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Title: Römische Geschichte — Band 3
Author: Mommsen, Theodor
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Römische Geschichte — Band 3" ***


The following e-text of Mommsen's Roemische Geschichte contains some
(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations
is a modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked
in Greek words, nor is there any differentiation between the different
accents of ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.

Theodor Mommsen Roemische Geschichte

Drittes Buch Von der Einigung Italiens bis auf die Unterwerfung
Karthagos und der griechischen Staaten

arduum res gestas scribere arg beschwerlich ist es, Geschichte zu
schreiben Sallust 1. Kapitel Karthago Der semitische Stamm steht
inmitten und doch auch ausserhalb der Voelker der alten klassischen
Welt. Der Schwerpunkt liegt fuer jenen im Osten, fuer diese am
Mittelmeer, und wie auch Krieg und Wanderung die Grenze verschoben und
die Staemme durcheinanderwarfen, immer schied und scheidet ein tiefes
Gefuehl der Fremdartigkeit die indogermanischen Voelker von den
syrischen, israelitischen, arabischen Nationen. Dies gilt auch von
demjenigen semitischen Volke, das mehr als irgendein anderes gegen
Westen sich ausgebreitet hat, von den Phoenikern. Ihre Heimat ist der
schmale Kuestenstreif zwischen Kleinasien, dem syrischen Hochland und
Aegypten, die Ebene genannt, das heisst Kanaan. Nur mit diesem Namen hat
die Nation sich selber genannt - noch in der christlichen Zeit nannte
der afrikanische Bauer sich einen Kanaaniter; den Hellenen aber
hiess Kanaan das "Purpurland" oder auch das "Land der roten Maenner",
Phoenike, und Punier pflegten auch die Italiker, Phoeniker oder Punier
pflegen wir noch die Kanaaniter zu heissen. Das Land ist wohl geeignet
zum Ackerbau; aber vor allen Dingen sind die vortrefflichen Haefen und
der Reichtum an Holz und Metallen dem Handel guenstig, der hier, wo
das ueberreiche oestliche Festland hinantritt an die weithin sich
ausbreitende insel- und hafenreiche Mittellaendische See, vielleicht
zuerst in seiner ganzen Grossartigkeit dem Menschen aufgegangen ist.
Was Mut, Scharfsinn und Begeisterung vermoegen, haben die Phoeniker
aufgeboten, um dem Handel und was aus ihm folgt, der Schiffahrt,
Fabrikation, Kolonisierung, die volle Entwicklung zu geben und Osten
und Westen zu vermitteln. In unglaublich frueher Zeit finden wir sie
in Kypros und Aegypten, in Griechenland und Sizilien, in Afrika und
Spanien, ja sogar auf dem Atlantischen Meer und der Nordsee. Ihr
Handelsgebiet reicht von Sierra Leone und Cornwall im Westen bis
oestlich zur malabarischen Kueste; durch ihre Haende gehen das Gold und
die Perlen des Ostens, der tyrische Purpur, die Sklaven, das Elfenbein,
die Loewen- und Pardelfelle aus dem inneren Afrika, der arabische
Weihrauch, das Linnen Aegyptens, Griechenlands Tongeschirr und edle
Weine, das kyprische Kupfer, das spanische Silber, das englische Zinn,
das Eisen von Elba. Jedem Volke bringen die phoenikischen Schiffer, was
es brauchen kann oder doch kaufen mag, und ueberall kommen sie herum,
um immer wieder zurueckzukehren zu der engen Heimat, an der ihr Herz
haengt. Die Phoeniker haben wohl ein Recht, in der Geschichte genannt zu
werden neben der hellenischen und der latinischen Nation; aber auch
an ihnen und vielleicht an ihnen am meisten bewaehrt es sich, dass das
Altertum die Kraefte der Voelker einseitig entwickelte. Die grossartigen
und dauernden Schoepfungen, welche auf dem geistigen Gebiete innerhalb
des aramaeischen Stammes entstanden sind, gehoeren nicht zunaechst den
Phoenikern an; wenn Glauben und Wissen in gewissem Sinn den aramaeischen
Nationen vor allen anderen eigen und den Indogermanen erst aus dem Osten
zugekommen sind, so hat doch weder die phoenikische Religion noch die
phoenikische Wissenschaft und Kunst, soviel wir sehen, jemals unter
den aramaeischen einen selbstaendigen Rang eingenommen. Die religioesen
Vorstellungen der Phoeniker sind formlos und unschoen, und ihr
Gottesdienst schien Luesternheit und Grausamkeit mehr zu naehren als
zu baendigen bestimmt; von einer besonderen Einwirkung phoenikischer
Religion auf andere Voelker wird wenigstens in der geschichtlich
klaren Zeit nichts wahrgenommen. Ebensowenig begegnet eine auch nur
der italischen, geschweige denn derjenigen der Mutterlaender der Kunst
vergleichbare phoenikische Tektonik oder Plastik. Die aelteste Heimat
der wissenschaftlichen Beobachtung und ihrer praktischen Verwertung ist
Babylon oder doch das Euphratland gewesen: hier wahrscheinlich folgte
man zuerst dem Lauf der Sterne; hier schied und schrieb man zuerst die
Laute der Sprache; hier begann der Mensch ueber Zeit und Raum und
ueber die in der Natur wirkenden Kraefte zu denken; hierhin fuehren
die aeltesten Spuren der Astronomie und Chronologie, des Alphabets, der
Masse und Gewichte. Die Phoeniker haben wohl von den kunstreichen und
hoch entwickelten babylonischen Gewerken fuer ihre Industrie, von der
Sternbeobachtung fuer ihre Schiffahrt, von der Lautschrift und der
Ordnung der Masse fuer ihren Handel Vorteil gezogen und manchen
wichtigen Keim der Zivilisation mit ihren Waren vertrieben; aber dass
das Alphabet oder irgendein anderes jener genialen Erzeugnisse des
Menschengeistes ihnen eigentuemlich angehoere, laesst sich nicht
erweisen, und was durch sie von religioesen und wissenschaftlichen
Gedanken den Hellenen zukam, das haben sie mehr wie der Vogel das
Samenkorn als wie der Ackersmann die Saat ausgestreut. Die Kraft die
bildungsfaehigen Voelker, mit denen sie sich beruehrten, zu zivilisieren
und sich zu assimilieren, wie sie die Hellenen und selbst die Italiker
besitzen, fehlte den Phoenikern gaenzlich. Im Eroberungsgebiet der
Roemer sind vor der romanischen Zunge die iberischen und die keltischen
Sprachen verschollen; die Berber Afrikas reden heute noch dieselbe
Sprache wie zu den Zeiten der Hannos und der Barkiden. Aber vor allem
mangelt den Phoenikern, wie allen aramaeischen Nationen im Gegensatz zu
den indogermanischen, der staatenbildende Trieb, der geniale Gedanke
der sich selber regierenden Freiheit. Waehrend der hoechsten Bluete von
Sidon und Tyros ist das phoenikische Land der ewige Zankapfel der am
Euphrat und am Nil herrschenden Maechte und bald den Assyrern, bald den
Aegyptern untertan. Mit der halben Macht haetten hellenische Staedte
sich unabhaengig gemacht; aber die vorsichtigen sidonischen Maenner,
berechnend, dass die Sperrung der Karawanenstrassen nach dem Osten
oder der aegyptischen Haefen ihnen weit hoeher zu stehen komme als der
schwerste Tribut, zahlten lieber puenktlich ihre Steuern, wie es fiel
nach Ninive oder nach Memphis, und fochten sogar, wenn es nicht anders
sein konnte, mit ihren Schiffen die Schlachten der Koenige mit. Und wie
die Phoeniker daheim den Druck der Herren gelassen ertrugen, waren
sie auch draussen keineswegs geneigt, die friedlichen Bahnen der
kaufmaennischen mit der erobernden Politik zu vertauschen. Ihre
Niederlassungen sind Faktoreien; es liegt ihnen mehr daran, den
Eingeborenen Waren abzunehmen und zuzubringen, als weite Gebiete in
fernen Laendern zu erwerben und daselbst die schwere und langsame
Arbeit der Kolonisierung durchzufuehren. Selbst mit ihren Konkurrenten
vermeiden sie den Krieg; aus Aegypten, Griechenland, Italien, dem
oestlichen Sizilien lassen sie fast ohne Widerstand sich verdraengen und
in den grossen Seeschlachten, die in frueher Zeit um die Herrschaft im
westlichen Mittelmeer geliefert worden sind, bei Alalia (217 537) und
Kyme (280 474), sind es die Etrusker, nicht die Phoeniker, die die
Schwere des Kampfes gegen die Griechen tragen. Ist die Konkurrenz einmal
nicht zu vermeiden, so gleicht man sich aus, so gut es gehen will;
es ist nie von den Phoenikern ein Versuch gemacht worden, Caere oder
Massalia zu erobern. Noch weniger natuerlich sind die Phoeniker zum
Angriffskrieg geneigt. Das einzige Mal, wo sie in der aelteren Zeit
offensiv auf dem Kampfplatze erscheinen, in der grossen sizilischen
Expedition der afrikanischen Phoeniker, welche mit der Niederlage bei
Himera durch Gelon von Syrakus endigte (274 480), sind sie nur als
gehorsame Untertanen des Grosskoenigs und um der Teilnahme an dem
Feldzug gegen die oestlichen Hellenen auszuweichen, gegen die Hellepen
des Westens ausgerueckt; wie denn ihre syrischen Stammgenossen in der
Tat in demselben Jahr sich mit den Persern bei Salamis mussten
schlagen lassen. Es ist das nicht Feigheit; die Seefahrt in unbekannten
Gewaessern und mit bewaffneten Schiffen fordert tapfere Herzen, und dass
diese unter den Phoenikern zu finden waren, haben sie oft bewiesen.
Es ist noch weniger Mangel an Zaehigkeit und Eigenartigkeit des
Nationalgefuehls; vielmehr haben die Aramaeer mit einer Hartnaeckigkeit,
welche kein indogermanisches Volk je erreicht hat und welche uns
Okzidentalen bald mehr, bald weniger als menschlich zu sein duenkt, ihre
Nationalitaet gegen alle Lockungen der griechischen Zivilisation wie
gegen alle Zwangsmittel der orientalischen und okzidentalischen Despoten
mit den Waffen des Geistes wie mit ihrem Blute verteidigt. Es ist der
Mangel an staatlichem Sinn, der bei dem lebendigsten Stammgefuehl, bei
der treuesten Anhaenglichkeit an die Vaterstadt doch das eigenste
Wesen der Phoeniker bezeichnet. Die Freiheit lockte sie nicht und es
geluestete sie nicht nach der Herrschaft; "ruhig lebten sie", sagt das
Buch der Richter, "nach der Weise der Sidonier, sicher und wohlgemut und
im Besitz von Reichtum". Unter allen phoenikischen Ansiedlungen gediehen
keine schneller und sicherer als die von den Tyriern und Sidoniern an
der Suedkueste Spaniens und an der nordafrikanischen gegruendeten, in
welche Gegenden weder der Arm des Grosskoenigs noch die gefaehrliche
Rivalitaet der griechischen Seefahrer reichte, die Eingeborenen aber
den Fremdlingen gegenueberstanden wie in Amerika die Indianer den
Europaeern. Unter den zahlreichen und bluehenden phoenikischen Staedten
an diesen Gestaden ragte vor allem hervor die "Neustadt", Karthada oder,
wie die Okzidentalen sie nennen, Karchedon oder Karthago. Nicht die
frueheste Niederlassung der Phoeniker in dieser Gegend und urspruenglich
vielleicht schutzbefohlene Stadt des nahen Utica, der aeltesten
Phoenikerstadt in Libyen, ueberfluegelte sie bald ihre Nachbarn, ja
die Heimat selbst durch die unvergleichlich guenstige Lage und die rege
Taetigkeit ihrer Bewohner. Gelegen unfern der (ehemaligen) Muendung des
Bagradas (Medscherda), der die reichste Getreidelandschaft Nordafrikas
durchstroemt, auf einer fruchtbaren noch heute mit Landhaeusern
besetzten und mit Oliven- und Orangenwaeldern bedeckten Anschwellung des
Bodens, der gegen die Ebene sanft sich abdacht und an der Seeseite
als meerumflossenes Vorgebirg endigt, inmitten des grossen Hafens von
Nordafrika, des Golfes von Tunis, da wo dies schoene Bassin den besten
Ankergrund fuer groessere Schiffe und hart am Strande trinkbares
Quellwasser darbietet, ist dieser Platz fuer Ackerbau und Handel und
die Vermittlung beider so einzig guenstig, dass nicht bloss die tyrische
Ansiedlung daselbst die erste phoenikische Kaufstadt ward, sondern auch
in der roemischen Zeit Karthago, kaum wiederhergestellt, die dritte
Stadt des Kaiserreichs wurde und noch heute unter nicht guenstigen
Verhaeltnissen und an einer weit weniger gut gewaehlten Stelle dort eine
Stadt von hunderttausend Einwohnern besteht und gedeiht. Die agrikole,
merkantile, industrielle Bluete einer Stadt in solcher Lage und mit
solchen Bewohnern erklaert sich selbst; wohl aber fordert die Frage
eine Antwort, auf welchem Weg diese Ansiedlung zu einer politischen
Machtentwicklung gelangte, wie sie keine andere phoenikische Stadt
besessen hat. Dass der phoenikische Stamm seine politische Passivitaet
auch in Karthago nicht verleugnet hat, dafuer fehlt es keineswegs an
Beweisen. Karthago bezahlte bis in die Zeiten seiner Bluete hinab fuer
den Boden, den die Stadt einnahm, Grundzins an die einheimischen Berber,
den Stamm der Maxyer oder Maxitaner; und obwohl das Meer und die Wueste
die Stadt hinreichend schuetzten vor jedem Angriff der oestlichen
Maechte, scheint Karthago doch die Herrschaft des Grosskoenigs wenn auch
nur dem Namen nach anerkannt und ihm gelegentlich gezinst zu haben, um
sich die Handelsverbindungen mit Tyros und dem Osten zu sichern. Aber
bei allem guten Willen, sich zu fuegen und zu schmiegen, traten doch
Verhaeltnisse ein, die diese Phoeniker in eine energischere Politik
draengten. Vor dem Strom der hellenischen Wanderung, der sich
unaufhaltsam gegen Westen ergoss, der die Phoeniker schon aus dem
eigentlichen Griechenland und von Italien verdraengt hatte und eben sich
anschickte, in Sizilien, in Spanien, ja in Libyen selbst das gleiche
zu tun, mussten die Phoeniker doch irgendwo standhalten, wenn sie nicht
gaenzlich sich wollten erdruecken lassen. Hier, wo sie mit griechischen
Kaufleuten und nicht mit dem Grosskoenig zu tun hatten, genuegte
es nicht, sich zu unterwerfen, um gegen Schoss und Zins Handel und
Industrie in alter Weise fortzufuehren. Schon waren Massalia und Kyrene
gegruendet; schon das ganze oestliche Sizilien in den Haenden der
Griechen; es war fuer die Phoeniker die hoechste Zeit zu ernstlicher
Gegenwehr. Die Karthager nahmen sie auf; in langen und hartnaeckigen
Kriegen setzten sie dem Vordringen der Kyrenaeer eine Grenze und der
Hellenismus vermochte nicht sich westwaerts der Wueste von Tripolis
festzusetzen. Mit karthagischer Hilfe erwehrten ferner die phoenikischen
Ansiedler auf der westlichen Spitze Siziliens sich der Griechen
und begaben sich gern und freiwillig in die Klientel der maechtigen
stammverwandten Stadt. Diese wichtigen Erfolge, die ins zweite
Jahrhundert Roms fallen und die den suedwestlichen Teil des Mittelmeers
den Phoenikern retteten, gaben der Stadt, die sie erfochten hatte, von
selbst die Hegemonie der Nation und zugleich eine veraenderte politische
Stellung. Karthago war nicht mehr eine blosse Kaufstadt; sie zielte nach
der Herrschaft ueber Libyen und ueber einen Teil des Mittelmeers, weil
sie es musste. Wesentlich trug wahrscheinlich bei zu diesen Erfolgen
das Aufkommen der Soeldnerei, die in Griechenland etwa um die Mitte des
vierten Jahrhunderts der Stadt in Uebung kam, bei den Orientalen aber,
namentlich bei den Karern weit aelter ist und vielleicht eben durch die
Phoeniker emporkam. Durch das auslaendische Werbesystem ward der Krieg
zu einer grossartigen Geldspekulation, die eben recht im Sinn des
phoenikischen Wesens ist. Es war wohl erst die Rueckwirkung dieser
auswaertigen Erfolge, welche die Karthager veranlasste, in Afrika von
Miet- und Bitt- zum Eigenbesitz und zur Eroberung ueberzugehen. Erst um
300 Roms (450) scheinen die karthagischen Kaufleute sich des Bodenzinses
entledigt zu haben, den sie bisher den Einheimischen hatten entrichten
muessen. Dadurch ward eine eigene Ackerwirtschaft im grossen moeglich.
Von jeher hatten die Phoeniker es sich angelegen sein lassen, ihre
Kapitalien auch als Grundbesitzer zu nutzen und den Feldbau im grossen
Massstab zu betreiben durch Sklaven oder gedungene Arbeiter; wie denn
ein grosser Teil der Juden in dieser Art den tyrischen Kaufherren um
Tagelohn dienstbar war. Jetzt konnten die Karthager unbeschraenkt den
reichen libyschen Boden ausbeuten durch ein System, das dem der heutigen
Plantagenbesitzer verwandt ist: gefesselte Sklaven bestellten das Land -
wir finden, dass einzelne Buerger deren bis zwanzigtausend besassen.
Man ging weiter. Die ackerbauenden Doerfer der Umgegend - der Ackerbau
scheint bei den Libyern sehr frueh und wahrscheinlich schon vor der
phoenikischen Ansiedlung, vermutlich von Aegypten aus, eingefuehrt zu
sein - wurden mit Waffengewalt unterworfen und die freien libyschen
Bauern umgewandelt in Fellahs, die ihren Herren den vierten Teil der
Bodenfruechte als Tribut entrichteten und zur Bildung eines eigenen
karthagischen Heeres einem regelmaessigen Rekrutierungssystem
unterworfen wurden. Mit den schweifenden Hirtenstaemmen (nomades) an den
Grenzen waehrten die Fehden bestaendig; indes sicherte eine
verschanzte Postenkette das befriedete Gebiet und langsam wurden
jene zurueckgedraengt in die Wuesten und Berge oder gezwungen, die
karthagische Oberherrschaft anzuerkennen, Tribut zu zahlen und Zuzug zu
stellen. Um die Zeit des Ersten Punischen Krieges ward ihre grosse Stadt
Theveste (Tebessa, an den Quellen des Medscherda) von den Karthagern
erobert. Dies sind die "Staedte und Staemme (ethn/e/) der Untertanen",
die in den karthagischen Staatsvertraegen erscheinen; jenes die unfreien
libyschen Doerfer, dieses die untertaenigen Nomaden. Hierzu kam endlich
die Herrschaft Karthagos ueber die uebrigen Phoeniker in Afrika oder die
sogenannten Libyphoeniker. Es gehoerten zu diesen teils die von Karthago
aus an die ganze afrikanische Nord- und einen Teil der Nordwestkueste
gefuehrten kleineren Ansiedelungen, die nicht unbedeutend gewesen
sein koennen, da allein am Atlantischen Meer auf einmal 30000 solcher
Kolonisten sesshaft gemacht wurden, teils die besonders an der Kueste
der heutigen Provinz Constantine und des Beylik von Tunis zahlreichen
altphoenikischen Niederlassungen, zum Beispiel Hippo, spaeter regius
zugenannt (Bona), Hadrumetum (Susa), Klein-Leptis (suedlich von Susa) -
die zweite Stadt der afrikanischen Phoeniker -, Thapsus (ebendaselbst),
Gross-Leptis (Lebda westlich von Tripolis). Wie es gekommen ist, dass
sich all diese Staedte unter karthagische Botmaessigkeit begaben, ob
freiwillig, etwa um sich zu schirmen vor den Angriffen der Kyrenaeer und
Numidier, oder gezwungen, ist nicht mehr nachzuweisen; sicher aber
ist es, dass sie als Untertanen der Karthager selbst in offiziellen
Aktenstuecken bezeichnet werden, ihre Mauern hatten niederreissen
muessen und Steuer und Zuzug nach Karthago zu leisten hatten. Indes
waren sie weder der Rekrutierung noch der Grundsteuer unterworfen,
sondern leisteten ein Bestimmtes an Mannschaft und Geld, Klein-Leptis
zum Beispiel jaehrlich die ungeheure Summe von 465 Talenten (574000
Taler); ferner lebten sie nach gleichem Recht mit den Karthagern und
konnten mit ihnen in gleiche Ehe treten ^1. Einzig Utica war, wohl
weniger durch seine Macht als durch die Pietaet der Karthager gegen
ihre alten Beschuetzer, dem gleichen Schicksal entgangen und hatte seine
Mauern und seine Selbstaendigkeit bewahrt; wie denn die Phoeniker
fuer solche Verhaeltnisse eine merkwuerdige, von der griechischen
Gleichgueltigkeit wesentlich abstechende Ehrfurcht hegten. Selbst im
auswaertigen Verkehr sind es stets "Karthago und Utica", die zusammen
festsetzen und versprechen; was natuerlich nicht ausschliesst, dass
die weit groessere Neustadt der Tat nach auch ueber Utica die Hegemonie
behauptete. So ward aus der tyrischen Faktorei die Hauptstadt eines
maechtigen nordafrikanischen Reiches, das von der tripolitanischen
Wueste sich erstreckte bis zum Atlantischen Meer, im westlichen Teil
(Marokko und Algier) zwar mit zum Teil oberflaechlicher Besetzung der
Kuestensaeume sich begnuegend, aber in dem reicheren oestlichen, den
heutigen Distrikten von Constantine und Tunis, auch das Binnenland
beherrschend und seine Grenze bestaendig weiter gegen Sueden
vorschiebend; die Karthager waren, wie ein alter Schriftsteller
bezeichnend sagt, aus Tyriern Libyer geworden. Die phoenikische
Zivilisation herrschte in Libyen aehnlich wie in Kleinasien und Syrien
die griechische nach den Zuegen Alexanders, wenn auch nicht mit gleicher
Gewalt. An den Hoefen der Nomadenscheichs ward phoenikisch gesprochen
und geschrieben und die zivilisierteren einheimischen Staemme nahmen
fuer ihre Sprache das phoenikische Alphabet an ^2; sie vollstaendig zu
phoenikisieren lag indes weder im Geiste der Nation noch in der Politik
Karthagos. ---------------------------------------------- ^1 Die
schaerfste Bezeichnung dieser wichtigen Klasse findet sich in dem
karthagischen Staatsvertrag (Polyb. 7, 9), wo sie im Gegensatz
einerseits zu den Uticensern, anderseits zu den libyschen Untertanen
heissen: oi Karch /e/doni/o/n ?parch/e/ osoi tois aytois nomois
chr/o/ntai. Sonst heissen sie auch Bundes- symmachides poleis Diod. 20,
10) oder steuerpflichtige Staedte (Liv. 34, 62; Iust. 22, 7, 3). Ihr
Conubium mit den Karthagern erwaehnt Diodoros 20, 55; das Commercium
folgt aus den "gleichen Gesetzen". Dass die altphoenikischen Kolonien
zu den Libyphoenikern gehoeren, beweist die Bezeichnung Hippos als einer
libyphoenikischen Stadt (Liv. 25, 40); anderseits heisst es hinsichtlich
der von Karthago aus gegruendeten Ansiedlungen zum Beispiel im Periplus
des Hanno: "Es beschlossen die Karthager, dass Hanno jenseits der
Saeulen des Herkules schiffe und Staedte der Libyphoeniker gruende". Im
wesentlichen bezeichnen die Libyphoeniker bei den Karthagern nicht eine
nationale, sondern eine staatsrechtliche Kategorie. Damit kann es recht
wohl bestehen, dass der Name grammatisch die mit Libyern gemischten
Phoeniker bezeichnet (Liv. 21, 22, Zusatz zum Text des Polybios); wie
denn in der Tat wenigstens bei der Anlage sehr exponierter Kolonien den
Phoenikern haeufig Libyer beigegeben wurden (Diod. 13, 79; Cic. Scaur.
42). Die Analogie im Namen und im Rechtsverhaeltnis zwischen den
Latinern Roms und den Libyphoenikern Karthagos ist unverkennbar. ^2
Das libysche oder numidische Alphabet, das heisst dasjenige, womit die
Berber ihre nichtsemitische Sprache schrieben und schreiben, eines
der zahllosen aus dem aramaeischen Uralphabet abgeleiteten, scheint
allerdings diesem in einzelnen Formen naeher zu stehen als das
phoenikische; aber es folgt daraus noch keineswegs, dass die Libyer
die Schrift nicht von den Phoenikern, sondern von aelteren Einwanderern
erhielten, so wenig als die teilweise aelteren Formen der italischen
Alphabete diese aus dem griechischen abzuleiten verbieten. Vielmehr
wird die Ableitung des libyschen Alphabets aus dem phoenikischen einer
Periode des letzteren angehoeren, welche aelter ist als die, in der
die auf uns gekommenen Denkmaeler der phoenikischen Sprache geschrieben
wurden. ------------------------------------------------- Die Epoche,
in der diese Umwandlung Karthagos in die Hauptstadt von Libyen
stattgefunden hat, laesst sich um so weniger bestimmen, als die
Veraenderung ohne Zweifel stufenweise erfolgt ist. Der eben erwaehnte
Schriftsteller nennt als den Reformator der Nation den Hanno; wenn dies
derselbe ist, der zur Zeit des ersten Krieges mit Rom lebte, so kann
er nur als Vollender des neuen Systems angesehen werden, dessen
Durchfuehrung vermutlich das vierte und fuenfte Jahrhundert Roms
ausgefuellt hat. Mit dem Aufbluehen Karthagos Hand in Hand ging das
Sinken der grossen phoenikischen Staedte in der Heimat, von Sidon und
besonders von Tyros, dessen Bluete teils infolge innerer Bewegungen,
teils durch die Drangsale von aussen, namentlich die Belagerungen durch
Salmanassar im ersten, Nabukodrossor im zweiten, Alexander im fuenften
Jahrhundert Roms zugrunde gerichtet ward. Die edlen Geschlechter und
die alten Firmen von Tyros siedelten groesstenteils ueber nach der
gesicherten und bluehenden Tochterstadt und brachten dorthin ihre
Intelligenz, ihre Kapitalien und ihre Traditionen. Als die Phoeniker
mit Rom in Beruehrung kamen, war Karthago ebenso entschieden die erste
kanaanitische Stadt wie Rom die erste der latinischen Gemeinden. Aber
die Herrschaft ueber Libyen war nur die eine Haelfte der karthagischen
Macht; ihre See- und Kolonialherrschaft hatte gleichzeitig nicht minder
gewaltig sich entwickelt. In Spanien war der Hauptplatz der Phoeniker
die uralte tyrische Ansiedlung in Gades (Cadiz); ausserdem besassen sie
westlich und oestlich davon eine Kette von Faktoreien und im Innern das
Gebiet der Silbergruben, so dass sie etwa das heutige Andalusien und
Granada oder doch wenigstens die Kueste davon innehatten. Das Binnenland
den einheimischen kriegerischen Nationen abzugewinnen war man nicht
bemueht; man begnuegte sich mit dem Besitz der Bergwerke und der
Stationen fuer den Handel und fuer den Fisch- und Muschelfang und hatte
Muehe auch nur hier sich gegen die anwohnenden Staemme zu behaupten. Es
ist wahrscheinlich, dass diese Besitzungen nicht eigentlich karthagisch
waren, sondern tyrisch, und Gades nicht mitzaehlte unter den
tributpflichtigen Staedten Karthagos; doch stand es wie alle westlichen
Phoeniker tatsaechlich unter karthagischer Hegemonie, wie die von
Karthago den Gaditanern gegen die Eingeborenen gesandte Hilfe und
die Anlegung karthagischer Handelsniederlassungen westlich von Gades
beweist. Ebusus und die Balearen wurden dagegen von den Karthagern
selbst in frueher Zeit besetzt, teils der Fischereien wegen, teils als
Vorposten gegen die Massalioten, mit denen von hier aus die heftigsten
Kaempfe gefuehrt wurden. Ebenso setzten die Karthager schon am Ende
des zweiten Jahrhunderts Roms sich fest auf Sardinien, welches ganz
in derselben Art wie Libyen von ihnen ausgebeutet ward. Waehrend die
Eingeborenen sich in dem gebirgigen Innern der Insel der Verknechtung
zur Feldsklaverei entzogen wie die Numidier in Afrika an dem Saum der
Wueste, wurden nach Karalis (Cagliari) und anderen wichtigen Punkten
phoenikische Kolonien gefuehrt und die fruchtbaren Kuestenlandschaften
durch eingefuehrte libysche Ackerbauern verwertet. In Sizilien endlich
war zwar die Strasse von Messana und die groessere oestliche Haelfte der
Insel in frueher Zeit den Griechen in die Haende gefallen; allein den
Phoenikern blieben unter dem Beistand der Karthager teils die kleineren
Inseln in der Naehe, die Aegaten, Melite, Gaulos, Kossyra, unter denen
namentlich die Ansiedlung auf Malta reich und bluehend war, teils
die West- und Nordwestkueste Siziliens, wo sie von Motye, spaeter von
Lilybaeon aus die Verbindung mit Afrika, von Panormos und Soloeis aus
die mit Sardinien unterhielten. Das Innere der Insel blieb in dem
Besitz der Eingeborenen, der Elymer, Sikaner, Sikeler. Es hatte sich in
Sizilien, nachdem das weitere Vordringen der Griechen gebrochen war, ein
verhaeltnismaessig friedlicher Zustand hergestellt, den selbst die von
den Persern veranlasste Heerfahrt der Karthager gegen ihre griechischen
Nachbarn auf der Insel (274 480) nicht auf die Dauer unterbrach und
der im ganzen fortbestand bis auf die attische Expedition nach Sizilien
(339-341 415-413). Die beiden rivalisierenden Nationen bequemten sich,
einander zu dulden, und beschraenkten sich im wesentlichen jede auf ihr
Gebiet. Alle diese Niederlassungen und Besitzungen waren an sich wichtig
genug; allein noch von weit groesserer Bedeutung insofern, als sie
die Pfeiler der karthagischen Seeherrschaft wurden. Durch den Besitz
Suedspaniens, der Balearen, Sardiniens, des westlichen Sizilien und
Melites in Verbindung mit der Verhinderung hellenischer Kolonisierung,
sowohl an der spanischen Ostkueste als auf Korsika und in der Gegend der
Syrten machten die Herren der nordafrikanischen Kueste ihre See zu
einer geschlossenen und monopolisierten die westliche Meerenge. Nur
das Tyrrhenische und gallische Meer mussten die Phoeniker mit andern
Nationen teilen. Es war dies allenfalls zu ertragen, solange die
Etrusker und die Griechen sich hier das Gleichgewicht hielten; mit den
ersteren als den minder gefaehrlichen Nebenbuhlern trat Karthago
sogar gegen die Griechen in Buendnis. Indes als nach dem Sturz
der etruskischen Macht, den, wie es zu gehen pflegt bei derartigen
Notbuendnissen, Karthago wohl schwerlich mit aller Macht abzuwenden
bestrebt gewesen war, und nach der Vereitelung der grossen Entwuerfe
des Alkibiades Syrakus unbestritten dastand als die erste griechische
Seemacht, fingen begreiflicherweise nicht nur die Herren von Syrakus an,
nach der Herrschaft ueber Sizilien und Unteritalien und zugleich ueber
das Tyrrhenische und Adriatische Meer zu streben, sondern wurden auch
die Karthager gewaltsam in eine energischere Politik gedraengt. Das
naechste Ergebnis der langen und hartnaeckigen Kaempfe zwischen ihnen
und ihrem ebenso maechtigen als schaendlichen Gegner Dionysios von
Syrakus (348-389 406-365) war die Vernichtung oder Schwaechung der
sizilischen Mittelstaaten, die im Interesse beider Parteien lag und
die Teilung der Insel zwischen den Syrakusanern und den Karthagern. Die
bluehendsten Staedte der Insel: Selinus, Himera, Akragas, Gela, Messana,
wurden im Verlauf dieser heillosen Kaempfe von den Karthagern von Grund
aus zerstoert; nicht ungern sah Dionysios, wie das Hellenentum hier
zugrunde ging oder doch geknickt ward, um sodann, gestuetzt auf die
fremden, aus Italien, Gallien und Spanien angeworbenen Soeldner,
die veroedeten oder mit Militaerkolonien belegten Landschaften desto
sicherer zu beherrschen. Der Friede, der nach des karthagischen
Feldherrn Mago Sieg bei Kronion 371 (383) abgeschlossen ward und den
Karthagern die griechischen Staedte Thermae (das alte Himera), Egesta,
Herakleia Minoa, Selinus und einen Teil des Gebietes von Akragas bis an
den Halykos unterwarf, galt den beiden um den Besitz der Insel ringenden
Maechten nur als vorlaeufiges Abkommen; immer von neuem wiederholten
sich beiderseits die Versuche, den Nebenbuhler ganz zu verdraengen.
Viermal - zur Zeit des aelteren Dionysios 360 (394), in der Timoleons
410 (344), in der des Agathokles 445 (309), in der pyrrhischen 476
(278) - waren die Karthager Herren von ganz Sizilien bis auf Syrakus
und scheiterten an dessen festen Mauern; fast ebenso oft schienen
die Syrakusaner unter tuechtigen Fuehrern, wie der aeltere Dionysios,
Agathokles und Pyrrhos waren, ihrerseits ebenso nahe daran, die
Afrikaner von der Insel zu verdraengen. Mehr und mehr aber neigte sich
das Uebergewicht auf die Seite der Karthager, von denen regelmaessig der
Angriff ausging und die, wenn sie auch nicht mit roemischer Stetigkeit
ihr Ziel verfolgten, doch mit weit groesserer Planmaessigkeit und
Energie den Angriff betrieben als die von Parteien zerrissene und
abgehetzte Griechenstadt die Verteidigung. Mit Recht durften die
Phoeniker erwarten, dass nicht immer eine Pest oder ein fremder
Condottiere die Beute ihnen entreissen wuerde; und vorlaeufig war
wenigstens zur See der Kampf schon entschieden: Pyrrhos' Versuch, die
syrakusanische Flotte wiederherzustellen, war der letzte. Nachdem dieser
gescheitert war, beherrschte die karthagische Flotte ohne Nebenbuhler
das ganze westliche Mittelmeer; und ihre Versuche, Syrakus, Rhegion,
Tarent zu besetzen, zeigten, was man vermochte und wohin man zielte.
Hand in Hand damit ging das Bestreben, den Seehandel dieser Gegend
immer mehr sowohl dem Ausland wie den eigenen Untertanen gegenueber zu
monopolisieren; und es war nicht karthagische Art, vor irgendeiner zum
Zwecke fuehrenden Gewaltsamkeit zurueckzuscheuen. Ein Zeitgenosse
der Punischen Kriege, der Vater der Geographie Eratosthenes (479-560
275-194), bezeugt es, dass jeder fremde Schiffer, welcher nach Sardinien
oder nach der Gaditanischen Strasse fuhr, wenn er den Karthagern in
die Haende fiel, von ihnen ins Meer gestuerzt ward; und damit stimmt
es voellig ueberein, dass Karthago den roemischen Handelsschiffen die
spanischen, sardinischen und libyschen Haefen durch den Vertrag vom
Jahre 406 (348) freigab, dagegen durch den vom Jahre 448 (306) sie ihnen
mit Ausnahme des eigenen karthagischen saemtlich schloss. Die Verfassung
Karthagos bezeichnet Aristoteles, der etwa fuenfzig Jahre vor dein
Anfang des Ersten Punischen Krieges starb, als uebergegangen aus der
monarchischen in eine Aristokratie oder in eine zur Oligarchie sich
neigende Demokratie; denn mit beiden Namen benennt er sie. Die Leitung
der Geschaefte stand zunaechst bei dem Rat der Alten, welcher gleich
der spartanischen Gerusia bestand aus den beiden jaehrlich von der
Buergerschaft ernannten Koenigen und achtundzwanzig Gerusiasten, die
auch, wie es scheint, Jahr fuer Jahr von der Buergerschaft erwaehlt
wurden. Dieser Rat ist es, der im wesentlichen die Staatsgeschaefte
erledigt, zum Beispiel die Einleitungen zum Kriege trifft, die
Aushebungen und Werbungen anordnet, den Feldherrn ernennt und ihm
eine Anzahl Gerusiasten beiordnet, aus denen dann regelmaessig
die Unterbefehlshaber genommen werden; an ihn werden die Depeschen
adressiert. Ob neben diesem kleinen Rat noch ein grosser stand, ist
zweifelhaft; auf keinen Fall hatte er viel zu bedeuten. Ebensowenig
scheint den Koenigen ein besonderer Einfluss zugestanden zu haben;
hauptsaechlich funktionierten sie als Oberrichter, wie sie nicht
selten auch heissen (Schofeten, praetores). Groesser war die Gewalt des
Feldherrn; Isokrates, Aristoteles' aelterer Zeitgenosse, sagt, dass die
Karthager sich daheim oligarchisch, im Felde aber monarchisch regierten
und so mag das Amt des karthagischen Feldherrn mit Recht von roemischen
Schriftstellern als Diktatur bezeichnet werden, obgleich die
ihm beigegebenen Gerusiasten tatsaechlich wenigstens seine Macht
beschraenken mussten, und ebenso nach Niederlegung des Amtes ihn eine
den Roemern unbekannte ordentliche Rechenschaftslegung erwartete. Eine
feste Zeitgrenze bestand fuer das Amt des Feldherrn nicht, und es ist
derselbe also schon deshalb vom Jahrkoenig unzweifelhaft verschieden
gewesen, von dem ihn auch Aristoteles ausdruecklich unterscheidet; doch
war die Vereinigung mehrerer Aemter in einer Person bei den Karthagern
ueblich, und so kann es nicht befremden, dass oft derselbe Mann zugleich
als Feldherr und als Schofet erscheint. Aber ueber der Gerusia und
ueber den Beamten stand die Koerperschaft der Hundertvier-, kuerzer
Hundertmaenner oder der Richter, das Hauptbollwerk der karthagischen
Oligarchie. In der urspruenglichen karthagischen Verfassung fand
sie sich nicht, sondern sie war gleich dem spartanischen Ephorat
hervorgegangen aus der aristokratischen Opposition gegen die
monarchischen Elemente derselben. Bei der Kaeuflichkeit der Aemter und
der geringen Mitgliederzahl der hoechsten Behoerde drohte eine einzige
durch Reichtum und Kriegsruhm vor allen hervorleuchtende karthagische
Familie, das Geschlecht des Mago, die Verwaltung in Krieg und Frieden
und die Rechtspflege in ihren Haenden zu vereinigen; dies fuehrte
ungefaehr um die Zeit der Dezemvirn zu einer Aenderung der Verfassung
und zur Einsetzung dieser neuen Behoerde. Wir wissen, dass die
Bekleidung der Quaestur ein Anrecht gab zum Eintritt in die
Richterschaft, dass aber dennoch der Kandidat einer Wahl unterlag durch
gewisse sich selbst ergaenzende Fuenfmaennerschaften; ferner dass die
Richter, obwohl sie rechtlich vermutlich von Jahr zu Jahr gewaehlt
wurden, doch tatsaechlich laengere Zeit, ja lebenslaenglich im Amt
blieben, weshalb sie bei den Roemern und Griechen gewoehnlich Senatoren
genannt werden. So dunkel das einzelne ist, so klar erkennt man
das Wesen der Behoerde als einer aus aristokratischer Kooptation
hervorgehenden oligarchischen; wovon eine vereinzelte, aber
charakteristische Spur ist, dass in Karthago neben dem gemeinen
Buerger- ein eigenes Richterbad bestand. Zunaechst waren sie bestimmt
zu fungieren als politische Geschworene, die namentlich die Feldherren,
aber ohne Zweifel vorkommendenfalls auch die Schofeten und Gerusiasten
nach Niederlegung ihres Amtes zur Verantwortung zogen und nach
Gutduenken, oft in ruecksichtslos grausamer Weise, selbst mit dem
Tode bestraften. Natuerlich ging hier wie ueberall, wo die
Verwaltungsbehoerden unter Kontrolle einer anderen Koerperschaft
gestellt werden, der Schwerpunkt der Macht ueber von der kontrollierten
auf die kontrollierende Behoerde; und es begreift sich leicht, teils
dass die letztere allenthalben in die Verwaltung eingriff, wie denn zum
Beispiel die Gerusia wichtige Depeschen erst den Richtern vorlegt und
dann dem Volke, teils dass die Furcht vor der regelmaessig nach dem
Erfolg abgemessenen Kontrolle daheim den karthagischen Staatsmann wie
den Feldherrn in Rat und Tat laehmte. Die karthagische Buergerschaft
scheint, wenn auch nicht wie in Sparta ausdruecklich auf die passive
Assistenz bei den Staatshandlungen beschraenkt, doch tatsaechlich dabei
nur in einem sehr geringen Grade von Einfluss gewesen zu sein. Bei den
Wahlen in die Gerusia war ein offenkundiges Bestechungssystem Regel;
bei der Ernennung eines Feldherrn wurde das Volk zwar befragt, aber
wohl erst, wenn durch Vorschlag der Gerusia der Sache nach die Ernennung
erfolgt war; und in anderen Faellen ging man nur an das Volk, wenn die
Gerusia es fuer gut fand oder sich nicht einigen konnte. Volksgerichte
kannte man in Karthago nicht. Die Machtlosigkeit der Buergerschaft ward
wahrscheinlich wesentlich durch ihre politische Organisierung bedingt;
die karthagischen Tischgenossenschaften, die hierbei genannt und
den spartanischen Pheiditien verglichen werden, moegen oligarchisch
geleitete Zuenfte gewesen sein. Sogar ein Gegensatz zwischen
"Stadtbuergern" und "Handarbeitern" wird erwaehnt, der auf eine sehr
niedrige, vielleicht rechtlose Stellung der letzteren schliessen laesst.
Fassen wir die einzelnen Momente zusammen, so erscheint die karthagische
Verfassung als ein Kapitalistenregiment, wie es begreiflich ist bei
einer Buergergemeinde ohne wohlhabende Mittelklasse und bestehend
einerseits aus einer besitzlosen, von der Hand in den Mund lebenden
staedtischen Menge, anderseits aus Grosshaendlern, Plantagenbesitzern
und vornehmen Voegten. Das System, die heruntergekommenen Herren auf
Kosten der Untertanen wieder zu Vermoegen zu bringen, indem sie als
Schatzungsbeamte und Fronvoegte in die abhaengigen Gemeinden ausgesendet
werden, dieses unfehlbare Kennzeichen einer verrotteten staedtischen
Oligarchie, fehlt auch in Karthago nicht; Aristoteles bezeichnet es als
die wesentliche Ursache der erprobten Dauerhaftigkeit der karthagischen
Verfassung. Bis auf seine Zeit hatte in Karthago weder von oben noch
von unten eine nennenswerte Revolution stattgefunden; die Menge blieb
fuehrerlos infolge der materiellen Vorteile, welche die regierende
Oligarchie allen ehrgeizigen oder bedraengten Vornehmen zu bieten
imstande war und ward abgefunden mit den Brosamen, die in Form der
Wahlbestechung oder sonst von dem Herrentisch fuer sie abfielen. Eine
demokratische Opposition konnte freilich bei solchem Regiment nicht
mangeln; aber noch zur Zeit des Ersten Punischen Krieges war dieselbe
voellig machtlos. Spaeterhin, zum Teil unter dem Einfluss der erlittenen
Niederlagen, erscheint ihr politischer Einfluss im Steigen und in weit
rascherem, als gleichzeitig der der gleichartigen roemischen Partei:
die Volksversammlungen begannen in politischen Fragen die letzte
Entscheidung zu geben und brachen die Allmacht der karthagischen
Oligarchie. Nach Beendigung des Hannibalischen Krieges ward auf
Hannibals Vorschlag sogar durchgesetzt, dass kein Mitglied des Rates der
Hundert zwei Jahre nacheinander im Amte sein koenne und damit die volle
Demokratie eingefuehrt, welche allerdings nach der Lage der Dinge allein
Karthago zu retten vermochte, wenn es dazu ueberhaupt noch Zeit war.
In dieser Opposition herrschte ein maechtiger patriotischer und
reformierender Schwung; doch darf darueber nicht uebersehen werden,
auf wie fauler und morscher Grundlage sie ruhte. Die karthagische
Buergerschaft, die von kundigen Griechen der alexandrinischen verglichen
wird, war so zuchtlos, dass sie insofern es wohl verdient hatte,
machtlos zu sein; und wohl durfte gefragt werden, was da aus
Revolutionen fuer Heil kommen solle, wo, wie in Karthago, die Buben
sie machen halfen. In finanzieller Hinsicht behauptet Karthago in jeder
Beziehung unter den Staaten des Altertums den ersten Platz. Zur Zeit des
Peloponnesischen Krieges war diese phoenikische Stadt nach dem Zeugnis
des ersten Geschichtschreibers der Griechen allen griechischen Staaten
finanziell ueberlegen und werden ihre Einkuenfte denen des Grosskoenigs
verglichen; Polybios nennt sie die reichste Stadt der Welt. Von der
Intelligenz der karthagischen Landwirtschaft, welche Feldherren und
Staatsmaenner dort wie spaeter in Rom wissenschaftlich zu betreiben
und zu lehren nicht verschmaehten, legt ein Zeugnis ab die agronomische
Schrift des Karthagers Mago, welche von den spaeteren griechischen
und roemischen Landwirten durchaus als der Grundkodex der rationellen
Ackerwirtschaft betrachtet und nicht bloss ins Griechische uebersetzt,
sondern auch auf Befehl des roemischen Senats lateinisch bearbeitet
und den italischen Gutsbesitzern offiziell anempfohlen ward.
Charakteristisch ist die enge Verbindung dieser phoenikischen Acker- mit
der Kapitalwirtschaft; es wird als eine Hauptmaxime der phoenikischen
Landwirtschaft angefuehrt, nie mehr Land zu erwerben, als man intensiv
zu bewirtschaften vermoege. Auch der Reichtum des Landes an
Pferden, Rindern, Schafen und Ziegen, worin Libyen infolge seiner
Nomadenwirtschaft es nach Polybios' Zeugnis vielleicht allen uebrigen
Laendern der Erde damals zuvortat, kam den Karthagern zugute. Wie in der
Ausnutzung des Bodens die Karthager die Lehrmeister der Roemer waren,
wurden sie es auch in der Ausbeutung der Untertanen; durch diese floss
nach Karthago mittelbar die Grundrente "des besten Teils von Europa" und
der reichen, zum Teil, zum Beispiel in der Byzakitis und an der Kleinen
Syrte, ueberschwenglich gesegneten nordafrikanischen Landschaft. Der
Handel, der in Karthago von jeher als ehrenhaftes Gewerbe galt, und die
auf Grund des Handels aufbluehende Reederei und Fabrikation brachten
schon im natuerlichen Laufe der Dinge den dortigen Ansiedlern jaehrlich
goldene Ernten, und es ist frueher schon bezeichnet worden, wie man
durch ausgedehnte und immer gesteigerte Monopolisierung nicht bloss
aus dem Aus-, sondern auch aus dem Inland allen Handel des westlichen
Mittelmeeres und den ganzen Zwischenhandel zwischen dem Westen und
Osten mehr und mehr in diesem einzigen Hafen zu konzentrieren verstand.
Wissenschaft und Kunst scheinen in Karthago, wie spaeterhin in Rom,
zwar wesentlich durch hellenischen Einfluss bestimmt, aber nicht
vernachlaessigt worden zu sein; es gab eine ansehnliche phoenikische
Literatur und bei Eroberung der Stadt fanden sich reiche, freilich
nicht in Karthago geschaffene, sondern aus den sizilischen Tempeln
weggefuehrte Kunstschaetze und betraechtliche Bibliotheken vor. Aber
auch der Geist stand hier im Dienste des Kapitals; was von der
Literatur hervorgehoben wird, sind vornehmlich die agronomischen und
geographischen Schriften, wie das schon erwaehnte Werk des Mago und
der noch in Uebersetzung vorhandene, urspruenglich in einem der
karthagischen Tempel oeffentlich aufgestellte Bericht des Admirals
Hanno von seiner Beschiffung der westafrikanischen Kueste. Selbst die
allgemeine Verbreitung gewisser Kenntnisse und besonders der Kunde
fremder Sprachen ^3, worin das Karthago dieser Zeit ungefaehr mit dem
kaiserlichen Rom auf einer Linie gestanden haben mag, zeugt von der
durchaus praktischen Richtung, welche der hellenischen Bildung in
Karthago gegeben ward. Wenn es schlechterdings unmoeglich ist, von der
Kapitalmasse sich eine Vorstellung zu machen, die in diesem London des
Altertums zusammenstroemte, so kann wenigstens von den oeffentlichen
Einnahmequellen einigermassen einen Begriff geben, dass trotz des
kostspieligen Systems, nach dem Karthago sein Kriegswesen organisiert
hatte, und trotz der sorg- und treulosen Verwaltung des Staatsguts
dennoch die Beisteuern der Untertanen und die Zollgefaelle die Ausgaben
vollstaendig deckten und von den Buergern direkte Steuern nicht erhoben
wurden; ja dass noch nach dem Zweiten Punischen Kriege, als die Macht
des Staates schon gebrochen war, die laufenden Ausgaben und
eine jaehrliche Abschlagszahlung nach Rom von 340000 Talern ohne
Steuerausschreibung bloss durch eine einigermassen geregelte
Finanzwirtschaft gedeckt werden konnten und vierzehn Jahre nach
dem Frieden der Staat zur sofortigen Erlegung der noch uebrigen
sechsunddreissig Termine sich erbot. Aber es ist nicht bloss die
Summe der Einkuenfte, in der sich die Ueberlegenheit der karthagischen
Finanzwirtschaft ausspricht; auch die oekonomischen Grundsaetze einer
spaeteren und vorgeschritteneren Zeit finden wir hier allein unter
allen bedeutenderen Staaten des Altertums: es ist von auslaendischen
Staatsanleihen die Rede, und im Geldsystem finden wir neben Gold- und
Silber- ein dem Stoff nach wertloses Zeichengeld erwaehnt, welches in
dieser Weise sonst dem Altertum fremd ist. In der Tat, wenn der Staat
eine Spekulation waere, nie haette einer glaenzender seine Aufgabe
geloest als Karthago. ------------------------------------ ^3 Der
Wirtschafter auf dem Landgut, obwohl Sklave, muss dennoch, nach der
Vorschrift des karthagischen Agronomen Mago (bei Varro rast. 1, 17),
lesen koennen und einige Bildung besitzen. Im Prolog des Plautinischen
'Poeners' heisst es von dem Titelhelden: Die Sprachen alle kann er, aber
tut, als koenn' Er keine - ein Poener ist es durchaus; was wollt ihr
mehr? ------------------------------------- Vergleichen wir die Macht
der Karthager und der Roemer. Beide waren Acker- und Kaufstaedte und
lediglich dieses; die durchaus untergeordnete und durchaus praktische
Stellung von Kunst und Wissenschaft war in beiden wesentlich dieselbe,
nur dass in dieser Hinsicht Karthago weiter vorgeschritten war als
Rom. Aber in Karthago hatte die Geld- ueber die Grundwirtschaft, in Rom
damals noch die Grund- ueber die Geldwirtschaft das Uebergewicht,
und wenn die karthagischen Ackerwirte durchgaengig grosse Guts- und
Sklavenbesitzer waren, bebaute in dem Rom dieser Zeit die grosse Masse
der Buergerschaft noch selber das Feld. Die Mehrzahl der Bevoelkerung
war in Rom besitzend, das ist konservativ, in Karthago besitzlos und
dem Golde der Reichen wie dem Reformruf der Demokraten zugaenglich. In
Karthago herrschte schon die ganze, maechtigen Handelsstaedten eigene
Opulenz, waehrend Sitte und Polizei in Rom wenigstens aeusserlich noch
altvaeterische Strenge und Sparsamkeit aufrecht erhielten. Als die
karthagischen Gesandten von Rom zurueckkamen, erzaehlten sie ihren
Kollegen, dass das innige Verhaeltnis der roemischen Ratsherren
zueinander alle Vorstellung uebersteige; ein einziges silbernes
Tafelgeschirr reiche aus fuer den ganzen Rat und sei in jedem Haus,
wo man sie zu Gaste geladen, ihnen wieder begegnet. Der Spott ist
bezeichnend fuer die beiderseitigen wirtschaftlichen Zustaende. Beider
Verfassung war aristokratisch; wie der Senat in Rom regierten die
Richter in Karthago und beide nach dem gleichen Polizeisystem. Die
strenge Abhaengigkeit, in welcher die karthagische Regierungsbehoerde
den einzelnen Beamten hielt, der Befehl derselben an die Buerger, sich
des Erlernens der griechischen Sprache unbedingt zu enthalten und
mit einem Griechen nur vermittels des oeffentlichen Dolmetschers
zu verkehren, sind aus demselben Geiste geflossen wie das roemische
Regierungssystem; aber gegen die grausame Haerte und die ans Alberne
streifende Unbedingtheit solcher karthagischen Staatsbevormundung
erscheint das roemische Bruechen- und Ruegesystem mild und verstaendig.
Der roemische Senat, welcher der eminenten Tuechtigkeit sich oeffnete
und im besten Sinn die Nation vertrat, durfte ihr auch vertrauen und
brauchte die Beamten nicht zu fuerchten. Der karthagische Senat dagegen
beruhte auf einer eifersuechtigen Kontrolle der Verwaltung durch die
Regierung und vertrat ausschliesslich die vornehmen Familien; sein Wesen
war das Misstrauen noch oben wie nach unten und darum konnte er weder
sicher sein, dass das Volk ihm folgte, wohin er fuehrte, noch unbesorgt
vor Usurpationen der Beamten. Daher der feste Gang der roemischen
Politik, die im Unglueck keinen Schritt zurueckwich und die Gunst des
Glueckes nicht verscherzte durch Fahrlaessigkeit und Halbheit; waehrend
die Karthager vom Kampf abstanden, wo eine letzte Anstrengung
vielleicht alles gerettet haette, und, der grossen nationalen Aufgaben
ueberdruessig oder vergessen, den halbfertigen Bau einstuerzen liessen,
um nach wenigen Jahren von vorn zu beginnen. Daher ist der tuechtige
Beamte in Rom regelmaessig im Einverstaendnis mit seiner Regierung,
in Karthago haeufig in entschiedener Fehde mit den Herren daheim und
gedraengt, sich ihnen verfassungswidrig zu widersetzen und mit der
opponierenden Reformpartei gemeinschaftliche Sache zu machen. Karthago
wie Rom beherrschten ihre Stammgenossen und zahlreiche stammfremde
Gemeinden. Aber Rom hatte einen Distrikt nach dem andern in sein
Buergerrecht aufgenommen und den latinischen Gemeinden selbst gesetzlich
Zugaenge zu demselben eroeffnet; Karthago schloss von Haus aus sich
ab und liess den abhaengigen Distrikten nicht einmal die Hoffnung auf
dereinstige Gleichstellung. Rom goennte den stammverwandten Gemeinden
Anteil an den Fruechten des Sieges, namentlich an den gewonnenen
Domaenen, und suchte in den uebrigen untertaenigen Staaten durch
materielle Beguenstigung der Vornehmen und Reichen wenigstens eine
Partei in das Interesse Roms zu ziehen; Karthago behielt nicht bloss
fuer sich, was die Siege einbrachten, sondern entriss sogar den Staedten
besten Rechts die Handelsfreiheit. Rom nahm der Regel nach nicht einmal
den unterworfenen Gemeinden die Selbstaendigkeit ganz und legte keiner
eine feste Steuer auf; Karthago sandte seine Voegte ueberall hin
und belastete selbst die altphoenikischen Staedte mit schwerem Zins,
waehrend die unterworfenen Staemme faktisch als Staatssklaven behandelt
wurden. So war im karthagisch-afrikanischen Staatsverband nicht eine
einzige Gemeinde mit Ausnahme von Utica, die nicht durch den Sturz
Karthagos politisch und materiell sich verbessert haben wuerde; in dem
roemisch-italischen nicht eine einzige, die bei der Auflehnung gegen
ein Regiment, das die materiellen Interessen sorgfaeltig schonte und die
politische Opposition wenigstens nirgend durch aeusserste Massregeln zum
Kampf herausforderte, nicht noch mehr zu verlieren gehabt haette als
zu gewinnen. Wenn die karthagischen Staatsmaenner meinten, die
phoenikischen Untertanen durch die groessere Furcht vor den empoerten
Libyern, die saemtlichen Besitzenden durch das Zeichengeld an das
karthagische Interesse geknuepft zu haben, so uebertrugen sie einen
kaufmaennischen Kalkuel dahin, wo er nicht hingehoert; die Erfahrung
bewies, dass die roemische Symmachie trotz ihrer scheinbar loseren
Fuegung gegen Pyrrhos zusammenhielt wie eine Mauer aus Felsenstuecken,
die karthagische dagegen wie Spinneweben zerriss, sowie ein feindliches
Heer den afrikanischen Boden betrat. So geschah es bei den Landungen.
von Agathokles und von Regulus und ebenso im Soeldnerkrieg; von dem
Geiste, der in Afrika herrschte, zeugt zum Beispiel, dass die libyschen
Frauen den Soeldnern freiwillig ihren Schmuck steuerten zum Kriege gegen
Karthago. Nur in Sizilien scheinen die Karthager milder aufgetreten zu
sein und darum auch bessere Ergebnisse erlangt zu haben. Sie gestatteten
ihren Untertanen hier verhaeltnismaessige Freiheit im Handel mit dem
Ausland und liessen sie ihren inneren Verkehr wohl von Anfang an und
ausschliesslich mit Metallgeld treiben, ueberhaupt bei weitem freier
sich bewegen, als dies den Sarden und Libyern erlaubt ward. Waere
Syrakus in ihre Haende gefallen, so haette sich freilich dies
bald geaendert; indes dazu kam es nicht, und so bestand, bei der
wohlberechneten Milde des karthagischen Regiments und bei der unseligen
Zerrissenheit der sizilischen Griechen, in Sizilien in der Tat eine
ernstlich phoenikisch gesinnte Partei - wie denn zum Beispiel noch nach
dem Verlust der Insel an die Roemer Philinos von Akragas die Geschichte
des grossen Krieges durchaus im phoenikischen Sinne schrieb. Aber im
ganzen mussten doch auch die Sizilianer als Untertanen wie als Hellenen
ihren phoenikischen Herren wenigstens ebenso abgeneigt sein wie den
Roemern die Samniten und Tarentiner. Finanziell ueberstiegen die
karthagischen Staatseinkuenfte ohne Zweifel um vieles die roemischen;
allein dies glich zum Teil sich wieder dadurch aus, dass die Quellen der
karthagischen Finanzen, Tribute und Zoelle weit eher und eben, wenn man
sie am noetigsten brauchte, versiegten als die roemischen, und dass
die karthagische Kriegfuehrung bei weitem kostspieliger war als die
roemische. Die militaerischen Hilfsmittel der Roemer und Karthager waren
sehr verschieden, jedoch in vieler Beziehung nicht ungleich abgewogen.
Die karthagische Buergerschaft betrug noch bei Eroberung der Stadt
700000 Koepfe mit Einschluss der Frauen und Kinder ^4 und mochte am
Ende des fuenften Jahrhunderts wenigstens ebenso zahlreich sein; sie
vermochte im fuenften Jahrhundert im Notfall ein Buergerheer von 40 000
Hopliten auf die Beine zu bringen. Ein ebenso starkes Buergerheer
hatte Rom schon im Anfang des fuenften Jahrhunderts unter gleichen
Verhaeltnissen ins Feld geschickt; seit den grossen Erweiterungen des
Buergergebiets im Laufe des fuenften Jahrhunderts musste die Zahl der
waffenfaehigen Vollbuerger mindestens sich verdoppelt haben. Aber
weit mehr noch als der Zahl der Waffenfaehigen nach war Rom in dem
Effektivstand des Buergermilitaers ueberlegen. So sehr die karthagische
Regierung auch es sich angelegen sein liess, die Buerger zum
Waffendienst zu bestimmen, so konnte sie doch weder dem Handwerker
und Fabrikarbeiter den kraeftigen Koerper des Landmanns geben noch den
angeborenen Widerwillen der Phoeniker vor dem Kriegswerk ueberwinden. Im
fuenften Jahrhundert focht in den sizilischen Heeren noch eine "heilige
Schar" von 2500 Karthagern als Garde des Feldherrn; im sechsten findet
sich in den karthagischen Heeren, zum Beispiel in dem spanischen, mit
Ausnahme der Offiziere nicht ein einziger Karthager. Dagegen standen die
roemischen Bauern keineswegs bloss in den Musterrollen, sondern auch auf
den Schlachtfeldern. Aehnlich verhielt es sich mit den Stammverwandten
der beiden Gemeinden; waehrend die Latiner den Roemern nicht mindere
Dienste leisteten als ihre Buergertruppen, waren die Libyphoeniker
ebensowenig kriegstuechtig wie die Karthager und begreiflicherweise noch
weit weniger kriegslustig, und so verschwinden auch sie aus den Heeren,
indem die zuzugspflichtigen Staedte ihre Verbindlichkeit vermutlich mit
Geld abkauften. In dem eben erwaehnten spanischen Heer von etwa 15000
Mann bestand nur eine einzige Reiterschar von 450 Mann und auch diese
nur zum Teil aus Libyphoenikern. Den Kern der karthagischen Armeen
bildeten die libyscher. Untertanen, aus deren Rekruten sich unter
tuechtigen Offizieren ein gutes Fussvolk bilden liess und deren leichte
Reiterei in ihrer Art unuebertroffen war. Dazu kamen die Mannschaften
der mehr oder minder abhaengigen Voelkerschaften Libyens und Spaniens
und die beruehmten Schleuderer von den Balearen, deren Stellung zwischen
Bundeskontingenten und Soeldnerscharen die Mitte gehalten zu haben
scheint; endlich im Notfall die im Ausland angeworbene Soldateska. Ein
solches Heer konnte der Zahl nach ohne Muehe fast auf jede beliebige
Staerke gebracht werden und auch an Tuechtigkeit der Offiziere, an
Waffenkunde und Mut faehig sein, mit dem roemischen sich zu messen;
allein nicht bloss verstrich, wenn Soeldner angenommen werden mussten,
ehe dieselben bereit standen, eine gefaehrlich lange Zeit, waehrend die
roemische Miliz jeden Augenblick auszuruecken imstande war, sondern,
was die Hauptsache ist, waehrend die karthagischen Heere nichts
zusammenhielt als die Fahnenehre und der Vorteil, fanden sich die
roemischen durch alles vereinigt, was sie an das gemeinsame Vaterland
band. Dem karthagischen Offizier gewoehnlichen Schlages galten seine
Soeldner, ja selbst die libyschen Bauern ungefaehr soviel wie heute im
Krieg die Kanonenkugeln; daher Schaendlichkeiten, wie zum Beispiel der
Verrat der libyschen Truppen durch ihren Feldherrn Himilko 358 (396),
der einen gefaehrlichen Aufstand der Libyer zur Folge hatte, und daher
jener zum Sprichwort gewordene Ruf der "punischen Treue", der den
Karthagern nicht wenig geschadet hat. Alles Unheil, welches Fellah- und
Soeldnerheere ueber einen Staat bringen koennen, hat Karthago in vollem
Masse erfahren und mehr als einmal seine bezahlten Knechte
gefaehrlicher erfunden als seine Feinde.
--------------------------------------------------- ^4 Man hat an der
Richtigkeit dieser Zahl gezweifelt und mit Ruecksicht auf den Raum
die moegliche Einwohnerzahl auf hoechstens 250000 Koepfe berechnet.
Abgesehen von der Unsicherheit derartiger Berechnungen, namentlich
in einer Handelsstadt mit sechsstoeckigen Haeusern, ist dagegen zu
erinnern, dass die Zaehlung wohl politisch zu verstehen ist, nicht
staedtisch, ebenso wie die roemischen Zensuszahlen, und dass dabei
also alle Karthager gezaehlt sind, mochten sie in der Stadt oder in
der Umgegend wohnen oder im untertaenigen Gebiet oder im Ausland sich
aufhalten. Solcher Abwesenden gab es natuerlich eine grosse Zahl in
Karthago; wie denn ausdruecklich berichtet wird, dass in Gades aus
gleichem Grunde die Buergerliste stets eine weit hoehere Ziffer wies
als die der in Gades ansaessigen Buerger war.
---------------------------------------------- Die Maengel dieses
Heerwesens konnte die karthagische Regierung nicht verkennen und
suchte sie allerdings auf jede Weise wieder einzubringen. Man hielt
auf gefuellte Kassen und gefuellte Zeughaeuser, um jederzeit Soeldner
ausstatten zu koennen. Man wandte grosse Sorgfalt auf das, was bei den
Alten die heutige Artillerie vertrat: den Maschinenbau, in welcher Waffe
wir die Karthager den Sikelioten regelmaessig ueberlegen finden, und die
Elefanten, seit diese im Kriegswesen die aelteren Streitwagen verdraengt
hatten; in den Kasematten Karthagos befanden sich Stallungen fuer 300
Elefanten. Die abhaengigen Staedte zu befestigen, konnte man freilich
nicht wagen und musste es geschehen lassen, dass jedes in Afrika
gelandete feindliche Heer mit dem offenen Lande auch die Staedte
und Flecken gewann; recht im Gegensatz zu Italien, wo die meisten
unterworfenen Staedte ihre Mauern behalten hatten und eine Kette
roemischer Festungen die ganze Halbinsel beherrschte. Dagegen fuer die
Befestigung der Hauptstadt bot man auf, was Geld und Kunst vermochten;
und mehrere Male rettete den Staat nichts als die Staerke der
karthagischen Mauern, waehrend Rom politisch und militaerisch so
gesichert war, dass es eine foermliche Belagerung niemals erfahren hat.
Endlich das Hauptbollwerk des Staats war die Kriegsmarine, auf die man
die groesste Sorgfalt verwandte. Im Bau wie in der Fuehrung der Schiffe
waren die Karthager den Griechen ueberlegen; in Karthago zuerst baute
man Schiffe mit mehr als drei Ruderverdecken, und die karthagischen
Kriegsfahrzeuge, in dieser Zeit meistens Fuenfdecker, waren in der
Regel bessere Segler als die griechischen, die Ruderer, saemtlich
Staatssklaven, die nicht von den Galeeren kamen, vortrefflich
eingeschult und die Kapitaene gewandt und furchtlos. In dieser Beziehung
war Karthago entschieden den Roemern ueberlegen, die mit den wenigen
Schiffen der verbuendeten Griechen und den wenigeren eigenen nicht
imstande waren, sich in der offenen See auch nur zu zeigen gegen die
Flotte, die damals unbestritten das westliche Meer beherrschte. Fassen
wir schliesslich zusammen, was die Vergleichung der Mittel der beiden
grossen Maechte ergibt, so rechtfertigt sich wohl das Urteil eines
einsichtigen und unparteiischen Griechen, dass Karthago und Rom, da der
Kampf zwischen ihnen begann, im allgemeinen einander gewachsen waren.
Allein wir koennen nicht unterlassen hinzuzufuegen, dass Karthago wohl
aufgeboten hatte, was Geist und Reichtum vermochten, um kuenstliche
Mittel zum Angriff und zur Verteidigung sich zu erschaffen, aber dass
es nicht imstande gewesen war, die Grundmaengel des fehlenden eigenen
Landheers und der nicht auf eigenen Fuessen stehenden Symmachie in
irgend ausreichender Weise zu ersetzen. Dass Rom nur in Italien,
Karthago nur in Libyen ernstlich angegriffen werden konnte, liess sich
nicht verkennen; und ebensowenig, dass Karthago auf die Dauer einem
solchen Angriff nicht entgehen konnte. Die Flotten waren in jener Zeit
der Kindheit der Schiffahrt noch nicht bleibendes Erbgut der Nationen,
sondern liessen sich herstellen, wo es Baeume, Eisen und Wasser gab;
dass selbst maechtige Seestaaten nicht imstande waren, den zur See
schwaecheren Feinden die Landung zu wehren, war einleuchtend und in
Afrika selbst mehrfach erprobt worden. Seit Agathokles den Weg dahin
gezeigt hatte, konnte auch ein roemischer General ihn finden, und
waehrend in Italien mit dem Einruecken einer Invasionsarmee der Krieg
begann, war er in Libyen im gleichen Fall zu Ende und verwandelte sich
in eine Belagerung, in der, wenn nicht besondere Zufaelle eintraten,
auch der hartnaeckigste Heldenmut endlich unterliegen musste. 2. Kapitel
Der Krieg um Sizilien zwischen Rom und Karthago Seit mehr als einem
Jahrhundert verheerte die Fehde zwischen den Karthagern und den
syrakusanischen Herren die schoene sizilische Insel. Von beiden Seiten
ward der Krieg gefuehrt einerseits mit politischem Propagandismus, indem
Karthago Verbindungen unterhielt mit der aristokratisch-republikanischen
Opposition in Syrakus, die syrakusanischen Dynasten mit
der Nationalpartei in den Karthago zinspflichtig gewordenen
Griechenstaedten; anderseits mit Soeldnerheeren, mit welchen Timoleon
und Agathokles ebensowohl ihre Schlachten schlugen wie die phoenikischen
Feldherren. Und wie man auf beiden Seiten mit gleichen Mitteln focht,
ward auch auf beiden Seiten mit gleicher, in der okzidentalischen
Geschichte beispielloser Ehr- und Treulosigkeit gestritten. Die
unterliegende Partei waren die Syrakusier. Noch im Frieden von 440 (314)
hatte Karthago sich beschraenkt auf das Drittel der Insel westlich von
Herakleia, Minoa und Himera und hatte ausdruecklich die Hegemonie
der Syrakusier ueber saemtliche oestliche Staedte anerkannt. Pyrrhos'
Vertreibung aus Sizilien und Italien (479 275) liess die bei weitem
groessere Haelfte der Insel und vor allem das wichtige Akragas in
Karthagos Haenden; den Syrakusiern blieb nichts als Tauromenion und der
Suedosten der Insel. In der zweiten grossen Stadt an der Ostkueste, in
Messana, hatte eine fremdlaendische Soldatenschar sich festgesetzt
und behauptete die Stadt, unabhaengig von den Syrakusiern wie von den
Karthagern. Es waren kampanische Landsknechte, die in Messana geboten.
Das bei den in und um Capua angesiedelten Sabellern eingerissene wueste
Wesen (I, 368) hatte im vierten und fuenften Jahrhundert aus Kampanien
gemacht, was spaeter Aetolien, Kreta, Lakonien waren: den allgemeinen
Werbeplatz fuer die soeldnersuchenden Fuersten und Staedte. Die von
den kampanischen Griechen dort ins Leben gerufene Halbkultur, die
barbarische Ueppigkeit des Lebens in Capua und den uebrigen kampanischen
Staedten, die politische Ohnmacht, zu der die roemische Hegemonie sie
verurteilte, ohne ihnen doch durch ein straffes Regiment die Verfuegung
ueber sich selbst vollstaendig zu entziehen - alles dies trieb die
kampanische Jugend scharenweise unter die Fahnen der Werbeoffiziere; und
es versteht sich, dass der leichtsinnige und gewissenlose Selbstverkauf
hier wie ueberall die Entfremdung von der Heimat, die Gewoehnung an
Gewalttaetigkeit und Soldatenunfug und die Gleichgueltigkeit gegen den
Treuebruch im Gefolge hatte. Warum eine Soeldnerschar sich der ihrer
Hut anvertrauten Stadt nicht fuer sich selbst bemaechtigen solle,
vorausgesetzt nur, dass sie dieselbe zu behaupten imstande sei,
leuchtete diesen Kampanern nicht ein - hatten doch die Samniten in Capua
selbst, die Lucaner in einer Reihe griechischer Staedte ihre Herrschaft
in nicht viel ehrenhafterer Weise begruendet. Nirgend luden die
politischen Verhaeltnisse mehr zu solchen Unternehmungen ein als in
Sizilien; schon die waehrend des Peloponnesischen Krieges nach Sizilien
gelangten kampanischen Hauptleute hatten in Entella und Aetna in solcher
Art sich eingenistet. Etwa um das Jahr 470 (284) setzte ein kampanischer
Trupp, der frueher unter Agathokles gedient hatte und nach dessen Tode
(465 289) das Raeuberhandwerk auf eigene Rechnung trieb, sich fest in
Messana, der zweiten Stadt des griechischen Siziliens und dem Hauptsitz
der antisyrakusanischen Partei in dem noch von Griechen beherrschten
Teile der Insel. Die Buerger wurden erschlagen oder vertrieben, die
Frauen und Kinder und die Haeuser derselben unter die Soldaten verteilt
und die neuen Herren der Stadt, die "Marsmaenner", wie sie sich nannten,
oder die Mamertiner wurden bald die dritte Macht der Insel, deren
nordoestlichen Teil sie in den wuesten Zeiten nach Agathokles' Tode sich
unterwarfen. Die Karthager sahen nicht ungern diese Vorgaenge, durch
welche die Syrakusier anstatt einer stammverwandten und in der Regel
ihnen verbuendeten oder untertaenigen Stadt einen neuen und maechtigen
Gegner in naechster Naehe erhielten; mit karthagischer Hilfe behaupteten
die Mamertiner sich gegen Pyrrhos und der unzeitige Abzug des Koenigs
gab ihnen ihre ganze Macht zurueck. Es ziemt der Historie weder, den
treulosen Frevel zu entschuldigen, durch den sie der Herrschaft sich
bemaechtigten, noch zu vergessen, dass der Gott, der die Suende der
Vaeter straft bis ins vierte Glied, nicht der Gott der Geschichte
ist. Wer sich berufen fuehlt, die Suenden anderer zu richten, mag die
Menschen verdammen; fuer Sizilien konnte es heilbringend sein, dass hier
eine streitkraeftige und der Insel eigene Macht sich zu bilden anfing,
die schon bis achttausend Mann ins Feld zu stellen vermochte und die
allmaehlich sich in den Stand setzte, den Kampf, welchem die trotz der
ewigen Kriege sich immer mehr der Waffen entwoehnenden Hellenen nicht
mehr gewachsen waren, zu rechter Zeit gegen die Auslaender mit eigenen
Kraeften aufzunehmen. Zunaechst indes kam es anders. Ein junger
syrakusanischer Offizier, der durch seine Abstammung aus dem Geschlechte
Gelons und durch seine engen verwandtschaftlichen Beziehungen zum Koenig
Pyrrhos ebenso sehr wie durch die Auszeichnung, mit der er in dessen
Feldzuegen gefochten hatte, die Blicke seiner Mitbuerger wie die der
syrakusanischen Soldateska auf sich gelenkt hatte, Hieron, des Hierokles
Sohn, ward durch eine militaerische Wahl an die Spitze des mit den
Buergern hadernden Heeres gerufen (479/80 275/74). Durch seine kluge
Verwaltung, sein adliges Wesen und seinen maessigen Sinn gewann er
schnell sich die Herzen der syrakusanischen, des schaendlichsten
Despotenunfugs gewohnten Buergerschaft und ueberhaupt der sizilischen
Griechen. Er entledigte sich, freilich auf treulose Weise, des
unbotmaessigen Soeldnerheeres, regenerierte die Buergermiliz und
versuchte, anfangs mit dem Titel als Feldherr, spaeter als Koenig,
mit den Buergertruppen und frischen und lenksameren Geworbenen die
tiefgesunkene hellenische Macht wiederherzustellen. Mit den Karthagern,
die im Einverstaendnis mit den Griechen den Koenig Pyrrhos von der
Insel vertrieben hatten, war damals Friede; die naechsten Feinde der
Syrakusier waren die Mamertiner, die Stammgenossen der verhassten, vor
kurzem ausgerotteten Soeldner, die Moerder ihrer griechischen Wirte,
die Schmaelerer des syrakusanischen Gebiets, die Zwingherren und
Brandschatzer einer Menge kleinerer griechischer Staedte. Im Bunde
mit den Roemern, die eben um diese Zeit gegen die Bundes-, Stamm- und
Frevelgenossen der Mamertiner, die Kampaner in Rhegion, ihre Legionen
schickten, wandte Hieron sich gegen Messana. Durch einen grossen Sieg,
nach welchem Hieron zum Koenig der Sikelioten ausgerufen ward (484 270),
gelang es, die Mamertiner in ihre Staedte einzuschliessen, und nachdem
die Belagerung einige Jahre gewaehrt hatte, sahen die Mamertiner sich
aufs aeusserste gebracht und ausserstande, die Stadt gegen Hieron
laenger mit eigenen Kraeften zu behaupten. Dass eine Uebergabe auf
Bedingungen nicht moeglich war und das Henkerbeil, das die rheginischen
Kampaner in Rom getroffen hatte, ebenso sicher in Syrakus der
messanischen wartete, leuchtete ein; die einzige Rettung war die
Auslieferung der Stadt entweder an die Karthager oder an die Roemer,
denen beiden hinreichend gelegen sein musste an der Eroberung des
wichtigen Platzes, um ueber alle anderen Bedenken hinwegzusehen. Ob es
vorteilhafter sei, den Herren Afrikas oder den Herren Italiens sich zu
ergeben, war zweifelhaft; nach langem Schwanken entschied sich
endlich die Majoritaet der kampanischen Buergerschaft, den Besitz
der meerbeherrschenden Festung den Roemern anzutragen. Es war ein
weltgeschichtlicher Moment von der tiefsten Bedeutung, als die Boten
der Mamertiner im roemischen Senat erschienen. Zwar was alles an dem
ueberschreiten des schmalen Meerarms hing, konnte damals niemand ahnen;
aber dass an diese Entscheidung, wie sie immer ausfiel, ganz andere und
wichtigere Folgen sich knuepfen wuerden als an irgendeinen der bisher
vom Senat gefassten Beschluesse, musste jedem der ratschlagenden Vaeter
der Stadt offenbar sein. Streng rechtliche Maenner freilich mochten
fragen, wie es moeglich sei, ueberhaupt zu ratschlagen; wie man daran
denken koenne, nicht bloss das Buendnis mit Hieron zu brechen, sondern,
nachdem eben erst die rheginischen Kampaner mit gerechter Haerte von
den Roemern bestraft worden waren, jetzt ihre nicht weniger schuldigen
sizilischen Spiessgesellen zum Buendnis und zur Freundschaft von Staats
wegen zuzulassen und sie der verdienten Strafe zu entziehen. Man gab
damit ein Aergernis, das nicht bloss den Gegnern Stoff zu Deklamationen
liefern, sondern auch sittliche Gemueter ernstlich empoeren musste.
Allein wohl mochte auch der Staatsmann, dem die politische Moral
keineswegs bloss eine Phrase war, zurueckfragen, wie man roemische
Buerger, die den Fahneneid gebrochen und roemische Bundesgenossen
hinterlistig gemordet hatten, gleichstellen koenne mit Fremden, die
gegen Fremde gefrevelt haetten, wo jenen zu Richtern, diesen zu Raechern
die Roemer niemand bestellt habe. Haette es sich nur darum gehandelt,
ob die Syrakusaner oder die Mamertiner in Messana geboten, so konnte
Rom allerdings sich diese wie jene gefallen lassen. Rom strebte nach
dem Besitz Italiens, wie Karthago nach dem Siziliens; schwerlich
gingen beider Maechte Plaene damals weiter. Allein eben darin lag es
begruendet, dass jede an ihrer Grenze eine Mittelmacht zu haben und
zu halten wuenschte - so die Karthager Tarent, die Roemer Syrakus
und Messana - und dass sie, als dies unmoeglich geworden war, die
Grenzplaetze lieber sich goennten als der anderen Grossmacht. Wie
Karthago in Italien versucht hatte, als Rhegion und Tarent von den
Roemern in Besitz genommen werden sollten, diese Staedte fuer sich zu
gewinnen und nur durch Zufall daran gehindert worden war, so bot jetzt
in Sizilien sich fuer Rom die Gelegenheit dar, die Stadt Messana in
seine Symmachie zu ziehen; schlug man sie aus, so durfte man nicht
erwarten, dass die Stadt selbstaendig blieb oder syrakusanisch
ward, sondern man warf sie selbst den Phoenikern in die Arme. War es
gerechtfertigt, die Gelegenheit entschluepfen zu lassen, die sicher so
nicht wiederkehrte, sich des natuerlichen Brueckenkopfs zwischen Italien
und Sizilien zu bemaechtigen und ihn durch eine tapfere und aus guten
Gruenden zuverlaessige Besatzung zu sichern? gerechtfertigt, mit dem
Verzicht auf Messana die Herrschaft ueber den letzten freien Pass
zwischen der Ost- und Westsee und die Handelsfreiheit Italiens
aufzuopfern? Zwar liessen sich gegen die Besetzung Messanas auch
Bedenken anderer Art geltend machen, als die der Gefuehls- und
Rechtlichkeitspolitik waren. Dass sie zu einem Kriege mit Karthago
fuehren musste, war das geringste derselben; so ernst ein solcher war,
Rom hatte ihn nicht zu fuerchten. Aber wichtiger war es, dass man mit
dem Ueberschreiten der See abwich von der bisherigen rein italischen und
rein kontinentalen Politik; man gab das System auf, durch welches die
Vaeter Roms Groesse gegruendet hatten, um ein anderes zu erwaehlen,
dessen Ergebnisse vorherzusagen niemand vermochte. Es war einer der
Augenblicke, wo die Berechnung aufhoert und wo der Glaube an den eigenen
Stern und an den Stern des Vaterlandes allein den Mut gibt, die Hand
zu fassen, die aus dem Dunkel der Zukunft winkt, und ihr zu folgen, es
weiss keiner wohin. Lange und ernst beriet der Senat ueber den Antrag
der Konsuln, die Legionen den Mamertinern zu Hilfe zu fuehren; er kam
zu keinem entscheidenden Beschluss. Aber in der Buergerschaft, an welche
die Sache verwiesen ward, lebte das frische Gefuehl der durch eigene
Kraft gegruendeten Grossmacht. Die Eroberung Italiens gab den Roemern,
wie die Griechenlands den Makedoniern, wie die Schlesiens den Preussen,
den Mut, eine neue politische Bahn zu betreten; formell motiviert war
die Unterstuetzung der Mamertiner durch die Schutzherrschaft, die Rom
ueber saemtliche Italiker ansprach. Die ueberseeischen Italiker wurden
in die italische Eidgenossenschaft aufgenommen ^1 und auf Antrag der
Konsuln von der Buergerschaft beschlossen, ihnen Hilfe zu senden (489
265). --------------------------------------------- ^1 Die Mamertiner
traten voellig in dieselbe Stellung zu Rom wie die italischen Gemeinden,
verpflichteten sich, Schiffe zu stellen (Cic. Verr. 5, 19, 50) und
besassen, wie die Muenzen beweisen, das Recht der Silberpraegung nicht.
