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Title: Reise durch den Stillen Ozean
Author: Buchner, Max
Language: German
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  ^
  Reise
  durch den
  Stillen Ozean

  von
  Max Buchner.
  ^


  BRESLAU.
  J. U. KERN's VERLAG (MAX MÜLLER).
  1878.


  Das Recht der Uebersetzung wird vorbehalten.



INHALT.


                                                                      Seite

  I. Ausfahrt                                                             1

    Einschiffung und Abschied. Die Elbe hinab. Zänkereien und trübe
    Auspizien. Gefahr einer Kollision. Sturm und Orkan. Todesangst
    im Zwischendeck. Alles kaput geschlagen. Hannes, der seekranke
    Kajütsjunge. Gefahr zu scheitern. Der Nordsee glücklich
    entronnen.

  II. Im Nördlichen Atlantischen Ozean                                   20

    Ungünstige Winde und Windstille. An Madera und an den Kapverden
    vorbei. Schiffsleben und Zänkereien. Nationale Gegensätze.
    Kindstaufen, Geburtshilfe auf See und ein zärtlicher Gatte.
    Die Polakei in Aufruhr. Das gestohlene Salzfleisch. Zoologische
    Belustigungen. Schleppnetzbeute. Fliegende Fische. Vergebliches
    Harpuniren. Haifischfang. Korrespondenz mit anderen Schiffen.
    Besuch auf einem Portugiesen. Unsicherheit in der Nautik.

  III. Im Südlichen Atlantischen Ozean                                   46

    Andere Sterne. Das Passiren der Linie und Neptunsfest. Aequatoriale
    Schwitzkur. Pantomimik. Weihnachten und Neujahr. Fernando Noronha.
    Endlich Südostpassat. Typhus, Leichenbestattungen, traurige
    Aussichten.

  IV. Im Indischen Ozean                                                 57

    Um das Kap herum. Segeln vor dem Sturm. Die Crozet Islands. Unsere
    Typhusepidemie steigt. Gedrückte Stimmung. Zur Naturgeschichte
    der Seeleute. Albatrosse und sonstige Vögel.
    Ventilationseigenthümlichkeiten.

  V. Ankunft in Neuseeland und Quarantäne                                68

    Zum ersten mal Grund. Neuseeland erscheint. Die ersten Zeitungen.
    Ankunft des Lootsen. Der Anker fällt. Pulverunglück. Die
    Hafenbehörde. Sturm und Landungsschwierigkeiten. Bewegtes
    Dasein. Aufruhr der Elemente und der Menschen. Mitternächtige
    Todtenbestattung. Ruhigere Zeit. Die idyllische Insel. Ueberall
    »Billig und schlecht«. Zoologisches. Endlich frei.

  VI. Wellington                                                         87

    Erste Eindrücke. Lage der Stadt. Sehenswürdigkeiten. Das Museum,
    der botanische Garten, das Athenäum, der Gerichtshof. Allgemeines
    über Neuseeland. Der Königin Geburtstag. Die Maoris. Mortalität
    auf Auswanderersegelschiffen.

  VII. Von Wellington nach Ohinemutu                                     96

    Ein Neuseeländischer Urwald. Die Post und ihre
    Gefahren. Pahantanui, Otaki und Foxton. Neuseeländische
    Eisenbahngemüthlichkeit und ein eisenbahnfiebriger Maori. Die
    Manuwatu Gorge und der Seventy Miles Busch. Palmerston, Waipakarao
    und Waipawa. Die Repudiation Office von Te Aute. Ein Tag in Napier.
    Farnhügellandschaft. Tarawera und seine Soldateska. Kaliban in der
    Wildniss. Opipi. Ein Tag in Tapuacharuru. Mister Jack the Guide of
    Taupo. Nächtlicher Skandal.

  VIII. Ohinemutu und Rotomahana                                        126

    Die heissen Quellen und ihre Verwendung. Ein Badeort in des
    Wortes verwegenster Bedeutung. Legende von der schönen Hinemoa.
    Maorialterthümer. Ausflug nach Wakarewarewa. Das Labyrinth
    der Schmutzvulkane. Die Geyser. Der missglückte Haka. Ein
    interessantes liederliches Kleeblatt. Ausflug nach Rotomahana.
    Wairoa und seine internationalen Wegelagerer. Stürmische
    Kanuufahrt über den Tarawera. Streitigkeiten mit den Maoris.
    Ueberall kocht das Verderben. Ungemüthliche Nacht. Tetarata und
    Otukapuarangi. Mister Davis und seine Singschule.

  IX. Von Ohinemutu nach Auckland                                       159

    Abschied. Pokohorungi und der Oropibusch. Maoriskulpturen. Eine
    misstrauische Waldfamilie. Der Sergeant Apro Pioaro und seine
    Gattin Mangorewa. Tauranga. Reges Leben und Nasendrücken. Abermals
    ein Stück Neuseeländischer Bummelei. Der Dampfer Rowena. Mercury.
    Ankunft in Auckland.

  X. Auckland und Thames Goldfields                                     171

    Sehenswürdigkeiten. Das Northshore. Die Regenzeit hält ihren
    Einzug. Fahrt nach den Thames Goldfields. Goldgewinnungsprozess.
    Die Minen und der Schacht der United Pumping Association.
    Stürmische Rückkehr. Zwei vornehme Maoridamen vom Lande. Auf den
    Mount Eden. Die King Country und die Abolitionists. Reiseprojekte.

  XI. Von Auckland nach Kandavu                                         187

    Die Pacific Mail. Auf der City of San Francisco eingeschifft.
    Beschreibung des Dampfers und seiner Attribute. Aeusserer Glanz und
    innere Dürftigkeit. Die chinesischen Mahlzeiten. Gang der Reise
    und Wetter. Der vierte Juli. Reiseplanzweifel.

  XII. Wailevu                                                          195

    Allgemeines über Viti. Ankunft in Kandavu. Herrn Kleinschmidt
    kennen gelernt. Gepäckschwierigkeiten. Meine ersten echten Wilden.
    Das Hotel von Wailevu und seine Eigenthümlichkeiten. Drei
    junge Flibustier mit trüben Aussichten. Eine interessante
    Tischgesellschaft. Besuch beim Doktor. Kawa-Gelage. Zauberhafte
    Tropennacht.

  XIII. Gavatina und Sanima                                             214

    Der Isthmus Yarambali. Das Sonntagspublikum von Namalatta.
    Bootfahrt an der Nordseite Kandavus entlang. Gavatina, unser
    idyllisches Thal. Niketi und Ruma. Besuche der Wilden. Der Tui
    und die Marama. Ethnologisches. Der Busch, seine Mühen und
    seine Thierwelt. Kanuubau hoch oben auf dem Berge. Riffleben und
    Fischfang. Spaziergang nach Sanima. Tapa-Bereitung. Doktor Hink und
    seine Kopra-Projekte. Gottesdienst in Sanima. Das Missionswesen
    auf den Inseln. Kehrseiten der Tropenpracht. Klimatisches
    und Kulinarisches. Die Kokospalme und ihre Anwendungen. Enge
    Verhältnisse.

  XIV. Besuch in Waidule                                                261

    Begegnung mit dem Tui. Ein Mangrovesumpf und seine Freuden. Tauben
    und Mimosen. Nachtlager in Wunokene. Fliegende Hunde. Rabuelu.
    Entzückende Rundsichten. Taropflanzungen. Kawa-Gelage in Soso.
    Nachtlager in Go Kandavu. Ein Meke Meke. Ankunft bei Charly. Rasch
    ab nach Wailevu. Ungemüthliche Bootfahrt. Heimkehr.

  XV. Besteigung des Bukelevu                                           281

    Landung in Dangai. Mandrai und Arrowroot. Improvisirte
    Naturalienhändler. Ausflug nach Dalingele. Tonganer. Festessen und
    Kawa-Gelage. Ein schwindsüchtiger Häuptling. Die heissen Quellen.
    Unfall und Nothzucht. Mühseligkeiten des Bukelevu. Hungersnoth
    und Kälte. Abstieg. Schneckenfrühstück in Lomadsche.
    Sonntagstoilette der Insulanerinnen.

  XVI. Letzte Tage auf Kandavu                                          305

    Mit dem Kutter nach Namalatta. Ein kleiner Albino. Festgäste von
    Tavuki. Wieder im Hotel zu Wailevu. Packerei und Einkäufe.
    Der Regierungshäuptling. Ankunft der Zealandia und
    Gerichtsverhandlung. Das Inselchen Angaloa.

  XVII. Von Kandavu nach Honolulu                                       312

    Gang der Reise. Abermals die schmähliche Knauserei der
    Pacific Mail Steam Shipping Company. Der Obersteward und sein
    Servirreglement. Die Aequatorkalmen. Die Passagiergesellschaft.
    Ausflüsse der Langweile. Zwei Bonzen englischer Rasse.

  XVIII. Honolulu                                                       322

    Ankunft. Wieder der Reverend Mister Shark. Erste Eindrücke
    von Honolulu. Geschichtliches, Ethnologisches und Erotisches.
    Sehenswürdigkeiten. Die Regierung, das Parlament, das Militär.
    Amerikanerthum und Deutschthum. Die Chinesen. Klima und Sanität.
    Die Leprosen. Der Fischmarkt. Die Umgebung. Ritt nach dem Pali.

  XIX. Von Honolulu nach Hilo                                           344

    Ihre Königliche Hoheit Ruth Keelikolani. Morgentoilette der
    Reisegesellschaft. Lahaina und Kawaihae. Das Hotel zu Hilo. Unser
    Vergnügungskommissär Hapai. Brandungschwimmen. Die höhere
    weibliche Schuljugend im Bade. Hula Hula und Konzert. Der Rainbow
    Fall.

  XX. Besteigung des Kilauea                                            357

    Wilder Ausritt. Das Halfway House zu Olaa. Der Krater thut sich
    auf. Das Volcano Hotel und seine Vorzüge. Besuch des kochenden
    Lavakessels. Mondschein und Hölle. Beschwerlicher Abstieg nach
    Puna. Erstarrte Lavaströme und eingestürzte Lavadome. Kapitän
    Eldart und sein Gehöft Kapoho. Die warmen Quellen. Awa und
    Brotfrucht. Glücklich wieder in Hilo.

  XXI. Von Hilo nach Honolulu                                           376

    Eine seltsame Todtenfeier. Kapitän Spencer und seine
    Zuckersiederei. Der Kilanea kommt nicht. Ein Hawaiisches Souper und
    Abschied von Hilo. Nächtliche Bootfahrt nach Kohala. Konflikt mit
    dem Sabath und abermals fort. Landung auf Maui. Ein interessanter
    Mann der Presse. Der Bäcker von Lahaina. Stürmisches Wetter.
    Endlich in Honolulu.

  XXII. Letzte Tage in Honolulu                                         393

    Das Walboot und der Stadtklatsch der Honoluluianer. Audienz beim
    König. Festliche Zurüstungen. Bad im Kapena. Tanzvergnügen.
    Der Deutsch-englische Klub. Besuch verschiedener Kirchen. Die
    Missionäre.

  XXIII. Von Honolulu nach San Francisco                                400

    Abschied von den glücklichen Inseln. Die Zealandia und ihre
    Gesellschaft. Unsere schöne Helena, der alte Schiffsdoktor
    und eine interessante Geschäftsreisende. Langweile und
    Kriegsgerüchte. Ankunft des Lootsen. Das Goldene Thor.

  XXIV. San Francisco                                                   408

    Allgemeiner Charakter der Stadt. Die Chinesen und ihr Viertel.
    Chinesische Hurenhäuser, Opiumbuden und Spielhöllen. Das Yu
    Henn Choy Theater und das Dschosshaus. Chinesische Dramaturgie.
    Sabathschänderisches Getriebe der San Franciscaner. Sonstige
    Sehenswürdigkeiten. Woodwards Garden. Ein gefährlicher
    Sonntagsspaziergang. Das Cliff House und seine zoologischen
    Genüsse. Ground Squirrels.

  XXV. Von San Francisco nach Salt Lake City                            429

    Auf der Pacific Bahn. Die Sierra Nevada. Ein phänomenales
    landschaftliches Scheusal und ein überschwengliches Guidebook.
    Indianer. Die Mormonenstadt, das Tabernakel und das Mormonenthum.
    Eine Versammlung der Heiligen des jüngsten Tages. Ausflug nach
    Lake Point und Bad in dem grossen Salzsee. Camp Douglas.

  XXVI. Von Salt Lake City nach New York                                448

    Frömmigkeit und Prellerei. Emigrantenzüge. Die Prairien. Omaha.
    Eine unangenehme Nacht. Präsidentenwahl zum Zeitvertreib.
    Niagara Fall und Stadt. Das Amerikanische und das Kanadische Ufer.
    Praktischer Sinn der Niagarenser. Herbstliche Färbung.

  XXVII. Heimkehr                                                       460

    Die Centennial Exhibition in Philadelphia. Abschied von New York.
    Ankunft in England und Landung In Liverpool. Sonntagsöde. Auffahrt
    des Mayors. Ueber London nach Hamburg.



I.

AUSFAHRT.

  Einschiffung und Abschied. Die Elbe hinab. Zänkereien und trübe
  Auspizien. Gefahr einer Kollision. Sturm und Orkan. Todesangst
  im Zwischendeck. Alles kaput geschlagen. Hannes, der seekranke
  Kajütsjunge. Gefahr zu scheitern. Der Nordsee glücklich entronnen.


Aus Reiselust war ich Schiffsarzt geworden. Der Drang in die Ferne hatte
mich veranlasst, auf Postdampfern siebenmal zwischen Europa und Amerika hin
und her zu fahren. Derselbe Drang hatte mich in die emporkeimende deutsche
Marine getrieben, von dieser jedoch mir nur die ganze Misere eines
anderthalbjährigen Aufenthalts in jenem traurigsten Erdenwinkel, so
Jadegebiet heisst, und die Freuden und Leiden eines dreimonatlichen
Uebungsgeschwaders zu Theil werden lassen.

Ich konnte allerdings gewiss sein, mit meinen Seereisen manchem
Binnenländer, der Zeit seines Lebens von einer Spritztour nach Helgoland
bramarbasirt, imponiren zu können, ich war aber noch nicht befriedigt und
verlangte nach mehr.

Es gereichte mir somit zur grössten Freude, als sich Gelegenheit bot, auf
einem Segelschiff mit Auswanderern nach Neuseeland zu gehen. Viele meiner
Freunde erschraken zwar vor dem Wort Segelschiff, in welchem sich
ihnen nicht ganz unrichtig der Inbegriff von Widerwärtigkeiten und
Lebensgefahren, von Seemannsrohheit und Passagiergesindel, von Zwieback und
Salzfleisch konzentrirte. Mir war es jedoch gerade darum zu thun, einmal
eine richtige Reise übers Meer zu unternehmen, nur den Winden als
fortbewegenden Kräften mich anvertrauend, und ohne das lästige Gepolter
der Dampfmaschinen von schwellenden Segeln gezogen dahin zu schweben.

Am Morgen eines 15. Novembers bestieg ich zu Hamburg die Euphrosyne, ein
grosses und schweres Vollschiff von über 1000 Registertonnen. Nachmittags
kamen die 397 Passagiere an Bord, und in der Nacht sollten wir mit Eintritt
des Hochwassers die Elbe hinabgehen.

Das ganze bunte Tohuwabohu des Einschiffungsprozesses von Auswanderern
zog wieder an mir vorüber. Mächtige Kisten und Bündel von Bettzeug,
Proviantmassen und klapperndes Blechgeschirr, schreiende Männer und
kreischende Weiber, ungezogene Jungen und winselnde Säuglinge füllten
das mit herbstlichem Strassenschmutz überzogene Deck. Unter dem
unerlässlichen heulenden Gesang der Matrosen, auf den diese ungraziöse
Menschensorte um so stolzer ist, je abscheulicher er klingt, flog das
Gepäck hinab in den Lastraum, Befehle brüllende Offiziere und die Plätze
vertheilende Agenten rannten hin und her. Takler arbeiteten noch eifrig in
den Wanten und auf den Raaen an der Vollendung des Tauwerks, ein Brahm
lag längsseits und pumpte geschäftig Wasser in die im Bauch des Schiffes
ruhenden Wasserfässer.

Nachdem ich mich vorschriftsmässig überzeugt, dass keine Krankheiten
eingeschmuggelt worden waren, eilte ich, diesem unerquicklichen
Durcheinander zu entrinnen und flüchtete an Land, zum letzten mal für
lange Zeit feste Erde zu treten, meine Freunde nochmal zu sehen und
von ihnen Abschied zu nehmen. Erst spät kehrte ich an Bord zurück,
wo mittlerweile eine wohlthätige Stille eingetreten war. Friedliche
Schnarchtöne drangen durch die offenen Lucken des Zwischendecks herauf,
und nur der schwere Tritt des wachehabenden Matrosen unterbrach störend
die nächtliche Ruhe. Gott Morpheus umfing mich, und als ich erwachte,
glitten wir, von einem kleinen vorgespannten Dampfer gezogen, die Elbe
hinab.

Düstere graue Nebelmassen verhüllten die alte Hansestadt hinter uns und
liessen kaum die Umrisse der Thürme erkennen, ein feiner Regen bedeckte
die Landschaft und erleichterte nicht unwesentlich die Trennung von den
auch bei schönerem Wetter nur bescheidenen Ansprüchen genügenden Ufern
des Vaterlandes. Uebernächtige Gestalten trieben sich missmuthig und
sehnsüchtig den Morgenkaffe erwartend auf dem nassen und schmutzigen Deck
umher. Hinten auf der Kajüte stand der Lootse, griesgrämig den steuernden
Matrosen scheltend, vorne spie der kleine Dampfer übellaunig schwarzen
Kohlenqualm aus dem Schornstein und über das Schiff, welches er schleppen
musste. So gings langsam dahin an ankernden Schiffen und Fischerkähnen
vorbei. Möven zankten sich auf dem Wasser um den von der Ebbe
weggeführten Schmutz des Hamburger Hafens, und vom flachen Gestade her
blökte ärgerlich hie und da ein gelangweiltes Schaf.

Wir hatten, wie schon erwähnt, 397 Passagiere an Bord, welche in drei
gesonderten Abtheilungen, nämlich die der einzelnen Männer, die der
Familien und die der einzelnen Mädchen untergebracht waren. Unsere ganze
Expedition ging auf Kosten des jungen Kolonialstaates Neuseeland, der
seinen Einwanderern freie Ueberfahrt gewährt, wenn sie ausser Leumunds-
und Gesundheitsattesten den Nachweis zu führen im Stande sind, dass sie
Acker- oder Bergbau getrieben haben. Deutsche und Polen, Dänen, Norweger
und Schweden bildeten die Mehrzahl. Die Mannigfaltigkeit der Idiome zu
erhöhen, waren auch einige Böhmen und Italiener vorhanden. Ich war nicht
nur Arzt -- »Surgeon« dieser anmuthigen europamüden Schaar, sondern noch
viel mehr -- »Surgeon Superintendent.« Nicht nur die Krankenpflege war
meine Aufgabe, sondern auch die Last der Regierung unserer Miniaturrepublik
ruhte zum grössten Theil auf meinen verantwortlichen Schultern. Die
Rechtspflege theilte ich mit dem Kapitän, die Sanitätspolizei, die
Ueberwachung der Proviantvertheilung und die Ernennung von Subalternorganen
gehörten zu meinen Obliegenheiten. Ein Schulmeister für die
schulpflichtige Jugend, eine Matrone zur Beaufsichtigung der einzelnen
Mädchen, vier Konstabler, welche bei den einzelnen Männern und bei den
Familien für Ordnung und Reinlichkeit zu sorgen hatten, sämmtlich aus
den Reihen der Passagiere gewählt und mit Bezahlung angestellt, waren die
Werkzeuge meines Amtes. Die Passagiere auf den Auswandererschiffen nicht
nur Neuseelands, sondern sämmtlicher sieben australischen Kolonien stehen
hauptsächlich unter der Aufsicht der Aerzte, welche, von den Regierungen
angestellt, die Interessen dieser und ihrer neuen Bürger gegen jene der
Rheder und der Kapitäne, die manchmal nicht übereinstimmen, zu vertreten
haben.

Das erste Ereigniss, welches mich in Anspruch nahm, war, dass die
unverheiratheten Frauenzimmer sich in die Haare geriethen. Nationale
Gegensätze, hie Dänemark, hie Deutschland nebst Annexen, bildeten die
prädisponirenden Ursachen und die Vertheilung, respektive Aneignung der
Lebensmittel das auslösende Moment des Kampfes. Dänemark, zwar in
der Minderzahl aber desto resoluter vertreten, glaubte das empfangene
Mittagsmahl, welches für alle zwanzig jungen Damen berechnet war, für
sich allein behaupten zu dürfen, Deutschland, Böhmen und die Polakei
remonstrirten dagegen, das kleine starrköpfige Dänemark blieb Sieger,
Deutschland weinte, Böhmen und die Polakei kreischten.

So standen die Dinge, als ich um Intervention angegangen wurde. Mein
Vermittlungsversuch hatte keinen Erfolg und fand nirgends Anklang. Die
Däninnen verstanden mich nicht, und ich verstand jene nicht, die Deutschen
aber ärgerten sich, dass ich nur mit Worten und nicht mit der Peitsche
einschreiten wollte. Ich musste den Proviantmeister requiriren, welcher ein
kurzes Ende machte, indem er Fleisch und Brot wegnahm, auseinander schnitt
und beiden Parteien einzeln verabreichte. Dieser Modus blieb für die
Folge beibehalten, und es kam im Jungfernzwinger -- so heisst in der rauhen
Seemannssprache für gewöhnlich das betreffende Kompartment -- selten
mehr zu ernsteren Konflikten wegen des Essens, wenn auch die Däninnen
fortfuhren, über die anderen Völkerschaften die Nase zu rümpfen, die
Deutschen noch oft weinten und die Polakinnen noch öfter kreischten.

Von allen Seiten kamen unaufhörlich Klagen an jenem ersten Tage der Reise.
Es herrschte noch lange nicht die wünschenswerthe Ordnung, überall
fehlte noch etwas, und Missverständnisse in Folge des Sprachen- und
Dialektgewirres führten zu endlosen Streitigkeiten.

Ich konnte es dem Kapitän wahrlich nicht verdenken, dass er sehr schlecht
aufgelegt war und schliesslich die Geduld verlierend jeden Passagier, der
sich an ihn wandte, im Besonderen und die ganze Gesellschaft im Allgemeinen
zu tausend Teufeln fluchte. Er hatte wichtigere Dinge im Kopf als
die Unzufriedenheit des Familienvaters Krapülinski, welcher zu wenig
Sauerkraut erhalten zu haben glaubte, oder die Wuth der schönen Amanda
Christensen, die in Kopenhagen Modistin und eine sehr feine Dame gewesen
war und jetzt mit einer ehemaligen Tändstickorfabrikarbeiterin in
derselben Koje zusammenschlafen sollte. Er wusste nur zu gut, in welch
unfertigem Zustand das Schiff in See ging. Man hatte zu spät mit der
Ausrüstung desselben begonnen, und die Arbeiten waren in Folge dessen
übereilt worden und unsolide ausgefallen.

Das Chronometer war zwar zur richtigen Zeit an Bord gekommen, aber der
Uhrmacher hatte vergessen, die Gangkorrektion desselben mitzuschicken, eine
Nachlässigkeit, die erst in Kuxhaven durch Telegramme gutgemacht werden
konnte. Das Schiff musste zur bestimmten Zeit Hamburg verlassen. Denn jeder
Tag des Aufschubs kostete dem Expedienten den Unterhalt der Passagiere. Die
durch die Sparsamkeit des Rheders äusserst knapp bemessene, nur zwanzig
Köpfe zählende Mannschaft war erst seit wenigen Tagen angemustert, aber
schon jetzt zeigte sich, dass genug faule Subjekte sich in ihr befanden.
Der Steuermann debutirte mit einem kolossalen Rausch, unter dessen Einfluss
er so viel dummes Zeug beging, dass der Kapitän genöthigt war, ihn bis
zur Wiederkehr der Nüchternheit einzusperren. Zwei Matrosen versuchten
Krankheit zu schwindeln, einer war in Folge von Verletzung beim Ankerhieven
wirklich arbeitsunfähig, und die meisten anderen arbeiteten so träge,
dass man sich ärgern musste, wenn man ihnen zusah.

Solcher Art waren die Auspizien, welche den Beginn einer langen,
gefährlichen und verantwortungsschweren Reise bezeichneten, der ersten,
die der Kapitän selbständig unternahm, nachdem er bis vor Kurzem
Steuermann der Euphrosyne gewesen war. Alles hing für ihn von einer
glücklichen und schnellen Fahrt ab. Passirte ein Unglück, dauerte
die Reise zu lang, oder kostete er seinem Rheder mehr Geld, als dieser
wünschte, so war ihm nach der Rückkunft in Hamburg die Entlassung gewiss,
und er selbst mit Weib und Kindern dem Elend preisgegeben, ein Schicksal,
dem in der gegenwärtigen traurigen Zeit des Stillstandes von Handel und
Verkehr und bei dem herrschenden grossen Missverhältniss zwischen Angebot
und Nachfrage so viele unserer tüchtigsten Seeleute anheimgefallen sind.

Als wir die Nacht über bei Kuxhaven vor Anker gelegen und die
telegraphisch requirirte Chronometerkorrektion erhalten hatten, gingen wir
am Morgen des 17. Novembers endlich in See. Der kleine Dampfer schleppte
uns noch bis zum inneren Feuerschiff. Dann aber riss er sich los, um nach
Hamburg zurückzukehren. Die Segel wurden entfaltet, und von einem sanften
Südwind leicht gebläht, begannen sie, uns leise nordwestwärts zu
führen. Bald erschien das äussere Feuerschiff, und hier verliess, mit den
letzten Abschiedsgrüssen an die Zuhausegebliebenen reichlich beladen, der
Lootse die Euphrosyne, die nun gänzlich auf sich selbst angewiesen war.

Nordsee -- Mordsee, unwirsches, tückisches Gewässer, von dessen Launen
ich schon gar manche Probe erfahren, wieder lag sie vor mir und that so
sanft und unschuldig, als ob sie keinem Menschen böse sein könnte.
Kaum dass sich die grüne Fläche des Wassers kräuselte und mit kleinen
plätschernden Wellen den Bug des Schiffes umspielte. Die Luft des
Horizonts war trübe, aber nur dünnes Gewölk verschleierte die Sonne
und gestattete ihr, mit einem hellen, kalten, unheimlichen Schimmer den
weitgedehnten Rücken der Salzfluth zu übergiessen. Die Jahreszeit war
ungünstig, und das Barometer fiel langsam und stetig. Man musste sich
auf einen Sturm gefasst machen. Es galt jetzt, so viel als möglich See zu
gewinnen und so weit als möglich vom Lande sich fern zu halten.

Die grauen Umrisse der beiden Thürme auf Neuwerk, das letzte Stückchen
Deutschland, verschwanden hinter uns unter den Horizont, und vor uns
tauchte der einsame Thonfelsen von Helgoland empor. Als es Abend wurde,
blinkte sein Feuer zu unserer Rechten, wich zurück und war nach einigen
Stunden ausser Sicht. Die See begann höher zu gehen, dünende Wogen hoben
und senkten das Schiff. Die Jammertöne der Seekrankheit regten sich
im Zwischendeck, das Volk der Passagiere, bisher ausgelassen lustig und
lärmend, wurde still und in sich gekehrt.

Der folgende Tag brachte uns flauen Wind und die Gefahr einer Kollision.
Eine Bark, welche kurz vor uns von Kuxhaven abgegangen war, lag in
Lee unfern auf dem Wasser, ebenso wie wir mit schlaff an den Raaen
herabhängenden, klappernden Segeln. Nur hie und da versuchte ein sanfter
Zephyr die Leinwand zu blähen, jedesmal frohe Hoffnung erweckend, aber nur
um nach einigen Minuten höhnisch wieder abzulassen und sich schadenfroh an
unserer Hilflosigkeit zu weiden.

So lange wir guten Wind von hinten hatten, waren wir mit jener Bark um die
Wette gesegelt. Sie war tief geladen, die Euphrosyne jedoch, nur Ballast
und wenig Ladung sowie Passagiere, die leichteste Waare, tragend, ragte mit
ihrem Körper weit aus dem Wasser und segelte deshalb vor dem Winde um so
besser und um so schlechter beim Winde. Gerade als unser Gegner eingeholt
und wir in gleicher Höhe mit ihm waren, sprang der Wind nach der Seite um,
wurde flauer und hörte endlich ganz auf. Immer näher rückten einander
die beiden Schiffe. Wir konnten bereits deutlich mit blossem Auge den Namen
und Heimathshafen der Bark »Alartus Hamburg« an ihrem Heck lesen, und
noch immer kein Wind, der uns aus der drohenden Lage befreite. Die kleinen
Lüftchen, die sich zuweilen regten, genügten vielleicht, den Alartus,
wenn er von seinem Kurse abfiel, wegzutreiben, während wir keinen Raum
zu vergeben hatten. Auf dem Alartus aber schien man sich wenig um unsere
Nachbarschaft zu kümmern. Umsonst flehte unser Kapitän wiederholt durch
das Sprachrohr hinüber, auf die Gefahr zu achten, es erfolgte keine
Antwort.

Dieser Zustand währte den ganzen Nachmittag und bis in die Nacht hinein.
Ich war vollauf beschäftigt, in meiner Kammer und in den Hospitälern
Alles seeklar zu richten, zu ordnen und für den erwarteten Sturm
festzustauen. Die schwebende Angelegenheit draussen machte mir nicht
den Eindruck der grossen Wichtigkeit, die sie in der That hatte, und das
beständige Hin- und Herrennen und Schreien der Offiziere beunruhigte
mich nicht mehr, nachdem es bereits mehrere Stunden ohne greifbaren Grund
gedauert.

Plötzlich jedoch stieg der Lärm auf eine ängstigende Höhe, und ich
eilte nach dem Achterdeck. Die Nacht war so dunkel, dass ich nichts
sogleich unterscheiden konnte. Die Matrosen heulten mit doppelter Kraft,
indem sie an den ächzenden Tauen rissen. Ich bemerkte allmälig, dass
die Raaen back gebrasst wurden, und dass leichte Windstösse in die
Vorderflächen der Segel fielen, die Euphrosyne rückwärts treibend, und
endlich draussen auf dem Wasser dicht zu unserer Rechten ein schwarzes
Ungeheuer, der Alartus. Wir hatten jetzt raumen Wind, die Gefahr war
vorüber.

Nur mühsam brachte ich aus dem wuthschnaubenden Kapitän heraus, was
eigentlich vorgefallen. Erst musste der Alartus mit allem was darauf war
nach allen Dimensionen verflucht werden, und ich bin fest überzeugt, dass
in jenem kritischen Augenblick der Führer desselben sofort erwürgt worden
wäre, falls er die Unvorsichtigkeit begangen hätte, in unserer Kajüte zu
erscheinen. Die beiden Schiffe waren so nahe an einander vorbeigeglitten,
dass man von unserem Klüverbaum auf des anderen Achterdeck hätte
hinabklettern können, und nur durch den glücklichen Zufall einer
aufspringenden Brise und das geschickte Manöver, schnell rückwärts zu
gehen, war der Zusammenstoss vermieden worden, welcher beiden Schiffen wenn
nicht den Untergang so doch sicher schwere Beschädigung gebracht haben
würde. Abermals mein kostbares Leben gerettet, dachte ich, und ging
befriedigt zu Bett.

Das Toben des Sturmes weckte mich, als der Morgen eben trübe
heraufdämmerte. Es war mir keine angenehme Erfahrung, die ich bei dieser
Gelegenheit zum ersten mal machte, dass die Euphrosyne, durchaus abweichend
von der Ruhe und Gelassenheit, die sich für ein so starkes und breites
Vollschiff eigentlich geziemte, die Neigung besass, sich von jeder Welle
hoch emporwerfen zu lassen und in jedes Wellenthal ebenso tief ihre Nase
hineinzustecken, und dass sie fast schlimmer rollte, als ein scharfgebauter
Postdampfer. »Arbeiten« nennt der Seemann euphemistisch dieses Hin-
und Herfackeln, welches bei der Euphrosyne noch mit einem so widerlichen
Stöhnen und Aechzen, Knarren und Winseln sämmtlicher Balken und
Bälkchen, Bretter und Brettchen komplizirt war, wie ich es nie zuvor auf
einem Fahrzeuge weder Seiner Majestät noch zivilen Besitzthums kennen
gelernt hatte. In dieses haarsträubende Konzert mischte sich noch zu allem
Ueberfluss das beständige Auf- und Zuschlagen von mehr als einem Dutzend
Thüren im Bereich meiner Ohren, welche entweder kein Schloss oder ein
unbrauchbares besassen und bei welchen man in der Eile der Ausrüstung
vergessen hatte, Haken zum Befestigen im geöffneten Zustande anzubringen.

Solchem Unfug ein Ende zu machen war meine erste Thätigkeit, und ich
schickte mich an, einen dieser rebellischen Gegenstände nach dem anderen
festzunageln oder festzubinden oder auszuhängen. Nur Derjenige, der
selbst erfahren hat, welche Schwierigkeiten das beständige Hin- und
Hergeworfenwerden, das ewige Auf- und Niederklettern im Innern eines
heftig arbeitenden Schiffes bereitet, und das Gefühl der Betäubung kennt,
welches das Tosen der Winde und der Wogen und der unaufhörliche Lärm
der sich aneinander reibenden Holztheile hervorbringt, und in welchem man
schliesslich nicht mehr weiss, was oben und unten, was horizontal und
was vertikal ist, nur Derjenige wird die Grösse meines Unternehmens zu
würdigen verstehen. Ich war allein und ohne Beihilfe. Denn Jan Maat,
dessen Gehörorgane übrigens auch hocherhaben sind über Kleinigkeiten wie
Lärm auf- und zuschlagender Thüren, hatte draussen zu thun, und fast
alle Anderen waren seekrank oder mit seekranken Weibern und Kindern
beschäftigt.

Der Tag ging langsam vorüber wie alle Sturmtage. Man versucht sich zu
beschäftigen, steht aber bald wieder davon ab, man nimmt etwas Nahrung
zu sich und ist froh, wenn dies ohne sonderlichen Unfall gelungen.
Man klettert auf Deck und klettert nach wenigen Minuten, von See- und
Regenwasser durchnässt, wieder in die Kajüte hinab, man sieht sehr oft
nach dem Barometer und sehnt sich nach besserem Wetter. Die Passagiere
waren heute äusserst artig. Keine Klagen über das Essen kamen, keiner
hatte Appetit. Friedlich und einträchtig lagen sie neben einander in ihren
Kojen und leisteten Neptun wetteifernd die üblichen Opfer.

Wind und See kamen von Norden, wir lagen mit kleinen Segeln bei und
steuerten Westnordwest, so dass wir rechnen konnten, nach West oder
Südwest in der Richtung von Dover abzutreiben und somit nichts zu
verlieren. Gegen Abend klarte der Himmel auf, und der Sturm legte sich
etwas, es wurden mehr Segel gesetzt und Kurs gesteuert.

Eben hatte uns der seekranke, bleiche und knieschlotternde Kajütsjunge,
den der Proviantmeister durch die bei Seeleuten so beliebte Prügelkur zu
heilen beflissen war, den Thee kredenzt, als der wachehabende Bootsmann
eintrat und den Kapitän frug, ob er nicht die Untersegel festmachen
dürfe, da der Wind wieder stärker zu blasen anfing, und noch war der
Bescheid darauf nicht gegeben, als ein Pfeifen und Heulen, ein Brüllen und
Tosen durch das Takelwerk schwirrte, wie wenn ein Heer Dämonen plötzlich
losgelassen wäre auf unser armes Schiff, welches in seinen Grundfesten
erbebte und sich jäh auf die Seite legte. Bootsmann und Kapitän eilten
zur Thüre hinaus, und ich folgte ihnen.

Der Athem versagte mir, als ich, mich anklammernd, draussen stand. Noch
nie hatte ich die Gewalt eines ähnlichen Orkanes empfunden. Es war, als ob
Haare, Nase und Ohren weggeweht werden sollten. Gegen die Windrichtung zu
blicken war unmöglich, fliegender Wasserstaub verletzte stechend
Gesicht und Augen. Nur mit Hilfe der Hände konnte man sich gegen die
heranstürzenden Luftmassen vorwärtsziehen.

Vergebens schrie der Kapitän mit der vollen Kraft seiner höchst
respektablen Lungen, dass alle Segel festgemacht werden sollten. Fünf
Schritte von ihm entfernt war seine Stimme nicht mehr zu hören, und die
Segel zerrissen in Fetzen, donnernd gegen die Masten und Riggen schlagend,
oder flogen mit einem Krach hinaus in die See, platt wie eine Wand, ohne im
Flug ihre gespannte Form zu verlieren. Alle Matrosen, der Steuermann, der
Bootsmann, der Proviantmeister und der Koch gingen nach oben, aber jeder
hatte genug zu thun, sich zu halten und nicht wegschleudern zu lassen.
Ich selbst stellte mich unter das Kommando eines Passagiers, der früher
Seemann gewesen, und zog mit ihm und einigen anderen jungen Männern,
welche die Angst zur Arbeit antrieb, an den Brassen, um die Raaen der
Richtung des Windes parallel zu drehen. Trotz aller Anstrengungen blieben
die Fetzen der Segel lose und peitschten donnernd weiter.

Erschüttert stand ich hinten, betrachtete schaudernd den wüthenden Kampf
der Elemente und überlegte die Möglichkeit des Ertrinkens. Ich hatte
schon oft versucht, meine Phantasie mit diesem Gedanken zu üben. Bei
schönem Wetter und während des Tages war es mir nie gelungen, ihn
schreckhaft zu finden. Jetzt aber, im Geheule des nächtlichen Sturmes,
bei dem ringsum herrschenden Dunkel, in welchem die hoch sich thürmenden
schäumenden Wogen gespenstig leuchtend auf und nieder gaukelten, erfüllte
mich die Vorstellung, über Bord zu fallen und von dem kochenden Gischt
verschlungen zu werden, mit Entsetzen. Wenn jetzt ein anderes Schiff uns
entgegenkam, unter der Gewalt des Orkanes ebenso wenig freier Herr seiner
Bewegungen wie wir, keine Möglichkeit auszuweichen, es wäre unser Aller
Ende gewesen. Ein dröhnender Krach, ein vielhundertstimmiger Todesschrei,
und die tosenden Wogen schlugen über uns zusammen, wie über so viele
andere vor uns.

Der so plötzlich und unvorhergesehen hereingebrochene Orkan schien
womöglich noch heftiger werden zu wollen und nicht eben so rasch wie er
gekommen vorüberzugehen. Die See stieg immer höher, und die Euphrosyne
bäumte sich in einer Besorgniss erregenden Weise. Die neu eingesetzten
Masten fielen, durch die schlechtgespannten Wanten und Pardunen nur locker
gehalten, von einer Seite zur anderen, und man konnte deutlich sehen, wie
jene Riggen abwechselnd rechts und links sich strammten und erschlafften.
Dass wir die Masten behielten, dass sie nicht brachen, war nicht das
Verdienst der liederlichen Arbeit der Takler, sondern ein reines Glück.

Zwei Mann standen am Steuerrad und konnten es kaum bändigen. Mehr als
einmal wurde der eine von ihnen in die Höhe gehoben und war in Gefahr
kopfüber wegzufliegen, vielleicht über das niedrige Geländer in die See
hinab, was schon oft genug geschehen ist.

Sowohl Neugierde als auch die Absicht Trost zu spenden führten mich
ins Familienkompartment des Zwischendecks hinab. Vorsichtig durch die
Finsterniss den heftigen Bewegungen des nassen, schlüpfrigen Bodens
entgegen von einem Stützpunkt zum anderen springend gewann ich die
nächste Lücke, um hinabzusteigen. Aber die Treppe fehlte, sie lag in
Trümmern unten und kollerte im Verein mit sämmtlichen theils noch
ganzen theils zerschlagenen Koffern und Kisten dem Rollen des Schiffes
entsprechend hin und her. Mit Hilfe eines Taues, welches mich pendelförmig
von einer Seite zur anderen schleuderte, gelang es mir, mein Ziel zu
erreichen.

Was ich hier unten sah und hörte, liess Alles hinter sich, was ich bisher
in zahlreichen Sturmnächten auf Postdampfern gesehen und gehört. Nur
wenige Laternen brannten noch, weil die meisten zerschellt waren. Das
Knarren der Balken und der Lärm der hin- und hergeworfenen Gepäckstücke,
das Rauschen der hin- und herfliessenden und zerspritzenden Wasserbäche,
die durch die Lucken heruntergossen, die Gebete und Flüche, das Gejammer
und Gewimmer der Menschen, jedesmal so oft eine grössere Sturzsee
brüllend gegen das Schiff anprallte und auf das Deck schlug, zu einem
grässlichen gemeinsamen Aufschrei sich steigernd, übertäubten den
draussen wüthenden Kampf der Elemente. Sie glaubten hier alle, dass die
Euphrosyne untergehen müsse, und dass das letzte Stündlein geschlagen
habe. Die Schrecken des Todes hatten den Stumpfsinn der Seekrankheit
durchbrochen, und statt der allgemeinen Gedrücktheit des vorhergegangenen
Nachmittags herrschte wahnsinnige Aufregung. »Vater unser, der du bist«
-- »Oschdschje nasch ktury jeschtem w Niebie« -- »Heilige Maria, bitt
für uns« -- »Fader vor, du, som er i Himmelen« -- »denn Dein ist das
Reich und die Herrlichkeit« tönte es in sinnverrückendem Chaos aus
den höhlenartigen Familienkojen, in welchen Männer, Weiber und Kinder
jeglichen Alters kreuz und quer durcheinander lagen und sich krampfhaft
an einander festkrallten, ohne ein beständiges Auf- und Niederrutschen
vermeiden zu können. Einige waren herausgepurzelt, krümmten sich weinend
auf dem Boden, mit Beinen und Armen die sie attakirenden Kisten abwehrend,
und wagten nicht, wieder aufzustehen.

Da verfluchte laut ein Vater sich und die Auswanderungsagenten, das Schiff
und Neuseeland, und was sonst noch mit der Seereise zusammenhing und
betheuerte wiederholt, dass er gerne sterben würde, weil er es verdient,
wenn nur seine Frau und seine drei Mädchen nicht wären, und sicher würde
er auch die Haare sich ausgerauft haben, wenn er die Hände freigehabt
hätte, mit denen er die Hüften der Gattin umklammert hielt. Dort
schalt und schlug ein Anderer seinen zitternden Jungen, weil er die
unaufhörlichen Vaterunser nicht schnell genug losliess und voller
Verwirrung in das weniger wirksame »Ich glaube an Gott den Vater«
gerieth. Erdfahl und entstellt tauchte ein langes Gesicht aus seiner
Höhle bei meiner Annäherung und schien mich fragen zu wollen. Die Lippen
bewegten sich, aber ich vernahm keine Stimme. Ein krampfhaftes Würgen und
Schluchzen, ein Brecherguss, und die nächste anprallende Woge schleuderte
das Gespenst in die Dunkelheit zurück.

Eines der Familienhäupter machte mir den Eindruck, ganz besonders
tröstenden Zuspruchs zu bedürfen, aber meine theilnehmenden Worte wurden
keiner Antwort gewürdigt. Er hatte nicht Zeit, sich mit irdischen Reden zu
befassen und unterbrach nicht eine Sekunde den Fluss der Thränen und der
Ave Marias, welche er rastlos immer wieder von vorne begann und mit
einer Zungenfertigkeit von sich stiess, dass seine sechs Kinder ihm nur
nothdürftig folgen konnten und über ein Wort nach dem anderen stolperten.

Die Anzahl der ruhigen und besonnenen Passagiere war eine sehr geringe. Am
ernstesten und vernünftigsten betrugen sich die Dänen, am wahnsinnigsten
und verzweifeltsten geberdeten sich die Polen. Erst nach längerem Suchen
fand ich einige Männer, welche mir zu helfen fähig waren, die aus den
Kojen Gefallenen aufzurichten und in Sicherheit zu bringen. Die Kisten
festzumachen war unmöglich und musste bis zum Tageslicht verschoben
werden.

Bei den unverheiratheten Frauenzimmern sah es etwas besser aus als im
Familienkompartment. Die Treppe nach dieser Abtheilung war noch erhalten,
das nicht so zahlreiche Gepäck an seiner Stelle geblieben. Nur die Lampen
waren in Stücke gegangen, und bis auf die trübe schimmernden Spalten der
Bretterwand, jenseits welcher die Familien hausten, herrschte Dunkelheit
in dem Raum. Gleich beim ersten Schritt vorwärts stiess mein Fuss auf ein
weiches Hinderniss. Die Blendlaterne zeigte mir ein weibliches Gewand, dann
ein Paar Beine und in entgegengesetzter Richtung ein bleiches Antlitz, und
zwar das der schönen Amanda aus Kopenhagen. Der ganzen Länge nach lag
sie hingestreckt auf dem Boden und umklammerte einen Stützbalken. Ich
versuchte sie aufzuheben, aber eine schwere Last an ihren Füssen zog sie
immer wieder zurück. Ich beleuchtete nun auch diese Gegend und fand die
verhasste Bettgenossin der eleganten Modistin, welche sich beharrlich
weigerte, die jener gehörenden Knöchel loszulassen. Auch einige andere
Mädchen waren aus ihren Doppelbetten gefallen und schrieen laut als ich
sie beleuchtete, vielleicht aus wahnsinniger Angst, vielleicht um mein
Mitleid zu erregen.

Die aufsichtführende Matrone streikte, sie lag seekrank in ihrer Koje
und stöhnte. Ich konnte deshalb trotz der sittenstrengen englischen
Bestimmungen, die keinem Mann der Besatzung den Zutritt in den
Jungfernzwinger gestatten, nicht anders als einen gerade disponiblen
Matrosen zum Aufräumen hier unten zu requiriren.

Ich kletterte wieder nach der Kajüte zurück, in welcher mittlerweile
unter dem Einfluss des immer fürchterlicher werdenden Stampfens und
Rollens fast alle Gegenstände sich losgerissen hatten. Tische, Stühle und
Ofenschirm, Gläser, Teller und Seekarten, sowie die grosse Medizinkiste
flogen von einer Wand zur anderen. Der kleine Köter des Kapitäns kroch
mir ängstlich winselnd zwischen die Beine und machte mich straucheln. Ich
trat ihm so unglücklich auf eine Pfote, dass er heulend nach der anderen
Ecke entfloh, wo ihm sofort der Ofenschirm auf den Rücken purzelte,
während mir meine Thür auf- und zuschlagend den Finger zerquetschte.

Nirgends war Ruhe zu finden, und ermüdet und schläfrig wanderte ich
beständig hin und her. Zuweilen dachte ich wohl selbst in jener Nacht,
dass wir den Morgen nicht mehr erleben würden.

Kapitän und Mannschaft blieben auf Deck. Es war jetzt nichts zu thun. Wir
trieben ohne Steuerung auf den Wogen, einem gnädigen Schicksal vertrauend.
Von den Segeln peitschten nur mehr etliche kleinere Lappen an den Raaen.
Der Orkan hatte das Uebrige weggeweht und dadurch viel Mühe und Arbeit
erspart.

Doch verging auch diese schreckliche Nacht, zwar langsam und qualvoll, aber
sie verging doch. Endlich, endlich dämmerte der Himmel, und der Morgen
stieg herauf. Je heller es wurde, um so deutlicher zeigten sich die
angerichteten Verwüstungen. Das Deck des Schiffes bot einen tragikomischen
Anblick. Es sah aus wie ein Krautacker, in dem eine Heerde Wildschweine
und ein unwirscher Herbstwind gehaust haben. Der ganze Vorrath an frischen
Kohlköpfen war aus seinem Behälter unter den umgestürzt auf der Kajüte
festgezurrten Rettungsböten entwichen und kollerte oder klebte, von dem
heftigen Rollen und Stampfen hin- und hergeschleudert und an allen Ecken
und Kanten zersplitternd, in kaum mehr verwendbaren Fetzen herum. Die
beiden grossen Wasserfässer auf Deck waren zertrümmert. Sie hatten sich
losgerissen und waren erst, als sie bereits genug Zerstörung angerichtet,
selber in Stücke gegangen. Die Kappen der Zwischendeckslucken, ein
Stützpfosten der Böte, die Thür zum Hospital, das Salzfleischfass, ein
paar Bänke und ein Häuschen zu unaussprechlichen Zwecken waren ihnen zum
Opfer geworden.

Es war kein Raum im ganzen Schiff, in dem sich nicht Gegenstände
losgerissen und im Hin- und Herfallen Unfug verübt hätten. In der Kajüte
purzelten noch immer ohne Unterlass der grosse und der kleine Tisch,
einige Klappstühle, der eiserne Ofenschirm und der Ofen, die zerschellte
Medizinkiste, Salben und Mixturen, überall Theilchen klebrigen Stoffes
zurücklassend, zerbrochene Weinflaschen, einige Löffel und Gabeln sowie
das Thermometer klappernd und klirrend hin und her, und kläglich winselnd
suchte der kleine Ami vergeblich nach einem Winkel, in welchen er sich vor
der Verfolgung durch jene oft sehr unsanften Gegenstände flüchten konnte.
Ganz besonders der Ofenschirm schien es auf ihn abgesehen zu haben, und Ami
zuckt seit jener Schreckensnacht jedesmal nervös zusammen, so oft man
mit dem Fuss an Eisenblech stösst. Auch in der Küche war Alles kaput
geschlagen. Der aus Backsteinen gebaute Heerd für die Passagiere hatte
einige Löcher bekommen und wackelte morsch hin und her. Nur für die
Kinder und Kranken konnte heute gekocht werden. Die Uebrigen mussten kalt
essen, sofern sie überhaupt Appetit hatten.

Es gab jetzt vollauf zu thun, aufzuräumen und zusammenzunageln. Eine
Menge Wunden und Quetschungen kamen, geflickt und verbunden zu werden.
Wunderbarer Weise war keine schwere Verletzung darunter. Einer der
Polen hatte sich den Arm luxirt, und ein kleiner dänischer Junge einen
Schädelbruch erlitten, an dem man das Gehirn deutlich pulsiren sah, der
aber ganz überraschend günstig verlief und heilte. Ich musste allein und
ohne Assistenz arbeiten. Besass ich auch einen förmlichen Stab dienstbarer
Geister, die ich im Namen der Neuseeländischen Regierung aus den Reihen
der Emigranten ernannt hatte, sie waren alle seekrank und unbrauchbar.
Nicht um Millionen wären sie zu bewegen gewesen, mir beizustehen.

Anders war es mit den Neulingen unter der Mannschaft. Für diese gab
es weder Rast noch Ruhe, ob sie gleich zu sterben vermeinten. Unser
Kajütsjunge Hannes zum Beispiel war das reinste Bild des Jammers. Er
machte seine erste Reise. Bis vor wenigen Tagen noch bei der Mutter zu
Hause, hatte er keine Ahnung gehabt, wie es zuginge auf dem Salzwasser.
Und jetzt, kaum dass wir draussen waren, gleich dieser scheussliche Sturm
voller Schrecken und Todesangst, das ganze Weh der Seekrankheit im Inneren
wühlend, und trotzdem keine Schonung, die rohe Faust eines Seemanns
beständig auf dem Nacken, jeden Augenblick Püffe, Fusstritte und
Ohrenkniffe. Der arme Junge dauerte mich. Bleich, verstört und ungekämmt,
die Augen stier geöffnet, mit bebenden Lippen, wankte er halbtodt, hin-
und hergestossen von den Bewegungen des Schiffes, zwischen Kajüte und
Pantry und zwischen Pantry und Kajüte auf und ab, ohne zu wissen, was er
that, und häufig rann ihm eine Thräne über die fahlen Wangen.

Hinter der Thür der Pantry stand der Proviantmeister, ein griesgrämiger
Tyrann, wie die meisten alten Seeleute, die es zu nichts gebracht haben,
und zählte die zerbrochenen Teller, Gläser und Schüsseln, und für jeden
Scherben, den er fand, gab er dem Jungen einen neuen Fusstritt. Was
nützte es, wenn ich intervenirte und um Mässigung bat. Solches war alte
angestammte rechtmässige Seemannsart. Auch der Proviantmeister hatte
einst seine Fusstritte und Püffe erhalten. Jetzt war für ihn die Zeit
der Vergeltung gekommen, er rächte sich an der jüngeren Generation. Und
konnte ich den Jungen immer beschützen, musste er nicht, sobald ich den
Rücken drehte, doppelt leiden? In der Kajüte herrschte ihn der Kapitän
an und zerrte ihn an den Ohren. Hier sollte er aufwischen, dort sollte er
Glasscherben zusammensuchen. An seiner Hose hingen Butter und Salbenreste,
der Aermel war mit Rhabarbertinktur getränkt, seine Hände bluteten aus
Glasschnitten, und Blut war im Gesicht herumgeschmiert. In seinen Schuhen
quatschte das Wasser. Er war die ganze Nacht nicht zur Ruhe gewesen, so
krank und elend er sich auch fühlte.

Ein anderer, ein Decksjunge hatte es schlauer gemacht. Er war gleich beim
ersten Beginn des Sturmes verschwunden, um nicht zur Arbeit gezwungen oder
gar nach oben auf die Raaen geschickt zu werden. Wir glaubten zuerst, er
sei über Bord gespült worden. Am nächsten Abend jedoch, als wir bereits
Dover uns näherten, tauchte er plötzlich aus seinem Versteck, dem
Proviantraum, in den er sich zurückgezogen hatte, um mit seiner
Seekrankheit allein zu sein. Er fiel sofort den Erziehungskünsten des
Bootsmanns anheim. Die Hiebe klatschten, der Junge heulte. Aber noch oft
versteckte er sich, wenn die Wellen höher zu gehen begannen.

Das Barometer stieg ein wenig, und wir athmeten erleichtert auf. Der Sturm
legte sich und erlaubte wieder, ein paar neue Segel zu setzen und Kurs zu
steuern. Die schlecht befestigten Masten hatten jetzt unter dem Druck der
Leinwand mehr Halt, wodurch unsere Hauptgefahr, sie zu verlieren, wenn
nicht vorüber, so doch gemildert war. Was jedoch den grössten Trost
gewährte, die unheimliche schwarze Nacht, die alle Schrecken verdoppelte,
war hinter uns, man durfte wieder frei um sich schauen.

Winzig kleine Fischerböte erschienen und gaukelten so waghalsig und so
malerisch mit ihren rothbraunen Segeln auf und nieder über die hellgrünen
Wogen der Nordsee, hinter denen sie jeden Augenblick verschwanden, als ob
sie von ihnen verschlungen wären. Schiffstrümmer, gebrochene Masten mit
Segeln und Takelage daran trieben vorüber. Gar mancher mochte innerhalb
der letzten zwölf Stunden sein nasses Grab gefunden haben. Die Luft war so
durchsichtig, und die Farben blinkten alle so lebhaft und frisch, dass man
meilenweit jeden schwimmenden Balken erkannte. Nur der Himmel über uns war
noch düster und dunkel.

Das Barometer stieg langsam und stetig. Auch die See nahm ab, und die
Wolkendecke wurde dünner und gleichmässiger. Am Nachmittag fühlten wir
uns ausser Gefahr, und gegen Abend konnten wir Dover in Sicht bekommen. Wir
hatten allerdings keine Observation und wussten nicht genau, wo wir waren.

Aber so ganz glatt sollten wir dennoch nicht der tückischen Nordsee
entrinnen. Es dunkelte bereits, als vorne ein Licht gemeldet wurde.
Es rückte näher und nahm einen grünlichen Schimmer an. Ein grünes,
stehendes, sich nicht veränderndes Licht, das ist Goodwins Sand, eine
Sandbank, welche schon viele Schiffe auf dem Gewissen hat. Wir waren also
noch nicht so nahe dem Kanal, als wir dachten, und der Kapitän liess nach
Süden steuern. Eine Stunde lang steuerten wir Süd, und eine Reihe
von vier gewöhnlichen gelben Lichtern tauchte vor uns auf. »Das sind
Fischerböte« sagte mir der Kapitän, als ich ihn darüber frug, ich
merkte aber wohl, dass er dieser Behauptung nicht sicher war. Für
Fischerböte standen die Lichter zu ruhig und waren auffallend gross und
hell. Fischerböte mussten bei solcher See auf und nieder schwanken.

Der Kapitän wurde unruhig und nervös. Unten in der Kajüte lag die Karte
ausgebreitet auf dem Tisch, hastig mass und visirte er mit Zirkel und
Lineal herum, stürzte auf Deck hinaus und sah mit dem Fernglas nach
den immer näher kommenden Lichtern, stürzte wieder hinab und mass und
visirte. Er murmelte Flüche, und der Schweiss tropfte ihm von der Stirn
auf die Karte. Wir waren abermals in einer schlimmen Lage. Auf der einen
Seite ein Licht wie von Goodwins Sand, auf der anderen mehrere Lichter, die
der Küste des Kontinents angehören mussten, ringsum Riffe und Bänke
auf der Karte verzeichnet. Jeden Augenblick konnten wir auffahren und
scheitern.

Wir kehrten wieder um und steuerten dahin, woher wir gekommen. Ein grosses
Glück, dass wir raumen Wind hatten. Das Räthsel löste sich endlich. Das
grüne Licht spaltete sich in zwei, es waren die beiden Lichter von Dover,
die wir in einer Linie, eines vom anderen verdeckt, gesehen hatten. Jetzt
wussten wir wieder, wo wir waren.

Welcher schwere Stein fiel dem Kapitän vom Herzen. Er hatte seine Pflicht
gethan und keinen Fehler begangen, der ihm zur Last gelegt werden durfte.
Nur der Mangel einer Observation und die entschuldbare Verwechselung der
beiden grünen Feuer hatte uns irregeführt. Wir brauchten uns nicht mehr
vor Goodwins Sand zu fürchten und steuerten geradewegs auf Dover zu. Die
vier Lichter waren die französische Küste bei Calais gewesen.

Niemals betrachtete ich Dover mit seinen zwei elektrischen grünen Feuern
oben auf dem Felsen und der Gasbeleuchtung unten am Hafen und in den
amphitheatralisch ansteigenden Strassen mit grösserem Wohlgefallen, als
in jener Nacht, da wir langsam vorübersegelten, in den Kanal und in
den freundlicheren Atlantischen Ozean hinaus, hinter uns die verhasste,
unwirsche Nordsee.

Das Wasser war so nahe dem Land glatt geworden, und das Schiff rollte kaum
merklich. Die seekranken Passagiere krochen genesen aus ihren Kojen und auf
Deck. Sie sahen wieder festes Land vor Augen und begrüssten es freudig und
hoffnungsvoll. Die Aermsten waren in einem gewaltigen Irrthum befangen. Sie
glaubten nämlich alle, dass wir anlegen würden, und dann wären sie
alle schleunigst davon gelaufen, bereits vollkommen satt der Reise nach
Neuseeland. So lange wir an der englischen Küste hinfuhren und hie und
da ein vorspringender Hügel zum Vorschein kam, lebten sie in diesem
glücklichen Wahn. Und als wir immer und immer nicht anlegten und das
letzte Stückchen Land verschwunden war, und sie endlich doch meiner
Versicherung Glauben schenken mussten, dass wir gar nicht daran dächten,
anzulegen, welches Wehklagen und welche Verwünschungen. Mit aufgehobenen
Händen baten sie mich, ich möchte den Kapitän veranlassen, sie
auszusetzen. In allen Sprachen schworen sie, sie würden die Seereise
niemals überstehen, sie wären jetzt schon halb todt von dem einzigen
Sturm, das Schiff könnte unmöglich mehr zusammenhalten, es sei schon ganz
lose gerüttelt. Und wenn sie auf den Knieen nach Hause rutschen müssten
mit allen ihren Kindern und zeitlebens betteln gehn, sie wollten nie und
nimmermehr an Neuseeland denken. Alles umsonst.

Unserer Fahrt stellte sich kein Hinderniss mehr in den Weg. Wir
schlängelten uns langsam und sicher durch die Menge der kreuzenden
Dampfer, Segelschiffe und Böte, und nach drei Tagen waren wir im
Atlantischen Ozean. Ein schöner Nordostwind blähte die vierkant
gestellten Segel, die Zahl der in Sicht befindlichen Fahrzeuge verringerte
sich, die Sonne schien mild und warm auf uns herab. Am 26. November
zeigten sich die ersten Quallen im Wasser, wir waren auf der Höhe von
Biscaya.

Von jetzt ab hatten wir bis Neuseeland kein nennenswerthes Unwetter mehr
zu bestehen. Wir waren sehr glücklich gewesen, so rasch wenn auch etwas
stürmisch und rauh aus der Nordsee zu kommen. Wir konnten eben so gut vier
Wochen darin herumkreuzen.



II.

IM NÖRDLICHEN ATLANTISCHEN OZEAN.

  Ungünstige Winde und Windstille. An Madera und an den Kapverden
  vorbei. Schiffsleben und Zänkereien. Nationale Gegensätze.
  Kindstaufen, Geburtshilfe auf See und ein zärtlicher Gatte.
  Die Polakei in Aufruhr. Das gestohlene Salzfleisch. Zoologische
  Belustigungen. Schleppnetzbeute. Fliegende Fische. Vergebliches
  Harpuniren. Haifischfang. Korrespondenz mit anderen Schiffen. Besuch
  auf einem Portugiesen. Unsicherheit in der Nautik.


Am 27. November warfen wir den Ofen aus der Kajüte. Es war bereits warm
genug, um während des Tages ohne Ueberzieher auf Deck zu sitzen.

Das Wasser begann wieder unruhig zu werden, und die bekannten langen, hohen
Wogen des Ozeans, höher als in der Nordsee, aber auch viel angenehmer weil
länger, hoben und senkten das Schiff. Das Barometer fiel, der Wind wurde
flau. Die Segel klapperten an den Raaen, wir machten keinen Fortgang, doch
rollten wir unter dem Einfluss der zunehmenden hohlen See und des Haltes
der Segel entbehrend wie noch nie. Schwerfällig beugte sich die Euphrosyne
nach rechts und nach links, und bei jeder Neigung stöhnten und krachten
die Balken und Bretter, eigenthümlich die sonstige feierliche Ruhe
unterbrechend. Der Kapitän hatte die guten Tage benutzt, um die Riggen
der Masten fester anzuziehen. Auch im Innern war Alles festgenagelt und
festgestaut worden. Wir waren jetzt vollkommen seetüchtig und konnten es
mit jeglichem Wetter aufnehmen.

Ein kleiner Sturm aus Südwest trieb uns zwei Tage rückwärts. Dann kam
abermals flauer Wind, der in einen kleinen Nordsturm umsprang, mit
dessen Hilfe wir rasch nach Madera hinuntergelangten, welches wir ausser
Sichtweite am 2. Dezember passirten.

Wir hofften jetzt alle Tage auf den Nordostpassat, aber leider vergeblich.
Ganz unvorschriftsmässige West- und Südwestwinde wechselten statt dessen
mit einander, und die Folge davon war, dass wir immer näher gegen Afrika
zu trieben und, beständig mit halbem oder viertels Wind segelnd, knapp
zwischen den Kapverdischen Inseln und Senegambien hindurch fahren mussten.
Kaum hatten wir diese passirt, so sprang der Wind nach Süden um, und wir
steuerten Südsüdwest gegen Brasilien zu. Nur hie und da wehte es auf
kurze Zeit in einer uns günstigeren Richtung, aus Norden oder aus Nordost,
und der Kapitän verfehlte dann nie, mich auf die geballten Passatwolken
rings am Horizont aufmerksam zu machen und sanguinisch eine anhaltende
Besserung unserer Reise in Aussicht zu stellen. Doch immer von Neuem wurde
sein Vertrauen getäuscht, und hatten wir vierundzwanzig Stunden eine
gute Brise von hinten mit sechs Knoten per Stunde gehabt, so schlief sie
regelmässig wieder ein, die Segel begannen wieder zu klappern, und ein
Gegenwind erhob sich.

Oder, was noch schlimmer war, die Stille wollte nicht mehr weichen, drei,
vier Tage lagen wir regungslos auf dem Wasser, der Abfall des Schiffes
trennte sich nicht mehr von unserer Nähe, und was wir des Morgens
über Bord geworfen hatten, konnten wir am Abend noch immer draussen
herumschwimmen sehen. Die Sonne brannte glühend herab, und eine
träumerische Stimmung lag über dem Deck, auf dem die Passagiere in
hellen Gruppen faul herumlungerten. Selbstverständlich war unter solchen
Umständen die Laune des Kapitäns nicht die rosenfarbigste. Tag und Nacht
wurde geschimpft und geflucht, am Barometer geklopft, ob es nicht ein
bischen fallen möchte, der Kajütsjunge in die Ohren gekniffen, zwecklos
und nur vielleicht zur Aufmunterung für den Wind Leesegel gesetzt und
wieder weggenommen.

Für mich waren solche Zeiten der Windstille im Anfang nicht ohne Reiz. Es
herrschte, namentlich Nachts, eine wohlthätige Ruhe. Allerdings hörte
das Schiff fast niemals auf, langweilig hin und her zu schaukeln, und das
Holzwerk, ebenso langweilig zu knarren. Dies war aber auch meistens das
einzige vernehmbare Geräusch, und ich konnte relativ ungestört mich
meinen Lieblingsbeschäftigungen hingeben.

Unsere Tagesordnung ging ihren stetigen Gang. Wir lebten zu dritt in der
Kajüte zusammen, nämlich ein Kajütspassagier, der Kapitän und ich --
grösstentheils einträchtig, wir beide letzteren hie und da in gespanntem
Verhältniss.

Der Kajütspassagier, ein harmloser, junger Mann des Handelsstandes,
Mister Ross genannt, besass glücklich genug nicht die geringste Anlage zur
Grimmigkeit, und schimpfte der Kapitän auch Tage lang unausstehlich,
oder versuchte er gar in guter Laune Witze zu machen, was noch viel
unausstehlicher war, Mister Ross blieb ungerührt. Er spielte gehorsam
Tag für Tag seine Partie Sechsundsechzig mit ihm, wenn er dazu kommandirt
wurde, liess ihn pflichtschuldigst gewinnen, kam pünktlich zu Tisch, legte
sich pünktlich zweimal täglich zu Bett, und lungerte die übrige Zeit,
wenn es schön Wetter war, auf Deck herum, friedlich seine Thonpfeife
rauchend. Ich selbst huldigte dem Prinzip vollkommenster Neutralität und
Isolirtheit, und meine Bücher und die Thiere des Meeres waren mir viel
interessanter als Alles, was der Kapitän und Mister Ross zu sagen wussten.

Die Verpflegung, welche wir genossen, unterschied sich vortheilhaft von
jener auf Postdampfern nach Amerika üblichen dadurch, dass man nie in
Versuchung kam, aus Mangel besserer Beschäftigung den Magen zu überladen.
Von der Ablösung der ersten Wache des Morgens um 4 Uhr an war schwarzer
Kaffe zu haben. Um 8 Uhr wurde das Frühstück, Kaffe mit kondensirter
Milch nebst Zwieback und Butter sowie die kalten Fleischüberreste des
vorigen Tages servirt. Um 1 Uhr folgte, nachdem die Mittagsobservation
genommen und der Ort des Schiffes berechnet war, das Dinner. Salzfleisch
und Büchsenfleisch, Reis und Kartoffel, Erbsen und Bohnen, Pflaumen und
Sauerkraut waren die wechselnden Hauptfaktoren desselben. Um 3 Uhr
gabs abermals Kaffe, manchmal mit einem frischgebackenen Kuchen von sehr
zweifelhafter Qualität, und um 7 Uhr den Abendthee, einschliesslich
Butter und Salz- oder Büchsenfleisch. Dazu wurde jedesmal harter Zwieback
geknabbert, nachdem der Vorrath an heimischem Schwarzbrot in den ersten
vierzehn Tagen aufgezehrt war. Ein schmieriger Wachstuchüberzug bedeckte
den Tisch, schmierig waren Gabel und Messer und schmierig der vielgeprüfte
Kajütsjunge Hannes, der uns bediente.

Besonders heilige Festtage auszuzeichnen, hatte man uns einige Käslaibe,
Schinken und Würste mitgegeben. Wir, die Honoratioren der Kajüte,
erfreuten uns jedoch nur zwei- oder dreimal dieser Kostbarkeiten. Eines
schönen Tages waren sie verschwunden, es hiess, die Matrosen hätten sie
gestohlen und aufgefressen.

In Bezug auf Spirituosen lebten wir äusserst mässig. Eine Flasche Bier
zu dritt war die tägliche Ration. Ich hatte zwar kontraktlich Anspruch
auf eine halbe Flasche Rothwein pro Tag, es war aber nichts davon an Bord
aufzufinden. Der in Seegeschichten eine so wichtige Rolle spielende steife
Grog existirte auf der Euphrosyne nicht, existirt überhaupt wohl nur auf
den Schiffen der Seegeschichten. In der Wirklichkeit sind die Seeleute
zu arm und die Rheder nicht splendid genug, um einen solchen Luxus zu
gestatten. Wenn ein Kapitän auf zwei Jahre hinaussegelt, so kriegt er
vielleicht ein paar Dutzend Flaschen Kognac und Wein für sich und ein
kleines Fässchen Rum für die Mannschaft mit. Erstere sind bestimmt zur
Repräsentation, wenn das Schiff im fremden Hafen liegt und Besuche an Bord
kommen, letzteres reicht gerade, um zwei- oder dreimal ein Fest zu feiern.

Die Euphrosyne besass eine sehr hübsche, helle und luftige Kajüte frei
auf Deck stehend, zu beiden Seiten schmale Gänge zwischen ihr und den
Borden. Ein roh getünchter Tisch, ein Sopha, etliche Klappstühle, zwei
grosse Medizinkisten, ein Spiegel, ein Barometer, ein Thermometer und ein
Kompass bildeten das Mobiliar des kleinen Salons derselben. Rechts hatte
der Kapitän seine Kammer, links ich die meinige. Gleich vor dem Salon
wohnte Mister Ross. Dann kamen die Badezimmer und das Frauenhospital, und
in dem vordersten Theil der Kajüte hausten die Offiziere des Schiffs,
der Steuermann, der Proviantmeister und der Bootsmann. In einem anderen
Häuschen über Deck zwischen Gross- und Fockmast waren die Küche, das
Männerhospital und das »Logis« für die Mannschaft.[1] Meine Kammer
liess an Gemüthlichkeit nichts zu wünschen. Sie war zwar eng und klein,
und wenn ich eine Schublade aufmachen wollte, musste ich erst meinen Koffer
und den Stuhl in den Salon hinaussetzen, aber sie hatte ein grosses Fenster
und eine Menge Licht. Leider ging es gerade vor dem Fenster über eine
Treppe hinauf nach dem Achterdeck, auf welches die einzelnen Mädchen
gebannt waren, und mit Vorliebe setzten sich diese, meine Kammer
verdunkelnd, auf jene Treppe, bis ich mit dem Stock hinauslangte und sie
von dannen stupfte.

  [1]: Seeleute sagen »Logies«, nicht »Loschie«.

Unser Zwischendeck war das schönste, welches ich jemals gesehen habe. Es
hatte die ungewöhnliche Höhe von 2,7 Meter und war sehr gut ventilirt. Es
war jedoch keine Stätte des Friedens, sondern der Schauplatz beständiger
Kämpfe. In den Verschlägen der einzelnen Männer vorne und der einzelnen
Mädchen hinten ging es noch leidlich. In der Mitte aber bei den Familien
mit ihrem Kindersegen hörten die Reibereien nie auf. Fast immer waren es
natürlich die Weiber, welche anfingen und ihre respektiven Ehegatten auf
einander hetzten.

Zwei feindliche Parteien standen sich voll Hass gegenüber, die
Skandinavier und die Polen. Erstere waren musterhaft reinlich und hatten
viel Sinn für Ordnung. Bei den letzteren galt mit wenigen Ausnahmen
ungefähr das Gegentheil. Man konnte sich kein schmutzigeres und
armseligeres Volk denken als jene unglücklichen Abkömmlinge der
Weichselgegend. Alle Tage kamen Klagen über ihre Unsauberkeit, die selten
grundlos waren, alle Tage musste ich über acquirirte Pediculi vestium
jammern hören. Die Dänen erklärten mit Ueberzeugung, dass jene Thierchen
nichts Geringeres beabsichtigten als sie alle aufzufressen. Ich bestimmte
eine Frist, bis zu welcher die Polen dieselben abgeschafft haben mussten,
vertheilte Sabadillaessig, Petroleum und Perubalsam, und bei wem ich
nach zwei Wochen noch Spuren davon fand, bekam nichts zu essen. Dies half
einigermassen. Die Betten wurden, so oft es das Wetter erlaubte, gesonnt,
die Kleider gebrüht und die Kinder mit der bisher unbekannten Gewohnheit
einer täglichen Reinigung vertraut gemacht.

Die nationalen Gegensätze übertrugen sich auch auf das religiöse Gebiet.
Wir hatten vier deutsche protestantische Missionäre an Bord, die theils
für Neuseeland, theils für Australien bestimmt waren, und denen ich den
vorgeschriebenen Gottesdienst und die Schule übertrug. Sie bildeten unsere
offizielle Staatskirche, und im Anfang kam Alles einträchtig bei ihnen
zum Sonntagsgebet zusammen. Auf einmal fiel es den skandinavischen
Völkerschaften ein, dass sie ihren eigenen Gottesdienst in dänischer
Sprache haben wollten. Sie wählten einen alten Mann aus ihrer Mitte zum
Vorbeter und blieben weg. Dieses Beispiel wirkte ansteckend, und sofort
wurden auch die katholischen Polen schismatisch und bildeten eine dritte
Religionsgemeinde, so dass die Missionäre mit ihren salbungsvollen Worten
nur mehr auf ein sehr kleines Häuflein beschränkt waren.

Diese Dreiheit führte zu wahrhaft österreichischen Zuständen, und
fast jeden Sonntag gab es Reibereien. Fingen die Einen hier ein deutsches
Kirchenlied an, so erhob sich dort ein polnischer Gesang, und daneben
begann wieder eine andere Gruppe, dänisch zu singen. Gerade so gings
mit der Schule. Mit dieser wollten sich die Polen niemals befreunden.
Sie schickten ihre Kinder nicht regelmässig, oder ihre Kinder waren
widerspänstig und wollten nichts lernen. Recht gerne würde ich ihnen
ebenso wie den Dänen eine eigene Schule eingeräumt haben, wenn unter den
Polen ein einziger Mann fähig gewesen wäre, Unterricht zu ertheilen. Die
ausgezeichneten englischen Vorschriften, nach denen ich regieren musste,
waren eben für Auswanderer englischer Nation, nicht für das Sprachen-
und Nationalitätengewirr, welches auf deutschen Schiffen zu sein pflegt,
gemacht.

Nur bei den Kindstaufen herrschte merkwürdiger Weise eine vollkommene
Parität der Konfessionen. Fünfmal war es uns vergönnt, dieses Fest zu
feiern. Und zwar geschah es jedesmal, da wir nöthigenfalls damit warteten,
bis gutes Wetter eintrat, unter dem grössten uns möglichen Pomp, um
keine Gelegenheit zu einer die Stimmung auffrischenden Volksbelustigung
vorübergehen zu lassen. Unsere feinste Suppenschüssel wurde als
Taufbecken mit rothen Bändern auf das Gangspill vor der Kajüte befestigt.
Sämmtliche vierundzwanzig Signal- und etliche alte Nationalflaggen mussten
herhalten, eine Art Presbyterium zu formiren. Die Missionäre zogen ihren
besten Ornat an, predigten und beteten fast eine Stunde lang, und die
Schuljugend sang fromme Lieder dazwischen.

Gleich bei dem ersten kleinen Weltbürger, der protestantischer Abkunft
war, machten die Missionäre ihre Sache so schön und so erhebend, dass
selbst die religiösen Vorurtheile der Polen nicht mehr Stand hielten und
alle vier im Mutterwerden folgenden Polinnen sich steif und fest in den
Kopf setzten, dass auch ihre Sprösslinge von den Missionären getauft
werden sollten. Die Stammesgenossen remonstrirten zwar dagegen und machten
Vorwürfe, während die gestrengen Diener des Herrn betheuerten nur unter
der Bedingung taufen zu können, dass dann die Kinder auch protestantisch
werden müssten. Die Eitelkeit der Weiber überwand alle Bedenken und
bekannte sich auf einmal zu den freiesten Grundsätzen, wohl unter dem
geistlichen Vorbehalt, dass später der Katholizismus wieder in seine
Rechte treten sollte.

Die erste Geburt an Bord werde ich nie vergessen. Dieser Fall war
komplizirt mit Schwierigkeiten, die in keinem Lehrbuch der Geburtshilfe
vorhergesehen sein dürften, und auch später knüpften sich an ihn einige
Thatsachen, die in Bezug auf Psychologie und Kulturgeschichte nicht
ohne Interesse sind. Es war eine vorzeitige Greisin von vierzig Jahren,
Erstgebärende und Gattin eines Wittwers mit acht Kindern, die den Reigen
unserer Volksvermehrung eröffnete, und die ich in einer unwirschen
Sturmnacht kurz vor Madera ins Hospital schaffen musste.

Nicht nur die süsse Frucht unterm Herzen der pommerschen Hekuba äusserte
ein intensives Widerstreben die schnöde Welt zu erblicken, auch die
Elemente schienen sich verschworen zu haben, ihren Austritt aus dem holden
mütterlichen Organismus zu hintertreiben. Das Rollen und Stampfen des
Schiffs war so heftig, dass ich die chloroformirte Wöchnerin im Bett
anbinden und mich selbst durch den Kapitän festhalten lassen musste,
während der erste Offizier mit einer trüben Laterne leuchtete und
zugleich das Chloroform handhabte. Mehr als drei Mann hatten nicht Platz
vor der Koje. Ungefähr eine Viertelstunde lang wurden wir vier
oder vielmehr fünf betheiligten Personen von dem Sturm hin- und
hergeschleudert, wie ein Rattenkönig hartnäckig aneinanderhängend --
da siegte endlich die Zange. Abgesehen von einer auch auf dem festen
Lande ziemlich häufigen Beschädigung, die durch die Nähnadel wieder gut
gemacht werden konnte, war die Operation ganz ausgezeichnet gelungen. Nicht
blos der Vater wurde gerettet, womit so oft in schwierigen Fällen das
Bewusstsein des Arztes sich trösten muss, auch die Mutter und der kleine
Junge erfreuten sich des besten bis zum Schluss der Reise andauernden
Wohlbefindens.

Dieser Triumph meiner Kunst zog mir indess den Hass des zärtlichen Gatten
und Vaters zu. Er war nämlich in der angenehmen Hoffnung befangen gewesen,
dass jene beiden zu Grunde gehen möchten, und sah sich nun getäuscht.
Die Zeit stimmte nicht mit seiner Berechnung. Er hatte sich schon zu Hause
scheiden lassen wollen, aber die Agenten hatten ihm gesagt, dass dies in
Neuseeland viel leichter sei und viel weniger Umstände mache. Nachdem
er vergebens mich zu bewegen versucht, ihm hierin bei seiner zukünftigen
Regierung behilflich zu sein, wurde er mein erbitterter Feind, und
später, als wir auf einer einsamen Insel in Quarantäne lagen, war er der
Rädelsführer einer kleinen gegen mich gerichteten Rebellion. In solcher
Art waren die Gemüther besaitet, mit denen ich zu wirthschaften hatte.

Aber auch von dem Lenker und Befehlshaber des Schiffes blühten mir
Schwierigkeiten.

Die Anschauungen der Passagiere über Quantität und Qualität des ihnen
verabreichten Proviants gaben zuweilen zu Meinungsverschiedenheiten
zwischen dem Kapitän und mir Veranlassung. Jene glaubten fast alle
Tage, dass sie zu wenig zu essen bekämen, der Kapitän war stets der
entgegengesetzten Ansicht. Wenngleich jene fast nie zufrieden zu stellen
und ganz unglaubliche Massen zu vertilgen im Stande waren, auch zweifellos
die Mehrzahl hier an Bord besser genährt wurde, als jemals früher in
ihrem Dorf zu Hause, so konnte ich doch nicht jedesmal ihnen Unrecht geben.
Meine antagonistische Pflicht, dem Schiff und seinem Führer gegenüber
die Interessen der Neuseeländischen Regierung und ihrer Immigranten zu
vertreten, gebot mir, vom Kapitän die genaue Befolgung der Instruktionen
zu verlangen. Dies war ihm unangenehm, er schimpfte und schlug mit der
Faust auf den Tisch, ich drohte, die Angelegenheit in meinem Journal
niederzulegen, er schimpfte noch ärger und schlug zweimal auf den Tisch
-- aber die Passagiere erhielten was ich verlangt hatte. So trieben wirs
beinahe die ganze viermonatliche Reise hindurch, nur dass später in
der zweiten Hälfte derselben die Umstände etwas unangenehmer und die
Wuthausbrüche heftiger wurden. Ein- bis dreimal wöchentlich dieselbe
Komödie. In mein Journal ist niemals eine Klage gekommen, die blosse
Drohung damit genügte.

Andrerseits war es jedoch nicht minder geboten, den Beschwerden gegenüber
möglichst vorsichtig zu sein. Kaum war ich dem einen gerecht geworden, und
kaum hatten andere gesehen, dass man sich nur an mich zu wenden brauchte,
um ein Stück Fleisch oder Speck mehr zu erlangen, als auch gleich Alle
kamen und klagten. Da kamen nicht nur Krapülinski und Waschlapski,
Schubiakski und Schmieriumski mit Weib und Kind an Backbordseite im
Gänsemarsch zu mir aufs Achterdeck anmarschirt, auch die Skandinavier
wollten nicht zurückbleiben, und an Steuerbordseite erschien eine
Prozession von lauter Nielsen, Christensen, Andresen und Johannsen, und
jeder brachte seine Schüssel Salzfleisch, Sauerkraut und Bohnen mit, um
sie mir zu zeigen.

Wenn es nun nicht blosse Unverschämtheit und Gefrässigkeit war, der die
reichlich zugemessenen Rationen nicht genügten, und die ich energisch
zurückweisen oder selbst strafen musste, so stellte sich bei näherer
Untersuchung nicht selten heraus, dass man bereits einen Theil verzehrt
oder bei Seite gelegt hatte, um mich zu täuschen. Die Skandinavier
trollten sich in solchen Fällen beschämt von dannen und nahmen ihre
Strafe als etwas Selbstverständliches hin. Die Polen aber, wenn ertappt,
geriethen in Verzweiflung. Lautes Zetergeschrei und Schwüre der Unschuld
erfüllten die Luft. Die Männer rauften sich in den Haaren, die Weiber
rutschten mit ihren blärrenden Kindern auf den Knieen herbei, suchten mir
Hände und Rockschoss zu küssen, Erbarmen flehend, obwohl es sich nur um
die Entziehung der Bohnen oder des Sauerkrautes für einen Tag handelte.

Wir besassen leider kein Arrestlokal und überhaupt keinen hierzu
verwendbaren Raum im ganzen Schiff, und so willigte ich denn einmal mit
Widerstreben ein, dass der Kapitän einem Polen, der sich eine grobe
Widerspänstigkeit gegen ihn hatte zu Schulden kommen lassen, Handschellen
anlegte, um ihn so zum warnenden Beispiel auf zwei Stunden vor dem
Grossmast an den Pranger zu stellen. Der Mann geberdete sich wie ein
Wahnsinniger in seiner Wuth darüber, versuchte erst mit einem Messer sich
in den Hals zu schneiden, und rannte dann voller Verzweiflung nach der
Verschanzung, um über Bord zu springen, heftig mit den zwei Matrosen
kämpfend, die ihn zu bewachen hatten. Die ganze Polakei bis zu den
Säuglingen herab wurde rebellisch, kreischte und heulte, und das Deck bot
einen Anblick, als ob ein ernstlicher Aufruhr ausgebrochen sei.

Täglich um 10 Uhr war Proviantausgabe. Die Passagiere waren in
Tischgesellschaften von ungefähr je einem Dutzend Köpfen eingetheilt,
jede solche Tischgesellschaft, »Back« genannt, hatte ihre Nummer, und
der Proviantmeister wog vor Aller Augen die Rationen ab. Das konservirte
Fleisch wurde in den Büchsen von bestimmtem Gehalt verabreicht, die
Salzfleischportionen wurden mit Blechnummern versehen und über Nacht in
einen grossen Bottich zum Auswässern gelegt.

Dieser Bottich machte uns viel Kummer. Bald fanden sich regelmässig Diebe
ein und bestahlen seinen Inhalt. Ich entwarf nun eine Wachliste und stellte
Posten davor hin. Aber die Posten schliefen ein, und am Morgen fehlten
wieder etliche Fleischstücke, wie zuvor. Ich liess nun ein entbehrliches
Schloss von einer Thür wegnehmen und an den Bottich befestigen. Nach
zwei Tagen hatte der Proviantmeister den Schlüssel verloren, und als ein
anderes Schloss angebracht war, wurde der Deckel aufgebrochen.

Diebstähle jeglicher Art gehörten überhaupt zur Tagesordnung. Es war,
als ob bei der Beschäftigungslosigkeit unseres Gesindels das Bedürfniss
nach Thätigkeit und Unterhaltung sich nur in dieser einen Richtung geltend
machen wollte. Sie stahlen aus reinem Sport.

Trotz all dieser fast unaufhörlichen Widerwärtigkeiten meines Amtes boten
mir die ersten zwei Monate der Reise doch viel Genuss, und ich habe
mich während dieser Zeit nicht ein einziges mal gelangweilt. Eine der
Hauptabsichten, die ich ins Auge gefasst, war, die Thiere des Meeres zu
studiren, insbesondere jene Unzahl kleinerer Lebensformen, an denen die
Salzfluth so reich ist, die zwar dem oberflächlichen Beobachter,
weil unscheinbar, meistens entgehen, die aber gerade deshalb nur um so
interessanter sind. Auf Dampfern, die rasch hindurch fahren, lernt man die
See und ihren Reichthum nicht kennen. Nur auf Segelschiffen bietet sich
hiezu Gelegenheit. Hauptsächlich aus diesem Grunde war ich auf die
Euphrosyne gegangen.

Schon bei Biscaya hatte ich meine Schleppnetze ausgepackt. Aber lange
wollte kein passendes Wetter zum Fischen kommen. Ich verlor die Geduld, und
als wir eines Tages kaum eine Meile per Stunde machten, während die See
noch ziemlich hoch ging, wagte ich den ersten Versuch.

Nach fünf Minuten war mein Netz abgerissen und verloren. Ich hatte den
Fehler begangen, dem fachmännischen Urtheil des Kapitäns mehr zu glauben
als es verdiente. Der Kapitän, gerade in guter Laune und beseelt von
dem Wunsch, mit mir in gutem Einvernehmen zu leben, unterstützte mich in
meinen zoologischen Bemühungen, so sehr sie ihm innerlich auch zuwider
sein mussten. Ich legte ihm mein Netz, einen einfachen Sack aus sehr
starkem Strammin an einem verzinkten eisernen Ring von ein halb Meter
Durchmesser, und die Leine, welche den Ring an drei Strippen hielt, zur
Prüfung vor und frug ihn, ob diese wohl den herrschenden Seegang aushalten
würde. Er lachte über meine Besorgniss, und ich warf das Netz über Bord.
Wie sehr staunte ich, als ich den gewaltigen Zug fühlte, den dieser kleine
Körper dem Wasser entgegensetzte. Das Schiffshintertheil stampfte in
Schwingungen von etwa drei Meter Bogenlänge auf und nieder, und jedesmal
wenn es sich erhob, spannte sich die Leine bis zum Platzen, so dass ich sie
kaum mehr halten konnte und ein gutes Stück auslassen und festschlingen
musste, um rasch wieder einzuziehen sowie wir wieder hinabtauchten.
Ein Dutzend mal hatte ich dieses beschwerliche und ermüdende Manöver
vollzogen, da kam eine etwas gröbere Aufwärtsbewegung, ein leichter
Knall, und ich hatte die leere Leine in der Hand, das Netz, noch etliche
Sekunden hell durch das Dunkelblau der hinten hinwegrollenden Wogen
schimmernd, verschwand in die Tiefe.

Von nun an war ich vorsichtiger, folgte mehr meinem eigenen Urtheil, nahm
eine stärkere, gut fingerdicke Leine, und versuchte nur bei ganz ruhiger
See zu fischen, wenn wir keine schnellere Fahrt als höchstens vier Knoten
machten. Schon bei drei Knoten war Ein Mann allein kaum im Stande, das Netz
wieder einzuziehen, und man musste immer dabei bleiben und loslassen wenn
ein stärkerer Windstoss kam. Es musste dann überhaupt ziemlich viel Leine
ausgesteckt werden, sonst fing das Netz, wenn es zu kurz gehalten war, an,
über die Oberfläche des Wassers hinwegzutanzen, ohne etwas zu fangen. Ein
grosser Missstand war, dass die Baumwollefäden des Strammins aufquollen,
wodurch die Maschen verengt wurden und zu viel Widerstand boten. Ich würde
deshalb in künftigen Fällen ein Geflecht aus anderem Material vorziehen.

Eines der ersten Thiere, welches mir aufstiess und mich im höchsten Grad
überraschte, war ein Insekt, Halobates, ein Wassertreter, ganz ähnlich
dem sehr gemeinen Hydrometra, der in unseren Teichen und Sümpfen
mit gespreizten Beinen ruckweise auf dem Wasser spazieren geht. Ein
Wassertreter, ein so kleines und zartes Wesen, mitten auf dem Ozean über
die Wellen schreitend! Von den Kapverden bis einige Grade südlich vom
Aequator an der brasilianischen Küste fand ich allenthalben dieses
interessante, muthige Thierchen, und es fehlte fast nie im Netz. Noch
weiter südlich wurde das Wetter auf lange Zeit zu unruhig, um das Fischen
zu gestatten, und im Indischen Ozean erschien es nicht wieder.

Ich hatte sogar das Glück, Halobateseier in jedem Stadium, die ganze
Entwickelungsgeschichte des Thierchens, zu erwischen. Im Netz fing sich
häufig aller mögliche Unrath vom Schiffe mit, und einmal fand ich auch
eine Vogelfeder darin, die sehr gebraucht aussah, so dass ich im Anfang
dachte, einer unserer Passagiere habe damit seine Pfeife gereinigt und sie
dann über Bord geworfen. Bei näherer Betrachtung aber entdeckte ich,
dass sie mit einem hellen Schleim überzogen war, in dem röthliche bis
schwärzliche Körperchen steckten. Ich legte einen Theil davon unter das
Mikroskop, und siehe da, die Körperchen waren fötale Halobatesindividuen,
vom nahezu unentwickelten Ei bis zum vollständig ausgebildeten, sich
bereits lebhaft bewegenden Thier von Stecknadelkopfgrösse, das ebenso wie
sein Süsswasserbruder bei uns keine Metamorphose durchmacht. Leider ist
mir gerade jenes Spiritusglas, in welchem ich die kostbare Feder verwahrte,
später in Neuseeland, während ich einige Wochen abwesend war, zerbrochen
worden. Ich habe sie zwar abermals in Spiritus gesetzt und nach Hause
gebracht, aber als einmal vertrocknet wird das Präparat kaum mehr zu
brauchen sein.

Nicht minder merkwürdig, wenn auch minder überraschend, da sie nicht
unerwartet kamen, waren mir die Pteropoden, jene eigenthümlich gestalteten
Schnecken, welche in den frühen Morgenstunden schaarenweise an die
Meeresoberfläche emporzusteigen pflegen, um mit dem Erscheinen des
Tages wieder in die Tiefe zu tauchen. Doch fing ich deren auch an trüben
Nachmittagen und nie mehr als ein Dutzend auf einmal.

Man darf sich unter diesen »Flügelfüssern« keine Schnecken im
gewöhnlichen Sinn des Wortes vorstellen. Ihre Gehäuse, sofern
sie überhaupt eines besitzen und nicht ganz nackt sind, haben die
verschiedensten Formen, nur keine Schneckenform, sie sind bald glashelle,
bald wie Emaille glänzende, braun bis bläulich gefärbte Düten, einfach
oder mit 3 bis 4 Stacheln besetzt, glattgewölbt oder kantig, drehrund
oder plattgedrückt, mit einer freien oder lippenartig zusammengepressten
Oeffnung, aus welcher die Thiere blos ihren zu förmlichen Flügeln oder
Flossen umgebildeten Fuss strecken, um damit im Wasser herumzuflattern
ähnlich eben flügge gewordenen Vögeln. Wenn ich sie aus dem Netz in
einen Glastopf oder in meine weisse Waschschüssel setzte, lagen sie
erst wie betäubt einige Minuten regungslos auf dem Grunde. Viele wurden,
wahrscheinlich durch die im Netz erlittene Quetschung getödtet, nicht
wieder lebendig, andere aber fingen bald an, langsam und allmälig aus
dem Gehäuse ihre Flügel herauszustrecken und leise sie auf und nieder
zu heben. Bei den meisten blieb es bei diesen schwachen Versuchen, in die
Höhe zu fliegen. Einige jedoch, weniger bedeutend verletzt, bewegten
sich immer rascher, stiessen sich ab vom Boden, stiegen, emsig flatternd,
ruckweise immer höher, bis sie zuletzt an der Oberfläche des Gefässes
herumhüpften, nach einigen Sekunden, wie um auszuruhen, wieder
hinabsinkend und dann das Aufwärtsstreben von Neuem beginnend.

Es gewährte mir ein unschätzbares Vergnügen, diese kleinen kaum
zentimeterlangen Geschöpfe zu beobachten, und ganze Nächte fischte ich
oft, durchsuchte mit der Blendlaterne mühselig das Netz und besah meine
Beute drunten auf dem Tisch der Kajüte beim Lampenlicht. Wie paradox
klingt es, von Schnecken zu hören, die im Wasser herumflattern gleich
jungen Vögeln, die ihre ersten Fliegversuche machen. Später auf der
Viti-Insel Kandavu sollte ich noch eine Muschel von 3 Zentimeter Länge
kennen lernen, die ebenfalls im Glase stossweise herumfuhr, so dass ich sie
anfänglich für einen zweischaligen Krebs hielt. Es war eine Lima.

Auch Janthinen fing ich zuweilen, aber immer nur junge, nicht ausgewachsene
Individuen. Es sind dies jene bekannten pelagischen Schnecken mit
zartem blauem Gehäuse, welche sich aus Luftblasen, die sie durch eine
schleimartige Absonderung zusammenkleben, einen Schwimmapparat bereiten.
Dieser Schwimmapparat, der auf den ersten Blick aussieht, wie ein Häufchen
Schaum und an der stets nach oben gerichteten Bauchseite des Thieres
sitzt, ist merkwürdig widerstandsunfähig. Geht er verloren, so sinkt die
Schnecke unter und kann die Meeresoberfläche nicht wieder erreichen. Bei
allen Janthinen, die ich fing, war derselbe durch den Zug des Netzes mehr
oder minder verletzt. Einige fielen in der Schüssel zu Boden und lagen
regungslos und in die Schale zurückgezogen unten, ohne einen Versuch zu
machen, in die Höhe zu kommen. Andere aber, deren Schwimmapparat sie noch
trug, gingen sogleich daran, ihn auszubessern. Mit dem vorderen lappenartig
verlängerten Theil ihres Bauchfusses griffen sie aus dem Wasser heraus
in die Luft, umfassten wie mit einem Schöpflöffel einen Lufttropfen
und drückten ihn an den noch vorhandenen Schaum. Zogen sie den Fuss dann
wieder zurück, um dieselbe Bewegung zu wiederholen, so war eine neue Blase
angefügt. So schöpften sie Blase um Blase aus der Luft, alle 5 oder 10
Sekunden eine.

Ich würde bedenklich scheitern, wollte ich alle die Lebensformen zu
beschreiben versuchen, die oft ein einziger Zug des Netzes mir vor Augen
brachte. Wie wimmelte es oft in der Waschschüssel oder im Glastopf von
Krustern, Salpen und Quallen, kein Thier länger als höchstens drei
Zentimeter. Namentlich erstere lieferten die grösste Anzahl an Individuen
und manchmal auch an Arten. Blaue Zyklops- und Gammarusartige Krebse
schossen kreuz und quer stürmisch herum, kleine röthliche Garneelen mit
grünlich leuchtenden Augen zogen, an einander geklammert, rastlos
ihre Kreise, winzige Krabben von Erbsengrösse mit komisch glotzenden
unverhältnissmässigen Augen krabbelten bedächtig am Boden, und
vollkommen durchsichtig und glashell, nur durch den leichten Schatten, den
sie warfen, erkennbar, schlichen gespensterhaft groteske Phyllosomen, die
Jugend des Palinurus, oder die seltenere Kaprella durch das Gesindel der
gemeinen Verwandten. Man musste rasch nach dem Werthvolleren sich umsehen
und es retten. Denn die Garneelen und Zyklopoiden verschonten nichts, und
kaum lag ein Fischchen oder eine Salpe todt auf dem Grunde, so hingen sie
auch schon dutzendweise daran und frassen. Und hat so ein nichtsnutziger
kleiner Krebs einmal etwas erfasst, so lässt er nicht mehr los, und alles
Herumstossen und Zerren ist vergeblich.

Fast alle diese Thierchen leuchteten. Schon im Netz, oben auf Deck in der
Dunkelheit, verriethen sie sich durch geheimnissvoll phosphoreszirende
grünliche Punkte. Es leuchteten die Augen der kleinen Garneelen,
die Salpen und Quallen, besonders aber die sehr häufigen formlosen
Schleimklümpchen, welche vielleicht Noktiluken waren. Selbst unten in
der Kajüte beim Lampenlicht verloren sie ihre Phosphoreszenz nicht
vollständig, sondern leuchteten etwas schwächer fort.

Sehr unangenehm war die Gegenwart von Physalien. Wir waren zuweilen Tage
lang umgeben von Tausenden junger, kaum wallnussgrosser Individuen dieser
nesselnden Quallen, und auch sie wurden dann regelmässig als unwillkommene
Beigabe gefangen. Das kleinste abgerissene Partikelchen ihrer blauen
Anhängsel, das man kaum sah, genügte, die Hand empfindlich zu stechen,
wenn ich die Falten des Netzes durchsuchte. Unter den Seeleuten plaudert
einer dem anderen nach, dass solche Berührungen äusserst gefährlich,
zuweilen sogar tödtlich seien. Wenn dies auch nicht der Fall ist, so
hinterliessen sie doch auf einige Stunden ein höchst lästiges intensives
Jucken nebst Röthung und quaddelförmiger Schwellung der Haut.

Nur im Anfang fischte ich häufiger während des Tages, später fast nur
mehr bei Nacht. Ich fand bald, dass während des Tages, wenn die Sonne
glühend herabbrannte, ausser Wassertretern und Janthinen, kleinen
Fischchen und Salpen nicht viel zu erwischen war. Bei Tage wurde auch immer
zu viel über Bord geworfen, und Proben von den Abfällen des Schiffes
geriethen ins Netz, wenn man nicht fortwährend Acht gab.

Allerdings waren die Schwierigkeiten bei Nacht um so grösser. Es
war zuweilen nicht leicht, auf dem fast stets langweilig hin und her
schwankenden Achterdeck das Netz zu durchsuchen, in der einen Hand eine
schlechtbrennende Diebslaterne, die man nicht hinstellen durfte, weil sie
sonst umfiel, mit der anderen Hand zugleich den nicht minder gefährlichen
Glastopf beschirmend, in kauernder Stellung und in beständigem Kampf mit
dem Rollen unserer Euphrosyne, welches auch bei der ruhigsten See niemals
ganz aufhörte.

Erst wenn es dunkel und kühl wurde, kamen mehr Thiere an die Oberfläche,
und besonders in der allerersten Frühe vor Sonnenaufgang erhielt ich die
reichste Beute. Gar oft sah mich der roth hinter den Wolkenbänken des
Horizonts heraufdämmernde Morgen noch bei der Arbeit.

In der Stimmung solcher Stunden lag so viel Erfrischendes und Poesievolles.
Träge wälzte die See ihre bleigrauen Wogen und schaukelte leise das
Schiff, über dem noch tiefe Ruhe lag. Allmälig regte sichs in den unteren
Räumen. Der Zimmermann fing an zu arbeiten und feilte an seiner Säge, und
das schrille Geräusch rief Erinnerungen an so manche Ferientage, die ich
zu Hause auf dem Lande verlebt, in mir wach. Die Sonne blitzte über das
Meer. Ich zog meine Netze ein und ging zu Bett.

Die Seeleute hatten von ihrem Standpunkt ganz recht, wenn sie mich
auslachten. Fing ich ja nie etwas was man essen konnte. Gleichwohl
wunderten sie sich, dass es im Meere, auf dem sie schon zwanzig Jahre
herumfuhren, so viel »Ungeziefer« gebe. Thiere, die kleiner sind als
einen Fuss, existiren dem durchschnittlichen Jan Maat, dem schlechtesten
Beobachter in naturhistorischen Dingen, den ich kenne, nicht. Als ich auf
einer meiner ersten Seereisen einmal zwei ganz gewöhnliche Quallen, von
denen im Sommer jeder Hafen wimmelt, in ein Glas geschöpft hatte, fragte
mich mein alter Kapitän, was denn das für komische Dinger wären, die er
niemals gesehen.

Viel weniger glücklich als mit dem Netz war ich mit der Angel. Ich hatte
mich mit Angelhaken jeder Sorte ausgerüstet, und meine ganze Kammer hing
voll von Angelzeug verschiedener Grössen. Aber bis auf drei Haie und
später im Indischen Ozean zwei Dutzend Albatrosse habe ich nie etwas damit
gefangen. Auch hierbei lernte ich den negativen Werth der Rathschläge
unserer Seeleute schätzen. Jeder von ihnen wollte bereits unzählige
Makrelen, Bonitos und Delphine geangelt haben, jeder wollte mir zeigen, wie
man es mache, jeder auf eine andere Methode, und nur der Proviantmeister
schien den richtigen Bescheid zu wissen, indem er schwor, alle Fische, die
ich erwischte, lebendig mit Haut und Haaren zu fressen.

Einmal als wir ganz ruhig lagen, kam ein Rudel fliegender Fische so
nahe ans Schiffshintertheil geschwommen, dass ich sie deutlich von oben
beobachten konnte. Das Meer war spiegelglatt, die Sonne glitzerte blendend
darauf, kein Laut als das Klappern der Segel regte sich weit und breit. Die
Passagiere lagen herum und träumten.

Etwa zehn oder zwölf fliegende Fische schwänzelten zierlich neben dem
Steuer unten heran, dicht neben einander sich haltend, hie und da einer die
langen Flossen spreizend wie ein Kanarienvogel, der im Käfig den Flügel
dehnt, um sich daran zu kratzen. Plötzlich schwirrt der vorderste in die
Luft, und die anderen folgen ihm. Ich höre deutlich das Plätschern des
abtropfenden Wassers und das Geräusch ihres Fluges, welches an fliegende
Heuschrecken erinnert. Nach einiger Zeit kamen sie zurück. Ich warf
ihnen kleine Stückchen Speck zu, die sie, sich zankend und beissend,
verschlangen, endlich versuchte ich es auch mit einer feinen Angel. Der
Köder war ihnen entschieden verführerisch. Wiederholt schnupperten sie
an ihm herum, wandten sich ab, schnupperten wieder, spreizten gereizt die
langen Flossen und streckten sich lüstern vor. Ich befestigte glitzernde
Stanniolblättchen über dem Speck, ich nahm Fleisch, ich nahm Käse --
alles umsonst. Sie schnupperten vorsichtig und lange daran herum, aber
keiner biss. Ich holte nun meine Pilke, einen schweren Nagel an einer
Leine, um den rings Angelhaken gebunden sind, jenes Instrument, mit welchen
die Kabeljaufischer auf den Neufundlandbänken durch Anreissen einzelne
Kabeljaus aus den Schwärmen herauszuhaken pflegen. Kaum liess ich
vorsichtig die Pilke hinab, als die ganze Gesellschaft aus dem Wasser
raschelt und hinwegschwirrt wie ein Heuschreckenschwarm. Fort waren sie und
kamen nicht wieder.

Oft sollen fliegende Fische auf das Deck oder in die Rüsten von Schiffen
fliegen. Unsere Euphrosyne war aber hierzu, weil leicht geladen, zu hoch,
und nie gerieth ein fliegender Fisch auf diese Weise an Bord.

Ebenso vergeblich wie das Angelzeug hatte ich eine Harpune mitgenommen. Es
glückte mir nie, einen Tümmler damit zu erbeuten. Die Euphrosyne ragte
auch hierzu zu weit aus dem Wasser. Selbst einer unserer Matrosen, der im
Harpuniren ziemlich erfahren und geschickt zu sein schien, hatte nicht mehr
Erfolg.

Das Harpuniren dürfte überhaupt zu den schwierigeren Arten des Sports
gehören. Man stellt oder setzt sich auf die beiden untersten Ketten,
welche vorne vom Stampfstock unter dem Bugspriet nach den Krahnbalken
auseinanderlaufen, mit der Brust an den Stampfstock gelehnt, in der
Linken einige schwerwiegende Buchten Tau, in der Rechten den nicht minder
gewichtigen drei Meter langen Schaft der Harpune. Will man nicht riskiren,
ins Wasser zu fallen, so bindet man sich noch eine Tauschlinge um den Leib,
büsst aber dafür diese relative Sicherheit mit einer sehr fühlbaren
Erschwerung der ohnehin schon ziemlich unbequemen und belasteten Situation.
Oben auf Deck stehen einige Mann bereit, das Tau der Harpune einzuziehen,
sobald man geworfen hat. Gewöhnlich erscheinen Tümmler nur bei unruhiger
See. Das Schiff stampft auf und nieder, der Schaum, den der in rascher
Fahrt durchschneidende Kiel aufwühlt, spritzt hoch empor, man balanzirt
mühselig mit seiner Last hin und her.

Nun kommen die Fische. Schon von Weitem haben wir eine lange Schaar von
Hunderten auf uns zusteuern sehen, in mehreren Reihen einer hinter dem
anderen lustig sich über die Wellen vorwärtswälzend. Kaum dass wir unter
das Bugspriet geklettert und mit Harpune und Tau klar zum Gefecht sind,
spielen sie auch schon zu unseren Füssen vor dem Kiel herum. Links
und rechts eilen sie voran, springen im Bogen empor, schiessen deutlich
sichtbar im Wasser fort, kehren zurück, tauchen unter dem Schiff von einer
Seite zur anderen und kreuzen sich vor dessen Steven, nach allen Richtungen
aufschnellend, übereinander purzelnd und plumpsend gerade senkrecht unter
dem Stampfstock, auf dessen Kette ich stehe.

So oft ich auch warf, ich habe nie einen Tümmler getroffen. Meine Harpune
fiel langsamer hinab, als sie vorüber schossen, und jeder vergebliche Wurf
schien ihre Fröhlichkeit zu vermehren. Zu zweit und zu dritt springen sie
manchmal nahe zu mir herauf, dass ich sie fast in der Luft hätte spiessen
können, und deutlich hörte ich oft das tönende Geräusch, mit dem sie
die feuchte Athemluft aus den Nasenlöchern schnaubten. Es klang mir wie
ein höhnisches Johlen.

Bei den Kapverden fing ich meinen ersten Haifisch. Der Mann am Steuer
war instruirt, mir zu melden, sobald sich ein solcher zeigen würde.
Die Haifischangel, ein fusslanger und schwerer Haken von zehn Zentimeter
Bogendurchmesser, mit Kette und einem Wirbel am Ende derselben, an dem
sie sich frei drehen konnte, war bereits seit mehreren Tagen mit einem
kindskopfgrossen festgebundenen Stück Speck versehen und hing fertig
hinten am Bollwerk.

Wir sassen gerade bei unserem kärglichen Mittagsmahl, als der Ruf »Hai
achterut« ertönte. Das langweilige Salzfleisch konnte jetzt warten,
ich eilte hinaus. »Der Hai ist nach vorne gegangen«, sagte der Mann am
Steuer, »er wird aber jedenfalls zurückkommen.« Ich nehme das nächste
Tau, das zu Buchten gerollt in der Nähe liegt, stecke es durch die Oese
des Wirbels der Angelkette, schlinge einen kunstgerechten Knoten, und die
Angel fliegt plumpsend ins Wasser.

Dieser lauten Einladung konnte unser Hai nicht widerstehen. Wir warten
keine Minute und er erscheint. Da rechts taucht seine lange spitze
Rückenflosse aus der blauen Fläche. Er kommt langsam näher. Jetzt ist
auch sein Körper zu erkennen, es ist ein Prachtexemplar, wohl drei Meter
lang. Gemessen und würdevoll, als ob ihn der Köder eigentlich gar nicht
recht interessire, schwimmt er heran, majestätisch sich wendend, kaum
merkbar die gewaltigen Brustflossen bewegend. Er taucht tiefer hinab und je
tiefer er geht, desto herrlicher braun färbt ihn der grünliche Glanz des
Wassers. Er taucht wieder in die Höhe, und siehe, dicht vor seiner spitzen
Schnautze, dicht vor dem unersättlichen Rachen schwimmen geschäftig
und zierlich schwänzelnd vier kleine quergeringelte Lootsenmännchen, je
nachdem der Hai sich wendet, bald ober ihm, bald vor ihm.

Der Köder scheint übrigens doch nicht so ganz verächtlich zu sein. Der
Hai fasst den Speck ins Auge, beschnuppert ihn und wendet sich ab. Er kehrt
in einem langsamen Bogen, ohne seiner Würde durch Eile etwas zu vergeben,
zurück und beschnuppert wieder den Köder, diesmal aufmerksamer. Ich
halte oben das Tau, dessen Ende festgemacht ist, und mir pocht das Herz vor
Freude. Welch aufregendes Vergnügen, ein so riesiges Thier an der Angel zu
fühlen.

Hinter mir stehen ein halb Dutzend Matrosen, um das Tau einzuholen,
sobald der Hai angebissen hat. Plötzlich dreht das Ungeheuer sich auf den
Rücken, die helle Bauchseite zeigend, ein mächtiger Ruck, und mit einem
wilden Halloh ziehen wir ihn in die Höhe, er zappelt an der Angel. Aber
gemach! Leicht kann er abreissen. Nur mit dem Kopf aus dem Wasser gezogen,
krümmt er sich wüthend und schlägt und stampft, und schäumender Gischt,
wie von den Schlägen einer Dampferschraube, wühlt empor. Ein zweites Tau,
in einer Schlinge um das erste gelegt, wird hinabgelassen, stülpt sich ihm
um den Kopf, wir hissen ihn ein wenig höher und suchen die Schlinge über
die gewaltigen Brustflossen hinabzubringen. Sie gleitet drüber weg und
bis zum Schwanze hinab, sie wird angezogen. Jetzt haben wir ihn doppelt
gefasst, er kann uns nicht mehr entgehen, so sehr er sich auch krümmt und
zappelt und sich bäumend um seine Axe dreht. Wir wollen ihn nicht auf
das enge Achterdeck bringen, sondern längsseits schleppen und auf das
Hauptdeck niedersetzen.

Im ganzen Schiff hat sich bereits die Kunde des Ereignisses verbreitet,
und das ganze Zwischendecksgesindel, barfüssige Kinder, säugende Weiber,
pfeifenrauchende Männer, läuft aufgeregt und stürmisch sich vordrängend
durcheinander oder klettert in die Wanten und auf die Deckhäuschen. Noch
ist der grosse Fisch nicht über dem Horizont des Bollwerks erschienen, und
alle strecken erwartungsvoll die Hälse und recken sich auf den Zehen.

Ein paar Offiziere brüllen, Platz zu machen, die Matrosen ziehen heulend
an den Tauen, der grosse Fisch kommt herauf und in Sicht, hoch in der Luft
noch immer sich krümmend und um sich schlagend. Ein allgemeines Ah des
Erstaunens, die Vordersten drängen furchtsam zurück, die Hintersten
neugierig vorwärts. Ein paar halberdrückte Weiber fangen an zu schreien,
und ein paar Männer zu schimpfen. Die Offiziere hören nicht auf zu
brüllen, und das Getümmel vermehrt sich. Nur der Haifisch ist im Stande
Platz zu schaffen. Er wird niedergelassen, und man weicht entsetzt vor
seinen Schlägen zurück.

Der Matrose ist bekanntlich ein erbitterter Feind des Haies. Die
Behandlung, die sich unser Opfer nun gefallen lassen musste, war
dementsprechend grausam genug. Es galt zunächst den gefährlichen Schwanz
abzuhacken. Man schiebt ein Brett unter, um nicht mit dem Beil das Deck zu
verletzen, aber immer wieder schnellt sich das Ungethüm hinweg, sowie
der Bootsmann zum wuchtigen Hieb ausholt. Mit einem Pfahl machte man ihn
endlich gefügig. Er wurde ihm in den gähnenden Rachen gestossen und mit
vereinten Kräften der Länge nach durch den Leib getrieben, um ihn so an
dieser festen Axe zu bändigen. Der Schwanz fällt, lange noch auf eigene
Faust zuckend und hüpfend, und das Volk der Matrosen wirft sich blutgierig
mit Messern über den Wehrlosen, ihn förmlich zu zerfleischen. So scheint
es die richtige Seemannsart vorzuschreiben, und auch unsere Jungen
beeilten sich, ihre messerbewaffneten Hände zum ersten mal in das Blut des
Erbfeindes zu tauchen.

Etwa fünfzig lebende Junge mit frei endigenden Nabelschnüren kamen ans
Tageslicht. Der Magen, den ich mir zur Untersuchung ausbat, enthielt
nichts als mehr oder weniger verdaute Reste von Sepien und deren
papageischnabelartige Gebisse. Der Hai war also durchaus nicht üppig
genährt, wie ich aus seinem Vornehmthun dem Speck gegenüber erwartet
hatte. Ein paar Schmarotzerkrebse, die ich ihm aus der Haut schnitt, waren
die einzige aufhebenswerthe Beute, die er gewährte. Ich versuchte zwar
sein Gebiss zu präpariren, gab es aber auf, nachdem ich zwei Messer daran
verdorben, meine Hände vielfach an den halbversteckten Zähnen verletzt
und mit dem spezifischen widerlichen Geruch des Haifischfleisches
verunreinigt hatte.

Die vier Lootsenmännchen blieben noch den ganzen Tag beim Schiff. Sie
schienen ihren Hai lebhaft zu vermissen und schwammen ängstlich und
aufgeregt um uns herum, eine nach ihnen strebende feine Angel gänzlich
ignorirend. Den nächsten Morgen waren sie verschwunden. Welch bizarres
Räthsel der Natur, diese Anhänglichkeit und Freundschaft zwischen zwei so
verschiedenartigen Wesen.

Der erste Hai von drei Meter Länge war auch der letzte grösseren Kalibers
auf der ganzen Reise, den wir an Bord bekamen. Er hatte die schwere,
eiserne Angel gerade gebogen, es gelang mir nicht, die richtige Krümmung
wieder herzustellen, und der nächste Hai, der bald darauf anbiss, machte
sich los ehe wir ihm eine Schlinge um den Schwanz legen konnten.

Später fing ich noch ein sehr jugendliches Individuum mit einer
gewöhnlichen Lachsangel. An diesem sass ein ebenfalls sehr jugendlicher
Saugefisch. Merkwürdiger Weise kamen uns überhaupt auf der ganzen langen
Reise mit ihren vielen windstillen und heissen Tagen nur etwa sechsmal Haie
in Sicht.

Wir waren in jenen Tagen der Windstille fast immer in Gesellschaft einiger
anderer Segelschiffe, die theils nur eben über dem Horizont sichtbar
wurden, theils aber auch zuweilen so nahe kamen, dass wir mit ihnen
Flaggensignale wechseln konnten. Wir hissten zum Zeichen, dass wir
sprechen wollten, unsere deutsche Flagge, drüben stieg dann die englische,
französische, spanische oder portugiesische Flagge in die Höhe. Hierauf
tauschten wir die Schiffsnamen, Heimathshäfen, Bestimmungsorte aus und die
Länge und Breite, die jeder berechnet hatte. Alles durch die 24 Buchstaben
des internationalen Signalkonversationsbuches.

Wir fuhren auf einer Strasse, die sich in allen möglichen Richtungen
spaltete, und auf der alle möglichen Schiffe passirten. Sie kamen
sämmtlich von Europa oder Nordamerika. Der Rückweg dorthin lag weiter
östlich. Da waren Schiffe von London nach Kapstadt, Kalkutta und
Melbourne, von Lissabon nach Rio-de-Janeiro, von New-York nach Bahia, nach
Montevideo und San Franzisko.

Zum Schluss solcher Unterredungen wünschten wir glückliche Fahrt und
dippten höflich dreimal die Trikolore zum Grusse. Manchmal liessen wir uns
auch auf längere Gespräche ein. Wir suchten alle möglichen Fragen aus
dem Signalbuch zusammen, die für die Gelegenheit passten, so zum Beispiel
des Morgens, wenn wir uns noch immer neben einander sahen, »Haben Sie gut
geschlafen?« »Wie geht es Ihnen?« oder »Haben Sie Kranke an Bord?«
»Ist Ihr Proviant von guter Beschaffenheit?« und ähnliche Dinge,
die zwar an sich nicht besonders interessant, uns doch die angenehme
Unterhaltung gewährten, uns im Signalisiren zu üben und ihre Antworten
oder Gegenfragen im Buch nachzuschlagen und zu erwidern. Einige hatten
nicht immer die Geduld, uns Rede zu stehen. Andere aber waren sehr artig
und gaben uns schmeichelhafte Aeusserungen zurück. So namentlich eine
französische Bark aus Bordeaux, die nach Mauritius wollte. Zwei oder drei
Tage lagen wir mit ihr zusammen und trieben. Da kam am Abend etwas Wind,
und am Morgen darauf war sie verschwunden. Aber den nächsten Tag hatten
wir wieder Stille und ganz nahe lag wieder eine Bark, ganz ähnlich unserm
Franzosen. Wir zweifelten keinen Augenblick, dass er es sei und begrüssten
ihn sofort mit unserer Flagge. Auch er hisste die seine. Wir konnten sie
zwar nicht deutlich erkennen, weil sie bei der regungslosen Luft nicht
auswehte und auch das Konversiren wollte heute nicht recht gehen, da die
Signale schlaff herabhingen.

Ich bat den Kapitän um ein Boot und vier Mann, um hinüberzufahren und
einen Besuch zu machen. Die Jolle wurde hinabgelassen, der Sitz am
Steuer hinten zierlich mit buntem Flaggentuch belegt. Vier Matrosen zogen
frischgewaschene Hemden an, ich selbst schmückte mich wieder zum erstenmal
nach längerer Zeit mit einem gesteiften Hemdkragen, um repräsentabel zu
erscheinen, und wir stiessen ab.

Der Franzose lag etwa drei Seemeilen von der Euphrosyne entfernt. Die vier
Burschen hatten fast eine Stunde zu rudern, die Sonne stach grell herab,
und der Schweiss rieselte ihnen von der Stirne. Das blaue Wasser war
spiegelglatt, und fast trübe von Millionen kleiner Thiere, Krebse, Salpen,
Quallen und Schleimklümpchen. Eine sanfte lange Dünung hob und senkte das
Boot, und unsere Euphrosyne lag, nur leise den Klüverbaum auf und nieder
bewegend, so seltsam starr wie ein Kastell und so einsam und verlassen aus
der Fläche emporragend auf dem Meere, die Zinnen des Bollwerks und die
Wanten gedrängt voll von den neugierigen Köpfen der Passagiere, die uns
mit Taschentüchern nachwinkten. Kleine Sturmvögel flogen lautlos hin und
her, und eine zauberhafte Ruhe schwebte über dem glitzernden Spiegel.

Die Bark wurde grösser und deutlicher, die Flagge wurde erkennbar --
es war kein Franzose, sondern ein Portugiese. Einige Gestalten mit
Ferngläsern beobachteten unsere Annäherung. Wir legen längsseits an, ich
grüsse mit dem Hute hinauf, mein Gruss wird erwidert, man reicht mir eine
Jakobsleiter herab, und ich klimme an Bord.

Der Kapitän, ein noch junger Mann, südlich gebräunt und schwarz
bebartet, in weissen Hosen und weisser Jacke, auf dem Kopf einen Strohhut,
empfängt mich etwas verlegen und überrascht, und wir schütteln Hände.
Ich stelle mich auf Englisch, ich stelle mich auf Französisch vor. Meine
höflichen Geberden werden ebenso höflich zurückgegeben, aber meine Worte
finden kein Verständniss. Die Verlegenheit steigt. Ich habe die Kühnheit,
auf Spanisch zu fragen, ob er Spanisch spreche, ohne zu bedenken, dass mit
dieser Frage, welche er freudig bejaht, mein Spanisch eigentlich bereits
erschöpft ist, und ohne zu merken, dass alle weiteren meinerseits
darangeknüpften Redensarten eigentlich Italienisch sind. Keine
Möglichkeit, mich verständlich zu machen. Ich werde nun selbst verlegen.
Zwei zivilisirte Menschen aus Europa stehen wir einander gegenüber, fern
der Heimath auf dem Atlantischen Ozean, nach den Mienen zu schliessen,
einander äusserst wohlwollend gesinnt, aber wir können uns nichts sagen,
am meisten unangenehm mir, der ich ganz unmotivirt auf das fremde Schiff
gekommen war.

Das Wort »Mediko« schien endlich das Räthsel zu klären, es zuckte wie
ein Lichtstrahl in seinen Augen, er lud mich ein, in die Kajüte zu treten.
Das Innere war vollgestaut von Ladung, von Fässern und Säcken. Mein
Portugiese kramt hastig unter einem alten Segel, auf welchem zwei
Katzen schliefen, die ärgerlich über die Störung davontrollen, eine
staubbedeckte Kiste hervor, schickt nach dem Schlüssel, der Schlüssel
erscheint, er öffnet und zeigt mir den Inhalt, eine Menge durcheinander
geworfener Töpfe, Gläser und Schachteln, Pillen, Salben und Tinkturen,
mit einer Handbewegung, ich möge nehmen, was ich wolle. Es war die nicht
sehr ordentlich gehaltene Medizinkiste des Schiffes. Er glaubte, ich sei um
Medikamente zu ihm gekommen.

Grosses Erstaunen auf meine Geberde dankender Ablehnung. Wir zucken
abermals verlegen die Achseln und lächeln mitleidig über uns selbst
ob unserer Hilflosigkeit. Wir blicken gleichzeitig zu Boden auf unsere
gegenseitigen Füsse -- er hat Hausschuhe aus Glanzleder an -- wir
schweifen mit unseren Blicken über die vollgestaute Kajüte, und treffen
gleichzeitig auf einer Flasche Portwein, die auf dem Tisch steht, zusammen.
Hier kömmt ihm der erste vernünftige Gedanke. Eine Handbewegung seiner-,
ein anerkennendes Neigen des Kopfes meinerseits. Zwei Gläser werden
gebracht, er schenkt ein, wir stossen an und trinken.

Aeusserst froh, noch einen so günstigen Abschluss meines räthselhaften
Besuches gefunden zu haben, hielt ich es jetzt gerathen, mich
zurückzuziehen. Ich dankte ihm, erhob mich, deutete auf meine Uhr, dass es
höchste Zeit sei, und wir traten auf Deck. Als ob der Wein ihm die
Zunge gelöst, fing mein freundlicher Portugiese auf einmal an, mir unter
verbindlichen Geberden eine längere portugiesische Rede zu halten, von der
ich kein Wort verstand, wenn ich auch nicht anders konnte, als ihm geduldig
zuzuhören.

Dies gab mir eine erfreuliche Gelegenheit, sein höchst interessantes
Schiff flüchtig zu mustern. Das Deck trug eine malerische Unreinlichkeit
zur Schau. Ein halbes Dutzend Schweine trieb sich unter einem ganzen
Dutzend halbnackter bräunlicher Matrosen mit phrygischen Mützen auf den
Köpfen herum. Vorne hingen zwei grosse Kochtöpfe über einem offenen
Feuer und in der Takelage sassen vollkommen frei einige hübsche weisse
Tauben, gurrten miteinander und flogen von einem Tau zum anderen, eine
reizende Idylle mitten auf hoher See.

Auf dem Rückweg benutzte ich eine der vielen Pausen, die meine Leute
machten, um vom Rudern auszurasten, entkleidete mich und stürzte ins Meer.
Aber die Furcht vor Haifischen verdarb den Genuss dieses einzigen Bades, es
gruselte mir, und ich schwang mich bald wieder ins schützende Boot.

Als wir einige Tage später Wind bekamen, allerdings keinen günstigen,
sondern Gegenwind, der uns zu kreuzen zwang, erlebte ich ein recht
charakteristisches Symptom der Unsicherheit, die in der Nautik zu herrschen
pflegt. Wir waren noch sehr weit von der brasilianischen Küste entfernt,
das wussten wir, und die mit uns segelnden Schiffe wussten es hoffentlich
ebenfalls. Aber keiner von diesen schien viel Selbstvertrauen auf das
eigene Besteck zu haben. Denn so oft wir wendeten, wendeten auch sie und
segelten gleichen Kurs. Keiner hatte den Muth auf eigene Faust zu
steuern. Mein Kapitän sagte mir, es sei immer so, wenn mehrere Schiffe
zusammenkämen. Wie die Schafe gingen alle einem Leithammel nach, und zwar
gewöhnlich dem grössten Schiff, weil dieses aller Wahrscheinlichkeit nach
am besten ausgerüstet und in den besten Händen sei, und demzufolge den
Weg am besten verstehen müsse.



III.

IM SÜDLICHEN ATLANTISCHEN OZEAN.

  Andere Sterne. Das Passiren der Linie und Neptunsfest. Aequatoriale
  Schwitzkur. Pantomimik. Weihnachten und Neujahr. Fernando Noronha.
  Endlich Südostpassat. Typhus, Leichenbestattungen, traurige
  Aussichten.


Einige gute Tage brachten uns schnell vorwärts. Dann kamen wieder einige
schlechte Tage. Der grosse Bär und der Polarstern tauchten immer tiefer
hinab, und vor uns stieg das südliche Kreuz in die Höhe.

Der südliche Sternenhimmel ist öde im Vergleich mit dem unsrigen, und um
sich für die Schönheit des südlichen Kreuzes begeistern zu können,
muss man entweder ein kritikloser Mucker oder ein noch kritikloserer
Reiseenthusiast sein, den schon der Gedanke an die grosse Entfernung von zu
Hause in Ekstase zu setzen vermag. Viel interessanter und merkwürdiger als
jene vier unbedeutenden im Trapezoid gestellten Sterne war mir das schwarze
Loch neben ihnen, welches die Seeleute den Kohlensack nennen.

Am 20. Dezember feierten wir das Fest des Passirens der Linie in der
altherkömmlichen Weise mit Neptun, Barbiererei und Taufe. Wir hatten zwar
seit drei Tagen wieder keine Observation gehabt und wussten nicht bestimmt,
ob wir schon so weit waren. Den Himmel bedeckten dunkle Wolken, echt
tropische Regengüsse stürzten zuweilen herab, bleiern und todesstill
lag der Ozean rings umher, kaum ein Lüftchen regte sich, und wir trieben,
hilflos, ohne Steuer, die Spitze des Schiffes rückwärts nach Norden
gewendet. Als wir zwei Tage später endlich die Sonne und damit Observation
bekamen, stellte sich heraus, dass wir zu früh gefeiert und dass wir noch
nicht den Aequator überschritten hatten. Erst nach weiteren vier Tagen
gelangten wir am 27. Dezember wirklich und zweifellos auf die südliche
Hemisphäre, und zwar ziemlich genau unter dem 29. Grad westlicher Länge
von Greenwich. Aber kein Mensch ausser dem Kapitän, dem Steuermann und mir
erfuhr unseren Irrthum, vielleicht auch das offizielle Journal nicht.

Schon seit einer Woche waren die Matrosen eifrig daran, die Maskerade für
den Neptunszug, einen Dreizack aus Blech und Bärte aus Flachs für ihn und
sein Gefolge, einen Fischschwanz aus Pappe und Locken aus Hobelspänen
für seine Gemahlin, ein grosses meterlanges Rasirmesser aus Holz für den
Barbier und andere derlei Geräthe vorzubereiten.

Einige englische Kolonien haben den äquatorialen Mummenschanz, bei dem
es erfahrungsgemäss fast nie ohne Rohheiten und Zänkereien zwischen
Mannschaft und Passagieren abgeht, auf ihren Emigrantenschiffen verboten.
Neuseeland war damals noch nicht so rigoros, und obwohl ich keinen
sonderlichen Werth auf jenes Ueberbleibsel der sogenannten guten alten
Zeit legte, so liess ich dasselbe doch seinen Lauf nehmen, aus keinem
vernünftigern Grunde, als um einen rothen Strich mehr in den Bädecker
meiner Erlebnisse machen zu dürfen.

Da wir eben trieben, und nichts zu thun war, konnte die ganze Mannschaft
an dem Scherz sich betheiligen. Der Aufzug verlief, wie er schon oft
beschrieben worden ist. Die phantastisch geschmückte Schaar verfügte
sich nach dem Vorderdeck und kletterte vorne am Bugspriet über Bord, um
scheinbar aus dem Wasser heraufzukommen. Hinten über der Kajüte stunden
der Kapitän und die Offiziere. »Schip ahoi!« rief vorne Neptun durch das
Sprachrohr, und der Bootsmann wurde abgesandt, ihn zum Besuch einzuladen.
Neptun und sein Gefolge bewegten sich langsam und gravitätisch heran,
zu beiden Seiten das dichte Gewühl der neugierig sich drängenden
Zwischendecker. Eine zackige Krone aus Goldpapier schmückte das Haupt des
dreizackbewaffneten Fluthenbeherrschers, von dem eine mächtige flächserne
Mähne herab wallte. An seiner Seite trippelte züchtiglich die holde
Amphitrite, unser ältester Schiffsjunge, der nicht ohne Geschmack zu einem
zinnobergeschminkten, hochbusigen und hobelspähnelockigen Frauenzimmer
mit langer Schleppe von Sackleinwand herausstaffirt war. Voran schritt als
Herold der Barbier, ein seemännischer Anachronismus, mit riesiger Brille
und Vatermördern, das gewaltige bretterne Rasirmesser auf der Schulter.
Hinterdrein marschirten die Schergen der maritimen Polizei, mehr oder
minder gelungen phantastisch geputzt, hölzerne Säbel in den Händen
schwingend.

Neptun hielt nun seine Anrede an den Kapitän, und das übliche Frage-
und Antwortspiel, wie das Schiff heisse, woher es käme und wohin es gehe,
entwickelte sich. Nach diesen Präliminarien, die sehr ledern waren und
sowohl dem Neptun nebst Gefolge als auch dem Kapitän so vorkommen mochten,
da sie ziemlich verlegene Gesichter schnitten, nahm ersterer auf einem
improvisirten Throne hinter dem Grossmast Platz und schickte seine Schergen
aus, um die Opfer, diejenigen an Bord, die zum ersten mal die Linie
passirten, vorführen zu lassen. Von den Passagieren durften nur solche
ergriffen werden, die sich freiwillig dazu erboten, und um mit gutem
Beispiel voranzugehen, unterzog ich mich selbst der peinlichen Prozedur der
Aequatortaufe.

Ein grosser Bottich mit Wasser stund vor Neptun, ein darüber gelegtes
Brett war der Sitz für den Täufling. Ein Gehilfe des Barbiers frug nach
Namen und Alter, registrirte solches in ein dickes Buch, profaner Weise
eine alte Bibel, dann kam der Barbier, schmierte aus einem Kübel mit
vollen Händen Seifenschaum über das ganze Gesicht und kratzte ihn wieder
ab mit seiner Rasirkeule. Der ätzende Seifenschaum verbot die Augen zu
öffnen, ein plötzlicher Ruck, das Brett wurde weggezogen, man plumpste
rücklings in das Wasser des Bottichs, die Taufe war vollzogen.

Ich hatte mir ausgebeten, nur mit der besten und reinlichsten Seife bedient
zu werden und als erster zu leiden. Nicht so glimpflich wie ich wurden
diejenigen behandelt, die nach mir kamen. Zunächst Mister Ross und etwa
zwanzig andere junge Männer von den Zwischendeckspassagieren, zuletzt die
Neulinge unter der Mannschaft, unser Ganymed Hannes, der in der Nordsee
so Schreckliches erduldet, mittlerweile jedoch mit dem Meere vertrauter
geworden war, jener Decksjunge, der sich damals versteckt hatte, und ein
Matrose. Diese drei letzteren wurden auf die alte qualvolle Weise barbiert
und getauft. Für sie gab es eine eigens präparirte Seife zweiter
Qualität, die stark mit Theer versetzt war und noch etliche Tage Mund und
Augen verklebte. Beim Rasiren kam es auf einige Stückchen Haut nicht an,
und das Taufen wurde ihnen so gründlich zu Theil, dass sie halberstickt,
heftig spuckend und hustend, dem Bottich entstiegen. Auch auf die frommen
Missionäre hatten es die Matrosen abgesehen und wollten sie vor Neptuns
Thron schleppen, aber sie schrieen so kläglich um Hilfe, dass der Kapitän
sie zu retten eilte. Raketen und Bluelights und eine Ration Schnaps für
die Matrosen verherrlichten den Abend dieses denkwürdigen Tages.

Wir waren in den äquatorialen Kalmen. Unsere höchste Temperatur im Schiff
war damals und überhaupt während der ganzen Reise nicht mehr als 27
Zentigrade, aber die Feuchtigkeit der Luft im Verein mit den lauwarmen
Regengüssen, die ab und zu auf uns niederstürzten, liess sie doppelt
fühlen.

Thau träufelte von den Wänden, alles Lederzeug, die Stiefel und die
Einbände der Bücher überzogen sich mit Schimmel. Die Thüren und
Schubladen schwollen an und waren nur mit grösserer Kraftentfaltung zu
öffnen. Meinen Nachbar Mister Ross hörte man den ganzen Tag drüben in
seiner Kammer an den Schubladen rütteln. Er hatte deren nur zwei, aber
sie machten ihm mehr zu schaffen, als zwanzig zu Hause. Selbst der harte
Zwieback weichte auf -- die einzige Annehmlichkeit dieses dunstigen
Zustands. »Alles ist feucht, es ist als ob die Natur Alles in den
primordialen Urschleim zurückführen wollte. Die Individualität
schwindet, das Denken hört auf, man wird eine willenlose, feuchte,
schwammige, indolent schwitzende Moles«, schrieb ich damals ins Tagebuch.
Nachts sah es manchmal im Dämmerlichte des Zwischendecks aus wie in
mythologischen Sphären. Bunt durcheinander lagen die Passagiere nackt oder
halbnackt vor ihren Kojen auf dem Boden und stöhnten vor Hitze. So oft ich
auch als Sittenpolizei eine sorgfältigere Bedeckung empfahl, der Genius
epidemikus des Schwitzens lähmte jegliche Rücksicht.

Auch bei Tage herrschte jetzt eine wohlthätige Ruhe im Schiff, und
Stumpfsinn lagerte über der ganzen Gesellschaft. Mit halbgeöffneten Augen
und Mäulern und schlotterigen Knieen, Zwiebackreste im Bart und in den
Haaren, lungerten unsere Passagiere halb schlummernd umher, blos zur
Essenszeit machte sich etwas Leben geltend. Eine Periode der Versöhnung
und des Friedens war eingetreten. Alle Regungen der Gehässigkeit
verschwanden. Keine gegenseitigen Verdächtigungen, keine Unzufriedenheit
über das Essen, kein Schimpfen mehr. Selbst das Salzfleischstehlen hatte
seinen Reiz verloren. Nur die zahlreiche Kinderschaar fuhr fort sich
herumzubalgen und amüsirte sich jetzt hauptsächlich damit, aus den
Regenlachen auf Deck Wasser in den Mund zu schlürfen und einander ins
Gesicht zu spritzen.

Meist war das Wetter trübe und der Himmel bedeckt. Zuweilen aber hatten
wir Sonnenschein, und dann boten die vielen isolirten dunklen Wolkenmassen,
welche in allen Richtungen inselförmig und scharfbegrenzt als geschlossene
graue Schleier auf das blaue Meer herabfielen, ein eigenthümliches
anziehendes Schauspiel.

Oft geriethen auch wir in einen solchen Wolkenbruch, dessen Beginn jedesmal
von einer heftigen Böe eingeleitet wurde. Wir sahen lange vorher wie sie
langsam auf uns zukam. Wir hatten alle Segel bei, aber schlaff hingen
sie an den Raaen und klapperten. Plötzlich einige Windstösse, die Segel
blähen sich und neigen das Schiff auf die Seite. Im Wasser rauscht es von
der Fahrt, die wir machen. Nun schlagen die ersten dicken Tropfen aufs Deck
und es rasselt in Strömen herab als ob wir ersäuft werden sollten. Nach
wenigen Minuten wird es wieder still, die Fahrt hört auf, und nur mehr das
Gurgeln der durch die Speigatten abfliessenden Bäche ist vernehmbar.

Wir benutzten diese Fülle meteorischer Niederschläge um unseren
Wasservorrath zu ergänzen. Segel wurden als Trichter an das Dach der
Kajüte befestigt und durch Schläuche mit den Wasserfässern unten
im Lastraum verbunden. Im Nu hatten wir jedesmal wieder einige Fässer
gefüllt.

Zwar besassen wir entsprechend den englischen Vorschriften einen Kondenser
zum Destilliren von Meerwasser, jedoch war dieser so schlecht ausgerüstet,
dass wir mit ihm nur beim allergünstigsten Wetter zu arbeiten vermochten.
Er ersetzte dafür seine geringe Leistungsfähigkeit durch um so grösseren
Lärm. Er stampfte gleich einer mächtigen Dampfmaschine, spie die
herrlichsten Feuergarben aus seinem Schornstein, was in der Nacht
allerdings ziemlich effektvoll aussah, aber zugleich auch der Takelage
Gefahr drohte, und entwickelte so viel russigen Qualm, dass man uns von
ferne für eine stolze Fregatte halten konnte.

Ganz besonders erspriesslich waren die Regengüsse für die Pflege der
Reinlichkeit. Alles musste jetzt waschen, und das ganze Deck schwamm ein
paar Tage lang in Seifenschaum. Die Matrosen bedienten sich hiebei eines
sehr praktischen abgekürzten Verfahrens, indem sie ihre Wäsche einfach
in eine der vielen Lachen warfen und mit blossen Füssen darauf
herumtrampelten.

Ausser der Aequatortaufe fielen in jene Periode der Regengüsse und des
Schwitzens noch zwei andere Feste, nämlich Weihnachten und Neujahr.

Für den Christbaum hatten wir Lichter sowie billiges und schlechtes
Zuckergebäck von Hamburg aus mitbekommen. Den Baum selbst mussten wir
uns künstlich aus einer Stange und Besenreisig herstellen. Es war eine
wunderbare, laue, sternenklare Tropennacht, als er angezündet wurde. Aber
die Lichter wollten nicht brennen in der freien Luft auf Deck, obwohl fast
kein Lüftchen sich regte. Unser materieller angelegtes Publikum zeigte
auch nicht viel Sinn für die Poesie der heimathlichen Sitte, und der
Schwerpunkt der ganzen Feierlichkeit lag für dasselbe mehr in dem grossen,
rosinengespickten und schrecklich unverdaulichen Kuchen, den der Koch
angefertigt hatte.

Am Sylvesterabend gaben die Matrosen auf einer hinter dem Grossmast
improvisirten Bühne eine von ihnen selbst erfundene Pantomime zum
besten. Die Fabel des Stückes war sehr einfach und stylvoll. Mehrere
Handwerksburschen kommen in ein Wirthshaus, betrinken sich, schlafen ein,
müssen aber fortwährend kratzen, sie machen Skandal, der Wirth erscheint
und will Geld, sie haben keines, der Wirth schmeisst sie hinaus, eine
Prügelei, und der Vorhang fällt. Dieses zeitgemässe dramatische Opus
wurde mit viel mimischer Begabung und grossem Erfolg vom Stapel gelassen.
Ein wahrer Sturm von Beifall belohnte die Akteurs nach jeder Szene, und
namentlich das mit höchster Naturwahrheit und Empfindung dargestellte
Kratzen erregte den ausgelassensten Jubel der germanischen Völker,
während die Polen sich etwas betroffen fühlten und theils verlegene,
theils zornige Gesichter machten, als Alles auf sie deutete.

Auf dieses folgte eine Tanzunterhaltung. Während des Theaters war der
Mond aufgegangen. Sein silbernes Licht schimmerte auf den ewig bewegten,
hüpfenden Wellen des Meeres und übergoss mit magischem Glanz die Segel
und das Deck des Schiffes, so dass die wenigen farbigen Lampen kaum zur
Geltung gelangten. Unbekümmert um den draussen gähnenden Wasserschlund,
dessen Oberfläche der Kiel langsam durchfurchte, drehten sich auf engem
Raum die fröhlichen Paare im Kreise. Eine Ziehharmonika spielte ihre
langweilige, misstönende Musik dazu, und eine dichte Zuschauermenge
drängte sich nach dem Tanzplatz oder hing in den Wanten.

Noch oft hatten wir an schönen Abenden solche Tanzunterhaltungen. Auch
die unverheiratheten Frauenzimmer durften daran Theil nehmen. Es war
mir unmöglich, eben so puritanisch zu sein, wie die strengen englischen
Vorschriften, und ich konnte unseren Passagieren dieses harmlose Vergnügen
nicht versagen, wenn sie mich darum baten. Hoffentlich erfährt die
Neuseeländische Regierung nichts davon.

Auf der südlichen Hemisphäre hatten wir im Anfang mit dem Wind nicht mehr
Glück als auf der nördlichen. Immerfort mühselig zu kreuzen gezwungen,
wendeten wir täglich zwei- oder dreimal und steuerten abwechselnd
Westsüdwest und Ostsüdost, ohne wesentlich vorwärts zu kommen, da die
leichtgeladene Euphrosyne zu viel Abtrift machte.

Am 29. Dezember bekamen wir das einsame Eiland Fernando Noronha in Sicht.
Fernando Noronha ist eine brasilianische Verbrecherkolonie. Wir fuhren
Nachts zehn Uhr so nahe daran vorüber, dass wir deutlich die dunklen
Umrisse des Piks und der nächsten Hügel und lebhaft am Strande sich hin
und her bewegende Lichter erkannten. Vielleicht hielt man uns dort für das
von der Regierung gesandte Schiff, welches den auf die Insel Verbannten von
Zeit zu Zeit Lebensmittel und Nachrichten bringt.

Der ewige Gegenwind aus Süd hielt an, und am 31. Dezember sahen wir von
der Mastspitze aus den Pik von Fernando Noronha abermals, jetzt ungefähr
30 Seemeilen entfernt und von der anderen südlichen Seite.

Endlich am 6. Januar kam der langersehnte Südostpassat. Aber wir hatten
die Ostecke Südamerikas noch nicht passirt und waren der Küste so nahe,
dass wir noch mehrere Tage kreuzen mussten. Immer wieder führte unser
Kurs, wenn wir ihn mit dem Lineal auf der Karte absetzten, gegen Land, und
wir mussten wieder wenden und halb rückwärts fahren.

Die dunstige Hitze der Aequatorstillen schwand vor der frischen Brise aus
dem Schiff, und eine angenehme Kühle erquickte die erschlafften Nerven.
Keine hundert Seemeilen zur Rechten lag Parahyba. Wie mochte es dort
drüben im üppigen Dickicht tropischer Vegetation wimmeln von stechenden
Moskitos und schillernden Käfern, von schreienden Papageien und giftigen
Schlangen, von kletternden Affen und schleichenden Raubthieren, wie mochte
die Sonne dort drüben herabglühen auf all das bunte Leben. Und hier auf
dem Wasser hatten wir ungefähr die Temperatur eines deutschen Sommers.

Erst jetzt wurde uns der volle Genuss des Segelns im Passat zu Theil, der
auf der nördlichen Hemisphäre durch abnorme Witterungsverhältnisse uns
so sehr geschmälert worden war. Die See schien ihre ganze Natur verändert
zu haben. Ein ewig blauer Himmel wölbte sich über der blauen Fläche
und die freundlich strahlende Sonne und der gleichmässige köstliche
Wind vereinigten sich zu einer angenehmen, milden Wärme. Nur rings um den
Horizont lag die Kette der geballten Passatwolken.

Grosse rosenrothe Schwimmblasen von Physalien, die »Portuguese Men of
War« der Seeleute, schaukelten sich auf den munter hüpfenden Wellen.
Bläulich schillerten und schossen durch die Fluth vor dem Schaum
aufwühlenden Steven flinke Bonitos und Delphine und spotteten unserer
Angel. Putzköpfe, jene kleinste Art der Walfische, umspielten zuweilen
das Schiff, bliesen ihren Wasserstaub aus den Nasenlöchern, peitschten
mit ihren mächtigen Schwanzflossen das Meer und schnellten ihre ganzen
ungeschlachten Körper gleichsam jauchzend hoch in die Luft.

Nachts aber glimmte es geheimnissvoll in den dunklen Tiefen der Salzfluth.
Unzählige Funken erhellten den schaumigen Streif des Kielwassers, den wir
zurückliessen, und wie Wetterleuchten fuhr es zuweilen glitzernd über
den ganzen Spiegel der See hin. Ein paar mal fuhren wir Stunden lang durch
Schwärme von Pyrosomen. Sie waren nur bei Nacht als feurige Zylinder zu
sehen, namentlich deutlich und zahlreich im sprudelnden Kielwasser, da
sie, erregt, stärker zu phosphoresziren pflegen. Erst kurz vor Neuseeland
gelang es mir, mehrere zu erbeuten.

Alle waren jetzt guter Laune, bis auch das schöne Passatwetter langweilig
wurde. Selbst der Kapitän thaute auf, aber erst, als wir die Höhe von
Pernambuco hinter uns und wieder freies Wasser vor uns hatten, welches
erlaubte, den Kurs beizubehalten. Er mochte sich wohl Gewissensbisse
darüber machen, dass er soweit nach Westen herüber gegangen war. Es galt
nun mit dem Passat so weit als möglich nach Süden hinab zu gelangen, um
erst im Bereich der aus Westen kommenden Strömungen und Winde gegen Ost
abzuschwenken.

Bis Mitte Januar war unser Gesundheitszustand ein sehr günstiger gewesen,
und ich wiegte mich bereits in der Hoffnung, dass wir ohne Todesfall nach
Neuseeland kommen würden. Meine frohe Zuversicht erlitt plötzlich rasch
nacheinander heftige Stösse.

Die beiden Hospitäler füllten sich in wenigen Tagen mit fiebernden
Kranken, und jeden Tag kamen neue. Die Fieber stiegen stetig höher, und
Erscheinungen gesellten sich hinzu, die mir keine andere Diagnose als
Abdominaltyphus, die gefürchtete Schiffspest, gestatteten. Anfänglich
sträubte ich mich gegen die traurige Wahrheit. Ich suchte mich selbst
zu täuschen und anzunehmen, es sei vielleicht doch nur eines jener
räthselhaften, noch wenig bekannten Tropenfieber, die uns von der
afrikanischen oder brasilianischen Küste zugeweht worden. Die grosse
Unregelmässigkeit der meisten Anfangsstadien unterstützte mich in dieser
Annahme. Aber bald mussten auch die letzten Zweifel schwinden, und als am
1. Februar fast gleichzeitig zwei Todesfälle eintraten, verschafften mir
die Sektionsresultate volle handgreifliche Gewissheit.

Die eigenthümliche Thatsache, dass unsere Epidemie so plötzlich ausbrach,
nachdem wir bereits zwei Monate auf See und ohne Berührung von Land
gewesen, liess sich vielleicht dadurch erklären, dass das Krankheitsgift,
welches zweifellos schon bei der Abreise von Hamburg im Schiff gesteckt
haben musste, anfangs zu schwach war, um deutliche Erscheinungen
hervorzurufen, und erst unter dem Einfluss der langen tropischen
Feuchtigkeit und Hitze zu grösserer Wirksamkeit sich entwickelte.

