marées, Napoli Hôtel grande Bretagne.

                   *       *       *       *       *

                                             Neapel, den 5. Juli 1873.

Verehrteste gnädige Frau, Ihr liebenswürdiger Brief hat mir die
unbeschreiblichste Freude bereitet. Wie herzlich ich den Anlass der
Verzögerung einer solchen Freude bedauere, brauche ich gewiss nicht zu
versichern. Hoffentlich wird sich nun Ihre Frau Tochter nach so langem
Leiden einer desto dauernderen Gesundheit erfreuen.

Uebrigens will ich es Ihnen nur gestehen, ich war im Stillen recht
trostlos so gar kein Lebenszeichen von Ihnen und den Ihrigen zu haben.
Umsomehr fühlte ich mich jetzt entschädigt. Vielleicht hat sich keine
Gelegenheit gegeben Ihnen den Hauptzug meines Charakters zu offenbaren,
das ist der Egoismus. Und er mag sich denn auch darin zeigen, dass, wo
ich einmal Sympathie gefasst habe, ich auch zäher und fester halte als
ein Polyp seine Beute. Bisher hat mich darin mein Instinkt noch nie
getäuscht und so vertraue ich ihm auch blindlings.

Ob Sie mich übrigens so sehr beneiden würden, wenn Sie den hiesigen
Sommer kennten, dürfte bezweifelt werden. Auf die schönen, bedeckten
Regentage muss man schon Verzicht leisten. Besser steht es schon mit
einigen Menschen und noch besser, das kann ich nicht leugnen, mit der
Kunst.

Und ich kann ja gewiss sein, Sie werden keinen Gebrauch davon machen, so
will ich Ihnen anvertrauen, dass ich anfange zu merken, dass die Mutter
Natur es recht gut mit mir gemeint hat, und tritt kein feindlicher Dämon
mir in den Weg, so werde ich bald meiner Person und noch mehr meiner
Kunst Ehre machen.

Ich bin nun fest überzeugt, dass ich den Lohn um den ich Jahre lang
durch angestrengtes Studium und heimliche Selbstverleugnung gerungen
habe, erhalten werde. Er besteht darin, dass ich das Beste -- Feinste
was ich empfinde, ausdrücken kann und vielleicht für Viele verständlich.

Ich arbeite mit Hildebrand zusammen, wir sind uns gegenseitig nur
Ergänzungen, eigentlich nur eine Person: das kommt daher weil wir uns
beide ganz einer Sache gewidmet haben.

Mit meinen hiesigen Vorwürfen ist es mir eigen gegangen. Zuerst wollte
ich nur einige Figuren malen und durch H. (Hildebrand) einige Stuck- und
Bildhauerarbeiten anbringen lassen. Nach und nach hat sich das alles
ganz verändert: ich habe nun beschlossen einen Saal von oben bis unten
auszumalen und auch alle Vorarbeiten dazu vollendet. Wir brauchen nur
noch das Fussgestell auszuführen. Das wird allerdings einige Zeit in
Anspruch nehmen, denn die Bilder, die alle im Zusammenhange stehen,
bedecken grosse Wandflächen: die Länge einer der auszufüllenden Wände
beträgt fast 40 Fuss. Werden wir bis zum Oktober nicht fertig, so müssen
wir auch noch den nächsten Sommer hierher kommen. Und werden wir auch
in der Ausführung vom Gelingen begünstigt, so hilft dann nichts mehr,
Sie müssen mit Ihrer ganzen Familie hierher pilgern und sich überzeugen,
was Ihr neuer Freund in dieser alten Welt macht. Sie müssen dann aber
eben so mild mich beurteilen, wie ich selber es thue. Und nun, gnädige
Frau, messen Sie mir den versprochenen Lohn nicht zu karg zu, sondern
bedenken Sie vielmehr, dass die Teilnahme und Sympathie schöner, kluger,
edler und liebenswürdiger Frauen, für Jeden der etwas schönes leisten
möchte, der wirksamste Sporn ist. Ich bitte Sie, das auch Ihren Töchtern
ans Herz zu legen. Ich kann ja nicht als fremder Herr betrachtet werden,
sondern nur als etwas Allgemeines, das nur dadurch, dass es ausserhalb
der Convention steht, existiert.

Es ist sehr beschämend für mich, dass ich Ihrem vortrefflichen
Beispiele bezüglich der schönen und deutlichen Handschrift nicht
nacheifere, ich fühle sehr gut das unpassende meines undeutlichen
Schreibens. Da ist aber das Malen Schuld daran.

Meine kleine Schülerin bitte ich durch Sie nun bald Rechenschaft
von ihrem Thun und Treiben in der Kunst bei Androhung schwerer,
unausbleiblicher Strafen, zu geben --

Wie gewöhnlich, muss auch ich meinen Brief schliessen, ich fürchte Ihnen
schon lästig gefallen zu sein. Und doch fällt einem die Hauptsache erst
ein, wenn der Brief abgesendet ist.

Gestatten Sie mir zum Schluss auf Distance die Hand zu küssen, so wie
auch den 3 Sirenen.

                            Hans von Marées.

                   *       *       *       *       *



                              MALER-BÜCHER

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