--------------------------------------------- Es kam darauf an, wie die
beiden durch diese Intervention der Roemer in die Angelegenheiten der
Insel zunaechst betroffenen und beide bisher dem Namen nach mit Rom
verbuendeten sizilischen Maechte dieselbe aufnehmen wuerden. Hieron
hatte Grund genug, die an ihn ergangene Aufforderung der Roemer, gegen
ihre neuen Bundesgenossen in Messana die Feindseligkeiten einzustellen,
ebenso zu behandeln, wie die Samniten und die Lucaner in gleichem Fall
die Besetzung von Capua und Thurii aufgenommen hatten und den Roemern
mit einer Kriegserklaerung zu antworten; blieb er indes allein, so
war ein solcher Krieg eine Torheit und von seiner vorsichtigen und
gemaessigten Politik konnte man erwarten, dass er in das Unvermeidliche
sich fuegen werde, wenn Karthago sich ruhig verhielt. Unmoeglich schien
dies nicht. Eine roemische Gesandtschaft ging jetzt (489 265), sieben
Jahre nach dem Versuch der phoenikischen Flotte, sich Tarents zu
bemaechtigen, nach Karthago, um Aufklaerung wegen dieser Vorgaenge zu
verlangen; die nicht unbegruendeten, aber halb vergessenen Beschwerden
tauchten auf einmal wieder auf - es schien nicht ueberfluessig, unter
anderen Kriegsvorbereitungen auch die diplomatische Ruestkammer mit
Kriegsgruenden zu fuellen und fuer die kuenftigen Manifeste sich,
wie die Roemer es pflegten, die Rolle des angegriffenen Teils zu
reservieren. Wenigstens das konnte man mit vollem Rechte sagen, dass die
beiderseitigen Unternehmungen auf Tarent und auf Messana der Absicht
und dem Rechtsgrund nach vollkommen gleichstanden und nur der zufaellige
Erfolg den Unterschied machte. Karthago vermied den offenen Bruch. Die
Gesandten brachten nach Rom die Desavouierung des karthagischen
Admirals zurueck, der den Versuch auf Tarent gemacht hatte, nebst
den erforderlichen falschen Eiden; auch die karthagischen
Gegenbeschuldigungen, die natuerlich nicht fehlten, waren gemaessigt
gehalten und unterliessen es, die beabsichtigte Invasion Siziliens
als Kriegsgrund zu bezeichnen. Sie war es indes; denn wie Rom die
italischen, so betrachtete Karthago die sizilischen Angelegenheiten als
innere, in die eine unabhaengige Macht keinen Eingriff gestatten kann,
und war entschlossen, hiernach zu handeln. Nur ging die phoenikische
Politik einen leiseren Gang, als der der offenen Kriegsdrohung war.
Als die Vorbereitungen zu der roemischen Hilfesendung an die Mamertiner
endlich so weit gediehen waren, dass die Flotte, gebildet aus den
Kriegsschiffen von Neapel, Tarent, Velia und Lokri, und die Vorhut des
roemischen Landheeres unter dem Kriegstribun Gaius Claudius in Rhegion
erschienen (Fruehling 490 264), kam ihnen von Messana die unerwartete
Botschaft, dass die Karthager im Einverstaendnis mit der antiroemischen
Partei in Messana, als neutrale Macht einen Frieden zwischen Hieron und
den Mamertinern vermittelt haetten; dass die Belagerung also aufgehoben
sei und dass im Hafen von Messana eine karthagische Flotte, in der Burg
karthagische Besatzung liege, beide unter dem Befehl des Admirals
Hanno. Die jetzt vom karthagischen Einfluss beherrschte mamertinische
Buergerschaft liess, unter verbindlichem Dank fuer die schleunig
gewaehrte Bundeshilfe, den roemischen Befehlshabern anzeigen, dass
man sich freue, derselben nicht mehr zu beduerfen. Der gewandte
und verwegene Offizier, der die roemische Vorhut befehligte, ging
nichtsdestoweniger mit seinen Truppen unter Segel. Die Karthager wiesen
die roemischen Schiffe zurueck und brachten sogar einige derselben auf;
doch sandte der karthagische Admiral, eingedenk der strengen Befehle,
keine Veranlassung zum Ausbruch der Feindseligkeiten zugeben, den guten
Freunden jenseits der Meerenge dieselben zurueck. Es schien fast, als
haetten die Roemer vor Messana sich ebenso nutzlos kompromittiert wie
die Karthager vor Tarent. Aber Claudius liess sich nicht abschrecken,
und bei einem zweiten Versuch gelang die Landung. Kaum angelangt, berief
er die Buergerschaft zur Versammlung, und auf seinen Wunsch erschien in
derselben gleichfalls der karthagische Admiral, noch immer waehnend,
den offenen Bruch vermeiden zu koennen. Allein in der Versammlung
selbst bemaechtigten die Roemer sich seiner Person, und Hanno sowie
die schwache und fuehrerlose phoenikische Besatzung auf der Burg waren
kleinmuetig genug, jener, seinen Truppen den Befehl zum Abzug zu geben,
diese, dem Befehl des gefangenen Feldherrn nachzukommen und mit ihm die
Stadt zu raeumen. So war der Brueckenkopf der Insel in den Haenden
der Roemer. Die karthagischen Behoerden, mit Recht erzuernt ueber
die Torheit und Schwaeche ihres Feldherrn, liessen ihn hinrichten und
erklaerten den Roemern den Krieg. Vor allem galt es, den verlorenen
Platz wiederzugewinnen. Eine starke karthagische Flotte, gefuehrt von
Hanno, Hannibals Sohn, erschien auf der Hoehe von Messana. Waehrend
sie selber die Meerenge sperrte, begann die von ihr ans Land gesetzte
karthagische Armee die Belagerung von der Nordseite; Hieron, der nur auf
das Losschlagen der Karthager gewartet hatte, um den Krieg gegen Rom zu
beginnen, fuehrte sein kaum zurueckgezogenes Heer wieder gegen
Messana und uebernahm den Angriff auf die Suedseite der Stadt. Allein
mittlerweile war auch der roemische Konsul Appius Claudius Caudex mit
dem Hauptheer in Rhegion erschienen, und in einer dunklen Nacht gelang
die Ueberfahrt trotz der karthagischen Flotte. Kuehnheit und Glueck
waren mit den Roemern; die Verbuendeten, nicht gefasst auf einen Angriff
des gesamten roemischen Heeres und daher nicht vereinigt, wurden von den
aus der Stadt ausrueckenden roemischen Legionen einzeln geschlagen
und damit die Belagerung aufgehoben. Den Sommer ueber behauptete das
roemische Heer das Feld und machte sogar einen Versuch auf Syrakus;
allein nachdem dieser gescheitert war und auch die Belagerung von
Echetla (an der Grenze der Gebiete von Syrakus und Karthago) mit Verlust
hatte aufgegeben werden muessen, kehrte das roemische Heer zurueck nach
Messana und von da unter Zuruecklassung einer starken Besatzung nach
Italien. Die Erfolge dieses ersten ausseritalischen Feldzugs der Roemer
moegen daheim der Erwartung nicht ganz entsprochen haben, da der Konsul
nicht triumphierte; indes konnte das kraeftige Auftreten der Roemer in
Sizilien nicht verfehlen, auf die Griechen daselbst grossen Eindruck
zu machen. Im folgenden Jahre betraten beide Konsuln und ein doppelt so
starkes Heer ungehindert die Insel. Der eine derselben, Marcus Valerius
Maximus, seitdem von diesem Feldzug "der von Messana" (Messalla)
genannt, erfocht einen glaenzenden Sieg ueber die verbuendeten Karthager
und Syrakusaner; und als nach dieser Schlacht das phoenikische Heer
nicht mehr gegen die Roemer das Feld zu halten wagte, da fielen nicht
bloss Alaesa, Kentoripa und ueberhaupt die kleineren griechischen
Staedte den Roemern zu, sondern Hieron selbst verliess die karthagische
Partei und machte Frieden und Buendnis mit den Roemern (491 263). Er
folgte einer richtigen Politik, indem er, sowie sich gezeigt hatte, dass
es den Roemern mit dem Einschreiten in Sizilien Ernst war, sich sofort
ihnen anschloss, als es noch Zeit war, den Frieden ohne Abtretungen und
Opfer zu erkaufen. Die sizilischen Mittelstaaten, Syrakus und Messana,
die eine eigene Politik nicht durchfuehren konnten und nur zwischen
roemischer und karthagischer Hegemonie zu waehlen hatten, mussten
jedenfalls die erstere vorziehen, da die Roemer damals sehr
wahrscheinlich noch nicht die Insel fuer sich zu erobern beabsichtigten,
sondern nur sie nicht von Karthago erobern zu lassen, und auf alle
Faelle anstatt des karthagischen Tyrannisier- und Monopolisiersystems
von Rom eine leidlichere Behandlung und Schutz der Handelsfreiheit zu
erwarten war. Hieron blieb seitdem der wichtigste, standhafteste und
geachtetste Bundesgenosse der Roemer auf der Insel. Fuer die Roemer war
hiermit das naechste Ziel erreicht. Durch das Doppelbuendnis mit Messana
und Syrakus und den festen Besitz der ganzen Ostkueste war die Landung
auf der Insel und die bis dahin sehr schwierige Unterhaltung der Heere
gesichert und verlor der bisher bedenkliche und unberechenbare Krieg
einen grossen Teil seines waglichen Charakters. Man machte denn auch
fuer denselben nicht groessere Anstrengungen als fuer die Kriege in
Samnium und Etrurien; die zwei Legionen, die man fuer das naechste
Jahr (492 262) nach der Insel hinuebersandte, reichten aus, um im
Einverstaendnis mit den sizilischen Griechen die Karthager ueberall
in die Festungen zurueckzutreiben. Der Oberbefehlshaber der Karthager,
Hannibal, Gisgons Sohn, warf mit dem Kern seiner Truppen sich in
Akragas, um diese wichtigste karthagische Landstadt aufs aeusserste
zu verteidigen. Unfaehig, die feste Stadt zu stuermen, blockierten
die Roemer sie mit verschanzten Linien und einem doppelten Lager; die
Eingeschlossenen, die bis 50000 Koepfe zaehlten, litten bald Mangel
am Notwendigen. Zum Entsatz landete der karthagische Admiral Hanno bei
Herakleia und schnitt seinerseits der roemischen Belagerungsarmee die
Zufuhr ab. Auf beiden Seiten war die Not gross; man entschloss
sich endlich zu einer Schlacht, um aus den Bedraengnissen und der
Ungewissheit herauszukommen. In dieser zeigte sich die numidische
Reiterei ebensosehr der roemischen ueberlegen wie der phoenikischen
Infanterie das roemische Fussvolk; das letztere entschied den Sieg,
allein die Verluste auch der Roemer waren sehr betraechtlich. Der Erfolg
der gewonnenen Schlacht ward zum Teil dadurch verscherzt, dass es nach
der Schlacht waehrend der Verwirrung und der Ermuedung der Sieger der
belagerten Armee gelang, aus der Stadt zu entkommen und die Flotte zu
erreichen; dennoch war der Sieg von Bedeutung. Akragas fiel dadurch in
die Haende der Roemer und damit war die ganze Insel in ihrer Gewalt mit
Ausnahme der Seefestungen, in denen der karthagische Feldherr Hamilkar,
Hannos Nachfolger im Oberbefehl, sich bis an die Zaehne verschanzte und
weder durch Gewalt noch durch Hunger zu vertreiben war. Der Krieg
spann von da an sich nur fort durch die Ausfaelle der Karthager aus
den sizilischen Festungen und durch ihre Landungen an den italischen
Kuesten. In der Tat empfanden die Roemer erst jetzt die wirklichen
Schwierigkeiten des Krieges. Wenn die karthagischen Diplomaten, wie
erzaehlt wird, vor dem Ausbruch der Feindseligkeiten die Roemer warnten,
es nicht bis zum Bruche zu treiben, denn wider ihren Willen koenne kein
Roemer auch nur die Haende sich im Meer waschen, so war diese Drohung
wohl begruendet. Die karthagische Flotte beherrschte ohne Nebenbuhler
die See und hielt nicht bloss die sizilischen Kuestenstaedte im Gehorsam
und mit allem Notwendigen versehen, sondern bedrohte auch Italien mit
einer Landung, weswegen schon 492 (262) dort eine konsularische Armee
hatte zurueckbleiben muessen. Zwar zu einer groesseren Invasion kam es
nicht; allein wohl landeten kleinere karthagische Abteilungen an den
italischen Kuesten und brandschatzten die Bundesgenossen und,
was schlimmer als alles Uebrige war, der Handel Roms und seiner
Bundesgenossen war voellig gelaehmt; es brauchte nicht lange so
fortzugehen, um Caere, Ostia, Neapel, Tarent, Syrakus
vollstaendig zugrunde zu richten, waehrend die Karthager ueber die
Kontributionssummen und den reichen Kaperfang die ausbleibenden
sizilischen Tribute leicht verschmerzten. Die Roemer erfuhren jetzt, was
Dionysios, Agathokles und Pyrrhos erfahren hatten, dass es ebenso leicht
war, die Karthager aus dem Felde zu schlagen, als schwierig, sie zu
ueberwinden. Man sah es ein, dass alles darauf ankam, eine Flotte
zu schaffen und beschloss eine solche von zwanzig Drei- und hundert
Fuenfdeckern herzustellen. Die Ausfuehrung indes dieses energischen
Beschlusses war nicht leicht. Zwar die aus den Rhetorschulen stammende
Darstellung, die glauben machen moechte, als haetten damals zuerst
die Roemer die Ruder ins Wasser getaucht, ist eine kindische Phrase;
Italiens Handelsmarine musste um diese Zeit sehr ausgedehnt sein, und
auch an italischen Kriegsschiffen fehlte es keineswegs. Aber es waren
dies Kriegsbarken und Dreidecker, wie sie in frueherer Zeit ueblich
gewesen waren; Fuenfdecker, die nach dem neueren, besonders von Karthago
ausgehenden System des Seekrieges fast ausschliesslich in der Linie
verwendet wurden, hatte man in Italien noch nicht gebaut. Die Massregel
der Roemer war also ungefaehr derart, wie wenn jetzt ein Seestaat von
Fregatten und Kuttern uebergehen wollte zum Bau von Linienschiffen; und
eben wie man heute in solchem Fall womoeglich ein fremdes Linienschiff
zum Muster nehmen wuerde, ueberwiesen auch die Roemer ihren
Schiffsbaumeistern eine gestrandete karthagische Pentere als Modell.
Ohne Zweifel haetten die Roemer, wenn sie gewollt haetten, mit Hilfe der
Syrakusaner und Massalioten schneller zum Ziele gelangen koennen;
allein ihre Staatsmaenner waren zu einsichtig, um Italien durch
eine nichtitalische Flotte verteidigen zu wollen. Dagegen wurden
die italischen Bundesgenossen stark angezogen sowohl fuer die
Schiffsoffiziere, die man groesstenteils aus der italischen
Handelsmarine genommen haben wird, als fuer die Matrosen, deren Name
(socii navales) beweist, dass sie eine Zeitlang ausschliesslich von den
Bundesgenossen gestellt wurden; daneben wurden spaeter Sklaven, die der
Staat und die reicheren Familien lieferten, und bald auch die aermere
Klasse der Buerger verwandt. Unter solchen Verhaeltnissen, und wenn man
teils den damaligen, verhaeltnismaessig niedrigen Stand des Schiffsbaus,
teils die roemische Energie wie billig in Anschlag bringt, wird es
begreiflich, dass die Roemer die Aufgabe, an der Napoleon gescheitert
ist, eine Kontinental- in eine Seemacht umzuwandeln, innerhalb eines
Jahres loesten und ihre Flotte von hundertundzwanzig Segeln in der
Tat im Fruehjahr 494 (260) vom Stapel lief. Freilich kam dieselbe der
karthagischen an Zahl und Segeltuechtigkeit keineswegs gleich; und
es fiel dies um so mehr ins Gewicht, als die Seetaktik dieser
Zeit vorwiegend im Manoevrieren bestand. Dass Schwergeruestete und
Bogenschuetzen vom Verdeck herab fochten, oder dass Wurfmaschinen von
demselben aus arbeiteten, gehoerte zwar auch zum Seegefecht dieser Zeit;
allein der gewoehnliche und eigentlich entscheidende Kampf bestand im
Niedersegeln der feindlichen Schiffe, zu welchem Zwecke die Vorderteile
mit schweren Eisenschnaebeln versehen waren; die kaempfenden Schiffe
pflegten einander zu umkreisen, bis dem einen oder dem andern der Stoss
gelang, der gewoehnlich entschied. Deshalb befanden sich unter der
Bemannung eines gewoehnlichen griechischen Dreideckers von etwa 200 Mann
nur etwa zehn Soldaten, dagegen 170 Ruderer, 50 bis 60 fuer jedes
Deck; die des Fuenfdeckers zaehlte etwa 300 Ruderer, und Soldaten
nach Verhaeltnis. Man kam auf den gluecklichen Gedanken, das, was
den roemischen Schiffen bei ihren ungeuebten Schiffsoffizieren und
Rudermannschaften an Manoevrierfaehigkeit notwendig abgehen musste,
dadurch zu ersetzen, dass man den Soldaten im Seegefecht wiederum eine
bedeutendere Rolle zuteilte. Man brachte auf dem Vorderteil des Schiffes
eine fliegende Bruecke an, welche nach vorn wie nach beiden Seiten hin
niedergelassen werden konnte; sie war zu beiden Seiten mit Brustwehren
versehen und hatte Raum fuer zwei Mann in der Front. Wenn das feindliche
Schiff zum Stoss auf das roemische heransegelte oder, nachdem der Stoss
vermieden war, demselben zur Seite lag, schlug diese Bruecke auf dessen
Verdeck nieder und mittels eines eisernen Stachels in dasselbe ein;
wodurch nicht bloss das Niedersegeln verhindert, sondern es auch den
roemischen Schiffssoldaten moeglich ward, ueber die Bruecke auf das
feindliche Verdeck hinueberzugehen und dasselbe wie im Landgefecht zu
erstuermen. Eine eigene Schiffsmiliz ward nicht gebildet, sondern nach
Beduerfnis die Landtruppen zu diesem Schiffsdienst verwandt; es kommt
vor, dass in einer grossen Seeschlacht, wo freilich die roemische Flotte
zugleich die Landungsarmee an Bord hat, bis 120 Legionarier auf den
einzelnen Schiffen fechten. So schufen sich die Roemer eine Flotte,
die der karthagischen gewachsen war. Diejenigen irren, die aus dem
roemischen Flottenbau ein Feenmaerchen machen, und verfehlen ueberdies
ihren Zweck; man muss begreifen um zu bewundern. Der Flottenbau der
Roemer war eben gar nichts als ein grossartiges Nationalwerk, wo durch
Einsicht in das Noetige und Moegliche, durch geniale Erfindsamkeit,
durch Energie in Entschluss und Ausfuehrung das Vaterland aus einer
Lage gerissen ward, die uebler war, als sie zunaechst schien. Der Anfang
indes war den Roemern nicht guenstig. Der roemische Admiral, der Konsul
Gnaeus Cornelius Scipio, der mit den ersten siebzehn segelfertigen
Fahrzeugen nach Messana in See gegangen war (494 260), meinte auf der
Fahrt Lipara durch einen Handstreich wegnehmen zu koennen. Allein eine
Abteilung der bei Panormos stationierten karthagischen Flotte sperrte
den Hafen der Insel, in dem die roemischen Schiffe vor Anker gegangen
waren, und nahm die ganze Eskadre mit dem Konsul ohne Kampf gefangen.
Indes dies schreckte die Hauptflotte nicht ab, sowie die Vorbereitungen
beendigt waren, gleichfalls nach Messana unter Segel zu gehen. Auf
der Fahrt laengs der italischen Kueste traf sie auf ein schwaecheres
karthagisches Rekognoszierungsgeschwader, dem sie das Glueck hatte,
einen den ersten roemischen mehr als aufwiegenden Verlust zuzufuegen,
und traf also gluecklich und siegreich im Hafen von Messana ein, wo der
zweite Konsul Gaius Duilius das Kommando an der Stelle seines gefangenen
Kollegen uebernahm. An der Landspitze von Mylae, nordwestlich von
Messana, traf die karthagische Flotte, die unter Hannibal von Panormos
herankam, auf die roemische, welche hier ihre erste groessere Probe
bestand. Die Karthager, in den schlecht segelnden und unbehilflichen
roemischen Schiffen eine leichte Beute erblickend, stuerzten sich in
aufgeloester Linie auf dieselben; aber die neu erfundenen Enterbruecken
bewaehrten sich vollkommen. Die roemischen Schiffe fesselten und
stuermten die feindlichen, wie sie einzeln heransegelten; es war
ihnen weder von vorn, noch von den Seiten beizukommen, ohne dass die
gefaehrliche Bruecke sich niedersenkte auf das feindliche Verdeck. Als
die Schlacht zu Ende war, waren gegen fuenfzig karthagische Schiffe,
fast die Haelfte der Flotte, von den Roemern versenkt oder genommen,
unter den letzteren das Admiralsschiff Hannibals, einst das des Koenigs
Pyrrhos. Der Gewinn war gross; noch groesser der moralische Eindruck.
Rom war ploetzlich eine Seemacht geworden und hatte das Mittel in der
Hand, den Krieg, der endlos sich hinauszuspinnen und dem italischen
Handel den Ruin zu drohen schien, energisch zu Ende zu fuehren. Es
gab dazu einen doppelten Weg. Man konnte entweder Karthago auf den
italischen Inseln angreifen und ihm die Kuestenfestungen Siziliens und
Sardiniens eine nach der andern entreissen, was vielleicht durch gut
kombinierte Operationen zu Lande und zur See ausfuehrbar war; war dies
durchgesetzt, so konnte entweder mit Karthago auf Grund der Abtretung
dieser Inseln Friede geschlossen, oder, wenn dies misslang oder nicht
genuegte, der zweite Akt des Krieges nach Afrika verlegt werden. Oder
man konnte die Inseln vernachlaessigen und sich gleich mit aller Macht
auf Afrika werfen, nicht in Agathokles' abenteuernder Art die
Schiffe hinter sich verbrennend und alles setzend auf den Sieg eines
verzweifelten Haufens, sondern durch eine starke Flotte die Verbindungen
der afrikanischen Invasionsarmee mit Italien deckend; in diesem Falle
liess sich entweder von der Bestuerzung der Feinde nach den ersten
Erfolgen ein maessiger Friede erwarten oder, wenn man wollte, mit
aeusserster Gewalt den Feind zu vollstaendiger Ergebung noetigen. Man
waehlte zunaechst den ersten Operationsplan. Im Jahre nach der Schlacht
von Mylae (495 259) erstuermte der Konsul Lucius Scipio den Hafen Aleria
auf Korsika - wir besitzen noch den Grabstein des Feldherrn, der dieser
Tat gedenkt - und machte aus Korsika eine Seestation gegen Sardinien.
Ein Versuch, sich auf der Nordkueste dieser Insel in Ulbia festzusetzen,
misslang, da es der Flotte an Landungstruppen fehlte. Im folgenden Jahre
(496 258) ward er zwar mit besserem Erfolg wiederholt und die offenen
Flecken an der Kueste gepluendert; aber zu einer bleibenden Festsetzung
der Roemer kam es nicht. Ebensowenig kam man in Sizilien vorwaerts.
Hamilkar fuehrte energisch und geschickt den Krieg nicht bloss
mit Waffen zu Lande und zur See, sondern auch mit der politischen
Propaganda; von den zahllosen kleinen Landstaedten fielen jaehrlich
einige von den Roemern ab und mussten den Phoenikern muehsam wieder
entrissen werden, und in den Kuestenfestungen behaupteten die Karthager
sich unangefochten, namentlich in ihrem Hauptquartier Panormos und in
ihrem neuen Waffenplatz Drepana, wohin der leichteren Seeverteidigung
wegen Hamilkar die Bewohner des Eryx uebergesiedelt hatte. Ein zweites
grosses Seetreffen am Tyndarischen Vorgebirg (497 257), in dem beide
Teile sich den Sieg zuschrieben, aenderte nichts an der Lage der Dinge.
In dieser Weise kam man nicht vom Fleck, mochte die Schuld nun an dem
geteilten und schnell wechselnden Oberbefehl der roemischen Truppen
liegen, der die konzentrierte Gesamtleitung einer Reihe kleinerer
Operationen ungemein erschwerte, oder auch an den allgemeinen
strategischen Verhaeltnissen, welche allerdings in einem solchen Fall
nach dem damaligen Stande der Kriegswissenschaft sich fuer den Angreifer
ueberhaupt (I, 426) und ganz besonders fuer die noch im Anfang der
wissenschaftlichen Kriegskunst stehenden Roemer unguenstig stellten.
Mittlerweile litt, wenn auch die Brandschatzung der italischen Kuesten
aufgehoert hatte, doch der italische Handel nicht viel weniger als
vor dem Flottenbau. Muede des erfolglosen Ganges der Operationen und
ungeduldig, dem Kriege ein Ziel zu setzen, beschloss der Senat, das
System zu aendern und Karthago in Afrika anzugreifen. Im Fruehjahr
498 (256) ging eine Flotte von 330 Linienschiffen unter Segel nach der
libyschen Kueste; an der Muendung des Himeraflusses am suedlichen Ufer
Siziliens nahm sie das Landungsheer an Bord: es waren vier Legionen
unter der Fuehrung der beiden Konsuln Marcus Atilius Regulus und Lucius
Manlius Volso, beides erprobte Generale. Der karthagische Admiral liess
es geschehen, dass die feindlichen Truppen sich einschifften; aber auf
der weiteren Fahrt nach Afrika fanden die Roemer die feindliche Flotte
auf der Hoehe von Eknomos in Schlachtordnung aufgestellt, um die Heimat
vor der Invasion zu decken. Nicht leicht haben groessere Massen zur See
gefochten als in dieser Schlacht gegeneinander standen. Die roemische
Flotte von 330 Segeln zaehlte mindestens 100000 Mann an Schiffsbemannung
ausser der etwa 40000 Mann starken Landungsarmee; die karthagische von
350 Schiffen trug an Bemannung mindestens die gleiche Zahl, so dass
gegen dreimalhunderttausend Menschen an diesem Tage aufgeboten waren,
um zwischen den beiden maechtigen Buergerschaften zu entscheiden. Die
Phoeniker standen in einfacher weitausgedehnter Linie, mit dem linken
Fluegel gelehnt an die sizilische Kueste. Die Roemer ordneten sich
ins Dreieck, die Admiralschiffe der beiden Konsuln an der Spitze,
in schraeger Linie rechts und links neben ihnen das erste und zweite
Geschwader, endlich das dritte mit den zum Transport der Reiterei
gebauten Fahrzeugen im Schlepptau in der Linie, die das Dreieck schloss.
Also segelten sie dichtgeschlossen auf den Feind. Langsamer folgte
ein viertes in Reserve gestelltes Geschwader. Der keilfoermige
Angriff durchbrach ohne Muehe die karthagische Linie, da das zunaechst
angegriffene Zentrum derselben absichtlich zurueckwich, und die Schlacht
loeste sich auf in drei gesonderte Treffen. Waehrend die Admirale mit
den beiden auf den Fluegeln aufgestellten Geschwadern dem karthagischen
Zentrum nachsetzten und mit ihm handgemein wurden, schwenkte der
linke, an der Kueste aufgestellte Fluegel der Karthager auf das dritte
roemische Geschwader ein, welches durch die Schleppschiffe gehindert
ward, den beiden vorderen zu folgen, und draengte dasselbe in heftigem
und ueberlegenem Angriff gegen das Ufer; gleichzeitig wurde die
roemische Reserve von dem rechten karthagischen Fluegel auf der hohen
See umgangen und von hinten angefallen. Das erste dieser drei Treffen
war bald zu Ende: die Schiffe des karthagischen Mitteltreffens,
offenbar viel schwaecher als die beiden gegen sie fechtenden roemischen
Geschwader, wandten sich zur Flucht. Mittlerweile hatten die beiden
anderen Abteilungen der Roemer einen harten Stand gegen den ueberlegenen
Feind; allein im Nahgefecht kamen die gefuerchteten Enterbruecken ihnen
zustatten, und mit deren Hilfe gelang es, sich so lange zu halten, bis
die beiden Admirale mit ihren Schiffen herankommen konnten. Dadurch
erhielt die roemische Reserve Luft, und die karthagischen Schiffe des
rechten Fluegels suchten vor der Uebermacht das Weite. Nun, nachdem
auch dieser Kampf zum Vorteil der Roemer entschieden, fielen alle
noch seefaehigen roemischen Schiffe dem hartnaeckig seinen Vorteil
verfolgenden karthagischen linken Fluegel in den Ruecken, so dass dieser
umzingelt und fast alle Schiffe desselben genommen wurden. Der uebrige
Verlust war ungefaehr gleich. Von der roemischen Flotte waren 24
Segel versenkt, von der karthagischen 30 versenkt, 64 genommen. Die
karthagische Flotte gab trotz des betraechtlichen Verlustes es nicht
auf, Afrika zu decken und ging zu diesem Ende zurueck an den Golf von
Karthago, wo sie die Landung erwartete und eine zweite Schlacht zu
liefern gedachte. Allein die Roemer landeten statt an der westlichen
Seite der Halbinsel, die den Golf bilden hilft, vielmehr an der
oestlichen, wo die Bai von Clupea ihnen einen fast bei allen Winden
Schutz bietenden geraeumigen Hafen und die Stadt, hart am Meere auf
einem schildfoermig aus der Ebene aufsteigenden Huegel gelegen, eine
vortreffliche Hafenfestung darbot. Ungehindert vom Feinde schifften sie
die Truppen aus und setzten sich auf dem Huegel fest; in kurzer Zeit war
ein verschanztes Schiffslager errichtet, und das Landheer konnte
seine Operationen beginnen. Die roemischen Truppen durchstreiften und
brandschatzten das Land; bis 20000 Sklaven konnten nach Rom gefuehrt
werden. Durch die ungeheuersten Gluecksfaelle war der kuehne Plan auf
den ersten Wurf und mit geringen Opfern gelungen; man schien am Ziele zu
stehen. Wie sicher die Roemer sich fuehlten, beweist der Beschluss des
Senats, den groessten Teil der Flotte und die Haelfte der Armee nach
Italien zurueckzuschicken; Marcus Regulus blieb allein in Afrika mit
40 Schiffen, 15000 Mann zu Fuss und 500 Reitern. Es schien indes die
Zuversicht nicht uebertrieben. Die karthagische Armee, die entmutigt
sich in die Ebene nicht wagte, erlitt erst recht eine Schlappe in den
waldigen Defileen, in denen sie ihre beiden besten Waffen, die Reiterei
und die Elefanten nicht verwenden konnte. Die Staedte ergaben sich in
Masse, die Numidier standen auf und ueberschwemmten weithin das offene
Land. Regulus konnte hoffen, den naechsten Feldzug zu beginnen mit der
Belagerung der Hauptstadt, zu welchem Ende er dicht bei derselben, in
Tunes sein Winterlager aufschlug. Der Karthager Mut war gebrochen; sie
baten um Frieden. Allein die Bedingungen, die der Konsul stellte: nicht
bloss Abtretung von Sizilien und Sardinien, sondern Eingehung eines
ungleichen Buendnisses mit Rom, welches die Karthager verpflichtet
haette, auf eine eigene Kriegsmarine zu verzichten und zu den roemischen
Kriegen Schiffe zu stellen - diese Bedingungen, welche Karthago mit
Neapel und Tarent gleichgestellt haben wuerden, konnten nicht angenommen
werden, solange noch ein karthagisches Heer im Felde, eine karthagische
Flotte auf der See, und die Hauptstadt unerschuettert stand. Die
gewaltige Begeisterung, wie sie in den orientalischen Voelkern, auch
den tief gesunkenen, bei dem Herannahen aeusserster Gefahren grossartig
aufzuflammen pflegt, diese Energie der hoechsten Not trieb die Karthager
zu Anstrengungen, wie man sie den Budenleuten nicht zugetraut haben
mochte. Hamilkar, der in Sizilien den kleinen Krieg gegen die Roemer
so erfolgreich gefuehrt hatte, erschien in Libyen mit der Elite der
sizilischen Truppen, die fuer die neuausgehobene Mannschaft einen
trefflichen Kern abgab; die Verbindungen und das Gold der Karthager
fuehrten ihnen ferner die trefflichen numidischen Reiter scharenweise
zu und ebenso zahlreiche griechische Soeldner, darunter den gefeierten
Hauptmann Xanthippos von Sparta, dessen Organisierungstalent und
strategische Einsicht seinen neuen Dienstherren von grossem Nutzen war
^2. Waehrend also im Lauf des Winters die Karthager ihre Vorbereitungen
trafen, stand der roemische Feldherr untaetig bei Tunes. Mochte er nicht
ahnen, welcher Sturm sich ueber seinem Haupt zusammenzog, oder
mochte militaerisches Ehrgefuehl ihm zu tun verbieten, was seine Lage
erheischte - statt zu verzichten auf eine Belagerung, die er doch nicht
imstande war, auch nur zu versuchen, und sich einzuschliessen in die
Burg von Clupea, blieb er mit einer Handvoll Leute vor den Mauern
der feindlichen Hauptstadt stehen, sogar seine Rueckzugslinie zu dem
Schiffslager zu sichern versaeumend, und versaeumend sich zu schaffen,
was ihm vor allen Dingen fehlte und was durch Verhandlungen mit den
aufstaendischen Staemmen der Numidier so leicht zu erreichen war, eine
gute leichte Reiterei. Mutwillig brachte er sich und sein Heer also
in dieselbe Lage, in der einst Agathokles auf seinem verzweifelten
Abenteurerzug sich befunden hatte. Als das Fruehjahr kam (499 255),
hatten sich die Dinge schon so veraendert, dass jetzt die Karthager
es waren, die zuerst ins Feld rueckten und den Roemern eine Schlacht
anboten; natuerlich, denn es lag alles daran, mit dem Heer des Regulus
fertig zu werden, ehe von Italien Verstaerkung kommen konnte. Aus
demselben Grunde haetten die Roemer zoegern sollen; allein im Vertrauen
auf ihre Unueberwindlichkeit im offenen Felde nahmen sie sofort die
Schlacht an trotz ihrer geringeren Staerke - denn obwohl die Zahl des
Fussvolks auf beiden Seiten ungefaehr dieselbe war, gaben doch
den Karthagern die 4000 Reiter und 100 Elefanten ein entschiedenes
Uebergewicht - und trotz des unguenstigen Terrains - die Karthager
hatten sich auf einem weiten Blachfeld, vermutlich unweit Tunes,
aufgestellt. Xanthippos, der an diesem Tage die Karthager kommandierte,
warf zunaechst seine Reiterei auf die feindliche, die wie gewoehnlich
auf den beiden Fluegeln der Schlachtlinie stand; die wenigen roemischen
Schwadronen zerstoben im Nu vor den feindlichen Kavalleriemassen und das
roemische Fussvolk sah sich von demselben ueberfluegelt und umschwaermt.
Die Legionen, hierdurch nicht erschuettert, gingen zum Angriff vor
gegen die feindliche Linie; und obwohl die zur Deckung vor derselben
aufgestellte Elefantenreihe den rechten Fluegel und das Zentrum der
Roemer hemmte, fasste wenigstens der linke roemische Fluegel, an den
Elefanten vorbeimarschierend, die Soeldnerinfanterie auf dem rechten
feindlichen und warf sie vollstaendig. Allein eben dieser Erfolg zerriss
die roemischen Reihen. Die Hauptmasse, vorn von den Elefanten, an den
Seiten und im Ruecken von der Reiterei angegriffen, formierte sich zwar
ins Viereck und verteidigte sich heldenmuetig, allein endlich wurden
doch die geschlossenen Massen gesprengt und aufgerieben. Der siegreiche
linke Fluegel traf auf das noch frische karthagische Zentrum, wo
die libysche Infanterie ihm gleiches Schicksal bereitete. Bei der
Beschaffenheit des Terrains und der Ueberzahl der feindlichen Reiterei
ward niedergehauen oder gefangen, was in diesen Massen gefochten hatte;
nur zweitausend Mann, vermutlich vorzugsweise die zu Anfang zersprengten
leichten Truppen und Reiter, gewannen, waehrend die roemischen Legionen
sich niedermachen liessen, soviel Vorsprung, um mit Not Clupea zu
erreichen. Unter den wenigen Gefangenen war der Konsul selbst, der
spaeter in Karthago starb; seine Familie, in der Meinung, dass er von
den Karthagern nicht nach Kriegsgebrauch behandelt worden sei, nahm
an zwei edlen karthagischen Gefangenen die empoerendste Rache, bis
es selbst die Sklaven erbarmte und auf deren Anzeige die Tribune der
Schaendlichkeit steuerten ^3. ------------------------------------------
^2 Der Bericht, dass zunaechst Xanthippos' militaerisches Talent
Karthago gerettet habe, ist wahrscheinlich gefaerbt; die karthagischen
Offiziere werden schwerlich auf den Fremden gewartet haben, um zu
lernen, dass die leichte afrikanische Kavallerie zweckmaessiger auf der
Ebene verwandt werde als in Huegeln und Waeldern. Von solchen Wendungen,
dem Echo der griechischen Wachtstubengespraeche, ist selbst Polybios
nicht frei. Dass Xanthippos nach dem Siege von den Karthagern ermordet
worden sei, ist eine Erfindung; er ging freiwillig fort, vielleicht
in aegyptische Dienste. ^3 Weiter ist ueber Regulus' Ende nichts mit
Sicherheit bekannt; selbst seine Sendung nach Rom, die bald 503 (251),
bald 513 (241) gesetzt wird, ist sehr schlecht beglaubigt, Die spaetere
Zeit, die in dem Glueck und Unglueck der Vorfahren nur nach Stoffen
suchte fuer Schulakte, hat aus Regulus den Prototyp des ungluecklichen
wie aus Fabricius das des duerftigen Helden gemacht und eine Menge
obligat erfundener Anekdoten auf seinen Namen in Umlauf gesetzt;
widerwaertige Flitter, die uebel kontrastieren mit der ernsten
und schlichten Geschichte.
--------------------------------------------------- Wie die
Schreckenspost nach Rom gelangte, war die erste Sorge natuerlich
gerichtet auf die Rettung der in Clupea eingeschlossenen Mannschaft.
Eine roemische Flotte von 350 Segeln lief sofort aus, und nach einem
schoenen Sieg am Hermaeischen Vorgebirg, bei welchem die Karthager 114
Schiffe einbuessten, gelangte sie nach Clupea eben zur rechten Zeit,
um die dort verschanzten Truemmer der geschlagenen Armee aus ihrer
Bedraengnis zu befreien. Waere sie gesandt worden, ehe die Katastrophe
eintrat, so haette sie die Niederlage in einen Sieg verwandeln moegen,
der wahrscheinlich den phoenikischen Kriegen ein Ende gemacht haben
wuerde. So vollstaendig aber hatten jetzt die Roemer den Kopf verloren,
dass sie nach einem gluecklichen Gefecht vor Clupea saemtliche Truppen
auf die Schiffe setzten und heimsegelten, freiwillig den wichtigen und
leicht zu verteidigenden Platz raeumend, der ihnen die Moeglichkeit der
Landung in Afrika sicherte, und der Rache der Karthager ihre zahlreichen
afrikanischen Bundesgenossen schutzlos preisgebend. Die Karthager
versaeumten die Gelegenheit nicht, ihre leeren Kassen zu fuellen und
den Untertanen die Folgen der Untreue deutlich zu machen. Eine
ausserordentliche Kontribution von 1000 Talenten Silber (1740000 Taler)
und 20000 Rindern ward ausgeschrieben und in saemtlichen abgefallenen
Gemeinden die Scheiche ans Kreuz geschlagen - es sollen ihrer
dreitausend gewesen sein und dieses entsetzliche Wueten der
karthagischen Beamten wesentlich den Grund gelegt haben zu der
Revolution, welche einige Jahre spaeter in Afrika ausbrach. Endlich,
als wollte wie frueher das Glueck, so jetzt das Unglueck den Roemern
das Mass fuellen, gingen auf der Rueckfahrt der Flotte in einem schweren
Sturm drei Vierteile der roemischen Schiffe mit der Mannschaft zugrunde;
nur achtzig gelangten in den Hafen (Juli 499 255). Die Kapitaene
hatten das Unheil wohl vorausgesagt, aber die improvisierten roemischen
Admirale die Fahrt einmal also befohlen. Nach so ungeheuren Erfolgen
konnten die Karthager die lange eingestellte Offensive wiederum
ergreifen. Hasdrubal, Hannos Sohn, landete in Lilybaeon mit einem
starken Heer, das besonders durch die gewaltige Elefantenmasse - es
waren ihrer 140 - in den Stand gesetzt wurde, gegen die Roemer das Feld
zu halten; die letzte Schlacht hatte gezeigt, wie es moeglich war, den
Mangel eines guten Fussvolks durch Elefanten und Reiterei einigermassen
zu ersetzen. Auch die Roemer nahmen den sizilischen Krieg von neuem auf:
die Vernichtung des Landungsheeres hatte, wie die freiwillige Raeumung
von Clupea beweist, im roemischen Senat sofort wieder der Partei die
Oberhand gegeben, die den afrikanischen Krieg nicht wollte und sich
begnuegte, die Inseln allmaehlich zu unterwerfen. Allein auch hierzu
bedurfte man einer Flotte; und da diejenige zerstoert war, mit der man
bei Mylae, bei Eknomos und am Hermaeischen Vorgebirge gesiegt hatte,
baute man eine neue. Zu zweihundertundzwanzig neuen Kriegsschiffen wurde
auf einmal der Kiel gelegt - nie hatte man bisher gleichzeitig so viele
zu bauen unternommen -, und in der unglaublich kurzen Zeit von drei
Monaten standen sie saemtlich segelfertig. Im Fruehjahr 500 (254)
erschien die roemische Flotte, dreihundert groesstenteils neue Schiffe
zaehlend, an der sizilischen Nordkueste. Durch einen gluecklichen
Angriff von der Seeseite ward die bedeutendste Stadt des karthagischen
Siziliens, Panormos, erobert, und ebenso fielen hier die kleineren
Plaetze Solus, Kephaloedion, Tyndaris den Roemern in die Haende, so dass
am ganzen noerdlichen Gestade der Insel nur noch Thermae den Karthagern
verblieb. Panormos ward seitdem eine der Hauptstationen der Roemer
auf Sizilien. Der Landkrieg daselbst stockte indes; die beiden Armeen
standen vor Lilybaeon einander gegenueber, ohne dass die roemischen
Befehlshaber, die der Elefantenmasse nicht beizukommen wussten, eine
Hauptschlacht zu erzwingen versucht haetten. Im folgenden Jahre (501
253) zogen die Konsuln es vor, statt die sicheren Vorteile in Sizilien
zu verfolgen, eine Expedition nach Afrika zu machen, nicht um zu landen,
sondern um die Kuestenstaedte zu pluendern. Ungehindert kamen sie damit
zustande; allein nachdem sie schon in den schwierigen und ihren Piloten
unbekannten Gewaessern der Kleinen Syrte auf die Untiefen aufgelaufen
und mit Muehe wieder losgekommen waren, traf die Flotte zwischen
Sizilien und Italien ein Sturm, der ueber 150 roemische Schiffe kostete;
auch diesmal hatten die Piloten, trotz ihrer Vorstellungen und Bitten,
den Weg laengs der Kueste zu waehlen, auf Befehl der Konsuln von
Panormos gerades Weges durch das offene Meer nach Ostia zu steuern
muessen. Da ergriff Kleinmut die Vaeter der Stadt; sie beschlossen,
die Kriegsflotte abzuschaffen bis auf 60 Segel und den Seekrieg auf die
Kuestenverteidigung und die Geleitung der Transporte zu beschraenken.
Zum Glueck nahm eben jetzt der stockende Landkrieg auf Sizilien eine
guenstigere Wendung. Nachdem im Jahre 502 (252) Thermae, der letzte
Punkt, den die Karthager an der Nordkueste besassen, und die wichtige
Insel Lipara den Roemern in die Haende gefallen waren, erfocht im
Jahre darauf der Konsul Lucius Caecilius Metellus unter den Mauern von
Panormos einen glaenzenden Sieg ueber das Elefantenheer (Sommer 503
251). Die unvorsichtig vorgefuehrten Tiere wurden von den im Stadtgraben
aufgestellten leichten Truppen der Roemer geworfen und stuerzten teils
in den Graben hinab, teils zurueck auf ihre eigenen Leute, die in wilder
Verwirrung mit den Elefanten zugleich sich zum Strande draengten, um von
den phoenikischen Schiffen aufgenommen zu werden. 120 Elefanten wurden
gefangen, und das karthagische Heer, dessen Staerke auf den Tieren
beruhte, musste sich wiederum in die Festungen einschliessen. Es blieb,
nachdem auch noch der Eryx den Roemern in die Haende gefallen war
(505 249), auf der Insel den Karthagern nichts mehr als Drepana und
Lilybaeon. Karthago bot zum zweitenmal den Frieden an; allein der Sieg
des Metellus und die Ermattung des Feindes gab der energischeren Partei
im Senat die Oberhand. Der Friede ward zurueckgewiesen und beschlossen,
die Belagerung der beiden sizilischen Staedte ernsthaft anzugreifen
und zu diesem Ende wiederum eine Flotte von 200 Segeln in See gehen zu
lassen. Die Belagerung von Lilybaeon, die erste grosse und regelrechte,
die Rom unternahm, und eine der hartnaeckigsten, die die Geschichte
kennt, wurde von den Roemern mit einem wichtigen Erfolg eroeffnet: ihrer
Flotte gelang es, sich in den Hafen der Stadt zu legen und dieselbe
von der Seeseite zu blockieren. Indes vollstaendig die See zu sperren,
vermochten die Belagerer nicht. Trotz ihrer Versenkungen und Palisaden
und trotz der sorgfaeltigsten Bewachung unterhielten gewandte und der
Untiefen und Fahrwaesser genau kundige Schnellsegler eine regelmaessige
Verbindung zwischen den Belagerten in der Stadt und der karthagischen
Flotte im Hafen von Drepana; ja nach einiger Zeit glueckte es einem
karthagischen Geschwader von 50 Segeln, in den Hafen einzufahren,
Lebensmittel in Menge und Verstaerkung von 10000 Mann in die Stadt zu
werfen und unangefochten wieder heimzukehren. Nicht viel gluecklicher
war die belagernde Landarmee. Man begann mit regelrechtem Angriff; die
Maschinen wurden errichtet, und in kurzer Zeit hatten die Batterien
sechs Mauertuerme eingeworfen; die Bresche schien bald gangbar. Allein
der tuechtige karthagische Befehlshaber Himilko wehrte diesen Angriff
ab, indem auf seine Anordnung hinter der Bresche sich ein zweiter Wall
erhob. Ein Versuch der Roemer, mit der Besatzung ein Einverstaendnis
anzuknuepfen, ward ebenso noch zur rechten Zeit vereitelt. Ja es gelang
den Karthagern, nachdem ein erster, zu diesem Zwecke gemachter Ausfall
abgeschlagen worden war, waehrend einer stuermischen Nacht die
roemische Maschinenreihe zu verbrennen. Die Roemer gaben hierauf die
Vorbereitungen zum Sturm auf und begnuegten sich, die Mauer zu Wasser
und zu Lande zu blockieren. Freilich waren dabei die Aussichten auf
Erfolg sehr fern, solange man nicht imstande war, den feindlichen
Schiffen den Zugang gaenzlich zu verlegen; und einen nicht viel
leichteren Stand als in der Stadt die Belagerten hatte das Landheer der
Belagerer, welchem die Zufuhren durch die starke und verwegene leichte
Reiterei der Karthager haeufig abgefangen wurden und das die Seuchen,
die in der ungesunden Gegend einheimisch sind, zu dezimieren begannen.
Die Eroberung Lilybaeons war nichtsdestoweniger wichtig genug, um
geduldig bei der muehseligen Arbeit auszuharren, die denn doch mit der
Zeit der. gewuenschten Erfolg verhiess. Allein dem neuen Konsul Publius
Claudius schien die Aufgabe, Lilybaeon eingeschlossen zu halten, allzu
gering; es gefiel ihm besser, wieder einmal den Operationsplan
zu aendern und mit seinen zahlreichen neu bemannten Schiffen die
karthagische in dem nahen Hafen von Drepana verweilende Flotte
unversehens zu ueberfallen. Mit dem ganzen Blockadegeschwader, das
Freiwillige aus den Legionen an Bord genommen hatte, fuhr er um
Mitternacht ab und erreichte, in guter Ordnung segelnd, den rechten
Fluegel am Lande, den linken in der hohen See, gluecklich mit
Sonnenaufgang den Hafen von Drepana. Hier kommandierte der phoenikische
Admiral Atarbas. Obwohl ueberrascht, verlor er die Besonnenheit nicht
und liess sich nicht in den Hafen einschliessen, sondern wie die
roemischen Schiffe in den nach Sueden sichelfoermig sich oeffnenden
Hafen an der Landseite einfuhren, zog er an der noch freien Seeseite
seine Schiffe aus dem Hafen heraus und stellte sich ausserhalb desselben
in Linie. Dem roemischen Admiral blieb nichts uebrig, als die vordersten
Schiffe moeglichst schnell aus dem Hafen zurueckzunehmen und sich
gleichfalls vor demselben zur Schlacht zu ordnen; allein ueber dieser
rueckgaengigen Bewegung verlor er die freie Wahl seiner Aufstellung
und musste die Schlacht annehmen in einer Linie, die teils von der
feindlichen um fuenf Schiffe ueberfluegelt ward, da es an Zeit gebrach,
die Schiffe wieder aus dem Hafen vollstaendig zu entwickeln, teils
so dicht an die Kueste gedraengt war, dass seine Fahrzeuge weder
zurueckweichen noch hinter der Linie hinsegelnd sich untereinander zu
Hilfe kommen konnten. Die Schlacht war nicht bloss verloren, ehe sie
begann, sondern die roemische Flotte so vollstaendig umstrickt, dass sie
fast ganz den Feinden in die Haende fiel. Zwar der Konsul entkam, indem
er zuerst davonfloh; aber 93 roemische Schiffe, mehr als drei Viertel
der Blockadeflotte, mit dem Kern der roemischen Legionen an Bord,
fielen den Phoenikern in die Haende. Es war der erste und einzige grosse
Seesieg, den die Karthager ueber die Roemer erfochten haben. Lilybaeon
war der Tat nach von der Seeseite entsetzt, denn wenn auch die Truemmer
der roemischen Flotte in ihre fruehere Stellung zurueckkehrten, so war
diese doch jetzt viel zu schwach, um den nie ganz geschlossenen Hafen
ernstlich zu versperren, und konnte vor dem Angriff der karthagischen
Schiffe sich selbst nur retten durch den Beistand des Landheers. Die
eine Unvorsichtigkeit eines unerfahrenen und frevelhaft leichtsinnigen
Offiziers hatte alles vereitelt, was in dem langen und aufreibenden
Festungskrieg muehsam erreicht worden war; und was dessen Uebermut noch
an Kriegsschiffen den Roemern gelassen hatte, ging kurz darauf durch den
Unverstand seines Kollegen zugrunde. Der zweite Konsul, Lucius Iunius
Pullus, der den Auftrag erhalten hatte, die fuer das Heer in Lilybaeon
bestimmten Zufuhren in Syrakus zu verladen und die Transportflotte
laengs der suedlichen Kueste der Insel mit der zweiten roemischen
Flotte von 120 Kriegsschiffen zu geleiten, beging, statt seine Schiffe
zusammenzuhalten, den Fehler, den ersten Transport allein abgehen zu
lassen und erst spaeter mit dem zweiten zu folgen. Als der karthagische
Unterbefehlshaber Karthalo, der mit hundert auserlesenen Schiffen die
roemische Flotte im Hafen von Lilybaeon blockierte, davon Nachricht
erhielt, wandte er sich nach der Suedkueste der Insel, schnitt die
beiden roemischen Geschwader, sich zwischen sie legend, voneinander ab
und zwang sie, an den unwirtlichen Gestaden von Gela und Kamarina
in zwei Nothaefen sich zu bergen. Die Angriffe der Karthager wurden
freilich von den Roemern tapfer zurueckgewiesen mit Hilfe der hier
wie ueberall an der Kueste schon seit laengerer Zeit errichteten
Strandbatterien; allein da an Vereinigung und Fortsetzung der Fahrt fuer
die Roemer nicht zudenken war, konnte Karthago die Vollendung seines
Werkes den Elementen ueberlassen. Der naechste grosse Sturm vernichtete
denn auch beide roemische Flotten auf ihren schlechten Reeden
vollstaendig, waehrend der phoenikische Admiral auf der hohen See mit
seinen unbeschwerten und gut gefuehrten Schiffen ihm leicht entging. Die
Mannschaft und die Ladung gelang es den Roemern indes groesstenteils zu
retten (505 249). Der roemische Senat war ratlos. Der Krieg waehrte nun
ins sechzehnte Jahr, und von dem Ziele schien man im sechzehnten weiter
ab zu sein als im ersten. Vier grosse Flotten waren in diesem Kriege
zugrunde gegangen, drei davon mit roemischen Heeren an Bord; ein viertes
ausgesuchtes Landheer hatte der Feind in Libyen vernichtet, ungerechnet
die zahllosen Opfer, die die kleinen Gefechte zur See, die in Sizilien
die Schlachten und mehr noch der Postenkrieg und die Seuchen gefordert
hatten. Welche Zahl von Menschenleben der Krieg wegraffte, ist daraus
zuerkennen, dass die Buergerrolle bloss von 502 (252) auf 507 (247) um
etwa 40000 Koepfe, den sechsten Teil der Gesamtzahl, sank; wobei die
Verluste der Bundesgenossen, die die ganze Schwere des Seekriegs und
daneben der Landkrieg mindestens in gleichem Verhaeltnis wie die Roemer
traf, noch nicht mit eingerechnet sind. Von der finanziellen Einbusse
ist es nicht moeglich, sich eine Vorstellung zu machen; aber sowohl der
unmittelbare Schaden an Schiffen und Material als der mittelbare
durch die Laehmung des Handels muessen ungeheuer gewesen sein. Allein
schlimmer als dies alles war die Abnutzung aller Mittel, durch die man
den Krieg hatte endigen wollen. Man hatte eine Landung in Afrika mit
frischen Kraeften, im vollen Siegeslauf versucht und war gaenzlich
gescheitert. Man hatte Sizilien Stadt um Stadt zu erstuermen
unternommen; die geringeren Plaetze waren gefallen, aber die beiden
gewaltigen Seeburgen Lilybaeon und Drepana standen unbezwinglicher als
je zuvor. Was sollte man beginnen? In der Tat, der Kleinmut behielt
gewissermassen Recht. Die Vaeter der Stadt verzagten; sie liessen die
Sachen eben gehen, wie sie gehen mochten, wohl wissend, dass ein ziel-
und endlos sich hinspinnender Krieg fuer Italien verderblicher war als
die Anstrengung des letzten Mannes und des letzten Silberstuecks, aber
ohne den Mut und die Zuversicht zu dem Volk und zu dem Glueck, um zu
den alten, nutzlos vergeudeten neue Opfer zu fordern. Man schaffte
die Flotte ab; hoechstens foerderte man die Kaperei und stellte den
Kapitaenen, die auf ihre eigene Hand den Korsarenkrieg zu beginnen
bereit waren, zu diesem Behuf Kriegsschiffe des Staates zur Verfuegung.
Der Landkrieg ward dem Namen nach fortgefuehrt, weil man eben nicht
anders konnte; allein man begnuegte sich, die sizilischen Festungen zu
beobachten, und was man besass, notduerftig zu behaupten, was dennoch,
seit die Flotte fehlte, ein sehr zahlreiches Heer und aeusserst
kostspielige Anstalten erforderte. Wenn jemals, so war jetzt die Zeit
gekommen, wo Karthago den gewaltigen Gegner zu demuetigen imstande war.
Dass auch dort die Erschoepfung der Kraefte gefuehlt ward, versteht
sich; indes wie die Sachen standen, konnten die phoenikischen Finanzen
unmoeglich so im Verfall sein, dass die Karthager den Krieg, der
ihnen hauptsaechlich nur Geld kostete, nicht haetten offensiv und
nachdruecklich fortfuehren koennen. Allein die karthagische Regierung
war eben nicht energisch, sondern schwach und laessig, wenn nicht ein
leichter und sicherer Gewinn oder die aeusserste Not sie trieb. Froh,
der roemischen Flotte los zu sein, liess man toericht auch die eigene
verfallen und fing an, nach dem Beispiel der Feinde sich zu Lande und
zur See auf den kleinen Krieg in und um Sizilien zu beschraenken. So
folgten sechs tatenlose Kriegsjahre (506-511 248-243), die ruhmlosesten,
welche die roemische Geschichte dieses Jahrhunderts kennt, und ruhmlos
auch fuer das Volk der Karthager. Indes ein Mann von diesen dachte und
handelte anders als seine Nation. Hamilkar, genannt Barak oder Barkas,
das ist der Blitz, ein junger, vielversprechender Offizier, uebernahm
im Jahre 507 (247) den Oberbefehl in Sizilien. Es fehlte in seiner Armee
wie in jeder karthagischen an einer zuverlaessigen und kriegsgeuebten
Infanterie; und die Regierung, obwohl sie vielleicht eine solche zu
schaffen imstande und auf jeden Fall es zu versuchen verpflichtet
gewesen waere, begnuegte sich, den Niederlagen zuzusehen und hoechstens
die geschlagenen Feldherren ans Kreuz heften zu lassen. Hamilkar
beschloss, sich selber zu helfen. Er wusste es wohl, dass seinen
Soeldnern Karthago so gleichgueltig war wie Rom, und dass er von seiner
Regierung nicht phoenikische oder libysche Konskribierte, sondern im
besten Fall die Erlaubnis zu erwarten hatte, mit seinen Leuten das
Vaterland auf eigene Faust zu retten, vorausgesetzt, dass es nichts
koste. Allein er kannte auch sich und die Menschen. An Karthago lag
seinen Soeldnern freilich nichts; aber der echte Feldherr vermag es, den
Soldaten an die Stelle des Vaterlandes seine eigene Persoenlichkeit zu
setzen, und ein solcher war der junge General. Nachdem er die Seinigen
im Postenkrieg vor Drepana und Lilybaeon gewoehnt hatte, dem Legionaer
ins Auge zu sehen, setzte er auf dem Berge Eirkte (Monte Pellegrino bei
Palermo), der gleich einer Festung das umliegende Land beherrscht, sich
mit seinen Leuten fest und liess sie hier haeuslich mit ihren Frauen
und Kindern sich einrichten und das platte Land durchstreifen, waehrend
phoenikische Kaper die italische Kueste bis Cumae brandschatzten. So
ernaehrte er seine Leute reichlich, ohne von den Karthagern Geld zu
begehren, und bedrohte, mit Drepana die Verbindung zur See unterhaltend,
das wichtige Panormos in naechster Naehe mit Ueberrumpelung. Nicht
bloss vermochten die Roemer nicht, ihn von seinem Felsen zu vertreiben,
sondern nachdem an der Eirkte der Kampf eine Weile gedauert hatte, schuf
sich Hamilkar eine zweite aehnliche Stellung am Eryx. Diesen Berg, der
auf der halben Hoehe die gleichnamige Stadt, auf der Spitze den Tempel
der Aphrodite trug, hatten bis dahin die Roemer in Haenden gehabt und
von da aus Drepana beunruhigt. Hamilkar nahm die Stadt weg und belagerte
das Heiligtum, waehrend die Roemer von der Ebene her ihn ihrerseits
blockierten. Die von den Roemern auf den verlorenen Posten des Tempels
gestellten keltischen Ueberlaeufer aus dem karthagischen Heer, ein
schlimmes Raubgesindel, das waehrend dieser Belagerung den Tempel
pluenderte und Schaendlichkeiten aller Art veruebte, verteidigten die
Felsenspitze mit verzweifeltem Mut; aber auch Hamilkar liess sich
nicht wieder aus der Stadt verdraengen und hielt mit der Flotte und
der Besatzung von Drepana stets sich zur See die Verbindung offen. Der
sizilische Krieg schien eine immer unguenstigere Wendung fuer die Roemer
zu nehmen. Der roemische Staat kam in demselben um sein Geld und seine
Soldaten und die roemischen Feldherren um ihr Ansehen: es war schon
klar, dass dem Hamilkar kein roemischer General gewachsen war, und die
Zeit liess sich berechnen, wo auch der karthagische Soeldner sich dreist
wuerde messen koennen mit dem Legionaer. Immer verwegener zeigten sich
die Kaper Hamilkars an der italischen Kueste - schon hatte gegen eine
dort gelandete karthagische Streifpartei ein Praetor ausruecken muessen.
Noch einige Jahre, so tat Hamilkar von Sizilien aus mit der Flotte, was
spaeter auf dem Landweg von Spanien aus sein Sohn unternahm. Indes
der roemische Senat verharrte in seiner Untaetigkeit; die Partei der
Kleinmuetigen hatte einmal in ihm die Mehrzahl. Da entschlossen sich
eine Anzahl einsichtiger und hochherziger Maenner, den Staat auch ohne
Regierungsbeschluss zu retten und dem heillosen Sizilischen Krieg ein
Ende zu machen. Die gluecklichen Korsarenfahrten hatten wenn nicht den
Mut der Nation gehoben, doch in engeren Kreisen die Energie und die
Hoffnung geweckt; man hatte sich schon in Geschwader zusammengetan,
Hippo an der afrikanischen Kueste niedergebrannt, den Karthagern
vor Panormos ein glueckliches Seegefecht geliefert. Durch
Privatunterzeichnung, wie sie auch wohl in Athen, aber nie in so
grossartiger Weise vorgekommen ist, stellten die vermoegenden und
patriotisch gesinnten Roemer eine Kriegsflotte her, deren Kern die fuer
den Kaperdienst gebauten Schiffe und die darin geuebten Mannschaften
abgaben und die ueberhaupt weit sorgfaeltiger hergestellt wurde, als
dies bisher bei dem Staatsbau geschehen war. Diese Tatsache, dass
eine Anzahl Buerger im dreiundzwanzigsten Jahre eines schweren Krieges
zweihundert Linienschiffe mit einer Bemannung von 60000 Matrosen
freiwillig dem Staate darboten, steht vielleicht ohne Beispiel da in den
Annalen der Geschichte. Der Konsul Gaius Lutatius Catulus, dem die Ehre
zuteil ward, diese Flotte in die sizilische See zu fuehren, fand dort
kaum einen Gegner; die paar karthagischen Schiffe, mit denen Hamilkar
seine Korsarenzuege gemacht, verschwanden vor der Uebermacht, und
fast ohne Widerstand besetzten die Roemer die Haefen von Lilybaeon
und Drepana, deren Belagerung zu Wasser und zu Lande jetzt energisch
begonnen ward. Karthago war vollstaendig ueberrumpelt; selbst die beiden
Festungen, schwach verproviantiert, schwebten in grosser Gefahr. Man
ruestete daheim an einer Flotte, aber so eilig man tat, ging das Jahr zu
Ende, ohne dass in Sizilien karthagische Segel sich gezeigt haetten; und
als endlich im Fruehjahr 513 (241) die zusammengerafften Schiffe auf der
Hoehe von Drepana erschienen, war es doch mehr eine Transport- als eine
schlagfertige Kriegsflotte zu nennen. Die Phoeniker hatten gehofft,
ungestoert landen, die Vorraete ausschiffen und die fuer ein Seegefecht
erforderlichen Truppen an Bord nehmen zu koennen; allein die roemischen
Schiffe verlegten ihnen den Weg und zwangen sie, da sie von der heiligen
Insel (jetzt Maritima) nach Drepana segeln wollten, bei der kleinen
Insel Aegusa (Favignana), die Schlacht anzunehmen (10. Maerz 513 241).
Der Ausgang war keinen Augenblick zweifelhaft, die roemische Flotte, gut
gebaut und bemannt und, da die vor Drepana erhaltene Wunde den Konsul
Catulus noch an das Lager fesselte, von dem tuechtigen Praetor Publius
Valerius Falto vortrefflich gefuehrt, warf im ersten Augenblick die
schwer beladenen, schlecht und schwach bemannten Schiffe der Feinde;
fuenfzig wurden versenkt, mit siebzig eroberten fuhren die Sieger ein
in den Hafen von Lilybaeon. Die letzte grosse Anstrengung der roemischen
Patrioten hatte Frucht getragen; sie brachte den Sieg und mit ihm den
Frieden. Die Karthager kreuzigten zunaechst den ungluecklichen Admiral,
was die Sache nicht anders machte, und schickten alsdann dem sizilischen
Feldherrn unbeschraenkte Vollmacht, den Frieden zu schliessen. Hamilkar,
der, seine siebenjaehrige Heldenarbeit durch fremde Fehler vernichtet
sah, fuegte hochherzig sich in das Unvermeidliche, ohne darum weder
seine Soldatenehre noch sein Volk noch seine Entwuerfe aufzugeben.
Sizilien freilich war nicht zu halten, seit die Roemer die See
beherrschten, und dass die karthagische Regierung, die ihre leere Kasse
vergeblich durch ein Staatsanlehen in Aegypten zu fuellen versucht
hatte, auch nur einen Versuch noch machen wuerde, die roemische Flotte
zu ueberwaeltigen, liess sich nicht erwarten. Er gab also die Insel
auf. Dagegen ward die Selbstaendigkeit und Integritaet des karthagischen
Staats und Gebiets ausdruecklich anerkannt in der ueblichen Form, dass
Rom sich verpflichtete, nicht mit der karthagischen, Karthago, nicht mit
der roemischen Bundesgenossenschaft, das heisst mit den beiderseitigen
untertaenigen und abhaengigen Gemeinden, in Sonderbuendnis zu treten
oder Krieg zu beginnen oder in diesem Gebiet Hoheitsrechte auszuueben
oder Werbungen vorzunehmen ^4. Was die Nebenbedingungen anlangt, so
verstand sich die unentgeltliche Rueckgabe der roemischen Gefangenen und
die Zahlung einer Kriegskontribution von selbst; dagegen die Forderung
des Catulus, dass Hamilkar die Waffen und die roemischen Ueberlaeufer
ausliefern solle, wies der Karthager entschlossen zurueck, und mit
Erfolg. Catulus verzichtete auf das zweite Begehren und gewaehrte den
Phoenikern freien Abzug aus Sizilien gegen das maessige Loesegeld von
18 Denaren (4 Taler) fuer den Mann.
----------------------------------------------------- ^4 Dass die
Karthager versprechen mussten, keine Kriegsschiffe in das Gebiet der
roemischen Symmachie - also auch nicht nach Syrakus, vielleicht selbst
nicht nach Massalia - zu senden (Zon. 8, 17), klingt glaublich
genug; allein der Text des Vertrages schweigt davon (Polyb. 3,
27). ----------------------------------------------------- Wenn den
Karthagern die Fortfuehrung des Krieges nicht wuenschenswert erschien,
so hatten sie Ursache, mit diesen Bedingungen zufrieden zu sein. Es kann
sein, dass das natuerliche Verlangen, dem Vaterland mit dem Triumph auch
den Frieden zu bringen, die Erinnerung an Regulus und den wechselvollen
Gang des Krieges, die Erwaegung, dass ein patriotischer Aufschwung,
wie er zuletzt den Sieg entschieden hatte, sich nicht gebieten noch
wiederholen laesst, vielleicht selbst Hamilkars Persoenlichkeit
mithalfen, den roemischen Feldherrn zu solcher Nachgiebigkeit zu
bestimmen. Gewiss ist es, dass man in Rom mit dem Friedensentwurf
unzufrieden war und die Volksversammlung, ohne Zweifel unter dem
Einfluss der Patrioten, die die letzte Schiffsruestung durchgesetzt
hatten, anfaenglich die Ratifikation verweigerte. In welchem Sinne dies
geschah, wissen wir nicht und vermoegen also nicht zu entscheiden, ob
die Opponenten den Frieden nur verwarfen, um dem Feinde noch einige
Konzessionen mehr abzudringen, oder ob sie sich erinnerten, dass Regulus
von Karthago den Verzicht auf die politische Unabhaengigkeit gefordert
hatte, und entschlossen waren, den Krieg fortzufuehren, bis man an
diesem Ziel stand und es sich nicht mehr um Frieden handelte, sondern
um Unterwerfung. Erfolgte die Weigerung in dem ersten Sinne, so war
sie vermutlich fehlerhaft; gegen den Gewinn Siziliens verschwand jedes
andere Zugestaendnis, und es war bei Hamilkars Entschlossenheit und
erfinderischem Geist sehr gewagt, die Sicherung des Hauptgewinns an
Nebenzwecke zu setzen. Wenn dagegen die gegen den Frieden opponierende
Partei in der vollstaendigen politischen Vernichtung Karthagos das
einzige fuer die roemische Gemeinde genuegende Ende des Kampfes
erblickte, so zeigte sie politischen Takt und Ahnung der kommenden
Dinge; ob aber auch Roms Kraefte noch ausreichten, um den Zug des
Regulus zu erneuern und soviel nachzusetzen, als erforderlich war, um
nicht bloss den Mut, sondern die Mauern der maechtigen Phoenikerstadt zu
brechen, ist eine andere Frage, welche in dem einen oder dem andern Sinn
zu beantworten jetzt niemand wagen kann. Schliesslich uebertrug man die
Erledigung der wichtigen Frage einer Kommission, die in Sizilien an
Ort und Stelle entscheiden sollte. Sie bestaetigte im wesentlichen den
Entwurf; nur ward die fuer die Kriegskosten von Karthago zu zahlende
Summe erhoeht auf 3200 Talente (5« Mill. Taler), davon ein Drittel
gleich, der Rest in zehn Jahreszielern zu entrichten. Wenn ausser der
Abtretung von Sizilien auch noch die der Inseln zwischen Italien und
Sizilien in den definitiven Traktat aufgenommen ward, so kann hierin
nur eine redaktionelle Veraenderung gefunden werden; denn dass Karthago,
wenn es Sizilien hingab, sich die laengst von der roemischen Flotte
besetzte Insel Lipara nicht konnte vorbehalten wollen, versteht sich
von selbst, und dass man mit Ruecksicht auf Sardinien und Korsika
absichtlich eine zweideutige Bestimmung in den Vertrag gesetzt habe,
ist ein unwuerdiger und unwahrscheinlicher Verdacht. So war man endlich
einig. Der unbesiegte Feldherr einer ueberwundenen Nation stieg herab
von seinen langverteidigten Bergen und uebergab den neuen Herren der
Insel die Festungen, die die Phoeniker seit wenigstens vierhundert
Jahren in ununterbrochenem Besitz gehabt hatten und von deren Mauern
alle Stuerme der Hellenen erfolglos abgeprallt waren. Der Westen hatte
Frieden (513 241). Verweilen wir noch einen Augenblick bei dem Kampfe,
welcher die roemische Grenze vorrueckte ueber den Meeresring, der die
Halbinsel einfasst. Es ist einer der laengsten und schwersten, welchen
die Roemer gefuehrt haben; die Soldaten, welche die entscheidende
Schlacht schlugen, waren, als er begann, zum guten Teil noch nicht
geboren. Dennoch und trotz der unvergleichlich grossartigen Momente,
die er darbietet, ist kaum ein anderer Krieg zu nennen, den die Roemer
militaerisch sowohl wie politisch so schlecht und so unsicher gefuehrt
haben. Es konnte das kaum anders sein; er steht inmitten eines
Wechsels der politischen Systeme, zwischen der nicht mehr ausreichenden
italischen Politik und der noch nicht gefundenen des Grossstaats. Der
roemische Senat und das roemische Kriegswesen waren unuebertrefflich
organisiert fuer die rein italische Politik. Die Kriege, welche diese
hervorrief, waren reine Kontinentalkriege und ruhten stets auf der
in der Mitte der Halbinsel gelegenen Hauptstadt als der letzten
Operationsbasis und demnaechst auf der roemischen Festungskette. Die
Aufgaben waren vorzugsweise taktisch, nicht strategisch; Maersche und
Operationen zaehlten nur an zweiter Stelle, an erster die Schlachten;
der Festungskrieg war in der Kindheit; die See und der Seekrieg kamen
kaum einmal beilaeufig in Betracht. Es ist begreiflich, zumal wenn man
nicht vergisst, dass in den damaligen Schlachten bei dem Vorherrschen
der blanken Waffe wesentlich das Handgemenge entschied, dass
eine Ratsversammlung diese Operationen zu dirigieren und wer eben
Buergermeister war, die Truppen zu befehligen imstande war. Auf einen
Schlag war das alles umgewandelt. Das Schlachtfeld dehnte sich aus
in unabsehbare Ferne, in unbekannte Landstriche eines andern Erdteils
hinein und hinaus ueber weite Meeresflaechen; jede Welle war dem Feinde
eine Strasse, von jedem Hafen konnte man seinen Anmarsch erwarten. Die
Belagerung der festen Plaetze, namentlich der Kuestenfestungen, an der
die ersten Taktiker Griechenlands gescheitert waren, hatten die Roemer
jetzt zum erstenmal zu versuchen. Man kam nicht mehr aus mit dem
Landheer und mit dem Buergermilizwesen. Es galt, eine Flotte zu schaffen
und, was schwieriger war, sie zu gebrauchen, es galt, die wahren
Angriffs- und Verteidigungspunkte zu finden, die Massen zu vereinigen
und zu richten, auf lange Zeit und weite Ferne die Zuege zu berechnen
und ineinanderzupassen; geschah dies nicht, so konnte auch der taktisch
weit schwaechere Feind leicht den staerkeren Gegner besiegen. Ist es ein
Wunder, dass die Zuegel eines solchen Regiments der Ratversammlung und
den kommandierenden Buergermeistern entschluepften? Offenbar wusste man
beim Beginn des Krieges nicht, was man begann; erst im Laufe des Kampfes
draengten die Unzulaenglichkeiten des roemischen Systems eine nach der
anderen sich auf: der Mangel einer Seemacht, das Fehlen einer festen
militaerischen Leitung, die Unzulaenglichkeit der Feldherren, die
vollstaendige Unbrauchbarkeit der Admirale. Zum Teil half man ihnen ab
durch Energie und durch Glueck; so dem Mangel einer Flotte. Aber auch
diese gewaltige Schoepfung war ein grossartiger Notbehelf und ist es
zu allen Zeiten geblieben. Man bildete eine roemische Flotte, aber
man nationalisierte sie nur dem Namen nach und behandelte sie stets
stiefmuetterlich: der Schiffsdienst blieb gering geschaetzt neben dem
hochgeehrten Dienst in den Legionen, die Seeoffiziere waren grossenteils
italische Griechen, die Bemannung Untertanen oder gar Sklaven und
Gesindel. Der italische Bauer war und blieb wasserscheu; unter den drei
Dingen, die Cato in seinem Leben bereute, war das eine, dass er einmal
zu Schiff gefahren sei, wo er zu Fuss habe gehen koennen. Es lag dies
zum Teil wohl in der Natur der Sache, da die Schiffe Rudergaleeren waren
und der Ruderdienst kaum geadelt werden kann; allein, eigene Seelegionen
wenigstens haette man bilden und auf die Errichtung eines roemischen
Seeoffizierstandes hinwirken koennen. Man haette, den Impuls der Nation
benutzend, allmaehlich darauf ausgehen sollen, eine nicht bloss durch
die Zahl, sondern durch Segelfaehigkeit und Routine bedeutende Seemacht
herzustellen, wozu in dem waehrend des langen Krieges entwickelten
Kaperwesen ein wichtiger Anfang schon gemacht war; allein es geschah
nichts derart von der Regierung. Dennoch ist das roemische Flottenwesen
in seiner unbehilflichen Grossartigkeit noch die genialste Schoepfung
dieses Krieges und hat wie im Anfang so zuletzt fuer Rom den Ausschlag
gegeben. Viel schwieriger zu ueberwinden waren diejenigen Maengel, die
sich ohne Aenderung der Verfassung nicht beseitigen liessen. Dass der
Senat je nach dem Stande der in ihm streitenden Parteien von einem
System der Kriegfuehrung zum andern absprang und so unglaubliche Fehler
beging, wie die Raeumung von Clupea und die mehrmalige Einziehung der
Flotte waren; dass der Feldherr des einen Jahres sizilische Staedte
belagerte und sein Nachfolger, statt dieselben zur Uebergabe zu zwingen,
die afrikanische Kueste brandschatzte oder ein Seetreffen zu liefern
fuer gut fand; dass ueberhaupt der Oberbefehl jaehrlich von Rechts wegen
wechselte - das alles liess sich nicht abstellen, ohne Verfassungsfragen
anzuregen, deren Loesung schwieriger war als der Bau einer Flotte, aber
freilich ebensowenig zu vereinigen mit den Forderungen eines solchen
Krieges. Vor allen Dingen aber wusste niemand noch in die neue
Kriegfuehrung sich zu finden, weder der Senat noch die Feldherren.
Regulus' Feldzug ist ein Beispiel davon, wie seltsam man in dem Gedanken
befangen war, dass die taktische Ueberlegenheit alles entscheide. Es
gibt nicht leicht einen Feldherrn, dem das Glueck so wie ihm die Erfolge
in den Schoss geworfen hat; er stand im Jahr 498 (256) genau da, wo
fuenfzig Jahre spaeter Scipio, nur dass ihm kein Hannibal und keine
erprobte feindliche Armee gegenueberstand. Allein der Senat zog die
halbe Armee zurueck, sowie man sich von der taktischen Ueberlegenheit
der Roemer ueberzeugt hatte; im blinden Vertrauen auf diese blieb der
Feldherr stehen, wo er eben stand, um strategisch, und nahm er die
Schlacht an, wo man sie ihm anbot, um auch taktisch sich ueberwinden zu
lassen. Es war dies um so bezeichnender, als Regulus in seiner Art ein
tuechtiger und erprobter Feldherr war. Eben die Bauernmanier, durch
die Etrurien und Samnium genommen worden waren, war die Ursache der
Niederlage in der Ebene von Tunes. Der in seinem Bereiche ganz richtige
Satz, dass jeder rechte Buergersmann zum General tauge, war irrig
geworden; in dem neuen Kriegssystem konnte man nur Feldherren von
militaerischer Schule und militaerischem Blicke brauchen, und das
freilich war nicht jeder Buergermeister. Noch viel aerger aber war es,
dass man das Oberkommando der Flotte als eine Dependenz des Oberbefehls
der Landarmee behandelte und der erste beste Stadtvorsteher meinte,
nicht bloss General, sondern auch Admiral spielen zu koennen. An den
schlimmsten Niederlagen, die Rom in diesem Krieg erlitten hat, sind
nicht die Stuerme schuld und noch weniger die Karthager, sondern der
anmassliche Unverstand seiner Buergeradmirale. Rom hat endlich gesiegt;
aber das Bescheiden mit einem weit geringeren Gewinn, als er zu Anfang
gefordert, ja geboten worden war, sowie die energische Opposition, auf
welche in Rom der Friede stiess, bezeichnen sehr deutlich die Halbheit
und die Oberflaechlichkeit des Sieges wie des Friedens; und wenn Rom
gesiegt hat, so verdankt es diesen Sieg zwar auch der Gunst der Goetter
und der Energie seiner Buerger, aber mehr als beiden den die Maengel
der roemischen Kriegfuehrung noch weit uebertreffenden Fehlern seiner
Feinde. 3. Kapitel Die Ausdehnung Italiens bis an seine natuerlichen
Grenzen Die italische Eidgenossenschaft, wie sie aus den Krisen des
fuenften Jahrhunderts hervorgegangen war, oder der Staat Italien
vereinigte unter roemischer Hegemonie die Stadt- und Gaugemeinden
vom Apennin bis an das Ionische Meer. Allein bevor noch das fuenfte
Jahrhundert zu Ende ging, waren diese Grenzen bereits nach beiden Seiten
hin ueberschritten, waren jenseits des Apennin wie jenseits des Meeres
italische, der Eidgenossenschaft angehoerige Gemeinden entstanden. Im
Norden hatte die Republik, alte und neue Unbill zu raechen, bereits
im Jahre 471 (283) die keltischen Senonen vernichtet, im Sueden in dem
grossen Kriege 490-513 (264-241) die Phoeniker von der sizilischen Insel
verdraengt. Dort gehoerte ausser der Buergeransiedlung Sena namentlich
die latinische Stadt Ariminum, hier die Mamertinergemeinde in Messana
zu der von Rom geleiteten Verbindung, und wie beide national italischen
Ursprungs waren, so hatten auch beide teil an den gemeinen Rechten
und Pflichten der italischen Eidgenossenschaft. Es mochten mehr die
augenblicklich draengenden Ereignisse als eine umfassende
politische Berechnung diese Erweiterungen hervorgerufen haben; aber
begreiflicherweise brach wenigstens jetzt, nach den grossen, gegen
Karthago erstrittenen Erfolgen, bei der roemischen Regierung eine
neue und weitere politische Idee sich Bahn, welche die natuerliche
Beschaffenheit der Halbinsel ohnehin schon nahe genug legte. Politisch
und militaerisch war es wohl gerechtfertigt, die Nordgrenze von dem
niedrigen und leicht zu ueberschreitenden Apennin an die maechtige
Scheidewand Nord- und Suedeuropas, die Alpen, zu verlegen und mit der
Herrschaft ueber Italien die ueber die Meere und Inseln im Westen und
Osten der Halbinsel zu vereinigen; und nachdem durch die Vertreibung der
Phoeniker aus Sizilien der schwerste Teil getan war, vereinigten sich
mancherlei Umstaende, um der roemischen Regierung die Vollendung des
Werkes zu erleichtern. In der Westsee, die fuer Italien bei weitem mehr
in Betracht kam als das Adriatische Meer, war die wichtigste Stellung,
die grosse fruchtbare und hafenreiche Insel Sizilien, durch den
karthagischen Frieden zum groesseren Teil in den Besitz der Roemer
uebergegangen. Koenig Hieron von Syrakus, der in den letzten
zweiundzwanzig Kriegsjahren unerschuetterlich an dem roemischen Buendnis
festgehalten hatte, haette auf eine Gebietserweiterung billigen Anspruch
gehabt; allein wenn die roemische Politik den Krieg in dem Entschluss
begonnen hatte, nur sekundaere Staaten auf der Insel zu dulden, so
ging bei Beendigung desselben ihre Absicht entschieden schon auf den
Eigenbesitz Siziliens. Hieron mochte zufrieden sein, dass ihm sein
Gebiet - das heisst ausser dem unmittelbaren Bezirk von Syrakus die
Feldmarken von Eloros, Neeton, Akrae, Leontini, Megara und Tauromenion
- und seine Selbstaendigkeit gegen das Ausland, in Ermangelung jeder
Veranlassung, ihm diese zu schmaelern, beides im bisherigen Umfang
gelassen ward, und dass der Krieg der beiden Grossmaechte nicht mit dem
voelligen Sturz der einen oder der anderen geendigt hatte und also
fuer die sizilische Mittelmacht wenigstens noch die Moeglichkeit des
Bestehens blieb. In dem uebrigen bei weitem groesseren Teile Siziliens,
in Panormos, Lilybaeon, Akragas, Messana, richteten die Roemer sich
haeuslich ein. Sie bedauerten nur, dass der Besitz des schoenen Eilandes
doch nicht ausreichte, um die westliche See in ein roemisches Binnenmeer
zu verwandeln, solange noch Sardinien karthagisch blieb. Da eroeffnete
sich bald nach dem Friedensschluss eine unerwartete Aussicht, auch diese
zweite Insel des Mittelmeeres den Karthagern zu entreissen. In Afrika
hatten unmittelbar nach dem Abschluss des Friedens mit Rom die Soeldner
und die Untertanen gemeinschaftlich gegen die Phoeniker sich empoert.