Es waren zwei junge, kräftige, vor Kurzem noch blühende Weiber, eine
Polin und eine Dänin, die als die ersten der tückischen Seuche zum Opfer
fielen. So hatten wir denn am folgenden Morgen das trübselige Schauspiel
einer doppelten Leichenbestattung. Die Flagge wurde zum Zeichen der Trauer
halbstocks gehisst. Eine fremdartige Stille herrschte auf dem Schiff,
Passagiere und Mannschaft waren erschüttert und in gedrückter Stimmung.
Alles fürchtete sich vor dem unheimlichen Gast, der unsichtbar und
unheilschwanger unter uns hauste. Vier Matrosen trugen die in Segeltuch
eingenähten und mit Flaggen bedeckten Leichen aus dem Hospital um den
Grossmast herum nach Steuerbord, welcher eben Leeseite war, voran die
Missionäre, hinterdrein die Angehörigen, der Kapitän und ich und die
ganze Bevölkerung. Die Missionäre sprachen ein Gebet, dann glitten von
dem Bollwerk unter der Flagge hinweg, an kurzen Tauen gehalten, die Leichen
ins Meer und verschwanden, durch Steinkohlen beschwert, gurgelnd in die
Tiefe. Einige Luftblasen stiegen an die Oberfläche zurück, und von den
theuren Körpern war nichts mehr zu sehen. Zerknirscht stund die Menge
herum, und ausser dem Schluchzen und Weinen und ausser dem Rauschen der
Fahrt regte sich kein Laut.

Nach der Reihenfolge des Sterbens wurde zuerst die Polin, dann die Dänin
zur Ruhe gesenkt. Niemals schnitt eine Melodie mir schriller und schärfer
ins Ohr, als der polnische und dann der dänische Grabgesang, welche die
Feier beschlossen. Ruhte ja doch auf mir die Hauptlast unseres Unglücks,
und wusste doch Niemand an Bord besser als ich, wie unzureichend und
ohnmächtig die ganze Medizin einer solchen Epidemie gegenüber ist. Wir
hatten noch ungefähr die Hälfte der Reise vor uns, und es war mir gewiss,
dass die eben ad Akta gelegten zwei Fälle nur den Anfang einer Reihe
anderer bildeten, wenn ich auch gegen Niemand den Namen Typhus aussprach
und stets die tröstlichste Zuversicht heuchelte, dass die Krankheit in den
nun bevorstehenden kälteren Breiten rasch aufhören würde.

Die Erkrankungen nahmen immer mehr zu. Es wurde unmöglich, sämmtliche
Kranke zu isoliren, blos die schwersten konnten im Hospital Unterkunft
finden. Häufig brachen ganz plötzlich furibunde Delirien aus bei solchen,
die bisher nur leicht ergriffen waren. Heute wurde mir vielleicht ein
Frauenzimmer vorgeführt, das auf einmal im Bette herumzuschlagen begonnen
hatte, morgen vielleicht ein junger Bursche, der den Versuch gemacht, ins
Wasser zu springen. Wenn ich sie mit dem Thermometer mass, hatten sie die
höchsten Temperaturen.

Tag und Nacht in Anspruch genommen, ohne geschulte und gewissenhafte
Wärter, hatte ich fast Alles selbst zu thun. War es mir gelungen, gegen
ansehnliche Geldversprechungen ein wenigstens der Zahl nach genügendes
Personal für die Krankenpflege zu engagiren, so liefen sie nach wenigen
Tagen eigenmächtig wieder hinweg oder holten mich Nachts aus dem Bett, um
mir zu erklären, dass sie sich vor den Delirien fürchteten und es nicht
mehr aushalten könnten.

Unter solchen Umständen wurde die Seereise ungemüthlich. Eine mächtige
Sehnsucht nach Land, namentlich nach Ruhe und Alleinsein, nach
Waldesdunkel und Wiesengrün, ergriff mich. Sie sollte erst in sechs Wochen
einigermassen gestillt werden.



IV.

IM INDISCHEN OZEAN.

  Um das Kap herum. Segeln vor dem Sturm. Die Krozet Islands. Unsere
  Typhusepidemie steigt. Gedrückte Stimmung. Zur Naturgeschichte
  der Seeleute. Albatrosse und sonstige Vögel.
  Ventilationseigenthümlichkeiten.


Am 31. Januar passirten wir bei gutem Winde das Kap der guten Hoffnung
in 44 Grad südlicher Breite, nachdem wir kurz vorher an Tristan da Kunha
vorübergesegelt waren, ohne den Inselvulkan in Sicht zu bekommen.

Wir gingen bis hart an die Grenze des antarktischen Treibeises, beinahe bis
zum 50. Grad hinab, um erst in der Höhe von Neuamsterdam uns wieder etwas
nördlich zu wenden. Es wurde nun ziemlich kalt, was wir um so bitterer
empfanden, verweichlicht durch das äquatoriale Dampfbad der letzten
Wochen. Das Thermometer sank Nachts bis auf zehn Zentigrade trotz des
Hochsommers der südlichen Hemisphäre.

Mächtige Tangmassen trieben in gleicher Richtung mit uns ostwärts, von
Ferne schwimmenden Inseln oder Schiffstrümmern ähnlich. Selten gelang es
mir, mit dem nachschleppenden Haifischhaken einzelne Aeste derselben, oft
gegen zehn Meter lang, aus dem Meere zu angeln. Eine Menge von Lepadinen
und Balaniden, von höheren Krustern und von Mollusken, von Bryozoen und
von Polypen, die Passagiere dieser natürlichen Fahrzeuge, wurden dann
meine Beute.

In Bezug auf die Windverhältnisse war die Fahrt durch den tiefen Süden
des Indischen Ozeans der günstigste Theil unserer ganzen Reise. Häufig
hatten wir Sturm von hinten, und dann flogen wir förmlich in grandiosen
und langsamen Galoppsprüngen vor den in Kolonnen nachrückenden Wogen her.
Die Masten krachten und bogen sich unter dem Druck der gerefften Marssegel.
Die vollgespannte Fock schien das Schiff aus dem Wasser lüften zu
wollen. Hoch empor spritzte unter dem Steven der Gischt, zu zischenden
Schaumhügeln nach beiden Seiten auseinandergepflügt, und über Berg und
Thal schlängelte sich hinter uns die schäumende Spur des Weges, den wir
im Fluge gemacht. Unwillig rauschte das Meer. Ganze Gebirgsketten wälzten
sich mit uns vorwärts. Aber wir liefen allen voran, eine nach der anderen
wurde geschlagen, und sie hatten das Nachsehen.

Nur die Krozet Islands verdarben uns auf kurze Zeit die Freude. Wir wollten
dicht an ihnen vorüber fahren, aber sie wollten nichts von uns wissen und
umhüllten sich mit einer Nebelkappe. Man konnte keine Schiffsbreite sehen,
und wir mussten umkehren, beim schönsten Wind umkehren und beidrehen.
Wir hatten entschieden Pech. Kaum dass einmal der Wind uns günstig war,
stellte sich so ein unnützes Pack kahler Inseln entgegen. Zum Glück
klarte nach zwei Tagen die Luft wieder auf und erlaubte Kurs zu steuern.
Abgerechnet einige windstille Tage gab es jetzt keine Unterbrechung mehr.

Das Rollen des Schiffes wurde zuweilen wieder so stark, dass ich mich in
meiner Koje feststauen musste, um schlafen zu können. An der einen Seite
den Sack mit Kamillenthee, an der andern den Sack mit Scharpie, gegen die
barbarische Kälte mit allen disponiblen Decken und Mänteln belastet, so
bot ich den Schrecken der nächtlichen Stürme Trotz, fest entschlossen
nothwendigen Falles lieber im Bett als draussen in der ungemüthlichen
freien Natur zu ersaufen, unbekümmert um die Bücher, den Stuhl und
etliche Kistchen, welche von einer Wand der Kammer zur anderen purzelten.
Nur wenn die Gläser oben in ihren Stellen stärker zu rütteln begannen,
machte ich mich los aus meiner Verpackung und klemmte die Papierkeile
fester, welche sie hielten.

Seekrankheit gab es aber jetzt nicht mehr an Bord. Auch der Verzagteste war
seefest geworden. Man freute sich der wilden Fahrt. Ein Liederkranz hatte
sich gebildet und suchte mit dem Toben des Sturmes zu wetteifern, und
mitten durch das Rauschen der See, das Brausen des Windes und das
Stöhnen des Schiffes schallte trotzig und herausfordernd das alte
schöne Kriegslied »Ich bin ein Preusse, kennt ihr meine Farben« in
die aufgeregte Natur hinaus, gesungen von dem ganzen Mischmasch unserer
Nationalitäten.

Wenn nur nicht aus den Hospitälern das Wimmern des Fieberwahnsinns als
schriller Misston dazwischen gedrungen wäre. Unsere Typhusepidemie griff
immer mehr um sich. Mein Journal zeigte am Ende der Reise 94 Nummern, alle,
auch die leichtesten und deshalb zweifelhaften Fälle mitgezählt. Kaum
war die erste Doppelbestattung vorüber, so folgten andere nach, und
wir mussten noch fünf Leichen mehr über Bord werfen. Diese gräuliche
Epidemie, für den Kapitän die Gewissheit, dass wir auch unter den fortan
günstigsten Umständen eine aussergewöhnlich schlechte Reise
machten, für mich die unerfreuliche Aussicht, mit der ganzen
Zwischendecksgesellschaft, die ich schon so satt hatte, in Quarantäne zu
kommen, die immer schlechter werdende Beschaffenheit des Proviants und
des Wassers -- all dies war geeignet, gar oft die schwärzeste Stimmung
heraufzubeschwören. Solange der Wind uns günstig war, und wir rasch
vorwärts segelten, ging es noch leidlich. Als jedoch einmal wieder
Windstille eintrat und zwei, drei Tage nicht weichen wollte, wirkte die
Verzögerung deprimirend wie noch nie. Die Nähe des Frauenhospitals, in
welches ich, weil es am besten eingerichtet war, die schwersten Kranken
ohne Unterschied des Geschlechts zusammenlegte, wurde dann bei der
herrschenden Ruhe doppelt unangenehm, und oft konnte ich nicht schlafen
in der Nacht von dem ewigen Geschrei und Gewimmer, das in meine Kammer
herüberdrang. Es machte mich nervös immer und immer wieder dieselben
quälenden Laute zu hören.

In keiner Lage habe ich die Misere der ärztlichen Unzulänglichkeit
schmerzlicher empfunden als damals. Nicht darin liegt ja die Härte des
ärztlichen Standes, worin der Laie sie meist zu vermuthen pflegt, in
der Aufopferung an Zeit und Mühe, an Schlaf und Erholung, in all den
abscheulichen und ekelhaften Dingen, mit denen man in Berührung kommt,
sondern in der Unvollkommenheit und Ohnmacht der sogenannten Heilkunde.
»Ihr durchstudirt die gross und kleine Welt, um es am Ende gehn zu lassen
wies Gott gefällt.« Das Durchstudiren ist sehr schön, dass Gehen lassen
müssen aber ist unerträglich.

Am unglücklichsten fühlte sich der Kapitän über unser Missgeschick.
Es war nun Alles ganz anders gekommen als er gewünscht hatte. Von
Ersparnissen, mit welchen er bei seinem Rheder sich einzuschmeicheln
gehofft, keine Rede. Wir mussten froh sein, wenn wir mit unserem Wasser
knapp bis Neuseeland reichten, da der Kondenser bei stürmischer Witterung
nicht arbeiten konnte. Ich war fast täglich gezwungen, eine Menge Brot,
welches sich als verdorben erwies, über Bord werfen zu lassen, und hatte
bereits seit längerer Zeit alle Spirituosen und feineren Esswaaren
der Euphrosyne für meine Kranken in Beschlag genommen. In der Kajüte
herrschte jetzt absolutes Teatotalerthum. Dass mir Solches ohne sonderliche
Kämpfe gelang, war dem zerknirschten Zustand des Kapitäns, welcher seine
tobsüchtigen Neigungen gänzlich lähmte, zu verdanken.

Der Kapitän war im Grunde ein guter Kerl, aber eben ein
Kauffahrteischiffer und von dem ganzen Elend dieses bemitleidenswerthen
Standes verbittert und verbost. Er hatte erst kurz vorher geheirathet, und
die Sehnsucht nach seiner jungen Frau zu Hause zehrte fortwährend an ihm.
Wie oft verfluchte er seinen jugendlichen Leichtsinn, der ihn vor zwanzig
Jahren auf das Meer getrieben. Wie oft schwor er, den ersten besten Erwerb
auf dem Lande zu ergreifen, wenn er nur kein Wasser mehr zu sehen brauchte.
Er besass nichts von jener Schwärmerei für die Poesie des Meeres, die
den Seeleuten von Laien manchmal angedichtet wird. Ich habe überhaupt noch
keinen älteren, reiferen Seemann kennen gelernt, der an einer derartigen
Schwärmerei gelitten hätte, und nichts kann lächerlicher klingen, als
was gelegentlich der traurigen Schillerkatastrophe an den Scilly-Inseln
dem unglücklichen, mit den 337 Opfern seines Leichtsinns rühmlich
untergegangenen Kapitän Thomas in irgend einer Zeitung von irgend einem
überspannten Frauenzimmer in den Mund geblaustrumpft worden ist -- »Ich
kenne nur eine einzige Liebe, und das ist mein Schiff, mein Schiff ist mir
meine Braut« oder wie das dumme Zeug gelautet haben mag.[2]

  [2]: Das Gehalt des Kapitäns der Euphrosyne, eines Segelschiffes
  grössten Kalibers, betrug nicht mehr als hundert Mark pro Monat. Aber
  nur so lange das Schiff auf der Reise war. Lag es ohne Mannschaft im
  Hafen, so bekam der Kapitän nichts. Ausserdem hatte er 2½ Prozent vom
  Reingewinn, in den jetzigen Zeiten, wo Schiffe oft Jahre lang nichts
  verdienen, eine sehr problematische Grösse.

Man muss einen Seemann, insbesondere der Kauffahrtei, viel milder
beurtheilen als andere Menschen. Der bösen Einflüsse, die ungünstig auf
seinen Charakter wirken, sind zu viele. Jenes erfahrungsgemäss auf jeder
längeren Seereise eintretende Stadium der üblen Laune, in dem sich Alles
gegenseitig anärgert, bleibt sogar auf Kriegsschiffen mit ihrer strammen
Disziplin nicht aus, und die Marineärzte haben dafür einen eigenen Namen
»Mania navalis« erfunden.

Während der Atlantik wie ausgestorben gewesen war, belebte sich östlich
vom Kap die See wieder mit Möven und Seeschwalben, mit Kaptauben,
Sturmvögeln und Albatrossen.

Den Albatrossen wird bekanntlich von den Schiffern aufs Emsigste
nachgestellt. Leider ist ihre Zahl dadurch schon merklich verringert, und
in hundert Jahren werden sie zu den ausgestorbenen Geschöpfen gehören.
Trotz dieser zur Schonung auffordernden Erwägung konnte auch ich mich
nicht enthalten, ihren Fang zu versuchen.

Schon bei Tristan da Kunha hatten einzelne sich sehen lassen. Der Ruf »O
was für ein grosser Vogel« zog mich hinaus auf Deck, und mein erster
Albatross schwebte majestätisch über die Wogen.

Rastlos über Wellenberg und Wellenthal, kaum merklich hie und da die in
gerader Linie steif ausgespannten Flügel bewegend, senkrecht bald nach
links bald nach rechts geneigt mit den Flügelspitzen die Wellenkämme
ritzend, verfolgte in weit gebogenen und gewundenen Linien das gewaltige
Thier mühelos unsere Fahrt. Andere gesellten sich ihm bei, schon von ferne
erkennbar als geradlinige in der Mitte zu einem Knoten anschwellende
kreuz und quer in der Luft hin und her balanzirende Stäbe. Es lag etwas
Räthselhaftes in ihrer Stetigkeit und Ruhe, mit der sie gegen den
scharfen Wind -- nicht kämpften, sondern gelassen und ohne Anstrengung
dahinglitten.

Von nun an schleppte stets eine Albatrossangel hinten nach, aber fünf
Wochen ohne etwas zu fangen. Die Seeleute hatten zwar jedesmal Gründe zur
Hand, warum sie nicht bissen. Einmal weil die Fahrt zu rasch, das andere
mal weil zu langsam, heute war das Wasser zu durchsichtig, morgen wieder zu
trübe. Ich wusste bereits, was von dieser Weisheit zu halten sei, und es
war mir kein geringer Triumph, mit der Flinte einen Albatross zu erbeuten,
lange ehe jene mit der Angel einen erwischten.

Als wir eines Tages hart beim Winde segelten, flogen sie zuweilen hoch oben
quer über das Schiff, etliche Sekunden schweben bleibend um das Deck zu
rekognosziren. Trotz der spöttischen Zweifel des Kapitäns und trotz der
äusserst störenden Schaukelbewegung des Bodens lud ich eine gewöhnliche
sehr starke Schrotflinte mit doppeltem Pulvermass und der gröbsten
Schrotsorte, und schoss, und ein riesiger Albatross plumpste mit
gebrochenem Flügel neben mich herab. Dies war übrigens nur ein reiner
Zufall. Denn so oft ich auch später das Kunststück zu wiederholen
versuchte, und wenn ich auch öfter noch traf, was an dem wegfliegenden
Flaum zu erkennen war, die Schrote drangen nie wieder durch, sondern
prallten an dem dichten Gefieder ab, und das Ziel meiner erfolglosen
Bestrebung entfernte sich schwänzelnd, als ob es ein Kitzeln und Prickeln
fühlte.

Mehr als zwanzig Albatrosse zu gleicher Zeit waren wohl nie in Sicht, und
an manchen Tagen waren sie ganz verschwunden. Zuweilen flogen sie so nahe
hinter dem Achterdeck vorbei, dass man glaubte sie greifen zu können, für
einen Moment in der Verkürzungslinie der Flügel ein höchst komisches
plumpes Profil zeigend und immer gierig spähenden Blicks. Zuweilen blieben
sie weit zurück und verfolgten uns Tage lang nur von Ferne. Warf man
ihnen ein Stück Fleisch oder Speck über Bord, so setzte sich gleich der
Nächste aufs Wasser nieder und paddelte eifrig darauf zu.

Wenn sie sich setzen wollten, stemmten sie, um die Schnelligkeit ihres
Fluges zu hemmen, ihre beiden Schwimmfüsse ausgebreitet dem Wasser
entgegen, und oft liessen sie schon lange vorher die sonst knapp an den
Schwanz gelegten Füsse herabbaumeln und verriethen so ihre Absicht.
Sassen sie endlich, so wurden die langen Flügel langsam und bedächtig
zusammengefaltet, wobei sie dieselben seltsam ungeschlacht krümmten. Nicht
so ganz leicht schien es ihnen, wieder aufzufliegen. Sie paddelten erst
mit Flügeln und Beinen spritzend eine halbe Schiffslänge über die
Wasserfläche, ehe sie sich in die Luft erhoben. Und auch sonst paddelten
sie zuweilen darüber hin ohne sich zu setzen, wenn sie vielleicht etwas
sahen, von dem sie noch nicht recht wussten ob es sich der Mühe verlohnte.

Setzte sich einer, so kamen auch die anderen und setzten sich neugierig
zu ihm nieder und leisteten ihm Gesellschaft, wahrscheinlich weniger aus
gegenseitiger Zuneigung als vielmehr aus dem höchst egoistischen Instinkt,
dass es beim Kameraden etwas zu fressen gebe. Dann stritten sie sich erst
eine Zeit lang herum, klapperten ärgerlich und neidisch mit den langen
Schnäbeln wie Störche und packten sich auch wohl damit an den Hals, um
nach zehn Minuten die von den Wellen geschaukelte Versammlung aufzuheben
und auseinander zu fliegen.

Unsere ewig nachschleppende Angel mit einem wallnussgrossen Stück
Speck und entsprechendem Haken erregte häufig entschieden ihr lebhaftes
Interesse. Aber nur bei einer Fahrt nicht schneller als vier Seemeilen die
Stunde war für sie die Möglichkeit anzubeissen gegeben. Wir liessen dann
die über zwei Schiffslängen messende Leine in dem Grade ablaufen als das
Schiff sich von dem Köder entfernte.

Wie oft jagten uns ein paar Albatrosse in die grösste Aufregung indem sie
herangeschwommen kamen und nach ihm schnappten. Aber entweder schnappten
sie zu vorsichtig, oder sie pickten uns den Speck von der Angel, so dass
wir den leeren Haken einzogen, oder sie waren gefasst, rissen sich aber
gleich wieder los. Oder es kam vielleicht gerade im kritischen Augenblick
der höchsten Erwartung ein stärkerer Windstoss, wir rauschten schneller
durchs Wasser, und der Albatross konnte mit der besten Absicht der Angel
nicht mehr nachrudern. Einmal postirte sich einer dummdreist schon ziemlich
weit vor ihr hin und wartete auf sie, bis sie herangeschleppt kam, mehrmals
wüthend nach der gespannten Leine beissend, aber er war nicht flink genug
und die Angel entging ihm.

Endlich, endlich bissen sie aber doch, und zwar auf einmal wie verrückt.
Wir hatten das schönste Haifischwetter, das man sich denken kann, kaum
so viel Wind, um noch zu steuern, einen blauen wolkenlosen Himmel, glatte
langsam dünende See und einen aussergewöhnlich hohen Barometerstand, der
den Kapitän in Verzweiflung brachte.

Die Albatrosse strichen träge über die Dünung und setzten sich heute
häufiger aufs Wasser. Eine ganze Flottille von Albatrossen schwamm
schliesslich hinter uns her. Die Angel wurde wieder ausgeworfen und war
sofort der allgemeine Zankapfel. Einer der grössten schnappte zu, und die
Angel sass. Frohlockend, aber behutsam zogen wir ihn ein, während
seine Gefährten verwundert ihm nachguckten. Vergebens stemmte sich der
unglückliche Vogel mit Flügeln und Beinen gegen das Wasser. Es half ihm
nichts, er musste heran, und wir hoben ihn an der Leine zu uns herauf.

Kaum hatten wir den Haken abermals ausgeworfen als auch der zweite
eingezogen wurde. Die dummen Thiere geberdeten sich heute ganz wahnsinnig,
sie stritten sich förmlich um den Vorrang des Geangeltwerdens, klapperten
mit den Schnäbeln und kreischten ärgerlich, so oft wieder einer von
ihnen entführt wurde. In der kürzesten Zeit hockte ein Dutzend friedlich
nebeneinander auf dem Kajütsdach. Zweien gelang es, sich von dem Haken
los zu machen, da wir nicht stetig genug einholten. Der Widerstand, den sie
trotz allen Schlegelns und Stemmens mit Flügeln und Füssen leisteten, war
erstaunlich gering. Das Merkwürdigste aber war mir, dass kein einziger,
auch später nicht, gefangen wurde, indem er die Angel verschluckte, wie
die Fische, und wie ich nach den gehörten Erzählungen erwartet hatte. Sie
hingen alle einfach nur mit der hakenförmig gekrümmten Schnabelspitze an
dem Angelhaken.

Anfänglich sassen sie verdutzt in einer Reihe auf dem Dach der Kajüte,
machten nicht den geringsten Versuch zu entfliehen und staunten die
Volksmenge an, die sich um die Wunderthiere versammelt hatte. Hie und da
kam dann einem plötzlich ein dunkler Bewegungsimpuls, er erhob sich auf
die Beine, ein paar andere folgten seinem Beispiel, aber gleich darauf
klappten sie wieder zusammen, als ob sie zum Stehen zu schwach wären.
Die meisten, nicht alle, spieen sich und entleerten ihren flüssigen
Mageninhalt auf den Boden.

Ich wählte den grössten und schönsten zum Abbalgen aus und vergiftete
ihn mit Zyankalium. Er liess sich ruhig den Schnabel öffnen und die
tödtliche Gabe mit einer Pinzette in den Rachen schieben. Nach einer
Minute neigte er sanft sein Haupt und starb. Zwei andere, die jüngsten,
erschlugen wir, um von ihrem Fleisch uns herrliche Beefsteaks zu bereiten.
Nicht die Spur eines thranigen Beigeschmacks. Nach den drei Monaten
Salzfleisch und Büchsenfleisch gehörten jene Albatrossbeefsteaks zu
den höchsten kulinarischen Genüssen meines Lebens. Sämmtliche drei
Albatrossmagen, die ich untersuchte, enthielten die nämliche Nahrung,
Pyrosomen und Sepien. Diese Sepien scheinen also auf der Meeresoberfläche
ziemlich häufig zu sein. Auch in den zwei Haifischmagen die ich erhielt,
fand ich nur Reste von solchen.

Die übrigen Albatrosse liessen wir laufen, das heisst, wir warfen sie
über Bord, worauf sie fröhlich von dannen flogen. Seeleute behaupten,
Albatrosse könnten von festem Boden nicht auffliegen. Dies ist nur in
so fern wahr, als das Deck eines Schiffs niemals Raum genug bietet um den
nöthigen Anlauf zu gestatten. Ich fing später einen Albatross, der ganz
abweichend von den Gewohnheiten seiner Art nicht blöde sitzen blieb,
sondern mehrmals aufzufliegen versuchte. Er stiess sich aber immer wieder
am Geländer oder am Kompasshäuschen oder an einem Bündel Tau oder an
einem Poller. Ohne solche Hindernisse auf einem freien Platz würde er
leicht in die Höhe gekommen sein. Alle die Albatrosse, die wir fingen,
waren voll von Läusen. Also auch auf den azurenen Wogen des Ozeans diese
Plage, nicht blos im Zwischendeck bei den Polaken.

Es giebt eine Menge von Albatross-Arten und Varietäten, die vielleicht
noch gar nicht vollständig gesichtet sind. Die grosse und auffälligste
Art, die wir angelten, zeigte allein schon zahllose Abstufungen in der
Farbe des Gefieders vom jungen fast vollständig dunkelbraunen bis zum
alten fast vollständig weissen Individuum. Die Bleichung schien bei allen
am Rücken zwischen den Flügeln in Form eines nach hinten verlängerten
Trapezoids zu beginnen und von dort sich zuerst nach dem Bauch und dem Kopf
zu verbreiten.

Ausser dieser grossen verfolgten uns oft noch zwei andere kleinere Arten,
eine weisse mit schwarzen Flügeln und schön orangefarbenem Schnabel und
eine ganz schwarze mit weissgerändertem Schnabel. Von den letzteren schoss
ich einmal zwei Exemplare aufs Deck herab. An Kaptauben sahen wir niemals
eine beträchtlichere Anzahl. Häufiger waren die niedlichen Sturmvögel,
die uns namentlich bei unruhiger See schaarenweise begleiteten.

Um dieselbe Zeit ungefähr fing ich zum ersten mal Pyrosomen oder
Feuerwalzen mit dem Schleppnetz. Es sind dies sackförmige Thierkolonien
aus der Klasse der Tunikaten, von etwa 20 Zentimeter Länge und 5
Zentimeter Durchmesser. Bei Tage sieht man sie kaum, bei Nacht aber
leuchten sie, so dass man das Netz auf sie dirigiren kann. Brachte ich
die wurstartigen Gebilde in einen Eimer und liess sie ruhig stehen, so
erloschen sie bald und waren unsichtbar, stiess man aber an den Eimer, so
erglühten sie und leuchteten mit grünlichem Schein, hell genug, um bei
dem Licht von drei oder vier Stück ohne sonderliche Anstrengung lesen zu
können. Deshalb sind sie auch fast nur im strudelnden und schäumenden
Kielwasser zu bemerken.

Jetzt da unsere Reise sich ihrem Ende näherte, beschäftigte mich noch ein
anderer Gegenstand, der sich auf die Ventilation von Schiffen bezog.
Schon oft hatte ich von Seeleuten gehört, dass im Innern eines segelnden
Schiffes stets ein Luftstrom in der dem Winde entgegengesetzten Richtung
wehe. Um diese sehr paradox klingende Behauptung, welche sich auf
Erfahrungen über den Weg, den Gerüche aus dem Laderaum nehmen, stützte,
zu untersuchen, benutzte ich, da ich leider kein Anemometer besass, und
ein solches bei den vielen sich kreuzenden lokaleren Luftströmchen auch
vielleicht kein deutliches Bild der Bewegung im Allgemeinen gegeben hätte,
die Temperatur der Luft an verschiedenen Stellen des Zwischendecks, von der
wohl nicht zu bestreitenden Annahme ausgehend, dass sie da wo sie kälter
sei, ein-, und da wo sie wärmer sei, ausströmen müsse.

Einen der Missionäre hatte ich schon bei Madera beauftragt, täglich
dreimal die Stände der vier Thermometer, von welchen einer oben in der
Kajüte und drei im Zwischendeck vertheilt waren, sowie die jeweilige
Richtung des Windes zum Schiff zu notiren. Wenn ich auch hiebei die
Entdeckung machen musste, dass dieser protestantisch orthodoxe Apostel des
Glaubens gleich seinen drei Kollegen weniger ein Mann von Intelligenz und
Bildung als ein zum Predigen und Vorbeten und zum Fanatismus abgerichteter
Bauernkerl war, so gelang es mir doch nach einigen mühseligen Anleitungen,
ihm das Geheimniss des Thermometerablesens beizubringen.

Ich stellte nun die Aufzeichnungen zusammen und fand zu meiner Genugthuung
jene interessante Eigenthümlichkeit theilweise bestätigt. So oft wir mit
vierkant gestellten Raaen vor vollem Winde segelten, war hinten im Schiff
die Luft wärmer als vorne, das heisst, hier kam sie an, nachdem sie
bereits das ganze Zwischendeck durchzogen hatte. Namentlich in den
Weststürmen des südlichen Indischen Ozeans zeigten sich die konstantesten
Unterschiede bis zu zwei Zentigraden. Erklären liess sich dies vielleicht
dadurch, dass beim Segeln vor dem Winde von den Untersegeln meist nur das
vorderste, die Fock, ausgespannt ist, während die beiden anderen aufgegeit
oder festgemacht sind, und dass in Folge dessen der Luftstrom, der über
das Schiff fegt, von der schräge nach vorne geneigten Ebene der Fock nach
unten und in die vorderste Zwischendeckslucke zurückgeworfen wird. Nicht
ganz so deutlich waren die Resultate, wenn wir beim Winde segelten, und
ich werde mir diesen Theil der Angelegenheit künftighin nochmal vornehmen
müssen.

Am 5. März erreichten wir die Länge von Tasmanien unter 49 Grad
südlicher Breite. Gegen Abend bekamen wir wieder flauen Wind, und ich warf
mein Netz über Bord, zum ersten mal ohne etwas Makroskopisches zu fangen.
Als ich Wasser in einem Eimer heraufholte und mit der Hand bewegte,
glitzerte es darin von hundert leuchtenden Punkten wie gewöhnlich.

Es galt die Frage zu entscheiden, sollen wir den näheren aber weniger
sicheren Weg durch die Cooksstrasse nach Wellington einschlagen, oder auf
dem weiteren aber glatteren um die Südspitze der Südinsel Neuseelands
herumgehen. Der Kapitän wählte das Letztere, und wir behielten unseren
Kurs Ost zu Nord bei.



V.

ANKUNFT IN NEUSEELAND UND QUARANTÄNE.

  Zum ersten mal Grund. Neuseeland erscheint. Die ersten Zeitungen.
  Ankunft des Lootsen. Der Anker fällt. Pulverunglück. Die
  Hafenbehörde. Sturm und Landungsschwierigkeiten. Bewegtes
  Dasein. Aufruhr der Elemente und der Menschen. Mitternächtige
  Todtenbestattung. Ruhigere Zeit. Die idyllische Insel. Ueberall
  »Billig und schlecht«. Zoologisches. Endlich frei.


Das Geklirr der Ankerketten verkündete uns die freudige Botschaft, dass
das Ziel nahe sei. Sie waren seit Europa vorne im Zwischendeck begraben
gewesen. Nun wurden sie wieder auf Deck geholt und klar gemacht.

Nach dem Besteck waren wir auf der Höhe von Neuseeland. Ob wir es auch
in Wirklichkeit waren, musste sich jetzt herausstellen. Meine Zweifel in
dieser Hinsicht entbehrten nicht der Begründung. Denn das Chronometer
konnte seinen Gang verändert haben, und eine Kontrole durch Monddistanzen
hatte es niemals erfahren.[3]

  [3]: In den nautischen Almanachen sind für das ganze Jahr von je drei
  zu drei Stunden Greenwichzeit die Distanzen des Mondes von der Sonne
  und anderen gerade brauchbaren grösseren Sternen angegeben. Indem
  man nun mit dem Sextanten solche Distanzen misst, lässt sich das
  Schiffschronometer, welches Greenwichzeit zeigen soll, darauf prüfen.

Der Horizont war bewölkt, von Land keine Spur zu sehen. Es wurde gelothet,
und mit grosser Spannung erwartete ich das Resultat. Wir bekamen wirklich
und wahrhaftig Grund. Die Leine zeigte 50 Faden Tiefe, an dem Talg in der
unteren Aushöhlung des Lothes klebten Fragmente von kleinen Muscheln
und Korallen. Mit grosser Andacht beguckten wir alle dieses vorläufige
Stückchen Neuseeland. Niemand aber war froher als der Kapitän, dem sein
Chronometer eine seltene Treue bewährt hatte.

Erst vier Tage später, am 17. März, erblickten wir das Land der
Antipoden selbst. Noch vier Tage mussten wir bei kaltem unfreundlichem
Wetter unter der Küste desselben aufkreuzen ohne es in Sicht zu bekommen,
als an jenem Morgen endlich das Gewölk zerriss und, rings gegen den
Horizont hinabsinkend, dicht vor uns schöne hohe Berge mit glitzernden
Schneegipfeln, wunderbar duftig im warmen Sonnenschein enthüllte. Das Ziel
einer viermonatlichen ermüdenden Seereise hätte uns nicht reizender und
überraschender vor Augen treten können. Aber wäre der erste Anblick des
lang und heiss ersehnten Landes auch weit weniger vortheilhaft gewesen, als
das Wahrzeichen der Erlösung von den Widerwärtigkeiten des Schiffslebens,
wäre er gewiss mit ebenso grossem Entzücken begrüsst worden.

Es waren die kahlen Felsenmassen der Banks Peninsula, jenes mächtigen
Gebirgspfeilers an der Ostseite der Südinsel, welche aller Augen gefesselt
hielten, bis sie hinter uns verschwanden. Ein frischer Süd sprang auf und
führte uns rasch nordwärts, Wellington, dem Bestimmungshafen, entgegen.

Doch die ungewohnte Schnelligkeit der Fahrt dauerte nur kurze Zeit. Mittags
schlief der Wind wieder ein, die Segel fingen wieder an, an den Masten
herumzuklappern, und bald lag die See wieder ebenso spiegelglatt und
todesstille unter einer stechenden Sonne da, wie wir sie so oft zu sehen
Gelegenheit gehabt hatten. Albatrosse setzten sich faul aufs Wasser,
paddelten neugierig an das ruhigliegende Schiff heran und stritten sich
schnatternd um die über Bord geworfenen Abfälle oder auch um die Angel,
mit der wir einen dieser dummen Vögel nach dem anderen einzogen.

Etwa fünf Seemeilen entfernt trieb ein kleiner Schuner, wahrscheinlich
ein Küstenfahrer, und unser Kapitän fuhr in der Jolle hinüber, um
Erkundigungen einzuziehen. Nach drei Stunden kam er zurück und brachte
mir ausser einem Albatross, den er mit der Hand gefangen, und einer
vollen Ladung aufgefischten Seetanges, welcher von Mollusken und Krustern
wimmelte, als werthvollste Gabe Zeitungen mit, die, wenn auch bereits
vierzehn Tage alt, für uns nach vier Monaten die ersten Nachrichten aus
der Mitwelt enthielten. »Greymouth Argus« nannte sich das Blatt, welches
sich übrigens zur allgemeinen Enttäuschung wenig um das alte Europa
kümmerte. Nichts von dem theuren Vaterlande, nichts von dem schönen
Frankreich war zu finden, woraus wir schlossen, dass wenigstens kein
ernstlicherer Krieg mittlerweile ausgebrochen sei. Nur die Erklärung des
Don Carlos, im Fall eines Konfliktes zwischen Spanien und Amerika neutral
bleiben zu wollen, gab die einzige Kunde aus der Politik Europas. Dagegen
schienen Kricket und Football in Greymouth eine grosse Rolle zu
spielen. Denn die meisten Kabeltelegramme von Neuseeland und Australien
beschäftigten sich mit Resultaten solcher nationalen Wettkämpfe.

Die Jolle war gerade zur rechten Zeit heimgekehrt. Der Himmel überzog
sich mit dicken Wolken, und einzelne Windstösse aus Osten deuteten auf das
Herannahen eines Sturmes. Als es dunkel geworden, wehte es so heftig, dass
die meisten Segel festgemacht werden mussten, aber die stürmische Brise
war günstig und schob das Schiff ungestüm durch die aufgeregten Wogen,
welche hellleuchtend in der Schwärze der Nacht, zu beiden Seiten des
Kieles hoch emporschäumten.

Der nächste Morgen fand uns an der südöstlichen Ausweitung der
Cooksstrasse. Vor uns lag die Palliser-Bay mit der Lootsenstation und
links davon auf einem hohen Felsen stand der einsame Leuchtthurm von
Penkarrow-Head. Mittags kam der Lootse an Bord, immer näher rückten
die schroffen Ufer, an denen allenthalben die Brandung donnerte, und eine
Lücke öffnete sich, der Eingang zu Port Nicholson, dem geräumigen Hafen
von Wellington.

Von der Stadt war noch nichts zu sehen. Sie lag zur Linken versteckt hinter
einer etwa 200 Meter hohen Felsenkulisse, und nicht früher als wir diese
passirt hatten, kamen die äussersten Häuser ihres linken Flügels zum
Vorschein.

Mitten im Hafen von Wellington liegt Somes Island, die kleine
brandungumtoste Quarantäne-Insel aus einigen 60 bis 80 Meter hohen Hügeln
bestehend, deren einer auf seiner Spitze vier stattliche kasernartige
Gebäude trägt. Dorthin führte uns der Lootse, um auf den Besuch der
Hafenbeamten zu warten. Mit unserer Typhusepidemie durften wir nicht an die
Stadt gehen.

Leider trübte ein schwerer Unglücksfall den frohen Moment der Ankunft.
Jan Maat begnügte sich nicht mit dem kräftigen Hurrah der Passagiere,
welches das Niederrasseln des Ankers begleitete, es musste auch geschossen
werden. Ohne Schiessen kein Vergnügen.

Ein alter verrosteter Böller erfreute sich schon seit mehreren Stunden der
eifrigsten Reinigungsbestrebungen unseres Bootsmanns. Ich war beschäftigt,
meine nicht sehr salonfähigen Reisekleider gegen eine etwas gewähltere
Toilette zu vertauschen, als der erste Salutschuss ertönte und gleich
darauf ein zweiter folgte. Meine Verwunderung wie es möglich sei, aus
einem einzigen Geschütz innerhalb so kurzer Zeit zweimal zu feuern, war
noch nicht zu Ende, als die Passagiere hereinstürzten und mich zu Hilfe
riefen. Auf Deck herrschte grosse Aufregung, und Alles drängte nach
einem Punkte, von welchem ich lautes Jammergeschrei vernahm. Ein
pulvergeschwärztes gräulich entstelltes Gesicht, über welches Blut aus
Augen, Mund und Nase rieselte, und welches ich nur dadurch als das
eines hübschgewesenen jungen Mannes erkannte, dass seine Mutter
verzweiflungsvoll ihn umarmt hielt, erklärte mir was geschehen war.

Ich hatte mich eben überzeugt, dass die Verletzung lange nicht so schlimm
sei, und dass namentlich die Augen nur oberflächlich gelitten hatten, als
ich von dem Steuermann stürmisch nach der Kajüte zurückgerufen wurde,
wohin man mittlerweile den eigentlichen Verunglückten, den Bootsmann
getragen hatte. Brüllend lag er auf dem Boden und krümmte sich in seinen
Schmerzen, ringsum die verstörten Gesichter des Kapitäns und einiger
Passagiere. Dieser Fall war bedeutender als der andere.

Ich musste einen Theil der zerschmetterten Hand amputiren, und noch im
letzten Augenblick der Reise meine Instrumente hervorholen, nachdem ich sie
glücklich fast unbenutzt bis ans Ziel gebracht hatte. Beide Verletzungen
waren dadurch entstanden, dass der Bootsmann die zweite Kartusche, ohne
auszuwischen, in das Geschütz schob, während dieses noch glimmende Reste
der ersten Kartusche enthielt.

Eine kleine Dampfbarkasse bog alsbald um die nächsten Felsen und
legte sich an unsere Seite. Sie enthielt den Immigration-Officer, den
Regierungsarzt und den Hafenmeister sowie einen Maschinisten und einen
Steurer, welcher letztere mir als der erste Maori, den ich sah, am
interessantesten erschien. Doch zu ethnologischen Studien war jetzt keine
Zeit. Ich stieg an der Jakobsleiter in die Barkasse hinab und stellte mich
und unsere Gesundheitsverhältnisse vor. Trotz Allem, was der Lootse mir
von der Strenge der bezüglichen Hafengesetze mitgetheilt hatte, hoffte ich
noch, dass die Beamten uns gnädig sein und von einer längeren Quarantäne
absehen möchten, da ja der Abdominaltyphus eine Krankheit ist, die in
keiner grösseren Stadt fehlt, und die nicht erst durch uns in Neuseeland
importirt zu werden brauchte.

Unser Schicksal wurde kurz entschieden. Die Kommission verhängte
Quarantäne über uns, befahl dem Kapitän, sofort die Böte auszusetzen,
um alle Passagiere, gesunde und kranke, an der Insel zu landen, und fuhr
gleich wieder nach der Stadt zurück, ohne an Bord gewesen zu sein. Ich
selbst wurde beauftragt, die Leitung der Quarantäne zu übernehmen.

Dies war nun ein sehr kühler Empfang, wie wir ihn nicht erwartet
hatten. Und unsere Immigranten paradirten doch alle in ihrem schönsten
Sonntagsstaat, und der Kapitän, der gänzlich ignorirt wurde, hatte doch
alle Räume aufs Sorgfältigste rein machen lassen, viel reiner als sie
jemals während der ganzen Reise gewesen. Alles vergebene Mühe. Und jetzt
sollten auch noch die frischgestrichenen Böte ausgesetzt werden, an denen
die Farbe noch kaum fest haftete, und an denen der Kapitän selbst mit
Liebe herumgekleckst hatte. Dies war keine geringe Aufgabe bei dem eben
herrschenden Unwetter. Wir hatten deren fünf an Bord, aber nur die
kleine Jolle hing an Davids, die vier grossen lagen innen auf den beiden
Deckhäusern.

Unter solchen Umständen konnte es nicht überraschen, dass sehr bittere
Gefühle den Lenker der Euphrosyne durchzuckten, und schliesslich in einem
Wuthausbruch ihre Aeusserung fanden, der hauptsächlich gegen mich als
supponirten Veranlasser der Quarantäne sich richtete, der aber als
etwas schon öfter Dagewesenes keinen besonderen Eindruck mehr zu machen
vermochte und mich nicht abhielt, wiederholt den grimmigen Tiger an seine
Pflicht zu erinnern und um Beschleunigung der lässig betriebenen Arbeit zu
bitten.

Mehr als zwei Stunden verstrichen, bis die Böte zu Wasser waren, und ich
hatte nun Musse, vom Achterdeck aus die neue Umgebung zu betrachten. Dunkle
graue Wolken flogen eilig über den Himmel. Eine Schaar fremdartiger Möven
mit fremdartigem Geschrei kämpfte gegen den Sturm und spähte gierig nach
den vom Ebbestrom weggetriebenen Abfällen des Schiffes. In der nächsten
Nähe vor mir lag die kleine baumlose Insel, welche auf unbestimmte Zeit
meine Domäne werden sollte, mit der Immigrantenkaserne oben und steilen
Felsen unten am Ufer, über die eine hölzerne Treppe vom Landungspier
hinaufführte. Sie schien unbewohnt zu sein, kein Mensch war auf ihr zu
erblicken. Ein immer heftiger werdender Wind peitschte die hüpfenden
Wellen, pfiff durch die Takelage und warf sich zuweilen in orkanartigen
Stössen auf das an den Ankerketten rüttelnde Schiff, über welchem nun
die verdächtige gelbe Flagge wehte. In düsteren Umrissen begrenzten hohe
Bergketten, welche bewaldet zu sein schienen, die Gegend, nach Süden ein
schmales Stück Ozean offen lassend.

Die Böte leckten in allen Fugen und füllten sich, kaum zu Wasser
gebracht, bis zum Rande. Die halbe Mannschaft war krank und die gesunde
Hälfte missmuthig, dass sich die Ankunft in Wellington verzögerte und
dass nun auch noch die Mühe des Hin- und Herruderns winkte. Der Kapitän
tobte und fluchte.

Als ich endlich an die Insel fahren konnte und zum ersten mal nach vier
Monaten wieder festen Boden unter den Füssen fühlte, war mir zu Muthe wie
einem von schwerer Krankheit Genesenen, der seinen ersten Ausgang feiert.
Es that mir leid, dass ich nochmals aufs Schiff zurück musste. Ich lernte
Mister Koral, den Verwalter der Quarantänestation kennen. Der alte Herr
war höchst bestürzt, so viel fremde Völker einquartiert zu bekommen, mit
denen er sich nicht verständigen konnte.

Alle Passagiere an demselben Nachmittage zu landen, erwies sich bei dem
herrschenden Sturm als unmöglich und wir durften froh sein, wenigstens die
ledigen Männer mit Sack und Pack auf die Insel zu bringen. Die Familien
und die einzelnen Frauenzimmer sowie sämmtliche Kranke hatten noch eine
Nacht an Bord zu schlafen. So war unser kleiner Staat in zwei Theile
getrennt. Wir hatten nur einen Koch, der natürlich auch an Bord bleiben
und an Bord kochen musste. Die Passagiere auf der Insel erhielten ihr Essen
deshalb nicht zur gewohnten Zeit und rächten sich dafür an dem frischen
Proviant, der aus der Stadt kam und von den Lieferanten in der irrigen
Meinung, dass wir bereits alle gelandet seien, statt aufs Schiff auf die
Insel dirigirt worden war, so dass nun die Passagiere an Bord sich um
ihr frisches Fleisch, ihr frisches Gemüse und ihr frisches Brot betrogen
sahen, auf das sie sich so sehr gefreut hatten. Eine endlose Reihe von
Missverständnissen entwickelte sich aus diesem Zustand der Zersplitterung
bei der durch das Unwetter erschwerten Kommunikation mit der Insel. Wir
waren ganz allein auf uns selbst und auf unsere lecken Böte angewiesen.
Kein Mensch kam uns zu Hilfe, und wären nicht oben auf Somes Island die
Baracken gewesen, wir hätten uns in einem ganz neuentdeckten, wilden Lande
glauben können. Von da, wo wir lagen, sah man nicht einmal Schiffe.

Die Kommissioners paddelten zwar gegen Abend nochmal aus Wellington herbei,
aber nur, um ihre unzufriedene Verwunderung auszudrücken, dass noch nicht
alle Immigranten gelandet seien, und den Kapitän aufzufordern, eines der
Böte einem Haufen Bettstroh nachzuschicken, welches über Bord gefallen
war und vom Winde in der Richtung nach dem Hauptlande entführt,
Infektionsstoff dorthin verschleppen konnte.

Das Wetter des folgenden Tages war wenn möglich noch schlimmer. Es
stürmte ohne Unterlass. Zum Ueberfluss hatten sich während der Nacht neue
Schwierigkeiten hinzugesellt. Das Schiff war mitsammt seinen beiden Ankern
von den Böen und der See um mehr als eine Meile zurückgetrieben und
dadurch die Distanz vom Landungspier um fast ebenso viel vermehrt worden.
Eines der am Hintertheil befestigten Böte hatte sich losgerissen und war
spurlos verschwunden, und in einem anderen hatten die zwei Matrosen der
Morgenwache, des langweiligen Bordlebens müde, das Weite gesucht.

Doppelt intensives Fluchen und Toben des Kapitäns war die unausbleibliche
Folge. Er unterlag dem Uebermass der auf ihn einstürmenden Zorngefühle
und betrank sich. Er lallte schliesslich nur mehr spanisch zu mir, wenn ich
ihn um etwas bat. In der Vorkajüte brüllte ohne Unterlass der Bootsmann
mit seinem zerschossenen Vorderarm, im Hospital winselten die delirirenden
Typhuskranken und draussen auf Deck schimpften sich die Passagiere um ihre
Bündel.

Wäre nicht die Dampfbarkasse der Kommissioners wieder erschienen, und
hätten nicht diese auf meine dringenden Vorstellungen hin sich unser
erbarmt und uns ins Tau genommen, wir hätten Somes Island niemals
erreicht. Die wenigen Matrosen, welche dienstfähig waren, konnten
die schweren Böte kaum gegen Wind und Wellen halten, viel weniger
vorwärtsrudern.

Wir kamen merkwürdiger Weise alle glücklich und ohne erheblichen Unfall
auf die Insel, trotz des Wirrwarrs und des Geschreis der Frauen und
Kinder, die sich fürchteten, in die auf und nieder fliegenden Fahrzeuge zu
steigen, und trotz der Brandung an den Felsen des Ufers, in die gerade das
Boot mit den Kranken gerieth, so dass wir Gesunde hinausspringen mussten,
um es mit den Händen zu dirigiren und das Umschlagen zu verhindern. Wenn
ich jetzt zurückdenke an jene Szenen der Landung auf Somes Island, an die
lecken Böte, in denen zwei Mann fortwährend mit Eimern auszuschöpfen
hatten, nur damit das Wasser auf einem gewissen Niveau blieb, an das
Angstgeschrei der dicht zusammengedrängt zwischen Bettzeug und Kisten
verpackten Kinder, Weiber und Männer, die alle mit dem Heulen des Sturmes
wetteiferten, die Worte der Kommandirenden unverständlich zu machen, an
die unruhig hüpfende See, welche zu beiden Seiten hineinschlug und
die Menschenknäuel rastlos auf und nieder warf, hier die Böte an der
Falltreppe, dort am Pier oder an den Felsen zu zerschellen drohte, so kommt
es mir ganz wunderbar und kaum glaublich vor, dass wir alle mit heiler Haut
der Todesgefahr entrannen.

Der Sturm hielt noch über eine Woche an und störte wesentlich den
wiedererlangten Genuss des Lebens auf fester Erde und in geräumigeren
Wohnungen. Wir sollten alle Tage Proviant aus Wellington erhalten, aber
einigemale kam keiner, wahrscheinlich weil es dem Lieferanten zu stark
wehte, und wir mussten zu Salz- und Büchsenfleisch zurückgreifen, mit
der unerfreulichen Aussicht auf eine Hungersnoth, falls die vorhandenen
Vorräthe zu Ende gingen, ehe ruhigeres Wetter eintrat.

Die Euphrosyne wurde nach etlichen Tagen durch die Kommissioners von
der Quarantäne freigesprochen und ging an die Stadt, nachdem die
Bettverschläge und sonstigen Einrichtungen für die Immigranten
herausgerissen und auf Somes Island gebracht und das Zwischendeck und die
Hospitäler mit Chlor und Schwefel geräuchert und frisch gekalkt worden
waren. Wir sahen uns dann ganz allein auf der kleinen Insel, die man bequem
in einer halben Stunde hätte umgehen können, wenn die Ufer nicht aus
steilen Felsen bestunden. Ringsum die tosende See, die uns von der übrigen
Welt trennte, uns die Verbannten, Gemiedenen, mit der gelben Flagge
Gebrandmarkten. Die Ankunft des Proviantbootes, welches zuweilen auch
Briefe brachte, bildete das einzige Ereigniss des täglichen Lebens, und
man fühlte sich beunruhigt, wenn es nicht zur gewohnten Stunde kam.

Ich hatte in den ersten zwei Wochen wahrlich keine Zeit, mich zu
langweilen. Sie gehören zu den bewegtesten Perioden meines Lebens.
Ueberall gab es zu organisiren, Unfällen, Missverständnissen,
Streitigkeiten und Klagen abzuhelfen. Mister Koral der Verwalter gerieth
oft in Verzweiflung beim Proviantaustheilen und rannte dann regelmässig zu
mir um mich zu Hilfe zu rufen.

Und während der ganzen Zeit wehte der widerwärtigste Sturm. Gleich am
zweiten Tag deckte er uns das Küchengebäude ab und zertrümmerte den
Schornstein des Heerdes und diesen selbst. Wir mussten nun im Freien
kochen, und zwar unten auf den Geröllblöcken des Ufers, da oben das
dürre Gras hätte Feuer fangen können. Ein anderes mal rüttelten in der
Nacht die Windstösse so eindringlich an den Baracken, dass eine förmliche
Panik die Bewohner der oberen Stockwerke ergriff. Sie flüchteten in
die Erdgeschosse. Die Bewohner dieser, dadurch in ihrer Ruhe gestört,
remonstrirten dagegen. Eine Keilerei entwickelte sich, und die ganze
unwillkommene und unangekleidete Gesellschaft verfügte sich in meine
Wohnung und holte mich aus dem Bett, den Streit zu schlichten. Seit jener
Nacht gab es in jedem der vier grossen Gebäude zwei feindliche Etagen --
eine neue Gruppirung von Gegensätzen, deren wir bereits genug besassen.
Denn nicht nur die Nationalitäten und die Familien hassten einander, man
hasste sich ausserdem noch häuserweise, parteienweise, individuenweise,
kurz nach allen Dimensionen des Raumes, nach dem Alter, nach dem
Geschlecht, die Kranken hassten die Gesunden, die Gesunden die Kranken.

Nur in der Opposition gegen mich und meine Organe waren sie Ein Herz
und Eine Seele. Ein Hauptstein des Anstosses war ein Paragraph in den
Vorschriften der Quarantäne, dass die männlichen Immigranten täglich
vier Stunden arbeiten sollten. Nach einem Plane, den ich von der Regierung
erhielt, sollten Wege und Baumalleen auf der Insel angelegt werden, und
dass die Regierung die vielen Arbeitskräfte, die sie ernährte, in höchst
bescheidenem Umfang hiezu in Anspruch nahm, war gewiss eine billige
und weise Massregel, abgesehen von der psychischen Nothwendigkeit einer
Beschäftigung. Aber meine Leute waren durch die lange Seereise so sehr
ans Faullenzen gewöhnt und demoralisirt, dass sie sich hartnäckig
dagegen auflehnten. Sie behaupteten, ungerechter Weise auf der Insel
zurückgehalten zu sein, man schrie Verrath. Die ganze Wuth richtete sich
gegen mich, und eine Rebellion entstund, die mir für einen Tag keine
geringe Verlegenheit bereitete. Ich hielt Reden an das versammelte Volk,
ich versuchte es mit Güte, ich drohte. Zum Glück war man thöricht genug,
meinen Versicherungen, dass ich telegraphisch Militär von Wellington
requiriren würde, dessen Unterhalt den Immigranten zur Last fiele, Glauben
zu schenken. Das Militär allein ohne den Geldpunkt würde sicher keinen
Eindruck gemacht haben. Vor den Unkosten aber fürchteten sich alle. Die
Widerspenstigen gehorchten und fingen an wenigstens zum Schein zu arbeiten.
Diese Leichtgläubigkeit war meine Rettung. Denn die Drohung mit
dem Telegraphen war eitel Wind gewesen. Ich besass zwar Flaggen zum
Signalisiren, aber bei dem herrschenden trüben Wetter würden meine
Signale von keinem Punkt des Festlandes aus bemerkt worden sein.

Ueberall war der Tabak ausgegangen, und unsere Leute verfielen nun auf
ein gräuliches Surrogat. Sie rauchten Theeblätter, indem sie dieselben
trockneten, nachdem bereits Thee daraus gewonnen worden war. So sehr ich
auch vom wirthschaftlichen Standpunkt aus dieser intensiveren Verwerthung
eines Stoffes meinen Beifall zollen musste, so konnte ich doch nicht
gestatten, dass die Wohnräume in solcher Weise verpestet wurden. Ich
verbot das Rauchen im Innern der Häuser und hatte damit leider eine
neue Quelle von Uebertretungen und Unannehmlichkeiten eröffnet. Auf
der Euphrosyne war es viel leichter gewesen die Leute vom Rauchen im
Zwischendeck abzuhalten durch das Schreckgespenst eines Schiffsbrandes.
Jetzt fürchteten sie sich nicht mehr so sehr vor einer Feuersbrunst.

Der Typhus forderte noch zwei Opfer, und diese mussten den
Quarantäne-Vorschriften gemäss so bald als möglich beerdigt werden. Es
war schwer, unter meinen Passagieren die nöthigen Arbeiter zur Herstellung
der Gräber zu gewinnen, und wurde es dunkel, so war keiner beherzt genug,
auf dem Friedhofe zu bleiben, wenn ich nicht selbst blieb und beständig
zur Arbeit anhielt. Beide male traf es sich so, dass die Bestattung erst
spät in der Nacht vorgenommen werden konnte.

Die Unglücklichen, welche jene heimtückische Seuche in der Blüthe der
Jahre hinwegraffte, ein junger Mann und ein junges Mädchen, hatten
wohl nicht geahnt, ein wie frühes Grab und unter welch eigenthümlichen
Umständen sie im Land ihrer Hoffnungen finden sollten, als sie die ferne
Heimath verliessen. Nur wenige Gefährten vermochten die Schauerlichkeit
der mitternächtigen Stunde zu überwinden und folgten als Leidtragende
nach dem Friedhof, auf welchem bereits eine lange Reihe von
Immigrantenschiffen ihre Spuren in Form schmuckloser Grabhügel
hinterlassen hatte. Ringsum die schwärzeste Finsterniss, deren Wirkung das
schwächliche Licht unserer Laternen nur erhöhte. Der Wind fegte über
die Insel und peitschte den Regen uns ins Gesicht und an die klappernden
Laternen. Tief unten brauste und dröhnte die See. So verrichteten wir
schweigend das traurige Geschäft. Ein kurzes Gebet, vom Schulmeister
gesprochen, dann griff Alles zu den Schaufeln und bedeckte schnell den
rohen Brettersarg mit Erde.

Auch auf dem Hauptland richtete der Sturm Verwüstungen an. Waldbrände
verbreiteten sich ringsum an den umgebenden Hügelketten trotz der
häufigen und heftigen Regengüsse, und in einer Nacht schienen an zwei von
einander unabhängigen Stellen ganze Berge in Gluth zu stehen, ein schönes
ergreifend grossartiges Schauspiel.

Fünfundfünfzig Tage dauerte für mich die Verbannung auf Somes Island.
Glücklicher Weise waren jedoch nur die zwei ersten Wochen so reich an
Mühen und Aufregungen, und allmälig trat nicht nur ruhigeres Wetter,
sondern auch Ordnung und Regelmässigkeit in meinem kleinen Staate ein.
Die Gesunden lebten streng von den Kranken gesondert, hatten zu baden, ihre
Kleider zu waschen und zu räuchern und wurden in einzelnen Abtheilungen
nach Wellington abgeholt, sobald ich sie für rein und frei von Krankheit
erklärt hatte. So schmolz die Einwohnerzahl von Somes Island zu meiner
grössten Freude immer mehr zusammen und schliesslich hatte ich nur mehr
ein paar Dutzend Kranker und Rekonvaleszenten mit ihren Angehörigen in den
Baracken. Ich konnte jetzt meine Blicke freier um mich wenden und wieder
Neigungen ausserhalb der Berufssphäre nachgehen.

Meine bisherigen Erfahrungen über Neuseeland hatten sich nur auf
die überraschenden meteorologischen Eigenthümlichkeiten und auf die
Liberalität, mit welcher die Kolonialregierung für ihre Einwanderer
sorgt, bezogen.

Diese letztere verdient in der That die höchste Bewunderung. Es ist kaum
glaublich, welche verhältnissmässig enormen Geldmittel die noch lange
nicht eine halbe Million Köpfe zählende Kolonie aufwendet, um einen
stetigen Zufluss von Einwanderern zu erhalten. Nicht genug, dass Neuseeland
den meisten derselben die Passage bezahlt hatte, wurden diese auch
nach ihrer Landung in Wellington noch so lange verpflegt bis sie Arbeit
erhielten. Es liegt nahe zu glauben, dass die Regierung später hiefür
vielleicht eine Art Abzahlung oder wenigstens das Verbleiben im Lande als
Gegenleistung verlangte. Solches ist aber durchaus nicht der Fall. Jeder
in Wellington angekommene Immigrant ist sofort frei, zu gehen wohin ihm
beliebt -- eine Freiheit, die nicht gar selten dazu benutzt wird, mit der
ersten Gelegenheit nach Australien überzusiedeln. Um derartige vereinzelte
Fälle kümmert sich die Regierung nicht. Sie rechnet nach echt englischer
Weise nur mit grossen Zahlen, ohne kleinlich zu kontroliren. Kostet ja die
Kontrole oft mehr als die Nichtkontrole. Dass trotz dieser vorzüglichen
Einrichtungen viel Gejammer von Auswanderern in den Zeitungen zu hören
ist, kann nicht befremden, wenn man bedenkt, dass erstens auch in
Neuseeland die schlechten Zeiten nicht ausgeblieben sind, und dass
Auswanderer in der Regel einer Bevölkerungsklasse angehören, unter
welcher viel arbeitsscheues Gesindel sich findet. Auswanderung
ist überhaupt eine Sache, bei der es selbst unter den besten
menschenmöglichen Bedingungen nie ohne Härten abgeht.

Das Bewusstsein, die grosse wenig erfreuliche Gesellschaft los zu sein und
nicht mehr Tag für Tag alle die dummen und unzufriedenen Gesichter sehen
zu müssen, an deren jedes sich irgend eine unerquickliche Erinnerung
knüpfte, gehörte entschieden zu den grössten Annehmlichkeiten, die ich
jemals empfunden habe. Ruhe war mein erstes Bedürfniss. Sie wurde mir
jetzt zu Theil, und nur wenn der Wind wieder um unsere exponirten Gebäude
zu heulen und an ihnen zu rütteln begann, wurde sie einigermassen
gestört.

Ich hatte eine reizende Dienstwohnung ganz nach meinem Geschmack. Zwei sehr
geräumige Zimmer, spartanisch einfach und englisch solide möblirt, jedes
mit grossen Fenstern auf zwei Seiten, erlaubten mir, mich mit allen meinen
Sachen gehörig auszubreiten, ein unschätzbares Vergnügen nach den
mühseligen Einschränkungen des Schiffslebens. Alles in der Einrichtung
war zweckmässig und nichts überflüssig. Die weissgetünchten
Bretterwände waren zwar ziemlich undicht, so dass ich an einigen Stellen
kaum mit einem brennenden Lichte vorübergehen konnte, ohne dass es
ausgeblasen wurde, und jeder etwas stärkere Wind drang durch den dünnen
frei auf einigen Balken über der Erde ruhenden Boden und hob den Teppich
stossweise in die Höhe, dass er wogte wie ein stürmisches Theatermeer,
und regnete es, so bildete sich bald vor jedem Fenster ein kleiner See mit
einem Stromsystem bis zum Fusse der gegenüberliegenden Wände.

Die Aussicht aber war ganz unvergleichlich schön. Kurz vor den Fenstern
stürzte der Berg zu der grünen Wasserfläche hinab, auf welcher winzig
kleine Fischerböte mit rothen Segeln schaukelnd ihre Kreise abritten.
Möven flogen in gleicher Höhe auf Schussweite vorüber, erschrocken
abbiegend, sowie sie mich hinter den Glasscheiben erblickten. Die dunklen
Bergketten, welche die Bucht umgrenzten, gewährten noch einige male in
der Nacht das Schauspiel ausgedehnter Waldbrände, und an hellen, sonnigen
Tagen konnte ich zuweilen mich damit unterhalten, mit dem Fernrohr die
Strassen von Wellington zu durchwandern.

Manchmal kreuzten grössere Segelschiffe unten vorbei, entweder vom Ozean
draussen herein in den Hafen oder wieder hinaus. Port Nicholson ist bequem
und geräumig genug, dass man der Schleppdampfer hiezu entbehren kann. Auch
die Euphrosyne sah ich eines Tages wieder in See stechen. Sie ging nach
Peru, um Guano zu nehmen. Ich bemitleidete meine alten Gefährten, die auf
ihr hinwegfuhren, alle, am meisten aber unseren Hannes, an dem sich jetzt
der ganze Grimm des Kapitäns und der Offiziere ungestört entladen mochte.

Grössere Bäume gab es nicht auf der Insel. Man hatte zwar angefangen,
australische Eukalypten und englische Fichten anzupflanzen, aber die
Pflänzchen waren noch klein und schwach. Ein hohes schilfartiges Gras, die
Arundo conspicua beherrschte den Charakter der Vegetation, und überall
auf den Hügeln stunden in mächtigen Büscheln ihre schlanken Halme und
wiegten graziös seidenglänzende fiederige Rispen im Winde. Somes Island
ist berühmt wegen dieses schönen Grases. Häufig kommen, wenn die
Quarantäne leer steht, Lustpartieen hieher und holen sich davon zum
Schmuck der Wohnungen. Ich habe auch nie mehr später auf Neuseeland
die Arundo conspicua so reich und herrlich entwickelt gefunden. Auf
den Felsenkanten der schattigen Südseite wuchs Phormium tenax, der
Neuseeländische Flachs, und in einer Schlucht entdeckte ich einmal zwei
kümmerliche Kohlpalmen, die so charakteristische Cordyline australis,
den Cabbage Tree der Engländer, den ich später noch so oft und so viel
grösser zu sehen bekommen sollte. Damals war er mir neu und merkwürdig.

Es war Spätherbst, und die Sommersonne hatte Alles gelb und welk gebrannt.
Nur in den Felsenklüften der Südseite, wohin die Sonne nicht dringen
konnte, grünte es noch lebhaft von Farnen, welche einige Höhlen zu
feenhaften Gemächern austapezierten. Eine scharfe Ecke springt zwischen
Süd- und Westseite vor, und eben so scharf wie diese Ecke, war damals die
Grenze zwischen Kahlheit und Dürre und üppigstem Grün.

An ungezähmten Säugethieren gab es nur einige verwilderte Katzen und
eine Menge Ratten, welche jenen zur Nahrung dienten. Beide stammten von
europäischen Schiffen her. Mister Koral hielt sich ein paar Ziegen.
Schafe durften nicht gehalten werden, weil ihre losgerissene Wolle
Krankheitsstoffe nach Wellington führen konnte.

Weite Ausflüge waren auf der kleinen Insel allerdings nicht möglich. Doch
boten Spaziergänge den steinigen Strand entlang oder Kletterpartieen über
die Felsblöcke des Ufers stets grossen Genuss und zur Zeit der Ebbe reiche
zoologische Beute.

Das am meisten zerklüftete Südufer wimmelte dann von natürlichen
Aquarien jeder Grösse, welche die weichende Fluth in den Löchern und
Tümpeln zurückgelassen hatte. Aktinien blühten da in allen Farben
zwischen Meerlattich und Tang. Fische aller Art und steifbeinige Garneelen
schossen in ihnen herum und suchten sich vergebens hinter Steine zu retten.
Alles sass voll von Aszidien, Schnecken und Muscheln, in jeder Rille klebte
ein schöner Chiton. Manch werthvolles Mollusk habe ich dort gesammelt.
In den Höhlen und Klüften, die oft senkrecht zum dunklen Grunde
hinabstürzten, überzogen hellviolette Kalkalgen das ganze Gestein, soweit
es im Bereich der Fluth lag, und von oben hingen Farnornamente herunter und
spiegelten sich in den Wellen. Unzählige Seesterne und Seeigel, seltener
auch Holothurien, klammerten sich an die Wände des Grundes, und hie und da
glitt ein mächtiger schwarzer Fisch durch die Tiefe.

Da wo an den äussersten vorgeschobenen Klippen die Wogen sich brachen,
lebten dickschalige Bewohner der Brandung, derbe, faustgrosse Trochen und
Turbonen und eine riesige Haliotis. Letztere saugten sich gewöhnlich
so fest, dass sie nur mit dem Messer loszumachen waren, ebenso wie die
Chitonen. Hie und da gelang es mir, schnell ehe sie sich duckten, die
Fingerspitzen zwischen den Rand ihrer Schale und die sammtenen Fortsätze
des Mantels zu schieben, und dann riss ich stets die blosse Schale vom
Thier ab, während dieses selbst hartnäckig sitzen blieb.

Doch auch zu kulturgeschichtlichen Studien bot ein Spaziergang unten am
Strande Gelegenheit. Von verschiedenen Schiffen, die vor uns auf der
Insel in Quarantäne gewesen waren, lagen hier die Ueberreste ihrer
Einrichtungen, ganze Berge von Kojenbrettern, um allmälig als
Feuerungsmaterial aufgebraucht zu werden, und dazwischen
zerstreut Deckhäuschen und Luckenkappen, Ventilationsröhren und
Klosettbestandtheile. Es berührte mich unangenehm, einen auffallenden
Unterschied zwischen den englischen und deutschen Artikeln dieser Art
konstatiren zu müssen. Von den englischen Schiffen war Alles so solid
und selbst elegant gearbeitet, dass ich mich schämte, unseren lotterigen
deutschen Trödel daneben liegen zu sehen. Wie oft hatte ich von
Engländern Anspielungen und Klagen über die schlechte Ausrüstung unserer
Schiffe zu hören und ruhig hinzunehmen, ohne im Stand zu sein, sie als
unbegründet zurückzuweisen.

Auf der Südkante, dem Eingang von Port Nicholson und dem Ozean zugewendet,
stand oben der Leuchtthurm. Zwei Wächter bewohnten ihn, von denen der
jüngere eine Frau besass. Mit ihnen sowie mit Mister Koral und dessen
Tochter, die von Wellington herübergekommen war, die Verbannung ihres
alten Vaters zu erleichtern, habe ich manchen angenehmen Abend zugebracht.
Waren auch die beiden Leuchtthurmwärter der Einsamkeit ihres Lebens
entsprechend einsilbig genug, und kann ich mich auch nicht erinnern, von
dem älteren derselben mehr als ein stereotypes tägliches »Good Morning
Sir, nice Morning Sir« mit einer Betonung als ob ich das Gegentheil
behauptet, gehört zu haben, so waren sie doch die liebenswürdigsten
Menschen, die mir jeden Gefallen thaten. Wir fuhren zusammen zum Fischen
oder machten Segelpartieen um unser Eiland.

An Gelegenheit zur Wasserjagd fehlte es niemals. Auf den Klippen ringsherum
wimmelte es von Möven verschiedener Arten. Kormorane trieben sich
dazwischen herum, waren aber nur schwer zum Schuss zu bekommen. Um
auszuruhen, wählten sie immer die entferntesten Felsenspitzen, die eine
weite Umschau gestatteten, und seltsam zeichnete sich oft ihre Silhouette
vom Himmel ab, wenn sie regungslos auf einer Kante sassen, ihre nassen
Flügel zum Trocknen ausgebreitet und schlaff herabhängend, nicht
unähnlich einem zerzausten Preussischen Adler. Versuchte man sich ihnen zu
nähern, flugs waren sie weg und verschwunden.

Das interessanteste Wild auf der Insel aber waren die zahlreichen Pinguine
der kleinen blauen Art, die hier eine Hauptstation zu haben schienen.

Einmal in einer schönen Mondnacht schrieen sie so laut vom Strande herauf,
dass ich sie durch die geschlossenen Fenster bis in mein Zimmer hörte.
Es mussten mehrere Dutzend sein. Ich nahm meine Büchse, kletterte die mir
wohlbekannten beschwerlichen Pfade hinab und setzte mich in den Schatten
eines Felsblocks um zu lauern. Aber nichts liess sich blicken, obwohl ich
fast zwei Stunden blieb.

Die Poesie der Umgebung entschädigte mich reichlich für jegliche Beute.
Nur das Anschlagen der glitzernden Wellen gegen die Felsenthore und Klüfte
des Ufers, deren groteske Formen im ungewissen bleichen Lichte des Mondes
schwammen, unterbrach die feierliche Stille der Nacht. Oben strahlte das
südliche Kreuz und weiter nördlich der Skorpion, der zwölf Stunden
später auch auf die ferne Heimath herabsah. Geheimnissvolle Stimmen regten
sich zuweilen draussen über dem Wasser. Schaaren von Möven schliefen dort
auf einsamen Klippen, und häufig stritten sich ein paar von ihnen um die
Plätze. Und plötzlich liessen sich dann auch die Pinguine hören, so
nahe, dass ich sie sehen zu müssen glaubte. Zuerst begann einer allein
sein hässliches Jauchzen und Gurren, andere antworteten ihm, und dann fiel
der ganze Chor ein und gurrte und jauchzte so schauerlich und unnatürlich,
als ob eine Schaar dämonischer Geschöpfe aus der Apokalypse hinter den
nächsten Felsen versteckt war. Dann trat auf einmal wieder Stille ein und
nur die Wellen plätscherten leise.

Erst nach langem Suchen gelang es mir, in einer der vielen Höhlen am
Strande, in welchen sie sich während des Tages aufzuhalten schienen,
drei Pinguine zu fangen. Sie verriethen ihre Anwesenheit durch dieselben
gurrenden Töne, die ich schon öfter in der Nacht gehört, und die
sie wahrscheinlich erschreckt durch das Geräusch, welches ich beim
Herumklettern machte, ausstiessen.

Ich zündete eine Kerze an und kroch auf dem Bauch in die immer enger und
niedriger werdende Höhle bis ich nicht mehr weiter konnte. Da sassen denn
meine Vögel in einem nur fussbreiten Loch, kein Meter von mir entfernt
aber unerreichbar für die Hand, und gurrten und fauchten so giftig,
dass ich fürchtete, sie möchten mir ins Gesicht springen, was in meiner
eingeklemmten Lage sehr unangenehm werden konnte. Ich blieb ruhig liegen
und bohrte mein Licht in den Boden. Das Licht schien die Neugierde der
Pinguine lebhaft zu reizen. Sie beruhigten sich und hörten auf zu gurren,
da sie nur mehr das Licht beguckten.

Langsam kam jetzt einer heraus aus dem Loch, das seltsame Phänomen genauer
zu untersuchen. Auf mich schienen sie ganz vergessen zu haben, da ich mich
nicht regte und kaum zu athmen wagte. Immer näher und näher kam er der
tückisch auf ihn lauernden Hand. Ein rascher Griff und ich hatte ihn beim
Kragen. Er sträubte sich wüthend und biss heftig um sich, seine Kameraden
fauchten und gurrten, ich rutschte zurück und steckte ihn draussen in
einen mitgenommenen Sack. Ganz auf dieselbe Weise fing ich auch die zwei
anderen. Nach zehn Minuten ruhigen Liegens hatten sie mich vergessen und
schlichen hervor, das Licht zu begucken.

Den letzten liess ich frei und ins Wasser laufen, um seine Schwimmkunst zu
beobachten. Eilig hüpfte er gleichbeinig über die Blöcke des Ufers, bis
er das rettende Element erreichte. Dann tauchte er unter und blitzschnell,
seine Vogelgestalt in die eines Fisches verwandelnd, war er verschwunden.
Nach einer Minute tauchte er einen Büchsenschuss weit entfernt wieder auf,
um zu athmen. Ich machte eine Bewegung und abermals war er weg.

Meine zwei Gefangenen brachte ich nach meiner Wohnung, wo ich ihnen eine
helle, luftige Kammer einräumte. Trotz aller Bemühungen, ihnen ihren
Aufenthalt so komfortabel als möglich zu machen, gelang es mir nicht sie
zum Fressen zu bewegen. Ich liess für sie ein grosses Salzwasserbassin
und einen kleinen Garten mit Ufergewächsen anlegen, ich gab ihnen
lebende Fische und Würmer, ich versuchte sie gewaltsam zu füttern -- sie
bestanden hartnäckig auf dem Fasten.

In der Nacht fingen sie einmal, als der Mond zu ihnen hereinschien, zu
fauchen und zu gurren an und versetzten meine Krankenwärterin,
welche neben ihnen schlief, in die grösste Angst und Bestürzung. Das
abergläubische Weib glaubte, es seien böse Geister, die ihren Spuk
trieben. Da ich mittlerweile einsehen musste, dass alle meine Mühe mit
ihnen vergeblich war, so tödtete ich die armen Thiere, um sie nicht
länger leiden zu lassen, nachdem sie zwölf Tage gefastet hatten.

An den schönen warmen und windstillen Tagen, die auf die erste Periode
der Stürme folgten, ruhte über unserer Insel eine idyllische Sabathruhe,
welche, so wohlthuend sie im Anfang war, auf die Dauer langweilig wurde,
und ich begann schliesslich mit dem Köter des Leuchtthurmwächters zu
sympathisiren, dem unser Mangel an Ereignissen gleichfalls nicht zu behagen
schien. Er war ein gutmüthiger struppiger Kerl, der keinem Menschen was
zu Leide that. Aber er litt beständig an der schrecklichsten
Beschäftigungslosigkeit und rannte oft Tage lang vom Leuchtthurm nach den
Baracken und von diesen zum Leuchtthurm hin und her, um zu sehen, ob es
nichts für ihn zu thun gäbe. Selbst mitten in der Nacht liess es ihm
manchmal keine Rast, er konnte nicht schlafen und trabte dann regelmässig
zu mir herauf, um vor meinem Fenster so lange zu heulen, bis ich aus dem
Bett sprang und ihn mit einem Prügel den Berg hinabjagte, was indess
unserer Freundschaft während des Tages keinen Abbruch that.

Bald trat eine zweite Periode der Stürme ein, und es herrschte wieder
ein Wetter, wie es für den neuseeländischen Herbst charakteristisch sein
soll. Dunkle Wolken flohen heftig über den Himmel, durch deren Lücken die
Sonne feine Lichtblicke herabsandte. Ueber Wasser und Land, über Berg und
Thal glitten diese als hellstrahlende Inseln dahin, verfolgt von düsteren
schwarzen Regenschauern, ein nie aufhörender Wechsel in der Beleuchtung.
Dann rüttelte wieder der Wind heulend an unseren leichtgebauten zitternden
Häusern, und man war ins Zimmer gebannt.

Ich sah bereits mit Schmerzen meiner Erlösung entgegen, als mir eines
Morgens gemeldet wurde, es sei ein Schiff mit der gelben Flagge im Grosstop
hereingekommen und liege unten an der Insel vor Anker. Dies war mir
keine sehr angenehme Ueberraschung. Denn ein Zuwachs von Kranken wäre
gleichbedeutend mit einer Verlängerung meines Amtes gewesen. Uebrigens
ging das Schiff am Nachmittag an die Stadt und mir fiel ein Stein vom
Herzen.

Am 12. Mai schlug für mich endlich die ersehnte Stunde. Meine bis auf
fünf Köpfe zusammengeschmolzenen Kranken waren so weit genesen, dass sie
keiner täglichen ärztlichen Beaufsichtigung mehr bedurften. Ich wurde von
der Barkasse der Kommissioners abgeholt und siedelte nach Wellington über.
Ich war frei.



VI.

WELLINGTON.

  Erste Eindrücke. Lage der Stadt. Sehenswürdigkeiten. Das Museum, der
  botanische Garten, das Athenäum, der Gerichtshof. Allgemeines über
  Neuseeland. Der Königin Geburtstag. Die Maoris. Mortalität auf
  Auswanderersegelschiffen.


Was mir an Wellington, der Metropole Neuseelands, zuerst auffiel, war, dass
es durchaus nicht amerikanisch aussah, wie ich von einer so jungen Stadt
erwartet hatte. Es fehlte vor Allem jenes Charakteristikum amerikanischer
Städte, welches in der Lotterigkeit und Unreinlichkeit der Strassen, in
einem gewissen Bombast der Architektur und in der bunten Farbenmenge der
Aufschriften besteht. Die Häuser von Wellington sind klein, bescheiden
und anmuthig, die Strassen sauber und zu beiden Seiten mit wohleingefassten
Trottoiren versehen. Das Ganze trägt den Charakter Old Englands.

Eine Hügelkette tritt nahe ans Ufer vor und zwingt einen Theil der Stadt,
sich sowohl terrassenförmig an ihr aufzubauen als auch den seichteren
Partieen des Hafens Land abzugewinnen, womit Geröll herbeischleppende
Eisenbahnzüge auf der nur wenige Kilometer am westlichen Rande der Bai
hin nach einem Dorf namens Hutt River führenden Strecke fortwährend
beschäftigt sind. Mag dieses auch viel Geld kosten, und wird auch deshalb
viel wegen verfehlter Anlage geschimpft -- und wo in der Welt wird
nicht geschimpft -- die Ansicht von Wellington ist durch solche
Terrainschwierigkeiten nur um so hübscher. Der Tourist kümmert sich
bekanntlich egoistischer Weise nicht um die Kosten, die eine schwierige
Landschaft macht, wenn sie nur das Auge befriedigt.

Ein langes und mächtig breites Pier führt hinaus zum tieferen Wasser, wo
die grossen Schiffe liegen. Ihm gegenüber steht das Zollgebäude und
die Post. In Folge eines Erdbebens, welches vor etwa zwölf Jahren die
Bevölkerung in einen noch jetzt nicht ganz verklungenen Schrecken gesetzt
hat, sind alle Häuser von Holz bis auf zwei von Backstein, die deshalb als
Merkwürdigkeiten gezeigt werden. Das Holz als Baumaterial thut übrigens
dem Styl der Bauwerke keinen Eintrag. Das neue Regierungsgebäude ist ein
stattlicher Palast in der gediegensten Renaissance, und die Hauptkirche
täuscht dem Fremdling von ferne eine stolze gothische Kathedrale aus
weissem Marmor vor, bis er näher tritt, und der Marmor in eitel Tünche
sich auflöst. Ueberall sind Gärten zerstreut, in denen der zwar
höchst dankbare und nützliche aber unschöne aus Australien importirte
Eukalyptusbaum vorherrscht.

Die ersten Tage in Wellington vergingen mir wie die meisten ersten Tage in
überseeischen Städten. Man wird von dem deutschen Bruder und Landsmann
in Beschlag genommen und als neueste Merkwürdigkeit überall herumgezeigt,
man lässt sich treaten und treatet zur Abwechselung selbst, und legt sich
am Abend mit schwerem Kopf und mit dem Gedanken, dass es eigentlich sehr
viel langweilige Menschen giebt, zu Bett. Das in allen jungen Ländern
aufrechterhaltene schöne Prinzip der Ständegleichheit und der in
Abstrakto gewiss unanfechtbaren Hochhaltung der Arbeit scheint im grossen
Ganzen auf den deutschen Gevatter Schneider und Handschuhmacher nicht
sehr vortheilhaft einzuwirken. Er wird leicht unverhältnissmässig
selbstbewusst.

Man trägt in Wellington fast niemals Handschuhe und befleissigt sich
einer löblichen Enthaltung von Luxus und Kleiderpracht. Rothbackige Kinder
tummeln sich auf den freien Plätzen. Reiter mit Marktkörben sprengen vom
Lande herein um Vorräthe zu kaufen. Zeitungsjungen schreien mit denselben
gellenden Stimmen wie in England oder Amerika ihre Blätter aus.

Ganz besonders unangenehm sind hier die meteorologischen
Eigenthümlichkeiten des stürmereichen neuseeländischen Herbstes wegen
der Fülle von Staub, die der sandige Boden liefert. Die Windstösse kommen
so plötzlich und heftig, dass man oft mehrere Schritte zurückgedrängt
wird, und einmal sah ich den grossen Jagdhund meines Hotelwirths von einem
solchen dermassen überrascht, dass er schleunig sich umwandte und entsetzt
mit eingekniffenem Schwanze davon lief. Es werden schauerliche Geschichten
von der Gewalt des Windes erzählt. Manchmal soll es nicht möglich sein
das Landungspier zu betreten ohne Gefahr ins Wasser geweht zu werden.

Unter den Sehenswürdigkeiten der Metropole nimmt das Museum die erste
Stelle ein. Wie alle derartigen Institute ausserhalb Europas ist dasselbe
ziemlich universeller Art. Naturalien und Kunstgegenstände, lebende Thiere
und ein Münzkabinett, Waffen und getrocknete Pflanzen, alles Mögliche
findet sich neben einander aufgestellt. Von hervorragender Schönheit
ist das Innere eines Maoriversammlungsgebäudes, aus stylvollen
Holzschnitzereien zusammengesetzt. Unter den Münzen sah ich einen
bairischen Sechser neben chinesischen und brasilianischen Geldstücken
paradiren. Ein grosser botanischer Garten war erst im Entstehen begriffen.
Vorläufig erinnerte in der Wildniss hinter der Stadt, welche diesen Namen
trug, nichts als das Verbot Pflanzen abzureissen und Hunde mitzubringen an
ihre Bestimmung.

Ich besuchte das Hospital, das Irrenhaus und die Kaserne für die
Immigranten, in welcher diese von der Regierung verpflegt werden, bis
sie Arbeit gefunden haben, und fand Alles sehr gut und zweckmässig
eingerichtet. Meinem Hotel gegenüber lag der Gerichtshof, ein griechischer
Säulentempel. Die Richter schwitzen hier unter denselben altmodischen
Perrücken wie zu Hause in England. Es wurde eben ein Ehescheidungsprozess
verhandelt. Ein Chinese, der erste und letzte, den ich in Neuseeland sah,
liess sich von seiner abwesenden weissen Gemahlin, die mit einem Anderen
durchgegangen war, trennen. Das zahlreiche Publikum benahm sich ernst und
würdig, obwohl das sonderbare Pidschin English des Mongolen die Lachlust
erregte, so oft er den Mund aufthat. Neben dem Gerichtshof ist das
Athenäum, ein Lesesaal, in welchem alle möglichen Zeitschriften
aufliegen. Jede noch so kleine Stadt Neuseelands hat ihr Athenäum, in
welchem der gebildete Fremde als Gast stets willkommen ist. Auch einen
feinen Klub besitzt Wellington, unser Konsul hatte die Güte mich dort
einzuführen. Im grossen hölzernen Theater wurde nicht gespielt, weil
keine Schauspieler vorhanden waren. Man erwartete eben aus Melbourne eine
für den Winter engagirte amerikanische Mimengesellschaft mit etlichen
»Stars«.

Neuseeland macht unter allen Ländern, die ich kenne, den solidesten
Eindruck. Man sieht keine Bettler. Es scheint ein mehr allgemeiner
Wohlstand zu herrschen ohne die Extreme von Reichthum und Armuth. Die
servilen noch immer mit dem Stempel ihrer einstigen Leibeigenschaft
gebrandmarkten Bauerngestalten fehlen gleichwie in Amerika. Jedermann ist
sich bewusst, im grossen Ganzen eben so viel werth zu sein wie ein Anderer.

Die Hotels sind gut und billig, billiger als bei uns und unvergleichlich
besser. Ich habe selten mehr als acht Mark pro Tag bezahlt. »Two Shillings
for the Bed and for every Meal« ist der beinahe allgemein übliche in ganz
Australien geltende mittlere Satz, wofür bis auf die Spirituosen Alles
gewährt wird, was die täglichen Bedürfnisse eines anständigen Menschen
verlangen. Dass zu diesen auch ein Badezimmer, bei uns leider noch als
Luxusartikel betrachtet, gehört, versteht sich in jedem Lande englischer
Zunge von selbst. Keinem Menschen fällt es ein, Trinkgelder zu geben, die
einer höheren Kulturstufe überhaupt unwürdig sind. Das Aufwartepersonal
wird vom Wirth so gehalten, dass es nicht zu betteln braucht. Die Rubriken
für »Bougies« und »Service« und ähnliche schmähliche Prellereien
sind unbekannte Dinge. Eine Prostitution weisser Rasse giebt es kaum,
oder sie ist auf das menschenmöglichste Minimum reduzirt. Bei der stark
überwiegenden Zahl der männlichen Bevölkerung hat jedes neuankommende
Mädchen die beste Aussicht, zu heirathen. Weibliche Dienstboten sind
deshalb ein äusserst gesuchter Artikel, und die Löhne und Anforderungen
derselben dürften nach den Begriffen deutscher Hausfrauen haarsträubend
zu nennen sein.

Der Königin Geburtstag (24. Mai), der in die Zeit meiner Anwesenheit
fiel, gab mir Gelegenheit, einem militärischen Schauspiel beizuwohnen. Die
gesammte Miliz Wellingtons, Infanterie und Artillerie, rückte zur Parade
aus. Sie ist ganz eben so gekleidet und equipirt wie die englische. Dass
sie im letzten Maorikrieg wenig Erfolge gewann, konnte nicht wundern,
wenn man sie sah. Eine grössere Strammheit zeigte die sehr geschmackvoll
uniformirte, dunkelgrüne Konstabulary Force, die stehende Söldlingsschaar
der Kolonie. Sie rekrutirt sich hauptsächlich aus Mauvais Sujets -- jene
Menschensorte, die in Bezug auf ritterliche Erscheinung dem Spiessbürger
allenthalben überlegen ist.

Meine grösste Aufmerksamkeit zogen natürlich die Maoris auf sich. Man
begegnet ihnen in Wellington ziemlich häufig auf der Strasse, und in
einem Wirthshaus Namens »Crown und Anchor Hotel«, das sie mit Vorliebe
besuchen, um dem Schnapstrinken zu fröhnen, kann man jederzeit sicher
sein, eingeborene Zecher zu finden, meist alte Häuptlinge, die hier ohne
Beschäftigung von dem Ertrag ihrer Landverkäufe leben. Das Frappanteste
bei ihrem ersten Anblick sind die kunstvollen Tätowirungen, in die Haut
einziselirte Arabesken von hohem Kunstwerth, welche über und über ihr
Gesicht bedecken, so dass es von ferne ganz blau zu sein scheint, und
welche ihren harten und grossen Zügen einen starken Ausdruck von Wildheit
verleihen. Einige hatten etwas Stolzes und Gebieterisches in ihrer Haltung
und trugen den Stempel einer ursprünglich edlen und hochbegabten, jetzt
aber immer mehr verkommenden Rasse. Ihre Kleidung ist im Ganzen die der
weissen Kolonisten und variirt in allen Graden der Verluderung. Es soll
auch Gentlemen unter ihnen geben, und drei davon sitzen im Parlament und
sehen nach Photographien zu urtheilen ganz respektabel aus, trotz ihrer
Tätowirung, die überhaupt keinem Maoriaristokraten älteren Datums fehlt.

Bei ihren Weibern sieht man zuweilen schöne wohlgebildete Gestalten, aber
naturgemäss giebt sich bei diesen die Verkommenheit noch viel deutlicher
kund als bei den Männern. Struppig hängen ihnen die ungekämmten Haare in
die Stirn herein, ihr meist grellfarbiger Anzug ist unordentlich, und die
europäischen Röcke stehen ihnen eben so abscheulich wie allen Wildinen.
Häufig hocken sie betrunken auf der Strasse herum. Die Weiber höherer
Abkunft sind kenntlich an eintätowirten blauen Ornamenten, die sich auf
das Kinn und die Lippen beschränken. Die Sprache der Maoris klang mir
äusserst wohllautend. Wenn sie sich unterhalten, so begleiten sie ihre
Reden gewöhnlich mit einem sehr lebhaften Mienen- und Geberdenspiel,
wie alle leicht erregbaren Menschen. Ihr Jähzorn ist bei den Kolonisten
sprichwörtlich geworden, sie sagen von einem jähzornigen Menschen, er
habe ein »Maori Temper«.

Man erzählte mir, dass sie noch immer die alte Begrüssungsform des
Nasenreibens übten. Ich lauerte aber in Wellington vergebens darauf. Erst
später in Tauranga war ich so glücklich, diese eigenthümliche Sitte zu
beobachten.

Die Maoris von Wellington wohnen zerstreut in den äusseren ländlichen
Theilen der Stadt ungefähr ebenso wie ihre europäischen Nachbarn. Nur
im »Te Aro« Viertel sind noch die Ueberreste einer ehemals grösseren
Maori-Ortschaft gleichen Namens sichtbar, etwa sechs oder acht erbärmliche
schmutzige Holzhütten. Dorthin begleitete ich einst einen mir befreundeten
Arzt um einen alten Häuptling, der an Lähmung litt, zu elektrisiren. Ein
Dutzend brauner Kerls mit blauen Gesichtern liefen zusammen, Zeugen unserer
Zauberei zu sein. Schliesslich formirten wir eine Kette und elektrisirten
die ganze Gesellschaft. Es war höchst komisch wie furchtsam sie gegen die
geheimnissvoll brummende Maschine sich benahmen, und wie sie überrascht
und entsetzt zusammenfuhren, als sie ihre Wirkung fühlten. Obwohl der
Strom so schwach war, dass wir beide ihn durchpassiren liessen, ohne einen
nennenswerthen Schmerz zu empfinden, schnitten die braunen Kerls Grimassen
und stöhnten als ob sie gefoltert würden.

Der anständigste und zivilisirteste Maori meiner Bekanntschaft blieb immer
mein erster, jener Steuermann der Barkasse, welche bei unserer Ankunft
die Hafenkommission an die Euphrosyne gebracht hatte und während
meiner Quarantäne fast täglich nach Somes Island gekommen war. Als
Staatsangestellter lebt er nüchtern und in geordneten Verhältnissen und
pflegt an schönen Sonntagen nebst seiner braunen Gattin und zwei hübschen
Kindern festlich geputzt spazieren zu gehen.

Da es mich interessirte, für die Mortalitätsziffer unserer Typhusepidemie
an Bord der Euphrosyne einen Massstab zu haben, opferte ich etliche Tage,
um in den Akten des Immigrationsamtes nach den entsprechenden Ziffern
anderer vor uns angekommener Schiffe zu suchen. Leider war das durch diese
gelieferte zweifellos sehr werthvolle statistische Material nicht des
Aufhebens werth erachtet worden. Kein Mensch hatte sich darum gekümmert,
es war verloren. Nicht einmal die Journale der Schiffsärzte waren
vorhanden. Nur durch die Geldabrechnungen der Kassabeamten, die man mit
der grössten Liebenswürdigkeit und Liberalität und ohne Bedenken mir
durchzumustern gestattete, und nur durch den Umstand, dass kontraktmässig
für die auf der Reise Gestorbenen kein Passagegeld gezahlt wird, weshalb
jeder Todesfall auch in den Quittungen eine Rolle spielt, erfuhr ich
einigermassen was ich wünschte.

Seit dem Beginn des gegenwärtigen Immigrationssystems im Juli 1871 waren
im Ganzen 262 Segelschiffe (248 englische, 12 deutsche, 2 norwegische)
mit 71693 Einwanderern von Europa nach Neuseeland abgegangen und bereits
verrechnet. Die mittlere Passagierzahl für das einzelne Schiff war 300,
die geringste 6, die höchste 651 gewesen. Von diesen 262 Schiffen war
eines, der Kospatrick, im November 1874 beim Kap der Guten Hoffnung mit
sämmtlichen 429 Passagieren und der ganzen Mannschaft durch Feuer zu
Grunde gegangen. Von den übrigen 261 Schiffen hatten einige in Folge von
Havarie in Zwischenhäfen einlaufen müssen, wobei fast jedesmal etliche
Passagiere desertirten, was dann immer eine Menge Schwierigkeiten,
Requisitionen und Auseinandersetzungen für das Immigrationsamt
herbeiführte. Nur 38 Schiffe hatten auf der ganzen Reise von 90 Tagen
mittlerer Dauer keinen Todesfall zu verzeichnen gehabt. So glücklich waren
aber fast nur solche mit weniger als 200 Passagieren und ein einziges
mit mehr als 300 gewesen. Im Ganzen zählten die 261 Schiffe (ohne den
Kospatrick) 1404 Todesfälle, worunter 588 Säuglinge, 648 Kinder von 1 bis
12 Jahren, 168 Personen über 12 Jahre, »Statute Adults« genannt. Ueber
10 Todte hatten 37, und über 20 Todte 9 Schiffe gehabt. Diese letzteren
9 Schiffe repräsentirten ein Sterblichkeitsverhältniss von 4 bis 10
Prozent. Doch mochten auch unter den übrigen noch genug ebenso schlimme
relative Zahlen zu finden sein. Die zugleich relativ und absolut höchste
Todtenziffer war 34 von 340 Passagieren, = 10 Prozent. Da unter den 588
gestorbenen Säuglingen viele gewesen sein mögen, die während der Reise
geboren waren und deshalb nur als Abgänge nicht aber als Zugänge auf den
Listen standen, so fehlt für diese jeder Anhaltspunkt, ihre Mortalität
für sich zu beurtheilen. Und auch für die beiden anderen Alterskategorien
lässt sich kein spezielles Verhältniss angeben, weil nirgends die
gesammte Passagierzahl, sondern blos die Todesfälle nach solchen
unterschieden waren.

Da wo eine auffallende Sterblichkeit unter den Kindern herrschte,
mögen wohl Scharlach und Masernepidemieen, und wo die Erwachsenen sich
überwiegend an der Sterblichkeit betheiligten, vielleicht Typhusepidemieen
die Ursache derselben gewesen sein. Im Allgemeinen schien mir
hervorzugehen, dass die Sterblichkeit unter gewöhnlichen Verhältnissen
ziemlich wenig, durchschnittlich etwa 0,5 Prozent betrug, und dass da wo
diese Ziffer erheblich übertroffen wurde, Epidemieen zu Grunde gelegen
haben müssen. Immerhin konnte ich mit meiner Euphrosyne-Typhusmortalität
von 1,7 Prozent (6 Erwachsene, 1 dreijähriges Kind, aus 397 Personen) den
mindestens 9 Schiffen von 4 bis zu 10 Prozent gegenüber ganz beruhigt und
zufrieden sein.

Mit dem Hospital sollte ich noch eine intimere Bekanntschaft machen als
mir lieb war. Schon während ich die Akten des Immigrationsamtes für meine
Mortalitätsstatistik durchmusterte, litt ich so sehr an Kopfweh, dass ich
krank zu werden fürchtete, und als ich einige Tage darauf den 200 Meter
hohen Mount Viktoria bestiegen hatte, auf welchem die Signalstation für
die von draussen hereinkommenden Schiffe eine wundervolle Aussicht auf
die Südinsel und den Ozean beherrscht, überfiel mich ein starker
Schüttelfrost und eine Mattigkeit, dass ich kaum mehr nach Hause kam. Ich
mass meine Temperatur und fand 40 Zentigrade. Dies bewog mich am nächsten
Morgen aus dem Hotel ins Hospital überzusiedeln. Ich glaubte nun selbst
den Typhus zu haben. Eine Woche später aber war ich wieder gesund und voll
frischer Reiselust.

Es litt mich nicht länger mehr in Wellington. Meine anfängliche Absicht,
einige der blühenden Städte auf der Südinsel zu besuchen, gab ich auf,
da ich diese durch tagelange Dampferfahrten hätte erkaufen müssen. Von
der See hatte ich vorläufig genug, und ich beschloss deshalb, durch das
Innere der Nordinsel mit seinen berühmten Geysern und seiner zahlreichen
Maoribevölkerung nach Auckland zu gehen.

Das Reisen in diesen Gegenden hat heutzutage keine Schwierigkeiten mehr.
Poststrassen durchziehen die Wildniss, und fast überall findet man an den
Nachtstationen gute Hotels. Eine Menge Touristen aus sämmtlichen Theilen
Australiens treibt sich zu Fuss, zu Ross und zu Wagen dort herum.



VII.

VON WELLINGTON NACH OHINEMUTU.

  Ein Neuseeländischer Urwald. Die Post und ihre Gefahren. Pahantanui,
  Otaki und Foxton. Neuseeländische Eisenbahngemüthlichkeit und ein
  eisenbahnfiebriger Maori. Die Manuwatu Gorge und der Seventy Miles
  Busch. Palmerston, Waipakarao und Waipawa. Die Repudiation Office von
  Te Aute. Ein Tag in Napier. Farnhügellandschaft. Tarawera und seine
  Soldateska. Kaliban in der Wildniss. Opipi. Ein Tag in Tapuaeharuru.
  Mister Jack the Guide of Taupo. Nächtlicher Skandal.


Ich kaufte mir zunächst ein Ticket nach Napier an der Hawkes-Bai, welches
ungefähr nördlich von Wellington liegt, theils per Postkutsche, theils
per Eisenbahn in drei Tagen zu erreichen. Von Napier aus ging es dann
ausschliesslich per Postkutsche in nordwestlicher Richtung über Tarawera
und Tapuaeharuru am Taupo-See, und von hier in nördlicher Richtung über
Ohinemutu nach Tauranga an der Bai of Plenty, was im Ganzen vier weitere
Tagereisen ausmachte.

Am Morgen des 29. Mai, als es noch dunkel war, holte mich die
vierspännige Postkutsche vor dem Hotel ab, ich bestieg den ausbedungenen
Bocksitz und verliess freudigen Sinnes die Stadt Wellington, die mich schon
zu lange beherbergt hatte. Die Strasse führte uns neben der Hutt River
Eisenbahn dicht am westlichen Ufer des Hafens entlang. Das Leuchtfeuer
auf Somes Island, meiner ehemaligen Domäne, brannte noch. Trüb stieg der
Morgen hinter schwarzen Bergen und dunklen Wolken herauf, und eine zu früh
erwachte Möve strich einsam über die kaltschimmernde Wasserfläche.

Steilansteigender Busch, stellenweise durch Feuer gelichtet, wo dann die
schwarzverkohlten kahlen Baumstämme emporstarren, erhebt sich zur Linken.
Durch einen Thaleinschnitt kommt ein Bächlein herab. Wir biegen hinein
mitten ins Innere des Gebirges, und wie mit einem Schlag verändert sich
die Szenerie.

Jede Spur von Ansiedelungen ist verschwunden, die üppige Pracht eines
jungfräulichen Neuseeländischen Forstes umfängt uns. Die Strasse wird
enger, so eng, dass kaum ein Fussgänger dem Wagen ausweichen kann, und
bald auf dieser bald auf jener Seite des murmelnden Bächleins leitet
der Rosselenker das Viergespann nach links und nach rechts um scharfe
Felsenkanten. Die Biegungen sind so zahlreich und kurz, dass man keine
hundert Schritt weit den Weg vor sich sieht und jede Minute glaubt, an der
nächsten senkrechten Wand müsse er aufhören. Hohe majestätische Bäume,
im Morgenthau glänzendes Strauchwerk und elegante hellgrüne Farne neigen
sich über die Strasse, und blaue Eisvögel schwirren vor uns eiligen
Fluges ins Dickicht. Einmal tauchen etliche Holzhütten, von kleinen
Gärten umgeben, überraschend aus der romantischen Abgeschiedenheit des
Busches. Hunde springen bellend an den Zaun und ärgern sich nur noch mehr,
wenn unser Kutscher Zeitungen oder Briefe hinüberwirft.

In dem Dorf Johnsonville war die Wasserscheide erreicht, und ein anderes
Bächlein schloss sich alsbald an uns an, um in gleicher Richtung mit uns
weiterzureisen. Schulkinder, welche nach der Schule wanderten, baten
den Kutscher eine Strecke fahren zu dürfen, und wir hielten um sie
mitzunehmen. Die Umgebung wurde nun weiter, der Busch wich zurück, und
auf einem sumpfigen See schwammen scheue Kormorane und fischten. Eisvögel
sassen auf dem die Strasse begleitenden Telegraphendraht wie zu Hause im
Herbst die Schwalben.

Eine halbe Stunde später kam Pahantanui[4], eine grössere Farm mit
Wirthshaus, wo wir frühstückten. Ein grosses Orchestrion stand im Zimmer,
und der Wirth gab uns damit, während wir assen, ein Konzert zum Besten.
Selbst die fernsten Erdenwinkel macht bereits diese abscheuliche Maschine
unsicher. Zum Glück war das Instrument nicht bei Stimme, und seine
Melodien drangen nur leise und gedämpft wie ferne Jahrmarktsmusik durch
den plumpen Glaskasten.

  [4]: Diese Maori-Namen werden alle deutsch so ausgesprochen, wie sie
  geschrieben sind, meist mit dem Ton auf der vorletzten Silbe. Die
  Engländer haben selbst eingesehen, dass ihre Orthographie für die
  Transskription der polynesischen Sprachen nichts taugt, und schreiben
  sie mit der deutschen oder italienischen Vokalisation.

Die Strasse, auf der wir kaum merklich ansteigend jene durch Port Nicholson
aus der Südwestecke der Provinz Wellington geschnittene Halbinsel
durchkreuzten, steht plötzlich vor einem jähen Absturz von 200 Meter,
unter welchem gegen einen schmalen Dünensaum der Indische Ozean in
langen langsam anrückenden Wogen donnert. Zwei duftig von der Morgensonne
verschleierte Inseln sind in die blaue Fläche gebettet, die von unserem
erhöhten Standpunkt aus trichterförmig zum Horizont emporgespannt zu sein
scheint, Mana Island im Süden und Kapiti Island im Norden. Schnurgerade
zieht sich die weisse Schaumlinie der Brandung und der glänzend gelbe
Streifen des Ufersandes bis in die allmälig verschwimmende Ferne.
Zwei kleine schwarze Pünktchen bewegen sich auf ihr näher. Es sind
Maorireiter, die auf dem Strand, der einzigen Verkehrsstrasse dieser
Gegend, ihre struppigen Pferde entlang hetzen.

Auch wir mussten dort hinunter. Unheimlich steil klettert die schmale
und schlechte Strasse, ängstlich sich an alle Krümmungen der schroffen
Bergwand drückend, in die Tiefe. Kein Geländer schützt vor dem drohenden
Abgrund, und an den Ecken ist der Rand so schadhaft und nahe, dass die von
den Pferdehufen losgeschlagenen Steine unmittelbar in die grüne Schlucht
hinabkollern, in der unser Bächlein halbversteckt von Felsblock zu
Felsblock hüpft.

Im Innern des Wagens sassen zwei Frauenzimmer, und kaum hatten sie bemerkt,
um was es sich handelte, als sie zu jammern begannen und flehten, man möge
sie aussteigen lassen. Aber es war zu spät, und maliziös lächelnd
trieb der Kutscher das Viergespann bald im Trab bald im Schritt über
den gefährlichen Weg. Der Mann flösste mir Respekt ein, und ich begriff
jetzt, warum man in Wellington immer, wenn von Postkutschen die Rede war,
sich wunderte, dass noch nie eine in den Abgrund gestürzt sei, und wann
dies wohl zuerst geschehen würde. Sehr angenehm war es mir, dass uns
dieses interessante, mit so grosser Spannung erwartete Ereigniss nicht
traf, obwohl die beiden Weiber durch ihr Gekreisch beinahe die Pferde
scheu machten, so oft die Kutsche sich nach aussen statt nach der Felswand
neigte.

Unten wurden die Pferde gewechselt, und zwar auf einer Station Namens
Paikekariki. Dann gings auf die muschelbesäte Beach hinaus, deren nasser
Sand 40 Meilen lang eine so vortreffliche feste und glatte Strasse abgiebt,
wie man sie nicht besser wünschen kann. Wir bogen rechts und nach Norden.
Die Berge wichen zurück, das flache Vorland wurde breiter und überzog
sich mit einer fremdartigen Vegetation von wogendem Schilf, von
Phormiumgebüsch und von einzeln stehenden Kohlpalmen. Hinter uns tauchten
die Konturen der Südinsel aus dem Wasser. Donnernd brach sich zur Linken
in endloser Linie die Brandung und goss zuweilen über die sanfte Böschung
unseres Pfades breite schaumige Zungen, welche ohnmächtig unter den Hufen
und Rädern zerspritzten. Wild und malerisch zerlumpte braune Maoris zu
Pferd begegneten uns und frugen nach Briefen. Möven watschelten auf
ihren dünnen Beinen im seichten Wasser herum, sahen uns misstrauisch
an, unentschieden ob sie auffliegen sollten oder nicht, und thaten es
schliesslich doch, als wir sie eigentlich schon überholt hatten.

Brücken giebt es auf dieser Naturstrasse nicht, wenn auch mehrere
Flussmündungen sie quer unterbrechen. Wir fuhren einfach durch ihr
kiesiges Bett, und unsere Damen im Wagen wurden ersucht, die Beine und das
Gepäck auf die Sitze zu nehmen.

An einer der vielen Fuhrten, die sich durch die Regengüsse der letzten
Tage verändert haben mochte, bogen wir nach einem weiter innen liegenden
Gehöft, um einen Lootsen zu holen. Das Gehöft, mehrere altersschwache
Gebäude im Verandastyl, stand in einem ehemaligen Maori-Pa, dessen
niedriger Wall und Graben noch deutlich zu erkennen war. Die eine Ecke der
Befestigung bildete ein ansehnlicher wenigstens 8 Meter hoher Hügel von
weissgewitterten Muschelschalen, den Mahlzeitresten mehrerer Generationen,
ein neuseeländischer Kjökkenmödding. Schweine und Hunde bummelten auf
dem freien Platze. Drei Maoriweiber sassen vor der Thüre, in grellrothe
Decken gewickelt, schwarzgeräucherte Thonpfeifen im Munde, und sonnten
sich, zwischen ihnen ein nackter fünfjähriger Junge, der ungestüm
mit der Faust auf seine Mutter schlug, bis sie ihm die Brust zum Saugen
reichte.

In Otaki, der bedeutendsten Maori-Ortschaft der Strecke, wartete unser im
Wirthshaus, dem einzigen von einem Weissen gehaltenen Anwesen, das Dinner.
Schon ehe wir Otaki erreichten, wurde die Umgebung kultivirter. Wiesen von
kurzem aus England hieher verpflanzten Gras, mit zahlreichen Kohlpalmen,
die sich noch nicht hatten verdrängen lassen, besetzt und dazwischen
Kartoffelfelder traten auf, als wir die Beach landeinwärts verliessen
und nach etlichen Terrainschwierigkeiten mit einmal wieder eine richtige
Strasse befuhren, die sich durchs Dorf zog.

Nach einem ziemlich kalten Morgen sandte die Mittagssonne wohlthätig warme
Strahlen herab, und die ganze Bevölkerung war aus den Hütten gekrochen.
Hübsche braune Mädchen, die tiefschwarzen Haare ungekämmt ins Gesicht
hereinhängend, roth und gelbkarrirte Schaltücher nachlässig umgeworfen,
lungerten schäkernd herum. Dem Wirthshaus gegenüber hockte eine Gruppe
Männer auf dem Boden und war so eifrig in ein Kartenspiel vertieft, dass
sie selbst von der Ankunft der Postkutsche keine Notiz nahmen, die doch
sonst nicht uninteressant zu sein schien.

Otaki besitzt eine Kirche im modernen Maoristyl, und ich beschleunigte
mein Mahl, um für sie noch einige Minuten zu erübrigen. Wie bei allen
christianisirten Polynesiern haben sich die Formelemente der alten
Architektur im Wesentlichen erhalten, und nur die Dimensionen der Höhe
sind bedeutend vergrössert worden, so dass man die jetzigen Bauten
aufrecht betreten kann, während man früher nicht anders als auf allen
Vieren hinein und drinnen herumkriechen konnte.

Bei der Kirche von Otaki ist das Giebeldach, welches bei Maorihütten flach
zu sein pflegt, so spitzig in die Höhe gezogen, dass es den Eindruck eines
gothischen macht. Drei roh zugehauene vierseitige Pfeiler stützen in der
Mittellinie des Inneren den Giebelbaum. Senkrechte Streifen von massiven
Brettern und Schilfgeflecht bilden abwechselnd sowohl die niedrigen
Seitenwände als auch das steile Dach. Das Geflecht ist weissgetüncht, und
die Holztheile tragen auf rothem Grund ebenfalls weissgemalte groteske und
eigenartige Ornamente. Ausser einem Tisch und mehreren Bänken findet sich
keinerlei Geräth für den Gottesdienst. Das vorspringende Dach beschirmt
den Eingang wie eine Veranda, in der fünfeckigen Frontwand sind zwischen
den Bretterstreifen nebst der Thüre lange und schmale Fenster eingesetzt,
welche nur wenig Licht durchlassen.

Der Kutscher knallte draussen, ich musste wieder fort. Wir hatten noch eine
lange Reise vor uns, und es wurde Nacht, ehe wir unser Ziel erreichten,
Foxton, eine junge Stadt von vielleicht 500 Einwohnern.

Als der Abend hereinbrach, fuhren wir noch immer auf der Beach entlang. Der
Himmel war wolkenlos, die Luft wurde kühl, glühend sank die Sonne unter
den dunklen Meeresrücken, und links vor uns, weit weit draussen über
der See schwamm eine auffallend blaue Bergespyramide in der Luft, der
altehrwürdige Vulkan von Taranaki Mount Egmont, zu dem sich die Küste in
einem weiten, mehr als 100 Kilometer langen Bogen hinüberzieht.

So lange wir auf dem glatten Ufersand fuhren, ging es trotz der Dunkelheit
rasch dahin. Fünf grosse blitzende Laternen warfen ihr helles Licht voraus
auf den Weg. Die vier Pferde fühlten, dass es galt, das Nachtquartier zu
erreichen.

Kurz vor Foxton mündet der Fluss Manuwatu. Ihn zu überschreiten hatten
wir eine Fähre etwa zwei Kilometer binnenlands aufzusuchen. Aber es war
nicht leicht, den undeutlichen Weg durchs Gestrüpp zu finden, und erst
als der Kutscher abstieg und mit einer Laterne rekognoszirte, entdeckte er,
dass er zu weit auf der Beach gekommen war und zurückfahren musste. Ein
wildes Wirrsal von Phormium und Schilf suchte unsere Fahrt zu hemmen, aber
die eifrigen Pferde rissen ungestüm den heftig stampfenden und rollenden
Wagen vorwärts, um so ungestümer je hartnäckiger die zähen Pflanzen sie
zurückzuhalten strebten, dass die Fetzen davonstoben.

Endlich hielten wir an der Fähre. Lichter glimmten auf der anderen Seite
der weiten Wasserfläche. Langsam trug die plumpe schwimmende Brücke, an
ein quergespanntes Tau gefesselt, mittels des schräg gehaltenen Steuers
durch die Strömung getrieben, Wagen, Pferde und Passagiere hinüber. Im
Gallop gings dann durch einen lehmigen Hohlweg hinauf und vors Hotel.

Während wir in dem geräumigen Speisesaal des köstlichen, äusserst
reinlich servirten Abendmahles genossen, bei welchem der Kutscher
präsidirte gleichwie der Kapitän eines Schiffes, lungerten draussen in
der schmutzigen und räucherigen Schnapsstube ein paar Maorifrauenzimmer
herum, mit Hut und Schleier Europäerinnen imitirend, und betranken sich.

Seit wenigen Wochen war die Eisenbahn von Foxton nach Palmerston,
eine Strecke von ungefähr 37 Kilometern, dem Verkehr übergeben. Mit
Tagesanbruch sollten wir auf ihr weiterreisen und legten uns deshalb zeitig
zu Bett.

Das Hotel war voll, und ich wurde mit drei anderen Reisenden zusammen
in ein Zimmer gesteckt. Unter diesen befand sich ein europäisch und
verhältnissmässig fein gekleideter Maori, der morgen früh mit demselben
Zuge wegzufahren beabsichtigte. Er war beständig in Furcht nicht zur
richtigen Zeit aufzuwachen, machte alle Stunden Licht und sah nach der
Uhr, und als Mitternacht vorüber war, zündete er sich seine Pfeife an und
rauchte, um ja nicht mehr einzuschlafen. Diese Unruhe störte auch unseren
Schlaf, und die zwei anderen Weissen begannen zu schimpfen. Mich selbst
liess die Neuheit des braunen Kerls tolerant gegen sein Benehmen, und ich
blieb unparteiischer Zuhörer des Streites, in welchem der Maori sehr viel
Gutmüthigkeit und Naivetät, die zwei Weissen sehr viel Gehässigkeit zu
entwickeln schienen.

Die kurze Strecke Eisenbahn zwischen Foxton und Palmerston war, wie
bereits erwähnt, erst seit ein paar Wochen eröffnet, und der Betrieb noch
überaus primitiv und bummelhaft gemüthlich. Eine aussergewöhnlich kleine
Maschine mit Tender und zwei Personenwagen amerikanischen Styls bildeten
den ganzen Zug. Ziemlich lange schon war die fahrplanmässige Abfahrtszeit
vorüber, die Passagiere trippelten laut vor Kälte und Ungeduld mit den
Füssen, die Lokomotive summte, aber Maschinist und Schaffner fehlten
noch. »Charly, Charly« rief der Billeteur durch die Hinterthüre des
Miniaturstationsgebäudes nach einer Kneipe hinüber, und auch wir riefen
aus Leibeskräften »Charly, Charly«. Jedoch Charly kam nicht. Wir stiegen
wieder aus, und erst eine Viertelstunde später erschien mit einem Rudel
Freunde der Schaffner, frug nach dem Maschinisten und ging ihn suchen,
worauf sogleich dieser erschien und nun den Schaffner suchen ging. Und als
endlich beide sich gefunden hatten, und der Zug in Bewegung war, musste
nochmals gehalten werden, weil man den Briefsack vergessen hatte.

Norddeutsche Freunde sagen meinem edlen baiuvarischen Vaterlande nach, dass
dort Eisenbahnzüge an allen Stationen länger hielten, wo die Kondukteure
gutes Bier wüssten. In Neuseeland würde ich dies unbedingt für möglich
halten, wenn es in Neuseeland überhaupt einen Stoff gäbe, dem der
Baiuvare den Namen Bier zuerkennen möchte.

Es ging durch flaches dünenartig welliges Land, vorne im Osten erhoben
sich blaue Berge. Farn bedeckte weithin den Boden und machte von ferne den
Eindruck unseres heimischen Haidekrauts. Dunkle Büschel von Phormium
tenax und die graziösen Rispen von Arundo conspicua, bald vereinzelt, bald
dichter zusammengedrängt, ragten darüber hervor, Schilfhütten und
Zelte lagen zerstreut und kaum erkennbar in die übermannshohe Vegetation
eingebettet. Männer, Weiber, Kinder und Hunde standen zuweilen oben
am Rande der Bahneinschnitte, sahen herab auf unseren gemächlich dahin
wackelnden Zug, und kalt glänzte hinter ihren dunklen Gestalten der
wolkenlose Morgenhimmel. Die Passagiere froren und klopften mit den
Füssen, und in der frostigen Stimmung, die ringsum herrschte, bedauerte
ich herzlich jene armen Wilden, die hier in einer so unwirthlichen
Landschaft ohne genügende Wohnstätten und ohne genügende Kleidung
leben mussten. Hie und da kamen dann auch Maorihütten, die einer höheren
Kulturstufe angehörten, bis zu europäischen Holzhäusern mit Veranden
hinauf. Aber nur wenige Fenster waren ganz an diesen, und alle Theile, Dach
und Wände, hatten Defekte und trugen den Stempel der Verlotterung.

Ein hoher Busch nahm uns auf. Der Durchhau für die Bahn war so schmal,
dass über ihm die Bäume zusammenschlugen und eine grandiose Laube
bildeten. Weisse Zelte, über deren Eingang häufig ein Stück rohen
Fleisches hing, guckten hie und da aus dem Dickicht, die Nachtquartiere
von Bahnarbeitern. An einer Stelle mussten wir halten, weil die Schienen
momentan nicht in Ordnung waren. So quälten wir uns langsam durch diesen
herrlichen Busch, dessen Genuss die Kälte schwer beeinträchtigte.

Die Gesellschaft, meist männlichen Geschlechts, war einsilbig und
verfroren und roch nach Schnaps. Nur mein Schlafgefährte der letzten
Nacht, der eisenbahnfiebrige Maori, war munter und redselig.

Er hatte in mir einen ausnahmsweise wohlwollenden »Pakeha« (Europäer)
erkannt und suchte mich unausgesetzt zu unterhalten, und wenn ihm gerade
nichts zu schwatzen einfiel, so blinzelte er mir wenigstens freundlich mit
den Augen zu. Er machte mich auf seine schöne Bekleidung aufmerksam, auf
seine Stiefel, die bis zum Knie reichten, und dass er Unterhosen trug.
Alles musste ich bewundern und befühlen, Hose und Weste, Stiefel, Rock
und Hut. Ganz besonders stolz aber war er auf seine goldene Uhr, die er
überlegen lächelnd meiner silbernen gegenüberhielt. Und von jedem
dieser Artikel sagte er mir den Preis und war erstaunt, vielleicht auch
misstrauisch, als er mich umsonst um den Preis der meinigen frug, den ich
nicht mehr wusste. Er war schwer zu verstehen, obwohl er besser englisch
sprach, als je ein anderer Maori vor oder nach ihm, mit dem ich in
Berührung gekommen bin. Aber die Aussprache des »S«, welcher Buchstabe
im Maori, wie in den meisten polynesischen Sprachen fehlt, machte ihm
grosse Schwierigkeit und gelang auch ihm nicht immer. Statt »Sixpence«
sagte er »Hickipenni« und »Chilling« statt »Shilling«.

Das Wetter verdüsterte sich, ehe wir in Palmerston ankamen, wo jenseits
eines freien Platzes, auf welchem noch die frischen Stümpfe gefällter
Bäume aus der Erde hervorstanden, das Hotel mit dem Frühstück und davor
die bereits angespannte Postkutsche unser harrten.

Palmerston bot mir das richtige Bild einer hinterwäldlerischen
Ansiedelung. Ringsum ist Busch. Ausser ein paar grösseren Holzhäusern
sieht man nichts als ganz kleine, niedliche Hütten, eine genau wie die
andere, ebenfalls aus Holz und nur die ziemlich geräumigen Schornsteine
gemauert, durch das weithin gelichtete Terrain zerstreut. Vereinzelt
stehen noch etliche Bäume in ihrer ganzen gigantischen Höhe und vermehren
dadurch die Winzigkeit der Hütten. Sägemühlen dampfen geschäftig, und
schwere Blockwagen tragen ihnen die Riesen des Waldes zu.

Eine halbe Stunde von Palmerston entfernt erreichten wir wieder den
schmutzigen Manuwatufluss und eine Fähre, um abermals, zurück nach dem
linken Ufer, überzusetzen. Die Pferde wurden ausgespannt, und der Wagen
mit vereinten Kräften der Fährleute und des Kutschers an der Deichsel
und an Stricken, das Hintertheil voran, den steilen, lehmigen Uferrand
hinabgelassen auf eine Platform aus Brettern, welche auf zwei schwächlich
aussehenden Kähnen ruhte, denen ich ohne diese Probe eine solche
Tragfähigkeit niemals zugetraut hätte. Dann kamen paarweise die Pferde,
und zuletzt die Passagiere, ausser mir eine Dame mit einem kleinen
Mädchen, an die Reihe, so dass die Prozedur des Uebersetzens ungefähr
eine halbe Stunde in Anspruch nahm.

Bald nach diesem nautischen Intermezzo erreichten wir die Berge und die
wegen ihrer halsbrecherischen Gefährlichkeit berühmte Strasse durch die
Manuwatu Gorge, von der man sich in Neuseeland in höherem Masse, als von
irgend einem anderen Punkt der Postlinien wundert, dass sie noch nie eine
Kutsche zu Fall, das heisst zum Sturz in den Abgrund gebracht hat. Etwa
dreissig Meter unter uns zur Linken toste der Manuwatu über Felsblöcke
und Baumstämme, zur Rechten war eine steile, zuweilen drohend
überhängende Felswand, und wäre eines der vier Pferde scheu geworden,
nichts hätte uns gehindert, hinabzustürzen.

Ein überaus herrlicher Busch baut sich jenseits in die Höhe,
unzweifelhaft das Schönste, was ich je an Waldszenerie gesehen. Das helle
Grün elegant geformter Farnbäume strahlt prangend aus den dunkleren
Farben üppigen Unterholzes und majestätischer Baumriesen, an denen
Schmarotzerpflanzen in buntester Mannigfaltigkeit sich hinanschlingen.
Wunderbar leicht und graziös wachsen alle diese Laubmassen auseinander
hervor, von den überhängenden Zweigen unten, die ins Wasser des
schäumenden Gebirgsstromes tauchen, bis hinauf zu den luftigen Höhen, in
denen sich die Wipfel der Totaras wiegen. Tiefe Ruhe und Einsamkeit lagert
über dem Ganzen, nur selten unterbrochen durch das dann um so befremdender
klingende seltsame Geschrei eines aufgeschreckten Papageis oder Tuis, die
wenige Augenblicke sichtbar, über den Busch hinwegfliegen, um sogleich
wieder in den geheimnissvollen Schatten einer dunklen Laubhöhle zu
tauchen. Nur Tauben sind weniger vorsichtig und bleiben oft sitzen, bis
wir so nahe sind, dass wir sie schiessen könnten. Schade, dass die
gefährliche Situation den Genuss all dieser Schönheit störte. Immer
wieder wurde das Auge nach dem Boden abgelenkt, der kaum einen Fuss von den
Rädern fast senkrecht abgeschnitten war.

Noch eine Biegung, eine hochbeinige hölzerne Brücke erscheint, wir
poltern donnernd im Gallop über sie hinweg. Die gefährliche Gorge ist
hinter uns, aber auch die schöne romantische Szenerie ist vorüber, und
die Ansiedelung Woodville zieht sich an der Strasse entlang, auf welcher
Schaaren gesund und fröhlich blickender Kinder uns entgegen lärmen.
Die Brücke ist zugleich die Grenze zwischen den Provinzen Wellington
und Napier, und wir befinden uns nun in der letzteren. Bis nach Takapau,
unserem Nachtquartier, ging es durch den Seventy Miles Busch und
hauptsächlich durch skandinavische Ansiedelungen, deren eine den Namen
Danewirk führt.

Mittag machten wir in einem einsamen Gehöft, in dessen Nähe ich die
ersten Maorihütten im alten Style sah, niedrig und mit vorspringendem
Dach tief in der Erde steckenden Schweizerhäuschen nicht unähnlich,
melancholisch öde, ohne Menschen, nur von einigen weidenden Pferden
umgeben. Ein altes Maoriweib begegnete uns in Lumpen gehüllt, blieb oft
stehen und saugte gierig an einer Medizinflasche, welche einen röthlichen
Stoff, wahrscheinlich Rum enthielt.

Unser Nachtquartier Takapau bestand aus einem Gebäude, welches den stolzen
Namen »Railroad Hotel« unter dem Giebel trug. Hinter ihm jungfräulicher
Urwald, vorne eine wellenförmige Stoppel und Moorebene, von einer
Eisenbahn weit und breit nichts zu entdecken. Der Schienenstrang von
Napier her war vorerst noch nicht über das Stadium des Projektirtseins
hinausgekommen, aber doch gab es hier in der Wildniss bereits ein Railroad
Hotel.

Am nächsten Tag, der uns nach Napier bringen sollte, kamen wir zum Dinner
an eine höhere Stufe der durch die künftige Bahn bedingten Entwicklung.
Waipakarao hiess der Ort, ein Dorf der Zahl, ein Städtchen dem Aussehen
seiner Häuser nach, die alle neublinkend in einer Reihe stehen, ringsum
weitgestreckte Wiesenflächen. Es berührte komisch, mitten in solcher
Ländlichkeit die Aufschrift »Bank of New Zealand« zu lesen. Grossartige
Geldgeschäfte waren in dieser Filiale wohl noch nicht abgemacht worden.
Indess war hier die Eisenbahn schon im Bau begriffen, die Gegend ist
fruchtbar, und aus der einen halben Strasse kann sich in kürzester Zeit
eine blühende Stadt entwickeln.

Dass es in Waipakarao viel Vieh geben musste, darauf deuteten die
allenthalben auf den Wiesen errichteten Schlachtgalgen hin. Ich hatte diese
eigenthümlichen Gerüste, welche dazu dienen, die unglücklichen Rinder
mittels eines Rades in die Höhe zu winden, um sie bequemer zu tödten und
abzuhäuten, aus der Ferne für Ziehbrunnen gehalten, bis ich sie näher
betrachtete und die blutigen Spuren ihres Zweckes einsah.

Unweit davon kreuzten wir den Tukituki Fluss in der landesüblichen Weise,
indem wir einfach hindurchfuhren, neben der Eisenbahnbrücke, die in
den nächsten Tagen vollendet sein sollte. Bald darauf gings durch das
Städtchen Waipawa und über den Eisenbahndamm, vor welchem bereits eine
funkelnagelneue Tafel »Look out for the Locomotive« warnte.

Wieder kam eine Stunde menschenleerer Einsamkeit, und unter einem immer
düsterer werdenden Himmel dehnte sich eine wüste gelbgebrannte Steppe,
durch welche ein ausgetrocknetes kiesiges Flussbett mit einem dünnen
Wasserfaden sich schlängelt. Phormiumdickichte und die seltsamen starren
Büschelköpfe der für Neuseeland so charakteristischen Cordyline
australis, einzeln oder zu kleinen Wäldchen gruppirt über jene
hervorragend, sahen fast aus, als ob sie einer früheren geologischen
Epoche angehörten und nicht mehr in unser Zeitalter passten. Ringsum
Todesstille. Selbst Pferde und Wagen sind kaum hörbar auf dem weichen
Rasen, der ab und zu den schwarzen Moorboden bedeckt.

Eine einsame Seemöve flog unstät ihre Richtung ändernd über die
düstere Landschaft. Hatte sie sich verirrt, oder fliegen hier die Möven
über ein hundert Kilometer breites Land von einer Küste zur anderen, oder
war es eine darwinistisch gesinnte Möve, die des wilden Seelebens satt
sich in den Kopf gesetzt hatte, ein ehr- und tugendsamer Landvogel zu
werden? Der Weg wurde wieder herzlich schlecht und nahm stellenweise
den Charakter eines richtigen Moorsumpfes an, in den die Räder tief
einschnitten, bis wir endlich eine Hügelkette erreichten. Jenseits
derselben begann ein Wald, der stellenweise gelichtet und mit den Hütten
von Holzschlägern durchsetzt war. Diese Hütten hatten alle nicht nur
hölzerne Wände und Dächer, sondern auch hölzerne Schornsteine,
aus schweren grob gearbeiteten Bohlen flüchtig zusammengezimmert und
grossentheils halbverkohlt.

Kurz vor Te Aute sahen wir in der Ferne einige Maorigehöfte, und bald
darauf passirten wir eine noch interessantere Stätte. »Dies ist die
Repudiation Office« sagte mit spöttischem Ausdruck der Kutscher, indem er
auf eine durch Neuheit glänzende Hütte wies, und machte mich dadurch auf
eine berechtigte Eigenthümlichkeit Neuseelands aufmerksam, von der ich
noch nichts wusste.

Bekanntlich hatten die Engländer in Folge schreiender offiziell
sanktionirter Ungerechtigkeiten von 1860 bis 1870 einen zehnjährigen
Krieg mit den Maoris zu bestehen, welcher ihnen oft Gelegenheit gab, soviel
Respekt vor der Tapferkeit und Kriegsfähigkeit dieser sogenannten Wilden
zu bekommen, dass sie sich nunmehr ängstlich hüten, abermals mit ihnen
anzubinden. Die weissen Ansiedler müssen heutzutage das Land, was sie von
den Maoris haben wollen, auf ehrliche Weise erwerben, und die gute alte
Zeit, in welcher man sich grosse Besitzthümer erschwindeln konnte, ist
vorüber. Nun aber entstand eine Partei, welche vorgiebt, dass ihr dieser
einfache goldene Mittelweg der Gerechtigkeit noch nicht genüge, und
behauptet, sich in ihrem Gewissen so lange bedrückt zu fühlen, bis alle
seit undenklichen Zeiten geschehenen Landkäufe geprüft und wenn nicht in
Ordnung befunden, rückgängig gemacht worden sind. Solch hoher Edelsinn
konnte natürlich nicht verfehlen, sofort die Herzen der Maoris zu
gewinnen. Die Gegner freilich waren der Ansicht, dass es nur ein Blendwerk
sei, unternommen um die treuherzigen Wilden desto sicherer auszubeuten.
Das ungefähr verstand man damals unter Repudiation Party, und die neue
Holzhütte an der wir vorüberfuhren, war eines der Hauptquartiere,
die Repudiation Office von Te Aute, bestehend aus einem Direktor, zwei
Advokaten und zwei Dolmetschern.

Bis nach Te Aute kam uns die fertige Eisenbahn entgegen, und in einem
auffallend komfortablen und eleganten Wagen fuhren wir nach Napier. Ein
geschwätziger, alter Herr, ein reichgewordener »Schafbaron« sass neben
mir und erklärte mir die Gegend. Das Land zwischen Te Aute und Napier ist
flach und ganz im Gegensatz zu den bisher gesehenen, weniger kultivirten
Gegenden Neuseelands saftig grün von erst kürzlich gesäetem englischem
Gras. Ueberall weiden Schafe. Auf einem Farnhügel stand ein alter
Maori-Pa, der jetzt nur mehr wenige Hütten enthielt. Noch ragten
zwei schlanke Pfeiler, nach oben etwas anschwellend und mit ornamental
geschnitzten Kapitälen ähnlich den Gondelpfosten zu Venedig empor,
deren früher hier hunderte gewesen sein sollen. Sie waren einst ein
charakteristischer Schmuck der befestigten Dörfer.

Als wir Napier erreichten, war es bereits Nacht. Ich fuhr in einer Droschke
ins Kriterion Hotel, berühmt in ganz Neuseeland durch seine grossartige
und kostspielige Anlage, sowie auch durch die Marotte des reichen
Besitzers, der diesem unrentirlichen Institut zu Liebe jährlich einen
Theil seines Einkommens zusetzt.

Napier, ein Städtchen von 3000 Einwohnern, ist auf und um einen
Sandsteinfelsen gebaut, der isolirt mitten aus niedrigen marschigen Ufern
in die weite Hawkes Bay hineinragt und nur durch einen schmalen, theilweise
von Menschenhand gebildeten Deich mit dem Hauptland zusammenhängt. Nach
innen eine Lagune, nach aussen der weite Ozean, ohne Unterlass seine Wogen
gegen flache Dünen heranrollend, sind die Begrenzungen. Falls die Brandung
hier jahraus jahrein mit derselben Heftigkeit fortdonnert, wie ich sie
während der zwei Tage meines Aufenthalts gehört, beneide ich die Bewohner
Napiers nicht um ihre so malerische Lage. In den Häusern am Strande konnte
man damals nur schreiend und mit dreifachem Kraftaufwand konversiren.

Ein Theater in »Oddfellows Hall«, ein Lesekabinett »Athenäum« genannt,
wie es in jedem Städtchen Neuseelands zu finden ist, eine Irrenanstalt
und ein Gefängniss, die Post und die Provinzialregierung sind die
öffentlichen Gebäude, alle natürlich von Holz, aber stylvoll konstruirt,
um welche sich, theils zu geschlossenen sauberen Strassen gereiht, theils
mit Gärten umgeben, Häuser jeglichen Grades von Kultur gruppiren bis
hinab zu den aus Brettern und Leinwand, aus Blechfetzen und Pappendeckel
lumpig zusammengeflickten Hütten der ärmeren Maoris.

Es giebt viele Maoris hier und in der Umgebung, und manche von ihnen
erfreuen sich grosser Wohlhabenheit und leben vollkommen europäisch.
Braune Kavaliere und Damen zu Pferd scheinen zu den häufigen Erscheinungen
zu gehören. Die Männer sitzen stets tadellos im Sattel und sind oft
prächtige, martialische Gestalten. Den Weibern aber fehlt trotz des
wallenden, langen Kleides, trotz des Zylinderhutes mit fliegendem Schleier
und trotz der zierlich in behandschuhter Hand gehaltenen Reitgerte jene
leichte Grazie, die uns englische Amazonen in Hyde Park so anziehend macht.
Ihre Züge sind unweiblich grob, ihr schwarzer Haarwust meist nicht genug
gepflegt, und in allen Bewegungen ist soviel Urwüchsiges, Eckiges, dass
ihr Vornehmthun höchstens komisch, wenn nicht gar abgeschmackt wirkt.

Da wo die Lagune sich in die See öffnet, ist der Hafen. Nur wenige und nur
kleinere Fahrzeuge lagen in ihm, als ich ihn besuchte. Einsamkeit liebende
Kormorane trieben sich daneben herum und fischten, so tief im Wasser
schwimmend, dass blos die schlangenförmig langen Hälse herausguckten und
an Ringelnattern erinnerten, die in einem Sumpf auf Frösche Jagd machen.
Mehr menschliches Treiben herrschte in einigen Werkstätten am Kai, in
denen eifrig an Dampfkesseln gehämmert wurde, und um die herum eine kleine
Vorstadt im Aufblühen begriffen war.

Von Napier ging es in zwei Tagereisen nach Tapuaeharuru am Taupo-See. Da
man mir sagte, dass die Postkutsche schon des Morgens um 5 Uhr von einem
isolirten Wirthshaus an der anderen Seite der Lagune abfahren sollte,
verliess ich den Abend vorher das schöne, vortreffliche Kriterion Hotel
und quartierte mich drüben ein. Ich lernte in diesem Wirthshaus eine
Spelunke kennen, welche von einem Schotten gehalten, nicht nur mit dem
Kriterion Hotel, sondern auch mit Allem, was ich jemals von englischem
Komfort und englischer Reinlichkeit gesehen, den diametralsten Gegensatz
repräsentirte.

Nach einer sehr schlechten Nacht wurde ich nebst vier Reisegefährten, die
sich noch nach mir eingefunden hatten, endlich um vier Uhr, als es noch
dunkel war, geweckt und genöthigt, ein Frühstück zu nehmen oder vielmehr
blos zu bezahlen, da keiner in so zeitiger Stunde und bei dem überall im
Hause herrschenden Gestank essen konnte. Es war dies eine unverschämte
Tyrannei des mit den Wirthsleuten im Bunde stehenden Kutschers, der uns
zwei Stunden später, als wir alle Hunger hatten, an einem freundlich
aussehenden Gehöft vorbeitrieb und gleichsam höhnisch bemerkte, dass dies
ehemals die Frühstücksstation gewesen sei, dass er aber den Eigenthümer
für irgend einen Zwist durch Entziehung der betreffenden Einnahme gestraft
habe.

Unsere Fahrt begann unter keineswegs heiteren Auspizien. Der Wagen war den
zu überwindenden Terrainschwierigkeiten angemessen beiderseits einen Fuss
schmäler als die Radaxen und gewährte kaum vier Passagieren hinreichend
Raum im Innern. Es regnete, keiner wollte auf dem Bock aussen sitzen, und
alle fünf drängten sich innen zusammen, alle fünf nervös durch Hunger
und dementsprechend unliebenswürdig.

Von Gegend war wenig zu sehen, und eine Hecke von mächtigen Agaven, womit
man ein Stück angepflanztes Land zum Schutz gegen weidende Rinder
und Pferde umzäunt hatte, war lange Zeit das einzige Interessante. Es
überraschte mich, dass diese Abkömmlinge der Wüste in einem so feuchten
Lande ganz gut zu gedeihen schienen.

Der Weg hörte bald auf, einer im europäischen Sinn zu sein. Wir fuhren
durch eine Schlucht aufwärts, durch welche ein Fluss in einem kiesigen
Bett sich herabschlängelte, welchen wir fast jede Minute, das Wasser hoch
emporspritzend, passirten, jetzt nach dieser, dann nach jener Seite, da
das uns als Strasse dienende flache Ufer bald links bald rechts von den
Windungen angeschwemmt war. Meine Gefährten behaupteten, wir müssten
fünfzig mal durch den Fluss, es wird aber wohl nicht viel öfter als
zwanzigmal gewesen sein. Nur zweimal kam das Wasser in die Kutsche, und
hatten wir die Beine aufzuheben um trocken zu bleiben.

Da der Wagen sehr eng und unbequem, und die Mitpassagiere sehr breit und
rücksichtslos waren, kam mir ein steiler Berg äusserst erwünscht, um
auszusteigen und zu Fuss vorauszugehen. Je höher ich kam, desto seltener
wurde Phormium, Kohlbaum und Gebüsch und desto ausgedehnter dichtes
Farnkraut bis schliesslich ringsum nichts anderes mehr zu sehen war, als
jene eigenthümliche, einförmige Farnhügellandschaft, wie sie wohl nur in
Neuseeland vorkommt.

Sie wirkt durchaus unmalerisch, diese Farnhügellandschaft. Ueberall
weiche, wellenförmige Konturen und ebenso weiche, unbestimmte Schatten,
nirgends eine kräftige Linie, nirgends eine markirte, dunklere Tiefe,
alles ist düster olivengrün. Man sieht weit über niedrige Hügel und
seichte Thäler. Hier und dort sind vielleicht aus Zufall, vielleicht zu
Kulturzwecken grössere Partien abgebrannt und heben sich als schwarze
landkartenartige Flächen, mit unregelmässig gebuchteten Konturen
halbversengten röthlichen Farnkrautes umsäumt, von der monotonen Umgebung
ab. Dies und vorüberjagende Nebelmassen brachten allein einiges Leben in
das melancholische Bild. Der Regen hatte zwar aufgehört, aber der Himmel
war grau, und immer kälter und feuchter wurde die Luft, und der Dampf, der
den mühsam die Kutsche heraufschleppenden Pferden entstieg, war mehrere
Minuten sichtbar, ehe diese selbst zwischen den Farnböschungen der
lehmigen Strasse auftauchten. Nicht ganz parallel mit dieser und mehr in
gerader Linie läuft der Telegraph auf und nieder durch die Wildniss, schon
von ferne die Richtung zeigend, die wir einschlagen, und die Höhen, die
wir noch erklimmen müssen. So einsam und todesstille war die Gegend, dass
es ordentlich überraschend und befremdend war, einem Menschen zu begegnen.

Erst als es wieder abwärts ging, einen sehr gefährlichen Absturz hinab,
erschienen mehr Spuren von Zivilisation, und endlich auch das heissersehnte
Mittagessen in einem Hotel am Saume der Buschregion. Mit Staunen sahen wir
zurück auf die Bergkanten und die sie verschleiernden Wolken, aus denen
wir gekommen waren.

Blockhäuser und Pallisadenbefestigungen traten auf, sowie Soldaten
der Konstabulary Force, die hier in kleineren Abtheilungen theils zum
Strassenbau, theils vielleicht auch zum Schutz gegen die Eingeborenen,
denen man noch nicht recht traut, an der ganzen Poststrasse entlang
stationirt sind.

Diese Soldaten tragen viel zur Rassenkreuzung bei. Ein Maoriweib mit einem
halbweissen Kind bat den Kutscher, ob sie nicht eine Strecke mitfahren
dürfe, und wir nahmen sie zu uns in den Wagen, wo sie sehr verlegen in der
Mitte auf den Boden sich niederkauern wollte und nur ungern die Kniee eines
der Gefährten als Sitz akzeptirte. Ihre Schüchternheit schien mir indess
mehr Furcht vor Verachtung und schlechter Behandlung als keusche weibliche
Zurückhaltung zu sein.

Unser Nachtquartier, welches wir äusserst ermüdet von dem unbequemen
Fahren erst spät in der Nacht erreichten, war Tarawera, worunter ein
Wirthshaus mit vielen Nebengebäuden und eine mit Pallisaden befestigte
Kaserne der Konstabulary Force in der wilden Gebirgsforstromantik einer
Thalschlucht, durch welche ein Giessbach tost, zu verstehen ist.

Wir hatten die Gaststube mit der zwar kaum ein Dutzend Köpfe zählenden,
aber dafür desto lebhafteren Soldateska des Platzes zu theilen. Schnaps
war auch hier der Genius loci. Unter all den Söldlingen aber ragte an
Durstigkeit ein deutscher Landsmann weit hervor. Leider war es mein Loos,
seinen Patriotismus herauszufordern. Entzückt, mit mir wieder seine
Muttersprache zu reden, wich er nicht mehr von meiner Seite und hörte
nicht mehr auf, mir ebenso unermüdlich als unzusammenhängend von seinen
Abenteuern zu erzählen, bis er selig unter den Tisch versank.

Am nächsten Morgen fuhren wir im Gebiet der Provinz Auckland dahin.
Tarawera war die Grenze von Napier gewesen. Den ganzen Vormittag ging es
bergauf und bergab, was mir sehr angenehm war, da ich so nur wenig im Wagen
zu sitzen brauchte und vorangehen konnte. Nicht nur die Unbequemlichkeit
unseres Beförderungsmittels, sondern auch die zweifelhafte, wenig
amüsante Gesellschaft meiner Gefährten, die sich grösstentheils damit
unterhielten, einander auf die Füsse zu treten, trieben mich an, jedesmal
so viel Vorsprung als möglich zu gewinnen. Ein sehr primitives Postamt
stand neben dem Wege, ein Holzkasten, an einen Baum genagelt. Unser
Kutscher öffnete das Schloss, ob keine Briefe drin seien und legte einen
Pack Zeitungen hinein.

Die Berge und der Busch hörten auf, und ein weites Hochmoor öffnete sich.
Hier machten wir Mittag in einer ziemlich rauhen Wohnstätte.

Es war eine Station, mehr des Pferdewechsels halber als zur Bequemlichkeit
der Passagiere angelegt. Ein paar niedrige Hütten aus Pfählen, Erde und
Stroh, mit einigen abgezäunten Vierecken umgeben, dienen den Postpferden
und einem vereinsamten alten grämlichen Stallmeister zur Wohnung.
Grämlich wie sein Beherrscher ist der ganze Platz. Pfützen bilden die
nächste Umgebung, das schwarze mit gelben Stoppeln besetzte Moor die
weitere. Pferde und Schweine trieben sich zwischen den Zäunen umher, und
in der Wohnhütte, welche zugleich uns als Speisesaal diente, ein Dutzend
Katzen, die einer Sage zufolge zu kulinarischen Zwecken gezüchtet wurden.

Aus zähem gekochten Rindfleisch, Schiffszwieback und Thee bestand die
höchst unkomfortable Mahlzeit. Tisch war keiner vorhanden und an Stühlen
nur einer mit drei Beinen. Eine Kiste, ein Eimer, ein Hackstock und das
Laubbett waren unsere Sitze und die eigenen Kniee die Tische für die
blechernen Teller, auf denen wir mit stumpfen, unsauberen Messern das
widerspänstige Fleisch zu zerreissen suchten. Auf der einen Seite drohte
das grosse Feuer von mannslangen Baumstämmen uns zu versengen, auf der
anderen flog durch die offene, nicht zu schliessende Thüre vom Wind
herumgewirbeltes Laub auf unsere Speise. Die zwölf Katzen miauten
aufgeregt vom süssen Duft durcheinander und suchten uns die Bissen vom
Munde wegzukrallen, und zuweilen kam ein dickes, schwarzes Schwein und
schnüffelte neugierig zur Thüre herein.

Der Alte war im höchsten Grad unglücklich über die aussergewöhnlich
starke Zahl seiner Gäste und die Ueberfüllung der Hütte. Und als nun gar
einer von uns die Suppe, die er für sich selbst bei Seite gesetzt hatte,
umstiess, und sich herausstellte, dass gerade dieser nicht bezahlen konnte,
und zugleich ein paar Gäule durch den Zaun gebrochen waren und ein Loch in
die Rasenwand seiner Hütte zu fressen begannen, und als bald darauf eine
Gesellschaft von Maoris zu Pferde angesprengt kam und gleichfalls zu
essen haben wollte, da kannte seine Aufregung keine Grenze mehr. Zu allem
Ueberfluss reizte es den Muthwillen meiner Gefährten, ihn noch schlimmer
zu ärgern und in alle Töpfe und Schubladen junge Katzen zu stecken, wobei
ich nur verhindern konnte, dass sie die Töpfe ans Feuer schoben. Und als
der Alte nach einigen Minuten draussen sich ausgeflucht hatte und wieder
hereinkam, und aus jeder Ecke und aus jedem Winkel die dünnen Stimmchen
der kleinen Katzen quieksten, da war es höchste Zeit, dass wir aufbrachen
und den alten einsiedlerischen Kaliban in seiner Wildniss und mit seinem
Zorn allein liessen.

In Opipi, dem pallisadirten Hauptquartier und Sitz des Majors der
Konstabulary Force, wo wir durch die in solcher Oede auffallende
Erscheinung europäischer Damen überrascht wurden, war der höchste Punkt
unseres heutigen Weges und überhaupt meiner ganzen Reise durch Neuseeland,
600 Meter über dem Meere erreicht. Ueber eine sanft abfallende Fläche
ging es rasch dem grossen See Taupo Moana zu, dessen Spiegel alsbald uns
entgegen glitzerte.