Die Schuld der gefaehrlichen Insurrektion trug wesentlich die
karthagische Regierung. Hamilkar hatte in den letzten Kriegsjahren
seinen sizilischen Soeldnern den Sold nicht wie frueher aus eigenen
Mitteln auszahlen koennen und vergeblich Geldsendungen von daheim
erbeten; er moege, hiess es, die Mannschaft nur zur Abloehnung nach
Afrika senden. Er gehorchte, aber da er die Leute kannte, schiffte er
sie vorsichtig in kleineren Abteilungen ein, damit man sie truppweise
abloehnen oder mindestens auseinanderlegen koenne, und legte selber
hierauf den Oberbefehl nieder. Allein alle Vorsicht scheiterte, nicht so
sehr an den leeren Kassen als an dem kollegialischen Geschaeftsgang und
dem Unverstand der Buerokratie. Man wartete, bis das gesamte Heer
wieder in Libyen vereinigt stand und versuchte dann, den Leuten an dem
versprochenen Solde zu kuerzen. Natuerlich entstand eine Meuterei unter
den Truppen, und das unsichere und feige Benehmen der Behoerden zeigte
den Meuterern, was sie wagen konnten. Die meisten von ihnen waren
gebuertig aus den von Karthago beherrschten oder abhaengigen Distrikten;
sie kannten die Stimmung, welche die von der Regierung dekretierte
Schlaechterei nach dem Zuge des Regulus und der fuerchterliche
Steuerdruck dort ueberall hervorgerufen hatten, und kannten auch ihre
Regierung, die nie Wort hielt und nie verzieh: sie wussten, was ihrer
wartete, wenn sie mit dem meuterisch erpressten Solde sich nach Hause
zerstreuten. Seit langem hatte man in Karthago sich die Mine gegraben
und bestellte jetzt selbst die Leute, die nicht anders konnten, als
sie anzuenden. Wie ein Lauffeuer ergriff die Revolution Besatzung um
Besatzung, Dorf um Dorf; die libyschen Frauen trugen ihren Schmuck
herbei, um den Soeldnern die Loehnung zu zahlen; eine Menge
karthagischer Buerger, darunter einige der ausgezeichnetsten Offiziere
des sizilischen Heeres, wurden das Opfer der erbitterten Menge; schon
war Karthago von zwei Seiten belagert und das aus der Stadt ausrueckende
karthagische Heer durch die Verkehrtheit des ungeschickten Fuehrers
gaenzlich geschlagen. Wie man also in Rom den gehassten und immer
noch gefuerchteten Feindin groesserer Gefahr schweben sah, als je die
roemischen Kriege ueber ihn gebracht hatten, fing man an, mehr und
mehr den Friedensschluss von 513 (241) zu bereuen, der, wenn er nicht
wirklich voreilig war, jetzt wenigstens allen voreilig erschien, und
zu vergessen, wie erschoepft damals der eigene Staat gewesen war, wie
maechtig der karthagische damals dagestanden hatte. Die Scham verbot
zwar, mit den karthagischen Rebellen offen in Verbindung zu treten, ja
man gestattete den Karthagern ausnahmsweise, zu diesem Krieg in Italien
Werbungen zu veranstalten, und untersagte den italischen Schiffern,
mit den Libyern zu verkehren. Indes darf bezweifelt werden, ob es der
Regierung von Rom mit diesen bundesfreundlichen Verfuegungen sehr
ernst war. Denn als nichtsdestoweniger der Verkehr der afrikanischen
Insurgenten mit den roemischen Schiffern fortging und Hamilkar, den
die aeusserste Gefahr wieder an die Spitze der karthagischen Armee
zurueckgefuehrt hatte, eine Anzahl dabei betroffener italischer
Kapitaene aufgriff und einsteckte, verwandte sich der Senat fuer
dieselben bei der karthagischen Regierung und bewirkte ihre Freigebung.
Auch die Insurgenten selbst schienen in den Roemern ihre natuerlichen
Bundesgenossen zu erkennen; die sardinischen Besatzungen, welche gleich
der uebrigen karthagischen Armee sich fuer die Aufstaendischen erklaert
hatten, boten, als sie sich ausserstande sahen, die Insel gegen die
Angriffe der unbezwungenen Gebirgsbewohner aus dem Innern zu halten,
den Besitz derselben den Roemern an (um 515 239); und aehnliche
Anerbietungen kamen sogar von der Gemeinde Utica, welche ebenfalls an
dem Aufstand teilgenommen hatte und nun durch die Waffen Hamilkars
aufs aeusserste bedraengt ward. Das letztere Anerbieten wies man in Rom
zurueck, hauptsaechlich wohl, weil es ueber die natuerlichen Grenzen
Italiens hinaus und also weitergefuehrt haben wuerde, als die
roemische Regierung damals zu gehen gedachte; dagegen ging sie auf die
Anerbietungen der sardinischen Meuterer ein und uebernahm von ihnen, was
von Sardinien in den Haenden der Karthager gewesen war (516 238). Mit
schwererem Gewicht als in der Angelegenheit der Mamertiner trifft die
Roemer hier der Tadel, dass die grosse und siegreiche Buergerschaft es
nicht verschmaehte, mit dem feilen Soeldnergesindel Bruederschaft zu
machen und den Raub zu teilen, und es nicht ueber sich gewann,
dem Gebote des Rechtes und der Ehre den augenblicklichen Gewinn
nachzusetzen. Die Karthager, deren Bedraengnis eben um die Zeit der
Besetzung Sardiniens aufs hoechste gestiegen war, schwiegen vorlaeufig
ueber die unbefugte Vergewaltigung; nachdem indes diese Gefahr wider
Erwarten und wahrscheinlich wider Verhoffen der Roemer durch Hamilkars
Genie abgewendet und Karthago in Afrika wieder in seine volle Herrschaft
eingesetzt worden war (517 237), erschienen sofort in Rom karthagische
Gesandte, um die Rueckgabe Sardiniens zu fordern. Allein die Roemer,
nicht geneigt, den Raub wieder herauszugeben, antworteten mit nichtigen
oder doch nicht hierher gehoerenden Beschwerden ueber allerlei Unbill,
die die Karthager roemischen Handelsleuten zugefuegt haben sollten, und
eilten, den Krieg zu erklaeren ^1; der Satz, dass in der Politik jeder
darf, was er kann, trat hervor in seiner unverhuellten Schamlosigkeit.
Die gerechte Erbitterung hiess die Karthager, den gebotenen Krieg
annehmen; haette Catulus fuenf Jahre zuvor auf Sardiniens Abtretung
bestanden, der Krieg wuerde wahrscheinlich seinen Fortgang gehabt haben.
Allein jetzt, wo beide Inseln verloren, Libyen in Gaerung, der
Staat durch den vierundzwanzigjaehrigen Krieg mit Rom und den fast
fuenfjaehrigen entsetzlichen Buergerkrieg aufs aeusserste geschwaecht
war, musste man wohl sich fuegen. Nur auf wiederholte flehentliche
Bitten und nachdem die Phoeniker sich verpflichtet hatten, fuer die
mutwillig veranlassten Kriegsruestungen eine Entschaedigung von
1200 Talenten (2 Mill. Taler) nach Rom zu zahlen, standen die Roemer
widerwillig vom Kriege ab. So erwarb Rom fast ohne Kampf Sardinien, wozu
man Korsika fuegte, die alte etruskische Besitzung, in der vielleicht
noch vom letzten Kriege her einzelne roemische Besatzungen standen.
Indes beschraenkten die Roemer, eben wie es die Phoeniker getan hatten,
sich in Sardinien und mehr noch in dem rauhen Korsika auf die Besetzung
der Kuesten. Mit den Eingeborenen im Innern fuehrte man bestaendige
Kriege, oder vielmehr man trieb dort die Menschenjagd: man hetzte sie
mit Hunden und fuehrte die gefangene Ware auf den Sklavenmarkt, aber
an eine ernstliche Unterwerfung ging man nicht. Nicht um ihrer selbst
willen hatte man die Inseln besetzt, sondern zur Sicherung Italiens.
Seit sie die drei grossen Eilande besass, konnte die
Eidgenossenschaft das Tyrrhenische Meer das ihrige nennen.
--------------------------------------------- ^1 Dass die Abtretung der
zwischen Sizilien und Italien liegenden Inseln, die der Friede von
513 (241) den Karthagern vorschrieb, die Abtretung Sardiniens nicht
einschloss, ist ausgemacht (vgl. 2, 60); es ist aber auch schlecht
beglaubigt, dass die Roemer die Besetzung der Insel drei Jahre nach dem
Frieden damit motivierten. Haetten sie es getan, so wuerden sie
bloss der politischen Schamlosigkeit eine diplomatische Albernheit
hinzugefuegt haben. --------------------------------------------- Die
Gewinnung der Inseln in der italischen Westsee fuehrte in das roemische
Staatswesen einen Gegensatz ein, der zwar allem Anschein nach aus
blossen Zweckmaessigkeitsruecksichten und fast zufaellig entstanden,
aber darum nicht minder fuer die ganze Folgezeit von der tiefsten
Bedeutung geworden ist; den Gegensatz der festlaendischen und der
ueberseeischen Verwaltungsform oder, um die spaeter gelaeufigen
Bezeichnungen zu brauchen, den Gegensatz Italiens und der Provinzen.
Bis dahin hatten die beiden hoechsten Beamten der Gemeinde, die Konsuln,
einen gesetzlich abgegrenzten Sprengel nicht gehabt, sondern ihr
Amtsbezirk sich soweit erstreckt wie ueberhaupt das roemische Regiment;
wobei es sich natuerlich von selbst versteht, dass sie faktisch sich in
das Amtsgebiet teilten, und ebenso sich von selbst versteht, dass sie
in jedem einzelnen Bezirk ihres Sprengels durch die dafuer bestehenden
Bestimmungen gebunden waren, also zum Beispiel die Gerichtsbarkeit
ueber roemische Buerger ueberall dem Praetor zu ueberlassen und in den
latinischen und sonst autonomen Gemeinden die bestehenden Vertraege
einzuhalten hatten. Die seit 487 (267) durch Italien verteilten vier
Quaestoren beschraenkten die konsularische Amtsgewalt formell wenigstens
nicht, indem sie in Italien ebenso wie in Rom lediglich als von den
Konsuln abhaengige Hilfsbeamte betrachtet wurden. Man scheint diese
Verwaltungsweise anfaenglich auch auf die Karthago abgenommenen Gebiete
erstreckt und Sizilien wie Sardinien einige Jahre durch Quaestoren unter
Oberaufsicht der Konsuln regiert zu haben; allein sehr bald wusste man
sich praktisch von der Unentbehrlichkeit eigener Oberbehoerden fuer die
ueberseeischen Landschaften ueberzeugen. Wie man die Konzentrierung der
roemischen Jurisdiktion in der Person des Praetors bei der Erweiterung
der Gemeinde hatte aufgeben und in die entfernteren Bezirke
stellvertretende Gerichtsherren hatte senden muessen, ebenso masste
jetzt (527 227) auch die administrativ-militaerische Konzentration
in der Person der Konsuln aufgegeben werden. Fuer jedes der neuen
ueberseeischen Gebiete, sowohl fuer Sizilien wie fuer Sardinien nebst
Korsika, ward ein besonderer Nebenkonsul eingesetzt, welcher an Rang
und Titel dem Konsul nach- und dem Praetor gleichstand, uebrigens aber,
gleich dem Konsul der aelteren Zeit vor Einsetzung der Praetur, in
seinem Sprengel zugleich Oberfeldherr, Oberamtmann und Oberrichter war.
Nur die unmittelbare Kassenverwaltung ward wie von Haus aus den Konsuln,
so auch diesen neuen Oberbeamten entzogen und ihnen ein oder mehrere
Quaestoren zugegeben, die zwar in alle Wege ihnen untergeordnet und
in der Rechtspflege wie im Kommando ihre Gehilfen waren, aber doch die
Kassenverwaltung zu fuehren und darueber nach Niederlegung ihres
Amtes dem Senat Rechnung zu legen hatten. Diese Verschiedenheit in der
Oberverwaltung schied wesentlich die ueberseeischen Besitzungen Roms
von den festlaendischen. Die Grundsaetze, nach denen Rom die abhaengigen
Landschaften in Italien organisiert hatte, wurden grossenteils auch auf
die ausseritalischen Besitzungen uebertragen. Dass die Gemeinden ohne
Ausnahme die Selbstaendigkeit dem Auslands gegenueber verloren, versteht
sich von selbst. Was den inneren Verkehr anlangt, so durfte fortan kein
Provinziale ausserhalb seiner eigenen Gemeinde in der Provinz rechtes
Eigentum erwerben, vielleicht auch nicht eine rechte Ehe schliessen.
Dagegen gestattete die roemische Regierung wenigstens den sizilischen
Staedten, die man nicht zu fuerchten hatte, eine gewisse foederative
Organisation und wohl selbst allgemeine sikeliotische Landtage mit einem
unschaedlichen Petitions- und Beschwerderecht ^2. Im Muenzwesen war
es zwar nicht wohl moeglich, das roemische Courant sofort auch auf den
Inseln zum allein gueltigen zu erklaeren; aber gesetzlichen Kurs scheint
dasselbe doch von vornherein erhalten zu haben und ebenso, wenigstens
in der Regel, den Staedten im roemischen Sizilien das Recht, in edlen
Metallen, zu muenzen, entzogen worden zu sein ^3. Dagegen blieb nicht
bloss das Grundeigentum in ganz Sizilien unangetastet - der Satz, dass
das ausseritalische Land durch Kriegsrecht den Roemern zu Privateigentum
verfallen sei, war diesem Jahrhundert noch unbekannt -, sondern es
behielten auch die saemtlichen sizilischen und sardinischen Gemeinden
die Selbstverwaltung und eine gewisse Autonomie, die freilich nicht
in rechtsverbindlicher Weise ihnen zugesichert, sondern provisorisch
zugelassen ward. Wenn die demokratischen Gemeindeverfassungen ueberall
beseitigt und in jeder Stadt die Macht in die Haende des die staedtische
Aristokratie repraesentierenden Gemeinderates gelegt ward; wenn ferner
wenigstens die sizilischen Gemeinden angewiesen wurden, jedes fuenfte
Jahr dem roemischen Zensus korrespondierend eine Gemeindeschaetzung zu
veranstalten, so war beides nur eine notwendige Folge der Unterordnung
unter den roemischen Senat, welcher mit griechischen Ekklesien und ohne
Uebersicht der finanziellen und militaerischen Hilfsmittel einer jeden
abhaengigen Gemeinde in der Tat nicht regieren konnte; und auch in den
italischen Landschaften war in dieser wie in jener Hinsicht das gleiche
geschehen. --------------------------------------------------- ^2 Dahin
fuehren teils das Auftretender "Siculer" gegen Marcellus (Liv. 26, 26
f.), teils die "Gesamteingaben aller sizilischen Gemeinden" (Cic. Verr.
2, 42, 102; 45, 114; 50,146; 3, 88, 204), teils bekannte Analogien
(Marquardt, Landbuch Bd. 3 1, S. 267). Aus dem mangelnden commercium
zwischen den einzelnen Staedten folgt der Mangel des concilium
noch keineswegs. ^3 So streng wie in Italien ward das Gold- und
Silbermuenzrecht in den Provinzen nicht von Rom monopolisiert, offenbar
weil auf das nicht auf roemischen Fuss geschlagene Gold- und Silbergeld
es weniger ankam. Doch sind unzweifelhaft auch hier die Praegstaetten in
der Regel auf Kupfer- oder hoechstens silberne Kleinmuenze beschraenkt
worden; eben die am besten gestellten Gemeinden des roemischen Sizilien,
wie die Mamertiner, die Kentoripiner, die Halaesiner, die Segestaner,
wesentlich auch die Panormitaner haben nur Kupfer geschlagen.
---------------------------------------------- Aber neben dieser
wesentlichen Rechtsgleichheit stellte sich zwischen den italischen
einer- und den ueberseeischen Gemeinden andererseits ein folgenreicher
Unterschied fest. Waehrend die mit den italischen Staedten
abgeschlossenen Vertraege denselben ein festes Kontingent zu dem Heer
oder der Flotte der Roemer auferlegten, wurden den ueberseeischen
Gemeinden, mit denen eine bindende Paktierung ueberhaupt nicht
eingegangen ward, dergleichen Zuzug nicht auferlegt, sondern sie
verloren das Waffenrecht ^4, nur dass sie nach Aufgebot des roemischen
Praetors zur Verteidigung ihrer eigenen Heimat verwendet werden konnten.
Die roemische Regierung sandte regelmaessig italische Truppen in der von
ihr festgesetzten Staerke auf die Inseln; dafuer wurde der Zehnte der
sizilischen Feldfruechte und ein Zoll von fuenf Prozent des Wertes aller
in den sizilischen Haefen aus- und eingehenden Handelsartikel nach
Rom entrichtet. Den Insulanern waren diese Abgaben nichts Neues. Die
Abgaben, welche die karthagische Republik und der persische Grosskoenig
sich zahlen liessen, waren jenem Zehnten wesentlich gleichartig; und
auch in Griechenland war eine solche Besteuerung nach orientalischem
Muster von jeher mit der Tyrannis und oft auch mit der Hegemonie
verknuepft gewesen. Die Sizilianer hatten laengst in dieser Weise den
Zehnten entweder nach Syrakus oder nach Karthago entrichtet und laengst
auch die Hafenzoelle nicht mehr fuer eigene Rechnung erhoben. "Wir
haben", sagt Cicero, "die sizilischen Gemeinden also in unsere Klientel
und in unseren Schutz aufgenommen, dass sie bei dem Rechte blieben, nach
welchem sie bisher gelebt hatten, und unter denselben Verhaeltnissen
der roemischen Gemeinde gehorchten, wie sie bisher ihren eigenen Herren
gehorcht hatten." Es ist billig, dies nicht zu vergessen; aber im
Unrecht fortfahren heisst auch Unrecht tun. Nicht fuer die Untertanen,
die nur den Herrn wechselten, aber wohl fuer ihre neuen Herren war das
Aufgeben des ebenso weisen wie grossherzigen Grundsatzes der roemischen
Staatsordnung, von den Untertanen nur Kriegshilfe und nie statt
derselben Geldentschaedigung anzunehmen, von verhaengnisvoller
Bedeutung, gegen die alle Milderungen in den Ansaetzen und der
Erhebungsweise sowie alle Ausnahmen im einzelnen verschwanden. Solche
Ausnahmen wurden allerdings mehrfach gemacht. Messana trat geradezu
in die Eidgenossenschaft der Togamaenner ein und stellte wie die
griechischen Staedte in Italien sein Kontingent zu der roemischen
Flotte. Einer Reihe anderer Staedte wurde zwar nicht der Eintritt in
die italische Wehrgenossenschaft, aber ausser anderen Beguenstigungen
Freiheit von Steuer und Zehnten zugestanden, so dass ihre Stellung in
finanzieller Hinsicht selbst noch guenstiger war als die der italischen
Gemeinden. Es waren dies Egesta und Halikyae, welche zuerst unter
den Staedten des karthagischen Sizilien zum roemischen Buendnis
uebergetreten waren; Kentoripa im oestlichen Binnenland, das bestimmt
war, das syrakusanische Gebiet in naechster Naehe zu ueberwachen ^5; an
der Nordkueste Halaesa, das zuerst von den freien griechischen Staedten
den Roemern sich angeschlossen hatte; und vor allem Panormos, bisher
die Hauptstadt des karthagischen Sizilien und jetzt bestimmt, die des
roemischen zu werden. Den alten Grundsatz ihrer Politik, die abhaengigen
Gemeinden in sorgfaeltig abgestufte Klassen verschiedenen Rechts
zu gliedern, wandten die Roemer also auch auf Sizilien an; aber
durchschnittlich standen die sizilischen und sardinischen Gemeinden
nicht im bundesgenoessischen, sondern in dem offenkundigen
Verhaeltnis steuerpflichtiger Untertaenigkeit.
--------------------------------------------------- ^4 Darauf geht
Hierons Aeusserung (Liv. 22, 37): es sei ihm bekannt, dass die Roemer
sich keiner anderen Infanterie und Reiterei als roemischer oder
latinischer bedienten und "Auslaender" nur hoechstens unter den
Leichtbewaffneten verwendeten. ^5 Das zeigt schon ein Blick auf
die Karte, aber ebenso die merkwuerdige Bestimmung, dass es den
Kentoripinern ausnahmsweise gestattet blieb, sich in ganz Sizilien
anzukaufen. Sie bedurften als roemische Aufpasser der freiesten
Bewegung. Uebrigens scheint Kentoripa auch unter den ersten zu
Rom uebergetretenen Staedten gewesen zu sein (Diod. 1, 23 p. 501).
-------------------------------------------------- Allerdings fiel
dieser tiefgreifende Gegensatz zwischen den zuzug- und den steuer-
oder doch wenigstens nicht zuzugpflichtigen Gemeinden mit dem Gegensatz
zwischen Italien und den Provinzen nicht in rechtlich notwendiger
Weise zusammen. Es konnten auch ueberseeische Gemeinden der italischen
Eidgenossenschaft angehoeren, wie denn die Mamertiner mit den
italischen Sabellern wesentlich auf einer Linie standen, und selbst
der Neugruendung von Gemeinden latinischen Rechts stand in Sizilien und
Sardinien rechtlich so wenig etwas im Wege wie in dem Lande jenseits
des Apennin. Es konnten auch festlaendische Gemeinden des Waffenrechts
entbehren und tributaer sein, wie dies fuer einzelne keltische Distrikte
am Po wohl schon jetzt galt und spaeter in ziemlich ausgedehntem Umfange
eingefuehrt ward. Allein der Sache nach ueberwogen die zuzugpflichtigen
Gemeinden ebenso entschieden auf dem Festlande wie die steuerpflichtigen
auf den Inseln; und waehrend weder in dem hellenisch zivilisierten
Sizilien noch auf Sardinien italische Ansiedelungen roemischerseits
beabsichtigt wurden, stand es bei der roemischen Regierung ohne Zweifel
schon jetzt fest, das barbarische Land zwischen Apennin und Alpen nicht
bloss sich zu unterwerfen, sondern auch, wie die Eroberung fortschritt,
dort neue Gemeinden italischen Ursprungs und italischen Rechts zu
konstituieren. Also wurden die ueberseeischen Besitzungen nicht bloss
Untertanenland, sondern sie waren auch bestimmt, es fuer alle Zukunft zu
bleiben; dagegen der neu abgegrenzte gesetzliche Amtsbezirk der Konsuln
oder, was dasselbe ist, das festlaendische roemische Gebiet sollte ein
neues und weiteres Italien werden, das von den Alpen bis zum Ionischen
Meere reichte. Vorerst freilich fiel dies Italien als wesentlich
geographischer Begriff mit dem politischen der italischen
Eidgenossenschaft nicht durchaus zusammen und war teils weiter,
teils enger. Aber schon jetzt betrachtete man den ganzen Raum bis zur
Alpengrenze als Italia, das heisst als gegenwaertiges oder kuenftiges
Gebiet der Togatraeger und steckte, aehnlich wie es in Nordamerika
geschah und geschieht, die Grenze vorlaeufig geographisch ab, um sie
mit der weiter vorschreitenden Kolonisierung allmaehlich auch politisch
vorzuschieben ^6. ------------------------------------------- ^6
Dieser Gegensatz zwischen Italien als dem roemischen Festland oder dem
konsularischen Sprengel einer- und dem ueberseeischen Gebiet oder den
Praetorensprengeln andererseits erscheint schon im sechsten Jahrhundert
in mehrfachen Anwendungen. Die Religionsvorschrift, dass gewisse
Priester Rom nicht verlassen durften (Val. Max. 1, 1, 2), ward dahin
ausgelegt, dass es ihnen nicht gestattet sei, das Meer zu ueberschreiten
(Liv. ep. 19; 36; 51; Tac. ann. 3, 58; 71; Cic. Phil. 11, 8; 18; vgl.
Liv. 28, 38; 44; ep. 59). Bestimmter noch gehoert hierher die Auslegung,
welche von der alten Vorschrift, dass der Konsul nur "auf roemischem
Boden" den Diktator ernennen duerfe, im Jahre 544 vorgetragen wird:
der roemische Boden begreife ganz Italien in sich (Liv. 27, 5). Die
Einrichtung des keltischen Landes zwischen den Alpen und dem Apennin
zu einem eigenen, vom konsularischen verschiedenen und einem besonderen
staendigen Oberbeamten unterworfenen Sprengel gehoert erst Sulla an. Es
wird natuerlich dagegen niemand geltend machen, dass schon im sechsten
Jahrhundert sehr haeufig Gallia oder Ariminum als "Amtsbezirk"
(provincia) gewoehnlich eines der Konsuln genannt wird. Provincia
ist bekanntlich in der aelteren Sprache nicht, was es spaeter allein
bedeutet, ein raeumlich abgegrenzter, einem staendigen Oberbeamten
unterstellter Sprengel, sondern die fuer den einzelnen Konsul zunaechst
durch Uebereinkommen mit seinem Kollegen unter Mitwirkung des Senats
festgestellte Kompetenz; und in diesem Sinn sind haeufig einzelne
norditalische Landschaften oder auch Norditalien ueberhaupt
einzelnen Konsuln als provincia ueberwiesen worden.
-------------------------------------------- Im Adriatischen Meer, an
dessen Eingang die wichtige und laengst vorbereitete Kolonie Brundisium
endlich noch waehrend des Krieges mit Karthago gegruendet worden war
(510 244), war Roms Suprematie von vornherein entschieden. In der
Westsee hatte Rom den Rivalen beseitigen muessen; in der oestlichen
sorgte schon die hellenische Zwietracht dafuer, dass alle Staaten
auf der griechischen Halbinsel ohnmaechtig blieben oder wurden. Der
bedeutendste derselben, der makedonische, war unter dem Einfluss
Aegyptens vom oberen Adriatischen Meer durch die Aetoler wie aus dem
Peloponnes durch die Achaeer verdraengt worden und kaum noch imstande,
die Nordgrenze gegen die Barbaren zu schuetzen. Wie sehr den Roemern
daran gelegen war, Makedonien und dessen natuerlichen Verbuendeten, den
syrischen Koenig, niederzuhalten, und wie eng sie sich anschlossen an
die eben darauf gerichtete aegyptische Politik, beweist das merkwuerdige
Anerbieten, das sie nach dem Ende des Krieges mit Karthago dem Koenig
Ptolemaeos III. Euergetes machten, ihn in dem Kriege zu unterstuetzen,
den er wegen Berenikes Ermordung gegen Seleukos II. Kallinikos von
Syrien (reg. 507-529 247-225) fuehrte und bei dem wahrscheinlich
Makedonien fuer den letztern Partei genommen hatte. Ueberhaupt werden
die Beziehungen Roms zu den hellenistischen Staaten enger; auch
mit Syrien verhandelte der Senat schon und verwandte sich bei
dem ebengenannten Seleukos fuer die stammverwandten Ilier. Einer
unmittelbaren Einmischung in die Angelegenheiten der oestlichen Maechte
bedurfte es zunaechst nicht. Die achaeische Eidgenossenschaft, die im
Aufbluehen geknickt ward durch die engherzige Coteriepolitik des Aratos,
die aetolische Landsknechtrepublik, das verfallene Makedonierreich
hielten selber einer den andern nieder; und ueberseeischen Laendergewinn
vermied man damals eher in Rom, als dass man ihn suchte. Als die
Akarnanen, sich darauf berufend, dass sie allein unter allen Griechen
nicht teilgenommen haetten an der Zerstoerung Ilions, die Nachkommen des
Aeneas um Hilfe baten gegen die Aetoler, versuchte der Senat zwar eine
diplomatische Verwendung; allein da die Aetoler darauf eine nach ihrer
Weise abgefasste, das heisst unverschaemte Antwort erteilten, ging das
antiquarische Interesse der roemischen Herren doch keineswegs so weit,
um dafuer einen Krieg anzufangen, durch den sie die Makedonier von
ihrem Erbfeind befreit haben wuerden (um 515 239). Selbst den Unfug der
Piraterie, die bei solcher Lage der Dinge begreiflicherweise das einzige
Gewerbe war, das an der adriatischen Kueste bluehte und vor der auch der
italische Handel viel zu leiden hatte, liessen sich die Roemer mit einer
Geduld, die mit ihrer gruendlichen Abneigung gegen den Seekrieg und
ihrem schlechten Flottenwesen eng zusammenhing, laenger als billig
gefallen. Allein endlich ward es doch zu arg. Unter Beguenstigung
Makedoniens, das keine Veranlassung mehr fand, sein altes Geschaeft der
Beschirmung des hellenischen Handels vor den adriatischen Korsaren zu
Gunsten seiner Feinde fortzufuehren, hatten die Herren von Skodra die
illyrischen Voelkerschaften, etwa die heutigen Dalmatiner, Montenegriner
und Nordalbanesen, zu gemeinschaftlichen Piratenzuegen im grossen Stil
vereinigt; mit ganzen Geschwadern ihrer schnellsegelnden Zweidecker, der
bekannten "liburnischen" Schiffe, fuehrten die Illyrier den Krieg gegen
jedermann zur See und an den Kuesten. Die griechischen Ansiedlungen in
diesen Gegenden, die Inselstaedte Issa (Lissa) und Pharos (Lesina), die
wichtigen Kuestenplaetze Epidamnos (Durazzo) und Apollonia (noerdlich
von Avlona am Aoos), hatten natuerlich vor allem zu leiden und sahen
sich wiederholt von den Barbaren belagert. Aber noch weiter suedlich, in
Phoenike, der bluehendsten Stadt von Epeiros, setzten die Korsaren sich
fest; halb gezwungen, halb freiwillig traten die Epeiroten und Akarnanen
mit den fremden Raeubern in eine unnatuerliche Symmachie; bis nach Elis
und Messene hin waren die Kuesten unsicher. Vergeblich vereinigten
die Aetoler und Achaeer, was sie an Schiffen hatten, um dem Unwesen zu
steuern; in offener Seeschlacht wurden sie von den Seeraeubern und deren
griechischen Bundesgenossen geschlagen; die Korsarenflotte vermochte
endlich sogar die reiche und wichtige Insel Kerkyra (Korfu) einzunehmen.
Die Klagen der italischen Schiffer, die Hilfsgesuche der altverbuendeten
Apolloniaten, die flehenden Bitten der belagerten Issaer noetigten
endlich den roemischen Senat, wenigstens Gesandte nach Skodra zu
schicken. Die Brueder Gaius und Lucius Coruncanius kamen, um von dem
Koenig Agron Abstellung des Unwesens zu fordern. Der Koenig gab zur
Antwort, dass nach illyrischem Landrecht der Seeraub ein erlaubtes
Gewerbe sei und die Regierung nicht das Recht habe, der Privatkaperei
zu wehren; worauf Lucius Coruncanius erwiderte, dass dann Rom es sich
angelegen sein lassen werde, den Illyriern ein besseres Landrecht
beizubringen. Wegen dieser, allerdings nicht sehr diplomatischen Replik
wurde, wie die Roemer behaupteten, auf Geheiss des Koenigs, einer der
Gesandten auf der Heimkehr ermordet und die Auslieferung der Moerder
verweigert. Der Senat hatte jetzt keine Wahl mehr. Mit dem Fruehjahr
525 (229) erschien vor Apollonia eine Flotte von 200 Linienschiffen
mit einer Landungsarmee an Bord; vor jener zerstoben die Korsarenboote,
waehrend diese die Raubburgen brach; die Koenigin Teuta, die nach ihres
Gemahls Agron Tode die Regierung fuer ihren unmuendigen Sohn Pinnes
fuehrte, musste, in ihrem letzten Zufluchtsort belagert, die Bedingungen
annehmen, die Rom diktierte. Die Herren von Skodra wurden wieder im
Norden wie im Sueden auf ihr urspruengliches engbegrenztes Gebiet
beschraenkt und hatten nicht bloss alle griechischen Staedte, sondern
auch die Ardiaeer in Dalmatien, die Parthiner um Epidamnos, die
Atintanen im noerdlichen Epeiros aus ihrer Botmaessigkeit zu entlassen;
suedlich von Lissos (Alessio zwischen Scutari und Durazzo) sollten
kuenftig illyrische Kriegsfahrzeuge ueberhaupt nicht und nicht armierte
nicht ueber zwei zusammen fahren duerfen. Roms Seeherrschaft auf dem
Adriatischen Meer war in der loeblichsten und dauerhaftesten Weise
zur vollen Anerkennung gebracht durch die rasche und energische
Unterdrueckung des Piratenunfugs. Allein man ging weiter und setzte
sich zugleich an der Ostkueste fest. Die Illyrier von Skodra wurden
tributpflichtig nach Rom; auf den dalmatinischen Inseln und Kuesten
wurde Demetrios von Pharos, der aus den Diensten der Teuta in roemische
getreten war, als abhaengiger Dynast und roemischer Bundesgenosse
eingesetzt; die griechischen Staedte Kerkyra, Apollonia, Epidamnos und
die Gemeinden der Atintanen und Parthiner wurden in milden Formen der
Symmachie an Rom geknuepft. Diese Erwerbungen an der Ostkueste des
Adriatischen Meeres waren nicht ausgedehnt genug, um einen eigenen
Nebenkonsul fuer sie einzusetzen: nach Kerkyra und vielleicht auch nach
anderen Plaetzen scheinen Statthalter untergeordneten Ranges gesandt und
die Oberaufsicht ueber diese Besitzungen den Oberbeamten, welche Italien
verwalteten, mit uebertragen worden zu sein ^7. Also traten gleich
Sizilien und Sardinien auch die wichtigsten Seestationen im Adriatischen
Meer in die roemische Botmaessigkeit ein. Wie haette es auch anders
kommen sollen? Rom brauchte eine gute Seestation im oberen Adriatischen
Meere, welche ihm seine Besitzungen an dem italischen Ufer nicht
gewaehrten; die neuen Bundesgenossen, namentlich die griechischen
Handelsstaedte, sahen in den Roemern ihre Retter und taten ohne Zweifel,
was sie konnten, sich des maechtigen Schutzes dauernd zu versichern;
im eigentlichen Griechenland, war nicht bloss niemand imstande zu
widersprechen, sondern das Lob der Befreier auf allen Lippen. Man kann
fragen, ob der Jubel in Hellas groesser war oder die Scham, als
statt der zehn Linienschiffe der Achaeischen Eidgenossenschaft, der
streitbarsten Macht Griechenlands, jetzt zweihundert Segel der Barbaren
in ihre Haefen einliefen und mit einem Schlage die Aufgabe loesten, die
den Griechen zukam und an der diese so klaeglich gescheitert waren. Aber
wenn man sich schaemte, dass die Rettung den bedraengten Landsleuten vom
Ausland hatte kommen muessen, so geschah es wenigstens mit guter Manier;
man saeumte nicht, die Roemer durch Zulassung zu den Isthmischen
Spielen und den Eleusinischen Mysterien feierlich in den hellenischen
Nationalverband aufzunehmen. -------------------------------------------
^7 Ein stehender roemischer Kommandant von Kerkyra scheint bei Polyb.
22,15, 6 (falsch uebersetzt von Liv. 38, 11; vgl. 42, 37), ein solcher
von Issa bei Liv. 43, 9 vorzukommen. Dazu kommt die Analogie des
Praefectus pro legato insularem Baliarum (Orelli 732) und des
Statthalters von Pandataria (IRN 3528). Es scheint danach ueberhaupt in
der roemischen Verwaltung Regel gewesen zu sein, fuer die entfernteren
Inseln nicht senatorische praefecti zu bestellen. Diese "Stellvertreter"
aber setzen ihrem Wesen nach einen Oberbeamten voraus, der sie ernennt
und beaufsichtigt; und dies koennen in dieser Zeit nur die Konsuln
gewesen sein. Spaeter, seit Einrichtung der Provinzen Makedonien und
Gallia Cisalpina, kam die Oberverwaltung an den einen dieser beiden
Statthalter; wie denn das hier in Rede stehende Gebiet, der Kern
des spaeteren roemischen Illyricum, bekanntlich zum Teil zu
Caesars Verwaltungssprengel mit gehoerte.
---------------------------------------- Makedonien schwieg; es
war nicht in der Verfassung, mit den Waffen zu protestieren, und
verschmaehte, es mit Worten zu tun. Auf Widerstand traf man nirgend;
aber nichtsdestoweniger hatte Rom, indem es die Schluessel zum Hause des
Nachbarn an sich nahm, in diesem sich einen Gegner geschaffen, von dem,
wenn er wieder zu Kraeften oder eine guenstige Gelegenheit ihm vorkam,
sich erwarten liess, dass er sein Schweigen zu brechen wissen werde.
Haette der kraeftige und besonnene Koenig Antigonos Doson laenger
gelebt, so wuerde wohl er schon den hingeworfenen Handschuh aufgehoben
haben; denn als einige Jahre spaeter der Dynast Demetrios von Pharos
sich der roemischen, Hegemonie entzog, im Einverstaendnis mit den
Istriern vertragswidrig Seeraub trieb und die von den Roemern fuer
unabhaengig erklaerten Atintanen sich unterwarf, machte Antigonos
Buendnis mit ihm, und Demetrios' Truppen fochten mit in Antigonos' Heer
in der Schlacht bei Sellasia (532 222). Allein Antigonos starb (Winter
533/34 221/20); sein Nachfolger Philippos, noch ein Knabe, liess es
geschehen, dass der Konsul Lucius Aemilius Paullus den Verbuendeten
Makedoniens angriff, seine Hauptstadt zerstoerte und ihn landfluechtig
aus seinem Reiche trieb (535 219). Auf dem Festland des eigentlichen
Italien suedlich vom Apennin war tiefer Friede seit dem Fall von Tarent;
der sechstaegige Krieg mit Falerii (513 241) ist kaum etwas mehr als
eine Kuriositaet. Aber gegen Norden dehnte zwischen dem Gebiet der
Eidgenossenschaft und der Naturgrenze Italiens, der Alpenkette, noch
eine weite Strecke sich aus, die den Roemern nicht botmaessig war.
Als Grenze Italiens galt an der adriatischen Kueste der Aesisfluss,
unmittelbar oberhalb Ancona. Jenseits dieser Grenze gehoerte
die naechstliegende, eigentlich gallische Landschaft bis Ravenna
einschliesslich in aehnlicher Weise wie das eigentliche Italien zu dem
roemischen Reichsverband; die Senonen, die hier ehemals gesessen hatten,
waren in dem Kriege 471/72 (283/82) ausgerottet und die einzelnen
Ortschaften entweder als Buergerkolonien, wie Sena gallica, oder
als Bundesstaedte, sei es latinischen Rechts, wie Ariminum, sei es
italischen, wie Ravenna, mit Rom verknuepft worden. Auf dem weiten
Gebiet jenseits Ravenna bis zu der Alpengrenze sassen nichtitalische
Voelkerschaften. Suedlich vom Po behauptete sich noch der maechtige
Keltenstamm der Boier (von Parma bis Bologna), neben denen oestlich
die Lingonen, westlich (im Gebiet von Parma) die Anaren, zwei kleinere,
vermutlich in der Klientel der Boier stehende keltische Kantone die
Ebene ausfuellten. Wo diese aufhoert, begannen die Ligurer, die mit
einzelnen keltischen Staemmen gemischt auf dem Apennin von oberhalb
Arezzo und Pisa an sitzend, das Quellgebiet des Po innehatten. Von der
Ebene nordwaerts vom Po hatten die Veneter, verschiedenen Stammes von
den Kelten und wohl illyrischer Abkunft, den oestlichen Teil etwa von
Verona bis zur Kueste im Besitz; zwischen ihnen und den westlichen
Gebirgen sassen die Cenomanen (um Brescia und Cremona), die selten
mit der keltischen Nation hielten und wohl stark mit Venetern gemischt
waren, und die Insubrer (um Mailand), dieser der bedeutendste der
italischen Keltengaue und in stetiger Verbindung nicht bloss mit den
kleineren, in den Alpentaelern zerstreuten Gemeinden teils keltischer,
teils anderer Abkunft, sondern auch mit den Keltengauen jenseits der
Alpen. Die Pforten der Alpen, der maechtige, auf fuenfzig deutsche
Meilen schiffbare Strom, die groesste und fruchtbarste Ebene des
damaligen zivilisierten Europas, waren nach wie vor in den Haenden der
Erbfeinde des italischen Namens, die, wohl gedemuetigt und geschwaecht,
doch immer noch kaum dem Namen nach abhaengig und immer noch unbequeme
Nachbarn, in ihrer Barbarei verharrten und duenngesaet in den weiten
Flaechen ihre Herden- und Plunderwirtschaft fortfuehrten. Man durfte
erwarten, dass die Roemer eilen wuerden, sich dieser Gebiete zu
bemaechtigen; um so mehr als die Kelten allmaehlich anfingen, ihrer
Niederlagen in den Feldzuegen von 471 und 472 (283 282) zu vergessen und
sich wieder zu regen, ja was noch bedenklicher war, die transalpinischen
Kelten aufs neue begannen, diesseits der Alpen sich zu zeigen. In der
Tat hatten bereits im Jahre 516 (238) die Boier den Krieg erneuert und
deren Herren Atis und Galatas, freilich ohne Auftrag der Landesgemeinde,
die Transalpiner aufgefordert, mit ihnen gemeinschaftliche Sache zu
machen; zahlreich waren diese dem Ruf gefolgt und im Jahre 518 (236)
lagerte ein Keltenheer vor Ariminum, wie Italien es lange nicht gesehen
hatte. Die Roemer, fuer den Augenblick viel zu schwach, um die Schlacht
zu versuchen, schlossen Waffenstillstand und liessen, um Zeit zu
gewinnen, Boten der Kelten nach Rom gehen, die im Senat die Abtretung
von Ariminum zu fordern wagten - es schien, als seien die Zeiten des
Brennus wiedergekehrt. Aber ein unvermuteter Zwischenfall machte
dem Krieg ein Ende, bevor er noch recht begonnen hatte. Die Boier,
unzufrieden mit den ungebetenen Bundesgenossen und wohl fuer ihr eigenes
Gebiet fuerchtend, gerieten in Haendel mit den Transalpinern; es kam
zwischen den beiden Keltenheeren zu offener Feldschlacht, und nachdem
die boischen Haeuptlinge von ihren eigenen Leuten erschlagen waren,
kehrten die Transalpiner heim. Damit waren die Boier den Roemern in die
Haende gegeben, und es hing nur von diesen ab, sie gleich den Senonen
auszutreiben und wenigstens bis an den Po vorzudringen; allein es ward
vielmehr denselben gegen die Abtretung einiger Landstriche der Friede
gewaehrt (518 236). Das mag damals geschehen sein, weil man eben den
Wiederausbruch des Kriegs mit Karthago erwartete; aber nachdem dieser
durch die Abtretung Sardiniens abgewandt worden war, forderte es die
richtige Politik der roemischen Regierung, das Land bis an die Alpen
so rasch und so vollstaendig wie moeglich in Besitz zu nehmen. Die
bestaendigen Besorgnisse der Kelten vor einer solchen roemischen
Invasion sind darum hinreichend gerechtfertigt; indes die Roemer
beeilten sich eben nicht. So begannen denn die Kelten ihrerseits den
Krieg, sei es, dass die roemischen Ackerverteilungen an der Ostkueste
(522 232), obwohl zunaechst nicht gegen sie gerichtet, sie besorgt
gemacht hatten, sei es, dass sie die Unvermeidlichkeit eines Krieges mit
Rom um den Besitz der Lombardei begriffen, sei es, was vielleicht das
Wahrscheinlichste ist, dass das ungeduldige Kelterwolk wieder einmal
des Sitzens muede war und eine neue Heerfahrt zu ruesten beliebte. Mit
Ausschluss der Cenomanen, die mit den Venetern hielten und sich fuer die
Roemer erklaerten, traten dazu saemtliche italische Kelten zusammen,
und ihnen schlossen sich unter den Fuehrern Concolitanus und Aneroestus
zahlreich die Kelten des oberen Rhonetals oder vielmehr deren
Reislaeufer an ^8. Mit 50000 zu Fuss und 20000 zu Ross oder zu Wagen
kaempfenden Streitern rueckten die Fuehrer der Kelten auf den Apennin
zu (529 225). Von dieser Seite hatte man in Rom sich des Angriffs nicht
versehen und nicht erwartet, dass die Kelten mit Vernachlaessigung
der roemischen Festungen an der Ostkueste und des Schutzes der eigenen
Stammesgenossen geradeswegs gegen die Hauptstadt vorzugehen wagen
wuerden. Nicht gar lange vorher hatte ein aehnlicher Keltenschwarm in
ganz gleicher Weise Griechenland ueberschwemmt; die Gefahr war ernst
und schien noch ernster, als sie war. Der Glaube, dass Roms Untergang
diesmal unvermeidlich und der roemische Boden vom Verhaengnis gallisch
zu werden bestimmt sei, war selbst in Rom unter der Menge so allgemein
verbreitet, dass sogar die Regierung es nicht unter ihrer Wuerde hielt,
den krassen Aberglauben des Poebels durch einen noch krasseren zu bannen
und zur Erfuellung des Schicksalspruchs einen gallischen Mann und eine
gallische Frau auf dem roemischen Markt lebendig begraben zu lassen.
Daneben traf man ernstlichere Anstalten. Von den beiden konsularischen
Heeren, deren jedes etwa 25000 Mann zu Fuss und 1100 Reiter zaehlte,
stand das eine unter Gaius Atilius Regulus in Sardinien, das zweite
unter Lucius Aemilius Papus bei Ariminum; beide erhielten Befehl,
sich so schnell wie moeglich nach dem zunaechst bedrohten Etrurien
zu begeben. Schon hatten gegen die mit Rom verbuendeten Cenomanen und
Veneter die Kelten eine Besatzung in der Heimat zuruecklassen muessen;
jetzt ward auch der Landsturm der Umbrer angewiesen, von den heimischen
Bergen herab in die Ebene der Boier einzuruecken und dem Feinde auf
seinen eigenen Aeckern jeden erdenklichen Schaden zuzufuegen. Die
Landwehr der Etrusker und Sabiner sollte den Apennin besetzen und
womoeglich sperren, bis die regulaeren Truppen eintreffen koennten. In
Rom bildete sich eine Reserve von 50000 Mann; durch ganz Italien, das
diesmal in Rom seinen rechten Vorkaempfer sah, wurde die dienstfaehige
Mannschaft verzeichnet, Vorraete und Kriegsmaterial zusammengebracht.
--------------------------------------------- ^8 Dieselben, die Polybios
bezeichnet als "die Kelten in den Alpen und an der Rhone, die man
wegen ihrer Reislaeuferei Gaesaten (Landsknechte) nenne", werden in
den kapitolinischen Fasten Germani genannt. Moeglich ist es, dass die
gleichzeitige Geschichtschreibung hier nur Kelten genannt und erst
die historische Spekulation der caesarischen und augustischen Zeit die
Redaktoren jener Fasten bewogen hat, daraus "Germanen" zu machen.
Wofern dagegen die Nennung der Germanen in den Fasten auf gleichzeitige
Aufzeichnungen zurueckgeht - in welchem Falle dies die aelteste
Erwaehnung dieses Namens ist -, wird man hier doch nicht an die
spaeter so genannten deutschen Staemme denken duerfen, sondern an einen
keltischen Schwarm. ---------------------------------------------- Indes
alles das forderte Zeit; man hatte einmal sich ueberrumpeln lassen, und
wenigstens Etrurien zu retten, war es zu spaet. Die Kelten fanden den
Apennin kaum verteidigt und pluenderten unangefochten die reichen Ebenen
des tuskischen Gebietes, das lange keinen Feind gesehen. Schon standen
sie bei Clusium, drei Tagemaersche von Rom, als das Heer von Ariminum
unter dem Konsul Papus ihnen in der Flanke erschien, waehrend die
etruskische Landwehr, die sich nach der Ueberschreitung des Apennin im
Ruecken der Gallier zusammengezogen hatte, dem Marsch der Feinde
folgte. Eines Abends, nachdem bereits beide Heere sich gelagert und die
Biwakfeuer angezuendet hatten, brach das keltische Fussvolk ploetzlich
wieder auf und zog in rueckwaertiger Richtung ab auf der Strasse
gegen Faesulae (Fiesole); die Reiterei besetzte die Nacht hindurch die
Vorposten und folgte am andern Morgen der Hauptmacht. Als die tuskische
Landwehr, die dicht am Feinde lagerte, seines Abzugs inneward, meinte
sie, dass der Schwarm anfange sich zu verlaufen und brach auf zu eiligem
Nachsetzen. Eben darauf hatten die Gallier gerechnet; ihr ausgeruhtes
und geordnetes Fussvolk empfing auf dem wohl gewaehlten Schlachtfeld
die roemische Miliz, die ermattet und aufgeloest von dem Gewaltmarsch
herankam. 6000 Mann fielen nach heftigem Kampf, und auch der Rest des
Landsturms, der notduerftig auf einem Huegel Zuflucht gefunden,
waere verloren gewesen, wenn nicht rechtzeitig das konsularische
Heer erschienen waere. Dies bewog die Gallier, sich nach der Heimat
zurueckzuwenden. Ihr geschickt angelegter Plan, die Vereinigung der
beiden roemischen Heere zu hindern und das schwaechere einzeln zu
vernichten, war nur halb gelungen; fuer jetzt schien es ihnen geraten,
zunaechst die betraechtliche Beute in Sicherheit zu bringen. Des
bequemeren Marsches wegen zogen sie sich aus der Gegend von Chiusi, wo
sie standen, an die ebene Kueste und marschierten am Strande hin,
als sie unvermutet hier sich den Weg verlegt fanden. Es waren die
sardinischen Legionen, die bei Pisae gelandet waren und, da sie zu spaet
kamen, um den Apennin zu sperren, sich sofort auf demselben Kuestenweg,
den die Gallier verfolgten, in der entgegengesetzten Richtung in
Bewegung gesetzt hatten. Bei Telamon (an der Muendung des Ombrone)
trafen sie auf den Feind. Waehrend das roemische Fussvolk in
geschlossener Front auf der grossen Strasse vorrueckte, ging die
Reiterei, vom Konsul Gaius Atilius Regulus selber gefuehrt, seitwaerts
vor, um den Galliern in die Flanke zu kommen und so bald wie moeglich
dem anderen roemischen Heer unter Papus Kunde von ihrem Eintreffen zu
geben. Es entspann sich ein heftiges Reitergefecht, in dem mit vielen
tapferen Roemern auch Regulus fiel; aber nicht umsonst hatte er sein
Leben aufgeopfert: sein Zweck war erreicht. Papus gewahrte das Gefecht
und ahnte den Zusammenhang; schleunig ordnete er seine Scharen und von
beiden Seiten drangen nun roemische Legionen auf das Keltenheer ein.
Mutig stellte dieses sich zum Doppelkampf, die Transalpiner und Insubrer
gegen die Truppen des Papus, die alpinischen Taurisker und die Boier
gegen das sardinische Fussvolk; das Reitergefecht ging davon gesondert
auf dem Fluegel seinen Gang. Die Kraefte waren der Zahl nach nicht
ungleich gemessen, und die verzweifelte Lage der Gallier zwang sie zur
hartnaeckigsten Gegenwehr. Aber die Transalpiner, nur des Nahkampfes
gewohnt, wichen vor den Geschossen der roemischen Plaenkler; im
Handgemenge setzte die bessere Staehlung der roemischen Waffen
die Gallier in Nachteil; endlich entschied der Flankenangriff der
siegreichen roemischen Reiterei den Tag. Die keltischen Berittenen
entrannen; fuer das Fussvolk, das zwischen dem Meere und den drei
roemischen Heeren eingekeilt war, gab es keine Flucht. 10000 Kelten mit
dem Koenig Concolitanus wurden gefangen; 40000 andere lagen tot auf dem
Schlachtfeld; Aneroestus und sein Gefolge hatten sich nach keltischer
Sitte selber den Tod gegeben. Der Sieg war vollstaendig und die Roemer
fest entschlossen, die Wiederholung solcher Einfaelle durch die voellige
Ueberwaeltigung der Kelten diesseits der Alpen unmoeglich zu machen.
Ohne Widerstand ergaben im folgenden Jahr (530 224) sich die Boier
nebst den Lingonen, das Jahr darauf (531 223) die Anaren; damit war
das Flachland bis zum Padus in roemischen Haenden. Ernstlichere
Kaempfe kostete die Eroberung des noerdlichen Ufers. Gaius Flaminius
ueberschritt in dem neugewonnenen anarischen Gebiet (etwa bei Piacenza)
den Fluss (531 223); allein bei dem Uebergang und mehr noch bei der
Festsetzung am anderen Ufer erlitt er so schwere Verluste und fand sich,
den Fluss im Ruecken, in einer so gefaehrlichen Lage, dass er mit dem
Feind um freien Abzug kapitulierte, den die Insubrer toerichterweise
zugestanden. Kaum war er indes entronnen, als er vom Gebiet der
Cenomanen aus und mit diesen vereinigt von Norden her in den Gau der
Insubrer zum zweitenmal einrueckte. Zu spaet begriffen diese, um was es
sich jetzt handle; sie nahmen aus dem Tempel ihrer Goettin die goldenen
Feldzeichen, "die unbeweglichen" genannt, und mit ihrem ganzen Aufgebot,
50000 Mann stark, boten sie den Roemern die Schlacht. Die Lage dieser
war gefaehrlich: sie standen mit dem Ruecken an einem Fluss (vielleicht
dem Oglio), von der Heimat getrennt durch das feindliche Gebiet und fuer
den Beistand im Kampf wie fuer die Rueckzugslinie angewiesen auf die
unsichere Freundschaft der Cenomanen. Indes es gab keine Wahl. Man zog
die in den roemischen Reihen fechtenden Gallier auf das linke Ufer des
Flusses; auf dem rechten, den Insubrern gegenueber, stellte man
die Legionen auf und brach die Bruecken ab, um von den unsicheren
Bundesgenossen wenigstens nicht im Ruecken angefallen zu werden.
Freilich schnitt also der Fluss den Rueckzug ab und ging der Weg zur
Heimat durch das feindliche Heer. Aber die Ueberlegenheit der roemischen
Waffen und der roemischen Disziplin erfocht den Sieg und das Heer schlug
sich durch; wieder einmal hatte die roemische Taktik die strategischen
Fehler gutgemacht. Der Sieg gehoerte den Soldaten und Offizieren, nicht
den Feldherren, die gegen den gerechten Beschluss des Senats nur durch
Volksgunst triumphierten. Gern haetten die Insubrer Frieden gemacht;
aber Rom forderte unbedingte Unterwerfung, und so weit war man noch
nicht. Sie versuchten, sich mit Hilfe der noerdlichen Stammgenossen zu
halten, und mit 30000 von ihnen geworbenen Soeldnern derselben und ihrer
eigenen Landwehr empfingen sie die beiden im folgenden Jahr (532 222)
abermals aus dem cenomanischen Gebiet in das ihrige einrueckenden
konsularischen Heere. Es gab noch manches harte Gefecht; bei einer
Diversion, welche die Insubrer gegen die roemische Festung Clastidium
(Casteggio, unterhalb Pavia) am rechten Poufer versuchten, fiel der
gallische Koenig Virdumarus von der Hand des Konsuls Marcus Marcellus.
Allein nach einer halb von den Kelten schon gewonnenen, aber endlich
doch fuer die Roemer entschiedenen Schlacht erstuermte der Konsul Gnaeus
Scipio die Hauptstadt der Insubrer, Mediolanum, und die Einnahme dieser
und der Stadt Comum machte der Gegenwehr ein Ende. Damit waren die
italischen Kelten vollstaendig besiegt, und wie eben vorher die Roemer
den Hellenen im Piratenkrieg den Unterschied zwischen roemischer und
griechischer Seebeherrschung gezeigt, so hatten sie jetzt glaenzend
bewiesen, dass Rom Italiens Pforten anders gegen den Landraub zu wahren
wusste als Makedonien die Tore Griechenlands und dass trotz allen
inneren Haders Italien dem Nationalfeinde gegenueber ebenso einig wie
Griechenland zerrissen dastand. Die Alpengrenze war erreicht, insofern
als das ganze Flachland am Po entweder den Roemern untertaenig oder, wie
das cenomanische und venetische Gebiet, von abhaengigen Bundesgenossen
besessen war; es bedurfte indes der Zeit, um die Konsequenzen dieses
Sieges zu ziehen und die Landschaft zu romanisieren. Man verfuhr dabei
nicht in derselben Weise. In dem gebirgigen Nordwesten Italiens und in
den entfernteren Distrikten zwischen den Alpen und dem Po duldete man im
ganzen die bisherigen Bewohner; die zahlreichen sogenannten Kriege, die
namentlich gegen die Ligurer gefuehrt wurden (zuerst 516 238), scheinen
mehr Sklavenjagden gewesen zu sein, und wie oft auch die Gaue und Taeler
den Roemern sich unterwarfen, war die roemische Herrschaft doch hier
kaum mehr als ein Name. Auch die Expedition nach Istrien (533 221)
scheint nicht viel mehr bezweckt zu haben, als die letzten Schlupfwinkel
der adriatischen Piraten zu vernichten und laengs der Kueste zwischen
den italischen Eroberungen und den Erwerbungen an dem anderen Ufer
eine Kontinentalverbindung herzustellen. Dagegen die Kelten in
den Landschaften suedlich vom Po waren der Vernichtung rettungslos
verfallen; denn bei dem losen Zusammenhang der keltischen Nation nahm
keiner der noerdlichen Kettengaue ausser fuer Geld sich der italischen
Stammgenossen an, und die Roemer sahen in denselben nicht bloss ihre
Nationalfeinde, sondern auch die Usurpatoren ihres natuerlichen Erbes.
Die ausgedehnte Ackerverteilung von 522 (332) hatte schon das gesamte
Gebiet zwischen Ancona und Ariminum mit roemischen Kolonisten gefuellt,
die ohne kommunale Organisation in Marktflecken und Doerfern hier sich
ansiedelten. Auf diesem Wege ging man weiter, und es war nicht
schwer, eine halbbarbarische, dem Ackerbau nur nebenher obliegende und
ummauerter Staedte entbehrende Bevoelkerung, wie die keltische war, zu
verdraengen und auszurotten. Die grosse Nordchaussee, die wahrscheinlich
schon achtzig Jahre frueher ueber Otricoli nach Narni gefuehrt und kurz
vorher bis an die neubegruendete Festung Spoletium (514 240) verlaengert
worden war, wurde jetzt (534 220) unter dem Namen der Flaminischen
Strasse ueber den neu angelegten Marktflecken Forum Flaminii (bei
Foligno) durch den Furlopass an die Kueste und an dieser entlang von
Fanum (Fano) bis nach Ariminum gefuehrt; es war die erste Kunststrasse,
die den Apennin ueberschritt und die beiden italischen Meere verband.
Man war eifrig beschaeftigt, das neugewonnene fruchtbare Gebiet mit
roemischen Ortschaften zu bedecken. Schon war zur Deckung des Uebergangs
ueber den Po auf dem rechten Ufer die starke Festung Placentia
(Piacenza) gegruendet, nicht weit davon am linken Cremona angelegt,
ferner auf dem den Boiern abgenommenen Gebiet der Mauerbau von
Mutina (Modena) weit vorgeschritten; schon bereitete man weitere
Landanweisungen und die Fortfuehrung der Chaussee vor, als ein
ploetzliches Ereignis die Roemer in der Ausbeutung ihrer Erfolge
unterbrach. 4. Kapitel Hamilkar und Hannibal Der Vertrag mit Rom von 513
(241) gab den Karthagern Frieden, aber um einen teuren Preis. Dass die
Tribute des groessten Teils von Sizilien jetzt in den Schatz des
Feindes flossen statt in die karthagische Staatskasse, war der geringste
Verlust. Viel empfindlicher war es, dass man nicht bloss die Hoffnung
hatte aufgeben muessen, deren Erfuellung so nahe geschienen, die
saemtlichen Seestrassen aus dem oestlichen in das westliche Mittelmeer
zu monopolisieren, sondern dass das ganze handelspolitische System
gesprengt, das bisher ausschliesslich beherrschte suedwestliche Becken
des Mittelmeers seit Siziliens Verlust fuer alle Nationen ein offenes
Fahrwasser, Italiens Handel von dem phoenikischen vollstaendig
unabhaengig geworden war. Indes die ruhigen sidonischen Maenner haetten
auch darueber vielleicht sich zu beruhigen vermocht. Man hatte schon
aehnliche Schlaege erfahren; man hatte mit den Massalioten, den
Etruskern, den sizilischen Griechen teilen muessen, was man frueher
allein besessen; auch das, was man jetzt noch hatte, Afrika, Spanien,
die Pforten des Atlantischen Meeres, reichte aus, um maechtig und
wohlgemut zu leben. Aber freilich, wer buergte dafuer, dass wenigstens
dies blieb? Was Regulus gefordert und wie wenig ihm gefehlt hatte, um
das, was er forderte, zu erreichen, konnte nur vergessen, wer vergessen
wollte; und wenn Rom den Versuch, den es von Italien aus mit so grossem
Erfolg unternommen hatte, jetzt von Lilybaeon aus erneuerte, so war
Karthago, wenn nicht die Verkehrtheit des Feindes oder ein besonderer
Gluecksfall dazwischen trat, unzweifelhaft verloren. Zwar man hatte
jetzt Frieden; aber es hatte an einem Haar gehangen, dass dem Frieden
die Ratifikation verweigert ward, und man wusste, wie die oeffentliche
Meinung in Rom diesen Friedensschluss beurteilte. Es mochte sein, dass
Rom an die Eroberung Afrikas jetzt noch nicht dachte und noch Italien
ihm genuegte; aber wenn die Existenz des karthagischen Staats an dieser
Genuegsamkeit hing, so sah es uebel damit aus, und wer buergte dafuer,
dass die Roemer nicht eben ihrer italischen Politik es angemessen
fanden, den afrikanischen Nachbar zwar nicht sich zu unterwerfen, aber
doch zu vertilgen? Kurz, Karthago durfte den Frieden von 513 (241)
nur als einen Waffenstillstand betrachten und musste ihn benutzen zur
Vorbereitung fuer die unvermeidliche Erneuerung des Krieges; nicht,
um die erlittene Niederlage zu raechen, nicht einmal zunaechst, um
das Verlorene zurueckzugewinnen, sondern um sich eine nicht von dem
Gutfinden des Landesfeindes abhaengige Existenz zu erfechten. Allein
wenn einem schwaecheren Staat ein gewisser, aber der Zeit nach
unbestimmter Vernichtungskrieg bevorsteht, werden die kluegeren,
entschlosseneren, hingebenderen Maenner, die zu dem unvermeidlichen
Kampf sich sogleich fertig machen, ihn zur guenstigen Stunde aufnehmen
und so die politische Defensive durch die strategische Offensive
verdecken moechten, ueberall sich gehemmt sehen durch die traege und
feige Masse der Geldesknechte, der Altersschwachen, der Gedankenlosen,
welche nur Zeit zu gewinnen, nur in Frieden zu leben und zu sterben, nur
den letzten Kampf um jeden Preis hinauszuschieben bedacht sind. So gab
es auch in Karthago eine Friedens- und eine Kriegspartei, die beide wie
natuerlich sich anschlossen an den schon zwischen den Konservativen
und den Reformisten bestehenden politischen Gegensatz: jene fand
ihre Stuetze in den Regierungsbehoerden, dem Rat der Alten und der
Hundertmaenner, an deren Spitze Hanno, der sogenannte Grosse, stand,
diese in den Leitern der Menge, namentlich dem angesehenen Hasdrubal,
und in den Offizieren des sizilischen Heeres, dessen grosse Erfolge
unter Hamilkars Fuehrung, wenn sie auch sonst vergeblich gewesen
waren, doch den Patrioten einen Weg gezeigt hatten, der Rettung aus der
ungeheuren Gefahr zu versprechen schien. Schon lange mochte zwischen
diesen Parteien heftige Fehde bestehen, als der libysche Krieg zwischen
sie hineinschlug. Wie er entstand, ist schon erzaehlt worden.
Nachdem die Regierungspartei die Meuterei durch die unfaehige, alle
Vorsichtsmassregeln der sizilischen Offiziere vereitelnde Verwaltung
angezettelt hatte, durch die Nachwirkung ihres unmenschlichen
Regierungssystems diese Meuterei in eine Revolution umgeschlagen und
endlich durch ihre und namentlich ihres Fuehrers, des Heerverderbers
Hanno militaerische Unfaehigkeit das Land an den Rand des Abgrundes
gebracht worden war, ward der Held von der Eirkte, Hamilkar Barkas, in
der hoechsten Not von der Regierung selbst ersucht, sie von den Folgen
ihrer Fehler und Verbrechen zu retten. Er nahm das Kommando an und
dachte hochsinnig genug, es selbst dann nicht niederzulegen, als man
ihm den Hanno zum Kollegen gab; ja als die erbitterte Armee denselben
heimschickte, vermochte er es ueber sich, ihm auf die flehentliche Bitte
der Regierung zum zweitenmal den Mitoberbefehl einzuraeumen und
trotz der Feinde wie trotz des Kollegen durch seinen Einfluss bei den
Aufstaendischen, seine geschickte Behandlung der numidischen Scheichs,
sein unvergleichliches Organisatoren- und Feldherrngenie in unglaublich
kurzer Zeit den Aufstand voellig niederzuwerfen und das empoerte Afrika
zum Gehorsam zurueckzubringen (Ende 517 237). Die Patriotenpartei hatte
waehrend dieses Krieges geschwiegen; jetzt sprach sie um so lauter.
Einerseits war bei dieser Katastrophe die ganze Verderbtheit und
Verderblichkeit der herrschenden Oligarchie an den Tag gekommen, ihre
Unfaehigkeit, ihre Coteriepolitik, ihre Hinneigung zu den Roemern;
anderseits zeigte die Wegnahme Sardiniens und die drohende Stellung,
welche Rom dabei einnahm, deutlich auch dem geringsten Mann, dass das
Damoklesschwert der roemischen Kriegserklaerung stets ueber Karthago
hing, und dass, wenn Karthago unter den gegenwaertigen Verhaeltnissen
mit Rom zum Kriege kam, dieser notwendig den Untergang der phoenikischen
Herrschaft in Libyen zur Folge haben muesse. Es mochte in Karthago nicht
wenige geben, die, an der Zukunft des Vaterlandes verzweifelnd, die
Auswanderung nach den Inseln des Atlantischen Meeres anrieten; wer
durfte sie schelten? Aber edlere Gemueter verschmaehen es, ohne die
Nation sich selber zu bergen, und grosse Naturen geniessen das Vorrecht,
aus dem, worueber die Menge der Guten verzweifelt, Begeisterung
zu schoepfen. Man nahm die neuen Bedingungen an, wie sie Rom eben
diktierte; es blieb nichts uebrig, als sich zu fuegen und den neuen Hass
zu dem alten schlagend ihn sorgfaeltig zu sammeln und zu sparen, dieses
letzte Kapitel einer gemisshandelten Nation. Dann aber schritt man
zu einer politischen Reform ^1. Von der Unverbesserlichkeit der
Regimentspartei hatte man sich hinreichend ueberzeugt; dass die
regierenden Herren auch im letzten Krieg weder ihren Groll vergessen
noch groessere Weisheit gelernt hatten, zeigte zum Beispiel die ans
Naive grenzende Unverschaemtheit, dass sie jetzt dem Hamilkar den
Prozess machten als dem Urheber des Soeldnerkrieges, insofern er ohne
Vollmacht der Regierung seinen sizilischen Soldaten Geldversprechungen
gemacht habe. Wenn der Klub der Offiziere und Volksfuehrer die morschen
Stuehle dieses Missregiments haette umstossen wollen, so wuerde er in
Karthago selbst schwerlich auf grosse Schwierigkeiten gestossen sein;
allein auf desto groessere in Rom, mit dem die regierenden Herren von
Karthago schon in Verbindungen standen, die an Landesverrat grenzten.
Zu allen uebrigen Schwierigkeiten der Lage kam noch die hinzu, dass die
Mittel zur Rettung des Vaterlandes geschaffen werden mussten, ohne dass
weder die Roemer noch die eigene roemisch gesinnte Regierung recht darum
gewahr wurden. ---------------------------------------------------
^1 Wir sind ueber diese Vorgaenge nicht bloss unvollkommen berichtet,
sondern auch einseitig, da natuerlich die Version der karthagischen
Friedenspartei die der roemischen Annalisten wurde. Indes selbst in
unsern zertruemmerten und getruebten Berichten - die wichtigsten sind
Fabius bei Polyb. 3, 8; App. Hisp. 4 und Diod. 25 p. 567 - erscheinen
die Verhaeltnisse der Parteien deutlich genug. Von dem gemeinen Klatsch,
mit dem die "revolutionaere Verbindung" (etaireia t/o/n pon/e/rotat/o/n
anthr/o/p/o/n) von ihren Gegnern beschmutzt ward, kann man bei Nepos
(Ham. 3) Proben lesen, die ihresgleichen suchen, vielleicht auch finden.
---------------------------------------------------- So liess man die
Verfassung unangetastet und die regierenden Herren im vollen Genuss
ihrer Sonderrechte und des gemeinen Gutes. Es ward bloss beantragt und
durchgesetzt, von den beiden Oberfeldherren, die am Ende des libyschen
Krieges an der Spitze der karthagischen Truppen standen, Hanno und
Hamilkar, den ersteren abzurufen und den letzteren zum Oberfeldherrn
fuer ganz Afrika auf unbestimmte Zeit in der Art zu ernennen, dass
er eine von den Regierungskollegien unabhaengige Stellung - eine
verfassungswidrige monarchische Gewalt nannten es die Gegner, Cato eine
Diktatur - erhielt und er nur von der Volksversammlung abberufen und
zur Verantwortung gezogen werden durfte ^2. Selbst die Wahl eines
Nachfolgers ging nicht von den Behoerden der Hauptstadt aus, sondern
vom Heere, das heisst von den im Heere als Gerusiasten oder Offiziere
dienenden Karthagern, die auch bei Vertraegen neben dem Feldherrn
genannt werden; natuerlich blieb der Volksversammlung daheim das
Bestaetigungsrecht. Mag dies Usurpation sein oder nicht, es bezeichnet
deutlich, wie die Kriegspartei das Heer als ihre Domaene ansah und
behandelte. --------------------------------------------- ^2 Die Barkas
schliessen die wichtigsten Staatsvertraege ab und die Ratifikation der
Behoerde ist eine Formalitaet (Polyb. 3, 21); Rom protestiert bei ihnen
und beim Senat (Polyb. 3, 15). Die Stellung der Barkas zu Karthago
hat manche Aehnlichkeit mit der der Oranier gegen die Generalstaaten.
---------------------------------------------------- Der Auftrag, den
Hamilkar also empfing, klang nicht eben verfaenglich. Die Kriege mit den
numidischen Staemmen ruhten an der Grenze nie; vor kurzem erst war
im Binnenland die "Stadt der hundert Tore" Theveste (Tebessa) von den
Karthagern besetzt worden. Die Fortfuehrung dieser Grenzfehden, die dem
neuen Oberfeldherrn von Afrika zufiel, war an sich nicht von solcher
Bedeutung, dass nicht die karthagische Regierung, die man ja in
ihrem naechsten Kreise gewaehren liess, zu den darueber von der
Volksversammlung getroffenen Beliebungen haette stillschweigen koennen,
waehrend die Roemer die Tragweite derselben vielleicht nicht einmal
erkannten. So stand an der Spitze des Heeres der eine Mann, der
im sizilischen und im libyschen Kriege es bewaehrt hatte, dass die
Geschicke ihn oder keinen zum Retter des Vaterlandes bestimmten.
Grossartiger als von ihm ist vielleicht niemals der grossartige Kampf
des Menschen gegen das Schicksal gefuehrt worden. Das Heer sollte den
Staat retten; aber was fuer ein Heer? Die karthagische Buergerwehr
hatte unter Hamilkars Fuehrung im libyschen Kriege sich nicht schlecht
geschlagen; allein er wusste wohl, dass es ein anderes ist, die
Kaufleute und Fabrikanten einer Stadt, die in der hoechsten Gefahr
schwebt, einmal zum Kampf hinauszufuehren, und ein anderes, Soldaten
aus ihnen zu bilden. Die karthagische Patriotenpartei lieferte ihm
vortreffliche Offiziere, aber in ihr war natuerlich fast ausschliesslich
die gebildete Klasse vertreten - Buergermiliz hatte er nicht, hoechstens
einige libyphoenikische Reiterschwadronen. Es galt ein Heer zu schaffen
aus den libyschen Zwangsrekruten und aus Soeldnern; was einem Feldherrn
wie Hamilkar moeglich war, allein auch ihm nur, wenn er seinen Leuten
puenktlich und reichlich den Sold zu zahlen vermochte. Aber dass die
karthagischen Staatseinkuenfte in Karthago selbst zu viel noetigeren
Dingen gebraucht wurden als fuer die gegen den Feind fechtenden Heere,
hatte er in Sizilien erfahren. Es musste also dieser Krieg sich
selber ernaehren und im grossen ausgefuehrt werden, was auf dem Monte
Pellegrino im kleinen versucht worden war. Aber noch mehr. Hamilkar war
nicht bloss Militaer-, er war auch Parteichef; gegen die unversoehnliche
und der Gelegenheit, ihn zu stuerzen, begierig und geduldig harrende
Regierungspartei musste er auf die Buergerschaft sich stuetzen, und
mochten deren Fuehrer noch so rein und edel sein, die Masse war tief
verdorben und durch das unselige Korruptionssystem gewoehnt, nichts
fuer nichts zu geben. In einzelnen Momenten schlug wohl die Not oder
die Begeisterung einmal durch, wie das ueberall selbst in den feilsten
Koerperschaften vorkommt; wollte aber Hamilkar fuer seinen im besten
Fall erst nach einer Reihe von Jahren durchfuehrbaren Plan die
Unterstuetzung der karthagischen Gemeinde dauernd sich sichern,
so musste er seinen Freunden in der Heimat durch regelmaessige
Geldsendungen die Mittel geben, den Poebel bei guter Laune zu erhalten.
So genoetigt, von der lauen und feilen Menge die Erlaubnis, sie zu
retten, zu erbetteln oder zu erkaufen; genoetigt, dem Uebermut der
Verhassten seines Volkes, der stets von ihm Besiegten durch Demut und
Schweigsamkeit die unentbehrliche Gnadenfrist abzudingen; genoetigt,
den verachteten Vaterlandsverraetern, die sich die Herren seiner Stadt
nannten, mit seinen Plaenen seine Verachtung zu bergen - so stand der
hohe Mann mit wenigen gleichgesinnten Freunden zwischen den Feinden von
aussen und den Feinden von innen, auf die Unentschlossenheit der einen
und der andern bauend, zugleich beide taeuschend und beiden trotzend, um
nur erst die Mittel, Geld und Soldaten zu gewinnen zum Kampf gegen ein
Land, das, selbst wenn das Heer schlagfertig dastand, mit diesem zu
erreichen schwierig, zu ueberwinden kaum moeglich schien. Er war noch
ein junger Mann, wenig hinaus ueber die Dreissig; aber er schien
zu ahnen, als er sich anschickte zu seinem Zuge, dass es ihm nicht
vergoennt sein werde, das Ziel seiner Arbeit zu erreichen und das Land
der Erfuellung anders als von weitem zu schauen. Seinen neunjaehrigen
Sohn Hannibal hiess er, da er Karthago verliess, am Altar des hoechsten
Gottes dem roemischen Namen ewigen Hass schwoeren, und zog ihn und
die juengeren Soehne Hasdrubal und Mago, die "Loewenbrut", wie er sie
nannte, im Feldlager auf als die Erben seiner Entwuerfe, seines Genies
und seines Hasses. Der neue Oberfeldherr von Libyen brach unmittelbar
nach der Beendigung des Soeldnerkrieges von Karthago auf (etwa im
Fruehjahr 518 236). Er schien einen Zug gegen die freien Libyer im
Westen zu beabsichtigen; sein Heer, das besonders an Elefanten stark
war, zog an der Kueste hin, neben ihm segelte die Flotte, gefuehrt von
seinem treuen Bundesgenossen Hasdrubal. Ploetzlich vernahm man, er sei
bei den Saeulen des Herkules ueber das Meer gegangen und in Spanien
gelandet, wo er Krieg fuehre mit den Eingeborenen; mit Leuten, die ihm
nichts zuleide getan und ohne Auftrag seiner Regierung, klagten die
karthagischen Behoerden. Sie konnten wenigstens nicht klagen, dass er
die afrikanischen Angelegenheiten vernachlaessige; als die Numidier
wieder einmal aufstanden, trieb sein Unterfeldherr Hasdrubal sie so
nachdruecklich zu Paaren, dass auf lange Zeit an der Grenze Ruhe war und
mehrere bisher unabhaengige Staemme sich bequemten, Tribut zu zahlen.
Was er selbst in Spanien getan, koennen wir im einzelnen nicht mehr
verfolgen; dem alten Cato, der ein Menschenalter nach Hamilkars Tode in
Spanien die noch frischen Spuren seines Wirkens sah, zwangen sie
trotz allem Poenerhass den Ausruf ab, dass kein Koenig wert sei, neben
Hamilkar Barkas genannt zu werden. In den Erfolgen liegt auch uns
wenigstens im allgemeinen noch vor, was von Hamilkar als Militaer
und als Staatsmann in den neun letzten Jahren seines Lebens (518-526
236-228) geleistet worden ist, bis er im besten Mannesalter in offener
Feldschlacht tapfer kaempfend den Tod fand, wie Scharnhorst, eben als
seine Plaene zu reifen begannen, und was alsdann waehrend der naechsten
acht Jahre (527-534 227-220) der Erbe seines Amtes und seiner Plaene,
sein Tochtermann Hasdrubal an dem angefangenen Werke im Sinne des
Meisters weiter geschaffen hat. Statt der kleinen Entrepots fuer den
Handel, die nebst dem Schutzrecht ueber Gades bis dahin Karthago an der
spanischen Kueste allein besessen und als Dependenz von Libyen
behandelt hatte, ward ein karthagisches Reich in Spanien durch Hamilkars
Feldherrnkunst begruendet und durch Hasdrubals staatsmaennische
Gewandtheit befestigt. Die schoensten Landschaften Spaniens, die Sued-
und Ostkueste wurden phoenikisches Provinzialgebiet; Staedte wurden
gegruendet, vor allem an dem einzigen guten Hafen der Suedkueste
Spanisch-Karthago (Cartagena) von Hasdrubal angelegt, mit des Gruenders
praechtiger "Koenigsburg"; der Ackerbau bluehte auf und mehr noch
die Grubenwirtschaft in den gluecklich aufgefundenen Silberminen von
Cartagena, die ein Jahrhundert spaeter ueber 2« Mill. Taler (36 Mill.