Noch eine Biegung des Weges, und aus der vor uns liegenden Hügelreihe
stieg eine weisse Dampfsäule empor wie von der Lokomotive eines fernen
Eisenbahnzuges. Wir waren im Gebiet der hochberühmten heissen Quellen und
Geyser von Neuseeland.

Ich weiss nicht, welchem geheimen psychologischen Faktor ich es zu
verdanken hatte, dass ich jenen interessanten Punkt der Erde mit einer Art
Enthusiasmus und einer gewissen Andacht betrat, deren ich mich nicht mehr
fähig hielt, und die ich in jüngeren Jahren empfunden hatte, als ich zum
ersten mal das Meer erblickte. Jedenfalls trug diese gehobene, ungewohnt
affirmative Stimmung wesentlich dazu bei, mir den Genuss des Lake-Distrikts
zu erhöhen und mich die Unbilden der Witterung und der Gesellschaft, der
schlechten Strassen und der schlechten Transportmittel ignoriren zu lassen.

Kaum war uns jene erste Dampfsäule zu Gesicht gekommen, als auch meine
geistreichen Gefährten sofort in der Luft herumzuriechen und mit ihren
Nasen auf den Schwefelgeruch der heissen Quellen zu fahnden begannen,
über den sie zarter fühlend sich lange beklagten, ehe ich etwas davon
wahrnehmen konnte. Dies schien für sie zum guten Ton zu gehören. Sie
waren schon oft hier gewesen, die Quellen selbst aber hatte noch keiner
besucht.

Noch etwa zwei Meilen führte die Strasse am bimssteinbesäeten Rand des
Sees dahin, und wir waren in Tapuaeharuru als es eben dunkel zu werden
anfing.

Die Umgebung dieses vorgeschobenen Postens europäischer Kultur ist ein
vollendetes Bild unfruchtbarer Wildniss und menschenleerer Einöde. Kein
Fahrzeug belebt die weite grüne Fläche des Sees, dessen Wellen monoton an
die Lehmwände des Ufers schlagen, kein Baum ist zu sehen, ringsum nichts
als Farngestrüpp und Manukagebüsch. Vereinzelte kuppenförmige Berge
ragen zwischen wellenförmigen Hügeln hervor. Die schneebedeckten Gipfel
des Ruapehu und des feuerspeienden Tongariro, welche bei klarem Wetter
den südlichen Hintergrund des Sees bilden, waren von den Wolken dicht
verschleiert. Ausser fünf oder sechs Holzhütten zwei grössere Gebäude
mit Stallungen und etwas weiter entfernt die mit Pallisadenzaun befestigten
Baracken der Konstabulary Force geben allein Andeutungen einer weissen
Bevölkerung.

Und mitten in diesem unwirthlichen Erdenwinkel ein vortreffliches Hotel,
welches allen Anforderungen englischen Komforts entspricht, mit guten,
reinlichen Betten und tadelloser Nahrung, geleitet von einem deutschen
Landsmann aus der Rheinprovinz, der hier, nur durch einen jungen,
erst kürzlich eingewanderten Italiener unterstützt, ohne weiteres
Dienstpersonal alle Obliegenheiten seines Geschäftes erfüllt, und in
seiner Person zugleich Koch und Kellner, Stallmeister und Stubenmagd
repräsentirt! Wie würde der Gastwirth des ordinärsten Dorfes bei uns
verächtlich und entrüstet thun, wenn man ihm zumuthete, Stiefel zu
wichsen, Betten zu machen und Zimmer auszufegen. Ich habe aber in einem
deutschen Dorf oder Städtchen nie so reinlich und gut geschlafen und
gegessen als dort in dem fernen isolirten Tapuaeharuru mit seinem Dutzend
Holzhütten.

Unsere Ankunft versammelte die spärliche Einwohnerschaft des Ortes, für
welche die beiden Postwagen von Napier südlich und von Tauranga nördlich
her zweimal jede Woche die wichtigsten Ereignisse sind. Der Wagen von
Tauranga war ohne Passagiere gekommen, der unserige aber brachte deren
fünf, eine in dieser Jahreszeit ungewöhnlich hohe Zahl.

Sechs oder sieben Soldaten, aus welchen ungefähr die ganze bewaffnete
Macht bestehen mochte, schlenderten von ihrer Pallisadenkaserne drüben
herbei, etwa eben so viele junge Maoriweiber, mit welchen erstere in
wilder Ehe zu leben pflegen, tauchten hinter den Hütten auf, setzten ihre
Pfeifenstummel in Brand und konversirten lebhaft in ihrer wohlklingenden
Sprache.

Aus dem nächsten Manukagebüsch aber trat eine Gestalt, die einer
eingehenderen Betrachtung würdig ist. Ich hatte bisher noch keinen Maori
anders als in europäischer Kleidung vor Augen gehabt. Jetzt sollte ich
zum ersten mal das alte einfachere Maorikostüm, wenn auch mit einigen der
Phantasie und europäischer Verweichlichung entsprungenen Abänderungen,
an den blassen Gliedern eines Pakeha zu studiren Gelegenheit erhalten.
»Mister Jack the Guide of Taupo«, wie er sich genannt wissen will,
war es, der mit nackten Beinen und Armen uns entgegeneilte und bei der
herrschenden Kälte einen ziemlich frostigen Eindruck machte.

Ein kurzer, dicker Kerl von vielleicht vierzig Jahren mit struppigem
Gesicht, dessen Züge den Ausdruck ehrlicher Bonhommie tragen, und
struppigem Haarwuchs, dessen Farbe an einzelnen Stellen bereits einen
grauen Schimmer zeigt, steckt in einem weissen Hemd ohne Aermel. Um seine
Hüften und Schenkel ist eine wollene Decke gewickelt, aus welcher der
Griff eines langen Messers guckt, von den Schultern fällt ein Plaid in
malerischem Faltenwurf herab. An den Füssen trägt er kurze graue Socken
und Stiefeletten mit Gummizügen und weit abstehenden Anziehstrippen
vorn und hinten, den rechten mit einem Schnallsporn bewaffnet. Das
Haupt schmückt ein hoher schwarzer Kalabreser, wie ihn unsere jüngeren
Künstler lieben, und eine hochemporstrebende spitze Fasanenfeder --
Solches ist das flüchtige Porträt von »Mister Jack the Guide of
Taupo«, so gut es meine schwache Feder einem wissbegierigen Publikum zu
überliefern im Stande ist, und zugleich auch eine Charaktermaske,
welche sich wegen ihrer Einfachheit, Bequemlichkeit und Billigkeit der
Berücksichtigung eines karnevalliebenden Publikums empfehlen möchte.

Was dieser sonderbare Europäer eigentlich in Taupo zu thun hatte, und
womit er sein Leben fristete, war mir ein Räthsel und sollte mir erst
morgen einigermassen klar werden. Mister Jack erwies sich übrigens im
weiteren Verlaufe des Abends als ein sehr liebenswürdiger Gesellschafter,
voll von Schnurren und Abenteuern, mit denen er uns lange ausgezeichnet
unterhielt und vollständig vergessen machte, dass er im blossen Hemd mit
zu Tische sass.

Ungefähr zweihundert Schritt vom Hotel entfernt fliesst der Waikato
aus dem See. Ein baufälliges Fahrzeug mit einer auffallend kleinen
Dampfmaschine liegt hier vor Anker, um einmal wöchentlich auf
Regierungskosten den See zu kreuzen und die Verbindung mit Tokano,
einem Maoridorf an der gegenüberliegenden Seite, zu unterhalten. In
Mäanderlinien schlängelt sich der Fluss durch bald steil abfallende, bald
terrassenförmige felsige Ufer, an denen sowie an den Abhängen zahlreicher
ebenfalls mäandrisch gestalteter Querthäler die kochenden Quellen
entspringen.

Diesen galt mein erster Ausflug am folgenden Tag, der von besserem Wetter
als die vorhergehenden begünstigt war. Beinahe hätte ich den undeutlichen
Weg durch das Gebüsch verloren, welches an manchen Stellen so hoch wurde,
dass es mir einen als Richtpunkt dienenden Berg zur Rechten verbarg,
während die Sonne nur minutenweise sich sehen liess, wenn nicht einige
weisse und halbweisse Kinder mit Handtüchern mich eingeholt hätten,
welche demselben Ziele wie ich, den warmen Bädern, zustrebten.

Einem der Mädchen war es offenbar sehr unangenehm, dass ich auch baden
ging, und sie schickte ihren jüngeren Bruder als meinen Führer ab, dem
sie Instruktionen zuflüsterte, und dem ich bald anmerkte, dass er mich
nur von der rechten Fährte abbringen sollte, während die übrige kleine
Schaar zurückblieb. Erst als ich dem jugendlichen Schlaukopf erklärte,
dass es mir zunächst nur darum zu thun sei, die Gegend in Augenschein zu
nehmen, und dass ich nicht vor zwei Stunden baden würde, schien er bereit,
mir den Badeplatz zu zeigen.

Eine halbe Stunde waren wir plaudernd weitergewandert, und mehrmals hatten
wir Fasanen, an denen die Gegend reich sein soll, aufgescheucht als endlich
die erste Dampfwolke ziemlich nahe vor uns emporqualmte. Gleich darauf
dampfte es auch dicht neben uns aus einem metertiefen Loch, in dessen Grund
nichts als feuchte zerrissene Erde und verdorrtes Farnkraut zu erblicken
war. Ein starker Schwefelgeruch erfüllte die Luft. Es galt jetzt,
vorsichtig den schmalen Pfad zu verfolgen, und ich fühlte mich gehoben
durch das Bewusstsein, mitten in jenem merkwürdigen Gebiete zu stehen,
von dem ich in der Heimath Hochstetters vortreffliche Schilderung mit so
grossem Interesse gelesen hatte.

Rechts und links begann es aus vielen Stellen zu dampfen. Vom Rande eines
Abgrunds schauten wir hinab auf das herrlich klare dunkelgrüne Wasser des
langsam dahin fliessenden Waikato. An seinen steilen Ufern qualmte es hier
und dort zum immer freundlicher werdenden Himmel empor, und seltsam grell
stach das von der Sonne beschienene Weiss des Dampfes von den gesättigten
Tönen der Umgebung ab.

Eine niedrige Thalschlucht öffnete sich, durch welche ein warmes Bächlein
dem Flusse zueilt, und in welcher zwei Schilfhütten liegen, halbverborgen
von Farn und Phormium. Dort unten sind die Bäder.

Ich dankte meinem jungen Begleiter und schlug die gerade Richtung ein nach
jener ersten und bedeutendsten Dampfwolke, trotz aller Warnungen, die ich
gelesen und gehört. Auch hier machte ich wieder die Erfahrung, dass
im Allgemeinen die Gefährlichkeiten nicht so gefährlich sind, als sie
beschrieben werden. Es war zwar manchmal gewiss überraschend, plötzlich
vor einem tiefen Loche zu stehen, in dessen Grund es leise und unheimlich
dampfte, und der wie geröstete und mit einzelnen Büscheln vertrockneten
Grases und spärlichem dürrem Buschwerk besetzte Boden war so weich und
morsch, dass man bei jedem Tritte einen Zoll tief einsinkend die Empfindung
der Unsicherheit bekommen konnte. Wenn man aber mit der nöthigen Vorsicht
zu Werke ging, das dichtere Gestrüpp, welches den Boden gänzlich
verdeckte, mied und nicht gerade drauf los rannte, war kein ernstlicher
Unfall zu befürchten.

Ich durchstreifte kreuz und quer das Ideal eines koupirten Terrains. Auf
den ersten Blick flach und nur von kümmerlicher Vegetation bewachsen, sind
die beiden hohen Ufer des Waikato allenthalben von Laufgräben ähnlichen
Schluchten durchzogen, die alle fünfzig bis hundert Schritt fast
rechtwinklig bald rechts bald links umbiegen, so dass man nie wissen kann,
woher sie kommen und wohin sie führen, und oft dieselbe Schlucht zweimal
hinab und hinaufklettert, die man leicht hätte umgehen können, wie man zu
spät erfährt.

Die mehr oder minder stark dampfenden Löcher sind ziemlich zahlreich.
Da eines aussieht wie das andere, wurden sie mir bald gleichgültig, und
ausser dem Urheber meiner ersten verheissenden Dampfwolke, einem kochenden
Sprudel von grösseren Dimensionen, war nichts Besonderes zu entdecken.
Schon aus einer gewissen Entfernung hörte ich den dumpfen unterirdischen
Lärm desselben, und als ich an dem brunnenartigen Schachte stand, in
dessen Tiefe es brodelte und brummte und hämmerte wie in einer Fabrik, in
der viele Maschinen zu gleicher Zeit arbeiten, fühlte ich etwas wie Grauen
bei dem Gedanken auszugleiten und hinabzufallen. Nur auf kurze Augenblicke,
wenn eben ein Windstoss den aufsteigenden Qualm zerriss, war ein Stückchen
des kochenden und sprudelnden Wassers zu sehen. Rothes verwittertes Gestein
bildet die Wände des Schachtes, über dessen unregelmässig zerrissene
Ränder bleiches, wassersüchtiges Farnkraut hängt, kränkelnd unter der
fortwährenden warmen Bethauung.

Ich war mittlerweile müde geworden, und die Frist, die ich den Kindern von
Tapuaeharuru zum Baden versprochen, war abgelaufen, so dass ich beschloss
mich nun selbst durch ein warmes Bad für meine Forschungsreise zu
belohnen.

In jenem Miniaturthal mit den Schilfhütten sah es anmuthiger aus als oben
auf dem kahlen dürren struppigen durchfurchten Plateau, über welches
ein frostiger Wind strich. Je weiter ich kam, desto idyllischer wurde die
niedliche engbegrenzte Landschaft. Auf einem Pfahl ein Taubenschlag
aus Flechtwerk, zwei oder drei niedrige Hütten aus demselben Material,
weidende Schafe und ein bellender Hund, ringsum dichte üppig grünende
Vegetation und steile Felswände, gerade hoch genug um gegen die kalten
Winde Schutz zu gewähren, bilden die Bestandtheile dieses reizenden
stillen Winkels. Ich näherte mich den Wohnstätten, und eine junge
Maoridame, auffallend hübsch und reinlich, erschien in phantastischer
und zugleich so dürftiger Gewandung, dass ich beinahe Entschuldigungen
stammelnd zurücktrat. Das war kein Maoriweib gewöhnlicher Art. Ein
gewisses Parfüm entduftete ihrem Körper, ich roch Europa. Warum musste
mir sofort Mister Jack the Guide of Taupo einfallen? Ich weiss es nicht.
Meine Ahnung aber war richtig wie ich später erfuhr. Dieses war des
alten Gauners (wilde) Ehegattin, eine Häuptlingstochter, welcher das Land
ringsum mit dem lieblichen Thal und dem warmen Bächlein gehörte. Er und
sie repräsentiren allegorisch Gott und Göttin der wunderbaren Heilquelle,
deren gedruckte Analyse ich gestern hatte würdigen müssen, und für
welche er sich wie jeder Quellenbesitzer nicht nur des Lake-Distrikts von
Neuseeland, sondern der ganzen Erde eine grosse Zukunft verspricht. Mit
einem solchen mythologischen Beruf ist selbstverständlich europäische
Zugeknöpftheit unvereinbar, daher die Einfachheit seiner und ihrer
Bekleidung.

Das Bad ist stylvoll wie die Eigenthümer desselben. Mehrere heisse Quellen
entspringen in dem Thal und vereinigen sich zu einem ungefähr metertiefen
und einen guten Sprung breiten Bach, der geschäftig zwischen Farn und
Phormium dem Waikato zueilt. Da wo sein Wasser sich zu der Temperatur eines
angenehmen Wannenbades abgekühlt hat, ist es aufgestaut, und mit einem
Dach aus Lattenwerk überbaut, an welchem Geisblatt zwanglos hinanklettert
und graziöse Zweige im Winde schaukelt. Eine Schilfhütte dient
zum Auskleiden, ein Spiegel ohne Rahmen, dessen nackte zerkratzte
Quecksilberfläche das Konterfei voller Löcher zurückstrahlt, und ein
geschriebenes Plakat, welches besagt, dass der einmalige Genuss all dieser
Schönheiten einen Shilling kostet, sind das Mobiliar des Innern. Den
schmalen Zugang und die Hütte selbst überwuchert hohes Phormiumschilf
und säuselt seine Melodien, vom Zephyr bewegt. Schmeichelnd fallen die
Sonnenstrahlen durch die Blätter der Laube, und schmeichelnd umspült das
laue Wasser die erfreuten Glieder des Badenden.

Die Temperatur kann um einige Grade erhöht und erniedrigt werden durch
eine Schleuse, die aus einer Nebenquelle kälteres Wasser einlässt.
Schliesst man die Schleuse ganz, so steigt die Wärme bald auf eine
unangenehme Höhe, das Bad beginnt zu dampfen, und man beeilt sich wieder
aufzumachen. Sehr merklich ist auch der Unterschied zwischen den oberen
und unteren Schichten des Bades, und deutlich fühlt man beim Unter- und
Auftauchen die heissere Zone der Oberfläche.

Es blieb mir nur noch übrig, unten am Ufer des Waikato einige andere
heisse Quellen aufzufinden, und ich hatte Alles gesehen, was in
Tapuaeharuru zu sehen ist, zum Aerger von Mister Jack, der nicht begriff,
wie man ohne seine Führung und Erklärung herumzustreifen wagte.

An einem Punkte strömt dem dunkelgrünen Waikato so viel heisses Wasser
zu, dass man im Sommer in ihm selbst warme Bäder geniessen kann. Weiter
oben in der Mitte eines grösseren, ziemlich seichten Beckens, dessen
Umfang sich nicht übersehen lässt, da es halb von einer dunklen
Felsenhöhle überwölbt ist, wallt es in beständigem Kochen. Der ganze
Grund ist bedeckt mit zierlichen Sinterinkrustationen von Farnblättern,
die sich von den bekannten Erzeugnissen des Karlsbader Sprudels dadurch
unterscheiden, dass sie aus Kiesel und nicht aus Kalk bestehen. Greift
die Hand achtlos hinein, um sich ein Andenken herauszuholen, so fährt sie
sogleich erschrocken vor der Hitze wieder zurück. Ein alter erloschener
Geyser dicht nebenan arbeitete zuweilen noch vor wenigen Jahren. Jetzt ist
von ihm nur mehr die Umwallung, die er sich aus Inkrustationen aufgebaut
hat, vorhanden.

Um ein Gebüsch biegend, stand ich plötzlich vor zwei Maorihütten. Kein
Mensch war in ihnen, die hölzernen Fensterladen waren zu und die Thüren
mit europäischen Vorhängeschlössern versperrt. Hinter einem zweiten
Gebüsch grub ein altes hässliches Maoriweib Kartoffel aus der Erde,
obwohl heute Sonntag, Sonntag unter englischer Flagge war, und nahm
mürrisch vor sich hinstierend nicht die geringste Notiz von meiner
Anwesenheit.

Unweit davon musste ich etwas entdecken, was Mister Jack keineswegs zur
Ehre gereichte. Durch Stauung und Erweiterung hatte die Natur in dem
Netzwerk der vielen heissen, warmen und kühlen Bäche das herrlichste
natürliche Wannenbad geschaffen. Zarte weissschimmernde Sinterkrusten
überzogen die Innenfläche und die vom Grün des Farngestrüpps
eingefassten Ränder und auch hier konnte durch seitliche Löcher, die man
mit Grasbüscheln verstopfte, die Temperatur regulirt werden. Gewiss war
dieses Gebilde im Stande Mister Jack Konkurrenz zu machen, und er hatte es
deshalb mit Schmutz vollgeschüttet.

Als ich wieder nach dem Hotel des Herrn Becker zurückkam, war das Dinner
schon längst vorüber, und die beiden Kutscher, meine Gefährten, Mister
Jack und die ganze Soldateska des Platzes waren alle betrunken. Mister Jack
ärgerte sich erst ein wenig und schimpfte, dass ich ohne ihn, den »Guide
of Taupo«, Umschau gehalten und sämmtliche Sehenswürdigkeiten selber
gefunden. Ich zahlte ihm seinen Shilling für das Bad und lobte seine
Besitzung. Das versöhnte ihn wieder. Der Spekulationsgeist erwachte in
ihm. Ich war ja ein Medikal Man und konnte vielleicht seiner Quelle von
Nutzen sein. Er redete mir zu, dass ich bis zur nächsten Post bei ihm
bliebe, und führte die ganze Eloquenz seines alkoholischen Zustands ins
Feld, mich noch mehr für sein idyllisches Thal zu interessiren. Er log,
was er konnte. Er schwur ich hätte das Beste doch nicht gesehen, er suchte
in jeder Weise auf mein Gemüth zu wirken und erzählte von gräulichen
Gespensterstimmen, die dort allnächtlich ihr Unwesen trieben. Er fluchte
und tobte, er zog sein Messer aus dem Gürtel und stiess es in den Tisch,
um mich zu überzeugen. Alles umsonst.

Trotz des besoffenen Lärms der wilden Gesellschaft schlief ich den
sanften Schlaf des Gerechten, als ich plötzlich unsanft erwachte. Die
Fensterscheiben meiner Erdgeschosskammer klirrten zerbrochen zu Boden, ein
wüstes Geheul, ein Stampfen und Kämpfen draussen im Freien, und ich eilte
hinaus. Man hatte sich geprügelt, und einer der Söldlinge war in seiner
Tobsucht so weit gegangen, nicht nur meinem biederen Landsmann dem Wirth
das Gesicht voll blauer Flecken zu schlagen, sondern auch rings ums Haus zu
laufen und der Reihe nach die Fenster zu zertrümmern. Der Bösewicht
lag nun gefangen, mit Stricken gefesselt und nackt auf der Strasse.
Die Kutscher und meine Reisegefährten hatten ihn nach längerem Ringen
bezwungen und ihm dabei die Kleider vom Leibe gerissen. Nun standen sie
gleich Schergen um ihn herum, schnaubend von der gehabten Anstrengung. Die
übrigen Söldlinge waren entwichen.

Kalt lächelnd blickte der Mond auf die merkwürdige Gruppe, neben welcher
die Gestalt Mister Jacks sass und sich den Rücken rieb. Sein Hüftenplaid
war ihm abhanden gekommen, und ohne schützende Hülle ruhte seine Basis
auf dem feuchten Rasen. Er schien sich über die Veranlassung dieses
unerquicklichen Zustands unklar zu sein. Ueberrascht schaute er um sich,
rieb sich den Rücken, kratzte sich hinter den Ohren und blinzelte gegen
den Mond, als ob er ihn fragen wollte.

Dem Tobsüchtigen verordnete ich einige Eimer kalten Wassers über den
erhitzten Kopf bis er mit den Zähnen klapperte dann brachten wir ihn und
Mister Jack, der ebenfalls fror, ins Bett und legten uns selber schlafen.

Zwei Stunden später graute der Morgen, und der Kutscher trommelte uns aus
den Betten. Wir kamen nun in einen noch schmäleren Wagen, weil von jetzt
ab die Poststrasse noch schlechter wurde, als sie bisher gewesen. Der
Mangel an Raum sollte durch Wegfall der Polster ausgeglichen werden.

Leider blieb von den Reisegefährten nur einer zurück und wurde durch
einen andern ersetzt, einen Offizier der Konstabulary Force, der wegen
Krankheit nach Tauranga zum Arzte fuhr und eine neue Art unangenehmer
Gesellschaft repräsentirte, indem er beständig durchs Fenster hinaus
seiner läufigen Hündin zubrüllte und sie zur Keuschheit ermahnte den
Anfechtungen eines männlichen Köters gegenüber, welcher sie mit heisser
Liebe verfolgte, bis wir anhielten und ihn mit einem Strick vor Anker
legten. Die alten Gefährten waren womöglich noch rücksichtsloser als
je, und mürrisch und grämlich wie alle Menschen, denen es nicht vergönnt
ist, ihren Rausch auszuschlafen. Abermals stand ein schwerer Tag bevor.

Für kurze Zeit liessen sich am anderen Ende des öden Tauposees die
schneebedeckten Kämme des Ruapehu bestrahlt von der aufgehenden Sonne
blicken. Wir bogen nach Norden und kreuzten auf hölzernen Brücken
zweimal während des Tages den gleichfalls nach Norden gerichteten Lauf des
Waikato.

Das Manukagebüsch wurde spärlicher, und die Gegend nahm wieder mehr den
Farncharakter an. Die Dampfsäulen kochender Quellen verschwanden. Durch
romantische Wildnisse stieg die Strasse bergauf und bergab, und schäumende
Bäche stürzten sich daneben durch rauhe Schluchten dem Waikato zu.
Stumpfe Kegelberge wechselten mit kulissenartigen Bergrücken. Herrliche
Fernsichten, wie von einem Maler der klassischen Schule komponirt, thaten
sich auf. Dann ging es wieder über eine dürre Grasstoppelebene, in deren
Hintergrund sanft ansteigende Hügel mit Gruppen weisslicher Felsblöcke
besäet waren, so dass sie Dörfer zu tragen täuschten. Der Leichenstein
eines Postpferdes stand hier an der Strasse mit einer Inschrift, welche
das treu in seinem Berufe vom Tod ereilte Thier verewigte. Ausser diesem
Dokument der höheren Philozoie und der Strasse ist weit und breit nichts
Menschliches zu entdecken. Selbst der Telegraphendraht hat uns verlassen
und andere Wege eingeschlagen. Keine Vogelstimme lässt sich vernehmen.
Ueberall Grabesruhe.

In einem echten Maoridorf, mitten zwischen zackigen Felsen, durch welche in
der Tiefe der Waikato tost, machten wir Mittag und wechselten die Pferde.
Selbst der Stationswirth, ein Weisser, und seine weisse Gattin, eine
junge sanfte Blondine, wohnen hier nur in Hütten aus Flechtwerk. Die
Eingeborenen werden jetzt zahlreicher, lumpiger und malerischer, je mehr
es nach dem wärmeren Norden geht, ebenso wie bei uns, wenn man über die
Alpen gegen Italien zieht. Bis jetzt hatte ich ausser dem blassbeinigen
Mister Jack noch keinen echten Maori gesehen. An allen Einschnitten der
Strasse sind Maorinamen in englischen Lettern und Maorizeichnungen von
nicht geringem Verständniss in den weichen Sandstein gekratzt.

Auf einer Höhe biegt der Weg um die Ecke, der See Rotorua erscheint und
vor ihm eine dampfende Tiefebene. Der ganze schwammige Boden ist hier
unterwühlt von kochenden Quellen. Schnurgerade durchschneidet die erhöhte
Strasse den mit Manukagebüsch besetzten Sumpf, aus dem es links und
rechts überall unheimlich brodelt und qualmt und dampft. Was ich in Taupo
gesehen, war nichts gegen diesen Anblick, der meine kühnsten Erwartungen
weit übertraf.

Die Dunkelheit senkte sich hernieder, als wir in Ohinemutu ankamen, umringt
von einem lärmenden Gesindel fröhlicher Maoris, von denen kein einziger
eine Hose anhatte, was mir überaus imponirte.



VIII.

OHINEMUTU UND ROTOMAHANA.

  Die heissen Quellen und ihre Verwendung. Ein Badeort in des
  Wortes verwegenster Bedeutung. Legende von der schönen Hinemoa.
  Maorialterthümer. Ausflug nach Wakarewarewa. Das Labyrinth der
  Schmutzvulkane. Die Geyser. Der missglückte Haka. Ein interessantes
  liederliches Kleeblatt. Ausflug nach Rotomahana. Wairoa und seine
  internationalen Wegelagerer. Stürmische Kanuufahrt über den
  Tarawera. Streitigkeiten mit den Maoris. Ueberall kocht das Verderben.
  Ungemüthliche Nacht. Tetarata und Otukapuarangi. Mister Davis und
  seine Singschule.


Dieses Ohinemutu ist nicht nur der interessanteste Punkt von ganz
Neuseeland, sondern auch einer der interessantesten Punkte der ganzen Erde.

Ohinemutu liegt etwas nördlich vom Zentrum der Nordinsel am südlichen
Ufer des Sees Rotorua. Die Berge treten hier in einen weiten Kreis zurück.
Sumpfige Ebenen, von welchen wir gestern den breitesten Theil durchfahren
haben, umgeben den See und lassen auf eine ehemals grössere Ausdehnung
desselben schliessen. Soweit das Auge blicken kann, qualmt zwischen
Farnkraut und Manukagebüsch weissglänzender Dampf empor, und an kühleren
Morgen ist die ganze Ebene mit Dampf überlagert. Allenthalben entspringen
kochende Quellen, kochende Schlammpfützen und Schlammvulkane.

Doch nicht blos wegen seines kochenden Untergrunds ist Ohinemutu so hoch
interessant, sondern auch wegen seiner Maoribevölkerung, die dort, etwa
300 Köpfe stark, noch viel von den alten Sitten beibehalten hat.

Nahe dem Ufer steigt ein isolirter, kaum 25 Meter hoher Hügel, mit
europäischen Weidenbäumen bepflanzt, aus dem heissen Sumpf, und an
diesem, dem See zugewendet, baut sich die Ortschaft auf. Am Anfang und am
Ende einer sehr primitiven Strasse, die sich oben entlang zieht, sind
zwei gute Hotels für Touristen und in der Mitte ein Kaufhaus mit einigen
Nebengebäuden. Dies ist das weisse Viertel. Alles übrige ist Maori und
besteht aus unregelmässig zerstreuten umzäunten Hütten, zwischen denen
sich schmale Pfade hindurchschlängeln. Etwas erhöht thront auf einem
Ausläufer des Hügels das Versammlungsgebäude der Gemeinde, ein
langgestreckter Holzbau, dessen Dach beiderseits fast den Boden berührt.
An der Frontseite sind unter dem vorspringenden Giebel der Eingang und
zwei hohe Glasfenster. Alles innen und aussen ist mit schönen stylvollen
Holzschnitzereien verziert, und an einem Ornament der Dachränder baumelt
eine Glocke.

Die Hütten sind niedrig, mit Wänden aus Flechtwerk und Dächern aus
Stroh und sehen sehr formlos und ruppig aus, die zum Wohnen bestimmten
wenigstens. Die Vorrathshäuschen jedoch, welche in keiner Umzäunung
fehlen, sind zierlicher und von Holz, ruhen auf drei Pfosten ein Meter
hoch über der Erde und erinnern durch ihre flachen Dächer an grosse
Taubenschläge im Schweizerstyl. Eine geschnitzte Figur schmückt den
Giebel, und Schnitzereien verkleiden die Dachränder. An den Thüren
hängen anachronistischer Weise europäische Vorhängeschlösser.

Die innere Einrichtung der Wohnhütten ist von der grössten Einfachheit
und ebenso rauh und unansehnlich wie das Aeussere derselben. In den
Strohwänden stecken ein paar Zahnbürsten, ein Kamm, ein Spiegel, eine
Axt, eine Flinte und sonstige Gegenstände mannigfaltigster Art, selten in
ordentlichem, meistens in halbzerbrochenem, lotterigem Zustand. Unter
dem Dach hängen etliche Pageien (kurze löffelartige Ruder) und einige
Bretter, auf welche russige Töpfe gestülpt sind. Den Boden bildet die
nackte Erde, und unmittelbar auf dieser liegen ohne Erhöhung in den
Ecken die Betten, umschlossen von einem Holzrahmen und aus dicken Polstern
elastischen Farnkrautes und wollenen Decken bestehend. Bei Reicheren findet
man wohl auch Weisszeug, Bettlaken und Federkissen. Bei diesen herrscht ein
höherer Grad von Reinlichkeit, und die wollenen Decken zeichnen sich durch
grellere Farben und buntere Muster aus. In der Mitte brennt ein Feuer,
welches jedoch weniger zum Kochen als zur Erwärmung dient, da zum Kochen
die kochenden Quellen viel bequemer zur Hand sind.

Die unterirdische Hitze wird von den Bewohnern in dreifacher Weise
ausgebeutet. Grosse Steinfliesen bedecken hie und da vor und in den Hütten
den Boden, durch unter ihnen emportauchende heisse Quellen erwärmt,
und auf diesen natürlichen Oefen hocken den ganzen Tag alte Weiber und
Männer. Andere Quellen sind sauber mit Blöcken eingefasst und zum Kochen
bestimmt. Wieder andere, weniger heisse dienen zum Baden.

Im Sommer ist auch der See bis weit hinaus genügend erwärmt um Stunden
lang darin verweilen zu können. Da wir eben Juni, also Winter hatten, war
dieses Vergnügen, abgesehen von den vielen zerstreuten Badetümpeln, auf
eine 20 Schritt breite und 100 Schritt lange Bucht beschränkt, welche
durch zwei vorspringende Landzungen gebildet ins Dorf hineinragt.

Von allen drei Seiten fliessen heisse Quellen herab, aus dem Grunde
tauchen heisse Quellen auf, und über dem inneren Ende gähnt, von steilen
zerbröckelten Felswänden eingefasst, ein brodelnder Kessel, ein alter
Geyser, in dem es beständig kocht und stampft und wallt und hämmert,
zwischen wucherndem Farnkraut Verderben drohend empor, gerade gross genug,
um etwa fünfzig Menschen auf einmal darin zu kochen. Hier hinein sollen
nämlich in der guten alten Zeit die Gefangenen genöthigt worden sein, um
zum festlichen Schmause zu dienen sobald sie gar waren -- eine Sage, die
jedoch nur im Munde der Europäer kursirt, und von der die Maoris selbst
nichts wissen wollen.

Jene kleine Bucht ist das famoseste warme Schwimmbad, welches
menschliche Ueppigkeit sich wünschen kann, und war damals der allgemeine
Zusammenkunfts- und Vergnügungsplatz der Europäer männlichen und der
Maoris beiderlei Geschlechts. Namentlich an heiteren Abenden ehe es dunkel
wurde, versammelte sich hier Alles was zur Gesellschaft von Ohinemutu
gehörte, und gleichwie man in Italien nach Sonnenuntergang promeniren
geht, so ging man in Ohinemutu ins warme Wasser, schwamm einigemal hin und
her, und setzte sich dann in den schönen warmen und weichen Schlamm
der seichteren Stellen, so dass nur der Kopf aus dem Wasser guckte, und
plauderte ein paar Stunden im Kreise brauner Herren und Damen. Von einer
Art Bekleidung war dort natürlich nicht die geringste Rede, und über
einen alten Herrn, der einst in einer Badehose auftrat, wird berichtet,
dass er dadurch nur die grösste Heiterkeit und Neugierde der Eingeborenen
auf sich gezogen habe, welche nicht eher ruhten als bis sie sich durch
Augenschein überzeugten, was denn eigentlich hinter der Badehose
Geheimnissvolles verborgen sei. Diese Ursprünglichkeit der Sitten und
diese klassische Nudität wirkt doppelt überraschend mitten in einem
Lande, in welchem der bibelfromme und bis zum Unerträglichen anständige
Brite neun Zehntel der Bevölkerung bildet.

Die Weiber und Mädchen beobachten in der Regel die grösste Sorgfalt,
beim Hinein- und Herausgehen so wenig als möglich von ihren Reizen zu
exponiren, und jenes Titelbild, welches Lieutenant Meade seinem Buch
über Neuseeland voranschickt, auf welchem er badende Nymphen von antiker
Formenschönheit und mehr als europäischer Lilienweisse unter dem
kochenden Sprühregen eines gewaltigen Geysers sich amüsiren und
produziren lässt, fand ich niemals verwirklicht. Nur alte Vetteln geniren
sich weniger und zeigen sich oft in der ganzen Länge ihrer nicht sehr
aphroditischen Leiber. Maorigreisinnen sind gewöhnlich über alle Massen
hässlich. Sie scheeren sich das Kopfhaar ganz kurz wie abrasirt, und die
kahlen Schädel mit den hohlwangigen und hohläugigen braunen Gesichtern
und die mageren ausgemergelten Körper machen den Eindruck von
Todtengerippen.

Es war mir auffallend, dass ich im Bade niemals einen gröberen Verstoss
gegen die Dezenz zwischen beiden Geschlechtern, niemals eine Aeusserung
erotischer Triebe wahrnahm, obwohl doch die Anschauungen der Maoris
in diesem Punkt sehr liberal sind und obwohl die Anwesenheit so
vieler einzelner Mädchen in Ohinemutu nur aus einer gewissen mit dem
Fremdenverkehr zusammenhängenden kosmopolitischen Erwerbsquelle erklärt
werden kann.

Ich lade übrigens hiermit den Leser ein, mit mir ein derartiges Bad zu
geniessen.

Wer nichts zu thun hat, was bei den Bewohnern von Ohinemutu so ziemlich
ausnahmslos der Fall zu sein scheint, badet nicht selten dreimal des Tages,
nämlich gleich nach dem Aufstehen, Abends gegen Sonnenuntergang und Nachts
um 11 oder 12 Uhr ehe man ins Bett geht, und oft auch noch später wenn
man vielleicht nicht schlafen kann. Die beliebteste Zeit ist der späte
Nachmittag. Es ist dann am vollsten und lebhaftesten im Wasser und das
schöne Geschlecht am zahlreichsten vertreten.

Schon ehe wir vom Hotel weggehen, wird es gut sein, uns der
überflüssigsten Kleidungsstücke zu entledigen, da unten beim Bade nicht
viel Raum und Bequemlichkeit zum Aus- und Ankleiden ist, und den Rock, die
Weste und den gestärkten Halskragen zu Hause zu lassen. Man kümmert sich
hier wenig um alle diese ängstlichen Kleinigkeiten, und würden wir einen
längeren Aufenthalt nehmen, wer weiss ob wir es nicht vielleicht ebenso
machten, wie die ansässigen Weissen, welche auch die Beinkleider zu Hause
lassen, wenn sie baden gehen, und nur in Hemd und Schuhen, nach Maoriart
einen bis zu den Knieen reichenden Schal um die Hüften geschlungen und
einen faltigen Schlapphut mit Fasanenfeder auf dem Kopf, erscheinen. Dieses
leichte Kostüm, das ich zuerst an Mister Jack the Guide of Taupo bewundern
musste, hat auch in dem milderen Ohinemutu viel mehr Berechtigung als in
dem kalten hochgelegenen Tapuaeharuru.

Die Sonne wird bald hinter die westlichen Berge tauchen und giesst ihr
strahlendes Licht mild über den glatten Spiegel des Sees, in dessen Mitte
die kuppenförmige Insel Mokoia liegt, so dass wir nicht umhin können
öfters bewundernd stehen zu bleiben, während wir den Hügel hinabsteigen.
An Mokoia knüpft sich eine poesievolle Maorilegende, welche ich in
den verschiedenen Neuseeländischen Reisehandbüchern in so vielen
abgeschmackten Versionen gelesen habe, dass es mir beinahe unmöglich ist,
sie kurz wiederzugeben.

Hinemoa, das ist »ein Mädchen (Hine) dem grossen Vogel Moa
vergleichbar«, war die schönste Maoriprinzessin weit und breit im Lande,
und Tutanekai war der schönste Prinz. Tutanekai wohnte auf Mokoia
und Hinemoa in Ohinemutu. Sie liebten sich, aber die Väter, mächtige
Häuptlinge, hassten sich und wollten nichts davon wissen. Alle Kanuus
hüben und drüben wurden strenge bewacht, damit die beiden Liebenden
nicht zu einander kommen konnten. Doch ihre Liebe wurde dadurch nur um so
heftiger. Eines Abends als es bereits dunkel war, sass die schmachtende
Hinemoa vor ihrer Hütte auf einem warmen Stein und seufzte nach der Insel
hinüber. Da trug ein sanfter Zephyr die Töne von Tutanekais Flöte an
ihr Ohr. Eine mächtige Sehnsucht ergriff sie. Lautlos eilte sie an den
See hinab und schwamm nach Mokoia, wo sie zu Tode erschöpft ankam.
Selbstverständlich legte sie sich sofort in einen warmen Tümpel am Ufer
um sich zu erholen und zu überlegen, wie sie dem Geliebten ihre Nähe
kündigen möchte ohne von einem Anderen entdeckt zu werden. Der Zufall und
weibliche Tücke halfen ihr aus der Verlegenheit. Ein Sklave Tutanekais kam
herab, um Wasser zu holen. Gleich einem bösen Kobold warf sie sich
heulend auf den Ahnungslosen, entriss ihm das Gefäss und erschreckte
ihn dermassen, dass er bebend von dannen floh, seinem Herrn von dem
nächtlichen Spuk zu berichten. Dieser, ein echter Held, kommt sofort Rache
schnaubend gelaufen und -- findet seine Hinemoa. Nun hatten sie sich und
ehelichten sich. Die Väter verziehen nach einiger Zeit, und Hinemoa und
Tutanekai lebten lange und glücklich miteinander.

Es ist bereits kühl, und der Dampf der heissen Quellen, welcher bisher,
von der höher stehenden Sonne aufgelöst, kaum sichtbar war, ist nun so
dicht, dass er wie ein deutscher Herbstnebel über den Vertiefungen des
Dorfes lagert. Ueberall, rechts und links, vor uns und hinter uns
brodelt es in hundert grösseren und kleineren Löchern. Ueberall steigen
Dampfsäulen empor, heisse dampfende Wasserfäden, geschäftig dem See
zueilend, kreuzen unseren Pfad, eine Dampfwolke verhüllt ihn auch wohl auf
Augenblicke, und wir müssen dann stehen bleiben und warten, bis wir wieder
sehen können. Denn ein Fehltritt ist gefährlich und würde vielleicht
eine schlimme Verbrühung des Fusses im Gefolge haben.

Das geheimnissvolle Brodeln ringsum, meist unsichtbar, da eine ewig
von schwefelig riechendem Dampf bethaute kränkliche Gras- und
Farnkrautvegetation die Löcher verbirgt, macht einen befremdenden,
unheimlichen Eindruck. Wir stehen über einem kochenden Sumpf, den nur eine
dünne Kruste fester Erde bedeckt. Und über diesem kochenden Sumpf lebt
ein ganzes Dorf und freut sich des heissen Bodens!

Hier kauern einige Gestalten vor ihrer Strohhütte auf warmen Steinfliesen,
in steife wollene Decken gehüllt, schwarzgeräucherte Thonpfeifenstummel
im Munde. Manchmal ziehen sie die Decken ganz über den Kopf, so dass
man nur eine Gesellschaft formloser Bündel sieht, aus welchen oben
Pfeifenstummel herausgucken. Dort in einer heftig dampfenden sprudelnden
Quelle, deren saubere Einfassung andeutet, dass sie zum Kochen dient,
hängen Körbchen mit Kartoffeln, Krebsen und Süsswassermuscheln an quer
darüber gelegten Stangen, und geschwätzige Gruppen von Weibern sitzen
herum und beobachten den Prozess der Zubereitung mit sichtlichem Behagen,
während sie sich die Zeit mit Rauchen, Schreien und Lachen vertreiben.
Wir selbst werden sofort die Zielscheibe ihrer Witze, indem wir
vorüberwandeln, und »Pakeha« (Europäer) ist das dritte Wort, was
wir hören. Speisereste liegen zu Haufen geschüttet, und wohlgenährte
schwarzborstige Schweine schnüffeln und grunzen wohlgefällig von einem
zum anderen.

Hinter jenem Gebüsch sind mehrere Badetümpel. In jedem sitzen etliche
Dutzend brauner Kinder eng zusammengedrängt, so dass man kaum begreift,
wie sie sich noch regen können, prügeln und spritzen und balgen sich,
purzeln über einander und verüben ein Geschrei, welches weithin das Dorf
durchgellt. »Mat mat« betteln sie um unsere Zigarren, die sie sofort
in den Mund stecken, wenn nicht die Mutter kommt, sie für sich zu
beanspruchen. »Mat« ist das maorisirte englische »Match«, in
übertragener Bedeutung auch auf den verwandten Begriff brennender Zigarren
angewendet.

So ein kleiner Junge von Ohinemutu führt ein sehr ungebundenes Leben. Den
ganzen Tag läuft er nackt umher, stiehlt sich hier eine Kartoffel, dort
eine Muschel oder einen Krebs und setzt sich von Zeit zu Zeit, um sich zu
wärmen, ins warme Wasser.

Aber auch die Erwachsenen lieben diese Wohlthat. Man mag zu irgend einer
Zeit durch Ohinemutu gehen, es sitzt fast immer die halbe Einwohnerschaft
links und rechts vom Wege im Bad. Ohinemutu ist ein Badeort in des Wortes
verwegenster Bedeutung, und den ausgedehnten Badegelegenheiten verdankt
es nicht blos seine Maoribevölkerung, welche gegenwärtig nicht mehr
autochthon, sondern von allen Seiten herbeigewandert ist, weil man hier
einen beträchtlichen Theil des Daseins im warmen Wasser zubringen und
Kartoffel kochen kann, ohne Feuer zu machen, sondern auch zahlreiche
Touristen und einige Kurgäste.

Unser Schwimmbad ist noch ziemlich leer. Einige Jungen vergnügen sich
damit, einander zu tauchen und von einem niedrigen Felsen herab ins heisse
Wasser zu springen, und ein altes runzeliges Weib mit kahlgeschorenem Kopf
hockt nackt am Ufer und gafft uns affenartig entgegen.

Wir suchen eine passende Stelle zum Auskleiden auf dem fortwährend
bethauten und feuchten Rasen, wobei wir wieder Acht haben müssen, die
vielen heissen Löcher zu meiden, welche allenthalben unter Farngestrüpp
verborgen sind und ihre Anwesenheit nur durch das brodelnde Geräusch
verrathen. Es kostet etwas Ueberwindung in der kühlen Winterluft sich zu
entblössen. Zähneklappernd kriechen wir über das nasskalte Gras
hinab, da die vielen spitzen Steine ein freies Auftreten verbieten,
und erschrecken über die Hitze des Wassers sobald wir es mit dem Fusse
berühren. Aber wir gewöhnen uns an diesen Gegensatz, wagen uns immer
tiefer hinein, trotzdem uns oft die Hitze den Athem stockt, und fühlen uns
nach längerem Aufenthalt ganz behaglich in dem warmen Medium.

Die Temperatur wechselt jedoch beständig. Kältere und heissere
Strömungen von Quellen, die aus dem Grunde kommen, kreuzen sich nach allen
Richtungen, und oft fühlen wir uns attakirt von einer so brennenden Hitze,
dass wir schleunig die Flucht ergreifen. Als ich einmal mit dem Thermometer
ins Bad ging, schwankte an ein und demselben Punkte die Quecksilbersäule
ohne zur Ruhe zu gelangen fortwährend zwischen 37 und 44 Zentigraden auf
und nieder bei einer Lufttemperatur von 10 Zentigraden. Weiter gegen den
See zu wird das Wasser kälter, und näher dem inneren Ende der Bucht
und dem Geyserkessel, da wo die Maoris noch mit dem grössten Vergnügen
kopfüber hineinspringen, ist es so heiss, dass ein normaler Europäer sich
dieser Stelle nur allmälig nähern kann.

Der Boden ist Schlamm, durch welchen weiche Felsenspitzen emporstehen. Ein
etwa drei Meter tiefes Loch, 20 Schritt lang und 10 Schritt breit, gewährt
die Möglichkeit sich im Schwimmen und Tauchen zu üben, was jedoch
manchmal unangenehm ist, da heftigere Bewegungen das Gefühl der Hitze
vermehren.

Haben wir das Bad genügend nach allen Dimensionen explorirt, so suchen wir
eine seichtere Stelle, setzen uns und erwarten die Ankunft der Damen
und der übrigen Gesellschaft. Ganz Ohinemutu ist voll von Lärm und
Lustbarkeit, und aus allen Hütten und hinter jedem Gebüsch erschallen
laut lachende und schreiende Stimmen. Dampfwolken ziehen langsam dahin die
Szenerie verschleiernd und wieder enthüllend. Die Dämmerung senkt sich
hernieder, die ersten Sterne beginnen zu funkeln, und eine zauberhafte
Stimmung bemächtigt sich unser, die wir im schönen weichen Grundschlamm
sitzen und bis zum Kinn von warmem Wasser umspült sind. Man darf sich
übrigens nicht zu tief in den Schlamm eingraben, sonst kann es passiren,
dass plötzlich ein heisser Wasserfaden sehr unangenehm überraschend
von unten hervorbricht. Für gewöhnlich sind dem Gesetz der Schwere
entsprechend die unteren Schichten nicht so warm wie die oberen, und man
mildert die brennende Hitze der oberen dadurch, dass man mit den Händen
kühleres Wasser von unten emporfächelt.

Um die nächste Ecke biegt ein braunes Mädchen mit einem Handtuch über
der Schulter, bleibt stehen, lächelt uns grüssend zu und besinnt sich und
kokettirt ein wenig, als ob sie sich schämte, vor uns ins Bad zu steigen.
Gleich darauf kommen drei oder vier andere Mädchen mit Handtüchern und
machen es ebenso. Auch sie besinnen sich und kokettiren ein wenig. Aber
nicht lange, und ehe sichs unsere Blicke versehen, sind sie im Wasser und
schwimmen zu uns heran. Ein Schal und ein Hemd ist ihre ganze Bekleidung.
Mit einer rühmenswerthen Geschicklichkeit wissen sie das letztere gerade
nur so weit zu lüften als nothwendig ist, je tiefer sie sich ins Wasser
begeben, und zuletzt rasch über den Kopf zu streifen und aufs Ufer zurück
zu werfen ohne es nass gemacht zu haben.

Manchmal behalten sie ihr Hemd am Leibe um es auf diese Weise, das
Nützliche mit dem Angenehmen vereinigend, zu waschen und stürzen sich
mit einem kühnen Salto vom Felsen herab. Sie schwimmen und tauchen
vorzüglich, und ich kenne eine braune Schöne von vielleicht 16 Jahren,
deren Name Rahia heisst und auf ihrem Oberarm in römischen Lettern
eintätowirt ist, welche damals täglich mit weissen und braunen Männern
um die Wette schwamm und jedesmal den Sieg davontrug.

Rahia ist auch anthropologisch nicht uninteressant. Denn sie besitzt statt
schwarzer dunkelbraune Haare mit einem Stich ins Röthliche, während
ihre Haut denselben angenehm satten Ton, wie die der Genossinnen zur Schau
trägt. Solche Abweichungen in der Farbe des Hauptschmuckes sind übrigens
nicht gar selten, und bei zwei anderen Mädchen bemerkte ich einmal sogar
hellere und dunklere Partieen neben einander auf demselben Kopfe.

Rahia ist nicht hübsch, wenn man ihr auf dem Trockenen begegnet, wo sie
immer ein sehr ernsthaftes Gesicht macht. Im Wasser aber wird sie
reizend durch ihre Geschmeidigkeit und die lebhafte Freude, die ihr die
Ueberlegenheit im Schwimmen und Tauchen sichtlich bereitet. Sie weiss auch
alle möglichen Kunststücke zu machen. Erst stürzt sie sich einigemal im
durchnässten Hemd, welches sich verrätherisch an ihre jugendlich runden
Formen schmiegt, von oben herab ins heisse Wasser. Dann formt sie grosse
Luftblasen mit ihrer Gewandung und lässt sich ruhig auf dem Rücken
liegend wegtreiben, taucht unter und nach wenigen Sekunden wieder auf
gerade da wo man sie am wenigsten vermuthet. Wir werden von hinten mit
Schlamm beworfen und wenn wir uns umdrehen ist niemand zu entdecken. Ein
zweites Schlammgeschoss besudelt unseren Nacken aus entgegengesetzter
Richtung. Unter den überhängenden Farnen des Ufers aber taucht Rahia
empor und sieht uns so gleichgültig an als ob nichts vorgefallen wäre.
Denn sie ist die Thäterin, wofür sie auch tüchtig angespritzt und
getaucht wird.

Das Bad füllt sich mit Gästen. Männer jeglichen Alters, Weiber mit
Säuglingen auf dem Arme oder in einem Sack um die Schultern gehängt,
Mädchen und Jünglinge setzen sich nebeneinander und klatschen.

Ihre Konversation scheint sich häufig mit uns und unseren bleichen
Gliedmassen zu beschäftigen, wie aus ihren Mienen und dem immer
wiederkehrenden Wort »Pakeha« hervorgeht. Sie fühlen sich offenbar sehr
geschmeichelt, wenn wir uns zu ihnen setzen, und will man einer Dame seine
ganz besondere Aufmerksamkeit erweisen, so nimmt man ihr ohne viel Worte zu
verlieren die nie fehlende Pfeife aus dem Mund, raucht selbst einige Züge
daraus und steckt sie dann wieder an ihren Platz zurück.

Kinder und Jungen machen einen betäubenden Lärm, und auch sie möchten
gern mit uns anbinden. Forschend welchen Geistes wir seien, nähern sie
sich, und haben sie erst bemerkt, dass man ihnen freundlich gesinnt ist, so
hat man auch gleich die ganze Schaar auf dem Halse, und jeder der kleinen
braunen Frösche bemüht sich an uns emporzuklettern und auf uns zu reiten.
»Kopai, kopai« (gut) suchen sie uns zu schmeicheln und um Geduld zu
bitten. Unsere Armmuskulatur erregt grosses Interesse bei Alt und Jung, und
sind wir im Besitze eines nur halbwegs anständigen Biceps, so können
wir ihn nicht oft genug kontrahiren und unter Ausrufen der Bewunderung
befühlen lassen. Nur hiedurch wurde ich darauf aufmerksam, wie weich und
unausgebildet die Arme auch der robustesten Maoris sind, ganz im Gegensatz
zu ihren ausserordentlich starken Unterextremitäten.

Nachdem wir auf solche Weise etwa eine Stunde im Bade zugebracht,
verabschieden wir uns, indem wir den Nächstsitzenden die Hände reichen,
und begeben uns wieder aufs Trockene. Der Gedanke in die frostige Luft
hinauszusteigen hat etwas Abschreckendes. Aber wir sind so mit Wärme
gesättigt, dass wir die Kühlung sehr angenehm empfinden, und die
naheliegende Befürchtung eines Schnupfens oder eines Rheumatismus soll
sich niemals erfüllen.

Die östliche von den beiden Landzungen, welche die eben beschriebene
Badebucht bilden, ist eine höchst interessante Fundstätte von
Maorialterthümern. Dort wären noch viele werthvolle Dinge für unsere
Museen zu retten. Ehemals war sie bewohnt und ein Theil der Ortschaft.
Jetzt ist sie »tabu« erklärt, geheiligt, verpönt oder wie man dieses
allgemein polynesische Wort übersetzen will. Wahrscheinlich deshalb,
weil die Wellenbewegung des Sees, unterstützt von der Wirkung der heissen
Quellen, welche den ganzen Boden durchsetzen, sie allmälich hinwegspült.
Erst ganz kürzlich sollen in einer stürmischen Nacht mehrere Hütten
untergraben und verschlungen worden sein. Hie und da ragen noch vier
Pfähle aus dem Wasser.

Es ist von den Maoris verboten, den Platz zu betreten. Ich habe dies
gleichwohl mehrmals unbehelligt gethan. Zwei oder drei Hütten stehen noch
unversehrt so da wie der letzte Bewohner sie verlassen hat, als er starb.
Schwere Bohlen sind vor die verandaartige Frontseite gelegt und verrammeln
den Eingang. Lüftet man sie um ins Innere zu blicken, so sieht man alle
möglichen Geräthe herumliegen. Wurflanzen und Beile, Kochkessel und
Trinkgeschirre alten und modernen Ursprungs sind auf den Boden gestreut
oder hängen an der Wand. In einer Hütte sah ich sogar noch zwei
Zahnbürsten und einen Kamm in dem Schilfgeflecht stecken. Alles ist tabu,
und kein Mensch wagt diese Gegenstände zu berühren.

Aussen herum liegt ein ganzer Trödelmarkt von Ueberresten früherer
Zeiten. Zerschlagene eiserne Töpfe, verrostete Flintenläufe, die Trümmer
von Holzschnitzereien, Giebelverzierungen, Fratzenbilder, ornamentale
Fensterläden und hundert andere Dinge. Auch glaubte ich unter dem Schutt
ein Stück von einer grossen Holzschüssel mit einem Fratzengesicht als
Handhabe von jener Art, wie sie einst für Menschenfleisch gebraucht
wurden, gesehen zu haben. Alle die Schnitzereien zeigten das gröbere
Gepräge jener früheren Zeit, als noch mit Muscheln statt mit importirten
Messern gearbeitet wurde.

Nahe der Spitze stehen am Rande des Sees, von einem Phormiumgebüsch
umgeben, fünf mannshohe Bildsäulen nebeneinander, und auch oben mitten
im Dorf findet man deren vereinzelte. Es sind die Konterfeis besonders
erlauchter Häuptlinge und Häuptlingsfrauen, Gesichter und Genitalien
unförmlich gross und sehr komisch stylisirt.

An den meisten Speicherhäuschen ist vorne die Giebelspitze mit einer
festgebundenen, etwa halbmeterlangen geschnitzten Menschenfigur geziert.
Einige sind schon locker geworden und drohen zu fallen, andere liegen
bereits auf der Erde und vermodern. Kein Mensch, auch die Regierung nicht,
scheint sich um diese Schätze zu kümmern, und so stehen sie denn so
lange bis sie eines schönen Tages der Wind umwirft und der vollständigen
Verrottung preisgiebt. Ganz nahe dem Schwimmbad führt ein Steg über eine
tiefere Schlucht, die mit dem stampfenden Kessel zusammenhängt. Diesen
Steg bilden Bruchstücke eines alten Kriegskanuus, deren obere konvexe
Seiten mit Basreliefs von rudernden Gestalten geschmückt sind.

Wie viel wäre hier noch zu retten, nicht blos auf dem Lande, sondern auch
auf dem Grunde des seichten Sees. Wie gerne würde ich hier einen ganzen
Wagen voll mitgenommen haben, wenn ich die Mittel dazu gehabt hätte. Aber
es fehlte mir an Geld, und dann wäre auch die Auffindung und Feststellung
der betreffenden Eigenthümer und ihre Befriedigung allzu zeitraubend und
mühevoll gewesen.

Zwei Ausflüge sind in den Neuseeländischen Reisehandbüchern von
Ohinemutu aus vorgeschrieben, nach Rotomahana (32 Kilometer) und nach
Wakarewarewa (5 Kilometer). Ich besuchte letzteres zuerst und traf dadurch
die richtige Reihenfolge aufsteigender Ordnung in den vier Hauptpunkten
Tapuaeharuru, Ohinemutu, Wakarewarewa, Rotomahana.

Man sieht die Dampfsäulen der Wakarewarewa-Geyser weithin in der ganzen
Niederung von Ohinemutu, was mich verleitete, meinen Weg ohne Führer
anzutreten und jenen Pfad einzuschlagen, der in der entsprechenden Richtung
lief. Ich sollte dafür durch einen grossen Umweg und noch grössere
Verlegenheiten bestraft werden. Ich wusste damals noch nicht wie
trügerisch es in diesem Lande ist, aus der Richtung eines Pfades
schliessen zu wollen, wohin er gehe, und zu glauben, dass ein Pfad
überhaupt irgendwohin führen müsse.

Nichts störte in der ersten halben Stunde meine Zuversicht. Das nie
endende Geschrei der badenden Jungen und das Hundegebell von
Ohinemutu verstummte hinter mir, und die Oede und Stille der Farn- und
Manukalandschaft wurde nur hie und da unterbrochen durch das zimperliche
»Tiriririti -- Türürürütü« eines einsamen neuseeländischen Ammers.
Ein Falke sass stumm und regungslos auf einem Strunk und flog stumm und
ohne Geräusch hinweg als ich näher kam.

Enger wurde der Weg, sumpfige Stellen hemmten die Schritte, links und
rechts drängte sich das Gestrüpp immer dichter zusammen und riss immer
unverschämter an den Kleidern. Auf einmal war es kein Weg mehr, was ich
vor mir hatte, sondern eine fast undurchdringliche Farnwildniss, in der ich
bis zum Kinn stak und nun nichts mehr von den leitenden Dampfsäulen sah.

Ich ging zurück zu einem Punkt, von dem aus ich wieder die Umgebung
überblicken konnte, und entdeckte zu meiner angenehmen Ueberraschung nur
vielleicht 300 Schritt jenseits einer Mulde einen Fahrweg, auf den
ich sofort zuschritt. Aber die Mulde war tiefer als sie schien. Das
Farngestrüpp hörte auf, und vereinzelte dürre Grasbüschel traten an
seine Stelle, feine Dampfwölkchen entstiegen plötzlich der Böschung
unmittelbar unter mir, und ein kleiner heisser Schlammsee mit eifrig
spuckenden Schlammvulkanen bildete den Grund. Ich befand mich unerwartet
auf gefährlichem Boden, der wieder eben so geröstet und unheimlich
brüchig wurde wie bei den heissen Quellen von Tapuaeharuru. Da ich häufig
von einem Grasbüschel zum anderen gesprungen war, hatten meine Schritte
keine Fährte hinterlassen, und ich wusste nicht mehr, woher ich gekommen.
Es galt also vorsichtig und mühsam aufs Gerathewohl sich weiterzuarbeiten.

Manukagebüsch, geröstete Erde und dampfende Löcher ohne Wasser
wechselten mehrmals mit Farngestrüpp, so üppig und dicht, dass ich
es erst mit Armen und Beinen niederpressen musste, ehe ich den Fuss
vorwärtssetzen durfte, und zu hundert Schritten eine halbe Stunde
brauchte. Dann ging es durch Gräben ab und auf, warme Bächlein waren zu
überschreiten, wozu ich mir erst Faschinen schneiden musste, da ich sonst
wahrscheinlich versunken wäre, dann kam auf einmal wieder eine kochende
Schmutzpfütze mit höchst verdächtigen weichen Uferrändern, und
schliesslich waren Schmutzpfützen und Schmutzseen rings um mich her und
wurden so unübersehbar komplizirt, dass ich alle Orientirung verlor und
fast verzweifelte jemals aus diesem brodelnden Labyrinth herauszufinden.
Aber Alles ging gut, und ich erreichte dennoch mein vorläufiges Ziel, den
Fahrweg und hatte nun ein interessantes Gebiet durchstreift, welches ich
nicht oder gewiss nicht so genau kennen gelernt hätte, wenn ich auf dem
gewöhnlichen Weg gegangen wäre.

Diese kochenden Schlammseen sind höchst eigenthümliche Phänomene. Die
grössten von dem Durchmesser eines guten Steinwurfes, die kleinsten so
breit, dass man zur Noth das Hinüberspringen wagen könnte, etwa drei
Meter tief in die Farnebene hineingebettet, rundlich gebuchtet und
theilweise mit einander zusammenhängend, bestehen sie grösstentheils
aus einem weisslichen Brei ähnlich dem Chausseekoth kalkiger Gegenden.
In jedem See und in jeder Pfütze wallt in der Mitte oder gleichzeitig an
mehreren Punkten diese dicke Masse rastlos kochend und spuckend empor und
pflanzt die dadurch erzeugte Bewegung in genau konzentrischen trägen und
dicken Wellen um sich fort. Einige wenige solcher Tümpel fand ich gerade
unthätig, und in ihnen hatte der Brei sich in die festeren auf dem Grunde
abgesetzten Theile und in klares, warmes, dampfendes Wasser darüber
gesondert, welches entweder im weichen Ufer voll dampfender Löcher
versickerte oder in tiefer gelegene Tümpel abfloss. Alle Blätter und
Aestchen, die am Ufer lagen, waren mit Inkrustationen überzogen.

Ich war nun wenigstens wieder auf sicherem Boden. Aber der Fahrweg führte
weder nach der einen noch nach der anderen Seite dahin wohin ich wollte
und schien sich um Wakarewarewa überhaupt gar nicht zu kümmern. Abermals
irrte ich umher, bis ich einen Maoritrack fand, der die gewünschte
Richtung hatte und mich nicht betrog. Nur der reissende und gleichfalls
warme Wakarewarewafluss setzte ein Hinderniss weniger beunruhigender Art,
welches ich überwand, indem ich die untere Hälfte meiner Bekleidung
ablegte und ohne Unfall trocken hinüberbrachte, trotzdem die rasche
Strömung sich alle Mühe gab, meine Beine von den schlüpfrigen Steinen
wegzuziehen.

Es war nicht ganz leicht, auf der anderen Seite emporzuklettern. Ich warf
mein Gepäck hinauf ins Gebüsch, und als ich selbst oben war, dankte
ich inbrünstig meinem gnädigen Geschick. Denn beinahe hätte ich Hose,
Regenschirm und Stiefel in einen tiefen kochenden Kessel geschleudert, der
unmittelbar hinter dem hohen Ufer verborgen war und heimtückisch brodelte.

Endlich stand ich vor den Geysern und wurde für alle Mühe reichlich
belohnt. Meine Erwartungen waren in Folge der Lektüre eines
überschwenglichen Guidebooks sehr niedrig gespannt, aber die
Grossartigkeit dessen was ich nun sah, hätte auch viel höhere
übertroffen und kam beinahe den Schilderungen des Guidebooks gleich.

Mitten aus dunkelrothem zerrissenem Gestein und dunkelgrünem von den
Dämpfen kochender Quellen bethautem Gebüsch erheben sich etwa 10 Meter
hoch strahlend zwei weisse Kegel aus Kieselsinter, an der Basis mit dem
zarten Gelb von blumigen Schwefelkrystallen geschmückt -- ein herrliches
Bild voll Farbenpracht und malerischer Wirkung. Man konnte sich für dieses
glänzende feenhafte Gebilde keinen besseren Hintergrund denken als jene
düsteren rothen und grünen Töne.

Niedrige Stufen, aus Kieselkrystallen[5] gewebt und mit einer dünnen
spiegelnden Schicht abfliessenden Wassers bedeckt, führen nach oben zur
Mündung der Geyser. Diese sind nicht immer thätig und kündigen eine
bevorstehende Explosion vorher durch stärkeres Wallen und Donnern an, so
dass man ohne Gefahr ganz nahe an ihren Rand vortreten kann. Der grössere
hat einen unregelmässig geformten Schlund von 2 bis 6 Meter in
den verschiedenen Durchmessern und das Niveau seines unergründlich
dunkelblauen Wassers ist etwa ein Meter unter der Oberfläche.

  [5]: Mineralogisch betrachtet ist der Kieselsinter nicht
  krystallinisch, sondern amorph; dem oberflächlichen Beschauer aber
  macht dieser in den Formen von Eisblumen und Reifbäumchen erstarrte
  Stoff den Eindruck von Krystallen.

Als ich zum ersten mal hier hinabsah, war gerade vollständige Ruhe
eingetreten. Nach wenigen Sekunden begann es unten leise zu wogen, grosse
Luftblasen gurgelten aus der Tiefe herauf und platzten, die ganze blaue
Flüssigkeit kam in Wallung und stieg immer höher, der Boden zitterte und
donnerte dumpf unter meinen Füssen. Ich trat zurück.

Vielleicht eine Minute mochte dieses unterirdische Rumoren dauern, einzelne
Tropfen spritzten zuweilen über den Rand, und plötzlich hob sich eine
donnernde und brausende Wassersäule 5 Meter hoch in die Luft, und mehrere
dampfende Bäche plätscherten über den Kegel hinab. Dann wurde es
ruhiger, es gurgelte schwächer und schwächer in dem Geyserschlund, und
die Explosion war vorüber.

In dem zweiten Geyser schien gar keine Bewegung zu sein. Während ich so
herumwanderte, kamen drei Weisse aus dem Gebüsch herbei und knüpften
ein Gespräch mit mir an. Sie waren Badegäste und von Melbourne, die aus
Sparsamkeitsrücksichten nicht in Ohinemutu, sondern in einem einsamen
Maorigehöft hinter dem nächsten Hügel Logis genommen hatten. Sie
schienen die Gewohnheiten der beiden Geyser eingehend studirt zu haben und
sagten mir, dass der kleine zuweilen noch spiele, aber nur dann, wenn
er von niemand beobachtet sei, wesshalb er den Namen »der schüchterne
Geyser« (the bashful Geyser) erhalten. Der andere grössere würde heute,
so hofften sie aus dem Wetter schliessen zu dürfen, mindestens noch 50
Fuss hoch springen. Ich war jedoch skeptisch genug, ihren Prophezeiungen
nicht viel zu trauen, und machte mich auf den Heimweg statt mit ihnen
hinzusitzen und auf die verheissenen 50 Fuss zu warten.

Eines Abends machte ich im Bade die Bekanntschaft dreier Photographen aus
Auckland, welche die berühmten Sinterterrassen von Rotomahana aufzunehmen
beabsichtigten. Da ich ebenfalls die Absicht hatte, nächstens dorthin zu
fahren, schloss ich mich an sie an.

Am Tage vor unserer Abreise wurde uns durch Vermittlung mehrerer
ansässiger Weissen vorgeschlagen, die gesammte tanzfähige Einwohnerschaft
von Ohinemutu wolle uns zum Abschied einen »Haka« vortanzen, wenn
wir jeder ein Pfund Sterling bezahlten, und wir gingen darauf ein. Im
Versammlungsgebäude der Gemeinde sollte die Produktion vor sich gehen.

Es war eben dunkel geworden, als man uns einlud zu kommen. Einige
Petroleumlampen erleuchteten spärlich den schwärzlichen Raum, welcher
sehr düster aussah. Wir nahmen auf Bänken Platz. Hinter uns drängte sich
ein zahlreiches Maoripublikum hin und her.

Das Balletkorps harrte bereits in Schlachtordnung aufgestellt unseres
Erscheinens. Es bestand aus etwa 60 Mädchen, 20 Männern und 2 kleinen
Jungen von 5 bis 6 Jahren. Die Männer nahmen den rechten, die Weiber den
linken Flügel ein, ein alter Häuptling mit einem ganz blau tätowirten
Gesicht, der schon manchen Akt des Kannibalismus auf dem Gewissen haben
mochte, kommandirte. Er war derselbe, an dem ich jüngst beim Baden
Gelegenheit gehabt hatte zu konstatiren, dass auch seine Basis mit einem
stylvollen Maorischmuck versehen war. Zwei grosse blaue ammonitenartige
Spiralen zierten ihm die Hinterbacken. Heute trug er ausser dem um die
Lenden mit einem Ledergurt befestigten Schal am Oberkörper nichts als eine
alte zerrissene europäische Weste. Vom Schlitz des Ohrläppchens hing eine
Pfauenfeder herab. Die Tänzerinnen trugen Hühnerfedern in den struppigen
Haaren, je zwei auf beiden Schläfen wie Fühlhörner emporgerichtet.

Bei allen Polynesiern, ja so ziemlich bei allen Naturvölkern wird beim
Tanz auch gesungen, und die Namen für Tanz werden deshalb auch meist im
Sinn von Gesang gebraucht. So war es auch mit diesem Haka. Eine Reihe von
Strophen oder Figuren folgte einander. In den Pausen kauerte die in drei
Gliedern aufgestellte Gesellschaft nieder, um auf Kommando zum Wiederbeginn
einer Strophe mit einem gellenden ohrenzerreissenden Schrei aufzuspringen.
Sie veränderten beim Tanzen kaum ihre Plätze, traten höchstens einen
Schritt vor und zurück, machten einmal rechtsum, dann linksum und
trippelten nun im Profil vorwärts und rückwärts. Taktmässiges
und gleichzeitiges Hin- und Herwerfen der Arme, Händeklatschen und
Hüftenschlagen wechselten erstaunlich präzis und exakt, und was das
Hervorstechendste war -- die Weiber, namentlich die älteren, bewegten ihre
Bäuche im Takt auf und nieder mit einer Biegsamkeit, als ob sie hiefür
ein eigenes Gelenk besässen. Wahrscheinlich geschah diese Bewegung in
den besonders elastischen Kreuzwirbelbändern, sonst konnte ich sie mir
anatomisch nicht erklären. Um ihre Virtuosität recht deutlich zu zeigen,
trugen sie die Bäuche über den Röcken oben und unten durch farbige
Bänder abgeschnürt, so dass sie wie runde Kugeln sich hervorwölbten.

Jedenfalls hatte ursprünglich auch der Haka wie alle polynesischen Tänze
einen geschlechtlich lasziven Sinn. Bei dieser durch halb europäische
Kleider modifizirten Darstellung war nichts derartiges mit jener vollen
widerlichen Klarheit wahrzunehmen, welche ich später auf Hawaii beim
Hulahula beobachten sollte.

Während der ganzen Zeit wurden die Augen in einer wahrhaft fürchterlichen
Weise gerollt. Der Gesang liess keine Melodie in unserem Sinn erkennen und
bestand nur aus zwei oder drei Noten, er verstieg sich zuweilen in heulende
und bellende Töne und endete gewöhnlich in einem gellenden kurz und
scharf ausgestossenen Ton, so dass man die plötzliche Stille danach
eigenthümlich befremdend empfand. Bei einer Strophe kam eine Blechbüchse
als Trommel in Anwendung.

Am besten waren die beiden kleinen Jungen. Sie waren mit einem Lendentuch
bekleidet und ihre Köpfe mit einem rothen Stirnband, in welchem Federn
staken, geschmückt. Mit gespreizten Beinen und gespreizten Armen, die
Finger in krallenförmiger Haltung, gaukelten sie, die unmöglichsten
Grimassen schneidend, die Zungen herausschlagend und die Augen verdrehend,
so dass man nur mehr das Weisse sah, vor der Front nach links und nach
rechts hin und her, geberdeten sich sehr gelungen wie kleine Teufel
und erinnerten lebhaft an den so charakteristischen Typus jener
Fratzengesichter, welche ein Hauptornament der Maoriskulptur bilden.

Im Anfang gingen die Tanzfiguren ziemlich gut von Statten. Der alte
Häuptling hatte sichtlich seine Freude daran und jauchzte vor Vergnügen.
Er mochte sich seiner schönen kannibalischen Jugend erinnern. Bald jedoch
schien sich Ermüdung und Langweile in dem Balletkorps einzustellen und die
Taktmässigkeit der Evolutionen erlahmte. Die Einen machten linksum wenn
rechtsum kommandirt war, es gab dann Verwirrung, die Tanzenden fingen an,
sich zu schimpfen. Auch der alte Häuptling gerieth ins Schimpfen, die
Verwirrung stieg. Er schimpfte immer ärger, er riss seine Weste ab und
raste nun nackt hin und her. Aber es half alles nichts mehr. Wüthend legte
er das Kommando nieder und mischte sich unter die Zuschauer, um die Tänzer
mit höhnischen Zurufen zu schmähen, als sie ohne ihn weiter zu arbeiten
versuchten, und ein jüngerer Mann kommandirte. Sowie der alte Häuptling
nicht mehr mitspielte, war es um die Vorstellung geschehen. Nichts gelang
mehr, und der Tanz löste sich in einen allgemeinen Streit auf.

Der alte Geist des Haka war eben unter dem jüngeren Volk nicht mehr
vorhanden, und wenn er jetzt noch hie und da produzirt wird, so geschieht
es blos des Geldes wegen und vor Touristen, die nichts davon verstehen.

Nur bei den grossen Staatsversammlungen der Maoris oder auf den jährlichen
Rundreisen des Ministers für Maoriangelegenheiten bei den verschiedenen
Stämmen, wenn viele Männer vom alten Schlag zusammenkommen, mögen die
alten Maoritänze noch ziemlich echt aufgeführt werden, und dann soll
es auch nicht an den dazugehörigen Bestialitäten fehlen. Man hat mir
hierüber die haarsträubendsten Dinge erzählt. Es wird aber so viel
gelogen, dass ich nicht weiss, was ich für wahr halten darf. Positiv ist
nur, dass in den Zeitungen damals viel Entrüstung über einige vornehme
Damen zu lesen war, die bei einer derartigen Gelegenheit sich vorgedrängt
hatten und sich schliesslich gezwungen sahen, in Ohnmacht zu fallen.

Die jüngere Generation von Ohinemutu zieht es vor, Walzer und andere
europäische Tänze zu tanzen. Fast alle Abende fanden entweder in einer
alten leerstehenden Hütte oder im Freien sehr lustige Bälle statt.
Auch jetzt nach dem missglückten Haka wurde ein solches zeitgemässeres
Vergnügen arrangirt, und zwar, da wir gerade den schönsten Mondschein
hatten, gleich vor dem Versammlungsgebäude. Die Mädchen tanzten
ausgezeichnet. Allerdings wirkten die Furcht, ihnen auf die blossen Füsse
zu treten, und die Unebenheiten des Bodens etwas störend. Ein Soldat der
Konstabulary Force machte mit einer Ziehharmonika die Musik dazu.

Als der Musikant müde war und den Ball durch Aufhören seines Spiels
beendete, bat mich eine unserer Tänzerinnen, mit in ihre Hütte zu kommen.
Sie hatte gehört, dass ich ein Arzt sei, und bewarb sich eifrig um meine
Gunst, damit ich ihr einen bösen Husten, an dem sie litt, wegzaubern
möchte.

Sie wohnte mit zwei Freundinnen zusammen in einer Weise, die allen
Rücksichten der Hygiene spottete und wieder ein glänzendes Zeugniss
ablegte von der bekannten eisernen Gesundheit der Prostituirten überhaupt
und dieser braunen insbesondere. An eine bestimmte Essens- und Schlafzeit
schien sich das interessante liederliche Kleeblatt nicht zu binden. Eine
Stearinkerze, die in einer schmierigen Flasche steckte, wurde angezündet.
Der Fussboden war die nackte feuchte Erde. Im Hintergrund der Hütte
bildete eine Schicht Farnkraut mit einigen groben wollenen Decken und
weiss überzogenen Kopfkissen das gemeinschaflliche Bett für die drei, auf
welches wir uns niedersetzten da sonst kein Sitzplatz vorhanden war.

Meine Patientin holte aus einem Winkel etliche kalte gesottene
Kartoffeln hervor und schälte mir eine davon. Kartoffeln sind fast die
ausschliessliche Speise der Maoris. Aber diese niederträchtige Nahrung hat
es noch nicht vermocht, die Schönheit der Rasse merklich zu schädigen.
Die eine der Freundinnen ging wieder fort und sagte, sie wolle heute wo
anders schlafen, die andere packte ein Stück leichten Stoffes aus einem
grossen Papier und fing an, bei dem spärlichen Licht der Kerze zu nähen.
Es war ungemüthlich kühl und feucht, man sah den Hauch vor dem Munde.
Dabei hatten die Mädchen weiter nichts als ein Hemd und einen möglichst
grell und bunt gefärbten Schal auf dem Leibe.

Mehr als diese zwei Kleidungsartikel trägt für gewöhnlich kein
Maorifrauenzimmer in Ohinemutu. Bei besonders festlichen Gelegenheiten
werden die Füsse vielleicht in ein Paar Stiefeletten und der
Oberkörper in ein Mieder gezwängt. Stiefeletten und Mieder sind aber
Luxusgegenstände, welche nicht jede besitzt. So frieren sie sich durch den
Winter durch, bis der warme Sommer kommt. Wird ihnen die Kälte zu stark,
so gehen sie hinaus und legen sich auf ein paar Stunden ins warme Wasser,
was wir gemeinschaftlich thaten, nachdem meine Konsultation zu Ende war.
Von einer ernsthaften Behandlung des ohnehin geringfügigen Uebels konnte
hier natürlich keine Rede sein. Die Patientin erhielt mein letztes
Wellingtoner Morphiumpulver.

Ich glaubte unter den Mädchen und Weibern von Ohinemutu zwei Typen
unterscheiden zu können, einen mit ernsten ruhigen Zügen von zuweilen
sehr edler Bildung, und einen mit unregelmässigen niggerhaften Gesichtern,
denen nur eine gewisse hetärenhafte Heiterkeit einen Reiz untergeordneter
Art verleihen konnte. Bei den Männern fand ich diese Unterschiede weniger
ausgesprochen.

Obgleich auch bei den Maoris der so ziemlich allen Naturvölkern eigene
Grundsatz gilt, dass die unverheiratheten Frauenzimmer bis zur Ehe
berechtigt sind, frei über sich zu verfügen, ohne deshalb in Schande zu
verfallen, eine Freiheit, aus der sich in Berührung mit dem Europäerthum
gewöhnlich eine intensive Prostitution zum Zweck des Gelderwerbes gebildet
hat, so fehlte es in Ohinemutu doch nicht an einer Art Sittenpolizei,
welche die Häupter der Gemeinde ausübten, und mehr als einmal sah ich
herumstreunende Mädchen ergriffen und nach Hause geschleppt werden.

Am nächsten Vormittag fuhr ich verabredeter Massen mit den drei
Photographen nach Rotomahana, dem Gipfelpunkt der Sehenswürdigkeiten des
Lake-Distriktes ab. Es ist herkömmlich, diese Partie über Wairoa,
einem Dorf am Tarawerasee, zu machen, bis dorthin auf einer nicht
aussergewöhnlich schlechten Strasse zu Wagen und dann über den See in
einem Maorikanuu zu fahren.

Hätte ich vorher geahnt, welche Unannehmlichkeiten ich mittels meiner zehn
Shillinge für einen Sitz auf dem Fuhrwerk nach Wairoa erkaufte, ich wäre
ohne Zweifel zu Fuss gegangen, was mir höchstens eine halbe Stunde mehr
gekostet, aber gewiss auch mehr Vergnügen und weniger Qual bereitet
hätte. Meine Begleiter schleppten so viel Gepäck mit sich, dass wir in
den unnatürlichsten Stellungen auf dem alten Karren, der fusshoch über
Steine und Löcher hopste, herumbalanciren mussten, und die Pferde waren
so jämmerlich schlecht und altersschwach, dass man es nicht ungerührt mit
ansehen konnte, wie schwer ihnen eine raschere Gangart fiel, trotzdem der
Kutscher alles Mögliche that, sie aufzumuntern, und schliesslich zu diesem
Zweck sogar einen jungen Baum aus der Erde riss. Eine alte graue Stute lief
einzeln in der Gabel, vor welche zwei andere Mähren gespannt waren.
Diese zeigten noch etwas Empfindung und machten jedesmal drei oder vier
Gallopsprünge, so oft das keulenförmige Wurzelende des jungen Baumes
durch die Luft brauste. Die alte Stute in der Gabel aber blieb resignirt
unter der Wucht der Keulenschläge, veränderte nicht eine Sekunde den
sanften Rhythmus ihres unverwüstlichen Zotteltrabs und wischte höchstens
einmal gleichgültig mit dem dünnen Schwänzchen über die Lenden, wenn
gerade einer besonders heftig auf sie niedergerasselt war.

Das Wetter war kalt und fröstelnd, es begann zu regnen. Wir brauchten
beide Hände um uns festzuhalten und konnten nicht daran denken, die
Reisedecken um uns zu wickeln, sondern mussten das Unangenehme geduldig
ertragen.

Zum Glück nimmt Alles ein Ende, also auch eine Reise nach Wairoa, welches
wir freudig begrüssten, nachdem wir zuerst die Niederung von Ohinemutu,
dann einige langweilige Farnhügel, dann einen prachtvollen Busch mit
riesigen Totaras voller Schmarotzergewächse und eleganten Farnpalmen
passirt hatten und zuletzt an zwei kleinen Seen entlang gefahren waren, von
denen der erste Tikitapu heisst und 20 Meter höher als der zweite Namens
Rotokakahi liegt. Der Spiegel des einen soll bei gutem Wetter herrlich blau
sein, ich sah jedoch damals nur Grau.

Einige Partien wandernder Maoris, Männer, Weiber und Kinder zu Pferd und
zu Fuss, begegneten uns und grüssten freundlich »Tenakoe« (da bist du).
Ein junges Pärchen Hand in Hand eilte laufend vorbei, er einen Stock über
der Schulter und sie ein farbiges Bündel herumschlenkernd. Nicht einen
Augenblick unterbrachen sie ihr Rennen über den lehmigen Boden, durch
Behendigkeit und Mangel an Grazie sehr an das Affenartige streifend, so
lange man sie auf der schnurgerade durch den Busch geschnittenen Strasse
verfolgen konnte.

Als wir in Wairoa ankamen und in unserem schmälichen Fuhrwerk am Hotel
vorfuhren, gab es natürlich wieder den üblichen Zusammenlauf. Die
Eingeborenen haben ausser der Bearbeitung einiger Kartoffelfelder nichts
zu thun und leben hauptsächlich von den Fremden, welche die nahe
Sehenswürdigkeit fast das ganze Jahr hindurch herbeizieht. Dieser Artikel
mochte in der letzten Zeit wegen des schlechten Wetters etwas spärlich
gewesen sein, wie aus der Aufregung, mit der man wetteiferte, uns Dienste
zu offeriren, hervorzugehen schien.

Von verschiedenen Seiten kamen aus den zerstreuten Schilfhütten Männer
mit kurzen Pageien auf den Schultern herbei. Ein Rudel Weiber und
Kinder pflanzte sich dem Hotel gegenüber längs der Strasse auf, um
dem Schauspiel unserer Verhandlungen mit den Kanuubesitzern als passive
Theilnehmer beizuwohnen, und den Genuss zu erhöhen, kauerten einige
nieder, zündeten ihre Stummel an und schickten kleine Jungen an uns ab,
Pakehatabak zu erbetteln.

Die Hotelwirthschaft, drei bejahrte Frauenzimmer und ein stupid aussehender
Kerl irischer Nation, welch letzterem übrigens nur selten zu sprechen
erlaubt wurde, beschwor uns, doch heute nicht mehr in so vorgerückter
Stunde und bei dem heftigen Winde die Fahrt über den Tarawera zu wagen,
und ein Mann mit einem blauen Schäfermantel, einer Schirmmütze auf dem
Haupt und dicken Holzsandalen an den Füssen eilte schleunigen Schrittes
herbei, um sich als anerkannten Guide der Gegend und als Monsieur Procope
vorzustellen, dem die Holzhütte gehörte, an welcher uns bereits beim
Hereinfahren die Aufschrift »Maison de Paris« aufgefallen war. Kaum hatte
er gehört, um was es sich handelte, als er auch gleich, in der Hoffnung
engagirt zu werden, den Anschauungen der irischen Partei Opposition
machte und, sehr erfreut, statt in dem ihm feindlichen Englisch in seiner
Muttersprache konversiren zu können, uns wiederholt versicherte »Elles
sont des Anes«. Seine Bemühungen trugen ihm nur etliche Zigarren ein, und
wir fuhren ohne ihn nach Rotomahana.

Für die Wasserpartie Wairoa-Rotomahana ist ein Tarif in Geltung, nach
welchem jeder Fahrgast zwei Kanuuleute für je fünf Shilling pro Tag zu
nehmen verpflichtet ist. Wir hatten bald unsere acht Burschen beisammen
und waren mit ihnen bezüglich unserer Personen handelseinig. Da jedoch
die Photographen aussergewöhnlich viel Gepäck mitschleppten, weshalb noch
eigens Bezahlung verlangt wurde, so führte dieser Punkt zu einer
längeren unerquicklichen Zänkerei. Die Maoris versuchten Englisch und
die Photographen Maori zu radebrechen, was zur Folge hatte, dass beide sich
nicht verstanden. Auch der Franzose krähte zuweilen dazwischen, und die
Irländerinnen schimpften dann kreischend auf den Franzosen, so dass die
ganze Szene einschliesslich des neugierigen braunen Publikums amüsant
sein konnte, hätte nicht die Kälte das Hinstehen und Zeitverlieren zu
unangenehm gemacht.

Von Wairoa aus kann man den Tarawerasee noch nicht sehen. Er liegt etwa 30
Meter tiefer, und erst mehrere hundert Schritt weiter gegen Nord fällt das
Land plötzlich zu ihm hinab. Bis dorthin folgte uns die ganze Bevölkerung
nach sowie auch der Wagen mit dem Gepäck, um dann, voll von schreienden
Kindern, zurückzukehren.

In einem Rinnsal kletterten wir den steilen Absturz hinunter. Dann gings
durch ein sumpfiges Schilfdickicht und über einen Creek, auf dem zwei
kleine Kanuus schwammen und die sehr unsichere schwankende Brücke
zusammensetzten.

Diesen Creek werde ich niemals vergessen. Mit meinem Bündel in der einen
Hand, dem Höllensteinkasten der Photographen in der anderen, zwischen den
Zähnen meinen Regenschirm, betrat ich das diesseitige Kanuu, balancirte
glücklich hindurch und war eben im Begriff in das jenseitige zu steigen,
als hinter mir ein voreiliger Maori das labile Gleichgewicht störte,
und ich lag sammt meiner Ladung rücklings auf dem kalten Grunde des
Bächleins, und nur die Beine guckten noch aus dem Wasser, wie man mir
später erzählte. Ich war nun vollständig durchnässt und sollte auf der
ganzen Partie nicht mehr trocken werden.

Wir machten vergeblich ein Feuer an, um uns zu wärmen, bis die
langweiligen Maoris ihre Zurüstungen beendet hatten. Ein hübsches braunes
Mädchen, welches um Tabak bettelte und Mitleid mit meinem verunglückten
Zustand zu haben schien, war mein einziger Trost.

Endlich, endlich stiessen wir ab, nachdem die Photographen sich noch eine
Weile wegen ihres Gepäckes herumgezankt. Etliche schmale und lange, aus
Baumstämmen gehöhlte Kanuus lagen im Sumpf des Ufers, und in das längste
derselben packten wir uns und unsere Sachen. Es ist unbegreiflich, wie auf
einem von englischen Touristen so stark befahrenen Gewässer noch solche
schlechte und primitive Fahrzeuge benutzt werden dürfen.

Obgleich unsere Maoris bereits eine halbe Stunde lang ausgeschöpft hatten,
war der Grund des Kanuus noch immer voll Wasser, als sie uns einzusteigen
nöthigten. Wir setzten uns einer hinter den anderen, mit gespreizten
Beinen in einander gefügt wie zu einer Bergwerksfahrt, auf den engen
Boden, dessen Härte eine Streu Farnkraut mildern sollte, und dessen
Wasserstand sehr fühlbar unsere Basis umspülte. Um mich, auch oberhalb
dieses gemeinschaftlichen Pegels Feuchten, zu wärmen, bat ich mir einige
Gepäckstücke zur Verschanzung aus. Einen Kartoffelsack auf dem Bauch, den
Höllensteinkasten als Brustschild, die Camera obscura und das Dunkelzelt
gegen den Rücken gestaut, so verwandelte ich langsam durch thierische
Wärme die Nässe der Kleidung in einen verhältnissmässig behaglichen
Dunst, resignirt und mir wohlbewusst unfehlbar zu ertrinken, falls das
schwanke Kanuu umkippen sollte, wozu es einigemal Miene machte.

Je vier Maoris sassen vor und hinter uns und tauchten nach dem raschen
Takte eines melodiösen Gesanges die kurzen Pageien ins Wasser. Ganz hinten
ruderte der Kapitän und kommandirte mit heftigen und erregten Worten.

Wir schossen aus der Bucht in den See hinaus, die schön bewaldeten
felsigen Ufer flogen zurück, ein scharfer Wind wehte uns entgegen,
und höhere Wellen leckten links und rechts ins Kanuu. Die Gefährten
übernahmen abwechselnd die Arbeit, mit einer alten Konservenbüchse
auszuschöpfen. Ich selber, der ich am tiefsten sass, peilte mit
meiner Haut den Stand der Flüssigkeit. Sobald sie die Schenkelbeuge zu
überfluthen begann, befahl ich zwei Mann an das Pumpwerk.

Unsere Maoris benahmen sich keineswegs vertrauenerweckend. Bei jedem
schärferen Windstoss, bei jedem höheren Wellengang fingen sie laut zu
schreien an, debattirten unter einander und hörten nicht mehr auf den
Kapitän. Dann schien es ihnen auf einmal zu gefährlich, durch die Mitte
des Sees zu steuern, sie bogen gegen Land zu und setzten dadurch die
ganze Breitseite den Wellen aus, welche auch nicht versäumten, sofort
hereinzuschlagen und sie zur Beibehaltung des alten Kurses zu nöthigen.
An einer vorspringenden Felsenzunge kamen wir dem Gestein so nahe, dass
wir beinahe scheiterten. Kurz eine Gefahr nach der anderen drohte aus der
Unentschlossenheit und Aufgeregtheit des braunen Piratengesindels, dem wir
in die Hände gefallen waren. Ihre ganzen Navigationskünste, von denen die
Neuseeländischen Reisehandbücher viel Rühmliches zu berichten wissen,
äusserten sich mehr in einem ewigen wüsten Geschrei, einem ewigen
rathlosen Hin- und Herfackeln, als in einer zweckmässigen ernsten
Thätigkeit. Und zu alle dem waren die Kerls noch schmälich faul, ruhten
gemächlich aus oder frugen uns durch Geberden, ob wir nicht auch einmal
rudern wollten.

Die Landschaft ringsum war trotz des ungünstigen Wetters äusserst
malerisch, und das dunkle Grün des Wassers wetteiferte mit dem noch
dunkleren Grün des über Felsen hereinhängenden üppigen Busches an Kraft
und Tiefe. Hie und da erhob sich ein einsamer scheuer Kormoran aus dem
Wasser.

Nach etwa zwei Stunden näherten wir uns dem östlichen Ende des Sees, wo
eine Bucht in südlicher Richtung sich zu einem Bache verjüngt, der aus
dem Rotomahana herabkommt. An einer Stelle ist ein schönes Echo, welches
der Maorisage zufolge den in den schroffen Wänden des Ufers hausenden
Dämonen seinen Ursprung verdankt. Früher musste man hier ein kleines
Opfer leisten, indem man Geld, Zigarren oder Tabak auf einen niedrigen
Felsblock legte. Jetzt hatte sich diese alte Sitte so weit abgeschwächt,
dass es genügte, ein Stückchen Farnkraut von unserer Streu im
Vorüberfahren darauf zu werfen.

Am Eingang zu dem Bach von Rotomahana, ganz nahe dem Ziele, gabs abermals
Streit. Es war spät geworden. Unsere Maoris wollten nicht mehr weiter
gehen und in ein paar Hütten neben einer heissen Quelle bei guten Freunden
übernachten.

Es war ihnen sichtlich darum zu thun, uns möglichst viel Zeit und damit
auch möglichst viel Geld für sich abzugewinnen. Im Hintergrunde der
buschigen Berge dampfte es gewaltig und vielversprechend empor, und das
Wasser war bereits lauwarm, weshalb wir schon eine halbe Stunde früher
unsere Trinkgefässe gefüllt hatten.

Wir bestanden darauf, noch heute an Ort und Stelle zu gelangen, und wenn
wir auch das schwerere Gepäck bis morgen zurücklassen mussten. Die Maoris
gehorchten wider Erwarten, wir stiegen aus und setzten die Reise zu Fusse
weiter, während das Kanuu mit nur vier Mann den Bach hinauffahren sollte.

Aber ganz ohne Prellerei konnte es doch nicht abgehen. Der schmale Pfad im
Manukagestrüpp setzt plötzlich über den tiefen Bach. Unsere halbnackten
Führer wateten einfach durch, indem sie die Hüftenplaids etwas lüpften.
Wir armen Europäer waren nicht so praktisch gekleidet und standen verlegen
am Rande, während jene sich höhnisch erboten, für einen Shilling uns
hinüberzutragen. Wir waren entrüstet ob dieser Frechheit. Sie waren
unsere gemietheten Diener, jeder von den Kerls kostete uns per Tag
fünf Shilling und die Verpflegung, und nun wagten sie noch uns extra zu
brandschatzen. Gerne hätten wir uns der Stiefel und sonstiger Anhängsel
entledigt, allein wir hätten sie sicher wegen ihrer Feuchtigkeit
nicht wieder anlegen können. Wir wollten um keinen Preis nachgeben
und beschlossen, auf das Kanuu zu warten. Drüben zündeten sich die
streikenden Maoris ein Feuer an. Wir versuchten dasselbe herüben, aber
nicht ein einziges Zündhölzchen war trocken.

Die Kälte wurde ungemüthlich und wir wurden weich und gewährten den
Shilling. Die Maoris kamen und luden uns auf den Rücken. Indess, für mich
war heute ein Unglückstag. Mein Bursche glitt aus, und ich lag abermals
im Wasser. Dass er dennoch seinen einmal versprochenen Shilling erhielt,
schien ihn sehr zu rühren, und von nun an war er die Aufmerksamkeit
selbst.

Jetzt galt es eine der schwierigsten und gefährlichsten und
schauerlichsten Partieen, die ich jemals gemacht, und wir bedurften jetzt
doppelt einer ortskundigen Führung. Es war dunkel in dem Manukadickicht
geworden. Die Maoris nahmen uns bei den Händen und zogen uns durch Dick
und Dünn. Allenthalben begann es wieder zu brodeln und zu qualmen. Aus
schwarzen Abgründen unten stampfte und hämmerte es drohend herauf,
heisses Wasser spritzte uns ins Gesicht, und Dampfwolken benahmen jeglichen
Blick, während wir, festgehalten und geleitet von den starken Armen der
Wilden und willenlos ganz in ihre Gewalt gegeben, über morsche Mauerkanten
und schlüpfrige Lehmabhänge vorwärtsstrebten, links und rechts, vor uns
und hinter uns das Verderben. Ein einziger Fehltritt und wir kochten in
einem der siedenden Kessel.

Durch das Manukagebüsch schimmerte eine weisse Fläche, es lichtete sich,
und wir waren am Fusse der berühmten, herrlichen Sinterterrasse Tetarata.
Wir schritten über ihren glatten Spiegel den jenseits errichteten Hütten
zu, in denen wir übernachten wollten. Rechts dampfte der kleine See
Rotomahana. Stimmen von Wasservögeln, deren nächtliche Ruhe wir störten,
liessen sich in seinem Schilf vernehmen.

Auch rings um die Hütten sind kochende Quellen und Tümpel zum Baden. Ich
beeilte mich, aus den nassen Kleidern und aus der kalten Luft ins warme
Wasser zu steigen. Während ich dort das sauer verdiente Abendbrot
verzehrte, Schokolade, Eier und Kartoffeln, in irgend einer der vielen
natürlichen Kochgelegenheiten zubereitet, trockneten unterdessen meine
Kleider auf geheizten Steinfliesen. Wahrscheinlich würde ich auch auf
unserem Farnlager ausgezeichnet geschlafen haben, wenn nicht eine
kleine Art Stechfliegen uns belästigt, wenn nicht eine Kompagnie Ratten
rücksichtslos und ungestüm um den Kartoffelsack der Photographen, auf dem
mein müdes Haupt ruhte, hin und her geraschelt, und wenn nicht die Maoris
nebenan fortwährend geplaudert hätten.

Früh am Morgen erhoben wir uns, zuerst die gestern in der Dunkelheit
passirte weisse Terrasse zu besichtigen. Sie lag von den Hütten nur durch
einen niedrigen mit Farn und Manuka bewachsenen Vorsprung getrennt. Wenige
Schritte, und das grösste Wunder Neuseelands öffnete sich unseren Augen.

Der kleine vielgebuchtete See Rotomahana, dessen trübe Fläche und
struppige dampfende Ufer jeglichen Reizes entbehren, ist in ein enges Thal
gebettet, dessen Böschungen allenthalben von kochenden Quellen, kochenden
Pfützen und Schlammvulkanen durchwühlt sind. Mitten in diesem Wirrsal
von siedendem Schmutz hat die Natur bizarrer Weise zwei so ätherische,
mährchenhafte Gebilde aufgebaut, wie vielleicht kein drittes mehr auf
der Erde zu finden ist. Einander schräg gegenüberliegend, ungefähr
nordöstlich und südwestlich vom See fliessen zwei breite, erstarrte
Ströme einer unendlich zart und weichgefärbten Substanz von oben herab,
die zwei Kieselsinterterrassen Tetarata und Otukapuarangi. Der Form nach
gleichen sie beide gefrorenen Kaskaden, die in einer Höhe von etwa 25
Meter aus dem Berge hervorquellen und in sanften Staffeln sich in den See
ergiessen, unten ausgebreitet zu einem flachen etwa 100 Meter betragenden
Bogen.

Man steigt, theilweise in einer dünnen spiegelnden Schicht lauen Wassers
watend, über die Staffeln empor. Die zarten Krystallblumen, welche den
Boden bedecken, knirschen unter den Füssen wie Reif oder hartgefrorener
Schnee.

Oben gähnt ein dampfender Kessel, der ab und zu aufwallen soll, von einer
Platform umgeben. In jede der vielen regellos gehäuften Staffeln sind
Schalen gehöhlt, welche Wasser von allen Temperaturen enthalten, je höher
und näher dem Kessel oben, desto wärmer, je niedriger, desto kühler.
Wülste von ornamentalen Stalaktiten umfassen diese unübertrefflichen
Badebecken, deren Innenflächen gepolstert sind mit zarten
Sinterkrystallen, nachgiebig dem geringsten Druck der Haut, ein Stoff
würdig des raffinirtesten Sybariten.

Das Wunderbarste jedoch an den beiden Terrassen sind die Farben. Tetarata
ist glänzend alabasterweiss und mit schwärzlichen Dendritenzeichnungen
geschmückt, Otukapuarangi aber ist von einem wohllüstigen Rosaroth
angehaucht. Die mit Wasser gefüllten Schalen beider schillern in mattem
Blau, das bei Otukapuarangi oft in die anderen Farben des Regenbogens
hinüberspielt. Dunkelrothe Felswände und dunkles Manukagestrüpp bilden
den Hintergrund.

Trotzdem wir schlechtes Wetter hatten, und ein feiner Regen uns frösteln
machte, badeten wir auf beiden Terrassen in verschiedenen Schalen, mehr aus
Pedanterie als aus Gelüste.

Die zweite südöstliche Terrasse konnte man nur mit dem Kanuu erreichen.
Leider ist dieselbe mit unzähligen eingekritzelten Namen von Besuchern
verunziert. Neben einem durch amerikanische Reklamenhaftigkeit
berüchtigten Schneider in Auckland fand ich auch den Herzog von Edinburgh
in dieser geschmacklosen Weise verewigt. »Te Plines, te Plines« (the
Prince) machte mich mein Führer aufmerksam darauf.

Der Prinz hat hiedurch ein sehr schlechtes Beispiel gegeben. Jeder richtige
Engländer thut jetzt dasselbe. Hätte Seine Königliche Hoheit statt
dessen lieber sich für die alten nunmehr vermodernden Skulpturen von
Ohinemutu interessirt und einige durch Kauf erworben, so würde er dadurch
der loyalen Nachahmungssucht des englischen Touristengesindels eine viel
vernünftigere und heilsamere Richtung angewiesen haben. Die Maoris hätten
dann vielleicht bei gesteigerter Nachfrage sich wieder einer Kunstindustrie
zugewendet, für welche ihre Altvordern so viel Neigung und Geschick
besassen und für welche auch die jetzige Generation unverkennbar grosse
Begabung zeigt, und es wäre vielleicht ein Erwerbszweig wiedererstanden,
geeignet, eine edle und liebenswürdige Rasse zu den Segnungen der Arbeit
zurückzurufen.

An unserem Lagerplatz erhielt ich noch ein paar heisse Kartoffel, welche
mein Bursche mit einer Muschel schälte, und nahm dann Abschied von den
Gefährten, ohne sie um den projektirten dreiwöchentlichen Aufenthalt bei
diesem Wetter und in dieser Jahreszeit sehr zu beneiden. Ich habe später
wieder von ihnen gehört. Sie mussten noch viel von der Geldgier der
Wairoabevölkerung ausstehen, welche der Ansicht war, dass Fremde
eigentlich nur mit je zwei Mann im Solde (5 Shilling pro Mann und Tag) an
den Ufern des Rotomahana verweilen dürften.

Der Bach, durch den wir nach dem Tarawerasee zurückfuhren, hatte so viele
Krümmungen, dass das lange Kanuu kaum durchkommen konnte. Wir blieben auch
mehrmals stecken und wurden von der starken Strömung halb in die Quere
getrieben, was immer viel Geschrei und wenig zweckmässige Anstrengungen
der acht braunen Kerls zur Folge hatte, die sich ihrer Kleider entledigten,
um gleich hinausspringen und schieben zu können. Unterwegs wurde noch eine
Ladung Schilf, die ein plötzlich aus dem Uferdickicht auftauchender Maori
von herkulischen Gliedmassen geschnitten hatte, mitgenommen und da wo der
Tarawerasee beginnt, angehalten, um in einer nahen Hütte zu plaudern und
Kartoffeln zu essen. Ich hatte zwar das Kanuu für den Tag gemiethet und
war somit rechtlich Besitzer und Befehlshaber desselben, musste mir aber
gefallen lassen, was meinen Maoris gut dünkte und unterliess auf Grund
gemachter Erfahrungen jegliche Aeusserung eines Willens.

Auch hier sind warme Quellen. Ein junges Mädchen zum Skelett abgemagert,
lag in einer Badepfütze und verzehrte mit dem gierigen Appetit einer
Rekonvaleszentin gekochte Teichmuscheln, während ein altes Weib gleich
daneben in einem siedenden Sprudel die Kartoffeln für uns bereitete.

Ich war schliesslich doch dankbar für die von meinen Leuten eigenmächtig
verfügte Unterbrechung der Heimreise. Denn einer von ihnen hatte die Pause
dazu benützt, aus seiner Wollendecke, zwei Stangen und zähen Schilfhalmen
ein zwar nicht marinemässiges aber doch sehr wirksames Sprietsegel
herzustellen, welches bei der günstigen steifen Brise, die gerade wehte,
das lange schmale Kanuu mit einer Schnelligkeit durch die aufspritzenden
unwillig zischenden Wellen jagte, die einem ordentlichen breitgebauten
Segelboot nie gelungen wäre. Es war trotz Kälte und Nässe ein
Hochgenuss, so dahin zu stürmen, ganz nahe an den Felsblöcken und den
weit über sie hereinhängenden riesigen Bäumen mit ihren herrlich dunklen
Schatten vorbei, so rasch, dass sie oft nicht mehr zu unterscheiden waren,
und das ganze Ufer wie verwischt am Auge vorbeihuschte.

Meine Maoris jauchzten vor Vergnügen, schrieen und sangen und klatschten
in die Hände, höhnten grinsend die hinten nachrollenden Wellen, die uns
nicht einzuholen vermochten und drohten mit der Faust auf jene, welche
jeden Augenblick vorwitzig über den niedrigen Rand leckten, so dass
sie dann doppelt emsig ausschöpfen mussten. Oder sie stellten sich im
flatternden Hemd mit gespreizten Beinen auf die Borde und breiteten ihre
Lendenbekleidung, die wollene Decke, als Hilfssegel aus, deren Zipfel sie
mit Füssen und Händen festhielten, so dass ihr geschickt balancirender
Körper zugleich Mast, Raa und Schoten ersetzte.

Als wir um die Felsenecke, an der wir gestern den Göttern so wohlfeil
geopfert hatten, bogen, änderte sich leider der Wind und wurde so
unbestimmt, dass es mit dem Segeln nicht mehr gehen wollte. Von allen
Seiten schossen Böen aus den Schluchten herab und kräuselten weithin
erkennbar kreuz und quer den hüpfenden See. Wir mussten noch über zwei
Stunden rudern, was den Maoris viel weniger zu behagen schien als das
Segeln, und sichtlich gewährte es ihnen grosse Befriedigung, dass auch ich
theils aus Langweile theils aus Frost zuweilen Wasser schöpfte oder mit
der Pageie vorwärtslöffelte.

Spät am Nachmittag kam ich nach Wairoa, von wo aus ich sofort
zum abermaligen Erstaunen der irischen Hotelfamilie nach Ohinemutu
abmarschirte, welches ich erst nach mehreren Stunden todmüde erreichte,
nachdem ich mich in der stockfinsteren Nacht zu allem Ueberfluss noch um
eine beträchtliche Strecke verirrt hatte.

Nach meiner Rückkehr von Rotomahana lernte ich den Native-Kommissioner
Mister Davis kennen, einen würdigen alten Herrn, berühmt in ganz
Neuseeland wegen seiner Gelehrsamkeit in Maoriangelegenheiten. Er war von
Auckland nach Ohinemutu gekommen, um Streitigkeiten mit den Eingeborenen zu
schlichten.

Da Mister Davis hier öfters und dann meistens längere Zeit zu thun hatte,
so war unter seiner Leitung eine Art Schule für die zahlreiche Jugend des
Dorfes entstanden, die er jedesmal wieder auffrischte. Missionsanstalten
wie früher scheinen seit dem letzten Krieg in Neuseeland kaum mehr zu
existiren. Ich habe wenigstens niemals von einer solchen gehört. Trotzdem
soll es unter der jetzigen Generation der Eingeborenen nur wenige geben,
die nicht schreiben und lesen können. Ohne eigentliche Lehrer zu haben
lernen sie es einer vom anderen, und an allen Mauern und Zäunen, an allen
Felswänden im Walde sieht man Namen und Zeichnungen eingekratzt, welche
die bedeutende Vorliebe der Maoris für graphische Künste dokumentiren.

Mister Davis lud mich eines Abends ein, seine Singschule zu besuchen. Ich
hörte da ausser echten Maorigesängen auch einige ins Maori übersetzte
englische Lieder. Mitten darunter kam ein Hymnus, von drei Mädchen
vorgetragen, der mir durch die Fremdartigkeit seiner Melodie und seines
Textes sehr vortheilhaft vor den übrigen auffiel. Es war ein tonganischer
Gesang, den die Mädchen in Auckland von tonganischen Matrosen erlernt
hatten. Als Mister Davis seinen Schülern und Schülerinnen mittheilte,
dass ich ein Deutscher sei und ein vom Englischen verschiedenes Idiom
spräche, liessen sie mich bitten, ihnen eine deutsche Rede zu halten, was
ich gerne that, ohne mich sonderlich kümmern zu müssen, was ich sagte.
Mit grosser Befriedigung wurde konstatirt, dass es wirklich ganz anders
klinge als Englisch. Eine der jungen Damen, die eine sehr schöne
Handschrift besass, schrieb mir noch eine Sentenz auf einen Zettel, dann
ging ich nach Hause. Jene Sentenz lautete folgendermassen: »Ki a Tiamana
tena koe. Me whakaako koe ki te reo Maori. Heoi ano na Maraea i tuhi. Ki
a ora tonu koe« (Deutscher, sei gegrüsst. Lerne doch die Maorisprache.
Dieses hat die Maraea geschrieben. Möge deine Gesundheit beständig sein).

Ohinemutu besitzt keinen Arzt, und so wurde ich während meiner Anwesenheit
häufig als solcher in Anspruch genommen, was mir sehr lieb war, da ich so
tiefer in die Geheimnisse der Maoribevölkerung einzudringen hoffte. Ich
wurde indess stets nur von Weissen zu Eingeborenen gerufen. Diese selbst
schienen mich nicht zu wünschen und zu mir viel weniger Vertrauen zu haben
als zu einem in der Nähe wohnenden Zauberer. Selten erntete ich etwas wie
Dankbarkeit. Vielleicht auch fürchteten die Maoris, dass ich Bezahlung
verlangen würde.

Zwei mit Knochensyphilis behaftete Weiber waren die einzigen Fälle von
Interesse. Sie leugneten hartnäckig, jemals an primären Erscheinungen
gelitten zu haben. Es wäre von höchster Wichtigkeit zu beobachten,
wie der Verlauf dieser Krankheit unter dem Einfluss der täglichen und
langdauernden heissen Bäder, denen die Bevölkerung von Ohinemutu obliegt,
sich gestaltet.



IX.

VON OHINEMUTU NACH AUCKLAND.

  Abschied. Pokohorungi und der Oropibusch. Maoriskulpturen. Eine
  misstrauische Waldfamilie. Der Sergeant Apro Pioaro und seine Gattin
  Mangorewa. Tauranga. Reges Leben und Nasendrücken. Abermals ein Stück
  Neuseeländischer Bummelei. Der Dampfer Rowena. Merkury-Bay. Ankunft in
  Auckland.


Es gefiel mir in Ohinemutu so gut, dass ich meinen ursprünglichen
Reiseplan unberücksichtigt liess und länger blieb als vorausbestimmt war,
bis ich eines schönen Morgens Abrechnung mit meinem Mammon hielt und die
schreckliche Entdeckung machte, dass ich nicht mehr Geld genug besass um
den nächsten Postwagen abzuwarten. Mit Wechseln war hier nichts zu machen.
Ich musste fort, fort nach zivilisirteren Gebieten, wo es Banken gab, und
zwar schleunig und zu Fuss. Denn selbst ein Pferd oder sonstiges Vehikel
hätte ich nicht mehr bezahlen können.

Umsonst schlug die Wirthin, umsonst schlug der Rossarzt, Pferdeverleiher
und Lohnkutscher, umsonst schlugen die rheumatismusgelähmten Badegäste
die Hände über dem Kopf zusammen, als ich ihnen mittheilte, dass ich
»aus wissenschaftlichen Gründen« zu Fuss durch den schauervollen
Oropibusch nach Tauranga gehen wolle. Meine wissenschaftlichen Gründe
waren unerschütterlich. Ich schnürte mein Bündel, übergab das schwerere
Gepäck zum Nachsenden, drückte Allen zum Abschied die Hände und schritt
hinweg -- wenn die Wirthin und der Rossarzt und die Badegäste nur halbwegs
aufrichtig waren, in mein sicheres Verderben.

Ich trennte mich ungern von Ohinemutu, und jedesmal so oft das freundliche
dampfende Dörfchen zwischen den Farnhügeln wieder auftauchte, sandte ich
ihm zärtliche Blicke zurück.

Im Halbkreis zieht sich die Strasse um das westliche Ufer des Sees und
kriecht dann ins Dickicht des Busches hinein. Die Insel der schönen
Hinemoa ruhte duftig unter den Strahlen einer wolkenlosen Sonne, und
ein kühles Lüftchen milderte angenehm die Wärme des Tages. Da wo die
Farnlandschaft aufhört und der Busch beginnt, liegt die Maoriansiedelung
Pokohorungi, und ich bog von der Strasse ab um sie in Augenschein zu
nehmen. Wenige Zelte und Strohhütten standen zwischen frischgefällten
Baumstämmen, über Feuerstellen mit glimmender Asche hingen grosse eiserne
Kessel. Hunde bellten, und ein paar braune nackte Kinder liefen eilig
hinweg, indem sie besorgt »Pakeha, Pakeha« riefen. Unter einem Baum
sassen mehrere Frauenzimmer und assen Kartoffel. Sie machten Witze über
mich, lachten laut auf, und ein aussergewöhnlich hübsches Mädchen
reichte mir zum Willkomm eine geschälte Kartoffel, die ich mit Dank
annahm.

Der Oropibusch, den ich nun betrat, unterschied sich in nichts von
den anderen prachtvollen Wäldern Neuseelands, die ich bisher gesehen.
Streckenweise war der lehmige Weg so aufgeweicht, dass die Stiefel in
Versuchung kamen den Beinen abtrünnig zu werden und im knietiefen Brei
stecken zu bleiben. Beständig ging es bergauf und bergab, und war ich ein
paar hundert Meter aufwärts gestiegen, so musste ich sicher eines kleinen
Flüsschens halber eben so tief wieder hinabsteigen. Ich freute mich, nicht
zu Wagen hier durchzupassiren. Denn abgesehen von der bei diesem schlechten
Zustand der schmalen Strasse naheliegenden Gefahr in den Abgrund zu
stürzen bot die Wagenfahrt hier kaum ein nennenswerthes Vergnügen.

Wenn die Strasse um Ecken bog und glatt abgeschnittene Wände ihre
eine Seite bildeten, fehlte es niemals an eingekratzten Zeichnungen und
Maorinamen, wozu sich das Gestein, ein weicher Mergel, vortrefflich eignet,
und einmal stiess ich sogar auf Basreliefs. Eine Rieseneidechse, ein
menschliches Antlitz sowie gleich daneben der entgegengesetzte Pol eines
menschlichen Torso mit etwas anstössigem Detail und ein verschlungenes
knollenförmiges Etwas, das ich nicht zu enträthseln vermochte, waren
die Gegenstände, deren Darstellung kein geringes Formenverständniss
bekundeten. Diese Skulpturen befanden sich so hoch oben, dass sie nur
während des Strassenbaus gefertigt worden sein konnten.

So reich und üppig die Vegetation entfaltet war, so arm schien die
Thierwelt vertreten zu sein. Meine zoologische Ausbeute war dementsprechend
gering. Ich schälte beträchtliche Partieen von faulen Baumstämmen ab,
ohne eine einzige Schnecke zu finden. Ziemlich häufig fand ich dagegen
eine unserem Süsswassergammarus ähnliche Krusterart, die hier im feuchten
Mulm lebt.

Nichts unterbrach die tiefe einsame Stille des Neuseeländischen Forstes
als hie und da die schüchterne Stimme eines Glockenvogels, welche klang
wie die Vorbereitungen eines Punschgläservirtuosen, der den Ton seiner
Instrumente prüft.

Es wurde kalt, als der Abend hereinbrach und der Sonnenschein immer höher
an den vergoldeten Gipfeln der Bäume und Berge emporrückte. Ich traute
meinen Augen kaum, als ich Eiskrusten an den Kanten des Strassenkoths
entdeckte, und ich fühlte einige Beunruhigung, als der Himmel immer
dunkler und der Weg immer undeutlicher wurde, und jener Militärposten,
in dem ich übernachten wollte und der nach meiner Schätzung schon lang
hätte kommen müssen, noch immer nicht erscheinen wollte. Auch
hier arbeiteten Soldaten und zwar eingeborene an der Herstellung und
Verbesserung der Strassen, und in einer gewissen Entfernung, war mir gesagt
worden, würde ich wahrscheinlich ein Zeltlager finden, welches aber jetzt
auch irgendwo anders aufgeschlagen sein konnte. Endlich stieg unten im
Thale eine Rauchsäule empor zu den Sternen, die bereits hell durch die
Bäume herabblinzelten.

Was ich suchte, sollte mir noch nicht zu Theil werden. Nur ein einziges
Zelt stand zwischen Felsblöcken am Ufer eines rauschenden Baches, und um
das Feuer davor sass eine zahlreiche Maorifamilie. Drinnen im Zelt quiekste
ein Säugling, und zwei grosse zottige Hunde knurrten sehr unangenehm, als
ich zu ihnen hinabstieg. Keine Möglichkeit Auskunft zu erhalten. Niemand,
auch der uniformirte Vater nicht, verstand was ich wollte. Alle sahen mich
scheu und misstrauisch an, die Hunde schnupperten knurrend an mir herum,
und der Säugling hörte nicht auf zu quieksen. In solcher Gesellschaft
wäre ich um keinen Preis geblieben so müde ich auch war, und lieber
wollte ich im Busch irgendwo zu schlafen versuchen.

Um nicht umsonst in die Schlucht mich bemüht zu haben, machte ich die
kosmopolitische Geberde des Trinkens und bat um »Wai« (Wasser). Der Mann
stiess die Frau an, die Frau aber murrte und zeigte sich nicht geneigt
meinethalben aufzustehen, so dass ich selber ein Gefäss ergriff und zum
Bache kletterte, um Wasser zu schöpfen. Dies war das einzige mal, dass
ich von Maoris unfreundlich behandelt wurde, wobei allerdings als
Entschuldigung in Betracht kommt, dass mein plötzliches Erscheinen in so
später Stunde verdächtig sein mochte.

Ich war noch keine tausend Schritt weiter gegangen und machte mich eben mit
dem Gedanken vertraut, die Nacht durchzumarschiren, als etwas Helles aus
der Dunkelheit zwischen den Bäumen auftauchte und ein Hund zu bellen
begann.

Eine Holzhütte, einige Zelte -- es war mein langersehntes und schon als
verloren betrachtetes Nachtquartier. Auf mein Pochen öffnete sich die
Thüre der Hütte, und ich stand vor dem Kommandanten des Platzes Apro
Pioaro, einem schönen braunen Sergeanten.

Seine hohe kräftige Gestalt, die edle Gesichtsbildung und die
geschmackvolle Uniform der Neuseeländischen Konstabulary Force machten
ihn zu einer musterhaften militärischen Erscheinung. Weniger günstig nahm
sich neben ihm seine Gattin aus, die sich alsbald beeilte, mir eine
Taube des Waldes und etliche Bataten zum Abendmahl zu bereiten. Sie hiess
Mangorewa. Ich liess mir beider Namen von ihm in mein Tagebuch schreiben.

Als ich mit dem Essen fertig war, hatte mittlerweile mein liebenswürdiger
und chevaleresker Wirth in einem leerstehenden Zelt draussen ein
vortreffliches Lager zurechtgemacht. Wir plauderten noch ein Weilchen und
rauchten aus schrecklich schmutzigen Thonpfeifen ätzenden Maoritabak,
und wir wären sicher noch viel länger zusammen geblieben, wenn nicht
Mangorewa, um uns ein Zeichen zu geben, sich demonstrativ entkleidet und
ins Bett gelegt hätte. Ich wollte meinem Gastfreund etwas Tabak anbieten,
doch er protestirte dagegen und litt nicht einmal, dass ich anderes als
sein eigenes Kraut rauchte.

Die Nacht war kalt, aber es lagen so viele Decken und alte Soldatenmäntel
auf der Farnstreu in meinem Zelt, dass ich nicht zu frieren brauchte. Nur
der Hund des Kommandanten, der durch eines der vielen Löcher hereinkroch
und sich mir beigesellte, da er wahrscheinlich ältere Rechte auf das Bett
hatte, störte mich zuweilen. Draussen grunzten und schnüffelten alte und
junge Schweine schlaflos hin und her, und jedesmal so oft diese unwirsch
sich zankten oder eines an der Leinwand vorüberstreifte, fühlte mein
Genosse sich verpflichtet hinauszufahren und aufzubegehren. Oben schimmerte
der Mond und unten strich die erfrischende Waldluft durch das Gewebe.
Ich wickelte mich wohlig in die wärmenden Decken und dachte an die ferne
Heimath.

Am frühen Morgen lauerte bereits die ganze Bewohnerschaft des
Militärpostens neugierig auf den Moment, da ich die Zeltwand
auseinanderschlagen und erscheinen würde. Aus jeder Spalte und aus jedem
Fensterchen der Hütten und Zelte guckte ein ungekämmter Weiber- oder
Kinderkopf und starrte verwundert mich an.

Ich wollte nach dem Frühstücksthee meinem Sergeanten ein paar Shilling
in die Hand drücken, er nahm aber durchaus kein Geld. Da ich jedoch
auf Zahlung bestand, so wurde er weich und sagte verschämt und verlegen
lächelnd: »Ask Woman«. Ich gab nun Mangorewa meine Münze, welche
sie rasch einsackte, während Pioaro mir noch ein paar Schiffszwiebacke
aufnöthigte und seinen russigen Pfeifenstummel zum Andenken schenkte.

Ungefähr zwei Gehstunden vor Tauranga liegt das nur aus einem Hotel und
einigen Hütten und Zelten mit gemischter Bewohnerschaft bestehende Dorf
Oropi, welchem der hier endende Busch seinen Namen verdankt. »Oropi« ist
die Maoritransskription für das englische »Europe«. Diese Ortschaft war
einst der äusserste von der Küste her vorgeschobene Punkt europäischer
Kultur, und mit ihr begann damals für die Maoris des Inneren Europa.

Der Wald lichtet sich, und das nur mehr mit Farn bewachsene Land fällt
allmälig zur Bay of Plenty hinab. Von kleinen lauter vulkanischen
Inselbergen durchbrochen steigt die blaue Fläche des Meeres zum Horizont
empor, und allenthalben erscheinen Farmengehöfte, mit Hainen importirter
Pappeln und mit den Rechtecken von Getreidefeldern umgeben, in die
braungrünen Wellen der Farnlandschaft hineingestreut. An klaren Tagen ist
von hier aus auch die Insel Whakari oder White Island zu sehen, der eine
von den beiden Vulkanen Neuseelands, die allein unter den vielen noch
thätig sind. Der andere ist der Tongariro südlich vom Tauposee.

Als ich Tauranga erreichte, war es bereits wieder Nacht geworden. In der
Dunkelheit hatte ich kurz vorher den Gate-Pa passirt, einen Punkt, der in
der Geschichte des erst 1870 beendeten grossen Maorikrieges eine bedeutende
Rolle spielt. Der Gate-Pa war ein verschanztes Lager, welches die
Eingeborenen so tapfer und erfolgreich vertheidigten, dass trotz ihrer
Ueberlegenheit an Zahl und Bewaffnung die stürmenden Engländer mehrmals
mit starken Verlusten zurückgeschlagen wurden. Eine Menge Gräber aus
jener Zeit bedeckt den Kampfplatz.

Tauranga lernte ich ebensowohl als einen interessanten Zentralpunkt für
die umwohnende Maoribevölkerung wie als ein hübsches aufstrebendes
Städtchen europäischen Styles schätzen. Gleich der erste Morgen brachte
mir wieder schönes warmes Wetter. Lachender Sonnenschein lag über der
weiten blauen Bucht mit den vielen kegelförmigen Inseln, als ich aus dem
Bett ans Fenster trat.

Mein guter Stern hatte mich zur günstigsten Zeit hieher geführt. Alles
war belebt von braunen Gestalten auf der Strasse unten, deren eine Seite
das Ufer und deren andere eine Reihe anmuthiger Häuser bildet.

Die Eingeborenen der Bay of Plenty treiben etwas Ackerbau und scheinen noch
nicht so vollständig in Faulheit und Liederlichkeit versunken zu sein wie
jene des Lake-Distriktes, obgleich auch bei ihnen ein grosser Theil des
Verdienstes sofort in Schnaps umgesetzt wird. Am nächsten Tage sollte der
wöchentliche Dampfer nach Auckland abgehen, und von links und rechts kamen
Maoris über die Bucht herangesegelt und herangerudert um ihren Mais zu
verschiffen. Man sah da alte Kanuus und moderne scharfgekielte Böte und
gedeckte Kutter von englischer Bauart in ihrem Besitz. Die Kanuus waren
im besten Zustand und viel reinlicher und tüchtiger gehalten als jene
morschen und lecken Tröge, die auf dem Tarawerasee dem Touristenverkehr
dienen. Holzschnitzereien und Federschmuck zierten die Schnäbel.
Hochaufgestapelt lagen in ihnen die Säcke, und um das Geschäft zu einer
Lustpartie zu benützen kamen gleich die ganzen Familien mit.

Ein buntes charakteristisches Treiben entfaltete sich dem Kai entlang.
Draussen lag der Dampfer »Rowena« vor Anker umringt von löschenden
Kanuus und Kuttern. Auf der Strasse und auf dem von der Ebbe entblössten
Strande hockten gruppenweise Männer, Weiber und Kinder, alle in
grellfarbige steife Decken gewickelt. Neue Ankömmlinge erschienen und
vergrösserten die Gesellschaft. Wilde Reiter mit flatternden rothen
Tüchern sprengten rücksichtslos durch die Menge, barfüssig im
Steigbügel, die äussere Stange desselben zwischen der kleinen und der
vorletzten Zehe haltend.

Noch nie hatte ich so viele Maoris und zwar so viele echte, von der
Zivilisation noch nicht allzustark beleckte Maoris auf einem Fleck
versammelt getroffen. Bestand auch ihre Gewandung überwiegend aus
europäischen Fabrikaten, so waren doch noch genug einheimische Gewebe aus
Phormium und eine Menge einheimischer Schmucksachen vorhanden, natürlich
etwas modifizirt durch den Einfluss europäischer Stoffe.

So zum Beispiel trugen einige Weiber weissglänzende Haifischzähne mit
scharlachrothen Siegellacktropfen in den Ohren. Diese Art Schmuck ist so
gesucht, dass es sich verlohnt hat, ihn aus Fayence nachzubilden, wovon ich
später in Auckland mich überzeugte. Fast allen Männern hingen von den
rechten und dadurch langgedehnten Ohrläppchen schwere tropfenförmige
Grünsteinstäbe an einem schwarzen Seidenband mit lose flatternden Enden
herab. Auf der Brust zweier älteren Frauen bemerkte ich jenes
kostbare Grünsteinamulett, eine stylvoll gearbeitete Fratzenfigur mit
Perlmutteraugen, welches man Tiki heisst. Ein grobes Hemd, ein paar
schlumpige Röcke und der nie fehlende möglichst bunte Schal bildete die
Kleidung fast aller Weiber. Auf dem Kopf, dessen dichtes blauschwarzes Haar
oft struppig und ungekämmt in das braune Gesicht mit den grossen
Augen hereinfiel, sassen bei einigen Männerhüte, bei anderen elegante
Damenbaretts mit Schleier, während sie alle barfuss waren. Eine einzige
nicht mehr ganz junge Dame bewegte sich schmerzhaft und ungeschlacht in
engen Stiefeletten. Die meisten trugen keine Bedeckung oder hatten den
Schal über sich gezogen, so dass nur die Pfeife aus dem unförmlichen
Klumpen oben herausguckte, wenn sie auf dem Boden sassen. Säuglinge wurden
huckepack in einer kapuzenartigen Ausbuchtung mitgeschleppt. Die Männer
waren oberhalb der Unterextremitäten ebenso gekleidet wie die weissen
Arbeiter und Farmer Neuseelands, mit dem Gebrauch einer Hose jedoch
hatten sie sich noch nicht befreundet. Eine um die Hüften geschlungene
Wollendecke, die bis zu den Knieen reichte, vertrat dieselbe. In den
malerischen Schlapphüten waren meist schlanke und spitze Fasanenfedern
befestigt.

Hier beobachtete ich zum ersten mal und zu meiner grossen Freude die
eigenthümliche Begrüssung mittelst der Nasen, für welche ich bereits
zu spät gekommen zu sein befürchtet hatte, und für welche man die ganz
unpassende Bezeichnung »Nasenreiben« erfunden hat. Es werden hiebei die
befreundeten Nasen aneinandergedrückt und verharren in dieser intimen
Berührung regungslos etliche Augenblicke.

Ein junges hübsches Weib mit einem Kinde auf dem Rücken und einer
Thonpfeife im Mund sass umgeben von einem Dutzend Genossinnen am Strande.
Auch diese hatten Thonpfeifen im Mund und klatschten und lachten, riefen
den vorübergehenden Männern zu, wickelten sich bald so bald anders in
die bunten Tücher, liessen sie fortwährend herabrutschen, um sie dann mit
einer groben ungraziösen Bewegung wieder hinaufzuziehen, hockten entweder
aufrecht mit untergeschlagenen Beinen oder stemmten halb liegend den Kopf
auf den Ellbogen. Das hübsche Weib schien die Vornehmste unter ihnen zu
sein. Da näherte sich ihr ein alter Mann, nacktbeinig und mit ganz blau
tätowirtem Gesicht, entblösste ehrerbietig sein Haupt, bot ihr die Hand,
beugte sich zu ihr nieder und drückte seine ziselirte Nase an die ihrige
glatte, indem er ein sehr andächtiges Gesicht dazu machte. Wenn man nicht
genau zusah, konnte man glauben, dass er sie küsse. Allerdings dauerte es
viel länger, als bei uns für eine blosse Begrüssung erlaubt wäre.

Kaum war ich zum ersten mal Zeuge dieses seltsamen Aktes gewesen, als
Andere hinzutraten, dasselbe zu thun, und das Nasendrücken auf allen
Seiten losging. Das Merkwürdigste war mir die ernsthafte, traurige Miene,
die sie allgemein dabei machten, statt dem Vergnügen des Wiedersehens
Ausdruck zu verleihen. Sie schienen weinen zu wollen, und ein paar alte
Weiber sah ich wirklich Thränen vergiessen. Diese unterschieden sich
auch dadurch, dass sie ihre Nasen nicht ruhig aneinander hielten, sondern
einigemal zusammenstiessen. War die Zeremonie, wobei man sich umarmte
oder doch wenigstens die Hand gab, vorüber, so verschwand sofort die
Traurigkeit, und das Lachen und Schwatzen begann.

Die Sitte des Nasendrückens wird heutzutage fast nur mehr von alten
Männern und Weibern geübt. Die jüngere Generation hat sich das
europäische Küssen angewöhnt, moderne Männer schütteln sich einfach
die Hände nach englischem Vorbild. Wie aus dem Wort »Hongi«, welches
sowohl »Riechen« als auch das Nasendrücken, als auch das von den
Weissen importirte Küssen bedeutet, hervorgehen möchte, lag der Sinn des
Nasendrückens darin, dass man den Geruch des geliebten Wesens einathmen
wollte.

Ganz Tauranga schien heute blos von Maoris bewohnt zu sein, und auch im
Hotel beherrschten sie heute den grossen Barroom, obwohl für sie eine
eigene ziemlich unreinliche Stube reservirt und mit der Aufschrift »He
Ruma mo nga Maori« (wörtlich »ein Zimmer für Maoris« -- Ruma das
englische Room maorisirt und nga der Plural des unbestimmten Artikels,
der in den arischen Sprachen fehlt) versehen war. Es wurde viel Schnaps
konsumirt, und am Nachmittag taumelten genug Betrunkene herum. Sie hatten
aber alle gemüthliche Räusche und thaten niemand etwas zu Leid, ganz im
Gegensatz zu den tobsuchtartigen Ausbrüchen englischer Säufer.

Von der in Neuseeland herrschenden geschäftlichen Bummelei und
Gemüthlichkeit hatte ich schon manches gehört und in Foxton auf der
Eisenbahn eine kleine Probe erlebt. Ich sollte nun abermals um eine
Erfahrung hierüber bereichert werden.

Meinen ursprünglichen Plan, über Land nach Grahamstown zu gehen, musste
ich wegen der winterlichen Witterungsverhältnisse aufgeben. Der Weg von
Katikati am Nordende des Taurangahafens nach Ohinemuri an der Themse, die
sich in den Haurakigolf ergiesst, war durch Ueberschwemmungen unpassirbar
geworden und durch mehrere angeschwollene Bäche ohne Brücken
unterbrochen, wie die »Bay of Plenty Times« berichtete. Ich verlor
dadurch die Möglichkeit eines Besuches der dortigen Kauriwälder und der
südlichsten Mangrovesümpfe der Erde, die sowohl in der Themse wie in der
Lagune von Katikati als äusserste Vorboten der Tropen auftreten sollen. So
sehr mir die Unannehmlichkeiten einer längeren Dampferfahrt widerstrebten,
blieb mir nichts anderes übrig als auf der Rowena nach Auckland zu reisen.

Am 14. Juni Mittags um zwölf sollte sie abgehen. Aber der Manager hatte
eine Jagdpartie unternommen, kein Mensch wusste, wann er zurückkehren
würde, und ohne ihn konnte der Kapitän nicht die Anker lichten. Etwa
zwölf Passagiere fanden sich zur festgesetzten Stunde an Bord ein. Wir
warteten den ganzen Nachmittag auf den Manager. Der Manager kam nicht. Wir
gingen wieder an Land, ermahnt vom Kapitän in der Nähe zu bleiben, wir
gingen wieder an Bord, wir fluchten und drohten. Es half nichts, ohne den
Manager konnte die Rowena nicht in See stechen.

Die Nacht brach an, und in unserem unerquicklichen Zustand des Wartens auf
unbestimmte Zeit änderte sich nichts zum Besseren. Im Gegentheil. Zwei der
Schicksalsgefährten suchten Trost im Brandy, und der eine wurde darüber
vorzeitig so seekrank, dass er an die Luft gesetzt werden musste, nachdem
er die enge dumpfige Kajüte zu einem noch unerträglicheren Aufenthalt
gemacht hatte. Der andere schnarchte, dass die Gläser in den Hängesimsen
erzitterten, und ober uns auf Deck grunzte eine für den Markt zu Auckland
bestimmte Kompagnie Schweine. Wenn auch die meisten Passagiere mit
Kennermiene und Wohlgefallen höchlich den tiefen Bass ihrer Stimmen
rühmten und aus ihm allein ein ansehnliches Gewicht zu berechnen
verstanden, so konnte mich dieses noch lange nicht mit der Situation
versöhnen.

Die beiden Stewards vertrieben sich die Zeit mit Boxübungen. Sie boxten
sich nach allen Richtungen durch den Salon so dass man seines Lebens nicht
sicher war, und als der Kapitän, ein alter verrunzelter und schäbig
aussehender Kerl, herunterkam, suchten sie auch diesen armen Greis mit in
ihr Vergnügen zu ziehen. Die Herren Stewards schienen hier überhaupt die
erste Rolle zu spielen. Ich verlangte nach einer Kabine, aber man sagte
mir, dass keine mehr vorhanden, und dass die Herren auf den Sophas und auf
den Tischen zu übernachten pflegten, wo es viel kühler und komfortabler
sei. »In Nummer eins und zwei schlafen wir beide, in Nummer drei schläft
der Kapitän, Nummer vier ist für Ladies reservirt, fünf und sechs,
sieben und acht sind bereits seit heute Morgen mit Beschlag belegt«
lautete der Bescheid, als ich genauer inquirirte.

Ich schlief auf einem Sopha ein, und als ich erwachte, rattelte unter mir
die Schraube. Die Balken stöhnten, und die Rowena stampfte und rollte
auf die unverschämteste Weise. Ich kletterte auf Deck und fand schlechtes
Wetter, Kälte und Regen und Gegenwind, ringsum die schwärzeste Nacht,
dass man die Hand vor den Augen nicht sehen konnte.

Der Morgen kam. Wir steuerten den grotesken Felsenkuppen des Landes zu, die
uns alsbald umringten, und ankerten in Merkury Bay. Unter einem brausenden
Wasserfall lag eine Sägemühle in einer Schlucht, deren röthliche Wände
zwischen dunklem Grün an Rotomahana erinnerten. Riesige Kauristämme
schwammen davor im Wasser, die ersten und letzten die mir aufstiessen.

Wir hatten hier einen Passagier und dessen Gepäck zu landen, womit wir
nicht weniger als eine Stunde verloren. Der Kapitän war zu faul selbst ein
Boot flott zu machen, und vom Lande aus schien man seine Dampfpfeife nicht
hören zu wollen. Endlich zeigten sich zwei Männer mit Riemen vor der
Mühle, die sich dem Ufer näherten, machten sich erst daran ein altes
leckes Fahrzeug auszuschöpfen und liessen sich dann langsam von der
Strömung herabtreiben, ohne eine Hand zu rühren. Mit Stolz antwortete mir
mein Nachbar bei Tisch, dem ich mein Staunen über diese Zeitverbummelung
mittheilte, ich müsse bedenken, dass ich nicht in Amerika sei.

Wieder rattelten wir weiter. Die Rowena machte kaum sieben Meilen in
der Stunde, aber sie wurde von ihrer Maschine ärger gestossen als der
schnellste transatlantische Postdampfer. Das elende Fahrzeug erreichte erst
in der Nacht den Eingang zu Auckland.

Es war stockfinster und nichts von all den schönen Inselvulkanen zu sehen,
die den berühmten Hafen zieren, nicht einmal die Konturen. Nur Lichter,
grössere von Leuchtthürmen und kleinere von Wohnstätten, blitzten
allerwärts an unsichtbaren Ufern, und wir drehten uns zwischen ihnen
durch.

Das Lichtergewimmel vor uns, welches die Stadt Auckland vorstellte, wurde
etwas konzentrirter und rückte näher. Die Maschine stoppt, geht
wieder an, stoppt nochmals, arbeitet rückwärts, stoppt und geht wieder
vorwärts. Die Seeleute werden nervös, schreien und toben, rennen die
auf Deck stehenden Passagiere um. Ein Licht rutscht ganz nahe aussenbords
vorüber, wir sind am Pier. Noch ein bischen seemännisches Schreien
und Toben, und der Dampfer ist mit Tauen festgemacht, ein Brett nach dem
Bollwerk hinübergelegt, wir können aussteigen.

Auckland und die Schiffe des Hafens lagen bereits im tiefsten Schlummer,
als ich durch den Schmutz des unangenehm langen Piers im Regen
dahinpatschte nach dem nächsten Hotel, das mir aufstossen würde. Ein
verdriesslicher Policeman, über dessen Gummirock das Wasser herabtriefte,
stand im trüben Schein einer Gaslaterne und belehrte mich, dass das
»Waitemata Hotel« gleich am Ende des Piers und an der ersten Strassenecke
vor mir sei.

Ein braungelber Kerl von unbestimmbarer Rasse, in dessen Stammbaum
die verschiedensten Völker des australasiatischen Völkerlabyrinthes
zusammengewirkt haben mochten, öffnete mir auf mein lautes Klopfen,
schimpfte ein wenig, worauf auch ich ein wenig schimpfte, um gleich
danach in einem gemüthlichen Zimmer und in einem vortrefflichen Bett mich
glücklich zu fühlen. Ich befand mich zum ersten mal wieder seit längerer
Zeit in einem Haus mit steinernen Mauern. Die hohen kahlen Wände, die
hohen Fenster mit den chinesischen Rouleaux aus Schilfgeflecht imponirten
mir durch ihre Dimensionen. Mir war zu Muthe als ob ich in Europa, etwa in
Italien wäre, und die Illusion zu vermehren schlug eine nahe Thurmuhr
die zwölfte Stunde in einem Ton, den ich sonst nur im Lande der Zitronen
gehört zu haben glaubte.



X.

AUCKLAND UND THAMES GOLDFIELDS.

  Sehenswürdigkeiten. Das Northshore. Die Regenzeit hält ihren Einzug.
  Fahrt nach den Thames Goldfields. Goldgewinnungsprozess. Die Minen und
  der Schacht der United Pumping Association. Stürmische Rückkehr. Zwei
  vornehme Maoridamen vom Lande. Auf den Mount Eden. Die King Country und
  die Abolitionists. Reiseprojekte.


Auckland machte mir auch beim Tageslicht einen sehr günstigen Eindruck
und erschien mir fast grossstädtisch, obwohl es nur 21000 Einwohner hat,
welche Zahl allerdings noch von keiner anderen neuseeländischen Stadt
erreicht ist.

Hier gab es nun wieder eine Strasse, Queenstreet, in der es sich lohnte
Abends zu flaniren lediglich des Beguckens der Auslagen und der vielen
Menschen halber. Queenstreet sieht halb amerikanisch halb englisch aus und
ist zuweilen sehr belebt. Die Nebenstrassen sind dafür um so ruhiger. Was
mir an Auckland namentlich imponirte lag wohl in der Steinkonstruktion der
Häuser, deren ich entwöhnt war. Das Vorherrschen der dunklen Lava als
Baustein giebt der gleich wie Rom über sieben Hügel sich breitenden Stadt
einen ernsten, stellenweise düsteren Charakter.

Auf einem der Hügel, dessen nach Osten gerichteter Abhang mit dem
Sammetteppich altenglischen Grases geschmückt ist und an seinem
ebenen Fusse der Jugend von Auckland als Cricketgrund dient, steht das
palastähnliche Hospital der Provinz, und hinter diesem erhebt sich,
bedeckt mit einem prächtigen Park, ein anderer Hügel, dessen Spitze
den botanischen und zoologischen Garten sowie den Garten der New Zealand
Acclimatisation Society trägt.

Europäische Staare, Finken und Spatzen, Rehe, Fasanen und Rebhühner
werden dort nach überstandener Seereise eine Zeit lang gepflegt und dann
schubweise in Freiheit versetzt, auf dass sie sich selbständig vermehren
und das ursprünglich thierarme Land mit ihrer Nachkommenschaft bevölkern
mögen. Die Fasanen gedeihen im Norden Neuseelands bereits so gut, dass man
in den Hotels täglich und bis zum Ueberdruss damit gefüttert wird.

Die Spatzen in ihren grossen Flugkäfigen waren eben eifrig beschäftigt,
Material zum Nestbauen zusammenzutragen, wobei sie dieselbe wichtigkluge
Miene machten, wie bei uns zu Hause. Sie hatten offenbar keine Ahnung, dass
sie sich auf der südlichen Hemisphäre befanden, und dass jetzt im Juni
der Winter begann. Die Thierchen müssen hier ganz aus ihrer Zeitrechnung
kommen. In einem kleinen Gehölz von hohen Manukabäumen, einer Pflanze,
die ich bisher nur in Strauchform gesehen hatte, zirpten und jauchzten
Staare ihre Frühlingsgefühle in den lauwarmen Sonnenschein hinaus.

Die New Zealand Acclimatisation Society leistet alles Mögliche in der
Einfuhr nützlicher Thiere. Die Bienenzucht soll an vielen Orten in
bester Blüthe stehen. Sogar Hummeln werden von England aus zu Tausenden
importirt, da der Klee zur Uebertragung des befruchtenden Pollen dieser
Insekten bedarf. In vielen Flüssen tummeln sich bereits junge Lachse,
welche aus Kalifornien stammen, von wo sie als Eier bezogen worden sind
und noch immer bezogen werden. In den Verhandlungen dieser verdienstvollen
Gesellschaft las ich einst eine sonderbare Debatte, bei welcher von
einem Mitglied die Einfuhr schottischer statt kalifornischer Salmonen
befürwortet wurde trotz der beträchtlicheren Kosten, »weil diese
lebhafter seien und beim Angeln mehr Sport gewährten als jene«.

Natürlich fehlt es auch Auckland nicht an einem eleganten englischen Klub
und an einem Athenäum oder Mechanics Institute. Eines Museums war die
Stadt erst vor Kurzem theilhaftig geworden, und vor wenigen Tagen hatte
die feierliche Eröffnung desselben stattgefunden. Die ganze Bevölkerung
strömte hinein es zu besichtigen. Die ausgestellten Sammlungen waren eben
so universeller Natur wie die des Wellingtoner Museums und grossentheils
geschmackvoll arrangirt. Nur auf dem Gebiete der Kunst war das denkbar
Schrecklichste geleistet worden. Ich habe nirgends, selbst in Amerika
nicht, empörendere Versündigungen an der heiligen Antike und Klassizität
gesehen, als dort in jener Ausstellung. Möchten doch die jungen Damen,
die da die Sixtinische Madonna und die Venus von Milo gezeichnet hatten,
niemals wieder einen Stift in die Hand nehmen.

Die Maoribevölkerung der Stadt Auckland ist vielleicht etwas stärker
als jene von Wellington. Die Maoris unterscheiden sich hier von ihren
südlichen Stammesgenossen nur dadurch, dass sie nicht so allgemein Hosen
anhaben, sondern es vorziehen, die oberen Theile ihrer nackten Beine mit
dem beliebten Schal zu umgürten, was der milderen Temperatur zuzuschreiben
sein dürfte.

Auf der anderen Seite des Hafens, dem Waitemata Hotel gegenüber, zieht
sich das »Northshore« entlang, eine Art Vorstadt, grösstentheils aus
anmuthigen Villen bestehend. Dorthin fuhr ich in Gesellschaft zweier junger
Franzosen, die ich bei Tisch kennen gelernt hatte. Der eine von ihnen war
in Sedan Artillerieoffizier und Gefangener, und somit schon einmal mir
ziemlich nahe gewesen. Jetzt führte uns der Zufall im Lande der Antipoden
noch enger zusammen. Der Zweck des Ausfluges nach dem Northshore war
hauptsächlich, frische Austern direkt vom Felsen weg zu speisen. Jeder
bewaffnet mit einem tüchtigen Messer, einer Zitrone und einer Flasche
kalifornischen Weines, richteten wir eine wahre Verheerung unter den
schlüpfrigen Thieren an. Nur die zarteste Kindheit wurde geschont. Die
Mahlzeit hätte komfortabler, gewiss aber nicht heiterer sein können. Ehe
wir nach Hause zurückkehrten, bestiegen wir noch einen der vielen kleinen
Vulkane, an denen hier nirgends Mangel ist, genossen die Aussicht und
konstatirten, dass oben zwei alte Schiffskanonen lagen, der Verrottung
preisgegeben.

Dieser Tag war der letzte mit schöner Witterung. Gleich am nächsten
Morgen fing es wieder an zu regnen, und regnete fort, so lange ich noch in
Neuseeland blieb. Es war die Regenzeit, der Winter von Auckland, die ihren
Einzug gehalten hatte. Auckland hat in Bezug auf Temperatur ungefähr
dasselbe Klima wie Sizilien oder Griechenland, ist aber viel reicher
an Regen. In Invercargill, der südlichsten Stadt Neuseelands, soll man
zuweilen Schlittschuhlaufen können.

So blieb mir denn nichts übrig als meine Ausflüge auf die nächste
Umgebung und auf den unerlässlichen Besuch der Goldminen an der Themse
einzuschränken. Die Themse fliesst von Südost her in die südöstliche
sackartige Ausbuchtung des Hauraki-Golfs. An ihrer Mündung liegen rechts
die beiden Goldstädtchen Grahamstown und Shortland mit zusammen 8000
Einwohnern.

Am 20. Juni reiste ich auf dem kleinen Dampfer »Durham« dorthin ab,
durch die Güte unseres Konsuls mit Empfehlungsbriefen ausgestattet.
Kalte strömende Regengüsse wurden nur selten von kurzen launischen
Sonnenblicken unterbrochen. Die Fahrt, welche sechs lange Stunden dauerte,
bot unter solchen Verhältnissen wenig Interessantes und noch weniger
Genuss. Alles aussenbords war grau, als der Waitemata-Hafen hinter uns lag,
an dessen Eingang mitten im Wasser auf hohem Balkengerüst ein rundes Haus
steht mit einer Veranda ringsherum und einem Leuchtthurm über dem Dache,
den Wächter mit seiner Familie beherbergend. Gewiss eine so gut ventilirte
Wohnstätte, wie man sie nicht besser wünschen kann, und zugleich eine
meer- und sturmumbrauste Idylle fern vom Gewühle des Landes. Kinder
spielten auf der Veranda, ein Hund bellte unseren vorüberfahrenden Dampfer
an, und die Gattin des Wächters klopfte Kleider aus. Unten am Gerüst
hingen ein Boot und ein kürzlich erst gefangener Haifisch.

Die meisten Passagiere waren der Seekrankheit zum Opfer gefallen, als wir
endlich Grahamstown, unser Ziel, in Sicht bekamen, und zugleich der Regen
aufhörte und die Sonne durchbrach.

Am Fusse hoher Berge und dann auch weiter oben begannen einzelne Häuser
aufzutreten und umzäunte Gärten, so steil ansteigend, dass ihre
Begrenzungen wie die Vierecke eines an der Wand hängenden Planes
erschienen. Fabrikartige schwarze Gebäude und hohe Schornsteine mischten
sich unten am Ufer dazwischen. Immer kahler wurden die Bergwände
hinter ihnen, zerkratzt und zerwühlt von gieriger Menschenhand und mit
zahlreichen Löchern von unten bis oben, die ins dunkle Innere führen
-- die »Thames Goldfields« lagen vor mir, und der Dampfer stiess an die
Landungsbrücke.

Von der in Goldplätzen herrschenden Verwilderung und Lasterhaftigkeit
haben unsere Romanschreiber so haarsträubende Bilder entworfen, dass
man sich gefasst machen möchte, in ihnen nur schrecklich verthierte
Mördergestalten, die beständig nach Blut und nach Gold lechzen, durch
düstere Gassen von Lasterhöhlen schleichen zu sehen. So schlimm sah es
nun in Grahamstown nicht aus. Die Strassen machten ganz denselben soliden
Eindruck wie die der anderen Städte Neuseelands, die ich passirt hatte,
und trugen ein viel älteres und fertigeres Gepräge als der kurzen Zeit
ihrer Existenz entsprach. Wenn man bedenkt, dass im Jahre 1867 als hier
zuerst Gold entdeckt wurde, die See noch an jungfräuliche schroffe
Felsenufer schlug oder unwegsame Sümpfe überfluthete, wo jetzt eine ganz
ansehnliche Niederlassung mit ausgedehnten Maschinerien steht, muss man
alle Achtung vor der schöpferischen Kraft des Goldes bekommen.

Es war gerade eine Periode der äussersten Geschäftsstockung. Die Minen
gaben seit längerer Zeit kaum mehr Gold genug um ihre Bearbeitung
zu lohnen, und die vielen müssigen Bummler vom Typus des pfiffigen
Börsenjuden bis zu jenem des borstigen und struppigen Hinterwäldlers,
welche gruppenweise an den Ecken der sonst öden und menschenleeren
Strassen herumlungerten, aus kurzen Pfeifen rauchten, häufig spuckten und
die Hände in den Hosentaschen verbargen, waren wahrscheinlich vazirende
Goldspekulanten und Digger.

Ich logirte mich in demjenigen von den vielen Hotels ein, welches dem
Pier zunächst lag. Dann ging ich aus, meine Empfehlungen an die Managers
verschiedener Minengesellschaften abzugeben. Aber nur zwei konnte ich
anbringen, die an die Caledonia- und die an die Kuranui-Mine. Die anderen
hatten wegen Mangel an Geld ihre Buden zugeschlossen und die Arbeit für
einige Zeit eingestellt.

Der Name »Thames Goldfields« ist geeignet ganz falsche Vorstellungen
hervorzurufen. Es handelt sich durchaus nicht um eine in der Fläche
ausgebreitete Oertlichkeit. Die »Thames Goldfields« sind sehr steile,
durch schmale Querschluchten abgetheilte Bergmassen, in deren Inneres
von allen Seiten und von unten bis oben Löcher getrieben sind, welche im
Verein mit dem zerkratzten und zerwühlten Zustand der Bergwände, mit
den vielen sich kreuzenden hochbeinigen Holzbrücken und mit den vielen
Fabrikschornsteinen der ganzen Gegend einen sehr unruhigen Charakter geben.

Das Gold ist hier in dünnen Quarzadern enthalten, welche die aus einem
weichen Mergelsandstein bestehenden Berge kreuz und quer durchziehen. Hat
man eine derartige goldführende Quarzader gefunden, so verfolgt man sie
bis sie aufhört. Als ich zum ersten mal das Material sah, welches aus den
Bergen zu Tage gefördert und in grossen Haufen aufgeschüttet wird um
in die Stampfwerke zu wandern, war ich sehr überrascht über seine
Beschaffenheit. Die Quarzadern sind so dünn, dass sie als lauter kleine
Bröckel in die anklebende schmierige Masse des Muttergesteins gebettet und
von dieser eingehüllt, zu einem dicken thonartigen Brei zusammengebacken
erscheinen. Die fachmännische Bezeichnung »Dirt« entspricht seinem
Aussehen vollkommen.

Dieser Dirt wird nun durch eigene Oeffnungen in das Innere der Batterien
geschaufelt und in die Stampftröge vertheilt, wo er unter beständigem
Zufluss von Wasser so lange zerstossen wird, bis er als feiner Schlamm
durch die nadelstichgrossen Löcher des Siebes, welches die eine Seite
der Tröge bildet, entweichen kann. Dann fliesst er in kleinen schmutzigen
Bächen über geneigte mit wollenen Decken bekleidete Ebenen von 15 bis 20
Schritt Länge in ein System geräumiger Bottiche. Schmale mit Quecksilber
gefüllte Rinnen unterbrechen quer diese Ebenen, denn alles Gold wird in
der Form von Amalgam gewonnen. Die schwereren Goldtheilchen sinken in
die Rinnen und werden vom Quecksilber chemisch gefesselt, während die
Quarztheilchen abfliessen. Sollte es einem Goldtheilchen gelingen sich
durch die Rinnen zu schmuggeln, so ist es noch lange nicht vor der
Affinität des Quecksilbers gerettet. Es verfällt nur etwas später den
Umarmungen dieses nach der Paarung mit ihm lüsternen Elementes. Der
ganze Schlamm wird nochmal und zwar viel gewaltsamer mit dem Quecksilber
zusammengebracht. Man lässt ihn zuerst in den grossen Bottichen sich
absetzen, in welche von Zeit zu Zeit auch die Wollendecken der geneigten
Ebenen ausgewaschen werden. Das geklärte Wasser fliesst oben über, unten
sammeln sich alle die suspendirten Stoffe, um schliesslich in die nach
ihrem Erfinder so genannten Berdans gebracht zu werden. Unter diesen
versteht man riesige eiserne Reibschalen, die mit Wasser gefüllt sind
und auf deren Grunde abermals Quecksilber lauert. Drei grosse und schwere
Kanonenkugeln werden darin herumgerührt und pressen auf diese Weise
jegliches Theilchen in intimen Kontakt mit dem Quecksilber.

Fängt nun das Quecksilber, sowohl der Querrinnen oben als der Berdans, an
krümelig zu werden, so ist dies ein Zeichen, dass es grösstentheils zu
Amalgam geworden und nahezu mit Gold gesättigt ist. Das Quecksilber hat
seine Pflicht gethan und kann gehen, oder vielmehr es wird schnöde zum
Gehen gezwungen, indem man das Amalgam in eisernen Retorten erhitzt, bis
das Quecksilber als Dampf in die untergestellten Wassergefässe entweicht
und wieder in seinen alten goldlosen Zustand zurückkehrt, um von Neuem dem
Gold nachzustellen und in die Dienste des Menschen zu pressen.

Das in der Retorte zurückbleibende rohe Gold kommt dann auf die Bank um
durch einen feineren chemischen Prozess geläutert und von dem Silber, das
sich fast stets in seiner Begleitung findet, geschieden zu werden.

Ich kletterte, von einem Bediensteten der Caledonia-Gesellschaft, der
gerade die Runde zu machen hatte, geführt, einen halben Tag lang in den
Stollen und Schächten der Minen herum, jeder eine Stearinkerze in der
Hand. Diese sind nämlich hier das allgemein übliche, sonst nicht für
bergmännisch geltende Beleuchtungsmittel. Jeder Arbeiter, den wir auf
unseren dunklen Wanderungen einsam oder in kleinen Gesellschaften trafen,
hatte eine Stearinkerze mittels eines Lehmknollens neben sich an den Felsen
geklebt. Man pflegt hier zwei Stearinkerzen lang, das heisst sechs Stunden
täglich zu arbeiten. Die Arbeiter wurden entweder im Taglohn mit 6
Shilling bezahlt oder hatten eine Ader gepachtet und arbeiteten auf eigenes
Risiko. Es wurde gerade sehr wenig Gold gefunden, nur eben so viel als sich
verlohnte überhaupt zu graben. Deshalb waren die Stollen auch alle
offen, und die schweren Thüren mit grossen Schlössern an den Eingängen
erinnerten nur mehr an die vergangene Blüthezeit der Goldgräberei, in
welcher eine strenge Kontrole nöthig und nützlich war.

Aufwärts und abwärts, horizontal und in allen Graden der Neigung
sind Schächte und Stollen durcheinander gewühlt. Nur an den
allergefährlichsten Punkten sind Stützen angebracht, von all den
Vorsichtsmassregeln unserer europäischen Bergwerke keine Rede. Beinahe
wäre ich in einen Verbindungsschacht gefallen, der plötzlich mitten
im Wege ohne Bedeckung sich aufthat. Mein Führer schien mir Respekt vor
seinem Geschäft beibringen zu wollen und hetzte mich durch alle möglichen
Schwierigkeiten -- endlose morsche Leitern hinab, auf denen oft meterlang
die Sprossen fehlten, und der Fuss vergeblich nach einer Stütze im
ungewissen Abgrund unten herumtastete, während oben die zerbröckelnde
Erde nachstürzte, durch enge Löcher, durch die man nur auf dem Bauche
rutschend sich durchzwängen konnte, auf Schienenwegen entlang, auf denen
jeden Augenblick schwerbeladene Wagen aus dem schwarzen Inneren allein und
ohne Aufsicht gepoltert kamen und den Leib aufzuschlitzen drohten, falls
man sich nicht platt genug an die Wand drückte.

Fast alles Holzwerk in den Gängen war halbverfault. Wasser triefte von der
Decke herab, und ungemein zarte flockige Schimmelbildungen, zarter als die
zarteste Baumwolle, schmückten die Ecken. An einigen Stellen überraschte
mich ein anmuthiges Phänomen zoologischer Natur. Die Decke erschien
übersät mit Hunderten kleiner grünlich phosphoreszirender Sterne --
Glühwürmchen, die auf der Rückenseite der drei vorletzten Ringe einen
verhältnissmässig grossen länglichen Leuchtapparat trugen. Sie sassen in
kleinen schlauchförmigen Gespinnsten etwa viermal so lang wie sie selbst,
welche horizontal an den Rauhigkeiten des Gesteins befestigt waren, und
von welchen feine Fäden, mit zierlichen Thauperlen besetzt, herabhingen.
Näherte man ihnen das Licht, so fingen sie in ihren Schläuchen zu
marschiren an und retirirten nach geschützteren Winkeln. Hie und da fand
ich in alten Gespinnsten kleine todte Käfer hängen, vielleicht die Imago
jener Würmchen.

Den anderen Tag besuchte ich den 200 Meter tiefen Schacht der »United
Pumping Association« -- für den richtigen deutschen Studenten gewiss ein
Name von ausgezeichnetem Wohlklang. Das grossartige Werk dient dazu, die
im Umkreis liegenden Minen zu drainiren. Im Grunde des Schachtes als dem
tiefsten Punkt sammelt sich das Wasser des Bodens und wird durch Pumpwerke
zu Tage gefördert.

Vergebens suchten mich die Beamten von meinem Vorhaben abzubringen, indem
sie mir die schlechte Qualität der Luft, die Hitze und den Ueberfluss
an Wasser dort unten in den lebhaftesten Farben schilderten. Ihre
Vorstellungen waren auch, wie ich erfahren sollte, nicht übertrieben.

Ich steckte mich in die von Lehm starrenden Kleider eines Arbeiters, betrat
in Gesellschaft eines Aufsehers den Fahrkorb und liess mich in den dunklen
Schlund hinabsenken. Wir fuhren so rasch, dass man das unangenehme Gefühl
des Fallens empfand. Immer kleiner wurde das viereckige Licht über uns,
immer wärmer die Luft und immer stärker der dichte und gewaltsame Regen,
welcher von den mit Kalkinkrustationen überzogenen Wänden herabstürzte.
Neben uns liefen die Röhren und die aus halbmeterdicken Kauribalken
zusammengesetzten Pumpenstangen, und das Brausen von Wasserfällen
ertönte, so oft wir eines der vielen Reservoirs passirten, durch welche
das Wasser von einem zum anderen gegeben wird. Mein Führer zog mehrmals an
der Leine und stoppte die Fahrt, um mir das Werk zu erklären. Noch ehe wir
unten ankamen, waren wir innen und aussen in Schweiss und Regen gebadet.
Die drückend schwüle Luft war mit Feuchtigkeit vollständig gesättigt,
das Athmen wurde beschwerlich.

Wir hielten an unserem Ziele, der Schwebekorb stiess auf den Grund des
Schachtes. Wir stiegen aus in den schmutzigen Sumpf, welcher knietief
den Boden bedeckte. Die Beamten hatten Recht gehabt, hier unten war es
fürchterlich. Ich hatte das Gefühl zu ersticken in der unerträglichen
Hitze, nur die halbe Atmosphäre war Luft, die andere Hälfte Wasser,
welches widerlich lauwarm von allen Seiten herabschoss.

Und hier unten in diesem qualvollen Aufenthalt mühten sich sechs Menschen
um ihr tägliches Brot. Der Raum, den sie erweitern sollten, war so eng,
dass wir beide kaum mehr Platz hatten. Bis zu den Knieen im Schlamme
stehend und strömend von Wasser, heftig athmend und mit dunkelgerötheten
Gesichtern verrichteten sie schweigend ihre Arbeit. Ein aus Holz
gezimmerter Kanal führte kühlere Luft von den Ventilationsvorrichtungen
herbei. Dort das Antlitz hineinzuhalten und einige Züge zu schöpfen war
ihre einzige Erholung.

Die Ventilation wurde mittels eines Sturzbaches, der durch einen eigenen
etwa 100 Meter tiefen Schacht zerstiebend herabfiel, bewerkstelligt. Die
in einzelne Tropfen aufgelöste Wassermasse riss Lufttheilchen mit
sich, welche als ein frischer Wind in die horizontal verzweigten Kanäle
hineingestossen wurden.

Mit Freude begrüsste ich wieder das himmlische Licht, als wir dem
finsteren Schachte entstiegen, nass vom Scheitel zur Zehe. Der Kuranui
Manager hatte noch die Freundlichkeit, mir einige Goldspecimens und
statistische Notizen von seiner Mine zu schenken. Dann kehrte ich
befriedigt ins Hotel zurück.

Nachdem ich so das Wesentlichste gesehen, konnte mich bei dem ewigen Regen
und Stürmen und bei dem unwegsamen Zustand der Umgebung nichts mehr an
Grahamstown fesseln.

Als ich jedoch am nächsten Morgen wieder auf dem Durham mich einschiffen
wollte, hatte eine Sturmfluth das Pier und die unteren Theile der Stadt
überschwemmt, so dass man bis zu den Hüften im Wasser waten musste, um
die nächste trockene Strasse zu erreichen. Oben in einem Wirthshaus
fand ich den Kapitän, der durch die Ueberschwemmung von seinem Schiff
abgeschnitten war und bedenklich zweifelte, ob er bei solchem Wetter heute
noch die Rückfahrt nach Auckland wagen sollte. Zum Glück klarte der
Himmel sich auf, der Sturm legte sich etwas, die Fluth lief ab, und wir
lichteten Anker, um eine sehr ungemüthliche Reise anzutreten.

Alle die wenigen Passagiere bis auf zwei Maoridamen und mich waren nach
der ersten Viertelstunde intensiv seekrank. Der kleine Durham sprang und
schlenkerte ganz verrückt, und seine Schraube arbeitete mehr in der Luft
als im Wasser.

Die zwei Maoridamen waren aus Ohinemuri, wie mir der Steward sagte, und von
hoher Abkunft, wie ihre stark tätowirten Lippen und Kinne bewiesen.
Sie mochten etwa 40 Jahre zählen und waren dementsprechend runzelig.
Haifischzähne mit rothen Siegellacktropfen in den Ohren, Grünsteinfratzen
mit Perlmutteraugen als Amulette am Halse, falsche europäische Brasselets
und Ringe um das Handgelenk und die Finger, alte Mäntel aus Phormium, mit
rothen Troddeln und schwarzen Fransen bespickt, um die Schultern, darunter
grellrothe wollene Unterröcke und schmutzige Hemden, ungekämmtes
wallendes kohlschwarzes Haar, ohne Kopfbedeckung und baarfuss, die
Waden mit einem Muster aus kleinen Längsstricheln tätowirt -- so
repräsentirten sie den Typus vornehmer Häuptlingsfrauen vom Lande. Auch
sie husteten beständig, kein Wunder bei der herrschenden Kälte und bei
ihrer leichten Bekleidung.

Im Anfang versuchten sie, nach Pakeha-Art auf dem Sopha zu sitzen, aber sie
quälten sich nicht lange damit, sondern rutschten herab auf den Boden,
wo sie sich entschieden viel wohler fühlten, zumal als der Durham immer
heftiger zu springen begann, was ihnen keine geringe Furcht einzuflössen
schien. Als wir nach einiger Zeit unter dem Schutz einer Bergwand in
ruhigere See kamen und an das Dinner denken konnten, waren sie nicht zu
bewegen, am Tisch Platz zu nehmen. Sie blieben auf dem Boden und liessen
sich dort serviren. Sie bedienten sich übrigens der Gabeln und Messer
in geziemender Weise, und als sie fertig waren, zogen sie schmutzige
Thonpfeifen aus dem Busen und rauchten.

Nur ein einziger Ausflug wurde mir noch vom Wetter vergönnt. Der Isthmus
von Auckland ist bekanntlich eines der grossartigsten vulkanischen Gebiete
der Erde. Gleich hinter der Stadt erhebt sich ein noch ganz deutlicher
alter Vulkan, der Mount Eden. An einem trüben Sonntag, an dem es
ausnahmsweise nicht regnete, machte ich diesem meinen Besuch.

Sobald man die geschlossenen Reihen der Häuser hinter sich hat, beginnt
der Weg stetig anzusteigen, und je weiter man geht, desto ausgedehnter
wird die Fernsicht. Die Lavaschlacke bildet ein vortreffliches Material zur
Strassenbeschotterung und nur ihr verdankte ich die Möglichkeit vorwärts
zu kommen. Denn wo sie auf kurze Strecken des Weges fehlte, war der
Lehmboden zu einem beinahe unüberwindlichen Brei erweicht.

Ich war schneller oben am Rande des Kraters als ich erwartete. Das Innere
des Trichters ist jetzt ebenso wie die äussere Böschung mit europäischem
Gras bewachsen, den Grund desselben bedecken Lavablöcke. Der Berg war
ehemals ein grosser Maori-Pa und ist von seinen einstigen Bewohnern her
ringsum terrassirt. Allenthalben ist der Rasen mit Muschelbruchstücken,
den Ueberbleibseln ihrer Mahlzeiten, besät. Pferde und Kühe weiden jetzt,
wo einst stolze Häuptlinge hinter kunstvollen Befestigungen ihrer Feinde
spotteten und ihnen Wolfsgruben bereiteten, von denen einige noch erhalten
sind, falls die betreffenden Vertiefungen nicht als Kochstellen oder zu
anderweitigen physiologisch-hygienischen Zwecken gedient haben.

Das Panorama, welches sich zu Füssen des Berges entrollt, muss bei
schönem klaren Wetter zu den schönsten der Erde gehören. Nordwärts der
Haurakigolf mit den vielen Inseln und Halbinseln, über die der Rangitoto
gebieterisch hervorragt, dessen merkwürdige scharfgeschnittene Gestalt mit
den beiden symmetrisch links und rechts angefügten kleinen Vulkanen gerade
aussieht wie ein idealer Durchschnitt der verschiedenen Kegel eines Vulkans
in Hochstetters Buch über Neuseeland. Südwärts die Felsenkulissen des
Manukauhafens. In der Mitte der Isthmus mit seinen zahlreichen grossen
und kleinen isolirten und gruppirten vulkanischen Kegeln und düsteren
Lavafeldern, zwischen denen zerstreute Saatäcker sich emporzudrängen
begonnen haben. Die einzelnen Grundstücke sind mit Zyklopenmauern von
Lavablöcken eingefasst, was der Landschaft etwas Festungsartiges
verleiht. Unten an der Ostseite haben sich zahlreiche elegante Cottages mit
wohlgepflegten Gärten angesiedelt, und da wo die Strasse nach Manukau
sich hinzieht, sind mehrere Steinbrüche aufgeschlossen, aus denen dichter,
schwerer Basalt gewonnen wird.

Reiseprojekte und die Bibliothek des Mechanics Institute waren fortan
meine Hauptbeschäftigung. Ich studirte die zahlreichen Neuseeländischen
Zeitungen und fand darin manches Neue und Interessante. Auch hier in diesem
schönen Lande wird viel geschimpft. Schimpfen scheint ein natürliches
Bedürfniss des Menschen zu sein.

Vorzugsweise waren es zwei Punkte, über die es fast nie an heftigen
Artikeln fehlte, die Maoris und die Verfassung.

Wie sehr erstaunte ich zu vernehmen, dass es auf der Nordinsel Neuseelands
noch immer einen Distrikt giebt, King Country genannt, in welchem etwa
10000 Eingeborene unter einem eigenen selbstgewählten König leben und den
Weissen jeglichen Zutritt verwehren. Nach dem neuesten Zensus vom
Dezember 1875 besitzt die Kolonie, welche einen Flächenraum von 271677
Quadratkilometer (= 104900 englischen Quadratmeilen) also circa 41000
Quadratkilometer mehr als Grossbritannien ohne Irland umfasst, eine
Bevölkerung von 375800 Weissen und 45400 Maoris. Und mitten in dieser
fast vierzigfachen Majorität von Weissen darf es ein Häuflein von 10000
Eingeborenen wagen, dem britischen Banner zu trotzen! Ich fand die
King Country auf keiner Karte angegeben. Ein Beamter der Behörde
für Maoriangelegenheiten hatte die Güte, mir dieselbe in die meinige
einzuzeichnen. Sie soll etwa 1000000 Acres (= 4050 Quadratkilometer)
bedecken und liegt nordwestlich vom Tauposee. Gegen Westen ist ihre Grenze
das Meer zwischen dem Aotea-Hafen und dem Mokau-Fluss. Von diesem letzteren
geht sie beinahe parallel dem Breitengrad nach dem Tauposee, an dessen
nordwestlicher Ausbuchtung entlang bis fast zum Waikato, hierauf parallel
dem linken Ufer des Waikato bis zu seinem Mittellauf, von wo sie eine
Strecke weit von ihm selbst gebildet wird, um etwa in gleicher Breite von
Aotea wieder nach West abzubiegen. Auf der Poststrasse von Tapuaeharuru
nach Ohinemutu war ich also nur wenige Kilometer von ihr entfernt gewesen.

Tawhiao heisst der König, der dort herrscht, Te Kuite ist sein Hauptdorf.
Es sollen sich einige Europäer als Rathgeber bei ihm befinden, welche sich
förmlich zu Maoris naturalisirt haben, sich wie Maoris kleiden und wie
Maoris leben und deshalb Pakeha-Maoris genannt werden. Die während
des zehnjährigen Krieges entstandene, aus Christenthum, Judenthum und
Heidenthum zusammengemischte Maori-Staatsreligion oder »Hau Hau-Religion«
(der Ausruf »Hau hau« spielte in den Gebeten und als Kriegsgeschrei eine
hervorragende Rolle) ist von Tawhiao zur »Taraeo-Religion« modifizirt
worden.

Diese King Country nun schien den oppositionellen Blättern ein arger Dorn
im Auge zu sein, und nicht mit Unrecht, wenn folgender Passus, den ich aus
einer Neuseeländischen Korrespondenz in der Sydney Mail vom 4. März 1876
wörtlich wiedergebe, und der die ganze Litanei von Klagen am bündigsten
zusammenfasst, sich auf Wahrheit gründet, woran nicht zu zweifeln ist:
»Die Eingeborenen kennen sehr wohl die Schwäche der Regierung ihnen
gegenüber und geben sich keine Mühe, ihre Verachtung derselben zu
verbergen. Jeder eingeborene Spitzbube und Verbrecher findet stets Zuflucht
und Schutz in der King Country, und nichts desto weniger halten die
Behörden es vereinbar mit der Ehre des britischen Namens, dem Tawhiao,
unter dessen Zustimmung solches geschieht, eine halboffizielle Anerkennung
zu gewähren.« Fast jede Nummer, die ich damals in die Hand nahm, enthielt
lange Geschichten von Mördern und Räubern, welche sich den Gesetzen durch
Uebersiedlung nach der King Country entzogen hatten.

Die Duldsamkeit der Kolonialregierung ist gewiss nicht glorreich, aber
praktisch und ein Stück jener schlauen Politik, der England seine
grossen Erfolge im Kolonisiren verdankt. Mit starrem Festhalten an hohlen
Prinzipien und Schablonen würde man viel weniger weit gekommen sein. Wegen
einer geringfügigen Sache eine Menge Geld und Soldaten zu opfern, die
sie nicht werth ist, dazu sind die Engländer zu klug. Sie überlassen
die Maoris der Zeit und dem Schnapse, welche beiden Faktoren sicherer und
gründlicher mit ihnen aufräumen werden, als die Kriegskunst irgend einer
Nation in den dichten Urwäldern Neuseelands jemals vermöchte.

Was nun die Verfassung der Kolonie anbelangt, so war damals eine starke
Bewegung im Gange, die acht Provinzen mit den acht Provinzialregierungen
abzuschaffen. Der Premierminister Sir Julius Vogel, ein deutscher Jude,
stand an der Spitze derselben. Die Provinzen hatten eine ähnliche
Selbstständigkeit wie die einzelnen Staaten der nordamerikanischen
Republik, jede besass ihren Provincial Council von 20 bis 40 Mitgliedern,
welche auf je vier Jahre gewählt wurden, und eine eigene Regierung mit
dem entsprechenden Stab von Beamten. Sie alle zusammen waren dann vereinigt
unter dem Gouverneur Marquis of Normanby, dem sieben Minister und ein
zweikammeriges Parlament, dessen Oberhaus 45 vom Gouverneur auf Lebenszeit
ernannte Mitglieder und dessen Unterhaus 78 Abgeordnete zählte, nebst
einem neunten noch grösseren Stab von Beamten zur Seite standen.
Entschieden liess sich nicht leugnen, dass Neuseeland, ein Land von noch
nicht einer halben Million, auf diese Weise überregiert war. Für
die Abolition waren namentlich die durch den Maorikrieg am meisten
geschädigten und ärmeren Provinzen der Nordinsel Auckland, Taranaki,
Wellington und Hawkes Bay, weil sie bei einer Verschmelzung der Lasten nur
gewinnen konnten, gegen die Abolition agitirten jene der Südinsel Otago,
Canterbury, Marlborough und Nelson, die ihre blühende Prosperität nicht
mit den heruntergekommenen nördlichen Nachbaren theilen wollten. Es war
ein Kampf des Kommunismus im Grossen, und es tauchten bereits Stimmen auf,
dass man die ganze Kolonie lieber gleich in zwei theilen möchte.

Die Südinsel und besonders die Provinz Otago scheint eine grosse Zukunft
zu haben. Dorthin zieht sich die überwiegende Menge der Einwanderer, dort
sind Ackerbaudistrikte, in denen bereits soviel Getreide produzirt wird,
dass exportirt werden kann. Wie viele bei uns wissen etwas von Dunedin, der
Hauptstadt Otagos. Und doch ist Dunedin eine Stadt von bereits nahezu 19000
Einwohnern, die in Bälde Auckland mit seinen 21000 überflügelt haben
wird. --

Meine Südseereiseprojekte schwanden immer mehr zusammen, je mehr ich
von der Spärlichkeit und der Unsicherheit der Verbindungen kennen lernen
musste. Wer nicht über eine eigene Yacht oder über eine unbeschränkte
Anzahl von Monaten zu gebieten hat, möge darauf verzichten, in der Südsee
abseits von den Dampferlinien zu reisen.

Etwa sechsmal im Jahre ohne bestimmte Ordnung befahren von Auckland aus
Segelschiffe die Tonga- und die Samoa-Gruppe. Sie laufen je nach Wind und
Wetter und je nach den Geschäften die Inseln Tongatabu, Nemuka, Hapai,
Wawau, Haiwawa und Upolu an, um Tauschhandel mit den Eingeborenen zu
treiben, und für ihre Aexte, Messer, Baumwollenzeuge und Schmucksachen
Kokosnüsse einzunehmen. Zweimal schien mir eine derartige Gelegenheit zu
winken, aber immer wieder wurde die Abfahrt auf ungewisse Zeit verschoben.
Der Kapitän einer kleinen Brigantine aus Sydney, welche nach Tonga gehen
sollte, suchte mich zu überreden, mit ihm zu kommen und mich auf Tonga als
Arzt zu etabliren, es sei dort noch keiner vorhanden, und er habe von den
dort gebietenden Wesleyanischen Missionären den Auftrag, einen solchen zu
beschaffen. Die schwarze Gesellschaft passte mir aber nicht, wenn ich
mich auch zu einem längeren tonganischen Aufenthalt hätte entschliessen
können. Der Titel »Wesleyan« hat in der Südsee denselben Beigeschmack
wie bei uns »Jesuit«. Gerade Tongatabu soll ein Hauptnest dieser
englischen Hierokraten sein, wenn auch dem Namen nach der eingeborene King
Georges über die Tonga-Inseln regiert.

Als warnendes Beispiel, wie wenig hier zu Lande auf Versprechungen von
Schiffsgelegenheiten zu geben sei, dienten mir übrigens auch meine beiden
Franzosen im Waitemata-Hotel, welche bereits seit drei Monaten auf ein
Schiff nach Tahiti warteten, das man ihnen eben so lange in Aussicht
gestellt hatte. Erst nach zwei weiteren Monaten kamen sie wirklich fort,
wie ich zu Honolulu aus einer Auckland-Zeitung erfuhr.

Unter solchen Umständen wandte ich meine Gedanken wieder mehr den
Postdampfern zu, um ohne weitere Abenteuer nach Hause zu fahren. Neuseeland
hatte damals monatlich zwei europäische Posten, welche unbequemer Weise
fast zur selben Zeit, nur mit einigen Tagen Unterschied eintrafen und
abgingen, die eine westlich über Australien und Indien, die andere
östlich über Kalifornien. Der letztere Weg ist etwas kürzer als der
erstere, aber zugleich auch kostspieliger.



XI.

VON AUCKLAND NACH KANDAVU.

  Die Pacific Mail. Auf der City of San Francisco eingeschifft.
  Beschreibung des Dampfers und seiner Attribute. Aeusserer Glanz und
  innere Dürftigkeit. Die chinesischen Mahlzeiten. Gang der Reise und
  Wetter. Der vierte Juli. Reiseplanzweifel.


Die Postdampfer von San Francisco, welche monatlich einmal zwischen
Kalifornien einerseits und Neusüdwales und Neuseeland andererseits
verkehren, berühren als Zwischenstationen Honolulu und Kandavu.[6]

  [6]: Dies hat sich seitdem geändert. Die Postdampfer gehen jetzt
  direkt von Sydney nach Auckland und von da, ohne Kandavu zu berühren,
  direkt nach Honolulu.

In Kandavu ist ein Knotenpunkt der Linie, indem hier die beiden Zweiglinien
Neusüdwales und Neuseeland sich vereinigen. Der Dampfer von Neuseeland
trifft in Kandavu mit dem Dampfer aus Neusüdwales zusammen und übernimmt
dessen Passagiere und Post, um sofort nach San Francisco weiterzugehen,
während jener auf den zwei Tage später fälligen Dampfer von San
Francisco wartet, um dann Post und Passagiere dieses, der direkt nach
Sydney geht, für Neuseeland zu übernehmen, so dass also jeder Dampfer
auf seiner dreimonatlichen Reise den Weg San Francisco, Honolulu, Kandavu,
Sydney, Kandavu, Auckland und andere Häfen an der Ostseite Neuseelands,
Kandavu, Honolulu, San Francisco beschreibt.

Früher gab es vorübergehend eine Dampferlinie zwischen San Francisco
und Neuseeland, welche in Levuka, der Hauptstadt von Viti, anlegte. Dieser
Platz ist von der gegenwärtig auf dem Stillen Ozean herrschenden Pacific
Mail Steam Shipping Company mit der Angaloa Bay Kandavus vertauscht worden,
theils weil der letztere Hafen günstiger liegt als Levuka, theils weil die
Gesellschaft an der Angaloa Bay Landbesitz hat, den sie durch ihre Dampfer
zu heben hoffte.

Die Pacific Mail Steam Shipping Company, die ihren Schwerpunkt in der
japanesisch-chinesischen Linie hat, arbeitete damals mit fünf Schiffen auf
der weniger bedeutenden und weniger rentablen australischen Linie. Die zwei
älteren dieser Schiffe, die Zealandia und die Australia, welche in England
gebaut waren, fuhren unter englischer, die drei neuesten in Philadelphia
gebauten, die City of New York, die City of San Francisco und die City
of Sydney, unter amerikanischer Flagge. Bekanntlich dürfen ja nur solche
Fahrzeuge die Flagge der Vereinigten Staaten tragen, welche von einer Werft
der Vereinigten Staaten stammen.

Nach dem letzten Vertrag zahlten Neusüdwales und Neuseeland für die Post
eine Subvention von je 45000 Pfund Sterling. Eine gewisse Fahrzeit, die
ja nirgends besser als in den ruhigen Gewässern des Stillen Ozeans durch
Kohlenverbrauch regulirt und eingehalten werden kann, war ausbedungen. Jede
Stunde früheren Eintreffens wurde mit einer Prämie von 5 Pfund belohnt,
jede Stunde Verspätung kostete 4 Pfund Strafe.

Da ich endlich die Geduld verlor, noch länger auf Gelegenheiten nach Tonga
und Samoa zu warten, und in Neuseeland die Regenzeit immer unangenehmer
wurde, so fasste ich einen raschen Entschluss und kaufte eine Passage nach
San Francisco. Am 3. Juli ging die nächste Post dorthin, und zwar die
»City of San Francisco«. Um denn doch noch etwas von der Pazifischen
Inselwelt zu sehen, stellte ich die Bedingung, sowohl auf Kandavu als auf
Hawaii einen Monat überschlagen zu dürfen. Dies wurde mir vom Agenten
erst dann genehmigt, als ich ihm drohte, im Fall der Verweigerung mit
der anderen Linie, mit der »P. and O.« -- in solcher Weise kürzt
der praktische Engländer den etwas langstyligen Titel »Penninsular and
Oriental Mail Steamship Navigation Company« -- über Indien nach Hause zu
gehen. Hätte ich meine Passage blos von Station zu Station genommen, so
hätte mich die Reise vielleicht das Doppelte gekostet. Dank dem Fehlen
jeglicher Konkurrenz betrug der Fahrpreis blos bis Kandavu (vier Tage)
10 Pfund Sterling, und von Kandavu nach San Francisco nicht etwa 10 Pfund
weniger sondern eben so viel wie von Auckland aus, nämlich 40 Pfund
Sterling. Ausserdem hatte man nur bei der ganzen Fahrt Anspruch auf 250
Pfund Freigepäck.

Ausgerüstet mit dem theuren Ticket, dessen Rückseite die tröstliche
Versicherung gab, im Fall eines Unglücks keinerlei Entschädigung zu
gewähren und überhaupt für nichts zu stehen, schiffte ich mich also am
3. Juli ein.

Die City of San Francisco machte im Anfang einen imponirenden Eindruck. Ich
hatte eben schon lang keinen grösseren Dampfer mehr gesehen. Allerdings
reichte die kurze Zeit der vier Tage nach Kandavu hin, um mir deutlich
zu machen, dass dem äusseren Glanz und den ansehnlichen Dimensionen kein
würdiger Inhalt entsprach.

Die eine Seite des Schiffes und zwar die bessere, dem Passatwind zugekehrte
war für die Passagiere aus Sydney, welche erst in Kandavu an Bord kamen,
reservirt, und da ich nur bis Kandavu ging, hatte ich das Glück, der
einzige Bewohner dieser ganzen Seite zu werden. Mit meinem Gepäck verfuhr
man indess weniger liebenswürdig als gegen mich. Obwohl mir der Agent
erklärt hatte, ich hätte nichts mehr für dasselbe zu bezahlen, wog man
mir doch jede einzelne Kiste und oktroyirte mir, der ich vertrauensselig
genug war, diese Manipulation nicht zu überwachen, 200 Pfund Uebergewicht
und 4 Pfund Sterling Fracht dafür auf. Als ich später in Honolulu mein
Gepäck nachwog, fand ich, dass ich um mehr als die Hälfte betrogen worden
war.

Die City of San Francisco ist nicht länger und nicht breiter als manche
atlantischen Postdampfer, deren erster Anblick mich sehr enttäuschte,
nachdem ich die in unseren Blättern üblichen Schilderungen von der Pracht
und Mächtigkeit jener »schwimmenden Paläste« gelesen hatte. Es ist
schwer, ein so grosses Fahrzeug nach dem Augenmass zu beurtheilen. Die
Anordnung und die Einrichtung der verschiedenen Räume tragen viel dazu
bei, ein Schiff mehr oder minder grandios erscheinen zu lassen. Bei der
City of San Francisco nun waren diese beiden Faktoren in der günstigsten
Weise wirksam, und so kam es, dass sie der erste Dampfer war, der mir durch
seine Grössenverhältnisse imponirte. Auch an Eleganz übertraf sie meine
Erwartungen. Die einzelnen Decks zeichnen sich durch ungewöhnliche Höhe
aus, so dass in den Kabinen drei Betten oder Kojen übereinander Platz
haben. Dadurch ragt das ganze Schiff sehr hoch aus dem Wasser und
erhält so viel Obergewicht, dass es bei Windstille, des Haltes der Segel
entbehrend, fast niemals langweilig hin und her zu rollen aufhört.

Der Salon, welcher quer durch die ganze Mitte geht, und ein Theil der
Kabinen liegen im Zwischendeck, dessen Ventilation viel zu wünschen
lässt. Das Kajütsdeck ist der ganzen Länge nach zu beiden Seiten offen
und hier mit einer sehr angenehmen Gallerie versehen, welche bei schlechtem
Wetter Schutz vor Regen gewährt. Das Oberdeck trägt vorne das Häuschen
der Dampfsteuerung, dann die Kammern für den Kapitän und die vier
Offiziere, einen »Presidents Room« für besonders distinguirte Personen,
da der Präsident der Vereinigten Staaten selbst wohl nur selten in die
Lage kommen wird sich seiner zu bedienen, und hinten eine »Social Hall«
mit Piano, Divans und einer ornamentalen Treppe nach unten. Da wir nur
wenig Passagiere hatten, sah das freie und leere Oberdeck doppelt geräumig
aus. Das Rauchzimmer, dieser wichtige Raum, in dem auf deutschen und
englischen Dampfern Abends sich Alles zusammendrängt, bis niemand mehr
Platz hat, und bis man vor Rauch einander nicht mehr sehen kann, war hier
in einer sehr despektirlichen Weise behandelt. Der Raucher gilt in Amerika
als lasterhafter Mensch, und in Anbetracht dieses war es natürlich, dass
das Rauchzimmer sich gleich neben den Klosetts befand und eigentlich nur
der Vorsaal dieser nützlichen Institute war, weshalb keiner sich in ihm
aufhalten mochte.

Unser Kapitän wurde mir als eine Zelebrität aus dem letzten
amerikanischen Bürgerkriege bezeichnet, er sei damals Führer eines
südstaatlichen Kaperschiffes gewesen und habe dem Handel der Yankees viel
Schaden gethan. Der erste Offizier war ein ausgezeichneter Violinspieler,
der gern seine Künste zum Besten gab, und hatte ein etwas bierduseliges
Gesicht, so dass ich in ihm einen biederen Landsmann vermuthete, obgleich
er sonst nichts davon merken liess. Unter der übrigen Mannschaft
waren Chinesen, Neger und Polynesier vertreten. Der Barbier war ein
feingeschniegelter brauner Kanaka aus Honolulu, und im Salon bedienten
langzopfige Chinesen. Zur ordnungsmässigen Besatzung rechneten sich ferner
sieben Ochsen, etwa zwanzig Schafe und eine Menge Geflügel.

Als ich nach dem Doktor frug um mich ihm vorzustellen, fand ich in diesem
denselben Herrn wieder, der mir vor einer Stunde als Freight Clerk gezeigt
worden war, und mit dem ich mich bereits wegen des Gepäckes herumgezankt
hatte. Er vertrat aber nur die interne Medizin. Die Chirurgie oblag seinem
Vorgesetzten, dem Zahlmeister. Dieser rühmte sich Doktor von Philadelphia
zu sein und pries mir die Einträglichkeit seiner doppelten Stellung an
Bord. Solches war der »Experienced Surgeon«, dessen beruhigende Gegenwart
im Programm fettgedruckt angezeigt steht.

Eine zweite Annehmlichkeit ähnlicher Art lernte ich in der Bibliothek
kennen, und es war mein Vergnügen des ersten Abends, zu konstatiren, dass
dieselbe aus 96 Bibeln, 54 Gebetbüchern, 16 Abhandlungen über praktische
und theoretische Frömmigkeit, 22 Selbstbiographien von Pastoren und
anderen Blaustrümpfen, aus einer italienischen Reise und aus Dickens'
Martin Chuzzlewit bestand. Bis auf diese beiden entstammten die Bücher
einer Traktatgesellschaft und hatten somit für die Pacific Mail Steam
Shipping Company den unschätzbaren Vorzug, dass die »Accomplished
Library« ihr nichts kostete. Ewig dankbar dem unbekannten Spender, warf
ich mich Martin Chuzzlewit in die Arme.

Da das Essen auf Seereisen eine ansehnliche Rolle spielt, so fällt die
Qualität desselben bei der Beurtheilung eines Schiffes schwer ins Gewicht.
Leider ist auch in Betreff dieses Faktors von der City of San Francisco
nichts Rühmliches zu berichten. Die Tafel war zwar stets voll von lauter
neusilbernen Schüsseln und Schüsselchen, aber es war eigentlich selten
etwas Nennenswerthes darin zu entdecken. Ein Gericht fehlte niemals und
repräsentirte zugleich am besten den Charakter der Gesammtheit. Es bestand
aus lauter feinen Knochensplittern, die mit einer dicken schwärzlichen
Tunke überzogen waren. Ich weiss nicht, ob dieses kalifornische oder
chinesische Küche oder eine Spezialerfindung der Pacific Mail Steam
Shipping Company war. Gewiss aber ist, dass wir alle fortwährend gierig
den Tisch auf und ab blickten, und dass wir am Ende einer Mahlzeit
derselben nur sehr schwach bewusst waren. Sah man unsere rastlos und
zwecklos hin und her rennende schlitzäugige und bezopfte Dienerschaft an,
so konnte man sich nach China versetzt träumen, wo es ebenfalls
allerhand seltsamen Mischmasch von Mäusepfötchen und Regenwürmchen, von
Rattenschwänzchen und Eidechsenrippchen zu essen geben soll.

Waren auch unsere Chinesen vom Scheitel zur Zehe vollkommen echt, und
unterliessen sie es auch nie, ihre sonst spiralig zusammengerollten Zöpfe
bei Tisch galamässig in ganzer Länge herabbaumeln zu lassen, so wären
uns doch Stewards unserer eigenen Rasse viel lieber gewesen. Die Mongolen
verstanden nur wenig Englisch und besassen durchaus nicht die geringste
Neigung zur Artigkeit. Mechanisch, stumm und mürrisch thaten sie, was
ihnen vom Obersteward durch ein eigenes System von Fusstritten angedeutet
wurde. Der Kompanie war es mit den Chinesen offenbar nicht um eine
fremdartige Zierde ihres Salons, sondern nur um die grössere Billigkeit
derselben zu thun. Mit jedem Tage wurden sie unsauberer, und schon am
dritten erschien auch der Obersteward in einer schmierigen und schäbigen
gestrickten Jacke und reichte damit die Wangen der Nächstsitzenden
streifend in den Tisch herein -- ein Mangel an Anstand, der auf englischen
oder deutschen Dampfern unmöglich gewesen wäre. Dabei reduzirte sich der
Inhalt der vielen Schüsseln und Schüsselchen immer mehr.

Die Ankunft in Viti unterbrach für mich diese absteigende Progression und
entzog mir das Ende und Resultat derselben, welches wahrscheinlich auf
ein Indignation Meeting der Passagiere und einige Schmähartikel in
Australischen Zeitungen ohne besondere Wirkung, wie ich deren schon viele
gelesen, hinauslief.

Wir hatten, so lange wir im Bereich von Neuseeland waren, trübes und
regnerisches Wetter, und eine Menge Kaptauben, viel mehr als ich je in der
Nähe des Kaps gesehen, begleitete unsere Spur. Auch einzelne Albatrosse
der kleineren Art liessen sich hie und da blicken. Am zweiten Tag waren
beide verschwunden. Der Himmel hatte sich aufgeheitert, schnurgerad stieg
der schwarze Qualm des Schornsteins empor, es wurde warm und ich musste
die winterliche Kleidung gegen eine leichtere sich der tropischen nähernde
vertauschen.

Es war der 4. Juli, der Hauptfesttag und zugleich hundertjährige
Geburtstag der Vereinigten Staaten. Heute wurde zu Philadelphia die grosse
Weltausstellung eröffnet, genau genommen eigentlich 16 Stunden später
als unserer Zeit entsprach. Vier grosse Sternenbanner wehten von den drei
Masten und von der Gaffel. Die zwei ansehnlichen Geschütze des Schiffes
begrüssten das Aufsteigen derselben am Morgen und das Niedersteigen am
Abend mit einem donnernden Salut, und der Kapitän trank bei Tisch eine
Flasche Wein mit seinen Offizieren. Die Passagiere verhielten sich ziemlich
passiv, da kein einziger Amerikaner sich unter ihnen befand, und es wurde
nicht eine einzige Rede gehalten.

Wir fuhren direkt nach Norden. Die am Wege liegenden Kermandec Inseln
passirten wir westlich davon ohne sie in Sicht zu bekommen.

Ich sollte nun einen Monat auf Viti zubringen, und war noch sehr im
Unklaren über meinen Reiseplan. Länger als die Zeit bis zur nächsten
Post durfte ich nicht bleiben, und ich kannte bereits die Unsicherheit
und Langwierigkeit der Verbindungen in der Südsee von den in Neuseeland
gemachten Erfahrungen her. Wollte ich die Hauptstadt von Viti, Levuka,
besuchen, so musste ich von den dreissig Tagen mindestens zwei für die
Fahrt von Kandavu hin und zurück auf einem erbärmlichen Zwischendampfer
verwenden, es konnten aber auch vier und mehr werden. Und war ich in
Levuka, so war ich auf der ganz kleinen Insel Ovalau, von wo aus nur sehr
zweifelhafte Gelegenheiten nach Vitilevu durch Segelfahrzeuge bestanden.
Sollte es dem Wetter einfallen mir ungünstig zu sein, so konnte ich meine
ganze Zeit auf See statt auf Land zubringen.

Mit uns war der Lootse für Kandavu an Bord, der damals zugleich auch
für die Neuseeländischen Häfen lootste und deshalb beständig auf den
Dampfern hin- und herfuhr. Er behauptete Viti vollständig zu kennen,
und an ihn wendete ich mich zunächst mit meinen Zweifeln. Er rieth mir
dringend ab, nach Levuka oder gar nach Vitilevu zu gehen, ich würde sonst
höchst wahrscheinlich meine Passage verlieren, da es kaum möglich sei,
innerhalb eines Monats wieder in Kandavu einzutreffen. Vielleicht hatte
er Recht und sagte die Wahrheit, vielleicht war er an dem Hotel in Kandavu
betheiligt. Im Widerspruch mit ihm riethen mir einige Mitpassagiere aus
Levuka, die dorthin zurückkehrten ebenso dringend, ich sollte mit ihnen
kommen und nicht auf Kandavu bleiben »O auf Kandavu ist nichts los, da
werden Sie sich höchstens langweilen und nichts zu essen und nichts zu
trinken bekommen«. Jetzt glaube ich annehmen zu dürfen, dass sie hierbei
nur an ihre Schnapskneipen in Levuka dachten.



XII.

WAILEVU.

  Allgemeines über Viti. Ankunft in Kandavu. Herrn Kleinschmidt kennen
  gelernt. Gepäckschwierigkeiten. Meine ersten echten Wilden. Das Hotel
  von Wailevu und seine Eigenthümlichkeiten. Drei junge Flibustier mit
  trüben Aussichten. Eine interessante Tischgesellschaft. Besuch beim
  Doktor. Kawa-Gelage. Zauberhafte Tropennacht.


Nach nicht ganz vier Tagen hatten wir die neunzehn Breitengrade oder 1140
Seemeilen zwischen Auckland und Kandavu zurückgelegt, und wir waren in
Viti.

Die Viti- oder, wie man gebräuchlicher, aber weniger richtig sagt,
Fidschi-Gruppe, die ausgedehnteste der Südsee, besteht aus über
200 Inseln.[7] Diese Inseln, deren Gesammtflächeninhalt von 20807
Quadratkilometer ungefähr dem des Königreichs Würtemberg (19504
Quadratkilometer) gleichkommt, lassen sich in mnemotechnischer Rücksicht
eintheilen in zwei von erster Grösse, Vitilevu und Vanualevu, zwei von
zweiter Grösse, Tawiuni und Kandavu, und eine Menge kleinerer dritter
Grösse bis zu wasserlosen und deshalb unbewohnten Felsen herab. Die
Bevölkerung wird nach der letzten Schätzung zu 118000 Eingeborenen und
1500 Weissen angegeben. Davon sollen auf Kandavu etwa 5000 Eingeborene und
50 Weisse treffen.

  [7]: Der offizielle englische Name der Kolonie ist »Fiji«, mit dem
  Akzent auf der letzten Silbe. Unsere deutschen Geographen schreiben
  überwiegend »Viti«. Die Eingeborenen selbst nennen sich »Kai Viti«
  (Kai = Mann), mit dem Akzent auf der vorletzten wie überhaupt bei
  fast allen polynesischen Wörtern. Auch für die Vitisprache gilt die
  italienische Vokalisation.

Die Regierungshauptstadt Levuka liegt auf einer Insel dritter Grösse, auf
Ovalau. Viti ist die jüngste englische Kolonie. Erst vor vier Jahren, am
21. März 1874, haben die Engländer auf Antrag des eingeborenen Königs
Thakombau, dem die begonnene moderne konstitutionelle Regierung mit
seinen weissen Unterthanen nicht mehr recht gelingen wollte, sie in Besitz
genommen. Die Viti-Inseln sind auch noch dadurch interessant, dass unter
allen bisher bekannten Menschen der Erde gerade die Viti-Insulaner ehemals
am meisten dem Kannibalismus fröhnten.

Als ich am 7. Juli Morgens aufwachte, ging die Maschine bereits langsamer.
Ich sprang ans Fenster. Die dunklen Umrisse hoher Berge lagen vor uns im
Dämmerlicht, und hie und da brandete die See in weissen Schaumlinien über
Korallenriffen.

Trotz der frühen Stunde und trotz des Regens waren bald die meisten
Passagiere auf Deck, und auch draussen auf dem Wasser wurde es lebhaft, als
wir in die Angaloa Bai einfuhren. Der Dampfer von Sydney, die »City of New
York« hatte sich bereits auf dem Ankerplatz eingefunden, und hinter uns
drein kam mit einer in diesen Breiten geradezu erstaunlichen Pünktlichkeit
der kleine »Star of the South«, welcher die Post von Levuka brachte, und
entwickelte eine so mächtige Rauchsäule, dass wir ihn anfangs für den
grossen erst in zwei Tagen fälligen Dampfer von Amerika hielten. Aus allen
Ecken erschienen beflaggte Segel- und Ruderböte europäischer Konstruktion
und Segel- und Ruderkanuus von Vitibauart, und nackte braune Menschen
sassen in ihnen. Eine Dampfbarkasse mit den fliegenden Farben der Pacific
Mail Steam Shipping Company fuhr kreuz und quer durch die kleine Flottille,
scheinbar ohne anderen Zweck als das Durcheinander zu vermehren und die
Wirkung des belebten Bildes zu erhöhen. Von den Hügeln, welche mit einer
eigenthümlichen, unschön grellgrünen Vegetation bedeckt waren, wie auf
schlechten Aquarellen, begannen Palmen zu winken, und auch unten am Ufer
tauchten Palmenhaine auf und zwischen ihnen die niedrigen Strohhütten
eines Vitidorfes.

Kaum war der Anker hinabgerasselt und die Falltreppe niedergelassen als
Dutzende von Fahrzeugen sich an unsere Seite legten. Der Regierungsdoktor
kam in seinem Boot, an dessen Stern die blaue Flagge des englischen
Zivildienstes flatterte, mit sechs Insulanern, deren frischgewaschene
weisse Turbans geschmackvoll von dem satten, glänzenden Braun ihrer
muskulösen Körper sich abhob, herangerudert und frug, ob Alles an Bord
gesund sei. Agenten und Kaufleute stiegen herauf, und Eingeborene boten von
ihren Kanuus aus Früchte, Muscheln und alte Kannibalenwaffen feil.

Rings ums Schiff wimmelte es von den seltsamen Gestalten der Südseekanuus
mit ihren Auslegern, die sich so gebrechlich ansehen und so gut segeln.
Die See ging ziemlich hoch, schlug sie voll Wasser, warf eines gegen das
andere, und verwickelte die dünnen, zusammengebundenen Holzgerüste der
Ausleger. Heftiges Geschrei flog hin und her, Körbe mit Früchten wurden
über Bord geschwemmt und trieben hinweg, und zwei der Kanuus kenterten,
so dass ihre braunen Insassen ins Wasser fielen, woraus sie sich aber viel
weniger machten, als aus dem Verluste einiger hundert Apfelsinen, welche
ihren ganzen Handelsvorrath bildeten und nun von der Ebbe entführt über
die hüpfenden Wellen sich ausbreiteten.

In einem Kanuu befanden sich zwei Frauenzimmer, ebenso wie die Männer kurz
geschoren, mit weiter nichts als einem Stück Tuch um die Lenden bekleidet
und blos durch ihre vollen Brüste als solche erkennbar. Sie zogen die
Aufmerksamkeit unserer Passagiere in nicht geringem Grade auf sich, nicht
allein der männlichen, sondern auch der weiblichen, deren Mienen ausser
der allgemein weiblichen Neugierde etwas wie Eifersucht und Neid über
diese privilegirte Zurschaustellung verriethen trotz des affektirten
verächtlichen Naserümpfens.

Ich war noch immer unentschlossen, wohin ich mich wenden, ob ich nach
Levuka fahren oder dem Rathe des Lootsen folgen und auf Kandavu bleiben
sollte, als ich allen Zweifeln hierüber durch meinen guten Stern sehr
angenehm entrissen wurde, indem er mir, eben im Begriff, den Dampfer zu
verlassen, einen deutschen Landsmann und Naturforscher zuführte. Herr
Kleinschmidt, der als wissenschaftlicher Reisender des Museum Godeffroy in
Hamburg sich eben zum Zweck zoologischen Sammelns auf Kandavu aufhielt, kam
an Bord des Dampfers, wurde mir vorgestellt und hatte die Güte, mir seine
Führung auf gemeinschaftlich zu unternehmenden Streifzügen anzubieten,
was ich natürlich mit dem grössten Dank annahm. Ich weiss wahrhaftig
nicht, wie ich ohne Herrn Kleinschmidt, der, seit mehreren Jahren in Viti,
Land und Leute kannte und der Vitisprache vollständig mächtig war,
mit den Insulanern zurecht gekommen wäre, die fast kein Wort Englisch
verstehen und sehr geneigt zu sein scheinen, den ihrer Sprache unkundigen
Fremdling an der Nase herumzuführen. Ich beschloss also, auf Kandavu zu
bleiben und habe es nicht bereut.

Es galt zunächst, mein Gepäck an Land zu schaffen. Ein Boot war bald zur
Hand. Aber das Gepäck zu erhalten war nicht so leicht. Es stand unten
im Zwischendeck, und um es herauszubekommen, musste eine Pforte in der
Schiffswand geöffnet werden. Von Pontius zu Pilatus geschickt, hier mit
einem Grobian einige scharfe Worte wechselnd, dort von einem Lümmel auf
meine bescheidene Anfrage ohne Antwort gelassen, fand ich endlich jenen
dritten oder vierten Offizier, der hiezu allein berechtigt war, und bei
dem ich auf weniger Widerstand stiess, als ich erwartet hatte. Die schweren
eisernen Barrieren der Pforte wurden losgeschraubt, aber als sie offen war,
war das Boot nicht da. Nochmals drängte ich mich durch Gänge und über
Treppen, über Treppen und durch Gänge nach dem Deck, das Boot zu suchen
und herüberzubeordern, und als es an Ort und Stelle war, war die Pforte
wieder zugeschraubt und der betreffende Offizier weg, weiss Gott wo.

Das Wetter hatte sich vorübergehend aufgeklärt, die Sonne brannte
glühend heiss herab, von der Stirne rieselte der Schweiss. In der Maschine
rasselten die Ketten, an denen die Asche aus dem Feuerraum gehisst wurde,
Matrosen und Heizer, lauter Chinesen, Eingeborene und Passagiere rannten
durcheinander. Geschrei von allen Seiten, chinesisch und viti, englisch,
deutsch und französisch. An allen Eingängen verrammelten Ladies die
Passage, waren nur nach mehrmaligen, unterthänigsten Bitten zu bewegen,
sie freizugeben und setzten die Kourtoisie auf eine harte Probe. Unter
solchen Annehmlichkeiten verging über eine Stunde, ehe ich mit meiner
Habe im Boot und bald darauf trotz der bewegten See glücklich und ohne
nennenswerthe Havarie gelandet war.

Wailevu, das »grosse Wasser« heisst das Dorf, welches dem Ankerplatz
gegenüberliegt und so zum Verkehrsmittelpunkt und zur Hauptstadt
der ganzen Insel geworden ist. Ein erst kürzlich entstandenes Hotel,
einstöckig, vier Fenster breit und mit Veranda oben und unten nach der
Seeseite zu, ist das hervorragendste und zugleich einzige, aus Holz und
europäisch gebaute Haus. Sonst sieht man nur Hütten aus Palmblättern,
Schilf oder Laub, von denen drei oder vier aussen mit Kalk beworfen sind,
und selbst der oberste Beamte und der Regierungsarzt wohnen nur in solchen.
Etwa zwölf Hütten sind von Weissen bewohnt, alles Uebrige ist eingeborene
Bevölkerung.

Wailevu war voll von den Passagieren der Dampfer, nicht wenig geputzte,
kokettirende und die muskulösen Insulaner belorgnettirende Damen waren
darunter. Was aber kümmerten mich jetzt diese Blassgesichter, mich, der
ich jetzt zum ersten mal unter wirklichen Wilden wandeln durfte, und dem
es wie ein Traum vorkam, die Figuren aus den Bilderbüchern der Kindheit
verkörpert und leibhaftig vor sich zu sehen. Wie interessant war mir
Alles, was sie thaten und an sich trugen.

Hier kauerte ein Dutzend Männer, die Mannschaft eines Bootes, welches
gerade beschäftigungslos war, in einer Reihe am Strande, blos mit den
Fusssohlen den Boden berührend, während das Gesäss freischwebte, eine
Stellung, die ihnen eben so bequem zu sein schien, als sie dem Europäer
schwierig und ermüdend wäre. Dort stand ein Anderer, frierend in seiner
Kostümlosigkeit -- denn wir hatten nur 20 Zentigrade -- und klapperte mit
den Zähnen und sah so blau aus, dass ich dachte, der arme Mensch hätte
einen Fieberanfall, bis mich Herr Kleinschmidt eines Besseren belehrte.
Zwei bunte Muscheln hielt er in einer Hand und bot sie den Vorübergehenden
zum Kaufe an. Als ich ihn Abends wieder sah, hatte er seine zwei Muscheln
noch immer nicht angebracht und klapperte noch immer mit den Zähnen. Er
war jedenfalls ein aussergewöhnlicher Pechvogel. Denn im Allgemeinen war
die Nachfrage nach Muscheln seitens der Fremden, die ein Andenken mitnehmen
wollten, sehr gross, und für die gemeinsten Schneckengehäuse, die man
nur vom Strande aufzulesen brauchte, wurden die unverschämtesten
Preise verlangt und bezahlt. Selbst auf die Herstellung richtiger
»Exportartikel« waren die schlauen Insulaner schon gekommen. Man sah
da Bogen, Pfeile und Lanzen, ganz deutlich eben erst flüchtig
zurechtgeschnitzt und ohne jeglichen ethnographischen Werth, aber sie
wurden gekauft. Nur an Keulen der verschiedensten Formen waren viele echte
und alte zu haben.

Es waren lauter schöne, starke, malerische Gestalten, die ich hier sah.
Und blieb auch bei den Meisten der Gesichtsausdruck in der Ruhe, wenn sie
gerade gedankenlos vor sich hinstarrten und dabei häufig das Maul
offen stehen liessen, weit hinter den Anforderungen europäischer
Schönheitsbegriffe zurück, so wirkte die Lebhaftigkeit ihrer Züge, das
Blitzen der dunklen Augen und der Glanz ihrer weissen Zähne, das Wilde und
Natürliche in ihrem ganzen Wesen, wenn sie sprachen und lachten, nur um
so angenehmer und anziehender. Namentlich bei den Weibern, von denen in der
Bewegung keine absolut hässlich zu nennen war. Doch liessen sich von dem
zarteren Geschlecht nur wenige Vertreterinnen blicken. Es trieben sich fast
nur Männer auf dem Strande herum.

Alle möglichen Schmucksachen hingen an den braunen Burschen. Ringe, aus
grossen Schnecken geschliffen, umspannten die Handgelenke, kreisförmig
in sich zurückgebogene Hirscheberzähne, weither von westlicheren
Inselgruppen als Handelsartikel gebracht, hingen ihnen an Bändern um den
Hals, wie unsere höheren Orden, ebenso mehrfache Schnüre von kleinsten
farbigen Glasperlen, zu geschmackvollen mannigfaltigen Mustern gereiht
und vorne wie eine Kravatte in zierlichen Knoten mit herabfallenden Enden
geschürzt. Viele trugen ein Tuch turbanartig um die Stirne gebunden,
welches ihnen bei dem Mangel an Kleidungsstücken als Tasche zur
Aufbewahrung der erlösten Geldstücke diente. Ihren Tabak aber trugen sie,
gleichwie die Maoris auf Neuseeland, in den durchbohrten Ohrläppchen.

Es war erstaunlich zu sehen, welcher Ausdehnung dieses Anhängsel des
menschlichen Hauptes fähig ist. Bei einzelnen war es durch allmälige
Erweiterung des Loches zu förmlichen Schlingen umgebildet, welche bis zu
den Schultern herabhingen, gross genug, um die fünf Fingerspitzen mehr
als drei Zentimeter weit durchzustecken. Zur Herstellung dieser nützlichen
Monstrositäten werden wahrscheinlich die Säume der Ohren der halben
Länge nach aufgeschlitzt und durch Holzklötzchen an der Wiederverheilung
gehindert. Die in den so entstandenen Schlingen getragenen Gegenstände,
also vornehmlich ein paar Strünke Tabaksblätter oder auch vielleicht eine
Thonpfeife weiten durch ihre Schwere sie immer mehr aus.

Pfeifen sind zwar im Allgemeinen bei den Vitis nicht üblich. Sie rauchen
meistens die »Suluka«, eine Zigarette, die sie sich aus einem mittels
der Nägel zugeknipsten viereckigen Stück trockenen Bananenblattes und aus
zerzupftem Tabak wickeln. »Sulu« heisst der klafterlange Kalikofetzen,
den sie um die Hüften wickeln, und diese ihre Bekleidung und die Zigarette
scheinen somit in einem ethymologischen Zusammenhang zu stehen.

Doch entbehrten auch die grossen Ohrläppchen nicht des Schmuckes.
Blechstückchen, Metallknöpfe, Draht, kurz was sie nur immer aufgabeln
konnten, hingen an denselben, einer hatte einen ganz gemeinen Uhrschlüssel
mit einem schwarzen Faden daran baumelnd befestigt. Einige, die keinen
Tabak besassen, hatten die Leere ihrer Ohrläppchen durch zierlich
geringelte Hobelspäne aus der Werkstatt des weissen Zimmermanns zu
verbergen gewusst. Hobelspäne staken auch in den Turbans des einen oder
anderen und starrten korkzieherlockenartig von den Schläfen herab. Andere
hatten Blätterguirlanden vorgezogen, welche zugleich kühlend die Stirne
beschatteten.

Ein junger Mann fiel mir auf durch gemessenes ernstes Benehmen. An seinem
linken Oberarm glänzte eine schmale weisse Binde, seine Uniform, wie mir
Herr Kleinschmidt sagte. Er war Polizeidiener, die Binde das Zeichen seiner
Amtswürde.

Was mich jedoch gleich zuerst und am meisten überraschte, das war die
Farbe der Haare. Für solche dunkle Menschenkinder passten eigentlich nur
schwarze Haare. Fast alle aber hatten braune, mehrere braunrothe, einige
wenige sogar in ein goldenes Blond hinüberspielende fuchsfeuerrothe
Perrücken, was als Krönung der schokoladefarbenen, bronzeglänzenden
Körper seltsam und nicht unmalerisch aussieht, die Folge eines
kosmetischen Verfahrens, dem sie sich theils aus Mode, theils zur
Vertilgung des Ungeziefers unterziehen, und welchem ich später beizuwohnen
Gelegenheit erhalten sollte. Sie beschmieren sich den Kopf von Zeit zu
Zeit mit Kalkbrei, und an manchen gerade nicht sehr reinlich gehaltenen
Koiffüren konnte ich noch deutlich die Spuren der letzten derartigen
Prozedur an puderigen und bröckeligen Ueberresten erkennen.

Eine andere in die Augen springende Eigenthümlichkeit war die Häufigkeit
der Narben. Ich sah kaum einen der nackten Körper ohne solche, bei Alt
und Jung und bei beiden Geschlechtern. Sie waren alle von der Grösse
einer Bohne, etwas oblong und rundlich erhaben und konnten wohl nur durch
fortgesetzte Misshandlung kleiner Wunden entstanden sein. Wie ich noch
öfter beobachtete, pflegen die Vitis zufällig erhaltene Verletzungen auf
ziemlich grausame Weise zu schneiden und zu brennen, theils aus Bravour,
theils um sie in dieser Art chirurgisch zu behandeln. Auf manchem Rücken
bemerkte ich ferner beiderseits einfache oder doppelte Reihen regelmässig
in Abständen von Fingersbreite angeordnete Narben, welche wie die
Rückennähte unserer Ulanen, doch mehr gerade, nicht eben so geschwungen,
vom Kreuz nach den Schultern verliefen. Sollte dies blos eine Zierde sein,
oder war es die Folge therapeutischer, nebenbei auch das ästhetische
Moment berücksichtigender Eingriffe, ähnlich unserem Schröpfen oder
Moxensetzen?

An den wenigen Ausnahmen von der allgemeinen Nacktheit waren verschiedene
Grade europäischer Bekleidung zu würdigen bis zu dem höchsten hinauf,
der im Vorhandensein eines Hutes und einer Hose gipfelte. Nur Stiefel waren
an keinem der Insulaner zu entdecken und schienen auch bei den Weissen
Seltenheiten zu sein, da der nächste Schuster in Levuka, eine zweitägige
Seereise entfernt, wohnte.

Hinter einem mit Brotfruchtbäumen, Bananen und Farngestrüpp besetzten
Hügel fliesst ein klares Bächlein von den Bergen herab, das von
Süsswasserschnecken wimmelt, und dessen Lockungen ich nicht widerstehen
konnte, nach mehrtägiger Entbehrung wieder ein Süsswasserbad zu nehmen.
Etwas unterhalb, hinter dem nächsten Gebüsch waren einige Weiber
mit Waschen beschäftigt. Sie bearbeiteten europäische Hemden mit
europäischer Seife, wahrscheinlich für die Offiziere der Schiffe,
schlugen sie mit Steinen auf den glatten Felsblöcken, hingen sie an
einer quer über den Bach gespannten Liane zum Trocknen auf, klatschten,
kreischten und lachten. Ganz wie bei uns.

In Wailevu selbst wars ungemüthlich. Immer mehr Passagiere strömten nach
dem Lunch an Land und liessen sich huckepack von den Vitis aus den Böten
aufs Trockene tragen. Haufenweise drängten sich die Insulaner zu diesem
Dienst heran, um ein paar Pence zu verdienen und rissen sich um die
manchmal nicht ganz leichten Bürden. Manche etwas zu üppig geformte Lady
sträubte sich zwar ein wenig gegen diesen würdelosen Ritt vor aller
Augen auf den braunen Burschen, die keine Idee von europäischer Zartheit
besassen. Aber was halfs. Verlegen erröthend schlugen sie sich seitwärts,
so wie sie abgesetzt waren.

Weiter innen im Dorfe unter den Palmen kicherte ein Rudel nackter Mädchen
über zwei junge unternehmende Engländer, deren Galanterien ihnen sehr
komisch vorkommen mussten. Kreischend stoben sie auseinander, so wie der
eine etwas zudringlicher wurde und mit der Hand nach ihnen haschte, hinter
den Palmstämmen stehen bleibend und zu neuen fruchtlosen Verfolgungen
reizend. Die blonden Jünglinge hatten kein Glück. Eine andere
Gesellschaft, die mit Revolvern durch Patronenvergeudung zu imponiren
suchte, erfreute sich grösserer Erfolge. Der ganze Janhagel von Mädchen,
Jungen und Kindern des Dorfes wandte sich dem Schiessvergnügen zu,
ängstlich die Ohren zuhaltend, wenn es knallen sollte, bis ein hinkender
alter Kerl erschien und unwirsch die ganze junge Weiblichkeit fort und in
ihre Hütten zurückjagte.

Es war mir eine grosse Genugthuung, als endlich die »City of San
Francisco« den Blue Peter hisste und mit der Dampfpfeife brüllte zum
Zeichen, dass die Passagiere an Bord kommen sollten, um die Reise nach
Osten fortzusetzen. Auf Grund des projektirten Aufenthaltes erblickte ich
in dem Gesindel der Blassgesichter nur unberechtigte Eindringlinge in meine
Domäne. Blos die wenigen Passagiere aus Levuka, die mit dem »Star of the
South« gekommen waren, der erst nach Eintreffen des Dampfers aus Amerika
zurückkehren sollte, blieben in Kandavu. Auch die »City of New-York«
blieb, um auf jene zu warten, hatte aber keine Passagiere.

An dem Hotel, welches innen lange nicht so zivilisirt aussah als
aussen, und dessen Abtheilungen rohe Bretter bildeten, schien mir
die hervorragendste Eigenthümlichkeit zu sein, dass die Gäste fast
fortwährend betrunken waren. Doch glaube ich nach Allem, was ich gehört,
schliessen zu dürfen, dass der Alkoholismus nicht nur hier, sondern ebenso
in Levuka und auf Viti überhaupt in allen Plätzen wo Alkohol zu haben
ist, den Genius loci repräsentirt, dem auch ich mich nicht völlig
entziehen konnte.

Um meinen Aufenthalt gehörig auszunutzen und möglichst viel zu sehen,
musste ich Bekanntschaften machen, und um Bekanntschaften zu machen, musste
ich trinken. Jeder Neuvorgestellte treatete mich und ich treatete ihn, und
somit kostete mir jeder die Vertilgung mindestens zweier Schnäpse. Unter
anderen lernte ich in dem englischen Polizeisergeanten des Ortes einen
ehemaligen Bonner Studenten mit etlichen Schmissen und zwei Landsleute
kennen, die ihre Muttersprache vergessen hatten und als abgehauste Pflanzer
in irgend einem abgelegenen Winkel der Insel seit mehr als dreissig Jahren
mit eingeborenen Weibern zusammen lebten. Sie sprachen ein nothdürftiges
Seemannsenglisch, dagegen ausgezeichnet Viti.

Als lehrreiche Gegenstücke zu diesen zwei interessanten Halbwilden waren
mit dem Dampfer von Sydney drei junge Deutsche gekommen, welche die Absicht
hatten, ebenfalls Pflanzer zu werden. Anfangs- und Endstadium eines und
desselben Lebenslaufes standen hier nebeneinander.

Die Drei waren die echtesten Grünhörner, die man sich denken kann und
ausstaffirt wie zu einem romantischen Flibustierzug. Kein Englisch,
keine Idee von der Welt, die ausserhalb des Horizonts ihres preussischen
Städtchens lag, aber zwei grosse Neufundländer Hunde hinter sich,
Hirschfänger an der Seite, im Gürtel Messer und Revolver, Kanonenstiefel
und Flinten, und was das Schlimmste war, sehr wenig Geld in der Tasche,
so hofften sie in dem tropischen Lande Reichthümer zu erobern. Sie sahen
trotz aller Bewaffnung ziemlich harmlos und ungefährlich aus, und ihre
bebrillten Nasen und friedfertigen Gesichter passten mehr in den Typus
von deutschen Schullehrern als von kühnen Abenteurern. Sie konnten keine
unglücklichere Zeit für ihre Absicht gewählt haben, und Alles gab ihnen
den Rath mit der ersten Gelegenheit sofort wieder wegzugehen. Die Regierung
hatte auf unbestimmte Zeit alle Landkäufe sistirt, weil eine Menge
Unregelmässigkeiten früheren Datums noch zu schlichten waren, es
fehlte an Arbeitern, kein Mensch hatte Geld. Aber sie liessen sich nicht
abbringen. Möge es ihnen besser gehen als sie verdienen. Die beiden
verwilderten Landsleute nahmen sich ihrer gastfreundlich an.

Soweit nach den in Wailevu und auch später allenthalben auf Kandavu
gehörten Aeusserungen zu urtheilen war, schien die ganze Kolonie bankerott
zu sein und grosse Unzufriedenheit mit dem neuen Gouverneur, Sir A. H.
Gordon, und dessen Regierungssystem zu herrschen. Schon in Neuseeland hatte
ich vielfach Klagen über ihn gelesen. Man erzählte mir, dass er als hoher
Aristokrat die eingeborenen Häuptlinge zu sehr bevorzuge, und dass ihm bei
dem höchst schwierigen Streben, die alten angestammten Verhältnisse der
Insulaner mit den importirten europäischen Staatsformen in Einklang zu
bringen, der komische Fehler passirt sei, in den Parlamentsakten, welche
englisch und viti gedruckt werden, den Begriff »Kommoners«, worunter alle
nichtadeligen, also auch weissen Bürger zu verstehen sind, mit »Kai si«,
dem verächtlichen Ausdruck für »Sklaven«, zu übersetzen.

Ich begann meine Akklimatisation damit, dass ich vor Allem den gesteiften
Hemdkragen ablegte. Dem Hemdkragen folgten bald in schleuniger Stufenfolge
die anderen Artikel europäischer Uebertünchtheit bis auf Hut, Wollenhemd
und Leinenhose.

Sonst hätte ich auch zu sehr von den Tischgenossen, die fast alle barfuss
und mit entblössten Armen und entblösster Brust da sassen, abgestochen.
Der Kellner war ein nackter Insulaner, welchen eine eingeborene Magd in
seinem Dienste unterstützte. An dieser ungeschlachten stämmigen Hebe
lernte ich zuerst den sogenannten »Pinafore«, ein loses Busenhemdchen,
weches die Brüste verhüllt, die Erfindung der frommen Missionäre,
schätzen. Mit dem Pinafore und dem enganliegenden bis zu den Knieen
reichenden Sulu konnte ein Kurzsichtiger sie von ferne für eine
Altenburger Bauerndirne halten.

Die Tischgesellschaft im Hotel war aus sämmtlichen Himmelsstrichen
zusammengewürfelt. Der Stamm hatte sich zu gleichen Theilen aus England
und aus Deutschland rekrutirt. Die Uebrigen waren ein amerikanischer Neger,
ein Chinese, ein Mexikaner, in dessen Adern mehr indianisches, als weisses
Blut fliessen mochte, ein Norweger und ein Italiener. Letztere drei nannten
sich »verunglückte Seeleute«, ohne dass die Art ihres Verunglückens
genauer festgestellt werden konnte. Ziemlich sicher waren sie zu jener im
Pazifischen Ozean so zahlreichen Klasse zu rechnen, welche man Auswurf der
Menschheit zu nennen pflegt.

Für den Augenblick war das Wichtigste an ihnen, dass sie kein Geld hatten,
um ihren Rausch zu bezahlen, weshalb der Wirth sie noch in der Nacht
aus dem Hause schmiss. Der Rausch des Norwegers gehörte, der sinnigen
Intuitivität germanischer Rasse entsprechend, zur Art des stillen, nur
unverständlich murmelnden Insichversunkenseins, der Italiener und der
Mexikaner litten an der schwatzhaften Spezies. Der Italiener behauptete,
ich müsse ein Franzose sein, der Mexikaner betheuerte, ich hätte
eine fabelhafte Aehnlichkeit mit Bismarck. Durch solche unheimliche
Schmeicheleien suchten sie meine Gunst zu gewinnen. Aber ich blieb kalt,
und erst als sie meiner Spirituskiste, die im Gastzimmer stand, ein mehr
als wissenschaftliches Interesse zu widmen und wiederholt ahnungsvoll dem
Plätschern ihres Inhaltes zu lauschen begannen, liess ich mich in
ein längeres Gespräch ein, um auf den aussen angemalten gräulichen
Todtenkopf hinzuweisen und auf die grässlich qualvolle Todesart, die
der Genuss auch nur eines einzigen Tropfens meines vergifteten Alkohols
unabwendbar zur Folge haben würde.

Der Mexikaner war sehr musikalisch. Er spielte jedoch auf etwas
aussergewöhnlichen Instrumenten, nämlich auf Zimmerthüren,
Bretterwänden und Tischplatten, indem er mittels der benetzten
Mittelfinger auf- und niederfahrend ein mächtiges Brummen erzeugte, dass
manchmal das ganze leichtgebaute Haus zitterte. Dazu trampelte er einen
Hornpipe, schnalzte mit der Zunge, jauchzte und sang alle möglichen Lieder
in allen möglichen Sprachen. Sein deutsches Lied bestand aus einigen
Strophen von Naturlauten mit dem Refrain »Ja, ja«, und zauberte Klänge
der Heimath vor mein baiuvarisches Gemüth. Sollte jenes geistvolle Produkt
der isaratheniensischen Muse, mit welchem jährlich beim Salvatorbier die
Wiederkehr des holden Lenzes begrüsst wird, sollte der »Herr Fischer«
jemals Eingang in die Ohren und in das Herz dieser mexikanischen Rothhaut
gefunden haben? Welcher engere, ja engste Vaterlandsgenosse hatte ihm diese
unvergleichliche Dichtung oder wenigstens die Melodie dazu überliefert?
Es unterlag keinem Zweifel, es war die Melodie des »Guten Morgen, Herr
Fischer«.

Ausser dem Chinesen waren übrigens die anderen nicht minder betrunken.
Der amerikanische Neger fluchte, schlug auf den Tisch und schwor hoch und
theuer, er sei der erste »Weisse« gewesen, der auf der Insel Kandavu sich
niedergelassen, der Polizeisergeant und ehemalige Bonner Student bestrebte
sich, mit mir zu paucksimpeln, der eine verwilderte Landsmann bewies mir
zum sechsten mal, dass man in Viti nie reich werden könne, weil das Klima
zu viel des kostspieligen Brandygenusses verlange, der andere hörte nicht
auf, mich zu versichern, dass er sich schäme, sein Deutsch ganz vergessen
zu haben, und weinte.

Da Herr Kleinschmidt auf dem Levuka-Dampfer zu thun hatte, flüchtete ich,
um nicht ewig dem wahnwitzigen Wortschwall der Betrunkenen ausgesetzt zu
sein, vom Hotel weg und machte dem Regierungsarzt meine Aufwartung. Ausser
der nächstliegenden Freude, endlich wieder einmal einen nüchternen
Europäer zu sehen, war es mir besonders angenehm, in dem Doktor einen
hochgebildeten Engländer kennen zu lernen, der den letzten französischen
Krieg in deutschen Diensten mitgemacht hat. Eine stattliche Reihe deutscher
Orden, die sich wohl nicht geträumt hatten, dereinst in einem Vitidorfe zu
paradiren, befindet sich in seinem Besitz.

Ich blieb den Abend bei ihm und leerte eine kostbare Flasche echten
Rheinweines mit dem liebenswürdigen Kollegen, der nur vorübergehend auf
Kandavu kommandirt war, um die Eingeborenen zu impfen. Dementsprechend trug
auch seine Wohnung vollständig den Charakter des Improvisirten. Es
war eine blos etwas höher gebaute Vitihütte aus Palmstroh, die als
vorzüglichste Eigenschaft zwei Fenster von Glas besass. Schon seit länger
war eine Scheibe zerbrochen ohne Aussicht auf Reparatur dieses Defektes, da
es auf Kandavu keinen Glaser giebt. Es wehte ein starker Wind draussen und
durch das nur nothdürftig verstopfte Loch im Fenster herein, so dass
ein offenes Licht nicht möglich und der Doktor gezwungen war, sich einer
Laterne in seiner Studir- und Empfangsstube zu bedienen.

Als ich nach dem Hotel zurückkam, dessen betrunkener Lärm mir weit
entgegenschallte, während ich unter dem sternklaren Himmel der lauen
Tropennacht und unter rauschenden Palmen dahinwandelte, hatten sich noch
mehr Gäste eingefunden. Einem von diesen, einem Perlenfischer, verdankte
ich noch an jenem ersten Abend einen ungeahnten Genuss. Er lud mich ein,
mit ihm zu kommen, er wolle sehen, ob er nicht irgendwo Kawa auftreiben
könne.

Die Kawa ist das allen Polynesiern bis auf die Maoris und unter den
Melanesiern auch den Vitis eigenthümliche Getränk, welches durch Kauen
und Auslaugen der Wurzel einer Pfefferart, Piper methysticum, bereitet
wird. Man liest oft, dass dabei ein Gährungsprozess eine wesentliche
Rolle spiele. Dies ist unrichtig. Gährungsvorgänge bedürfen immer einer
gewissen Zeit, die Kawa aber wird sofort getrunken sowie sie zubereitet
ist. Die Piper methysticum-Wurzel wächst wild im Walde, und wird als
Handelsartikel verkauft. Auch viele Europäer auf Viti haben sich das
Kawatrinken angewöhnt, wie zum Beispiel mein Führer, der Perlfischer.

Wir gingen hinüber ins Dorf und krochen durch die niedrige Thüre in die
Hütte des Häuptlings. Es war fast ganz dunkel innen. Zwei Feuer erhellten
nur spärlich den kleinen Raum, entwickelten so viel Rauch, dass uns die
Augen thränten, und beleuchteten flackernd etwa zwölf nackte braune
Kerls, welche bereits schliefen und aufwachten, als wir über sie hinweg
nach dem Hintergrund kletterten, wo etwas isolirt der Häuptling lag.
Dieser mochte anfänglich ein wenig ungehalten sein über die Störung
seiner Nachtruhe in so später Stunde, doch beschwichtigte ihn mein
Führer, und die Vertheilung von Zigarren machte schnell die ganze
Gesellschaft munter. Wir nahmen auf dem Boden Platz und kreuzten die Beine.
Eine Menge Hände streckten sich mir aus der Dunkelheit entgegen, und ich
schüttelte sie alle der Reihe nach, ohne jedesmal den Eigenthümer zu
rekognosziren, und sagte dabei »Sa yandre«, was so viel bedeutet, als
»Du wachst«, und die landesübliche Begrüssungsformel ist.

Eine grosse, flache Schüssel aus schwarzbraunem Holz wurde in die Mitte
gewälzt, und mir gegenüber schienen einige jüngere Männer sich an die
Zubereitung unseres Getränkes zu machen. Wurzelstücke wurden mit Messern
zerschnitten und vertheilt. Nur auf Augenblicke, wenn gerade die
beiden Feuer frisch geschürt höher flackerten, konnte ich davon etwas
wahrnehmen. Hatten die Jünglinge ein Stück Wurzel zurechtgekaut, so
förderten sie das Resultat ihrer Arbeit mit den Fingern zu Tage und legten
es in die Bowle. Schliesslich goss einer der Männer, dem das wichtige Amt
des Brauens oblag, Wasser aus hohlen Kokosnüssen darauf, rührte um mit
den Fingern und machte sich an die schwierige Operation des Filtrirens.
Hierzu dient gewöhnlich der Bast des »Wau«, der einheimischen
Baumwollenpflanze, indem man damit wiederholt in die Flüssigkeit taucht,
die holzigen Reste der ausgelaugten Wurzel fängt und zwischen den Fasern
des Filters auspresst. Dies muss unter gewissen gesetzmässigen Bewegungen
der Arme geschehen, worauf noch immer grosses Gewicht gelegt wird.

Einer der Alten, die um uns herumsassen, legte ein Stück Bambus quer über
seine Kniee und klopfte mit zwei dünnen Stäbchen einige Takte darauf,
zum Zeichen, dass ein Gesang angestimmt werden sollte. Dieser bestand aus
mehreren Strophen, zwischen welchen einige Sekunden Pause gemacht wurde und
die grösste Stille herrschte. Man hörte dann nur das Krachen der Wurzeln
zwischen den Zähnen der Kauenden und das Herumpantschen der Flüssigkeit
in der grossen Schüssel. Die einförmige, ewig wiederkehrende Melodie
war entschieden wohlklingender, als die in Neuseeland gehörten Lieder der
Maoris, endete stets am Schluss einer Strophe mit einem kurz, fast bellend
ausgestossenen Vokal und wurde mit symmetrischen Armbewegungen, Hin- und
Herbeugen des Oberkörpers und Händeklatschen begleitet, während die
Gesichter einen ernsten andächtigen Ausdruck bewahrten. Der Bambusmusikant
schlug den Takt dazu, welcher im Daktylustempo sich bewegte.

Auch mein naturalisirter Freund, der Perlfischer, ein geborener Schotte,
sang mit und schwang seine Arme und wiegte sich in den Hüften und
klatschte in die Hände, ganz ebenso wie die braunen Wilden. Mein
laienhaftes Verständniss konnte keinen Unterschied in seinen Leistungen
bemerken.

Der Hymnus war zu Ende, und die Kawa war fertig. Ein Junge brachte in
gebeugter, geduckter Haltung -- denn aufrecht zu gehen in der Hütte eines
Höheren wäre eine grosse Frechheit -- den Becher, die Hälfte einer
Kokosnussschale, und kredenzte ihn dem Häuptling, welcher galant diese
Bevorzugung des Erstlingstrunkes an mich abtrat. Der Junge hockte vor
mir nieder und klatschte dreimal in die Hände, als ich ihm die Schale
abgenommen hatte. Ich war bereits instruirt, dass man jedesmal ganz
austrinken müsse. Es nicht zu thun wird von den Wilden der Südsee ebenso
übel genommen, wie von den Wilden einer deutschen Studentenkneipe. Ich
that meine Pflicht und würgte die ganze Schale hinunter. Es schmeckte
abscheulich, ungefähr so, wie Seifenwasser mit etwas Tannin schmecken
möchte.

Die Zechgenossen hatten mehr Freude an meiner That als ich selbst. Alle
klatschten sichtlich befriedigt dreimal in die Hände und blärrten unisono
und läppisch grinsend: »Amala«, worauf mein Führer und Mentor mir
zuflüsterte, ich müsse jetzt »Mole, mole« danken, was ich gewissenhaft
und gehorsam that, indem ich die geleerte Schale nach der Schüssel
zurückwarf.

Nach mir trank der Häuptling, dann der Perlfischer, und dann kam abermals
ich an die Reihe. Was von dem zweimaligen Rundgang unter uns dreien
übrig blieb, erhielten die Anderen. Jeder Trunk geschah unter dem bereits
geschilderten Zeremoniell.

Die Musik des Gelages lockte mehr Bewohner des Dorfes herbei. Noch ein paar
Dutzend krochen durch die Thüre herein, dann wars so voll, dass kein
Platz mehr übrig war. Einer stellte sich aufrecht vor uns hin und machte
militärisch Honneur, indem er die Hand an seinen Turban legte. Es war der
nackte Policeman des Ortes, an der weissen Uniformsbinde erkannte ich ihn
wieder.

Ich habe später noch oft Kawa oder vielmehr Yankona, wie man auf Viti
sagt, getrunken. Sie sieht bei Tageslicht aus wie Thee mit sehr wenig
Milch. Ihr Seifenwassergeschmack weicht bald einem Gefühl der Kühle im
Gaumen, so dass ich sie manchmal nicht ungern trank, namentlich wenn ich
längere Zeit keine Spirituosen zu sehen bekommen hatte. Man sagt der
Yankona alle möglichen üblen Wirkungen nach. Lähmungen, Hautausschläge
und Augenentzündungen sollen aus ihrem zu häufigen Genuss entstehen.
Vorläufig sind hierüber noch keine exakten Beobachtungen vorhanden. Nur
ihre schweisstreibende Wirkung scheint mir unzweifelhaft zu sein. Ich habe
allerdings nie mehr als vier Kokosnussschalen von je vielleicht ein
halb Liter auf einmal getrunken. Nicht ein einziges mal erfuhr ich eine
Veränderung in meinem Gemeingefühl. Ich konnte danach lange nicht
einschlafen und transspirirte sehr beträchtlich, das war Alles. Die Kawa
ist ebensowenig ein berauschendes als ein gegohrenes Getränk, sondern ein
reiner Aufguss, wie unser Thee, höchstens vielleicht mit dem Unterschiede,
dass der wahrscheinlich geringe Stärkemehlgehalt der Wurzel durch den
Speichel in Zucker umgesetzt ist.

Die Yankona erfreut sich nicht nur bei den Eingeborenen, sondern auch bei
den weissen Ansiedlern allgemein einer grossen Beliebtheit. Selbst der
Gouverneur soll ein Verehrer dieses Getränkes sein. Dabei besteht überall
jenes primitive Verfahren der Zubereitung, und es wird keine Maschine
gebraucht, die die Zähne der Jungen ersetzte, wie wohl denkbar wäre. In
früheren Zeiten allerdings sollen die Wurzeln künstlich geraspelt worden
sein, wie alte Männer dem Missionär Williams erzählten. Jetzt zieht man
die einfacheren und billigeren Instrumente von unübertrefflicher Qualität
vor, die jeder Vitijunge im Munde mit sich herumträgt.

Ich habe es oft erlebt, dass Europäer ihren dienenden Geistern befahlen,
schnell eine Bowle zurechtzukauen. Die Weissen sagen für Kawa oder Yankona
gewöhnlich »Grog«, und zwar »Fiji Grog« zum Unterschied von »White
mans Grog«, was den Schnaps im europäischen Sinn bedeutet. »Was wollen
Sie trinken?« ist eine stehende Frage, wenn man irgendwo zu Besuch
kommt, »Fiji Grog or White mans Grog?« Und zwar hat diese ursprünglich
jedenfalls spasshafte Bezeichnung sich so eingebürgert, dass sie allen
humoristischen Klang verloren hat und ganz ernsthaft gebraucht wird,
ohne dass es dem Betreffenden einfiele, einen Witz machen zu wollen.
Die Bezeichnung »Grog« hat sogar angefangen, auch von den Eingeborenen
gebraucht zu werden, und nicht blos für das Getränk, sondern sogar für
die Pflanze. Ich wurde oft von Vitis angesprochen »Grog?« indem sie mir
die Wurzel zum Verkauf anboten, und »Grog, Grog« machte mich oft unser
Junge aufmerksam, wenn wir im Walde an einer Piper methysticum-Staude
vorüberkamen. Vielleicht wird dereinst das Wort Grog das alte Vitiwort
Yankona ganz verdrängt haben, ein merkwürdiges Beispiel der Uebertragung
von Wortbegriffen.

Aeusserst befriedigt von den reichen Erlebnissen dieses ersten Tages legte
ich mich zu Bett. Ich war entzückt, noch soviel Ursprünglichkeit
der Sitten vorgefunden zu haben. Meine kühnsten Erwartungen waren
übertroffen. Die letzte Nacht hatte ich noch auf dem Dampfer zugebracht,
und jetzt -- es war mir, als ob ich schon Monate unter den Insulanern
gelebt hätte. Ich konnte lange nicht einschlafen. War es meine Aufregung,
oder war es die genossene Kawa, oder waren es die Moskitos, welche durch
die Löcher meines Moskitozeltes zu mir hereinwimmerten, oder das halbe
Dutzend Besoffener, welches links und rechts von meinem Zimmer ein
schauerliches Konzert zusammenschnarchte, was mich wachhielt, ich wälzte
mich schweisstriefend mehrere Stunden auf dem Lager.

Die rohen Bretterwände des Hotels reichten blos bis zu einer gewissen
Höhe, oben waren alle Stuben offen, und über uns nichts als das
gemeinschaftliche, steil ansteigende Schindeldach. Der Mond sah durch die
Glasthüre, welche auf die Veranda führte, herein und verrieth mir das
geschäftige Hin- und Herrennen einer Menge schwarzer zweizölliger Schaben
über die dünne Gase meines Moskitonetzes. Unter sämmtlichen Thieren ist
gerade diese Sorte mit den ewig ruhelosen, ewig nervös gestikulirenden
geiselförmigen Fühlern mir die verhassteste, trotz aller Zoologie. Hie
und da raschelte eine Eidechse über den Boden.

Einige längere Promenaden auf der Veranda draussen in dem herrlichen
Mondschein waren unter solchen Umständen viel genussreicher. Ringsum
zirpten Tausende von Zikaden, die See glänzte und wogte und ebenso
glänzten und wogten die Palmen. Weit draussen brauste die Brandung über
den Korallenriffen, und unten rollten die Wellen gegen das Ufer, so dass
ich das Schnarchen der Besoffenen nicht zu hören brauchte, und kein
menschlicher Ton die zauberhafte Poesie der Tropennacht störte.

Früh am nächsten Morgen brachen wir auf, um nach Gavatina, Herrn
Kleinschmidts Wohnsitz, zu fahren. Auch die zwei biederen ihrer
Muttersprache entfremdeten Landsleute waren schon aufgestanden, um uns zum
Abschied die Hände zu reichen und mich einzuladen, sie in Waidule, wo sie
zu Hause waren, zu besuchen. Ich rieth ihnen dringend, sich wieder ins Bett
zu legen. Die peinlichen Folgen ihrer gestrigen Ausschweifung waren nur zu
deutlich in ihren verstörten Gesichtern zu lesen. Trotz des unermüdlichen
Grimassenschneidens gelang es ihnen nicht, die Augen aufzumachen. Mit einem
Auge ging es noch leidlich, aber alle beide auf einmal, das ging nicht, so
grosse Mühe sie sich auch gaben.

Aus dem Ziegen- und Hühnerstall hinten, in dem die drei verunglückten
Seeleute der Nachtruhe genossen, fing die Thüre rhythmisch zu brummen an,
und eine rauhe Bassstimme brüllte die Melodie des »Herrn Fischer«
dazu mit dem ewigen »Ja, ja«. Es war der Mexikaner, der sein Morgenlied
anstimmte.

Ich erhielt noch Gelegenheit, meine Anthropologie mit zwei
Neuhebriden-Insulanern zu bereichern, welche in Diensten eines in Wailevu
ansässigen weissen Kaufmanns arbeiteten, und flüchtig zu konstatiren, wie
sehr verschieden ihre bläulich schimmernde schwarze Haut von der Farbe der
vergleichsweise röthlichen Eingeborenen Kandavus sich abhob. Dann
luden wir mein Gepäck und ein für ein Pfund Sterling erhandeltes und
entsetzlich schreiendes Schweinchen in zwei Böte und segelten ab.



XIII.

GAVATINA UND SANIMA.

  Der Isthmus Yarambali. Das Sonntagspublikum von Namalatta. Bootfahrt
  an der Nordseite Kandavus entlang. Gavatina, unser idyllisches
  Thal. Niketi und Ruma. Besuche der Wilden. Der Tui und die Marama.
  Ethnologisches. Der Busch, seine Mühen und seine Thierwelt. Kanuubau
  hoch oben auf dem Berge. Riffleben und Fischfang. Spaziergang
  nach Sanima. Tapa-Bereitung. Doktor Hink und seine Kopra-Projekte.
  Gottesdienst in Sanima. Das Missionswesen auf den Inseln. Kehrseiten
  der Tropenpracht. Klimatisches und Kulinarisches. Die Kokospalme und
  ihre Anwendungen. Enge Verhältnisse.


Der nach Süden geöffneten Angaloa Bai, an welcher Wailevu liegt, tritt
im Norden oder genauer Nordwesten die Namalatta Bai entgegen. Beide Buchten
nähern sich einander auf etwa 500 Schritt, wodurch die ganze Insel Kandavu
in eine kleinere südwestliche und eine grössere nordöstliche Hälfte
zerfällt. Ein flacher niedriger Isthmus mit einem schönen Kokospalmenhain
stellt die Verbindung her, südlich von einem Mangrovesumpf, nördlich vom
ebenen reinlichen Strand aus Korallen und Muschelsand begrenzt. Der Isthmus
heisst Yarambali, was so viel bedeutet als »Etwas hinüber heben«, da die
Eingeborenen hier ihre Kanuus von einer Seite der Insel nach der anderen zu
schaffen pflegen.

Auch wir mussten auf diesem Wege mit den Böten nach der anderen Seite
hinüber. Wir hatten uns verspätet, die Ebbe lief bereits stark ab, es
war höchste Zeit, den Isthmus zu erreichen. Wir ruderten geradewegs in die
Bucht hinein, dem saftigen Grün der Mangroven entgegen. Es dauerte nicht
lange so stiess das grössere Boot auf Grund. Die vier rudernden Vitis
sprangen ins seichte Wasser, und dadurch wurde es wieder flott. Ein
schmutziger Kanal, über dem die Mangroven sich wölbten, nahm uns
auf. Links und rechts nichts als stinkender Sumpf mit sperrigen
Luftwurzelpyramiden, in dem eine Menge Krebse sich herumtrieben.
Soldatenkrabben sassen in runden Löchern, die unverhältnissmässig lange
gelbe Scheere zum Zugreifen bereit herausstreckend, und zogen sich schnell
ganz zurück, als wir uns näherten, Eremitenkrebse, merkwürdig dicke und
schwere Schneckengehäuse schleppend, bummelten an den Zweigen und Wurzeln
herum, liessen sich erschreckt vor uns fallen und machten dabei ein
Geräusch, als ob es regnete. Kleine Schnecken (Auricularia) bedeckten
allenthalben den Boden.

Bald stiessen die Böte alle beide auf Grund, und jetzt mussten auch wir
ins Wasser steigen und schieben helfen. Glücklich gelangten wir so bis zum
Ende des Kanals, wo der feste Sandboden des Isthmus sich erhob. Wir luden
die Kisten und Fässer und das schreiende Schweinchen aus und schafften
zunächst die Böte über Land. Der geradlinige Weg durch die Kokospalmen
ist für diesen Zweck mit Palmblättern belegt, auf deren glatten Schäften
unsere zwei Fahrzeuge, mit vereinten Kräften an Stricken gezogen und von
allen Seiten geschoben, rasch dahinglitten. Ein Handelsmann aus Wailevu,
ein deutscher Jude mit einem indischen Sonnenhelm auf dem Haupt, begegnete
uns, und hinter ihm drein trugen vier Vitis seine kleine Nussschale auf
ihren Schultern. Wohl ein Dutzend mal mussten unsere Burschen hin und her
laufen, bis das ganze Gepäck auf der anderen Seite war. Ich setzte
mich unterdessen auf den schönen Korallensand des nördlichen Ufers und
betrachtete die anmuthige Landschaft der Namalatta Bai, die geschützt vor
den südlichen Winden und unbewegt in den herrlichsten smaragdgrünen und
violetten Tinten prangte.

Es war Sonntag, von der Kirche des nahen Dorfes Namalatta ertönte ein
frommer Gesang, und nach dem Gottesdienst strömte die braune Kinderschaar
zu uns heraus. Männer und Weiber folgten ihnen, und als wir die Böte
wieder zu Wasser gebracht und beladen hatten, war wohl so ziemlich das
gesammte Dorf um uns versammelt, erstaunt unsere sabathschänderische
Arbeit betrachtend. Von dem ganzen Christenthum vermag nämlich den Wilden
kein Gebot intensiver einzuleuchten als das Nichtsthun am Sabath. Ein paar
kleine Mädchen von höchstens zwölf Jahren fielen mir auf durch enorm
entwickelte, ja eigentlich unanständig grosse und pralle Brüste. Sie
waren zur Feier des gottgeweihten Tages mit dem von den Missionären
erfundenen Busenhemdchen angethan. Aber die Bedeutung des züchtigen
Gewandes schien ihnen unklar zu sein. Denn sie trugen es, aus den lästigen
Aermeln herausgeschlüpft, über die Schultern zurückgeworfen.

Wir stiessen ab. Der sandige Boden unter dem klaren Wasser senkte sich,
hörte auf und machte Korallenklüften und Klippen Platz. Zum ersten
mal schwebte ich dahin über diese merkwürdigen Gebilde, diese
geheimnissvollen Gründe, aus denen zarte Baumkronen und Geweihe in den
mannigfaltigsten Farbentönen emporstarrten. Himmelblaue und scharlachrothe
Fischchen schossen in den phantastisch durcheinander wachsenden Formen
herum, und indigoblaue Seesterne klammerten sich mit gespreizten Strahlen
an den Abhängen fest, die zu unergründlich dunkelgrünen Schluchten
hinunterfielen. Das Wasser, glatt wie ein Spiegel und so durchsichtig,
dass es dem Auge kein Hinderniss bot, schien nur die eine Eigenschaft zu
besitzen, höheren Farbenreiz zu verleihen.

Eine geraume Weile lag ich so an der Spitze des Fahrzeuges und blickte
hinab auf die unten vorübergleitende Märchenwelt, und als ich wieder in
die Höhe und um mich sah, waren wir schon weit weg vom Lande. Zu beiden
Seiten streckte sich die lange Insel. Zwischen kulissenartig vortretenden
Bergrücken, über und über mit dichtem Buschwerk bedeckt, breiteten
sich liebliche Thäler mit Palmenhainen, unter denen hie und da eine
weissgetünchte Hütte hervorguckte. Wir fuhren nach Osten, und hinter
uns trat der Bukelevu heraus, das Haupt in Wolken gehüllt, der westliche
Pfeiler Kandavus.

Eine hellglänzende Sanddüne umsäumte die üppige Vegetation der
herrlichen Südseeinsel. Smaragdgrüne und violette Tinten schillerten
allerwärts über den Untiefen der Korallenbänke, und weit draussen
brandete die hohe sattblaue See in leuchtenden Schaumstreifen an dem Wall
der Aussenriffe. Ueber dem Ganzen ein strahlender Himmel und strahlender
Sonnenschein.

Etwa vier Stunden dauerte diese Bootfahrt an der Nordseite der Insel
entlang. Wir hatten keinen stetigen Wind, und nur wenn wir gerade in
das Bereich einer Thalschlucht kamen, durch die eine frische Brise
herüberblies, konnten unsere Burschen vom Rudern ausruhen und dem schnell
aus einer Decke improvisirten Segel die Arbeit überlassen. Noch eine
Ecke des Ufers, und das Thal von Gavatina lag vor uns, die Stätte wo Herr
Kleinschmidt seinen Wigwam aufgeschlagen hatte, kenntlich schon von Weitem
an der schwarzweissrothen Flagge, die vom Maste des vor Anker liegenden
Kutters wehte.

Eine weibliche Gestalt mit winkendem Taschentuch, die Gattin meines
Freundes, ein eingeborener Junge und einige kleine Hunde tauchten aus
dem Unterholz des Palmenhaines und erschienen auf dem Strande uns zu
bewillkommnen. Wir waren am Ziele, und es begann nun für mich
eine wundersame Idylle in tropischer Naturpracht und wohlthätiger
Abgeschiedenheit von europäischer Zivilisation, die leider nur zu kurz
währte.

Ganz Kandavu besteht aus Bergzügen von etwa 200 Meter durchschnittlicher
Höhe ohne bestimmte allgemeine Richtung und ist 50 bis 60 Kilometer lang
und durchschnittlich etwa 5 Kilometer breit. Da wo zwischen den gegen die
See vorspringenden bewaldeten Bergrücken Bäche herabkommen und alluviale
Dreiecke sich gebildet haben, stehen Palmenhaine und in diesen gewöhnlich
auch Dörfer. Gavatina ist ein solcher zur menschlichen Wohnstätte
geschaffener Platz. Ein Dorf hat einst hier gestanden, in welchem der jetzt
in Wailevu residirende Häuptling der Insel gar manches Kind gebraten haben
soll, und von dem gegenwärtig nichts mehr als der Name übrig geblieben
ist.

Zwei Hütten aus Palmblättern, von denen die grössere Herrn Kleinschmidt
und Gattin als Wohnung, Schlafgemach, Speisesaal, Waarenlager, Arbeitsraum
und Museum diente, während in der kleineren die beiden eingeborenen Jungen
Niketi und Ruma schliefen und für uns kochten, und ein Zelt, in welchem
ich mein hartes Lager aufschlug, bildeten unsere bescheidene Kolonie, rings
umwachsen und halb überdeckt von üppig wucherndem Farnkraut, Buschwerk
und Schlingpflanzen und beschattet von steifblätterigen Dilobäumen und
Kokospalmen, deren Kronen majestätisch im Winde sich schaukelten.
Zwanzig Schritte führten auf einem schmalen Pfad nach dem hellglänzenden
Seestrand, und draussen auf dem blauen Wasser lag der Kutter, in dessen
Miniaturkajüte Mister Daymac, Herrn Kleinschmidts Gehilfe, wohnte.

Nebst den genannten sechs Gliedern der menschlichen Gesellschaft rechneten
sich noch zwei Affen, die an einem Pfosten im Gebüsch angekettet waren und
sich Nachts in ein altes Segel wickeln durften, zwei Papageien in Käfigen,
eine glatthaarige Hündin mit zwei halberwachsenen Sprösslingen, die einem
immerfort an den Beinen herumzappelten und vor Freundlichkeit gar nicht
wussten, wie sie sich drehen und wenden sollten, ferner etliche Schweine
und Hühner zu den berechtigten Einwohnern von Gavatina, zwischen welchen
sich noch ein unzählbares illegitimes Gesindel von Ratten, Eidechsen und
Eremitenkrebsen, von Moskitos und Fliegen herumtrieb. Eine eigenthümliche
Zierde unseres niedlichen Gehöftes bereiteten hundert mächtige
langbeinige braunrothe Spinnen, indem sie äusserst regelmässige Netze, so
gross wie mittlere Wagenräder, zwischen den Bäumen und Sträuchern um uns
spannten.

Herr Kleinschmidt, schon seit mehreren Jahren in Viti ansässig, war erst
seit Kurzem von C. Godeffroy in Hamburg als Naturforscher angestellt
worden. Er hatte bisher die übrigen grösseren Inseln der Gruppe sammelnd
bereist. Kandavu war ihm noch neu, sein Aufenthalt hier auf drei Monate
projektirt, und waren diese um, so packte er wieder seine ganze Habe in
den Kutter und segelte von dannen, um irgend wo anders seine Hütte
aufzuschlagen, ein nomadisirender Pionier der Wissenschaft. Da ich
ähnliche Zwecke wie er verfolgte, so konnte mir nichts Glücklicheres
passirt sein, als dass mich der Zufall mit ihm zusammenbrachte. Wir gingen
miteinander in den Busch um Vögel zu schiessen und Pflanzen und Käfer
und andere Thiere einzuheimsen, zur Ebbezeit machten wir Ausflüge auf die
Riffe voll tropischen Lebens, und ausserdem setzten wir noch zwei längere
Partien, eine nach dem Ostende und eine nach dem Westende der Insel auf
unser Programm.

Obwohl mir, der ich zum ersten mal in der reichen Natur der heissen Zone
weilte, fast jede Stunde eine Fülle überraschender Eindrücke bot, so
fesselten doch auch hier mein Hauptinteresse die eingeborenen Menschen.

Den kleinen sanften Niketi, der etwa 12 Jahre alt sein mochte, hatte ich
schon in Wailevu, wohin ihn Herr Kleinschmidt mitgenommen, kennen gelernt.
Sein Kollege Ruma, vielleicht zwei Jahre älter als Niketi, war gänzlich
von ihm verschieden. Ruma war ein richtiger junger Kannibale, starkknochig
und ungeschlacht, mit einem mächtigen vorstehenden Gebiss, finsterem
Gesichtsausdruck und schielenden Augen, grausam gegen sich und andere. Sein
Körper trug zahlreiche Narben, und so lange ich in Gavatina war und ihn
beobachten konnte, beschäftigten ihn oft zwei Haufen von erbsengrossen,
eiternden Wunden, die er sich an beiden Oberarmen beigebracht hatte,
und mit denen er sich, wenn Besuche aus dem benachbarten Dorfe da waren,
produzirte, indem er die Krusten abriss, die so entstandenen frischen
Flächen mit Sand einrieb, mit Glasscherben kratzte oder mit einer
glühenden Kohle brannte, ohne eine Miene zu verziehen. Wenn er
unbeobachtet zu sein glaubte, schnitt er dafür nur um so schlimmere
Grimassen, und seine gezwungene Heiterkeit und Lebhaftigkeit dem Publikum
gegenüber, jedesmal wenn er eine derartige Operation an sich vollzogen
hatte, verriethen nur zu sehr seine schmerzhaften Empfindungen.

Ausser bei Ruma bemerkte ich noch bei einigen anderen braunen Jünglingen
solche Verletzungen. Dass sie sich gerade an den beiden Oberarmen quälten,
beruhte auf einem ähnlichen psychologischen Vorgang wie die Einführung
der Krinoline in Europa. Der Regierungsarzt in Wailevu war eben damit
beschäftigt, die Bevölkerung von Kandavu dörferweise zu impfen, und
Impfpusteln an beiden Oberarmen waren die neueste Mode. Manche mochten
es nun nicht erwarten können, bis sie auf offiziellem Wege des eiterigen
Schmuckes theilhaftig werden sollten. Oder wollten sie etwa die gesetzlich
angeordnete Impfung umgehen, indem sie simulirten, bereits geimpft zu sein?
Welch interessanter Fall für einen simulantengierigen Militärarzt.

Wenn Ruma einen Käfer gebracht hatte, den wir nicht brauchen konnten, so
ging er damit hinter den nächsten Busch, riss ihm erst langsam die sechs
Beine und die Flügel aus und frass ihn. Hatte er ein Huhn zu schlachten,
so wurde es erst gemartert, falls man ihn unbeaufsichtigt liess, und unsere
Braten trugen nicht selten die Spuren der an ihnen verübten Grausamkeiten
in der Form von Hautabschürfungen und Knochenbrüchen.

Uebrigens attrapirte ich auch einmal den anderen Schlingel, den sanften
Niketi mit dem scheinheiligen Gesicht, wie er ein Schweinchen, das er
abstechen sollte, zuvor mittels eines scharfen Glasscherben kastrirte, so
geschickt, dass kein deutscher Professor der Chirurgie ihn übertroffen
hätte.

Grausamkeit und Achtlosigkeit gegen Thiere bildeten überhaupt einen
hervorstechenden Charakterzug der Eingeborenen, der sich fast an jedem Huhn
oder Schwein dokumentirte, das wir kauften. Aber nicht blos Hühner und
Schweine trugen gewöhnlich Verletzungen, sondern auch andere Thiere, die
wir wegen ihres naturhistorischen Werthes von ihnen erhandelten, um sie
aufzubewahren. Deshalb werden diese Eingeborenen auch stets nur von sehr
untergeordnetem Werthe als Beihilfe zum Sammeln für den Naturforscher
sein. Ich habe kaum eine Schnecke oder ein Insekt von einem Eingeborenen
erhalten, welches unversehrt gewesen wäre. Gewöhnlich fehlten ein paar
Beine oder ein Fühler, oder die Schalen waren eingedrückt und an der
Mündung schartig.

Ruma und Niketi, deren Hütte an mein Zelt anstiess, wussten sich
Nachts immer viel zu erzählen. Sie hatten ein merkwürdig geringes
Schlafbedürfniss und plauderten oft Stunden lang miteinander, und wenn sie
schliefen, litten sie oft an schweren Träumen und seufzten und stöhnten.
Oft auch in kühlen Nächten husteten sie fast beständig. Mich dauerte
ihr nackter Zustand, und ich schenkte ihnen zwei alte Unterhemden. Diese
benützten sie aber nur, um während des Tages in der Sonnenhitze damit zu
paradiren, Nachts lagen sie eben so nackt wie vorher auf ihren Matten.

Obwohl unsere kleine Kolonie wie gesagt sehr versteckt und abgelegen war,
so fehlte es doch während des ganzen Tages nicht an Besuchern aus den
benachbarten Dörfern. Schon am frühen Morgen, wenn die Sonne noch hinter
den Bergen war und ringsum noch tiefes Schweigen herrschte, höchstens von
einem vorwitzigen Papagei unterbrochen, der von einer Palme zur anderen
fliegend sein unmelodisches Giek gak, Giek gak ertönen liess, und ich mich
eben unter meinem Zelte auf der harten Matte dichter in die Decke wickeln
wollte, kamen sie in hellen Schaaren heranzogen, lustig wie immer, schon
von Weitem durch einen munteren Gesang sich ankündigend.

Dass wir beide, Herr Kleinschmidt und ich, ausgemachte Narren waren,
unterlag für sie nicht dem geringsten Zweifel, wir, die wir den ganzen Tag
nichts thaten, als Käfer und anderes Gewürm in Gläser zu stecken,
Gras und Kräuter zu trocknen und Vögel abzubalgen. Aber wir waren
ihnen entschieden höchst interessante Narren. Namentlich ich. Denn Herrn
Kleinschmidt kannten sie schon länger und er kannte sie und alle ihre
Schliche und sprach auch ihre Sprache. Ich aber war ein ganz echter
Papalang, eben erst herzugereist und jedenfalls »sehr weit her«, wenn
sie auch ungläubig lachten, so oft Herr Kleinschmidt ihnen sagte, dass
ich fünfzig Tage und fünfzig Nächte mit dem grossen Feuerkanuu fahren
müsste, um nach Hause zu kommen.

Ich hatte ausserdem noch eine ganz neue verrückte Liebhaberei, nämlich
zuweilen mit der Scheere unter sie zu treten und Haarproben aus ihren
dicken Perrücken herauszuschneiden und sammt den daranhaftenden Nüsschen
in Papierkapseln zu wickeln, was jedesmal ein grosses Halloh erregte. Auch
war ich toleranter gegen ihre Neugierde als Herr Kleinschmidt, der sie
immer gleich wegjagte, wenn sie ihm zu sehr im Wege standen. Ich liess sie
bei Allem zusehen, und höchstens wenn ein paar Mädchen sich mit ihren
Brüsten zu dreist über meine Schultern lehnten, machte ich eine rasche
Bewegung, als ob ich hineinbeissen wollte, so dass sie zeterschreiend auf
einen Augenblick davonliefen.

Für unseren Sammeleifer hatten die Wilden nicht das geringste
Verständniss. Als ich einst im Walde einem neugierigen Kerl begegnete, der
gerne wissen wollte, was ich in meiner Pflanzenmappe hätte, so dass ich
ihm den Inhalt zeigte, kam er bald darauf wieder zu mir mit einem ganzen
Korb voll Gras und Blätter und wollte einen Shilling dafür haben.

Nächst uns übten die zwei Affen eine grosse Anziehungskraft auf unsere
Besucher. Ganze Nachmittage konnten sie um dieselben herumhocken und sich
an ihren zornigen Grimassen und possirlichen Sprüngen ergötzen. Aber sie
durften ihnen nicht zu nahe kommen. Denn die Affen hassten wüthend die
braune Rasse. Wenn wir alle zusammen ausgingen, konnte die Hütte nicht
besser von Neugierde und Unfug geschützt werden, als indem man die Affen
unmittelbar vor der Thüre ankettete. Kein Viti wagte sich in ihr Bereich.

Schon am ersten Tage nach meiner Ankunft lernte ich den alten Häuptling
der Insel, den »Tui Kandavu«, kennen. Er wollte mit der englischen
Regierung nichts zu thun haben und hatte deshalb beim Beginn einer neuen
Ordnung der Dinge nach der Annexion seine Würde an einen jüngeren
Häuptling, der jetzt in Wailevu residirt, abgetreten, um in stiller
Zurückgezogenheit in dem uns benachbarten Dorf Sanima das Ende seiner Tage
abzuwarten.

Der Tui ist eine achtunggebietende malerische Erscheinung. Ein würdiger
Greis von hoher Statur, den Oberkörper mit einem feinen europäischen
Hemd, die Hüften mit einem langhinabreichenden braungemusterten Stück
Tapa, welches eine gefranzte Schärpe schneeweisser Tapa festhält,
bekleidet, barfuss und unbedeckten kahlen Hauptes erinnert er an etwas
dunkel gehaltene Apostelfiguren der Heiligenbilder. Ein weisser Vollbart
umrahmt das ernste strenge Gesicht, und ein asthmatischer Husten an dem
er litt gaben diesem einen schmerzlichen Ausdruck. Er kam in einem Kanuu
herangerudert, um mich zu konsultiren, da die Kunde meiner ärztlichen
Eigenschaft bereits nach Sanima gedrungen war.

Unsere Jungen und seine Begleiter, von denen einer eine alte zerrissene
amerikanische Uniform aber keine Hose trug, erwiesen ihm die grösste
Ehrfurcht und schienen vor ihm viel mehr Respekt zu haben als vor uns
Weissen. Er trank eine Tasse Schokolade mit uns, über die er
sich wohlgefällig äusserte, und rauchte dann eine Suluka. Zwei
Schiffszwiebacke, die ihm vorgesetzt wurden, steckte er wie Pistolen in die
Gürtelschärpe um sie seiner Frau zu bringen. Keiner der Jungen wagte es,
sich ihm anders als in geduckter Haltung zu nähern, und wenn sie ihm etwas
reichten, kauerten sie nieder und klatschten dreimal in die Hände.

Das dreimalige Händeklatschen bei Ueberreichung irgend eines Gegenstandes,
einer Schale Wasser, einer Suluka, eines Feuerbrandes oder was es auch sei,
beobachtete ich überall auf Kandavu als noch in Geltung. Später einmal
sah ich in Sanima eine sehr komische Degeneration jener alten Sitte.
Ein Kerl hatte dem Tui eine Zigarette gewickelt, in seinem eigenen Munde
angezündet und übergab sie, wobei selbstverständlich geklatscht werden
musste. Statt nun aber erst lange niederzuhocken, hob er einfach den
rechten Oberschenkel in die Höhe und klatschte dreimal auf dessen
Rückseite, nicht etwa zum Spass, sondern nur aus Schlendrian und
Faulheit. Denn er machte dabei ein ganz ernsthaftes Gesicht, und keiner der
Beistehenden schien Anstoss daran zu nehmen.

So schwindet das alte sehr ausgebildete Zeremoniell der Südseeinsulaner
immer mehr dahin, welches ehemals so weit ging, dass alle Untergebenen
stolpern und niederfallen mussten, wenn ihrem Höheren Solches passirte.
Deshalb waren, wie die ersten Missionäre erzählen, ihre Diener und
Begleiter auch immer so ängstlich, wenn es sich um das Passiren einer
Brücke handelte, die hierzulande nur aus einem oder zwei dünnen
Palmstämmen bestehen. Stürzte der Missionär in den Abgrund, so mussten
auch sie ihm folgen.

Meine Anwesenheit in Gavatina war ein wichtiges Ereigniss für die
neugierige Einwohnerschaft der Umgebung. Am folgenden Tag kam auch die
Gemahlin des Tui, eine noch sehr rüstige alte Dame, die »Marama«, wie
sie anzureden ist, von Sanima herüber. Auch ihr bezeugten unsere Jungen
und ihre Begleiter die geziemende Ehrfurcht.

Die sogenannten Wilden überraschten mich durch eine viel grössere
geistige und gemüthliche Begabung als ich erwartet hatte. In Bezug auf
Intelligenz schienen sie mir entschieden nicht tiefer zu stehen als unsere
Bauern, in Bezug auf die Anmuth ihrer Erscheinung und ihres Benehmens
meist höher. Ihr gutmüthiges, freundliches, heiteres Wesen musste Jeden
gewinnen, der über das Vorurtheil der Hautfarbe erhaben war. Allerdings
blieb ich nicht lange genug auf Kandavu, um den Reiz der Neuheit, der mir
nur die liebenswürdigen Seiten an ihnen wahrnehmen liess, zu verlieren,
und gewiss musste ich Herrn Kleinschmidt Recht geben, wenn er mir
versicherte, dass meine Vorliebe für die braunen Naturkinder nach wenigen
Monaten weichen würde. Wie oft schon haben anderwärts in weniger zahmen
Gegenden Reisende durch den ersten Eindruck sich täuschen lassen
und ausgerufen »das also sollen die gefürchteten, schrecklichen
Menschenfresser sein, es sind harmlose, liebenswürdige Kinder«, und am
nächsten Tag wurden sie von den liebenswürdigen Kindern aufgefressen.
Diese Gefahr nun ist auf Kandavu und wahrscheinlich auf ganz Viti nicht
mehr zu fürchten. Die Vitis gehören dem europäischen Einfluss an, und
die einzelnen vagen Behauptungen, dass es im Innern von Vitilevu noch
Kannibalen gebe, sind nicht erwiesen.

Man warnte mich oft vor Dieben. Aber obgleich die primitiven
Wohnverhältnisse keinen Verschluss gestatteten, ist mir in Gavatina
niemals etwas gestohlen worden, ganz im Gegensatz zu den von den Europäern
gehörten Behauptungen über die Stehlsucht der Vitiinsulaner, von welchen
die mildeste dahin lautete, dass sie nur an Sonntagen eine Ausnahme machten
und die Tugend der Ehrlichkeit übten. In Bezug auf Munition mag allerdings
Vorsicht nöthig sein. Es ist verboten, den Eingeborenen Gewehre und
Schiessbedarf irgend welcher Art abzugeben, und mit solchen Dingen dürfte
es sich eben verhalten, wie mit allen verbotenen Früchten.

Im Ganzen schienen mir diese nackten schlanken und muskulösen Insulaner
die glücklichsten Menschen zu sein, die man sich denken kann. Die
Missionäre haben es noch nicht vermocht, ihnen ihre natürliche kindliche
Heiterkeit zu rauben, und es ist erfreulich, dass auch in Bezug auf ihre
ursprüngliche einfache Tracht die Christianisirung nicht viel geändert
hat -- erfreulich, weil europäische Kleider sie nur verweichlichen
dürften, da sie dieselben nicht zu gebrauchen verstehen. Sie würden sie
wahrscheinlich nur während des Tages anziehen, um in der Sonnenhitze damit
Staat zu machen, bei Nacht aber würden sie die kostbaren Gegenstände zur
Schonung sorgfältig einpacken und sich nackt auf ihre alten Matten legen,
wie mir das Beispiel von Niketi und Ruma und später noch andere bewiesen.

In der vorchristlichen Zeit trugen die Männer ihr starkes und langes
krauses Haar in die Höhe und Breite ausgezupft, so dass mächtige
Perrücken entstanden, welche sogar geeignet waren die Wucht von
Keulenschlägen abzuschwächen. Diese Perrücken wurden in der
mannigfaltigsten Weise geformt und verziert, manche glichen dem bayerischen
Raupenhelm. Um die Lenden schlangen sie sich aus einem schmalen Stück
Basttuch ein Suspensorium, den »Malo«, zurecht. Die Weiber schoren sich
auch damals schon die Haare kurz und banden um die Hüften den »Liku«,
einen 50 bis 80 Zentimeter langen Rock aus schmalen Schilfblättern, die
an einem Strick aus Kokosnussfasern angereiht sind. Dieser vorchristliche
heidnische Zustand in der Tracht soll noch im Innern der grossen Insel
Vitilevu bei den wenigen noch nicht unterworfenen Stämmen herrschen.

Ueberall wo die Missionäre gebieten, scheeren sich jetzt beide
Geschlechter die Haare kurz, und beide tragen den Sulu, ein klafterlanges
Stück Baumwollenzeug um die Hüften geschlungen. Zum Fischen indess ziehen
die Weiber noch immer den altmodischen Liku an, weil dieser in der Nässe
bequemer ist als der anklebende Sulu, und hier sind sie also noch immer so
echt wie vor zwanzig oder dreissig Jahren.

Das Tätowiren war bei den Vitis niemals im Schwung. Blos erlauchte
Häuptlingsfrauen liessen sich früher an beide Mundwinkel je einen
markstückgrossen runden blauen Tupfen eintätowiren, was hie und da noch
an alten Individuen zu sehen ist. Dagegen liebten es die vornehmen Krieger,
sich das Gesicht mit rother, weisser und schwarzer Farbe in regelmässigen,
meist geradlinigen Ornamenten, aber stets möglichst fürchterlich zu
bemalen.

Die Wohnungen der Vitis sind niedrige länglich viereckige Hütten
aus Laubwerk, Palmblättern oder Schilfrohr, welche Materialien in
verschiedenen Mustern über ein festes Pfahlwerk aus Holz gebunden werden.
Charakteristisch für die alte echte Bauart sind die beiden Enden des
Giebelbaumes, indem sie, aus schwarz gekohlten nach aussen konisch
verdickten Baumfarren-Stämmen bestehend, von den Kanten des Daches
ein Meter weit hervorragen. Die Thüren sind so niedrig, dass man nur
hineinkriechen kann, und gegen die Schweine, die frei in den Dörfern
herumlaufen, mit einem Vorbau kurzer Pallisaden geschützt. Der Boden im
Innern ist mit Matten belegt, die mit Farnkraut unterpolstert sind, so dass
man sehr weich darauf liegt. Er wird äusserst reinlich gehalten. Darauf zu
spucken wäre ein grober Verstoss. Wer ausspucken will, muss den nächsten
Zipfel einer Matte aufheben und darunter auf das Farnkraut spucken. Dies
gilt natürlich nur bei den Vornehmen, arme Leute sind weniger skrupulös.

Ein Bett hat der Viti-Insulaner nicht. Er schläft auf seinem weichen
Mattenboden, neben ihm brennt ein kleines Feuer an der Wand, welches er
von Zeit zu Zeit mit einem Fächer anwedelt, als Kopfkissen dient ihm ein
Stück Bambusrohr, das an beiden Enden auf je zwei Füsschen ruht. So liegt
er nackt und meist ohne Decke da, höchstens dass er vielleicht die unter
ihm befindliche steife Matte aufbiegt und halb um sich rollt, häufig
seinen Schlaf unterbrechend, um das Feuer neben sich anzufachen. Die
Nächte sind manchmal sehr kühl, und man hört dann die nackten Menschen
beständig husten.

Bei den Aermeren ist in derselben Hütte, in welcher die ganze Familie
schläft, gewöhnlich noch ein grösserer Feuerplatz in einer Ecke, zum
Kochen bestimmt. Hier liegen horizontal zwei grosse und schwere Töpfe,
deren Form ganz genau dem Nest der Töpferbiene nachgeahmt, aber zu dem
Durchmesser von einem halben Meter vergrössert ist. In diese Töpfe wird
nun alles zusammen hineingeschoben und gegossen was gekocht werden
soll, und die enge Oeffnung mit einem Stöpsel aus zusammengebundenen
Cordyline-Blättern verstopft. Bei den Reicheren sind zum Kochen eigene
Hütten vorhanden, in denen die Frauen schlafen. Der wohlhabende und
vornehme Mann schläft nur mit den Männern seines Gefolges zusammen.
Ehegatten leben zu Hause getrennt und geben sich draussen im Walde
Rendezvous. So will es die alte Viti-Sitte, die noch vielfach in Kraft
steht, wenn sie auch jetzt nach Einführung des Christenthums, das jedem
gestattet ein Weib zu besitzen, nur noch beim alten Adel zu beobachten ist.

In jeder Hütte findet man hohle Kokosnüsse als Wassergefässe an der Wand
hängen. In einem der Löcher am stumpfen Ende der Nuss ist eine Schnur
durch einen Pflock festgeklemmt, an jeder Schnur baumeln auf diese Weise
zwei Nüsse, so dass sie bequem paarweise um den Nacken gehängt werden
können, wenn die Weiber ausgehen um im nächsten Bach Wasser zu holen.
Die beiden andern Löcher sind durch kleine Keile von zusammengerollten
Blättern verschlossen. Aus diesen Gefässen zu trinken ist nicht ganz
leicht. Man muss sich das Wasser aus einer gewissen Entfernung in den Mund
giessen. Die Lippen an die Oeffnungen zu legen gilt für sehr unanständig.

Das Mobiliar einer Viti-Hütte ist somit von klassischer Einfachheit.
Die unterpolsterten Matten, einige Bambus-Kopfkissen, eine oder zwei
Feuerstellen, einige Fächer, die zwei Kochtöpfe und etwa sechs paar
Kokosnuss-Wassergefässe, mehr braucht eine Viti-Familie nicht in ihrem
Daheim und zu ihrem Glück.

Ueber die Stellung der Viti-Insulaner in der Klassifikation des
Menschengeschlechts herrscht grosse Zerfahrenheit unter den Systematikern.
Gerland (1872) rechnet sie zu den Melanesiern, zu denen er auch die Papuas
zählt, Müller (1873) ebenfalls zu den Melanesiern, die bei ihm eine
Unterabtheilung der Malayen sind, welche er in Polynesier, Melanesier
und eigentliche Malayen scheidet, Peschel (1874) zu der mittlerweile
selbständig gewordenen Rasse der Papuas, Meinicke (1875) zu den
Polynesiern. Die Vitis liegen eben gerade noch an der Grenze jenes
Erdenwinkels, dessen buntes Gewimmel kleiner Inselvölkchen noch nicht
genug aufgeklärt ist. Vielleicht dass man die Begriffe Polynesier,
Melanesier und Mikronesier -- auch etymologisch und allgemein logisch
unglücklich gewählt -- aufzugeben und nur noch Malayen und Papuas mit
verschiedenen Zwischen- und Mischformen beizubehalten haben wird. Die sehr
wohlklingende Sprache der Vitis ist malayo-polynesisch. In der Haarbildung
nähern sie sich dem Papua-Typus.

Obgleich ich nur auf Kandavu war, so glaubte ich doch die Bewohner dieser
Insel als echte Repräsentanten der ganzen Gruppe betrachten zu dürfen, da
ich dort auch viele zugereiste Eingeborene von anderen Vitiinseln sah, ohne
einen Unterschied derselben entdecken zu können. Es sind allerdings auf
Kandavu auch eingewanderte Tonganer vorhanden, namentlich in dem grossen
und wohlhabenden Dorfe Dalingele an der Südseite des Bukelevu. Diese sind
aber sofort auf den ersten Blick als solche zu erkennen an ihrer auffallend
hellen, fast pomeranzengelben Farbe. Ebenso sind auf Kandavu als Kulis
eingeführte Neu-Hebriden-Insulaner zu sehen, deren grauschwarze Haut im
Gegensatz zu dem warmen Braun der Vitis, dem man beim Malen entschieden
Gelb beimischen muss, einen bläulichen Duft zeigt.

Die Vitis sind wie gesagt schöne, schlanke, muskulöse Menschen. Sie
sind wohl im Durchschnitt länger und kräftiger als die Europäer,
mehr gleichlang und mehr gleichentwickelt, ohne die Extreme der bei uns
vorkommenden Riesen und Zwerge, Dickwänste und Klapperskelette. Ihre
Gesichtszüge sind meistens angenehm, oft edel, selten so roh und brutal
wie man bei den Söhnen der schlimmsten Kannibalen, welche die Geschichte
der Menschheit kennt, erwarten möchte. Die Nase ist breit, die Nüstern
sind ebenso wie bei den Polynesiern etwas weit geöffnet, die Jochbogen nur
mässig oder wenig vorspringend. Der Mund ist sinnlich voll, ohne unschön
zu sein. Die horizontal geschlitzten Augen sind dunkelbraun, die Haare
schwarz, in der Regel aber künstlich ins Röthliche gefärbt, die Haut
braun, schokolade- bis rothbraun, bald heller, bald dunkler. Von dem
bläulichen Schimmer der Haut, der ihnen beigelegt wird (Gerland,
Peschel) habe ich nichts wahrnehmen können. Das Haar ist kraus und wird
gegenwärtig allgemein sehr kurz gehalten. Ich habe das für die Papuas
von A. R. Wallace als charakteristisch angegebene Pudelhaar nur einmal bei
einem Mädchen von etwa fünf Jahren gesehen. Das ganze Kopfhaar war hier
in einzelne Löckchen von sieben Zentimeter Länge verfilzt, es wuchs aber
gleichmässig über den ganzen Kopf aus der Haut, nicht in Büscheln
wie bei den Schuhbürsten. Barrow hat nämlich den Hottentotten dieses
Schuhbürstenhaar nachgerühmt. Und Hottentotten und Papuas stehen bei
Häckel neben einander als Büschelhaarige. Der Bartwuchs ist bei vielen
Vitis, namentlich adeligen, reichlich. Greise haben weisse Haare und
weissen Bart.

Unter den jüngeren Weibern giebt es hübsche, anmuthige Gestalten mit
freundlichen Zügen. Ihre Formen sind zuweilen sehr üppig. Im allgemeinen
aber fehlt den nicht mehr in der ersten kurzen Blüthe befindlichen Frauen
die Grazie der europäischen Weiblichkeit, sie nähern sich zu sehr dem
männlichen Typus, wozu auch noch der Umstand beiträgt, dass sie die Haare
kurz geschoren tragen, und sie werden sehr rasch welk und alt. Die Brüste,
auch der eben erst reif gewordenen Mädchen, zeichnen sich aus durch
eine auffallende Hervorragung des Warzentheils, der leicht abgeschnürt
erscheint und so dem ganzen Organ etwas Birnförmiges verleiht.

Es ist ein grosser Unterschied ob man diese sogenannten Wilden in der Ruhe
oder in der Bewegung betrachtet. In der Ruhe, wenn sie so gerade vor sich
hinstieren und vielleicht auch wohl den Mund offen stehen lassen, sehen
sie gewiss nicht vortheilhaft aus. In der Bewegung aber, wenn sie lebhaft
gestikulirend mit einander sprechen und lachen -- und sie lachen fast immer
-- wenn ihre herrlich weissen Zähne und ihre dunklen Augen blitzen und
funkeln, gewähren sie ein höchst anziehendes Bild von Kraft und Frische,
Urwüchsigkeit und Wildheit. Desshalb wird auch die beste Photographie
immer weit zurückbleiben hinter dem unmittelbaren lebendigen Eindruck,
den diese Naturmenschen auf den Beschauer ausüben, und nie eine richtige
Vorstellung geben. In den Hütten sitzen sie gewöhnlich mit gekreuzten
Beinen auf ihren Matten, im Freien aber kauern sie am liebsten nieder, ohne
mit dem Hintertheil den Boden zu berühren, die Sohlen ruhen voll auf der
Erde, und sie sitzen dabei förmlich auf ihren Waden.

Die Nahrung der Vitis ist eine vorzugsweise vegetabilische. Taro und Yams,
Kumala, Bananen und Brodfrüchte liefern die Hauptgerichte. An Kokosnüssen
ist kein Mangel, aber sie sind von den Missionären »tambu« erklärt, und
fast vor jedem Kokospalmenhain stecken drei oder vier lange Stangen in der
Erde, an deren Spitzen Strohbüschel hängen, das Zeichen des »Tambu«.
Denn in Kokosnüssen haben die Eingeborenen ihren Zehnt an die Missionäre
und ihre Steuer an die englische Regierung zu zahlen. Der Botaniker
Seemann, der 1860 und 1861 die Vitiinseln in offiziellem Auftrage bereiste,
sagt dass die Yamswurzel die Hauptnahrung der Vitis sei. Auf der Insel
Kandavu scheint mir indess Taro überwiegend gebaut zu werden, vielleicht
wegen der hier zahlreicheren kleinen Gebirgsbäche, die zu Sümpfen
aufgestaut, sich besonders gut zur Anlegung von Taro-Pflanzungen eignen.
Die Taropflanze ist eine Colocasia und die Yamspflanze eine Dioscorea.
Letztere wird auf Aeckern in einzelnen Erdhäufchen, welche wie
Maulwurfshügel aussehen, gezogen. Die Kumala oder süsse Kartoffel oder
Batate ist ein Convolvulus und hat mit unserem Solanum nichts gemein als
ihren deutschen und ihren englischen Namen. Taro, Yams und Kumala, Bananen
und Brodfrucht werden gekocht gegessen.

Schweine und Hühner sind in jedem Dorfe vorhanden, sie werden aber nur
bei hervorragenden festlichen Gelegenheiten, und dann in um so grösseren
Quantitäten, verzehrt. Fische alle Tage und Schildkröten ziemlich selten
liefert die See. An regelmässige Mahlzeiten scheinen sich die Eingeborenen
nicht zu binden. Die auf den Riffen erbeuteten Fische werden entweder in
Körbchen nach Hause getragen oder sogleich an Ort und Stelle verzehrt.
Die Jungen, die mit hinausbummeln, tragen glimmende Holzscheite mit und
schwingen sie von Zeit zu Zeit im Kreise, um sie in Brand zu erhalten.
Haben sie einen kleinen Fisch, so wird er kurzweg lebendig auf die Gluth
gehalten, um erst die eine Seite, dann die andere ein bischen anzuschmoren,
in den Mund geschoben und abgebissen. Vor jedem Dorfe das am Strande liegt
sind draussen an einer tieferen Stelle im Wasser Stangen kreisförmig dicht
neben einander in den Grund gesteckt und oben durch Stricke verbunden,
Käfige in die man die Schildkröten einsperrt bis man sie schlachten will.
Die zahlreichen Papageien und Tauben des Waldes tragen nichts zur Küche
des Viti-Insulaners bei. Es ist ein grosses Glück für die ornithologische
Fauna der Inseln, dass jene mit den Gewehren die sie besitzen nicht
umzugehen verstehen. Teller, Gabeln und Messer hat man für gewöhnlich
nicht. Man isst mit den Fingern beider Hände, die Speisen werden
sehr reinlich auf Blättern servirt. Früher bediente man sich für
Menschenfleisch besonderer geheiligter Gabeln aus Holz.

Ihre Sprache, welche eine Abart des Polynesischen ist, während sie selbst
dem Körperbau nach zu den Papuas gehören, klang mir womöglich noch
wohllautender, als das Maori der Neuseeländer. Dabei lässt ihre
Artikulation an Deutlichkeit nichts zu wünschen, ganz im Gegensatz zu
jener des Englischen. Welche Mühe kostet es dem Anfänger, das gesprochene
Englisch zu verstehen, jeder Engländer scheint ihm anders zu reden. Im
Viti aber braucht man ein Wort blos einmal gehört zu haben, um es später
sofort wieder zu erkennen.

Die Vitis sprechen alle das reine linguale R, während bei den Hawaiiern,
deren Konversation ich später belauschen sollte, das gutturale R
vorherrscht. Mit den Samoa-Insulanern haben sie die Ausnahme gemein, ein
S zu besitzen, welches den übrigen Polynesiern fehlt. Das aspirirte S
dagegen, unser Sch, besitzen sie nicht und scheinen es meist durch
das ihnen eben so wie den Arabern, Griechen, Spaniern und Engländern
eigenthümliche Theta (scharfes englisches Th) zu ersetzen. Ich hörte
statt »Shilling« immer nur »Thilling«. Eine andere Eigenthümlichkeit,
welche an die Sprachen der westafrikanischen Neger erinnert, besteht darin,
dass sie den Buchstaben D, G, K und M fast immer ein N, und dem B ein M
als Vorschlag voransetzen. Die Missionäre als erste Vitigrammatiker haben
deshalb die Schreibweise Kadavu, Bega, Bau (drei Inseln), Thakobau (der
ehemalige König), Buke (Berg), Dalo (Taro), Malatta, Galoa (die beiden
Buchten) eingeführt, während man Kandavu, Mbenga, Mbau, Thakombau,
Mbuke, Ndalo, Nmalatta oder Namalatta, Ngaloa oder Angaloa sagt, indem sie,
wunderlich komplizirend, die richtige Aussprache von der Kenntniss
dieser Regel und der dazugehörigen Ausnahmen abhängig machten. Zur
Transskription des Vitilautes Th (= dem englischen weichen Th) haben
manche das C verwendet. Deshalb liest man auch Cakobau.

Es giebt eine Menge Dialekte im Viti, wenn man fein unterscheiden will,
vielleicht eben so viele als einzelne Inseln. Daher kam es, dass ich
für meine gesammelten Pflanzen, wenn ich sie wiederholt verschiedenen
Eingeborenen vorlegte, um ihre Namen zu erfahren und festzustellen, oft von
jedem einen anderen erhielt, weil die Gefragten von verschiedenen Inseln
stammten.

Die Adeligen und Vornehmen der Vitis waren früher die schlimmsten
Kannibalen der Erde. Ursprünglich war das Menschenfressen ein religiöser
oder patriotischer Gebrauch. Man triumphirte über die erschlagenen Feinde
indem man sie auffrass. Später scheinen sich Prahlerei, Leckerei und
andere niedrigere Motive geltend gemacht zu haben. Man wollte sich
gegenseitig in der Anzahl der gefressenen Menschen überbieten, und es kam
so weit, dass die Untergebenen niemals sicher waren, eines schönen Tages
den Appetit ihrer Herren zu reizen. Ich glaube nicht, dass man alles für
wahr zu halten braucht, was von den Missionären hierüber berichtet
wird, von den Missionären, denen daran gelegen sein musste, die Heiden
möglichst schwarz und damit den Glorienschein ihrer Bekehrung möglichst
strahlend zu machen. Ich vermag auch durchaus nicht vor dem Kannibalismus
eben so entsetzt die Augen zu verdrehen, wie diess für manche zum guten
Ton zu gehören scheint, wenn ich an die Rechtsgebräuche unserer biederen
Vorfahren denke. Mir liegt das Abscheuliche an dem Kannibalismus nur in der
willkürlichen Tödtung einzelner Individuen durch die Mächtigen -- ein
Frevel, an dem es in unserer Geschichte doch wahrlich auch nicht fehlt
-- nicht in dem Auffressen der Leichen, dem vielleicht bei dem Mangel
grösserer Thiere ein physiologisches Bedürfniss zu Grunde lag. Dennoch
kann niemand läugnen, dass die Zustände der Vitis in der vorchristlichen
Zeit grässlich genug waren. Es wird mit allem Anschein der
Glaubwürdigkeit erzählt, dass ein Mann einmal seine Frau, mit der er in
Eintracht lebte, lebendig in den Ofen schob, kochte und frass, blos um
den Ruf eines fürchterlichen Menschen, eines »verfluchten Kerls«, zu
erlangen.

Jetzt giebt es in Viti wohl keine Menschenfresserei mehr. Man behauptet
zwar, dass im Innern der grossen Insel derlei noch vorkomme, ohne jedoch
Beweise zu haben. Erzählungen hierüber, wie über alles Sensationelle,
sind stets mit der grössten Vorsicht aufzunehmen.

Man nimmt auch von den Vitis an, dass sie aussterben. Sollte dies wirklich
der Fall sein, was nicht entschieden werden kann, solange noch keine
Zählungen sondern blos Schätzungen vorliegen, so geschieht es
wahrscheinlich nur durch akut auftretende Epidemieen, nicht aber chronisch
und stetig durch immerwährende schädliche Einflüsse, wie bei den Maoris
und bei den Hawaiiern. Während die Maoris und die Hawaiier, beide in Folge
der Liederlichkeit und Minderzahl ihrer Weiber, erstere ausserdem noch
in Folge von Trunksucht, ihrem Untergang entgegensehen, erfreuen sich die
Vitis des Rufes grosser Keuschheit und enthalten sich, von der Regierung
sorgfältig überwacht, der streng verbotenen Spirituosen. Während auf
Neuseeland und namentlich auf Hawaii kleine Kinder unter den Eingeborenen
ziemlich selten sind, wimmelt auf Viti jedes Dorf von Nachkommenschaft und
lässt sich fast aus jeder Hütte das Quieksen eines Säuglings vernehmen.

Während also unter den Viti-Insulanern die Bedingungen für ein
chronisches stetiges Aussterben zu fehlen scheinen, hat bereits einmal
ein akutes aber vorübergehendes Moment die Bevölkerung dezimirt, eine
Masernepidemie nämlich, welche in der ersten Hälfte des Jahres 1875, mit
einer Heftigkeit die bei der weissen Rasse unerhört ist auftretend, in
manchen Dörfern die Hälfte der Einwohnerschaft ohne Unterschied des
Alters hinwegraffte, kurz nachdem Viti englisch geworden war. Ich fürchte,
dass Tuberkulose als die Nachwirkung jener Katastrophe seitdem unter
den Viti-Insulanern ziemlich häufig ist, wie ja auch bei uns in den
Generationen, welche von grossen Masernepidemieen betroffen wurden, die
Prozentsätze der Tuberkulose zu steigen pflegen.

Vor der Ankunft der Europäer gab es auf Viti keine Infektionskrankheiten.
Selbst die giftigen Thiere sind hier auf ein Minimum beschränkt, nur zwei
Arten, ein Skorpion und ein Skolopender, vertreten dieselben in ziemlich
harmloser Weise. Dysenterie soll hie und da vorkommen, aber auch erst durch
die Europäer eingeschleppt.

Es war durchaus nicht der beste Schlag von Eingeborenen, der in unserer
Nähe wohnte und uns häufiger besuchte. Auf den beiden Ausflügen nach
dem Ostende und nach dem Westende der Insel habe ich später viel
schönere Vitis kennen gelernt. Einigemal sah ich in Gavatina hässliche
Drüsennarben am Halse und schlechte Zähne bei Mädchen und Jungen, was
darauf hindeutet, dass auch diese glücklichen Wilden nicht frei sind vom
Fluch der Skrophulose.

Was wir von den Eingeborenen kauften, wurde in der Regel mit Waaren
bezahlt. Messer und Scheeren, Aexte und Angelhaken, Baumwollenzeug, zwei
Ellen mit den ausgespannten Armen gemessen gleich einem Sulu, Glasperlen,
Nähfaden und rothe Wolle, womit die Matten aus Pandanusblättern an den
Rändern verziert werden, waren die hauptsächlichsten Tauschartikel. Die
Insulaner prüften Alles sorgfältig, ob es auch gut sei, ehe sie nahmen.
Das »Billig und schlecht« soll auch ihnen bereits bekannt sein. In
denselben Artikeln bestanden unsere Gastgeschenke, wenn wir auf Exkursionen
bei einem Häuptling übernachteten.

Ueberall wo der schöne hellblinkende Korallensand das Ufer bedeckt,
schiebt sich von innen heraus als erste Vegetationszone ein flach auf
dem Boden fortkriechender dickblätteriger Convolvulus mit rosenfarbenen
Blüthen vor, die schönste und stylvollste Besäumung der Palmenhaine, die
man sich denken kann. Dies scheint die einzige kleinere Pflanze zu sein,
die selbst des geringsten Schattens entbehren kann, aber auch nur, indem
sie in geschlossenen Massen der Sonnenhitze entgegentritt. Die Grenzen
ihres Bereiches sind scharf abgeschnitten, und einzelne eigenmächtig
vordringende Ranken verfallen dem Tode.