Sesterzen) jaehrlich eintrugen. Die meisten Gemeinden bis zum Ebro
wurden abhaengig von Karthago und zahlten ihm Zins; Hasdrubal verstand
es, die Haeuptlinge auf alle Weise, selbst durch Zwischenheiraten in das
karthagische Interesse zu ziehen. So erhielt Karthago hier fuer seinen
Handel und seine Fabriken eine reiche Absatzquelle, und die Einnahmen
der Provinz naehrten nicht bloss das Heer, sondern es blieb noch uebrig,
nach Hause zu senden und fuer die Zukunft zurueckzulegen. Aber die
Provinz bildete und schulte zugleich die Armee. In dem Karthago
unterworfenen Gebiet fanden regelmaessige Aushebungen statt; die
Kriegsgefangenen wurden untergesteckt in die karthagischen Korps; von
den abhaengigen Gemeinden kam Zuzug und kamen Soeldner, soviel man
begehrte. In dem langen Kriegsleben fand der Soldat im Lager eine zweite
Heimat und als Ersatz fuer den Patriotismus den Fahnensinn und die
begeisterte Anhaenglichkeit an seine grossen Fuehrer; die ewigen
Kaempfe mit den tapferen Iberern und Kelten schufen zu der vorzueglichen
numidischen Reiterei ein brauchbares Fussvolk. Von Karthago aus liess
man die Barkas machen. Da der Buergerschaft regelmaessige Leistungen
nicht abverlangt wurden, sondern vielmehr fuer sie noch etwas abfiel,
auch der Handel in Spanien wiederfand, was er in Sizilien und Sardinien
verloren, wurde der spanische Krieg und das spanische Heer mit seinen
glaenzenden Siegen und wichtigen Erfolgen bald so populaer, dass es
sogar moeglich ward, in einzelnen Krisen, zum Beispiel nach Hamilkars
Fall, bedeutende Nachsendungen afrikanischer Truppen nach Spanien
durchzusetzen, und die Regierungspartei wohl oder uebel dazu schweigen
oder doch sich begnuegen musste, unter sich und gegen die Freunde in Rom
auf die demagogischen Offiziere und den Poebel zu schelten. Auch von
Rom aus geschah nichts, um den spanischen Angelegenheiten ernstlich
eine andere Wendung zu geben. Die erste und vornehmste Ursache der
Untaetigkeit der Roemer war unzweifelhaft eben ihre Unbekanntschaft
mit den Verhaeltnissen der entlegenen Halbinsel, welche sicher auch die
Hauptursache gewesen ist, weshalb Hamilkar zur Ausfuehrung seines Planes
Spanien und nicht, wie es sonst wohl auch moeglich gewesen waere, Afrika
selbst erwaehlte. Zwar die Erklaerungen, mit denen die karthagischen
Feldherren den roemischen, um Erkundigungen an Ort und Stelle
einzuziehen nach Spanien gesandten Kommissarien entgegenkamen, die
Versicherungen, dass alles dies nur geschehe, um die roemischen
Kriegskontributionen prompt zahlen zu koennen, konnten im Senat
unmoeglich Glauben finden; allein man erkannte wahrscheinlich von
Hamilkars Plaenen nur den naechsten Zweck: fuer die Tribute und den
Handel der verlorenen Inseln in Spanien Ersatz zu schaffen, und hielt
einen Angriffskrieg der Karthager, und namentlich eine Invasion Italiens
von Spanien aus, wie das sowohl ausdrueckliche Angaben als die ganze
Lage der Sache bezeugen, fuer schlechterdings unmoeglich. Dass unter der
Friedenspartei in Karthago manche weiter sahen, versteht sich; allein
wie sie dachten, konnten sie schwerlich sehr geneigt sein, ueber den
drohenden Sturm, den zu beschwoeren die karthagischen Behoerden laengst
ausserstande waren, ihre roemischen Freunde aufzuklaeren und damit die
Krise nicht abzuwenden, sondern zu beschleunigen; und wenn es dennoch
geschah, so mochte man in Rom solche Parteidenunziationen mit Fug sehr
vorsichtig aufnehmen. Allmaehlich allerdings musste die unbegreiflich
rasche und gewaltige Ausbreitung der karthagischen Macht in Spanien die
Aufmerksamkeit und die Besorgnisse der Roemer erwecken; wie sie ihr
denn auch in den letzten Jahren vor dem Ausbruch des Krieges in der Tat
Schranken zu setzen versuchten. Um das Jahr 528 (226) schlossen sie,
ihres jungen Hellenentums eingedenk, mit den beiden griechischen oder
halbgriechischen Staedten an der spanischen Ostkueste, Zakynthos oder
Saguntum (Murviedro unweit Valencia) und Emporiae (Ampurias) Buendnis,
und indem sie den karthagischen Feldherrn Hasdrubal davon in Kenntnis
setzten, wiesen sie ihn zugleich an, den Ebro nicht erobernd zu
ueberschreiten, was auch zugesagt ward. Es geschah dies keineswegs, um
einen Einfall in Italien auf dem Landweg zu hindern - den Feldherrn, der
diesen unternahm, konnte ein Vertrag nicht fesseln -, sondern teils
um der materiellen Macht der spanischen Karthager, die gefaehrlich
zu werden begann, eine Grenze zu stecken, teils um sich an den freien
Gemeinden zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen, die Rom damit unter
seinen Schutz nahm, einen sicheren Anhalt zu bereiten fuer den Fall,
dass eine Landung und ein Krieg in Spanien notwendig werden sollte. Fuer
den bevorstehenden Krieg mit Karthago, ueber dessen Unvermeidlichkeit
der Senat sich nie getaeuscht hat, besorgte man von den spanischen
Ereignissen schwerlich groessere Nachteile, als dass man genoetigt
werden koenne, einige Legionen nach Spanien zu senden, und dass der
Feind mit Geld und Soldaten etwas besser versehen sein werde, als er
ohne Spanien es gewesen waere - war man doch fest entschlossen, wie der
Feldzugsplan von 536 (218) beweist und wie es auch gar nicht anders
sein konnte, den naechsten Krieg in Afrika zu beginnen und zu beendigen,
womit dann ueber Spanien zugleich entschieden war. Dazu kamen in
den ersten Jahren die karthagischen Kontributionen, welche die
Kriegserklaerung abgeschnitten haette, alsdann der Tod Hamilkars, von
dem Freunde und Feinde urteilen mochten, dass seine Entwuerfe mit ihm
gestorben seien, endlich in den letzten Jahren, wo der Senat allerdings
zu begreifen anfing, dass es nicht weise sei, mit der Erneuerung des
Krieges noch lange zu zoegern, der sehr erklaerliche Wunsch, zuvor mit
den Galliern im Potal fertig zu werden, da diese, mit der Ausrottung
bedroht, voraussichtlich jeden ernstlichen Krieg, den Rom unternahm,
benutzt haben wuerden, um die transalpinischen Voelkerschaften aufs
neue nach Italien zu locken und die immer noch aeusserst gefaehrlichen
Keltenzuege zu erneuern. Dass weder Ruecksichten auf die karthagische
Friedenspartei noch auf die bestehenden Vertraege die Roemer abhielten,
versteht sich; ueberdies boten, wenn man den Krieg wollte, die
spanischen Fehden jeden Augenblick einen Vorwand dazu dar. Unbegreiflich
ist das Verhalten Roms demnach keineswegs; aber ebensowenig laesst sich
leugnen, dass der roemische Senat diese Verhaeltnisse kurzsichtig und
schlaff behandelt hat - Fehler, wie sie seine Fuehrung der gallischen
Angelegenheiten in der gleichen Zeit noch viel unverzeihlicher aufweist.
Ueberall ist die roemische Staatskunst mehr ausgezeichnet durch
Zaehigkeit, Schlauheit und Konsequenz, als durch eine grossartige
Auffassung und rasche Ordnung der Dinge, worin ihr vielmehr die Feinde
Roms von Pyrrhos bis auf Mithradates oft ueberlegen gewesen sind. So
gab dem genialen Entwurf Hamilkars das Glueck die Weihe. Die Mittel zum
Kriege waren gewonnen, ein starkes kampf- und sieggewohntes Heer und
eine stetig sich fuellende Kasse; aber wie fuer den Kampf der rechte
Augenblick, die rechte Richtung gefunden werden sollte, fehlte der
Fuehrer. Der Mann, dessen Kopf und Herz in verzweifelter Lage unter
einem verzweifelnden Volke den Weg zur Rettung gebahnt hatte, war
nicht mehr, als es moeglich ward, ihn zu betreten. Ob sein Nachfolger
Hasdrubal den Angriff unterliess, weil ihm der Zeitpunkt noch nicht
gekommen schien, oder ob er, mehr Staatsmann als Feldherr, sich der
Oberleitung des Unternehmens nicht gewachsen glaubte, vermoegen
wir nicht zu entscheiden. Als er im Anfang des Jahres 534 (220) von
Moerderhand gefallen war, beriefen die karthagischen Offiziere des
spanischen Heeres an seine Stelle Hamilkars aeltesten Sohn, den
Hannibal. Er war noch ein junger Mann - geboren 505 (249), also damals
im neunundzwanzigsten Lebensjahr; aber er hatte schon viel gelebt. Seine
ersten Erinnerungen zeigten ihm den Vater im entlegenen Lande fechtend
und siegend auf der Eirkte; er hatte den Frieden des Catulus, die
bittere Heimkehr des unbesiegten Vaters, die Greuel des libyschen
Krieges mit durchempfunden. Noch ein Knabe, war er dem Vater ins Lager
gefolgt; bald zeichnete er sich aus. Sein leichter und festgebauter
Koerper machte aus ihm einen vortrefflichen Laeufer und Fechter und
einen verwegenen Galoppreiter; sich den Schlaf zu versagen, griff ihn
nicht an und Speise wusste er nach Soldatenart zu geniessen und zu
entbehren. Trotz seiner im Lager verflossenen Jugend besass er die
Bildung der vornehmen Phoeniker jener Zeit; im Griechischen brachte er,
wie es scheint, erst als Feldherr, unter der Leitung seines Vertrauten
Sosilos von Sparta, es weit genug, um Staatsschriften in dieser Sprache
selber abfassen zu koennen. Wie er heranwuchs, trat er in das Heer
seines Vaters ein, um unter dessen Augen seinen ersten Waffendienst zu
tun, um ihn in der Schlacht neben sich fallen zu sehen. Nachher hatte er
unter seiner Schwester Gemahl Hasdrubal die Reiterei befehligt und durch
glaenzende persoenliche Tapferkeit wie durch sein Fuehrertalent sich
ausgezeichnet. Jetzt rief ihn, den erprobten jugendlichen General, die
Stimme seiner Kameraden an ihre Spitze und er konnte nun ausfuehren,
wofuer sein Vater und sein Schwager gelebt und gestorben. Er trat die
Erbschaft an, und er durfte es. Seine Zeitgenossen haben auf seinen
Charakter Makel mancherlei Art zu werfen versucht: den Roemern hiess
er grausam, den Karthagern habsuechtig; freilich hasste er, wie nur
orientalische Naturen zu hassen verstehen, und ein Feldherr, dem niemals
Geld und Vorraete ausgegangen sind, musste wohl suchen zu haben. Indes,
wenn auch Zorn, Neid und Gemeinheit seine Geschichte geschrieben haben,
sie haben das reine und grosse Bild nicht zu trueben vermocht. Von
schlechten Erfindungen, die sich selber richten, und von dem abgesehen,
was durch Schuld seiner Unterfeldherren, namentlich des Hannibal
Monomachos und Mago des Samniten, in seinem Namen geschehen ist, liegt
in den Berichten ueber ihn nichts vor, was nicht unter den damaligen
Verhaeltnissen und nach dem damaligen Voelkerrecht zu verantworten
waere; und darin stimmen sie alle zusammen, dass er wie kaum ein anderer
Besonnenheit und Begeisterung, Vorsicht und Tatkraft miteinander zu
vereinigen verstanden hat. Eigentuemlich ist ihm die erfinderische
Verschmitztheit, die einen der Grundzuege des phoenikischen Charakters
bildet; er ging gern eigentuemliche und ungeahnte Wege, Hinterhalte und
Kriegslisten aller Art waren ihm gelaeufig, und den Charakter der
Gegner studierte er mit beispielloser Sorgfalt. Durch eine Spionage
ohnegleichen - er hatte stehende Kundschafter sogar in Rom - hielt er
von den Vornahmen des Feindes sich unterrichtet; ihn selbst sah
man haeufig in Verkleidungen und mit falschem Haar, dies oder jenes
auskundschaftend. Von seinem strategischen Genie zeugt jedes Blatt der
Geschichte dieser Zeit und nicht minder von seiner staatsmaennischen
Begabung, die er noch nach dem Frieden mit Rom durch seine Reform der
karthagischen Verfassung und durch den beispiellosen Einfluss bekundete,
den er als Iandfluechtiger Fremdling in den Kabinetten der oestlichen
Maechte ausuebte. Welche Macht ueber die Menschen er besass,
beweist seine unvergleichliche Gewalt ueber ein buntgemischtes und
vielsprachiges Heer, das in den schlimmsten Zeiten niemals gegen ihn
gemeutert hat. Er war ein grosser Mann; wohin er kam, ruhten auf ihm die
Blicke aller. Hannibal beschloss sofort nach seiner Ernennung (Fruehling
534 220) den Beginn des Krieges. Er hatte gute Gruende, jetzt, da das
Keltenland noch in Gaerung war und ein Krieg zwischen Rom und Makedonien
vor der Tuer schien, ungesaeumt loszuschlagen und den Krieg dahin zu
tragen, wohin es ihm beliebte, bevor die Roemer ihn begannen, wie
es ihnen bequem war, mit einer Landung in Afrika. Sein Heer war bald
marschfertig, die Kasse durch einige Razzias in grossem Massstab
gefuellt; allein die karthagische Regierung zeigte nichts weniger als
Lust, die Kriegserklaerung nach Rom abgehen zu lassen. Hasdrubals, des
patriotischer Volksfuehrers Platz war in Karthago schwerer zu ersetzen
als der Platz des Feldherrn Hasdrubal in Spanien; die Partei des
Friedens hatte jetzt daheim die Oberhand und verfolgte die Fuehrer der
Kriegspartei mit politischen Prozessen. Sie, die schon Hamilkars
Plaene beschnitten und bemaengelt hatte, war keineswegs gemeint,
den unbekannten jungen Mann, der jetzt in Spanien befehligte, auf
Staatskosten jugendlichen Patriotismus treiben zu lassen; und Hannibal
scheute doch davor zurueck, den Krieg in offener Widersetzlichkeit gegen
die legitimen Behoerden selber zu erklaeren; er versuchte die Saguntiner
zum Friedensbruch zu reizen; allein sie begnuegten sich, in Rom Klage zu
fuehren. Er versuchte, als darauf von Rom eine Kommission erschien, nun
diese durch schnoede Behandlung zur Kriegserklaerung zu treiben; allein
die Kommissarien sahen, wie die Dinge standen; sie schwiegen in Spanien,
um in Karthago Beschwerde zu fuehren und daheim zu berichten, dass
Hannibal schlagfertig stehe und der Krieg vor der Tuer sei. So verfloss
die Zeit; schon traf die Nachricht ein von dem Tode des Antigonos
Doson, der etwa gleichzeitig mit Hasdrubal ploetzlich gestorben war; im
italischen Kettenland ward die Gruendung der Festungen mit verdoppelter
Schnelligkeit und Energie von den Roemern betrieben; der Schilderhebung
in Illyrien schickte man in Rom sich an, im naechsten Fruehjahr ein
rasches Ende zu bereiten. Jeder Tag war kostbar; Hannibal entschloss
sich. Er meldete kurz und gut nach Karthago, dass die Saguntiner
karthagischen Untertanen, den Torboleten, zu nahe traeten und er sie
darum angreifen muesse; und ohne die Antwort abzuwarten, begann er im
Fruehjahr 535 (219) die Belagerung der mit Rom verbuendeten Stadt, das
heisst den Krieg gegen Rom. Was man in Karthago dachte und beriet, mag
man sich etwa vorstellen nach dem Eindruck, den Yorks Kapitulation
in gewissen Kreisen machte. Alle "angesehenen Maenner", heisst es,
missbilligten den "ohne Auftrag" geschehenen Angriff; es war die Rede
von Desavouierung, von Auslieferung des dreisten Offiziers. Aber sei es,
dass im karthagischen Rat die naehere Furcht vor dem Heer und der Menge
die vor Rom ueberwog; sei es, dass man die Unmoeglichkeit begriff, einen
solchen Schritt, einmal getan, zurueckzutun; sei es, dass die blosse
Macht der Traegheit ein bestimmtes Auftreten hinderte - man entschloss
sich endlich, sich zu nichts zu entschliessen und den Krieg, wenn nicht
zu fuehren, doch fuehren zu lassen. Sagunt verteidigte sich, wie nur
spanische Staedte sich zu verteidigen verstehen; haetten die Roemer nur
einen geringen Teil der Energie ihrer Schutzbefohlenen entwickelt und
nicht waehrend der achtmonatlichen Belagerung Sagunts mit dem elenden
illyrischen Raeuberkrieg die Zeit verdorben, so haetten sie, Herren der
See und geeigneter Landungsplaetze, sich die Schande des zugesagten und
nicht gewaehrten Schutzes ersparen und dem Krieg vielleicht eine andere
Wendung geben koennen. Indes sie saeumten, und die Stadt ward endlich
erstuermt. Wie Hannibal die Beute nach Karthago zur Verteilung sandte,
ward der Patriotismus und die Kriegslust bei vielen rege, die davon
bisher nichts gespuert hatten, und die Austeilung schnitt jede
Versoehnung mit Rom ab. Als daher nach der Zerstoerung Sagunts eine
roemische Gesandtschaft in Karthago erschien und die Auslieferung des
Feldherrn und der im Lager anwesenden Gerusiasten forderte, und als
der roemische Sprecher, die versuchte Rechtfertigung unterbrechend, die
Diskussion abschnitt und, sein Gewand zusammenfassend, sprach, dass er
darin Frieden und Krieg halte und dass die Gerusia waehlen moege, da
ermannten sich die Gerusiasten zu der Antwort, dass man es ankommen
lasse auf die Wahl des Roemers; und als dieser den Krieg bot, nahm
man ihn an (Fruehling 536 218). Hannibal, der durch den hartnaeckigen
Widerstand der Saguntiner ein volles Jahr verloren hatte, war fuer den
Winter 535/36 (219/18) wie gewoehnlich zurueckgegangen nach Cartagena,
um alles teils zum Angriff vorzubereiten, teils zur Verteidigung von
Spanien und Afrika; denn da er wie sein Vater und sein Schwager den
Oberbefehl in beiden Gebieten fuehrte, lag es ihm ob, auch zum
Schutz der Heimat die Anstalten zu treffen. Die gesamte Masse seiner
Streitkraefte betrug ungefaehr 120000 Mann zu Fuss, 16000 zu Pferd;
ferner 58 Elefanten und 32 bemannte, achtzehn unbemannte Fuenfdecker
ausser den in der Hauptstadt befindlichen Elefanten und Schiffen. Mit
Ausnahme weniger Ligurer unter den leichten Truppen gab es in diesem
karthagischen Heere Soeldner gar nicht; die Truppen bestanden ausser
einigen phoenikischen Schwadronen im wesentlichen aus den zum Dienst
ausgehobenen karthagischen Untertanen, Libyern und Spaniern. Der Treue
der letzteren sich zu versichern gab der menschenkundige Feldherr ihnen
ein Zeichen des Vertrauens, allgemeinen Urlaub waehrend des ganzen
Winters; den Libyern versprach der Feldherr, der den engherzigen
phoenikischen Sonderpatriotismus nicht teilte, eidlich das karthagische
Buergerrecht, wenn sie als Sieger nach Afrika zurueckkehren wuerden.
Indes war diese Truppenmasse nur zum Teil fuer die italische Expedition
bestimmt. Etwa 20000 Mann kamen nach Afrika, der kleinere Teil nach der
Hauptstadt und dem eigentlich phoenikischen Gebiet, der groessere an die
westliche Spitze von Afrika. Zur Deckung von Spanien blieben 12000 Mann
zu Fuss zurueck nebst 2500 Pferden und fast der Haelfte der Elefanten,
ausserdem die dort stationierte Flotte; den Oberbefehl und das Regiment
uebernahm hier Hannibals juengerer Bruder Hasdrubal. Das unmittelbar
karthagische Gebiet ward verhaeltnismaessig schwach besetzt, da die
Hauptstadt im Notfall Hilfsmittel genug bot; ebenso genuegte in Spanien,
wo neue Aushebungen sich mit Leichtigkeit veranstalten liessen,
fuer jetzt eine maessige Zahl von Fusssoldaten, waehrend dagegen ein
verhaeltnismaessig starker Teil der eigentlich afrikanischen Waffen, der
Pferde und Elefanten dort zurueckblieb. Die Hauptsorgfalt wurde darauf
gewendet, die Verbindungen zwischen Spanien und Afrika zu sichern,
weshalb in Spanien die Flotte blieb und Westafrika von einer sehr
starken Truppenmasse gehuetet ward. Fuer die Treue der Truppen buergte,
ausser den in dem festen Sagunt versammelten Geiseln der
spanischen Gemeinden, die Verlegung der Soldaten ausserhalb ihrer
Aushebungsbezirke, indem die ostafrikanische Landwehr vorwiegend nach
Spanien, die spanische nach Westafrika, die westafrikanische nach
Karthago kamen. So war fuer die Verteidigung hinreichend gesorgt. Was
den Angriff anlangt, so sollte von Karthago aus ein Geschwader von 20
Fuenfdeckern mit 1000 Soldaten an Bord nach der italischen Westkueste
segeln und diese verheeren, ein zweites von 25 Segeln womoeglich
sich wieder in Lilybaeon festsetzen; dieses bescheidene Mass von
Anstrengungen glaubte Hannibal seiner Regierung zumuten zu koennen. Mit
der Hauptarmee beschloss er selbst in Italien einzuruecken, wie das ohne
Zweifel schon in Hamilkars urspruenglichem Plan lag. Ein entscheidender
Angriff auf Rom war nur in Italien moeglich wie auf Karthago nur in
Libyen; so gewiss Rom seinen naechsten Feldzug mit dem letzteren begann,
so gewiss durfte auch Karthago sich nicht von vornherein entweder auf
ein sekundaeres Operationsobjekt, wie zum Beispiel Sizilien, oder gar
auf die Verteidigung beschraenken - die Niederlagen brachten in all
diesen Faellen das gleiche Verderben, nicht aber der Sieg die gleiche
Frucht. Aber wie konnte Italien angegriffen werden? Es mochte gelingen,
die Halbinsel zu Wasser oder zu Lande zu erreichen; aber sollte der
Zug nicht ein verzweifeltes Abenteuer sein, sondern eine militaerische
Expedition mit strategischem Ziel, so bedurfte man dort einer naeheren
Operationsbasis, als Spanien oder Afrika waren. Auf eine Flotte und eine
Hafenfestung konnte Hannibal sich nicht stuetzen, da jetzt Rom das Meer
beherrschte. Aber ebensowenig bot sich in dem Gebiet der italischen
Eidgenossenschaft irgendein haltbarer Stuetzpunkt. Hatte sie zu ganz
anderen Zeiten und trotz der hellenischen Sympathien dem Stoss des
Pyrrhos gestanden, so war nicht zu erwarten, dass sie jetzt auf das
Erscheinen des phoenikischen Feldherrn hin zusammenbrechen werde;
zwischen dem roemischen Festungsnetz und der festgeschlossenen
Bundesgenossenschaft ward das Invasionsheer ohne Zweifel erdrueckt.
Einzig das Ligurer- und Keltenland konnte fuer Hannibal sein, was fuer
Napoleon in seinen sehr aehnlichen russischen Feldzuegen Polen gewesen
ist; diese, noch von dem kaum beendigten Unabhaengigkeitskampf gaerenden
Voelkerschaften, den Italikern stammfremd und in ihrer Existenz bedroht,
um die eben jetzt sich die ersten Ringe der roemischen Festungs-
und Chausseenkette legten, mussten in dem phoenikischen Heere, das
zahlreiche spanische Kelten in seinen Reihen zaehlte, ihre Retter
erkennen und ihm als erster Rueckhalt, als Verpflegungs- und
Rekrutierungsbezirk dienen. Schon waren foermliche Vertraege mit den
Boiern und Insubrern abgeschlossen, wodurch sie sich anheischig machten,
dem karthagischen Heer Wegweiser entgegenzusenden, ihnen gute Aufnahme
bei ihren Stammgenossen und Zufuhr unterwegs auszuwirken und gegen die
Roemer sich zu erheben, sowie das karthagische Heer auf italischem Boden
stehe. Eben in diese Gegend fuehrten endlich die Beziehungen zum
Osten. Makedonien, das durch den Sieg von Sellasia seine Herrschaft
im Peloponnes neu befestigt hatte, stand mit Rom in gespannten
Verhaeltnissen; Demetrios von Pharos, der das roemische Buendnis mit
dem makedonischen vertauscht hatte und von den Roemern vertrieben worden
war, lebte als Fluechtling am makedonischen Hof, und dieser hatte den
Roemern die begehrte Auslieferung verweigert. Wenn es moeglich war, die
Heere vom Guadalquivir und vom Karasu irgendwo zu vereinigen gegen den
gemeinschaftlichen Feind, so konnte das nur am Po geschehen. So wies
alles nach Norditalien; und dass schon des Vaters Blick dahin gerichtet
gewesen, zeigt die karthagische Streifpartei, der die Roemer zu ihrer
grossen Verwunderung im Jahre 524 (230) in Ligurien begegnet waren.
Weniger deutlich ist, warum Hannibal dem Land- vor dem Seeweg den Vorzug
gab; denn dass weder die Seeherrschaft der Roemer noch ihr Bund mit
Massalia eine Landung in Genua unmoeglich machte, leuchtet ein und hat
die Folge bewiesen. In unserer Ueberlieferung fehlen, um diese Frage
genuegend zu entscheiden, nicht wenige Faktoren, auf die es ankommen
wuerde und die sich nicht durch Vermutung ergaenzen lassen. Hannibal
hatte unter zwei Uebeln zu waehlen. Statt den ihm unbekannten und
weniger zu berechnenden Wechselfaellen der Seefahrt und des Seekrieges
sich auszusetzen, muss es ihm geratener erschienen sein, lieber die
unzweifelhaft ernstlich gemeinten Zusicherungen der Boier und Insubrer
anzunehmen, um so mehr, als auch das bei Genua gelandete Heer noch die
Berge haette ueberschreiten muessen; schwerlich konnte er genau wissen,
wie viel geringere Schwierigkeiten der Apennin bei Genua darbietet als
die Hauptkette der Alpen. War doch der Weg, den er einschlug, die uralte
Keltenstrasse, auf der viel groessere Schwaerme die Alpen ueberstiegen
hatten; der Verbuendete und Erretter des Keltenvolkes durfte ohne
Verwegenheit diesen betreten. So vereinigte Hannibal die fuer die
grosse Armee bestimmten Truppen mit dem Anfang der guten Jahreszeit in
Cartagena; es waren ihrer 90000 Mann zu Fuss und 12000 Reiter, darunter
etwa zwei Drittel Afrikaner und ein Drittel Spanier - die mitgefuehrten
37 Elefanten mochten mehr bestimmt sein, den Galliern zu imponieren,
als zum ernstlichen Krieg. Hannibals Fussvolk war nicht mehr wie das,
welches Xanthippos fuehrte, genoetigt, sich hinter einen Vorhang von
Elefanten zu verbergen, und der Feldherr einsichtig genug, um dieser
zweischneidigen Waffe, die ebenso oft die Niederlage des eigenen wie
die des feindlichen Heeres herbeigefuehrt hatte, sich nur sparsam und
vorsichtig zu bedienen. Mit diesem Heere brach Hannibal im Fruehling 536
(218) von Cartagena auf gegen den Ebro. Von den getroffenen Massregeln,
namentlich den mit den Kelten angeknuepften Verbindungen, von den
Mitteln und dem Ziel des Zuges liess er die Soldaten soviel erfahren,
dass auch der Gemeine, dessen militaerischen Instinkt der lange Krieg
entwickelt haette, den klaren Blick und die sichere Hand des Fuehrers
ahnte und mit festem Vertrauen ihm in die unbekannte Weite folgte; und
die feurige Rede, in der er die Lage des Vaterlandes und die Forderungen
der Roemer vor ihnen darlegte, die gewisse Knechtung der teuren Heimat,
das schmachvolle Ansinnen der Auslieferung des geliebten Feldherrn
und seines Stabes, entflammte den Soldaten- und den Buergersinn in den
Herzen aller. Der roemische Staat war in einer Verfassung, wie sie auch
in festgegruendeten und einsichtigen Aristokratien wohl eintritt. Was
man wollte, wusste man wohl; es geschah auch manches, aber nichts recht
noch zur rechten Zeit. Laengst haette man Herr der Alpentore und mit den
Kelten fertig sein koennen; noch waren diese furchtbar und jene offen.
Man haette mit Karthago entweder Freundschaft haben koennen, wenn man
den Frieden von 513 (241) ehrlich einhielt, oder, wenn man das nicht
wollte, konnte Karthago laengst unterworfen sein; jener Friede ward
durch die Wegnahme Sardiniens tatsaechlich gebrochen und Karthagos
Macht liess man zwanzig Jahre hindurch sich ungestoert regenerieren. Mit
Makedonien Frieden zu halten war nicht schwer; um geringen Gewinn hatte
man diese Freundschaft verscherzt. An einem leitenden, die Verhaeltnisse
im Zusammenhang beherrschenden Staatsmann muss es gefehlt haben;
ueberall war entweder zu wenig geschehen oder zu viel. Nun begann der
Krieg, zu dem man Zeit und Ort den Feind hatte bestimmen lassen; und
im wohlbegruendeten Vollgefuehl militaerischer Ueberlegenheit war man
ratlos ueber Ziel und Gang der naechsten Operationen. Man disponierte
ueber eine halbe Million brauchbarer Soldaten - nur die roemische
Reiterei war minder gut und verhaeltnismaessig minder zahlreich als die
karthagische, jene etwa ein Zehntel, diese ein Achtel der Gesamtzahl der
ausrueckenden Truppen. Der roemischen Flotte von 220 Fuenfdeckern, die
eben aus dem Adriatischen Meere in die Westsee zurueckfuhr, hatte
keiner der von diesem Kriege beruehrten Staaten eine entsprechende
entgegenzustellen. Die natuerliche und richtige Verwendung dieser
erdrueckenden Uebermacht ergab sich von selbst. Seit langem stand
es fest, dass der Krieg eroeffnet werden sollte mit einer Landung in
Afrika; die spaetere Wendung der Ereignisse hatte die Roemer gezwungen,
eine gleichzeitige Landung in Spanien in den Kriegsplan aufzunehmen,
vornehmlich, um nicht die spanische Armee vor den Mauern von Karthago
zu finden. Nach diesem Plan wusste man, als der Krieg durch Hannibals
Angriff auf Sagunt zu Anfang 535 (219) tatsaechlich eroeffnet war, vor
allen Dingen ein roemisches Heer nach Spanien werfen, ehe die Stadt
fiel; allein man versaeumte das Gebot des Vorteils nicht minder wie
der Ehre. Acht Monate lang hielt Sagunt sich umsonst - als die Stadt
ueberging, hatte Rom zur Landung in Spanien nicht einmal geruestet.
Indes noch war das Land zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen frei, dessen
Voelkerschaften nicht bloss die natuerlichen Verbuendeten der Roemer
waren, sondern auch von roemischen Emissaeren gleich den Saguntinern
Versprechungen schleunigen Beistandes empfangen hatten. Nach Katalonien
gelangt man zu Schiff von Italien nicht viel weniger rasch wie von
Cartagena zu Lande; wenn nach der inzwischen erfolgten foermlichen
Kriegserklaerung die Roemer wie die Phoeniker im April aufbrachen,
konnte Hannibal den roemischen Legionen an der Ebrolinie begegnen.
Allerdings wurde denn auch der groessere Teil des Heeres und der Flotte
fuer den Zug nach Afrika verfuegbar gemacht und der zweite Konsul
Publius Cornelius Scipio an den Ebro beordert; allein er nahm sich
Zeit, und als am Po ein Aufstand ausbrach, liess er das zur Einschiffung
bereitstehende Heer dort verwenden und bildete fuer die spanische
Expedition neue Legionen. So fand Hannibal am Ebro zwar den heftigsten
Widerstand, aber nur von den Eingeborenen; mit diesen ward er, dem unter
den obwaltenden Umstaenden die Zeit noch kostbarer war als das Blut
seiner Leute, mit Verlust des vierten Teiles seiner Armee in einigen
Monaten fertig und erreichte die Linie der Pyrenaeen. Dass durch jene
Zoegerung die spanischen Bundesgenossen Roms zum zweitenmal aufgeopfert
wurden, konnte man ebenso sicher vorhersehen, als die Zoegerung selbst
sich leicht vermeiden liess; wahrscheinlich aber waere selbst der Zug
nach Italien, den man in Rom noch im Fruehling 536 (218) nicht geahnt
haben muss, durch zeitiges Erscheinen der Roemer in Spanien abgewendet
worden. Hannibal hatte keineswegs die Absicht, sein spanisches
"Koenigreich" aufgebend, sich wie ein Verzweifelter nach Italien zu
werfen; die Zeit, die er an Sagunts Erstuermung und an die Unterwerfung
Kataloniens gewandt hatte, das betraechtliche Korps, das er zur
Besetzung des neugewonnenen Gebiets zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen
zurueckliess, beweisen zur Genuege, dass, wenn ein roemisches Heer ihm
den Besitz Spaniens streitig gemacht haette, er sich nicht begnuegt
haben wuerde, sich demselben zu entziehen; und was die Hauptsache war,
wenn die Roemer seinen Abmarsch aus Spanien auch nur um einige Wochen
zu verzoegern imstande waren, so schloss der Winter die Alpenpaesse, ehe
Hannibal sie erreichte, und die afrikanische Expedition ging ungehindert
nach ihrem Ziele ab. An den Pyrenaeen angelangt, entliess Hannibal
einen Teil seiner Truppen in die Heimat; eine von Anfang an beschlossene
Massregel, die den Feldherrn den Soldaten gegenueber des Erfolges sicher
zeigen und dem Gefuehl steuern sollte, dass sein Unternehmen eines von
denen sei, von welchen man nicht heimkehrt. Mit einem Heer von 50000
Mann zu Fuss und 9000 zu Pferd, lauter alten Soldaten, ward das Gebirg
ohne Schwierigkeit ueberschritten und alsdann der Kuestenweg ueber
Narbonne und Nimes eingeschlagen durch das keltische Gebiet, das teils
die frueher angeknuepften Verbindungen, teils das karthagische Gold,
teils die Waffen dem Heere oeffneten. Erst als dieses Ende Juli Avignon
gegenueber an die Rhone gelangte, schien seiner hier ein ernstlicher
Widerstand zu warten. Der Konsul Scipio, der auf seiner Fahrt nach
Spanien in Massalia angelegt hatte (etwa Ende Juni), war dort berichtet
worden, dass er zu spaet komme und Hannibal schon nicht bloss den Ebro,
sondern auch die Pyrenaeen passiert habe. Auf diese Nachrichten, welche
zuerst die Roemer ueber die Richtung und das Ziel Hannibals aufgeklaert
zu haben scheinen, hatte der Konsul seine spanische Expedition
vorlaeufig aufgegeben und sich entschlossen, in Verbindung mit den
keltischen Voelkerschaften dieser Gegend, welche unter dem Einfluss der
Massalioten und dadurch unter dem roemischen standen, die Phoeniker an
der Rhone zu empfangen und ihnen den Uebergang ueber den Fluss und
den Einmarsch in Italien zu verwehren. Zum Glueck fuer Hannibal stand
gegenueber dem Punkte, wo er ueberzugehen gedachte, fuer jetzt nur der
keltische Landsturm, waehrend der Konsul selbst mit seinem Heer von
22000 Mann zu Fuss und 2000 Reitern noch in Massalia selbst vier
Tagemaersche stromabwaerts davon sich befand. Die Boten des gallischen
Landsturms eilten, ihn zu benachrichtigen. Hannibal sollte das Heer mit
der starken Reiterei und den Elefanten unter den Augen des Feindes und
bevor Scipio eintraf ueber den reissenden Strom fuehren; und er
besass nicht einen Nachen. Sogleich wurden auf seinen Befehl von den
zahlreichen Rhoneschiffern in der Umgegend alle ihre Barken zu jedem
Preise aufgekauft und was an Kaehnen noch fehlte, aus gefaellten Baeumen
gezimmert; und in der Tat konnte die ganze zahlreiche Armee an einem
Tage uebergesetzt werden. Waehrend dies geschah, marschierte eine starke
Abteilung unter Hanno, Bomilkars Sohn, in Gewaltmaerschen stromaufwaerts
bis zu einem zwei kleine Tagemaersche oberhalb Avignon gelegenen
Uebergangspunkt, den sie unverteidigt fanden. Hier ueberschritten
sie auf schleunig zusammengeschlagenen Floessen den Fluss, um dann
stromabwaerts sich wendend die Gallier in den Ruecken zu fassen, die dem
Hauptheer den Uebergang verwehrten. Schon am Morgen des fuenften Tages
nach der Ankunft an der Rhone, des dritten nach Hannos Abmarsch, stiegen
die Rauchsignale der entsandten Abteilung am gegenueberliegenden Ufer
auf, fuer Hannibal das sehnlich erwartete Zeichen zum Uebergang: Eben
als die Gallier, sehend, dass die feindliche Kahnflotte in Bewegung kam,
das Ufer zu besetzen eilten, loderte ploetzlich ihr Lager hinter ihnen
in Flammen auf; ueberrascht und geteilt, vermochten sie weder dem
Angriff zu stehen noch dem Uebergang zu wehren und zerstreuten sich
in eiliger Flucht. Scipio hielt waehrenddessen in Massalia
Kriegsratsitzungen ueber die geeignete Besetzung der Rhoneuebergaenge
und liess sich nicht einmal durch die dringenden Botschaften der
Keltenfuehrer zum Aufbruch bestimmen. Er traute ihren Nachrichten
nicht und begnuegte sich, eine schwache roemische Reiterabteilung
zur Rekognoszierung auf dem linken Rhoneufer zu entsenden. Diese traf
bereits die gesamte feindliche Armee auf dies Ufer uebergegangen
und beschaeftigt, die allein noch am rechten Ufer zurueckgebliebenen
Elefanten nachzuholen; nachdem sie in der Gegend von Avignon, um nur die
Rekognoszierung beendigen zu koennen, einigen karthagischen Schwadronen
ein hitziges Gefecht geliefert hatte - das erste, in dem die Roemer und
Phoeniker in diesem Krieg aufeinandertrafen -, machte sie sich eiligst
auf den Rueckweg, um im Hauptquartier Bericht zu erstatten. Scipio brach
nun Hals ueber Kopf mit all seinen Truppen gegen Avignon auf; allein als
er dort eintraf, war selbst die zur Deckung des Uebergangs der
Elefanten zurueckgelassene karthagische Reiterei bereits seit drei Tagen
abmarschiert, und es blieb dem Konsul nichts uebrig, als mit ermuedeten
Truppen und geringem Ruhm nach Massalia heimzukehren und auf die "feige
Flucht" des Puniers zu schmaelen. So hatte man erstens zum drittenmal
durch reine Laessigkeit die Bundesgenossen und eine wichtige
Verteidigungslinie preisgegeben, zweitens, indem man nach diesem ersten
Fehler vom verkehrten Rasten zu verkehrtem Hasten ueberging und ohne
irgendeine Aussicht auf Erfolg nun doch noch tat, was mit so sicherer
einige Tage zuvor geschehen konnte, eben dadurch das wirkliche Mittel,
den Fehler wiedergutzumachen, aus den Haenden gegeben. Seit Hannibal
diesseits der Rhone im Keltenland stand, war es nicht mehr zu hindern,
dass er an die Alpen gelangte; allein wenn sich Scipio auf die erste
Kunde hin mit seinem ganzen Heer nach Italien wandte - in sieben Tagen
war ueber Genua der Po zu erreichen - und mit seinem Korps die schwachen
Abteilungen im Potal vereinigte, so konnte er wenigstens dort dem Feind
einen gefaehrlichen Empfang bereiten. Allein nicht bloss verlor er die
kostbare Zeit mit dem Marsch nach Avignon, sondern es fehlte sogar
dem sonst tuechtigen Manne, sei es der politische Mut, sei es die
militaerische Einsicht, die Bestimmung seines Korps den Umstaenden
gemaess zu veraendern; er sandte das Gros desselben unter seinem Bruder
Gnaeus nach Spanien und ging selbst mit weniger Mannschaft zurueck nach
Pisae. Hannibal, der nach dem Uebergang ueber die Rhone in einer grossen
Heeresversammlung den Truppen das Ziel seines Zuges auseinandergesetzt
und den aus dem Potal angelangten Keltenhaeuptling Magilus selbst durch
den Dolmetsch hatte zu dem Heere sprechen lassen, setzte inzwischen
ungehindert seinen Marsch nach den Alpenpaessen fort. Welchen derselben
er waehlte, darueber konnte weder die Kuerze des Weges noch die
Gesinnung der Einwohner zunaechst entscheiden, wenngleich er weder mit
Umwegen noch mit Gefechten Zeit zu verlieren hatte. Den Weg musste
er einschlagen, der fuer seine Bagage, seine starke Reiterei und
die Elefanten praktikabel war und in dem ein Heer hinreichende
Subsistenzmittel, sei es im guten oder mit Gewalt, sich verschaffen
konnte - denn obwohl Hannibal Anstalten getroffen hatte, Lebensmittel
auf Saumtieren sich nachzufuehren, so konnten bei einem Heere, das
immer noch trotz starker Verluste gegen 50000 Mann zaehlte, diese doch
notwendig nur fuer einige Tage ausreichen. Abgesehen von dem Kuestenweg,
den Hannibal nicht einschlug, nicht weil die Roemer ihn sperrten,
sondern weil er ihn von seinem Ziel abgefuehrt haben wuerde, fuehrten
in alter Zeit ^3 von Gallien nach Italien nur zwei namhafte
Alpenuebergaenge: der Pass ueber die Kottische Alpe (Mont Genevre) in
das Gebiet der Tauriner (ueber Susa oder Fenestrelles nach Turin) und
der ueber die Graische (Kleiner St. Bernhard) in das der Salasser (nach
Aosta und Ivrea). Der erstere Weg ist der kuerzere; allein von da an, wo
er das Rhonetal verlaesst, fuehrt er in den unwegsamen und unfruchtbaren
Flusstaelern des Drak, der Romanche und der oberen Durance durch ein
schwieriges und armes Bergland und erfordert einen mindestens sieben-
bis achttaegigen Gebirgsmarsch; eine Heerstrasse hat erst Pompeius hier
angelegt, um zwischen der dies- und der jenseitigen gallischen
Provinz eine kuerzere Verbindung herzustellen.
------------------------------------------------- ^3 Der Weg ueber
den Mont Cenis ist erst im Mittelalter eine Heerstrasse geworden. Die
oestlichen Paesse, wie zum Beispiel der ueber die Poeninische Alpe
oder den Grossen St. Bernhard, der uebrigens auch erst durch Caesar und
Augustus Militaerstrasse ward, kommen natuerlich hier nicht in Betracht.
------------------------------------------------- Der Weg ueber den
Kleinen St. Bernhard ist etwas laenger; allein nachdem er die erste, das
Rhonetal oestlich begrenzende Alpenwand ueberstiegen hat, haelt er sich
in dem Tale der oberen Isere, das von Grenoble ueber Chambery bis hart
an den Fuss des Kleinen St. Bernhard, das heisst der Hochalpenkette sich
hinzieht und unter allen Alpentaelern das breiteste, fruchtbarste und
bevoelkertste ist. Es ist ferner der Weg ueber den Kleinen St. Bernhard
unter allen natuerlichen Alpenpassagen zwar nicht die niedrigste, aber
bei weitem die bequemste; obwohl dort keine Kunststrasse angelegt ist,
ueberschritt auf ihr noch im Jahre 1815 ein oesterreichisches Korps
mit Artillerie die Alpen. Dieser Weg, der bloss ueber zwei Bergkaemme
fuehrt, ist endlich von den aeltesten Zeiten an die grosse Heerstrasse
aus dem keltischen in das italische Land gewesen. Die karthagische
Armee hatte also in der Tat keine Wahl; es war ein glueckliches
Zusammentreffen, aber kein bestimmendes Motiv fuer Hannibal, dass die
ihm verbuendeten keltischen Staemme in Italien bis an den Kleinen St.
Bernhard wohnten, waehrend ihn der Weg ueber den Mont Genevre zunaechst
in das Gebiet der Tauriner gefuehrt haben wuerde, die seit alten Zeiten
mit den Insubrern in Fehde lagen. So marschierte das karthagische Heer
zunaechst an der Rhone hinauf gegen das Tal der oberen Isere zu, nicht,
wie man vermuten koennte, auf dem naechsten Weg, an dem linken Ufer
der unteren Isere hinauf, von Valence nach Grenoble, sondern durch die
"Insel" der Allobrogen, die reiche und damals schon dichtbevoelkerte
Niederung, die noerdlich und westlich von der Rhone, suedlich von der
Isere, oestlich von den Alpen umfasst wird. Es geschah dies wieder
deshalb, weil die naechste Strasse durch ein unwegsames und armes
Bergland gefuehrt haette, waehrend die Insel eben und aeusserst
fruchtbar ist und nur eine einfache Bergwand sie von dem oberen Iseretal
scheidet. Der Marsch an der Rhone in und quer durch die Insel bis an
den Fuss der Alpenwand war in sechzehn Tagen vollendet; er bot geringe
Schwierigkeit und auf der Insel selbst wusste Hannibal durch geschickte
Benutzung einer zwischen zwei allobrogischen Haeuptlingen ausgebrochenen
Fehde sich einen der bedeutendsten derselben zu verpflichten, dass
derselbe den Karthagern nicht bloss durch die ganze Ebene das Geleit
gab, sondern auch ihnen die Vorraete ergaenzte und die Soldaten mit
Waffen, Kleidung und Schuhzeug versah. Allein an dem Uebergang ueber die
erste Alpenkette, die steil und wandartig emporsteigt und ueber die nur
ein einziger gangbarer Pfad (ueber den Mont du Chat beim Dorfe Chevelu)
fuehrt, waere fast der Zug gescheitert. Die allobrogische Bevoelkerung
hatte den Pass stark besetzt. Hannibal erfuhr es frueh genug, um einen
Ueberfall zu vermeiden, und lagerte am Fuss, bis nach Sonnenuntergang
die Kelten sich in die Haeuser der naechsten Stadt zerstreuten, worauf
er in der Nacht den Pass einnahm. So war die Hoehe gewonnen; allein auf
dem aeusserst steilen Weg, der von der Hoehe nach dem See von Bourget
hinabfuehrt, glitten und stuerzten die Maultiere und die Pferde. Die
Angriffe, die an geeigneten Stellen von den Kelten auf die marschierende
Armee gemacht wurden, waren weniger an sich als durch das in Folge
derselben entstehende Getuemmel sehr unbequem; und als Hannibal sich mit
seinen leichten Truppen von oben herab auf die Allobrogen warf, wurden
diese zwar ohne Muehe und mit starkem Verlust den Berg hinuntergejagt,
allein die Verwirrung, besonders in dem Train, ward noch erhoeht durch
den Laerm des Gefechts. So nach starkem Verlust in der Ebene angelangt,
ueberfiel Hannibal sofort die naechste Stadt, um die Barbaren zu
zuechtigen und zu schrecken und zugleich seinen Verlust an Saumtieren
und Pferden moeglichst wieder zu ersetzen. Nach einem Rasttag in dem
anmutigen Tal von Chambery setzte die Armee an der Isere hinauf ihren
Marsch fort, ohne in dem breiten und reichen Grund durch Mangel oder
Angriffe aufgehalten zu werden. Erst als man am vierten Tage eintrat in
das Gebiet der Ceutronen (die heutige Tarantaise), wo allmaehlich das
Tal sich verengt, hatte man wiederum mehr Veranlassung, auf seiner Hut
zu sein. Die Ceutronen empfingen das Heer an der Landesgrenze (etwa bei
Conflans) mit Zweigen und Kraenzen, stellten Schlachtvieh, Fuehrer und
Geiseln, und wie durch Freundesland zog man durch ihr Gebiet. Als jedoch
die Truppen unmittelbar am Fuss der Alpen angelangt waren, da wo der Weg
die Isere verlaesst und durch ein enges und schwieriges Defilee an den
Bach Reclus hinauf sich zu dem Gipfel des Bernhard emporwindet, erschien
auf einmal die Landwehr der Ceutronen teils im Ruecken der Armee, teils
auf den rechts und links den Pass einschliessenden Bergraendern, in
der Hoffnung, den Tross und das Gepaeck abzuschneiden. Allein Hannibal,
dessen sicherer Takt in all jenem Entgegenkommen der Ceutronen nichts
gesehen hatte als die Absicht, zugleich Schonung ihres Gebiets und die
reiche Beute zu gewinnen, hatte in Erwartung eines solchen Angriffs den
Tross und die Reiterei voraufgeschickt und deckte den Marsch mit dem
gesamten Fussvolk; die Absicht der Feinde wurde dadurch vereitelt,
obwohl er nicht verhindern konnte, dass sie, auf den Bergabhaengen
den Marsch des Fussvolks begleitend, ihm durch geschleuderte oder
herabgerollte Steine sehr betraechtlichen Verlust zufuegten. An dem
"weissen Stein" (noch jetzt la roche blanche), einem hohen, am Fusse des
Bernhard einzeln stehenden und den Aufweg auf denselben beherrschenden
Kreidefels, lagerte Hannibal mit seinem Fussvolk, den Abzug der die
ganze Nacht hindurch muehsam hinaufklimmenden Pferde und Saumtiere
zu decken, und erreichte unter bestaendigen, sehr blutigen Gefechten
endlich am folgenden Tage die Passhoehe. Hier, auf der geschuetzten
Hochebene, die sich um einen kleinen See, die Quelle der Doria, in einer
Ausdehnung von etwa 2« Miglien ausbreitet, liess er die Armee rasten.
Die Entmutigung hatte angefangen, sich der Gemueter der Soldaten zu
bemaechtigen. Die immer schwieriger werdenden Wege, die zu Ende
gehenden Vorraete, die Defileenmaersche unter bestaendigen Angriffen des
unerreichbaren Feindes, die arg gelichteten Reihen, die hoffnungslose
Lage der Versprengten und Verwundeten, das nur der Begeisterung des
Fuehrers und seiner Naechsten nicht chimaerisch erscheinende Ziel,
fingen an, auch auf die afrikanischen und spanischen Veteranen zu
wirken. Indes die Zuversicht des Feldherrn blieb sich immer gleich;
zahlreiche Versprengte fanden sich wieder ein; die befreundeten Gallier
waren nah, die Wasserscheide erreicht und der dem Bergwanderer so
erfreuliche Blick auf den absteigenden Pfad eroeffnet; nach kurzer
Rast schickte man mit erneutem Mute zu dem letzten und schwierigsten
Unternehmen, dem Hinabmarsch sich an. Von Feinden ward das Heer dabei
nicht wesentlich beunruhigt; aber die vorgerueckte Jahreszeit - man war
schon im Anfang September - vertrat bei dem Niederweg das Ungemach, das
bei dem Aufweg die Ueberfaelle der Anwohner bereitet hatten. Auf
dem steilen und schluepfrigen Berghang laengs der Doria, wo der
frischgefallene Schnee die Pfade verborgen und verdorben hatte,
verirrten und glitten Menschen und Tiere und stuerzten in die Abgruende;
ja gegen das Ende des ersten Tagemarsches gelangte man an eine
Wegstrecke von etwa 200 Schritt Laenge, auf welche von den steil
darueber haengenden Felsen des Cramont bestaendig Lawinen hinabstuerzen
und wo in kalten Sommern der Schnee das ganze Jahr liegt. Das Fussvolk
kam hinueber; aber Pferde und Elefanten vermochten die glatten
Eismassen, ueber welche nur eine duenne Decke frischgefallenen Schnees
sich hinzog, nicht zu passieren und mit dem Trosse, der Reiterei und den
Elefanten nahm der Feldherr oberhalb der schwierigen Stelle das Lager.
Am folgenden Tag bahnten die Reiter durch angestrengtes Schanzen den Weg
fuer Pferde und Saumtiere; allein erst nach einer ferneren dreitaegigen
Arbeit mit bestaendiger Abloesung der Haende konnten endlich die
halbverhungerten Elefanten hinuebergefuehrt werden. So war nach
viertaegigem Aufenthalt die ganze Armee wieder vereinigt und nach einem
weiteren dreitaegigen Marsch durch das immer breiter und fruchtbarer
sich entwickelnde Tal der Doria, dessen Einwohner, die Salasser,
Klienten der Insubrer, in den Karthagern ihre Verbuendeten und ihre
Befreier begruessten, gelangte die Armee um die Mitte des September
in die Ebene von Ivrea, wo die erschoepften Truppen in den Doerfern
einquartiert wurden, um durch gute Verpflegung und eine vierzehntaegige
Rast von den beispiellosen Strapazen sich zu erholen. Haetten die
Roemer, wie sie es konnten, ein Korps von 30000 ausgeruhten und
kampffertigen Leuten etwa bei Turin gehabt und die Schlacht sofort
erzwungen, so haette es misslich ausgesehen um Hannibals grossen Plan;
zum Glueck fuer ihn waren sie wieder einmal nicht, wo sie sein sollten,
und stoerten die feindlichen Truppen nicht in der Ruhe, deren sie so
sehr bedurften ^4. ------------------------------------------- ^4
Die vielbestrittenen topographischen Fragen, die an diese beruehmte
Expedition sich knuepfen, koennen als erledigt und im wesentlichen als
geloest gelten durch die musterhaft gefuehrte Untersuchung der
Herren Wickham und Gramer. Ueber die chronologischen, die gleichfalls
Schwierigkeiten darbieten, moegen hier ausnahmsweise einige Bemerkungen
stehen. Als Hannibal auf den Gipfel des Bernhard gelangte, "fingen die
Spitzen schon an, sich dicht mit Schnee zu bedecken" (Polyb. 3, 54); auf
dem Wege lag Schnee (Polyb. 3, 55), aber vielleicht groesstenteils nicht
frisch gefallener, sondern Schnee von herabgestuerzten Lawinen. Auf dem
Bernhard beginnt der Winter um Michaelis, der Schneefall im September;
als Ende August die genannten Englaender den Berg ueberstiegen, fanden
sie fast gar keinen Schnee auf ihrem Wege, aber zu beiden Seiten die
Bergabhaenge davon bedeckt. Hiernach scheint Hannibal Anfang September
auf dem Pass angelangt zu sein; womit auch wohl vereinbar ist, dass
er dort eintraf, "als schon der Winter herannahte" - denn mehr ist
synaptein t/e/n t/e/s pleiados d?sin (Polyb. 3, 54) nicht, am wenigsten
der Tag des Fruehuntergangs der Plejaden (etwa 26. Oktober); vgl. C.
L. Ideler, Lehrbuch der Chronologie. Berlin 1831. Bd. 1, S. 241. Kam
Hannibal neun Tage spaeter, also Mitte September in Italien an, so ist
auch Platz fuer die von da bis zur Schlacht an der Trebia gegen
Ende Dezember (peri cheimerinas tropas Polyb. 3, 72) eingetretenen
Ereignisse, namentlich die Translokation des nach Afrika bestimmten
Heeres von Lilybaeon nach Placentia. Es passt dazu ferner, dass in einer
Heerversammlung ypo t/e/n earin/e/n /o/ran (Polyb. 3, 34), also gegen
Ende Maerz, der Tag des Abmarsches bekannt gemacht ward und der Marsch
fuenf (oder nach App. Hisp. 7, 4 sechs) Monate waehrte. Wenn also
Hannibal Anfang September auf dem Bernhard war, so war er, da er von
der Rhone bis dahin 30 Tage gebraucht, an der Rhone Anfang August
eingetroffen, wo denn freilich Scipio, der im Anfang des Sommers (Polyb.
3, 41), also spaetestens Anfang Juni sich einschiffte unterwegs sich
sehr verweilt oder in Massalia in seltsamer Untaetigkeit laengere Zeit
gesessen haben muss. -------------------------------------------- Das
Ziel war erreicht, aber mit schweren Opfern. Von den 50000 zu Fuss,
den 9000 zu Ross dienenden alten Soldaten, welche die Armee nach dem
Pyrenaeenuebergang zaehlte, waren mehr als die Haelfte das Opfer der
Gefechte, der Maersche und der Flussuebergaenge geworden; Hannibal
zaehlte nach seiner eigenen Angabe jetzt nicht mehr als 20000 zu Fuss
- davon drei Fuenftel Libyer, zwei Fuenftel Spanier - und 6000 zum Teil
wohl demontierte Reiter, deren verhaeltnismaessig geringer Verlust nicht
minder fuer die Trefflichkeit der numidischen Kavallerie spricht wie
fuer die wohlueberlegte Schonung, mit der der Feldherr diese ausgesuchte
Truppe verwandte. Ein Marsch von 526 Miglien oder etwa 33 maessigen
Tagemaerschen, dessen Fortsetzung und Beendigung durch keinen
besonderen, nicht vorherzusehenden groesseren Unfall gestoert, vielmehr
nur durch unberechenbare Gluecksfaelle und noch unberechenbarere Fehler
des Feindes moeglich ward und der dennoch nicht bloss solche Opfer
kostete, sondern die Armee so strapazierte und demoralisierte, dass sie
einer laengeren Rast bedurfte, um wieder kampffaehig zu werden, ist eine
militaerische Operation von zweifelhaftem Werte, und es darf in Frage
gestellt werden, ob Hannibal sie selber als gelungen betrachtete. Nur
duerfen wir daran nicht unbedingt einen Tadel des Feldherrn knuepfen;
wir sehen wohl die Maengel des von ihm befolgten Operationsplans,
koennen aber nicht entscheiden, ob er imstande war, sie vorherzusehen
- fuehrte doch sein Weg durch unbekanntes Barbarenland -, und ob ein
anderer Plan, etwa die Kuestenstrasse einzuschlagen oder in Cartagena
oder Karthago sich einzuschiffen, ihn geringeren Gefahren ausgesetzt
haben wuerde. Die umsichtige und meisterhafte Ausfuehrung des Planes im
einzelnen ist auf jeden Fall bewundernswert, und worauf am Ende alles
ankam - sei es nun mehr durch die Gunst des Schicksals oder sei es mehr
durch die Kunst des Feldherrn, Hamilkars grosser Gedanke, in Italien den
Kampf mit Rom aufzunehmen, war jetzt zur Tat geworden. Sein Geist ist
es, der diesen Zug entwarf; und wie Steins und Scharnhorsts Aufgabe
schwieriger und grossartiger war als die von York und Bluecher, so hat
auch der sichere Takt geschichtlicher Erinnerung das letzte Glied der
grossen Kette von vorbereitenden Taten, den Uebergang ueber die
Alpen, stets mit groesserer Bewunderung genannt als die Schlachten
am Trasimenischen See und auf der Ebene von Cannae. 5. Kapitel. Der
Hannibalische Krieg bis zur Schlacht bei Cannae Durch das Erscheinen der
karthagischen Armee diesseits der Alpen war mit einem Schlag die Lage
der Dinge verwandelt und der roemische Kriegsplan gesprengt. Von den
beiden roemischen Hauptarmeen war die eine in Spanien gelandet und dort
schon mit dem Feinde handgemein; sie zurueckzuziehen, war nicht mehr
moeglich. Die zweite, die unter dem Oberbefehl des Konsuls Tiberius
Sempronius nach Afrika bestimmt war, stand gluecklicherweise noch in
Sizilien; die roemische Zauderei bewies sich hier einmal von Nutzen.
Von den beiden karthagischen nach Italien und Sizilien bestimmten
Geschwadern war das erste durch den Sturm zerstreut und einige der
Schiffe desselben bei Messana von den syrakusanischen aufgebracht
worden; das zweite hatte vergeblich versucht, Lilybaeon zu ueberrumpeln
und darauf in einem Seegefecht vor diesem Hafen den kuerzeren gezogen.
Doch war das Verweilen der feindlichen Geschwader in den italischen
Gewaessern so unbequem, dass der Konsul beschloss, bevor er nach Afrika
ueberfuhr, die kleinen Inseln um Sizilien zu besetzen und die gegen
Italien operierende karthagische Flotte zu vertreiben. Mit der Eroberung
von Melite und dem Aufsuchen des feindlichen Geschwaders, das er bei den
Liparischen Inseln vermutete, waehrend es bei Vibo (Monteleone) gelandet
die brettische Kueste brandschatzte, endlich mit der Erkundung eines
geeigneten Landungsplatzes an der afrikanischen Kueste war ihm der
Sommer vergangen, und so traf der Befehl des Senats, so schleunig wie
moeglich zur Verteidigung der Heimat zurueckzukehren, Heer und Flotte
noch in Lilybaeon. Waehrend also die beiden grossen, jede fuer sich der
Armee Hannibals an Zahl gleichen roemischen Armeen in weiter Ferne von
dem Potal verweilten, war man hier auf einen Angriff schlechterdings
nicht gefasst. Zwar stand dort ein roemisches Heer infolge der unter
den Kelten schon vor Ankunft der karthagischen Armee ausgebrochenen
Insurrektion. Die Gruendung der beiden roemischen Zwingburgen Placentia
und Cremona, von denen jede 6000 Kolonisten erhielt, und namentlich die
Vorbereitungen zur Gruendung von Mutina im boischen Lande hatten schon
im Fruehling 536 (218), vor der mit Hannibal verabredeten Zeit, die
Boier zum Aufstand getrieben, dem sich die Insubrer sofort anschlossen.
Die schon auf dem mutinensischen Gebiet angesiedelten Kolonisten,
ploetzlich ueberfallen, fluechteten sich in die Stadt. Der Praetor
Lucius Manlius, der in Ariminum den Oberbefehl fuehrte, eilte schleunig
mit seiner einzigen Legion herbei, um die blockierten Kolonisten zu
entsetzen; allein in den Waeldern ueberrascht, blieb ihm nach starkem
Verlust nichts anderes uebrig, als sich auf einem Huegel festzusetzen
und hiervon den Boiern sich gleichfalls belagern zu lassen, bis eine
zweite von Rom gesandte Legion unter dem Praetor Lucius Atilius Heer
und Stadt gluecklich befreite und den gallischen Aufstand fuer
den Augenblick daempfte. Dieser voreilige Aufstand der Boier, der
einerseits, insofern er Scipios Abfahrt nach Spanien verzoegerte,
Hannibals Plan wesentlich gefoerdert hatte, war anderseits die Ursache,
dass er das Potal nicht bis auf die Festungen voellig unbesetzt fand.
Allein das roemische Korps, dessen zwei stark dezimierte Legionen keine
20000 Soldaten zaehlten, hatte genug zu tun, die Kelten im Zaum zu
halten, und dachte nicht daran, die Alpenpaesse zu besetzen, deren
Bedrohung man auch in Rom erst erfuhr, als im August der Konsul
Publius Scipio ohne sein Heer von Massalia nach Italien zurueckkam, und
vielleicht selbst damals wenig beachtete, da ja das tollkuehne Beginnen
allein an den Alpen scheitern werde. Also stand in der entscheidenden
Stunde an dem entscheidenden Platz nicht einmal ein roemischer
Vorposten; Hannibal hatte volle Zeit, sein Heer auszuruhen, die
Hauptstadt der Tauriner, die ihm die Tore verschloss, nach dreitaegiger
Belagerung zu erstuermen und alle ligurischen und keltischen Gemeinden
im oberen Potal zum Buendnis zu bewegen oder zu schrecken, bevor Scipio,
der das Kommando im Potal uebernommen hatte, ihm in den Weg trat.
Dieser, dem die schwierige Aufgabe zufiel, mit einem bedeutend
geringeren, namentlich an Reiterei sehr schwachen Heer das Vordringen
der ueberlegenen feindlichen Armee auf- und die ueberall sich regende
keltische Insurrektion niederzuhalten, war, vermutlich bei Placentia,
ueber den Po gegangen und rueckte an diesem hinauf dem Feind entgegen,
waehrend Hannibal nach der Einnahme von Turin flussabwaerts marschierte,
um den Insubrern und Boiern Luft zu machen. In der Ebene zwischen dem
Ticino und der Sesia unweit Vercellae traf die roemische Reiterei,
die mit dem leichten Fussvolk zu einer forcierten Rekognoszierung
vorgegangen war, auf die zu gleichem Zwecke ausgesendete phoenikische,
beide gefuehrt von den Feldherren in Person. Scipio nahm das angebotene
Gefecht trotz der Ueberlegenheit des Feindes an; allein sein leichtes
Fussvolk, das vor der Front der Reiter aufgestellt war, riss vor dem
Stoss der feindlichen schweren Reiterei aus und waehrend diese von vorn
die roemischen Reitermassen engagierte, nahm die leichte numidische
Kavallerie, nachdem sie die zersprengten Scharen des feindlichen
Fussvolks beiseite gedraengt hatte, die roemischen Reiter in die Flanken
und den Ruecken. Dies entschied das Gefecht. Der Verlust der Roemer war
sehr betraechtlich; der Konsul selbst, der als Soldat gutmachte, was
er als Feldherr gefehlt hatte, empfing eine gefaehrliche Wunde und
verdankte seine Rettung nur der Hingebung seines siebzehnjaehrigen
Sohnes, der mutig in die Feinde hineinsprengend seine Schwadron zwang,
ihm zu folgen und den Vater heraushieb. Scipio, durch dies Gefecht
aufgeklaert ueber die Staerke des Feindes, begriff den Fehler, den er
gemacht hatte, mit einer schwaecheren Armee sich in der Ebene mit dem
Ruecken gegen den Fluss aufzustellen und entschloss sich, unter den
Augen des Gegners auf das rechte Poufer zurueckzukehren. Wie die
Operationen sich auf einen engeren Raum zusammenzogen und die Illusionen
der roemischen Unwiderstehlichkeit von ihm wichen, fand er
sein bedeutendes militaerisches Talent wieder, das der bis zur
Abenteuerlichkeit verwegene Plan seines jugendlichen Gegners auf einen
Augenblick paralysiert hatte. Waehrend Hannibal sich zur Feldschlacht
bereit machte, gelangte Scipio durch einen rasch entworfenen und sicher
ausgefuehrten Marsch gluecklich auf das zur Unzeit verlassene rechte
Ufer des Flusses und brach die Pobruecke hinter dem Heere ab, wobei
freilich das mit der Deckung des Abbruchs beauftragte roemische
Detachement von 600 Mann abgeschnitten und gefangen wurde. Indes konnte,
da der obere Lauf des Flusses in Hannibals Haenden war, es diesem
nicht verwehrt werden, dass er stromaufwaerts marschierend auf einer
Schiffbruecke uebersetzte und in wenigen Tagen auf dem rechten Ufer dem
roemischen Heere gegenuebertrat. Dies hatte in der Ebene vorwaerts
von Placentia Stellung genommen; allein die Meuterei einer keltischen
Abteilung im roemischen Lager und die ringsum aufs neue ausbrechende
gallische Insurrektion zwang den Konsul, die Ebene zu raeumen und sich
auf den Huegeln hinter der Trebia festzusetzen, was ohne namhaften
Verlust bewerkstelligt ward, da die nachsetzenden numidischen Reiter mit
dem Pluendern und Anzuenden des verlassenen Lagers die Zeit verdarben.
In dieser starken Stellung, den linken Fluegel gelehnt an den Apennin,
den rechten an den Po und die Festung Placentia, von vorn gedeckt durch
die in dieser Jahreszeit nicht unbedeutende Trebia, vermochte er zwar
die reichen Magazine von Clastidium (Casteggio), von dem ihn in dieser
Stellung die feindliche Armee abschnitt, nicht zu retten und die
insurrektionelle Bewegung fast aller gallischen Kantone mit Ausnahme
der roemisch gesinnten Cenomanen nicht abzuwenden. Aber Hannibals
Weitermarsch war voellig gehemmt und derselbe genoetigt, sein Lager
dem roemischen gegenueber zu schlagen; ferner hinderte die von Scipio
genommene Stellung sowie die Bedrohung der insubrischen Grenzen
durch die Cenomanen die Hauptmasse der gallischen Insurgenten, sich
unmittelbar dem Feinde anzuschliessen, und gab dem zweiten roemischen
Heer, das mittlerweile von Lilybaeon in Ariminum eingetroffen war,
Gelegenheit, mitten durch das insurgierte Land ohne wesentliche
Hinderung Placentia zu erreichen und mit der Poarmee sich zu vereinigen.
Scipio hatte also seine schwierige Aufgabe vollstaendig und glaenzend
geloest. Das roemische Heer, jetzt nahe an 40000 Mann stark und
dem Gegner wenn auch an Reiterei nicht gewachsen, doch an Fussvolk
wenigstens gleich, brauchte bloss da stehen zu bleiben, wo es stand,
um den Feind entweder zu noetigen, in der winterlichen Jahreszeit den
Flussuebergang und den Angriff auf das roemische Lager zu versuchen oder
sein Vorruecken einzustellen und den Wankelmut der Gallier durch die
laestigen Winterquartiere auf die Probe zu setzen. Indes so einleuchtend
dies war, so war es nicht minder unzweifelhaft, dass man schon im
Dezember stand und bei jenem Verfahren zwar vielleicht Rom den Sieg
gewann, aber nicht der Konsul Tiberius Sempronius, der infolge von
Scipios Verwundung den Oberbefehl allein fuehrte und dessen Amtsjahr in
wenigen Monaten ablief. Hannibal kannte den Mann und versaeumte nichts,
ihn zum Kampf zu reizen; die den Roemern treugebliebenen keltischen
Doerfer wurden grausam verheert und als darueber ein Reitergefecht sich
entspann, gestattete Hannibal den Gegnern, sich des Sieges zu ruehmen.
Bald darauf, an einem rauhen regnerischen Tage, kam es, den Roemern
unvermutet, zu der Hauptschlacht. Vom fruehesten Morgen an hatten die
roemischen leichten Truppen herumgeplaenkelt mit der leichten Reiterei
der Feinde; diese wich langsam, und hitzig eilten die Roemer ihr
nach durch die hochangeschwollene Trebia, den errungenen Vorteil zu
verfolgen. Ploetzlich standen die Reiter; die roemische Vorhut fand
sich auf dem von Hannibal gewaehlten Schlachtfeld seiner zur Schlacht
geordneten Armee gegenueber - sie war verloren, wenn nicht das Gros
der Armee schleunigst ueber den Bach folgte. Hungrig, ermuedet und
durchnaesst kamen die Roemer an und eilten sich, in Reihe und Glied
zu stellen; die Reiter wie immer auf den Fluegeln, das Fussvolk im
Mitteltreffen. Die leichten Truppen, die auf beiden Seiten die Vorhut
bildeten, begannen das Gefecht; allein die roemischen hatten fast schon
gegen die Reiterei sich verschossen und wichen sofort, ebenso auf den
Fluegeln die Reiterei, welche die Elefanten von vorn bedraengten und
die weit zahlreicheren karthagischen Reiter links und rechts
ueberfluegelten. Aber das roemische Fussvolk bewies sich seines
Namens wert; es focht zu Anfang der Schlacht mit der entschiedensten
Ueberlegenheit gegen die feindliche Infanterie, und selbst als die
Zurueckdraengung der roemischen Reiter der feindlichen Kavallerie und
den Leichtbewaffneten gestattete, ihre Angriffe gegen das roemische
Fussvolk zu kehren, stand dasselbe zwar vom Vordringen ab, aber zum
Weichen war es nicht zu bringen. Da ploetzlich erschien eine auserlesene
karthagische Schar, 1000 Mann zu Fuss und ebensoviele zu Pferd unter der
Fuehrung von Mago, Hannibals juengstem Bruder, aus einem Hinterhalt in
dem Ruecken der roemischen Armee und hieb ein in die dicht verwickelten
Massen. Die Fluegel der Armee und die letzten Glieder des roemischen
Zentrums wurden durch diesen Angriff aufgeloest und zersprengt.
Das erste Treffen, 10000 Mann stark, durchbrach, sich eng
zusammenschliessend, die karthagische Linie und bahnte mitten durch die
Feinde sich seitwaerts einen Ausweg, der der feindlichen Infanterie,
namentlich den gallischen Insurgenten teuer zu stehen kam; diese tapfere
Truppe gelangte also, nur schwach verfolgt, nach Placentia. Die
uebrige Masse ward zum groessten Teil bei dem Versuch, den Fluss zu
ueberschreiten, von den Elefanten und den leichten Truppen des Feindes
niedergemacht; nur ein Teil der Reiterei und einige Abteilungen des
Fussvolks vermochten den Fluss durchwatend das Lager zu gewinnen, wohin
ihnen die Karthager nicht folgten, und erreichten von da gleichfalls
Placentia ^1. Wenige Schlachten machen dem roemischen Soldaten mehr Ehre
als diese an der Trebia und wenige zugleich sind eine schwerere Anklage
gegen den Feldherrn, der sie schlug; obwohl der billig Urteilende
nicht vergessen wird, dass die an einem bestimmten Tage ablaufende
Feldhauptmannschaft eine unmilitaerische Institution war und von Dornen
sich einmal keine Feigen ernten lassen. Auch den Siegern kam der Sieg
teuer zu stehen. Wenngleich der Verlust im Kampfe hauptsaechlich auf die
keltischen Insurgenten gefallen war, so erlagen doch nachher den infolge
des rauhen und nassen Wintertages entstandenen Krankheiten eine Menge
von Hannibals alten Soldaten und saemtliche Elefanten bis auf einen
einzigen. ------------------------------------------- ^1 Polybios'
Bericht ueber die Schlacht an der Trebia ist vollkommen klar. Wenn
Placentia auf dem rechten Ufer der Trebia an deren Muendung in den Po
lag, und wenn die Schlacht auf dem linken Ufer geliefert ward, waehrend
das roemische Lager auf dem rechten geschlagen war - was beides wohl
bestritten worden, aber nichtsdestoweniger unbestreitbar ist -, so
mussten allerdings die roemischen Soldaten, ebensogut um Placentia wie
um das Lager zu gewinnen, die Trebia passieren. Allein bei dem Uebergang
in das Lager haetten sie durch die aufgeloesten Teile der eigenen Armee
und durch das feindliche Umgehungskorps sich den Weg bahnen und dann
fast im Handgemenge mit dem Feinde den Fluss ueberschreiten muessen.
Dagegen ward der Uebergang bei Placentia bewerkstelligt, nachdem die
Verfolgung nachgelassen hatte, das Korps mehrere Meilen vom Schlachtfeld
entfernt und im Bereiche einer roemischen Festung angelangt war; es kann
sogar sein, obwohl es sich nicht beweisen laesst, dass hier eine Bruecke
ueber die Trebia fuehrte und der Brueckenkopf am anderen Ufer von der
placentinischen Garnison besetzt war. Es ist einleuchtend, dass die
erste Passage ebenso schwierig wie die zweite leicht war und Polybios
also, Militaer wie er war, mit gutem Grunde von dem Korps der
Zehntausend bloss sagt, dass es in geschlossenen Kolonnen nach Placentia
sich durchschlug (3, 74, 6), ohne des hier gleichgueltigen Uebergangs
ueber den Fluss zu gedenken. Die Verkehrtheit der Livianischen
Darstellung, welche das phoenikische Lager auf das rechte, das
roemische auf das linke Ufer der Trebia verlegt, ist neuerdings mehrfach
hervorgehoben worden. Es mag nur noch daran erinnert werden, dass die
Lage von Clastidium bei dem heutigen Casteggio jetzt durch
Inschriften festgestellt ist (Orelli-Henzen 5117).
------------------------------------------ Die Folge dieses ersten
Sieges der Invasionsarmee war, dass die nationale Insurrektion sich nun
im ganzen Kettenland ungestoert erhob und organisierte. Die Ueberreste
der roemische Poarmee warfen sich in die Festungen Placentia und
Cremona; vollstaendig abgeschnitten von der Heimat, mussten sie ihre
Zufuhren auf dem Fluss zu Wasser beziehen. Nur wie durch ein Wunder
entging der Konsul Tiberius Sempronius der Gefangenschaft, als er mit
einem schwachen Reitertrupp der Wahlen wegen nach Rom ging. Hannibal,
der nicht durch weitere Maersche in der rauben Jahreszeit die Gesundheit
seiner Truppen aufs Spiel setzen wollte, bezog, wo er war, das
Winterbiwak und begnuegte sich, da ein ernstlicher Versuch auf die
groesseren Festungen zu nichts gefuehrt haben wuerde, durch Angriffe auf
den Flusshafen von Placentia und andere kleinere roemische Positionen
den Feind zu necken. Hauptsaechlich beschaeftigte er sich damit, den
gallischen Aufstand zu organisieren; ueber 60000 Fusssoldaten und 4000
Berittene sollen von den Kelten sich seinem Heer angeschlossen
haben. Fuer den Feldzug des Jahres 537 (217) wurden in Rom keine
ausserordentlichen Anstrengungen gemacht; der Senat betrachtete,
und nicht mit Unrecht, trotz der verlorenen Schlacht die Lage noch
keineswegs als ernstlich gefahrvoll. Ausser den Kuestenbesatzungen, die
nach Sardinien, Sizilien und Tarent, und den Verstaerkungen, die nach
Spanien abgingen, erhielten die beiden neuen Konsuln Gaius Flaminius
und Gnaeus Servilius nur soviel Mannschaft, als noetig war, um die
vier Legionen wieder vollzaehlig zu machen; einzig die Reiterei wurde
verstaerkt. Sie sollten die Nordgrenze decken und stellten sich deshalb
an den beiden Kunststrassen auf, die von Rom nach Norden fuehrten, und
von denen die westliche damals bei Arretium, die oestliche bei Ariminum
endigte; jene besetzte Gaius Flaminius, diese Gnaeus Servilius. Hier
zogen sie die Truppen aus den Pofestungen, wahrscheinlich zu Wasser,
wieder an sich und erwarteten den Beginn der besseren Jahreszeit, um
in der Defensive die Apenninpaesse zu besetzen und, zur Offensive
uebergehend, in das Potal hinabzusteigen und etwa bei Placentia sich die
Hand zu reichen. Allein Hannibal hatte keineswegs die Absicht, das Potal
zu verteidigen. Er kannte Rom besser vielleicht, als die Roemer selbst
es kannten, und wusste sehr genau, wie entschieden er der Schwaechere
war und es blieb trotz der glaenzenden Schlacht an der Trebia; er wusste
auch, dass sein letztes Ziel, die Demuetigung Roms, von dem zaehen
roemischen Trotz weder durch Schreck noch durch Ueberraschung zu
erreichen sei, sondern nur durch die tatsaechliche Ueberwaeltigung der
stolzen Stadt. Es lag klar am Tage, wie unendlich ihm, dem von daheim
nur unsichere und unregelmaessige Unterstuetzung zukam und der in
Italien zunaechst nur auf das schwankende und latinische Kelterwolk
sich zu lehnen vermochte, die italische Eidgenossenschaft an politischer
Festigkeit und an militaerischen Hilfsmitteln ueberlegen war; und wie
tief trotz aller angewandten Muehe der phoenikische Fusssoldat unter dem
Legionaer taktisch stand, hatte die Defensive Scipios und der glaenzende
Rueckzug der geschlagenen Infanterie an der Trebia vollkommen erwiesen.
Aus dieser Einsicht flossen die beiden Grundgedanken, die Hannibals
ganze Handlungsweise in Italien bestimmt haben: den Krieg mit stetem
Wechsel des Operationsplans und des Schauplatzes, gewissermassen
abenteuernd zu fuehren, die Beendigung desselben aber nicht von
den militaerischen Erfolgen, sondern von den politischen, von der
allmaehlichen Lockerung und der endlichen Sprengung der italischen
Eidgenossenschaft zu erwarten. Jene Fuehrung war notwendig, weil das
einzige, was Hannibal gegen so viele Nachteile in die Waagschale zu
werfen hatte, sein militaerisches Genie nur dann vollstaendig ins
Gewicht fiel, wenn er seine Gegner stets durch unvermutete Kombinationen
deroutierte, und er verloren war, sowie der Krieg zum Stehen kam.
Dieses Ziel war das von der richtigen Politik ihm gebotene, weil er, der
gewaltige Schlachtensieger, sehr deutlich einsah, dass er jedesmal die
Generale ueberwand und nicht die Stadt, und nach jeder neuen Schlacht
die Roemer den Karthagern ebenso ueberlegen blieben, wie er den
roemischen Feldherren. Dass Hannibal selbst auf dem Gipfel des Gluecks
sich nie hierueber getaeuscht hat, ist bewunderungswuerdiger als seine
bewundertsten Schlachten. Dies und nicht die Bitten der Gallier um
Schonung ihres Landes, die ihn nicht bestimmen durften, ist auch die
Ursache, warum Hannibal seine neugewonnene Operationsbasis gegen Italien
jetzt gleichsam fallen liess und den Kriegsschauplatz nach Italien
selbst verlegte. Vorher hiess er alle Gefangenen sich vorfuehren.