Etliche Schritte einwärts beginnen die Palmen. Der Convolvulusteppich wird
spärlicher, und ein verworrenes Strauchwerk von Ricinus, Croton, Farnen
und hohem Gras breitet sich unter ihnen aus. Hie und da ragen mächtige
durch ihre knorrigen Zweige an unsere Eichen erinnernde Dilobäume mit
steifen lorbeerähnlichen Blättern weit über alles Andere hervor. Häufig
sieht man die Reste verlassener Baumwollenpflanzungen mitten zwischen
Gestrüpp und im ungleichen, hoffnungslosen Kampf mit diesem. Solcher Art
ist auch der Charakter unseres stillen Thales von Gavatina.

Einen Büchsenschuss vom Strande entfernt rücken die Berge zu einer
schmalen Schlucht zusammen, durch welche ein murmelndes Bächlein
herabsteigt. Am Fusse der Berge beginnt der Busch. Schmale und steile Pfade
winden sich in ihm aufwärts, von den Eingeborenen ausgetreten, welche dort
oben Holz, Lichtnüsse und Zitronen holen oder in ausgebrannten Rodungen
Bergtaro bauen. Oft hören diese Pfade plötzlich auf, und will man dann
noch weiter im Dickicht dringen, so stemmen sich Hindernisse entgegen,
deren Grossartigkeit aller Beschreibung spottet.

Gleich der erste Ausflug, den ich mit meinem Gastfreund und dessen Burschen
Niketi unternahm, gab mir einen Begriff von den Schwierigkeiten des
Naturforschens in tropischer Vegetation.

Mit Flinten und Schiessbedarf, Schachteln und Gläsern, Pflanzenpapier und
Baumwolle ausgerüstet, alle Taschen dick bepackt, kletterten wir durch
einen halbvertrockneten Wasserlauf voller Felsblöcke die jungfräulichen
Urwaldgründe hinauf, der kleine nackte Niketi gewandt voran, obgleich er
der Schwerstbeladene von uns dreien war und bei dem Mangel an Taschen in
der einen Hand eine Blechbüchse mit Gypspulver zum Bestreuen der blutenden
Wunden geschossener Vögel, in der anderen eine Spiritusflasche zu tragen,
überdies einen für ihn viel zu grossen Ranzen umgehängt und später auch
noch den ebenfalls viel zu grossen Filzhut seines Herrn, der diesem lästig
wurde, auf den Kopf gestülpt hatte.

Je höher wir kamen, desto enger drängte sich das Gewirr der Bäume,
Sträucher und Lianen über uns zusammen. Dunkelrothe Papageien flogen, ein
langweiliges Giek gak ausstossend und ihren Schwanz breit entfaltend, über
uns hin. Aber um diese gemeinen Vögel war es uns heute nicht zu thun. Herr
Kleinschmidt wollte eine kleine niedliche hellgrüne Taubenart mit gelben
Köpfen schiessen, die nur ganz oben zu finden ist. Noch eine gute Strecke
aufwärts war zu überwinden, und wir sahen uns plötzlich mitten im
pfadlosen Dickicht. Mein Freund war schon öfter diesen Weg gekommen, aber
keine Spur seiner früheren Bahnen liess sich entdecken.

Durch das Laub war gerade noch die Richtung der Sonne zu errathen.
Baumstämme jeden Kalibers, Felsblöcke und mannstiefe Löcher, Alles
überwuchert von hundert verschiedenen Pflanzen, bildeten den Boden. In
allen Richtungen kreuzten sich die Lianen, legten sich bei jedem Schritt
vorwärts um Arme und Beine, um die Brust und den Hals und quer über die
Nase. Jede einzelne fordert einen eigenen Messerschnitt. Hat man auf diese
Weise den Oberkörper sich frei gemacht, kostet es immer noch Anstrengung,
den Fuss sammt dem Stiefel aus zahlreichen Schlingen herauszuziehen und
vorwärtszusetzen. Harte Felsen sind unter dem ungleichen Boden verborgen
und schmerzen heftig den Fuss, wenn man allzu dreist auftritt. Jetzt kommt
ein gefallener mächtiger Baumstamm zu überwinden. Man krallt sich hinauf,
die morsche Rinde bricht, und man plumpst in den Mulm des hohlen Innern
hinab, in dem es von fingerlangen Engerlingen wimmelt. Man hält sich
an die Schmarotzerbekleidung eines noch stehenden Baumes, um sich
emporzuziehen, die ganze Säule fällt um. Denn der Baum selbst existirt
schon lange nicht mehr, nur die Lianen, die ihn umstrickten, haben seine
dicht mit parasitären Pflanzen überzogene Rinde bisher gehalten. Gar
viele andere todte Stämme sind noch vorhanden und stehen noch, bis sie
eines schönen Tages der geringste Anstoss umwirft. Nicht selten hörte ich
des Nachts, wenn ich unten in meinem Zelte schlaflos lag, das prasselnde
Fallen einer derartigen Leiche oben im Busch durch das Rauschen des Windes.

Unter solchen Mühseligkeiten waren wir endlich dem Gipfel näher gekommen,
von wo geheimnissvoll verheissende Flötentöne uns entgegenlockten. Herr
Kleinschmidt kennt jedes Vogels Stimme und Gesang im Busch von Viti, er
pfeift sie zu Hause sich wieder vor und setzt sie auf Noten, um sie sammt
den Bälgen und Eiern der Sänger an sein Museum zu schicken. Es gelang uns
mehrere Vögel zu schiessen, doch nicht alle kamen in unseren Besitz. Man
sieht die Beute fallen, aber sie bleibt nur zu oft unerreichbar hängen
oder fällt in ein Dickicht wo sie selbst der gewandte Niketi nicht findet.
Viele Schoten und andere Früchte habe ich aufgelesen, von denen es mir
nicht möglich war, die sie liefernden Pflanzen zu eruiren, da sie hundert
verschiedenen angehören konnten.

Von aussen, unten am Ufer betrachtet, sah der Busch entschieden viel
schöner aus, als im Inneren, dessen Gewirre zwar imponiren musste, aber
auch so dicht war, dass man vor lauter Vegetation nichts zu sehen und zu
bewundern vermochte. So kam zum Beispiel ein riesiger Banyanenbaum mit
all seinen sekundären Stämmen und Säulenhallen, der freistehend einen
kolossalen Eindruck gemacht haben würde, durchaus nicht zur Geltung, da
man ihn nicht überschauen, sondern immer nur jenen kleinsten Theil, der
gerade nicht von dem anderen Pflanzengesindel verdeckt wurde, sehen konnte.
Die meisten Bäume hatten steife glänzende Blätter ähnlich unserem
Ficus. Von Blüthen war wenig zu sehen. Es war gerade nicht die günstigste
Zeit dazu.

Ausser dem fast niemals schweigenden unmelodischen »Giek gak, Giek gak«
der gemeinen dunkelrothen Papageien ist noch eine andere Vogelstimme
charakteristisch für den Busch von Viti. Es giebt eine grosse Taubenart
hier, welche bellt wie ein Hund, und ihr rauhes »Hu hu, Hu hu hu« hat
sogar einen bedeutenden Gelehrten verführt, von wilden Hunden zu sprechen,
die sich in den Bergen herumtreiben. Eigentliche Sänger des Waldes besitzt
Viti nicht. Man hört wohl hie und da ein langgedehntes flötendes Pfeifen,
welches die niedliche gelbköpfige Taube ausstösst, oder es piepst
ein Fächerschwänzchen im Gebüsch, ärgerlich über unser Nahen mit
gespreizten Flügeln hin- und herflatternd, als ob es uns verjagen wollte.
Aber Melodien zu singen haben alle diese Vögel nie gelernt.

Viel sympathischer waren mir die zahllosen kleinen Eremitenkrebse, denen
ich nicht selten hoch oben im Busch begegnete. Dass diese Kiementhiere in
der schattigen, feuchten Atmosphäre der tropischen Vegetation sich gerne
ergehen, ist weniger überraschend, als dass sie auch in der Sonnenhitze
des Strandes herumzubummeln vermögen. Sie müssen eine starke Fähigkeit,
sich den heterogensten Umgebungen anzupassen, besitzen. Sie wählten
vorzugsweise die schweren Gehäuse der Neritinen zur Bekleidung ihres
weichen Hinterleibs, und bedächtig und sicher steigen sie mit dieser
erheblichen Last über alle Hemmnisse. Vorsichtig ducken sie sich oder
lassen sich von Erhöhungen herabfallen, wenn sie uns bemerken, und legt
man sich nieder um zu lauschen, so knistert es von ihnen überall unter dem
Laube. Ihre Bewegungen und ihr Thun macht den Eindruck grosser Intelligenz.
Wo sie nur etwas Essbares finden, prüfen sie es erst genau von jeder
Seite, dann packen sie zu mit der einen verlängerten Scheere und führen
Bissen um Bissen zum Munde. Ganz besonders beliebt sind ihnen wie allen
Thieren die Kokosnüsse.

Ausser diesen Eremitenkrebsen, welche dem Meeresufer angehören, findet
man etwas seltener im Busch einen echten Landeremitenkrebs, der sich das
leichtere Gehäuse des Bulimus Seemanni als Wohnung erkoren hat. Er ist
viel behender als jene, und schnell humpelt er unter einen Felsen oder
einen Baumstamm, wenn man ihn überrascht.

Einmal führte mich Herr Kleinschmidt an einen Platz im Busch, wo eben
ein grosses Kanuu zugehauen wurde. Kandavu ist seit urdenklichen Zeiten
berühmt wegen seines vortrefflich hierzu geeigneten Holzes. Viele
Häuptlinge besitzen zwar europäische Böte, der gemeine und ärmere Mann
nimmt indess immer noch mit dem Kanuu alten Styles vorlieb.

Die Bäume werden zu diesem Zweck hoch oben auf dem Berge gefällt, an
Ort und Stelle ausgehöhlt und erst im fertigen Zustande nach dem Ufer
hinabgeschleift, was bei den grossen Schwierigkeiten allein oft eine Arbeit
mehrerer Wochen ist. Zum Bearbeiten des Holzes dienen jetzt europäische
eiserne Beile, die jedoch noch immer in der alten Weise, wie ehemals die
Steinäxte, an den Stiel befestigt werden, die Schneide nicht wie bei uns
parallel, sondern quer zum Griffe. Als Stiel wird ein junger Baumstamm
verwendet, aus welchem spitzwinkelig ein starker Ast hervorwächst. Dieser
letztere bildet den Griff, an den hakenförmig zugeschnitzten Stammtheil
wird das Beil platt mit der Fläche daraufgelegt, durch Stricke aufs
solideste festgebunden.

Bei jenem Kanuubau, den ich beobachtete, war der Baum so gefallen, dass er
nur an zwei Punkten den unebenen Boden voll dichter Vegetation und Wurzeln
berührte. Nachdem eine Reihe Querbalken untergeschoben war, hatte man
diese zwei Stellen abgegraben, so dass der Baum vollständig frei über
der Erde schwebte. Die obere Seite wurde zum Kiel zugeschärft, die untere
ausgehöhlt, wozu die Zimmerleute sich unter dem Baum auf den Rücken
legten.

Ein solch schmaler Kahn aus einem einzigen Baum wäre nun ein sehr
schwankes Fahrzeug und kaum tauglich zum Segeln, wenn das labile
Gleichgewicht nicht durch eine sinnreiche Vorrichtung unterstützt würde.
Es wird nämlich -- und diess ist charakteristisch für alle polynesichen
Fahrzeuge -- ein sogenannter Ausleger »Kama«, ein zweites Kanuu, nur viel
kleiner und meist sogar nur aus einem vorn und hinten zugespitzten und mit
Kiel versehenen Baumstamm bestehend, zwei bis drei Meter entfernt durch
Querstangen neben und parallel dem ersten Kanuu befestigt. Das Fahrzeug
wird auf diese Weise breiter und sicherer, ohne durch allzu grossen Körper
an Leichtigkeit einzubüssen. Die verbindenden Holzgerüste aus dünnem
Lattenwerk, die bei den Vitis nicht gerade zwischen beiden Kanuus von Bord
zu Bord gehen, sondern beiderseits erhöht auf gekreuzten Pfosten ruhen,
erscheinen sehr gebrechlich und geben dem Ganzen ein spinnenartiges
Aussehen.

Diese polynesischen Kanuus segeln sehr schnell. Manche Reisende sprechen
von zwanzig und mehr Seemeilen per Stunde, was jedoch zweifellos
Uebertreibung ist. Wenn sie gegen den Wind aufkreuzen, muss der Ausleger
immer auf der Windseite bleiben. Aus diesem Grund können sie nicht auf
unsere Weise wenden, also entweder »über Stag gehen« oder »halsen«,
wobei einmal die rechte, das anderemal die linke Seite des Bootes zur
Windseite wird. Sie müssen einfach umkehren, rückwärtsgehen, das
Vordertheil muss Hintertheil, das Hintertheil Vordertheil werden. Hiebei
wird der Mast, der unten wie in einem Scharnier beweglich ist, schräg
nach dem jeweiligen Vordertheil geneigt, und das dreieckige lateinische
Mattensegel fliegt herum, indem man den Hals desselben nach der
entgegengesetzten Seite bringt.

Ein nicht minder reiches Leben wie im Busch, wenn auch gänzlich
verschiedenartig, tummelte sich an der anderen Seite unseres Thales,
draussen über den Riffen herum.

Keine hundert Schritt vom Ufer, in gleicher Flucht mit der sanften kaum
merklichen Böschung des angeschwemmten Sandes und ohne scharfe Grenze,
begannen die nackten Korallenbänke, durch das süsse Wasser unseres
Bächleins, welches eine tiefe Schlucht einschnitt, in zwei Hauptmassen
geschieden, da ja die Korallenthiere nur in der unverdünnten Salzfluth zu
gedeihen und zu bauen vermögen.

Vielfach zerklüftet an der Oberfläche, in einzelnen Blöcken über
das Niveau der Ebbe hervorragend, durchzogen von geräumigen Höhlen
und Löchern, tritt diese interessante Zone, welche eigentlich nur
eine Fortsetzung des festen Landes bildet, in die See vor. Nach einer
durchschnittlichen Breite von zweihundert Schritt fällt sie steil zur
dunklen Tiefe hinab, aus welcher dann noch weiter draussen einige isolirte,
gewöhnlich kreisrunde Riffe mit höherer Umwallung und niedrigerem
Zentrum, Miniaturatolle, emporsteigen. In der Nähe des Ufers, wo
beständig Sand und Geröll und Schlick hin und her gespült wird, ist
das animalische Gestein längst todt und verräth nur an einzelnen Stellen
durch die Korallenstruktur seinen Ursprung. Erst in grösserer Entfernung
vom Schmutz des Landes hausen und bauen die lebenden Generationen. Zur Zeit
der Ebbe, welche hier im Stillen Ozean nicht mehr als etwa ein Meter vom
Hochwasserstand differirt, konnte ich oft bis fast zum äussersten Absturz
des Riffes hinauswaten, und mit einer eisernen Stange die schönsten
Korallenbäumchen losbrechen. Die mannigfaltigsten Formen waren vertreten.
Leider gelang es mir nie, die Blüthenthiere selbst entfaltet zu sehen.
Dass in den einzelnen Kelchen noch lebende Thiere sassen, war unverkennbar,
aber sie hatten sich zu gestaltlosen Klumpen von den prachtvollsten
hellgrünen, purpurnen und azurblauen Farben zusammen- und zurückgezogen.
Wenn ich sie auch sofort ins Aquarium verpflanzte und dessen Wasser
fast stündlich erneuerte, sie blieben eigensinnig unsichtbar, zu meiner
schmerzlichen Enttäuschung, während doch ihre Verwandten in unserer
Nordsee, die Sertularien, mir ihren vollen Anblick niemals missgönnt
hatten.

Für diese Sprödigkeit entschädigte übrigens reichlich die ungeahnte
Fülle von allen möglichen Meeresbewohnern, denen die von den stillen
Baumeistern der Tiefe geschaffenen Schlupfwinkel als geschützter
Aufenthalt dienten. Eine Menge kleiner Fische, in den verschiedensten
Farben des Spektrums schillernd, merkwürdig intensiv blaue Seesterne,
eine Unzahl von Seeigeln und Holothurien, von Würmern und Schnecken,
die meisten prachtvoll und glänzend, trieb sich dort in den Löchern und
Tümpeln herum. Gelb und schwarz geringelte Wasserschlangen schlängelten
sich über den Boden, hinter Steinen verborgen sassen schlüpfrige Aale,
nur mit dem Kopf scheu hervorguckend, fuhren blitzschnell zurück, wenn
man sich nahte, und bissen wüthend die Hand, wenn man sie griff. Es war
überhaupt nicht ungefährlich, mit der Hand unter die Steine zu langen.
Da lauerten oft Seeigel mit so feinen und zarten Stacheln, dass sie an
der Spitze abbrachen und in der Haut stecken blieben, kaum sichtbar, aber
genügend um Geschwüre zu erzeugen, oder es spreizten Skorpänen ihre
scharfen Flossenstrahlen und konnten sehr schmerzhafte Verletzungen
beibringen.

Am interessantesten waren mir zwei Mollusken durch ihre ausgezeichnete
Lebhaftigkeit, eine handgrosse Nacktschnecke, Doris, und eine
wallnussgrosse Muschel, Lima. War die Doris, wenn sie mit ihrem
rosenfarbenen Körper in eleganter vertikal gerichteter Wellenbewegung das
Aquarium durchmass, schon auffallend genug, so wirkte die Behendigkeit
der Lima, einer Vertreterin jener Thierklasse, an die wir gewöhnlich den
Begriff des Langsamen und Unbehülflichen knüpfen, noch überraschender.
Auf den ersten Blick hatte die Lima wenig Aehnlichkeit mit einer
gewöhnlichen Muschel. Ueber die beiden Schalen, welche vorn und hinten
bedeutend klaffen, ragt der Mantelsaum hervor und trägt mehrere Reihen
purpurroth quergeringelter Fransen, deren längste länger sind als das
Thier selbst und dieses vollständig einhüllen können, so dass man
nichts sieht als einen Knäuel flotirender und sich krümmender wurmartiger
Gebilde. Leicht reissen einzelne ab und bewegen sich dann auf eigene Faust
noch lange weiter.

Plötzlich geräth Leben in das unerklärliche Wesen. Es erhebt sich vom
Grunde und schwimmt ruckweise rings an den Wänden des Glasgefässes hin.
Jetzt werden die beiden Schalen sichtbar, und deutlich beobachten wir,
wie das Thier durch abwechselndes Oeffnen und Schliessen derselben sich
vorwärts stösst, während der Fransenknäuel wie eine feurige Garbe
nachschleppt. Nun setzt es sich wieder, und gerade so günstig, dass wir
in das klaffende Innere sehen können. Wir sehen die braunen Kiemen, und
zwischen ihnen streckt sich der schmale Fuss vor und tastet auf dem Boden
herum, einem Blutegel vergleichbar. Der Fuss saugt sich fest mit seinem
vorderen Ende, und durch eine rasche Kontraktion zieht er das ganze Thier
hinter sich nach. Mehrmals wiederholt sich dieses Manöver. Die Muschel
marschirt vorwärts wie eine Raupe.

Von unserer europäischen Lima weiss man, dass sie ein Nest für sich baut
und darin den grössten Theil ihres Daseins in beschaulicher Ruhe zubringt.
Auf dem Riff von Gavatina habe ich niemals Nester, wohl aber ziemlich
häufig das freie Thier im Wasser sich tummelnd gefunden.

Zur Zeit der Ebbe blieben wir selten allein auf den Korallenbänken.
Eingeborene schlossen sich uns an, um Fische zu fangen, und so weit wir
die Küste überschauen konnten, war sie belebt von Menschen, die unter
fröhlichem Geschrei sich dieser Beschäftigung hingaben, die wenigen
Reiher, welche gleichfalls zu fischen kamen, nach den äussersten
Aussenriffen verscheuchend.

Auch bei Nacht herrschte dann ein reges Treiben dort. Allenthalben bewegten
sich brennende Fackeln hin und her, und Bambusgeklapper und laute Stimmen
weckten das Echo der finsteren Waldberge. Es schien mir als ob diese
lärmende Lustbarkeit grossentheils dazu dienen sollte, Muth einzuflössen,
da sich die Insulaner in der Dunkelheit vor allerhand bösen Geistern
fürchten.

Die von der Ebbe in den Tümpeln zwischen den Riffen zurückgelassenen
Fische wurden mittels kleiner viereckiger Netze gefangen, indem man
dieselben auf den Boden der Tümpel legte, die Fische darüberjagte und
mit einem schnellen Ruck aufs Trockene warf. Auch bedient man sich zur
Betäubung der Fische einer Eugenia-Art, und man sah alte Strünke davon
überall auf den Riffen herumgestreut. Wenn eine Gesellschaft junger
Männer am Strand entlang zog, waren sie gewöhnlich mit zugespitzten
hölzernen Wurflanzen bewaffnet, mit denen sie auf Fische im seichten
Wasser zu werfen pflegten. Ich habe aber nie gesehen dass einer einen Fisch
getroffen hätte.

Es gab massenhaft Holothurien rings um die Insel, mindestens zehn Arten
waren überall gemein. Indess schienen diese Thiere, die anderwärts in der
Südsee als Trepang für den chinesischen Markt getrocknet eine so grosse
Rolle spielen, hier von den Eingeborenen kaum beachtet zu werden. Am
häufigsten war eine grosse armsdicke und vorderarmslange schwarze
Seegurke, die zu einer prallen und harten Wurst zusammengezogen überall
herumlag. Ihr Gegentheil in Bezug auf Konsistenz bildete eine Synapta, die
den Eindruck einer leeren nur mit wässerigem Schleim gefüllten Wursthaut
machte.

Auf unseren Riffexpeditionen trafen wir gewöhnlich mit einem hübschen
schlankgewachsenen Mädchen zusammen, welches ganz ausgezeichnet schöne
Beine besass. Diese Beine wirkten ästhetisch befriedigend namentlich
dadurch, dass sie aus einem kurzen Blättergürtel hervorwuchsen, welcher
die einzige Bekleidung des hübschen Mädchens war. In der einen Hand ein
schmales Netz aus Kokosnussfasern, an der anderen ihren kleinen Bruder, der
einherlief so wie ihn Gott erschaffen hatte, bot sie das malenswertheste
Modell einer reizenden Wildin.

Einigemal als ich Nachts in Folge von Kawa-Genuss nicht schlafen konnte,
nahm ich die Jolle und fuhr hinaus, um das Meerleuchten zu beobachten. Ich
konnte aber nie etwas nennenswerth Prächtiges entdecken. Das Wasser war
stets zu unruhig um deutlich in die Tiefen zu sehen und der Sternenhimmel
zu hell um die bescheidenen phosphoreszirenden Blitze, die wahrscheinlich
von Fischen erregt unten hin und her zuckten, nicht zu beeinträchtigen.
Ich sah nicht mehr als in jedem Salzwasser und viel weniger als in der
Nordsee gewöhnlich am Strande zu sehen ist. Von Korallen sah ich niemals
ein Leuchten ausgehen.

Wie bereits erwähnt, springen links und rechts von Gavatina steile
Bergrücken in die See vor, und hinter diesen folgen zwei andere
Thäler mit Palmenhainen. In dem Thale rechts liegt das Dorf des alten
Oberhäuptlings, Sanima, in dem Thale links wohnte ein Engländer, Doktor
Hink mit seiner Familie.

Um dem alten Tui meinen Gegenbesuch abzustatten, ging ich an einem der
ersten Tage nach Sanima. Der Weg dorthin führt um eine scharfe Ecke
der vielgebuchteten Insel dem Ufer des Meeres entlang, das hier zu Lande
überhaupt die vorzüglichste Verkehrsstrasse bildet. Bald ist es
weicher, hässlich nachgiebiger Sand, bald das Wurzelwerk stinkender
Mangrovesümpfe, bald sind es lose gehäufte Felsblöcke, über die
sie dahinführt, und es ist schwer zu sagen, welche der drei Arten die
beschwerlichste und ermüdendste ist. Pferde oder Wagen giebt es nicht auf
Kandavu, sie wären auch zu nichts zu gebrauchen. Zwischen Gavatina und
Sanima herrscht grösstentheils die Felsblockkonstruktion. Rechts baut sich
der herrliche Wald in die Höhe, hellgrüne Farne und dunkelglänzendes
Buschwerk hängt an den Felsenkanten herab, links brandet draussen die
blaue See in blitzenden Linien. Aber von all diesen Schönheiten ist im
Gehen nichts zu geniessen. Denn die Blöcke sind glatt und schlüpfrig, und
eine Menge Fliegen umschwirren zudringlich den Wanderer.

Nach einer halben Stunde tritt der Berg zurück, statt der mühseligen
Blöcke knirscht weicher Korallensand unter den Füssen. Palmen wogen durch
ein freundliches Thal, wir sind in Sanima.

Einige kleine Nacktfrösche laufen erschrocken davon und schreien
»Papalang, Papalang«. Ihnen schliesst sich eine Schaar lustiger Ferkel
an und rennt wo möglich noch flinker ins Dorf hinein, aufgeregt die
Ringelschwänzchen im Kreise drehend. Ein Köter fängt an zu knurren,
zieht aber sogleich feige den Schweif ein und retirirt, sowie wir
uns nähern. Der Weisse scheint für sie alle eine gleich unheimliche
Erscheinung zu sein.

Diese Vitihunde, die wahrscheinlich zugleich mit den Insulanern
eingewandert sind, weichen in ihrem Typus auffallend von ihren
europäischen Brüdern ab. Sie gleichen in der Grösse unserem Spitz, haben
aber glatte Haare. Ihr Gesicht trägt den Ausdruck der Niederträchtigkeit
und Falschheit, und die aufgestülpte Spürnase verleiht ihnen etwas
Hyänenartiges.

Die struppigen Hütten des Dorfes sind weit auseinander gebaut und ziehen
sich eine gute Strecke dem Ufer parallel im Schatten des Palmenhaines
hin. Hie und da stehen kleine Papaya-Gärten angepflanzt. Ein Bach
durchschneidet das Thal, grosse Pandaneen ragen aus seiner Schlucht hervor.
Der Boden ist festgestampft und ohne Bewachsung. Kleine Eremitenkrebse
schleppen auch hier ihre schweren Gehäuse herum.

Sanima ist, obgleich die Residenz des obersten Häuptlings der Insel, keine
vornehme Ortschaft. Dies sagt schon der Lärm der Tapaklöppel, welcher
überall aus den Hütten dringt. Früher duldeten hohe Aristokraten solche
plebeische geräuschvolle Arbeit nirgends in ihrer Umgebung. Sowie ich mich
nähere und der Ruf »Papalang« mir vorauseilt, verstummt das Klopfen, und
zu allen Thüren strecken neugierige Weiber ihre Köpfe heraus und winkten
mir freundlich grinsend, einzutreten. Die Vitis winken nicht, wie wir, mit
dem Rücken der Hand, sondern mit dem Handteller nach unten, wie überhaupt
die meisten Völker. Schon bei den Süditalienern beginnt diese für uns
fremdartige Geberde, die mich im Anfang glauben machte, man wolle mich
hinwegweisen. Der Sinn und der Ursprung beider Arten ist schliesslich der
gleiche, nämlich die Absicht, einen begehrten Gegenstand zu fassen und
heranzuziehen.

Ich ging erst durchs ganze Dorf um mich zu orientiren und fand dann einen
so schönen schattigen Pfad, durch den ein kühlender Zephyr von der See
hereinwehte, dass ich meinen Spaziergang noch weiter ausdehnte. Unter hohen
Dilobäumen standen regelmässig geordnet Bananas und Papayas angepflanzt,
und in der Mitte dieses anmuthigen Haines entdeckte ich den kleinen
Friedhof von Sanima. Einfache längliche Grabhügel ohne Kreuz oder
Denkstein, eingefasst von Korallenbruchstücken und Muscheln, liegen
in drei oder vier Reihen neben einander. Hecken von rothblätterigen
Cordyline-Bäumchen, die hier zu Lande die Stelle unserer Trauerweide
vertreten, was übrigens die Eingeborenen nicht hindert, sich der Blätter
auch zum freudigen Schmuck zu bedienen und sie um die Schläfen, Lenden und
Waden zu binden, umgeben die Stätte. Durch eine Lücke im dichten Gebüsch
blickt die blaue See herein, und schüchtern sendet von oben die Sonne
einige zitternde Strahlen herab.

In der Ferne hörte ich abermals Tapa klopfen, und bald darauf kam ich an
zwei einzelne Hütten, in denen ein Dutzend Weiber emsig der Tuchbereitung
sich hingaben. Ich setzte mich zu ihnen und bat sie, sich nicht stören zu
lassen, da ich mich für ihre Arbeit interessirte. Aber sie verstanden aus
meiner Mimik nicht was ich wollte, und lachten laut bei jedem Versuche mich
ihnen begreiflich zu machen.

Die Bereitung der Tapa, des einheimischen Tuches, wird auf Kandavu von den
Weibern noch immer mit grossem Fleisse betrieben, trotz der Einfuhr und der
Beliebtheit der europäischen Baumwollenzeuge. Ich weiss nicht, wie es sich
hiermit auf den anderen Inseln verhält, und ob nicht vielleicht
dieser alte Industriezweig seine Aufrechterhaltung auf Kandavu nur den
amerikanischen Dampfern verdankt, die alle Monate zweimal hier anlegen und
eine Masse Passagiere aus Australien, Neuseeland und San Francisco bringen,
welche gern ein Stück Tapa als Andenken kaufen und theuer bezahlen. Um
Tapa zu machen, wird der Bast des Papiermaulbeerbaums, einer Broussonetia,
in Streifen von den Stämmen geschält, mit viereckigen Klöppeln aus
hartem und schwerem Holz in die Breite und Länge geklopft und mehrere
Streifen zu beliebigen Grössen zusammengefilzt durch immerwährendes
Klopfen, wobei der eigene Saft des Fasergewebes bindend zu wirken scheint.
Dieser schöne Stoff wird theils weiss, theils gefärbt verwendet. Schon
seit urdenklichen Zeiten kennen die Insulanerinnen das Verfahren des
Zeugdrucks. Sie bedienen sich theils geschnitzter theils geflochtener
Matritzen, um die Tapa mit stylvollen Mustern meist von rothbrauner Farbe
zu zieren. Der taktmässige Lärm der Tapaklöppel ist für ein Vitidorf
eben so charakteristisch und stimmungsvoll wie bei uns auf den Dörfern im
Herbste das Dreschen. Schon von weitem hört man daran im Busch, dass man
sich einem Dorfe nähert.

An einem mit hohem Gras bewachsenen Hügel fand ich die leere Wohnstätte
eines Weissen. Unten standen zwei grosse europäische Fahrzeuge auf Helgen,
eines davon noch im Bau. Der Platz gehörte jenem Schiffszimmermann, der
eben mit seinem ganzen Kindersegen in Wailevu wohnte und arbeitete. Hier
sah ich zum ersten mal die auf Kandavu überall in den brackigen Tümpeln
des Ufersaumes vorkommenden Springfische. Diese fingerlangen Geschöpfe
vermögen sich mittels ihrer starken Brustflossen hüpfend über die
Sandbänke fortzubewegen und so von einem Tümpel in den anderen zu
entweichen.

Den Schluss meines Weges bildete ein stinkender Mangrovesumpf, an dem
ich umkehrte. Weit draussen segelte ein Vitikanuu vorbei, und Gesang und
Getrommel tönte fröhlich wie immer zu mir herüber.

Als ich, verfolgt in respektvoller Entfernung von einer halb scheuen, halb
muthwilligen Kinderschaar, den alten Tui aufsuchte, sass er gerade vor
seiner ärmlichen Hütte und schnitzelte mit einem funkelnagelneuen Messer,
das er erst kürzlich von meinem Gastfreund erhalten, an einem Stück Holz
herum, welches sich zu einem Wasserschöpfer für sein Boot gestaltete.
Er besass nämlich ein europäisches Boot und war sehr stolz darauf.
Er schüttelte mir kräftig die Hand und lud mich ein, neben ihm
niederzusitzen. Auch seine Frau kam heraus und begrüsste mich. Eine
Konversation wollte jedoch nicht recht gelingen, und so nahm ich denn
wieder Abschied, nachdem ich seinen Kutter, der sorgfältig mit einem
Theertuch gegen die Sonne geschützt in einem eigenen Hafen lag, bewundert
hatte.

Auf den Geröllblöcken kurz vor Gavatina begegneten mir sechs Mädchen
aus Wailevu, welche mit schneeweissen Sulus und theils scharlach- theils
purpurrothen Pinafores angethan und mit frischen Blätterguirlanden um den
Kopf und den Hals und den Gürtel geschmückt, nach Sanima marschirten,
um bei Freundinnen vorzusprechen. Sie hatten offenbar die Absicht, in dem
weitabgelegenen bescheidenen Sanima, wohin solch gleissende Kleiderpracht
und so viel Bekleidung überhaupt noch nicht gedrungen war, als
Grossstädterinnen zu imponiren.

Am folgenden Tag ging ich zu Doktor Hink, unserm weissen und nächsten
Nachbarn zur Linken.

Doktor Hink war ehemals Arzt in Melbourne und ein reicher Mann gewesen.
Durch Spekulation hatte er sein Vermögen verloren und war nach Viti
übergesiedelt, um hier Baumwollenpflanzer zu werden. Nach einer
kurzen Blüthezeit der Baumwolle auf Viti während des Amerikanischen
Bürgerkrieges folgte der Umschlag, machte die ganze Kolonie bankerott,
und Doktor Hink war wieder so arm wie zuvor. Jetzt lebte er auf seinem
Grundstück, von dem man nicht genau wusste, ob es ihm auch noch gehöre --
Besitztitel in so primitiven Ländern sind ja selten unanfechtbar -- ohne
einen Pfennig in der Tasche zu haben wie so viele Andere. Um ihn herum
wuchs eine Menge von Kokosnüssen, Taro und Yams, so dass er eigentlich
nie zu hungern brauchte. Auch hatte er etliche Schweine, die sich ohne sein
Zuthun vermehrten. Wollte er Geflügel haben, so ging er mit seinem alten
Militärgewehr in den Busch, um Papageien zu schiessen, und gelüstete
ihn nach Brandy, so kam er zu uns herüber und klagte jämmerlich über
Magenschmerzen, worauf in der Regel Herr Kleinschmidt gutherzig genug war,
ihm einen Schluck der Universalmedizin zu gewähren.

Man erzählte von dem Doktor, dass seine Vergangenheit keine ganz
ungetrübte sei, dass er zu Melbourne den Schnaps nicht blos heimlich
geliebt, sondern auch heimlich in grösseren Quantitäten fabrizirt habe,
weshalb er sich eines Tages genöthigt sah, nach dem damals noch nicht
unter britischer Flagge stehenden Viti zu entweichen. Beweise hierfür
waren natürlich nicht beizubringen. Nur Eines musste ich dem Kollegen
verübeln, nämlich dass er im Anfang, als er noch nicht recht wusste, zu
welchem Zweck ich auf Kandavu weilte, mich zu beschwindeln versuchte,
mit ihm ein Kompagniegeschäft zur massenhaften Erzeugung von Kopra
zu entriren, wobei ich das Geld, er aber sein zweifelhaftes Besitzthum
hergeben sollte. Unter Kopra versteht man das in Streifen geschnittene und
an der Sonne gedörrte Fleisch der Kokosnüsse, welches direkt nach Europa
verschifft wird, um zur Kokosöl- und Kokosseifenbereitung zu dienen.

Naikorokoro ist der Vitinamen des Thales, in dem der Doktor lebte.
Er nannte es indess Tokalau, vielleicht zu Ehren der Eingeborenen der
nördlich von Viti gelegenen Gruppe dieses Namens, welche einst als Kulis
für ihn hier gearbeitet hatten. Seine Wohnstätte war ein geräumiges
luftiges Haus aus Palmblättern im Vitistyl und stand sehr malerisch,
umgeben und beschattet von Palmen, Bananas und Papayas, auf einem kleinen
Hügel, der eine hübsche Rundschau beherrschte. Gerade im Norden lag
Benga, die nächste Insel, und dahinter die blauen Kontouren von Vitilevu
und Vanualevu und vielen anderen, aber blos bei hellem Wetter deutlich
erkennbar. Rechts trat das unbewohnte Ono hervor, welches, nur getrennt
durch eine schmale Untiefe, das östliche Ende Kandavus bildet.

Das Innere sah im Vergleich zu unseren beschränkten Verhältnissen von
Gavatina sehr komfortabel aus. Europäische Möbel und elegante messingene
Kleiderhaken bildeten einen anmuthigen Kontrast zu den rohen Baumstämmen
und Palmstrohwänden, zu dem nackten Erdboden und den Thüröffnungen
ohne Thüren. Es musste sich hier sehr idyllisch leben. Doktor Hink dachte
darüber freilich anders und wünschte Viti und die ganze Romantik seines
Daseins zu allen Teufeln und sich selbst nach Old England zurück. Doch
behauptete er noch nicht alle Hoffnung aufgegeben zu haben und schwärmte
warm für die Kopra.

So oft ich zu ihm kam, liess er für sich und für mich Kawa von seinen
Jungen kauen. Sonst hatte er ja nichts, was er mir vorsetzen konnte. Sein
Thal war nicht uninteressant. Ueberall wuchsen noch Baumwollestauden und
trugen Blüthen und Früchte zugleich, aber kein Mensch kümmerte sich mehr
um sie, und die zahlreichen grossen grünblau schillernden Wanzen die sich
auf ihnen herumtrieben, blieben ungestört. Zwei alte Baumwollehandmühlen
lagen in Trümmern und moderten, traurige Reste einer besseren Zeit.

Halbumgeben von einem rauschenden Bambusgeröhricht lag hinter dem Hügel
das Grab der Familie Hink. Zwei Kinder des Doktors und seine Mutter ruhten
darin. Es war ebenso wie die Gräber der Viti-Insulaner aus Korallen
aufgebaut und mit der rothen Cordyline bepflanzt.

Ich machte noch öfter Besuch in Sanima, und eines Sonntags liess ich
mich nach dem Frühstück von Niketi in der Jolle dorthin rudern, um dem
Gottesdienst beizuwohnen.

Heftige Regengüsse wechselten mit Sonnenschein, und ich wurde durch und
durch nass. Parallel mit uns strebten Männer, Weiber und Kinder auf den
Geröllblöcken des Ufers ebenfalls der Kirche von Sanima zu und hielten
sich zum Schutz gegen den Regen grosse Taroblätter über die Köpfe. Ich
sah jetzt zum ersten mal vom Wasser aus den schönen steilansteigenden
Busch mit seinen Baumfarnen und Palmen und herausragenden Felszacken, in
dem ich so oft herumgeklettert war.

»Sa yandre, sa yandre« tönte es mir freundlich entgegen, als ich
landete, die Jolle aufs Trockene zog und durch das Dorf ging. In der Kirche
war noch Niemand versammelt. Auf dem Tisch für den Prediger lagen ein paar
leere Tassen und Teller und eine alte schmierige Sardinenbüchse mit einem
angeschmolzenen Stearinkerzenstummel, vielleicht die Geräthe der gestrigen
Abendmahlzeit des frommen Mannes. Ausser dem Tisch in der Mitte der
einen Hälfte des länglichen Raumes stand in der Ecke rechts davon ein
Schaukelstuhl, thronartig etwas erhöht, wahrscheinlich für den greisen
Tui, und neben diesem ein aschebedeckter Feuerplatz. Angelschnüre und ein
leinenes Segel hingen in einer anderen Ecke. Sonst war nichts innerhalb der
kahlen Strohwände. Kein Schmuck verzierte die rohen Balken des Gerüstes.
Der Boden war mit Matten und einer weichen Farnkrautpolsterung darunter
belegt.

Diese Kirche sah im Vergleich mit anderen, die ich später noch traf,
ziemlich armselig aus. Sie unterschied sich wenig von den gewöhnlichen
Hütten der Dorfbewohner, nur vielleicht dadurch, dass sie sechs Thüren,
je eine vorne und hinten, und zwei an jeder Seite besass.

In der Regel sind auf Kandavu die Kirchen höher und sorgfältiger gebaut
und mit weissem Kalk beworfen, wodurch sie schon von Ferne dominirend
entgegenglänzen, und die beiden für die Vitibauart charakteristischen
konischen Enden der Giebelbäume, welche nach vorne und nach hinten aus der
Firste ein Meter hervorragen, sind mit festgebundenen Muscheln, dem
weissen Ovulum ovum verziert, oder es hängen Guirlanden dieser Muscheln an
Stricken aufgereiht von den Enden herab. Guirlanden von Ovulum ovum
waren früher das Wahrzeichen der Häuptlinge. Jetzt dienen sie dazu, die
Hoheitsrechte der Kirche auszudrücken. Da es noch keine Glocken giebt,
so dienen noch immer zwei kurze backtrogähnlich ausgehöhlte Baumstämme,
»Lali« genannt, einer davon grösser und mit tieferem Ton, durch
Klöppel an den Kanten angeschlagen, dazu die Gemeinde zum Gottesdienst zu
versammeln. Solche Lalis fehlten auch in Sanima nicht.

Ich frug nach dem »Missonari«, und eine Schaar diensteifriger Jungen
führte mich zu dem braunen Missionär des Ortes. Ich kannte diesen bereits
von früher her, und er empfing mich sehr freundlich. Seine äussere
Erscheinung hat nichts Besonderes und ist die aller alten Viti-Insulaner.
Er zeigte mir mit Stolz seine dicke in der Vitisprache zu Levuka gedruckte
Bibel, die er bereits zur Kirche gerüstet unter dem Arm trug, und eine
Kalendertafel, gleichfalls viti, die an der Wand hing. Er bemühte sich,
mit mir englisch zu sprechen. Es wurde mir aber nicht recht klar, was er
mir sagen wollte. Gleichwohl liess ichs nicht merken. Denn er schien
viel auf seine linguistische Begabung zu halten, und die anwesende Jugend
blickte bewundernd zu ihm hinauf.

Draussen ertönten die Lalis, und wir gingen zum Gottesdienst. Der Tui sass
bereits in seinem Schaukelstuhl. Er wollte ihn grossmüthig und weniger
ehrgeizig, als ich erwartet hatte, an mich abtreten, was ich jedoch nicht
annahm.

Ich setzte mich auf den Boden zu den alten Männern in der bevorzugten
Abtheilung hinter dem Tisch des Missionärs, dem Chor so zu sagen. Uns
gegenüber sass die Gemeinde auf dem Boden, rechts von uns die weiblichen,
links die männlichen Individuen, alle in frischgewaschenen weissen oder
bunten Sulus. Die Weiber trugen sämmtlich den obligaten Pinafore. Nur
ein Mädchen, das wahrscheinlich keinen besass, erschien mit unbedeckten
Brüsten und suchte sich verlegen hinter die anderen zu verstecken.
Ebenso wie der Tui hatten der Missionär und die Alten wohlgeglättete
europäische Hemden und darüber den langen Sulu an. Sie sahen viel
reinlicher aus als ich, dessen Kleider die Spuren des Regens und des
schmutzigen Bootes zeigten. Die »Marama«, die Frau des Tui, kam etwas
zu spät und sank in der vordersten Reihe mit derselben ostentativen
Frömmigkeit, die bei noblen Damen in Europa Mode ist, zur Erde, das
Antlitz tief gebeugt, um sich zu sammeln. Wo sie das wohl gelernt haben
mochte. Heute hatte sie ein Hemd und einen gestickten Unterrock an und nahm
sich darin affenartig läppisch aus. An Werktagen trägt sie gewöhnlich
nur den Sulu.

Der Missionär voran, warfen sich Alle nieder, nicht blos auf die Kniee,
sondern auch auf die Ellbogen, und jener sprach sehr ausdrucksvoll und laut
ein Gebet.

Die dunkle Gemeinde, die seltsame, demüthige Stellung, in der sie
insgesammt auf dem Boden lag, die leidenschaftliche Stimme des Priesters
und sein eindringliches, heftiges Flehen, die fremdartigen, sonoren
und kraftvollen Laute, von denen ich nur wenige Worte verstehen konnte,
bezauberten mich höchst eigenthümlich, wie ich so über die Menschen vor
mir hinsah, und ich zuckte nervös zusammen, als ein Hund zur Thüre neben
mir hereinschnupperte und mich anbellte.

Die Erwachsenen schienen äusserst andächtig mitzubeten. Nur die liebe
Jugend trieb Allotria. Gedankenlos lagen die kleinen braunen Bengel auf dem
Bauch, schlegelten mit den Füssen in der Luft herum, musterten sorgfältig
die Beine ihrer Vorderleute und zupften sich gegenseitig die Krusten von
den zahlreichen Hautabschürfungen. Ein Kirchendiener der zornig hinter
ihnen herumschlich und sie mit einem dünnen Drahtstab unsanft in die
Weichen stupfte, um sie zur Sittsamkeit zu ermuntern, hatte nur wenig
Erfolg. Man kicherte über ihn, sein Drahtstöckchen kam nie zur Ruhe, und
draussen vor der Thüre fing ein winziger Nacktfrosch an, auf die Lalis
zu trommeln, schleunigst die Flucht ergreifend, als jener mit wüthender
Geberde hinaustauchte.

Das Gebet war zu Ende. Der Missionär stand auf, und auch die Gemeinde
erhob sich in sitzende Stellung und begann einen wohlklingenden Gesang.
Dann folgte eine Predigt. Während des Gebetes kniete der altersschwache
Tui vor seinem Schaukelthron, mit ausgestreckten Armen sich an beiden
Lehnen festhaltend, wie ein richtiger Asthmatiker, um das mühsame Athmen
zu erleichtern. Jetzt setzte er sich in den Sessel, leise schaukelnd, indem
er zuhörte.

Von dem Inhalt der Predigt blieb mir das Meiste unverständlich. Aber der
leidenschaftliche und doch würdevolle Vortrag des Missionärs, der sonore,
tiefe Wohlklang seiner Stimme, die Kraft der vokalreichen, melodiösen
Sprache, die mir immer lautete wie italienisch, erbaute mich mehr, als alle
in der Muttersprache genossenen Kanzelreden meiner Schulzeit. »Singai«
und immer wieder »Singai« (nein) war der öfter wiederkehrende Schluss
der Absätze einer längeren Periode, und »Duranga ni Papalang, Duranga
ni Tonga, Duranga ni Viti« (der Herr Europa's, der Herr Tonga's, der
Herr Viti's -- diese drei Länder umfassen die ganze Geographie der
Eingeborenen) waren ein paar andere der wenigen Worte, die ich verstand.

Als die Kirche aus war, musste ich noch mit dem Tui, seiner Frau und seiner
hübschen Tochter in ihre Hütte treten, die zwar für einen so hohen
Fürsten ziemlich eng und düster schien, aber einen grossartigen
Moskitovorhang aus buntem europäischem Stoff besass. Da bei dem Mangel
eines Interpreten auch diesmal die Konversation nicht recht gedeihen
wollte, blieb ich nicht lange. Draussen lauerte bereits ein anderer meiner
Freunde auf mich, bei dem ich ebenfalls eintreten musste. Dieser Freund
war früher einige Jahre in Levuka gewesen und besass von dort her sein
photographisches Konterfei in europäischer Kleidung, und nicht eher
durfte ichs aus der Hand legen, als bis ich ihm und seiner Familie meine
Bewunderung, was für ein nobler Herr er einstmals gewesen, durch die
Geberdensprache verdeutlicht hatte. Er kredenzte mir, in ein Bananenblatt
gewickelt, ein Stück langfaserigen gekochten Schildkrötenfleisches, dann
gab ich ihm eine Zigarre und liess mir selbst eine von dem Burschen, der
nächst dem Feuer hockte, anzünden. Bis sie wieder zu mir kam, ging sie
durch drei oder vier Munde, indem jeder, der sie weiterreichte, erst einige
Züge daraus für sich in Anspruch nahm.

Der Gottesdienst hatte einen tiefen Eindruck auf mich gemacht, und
beschäftigte lebhaft meine Gedanken, als ich wieder nach Hause fuhr.

Ich bin weit entfernt, ein Freund der Mucker zu sein. Mir ist keine Sorte
von Europäern unsympathischer, als jene scheinheiligen Reverends mit ihren
weissen Halsbinden, ihren glattgescheitelten Haaren und ihren himmlisch
verklärten Gesichtern, denen man in der Südsee so oft begegnet. Es wäre
sehr naiv, sich unter diesen Missionären der Südsee aszetische Gestalten,
hagere, von Entbehrungen und von der heiligen Leidenschaft für ihren
Glauben abgezehrte Märtyrer vorzustellen. Gerade das entgegengesetzte
Bild ist in der Regel das richtige. Es lebt sich unter den Palmenhainen
der sonnigen Inselwelt sehr angenehm, wenn man Geld genug hat, und daran
scheint es den Wesleyanern, dank dem grossen Humanitätssinn und Reichthum
Englands und dank den Steuern, die sie den Eingeborenen abzunehmen
verstehen, niemals zu fehlen. Ich werde mich wohl hüten, all das zu
wiederholen, was ich von Ansiedlern auf Viti und anderwärts über
Missionäre habe erzählen hören. Aber wenn auch nur der zehnte Theil
davon wahr ist -- dies ist ungefähr der Quotient, den ich von den
Erzählungen überseeischer Weisser zu glauben pflege -- so genügt mir das
vollständig, nicht für Missionäre zu schwärmen, so gerne ich das Gute
derselben anerkenne. Wie unwürdig die verschiedenen Sekten sich um
ihre Proselyten stritten, ist zu bekannt, als dass es einer Erwähnung
bedürfte.

Dennoch bin ich überzeugt, dass die Missionäre grosse Verdienste um die
Wohlfahrt der Eingeborenen sich erworben haben. Despotie und Kannibalismus
des Adels, gegenseitige Furcht, Unsicherheit des Lebens und des Eigenthums,
ein Kriegszustand Aller gegen Alle lag schwer ehemals auf der Bevölkerung.
Jetzt, in der christlichen Zeit, ist Friede und Ordnung bei ihr eingekehrt.
Wenn man auch nicht Alles buchstäblich zu glauben braucht, was in den
Berichten der Missionäre steht, so ist doch nicht zu leugnen, dass die
Zustände der Vitis in der vorchristlichen Zeit schlimm genug waren,
und dass ihre Christianisirung einen höchst erfreulichen Fortschritt
herbeigeführt hat. Und wenn die Muckerei sie glücklicher macht, warum
sollte die Muckerei schlecht und zu tadeln sein?

Nur möchte ich rufen: Bis hieher und nicht weiter. Gegenwärtig scheinen
mir die Vitis gerade auf jener glücklichen Mitte zu stehen, die ihnen noch
viele von den Vorzügen ihres heiteren Naturzustandes und zugleich schon
das Wesentlichste von den Wohlthaten europäischer Zivilisation zu Theil
werden lässt. Trotzdem will man noch immer nicht aufhören, sie zu
beglücken.

Man will sie den Lebensbedingungen der Europäer näher und näher bringen.
Sie sollen arbeiten, sollen produziren und Steuern zahlen. Was man ihnen
damit nützen will, ist mir unklar. Es scheint mir hinter der Maske der
Philanthropie, welche diese sogenannten Zivilisationsbestrebungen zur Schau
tragen, nur das pfiffige Gesicht des geldgierigen Kaufmanns, der seine
schlechten europäischen Exportartikel absetzen will, oder des feisten
Pfaffen, dem es um einträgliche Pfründen zu thun ist -- bei den
Wesleyanern beide in einer Person vereinigt -- zu grinsen. Man will diesen
glücklichen Menschen Bedürfnisse einflössen, um sie dann gegen Geld oder
Geldeswerth zu befriedigen.

Oder sollte man etwa in Anbetracht der Möglichkeit, dass immer mehr Weisse
nach den Inseln strömen werden, die Eingeborenen vorbereiten wollen, den
Kampf der Konkurrenz aufzunehmen und nicht zu unterliegen? Wenn wirklich
eine solche humane Vorsehung beabsichtigt sein sollte, so ist sie sehr
verfrüht und sehr illusorisch. Dass ein starker Strom weisser Einwanderung
stattfinden wird, ist bei der Abgelegenheit der Südsee-Inseln sehr
unwahrscheinlich, und wenn auch, die verhältnissmässig arm bevölkerten
Inseln haben Raum für eine zehnfache Menge. Und sollte wirklich
innerhalb kurzer Zeit, noch innerhalb der nächsten hundert Jahre, eine
thatsächliche Konkurrenz zwischen der weissen und braunen Rasse entstehen,
so werden die Eingeborenen hinschwinden, und keine Macht der Erde wird sie
daran hindern.

Zwei Elemente stehen sich auf Viti und anderwärts in der Südsee feindlich
gegenüber, die Kaufleute und die Missionäre. Beide haben das gleiche
Ziel, das herrliche Land und die arglosen Eingeborenen auszubeuten. Dass in
diesem edlen Wettstreit auch unlautere Mittel in Anwendung kommen, und zwar
auf beiden Seiten, versteht sich von selbst. Es däucht mir, eben, wie der
Donna Blanca zu Toledo, dass der Jude und der Christ, dass sie alle beide
-- nicht viel werth sind.

Diese wesleyanischen Methodisten, die erste Macht der Südsee, haben ihre
Hierarchie mit bewundernswerther Umsicht organisirt. Keine Gemeinde auf
Kandavu, dessen Bewohner ja alle wesleyanische Christen sind, ist ohne
seine Kirche »Hale ni Lotu« (Haus des Glaubens) geheissen. Nur in
Richmond Settlement auf der Westseite der Namalatta Bucht ist ein weisser
Oberpriester aus England. In den Dörfern versehen Eingeborene den
Gottesdienst als Prediger und Vorbeter. Meist wird von diesen nicht blos an
Sonntagen mehrmals, sondern täglich ein- bis zweimal Betstunde und Predigt
abgehalten.

Jedes Dorf hat seinen Häuptling, und alle Häuptlinge zusammen stehen
unter einem Oberhäuptling, dem Tui Kandavu zu Wailevu, welcher von dem
Gouverneur zu Levuka offiziell anerkannt ist und ein jährliches Gehalt
als Staatsbeamter bezieht. Aber neben dem Häuptling herrscht in jedem Dorf
auch noch ein brauner Missionär.

Es fehlt also keineswegs an Gelegenheiten zur Frömmigkeit, und es soll
Prachtexemplare von Betschwestern unter den Wilden geben. Herr Kleinschmidt
erzählte mir, dass er einst einen Diener gehabt, der nie anders als die
Bibel unterm Arm mit ihm in den Busch ging, um während der Ruhepausen
darin zu lesen. Religiöse Lauheit scheint indess häufiger zu sein. Jeden
Sonntag kamen zu uns nach Gavatina eine Menge braune Bummler, welche die
Kirche schwänzten und sich lieber mit unseren Affen unterhielten oder
verdunkelnd ins Fenster hereingafften, bis Herr Kleinschmidt mit einem
kräftigen Fluch sie von dannen scheuchte. Für die Insulaner gilt nur
Eine grösste und schwerste Hauptsünde, nämlich am Sabath irgend etwas zu
thun, was einer Arbeit ähnlich sieht. Dieses »Tabu« ist so stark, dass
selbst Herr Kleinschmidt an Sonntagen sich der Jagd enthielt, um es nicht
mit den Eingeborenen zu verderben.

An solchen Tagen der Ruhe machte ich mir manchmal ein Vergnügen eigener
Art. Ich legte mich auf den Convolvulusteppich in den Schatten, schloss die
Augen und zwang meine Phantasie in die Schrecken eines deutschen Novembers.
Ich hörte das Rasseln des Regens und das Klappern des Windes in den
flackernden Gaslaternen. Ein schlüpfriges Gemenge von Schmutz, Regen und
Schnee bedeckte die Strassen. Mit nassen Füssen, den Regenschirm kurz
gefasst und gegen den Wind ankämpfend drängte ich mich durch das
Gewühl der anderen Menschen und Regenschirme. Alles war grau und düster,
mürrisch und grob, die Häuser mit ihrem russigen Ueberzug, die Wagen, die
mich mit Koth bespritzten, die Menschen, der Himmel, die kahlen Bäume.
Nun öffnete ich wieder die Augen und erblickte die herrliche Wirklichkeit.
Oben lachte der blaue Himmel, vor mir lachte das blaue Meer. Palmen wiegten
sich im kühlenden Zephyr. Tausende von Zikaden zirpten, und hie und da
flog ein Papagei mit heiserem Schrei über die Szene.

Oefters kreuzte draussen der englische Kriegsschooner vorüber, der
sich eben mit Lothungen und Vermessungen zwischen Kandavu und Benga zu
beschäftigen hatte, und eines Tages erhielten wir den Besuch eines Bootes
mit einem Lieutenant und acht Matrosen. Sie trugen gewichste Stiefel an den
Füssen und erschienen mir, der ich schon etwas verwildert war, dadurch als
distinguirte Leute. Ihr Kommandant hatte allerdings ebenso wie ich schon
längst den Gebrauch einer Taschenuhr sich abgewöhnt und schätzte die
Stunden, wenn er vom Schiff weg war, nur mehr nach der Sonne.

Es war eine herrliche Zeit, die ich in Gavatina verlebte, und ich werde
stets mit Freude und Sehnsucht an jenes ferne, stille winzige Thal der
grossen Erde zurückdenken.

Allerdings fehlte es auch dort nicht an unangenehmen Beigaben des
Naturgenusses. Moskitos und Fliegen suchten mir namentlich im Anfang das
Dasein zu verbittern, bis ich täglich Gesicht und Hände mit Petroleum
einrieb. Am lästigsten waren die Legionen von Fliegen, welche die Nähe
der faulenden Abfälle unserer Sammlungen herbeizog, indem sie eine
besondere Vorliebe und Geschicklichkeit bekundeten, schnell in
die Nasenlöcher zu schwirren, wahrscheinlich in der an sich nicht
tadelnswerthen Absicht, ihre Eier hineinzulegen. Mit grosser Bewunderung
entdeckte ich an Herrn Kleinschmidt, dass er ruhig auf seinem Tisch
fortarbeiten konnte, während ihm dichte Fliegenhaufen in beiden
Augenwinkeln sassen, ungerechnet die einzelnen Plänkler, welche über das
ganze Gesicht hin- und herstreiften. Nach einigen Tagen konnte ich es
auch. Das ewige Schütteln wurde ermüdend und machte Kopfweh. Ich zog es
schliesslich vor, die Fliegen gewähren zu lassen, und beschränkte mich,
sie durch fortwährendes Blinzeln von dem Innern des Auges fern zu halten.
Nur in den Nasenlöchern lernte ich sie nie ertragen.

Noch zwei andere Qualen, die zu den berechtigten Eigenthümlichkeiten aller
heissen Gegenden zu gehören scheinen, nämlich Geschwüre und der bekannte
Hitzausschlag, von den Seeleuten »rother Hund« geheissen, blieben mir
nicht erspart. Gleich in den ersten Tagen hatte ich mir an den Knöcheln
kleine Wunden gestossen, und die Fliegen nahmen sofort jede Gelegenheit
wahr, sich mit ihnen zu beschäftigen. So lange ich auf Kandavu blieb,
heilten diese Wunden nicht und wurden immer grösser und entzündeter,
da ich mich nicht schonen konnte und wollte. Auch bei den Eingeborenen
beobachtete ich häufig solche kleine eiternde Verletzungen. Gar viele
Fälle von »Aussatz« in Reisebeschreibungen mögen zu dieser Kategorie zu
rechnen sein. Merkwürdig war mir, dass ich nie einen Wilden sich kratzen
sah, obwohl die Moskitos sie eben so wenig wie uns verschonten.

Die höchste Lufttemperatur, die ich während meines kurzen Aufenthaltes in
Gavatina am Thermometer ablas, war 32 Zentigrade. Auf ziemlich heisse Tage
folgten in der Regel kühle Nächte, so dass ich mich zum Schlafen wärmer
ankleiden musste, da ich als Bett nur eine mit Farnkraut unterpolsterte
Matte mit einer Decke und einem Moskitonetz darüber besass. Die
hervorragendste Eigenthümlichkeit im Klima unseres allenthalben von
Busch umgebenen Thales war ein exzessiver Reichthum atmosphärischer
Feuchtigkeit. Es wollte mir kaum gelingen, Pflanzen zu trocknen, ohne
Feuer oder den Bügelstahl zu Hülfe zu nehmen, und liess ich einmal meine
Wäsche über Nacht vor dem Zelte draussen hängen, so war sie am Morgen
nässer als vorher.

Frau Kleinschmidt sorgte mütterlich für uns, und wir nannten sie deshalb
auch immer Mutter. Wenn wir auszogen aufs Riff oder in den Busch, blieb
sie mit Ruma allein zu Hause und kochte für uns, und wenn wir am Abend
ermüdet und hungrig zurückkehrten, wartete unser bereits ein würziges
Mahl. Die Mutter verstand einen famosen Curry zu machen, und Curry mit Reis
war eines der häufigsten Gerichte. Schweine und Hühner, Papageien und
Tauben, Zwieback, Schokolade und Kaffe lieferten eine Mannichfaltigkeit des
Speisezettels, die man in unserer Wüstenei kaum erwarten konnte.

Hatten wir auch keine Milchkuh, so hatten wir Kokosnüsse. Jeden Morgen
mussten uns die Jungen etliche herunterholen und schlachten. Spannerraupen
vergleichbar zogen und schoben sie ihre geschmeidigen mageren Körper
ruckweise mit Armen und Beinen an den glatten Stämmen empor, kletterten in
die Kronen und stiessen mit den Füssen die mächtigen Früchte los, dass
sie schwer und dröhnend auf den Boden herabplumpsten. Um sie zu öffnen,
wurde ein doppelt zugespitzter Pfahl in die Erde getrieben. Dann nahm man
die Nuss in beide Hände und hieb sie kräftig gegen die freie Spitze des
Pfahls, so dass er tief in die dicke noch grüne und saftige Faserhülse
eindrang, stemmte das durchbohrte Segment derselben durch Hebelbewegungen
weg, und wiederholte das Hauen und Stemmen bis die Hülse ringsherum
abgerissen war. War so die innere harte Schale befreit, so nahm man einen
Stein und schlug an dem unteren Ende kreisförmig eine Kappe los, klappte
diese zurück und trank das süsse Wasser der Frucht, die sogenannte
Kokosnussmilch, die indess durchaus nicht milchig sondern fast klar, nur
wenig getrübt, wie frischer Traubensaft aussieht.

Um die eigentliche Milch zum Kaffe zu bereiten, wurde die Schale in Stücke
zerschlagen, das an der Innenseite klebende dicke Fleisch mit gezähnelten
Muscheln herausgeraspelt und durch ein Tuch gepresst, was eine köstliche
Emulsion gab, schmackhafter als Kuhmilch. Dieses Schlachten der Kokosnüsse
war täglich unsere erste Arbeit, bei der mich die hierin viel flinkeren
Jungen, die gelegentlich auch ihre kräftigen Zähne zu Hülfe nahmen,
regelmässig auslachten. Was von dem Fleisch der Nüsse übrig blieb,
erhielten die Schweine und Hühner, die Hunde, die Affen und die Papageien,
welche alle sehr gierig darauf waren. Die Affen rissen wüthend an ihren
Ketten, die Hunde hörten nicht auf in die Höhe zu springen, die Hühner
liefen gackernd zusammen, und freudig fingen die Schweine zu grunzen an,
wenn man sich ihnen mit Kokosnuss näherte.

Auch die niedrigeren Thiere scheinen diese Nahrung über Alles zu lieben.
Lässt man irgendwo ein Stückchen liegen, gleich ist ein Heer von
Ameisen und eine grössere Gesellschaft bedächtiger Eremitenkrebse darum
versammelt.

Die Kokospalme ist eine der grössten Wohlthaten der Südsee. Ist auch
jetzt die schöne Zeit vorüber, wo der Insulaner Kokosnüsse zu seiner
Nahrung verwenden durfte, indem jetzt die Missionäre und die Regierung sie
als Steuer beanspruchen und deshalb »tambu« erklärt haben, so liefert
sie ihm doch noch in ihren Zweigen das Hauptmaterial seiner Hütten, aus
den faserigen Hülsen der Nüsse vortreffliche Stricke, die nicht gedreht,
sondern wie Zöpfe dreitheilig geflochten werden, aus den Stämmen Brücken
und Bauholz, aus den Nüssen Trinkgeschirre und Wasserbehälter, aus den
Blättern Körbe, die überall improvisirt werden können. Braucht der
Viti einen Korb, um Taro oder Apfelsinen heimzutragen, schnell hat er ihn
zurecht gemacht aus einem einzigen Palmblatt. Die langen Fiedern der beiden
Seiten werden gekreuzt fest ineinander geflochten, und ist dies geschehen,
so schlitzt er den Blattstiel der Länge nach entzwei, und der Korb ist
fertig, die beiden Hälften des Stieles bilden die Ränder.

Sehr viel Komfort gab es allerdings bei unseren Mahlzeiten nicht. Ueberall
standen Kisten aufeinandergethürmt, und jedes horizontale Plätzchen war
mit Spiritusgläsern und Vogelbälgen, mit Schachteln und Blechbüchsen,
Büchern und Instrumenten bedeckt. Musste ja selbst das Bett im
Hintergrunde der Hütte zugleich als Waarenlager dienen. Schrotbeutel und
Säcke mit Glasperlen bildeten die Kopfkissen, Baumwollenzeug für Sulus
die Matratze, und jeder Winkel war mit Pulverflaschen und Angelhaken
gespickt. Die scharfe Kante einer Kiste oder ein umgestürzter Topf musste
als Sitz genügen, auf den Knieen ruhte der Teller, und dass uns überall
mit Arsenik vergiftete Bälge umgaben, störte uns wenig.

Die Hütte war viel zu eng, und schon die Thüre so niedrig, dass man sich
bücken musste, um durchzukommen. Häufig auch stiess man mit dem Kopf
an die Leichen von Hühnern oder Schweinen, welche zum Braten bestimmt,
baumelnd dort hingen.

Wir lebten in der grössten Eintracht zusammen. Nur die Spärlichkeit des
Raumes und gelegentliche Gebietsüberschreitungen veranlassten manchmal
Grenzstreitigkeiten und Kompetenzzänkereien. Es war durchaus nicht
gleichgiltig, wer von uns diese oder jene Büchse aus diesem oder jenem
Winkel hervorreichen durfte. Der Nächstsitzende allein war hierzu
berechtigt, und jeder hatte ein bestimmtes Sektorgebiet als sein Bereich
unter sich. Sonst wurde nur zu leicht eine Kostbarkeit umgestossen.

Wenn wir des Abends so beisammen sassen, drehten sich unsere Gespräche
gewöhnlich um die ferne Heimath, und da der Mensch sich immer am meisten
nach jenen Dingen sehnt, die er nicht haben kann, so gedachten wir auch
nicht selten seufzend des herrlichen Bieres, das es dort giebt. Doch ruhte
selbst dann nicht der Sammeleifer. Angezogen durch den Schein unserer
Lampe kamen immer eine Menge Insekten herein und fielen der grausamen
Wissenschaft zum Opfer. Ueber und unter uns raschelten Ratten durch das
Palmstroh der Hütte, und jeden Augenblick sprangen deshalb entrüstet die
Hunde auf und suchten kläffend herum. Erwischt aber haben sie nie eine
Ratte.

Ich theilte Herrn Kleinschmidts und seiner Gattin primitive Lebensweise
nur kurze Zeit, und es gefiel mir. Ganz anders aber wäre es wahrscheinlich
gewesen, hätte ich eben so wie sie Jahr aus Jahr ein mit den Beschwerden
der tropischen Wildniss zu kämpfen gehabt.

Wenn wir zu Hause in unseren Naturalienkabinetten alle die schönen Thiere
betrachten, wie wenig denken wir daran, welche Menge von Schweiss und
saurer Arbeit, von Entbehrung und Mühseligkeiten sie gekostet haben,
ehe wir uns an ihnen erfreuen können. Wie sehr sind die zahllosen
Schwierigkeiten der Tropennatur geeignet, den Pionier der Forschung
zu lähmen und verzweifeln zu lassen. Ich muss gestehen, dass Herr
Kleinschmidt und seine treue Gattin mir die höchste Bewunderung
abnöthigten und wie mit dem Glorienschein des Märtyrerthums umgeben
erschienen.



XIV.

BESUCH IN WAIDULE.

  Begegnung mit dem Tui. Ein Mangrovesumpf und seine Freuden. Tauben und
  Mimosen. Nachtlager in Wunokene. Fliegende Hunde. Rabuelu. Entzückende
  Rundsichten. Taropflanzungen. Kawa-Gelage in Soso. Nachtlager in Go
  Kandavu. Ein Meke Meke. Ankunft bei Charly. Rasch ab nach Wailevu.
  Ungemüthliche Bootfahrt. Heimkehr.


Wir hatten jenem versoffenen, aber biederen Landsmann, dem Charly, in
Wailevu zugesagt, nach Waidule zu kommen und ihn zu besuchen. Da wir für
das mitzunehmende Gepäck ausser Niketi noch zwei Träger brauchten, so
liess Herr Kleinschmidt den Tui bitten, uns solche zu schicken, und gleich
am nächsten Morgen erschienen ihrer drei aus Sanima und meldeten sich zum
Dienste.

Die Mutter bereitete noch schnell einen Kuchen, und dann gings fort.
Zunächst musste wieder das Felsblockufer bis Sanima überwunden werden.
Die Fluth hatte eben angefangen zu weichen, und die noch nassen Blöcke
waren so schlüpfrig von einer Algenvegetation, dass ich es vorzog,
oberhalb der Fluthgrenze durch das herabwuchernde Gestrüpp zu klettern.

Rege Emsigkeit wie immer herrschte im Dorf des Tui Kandavu. Ein Greis
sass am Strande im Schatten eines in die Erde gesteckten Palmzweigs und
schnitzelte kindisch an einem Stück Holz herum. Vor den Hütten klopften
Männer die Fasern der Kokosnusshülsen rein, um Stricke daraus zu machen,
und im Innern der Hütten klopften die Weiber Tapa zurecht, dass es
weithin erschallte. Kopra und Lichtnüsse lagen zum Dörren in der Sonne
ausgebreitet. Aus letzteren, den öl- und harzreichen Früchten des
Aleurites triloba werden sehr originelle Kerzen bereitet. Man reiht sie
durchbohrt an Stäbe, der Stab dient als Docht, und die Nüsse brennen
mit heller, stark russender Flamme ab. Unsere Erscheinung machte den Lärm
verstummen. Man lächelte uns freundlich zu, die Frauenzimmer steckten die
Köpfe durch die niedrigen Thüren heraus und bettelten um Tabak, kleine
nackte Kinder blickten scheu um die Ecken und liefen entsetzt davon, als ob
sie den leibhaftigen Teufel gesehen hätten.

Da der alte Tui nicht zu Hause war, setzten wir unseren Weg ohne
Unterbrechung fort. Wir sahen ihn eine halbe Stunde später in seinem Kanuu
heimkehren, als wir eben jenen schönen Pfad durch Papayagärten und Palmen
hinter uns hatten und in ein Mangrovedickicht bogen. Er stieg aus und
watete an Land, um mit uns Hände zu schütteln, und gab unseren Burschen
noch einige strenge Aufträge an verschiedene Dorfhäuptlinge zu unserem
Komfort, von denen ich nichts als das Selbstbewusstsein verstehen konnte,
womit er sich die Faust mehrmals auf die Brust schlug, als ob er sagen
wollte »Und das muss geschehen, und das befehle ich«.

Der Pfad schlängelte sich eine Zeit lang am steilen Ufer auf und ab und
führte dann in das Mangrovedickicht hinein, dessen Schwierigkeiten so
gross wurden, dass wir zu einem Kilometer etwa eine Stunde brauchten.
Schlickflächen wechselten mit Felsblöcken, von denen die meisten nicht
fest lagen und zu wackeln anfingen, sobald man darauf trat, und Alles
war durchzogen von einem nicht nur in der Fläche sondern in allen drei
Dimensionen des Raumes gewebten Netzwerk von Mangrovewurzeln, so verknorzt
und verschnörkelt, dass die phantasiereichsten Maler der altdeutschen
Schule hier noch viel für ihren Faltenwurf hätten lernen können. Sah man
auf den Boden, so schlugen einem die von oben herabwachsenden Sprossen
ins Gesicht, sah man nach diesen, so blieb man in den Wurzeln hängen oder
stolperte über einen Knorz oder glitt von den zu Fallthüren geschaffenen
Felsblöcken in den Schmutz. Moskitos wimmerten um die Ohren, und Fliegen
umsummten das Gesicht und schwirrten in die Nasenlöcher. Wir kamen
übrigens ohne Unfall durch, und nur unsere nackte Dienerschaft blutete aus
einigen abgeschürften Hautstellen.

Es ging wieder nach oben und landeinwärts durch einen Busch, der
spärlicher wurde, je höher wir kamen, und schliesslich einem dürren
Farngestrüpp Platz machte, welches eine neuseeländische Landschaft
vortäuschen konnte, wenn nicht gerade schöne Orchideen oder empfindsame
Mimosen am Wege wuchsen, oder das Hundegebell der grossen Tauben die
Illusion störte.

Einem dieser unmusikalischen Vögel kamen wir so nahe, dass ich deutlich
beobachten konnte, wie er hoch oben auf einem kahlen Baum sein rauhes
kurzes »Hu hu, Hu hu hu« mit dem Wippen des Schwanzes begleitete. Aber
das Knacken des Hahnes störte ihn, er gönnte uns seinen Braten nicht, und
er war fort, ehe ich die Flinte angelegt hatte.

Jene merkwürdige Pflanze Mimosa, deren zartgefiederte Blätter sich
zusammenfalten, sowie man sie berührt, und der man deshalb den Namen
der Schamhaften gegeben hat, sah ich hier zum ersten mal. Sie wuchs in
niedrigen dichten und flach ausgebreiteten Stauden, und es gewährte ein
merkwürdiges Farbenspiel, wenn ich mit dem Fuss darüber hinstrich und
sogleich das helle Grün der oberen Seiten der Fiederblättchen dem
matten Grau der unteren Seiten wich, als ob die ganze Staude von einer
unsichtbaren Flamme versengt würde.

Der Kamm des Hügels, auf dem wir eine Zeit lang weiter schritten, hatte
ausnahmsweise den Vorzug, eine Rundsicht zu gewähren, da er nicht, wie
dies meistens zu sein pflegt, bewaldet war, sondern nur stellenweise
Gruppen von Kasuarinen trug, deren dünnbenadelte Kronen dem Baum das
Aussehen verkümmerter Pinien verleihen. Wir sahen hinab auf beide Meere
nördlich und südlich der langgestreckten Insel, in welche zwei Buchten
tief einschneiden.

Die freie Bergkante dauerte nicht lange. Der Pfad schlängelte sich nach
der südlichen Seite des Kammes hinab, und ein Busch nahm uns auf,
der durch wohlthuende Kühle überraschte und so dick mit Lianen und
Strauchwerk unterwachsen war, dass wir zwei geschossene Tauben, die wir
deutlich fallen gesehen hatten, nicht finden konnten, obwohl wir zu fünft
eine Viertelstunde lang suchten. So waren wir abermals um unser Abendmahl
gebracht. Wir stiegen auf eine sattelförmige Einsenkung nieder. Der
Busch wurde lichter, Rauch flog langsam zwischen den Bäumen empor,
Kindergeschrei erhob sich, und ein Dorf lag vor uns, höchst malerisch
zwischen Bananenpflanzungen halb versteckt und die prächtigste Aussicht
auf die Meere beider Seiten beherrschend.

Wunokene heisst dieser reizende Platz, bei dessen Häuptling wir uns ohne
weitere Zeremonien einquartierten. Wir zündeten eine Stearinkerze an,
welche so viel Sensation hervorrief, dass nach wenigen Minuten die ganze
Hütte voll von Neugierigen war. Dicht gedrängt sassen sie, Männer
und Weiber, nebeneinander und bewunderten uns und unsere europäischen
Habseligkeiten. Selbst draussen vor der niedrigen Thüre drängte sich eine
staunende Menge von Kindern und Mädchen, jedesmal Reissaus nehmend, so
oft einer von uns Weissen eine Bewegung in ihrer Richtung machte. Mit dem
grössten Interesse wurde Alles beobachtet, was wir thaten, wie wir unseren
mageren Zwieback abbissen und Schokolade dazu tranken, und öffneten wir
eines der Gepäckstücke, so entstand jedesmal eine nicht geringe Aufregung
und man streckte die Hälse so weit als möglich, um hineinzugucken.

Einer von unseren Trägern aus Sanima, ein frecher Bursche, wollte durch
seine Familiarität mit unseren Effekten, die er hatte tragen dürfen,
imponiren und gab das Feuerwerk einiger schwedischer Zündhölzchen zum
besten. Hätte man den Kerl gehen lassen, er würde unseren ganzen Vorrath
aufgebraucht haben. Eine Ohrfeige unterbrach indess sein Vergnügen und
stellte das Bewusstsein der Inferiorität wieder her, zum grossen Ergötzen
des Publikums, welches in ein lautes Gelächter ausbrach.

Da wir müde waren, konnte unsere Zurschaustellung nur so lange gewährt
werden, als wir brauchten, um den gröbsten Hunger zu stillen. Das Licht
wurde ausgelöscht, und das Publikum verzog sich, zweifellos mit dem
Bewusstsein, einen höchst genussreichen Abend zugebracht zu haben. Wir
streckten uns auf dem weichen Mattenboden aus, nachdem wir Stiefel und
Hose zu einem Kopfkissen zusammengerollt und uns selbst in unsere Decken
gewickelt, und schliefen, da es hier oben keine Moskitos gab, so gut, wie
man eben nur nach einer längeren Wanderung schläft. Neben uns lag der
Häuptling und zu unseren Füssen die Dienerschaft. Bald wars ruhig im
ganzen Dorf. Blos im Gebüsch draussen zirpten Tausende von Zikaden, über
den Korallenriffen unten donnerte rastlos die Brandung durch die Stille der
Nacht, als ob ein Eisenbahnzug ohne Ende über eine ferne Brücke rollte,
und Herr Kleinschmidt schnarchte.

Als wir am anderen Morgen unseren Marsch fortsetzten, kam hinter uns drein
die ganze Kinderschaar des Dorfes und begleitete uns in respektvoller
Entfernung, bis wir einen steilen Abhang hinabstiegen, und es war höchst
amüsant, wie die kleinen braunen Bengel uns von oben aus nachspotteten,
um schleunigst die Flucht zu ergreifen, so oft ich Miene machte,
zurückzukehren, woran ich gewiss nicht im entferntesten dachte. Denn der
Weg war so schlecht, dass man froh sein durfte, ihn einmal hinter sich zu
haben, und zu beiden Seiten wuchs hohes Gras, scharf wie Rasirmesser, und
zerschnitt die Hände wenn man vergass, sie in die Höhe zu halten.

Unten winkten wieder die Freuden eines Mangrovesumpfes mit seinen Moskitos
und Fliegen. Auch in diesem lagen Felsblöcke eingestreut, die zwar
festgebettet, dafür aber mit Algen überzogen und so schlüpfrig waren,
als ob man sie mit Seife beschmiert hätte. Beneidenswerth sicher schritten
unsere drei Wilden über sie hinweg. Ihre Füsse dienten ihnen als
Greiforgane, mit denen sie sich an den geringsten Rauhigkeiten festklammern
konnten, während wir die Talente der unserigen in den steifen Stiefeln
der Zivilisation hatten verkommen lassen. Zogen wir die Stiefel aus, so
stiessen wir uns an allen Ecken und schnitten vor Schmerz eine Grimasse
nach der anderen, und zogen wir sie wieder an, so rutschten und fielen wir
jeden Augenblick. Moskitos und Fliegen thaten das Uebrige uns zu erheitern.

Es war gerade Ebbe, und wir beschlossen deshalb, auch die Beinkleider
abzulegen und um den Hals zu binden und weiter draussen durch das niedrige
Wasser zu waten, wo es keine Fliegen und Moskitos gab, und höchstens
scharfrandige Muscheln die Sohlen zerschnitten. Auf diesem nassen Marsche
sah ich zum ersten mal eine Schaar fliegender Hunde hoch oben über die
Bucht hinweg ihrem Tagquartier zueilen und war sehr erstaunt über die
gemessene Sicherheit und Kraft ihres Fluges, der in nichts an das Geflatter
unserer Fledermäuse erinnert, wie man wohl erwarten möchte. Man konnte
sie in einiger Entfernung für Raben halten, ganz dieselbe Bewegung und
derselbe Rhythmus wie bei diesen. Erst als sie senkrecht über uns waren,
sah ich, dass sie nicht mit Flügeln wie Vögel, sondern mit Flughäuten
arbeiteten, von jener bekannten Kontur, wie sie die Phantasie der
christlichen Maler dem Satan zuerkannt hat. Von diesen fliegenden Hunden
giebt es fünf Arten auf Viti. Sie sind neben der einheimischen Ratte die
einzigen autochthonen Säugethiere der Insel.

Einige hundert Schritte in einem herrlich grünen Tunnel des
dichtverschlungenen Mangrovegebüsches, der einem hier mündenden
Süsswasserfaden sein Dasein verdankte, brachten uns auf die feste Erde
zurück. Palmen erschienen, und abermals ein Dorf, Rabuelu geheissen.
Ausser zwei lebensmüden Greisen waren nur Weiber und Kinder zu bemerken.
Die Männer mochten auf einen Fischfang ausgezogen sein.

Herr Kleinschmidt schoss einen interessanten Reiher und schickte ihn nach
Hause an die Mutter, damit sie ihn abbalge. Dieses Ereigniss lockte die
ganze vorhandene Einwohnerschaft herbei, deren Aufmerksamkeit sich alsbald
auf mich und meinen schlohweissen Leib ablenkte, der ich den Lockungen
eines selten klaren und tiefen Süsswasserbeckens nicht widerstehen konnte,
das oben in dem wasserlosen Wunokene versäumte Morgenbad nachzuholen.

Unser nächstes Nachtquartier war Go Kandavu, und bis wir dieses
erreichten, passirten wir noch fünf Dörfer, Rota, Eabulu, Soso, Dele
Kandavu und Dschome mit Namen. Es ging immerfort bergauf und bergab,
meistens sehr steil und auf äusserst beschwerlichen, schlüpfrigen Pfaden
voller Löcher, Wurzelschlingen und lose liegender Steine. Regengüsse
hatten sie stellenweise zu tiefen Rinnen ausgewaschen, so schmal, dass man
nur seitwärts schreitend sich durchdrängen konnte, unbekümmert um
den Lehm, der an den Kleidern hängen blieb. Links und rechts dichter,
unbezwingbarer Busch.

Nur selten und auf kurze Strecken waren die Höhen kahl und gewährten
Aussichten, die dann um so entzückender waren. Die Landschaft glühte in
Farben, die einen Maler in Verzweiflung bringen konnten. Tief blau war der
Himmel, aber noch viel tiefer blau war die See, hellglänzend besäumt
von der weissen Schaumlinie der Brandung, die sich an den Kanten der
Korallenriffe brach, und innerhalb dieser, über den seichteren Stellen der
Riffe violette, purpurne und smaragdene Tinten. Dann kam tief unter uns ein
grellgelber Streif sandigen Ufers oder das wunderbar satte Hellgrün
von Mangrovedickichten, die viel schöner von oben zu beschauen als zu
durchklettern sind. Palmenhaine füllten den Raum zwischen dem Ufer und
den dunkelbewaldeten Bergen und die Thäler, die zwischen diesen ins Innere
sich einbuchteten. Rauch entstieg an verschiedenen Punkten der üppigen
Vegetation, die Anwesenheit menschlicher Wohnstätten verkündigend, und
hie und da guckten ein paar mit Kalk beworfene weisse Hütten durch die
Palmen.

Manche Strecken trugen den Stempel höherer Kultur. Der Weg, dessen
Schwierigkeiten eben noch aller Beschreibung spotteten, verwandelte sich
oft plötzlich in eine breite glatte Strasse, zu beiden Seiten von sauber
gehaltenen Bananenhainen begrenzt. Man war dann gewöhnlich in der Nähe
eines Dorfes, dessen Kindergeschrei lange hörbar war, ehe man die Hütten
selbst gewahr wurde. Oder Baumwollenstauden, vergebens gegen das sie
überwuchernde Unkraut ringend, zeigten an, dass ehemals hier eine Plantage
bestanden hatte, nun verlassen und dem hoffnungslosen Kampf ums Dasein
preisgegeben, seitdem dieser Artikel auf Viti dem amerikanischen
Konkurrenten im Preis, nicht in der Güte hat erliegen müssen.

Wo Bäche herabkamen, fanden wir diese gewöhnlich zu terrassenförmig
unter einander folgenden Sümpfen aufgestaut, in denen Taro (viti
»Ndalo«) gepflanzt war. Der Taro ist eine Colocasia, ganz ähnlich jener
Art, die bei uns so häufig in Töpfen mit Wasseruntersatz gezogen wird.
In sauber mit Lehmwällen und Steinen eingefassten Beeten von verschiedener
Grösse, welche der Bach in mäandrischen Linien zu durchrieseln
genöthigt war, standen zu regelmässigen Reihen geordnet die Pflanzen,
und Wasserlinsen bedeckten zwischen ihnen die Lachen. Diese Vorrichtungen
flössten mir alle Achtung ein vor der Intelligenz und dem Geschick der
sogenannten Wilden.

Es giebt übrigens auch eine weniger häufige Sorte Taro, welche keines
sumpfigen Bodens bedarf, und oben auf den Bergen in gewöhnlichem
ausgerodetem Waldboden angebaut wird. Der Busch wird zu diesem Zweck
niedergebrannt, was aber wegen der grossen Feuchtigkeit nicht ganz leicht
ist. Man haut das Gebüsch ab, damit es verdorrt, und zündet mehrere
grosse Feuer an, wobei immer von Neuem nachgeholfen werden muss.

In Soso machten wir einen grösseren Halt. Auch hier, wie in allen
Dörfern, entsetzt davonrennende braune Nacktfrösche, kreischende Weiber,
ernste Greise und Männer, welche mit einem freundlichen »Sa yandre« uns
begrüssten. Wir gingen auch hier stracks in des Häuptlings Haus, wo zwei
sehr hübsche zartgegliederte Mädchen, die Tochter und die Kindsmagd,
letztere einen quieksenden Säugling in den Armen, etwas scheu und verlegen
uns empfingen.

Sogleich erschien der Häuptling, mit uns Hände zu schütteln, und bald
darauf auch seine Frau, die »Marama«, mit einem Korb voll Taroknollen
auf dem Rücken. Sie warf ihre Last zu Boden, kroch herein und bemächtigte
sich, ohne von uns Notiz zu nehmen, des Säuglings, um ihm seine Nahrung
zu reichen, aber erst, nachdem sie an einem von der Kindsmagd hingehaltenen
Feuerbrand die Hände gewärmt und ihre Brüste gerieben hatte.

Der Häuptling holte etwas Yankonawurzel aus einer Ecke hervor und lud uns
ein, mit ihm Kawa zu trinken. Ich sah dieses Getränk jetzt zum ersten mal
bei Tageslicht bereiten und konnte genau den ganzen Prozess verfolgen.
Es fügte sich glücklich, dass es ausnahmsweise diesmal zwei reizende
Mädchen, die Tochter und die Kindsmagd nämlich, waren, welche für uns
kauten. Sonst sah ich auf Kandavu die Kawa stets nur von Knaben und jungen
Männern bereiten, während auf anderen Inselgruppen des Stillen Ozeans
dieses Geschäft dem schönen Geschlecht obliegt, was mir mehr zusagend
erscheint. Einer unserer Träger schleppte die grosse Bowle herbei, jenes
altehrwürdige Gefäss, das in keiner vornehmen Vitihaushaltung fehlt,
und setzte sie vor sich, um das Brauen und Filtriren der Flüssigkeit
zu übernehmen. Einen meterlangen Strick, der an der Bowle in einer Oese
befestigt war, warf er demüthig dem Häuptling zu, der solche Ehre mit
grosser Höflichkeit an mich abtrat, indem er ihn nach meiner Seite legte.
Dieser ehrenvolle Strick dient nämlich dazu, die höchste Person der
Gesellschaft zu bezeichnen.

Die doppelt daumendicke, knotige und verästelte grüne Wurzel wurde in
mundgerechte Stücke zerschnitten, und die beiden jungen Damen nahmen uns
gegenüber Platz und machten sich schweigend daran, sie mit ihren herrlich
weissen Zähnen zu zermalmen. War ein Bissen fertig, so holten sie ihn
mit Daumen und Zeigefinger aus dem Munde und legten ihn als wohlgeformtes
rundliches Häufchen behutsam in die Bowle. Sechs solche Häufchen kauten
sie zurecht für uns drei Zecher, den Häuptling, Herrn Kleinschmidt
und mich. Dann wurde Wasser aus hohlen Kokosnüssen zugegossen, und das
Pantschen und Filtriren begann.

Während wir so Kawa brauten und kneipten, waren ein paar andere
Frauenzimmer beschäftigt, unsere Mahlzeit zu bereiten. In einer Ecke der
Hütte lagen die zwei grossen Töpfe horizontal über der glimmenden Asche
des Feuers. Wasser brodelte bereits darin. Die geschossenen Tauben und
Papageien, schon auf dem Marsche ausgeweidet und gerupft, wurden mit
Taroknollen durch die weiten Oeffnungen ins Innere derselben geschoben,
und diese mit einem Stöpsel aus zusammen gebundenen Cordylineblättern
verschlossen.

Die ganze Familie des Häuptlings hatte sich eingefunden und durfte neben
und um uns Platz auf dem Boden nehmen. Das übrige Gesindel der Neugierigen
musste in respektvoller Entfernung, in der Nähe des Eingangs, sitzen
bleiben. Ausser dem hübschen Mädchen und dem Säugling, der einen
merkwürdig eckigen Kopf hatte, waren noch zwei Jungen vom Hause vorhanden,
von denen der eine, ein ungezogener Bengel von fünf Jahren, seiner Mutter,
welche mit ihrem Jüngsten dalag wie eine säugende Löwin, fortwährend
zum Zanken Veranlassung gab. Schliesslich kam noch eine andere vornehme
Dame, eine Freundin der Marama, ebenfalls mit einem kleinen schreienden
Balg, hereingekrochen, warf sich nieder und spielte ebenfalls die säugende
Löwin, während sie uns aufmerksam beguckte. Draussen vor der Thüre
unterhielten sich einige Kinder mit dem auch bei unserer Schuljugend so
beliebten Spiel, aus einem Faden alle möglichen Figuren an den Fingern zu
bilden und einander abzunehmen. Sie hatten es von den Missionären gelernt.

Im Hintergrund der Hütte war ein ganzes Arsenal von alten Schiessgewehren
an der Wand aufgestapelt, was mir um so mehr auffiel, als es von der
Kolonialregierung streng verboten ist, den Eingeborenen Munition irgend
welcher Art zu geben. Diese Waffen schienen mir übrigens durchaus
ungefährlich zu sein. Es waren Flinten jeder Konstruktion, nur keine
Hinterlader, und etwa zwanzig darunter mit Feuersteinzündung weiss Gott
aus welcher Zeit und woher, und alle Schlösser waren verrostet. Sollte
auch hie und da eines noch losgehen, die Vitis sind so feige Schützen,
dass sie in der Regel die Augen zudrücken, wenn sie schiessen wollen, was
bei unseren Rekruten allerdings auch zuweilen vorkommt.

Der Tag neigte sich bereits, als wir Dele Kandavu passirten, ein Dorf
rechts ab vom Wege, tief versteckt hinter dem üppigsten Grün von Palmen,
Bananas und Busch auf einem Hügelvorsprung, der zu einem dichtbewachsenen
Thal hinabfiel, aus welchem die zarten fiedrigen Kronen von Farnbäumen
ragten. Fröhliche Gesänge schallten zu uns herüber und harmonirten so
wunderbar mit der ganzen Stimmung der paradiesischen Landschaft und
des herrlichen Abends. Wie glücklich diese Menschen hier leben. Welche
unbeschreiblichen Genüsse bietet die Natur hier dem Wanderer, wenn ihm
auch dabei der Schweiss von der Stirne tropft und die Kniee vor Ermüdung
zu zittern beginnen. Wie bemitleidet man da den Philister zu Hause, der
Jahr aus Jahr ein nichts Höheres kennt, als täglich des Abends zur
bestimmten Stunde im Tabaksqualm seiner Kneipe zu sitzen und seinen Magen
mit den Gährungspilzen des Bieres vollzupumpen.

Wir kamen an einen Bach, und jenseits desselben lag Dschome. Ein Mann aus
dem Dorfe erbot sich, mich hinüberzutragen. Ich zog es vor, durchzuwaten,
da mich erst kürzlich bei einer ähnlichen Gelegenheit ein Kerl durch
einen Fehltritt ins Wasser geworfen hatte.

Beinahe hätten wir schon hier unser Nachtquartier aufgeschlagen. Unsere
Burschen wenigstens waren entschieden der Ansicht, dass es für heute
genug des Marschirens sei. Sie waren vorausgeeilt und sassen bereits,
ihrer Bürden entledigt, neben der Hütte des Häuptlings, als wir
sie erreichten. Ein hübsches braunes Mädchen mit einer feuerrothen
Hibiscusrose über jedem Ohr stand freundlich lächelnd vor der Thüre
und guckte mir, sehr verführerisch aber unschuldsvoll den glänzenden
Bronzekörper, der nach Kokosöl duftete, an mich schmiegend über die
Schulter, während ich sie in mein Taschenbuch notirte. Die ärmliche etwas
unreinliche Behausung des Häuptlings gefiel uns nicht, und wir gingen
weiter.

Hätten wir gewusst, welch langer und beschwerlicher Weg uns noch
bevorstand, wir wären trotz Allem geblieben. Wohl über zweihundert Meter
mussten wir wieder hinauf und an der anderen Seite eben so tief hinunter.
Oben beschien die Sonne im Untertauchen golden die Wipfel der Bäume, unten
war es bereits dunkel, als wir endlich, triefend von Schweiss und bis
zur Erschöpfung müde, in Go Kandavu unseren Einzug hielten, zur grossen
Aufregung der neugierig Spalier bildenden Einwohner.

Auch der Häuptling von Go Kandavu liess uns zu Ehren Kawa bereiten.
Diesmal waren wieder nur Knaben und Jünglinge zum Kauen kommandirt, die
Dunkelheit verhinderte, die Details des Vorganges genauer zu sehen. Es
wurde wenig gesprochen. Nur das Krachen der Wurzeln zwischen den Zähnen
und später das Herumpantschen in der Flüssigkeit unterbrach die
andächtige Stille, welche herrschte, trotzdem die ganze Hütte voll von
Menschen war. Ein kleiner, brauner Frosch kletterte in die Bowle, setzte
sich mit seinem nackten Hintern auf die für uns zurechtgekauten Häufchen
und fing verlegen und erschrocken zu weinen an, als Alles darüber lachte.
Dies störte aber das Gelage nicht, und die breit gesessenen Häufchen
dienten ebenso gut ihrem Zwecke wie die neu hinzukommenden. Unser
Gastfreund, der Häuptling, war aussergewöhnlich wohlhabend. Denn er
besass Teller, Gabeln und Messer. Nur Schade, dass wir die seltenen
Geräthe an nichts Würdigerem als an süssen Bataten zur Anwendung
bringen konnten. Aus diesen sowie aus Schokolade und Zwieback bestand unser
frugales Abendbrot.

Ein unerwartetes Schauspiel stand mir noch bevor. Ich sollte ein »Meke
Meke«, eine Vititanzunterhaltung zu sehen bekommen.

Ich hörte Gesang weit über das Dorf in unsere Hütte herübertönen, und
ich ging hinaus nach der Richtung, von welcher er kam. Tarosümpfe umgaben
das Dorf, und erst nach einigen Irrwegen fand ich durch sie hindurch und
das was ich suchte.

Auf einem freien Platz brannte flackernd ein grosses Feuer, und etwa ein
Dutzend Kinder tanzten um dasselbe herum und sangen dazu nach dem Takt
zweier Stäbchen, mit welchen ein Jüngling ein Stück Bambus bearbeitete,
das ein kleiner Knabe wagrecht vor ihn hinhielt. Mein Hinzukommen störte
sie nicht, sondern schien im Gegentheil mehr Theilnehmer herbeizulocken.
Eine Menge Mädchen und junger Männer fand sich allmälig ein. Sie trugen
als festlichen Schmuck rothe Cordylineblätter um die Stirne gebunden, und
an den Knieen Strumpfbänder von gelb und roth gefärbten Gräsern. Die
Mädchen drückten sich scheu an mir vorbei und nahmen schreiend und
kichernd Reissaus, sowie ich nur eine Bewegung machte. Auch sie traten in
die Reihen der Tanzenden, und immer grösser wurde ihre Zahl, und Zuschauer
kamen und gruppirten sich auf dem Boden. Fackeln aus dürren Schilfbündeln
wurden gebracht, und bald nahm die Unterhaltung bedeutendere Dimensionen an
als ich hier in dem so abgelegenen Dorf erwartet hatte.

Es war eine träumerische laue Tropennacht. Der Mond war aufgegangen,
die Sterne funkelten, die Zikaden zirpten, und ein leiser Zephyr milderte
höchst angenehm die Wärme. Das Feuer und die Fackeln warfen ihr röthlich
flackerndes Licht auf die nackten Gestalten und übergossen das ganze Bild
mit einem grotesken Zauber. Mehrmals schloss ich die Augen, als ich so
dasass auf einem alten faulen Kanuu, um jedesmal beim Oeffnen mich wieder
von dem fremdartigen mährchenhaften Anblick überraschen zu lassen.

Die Wendungen des Tanzes waren höchst anmuthig und konnten manchem
altersschwachen Ballet bei uns zum Muster dienen. In doppelten Reihen
tanzten Mädchen und Jünglinge, bis auf das Tuch um die Hüften nackt
und mit Blumen- und Blattguirlanden geschmückt, die geschmeidigen
Bronzekörper mit Oel gesalbt, um ein Feuer, erst nach rechts und nach
links, dann beide in entgegengesetzten Richtungen, traten zwischen einander
hindurch und wieder zurück, hoben und senkten die Arme, bogen und wogen
die Hüften und klatschten in die Hände. Daneben sass der Musikant und
trommelte den Takt auf sein Bambusrohr, begleitet von dem Gesang aller
Anwesenden, Tänzer sowohl als Zuschauer.

Der Gesang, allerdings auch nur in wenigen Noten auf- und niedersteigend,
war viel melodischer, als jener, den ich bei den Maoris auf Neuseeland
gehört. Der Rhythmus bewegte sich in einem fast endlos wiederkehrenden
Daktylus, bis plötzlich mit einem kurz ausgestossenen, rauhen Ton eine
Strophe und zugleich eine Tanzfigur schloss. Einer der Tänzer schien
Kommandos zu geben, indem er zuweilen laut in der Fistel krähte, was
ungefähr wie »Tirürü« lautete, und worauf sofort eine neue Wendung
eintrat. Ich habe niemals etwas Graziöseres gesehen, als die natürliche
Anmuth in den freien ungezwungenen Bewegungen jener Mädchen. Diese braunen
Naturkinder sind von einer bezaubernden Frische. Und dabei wissen sie eben
so gut zu kokettiren wie irgend eine Tochter Evas auf Erden, und besitzen
hiezu ganz verflucht grosse, schwarze, langbewimperte Augen, um die sie
nicht wenige Europäerinnen beneiden dürften.

Im Anfang der Festivität waren einige mit dem obligaten Busenhemdchen
erschienen. Im weiteren Verlauf jedoch entledigten sie sich derselben.
Sollte es blosser Zufall gewesen sein, oder war es ihr weiblicher Instinkt,
dass sie mir ohne dieses geschmacklose und unnöthige Kleidungsstück
besser gefielen, nachdem sie gesehen, dass ich kein verkappter Mucker aus
England war? Ich habe derartige Demaskirungen fast in jedem Dorfe erlebt.

Die halbpapuanischen Vitis stehen im Rufe grosser Keuschheit, ganz im
Gegensatz zu ihren lasziven Verwandten, den Polynesiern. Dementsprechend
unterschied sich dieses Meke Meke auch dadurch von den polynesischen
Tänzen, dass es keine obszöne Bedeutung, sondern die reine Freude an
rhythmischer Bewegung und an Gesang als Motiv hatte. Nicht die leiseste
Spur von zweideutigen, anstössigen Geberden war zu bemerken. Nur etwas
sah ich, was mich frappirte und der zu herrschen scheinenden Dezenz
widersprach. Mehrere kleine Jungen stellten sich ausserhalb des Reigens
paarweise einander gegenüber, umfassten einander auch wohl und machten
Bewegungen zusammen nach dem Takt der Musik, die im höchsten Grade obszön
waren und an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig liessen. Die Aeltern
aber, namentlich die Weiber, lachten und schrieen ausgelassen vor Freude
über die gelungenen Scherze ihrer sechsjährigen Sprösslinge.

Lange sass ich isolirt. Die Scheu vor dem Fremdling hatte eine breite
Zone um mich leer gelassen. Nach und nach aber wurde man zutraulicher.
Ein Mädchen oder ein Junge kroch herbei und bettelte um Tabak, und Alles
lachte und freute sich über die gut abgelaufene Dreistigkeit, wenn ich
ihnen Tabak gab, und der Zuschauerkreis rückte dichter an mich heran.
Diese Furcht vor dem Weissen ist keine ursprüngliche, sondern die Folge
übler Erfahrungen. Die Südsee-Insulaner kommen in der Regel nicht mit der
besten Klasse von Europäern in Berührung. Ich habe manchmal Gelegenheit
gehabt zu beobachten, wie selbst der dümmste und erbärmlichste Matrose
es für seine Pflicht hält, die sogenannten Wilden verächtlich und gleich
Thieren zu behandeln.

Ich blieb über eine Stunde und weidete mich an dem effektvollen
Schauspiel. Dann riss ich mich los aus der immer enger um mich sich
gruppirenden nackten Gesellschaft. Waren sie ziemlich zutraulich geworden
im Bereiche des Feuers, so hatte draussen im Dunkeln meine Erscheinung
noch nichts von ihrer Unheimlichkeit eingebüsst, und alle Kinder und
Frauenzimmer die mir begegneten ergriffen schleunigst jedesmal wieder die
Flucht. Der Tanz wurde unermüdlich fortgesetzt, und noch lange, als ich
zu Hause auf der Matte lag, hörte ich den dreitaktigen Lärm der lustigen
Schaar herüber.

Ich schätzte mich glücklich, diesem Meke Meke beigewohnt zu haben, da er
nicht wie an anderen Orten blos zur Schaustellung und für Geld, sondern
zur sichtlichen eigenen Freude der Theilnehmer gehalten worden war.

Als ich am anderen Morgen erwachte, sah ich dass ausnahmsweise auch die
Frauenzimmer in derselben Hütte wie wir schliefen. Der alte Häuptling
hatte sich aber vorsorglich zwischen sie und uns gelegt. Ein köstliches
Bad unter einem Wasserfall, der über senkrechte Felswände herabdonnerte,
und das vergebliche Waten durch den Bach und die Tarosümpfe einigen
fliegenden Hunden zu liebe, die ich in den Gipfel eines hohen Baumes hatte
einfallen sehen, aber im dunklen Laub der Krone nicht wieder entdecken
konnte, schufen den prachtvollsten Appetit nach einem substanzielleren
Frühstück, als die vegetarianische Lebensweise der Vitis gewähren
konnte, und ich fühlte schmerzlich die Entbehrung der Fleischkost.
Taroknollen, Zwieback und Schokolade waren nur ein kümmerlicher Ersatz.

Herr Kleinschmidt schacherte noch mit unserem Gastfreund um den Preis eines
kunstvoll aus Schildpatt, Knochen und Perlmutter gefertigten Angelhakens,
der von dessen Grossvater stammen sollte und den er nur ungern und zaudernd
hergab. Aber der Glanz des schnöden Mammons war ihm unwiderstehlich,
und er bat nur, nichts von dem Handel seinen Stammesgenossen verlauten zu
lassen. Ein paar scharlachrothe Sulus wurden als Gastgeschenk verabreicht,
unsere Burschen beluden sich mit dem Gepäck und wir nahmen Abschied. Manch
hübsches Mädchen von gestern sah aus den niedrigen Hütten und winkte uns
Grüsse nach »Sa yandre, sa yandre«.

Go Kandavu ist umgeben mit Tarosümpfen wie eine Festung und hat nur einen
einzigen Zugang. Wir mussten es also auf demselben Wege verlassen, auf dem
wir gekommen waren. Abermals über einen dickbewaldeten, hindernissreichen
Berg, auf dessen Gipfel wir rasteten. Zwei ärmliche Hütten mit sehr
schmutziger Einwohnerschaft standen in einer Lichtung, in welcher Bergtaro
wuchs. So elend und verkommen wie diese Vitifamilie die hier hauste habe
ich keine mehr sonst auf Kandavu jemals getroffen. Sie erinnerte an die
schlechteste Sorte der Maoris von Neuseeland.

Endlich endlich kamen Zeichen, dass wir uns unserem Freund Charly
näherten. Zuerst ein festgetretener Weg und etliche verwahrloste
Baumwollenstauden. Der Wald hörte auf und eine sonnige Wiese breitete sich
über den Abhang aus. In einem reinlich gejäteten Viereck waren zwischen
grossen vulkanischen Felsen Ananasse in Reihen gepflanzt. Daneben
Kaffegebüsch, aus welchem bereits die rothen Beeren blinkten.

Ein Haus und ein paar Hütten, wir waren am Ziele. Charly kam uns
freundlich entgegen, und hinter ihm die drei grünen Landsleute und die
zwei grossen Neufundländerhunde. Charly hatte mittlerweile wieder etwas
Deutsch gelernt und war sehr stolz darauf. Er zeigte uns seine braune
Gemahlin und seine vier hübschen halbbraunen Kinder. Was uns aber im
Augenblick viel interessanter war, er gab uns zu essen, und zwar ein
wunderbar duftiges Schweinchen. So gut wie bei Charly hatte ich schon
lange nicht mehr gelebt. Und fehlte ihm auch jede Spur alkoholischer
Flüssigkeit, so gab es bei ihm einen so ausgezeichneten Kaffe eigenen
Gewächses wie ich niemals gekostet zu haben glaubte. Jetzt da ich den
guten Kerl zum ersten mal nüchtern sah, machte er einen viel besseren
Eindruck als damals in Wailevu.

Charly erzählte mir seine Lebensgeschichte. Er war vor zwanzig Jahren
Matrose auf einem Walfischfänger gewesen und seinem Kapitän eines
schönen Tages davongelaufen, um sich unter den Viti-Insulanern, die damals
noch Menschen frassen, herumzutreiben. Nach vielen Abenteuern hatte er
sich hier in Waidule niedergelassen, die Tochter eines benachbarten
Dorfhäuptlings geheirathet und dadurch seine Besitzung erhalten. Verbrieft
und nach den neuen englischen Gesetzen unzweifelhaft gültig war sein
Titel darauf allerdings nicht. Aber er lebte davon. Er hatte Schweine und
Hühner, und was er sonst brauchte, wuchs ihm ohne viel Mühe zu machen
im Ueberfluss. Monatlich einmal, wenn die Postdampfer kamen, fuhr er mit
seinem Boot nach Wailevu, verdiente durch Fährdienste etwas Geld
und kaufte sich dafür einen tüchtigen Rausch, um dann in der frohen
Erinnerung dieses und in der frohen Erwartung des nächsten die
Zwischenzeit nüchtern und idyllisch zu verträumen.

Dieser Platz hier oben heisst Waidule. Unten am Ufer ist eine andere
Ansiedelung von Weissen, Nawai mit Namen. Dort wohnte der andere seiner
Muttersprache entfremdete Landsmann und ein Engländer, Mister Smith,
ebenfalls mit farbigen Weibern zusammen. Es wurde nach ihnen geschickt, und
sie kamen herauf, so dass wir bald zahlreiche Gesellschaft hatten.

Die drei grünen Deutschen machten lange Gesichter. Es schien ihnen zu
dämmern, dass hier zu Lande doch nicht so leicht Geld zu verdienen sei.
Mit der nächsten Post wollten sie nach Levuka gehen um Land zu kaufen, so
sehr man ihnen auch allgemein abrieth und die Versicherung gab, dass sie
doch wahrscheinlich keines bekämen. Die Regierung hatte in der letzten
Zeit alle derartigen Geschäfte suspendirt. Da die Eingeborenen kein
Eigenthum in unserem Sinne kannten, so gaben die bereits geschehenen
Verkäufe und Verpachtungen von Land zwischen Häuptlingen und Weissen zu
allen möglichen Zweifeln und Streitigkeiten Veranlassung. Diese sollten
jetzt untersucht und geschlichtet werden, und bis dies geschehen, war
kein neuer Vertrag gültig. Am übelsten fühlten sich wohl die beiden
Neufundländerhunde auf Viti. Die Zungen hingen ihnen zum Halse heraus, sie
sehnten sich offenbar nach dem kühleren Deutschland zurück.

Leider hatte sich Herr Kleinschmidt auf dem letzten Theil des Marsches
verletzt und wollte nun mit Charlys Boot über Wailevu nach Hause zurück.
Unsere schöne Partie fand somit rasch einen gewaltsamen Abschluss. Es traf
sich merkwürdig dass auch Charly und seine Nachbarn die Absicht hatten,
heute oder morgen Geschäfte halber dorthin zu fahren. Die ganze Flotte
von Nawai, die aus zwei Böten bestand, wurde deshalb schleunig in Dienst
gestellt und ausgerüstet.

Wir theilten uns in zwei Partieen. Herr Kleinschmidt und ich, unsere
drei Burschen und zwei Leute zum Rudern besetzten das kleinere Boot, die
Uebrigen folgten in dem grösseren.

Wir mussten bald einsehen, dass wir eine sehr schlechte Wahl getroffen
hatten. Kaum waren wir aus der windgeschützten Bucht hinausgerudert, und
kaum kamen die ersten Stösse des Passates um die linke Felsenecke in das
Segel geflogen, als sich unser Fahrzeug jäh auf die Seite legte und sich
dadurch so rank erwies, dass wir das Segel reffen mussten. Hierbei stellte
sich heraus, dass die ganze Takelage in dem lotterigsten Zustand, und dass
unsere braune Besatzung eben so ungeschickt als faul war. Mein Freund
wurde nervös und hörte nicht mehr zu schelten auf. Zu unserem grössten
Verdrusse segelte während dessen das andere Boot glatt an uns vorüber,
wir blieben weit zurück und holten es nicht wieder ein.

Es giebt ein kostbares Wort auf Viti, welches den dort von Weissen und
Braunen geübten süssen Schlendrian treffend bezeichnet, »Malloa«
nämlich. Malloa heisst ursprünglich »Später« oder »Morgen«, jetzt
wird es allgemein unter einem leisen Beiklang von Selbstironie angewendet,
um mit der obligaten Saumseligkeit auszusöhnen. Drückt man seine
Verwunderung aus über den herrschenden Mangel an Pünktlichkeit, frägt
man nach dem Zeitpunkt einer zu leistenden Arbeit, dringt man ärgerlich
auf rascheres Handeln, man hört stets denselben gemüthlichen Refrain
»Malloa«. Auch jetzt mussten wir uns wieder mit »Malloa« vertrösten.

Die Fahrt nach Wailevu wurde ziemlich ungemüthlich, so schön auch der
Anblick war, den die in der Abendbeleuchtung ruhenden prächtigen Berge
zur Rechten und die an den Korallenriffen sich brechende See zur Linken
gewährten. Wir segelten im ruhigen Wasser innerhalb der Riffbarren hin.
Gleich einem hohen glänzenden Wall zieht sich draussen die Linie der
Brandung parallel den Konturen der vielgebuchteten Insel entlang, rastlos
toste und donnerte sie zu uns herüber. Manchmal kamen wir ihr so nahe,
dass wir uns kaum noch verstanden. Wir sahen dann, wie jenseits die langen
Wogen stetig hinter einander heranrückten, drohend uns zu verschlingen.
Aber das Bollwerk stand unerschütterlich, und ohnmächtig zerstoben jene
sich nach vorne überstürzend im schäumenden und brüllenden Getümmel.

Ein friedlicheres Bild boten die Palmenhaine und dicht bewaldeten Gründe
zur Rechten. Rauchsäulen stiegen überall von den Thälern zum Himmel
empor, groteske Felsen sprangen dazwischen zu uns heraus.

Die Nacht senkte sich hernieder, und wir waren noch ziemlich weit von
Wailevu. Ueberall konnten Klippen verborgen sein, keiner von uns kannte die
Gegend. Die fünf braunen Kerls waren zu nichts zu gebrauchen, und das Boot
und die Takelage flössten wenig Vertrauen ein. Haifische sollten hier in
Menge lauern, eine unerfreuliche Aussicht im Fall des jede Minute drohenden
Kenterns. Ich lag vorne und guckte ins Wasser nach Riffen. Wie war es
da anders möglich, als dass mir jede schwarze Stelle des höhlenreichen
Grundes ein gefrässiger Haifisch dünkte, der unser Boot zu verfolgen
schien.

Zum Glück war der Himmel klar, und die Sterne leuchteten freundlich auf
uns herab. Vorne im Westen glühte der Schein eines Waldbrandes. Ich hielt
ihn anfänglich für ein besonders schönes Zodiakallicht.

Bis wir in die Angaloa Bai einbogen und die Lichter des Hotels von Wailevu
wieder erblickten und mühselig landeten, war es spät geworden. Die
Anderen waren schon eine gute Stunde da und hatten bereits Zeit gehabt,
sich zu betrinken. Mister Smith hatte sein Frauenzimmer, eine furienartige
Erscheinung gemischter Rasse mit triefenden Augen, mitgebracht. Man sagte,
er wolle sich ihrer entledigen, indem er sie auf den Kutter nach Levuka
zu locken beabsichtige. Ich konnte ihm seinen hinterlistigen Plan bei Gott
nicht verdenken. Auch in ihr wütheten die Dämonen des Schnapses. Sie war
eben erst in Folge unpassenden Benehmens an die Luft gesetzt worden und
durfte für den Augenblick das Wirthshaus nicht betreten. Deshalb lauerte
sie draussen vor den Fenstern herum und heulte. Mister Smith, ihr süsser
Gemahl, war einmal im Verlauf des Abends so unvorsichtig, hinauszugehen
und nach ihr zu schauen. Ein heftiges Gekeife, laut schallende Ohrfeigen
draussen im Dunkel der Nacht, und Mister Smith kam mit zerkratztem Gesicht
wieder herein, goss sich schnell ein Weinglas voll Schnaps in den Magen und
wischte sich langsam vor dem Spiegel das Blut von den Wangen ohne weiter
ein Wort zu verlieren.

Am anderen Morgen hatte ich die Genugthuung, zu finden, dass die Brücke
über den Bach mittlerweile fertig geworden war, im Gegensatz zu den sonst
hier zu Lande allgemein üblichen Vorrichtungen dieser Art, die nur aus
zwei drehrunden glatten und dünnen Palmstämmen gebildet sind, ein stolzes
Bauwerk. Die beiden Aufgänge waren noch im Entstehen begriffen. Ein
Dutzend brauner Bummler trug Steine und Erde herbei, ohne sich allzu sehr
anzustrengen. Nach jedem Gang, der zwei faustgrosse Brocken als Resultat
hatte, setzten sie sich nieder und bewunderten ihre Leistung. »Malloa«.
Unweit davon hockten die Kinder des Dorfes in einer Reihe am Strande und
kratzten mit ihren Fingerchen kleine essbare Muscheln aus dem feuchten
Boden.

Während Herr Kleinschmidt ein Boot zu leihen nahm, um über den
Yarambaly-Isthmus zu setzen und nach Hause zu fahren, denselben Weg, den
wir zuerst gemacht, zog ich es vor, zu Fuss der vielfach gewundenen Küste
entlang zu gehen. Ich passirte zuerst die Dörfer Nuku und Namalatta. Es
war Ebbezeit, und die gesammte weibliche Bevölkerung von Namalatta trieb
sich auf den blossgelegten Riffen herum und fischte. Einige alte Weiber
sassen am Ufer und schuppten mit scharfen Muscheln unbarmherzig die
zappelnden Fische, die ihnen kleine Jungen in Körben herbeitrugen.

Nach einem ermüdenden Marsch, abwechselnd durch weichen hässlich
nachgiebigen Sand und über grosse schlüpfrige Blöcke, war ich am
Nachmittag wieder in Gavatina. Vor allen Palmenhainen, an denen ich
vorüberkam, staken drei oder vier lange Stangen in der Erde, an
deren Spitze Strohbüschel hingen, das Zeichen des »Tambu«. Denn in
Kokosnüssen haben die Eingeborenen ihren Zehnt an die Missionäre und
ihre Steuer an die Regierung zu zahlen. Nicht leicht würde ein Viti sich
erkühnen dieses Tambu zu brechen und von den verbotenen Früchten zu
stehlen. In den meisten Dörfern kann man selbst gegen gute Bezahlung keine
Kokosnüsse bekommen, obwohl sie überall in Fülle vorhanden sind.
Ein unerschütterliches »Tambu, tambu« antwortet auf alle
Bestechungsversuche, und dabei machen die schwarzen Kerls ein Gesicht, als
ob ihnen schon die ganze Hölle im Nacken sässe.



XV.

BESTEIGUNG DES BUKELEVU.

  Landung in Dangai. Mandrai und Arrowroot. Improvisirte
  Naturalienhändler. Ausflug nach Dalingele. Tonganer. Festessen und
  Kawagelage. Ein schwindsüchtiger Häuptling. Die heissen Quellen.
  Unfall und Nothzucht. Mühseligkeiten des Bukelevu. Hungersnoth und
  Kälte. Abstieg. Schneckenfrühstück in Lomadsche. Sonntagstoilette
  der Insulanerinnen.


Während wir die Partie nach Waidule machten, war Mister Daymac in dem
Kutter nach Levuka gefahren, um eine mit der letzten Post von Hamburg
über Sydney eingetroffene Sendung von Spiritus und anderen
Ausrüstungsgegenständen zu holen. Als wir zurückkehrten war er schon
wieder da. Er hatte sehr gutes Wetter gehabt, aber es war ihm das Unglück
passirt, in der Nacht auf ein Riff zu stossen. Der Kutter hatte dadurch ein
Leck bekommen und musste geflickt werden.

Herr Kleinschmidt requirirte vom Tui etliche zwanzig Burschen, um ihn aufs
Trockene zu ziehen, und früh am folgenden Morgen, während ich noch in
meinem Zelt auf der Matte lag, kamen dieselben in zwei Kanuus aus Sanima
angerudert. Schon von ferne tönte ihr fröhlicher und melodischer Gesang
in den herrlichen Morgen unseres stillen noch halb beschatteten Thales
herein.

Es galt nun, rasch an die Arbeit zu gehen, ein Brett auf das Leck zu
nageln, und schliesslich den ganzen Kutter zu kalfatern und mit Theer
anzustreichen. Ein reisender Naturforscher in der Südsee hat sich auf all
diese Dinge zu verstehen. Das Reisen ist dort mit Umständlichkeiten und
Mühsalen verbunden, von denen man ohne eigene Anschauung nur schwer
sich einen Begriff macht. Als der Kutter wieder flott war, zog sein Holz,
ausgedörrt von der Sonne, so viel Wasser, dass Herr Kleinschmidt und
sein Gehilfe mehrmals in der Nacht aufstehen und in der Jolle hinausfahren
mussten, um auszupumpen.

Am 25. Juli endlich war es möglich die zweite Partie unseres Programms,
die nach dem Bukelevu, anzutreten. Wir schifften uns auf dem Kutter ein und
lichteten Anker. Auch Mister Daymac ging diesmal mit und ausser Niketi noch
zwei Kerls von Sanima zum Rudern. Ein günstiger Wind brachte uns rasch
über die Korallenriffe und in offene See. Die Ufer wichen zurück, der
Bukelevu, der hohe westliche Pfeiler Kandavus, trat uns entgegen.

Allenthalben segelten Kanuus der Eingeborenen, und eines, vollbeladen mit
Männern, Weibern und Kindern, fuhr so nahe in gleicher Richtung vorüber,
dass ich es flüchtig skizziren konnte, aber auch so rasch, dass ich
kaum damit fertig wurde. Der Kutter war ziemlich schwer und durfte es an
Schnelligkeit nicht mit den leichten, fast körperlosen Vitifahrzeugen
aufnehmen. In allen möglichen Stellungen lag und sass die ob unseres
Zurückbleibens laut lachende Gesellschaft auf der Platform zwischen Kanuu
und Ausleger vor und hinter dem nach vorne geneigten Mast, häufig von
den hüpfenden Wellen bespült. Auf dem Hintertheil standen aufrecht
zwei Männer und steuerten mit langen Riemen, die sie im Kielwasser
nachschleppen liessen, und die Umrisse ihrer Gestalten zeichneten sich
scharf wie Silhouetten gegen den klaren Horizont ab.

Weit im Norden schwammen die duftigen Berge der nächsten Inseln über der
blauen Fläche. Links thürmten sich die dunklen Massen des Busches von
Kandavu über dem glänzenden Muschelstrand, hie und da kreischten ein paar
zänkische oder geschwätzige Papageien aus dem fernen Dickicht bis zu uns
herüber. Die glühende Sonne und die frische Brise mischten sich zu einer
angenehmen wohlthuenden Wärme. Es war ein Hochgenuss, so dahin zu segeln.

Aber nach kaum vier Seemeilen schlief der schöne vielversprechende Wind
ein und machte einer tödtlichen Stille und einer versengenden Hitze Platz.
Das Segel fiel von einer Seite zur anderen, und beständig mussten wir uns
bücken, um nicht von dem haltlosen Besanbaum bald links bald rechts an den
Kopf geschlagen zu werden.

Nun folgten einige recht langweilige Stunden, die wir mit vergeblichem
Hoffen auf Wind und kurzen Ruderanstrengungen zubrachten, was aber bei der
Schwerfälligkeit des Kutters und bei der Faulheit unserer Burschen nicht
viel half. Auch die Eingeborenen in ihren Kanuus mussten jetzt das Segeln
aufgeben und sich auf die Riemen werfen. Eines begegnete uns, mit acht
grossen Kochtöpfen befrachtet. Hinten standen zwei Männer, jeder mit
seinem langen Steuerriemen hin und her arbeitend, sie »frickten«, wie der
Seemann sagt, und es sah sehr komisch aus, wie die beiden frei in der Luft
stehenden Gestalten dabei gleichmässig hinum und herum wackelten.

Erst gegen Abend erhob sich ein leichtes Lüftchen und brachte uns langsam
dem Ziele näher. Jenseits der Namalatta Bai passirten wir den Sitz des
weissen Obermissionärs, Richmond Settlement, ein hübsches Gebäude
europäischen Styles unter Palmen auf einem Hügel, hinter dem grosse kahle
röthliche Flecken in die Berge gebrannt waren, vielleicht um dort Taro zu
bauen. Der Bukelevu wurde immer höher und hüllte seinen Gipfel mit dem
Sinken der Sonne immer dichter in Wolken. Ein kreisrundes Aussenriff, über
welchem die See gleichsam athmend ihre Wogen in tosender Brandung hob und
senkte, während wir selbst in unserem Fahrzeug ganz dicht daneben keine
Bewegung fühlten, zwang uns zu einem grossen Umweg. Dann machten wir
linksum und steuerten geradewegs in die Bucht von Taulalia hinein. Drei
Dörfer, rechts Taulalia, links Tanawa und in der Mitte Dangai, lagen vor
uns.

Freudig ob des nahen Endes der Fahrt hissten wir unsere deutsche Flagge.
Doch wir freuten uns zu voreilig. Kaum waren wir in den Schatten des
Bukelevu getreten, als heftige Windstösse vom Lande her in das Segel
peitschten und den Kutter rückwärts trieben. Und nicht eher gelang es
uns, wieder vorwärts zu kommen, als bis wir die kleine Jolle aussetzten
und vorspannten, und alle, auch Herr Kleinschmidt und ich, aus
Leibeskräften zu rudern begannen, trotz der unfehlbaren Einbusse die
unsere Würde durch solch knechtische Arbeit in den Augen des am Strande
versammelten Publikums erleiden musste.

Hinter einer vorspringenden Klippe konnten wir endlich Anker werfen
und landen, zum grossen Gaudium des in aufgeregtester Erwartung und
lebhaftester Heiterkeit unser harrenden Janhagels. Neugieriges Anstarren,
Witze reissen, Kichern und Auslachen seitens der erwachsenen Insulaner,
entsetztes Ausreissen der kleinen Nacktfrösche wie immer, einige
Grobheiten seitens des Europäerthums. Ein paar Männer kamen, uns
die Hände zu reichen und gleich darauf Taro zu unverschämten Preisen
anzubieten.

Das Dorf Dangai, vor dem wir gelandet waren, darf sich rühmen, das
schmutzigste und ärmlichste zu sein, das ich auf Kandavu gesehen habe.
Nachdem wir uns überzeugt, dass in der Unreinlichkeit der Hütten kein
Unterschied herrschte, quartierten wir uns in jener ein, die dem Strande am
nächsten lag. Das Innere dieser Behausung war braunschwarz geräuchert wie
lackirt. Dank dem Rauch, welcher uns die Augen thränen machte, gab es
hier keine Moskitos. Dafür wimmelte es von Ameisen, welche sonach weniger
empfindlich zu sein schienen und sogleich eifrig die Höhenzüge und
Thäler unserer Personen explorirten. Dazu roch es, jedoch nicht nur hier,
sondern überhaupt in dem ganzen Dorfe, wie nach einem Gemenge von
faulem Käse und faulem Gemüse. Der Stoff, dem dieses scheussliche Odeur
entquoll, war Mandrai, das landesübliche Brot, welches hergestellt wird,
indem man die Nüsse des Iribaumes zu einem Brei zusammenbäckt und in
Bananenblätter gewickelt auf einige Wochen in die Erde vergräbt, um
ihn faulen zu lassen. Nur meiner Begeisterung für anthropologische
Untersuchungen hatte diese höllische Nahrung es zu verdanken, dass ich
meinen Ekel überwand und davon kostete. Der Geschmack war dem Geruch
entsprechend.

Es wurde rasch dunkel, und ein langer Abend stand uns bevor. Wir hatten
zwar eine Petroleumlampe mitgebracht, bei deren Licht wir lesen konnten,
aber der Mandraigeruch trieb mich hinaus. Fröhliches Geschrei und das
Fallen von Kokosnüssen lockte mich nach einer Stelle, von wo durch das
Ricinusgebüsch unter den Palmen ein lodernder Feuerschein herüberdrang.
Nach oftmaligem Stolpern fand ich den Weg dorthin.

Mehrere Männer waren beschäftigt, Arrowroot zu bereiten. In einem Korb
lagen die kartoffelähnlichen Wurzelknollen der Amarantha, welche sie auf
dem hierzu vortrefflich geeigneten Korallengerüst einer Fungia wie auf
einem Reibeisen pulverisirten und in einem halb mit Wasser gefüllten
ausgehöhlten Trog sammelten, um es zu schlemmen. Einer der Männer,
welcher meine Wissbegierde begriff, zeigte mir die Bedeutung des Trogs,
indem er mit der Hand hineinlangte und von dem Pulver heraufholte. Dazu
assen sie Kokosnüsse und boten auch mir davon an.

Als ich in die Hütte zurückkam, war man mittlerweile zu dem
unvermeidlichen Kawagelage geschritten. Trotz des Mangels an Sauberkeit,
der überall auffällig war, that auch ich Bescheid. Hatte ich vorhin
Mandrai gegessen, so konnte ich jetzt auch die zweifelhafteste Yankona
trinken. Zum Glück wars zu dunkel, als dass ich von dem Vorgang des
Brauens etwas zu sehen brauchte.

Lange noch, nachdem die neugierige Menge, die uns bisher Gesellschaft
geleistet, sich verzogen, und wir selbst uns zum Schlafen niedergelegt
hatten, sangen einige kräftige Stimmen drüben in der Nachbarhütte
geistliche Lieder und hielten mich wach. Ich lauschte ihnen und fand
abermals, dass die Kirchengesänge dieser Wilden entschieden mindestens
ebenso melodisch klingen wie die unserer Bauern. Neugierig, wer denn die
Urheber dieses Nachtkonzertes sein möchten, ging ich hinüber, kroch durch
die Thüre und fand, als ich bei der spärlichen Beleuchtung die
Gestalten allmälig erkannte, dass es unsere Burschen waren, die in sehr
unandächtigen Stellungen, auf dem Rücken liegend, die Arme unter dem
Nacken gekreuzt und mit den Beinen in der Luft herumgaukelnd ihre frommen
Lieder zu Ehren meiner Erscheinung mit doppelter Kraft zu brüllen
begannen, während zwei Mädchen daneben sassen und stillvergnügt und
stumpfen Gesichtsausdruckes mit Maultrommeln musizirten.

Als ich am nächsten Morgen mich erhob und ausging einen Bach zum Baden zu
suchen, antichambrirte bereits draussen vor der Thüre eine ganze Reihe
von Männern und Weibern mit Töpfen, Flaschen und Bündeln, lauter
improvisirte Naturalienhändler, die mit uns ein Geschäft machen wollten.
Der eine hatte ein paar zerzauste, halbgerupfte Papageien, der andere
Schmetterlinge, deren Flügel nur mehr aus einigen Fetzen bestanden, ein
dritter in einem alten Senftopf, der nicht gereinigt war, eine lebende
kleine Schlange, die heftig darin herumfuhr und sich über und über mit
den Senfresten beschmierte. Vogeleier halb oder ganz zerdrückt, Nester
mit Eiern die nicht dazu gehörten, und womit man Herrn Kleinschmidt
naiver Weise zu täuschen beabsichtigte, Käfer und Schnecken, jedoch
kein einziges Exemplar ohne Beschädigung, viele Dinge, die unverletzt
werthvoll, aber in den Händen dieser achtlosen Sammler vollkommen
unbrauchbar geworden waren, alles Mögliche boten sie uns feil. Ein
paar Mädchen kamen schlau lächelnd herbei und trugen grosse Töpfe,
sorgfältig die Deckel zuhaltend, und als sie öffneten, wimmelten und
krabbelten hunderte von grossen, schwarzen Schaben darin. Und da sie nun
an uns keine Käufer fanden, entledigten sie sich sogleich, indem sie ihre
Töpfe ausleerten, der ekelhaften Thiere, die nun nichts eiligeres zu thun
hatten, als schaarenweise in unsere Hütte zu flüchten.

Es gab einige seltene Vögel hier. Mister Daymac ging auf die Jagd und
schickte durch Jungen die erlegten, sowie er einen geschossen, an Herrn
Kleinschmidt, der sie sofort abbalgte. Wir hatten zu dieser Arbeit einen
Tisch mitgebracht, aber das Wetter sah trübe aus, hie und da fing es an zu
regnen, und häufig mussten wir uns ins Innere der Hütte flüchten, wo man
nur auf dem Boden arbeiten konnte, da die Fenster so niedrig waren, dass
sie höchstens die untere Fläche des Tisches beleuchteten.

Ich selbst lief einigen Schmetterlingen nach, und ein Eingeborener, der
schon den ganzen Vormittag mir gefolgt war, von Zeit zu Zeit, wenn ich
mich umdrehte, mich freundlich angrinsend, ohne ein Wort zu sprechen,
unterstützte mich leider in meinen Bemühungen. Vergebens suchte ich ihm
begreiflich zu machen, dass er mir das Schmetterlingfangen überlassen
solle. Sein Eifer mir zu helfen war unabweisbar. Fast jedesmal kam er,
gewandter und flinker als ich, mir zuvor und schnappte mit seinen Händen
meine Beute weg, um sie dann äusserst befriedigt mir zu überreichen, aber
nie ohne sie in seinen täppischen Fingern gründlich ruinirt zu haben.

An der anderen Seite des Dorfes stand ein Ndrallabaum in Blüthe, ein Baum,
der im alten Kalender der Vitis eine grosse Rolle spielt. Er gehört zu
den wenigen, die alle Jahre ihre Blätter abwerfen, und ehe diese wieder
sprossen, treibt er zuerst seine traubenförmigen Blüthen. Sie sind von
einer merkwürdig blutrothen Farbe, an die mich später auf Hawaii
im Krater des Vulkans Kilauea die kochende Lava des Feuersees lebhaft
zurückerinnerte, und prangend in kahlem Astwerk, geben sie mitten in
der vollen grünen Vegetation und zwischen den wogenden Palmen einen
eigenthümlich fesselnden Anblick. Die Blüthe des Ndrallabaumes
bezeichnete ehemals für die Insulaner den Anfang eines neuen Jahres und
noch jetzt die Zeit, zu welcher Yams gepflanzt werden muss.

Am Nachmittag unternahmen wir einen Ausflug nach der anderen südlichen
Seite der Insel, wo heisse Quellen entspringen sollten. Eine kurze, aber
mühselige Wanderung über das Felsengeröll des Ufers, welches den
Fuss eines vorspringenden steilen Hügels bildet, brachte uns nach dem
Nachbardorf Taulalia, dessen Kirche ebenso wie früher gesehene mit weissen
Muschelguirlanden behangen ist. Dann ging es nach links und in südlicher
Richtung eine Bergschlucht hinauf, in deren vor den Winden geschützten
Tiefen Brotfrucht- und Farnbäume wuchsen, zu beiden Seiten des Weges
kunstvoll angelegte Tarosümpfe, die ein geschwätzig murmelndes
Wässerchen berieselte.

Hoch oben auf dem Bergsattel, dem Hauptstrebepfeiler des Bukelevu zu
unserer Rechten, von wo aus wir wieder vor uns und hinter uns die blaue
See mit den herrlich violetten und grünen Korallenriffen und den
weissen Schaumlinien erblickten, winkte uns zwischen Bananen eine
kleine Ansiedelung, Nambali (vielleicht verwandt mit »Yarambali«), zur
wohlverdienten Rast. Zum ersten mal fand ich hier das Innere der Hütten
durch nicht ganz bis oben reichende Wände aus Flechtwerk in mehrere
Gemächer getheilt, eine höhere Stufe des Baustyls. Dann kam der Abstieg,
und rasch gelangten wir auf steilen und engen Pfaden hinunter, theilweise
durch einen Forst mit eingestreuten Baumfarnen, wie er schöner selbst
in Neuseeland nicht gedacht werden konnte. Eine einsame Hütte, ein paar
scheue Mädchen, die eilig ins Gebüsch entfliehen, noch ein Stückchen
Wald, ein Palmenhain und wir sind in dem grossen Dorf Dalingele.

Dalingele ist das ansehnlichste und sauberste Vitidorf, welches ich je
gesehen habe. Der Häuptling, ein stattlicher Mann von höchstens vierzig
Jahren, nur mit dem braungemusterten Sulu aus Tapa bekleidet, kam uns zum
Willkomm entgegen.

Von allen bisher kennengelernten Häuptlingen schien dieser am meisten
auf seine Würde zu halten. Im Hintergrund seiner Hütte, die durch einen
Querbalken und etwas höhere Polsterung unter den Matten von dem übrigen
Theile abgesondert war, durften nur er und wir niedersitzen. Vorne sass ein
Dutzend Männer jeglichen Alters, seiner Befehle gewärtig, mit denen er
nicht sparsam umging, vielleicht nur um uns zu zeigen, wie flink seine
Untergebenen gehorchten. Blos ein Junge von etwa zehn Jahren schien das
Privilegium strafloser Ungezogenheit zu geniessen und molestirte
alle Uebrigen, selbst das Oberhaupt mit seiner frechen, ruhelosen
Zudringlichkeit, indem er hier einem den Tabak aus dem Ohrläppchen oder
aus dem Turban stahl, dort mit einem Feuerbrand herumfuchtelte und das
Gebäude anzuzünden drohte, Alles was er sah für sich in Anspruch nahm
und schliesslich auch auf unser Gepäck sein Augenmerk richtete, was er
indess nach einer entschiedenen Zurückweisung aufgab. Vielleicht war der
ungezogene Junge ein Vasu, jener Neffe des Häuptlings, dem in früheren
Zeiten nach einer äusserst merkwürdigen, alten Rechtsüberlieferung der
Vitis Alles gehörte, was dem Häuptling untergeben ist. Nur Männer sassen
mit uns zusammen, die Weiber des Häuptlings hatten ihre Hütte nebenan
für sich, wo sie kochten.

Wir waren gerade zu guter Stunde nach Dalingele gekommen. Denn für
denselben Abend war ein grosses Festessen in Vorbereitung. In allen Hütten
wurde eifrig gekocht und gepantscht und dabei nicht minder eifrig gelacht
und geklatscht. Kokosnüsse, Taroknollen und Tiriwurzeln, Schweine und
Hühner sah man in grossen Massen an Stangen von je zwei Männern durch
das Dorf tragen und hie und da ganze Kolonnen solcher Träger einherziehen.
Weiber mit Haufen frischgewaschener weisser Sulus kamen vom Bache zurück.

Der Priester der Gemeinde war ein Tonganer, und an ihm und seiner Frau
sowie an dem achtjährigen Mädchen des frommen Paares, welches allein
unter allen Kindern vollständig nackt herumlief, fiel mir zuerst die helle
Hautfarbe dieser fremden Einwanderer auf. Es gab überhaupt viele Tonganer
hier, und einmal, als ich arglos um eine Ecke biegend plötzlich einer
Gesellschaft tonganischer Weiber gegenüberstand, war ich sehr betroffen,
da ihre vergleichsweise blassen, fast pomeranzengelben Körper mir momentan
den Eindruck machten, als ob ich entkleidete Europäerinnen überrascht
hätte. Auch in Bezug auf ihre Gesichtsbildung waren sie wesentlich
verschieden von dem Typus der relativ niggerhaften papuanischen Vitis und
näherten sich stark den Zügen arischer oder semitischer Rasse. Besonders
lebhaft steht mir noch heute ein Mädchen in Erinnerung, das mich durch
seine Aehnlichkeit mit jener jüdischen Ladenmamsell frappirte, bei der
ich in Hamburg meine Handschuhe zu kaufen pflegte. Ich sah sie zuerst am
nächsten Morgen in der Kirche, wo sie züchtiglich das vorgeschriebene
Busenschürzchen trug. Als der Gottesdienst aus war, paradirte sie mit
einem Bananenblatt ihr orientalisches Lockenköpfchen beschattend so lange
vor mir herum, bis ich sie zeichnete, und warf kokett das Busenschürzchen
über die Schultern zurück, um mir den Anblick ihrer jungfräulichen
pomeranzengelben Formen ungeschmälert zu gönnen.

Ehe die Dunkelheit hereinbrach, ging ich nach dem Badeplatz am
Meeresstrand, wo ich grosse Gesellschaft fand. Durch einen wirklichen,
echten Wald von Brotfruchtbäumen, in dem ich zum ersten mal einige unreife
Brotfrüchte sah, nicht grösser als Pomeranzen, während noch überall
Blüthen hingen, schlängelte sich wenige Schritte entfernt ein
Süsswasserfaden, sehr bequem gelegen, um nach dem Bad im Meere das Salz
von den Gliedern zu spülen. Der ganze Strand war voll von Männern, welche
sich nach des Tages Arbeit zum festlichen Mahle wuschen und mit frischen
weissblinkenden Sulus schmückten. Sie thaten sehr schamhaft. Denn keinem
fehlte ein wenn auch noch so geringfügiges Suspensorium aus schmalen
Tapastreifen um die Lenden geschlungen, der »Malo«. Viele gingen mit dem
alten schmutzigen Sulu ins Wasser, um ihn danach, sorgfältig wie Weiber
sich umblickend, mit dem neuen zu vertauschen.

Wo ich nur ging, folgten mir Kinder in respektvoller Entfernung, und blieb
ich stehen und wendete ich mich um, liefen sie furchtsam davon. Als wir am
nächsten Morgen die heissen Quellen, die kaum eine Viertelstunde entfernt
an dem Wege nach Kamburiki im Mangrovesumpf des Ufers aus der Erde
emportauchen, besuchten, waren sie indess schon zutraulicher geworden
und trugen mir triumphirend meine Stiefel die ich ausgezogen hatte,
Gegenstände ihres höchsten Ehrgeizes, auf Stangen voran.

Am Abend verkündete der weithin schallende Ton der hölzernen
backtrogähnlichen Kirchentrommeln, der Lalis, welche zwei Jungen mit
Klöppeln bearbeiteten, den Beginn des Festschmauses, und die Männer des
Dorfes leere Palmblattkörbe tragend versammelten sich vor der Weiber-
und Kochhütte des Häuptlings, um ihre ansehnlichen Rationen an gestobtem
Schweine- und Hühnerfleisch, Taro und Pudding in Empfang zu nehmen.
Auch wir erhielten unseren Antheil, alles zierlich auf Bananenblättern
kredenzt. Messer und Gabel gab es nicht, man bediente sich nur der
Finger. Der Pudding, ein einheimisches Nationalgericht, bestand aus einer
klebrigen, sehr süssen Masse, die in Massawablätter eingewickelt und aus
Taromehl und der zuckerhaltigen Tiriwurzel bereitet war. Dann folgte wieder
das obligate Kawagelage.

Herr Kleinschmidt erfuhr, dass ein hochbejahrter und angesehener Häuptling
von der Rewa, dem Flussdelta an der Südostecke der grossen Insel Vitilevu,
sein alter Freund, seit einem Jahre in Dalingele wohne und kränklich sei.
Wir gingen noch vor dem Schlafengehen ihn zu besuchen. Schon bei unserem
Einzug in das Dorf waren mir zwei Gebäude durch hervorragende Grösse und
geschmackvolle Bauart aufgefallen. Das eine war die Kirche, das andere das
Haus jenes alten Häuptlings von der Rewa.

Die innere Einrichtung entsprach ganz dem Gepräge der Wohlhabenheit, das
schon die Aussenseite trug. Ich trat zum ersten mal durch die Thüre einer
Vitiwohnstätte, ohne mich bücken zu müssen, in einen hohen, weiten Saal,
der das ganze Gebäude ausfüllte. Drei Feuer, um welche einige Weiber
sassen, flackerten darin, und auf einer erhöhten Platform, welcher
ein quergespannter Moskitovorhang aus kunstvoll gefilzter Tapa etwas
Bühnenartiges verlieh, lag einsam und allein der ehrwürdige Greis,
dem unser Besuch galt. Geflochtene Matten von ausgezeichneter Feinheit
bedeckten den weichgepolsterten elastisch federnden Boden. Eine gewisse
Feierlichkeit herrschte in dem düsteren, unbestimmt erhellten Raum.
Wir schüttelten Hände, und ich wurde als grosser »Kauka Papalang«,
europäischer Arzt, vorgestellt. Der Aermste hatte vor zwei Jahren die
Masern gehabt und litt jetzt an Phthisis wie so viele Eingeborene seit der
grossen Masernepidemie. Um den Kranken besser zu beleuchten, holte seine
Frau eine Petroleumlampe herbei und gab sich alle Mühe, sie anzuzünden.
Aber der Docht war hinabgerutscht, und sie konnte nicht damit
zurechtkommen, so dass ich selbst die über und über schmutzige und
verluderte Lampe in Reparatur nahm. Und aus dem Gelingen dieser meiner
Bestrebungen erwuchs mir sofort ein neuer Ruf, und die Bewohner des Dorfes
brachten mir am folgenden Morgen nicht blos ihre Kranken, sondern auch
ein paar in Unordnung gerathene Petroleumlampen, um sie von mir kuriren zu
lassen.

Nach Hause zurückgekehrt wurde nochmals Kawa gekneipt. Dann zogen wir Hose
und Stiefel aus, wickelten davon ein Kopfkissen zusammen und uns selbst in
Decken und streckten uns neben dem Häuptling zum Schlafe, über uns ein
ganzes Arsenal verrosteter Flinten und zu unseren Füssen die wie Kraut und
Rüben durcheinander liegenden nackten Untergebenen, welche fast die ganze
Nacht husteten.

Trotzdem erwachte ich äusserst erquickt, als bereits die Trommeln zum
Morgengottesdienst riefen, und Herr Kleinschmidt, mein liebenswürdiger
Mentor, war schon aufgestanden und in der Küche nebenan beschäftigt Kaffe
zu machen. Nach dem Bad ging ich in die Kirche, blieb aber nicht lange,
weil meine Anwesenheit zu sehr die Andacht störte, versuchte eine Partie
des schönen Dorfes zu zeichnen, porträtirte etliche Mädchen, kurirte
kranke Menschen und Petroleumlampen und besuchte hierauf mit Herrn
Kleinschmidt die nahen heissen Quellen.

Wenn nicht gerade Ebbe gewesen wäre, hätten wir diese gar nicht gesehen.
Denn sie entspringen, drei an der Zahl, aus dem Boden des Mangrovesumpfes,
welcher hier das Ufer bedeckt, noch unterhalb der Fluthmarke und bestehen
aus je ein bis zwei Meter im Durchmesser betragenden Wassertümpeln von der
Temperatur eines etwas heissen Fussbades, was ich feststellte, indem ich
hineinwatete, da kein Thermometer zur Hand war. Die Umgebung wimmelt von
Soldatenkrabben, welche hier rothe, nicht gelbe Scheeren wie sonst überall
zu ihren Löchern herausstrecken. Dicht neben diesen drei Tümpeln führt
der Weg nach Kamburiki durch den Mangrovesumpf, und hinter diesem steigen
schroffe und kahle Felsen aus Lava empor. Wir hatten indessen nicht alle
heissen Quellen zu sehen bekommen. Weiter gegen Kamburiki sind noch mehr
vorhanden. Dies sagte man uns erst einige Stunden später, als wir bereits
wieder auf der anderen Seite der Insel in unserem Standquartier angekommen
waren.

Ehe wir Dalingele verliessen, sollten wir noch Zeugen eines Unfalles sein,
der einem Weissen aus Wailevu beinahe das Leben kostete. Eben im Begriff
aufzubrechen lockte uns der Ruf »Sail oh«, womit der Engländer und auch
der ihn nachahmende Viti das Erscheinen eines Fahrzeuges zu begrüssen
pflegt, auf den Strand. Ein europäisches Boot kam mit vollen Segeln vor
dem Winde herangefahren. Es gehörte einem in Wailevu ansässigen Kaufmann.

Zwischen ihm und dem Ufer donnerte die Brandung über dem Barriereriff,
nur die kleine, schmale Eingangsöffnung freilassend. Merkwürdiger Weise
steuerte das Boot nicht in der Richtung dieser, sondern geradewegs auf uns
zu, und ich war gespannt, wie das Manöver ablaufen würde. Da plötzlich
bäumt sich das Boot, eine schäumende Welle, und es verschwindet mit
Mann und Maus. Die Welle weicht zurück, den Kiel nach oben fällt das
gekenterte Boot auf das Riff, ringsherum ein halbes Dutzend zappelnder
Menschen, von der nächsten Welle ebenso rasch wieder verschlungen. Herr
Kleinschmidt und ich, wir waren starr vor Entsetzen. Die Eingeborenen
jedoch, Männer, Weiber und Kinder, an der Spitze der fromme Missionär,
lachten und freuten sich des aufregenden Schauspiels, wie sechs Menschen
draussen auf dem Riff mit den Wellen kämpften. Keiner dachte an
Rettungsversuche. Und erst als Herr Kleinschmidt zornig auf sie
losdonnerte, und den faulen Bonzen einen heidnischen Teufel schalt, halfen
sie mir, ein altes Kanuu, welches am Ufer lag, ins Wasser zu schieben,
und schwammen damit den Schiffbrüchigen zu Hülfe, welche glücklich alle
mitsammt dem umgekehrten Boot an Land bugsirt wurden.

Der Kaufmann aus Wailevu, welchen der Unfall getroffen hatte, erfreute sich
keines sehr guten Rufes, und als ich ihn eine Viertelstunde später seine
schlechten Messer und fadenscheinigen Kalikos zum Trocknen ausbreiten
sah, konnte ich mir wohl denken, warum man sich nicht allzu sehr zu seiner
Rettung beeilen wollte.