Die Roemer liess er aussondern und mit Sklavenfesseln belasten - dass
Hannibal alle waffenfaehigen Roemer, die ihm hier und sonst in die
Haende fielen, habe niedermachen lassen, ist ohne Zweifel mindestens
stark uebertrieben; dagegen wurden die saemtlichen italischen
Bundesgenossen ohne Loesegeld entlassen, um daheim zu berichten, dass
Hannibal nicht gegen Italien Krieg fuehre, sondern gegen Rom; dass er
jeder italischen Gemeinde die alte Unabhaengigkeit und die alten Grenzen
wieder zusichere und dass den Befreiten der Befreier auf dem Fusse folge
als Retter und als Raecher. In der Tat bracher, da der Winter zu
Ende ging, aus dem Potal auf, um sich einen Weg durch die schwierigen
Defileen des Apennin zu suchen. Gaius Flaminius mit der etruskischen
Armee stand vorlaeufig noch bei Arezzo, um von hier aus zur Deckung des
Arnotales und der Apenninpaesse etwa nach Lucca abzuruecken, sowie
es die Jahreszeit erlaubte. Allein Hannibal kam ihm zuvor. Der
Apenninuebergang ward in moeglichst westlicher Richtung, das heisst
moeglichst weit vom Feinde, ohne grosse Schwierigkeit bewerkstelligt;
allein die sumpfigen Niederungen zwischen dem Serchio und dem Arno waren
durch die Schneeschmelze und die Fruehlingsregen so ueberstaut, dass
die Armee vier Tage im Wasser zu marschieren hatte, ohne auch nur zur
naechtlichen Rast einen anderen trockenen Platz zu finden, als den das
zusammengehaeufte Gepaeck und die gefallenen Saumtiere darboten. Die
Truppen litten unsaeglich, namentlich das gallische Fussvolk, das hinter
dem karthagischen in den schon grundlosen Wegen marschierte; es murrte
laut und waere ohne Zweifel in Masse ausgerissen, wenn nicht die
karthagische Reiterei unter Mago, die den Zug beschloss, ihm die Flucht
unmoeglich gemacht haette. Die Pferde, unter denen die Klauenseuche
ausbrach, fielen haufenweise; andere Seuchen dezimierten die Soldaten;
Hannibal selbst verlor infolge einer Entzuendung das eine Auge. Indes
das Ziel ward erreicht; Hannibal lagerte bei Fiesole, waehrend Gaius
Flaminius noch bei Arezzo abwartete, dass die Wege gangbar wuerden, um
sie zu sperren. Nachdem die roemische Defensivstellung somit umgangen
war, konnte der Konsul, der vielleicht stark genug gewesen waere, um
die Bergpaesse zu verteidigen, aber sicher nicht imstande war, Hannibal
jetzt im offenen Felde zu stehen, nichts Besseres tun als warten,
bis das zweite, nun bei Ariminum voellig ueberfluessig gewordene Heer
herankam. Indes er selber urteilte anders. Er war ein politischer
Parteifuehrer, durch seine Bemuehungen, die Macht des Senats zu
beschraenken, in die Hoehe gekommen, durch die gegen ihn waehrend
seiner Konsulate gesponnenen aristokratischen Intrigen auf die Regierung
erbittert, durch die wohl gerechtfertigte Opposition gegen deren
parteilichen Schlendrian fortgerissen zu trotziger Ueberhebung ueber
Herkommen und Sitte, berauscht zugleich von der blinden Liebe des
gemeinen Mannes und ebenso sehr von dem bitteren Hass der Herrenpartei,
und ueber alles dies mit der fixen Idee behaftet, dass er ein
militaerisches Genie sei. Sein Feldzug gegen die Insubrer von 531
(223), der fuer unbefangene Urteiler nur bewies, dass tuechtige Soldaten
oefters gutmachen, was schlechte Generale verderben, galt ihm und
seinen Anhaengern als der unumstoessliche Beweis, dass man nur den Gaius
Flaminius an die Spitze des Heeres zu stellen brauche, um dem Hannibal
ein schnelles Ende zu bereiten. Solche Reden hatten ihm das zweite
Konsulat verschafft, und solche Hoffnungen hatten jetzt eine derartige
Menge von unbewaffneten Beutelustigen in sein Lager gefuehrt, dass
deren Zahl nach der Versicherung nuechterner Geschichtschreiber die der
Legionarier ueberstieg. Zum Teil hierauf gruendete Hannibal seinen Plan.
Weit entfernt, ihn anzugreifen, marschierte er an ihm vorbei und liess
durch die Kelten, die das Pluendern gruendlich verstanden, und die
zahlreiche Reiterei die Landschaft rings umher brandschatzen. Die Klagen
und die Erbitterung der Menge, die sich musste auspluendern lassen unter
den Augen des Helden, der sie zu bereichern versprochen; das Bezeigen
des Feindes, dass er ihm weder die Macht noch den Entschluss zutraue,
vor der Ankunft seines Kollegen etwas zu unternehmen, mussten einen
solchen Mann bestimmen, sein strategisches Genie zu entwickeln und dem
unbesonnenen hochmuetigen Feind eine derbe Lektion zu erteilen. Nie ist
ein Plan vollstaendiger gelungen. Eilig folgte der Konsul dem Marsch des
Feindes, der an Arezzo vorueber langsam durch das reiche Chianatal gegen
Perugia zog; er erreichte ihn in der Gegend von Cortona, wo Hannibal,
genau unterrichtet von dem Marsch seines Gegners, volle Zeit gehabt
hatte, sein Schlachtfeld zu waehlen, ein enges Defilee zwischen zwei
steilen Bergwaenden, das am Ausgang ein hoher Huegel, am Eingang der
Trasimenische See schloss. Mit dem Kern seiner Infanterie verlegte er
den Ausweg; die leichten Truppen und die Reiterei stellten zu beiden
Seiten verdeckt sich auf. Unbedenklich rueckten die roemischen Kolonnen
in den unbesetzten Pass; der dichte Morgennebel verbarg ihnen die
Stellung des Feindes. Wie die Spitze des roemischen Zuges sich dein
Huegel naeherte, gab Hannibal das Zeichen zur Schlacht; zugleich schloss
die Reiterei, hinter den Huegeln vorrueckend, den Eingang des Passes
und auf den Raendern rechts und links zeigten die verziehenden Nebel
ueberall phoenikische Waffen. Es war kein Treffen, sondern nur eine
Niederlage. Was ausserhalb des Defilees geblieben war, wurde von den
Reitern in den See gesprengt, der Hauptzug in dem Passe selbst fast ohne
Gegenwehr vernichtet und die meisten, darunter der Konsul selbst, in der
Marschordnung niedergehauen. Die Spitze der roemischen Heersaeule, 6000
Mann zu Fuss schlugen sich zwar durch das feindliche Fussvolk durch
und bewiesen wiederum die unwiderstehliche Gewalt der Legionen; allein
abgeschnitten und ohne Kunde von dem uebrigen Heer, marschierten sie
aufs Geratewohl weiter, wurden am folgenden Tag auf einem Huegel, den
sie besetzt hatten, von einem karthagischen Reiterkorps umzingelt und
da die Kapitulation, die ihnen freien Abzug versprach, von Hannibal
verworfen ward, saemtlich als kriegsgefangen behandelt. 15000 Roemer
waren gefallen, ebenso viele gefangen, das heisst das Heer war
vernichtet; der geringe karthagische Verlust - 1500 Mann - traf wieder
vorwiegend die Gallier ^2. Und als waere dies nicht genug, so ward
gleich nach der Schlacht am Trasimenischen See die Reiterei des
ariminensischen Heeres unter Gaius Centenius, 4000 Mann stark, die
Gnaeus Servilius, selber langsam nachrueckend, vorlaeufig seinem
Kollegen zu Hilfe sandte, gleichfalls von dem phoenikischen Heer
umzingelt und teils niedergemacht, teils gefangen. Ganz Etrurien war
verloren und ungehindert konnte Hannibal auf Rom marschieren. Dort
machte man sich auf das Aeusserste gefasst; man brach die Tiberbruecken
ab und ernannte den Quintus Fabius Maximus zum Diktator, um die Mauern
instand zu setzen und die Verteidigung zu leiten, fuer welche ein
Reserveheer gebildet ward. Zugleich wurden zwei neue Legionen anstatt
der vernichteten unter die Waffen gerufen und die Flotte, die im
Fall einer Belagerung wichtig werden konnte, instand gesetzt.
----------------------------------------------- ^2 Das Datum der
Schlacht, 23. Juni nach dem unberichtigten Kalender, muss nach dem
berichtigten etwa in den April fallen, da Quintus Fabius seine Diktatur
nach sechs Monaten in der Mitte des Herbstes (Liv. 22, 31, 7; 32, 1)
niederlegte, also sie etwa Anfang Mai antrat. Die Kalenderverwirrung
war schon in dieser Zeit in Rom sehr arg.
------------------------------------------------ Allein Hannibal sah
weiter als Koenig Pyrrhos. Er marschierte nicht auf Rom; auch nicht
gegen Gnaeus Servilius, der, ein tuechtiger Feldherr, seine Armee mit
Hilfe der Festungen an der Nordstrasse auch jetzt unversehrt erhalten
und vielleicht den Gegner sich gegenueber festgehalten haben wuerde. Es
geschah wieder einmal etwas ganz Unerwartetes. An der Festung Spoletium
vorbei, deren Ueberrumpelung fehlschlug, marschierte Hannibal durch
Umbrien, verheerte entsetzlich das ganz mit roemischen Bauernhoefen
bedeckte picenische Gebiet und machte Halt an den Ufern des Adriatischen
Meeres. Menschen und Pferde in seinem Heer hatten noch die Nachwehen der
Fruehlingskampagne nicht verwunden; hier hielt er eine laengere Rast,
um in der anmutigen Gegend und der schoenen Jahreszeit sein Heer sich
erholen zu lassen und sein libysches Fussvolk in roemischer Weise zu
reorganisieren, wozu die Masse der erbeuteten roemischen Waffen ihm die
Mittel darbot. Von hier aus knuepfte er ferner die lange unterbrochenen
Verbindungen mit der Heimat wieder an, indem er zu Wasser seine
Siegesbotschaften nach Karthago sandte. Endlich, als sein Heer
hinreichend sich wiederhergestellt hatte und der neue Waffendienst
genugsam geuebt war, brach er auf und marschierte langsam an der Kueste
hinab in das suedliche Italien hinein. Er hatte richtig gerechnet, als
er zu dieser Umgestaltung der Infanterie sich jetzt entschloss;
die Ueberraschung der bestaendig eines Angriffs auf die Hauptstadt
gewaertigen Gegner liess ihm mindestens vier Wochen ungestoerter Musse
zur Verwirklichung des beispiellos verwegenen Experiments, im Herzen
des feindlichen Landes mit einer noch immer verhaeltnismaessig geringen
Armee sein militaerisches System vollstaendig zu aendern und den
Versuch zu machen, den unbesiegbaren italischen afrikanische Legionen
gegenueberzustellen. Allein seine Hoffnung, dass die Eidgenossenschaft
nun anfangen werde, sich zu lockern, erfuellte sich nicht. Auf die
Etrusker, die schon ihre letzten Unabhaengigkeitskriege vorzugsweise mit
gallischen Soeldnern gefuehrt hatten, kam es hierbei am wenigsten an;
der Kern der Eidgenossenschaft, namentlich in militaerischer Hinsicht,
waren naechst den latinischen die sabellischen Gemeinden, und mit gutem
Grund hatte Hannibal jetzt diesen sich genaehert. Allein eine Stadt
nach der andern schloss ihre Tore; nicht eine einzige italische Gemeinde
machte Buendnis mit dem Phoeniker. Damit war fuer die Roemer viel, ja
alles gewonnen; indes man begriff in der Hauptstadt, wie unvorsichtig
es sein wuerde, die Treue der Bundesgenossen auf eine solche Probe zu
stellen, ohne dass ein roemisches Heer das Feld hielt. Der Diktator
Quintus Fabius zog die beiden in Rom gebildeten Ersatzlegionen und das
Heer von Ariminum zusammen, und als Hannibal an der roemischen Festung
Luceria vorbei gegen Arpi marschierte, zeigten sich in seiner rechten
Flanke bei Aeca die roemischen Feldzeichen. Ihr Fuehrer indes verfuhr
anders als seine Vorgaenger. Quintus Fabius war ein hochbejahrter Mann,
von einer Bedachtsamkeit und Festigkeit, die nicht wenigen als Zauderei
und Eigensinn erschien; ein eifriger Verehrer der guten alten Zeit,
der politischen Allmacht des Senats und des Buergermeisterkommandos
erwartete er das Heil des Staates naechst Opfern und Gebeten von der
methodischen Kriegfuehrung. Politischer Gegner des Gaius Flaminius und
durch die Reaktion gegen dessen toerichte Kriegsdemagogie an die Spitze
der Geschaefte gerufen, ging er ins Lager ab, ebenso fest entschlossen,
um jeden Preis eine Hauptschlacht zu vermeiden, wie sein Vorgaenger, um
jeden Preis eine solche zu liefern, und ohne Zweifel ueberzeugt,
dass die ersten Elemente der Strategik Hannibal verbieten wuerden
vorzuruecken, solange das roemische Heer intakt ihm gegenueberstehe,
und dass es also nicht schwer halten werde, die auf das Fouragieren
angewiesene feindliche Armee im kleinen Gefecht zu schwaechen und
allmaehlich auszuhungern. Hannibal, wohlbedient von seinen Spionen
in Rom und im roemischen Heer, erfuhr den Stand der Dinge sofort und
richtete wie immer seinen Feldzugsplan ein nach der Individualitaet des
feindlichen Anfuehrers. An dem roemischen Heer vorbei marschierte er
ueber den Apennin in das Herz von Italien nach Benevent, nahm die offene
Stadt Telesia an der Grenze von Samnium und Kampanien und wandte
sich von da gegen Capua, das als die bedeutendste unter allen von
Rom abhaengigen italischen Staedten und die einzige Rom einigermassen
ebenbuertige darum den Druck des roemischen Regiments schwerer als
irgendeine andere empfand. Er hatte dort Verbindungen angeknuepft, die
den Abfall der Kampaner vom roemischen Buendnis hoffen liessen: allein
diese Hoffnung schlug ihm fehl. So wieder rueckwaerts sich wendend
schlug er die Strasse nach Apulien ein. Der Diktator war waehrend dieses
ganzen Zuges der karthagischen Armee auf die Hoehen gefolgt und hatte
seine Soldaten zu der traurigen Rolle verurteilt, mit den Waffen in der
Hand zuzusehen, wie die numidischen Reiter weit und breit die treuen
Bundesgenossen pluenderten und in der ganzen Ebene die Doerfer in
Flammen aufgingen. Endlich eroeffnete er der erbitterten roemischen
Armee die sehnlich herbeigewuenschte Gelegenheit, an den Feind zu
kommen. Wie Hannibal den Rueckmarsch angetreten, sperrte ihm Fabius den
Weg bei Casilinum (dem heutigen Capua), indem er auf dem linken Ufer des
Volturnus diese Stadt stark besetzte und auf dem rechten die kroenenden
Hoehen mit seiner Hauptarmee einnahm, waehrend eine Abteilung von 4000
Mann auf der am Fluss hinfuehrenden Strasse selbst sich lagerte. Allein
Hannibal hiess seine Leichtbewaffneten die Anhoehen, die unmittelbar
neben der Strasse sich erhoben, erklimmen und von hier aus eine Anzahl
Ochsen mit angezuendeten Reisbuendeln auf den Hoernern vortreiben, so
dass es schien, als zoege dort die karthagische Armee in naechtlicher
Weile bei Fackelschein ab. Die roemische Abteilung, die die Strasse
sperrte, sich umgangen und die fernere Deckung der Strasse ueberfluessig
waehnend, zog sich seitwaerts auf dieselben Anhoehen; auf der dadurch
freigewordenen Strasse zog Hannibal dann mit dem Gros seiner Armee ab,
ohne dem Feind zu begegnen, worauf er am anderen Morgen ohne Muehe und
mit starkem Verlust fuer die Roemer seine leichten Truppen degagierte
und zuruecknahm. Ungehindert setzte Hannibal darauf seinen Marsch in
nordoestlicher Richtung fort und kam auf weiten Umwegen, nachdem er die
Landschaften der Hirpiner, Kampaner, Samniten, Paeligner und Frentaner
ohne Widerstand durchzogen und gebrandschatzt hatte, mit reicher Beute
und voller Kasse wieder in der Gegend von Luceria an, als dort eben die
Ernte beginnen sollte. Nirgend auf dem weiten Marsch hatte er taetigen
Widerstand, aber nirgend auch Bundesgenossen gefunden. Wohl erkennend,
dass ihm nichts uebrig blieb, als sich auf Winterquartiere im offenen
Felde einzurichten, begann er die schwierige Operation, den Winterbedarf
des Heeres durch dieses selbst von den Feldern der Feinde einbringen zu
lassen. Die weite, groesstenteils flache nordapulische Landschaft, die
Getreide und Futter im Ueberfluss darbot und von seiner ueberlegenen
Reiterei gaenzlich beherrscht werden konnte, hatte er hierzu sich
ausersehen. Bei Gerunium, fuenf deutsche Meilen noerdlich von Luceria,
ward ein verschanztes Lager angelegt, aus dem zwei Drittel des Heeres
taeglich zum Einbringen der Vorraete ausgesendet wurden, waehrend
Hannibal mit dem Rest Stellung nahm, um das Lager und die ausgesendeten
Detachements zu decken. Der Reiterfuehrer Marcus Minucius, der
im roemischen Lager in Abwesenheit des Diktators den Oberbefehl
stellvertretend fuehrte, hielt die Gelegenheit geeignet, um naeher an
den Feind heranzuruecken und bezog ein Lager im larinatischen Gebiet,
wo er auch teils durch seine blosse Anwesenheit die Detachierungen und
dadurch die Verproviantierung des feindlichen Heeres hinderte, teils
in einer Reihe gluecklicher Gefechte, die seine Truppen gegen einzelne
phoenikische Abteilungen und sogar gegen Hannibal selbst bestanden, die
Feinde aus ihren vorgeschobenen Stellungen verdraengte und sie noetigte,
sich bei Gerunium zu konzentrieren. Auf die Nachricht von diesen
Erfolgen, die begreiflich bei der Darstellung nicht verloren, brach in
der Hauptstadt der Sturm gegen Quintus Fabius los. Er war nicht ganz
ungerechtfertigt. So weise es war, sich roemischerseits verteidigend zu
verhalten und den Haupterfolg von dem Abschneiden der Subsistenzmittel
des Feindes zu erwarten, so war es doch ein seltsames Verteidigungs- und
Aushungerungssystem, das dem Feind gestattete, unter den Augen einer
an Zahl gleichen roemischen Armee ganz Mittelitalien ungehindert zu
verwuesten und durch eine geordnete Fouragierung im groessten Massstab
sich fuer den Winter hinreichend zu verproviantieren. So hatte Publius
Scipio, als er im Potal kommandierte, die defensive Haltung nicht
verstanden, und der Versuch seines Nachfolgers, ihn nachzuahmen, war bei
Casilinum auf eine Weise gescheitert, die den staedtischen Spottvoegeln
reichlichen Stoff gab. Es war bewundernswert, dass die italischen
Gemeinden nicht wankten, als ihnen Hannibal die Ueberlegenheit der
Phoeniker, die Nichtigkeit der roemischen Hilfe so fuehlbar dartat;
allein wie lange konnte man ihnen zumuten, die zwiefache Kriegslast
zu ertragen und sich unter den Augen der roemischen Truppen und ihrer
eigenen Kontingente auspluendern zu lassen? Endlich, was das roemische
Heer anlangte, so konnte man nicht sagen, dass es den Feldherrn zu
dieser Kriegfuehrung noetigte; es bestand seinem Kerne nach aus
den tuechtigen Legionen von Ariminum und daneben aus einberufener,
groesstenteils ebenfalls dienstgewohnter Landwehr, und weit entfernt,
durch die letzten Niederlagen entmutigt zu sein, war es erbittert ueber
die wenig ehrenvolle Aufgabe, die sein Feldherr, "Hannibals Lakai", ihm
zuwies, und verlangte mit lauter Stimme, gegen den Feind gefuehrt zu
werden. Es kam zu den heftigsten Auftritten in den Buergerversammlungen
gegen den eigensinnigen alten Mann; seine politischen Gegner, an ihrer
Spitze der gewesene Praetor Gaius Terentius Varro, bemaechtigten
sich des Haders - wobei man nicht vergessen darf, dass der Diktator
tatsaechlich vom Senat ernannt ward, und dies Amt galt als das Palladium
der konservativen Partei - und setzten im Verein mit den unmutigen
Soldaten und den Besitzern der gepluenderten Gueter den verfassungs- und
sinnwidrigen Volksbeschluss durch: die Diktatur, die dazu bestimmt
war, in Zeiten der Gefahr die Uebelstaende des geteilten Oberbefehls
zu beseitigen, in gleicher Weise wie dem Quintus Fabius auch dessen
bisherigem Unterfeldherrn Marcus Minucius zu erteilen ^3. So wurde die
roemische Armee, nachdem ihre gefaehrliche Spaltung in zwei abgesonderte
Korps eben erst zweckmaessig beseitigt worden war, nicht bloss wiederum
geteilt, sondern auch an die Spitze der beiden Haelften Fuehrer
gestellt, welche offenkundig geradezu entgegengesetzte Kriegsplaene
befolgten. Quintus Fabius blieb natuerlich mehr als je bei seinem
methodischen Nichtstun; Marcus Minucius, genoetigt, seinen Diktatortitel
auf dem Schlachtfelde zu rechtfertigen, griff uebereilt und mit geringen
Streitkraeften an und waere vernichtet worden, wenn nicht hier
sein Kollege durch das rechtzeitige Erscheinen eines frischen Korps
groesseres Unglueck abgewandt haette. Diese letzte Wendung der Dinge gab
dem System des passiven Widerstandes gewissermassen Recht. Allein in der
Tat hatte Hannibal in diesem Feldzug vollstaendig erreicht, was mit den
Waffen erreicht werden konnte: nicht eine einzige wesentliche Operation
hatten weder der stuermische noch der bedaechtige Gegner ihm vereitelt,
und seine Verproviantierung war, wenn auch nicht ohne Schwierigkeit,
doch im wesentlichen so vollstaendig gelungen, dass dem Heer in dem
Lager bei Gerunium der Winter ohne Beschwerde vorueberging. Nicht
der Zauderer hat Rom gerettet, sondern das feste Gefuege seiner
Eidgenossenschaft und vielleicht nicht minder der Nationalhass
der Okzidentalen gegen den phoenikischen Mann.
------------------------------------------------ ^3 Die Inschrift des
von dem neuen Diktator wegen seines Sieges bei Gerunium dem Hercules
Sieger errichteten Weihgeschenkes: Hercolei sacrom M. Minuci(us) C.
f. dictator vovit ist im Jahre 1862 in Rom bei S. Lorenzo aufgefunden
worden. ------------------------------------------------ Trotz aller
Unfaelle stand der roemische Stolz nicht minder aufrecht als die
roemische Symmachie. Die Geschenke, welche der Koenig Hieron von Syrakus
und die griechischen Staedte in Italien fuer den naechsten Feldzug
anboten - die letzteren traf der Krieg minder schwer als die uebrigen
italischen Bundesgenossen Roms, da sie nicht zum Landheer stellten -,
wurden mit Dank abgelehnt; den illyrischen Haeuptlingen zeigte man an,
dass sie nicht saeumen moechten mit Entrichtung des Tributs; ja man
beschickte den Koenig von Makedonien abermals um die Auslieferung
des Demetrios von Pharos. Die Majoritaet des Senats war trotz der
Quasilegitimation, welche die letzten Ereignisse dem Zaudersystem des
Fabius gegeben hatten, doch fest entschlossen, von dieser den Staat zwar
langsam, aber sicher zugrunde richtenden Kriegfuehrung abzugehen; wenn
der Volksdiktator mit seiner energischeren Kriegfuehrung gescheitert
war, so schob man, und nicht mit Unrecht, die Ursache darauf, dass man
eine halbe Massregel getroffen und ihm zu wenig Truppen gegeben habe.
Diesen Fehler beschloss man zu vermeiden und ein Heer aufzustellen, wie
Rom noch keines ausgesandt hatte: acht Legionen, jede um ein Fuenftel
ueber die Normalzahl verstaerkt, und die entsprechende Anzahl
Bundesgenossen, genug, um den nicht halb so starken Gegner zu
erdruecken. Ausserdem ward eine Legion unter dem Praetor Lucius
Postumius nach dem Potal bestimmt, um womoeglich die in Hannibals Heer
dienenden Kelten nach der Heimat zurueckzuziehen. Diese Beschluesse
waren verstaendig; es kam nur darauf an, auch ueber den Oberbefehl
angemessen zu bestimmen. Das starre Auftreten des Quintus Fabius und die
daran sich anspinnenden demagogischen Hetzereien hatten die Diktatur und
ueberhaupt den Senat unpopulaerer gemacht als je; im Volke ging, wohl
nicht ohne Schuld seiner Fuehrer, die toerichte Rede, dass der Senat den
Krieg absichtlich in die Laenge ziehe. Da also an die Ernennung eines
Diktators nicht zu denken war, versuchte der Senat die Wahl der Konsuln
angemessen zu leiten, was indes den Verdacht und den Eigensinn erst
recht rege machte. Mit Muehe brachte der Senat den einen seiner
Kandidaten durch, den Lucius Aemilius Paullus, der im Jahre 535
(219) den Illyrischen Krieg verstaendig gefuehrt hatte; die ungeheure
Majoritaet der Buerger gab ihm zum Kollegen den Kandidaten der
Volkspartei Gaius Terentius Varro, einen unfaehigen Mann, der nur
durch seine verbissene Opposition gegen den Senat und namentlich als
Haupturheber der Wahl des Marcus Minucius zum Mitdiktator bekannt war,
und den nichts der Menge empfahl als seine niedrige Geburt und seine
rohe Unverschaemtheit. Waehrend diese Vorbereitungen zu dem naechsten
Feldzug in Rom getroffen wurden, hatte der Krieg bereits in Apulien
wieder begonnen. Sowie die Jahreszeit es gestattete, die Winterquartiere
zu verlassen, brach Hannibal, wie immer den Krieg bestimmend und die
Offensive fuer sich nehmend, von Gerunium in der Richtung nach Sueden
auf, ueberschritt an Luceria vorbeimarschierend den Aufidus und nahm das
Kastell von Cannae (zwischen Canosa und Barletta), das die canusinische
Ebene beherrschte und den Roemern bis dahin als Hauptmagazin gedient
hatte. Die roemische Armee, welche, nachdem Fabius in der Mitte des
Herbstes verfassungsmaessig seine Diktatur niedergelegt hatte, jetzt
von Gnaeus Servilius und Marcus Regulus zuerst als Konsuln; dann als
Prokonsuln kommandiert wurde, hatte den empfindlichen Verlust nicht
abzuwenden gewusst; aus militaerischen wie aus politischen Ruecksichten
ward es immer notwendiger, den Fortschritten Hannibals durch eine
Feldschlacht zu begegnen. Mit diesem bestimmten Auftrag des Senats
trafen denn auch die beiden neuen Oberbefehlshaber Paullus und Varro im
Anfang des Sommers 538 (216) in Apulien ein. Mit den vier neuen Legionen
und dem entsprechenden Kontingent der Italiker, die sie heranfuehrten,
stieg die roemische Armee auf 80000 Mann zu Fuss, halb Buerger, halb
Bundesgenossen, und 6000 Reiter, wovon ein Drittel Buerger, zwei Drittel
Bundesgenossen waren; wogegen Hannibals Armee zwar 10000 Reiter, aber
nur etwa 40000 Mann zu Fuss zaehlte. Hannibal wuenschte nichts mehr
als eine Schlacht, nicht bloss aus den allgemeinen, frueher eroerterten
Gruenden, sondern auch besonders deshalb, weil das weite apulische
Blachfeld ihm gestattete, die ganze Ueberlegenheit seiner Reiterei zu
entwickeln und weil die Verpflegung seiner zahlreichen Armee, hart an
dem doppelt so starken und auf eine Reihe von Festungen gestuetzten
Feind, trotz seiner ueberlegenen Reiterei sehr bald ungemein schwierig
zu werden drohte. Auch die Fuehrer der roemischen Streitmacht waren, wie
gesagt, im allgemeinen entschlossen zu schlagen und naeherten in dieser
Absicht sich dem Feinde; allein die einsichtigeren unter ihnen erkannten
Hannibals Lage und beabsichtigten daher, zunaechst zu warten und nur
nahe am Feinde sich aufzustellen, um ihn zum Abzug und zur Annahme der
Schlacht auf einem ihm minder guenstigen Terrain zu noetigen. Hannibal
lagerte bei Cannae am rechten Ufer des Aufidus. Paullus schlug sein
Lager an beiden Ufern des Flusses auf, so dass die Hauptmacht am linken
Ufer zu stehen kam, ein starkes Korps aber am rechten unmittelbar dem
Feind gegenueber Stellung nahm, um ihm die Zufuhren zu erschweren,
vielleicht auch Cannae zu bedrohen. Hannibal, dem alles daran lag, bald
zum Schlagen zu kommen, ueberschritt mit dem Gros seiner Truppen den
Strom und bot auf dem linken Ufer die Schlacht an, die Paullus
nicht annahm. Allein dem demokratischen Konsul missfiel dergleichen
militaerische Pedanterie; es war so viel davon geredet worden, dass
man ausziehe, nicht um Posten zu stehen, sondern um die Schwerter zu
gebrauchen; er befahl, auf den Feind zu gehen, wo und wie man ihn eben
fand. Nach der alten toerichterweise beibehaltenen Sitte wechselte die
entscheidende Stimme im Kriegsrat zwischen dem Oberfeldherren Tag um
Tag; man musste also am folgenden Tage sich fuegen und dem Helden von
der Gasse seinen Willen tun. Auf dem linken Ufer, wo das weite Blachfeld
der ueberlegenen Reiterei des Feindes vollen Spielraum bot, wollte
allerdings auch er nicht schlagen; aber er beschloss, die gesamten
roemischen Streitkraefte auf dem rechten zu vereinigen und hier,
zwischen den karthagischen Lager und Cannae Stellung nehmend und dieses
ernstlich bedrohend, die Schlacht anzubieten. Eine Abteilung von 10000
Mann blieb in dem roemischen Hauptlager zurueck mit dem Auftrag, das
karthagische waehrend des Gefechts wegzunehmen und damit dem feindlichen
Heere den Rueckzug ueber den Fluss abzuschneiden; das Gros der
roemischen Armee ueberschritt mit dem grauenden Morgen des 2. August
nach dem unberichtigten, etwa im Juni nach dem richtigen Kalender,
den in dieser Jahreszeit seichten und die Bewegungen der Truppen nicht
wesentlich hindernden Fluss und stellte bei dem kleineren roemischen
Lager westlich von Cannae sich in Linie auf. Die karthagische Armee
folgte und ueberschritt gleichfalls den Strom, an den der rechte
roemische wie der linke karthagische Fluegel sich lehnten. Die roemische
Reiterei stand auf den Fluegeln, die schwaechere der Buergerwehr auf dem
rechten am Fluss, gefuehrt von Paullus, die staerkere bundesgenoessische
auf dem linken gegen die Ebene, gefuehrt von Varro. Im Mitteltreffen
stand das Fussvolk in ungewoehnlich tiefen Gliedern unter dem Befehl
des Konsuls des Vorjahrs, Gnaeus Servilius. Diesem gegenueber ordnete
Hannibal sein Fussvolk in halbmondfoermiger Stellung, so dass die
keltischen und iberischen Truppen in ihrer nationalen Ruestung die
vorgeschobene Mitte, die roemisch geruesteten Libyer auf beiden Seiten
die zurueckgenommenen Fluegel bildeten. An der Flussseite stellte die
gesamte schwere Reiterei unter Hasdrubal sich auf, an der Seite nach
der Ebene hinaus die leichten numidischen Reiter. Nach kurzem
Vorpostengefecht der leichten Truppen war bald die ganze Linie im
Gefecht. Wo die leichte Reiterei der Karthager gegen Varros schwere
Kavallerie focht, zog das Gefecht unter stetigen Chargen der Numidier
ohne Entscheidung sich hin. Dagegen im Mitteltreffen warfen die
Legionen die ihnen zuerst begegnenden spanischen und gallischen Truppen
vollstaendig; eilig draengten die Sieger nach und verfolgten ihren
Vorteil. Allein mittlerweile hatte auf dem rechten Fluegel das Glueck
sich gegen die Roemer gewandt. Hannibal hatte den linken Reiterfluegel
der Feinde bloss beschaeftigen lassen, um Hasdrubal mit der ganzen
regulaeren Reiterei gegen den schwaecheren rechten zu verwenden und
diesen zuerst zu werfen. Nach tapferer Gegenwehr wichen die roemischen
Reiter und was nicht niedergehauen ward, wurde den Fluss hinaufgejagt
und in die Ebene versprengt; verwundert ritt Paullus zu dem
Mitteltreffen, das Schicksal der Legionen zu wenden oder doch zu teilen.
Diese hatten, um den Sieg ueber die vorgeschobene feindliche Infanterie
besser zu verfolgen, ihre Frontstellung in eine Angriffskolonne
verwandelt, die keilfoermig eindrang in das feindliche Zentrum. In
dieser Stellung wurden sie von dem rechts und links einschwenkenden
libyschen Fussvolk von beiden Seiten heftig angegriffen und ein Teil von
ihnen gezwungen, Halt zu machen, um gegen die Flankenangriffe sich zu
verteidigen, wodurch das Vorruecken ins Stocken kam und die ohnehin
schon uebermaessig dicht gereihte Infanteriemasse nun gar nicht mehr
Raum fand, sich zu entwickeln. Inzwischen hatte Hasdrubal, nachdem er
mit dem Fluegel des Paullus fertig war, seine Reiter aufs neue gesammelt
und geordnet und sie hinter dem feindlichen Mitteltreffen weg gegen den
Fluegel des Varro gefuehrt. Dessen italische Reiterei, schon mit den
Numidiern hinreichend beschaeftigt, stob vor dem doppelten Angriff
schnell auseinander. Hasdrubal, die Verfolgung der Fluechtigen den
Numidiern ueberlassend, ordnete zum drittenmal seine Schwadronen, um sie
dem roemischen Fussvolk in den Ruecken zu fuehren. Dieser letzte Stoss
entschied. Flucht war nicht moeglich und Quartier ward nicht gegeben; es
ist vielleicht nie ein Heer von dieser Groesse so vollstaendig und mit
so geringem Verlust des Gegners auf dem Schlachtfeld selbst vernichtet
worden wie das roemische bei Cannae. Hannibal hatte nicht ganz 6000
Mann eingebuesst, wovon zwei Drittel auf die Kelten kamen, die der
erste Stoss der Legionen traf. Dagegen von den 76000 Roemern, die in
der Schlachtlinie gestanden hatten, deckten 70000 das Feld, darunter der
Konsul Lucius Paullus, der Altkonsul Gnaeus Servilius, zwei Drittel der
Stabsoffiziere, achtzig Maenner senatorischen Ranges. Nur den Konsul
Marcus Varro rettete sein rascher Entschluss und sein gutes Pferd nach
Venusia, und er ertrug es zu leben. Auch die Besatzung des roemischen
Lagers, 10000 Mann stark, ward groesstenteils kriegsgefangen; nur einige
tausend Mann, teils aus diesen Truppen, teils aus der Linie, entkamen
nach Canusium. Ja als sollte in diesem Jahre durchaus mit Rom ein Ende
gemacht werden, fiel noch vor Ablauf desselben die nach Gallien
gesandte Legion in einen Hinterhalt und wurde mit ihrem Feldherrn Lucius
Postumius, dem fuer das naechste Jahr ernannten Konsul, von den Galliern
gaenzlich vernichtet. Dieser beispiellose Erfolg schien nun endlich die
grosse politische Kombination zu reifen, um derentwillen Hannibal nach
Italien gegangen war. Er hatte seinen Plan wohl zunaechst auf sein Heer
gebaut; allein in richtiger Erkenntnis der ihm entgegenstehenden Macht
sollte dies in seinem Sinn nur die Vorhut sein, mit der die Kraefte des
Westens und Ostens allmaehlich sich vereinigen wuerden, um der stolzen
Stadt den Untergang zu bereiten. Zwar diejenige Unterstuetzung, die die
gesichertste schien, die Nachsendungen von Spanien her, hatte das kuehne
und feste Auftreten des dorthin gesandten roemischen Feldherrn Gnaeus
Scipio ihm vereitelt. Nach Hannibals Uebergang ueber die Rhone war
dieser nach Emporiae gesegelt und hatte sich zuerst der Kueste zwischen
den Pyrenaeen und dem Ebro, dann nach Besiegung des Hanno auch des
Binnenlandes bemaechtigt (536 218). Er hatte im folgenden Jahr (537 217)
die karthagische Flotte an der Ebromuendung voellig geschlagen, hatte,
nachdem sein Bruder Publius, der tapfere Verteidiger des Potals,
mit Verstaerkung von 8000 Mann zu ihm gestossen war, sogar den Ebro
ueberschritten und war vorgedrungen bis gegen Sagunt. Zwar
hatte Hasdrubal das Jahr darauf (538 216), nachdem er aus Afrika
Verstaerkungen erhalten, den Versuch gemacht, den Befehl seines Bruders
gemaess eine Armee ueber die Pyrenaeen zu fuehren; allein die
Scipionen verlegten ihm den Uebergang ueber den Ebro und schlugen ihn
vollstaendig, etwa um dieselbe Zeit, wo in Italien Hannibal bei Cannae
siegte. Die maechtige Voelkerschaft der Keltiberer und zahlreiche
andere spanische Staemme hatten den Scipionen sich zugewandt;
diese beherrschten das Meer und die Pyrenaeenpaesse und durch die
zuverlaessigen Massalioten auch die gallische Kueste. So war von Spanien
aus fuer Hannibal jetzt weniger als je Unterstuetzung zu erwarten. Von
Karthago war bisher zur Unterstuetzung des Feldherrn in Italien so viel
geschehen, wie man erwarten konnte: phoenikische Geschwader bedrohten
die Kuesten Italiens und der roemischen Inseln und hueteten Afrika vor
einer roemischen Landung, und dabei blieb es. Ernstlicheren Beistand
verhinderte nicht sowohl die Ungewissheit, wo Hannibal zu finden sei,
und der Mangel eines Landeplatzes in Italien, als die langjaehrige
Gewohnheit, dass das spanische Heer sich selbst genuege, vor allem aber
die grollende Friedenspartei. Hannibal empfand schwer die Folgen dieser
unverzeihlichen Untaetigkeit; trotz allen Sparens des Geldes und der
mitgebrachten Soldaten wurden seine Kassen allmaehlich leer, der Sold
kam in Rueckstand und die Reihen seiner Veteranen fingen an sich zu
lichten. Jetzt aber brachte die Siegesbotschaft von Cannae selbst
die faktioese Opposition daheim zum Schweigen. Der karthagische Senat
beschloss dem Feldherrn betraechtliche Unterstuetzungen an Geld und
Mannschaft, teils aus Afrika, teils aus Spanien, unter anderm 4000
numidische Reiter und 40 Elefanten zur Verfuegung zu stellen und
in Spanien wie in Italien den Krieg energisch zu betreiben. Die
laengstbesprochene Offensivallianz zwischen Karthago und Makedonien war
anfangs durch Antigonos' ploetzlichen Tod, dann durch seines Nachfolgers
Philippos Unentschlossenheit und dessen und seiner hellenischen
Bundesgenossen unzeitigen Krieg gegen die Aetoler (534-537 220-217)
verzoegert worden. Erst jetzt, nach der Cannensischen Schlacht,
fand Demetrios von Pharos Gehoer bei Philippos mit dem Antrag, seine
illyrischen Besitzungen an Makedonien abzutreten - sie massten freilich
erst den Roemern entrissen werden -, und erst jetzt schloss der Hof von
Pella ab mit Karthago. Makedonien uebernahm es, eine Landungsarmee
an die italische Ostkueste zu werfen, wogegen ihm die Rueckgabe der
roemischen Besitzungen in Epeiros zugesichert ward. In Sizilien hatte
Koenig Hieron zwar waehrend der Friedensjahre, soweit es mit Sicherheit
geschehen konnte, eine Neutralitaetspolitik eingehalten, und auch den
Karthagern waehrend der gefaehrlichen Krisen nach dem Frieden mit Rom
namentlich durch Kornsendungen sich gefaellig erwiesen. Es ist kein
Zweifel, dass er den abermaligen Bruch zwischen Karthago und Rom hoechst
ungern sah; aber ihn abzuwenden vermochte er nicht, und als er eintrat,
hielt er mit wohlberechneter Treue fest an Rom. Allein bald
darauf (Herbst 538 216) rief der Tod den alten Mann nach
vierundfuenfzigjaehriger Regierung ab. Der Enkel und Nachfolger des
klugen Greises, der junge unfaehige Hieronymus, liess sich sogleich
mit den karthagischen Diplomaten ein; und da diese keine Schwierigkeit
machten, ihm zuerst Sizilien bis an die alte karthagisch-sizilische
Grenze, dann sogar, da sein Uebermut stieg, den Besitz der ganzen Insel
vertragsmaessig zuzusichern, trat er in Buendnis mit Karthago und liess
mit der karthagischen Flotte, die gekommen war, um Syrakus zu bedrohen,
die syrakusanische sich vereinigen. Die Lage der roemischen Flotte
bei Lilybaeon, die schon mit dem zweiten, bei den aegatischen Inseln
postierten karthagischen Geschwader zu tun gehabt hatte, ward auf einmal
sehr bedenklich, waehrend zugleich die in Rom zur Einschiffung nach
Sizilien bereitstehende Mannschaft infolge der Cannensischen Niederlage
fuer andere und dringendere Erfordernisse verwendet werden musste. Was
aber vor allem entscheidend war, jetzt endlich begann das Gebaeude der
roemischen Eidgenossenschaft aus den Fugen zu weichen, nachdem es die
Stoesse zweier schwerer Kriegsjahre unerschuettert ueberstanden hatte.
Es traten auf Hannibals Seite Arpi in Apulien und Uzentum in Messapien,
zwei alte, durch die roemischen Kolonien Luceria und Brundisium schwer
beeintraechtigte Staedte; die saemtlichen Staedte der Brettier - diese
zuerst von allen - mit Ausnahme der Peteliner und der Consentiner, die
erst belagert werden mussten; die Lucaner groesstenteils; die in die
Gegend von Salernum verpflanzten Picenter; die Hirpiner; die Samniten
mit Ausnahme der Pentrer; endlich und vornehmlich Capua, die zweite
Stadt Italiens, die 30000 Mann zu Fuss und 4000 Berittene ins Feld zu
stellen vermochte und deren Uebertritt den der Nachbarstaedte Atella
und Calatia entschied. Freilich widersetzte sich die vielfach an das
roemische Interesse gefesselte Adelspartei ueberall und namentlich in
Capua dem Parteiwechsel sehr ernstlich, und die hartnaeckigen inneren
Kaempfe, die hierueber entstanden, minderten nicht wenig den Vorteil,
den Hannibal von diesen Uebertritten zog. Er sah sich zum Beispiel
genoetigt, in Capua einen der Fuehrer der Adelspartei, den Decius
Magius, der noch nach dem Einruecken der Phoeniker hartnaeckig das
roemische Buendnis verfocht, festnehmen und nach Karthago abfuehren zu
lassen, um so den ihm selbst sehr ungelegenen Beweis zu liefern, was
es auf sich habe mit der von dem karthagischen Feldherrn soeben den
Kampanern feierlich zugesicherten Freiheit und Souveraenitaet. Dagegen
hielten die sueditalischen Griechen fest am roemischen Buendnis, wobei
die roemischen Besatzungen freilich auch das Ihrige taten, aber mehr
noch der sehr entschiedene Widerwille der Hellenen gegen die Phoeniker
selbst und deren neue lucanische und brettische Bundesgenossen, und
ihre Anhaenglichkeit an Rom, das jede Gelegenheit, seinen Hellenismus
zu betaetigen, eifrig benutzt und gegen die Griechen in Italien eine
ungewohnte Milde gezeigt hatte. So widerstanden die kampanischen
Griechen, namentlich Neapel, mutig Hannibals eigenem Angriff; dasselbe
taten in Grossgriechenland trotz ihrer sehr gefaehrdeten Stellung
Rhegion, Thurii, Metapont und Tarent. Kroton und Lokri dagegen wurden
von den vereinigten Brettiern und Phoenikern teils erstuermt, teils zur
Kapitulation gezwungen und die Krotoniaten nach Lokri gefuehrt, worauf
brettische Kolonisten jene wichtige Seestation besetzten. Dass die
sueditalischen Latiner, wie Brundisium, Venusia, Paestum, Cosa, Cales,
unerschuettert mit Rom hielten, versteht sich von selbst. Waren sie doch
die Zwingburgen der Eroberer im fremden Land, angesiedelt auf dem Acker
der Umwohner, mit ihren Nachbarn verfehdet; traf es doch sie zunaechst,
wenn Hannibal sein Wort wahr machte und jeder italischen Gemeinde
die alten Grenzen zurueckgab. In gleicher Weise gilt dies von ganz
Mittelitalien, dem. aeltesten Sitz der roemischen Herrschaft, wo
latinische Sitte und Sprache schon ueberall vorwog und man sich als
Genosse der Herrscher, nicht als Untertan fuehlte. Hannibals Gegner im
karthagischen Senat unterliessen nicht, daran zu erinnern, dass nicht
ein roemischer Buerger, nicht eine latinische Gemeinde sich Karthago
in die Arme geworfen habe. Dieses Grundwerk der roemischen Macht konnte
gleich der kyklopischen Mauer nur Stein um Stein zertruemmert werden.
Das waren die Folgen des Tages von Cannae, an dem die Bluete der
Soldaten und Offiziere der Eidgenossenschaft, ein Siebentel der gesamten
Zahl der kampffaehigen Italiker zugrunde ging. Es war eine grausame,
aber gerechte Strafe der schweren politischen Versuendigungen, die sich
nicht etwa bloss einzelne toerichte oder elende Maenner, sondern die
roemische Buergerschaft selbst hatte zu Schulden kommen lassen. Die fuer
die kleine Landstadt zugeschnittene Verfassung passte der Grossmacht
nirgend mehr; es war eben nicht moeglich, ueber die Frage, wer die Heere
der Stadt in einem solchen Kriege fuehren solle, Jahr fuer Jahr
die Pandorabuechse des Stimmkastens entscheiden zu lassen. Da eine
gruendliche Verfassungsrevision, wenn sie ueberhaupt ausfuehrbar war,
jetzt wenigstens nicht begonnen werden durfte, so haette zunaechst der
einzigen Behoerde, die dazu imstande war, dem Senat die tatsaechliche
Oberleitung des Krieges und namentlich die Vergebung und Verlaengerung
des Kommandos ueberlassen werden und den Komitien nur die formelle
Bestaetigung verbleiben sollen. Die glaenzenden Erfolge der Scipionen
auf dem schwierigen spanischen Kriegsschauplatz zeigten, was auf diesem
Wege sich erreichen liess. Allein die politische Demagogie, die bereits
an dem aristokratischen Grundbau der Verfassung nagte, hatte sich der
italischen Kriegfuehrung bemaechtigt; die unvernuenftige Beschuldigung,
dass die Vornehmen mit dem auswaertigen Feinde konspirierten, hatte
auf das "Volk" Eindruck gemacht. Die Heilande des politischen
Koehlerglaubens, die Gaius Flaminius und Gaius Varro, beide "neue
Maenner" und Volksfreunde vom reinsten Wasser, waren demnach zur
Ausfuehrung ihrer unter dem Beifall der Menge auf dem Markt entwickelten
Operationsplaene von eben dieser Menge beauftragt worden, und die
Ergebnisse waren die Schlachten am Trasimenischen See und bei Cannae.
Dass der Senat, der begreiflicherweise seine Aufgabe jetzt besser
fasste, als da er des Regulus halbe Armee aus Afrika zurueckberief, die
Leitung der Angelegenheiten fuer sich begehrte und jenem Unwesen sich
widersetzte, war pflichtgemaess; allein auch er hatte, als die erste
jener beiden Niederlagen ihm fuer den Augenblick das Ruder in die Hand
gab, gleichfalls nicht unbefangen von Parteiinteressen gehandelt. So
wenig Quintus Fabius mit jenen roemischen Kleonen verglichen werden
darf, so hatte doch auch er den Krieg nicht bloss als Militaer gefuehrt,
sondern seine starre Defensive vor allem als politischer Gegner des
Gaius Flaminius festgehalten und in der Behandlung des Zerwuerfnisses
mit seinem Unterfeldherrn getan, was an ihm lag, um in einer Zeit,
die Einigkeit forderte, zu erbittern. Die Folge war erstlich, dass das
wichtigste Instrument, das eben fuer solche Faelle die Weisheit der
Vorfahren dem Senat in die Hand gegeben hatte, die Diktatur ihm unter
den Haenden zerbrach; und zweitens mittelbar wenigstens die Cannensische
Schlacht. Den jaehen Sturz der roemischen Macht verschuldeten aber weder
Quintus Fabius noch Gaius Varro, sondern das Misstrauen zwischen dem
Regiment und den Regierten, die Spaltung zwischen Rat und Buergerschaft.
Wenn noch Rettung und Wiedererhebung des Staates moeglich war, musste
sie daheim beginnen mit Wiederherstellung der Einigkeit und des
Vertrauens. Dies begriffen und, was schwerer wiegt, dies getan zu haben,
getan mit Unterdrueckung aller an sich gerechten Rekriminationen, ist
die herrliche und unvergaengliche Ehre des roemischen Senats. Als Varro
- allein von allen Generalen, die in der Schlacht kommandiert hatten -
nach Rom zurueckkehrte, und die roemischen Senatoren bis an das Tor ihm
entgegengingen und ihm dankten, dass er an der Rettung des Vaterlandes
nicht verzweifelt habe, waren dies weder leere Reden, um mit grossen
Worten das Unheil zu verhuellen, noch bitterer Spott ueber einen
Armseligen; es war der Friedensschluss zwischen dem Regiment und den
Regierten. Vor dem Ernst der Zeit und dem Ernst eines solchen Aufrufs
verstummte das demagogische Geklatsch; fortan gedachte man in Rom nur,
wie man gemeinsam die Not zu wenden vermoege. Quintus Fabius, dessen
zaeher Mut in diesem entscheidenden Augenblick dem Staat mehr genuetzt
hat als all seine Kriegstaten, und die anderen angesehenen Senatoren
gingen dabei in allem voran und gaben den Buergern das Vertrauen auf
sich und auf die Zukunft zurueck. Der Senat bewahrte seine feste und
strenge Haltung, waehrend die Boten von allen Seiten nach Rom eilten,
um die verlorenen Schlachten, den Uebertritt der Bundesgenossen, die
Aufhebung von Posten und Magazinen zu berichten, um Verstaerkung zu
begehren fuer das Potal und fuer Sizilien, da doch Italien preisgegeben
und Rom selbst fast unbesetzt war. Das Zusammenstroemen der Menge an den
Toren ward untersagt, die Gaffer und die Weiber in die Haeuser gewiesen,
die Trauerzeit um die Gefallenen auf dreissig Tage beschraenkt, damit
der Dienst der freudigen Goetter, von dem das Trauergewand ausschloss,
nicht allzulange unterbrochen werde - denn so gross war die Zahl der
Gefallenen, dass fast in keiner Familie die Totenklage fehlte. Was
vom Schlachtfeld sich gerettet hatte, war indes durch zwei tuechtige
Kriegstribune, Appius Claudius und Publius Scipio den Sohn, in
Canusium gesammelt worden; der letztere verstand es, durch seine stolze
Begeisterung und durch die drohend erhobenen Schwerter seiner Getreuen,
diejenigen vornehmen jungen Herren auf andere Gedanken zu bringen, die
in bequemer Verzweiflung an die Rettung des Vaterlandes ueber das Meer
zu entweichen gedachten. Zu ihnen begab sich mit einer Handvoll Leute
der Konsul Gaius Varro; allmaehlich fanden sich dort etwa zwei Legionen
zusammen, die der Senat zu reorganisieren und zu schimpflichem und
unbesoldetem Kriegsdienst zu degradieren befahl. Der unfaehige Feldherr
ward unter einem schicklichen Vorwand nach Rom zurueckberufen; der in
den gallischen Kriegen erprobte Praetor Marcus Claudius Marcellus, der
bestimmt gewesen war, mit der Flotte von Ostia nach Sizilien abzugehen,
uebernahm den Oberbefehl. Die aeussersten Kraefte wurden angestrengt, um
eine kampffaehige Armee zu organisieren. Die Latiner wurden beschickt um
Hilfe in der gemeinschaftlichen Gefahr; Rom selbst ging mit dem Beispiel
voran und rief die ganze Mannschaft bis ins Knabenalter unter die
Waffen, bewaffnete die Schuldknechte und die Verbrecher, ja stellte
sogar achttausend vom Staate angekaufte Sklaven in das Heer ein. Da es
an Waffen fehlte, nahm man die alten Beutestuecke aus den Tempeln und
setzte Fabriken und Gewerbe ueberall in Taetigkeit. Der Senat ward
ergaenzt - nicht, wie aengstliche Patrioten forderten, aus den Latinern,
sondern aus den naechstberechtigten roemischen Buergern. Hannibal bot
die Loesung der Gefangenen auf Kosten des roemischen Staatsschatzes
an; man lehnte sie ab und liess den mit der Abordnung der Gefangenen
angelangten karthagischen Boten nicht in die Stadt; es durfte nicht
scheinen, als denke der Senat an Frieden. Nicht bloss die Bundesgenossen
sollten nicht glauben, dass Rom sich anschicke zu transigieren, sondern
es musste auch dem letzten Buerger begreiflich gemacht werden, dass fuer
ihn wie fuer alle es keinen Frieden gebe und Rettung nur im Siege sei.
6. Kapitel Der Hannibalische Krieg von Cannae bis Zama Hannibals
Ziel bei seinem Zug nach Italien war die Sprengung der italischen
Eidgenossenschaft gewesen; nach drei Feldzuegen war dasselbe erreicht,
soweit es ueberhaupt erreichbar war. Dass die griechischen und die
latinischen oder latinisierten Gemeinden Italiens, nachdem sie durch den
Tag von Cannae nicht irre geworden waren, ueberhaupt nicht dem
Schreck, sondern nur der Gewalt weichen wuerden, lag am Tage, und der
verzweifelte Mut, mit dem selbst in Sueditalien einzelne kleine und
rettungslos verlorene Landstaedte, wie das brettische Petelia, gegen den
Phoeniker sich wehrten, zeigte sehr klar, was seiner bei den Marsern
und Latinern warte. Wenn Hannibal gemeint hatte, auf diesem Wege mehr
erreichen und auch die Latiner gegen Rom fuehren zu koennen, so hatten
diese Hoffnungen sich als eitel erwiesen. Aber es scheint, als habe auch
sonst die italische Koalition keineswegs die gehofften Resultate fuer
Hannibal geliefert. Capua hatte sofort sich ausbedungen, dass Hannibal
das Recht nicht haben solle, kampanische Buerger zwangsweise unter die
Waffen zu rufen; die Staedter hatten nicht vergessen, wie Pyrrhos
in Tarent aufgetreten war, und meinten toerichterweise, zugleich der
roemischen und der phoenikischen Herrschaft sich entziehen zu koennen.
Samnium und Lucanien waren nicht mehr, was sie gewesen, als Koenig
Pyrrhos gedacht hatte, an der Spitze der sabellischen Jugend in Rom
einzuziehen. Nicht bloss zerschnitt das roemische Festungsnetz
ueberall den Landschaften Sehnen und Nerven, sondern es hatte auch die
vieljaehrige roemische Herrschaft die Einwohner der Waffen entwoehnt -
nur maessiger Zuzug kam von hier zu den roemischen Heeren -, den alten
Hass beschwichtigt, ueberall eine Menge einzelner in das Interesse der
herrschenden Gemeinde gezogen. Man schloss sich wohl dem Ueberwinder der
Roemer an, nachdem Roms Sache einmal verloren schien; allein man fuehlte
doch, dass es jetzt nicht mehr um die Freiheit sich handle, sondern um
die Vertauschung des italischen mit dem phoenikischen Herrn, und nicht
Begeisterung, sondern Kleinmut warf die sabellischen Gemeinden dem
Sieger in die Arme. Unter solchen Umstaenden stockte in Italien der
Krieg. Hannibal, der den suedlichen Teil der Halbinsel beherrschte bis
hinauf zum Volturnus und zum Garganus und diese Landschaften nicht wie
das Keltenland einfach wieder aufgeben konnte, hatte jetzt gleichfalls
eine Grenze zu decken, die nicht ungestraft entbloesst ward; und, um die
gewonnenen Landschaften gegen die ueberall ihm trotzenden Festungen und
die von Norden her anrueckenden Heere zu verteidigen und gleichzeitig
die schwierige Offensive gegen Mittelitalien zu ergreifen, reichten
seine Streitkraefte, ein Heer von etwa 40000 Mann, ohne die italischen
Zuzuege zu rechnen, bei weitem nicht aus. Vor allen Dingen aber fand
er andere Gegner sich gegenueber. Durch furchtbare Erfahrungen
belehrt, gingen die Roemer ueber zu einem verstaendigeren System der
Kriegfuehrung, stellten nur erprobte Offiziere an die Spitze ihrer
Armeen und liessen dieselben, wenigstens wo es not tat, auf laengere
Zeit bei dem Kommando. Diese Feldherren sahen weder den feindlichen
Bewegungen noch den Bergen herab zu, noch warfen sie sich auf den
Gegner, wo sie ihn eben fanden, sondern, die rechte Mitte zwischen
Zauderei und Vorschnelligkeit haltend, stellten sie in verschanzten
Lagern, unter den Mauern der Festungen sich auf und nahmen den Kampf
da an, wo der Sieg zu Resultaten, die Niederlage nicht zur Vernichtung
fuehrte. Die Seele dieser neuen Kriegfuehrung war Marcus Claudius
Marcellus. Mit richtigem Instinkt hatten nach dem unheilvollen Tag von
Cannae Senat und Volk auf diesen tapferen und krieggewohnten Mann die
Blicke gewandt und ihm zunaechst den faktischen Oberbefehl uebertragen.
Er hatte in dem schwierigen Sizilischen Kriege gegen Hamilkar seine
Schule gemacht und in den letzten Feldzuegen gegen die Kelten sein
Fuehrertalent wie seine persoenliche Tapferkeit glaenzend bewaehrt.
Obwohl ein hoher Fuenfziger, brannte er doch vom jugendlichsten
Soldatenfeuer und hatte erst wenige Jahre zuvor als Feldherr den
feindlichen Feldherrn vom Pferde gehauen - der erste und einzige
roemische Konsul, dem eine solche Waffentat gelang. Sein Leben war den
beiden Gottheiten geweiht, denen er den glaenzenden Doppeltempel am
Capenischen Tore errichtete, der Ehre und der Tapferkeit; und wenn
die Rettung Roms aus dieser hoechsten Gefahr nicht das Verdienst eines
einzelnen ist, sondern der roemischen Buergerschaft insgemein und
vorzugsweise dem Senat gebuehrt, so hat doch kein einzelner Mann bei dem
gemeinsamen Bau mehr geschafft als Marcus Marcellus. Vom Schlachtfeld
hatte Hannibal sich nach Kampanien gewandt. Er kannte Rom besser als
die naiven Leute, die in alter und neuer Zeit gemeint haben, dass er mit
einem Marsch auf die feindliche Hauptstadt den Kampf haette beendigen
koennen. Die heutige Kriegskunst zwar entscheidet den Krieg auf dem
Schlachtfeld; allein in der alten Zeit, wo der Angriffskrieg gegen die
Festungen weit minder entwickelt war als das Verteidigungssystem, ist
unzaehlige Male der vollstaendigste Erfolg im Feld an den Mauern der
Hauptstaedte zerschellt. Rat und Buergerschaft in Karthago waren weitaus
nicht zu vergleichen mit Senat und Volk in Rom, Karthagos Gefahr nach
Regulus' erstem Feldzug unendlich dringender als die Roms nach der
Schlacht bei Cannae; und Karthago hatte standgehalten und vollstaendig
gesiegt. Mit welchem Schein konnte man meinen, dass Rom jetzt dem Sieger
die Schluessel entgegentragen oder auch nur einen billigen Frieden
annehmen werde? Statt also ueber solche leeren Demonstrationen moegliche
und wichtige Erfolge zu verscherzen oder die Zeit zu verlieren mit der
Belagerung der paar tausend roemischer Fluechtlinge in den Mauern von
Canusium, hatte sich Hannibal sofort nach Capua begeben, bevor die
Roemer Besatzung hineinwerfen konnten, und hatte durch sein Anruecken
diese zweite Stadt Italiens nach langem Schwanken zum Uebertritt
bestimmt. Er durfte hoffen, von Capua aus sich eines der kampanischen
Haefen bemaechtigen zu koennen, um dort die Verstaerkungen an sich zu
ziehen, welche seine grossartigen Siege der Opposition daheim abgerungen
hatten. Als die Roemer erfuhren, wohin Hannibal sich gewendet habe,
verliessen auch sie Apulien, wo nur eine schwache Abteilung zurueckblieb
und sammelten die ihnen gebliebenen Streitkraefte auf dem rechten Ufer
des Volturnus. Mit den zwei cannensischen Legionen marschierte Marcus
Marcellus nach Teanum Sidicinum, wo er von Rom und Ostia die zunaechst
verfuegbaren Truppen an sich zog, und ging, waehrend der Diktator Marcus
Junius mit der schleunigst neu gebildeten Hauptarmee langsam nachfolgte,
bis an den Volturnus nach Casilinum vor, um womoeglich Capua zu retten.
Dies zwar fand er schon in der Gewalt des Feindes; dagegen waren
dessen Versuche auf Neapel an dem mutigen Widerstand der Buergerschaft
gescheitert, und die Roemer konnten noch rechtzeitig in den wichtigen
Hafenplatz eine Besatzung werfen. Ebenso treu hielten zu Rom die beiden
anderen groesseren Kuestenstaedte, Cumae und Nuceria. In Nola schwankte
der Kampf zwischen der Volks- und der Senatspartei wegen des Anschlusses
an die Karthager oder an die Roemer. Benachrichtigt, dass die erstere
die Oberhand gewinne, ging Marcellus bei Caiatia ueber den Fluss und, an
den Hoehen von Suessula hin um die feindliche Armee herum marschierend,
erreichte er Nola frueh genug, um es gegen die aeusseren und die inneren
Feinde zu behaupten. Ja bei einem Ausfall schlug er Hannibal selber mit
namhaftem Verlust zurueck; ein Erfolg, der als die erste Niederlage, die
Hannibal erlitt, moralisch von weit groesserer Bedeutung war als durch
seine materiellen Resultate. Zwar wurden in Kampanien Nuceria, Acerrae
und nach einer hartnaeckigen, bis ins folgende Jahr (539 215) sich
hinziehenden Belagerung auch der Schluessel der Volturnuslinie,
Casilinum, von Hannibal erobert und ueber die Senate dieser Staedte, die
zu Rom gehalten hatten, die schwersten Blutgerichte verhaengt. Aber
das Entsetzen macht schlechte Propaganda; es gelang den Roemern, mit
verhaeltnismaessig geringer Einbusse den gefaehrlichen Moment der ersten
Schwaeche zu ueberwinden. Der Krieg kam in Kampanien zum Stehen, bis
der Winter einbrach und Hannibal in Capua Quartier nahm, durch dessen
Ueppigkeit seine seit drei Jahren nicht unter Dach gekommenen Truppen
keineswegs gewannen. Im naechsten Jahre (539 215) erhielt der Krieg
schon ein anderes Ansehen. Der bewaehrte Feldherr Marcus Marcellus
und Tiberius Sempronius Gracchus, der sich im vorjaehrigen Feldzug als
Reiterfuehrer des Diktators ausgezeichnet hatte, ferner der alte Quintus
Fabius Maximus traten, Marcellus als Prokonsul, die beiden andern als
Konsuln, an die Spitze der drei roemische Heere, welche bestimmt
waren, Capua und Hannibal zu umringen; Marcellus auf Nola und Suessula
gestuetzt, Maximus am rechten Ufer des Volturnus bei Cales sich
aufstellend, Gracchus an der Kueste, wo er Neapel und Cumae deckend bei
Liternum Stellung nahm. Die Kampaner, welche nach Hamae, drei Miglien
von Cumae, ausrueckten, um die Cumaner zu ueberrumpeln, wurden von
Gracchus nachdruecklich geschlagen; Hannibal, der, um die Scharte
auszuwetzen, vor Cumae erschienen war, zog selbst in einem Gefecht
den kuerzeren, und kehrte, da die von ihm angebotene Hauptschlacht
verweigert ward, unmutig nach Capua zurueck. Waehrend so die Roemer
in Kampanien nicht bloss behaupteten, was sie besassen, sondern auch
Compulteria und andere kleinere Plaetze wieder gewannen, erschollen
von Hannibals oestlichen Verbuendeten laute Klagen. Ein roemisches Heer
unter dem Praetor Marcus Valerius hatte bei Luceria sich aufgestellt,
teils um in Gemeinschaft mit der roemischen Flotte die Ostkueste und die
Bewegungen der Makedonier zu beobachten, teils um in Verbindung mit
der Armee von Nola die aufstaendigen Samniten, Lucaner und Hirpiner zu
brandschatzen. Um diesen Luft zu machen, wandte Hannibal zunaechst sich
gegen seinen taetigsten Gegner Marcus Marcellus; allein derselbe erfocht
unter den Mauern von Nola einen nicht unbedeutenden Sieg ueber die
phoenikische Armee, und diese musste, ohne die Scharte wieder ausgewetzt
zu haben, um den Fortschritten des feindlichen Heeres in Apulien endlich
zu steuern, von Kampanien nach Arpi aufbrechen. Ihr folgte Tiberius
Gracchus mit seinem Korps, waehrend die beiden anderen roemischen Heere
in Kampanien sich anschickten, mit dem naechsten Fruehjahr zum Angriff
auf Capua ueberzugehen. Hannibals klaren Blick hatten die Siege nicht
geblendet. Es ward immer deutlicher, dass er so nicht zum Ziele kam.
Jene raschen Maersche, jenes fast abenteuerliche Hin- und Herwerfen des
Krieges, denen Hannibal im wesentlichen seine Erfolge verdankte,
waren zu Ende, der Feind gewitzigt, weitere Unternehmungen durch die
unumgaengliche Verteidigung des Gewonnenen selbst fast unmoeglich
gemacht. An die Offensive liess sich nicht denken, die Defensive war
schwierig und drohte jaehrlich es mehr zu werden; er konnte es sich
nicht verleugnen, dass die zweite Haelfte seines grossen Tagwerks, die
Unterwerfung der Latiner und die Eroberung Roms, nicht mit seinen und
der italischen Bundesgenossen Kraeften allein beendigt werden konnte.
Die Vollendung stand bei dem Rat von Karthago, bei dem Hauptquartier
in Cartagena, bei den Hoefen von Pella und Syrakus. Wenn in Afrika,
Spanien, Sizilien, Makedonien jetzt alle Kraefte gemeinschaftlich
angestrengt wurden gegen den gemeinschaftlichen Feind; wenn Unteritalien
der grosse Sammelplatz ward fuer die Heere und Flotten von Westen,
Sueden und Osten, so konnte er hoffen, gluecklich zu Ende zu fuehren,
was die Vorhut unter seiner Leitung so glaenzend begonnen hatte. Das
Natuerlichste und Leichteste waere gewesen, ihm von daheim genuegende
Unterstuetzung zuzusenden; und der karthagische Staat, der vom Kriege
fast unberuehrt geblieben und von einer auf eigene Rechnung und Gefahr
handelnden kleinen Zahl entschlossener Patrioten aus tiefem Verfall dem
vollen Sieg so nahe gefuehrt war, haette dies ohne Zweifel vermocht.
Dass es moeglich gewesen waere, eine phoenikische Flotte von jeder
beliebigen Staerke bei Lokri oder Kroton landen zu lassen, zumal
solange, als der Hafen von Syrakus den Karthagern offenstand und durch
Makedonien die brundisinische Flotte in Schach gehalten ward, beweist
die ungehinderte Ausschiffung von 4000 Afrikanern, die Bomilkar dem
Hannibal um diese Zeit von Karthago zufuehrte, in Lokri, und mehr
noch Hannibals ungestoerte Ueberfahrt, als schon jenes alles verloren
gegangen war. Allein nachdem der erste Eindruck des Sieges von Cannae
sich verwischt hatte, wies die karthagische Friedenspartei, die zu
allen Zeiten bereit war, den Sturz der politischen Gegner mit dem des
Vaterlandes zu erkaufen, und die in der Kurzsichtigkeit und Laessigkeit
der Buergerschaft treue Verbuendete fand, die Bitten des Feldherrn um
nachdruecklichere Unterstuetzung ab mit der halb einfaeltigen, halb
tueckischen Antwort, dass er ja keine Hilfe brauche, wofern er wirklich
Sieger sei, und half so nicht viel weniger als der roemische Senat Rom
erretten. Hannibal, im Lager erzogen und dem staedtischen Parteigetriebe
fremd, fand keinen Volksfuehrer, auf den er sich haette stuetzen koennen
wie sein Vater auf Hasdrubal, und musste die Mittel zur Rettung der
Heimat, die diese selbst in reicher Fuelle besass, im Ausland suchen.
Hier durfte er, und wenigstens mit mehr Aussicht auf Erfolg, rechnen
auf die Fuehrer des spanischen Patriotenheeres, auf die in Syrakus
angeknuepften Verbindungen und auf Philippos' Intervention. Es kam alles
darauf an, von Spanien, Syrakus oder Makedonien neue Streitkraefte gegen
Rom auf den italischen Kampfplatz zu fuehren; und um dies zu erreichen
oder zu hindern, sind die Kriege in Spanien, Sizilien und Griechenland
gefuehrt worden. Sie sind alle nur Mittel zum Zweck, und sehr mit
Unrecht hat man sie oft hoeher angeschlagen. Fuer die Roemer sind
es wesentlich Defensivkriege, deren eigentliche Aufgabe ist, die
Pyrenaeenpaesse zu behaupten, die makedonische Armee in Griechenland
festzuhalten, Messana zu verteidigen und die Verbindung zwischen
Italien und Sizilien zu sperren; es versteht sich, dass diese Defensive
womoeglich offensiv gefuehrt wird und im guenstigen Fall sich entwickelt
zur Verdraengung der Phoeniker aus Spanien und Sizilien und zur
Sprengung der Buendnisse Hannibals mit Syrakus und mit Philippos. Der
italische Krieg an sich tritt zunaechst in den Hintergrund und loest
sich auf in Festungskaempfe und Razzias, die in der Hauptsache nichts
entscheiden. Allein Italien bleibt dennoch, solange die Phoeniker
ueberhaupt die Offensive festhalten, stets das Ziel der Operationen, und
alle Anstrengung wie alles Interesse knuepft sich daran, die Isolierung
Hannibals im suedlichen Italien aufzuheben oder zu verewigen. Waere es
moeglich gewesen, unmittelbar nach der Cannensischen Schlacht alle die
Hilfsmittel heranzuziehen, auf die Hannibal sich Rechnung machen durfte,
so konnte er des Erfolges ziemlich gewiss sein. Allein in Spanien war
Hasdrubals Lage eben damals nach der Schlacht am Ebro so bedenklich,
dass die Leistungen von Geld und Mannschaft, zu denen der cannensische
Sieg die karthagische Buergerschaft angespannt hatte, groesstenteils
fuer Spanien verwendet wurden, ohne dass doch die Lage der Dinge
dort dadurch viel besser geworden waere. Die Scipionen verlegten
den Kriegsschauplatz im folgenden Feldzug (539 215) vom Ebro an
den Guadalquivir und erfochten in Andalusien, mitten im eigentlich
karthagischen Gebiet, bei Illiturgi und Intibili zwei glaenzende Siege.
In Sardinien mit den Eingeborenen angeknuepfte Verbindungen liessen die
Karthager hoffen, dass sie sich der Insel wuerden bemaechtigen koennen,
die als Zwischenstation zwischen Spanien und Italien von Wichtigkeit
gewesen waere. Indes Titus Manlius Torquatus, der mit einem roemischen
Heer nach Sardinien gesendet ward, vernichtete die karthagische
Landungsarmee vollstaendig und sicherte den Roemern aufs neue den
unbestrittenen Besitz der Insel (539 215). Die nach Sizilien geschickten
cannensischen Legionen behaupteten im Norden und Osten der Insel
sich mutig und gluecklich gegen die Karthager und Hieronymos, welcher
letztere schon gegen Ende des Jahres 539 (215) durch Moerderhand seinen
Tod fand. Selbst mit Makedonien verzoegerte sich die Ratifikation
des Buendnisses, hauptsaechlich weil die makedonischen an Hannibal
gesendeten Boten auf der Rueckreise von den roemischen Kriegsschiffen
aufgefangen wurden. So unterblieb vorlaeufig die gefuerchtete Invasion
der Ostkueste, und die Roemer gewannen Zeit, die wichtigste Station
Brundisium zuerst mit der Flotte, alsdann auch mit dem vor der Ankunft
des Gracchus zur Deckung von Apulien verwendeten Landheer zu sichern und
fuer den Fall der Kriegserklaerung einen Einfall in Makedonien selbst
vorzubereiten. Waehrend also in Italien der Kampf zum Stehen und Stocken
kam, war ausserhalb Italien karthagischerseits nichts geschehen,
was neue Heere oder Flotten rasch nach Italien gefoerdert haette.
Roemischerseits hatte man sich dagegen mit der groessten Energie
ueberall in Verteidigungszustand gesetzt und in dieser Abwehr da, wo
Hannibals Genie fehlte, groesstenteils mit Erfolg gefochten. Darueber
verrauchte der kurzlebige Patriotismus, den der Cannensische Sieg in
Karthago erweckt hatte; die nicht unbedeutenden Streitkraefte, welche
man dort disponibel gemacht hatte, waren, sei es durch faktioese
Opposition, sei es bloss durch ungeschickte Ausgleichung der
verschiedenen, im Rat laut gewordenen Meinungen, so zersplittert worden,
dass sie nirgend wesentlich foerderten und da, wo sie am nuetzlichsten
gewesen waeren, eben der kleinste Teil hinkam. Am Ende des Jahres 539
(215) durfte auch der besonnene roemische Staatsmann sich sagen,
dass die dringende Gefahr vorueber sei und die heldenmuetig begonnene
Gegenwehr nur auf saemtlichen Punkten mit Anspannung aller Kraefte
auszuharren habe, um zum Ziel zu gelangen. Am ersten ging der Krieg in
Sizilien zu Ende. Es hatte nicht zunaechst in Hannibals Plan gelegen,
auf der Insel einen Kampf anzuspinnen, sondern halb zufaellig,
hauptsaechlich durch die knabenhafte Eitelkeit des unverstaendigen
Hieronymos war hier ein Landkrieg ausgebrochen, dessen, ohne Zweifel
eben aus diesem Grunde, der karthagische Rat mit besonderem Eifer sich
annahm. Nachdem Hieronymos zu Ende 539 (215) getoetet war, schien es
mehr als zweifelhaft, ob die Buergerschaft bei der von ihm befolgten
Politik verbleiben werde. Wenn irgend eine Stadt, so hatte Syrakus
Ursache an Rom festzuhalten, da der Sieg der Karthager ueber die Roemer
unzweifelhaft jenen wenigstens die Herrschaft ueber ganz Sizilien
geben musste und an eine wirkliche Einhaltung der von Karthago den
Syrakusanern gemachten Zusagen kein ernsthafter Mann glauben konnte.
Teils hierdurch bewogen, teils geschreckt durch die drohenden Anstalten
der Roemer, die alles aufboten, um die wichtige Insel, die Bruecke
zwischen Italien und Afrika, wieder vollstaendig in ihre Gewalt zu
bringen, und jetzt fuer den Feldzug 540 (214) ihren besten Feldherrn,
den Marcus Marcellus nach Sizilien gesandt hatten, zeigte die
syrakusanische Buergerschaft sich geneigt, durch rechtzeitige Rueckkehr
zum roemischen Buendnis das Geschehene vergessen zu machen. Allein bei
der entsetzlichen Verwirrung in der Stadt, wo nach Hieronymos' Tode
die Versuche zur Wiederherstellung der alten Volksfreiheit und die
Handstreiche der zahlreichen Praetendenten auf den erledigten Thron wild
durcheinander wogten, die Hauptleute der fremden Soeldnerscharen aber
die eigentlichen Herren der Stadt waren, fanden Hannibals gewandte
Emissaere Hippokrates und Epikydes Gelegenheit, die Friedensversuche
zu vereiteln. Durch den Namen der Freiheit regten sie die Masse auf;
masslos uebertriebene Schilderungen von der fuerchterlichen Bestrafung,
die den soeben wieder unterworfenen Leontinern von den Roemern
zuteil geworden sein sollte, erweckten auch in dem bessern Teil der
Buergerschaft den Zweifel, ob es nicht zu spaet sei, um das alte
Verhaeltnis mit Rom wiederherzustellen; unter den Soeldnern endlich
wurden die zahlreichen roemischen Ueberlaeufer, meistens durchgegangene
Ruderer von der Flotte, leicht ueberzeugt, dass der Friede der
Buergerschaft mit Rom ihr Todesurteil sei. So wurden die Vorsteher der
Buergerschaft erschlagen, der Waffenstillstand gebrochen und Hippokrates
und Epikydes uebernahmen das Regiment der Stadt. Es blieb dem Konsul
nichts uebrig, als zur Belagerung zu schreiten; indes die geschickte
Leitung der Verteidigung, wobei der als gelehrter Mathematiker beruehmte
syrakusanische Ingenieur Archimedes sich besonders hervortat, zwang die
Roemer nach achtmonatlicher Belagerung, dieselbe in eine Blockade zu
Wasser und zu Lande umzuwandeln. Mittlerweile war von Karthago aus, das
bisher nur mit seinen Flotten die Syrakusaner unterstuetzt hatte, auf
die Nachricht von der abermaligen Schilderhebung derselben gegen die
Roemer ein starkes Landheer unter Himilko nach Sizilien gesendet worden,
das ungehindert bei Herakleia Minoa landete und sofort die wichtige
Stadt Akragas besetzte. Um dem Himilko die Hand zu reichen, rueckte
der kuehne und faehige Hippokrates aus Syrakus mit einer Armee aus;
Marcellus' Lage zwischen der Besatzung von Syrakus und den beiden
feindlichen Heeren fing an bedenklich zu werden. Indes mit Hilfe einiger
Verstaerkungen, die von Italien eintrafen, behauptete er seine Stellung
auf der Insel und setzte die Blockade von Syrakus fort. Dagegen trieb
mehr noch als die feindlichen Armeen die fuerchterliche Strenge, mit der
die Roemer auf der Insel verfuhren, namentlich die Niedermetzelung der
des Abfalls verdaechtigen Buergerschaft von Enna durch die roemische
Besatzung daselbst, den groessten Teil der kleinen Landstaedte den
Karthagern in die Arme. Im Jahre 542 (212) gelang es den Belagerern
von Syrakus waehrend eines Festes in der Stadt, einen von den Wachen
verlassenen Teil der weitlaeuftigen Aussenmauern zu ersteigen und in die
Vorstaedte einzudringen, die von der Insel und der eigentlichen Stadt
am Strande (Achradina) sich gegen das innere Land hin erstreckten. Die
Festung Euryalos, die, am aeussersten westlichen Ende der Vorstaedte
gelegen, diese und die vom Binnenland nach Syrakus fuehrende
Hauptstrasse deckte, war hiermit abgeschnitten und fiel nicht lange
nachher. Als so die Belagerung der Stadt eine den Roemern guenstige
Wendung zu nehmen begann, rueckten die beiden Heere unter Himilko und
Hippokrates zum Entsatz heran und versuchten einen gleichzeitigen,
ueberdies noch mit einem Landungsversuch der karthagischen Flotte und
einem Ausfall der syrakusanischen Besatzung kombinierten Angriff auf die
roemischen Stellungen; allein er ward allerseits abgeschlagen, und die
beiden Entsatzheere mussten sich begnuegen, vor der Stadt ihr Lager
aufzuschlagen, in den sumpfigen Niederringen des Anapos, die im
Hochsommer und im Herbst den darin Verweilenden toedliche Seuchen
erzeugen. Oft hatten diese die Stadt gerettet, oefter als die Tapferkeit
der Buerger; zu den Zeiten des ersten Dionys waren zwei phoenikische
Heere, damals die Stadt belagernd, unter ihren Mauern durch diese
Seuchen vernichtet worden. Jetzt wendete der Stadt das Schicksal die
eigene Schutzwehr zum Verderben; waehrend Marcellus' Heer, in den
Vorstaedten einquartiert, nur wenig litt, veroedeten die Fieber die
phoenikischen und syrakusanischen Biwaks. Hippokrates starb, desgleichen
Himilko und die meisten Afrikaner; die Ueberbleibsel der beiden Heere,
groesstenteils eingeborene Sikeler, verliefen sich in die benachbarten
Staedte. Noch machten die Karthager einen Versuch, die Stadt von
der Seeseite zu retten; allein der Admiral Bomilkar entwich, als die
roemische Flotte ihm die Schlacht anbot. Jetzt gab selbst Epikydes, der
in der Stadt befehligte, dieselbe verloren und entrann nach Akragas.