Als wir bald darauf unseren Rückweg nach Dangai antraten und durch den
Busch den Bergsattel hinan marschirten, hörten wir unfern von uns im
Dickicht eine weibliche Stimme um Hülfe rufen. »O, da wird eben ein
Frauenzimmer genothzüchtigt« sagte kaltblütig mein Freund, und wir
mischten uns nicht weiter in die Angelegenheit. Wahrscheinlich handelte es
sich um die Ausübung ehelicher Pflichten nach alter Vitiart, welche den
Ehegatten vorschreibt, zu Hause getrennt zu leben und sich zum Zweck des
Coitus im Walde draussen Rendezvous zu geben. Unter solchen Umständen
würde eine ritterliche Intervention wenig Dank geerntet haben.

Am Nachmittag waren wir wieder auf der anderen Seite in dem schmutzigen,
ärmlichen Dangai, dem Gegensatz des reichen und stattlichen Dalingele, und
in unserer alten verräucherten Hütte.

Beim Nachbar gab es gegen Abend grossen Skandal. Er schlug seine Frau, warf
sie unter Fusstritten sammt ihrem Säugling hinaus, lief ihr gleich darauf
nach und entriss ihr nach heftigem Kampf, wobei sie ihn stark in den Arm
biss, das Kind.

Eine Menge Gesindel, darunter auch der Missionär des nächsten Dorfes, der
uns gleich im Anfang mit seinem Taro hatte anschwindeln wollen, trieb sich
in gewinnsüchtiger Absicht um uns herum. Ein aussergewöhnlich magerer und
schlanker, geschniegelter Kerl vom Typus des europäischen Friseurgesellen
oder feinen Kellners, ins Viti übersetzt, schlich sich immer hinter
mir her, um mich ungestört und allein zu sprechen, und machte mir in
gebrochenem Englisch schändliche Anträge bezüglich seiner Schwestern
oder Kousinen -- das einzige mal, das mir derartiges auf Kandavu passirte.

Früh des folgenden Morgens, den 28. Juli, brachen wir auf nach dem
Bukelevu, der heute im herrlichsten Wetter und frei von Wolken emporragte.
Sechs Träger gingen gegen eine entsprechende Gegenleistung an Sulus,
Angelhaken und Glasperlen mit uns.

Der Bukelevu oder Mount Washington ist kaum höher als 3000 Feet oder 915
Meter. Eine genaue Messung seiner Höhe existirte noch nicht, und man liest
für ihn 2600, 2800, ja selbst 3600 und 4000 Fuss auf den Karten angegeben.
Trotz der geringen Erhebung war diese Partie doch die beschwerlichste
Bergbesteigung die ich jemals unternommen. Wir waren die zweiten Europäer,
die den Bukelevu bestiegen. Im Jahre 1869 waren der Botaniker Seemann, ein
Deutscher, und der englische Konsul Pritchard zuerst oben gewesen.

Abermals ging es über die beschwerlichen Felsblöcke des Ufers nach
Taulalia. Von hier aus begann der Berg. Auf wohlgepflegten Pfaden zwischen
niedrigem Buschwerk erreichten wir das etwa 300 Meter hoch gelegene
Lomadsche, in welchem der schändliche Stutzer von gestern ein wenig
verlegen mir wieder begegnete. Bananen- und Batatenpflanzungen, auch etwas
einheimisches Zuckerrohr und der schöne grossblätterige Gebirgstaro
begleiteten uns noch etwa 100 Meter aufwärts. Gleich hinter Lomadsche
kamen wir an einem Yamsfeld vorüber, das eben angepflanzt wurde. Es war
kaum ein Tagwerk gross, aber mehr als ein dutzend Männer waren damit
beschäftigt, in der landesüblichen bummeligen Art die kleinen Hügelchen
für jede Pflanze herzustellen. Sie hatten dabei europäische eiserne und
einheimische hölzerne Hacken.

Die richtige, üppige Tropenwildniss stemmte sich uns entgegen. Hohes,
schilfartiges, scharf in die Hände schneidendes Gras wechselte mit
Busch, durch den kreuz und quer Schlingpflanzen sich woben und den Füssen
Fallstricke legten. Doch schon vorher, noch im Bereich der Pflanzungen,
hatte eine Stelle des Weges uns einen Vorgeschmack der zu überwindenden
Schwierigkeiten gegeben. An einem mehr als senkrechten, das heisst nach
innen sich einbiegenden Absturz, kaum zu erkennen vor Vegetation, hörte
der Boden plötzlich auf. Unsere Führer luden sich ihr Gepäck auf den
Rücken und kletterten, blos mit den Händen und hie und da auch den
Füssen an den überhängenden Zweigen und Halmen sich festklammernd und
fast frei in der Luft schwebend, horizontal an der ausgehöhlten Wand
entlang, während von oben beständig Erdklumpen sich lösten und
herabkollerten. Wir folgten ihrem Beispiel, nicht ohne Selbstbewunderung
erfreut, als wir das Kunststück geleistet hatten. Und jenseits dieses
halsbrecherischen Uebergangs wuchs noch Taro, und als wir am nächsten
Tage zurückkamen, sah ich, wie ein altes Weib, mit einer Menge
zusammengebundener Taroknollen beladen, sich an ihm entlang arbeitete.
Dann ging es wieder bergauf und bergab, so steil wie nie zuvor. Es war ein
heisser Tag, und auch unsere Schwarzen schwitzten, dass sie glänzten wie
frisch lackirt.

Wir hatten Kawawurzel mitgenommen, und als wieder ein besonders glühender
steiler Grashügel mit eingestreuten schwarzen Lavablöcken überwunden
war, setzten wir uns in den Schatten einer Schlucht, in der ein
schmutziger, gelbbrauner Wassertümpel, von unzähligen Moskitolarven
bewohnt, versteckt lag, und liessen die Burschen kauen und Kawa in einer
Schüssel, welche aus grossen Taroblättern improvisirt wurde, zubereiten.
Noch mindestens zwei Stunden empfand ich die wohlthuende Kühle im Gaumen,
die dieses vom Standpunkt europäischer Zimperlichkeit so ekelhafte, aber
entschieden sehr erfrischende Getränk zurückliess.

Die Schlucht, in der eine angenehme Kühle herrschte, setzte sich in hohen
Staffeln nach oben fort und erwies sich als ein vertrockneter Wasserlauf,
durch den in der Regenzeit imposante Kaskaden herabstürzen mögen. Jetzt
waren nur hie und da unter überhängenden Felsen einige schmutzige Tümpel
übrig geblieben. In ihr stiegen wir etwa 200 Meter weit empor. Wir hatten
vorsorglich ein starkes Tau mitgebracht, welches nun vortreffliche Dienste
leistete. Unsere nackten Burschen machten sichs bequem, legten ihre
Hüftenbekleidung ab und banden sie als Turban um die Stirne, so dass sie
um die Hüften nur mehr mit dem schmalen Suspensorium bekleidet waren,
welches jeder erwachsene Viti unter dem Sulu trägt. So kletterten sie die
schlüpfrigen Felsenstaffeln hinauf und zogen uns und das Gepäck mit dem
Tau nach. Wir kamen nur langsam Absatz um Absatz vorwärts. Aber das
Fehlen von dichterem Pflanzenwuchs und die erquickende Kühle zwischen
den feuchten, bemoosten Wänden, über die ein majestätischer Busch sich
wölbte, erleichterten wesentlich diesen Theil der Besteigung. Unsere
Wilden, denen wir Alles, selbst die Gewehre und Stiefel, übergeben hatten,
um sämmtliche vier Extremitäten frei zu haben, jodelten laut vor Freude.

Wir bedauerten sehr, als die Schlucht oben aufhörte und wieder der Kampf
mit dem Buschwerk bevorstand. Zwei Mann mit grossen Faschinenmessern wurden
voran beordert, uns durch die Schlingpflanzen einen Weg zu bahnen. In
einem langgezogenen Gänsemarsch wanden wir uns steil und mühsam in
Schlangenlinien hinauf, wir beide Herr Kleinschmidt und ich zuletzt, in der
egoistischen Absicht, die Gesammtwirkung der gemietheten sechs Paar Beine
uns zu Nutzen kommen zu lassen. Beständig krachten die Zweige, oft
stockte die Karawane, die Schwarzen jodelten jetzt nicht mehr, wir keuchten
schweisstriefend, ohne ein Wort zu verlieren, einer hinter dem andern.
Meine Geschwüre an den Füssen von den Korallenriffen her schmerzten in
den steifen, nassgewordenen Stiefeln zu heftig, als dass ich sie anziehen
konnte, und barfuss stiess ich mich jeden Augenblick an Wurzeln und
Steinen, was aber immer noch erträglicher war.

Das Dickicht wurde verworrener und schlimmer, so schlimm, wie ich es selbst
im Busch von Gavatina noch nicht gesehen, statt unserer Hoffnung, es würde
mit der Höhe abnehmen, zu entsprechen. Wir verloren den festen Boden und
marschirten nur mehr in krachenden Zweigen, Wurzeln und Lianen, lebenden
und abgestorbenen, die wie das Gerüst eines Schwammes in allen Richtungen
ineinandergewoben und an einzelnen Stellen so dicht und fest waren, dass
bereits Erde sich in den Maschen angesammelt und einen Ausgangspunkt für
neues junges Wachsthum gebildet hatte, tiefe Hohlräume unter sich lassend.
Bald fielen wir, durchbrechend durch eine morsche Schlinge, etliche Fuss
tief hinab, jedes Bein in ein eigenes Loch wirrer Vegetation, und hatten
uns wieder herauszuarbeiten, bald kletterten wir nur mit den Händen,
während die Beine baumelnd vergebens eine Stütze suchten, um einen
überhängenden Wulst, der unter unserem Gewicht sich abwärts bog.

Wir wussten kaum noch die Richtung. Aufwärts, nur immer aufwärts. Wie
sehr war ich überrascht, als ich einmal unter mich hinabblickte, und
das Wirrsal von Aesten und Wurzeln auf dem ich stand, sich lichtete, und
beinahe senkrecht unten in der Tiefe die blaugrüne See heraufschimmerte.
Wir waren in einen Knäuel von Maschen gerathen, welcher an einer Felswand
herabhing, und schwebten über dem Abgrund. Die schwindelnde Situation war
jedoch lange nicht so gefährlich. Denn wären wir auch durchgebrochen,
tausend Arme und Schlingen waren bereit, uns aufzufangen.

Endlich gewannen wir wieder Grund, und eine Stunde später waren wir oben
auf dem Bukelevu. Wohl niemals war eine mühseligere Bergbesteigung mit
weniger Genuss belohnt worden. Nirgends eine Aussicht, überall Bäume und
Gebüsch, durch dessen Lücken kaum einzelne blaue Fleckchen des Himmels
guckten. Blos das uneigennützige abstrakte Bewusstsein, dass wir auf einem
Punkte standen, den vor uns nur wenige Menschen betreten hatten, war unser
Preis. Vielleicht sogar waren wir die ersten Menschen hier oben. Denn
unsere Diener behaupteten, die Seemannische Gesellschaft sei nicht weiter
als bis zum letzten Absatz, eine Stunde tiefer, gekommen. Und von den
Eingeborenen wird sich wohl keiner aus reinem Vergnügen hier herauf
gequält haben. Dazu sind sie zu praktisch.

Die Sonne war schon hinabgesunken, der Abend brach herein, rauhe Winde
fuhren durch die Wipfel, und die Luft war so kalt und so feucht hier
oben, dass wir den Hauch vor dem Munde sahen und nach den eben gehabten
Anstrengungen einen eisigen Frost in den Gliedern fühlten.

Eigenthümliche grossblätterige, mannshohe Pflanzen wuchsen allenthalben,
deren Stengel so weich und wässerig waren, dass man sie wie Butter mit dem
Messer durchschneiden und wegmähen konnte. Der Boden war überall nass,
schwarz und moorig. Auf ihm mussten wir unser Nachtlager aufschlagen,
eine trübselige Perspektive. Die sechs Wilden beeilten sich, ein
Feuer anzuzünden, nicht etwa durch Reiben, sondern mittels moderner
Zündhölzchen, und wir alle griffen zu Messern und Aexten, um Holz zu
schlagen und Aushaue in verschiedenen Richtungen herzustellen, damit wir
doch wenigstens, ehe es dunkel wurde, noch etwas von der Aussicht zu sehen
bekamen.

Mit vereinten Kräften warfen wir uns auf die jungen Bäume und zerfetzten
erbarmungslos ihre Zweige, und war ein Dutzend Laubkronen gefallen, so
erhoben sich immer wieder noch ein paar Dutzend hinter ihnen, die uns den
Blick begrenzten. Schliesslich waren wir zufrieden, als wir blos einen
jämmerlich zersäbelten Baumstumpf etwa sechs Meter hinaufzuklimmen
brauchten, um die Höhenzüge der Insel zu überschauen. Von hier aus
entdeckte ich, dass wir uns mit der grössten Wahrscheinlichkeit auf
der Umwallung eines alten, jetzt allenthalben mit dichtem und hohem Wald
bedeckten Kraters befanden, dessen eine Hälfte gegen Osten, also gegen
die Insel zu, durchbrochen und hinabgesunken war, während die andere im
Westen, wo die Insel aufhörte, sich deutlich im Halbkreis zu uns, die wir
an der nördlichen Kante standen, herumzog. Zugleich aber entdeckte ich,
dass weiter südlich die Baumwipfel sich höher erhoben, und glaubte daraus
den unliebsamen Schluss ziehen zu dürfen, dass wir uns noch nicht auf der
höchsten Stelle des Bukelevu befanden.

Hierüber wollte ich mir klar werden. Ich nahm einen Schwarzen mit mir
und versuchte, mit seiner Hülfe auf jenen Punkt zu gelangen. Als wir
uns ungefähr eine Stunde geplagt hatten, häufig in überwucherte hohle
Baumstämme versinkend, häufig in einem Dickicht uns festbeissend, das
wir dann doch nicht bewältigen konnten und umgehen mussten, waren wir
etwa hundert Schritt weit vorwärts gedrungen, ohne etwas zu sehen. Ich
versuchte einen der riesigen Bäume zu erklettern. Alle Stämme waren dick
mit Schlinggewächsen überzogen, so dass nirgends eine Spur der Rinde zum
Vorschein kam. An den Ranken sich emporzuziehen war indess unmöglich. Sie
gaben nach und brachen, und um an ihnen dennoch aufwärts zu kommen, dazu
hätte ich vielleicht eine Stunde gebraucht. Meine Kräfte waren zu sehr
erschöpft, als dass ich die Sisyphusarbeit hätte fortsetzen mögen.

Es wurde dunkel. Ein gewaltiger Hunger nagte in unserem Innern. Wir
befahlen den Proviant auszupacken. Die sechs Burschen suchten in allen
Bündeln und Säcken herum, einer stupfte besorgt den anderen, sie schalten
sich und wurden verlegen und ängstlich. Aber auch uns wurde ängstlich zu
Muth. Die verfluchten Kerls hatten wirklich den Proviant vergessen. Nur die
Kaffebüchse hatten sie mitgenommen.

Da sassen wir nun mit knurrendem Magen, ärgerlich über unseren
Leichtsinn, die Träger nicht Stück für Stück selbst beladen zu haben.
Wonach wir uns schon seit mehreren Stunden so heiss gesehnt, lag unten in
Dangai.

Zum Glück fand ich in meiner Hosentasche einige zähe Fasern Salzfleisch
und mein Freund in der seinigen einen zerbröckelten Zwieback. Wir theilten
redlich diese kostbaren Gaben des Zufalls und kochten Kaffe mit
der bräunlichen Flüssigkeit des Moskitolarven-Aquariums in der
Kaskadenschlucht, von dem wir unsere Wassergefässe gefüllt hatten, ohne
die nahrhaften Bestandtheile derselben zu unterschätzen. In diesem bestand
die einzige Erquickung von acht todtmüden und gierig hungrigen Menschen,
ohne Aussicht vor sechszehn Stunden wieder zu etwas Essbarem zu gelangen.

Der Boden war so uneben, so voller knorziger Wurzeln und abgehauener spitz
emporstehender Stämmchen und Zweige, dass sich kaum etwas herstellen
liess, was wie ein molliges Lager zum Schlafen aussah. Farnkraut
zur Polsterung gab es hier oben nicht. Wir mussten es also mit jenen
eigenthümlich wässerigen Pflanzen versuchen, die ringsherum wuchsen.
Aber der Saftreichthum dieser weichlichen Geschöpfe drang sofort aus allen
Blättern und Stielen und verwandelte das Lager in ein klebriges Gemüse,
sowie man sich darauf niederstreckte.

Unser Feuer war kaum in Brand zu erhalten. Das Holz war alles so grün und
feucht, dass es nicht brennen mochte. Ich konnte nicht schlafen vor Kälte
und zog es vor beinahe die ganze Nacht mit der Axt zu arbeiten, um mich zu
erwärmen.

Die sechs nackten Burschen dagegen zeigten eine wahrhaft heroische
Faulheit. Zähneklappernd, Grimassen schneidend und stöhnend kauerten
sie sich zusammen, sahen mit grosser Befriedigung zu, wie ich Holz
herbeischleppte und das Feuer schürte, und froren lieber bis zu
förmlichen Konvulsionen als dass sie eine Hand gerührt hätten. Ich hatte
ihnen meine Decke abgetreten, in die sich abwechselnd zwei zusammen wickeln
durften. Die anderen mühten sich unterdess mit sehr komischen Experimenten
ab, wie man durch gewaltsames Einschrumpfen und Verschränken der Glieder
die Körperoberfläche am wirksamsten verkleinern und in den dünnen Sulu
einhüllen könne. Eine dunkle Reminiszenz war es vielleicht, die ihnen
schliesslich die Haltung des Kindes im Mutterleibe eingab.

Bald setzte ich mich auf einen Baumstumpf und stierte ins Feuer und horchte
dem Sieden des Holzes zu und fluchte des vergessenen Proviants, bald
ergriff ich wieder die Axt und zerfetzte eines der nächsten Bäumchen.
Dann legte ich mich wieder, schläfrig geworden, in das Gemüse, stand aber
gleich wieder auf und kletterte auf den Aussicht gewährenden Stamm um zu
sehen ob im Osten noch kein blasser Schimmer heraufkäme, dann griff ich
wieder zur Axt. So verging langsam diese ungemüthliche Nacht. Heisere
Schreie ertönten aus der todesstillen Luft, als es eben anfing zu
dämmern. Es mochten Möven sein, die bereits auf dem Wege waren und über
unser Feuer erschraken.

Die milden Strahlen der Sonne hauchten neues Leben in unsere erstarrten
Glieder. Herr Kleinschmidt und ich kletterten auf den Aussichtsbaum, um die
Höhenzüge der Insel Kandavu zu zeichnen, was uns nicht wenig Ueberwindung
kostete. Die Dienerschaft war darüber im höchsten Grad unzufrieden. Sie
drangen heftig zum schleunigen Aufbruch, und einer ging in seiner naiven
Unverschämtheit so weit zu behaupten, dass die Sonne gleich wieder
untergehen würde.

Unsere Spuren von gestern brachten uns ziemlich rasch hinab. Jetzt da ich
wieder in Schweiss kam, erwachten Hunger und Durst mit zehnfacher Energie
und machten mich für die ganze herrliche Morgennatur unempfindlich. Ich
litt an der fixen Idee eines Beefsteaks und etlicher Gläser Bier. Es war
mir unmöglich an etwas Anderes zu denken, und die prachtvollsten Szenerien
gingen eindruckslos an mir vorüber. Ich lechzte nach den braunen Pfützen
der Kaskadenschlucht, und nervös und gierig und ohne ein Wort zu sprechen
stürzte und stolperte ich die steilen Abhänge hinab durch die krachenden
Zweige und Wurzeln.

Ich hatte schon vielfach Gelegenheit gehabt mich im Hungern zu erproben
und glaubte mich ganz gut darauf zu verstehen, mehr als die meisten anderen
Menschen, mit denen ich um die Wette gehungert. Herr Kleinschmidt aber
übertraf mich weit. Wenn wir Tage lang im Busch herumgeklettert waren und
Abends erschöpft nach Hause kamen, konnte er sich hinsetzen und ein halbes
Dutzend Vogelbälge abziehen ohne ans Essen zu denken. Und auch jetzt
musste ich ihn bewundern. Er schien viel weniger zu leiden als ich.

Wir waren glücklich wieder in der Kaskadenschlucht. Aber die braunen
Pfützen von gestern, nach denen wir lechzten, schienen über Nacht
vertrocknet zu sein. Wir guckten in alle Löcher und Spalten der Felsen.
Nichts von trinkbarer Flüssigkeit liess sich entdecken.

Herr Kleinschmidt war etwas zurückgeblieben, und wir anderen warteten
auf ihn, indem wir eifrig nach Wasser forschten. Es schien mir, einer der
Träger in meiner Nähe hätte Wasser gefunden. Froh darüber rief ich
ihm zu, mir davon zu bringen, und es entspann sich zwischen uns beiden
folgendes Gespräch. Ich frage, einer längeren Satzbildung im Viti nicht
fähig »Wai?« (Wasser?). »Singai« (Nein, nicht, kein, überhaupt
allgemeine Negation). Ich glaubte nicht recht verstanden zu haben und frug
nochmal »Wai singai?« (Kein Wasser?) Er »Jo« (Ja). Ich »Hele mai Wai«
(Bring her Wasser). Er mit ärgerlicher Betonung »Singai, Wai singai«.
Ich verwundert »Wai singai?«. »Jo«. Das war mir nun zu arg. Der Kerl
wollte mich entweder mit meinem peinlichen Durst verhöhnen oder mir das
gefundene Wasser vorenthalten. Ich kletterte zu ihm hinüber und brüllte
ihn an so grob ich konnte »Hele mai Wai, Mbativuti« (Faulpelz). Er aber
klebt unter mir an seinem Felsen mit der unschuldigsten Miene und antwortet
abermals sein fatales »Wai singai«. Jetzt erst fiel mir ein, dass er
ganz richtig meine in der Negation gestellte Frage mit »Jo« beantwortet,
logischer als wir Europäer, die wir in diesem Falle »Nein« gesagt
hätten. Meine Unkenntniss hatte ihm Unrecht gethan.

Endlich ganz unten fanden wir etwas fauliges Wasser. Es schmeckte ekelhaft,
aber wir waren darüber doch so sehr erfreut, dass der Finder zur
Belohnung eine Flinte abschiessen durfte, sein heissester Wunsch, um
dessen Erfüllung er schon die ganze Zeit gebettelt hatte. Zwei
Fächerschwänzchen flatterten in der Nähe neckend herum, und diese
nahm er aufs Korn. Er traf natürlich nicht ein einziges der hübschen
Thierchen, und mit leeren Händen, aber dennoch freudig grinsend und stolz
kehrte er aus dem Gebüsch zurück, nachdem er beide Läufe losgeknallt
hatte. Er wurde dafür zum »Tamata ndakai«, Meister des Schiessens,
ernannt, ein Spitzname, der ihm wohl Zeit seines Lebens bleiben wird, und
durch den er sich äusserst geschmeichelt fühlte.

In dem hochgelegenen Dorf Lomadsche angelangt konnten wir endlich auch
unseren Hunger einigermassen stillen. Wir kehrten in einer Hütte ein und
liessen uns Kokosnüsse und gekochte Schnecken geben.

Es war der in unseren Naturalienkabinetten noch so seltene und nur auf
die Insel Kandavu beschränkte, hier aber massenhaft vorkommende Bulimus
Seemanni, mit dem wir regalirt wurden. Abgesehen von der langgestreckten
Form des Gehäuses erinnert er vielfach an unsere Helix Pomatias. Das
Thier sieht ganz ebenso aus, und auch die Epidermis der Schale hat die
Eigenschaft sich abzubröckeln, so dass der weissliche Kalk blossgelegt
wird. Namentlich an den Hängen des Bukelevu scheint er besonders gut zu
gedeihen und als Bewohner höherer Regionen eine stärkere und schlankere
Entwickelung des Gehäuses zu zeigen wie in den übrigen weniger hohen
Bergwäldern Kandavus.

Ein paar Weiber kamen vom Fischen zurück. Sie waren mit dem
Blättergürtel, dem Liku, angethan. Zu Ehren unserer Anwesenheit beeilten
sie sich, in einer Ecke dieses altmodische Kleidungsstück schnell mit
einem moderneren Baumwollensulu zu vertauschen.

Als wir aufgetriebenen Leibes von den Kokosnüssen und Schnecken und
mit qualvollen Bauchschmerzen unser Standquartier Dangai erreichten,
verkündeten uns schon von ferne die fröhlichen Farben rother, gelber und
grüner Federn, die rings um unsere räucherige Hütte gestreut den Boden
bedeckten, dass Mister Daymac eine Menge Papageien zu unserer Nahrung
erlegt hatte. Sie kochten bereits den ganzen Tag in einem der grossen
Töpfe und bildeten nun, zu einem zarten mit Knochen durchspickten
Fleischbrei aufgelöst, ein köstliches Mahl.

Der nächste Tag war ein Sonntag. In aller Frühe krochen die Mädchen
des Dorfes aus ihren Hütten, sich festlich zu schmücken. Zuerst wurde
draussen in der See ein Bad genommen, wobei sie züchtig den Sulu am Leib
behielten. Dann setzten sie sich im Kreise zusammen und zerkratzten sich
ihre kurzgeschorenen Häupter mit gestielten hölzernen Kämmen. Da auch
ich ganz in der Nähe mit meiner Toilette beschäftigt war, kam eine
derselben heran, mich um meinen europäischen Kamm zu bitten, und war sehr
glücklich, als ich ihn gewährte. Ich hielt es für gut, ihn danach aufs
Sorgfältigste durchzumustern. Eine andere lief nach unserer Hütte und
holte sich unseren Wassereimer, den sie dann alle als Spiegel benutzten.
Dangai ist eben ein so abgelegener und armseliger Ort, dass man von
europäischen Artikeln ausser Sulus und Messern dort noch nicht viel kennt.

Jungen hatten unterdessen eine grosse Schüssel Kalkbrei gebracht, und alle
lagerten sich um sie herum, ihre Häupter damit zu beschmieren, und mit den
gespreizten Fingern beider Hände den Brei recht gleichmässig in die Haare
zu kämmen, immer nach oben streichend, bis Haare und Brei zu einer festen
Masse erstarrten und aussahen wie die Frisur einer Gypsbüste. Schliesslich
steckten sie Diademe von Papageifedern in den noch weichen Stoff und
beguckten sich im Wassereimer, indem sie übergeflossene Theilchen an der
Stirn und am Nacken mit Stäbchen abschabten und dadurch scharfe Konturen
herstellten. Die dunkelbraunen Gesichter kontrastirten gar merkwürdig mit
der glänzend weissen Koiffüre.

Nach Beendigung dieser Prozedur banden sie frischgewaschene Sulus um,
schlangen Blätterguirlanden um die Hüften und rothgefärbte Gräser
gleich Strumpfbändern um die Waden und salbten sich den Körper
mit Kokosöl auf eine ziemlich einfache Weise. Jede nahm ein Stück
Kokosfleisch in den Mund und kaute es aus. Dann spuckten sie den milchigen
Saft auf die Hände, rieben damit flüchtig Gesicht und Busen, Arme und
Beine ein, und der Sonntagsstaat war fertig. Als es zwei Stunden
später zur Kirche ging, entfernten sie die bunten Papageifedern aus der
Kalkfrisur. Ihr Missionär würde solch frivolen Schmuck beim Gottesdienst
übel vermerkt haben.

Man sagt, dass das Einkalken der Haare als Mittel gegen Läuse diene.
Wenn dies wirklich der Zweck desselben sein soll, so kann ich mit aller
Bestimmtheit behaupten, dass es nicht viel hilft. Denn ich fand gekalktes
rothes Haar niemals weniger infizirt von Ungeziefer als ungekalktes
schwarzes. Auch theoretisch ist nicht einzusehen, warum der Kalk, welcher
den Korallenbänken entstammt und wohl nur sehr oberflächlich gebrannt zur
Anwendung kommt, jenen ziemlich robusten Thierchen verderblicher sei
als den Haaren. Ein stark gebrannter ätzender Kalk würde nicht nur die
Läuse, sondern auch die Haare ruiniren. Vielmehr glaube ich, dass das
Verfahren nur einen kosmetischen Zweck hat. Man will damit den schwarzen
Haaren eine röthliche Farbe verleihen, die ja auch die Schönen der
Tizianischen Zeit so sehr liebten.

Bei einer näheren Untersuchung unserer räucherigen Hütte entdeckte ich
auf einem Brett unter dem Dache zwei alte aus Holz geschnitzte Lanzen. Ich
bot dem Eigenthümer mein letztes Taschenmesser dafür und erhielt sie.
Kaum hatte ich hierdurch meine Liebhaberei für Waffen kundgegeben, so
erschien ein Anderer und brachte zwei Lanzen derselben Art, die noch
viel schöner waren, als die ersten. Leider besassen wir nichts mehr
an Tauschartikeln oder Geld, so dass ich auf die Acquisition verzichten
musste. Auch ein prachtvolles grosses Stück bedruckter Tapa, welches mich
sehr reizte, musste ich zu meinem lebhaften Bedauern wegen Entblössung von
allen Mitteln zurücklassen.

Nach dem Frühstück begab ich mich an den Strand um noch schnell den
Bukelevu zu zeichnen, ehe wir abreisten. Da versammelte sich natürlich
wieder das ganze Gesindel der Jungen und Mädchen um mich und hörte nicht
mehr auf, meine Kunst bewundernd »Ossibi, Ossibi« (schön) zu schreien.
Sie wurden mir bald lästig und immer zudringlicher und dreister. Eines der
Mädchen, unsere Nachbarin, eine hetärenhafte Person mit aussergewöhnlich
groben und hastigen Manieren und ungezogenem Lachen, trieb die Frechheit so
weit, sich ganz unverfroren auf meinen Rücken zu lümmeln. Ich zog ruhig
mein grosses blankgeschliffenes Messer aus dem Gürtel, und im Nu stob die
ganze Gesellschaft kreischend auseinander, um mir nicht wieder in die Nähe
zu kommen.

Wir brachten unser Gepäck auf den Kutter und lichteten Anker. Während
eine frische Brise uns vom Lande entfernte, strömten am Ufer die
Eingeborenen der Umgebung schaarenweise in die Kirche nach Taulalia, von
wo das Getrommel der Lalis zum Gottesdienst rief. Es war ein
charakteristisches farbenreiches Bild, die hohen braunen Gestalten der
graubebarteten Männer und die gypsköpfigen Weiber und Kinder alle in
hellen, bunten Gewändern den glänzenden Strand dahinwandeln zu sehen,
hinter ihnen das dunkle Gebüsch und die Palmen, vorne die grünblaue
schäumende See und über dem Ganzen der strahlende blaue Himmel.



XVI.

LETZTE TAGE AUF KANDAVU.

  Mit dem Kutter nach Namalatta. Ein kleiner Albino. Festgäste von
  Tavuki. Wieder im Hotel zu Wailevu. Packerei und Einkäufe. Der
  Regierungshäuptling. Ankunft der Zealandia und Gerichtsverhandlung.
  Das Inselchen Angaloa.


Meine Tage in Gavatina waren gezählt. Ich musste an den Abschied denken
und einpacken. Am 4. August sollte der Dampfer von Neuseeland, er konnte
aber auch früher kommen, und um ihn nicht zu versäumen, war es gerathen
schon vom zweiten an in Wailevu auf ihn zu warten.

Herr Kleinschmidt gab mir das Geleite dorthin. Der Kutter brachte uns
zunächst wieder in die Namalatta-Bucht. Auf dieser langweiligen Fahrt, die
durch widrigen Wind und durch die von den Korallenriffen auferlegten Umwege
beinahe einen ganzen Tag in Anspruch nahm, sah ich zum ersten mal eine
Schildkröte im Wasser schwimmen und schlafen. Nur die Schnabelspitze und
der oberste Theil ihres Rückenschildes ragten daraus hervor. Sie wachte
gerade noch rechtzeitig auf um den gierigen Nachstellungen unserer Burschen
zu entgehen. Ein Ruck, und sie war verschwunden. Bald darauf sah ich
auch meinen ersten kleinen Walfisch in diesen Gewässern. Es war ein sehr
lustiger Walfisch, der sich damit amüsirte, aus dem Wasser in die Höhe
zu schnalzen, so nahe unserem Kutter, dass wir die von dem ungeschlachten
Thier erregten Wellen fühlten.

Während Niketi über Land nach Wailevu geschickt wurde um ein grösseres
Boot entgegenzubringen, sah ich mir die Ortschaft Namalatta an. Sie bot
nichts aussergewöhnlich Merkwürdiges. Ein grosses Doppelkanuu mit einem
Häuschen darauf lag am Strande. Vor einigen Hütten waren noch ganz
frische Töpferwaaren zum Trocknen ausgebreitet. Ich konnte indess keine
Lehmgrube entdecken, aus welcher das Material dazu stammte. Unter den
Kindern, die mir auf Schritt und Tritt folgten wohin ich ging, befanden
sich mehrere, welche Leinwandbinden an beiden Oberarmen trugen. Der Doktor
war erst kürzlich hier gewesen und hatte sie geimpft. Unter ihnen sah ich
einen kleinen Albino, dessen rosenfarbige Haut, blonde Haare, bläuliche
Augen mit entzündeten Lidern und skrophulös gedunsene Lippen eben so gut
einem deutschen Bauernjungen angehören konnten. Es war aber ein echter
Viti, wie ich in Wailevu auf meine Nachfrage erfuhr. Er schien ganz
besonders furchtsam zu sein, und es gelang mir nicht seiner zu näherer
Betrachtung habhaft zu werden. Die anderen Jungen versuchten zwar, ihn mir
zu Liebe festzuhalten, wobei sie beständig »Papalang lailai« (kleiner
Europäer) schrieen. Aber er riss immer wieder aus. Später auf Hawaii habe
ich ganz denselben germanischen Typus bei einem albinen Kanaka beobachtet.

Das Boot liess lange auf sich warten, und der Abend brach herein ehe
es kam. Als wir noch immer am Strande ungeduldig die Rückkehr unseres
Abgesandten erwarteten, erschienen um die linke Ecke der Bucht mehrere
Kanuus mit festlich geschmückten Eingeborenen. Heute war zu Tavuki die
Ueberreichung des Zehnten an die Missionäre vor sich gegangen und durch
ein grosses Meke Meke gefeiert worden. Es sollten hundert Tänzer daran
Theil genommen haben. Dieses Meke Meke war aber gewiss lange nicht so
schön und echt gewesen, wie jenes, dem ich vor vierzehn Tagen zu Go
Kandavu beigewohnt hatte. Denn vor den frommen Missionären durfte nur in
züchtiger Gewandung getanzt werden, ein geschmackloser Anachronismus. Bald
sah ich auch einige äffisch geputzte Frauenzimmer den Kanuus entsteigen.
Männliche Wilde in europäischer Tracht sehen nicht übel aus. Weiber aber
in gestärkten Unterröcken, wie ich deren hier sehen musste, haben etwas
so widerlich Affenartiges an sich, dass selbst die schönste Gestalt
unerträglich wird. Zur Frömmigkeit scheint eben immer ein gewisser
Grad von Hässlichkeit zu gehören. Glücklicherweise können nur wenige
Insulanerinnen sich den Luxus von gestärkten Unterröcken erlauben, und
es war hier das einzige mal, dass ich deren gleich mehrere sah. Die
Frauenzimmer gehörten zur Familie des Oberhäuptlings in Wailevu. Die
Männer hatten sich, um möglichst schlau und verwegen auszusehen,
die Gesichter geschwärzt. Sie machten damit keinen besonders
vertrauenerweckenden Eindruck, waren aber sehr zahm und fürchteten sich
vor mir, da es dunkel wurde. Die meisten Vitis fürchten sich in der
Dunkelheit.

Es war bereits Nacht, als endlich das Boot von der anderen Seite gemeldet
wurde, und wir trugen unser Gepäck hinüber. Der Vollmond war aufgegangen,
und unendlich schön wogten in seinem Licht die Palmen des Isthmus
Yarambali. Unten aber in den schwarzen Dickichten des Buschwerks zogen
einsame Leuchtkäfer ihre funkelnden Kreise, schnell erlöschend, sobald
sie das helle Gebiet des Mondes betraten.

Als wir das schwerbeladene Boot über die Sandbänke der Angaloa Bai
schoben, leistete einer unserer Burschen ein Kunststück, welches alle
Achtung verdient. Er blieb plötzlich stehen, tastete mit dem Fusse auf dem
Grunde herum, hob ihn auf und brachte einen Sohlfisch zum Vorschein, den er
mit den Zehen gefangen hatte. Da er hungrig sein mochte, verzehrte er ihn
sofort sammt den Gedärmen. Eine Stunde später erreichten wir unser Ziel.

So war ich denn wieder im Hotel zu Wailevu, diesmal um definitiv Abschied
zu nehmen von dem fröhlichen, glücklichen, nackten Insulanergesindel.
Wieder besuchte ich den Doktor und sass bei Laternenschein in seinem
windigen Studirzimmer. Leider war ihm mittlerweile sein köstlicher
Rheinwein ausgegangen. Wieder sah ich Charly und den anderen Landsmann
und die ganze übrige versoffene Bande, sah auch die drei verunglückten
Seeleute wieder, welche auf Rechnung des amerikanischen Konsuls von Levuka
nach San Francisco gebracht werden sollten, und der Mexikaner hatte sich
mit dem Wirth versöhnt und spielte wieder seine internationale Musik auf
allen Thüren und Holzwänden. Nur den alten Bonner Studenten und jetzigen
Polizeisergeanten sah ich nicht wieder. Denn er hatte sich gestern mit
einem Freunde geprügelt und lag mit verschwollenem blauem Gesicht zu Hause
im Bett.

Der lästigen Pflicht des Einpackens genügend hätte ich es beinahe
ernstlich mit der braunen Stubenmagd verdorben. Die vielen nicht sehr
reinlichen und geruchlosen Naturalien, die ich in meinem Zimmer ausbreitete
um sie zu ordnen und in Kisten zu vertheilen, erregten ihr grosses
Missfallen, und jedesmal so oft sie mit der Suluka im breiten Maul eintrat
und den Platz immer noch nicht für ihre Arbeit frei fand, blitzte sie
mir tadelnde Blicke aus ihrem stupiden Antlitz zu, zog sich zurück und
schimpfte.

Bald war das Hotel wieder eben so voll von Betrunkenen wie bei meinen
früheren Besuchen und bot zuweilen Szenen dar, als ob es ein Narrenhaus
wäre. Unter den Betrunkenen befanden sich zwei Mischlinge, deren einer
in der englischen Midshipman-Uniform steckte. Den Vollbluteingeborenen
geistige Getränke zu verabreichen ist von der Regierung wohlweislich
strenge verboten, und die Ganzwilden sind in der Regel nüchtern. Eine
Beimischung weissen Blutes scheint hiervon zu dispensiren. Der Midshipman
gehörte zur Besatzung des Vermessungsschooners und war mit einem älteren
Matrosen herübergekommen, um auf Briefe zu warten. Der Andere, ein
schöner und stattlicher Mann, gerieth mit dem verunglückten Norweger in
Streit und forderte ihn zu einem Fight heraus. Dieser aber zog sich feige
zurück, indem er behauptete, es sei unter seiner Würde, mit einem Nigger
loszugehen. Sich von ihm treaten zu lassen hatte er nicht unter seiner
Würde gehalten. Es war nun komisch aber keineswegs vortheilhaft für
den Weissen zu beobachten, wie der ritterliche Halbwilde todesmuthig und
unermüdlich vor dem Hotel seine Herausforderung wiederholte, und wie sein
Gegner, der Norweger, der es nicht mehr wagte ins Freie zu treten, ihn
durchs Fenster hartnäckig für einen Nigger und satisfaktionsunfähig
erklärte.

Der Levukadampfer erschien und warf Wailevu gegenüber Anker. Auch auf ihm
gab es eine grosse Zecherei, wobei es so lustig herging, dass am anderen
Morgen im Salon eine kleine Ueberschwemmung angerichtet und Spiegel und
Fenster zerschlagen waren. Offiziere und Passagiere hatten sich erst damit
amüsirt, durch das Decklicht Wasser auf die Untensitzenden zu giessen und
schliesslich sich ein wenig geprügelt.

Bei jenem Kaufmann, der damals in Dalingele beinahe ertrunken wäre, machte
ich noch einige Einkäufe. Er hatte seinen Laubhüttenladen mit allen
möglichen Vitimerkwürdigkeiten für die von den Dampfern zu erwartenden
Fremden kompletirt. Namentlich fiel mir eine Menge verschiedenst
gestalteter Keulen auf. Die Eingeborenen müssen diesen Artikel ehemals in
ungeheurer Anzahl produzirt haben, da es davon noch so viel giebt. Er hatte
auch Photographien von Insulanern, die in Levuka gefertigt waren. Leider
fand ich darunter nur wenige gute und typische.

Ich lernte den Regierungshäuptling der Insel kennen, einen Mann in
den Vierzigen mit grauem Schnurrbart, Wangen und Kinn rasirt. Ein
blaugestreiftes feines Hemd und ein dunkel gemusterter Sulu aus Tapa
waren seine Bekleidung. Als weitere Konzession an die Kultur trug er einen
Papierkragen um den Hals. Die Beine und Füsse waren nackt wie bei allen
Anderen. Man sagte ihm, dass ich derselbe sei, der seinen Freund in
Dalingele, den alten Häuptling von der Rewa, behandelt habe, und zum
Zeichen seiner Anerkennung hierfür schenkte er mir ein Stück zartester
weisser Tapa, welches lose geschürzt um seine Schultern hing. Er hatte
ein Frauenzimmer bei sich, eine Tonganerin, deren Kostüm eine wunderbar
effektvolle Farbenzusammenstellung zeigte. Die eigenthümlich gelbbraune
Haut der Büste und der blossen Arme und Beine, das Haar hellglänzend
gelb von hineinfrisirtem Kalk, das hellblaue Busenhemdchen und der
frischgewaschene weisse Sulu mit schwarzem Franzengürtel um die Hüften
machten sie zu einer äusserst malerischen Erscheinung. Wenn doch einer
unserer modernen Farbenvirtuosen zugegen gewesen wäre diese weichen
harmonisch gestimmten Töne festzuhalten.

Auch einen weissen Herrn aus Levuka lernte ich kennen, der viel in
Inselpolitik zu machen schien. Man sollte kaum glauben, welche Menge von
politischer Leidenschaft auf dem kleinsten Fleckchen Erde ihr Spiel
treibt. Jener weisse Herr war ein wüthender Gegner des Gouverneurs und der
Missionäre. Ich weiss nicht mehr Alles, was er mir erzählte. Einiges
aber war so interessant, dass ich es behielt. Er behauptete, was ich indess
schon öfters gehört hatte, England habe die Kolonie nur widerwillig und
gezwungen durch die ewigen Streitigkeiten zwischen den Europäern und dem
König Thakombau an sich genommen und wäre froh, sie wieder los zu sein,
Viti habe bisher blos schweres Geld gekostet, ohne einen erheblichen Nutzen
zu bringen.

Das Kolonisiren scheint jetzt überhaupt schwieriger zu sein als früher.
Früher kümmerte man sich nicht viel um die Rücksichten der Humanität,
und die Geschichte wohl jeder Kolonie beginnt mit Gewaltakten und
Unterdrückung der Rechte der Eingeborenen. Seitdem die mächtig gewordene
öffentliche Meinung laut ihre Stimme zu Gunsten der Menschlichkeit erhebt,
seitdem man gezwungen ist, die Landkäufe und die Beschaffung von Arbeit
auf ehrliche Weise abzumachen, rentirt sich das Anlegen neuer Plantagen
nicht mehr wie früher, und nur auf jenen Inseln der Südsee steht der
Handel in höherer Blüthe, auf denen der Kuli-Import noch in der Stille
und unkontrolirt fortgetrieben werden kann.

Es ist eine interessante Erscheinung dort, dass die Eingeborenen auf ihren
eigenen Inseln sich weigern, mehr als das Nöthigste zu arbeiten, dass sie
aber als Kulis auf fremde Inseln versetzt, ganz gute fleissige Arbeiter
werden.

Verwandt mit dieser Thatsache dürfte jene andere sein, dass auch der
deutsche Handwerker, aus seinem heimathlichen Schlendrian in das frischere
amerikanische Medium versetzt, nicht mehr billig und schlecht, sondern
ausgezeichnet und jeglicher Konkurrenz gewachsen produzirt. Er bringt die
besten Anlagen mit sich auf die Welt, aber im Sumpfe der Alltäglichkeit
und des Herkömmlichen bleiben sie unentwickelt, die Zünftigkeit äussert
ihren nivellirenden Einfluss und hält jede freiere Regung zum Besseren
nieder. Gleichwie in der Entstehung der Arten, so spielt auch in der
Kulturgeschichte der Menschheit Isolirung eine wichtige Rolle. Und erst
wenn das Experiment der Isolirung zur Genüge angestellt ist, wird man im
Stande sein, zu entscheiden, wie viel Berechtigung in dem oft gebrauchten
Schlagwort von der Kulturunfähigkeit der sogenannten niedern Rassen
steckt.

Die Zealandia kam pünktlich zur bestimmten Zeit von Sydney her
eingelaufen. Schaarenweise ergossen sich die Passagiere ans Land. Jetzt
wars aus mit der schönen Idylle. Glatt geschniegelte Gentlemen und
geschminkte Ladies wohin man blickte. Auch der Kapitän, ein dicker
kurzer aber sehr gravitätischer Herr, erschien in voller Uniform, einen
Regenschirm unterm Arm, so dass er aussah wie der Amiral Suisse. Leider
erfuhr ich die Veranlassung seines pompösen Auftretens zu spät, als sie
bereits vorüber war. Es fand nämlich eine Gerichtsverhandlung gegen ihn
und den Agenten statt. Er war beschuldigt auf einer früheren Fahrt
mehrere Insulaner von Kandavu zur Ergänzung seiner theilweise desertirten
Mannschaft nach San Francisco mitgenommen und sie zwar richtig wieder
zurückgebracht aber nicht bezahlt zu haben. Jetzt wurde er genöthigt
dieses Versäumniss nachzuholen. Als Gerichtssaal fungirte die grösste
Laubhütte Wailevus, und um das Gericht abzuhalten, war eigens ein weisser
Justice mit zwei Schreibern aus Levuka herübergekommen.

Wailevu gerade gegenüber liegt die kleine, palmengekrönte Insel Angaloa,
grösstentheils das Besitzthum der Pacific Mail Steam Shipping Company,
welche auch dort am Ufer ihre Office hat, was sehr unbequem ist, da man
so nur mittels eines Bootes zum Agenten Mister Woods, dem ehemaligen
Premierminister Thakombaus, gelangen kann. Ich fuhr hinüber um ihm, dem
grossen Staatsmann einer interessanten Vergangenheit, mein Ticket zu zeigen
und mich für die City of New York einschreiben zu lassen. Dann sah
ich mich ein wenig auf dem Inselchen um. Hinter der Office ist ein
lobenswerther Anfang von Spazierwegen den Hügel hinauf gemacht, und auf
der entgegengesetzten Seite fand ich unten ein hübsches Dorf, in dem die
Weiber eifrigst beschäftigt waren, Tapa zu klopfen, wahrscheinlich um
sie noch zu Markt auf die Dampfer zu bringen. In einer tiefeinschneidenden
seichten Bucht, deren Zusammenhang mit der See das prangende Grün eines
Mangrovesumpfes versteckte, lagen mehrere Kanuus, und eine Menge von
Hühnern und Schweinen gaben Wohlhabenheit kund. Das ganze Dorf ist gegen
das Land mit einem Zaun umgeben. In einem schmutzigen Süsswassertümpel
lag badend ein alter gebrechlicher Mann.

In Wailevu gab es von nun ab jeden Abend Kawagelage und Meke Meke für die
Passagiere der Zealandia, welche auf die von Neuseeland her fällige City
of New York warteten, um die Reise nach Osten fortzusetzen. Es scheint sich
auf diese Art den Eingeborenen ein neuer Erwerbszweig zu entwickeln.



XVII.

VON KANDAVU NACH HONOLULU.

  Gang der Reise. Abermals die schmähliche Knauserei der Pacific Mail
  Steam Shipping Company. Der Obersteward und sein Servirreglement. Die
  Aequatorkalmen. Die Passagiergesellschaft. Ausflüsse der Langweile.
  Zwei Bonzen englischer Rasse.


Erst am frühen Morgen des 6. August erschien endlich die City of New York
die mich nach Honolulu bringen sollte. Sie hatte in Neuseeland an der Barre
von Port Chalmers wieder Schwierigkeiten und Aufenthalt gehabt. Daher die
Verspätung.

Ich verabschiedete mich von Herrn Kleinschmidt, dem ich so grossen Dank
schuldig war, nahm ein Boot und schiffte mich ein, was leichter und
schneller ging als ich in Anbetracht der vielen Passagiere, die mit Sack
und Pack von der Zealandia herüberwimmelten, erwartete. Meine sieben
Kisten wurden diesmal merkwürdiger Weise ohne jegliche Schikane
untergebracht. Bald darauf dampften wir aus der Angaloa Bai, die schönen
Palmenhaine und Wilden hinter uns lassend.

Wir gingen in einem weiten Bogen um die südöstliche Ecke der Vitigruppe
herum und nahmen dann einen nördlichen Kurs. Hie und da sah man links die
fernen Bergkonturen einer der Inseln. Zwischen Viti und Samoa zieht sich
die Datumgrenze des Stillen Ozeans hin. Da wir nach Osten also gegen die
Sonne fuhren, musste gleich hinter Viti ein Tag eingeschoben werden. Wir
zählten zweimal den 6. August, welcher ein Sonntag war.

Es hiess, der Kapitän beabsichtige durch die Samoagruppe zu steuern. Wind
und See wurden jedoch heftiger, so dass wir sie rechts liegen liessen. Am
Morgen des dritten Tages, als ich noch schlief, sollte ein Stück davon in
Sicht gewesen sein.

In der Nacht darauf passirten wir eine isolirte kleine Insel, welche die
Offiziere Swains Island nannten, und auf welcher man ein Feuer bemerkt
haben wollte. Dieses Feuer erwärmte die Phantasie der müssigen Passagiere
zu den fabelhaftesten Geschichten. Selbstverständlich war das Inselchen
von gräulichen Kannibalen bewohnt. Durch das Feuer dachten sie uns
vielleicht zum Scheitern zu verlocken. Andere glaubten, dass dort ein
Kriegstanz aufgeführt worden sei, und wieder Andere hatten vielleicht
einen Menschen braten sehen. Von nun an bis Honolulu erblickten wir nicht
die Spur eines Landes mehr, obwohl wir die Inselschaar Polynesiens mitten
durchkreuzten.

Am 11. August hatten wir Mittags 48 Minuten nördlicher Breite. Wir hatten
somit den Aequator kurz zuvor überschritten. Am 14. August stand die
Mittagssonne ungefähr senkrecht über uns, und am Abend vor unserer
Ankunft in Honolulu sah ich meinen alten nordischen Freund, den grossen
Bären, wieder.

Die City of New York machte im Anfang einen besseren Eindruck als ihre
vollständig gleichgebaute Schwester die City of San Francisco, mit der
ich von Auckland gekommen war, vielleicht blos deshalb, weil keine Mongolen
sondern Weisse und Neger sowie Mischlinge beider in der Kajüte bedienten.
Es dauerte indessen nicht lange, bis auch hier aus allen Dingen die
kleinliche Sparsamkeit der Pacific Mail Steam Shipping Company guckte,
welche auf der australischen Linie schlechte Geschäfte macht.

Das Matrosenvolk zählte kaum zwanzig Köpfe und bestand nur aus Chinesen,
die mit einem eigenthümlich schrillen Geheul und mit nervöser Hast an
den Tauen rissen. Es scheint etwas Unruhiges und Zappeliges in der
Mongolennatur zu liegen. Die Heizer waren natürlich auch nur Chinesen,
lauter echte, niederträchtig hässliche Sklavengestalten. Diese Mongolen
mögen ganz brauchbare Lastthiere sein, als Matrosen aber erwecken sie kein
Vertrauen. Im Fall eines Unglücks werden sie sich stets als feiges, jeder
Ehre und jeden Pflichtgefühls baares Gesindel zeigen, was erst unlängst
die Strandung eines Dampfers der Pacific Mail an der peruanischen Küste
glänzend bewiesen hat.

Die Mahlzeiten waren eben so schlecht und ungenügend wie auf der City
of San Francisco. Auch hier beherrschten die kleinen amerikanischen
Schüsselchen mit lauter Nichtschen darauf das Menü. Man erreichte
sein Verlangen den gesunden Seeappetit zu stillen nur selten. Die ganze
Gesellschaft blickte auch hier oft gierig Tafel auf Tafel ab, wo noch etwas
zu erhaschen sein möchte, und feindliche Gesinnungen entwickelten sich in
diesem Kampf ums Dasein.

Es wurde kein Eis zum Getränk verabreicht. Wir mussten mit warmem, nicht
selten unfiltrirtem, trübem und rostigem Wasser dem mit steigender
Hitze anwachsenden Durst gerecht zu werden suchen. Um diese schmähliche
Knauserei in der Verpflegung, die sich »erster Klasse« nannte und auf
den Programmen der Agenten bombastisch gepriesen wurde, gebührend zu
würdigen, ist zu betonen, dass wir unter amerikanischer Flagge fuhren, und
dass nach amerikanischen Begriffen Eis zu den gewöhnlichsten Bedürfnissen
selbst des Aermsten gehört. Ich glaube nicht, dass durch solch peinliches
Sparsystem die Verluste der Kompagnie merklich erleichtert wurden. Ich
wünsche ihr im Interesse des Verkehrs alles mögliche Gute. Aber eine
volle Passagierzahl möchte ich ihr niemals wünschen. Dies wäre inhuman.
Obgleich noch etwa ein Viertel der Kabinen unbesetzt war, hatten wir schon
genug an Raumbeschränkung zu leiden.

Wie ganz anders ist es dagegen auf den Atlantischen Postdampfern, mit denen
sich diese Pacifischen überhaupt in keiner Weise vergleichen lassen. Wir
legten niemals 300 Seemeilen in einem Tage zurück trotz des günstigsten
Wetters, und was wir durch den Passat an Segelkraft gewannen, wurde gleich
wieder an den Kohlen gespart. In den Kalmen machte sich das bedeutende
Obergewicht des hoch aus dem Wasser ragenden Schiffes empfindlich geltend,
indem es scheinbar ganz unmotivirt niemals aus einem langweiligen trägen
Hin- und Herrollen kam, so dass es viel Seekrankheit gab bei einer so
ruhigen glatten See, wie man sie auf dem Nordatlantik selbst im Sommer
selten sieht. Eine Winterfahrt in jenen rauhen Gewässern würde unser
Steamer wohl kaum mit heiler Haut überstanden haben.

Wenn auch die weissen, halbweissen und schwarzen Aufwärter im Salon nichts
an Diensteifer zu wünschen liessen, so war doch niemals Ordnung und System
bei Tisch. Der ganze Salon war voll, und Streitigkeiten um die Plätze
hörten mehrere Tage nicht auf. Der Obersteward, ein brutaler tyrannischer
Quarderone, that was er wollte. Er kujonirte seine Untergebenen in der
schauderhaftesten Weise, ohne den Passagieren damit zu nützen, und hatte
ein raffinirt militärisches Reglement des Servirens eingeführt, welches
jedoch nur durch seine komische Seite uns zu Gute kam.

Alle Bewegungen des Personals wurden durch Glockenschläge dirigirt. In der
Mitte des Buffets stand wüthend die Augen rollend der Feldherr und
lenkte die Schlacht. Erster Glockenschlag -- die Aufwärter ergreifen
jene ominöse Menge von Schüsselchen und stellen sich in zwei Reihen auf.
Zweiter Glockenschlag -- sie setzen sich in Bewegung und marschiren jeder
an seinen Tisch. Dritter Glockenschlag -- sie beugen sich vor und erwarten
ängstlich schwitzend den vierten Glockenschlag -- der ihnen gestattet,
sich ihrer Last zu entledigen. Die Theilung der letzten zwei Momente durch
eine längere Pause war ein sehr beliebter Scherz jenes Viertelsnegers, und
gewöhnlich schüttelten uns dabei die durch die unbequeme Stellung, das
Rollen des Schiffes und die Hitze gequälten Opfer seiner Laune einen
förmlichen Schweissregen in unsere Teller. Was für elende Subjekte
mussten diese Stewards sein, dass sie sich Solches gefallen liessen.

Wir hatten Viti unter Regen und drückender Treibhausschwüle verlassen,
dann waren einige schöne, lachende Passattage gekommen, und jetzt unter
der Linie litten wir abermals an unerträglicher Hitze und Dunstigkeit.
Bleifarbene Wolken bedeckten den Himmel, und bleifarben wogte schwerfällig
die See. Das Schiff hörte niemals zu rollen auf, und öffnete man im
Salon ein Fenster, flugs leckte gurgelnd eine Welle herein, begoss die
Nächstsitzenden und nöthigte die Ladies zu einem Schrei des Entsetzens.
Nie ist mir das Reisen saurer geworden als damals.

Nicht einmal die Wohlthat eines erquickenden Bades konnte man auf dieser
City of New York geniessen. Die Badezimmer empfingen von dem hinter ihnen
durchgehenden Maschinenraum so viel Hitze, dass sie unübertreffliche
Schwitzkästen waren. Die einzige Möglichkeit sich abzukühlen bestand
darin, dass man vorn an der äussersten Spitze des Deckes den Wind, welchen
die Fahrt des Schiffes selbst erregte, an sich heraufströmen liess.

Dort fehlte es auch sonst nicht an allerlei Unterhaltung. Jede Minute
scheuchten wir fliegende Fische auf, die rechts und links aus dem Wasser
emporschwirrten und über die nächsten Wellen undulirend dahinflogen,
stets in der Haltung eines Vogels, der sich niedersetzen will und um den
Flug zu hemmen die Flügel nach vorne stemmt. Oder es kamen lange Züge
von Tümmlern herangewälzt, begleiteten ein paar Stunden das Schiff und
setzten dann wieder ihre ursprüngliche Richtung weiter.

Ich that einen glücklichen Griff, indem ich mir statt einer der
überfüllten aber nobleren Kabinen unten im Salon die vorderste oben
gleich neben der Küche und den Vieh- und Hühnerställen geben liess, und
zwar rechts auf der Windseite. Es waren sechs Kojen darin, ich bekam aber
nur einen einzigen Genossen, einen jungen Kaufmann aus Levuka, der die
unschätzbaren Vorzüge hatte, des Morgens die Kabine sofort für den
ganzen Tag zu verlassen, nicht seekrank zu sein und nicht einmal zu
schnarchen. An Ventilation war hier kein Mangel. Der frische Passat
strömte direkt zur Thüre und zu den Fenstern herein, so heftig, dass
Handtücher und Vorhänge wild zu flattern begannen, wenn man sie öffnete.
Und während die Passagiere der Leeseite und der unteren Kabinen rathlos
schwitzten oder auch die Nächte auf Deck zubrachten, hatten wir stets den
schönsten kühlenden Luftzug, wenn wir im Bett lagen. Ich hatte diesen
Raum gewählt, um ungestört arbeiten zu können. Aber die besten Vorsätze
mussten an den Schwierigkeiten der Umstände scheitern. Der Waschtisch mit
den zwei hohlen Waschbecken war ein sehr unbequemes Schreibpult, und das
mühselig angefertigte Manuskript fiel häufig ins Waschwasser oder flog
nach allen Richtungen auseinander, sowie die Thüre aufging.

Als die äquatorialen Stillen kamen, machte sich allerdings die Nähe
des lebenden Proviants und anderer Dinge empfindlich bemerkbar. Von links
stanken die Ochsen und Schafe, von der Front das Geflügel, von rechts
die Küche und von allen Seiten die Chinesen, die Zwischendecker und
die Maschine. Die Chinesen hatten hier nicht ihr eigenes Logis, sondern
schliefen vorne neben den Ankerketten in Hängematten oder auf dem Boden.
Den ganzen Tag lagen dort ihre nackten, ausgemergelten, leichenartigen
Körper herum. Ein mitleiderregendes Schauspiel boten die nicht oft genug
gereinigten Käfige der Hühner, Enten, Gänse und Puter, die am stärksten
von der Hitze litten, und es war kläglich anzusehen, wie sie eng zusammen
gesperrt nach den Gittern drängten um Luft zu schnappen.

Deutsche Landsleute fehlen bekanntlich nirgends auf der Erde. Ich fand mich
bald mit einem solchen, welcher zugleich Kollege war, zusammen. Er hatte
auf den Philippinen als Augenarzt praktizirt und ging nun nach Peru, wo
er in Goldminen interessirt war. Wir beide und zwei Franzosen, die von
Neukaledonien kamen, bildeten eine intimere Tischgesellschaft zum Kampf ums
Dasein gegen die Nachbarn. Auch im Waitemata Hotel zu Auckland hatte ich
vorzugsweise mit zwei Franzosen verkehrt. Trotz der politischen, künstlich
gemachten Gegensätze werden eben Deutsche und Franzosen sich von
einander stets in höherem Grade angezogen fühlen als von den wenig
liebenswürdigen Engländern, der steifsten exklusivsten Rasse der Erde.
Dreht einem nicht schon jeder kleine englische Balg, den man ob seiner
Wohlgestalt freundlich betrachtet, kaum dass er krabbeln kann, hochmüthig
und naserümpfend den winzigen Hintern zu, als ob er sagen wollte:
»Du bist mir nicht vorgestellt«. Die beiden Franzosen waren recht
liebenswürdige Leute, aber entsetzlich ungelehrt und voller naiver Fragen.
Wenn sie wissbegierig wurden, wurden sie unangenehm. Denn sie wussten
von Gottes grosser Welt schauderhaft wenig. Warum das Englische anders
ausgesprochen werde, als das Französische, warum es hier wärmer sei als
in Paris, warum man das Seewasser nicht trinken könne, solche und andere
Dinge mehr gaben sie uns zu beantworten. Sie verstanden fast kein Wort
Englisch, hatten auch wohl nicht übermässig viel Geld auszugeben und
wollten allein durch Amerika reisen. Wie es ihnen dort wohl ergangen sein
mag.

Fünf junge Engländer, die ich später noch näher kennen lernen sollte,
da sie gleichfalls einen Monat auf Hawaii zuzubringen und den Krater
Kilauea zu besuchen gedachten, liessen sich aus Langweile von dem Bootsmann
britische Flaggen auf die Vorderarme tätowiren und bekamen in Folge dessen
eine starke Entzündung der betreffenden Hautpartien. Noch lange eiterten
und schmerzten die wehenden Banner, und ich selbst hatte in der Folge, als
ich ihr Reisegefährte nach dem Kilauea wurde, darunter zu leiden, indem
sie gepeinigt auf den Bootsmann der City of New York schimpften und
übler Laune waren. Man ergreift eben auf See jede noch so geringfügige
Gelegenheit sich zu beschäftigen. Ich verlegte mich darauf, meinen Körper
mehrmals täglich Gewichtsbestimmungen auf der Brückenwage im Gepäckraum
zu unterziehen, und hatte die Freude zu konstatiren, dass mein Gewicht
trotz des fürchterlichen Schwitzens und trotz der mageren Salonkost auf
der zwölftägigen Reise um zwei Pfund zunahm. Mein Aufenthalt in Kandavu
mochte mich allerdings um viel mehr leichter gemacht haben.

Auch eine wandernde Konzertgesellschaft aus Kalifornien hatten wir an Bord,
welche öfter als mir lieb war oben in der Social Hall eine Produktion zum
besten gab. Es wurde Piano gespielt und gesungen, trompetirt und gegeigt.
Wir anderen aber sassen herum und schwitzten.

Zuweilen war es interessant und unterhaltend, das Benehmen von Personen
zu beobachten, die an jenem leichtesten Grad von Seekrankheit, der sich in
einem gewissen Stumpfsinn äussert, litten. Da liegt zum Beispiel Einer den
ganzen Tag regungslos in seinem Streckstuhl. Nur von Zeit zu Zeit erwacht
auf einmal der Thätigkeitstrieb in ihm, er springt auf, aber gleich wirft
er sich wieder in seinen früheren Zustand, sobald er merkt, dass das
Schiff noch immer schaukelt. Ein Anderer wandert beständig mit einem
Buch unterm Arm herum, von seiner Kabine auf Deck, von Deck nach dem
Salon hinunter, nach der Social Hall, nach dem Rauchzimmer, nach der
Seitengallerie, nach vorne und nach hinten, setzt sich hierhin und setzt
sich dorthin, ohne zur Ruhe und zum Lesen zu gelangen. Man fragt sich
dutzendmal, ob Vormittag oder Nachmittag sei und was jetzt nächstens für
eine Mahlzeit käme, und hat es nach einer Viertelstunde wieder vergessen.

Die Langweile wäre unerträglich geworden, wenn wir nicht zwei Reverends
mit unter den Passagieren gehabt hätten, die sich beständig zankten.

Gleich der erste Tag der Reise, jener durch die profane Institution des
Datumwechsels in zwei gespaltene, Vielen unbegreifliche Sonntag, gab
Veranlassung zu einem sehr amüsanten frommen Disput zwischen den beiden
Gesalbten des Herrn. Der eine behauptete, der erste Sonntag sei der
richtige und durch Gottesdienst zu feiern, der andere behauptete dies von
dem zweiten, und schliesslich einigten sie sich dahin, dass jeder an dem
von ihm verfochtenen Sabath predigte und vorbetete.

Reverend Mister Shark, wie der Verfechter des zweiten Sabaths hiess, ein
schlauer, magerer Yankee, entpuppte sich übrigens im weiteren Verlauf der
Reise als räudiges Schaf der episkopalen Kirche, dem es nur darum zu thun
gewesen war, seinen alten englischen Kollegen, welcher die Würde eines
Deacon besass, zu ärgern. Reverend Mister Shark hatte sich schon lange
von der Frömmigkeit ab und einem lukrativeren Berufe zugewendet. Er war
Wanderprofessor geworden und zog von Land zu Land, um Vorlesungen über
drei oder vier historische Gegenstände zu halten, zu welchen er grosse
farbige Illustrationen besass. Damit machte der smarte Yankee eine Menge
Geld und stand sich sehr wohl dabei ohne viel Mühe zu haben, nachdem
die vier Vorlesungen einmal gründlich eingepauckt waren. Um sonstige
Wissenschaften schien er sich nicht sonderlich zu kümmern. Er frug mich
einmal sehr verwundert, wie es möglich sei, dass wir den senkrechten Stand
der Sonne später passirten als den Aequator.

Der Andere aber war ein Bonze vom reinsten Wasser und zugleich ein
höchst komischer Kauz, eine Figur, wie sie nur das raffinirte Muckerthum
englischer Rasse hervorzubringen vermag. Ewig schwebte ein gottbeseligtes,
wehmüthiges Lächeln auf den dicksinnlichen Lippen des kurzen und fetten,
glattrasirten und glattgescheitelten Männchens. Wenn ihn ein gesundes
Lachen anwandelte, wozu er viel natürliche Neigung hatte, kämpfte sein
angenommener Ernst, der solch weltliche Heiterkeit verbot, gewaltsam
dagegen, und eine unübertrefflich süsssaure Grimasse kam zum Vorschein.
Aus lauter christlicher Demuth hielt er den Kopf stets auf die eine Seite
geneigt, und unermüdlich war er darauf bedacht, durch Miene und Benehmen
die natürliche Einfalt seiner Gesichtszüge noch zu vermehren.

Er hatte eine lange und kräftige und robuste, eckige und majestätische
Ehehälfte bei sich, die ihn kommandirte. Sie war der Typus einer bösen
Sieben und übertraf ihn weit an Schulterbreite und Höhe. Ohne sie war er
ein hilfloser Greis, nicht etwa an Jahren, sondern aus lauter christlicher
Demuth. Sie schleppte ihn täglich mit langen Schritten, so dass er
kaum folgen konnte, über Deck auf und ab, sie drückte ihn in seinen
amerikanischen Streckstuhl, wenn sie dessen müde war, riss ihn wieder
empor und führte ihn zu Tisch, wenn das Gong erschallte. Er gehorchte
mechanisch und lautlos. Wo sie ihn hinwarf, da blieb er sitzen. Um sich die
Reisemütze aufs Haupt zu stülpen brauchte er immer beide Hände, während
die junonische Gattin ihn festhielt und vielleicht noch mit einem derben
Schlag auf den Deckel nachhalf.

Nur beim Essen entwickelte er eine grössere Selbständigkeit und
Gewandtheit. Juno durchbohrte die Stewards mit giftigen widerstandslosen
Augen und herrschte sie an, falls sie ihren Gemahl vernachlässigten. Er
aber ass und ass und lächelte wehmüthig dabei über seine menschliche
Schwäche und faltete wie zum Gebet die Hände, wenn er wieder mit einer
Schüssel fertig war. Ein Lieblingsthema seiner Predigten -- er predigte
beinahe jeden Abend nach dem Konzert -- handelte von der wahren Philosophie
des Christenthums, welche über den Tod triumphire. Ich möchte den
gefrässigen Bonzen in einem gegebenen Fall gesehen haben, wie schnell
er sich alle erreichbaren Rettungsgürtel umgeschnallt hätte, statt erst
lange über den Tod zu triumphiren.

Er würde gewiss sich unschätzbare Verdienste um unser aller Seelenheil
erworben haben, wenn nicht sein Widersacher, der böse Reverend Mister
Shark, unablässig darauf bedacht gewesen wäre, ihm zu widersprechen
und ihn zu ärgern, wobei er immer, weniger redegewandt als dieser, den
Kürzeren zog. Zuweilen legte sich dann zornglühend die herrschsüchtige
Juno ins Mittel, aber auch sie hatte gegen den aalglatten gewandten Yankee,
der ihr stets mit der grössten Artigkeit begegnete, keinen Erfolg. Die
Partei des dicken Deakon nahm immer mehr ab, die des smarten Yankee
immer mehr zu, und an den letzten Abenden vor unserer Ankunft in Honolulu
besuchten nur mehr ein paar alte Damen männlichen und weiblichen
Geschlechts die Andachtsübungen des hochehrwürdigen Deakon.

Wie gesagt, ohne die zwei Pfaffen wäre es recht langweilig gewesen
an Bord, und wohl alle die Reisegefährten von damals werden sie nie
vergessen, sondern in dankbarem Andenken bewahren.



XVIII.

HONOLULU.

  Ankunft. Wieder der Reverend Mister Shark. Erste Eindrücke
  von Honolulu. Geschichtliches, Ethnologisches und Erotisches.
  Sehenswürdigkeiten. Die Regierung, das Parlament, das Militär.
  Amerikanerthum und Deutschthum. Die Chinesen. Klima und Sanität. Die
  Leprosen. Der Fischmarkt. Die Umgebung. Ritt nach dem Pali.


Am Morgen des 16. August hatten wir die Insel Oahu, auf welcher Honolulu,
die Hauptstadt des Hawaiischen Königreiches liegt, in Sicht. Die
Ueberfahrt von Kandavu hatte somit nicht ganz zwölf Tage gedauert.

Die zwölf Hawaiischen oder Sandwich-Inseln erheben sich, der Richtung
des vulkanischen Spaltes in der Erdrinde entsprechend, aus welchem sie
hervorgequollen sind, in einer gestreckten Reihe von Nordwest nach Südost.
Wir kamen aus Südwest, also senkrecht auf sie zu, und konnten in Folge
dessen nur jene Insel sehen, die gerade vor uns war, Oahu.

Hohe Berge mit sanft ansteigenden Böschungen, kahl oder mit einer
eigenthümlich hellen Vegetation bedeckt, stiegen aus dem indigoblauen
Wasser des Ozeans empor. Blendend von der Sonne beleuchtete Schaumstreifen,
die Brandung über den Riffen, umsäumten die Ufer. In einer zierlichen
Yacht amerikanischer Bauart, von deren Gaffel die Flagge des Königreiches
der Hawaiischen Inseln wehte, legte sich der Lootse, ein Amerikaner, an
unsere Seite. Sechs wohlgestaltete braune Kanakas, alle in weissen Hemden,
weissen Hosen und weissen Marinekäpis, bildeten die Besatzung seines
Fahrzeuges, welche echt amerikanisch sofort gedruckte Reklamen von
Geschäften in Honolulu vertheilte.

Langsam und mit halber Kraft steuerten wir vorsichtig zwischen Klippen dem
Lande zu. Man hatte mir immer so viel von der Vortrefflichkeit des Hafens
von Honolulu gesprochen. Ich war erstaunt zu bemerken, wie wir an einer
Stelle stoppten, dass die Schraube den Grund aufwühlte und das Wasser
trübte.

Erst als wir dem dünnen Mastenwalde des Hafens ziemlich nahe waren,
kam Honolulu aus seinem dichten Grün tropischer Gärten, in die es so
malerisch gebettet liegt, einigermassen zum Vorschein. Nur die höheren
Gebäude, Thürme und Flaggenstangen überragten zwischen schlank
emporstrebenden Palmen den üppigen, die kleineren Häuser verbergenden
Pflanzenwuchs und liessen die Stadt mehr ahnen als direkt wahrnehmen.
Links zogen sich die Gärten und hie und da durchblinkenden Häuser in eine
Thalschlucht hinan, rechts trug ein kahler Hügel, röthlich gesengt von
den Strahlen der Sonne, ein altes Fort und Kanonen zum Salutiren auf seinem
Rücken. Hinter dem Ganzen eine hohe Kette mit Wolken verschleierter
Berge. Drei Kriegsschiffe, zwei amerikanische Fregatten und ein englisches
Kanonenboot, lagen im Hafen vor Anker. In kleinen Kanuus, einfacher und
solider konstruirt als jene der Viti-Insulaner, ruderten nackte Gestalten,
blos mit dem suspensoriumartigen Maro bekleidet, uns entgegen. Es war Ebbe,
und Weiber fischten über den Riffen, sammt den landesüblichen schwarzen
Talaren bis über die Hüften im Wasser umherwandelnd.

In hellen Schaaren standen Europäer und Eingeborene am Landungsplatz, uns
in Empfang zu nehmen. Hundert diensteifrige Hände bemächtigten sich der
durch die Böte des Dampfers gelandeten schlingenförmigen Enden der Taue,
mit welchen unser Koloss langsam an den Kai gewunden werden sollte, und
stülpten sie über die Pfosten. Das seemännische Brüllen und Toben des
Kapitäns und der Offiziere, welches nie bei dieser endlos langweiligen
Prozedur des Anlegens fehlen zu dürfen scheint, vertrieb die mobileren
Passagiere vom Schiff. Böte kamen längsseits, und wir flüchteten an der
Strickleiter hinunter und an Land, welches wir ungefähr eine halbe Stunde
früher betraten als jene, die an Bord geblieben warten mussten, bis der
Dampfer am Kai festgemacht war.

Der ganze prangende Reichthum tropischer Früchte begrüsste uns, in
grossen Pyramiden von Apfelsinen, Ananassen, Mangos, Bananen, Papayas und
Paradiesäpfeln am Ufer aufgestapelt. Eine Menge barfüssiger, aber
sonst wohlbekleideter Kanakas, mit rothen Tüchern, Blattguirlanden und
Blumenkränzen geschmückt, stürzte auf uns zu und bot uns Wagen
und Reitpferde an. Hübsche schwarzäugige Mädchen, mit zierlichen
Sonnenschirmchen den dunklen Teint beschattend, über und über mit
Blumen behangen, kokettirten sehr verführerisch den frisch angekommenen
Fremdlingen zu. Was mir zu allererst an diesen Eingeborenen auffiel, war
ihre frappante Aehnlichkeit mit den Maoris von Neuseeland. Es waren ganz
und gar die Maoris, nur vielleicht durch das paradiesische Klima ihrer
Inseln zu etwas höherer Grazie verfeinert. Lauter herrlich schöne
Gestalten. Und mitten in diesem malerischen, das Auge erfreuenden Gewühl
die widerwärtigsten, hässlichsten Menschen die ich kenne, bezopfte
Chinesen, an den Enden langer Stangen Blechgefässe mit Goldfischen
herbeischleppend.

Die Zollformalität wurde von den Beamten auf das Liebenswürdigste
abgekürzt. Ich hatte blos eine Deklaration zu schreiben, nichts schmuggeln
zu wollen, und durfte sofort mit meinen Kisten passiren. Ein leichtes Buggi
führte mich und die theure Habe im Galopp durch die staubigen Strassen
nach dem Hotel. Die Ankunft des Dampfers schien für die Bewohner von
Honolulu ein Fest zu sein. Männer und Weiber, Knaben und Mädchen und
kleine Kinder strömten geputzt und blumenbekränzt zu Fuss, zu Pferd und
zu Wagen dem Hafen zu.

Das »Hawaian Hotel«, ein grosses schönes Gebäude in einem Garten von
Akazien, Papayas und Bananas, belebte sich bald mit den Passagieren des
Dampfers. Der Dampfer hatte hier Ladung zu nehmen und sollte erst morgen
die Reise nach San Francisco fortsetzen. Es sprach nicht sehr für seine
Küche, dass fast alle Kajütspassagiere die Pause benutzten, sich ihr zu
entziehen und dafür auf dem Lande sich schadlos zu halten. Ein zahlreicher
Tross von Verkäufern, die Blumenkränze und Korallen, Blattguirlanden
und Muscheln und sonstige Artikel feilboten, von Kutschern und
Pferdevermiethern belagerte unten im Garten und draussen auf der Strasse
das Hotel während des ganzen Tages.

Unsere kalifornische Konzertgesellschaft hatte bereits seit mehreren Tagen
Proben abgehalten, um während des kurzen Aufenthalts in Honolulu, wenn es
sich günstig mit der Zeit fügte, schnell ein Konzert zu geben und so
im Vorübergehen einige hundert Dollars zu machen, was gewiss recht
vernünftig und amerikanisch war. Nun traf es sich auch wirklich mit der
Zeit so gut, als man nur wünschen konnte, und Alles freute sich auf den
genussreichen Abend. Aber ein anderer praktisch denkender Mann an Bord, der
Reverend Mister Shark nämlich, war noch viel schlauer und amerikanischer
gewesen und hatte bereits einen Monat vorher das königliche Theater, den
einzigen hiezu in Honolulu vorhandenen Raum, für eine Vorlesung über den
Tower von London in Beschlag genommen. Und als die Konzertgesellschaft nach
Honolulu hineinfuhr, hing bereits allenthalben vor den Läden das grosse,
schlecht in Holz geschnittene Bildniss des Reverend Mister Shark, seine
ganze Lebensbeschreibung voll unendlichen Ruhmes und die Anzeige, dass
dieser glänzende Mann, nur um den flehentlichsten Bitten der Bewohner von
Honolulu zu entsprechen, sich heute Abend herablassen werde, gegen einen
Dollar Eintritt über den Tower von London ungeahnte Enthüllungen zu
geben. Die Konzertgesellschaft machte lange Gesichter. Es wurde viel
geklatscht und geschimpft, aber ohne wesentlichen Erfolg, und statt
musikalischer Gefühlsreize erschütterten am Abend die Gräuel der
britischen Königsgeschichte ein kunstsinniges aus braunen und weissen
Menschen bunt zusammengewürfeltes Publikum.

Hawaii ist ein konstitutionelles Königreich unter einem eingeborenen
König, der über etwa 49000 eingeborene Vollblutunterthanen herrscht.
Ausser diesen leben noch ungefähr 900 Amerikaner, 2000 Chinesen und 2500
Europäer (600 Engländer, 400 Portugiesen, 200 Deutsche, 90 Franzosen)
nebst mehr als 2400 Kanakamischlingen theils mit weissem, theils
mit chinesischem Blut unter seinem Szepter, so dass sich die
Gesammtbevölkerung des Hawaiischen Königreiches auf nahezu 56900
beläuft. Dasselbe bedeckt einen Flächenraum von 19757 Quadratkilometer,
ist also gleich wie Viti nur um weniges grösser als Württemberg.

Als die Hawaiier zuerst in der Historie auftraten, was vor 100 Jahren
geschah, waren sie in lauter kleine Stämme unter eigenen Häuptlingen
zersplittert. Ihre berühmteste That seit Anfang bis Jetzt ist die Tödtung
des grossen Seefahrers Cook, in der Kealakeakua-Bai 1779, geblieben. Cook
ist der Entdecker der Hawaiischen Inseln, und von ihm wurden sie auf den
Namen seines Vorgesetzten, des damaligen Chefs der Admiralität in London,
Lord Sandwich, getauft. Die Einheit Hawaiis stammt von Kamehameha I.,
welcher dieselbe im Anfang unseres Jahrhunderts durch Unterwerfung aller
anderen Häuptlinge herstellte. Er wird deshalb nach seinem bedeutenderen
Zeitgenossen in Europa der Napoleon der Sandwichinseln genannt. Unter ihm
kamen die ersten Missionäre, amerikanische Kongregationalisten, ins
Land und errangen bald immer mehr Einfluss, so dass schliesslich sie
die faktischen Herrscher waren. Gegenwärtig ist ihre Macht im Abnehmen
begriffen. Da auch andere Sekten kamen und Konkurrenz machten, so fehlte es
auch hier nicht an dem Altweibergezänk der Pfaffen. Eine auffallende Menge
von verlassenen Kirchen und Kapellen allenthalben auf den Inseln, welche
lebhaft an Tirol erinnert, giebt Zeugniss von jener nunmehr glücklich
überwundenen Blüthezeit der Hierarchie.

Auf Kamehameha I. folgten noch vier andere Kamehamehas. Der Fünfte gab
1864 die bestehende Verfassung, nach welcher vier Minister einem aus Ober-
und Unterhaus zusammengesetzten Parlament verantwortlich sind. Das Oberhaus
zählt 30, das Unterhaus 42 Mitglieder. Da Kamehameha V. ohne Thronerben
starb, wählte das Parlament einen gewissen Lunalilo, und als auch Lunalilo
ohne Thronerben starb, einen gewissen Kalakaua zum König, und dieser
letztere regiert noch jetzt.

Von der grössten Bedeutung für das Emporblühen Hawaiis war früher die
Walfischfängerei des Stillen Ozeans. Hawaii bildete eine Hauptstation der
Waler, die dort anlegten um sich zu verproviantiren. Gegenwärtig sind die
Walfische so selten geworden, dass es sich nicht mehr verlohnt, auf
sie Jagd zu machen. Ausser den vielen ehemaligen Kapitäns, welche
grösstentheils mit Kanakinnen verheirathet die Insel bevölkern, ist kaum
eine Spur jener einst so bedeutenden Industrie mehr vorzufinden.

Die Hawaiier oder Kanakas, wie sie sich selbst nennen, sind reine
Polynesier. In ihrer äusseren Erscheinung dürften sie sich kaum von den
Eingeborenen Neuseelands unterscheiden, höchstens dass sie vielleicht im
Durchschnitt nicht ganz so gross und grobknochig sind wie jene und mehr
zur Fettbildung neigen. Die Farbe beider ist ein gesättigtes Braun von
verschiedenen Graden der Dunkelheit, sie schien mir niemals so dunkel wie
bei den Vitis, niemals so hell und gelblich wie bei den wenigen Tonganern,
die ich auf Kandavu gesehen hatte. Ihre Haare sind im Allgemeinen
schlicht, zuweilen etwas gekräuselt, aber nicht mehr als dies auch bei uns
vorzukommen pflegt. Das Tätowiren, von dem man auf den Gesichtern alter
Maoris wahre Kunstwerke bewundern kann, ist bei den Kanakas wohl niemals
stark in der Mode gewesen. Man findet nur an alten Weibern hie und da blaue
Ringe um die Finger.

Die Sprachen beider haben trotz der 4000 Seemeilen Entfernung so viel
Gemeinsames, dass ein Maori und ein Kanaka sich noch verständigen können.
Auch dem Hawaiischen fehlen alle mit »S« zusammengesetzten Laute sowie
das »F«. Während jedoch das Viti und das Maori höchst wohllautend
sind und an das Italienische erinnern, klingt das Hawaiische rauh und
barbarisch. Die sehr oft nur aus einem einzigen Vokal gebildeten Silben
werden abgesetzt von einander ausgestossen, so dass ein gewisses Gacksen
entsteht. Es giebt z. B. eine Ortschaft, welche Maalaea (fünf Silben)
heisst. Die vielen Cha, Ka und harten L mit dem R-ähnlichen Vorschlag
wie das Schweizer Doppel-L und die Eigenthümlichkeit fast aller Laute, im
Gaumen und mit Betheiligung der Nasenhöhle zu klingen, geben der Sprache
etwas Unbehülfliches. Ihr Gruss ist hochpoetisch und heisst »Aloha oë«
-- ich liebe dich.

Ebenso wie bei den Maoris haben auch bei den Kanakas die allzu
konsonantenreichen europäischen Namen sich viele Umänderungen gefallen
lassen müssen. So ist z. B. aus Britain »Beretania« geworden.
Unser Emperor William heisst in Hawaii »Emepela Uilama« und Bismarck
»Bihimaka«. Ehe ihre Sprache von den Missionären in die starren Formen
der Schriftzeichen eingezwängt wurde, musste natürlich die Möglichkeit
der fortwährenden Umbildung eine sehr beträchtliche sein. Dass trotzdem
zwischen dem Maori und dem Hawaii so grosse Uebereinstimmung herrscht,
ist äusserst merkwürdig und lässt auf eine nur kurze Zeit der Trennung
schliessen. Wie wenig auf manche ihrer Laute jene passten, die den
Europäern geläufig sind, geht daraus hervor, dass verschiedene
Berichterstatter ganz verschieden niederschrieben. Cook schrieb z. B.
»Owyhee« statt Hawaii, »Honoruru« statt Honolulu, statt Kauai
»Atooi«, statt Molokai »Morotoi«. Das bei so vielen Völkern
vorkommende Verwechseln der beiden Buchstaben »L« und »R« gilt auch
im Hawaii, und ebenso werden T und K miteinander verwechselt, weshalb man
zuweilen auch »Tamehameha« liest. Ich selbst notirte einmal »Rumi rumi«
in mein Taschenbuch und fand später dass es »Lome lome« gedruckt wird.

Ehemals ist auch bei ihnen das Nasendrücken (»Hony« jetzt gleichwie im
Maori sowohl das erst von den Weissen importirte Küssen als auch Riechen
bedeutend) in Geltung gewesen und soll hie und da noch von alten Personen
geübt werden. Ebenso wenig fehlt ihnen der Begriff »Tabu« und der
bei allen Polynesiern mit Ausnahme der Maoris eine gleich grosse Rolle
spielende Gebrauch des Kawatrinkens, nur dass man hier statt »Kawa«
»Awa« sagt.

Auch die Hawaiier sind Kannibalen gewesen, aber niemals in demselben Grade
wie die Maoris oder gar die Viti-Insulaner. Sie brachten den Göttern
Menschenopfer, und diese wurden dann von den Priestern und Vornehmen
gefressen.

Auf ihrer gegenwärtigen Kulturstufe sind sie noch immer ein sonderbares
Gemisch von alter Barbarei und neuer Zivilisation. Die Kleidung ist im
Allgemeinen europäisch, nur dass die Weiber lange lose Talare ohne Taille
tragen. In den Städten wie Honolulu auf Oahu, Hilo auf Hawaii, Lahaina und
Wailuku auf Maui sind auch die Wohnungen grösstentheils europäisch,
in den Dörfern und den einsamen Gehöften jedoch noch nach altem Stil,
einfache, ruppige Strohhütten. In der Nahrung hat sich seit Cooks Besuchen
nichts Wesentliches geändert. Poi, ein säuerlicher Brei aus Taromehl,
ist der Hauptartikel, rohe Fische und Hundefleisch sind noch immer
Lieblingsgerichte. Die Mahlzeiten werden auf dem Boden eingenommen, und
haben die reicheren, vornehmen Kanakas auch die schönsten Tische und
Stühle, sie ziehen es vor, sich daneben auf eine Matte niederzulassen.

Die Hawaiier sind jene Polynesier, welche am raschesten aussterben. In
den letzten zwanzig Jahren ist die einheimische Bevölkerung von 80000 auf
50000 Köpfe herabgesunken. Der Hauptgrund liegt wohl in der Unsittlichkeit
der Weiber und in ihrer Leidenschaft für das Reiten, der sie sich ohne
Schonung und Rücksicht, rittlings wie die Männer im Sattel sitzend,
hingeben. Die meisten Frauenzimmer reiten sehr geschickt und muthig.
Ich sah aber zuweilen auch Reiterinnen mit angsterfüllten Mienen und
krampfhaft den Sattelknopf umklammernd dahingaloppiren.

Die Erotik spielt eine grosse Rolle bei den schönen Kanakinnen, und
in Honolulu hat sich dieselbe zu einer ziemlich schamlosen Prostitution
entfaltet. Dort sind die Missionäre in dieser Beziehung machtlos.
Anderwärts aber halten sie ein scharfes Auge auf ihre der Sünde nur zu
sehr geneigten weiblichen Lämmer. Während unserer Anwesenheit in Hilo
gingen sie in ihrem Misstrauen und in ihrer Vorsicht so weit, uns während
der Nacht einen Polizeimann vors Hotel zu postiren.

Man hat im Hawaiischen Königreich reichlich Gelegenheit, Mischlinge aller
Grade und Kombinationen aus den drei hauptsächlich vertretenen Rassen,
Kanakas, Chinesen und Weissen, zu studiren. Wir Menschen sind bisher in
so viele einzelne Stämme isolirt gewesen, dass man bereits an der
Einheit unseres Geschlechtes zu zweifeln begann. Jetzt leben wir in
einer Uebergangsperiode aus dem Prozess der Differenzirung in jenen des
Wiederzusammenfliessens. Die Kommunikationen dehnen sich immer weiter
aus. Ueberall wo der Europäer hinkommt, schüttelt er die Stämme
durcheinander, kreuzt sich mit dunklem Blut oder unterdrückt es, und
vielleicht in einigen tausend Jahren wird es nur mehr Eine Rasse geben.

Honolulu ist eine gartenreiche und deshalb sehr ausgedehnte Stadt mit einer
Bevölkerung von 14000, worunter etwa 1000 Weisse. Die Strassen sind breit
und durchschneiden sich nach amerikanischem Muster schachbrettartig, links
und rechts begrenzt von Mauern und Zäunen, hinter welchen schlanke Palmen
sich wiegen und dichtbelaubte Mangobäume die leicht gebauten luftigen
Häuser der weissen und braunen Bewohner verbergen. Die Flora, die sich
in den Gärten entfaltet, ist kosmopolitisch. Von allen möglichen
Tropenländern haben sich hier Vertreter zusammengefunden. Wohin der
Europäer kommt, übt er seinen die Pflanzengeographie nivellirenden
Einfluss. Neben der einheimischen Kokospalme steht die königliche Palme
aus Westindien, die Dattelpalme aus Afrika. Ostindische Papayas und
Mangobäume, chinesische Bambusdickichte und brasilianische Araukarien,
Bananas jeglicher Abkunft und hundert andere Pflanzen, von denen man nicht
mehr weiss, woher sie stammen, haben sich eingebürgert.

Die Strassen sind staubig, aber die Gärten glänzen stets im frischesten
Grün, Dank der reichlichen Wasserversorgung. Ein munterer Gebirgsbach
kommt hinter der Stadt in Kaskaden von den wolkenverschleierten, schroffen
Höhen herab und vertheilt sich in tausend Aeste und Aestchen, deren
Enden aus Kautschuckröhren und transportablen, beständig im Kreise sich
drehenden Spritzfontänen überall den Rasen und die Gebüsche bethauen.
Hinter den Zäunen sind zuweilen kleine oben offene Verschläge, und
häufig stehen in diesen an schwülen Nachmittagen braune Hawaiier und
Hawaiierinnen im Kostüm unserer Stammeltern, einen Wasser spendenden
Schlauch in der Hand und den Körper berieselnd. Der Zaun deckt ihre
Blössen, während sie vergnügt auf die Strasse sehen und mit den
Vorübergehenden plaudern.

Unter den öffentlichen Gebäuden ragt das freistehende Regierungsgebäude
dominirend hervor. Es ist in Renaissance aus Stein gebaut und trägt in der
Mitte einen massiven Thurm, der eine lohnende Aussicht gewährt.

Ein weiter luftiger Saal im Erdgeschoss dient dem Parlament zu seinen
Sitzungen. An den einfach weiss getünchten Wänden hängen die Bildnisse
der fünf Kamehamehas, des Lunalilo und des Kalakaua, theils in Oel gemalt,
theils in lebensgrossen Photographien. Der erste Kamehameha, Hawaiis
Napoleon, ist noch mit seinem altheidnischen rothen Federmantel
geschmückt, die anderen vier tragen ebensoviele Entwickelungsstufen
europäischer Generalsuniformen zur Schau, die zwei letzteren sind im
modernen Zivilfrack mit breitem Ordensband und strahlendem Ordensstern
erschienen.

Hier spielen sich zuweilen gar schnurrige Debatten ab. Unter den vier
Ministern des Kabinets sind drei Weisse, die Präsidentschaft ist weiss,
und das Haus selbst besteht zu einem Drittel aus Weissen. Es wird sowohl
englisch als hawaiisch debattirt. Eine hawaiische Interpellation findet oft
eine englische Antwort, oft sprechen zwei Redner zu gleicher Zeit, der eine
englisch, der andere hawaiisch, der Hawaiier wüthend, der Engländer kühl
und spöttisch. Und ehe des Morgens die Komödie beginnt, wird gebetet. Es
machte mir bei wiederholten Besuchen den Eindruck, als ob die Weissen nicht
viel Notiz von den Reden der Kanakas nähmen. Sie sind eben Kinder. Man
lässt sie schreien und thut schliesslich doch was man will. Erst kürzlich
war ein Gesetz durchgegangen, welches den im Hawaiischen Königreich
ansässigen Heilkünstlern sehr verderblich werden konnte, nämlich dass
jedem Arzt die Lizenz entzogen werden sollte, der einem Ruf zu einem
Kranken nicht sofort Folge leistete. Die Zeitungen brachten viel
Schmähartikel über dieses Gesetz und drückten dabei ganz unverblümt
ihre vollste Verachtung der braunen Gesetzgeber aus.

In den übrigen Räumen des Regierungsgebäudes befinden sich die Kanzleien
der verschiedenen höheren Staatsbeamten, eine Staatsbibliothek und ein
Staatsmuseum. An den Thüren liest man bis auf einen nur englische
Namen, die dazu gehörigen Titel sind zugleich englisch und hawaiisch
daruntergeschrieben, so z. B. »His Excellency W. L. Green, Minister of
Foreign Affairs, Kuhina no ko na aina e«.

Die für einen so abgelegenen Punkt der Erde überraschend reiche
Bibliothek enthält ausser juridischen und theologischen eine ansehnliche
Zahl naturwissenschaftlicher und geographischer Werke und wurde mir auf
meinen nur leise angedeuteten Wunsch mit der grössten Liberalität
zur Verfügung gestellt, was nächst der überhaupt hier herrschenden
Zuvorkommenheit gegen Fremde wohl auch dem Umstande zu verdanken war, dass
dieselbe sehr wenig benützt wird. Ich war stets der einzige gänzlich
ungestörte Leser und unbeschränkte Alleinherrscher. Kein griesgrämiger
Bibliothekar trübte den Genuss der Bücher. Das Museum enthält
hauptsächlich ethnographisch sehr werthvolle hawaiische Alterthümer. Die
Hälfte davon war eben zur Ausstellung nach Philadelphia gesandt worden
und nicht zu sehen. In der Sammlung befindet sich auch ein Palmstumpf, vor
welchem in der Kealakeakua-Bai der grosse Cook getödtet worden sein soll,
was mir erst später in San Francisco besonders interessant wurde, da
dort in einem Museum ein anderer Palmstumpf ausgestellt ist, von dem man
dasselbe behauptet.

Dem Regierungsgebäude gegenüber liegt die Residenz des Königs, ein
ganzer Block, rings von einer steinernen Mauer mit vier Thoren, an jeder
der begrenzenden Strassen eins, umgeben. Nur ein hoher Flaggenmast
ist über der Mauer und den Bäumen dahinter sichtbar. Ist die Flagge
aufgezogen, so gilt dies als Zeichen, dass der König zu Hause und
umgekehrt, gerade wie bei uns. Ein eigentlicher Königspalast existirt
gegenwärtig nicht. Man trägt sich schon lange mit dem Gedanken einen zu
bauen, aber die Hauptsache, das Geld hierzu, fehlt noch. Einstweilen
muss sich das Werk der Zukunft damit begnügen, seinen Schatten in dem
Strassennamen »Palace Walk« vorauszuwerfen.

Die Militärmacht Honolulus ist eine sehr bescheidene und besteht nur aus
einer Bande Musikanten und zwei Dutzend Palastgardisten. Erstere tragen
dunkelblaue Waffenröcke, letztere hellblaue Husarenjacken mit weissen
Schnüren, beide weisse Hosen und weisse Käpis. Diese zwei Sorten von
Soldaten bummeln den ganzen Tag auf den Strassen herum, so dass man sie
überall sieht und auf eine viel grössere Zahl schliessen möchte. Der
Kapellmeister ist natürlich ein Deutscher. Seine Bande, lauter junge
Kanakas, macht ihm alle Ehre und spielt jeden Samstag auf Queen Emmas
Square, einem freien Platz mit Gartenanlagen, auf welchem dann die ganze
schöne und vornehme Welt der Residenzstadt promeniren geht. Kurz ehe ich
abreiste, streikten die Musikanten, aus welcher Veranlassung und auf wie
lange, blieb mir unbekannt.

Der vorige König soll kriegerischer gewesen sein als der jetzige und
die allgemeine Wehrpflicht nicht blos eingeführt, sondern sogar bis zur
Abhaltung von Manövers getrieben haben, welche einem ansehnlichen Theil
des Heeres von Honolulu das Leben kosteten. Die Kavallerie attakirte bei
einer derartigen Gelegenheit die Infanterie so naturgetreu wüthend, dass
diese genöthigt war, ihr Heil in der Flucht zu suchen. Aber kaum hatte
sich die wackere Infanterie von dem ersten Schrecken erholt, als sie
beschloss die erlittene Schmach zu rächen. Die siegreiche Kavallerie
zog sich stolz von dem Wahlplatz zurück um nach Honolulu hinein zu
triumphiren. Da griff von hinten plötzlich die Infanterie mit dem
Bajonnette an und vernichtete sie völlig. Vierzig Pferde und zwanzig
Reiter wurden todtgestochen, die übrigen entkamen mit Wunden bedeckt.
Seitdem werden keine Manövers mehr abgehalten.

Was nun die Artillerie betrifft, so ist sie durch einen Ritt auf die
Punschbowle leicht in Augenschein genommen. So heisst nämlich der
kahlgebrannte Berg hinter der Stadt, und ist man oben und blickt hinab in
die nun mit Gras ausgepolsterte halbkugelige Höhlung des Kraters, so
muss man den Namen gerechtfertigt finden. Ganz Honolulu liegt zu Füssen
ausgebreitet. Man überschaut den Hafen und erkennt an der hellen Färbung
des Wassers die Lage der Riffe, die nur einen schmalen Kanal frei lassen.
Sechs alte Schiffskanonen stehen hier oben zum Salutiren vor einem
Flaggenmast. Sie sehen so rostig und morsch aus, dass ich keine abfeuern
möchte. An grosse Lavablöcke hingebaut steht daneben das Häuschen des
Wächters. Seine Frau war beschäftigt Strohhüte zu flechten, als ich
hinaufkam, und ich wartete, bis sie für mich einen fertig hatte.

Die zweite Stelle unter den öffentlichen Gebäuden nimmt das Hawaiian
Hotel ein, welches dem König gehört und an Mister Herbert, einen
Amerikaner deutscher Abkunft, verpachtet ist. Es liegt umgeben von den
Strassen Hotel-, Beretania-, Kahomanu- und Alakea Street und genügt für
den billigen Preis von drei Dollars täglich allen Forderungen, die der
Amerikaner, in Bezug auf Hotels viel anspruchsvoller als der Europäer, zu
stellen pflegt. Alles ist musterhaft amerikanisch bis auf die Bedienung,
die aus mürrischen Chinesen besteht.

Man würde in den ausgezeichneten Betten unter den lang herabwallenden
Moskitonetzen, über welche manchmal eine grosse haarige Spinne wandelt,
vortrefflich schlafen, wenn nicht die eigenthümliche Gewohnheit der Hähne
von Honolulu, die ganze Nacht hindurch zu krähen, sehr störend wirkte.
Von nah und fern dringt das ewige Kikeriki in helleren und tieferen Stimmen
durch die Stille der Nacht und lässt auf Legionen dieser Ruhestörer
schliessen.

In Honolulu giebt es sieben Kirchen, alle von amerikanischer Stillosigkeit,
und zehn Freimaurerlogen. Die meisten Hawaier sind kongregationalistisch
christianisirt. Nach diesen kommen an Zahl die Katholiken, dann
die Episkopalen. Neben der Kavaiahaokirche ist das Mausoleum des
letztverstorbenen Königs. »Lunalilo ka Moi † 1874« (L. der König)
ist die einfache Aufschrift des kapellenartigen gothischen Baues, um
welchen innerhalb eines eisernen Gitters sechs vergilbte Kahilis, grosse
Sträusse aus Federn und Blumen auf Stangen, in der Erde stecken.

Nur in den drei oder vier Geschäftsstrassen drängen sich die Häuser,
grösstentheils aus Holz und einstöckig, ohne Gärten eng aneinander.
In Fort Street sind die Läden der Weissen, in Nuuanu Avenue jene der
Chinesen.

Denn auch hierher haben die Söhne des Reiches der Mitte ihren Weg
gefunden, und keine der grösseren Ortschaften auf den Hawaiischen Inseln
ist ohne Mongolen. Sie sind hier hauptsächlich Schuhmacher, Kleinkrämer
und Gastwirthe schmutziger Speiselokale. Die Wäscherei, die in Kalifornien
ihr Monopol ist, haben sie den Eingeborenen noch nicht zu entreissen
vermocht. Ihre offenen Buden sehen sich alle so ähnlich, dass man nur
schwierig und selten die richtige wieder findet, wenn man vielleicht von
einem der schlitzäugigen Spitzbuben betrogen worden ist. Den ganzen Tag
wird emsig gearbeitet. Hier sitzt ein alter verrunzelter Schuster mit einer
unförmlichen rundglasigen Brille auf der Nase, und näht im Verein mit
einigen jüngeren Gesellen leichte, dünnsohlige, weisse Zeugstiefel
zusammen, dort schwirren amerikanische Nähmaschinen, an denen bezopfte
Schneider chinesische Gewänder verfertigen. Hier sind Zigarren, Tabak und
alle möglichen Gegenstände des häuslichen Bedarfs zu haben, dort eine
Menge fremdartiger Büchschen und Schächtelchen mit chinesischen Konserven
aufgestapelt. Früchteverkäufer preisen Melonen und Mangos an, und in
den kleinen Wirthschaftsspelunken stehen Reihen winziger Schüsselchen
mit eigenthümlichen Gerichten, die an geschmorte Regenwürmer erinnern,
lockend hinter dem Fenster. Man sieht die Chinesen fast niemals müssig.
Selten begegnet man wohl auch einem bezopften Reiter hoch zu Ross oder
deren mehreren in Gesellschaft zu Wagen, aber auch dann wohl nur in
Geschäften reisend. Es giebt nur wenige Chinesinnen in Honolulu. Die
meisten Chinesen sind mit Hawaierinnen verheirathet. Die Regierung sträubt
sich zwar gegen die Einwanderung der asiatischen Pest. Aber die durch einen
erst jüngst abgeschlossenen Vertrag für freie Einfuhr des Zuckers nach
den Vereinigten Staaten wieder aufblühenden Zuckerplantagen brauchen
Arbeiter, und die Chinesen sind die billigsten. Ueber kurz oder lang werden
die Fluthen dieser hässlichen Rasse mit ihren scheusslichen Lastern, die
dem Europäer gegenüber keine Ehrenhaftigkeit kennt und Alles erlaubt
hält, zusammenschlagen über der einheimischen schönen und edlen Rasse,
welche rapide ausstirbt.

Unter den Weissen herrscht der amerikanische Typus vor. Auch die meisten
Waaren tragen das amerikanische Gepräge, sie sind grösstentheils von
Kalifornien her eingeführt. In einigen Auslagen glaubte ich auch manchen
Schund meines theuren Vaterlandes zu erblicken und als alten Bekannten
begrüssen zu dürfen. Keine soliden englischen Fabrikate mehr wie überall
in Australien, andere Kleidungsstoffe, anderes Sattel- und Zaumzeug, andere
Zündhölzchen, andere Messer. Man ist in Bezug auf Kultur bereits in den
Vereinigten Staaten. Man trägt hier ebenso feine, weissglänzende Wäsche
und denselben Schnitt des Rockes wie bei den Yankees. Cocktail und Sherry
Cobbler und wie sie alle heissen, die amerikanischen »Fancy Drinks«,
spielen hier eine ebenso bedeutende Rolle, wie in San Francisco oder in New
York.

Ueberall giebt sich der amerikanische Einfluss kund, und das
Annektirtwerden durch die Vereinigten Staaten ist für Hawaii wohl nur
eine Frage der Zeit. Das offizielle Münzsystem ist das amerikanische.
Ein Versuch, hawaiisches Geld mit den Köpfen hawaiischer Könige darauf
prägen zu lassen, wurde bald wieder aufgegeben. Merkwürdiger Weise
kursiren hauptsächlich französische Fünffrancsstücke als Dollars.

Ganz besonders erfreulich tritt das Deutschthum in den Vordergrund. Es
war mir eine äusserst angenehme Ueberraschung, ebenso viel Deutsch als
Englisch sprechen zu hören. Wenn ich so durch die Strassen ging, drangen
fast aus jedem der offenstehenden Läden, Barbierstuben und Kneipen die
Laute der Muttersprache an mein Ohr. Wir sind dort so gut repräsentirt,
als wir nur wünschen können, was nicht allenthalben in überseeischen
Hafenplätzen der Fall ist. Unter unseren Landsleuten in Honolulu sind die
angesehensten und reichsten Kaufleute, und ein reges geistiges Streben, das
man in solcher Ferne und Abgelegenheit kaum erwarten möchte, blüht bei
ihnen. Ich fand zum ersten mal seit längerer Zeit nicht nur die meisten
unserer besseren Zeitschriften, sondern auch eine Menge deutscher Bücher
wieder. Ein unschätzbares Vergnügen gewährten mir dort im fernen Pacific
Heinrich Noés Alpenbilder.

Es giebt eine mikroskopische Gesellschaft in Honolulu, und bei Herrn
Riemschneider, einem jungen Hannoveraner, habe ich manchen genussreichen
Abend mit dem Betrachten seiner mikroskopischen Präparate zugebracht. Die
Aufnahme, die mir von unserem Konsul und allen Deutschen zu Theil wurde,
war die liebenswürdigste, an die ich stets dankbarst zurückdenken werde.

Das Klima von Honolulu ist paradiesisch wie überall auf den glücklichen
Inseln des Stillen Ozeans. Die Hitze ist nicht allzu gross und wird häufig
gemildert durch erfrischende Regenschauer. Ich habe niemals, obgleich
ich im höchsten Sommer dort war, mehr als 35 Zentigrade erlebt, eine
Temperatur, die nicht selten auch bei uns vorkommt. Fast ununterbrochen
weht der Passat kühlend über den Felsgrat Oahus herüber und durch das
Nuuanuthal herab, und als er einmal zwei Tage aussetzte, und die Eisfabrik
wegen einer Reparatur ihre täglichen Lieferungen einstellte, klagte Alles
über den unerträglichen Zustand. Denn auch hier in dieser herrlichen
Natur sind die Menschen unzufrieden und sehnen sich anderswohin. Der ganze
Reiz des Lebens liegt eben im Wechsel.

Trotz der beschränkten Geldmittel des Staates scheint es mit dem
Sanitätswesen nicht schlimmer zu stehen als anderwärts. Akute
Infektionskrankheiten kommen kaum eben so häufig vor wie bei uns in
Europa. Die Quarantäne wird strenge gehandhabt. Eine auffallende Menge von
Aerzten, lauter Weisse, ist allenthalben zerstreut. Freilich befinden sich
auch genug amerikanische »Dakters« darunter.

Das königliche Hospital von Honolulu ist zwar klein, aber musterhaft
reinlich gehalten. Es liegt am Fusse des Punschbowlenhügels mitten in
einem schönen weiten Garten, in dem Palmen aus allen Gegenden der Erde
nebeneinander stehen, und enthält in zwei Stockwerken etwa hundert saubere
Betten, jedes mit einem sauberen Moskitonetz überspannt. Die Syphilis
stellt ein bedeutendes Kontingent an Kranken, wie in allen Hafenstädten.

Eine weit schrecklichere Plage Hawaiis ist der asiatische Aussatz, die
Lepra, welche absolut unheilbar ist. Man behauptet, sie sei von den
Chinesen eingeschleppt worden. Sie war im Anfang nur in einzelnen Fällen
aufgetreten, bis sie gelegentlich der ersten Blatternepidemie, die ein
Walfischfänger brachte, plötzlich die grösste Verbreitung erfuhr. Nicht
blos die Aerzte, sondern auch Missionäre und Beamte stürzten sich
sofort auf die Eingeborenen, um Alles Hals über Kopf zu impfen ohne die
nöthigste Vorsicht zu wahren, und so kam es, dass die Lanzette das
Gift der Leprosen auf eine Menge Anderer übertrug. Die Leprosen werden
polizeilich gesammelt und in ein abgeschlossenes und unzugängliches Thal
der Insel Molokai verbannt, was zwar grausam aber sehr weise ist.

Eben war wieder ein Transport von vierzehn solcher Unglücklichen beisammen
und sollte nächstens mit einem eigenen Schuner nach Molokai geschickt
werden. Der Regierungsarzt Dr. Mac Kibbin, ein Engländer, hatte die Güte
mich zu ihrer Besichtigung mitzunehmen. Sie waren in einem Garten neben
dem Polizeigebäude auf einer offenen nur durch Matten abzuschliessenden
Veranda untergebracht und schienen die Härte ihres Looses mit stoischer
Ruhe zu ertragen. Nur ein einziger Fall der Leontiasisform sah abschreckend
aus.

Auf Molokai sollen sich gegenwärtig etwa 800 Leprosen, darunter auch vier
Weisse, ein Deutscher und drei Engländer, befinden. Aerztliche Behandlung
geniessen sie dort nicht, und auch über ihre Verpflegung wird viel
geklagt. Aus obiger Zahl lässt sich schliessen, dass vielleicht zwei
Prozent der Gesammtbevölkerung von Hawaii mit Lepra behaftet sind.

Eine besonders hervorragende Merkwürdigkeit Honolulus ist der Fischmarkt.
Namentlich an Samstagen herrscht dort ein charakteristisches reges Leben.
Aus der ganzen Umgegend strömen dann die Eingeborenen zusammen um Käufe
und Verkäufe zu machen, Freunde zu treffen, kurz eine Art Wochenbörse
abzuhalten. Reiter und Reiterinnen gallopiren von allen Seiten herbei.
Pferde und Wagen und Maulesel und Menschen füllen in bunter Unordnung
die nächsten Strassen. Glühend sticht die Sonne herab, und eine
grellgeputzte, blumengeschmückte, lärmende, heftig gestikulirende Menge
brauner Gesichter drängt sich glänzend von Schweiss durcheinander.

Die Waaren, die unter einer gedeckten Halle und in mehreren Budenreihen
feilgeboten werden, entstammen grösstentheils der salzigen Fluth des
Meeres, und ihre Mannichfaltigkeit wird dadurch erhöht, dass der Kanaka
nichts verschmäht, was überhaupt gegessen werden kann. Getrocknete
Sepien, die acht Saugarme zu Zöpfen geflochten, hängen oben herab,
unten auf blätterbedeckten Brettern liegen sie frisch in ihrer ganzen
natürlichen Schlüpfrigkeit ausgebreitet. Fische gross und klein, mit
Papageischnäbeln und in allen Farben schillernd, Krebse, Muscheln und
Schnecken, Seesterne, Seeigel und Seegurken, roh und gekocht, in Körben
hoch aufgehäuft, suchen die Gourmandise der Kanakas zu reizen. In
Kürbisschalen ist der ganze Inhalt dieser Geschöpfe, Gedärme und Alles,
zu einem vielfarbigen Brei zusammengepantscht, und mit geheimem Grausen
sehen wir, wie diese unappetitlichen Sachen mit wohligem Schmatzen
verschlungen werden. Man muss sich in Acht nehmen nirgends anzustreifen, da
überall Eingeweide und andere schleimige Dinger kleben, nicht blos an
den Buden, sondern auch an den vielen Männern und Weibern, die sich mit
grossen Körben durch das Gedränge mühen. Hinter jedem Stand hängen
grosse Bündel schmaler Cordylineblätter, welche zum Einwickeln dienen.
Im Nu sind sie kreuzweis zusammengeschlungen und zu einem festen Packet
geschlossen.

Hier häutet ein Mann wunderbar flink mit den Zähnen seine Fische ab, dort
sitzen hübsche grossäugige schlanke Mädchen und winden Blumenkränze und
duftende Pandanusguirlanden, während daneben eine fette schwammige Matrone
uns ein freundliches »Aloha« zugrinst und einladend auf ihre Mangos und
Melonen weist. Ein korpulenter Polizeimann, kenntlich an dem Blechschild
auf seinem Rock, überwacht mit ernstem Blick die Ordnung des Marktes,
etliche Gardesoldaten in blauweissen Jacken gehen von Bude zu Bude und
kokettiren mit den schönen Verkäuferinnen. Mitten in diesem fröhlichen
Gewühl und Gekreisch der Hawaiier steht eine Gruppe tückischer
Chinesen, umherspähend wohin sie sich wenden sollen, die Hände in beiden
Hosentaschen, um das Geld zu bewachen, obwohl es hier keine Pickpockets
giebt, dort an der Ecke steht ein einzelner Halbchinese und hat
Tabakspfeifen feil, an die Zweige eines Bäumchens gesteckt. Eine eigene
Abtheilung dient zum Verkauf des zu Klumpen zusammengebackenen Poimehls.
Auf Tischen davor steht fertiger Poi in grossen Kürbisschalen bereit, und
unter und zwischen den Tischen sitzen kleine Gesellschaften und erlaben
sich an dem säuerlichen Brei, indem sie ihn mit den Fingern heraustunken.

Gleich hinter der einen äussersten Reihe plätschert das Wasser der
Rifflagune, getrübt von der Jauche des Marktes, ein beliebter und nie
unbenützter Badeplatz der Jugend. Hie und da mischen sich auch wohl
die nackten und nassen Jungen ins Gewühl, um mit klatschenden Schlägen
verjagt zu werden.

Halbverwilderte Hunde liegen mürrisch in den geschütztesten Winkeln. Sie
sind die stehende Bewohnerschaft des Budenplatzes, von dessen Abfällen
sie leben, und fast alle sind, vielleicht in Folge der ausschliesslichen
Fischnahrung, bedeckt mit Räude. An einem dieser ekelhaften Köter sah ich
eine elephantiasis-artige Erkrankung der ganzen Haut, namentlich aber der
hinteren Partien. Die Haut der Kreuzgegend war so sehr verdickt, dass der
Schwanz aus Falten wie sie für das Rhinoceros normal sind heraushing.

Ausserhalb Honolulu ist die Gegend dürrgebrannt und wüstenartig. Links
und rechts von der Stadt führen grellbeleuchtete, staubige Strassen am
Ufer des blauen Meeres entlang. Sandebenen, hie und da besetzt mit Gruppen
von importirten Opuntias und Agaven, ziehen sich zu den Bergen hinan,
welche den Hintergrund bilden. Unten sind diese ebenso kahl wie die Ebenen,
erst weiter oben, in der Nähe der an den höheren Spitzen hängenden
Wolken, bedecken sie sich mit dem eigenthümlichen hellschimmernden Grün
der Kukuibäume.

Zu dieser im Lichte einer glühenden Sonne strahlenden Landschaft liefern
die Eingeborenen die schönste und stylvollste Staffage. Blumenbekränzt
und in bunten Gewändern jagen sie, Männer und Weiber, auf zähen Pferden
über Stock und Stein dahin. Und ihre warmen Farben im Verein mit der
Sonnengluth der wüsten und gelben Flächen gaben mir oft ein Bild von
wahrhaft orientalischer Lebhaftigkeit.

An der Ostseite gegen die Vorstadt Kapalama zu ergiesst sich der
Nuuanu-Bach in die See. Manchmal kauern hier Weiber vollständig bekleidet,
einen Strohhut auf dem Kopf, geradeso wie sie auf der Strasse gehen, im
schmutzigen, brackischen Wasser des Aestuariums. Nur der Kopf ragt heraus,
und im Munde halten sie ein Körbchen, während sie mit den Händen auf dem
Grunde nach Krabben herumtasten. Nackte Kinder balgen sich neben ihnen und
werden zuweilen durch zornig rollende Blicke verscheucht. Schelten dürfen
die Fischerinnen nicht, sonst würde ihnen das Körbchen mit der
Beute entfallen. Eine hölzerne Brücke führt hinüber nach dem
Staatsgefängniss, einem blendend weiss getünchten zinnengekrönten
Kastell, und draussen mitten in der Lagune steht einsam auf Pfählen das
Quarantänehospital, ein trostloses Gebäude.

Rechts am Fusse der Berge unweit Lilihi Street liegt das Lunatic Asylum,
das Irrenhaus. Ich fand dieses nur von wenigen Geisteskranken bewohnt, als
ich einmal hinausritt es zu besichtigen. Eine tobsüchtige Chinesin war
der schlimmste Fall. Die anderen waren alle bereits blödsinnig. Die
gemüthliche naturgemässere Lebensweise der Eingeborenen, fern von der
aufreibenden Hast des Gelderwerbs und des Ehrgeizes in Amerika und
Europa, ist nicht geeignet, Erkrankung des Gehirns zu begünstigen. Die
Einrichtungen der Anstalt genügen mässigen Ansprüchen.

Westlich gegen Diamond Head zu führt eine zwei Kilometer lange
Landstrasse, oft der Schauplatz wilder Kavalkaden, an Salinen, in denen
Meersalz durch Abdunsten gewonnen wird, vorüber nach Waikiki, einer
kleinen Ortschaft aus einer Kapelle, einigen hölzernen Landhäuschen und
einigen struppigen Strohhütten bestehend, alle weit aus einander gestreut,
die früher der Lieblingsaufenthalt der Könige gewesen sein soll.
Hierhin sollen sie sich, der Komödie europäischer konstitutioneller
parlamentarischer Regierung müde, zurückgezogen haben, um der
goldstrotzenden Uniform entledigt und nur mit dem Suspensorium angethan
in alten Erinnerungen zu schwelgen. Ein kümmerlicher Kokospalmenhain
beschattet spärlich den sandigen Boden. Die Bäume sind lebensmüde und
tragen keine Früchte mehr. Ein hübscher reinlicher Badestrand zieht
sich aussen entlang, und Waikiki ist deshalb als Ausflugspunkt bei der
Bevölkerung Honolulus sehr beliebt. Jenseits tritt Diamond Head, das
Wahrzeichen von Honolulu, in die See hinaus, auf einer Einsattlung, die
den Berg und die Hauptkette der Insel verbindet, die Signalstation für die
Ankunft von Schiffen tragend, welche mit dem Postamt der Hauptstadt
durch die einzige drei Kilometer lange Telegraphenlinie des Hawaiischen
Königreichs zusammenhängt. Diamond Head ist 230 Meter hoch und sieht von
unten nicht aus wie ein Vulkan, es scheint vielmehr eine gradlinige
steile Felswand zu sein, von zahlreichen tiefen senkrechten Schluchten
durchfurcht, an welche sanfter geneigte Geröllböschungen sich anlehnen.
Aber wir stehen auf einem so durchaus vulkanischen Boden, dass wir uns
nachgerade gewöhnen, in dem Gipfel einer jeden isolirten Erhebung einen
erloschenen Krater zu finden.

Als Hauptmerkwürdigkeit der Umgebung gilt der »Pali«, ein steiler
Absturz an der Rückseite der Bergkette, welche den Hintergrund Honolulus
bildet, 9 Kilometer von der Stadt entfernt. Eine 600 Meter mächtige
Schicht der Erdrinde, durch vulkanische Kräfte emporgehoben, zerbarst
an den Kanten. Die südliche Hälfte ist stehen geblieben, die nördliche
wieder hinabgesunken, beinahe bis zum Niveau des Meeres. Die gewaltige
Bruchfläche ist der Pali. Fast kein Passagier des Dampfers, dem ein
Nachmittag in Honolulu zu Theil wird, versäumt dort hinauf zu reiten.

An einem der ersten Tage machte ich diese obligate Partie in Gesellschaft
jener fünf Engländer, welche dieselben Reiseziele wie ich verfolgten,
selbstverständlich zu Pferde. Denn auf Hawaii geht man fast niemals zu
Fuss. Der echte Hawaiier, gleichviel ob braun oder weiss, lässt für die
unbedeutendsten Wege die er zu machen hat aufsatteln. Die Pferde sind hier
lächerlich billig, fünfzig Dollars ist ein anständiger Kaufpreis. Um
fünf Dollars die Woche kann man das beste Reitpferd miethen, inklusive
Fütterung, Sattel und Zaumzeug. Dabei sind die Thiere unübertrefflich
zäh und im Allgemeinen hocherhaben über jene erbärmliche Sorte, die
man bei uns gewöhnlich zu miethen bekommt. Mark Twain hat sie schwer
verleumdet. Ein einziges mal passirte es mir, dass ich einen faulen und
störrischen Häuter erhielt, dem ich beim Gallopiren beständig den
Takt dazu auf sein Hintertheil peitschen musste, und der mich an jeder
Strassenecke abwarf, indem er blitzschnell herumbog, wenn ich nicht Acht
gab.

Eine guterhaltene belebte Strasse führt durch das Nuuanuthal in die Berge
hinein. Links und rechts zuerst die nicht enden wollenden Landhäuser und
Gärten des vornehmen weissen Viertels. Man passirt die Kirchhöfe, das
Mausoleum der fünf Kamehamehas, die Eisfabrik. Mehrmals kreuzt der im
Zickzack herabtosende Nuuanubach den Weg, Tarosümpfe, die er bewässern
muss, zu beiden Seiten. Es geht immer höher und höher. Eingeborene,
Männer und Weiber, auf Pferden und Maulthieren, in bunten Farben und
blumenbekränzt begegnen uns und sprengen mit einem freundlichen »Aloha«
vorüber. Die Gegend wird schroffer. Auf schmalen Grasterrassen über
kahlen Felswänden weiden Rinder und rufen heimathliche Erinnerungen aus
den Alpen wach. Nur die fremdartige Erscheinung der silberglänzenden
Kukui-Büsche, die in grosser Ausdehnung hie und da die steilen Abhänge
dicht überziehen, zerstört die Illusion. Der Kukui ist derselbe Aleurites
triloba, aus dessen Nüssen auf Viti so gelungene Kerzen gefertigt werden.
Auch hier auf Hawaii soll man sich ihrer in der nämlichen Weise bedient
haben.

Es wird feuchter und kühler oben, und der Passat, den wir unten als
angenehmen Zephyr empfanden, weht uns durch die Scharten der zackigen
Bergesgipfel als ein rauher, frostiger Sturmwind entgegen, zerrissene
Nebelmassen vor sich her treibend. Endlich sind wir am Ziel. Noch eine
Ecke, und ein Panorama von ergreifender Grossartigkeit thut sich
auf. Erschrocken reissen wir die dampfenden Pferde zurück. Der Boden
verschwindet plötzlich und stürzt zu einem schauerlichen Abgrund hinab.

Tief unter uns entfaltet sich eine herrliche Ebene. Der dunkelblaue Ozean
steigt zum Horizont in die Höhe, weissglänzende Schaumlinien der Brandung
umsäumen mäandrisch smaragdene und violette Tinten. Und innerhalb dieser
begrenzt ein schimmernder Streif sandigen Ufers das im schönsten Grün
prangende Tiefland. Keine dürren wüstenartigen Flächen wie im Süden
an der Leeseite der Insel. Alles strahlt im wärmsten Sonnenschein unten,
während uns selbst vorüberziehende Wolken beschatten.

Wir stehen auf klassischem Boden. Hier focht der grosse Kamehameha I. die
letzte von den sieben Schlachten, durch die er die geeinigte Herrschaft der
Hawaiischen Inseln erzwang. Tausend Feinde, der letzte Rest von Widerstand,
wurden hier hinabgedrängt. Was für ein gewaltiger Schauplatz für eine
Schlacht. Wie mag es getobt haben auf diesen rauhen, felsigen,
düster bewölkten Kanten vom wilden Verzweiflungskampf, vom trunkenen
Freudengeheul der Sieger, vom ohnmächtigen Wuthgebrüll der Besiegten, die
ein letztes mal sich aufrafften, im Angesichte des Todes mit grimmigem Hass
noch schnell ihr Leben zu rächen, ehe sie schaarenweise hinabstürzten und
in der grausigen Tiefe zerschmettert wurden.

Eine steile Strasse ist jetzt in die Felswand gehauen und führt
zickzackförmig hinab. Winzig klein bewegen sich schwarze Pünktchen unten
auf ihr entlang. Es sind Reiter, die einem Dorfe am Meeresstrand zueilen,
welches halb unter Palmen versteckt mit scharfen Augen eben noch erkennbar
ist.

Es war mein erster Ritt wieder nach langer Zeit und unmittelbar nach den
erschlaffenden Einwirkungen einer zwölftägigen Seereise in tropischer
Hitze. Und da ich überhaupt zu der ehrsamen Zunft der Sonntagsreiter
gehöre, vermochte ich kaum mehr mich im Sattel zu halten, als wir durch
das belebte Chinesenviertel zurückkehrten. Links und rechts stoben
zähnefletschend die bezopften Mongolen auseinander. Schliesslich fiel noch
ein armes unvorsichtiges Huhn den Hufen meiner Rosinante zum Opfer. Der
Eigenthümer, ebenfalls ein Chinese, kam kreischend ins Hotel gelaufen, das
Corpus delicti in der Hand und eine Schaar Freunde als Zeugen im Gefolge.
Ich musste bezahlen.



XIX.

VON HONOLULU NACH HILO.

  Ihre Königliche Hoheit Ruth Keelikolani. Morgentoilette der
  Reisegesellschaft. Lahaina und Kawaihae. Das Hotel zu Hilo. Unser
  Vergnügungskommissär Hapai. Brandungschwimmen. Die höhere weibliche
  Schuljugend im Bade. Hula Hula und Konzert. Der Rainbow Fall.


Die Verbindung zwischen den Inseln wurde damals hauptsächlich durch den
königlichen Poststeamer Kilauea, der etwa so gross wie ein Helgoländer
Dampfer und bereits so altersschwach und baufällig war, dass er
unterdessen wahrscheinlich zu existiren aufgehört hat, vermittelt. Jeden
Montag ging er von Honolulu ab, dreimal im Monat nach Maui und Hawaii und
einmal nach Kauai.

Am 21. August schiffte ich mich nebst meinen fünf Engländern auf ihm
ein, um nach Hilo, der Hauptstadt der grössten Insel Hawaii, zu fahren und
von dort aus den berühmten Vulkan Kilauea zu besuchen. Fast gleichzeitig
mit uns verliess der Schuner, der die vierzehn Leprosen nach Molokai
bringen sollte, den Hafen von Honolulu. Wir kamen gerade noch recht,
um Zeugen einer ergreifenden Abschiedsszene zu sein. Sechs Polizisten
eskortirten die traurige Schaar, hinterdrein folgten jammernd und weinend
die Angehörigen der armen Verbannten wie bei einem Leichenbegängniss. Sie
schieden auf Nimmerwiedersehen.

Es war fünf Uhr Nachmittags, als wir uns an Bord des Kilauea begaben.
Eine bunte Menge von Kanakas und Weissen, von Pferden und Wagen umstand
die Abfahrtstelle. Ganz Honolulu schien wieder auf den Beinen zu sein, dem
Dampfer das Geleit zu geben.

Man sagte, eine Prinzessin sollte mit uns nach Hilo gehen, und bald fand
ich unter dem Gewimmel, welches das Schiff erfüllte, Ihre Königliche
Hoheit heraus. Es war dieselbe kolossal fette alte Person, welche ich
kurz vorher auf der Strasse in einem eleganten Buggi eigenhändig hatte
vorbeikutschiren sehen, während ihre Begleiterin respektvoll einen
Sonnenschirm über sie hielt. Jetzt sass sie unter dem Leinendach des
Achterdecks, umgeben von ein paar vornehmen Hawaiierinnen, schwitzte und
athmete mühsam unter der Last ihres Fettes und glich mit ihrer breiten
gespaltenen Doppelnase und ihren strotzenden Fettwülsten am Halse einem
abgehetzten Bullenbeisser. Stupid sah sie gerade vor sich hin und empfing
apathisch die Huldigungen, die ihr zu Theil wurden, indem mehrere Männer,
unter diesen auch der Kronprinz, ehrfurchtsvoll entblössten Hauptes sich
zu ihr herandrängten, um ihr die Hand zu küssen. Auch drei oder vier
Weisse die ich kannte sah ich auf solche demüthige Weise ihr huldigen, sah
wie auch sie mit entblösstem Haupt auf die Hand des stupiden Fettscheusals
sich niederbeugten. Ich musste mich abwenden, ich fühlte, dass sie sich
vor mir schämten. Ruth Keelikolani wie die Prinzessin, eine Halbschwester
der beiden letzten Kamehamehas, heisst ist nämlich sehr reich, und Mancher
hofft aus ihrer Gunst Gewinn zu schlagen.

»Acht geben auf die Pferde« lautete das vorsorgliche Kommando
des Kapitäns, und die Dampfpfeife brüllte zum Zeichen, dass alle
Nichtpassagiere das Schiff zu verlassen hätten. Glücklicher Weise blieben
nur Wenige von der grossen Menge an Bord und wir bekamen Luft. Der Dampfer
trennte sich von dem Kai, heftiges Winken mit Taschentüchern von hüben
und drüben, und wir bewegten uns vorwärts, ein schönes lebensvolles
Bild von braunen Gesichtern, glänzenden Augen, grellen Gewändern und
Blumenguirlanden am Ufer zurücklassend. Einem von unserer Gesellschaft
entführte ein Windstoss seinen Strohhut ins Wasser, und sogleich war ein
Kanuu darauf aus, packte den Deserteur und brachte ihn freundlich zurück,
ohne dass eine Belohnung gereicht werden konnte. Welcher Jollenführer in
Hamburg, New York oder London hätte dasselbe gethan?

Die Prinzessin hatte für sich eine breite Bettstelle mit einem Zeltdach
darüber auf Deck stehen. Im weiteren Verlauf unserer Beobachtungen
kam auch ein weisser Topf zum Vorschein, dessen mächtiges Kaliber uns
anfänglich über seine Bestimmung in Zweifel liess, bis wir durch einen
unzweideutigen Akt in Klarheit versetzt wurden. Es dauerte nicht lange, so
fing sie an ihre Abendmahlzeit zu nehmen. In einer Kürbisschüssel
wurde ihr Poi gereicht, den sie in der üblichen Weise mit Zeige-
und Mittelfinger heraustunkte, und auf einem Porzellanteller etliche
salzbestreute rohe Fische, die sie schnell mit den Händen packte und einen
nach dem anderen gierig verschlang, indem sie wohlig schmatzte. Danach
bekam die Dienerschaft, zwei ältliche Burschen und eine junge hübsche
Kammerzofe, ein aus denselben Artikeln bestehendes Essen. In dieser
Beziehung sind die Hawaiier noch immer die alten Barbaren und werden
es bleiben, bis sie vom Erdboden verschwinden, trotz Konstitution und
Parlament.

Auch der Gouverneur von Hawaii, Seine Excellenz Samuel Kipi, fuhr mit uns
nach Hilo, und ich wurde ihm vorgestellt. Er ist ein äusserst würdig und
anständig aussehender strammer alter Herr in untadelhafter europäischer
Kleidung. Aber auch er ging nicht wie wir in die Kajüte zur Tafel, sondern
blieb oben auf Deck bei der Prinzessin sitzen und schmatzte mit rohen
Fischen und Poi herum. Ich habe überhaupt nie einen Hawaiier auf unsere
Weise essen sehen. Sie sind hierin konservativer als die Maoris, ihre nahen
Verwandten.

Die Nacht brach herein. Wir hatten unsere Betten auf Deck tragen lassen, um
kühler zu schlafen. Die See wurde unruhig, ein heftiger Wind blies in das
einzige Gaffelsegel und legte das Schiff stark auf die Seite, so dass wir
beständig nach dem Geländer hinunterrutschten und nur wenig schlafen
konnten. Ueberall regten sich die Qualen Neptuns unter den Passagieren.
Rechts von mir stöhnte ein seekranker Chinese, links schnarchte die dicke
Königliche Hoheit in ihrer Zeltbettstatt. Ich sah beinahe den ganzen
Sternenhimmel sich umdrehen, ohne ein Auge zuzuthun.

Morgens um vier, als es eben dämmerte, ankerten wir vor Lahaina auf der
Insel Maui, der ehemaligen Hauptstadt der ganzen Gruppe, einer schönen,
gartenreichen Ortschaft mit einer weissgetünchten Kirche und mehreren
grösseren Gebäuden, hellgrüne Zuckerfelder zu beiden Seiten und im
Hintergrund, der zu den kahlen Bergen ansteigt. Einige Passagiere und
Waaren wurden hier in Böten gelandet, dann gings wieder fort.

Vor uns trat die untere Hälfte des mächtigen 3000 Meter hohen Haleakala,
des »Hauses der Sonne«, der den grössten erloschenen Krater der Erde
von 27 englischen Meilen oder 43 Kilometer Umfang auf seinem Gipfel
trägt, immer deutlicher in die Augen, die obere Hälfte mit dunklen
Wolken verhüllt. Zur Rechten deckten die Inseln Kahoolawe und Molokini
den Meereshorizont, wir waren ringsum von Land umgeben. Ueberall hohe kahle
Berge, in deren Geröllböschungen winzig erscheinende Häuser eingestreut
sind.

Wir fuhren jetzt unter dem Schutz der Inseln in ruhigem Wasser, und Alles
an Bord wurde lebendig. Auch die dicke Königliche Hoheit war schon auf,
hatte sich bereits eine Portion roher Fische und eine Schüssel Poi ins
Bett reichen lassen, und guckte nun vergnügt mit dem Ausdruck eines
gutgelaunten Bulldoggs durch den Spalt ihres Leinwandkäfigs ins Freie.

Als ich unten in der gemeinschaftlichen Kajüte Toilette machte, hatte
ich Gelegenheit einer That zartester Galanterie beizuwohnen. Die hübsche
Kammerzofe kam die Treppe herab um etwas zu holen. Es wurde an der Thür
eben aufgewaschen und der Boden war voll Wasser. Sogleich sprang der
Steward, ein Kanaka wie fast die ganze Mannschaft, herbei und setzte seinen
Fuss in die Nässe, damit sie auf ihm trocken hinüberschreiten konnte.
Allerdings geschah diese Aufmerksamkeit nicht ganz uneigennützig. Denn
während sie sich Dank lächelnd des männlichen Fusses als Tritt bediente,
umschlang sie der kühne Jüngling und drückte ihr einen lauten Kuss auf
die Lippen, was sie sich sehr gerne gefallen liess.

Mit uns auf dem ersten Platz fuhr noch eine weisse Dame mit zwei kleinen
Mädchen, die jedoch alle drei grösstentheils in ihren Kojen blieben, da
sie seekrank waren, und etwa zwei Dutzend eingeborene Weiber, Männer und
Kinder, die auf Deck herumlagen. Vorne auf dem zweiten Platz war es etwas
voller. Der Hauptunterschied zwischen der Weiblichkeit erster und zweiter
Klasse war, dass die einen des Morgens ihre Unterextremitäten ziemlich
ungenirt mit weissen Strümpfen und zierlichen Stiefelchen schmückten,
die anderen jedoch barfüssig blieben. Alle aber, selbst die ältesten
reizlosesten Matronen, bekränzten sich beim Erwachen des Tages mit
frischen Blumen- und Blätterguirlanden. Dann zogen sie enge Holzpfeifen
aus dem Busen und liessen sie im Kreise herumgehen. Den Tabak hatten sie in
alten blechenen Pulverflaschen bei sich und klopften ihn erst auf die
Hand. Spangen von bunten Muscheln wurden um die Arme befestigt, Ringe mit
falschen Edelsteinen glitzerten an den Fingern, einige indess hatten nur
tätowirte Ringe. Golden stieg die Sonne hinter den Wolkenbänken
des Haleakala empor und bestrahlte leuchtend unsere malerische
Reisegesellschaft.

In der Makena-Bucht legte sich der Kilauea an eine Boje, um Bauholz zu
landen. Da dies einige Zeit in Anspruch nahm, liessen wir uns ans felsige
Ufer setzen. Mehrere grosse, breite und schwere Blockwagen mit je acht
Paar langhörniger Ochsen bespannt warteten hier, um die Balken ins
Innere abzuführen, eine Schaar Bummler lungerte herum, und ein Rudel
schwarzäugiger Mädchen lachte mich kichernd aus, als ich zwischen der
Brandung nach Schnecken und Krabben suchte.

Wir verliessen den Schutz der Insel Maui und kamen nun wieder, quer nach
Hawaii hinübersteuernd, in offenes Wasser. Scharf blies der Nordostpassat
durch die 30 Seemeilen breite Lücke über die weissen Kämme der Wellen
hin, und wieder fing die Seekrankheit an zu wüthen. Bisher hatten die
Kanakafamilien an langen Zuckerrohrstangen gekaut oder aus ihren kurzen
dünnen Holzpfeifen Tabak geraucht. Jetzt griffen sie wieder der Reihe nach
zu jenen fatalen Gefässen, die hier eine ebenso bedeutende Rolle spielen,
wie zwischen Kuxhaven und Helgoland.

Immer deutlicher traten die kolossalen Massen des Haleakala hinter uns
heraus. Seine graue Kappe löste sich vor den Strahlen der Sonne, und ein
Kegelberg von den gewaltigsten Dimensionen erhob er sich aus dem Ozean.
Riesige Schluchten zerklüfteten radienartig seine stetig und fast ohne
Brechung ansteigenden Wände in ebensoviele gewaltige Pfeiler von 1000
Meter Höhe, die weit und mächtig in die brandende See vorsprangen. Nicht
die Spur einer Vegetation war an ihnen zu entdecken. Die schroffen Flächen
schienen vollkommen kahl zu sein. Unten durchbrachen hie und da kleinere
sekundäre Vulkane den Boden. Wolkenschatten flogen gleich blauen Inselchen
darüber hin.

Gegen Abend ankerten wir in der Kawaihae-Bucht an der Westseite der grossen
Insel Hawaii. Von hier kehrten wir wieder zurück und fuhren um das Nordkap
herum nach der östlichen Seite, auf deren Mitte ungefähr die Hauptstadt
Hilo liegt. Kawaihae war früher ein sehr bevölkerter Platz und
besteht jetzt nur mehr aus wenigen Häusern. Die Trümmer eines alten
Heidentempels, welcher noch zu Anfang dieses Jahrhunderts zahlreiche
Menschenopfer gesehen haben soll, erinnern an die einstige Grösse.

Es wurde rasch dunkel, und wie wir nach einer besseren Nacht als der
vorhergehenden erwachten und um uns blickten, hatten wir die bald schroffe,
bald anmuthige, stets aber grossartige Nordostküste Hawaiis ganz nahe zu
unserer Rechten. Ueberall stieg das Land in steilen Wänden, deren Höhe
zwischen 20 und 200 Meter auf und ab undulirte, empor. Wasserfälle
stürzten von ihnen in wenigen Absätzen rauschend herab, so häufig, dass
wir fast immer einen in Sicht hatten. Von den Kanten zogen sich, hier auf
der stets befeuchteten Windseite besser gedeihend, Flächen von dunkeln
Ohiawäldern wechselnd mit helleren Zuckerplantagen sanftansteigend zu den
beiden Riesen Maunaloa und Maunakea, die noch verschleiert vom Morgendunst
den Hintergrund als dunkle Mauer bildeten, hinauf. Ein paar kleine
Ortschaften mit reinlich weissgetünchten Kirchen guckten verstohlen aus
grünen Schluchten.

Um eine Ecke biegend gelangen wir in die Byron Bai und sehen Hilo vor uns.
Ebenso gartenreich oder noch gartenreicher als Honolulu, erhält dieses
reizende Städtchen von kaum 1000 Einwohnern durch zwei hohe Kirchen, von
welchen die eine, die katholische, Doppelthürme im Jesuitenstyl besitzt,
einen fast europäischen Anstrich.[8]

  [8]: Durch die grosse Fluthwelle des Erdbebens von Peru im Sommer 1877
  wurde Hilo in seinen unteren Partieen gänzlich zerstört, und über
  100 Menschen kamen dabei um.

Die ersten Eindrücke, die wir empfingen, als wir in Hilo das Land
betraten, liessen nichts zu wünschen. Ueberall freudig mit Blumenkränzen
geschmückte hübsche Mädchen, überall freundliche, einladende Gesichter.
Selbst die zahlreichen Chinesen, welche beinahe die ganze dem Kai
zunächstgelegene Strasse okkupiren, schienen hier weniger abstossend zu
sein.

Ein Chinese von sehr anständigem Aussehen war es auch, den uns der
liebenswürdige Kapitän des Kilauea als Hotelwirth rekommandirte. Ein
Dutzend Kanakas ergriff diensteifrig unser Gepäck und wir folgten ihnen
nach dem Hotel, einem einfachen Gartenhaus mit Veranda, welches weiter oben
in der dritten oder vierten Parallelstrasse lag und in dem wir aufs beste
untergebracht und verpflegt wurden. Zwei Halbchinesen, Vettern des Wirthes,
von denen namentlich der Aeltere, Hapai, rühmlichst genannt zu werden
verdient, nahmen sich mit grösster Hingebung der Bedienung an.

Unsere erste Sorge war ein Süsswasserbad aufzusuchen, und Hapai führte
uns nach dem Wailuku, der sich gleich neben Hilo in das Meer ergiesst.
Ein wilder Gebirgsfluss braust der Wailuku durch romantisch zerklüftete
Schluchten von Lavafelsen herab aus dem Maunakea, zwischen hohen schwarzen
Blöcken in mehrere Arme zersplitternd, sich wieder vereinigend, hier in
Wasserfällen hinunterstürzend, dort über breitere Betten von Rollsteinen
dahinschäumend, grossartig und wild wie Alles auf diesen Inseln.
Seitlich von der reissenden Strömung des Flusses haben sich stufenförmig
übereinander mehrere geräumige Tümpel mit ruhigerem Wasser gebildet,
welche zum Baden dienen. Bizarre Pandanusbäume, festgeklammert an den
Wänden mit ihren sperrigen Wurzelpyramiden, hängen von oben herab und
wiegen rauschende Büschelköpfe im lauen Passatwind. Auf dem anderen Ufer
wuschen einige Weiber. Sie sassen dabei sammt ihren weissen Hemden bis zum
Nabel im Wasser und riefen uns fröhlich »Aloha« herüber.

Nach dem Bade gingen wir an den Strand und liessen uns das berühmte
Brandungschwimmen produziren. Leider kommt dieser interessante Wassersport
der Kanakas immer mehr ausser Uebung. Namentlich die Bevölkerung von Hilo
soll ehemals sehr geschickt darin gewesen sein. Kein Theil der Küste
von Hawaii ist geeigneter, jene imposanten bis zu vier Meter hohen lang
ausrollenden Wogenketten zu erzeugen, als der flache Strand der Byron Bai,
gerade dem Ozean und dem Nordostpassat entgegen geöffnet. Nur drei Brüder
verstehen sich noch aufs Brandungschwimmen und erboten sich, gegen je einen
Dollar ihre Künste zu zeigen.

Sie holten ihre zu diesem Zweck dienenden Bretter, etwa anderthalb
Mannslängen hoch, eine Armlänge breit, aus schwerem Holze, sehr dünn
und mit scharfen Rändern, herbei und gingen mit ihnen, bis auf den Maro
entkleidet, ins Meer hinaus. Untertauchend, so oft eine überschäumende
Woge herankam, durch die Wogenthäler theils schwimmend, theils mit den
Füssen vom seichten Grunde sich abstossend, entfernten sie sich schneller
als ich es je für menschliche Lungen möglich gehalten hätte immer
weiter und weiter vom Lande. Wir setzten uns auf die Spitze eines dem Ufer
entsteigenden Lavafelsens und sahen ihnen durch Ferngläser nach, bis
sie nur mehr als schwarze Pünktchen im Gischte der flachen Brandung zu
erkennen waren. Dann schwangen sie sich plötzlich auf ihre Bretter und
kamen langsam wieder näher. Auf welche Weise dies geschah, konnte ich
anfänglich nicht unterscheiden. Sie bewegten sich nicht in der Richtung
der See dem Lande zu, sondern schräg zu dieser im Zickzack kreuzend,
so dass sie einmal auf der uns zugewendeten, dann wieder auf der
entgegengesetzten Böschung abwärts und aufwärts glitten. So eilten sie
den Wogen voran. Während sie in das Thal hinabschossen, legten sie sich
flach mit dem Bauch aufs Brett und nahmen die Hände als Ruder benützend
einen Anlauf, um über die vorne rollende Woge hinauf und durch den
schäumenden Kamm zu gelangen. Waren sie glücklich oben, so sprangen sie
auf die Knie oder auch wohl auf die Füsse und schwebten einen Augenblick
aufrecht über dem Wasser. Nicht immer gelang ihnen dies, und zuweilen
warfen sie um und verschwanden. Aber gleich waren sie wieder auf ihrem
Brett und glitten wieder über die See dahin. Mehrmals gingen sie noch
hinaus, um von Neuem ihr anmuthiges Spiel zu zeigen, bis wir genug hatten.

Die drei Dollars, welche die drei Brüder auf solche Weise verdienten,
schienen den gesammten Jungen von Hilo einen Impuls zu geben, sich
gleichfalls im Brandungschwimmen zu versuchen, und als wir gegen Abend
wieder an den Strand kamen, arbeiteten ihrer mehrere Dutzend mit Brettern
im Wasser herum, jedoch ohne etwas Nennenswerthes zu leisten. Die
schöne Sitte, an der sich früher Alles, auch das zarte Geschlecht nicht
ausgenommen, betheiligte, schwindet dahin wie die Hawaiier selbst.

Weiter gegen das östliche Ende der halbkreisförmigen Byron Bai, welches
das kleine Coconut-Inselchen markirt, da wo die Brandung weniger stark war,
wurde gefischt. Unter lautem Geschrei betheiligten sich Männer und Weiber
an diesem Geschäft. Die Männer mit kurzen Hemden bekleidet oder nackt
bis auf den niemals fehlenden Maro, die Weiber sammt ihren hellfarbigen,
prangend grünen und rothen Gewändern, wateten sie in grösseren
Gesellschaften den anrollenden Wellen, die ihnen jedesmal bis zu den
Hüften stiegen, entgegen und hielten grosse Netze horizontal ausgespannt
unter die Oberfläche des Wassers. Ich konnte jedoch nichts bemerken, was
einem gefangenen Fisch glich. Ein dicker Polizist mit Käpi, Messingschild
auf der Brust und einem Stock in der Rechten promenirte auf dem Strand und
schien die Aufsicht zu führen.

Unser Hapai, der sich zu der Rolle eines Vergnügungskommissärs berufen
fühlte, rieth uns, nach Tisch abermals an den Wailuku zu gehen, weil um
diese Zeit die höhere weibliche Schuljugend sich dort einzufinden und zu
baden pflege, und gerne folgten wir seinem angenehmen Vorschlag.

Der Badeplatz war noch leer. Drüben am anderen Ufer sassen dieselben
Frauenzimmer, die wir schon Vormittags gesehen hatten, noch immer im Wasser
und wuschen. Wir warteten nicht lange als wir über uns auf der Kante
jugendliche Stimmen hörten. Eine Schaar Mädchen von 14 bis 18 Jahren, in
hellen Gewändern und blumenbehangen, blickte herab, etwas enttäuscht und
betroffen über unsere Anwesenheit. Sie debattirten hin und her, kicherten
und zogen sich zurück, aber nur, um nach wenigen Minuten zwischen
den schwarzen Blöcken des Ufers wieder zu erscheinen, einen Steinwurf
unterhalb der Stelle, an der wir sassen.