Gern haette Syrakus sich den Roemern ergeben; die Verhandlungen
hatten schon begonnen. Allein zum zweitenmal scheiterten sie an den
Ueberlaeufern; in einer abermaligen Meuterei der Soldaten wurden
die Vorsteher der Buergerschaft und eine Anzahl angesehener Buerger
erschlagen und das Regiment und die Verteidigung der Stadt von den
fremden Truppen ihren Hauptleuten uebertragen. Nun knuepfte Marcellus
mit einem von diesen eine Unterhandlung an, die ihm den einen der beiden
noch freien Stadtteile, die Insel, in die Haende lieferte; worauf die
Buergerschaft ihm freiwillig auch die Tore von Achradina auftat (Herbst
542 212). Wenn irgendwo, haette gegen diese Stadt, die offenbar nicht in
ihrer eigenen Gewalt gewesen war und mehrfach die ernstlichsten Versuche
gemacht hatte, sich der Tyrannei des fremden Militaers zu entziehen,
selbst nach den nicht loeblichen Grundsaetzen des roemischen
Staatsrechts ueber die Behandlung bundbruechiger Gemeinden die Gnade
walten koennen. Allein nicht bloss beflecke Marcellus seine Kriegerehre
durch die Gestattung einer allgemeinen Pluenderung der reichen
Kaufstadt, bei der mit zahlreichen anderen Buergern auch Archimedes den
Tod fand, sondern es hatte auch der roemische Senat kein Ohr fuer die
verspaeteten Beschwerden der Syrakusaner ueber den gefeierten Feldherrn
und gab weder den einzelnen die Beute zurueck noch der Stadt ihre
Freiheit. Syrakus und die frueher von ihm abhaengigen Staedte traten
unter die den Roemern steuerpflichtigen Gemeinden ein - nur Tauromenion
und Neeton erhielten das Recht von Messana, waehrend die leontinische
Mark roemische Domaene und die bisherigen Eigentuemer roemische Paechter
wurden -, und in dem den Hafen beherrschenden Stadtteil, der "Insel",
durfte fortan kein syrakusanischer Buerger wohnen. Sizilien schien also
fuer die Karthager verloren; allein Hannibals Genie war auch hier aus
der Ferne taetig. Er sandte zu dem karthagischen Heer, das unter
Hanno und Epikydes rat- und tatlos bei Akragas stand, einen libyschen
Reiteroffizier, den Muttines, der den Befehl der numidischen Reiterei
uebernahm und mit seinen fluechtigen Scharen den bitteren Hass, den die
roemische Zwingherrschaft auf der ganzen Insel gesaet hatte, zu offener
Flamme anfachend, einen Guerillakrieg in der weitesten Ausdehnung und
mit dem gluecklichsten Erfolg begann, ja sogar, als am Himerafluss die
karthagische und roemische Armee aufeinandertrafen, gegen Marcellus
selbst mit Glueck einige Gefechte bestand. Indes das Verhaeltnis, das
zwischen Hannibal und dem karthagischen Rat obwaltete, wiederholte
hier sich im kleinen. Der vom Rat bestellte Feldherr verfolgte mit
eifersuechtigem Neid den von Hannibal gesandten Offizier und bestand
darauf, dem Prokonsul eine Schlacht zu liefern ohne Muttines und die
Numidier. Hannos Wille geschah und er ward vollstaendig geschlagen.
Muttines liess sich dadurch nicht irren; er behauptete sich im Innern
des Landes, besetzte mehrere kleine Staedte und konnte, da von Karthago
nicht unbetraechtliche Verstaerkungen ihm zukamen, seine Operationen
allmaehlich ausdehnen. Seine Erfolge waren so glaenzend, dass endlich
der Oberfeldherr, da er den Reiteroffizier nicht anders hindern konnte,
ihn zu verdunkeln, demselben kurzweg das Kommando ueber die leichte
Reiterei abnahm und es seinem Sohn uebertrug. Der Numidier, der nun seit
zwei Jahren seinen phoenikischen Herren die Insel erhalten hatte, fand
hiermit das Mass seiner Geduld erschoepft; er und seine Reiter, die dem
juengeren Hanno zu folgen sich weigerten, traten in Unterhandlungen
mit dem roemischen Feldherrn Marcus Valerius Laevinus und lieferten ihm
Akragas aus. Hanno entwich in einem Nachen und ging nach Karthago, um
den schaendlichen Vaterlandsverrat des hannibalischen Offiziers den
Seinen zu berichten; die phoenikische Besatzung in der Stadt ward
von den Roemern niedergemacht und die Buergerschaft in die Sklaverei
verkauft (544 210). Zur Sicherung der Insel vor aehnlichen Ueberfaellen,
wie die Landung von 540 (214) gewesen war, erhielt die Stadt eine neue,
aus den roemisch gesinnten Sizilianern ausgelesene Einwohnerschaft;
die alte herrliche Akragas war gewesen. Nachdem also ganz Sizilien
unterworfen war, ward roemischerseits dafuer gesorgt, dass einige Ruhe
und Ordnung auf die zerruettete Insel zurueckkehrte. Man trieb das
Raeubergesindel, das im Innern hauste, in Masse zusammen und schaffte
es hinueber nach Italien, um von Rhegion aus in Hannibals
Bundesgenossengebiet zu sengen und zu brennen; die Regierung tat ihr
Moegliches, um den gaenzlich darniederliegenden Ackerbau wieder auf der
Insel in Aufnahme zu bringen. Im karthagischen Rat war wohl noch oefter
die Rede davon, eine Flotte nach Sizilien zu senden und den Krieg zu
erneuern; allein es blieb bei Entwuerfen. Entscheidender als Syrakus
haette Makedonien in den Gang der Ereignisse eingreifen koennen. Von
den oestlichen Maechten war fuer den Augenblick weder Foerderung noch
Hinderung zu erwarten. Antiochos der Grosse, Philippos' natuerlicher
Bundesgenosse, hatte nach dem entscheidenden Siege der Aegypter bei
Raphia 537 (217) sich gluecklich schaetzen muessen, von dem schlaffen
Philopator Frieden auf Basis des Status quo ante zu erhalten; teils
die Rivalitaet der Lagiden und der stets drohende Wiederausbruch des
Krieges, teils Praetendentenaufstaende im Innern und Unternehmungen
aller Art in Kleinasien, Baktrien und den oestlichen Satrapien hinderten
ihn, jener grossen antiroemische Allianz sich anzuschliessen, wie
Hannibal sie im Sinne trug. Der aegyptische Hof stand entschieden auf
der Seite Roms, mit dem er das Buendnis 544 (210) erneuerte; allein es
war von Ptolemaeos Philopator nicht zu erwarten, dass er Rom anders als
durch Kornschiffe unterstuetzen werde. In den grossen italischen
Kampf ein entscheidendes Gewicht zu werfen, waren somit Makedonien und
Griechenland durch nichts gehindert als durch die eigene Zwietracht; sie
konnten den hellenischen Namen retten, wenn sie es ueber sich
gewannen, nur fuer wenige Jahre gegen den gemeinschaftlichen Feind
zusammenzustehen. Wohl gingen solche Stimmungen durch Griechenland. Des
Agelaos von Naupaktos prophetisches Wort, dass er fuerchte, es moege
mit den Kampfspielen, die jetzt die Hellenen unter sich auffuehrten,
demnaechst vorbei sein; seine ernste Mahnung, nach Westen die Blicke
zu richten und nicht zuzulassen, dass eine staerkere Macht allen jetzt
streitenden Parteien den Frieden des gleichen Joches bringe - diese
Reden hatten wesentlich dazu beigetragen, den Frieden zwischen Philippos
und den Aetolern herbeizufuehren (537 217), und fuer dessen Tendenz
war es bezeichnend, dass der aetolische Bund sofort eben den Agelaos
zu seinem Strategen ernannte. Der nationale Patriotismus regte sich in
Griechenland wie in Karthago; einen Augenblick schien es moeglich, einen
hellenischen Volkskrieg gegen Rom zu entfachen. Allein der Feldherr
eines solchen Heerzuges konnte nur Philippos von Makedonien sein und ihm
fehlte die Begeisterung und der Glaube an die Nation, womit ein solcher
Krieg allein gefuehrt werden konnte. Er verstand die schwierige Aufgabe
nicht, sich aus dem Unterdruecker in den Vorfechter Griechenlands
umzuwandeln. Schon sein Zaudern bei dem Abschluss des Buendnisses mit
Hannibal verdarb den ersten und besten Eifer der griechischen Patrioten;
und als er dann in den Kampf gegen Rom eintrat, war die Art der
Kriegfuehrung noch weniger geeignet, Sympathie und Zuversicht zu
erwecken. Gleich der erste Versuch, der schon im Jahre der cannensischen
Schlacht (538 216) gemacht ward, sich der Stadt Apollonia zu
bemaechtigen, scheiterte in einer fast laecherlichen Weise, indem
Philippos schleunigst umkehrte auf das gaenzlich unbegruendete Geruecht,
dass eine roemische Flotte in das Adriatische Meer steuere. Dies
geschah, noch ehe es zum foermlichen Bruch mit Rom kam; als dieser
endlich erfolgt war, erwarteten Freund und Feind eine makedonische
Landung in Unteritalien. Seit 539 (215) standen bei Brundisium eine
roemische Flotte und ein roemisches Heer, um derselben zu begegnen;
Philippos, der ohne Kriegsschiffe war, zimmerte an einer Flottille von
leichten illyrischen Barken, um sein Heer hinueberzufuehren. Allein
als es Ernst werden sollte, entsank ihm der Mut, den gefuerchteten
Fuenfdeckern zur See zu begegnen; er brach das seinem Bundesgenossen
Hannibal gegebene Versprechen, einen Landungsversuch zu machen, und um
doch etwas zu tun, entschloss er sich, auf seinen Teil der Beute, die
roemischen Besitzungen in Epeiros, einen Angriff zu machen (540 214). Im
besten Falle waere dabei nichts herausgekommen; allein die Roemer,
die wohl wussten, dass die offensive Deckung vorzueglicher ist als
die defensive, begnuegten sich keineswegs, wie Philippos gehofft haben
mochte, dem Angriff vom andern Ufer her zuzusehen. Die roemische Flotte
fuehrte eine Heerabteilung von Brundisium nach Epeiros; Orikon ward
dem Koenig wieder abgenommen, nach Apollonia Besatzung geworfen und
das makedonische Lager erstuermt, worauf Philippos vom halben Tun
zur voelligen Untaetigkeit ueberging und einige Jahre in tatenlosem
Kriegszustand verstreichen liess, trotz aller Beschwerden Hannibals,
der umsonst solcher Lahmheit und Kurzsichtigkeit sein Feuer und seine
Klarheit einzuhauchen versuchte. Auch war es nicht Philippos, der dann
die Feindseligkeiten erneuerte. Der Fall von Tarent (542 212), womit
Hannibal einen vortrefflichen Hafen an denjenigen Kuesten gewann,
die zunaechst sich zur Landung eines makedonischen Heeres eigneten,
veranlasste die Roemer, den Schlag von weitem zu parieren und den
Makedoniern daheim so viel zu schaffen zu machen, dass sie an einen
Versuch auf Italien nicht denken konnten. In Griechenland war der
nationale Aufschwung natuerlich laengst verraucht. Mit Hilfe der
alten Opposition gegen Makedonien und der neuen Unvorsichtigkeiten und
Ungerechtigkeiten, die Philippos sich hatte zu Schulden kommen lassen,
fiel es dem roemischen Admiral Laevinus nicht schwer, gegen Makedonien
eine Koalition der Mittel- und Kleinmaechte unter roemischem Schutz
zustande zu bringen. An der Spitze derselben standen die Aetoler, auf
deren Landtag Laevinus selber erschienen war und sie durch Zusicherung
des seit langem von ihnen begehrten akarnanischen Gebiets gewonnen
hatte. Sie schlossen mit Rom den ehrbaren Vertrag die uebrigen Hellenen
auf gemeinschaftliche Rechnung an Land und Leuten zu pluendern, so
dass das Land den Aetolern, die Leute und die fahrende Habe den Roemern
gehoeren sollten. Ihnen schlossen sich im eigentlichen Griechenland die
antimakedonisch oder vielmehr zunaechst antiachaeisch gesinnten Staaten
an: in Attika Athen, im Peloponnes Elis und Messene, besonders aber
Sparta, dessen altersschwache Verfassung eben um diese Zeit ein dreister
Soldat Machanidas ueber den Haufen geworfen hatte, um unter dem Namen
des unmuendigen Koenigs Pelops selbst despotisch zu regieren und ein auf
gedungene Soeldnerscharen gestuetztes Abenteurerregiment zu begruenden.
Es traten ferner hinzu die ewigen Gegner Makedoniens, die Haeuptlinge
der halb wilden thrakischen und illyrischen Staemme und endlich
Koenig Attalos von Pergamon, der in dem Ruin der beiden griechischen
Grossstaaten, die ihn einschlossen, den eigenen Vorteil mit Einsicht
und Energie verfolgte und scharfsichtig genug war, sich der roemischen
Klientel schon jetzt anzuschliessen, wo seine Teilnahme noch etwas
wert war. Es ist weder erfreulich noch erforderlich, den Wechselfaellen
dieses ziellosen Kampfes zu folgen. Philippos, obwohl er jedem einzelnen
seiner Gegner ueberlegen war und nach allen Seiten hin die Angriffe mit
Energie und persoenlicher Tapferkeit zurueckwies, rieb sich dennoch auf
in dieser heillosen Defensive. Bald galt es, sich gegen die Aetoler zu
wenden, die in Gemeinschaft mit der roemischen Flotte die ungluecklichen
Akarnanen vernichteten und Lokris und Thessalien bedrohten; bald rief
ihn ein Einfall der Barbaren in die noerdlichen Landschaften; bald
sandten die Achaeer um Hilfe gegen die aetolischen und spartanischen
Raubzuege; bald bedrohten Koenig Attalos von Pergamon und der roemische
Admiral Publius Sulpicius mit ihren vereinigten Flotten die oestliche
Kueste oder setzten Truppen ans Land in Euboea. Der Mangel einer
Kriegsflotte laehmte Philippos in allen seinen Bewegungen; es kam so
weit, dass er von seinem Bundesgenossen Prusias in Bithymen, ja von
Hannibal Kriegsschiffe erbat. Erst gegen das Ende des Krieges entschloss
er sich zu dem, womit er haette anfangen muessen, hundert Kriegsschiffe
bauen zu lassen; Gebrauch ist indes von denselben nicht mehr gemacht
worden, wenn ueberhaupt der Befehl zur Ausfuehrung kam. Alle, die
Griechenlands Lage begriffen und ein Herz dafuer hatten, beklagten
den unseligen Krieg, in dem Griechenlands letzte Kraefte sich selbst
zerfleischten und der Wohlstand des Landes zugrunde ging; wiederholt
hatten die Handelsstaaten Rhodos, Chios, Mytilene, Byzanz, Athen,
ja selbst Aegypten versucht zu vermitteln. In der Tat lag es beiden
Parteien nahe genug, sich zu vertragen. Wie die Makedonier hatten auch
die Aetoler, auf die es von den roemischen Bundesgenossen hauptsaechlich
ankam, viel unter dem Krieg zu leiden; besonders seit der kleine Koenig
der Athamanen von Philippos gewonnen worden und dadurch das innere
Aetolien den makedonischen Einfaellen geoeffnet war. Auch von ihnen
gingen allmaehlich manchem die Augen auf ueber die ehrlose und
verderbliche Rolle, zu der sie das roemische Buendnis verurteilte; es
ging ein Schrei der Empoerung durch die ganze griechische Nation, als
die Aetoler in Gemeinschaft mit den Roemern hellenische Buergerschaften,
wie die von Antikyra, Oreos, Dyme, Aegina, in Masse in die Sklaverei
verkauften. Allein die Aetoler waren schon nicht mehr frei: sie wagten
viel, wenn sie auf eigene Hand mit Philippos Frieden schlossen, und
fanden die Roemer keineswegs geneigt, zumal bei der guenstigen Wendung
der Dinge in Spanien und in Italien, von einem Kriege abzustehen, den
sie ihrerseits bloss mit einigen Schiffen fuehrten und dessen Last und
Nachteil wesentlich auf die Aetoler fiel. Endlich entschlossen diese
sich doch, den vermittelnden Staedten Gehoer zu geben; trotz der
Gegenbestrebungen der Roemer kam im Winter 548/49 (206/05) ein Friede
zwischen den griechischen Maechten zustande. Aetolien hatte einen
uebermaechtigen Bundesgenossen in einen gefaehrlichen Feind verwandelt;
indes es schien dem roemischen Senat, der eben damals die Kraefte des
erschoepften Staates zu der entscheidenden afrikanischen Expedition
aufbot, nicht der geeignete Augenblick, den Bruch des Buendnisses zu
ahnden. Selbst den Krieg mit Philippos, den nach dem Ruecktritt der
Aetoler die Roemer nicht ohne bedeutende eigene Anstrengungen haetten
fuehren koennen, erschien es zweckmaessig, durch einen Frieden zu
beendigen, durch den der Zustand vor dem Kriege im wesentlichen
wiederhergestellt ward und namentlich Rom mit Ausnahme des wertlosen
atintanischen Gebiets seine saemtlichen Besitzungen an der epeirotischen
Kueste behielt. Unter den Umstaenden musste Philippos sich noch
gluecklich schaetzen, solche Bedingungen zu erhalten; allein es war
damit ausgesprochen, was sich freilich nicht laenger verbergen liess,
dass all das unsaegliche Elend, welches die zehn Jahre eines mit
widerwaertiger Unmenschlichkeit gefuehrten Krieges ueber Griechenland
gebracht hatten, nutzlos erduldet, und dass die grossartige und
richtige Kombination, die Hannibal entworfen und ganz Griechenland einen
Augenblick geteilt hatte, unwiederbringlich gescheitert war. In Spanien,
wo der Geist Hamilkars und Hannibals maechtig war, war der Kampf
ernster. Er bewegt sich in seltsamen Wechselfaellen, wie die
eigentuemliche Beschaffenheit des Landes und die Sitte des Volkes sie
mit sich bringen. Die Bauern und Hirten, die in dem schoenen Ebrotal
und dem ueppig fruchtbaren Andalusien wie in dem rauhen von zahlreichen
Waldgebirgen durchschnittenen Hochland zwischen jenem und diesem
wohnten, waren ebenso leicht als bewaffneter Landsturm zusammenzutreiben
wie schwer gegen den Feind zu fuehren und ueberhaupt nur
zusammenzuhalten. Die Staedte waren ebensowenig zu festem und
gemeinschaftlichem Handeln zu vereinigen, so hartnaeckig jede einzelne
Buergerschaft hinter ihren Waellen dem Draenger Trotz bot. Sie alle
scheinen zwischen den Roemern und den Karthagern wenig Unterschied
gemacht zu haben; ob die laestigen Gaeste, die sich im Ebrotal, oder
die, welche am Guadalquivir sich festgesetzt hatten, ein groesseres oder
kleineres Stueck der Halbinsel besassen, mag den Eingeborenen ziemlich
gleichgueltig gewesen sein, weshalb von der eigentuemlich spanischen
Zaehigkeit im Parteinehmen mit einzelnen Ausnahmen, wie Sagunt auf
roemischer, Astapa auf karthagischer Seite, in diesem Krieg wenig
hervortritt. Dennoch ward der Krieg von beiden Seiten, da weder die
Roemer noch die Afrikaner hinreichende eigene Mannschaft mit sich
gefuehrt hatten, notwendig zum Propagandakrieg, in dem selten
festgegruendete Anhaenglichkeit, gewoehnlich Furcht, Geld oder Zufall
entschied, und der, wenn er zu Ende schien, sich in einen endlosen
Festungs- und Guerillakrieg aufloeste, um bald aus der Asche wieder
aufzulodern. Die Armeen erscheinen und verschwinden wie die Duenen am
Strand; wo gestern ein Berg stand, findet man heute seine Spur nicht
mehr. Im allgemeinen ist das Uebergewicht auf Seiten der Roemer, teils
weil sie in Spanien zunaechst wohl auftraten als Befreier des Landes
von der phoenikischen Zwingherrschaft, teils durch die glueckliche Wahl
ihrer Fuehrer und durch den staerkeren Kern mitgebrachter zuverlaessiger
Truppen; doch ist es bei unserer sehr unvollkommenen und namentlich in
der Zeitrechnung tiefzerruetteten Ueberlieferung nicht wohl moeglich,
von einem also gefuehrten Kriege eine befriedigende Darstellung zu
geben. Die beiden Statthalter der Roemer auf der Halbinsel, Gnaeus
und Publius Scipio, beide, namentlich Gnaeus, gute Generale und
vortreffliche Verwalter, vollzogen ihre Aufgabe mit dem glaenzendsten
Erfolg. Nicht bloss war der Riegel der Pyrenaeen durchstehend behauptet
und der Versuch, die gesprengte Landverbindung zwischen dem feindlichen
Oberfeldherrn und seinem Hauptquartier wiederherzustellen, blutig
zurueckgewiesen worden, nicht bloss in Tarraco durch umfassende
Festungswerke und Hafenanlagen nach dem Muster des spanischen
Neukarthago ein spanisches Neurom erschaffen, sondern es hatten auch die
roemischen Heere schon 539 (215) in Andalusien mit Glueck gefochten. Der
Zug dorthin ward das Jahr darauf (540 214) mit noch groesserem Erfolg
wiederholt; die Roemer trugen ihre Waffen fast bis zu den Saeulen
des Herakles, breiteten ihre Klientel im suedlichen Spanien aus und
sicherten endlich durch die Wiedergewinnung und Wiederherstellung von
Sagunt sich eine wichtige Station auf der Linie vom Ebro nach Cartagena,
indem sie zugleich eine alte Schuld der Nation soweit moeglich
bezahlten. Waehrend die Scipionen so die Karthager aus Spanien fast
verdraengten, wussten sie ihnen im westlichen Afrika selbst einen
gefaehrlichen Feind zu erwecken an dem maechtigen westafrikanischen
Fuersten Syphax in den heutigen Provinzen Oran und Algier, welcher mit
den Roemern in Verbindung trat (um 541 213). Waere es moeglich gewesen,
ein roemisches Heer ihm zuzufuehren, so haette man auf grosse Erfolge
hoffen duerfen; allein in Italien konnte man eben damals keinen Mann
entbehren und das spanische Heer war zu schwach, um sich zu teilen.
Indes schon Syphax' eigene Truppen, geschult und gefuehrt von roemischen
Offizieren, erregten unter den libyschen Untertanen Karthagos so
ernstliche Gaerung, dass der stellvertretende Oberkommandant von Spanien
und Afrika, Hasdrubal Barkas, selbst mit dem Kern der spanischen Truppen
nach Afrika ging. Vermutlich durch ihn trat dort eine Wendung ein; der
Koenig Gala in der heutigen Provinz Constantine, seit langem der
Rival des Syphax, erklaerte sich fuer Karthago, und sein tapferer Sohn
Massinissa schlug den Syphax und noetigte ihn zum Frieden. Ueberliefert
ist uebrigens von diesem libyschen Krieg wenig mehr als die Erzaehlung
der grausamen Rache, die Karthago, wie es pflegte, nach Massinissas
Siege an den Aufstaendischen nahm. Diese Wendung der Dinge in Afrika
ward auch folgenreich fuer den spanischen Krieg. Hasdrubal konnte
abermals nach Spanien sich wenden (543 211), wohin bald betraechtliche
Verstaerkungen und Massinissa selbst ihm folgten. Die Scipionen, die
waehrend der Abwesenheit des feindlichen Oberfeldherrn (541 542 213
212) im karthagischen Gebiet Beute und Propaganda zu machen fortgefahren
hatten, sahen sich unerwartet von so ueberlegenen Streitkraeften
angegriffen, dass sie entweder hinter den Ebro zurueckweichen oder die
Spanier aufbieten mussten. Sie waehlten das letztere und nahmen 20000
Keltiberer in Sold, worauf sie dann, um den drei feindlichen Armeen
unter Hasdrubal Barkas, Hasdrubal Gisgons Sohn, und Mago besser zu
begegnen, ihr Heer teilten und nicht einmal ihre roemischen Truppen
zusammenhielten. Damit bereiteten sie sich den Untergang. Waehrend
Gnaeus mit seinem Korps, einem Drittel der roemischen und den
saemtlichen spanischen Truppen, Hasdrubal Barkas gegenueber lagerte,
bestimmte dieser ohne Muehe durch eine Summe Geldes die Spanier im
roemischen Heere zum Abzuge, was ihnen nach ihrer Landsknechtmoral
vielleicht nicht einmal als Treubruch erschien, da sie ja nicht zu den
Feinden ihres Soldherrn ueberliefen. Dem roemischen Feldherrn blieb
nichts uebrig, als in moeglichster Eile seinen Rueckzug zu beginnen,
wobei der Feind ihm auf dem Fusse folgte. Mittlerweile sah sich
das zweite roemische Korps unter Publius von den beiden anderen
phoenikischen Armeen unter Hasdrubal Gisgons Sohn und Mago lebhaft
angegriffen, und Massinissas kecke Reiterscharen setzten die
Karthager in entschiedenen Vorteil. Schon war das roemische Lager fast
eingeschlossen; wenn noch die bereits im Anzuge begriffenen spanischen
Hilfstruppen eintrafen, waren die Roemer vollstaendig umzingelt. Der
kuehne Entschluss des Prokonsuls, mit seinen besten Truppen den Spaniern
entgegenzugehen, bevor deren Erscheinen die Luecke in der Blockade
fuellte, endigte nicht gluecklich. Die Roemer waren wohl anfangs im
Vorteil; allein die numidischen Reiter, die den Ausfallenden rasch
waren nachgesandt worden, erreichten sie bald und hemmten sowohl die
Verfolgung des halb schon erfochtenen Sieges, als auch den Rueckmarsch,
bis dass die phoenikische Infanterie herankam und endlich der Fall des
Feldherrn die verlorene Schlacht in eine Niederlage verwandelte. Nachdem
Publius also erlegen war, fand Gnaeus, der langsam zurueckweichend sich
des einen karthagischen Heeres muehsam erwehrt hatte, ploetzlich von
dreien zugleich sich angefallen und durch die numidische Reiterei jeden
Rueckzug sich abgeschnitten. Auf einen nackten Huegel gedraengt, der
nicht einmal die Moeglichkeit bot, ein Lager zu schlagen, wurde das
ganze Korps niedergehauen oder kriegsgefangen; von dem Feldherrn selbst
ward nie wieder sichere Kunde vernommen. Eine kleine Abteilung allein
rettete ein trefflicher Offizier aus Gnaeus' Schule, Gaius Marcius,
hinueber auf das andere Ufer des Ebro und ebendahin gelang es dem
Legaten Titus Fonteius, den von dem Korps des Publius im Lager
gebliebenen Teil in Sicherheit zu bringen; sogar die meisten im
suedlichen Spanien zerstreuten roemischen Besatzungen vermochten sich
dorthin zu fluechten. Bis zum Ebro herrschten die Phoeniker in ganz
Spanien ungestoert und der Augenblick schien nicht fern, wo der Fluss
ueberschritten, die Pyrenaeen frei und die Verbindung mit Italien
hergestellt sein wuerde. Da fuehrte die Not im roemischen Lager den
rechten Mann an die Spitze. Die Wahl der Soldaten berief mit Umgehung
aelterer, nicht untuechtiger Offiziere zum Fuehrer des Heeres jenen
Gaius Marcius, und seine gewandte Leitung und vielleicht ebenso sehr der
Neid und Hader unter den drei karthagischen Feldherren entrissen diesen
die weiteren Fruechte des wichtigen Sieges. Was von den Karthagern den
Fluss ueberschritten, wurde zurueckgeworfen und zunaechst die Ebrolinie
behauptet, bis Rom Zeit gewann, ein neues Heer und einen neuen Feldherrn
zu senden. Zum Glueck gestattete dies die Wendung des Krieges in
Italien, wo soeben Capua gefallen war; es kam eine starke Legion - 12000
Mann - unter dem Propraetor Gaius Claudius Nero, die das Gleichgewicht
der Waffen wieder herstellte. Eine Expedition nach Andalusien im
folgenden Jahr (544 210) hatte den besten Erfolg; Hasdrubal Barkas
ward umstellt und eingeschlossen und entrann der Kapitulation nur durch
unfeine List und offenen Wortbruch. Allein Nero war der rechte Feldherr
nicht fuer den Spanischen Krieg. Er war ein tuechtiger Offizier, aber
ein harter auffahrender unpopulaerer Mann, wenig geschickt, die alten
Verbindungen wieder anzuknuepfen und neue einzuleiten und Vorteil zu
ziehen aus der Unbill und dem Uebermut, womit die Punier nach dem Tode
der Scipionen Freund und Feind im Jenseitigen Spanien behandelt und
alle gegen sich erbittert hatten. Der Senat, der die Bedeutung und die
Eigentuemlichkeit des Spanischen Krieges richtig beurteilte und durch
die von der roemischen Flotte gefangen eingebrachten Uticenser von den
grossen Anstrengungen erfahren hatte, die man in Karthago machte, um
Hasdrubal und Massinissa mit einem starken Heer ueber die Pyrenaeen
zu senden, beschloss, nach Spanien neue Verstaerkungen zu schicken und
einen ausserordentlichen Feldherrn hoeheren Ranges, dessen Ernennung
man dem Volke anheimzugeben fuer gut fand. Lange Zeit - so lautet der
Bericht - meldete sich niemand zur Uebernahme des verwickelten
und gefaehrlichen Geschaefts, bis endlich ein junger
siebenundzwanzigjaehriger Offizier, Publius Scipio, der Sohn des in
Spanien gefallenen gleichnamigen Generals, gewesener Kriegstribun
und Aedil, als Bewerber auftrat. Es ist ebenso unglaublich, dass der
roemische Senat in diesen von ihm veranlassten Komitien eine Wahl von
solchem Belang dem Zufall anheimgestellt haben sollte, als dass Ehrgeiz
und Vaterlandsliebe in Rom so ausgestorben gewesen, dass fuer den
wichtigen Posten kein versuchter Offizier sich angeboten haette. Wenn
dagegen die Blicke des Senats sich wandten auf den jungen talentvollen
und erprobten Offizier, der in den heissen Tagen am Ticinus und
bei Cannae sich glaenzend ausgezeichnet hatte, dem aber noch der
erforderliche Rang abging, um als Nachfolger von gewesenen Praetoren
und Konsuln aufzutreten, so war es sehr natuerlich, diesen Weg
einzuschlagen, der das Volk auf gute Art noetigte, den einzigen Bewerber
trotz seiner mangelnden Qualifikation zuzulassen und zugleich ihn und
die ohne Zweifel sehr unpopulaere spanische Expedition bei der Menge
beliebt machen musste. War der Effekt dieser angeblich improvisierten
Kandidatur berechnet, so gelang er vollstaendig. Der Sohn, der den Tod
des Vaters zu raechen ging, dem er neun Jahre zuvor am Ticinus das Leben
gerettet hatte, der maennlich schoene junge Mann mit den langen Locken,
der bescheiden erroetend in Ermangelung eines Besseren sich darbot fuer
den Posten der Gefahr, der einfache Kriegstribun, den nun auf einmal die
Stimmen der Zenturien zu der hoechsten Amtstaffel erhoben - das alles
machte auf die roemischen Buerger und Bauern einen wunderbaren und
unausloeschlichen Eindruck. Und in der Tat, Publius Scipio war eine
begeisterte und begeisternde Natur. Er ist keiner jener wenigen, die
mit ihrem eisernen Willen die Welt auf Jahrhunderte hinaus durch
Menschenkraft in neue Gleise zwingen; oder die doch auf Jahre dem
Schicksal in die Zuegel fallen, bis die Raeder ueber sie hinrollen.
Publius Scipio hat im Auftrag des Senats Schlachten gewonnen und
Laender eroberter hat mit Hilfe seiner militaerischen Lorbeeren auch als
Staatsmann in Rom eine hervorragende Stellung eingenommen; aber es ist
weit von da bis zu Alexander und Caesar. Als Offizier ist er seinem
Vaterlande wenigstens nicht mehr gewesen als Marcus Marcellus, und
politisch hat er, wenn auch vielleicht ohne seiner unpatriotischen
und persoenlichen Politik sich deutlich bewusst zu sein, seinem Lande
mindestens ebensoviel geschadet, als er ihm durch seine Feldherrngaben
genutzt hat. Dennoch ruht ein besonderer Zauber auf dieser anmutigen
Heldengestalt; von der heiteren und sicheren Begeisterung, die Scipio
halb glaeubig halb geschickt vor sich hertrug, ist sie durchaus wie von
einer blendenden Aureole umflossen. Mit gerade genug Schwaermerei,
um die Herzen zu erwaermen, und genug Berechnung, um das Verstaendige
ueberall entscheiden und das Gemeine nicht aus dem Ansatz wegzulassen;
nicht naiv genug, um den Glauben der Menge an seine goettlichen
Inspirationen zu teilen, noch schlicht genug, ihn zu beseitigen, und
doch im stillen innig ueberzeugt, ein Mann vom Gottes besonderen Gnaden
zu sein - mit einem Wort eine echte Prophetennatur; ueber dem Volke
stehend und nicht minder ausser dem Volke; ein Mann felsenfesten Worts
und koeniglichen Sinns, der durch Annahme des gemeinen Koenigtitels
sich zu erniedrigen meinte, aber ebensowenig begreifen konnte, dass die
Verfassung der Republik auch ihn band; seiner Groesse so sicher, dass
er nichts wusste von Neid und Hass und fremdes Verdienst leutselig
anerkannte, fremde Fehler mitleidig verzieh; ein vorzueglicher Offizier
und feingebildeter Diplomat, ohne das abstossende Sondergepraege
dieses oder jenes Berufs, hellenische Bildung einigend mit dem vollsten
roemischen Nationalgefuehl, redegewandt und anmutiger Sitte, gewann
Publius Scipio die Herzen der Soldaten und der Frauen, seiner Landsleute
und der Spanier, seiner Nebenbuhler im Senat und seines groesseren
karthagischen Gegners. Bald war sein Name auf allen Lippen und er der
Stern, der seinem Lande Sieg und Frieden zu bringen bestimmt schien.
Publius Scipio ging nach Spanien 544/45 (210/09) ab, begleitet von dem
Propraetor Marcus Silanus, der an Neros Stelle treten und dem jungen
Oberfeldherrn als Beistand und Rat dienen sollte, und von seinem
Flottenfuehrer und Vertrauten Gaius Laelius, ausgeruestet abermals mit
einer ueberzaehlig starken Legion und einer wohlgefuellten Kasse. Gleich
sein erstes Auftreten bezeichnet einer der kuehnsten und gluecklichsten
Handstreiche, die die Geschichte kennt. Die drei karthagischen
Heerfuehrer standen Hasdrubal Barkas an den Quellen, Hasdrubal Gisgons
Sohn an der Muendung des Tajo, Mago an den Saeulen des Herakles; der
naechste von ihnen um zehn Tagemaersche entfernt von der phoenikischen
Hauptstadt Neukarthago. Ploetzlich im Fruehjahr 545 (209), ehe noch die
feindlichen Heere sich in Bewegung setzten, brach Scipio gegen diese
Stadt, die er von der Ebromuendung aus in wenigen Tagen auf dem
Kuestenweg erreichen konnte, mit seiner ganzen Armee von ungefaehr
30000 Mann und der Flotte auf und ueberraschte die nicht ueber 1000 Mann
starke phoenikische Besatzung mit einem kombinierten Angriff zu Wasser
und zu Lande. Die Stadt, auf einer in den Hafen hinein vorspringenden
Landspitze gelegen, sah sich zugleich auf drei Seiten von der roemischen
Flotte, auf der vierten von den Legionen bedroht und jede Hilfe war weit
entfernt; aber der Kommandant Mago wehrte sich mit Entschlossenheit und
bewaffnete die Buergerschaft, da die Soldaten nicht ausreichten, um
die Mauern zu besetzen. Es ward ein Ausfall versucht, welchen indes die
Roemer ohne Muehe zurueckschlugen und ihrerseits, ohne zu der Eroeffnung
einer regelmaessigen Belagerung sich die Zeit zu nehmen, den Sturm
auf der Landseite begannen. Heftig draengten die Stuermenden auf dem
schmalen Landweg gegen die Stadt; immer neue Kolonnen loesten die
ermuedeten ab; die schwache Besatzung war aufs aeusserste erschoepft,
aber einen Erfolg hatten die Roemer nicht gewonnen. Scipio hatte auch
keinen erwartet; der Sturm hatte bloss den Zweck, die Besatzung von der
Hafenseite wegzuziehen, wo er, unterrichtet davon, dass ein Teil des
Hafens zur Ebbezeit trocken liege, einen zweiten Angriff beabsichtigte.
Waehrend an der Landseite der Sturm tobte, sandte Scipio eine Abteilung
mit Leitern ueber das Watt, "wo Neptun ihnen selbst den Weg zeige", und
sie hatte in der Tat das Glueck, die Mauern hier unverteidigt zu finden.
So war am ersten Tage die Stadt gewonnen, worauf Mago in der Burg
kapitulierte. Mit der karthagischen Hauptstadt fielen achtzehn
abgetakelte Kriegs- und 63 Lastschiffe, das gesamte Kriegsmaterial,
bedeutende Getreidevorraete, die Kriegskasse von 600 Talenten (ueber 1
Million Taler), zehntausend Gefangene, darunter achtzehn karthagische
Gerusiasten oder Richter, und die Geiseln der saemtlichen spanischen
Bundesgenossen Karthagos in die Gewalt der Roemer. Scipio verhiess den
Geiseln die Erlaubnis zur Heimkehr, sowie die Gemeinde eines jeden mit
Rom in Buendnis getreten sein wuerde, und nutzte die Hilfsmittel, die
die Stadt ihm darbot, sein Heer zu verstaerken und in besseren Stand zu
bringen, indem er die neukarthagischen Handwerker, zweitausend an der
Zahl, fuer das roemische Heer arbeiten hiess gegen das Versprechen der
Freiheit bei der Beendigung des Krieges, und aus der uebrigen Menge die
faehigen Leute zum Ruderdienst auf den Schiffen auslas. Die Stadtbuerger
aber wurden geschont und ihnen die Freiheit und die bisherige Stellung
gelassen; Scipio kannte die Phoeniker und wusste, dass sie gehorchen
wuerden, und es war wichtig, die Stadt mit dem einzigen vortrefflichen
Hafen an der Ostkueste und den reichen Silberbergwerken nicht bloss
durch eine Besatzung zu sichern. So war die verwegene Unternehmung
gelungen, verwegen deshalb, weil es Scipio nicht unbekannt war, dass
Hasdrubal Barkas von seiner Regierung den Befehl erhalten hatte, nach
Gallien vorzudringen, und diesen auszufuehren beschaeftigt war, und weil
die schwache, am Ebro zurueckgelassene Abteilung unmoeglich imstande
war, ihm dies ernstlich zu wehren, wenn Scipios Rueckkehr sich auch nur
verzoegerte. Indes er war zurueck in Tarraco, ehe Hasdrubal sich am Ebro
gezeigt hatte; das gefaehrliche Spiel, das der junge Feldherr spielte,
als er seine naechste Aufgabe im Stich liess, um einen lockenden Streich
auszufuehren, ward verdeckt durch den fabelhaften Erfolg, den Neptunus
und Scipio gemeinschaftlich gewonnen hatten. Die wunderhafte Einnahme
der phoenikischen Hauptstadt rechtfertigte so ueber die Massen alles,
was man daheim von dem wunderbaren Juengling sich versprochen hatte,
dass jedes andere Urteil verstummen musste. Scipios Kommando wurde auf
unbestimmte Zeit verlaengert; er selber beschloss, sich nicht mehr auf
die duerftige Aufgabe zu beschraenken, der Hueter der Pyrenaeenpaesse
zu sein. Schon hatten infolge des Falles von Neukarthago nicht bloss die
diesseitigen Spanier sich voellig unterworfen, sondern auch jenseits
des Ebro die maechtigsten Fuersten die karthagische Klientel mit der
roemischen vertauscht. Scipio nutzte den Winter 545/46 (209/08) dazu,
seine Flotte aufzuloesen und mit den dadurch gewonnenen Leuten sein
Landheer so zu vermehren, dass er zugleich den Norden bewachen und im
Sueden die Offensive nachdruecklicher als bisher ergreifen koenne,
und marschierte im Jahre 546 (208) nach Andalusien. Hier traf er auf
Hasdrubal Barkas, der in Ausfuehrung des lange gehegten Planes, dem
Bruder zu Hilfe zu kommen, nordwaerts zog. Bei Baecula kam es zur
Schlacht, in der sich die Roemer den Sieg zuschrieben und 10000
Gefangene gemacht haben sollen; aber Hasdrubal erreichte, wenn auch mit
Aufopferung eines Teils seiner Armee, im wesentlichen seinen Zweck. Mit
seiner Kasse, seinen Elefanten und dem besten Teil seiner Truppen schlug
er sich durch an die spanische Nordkueste, erreichte am Ozean hinziehend
die westlichen, wie es scheint, nicht besetzten Pyrenaeenpaesse und
stand noch vor dem Eintritt der schlechten Jahreszeit in Gallien, wo er
Winterquartier nahm. Es zeigte sich, dass Scipios Entschluss, mit der
ihm aufgetragenen Defensive die Offensive zu verbinden, unueberlegt und
unweise gewesen war; der naechsten Aufgabe des spanischen Heeres, die
nicht bloss Scipios Vater und Oheim, sondern selbst Gaius Marcius
und Gaius Nero mit viel geringeren Mitteln geloest hatten, hatte der
siegreiche Feldherr an der Spitze einer starken Armee in seinem Uebermut
nicht genuegt, und wesentlich er verschuldete die aeusserst gefaehrliche
Lage Roms im Sommer 547 (207), als Hannibals Plan eines kombinierten
Angriffs auf die Roemer endlich dennoch sich realisierte. Indes die
Goetter deckten die Fehler ihres Lieblings mit Lorbeeren zu. In Italien
ging die Gefahr gluecklich vorueber; man liess sich das Bulletin
des zweideutigen Sieges von Baecula gefallen und gedachte, als neue
Siegesberichte aus Spanien einliefen, nicht weiter des Umstandes, dass
man den faehigsten Feldherrn und den Kern der spanisch- phoenikischen
Armee in Italien zu bekaempfen gehabt hatte. Nach Hasdrubal Barkas'
Entfernung beschlossen die beiden in Spanien zurueckbleibenden
Feldherren, vorlaeufig zurueckzuweichen, Hasdrubal Gisgons Sohn nach
Lusitanien, Mago gar auf die Balearen, und bis neue Verstaerkungen aus
Afrika anlangten, nur Massinissas leichte Reiterei in Spanien streifen
zu lassen, aehnlich wie es Muttines in Sizilien mit so grossem Erfolge
getan. So geriet die ganze Ostkueste in die Gewalt der Roemer. Im
folgenden Jahre (547 207) erschien wirklich aus Afrika Hanno mit
einem dritten Heere, worauf auch Mago und Hasdrubal sich wieder nach
Andalusien wandten. Allein Marcus Silanus schlug Magos und Hannos
vereinigte Heere und nahm den letzteren selbst gefangen. Hasdrubal gab
darauf die Behauptung des offenen Feldes auf und verteilte seine Truppen
in die andalusischen Staedte, von denen Scipio in diesem Jahr nur noch
eine, Oringis, erstuermen konnte. Die Phoeniker schienen ueberwaeltigt;
aber dennoch vermochten sie das Jahr darauf (548 206) wieder ein
gewaltiges Heer ins Feld zu senden, 32 Elefanten, 4000 Mann zu Pferde,
70000 zu Fuss, freilich zum allergroessten Teil zusammengeraffte
spanische Landwehr. Wieder bei Baecula kam es zur Schlacht. Das
roemische Heer zaehlte wenig mehr als die Haelfte des feindlichen und
auch von ihm war ein guter Teil Spanier. Scipio stellte, wie Wellington
in gleichem Fall, seine Spanier so auf, dass sie nicht zum Schlagen
kamen - die einzige Moeglichkeit, ihr Ausreissen zu verhindern -,
waehrend er umgekehrt seine roemischen Truppen zuerst auf die Spanier
warf. Der Tag war dennoch hart bestritten; doch siegten endlich die
Roemer, und wie sich von selbst versteht, war die Niederlage eines
solchen Heeres gleichbedeutend mit der voelligen Aufloesung desselben -
einzeln retteten sich Hasdrubal und Mago nach Gades. Die Roemer standen
jetzt ohne Nebenbuhler auf der Halbinsel; die wenigen nicht gutwillig
sich fuegenden Staedte wurden einzeln bezwungen und zum Teil mit
grausamer Haerte bestraft. Scipio konnte sogar auf der afrikanischen
Kueste dem Syphax einen Besuch abstatten und mit ihm, ja selbst mit
Massinissa fuer den Fall einer Expedition nach Afrika Verbindungen
einleiten - ein tollkuehnes Wagstueck, das durch keinen entsprechenden
Zweck gerechtfertigt ward, so sehr auch der Bericht davon den
neugierigen Hauptstaedtern daheim behagen mochte. Nur Gades, wo Mago den
Befehl fuehrte, war noch phoenikisch. Einen Augenblick schien es, als
ob, nachdem die Roemer die karthagische Erbschaft angetreten und
die hier und da in Spanien genaehrte Hoffnung nach Beendigung des
phoenikischen Regiments auch der roemischen Gaeste loszuwerden und
die alte Freiheit wieder zu erlangen, hinreichend widerlegt hatten, in
Spanien eine allgemeine Insurrektion gegen die Roemer ausbrechen wuerde,
bei welcher die bisherigen Verbuendeten Roms vorangingen. Die Erkrankung
des roemischen Feldherrn und die Meuterei eines seiner Korps, veranlasst
durch den seit vielen Jahren rueckstaendigen Sold, beguenstigten
den Aufstand. Indes Scipio genas schneller als man gemeint hatte und
daempfte mit Gewandtheit den Soldatentumult; worauf auch die Gemeinden,
die bei der Nationalerhebung vorangegangen waren, alsbald niedergeworfen
wurden, ehe die Insurrektion Boden gewann. Da es also auch damit
nichts und Gades doch auf die Laenge nicht zu halten war, befahl die
karthagische Regierung dem Mago zusammenzuraffen, was dort an Schiffen,
Truppen und Geld sich vorfinde, und damit womoeglich dem Krieg in
Italien eine andere Wendung zu geben. Scipio konnte dies nicht wehren
- es raechte sich jetzt, dass er seine Flotte aufgeloest hatte - und
musste zum zweitenmal die ihm anvertraute Beschirmung der Heimat gegen
neue Invasion seinen Goettern anheimstellen. Unbehindert verliess der
letzte von Hamilkars Soehnen die Halbinsel. Nach seinem Abzug ergab
sich auch Gades, die aelteste und letzte Besitzung der Phoeniker auf
spanischem Boden, unter guenstigen Bedingungen den neuen Herren. Spanien
war nach dreizehnjaehrigem Kampfe aus einer karthagischen in eine
roemische Provinz verwandelt worden, in der zwar noch jahrhundertelang
die stets besiegte und nie ueberwundene Insurrektion den Kampf gegen
die Roemer fortfuehrte, aber doch im Augenblick kein Feind den Roemern
gegenueberstand. Scipio ergriff den ersten Moment der Scheinruhe, um
sein Kommando abzugeben (Ende 548 206) und in Rom persoenlich von
den erfochtenen Siegen und den gewonnenen Landschaften zu berichten.
Waehrend also Marcellus in Sizilien, Publius Sulpicius in Griechenland,
Scipio in Spanien den Krieg beendigten, ging auf der italischen
Halbinsel der gewaltige Kampf ununterbrochen weiter. Hier standen,
nachdem die Cannensische Schlacht geschlagen war und deren Folgen an
Verlust und Gewinn sich allmaehlich uebersehen liessen, im Anfang des
Jahres 540 (214), des fuenften Kriegsjahres, die Roemer und Phoeniker
folgendermassen sich gegenueber. Norditalien hatten die Roemer nach
Hannibals Abzug wieder besetzt und deckten es mit drei Legionen, wovon
zwei im Keltenlande standen, die dritte als Rueckhalt in Picenum.
Unteritalien bis zum Garganus und Volturnus war mit Ausnahme der
Festungen und der meisten Haefen in Hannibals Haenden. Er stand mit
der Hauptarmee bei Arpi, ihm in Apulien gegenueber, gestuetzt auf die
Festungen Luceria und Benevent, Tiberius Gracchus mit vier Legionen. Im
brettischen Lande, dessen Einwohner sich Hannibal gaenzlich in die Arme
geworfen hatten und wo auch die Haefen, mit Ausnahme von Rhegion, das
die Roemer von Messana aus schuetzten, von den Phoenikern besetzt worden
waren, stand ein zweites karthagisches Heer unter Hanno, ohne zunaechst
einen Feind sich gegenueber zu sehen. Die roemische Hauptarmee von vier
Legionen unter den beiden Konsuln Quintus Fabius und Marcus Marcellus
war im Begriff, die Wiedergewinnung Capuas zu versuchen. Dazu kam
roemischerseits die Reserve von zwei Legionen in der Hauptstadt, die in
alle Seehaefen gelegte Besatzung, welche in Tarent und Brundisium
wegen der dort befuerchteten makedonischen Landung durch eine Legion
verstaerkt worden war, endlich die starke, das Meer ohne Widerstreit
beherrschende Flotte. Rechnet man dazu die roemischen Heere in Sizilien,
Sardinien und Spanien, so laesst sich die Gesamtzahl der roemischen
Streitkraefte, auch abgesehen von dem Besatzungsdienst, den in den
unteritalischen Festungen die dort angesiedelte Buergerschaft zu
versehen hatte, nicht unter 200000 Mann anschlagen, darunter ein Drittel
fuer dies Jahr neu einberufene Leute und etwa die Haelfte roemische
Buerger. Man darf annehmen, dass die gesamte dienstfaehige Mannschaft
vom 17. bis zum 46. Jahre unter den Waffen stand und die Felder, wo
der Krieg sie zu bearbeiten erlaubte, von den Sklaven, den Alten, den
Kindern und Weibern bestellt wurden. Dass unter solchen Verhaeltnissen
auch die Finanzen in der peinlichsten Verlegenheit waren, ist
begreiflich; die Grundsteuer, auf die man hauptsaechlich angewiesen war,
ging natuerlich nur sehr unregelmaessig ein. Aber trotz dieser Not um
Mannschaft und Geld vermochten die Roemer dennoch, das rasch
Verlorene zwar langsam und mit Anspannung aller Kraefte, aber doch
zurueckzuerobern; ihre Heere jaehrlich zu vermehren, waehrend
die phoenikischen zusammenschwanden; gegen Hannibals italische
Bundesgenossen, die Kampaner, Apuler, Samniten, Brettier, die weder wie
die roemischen Festungen in Unteritalien sich selber genuegten noch von
Hannibals schwachem Heer hinreichend gedeckt werden konnten, jaehrlich
Boden zu gewinnen; endlich mittels der von Marcus Marcellus
begruendeten Kriegsweise das Talent der Offiziere zu entwickeln und die
Ueberlegenheit des roemischen Fussvolks in vollem Umfange ins Spiel zu
bringen. Hannibal durfte wohl noch auf Siege hoffen, aber nicht mehr
auf Siege wie am Trasimenischen See und am Aufidus; die Zeiten
der Buergergenerale waren vorbei. Es blieb ihm nichts uebrig, als
abzuwarten, bis entweder Philippos die laengst versprochene Landung
ausfuehren oder die Brueder aus Spanien ihm die Hand reichen wuerden,
und mittlerweile sich, seine Armee und seine Klientel soweit moeglich
unversehrt und bei guter Laune zu erhalten. Man erkennt in der zaehen
Defensive, die jetzt beginnt, mit Muehe den Feldherrn wieder, der wie
kaum ein anderer stuermisch und verwegen die Offensive gefuehrt hat; es
ist psychologisch wie militaerisch bewundernswert, dass derselbe
Mann die beiden ihm gestellten Aufgaben ganz entgegengesetzter Art
in gleicher Vollkommenheit geloest hat. Zunaechst zog der Krieg sich
vornehmlich nach Kampanien. Hannibal erschien rechtzeitig zum Schutz der
Hauptstadt, deren Einschliessung er hinderte; allein weder vermochte
er irgendeine der kampanischen Staedte, die die Roemer besassen, den
starken roemischen Besatzungen zu entreissen, noch konnte er wehren,
dass ausser einer Menge minder wichtiger Landstaedte auch Casilinum,
das ihm den Uebergang ueber den Volturnus sicherte, von den beiden
Konsularheeren nach hartnaeckiger Gegenwehr genommen ward. Ein Versuch
Hannibals Tarent zu gewinnen, wobei es namentlich auf einen sicheren
Landungsplatz fuer die makedonische Armee abgesehen war, schlug
ihm fehl. Das brettische Heer der Karthager unter Hanno schlug sich
inzwischen in Lucanien mit der roemischen Armee von Apulien herum;
Tiberius Gracchus bestand hier mit Erfolg den Kampf und gab nach einem
gluecklichen Gefecht unweit Benevent, bei dem die zum Dienst gepressten
Sklavenlegionen sich ausgezeichnet hatten, den Sklavensoldaten im Namen
des Volks die Freiheit und das Buergerrecht. Im folgenden Jahr (541
213) gewannen die Roemer das reiche und wichtige Arpi zurueck, dessen
Buergerschaft, nachdem die roemischen Soldaten sich in die Stadt
eingeschlichen hatten, mit ihnen gegen die karthagische Besatzung
gemeinschaftliche Sache machte. Ueberhaupt lockerten sich die Bande
der Hannibalischen Symmachie; eine Anzahl der vornehmsten Capuaner und
mehrere brettische Staedte gingen ueber zu Rom; sogar eine spanische
Abteilung des phoenikischen Heeres trat, durch spanische Emissaere
von dem Gang der Ereignisse in der Heimat in Kenntnis gesetzt, aus
karthagischen in roemische Dienste. Unguenstiger war fuer die Roemer
das Jahr 542 (212) durch neue politische und militaerische Fehler, die
Hannibal auszubeuten nicht unterliess. Die Verbindungen, welche
Hannibal in den grossgriechischen Staedten unterhielt, hatten zu
keinem ernstlichen Resultat gefuehrt; nur die in Rom befindlichen
tarentinischen und thurinischen Geiseln liessen sich durch seine
Emissaere zu einem tollen Fluchtversuch bestimmen, wobei sie schleunig
von den roemischen Posten wieder aufgegriffen wurden. Allein die
unverstaendige Rachsucht der Roemer foerderte Hannibal mehr als seine
Intrigen; die Hinrichtung der saemtlichen entwichenen Geiseln beraubte
sie eines kostbaren Unterpfandes, und die erbitterten Griechen sannen
seitdem, wie sie Hannibal die Tore oeffnen moechten. Wirklich ward
Tarent durch Einverstaendnis mit der Buergerschaft und durch die
Nachlaessigkeit des roemischen Kommandanten von den Karthagern besetzt;
kaum dass die roemische Besatzung sich in der Burg behauptete. Dem
Beispiel Tarents folgten Herakleia, Thurii und Metapont, aus welcher
Stadt zur Rettung der Tarentiner Akropolis die Besatzung hatte
weggezogen werden muessen. Damit war die Gefahr einer makedonischen
Landung so nahe gerueckt, dass Rom sich genoetigt sah, dem fast
gaenzlich vernachlaessigten griechischen Krieg neue Aufmerksamkeit und
neue Anstrengungen zuzuwenden, wozu gluecklicherweise die Einnahme von
Syrakus und der guenstige Stand des spanischen Krieges die Moeglichkeit
gewaehrte. Auf dem Hauptkriegsschauplatz, in Kampanien, ward mit sehr
abwechselndem Erfolge gefochten. Die in der Naehe von Capua postierten
Legionen hatten zwar die Stadt noch nicht eigentlich eingeschlossen,
aber doch die Bestellung des Ackers und die Einbringung der Ernte so
sehr gehindert, dass die volkreiche Stadt auswaertiger Zufuhr dringend
bedurfte. Hannibal brachte also einen betraechtlichen Getreidetransport
zusammen und wies die Kampaner an, ihn bei Benevent in Empfang zu
nehmen; allein deren Saumseligkeit gab den Konsuln Quintus Flaccus
und Appius Claudius Zeit herbeizukommen, dem Hanno, der den Transport
deckte, eine schwere Niederlage beizubringen und sich seines Lagers
und der gesamten Vorraete zu bemaechtigen. Die beiden Konsuln schlossen
darauf die Stadt ein, waehrend Tiberius Gracchus sich auf der Appischen
Strasse aufstellte, um Hannibal den Weg zum Entsatz zu verlegen. Aber
der tapfere Mann fiel durch die schaendliche List eines treulosen
Lucaners, und sein Tod kam einer voelligen Niederlage gleich, da sein
Heer, groesstenteils bestehend aus jenen von ihm freigesprochenen
Sklaven, nach dem Tode des geliebten Fuehrers auseinanderlief. So
fand Hannibal die Strasse nach Capua offen und noetigte durch sein
unvermutetes Erscheinen die beiden Konsuln, die kaum begonnene
Einschliessung wieder aufzuheben, nachdem noch vor Hannibals Eintreffen
ihre Reiterei von der phoenikischen, die unter Hanno und Bostar als
Besatzung in Capua lag, und der ebenso vorzueglichen kampanischen
nachdruecklich geschlagen worden war. Die totale Vernichtung der von
Marcus Centenius, einem vom Unteroffizier zum Feldherrn unvorsichtig
befoerderten Mann, angefuehrten regulaeren Truppen und Freischaren
in Lucanien, und die nicht viel weniger vollstaendige Niederlage des
nachlaessigen und uebermuetigen Praetors Gnaeus Fulvius Flaccus in
Apulien beschlossen die lange Reihe der Unfaelle dieses Jahres. Aber
das zaehe Ausharren der Roemer machte wenigstens an dem entscheidenden
Punkte den raschen Erfolg Hannibals doch wieder zunichte. Sowie Hannibal
Capua den Ruecken wandte, um sich nach Apulien zu begeben, zogen die
roemischen Heere sich abermals um Capua zusammen, bei Puteoli und
Volturnum unter Appius Claudius, bei Casilinum unter Quintus Fulvius,
auf der Nolanischen Strasse unter dem Praetor Gaius Claudius Nero;
die drei wohlverschanzten und durch befestigte Linien miteinander
verbundenen Lager sperrten jeden Zugang, und die grosse, ungenuegend
verproviantierte Stadt musste durch blosse Umstellung in nicht
entfernter Zeit sich zur Kapitulation gezwungen sehen, wenn kein
Entsatz kam. Wie der Winter 542/43 (212/11) zu Ende ging, waren auch die
Vorraete fast erschoepft, und dringende Boten, die kaum imstande waren,
durch die wohlbewachten roemischen Linien sich durchzuschleichen,
begehrten schleunige Hilfe von Hannibal, der, mit der Belagerung der
Burg beschaeftigt, in Tarent stand. In Eilmaerschen brach er mit 33
Elefanten und seinen besten Truppen von Tarent nach Kampanien auf, hob
den roemischen Posten in Calatia auf und nahm sein Lager am Berge Tifata
unmittelbar bei Capua, in der sicheren Erwartung, dass die roemischen
Feldherren eben wie im vorigen Jahre daraufhin die Belagerung aufheben
wuerden. Allein die Roemer, die Zeit gehabt hatten, ihre Lager und
ihre Linien festungsartig zu verschanzen, ruehrten sich nicht und
sahen unbeweglich von den Waellen aus zu, wie auf der einen Seite die
kampanischen Reiter, auf der anderen die numidischen Schwaerme an ihre
Linien anprallten. An einen ernstlichen Sturm durfte Hannibal nicht
denken; er konnte voraussehen, dass sein Anruecken bald die anderen
roemischen Heere nach Kampanien nachziehen wuerde, wenn nicht schon
frueher der Mangel an Futter in dem systematisch ausfouragierten Lande
ihn aus Kampanien vertrieb. Dagegen liess sich nichts machen. Hannibal
versuchte noch einen Ausweg, den letzten, der seinem erfinderischen
Geist sich darbot, um die wichtige Stadt zu retten. Er brach mit dem
Entsatzheer, nachdem er den Kampanern von seinem Vorhaben Nachricht
gegeben und sie zum Ausharren ermahnt hatte, von Capua auf und schlug
die Strasse nach Rom ein. Mit derselben gewandten Kuehnheit wie in
seinen ersten italischen Feldzuegen warf er sich mit einem schwachen
Heer zwischen die feindlichen Armeen und Festungen und fuehrte seine
Truppen durch Samnium und auf der Valerischen Strasse an Tibur vorbei
bis zur Aniobruecke, die er passierte und auf dem anderen Ufer ein Lager
nahm, eine deutsche Meile von der Stadt. Den Schreck empfanden noch die
Enkel der Enkel, wenn ihnen erzaehlt ward von "Hannibal vor dem Tor";
eine ernstliche Gefahr war nicht vorhanden. Die Landhaeuser und Aecker
in der Naehe der Stadt wurden von den Feinden verheert; die beiden
Legionen in der Stadt, die gegen sie ausrueckten, verhinderten die
Berennung der Mauern. Durch einen Handstreich, wie ihn Scipio bald
nachher gegen Neukarthago ausfuehrte, Rom zu ueberrumpeln, hatte
Hannibal uebrigens nie gemeint und noch weniger an eine ernstliche
Belagerung gedacht; seine Hoffnung war einzig darauf gestellt, dass
im ersten Schreck ein Teil des Belagerungsheeres von Capua nach Rom
marschieren und ihm also Gelegenheit geben werde, die Blockade zu
sprengen. Darum brach er nach kurzem Verweilen wieder auf. Die Roemer
sahen in seiner Umkehr ein Wunder der goettlichen Gnade, die durch
Zeichen und Gesichte den argen Mann zum Abzug bestimmt habe, wozu ihn
die roemischen Legionen freilich zu noetigen nicht vermochten; an
der Stelle, wo Hannibal der Stadt am naechsten gekommen war, von dem
Capenischen Tor an dem zweiten Miglienstein der Appischen Strasse,
errichteten die dankbaren Glaeubigen dem Gott "Rueckwender Beschuetzer"
(Rediculus Tutanus) einen Altar. In der Tat zog Hannibal ab, weil es so
in seinem Plane lag, und schlug die Richtung nach Capua ein. Allein
die roemischen Feldherren hatten den Fehler nicht begangen, auf den ihr
Gegner gerechnet hatte; unbeweglich standen die Legionen in den Linien
um Capua und nur ein schwaches Korps war auf die Kunde von Hannibals
Marsch nach Rom detachiert worden. Wie Hannibal dies erfuhr, wandte er
sich ploetzlich um gegen den Konsul Publius Galba, der ihm von Rom
her unbesonnen gefolgt war, und mit dem er bisher vermieden hatte zu
schlagen, ueberwand ihn und erstuermte sein Lager; aber es war das ein
geringer Ersatz fuer Capuas jetzt unvermeidlichen Fall. Lange schon
hatte die Buergerschaft daselbst, namentlich die besseren Klassen
derselben, mit bangen Ahnungen der Zukunft entgegengesehen; den Fuehrern
der Rom feindlichen Volkspartei blieb das Rathaus und die staedtische
Verwaltung fast ausschliesslich ueberlassen. Jetzt ergriff die
Verzweiflung Vornehme und Geringe, Kampaner und Phoeniker ohne
Unterschied. Achtundzwanzig vom Rat waehlten den freiwilligen Tod;
die uebrigen uebergaben die Stadt dem Gutfinden eines unversoehnlich
erbitterten Feindes. Dass Blutgerichte folgen mussten, verstand sich von
selbst; man stritt nur ueber langen oder kurzen Prozess: ob es klueger
und zweckmaessiger sei, die weiteren Verzweigungen des Hochverrats auch
ausserhalb Capuas gruendlich zu ermitteln oder durch rasche Exekution
der Sache ein Ende zu machen. Ersteres wollten Appius Claudius und
der roemische Senat; die letztere Meinung, vielleicht die weniger
unmenschliche, siegte ob. Dreiundfuenfzig capuanische Offiziere und
Beamte wurden auf den Marktplaetzen von Cales und Teanum auf Befehl
und vor den Augen des Prokonsuls Quintus Flaccus ausgepeitscht und
enthauptet, der Rest des Rates eingekerkert, ein zahlreicher Teil
der Buergerschaft in die Sklaverei verkauft, das Vermoegen der
Wohlhabenderen konfisziert. Aehnliche Gerichte ergingen ueber Atella und
Calatia. Diese Strafen waren hart; allein mit Ruecksicht auf das, was
Capuas Abfall fuer Rom bedeutet, und auf das, was der Kriegsgebrauch
jener Zeit wenn nicht recht, doch ueblich gemacht hatte, sind sie
begreiflich. Und hatte nicht durch den Mord der saemtlichen in Capua
zur Zeit des Abfalls anwesenden roemischen Buerger unmittelbar nach dem
uebertritt die Buergerschaft sich selber ihr Urteil gesprochen? Arg aber
war es, dass Rom diese Gelegenheit benutzte, um die stille Rivalitaet,
die lange zwischen den beiden groessten Staedten Italiens bestanden
hatte, zu befriedigen und durch die Aufhebung der kampanischen
Stadtverfassung die gehasste und beneidete Nebenbuhlerin vollstaendig
politisch zu vernichten. Ungeheuer war der Eindruck von Capuas Fall, und
nur um so mehr, weil er nicht durch Ueberraschung, sondern durch eine
zweijaehrige, allen Anstrengungen Hannibals zum Trotze durchgefuehrte
Belagerung herbeigefuehrt worden war. Er war ebenso sehr das Signal der
den Roemern wiedergewonnenen Oberhand in Italien, wie sechs Jahre zuvor
der Uebertritt Capuas zu Hannibal das Signal der verlorenen gewesen war.
Vergeblich hatte Hannibal versucht, dem Eindruck dieser Nachricht auf
die Bundesgenossen entgegenzuarbeiten durch die Einnahme von Rhegion
oder der tarentinischen Burg. Sein Gewaltmarsch, um Rhegion zu
ueberraschen, hatte nichts gefruchtet und in der Burg von Tarent war
der Mangel zwar gross, seit das tarentinisch-karthagische Geschwader den
Hafen sperrte, aber da die Roemer mit ihrer weit staerkeren Flotte jenem
Geschwader selbst die Zufuhr abzuschneiden vermochten, und das Gebiet,
das Hannibal beherrschte, kaum genuegte, sein Heer zu ernaehren,
so litten die Belagerer auf der Seeseite nicht viel weniger als die
Belagerten in der Burg und verliessen endlich den Hafen. Es gelang
nichts mehr; das Glueck selbst schien von dem Karthager gewichen.
Diese Folgen von Capuas Fall, die tiefe Erschuetterung des Ansehens
und Vertrauens, das Hannibal bisher bei den italischen Verbuendeten
genossen, und die Versuche jeder nicht allzusehr kompromittierten
Gemeinde, auf leidliche Bedingungen in die roemische Symmachie wieder
zurueckzutreten, waren noch weit empfindlicher fuer Hannibal als der
unmittelbare Verlust. Er hatte die Wahl, in die schwankenden Staedte
entweder Besatzung zu werfen, wodurch er sein schon zu schwaches Heer
noch mehr schwaechte und seine zuverlaessigen Truppen der Aufreibung in
kleinen Abteilungen und dem Verrat preisgab - so wurden ihm im Jahre 544
(210) bei dem Abfall der Stadt Salapia 500 auserlesene numidische Reiter
niedergemacht; oder die unsicheren Staedte zu schleifen und anzuzuenden,
um sie dem Feind zu entziehen, was denn auch die Stimmung unter seiner
italischen Klientel nicht heben konnte. Mit Capuas Fall fuehlten die
Roemer des endlichen Ausganges des Krieges in Italien sich wiederum
sicher; sie entsandten betraechtliche Verstaerkungen nach Spanien, wo
durch den Fall der beiden Scipionen die Existenz der roemischen Armee
gefaehrdet war, und gestatteten zum erstenmal seit dem Beginn des
Krieges sich eine Verminderung der Gesamtzahl der Truppen, die bisher
trotz der jaehrlich steigenden Schwierigkeit der Aushebung jaehrlich
vermehrt worden und zuletzt bis auf 23 Legionen gestiegen war. Darum
ward denn auch im naechsten Jahr (544 210 ) der italische Krieg
laessiger als bisher von den Roemern gefuehrt, obwohl Marcus Marcellus
nach Beendigung des sizilischen Krieges wieder den Oberbefehl der
Hauptarmee uebernommen hatte; er betrieb in den inneren Landschaften den
Festungskrieg und lieferte den Karthagern unentschiedene Gefechte.
Auch der Kampf um die tarentinische Akropole blieb ohne entscheidendes
Resultat. In Apulien gelang Hannibal die Besiegung des Prokonsuls Gnaeus
Fulvius Centumalus bei Herdoneae. Das Jahr darauf (545 209) schritten
die Roemer dazu, der zweiten Grossstadt, die zu Hannibal uebergetreten
war, der Stadt Tarent sich wieder zu bemaechtigen. Waehrend Marcus
Marcellus den Kampf gegen Hannibal selbst mit gewohnter Zaehigkeit
und Energie fortsetzte - in einer zweitaegigen Schlacht erfocht er, am
ersten Tage geschlagen, am zweiten einen schweren und blutigen Sieg;
waehrend der Konsul Quintus Fulvius die schon schwankenden Lucaner und
Hirpiner zum Wechsel der Partei und zur Auslieferung der phoenikischen
Besatzungen bestimmte; waehrend gut geleitete Razzias von Rhegion aus
Hannibal noetigten, den bedraengten Brettiern zu Hilfe zu eilen,
setzte der alte Quintus Fabius, der noch einmal - zum fuenftenmal - das
Konsulat und damit den Auftrag, Tarent wieder zu erobern, angenommen
hatte, sich fest in dem nahen messapischen Gebiet, und der Verrat einer
brettischen Abteilung der Besatzung ueberlieferte ihm die Stadt, in
der von den erbitterten Siegern fuerchterlich gehaust ward. Was von der
Besatzung oder von der Buergerschaft ihnen vorkam, wurde niedergemacht
und die Haeuser gepluendert. Es sollen 30000 Tarentiner als Sklaven
verkauft, 3000 Talente (5 Mill. Taler) in den Staatsschatz geflossen
sein. Es war die letzte Waffentat des achtzigjaehrigen Feldherrn;
Hannibal kam zum Entsatz, als alles vorbei war, und zog sich zurueck
nach Metapont. Nachdem also Hannibal seine wichtigsten Eroberungen
eingebuesst hatte und allmaehlich sich auf die suedwestliche Spitze
der Halbinsel beschraenkt sah, hoffte Marcus Marcellus, der fuer das
naechste Jahr (546 208) zum Konsul gewaehlt worden war, in Verbindung
mit seinem tuechtigen Kollegen Titus Quinctius Crispinus dem Krieg durch
einen entscheidenden Angriff ein Ende zu machen. Den alten Soldaten
fochten seine sechzig Jahre nicht an; wachend und traeumend verfolgte
ihn der eine Gedanke, Hannibal zu schlagen und Italien zu befreien.
Allein das Schicksal sparte diesen Kranz fuer ein juengeres Haupt. Bei
einer unbedeutenden Rekognoszierung wurden beide Konsuln in der Gegend
von Venusia von einer Abteilung afrikanischer Reiter ueberfallen.
Marcellus focht den ungleichen Kampf, wie er vor vierzig Jahren gegen
Hamilkar, vor vierzehn bei Clastidium gefochten hatte, bis er sterbend
vom Pferde sank; Crispinus entkam, starb aber an den im Gefecht
empfangenen Wunden (546 208). Man stand jetzt im elften Kriegsjahr.
Die Gefahr schien geschwunden, die einige Jahre zuvor die Existenz des
Staates bedroht hatte; aber nur um so mehr fuehlte man den schweren
und jaehrlich schwerer werdenden Druck des endlosen Krieges. Die
Staatsfinanzen litten unsaeglich. Man hatte nach der Schlacht von
Cannae (538 216) eine eigene Bankkommission (tres viri mensarii) aus den
angesehensten Maennern niedergesetzt, um fuer die oeffentlichen Finanzen
in diesen schweren Zeiten eine dauernde und umsichtige Oberbehoerde zu
haben; sie mag getan haben, was moeglich war, aber die Verhaeltnisse
waren von der Art, dass alle Finanzweisheit daran zuschanden ward.
Gleich zu Anfang des Krieges hatte man die Silber- und die Kupfermuenze
verringert, den Legalkurs des Silberstueckes um mehr als ein Drittel
erhoeht und eine Goldmuenze weit ueber den Metallwert ausgegeben. Sehr
bald reichte dies nicht aus; man musste von den Lieferanten auf Kredit
nehmen und sah ihnen durch die Finger, weil man sie brauchte, bis der
arge Unterschleif zuletzt die Aedilen veranlasste, durch Anklage vor dem
Volk an einigen der schlimmsten ein Exempel zu statuieren. Man nahm den
Patriotismus der Vermoegenden, die freilich verhaeltnismaessig eben am
meisten litten, oft in Anspruch und nicht umsonst. Die Soldaten aus den
besseren Klassen und die Unteroffiziere und Reiter insgesamt schlugen,
freiwillig oder durch den Geist der Korps gezwungen, die Annahme des
Soldes aus. Die Eigentuemer der von der Gemeinde bewaffneten und
nach dem Treffen bei Benevent freigesprochenen Sklaven erwiderten der
Bankkommission, die ihnen Zahlung anbot, dass sie dieselbe bis zum Ende
des Krieges anstehen lassen wollten (540 214). Als fuer die Ausrichtung
der Volksfeste und die Instandhaltung der oeffentlichen Gebaeude kein
Geld mehr in der Staatskasse war, erklaerten die Gesellschaften, die
diese Geschaefte bisher in Akkord gehabt hatten, sich bereit, dieselben
vorlaeufig unentgeltlich fortzufuehren (540 214). Es ward sogar, ganz
wie im Ersten Punischen Kriege, mittels einer freiwilligen Anleihe
bei den Reichen eine Flotte ausgeruestet und bemannt (544 210). Man
verbrauchte die Muendelgelder, ja man griff endlich im Jahre der
Eroberung von Tarent den letzten, lange gesparten Notpfennig (1144000
Taler) an. Dennoch genuegte der Staat seinen notwendigsten Zahlungen
nicht; die Entrichtung des Soldes stockte namentlich in den entfernteren
Landschaften in besorglicher Weise. Aber die Bedraengnis des Staats war
nicht der schlimmste Teil des materiellen Notstandes. ueberall lagen
die Felder brach; selbst wo der Krieg nicht hauste, fehlte es an Haenden
fuer die Hacke und die Sichel. Der Preis des Medimnos (1 preussischer
Scheffel) war gestiegen bis auf 15 Denare (3 1/3 Taler), mindestens das
Dreifache des hauptstaedtischen Mittelpreises, und viele waeren geradezu
Hungers gestorben, wenn nicht aus Aegypten Zufuhr gekommen waere und
nicht vor allem der in Sizilien wieder aufbluehende Feldbau der
aergsten Not gesteuert haette. Wie aber solche Zustaende die kleinen
Bauernwirtschaften zerstoeren, den sauer zurueckgelegten Sparschatz
verzehren, die bluehenden Doerfer in Bettler- und Raeubernester
verwandeln, das lehren aehnliche Kriege, aus denen sich anschaulichere
Berichte erhalten haben. Bedenklicher noch als diese materielle Not war
die steigende Abneigung der Bundesgenossen gegen den roemischen Krieg,
der ihnen Gut und Blut frass. Zwar auf die nichtlatinischen Gemeinden
kam es dabei weniger an. Der Krieg selber bewies es, dass sie nichts
vermochten, solange die latinische Nation zu Rom stand; an ihrer
groesseren oder geringeren Widerwilligkeit war nicht viel gelegen. Jetzt
indes fing auch Latium an zu schwanken. Die meisten latinischen Kommunen
in Etrurien, Latium, dem Marsergebiet und dem noerdlichen Kampanien,
also eben in denjenigen latinischen Landschaften, die unmittelbar am
wenigsten von dem Kriege gelitten hatten, erklaerten im Jahre 545 (209)
dem roemischen Senat, dass sie von jetzt an weder Kontingente noch
Steuern mehr schicken und es den Roemern ueberlassen wuerden, den in
ihrem Interesse gefuehrten Krieg selber zu bestreiten. Die Bestuerzung
in Rom war gross; allein fuer den Augenblick gab es kein Mittel, die
Widerspenstigen zu zwingen. Zum Glueck handelten nicht alle latinischen
Gemeinden so. Die gallischen, picenischen und sueditalischen Kolonien,
an ihrer Spitze das maechtige und patriotische Fregellae, erklaerten im
Gegenteil, dass sie um so enger und treulicher an Rom sich anschloessen
- freilich war es diesen allen sehr deutlich dargetan, dass bei dem
gegenwaertigen Kriege ihre Existenz womoeglich noch mehr auf dem Spiele
stand als die der Hauptstadt und dass dieser Krieg wahrlich nicht bloss
fuer Rom, sondern fuer die latinische Hegemonie in Italien, ja fuer
Italiens nationale Unabhaengigkeit gefuehrt ward. Auch jener halbe
Abfall war sicherlich nicht Landesverrat, sondern Kurzsichtigkeit und
Erschoepfung; ohne Zweifel wuerden dieselben Staedte ein Buendnis mit
den Phoenikern mit Abscheu zurueckgewiesen haben. Allein immer war es
eine Spaltung zwischen Roemern und Latinern, und der Rueckschlag auf die
unterworfene Bevoelkerung der Landschaften blieb nicht aus. In Arretium
zeigte sich sogleich eine bedenkliche Gaerung; eine im Interesse
Hannibals unter den Etruskern angestiftete Verschwoerung ward entdeckt
und schien so gefaehrlich, dass man deswegen roemische Truppen
marschieren liess. Militaer und Polizei unterdrueckten diese Bewegung
zwar ohne Muehe; allein sie war ein ernstes Zeichen, was in jenen
Landschaften kommen koenne, seit die latinischen Zwingburgen nicht mehr
schreckten. In diese schwierigen und gespannten Verhaeltnisse schlug
ploetzlich die Nachricht hinein, dass Hasdrubal im Herbst des Jahres
546 (208) die Pyrenaeen ueberschritten habe und man sich darauf gefasst
machen muesse, im naechsten Jahr in Italien den Krieg mit den beiden
Soehnen Hamilkars zu fuehren. Nicht umsonst hatte Hannibal die langen
schweren Jahre hindurch auf seinem Posten ausgeharrt; was die faktioese
Opposition daheim, was der kurzsichtige Philippos ihm versagt hatte, das
fuehrte endlich der Bruder ihm heran, in dem wie in ihm selbst
Hamilkars Geist maechtig war. Schon standen achttausend Ligurer, durch
phoenikisches Gold geworben, bereit, sich mit Hasdrubal zu vereinigen;
wenn er die erste Schlacht gewann, so durfte er hoffen, gleich dem
Bruder die Gallier, vielleicht die Etrusker gegen Rom unter die Waffen
zu bringen. Italien war aber nicht mehr, was es vor elf Jahren gewesen;
der Staat und die einzelnen waren erschoepft, der latinische Bund
gelockert, der beste Feldherr soeben auf dem Schlachtfeld gefallen und
Hannibal nicht bezwungen. In der Tat, Scipio mochte die Gunst seines
Genius preisen, wenn er die Folgen seines unverzeihlichen Fehlers von
ihm und dem Lande abwandte. Wie in den Zeiten der schwersten Gefahr
bot Rom wieder dreiundzwanzig Legionen auf; man rief Freiwillige zu den
Waffen und zog die gesetzlich vom Kriegsdienst Befreiten zur Aushebung
mit heran. Dennoch wurde man ueberrascht. Freunden und Feinden ueber
alle Erwartung frueh stand Hasdrubal diesseits der Alpen (547 207);
die Gallier, der Durchmaersche jetzt gewohnt, oeffneten fuer gutes Geld
willig ihre Paesse und lieferten, was das Heer bedurfte. Wenn man in Rom
beabsichtigt hatte, die Ausgaenge der Alpenpaesse zu besetzen, so kam
man damit wieder zu spaet; schon vernahm man, dass Hasdrubal am Padus
stehe, dass er die Gallier mit gleichem Erfolge wie einst sein Bruder
zu den Waffen rufe, dass Placentia berannt werde. Schleunigst begab der
Konsul Marcus Livius sich zu der Nordarmee; und es war hohe Zeit, dass
er erschien. Etrurien und Umbrien waren in dumpfer Gaerung; Freiwillige
von dort verstaerkten das phoenikische Heer. Sein Kollege Gaius Nero zog
aus Venusia den Praetor Gaius Hostilius Tubulus an sich und eilte mit
einem Heere von 40000 Mann, Hannibal den Weg nach Norden zu verlegen.
Dieser sammelte seine ganze Macht im brettischen Gebiet, und auf der
grossen, von Rhegion nach Apulien fuehrenden Strasse vorrueckend traf er
bei Grumentum auf den Konsul. Es kam zu einem hartnaeckigen Gefecht,
in welchem Nero sich den Sieg zuschrieb; allein Hannibal vermochte
wenigstens, wenn auch mit Verlust, durch einen seiner gewoehnlichen
geschickten Seitenmaersche sich dem Feinde zu entziehen und ungehindert
Apulien zu erreichen. Hier blieb er stehen und lagerte anfangs bei
Venusia, alsdann bei Canusium, Nero, der ihm auf dem Fuss gefolgt war,
dort wie hier ihm gegenueber. Dass Hannibal freiwillig stehenblieb und
nicht von der roemischen Armee am Vorruecken gehindert ward, scheint
nicht zu bezweifeln; der Grund, warum er gerade hier und nicht weiter
noerdlich sich aufstellte, muss gelegen haben in Verabredungen Hannibals
mit Hasdrubal oder in Mutmassungen ueber dessen Marschroute, die
wir nicht kennen. Waehrend also hier die beiden Heere sich untaetig
gegenueberstanden, ward die im Hannibalischen Lager sehnlich erwartete
Depesche Hasdrubals von Neros Posten aufgefangen; sie ergab, dass
Hasdrubal beabsichtigte, die Flaminische Strasse einzuschlagen, also
zunaechst sich an der Kueste zu halten und dann bei Fanum ueber den
Apennin gegen Narnia sich zu wenden, an welchem Orte er Hannibal zu
treffen gedenke. Sofort liess Nero nach Narnia als dem zur Vereinigung
der beiden phoenikischen Heere ausersehenen Punkt die hauptstaedtische
Reserve vorgehen, wogegen die bei Capua stehende Abteilung nach der
Hauptstadt kam und dort eine neue Reserve gebildet ward. Ueberzeugt,
dass Hannibal die Absicht des Bruders nicht kenne und fortfahren werde,
ihn in Apulien zu erwarten, entschloss sich Nero zu dem kuehnen
Wagnis, mit einem kleinen, aber auserlesenen Korps von 7000 Mann in
Gewaltmaerschen nordwaerts zu eilen und womoeglich in Gemeinschaft mit
dem Kollegen den Hasdrubal zur Schlacht zu zwingen; er konnte es, denn
das roemische Heer, das er zurueckliess, blieb immer stark genug, um
Hannibal entweder standzuhalten, wenn er angriff, oder ihn zu geleiten
und mit ihm zugleich an dem Orte der Entscheidung einzutreffen, wenn er
abzog. Nero fand den Kollegen Marcus Livius bei Sena gallica, den Feind
erwartend. Sofort rueckten beide Konsuln aus gegen Hasdrubal, den sie
beschaeftigt fanden, den Metaurus zu ueberschreiten. Hasdrubal wuenschte
die Schlacht zu vermeiden und sich seitwaerts den Roemern zu entziehen;
allein seine Fuehrer liessen ihn im Stich, er verirrte sich auf dem
ihm fremden Terrain und wurde endlich auf dem Marsch von der roemischen
Reiterei angegriffen und so lange festgehalten, bis auch das roemische
Fussvolk eintraf und die Schlacht unvermeidlich ward. Hasdrubal stellte
die Spanier auf den rechten Fluegel, davor seine zehn Elefanten, die
Gallier auf den linken, den er versagte. Lange schwankte das Gefecht
auf dem rechten Fluegel und der Konsul Livius, der hier befehligte,
ward hart gedraengt, bis Nero, seine strategische Operation taktisch
wiederholend, den ihm unbeweglich gegenueberstehenden Feind stehen liess
und, um die eigene Armee herum marschierend, den Spaniern in die Flanke
fiel. Dies entschied. Der schwer erkaempfte und sehr blutige Sieg war
vollstaendig; das Heer, das keinen Rueckzug hatte, ward vernichtet, das
Lager erstuermt, Hasdrubal, da er die vortrefflich geleitete Schlacht
verloren sah, suchte und fand gleich seinem Vater einen ehrlichen
Reitertod. Als Offizier und als Mann war er wert, Hannibals Bruder zu
sein. Am Tage nach der Schlacht brach Nero wieder auf und stand
nach kaum vierzehntaegiger Abwesenheit abermals in Apulien Hannibal
gegenueber, den keine Botschaft erreicht und der sich nicht geruehrt
hatte. Die Botschaft brachte ihm der Konsul mit; es war der Kopf des
Bruders, den der Roemer den feindlichen Posten hinwerfen liess, also
dem grossen Gegner, der den Krieg mit Toten verschmaehte, die ehrenvolle
Bestattung des Paullus, Gracchus und Marcellus vergeltend. Hannibal
erkannte, dass er umsonst gehofft hatte und dass alles vorbei war. Er
gab Apulien und Lucanien, sogar Metapont auf und zog mit seinen Truppen
zurueck in das brettische Land, dessen Haefen sein einziger Rueckzug
waren. Durch die Energie der roemischen Feldherren und mehr noch durch
eine beispiellos glueckliche Fuegung war eine Gefahr von Rom abgewandt,
deren Groesse Hannibals zaehes Ausharren in Italien rechtfertigt und die
mit der Groesse der cannensischen den Vergleich vollkommen aushaelt.
Der Jubel in Rom war grenzenlos; die Geschaefte begannen wieder wie in
Friedenszeit; jeder fuehlte, dass die Gefahr des Krieges verschwunden
sei. Indes ein Ende zu machen beeilte man sich in Rom eben nicht.
Der Staat und die Buerger waren erschoepft durch die uebermaessige
moralische und materielle Anspannung aller Kraefte; gern gab man der
Sorglosigkeit und der Ruhe sich hin. Heer und Flotte wurden vermindert,
die roemischen und latinischen Bauern auf ihre veroedeten Hoefe
zurueckgefuehrt, die Kasse durch den Verkauf eines Teils der
kampanischen Domaene gefuellt. Die Staatsverwaltung wurde neu geregelt
und die eingerissenen Unordnungen abgestellt; man fing an, das
freiwillige Kriegsanlehen zurueckzuzahlen, und zwang die im Rueckstand
gebliebenen latinischen Gemeinden, ihren versaeumten Pflichten mit
schweren Zinsen zu genuegen. Der Krieg in Italien stockte. Es war ein
glaenzender Beweis von Hannibals strategischem Talent sowie freilich
auch von der Unfaehigkeit der jetzt ihm gegenueberstehenden roemischen
Feldherren, dass er von da an noch durch vier Jahre im brettischen Lande
das Feld behaupten und von dem weit ueberlegenen Gegner weder gezwungen
werden konnte, sich in die Festungen einzuschliessen noch sich
einzuschiffen. Freilich musste er immer weiter zurueckweichen, weniger
in Folge der ihm von den Roemern gelieferten, nichts entscheidenden
Gefechte, als weil seine brettischen Bundesgenossen immer schwieriger
wurden und er zuletzt nur auf die Staedte noch zaehlen konnte, die sein
Heer besetzt hielt. So gab er Thurii freiwillig auf; Lokri ward auf
Publius Scipios Veranstaltung von Rhegion aus wieder eingenommen
(549 205). Als sollten seine Entwuerfe noch schliesslich von den
karthagischen Behoerden, die sie ihm verdorben hatten, selbst eine
glaenzende Rechtfertigung erhalten, suchten diese in der Angst vor der
erwarteten Landung der Roemer jene Plaene nun selbst wieder hervor (548,
549 206, 205) und sandten an Hannibal nach Italien, an Mago nach Spanien
Verstaerkung und Subsidien mit dem Befehl, den Krieg in Italien
aufs neue zu entflammen und den zitternden Besitzern der libyschen
Landhaeuser und der karthagischen Buden noch einige Frist zu erfechten.
Ebenso ging eine Gesandtschaft nach Makedonien, um Philippos zur
Erneuerung des Buendnisses und zur Landung in Italien zu bestimmen (549
205). Allein es war zu spaet. Philippos hatte wenige Monate zuvor
mit Rom Frieden geschlossen; die bevorstehende politische Vernichtung
Karthagos war ihm zwar unbequem, aber er tat oeffentlich wenigstens
nichts gegen Rom. Es ging ein kleines makedonisches Korps nach Afrika,
das nach der Behauptung der Roemer Philippos aus seiner Tasche bezahlte;
begreiflich waere es, allein Beweise wenigstens hatten, wie der
spaetere Verlauf der Ereignisse zeigt, die Roemer dafuer nicht. An eine
makedonische Landung in Italien ward nicht gedacht. Ernstlicher griff
Mago, Hamilkars juengster Sohn, seine Aufgabe an. Mit den Truemmern der
spanischen Armee, die er zunaechst nach Minorca gefuehrt hatte, landete
er im Jahre 549 (205) bei Genua, zerstoerte die Stadt und rief die
Ligurer und Gallier zu den Waffen, die das Gold und die Neuheit des
Unternehmens wie immer scharenweise herbeizog; seine Verbindungen gingen
sogar durch ganz Etrurien, wo die politischen Prozesse nicht ruhten.
Allein was er an Truppen mitgebracht, war zu wenig fuer eine ernstliche
Unternehmung gegen das eigentliche Italien, und Hannibal war gleichfalls
viel zu schwach und sein Einfluss in Unteritalien viel zu sehr gesunken,
als dass er mit Erfolg haette vorgehen koennen. Die karthagischen Herren
hatten die Rettung der Heimat nicht gewollt, da sie moeglich war; jetzt,
da sie sie wollten, war sie nicht mehr moeglich. Wohl niemand zweifelte
im roemischen Senat, weder daran, dass der Krieg Karthagos gegen Rom zu
Ende sei, noch daran, dass nun der Krieg Roms gegen Karthago begonnen
werden muesse; allein die afrikanische Expedition, so unvermeidlich
sie war, scheute man sich anzuordnen. Man bedurfte dazu vor allem
eines faehigen und beliebten Fuehrers; und man hatte keinen. Die besten
Generale waren entweder auf dem Schlachtfeld gefallen oder sie waren,
wie Quintus Fabius und Quintus Fulvius, fuer einen solchen ganz neuen
und wahrscheinlich langwierigen Krieg zu alt. Die Sieger von Sena, Gaius
Nero und Marcus Livius, waeren der Aufgabe schon gewachsen gewesen,
allein sie waren beide im hoechsten Grade unpopulaere Aristokraten;
es war zweifelhaft, ob es gelingen wuerde, ihnen das Kommando zu
verschaffen - so weit war man ja schon, dass die Tuechtigkeit allein
nur in den Zeiten der Angst die Wahlen entschied -, und mehr als
zweifelhaft, ob dies die Maenner waren, die dem erschoepften Volke
neue Anstrengungen ansinnen durften. Da kam Publius Scipio aus Spanien
zurueck, und der Liebling der Menge, der seine von ihr empfangene
Aufgabe so glaenzend erfuellt hatte oder doch erfuellt zu haben schien,
ward sogleich fuer das naechste Jahr zum Konsul gewaehlt. Er trat
sein Amt an (549 205) mit dem festen Entschluss, die schon in Spanien
entworfene afrikanische Expedition jetzt zu verwirklichen. Indes im
Senat wollte nicht bloss die Partei der methodischen Kriegfuehrung von
einer afrikanischen Expedition so lange nichts wissen, als Hannibal
noch in Italien stand, sondern es war auch die Majoritaet dem jungen
Feldherrn selbst keineswegs guenstig gesinnt. Seine griechische
Eleganz und moderne Bildung und Gesinnung sagte den strengen und
etwas baeurischen Vaetern der Stadt sehr wenig zu und gegen seine
Kriegfuehrung in Spanien bestanden ebenso ernste Bedenken wie gegen
seine Soldatenzucht. Wie begruendet der Vorwurf war, dass er gegen
seine Korpschefs allzugrosse Nachsicht zeige, bewiesen sehr bald die
Schaendlichkeiten, die Gaius Pleminius in Lokri veruebte, und die
Scipio allerdings durch seine fahrlaessige Beaufsichtigung in der
aergerlichsten Weise mittelbar mit verschuldet hatte. Dass bei den
Verhandlungen im Senat ueber die Anordnung des afrikanischen Feldzugs
und die Bestellung des Feldherrn dafuer der neue Konsul nicht uebel Lust
bezeigte, wo immer Brauch und Verfassung mit seinen Privatabsichten in
Konflikt gerieten, solche Hemmnisse beiseite zu schieben, und dass
er sehr deutlich zu verstehen gab, wie er sich aeussersten Falls der
Regierungsbehoerde gegenueber auf seinen Ruhm und seine Popularitaet bei
dem Volke zu stuetzen gedenke, musste den Senat nicht bloss kraenken,
sondern auch die ernstliche Besorgnis erwecken, ob ein solcher
Oberfeldherr bei dem bevorstehenden Entscheidungskrieg und den
etwaigen Friedensverhandlungen mit Karthago sich an die ihm gewordenen
Instruktionen binden werde; eine Besorgnis, welche die eigenmaechtige
Fuehrung der spanischen Expedition keineswegs zu beschwichtigen geeignet
war. Indes bewies man auf beiden Seiten Einsicht genug, um es nicht zum
Aeussersten kommen zu lassen. Auch der Senat konnte nicht verkennen,
dass die afrikanische Expedition notwendig und es nicht weise war,
dieselbe ins Unbestimmte hinauszuschieben; nicht verkennen, dass Scipio
ein aeusserst faehiger Offizier und insofern zum Fuehrer eines solchen
Krieges wohl geeignet war und dass, wenn einer, er es vermochte, vom
Volke die Verlaengerung seines Oberbefehls so lange als noetig und die
Aufbietung der letzten Kraefte zu erlangen. Die Majoritaet kam zu dem
Entschluss, Scipio den gewuenschten Auftrag nicht zu versagen, nachdem
derselbe zuvor die der hoechsten Regierungsbehoerde schuldige Ruecksicht
wenigstens der Form nach beobachtet und im Voraus sich dem Beschluss des
Senats unterworfen hatte. Scipio sollte dies Jahr nach Sizilien gehen,
um den Bau der Flotte, die Herstellung des Belagerungsmaterials und die
Bildung der Expeditionsarmee zu betreiben, und dann im naechsten Jahr in
Afrika landen. Es ward ihm hierzu die sizilische Armee - noch immer jene
beiden aus den Truemmern des cannensischen Heeres gebildeten Legionen
- zur Disposition gestellt, da zur Deckung der Insel eine schwache
Besatzung und die Flotte vollstaendig ausreichten, und ausserdem ihm
gestattet, in Italien Freiwillige aufzubieten. Es war augenscheinlich,
dass der Senat die Expedition nicht anordnete, sondern vielmehr
geschehen liess; Scipio erhielt nicht die Haelfte der Mittel, die man
einst Regulus zu Gebot gestellt hatte, und ueberdies eben dasjenige
Korps, das seit Jahren vom Senat mit berechneter Zuruecksetzung
behandelt worden war. Die afrikanische Armee war im Sinne der Majoritaet
des Senats ein verlorener Posten von Strafkompanien und Volontaers,
deren Untergang der Staat allenfalls verschmerzen konnte. Ein anderer
Mann als Scipio haette vielleicht erklaert, dass die afrikanische
Expedition entweder mit anderen Mitteln oder gar nicht unternommen
werden muesse; allein Scipios Zuversicht ging auf die Bedingungen ein,
wie sie immer waren, um nur zu dem heissersehnten Kommando zu gelangen.
Sorgfaeltig vermied er, soweit es anging, das Volk unmittelbar zu
belaestigen, um nicht der Popularitaet der Expedition zu schaden. Die
Kosten derselben, namentlich die betraechtlichen des Flottenbaus, wurden
teils beigeschafft durch eine sogenannte freiwillige Kontribution der
etruskischen Staedte, das heisst durch eine den Arretinern und den
sonstigen phoenikisch gesinnten Gemeinden zur Strafe auferlegte
Kriegssteuer, teils auf die sizilischen Staedte gelegt; in vierzig Tagen
war die Flotte segelfertig. Die Mannschaft verstaerkten Freiwillige,
deren bis siebentausend aus allen Teilen Italiens dem Rufe des geliebten
Offiziers folgten. So ging Scipio im Fruehjahr 550 (204) mit zwei
starken Veteranenlegionen (etwa 30000 Mann), 40 Kriegs- und 400
Transportschiffen nach Afrika unter Segel und landete gluecklich, ohne
den geringsten Widerstand zu finden, am Schoenen Vorgebirge in der
Naehe von Utica. Die Karthager, die seit langem erwarteten, dass auf
die Pluenderungszuege, welche die roemischen Geschwader in den letzten
Jahren haeufig nach der afrikanischen Kueste gemacht hatten, ein
ernstlicher Einfall folgen werde, hatten, um dessen sich zu erwehren,
nicht bloss den italisch-makedonischen Krieg aufs neue in Gang zu
bringen versucht, sondern auch daheim geruestet, um die Roemer
zu empfangen. Es war gelungen, von den beiden rivalisierenden
Berberkoenigen, Massinissa von Cirta (Constantine), dem Herrn der
Massyler, und Syphax von Siga (an der Tafnamuendung, westlich von Oran),
dem Herrn der Massaesyler, den letzteren, den bei weitem maechtigeren
und bisher den Roemern befreundeten, durch Vertrag und Verschwaegerung
eng an Karthago zu knuepfen, indem man den anderen, den alten
Nebenbuhler des Syphax und Bundesgenossen der Karthager, fallen liess.
Massinissa war nach verzweifelter Gegenwehr der vereinigten Macht der
Karthager und des Syphax erlegen und hatte seine Laender dem letzteren
zur Beute lassen muessen; er selbst irrte mit wenigen Reitern in der
Wueste. Ausser dem Zuzug, der von Syphax zu erwarten war, stand
ein karthagisches Heer von 20000 Mann zu Fuss, 6000 Reitern und 140
Elefanten - Hanno war eigens deshalb auf Elefantenjagd ausgeschickt
worden - schlagfertig zum Schutz der Hauptstadt, unter der Fuehrung des
in Spanien erprobten Feldherrn Hasdrubal, Gisgons Sohn; im Hafen lag
eine starke Flotte. Ein makedonisches Korps unter Sopater und eine
Sendung keltiberischer Soeldner wurden demnaechst erwartet. Auf das
Geruecht von Scipios Landung traf Massinissa sofort in dem Lager
des Feldherrn ein, dem er vor nicht langem in Spanien als Feind
gegenuebergestanden hatte; allein der laenderlose Fuerst brachte
zunaechst den Roemern nichts als seine persoenliche Tuechtigkeit, und
die Libyer, obwohl der Aushebungen und Steuern herzlich muede, hatten
doch in aehnlichen Faellen zu bittere Erfahrungen gemacht, um sich
sofort fuer die Roemer zu erklaeren. So begann Scipio den Feldzug.
Solange er nur die schwaechere karthagische Armee gegen sich hatte, war
er im Vorteil und konnte nach einigen gluecklichen Reitergefechten zur
Belagerung von Utica schreiten; allein als Syphax eintraf, angeblich mit
50000 Mann zu Fuss und 10000 Reitern, musste die Belagerung aufgehoben
und auf einem leicht zu verschanzenden Vorgebirg zwischen Utica und
Karthago ein befestigtes Schiffslager geschlagen werden. Hier verging
dem roemischen General der Winter 550/51 (204/03). Aus der ziemlich
unbequemen Lage, in der das Fruehjahr ihn fand, befreite er sich durch
einen gluecklichen Handstreich. Die Afrikaner, eingeschlaefert durch die
von Scipio mehr listig als ehrlich angesponnenen Friedensverhandlungen,
liessen sich in einer und derselben Nacht in ihren beiden Lagern
ueberfallen: die Rohrhuetten der Numidier loderten in Flammen auf, und
als die Karthager eilten zu helfen, traf ihr eigenes Lager dasselbe
Schicksal; wehrlos wurden die Fluechtenden von den roemischen
Abteilungen niedergemacht. Dieser naechtliche Ueberfall war
verderblicher als manche Schlacht. Indes die Karthager liessen den Mut
nicht sinken und verwarfen sogar den Rat der Furchtsamen, oder vielmehr
der Verstaendigen, Mago und Hannibal zurueckzurufen. Eben jetzt waren
die erwarteten keltiberischen und makedonischen Hilfstruppen angelangt;
man beschloss, auf den "grossen Feldern", fuenf Tagemaersche von Utica,
noch einmal die offene Feldschlacht zu versuchen. Scipio eilte,
sie anzunehmen; mit leichter Muehe zerstreuten seine Veteranen und
Freiwilligen die zusammengerafften karthagischen und numidischen
Schwaerme und auch die Keltiberer, die bei Scipio auf Gnade nicht
rechnen durften, wurden nach hartnaeckiger Gegenwehr zusammengehauen.
Die Afrikaner konnten nach dieser doppelten Niederlage nirgend mehr
das Feld halten. Ein Angriff auf das roemische Schiffslager, den die
karthagische Flotte versuchte, lieferte zwar kein unguenstiges, aber
doch auch kein entscheidendes Resultat und ward weit aufgewogen
durch die Gefangennahme des Syphax, die dem Scipio sein beispielloser
Gluecksstern zuwarf und durch welche Massinissa das fuer die Roemer
ward, was anfangs Syphax den Karthagern gewesen war. Nach solchen
Niederlagen konnte die karthagische Friedenspartei, die seit sechzehn
Jahren hatte schweigen muessen, wiederum ihr Haupt erheben und sich
offen auflehnen gegen das Regiment der Barkas und der Patrioten.
Hasdrubal, Gisgons Sohn, ward abwesend von der Regierung zum Tode
verurteilt und ein Versuch gemacht, von Scipio Waffenstillstand und
Frieden zu erlangen. Er forderte Abtretung der spanischen Besitzungen
und der Inseln des Mittelmeeres, Uebergabe des Reiches des Syphax an
Massinissa, Auslieferung der Kriegsschiffe bis auf zwanzig und eine
Kriegskontribution von 4000 Talenten (fast 7 Mill. Taler) - Bedingungen,
die fuer Karthago so beispiellos guenstig erscheinen, dass die Frage
sich aufdraengt, ob sie Scipio mehr in seinem oder mehr in Roms
Interesse anbot. Die karthagischen Bevollmaechtigten nahmen dieselben
an unter Vorbehalt der Ratifikation ihrer Behoerden, und es ging eine
karthagische Gesandtschaft deshalb nach Rom ab. Allein die karthagische
Patriotenpartei war nicht gemeint, so leichten Kaufs auf den Kampf zu
verzichten; der Glaube an die edle Sache, das Vertrauen auf den grossen
Feldherrn, selbst das Beispiel, das Rom gegeben hatte, feuerten sie
an auszuharren, auch davon abgesehen, dass der Friede notwendig die
Gegenpartei ans Ruder und damit ihnen selbst den Untergang bringen
musste. In der Buergerschaft hatte die Patriotenpartei das Uebergewicht;
man beschloss, die Opposition ueber den Frieden verhandeln zu lassen
und mittlerweile sich zu einer letzten und entscheidenden Anstrengung
vorzubereiten. An Mago und an Hannibal erging der Befehl, schleunigst
nach Afrika heimzukehren. Mago, der seit drei Jahren (459-551 205-203)
daran arbeitete, in Norditalien eine Koalition gegen Rom ins Leben zu
rufen, war eben damals im Gebiet der Insubrer (um Mailand) dem weit
ueberlegenen roemischen Doppelheer unterlegen. Die roemische Reiterei
war zum Weichen und das Fussvolk ins Gedraenge gebracht worden und der
Sieg schien sich fuer die Karthager zu erklaeren, als der kuehne Angriff
eines roemischen Trupps auf die feindlichen Elefanten und vor allem die
schwere Verwundung des geliebten und faehigen Fuehrers das Glueck der
Schlacht wandte: das phoenikische Heer musste an die ligurische Kueste
zurueckweichen. Hier erhielt es den Befehl zur Einschiffung und vollzog
ihn; Mago aber starb waehrend der Ueberfahrt an seiner Wunde. Hannibal
waere dem Befehl wahrscheinlich zuvorgekommen, wenn nicht die letzten
Verhandlungen mit Philipp ihm eine neue Aussicht dargeboten haetten,
seinem Vaterland in Italien nuetzlicher sein zu koennen als in Libyen;
als er in Kroton, wo er in der letzten Zeit gestanden hatte, ihn
empfing, saeumte er nicht, ihm nachzukommen. Er liess seine Pferde
niederstossen sowie die italischen Soldaten, die sich weigerten, ihm
ueber das Meer zu folgen, und bestieg die auf der Rede von Kroton
laengst in Bereitschaft stehenden Transportschiffe. Die roemischen
Buerger atmeten auf, da der gewaltige libysche Loewe, den zum Abzug zu
zwingen selbst jetzt noch niemand sich getraute, also freiwillig dem
italischen Boden den Ruecken wandte; bei diesem Anlass ward dem einzigen
ueberlebenden unter den roemischen Feldherren, welche die schwere Zeit
mit Ehren bestanden hatten, dem fast neunzigjaehrigen Quintus Fabius von
Rat und Buergerschaft der Graskranz verehrt. Dieser Kranz, welchen nach
roemischer Sitte das durch den Feldherrn gerettete Heer seinem Retter
darbrachte, von der ganzen Gemeinde zu empfangen, war die hoechste
Auszeichnung, die einem roemischen Buerger je zuteil geworden ist, und
der letzte Ehrenschmuck des alten Feldherrn, der noch in demselben Jahre
aus dem Leben schied (551 203). Hannibal aber gelangte, ohne Zweifel
nicht unter dem Schutz des Waffenstillstandes, sondern allein durch
seine Schnelligkeit und sein Glueck, ungehindert nach Leptis und
betrat, der letzte von Hamilkars "Loewenbrut", hier abermals nach
sechsunddreissigjaehriger Abwesenheit den Boden der Heimat, die er,
fast noch ein Knabe, verlassen hatte, um seine grossartige und doch
so durchaus vergebliche Heldenlaufbahn zu beginnen und westwaerts
ausziehend von Osten her heimzukehren, rings um die karthagische See
einen weiten Siegeskreis beschreibend. Jetzt, wo geschehen war, was er
hatte verhueten wollen und was er verhuetet haette, wenn er gedurft,
jetzt sollte er, wenn moeglich, retten und helfen; und er tat es, ohne
zu klagen und zu schelten. Mit seiner Ankunft trat die Patriotenpartei
offen auf; das schaendliche Urteil gegen Hasdrubal ward kassiert, neue
Verbindungen mit den numidischen Scheichs durch Hannibals Gewandtheit
angeknuepft und nicht bloss dem tatsaechlich abgeschlossenen Frieden in
der Volksversammlung die Bestaetigung verweigert, sondern auch durch die
Pluenderung einer an der afrikanischen Kueste gestrandeten roemischen
Transportflotte, ja sogar durch den ueberfall eines roemische Gesandte
fuehrenden roemischen Kriegsschiffs der Waffenstillstand gebrochen. In
gerechter Erbitterung brach Scipio aus seinem Lager bei Tunis auf (552
202) und durchzog das reiche Tal des Bagradas (Medscherda), indem er
den Ortschaften keine Kapitulation mehr gewaehrte, sondern die
Einwohnerschaften der Flecken und Staedte in Masse aufgreifen und
verkaufen liess. Schon war er tief ins Binnenland eingedrungen und stand
bei Naraggara (westlich von Sicca, jetzt el Kef, an der Grenze von Tunis
und Algier), als Hannibal, der ihm von Hadrumetum aus entgegengezogen
war, mit ihm zusammentraf. Der karthagische Feldherr versuchte von dem
roemischen in einer persoenlichen Zusammenkunft bessere Bedingungen
zu erlangen; allein Scipio, der schon bis an die aeusserste Grenze
der Zugestaendnisse gegangen war, konnte nach dem Bruch des
Waffenstillstandes unmoeglich zu weiterer Nachgiebigkeit sich verstehen,
und es ist nicht glaublich, dass Hannibal bei diesem Schritt etwas
anderes bezweckte, als der Menge zu zeigen, dass die Patrioten
keineswegs unbedingt gegen den Frieden seien. Die Konferenz fuehrte
zu keinem Ergebnis und so kam es zu der Entscheidungsschlacht bei Zama
(vermutlich unweit Sicca) ^1. In drei Linien ordnete Hannibal sein
Fussvolk: in das erste Glied die karthagischen Mietstruppen, in das
zweite die afrikanische Land- und die phoenikische Buergerwehr nebst dem
makedonischen Korps, in das dritte die Veteranen, die ihm aus Italien
gefolgt waren. Vor der Linie standen die achtzig Elefanten, die Reiter
auf den Fluegeln. Scipio stellte gleichfalls seine Legionen in drei
Glieder, wie die Roemer pflegten, und ordnete sie so, dass die Elefanten
durch und neben der Linie weg ausbrechen konnten, ohne sie zu
sprengen. Dies gelang nicht bloss vollstaendig, sondern die seitwaerts
ausweichenden Elefanten brachten auch die karthagischen Reiterfluegel in
Unordnung, so dass gegen diese Scipios Reiterei, die ueberdies durch
das Eintreffen von Massinissas Scharen dem Feinde weit ueberlegen
war, leichtes Spiel hatte und bald in vollem Nachsetzen begriffen war.
Ernster war der Kampf des Fussvolks. Lange stand das Gefecht zwischen
den beiderseitigen ersten Gliedern; in dem aeusserst blutigen
Handgemenge gerieten endlich beide Teile in Verwirrung und mussten
an den zweiten Gliedern einen Halt suchen. Die Roemer fanden ihn; die
karthagische Miliz aber zeigte sich so unsicher und schwankend, dass
sich die Soeldner verraten glaubten und es zwischen ihnen und der
karthagischen Buergerwehr zum Handgemenge kam. Indes Hannibal zog
eilig, was von den beiden ersten Linien noch uebrig war, auf die Fluegel
zurueck und schob seine italischen Kerntruppen auf der ganzen Linie vor.
Scipio draengte dagegen in der Mitte zusammen, was von der ersten Linie
noch kampffaehig war und liess das zweite und dritte Glied rechts und
links an das erste sich anschliessen. Abermals begann auf derselben
Walstatt ein zweites, noch fuerchterlicheres Gemetzel; Hannibals alte
Soldaten wankten nicht trotz der Ueberzahl der Feinde, bis die Reiterei
der Roemer und des Massinissa, von der Verfolgung der geschlagenen
feindlichen zurueckkehrend, sie von allen Seiten umringte. Damit war
nicht bloss der Kampf zu Ende, sondern das phoenikische Heer vernichtet;
dieselben Soldaten, die vierzehn Jahre zuvor bei Cannae gewichen waren,
hatten ihren Ueberwindern bei Zama vergolten. Mit einer Handvoll
Leute gelangte Hannibal fluechtig nach Hadrumetum.
------------------------------------------------------- ^1 Von den
beiden diesen Namen fuehrenden Orten ist wahrscheinlich der westlichere,
etwa 60 Miglien westlich von Hadrumetum gelegene, derjenige der Schlacht
(vgl. Hermes 20, 1885, S. 144, 318). Die Zeit ist der Fruehling oder
Sommer des Jahres 552 (202); die Bestimmung des Tages auf den
19. Oktober wegen der angeblichen Sonnenfinsternis ist nichtig.
------------------------------------------------------ Nach diesem Tage
konnte auf karthagischer Seite nur der Unverstand zur Fortsetzung des
Krieges raten. Dagegen lag es in der Hand des roemischen Feldherrn,
sofort die Belagerung der Hauptstadt zu beginnen, die weder gedeckt
noch verproviantiert war, und, wenn nicht unberechenbare Zwischenfaelle
eintraten, das Schicksal, welches Hannibal ueber Rom hatte bringen
wollen, jetzt ueber Karthago walten zu lassen. Scipio hat es nicht
getan; er gewaehrte den Frieden (553 201), freilich nicht mehr auf die
frueheren Bedingungen. Ausser den Abtretungen, die schon bei den letzen
Verhandlungen fuer Rom wie fuer Massinissa gefordert worden waren, wurde
den Karthagern auf fuenfzig Jahre eine jaehrliche Kontribution von
200 Talenten (340000 Taler) aufgelegt und mussten sie sich anheischig
machen, nicht gegen Rom oder seine Verbuendeten und ueberhaupt
ausserhalb Afrika gar nicht, in Afrika ausserhalb ihres eigenen Gebietes
nur nach eingeholter Erlaubnis Roms Krieg zu fuehren; was tatsaechlich
darauf hinauslief, dass Karthago tributpflichtig ward und seine
politische Selbstaendigkeit verlor. Es scheint sogar, dass die Karthager
unter Umstaenden verpflichtet waren, Kriegsschiffe zu der roemischen
Flotte zu stellen. Man hat Scipio beschuldigt, dass er, um die Ehre der
Beendigung des schwersten Krieges, den Rom gefuehrt hat, nicht mit
dem Oberbefehl an einen Nachfolger abgeben zu muessen, dem Feinde zu
guenstige Bedingungen gewaehrte. Die Anklage moechte gegruendet sein,
wenn der erste Entwurf zustande gekommen waere; gegen den zweiten
scheint sie nicht gerechtfertigt. Weder standen in Rom die Verhaeltnisse
so, dass der Guenstling des Volkes nach dem Siege bei Zama die
Abberufung ernstlich zu fuerchten gehabt haette - war doch schon vor dem
Siege ein Versuch, ihn abzuloesen, vom Senat an die Buergerschaft und
von dieser entschieden zurueckgewiesen worden; noch rechtfertigen die
Bedingungen selbst diese Beschuldigung. Die Karthagerstadt hat, nachdem
ihr also die Haende gebunden und ein maechtiger Nachbar ihr zur Seite
gestellt war, nie auch nur einen Versuch gemacht, sich der roemischen
Suprematie zu entziehen, geschweige denn, mit Rom zu rivalisieren; es
wusste ueberdies jeder, der es wissen wollte, dass der soeben beendigte
Krieg viel mehr von Hannibal unternommen worden war als von Karthago
und dass der Riesenplan der Patriotenpartei sich schlechterdings nicht
erneuern liess. Es mochte den rachsuechtigen Italienern wenig duenken,
dass nur die fuenfhundert ausgelieferten Kriegsschiffe in Flammen
aufloderten und nicht auch die verhasste Stadt; Verbissenheit und
Dorfschulzenverstand mochten die Meinung verfechten, dass nur der
vernichtete Gegner wirklich besiegt sei, und den schelten, der das
Verbrechen, die Roemer zittern gemacht zu haben, verschmaeht hatte,
gruendlicher zu bestrafen. Scipio dachte anders und wir haben keinen
Grund und also kein Recht anzunehmen, dass in diesem Fall die gemeinen
Motive den Roemer bestimmten, und nicht die adligen und hochsinnigen,
die auch in seinem Charakter lagen. Nicht das Bedenken der etwaigen
Abberufung oder des moeglichen Glueckswechsels noch die allerdings nicht
fernliegende Besorgnis vor dem Ausbruch des Makedonischen Krieges
haben den sicheren und zuversichtlichen Mann, dem bisher noch
alles unbegreiflich gelungen war, abgehalten, die Exekution an der
ungluecklichen Stadt zu vollziehen, die fuenfzig Jahre spaeter seinem
Adoptivenkel aufgetragen wurde und die freilich wohl jetzt gleich schon
vollzogen werde konnte. Es ist viel wahrscheinlicher, dass die beiden
grossen Feldherren, bei denen jetzt auch die politische Entscheidung
stand, den Frieden wie er war boten und annahmen, um dort der
ungestuemen Rachsucht der Sieger, hier der Hartnaeckigkeit und dem
Unverstand der Ueberwundenen gerechte und verstaendige Schranken zu
setzen; der Seelenadel und die staatsmaennische Begabung der hohen
Gegner zeigt sich nicht minder in Hannibals grossartiger Fuegung in
das Unvermeidliche als in Scipios weisem Zuruecktreten von dem
Ueberfluessigen und Schmaehlichen des Sieges. Sollte er, der hochherzige
und freiblickende Mann, sich nicht gefragt haben, was es denn dem
Vaterlande nuetzte, nachdem die politische Macht der Karthagerstadt
vernichtet war, diesen uralten Sitz des Handels und Ackerbaus voellig
zu verderben und einen der Grundpfeiler der damaligen Zivilisation
frevelhaft niederzuwerfen? Die Zeit war noch nicht gekommen, wo die
ersten Maenner Roms sich hergaben zu Henkern der Zivilisation der
Nachbarn und die ewige Schande der Nation leichtfertig glaubten von
sich mit einer muessigen Traene abzuwaschen. So war der Zweite Punische
Krieg, oder wie die Roemer ihn richtiger nennen, der Hannibalische Krieg
beendigt, nachdem er siebzehn Jahre vom Hellespont bis zu den Saeulen
des Herkules die Inseln und Landschaften verheert hatte. Vor diesem
Krieg hatte Rom sein politisches Ziel nicht hoeher gesteckt als bis zu
der Beherrschung des Festlandes der italischen Halbinsel innerhalb ihrer
natuerlichen Grenzen und der italischen Inseln und Meere. Dass man den
Krieg auch beendigte mit dem Gedanken, nicht die Herrschaft ueber die
Staaten am Mittelmeer oder die sogenannte Weltmonarchie begruendet,
sondern einen gefaehrlichen Nebenbuhler unschaedlich gemacht und Italien
bequeme Nachbarn gegeben zu haben, wird durch die Behandlung Afrikas
beim Friedensschluss deutlich bewiesen. Es ist wohl richtig, dass andere
Ergebnisse des Krieges, namentlich die Eroberung von Spanien, diesem
Gedanken wenig entsprachen; aber die Erfolge fuehrten eben ueber die
eigentliche Absicht hinaus, und zu dem Besitz von Spanien sind die
Roemer in der Tat man moechte sagen zufaellig gelangt. Die Herrschaft
ueber Italien haben die Roemer errungen, weil sie sie erstrebt
haben; die Hegemonie und die daraus entwickelte Herrschaft ueber das
Mittelmeergebiet ist ihnen gewissermassen ohne ihre Absicht durch die
Verhaeltnisse zugeworfen worden. Die unmittelbaren Resultate des Krieges
waren ausserhalb Italien die Verwandlung Spaniens in eine roemische,
freilich in ewiger Auflehnung begriffene Doppelprovinz; die Vereinigung
des bis dahin abhaengigen syrakusanischen Reiches mit der roemischen
Provinz Sizilien; die Begruendung des roemischen statt des karthagischen
Patronats ueber die bedeutendsten numidischen Haeuptlinge; endlich die
Verwandlung Karthagos aus einem maechtigen Handelsstaat in eine wehrlose
Kaufstadt; mit einem Worte Roms unbestrittene Hegemonie ueber den
Westen des Mittelmeergebiets, in weiterer Entwicklung das notwendige
Ineinandergreifen des oestlichen und des westlichen Staatensystems, das
im Ersten Punischen Krieg sich nur erst angedeutet hatte, und damit das
demnaechst bevorstehende entscheidende Eingreifen Roms in die Konflikte
der alexandrischen Monarchien. In Italien wurde dadurch zunaechst das
Keltenvolk, wenn nicht schon vorher, doch jetzt sicher zum Untergang
bestimmt, und es war nur noch eine Zeitfrage, wann die Exekution
vollzogen werden wuerde. Innerhalb der roemischen Eidgenossenschaft
war die Folge des Krieges das schaerfere Hervortreten der herrschenden
latinischen Nation, deren inneren Zusammenhang die trotz einzelner
Schwankungen doch im ganzen in treuer Gemeinschaft ueberstandene Gefahr
geprueft und bewaehrt hatte, und die steigende Unterdrueckung der nicht
latinischen oder nicht latinisierten Italiker, namentlich der Etrusker
und der unteritalischen Sabeller. Am schwersten traf die Strafe oder
vielmehr die Rache teils den maechtigsten teils den zugleich ersten und
letzten Bundesgenossen Hannibals, die Gemeinde Capua und die Landschaft
der Brettier. Die capuanische Verfassung ward vernichtet und Capua aus
der zweiten Stadt in das erste Dorf Italiens umgewandelt; es war sogar
die Rede davon, die Stadt zu schleifen und dem Boden gleichzumachen. Den
gesamten Grund und Boden mit Ausnahme weniger Besitzungen Auswaertiger
oder roemisch gesinnter Kampaner erklaerte der Senat zur oeffentlichen
Domaene und gab ihn seitdem an kleine Leute parzellenweise in Zeitpacht.
Aehnlich wurden die Picenter am Silarus behandelt; ihre Hauptstadt wurde
geschleift und die Bewohner zerstreut in die umliegenden Doerfer. Der
Brettier Los war noch haerter; sie wurden in Masse gewissermassen zu
Leibeigenen der Roemer gemacht und fuer ewige Zeiten vom Waffenrecht
ausgeschlossen. Aber auch die uebrigen Verbuendeten Hannibals buessten
schwer, so die griechischen Staedte mit Ausnahme der wenigen, die
bestaendig zu Rom gehalten hatten, wie die kampanischen Griechen und die
Rheginer. Nicht viel weniger litten die Arpaner und eine Menge anderer
apulischer, lucanischer, samnitischer Gemeinden, die grossenteils
Stuecke ihrer Mark verloren. Auf einem Teile der also gewonnenen Aecker
wurden neue Kolonien angelegt; so im Jahre 560 (194) eine ganze Reihe
Buergerkolonien an den besten Haefen Unteritaliens, unter denen Sipontum
(bei Manfredonia) und Kroton zu nennen sind, ferner Salernum in dem
ehemaligen Gebiet der suedlichen Picenter und diesen zur Zwingburg
bestimmt, vor allem aber Puteoli, das bald der Sitz der vornehmen
Villeggiatur und des asiatisch-aegyptischen Luxushandels ward. Ferner
ward Thurii latinische Festung unter dem neuen Namen Copia (560 194),
ebenso die reiche brettische Stadt Vibo unter dem Namen Valentia (562
192). Auf anderen Grundstuecken in Samnium und Apulien wurden die
Veteranen der siegreichen Armee von Afrika einzeln angesiedelt; der
Rest blieb Gemeinland und die Weideplaetze der vornehmen Herren in Rom
ersetzten die Gaerten und Ackerfelder der Bauern. Es versteht sich,
dass ausserdem in allen Gemeinden der Halbinsel die namhaften, nicht
gut roemisch gesinnten Leute soweit beseitigt wurden, als dies durch
politische Prozesse und Gueterkonfiskationen durchzusetzen war. Ueberall
in Italien fuehlten die nichtlatinischen Bundesgenossen, dass ihr Name
eitel und dass sie fortan Untertanen Roms seien; die Besiegung
Hannibals ward als eine zweite Unterjochung Italiens empfunden und
alle Erbitterung wie aller Uebermut des Siegers vornehmlich an den
italischen, nichtlatinischen Bundesgenossen ausgelassen. Selbst die
farblose und wohlpolizierte roemische Komoedie dieser Zeit traegt davon
die Spuren; wenn die niedergeworfenen Staedte Capua und Atella dem
zuegellosen Witz der roemischen Posse polizeilich freigegeben und die
letztere geradezu deren Schildburg wurde, wenn andere Lustspieldichter
darueber spassten, dass in der todbringenden Luft, wo selbst die
ausdauerndste Rasse der Sklaven, das Syrervolk, verkomme, die
kampanische Sklavenschaft schon gelernt habe auszuhalten, so hallt aus
solchen gefuehllosen Spoettereien der Hohn der Sieger, freilich auch der
Jammerlaut der zertretenen Nationen wieder. Wie die Dinge standen, zeigt
die aengstliche Sorgfalt, womit waehrend des folgenden Makedonischen
Krieges die Bewachung Italiens vom Senat betrieben ward, und die
Verstaerkungen, die den wichtigsten Kolonien - so Venusia 554 (200),
Narnia 555 (199), Cosa 557 (197), Cales kurz vor 570 (184) - von Rom
aus zugesandt wurden. Welche Luecken Krieg und Hunger in die Reihen
der italischen Bevoelkerung gerissen hatten, zeigt das Beispiel der
roemischen Buergerschaft, deren Zahl waehrend des Krieges fast um
den vierten Teil geschwunden war; die Angabe der Gesamtzahl der im
Hannibalischen Krieg gefallenen Italiker auf 300000 Koepfe scheint
danach durchaus nicht uebertrieben. Natuerlich fiel dieser Verlust
vorwiegend auf den Kern der Buergerschaft, die ja auch den Kern wie
die Masse der Streiter stellte; wie furchtbar namentlich der Senat sich
lichtete, zeigt die Ergaenzung desselben nach der Schlacht bei Cannae,
wo derselbe auf 123 Koepfe geschwunden war und mit Muehe und Not durch
eine ausserordentliche Ernennung von 177 Senatoren wieder auf seinen
Normalstand gebracht ward. Dass endlich der siebzehnjaehrige Krieg, der
zugleich in allen Landschaften Italiens und nach allen vier Weltgegenden
im Ausland gefuehrt worden war, die Volkswirtschaft im tiefsten Grund
erschuettert haben muss, ist im allgemeinen klar; zur Ausfuehrung im
einzelnen reicht die Ueberlieferung nicht hin. Zwar der Staat gewann
durch die Konfiskationen, und namentlich das kampanische Gebiet blieb
seitdem eine unversiegliche Quelle der Staatsfinanzen; allein
durch diese Ausdehnung der Domaenenwirtschaft ging natuerlich der
Volkswohlstand um ebenso viel zurueck, als er in anderen Zeiten
gewonnen hatte durch die Zerschlagung der Staatslaendereien. Eine Menge
bluehender Ortschaften - man rechnet vierhundert - war vernichtet und
verderbt, das muehsam gesparte Kapital aufgezehrt, die Bevoelkerung
durch das Lagerleben demoralisiert, die alte gute Tradition
buergerlicher und baeuerlicher Sitte von der Hauptstadt an bis in das
letzte Dorf untergraben. Sklaven und verzweifelte Leute taten sich in
Raeuberbanden zusammen, von deren Gefaehrlichkeit es einen Begriff gibt,
dass in einem einzigen Jahre (569 185) allein in Apulien 7000 Menschen
wegen Strassenraubs verurteilt werden mussten; die sich ausdehnenden
Weiden mit den halb wilden Hirtensklaven beguenstigten diese heillose
Verwilderung des Landes. Der italische Ackerbau sah sich in seiner
Existenz bedroht durch das zuerst in diesem Kriege aufgestellte
Beispiel, dass das roemische Volk statt von selbst geerntetem auch von
sizilischem und aegyptischem Getreide ernaehrt werden koenne. Dennoch
durfte der Roemer, dem die Goetter beschieden hatten, das Ende dieses
Riesenkampfes zu erleben, stolz in die Vergangenheit und zuversichtlich
in die Zukunft blicken. Es war viel verschuldet, aber auch viel erduldet
worden; das Volk, dessen gesamte dienstfaehige Jugend fast zehn Jahre
hindurch Schild und Schwert nicht abgelegt hatte, durfte manches sich
verzeihen. Jenes wenn auch durch wechselseitige Befehdung unterhaltene,
doch im ganzen friedliche und freundliche Zusammenleben der
verschiedenen Nationen, wie es das Ziel der neueren Voelkerentwicklungen
zu sein scheint, ist dem Altertum fremd: damals galt es Amboss zu sein
oder Hammer; und in dem Wettkampf der Sieger war der Sieg den Roemern
geblieben. Ob man verstehen werde ihn zu benutzen, die latinische Nation
immer fester an Rom zu ketten, Italien allmaehlich zu latinisieren, die
Unterworfenen in den Provinzen als Untertanen zu beherrschen, nicht als
Knechte auszunutzen, die Verfassung zu reformieren, den schwankenden
Mittelstand neu zu befestigen und zu erweitern - das mochte mancher
fragen; wenn man es verstand, so durfte Italien gluecklichen Zeiten
entgegensehen, in denen der auf eigene Arbeit unter guenstigen
Verhaeltnissen gegruendete Wohlstand und die entschiedenste politische
Suprematie ueber die damalige zivilisierte Welt jedem Gliede des grossen
Ganzen ein gerechtes Selbstgefuehl, jedem Stolz ein wuerdiges Ziel,
jedem Talent eine offene Bahn geschaffen haben wuerden. Freilich wenn
nicht, nicht. Fuer den Augenblick aber schwiegen die bedenklichen
Stimmen und die trueben Besorgnisse, als von allen Seiten die
Krieger und Sieger in ihre Haeuser zurueckkehrten, als Dankfeste und
Lustbarkeiten, Geschenke an Soldaten und Buerger an der Tagesordnung
waren, die geloesten Gefangenen heimgesandt wurden aus Gallien, Afrika,
Griechenland und endlich der jugendliche Sieger im glaenzenden Zuge
durch die geschmueckten Strassen der Hauptstadt zog, um seine Palme
in dem Haus des Gottes niederzulegen, von dem, wie sich die Glaeubigen
zufluesterten, er zu Rat und Tat unmittelbar die Eingebungen empfangen
hatte. 7. Kapitel Der Westen vom Hannibalischen Frieden bis zum Ende der
dritten Periode In der Erstreckung der roemischen Herrschaft bis an die
Alpen- oder, wie man jetzt schon sagte, bis an die italische Grenze und
in der Ordnung und Kolonisierung der keltischen Landschaften war Rom
durch den Hannibalischen Krieg unterbrochen worden. Es verstand sich von
selbst, dass man jetzt da fortfahren wuerde, wo man aufgehoert hatte,
und die Kelten begriffen es wohl. Schon im Jahre des Friedensschlusses
mit Karthago (553 201) hatten im Gebiet der zunaechst bedrohten Boier
die Kaempfe wieder begonnen; und ein erster Erfolg, der ihnen gegen den
eilig aufgebotenen roemischen Landsturm gelang, sowie das Zureden
eines karthagischen Offiziers Hamilkar, der von Magos Expedition her in
Norditalien zurueckgeblieben war, veranlassten im folgenden Jahr (554
200) eine allgemeine Schilderhebung nicht bloss der beiden zunaechst
bedrohten Staemme, der Boier und Insubrer; auch die Ligurer trieb die
naeherrueckende Gefahr in die Waffen, und selbst die cenomanische Jugend
hoerte diesmal weniger auf die Stimme ihrer vorsichtigen Behoerden als
auf den Notruf der bedrohten Stammgenossen. Von "den beiden Riegeln
gegen die gallischen Zuege", Placentia und Cremona, ward der erste
niedergeworfen - von der placentinischen Einwohnerschaft retteten nicht
mehr als 2000 das Leben -, der zweite berannt. Eilig marschierten die
Legionen heran, um zu retten, was noch zu retten war. Vor Cremona kam
es zu einer grossen Schlacht. Die geschickte und kriegsmaessige Leistung
derselben von seiten des phoenikischen Fuehrers vermochte es nicht, die
Mangelhaftigkeit seiner Truppen zu ersetzen; dem Andrang der Legionen
hielten die Gallier nicht stand und unter den Toten, welche zahlreich
das Schlachtfeld bedeckten, war auch der karthagische Offizier. Indes
setzten die Kelten den Kampf fort; dasselbe roemische Heer, welches bei
Cremona gesiegt, wurde das naechste Jahr (555 199), hauptsaechlich durch
die Schuld des sorglosen Fuehrers, von den Insubrern fast aufgerieben
und erst 556 (198) konnte Placentia notduerftig wiederhergestellt
werden. Aber der Bund der zu dem Verzweiflungskampf vereinigten Kantone
ward in sich uneins; die Boier und die Insubrer gerieten in Zwist, und
die Cenomanen traten nicht bloss zurueck von dem Nationalbunde, sondern
erkauften sich auch Verzeihung von den Roemern durch schimpflichen
Verrat der Landsleute, indem sie waehrend einer Schlacht, die
die Insubrer den Roemern am Mincius lieferten, ihre Bundes- und
Kampfgenossen von hinten angriffen und aufreiben halfen (557 197). So
gedemuetigt und im Stich gelassen, bequemten sich die Insubrer nach
dem Fall von Comum gleichfalls zu einem Sonderfrieden (558 196). Die
Bedingungen, welche Rom den Cenomanen und Insubrern vorschrieb,
waren allerdings haerter, als sie den Gliedern der italischen
Eidgenossenschaft gewaehrt zu werden pflegten; namentlich vergass man
nicht, die Scheidewand zwischen Italikern und Kelten gesetzlich
zu befestigen und zu verordnen, dass nie ein Buerger dieser beiden
Keltenstaemme das roemische Buergerrecht solle gewinnen koennen. Indes
liess man diesen transpadanischen Keltendistrikten ihre Existenz und
ihre nationale Verfassung, so dass sie nicht Stadtgebiete, sondern
Voelkergaue bildeten, und legte ihnen auch wie es scheint keinen
Tribut auf; sie sollten den roemischen Ansiedlungen suedlich vom Po als
Bollwerk dienen und die nachrueckenden Nordlaender wie die raeuberischen
Alpenbewohner, welche regelmaessige Razzias in diese Gegenden zu
unternehmen pflegten, von Italien abhalten. Uebrigens griff auch in
diesen Landschaften die Latinisierung mit grosser Schnelligkeit um sich;
die keltische Nationalitaet vermochte offenbar bei weitem nicht den
Widerstand zu leisten wie die der zivilisierten Sabeller und Etrusker.
Der gefeierte lateinische Lustspieldichter Statius Caecilius, der im
Jahre 586 (168) starb, war ein freigelassener Insubrer; und Polybios,
der gegen Ausgang des sechsten Jahrhunderts diese Gegenden bereiste,
versichert, vielleicht nicht ohne eigene Uebertreibung, dass daselbst
nur noch wenige Doerfer unter den Alpen keltisch geblieben seien. Die
Veneter dagegen scheinen ihre Nationalitaet laenger behauptet zu haben.
Das hauptsaechliche Bestreben der Roemer war in diesen Landschaften
begreiflicherweise darauf gerichtet, dem Nachruecken der
transalpinischen Kelten zu steuern und die natuerliche Scheidewand der
Halbinsel und des inneren Kontinents auch zur politischen Grenze
zu machen. Dass die Furcht vor dem roemischen Namen schon zu den
naechstliegenden keltischen Kantonen jenseits der Alpen gedrungen war,
zeigt nicht bloss die vollstaendige Untaetigkeit, mit der dieselben der
Vernichtung oder Unterjochung ihrer diesseitigen Landsleute zusahen,
sondern mehr noch die offizielle Missbilligung und Desavouierung, welche
die transalpinischen Kantone - man wird zunaechst an die Helvetier
(zwischen dem Genfer See und dem Main) und an die Karner oder
Taurisker (in Kaernten und Steiermark) zu denken haben - gegen die
beschwerdefuehrenden roemischen Gesandten aussprachen ueber die Versuche
einzelner keltischer Haufen, sich diesseits der Alpen in friedlicher
Weise anzusiedeln, nicht minder die demuetige Art, in welcher
diese Auswandererhaufen selbst zuerst bei dem roemischen Senat um
Landanweisung bittend einkamen, alsdann aber dem strengen Gebot, ueber
die Alpen zurueckzugehen, ohne Widerrede sich fuegten (568 f., 575 186,
179) und die Stadt, die sie unweit des spaeteren Aquileia schon angelegt
hatten, wieder zerstoeren liessen. Mit weiser Strenge gestattete der
Senat keinerlei Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Alpentore fuer
die keltische Nation fortan geschlossen seien, und schritt mit
schweren Strafen gegen diejenigen roemischen Untertanen ein, die solche
Uebersiedlungsversuche von Italien aus veranlasst hatten. Ein Versuch
dieser Art, welcher auf einer bis dahin den Roemern wenig bekannten
Strasse im innersten Winkel des Adriatischen Meeres stattfand, mehr aber
noch, wie es scheint, der Plan Philipps von Makedonien, wie Hannibal von
Westen so seinerseits von Osten her in Italien einzufallen, veranlassten
die Gruendung einer Festung in dem aeussersten nordoestlichen Winkel
Italien, der noerdlichsten italischen Kolonie Aquileia (571-573
183-181), die nicht bloss diesen Weg den Fremden fuer immer zu verlegen,
sondern auch die fuer die dortige Schiffahrt vorzueglich bequem gelegene
Meeresbucht zu sichern und der immer noch nicht ganz ausgerotteten
Piraterie in diesen Gewaessern zu steuern bestimmt war. Die Anlage
Aquileias veranlasste einen Krieg gegen die Istrier (576, 577 178, 177),
der mit der Erstuermung einiger Kastelle und dem Fall des Koenigs Aepulo
schnell beendigt war und durch nichts merkwuerdig ist als durch den
panischen Schreck, den die Kunde von der Ueberrumpelung des roemischen
Lagers durch eine Handvoll Barbaren bei der Flotte und sodann in ganz
Italien hervorrief. Anders verfuhr man in der Landschaft diesseits des
Padus, die der roemische Senat beschlossen hatte Italien einzuverleiben.
Die Boier, die dies zunaechst traf, wehrten sich mit verzweifelter
Entschlossenheit. Es ward sogar der Padus von ihnen ueberschritten und
ein Versuch gemacht, die Insubrer wieder unter die Waffen zu bringen
(560 194); ein Konsul ward in seinem Lager von ihnen blockiert und wenig
fehlte, dass er unterlag; Placentia hielt sich muehsam gegen die ewigen
Angriffe der erbitterten Eingeborenen. Bei Mutina endlich ward die
letzte Schlacht geliefert; sie war lang und blutig, aber die Roemer
siegten (561 193), und seitdem war der Kampf kein Krieg mehr, sondern
eine Sklavenhetze. Die einzige Freistatt im boischen Gebiet war bald das
roemische Lager, in das der noch uebrige bessere Teil der Bevoelkerung
sich zu fluechten begann; die Sieger konnten nach Rom berichten, ohne
sehr zu uebertreiben, dass von der Nation der Boier nichts mehr uebrig
sei als Kinder und Greise. So freilich musste sie sich ergeben in das
Schicksal, das ihr bestimmt war. Die Roemer forderten Abtretung des
halben Gebiets (563 191); sie konnte nicht verweigert werden, aber auch
auf dem geschmaelerten Bezirk, der den Boiern blieb, verschwanden
sie bald und verschmolzen mit ihren Besiegern ^1.
--------------------------------------- ^1 Nach Strabons Bericht waeren
diese italischen Boier von den Roemern ueber die Alpen verstossen worden
und aus ihnen die boische Ansiedlung im heutigen Ungarn um Steinamanger
und Oedenburg hervorgegangen, welche in der augustischen Zeit von den
ueber die Donau gegangenen Geten angegriffen und vernichtet wurde,
dieser Landschaft aber den Namen der boischen Einoede hinterliess.
Dieser Bericht passt sehr wenig zu der wohlbeglaubigten Darstellung der
roemischen Jahrbuecher, nach der man sich roemischerseits begnuegte
mit der Abtretung des halben Gebietes; und um das Verschwinden der
italischen Boier zu erklaeren, bedarf es in der Tat der Annahme einer
gewaltsamen Vertreibung nicht - verschwinden doch auch die uebrigen
keltischen Voelkerschaften, obwohl von Krieg und Kolonisierung in weit
minderem Grade heimgesucht, nicht viel weniger rasch und vollstaendig
aus der Reihe der italischen Nationen. Anderseits fuehren andere
Berichte vielmehr darauf, jene Boier am Neusiedler See herzuleiten von
dem Hauptstock der Nation, der ehemals in Bayern und Boehmen sass, bis
deutsche Staemme ihn suedwaerts draengten. Ueberall aber ist es sehr
zweifelhaft, ob die Boier, die man bei Bordeaux, am Po, in Boehmen
findet, wirklich auseinandergesprengte Zweige eines Stammes sind und
nicht bloss eine Namensgleichheit obwaltet. Strabons Annahme duerfte
auf nichts anderem beruhen als auf einem Rueckschluss aus der
Namensgleichheit, wie die Alten ihn bei den Kimbern, Venetern und sonst
oft unueberlegt anwandten. ----------------------------------------
Nachdem die Roemer also sich reinen Boden geschaffen hatten, wurden die
Festungen Placentia und Cremona, deren Kolonisten die letzten unruhigen
Jahre grossenteils hingerafft oder zerstreut hatten, wieder organisiert
und neue Ansiedler dorthin gesandt; neu gegruendet wurden in und bei dem
ehemaligen senonischen Gebiet Potentia (bei Recanati unweit Ancona;
570 184) und Pisaurum (Pesaro; 570 184), ferner in der neu gewonnenen
boischen Landschaft die Festungen Bonoma (565 189), Mutina (571 183)
und Parma (571 183), von denen die Kolonie Mutina schon vor dem
Hannibalischen Krieg angelegt und nur der Abschluss der Gruendung durch
diesen unterbrochen worden war. Wie immer verband sich mit der Anlage
der Festungen auch die von Militaerchausseen. Es wurde die Flaminische
Strasse von ihrem noerdlichen Endpunkt Ariminum unter dem Namen der
Aemilischen bis Placentia verlaengert (567 187). Ferner ward die
Strasse von Rom nach Arretium oder die Cassische, die wohl schon laengst
Munizipalchaussee gewesen war, wahrscheinlich im Jahre 583 (171) von der
roemischen Gemeinde uebernommen und neu angelegt, schon 567 (187) aber
die Strecke von Arretium ueber den Apennin nach Bononia bis an die neue
Aemilische Strasse hergestellt, wodurch man eine kuerzere Verbindung
zwischen Rom und den Pofestungen erhielt. Durch diese durchgreifenden
Massnahmen wurde der Apennin als die Grenze des keltischen und des
italischen Gebiets tatsaechlich beseitigt und ersetzt durch den Po.
Diesseits des Po herrschte fortan wesentlich die italische Stadt-,
jenseits desselben wesentlich die keltische Gauverfassung, und es war
ein leerer Name, wenn auch jetzt noch das Gebiet zwischen Apennin und
Po zur keltischen Landschaft gerechnet ward. In dem nordwestlichen
italischen Gebirgsland, dessen Taeler und Huegel hauptsaechlich von dem
vielgeteilten ligurischen Stamm eingenommen waren, verfuhren die Roemer
in aehnlicher Weise. Was zunaechst nordwaerts vom Arno wohnte, ward
vertilgt. Es traf dies hauptsaechlich die Apuaner, die, auf dem Apennin
zwischen dem Arno und der Magra wohnend, einerseits das Gebiet von
Pisae, anderseits das von Bononia und Mutina unaufhoerlich pluenderten.
Was hier nicht dem Schwert der Roemer erlag, ward nach Unteritalien in
die Gegend von Benevent uebergesiedelt (574 180), und durch energische
Massregeln die ligurische Nation, weicher man noch im Jahre 578 (175)
die von ihr eroberte Kolonie Mutina wieder abnehmen musste, in
den Bergen, die das Potal von dem des Arno scheiden, vollstaendig
unterdrueckt. Die 577 (177) auf dem ehemals apuanischen Gebiet angelegte
Festung Luna unweit Spezzia deckte die Grenze gegen die Ligurer aehnlich
wie Aquileia gegen die Transalpiner und gab zugleich den Roemern einen
vortrefflichen Hafen, der seitdem fuer die Ueberfahrt nach Massalia
und nach Spanien die gewoehnliche Station ward. Die Chaussierung der
Kuesten- oder Aurelischen Strasse von Rom nach Luna und der von
Luca ueber Florenz nach Arretium gefuehrten Querstrasse zwischen der
Aurelischen und Cassischen gehoert wahrscheinlich in dieselbe Zeit.
Gegen die westlicheren ligurischen Staemme, die die genuesischen
Apenninen und die Seealpen innehatten, ruhten die Kaempfe nie. Es waren
unbequeme Nachbarn, die zu Lande und zur See zu pluendern pflegten;
die Pisaner und die Massalioten hatten von ihren Einfaellen und ihren
Korsarenschiffen nicht wenig zu leiden. Bleibende Ergebnisse wurden
indes bei den ewigen Fehden nicht gewonnen, vielleicht auch nicht
bezweckt; ausser dass man, wie es scheint, um mit dem transalpinischen
Gallien und Spanien neben der regelmaessigen See- auch eine
Landverbindung zu haben, bemueht war, die grosse Kuestenstrasse von Luna
ueber Massalia nach Emporiae wenigstens bis an die Alpen freizumachen
- jenseits der Alpen lag es dann den Massalioten ob, den roemischen
Schiffen die Kuestenfahrt und den Landreisenden die Uferstrasse offen
zu halten. Das Binnenland mit seinen unwegsamen Taelern und seinen
Felsennestern, mit seinen armen, aber gewandten und verschlagenen
Bewohnern diente den Roemern hauptsaechlich als Kriegsschule zur Uebung
und Abhaertung der Soldaten wie der Offiziere. Aehnliche sogenannte
Kriege wie gegen die Ligurer fuehrte man gegen die Korsen und mehr
noch gegen die Bewohner des inneren Sardinien, welche die gegen sie
gerichteten Raubzuege durch Ueberfaelle der Kuestenstriche vergalten.
Im Andenken geblieben ist die Expedition des Tiberius Gracchus gegen die
Sarden 577 (177) nicht so sehr, weil er der Provinz den "Frieden" gab,
sondern weil er bis 80000 der Insulaner erschlagen oder gefangen
zu haben behauptete und Sklaven von dort in solcher Masse nach Rom
schleppte, dass es Sprichwort ward: "spottwohlfeil wie ein Sarde". In
Afrika ging die roemische Politik wesentlich auf in dem einen, ebenso
kurzsichtigen wie engherzigen Gedanken, das Wiederaufkommen der
karthagischen Macht zu verhindern und deshalb die unglueckliche
Stadt bestaendig unter dem Druck und unter dem Damoklesschwert einer
roemischen Kriegserklaerung zu erhalten. Schon die Bestimmung des
Friedensvertrags, dass den Karthagern zwar ihr Gebiet ungeschmaelert
bleiben, aber ihrem Nachbarn Massinissa alle diejenigen Besitzungen
garantiert sein sollten, die er oder sein Vorweser innerhalb der
karthagischen Grenzen besessen haetten, sieht fast so aus, als waere
sie hineingesetzt, um Streitigkeiten nicht zu beseitigen, sondern zu
erwecken. Dasselbe gilt von der durch den roemischen Friedenstraktat
den Karthagern auferlegten Verpflichtung, nicht gegen roemische
Bundesgenossen Krieg zu fuehren, so dass nach dem Wortlaut des Vertrags
sie nicht einmal befugt waren, aus ihrem eigenen und unbestrittenen
Gebiet den numidischen Nachbarn zu vertreiben. Bei solchen Vertraegen
und bei der Unsicherheit der afrikanischen Grenzverhaeltnisse
ueberhaupt konnte Karthagos Lage gegenueber einem ebenso maechtigen wie
ruecksichtslosen Nachbarn einem Oberherrn, der zugleich Schiedsrichter
und Partei war, nicht anders als peinlich sein; aber die Wirklichkeit
war aerger als die aergsten Erwartungen. Schon 561 (193) sah Karthago
sich unter nichtigen Vorwaenden ueberfallen und den reichsten Teil
seines Gebiets, die Landschaft Emporiae an der Kleinen Syrte, teils von
den Numidiern gepluendert, teils sogar von ihnen in Besitz genommen.
So gingen die Uebergriffe bestaendig weiter; das platte Land kam in die
Haende der Numidier, und mit Muehe behaupteten die Karthager sich in den
groesseren Ortschaften. Bloss in den letzten zwei Jahren, erklaerten
die Karthager im Jahre 582 (172), seien ihnen wieder siebzig Doerfer
vertragswidrig entrissen worden. Botschaft ueber Botschaft ging nach
Rom; die Karthager beschworen den roemischen Senat, ihnen entweder zu
gestatten, sich mit den Waffen zu verteidigen, oder ein Schiedsgericht
mit Spruchgewalt zu bestellen, oder die Grenze neu zu regulieren, damit
sie wenigstens ein- fuer allemal erfuehren, wieviel sie einbuessen
sollten; besser sei es sonst, sie geradezu zu roemischen Untertanen
zumachen, als sie so allmaehlich den Libyern auszuliefern. Aber die
roemische Regierung, die schon 554 (200) ihrem Klienten geradezu
Gebietserweiterungen, natuerlich auf Kosten Karthagos, in Aussicht
gestellt hatte, schien wenig dagegen zuhaben, dass er die ihm bestimmte
Beute sich selber nahm; sie maessigte wohl zuweilen das allzugrosse
Ungestuem der Libyer, die ihren alten Peinigern jetzt das Erlittene
reichlich vergalten, aber im Grunde war ja eben dieser Quaelerei wegen
Massinissa von den Roemern Karthago zum Nachbar gesetzt worden. Alle
Bitten und Beschwerden hatten nur den Erfolg, dass entweder roemische
Kommissionen in Afrika erschienen, die nach gruendlicher Untersuchung zu
keiner Entscheidung kamen, oder bei den Verhandlungen in Rom Massinissas
Beauftragte Mangel an Instruktionen vorschuetzten und die Sache vertagt
ward. Nur phoenikische Geduld war imstande, sich in eine solche Lage
mit Ergebung zu schicken, ja dabei den Machthabern jeden Dienst und jede
Artigkeit, die sie begehrten und nicht begehrten, mit unermuedlicher
Beharrlichkeit zu erweisen und namentlich durch Kornsendungen um die
roemische Gunst zu buhlen. Indes war diese Fuegsamkeit der Besiegten
doch nicht bloss Geduld und Ergebung. Es gab noch in Karthago eine
Patriotenpartei und an ihrer Spitze stand der Mann, der, wo immer das
Schicksal ihn hinstellte, den Roemern furchtbar blieb. Sie hatte
es nicht aufgegeben, unter Benutzung der leicht vorauszusehenden
Verwicklungen zwischen Rom und den oestlichen Maechten noch einmal den
Kampf aufzunehmen und, nachdem der grossartige Plan Hamilkars und seiner
Soehne wesentlich an der karthagischen Oligarchie gescheitert war, fuer
diesen neuen Kampf vor allem das Vaterland innerlich zu erneuern. Die
bessernde Macht der Not und wohl auch Hannibals klarer, grossartiger
und der Menschen maechtiger Geist bewirkten politische und finanzielle
Reformen. Die Oligarchie, die durch Erhebung der Kriminaluntersuchung
gegen den grossen Feldherrn wegen absichtlich unterlassener
Einnahme Roms und Unterschlagung der italischen Beute das Mass ihrer
verbrecherischen Torheiten voll gemacht hatte - diese verfaulte
Oligarchie wurde auf Hannibals Antrag ueber den Haufen geworfen und
ein demokratisches Regiment eingefuehrt, wie es den Verhaeltnissen der
Buergerschaft angemessen war (vor 559 195). Die Finanzen wurden durch
Beitreibung der rueckstaendigen und unterschlagenen Gelder und durch
Einfuehrung einer besseren Kontrolle so schnell wieder geordnet, dass
die roemische Kontribution gezahlt werden konnte, ohne die Buerger
irgendwie mit ausserordentlichen Steuern zu belasten. Die roemische
Regierung, eben damals im Begriff, den bedenklichen Krieg mit dem
Grosskoenig von Asien zu beginnen, folgte diesen Vorgaengen mit
begreiflicher Besorgnis; es war keine eingebildete Gefahr, dass die
karthagische Flotte in Italien landen und ein zweiter Hannibalischer
Krieg dort sich entspinnen koenne, waehrend die roemischen Legionen in
Kleinasien fochten. Man kann darum die Roemer kaum tadeln, wenn sie
eine Gesandtschaft nach Karthago schickten (559 195), die vermutlich
beauftragt war, Hannibals Auslieferung zu fordern. Die grollenden
karthagischen Oligarchen, die Briefe ueber Briefe nach Rom sandten,
um den Mann, der sie gestuerzt, wegen geheimer Verbindungen mit den
antiroemisch gesinnten Maechten dem Landesfeind zu denunzieren, sind
veraechtlich, aber ihre Meldungen waren wahrscheinlich richtig; und
so wahr es auch ist, dass in jener Gesandtschaft ein demuetigendes
Eingestaendnis der Furcht des maechtigen Volkes vor dem einfachen
Schofeten von Karthago lag, so begreiflich und ehrenwert es ist,
dass der stolze Sieger von Zama im Senat Einspruch tat gegen diesen
erniedrigenden Schritt, so war doch jenes Eingestaendnis eben
nichts anderes als die schlichte Wahrheit, und Hannibal eine so
ausserordentliche Natur, dass nur roemische Gefuehlspolitiker ihn
laenger an der Spitze des karthagischen Staats dulden konnten. Die
eigentuemliche Anerkennung, die er bei der feindlichen Regierung fand,
kam ihm selbst schwerlich ueberraschend. Wie Hannibal und nicht Karthago
den letzten Krieg gefuehrt hatte, so hatte auch Hannibal das zu tragen,
was den Besiegten trifft. Die Karthager konnten nichts tun als sich
fuegen und ihrem Stern danken, dass Hannibal, durch seine rasche und
besonnene Flucht nach dem Orient die groessere Schande ihnen ersparend,
seiner Vaterstadt bloss die mindere liess, ihren groessten Buerger auf
ewige Zeiten aus der Heimat verbannt, sein Vermoegen eingezogen und sein
Haus geschleift zu haben. Das tiefsinnige Wort aber, dass diejenigen die
Lieblinge der Goetter sind, denen sie die unendlichen Freuden und die
unendlichen Leiden ganz verleihen, hat also an Hannibal in vollem Masse
sich bewaehrt. Schwerer als das Einschreiten gegen Hannibal laesst es
sich verantworten, dass die roemische Regierung nach dessen Entfernung
nicht aufhoerte, die Stadt zu beargwohnen und zu plagen. Zwar gaerten
dort die Parteien nach wie vor; allein nach der Entfernung des
ausserordentlichen Mannes, der fast die Geschicke der Welt gewendet
haette, bedeutete die Patriotenpartei nicht viel mehr in Karthago als
in Aetolien und in Achaia. Die verstaendigste Idee unter denen, welche
damals die unglueckliche Stadt bewegten, war ohne Zweifel die, sich
an Massinissa anzuschliessen und aus dem Draenger den Schutzherrn
der Phoeniker zu machen. Allein weder die nationale noch die libysch
gesinnte Faktion der Patrioten gelangte an das Ruder, sondern es blieb
das Regiment bei den roemisch gesinnten Oligarchen, welche, soweit sie
nicht ueberhaupt aller Gedanken an die Zukunft sich begaben, einzig
die Idee festhielten, die materielle Wohlfahrt und die Kommunalfreiheit
Karthagos unter dem Schutze Roms zu retten. Hierbei haette man in Rom
wohl sich beruhigen koennen. Allein weder die Menge noch selbst
die regierenden Herren vom gewoehnlichen Schlag vermochten sich der
gruendlichen Angst vom Hannibalischen Kriege her zu entschlagen; die
roemischen Kaufleute aber sahen mit neidischen Augen die Stadt auch
jetzt, wo ihre politische Macht dahin war, im Besitz einer ausgedehnten
Handelsklientel und eines festgegruendeten, durch nichts zu
erschuetternden Reichtums. Schon im Jahre 567 (187) erbot sich die
karthagische Regierung die saemtlichen im Frieden von 553 (201)
stipulierten Terminzahlungen sofort zu entrichten, was die Roemer, denen
an der Tributpflichtigkeit Karthagos weit mehr gelegen war als an den
Geldsummen selbst, begreiflicherweise ablehnten und daraus nur die
Ueberzeugung gewannen, dass aller angewandten Muehe ungeachtet die
Stadt nicht ruiniert und nicht zu ruinieren sei. Immer aufs neue liefen
Geruechte ueber die Umtriebe der treulosen Phoeniker durch Rom. Bald
hatte ein Emissaer Hannibals, Ariston von Tyros, sich in Karthago
blicken lassen, um die Buergerschaft auf die Landung einer asiatischen
Kriegsflotte vorzubereiten (561 193); bald hatte der Rat in geheimer
n„chtlicher Sitzung im Tempel des Heilgottes den Gesandten des Perseus
Audienz gegeben (581 173); bald sprach man von der gewaltigen Flotte,
die in Karthago fuer den Makedonischen Krieg geruestet werde (583 171).
Es ist nicht wahrscheinlich, dass diesen und aehnlichen Dingen mehr als
hoechstens die Unbesonnenheiten einzelner zugrunde lagen; immer
aber waren sie das Signal zu neuen diplomatischen Misshandlungen von
roemischer, zu neuen Uebergriffen von Massinissas Seite, und die Meinung
stellte immer mehr sich fest, je weniger Sinn und Verstand in ihr war,
dass ohne einen dritten punischen Krieg mit Karthago nicht fertig zu
werden sei. Waehrend also die Macht der Phoeniker in dem Lande ihrer
Wahl ebenso dahinsank wie sie laengst in ihrer Heimat erlegen war,
erwuchs neben ihnen ein neuer Staat. Seit unvordenklichen Zeiten wie
noch heutzutage ist das nordafrikanische Kuestenland bewohnt von dem
Volke, das sich selber Schilah oder Tamazigt heisst und welches die
Griechen und Roemer die Nomaden oder Numidier, das ist das Weidevolk,
die Araber Berber nennen, obwohl auch sie dieselben wohl als "Hirten"
(Schawie) bezeichnen, und das wir Berber oder Kabylen zu nennen gewohnt
sind. Dasselbe ist, soweit seine Sprache bis jetzt erforscht ist, keiner
anderen bekannten Nation verwandt. In der karthagischen Zeit hatten
diese Staemme mit Ausnahme der unmittelbar um Karthago oder unmittelbar
an der Kueste hausenden wohl im ganzen ihre Unabhaengigkeit behauptet,
aber auch bei ihrem Hirten- und Reiterleben, wie es noch jetzt die
Bewohner des Atlas fuehren, im wesentlichen beharrt, obwohl das
phoenikische Alphabet und ueberhaupt die phoenikische Zivilisation
ihnen nicht fremd blieb und es wohl vorkam, dass die Berberscheichs ihre
Soehne in Karthago erziehen liessen und mit phoenikischen Adelsfamilien
sich verschwaegerten. Die roemische Politik wollte unmittelbare
Besitzungen in Afrika nicht haben und zog es vor, einen Staat dort
grosszuziehen, der nicht genug bedeutete, um Roms Schutz entbehren zu
koennen und doch genug, um Karthagos Macht, nachdem dieselbe auf Afrika
beschraenkt war, auch hier niederzuhalten und der gequaelten Stadt jede
freie Bewegung unmoeglich zu machen. Was man suchte, fand man bei den
eingeborenen Fuersten. Um die Zeit des Hannibalischen Krieges standen
die nordafrikanischen Eingeborenen unter drei Oberkoenigen, deren jedem
nach dortiger Art eine Menge Fuersten gefolgspflichtig waren: dem Koenig
der Mauren, Bocchar, der, vom Atlantischen Meer bis zum Fluss Molochath
(jetzt Mluia an der marokkanisch-franzoesischen Grenze), dem Koenig
der Massaesyler, Syphax, der von da bis an das sogenannte Durchbohrte
Vorgebirge (Siebenkap zwischen Djidjeli und Bona) in den heutigen
Provinzen Oran und Algier, und dem Koenig der Massyler, Massinissa, der
von dem Durchbohrten Vorgebirge bis an die karthagische Grenze in der
heutigen Provinz Constantine gebot. Der maechtigste von diesen, der
Koenig von Siga, Syphax, war in dem letzten Krieg zwischen Rom und
Karthago ueberwunden und gefangen nach Italien abgefuehrt worden, wo er
in der Haft starb; sein weites Gebiet kam im wesentlichen an Massinissa
- der Sohn des Syphax, Vermina, obwohl er durch demuetiges Bitten von
den Roemern einen kleinen Teil des vaeterlichen Besitzes zurueckerlangte
(554 200), vermochte doch den aelteren roemischen Bundesgenossen nicht
um die Stellung des bevorzugten Draengens von Karthago zu bringen.
Massinissa ward der Gruender des Numidischen Reiches; und nicht oft
hat Wahl oder Zufall so den rechten Mann an die rechte Stelle gesetzt.
Koerperlich gesund und gelenkig bis in das hoechste Greisenalter,
maessig und nuechtern wie ein Araber, faehig, jede Strapaze zu
ertragen, vom Morgen bis zum Abend auf demselben Flecke zu stehen und
vierundzwanzig Stunden zu Pferde zu sitzen, in den abenteuerlichen
Glueckswechseln seiner Jugend wie auf den Schlachtfeldern Spaniens
als Soldat und als Feldherr gleich erprobt, und ebenso ein Meister der
schwereren Kunst, in seinem zahlreichen Hause Zucht und in seinem Lande
Ordnung zu erhalten, gleich bereit, sich dem maechtigen Beschuetzer
ruecksichtslos zu Fuessen zu werfen wie den schwaecheren Nachbar
ruecksichtslos unter die Fuesse zu treten und zu alledem mit den
Verhaeltnissen Karthagos, wo er erzogen und in den vornehmsten Haeusern
aus- und eingegangen war, ebenso genau bekannt wie von afrikanisch
bitterem Hasse gegen seine und seiner Nation Bedraengen erfuellt,
ward dieser merkwuerdige Mann die Seele des Aufschwungs seiner, wie es
schien, im Verkommen begriffenen Nation, deren Tugenden und Fehler in
ihm gleichsam verkoerpert erschienen. Das Glueck beguenstigte ihn wie
in allem so auch darin, dass es ihm zu seinem Werke die Zeit liess.
Er starb im neunzigsten Jahr seines Lebens (516-605 238-149), im
sechzigsten seiner Regierung, bis an sein Lebensende im vollen Besitz
seiner koerperlichen und geistigen Kraefte, und hinterliess einen
einjaehrigen Sohn und den Ruf, der staerkste Mann und der beste und
gluecklichste Koenig seiner Zeit gewesen zu sein. Es ist schon erzaehlt
worden, mit welcher berechneten Deutlichkeit die Roemer in ihrer
Oberleitung der afrikanischen Angelegenheiten ihre Parteinahme fuer
Massinissa hervortreten liessen, und wie dieser die stillschweigende
Erlaubnis, auf Kosten Karthagos sein Gebiet zu vergroessern, eifrig und
stetig benutzte. Das ganze Binnenland bis an den Wuestensaum fiel dem
einheimischen Herrscher gleichsam von selber zu, und selbst das obere
Tal des Bagradas (Medscherda) mit der reichen Stadt Vaga ward dem Koenig
untertan; aber auch an der Kueste oestlich von Karthago besetzte er die
alte Sidonierstadt Gross-Leptis und andere Strecken, so dass sein Reich
sich von der mauretanischen bis zur kyrenaeischen Grenze erstreckte, das
karthagische Gebiet zu Lande von allen Seiten umfasste und ueberall in
naechster Naehe auf die Phoeniker drueckte. Es leidet keinen Zweifel,
dass er in Karthago seine kuenftige Hauptstadt sah; die libysche Partei
daselbst ist bezeichnend. Aber nicht allein durch die Schmaelerung des
Gebiets geschah Karthagos Eintrag. Die schweifenden Hirten wurden durch
ihren grossen Koenig ein anderes Volk. Nach dem Beispiel des Koenigs,
der weithin die Felder urbar machte und jedem seiner Soehne bedeutende
Ackergueter hinterliess, fingen auch seine Untertanen an, sich ansaessig
zu machen und Ackerbau zu treiben. Wie seine Hirten in Buerger,
verwandelte er seine Plunderhorden in Soldaten, die von Rom neben
den Legionen zu fechten gewuerdigt wurden, und hinterliess seinen
Nachfolgern eine reich gefuellte Schatzkammer, ein wohldiszipliniertes
Heer und sogar eine Flotte. Seine Residenz Cirta (Constantine) ward
die lebhafte Hauptstadt eines maechtigen Staates und ein Hauptsitz der
phoenikischen Zivilisation, die an dem Hofe des Berberkoenigs eifrige
und wohl auch auf das kuenftige karthagisch-numidische Reich berechnete
Pflege fand. Die bisher unterdrueckte libysche Nationalitaet hob sich
dadurch in ihren eigenen Augen, und selbst in die altphoenikischen
Staedte, wie Gross-Leptis, drang einheimische Sitte und Sprache ein.