Im Nu waren sie entkleidet und schwammen, ihr Bündel mit dem rechten
Arm hoch in die Luft haltend und das Gesicht von uns abgewandt, durch die
reissende Strömung nach der gegenüberliegenden Seite. Sie schienen in
Bezug auf ihre Kleider uns nicht zu trauen und hatten dabei vielleicht
nicht ganz Unrecht. Um die Exponirung ihrer Reize waren sie jedoch weniger
besorgt. Vollständig nackt sprangen sie glatt und geschmeidig von einem
Block zum andern, um oberhalb den Fluss nochmals zu kreuzen und zu unserem
Badetümpel zu gelangen. Hier sprangen sie von einem Felsen herab und
machten vorwärts und rückwärts Purzelbäume ins Wasser. Sie hatten
augenscheinlich die Absicht, uns mit ihren Künsten zu unterhalten,
was ihnen gewiss nicht übel gelang. Wir setzten uns nieder auf eine
natürliche Felsentribüne, drehten uns Zigaretten und klatschten Beifall,
während die liebenswürdigen Mädchen immer eifriger ihre Purzelbäume
zum Besten gaben. Es waren fast lauter üppige, verlockende Gestalten im
duftigen Reiz der eben vollendeten Formen, kleine bronzene Aphroditen,
für die moderne Kunst ohne die leiseste Idealisirung zu sinnlich
angekränkelten Statuetten verwendbar.

Auch eine von den Wäscherinnen drüben schwamm in ihrem Hemd herbei, um
sich vor uns zu produziren und ebenfalls Purzelbäume ins Wasser zu machen.
Bald merkte sie, dass sie im Hemd gegen ihre nackten Konkurrentinnen im
Nachtheil war und durchaus nicht denselben Beifall erntete. Sie liess es
fallen -- eine echte Tochter Evas. Noch mehr Weiber schwammen herbei,
auch manche ältere und unvermögend zu reizen, aber auch sie wollten sich
produziren und Purzelbäume machen, theils im Hemd theils ohne.

Schliesslich kam ein Kunststück, welches uns fast die Haare zu Berg trieb.
Unterhalb des Tümpels, vor dem wir sassen, theilt sich der Wailuku in
drei Arme, welche in enge aus mächtigen Lavablöcken gebildete Kanäle
eingezwängt, erst eine Strecke heftig dahinschiessen und dann als
zehn Meter hohe Wasserfälle frei in ein tieferes von steilen Wänden
umschlossenes Becken hinabstürzen. Mit Besorgniss sahen wir, wie die
Mädchen den gefährlichen Kanälen sich immer mehr näherten. Wir trauten
kaum unseren Augen, sie schienen gerade in die wildeste reissendste
Strömung zu steuern. Die Strömung ergriff sie und führte sie fort, sie
verschwanden. Entsetzt sprangen wir über die nächsten Blöcke, um, wie
wir fest glaubten, die Unvorsichtigen unten zerschmettern zu sehen. Aber
zu unserem Erstaunen tauchten sie wieder empor aus dem schäumenden Wasser,
riefen lachend uns zu, ihnen zu folgen, und kletterten gewandt an
den Wänden in die Höhe, um von Neuem das waghalsige Schauspiel zu
unternehmen. Spöttisch freuten sie sich, dass uns ihre Leistungen so sehr
imponirten.

»Ich wette, das wagen Sie doch nicht« neckte man mich, und unten winkte
gerade eine besonders verführerische kleine Sirene. Ich wettete, warf
meine Kleider ab und sprang in den Fluss, und eine Minute später hatte
ich etwas gewagt, was ich kurz vorher für Wahnsinn erklärt hätte.
Pfeilschnell riss es mich, auf dem Rücken, die Beine voraus, zwischen den
Felsblöcken durch. Ich plumpste hinab, es wurde dunkel, es wirbelte
mich ein paar mal im Kreise, aber leicht und rasch arbeitete ich mich aus
ziemlich beträchtlicher Tiefe an die Oberfläche empor. Zweimal machte
ich diese wilde Wasserfahrt, ohne jemals an eine der vielen Unebenheiten zu
stossen. Ich fühlte deutlich, wie der heftige Zug der Strömung gleichsam
federte über den scharfen Zacken, als ob sie gepolstert wären. Viel
schwieriger war es, aus dem Abgrund wieder zurückzuklettern, und kaum
würde ich den Weg gefunden haben, wenn nicht die braunen Genossinnen des
Bades mich geleitet hätten. Hapai der uns nachgegangen war, warnte mich,
dass schon mancher da drunten stecken geblieben und nicht wieder zum
Vorschein gekommen sei. Deshalb stand ich von weiteren Experimenten ab,
froh um eine interessante Erfahrung reicher zu sein.

Für den Abend hatte unser Hapai die nationale »Hula Hula« genannte
Tanzproduktion arrangirt. Zwei Tänzerinnen und drei Musikanten, alle
natürlich blumengeschmückt, erschienen im Salon des Hotels, und eine
Menge neugieriger Zuschauer folgte ihnen.

Der Hula Hula geniesst den Ruf, unter den vielen lasziven polynesischen
Tänzen der laszivste zu sein, und was ich davon, obgleich abgeschwächt
durch die dem Fremden gegenüber stets beobachtete grössere
Zurückhaltung, zu sehen bekam, schien mir dies wohl zu rechtfertigen.

Zuerst setzten sich die Tänzerinnen sowohl als auch die Musikanten mit
gekreuzten Beinen in zwei Reihen auf den Boden und erhoben einen gellenden
Wechselgesang, indem sie bald langsam und feierlich, bald rasch und
leidenschaftlich den Oberkörper und die Arme hin und her warfen und kleine
birnförmige Kalebassen die mit Steinchen gefüllt waren in den Händen
schüttelten, was einen heillosen rasselnden Lärm hervorbrachte. Die
Melodie, zwar ewig in zwei Sätzen wiederkehrend, war viel komplizirter als
die beim Haka der Maoris und beim Meke Meke der Vitis gehörten. Die zwei
Tänzerinnen trugen einen dem Hula Hula eigenthümlichen Schmuck um die
nackten Knöchel, bauschige Wülste aus dunklen Vogelfedern, zwischen
welchen Hundezähne befestigt waren. Sie hatten nicht den gewöhnlichen
langen losen Talar an, sondern eine Art Mieder und aufgeschürzte, um die
Taille gebundene Röcke. Ehemals beschränkte sich das Tanzkostüm auf
Blumenkränze in den Haaren und um die Brüste, auf die Knöchelwülste
und auf ein kurzes Röckchen, welches nur dazu diente, empor geschnellt zu
werden. Jetzt herrscht beim Hula Hula in der Regel ein höherer Grad
von Bekleidung bis zu jener höchsten Dezenz hinauf, welche Pluderhosen
vorschreibt. In vertrauten Kreisen soll allerdings die ursprüngliche
Einfachheit noch immer sehr beliebt sein.

Nach einiger Zeit sprangen die beiden Frauenzimmer auf und begannen nun
stehend, ohne ihre Plätze zu verändern, unter den nämlichen wilden
Geberden, unter dem nämlichen wilden Schreien und Rasseln höchst
unzüchtige Bewegungen mit dem Becken zu verüben. Immer hastiger und
erregter wurde ihr Toben, die Blumenkränze flogen zerrissen zu Boden, und
die braunen Zuschauer hinter unseren Stühlen geriethen in Begeisterung,
lachten laut und klatschten entzückt in die Hände und betheiligten sich
an dem Vergnügen, indem auch sie dieselben Hüftenbewegungen machten, so
weit es der dichtgedrängt volle Raum gestattete.

Nach mehrmaligen Pausen ging es immer in derselben Weise fort, die
Variationen schienen nur im Texte zu liegen, den wir nicht verstanden.
Einmal warfen sich die Musikanten, welche sitzen geblieben waren, auf
alle Viere nieder und führten in dieser Stellung wahrhaft bestialische
Zuckungen aus.

Wir hatten für die Tänzerinnen und Musikanten und für die zahlreichen
uneingeladenen Gäste Thee machen lassen, während wir selbst zu unseren
Spirituosen griffen, die wir von Honolulu mitgebracht, weil solche auf
Hawaii verboten sind. So kneipten wir eine Zeit lang miteinander während
immer mehr Neugierige kamen, zur grossen Entrüstung Hapais, der uns
bereden wollte, das ganze braune Publikum aus dem Hause zu jagen. Aber die
Kanakas waren so naiv liebenswürdig in ihrer Zudringlichkeit, dass wir
ihnen nicht böse sein konnten.

Als der Hula Hula vorüber war, fing draussen im Garten ein Rudel junger
Männer an, vierstimmige Lieder vorzutragen, die sie von den Missionären
gelernt hatten, und die mir wieder ein glänzendes Zeugniss ablegten von
der grossen musikalischen Begabung der Polynesier. Sie hörten schliesslich
gar nicht mehr auf zu singen, bis wir ihnen bedeuteten, dass es Zeit sei
schlafen zu gehen. Solange wir in Hilo waren, wiederholten sich jeden Abend
diese Konzerte.

Am nächsten Tag gingen wir aus, Pferde für die Kilaueapartie zu miethen.
Ein in Hilo ansässiger Engländer, an den wir Empfehlungen hatten, war uns
dazu behülflich. Fünfzehn Dollars ist der herkömmliche Preis für den
fünftägigen Ritt, wobei ausbedungen wird, dass im Fall des Verunglückens
eines der Thiere keine Entschädigung verlangt werden dürfe. Man brachte
uns etwa zwanzig Pferde und wir trafen unsere Wahl. Dann ritten wir, um
sie zu probiren, nach dem eine halbe Stunde entfernten Rainbow Fall. Der
Wailuku ergiesst sich dort 20 Meter tief in ein weites Becken. Der von
ihm emporgewirbelte Staubregen entwickelt im Glanz der Sonne und von
der entsprechenden Stelle aus gesehen jenes zarte Phänomen, dem die
Sehenswürdigkeit ihren Namen verdankt.

Nahe dem Wege stehen drei kleine kuppenförmige Hügel nebeneinander, mit
grüner Vegetation überzogen. Es sind zweifellos alte Vulkane, obwohl ich
nicht oben gewesen bin.



XX.

BESTEIGUNG DES KILAUEA.

  Wilder Ausritt. Das Halfway House zu Olaa. Der Krater thut sich auf.
  Das Volcano Hotel und seine Vorzüge. Besuch des kochenden Lavakessels.
  Mondschein und Hölle. Beschwerlicher Abstieg nach Puna. Erstarrte
  Lavaströme und eingestürzte Lavadome. Kapitän Eldart und sein
  Gehöft Kapoho. Die warmen Quellen. Awa und Brotfrucht. Glücklich
  wieder in Hilo.


Früh am folgenden Morgen rief uns ein lebhaftes Getümmel im Garten vor
dem Hotel aus den Betten. Obgleich wir schon gestern unsere Wahl getroffen
hatten, waren noch einige spekulative Kanakas mehr mit Pferden gekommen, in
der Hoffnung, vielleicht doch noch ein Geschäft zu machen.

Ueber eine Stunde verging, ehe wir wegkamen, ehe wir die Ausrüstung der
Pferde genau untersucht, ehe hier ein liederlich zusammengestoppeltes
Zaumzeug geflickt, dort ein halb durchgerissener Steigbügelriemen durch
einen neuen ersetzt, ehe alle die Satteltaschen gepackt und aufgeschnallt
waren. Den Kanakas ist in Dingen der Propretät niemals zu trauen, und in
Bezug auf ihre Thiere lügen sie wie alle Pferdeverleiher dieser schnöden
Erde. Ein paar Mädchen schmückten uns noch schnell mit Blumen und
Guirlanden. Dann schwangen wir uns in den Sattel, drückten den Hut fest in
die Stirn und gallopirten südwärts zur Ortschaft hinaus. Links und rechts
bellten wüthend die Hunde, und die halbe Einwohnerschaft lief auf die
Strasse uns ein freundliches »Aloha« nachzurufen.

Würde es einem gesitteten Staatsbürger zu Hause einmal einfallen, in
demselben Aufputz auszureiten, in dem wir damals mit Uebertreibung der
grelle Farben und Blumenschmuck liebenden Landessitte den Ritt nach dem
Kilauea antraten, er würde unfehlbar arretirt werden. Rock und Weste
hatten wir zu Hause gelassen, um das Scharlachroth unserer Garibaldihemden
zur Geltung zu bringen. Grosse dreizöllige Spornräder starrten uns von
den Stiefeln, buntes Troddelwerk und klirrendes Schellengeklingel bedeckte
das mexikanische Sattel- und Zaumzeug, und an den Hüten, um Hals und
um Brust hingen uns flatternde Guirlanden von Farnkraut und
weithin leuchtenden schwefelgelben Blüthen oder pomeranzengelben
Pandanusfrüchten.

Eben so wild wie unser Aufputz war unser Ritt. Der Weg war der
schlechteste, den man sich denken kann, und so schmal, dass wir eigentlich
nur in einer Reihe hätten reiten sollen, zu beiden Seiten Farn und Busch.
Ueberall nichts als glasharte Lava, in unzählige Schrunden und Blöcke
zerklüftet. Die Pferde drängten alle vorwärts, eines strebte dem anderen
zuvorzukommen, und mit einem Leichtsinn, der aller Vernunft Hohn sprach,
sprengten wir, eng in einander gekeilt, Knie dicht an Knie und uns
gegenseitig mit Armen und Beinen zurückreissend, rücksichtslos über den
gefährlichen Boden, durch das zerfetzende Gestrüpp. Unsere hawaiischen
Pferde, an solche rauhe Pfade gewöhnt und unübertrefflich zäh,
stolperten kaum ein einziges mal und flogen dahin wie auf einer ebenen
Chaussee.

Die Hetzjagd dauerte zum Glück nicht lange. Es ging mehrmals in steile
Gräben hinab, in denen unten sumpfige Tümpel waren, und Lavablöcke von
grösseren Dimensionen stemmten sich uns entgegen. Ueberall nichts als
Lava, glasharte, widerlich kratzende und knirschende Lava, die meistens
noch deutlich die Faltung ihres Gusses zeigte, als wäre die Masse eben
erst jetzt erstarrt. Stellenweise dröhnte es hohl unter den Hufen von
unterirdischen Räumen. Trotz der Frische des noch wenig verwitterten
Bodens war doch schon eine reichliche Vegetation aus den Schrunden
emporgesprosst. Ein nicht sehr dichter Wald von Ohiabäumen, an denen
sich Schlingpflanzen mit schönen rothbraunen Blüthen hinaufrankten, mit
eingestreuten Pandaneen folgten auf Farnkrautbestände, die an Neuseeland
erinnerten. Die Sonne brannte glühend heiss herab, und da wo der Busch
nicht dicht und nicht hoch genug war, um Schatten zu gewähren, rieselte
uns und den Pferden der Schweiss von den Gliedern.

Die Entfernung von Hilo bis zum Krater beträgt 29 englische Meilen oder
44 Kilometer. Im Halfway House zu Olaa, einem Platz, der nur aus drei oder
vier zwischen Felsen, Gebüsch und spärlichen Wiesenfleckchen zerstreuten
Hütten besteht, machten wir Mittag. Wir nahmen unseren Pferden Sattel und
Zaum ab und liessen sie grasen. Einige Hühner erlitten den Tod, und bis
sie gebraten waren, legten wir uns in den kühlen Schatten des Wirthshauses
und liessen unter den Händen brauner Mädchen das »Lome lome« über uns
ergehen. Diese nach einem anstrengenden Ritt höchst erquickende Prozedur
besteht in dem kunstgerechten Kneten der Muskeln des Rumpfes, der Beine und
Arme und bildet einen Theil der landesüblichen Gastfreundschaft, der
dem eben angekommenen Fremdling auf sein Verlangen und oft auch ohne sein
Verlangen geleistet wird. Kaum ist man irgendwo in einem Dorfe vom Pferde
gestiegen und hat sich müde auf der Erde ausgestreckt, als auch sogleich
ein paar Frauenzimmer nebenan Platz nehmen und erst schüchtern, dann immer
dreister und eindringlicher zu kneten beginnen.

Bis zum Ziele unserer Partie ging es immer durch dieselbe Landschaft von
dünnem Busch und Farnkraut, immer über denselben knirschenden, glasharten
Boden fort. Höchstens dass hier und da in einer Vertiefung so viel Humus
angesammelt war, dass die Hufe auf einige Schritte zu kratzen aufhörten
und dadurch dem gequälten Ohr eine angenehme Rast gewährten.

Ich war in Bezug auf die Wahl meines Pferdes der glücklichste von uns
allen gewesen. Und auch mein Pferd durfte mit seinem Loose zufrieden sein,
denn ich war der leichteste Reiter der Gesellschaft. Es war dafür auch
allen anderen voran, und während hinter mir ein paar kurzathmige Häuter
bereits erbärmlich keuchten, und klatschende Hiebe und Flüche auf die
armen Thiere herabregneten, brauchte ich nur ein wenig mit der Zunge
zu schnalzen, um meinen Grauschimmel aufzumuntern. Auch verstand er das
Terrain viel besser als ich und wusste genau Bescheid, wann er gallopiren
oder traben durfte, und wann er im Schritt gehen musste, und kletterte so
geschickt über Lavablöcke und stieg so sicher und vorsichtig in die jeden
Augenblick unseren Pfad kreuzenden Gräben hinab, dass ich ihn ganz sich
selbst überlassen konnte.

So schlängelte sich unser Ritt ermüdend unter beständigem Wechseln
der Gangart über Felsen und Schluchten, durch sumpfige Mulden und über
glasharte vor wenigen Jahren noch feurigflüssige Lava dahin, links und
rechts in den engen Saumpfad hereinreichendes Gebüsch, welches uns
ins Gesicht schlug und an den Steigbügeln zerrte. Ein lechzender Durst
peinigte uns, und wo wir eine vom Regen der letzten Nacht zurückgelassene
Pfütze fanden, stiegen wir ab, legten uns auf den Bauch und schlürften
mit dem Munde das schmutzige Wasser. Keine prangenden Blumenguirlanden
schmückten mehr unsern Körper, wir hatten sie weggeworfen, und nichts
erinnerte mehr an die Farbenpracht des Morgens, als die rothen Hemden, an
denen die moorige Erde haftete.

Wir merkten nicht, dass wir höher stiegen. Der Krater Kilauea ist kein
Berg im gewöhnlichen Sinne des Wortes, er liegt blos 4000 englische Fuss
oder 1200 Meter über dem Meere, und der Weg von Hilo bis hinauf und somit
die ganze Erhebung dehnt sich gleichmässig, nur unterbrochen von kleinen
welligen Vertiefungen, auf 44 Kilometer aus. Mit gespannter Erwartung
spähten wir umsonst nach einem Feuerschein oder nach Rauchsäulen vor uns.
Wir näherten uns dem grössten thätigen Vulkan der Erde. Die schwüle
Atmosphäre war trübe und düster, und eine dunkle Wolkenwand überlagerte
den Horizont in der Richtung, in der er liegen musste, so dass wir
berechtigt waren, von den höheren Punkten aus, die eine weitere Umschau
gestatteten, doch endlich ein Anzeichen von ihm zu erhalten. Aber keine
Spur war zu entdecken.

Eben war der Weg etwas besser geworden, und eben hatten wir voll Freude
darüber wieder eine kleine Hetzjagd angeschlagen, mein unübertrefflicher
Grauschimmel weit voran, während zwei oder drei Pferde übermüdet
zurückblieben, ungerührt von den rasselnden Peitschenhieben, als
plötzlich der nun dichtere Busch sich lichtete, eine Grasfläche uns
entgegenschimmerte mit einem Haus und einigen Hütten darauf, und links vom
Wege ein tausend Fuss tiefer Abgrund sich aufthat, der grosse, 9 Meilen im
Umfang zählende Krater, die Behausung der gefürchteten alten hawaiischen
Göttin Pele. Wie ein riesiger kreisförmiger Steinbruch lag er unter uns,
rings umgeben von senkrechten Wänden. Und auf der erhöhten Mitte dieses
gewaltigen Zirkus, etwa 2 englische Meilen von unserem Standpunkt, qualmten
aus einem Kessel gelbliche Dämpfe empor, und hier und da erschienen über
den schwarzen, zackigen Rändern desselben glühendrothe Massen, die sich
deutlich bewegten -- flüssige, kochende Lava. Im Hintergrunde streckte
sich sanft ansteigend und mit ungebrochenen geraden Linien der Maunaloa in
die Wolken, die noch etwa 2000 Meter seiner Höhe verhüllten. Die nächste
Umgebung bestand aus Ohiabusch. Rechts neben den menschlichen Wohnstätten
dampfte es in einer Vertiefung aus unzähligen Fumarolenlöchern.

Der Kilauea ist bereits ein sehr zivilisirter Krater. Denn sein nördlicher
Rand, an dem wir standen, trägt ein gutes Hotel, welches die schönste
Aussicht auf ihn hinab bietet. Nur an Touristen ist noch ein bedenklicher
Mangel, und wenn es gut geht, kommen im Durchschnitt monatlich einmal
Gäste. Wir waren noch im Beschauen des Kilauea begriffen, als die
Wirthsleute, ein amerikanisirter Schotte und seine eingeborene Gattin,
sowie einige braune Burschen sich daran machten, unsere Pferde abzuzäumen
und uns selbst zum Absteigen einzuladen.

Es war kalt hier oben, und ein rauher Wind blies über die öden,
todesstillen, buschigen Flächen der Umgebung, so dass wir das im Kamin
lodernde Feuer dankbar begrüssten. Durch die Fenster und von der
Veranda aus konnten wir den Vulkan überblicken, dessen Schauspiel mit
vorrückender Dunkelheit immer glänzender und grossartiger wurde. Als es
Nacht war, kamen noch einige feurige Spalten mehr zum Vorschein, die von
dem zentralen Feuerbecken nach verschiedenen Richtungen ausstrahlten.
Deutlich sahen wir mit dem Fernglas, wie die glühenden Wogen geschmolzener
Lava sich schwerfällig über den Rand desselben hinüberwälzten. Das
Ganze machte den Eindruck einer brennenden Stadt, und Paris, wie ich es in
den letzten Mainächten der Kommune von den Wällen des Forts Nogent aus
gesehen, ein prasselnder Höllenpfuhl, kam mir in die Erinnerung.

Als wir nach dem Essen wieder durchs Fenster nach dem Krater ausguckten,
lag ein dicker Nebel über ihm, der ihn vollständig verhüllte, so dass
keine Spur eines feurigen Scheins zu sehen war. Sollte mich das bisherige
Glück mit dem Wetter verlassen wollen, und sollte es uns gehen, wie
anderen vor uns, die im Fremdenbuch klagten, gar nichts vom Kilauea gesehen
zu haben? Unter solchen Zweifeln gingen wir zu Bett und entschliefen,
nachdem wir den Wirth und uns selbst verpflichtet hatten, alle aufzuwecken,
falls einer den Vulkan in heftigerer Thätigkeit wahrnehmen würde. Wir
wurden auch wirklich um Ein Uhr geweckt, da der Nebel verschwunden war und
die Lava in ausnehmend starken Garben über den Rand des feurigen Kessels
wallte.

Der Nebel kam nicht wieder, und den nächsten Morgen stiegen wir
unter strahlendem Sonnenschein in den Krater hinab. Dies klingt viel
gefährlicher, als es in Wirklichkeit war. Denn der Boden des Kilauea,
so wie ich ihn damals am 25. Aug. 1876 gesehen habe, war bis auf jene
verhältnissmässig kleine Stelle vollständig erstarrt, ein gefrorener
See. Entweder durch Senkung der peripherischen oder durch Hebung der
zentralen Theile desselben hatte sich nicht ganz in der Mitte, sondern
etwas näher der westlichen Wand ein sekundärer Kraterkegel in dem
primären Krater von 9 Meilen Umfang gebildet, dessen Spitze den noch
nicht gefrorenen feurigflüssigen Lavakessel trug. Wir stiegen also in
den primären Krater hinab, der Wirth und einer seiner Kanakas als Führer
voran, alle mit tüchtigen Stöcken bewaffnet. Gerade vor dem Hotel ist
die hier etwa 180 Meter tiefe Wand eingestürzt und hat so Staffeln von
Trümmerhaufen aufgeschüttet, über die steile und geschlängelte Pfade
uns rasch hinuntergeleiteten. Grosse rosenfarbige Heidelbeeren wuchsen
zwischen dem Geröll und unterbrachen freundlich den rauhen Abhang.

Wir betraten die nackte, frisch wie Metall glänzende Lava und stiegen
langsam aufwärts. Erstarrte Lavaströme, in konzentrischen Bogen
gewulstet, überlagerten einander in verschiedenen Richtungen und von
verschiedenen Farben, schwarz, grünlich und gelbbraun wie Erz. Breite
und tiefe Spalten zerklüfteten diese Ströme. In den Ritzen zwischen den
Falten des Gusses fanden wir überall jenes eigenthümliche Mineral,
das Haar der Göttin Pele oder Pelenit genannt, zu Fäden ausgesponnene
Schlacke, welches genau so aussieht, wie die Schlackenwolle unserer
Eisenwerke. Die Oberfläche, auf der wir im Gänsemarsch hinter den
Führern marschirten, war sehr spröde und voll von grossen Luftblasen, in
die wir häufig einbrachen, manchmal über ein Meter tief. In diesen Blasen
herrschte eine bedeutende Hitze und Feuchtigkeit. Wenn man sich mit der
Hand auf den Boden stützte, um sich herauszuarbeiten, stachen feine
splitterige Nadeln, die ihn allenthalben überzogen, die Haut. Es dröhnte
beständig hohl unter unseren Schritten. Wir passirten einige alte
Nebeneruptionspunkte von jeder Form, so zum Beispiel einen 2 Meter hohen
Schornstein, durch aneinander gebackene Schlackentropfen aufgebaut, aus
dessen Oeffnung es geheimnissvoll rauchte.

Schon lange ehe wir unser Ziel, den kochenden Kessel erreichten, bereitete
uns die aus ihm emporspritzende Lava ein höchst eigenthümliches
Phänomen. Die Sonne stach grell auf den metallisch wie Messing blitzenden
Pfad herab. Und obwohl bekanntlich unter dem Sonnenlichte jegliches Feuer
bedeutend an Wirkung verliert, so war doch die Farbe der flüssigen Lava
von einer Gluth, wie ich sie bisher nur an feuerrothen Blumen gesehen
hatte. Hinter grossen schwarzen zackigen Blöcken von Schlacke spritzte die
flüssige Lava rastlos in grossen Fetzen und Tropfen empor und machte
mir den Eindruck, als ob Blüthenbouquets von besonders brennendem Roth
beständig in die Höhe geworfen würden.

Wir näherten uns dem Rande bis auf etwa vier Schritte. Der Kessel war
bis zum Ueberlaufen mit flüssiger und kochender Lava gefüllt, und wir
standen, da der Rand erhöht war, noch unter dem Niveau, welches von
unserer Augenhöhe nicht viel überragt wurde. Das ganze Bassin hatte zwei
Abtheilungen, von denen jede einen guten Steinwurf im Durchmesser breit
war und mit der andern durch eine schmale Verbindung zusammenhing, so dass
beide durch eine Achterfigur begrenzt waren.

In jeder der beiden Abtheilungen schwammen Platten halberstarrter,
noch glühender Lava, die fast die ganze Oberfläche einnahmen und sich
beständig im Kreise drehten. Intensiv glühende fussbreite Spalten zogen
sich durch diese Platten, und aus ihnen brachen alternirend bald hier bald
dort die feurig flüssigen Garben und spritzten etwa 20 bis 30 Fuss hoch
empor. Drei oder vier solche Spritzfontänen waren immer zu gleicher
Zeit thätig. Es wallte fortwährend, und die schwimmende Rinde bog sich
wellenförmig, ebenso wie dünnes Eis, durch welches ein Dampfer seinen Weg
bahnt. Ein dumpfes Rollen erschütterte den Boden unter unseren Füssen.
Hier und da donnerte es plötzlich heftiger, die Rinde bekam einen neuen
Riss, und nun wallte es aus diesem hervor, da wo eben nichts zu sehen war,
als die glühende Rinde.

Wir warfen Schlackenstücke hinein, welche nicht schwer genug waren, um
durchzubrechen, sondern liegen blieben, bis sie von einer neuen plötzlich
hervorquellenden Lavafontäne verschlungen wurden. Schwere, dichte Steine
hätten die Rinde vielleicht durchbrochen. Wir standen auf der Windseite,
sonst wären wir nicht sicher gewesen. Wäre der Wind von der anderen Seite
gekommen, so konnten die rothen Tropfen und Fetzen auf uns niederfliegen.
Wo sie uns gegenüber auf die Schlackenblöcke des Randes fielen, flossen
sie entweder flüssig bleibend in das Becken zurück, oder sie kollerten,
allmälig verdunkelnd, nach aussen hinab, und es war mir, als könnte ich
dann, trotz des unterirdischen Grollens und trotz des pfeifenden Windes,
das klappernde Geräusch vernehmen, welches sie dabei machten. Es war
ziemlich heiss hier, aber nicht so bedeutend, als die Strahlung so
mächtiger feurig flüssiger Massen erwarten liess. Die Luft zitterte über
dem Becken, halb undurchsichtig von gelblichen Dämpfen.

Wir blieben nicht lange. Denn über den Rand eines zum Ueberlaufen vollen
kochenden Lavakessels zu blicken und dabei auf einem Boden zu stehen,
unter dem es beständig donnert, rumort und stampft, ist eine unheimliche
Situation. Die Fluth schien höher zu steigen, und wir ergriffen die
Flucht.

Den Rückweg nahmen wir in einer anderen Richtung, als von der wir gekommen
waren. Wir passirten noch mehrere erstorbene Eruptionspunkte im Krater.
Mehrere hundert Schritt lange und gegen zwanzig Meter tiefe Klüfte mit
rothen Wänden durchzogen kreuz und quer den westlichen Theil, der
aus Terrassen höherer und tieferer Flächen bestand. Eingestürzte,
kuppelförmige Gewölbe von dichter Lava lagen neben Schutthügeln von
grossen gleichmässigen Steinwürfeln. Ueberall Spalten im älteren
Gestein, aus denen jüngere noch ganz frischglänzende Lava herausgequollen
war, in konzentrischen Kreisen erstarrt, mit nichts besser zu vergleichen
als mit den Verdauungsprodukten weidender Rinder auf unseren Wiesen, nur
dass diese Lavafladen 30 bis 50 Schritt im Durchmesser hatten. Mehrere
dunkle Höhlen, wie die Bogen grosser Brücken gewölbt, führten in die
Tiefe. In einer derselben stiegen wir etwa zwanzig Meter schräg über
Schutthaufen hinab. Sie wurde nach unten zu enger, aber wir hätten noch
viel weiter hinabsteigen können, wenn nicht eine erdrückende Hitze und
ätzender Wasserdampf uns zurückgeschreckt hätten. Der Führer zündete
eine Stearinkerze an, welche bald immer wieder zu knistern begann und
erlosch. Tropfsteinbildungen aus grauschwarzen und hohlen drusigen Aesten
hingen von der Decke herunter, und zarte weisse Krystalle von Alaun hatten
sich in den Schrunden ansublimirt.

Wir waren sehr glücklich gewesen, den Kilauea so stark in Thätigkeit zu
finden. Oft weicht die Lava in ihm ganz zurück, und andere Besucher sahen
dann statt des bis zum Rande gefüllten Beckens nur in ein hundert Fuss
tiefes Loch hinab, aus dem gelbe Dämpfe emporqualmten.

Das genossene Schauspiel war allerdings hinter den Erwartungen
zurückgeblieben, zu welchen die überschwänglichen Schilderungen
des grössten aktiven Vulkans der Erde von 9 Meilen Umfang und die
Aufschneidereien über die haarsträubenden Gefahren seines Innern, die ich
gelesen, berechtigten. Nichtsdestoweniger war das Wunderbare, Dämonische
der Erscheinung, das fremdartige, rastlose Arbeiten todter Massen ohne
sichtbare Ursache ergreifend und überwältigend genug, um auch
ohne grössere Dimensionen den grossartigsten bleibenden Eindruck zu
hinterlassen. Ich begreife sehr wohl, wie noch heutzutage die Eingeborenen
der hawaiischen Inseln als echte Naturkinder an ihrer alten Göttin Pele,
der Beherrscherin und Urheberin des Kraters, festhalten und ihr zuweilen,
sie zu beschwichtigen, Opfer darbringen, indem sie Münzen und andere
Kostbarkeiten oder auch Schweine und Ziegen in den feurigen Schlund
werfen, trotz des Christenthums. Sind ja doch bei unseren Bauern ähnliche
abergläubische Ueberbleibsel der Heidenzeit nach mehr als tausend Jahren
noch zahlreich vorhanden.

Den Nachmittag benutzten wir dazu, die Fumarolen und Solfataren in der
unmittelbaren Nähe des Hotels zu besichtigen. In einem flachen und kleinen
Thale erheben sich mehrere Hügel von lockerer, zerbröckelter, weisslicher
Erde und verwittertem, geröstetem Gestein, feucht und förmlich gedünstet
von Wasserdampf, der entweder überall aus den Spalten hervorraucht
oder aus einigen Löchern unter Hochdruck herauszischt. Aeusserst zarte
Krystalle von Schwefel und Alaun haben sich in den Spalten angesetzt und
zerfallen, sobald man sie mit der Hand berührt. Der Boden ist stellenweise
so weich, dass man leicht stecken bleibt und sehr unangenehm die Hitze des
Bodens empfindet.

Eines der dampfenden Löcher wird als Dampfbad benützt. Ein Schwitzkasten
mit einer runden Oeffnung oben für den Hals, so faul und baufällig, dass
man in Gefahr schwebt, durchzubrechen und in die geheimnissvolle Tiefe zu
sinken, ist darübergebaut, das Ganze umschliesst und deckt eine Hütte
aus Flechtwerk. Mein Gefährte Bats und ich machten sofort von dieser
Gelegenheit Gebrauch, was aber nichts weniger als genussreich war. Theils
die überraschend hohe Temperatur, theils die ätzenden Beimischungen des
Dampfes verursachten unserer wundgerittenen Haut grässliche Schmerzen.
Die einzige Entschädigung dafür bestand darin, dass wir die übrigen
Reisegefährten einen nach dem anderen verleiteten, ebenfalls in den Kasten
zu steigen, und dass wir uns dann an ihren Qualen weideten und sie nicht
eher aus der Halsumschliessung des Deckels befreiten, als bis sie in den
flehentlichsten und demüthigsten Ausdrücken um ihre Erlösung baten.

Links und rechts von der Hütte liegen zwei kanuuartig ausgehöhlte
Baumstämme unter den Längsseiten des überhängenden Strohdaches, in
welche die kondensirte Feuchtigkeit des Dampfbades herabträufelt. Das auf
diese Weise gesammelte Wasser muss hier oben zum Trinken dienen.

Ein bitter kalter Wind brachte abermals Nebel mit Regenschauer und
verhüllte damit auf einige Stunden den Krater. Gegen Abend peitschte er
ihn wieder weg, und über einem schönen klaren Himmel stieg der Mond in
die Höhe, beeinträchtigte aber nur wenig die Wirkung der immer lebhafter
werdenden Feuermasse des Lavakessels. Wir wollten diesem auch in der
Nacht einen Besuch abstatten. Unsere Führer und der Wirth jedoch waren
entschieden dagegen, sie behaupteten, ein grösseres Ueberfliessen der Lava
stände bevor, und es sei zu gefährlich. Wir stimmten ab und beschlossen,
statt in den Krater hinunter, oben auf dem Rande an seine Nordecke zu gehen
nach jenem Punkt, der dem Feuerkessel am nächsten lag. Dort kauerten
wir uns, in Decken gehüllt, auf einem Felsvorsprung zusammen und
sahen wirklich, wie die glühende Lava in mächtigen kochenden Wellen
überwallte, ungefähr da, wo wir heute Morgen gewesen waren, und zwei
glühende Bäche flossen von jener Stelle strahlenförmig durch den grossen
Krater etwa ein Kilometer hinab. Neue Eruptionspunkte hatten sich daneben
gebildet, aus denen ebenfalls Lava emporspritzte. Es wäre jetzt nicht
möglich gewesen, auf demselben Wege wie am Morgen den Kessel zu erreichen.

Lange sassen wir so da, blickten hinab auf das glänzende Schauspiel und
froren, dass uns die Zähne klapperten. Hinter uns war die öde, buschige
Fläche vom Silberlichte des Mondes übergossen, auf unseren Gesichtern und
auf den Felswänden um uns flackerte der röthliche Schein der glühenden
Lava. Gespenstige Nebelgestalten flogen, vom heulenden Winde gepeitscht,
rasch durch die Luft und schufen einen doppelten Mondregenbogen, wie ich
ihn niemals so vollkommen gesehen. Unten aber prasselte und donnerte,
glühte und kochte es unaufhörlich in dem feurigen Kessel, als ob es hier
direkt zur entsetzlichsten Stufe der Hölle ginge.

Nichts fehlte dem Volcano House, wie das Hotel sich nennt, an Komfort,
uns den Aufenthalt so angenehm als möglich zu machen. Vortreffliche
amerikanische Betten, ein für die Verhältnisse guter Tisch und
ausgezeichnetes Bremer Flaschenbier, das um so freudiger überraschte,
als wir auf der Insel Hawaii, auf der es keine Lizenz für den Verkauf
von Spirituosen giebt, derlei nicht zu finden gehofft hatten, ein schönes
wärmendes Feuer, liebenswürdige Bedienung, einige Jahrgänge von Frank
Leslies Illustrirter Zeitung, Alles war vorhanden, was wir in einem Hotel
in so ferner Abgeschiedenheit nur wünschen konnten.

Was aber noch besser war und ein unschätzbares Vergnügen gewährte,
selbst ein Fremdenbuch lag hier auf, in welchem jeder Besucher seine
Erfahrungen und Gefühle über den Kilauea verewigt hatte, jene sinnige
Einrichtung, die leider bei uns zu Hause in den Touristenhotels der Alpen
immer mehr ausser Brauch kommt. Zwei dicke Foliobände waren bereits mit
poetischen und prosaischen, witzigen und langweiligen, guten und schlechten
Ergüssen und Zeichnungen über die Kilauea-Partie gefüllt. Auch der
bekannte amerikanische Humorist Mark Twain, der über die Sandwich-Inseln
einen mehr amüsanten als wahren Bericht geschrieben, hatte ein paar Seiten
geliefert. An deutschen Inschriften fehlte es natürlich nicht, ebenso
wenig an schlechten deutschen Gedichten, deren Urheber verschwiegen sein
mögen. Von illustren Namen fand ich den des ehemaligen preussischen
Konsuls Lindau in Yokohama verzeichnet. Mit grosser Befriedigung entnahmen
wir, dass wir ausnahmsweise glücklich gewesen waren. Wenige vor uns
hatten den Vulkan bei so günstigem Wetter und in so lebhafter Thätigkeit
gesehen. Manche hatten nur Nebel und Regen hier oben gefunden. Einer
ging so weit, feierlich gegen die Existenz des Kilauea als einen grossen
Schwindel zu protestiren.

Am anderen Morgen brachen wir in aller Frühe auf, um nach Kapoho zu
reiten. Es war noch dunkel, und der Vulkan leuchtete ziemlich stark herauf,
theilweise verschleiert von einem dünnen Nebel. Der eine Lavabach mochte
vielleicht 200 Schritte vorgerückt sein.

Wir nahmen den Rückweg nach Hilo durch den Distrikt Puna, welcher den
östlichen Vorsprung der dreieckigen Insel Hawaii umfasst. Während wir
von dem nordöstlich gelegenen Hilo in ziemlich gerader Richtung gekommen
waren, wandten wir uns jetzt nach Südost um zunächst an das Meer
hinabzusteigen und dann, den Windungen der Küste folgend, die östliche
Spitze Hawaiis, Kapoho, zu erreichen und dort in dem Gehöft eines
Deutschen namens Eldart abermals Rasttag zu halten. Denn es galt heute
einen schweren Ritt von 42 englischen Meilen oder 64 Kilometer immer über
dieselbe glasharte kratzende Lava.

Bald wich die Kälte des Berges der Gluth der tropischen Sonne, und die
morgentlich starren und ungelenken Glieder salbte rieselnder Schweiss.
Durch Ohiagebüsch an einem alten Vulkan von kleineren Dimensionen vorbei
gelangten wir zu dem Absturz des Hochlandes.

Auf unglaublich steilen Pfaden trugen uns die Pferde vorsichtig hinunter.
Hätten wir uns nicht vor dem Führer geschämt, wir wären wahrscheinlich
aus dem Sattel gestiegen und zu Fuss geklettert. Wohl rutschten zuweilen
die Hufe knirschend von glatten Felsblöcken ab, wohl strauchelte zuweilen
eines unserer wackeren Thiere und drohte zu stürzen, und einen Sturz
auf diesem widerlich harten Boden voll scharfer Kanten und tiefer Löcher
hätten die besten Knochen nicht ausgehalten. Aber glücklich kamen wir
über alle Gefahren und Hindernisse hinab.

Von nun an ging es bis Hilo auf dem breiten Saum der Küste entlang,
welcher, aus demselben Material gegossen wie die ganze gewaltige Masse der
Insel, die erste niedrigere, nur vielleicht zwanzig Meter aus dem Meer sich
erhebende Staffel bildet. Von ferne sieht dieser breite Saum aus, als ob
er nahezu eben wäre, und nur einige schärfere Horizontallinien deuten,
allmälig verschwimmend im Blau des Horizonts, Vertiefungen an, die sich
in der unmittelbaren Nähe als nicht zu verachtende Schluchten erweisen.
Ueberall knirscht der Huf auf harter Lava, und doch scheint bereits eine
dichte Vegetation links und rechts sich zusammen zu drängen. Wo nur die
kleinste Schrunde etwas Erde zurückhält, sprossen Pflanzen empor, die
wahre Natur des noch intakten Lavabodens verhüllend.

Schrecklich zu reiten ist dieser Lavapfad, aber reich an interessanten
Gebilden vulkanischen Ursprungs. Der Hauptsache nach ist der Boden aus
Einem Guss. Aber hie und da fliessen jüngere Ströme darüber hin,
deutlich erkennbar an den dunkleren frischeren Farben ihres Gesteins und an
der geringer entwickelten Vegetation. So zum Beispiel tritt einmal ein 200
Schritt breiter schwarzer Strom bis nahe an den Weg heran. Er lässt
sich mit dem Auge weit nach oben verfolgen, wie er gleich einer riesigen
Schlange durch den Wald sich herabwälzte, bis er hier unten erstarrte
und stehen blieb. Die ganze Oberfläche des Stromes ist so verschlackt
und zerklüftet, dass sie den Eindruck eines hingeschütteten Koakshaufen
macht, dessen einzelne Stücke mehrere Kubikmeter betragen. Versengte
und halbverkohlte Bäume sind hineingebacken, wahrscheinlich oben von der
glühenden Fluth ergriffen und mit heruntergeschwemmt.

Oft dröhnte es wieder hohl unter den Hufen wie am ersten Tage, und
mehrmals sah ich in tiefe Blasenräume hinab, die durch Einsturz der
domartigen Gewölbe freigelegt waren. Unten ruhten die Trümmer der
fussdicken Kuppeln, Aussen- und Innenseiten an der Rundung leicht
unterscheidbar, und einmal sah ich die wenigen Bruchstücke noch so
geordnet, dass man sie ohne Mühe hätte zusammenfügen können, als wären
sie nur deshalb hinabgesunken, weil die tragenden Wandungen plötzlich
auseinander wichen. Kokospalmen haben sich in diesen Verliessen angesiedelt
und gucken mit ihren Kronen in die schwarzgraue Wüste hinaus.

Auf lange Strecken scheint der Weg eine einzige gerade und ebene Linie zu
sein. Man freut sich darüber und spornt sein Pferd zum Gallop -- da gähnt
unerwartet eine in der Perspektive verborgene Querschlucht, die uns steil
hinab und auf der anderen Seite eben so steil wieder hinauf zu klimmen
nöthigt. Manchmal geht es so nahe dem Ufer hin, dass man die donnernde
Brandung emporspritzen sieht. Oder mächtige dünenartige Hügel aus grobem
Lavageröll haben sich über die niedrigen Ränder gehäuft, in breiten
schaumigen Zungen lecken die Wogen herauf, und scheue schnepfenartige
Vögel trippeln darin herum und fischen. An einer solchen Stelle kam uns
ein isolirter mehr als zehn Meter hoher Kegel aus Lavasand zu Gesicht, der
nicht durch die See allein gebildet sein konnte.

Eine kleine Gruppe von Brotfruchtbäumen und Palmen, dazwischen eine
einsame Hütte, winkte uns freundlich entgegen. Dort machten wir Halt, um
Kokosnussmilch zu trinken und den Pferden Wasser zu geben. Die Kokosnüsse
werden hier zu Lande anders geöffnet als auf Viti. Man reisst nicht erst
die äussere Faserhülse ab, sondern durchschneidet sie mit dem Messer
sammt der inneren Schale. Der Mann dem die Hütte gehörte hatte vor
etlichen Tagen eine Rippe gebrochen und konsultirte mich, was er thun
sollte. Er sass vor der Thüre und sonnte sich, nur mit dem Maro und einem
grossen Pflasterfladen, welcher die verletzte Seite überdeckte, bekleidet.
Ich empfahl ihm Ruhe und etwas mehr Gewandung. Der berühmteste Haruspex
hätte ihm nichts Besseres verordnen können.

Unsere Mittagsstation war das Dorf Kalapama. Welch köstliche Wohlthat,
als plötzlich die knirschende Lava aufhörte und ein weicher Grasboden
die Hufe verstummen machte, als wir wieder vom Pferde springen durften,
auf einer kühlen Veranda den erquickenden Knetkünsten der herbeigeeilten
Mädchen uns preiszugeben und danach in einem brackischen Tümpel, welchen
ein hoher natürlicher Deich aus Lavageröll von der draussen donnernden
Brandung des Meeres abschloss, ein Bad zu nehmen, bis die unvermeidlichen
Hühner gemordet, gerupft und gebraten waren.

Nach zwei Stunden gings abermals fort, abermals über Lava, glasharte,
knirschende und kratzende Lava. Etliche Dörfer flogen vorüber. Denn
in der Nähe menschlicher Wohnstätten kamen wir meistens auf eine
wohlgeglättete Strasse, und unbekümmert um die holde Weiblichkeit, die
uns zu sehen aus den Hütten trat, spornten wir die Pferde zur höchsten
Eile, um die wenigen besseren Stückchen des Weges auszunützen.

Bergauf und bergab, bald dicht am Meere entlang, bald weiter innen durch
Lavawüsten und Pandanusdickichte, führte uns der ermüdende Ritt. Ein
seltsamer Begräbnissplatz stand unmittelbar am Rande des steilen Ufers,
etwa sechs Leichenhügel aus Lavablöcken, deren glänzend weissgetünchte
Umzäunungen eigenthümlich von der Schwärze der rauhen Umgebung
abstachen. Es gab weit und breit nicht Humus genug zur Beerdigung. Donnernd
prallten die Wogen gegen die Felswand unten, und die Brandung spritzte
herauf bis zu der Stätte wo die Todten ruhten.

Ein mit Gras und Kukuigebüsch bewachsener Hügel erschien zur Linken, das
Wahrzeichen unseres Zieles Kapoho, eine herzerfreuende Oase nach solcher 42
Meilen langen Lavawüstenei.

Mein Landsmann, Kapitän Eldart, kam uns entgegen und wies uns den Weg in
sein gleich einer Burg mit Zyklopenmauern umgebenes Gehöft. Einige braune
Burschen bemächtigten sich der Pferde. Wir selbst liessen uns sofort zum
Baden führen.

Natürlich ist auch der nächste Hügel gleich hinter dem Gehöft ein alter
Vulkan, in dessen Krater ein Teich sich angesammelt hat. Goldfische werden
in ihm gezüchtet, und hie und da blitzte einer dieser glänzenden Bewohner
des dunklen und stillen Grundes empor, als wir in sein kühles Wasser
tauchten, den Schweiss des heissen Tages von den Gliedern zu spülen.

Die Umgebung Kapohos wird nach innen durch eine Reihe ganz mit Gras
überzogener Hügel abgegrenzt, nach aussen gegen die See zu dehnt sich die
einförmige Lavafläche mit ihrer dünnen Farnkrautdecke. Aussergewöhnlich
schlanke Kokospalmen stehen gruppenweise zusammen, die Spitzen der Hügel
sind mit dem eigenthümlichen Silberglanz der Kukuibüsche geziert.

Kapitän Eldarts Hauptbeschäftigung ist die Jagd auf die seit hundert
Jahren verwilderten Rinder, die heerdenweise ringsherum leben und nur wegen
ihres Talges und ihrer Häute geschossen werden. Ein gefährliches und
verwegenes Handwerk, auf solchem Boden und zu Pferde diesen Thieren
nachzustellen, oft genug auch von ihnen sich jagen zu lassen. Seit zwei
Jahren lebt ein junger Verwandter aus Deutschland bei ihm als Gehilfe,
ein ehemaliger Ulan, der mit in Frankreich gewesen und jetzt erst recht in
seinem Elemente sich fühlt, da er so viele Gäule zu Schanden reiten
kann als er mag. Ein nicht zu verachtender Nebensport scheint ihm die
Verbesserung der Rasse im nächsten Dorf drüben zu sein.

Die Mischung germanischen und polynesischen Blutes giebt ganz prachtvolle
Jungen. Kapitän Eldarts reizende Kinderschaar, die sich stetig dem Dutzend
nähert, liefert ein nachahmungswürdiges Beispiel. Sein Aeltester ist
ein ideal schöner Knabe im Style jenes jungen Italieners von Karl
Becker. Gleichwohl fehlte es auch hier nicht an Symptomen der überall zu
beobachtenden Thatsache, dass die Ehe eines Weissen ausserhalb seiner Rasse
zu Missverhältnissen führt. Es schien mir, als ob mein Landsmann unser
freundlicher Wirth sich seiner braunen Gattin schämte. Wir bekamen sie
nicht zu Gesicht. Sie wohnte abseits in dem Haus für die Dienerschaft und
blieb dort verborgen, solange wir in Kapoho weilten.

Am nächsten Morgen regnete es. Ab und zu kamen heftige Windstösse und
bogen die schlanken Palmen und zausten an ihren Kronen, dass sie aussahen
wie zerrissene und umgestülpte Regenschirme. Wir benützten deshalb
unseren Rasttag nur zur Besichtigung der allernächsten Merkwürdigkeiten.
Wir waren auch viel zu müde und steif um weit herumzulaufen.

Der junge Eldart führte uns zuerst auf einen Hügel zu den Ueberresten
eines alten Heidentempels, von welchem gegenwärtig nur mehr einige sehr
exakt gearbeitete Lava-Quaderblöcke vorhanden sind. Dann nahmen wir ein
Bad in einem äusserst malerisch zwischen steilen Felsen gelegenen warmen
Tümpel, »Wai wela wela« (Wasser warm warm) genannt. Farnkrautbüschel
und Pandanen hängen von oben über die Wände der Schlucht herab. Das
angenehm laue Wasser ist wunderbar blaugrün und so klar, dass man jedes
Steinchen des Grundes sieht, obwohl er so tief ist, dass es keinem von uns
gelang ihn tauchend zu erreichen. Eine Viertelstunde entfernt ist noch eine
andere von den Mächten der Göttin Pele geheizte Badegelegenheit, welche
wir am Nachmittag besuchten. Wir stiegen durch eine Kluft 20 Meter
ins Innere der Erdkruste hinab, nachdem wir uns oben entkleidet und
Stearinkerzen angezündet hatten. Dann nahm uns ein schmales Wasserbecken
auf, etwas wärmer als jenes oberirdische Wai wela wela, in welches wir
etwa 200 Schritt hineinschwammen, indem wir von Zeit zu Zeit Lichter an
den Wänden befestigten. Man soll eine Meile weit hier unten fortschwimmen
können.

Dies werden wohl die beiden »heissen Quellen« sein, welche auf Karten
bei Kapoho angegeben sind. Ich habe sonst nichts dergleichen zu erfragen
vermocht.

Auf dem Rückweg lernte ich eine sehr interessante Pflanze kennen, welche
hier in Menge vorkommt und bei den Einwohnern englischer Sprache »Air
Plant« heisst. Wenn man ein einziges Blatt davon mit einer Stecknadel am
Fenster oder sonstwo anspiesst, so stirbt dasselbe ab, aus einer Stelle
seines Randes aber wächst ein neues Pflänzchen hervor, dem das Gewebe des
alten Blattes als nährender Boden dient.

Wir hatten Sonntag, und es war sehr öde und menschenleer in Kapitän
Eldarts Ranch. Nur die Kinder und das Schiessen von Truthähnen und
Hühnern für unseren Tisch, die sich sonst nicht so leicht hätten
ergreifen lassen, gewährten einige Unterhaltung. Bier oder Schnaps gab
es hier nicht, da diese Artikel im Hawaiischen Königreich überhaupt,
ausgenommen in Honolulu, verboten sind. Hingegen besass der halbchinesische
Diener unseres Wirthes eine Lizenz zur Bereitung und Verabreichung von
Awa, welche monatlich 25 Cents kostet. Und da wir nichts Besseres wussten,
liessen wir uns am Abend Awa vorsetzen. Wer dieselbe zurechtgekaut hatte,
wurde uns diskreter Weise nicht verrathen. Die schmutzig graubräunliche
Flüssigkeit, in Schoppengläsern kredenzt und ohne den romantischen Zauber
der Yankonagelage auf Viti, machte mir keinen sehr verlockenden Eindruck.
Aber getrunken wurde sie doch. Sie schmeckte ganz ähnlich der Yankona, nur
etwas schärfer seifenartig und konzentrirter. Auch an der Pflanze, die
man uns zeigte, konnte ich keinen Unterschied von dem Piper methysticum
Kandavus wahrnehmen. Es stellten sich indessen bei vieren von uns sehr
unangenehme Folgen in Form von Ergüssen aus beiden Enden des Tractus
Alimentationis ein, welche uns einen erheblichen Theil der Nachtruhe
raubten.

An demselben Abend ass ich zum ersten mal Brotfrucht. Auf Kandavu waren sie
gerade nicht reif gewesen, und auch diese war nur ein kleines, faustgrosses
Individuum. Sie wurde uns in gekochtem Zustand aufgetragen, ihr Geschmack
ähnelte dem junger noch etwas seifiger Kartoffeln.

Die letzten 24 Meilen am folgenden Tag, die wir bis Hilo zurückzulegen
hatten, waren nicht angenehmer als die vorhergegangenen. Während die
anderen noch sattelten und packten ritt ich langsam voraus. Ich war eben an
der Schule eines weiter abwärts gelegenen Dorfes angelangt, in welcher die
Kinder gerade ihr Morgengebet beteten, da kam hinter mir Kapitän Eldart
nachgejagt, um sich den Namen einer Arznei aufschreiben zu lassen, den ich
ihm gestern gesagt, den er jedoch mittlerweile wieder vergessen hatte. Der
Schulmeister, ein Kanaka, brachte Papier und Tinte heraus, mit ihm seine
ganze kleine Heerde.

Je mehr wir uns Hilo näherten desto mehr hofften wir, der Weg möchte doch
endlich einmal besser werden. Er blieb aber gleich niederträchtig bis zum
Schluss. So wie die Wegmacherei im Hawaiischen Königreiche betrieben
wird, ist es kein Wunder wenn die Wege schlecht sind. Es wird dem Einzelnen
freigestellt, die Steuer dafür durch Arbeiten abzuverdienen, und
dieser begnügt sich gewöhnlich damit, alle Monat ein Häufchen Erde
zusammenzukratzen und auf den Weg zu schütten.

Die Pandanusdickichte wurden lichter und machten stellenweise einem dünnen
Wald von Ohiabäumen Platz, an denen sich Kletterpflanzen mit schönen
rothbraunen Blüthen emporrankten. Zuweilen liess sich die schnalzende
Stimme eines Vogels vernehmen, das einzige mal dass ich derlei auf Hawaii
hörte.

Durchnässt von Regen und Schweiss und übermüde des quälenden Knirschens
der Lava sprangen wir frohlockend im Hotelgarten zu Hilo aus dem Sattel.
Unsere Pferde hatten keine Eisen mehr, und wir selbst waren mehr oder
weniger mit Blut gezeichnet.



XXI.

VON HILO NACH HONOLULU.

  Eine seltsame Todtenfeier. Kapitän Spencer und seine Zuckersiederei.
  Der Kilauea kommt nicht. Ein hawaiisches Souper und Abschied von Hilo.
  Nächtliche Bootfahrt nach Kohala. Konflikt mit dem Sabath und abermals
  fort. Landung auf Maui. Ein interessanter Mann der Presse. Der Bäcker
  von Lahaina. Stürmisches Wetter. Endlich in Honolulu.


Von nun an fiel fast beständig Regen in Strömen herab, so dass wir
grösstentheils zu Hause bleiben mussten.

Einige Weisse kamen uns zu besuchen, darunter auch ein Missionär und ein
Arzt. Der Kollege litt an einer Krankheit, die in der heissen Zone häufig
zu sein scheint. Er hatte sich das Schnapstrinken so sehr angewöhnt, dass
er es nicht mehr lassen konnte und ohne Schnaps unglücklich war. Nun war
ihm vor einigen Tagen sein Vorrath, den erst die Ankunft des Dampfers
von Honolulu erneuern sollte, zu Ende gegangen, und er fühlte sich recht
elend. Bei mir hoffte er eine Flasche des süssen Giftes zu erhalten.
Leider waren jedoch auch unsere Spirituosen auf der Neige, und der halbe
Schoppen Whisky, den ich ihm vorsetzte, erregte nur ein halb wehmüthiges
halb verächtliches Lächeln.

Dieser langweilige Tag fand einen höchst interessanten Abschluss. Abends
als es bereits dunkelte, kam unser Halbchinese in grosser Aufregung, wie
gewöhnlich wenn er etwas Neues wusste, und lud uns ein schnell ihm zu
folgen, er wolle uns zu einem Hula Hula führen, wie wir noch keinen
gesehen hätten. Da nichts Besseres zu thun war, ging ich mit. Ich
versprach mir nicht viel und dachte, es handle sich wieder um eine der
gewöhnlichen erotischen Unternehmungen, zu welchen dem Fremdling in jenem
Lande so reichlich Gelegenheit geboten wird.

Wir hatten bis ans andere Ende der ausgedehnten Ortschaft zu gehen. Schon
von weitem tönte die einförmige wilde Melodie und das schrille Klappern
der Kalebassen durch die Gärten herüber, als wir auf engen schlüpfrigen
Seitenpfaden zwischen Zäunen und niedrigen Mangobäumen leise im
Gänsemarsch dahinwanderten.

Neugierige standen in Gruppen vor dem Hause, welches unser Ziel war, und in
dessen Veranda, von einer Petroleumlampe beleuchtet, zwei Frauenzimmer
auf dem Boden sassen und unter dem rhythmischen Hin- und Herwerfen des
Oberkörpers und der Arme die uns bereits wohlbekannte geräuschvolle Musik
verübten. Unter der Thüre, hinter den geöffneten Fenstern und im Innern
des Hauses, welches durch seine europäischen Möbel einen höheren Grad
von Wohlhabenheit verrieth, sassen alte Weiber, ein paar Männer und einige
junge Mädchen.

Wir schienen nicht unwillkommen zu sein. Man machte Platz in der Veranda
und brachte Stühle heraus. Hapai stellte uns den jungen Damen vor. Sie
waren entfernte Kousinen von ihm und hatten auf der Missionsschule Englisch
gelernt. Nun freuten sie sich, ihre Konversationskünste zeigen zu können,
und plapperten sehr angenehm los, trotzdem der unaufhörliche Lärm der
Hula Hula-Rassel das Sprechen beinahe vereitelte.

Eine geraume Weile sassen wir so da, ohne zu ahnen, welcher
eigenthümlichen Art von Feierlichkeit wir beiwohnten, bis eine der
anziehenden Schönen frug, ob wir nicht ihre todte Schwester ansehen
wollten. Erstaunt und ungewiss, ob wir auch richtig verstanden, traten wir
ins Innere, und -- da lag wirklich eine Leiche mitten im Zimmer auf dem
Paradebett, die Leiche eines jungen Mädchens von 17 Jahren.

Blumenkränze und Blattguirlanden bedeckten das schwarze Tuch, welches
über sie gebreitet war. Zwei Frauen, schwarzgekleidet wie die Uebrigen,
kauerten traurig daneben, zerdrückten hie und da mit dem Taschentuch eine
Thräne und wehrten mit Blumenwedeln die Fliegen ab.

Draussen aber lärmten unermüdlich und immer ungestümer die beiden
Tänzerinnen. Sie hatten sich erhoben und führten nun jene äusserst
unzüchtigen Bewegungen aus, welche zum Hula Hula gehören.

Wir waren Zeugen einer Todtenfeier im altem Styl. Und dieselben Frauen, die
eben an der Leiche geweint hatten, traten dann und wann ans Fenster, sahen
dem Hula Hula zu und klatschten laut und lachten ausgelassen, wenn gerade
eine Passage besonders verfänglich war. Wie ganz anders als wir mussten
diese Menschen fühlen.

Wir setzten uns wieder in die Veranda. Unseren jungen Damen war keine
sonderliche Traurigkeit anzumerken, sie waren heiter wie immer. Nur an dem
Hula Hula schienen sie nicht denselben Gefallen zu finden wie die älteren
Weiber. Sie gehörten entschieden der besten Klasse von Hawaiierinnen an
und hatten soviel Vornehmes und Ladylikes in ihrem Benehmen, dass sie den
Vergleich mit Europäerinnen nicht zu scheuen brauchten. Dabei besassen sie
den ganzen naturfrischen Duft ihrer Rasse. Ihre weissen Zähne glänzten
so verführerisch und ihre Augen blitzten so herausfordernd, dass es nicht
Wunder nahm, wenn meine Gefährten bald wärmer wurden und den Gesprächen
eine Wendung gaben, die es mir lieb machte, dass die Mädchen nur
mangelhaft Englisch verstanden. Und mit welcher Würde und mit wie viel
Anmuth wussten sie ihre Abweisung zu erkennen zu geben, als sie endlich
begriffen.

Unterdessen klapperten und schrieen die Tänzerinnen immer wüthender fort,
und immer leidenschaftlicher wurden ihre Hüftenevolutionen, und immer
entzückter lachten und klatschten die alten Weiber, die Mütter und Tanten
unserer Freundinnen.

Und wie ich das sah, schien es mir selbst, dass wir nicht an einem Orte
waren, für welchen schüchterne Zurückhaltung passte. Da kam aber gleich
wieder die hoheitsvolle sittliche Entrüstung, sobald wir uns die kleinsten
Freiheiten erlaubten. War dies Koketterie oder Wahrheit, mitten in solcher
Umgebung, im Angesicht des scheusslichen Hula Hula? Man verzieh uns
übrigens und vertraute uns an, dass der anwesenden jüngeren Generation
der Hula Hula ebenso verhasst sei, als beliebt bei der älteren.

Wir hatten zwei Kulturstufen, die eine tiefe Kluft trennte, vor uns. Die
Alten staken noch fest in ihrer alten Barbarei, die Jungen fühlten bereits
europäisch. Dass beide Kulturstufen, anderwärts durch jahrhundertlange
Zwischenstufen vermittelt, hier auf einem Fleck nebeneinander vorkamen, war
ein Anachronismus, der eben nur bei einer so rapiden Zivilisirung möglich
ist, wie die Hawaiier sie genossen.

In einem Missionarbericht aus den zwanziger Jahren erinnere ich mich ein
Gegenstück zu unserem Erlebniss gelesen zu haben. Als Kamehameha II.
gestorben war, trauerte ganz Honolulu um ihn und zwar in folgender Weise.
Beide Geschlechter enthielten sich Wochen lang jeglicher Bekleidung. Einige
hackten sich die Finger ab, andere schlugen sich die Vorderzähne aus.
Tag und Nacht wurde Hula Hula getanzt, und die Weiber ergaben sich der
uneingeschränktesten Prostitution.

Als wir am nächsten Morgen wieder nach jenem Hause gingen, um der
Beerdigung beizuwohnen, war diese schon vorüber. Vor der Veranda aber sass
ganz allein ein altes Weib, die Mutter des todten Mädchens, und sang die
Todtenklage, ein so herzzerreissendes grässliches Wimmern und Heulen, wie
ich vorher nie von einer menschlichen Stimme vernommen hatte.

Trotz des schlechten Wetters folgten wir einer schon früher erhaltenen
Einladung Kapitän Spencers, des amerikanischen Konsuls von Hilo, ihn in
seiner eine Viertelstunde entfernten Zuckerfabrik zu besuchen. Kapitän
Spencer, ebenfalls ein ehemaliger Walfischfänger, wie alle die vielen
»Captains« auf Hawaii, ist eine hervorragende Persönlichkeit. Jedermann
weit und breit kennt ihn, er ist berühmt durch seine Körperstärke und
durch die vielen halbbraunen Kinder, die er allenthalben gezeugt hat. Er
fängt aber auch bereits an alt zu werden, und als wir zu ihm kamen, war er
in sehr schlechter Laune, denn er litt wieder einmal an einem Gichtanfall.
Dieses hinderte ihn jedoch nicht uns aufs Reichlichste zu bewirthen.
Unangenehm war nur der Ton des Gespräches, den er anschlug, indem er mit
dröhnender Stimme über Alles schimpfte, was nicht amerikanisch war, und
erst aufhörte, als wir uns empfahlen. Er gab uns einen Burschen bei zur
Führung durch seine ausgedehnten Zuckerfelder, die sich ein paar Meilen
ins Land hinauf erstrecken, und durch die Siederei.

Künstlich angelegte Abzweigungen des reissenden Wailuku dienen dazu, das
oben geschnittene Zuckerrohr herabzuschwemmen. Die Siederei ruhte eben,
ein Theil derselben war vor wenigen Wochen abgebrannt, wahrscheinlich durch
einen entlassenen Arbeiter angezündet. Auf diesem Rundgang begegneten wir
einem blonden Hawaiier mit blaugrünen Augen. Er sah skrophulös aus und
hatte Drüsennarben am Halse. »Kanaka maoli« (maoli-maori, echt) sagte
mir der Führer. Ohne diese Bemerkung würde ich ihn für einen Engländer
oder Deutschen der ärmsten Auswanderersorte gehalten haben.

Am 30. August sollte der Dampfer Kilauea wieder kommen, um uns nach
Honolulu zurückzubringen. Wir warteten vergeblich den ganzen Tag, aber
er kam nicht. Auch der folgende Tag verging, und kein Dampfer liess sich
sehen. Es musste ihm etwas zugestossen sein. Der Postmann, welcher die
Strecke von Hilo bis Kohala an der Nordspitze der Insel abgeritten hatte,
traf mit der Nachricht ein, auch in Kohala und in Kawaihae sei nichts von
einem Dampfer zu bemerken gewesen. Man fing an zu munkeln, der Kilauea sei
untergegangen, er sei schon seit lange nicht mehr seetüchtig, kein Wunder
dass ihn endlich sein Ende ereilt. Da sassen wir nun und wussten nicht was
thun, ohne Telegraphen und ohne Gewissheit.

Es blieb vorläufig nichts übrig, als geduldig zu warten und die Zeit zu
vertreiben so gut wir konnten. Wir machten Kanuufahrten ins Meer hinaus,
wir gingen mit aufgespanntem Regenschirm am Strand spazieren, wir badeten
Vormittags in der See und Nachmittags im Fluss, wir machten Besuche und
empfingen solche, und Abends kam, falls es nicht zu stark regnete, der
Gesangverein von Hilo und gab uns ein Konzert draussen im Garten um ein
paar Zigarren zu verdienen.

Aber alles dieses war eigentlich doch sehr langweilig, jetzt da unser
Programm durch das Nichterscheinen des Dampfers gestört war und wir alle
von Hilo fortzukommen wünschten. Auch das famose Bad im Wailuku hatte
allen Reiz eingebüsst, da die höhere weibliche Schuljugend sich nicht
mehr einstellte. Ihre so anziehende Schwimm- und Purzelbaumproduktion des
ersten Tages hatte das Missfallen der frommen Missionäre erregt. Es
war ihnen eingeschärft worden, unsere Nähe zu meiden, und um die
Tugendhaftigkeit im Kampf mit dem Bösen zu unterstützen, schlich
nächtlicher Weile die hohe Polizei um unser Hotel.

Zwei Tage warteten wir noch, und als der Kilauea immer noch nicht kam,
mussten wir das Hoffen auf ihn aufgeben und in irgend einer anderen Weise
nach Honolulu zurückzugelangen suchen, wollten wir nicht den Verlust
unserer Passage nach San Francisco riskiren. In Kohala, war uns gesagt
worden, läge ein Schuner segelfertig für Honolulu, und wenn wir uns
beeilten, könnten wir diesen noch erreichen. Zu Land und mit Pferden
würden wir mindestens zwei Tage gebraucht haben, und ans Reiten konnten
wir mit unseren zerschundenen Gliedmassen nicht denken. Wir beschlossen
deshalb, irgend ein Fahrzeug zu miethen und dorthin aufzubrechen.

Das war aber leichter gesagt als gethan. Man suchte uns jetzt durch alle
möglichen Vorstellungen der grossen Gefährlichkeit einer solchen Reise an
der Küste voller Klippen und Brandung entlang abzuhalten. Erst nachdem
wir nochmals einen Tag mit Herumlaufen nach jeder Richtung verloren hatten,
gelang es uns durch die gütige Vermittelung Kapitän Spencers, ein grosses
Walfischfängerboot aus der guten alten Zeit der Walfischfängerei, welches
schon lange keinen Walfisch mehr gesehen hatte, sowie eine Mannschaft von
sechs Kanakas aufzutreiben und für 50 Dollars bis Kohala zu miethen.

Wir verproviantirten uns mit Esswaaren und Trinkwasser und um Mitternacht
sollten wir in See stechen. Wir hätten dies eigentlich schon
mehrere Stunden früher thun können. Aber da wir für den Abend bei
liebenswürdigen jungen Damen zu einem Souper eingeladen waren, so mussten
wir die Abfahrt verschieben.

Die holden Wahines hatten uns Blumenkränze zum festlichen Schmucke
geschickt, wir kauften noch einige mehr dazu, und blumenbehangen wie die
Boeufs gras zu Paris verfügten wir uns in ihre Behausung. Es handelte sich
um eine etwas verfeinerte Mahlzeit im landesüblichen Styl mit Poi, rohen
Fischen, Fischgedärmen, roher Schweinsleber und Seemuscheln. Um auch dem
europäischen Geschmack Rechnung zu tragen, gab es ausserdem noch kalte
Hühner, Schinken und Brot, Kaffe und Thee.

Die ganze Bescherung war in der Mitte des Zimmers auf dem mattenbelegten
Boden ausgebreitet. Wir setzten uns ringsherum und kreuzten die Beine,
neben und zwischen uns die braunen Schönen, selbstverständlich
gleichfalls über und über mit Blumen bekränzt. Die Versammlung war
ein duftender Blumengarten. Wirkte nun allerdings das Fremdartige einiger
Gerichte störend auf unseren Appetit, und konnte man sich auch vielleicht
daran stossen, dass die nackten Füsse der Damen häufig mit den uns
vorgesetzten Portionen in Berührung geriethen, und dass wir Alles mit den
Händen zu zerreissen hatten, so waren unsere Wirthinnen doch von einer
so gewinnenden Liebenswürdigkeit, und es machte ihnen sichtlich so viel
Freude uns zu bewirthen, dass wir mit Beherrschung der widerstrebenden
Gefühle wacker zugriffen und ihnen selbst gestatteten, uns eigenhändig
den Poi-Brei in den Mund zu schieben. Man that uns damit eine Ehre an,
deren Ablehnung eine Beleidigung gewesen wäre. Sie machten ihre Sache auch
recht artig und gingen erst hinaus um sich die Hände zu waschen, ehe sie
damit in die grossen Kalebassen tunkten, den sauren Kleister um die zwei
ersten Finger wickelten und uns willenlose Opfer damit regalirten.

Die Bootsmannschaft, welche wir auf elf Uhr bestellt hatten, wurde
ungeduldig und wir mussten uns losreissen. Noch ein zärtlicher Abschied,
viel hundert Alohas, und wir wandten uns nach dem Gestade.

Mister Wilky liess sein Pferd satteln uns zu begleiten. Ein zahlreicher
Tross von Chinesen und Kanakas holte das Gepäck aus dem Hotel herbei, und
unter den kräftigen Tönen eines kriegerischen Gesanges marschirten wir
durch die nächtlich stillen Strassen von Hilo. Ein dreimaliges Hurrah und
wir stiessen ab. Den bereits im Schlummer liegenden friedlichen Bewohnern
wäre es wahrscheinlich lieber gewesen, wenn wir uns minder geräuschvoll
empfohlen hätten. Mancher Fluch mag uns nachgesandt worden sein. Als wir
in die Bucht hinausgerudert waren und die ersten Windstösse um die Ecke
kamen, schlug es auf den zwei Kirchthürmen zwölf Uhr.

Nur selten erschien der Mond in den Lücken des Gewölks und beleuchtete
auf kurze Augenblicke die gigantischen Massen Hawaiis, unter denen wir,
getrieben von dem frischen Hauch des Passates, vorüberglitten. Leider
stellte sich die Seekrankheit ein, und die Fahrt in dem engen Boot wurde
sehr ungemüthlich. Zwar hatten wir uns so komfortabel als möglich
eingerichtet. Das Hintertheil unseres Fahrzeuges war durch Matratzen und
Kissen und Decken in ein geräumiges Bett für drei Personen umgewandelt,
und die Reihenfolge des Schlafens war ausgeloost worden. Aber drei von uns
fünfen stöhnten so jämmerlich, dass mein Freund Bats, an den ich mich
enger angeschlossen, und ich selbst gerne auf unser Recht verzichteten.

Der Morgen kam und enthüllte eine Naturschönheit nach der anderen.
Schade dass wir in unserem unausgeschlafenen Zustand, müde, gähnend und
blinzelnd, nicht viel davon geniessen konnten. Wieder ging es an den vielen
Wasserfällen vorüber, die zur tosenden Brandung herabstürzten, an
der grossartigen Thalschlucht des Waipiu Valley, an kahlen Wänden,
ununterbrochen oder zu riesigen Blöcken zerklüftet senkrecht aus
dem Meere emporschiessend, um erst in 300 Meter Höhe zu einem sanft
ansteigenden Winkel sich abzubiegen, an Zuckerplantagen und Ohiawäldern
oben auf unzugänglicher Kante, an einsam verlassenen Kirchen und an
Ortschaften, winzig klein im Grunde der steil gethürmten Felsenkulissen.
Häufig fuhren wir so nahe an Vorsprüngen der Insel hin, dass wir deutlich
Menschen erkannten, welche unter den Blöcken und dem schäumenden Gischt
des Ufers herumkrochen und fischten.

Gegen Mittag waren wir in Kohala, das heisst an der nördlichen Landspitze.
Von dem Dorfe dieses Namens selbst, welches eine Viertelstunde binnenwärts
liegt, war noch nichts zu sehen. Wir fanden erst nach längerem Suchen den
Landungsplatz. Die See ging hoch, unser Kapitän kannte den Grund nicht,
überall drohten Klippen. Zum Glück erschien als rettender Engel eine
Kanakin zu Pferd auf dem nächsten Hügel und blickte verwundert zu uns
herab. Einer unserer Leute zog sich aus und schwamm ans Ufer, um sich bei
ihr zu erkundigen. So gelangten wir endlich in eine versteckt gelegene
Bucht, in welcher ein Boothaus stand, die erste Andeutung menschlicher
Wohnstätten. Von dem versprochenen Schuner weit und breit nichts zu
entdecken.

Kohala ist ein öder und langweiliger Platz und liegt in der Mitte einer
ganz reizlosen, welligen Stoppelgrasfläche, die sich langsam zu dem
dritten und kleinsten Hauptvulkan der Insel, dem Hualalai, hinaufzieht.
Eine grosse Zuckersiederei, eine Reihe von Wohngebäuden, an deren Ende
eine Kapelle, und weitherumgestreut etliche Hütten von Eingeborenen setzen
die ausgedehnte Ortschaft zusammen.

Es stellte sich nun heraus, dass die ganze Geschichte von dem Schuner, mit
der man uns veranlasst hatte hierher zu reisen, Schwindel war, und auf
alle Anfragen nach einer Fahrgelegenheit erhielten wir nur Achselzucken und
unfreundliche Gesichter zur Antwort. Man lud uns ein, hier zu bleiben und
auf unbestimmte Zeit zu warten. Für heute war allerdings nichts Besseres
zu thun als auszuschlafen und das Weitere bis morgen zu verschieben. Wir
nahmen deshalb bei dem Besitzer der Zuckersiederei Quartier.

Der nächste Tag war unglückseliger Weise ein Sonntag, und unser sonst
sehr liebenswürdiger Wirth entpuppte sich als ein arger Mucker. Bats und
ich hatten beschlossen, um jeden Preis nach Honolulu weiterzugehen, und
sollte es auch in unserem offenen Walboot sein. Wir kollidirten damit
aufs Heftigste mit den herrschenden Sabathgefühlen und nichts wurde
unterlassen, gegen unser Vorhaben zu intriguiren. Auch die drei anderen
Gefährten waren dagegen, wohl mehr aus Furcht vor der See als aus wahrer
Religiosität. Schliesslich siegten wir aber doch, und gegen 65 Dollars
und das Versprechen, Boot und Mannschaft von Honolulu nach Hilo mit
dem nächsten Schuner oder auch mit dem Dampfer, falls er wieder ginge,
zurückzuschicken, übernahm es der Kapitän, uns beide nach Honolulu zu
bringen. Die anderen drei blieben zurück.

In Kohala war es unerträglich öde und feierlich. Den ganzen Morgen
klimperte der blasse Backfisch des Hauses geistliche Melodien auf dem
Klavier, während wir unten im Garten uns mit dem frommen Vater und unserer
Bootsmannschaft herumdisputirten. Als wir bereits am Landungsplatz unten
waren, um uns einzuschiffen, erhoben sich neue Schwierigkeiten. Wir wollten
noch zwei Kalebassen Poi für die Mannschaft mitnehmen. Aber heute war
Sonntag, und kein Mensch in Kohala getraute sich etwas zu verkaufen, und
ohne den Poi erklärte die Mannschaft aufs Bestimmteste, nicht zu fahren.
Zum Glück fanden wir doch noch einen Kanaka bereit, gegen das Fünffache
des gewöhnlichen Preises den unumgänglichen Kleister heimlich zu liefern.

Endlich stiessen wir wirklich vom Lande und waren der peinlichen
Ungewissheit ledig. Hinter uns die gottesfürchtige Sonntagslangeweile von
Kohala zurücklassend ruderten wir in das offene Wasser hinaus, wo uns
bald ein günstiger Wind ergriff. Das Wetter war Gutes versprechend.
Passatwolken rings am Horizont, nur die Berge der Inseln dunkler
verschleiert.

Unser Kapitän wollte rechts nach der Windseite von Maui steuern. Da wir
jedoch seiner Navigation und der Takelage nicht viel zutrauen durften,
bedeuteten wir ihm, dass wir in Lee um die Insel gehen wollten. Wir
fürchteten die Wogen und die Brandung des freien Meeres, hatten aber
entschieden Unrecht, da wir aussen herum viel schneller vorwärts gekommen
wären.

Ein Fregattvogel zog seine Kreise hoch in den Lüften. Kleine fliegende
Fische schwirrten neben uns aus dem Wasser und mehrere von ihnen fielen
in unser Boot. Die See ging heftiger und eilig durchfurchte der Kiel die
hüpfenden Wellen. Wir freuten uns die drei seekranken Reisegefährten los
und im alleinigen ungeschmälerten Besitz des Matratzenverdecks zu sein.

Gegen Abend wurde die Luft verdächtig klar und die gewaltigen Formen des
Haleakala traten uns immer näher entgegen. Scharfgeschnitten hoben sich
seine ungeheuren Radienpfeiler aus dem Meere, strahlendes Sonnenlicht
auf den Kanten und tiefe, warme Schatten in den riesigen Schluchten,
so ergreifend schön und grossartig, wie ich niemals vorher Aehnliches
gesehen.

Wie sehr verschieden sind doch diese Hawaiischen Inseln von den
Viti-Inseln, obgleich beide ungefähr gleichweit vom Aequator entfernt
sind, die einen südlich, die anderen nördlich. Während in der
Landschaft von Viti das Anmuthige und die Ueppigkeit tropischer Vegetation
vorherrscht, trägt hier Alles den Charakter des Wilden, Gigantischen. Noch
viel mehr aber als sonst irgendwo auf der ausgedehntesten und jüngsten und
südöstlichsten der Inseln, auf Hawaii, welche jetzt gleichfalls wie zum
Abschied in ihrer ganzen Pracht sich entfaltete. Hoch über der Wolkenlinie
schwammen duftig violett und bestreut mit glitzernden Schneefeldern die
beiden Häupter Maunaloa und Maunakea, beide mehr als 4000 Meter hoch. Sie
bestehen durchaus aus Lava. Und wenn man bedenkt, dass sie sich mit einer
Basis von beinahe 60 Seemeilen oder 111 Kilometer im Durchmesser zu ihrer
gewaltigen Höhe erheben, und dass ihre Konturen ohne Brechung in einer
sanftabsteigenden geraden Linie aus den Wolken herabkommen, so kann man
sich ungefähr einen Begriff machen, welche kolossale Massen hier durch
Lavaeruptionen geschaffen wurden.

Wir segelten bereits ganz dicht an der Brandung von Maui entlang, als mit
einem mal der bisher so günstige und frische Wind aufhörte und tödtliche
Stille eintrat.

Es war wie eine Strafe für die unzüchtigen Gespräche und Geberden
des Kapitäns, womit er uns zu unterhalten suchte. Erst hatte er uns
die Bewegungen des Hula Hula mit all seinen scheusslichen Feinheiten
vorgemacht, dann über die Frauenzimmer des frommen Kohala geschimpft, die
nichts mehr davon verstehen wollten, und dagegen die Mädchen seines Dorfes
gepriesen, die darin noch sehr bewandert seien. Dies war auch in so fern
höchst interessant, als er dabei die teuflischesten Grimassen schnitt,
deren das Teufelsgesicht eines solchen obszönen und lasziven Kanakas
überhaupt fähig ist, wenn er von Weibern spricht. Die Mannschaft hatte
ihm jubelnd Beifall geklatscht. Jetzt da sie wieder rudern mussten, legte
sich ihre Heiterkeit. Sie arbeiteten faul und verdrossen an den Riemen und
benutzten jeden Vorwand, um sich eine Pause zu gönnen. Bald zog einer zur
Erleichterung sein Hemd aus, ein anderer zog es wieder an, bald bewunderten
sie die Pracht des aufgehenden Mondes und hörten deshalb insgesammt zu
rudern auf, oder sie kauten an langen Zuckerrohrstangen, und schliesslich
fing einer an das Abendgebet vorzubeten, und alle entblössten ihr Haupt
und falteten die Hände und sahen nun so fromm und andächtig aus, als ob
sie niemals gezotet hätten.

Wir schliefen ein, und als ich erwachte schlief auch die ganze Mannschaft
und schnarchte. Senkrecht über uns stand der Vollmond und goss sein
mildes Licht über die leise wogende See, über unser langsam auf- und
niederschwebendes Boot und über die nahen Felsgründe des Haleakala. Eine
zauberhafte Stille lag ringsum auf der Umgebung, kein Lüftchen regte
sich, schüchtern gluckste das Wasser unter dem Kiel. Es war eine äusserst
poesievolle, aber auch etwas gefährliche Situation. Auf allen Seiten
drohten Klippen mit heftiger Brandung, und wir trieben gerade im Fahrwasser
des Dampfers, der ja doch mittlerweile ausgebessert sein und den Dienst
wieder aufgenommen haben konnte.

Eine Weile genoss ich noch die Schönheit der Nacht und der Umgebung, dann
weckte ich die Schläfer und trieb sie zur Arbeit an. Hie und da fächelte
uns ein leiser Zephyr die Wangen, und gleich hörten wieder die Kanakas zu
rudern auf und setzten das Segel, um es bald wieder wegnehmen zu müssen.

So kamen wir langsam vorwärts, bis die niedrige flache Lücke zwischen
dem Haleakala und dem westlichen Gebirgsstock von Maui erreicht war, durch
welche der Passat ungehemmt herüber weht. Nach Sonnenaufgang hatten wir
diese und den schönen Wind hinter uns und abermals Stille. Die Hitze wurde
drückend. Am Ufer kam gerade eine grüne Oase in Sicht, vor welcher eine
zahlreiche Gesellschaft mit Fischen beschäftigt war. Wir beschlossen hier
zu landen um unser Frühstück statt in dem schaukelnden Boot auf festem
Boden zu verzehren.

Etliche Mädchen rannten nach ihren Hemden als wir uns näherten, und
ein paar Männer wateten dienstfertig uns entgegen, packten das Boot und
leiteten es durch die Klippen, welche aus dem sandigen Grunde hervorragten.
Das Boot stiess fest, und wir sprangen ans Ufer. Die liebenswürdigen
Insulaner hatten bereits eine Menge kleiner kaum fingerlanger Fische
gefangen und in Töpfen über einem prasselnden Feuer gekocht. Wir setzten
uns in den spärlichen Schatten der nächsten Palme und theilten unsere
gepöckelten Austern, unseren Schinken und unseren Zwieback mit ihnen,
wogegen sie uns von ihren sehr wohlschmeckenden Backfischchen gaben. Wir
waren bei diesem famosen Picknick zweifellos im Vortheil, wenn auch unsere
selteneren Artikel bei jenen die grössere Freude hervorriefen. Trotz des
strengen königlichen Verbots liessen wir auch an unserem Whisky nippen,
der den meisten noch neu zu sein schien und ein schauerlich wollüstiges
Grinsen abzwang.

Wir baten die braunen Freunde, ihre Methode des Fischens zu zeigen, und sie
gingen ins Wasser, die Männer bis auf den Maro nackt, die Weiber jetzt
mit ihren Hemden bekleidet. Unter Kanakas pflegt das zarte Geschlecht sich
weniger zu geniren und fischt sehr oft ohne alle Gewandung. Männer jedoch
habe ich niemals ohne Maro gesehen. Ein grosses Netz wurde von zwei Jungen
auf dem Grunde ausgebreitet und an den Zipfeln gehalten. Die übrige Schaar
formirte einen weiten Kreis und trieb, mit Armen und Beinen plätschernd,
die Fische über das Netz zusammen, welches schliesslich, rasch
emporgezogen, jedesmal eine reiche zappelnde Beute gewährte.

Schon gleich im Anfang war mir ein schöner, stattlicher Mann aufgefallen,
der das Haupt der Gesellschaft sein musste. Scharfe, intelligente Züge,
ein wohlgepflegter Henriquatre und sorgsam gescheiteltes Haar gaben ihm
den Typus eines eleganten französischen Gendarmeriebrigadiers. Er
sprach fliessend Englisch und hatte viel natürliche Kourtoisie in seinem
Benehmen. Auch er war nackt bis auf den Maro und entpuppte sich als
Zeitungskorrespondent. Bei unserer Ankunft war ein Reiter zugegen gewesen
und rasch ins Innere abgesprengt. Nun kam dieser zurück, einen Bogen
Papier und einen Bleistift in der Hand, und jener feine wohlfrisirte
Kavalier richtete höflich an uns das Ersuchen, ihm unsere Namen zu
notiren, er schreibe Berichte an die in Honolulu erscheinende hawaiische
Zeitung, und er könne ihr das wichtige Ereigniss unserer Landung bei ihm
nicht vorenthalten. Mit Vergnügen willfahrten wir diesem interessanten
Mann der Presse.

Drei Stunden später näherten wir uns, von einer plötzlich
aufgesprungenen munteren Brise vorwärtsgetrieben, der Hauptstadt der Insel
Maui, Lahaina, wo wir abermals ausstiegen.

Lahaina hat vielleicht 500 Einwohner und liegt auf einer grünen Zunge, die
sich aus wüsten und kahlen Höhen in die See herausstreckt. Die Häuser
sind klein und malerisch unter Palmen und Bananen verborgen. Vorne am
Hafen steht in der Sonnenhitze ein alter Thurm und ein grösseres
Regierungsgebäude. Wir wollten Wassermelonen kaufen und Kaffe trinken. Da
es hier zwar mehrere chinesische Speisespelunken aber kein Hotel giebt, so
wurden wir von einem sehr artigen städtisch gekleideten Kanaka, der nebst
einer Menge Neugieriger uns bewillkommnend herbeieilte, zum Bäcker des
Ortes geführt, welcher einer der wenigen ansässigen Weissen war. Diese
Hawaiier sind alle von der grössten uneigennützigsten Zuvorkommenheit.

Das Erste was ich erblickte, als wir beim Bäcker eintraten, war das
Porträt Ludwigs II. von Baiern, ein Holzschnitt aus irgend einer
illustrirten Zeitung, welcher an der Wand klebte. Ich befand mich in dem
Hause eines engeren Landsmanns, der alsbald dick und schwerfällig, eine
echt baierische Bäckergestalt, aus dem Hintergrund sich hervorwälzte.

Wie sein Name hiess, weiss ich leider nicht mehr. Es war schwer aus dem
alten, schweigsamen Kauz etwas herauszubringen. Deutsch oder vielmehr
Baierisch hatte er theilweise vergessen, Englisch wohl nie recht gelernt,
obgleich er früher in Kalifornien Gold gegraben. Mit dem Hawaiischen, dem
Idiom seiner Gattin, gings vielleicht besser, Hawaiisch aber verstand
ich nicht. Er begriff erst nach einiger Zeit, dass ich aus München sei,
erinnerte sich langsam, dass auch er einmal dort gewesen und sogar noch
Verwandte dort habe. Allmälig thaute er auf und zeigte mir einen Brief
seiner Schwester, der schon mehrere Jahre alt war, und frug mich, ob ich
sie nicht vielleicht kenne, sie habe früher beim Lotzbeck gedient, der
den vielen Schnupftabak mache. Ich schrieb mir die Geschichte in mein
Notizbuch, und als ich später einmal in München von den Sandwichinseln
sprach, wurde mir von jener Köchin erzählt, die nun todt ist, und deren
Kinder vor Kurzem über das Meer gegangen sind, um ihren Onkel den Bäcker
von Lahaina aufzusuchen und sein Geschäft zu übernehmen. Denn seine Ehe
ist ohne Frucht geblieben.

Nachdem wir Kaffe und eine heimliche unerlaubte Flasche Bremer Bier von
derselben Sorte wie auf dem Vulkan Kilauea getrunken, schüttelten wir dem
Landsmann die Hand und fuhren wieder ab.

Wir hatten eben etwa zehn Minuten gerudert und auf die Langsamkeit
unserer Reise geschimpft, da kam unerwartet schnell viel mehr Wind als wir
brauchten. Der Kanal zwischen den Inseln Maui und Molokai öffnete sich,
der Passat fegte stürmisch darüber hin, die Wogen gingen höher und
höher und warfen unser Boot auf und nieder, dass es verdächtig in unserer
zweifelhaften Takelage krachte. Ueberall war die See weiss von dem Gischt
der Wellenkämme. Hoch empor schäumte das Wasser vorne am Steven, grobe
Sprühregen über uns giessend, und nach links und nach rechts gierte das
Boot unter dem Druck des Steuers, welches nun der Kapitän ergriffen hatte.
Der sonst so laszive Kerl musste mir jetzt imponiren. Er bot das schönste
Bild eines entschlossenen, scharf nach allen Vortheilen spähenden Mannes,
der mit den Elementen um sein und unser Leben kämpfte. Mit grosser
Geschicklichkeit verstand er, den höheren Wellen auszuweichen, und oft
furchte sich besorgnissvoll seine Stirne. Die Fahrt wurde bedenklich. Bats
und ich, wir sprachen kein Wort, jeder von uns fühlte vielleicht etwas wie
Reue über unser Wagniss. Ich wusste nicht, sollte ich wünschen dass das
Segel aushielt und uns nach Honolulu brachte, oder dass es lieber reissen
und uns dadurch vom Kentern bewahren möchte. Vorne auf den schräg
ansteigenden Sandflächen des Ufers von Molokai zeigten sich zuweilen
eigenthümliche Säulen wie von Rauch oder Sand, die sich fortbewegten, und
ich erinnerte mich gelesen zu haben, dass hierzulande Windhosen ziemlich
häufig seien. Waren es solche, und geriethen wir zufällig in ihr Bereich,
so hätten sie uns wahrscheinlich nicht lange am Leben gelassen. Wir
behielten sie sorgsam im Auge, aber sie verschwanden je mehr wir uns
näherten. Der Himmel war seltsam düster. Eine blauschwarze Bank stieg
über Molokai auf, rostrothe geballte Wolken flogen vor ihr her und
bildeten einen grellen Gegensatz zu ihrem unheimlichen Dunkel.

Nach vier ziemlich unangenehmen Stunden endlich, während deren kaum ein
Laut geäussert wurde, höchstens dass unsere Mannschaft zuweilen Rufe
ausstiess, als ob sie die Wogen beschwören wollte, kamen wir unter Land,
in ruhigeres Wasser und mässigeren Wind. Wir athmeten erleichtert auf, und
sofort begann beim Kapitän auch wieder die Laszivität. Er übergab das
Steuer und holte wieder die Hula Hula-Rassel hervor, um zu rasseln und zu
singen und unzüchtige Geberden zu machen.

Noch hatten wir den breitesten Kanal offener See zwischen Molokai und Oahu
zu bestehen, ehe wir in Sicherheit waren. Wir erreichten diesen, als eben
die Sonne unterging, und jenseits des Abendrothes der Vollmond glühend
emporstieg. Der Wind war hier nicht mehr so heftig. Die See ging zwar
hoch, aber nur wenige Schaumkämme zeigten sich auf den Wellen. Trotz der
herrlichen Mondnacht konnten wir unser Ziel, die fernen Massen der Insel
Oahu, welche Gewölk überlagerte, nur eben noch erkennen. Endlich hellte
es vorne ein wenig auf, und die kahlen Wände von Diamond Head traten
deutlicher vorne als Richtpunkt heraus, immer höher und höher rückend.
Eine Viertelstunde nach der anderen verging, wir glaubten Diamond Head
greifen zu können, und immer noch war es fern und wollte nicht näher
kommen, obwohl wir nicht weniger als sieben Meilen die Stunde segelten. Ich
werde diesem Wahrzeichen von Honolulu, das wir müde der gewagten Fahrt so
heiss herbeisehnten, nie vergessen, wie es uns damals neckte.

Nachts um Ein Uhr kamen wir glücklich nach Honolulu, nachdem wir bei
Waikiki uns noch eine Weile zwischen den Riffen verirrt hatten. Wir
lauschten und hörten einen einsamen Kanaka in seinem Kanuu dem Ufer
entlang rudern, wir riefen ihn an, und er brachte uns wieder auf den
richtigen Weg, ohne dass wir ihn erblickten. Kurz vorher war ein grösseres
Fahrzeug mit einem rothen Licht weit draussen in Sicht gewesen, welches nur
der Dampfer Kilauea sein konnte. Er war also doch nicht zu Grunde gegangen.

Tiefe nächtliche Ruhe lag über den Schiffen des Hafens, als wir dem Kai
zuruderten. Ein Posten rief uns an, woher wir kämen und ein »Oh« des
Erstaunens entschlüpfte ihm, als wir »von Hilo« antworteten. Der ganze
Zauber einer tropischen Mondnacht erfüllte die stillen Strassen und
Gärten Honolulus. Ferne schmachtende Gesänge liessen sich leise
vernehmen, und ein Liebespaar, blumenbekränzt und eng umschlungen, sie den
Arm um seine Hüften und er um ihren Hals, wandelte schwebenden Schrittes
nach Hause, als wir dem Hotel zustrebten, um den Wirth aus dem Bett zu
trommeln.

Der Kilauea war wirklich nicht zu Grunde gegangen, er hatte nur einen
Sprung in seinen alten Kesseln erlitten und nach dessen Reparatur
den Dienst wieder aufgenommen. Drei Tage später brachte er unsere
Reisegenossen, die in Kohala geblieben waren. Wir beide, Bats und ich,
hatten somit viel Geld und Wagniss umsonst geopfert. Die Verwaltung
des Kilauea gab uns indessen die Hälfte des bereits vorausbezahlten
Dampferfahrgeldes zurück, übernahm unentgeltlich die Rückbeförderung
unseres Walbootes nebst Mannschaft, wozu sie durchaus nicht verpflichtet
gewesen wäre, und lieferte damit ein Beispiel seltener Anständigkeit,
die man von europäischen oder amerikanischen Dampfergesellschaften wohl
niemals erwarten dürfte.



XXII.

LETZTE TAGE IN HONOLULU.

  Das Walboot und der Stadtklatsch der Honoluluianer. Audienz beim
  König. Festliche Zurüstungen. Bad im Kapena. Tanzvergnügen. Der
  Deutsch-englische Klub. Besuch verschiedener Kirchen. Die Missionäre.


Den nächsten Tag wusste ganz Honolulu um unsere Bootfahrt. Alles wunderte
sich und staunte uns an. Wir kamen in die Zeitung, und im Hotel und auf
der Strasse frugen die Leute uns unaufhörlich, ob es nicht furchtbar
gefährlich gewesen sei. Kamehameha der Grosse hat eine starke Armee auf
gebrechlichen Kanuus von einer Insel zur anderen gebracht, die jetzige
Generation ist durch Dampfer und Schuner schon so verweichlicht, dass sie
vor solchem Wagniss zurückschreckt.

Wir und das Walboot wurden das stehende Thema und wir wurden nervös,
von nichts als von dem Walboot zu hören. Wir besuchten einen Beamten im
Governementsgebäude und sahen bei ihm zum ersten mal eine amerikanische
Schreibmaschine. Bemüht uns gefällig zu sein setzte er sich sofort an das
Instrument und fingerte in die Tasten: »These Gentlemen have come in an
open Waleboat from« -- wir hatten genug von seinen Künsten und dankten.
Als wir bald darauf dem König Kalakaua vorgestellt wurden, war das Walboot
wieder das Erste, wovon Seine Majestät sprach. Die Fama knüpfte indess
an dieses Thema weitergehende abenteuerliche Geschichten. Ein Herr der
mich nicht kannte erzählte mir bei Tisch allen Ernstes, es seien in der
gestrigen Nacht zwei Europäer unter sehr verdächtigen Umständen gelandet
und von der Polizei in Gewahrsam genommen worden, und bei den Eingeborenen
galten wir für Parteigänger der Königin Emma, der halbweissen Wittwe
Kamehamehas IV., welche viel Sympathien geniesst und deren Rehabilitirung
von den Gegnern des jetzigen Königs noch immer gehofft zu werden scheint.
Es war mehr als ermüdend, von nichts anderem als von dem Walboot und all
den Versionen darüber reden zu hören. Honolulu ist eben eine richtige
Kleinstadt, und da es keine telegraphische Verbindung mit der übrigen
Welt hat, müssen sich die Leute dort von einem Schiff zum anderen mit dem
Lokalklatsch unterhalten.

Dank der Zuverlässigkeit des Nordostpassats gibt es zwischen Honolulu
und San Francisco noch eine vierwöchentliche Post per Segelschiff, welche
meist in der Mitte zwischen zwei Dampferposten eintrifft. Zum Glück
erschien am zweiten Tage eine solche und brachte nebst Briefen auch einige
Blatternfälle, die uns als Unterhaltungsstoff ablösten.

Der König hat zwei Schwestern, welche beide an englische Kaufleute
verheirathet sind. Die eine heisst Missis Dominis, die andere Missis
Gleghorn. Nachdem mittlerweile der zwanzigjährige Kronprinz gestorben, ist
Missis Dominis präsumptive Thronfolgerin geworden und ihr Mann, der einen
Laden für Alles in Honolulu hat, präsumptiver Prince Consort. Der
Hof mischt sich hier überhaupt sehr demokratisch mit den bürgerlichen
Elementen. Ich lernte zum Beispiel einen jungen Amerikaner kennen, der bei
feierlichen Gelegenheiten als Flügeladjutant in goldgestickter Uniform
mit breiter Schärpe, Degen und Generalshut neben Majestät reitet, an
gewöhnlichen Wochentagen aber als Komptorist bei einer grösseren Firma
beschäftigt ist.

Mister Gleghorn hatte die Güte, uns bei seinem königlichen Schwager
einzuführen. Wir warfen uns in schwarzen Anzug, obwohl dies eigentlich
gar nicht nothwendig gewesen wäre, und betraten das Innere der grossen
Residenzmauer durch eines der vier Thore, hinter welchem ein Gardesoldat
auf Posten stand und vor Mister Gleghorn, der sein zwangloses Ladenzivil
trug, das Gewehr präsentirte. Durch eine schattige Allee gelangten wir
zu mehreren niederen anmuthigen Gebäuden im Verandastyl, wo abermals ein
Gardist aber ohne Gewehr stand und die Hand salutirend an die Mütze legte.

Im Hintergrunde erschien eine auffallend hübsche Kammerzofe oder
Prinzessin oder Favoritin, guckte uns neugierig an und verschwand sogleich
wieder. Ein kokettes, schiefsitzendes Watteauhütchen beschattete das
braune Gesichtsoval, die grossen glühenden Augen und das blauschwarz
herabquellende Haar, ein leichtes Hemd flatterte um ihren klassischen
Körper, und leicht und barfüssig tänzelte sie geschmeidig vorbei. Es
war die hinreissendste Kanakin, die wir jemals gesehen. Leider währte die
holde Erscheinung nur einen Augenblick. Mister Gleghorn hatte den
Kämmerer geholt, und dieser, ein alter Mann vom Typus eines deutschen
Schlosskastellans und ehemaligen Unteroffiziers, führte uns in das
Empfangszimmer des Königs. Kaum hatten wir uns in dem elegant tapezierten
und möblirten Gemach umgesehen, als Seine Majestät eintrat.

Folgendermassen lautet das Signalement Kalakauas. Haare schwarz,
gekräuselt und links gescheitelt, Schnurrbart, Kotelettes und Mücke,
ausrasirtes Kinn, Lippen voll, Nase voll und etwas gebläht, Augen
dunkelbraun und mandelförmig geschlitzt, Gesicht breitknochig, Farbe ein
sattes Hellbraun. Er ist ein grosser und starker Mann mit mehr gutmüthigen
als geistvollen Zügen, und war von Kopf bis zu Fuss in blendendes Weiss
gekleidet wie ein echter Amerikaner des Südens. Er reichte uns echt
amerikanisch die Hand zum Grusse, während wir vorgestellt wurden, dann
nahmen wir Stühle aus Strohgeflecht und setzten uns alle vier um einen
runden Tisch. Kalakaua sprach langsam aber vollkommen fliessend und korrekt
Englisch und benahm sich als tadelloser Gentleman.

Das erste Thema war auch hier unsere Fahrt von Hilo in dem Walboot, das
zweite der altersschwache Kilauea und die Nothwendigkeit eines neuen
Dampfers, welche Majestät betonte, vielleicht um zu zeigen, dass Sie das
Regieren verstehe, die Bewunderung Ihres schönen Landes und unser
Bedauern es bald verlassen zu müssen das dritte. An diese reihten sich die
Schwimmkünste Ihrer Unterthanen, Haifische, die Unfreundlichkeit unserer
Heimath und der kalte Winter des Nordens. Ich frug, ob Majestät jemals
schon Schnee und Eis auf den Strassen gesehen habe, und Sie versicherte
fast beleidigt über meinen Zweifel, einen ganzen Winter in New York und
anderen Städten des amerikanischen Ostens zugebracht zu haben. Und als
Bats frug, ob Majestät nicht auch einmal Europa besuchen wolle, zuckte Sie
lächelnd die Achseln wie um zu sagen: »Ich möchte wohl, aber Ich habe
kein Geld«.

Jedenfalls würde sich Kalakaua an europäischen Höfen anständiger und
ebenbürtiger aufgeführt haben, als jener Schah von Persien, der überall
Spuren seiner unsauberen Gewohnheiten zurückliess. Ich erinnerte mich
jetzt, dass ich damals selbst in Amerika war und alle Witzblätter voll von
Menschenfresserkarrikaturen des Hawaiischen Potentaten fand, desselben,
den ich nun als vollendeten Gentleman kennen lernte. Ueber seine
Regentenweisheit wird allerdings in Honolulu viel geschimpft. Aber wo
auf der Erde geschieht dies nicht? Beachtenswerth war mir namentlich eine
Aeusserung, welche er über die oft in Reisebeschreibungen aufgetischten
Wasserkämpfe der Eingeborenen mit Haifischen machte. Er sagte, dass
er solche Geschichten nicht glaube, und wahrscheinlich verhält es sich
hiermit wie mit vielen anderen Mährchen, die wir den Seeleuten verdanken.

Nach diesem interessanten Besuch, den wir eigenmächtig beendeten, ohne
des Königs gnädiges Zeichen hierzu, das er vielleicht nie gegeben
hätte, abzuwarten, benützten wir die Gelegenheit, das Innere des grossen
ummauerten Residenzblocks zu rekognosziren. Ausser ein paar schattigen
Alleen und den Anfängen von Gartenanlagen war kein besonderer fürstlicher
Schmuck zu bemerken. Am anderen Ende eines grossen viereckigen Platzes war
man mit dem Aufschlagen von Gerüsten und Dekorationen für ein grosses
Freudenfest beschäftigt, welches gegeben werden sollte, sobald die
offizielle Bestätigung des Handelsvertrages mit den Vereinigten Staaten
eingetroffen sei. Ein riesiges Wappen des Hawaiischen Königreiches wurde
eben festgenagelt.

Ins Hotel zurückgekehrt kleideten wir uns um und fuhren dann das
Nuuanu-Thal hinauf, um beim Kapena-Wasserfall zu baden. Der Kapena, ein
Nebenbach des Nuuanu, hat hier hinter dem Mausoleum einen kleinen aber in
der Mitte ziemlich tiefen Tümpel ausgehöhlt, aus dessen Rand ein etwa
15 Meter hoher senkrechter Felsen emporragt. Von dieser bedeutenden Höhe
herab ins Wasser zu springen ist die Lieblingsunterhaltung der vielen
Jungen und Mädchen, die sich fast beständig dort schreiend herumtreiben.
Die kleinen Körper zittern und biegen sich deutlich, wie von der Gewalt
des Sprunges erschüttert, während sie hinunter stürzen. Dabei ist die
genügende Tiefe so eng begrenzt, dass sie sich oben kräftig abschnellen
müssen, um in dem richtigen Bogen gerade das Zentrum zu treffen.
Springen sie zu kurz oder zu weit, so zerschellen sie an den zahlreichen
scharfkantigen Klippen der seichteren Stellen.

Nach dem Bade liessen wir uns an Bord des englischen Kanonenbootes
»Myrmidon« übersetzen, dessen Offiziere wir im Honolulu-Klub kennen
gelernt hatten. Ich wollte danach auch der gleich nebenan liegenden
amerikanischen »Lackawanna« einen Besuch machen, aber mein Gefährte Bats
hielt es für unvereinbar mit seinen britischen Gefühlen, einen Yankee zu
betreten, und so fuhren wir wieder nach Honolulu zurück.

Am Abend folgten wir der Einladung einiger ansässigen Weissen und
besuchten mit ihnen ein Tanzlokal für die eingeborene Jugend in Kapalama,
in welchem aber nicht etwa Hula Hula sondern nur europäische Tänze geübt
werden. Die braunen Mädchen waren alle so schüchtern gegen uns, dass
wir bald wieder weggingen, um die armen Dinger nicht länger in ihrem
Vergnügen zu stören.

Die kurze Zeit, die uns noch auf Hawaii zu verleben vergönnt war, schwand
uns aufs Angenehmste in Gesellschaft deutscher und englischer Landsleute.
Im Honolulu-Klub, in welchem diese beiden Nationen sehr kordial
zusammenleben, gab es für mich eine Menge Zeitungslektüre nachzuholen.
Aus der Kölnischen Zeitung entnahm ich mit grosser Genugthuung, dass
im Deutschen Reich mittlerweile die Kulturepoche des Kri Kri und des
geschundenen Raubritters angebrochen war.

Um auch den wichtigen Faktor der Religiosität, der in der Geschichte
des Hawaiischen Inselvölkchens eine so grosse Rolle spielt, nicht zu
vernachlässigen, besuchte ich eines Sonntags verschiedene Kirchen. Das
Glockengebimmel hatte den ganzen Morgen nicht aufgehört und erinnerte sehr
an erzkatholische Städtchen bei uns, nur dass es aus lauter Diskantstimmen
zusammengesetzt und kein einziger tieferer Ton darunter zu hören war.

Von nah und fern strömten Fussgänger, Reiter und Wagen zum Gottesdienst
heran, und um alle Bäume vor den Kirchthüren waren Pferde gebunden.
Vornehme hawaiische Damen wandelten, stolz das Haupt erhoben und mit
unübertrefflicher Grandezza, in ihren schwarzen taillelosen Talaren,
schwarze Sonnenschirmchen in den elegant behandschuhten Händen, über die
Strasse, und hinter ihnen trugen Dienerinnen die grossen Gebetbücher mit
goldenem Kreuz. Man sieht zuweilen klassisch schöne Gestalten unter diesen
Weibern, und ihr freier aufrechter ungezwungener Gang verleiht ihnen ein
hohes Mass natürlicher Würde -- so lange sie schweigen. Oeffnen sie die
sinnlich üppigen Lippen um zu sprechen oder zu lachen, so sind sie wieder
die alten rohen Barbarinnen. Der Schnitt ihrer Züge ist in der Ruhe oft
stylvoll und grossartig, er entspricht dann weniger dem Geschmack unserer
Modejournalkünstler als dem Genius eines Michel Angelo. Leider dauert bei
ihnen die Schönheit nicht lange, und ist die erste Jugendfrische vorüber,
so werden sie fett und schwammig.

In helleren Gewändern und blumenbekränzt gallopirte die Landbevölkerung
herein, Mädchen und Frauen alle rittlings im Sattel, nicht immer sehr
graziös und ohne sich viel zu kümmern, ob die langen Hemden die feinen
Stiefeletten und weissen Strümpfe bedeckten. Das grosse rothe Tuch,
welches sie ehemals um die Beine zu schlingen und malerisch hinten
nachflattern zu lassen pflegten, scheint aus der Mode zu kommen. Ich habe
es nur zwei oder dreimal gesehen. Sie springen ziemlich ungenirt vom Pferde
und begeben sich schwatzend von dannen, um Freunde zu begrüssen.

In der Kawaiahao Kirche, in deren Hof das Mausoleum Lunalilos steht, hoffte
ich nebst dem König auch die Königin zu sehen. Das versammelte Volk
plauderte laut und fröhlich, da der Gottesdienst noch nicht begonnen
hatte, und das anmuthige Spiel der Fächer, hinter denen wieder die
bekannten grossen glühenden Augen funkelten, wogte unruhig über die
Menge. Man bot mir freundlich einen Platz in der Nähe der königlichen
Loge an. Die Majestäten kamen jedoch heute nicht. Ich ging nun in die
katholische Kirche, in der ein Hochamt zelebrirt wurde. Das Publikum dieser
schien vorwiegend den ärmeren Klassen anzugehören, und nicht nur auf den
Altären, sondern auch in den Gewändern herrschten die freudigeren Farben
des Katholizismus.

In der Kapelle des anglikanischen Bischofs sah ich fast nur Weisse. Eine
Abtheilung Matrosen des englischen Kanonenbootes füllte die Hälfte des
bescheidenen Raumes, der dafür eine um so grössere Zahl von Ober-
und Unterpriestern entfaltete. Des ewig wechselnden Aufstehens und
Niederknieens das dieser Ritus erfordert war ich bald müde und ich
drückte mich wieder von dannen. Zum Schluss machte ich noch bei einer
anderen frommen Gesellschaft Besuch, die ihr einfaches schmuckloses Haus in
der Nähe des Chinesenviertels hat. Es waren dort nur Eingeborene zu sehen.
Ein presbyterianischer Reverend aus Amerika in schwarzem Frack und weisser
Kravatte hielt eine Hawaiische Predigt, dann sang die Gemeinde mit vollen
und kräftigen Stimmen einen schönen Gesang, welcher mir wieder Zeugniss
ablegte von der grossen musikalischen Begabung dieser Kanakas. Nur die
Weiber haben zuweilen etwas zu wilde gellende Stimmen gleich unseren
süddeutschen Bäuerinnen.

Wie allenthalben in der Südsee wird auch in Hawaii von den Kaufleuten
den Missionären viel Schlimmes nachgesagt und behauptet, dass sie sehr
geldgierig seien. In wie fern derartige Aeusserungen berechtigt waren,
konnte ich bei der kurzen Dauer meines Aufenthaltes natürlich nicht
beurtheilen. Auffallend war mir, dass dieselben sich stets nur auf
Missionäre der verschiedenen angloamerikanischen Sekten bezogen, während
über die katholischen, meist französischen Missionäre stets nur
Lobeserhebungen ihrer Uneigennützigkeit zu hören waren. Diese Beobachtung
drängte sich mir nicht blos in Hawaii, sondern auch in Viti und in
Neuseeland auf. Die geringere Macht und in Folge dessen vielleicht eine
geringere Geschäftsbeeinträchtigung von Seiten des Katholizismus dürften
zur Erklärung nicht ausreichen.



XXIII.

VON HONOLULU NACH SAN FRANCISCO.

  Abschied von den glücklichen Inseln. Die Zealandia und ihre
  Gesellschaft. Unsere schöne Hellena, der alte Schiffsdoktor und eine
  interessante Geschäftsreisende. Langweile und Kriegsgerüchte. Ankunft
  des Lootsen. Das Goldene Thor.


Die Zealandia, welche uns nach San Francisco bringen sollte, war erst am
12. September von Australien her fällig. Insgeheim hofften wir, dass sie
sich wie gewöhnlich einen Tag verspäten möchte. Aber schon am Morgen des
11. September wurden wir sehr unangenehm durch die Nachricht überrascht,
dass sie in Sicht sei.

Wir beeilten uns schleunig einzupacken, Photographien zu kaufen und
Abschied zu nehmen. Zum Glück hatte der Kapitän ein Einsehen und verschob
die anfänglich für denselben Nachmittag festgesetzte Abfahrt auf morgen.
Die Passagiere strömten natürlich wieder schaarenweise an Land, doch nur
wenige kamen ins Hotel zum Dinner, was wir als ein günstiges Symptom in
Betreff der Zealandia Küche auffassen zu dürfen glaubten. Und wie die
Folge lehrte hatte es damit seine Richtigkeit.

Es ist immer schmerzlich, sich von einem Ort losreissen zu müssen, in
dem man sich eingelebt hat, namentlich wenn sich an ihn so viele angenehme
Erinnerungen knüpfen. Wir waren in Honolulu trotz des kurzen Aufenthalts
nicht nur mit den Weissen sondern auch mit den Eingeborenen schnell
vertraut geworden, und fast jedes Obstweib, jedes Mädchen auf der
Strasse, jeder Pferde verleihende Strolch, kurz das ganze
fröhliche, blumenbekränzte Gesindel stand mit uns bereits auf dem
freundschaftlichsten Fuss intimer Begrüssung, so oft wir uns begegneten.
Zum letzten mal tauschten wir nun mit all diesen liebgewordenen Bekannten
unser »Aloha«, während wir nach dem Hafen fuhren.

Ein reizend frischer Morgen lag über den Gärten Honolulus, als
die Zealandia pünktlich zur festgesetzten Stunde vom Kai und seiner
grellbunten Volksmenge, die Tücher schwingend uns glückliche Reise
nachrief, sich löste.

Auch der König hatte sich eingefunden, Zeuge unserer Abfahrt zu sein. Er
stand etwas abseits vom grössten Gewühl neben einer eleganten Kalesche,
deren Pferde ein Kutscher in Jockeylivree hielt. Sonst hatte er
keinen Begleiter. Er sah der Zealandia nach, bis sie langsam über die
Riffbarriere gesteuert war. Ein paar Dutzend nackter und schreiender
Jungen schwammen zu beiden Seiten des Dampfers mit hinaus und bettelten um
Münzen, die sie im Sinken unter dem Wasser erhaschten, ohne die mögliche
Anwesenheit von Haien zu fürchten.

Sobald wir die offene See erreicht hatten, wendeten wir uns nach links,
gingen im Bogen um Oahu herum, zwischen Oahu und Molokai hindurch,
und schlugen dann den Kurs nach San Francisco ein, schnurgerad dem
Nordostpassat entgegen.

Wieder glitten die hell blinkenden, gefurchten Wände von Diamond Head,
die uns auf jener denkwürdigen nächtlichen Bootfahrt so gespenstig
entgegengegrinst, vorüber. Je mehr wir von der feuchten Passatseite Oahus
zu sehen bekamen, desto grüner wurde die Insel, desto mehr wichen die
dürrgebrannten Flächen aus der Landschaft. Immer undeutlicher wurden die
Palmen und die struppigen Hütten am Ufer, der eigenthümliche Silberglanz
der Kukuibüsche auf den Höhen. Bald waren nur mehr die blauen Umrisse der
Berge sichtbar. Rechts hinter uns tauchte noch auf kurze Zeit die gewaltige
Pyramide des Haleakala aus den Wolken, aber rasch legte sich ein feiner
duftiger Schleier über ihn und verbarg ihn. Mit dem wehmüthigen Gefühl,
dass ich wohl nie mehr diese glücklichen Inseln betreten sollte, blickte
ich zurück, bis sie entschwunden waren. Es ging jetzt wieder nach Nord,
einem rauheren Klima, dem Zwang europäischer Uebertünchtheit entgegen,
und es war mir zu Muth wie ehemals als Schuljungen am Ende der Ferien.

Die Kajüte hatte sich in Honolulu aussergewöhnlich stark gefüllt.
Mehrere kindergesegnete Strohwittwen von Offizieren der so lange dort
stationirt gewesenen und nun abberufenen amerikanischen Fregatte Lackawanna
und einige auf Hawaii ansässige Kaufleute und Plantagenbesitzer, die der
jüngst abgeschlossene Zuckervertrag nach San Francisco führte, waren
mit eingestiegen. Nicht minder machten sich auf Deck für tausend Dollars
Bananen aus Honolulu bemerklich und schmälerten den ohnehin schon
hinlänglich knappen Raum. Alle Geländer, Kommandobrücken, Gallerien und
Rettungsböte hingen voll von meterlangen in Blättern verpackten Aehren
derselben.

Die Verpflegung war jetzt unter englischer Flagge wieder erträglich und
jedenfalls sehr viel besser als die niederträchtige Knauserei unter den
amerikanischen der Cities of New York und of San Francisco, obgleich die
Küche englischer Schiffe im allgemeinen sich keiner grossen Berühmtheit
erfreut. Man bekam jetzt wenigstens wieder ein ordentliches Stück
Fleisch, anständigen Thee und reines, gekühltes Wasser. Die Zealandia
war überhaupt das beste Schiff unter den dreien, mit denen ich den Pacific
kreuzte, wenn sie auch nicht so amerikanisch bombastisch aufgeputzt war
wie die anderen. Sehr schnell lief sie freilich ebenfalls nicht, und wir
erreichten auch mit ihr nie 300 Seemeilen im Tage. Die Mannschaft bestand
zum grössten Theil aus Weissen. Nur die Heizer, diese unglückseligen
Sklaven der Maschinenhölle, waren lauter Chinesen. Die Stewards liessen
an Aufmerksamkeit nichts zu wünschen, die weissen wenigstens. Die zwei
unwirschen Chinesen, die darunter waren, durften nicht bis an die Tische
kommen. Beständig zankten sich ihre boshaften Mongolengesichter. Das ganze
Schiff, welches in Greenock das Licht der Welt erblickt hatte, sprach für
die Ueberlegenheit englischer Schiffsbaukunst über die amerikanische. Der
Salon lag zwar auch hier im Zwischendeck, war aber ausgezeichnet ventilirt
und hatte eine grossartig aussehende Kuppel, die durch die beiden oberen
Decke emporragte.

Nur Schade, dass man im Salon eigentlich nie Ruhe hatte um zu lesen oder zu
schreiben. Denn den ganzen Tag sassen musikbeflissene Ladies am Piano
und klimperten und sangen, um sich für die täglichen Abendkonzerte
vorzubereiten. Nirgends mehr auf dem Erdball ist man vor dieser Modemanie
schlechter Musizirerei sicher.

Unsere Gesellschaft bestand zum grösseren Theil aus australischen
Engländern, zum kleineren aus Amerikanern. Auch ein paar deutsche
Landsleute waren vorhanden. Den Mittelpunkt des Salons bildete eine
auffallend blondhaarige Operettensängerin aus San Francisco, die als
schöne Hellena gepriesen wurde und eben von einer australischen Kunstreise
befriedigt zurückkehrte. Sie hatte einige sehr verfängliche Augenblitze,
ein noch verfänglicheres Lächeln bei halbgeschlossenen Lidern und eine
vielsagende Bewegung des Beines, mit der sie die rauschende Schleppe
herumwarf und die an das geschlitzte spartanische Gewand erinnerte, in
ihrem Repertoir, wodurch sie auf einige ältere Herren eine bedeutende
Anziehungskraft übte. Nur an dem einen echt englisch begangenen Sonntag
ruhten alle ihre Künste, und während des Gottesdienstes, den der Kapitän
dirigirte, war es interessant die blonde Schlange zu beobachten, wie
sie zerflossen in heiliger Inbrunst magdalenenhaft sich hinwarf und,
vollständig entrückt in höhere Sphären, aufzustehen vergass, als die
Feier zu Ende war.

Die Abendandacht dieses Sonntags musste der Schiffsarzt leiten, ein
alter weissbartiger Mann von sechzig Jahren. Man sagte, er sei früher
in Victoria ein wohlhabender Squatter und mehrere tausend Schafe werth
gewesen, aber unglückliche Spekulationen hätten ihn ruinirt und
genöthigt, als nautischer Aeskulap sein kümmerliches Brod zu verdienen,
da er in seiner Jugend Medizin getrieben. Am Morgen war vom Kapitän
Musterung der ganzen Mannschaft wie auf einem Kriegsschiff abgehalten
worden.

Als ziemlich isolirter Salonpassagier befand sich ein feiner Chinese aus
San Francisco an Bord, der sich bald an uns anschloss, als er sah dass wir
freundlich mit ihm waren. Dies geschah unsererseits weniger aus allgemeiner
Menschenliebe, als hauptsächlich in der schnöden Absicht, durch ihn
in die Geheimnisse des Chinesenviertels von San Francisco eingeführt zu
werden. Er war anfangs ein wenig schüchtern, mit der Zeit aber wurde
er dreister, und schliesslich legte er im Rauchzimmer seine Beine mit
demselben Bewusstsein auf den Tisch als ob er ein Eingeborener der
Vereinigten Staaten gewesen wäre.

Im Zwischendeck trieb sich eine schon ziemlich verwitterte Weibsperson
herum, welche meine Aufmerksamkeit erregte, indem sie viel mit den
chinesischen Heizern verkehrte und geläufig das englisch-chinesische
Kauderwälsch zu sprechen schien. Sie war das Urbild von Gemeinheit und
Smartness und gehörte zu einer besonderen Varietät des pazifischen
Europäerabschaums. Es sollen nämlich hier nicht selten weisse
Frauenzimmer von einer Insel zur anderen vagabundiren, um sich bei
heterogenen Rassen einem gewissen kosmopolitischen Erwerbszweig hinzugeben,
nachdem sich ihre nur mehr im Kontraste der Hautfarbe bestehenden Reize
sonst nirgends mehr verwerthen lassen. Unsere Reisegefährtin nun hatte
eben die hawaiische Inselgruppe in solcher Art bereist und rühmte sich,
glänzende Geschäfte bei den Kanakas gemacht zu haben. Vorher hatte sie
in Peru und in China geabenteuert. Welch interessante Geschichte stak in
dieser Person.

Die meisten der männlichen Passagiere vertrieben sich die Zeit mit
Kartenspielen um hohe Einsätze, und ein alter knurriger Kauz rannte
beständig von einem zum anderen, um Lotteriezettel zu verkaufen und
Gewinnste zu verloosen. Da ich an diesen Unterhaltungen keinen Geschmack
fand, und weder Lektüre noch Ruhe zum Schreiben vorhanden war, fühlte ich
die Langweile des Schiffslebens doppelt empfindlich, und das Reisen zur
See wurde mir wieder recht sauer. Wie ganz anders war es auf der Euphrosyne
gewesen, als ich meine eigene Kammer, meine Bücher und sonstigen
Sport hatte, trotz dem ewigen Salzfleisch. Jetzt musste ich die kleine
Passagierkabine mit einem Anderen theilen, und dieser Andere hatte die
leidige Gewohnheit, Abends wenn wir zu Bett gingen immer betrunken und
redselig zu sein und die ganze Nacht unausstehlich zu schnarchen.

Man sprach viel von einem möglicherweise bereits ausgebrochenen Krieg
zwischen England und Russland, da die letzten Nachrichten aus Europa, die
die Zealandia von Sydney, ihrem letzten Telegraphenpunkt, erhalten hatte,
sehr kriegerisch lauteten. Alle erdenklichen Konjekturen wurden von der
müssigen Phantasie so vieler Müssiggänger daran geknüpft, und manche
sahen schon ganz Europa in Flammen. Wir Deutsche wussten allerdings nicht,
ob es noch der Patriotismus erlaubte, in das stereotype »God save the
Queen«, welches jeden Abend das Konzert beschloss, mit einzustimmen. Der
Wunsch, sie »glorious« zu sehen, konnte bereits Vaterlandsverrath sein.

Unter dreissig Grad nördlicher Breite, als es bereits ziemlich kühl war,
erschienen zu meinem grössten Erstaunen ganz unzweifelhafte Albatrosse
draussen über dem Wasser. Ich war immer der Meinung gewesen, dass diese
Vögel auf die südliche Hemisphäre beschränkt seien, und in fast
allen zoologischen Büchern wird dies behauptet. Es waren deutlich und
unverkennbar Albatrosse, die dicht hinterm Schiff nach Abfällen spähend
hin und her kreuzten. Ganz derselbe zusammengesetzte Schnabel, dasselbe
Profil, derselbe Flug, dieselben kurzen schwach geknickten Flügelspitzen,
mit denen sie die Kämme der Wellen ritzten. Sie gehörten einer etwas
kleineren Spezies an, braun mit schwarzen Flügeln, weissliche Ringe um die
Augen und um den After. Als ich in San Francisco Woodwards Museum besuchte,
fand ich ausgestopfte Exemplare die mich überzeugten, dass ich mich nicht
getäuscht.

Ein grosser Ball, gegeben vom Kapitän und den Offizieren, sollte das Ende
der Reise, dem wir uns näherten, am 18. September festlich begehen. Der
Salon war aufs Prächtigste mit Flaggen ausgeschlagen, alle Tische und
Bänke waren entfernt, und die Ladies hatten sich mit den heitersten Farben
geschmückt. Aber das Wetter verdarb den Abend. Die See wurde unruhig, und
das Schiff begann in einer Weise zu rollen, dass es den Klavierspieler
von seinem Sitze warf, und die tanzenden Paare sich begnügen mussten
in stehender Umarmung gegen die Bewegungen des Bodens anzukämpfen, was
übrigens nicht ohne Reiz sein mochte.

Am Nachmittag des 19. September begrüsste uns ein echt kalifornischer
Nebel und hielt uns auf, so dass wir erst einen Tag später als wir gehofft
nach San Francisco kommen konnten.

Wir waren nahe den Farrallones Inseln, und Alles lag voll von Fischern.
Am Morgen hatten wir einen solchen passirt, als er eben beschäftigt
war, einen erbeuteten Walfisch zu zerlegen. Es war ein kleines Thier,
wahrscheinlich ein Pottwal. Der seiner Haut entblösste blutige Körper
schwamm neben dem Fahrzeug, mit Tauen und Ketten an dasselbe befestigt,
und zwei Männer standen auf ihm und hieben mit langen Messern die
Speckschwarten los. Das einzige mal, dass ich im Stillen Ozean von dem
einst so blühenden Walfischfang etwas zu sehen bekam.

Die Dampfpfeife flötete in den Nebel hinaus, und wir steuerten langsam
unseren Kurs. Hie und da antwortete uns eine ferne Trompete hinter dem
grauen Schleier.

Gegen Mitternacht wurde es heller. Wir warfen Raketen, und bald darauf kam
der Lootse in seinem Schuner durch die Finsterniss herangespenstert. Die
Ankunft des Lootsen bei Nacht hat immer einen eigenthümlichen Zauber. Die
Seereise ist zu Ende, man ist in gehobener Stimmung. Die Maschine stoppt,
eine befremdende wohlthuende Stille tritt ein. Die Schritte der Offiziere,
die über das Deck eilen, klingen so seltsam, unten plätschern die Wellen,
ringsum herrscht tiefes Dunkel. Wir mühen uns vergebens, draussen auf dem
Wasser einen Gegenstand zu erspähen. Da taucht ein Licht auf und taucht
gleich wieder unter. Wir hören Ruderschläge, die näher kommen, und
plötzlich fährt in undeutlichen Umrissen gespensterhaft und riesengross
das Segel des Lootsenschuners ganz nahe am Hintertheil vorüber. Der Lootse
steigt aus seiner Jolle die Jakobsleiter herauf, und wir bestürmen ihn um
Neuigkeiten und Zeitungen.

Es war noch kein Krieg ausgebrochen. Das Wichtigste, was die San Francisco
Blätter wussten, war eine grosse Pockenepidemie im Chinesenviertel.

Als ich am frühen Morgen des 20. September erwachte, fuhren wir eben in
das Goldene Thor. Die Fahrt von Honolulu hierher hatte somit ziemlich genau
acht Tage gedauert.

In Amerika darf man sich nicht von jedem hochtönenden Wortschwall
täuschen lassen und ja nicht glauben, dass dahinter auch jedesmal etwas
Entsprechendes stecke. Diese Lehre gab mir gleich dieses »Goldene Thor«,
die Einfahrt zum Hafen der »Metropole des Westens«. Links und rechts
öde, kahle, gelbliche Felsen von gewöhnlichen Formen, ohne den Schmuck
der Vegetation oder der Architektur, die nächsten Kanten über und
über mit den weissschimmernden Exkrementen Tausender von Wasservögeln
bespritzt, an der einen Seite oben ein Leuchtthurm, in der Mitte die
schmutzig gelbe Fluth, die sich nach innen wälzt -- das ist das »Goldene
Thor«. Trüb und kalt lag das Land im grauen Morgenlicht. Nirgends ein
grüner Fleck. Ich kam aus dem Paradiese der Südsee, und der erste Anblick
Kaliforniens berührte mich so unfreundlich wie noch nie eine mir neue
Küste.

Ein rothes Fort glitt vorüber, Batterieeinschnitte auf dünenartigen
Sandhügeln daneben und einzelne Häuser. Ein dunkler kompakter Mastenwald
tritt hinter der rechten Ecke vorne heraus, die Häuser werden dichter.
Noch eine Biegung nach rechts, und San Francisco liegt vor uns, auf und ab
über Berge und Hügel gebaut, halb von einem dunstigen Nebel verschleiert.

Das Pier der Pacific Mail ist am innersten Ende des Hafens, und wir mussten
ihn deshalb in seiner ganzen Länge passiren. Eine imposante Anzahl
von Fahrzeugen aller Art lag vor Anker oder an den überall ihre Arme
entgegenstreckenden Piers. Fast alle Flaggen der Erde waren vertreten,
auffallend häufig die deutsche. Eine amerikanische Fregatte erwiderte
unseren Gruss. Neben ihr lag ein riesiges Segelschiff mit vier vollen
Masten. Eine Menge Jollen und kleine Dampfer legten sich an unsere
Zealandia, und eine Menge neugierige Zeitungsreporter, Zollbeamte,
Hotelagenten und sonstiges Hafengesindel ergossen sich aus ihnen auf
unser Deck und rannten durch das Gewühl der zum Landen sich rüstenden
Passagiere.

Endlich waren wir fest, und die Landungstreppe fiel. Auch diesmal hatte ich
mit dem Customhouse mehr Glück als ich zu hoffen gewagt. In der kürzesten
Zeit war ich fertig, und ein Hotelwagen entführte mich ins Innere der
Stadt.



XXIV.

SAN FRANCISCO.

  Allgemeiner Charakter der Stadt. Die Chinesen und ihr Viertel.
  Chinesische Hurenhäuser, Opiumbuden und Spielhöllen. Das Yu Henn
  Choy Theater und das Dschosshaus. Chinesische Dramaturgie.
  Sabathschänderisches Getriebe der San Franciscaner. Sonstige
  Sehenswürdigkeiten. Woodwards Garden. Ein gefährlicher
  Sonntagsspaziergang. Das Cliff House und seine zoologischen Genüsse.
  Ground Squirrels.


Wenn man Eine amerikanische Stadt gesehen hat, so hat man sie alle gesehen.
San Francisco schien mir hierin keine sonderliche Ausnahme zu machen.
Ueberall derselbe styllose Bombast der Architektur, dieselbe bunte
Farbenmenge schreiender Aufschriften. Die Geschäftsstrassen lotterig
und unreinlich gehalten, voll von Kisten und Ballen, Papierfetzen
und Packstroh, Telegraphendrähte kreuz und quer, die Wohnstrassen
verhältnissmässig still und einsam, anmuthig von Alleebäumen und Gärten
beschattet, überall Streetcars mit ihrem monotonen Geklingel.

Das unterscheidende Merkmal San Franciscos liegt in der Beschaffenheit des
Bodens, in den vielen Hügeln und in der wüstenartigen Dürre. Die Hügel
sind manchmal so steil, dass der Streetcar ausgespannt und durch stabile
Dampfmaschinen an Ketten emporgezogen wird. Oben warten bereits andere
Pferde und führen ihn weiter. Dünen von Flugsand füllen die Lücken
zwischen den Gebäuden, wo noch leere Baustellen stehen und dringen selbst
in die Gärten. An ganzen Häuserreihen sah ich die Erdgeschosse der einen
Seite bis über die Fenster mit Flugsand verweht. Man findet die schönsten
Anpflanzungen und Promenaden, aber jegliches Grün ist mit grauem Staub
überzogen. Alles ist trocken und durstig.

Dies ist der Charakter von San Francisco im Sommer und Herbst, in jener
Zeit, in der niemals Regen fällt. Erst im Winter, der angenehmsten Saison,
darf man sich einer Vegetation erfreuen.

Auch die Menschen schienen mir nicht verschieden von denen New Yorks und
anderer Städte des fernen Ostens. Ganz dieselben markigen, gierigen,
scharfen, intelligenten Gesichter, dieselbe Eleganz in Wäsche und
Kleidung, ganz dasselbe hastige Rennen wie drüben. Nur die vielen Chinesen
sind ein eigenartiger Zug. Ich hatte sie schon beim Hereinfahren vom Schiff
rudelweise dahinwandeln sehen, die sonst auf dem Hinterhaupt spiralig
zusammengerollten Zöpfe galamässig frei fast bis zum Boden herabbaumelnd.
Der Zopf wenn er lose ist zwingt sie, um ihn frei schwingen zu lassen, den
Kopf höher und steifer zu halten als andere Menschenkinder.

Die Chinesen nahmen denn auch mein Hauptinteresse in Anspruch. Kaum hatte
ich mich auf einem Plan orientirt wo ihr Viertel lag, als ich diesem
zueilte, ungeachtet der Warnungen vor den Pocken. Es war mir überraschend,
das Chinesenviertel mitten in der Stadt zu finden, durchaus nicht
abgesondert und in seiner blockförmigen Anordnung nicht unterschieden von
anderen Theilen. Man biegt aus Montgomery Street rechtwinklig in Jackson
Street ein und ist plötzlich in China.

Eine ganz andere fremdartige Kultur thut sich auf. Der merkwürdige
Farbenreiz des Hildebrandt'schen Aquarells aus Tientsin steht verkörpert
vor Augen. Die zwei- bis dreistöckigen geradlinigen Häuserfronten sind
zwar echt amerikanisch und wohl viel höher als sie in China sein mögen,
aber die Ausschmückung von unten bis oben ist chinesisch. Fast jeder Stock
hat einen breiten Balkon oder eine Gallerie. Blumen und Strauchwerk in
Töpfen stehen auf diesen, und dazwischen gaukeln bunte Papierlaternen im
Winde. Rothe, grüne und gelbe Aushängeschilder, senkrecht gestellt
und mit den arabeskenhaften Charakteren der chinesischen Schrift bemalt,
prunken vor den Läden, in deren Schaufenstern alle möglichen sonderbaren
Artikel den Blick auf sich ziehen.

Zu einer fast magischen Wirkung erhöht sich dieses eigenthümliche Bild am
Abend. Die bunten papierenen Laternen werfen ihr farbiges Licht durch das
Laub der Miniaturgärten auf den Balkonen. Inschriften und Vergoldungen
glitzern im Schein der Gasbeleuchtung, alle Fenster sind hell und
geöffnet. Besonders schön strahlen die vielen Restaurationen und
Theebuden, aus denen die seltsamen quieksenden und klappernden Töne
chinesischer Musik auf die Strasse dringen. Dichte Haufen hässlicher
Mongolen, alle in dasselbe dunkle bequeme Gewand gekleidet, schwarze
Filzhüte auf den kahlen Schädeln, hinten die langen Zöpfe, drängen
sich durcheinander und reden in einer Sprache, die aus lauter heftig
ausgestossenen Interjektionen wie »Tsching«, »Fu«, »Dschong« zu
bestehen scheint, oder lauschen müssig, die Hände in den Hosentaschen und
die Mäuler offen, den lieblichen heimischen Melodien. Und mitten durch
das asiatische Geklitzer, Gewühl und Geklimper poltert lustig der
amerikanische Streetcar den Berg hinauf.

Emsiges Treiben herrscht in den Kaufbuden und Werkstätten. Die Kugeln
der Zählmaschinen fliegen hin und her unter den Fingern mongolischer
Ladenschwengel, und dickwanstige Patrone, unförmige, rundglasige Brillen
auf der Nase, sitzen daneben an ihrem Pult und malen mit senkrecht
gehaltenem Pinsel bizarre Schriftzeichen auf eine Rechnung, welche sie
danach in ein europäisches Kopirbuch pressen. Hier arbeiten etliche
Dutzend Schneidergesellen an schwirrenden Nähmaschinen, zusammengepfercht
in einen so engen niedrigen Raum, dass man kaum begreift, wie sie noch
athmen können, dort klopfen etliche Dutzend Schustergesellen an Stiefeln
und Stiefeletten herum, die für amerikanische Füsse bestimmt sind. Denn
Chinesen tragen in der Regel nur chinesische Schuhe. Früchte und Esswaaren
aller Art sind vor den Läden aufgestapelt, und an jeder Ecke zupft uns ein
anderer Mongole am Rock und bietet unverständlich flüsternd geschmuggelte
Zigarren feil, wobei sie ausnahmsweise sich Mühe geben, freundlich zu
sein.

Selten begegnet man hie und da einigen chinesischen Weibern auf der
Strasse. Es sind Prostituirte und dementsprechend folgt ihnen überall
rohes Witzereissen von Seiten des männlichen Publikums. Sie wandeln
gewöhnlich mit gekreuzten Armen, die sie in ihre weiten Aermel
zurückstecken, so dass sie aussehen wie amputirt, dahin, die bekannte
Schmetterlingsfrisur auf den blossen Köpfen.

Während die Blocks, in denen weisse Bevölkerung wohnt, Gärten und Höfe
umschliessen, sind sie hier dicht und regellos vollgebaut. Ein wahres
Labyrinth elender Holzschuppen, Keller, Dachverschläge, halbvollendeter
und halbabgebrochener Häuser, durch Bretter wieder zugedeckt oder
zusammengeflickt, kleben an- und übereinander. Gänge, Löcher zum
Durchschliefen, Leitern und Wege über die Dächer kreuzen sich in allen
Richtungen, und überall wimmelt es von Chinesen, deren die meisten nicht
mehr Raum für sich beanspruchen als sie zum Schlafen brauchen, nicht mehr
als ein Zwischendecker auf einem Auswandererschiff hat.

Schmale und krumme und schmutzige Gassen sind durch diese Ameisenhaufen
gebrochen und gewähren manchmal Einblicke von malerischer Wirkung. Die
Willkür der Linien, das auf- und absteigende Terrain, die schwärzliche
Bräunung der Mauern und des Holzwerks, rothe, gelbe und grüne
Anschlagzettel, bunte Papierlaternen, glimmende Räucherkerzchen vor den
Thüren, das ruhelose Gewühl, das Quieksen und Klappern von Musikanten,
welches auch hier nicht fehlt, setzen ein wunderbar fremdartiges und
zugleich stimmungsvolles Bild zusammen. Vorne folgen auch hier abwechselnd
Werkstätten, Spielhöllen, Opiumbuden, Kaufläden und Hurenhäuser auf
einander. Hinten mag noch eine grössere Menge gräulichen Schmutzes
verborgen sein.

Die Zeitungen wussten damals viel Schaudergeschichten von heimlichen
Pockenhospitälern zu erzählen, in denen die Sanitätsbeamten
mehrere Wochen alte Leichen aufgefunden haben sollten. Die herrschende
Pockenepidemie wurde ergiebig ausgebeutet, um gegen die Chinesen zu hetzen,
und man warf den Stadtbehörden unverblümt vor, dass sie von diesen
zu einer verbrecherischen Duldsamkeit bestochen worden seien. Die
Unreinlichkeit der Chinesen ist zweifellos arg genug. Trotzdem wird hier,
vielleicht in Folge des trockenen Klimas, die Nase weniger oft beleidigt,
als in den deutschen oder irischen Quartieren New Yorks. Der Qualm der
Räucherkerzchen überdeckt alle anderen Düfte, er scheint der spezifische
Geruch von ganz China zu sein.

Ein feiner Chinese, mit dem ich bekannt wurde, bat mich, aus dem was ich
in San Francisco sah keinen allgemeinen Schluss über seine Landsleute zu
ziehen, es gäbe hier zum Beispiel nicht eine einzige anständige Chinesin.
Ich will ihm gerne glauben. Wäre es ja doch eben so unrecht, aus dem
elenden deutschen Gesindel, welches in New York die Gegend des East River
bewohnt, eine Vorstellung von den Deutschen zu Hause sich machen zu wollen.

Die chinesische Prostitution San Franciscos ist das Widerlichste, was man
von dieser Kulturkrankheit sehen kann. Ein paar dunkle holperige Gassen
bestehen streckenweise nur aus Hurenhäusern. Thüren und Fensterläden
sind bis auf ein kleines viereckiges Guckloch verschlossen. In jedem
Guckloch lauert das Fratzengesicht einer Mongolin, gierig greift eine
dazu gehörige Hand heraus nach dem Vorübergehenden, und von allen Seiten
überbieten sich schändliche Anträge in dem komischen Kauderwälsch des
Pidschin English.[9] Unter dem verluderten hölzernen Seitenpfad sieht man
durch Gitter in spärlich erleuchtete Kellerhöhlen hinab.

  [9]: Pidschin English ist das von den Chinesen gesprochene englische
  Kauderwälsch, nach chinesischer Auffassung zurechtgemodelt und
  mit chinesischen und portugiesischen Ausdrücken gespickt. Die
  hervorragendsten Eigenthümlichkeiten desselben sind das häufige
  Anfügen der Endung Y, das Fehlen des Buchstaben R, für den immer L
  eintreten muss, und der Gebrauch des Begriffes Piecy = Piece, Stück
  bei Zahlen. So zum Beispiel sagt der Chinese nicht »Two Americans«
  sondern »Two Piecy Amelican Man« -- »Zwei Stück Amerikanischer
  Mann«. »You no sabe (portugiesisch) me talky« heisst »Du verstehst
  mein Sprechen nicht« und »Me have got Man Numble one« -- »Ich bin
  ein ausgezeichneter Kerl (Mann Nummer eins)«.

Scheuen wir uns nicht, das Menschenthier auch in seiner abstossendsten
Gestalt kennen zu lernen, und treten wir in eines dieser Häuser, so werden
wir sofort von einem halben Dutzend zierlich trippelnder und affenartig
beweglicher Frauenzimmer in Beschlag genommen und mit einem winzigen
Schälchen Thee regalirt, zu dem ein Kessel kochenden Wassers immer bereit
steht. Jede sagt uns, wie viel die Erneuerung ihrer Schmetterlingsfrisur
wöchentlich kostet und dass sie erst seit kurzer Zeit angekommen sei. Sie
sind ein blosser Handelsartikel und schon als Kinder in China drüben von
älteren Weibern angekauft und aufgefüttert worden, bis sie für den Markt
reif waren. Ich glaube nicht, dass ihnen das Bewusstsein ihres niedrigen
Zweckes jemals Scham oder Kummer erregt, wie dies bei unseren Prostituirten
häufig der Fall ist. Die mongolische Rasse hat kein Gemüth.

Schon auf der Strasse sahen wir vor einigen Thüren glimmende
Räucherstäbchen in den Boden gesteckt, welche die Gottheit zur Verleihung
von Kundschaft ermuntern sollen. Auch im Innern der Häuser glimmen solche
Stäbchen vor kleinen Altärchen. Nebenan steht vielleicht ein etwas
europäisch modifizirtes Himmelbett, auf dem die Decke nicht nach unten,
sondern quer in sorgsamen Falten zurückgeschlagen ist. Ein paar Tischchen
und Stühlchen bilden das übrige Mobiliar. Hinter Gardinen folgt eine
Reihe anderer Kammern.

Gleich nebenan ist eine Opiumbude. Zwei alte ausgediente Weiber kauern an
der Thüre, sie sind die Inhaberinnen des Geschäftes. Ihr Lokal besteht
aus zwei oder drei niedrigen, dumpfigen Stuben, welche in lauter kleine
Verschläge mit hölzernen doppelt über einander gebauten Kojen wie das
Zwischendeck eines Auswandererschiffes abgetheilt sind. Auf jedem dieser
harten Betten ruht die ausgemergelte Gestalt eines Chinesen, dem Genuss
des narkotischen Giftes fröhnend. Die einen haben bereits ihren Rausch
und liegen regungslos da mit stier geöffneten Augen und schlaffen
Gesichtszügen wie Leichen, die anderen sind noch eifrig beschäftigt, sich
zu betäuben.

Das Opiumrauchen erfordert viel Arbeit und könnte wahrscheinlich
zweckmässiger eingerichtet werden, als das Herkommen vorschreibt. Der
übliche Stoff bildet eine schmierige Paste, ein dickes Extrakt, welches in
kleinen Hornbüchschen aufbewahrt wird. Der Pfeifenkopf ist ein bauchiges
Thongefäss, das senkrecht quer auf dem Rohre sitzt und nur eine
ganz kleine Oeffnung von kaum zwei Millimeter Weite hat. Nebst dem
Opiumbüchschen und der Pfeife gehört noch eine gläserne Oellampe und
eine dünne Drahtnadel zum Opiumrauchen. Aus dem Extrakt wird eine Pille
von Erbsengrösse geformt, mit der Nadel an dem Licht der Lampe erwärmt
und in das kleine Loch der Pfeife gestrichen. Beständig verstopft sich
dieses, und dann muss wieder mit der Nadel nachgestochert und an dem Licht
erwärmt werden, um ein paar volle Züge Opiumqualm in die Lunge zu lassen.
Stumm und eifrig obliegen die Raucher ihrem mühseligen Geschäfte, keiner
spricht ein Wort.

Lebhafter geht es in den Spielhöllen zu, die oft mit Opiumbuden verbunden
sind. Hier sitzen eng zusammengedrängt die Spieler an langen schmutzigen
Tischen und locken sich gegenseitig mit Dominosteinen das Geld,
amerikanische Silberdollars und Cents, aus der Tasche. Haufen von
Zuschauern stehen um sie herum und verfolgen eben so erregt und unter
denselben wilden Interjektionen wie die direkt Betheiligten den Wechsel des
Glücks. Chinesische Münzen sind unter den Chinesen San Franciscos nicht
im Gebrauch, man kann sie aber als Andenken in jedem der vielen Läden voll
mongolischen Schnickschnacks kaufen.

Die obere bergan steigende Hälfte von Jackson Street ist der vornehmste
Theil des Chinesenviertels. Hier setzten sich die Chinesen zuerst fest
und schoben von hier aus ihr Gebiet allmälig weiter und weiter in die
benachbarten Quer- und Parallelstrassen hinein, so dass es jetzt etwa neun
Blocks, die dichtest bevölkerten San Franciscos, umfasst. Die Grenzen sind
nicht scharf, sondern bilden eine Zone von sehr gemischter Gesellschaft der
gelben und weissen, schwarzen und vielleicht auch rothen Rasse. Im
Süden und Osten beginnt sofort das Reich der äusserst ungenirten,
nichtchinesischen Prostitution. Im Norden schliesst sich das Deutschthum
schlechterer Sorte mit grossen schmutzigen Bierhallen an. Westlich, gegen
den Hafen zu, wohnen hauptsächlich Irländer, Franzosen und Italiener.

Die Hauptmerkwürdigkeiten von Jackson Street und Umgebung sind die beiden
Theater und das Dschosshaus, die buddistische Kirche. Erstere liegen
einander gegenüber ziemlich weit unten im belebtesten Theile von Jackson
Street, letzteres ganz oben in Sacramento Street und bereits in der
Grenzzone Chinas.

Aeusserlich zeichnen sich die beiden Theater nur durch je zwei
Gaskandelaber mit Aufschriften, deren eine »Yu Henn Choy« und deren
andere »Imperial Theater« lautet, aus. Innen gleichen sie sich
vollständig, blos dass das ältere, das »Yu Henn Choy«, um etliche Grade
schmutziger und russiger ist, und in diesem die Gallerie hinten so hoch
hinaufgeht, dass man gebeugten Hauptes nach vorne hinabsteigen muss. Die
Bühne in beiden ist ein einfaches Podium ohne Vorhang und ohne Koulissen,
welches die ganze Breite des Saales einnimmt und durch fünf Oeffnungen,
einem mittleren grossen Fenster, zwei Thüren und zwei Guckfensterchen mit
dem Raum hinter der Szene in Verbindung steht. Der Bühne gegenüber bauen
sich die Sitzreihen, hölzerne Bänke, in die Höhe. An den Seiten sind
Logen abgesondert und gewöhnlich mit Frauenzimmern bevölkert. Die
Beleuchtung ist Gas.

Es wird hier meist von vier Uhr Nachmittags an bis in die späte Nacht
gespielt, manchmal sogar ganze Tage lang. Man braucht sich also um keinen
Anfang zu kümmern und an keine Zeit zu binden. Ausserdem sind auch die
Wirkungen der chinesischen Dramaturgie auf das Gehörorgan so intensiv,
dass ein normaler Durchschnittseuropäer nach einer halben Stunde reichlich
genug hat.

Als ich zuerst das Imperial Theater betrat und über die dunkle, schmale
und schmutzige Treppe hinaufstolperte, gestossen und gedrängt von einer
Schaar ebenfalls hinaufstolpernder Mongolen, machte mir der seltsame
Lärm der Musik, der mir entgegentönte, den Eindruck, als ob ich in eine
Menagerie voll schreiender Papageien kommen sollte. Ein amerikanischer
Rowdy sass vor einem Tisch und nahm mir zwei »Bits« Eintritt ab. Dies ist
der Preis für die vorwitzigen Weissen, Chinesen zahlen nur einen halben
Bit.[10] Eine schmutzige braune Gardine wurde zurückgeschlagen, und ich
war im Theater, auf der obersten Reihe der staffelförmig bis unmittelbar
zur Bühne hinabreichenden Bänke. Auf dem Podium unten glitzerten sechs
Personen in seidenen gestickten Gewändern und krähten und fistulirten.
Hinter ihnen vier Musikanten, quieksend und klappernd, pauckend und
rasselnd, schnalzend und pfeifend, dass einem Hören und Sehen verging.
Schwieg dieser Höllenspektakel eine Minute, so begannen die sechs Akteurs
in der Fistel zu näseln und zu miauen und faxenhafte Geberden zu machen,
indem sie halb sangen, halb sprachen und den Schluss jeder Phrase zu einem
gellenden Misston steigerten.

  [10]: Ein Bit ist 12½ Cents, der alte spanische Real, der in dieser
  Umtaufung noch immer an die Herkunft Kaliforniens erinnert, aber in
  Wirklichkeit nicht mehr existirt.

Nur allmälig konnte ich mich von meiner Ueberraschung erholen und
versuchen, mich in den räthselhaften Sinn der Vorgänge zu vertiefen. Ich
glaubte anfangs, es sei ein lustiges Stück, es war aber ein trauriges, wie
mir mein des Chinesischen kundiger Gefährte sagte. Theaterzettel gab es
leider nicht. Dagegen wurden Erfrischungen, die aussahen wie geschmorte
Nacktschnecken und Regenwürmer, herumgetragen. Ueberall sassen Mongolen,
den Hut auf dem Kopf.

Die Hauptrolle schien ein Kerl mit weisslackirtem Gesicht zu spielen. Sein
Gebahren drückte protzenhaften Hochmuth und unaufhörliche Zornigkeit aus.
Mit gewaltsam gespreizten Beinen, die Arme in die Hüften gestemmt, ritt
er auf seinem Thronstuhl und schimpfte fortwährend einen anderen Kerl, der
als Frauenzimmer in demüthiger Haltung vor ihm stand und schliesslich
von einigen Schergen abgeführt wurde. Jede Steigerung in den Ausbrüchen
seines erregten Inneren begleitete die Musik mit einer Steigerung ihres
Lärms, der plötzlich anschwoll, um danach langsam abzuklingen. Es war
erstaunlich, welch ohrenzerreissendes Chaos von Tönen und Geräuschen die
vier Musikanten mit Hackbrett, Viola, Paucken, Klappern und Dschinellen zu
erzeugen im Stande waren.

So oft ich auch die chinesischen Theater besuchte, ich vermochte selten
den Sinn der Aufführungen zu errathen. Die Stücke, deren manchmal zehn
an einem Tag gespielt werden, folgen sich so rasch, dass es dem Fremdling
entgehen kann, wann das eine aufhört und das andere beginnt. An
den Kostümen ist zuweilen zu erkennen, ob es sich um ein einfaches
bürgerliches oder um ein romantisches Schauspiel mit Königen, Feldherrn
und Heerschaaren, welche letzteren aber meistens nur aus drei oder vier
Mann bestehen, handelt.

Von hervorragender Schönheit, Pracht und Kostbarkeit sind oft die
Gewänder, die in diesen Höhlen voll Schmutz, Dunst und Gestank entfaltet
werden, und sie allein sind den Besuch mit all seinen Unannehmlichkeiten
werth. Namentlich Feldherrn und Könige pflegen in den lebhaftesten
Farben und strotzendsten Goldstickereien zu glänzen. Vier meterlange
Fasanenfedern zieren fühlerähnlich das Haupt, am Rücken flattern gleich
Schmetterlings- oder Libellenflügeln vier glitzernde Fähnchen. Eben so
grotesk wie der Putz dieser Gestalten, ist die Art und Weise, wie sie sich
einführen, und sind die Bewegungen, mit denen sie Stolz und Tapferkeit
auszudrücken suchen. Einer nach dem anderen schwirrt durch die Thüre
links herein, bläht seine Brust auf, schlenkert mit den Beinen, lässt die
langen Fasanenfedern spielend durch die Finger gleiten, dreht sich mehrmals
um seine Axe, schlägt sich auf den Bauch und fängt an zu krähen und zu
miauen.

Im »Yu Henn Choy« sah ich einmal verschiedene Pantomimen und gymnastische
Künste. Ein Policeman des Chinesenviertels hatte mir am Morgen
mitgetheilt, dass dort heute Abend um neun Uhr »a great Tumbling« (eine
grossartige Purzelei) aufgeführt werden sollte. Das Tumbling ist die
Hauptforce und die spezifische Leistung chinesischer Akrobaten, die nur
selten und als etwas Besonderes mitten zwischen dramatischen Stücken zum
Besten gegeben wird.

Nach etlichen reizlosen equilibristischen Produktionen auf Stuhlpyramiden
und Stangen folgte das bekannte Messerwerfen und nach diesem als
Schluss- und Knalleffekt das Tumbling. Alle zwölf Akrobaten, theilweise
phantastisch geputzt und mit Fähnchen auf dem Rücken, die sie im weiteren
Verlauf abwarfen, traten vor das Orchester und begannen erst einzeln, dann
zu zweit und zu dritt oder auch alle auf einmal Luftpurzelbäume zu
machen. Immer heftiger und rascher wurden ihre Bewegungen und die Musik.
Rücksichtslos sprangen sie mit den kahlen Schädeln auf den harten Boden,
dass es laut dröhnte, oder warfen sich platt auf den Rücken nieder, als
ob es für sie gar keine Gehirn- oder Rückenmarkerschütterung gäbe.

Immer wilder und ungestümer purzelten sie durch einander, über und
unter sich, kreuz und quer, über Tische und Stühle, schmetterten mit den
Schädeln gegen einander und gegen den Boden, bis von dem ganzen Dutzend
tobender Menschen nur mehr einzelne Arme, Beine und Schädel herumzufliegen
schienen, wie von Geisterhänden durcheinander gequirlt, während die Musik
immer verrückter wurde und in den schrillsten, gellendsten Dissonanzen
sich bemühte, auch die Zuschauer in die auf der Bühne herrschende
Tobsucht hineinzuziehen. Mit mir wäre ihnen dies beinahe gelungen. Meine
bezopften Genossen aber sahen stumpfsinnig und blöde vor sich hin, ohne
ihr Gesicht zu verändern.

Unter den Pantomimen die ich vorher gesehen hatte war namentlich eine
interessant und auch für europäische Empfindungsart durch ihren blossen
Inhalt von komischer Wirkung.

Zwei Männer schleppen einen Scheintodten herein, werfen ihn auf den Tisch
und stellen Belebungsversuche an. Sie blasen ihm in die Nase, sie kitzeln
ihn mit einer Feder in der Nase, der Kerl rührt sich nicht. Sie legen
ihn auf den Rücken, sie legen ihn auf den Bauch, Kopf und Extremitäten
baumeln schlaff herab. Nun wird er bis auf eine Schwimmhose entkleidet. Sie
binden ihm Hände und Füsse an den Leib und stossen ihn mit dem Kopf
auf den Boden, so dass er fest steht wie das Ei des Columbus. Sie zünden
Pulver vor seinem Gesicht an -- Alles umsonst. Die Augen bleiben starr
geöffnet, kein Muskel zuckt. Grosse gelehrte Berathung, bedenkliches
Kopfschütteln. Endlich haben sie das Richtige gefunden und hüpfen
frohlockend wieder herbei. Der zusammengeschnürte Körper wird losgebunden
und ausgestreckt mit den Beinen an einen Nagel gehängt. Teuflische
Grimassen schneidend kitzeln sie mit sämmtlichen zwanzig Fingern an ihm
auf und ab, von unten nach oben, von oben nach unten, an den Sohlen, in
den Achseln -- ohne Erfolg. Sie verlieren die Geduld, werden ärgerlich,
entzweien sich, prügeln sich. Jeder möchte allein kitzeln und beansprucht
den Kadaver für sich. Sie reissen ihn von der Wand und zerren ihn hin
und her, der eine an den Beinen, der andere an den Armen. Sie hauen gegen
einander und im Wirrwarr des Gefechts erhält aus Versehen das Objekt des
Zwistes eine schallende Ohrfeige. Da springt plötzlich der Scheintodte
auf, giebt jedem der Streitenden einen Fusstritt ins Gesicht, dass sie
hintüber purzeln, und läuft heulend zur Thüre hinaus.

Man konnte sich nichts Teuflischeres denken, als das Geberdenspiel
der beiden mongolischen Fratzengesichter in jener Kitzelszene, und die
quicksende Musik gab die entsprechende Tonmalerei dazu so eindringlich und
wirksam, dass man sich zu kratzen versucht fühlte.

Die dritte Hauptmerkwürdigkeit, das Dschoss Haus, setzt sich zusammen aus
drei verschiedenen Abtheilungen, aus einer offenen Holzbaracke, die in eine
schmale Lücke der Häuserreihe etwas zurücktretend hineingebaut ist, und
aus zwei Zimmern im ersten Stock des linken Nachbargebäudes, die mit jener
durch eine Treppe verbunden sind. Alles glitzert innen von Gold und von
Silber, von rothen und gelben, blauen und grünen Farben. Hellebarden,
Götterfiguren allein und in Gruppen, Altärchen und Schüsselchen stehen
neben- und übereinander, längs den Wänden und in der Mitte. Das eine
der Zimmer ist halb dunkel und durch farbige Lämpchen sehr wirkungsvoll
magisch düster beleuchtet. Der Totaleindruck erinnert lebhaft an den
Geschmack des bunten Aufputzes katholischer Dorfkirchen in Baiern oder
Tirol. Es fehlt nur der Weihrauchgeruch, der hier durch das zweifelhafte
Aroma unzähliger Räucherkerzchen vertreten ist.

In der Regel herrschte ein starkes Gewühl von Chinesen in den engen
Räumen, und man musste sich sehr in acht nehmen, in dem fortwährenden
Drängen und Stossen nichts von all dem heiligen Flitterkram umzuwerfen,
oder sich an den überall steckenden Räucherkerzchen zu brennen. Zwei
weisse Policemen hielten am Eingang barsch und gewaltsam die Ordnung
aufrecht. Ich konnte nie eine Spur von andächtiger Stimmung in den
Physiognomien der Kirchgänger bemerken. Sie benahmen sich ganz wie auf der
Strasse, rauchten Zigarren, hatten den Hut auf dem Kopf und die Hände in
den Hosentaschen und gafften gleichgültig umher.

Neben einem der Altärchen in der magisch halbdunklen Ecke war ein
thönerner Ofen, und vor ihm knieten einmal zwei Frauenzimmer nieder,
küssten den Boden, standen wieder auf, zündeten einige papierene
Gebetlein an und warfen sie in den Ofen. Dabei fuhren sie mit der
auflodernden Flamme so unerwartet und nahe an meinem Gesicht vorbei, dass
ich erschrocken zurücktrat, worüber die Nächststehenden ein lautes
Gelächter aufschlugen. Die zwei Damen, Prostituirte wie alle weiblichen
Glieder des Chinesenviertels, waren übrigens für die herumgaffenden
Burschen die beständige Zielscheibe der Unterhaltung. Ihre Frömmigkeit
mochte auch ziemlich unlautere Motive gehabt haben. Der Buddist verlangt
von Gott nur Segen für sein Geschäft.

Ein anderes mal kam ich gerade noch recht zu den letzten Akten einer
grösseren Feierlichkeit. In der Eingangsbaracke sass halbversteckt hinter
allerlei Zierrath eine Musikbande und quiekste und miaute ganz ebenso, wie
ich es schon im Theater gehört hatte. Oben im ersten Stock zelebrirte
der alte, dünnbärtige Oberbonze, dessen Pilzhut ein Glasknopf zierte,
im Verein mit zwei jungen Diakonen, welche rothseidene, gelbbeknöpfte
Glatzkäppchen trugen, und mehreren Dienern, die Glatzkäppchen, aber ohne
Knopf aufhatten, hinter einer Barriere eine Art Messe. Einige Frauen mit
kleinen Kindern drängten sich vor, stiegen über die Barriere und setzten
sich stumm auf den Boden. Sie hatten offenbar eine Rolle bei dem Fest zu
spielen. Ein langes Brett in der Mitte war mit winzigen Opferschälchen,
welche Reis, Weinträubchen, Rübchen und sonstige Gerichtchen enthielten,
bedeckt, und über dieses trugen zwei Diener etliche Heiligenfigürchen auf
einer Tafel, die sie von den beiden Seiten in die Höhe hielten, langsam
herab und hinauf, als ob sich die Figürchen die ganze Bescherung recht
genau anschauen sollten. Mein Verständniss dessen, was ich sah, war eben
so undeutlich wie meine Schilderung sein dürfte.

Weniger unverständlich hingegen ist das Getriebe, welches gleich
ausserhalb des Dschosshauses beginnt. »Mademoiselle Laurence«,
»Sennorita Juanita«, »Miss Mary« und so weiter lauten die Aufschriften,
die in Sacramento Street und in den nächsten Strassen gegen Süd und West
beinahe an jeder Thüre oder an farbigen Gaslaternen in prangenden Lettern
das Auge auf sich ziehen. Die Fenster der Erdgeschosse sind geöffnet und
hell erleuchtet, und hinter ihnen sitzen im strahlenden Lichte die holden
Trägerinnen jener Namen, sticken oder nähen und warten mit resignirter
Gelassenheit auf Kundschaft. Unter dem Schatten einer Veranda ladet auch
wohl eine Sirene in leichter Balletgewandung flüsternd zum Besuch ein,
während verluderte Gaunergestalten rudelweise vorüberziehen und zynische
Witze reissen.

San Francisco hat eben von der alten Zügellosigkeit doch noch einige
Ueberbleibsel behalten. Zum Glück macht sich auch in Bezug auf den Sonntag
diese grössere Freiheit geltend. Während drüben auf der atlantischen
Seite Amerikas die englisch-puritanische Sonntagsöde ungemildert über
den Städten lagert, und die armen Fremdlinge in den Hotels den ganzen Tag
nichts thun können als schlafen oder unten im gemeinschaftlichen Parlour,
den Zylinder auf dem Kopf und ein bereits mehrmals gelesenes Blatt in
der Hand, mit drei oder vier Stühlen die verschiedensten amerikanischen
Posituren durchprobiren -- man muss eine solche Gesellschaft von Gentlemen
gesehen haben, um zu wissen was Langeweile heisst -- freut sich das Volk
an der pazifischen Küste lustig des Lebens. Einem frommen Reverend aus
England oder aus den östlichen Staaten, den »Staaten« schlechtweg, muss
ordentlich die Haut schaudern, wenn er den sabathschänderischen Lärm San
Franciscos kennen lernt. Ich selbst, durch längere Gewöhnung anglikanisch
entartet, fühlte etwas wie Befremdung, als ich den Heidenspektakel von
Drehorgeln, Biermusiken, Volksversammlungen, Aufzügen, Fackelprozessionen
und militärischem Pomp sah, der hier an Sonntagen verübt wird.

Sehr beliebt scheint das Soldatenspielen zu sein. Die Milizen haben in
Amerika das Recht, ihre Uniformirung selbst zu wählen; gewöhnlich thun
sich die Landsmannschaften zusammen und kleiden sich nach heimischem
Reglement, und so kann man bald einem Haufen rothblusiger Garibaldianer,
bald einem Regiment dunkler Preussen mit Pickelhauben, in dieser Strasse
einem Bataillon Franzosen, in jener Schweizern begegnen. Derartige
Erscheinungen sind in jeder grösseren Stadt zu haben, am meisten
entwickelt und wechselvoll fand ich sie in San Francisco vor. Die dortigen
Gardegrenadiere sind nicht weniger stolz als die in Berlin. Was kann es
auch für einen jungen Teutonen am Sonntag Schöneres geben, als sich in
Uniform zu werfen, die Flinte zu ergreifen und unter den kriegerischen
Klängen der Janitscharenmusik hinauszuziehen nach irgend einem
Vergnügungslokal. Voran reiten der Oberst und der Regimentsadjutant, die
Majore und die Bataillonsadjutanten, auch die Hauptleute sind beritten,
und in New York sah ich einmal selbst einen Regimentsarzt mitreiten. Dieser
hatte aber keine Pickelhaube sondern einen Federhut auf dem Kopf. Sonst war
Alles echt von den Zündnadelgewehren bis zu den Schärpen der Adjutanten
und den Säbelquasten, welche die verschiedenen Kompagnien auszeichnen.
Draussen wird dann Bier getrunken und getanzt und Abends gehts wieder
in derselben Weise nach Hause, nur etwas weniger stramm und oft auch
schwankenden Schrittes.

Diese heterogenen Milizen sollen sich bei besonders feierlichen
Gelegenheiten oft in die Haare gerathen. Es soll vorkommen, dass
die Preussen es unterlassen zu präsentiren, wenn die Franzosen
vorbeimarschiren, worauf diese vielleicht zu pfeifen und zu johlen
beginnen, und dann ist der Teufel los, und die Konsuln haben ihre liebe
Noth, die Empfindlichkeit der beleidigten Nationalitäten zu beschwichtigen
und den respektiven Heerführern klar zu machen, dass das Deutsche Reich
solche Vorkommnisse noch nicht für ausreichend zu einer offiziellen
Kriegserklärung erachten dürfte.

In den zahlreichen und grossartigen Bierpfützen der deutschen Quartiere
übrigens herrscht eine rühmenswerthe Neutralität. Dort verschmähen
es auch die benachbarten Franzosen nicht, sich mit ihren Erbfeinden in
demselben gemüthlichen Schlamm zusammenzufinden. Die in Amerika leider so
beliebten Riesendrehorgeln, auf denen Orchestermusik mit Blasinstrumenten,
Trommeln und Paucken abgehaspelt wird, spielen abwechselnd die Marseillaise
und die Wacht am Rhein dazu.

Was San Francisco ausserhalb des Chinesenviertels an Sehenswürdigkeiten
besitzt, ist bald gesehen. Das Palace Hotel repräsentirt das Höchste, was
amerikanisches Hotelwesen, weit überlegen dem europäischen, an Eleganz
und Solidität zu leisten vermag. Das neue Stadthaus, welches eben im
Bau begriffen war, verspricht sich zu einem ganz verrückten, echt
amerikanischen Architekturwerk zu gestalten, und in der Münze, deren
Einrichtungen täglich zu einer bestimmten Stunde gratis gezeigt werden,
kann man sich an der Erzeugung grosser Zwanzigdollarstücke ergötzen.
Interessanter indess als der schnöde, gleissende Mammon war mir die
Ehrerbietung, die den zwanzig oder dreissig Frauenzimmern, welche in einem
geräumigen Saal die Goldstücke auf ihre Makellosigkeit prüften,
gezollt wurde. »Bitte die Hüte abzunehmen« sagte unser Führer ehe wir
eintraten, »wir kommen jetzt in das Departement der Ladies«, und die
Damen, die da an langen Tischen sassen und feine Wagen hantierten, schienen
die Artigkeit werth zu sein. Ihr Aeusseres und ihre Haltung litt nicht
unter dem Druck der Arbeit um das tägliche Brot.

Nicht unerwähnt darf die kalifornische »Academy of Science« bleiben.
Unter diesem Wohlklang ist keine Akademie in unserem Sinn, sondern nur
ein Wust von verstaubten Büchern und verstaubten Vogelbälgen, von
eingetrockneten Spirituspräparaten und einem durcheinandergeworfenen
Herbarium in einer alten baufälligen Kirche zu verstehen. »Science does
not pay in California« tröstete mich der hohläugig und halbverhungert
blickende Kustos, der das genannte Museum der »Metropole des Westens« zu
verwalten hatte. Er war ausnahmsweise ein Vollblutamerikaner. Sonst geben
sich meist nur Deutsche zu solch brotlosen Künsten her.

Der bedeutendste Vergnügungsort und zugleich ein ganz eigenartig
universelles Institut ist Woodwards Garden, welcher schon beinahe
ausserhalb der Stadt liegt, wo die Wüste beginnt. Eine Menagerie mit
Löwen, Tigern, Elephanten, Bären und Schlangen und hundert anderen
Thieren bis zu den weissen Mäusen herab, ein grosser Robbenteich, ein
Papageienhaus, ein See- und Süsswasser-Aquarium, ein Palmenhaus, eine
Sammlung von Naturalien und Kuriositäten, eine Gemäldegallerie und was
es sonst noch für die Schaulust geben mag, sind hier dem Publikum offen.
Tanzsäle, Turngeräthe, Schiessbuden, ein Skating Rink, ein Karoussel
von Gondeln und Segelböten auf einem kleinen runden Wasserbassin
bieten mannigfaltigen Sport. Man kann hier auf Eseln reiten, mit einem
Hirschgespann herumkutschiren, sich wägen lassen und Kraftproben aller Art
anstellen.

An Sonntagen produziren sich Akrobaten, Messerverschlinger und Feueresser,
und ein Programm von Woodwards Garden, das ich in einem Streetcar bekam,
versichert in grossen Buchstaben, ihre Leistungen seien so schauderhaft
anzusehen, dass regelmässig darüber die Frauenzimmer in Ohnmacht fallen
und die Kinder heulen. »Women faint and Children cry!« »Rel Muab, der
wahrhaftige menschliche Salamander spottet aller Naturgesetze! Er
beisst glühende Eisenstangen entzwei! Er trinkt kochendes Oel! Er
isst geschmolzenes Blei! Er steht mit blossen Füssen auf glühenden
Eisenplatten!« »Rollo, der Zahn-Herkules, übertrifft alles bisher
Gesehene mit der Kraft seiner Zähne und Kinnbacken!« Und der Eintritt zu
all diesen Herrlichkeiten kostet nur einen Bit.

Das zoologische Museum von Woodwards Garden ist musterhaft sauber gehalten,
besitzt eine Menge vortrefflicher Spiritusgegenstände und hat wirklichen
wissenschaftlichen Werth. Der Konservator desselben ist natürlich ein
deutscher Landsmann. Unter dem Kuriositätenappendix befindet sich auch ein
Palmstumpf, vor welchem Cook von den Sandwichinsulanern erschlagen worden
sein soll. Im Museum zu Honolulu wird die nämliche Reliquie aufbewahrt.
Welches von beiden die ächte ist, möge unentschieden bleiben.

Unter den lebenden Thieren sind besonders die riesigen pazifischen Robben
oder Seelöwen interessant, welche in einem stark umgitterten Teich
gehalten werden. Zweimal täglich zu bestimmten Stunden ist Fütterung.
Die scheinbar so plumpen Kolosse gerathen dann in grosse Erregtheit.
Unglaublich gewandt klettern und schieben sie sich schnaubend mit ihren
zu Flossen verkümmerten Extremitäten den aus der Mitte ragenden Felsen
hinauf, wohin der Wärter ihnen ansehnliche Fleischportionen zuwirft, die
sie oft noch im Fluge erschnappen, oder stürzen sich von oben kopfüber
herab, um die ins Wasser gefallenen Stücke zu holen. Schwimmend nehmen sie
den Charakter von Walfischen an, tauchen hie und da in die Höhe um Luft zu
schöpfen, tauchen dann wieder in die Tiefe und verschwinden, und nur
das Strudeln und Wallen des aufgewühlten schmutzigen Teichs zeigt an, wo
ungefähr sie sich herumtreiben.

Die Anlagen von Woodwards Garden sind hübsch und verhältnissmässig
geschmackvoll. Eine Menge Kioske und Flaggen zieren die vielen wirr
aneinander gefügten Gebäude. Leider will unter dem Staub der benachbarten
Wüste kein freundliches Grün gedeihen. Auf hohen Holzgerüsten stehen
ringsum blauweissrothe, vielflügelige Windmühlen, die sich durch ihre
Steuerung selbst gegen den Wind drehen, und pumpen langweilig knarrend
Wasser empor.

Market Street ist die von Nordost nach Südwest gerichtete diagonale Axe
San Franciscos. Am Hafen endet dieselbe in dem Hauptpier der Ferryboote.
Das andere Ende verliert sich in der Wüstenei der San Pablo Berge, die den
Hintergrund ihrer Perspektive bilden. Jenseits der San Pablo Berge liegt
die Lagune de la Merced, ein seeartiges, langgestrecktes und seichtes
Süsswasserbecken, nur durch einen schmalen Dünensaum von der Meeresküste
getrennt.

Dorthin ging ich am letzten Sonntag vor meiner Abreise spazieren, um
vom Stillen Ozean Abschied zu nehmen. Es war der erste Oktober, und die
Regenzeit schien, etwas früher als gewöhnlich, eben beginnen zu wollen.
Bereits in drei Nächten nach einander hatte es geregnet, das Wetter am
Tage war noch immer ungetrübt sonnig und heiss.

Ein Sonntagsspaziergang in der nächsten Umgebung San Franciscos ist
nicht ohne Gefahren. Da es in diesem freien Lande keine Jagdscheine
giebt, strömt dann Alles mit Schiessgewehren bewaffnet ins Freie hinaus,
allerwärts knallt es, und hie und da hört man eine Kugel sausen. So wars
auch heute. Eine Menge Menschen zu Fuss und zu Wagen begegneten mir oder
fuhren an mir vorüber, und jeder hatte ein Schiessgewehr bei sich.

Hier marschiren etliche Schuljungen die Strasse entlang. Der eine trägt
eine alte verrostete Flinte, der andere eine Jagdtasche, ein dritter das
Pulverhorn umgehängt, und ein vierter hat vielleicht einen Revolver im
Gürtel stecken. Dort sitzen vier Sonntagslümmel in einem gemietheten
Zweispänner, und ebenso viele Doppelläufe starren neben ihnen aus dem
Fuhrwerk heraus. In einem eleganten leichten Buggi kutschirt ein behäbiger
Spiessbürger dahin. Sein Pferd sieht aus, als ob es während der Woche
Fleisch ziehen müsste. Zur Linken sitzt ihm die Gattin, zur Rechten starrt
die Mündung einer Büchse gegen Himmel, und vorne sitzt arrogant ein
fetter Mops und schneidet heute ein Gesicht, als ob er ein ganz verflucht
gescheidter Hühnerhund wäre, obgleich er weiter nichts versteht als die
Kälber seines Herrn anzubellen.

Wenn so ein richtiger amerikanischer Junge gerade in heiterer Laune ist, so
macht er sich wohl einmal den Spass, auf einen harmlosen Spaziergänger zu
schiessen. Am Ufer der Laguna de la Merced erlebte ich ein Beispiel davon.
Halbversteckt im Schilf sammelte ich Süsswasserschnecken, Limnäen und
Planorben, da knallte es drüben, und über mir schlug eine Kugel in die
Böschung. Ich eilte nach oben, um mich zu zeigen und so den Schützen
zu warnen, dass er seinem Vergnügen in einer anderen Richtung genügen
möchte. Aber in der nächsten Minute fuhr ein zweites Geschoss neben
mir in den Sand, und das fröhliche Lachen zweier Burschen, die jenseits
standen, überzeugte mich, dass es nicht absichtslos geschehen war.

In den San Pablo Bergen, die ich zuerst ohne Pfad, nur der Himmelsrichtung
folgend, überschritten hatte, war es öde und einsam. Nebelmassen zogen
über die kahlen Gipfel und kalte Windstösse fuhren durch die Thäler,
an deren Gehängen Kühe den spärlichen Pflanzenwuchs abweideten. Ein
isolirtes Gehöft aus lotterig zusammengestoppelten Hütten war die einzige
menschliche Wohnstätte, die ich passirte.

Am Meere angelangt, wo es wieder lebendig wurde, bog ich nach Norden dem
Cliff House zu. Villen und Vergnügungsorte haben sich dem Strand entlang
angesiedelt, unter ihnen ragt das Ocean House durch seine Dimensionen
dominirend hervor.

Die Strecke vom Ocean- zum Cliff House ist ein beliebter Korso. In
eleganten Buggies und Landaus fahren die Bürger der Metropole auf dem
durchfeuchteten und dadurch festen Sande spazieren, links die rastlos
rollenden und sich überstürzenden Wogen des Ozeans, die in flachen
schaumigen Zungen bis unter die Räder lecken, rechts die eigenthümliche
melancholische Landschaft der Dünenhügel, deren Kuppen dunkle Büschel
von Fettpflanzen bedecken, Möven kreuzen draussen über dem Wasser, und
eine Schaar weiss blinkender Segel unterbricht angenehm die Monotonie des
Horizonts.

Ein ganz einziger Punkt ist das Cliff House, das mit Recht berühmte
Hauptausflugsziel der San Franciskaner. Hingebaut an den äusseren Absturz
der Felsenkette, die den südlichen Pfeiler des Goldenen Thores bildet,
beherrscht es die Aussicht über das Meer und auf einige nahe Klippen,
welche von einer Menge Seelöwen, Möven und Pelikane bevölkert sind. Dank
einem weisen Gesetz dürfen diese Thiere hier nicht geschossen werden und
scheinen sich auch ihrer Sicherheit wohl bewusst zu sein.

Schon ehe man von der Strasse aus die elegante Restauration betritt, geben
etliche fünfzig schöne Gespanne, die unter einem Dache aufgestellt sind,
die Anwesenheit wohlhabender und, was hier gleichbedeutend, vornehmer
Gesellschaft kund. Wir gehen durch das Gebäude nach der Seeseite zu und
gelangen auf eine Gallerie, auf welcher geputzte Ladies und Gentlemen
an sauber gedeckten Tischen sitzen, duftigen Mokka schlürfen und mit
Ferngläsern zoologischen Studien über die interessante Bewohnerschaft der
Klippen sich hingeben.

Unten donnert die Brandung gegen das schroffe Ufer, hie und da übertönt
von dem gellenden Brüllen und Bellen der Seelöwen, die sich durch
dasselbe schlangenartige Winden und Drehen, das wir bereits bei
den Gefangenen von Woodwards Garden kennen gelernt, an den Felsen
hinaufschieben und sich um die besten sonnigsten Plätze zanken. Manchmal
sperrt einer den geräumigen Rachen auf und faucht giftig den Nachbar an,
als ob er ihn fressen wollte, klappt aber gleich wieder zusammen, während
jener eingeschüchtert hinabrutscht. Manchmal beginnen sie alle auf einmal
zu brüllen und zu bellen, mit hellen und tiefen Stimmen. Sind ihrer viele,
etwa dreissig oder vierzig auf einem der Felsen versammelt, so sehen sie
glänzend von Feuchtigkeit aus wie schlüpfrige Reptilien, die sich über-
und durcheinander schlängeln. Die günstigste Zeit zum Besuch und zur
Beobachtung der »Seal Rocks« ist der Morgen, wenn die Sonne im Osten
steht und alle westlich vom Auge liegenden Gegenstände scharf beleuchtet.

Nicht minder interessant für denjenigen, der sie zum ersten mal sieht,
sind die zahlreichen Pelikane, die ringsum kreuz und quer die Luft
durchmessen. Langnasige Karrikaturen von Vögeln, umkreisen sie
unermüdlich die Klippen, deren dunkle Massen sie mit ihren Exkrementen
weisslich gestrichelt haben.

Neben und unter dem Cliff House sind terrassenförmige Gärtchen in
Felsenstufen gebettet. Ein reicher Flor von Malven stand in voller Blüthe,
und braun schillernde Kolibris schwirrten von Blume zu Blume, um Insekten
daraus zu erbeuten, zum Verwechseln ähnlich unseren europäischen
Sphinxen.

Von Cliff House bis zur Stadt paradirt auf den Plänen bereits ein
ansehnliches grünes Rechteck als »Golden Gate Park«. In der Wirklichkeit
ist das meiste davon noch Sand und Wüste. Zwei ausgezeichnete breite
Strassen führen durch den Zukunftspark, auf denen die vorzüglichsten
Traber der Erde die Bewunderung herausfordern. Ich glaube nicht, dass es in
London eben so viele herrlich trabende und schöne Wagenpferde giebt wie
in San Francisco. Eine Tafel giebt kund, dass zehn Meilen per Stunde
(= 16 Kilometer) die höchste erlaubte Fahrgeschwindigkeit sei. Wer aber
kontrolirt diese prachtvollen Thiere, die weit übergreifend so leicht und
sicher mit den zierlichen Buggies dahinfliegen?

In der Nähe sind eine Rennbahn und die Begräbnissplätze. Ein hohes
Kruzifix krönt den bedeutendsten Hügel als weithin sichtbare Landmarke.
Auch der chinesische Leichenacker befindet sich hier, kenntlich an einer
Windmühle, welche Wasser pumpt, und mehreren weissgetünchten hölzernen
Kiosken. Es ist also übertrieben, wenn behauptet wird, dass die Chinesen
ihre sämmtlichen Todten in die Heimath verschiffen.

Auf einem anderen Ausflug, den ich nach Berkley, einer kleinen
grösstentheils aus Wirthshäusern bestehenden Ortschaft am
gegenüberliegenden Ufer des Hafens machte, hatte ich Gelegenheit, einen
in Kalifornien sehr gemeinen Nager, der dort die Stelle unseres
Hamsters vertritt, kennen zu lernen. Sein Name »Ground Squirrel« --
»Erdeichhörnchen« ist die beste Beschreibung desselben. Nur ist
das Thier etwas grösser und weniger schlank und geschmeidig als sein
Taufpathe, der flinke Bewohner unserer Forste. Alle die weitgedehnten dürr
gebrannten Stoppelfelder waren unterminirt von Legionen desselben. Legte
man sich auf die Lauer, so kamen sie vorsichtig aus ihren Löchern, machten
Männchen und hielten Umschau und versammelten sich. Eine leise Bewegung,
und sie verschwanden, indem sie sich durch Pfiffe warnten.



XXV.

VON SAN FRANCISCO NACH SALT LAKE CITY.

  Auf der Pacific Bahn. Die Sierra Nevada. Ein phänomenales
  landschaftliches Scheusal und ein überschwengliches Guidebook.
  Indianer. Die Mormonenstadt, das Tabernakel und das Mormonenthum. Eine
  Versammlung der Heiligen des jüngsten Tages. Ausflug nach Lake Point
  und Bad in dem grossen Salzsee. Camp Douglas.


Die Pacific Bahn beginnt nicht in San Francisco selbst, sondern drüben
auf der andern Seite der Bai in Oakland. Man kauft sich das aus mehreren
Abschnitten bestehende Ticket nach New York in einer der zahlreichen
Agenturen San Franciscos, wobei man sich in acht zu nehmen hat, dass man
nicht betrogen werde, indem die Fahrpreise einem gewissen Kurs unterliegen,
und schifft sich Morgens um sieben auf der Oakland Ferry ein. Die
Expresszüge nach Osten gingen damals täglich um halb acht Uhr von Oakland
ab.

Der westliche Anfang dieser riesigen Pacific Bahn ist sehr bescheiden, ganz
anders als bei uns, wo prachtliebende Verwaltungsräthe zum Schaden der
nun jammernden Aktionäre die Endpunkte verhältnissmässig geringfügiger
Bahnstrecken mit Marmorpalästen bezeichnen zu müssen glaubten. Der
Amerikaner will eben nur, dass das Ding seinen Zweck erfülle, und frägt
nicht wie es aussieht.

Ein Viadukt, fast eine Meile lang, aus Balkenwerk und mit doppeltem
Schienengeleise, kommt von Oakland her über den Schlick des Ufers der
Dampffähre entgegen. Wir steigen aus, schleppen uns hastig mit dem
Handgepäck durch das Gewühl ebenfalls hastiger Mitpassagiere und
Sleepingcars offerirender Neger, steigen in irgend einen Wagen des hinter
russigen Kohlenschuppen fertig dastehenden Zuges und befinden uns auf
dem berühmten, in allen Zungen der Erde als achtes Wunder gepriesenen
Eisengürtel. Nach wenigen Minuten setzt sich der Zug in Bewegung. Kein
Trompetchen, kein Pfeifchen, kein Fähnchen oder sonst ein Firlefanzchen,
womit auf dem europäischen Kontinent dieser Akt gefeiert zu werden pflegt.
Nicht einmal die Dampfpfeife entsetzt unsere unwagnerischen Ohren. Ein
Ruck und wir fahren, und nur die Glocke auf der amerikanisch kolossalen und
farbenreichen Lokomotive warnt, so lange es durch belebtere Gebiete geht,
in langsamen Schwingungen begegnende Fuhrwerke.

Ueber den Viadukt und durch die Strassen von Oakland bimmelten wir so
dahin. Dann gings schnelleren Tempos ins Freie und erwartungsvoll spähte
ich aus dem Fenster nach den landschaftlichen Schönheiten, mit denen mir
Kalifornien, ich weiss nicht auf Grund welcher gelesenen Schilderungen,
ausgestattet sein zu müssen däuchte. Aber sie kamen nicht. War die
Schlickzone, in der sich ein schmutziges Gesindel von Taschenkrebsen mit
derselben Behaglichkeit wie an den vaterländischen Ufern des Jadebusens
herumtrieb, überwunden, so erschien zunächst eine weite Alluvialebene
mit zerstreuten Melonen- und Tomatofeldern, und in schmalen Wasserzungen,
welche die Bai tief ins Land hineinstreckt, waren Fischer beschäftigt,
künstlich angepflanzte Austern mittels eiserner Rechen einzuheimsen. Bald
hatten wir diese letzten Vorposten des mir theueren Pacific Ocean hinter
uns, man sah kein Wasser mehr, sondern nur dürre, staubige Stoppelfelder
und hie und da eine Gruppe dürftiger, graugepuderter, laubarmer Bäume.

Bis nach Sacramento gab es im Zuge mehr Gesellschaft als angenehm war. Den
Rauchwagen, der in Amerika zugleich als Sammelplatz des Lumpengesindels
dient, beherrschten die Chinesen, von denen einige stillvergnügt lächelnd
in chinesischen Unterhaltungsbüchern lasen, während die Mehrzahl blos
rauchte und spuckte und klatschte und stank, die weissen Gentlemen reckten
die Beine kreuz und quer nach allen vier Himmelsrichtungen in die Höhe,
so dass man von den meisten nur die Stiefelsohlen sah, und im Drawing Room
Car, der sich Nachts in den Sleeping Car verwandeln sollte, hatten Ladies
und Kinder jeden Sitz in Beschlag genommen.

Ein Tunnel, ein paar schmutzige Flüsse, kahle Hügel, neublinkende
Städtchen, chinesische Bahnarbeiter mit pilzförmigen Strohhüten, eine
ungeahnte Menge von Staub und Dürre glitten vorüber. Die Sonne ging
unter, der Vollmond ging auf, Tausende von Zikaden zirpten, so oft wir an
einer der vielen kleinen Stationen hielten. Die Berge wurden nun höher,
und wir fuhren in die Sierra Nevada hinein. Am nächsten Morgen war sie
überwunden, die »Plains« lagen vor uns.

Man kann sich nichts Trostloseres denken, als diese Gegenden des
äussersten nordamerikanischen Westens. Hat man das Unglück wie ich, sie
von San Francisco aus und ohne Aufenthalt zu durchkreuzen, so passirt man
die einzige höchstens zwölf Fahrstunden lange Naturschönheit, die Sierra
Nevada, bei Nacht. Und auch bei Tag ist von der Sierra Nevada wohl nur
wenig zu sehen. Denn fast ununterbrochen laufen die Schienenstränge unter
Schneedächern hin, die bis auf die horizontalen Spalten zwischen den
Brettern der Seitenwände nichts von einer Aussicht wahrnehmen lassen. Die
Welt ist hier buchstäblich rechts und links mit Brettern vernagelt. Kommt
dann endlich einmal eine Lücke, und freut sich das Auge der kühnen,
spärliche Fichtenbestände tragenden Felsgründe und zackigen Berge, die
wie ein Zauberbild plötzlich sich aufthun -- eine halbe Minute, und wieder
schiessen die öden, dunklen Bretterwände dicht vor dem Fenster vorüber.

Hat man auf solche Weise die Sierra Nevada genossen, so gelangt man in
die gemeinste, niederträchtigste Landschaft der Erde, von deren
Erbärmlichkeit keiner sich einen Begriff bilden kann, der nur die
anmuthigen Gefilde des schönen Europa kennt.

Eine schmutzig gewordene Kalkgrube, vertrocknet, in lauter kleine
Inselchen zerklüftet, bürstenartig besetzt mit dürren, verstaubten
Artemisiabüscheln, bis ins Unendliche ausgedehnt -- dies ist ungefähr
der Boden, über den man zweimal vierundzwanzig Stunden im Tempo eines
deutschen Bummelzuges, obgleich man »Express« fährt, sich durchquälen
muss. Die kleinste Maus ist auf hundert Schritte bemerkbar, indem sie ein
Staubsäulchen emporwirbelt. Staub, fressender alkalinischer Staub, dringt
wolkenweise durch alle Oeffnungen in den Wagen, äzt Augen, Lippen und Nase
wund, macht die Haut des Gesichts und der Hände spröde und rissig und
erzeugt ein Gefühl, als ob man ersticken sollte. Man hat nicht einmal
die Erleichterung des Schwitzens. Die durstige Atmosphäre lässt keine
tropfbare Flüssigkeit aufkommen. Alles ist heiss und trocken.

Immer und immer frägt man sich wieder: »Wie ist es möglich, dass über
dieses phänomenale landschaftliche Scheusal so wenig bei uns bekannt ist,
ja dass vielfach gerade die günstigsten Vorstellungen über die Szenerien
herrschen, durch welche die Pacific Eisenbahn führt?« Die Antwort darauf
und zugleich eine Quelle unerschöpflicher Heiterkeit erhält man, wenn man
sich von dem fliegenden Zeitungshändler, der den Zug begleitet, um zwei
Dollars »Williams Pacific Tourist« kauft.

Das Buch ist eine echt amerikanische Lektüre. Es nennt sich selbst »the
handsomest Guidebook in the World«, »the most beautiful Book of
Western Scenery ever issued«, »the most complete, accurate and reliable
Transcontinental Guide ever known«, »officially endorsed by the Pacific
Rail Road Companies«. Den ersteren Qualitäten liegen etwa dreihundert
Seiten Text, mit der unübertroffenen Sauberkeit amerikanischer Typographie
gedruckt, und sehr viele theils mittelmässige, theils schlechte
Holzschnitte zu Grund. Letztere Eigenschaft ist die beachtenswertheste. Wir
haben es mit einem offiziellen Rhapsoden zu thun, der seine Inspirationen
auf richtige Yankeeart aus der Kasse der Pacific Rail Road Companies
bezogen hat. Mister Williams hat, wie er selbst in der Vorrede sagt, zum
Zweck seines Buches neun Monate hier herumgereist, er hat vier grosse
»Editorial Parties representing over 150 Journals and a total Circulation
of over 3000000« zu den »Wonders of the West« geführt und ist in Folge
dessen in der Stimmung, die Gegend, die uns scheusslich vorkommt, als
»wonderful« und »overwhelming« zu preisen. Wenn die Leistungen der
Pacific Rail Road Companies nur halbwegs proportional waren den Leistungen
des Mister Williams, so muss dieser Edle schweres Geld gekostet haben.

Es ist bezeichnend für die Gegend, dass fast jeder zerbröckelte,
röthlich verwitterte, gemeine Felsblock, der aus der unendlichen Kalkgrube
über Mannshöhe herausragt, einen hochtrabenden Namen besitzt. So ein
Felsblock hat meist eine gewisse Aehnlichkeit mit alten Ziegelmauern bei
uns, die eben abgebrochen werden, ist gewöhnlich sehr unschön geformt,
mit Einem Worte gemein. Mister Williams aber vermag das alles bezaubernd,
entzückend, überwältigend zu finden und vor jedem derartigen Gebilde
wollüstig die Augen zu verdrehen und ein halbes Dutzend frohlockender
Bocksprünge zu machen.

Was müssen die armen Emigranten hier ausgestanden haben, als es noch keine
Pacific Eisenbahn gab, als sie noch Monate und Monate lang mit Pferden und
Karren sich über die endlose Alkaliwüste zu schleppen hatten. Wie viel
Jammer und Elend mag hier gelitten, wie viel sehnsüchtige Seufzer mögen
hier dem fernen Kalifornien entgegengeschickt worden sein. Und waren sie
endlich am Ziel ihrer Qualen, wie oft wurde bitterste Enttäuschung ihr
Lohn. Denn auch Kalifornien ist durchaus nicht das Land, wo überall Milch
und Honig fliesst. Ein Dritttheil des Staates ist Wüste, und alle die
ekstatischen Schilderungen seiner Schönheit und Fruchtbarkeit sind
Uebertreibung und von den Pacific Rail Road Companies bezahlter,
berechneter und bewusster Schwindel. Aber der Schwindel hat sich rentirt
und zwar auf doppelte Weise. Denn es fahren jährlich auf dieser theuren
Bahn nicht blos Tausende hoffnungsvoll von Osten nach Westen hinüber,
sondern auch Tausende um Vieles ärmer und fluchend wieder zurück.

Der ganze tägliche Verkehr beschränkt sich auf vier Züge, je einen
Express- und je einen Emigrantenzug ostwärts und westwärts. Erstere
brauchen zwischen New York und San Francisco genau sieben Tage und sieben
Nächte, letztere zwei bis drei Wochen. Auch der Expresszug hält auf allen
Stationen, oft länger als begreiflich, und seine Schnelligkeit bleibt
hinter dem bei uns mit diesem Ausdruck verknüpften Begriff der Eile weit
zurück.

Von den Stationen sieht eine so ziemlich aus wie die andere. Täglich
drei sind dadurch hervorragend, dass man eine halbe Stunde Zeit hat, die
üblichen drei Mahlzeiten zu nehmen. Noch während wir in eine solche
Breakfast- oder Dinner- oder Supper-Station einfahren, tönt uns von der
Restauration eine Glocke oder ein Gong die Aufforderung zum Besuch in
die Ohren. Sind zwei oder drei Konkurrenten vorhanden, so sucht jeder den
anderen durch Lärm zu überbieten. Oft erfreut das Auge an solchen Oasen
ein plätschernder Springbrunnen, der jedoch nur so lange spielt als der
Zug hält, und etliche dünn belaubte Bäumchen, die sich bemühen einen
grünenden Garten zu heucheln. Ein grosses Wasserreservoir hoch auf
Pfählen errichtet, daneben ein kolossales blauweissrothes Windmühlenrad,
welches zuweilen knarrend sich in Bewegung setzt um zu pumpen, ein
Dutzend hölzerner Schuppen und drei oder vier Erdhütten von chinesischen
Arbeitern bewohnt, ein Pferch zum Verladen von Rindvieh, gleich hinter der
nächsten Ecke und überall ringsum die öde Steppe -- dies ungefähr
ist das Bild von all den kleinen Ansiedelungen, die sich bald Humboldt,
Bismarck oder Sherman, bald Winnemuka oder Paiute nennen. Weissgekleidete
Chinesen sind die Wärter der Tafel, an der Thür steht der Wirth und
lässt sich beim Hinausgehen von den Gästen je einen Dollarzettel in
die Hand drücken. Denn seit wir den Staat Nevada betraten, sind wir der
kalifornischen Silber- und Goldwährung entrückt und wieder im Gebiete der
Greenbacks. Auffallend häufig findet man hier in den Restaurationen als
Zeugen des Mineralreichthums der Gegend schöne Sammlungen von Kupfer-,
Silber-, Zinn-, Antimon- und Bleierzen hinter Glaskästen ausgestellt.

Etwas ganz Unschätzbares sind die Waschzimmer auf allen Stationen und zwar
geräumige, reinliche Waschzimmer mit grossen Waschschüsseln und einem
Ueberfluss von Wasser, der nichts zu wünschen lässt. Neben jedem Becken
liegt ein Stück vortrefflicher Seife, und ausgiebige, bettlakengrosse
Handtücher auf Rollen hängen an den Wänden. Wer die Kosten dieses
höheren Kulturzustandes trägt, ob die Bahn oder der Restaurateur, weiss
ich nicht, aber keinem Menschen fällt es in Amerika ein, für solche
selbstverständliche Bedürfnisse Zahlung zu verlangen. Wie viel wirklich
vornehmer sind doch diese elenden Wüstenstationen als unsere glänzenden
Eisenbahnhöfe, die in Bezug auf gewährte Reinlichkeit mehr den
Anschauungen jenes polnischen Juden entsprechen, der einmal verwundert
äusserte »Es ist doch sonderbar, dass man sich hie und da die Hände
wäscht aber nie die Füsse«.

In Humboldt sah ich meine ersten sechs Indianer, sechs braune, schmutzige
und zerlumpte Kerls mit finsterem Gesichtsausdruck und langen straff
heruntergekämmten Haaren, graue Filzhüte auf dem Kopf und rothe Decken
um die Schultern. Auch zwei alte runzelige Squaws mit einigen halbnackten
Kindern eilten herbei und machten sich sofort daran, die Passagiere des
Zuges abzubetteln, indess die Männer keine Notiz von uns nahmen.

Von nun an fehlten diese sogenannten Rothhäute fast auf keiner Station,
aber nirgends kamen mir mehr als höchstens ein Dutzend zu Gesicht. In
Winnemuka waren sie schon ächter. Dort hatten die meisten ihre dunklen
Wangen mit Zinnober geschminkt, und selbst ein über und über schmieriger
Säugling, welchen eine Squaw in dem bekannten Holzgestell mit Dach auf dem
Rücken schleppte, trug seine kleine Stumpfnase mit einem Zinnobertupfen
verziert, während die Spuren seiner Ausscheidungen eine aus mehreren
Schichten gebildete breite Linie über den Rock der Mutter herab gezeichnet
hatten.

Ein Mann von etwa vierzig Jahren ragte gebieterisch hervor, eine stattliche
stylvolle Erscheinung voll Trotz und Grimmigkeit in den scharfgeschnittenen
Zügen. Gegen ihn waren alle die Anderen nur skrophulöses Gesindel. Der
Kinnriemen an seinem Hute war mit Silberplättchen beschlagen, in der Hand
hielt er eine Flinte.

Später, zu Battle Mountain, trat in der Bemalung eine zur Ornamentik
verfeinerte Mode auf. Quer über Wangen und Nase wechselten horizontale
rothe und gelbe Streifen, letztere in einem Falle sogar noch regelmässig
mit rothen Punkten besetzt. So unsauber und nachlässig der sonstige Anzug
war, in diesen Gesichtsmalereien herrschte die grösste Akkuratesse und
Symmetrie. Gerne hätte ich die braunen Söhne der Wildniss sprechen
gehört, aber sie unterbrachen niemals ihr düsteres Schweigen, wenn
ich sie zu belauschen wünschte, ganz anders als die lustigen
Südsee-Insulaner. Ausser zwei hübschen Mädchen in reinlicher
europäischer Tracht, die mir zu Ogden begegneten, sah ich kein einziges
Indianerindividuum, welches Neigung verrieth, sich mit der Zivilisation
auszusöhnen.

Der dritte Morgen der Reise dämmerte mir an den Ufern des grossen
Salzsees. Schon gestern Abend waren allenthalben Bergzüge aufgetreten,
isolirt aus der Ebene ragend. Endlich erscheinen auch wieder Bäume, und
wir fahren in die Hauptstation Ogden ein, die zweite Stadt der Mormonen,
von wo sich die Bahn nach Salt Lake City abzweigt.

Mit Ogden wird die Gegend wieder einigermassen menschlich geniessbar und
bleibt es auch während der zwei Stunden langsamer Fahrt bis Salt Lake
City.

Es giebt zwar keine Bäume ausser künstlich gepflanzten, aber doch sind
die zahlreichen Gehöfte bereits mit einem nach zweitägiger
Entbehrung doppelt anmuthigen Grün umgeben. Selbst die Berge sind mit
eigenthümlichem Farbenreiz geziert. Grosse Flecken von duftig rosarothem
Heidekraut überziehen die Gipfel, graugrün und gelb ist der übrige
Boden, ein kaltes Weiss bezeichnet die schroffen Abstürze der Felsen.
Rechts dehnt sich die dunkelblaue salzige Fläche des Sees innerhalb
flacher und sumpfiger Ufer. Salzinkrustationen bedecken die ausgedörrten
Tümpel an seinem Rande.

Das weite, sanft zu den Höhen ansteigende Thal bevölkert sich mit einer
Menge zwischen Gärten zerstreuter freundlich blickender Häuser, und wo
sie am dichtesten sich zusammendrängen, taucht aus ihnen das unförmige
graue Schindeldach des Tabernakels empor wie ein Elephant aus dem Gewimmel
der Jahrmarktsbuden oder wie ein Walfisch aus den hüpfenden Wellen -- Salt
Lake City.

Hier hoffte ich ein paar Tage auszurasten. Ein Streetcar mit zwei lebhaften
Maulthieren entführte mich von den lotterigen Holzschuppen des Bahnhofs in
die Stadt. Aussergewöhnlich breite, rechtwinklig sich kreuzende staubige
Strassen sind von schattigen Alleen eingefasst. Neben den Seitenpfaden
laufen muntere Bächlein. Die Häuser sind von Gärten umgeben und von
Bäumen und Buschwerk anmuthig versteckt. Erst in den zwei oder drei
Geschäftsstrassen stehen die Gebäude ohne Unterbrechung neben einander.

Salt Lake City hat etwa 25000 Einwohner und ist bald durchwandert. Main
oder East Temple Street ist die Hauptgeschäftsstrasse, die ganz allgemein
amerikanisch aussieht. Ein paar Hotels, Kaufläden aller Art, eine
Apotheke, mehrere Bierschenken und Schnapsbuden mit hochtrabenden und
buntgemalten Namen setzen sie zusammen.

Am meisten fällt eine spezifische Mormoneneigenthümlichkeit in die Augen,
der sogenannte Bee Hive Store, ein grosses dreistöckiges Gebäude aus
Ziegelstein mit mächtigen Glasfenstern an der Frontseite. Ueber dem
Eingang glänzt ein goldenes Auge Gottes und darum herum in goldenen
Lettern die Aufschrift »Holiness to the Lord. Zions Cooperative
Mercantile Institution«. Treten wir unter diesem geschmacklosen Emblem der
Muckerhaftigkeit ins Innere, so kommen wir in einen riesigen Bazar, in
dem alle Artikel des menschlichen Bedarfs von der Dreschmaschine bis zur
Nähnadel, vom Bärenpelz indianischer Zubereitung bis zur Küchenschürze,
vom Oelfarbendruck bis zum Briefpapier zu haben sind. Die Grundfläche und
eine dreifache Reihe von Gallerien übereinander sind mit Waaren bedeckt.
In einem umgitterten Raum werden Geldgeschäfte abgemacht. Ein lebhaftes
Treiben von Käufern und Verkäufern rechtfertigt einigermassen den Namen
»Bienenkorb-Lager«. Das Beste von dem Institut ist, dass es auf Kosten
und zum Vortheile der ganzen Gemeinde gehalten wird, dass es also einen
Konsumverein grössten Massstabes darstellt. Nur Mormonen dürfen an seinen
Wohlthaten partizipiren.

Hinter einem Haufen Kleiderstoffe fand ich dort einen alten Bekannten
wieder. Ich war mit ihm auf demselben Schiff von Viti nach Honolulu
gefahren. Er gehörte damals jener Konzertgesellschaft an, die in Honolulu
von jenem Reverend mit seinem Tower von London so schmählich angeführt
wurde, und spielte Trompete. Jetzt schwang er die Elle und schien, als
ich ihn ansprach, etwas verlegen sich seiner Künstlerrolle entkleidet zu
sehen. Ich erinnerte mich nun, dass damals viel gemunkelt wurde, unter der
Konzertgesellschaft befände sich auch ein Mormone.

Die Mehrzahl der Strassen trägt einen stillen, friedlichen, ländlichen
Charakter. Man begegnet nicht vielen Menschen. Ueberall Alleebäume und
Obstgärten, lange Mauern und Zäune, überall murmelnde Bächlein, die
geschäftig dem tiefergelegenen Jordanfluss zueilen. Salt Lake City
erfreut sich eines sehr glücklichen Wasserreichthums, ohne welchen bei dem
trockenen Klima keine Kultur möglich wäre. Der stets wolkenlose Himmel,
die glühende Sonne, die Menge von Staub, die roth betroddelten Maulthiere
vor den Streetcars erinnern an den Süden und an Mexiko. Von der
Quintessenz des Mormonenthums, der Vielweiberei, ist auf den Strassen kaum
eine Spur wahrzunehmen. Nicht etwa, dass da Ehemänner mit zehn Frauen und
fünfzig Kindern spazieren gingen. Höchstens draussen auf dem Land sieht
man zuweilen einen Bauern fahren, der zwei oder drei jüngere Weiber hinter
sich sitzen hat.

Eines der merkwürdigsten Gebäude der Erde ist unzweifelhaft das
Tabernakel, welches in Mitte eines eigenen Blocks liegt, umgeben von einer
hohen Mauer. Ursprünglich war dieser Block bestimmt, Zentrum der Stadt zu
werden. Es erging ihm aber wie dem Kapitol zu Washington. Die Stadt wuchs
nicht gleichmässig ringsherum, sondern fast ausschliesslich nach Süden
und Osten, und so sieht sich jetzt das Tabernakel etwas auf die Seite
geschoben, wenngleich die Strassen von ihm aus gezählt werden. Das Quadrat
des Tabernakelblocks und somit die ganze Stadt ist genau nach den vier
Himmelsgegenden gerichtet. Die dasselbe begrenzenden Strassen heissen
Ost Temple Strasse, Süd Temple Strasse, West Temple Strasse, Nord Temple
Strasse. Auf diese folgen parallel und rechtwinklig Erste, zweite Ost
Strasse, Erste, zweite, dritte Süd Strasse und so weiter.

Das Tabernakel selbst bedeckt ein reguläres Oval von 76 Meter Länge
und 46 Meter Breite. Auf die dieses Oval bildenden verhältnissmässig
niedrigen Seitenwände, welche eigentlich nur aus Flügelthüren und
massiven Pfeilern bestehen, ist das kolossale und plump vorspringende
Schindeldach gestülpt wie eine riesige Eischalenhälfte. Das Innere,
ein einziger 24 Meter hoher Raum ohne Abtheilungen, gemahnt an einen
Kunstreiterzirkus, weshalb die Gentile-Presse, welche das Mormonenthum aufs
Heftigste bekämpft, den Spitznamen »The old Ladies Hippodrome« erfunden
hat. Unter »the old Lady« ist Brigham Young, der grosse Prophet und
Papst, gemeint. »Gentiles« heissen alle Nichtmormonen.

An dem einen Ende, wo bei uns der Altar sein würde, befindet sich eine
Orgel mit gelben Pfeifen, die grösste der Vereinigten Staaten und ganz
und gar von einem Mormonen gebaut, wie der uns begleitende Küster stolz
betont. Davor erhoben sich staffelförmig die Sitzplätze für die Hirten
der heiligen Heerde, zu oberst das gepolsterte Sopha des Präsidenten nach
unten durch eine Brüstung getrennt, diesem zunächst die lange Bank der
zwölf Apostel, dann jene der Bischöfe und eine Art Kanzel für den das
Sakrament spendenden Priester, neben welcher vier grosse hölzerne Fässer
heiligen Wassers stehen. Zu welchem Zweck dieser Artikel hier vorräthig
gehalten wird, konnte ich aus dem misstrauischen Küster nicht
herausbringen. Tambu!

Ein kleiner Springbrunnen, der sich in dem imponirenden Raum erbärmlich
ausnimmt, mit vier schmächtigen, schlecht modellirten steinernen Löwen
bezeichnet die Mitte. Von der gewölbten Decke hängen gewaltige Lüster
aus Fichtenzweigen und Papierblumen und verkehrte Christbäume als
geschmackvolle Zierden herab, an den Wänden eben solche Guirlanden
und geschmacklose Aufschriften im Style des hier ewig wiederkehrenden
»Holiness to the Lord«.

Das Tabernakel soll 12000 Menschen fassen und durch die vielen Thüren in
wenigen Minuten gefüllt und geleert werden können. Nur im Sommer wird
dasselbe benützt, im Winter ist es hierzu zu kalt, und dann wird der
Gottesdienst in den einzelnen Wards abgehalten.

Es traf sich glücklich, dass während meiner Anwesenheit in Salt Lake
City gerade eine grössere Versammlung der Heiligen stattfand. Das ganze
kolossale Haus war voll von Männern, Weibern und Kindern. An einem der
Eingänge kauerten zwei Indianerinnen mit rothgemalten Gesichtern, zerlumpt
und starrend von Schmutz. Auch sie gehörten zu den Mormonen.

Unter der Menge herrschte wenig Aufmerksamkeit auf die Worte jenes
Apostels, der eben sprach. Ich sah kein einziges, scharfes, entschlossenes
Gesicht vom Schlag des typischen Amerikaners, und die meisten Anwesenden
hielten das Maul offen. Die Frauenzimmer waren hässlich, und die
orthodoxe, fromme Scheulederhaube, die viele aufhatten, trug nichts dazu
bei, sie zu verschönern. Kindergeschrei und der Lärm beständigen Kommens
und Gehens trieb mich nach vorn, damit ich von den Reden etwas hören
konnte.

Auch unter den Aposteln schienen die dummen Gesichter, denen gegenüber
drei oder vier Gaunerphysiognomieen eine Art Intelligenz vertraten, zu
prädominiren. Mehrere sprachen nacheinander, wobei wenig Geist und viel
Gefasel zum Vorschein kam.

Der ewige Refrain war, dass die Mormonen besser seien als alle anderen
Menschen. »Wo beginnt das Reich Gottes? Bei den Vätern und Müttern.
Lasst die Väter reinen Herzens sein und lasst die Mütter reinen Herzens
sein, und auch die Kinder und die ganze Familie werden reinen Herzens
sein. Auch Abraham, Isak und Jakob waren reinen Herzens. Denn sie sind die
Gründer des Reiches Gottes, und wir sind die Heiligen des letzten Tages,
und weil wir die Heiligen des letzten Tages sind, sind wir reinen Herzens.
Hier stehen wir vor dem Volk, hier stehen wir vor der ganzen Welt. Aber
wir sind reinen Herzens und gehören zum Reiche Gottes«. Solches
redete wörtlich in der grössten Gemüthsruhe ein alter Kerl mit einem
abgefeimten Galgengesicht. Er sah gescheidter aus als seine Predigt. Für
das stupide Gesindel vor ihm mochte sie allerdings gut genug sein, er hielt
es offenbar nicht der Mühe werth sich anzustrengen.

Nach ihm stand ein Apostel von der nicht verschmitzten Sorte auf und sprach
ungefähr ganz dasselbe, als ob er zeigen wollte, dass er gut aufgepasst
habe. Vielleicht auch ist es wahr, was mir ein Gentile anvertraute, dass
die Apostel insgesammt nur etwa ein Dutzend Reden im Vorrath haben, mit dem
sie Jahr aus Jahr ein ihre geduldige Heerde erbauten. Alle diese Figuren
von Krämern und Schlächtern, jedes idealen Zuges baar, die sich da
als Gesalbte des Herrn geberdeten und von der Kanzel herab mit auswendig
gelernten Phrasen herumwarfen, widerten mich aufs Intensivste an.
Welches Mass menschlicher Dummheit setzte die Möglichkeit einer solchen
Machtentfaltung solcher Apostel voraus.

Brigham Young sass in seinem Sopha so tief hinabgerutscht, dass nur der
oberste Theil seines greisen Hauptes über der Brüstung sichtbar war. Er
las eine Zeitung und kümmerte sich nicht um den Unsinn, den unter ihm die
Anderen schwatzten.

Endlich richtete er sich etwas auf, als sein Sohn zu ihm trat und neben ihm
Platz nahm. Die angelegentliche Konversation, die sich nun zwischen beiden
entspann, gab mir Gelegenheit, den alten berühmten Propheten eingehender
zu betrachten. Er trug eine dunkle Brille und sah bereits sehr gebrochen
und altersschwach aus.[11] Sein unförmig dicker Hals schien kaum mehr
die Kraft zu haben, den grossen kahlen Kopf, welchen ein amerikanischer
Kehlbart halb umrahmte, zu tragen. Ich konnte nichts Imponirendes oder
Ehrwürdiges an ihm entdecken. In seinem Blick lag etwas Giftiges,
Boshaftes, und sein Gesammteindruck war mir der eines ganz ordinären, von
Gewissensbissen geplagten Wucherers am Rande des Grabes, der niemals in
seinem Leben edlerer Gedanken fähig gewesen.

  [11]: Brigham Young ist mittlerweile 76 Jahre alt am 29. August 1877
  gestorben.

Eine Pause entstand unter den Predigten. Keiner der Heiligen schien sich
inspirirt zu fühlen. Da stupfte Brigham Young seinen Sohn an, worauf
dieser das Wort ergriff, indem er sich ungeschlacht mit dem Ellbogen auf
die Brüstung lümmelte. Auch Young junior hat bereits eine Glatze und mag
hoch in den Vierzigen stehen. Er trug einen gewöhnlichen grauen Rock, und
auch seine Züge waren gewöhnlich. Die kurze Rede jedoch, die er hielt,
hatte allein unter allen, die ich gehört, etwas Feuer und Geist.

Als er zu Ende war, intonirte die Orgel eine Melodie, und ein Chor von
Sängern und Sängerinnen hinter dem Prophetensopha sang mit guten und
kräftigen Stimmen einen Choral, der mir sehr wohlklingend vorkam, nachdem
ich schon lange nichts derartiges mehr gehört hatte. Hierauf ging
die ganze Versammlung durch die gleichzeitig geöffneten Thüren nach
sämmtlichen Himmelsrichtungen auseinander.

Das Mormonenthum ist wohl jene Konfession, die an Abgeschmacktheit,
Verschrobenheit und Lüge alle anderen derartigen Erzeugnisse der so
Bedeutendes leistenden anglo-amerikanischen Sektirerei übertrifft. Die
Abgeschmacktheit beginnt schon mit der Persönlichkeit des Gründers Joseph
Smith, aus dessen Kopf das ganze abstruse Zeug entsprang. Sein Bild ist
in jedem Laden von Salt Lake City zu sehen. Man denke sich eine moderne
Kellnerfigur mit glattrasirtem Gesicht und ängstlich glattfrisirten
Haaren, mit hoher Halsbinde und langem Biedermeierfrack, die sich als
Religionsstifter neben Moses, Christus, Mohamed stellt, die plötzlich mit
ehernen von Gott mitgetheilten Gesetzestafeln auftritt, nächtliche Besuche
von Engeln zu empfangen behauptet und ein neues Evangelium, »the Book of
Mormon«, schreibt, in welchem die Sprache des alten Testamentes plump und
ungeschickt nachgeahmt wird. Wer sich von der äussersten Widerlichkeit
überzeugen will, bis zu der menschlicher Wahnwitz sich verirren kann, der
lese einige Seiten aus dieser »Mormon Bible«.

Und das Machwerk einer solchen Karrikatur konnte nicht blos begeisterte
Anhänger gewinnen, sondern auch Dinge vollbringen, die in der
Kulturgeschichte eine achtenswerthe Rolle spielen. Tausende schaarten sich
um den neuen Propheten, trotzten allen Anfeindungen und zogen tausende
von Meilen durch die Wüste, um als neues Israel ein neues Jerusalem »Das
Reich der Heiligen des jüngsten Tages« zu gründen.

Jetzt freilich ist es vorüber mit der Macht des Mormonenthums, und der
grosse sechsthürmige Tempel, den Brigham Young zu bauen geplant hat, wird
bis auf die bereits fertigen Mauern und das öde und verlassen gegen Himmel
starrende Gerüst unvollendet bleiben. Die Pacific Eisenbahn hat dem Reich
der Heiligen den Todesstoss gegeben. Immer mehr Gentiles kommen nach Salt
Lake City, und immer mehr muss sich die auserwählte Heerde vor ihnen
zurückziehen. Innere Zwistigkeiten nagen an ihrer Lebenskraft, die Apostel
werden von der schnöden weltlichen Gerechtigkeit als gemeine Verbrecher,
Räuber und Mörder entlarvt, die Proselyten fliessen immer spärlicher,
und nur eine grössere Anzahl liederlicher Weiber, die ihren Männern
entlaufen sind, namentlich aus Dänemark, Norwegen und Schweden, liefern
noch jährlich einen stehenden Zuwachs. Die Gentile Presse leistet
an Grobheit, Verachtung und Spott gegen die Mormonen amerikanisch
Unübertreffliches. Man braucht nur eine einzige Nummer des »Salt Lake
Daily Tribune« in die Hand zu nehmen, um sofort zu erkennen, dass das
Mormonenthum jeden Schatten von Macht verloren hat.

An sonstigen Merkwürdigkeiten besitzt Salt Lake City ein Theater, ein
Museum für Alles, eine kleine, aber fürchterliche Gemäldesammlung, das
Schloss des Propheten, eine gothische Methodistenkirche und warme Quellen
mit Badegelegenheit. Brigham Youngs und seiner vielen Weiber Behausung ist
eben so geschmacklos wie die meisten Erzeugnisse seines Geistes. Eine dicke
Mauer aus Bruchsteinen und Mörtel mit sehr vielen konischen Thürmchen aus
demselben Material umgibt dieselbe, über dem Thor sitzt ein schadhafter
hölzerner Adler, und unter ihm stiert wieder das so beliebte Auge Jehovas
aus seinem dreieckigen Strahlenkranz. Das beste Gebäude der ganzen Stadt
ist noch das Theater, wenngleich ein Kunstpedant an den allzu schlanken
dorischen Säulen der Eingangshalle sich vielleicht stossen könnte.
Auffallend häufig begegnet man hier skandinavischen Namen. Es fehlt
indess auch nicht an Deutschen, Franzosen und Italienern, und auch der
schlitzäugige »Yun Lee« oder »Sun Wau« ist mit seinem stereotypen
»Washing and Ironing« schon bis hierher gedrungen.

Die Mormonen rühmten sich stolz, ein Mikrokosmus für sich zu sein,
alle ihre Bedürfnisse selbst zu decken und keine fremden Produkte zu
benöthigen. Spuren dieses Strebens sind überall noch bemerkbar, aber
vorwiegend die üblen Einflüsse desselben. Mit Abgeschlossenheit und
ängstlichem Fernhalten des belebenden Anstosses von Aussen hat es noch
kein Gemeinwesen weit gebracht. Nur ein Stagniren der Talente und Kräfte
ist die Folge eines solchen Systems.

Ich würde den Abstecher nach Salt Lake City vielleicht gar nicht gemacht
haben, wenn mich nicht der Salzsee selbst mit seinen zwanzig Prozent
Salzgehalt gereizt hätte, in ihm ein Bad zu nehmen. Früher konnte man aus
vier Tonnen seines Wassers eine Tonne Salz durch Abdampfen gewinnen, jetzt
sind hierzu fünf Tonnen nöthig. Der See wird dünner, sein Niveau steigt,
möglicherweise in Folge eines stetigen Emporrückens des ganzen Landes,
dessen höher werdende Berggipfel den Wolken immer mehr Feuchtigkeit
abzuzwingen vermögen.

Eine breite gelbe Marschzone, durch die sich der Jordan mit seiner grünen
Einfassung von Weiden und Pappeln schlängelt, trennt die Stadt und den
See, und um in ihm zu baden, muss man mit der Western Utah Eisenbahn zwei
Stunden nach Lake Point fahren, wo die Berge unmittelbar an sein Ufer
treten.

Die Western Utah Eisenbahn war erst seit kurzer Zeit im Gang und hatte noch
keine starke Frequenz. Sie reichte bis zu einer etwa doppelt so weit als
Lake Point entfernten Bleimine »Ophir City« und brachte täglich einen
Zug hin und zurück. Wir fuhren so langsam, dass man nebenher hätte laufen
können, die Lokomotive hatte nur drei offene Wagen zu schleppen, die mit
Minergestalten besetzt waren.

Es war ein herrlich schöner Tag, wolkenlos wie fast alle hier zu Lande im
Sommer und Herbst. Die Luft zitterte glühend über den malerischen kahlen
Bergketten ringsum, deren warme Farben von einem wunderbar zarten Duft
übergossen erschienen. Gegen Norden die prachtvoll tief blaue Fläche des
anmuthig gebuchteten und mit Inselbergen besetzten Salzsees -- einige im
Vordergrund weidende Pferde und Rinder ausgenommen, der dunkelste Ton in
der ganzen strahlenden baumlosen Landschaft, das satteste Blau, welches
ich je gesehen. Eine mir neue Art weisslicher Moskitos gesellte sich sehr
unwillkommen uns bei.

Da wo zwischen den Bergen und dem See nur mehr ein schmaler Saum für die
Bahn bleibt, liegt Lake Point. Weiterhin dehnt sich das Ufer wieder zu
einer dürrgebrannten sanft ansteigenden Ebene, in deren Hintergrund eine
kleine Ortschaft liegt, während in dem Mittelgrund einzelne niedrige
Gehöfte zerstreut sind. Staubwolken steigen allenthalben auf, von langsam
sich vorwärts bewegenden Pünktchen, welche Reiter oder Wagen vorstellen,
erzeugt.

Lake Point besteht nur aus einem zweistöckigen Hotel, einem in den See
hinausragenden Pier für ein zu Vergnügungsfahrten bestimmtes Dampfboot,
sowie mehreren Badehütten, und ist ein reizend stiller, einsamer Winkel.
Nur selten unterbricht das Zwitschern eines Vogels die herrschende Ruhe.
Heuschrecken schwirren über die gelben Grasstoppeln hin. Unter diesen sah
ich häufig eine Art, welche ich anfangs für Trauermantelfalter hielt.
Ganz dieselben schwarzen, gelbgeränderten Flügel, ganz derselbe
flatternde aber ausdauernde Flug wie jene Schmetterlinge.

Ich verfügte mich sofort in die dicke Salzlake des Sees und überzeugte
mich von der bereits gelesenen Thatsache, dass man in ihr nicht
untertauchen kann. Es war ein höchst sonderbares, fremdartiges Gefühl,
so getragen zu werden. Gleichwohl würde ein des Schwimmens Unkundiger
in dieser zwanzigprozentigen Flüssigkeit eben so sicher ertrinken wie in
destillirtem Wasser. Das nachgiebige Medium sucht den Körper beständig
horizontal zu legen, und bei der geringsten Bewegung dreht man sich um
die eigene Achse, so dass das Gesicht und damit die Oeffnungen für die
unentbehrliche Athemluft bald nach oben bald nach unten sehen, wenn man
nicht durch zweckmässiges Benehmen dagegen anzukämpfen weiss. Ich fand es
nicht schwer, durch sorgfältiges Biegen und Strecken des Körpers auch in
aufrechter Stellung mit gekreuzten Armen das labile Gleichgewicht
längere Zeit zu erhalten. Man steht dann im tiefen Wasser, nur bis zu
den Brustwarzen eintauchend, wie eine lebende Senkwage. Weniger leicht
und äusserst ermüdend fand ich das Vorwärtskommen. Ein Leander oder ein
Kapitän Webb wäre im Grossen Salzsee von Utah kaum denkbar.

Noch eine andere Erfahrung wurde mir zu Theil. Wenn schon die Salzfluth des
gewöhnlichen vierprozentigen Meeres abscheulich schmeckt, so ist dies
hier noch viel intensiver der Fall. Bei meinen verschiedenen Experimenten
geriethen mir etliche Tropfen durch die Nase in den Schlund, und ein
sofortiger Brecherguss war die interessante, aber unangenehme Folge
davon. Es soll auch, wie ich mich später erkundigte, noch keinem Menschen
vergönnt gewesen sein, einen derartigen Reiz ohne solche Reaktion auf sich
wirken zu lassen.

Eine Menge kleiner Krebse aus dem Geschlecht der Artemien tummelte sich um
das Pier herum. Ich fing ihrer ein paar Dutzend, und da sie alle
ziemlich tief schwammen, und die einzig mögliche Fangmethode mittels der
luftgefüllten Flasche, die ich plötzlich umdrehte, so dass das Wasser und
zugleich einzelne Thierchen hineinstürzten, umständlich und langweilig
und die Temperatur des Sees sehr kalt war, so fror ich beträchtlich, und
zähneklappernd entstieg ich dem lehrreichen Bade.

Als der primitive Bummelzug aus Ophir City am Abend mich wieder abgeholt
hatte und wir nach Salt Lake City zurückdampften, brauchten wir für
die kurze Strecke noch länger wie am Morgen. Einmal fuhren wir auf einer
Zweigbahn in einen abseits gelegenen Sandbruch ein, um einen Sandwagen
anzuhängen, und zweimal mussten wir mitten in der Ebene halten, zuerst
weil ein Bauer seinen leeren Karren auf den Schienen hatte stehen lassen,
bis der Lokomotivführer ihn in den Graben hinabschob, und dann weil drei
Ochsen eigensinnig darauf bestanden, lustig mit hoch erhobenen Schwänzen
vor uns her zu traben. Und während wir gerade im vollen Lauf waren,
hatte ich doch noch immer Zeit genug, schnell herab zu springen, eine
unvorsichtige Natter, die an der Böschung hinkroch, einzuheimsen,
nachzulaufen und wieder aufzusteigen.

Ehe ich Salt Lake City für immer verliess, machte ich noch einen
Spaziergang nach Camp Douglas.

Vor ungefähr dreissig Jahren, als Brigham Young sich stark und entfernt
genug fühlte, der Regierung in Washington Trotz zu bieten, sandte
diese mit riesigen Kosten ein Heer unter General Douglas aus, um ihn zu
unterdrücken. Camp Douglas, das ehemals befestigte Lager der Expedition,
auf einer die Stadt beherrschenden Höhe im Hintergrunde gegen die Berge zu
gelegen, erzählt noch heute von jener Geschichte und beherbergt noch heute
eine kleine Besatzung, obwohl die Macht des Mormonenthums längst gebrochen
ist.

Links und rechts von der ansteigenden staubigen Strasse eilen tief
verborgen unter staubbedeckten Artemisiabüscheln kleine Bäche herab,
überraschend mitten in der dürren Wüste. Camp Douglas selbst ist
wieder eine grüne Oase, ein schöner quadratischer Exerzierplatz
mit Akazienbäumen bepflanzt und umgeben von Barackenkasernen und
Offizierswohnungen mit sauberen blumenreichen Gärtchen davor. Am Eingang
stehen die Wache und einige alte Geschütze. Der Posten hatte vier
scharfe Patronen im Gürtel stecken, zu welchem Zweck, blieb mir bei
der Abwesenheit eines Feindes und bei der sonstigen Gemüthlichkeit, mit
welcher der Dienst betrieben zu werden schien, räthselhaft.

Es war Abend, und die grosse Flagge, die von der Spitze eines hohen Mastes
wehte, sollte niedergeholt werden. Die ganze Besatzung, etwa hundert Mann,
lauter Artillerie, versammelte sich in Reih und Glied zum Appell. Vier
Offiziere stülpten weisslederne Handschuhe über die Finger und rasselten
mit ihren Säbeln, mehrere Soldaten trugen statt des Käpis einen
Schlapphut. Die Sonne ging glühend unter. Die Wache trat ins Gewehr,
ein Trompetensignal, ein Trommelwirbel, ein Kanonenschuss, und das
Sternenbanner stieg langsam und gravitätisch herab.

Unten im weiten ebenen Thale lag friedlich die Stadt mit ihren
rechtwinkligen Blöcken von Häusern und Gärten, die vom Schein
des wolkenlosen Abendhimmels glitzernde Fläche des Salzsees und der
Silberfaden des Jordanflusses. Ringsum die blauen Berge. Nach Osten zieht
sich der Telegraphendraht in einen Sattel hinauf. Er geht noch den alten
Weg, den einst die Auswandererzüge nach Kalifornien genommen haben, ehe
die Pacific Railroad existirte.



XXVI.

VON SALT LAKE CITY NACH NEW YORK.

  Frömmigkeit und Prellerei. Emigrantenzüge. Die Prairien. Omaha. Eine
  unangenehme Nacht. Präsidentenwahl zum Zeitvertreib. Niagara Fall und
  Stadt. Das Amerikanische und das Kanadische Ufer. Praktischer Sinn der
  Niagarenser. Herbstliche Färbung.


Ogden ist ungefähr halbwegs zwischen San Francisco und Omaha. Von hier an
heisst die Bahn Union Pacific und die Passagiere haben hier die Wagen
zu wechseln. Die Leiter dieser Linie scheinen mit grosser Frömmigkeit
begnadet zu sein. Denn in jedem Wagen liegt eine Bibel auf. Ich habe aber
nie jemand darin lesen sehen. Die Mucker befolgen die nämliche Politik wie
die Schneider und Quacksalber. Es bleibt doch immer ein Weniges hängen,
auf diesem psychologischen Moment beruhen ebensowohl die überall
herumgestreuten Traktätlein und Bibeln, als die überall an die Felsen
geklecksten Reklamen.

Als ich in Ogden einstieg, um weitere drei Tage Pacific Bahn abzubüssen,
kam der Gepäckmann, nahm mir meine Flinte ab und sagte, ich müsse einen
Dollar zahlen dafür dass er sie aufbewahre. Ich war empört über solche
Zumuthung, die ich für einen plumpen Schwindel hielt. Und doch war der
gute Gepäckmann in seinem Recht. Denn als ich mich bei dem nächsten
Superintendent in Evanston beschwerte und frug, was denn dieser Dollar
eigentlich zu bedeuten habe, ob Strafe oder Zoll oder Extrafracht, nachdem
ich für mich und meine Koffer bereits Alles bezahlt, wurde mir die
Antwort zu Theil, die Direktoren der Linie hätten ihren Bediensteten das
Privilegium gegeben, jede Flinte der Passagiere aufzubewahren und dafür
einen Dollar zu berechnen.

Es war gewiss eine ganz lobenswerthe Vorsicht den Passagieren ihre Waffen
einzusperren, in einer Gegend, die vor noch nicht sehr langer Zeit dem
Auswurf des Erdballs als Sammelplatz und Schlupfwinkel diente, wo vor
Kurzem noch Mord und Todtschlag die Tagesordnung beherrschte und die
Hälfte der Bevölkerung »in den Stiefeln«, das heisst auf dem Wege
des Todtgeschossen-, Todtgestochen-, Todtgeschlagen- oder auch
Lynchweise-gehenktwerdens starb. Dafür aber noch Bezahlung zu verlangen,
war eine schmähliche Prellerei. Von Omaha bis Chicago auf der Rock Island
Pacific kostete die Flinte abermals einen Dollar Privilegium.

Da die Gegend wieder zu abscheulich und trostlos wurde, um sie anzusehen,
nahm ich wieder Mister Williams Pacific Tourist zur Hand, um mich
wenigstens an den Schilderungen der mir unfassbaren Schönheiten schadlos
zu halten.

Im Thal von Uintah zeigten sich einzelne Fichten auf den Bergen, und
Schneestreifen schmückten die Furchen ihrer Gipfel. Im Vordergrunde eine
Geröllebene, durch die sich schmutzige Bäche ziehen, gelbe Weiden und
Pappeln an den Ufern. Ein Emigrantenkarren stand unten am Bahndamm. Die
Pferde waren ausgespannt und weideten das spärliche dürre Gras ab. An
einem Feuer sass die Frau mit zwei zerlumpten Kindern und kochte, unweit
davon am Rande eines Wasserlaufs sass der Mann und hielt eine Angelruthe
in die trübe Flüssigkeit. Ob diese weisse Zigeunerfamilie westwärts oder
ostwärts wanderte, war nicht zu entscheiden.

Noch jetzt also giebt es abenteuerliche Existenzen, die trotz der Bahn in
der alten beschwerlichen, langsamen Art durch die öden Wildnisse reisen.
Später einmal in der Dunkelheit passirten wir ein grösseres Lager von
Emigranten mit mehreren Wachtfeuern.

Bedauerlicher Weise kam auch hier wieder die Nacht, als wir den zweiten
landschaftlich genussreichen Abschnitt der Bahn, die durch Ausläufer der
Rocky Mountains hergestellte Unterbrechung der ewigen Gegend, passirten.
In aller Frühe des nächsten Morgens dehnte sich die monotone Ebene der
Laramie Prairien vor uns, und im Laufe des Vormittags hielten wir an der
Station Sherman, 8242 Feet oder 2510 Meter über dem Spiegel des Meeres.
Dies ist der höchste Punkt der Bahn, von dem aus das Land gegen Osten
abzudünen beginnt. Sherman war auch damals für mich der höchste Punkt,
den ich je erreicht hatte.

Fast alle die elenden primitiven Stationen, durch die wir nun fuhren und an
denen wir leider auch hielten, hatten hochtrabende Namen. Nur eine einzige
und nicht die schlechteste hiess, wie sie eigentlich insgesammt heissen
sollten, nämlich Miser. Etwa zwanzig Blockhütten sind in einer
Reihe neben den Schienen aufgepflanzt. Weissgemalte Bretterfronten mit
bombastischen Aufschriften in grossen Lettern und allen Farben sollen ihre
wahre Natur maskiren. »City Emporium« nennt sich zum Beispiel so ein
Bauwerk. Ein Stiefel hängt vorne heraus, und ein krummbeiniger schäbiger
Kerl mit einer Schnapsnase und einem Pfeifenstummel steht unter der Thüre.
»Drinking Saloon, Drinks 12½ Cents«, worunter aber hier zu Lande 15
Cents zu verstehen sind, da es keine einzelnen Cents und noch viel weniger
halbe giebt, lautet der Titel einer anderen, die bei uns zu schlecht für
eine Almhütte wäre. Biegt man um die nächste Ecke der Ortschaft, so ist
man bereits in der dürrgebrannten Wüste, die auf- und ab undulirend, bis
zum Horizont sich ausdehnt, und über welcher sehr wirkungsvoll schöne
blaue Berghäupter mit Schneeflecken emportauchen. Hie und da sind
vielleicht noch ein paar umzäunte Vierecke für Rinder, umzäunt in jener
amerikanischen Art, die ganze Balken zickzackförmig in einander legt, eben
so viel Zaunmaterial als Boden verschwendend.

Immer weiter und weiter geht unsere Fahrt. Aber nicht etwa mit der
erwarteten rasenden Schnelligkeit des Amerikanerthums, sondern so langsam
und mühselig, dass ein deutscher Bummelzug uns einholen könnte. Links und
rechts hat die Gluth der Lokomotive einige Grasstoppeln angezündet. Die
prasselnden Flammen schreiten jedoch nicht weit, denn es weht kein Wind,
und die Stoppeln ragen einzeln und inselweise aus dem trockenen staubigen
Schlammboden. Zuweilen lassen sich in der Ferne weidende Antilopen sehen,
in kleine Gesellschaften von vier oder sechs Stück vereinigt. Sie nehmen
keine Notiz von uns, wenn sie nicht gerade sehr nahe sind, und dann
gallopiren sie eilig über die nächste Terrainwelle.

In Medicine Bow kampirte ein kleines Kommando Soldaten unter Zelten und
führte offenbar ein sehr armseliges Dasein. Zwei Wachen standen auf beiden
Seiten unter Gewehr, als ob der Feind in der Nähe sei. Es war eben wieder
einmal Indianerkrieg in den Black Hills, und in Laramie lagerte noch mehr
Militär. Auch Bäume gab es hier, sie schienen sich aber nicht wohl zu
fühlen.

Endlich kam ein kleines Excitement, die Dale Creek Schlucht nämlich, über
die eine äusserst verdächtige Brücke, 40 Meter hoch, 200 Meter lang
und aus Holzfachwerk, führt. Der Zug bremste seinen Lauf zu der
Geschwindigkeit eines Fusswanderers, dann gings behutsam und sachte auf das
morsche Gestell. Die Balken krachten und stöhnten, und das ganze Gebäude,
die Brückenpfeiler, das Schienengeleise und unser Zug fingen an hin und
her zu wackeln, dass man sich unwillkürlich an den Sitzpolstern festhielt.
Nach Mister Williams ist die Brücke »one of the Wonders on the great
Transcontinental Route«, und diesmal hatte er Recht.

Bald darauf kam ein einsames Haus in der baumlosen Ebene, welches unter den
Passagieren ebenso viel Aufregung verursachte, wie auf hoher See ein Schiff
in Sicht. Alle drängten sich an die Fenster um es zu sehen. Interessant
wären mir die unglückseligen Geschöpfe gewesen, die es bewohnten und von
denen keine Spur zu entdecken war.

Sehr oft unterbrechen Schneegallerien das Tageslicht. Man fährt dann eine
Viertelstunde im Dunkeln und sieht weiter nichts als die dünnen Striche
Sonnenschein, die durch die Spalten zwischen den Brettern vorbeiblitzen,
was übrigens ungefähr eben so amüsant ist als der Anblick der
unverhüllten Landschaft. Merkwürdig war mir, dass diese Schneegallerien
fast mitten in der Ebene die Eisenbahn überdeckten, an Stellen, die nur
ganz unbedeutende Einsenkungen zeigten. Wir hatten auch manchmal weite
Umwege um solche flache Mulden zu machen. Allerdings mag der nivellirende
Sturmwind, der im Winter über die Steppen braust, gerade in diesen
scheinbar so geringen Vertiefungen genug Schnee zusammenfegen, und die
Reste vertrockneter Bäche, die sich wie Muren durch sie hinziehen, deuten
auf mächtige Wassermengen.

Auf der Station Sidney im Staate Nebraska, von welcher aus der nächste
Weg zu den gerade nördlich gelegenen Black Hills abgeht, und zu der wir
am zweiten Abend gelangten, trieben sich viele Indianer herum. Es
waren regierungsfreundliche Rothhäute unter weissen Offizieren, lauter
jugendlich kräftige Gestalten mit scharfgeschnittenen Zügen. Man hatte
ihnen eine Art Uniform und Waffen gegeben, die ihnen viel Freude zu
machen schienen, indem sie stolz und grimmig mit dem Säbel rasselten, den
Revolver im Gürtel. Die meisten trugen grosse Ringe in den Ohren. Einer
hatte schwarz und weisse Federn daran befestigt, einem anderen baumelte
eine Schnur mit einem Hasenschwänzchen auf der Schulter herum. Ihre
Gesichter waren nicht bemalt wie die der übrigen Indianer die ich
gesehen. Wachtfeuer brannten neben dem Stationsgebäude, zu denen die wilde
Soldateska eine überaus genussreiche malerische Staffage lieferte.

Am Mittag des 9. Oktober mussten wir nach Omaha kommen. Als ich mich
Morgens von meinem Lager erhob, war noch nichts von der Annäherung an das
Bereich der Kultur zu merken. Immer noch dieselbe trostlose Ebene.
Kein Baum oder höchstens ein paar verkrüppelte. Ueberall kurzes,
gelbgedörrtes, mit Staub überzogenes Büffelgras, welches indess auch
unsere europäischen Rinder gern fressen sollen, wie mir mein Nachbar
sagte.

Wenige Stationen vor Omaha begegneten wir einem westwärts fahrenden Zug,
aus dessen Fenstern eine Menge Indianergesichter uns anstarrten.

Farmen und Getreidefelder treten auf. Etwas wie Waldesduft dringt in
die Nase, die drei Tage lang nichts als Staub zu kosten bekommen hat.
Laubbäume und Gebüsch in Menge, ein wirklicher kleiner Wald, und wir sind
in Omaha.

Omaha ist jetzt eine Stadt von vielleicht 25000 Einwohnern und für den
europäischen Reisenden hauptsächlich dadurch interessant, dass es der
Endpunkt der Union Pacific ist, dass man hier Züge wechselt, und dass
hier das Gepäck mit einer beispiellosen Rohheit umgeladen und »recheckt«
wird. Dies geschieht drüben am anderen Ufer des schmutziggelben Missouri,
über den eine lange eiserne Brücke führt, in Council Bluffs, welches
eine Vorstadt von Omaha darstellt, obwohl es bereits zu Iowa gehört. Der
Missouri trennt diesen Staat von Nebraska.

Mit Stolz sah ich, wie mein deutscher Koffer, dem ich nicht mehr viel
zutraute, die schwere Probe, ohne Umstände kurz aus dem Wagen auf die
steinerne Platform herabgeworfen zu werden, ruhmvoll bestand, während
einige amerikanische Kollegen erlagen und platzend ihren Inhalt dem
Hohngelächter der fröhlichen Packknechte preisgaben.

In Council Bluffs spaltet sich die Pacific Bahn in drei Zweige. Drei Züge
stehen neben einander bereit, um nach Uebernahme der Passagiere sofort
gleichzeitig in verschiedenen Richtungen abzudampfen. Ich bestieg den
mittleren, der über Rock Island nach Chicago ging. Die Gegend wurde
nun hübscher als je, und ich war auch jetzt nach der dreitägigen
ästhetischen Hungerkur für landschaftliche Anmuth viel empfänglicher
denn je. Niedrige Wälder mit jungen Eichen die daraus hervorragen, wie
man sie in Frankreich so oft sieht, wechselten mit Farmen, Obstgärten und
abgeheimsten Getreidefeldern, auf denen rothe Kürbisse in der Sonnenhitze
zeitigten. Alles sehr hausbacken und gewöhnlich, lange nicht so schön wie
unsere deutschen Forste und unsere deutschen Fluren, aber die Wirkung des
Kontrastes machte bescheiden und dankbar. Die Policemen auf den Stationen
hatten jetzt wieder Uniformen, nicht mehr blos einen metallenen Stern auf
der Brust wie westlich von Omaha.

Zwischen Davenport auf dem einen und Rock Island auf dem anderen Ufer
wälzt sich der Mississippi dem Süden zu, ebenso schmutzig gelb wie sein
Bruder Missouri und landschaftlich eben so reizlos wie dieser. Auf einer
eisernen Brücke überschreiten wir ihn und betreten den Staat Illinois.

Bis Omaha waren nur wenige Passagiere im Zuge gewesen, und wir hatten uns
dabei recht wohl befunden. Jetzt wurde es aber ungemüthlich. Wir fuhren
»Express« und hielten trotzdem auf allen Stationen, die Wagen
füllten sich immer mehr mit Menschen, die kamen und gingen. Ich hatte
unglücklicherweise mein Bett und damit auch die Berechtigung zum Gebrauch
des vollständig besetzten Saloon Cars einer Dame abtreten müssen und
war somit gezwungen, die Nacht auf einem gewöhnlichen Sitz unter dem
gewöhnlichen Eisenbahnpöbel zuzubringen, da es von nun an nur mehr Eine
Klasse gab.

Ich bin niemals mit einer widerlicheren Menschensorte in Berührung
gekommen als in jenen vierundzwanzig Stunden, in denen ich das nördliche
Illinois durchkreuzte. Der ungebildete Durchschnittsamerikaner ist
bekanntlich ein geborener Lümmel und rücksichtslos gegen Andere aus
Grundsatz. Er hat eine gewisse Vorliebe, Anderen auf die Füsse zu treten,
Andere zu rempeln und sich gerade dahin zu setzen, wohin ein Anderer eben
seinen Hut gelegt hat. Lässt man irgend einen Gegenstand zu Boden fallen,
gleich hat er seine Stiefel darauf und mit einer staunenswerthen Flinkheit
hat er ihn vollgespuckt. Von all diesen Liebenswürdigkeiten erfuhr ich
reichliche Proben, und ich müsste eben so ekelhaft werden wie jener
Theil des souveränen Volkes von Illinois, in dessen Mitte ich jene
vierundzwanzig Stunden zuzubringen hatte, wollte ich zu schildern
versuchen, was man in solcher Gesellschaft von der nationalen Leidenschaft
des Spuckens allein erleben kann.

Die demokratische Gleichberechtigung Aller ist gewiss ein sehr schöner
Gedanke. Wenn nur nicht die Geruchswerkzeuge und andere Empfindungsorgane
so oft gegen die Praxis desselben protestirten. Auch der amerikanische
Frauenkultus ist zweifellos eine schöne Sache. Wenn nur nicht hier zu
Lande jede feiertäglich geputzte Stallmagd, die auf zehn Schritt nach
ihrem nützlichen Berufe duftet, eine Lady zu sein und ladyhafte
Ansprüche machen zu müssen glaubte. Ich sehnte mich lebhaft nach unserem
europäischen, sonst so verwerflichen Kupeesystem, bei dem man doch
wenigstens nur mit sieben unangenehmen Subjekten zusammengesperrt werden
kann.

An manchen Städten und Städtchen gings vorüber, von denen noch nichts
in der Geographie steht, die aber doch schon viele tausend Einwohner haben,
und in denen ein emsiges Leben von qualmenden Fabriken, von dampfenden
Maschinen, von Kanälen, Strassen und Brücken voller Verkehr pulsirt.
Bremen (sprich »Brümmin«) hiess eine Station und erinnerte durch die
flache, monoton grüne Weidelandschaft und einige Windmühlen an ihre
Pathe, das deutsche Bremen. Eine andere hiess Joliet. Der Schaffner rief
»Eioleiet«, was jedoch für ein unkundiges Ohr auch »How do you like
it« klingen konnte. Joliet ist, wie schon der Name sagt, eine Ansiedlung
französischer Abkunft.

Mein ursprünglicher Plan war gewesen, einen oder zwei Tage in Chicago zu
bleiben. Ich gab ihn auf, um die lästige Reise so bald als möglich hinter
mir zu haben, und fuhr gleich wieder weg. Nur den Niagara durfte ich mir
nicht schenken. Ich war wahrscheinlich zum ersten und letzten mal in seiner
Nähe.

Ich sah somit von Chicago nur einige Aussenstrassen, durch welche
die Lokomotive langsam mit der Glocke bimmelte, und einige Masten
und Getreideelevatoren, welche das süsse Meer des Lake Michigan
repräsentirten.

Zwischen Chicago und Buffalo in den Staaten Indiana und Ohio bevölkerte
ein weit besseres, anständigeres Publikum unseren Zug als im Staate
Illinois. Es war viel die Rede von der bevorstehenden Präsidentenwahl, und
von allen Seiten ertönten die Schlagworte Tilden und Hayes. Eine mir neue
Art von Unterhaltung wurde veranstaltet. Man wettete auf die Chancen der
beiden Gegenkandidaten unter den Passagieren, vertheilte Stimmzettel und
hielt eine Probewahl. Die Republikaner siegten mit einer sehr geringen
Majorität. Grosse Begeisterung und nicht endenwollende Cheers auf Hayes
brausten durch sämmtliche Wagen des Zuges, bis wir in Cleveland angekommen
waren, wo die Meisten ausstiegen.

Schon gestern, als ich noch in Illinois war, hatte ich viel von Wahlen,
von Tilden und Hayes gehört. Und da ich noch nicht wusste, um was es sich
handelte, frug ich meinen Nachbarn, einen alten stupid aussehenden Farmer.
»Ach, die wollen den Governor von Illinois wählen« war die Antwort. Auch
er hatte noch keine Ahnung von der Präsidentenwahl.

Wir fuhren das ganze südliche Ufer des Erie-Sees entlang, manchmal so
dicht an seinem Rande, dass wir die Brandung hörten und den aufspritzenden
Schaum der sich brechenden Wellen sahen. Einige weissglänzende Segel
glitten über die grüne Fläche im Strahle der Morgensonne dahin. Das Land
war eben und brach am Ufer mit horizontalen Schichtungsflächen, die an
den Solenhofener Schiefer erinnerten, senkrecht hinab. Eichenwälder
und Obstgärten wechselten mit Feldern von türkischem Korn, dessen
Fruchtähren bereits abgeschnitten waren, und zwischen dem rothe Kürbisse
lagen, aus welchen man einen beliebten Kuchen, den Pumpkin Pie, fertigt.
Farmen, zierliche Landhäuser und zierliche Dörfchen, alle aus Holz, waren
hineingestreut.

Von Buffalo im Staate New York bog ich, wie gesagt, nach Niagara ab. In
zwei Stunden war ich am Ziele dieser Seitenexkursion, stieg aus und begab
mich sofort nach dem Wasserfall.

Kaum hat man den Bahnhof verlassen und befindet sich in der Stadt, so
schlägt der brausende Donner der grossen Sehenswürdigkeit ans Ohr. Dieses
Naturwunder beherrscht hier Alles. Ihm verdankt die Stadt Niagara ihre
Entstehung und ihre Existenz. Es giebt hier keine Industrie, die sich
nicht auf den Wasserfall und den Fremdenverkehr bezöge. Und Tag und Nacht
bekundet er weithin tosend seine Nähe.

Am anderen Ende einer breiten fast nur aus Hotels und Kaufläden mit
allerhand Souvenirschnickschnack zusammengesetzten und merkwürdig todten
Strasse ist der Eingang zu ihm und kostet einen Vierteldollar. Auf einer
Säule davor steht ein steinerner amerikanischer Soldat, aus Anlass irgend
einer gloriosen Begebenheit verurtheilt, seine traurige Gestalt den
Augen aller Vorüberwandelnden preiszugeben. »Prospect Park« heisst der
umzäunte, von Restaurationen und Photographenbuden bevölkerte Hain, den
man zunächst betritt, und von dessen felsigem Rande aus man den ersten
Anblick des gewaltigen sich in eine fünfzig Meter tiefe Schlucht
stürzenden Stromes geniesst.

Es ist überwältigend, berückend, in die kolossalen Massen zu schauen,
die rastlos ohne Ende sich heranwälzen und in ihrer ganzen mächtigen
Dicke von mindestens sechs Meter mit weiter Wölbung in den Abgrund sich
hinunterbeugen. Auf halbe Höhe prallt diesem Wassergewölbe von unten
herauf der glänzende Gischt entgegen, zu phantastischen, ewig wechselnden,
ewig kämpfenden Formen geballt. Man fühlt sich unwillkürlich versucht,
Kaulbachs Hunnenschlacht in sie hineinzumalen. Das Grossartige des
Phänomens spottet jeglicher Beschreibung.

Ein thurmartiger Vorbau nähert sich so sehr dem Bug des Stromes, dass wir
ihn mit der Hand zu greifen wähnen. Feiner Staubregen wirbelt ins Gesicht,
brüllender Donner erfüllt die Luft und macht die eigene Stimme unhörbar.
Wir können uns den Scherz erlauben, so laut als möglich zu schreien --
der Nebenstehende merkt nichts davon.

Die Umgebung des durch eine Insel in zwei grössere Abtheilungen
geschiedenen Falles ist flach, und ihr ruhiger hausbackener Charakter
lässt eine so schroffe Unterbrechung im Lauf des Niagara gänzlich
unmotivirt. Erst eine Viertelstunde oberhalb beginnt der bisher gesetzt und
würdevoll durch die Ebene fliessende Strom zu schäumen und zu rumoren und
über Felsblöcke zu hüpfen, und verräth dadurch seine wilden Absichten.
Die plötzlich und unvermittelt sich aufthuende Schlucht ist sein Werk,
seit Jahrtausenden nagt er langsam und stetig an dem harten Gestein, und
der Fall schreitet nach rückwärts fort. Dieses Rückwärtsschreiten soll
im Jahre etwa ein drittel Meter betragen, so dass er in 70000 Jahren den
Erie See erreichen und tiefer legen wird.

Die Wände der Schlucht sind nahezu senkrecht. Durch einen geneigten
Schacht stellen zwei auf- und nieder steigende Wagen die Verbindung
zwischen oben und unten her, und mit überraschender Schnelligkeit
schweben in ihnen die ängstlich sich festhaltenden Passagiere hinab. Für
diejenigen, die sich den Fall auch von hinten betrachten wollen, sind unten
Führer und wasserdichte Anzüge bereit.

Wir vertauschen in einer Hütte die ganze Bekleidung gegen Wachstuchhose
und Wachstuchjacke, ziehen ein paar plumpe Gummistiefel an und stülpen
einen Südwester aufs Haupt. Dann klettern wir in dieser ungeschlachten
Vermummung, angestaunt von Ladies und Kindern und belächelt von ähnlich
uniformirten Gestalten, die zurückkommend uns begegnen, über schlüpfrige
Felsen und über schlüpfrige Stege, um das Opfer eines niederträchtigen
Humbugs zu werden.

Dichter und heftiger wird der Regen, Windstösse pfeifen von allen Seiten,
die Wasser brüllen und donnern, unter den Füssen zittert die Erde. Wir
vermögen nichts mehr zu sehen, hundert stechende Tropfen peitschen Gesicht
und Hände wie bei einem Orkan auf See, nur dass das Wasser nicht salzig
schmeckt. Wir tasten uns blindlings am schwanken Geländer und am Arme des
Führers vorwärts auf einem schmalen Brett in unbekannte Regionen hinein,
um uns die tobenden Elemente. Wir sehnen uns nach dem Moment, die Augen
öffnen zu dürfen, aber vergebens. Das Duschbad wird immer wüthender, und
der Führer kehrt um und zieht uns mit sich. Gehorsam und schweigend folgen
wir ihm, denn zu sprechen hat keinen Sinn.

In die Hütte zurückgelangt, wo man sich endlich wieder hören kann,
erklärt er, dass wir den Fall nun auch von hinten gesehen hätten,
verlangt für den Anzug einen halben Dollar und für seine Bemühung ein
Trinkgeld nach Belieben, und reicht uns Handtücher dar, das genossene
Vergnügen von unserem Körper zu trocknen. Nun begreifen wir, warum die
Begegnenden so eigenthümlich gelächelt, und lächeln nun selbst über
neue Opfer.

Von hier aus kann man sich entweder in einem Boot ans jenseitige,
Canadische Ufer setzen lassen, oder man fährt auf demselben Wege durch den
Schacht wieder nach oben und geht über die einen Büchsenschuss unterhalb
befindliche Hängebrücke.

Das einmalige Passiren der Brücke kostet abermals 25 Cents, gleichwie das
Auf- und Abrutschen im Schacht, das Uebersetzen, der Eintritt in Prospect
Park und zu anderen Aussichtspunkten. Die Niagarenser wissen aus ihrer
Naturmerkwürdigkeit vortrefflich Kapital zu schlagen. Will der Fremde die
Niagarafälle von allen Seiten beschauen, so kostet ihm der Zutritt allein
schon etliche Dollars.

Drüben in Canada unter englischer Flagge herrscht dieses System nicht. Man
kann dort frei und ohne Zoll von der am Rande der Schlucht hinführenden
Strasse die volle Ausdehnung des Niagara übersehen. Grosse und elegante
Hotels stehen an der anderen Seite der Strasse und geben dem Ganzen ein
vornehmes, reiches Gepräge.

Kaufbuden und photographische Ateliers fehlen indess auch hier nicht.
Photographen lauern mit ihren Apparaten am Wege und fragen, ob man sich
nicht mit dem Falle im Hintergrund photographiren lassen wolle. Es scheint
hier Mode zu sein, ein solches Dokument zu erwerben, um schlagend beweisen
zu können, dass man wirklich in Niagara gewesen. Ich verzichtete darauf,
mit dem grossen Naturwunder zusammen verewigt zu werden. Das Wetter war zu
unfreundlich und kalt, bitter kalt für mich, der ich vor drei Tagen noch
in den Wüsten Nebraskas geröstet worden war.

Niagara selbst machte mir den Eindruck der ödesten und todtesten
amerikanischen Stadt, die ich jemals gesehen. Es fehlte selbst das
Charakteristikum der Streetcars und der vielen Stroh- und Papierabfälle
auf den Strassen, weil es hier eben keinen nennenswerthen Handel gibt.
Trotz der Anwesenheit zahlreicher Centennial Vergnügungsreisender aus
allen Gegenden der Vereinigten Staaten schienen die Kaufläden mit ihren
Schwindelwaaren, mit ihren ausgestopften Vögeln und Hirschgeweihen, ihren
Muschelkästchen und Photographien, ihren unechten Indianerwaffen und
ihren von der Nähmaschine zusammengestoppelten Phantasie-Indianerkostümen
schlechte Geschäfte zu machen. Weitgeöffnet und hellerleuchtet suchten
sie am Abend vergeblich Käufer anzulocken. Unter den Thüren aber standen
die Besitzer und Besitzerinnen und flöteten in den süssesten Tönen
»Step in Sir if you please«, »Would not you come in Sir«, »Please come
in Sir« -- eine sehnsüchtige Fluth von Einladungen bei jedem Schritt,
grade wie ehemals in gewissen dunklen Strassen zu Hamburg.

Am nächsten Morgen fuhr ich nach New York. Immer anmuthiger wurde das
Land, bis mein alter Bekannter, der Hudson, erreicht war, dessen Reize
nach amerikanischer Anschauung sogar mit denen des Rheins zu wetteifern im
Stande sein sollen. Rechts guckten die blauen Catskill Mountains hinter den
Hügeln des jenseitigen Ufers heraus, links erhoben sich steile Felswände,
unter denen der Schienenstrang, den Krümmungen des Flusses sich
anschmiegend, uns südwärts geleitete. Segelfahrzeuge und Dampfer belebten
die Fläche des Wassers. Ueber den Wäldern lag jene eigenthümliche
herbstliche Färbung, die für Amerika charakteristisch ist und sonst wohl
nirgends auf der Erde vorkommt. Während bei uns der scheidende Sommer das
Grün der Forste in die bekannten, von den Malern so sehr geschätzten,
weich gestimmten und harmonischen braunen Töne abklingen lässt,
verwandelt sich dort das Laub in grelles Zinnoberroth und schreiendes
Pomeranzengelb. Man würde Amerikanern gegenüber eine arge Ketzerei
begehen, wollte man Zweifel äussern, dass dieses bizarre Gewand der Natur
schön sei. Trägt es ja doch dieselben Farben, die dem Bürger der grossen
Republik an seinen Lokomotiven und Häusern, Reklamen und Krawatten so lieb
sind.



XXVII.

HEIMKEHR.

  Die Centennial Exhibition in Philadelphia. Abschied von New York.
  Ankunft in England und Landung in Liverpool. Sonntagsöde. Auffahrt des
  Mayors. Ueber London nach Hamburg.


New York war mir willkommener als je nach einer stürmischen Atlantikfahrt.
Die sieben Tage und sieben Nächte Eisenbahn, die ich, abgerechnet Salt
Lake City und Niagara, hinter mir hatte, summten noch weitere drei Tage und
drei Nächte in meinem Gehirn herum.

Der anfänglich nur auf kurze Zeit projektirte, aber immer wieder und
wieder verlängerte Aufenthalt in dem Hause eines theuren Freundes
entschädigte mich für die erlittenen Strapatzen. Dank dem wonnigen
Gefühle, ein Daheim zu haben, sah ich diesmal nicht viel von der Empire
City, die ich bereits von früher her kannte. Und beinahe hätte ich im
Genuss dieser körperlichen, gemüthlichen und geistigen Oase auch den
grossen Jahrmarktsleviathan in Philadelphia, die Centennial Exhibition,
»the Wonder of the Wonders« vergessen.

Offen gestanden, ich ging nur mit Widerstreben hin, weil ich musste. Ich
war so übersatt von der ewigen Bombasterei, von all den Lobpreisungen und
all dem Geschrei im Styl der Menageriebudenbesitzer. Ich hatte schon so
viel schlechtes erbärmliches Zeug gesehen, was sich centennial nannte,
Centennial Akrobates, Centennial Minstrels und Centennial Dancers, hatte
in San Francisco eine Centennial Hose gekauft, die eine Woche später in
Chicago aus dem Leim ging, und in Buffalo ein paar Centennial Schuhe, deren
Sohlen an den Felsen des Niagarafalles zurückblieben, hatte verschiedene
Centennial Dinners zu mir genommen, und auf der ganzen Reise so viel
saueres Centennial Bier getrunken, und war überdies von so vielen
lümmelhaften Centennial Vergnügungsreisenden gerempelt und auf die Füsse
getreten worden, dass man es mir nicht verübeln kann, wenn ich ein kleines
Vorurtheil gegen das Wort hatte.

Ich ging aber dennoch pflichtschuldigst hin nach Philadelphia und
betrachtete Alles in drei Tagen und war sehr zufrieden, als ich wieder nach
New York zurückkehren durfte. Ich hatte mir fest vorgenommen, mir nicht
imponiren zu lassen, und in Folge davon imponirte mir auch nichts in der
ganzen Ausstellung.

Das berühmte »Billig und schlecht« brauchte ich zum Glück nicht erst
hier schätzen zu lernen. Wieder sah ich mit Entsetzen verschiedene Bilder,
die ich schon in Berlin und in Hamburg vor Jahresfrist mit Entsetzen
geschaut. Wieder sah ich auch den amerikanischen Soldaten trauriger
Gestalt, den ich kurz zuvor in Niagara kennen gelernt. Hier aber war er ein
Riese aus Granit gemeisselt und stand vor dem Haupteingang des gläsernen
Industriegebäudes, und an seinem Sockel waren sämmtliche Elemente der
Kunstkritik, wie hoch, wie breit, wie schwer und wie theuer das Monstrum
sei, für Jedermann leicht verständlich zu lesen. Von dem in den Zeitungen
ausposaunten Zusammenströmen sämmtlicher Völker der Erde vermochte ich
blos einige Chinesen und etliche deutsche Juden, die mit rothen Fezen auf
den Häuptern türkischen Tabak verkauften, der in Virginia gewachsen war,
zu entdecken. Ich sah Krupps Killing Engine und die vielen Prinzen und
Fürsten aus Erz und aus Thon und aus Pappe, die Riesenhand mit der
flammenden Fackel aus Frankreich, die Maschinenhölle, den Palast der
Frauen, die Horticultural Hall und den Tempel der Künste, ich fuhr auf der
kleinen Eisenbahn mehrmals im Kreise herum, ich speiste jedesmal bei einer
anderen Nation, aber lieber als alle diese Herrlichkeiten war mir die
Rückkunft in New York.

Nur zu bald war auch hier meine Zeit bis zur äussersten Frist
abgelaufen. Ich musste fort nach Europa. Abermals nahm ich Abschied,
den schmerzlichsten auf der ganzen Rundreise, und der Cunard Dampfer
»Scythia« entführte mich von dannen.

Lange noch blickte ich zurück nach jenem winkenden Taschentuch, welches
aus dem Menschengewühl des Piers mir Grüsse nachsandte, während das
Schiff vorsichtig die Mitte des Stromes zu gewinnen suchte und sich
mühselig dem Ausgang zuwandte, ringsum das heftig pulsirende Leben des
unruhigsten Hafens der Erde. Wahrscheinlich zum letzten mal zogen die
imposanten Häusermassen der Manhattan Insel, wie ich sie früher so oft
mit Wohlgefallen betrachtet, an mir vorüber. Wirr durcheinander strebende
Fahrzeuge jeglicher Art, in allen Richtungen kreuzende Ferryboote, rastlos
mit den grossen Balancirstangen in der freien Luft arbeitend, kleine
kräftige Schleppdampfer, mit rauher Stimme brüllend, hinter sich flache
Kähne und etliche Eisenbahnwagen darauf, segelnde Dreimastschuner und
Vollschiffe, dunkle Mastenwälder und himmelhohe Lagerschuppen über und
über bedeckt mit riesigen Aufschriften in bunten Farben -- lichter wurden
diese Attribute des handelsreichen Hudson, Staaten Island mit seinen
Villen, Gärten und Strandbatterien, eine Biegung links, Sandy Hook -- und
der Atlantische Ozean dehnte sich vor mir.

Es war der 1. November als ich New York verliess, und am 9. November
näherten wir uns der irischen Küste. Trotz der ungünstigen Jahreszeit
hatten wir nicht einen einzigen Tag schlechtes Wetter gehabt.

Erst jetzt, unmittelbar vor dem Ziele, erhob sich ein Oststurm gerade gegen
uns. Aber er konnte der Scythia weiter nichts schaden, als dass er sie ein
bischen stampfen liess und sie verhinderte, in Queenstown anzulegen, so
dass die dorthin bestimmten Passagiere mit nach Liverpool mussten. Am
10. November, während wir beim Dinner sassen, kam die bergige Südostecke
Irlands in Sicht, und am nächsten Vormittag waren wir bei Holyhead.
Grimmig pfiff der Wind durch das Takelwerk und weisser Schaum flog
spritzend über die grüne See, als die ersten kahlen Felsen von Wales
auftauchten und uns in ihren Schutz nahmen. Ich bemitleidete die Fahrzeuge,
die nach aussen steuerten.

Gerade an der Ecke, da wo es westwärts ging, kam der Lootse an Bord. Es
wurde natürlich auf Alles gewettet, was ihn betraf, auf die Nummer seines
Fahrzeugs, auf Krieg und Frieden, auf die Präsidentenwahl, und dass er von
letzterer gar nichts wusste, nahmen ihm die Amerikaner sehr übel.

Liverpool ist mit derselben Kalamität einer bei Niedrigwasser für grosse
Schiffe unpassirbaren Barre behaftet wie so viele andere weniger berühmte
Häfen, was uns leider durch eine praktische Erfahrung klar wurde, indem
wir fern von Land in der breiten Mündung des Mersey ankern und auf die
Fluth warten mussten. Erst nach zwei Stunden gingen wir wieder weiter, aber
langsam und vorsichtig und immer das Loth in der Hand, so dass es dunkel
war, ehe wir etwas von Liverpool zu sehen bekamen.

Unsere Landung wurde in einer so langweiligen, ungeschickten und
ungemüthlichen Weise bewerkstelligt, dass die heftigsten Vorwürfe
losbrachen, und dass man sich nicht zu verwundern brauchte, wenn
die Amerikaner spöttisch und verächtlich über dieses erste Stück
Europäerthum die Nase rümpften. Die Scythia legte sich nicht an einen der
vielen Kais, sondern kettete sich mitten im Wasser an eine Boje, und ein
Dampfboot kam, uns abzuholen. Man schickte uns auf das Dampfboot und liess
uns eine halbe Stunde warten, bis auch das Gepäck herübergeschafft wäre.
Ein widerlich kalter Sturmwind pfiff uns um die Ohren und peitschte uns
den Regen ins Gesicht. Die Kajüte reichte nicht für die Hälfte der
Passagiere, wir waren den Unbilden des Wetters preisgegeben, und das
kleine Fahrzeug schaukelte, von den Wellen bewegt, so sehr, dass die
hochaufgethürmten Kisten und Koffer sammt dem Menschenknäuel über Bord
zu rutschen drohten. Das wüste Geschrei der Seeleute flog hin und her,
keiner schien den anderen zu verstehen, und schliesslich stellte sich
heraus, dass doch nicht alle Passagiere und alles Gepäck Platz, und dass
das Dampfboot zweimal zu fahren hatte.

Auch in der Ankunftshalle, wo die Zöllner sich unserer Habe bemächtigten,
herrschte Konfusion. Unglücklicher Weise war diese eben im Umbau begriffen
und alles Holzwerk frisch gestrichen, die Gasbeleuchtung noch nicht
vorhanden und kümmerlich durch schmutzige Petroleumlampen ersetzt. Kaum
Raum genug um die Koffer zu öffnen. »Einen netten Geschäftsgang haben
Sie hier in Europa« höhnte mich ein Yankee, dem ich gar oft widersprochen
hatte, wenn er mir die Vorzüge seines Landes über Gebühr zu lobpreisen
schien. Diesmal konnte ich nichts erwidern.

Am nächsten Morgen erwachte ich im North Western Eisenbahn Hotel in
einem schönen englischen Bett, über mir an der kahlen Wand die
zwei Gesetzestafeln des Hauses, von welchen die eine gegen jede
Verantwortlichkeit für Diebstähle protestirte, die andere über die
Preise Auskunft gab, Bedienung und Bougies, Bäder und Heizung extra
gerechnet. Ja, ich war wieder einmal im alten Europa. Wie viel anständiger
sind doch drüben in Amerika die Hotels, wo man einfach seine drei, vier
oder fünf Dollars zahlt und dafür alle diese selbstverständlichen Dinge
erhält.

Draussen regnete es, und mürrisch guckten vor der prachtvollen
Säulenhalle der St. Georges Börse die vier ehernen Löwen zu mir herauf
und schienen ewig die Nase zu rümpfen. Hinter ihnen ritten traurig auf
gleichfalls ehernen Rossen Queen Victoria und ihr Prince Consort, letzterer
genöthigt, mit abgezogenem Hut und entblösstem Haupte unaufhörlich seine
Hochachtung vor der englischen Nation zu bezeugen.

Gleich der erste Tag, den ich wieder auf europäischer Erde zubrachte, war
eine der grössten Unannehmlichkeiten, die dem Menschen in England passiren
können, nämlich ein Sonntag. Liverpool bietet auch sonst wohl nicht viel
Herzerfreuendes, wenn man nicht selbst zu den reichen Kaufleuten gehört,
die vor der Stadt in üppigen Villen wohnen. Heute aber war es hier doppelt
unerträglich öde, alle Strassen und selbst der Hafen wie ausgestorben,
alle Museen und alle Läden geschlossen, die Wirthshäuser nur dem
Eingeweihten auf Schleichwegen von hinten erreichbar. Kurz, es lagerte eben
jene schreckliche Langweiligkeit über Allem, wie sie nur die englische
Sabathheiligung hervorzuzaubern im Stande ist. War es die Wirkung dieses
gottwohlgefälligen Zustands, oder war es eine Eigenthümlichkeit des alten
Europa, die mir erst jetzt nach längerer Entwöhnung zum Bewusstsein
kam, dass mir die meisten Gesichter ganz auffallend unintelligent zu sein
schienen? Schon gestern war mir dieser Gedanke gekommen, als ich den ersten
englischen Policeman wieder erblickte. Ein ähnlich stupides Gesicht hatte
ich schon lange nicht mehr und, mit Ausnahme der Mormonenstadt, über dem
grossen Wasser drüben niemals geschaut.

Zwei Excitements gabs aber dennoch an jenem Sonntag in Liverpool, nämlich
Morgens eine Auffahrt des Bürgermeisters und Abends eine fulminante
Feuersbrunst.

Mister Walker, der Mayor, war zum so und sovielten Male wiedergewählt
worden und hielt heute seinen feierlichen Kirchengang zum Beginn einer
neuen Amtsperiode. Alle Achtung vor Mister Walker. Er hat seine Vaterstadt
aus eigenen Mitteln mit einer Bildergallerie beschenkt.

Eine Kompagnie äusserst knotig aussehender Policemen mit einem Trompeter
an der Spitze, welcher eine Art Husarenuniform trug, aber ein sehr
lederner, steifer und bürgerlicher Husar war, stellte sich vor dem
Rathhaus auf. Dann hielten einige aufgeputzte Wagen, und der Festzug
entwickelte sich. Sechs oder acht mittelalterlich gekleidete Kerls mit
Szeptern schritten Mister Walker voran, welcher ein langes Schwert der
Gerechtigkeit in der Hand hielt, mit einem Talar und schweren goldenen
Ketten behangen. Hinter ihm etliche Zivilisten mit den gewöhnlichen
Komtoirphysiognomien. Die ganze Maskerade erinnerte mich unwillkürlich
an meine Doktorpromotion. Nur dass mein Wagen damals nicht so buntscheckig
elegant war, dass bei mir statt so vieler unheimlich schwarzer Policemen
nur ein paar Professoren in dem erquickenden Grün der medizinischen
Fakultät zugegen waren, und dass mir statt des Schwertes der Gerechtigkeit
in der Hand ein vom Universitätspedell gemietheter alter Degen an der
Linken blinkte.

Der Expresszug der North Western Eisenbahn brachte mich mit Windeseile nach
London. Die stinkende Finsterniss eines langen Tunnels, ein Meeresarm und
Ebbeschlick, Kanäle und Seefahrzeuge darauf, Thäler voller Schornsteine,
voll russigen Kohlenqualms und weissen Maschinendampfes, dann ein bischen
Park und ein bischen Feld, italienische Pinien auf einem Hügel, ein
vornehmes Schloss hinter Bäumen versteckt, Obstgärten und Wiesen, Alles
so sauber und ordentlich eingefasst, Stratford, Shakespeares Geburtsort,
flogen vorüber. Herrschaftliche Kutschen hielten unter dem Bahndamm, und
am Fusse eines Abhangs lauerten zwei Jäger und ein Hund auf ein armseliges
Kaninchen.

Häufiger wurden die rauchenden Fabriken, dichter drängten sich in
schnurgeraden Reihen die Häuschen und Höfchen des »My House is my
Castle« Systems zusammen, über die wir in der Höhe hinwegbrausten.
Gelblicher Dunst erfüllte die Luft, und das Getöse der Riesenstadt
verschlang mich.

Sechs Wochen später fuhr ich nach Hamburg und betrat nach mehr als
einjähriger Abwesenheit den Boden des Vaterlandes wieder. Ueberall hörte
ich nun wieder die Laute der Muttersprache. Die Hamburger Nachtwächter
hatten Pickelhauben bekommen und der Petrikirchthurm wurde aufgebaut. Sonst
hatte sich nichts verändert.



INDEX.


  Abenteuerliche Existenzen 246, 276, 403.

  Acclimatisation Society in Neuseeland 171.

  Aequator Passiren des 47.

  Air Plant 373.

  Albatrosse 61, 192, 405.

  Albinos 306, 379.

  Alkali Plains 431.

  Amerikanische Wälder herbstliche Färbung der 459.

  Antilopen 450.

  Arrowroot 284.

  Artemia Krebse 445.

  Arundo conspicua 81.

  Auckland Stadt 171.

  Aussterben der Hawaiier 328,
    der Maori 184,
    der Viti 233.

  Awa 328, 373.


  Bäder warme von Ohinemutu 129.

  Banks Penninsula 69.

  Bay of Plenty 163.

  Billig und schlecht 82, 233.

  Botanisches 81, 233, 329, 373.

  Brandungschwimmen der Hawaiier 350.

  Brigham Young 440, 446.

  Brotfrucht 374.

  Bukelevu Besteigung des 293.

  Bulimus Seemanni 301.


  Centennial Exhibition 461.

  Chinesen auf Hawaii 334,
    als Matrosen 313,
    in San Francisco 409,
    Gottesdienst 419,
    Opiumbuden 413,
    Prostitution 412,
    Theater 415.

  Cordyline australis 81.

  Crozet Islands 58.


  Dale Creek Schlucht 451.

  Dalingele Dorf 287.

  Datumwechsel 312.

  Diamond Head 341, 391.

  Doris Schnecke 240.

  Dover 18.


  Emigranten nach Australien 3, 79,
    nach Kalifornien 433, 449.

  Eremitenkrebse 236.

  Erie See 455.

  Ethnographisches Hawaii 327,
    Maori 91, 165,
    Viti 199, 227.


  Farrallones Inseln 405.

  Farnhügellandschaft neuseeländische 112.

  Fernando Noronha 52.

  Feuchtigkeit in den Aequatorkalmen 49.

  Fischfang der Hawaiier 352, 387,
    der Viti 241.

  Fliegende Fische 36, 316, 385.

  Fliegende Hunde 265.

  Foxton Stadt 102.

  Fumarolen 366.


  Gammarus 161.

  Gavatina 217.

  Geburtshilfe auf See 26.

  Geographisches Hawaii 322,
    Neuseeland 182,
    Viti 193, 195.

  Geyser 119, 121, 141.

  Glühwürmchen 178.

  Godeffroy Museum 197, 218.

  Goldene Thor das 406.

  Goldgewinnungsprozess 176.

  Goldminen neuseeländische 177.

  Goodwins Sand 17.

  Gottesdienst der Chinesen 419,
    der Hawaiier 398,
    der Mormonen 439,
    auf Schiffen 24, 403,
    der Viti 249.

  Ground Squirrels 428.


  Haare künstliche Färbung der 201, 303.

  Haifische 38, 396, 401.

  Haka 143.

  Haleakala Vulkan 348, 385.

  Halobates Insekt 31.

  Harpuniren 37.

  Hawaii Ethnographisches 327,
    Geographisches 322,
    Geschichte 325,
    Linguistisches 327,
    Militärisches 332.

  Heisse Quellen 119, 121, 141.

  Hilo Stadt 349.

  Holothurien 242.

  Honolulu 329,
    Regierung und Parlament 330.

  Hulu Hula 354, 377.

  Hunde der Viti 243.


  Immigrationssystem australisches 3, 79.

  Impfpusteln als Schmuck 219.

  Indianer 434, 451, 452.


  Janthina 33.


  Kalakaua König von Hawaii 395.

  Kaliban in der Wildniss 114.

  Kalifornien Klima 409.

  Kandavu Insel 217.

  Kannibalismus 128, 231, 328.

  Kanuus der Viti-Insulaner 238, 282, 305.

  Kapoho Station 371.

  Kasuarinen 263.

  Kawa 208, 268, 271, 285, 295, 311, 328.

  Kermandec Inseln 193.

  Keuschheit der Viti 273.

  Kilauea Besteigung des 360.

  Kindstaufen auf See 25.

  King Country in Neuseeland 183.

  Kochende Quellen 120, 128, 153.

  Kochende Schlammseen 139.

  Königin Geburtstag 90.

  Königliche Familie von Hawaii 394.

  Kohala 383.

  Kohlensack der 46.

  Kokospalme Nutzen der 237, 370.

  Kolibri 427.

  Kollision Gefahr einer 7.

  Kolonialpolitik in der Südsee 310.

  Kopra 247.

  Korallenriffe 216, 239.

  Kormorane 83.

  Korrespondenz auf See 41.

  Kreuz das südliche 46.

  Kruster pelagische 34.


  Laguna de la Merced 425.

  Lahaina 388.

  Landschaftlicher Charakter von Hawaii und Viti 385,
    von Neuseeland 112.

  Laszivität hawaiische 386.

  Lava 363, 369.

  Legende von der schönen Hinemoa 131.

  Leichenbestattung auf See 55.

  Lepra 337.

  Lichtnüsse 261, 342.

  Lima Muschel 240.

  Linguistisches Hawaii 327,
    Maori 97, 104, 158,
    Pidschin Englisch 412,
    Viti 230, 301.

  Liverpool 463.

  Lome Lome 359.

  Lootse Ankunft des 406.

  Lootsenfische 38, 40.


  Madera 20.

  Maori 91, 104, 110, 127, 165, 180,
    Alterthümer 137,
    Ethnographie 91, 127, 132,
    Linguistisches 104, 158,
    Schmuck 165,
    Skulpturen 160,
    Tanz 143,
    Talent für graphische Künste 157, 160.

  Maui Insel 346.

  Mandrai 284.

  Mangrovesümpfe 168, 215, 262.

  Marama die 223.

  Masern auf Viti 290.

  Meerleuchten 34, 53, 242.

  Meke Meke 271, 306, 311.

  Militärisches in San Francisco 421,
    in Salt Lake City 446, 452,
    in Honolulu 332.

  Mimosen 263.

  Mischlinge 308, 329, 372.

  Missionswesen und Missionäre in Neuseeland 157,
    Viti 253,
    auf Hawaii 399,
    Tonga 185.

  Mississippi 453.

  Missouri 452.

  Mister Jack the Guide of Taupo 117.

  Molokai 390.

  Mormonen und Mormonenthum 436, 441.

  Mortalität auf Auswanderersegelschiffen 93.

  Mount Eden 181.

  Münzwesen 335, 415.


  Nahrung der Maori 145,
    der Viti 229,
    der Hawaiier 328, 346.

  Napier Stadt 109.

  Nasendrücken der Hawaiier 328,
    der Maori 166.

  Naturalienhändler improvisirte 285.

  Ndralla Baum 286.

  Neptunsfest 47.

  Neuhebriden-Insulaner 213, 227.

  Neuseeland Geographisches 183, 185,
    Politisches 184.

  New York 461.

  Niagara Fall und Stadt 456.


  Ogden 436, 448.

  Ohinemutu 126.

  Omaha Stadt 452.

  Opiumrauchen 413.

  Orkan 9.

  Oropi Busch 160.

  Otaki Dorf 100.

  Otukapuarangi 155.


  Pacific Bahn 429, 433, 448, 450, 453.

  Pacific Mail 187, 313.

  Pali der 341.

  Palmerston Stadt 104.

  Passat 21,
    Segeln im 53.

  Pele Göttin 365.

  Pelenit 362.

  Pelikane 427.

  Philadelphia 461.

  Phormium tenax 81.

  Physalia 34.

  Pidschin Englisch 412.

  Pinguine 84.

  Poi 382.

  Polynesische Tänze Haka 143,
    Hula Hula 354,
    Meke Meke 271, 306, 311.

  Post neuseeländische 96, 99, 111, 169.

  Prairien 450.

  Prostitution weisse unter Wilden 403.

  Pteropoden 32.

  Pulverunglück 71.

  Pyrosoma 54, 65.


  Qualen der Tropennatur 256.

  Quarantäne in Neuseeland 72, 79,
    in Honolulu 340.


  Reverend Mr. Shark 319, 325.

  Repudiation Office 108.

  Riffbrandung 278.

  Ruth Keelikolani Hawaiische Prinzessin 345.


  Saltlake City 436,
    Sehenswürdigkeiten 442,
    das Tabernakel 438.

  Salzsee der grosse von Utah 435, 443,
    Bad im 445.

  San Francisco 408,
    Chinesenviertel 409,
    Militärisches 421,
    Sehenswürdigkeiten 422,
    Sonntagsleben 421, 425.

  Sanima Dorf 244.

  Schlammvulkane 139.

  Schleppnetz Fischen mit dem 30, 35.

  Schneegallerien 431, 451.

  Schwimmkünste der Hawaiier 353, 397.

  Seekrankheit 11, 318.

  Seeleute zur Naturgeschichte der 15, 60.

  Seelöwen pazifische 424, 427.

  Segelschiffsleben 22, 27.

  Sherman Station 449.

  Sierra Nevada 431.

  Sinterterrassen 155.

  Solfataren 365.

  Somes Island 70.

  Sonntagstoilette der Viti-Insulanerinnen 303.

  Souper ein hawaiisches 381.

  Springfische 245.

  Statistisches 93.

  Sternhimmel der südliche 46.

  Sturm 9, 75,
    Segeln vor dem 37.

  Südsee Verkehr 185, 187, 344, 394.


  Tabu oder Tambu 130, 258, 280.

  Tangmassen treibende 57.

  Tapa 245.

  Tapuaeharuru Dorf 116.

  Tarawera Station 113,
    See 149.

  Taro 267.

  Tauben bellende 263.

  Taupo See der 115.

  Tauranga 165.

  Temperaturverhältnisse 49, 57, 133, 257, 336.

  Tetarata 155.

  Thames Goldfields 175.

  Todtenfeier eine seltsame 377.

  Tonganer 227, 289.

  Tui Kandavu der 222.

  Tümmler 37, 316.

  Typhusepidemie 54, 59.


  Unsicherheit in der Nautik 45.

  Urwald Neuseeland 97, 105,
    Viti 235, 294.


  Ventilation auf Schiffen 66.

  Viti Ethnologisches 227,
    Geographisches 195, 215, 217,
    Linguistisches 230,
    Politisches 204,
    Hunde 243.

  Viti-Insulaner 199,
    ihre Grausamkeit gegen Thiere 220.

  Vulkanisches 358, 361, 363, 365, 369, 385.


  Wackarewarewa Geyser von 141.

  Waldbrände 78.

  Waikato Fluss 118.

  Waikiki Dorf 340.

  Wailuku Fluss 350, 356.

  Wailevu 198.

  Waipakarao Stadt 107.

  Wairoa Dorf 148.

  Walfische 305, 326.

  Walfischfängerei 326, 405.

  Warme Quellen 291, 373.

  Wasserversorgung auf See 51.

  Wellington 70, 87,
    Sehenswürdigkeiten 89.

  Wilde Betschwestern 255.

  Windstille 21.

  Wohnungen der Chinesen 411,
    der Hawaiier 328,
    der Viti-Insulaner 290, 225.


  Yankona 210, 268.

  Yams 294.

  Yarambali Isthmus 215.


  Zeremoniell auf Viti 223.

  Zoologisches 57, 82, 84, 85, 240, 301, 445.


Druck von Grass, Barth & Comp. (W. Friedrich) in Breslau.



In _J. U. Kern's Verlag_ (_Max Müller_) in _Breslau_ sind erschienen:


  ^Aus Mexico.^

  Reiseskizzen aus den Jahren 1874 und 1875.

  Von
  ^Dr. Friedrich Ratzel^,
  Professor der Erdkunde an der technischen Hochschule zu München.

  Mit einer Karte in Farbendruck.

  Preis 10 Mk., elegant gebunden 11 Mk. 50 Pf.

Das Buch enthält Skizzen, geschrieben auf verschiedenen Reisen durch
Mexiko in den Jahren 1874 und 75. Der grösste Theil derselben ist bisher
ungedruckt gewesen, der kleinere in der Kölnischen Zeitung erschienen,
in deren Auftrag der Verfasser diese Reisen machte. Die feuilletonistische
oder sagen wir besser die kurze und lesbare Form wurde soviel wie möglich
dem Zwecke der Schilderung alles Wesentlichen in Natur und Leben jenes
Landes und Volkes angepasst, ihr aber dabei nicht jener Einfluss auch
auf die Auffassung eingeräumt, welcher Müssiges oder Oberflächliches
hervorkehren lässt, weil das Gründliche und Nothwendige nicht kurzweilig
genug erscheint. Der Verfasser setzte sich das Ziel, eine grosse Menge
von eigenen Beobachtungen zu theils beschreibenden, theils reflektirenden
Kapiteln zu vereinigen, die in ihrer Gesammtheit keine der wichtigeren oder
interessanteren Seiten des mexikanischen Lebens und Treibens unbeleuchtet
lassen sollten. Die idealen und praktischen Ziele wurden soviel wie
möglich gleichmässig bedacht, der tropische Naturcharakter ist in
derselben gedrängt eingehenden Weise besprochen wie die Colonisation,
in die Natur der Cacteen mit nicht weniger Liebe eingegangen als in die
jüngere Geschichte des Landes, der in Eis starrende Pic von Orizaba ebenso
treu geschildert wie die sociale Stellung der mexikanischen Frauen. Das
Buch will in erster Linie belehren, in zweiter strebt es darnach nicht
langweilig zu sein; es hofft damit eine Lücke auszufüllen, welche in der
deutschen Literatur lange besteht, der es bekanntlich nicht an älteren
sehr gründlichen, systematisch beschreibenden Werken über Mexiko, den
besten Quellenwerken, die es überhaupt giebt, wohl aber an neueren. Altes
und vorzüglich aber Neues nach dem unmittelbaren Eindruck skizzirend
schildernden fehlt.


  DIE
  ^Chinesische Auswanderung^.

  ^Ein Beitrag^
  zur
  ^Cultur- und Handelsgeographie^
  von
  ^Dr. Friedrich Ratzel^.

  Preis 5 Mk.

Der Verfasser giebt aus dem reichen Material eigener, besonders in
Amerika gesammelter Erfahrungen, wie der umfangreichen Literatur, eine
zusammengedrängte, allgemein verständliche, mit statistischem Material
und Einzelschilderungen chinesischer Colonien hinreichend ausgestattete,
aber durchaus nicht überfüllte Uebersicht über die chinesische
Auswanderung und gewährt dadurch dem Leser die Möglichkeit, sich eine
eigene vorurtheilsfreie Ansicht zu bilden. Er ist der Meinung, dass
die chinesische Auswanderung eine grosse Zukunft vor sich hat, dass
die Besorgniss, ja die Feindseligkeit, welche die kaukasischen Völker,
namentlich in Nordamerika, jener Auswanderung entgegenbringen, eine
ungerechtfertigte ist, dass die alten Culturländer Europas von einem
Eindringen chinesischer Einwanderer nichts zu fürchten haben, dass aber
für Afrika eine solche Einwanderung von ungeheurer Wichtigkeit sein
wird. Das Buch sei allen denen empfohlen, die ein klares Urtheil über
die wirthschaftlichen Verhältnisse Chinas und über das Wesen und die
Bedeutung der chinesischen Auswanderung gewinnen wollen.


  ^Landwirthschaftliche Kulturbilder.^

  Skizzen aus dem wirthschaftlichen Leben und Treiben
  des In- und Auslandes.

  Von
  ^A. Koerte^,
  Wirthschafts-Direktor a. D.

  Preis 5 Mk.

Es sind anziehende und belehrende Schilderungen von Wirthschaftszweigen
und Wirthschaftsbetrieben, meistens aus dem Auslande, anspruchslose,
liebenswürdige Erzählungen zur Unterhaltung in müssigen Stunden. Dabei
lässt das Buch durchweg das kritische Urtheil des selbst prüfenden
Praktikers erkennen, dessen scharfem Blick nichts entgeht, der gewohnt
ist, bei Beurtheilung der Dinge eine Fülle von Gesichtspunkten geltend zu
machen, die ihrerseits den Leser wiederum zum Nachdenken anregen.



[ Hinweise zur Transkription


Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten,
einschließlich uneinheitlicher Schreibweisen wie beispielsweise "ächter"
-- "echter", "aus einander" -- "auseinander", "Brodfrucht" -- "Brotfrucht",
"Fransenknäuel" -- "Franzengürtel", "gibt" -- "giebt", "Helena" --
"Hellena", "hieher" -- "hierher", "Mährchen" -- "Märchen", "Schooner" --
"Schuner", "Stil" -- "Style", "Würtemberg" -- "Württemberg",

mit folgenden Ausnahmen:

  der Halbtitel wurde entfernt;

  Seite VI:
  "Ante" geändert in "Aute"
  (Die Repudiation Office von Te Aute)

  Seite 10:
  "betrachete" geändert in "betrachtete"
  (betrachtete schaudernd den wüthenden Kampf der Elemente)

  Seite 30:
  "den" geändert in "dem"
  (gerade in guter Laune und beseelt von dem Wunsch)

  Seite 30:
  "schimmerd" geändert in "schimmernd"
  (durch das Dunkelblau der hinten hinwegrollenden Wogen schimmernd)

  Seite 44:
  "Symtom" geändert in "Symptom"
  (ein recht charakteristisches Symptom der Unsicherheit)

  Seite 62:
  "Fügel" geändert in "Flügel"
  (plumpste mit gebrochenem Flügel neben mich herab)

  Seite 87:
  "Chararkteristikum" geändert in "Charakteristikum"
  (Es fehlte vor Allem jenes Charakteristikum)

  Seite 104:
  "»" eingefügt
  (statt »Shilling«)

  Seite 147:
  "totzdem" geändert in "trotzdem"
  (trotzdem der Kutscher alles Mögliche that)

  Seite 156:
  "Seegelboot" geändert in "Segelboot"
  (einem ordentlichen breitgebauten Segelboot nie gelungen wäre)

  Seite 168:
  "Vernügen" geändert in "Vergnügen"
  (diesen armen Greis mit in ihr Vergnügen zu ziehen)

  Seite 189:
  "Augenmaass" geändert in "Augenmass"
  (ein so grosses Fahrzeug nach dem Augenmass zu beurtheilen)

  Seite 189:
  "Fancisco" geändert in "Francisco"
  (Bei der City of San Francisco nun waren diese beiden Faktoren)

  Seite 201:
  "einen" geändert in "einem"
  (mit einem schwarzen Faden daran baumelnd befestigt)

  Seite 220:
  "säufzten" geändert in "seufzten"
  (litten sie oft an schweren Träumen und seufzten und stöhnten)

  Seite 224:
  "Viti levu" geändert in "Vitilevu"
  (dass es im Innern von Vitilevu noch Kannibalen gebe)

  Seite 224:
  "enstanden" geändert in "entstanden"
  (mächtige Perrücken entstanden, welche sogar geeignet)

  Seite 225:
  "Palissaden" geändert in "Pallisaden"
  (mit einem Vorbau kurzer Pallisaden geschützt)

  Seite 237:
  "Styl" geändert in "Stiel"
  (Als Stiel wird ein junger Baumstamm verwendet)

  Seite 252:
  "Tocher" geändert in "Tochter"
  (und seiner hübschen Tochter in ihre Hütte treten)

  Seite 293:
  "wollten" geändert in "wollen"
  (der uns gleich im Anfang mit seinem Taro hatte anschwindeln wollen)

  Seite 307:
  "Rechung" geändert in "Rechnung"
  (welche auf Rechnung des amerikanischen Konsuls)

  Seite 331:
  "gössten" geändert in "grössten"
  (mit der grössten Liberalität zur Verfügung gestellt)

  Seite 335:
  "repäsentirt" geändert in "repräsentirt"
  (so gut repräsentirt, als wir nur wünschen können)

  Seite 369:
  "Horzontallinien" geändert in "Horizontallinien"
  (nur einige schärfere Horizontallinien deuten, allmälig verschwimmend)

  Seite 373:
  "Sterarinkerzen" geändert in "Stearinkerzen"
  (wir uns oben entkleidet und Stearinkerzen angezündet hatten)

  Seite 376:
  "erregten" geändert in "erregte"
  (der halbe Schoppen Whisky, den ich ihm vorsetzte, erregte nur)

  Seite 377:
  "woklbekannte" geändert in "wohlbekannte"
  (die uns bereits wohlbekannte geräuschvolle Musik verübten)

  Seite 378:
  "," geändert in "."
  (nur mangelhaft Englisch verstanden. Und mit welcher Würde)

  Seite 390:
  "Uberall" geändert in "Ueberall"
  (Ueberall war die See weiss von dem Gischt)

  Seite 393:
  "Grossse" geändert in "Grosse"
  (Kamehameha der Grosse hat eine starke Armee)

  Seite 399:
  "Ausserungen" geändert in "Aeusserungen"
  (In wie fern derartige Aeusserungen berechtigt waren)

  Seite 416:
  "anf" geändert in "auf"
  (Ueberall sassen Mongolen, den Hut auf dem Kopf)

  Seite 432:
  "«" eingefügt
  (die Gegend, die uns scheusslich vorkommt, als »wonderful«)]





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