Der Berber fing an, unter der Aegide Roms sich dem Phoeniker gleich,
ja ueberlegen zu fuehlen; die karthagischen Gesandten mussten in Rom
es hoeren, dass sie in Afrika Fremdlinge seien und das Land den Libyern
gehoere. Die selbst in der nivellierenden Kaiserzeit noch lebensfaehig
und kraeftig dastehende phoenikisch-nationale Zivilisation Nordafrikas
ist bei weitem weniger das Werk der Karthager als das des Massinissa.
In Spanien fuegten die griechischen und phoenikischen Staedte an der
Kueste, wie Emporiae, Saguntum, Neukarthago, Malaca, Gades, sich um
so bereitwilliger der roemischen Herrschaft, als sie sich selber
ueberlassen, kaum imstande gewesen waeren, sich gegen die Eingeborenen
zu schuetzen; wie aus gleichen Gruenden Massalia, obwohl bei weitem
bedeutender und wehrhafter als jene Staedte, es doch nicht versaeumte,
durch engen Anschluss an die Roemer, denen Massalia wieder als
Zwischenstation zwischen Italien und Spanien vielfach nuetzlich wurde,
sich einen maechtigen Rueckhalt zu sichern. Die Eingeborenen dagegen
machten den Roemern unsaeglich zu schaffen. Zwar fehlte es keineswegs
an Ansaetzen zu einer national-iberischen Zivilisation, von deren
Eigentuemlichkeit freilich es uns nicht wohl moeglich ist, eine
deutliche Vorstellung zu gewinnen. Wir finden bei den Iberern eine
weitverbreitete nationale Schrift, die sich in zwei Hauptarten, die des
Ebrotals und die andalusische, und jede von diesen vermutlich wieder in
mannigfache Verzweigungen spaltet und deren Ursprung in sehr fruehe Zeit
hinaufzureichen und eher auf das altgriechische als auf das phoenikische
Alphabet zurueckzugehen scheint. Von den Turdetanern (um Sevilla) ist
sogar ueberliefert, dass sie Lieder aus uralter Zeit, ein metrisches
Gesetzbuch von 6000 Verszeilen, ja sogar geschichtliche Aufzeichnungen
besassen; allerdings wird diese Voelkerschaft die zivilisierteste unter
allen spanischen genannt und zugleich die am wenigsten kriegerische, wie
sie denn auch ihre Kriege regelmaessig mit fremden Soeldnern fuehrte.
Auf dieselbe Gegend werden wohl auch Polybios' Schilderungen zu beziehen
sein von dem bluehenden Stand des Ackerbaus und der Viehzucht in
Spanien, weshalb bei dem Mangel an Ausfuhrgelegenheit Korn und
Fleisch dort um Spottpreise zu haben war, und von den praechtigen
Koenigspalaesten mit den goldenen und silbernen Kruegen voll
"Gerstenwein". Auch die Kulturelemente, die die Roemer mitbrachten,
fasste wenigstens ein Teil der Spanier eifrig auf, so dass frueher
als irgendwo sonst in den ueberseeischen Provinzen sich in Spanien die
Latinisierung vorbereitete. So kam zum Beispiel schon in dieser
Epoche der Gebrauch der warmen Baeder nach italischer Weise bei den
Eingeborenen auf. Auch das roemische Geld ist allem Anschein nach weit
frueher als irgendwo sonst ausserhalb Italien in Spanien nicht bloss
gangbar, sondern auch nachgemuenzt worden; was durch die reichen
Silberbergwerke des Landes einigermassen begreiflich wird. Das
sogenannte "Silber von Osca" (jetzt Huesca in Aragonien), das heisst
spanische Denare mit iberischen Aufschriften, wird schon 559 (195)
erwaehnt, und viel spaeter kann der Anfang der Praegung schon deshalb
nicht gesetzt werden, weil das Gepraege dem der aeltesten roemischen
Denare nachgeahmt ist. Allein mochte auch in den suedlichen und
oestlichen Landschaften die Gesittung der Eingeborenen der roemischen
Zivilisation und der roemischen Herrschaft soweit vorgearbeitet haben,
dass diese dort nirgend auf ernstliche Schwierigkeiten stiessen, so
war dagegen der Westen und Norden und das ganze Binnenland besetzt von
zahlreichen, mehr oder minder rohen Voelkerschaften, die von keinerlei
Zivilisation viel wussten - in Intercatia zum Beispiel war noch um
600 (154) der Gebrauch des Goldes und Silbers unbekannt - und
sich ebensowenig untereinander wie mit den Roemern vertrugen.
Charakteristisch ist fuer diese freien Spanier der ritterliche Sinn der
Maenner und wenigstens ebenso sehr der Frauen. Wenn die Mutter den Sohn
in die Schlacht entliess, begeisterte sie ihn durch die Erzaehlung von
den Taten seiner Ahnen, und dem tapfersten Mann reichte die schoenste
Jungfrau unaufgefordert als Braut die Hand. Zweikaempfe waren
gewoehnlich, sowohl um den Preis der Tapferkeit wie zur Ausmachung von
Rechtshaendeln - selbst Erbstreitigkeiten zwischen fuerstlichen Vettern
wurden auf diesem Wege erledigt. Es kam auch nicht selten vor, dass ein
bekannter Krieger vor die feindlichen Reihen trat und sich einen Gegner
bei Namen herausforderte; der Besiegte uebergab dann dem Gegner Mantel
und Schwert und machte auch wohl noch mit ihm Gastfreundschaft. Zwanzig
Jahre nach dem Ende des Hannibalischen Krieges sandte die kleine
keltiberische Gemeinde von Complega (in der Gegend der Tajoquellen) dem
roemischen Feldherrn Botschaft zu, dass er ihnen fuer jeden gefallenen
Mann ein Pferd, einen Mantel und ein Schwert senden moege, sonst werde
es ihm uebel ergehen. Stolz auf ihre Waffenehre, so dass sie haeufig
es nicht ertrugen, die Schmach der Entwaffnung zu ueberleben, waren die
Spanier dennoch geneigt, jedem Werber zu folgen und fuer jeden fremden
Span ihr Leben einzusetzen - bezeichnend ist die Botschaft, die ein der
Landessitte wohl kundiger roemischer Feldherr einem keltiberischen,
im Solde der Turdetaner gegen die Roemer fechtenden Schwarm zusandte:
entweder nach Hause zu kehren, oder fuer doppelten Sold in roemische
Dienste zu treten, oder Tag und Ort zur Schlacht zu bestimmen. Zeigte
sich kein Werbeoffizier, so trat man auch wohl auf eigene Hand
zu Freischaren zusammen, um die friedlicheren Landschaften zu
brandschatzen, ja sogar die Staedte einzunehmen und zu besetzen, ganz
in kampanischer Weise. Wie wild und unsicher das Binnenland war, davon
zeugt zum Beispiel, dass die Internierung westlich von Cartagena bei den
Roemern als schwere Strafe galt, und dass in einigermassen aufgeregten
Zeiten die roemischen Kommandanten des jenseitigen Spaniens Eskorten
bis zu 6000 Mann mit sich nahmen. Deutlicher noch zeigt es der seltsame
Verkehr, den in der griechisch-spanischen Doppelstadt Emporiae an
der oestlichen Spitze der Pyrenaeen die Griechen mit ihren spanischen
Nachbarn pflogen. Die griechischen Ansiedler, die auf der Spitze der
Halbinsel, von dem spanischen Stadtteil durch eine Mauer getrennt
wohnten, liessen diese jede Nacht durch den dritten Teil ihrer
Buergerwehr besetzen und an dem einzigen Tor einen hoeheren Beamten
bestaendig die Wache versehen; kein Spanier durfte die griechische Stadt
betreten und die Griechen brachten den Eingeborenen die Waren nur zu in
starken und wohleskortierten Abteilungen. Diese Eingeborenen voll Unruhe
und Kriegslust, voll von dem Geiste des Cid wie des Don Quixote sollten
denn nun von den Roemern gebaendigt und womoeglich gesittigt werden.
Militaerisch war die Aufgabe nicht schwer. Zwar bewiesen die Spanier
nicht bloss hinter den Mauern ihrer Staedte oder unter Hannibals
Fuehrung, sondern selbst allein und in offener Feldschlacht sich als
nicht veraechtliche Gegner; mit ihrem kurzen zweischneidigen Schwert,
welches spaeter die Roemer von ihnen annahmen, und ihren gefuerchteten
Sturmkolonnen brachten sie nicht selten selbst die roemischen Legionen
zum Wanken. Haetten sie es vermocht, sich militaerisch zu disziplinieren
und politisch zusammenzuschliessen, so haetten sie vielleicht der
aufgedrungenen Fremdherrschaft sich entledigen koennen; aber ihre
Tapferkeit war mehr die des Guerillas als des Soldaten und es mangelte
ihr voellig der politische Verstand. So kam es in Spanien zu keinem
ernsten Krieg, aber ebensowenig zu einem ernstlichen Frieden; die
Spanier haben sich, wie Caesar spaeter ganz richtig ihnen vorhielt,
nie im Frieden ruhig und nie im Kriege tapfer erwiesen. So leicht der
roemische Feldherr mit den Insurgentenhaufen fertig ward, so schwer war
es dem roemischen Staatsmanne, ein geeignetes Mittel zu bezeichnen, um
Spanien wirklich zu beruhigen und zu zivilisieren: in der Tat konnte
er, da das einzige wirklich genuegende, eine umfassende latinische
Kolonisierung, dem allgemeinen Ziel der roemischen Politik dieser Epoche
zuwiderlief, hier nur mit Palliativen verfahren. Das Gebiet, welches die
Roemer im Laufe des Hannibalischen Krieges in Spanien erwarben, zerfiel
von Haus aus in zwei Massen; die ehemals karthagische Provinz, die
zunaechst die heutigen Landschaften Andalusien, Granada, Murcia und
Valencia umfasste, und die Ebrolandschaft oder das heutige Aragonien und
Katalonien, das Standquartier des roemischen Heeres waehrend des letzten
Krieges; aus welchen Gebieten die beiden roemischen Provinzen des Jen-
und Diesseitigen Spaniens hervorgingen. Das Binnenland, ungefaehr
den beiden Kastilien entsprechend, das die Roemer unter dem Namen
Keltiberien zusammenfassten, suchte man allmaehlich unter roemische
Botmaessigkeit zu bringen, waehrend man die Bewohner der westlichen
Landschaften, namentlich die Lusitaner im heutigen Portugal und
dem spanischen Estremadura, von Einfaellen in das roemische Gebiet
abzuhalten sich begnuegte und mit den Staemmen an der Nordkueste, den
Callaekern, Asturern und Kantabrern ueberhaupt noch gar nicht sich
beruehrte. Die Behauptung und Befestigung der gewonnenen Erfolge war
indes nicht durchzufuehren ohne eine stehende Besatzung, indem dem
Vorsteher des diesseitigen Spaniens namentlich die Baendigung der
Keltiberer und dem des jenseitigen die Zurueckweisung der Lusitaner
jaehrlich zu schaffen machten. Es ward somit noetig, in Spanien ein
roemisches Heer von vier starken Legionen oder etwa 40000 Mann Jahr
aus Jahr ein auf den Beinen zu halten; wobei dennoch sehr haeufig zur
Verstaerkung der Truppen in den von Rom besetzten Landschaften der
Landsturm aufgeboten werden musste. Es war dies in doppelter Weise von
grosser Wichtigkeit, indem hier zuerst, wenigstens zuerst in
groesserem Umfang, die militaerische Besetzung des Landes bleibend
und infolgedessen auch der Dienst anfaengt dauernd zu werden. Die alte
roemische Weise, nur dahin Truppen zu senden, wohin das augenblickliche
Kriegsbeduerfnis sie rief, und ausser in sehr schweren und wichtigen
Kriegen die einberufenen Leute nicht ueber ein Jahr bei der Fahne zu
halten, erwies sich als unvertraeglich mit der Behauptung der unruhigen,
fernen und ueberseeischen spanischen Aemter; es war schlechterdings
unmoeglich, die Truppen von da wegzuziehen, und sehr gefaehrlich,
sie auch nur in Masse abzuloesen. Die roemische Buergerschaft fing an
innezuwerden, dass die Herrschaft ueber ein fremdes Volk nicht bloss
fuer den Knecht eine Plage ist, sondern auch fuer den Herrn, und murrte
laut ueber den verhassten spanischen Kriegsdienst. Waehrend die neuen
Feldherren mit gutem Grund sich weigerten, die Gesamtabloesung der
bestehenden Korps zu gestatten, meuterten diese und drohten, wenn man
ihnen den Abschied nicht gebe, ihn sich selber zu nehmen. Den Kriegen
selbst, die in Spanien von den Roemern gefuehrt wurden, kommt nur eine
untergeordnete Bedeutung zu. Sie begannen schon mit Scipios Abreise und
waehrten, solange der Hannibalische Krieg dauerte. Nach dem Frieden mit
Karthago (553 201) ruhten auch auf der Halbinsel die Waffen, jedoch
nur auf kurze Zeit. Im Jahre 557 (197) brach in beiden Provinzen eine
allgemeine Insurrektion aus; der Befehlshaber der Jenseitigen ward
hart gedraengt, der der Diesseitigen voellig ueberwunden und selber
erschlagen. Es ward noetig, den Krieg mit Ernst anzugreifen, und obwohl
inzwischen der tuechtige Praetor Quintus Minucius ueber die erste Gefahr
Herr geworden war, beschloss doch der Senat im Jahre 559 (195), den
Konsul Marcus Cato selbst nach Spanien zu senden. Er fand auch in der
Tat bei der Landung in Emporiae das ganze Diesseitige Spanien von den
Insurgenten ueberschwemmt; kaum dass diese Hafenstadt und im inneren
Land ein paar Burgen noch fuer Rom behauptet wurden. Es kam zur offenen
Feldschlacht zwischen den Insurgenten und dem konsularischen Heer, in
der nach hartem Kampf Mann gegen Mann endlich die roemische Kriegskunst
mit der gesparten Reserve den Tag entschied. Das ganze Diesseitige
Spanien sandte darauf seine Unterwerfung ein; indes es war mit derselben
so wenig ernstlich gemeint, dass auf das Geruecht von der Heimkehr
des Konsuls nach Rom sofort der Aufstand abermals begann. Allein das
Geruecht war falsch, und nachdem Cato die Gemeinden, die zum zweitenmal
sich aufgelehnt hatten, schnell bezwungen und in Masse in die Sklaverei
verkauft hatte, ordnete er eine allgemeine Entwaffnung der Spanier in
der diesseitigen Provinz an und erliess an die saemtlichen Staedte der
Eingeborenen von den Pyrenaeen bis zum Guadalquivir den Befehl, ihre
Mauern an einem und demselben Tage niederzureissen. Niemand wusste,
wie weit das Gebot sich erstreckte, und es war keine Zeit sich zu
verstaendigen; die meisten Gemeinden gehorchten und auch von den wenigen
widerspenstigen wagten es nicht viele, als das roemische Heer demnaechst
vor ihren Mauern erschien, es auf den Sturm ankommen zu lassen. Diese
energischen Massregeln waren allerdings nicht ohne nachhaltigen Erfolg.
Allein nichtsdestoweniger hatte man fast jaehrlich in der "friedlichen
Provinz" ein Gebirgstal oder ein Bergkastell zum Gehorsam zu bringen,
und die stetigen Einfaelle der Lusitaner in die jenseitige Provinz
fuehrten gelegentlich zu derben Niederlagen der Roemer; wie zum Beispiel
563 (191) ein roemisches Heer nach starkem Verlust sein Lager im Stich
lassen und in Eilmaerschen in die ruhigeren Landschaften zurueckkehren
musste. Erst ein Sieg, den der Praetor Lucius Aemilius Paullus 565 (189)
^2, und ein zweiter noch bedeutenderer, den der tapfere Praetor Gaius
Calpurnius jenseits des Tagus 569 (185) ueber die Lusitaner erfocht,
schafften auf einige Zeit Ruhe. Im diesseitigen Spanien ward die bis
dahin fast nominelle Herrschaft der Roemer ueber die keltiberischen
Voelkerschaften fester begruendet durch Quintus Fulvius Flaccus, der
nach einem grossen Siege ueber dieselben 573 (181) wenigstens die
naechstliegenden Kantone zur Unterwerfung zwang, und besonders durch
seinen Nachfolger Tiberius Gracchus (575, 576 179, 178), welcher
mehr noch als durch die Waffen, mit denen er dreihundert spanische
Ortschaften sich unterwarf, durch sein geschicktes Eingehen auf die
Weise der schlichten und stolzen Nation dauernde Erfolge erreichte.
Indem er angesehene Keltiberer bestimmte, im roemischen Heer Dienste zu
nehmen, schuf er sich eine Klientel; indem er den schweifenden Leuten
Land anwies und sie in Staedten zusammenzog - die spanische Stadt
Graccurris bewahrte des Roemers Namen -, ward dem Freibeuterwesen
ernstlich gesteuert; indem er die Verhaeltnisse der einzelnen
Voelkerschaften zu den Roemern durch gerechte und weise Vertraege
regelte, verstopfte er soweit moeglich die Quelle kuenftiger
Empoerungen. Sein Name blieb bei den Spaniern in gesegnetem Andenken,
und es trat in dem Lande seitdem, wenn auch die Keltiberer noch
manches Mal unter dem Joch zuckten, doch vergleichungsweise Ruhe ein.
----------------------------------------- ^2 Von diesem Statthalter
ist kuerzlich das folgende Dekret auf einer in der Naehe von Gibraltar
aufgefundenen, jetzt im Pariser Museum aufbewahrten Kupfertafel zum
Vorschein gekommen: "L. Aimilius, des Lucius Sohn, Imperator, hat
verfuegt, dass die in dem Turm von Laskuta [durch Muenzen und Plin. 3,
1, 15 bekannt, aber ungewisser Lage] wohnhaften Sklaven der Hastenser
[Hasta regia, unweit Jerez de la Frontera] frei sein sollen. Den Boden
und die Ortschaft, die sie zur Zeit besitzen, sollen sie auch ferner
besitzen und haben, so lange es dem Volk und dem Rat der Roemer belieben
wird. Verhandelt im Lager am 12. Januar [564 oder 565 der Stadt]. "
(L. Aimilius L. f. inpeirator decreivit, utei quei Hastensium seruei in
turri Lascutana habitarent, leiberei essent. Agrum oppidumqu[eJ, quod
ea tempestate posedisent, item possidere habereque iousit, dum poplus
senatusque Romanus vellet. Act. in castreis a. d. XII k. Febr.) Es ist
dies die aelteste roemische Urkunde, die wir im Original besitzen, drei
Jahre frueher abgefasst als der bekannte Erlass der Konsuln des
Jahres 568 (186) in der Bacchanalienangelegenheit.
--------------------------------------- Das Verwaltungssystem der beiden
spanischen Provinzen war dem sizilisch- sardinischen aehnlich, aber
nicht gleich. Die Oberverwaltung ward wie hier so dort in die Haende
zweier Nebenkonsuln gelegt, die zuerst im Jahr 557 (197) ernannt
wurden, in welches Jahr auch die Grenzregulierung und die definitive
Organisierung der neuen Provinzen faellt. Die verstaendige Anordnung des
Baebischen Gesetzes (573 181), dass die spanischen Praetoren immer auf
zwei Jahre ernannt werden sollten, kam infolge des steigenden
Zudrangs zu den hoechsten Beamtenstellen und mehr noch infolge der
eifersuechtigen Ueberwachung der Beamtengewalt durch den Senat
nicht ernstlich zur Ausfuehrung, und es blieb, soweit nicht in
ausserordentlichem Wege Abweichungen eintraten, auch hier bei dem
fuer diese entfernten und schwer kennenzulernenden Provinzen besonders
unvernuenftigen jaehrlichen Wechsel der roemischen Statthalter. Die
abhaengigen Gemeinden wurden durchgaengig zinspflichtig; allein statt
der sizilischen und sardinischen Zehnten und Zoelle wurden in Spanien
vielmehr von den Roemern, eben wie frueher hier von den Karthagern, den
einzelnen Staedten und Staemmen feste Abgaben an Geld oder sonstigen
Leistungen auferlegt, welche auf militaerischere Wege beizutreiben der
Senat infolge der Beschwerdefuehrung der spanischen Gemeinden im Jahr
583 (171) untersagte. Getreidelieferungen wurden hier nicht anders als
gegen Entschaedigung geleistet, und auch hierbei durfte der Statthalter
nicht mehr als das zwanzigste Korn erheben und ueberdies gemaess der
eben erwaehnten Vorschrift der Oberbehoerde den Taxpreis nicht einseitig
feststellen. Dagegen hatte die Verpflichtung der spanischen Untertanen,
zu den roemischen Heeren Zuzug zu leisten, hier eine ganz andere
Wichtigkeit als wenigstens in dem friedlichen Sizilien, und es ward
dieselbe auch in den einzelnen Vertraegen genau geordnet. Auch das
Recht der Praegung von Silbermuenzen roemischer Waehrung scheint den
spanischen Staedten sehr haeufig zugestanden und das Muenzmonopol hier
keineswegs so wie in Sizilien von der roemischen Regierung in Anspruch
genommen worden zu sein. Ueberall bedurfte man in Spanien zu sehr
der Untertanen, um hier nicht die Provinzialverfassung in moeglichst
schonender Weise einzufuehren und zu handhaben. Zu den besonders von Rom
beguenstigten Gemeinden zaehlten namentlich die grossen Kuestenplaetze
griechischer, phoenikischer oder roemischer Gruendung, wie Saguntum,
Gades, Tarraco, die als die natuerlichen Pfeiler der roemischen
Herrschaft auf der Halbinsel zum Buendnis mit Rom zugelassen wurden. Im
ganzen war Spanien fuer die roemische Gemeinde militaerisch sowohl wie
finanziell mehr eine Last als ein Gewinn; und die Frage liegt nahe,
weshalb die roemische Regierung, in deren damaliger Politik der
ueberseeische Laendererwerb offenbar noch nicht lag, sich dieser
beschwerlichen Besitzungen nicht entledigt hat. Die nicht unbedeutenden
Handelsverbindungen, die wichtigen Eisen- und die noch wichtigeren,
selbst im fernen Orient seit alter Zeit beruehmten Silbergruben ^3,
welche Rom wie Karthago fuer sich nahm und deren Bewirtschaftung
namentlich Marcus Cato regulierte (559 195), werden dabei ohne Zweifel
mitbestimmend gewesen sein; allein die Hauptursache, weshalb man die
Halbinsel in unmittelbarem Besitz behielt, war die, dass es dort an
Staaten mangelte, wie im Keltenland die massaliotische Republik, in
Libyen das numidische Koenigreich waren, und dass man Spanien nicht
loslassen konnte, ohne die Erneuerung des spanischen Koenigreichs
der Barleiden jedem unternehmenden Kriegsmann freizugeben.
------------------------------------------------- ^3 1. Makk. 8, 3: "Und
Judas hoerte, was die Roemer getan hatten im Lande Hispanien, um
Herren zu werden der Silber- und Goldgruben daselbst."
------------------------------------------------- 8. Kapitel Die
oestlichen Staaten und der Zweite Makedonische Krieg Das Werk, welches
Koenig Alexander von Makedonien begonnen hatte, ein Jahrhundert zuvor,
ehe die Roemer in dem Gebiet, das er sein genannt, den ersten Fussbreit
Landes gewonnen, dies Werk hatte im Verlauf der Zeit, bei wesentlicher
Festhaltung des grossen Grundgedankens, den Orient zu hellenisieren,
sich veraendert und erweitert zu dem Aufbau eines hellenisch-asiatischen
Staatensystems. Die unbezwingliche Wander- und Siedellust der
griechischen Nation, die einst ihre Handelsleute nach Massalia und
Kyrene, an den Nil und in das Schwarze Meer gefuehrt hatte, hielt jetzt
fest, was der Koenig gewonnen hatte, und ueberall in dem alten Reich
der Achaemeniden liess unter dem Schutz der Sarissen griechische
Zivilisation sich friedlich nieder. Die Offiziere, die den grossen
Feldherrn beerbten, vertrugen allmaehlich sich untereinander und es
stellte ein Gleichgewichtssystem sich her, dessen Schwankungen selbst
eine gewisse Regelmaessigkeit zeigen. Von den drei Staaten ersten
Ranges, die demselben angehoeren, Makedonien, Asien und Aegypten, war
Makedonien unter Philippos dem Fuenften, der seit 534 (220) dort den
Koenigsthron einnahm, im ganzen, aeusserlich wenigstens, was es
gewesen war unter dem zweiten Philippos, dem Vater Alexanders: ein
gut arrondierter Militaerstaat mit wohlgeordneten Finanzen. An der
Nordgrenze hatten die ehemaligen Verhaeltnisse sich wiederhergestellt,
nachdem die Fluten der gallischen Ueberschwemmung verlaufen waren; die
Grenzwache hielt die illyrischen Barbaren wenigstens in gewoehnlichen
Zeiten ohne Muehe im Zaum. Im Sueden war Griechenland nicht bloss
ueberhaupt von Makedonien abhaengig, sondern ein grosser Teil desselben:
ganz Thessalien im weitesten Sinn von Olympos bis zum Spercheios und
der Halbinsel Magnesia, die grosse und wichtige Insel Euboea, die
Landschaften Lokris, Doris und Phokis, endlich in Attika und im
Peloponnes eine Anzahl einzelner Plaetze, wie das Vorgebirge Sunion,
Korinth, Orchomenos, Heraea, das triphylische Gebiet - alle diese Land-
und Ortschaften waren Makedonien geradezu untertaenig und empfingen
makedonische Besatzung, vor allen Dingen die drei wichtigen Festungen
Demetrias in Magnesia, Chalkis auf Euboea und Korinth, "die drei
Fesseln der Hellenen". Die Macht des Staates aber lag vor allem in dem
Stammland, in der makedonischen Landschaft. Zwar die Bevoelkerung dieses
weiten Gebiets war auffallend duenn; mit Anstrengung aller Kraefte
vermochte Makedonien kaum soviel Mannschaft aufzubringen als ein
gewoehnliches konsularisches Heer von zwei Legionen zaehlte, und es ist
unverkennbar, dass in dieser Hinsicht sich das Land noch nicht von der
durch die Zuege Alexanders und den gallischen Einfall hervorgebrachten
Entvoelkerung erholt hatte. Aber waehrend im eigentlichen Griechenland
die sittliche und staatliche Kraft der Nation zerruettet war und dort,
da es mit dem Volke doch vorbei und das Leben kaum mehr der Muehe wert
schien, selbst von den Besseren der eine ueber dem Becher, der andere
mit dem Rapier, der dritte bei der Studierlampe den Tag verdarb,
waehrend im Orient und in Alexandreia die Griechen unter die dichte
einheimische Bevoelkerung wohl befruchtende Elemente aussaeen und ihre
Sprache wie ihre Maulfertigkeit, ihre Wissenschaft und Afterwissenschaft
dort ausbreiten konnten, aber ihre Zahl kaum genuegte, um den Nationen
die Offiziere, die Staatsmaenner und die Schulmeister zu liefern, und
viel zu gering war, um einen Mittelstand rein griechischen Schlages
auch nur in den Staedten zu bilden, bestand dagegen im noerdlichen
Griechenland noch ein guter Teil der alten kernigen Nationalitaet,
aus der die Marathonkaempfer hervorgegangen waren. Daher ruehrt die
Zuversicht, mit der die Makedonier, die Aetoler, die Akarnanen, ueberall
wo sie im Osten auftreten, als ein besserer Schlag sich geben und
genommen werden, und die ueberlegene Rolle, welche sie deswegen an
den Hoefen von Alexandreia und Antiocheia spielen. Die Erzaehlung ist
bezeichnend von dem Alexandriner, der laengere Zeit in Makedonien gelebt
und dort Landessitte und Landestracht angenommen hat, und nun, da er in
seine Vaterstadt heimkehrt, sich selber einen Mann und die Alexandriner
gleich Sklaven achtet. Diese derbe Tuechtigkeit und der ungeschwaechte
Nationalsinn kamen vor allem dem makedonischen als dem maechtigsten und
geordnetsten der nordgriechischen Staaten zugute. Wohl ist auch hier
der Absolutismus emporgekommen gegen die alte gewissermassen staendische
Verfassung; allein Herr und Untertanen stehen doch in Makedonien
keineswegs zueinander wie in Asien und Aegypten, und das Volk fuehlt
sich noch selbstaendig und frei. In festem Mut gegen den Landesfeind,
wie er auch heisse, in unerschuetterlicher Treue gegen die Heimat und
die angestammte Regierung, in mutigem Ausharren unter den schwersten
Bedraengnissen steht unter allen Voelkern der alten Geschichte keines
dem roemischen so nah wie das makedonische, und die an das Wunderbare
grenzende Regeneration des Staates nach der gallischen Invasion
gereicht den leitenden Maennern wie dem Volke, das sie leiteten, zu
unvergaenglicher Ehre. Der zweite von den Grossstaaten, Asien, war
nichts als das oberflaechlich umgestaltete und hellenisierte Persien,
das Reich des "Koenigs der Koenige", wie sein Herr sich, bezeichnend
fuer seine Anmassung wie fuer seine Schwaeche, zu nennen pflegte, mit
denselben Anspruechen von Hellespont bis zum Pandschab zu gebieten und
mit derselben kernlosen Organisation, ein Buendel von mehr oder minder
abhaengigen Dependenzstaaten, unbotmaessigen Satrapien und halbfreien
griechischen Staedten. Von Kleinasien namentlich, das nominell zum Reich
der Seleukiden gezaehlt ward, war tatsaechlich die ganze Nordkueste
und der groessere Teil des oestlichen Binnenlandes in den Haenden
einheimischer Dynastien oder der aus Europa eingedrungenen Keltenhaufen,
von dem Westen ein guter Teil im Besitz der Koenige von Pergamon, und
die Inseln und Kuestenstaedte teils aegyptisch, teils frei, so dass dem
Grosskoenig hier wenig mehr blieb als das innere Kilikien, Phrygien und
Lydien und eine grosse Anzahl nicht wohl zu realisierender Rechtstitel
gegen freie Staedte und Fuersten - ganz und gar wie seiner Zeit die
Herrschaft des deutschen Kaisers ausser seinem Hausgebiet bestellt war.
Das Reich verzehrte sich in den vergeblichen Versuchen, die Aegypter
aus den Kuestenlandschaften zu verdraengen, in dem Grenzhader mit den
oestlichen Voelkern, den Parthern und Baktriern, in den Fehden mit den
zum Unheil Kleinasiens daselbst ansaessig gewordenen Kelten, in den
bestaendigen Bestrebungen, den Emanzipationsversuchen der oestlichen
Satrapen und der kleinasiatischen Griechen zu steuern, und in den
Familienzwisten und Praetendentenaufstaenden, an denen es zwar in keinem
der Diadochenstaaten fehlt, wie ueberhaupt an keinem der Greuel, welche
die absolute Monarchie in entarteter Zeit in ihrem Gefolge fuehrt,
allein die in dem Staate Asien deshalb verderblicher waren als
anderswo, weil sie hier bei der losen Zusammenfuegung des Reiches zu
der Abtrennung einzelner Landesteile auf kuerzere oder laengere Zeit zu
fuehren pflegten. Im entschiedensten Gegensatz gegen Asien war Aegypten
ein festgeschlossener Einheitsstaat, in dem die intelligente Staatskunst
der ersten Lagiden unter geschickter Benutzung des alten nationalen
und religioesen Herkommens eine vollkommen absolute Kabinettsherrschaft
begruendet hatte und wo selbst das schlimmste Missregiment weder
Emanzipations- noch Zerspaltungsversuche herbeizufuehren vermochte. Sehr
verschieden von dem nationalen Royalismus der Makedonier, der auf ihrem
Selbstgefuehl ruhte und dessen politischer Ausdruck war, war in Aegypten
das Land vollstaendig passiv, die Hauptstadt dagegen alles und diese
Hauptstadt Dependenz des Hofes; weshalb hier mehr noch als in Makedonien
und Asien die Schlaffheit und Traegheit der Herrscher den Staat laehmte,
waehrend umgekehrt in den Haenden von Maennern, wie der erste Ptolemaeos
und Ptolemaeos Euergetes, diese Staatsmaschine sich aeusserst brauchbar
erwies. Zu den eigentuemlichen Vorzuegen Aegyptens vor den beiden
grossen Rivalen gehoert es, dass die aegyptische Politik nicht nach
Schatten griff, sondern klare und erreichbare Zwecke verfolgte.
Makedonien, die Heimat Alexanders; Asien, das Land, in dem Alexander
seinen Thron gegruendet hatte, hoerten nicht auf, sich als unmittelbare
Fortsetzungen der alexandrischen Monarchie zu betrachten und lauter
oder leiser den Anspruch zu erheben, dieselbe wenn nicht her-, so doch
wenigstens darzustellen. Die Lagiden haben nie eine Weltmonarchie zu
gruenden versucht und nie von Indiens Eroberung getraeumt; dafuer aber
zogen sie den ganzen Verkehr zwischen Indien und dem Mittelmeer von den
phoenikischen Haefen nach Alexandreia und machten Aegypten zu dem
ersten Handels- und Seestaat dieser Epoche und zum Herrn des oestlichen
Mittelmeeres und seiner Kuesten und Inseln. Es ist bezeichnend, dass
Ptolemaeos III. Euergetes alle seine Eroberungen freiwillig an Seleukos
Kallinikos zurueckgab bis auf die Hafenstadt von Antiocheia. Teils
hierdurch, teils durch die guenstige geographische Lage kam Aegypten
den beiden Kontinentalmaechten gegenueber in eine vortreffliche
militaerische Stellung zur Verteidigung wie zum Angriff. Waehrend der
Gegner selbst nach gluecklichen Erfolgen kaum imstande war, das ringsum
fuer Landheere fast unzugaengliche Aegypten ernstlich zu bedrohen,
konnten die Aegypter von der See aus nicht bloss in Kyrene sich
festsetzen, sondern auch auf Kypros und den Kykladen, auf der
phoenikisch- syrischen und auf der ganzen Sued- und Westkueste von
Kleinasien, ja sogar in Europa auf dem thrakischen Chersonesos. Durch
die beispiellose Ausbeutung des fruchtbaren Niltals zum unmittelbaren
Besten der Staatskasse und durch eine die materiellen Interessen
ernstlich und geschickt foerdernde und ebenso ruecksichtslose wie
einsichtige Finanzwirtschaft war der alexandrinische Hof seinen Gegner
auch als Geldmacht bestaendig ueberlegen. Endlich die intelligente
Munifizenz, mit der die Lagiden der Tendenz des Zeitalters nach ernster
Forschung in allen Gebieten des Koennens und Wissens entgegenkamen und
diese Forschungen in die Schranken der absoluten Monarchie einzuhegen
und in die Interessen derselben zu verflechten verstanden, nuetzte
nicht bloss unmittelbar dem Staat, dessen Schiff- und Maschinenbau den
Einfluss der alexandrinischen Mathematik zu ihrem Frommen verspuerten,
sondern machte auch diese neue geistige Macht, die bedeutendste und
grossartigste, welche das hellenische Volk nach seiner politischen
Zersplitterung in sich hegte, soweit sie sich ueberhaupt zur
Dienstbarkeit bequemen wollte, zur Dienerin des alexandrinischen Hofes.
Waere Alexanders Reich stehengeblieben, so haette die griechische
Kunst und Wissenschaft einen Staat gefunden, wuerdig und faehig, sie zu
fassen; jetzt wo die Nation in Truemmer gefallen war, wucherte in
ihr der gelehrte Kosmopolitismus, und sehr bald ward dessen Magnet
Alexandreia, wo die wissenschaftlichen Mittel und Sammlungen
unerschoepflich waren, die Koenige Tragoedien und die Minister
Kommentare dazu schrieben und die Pensionen und Akademien florierten.
Das Verhaeltnis der drei Grossstaaten zueinander ergibt sich aus dem
Gesagten. Die Seemacht, welche die Kuesten beherrschte und das Meer
monopolisierte, musste nach dem ersten grossen Erfolg, der politischen
Trennung des europaeischen Kontinents von dem asiatischen, weiter
hinarbeiten auf die Schwaechung der beiden Grossstaaten des Festlandes
und also auf die Beschuetzung der saemtlichen kleineren Staaten,
waehrend umgekehrt Makedonien und Asien zwar auch untereinander
rivalisierten, aber doch vor allen Dingen in Aegypten ihren
gemeinschaftlichen Gegner fanden und ihm gegenueber zusammenhielten oder
doch haetten zusammenhalten sollen. Unter den Staaten zweiten Ranges ist
fuer die Beruehrungen des Ostens mit dem Westen zunaechst nur mittelbar
von Bedeutung die Staatenreihe, welche vom suedlichen Ende des
Kaspischen Meeres zum Hellespont sich hinziehend das Innere und die
Nordkueste Kleinasiens ausfuellt: Atropatene (im heutigen Aserbeidschan
suedwestlich vom Kaspischen Meer), daneben Armenien, Kappadokien im
kleinasiatischen Binnenland, Pontos am suedoestlichen, Bithynien am
suedwestlichen Ufer des Schwarzen Meeres - sie alle Splitter des
grossen Perserreiches und beherrscht von morgenlaendischen, meistens
altpersischen Dynastien, die entlegene Berglandschaft Atropatene
namentlich die rechte Zufluchtsstaette des alten Persertums, an der
selbst Alexanders Zug spurlos voruebergebraust war, und alle auch
in derselben zeitweiligen und oberflaechlichen Abhaengigkeit von der
griechischen Dynastie, die in Asien an die Stelle der Grosskoenige
getreten war oder sein wollte. Von groesserer Wichtigkeit fuer die
allgemeinen Verhaeltnisse ist der Keltenstaat in dem kleinasiatischen
Binnenland. Hier mitten inne zwischen Bithynien, Paphlagonien,
Kappadokien und Phrygien hatten drei keltische Voelkerschaften, die
Tolistoager, Tectosagen und Trocmer sich ansaessig gemacht, ohne darum
weder von der heimischen Sprache und Sitte noch von ihrer Verfassung und
ihrem Freibeuterhandwerk zu lassen. Die zwoelf Vierfuersten, jeder einem
der vier Kantone eines der drei Staemme vorgesetzt, bildeten mit ihrem
Rate von dreihundert Maennern die hoechste Autoritaet der Nation und
traten auf der "heiligen Staette" (Drunemetum) namentlich zur Faellung
von Bluturteilen zusammen. Seltsam wie diese keltische Gauverfassung den
Asiaten erschien, ebenso fremdartig duenkte ihnen der Wagemut und
die Landsknechtsitte der nordischen Eindringlinge, welche teils ihren
unkriegerischen Nachbarn die Soeldner zu jedem Krieg lieferten,
teils die umliegenden Landschaften auf eigene Faust pluenderten
oder brandschatzten. Diese rohen aber kraeftigen Barbaren waren der
allgemeine Schreck der verweichlichten umwohnenden Nationen, ja der
asiatischen Grosskoenige selbst, welche, nachdem manches asiatische Heer
von den Kelten war aufgerieben worden, und Koenig Antiochos I. Soter
sogar im Kampf gegen sie sein Leben verloren hatte (493 261) zuletzt
selber zur Zinszahlung sich verstanden. Dem kuehnen und gluecklichen
Auftreten gegen diese gallischen Horden verdankte es ein reicher Buerger
von Pergamon, Attalos, dass er von seiner Vaterstadt den Koenigstitel
empfing und ihn auf seine Nachkommen vererbte. Dieser neue Hof war im
kleinen was der alexandrinische im grossen; auch hier war die Foerderung
der materiellen Interessen, die Pflege von Kunst und Literatur an
der Tagesordnung und das Regiment eine umsichtige und nuechterne
Kabinettspolitik, deren wesentlicher Zweck war, teils die Macht der
beiden gefaehrlichen festlaendischen Nachbarn zu schwaechen, teils einen
selbstaendigen Griechenstaat im westlichen Kleinasien zu begruenden. Der
wohlgefuellte Schatz trug viel zu der Bedeutung dieser pergamenischen
Herren bei; sie schossen den syrischen Koenigen bedeutende Summen vor,
deren Rueckzahlung spaeter unter den roemischen Friedensbedingungen eine
Rolle spielte, und selbst Gebietserwerbungen gelangen auf diesem Wege,
wie zum Beispiel Aegina, das die verbuendeten Roemer und Aetoler im
letzten Krieg den Bundesgenossen Philipps, den Achaeern, entrissen
hatten, von den Aetolern, denen es vertragsmaessig zufiel, um 30 Talente
(51000 Taler) an Attalos verkauft ward. Indes trotz des Hofglanzes und
des Koenigstitels behielt das pergamenische Gemeinwesen immer etwas vom
staedtischen Charakter, wie es denn auch in seiner Politik gewoehnlich
mit den Freistaedten zusammenging. Attalos selbst, der Lorenzo de'
Medici des Altertums, blieb sein lebelang ein reicher Buergersmann,
und das Familienleben der Attaliden, aus deren Hause ungeachtet des
Koenigstitels die Eintracht und Innigkeit nicht gewichen war, stach sehr
ab gegen die wueste Schandwirtschaft der adligeren Dynastien. In dem
europaeischen Griechenland waren ausser den roemischen Besitzungen
an der Ostkueste, von denen in den wichtigsten, namentlich in Kerkyra
roemische Beamte residiert zu haben scheinen, und dem unmittelbar
makedonischen Gebiet noch mehr oder minder imstande, eine eigene Politik
zu verfolgen, die Epeiroten, Akarnanen und Aetoler im noerdlichen,
die Boeoter und Athener im mittleren Griechenland und die Achaeer,
Lakedaemonier, Messenier und Eleer im Peloponnes. Unter diesen waren die
Republiken der Epeiroten, Akarnanen und Boeoter in vielfacher Weise eng
an Makedonien geknuepft, namentlich die Akarnanen, weil sie der von den
Aetolern drohenden Unterdrueckung einzig durch makedonischen Schutz
zu entgehen vermochten; von Bedeutung war keine von ihnen. Die inneren
Zustaende waren sehr verschieden; wie es zum Teil aussah, dafuer mag
als Beispiel dienen, dass bei den Boeotern, wo es freilich am aergsten
zuging, es Sitte geworden war, jedes Vermoegen, das nicht in gerader
Linie vererbte, an die Kneipgesellschaften zu vermachen, und es fuer die
Bewerber um die Staatsaemter manches Jahrzehnt die erste Wahlbedingung
war, dass sie sich verpflichteten, keinem Glaeubiger, am wenigsten einem
Auslaender, die Ausklagung seiner Schuldner zu gestatten. Die Athener
pflegten von Alexandreia aus gegen Makedonien unterstuetzt zu werden und
standen im engen Bunde mit den Aetolern; auch sie indes waren voellig
machtlos, und fast nur der Nimbus attischer Kunst und Poesie hob diese
unwuerdigen Nachfolger einer herrlichen Vorzeit unter einer Reihe von
Kleinstaedten gleichen Schlages hervor. Nachhaltiger war die Macht der
aetolischen Eidgenossenschaft; das kraeftige Nordgriechentum war
hier noch ungebrochen, aber freilich ausgeartet in wueste Zucht- und
Regimentlosigkeit - es war Staatsgesetz, dass der aetolische Mann
gegen jeden, selbst gegen den mit den Aetolern verbuendeten Staat als
Reislaeufer dienen koenne, und auf die dringenden Bitten der uebrigen
Griechen, dies Unwesen abzustellen, erklaerte die aetolische Tagsatzung,
eher koenne man Aetolien aus Aetolien wegschaffen als diesen Grundsatz
aus ihrem Landrecht. Die Aetoler haetten dem griechischen Volke von
grossem Nutzen sein koennen, wenn sie ihm nicht durch diese organisierte
Raeuberwirtschaft, durch ihre gruendliche Verfeindung mit der
achaeischen Eidgenossenschaft und durch die unselige Opposition gegen
den makedonischen Grossstaat noch viel mehr geschadet haetten.
Im Peloponnes hatte der Achaeische Bund die besten Elemente des
eigentlichen Griechenlands zusammengefasst zu einer auf Gesittung,
Nationalsinn und friedliche Schlagfertigkeit gegruendeten
Eidgenossenschaft. Indes die Bluete und namentlich die Wehrhaftigkeit
derselben war trotz der aeusserlichen Erweiterung geknickt worden durch
Aratos' diplomatischen Egoismus, welcher den Achaeischen Bund durch
die leidigen Verwicklungen mit Sparta und die noch leidigere Anrufung
makedonischer Intervention im Peloponnes der makedonischen Suprematie so
vollstaendig unterworfen hatte, dass die Hauptfestungen der Landschaft
seitdem makedonische Besatzungen empfingen und dort jaehrlich Philippos
der Eid der Treue geschworen wurde. Die schwaecheren Staaten im
Peloponnes, Elis, Messene und Sparta, wurden durch ihre alte, namentlich
durch Grenzstreitigkeiten genaehrte Verfeindung mit der achaeischen
Eidgenossenschaft in ihrer Politik bestimmt und waren aetolisch und
antimakedonisch gesinnt, weil die Achaeer es mit Philippos hielten.
Einige Bedeutung unter diesen Staaten hatte einzig das spartanische
Soldatenkoenigtum, das nach dem Tode des Machanidas an einen gewissen
Nabis gekommen war; er stuetzte sich immer dreister auf die Vagabunden
und fahrenden Soeldner, denen er nicht bloss die Haeuser und Aecker,
sondern auch die Frauen und Kinder der Buerger ueberwies, und unterhielt
emsig Verbindungen, ja schloss geradezu eine Assoziation zum Seeraub
auf gemeinschaftliche Rechnung mit der grossen Soeldner- und
Piratenherberge, der Insel Kreta, wo er auch einige Ortschaften besass.
Seine Raubzuege zu Lande wie seine Piratenschiffe am Vorgebirge Malea
waren weit und breit gefuerchtet, er selbst als niedrig und grausam
verhasst; aber seine Herrschaft breitete sich aus, und um die Zeit der
Schlacht bei Zama war es ihm sogar gelungen, sich in den Besitz von
Messene zu setzen. Endlich die unabhaengigste Stellung unter den
Mittelstaaten hatten die freien griechischen Kaufstaedte an dem
europaeischen Ufer der Propontis sowie auf der ganzen kleinasiatischen
Kueste und auf den Inseln des Aegaeischen Meeres; sie sind zugleich
die lichteste Seite in dieser trueben Mannigfaltigkeit des hellenischen
Staatensystems, namentlich drei unter ihnen, die seit Alexanders Tode
wieder volle Freiheit genossen und durch ihren taetigen Seehandel
auch zu einer achtbaren politischen Macht und selbst zu bedeutendem
Landgebiet gelangt waren: Byzantion, die Herrin des Bosporos, reich
und maechtig durch die Sundzoelle und den wichtigen Kornhandel nach dem
Schwarzen Meer; Kyzikos an der asiatischen Propontis, die Tochterstadt
und die Erbin Milets, in engsten Beziehungen zu dem Hofe von Pergamon,
und endlich und vor allen Rhodos. Die Rhodier, die gleich nach
Alexanders Tode die makedonische Besatzung vertrieben hatten, waren
durch ihre glueckliche Lage fuer Handel und Schiffahrt Vermittler des
Verkehrs in dem ganzen oestlichen Mittelmeer geworden und die tuechtige
Flotte wie der in der beruehmten Belagerung von 450 (304) bewaehrte Mut
der Buerger setzten sie in den Stand, in jener Zeit ewiger Fehden aller
gegen alle vorsichtig und energisch eine neutrale Handelspolitik zu
vertreten und wenn es galt zu verfechten; wie sie denn zum Beispiel die
Byzantier mit den Waffen zwangen, den rhodischen Schiffen Zollfreiheit
im Bosporos zu gestatten, und ebensowenig den pergamenischen Dynasten
das Schwarze Meer zu sperren erlaubten. Vom Landkrieg hielten sie sich
dagegen womoeglich fern, obwohl sie an der gegenueberliegenden karischen
Kueste nicht unbetraechtliche Besitzungen erworben hatten, und fuehrten
ihn, wenn es nicht anders sein konnte, mit Soeldnern. Nach allen Seiten
hin, mit Syrakus, Makedonien und Syrien, vor allem aber mit Aegypten
standen sie in freundschaftlichen Beziehungen und genossen hoher Achtung
bei den Hoefen, so dass nicht selten in den Kriegen der Grossstaaten
ihre Vermittlung angerufen ward. Ganz besonders aber nahmen sie sich
der griechischen Seestaedte an, deren es an den Gestaden des Pontischen,
Bithynischen und Pergamenischen Reiches wie auf den von Aegypten den
Seleukiden entrissenen kleinasiatischen Kuesten und Inseln unzaehlige
gab, wie zum Beispiel Sinope, Herakleia Pontike, Kios, Lampsakos,
Abydos, Mytilene, Chios, Smyrna, Samos, Halikarnassos und andere mehr.
Alle diese waren im wesentlichen frei und hatten mit ihren Grundherren
nichts zu schaffen, als die Bestaetigung ihrer Privilegien von ihnen zu
erbitten und hoechstens ihnen einen maessigen Zins zu entrichten;
gegen etwaige Uebergriffe der Dynasten wusste man bald schmiegsam, bald
energisch sich zu wehren. Hauptsaechlich hilfreich hierbei waren
die Rhodier, welche zum Beispiel Sinope gegen Mithradates von Pontos
nachdruecklich unterstuetzten. Wie fest sich unter dem Hader und eben
durch die Zwiste der Monarchen die Freiheiten dieser kleinasiatischen
Staedte gegruendet hatten, beweist zum Beispiel, dass einige Jahre
nachher zwischen Antiochos und den Roemern nicht ueber die Freiheit
der Staedte selbst gestritten ward, sondern darueber, ob sie die
Bestaetigung ihrer Freibriefe vom Koenig nachzusuchen haetten
oder nicht. Dieser Staedtebund war wie in allem so auch in dieser
eigentuemlichen Stellung zu den Landesherren eine foermliche Hansa,
sein Haupt Rhodos, das in Vertraegen fuer sich und seine Bundesgenossen
verhandelte und stipulierte. Hier ward die staedtische Freiheit gegen
die monarchischen Interessen vertreten, und waehrend um die Mauern herum
die Kriege tobten, blieb hier in verhaeltnismaessiger Ruhe Buergersinn
und buergerlicher Wohlstand heimisch, und es gediehen hier Kunst und
Wissenschaft, ohne durch wueste Soldatenwirtschaft zertreten oder von
der Hofluft korrumpiert zu werden. Also standen die Dinge im Osten, als
die politische Scheidewand zwischen dem Orient und dem Okzident fiel und
die oestlichen Maechte, zunaechst Philippos von Makedonien, veranlasst
wurden, in die Verhaeltnisse des Westens einzugreifen. Wie es geschah
und wie der Erste Makedonische Krieg (540-549 214- 205) verlief, ist
zum Teil schon erzaehlt und angedeutet worden, was Philippos im
Hannibalischen Kriege haette tun koennen und wie wenig von dem geschah,
was Hannibal hatte erwarten und berechnen duerfen. Es hatte
wieder einmal sich gezeigt, dass unter allen Wuerfelspielen keines
verderblicher ist als die absolute Erbmonarchie. Philippos war nicht der
Mann, dessen Makedonien damals bedurfte; indes eine unbedeutende
Natur war er nicht. Er war ein rechter Koenig, in dem besten und dem
schlimmsten Sinne des Wortes. Das lebhafte Gefuehl, selbst und allein
zu herrschen, war der Grundzug seines Wesens; er war stolz auf seinen
Purpur, aber nicht bloss auf ihn, und er durfte stolz sein. Er bewies
nicht allein die Tapferkeit des Soldaten und den Blick des Feldherrn,
sondern auch einen hohen Sinn in der Leitung der oeffentlichen
Angelegenheiten, wo immer sein makedonisches Ehrgefuehl verletzt ward.
Voll Verstand und Witz gewann er, wen er gewinnen wollte, vor allem eben
die faehigsten und gebildetsten Maenner, so zum Beispiel Flamininus und
Scipio; er war ein guter Gesell beim Becher und den Frauen nicht
bloss durch seinen Rang gefaehrlich. Allein er war zugleich eine der
uebermuetigsten und frevelhaftesten Naturen, die jenes freche Zeitalter
erzeugt hat. Er pflegte zu sagen, dass er niemand fuerchte als die
Goetter; aber es schien fast, als seien diese Goetter dieselben, denen
sein Flottenfuehrer Dikaearchos regelmaessige Opfer darbrachte, die
Gottlosigkeit (Asebeia) und der Frevel (Paranomia). Weder das Leben
seiner Ratgeber und der Beguenstiger seiner Plaene war ihm heilig, noch
verschmaehte er es, seine Erbitterung gegen die Athener und Attalos
durch Zerstoerung ehrwuerdiger Denkmaeler und namhafter Kunstwerke zu
befriedigen; es wird als Staatsmaxime von ihm angefuehrt, dass, wer den
Vater ermorden lasse, auch die Soehne toeten muesse. Es mag sein, dass
ihm nicht eigentlich die Grausamkeit eine Wollust war; allein fremdes
Leben und Leiden war ihm gleichgueltig, und die Inkonsequenz, die den
Menschen allein ertraeglich macht, fand nicht Raum in seinem starren
und harten Herzen. Er hat den Satz, dass fuer den absoluten Koenig kein
Versprechen und kein Moralgebot bindend sei, so schroff und grell zur
Schau getragen, dass er eben dadurch seinen Plaenen die wesentlichsten
Hindernisse in den Weg legte. Einsicht und Entschlossenheit kann niemand
ihm absprechen; aber es ist damit in seltsamer Weise Zauderei und
Fahrigkeit vereinigt; was vielleicht zum Teil dadurch sich erklaert,
dass er schon im achtzehnten Jahr zum absoluten Herrscher berufen ward
und dass sein unbaendiges Wueten gegen jeden, der durch Widerreden und
Widerraten ihn in seinem Selbstregieren stoerte, alle selbstaendigen
Ratgeber von ihm verscheuchte. Was alles in seiner Seele mitgewirkt
haben mag, um die schwache und schmaehliche Fuehrung des Ersten
Makedonischen Krieges hervorzurufen, laesst sich nicht sagen
- vielleicht jene Laessigkeit der Hoffart, die erst gegen die
nahegerueckte Gefahr ihre volle Kraft entwickelt, vielleicht selbst
Gleichgueltigkeit gegen den nicht von ihm entworfenen Plan und
Eifersucht auf Hannibals ihn beschaemende Groesse. Gewiss ist, dass sein
spaeteres Benehmen nicht den Philippos wiedererkennen laesst, an dessen
Saumseligkeit Hannibals Plan scheiterte. Philippos schloss den Vertrag
mit den Aetolern und den Roemern 548/49 (206/05) in der ernsten
Absicht, mit Rom einen dauernden Frieden zu machen und sich kuenftig
ausschliesslich den Angelegenheiten des Ostens zu widmen. Es leidet
keinen Zweifel, dass er Karthagos rasche Ueberwaeltigung ungern sah;
es kann auch sein, dass Hannibal auf eine zweite makedonische
Kriegserklaerung hoffte und dass Philippos im stillen das letzte
karthagische Heer mit Soeldnern verstaerkte. Allein sowohl die
weitschichtigen Dinge, in die er mittlerweile im Osten sich einliess,
als auch die Art der Unterstuetzung und besonders das voellige
Stillschweigen der Roemer ueber diesen Friedensbruch, da sie doch
nach Kriegsgruenden suchten, setzen es ausser Zweifel, dass Philippos
keineswegs im Jahre 551 (203) nachholen wollte, was er zehn Jahre zuvor
haette tun sollen. Er hatte sein Auge nach einer ganz anderen Seite
gewendet. Ptolemaeos Philopator von Aegypten war 549 (205) gestorben.
Gegen seinen Nachfolger Ptolemaeos Epiphanes, ein fuenfjaehriges Kind,
hatten die Koenige von Makedonien und Asien Philippos und Antiochos
sich vereinigt, um den alten Groll der Kontinentalmonarchien gegen
den Seestaat gruendlich zu saettigen. Der aegyptische Staat sollte
aufgeloest werden, Aegypten und Kypros an Antiochos, Kyrene, Ionien und
die Kykladen an Philippos fallen. Recht in Philippos' Art, der ueber
solche Ruecksichten lachte, begannen die Koenige den Krieg, nicht bloss
ohne Ursache, sondern selbst ohne Vorwand, "eben wie die grossen Fische
die kleinen auffressen". Die Verbuendeten hatten uebrigens richtig
gerechnet, besonders Philippos. Aegypten hatte genug zu tun, sich des
naeheren Feindes in Syrien zu erwehren, und musste die kleinasiatischen
Besitzungen und die Kykladen unverteidigt preisgeben, als Philippos
auf diese als auf seinen Anteil an der Beute sich warf. In dem Jahr, wo
Karthago mit Rom den Frieden abschloss (553 201), liess derselbe eine
von den ihm untertaenigen Staedten ausgeruestete Flotte Truppen an
Bord nehmen und an der thrakischen Kueste hinauf segeln. Hier ward
Lysimacheia der aetolischen Besatzung entrissen, und Perinthos, das zu
Byzanz im Klientelverhaeltnis stand, gleichfalls besetzt. So war mit
den Byzantiern der Friede gebrochen, mit den Aetolern, die soeben mit
Philippos Frieden gemacht, wenigstens das gute Einvernehmen gestoert.
Die Ueberfahrt nach Asien stiess auf keine Schwierigkeiten, da Koenig
Prusias von Bithynien mit Makedonien im Bunde war; zur Vergeltung half
Philippos ihm die griechischen Kaufstaedte in seinem Gebiet bezwingen.
Kalchedon unterwarf sich. Kios, das widerstand, wurde erstuermt und
dem Boden gleich, ja die Einwohner zu Sklaven gemacht - eine zwecklose
Barbarei, ueber die Prusias selbst, der die Stadt unbeschaedigt zu
besitzen wuenschte, verdriesslich war und die die ganze hellenische
Welt aufs tiefste erbitterte. Besonders verletzt noch waren abermals die
Aetoler, deren Strateg in Kios kommandiert hatte, und die Rhodier, deren
Vermittlungsversuche von dem Koenig schnoede und arglistig vereitelt
worden waren. Aber waere auch dies nicht gewesen, es standen die
Interessen aller griechischen Kaufstaedte auf dem Spiel. Unmoeglich
konnte man zugeben, dass die milde und fast nur nominelle aegyptische
Herrschaft verdraengt ward durch das makedonische Zwingherrentum, mit
dem die staedtische Selbstregierung und der freie Handelsverkehr sich
nimmermehr vertrug; und die furchtbare Behandlung der Kianer zeigte,
dass es hier sich nicht um das Bestaetigungsrecht der staedtischen
Freibriefe handelte, sondern um Tod und Leben fuer einen und fuer alle.
Schon war Lampsakos gefallen und Thasos behandelt worden wie Kios;
man musste sich eilen. Der wackere Strateg von Rhodos, Theophiliskos,
ermahnte seine Buerger der gemeinsamen Gefahr durch gemeinsame Abwehr
zu begegnen und nicht geschehen zu lassen, dass die Staedte und Inseln
einzeln dem Feinde zur Beute wuerden. Rhodos entschloss sich und
erklaerte Philippos den Krieg. Byzanz schloss sich an; ebenso der
hochbejahrte Koenig Attalos von Pergamon, Philippos' persoenlicher und
politischer Feind. Waehrend die Flotte der Verbuendeten sich an der
aeolischen Kueste sammelte, liess Philippos durch einen Teil der
seinigen Chios und Samos wegnehmen. Mit dem anderen erschien er
selbst vor Pergamon, das er indes vergeblich berannte; er musste sich
begnuegen, das platte Land zu durchstreifen und an den weit und breit
zerstoerten Tempeln die Spuren makedonischer Tapferkeit zurueckzulassen.
Ploetzlich brach er auf und ging wieder zu Schiff, um sich mit
seinem Geschwader, das bei Samos stand, zu vereinigen. Allein die
rhodisch-pergamenische Flotte folgte ihm und zwang ihn zur Schlacht
in der Meerenge von Chios. Die Zahl der makedonischen Deckschiffe war
geringer, allein die Menge ihrer offenen Kaehne glich dies wieder aus
und Philippos' Soldaten fochten mit grossem Mute; doch unterlag. er
endlich. Fast die Haelfte seiner Deckschiffe, vierundzwanzig Segel,
wurden versenkt oder genommen, 6000 makedonische Matrosen, 3000 Soldaten
kamen um, darunter der Admiral Demokrates, 2000 wurden gefangen. Den
Bundesgenossen kostete der Sieg nicht mehr als 800 Mann und sechs Segel.
Aber von den Fuehrern der Verbuendeten war Attalos von seiner Flotte
abgeschnitten und gezwungen worden, sein Admiralschiff bei Erythrae
auf den Strand laufen zu lassen; und Theophiliskos von Rhodos, dessen
Buergermut den Krieg und dessen Tapferkeit die Schlacht entschieden
hatte, starb den Tag nach derselben an seinen Wunden. So konnte,
waehrend Attalos' Flotte in die Heimat ging und die rhodische vorlaeufig
bei Chios blieb, Philippos, der faelschlich sich den Sieg zuschrieb,
seine Fahrt weiter fortsetzen und sich nach Samos wenden, um die
karischen Staedte zu besetzen. An der karischen Kueste lieferten die
Rhodier, diesmal von Attalos nicht unterstuetzt, der makedonischen
Flotte unter Herakleides ein zweites Treffen bei der kleinen Insel
Lade vor dem Hafen von Milet. Der Sieg, den wieder beide Teile sich
zuschrieben, scheint hier von den Makedoniern gewonnen zu sein, denn
waehrend die Rhodier nach Myndos und von da nach Kos zurueckwichen,
besetzten jene Milet und ein Geschwader unter dem Aetoler Dikaearchos
die Kykladen. Philippos inzwischen verfolgte auf dem karischen Festland
die Eroberung der rhodischen Besitzungen daselbst und der griechischen
Staedte; haette er Ptolemaeos selbst angreifen wollen und es nicht
vorgezogen, sich auf die Gewinnung seines Beuteanteils zu beschraenken,
so wuerde er jetzt selbst an einen Zug nach Aegypten haben denken
koennen. In Karien stand zwar kein Heer den Makedoniern gegenueber, und
Philippos durchzog ungehindert die Gegend von Magnesia bis Mylasa;
aber jede Stadt in dieser Landschaft war eine Festung, und der
Belagerungskrieg zog sich in die Laenge, ohne erhebliche Resultate zu
geben oder zu versprechen. Der Satrap von Lydien, Zeuxis, unterstuetzte
den Bundesgenossen seines Herren ebenso lau, wie Philippos sich lau in
der Foerderung der Interessen des syrischen Koenigs bewiesen hatte, und
die griechischen Staedte gaben Unterstuetzung nur aus Furcht oder Zwang.
Die Verproviantierung des Heeres ward immer schwieriger; Philippos
musste heute den pluendern, der ihm gestern freiwillig gegeben hatte,
und dann wieder gegen seine Natur sich bequemen zu bitten. So ging
allmaehlich die gute Jahreszeit zu Ende, und in der Zwischenzeit hatten
die Rhodier ihre Flotte verstaerkt und auch die des Attalos wieder
an sich gezogen, so dass sie zur See entschieden ueberlegen waren. Es
schien fast, als koennten sie dem Koenig den Rueckzug abschneiden und
ihn zwingen, Winterquartier in Karien zu nehmen, waehrend doch die
Angelegenheiten daheim, namentlich die drohende Intervention der Aetoler
und der Roemer, seine Rueckkehr dringend erheischten. Philippos sah die
Gefahr; er liess Besatzungen, zusammen bis 3000 Mann, teils in Myrina,
um Pergamon in Schach zu halten, teils in den kleinen Staedten um
Mylasa: Iassos, Bargylia, Euromos, Pedasa, um den trefflichen Hafen und
einen Landungsplatz in Karien sich zu sichern; mit der Flotte gelang
es ihm bei der Nachlaessigkeit, mit welcher die Bundesgenossen das Meer
bewachten, gluecklich die thrakische Kueste zu erreichen und noch vor
dem Winter 553/54 (201/00) zu Hause zu sein. In der Tat zog sich gegen
Philipp im Westen ein Gewitter zusammen, welches ihm nicht laenger
gestattete, die Pluenderung des wehrlosen Aegyptens fortzusetzen. Die
Roemer, die in demselben Jahre endlich den Frieden mit Karthago auf ihre
Bedingungen abgeschlossen hatten, fingen an, sich ernstlich um diese
Verwicklungen im Osten zu bekuemmern. Es ist oft gesagt worden, dass sie
nach der Eroberung des Westens sofort daran gegangen seien, den Osten
sich zu unterwerfen; eine ernstliche Erwaegung wird zu einem gerechteren
Urteil fuehren. Nur die stumpfe Unbilligkeit kann es verkennen, dass
Rom in dieser Zeit noch keineswegs nach der Herrschaft ueber die
Mittelmeerstaaten griff, sondern nichts weiter begehrte, als in Afrika
und in Griechenland ungefaehrliche Nachbarn zu haben; und eigentlich
gefaehrlich fuer Rom war Makedonien nicht. Seine Macht war allerdings
nicht gering und es ist augenscheinlich, dass der roemische Senat den
Frieden von 548/49 (206/05), der sie ganz in ihrer Integritaet beliess,
nur ungern gewaehrte; allein wie wenig man ernstliche Besorgnisse vor
Makedonien in Rom hegte und hegen durfte, beweist am besten die geringe
und doch nie gegen Uebermacht zu fechten genoetigte Truppenzahl, mit
welcher Rom den naechsten Krieg gefuehrt hat. Der Senat haette wohl
eine Demuetigung Makedoniens gern gesehen; allein um den Preis eines in
Makedonien mit roemischen Truppen gefuehrten Landkrieges war sie ihm
zu teuer, und darum machte er nach dem Ruecktritt der Aetoler sofort
freiwillig Frieden auf Grundlage des Status quo. Es ist darum auch
nichts weniger als ausgemacht, dass die roemische Regierung diesen
Frieden in der bestimmten Absicht schloss, den Krieg bei gelegenerer
Zeit wieder zu beginnen, und sehr gewiss, dass augenblicklich bei der
gruendlichen Erschoepfung des Staats und der aeussersten Unlust der
Buergerschaft auf einen zweiten ueberseeischen Krieg sich einzulassen,
der Makedonische Krieg den Roemern in hohem Grade unbequem kam. Aber
jetzt war er unvermeidlich. Den makedonischen Staat, wie er im Jahre
549 (205) war, konnte man sich als Nachbar gefallen lassen; allein
unmoeglich durfte man gestatten, dass derselbe den besten Teil des
kleinasiatischen Griechenlands und das wichtige Kyrene hinzuerwarb, die
neutralen Handelsstaaten erdrueckte und damit seine Macht verdoppelte.
Es kam hinzu, dass der Sturz Aegyptens, die Demuetigung, vielleicht die
Ueberwaeltigung von Rhodos auch dem sizilischen und italischen Handel
tiefe Wunden geschlagen haben wuerden; und konnte man ueberhaupt ruhig
zusehen, wie der italische Verkehr mit dem Osten von den beiden
grossen Kontinentalmaechten abhaengig ward? Gegen Attalos, den treuen
Bundesgenossen aus dem Ersten Makedonischen Krieg, hatte Rom ueberdies
die Ehrenpflicht zu wahren und zu hindern, dass Philippos, der ihn
schon in seiner Hauptstadt belagert hatte, ihn nicht von Land und Leuten
vertrieb. Endlich war der Anspruch Roms, den schuetzenden Arm ueber
alle Hellenen auszustrecken, keineswegs bloss Phrase; die Neapolitaner,
Rheginer, Massalioten und Emporiten konnten bezeugen, dass dieser Schutz
sehr ernst gemeint war, und gar keine Frage ist es, dass in dieser Zeit
die Roemer den Griechen naeher standen als jede andere Nation und wenig
ferner als die hellenisierten Makedonier. Es ist seltsam, den Roemern
das Recht zu bestreiten, ueber die frevelhafte Behandlung der Kianer und
Thasier in ihren menschlichen wie in ihren hellenischen Sympathien sich
empoert zu fuehlen. So vereinigten sich in der Tat alle politischen,
kommerziellen und sittlichen Motive, um Rom zu dem zweiten Kriege
gegen Philippos zu bestimmen, einem der gerechtesten, die die Stadt je
gefuehrt hat. Es gereicht dem Senat zur hohen Ehre, dass er sofort sich
entschloss und sich weder durch die Erschoepfung des Staates noch durch
die Impopularitaet einer solchen Kriegserklaerung abhalten liess, seine
Anstalten zu treffen - schon 553 (201) erschien der Propraetor Marcus
Valerius Laevinus mit der sizilischen Flotte von 38 Segeln in der
oestlichen See. Indes war die Regierung in Verlegenheit, einen
ostensibeln Kriegsgrund ausfindig zu machen, dessen sie dem Volk
gegenueber notwendig bedurfte, auch wenn sie nicht ueberhaupt viel zu
einsichtig gewesen waere, um die rechtliche Motivierung des Krieges in
Philippos' Art gering zu schaetzen. Die Unterstuetzung, die Philippos
nach dem Frieden mit Rom den Karthagern gewaehrt haben sollte, war
offenbar nicht erweislich. Die roemischen Untertanen in der illyrischen
Landschaft beschwerten sich zwar schon seit laengerer Zeit ueber die
makedonischen Obergriffe. Schon 551 (203) hatte ein roemischer Gesandter
an der Spitze des illyrischen Aufgebots Philippos' Scharen aus dem
illyrischen Gebiet hinausgeschlagen und der Senat deswegen den Gesandten
des Koenigs 552 (202) erklaert, wenn er Krieg suche, werde er ihn
frueher finden, als ihm lieb sei. Allein diese Uebergriffe waren eben
nichts als die gewoehnlichen Frevel, wie Philippos sie gegen seine
Nachbarn uebte; eine Verhandlung darueber haette im gegenwaertigen
Augenblick zur Demuetigung und Suehnung, aber nicht zum Kriege gefuehrt.
Mit den saemtlichen kriegfuehrenden Maechten im Osten stand die
roemische Gemeinde dem Namen nach in Freundschaft und haette ihnen
Beistand gegen den Angriff gewaehren koennen. Allein Rhodos und
Pergamon, die begreiflicherweise nicht saeumten, die roemische Hilfe
zu erbitten, waren formell die Angreifer, und Aegypten, wenn
auch alexandrinische Gesandte den roemischen Senat ersuchten, die
Vormundschaft ueber das koenigliche Kind zu uebernehmen, scheint doch
auch nicht eben sich beeilt zu haben, durch Anrufung unmittelbarer
roemischer Intervention zwar die augenblickliche Bedraengnis zu
beendigen, aber zugleich der grossen westlichen Macht das Ostmeer zu
oeffnen. Vor allen Dingen aber haette die Hilfe fuer Aegypten zunaechst
in Syrien geleistet werden muessen und wuerde Rom in einen Krieg mit
Asien und Makedonien zugleich verwickelt haben, was man natuerlich um so
mehr zu vermeiden wuenschte, als man fest entschlossen war, wenigstens
in die asiatischen Angelegenheiten sich nicht zu mischen. Es blieb
nichts uebrig, als vorlaeufig eine Gesandtschaft nach dem Osten
abzuordnen, um teils von Aegypten zu erlangen, was den Umstaenden nach
nicht schwer war, dass es die Einmischung der Roemer in die griechischen
Angelegenheiten geschehen liess, teils den Koenig Antiochos zu
beschwichtigen, indem man ihm Syrien preisgab, teils endlich den
Bruch mit Philippos moeglichst zu beschleunigen und die Koalition der
griechisch- asiatischen Kleinstaaten gegen ihn zu foerdern (Ende 553
201). In Alexandreia erreichte man ohne Muehe, was man wuenschte; der
Hof hatte keine Wahl und musste dankbar den Marcus Aemilius Lepidus
aufnehmen, den der Senat abgesandt hatte, um als "Vormund des
Koenigs" dessen Interessen zu vertreten, soweit dies ohne eigentliche
Intervention moeglich war. Antiochos loeste zwar seinen Bund mit Philipp
nicht auf und gab den Roemern nicht die bestimmten Erklaerungen, welche
sie wuenschten; uebrigens aber, sei es aus Schlaffheit, sei es bestimmt
durch die Erklaerung der Roemer, in Syrien nicht intervenieren zu
wollen, verfolgte er seine Plaene daselbst und liess die Dinge in
Griechenland und Kleinasien gehen. Darueber war das Fruehjahr 554 (200)
herangekommen, und der Krieg hatte aufs neue begonnen. Philippos
warf sich zunaechst wieder auf Thrakien, wo er die saemtlichen
Kuestenplaetze, namentlich Maroneia, Aenos, Elaeos, Sestos besetzte;
er wollte seine europaeischen Besitzungen vor einer roemischen Landung
gesichert wissen. Alsdann griff er an der asiatischen Kueste Abydos an,
an dessen Gewinn ihm gelegen sein musste, da er durch den Besitz
von Sestos und Abydos mit seinem Bundesgenossen Antiochos in festere
Verbindung kam und nicht mehr zu fuerchten brauchte, dass die Flotte
der Bundesgenossen ihm den Weg nach oder aus Kleinasien sperre. Diese
beherrschte das Aegaeische Meer, nachdem das schwaechere makedonische
Geschwader sich zurueckgezogen hatte; Philippos beschraenkte zur
See sich darauf, auf dreien der Kykladen, Andros, Kythnos und Paros,
Besatzungen zu unterhalten und Kaperschiffe auszuruesten. Die Rhodier
gingen nach Chios und von da nach Tenedos, wo Attalos, der den Winter
ueber bei Aegina gestanden und mit den Deklamationen der Athener sich
die Zeit vertrieben hatte, mit seinem Geschwader zu ihnen stiess.
Es waere wohl moeglich gewesen, den Abydenern, die sich heldenmuetig
verteidigten, zu Hilfe zu kommen; allein die Verbuendeten ruehrten
sich nicht, und so ergab sich endlich die Stadt, nachdem fast alle
Waffenfaehigen im Kampf vor den Mauern und nach der Kapitulation ein
grosser Teil der Einwohner durch eigene Hand gefallen waren, der Gnade
des Siegers; sie bestand darin, dass den Abydenern drei Tage Frist
gegeben wurden, um freiwillig zu sterben. Hier im Lager von Abydos traf
die roemische Gesandtschaft, die nach Beendigung ihrer Geschaefte in
Syrien und Aegypten die griechischen Kleinstaaten besucht und bearbeitet
hatte, mit dem Koenig zusammen und entledigte sich ihrer vom Senat
erhaltenen Auftraege: der Koenig solle gegen keinen griechischen Staat
einen Angriffskrieg fuehren, die dem Ptolemaeos entrissenen Besitzungen
zurueckgeben und wegen der den Pergamenern und Rhodiern zugefuegten
Schaedigung sich ein Schiedsgericht gefallen lassen. Die Absicht des
Senats, den Koenig zur foermlichen Kriegserklaerung zu reizen, ward
nicht erreicht; der roemische Gesandte Marcus Aemilius erhielt vom
Koenig nichts als die feine Antwort, dass er dem jungen schoenen
roemischen Mann wegen dieser seiner drei Eigenschaften das Gesagte
zugute halten wolle. Indes war mittlerweile die von Rom gewuenschte
Veranlassung von einer anderen Seite her gekommen. Die Athener hatten
in ihrer albernen und grausamen Eitelkeit zwei unglueckliche Akarnanen
hinrichten lassen, weil dieselben sich zufaellig in ihre Mysterien
verirrt hatten. Als die Akarnanen in begreiflicher Erbitterung von
Philippos begehrten, dass er ihnen Genugtuung verschaffe, konnte dieser
das gerechte Begehren seiner treuesten Bundesgenossen nicht weigern und
gestattete ihnen, in Makedonien Mannschaft auszuheben und damit und
mit ihren eigenen Leuten ohne foermliche Kriegserklaerung in Attika
einzufallen. Zwar war dies nicht bloss kein eigentlicher Krieg, sondern
es liess auch der Fuehrer der makedonischen Schar, Nikanor, auf die
drohenden Worte der gerade in Athen anwesenden roemischen Gesandten
sofort seine Truppen den Rueckmarsch antreten (Ende 553 201). Aber es
war zu spaet. Eine athenische Gesandtschaft ging nach Rom, um ueber den
Angriff Philipps auf einen alten Bundesgenossen Roms zu berichten, und
aus der Art, wie der Senat sie empfing, sah Philippos deutlich, was ihm
bevorstand; weshalb er zunaechst, gleich im Fruehling 554 (200) seinen
Oberbefehlshaber in Griechenland, Philokles, anwies, das attische Gebiet
zu verwuesten und die Stadt moeglichst zu bedraengen. Der Senat
hatte jetzt, was er bedurfte, und konnte im Sommer 554 (200) die
Kriegserklaerung "wegen Angriffs auf einen mit Rom verbuendeten Staat"
vor die Volksversammlung bringen. Sie wurde das erstemal fast einstimmig
verworfen; toerichte oder tueckische Volkstribunen querulierten ueber
den Rat, der den Buergern keine Ruhe goennen wolle; aber der Krieg war
einmal notwendig und genau genommen schon begonnen, so dass der
Senat unmoeglich zuruecktreten konnte. Die Buergerschaft ward
durch Vorstellungen und Konzessionen zum Nachgeben bewogen. Es ist
bemerkenswert, dass diese Konzessionen wesentlich auf Kosten der
Bundesgenossen erfolgten. Aus ihren im aktiven Dienst befindlichen
Kontingenten wurden - ganz entgegen den sonstigen roemischen Maximen
- die Besatzungen von Gallien, Unteritalien, Sizilien und Sardinien,
zusammen 20000 Mann, ausschliesslich genommen, die saemtlichen vom
Hannibalischen Krieg her unter Waffen stehenden Buergertruppen aber
entlassen; nur Freiwillige sollten daraus zum Makedonischen Krieg
aufgeboten werden duerfen, welches denn freilich, wie sich nachher fand,
meistens gezwungene Freiwillige waren - es rief dies spaeter im Herbst
555 (199) einen bedenklichen Militaeraufstand im Lager von Apollonia
hervor. Aus neu einberufenen Leuten wurden sechs Legionen gebildet, von
denen je zwei in Rom und in Etrurien blieben und nur zwei in Brundisium
nach Makedonien eingeschifft wurden, gefuehrt von dem Konsul Publius
Sulpicius Galba. So hatte sich wieder einmal recht deutlich gezeigt,
dass fuer die weitlaeufigen und schwierigen Verhaeltnisse, in welche Rom
durch seine Siege gebracht war, die souveraenen Buergerversammlungen
mit ihren kurzsichtigen und vom Zufall abhaengigen Beschluessen
schlechterdings nicht mehr passten und dass deren verkehrtes Eingreifen
in die Staatsmaschine zu gefaehrlichen Modifikationen der militaerisch
notwendigen Massregeln und zu noch gefaehrlicherer Zuruecksetzung der
latinischen Bundesgenossen fuehrte. Philippos' Lage war sehr uebel.
Die oestlichen Staaten, die gegen jede Einmischung Roms haetten
zusammenstehen muessen und unter anderen Umstaenden auch vielleicht
zusammengestanden waeren, waren hauptsaechlich durch seine Schuld so
untereinander verhetzt, dass sie die roemische Invasion entweder
nicht zu hindern oder sogar zu foerdern geneigt waren. Asien, Philipps
natuerlicher und wichtiger Bundesgenosse, war von ihm vernachlaessigt
worden und ueberdies zunaechst durch die Verwicklung mit Aegypten und
den syrischen Krieg an taetigem Eingreifen gehindert. Aegypten hatte ein
dringendes Interesse daran, dass die roemische Flotte dem Ostmeer fern
blieb; selbst jetzt noch gab eine aegyptische Gesandtschaft in Rom
sehr deutlich zu verstehen, wie bereit der alexandrinische Hof sei, den
Roemern die Muehe abzunehmen, in Attika zu intervenieren. Allein der
zwischen Asien und Makedonien abgeschlossene Teilungsvertrag ueber
Aegypten warf diesen wichtigen Staat geradezu den Roemern in die Arme
und erzwang die Erklaerung des Kabinetts von Alexandreia, dass es in
die Angelegenheiten des europaeischen Griechenlands sich nur mit
Einwilligung der Roemer mischen werde. Aehnlich, aber noch bedraengter
gestellt waren die griechischen Handelsstaedte, an ihrer Spitze Rhodos,
Pergamon, Byzanz; sie haetten unter anderen Umstaenden ohne Zweifel
das Ihrige getan, um den Roemern das Ostmeer zu verschliessen, aber
Philippos' grausame und vernichtende Eroberungspolitik hatte sie zu
einem ungleichen Kampf gezwungen, in den sie ihrer Selbsterhaltung
wegen alles anwenden mussten, die italische Grossmacht zu verwickeln. Im
eigentlichen Griechenland fanden die roemischen Gesandten, die dort eine
zweite Ligue gegen Philippos zu stiften beauftragt waren, gleichfalls
vom Feinde wesentlich vorgearbeitet. Von der antimakedonischen Partei,
den Spartanern, Eleern, Athenern und Aetolern, haette Philippos die
letzten vielleicht zu gewinnen vermocht, da der Friede von 548 (206) in
ihren Freundschaftsbund mit Rom einen tiefen und keineswegs aufgeheilten
Riss gemacht hatte; allein abgesehen von den alten Differenzen, die
wegen der von Makedonien der aetolischen Eidgenossenschaft entzogenen
thessalischen Staedte Echinos, Larissa Kremaste, Pharsalos und des
phthiotischen Thebae zwischen den beiden Staaten bestanden, hatte die
Vertreibung der aetolischen Besatzungen aus Lysimacheia und Kios bei
den Aetolern neue Erbitterung gegen Philippos hervorgerufen. Wenn sie
zauderten, sich der Ligue gegen ihn anzuschliessen, so lag der Grund
wohl hauptsaechlich in der fortwirkenden Verstimmung zwischen ihnen und
den Roemern. Bedenklicher noch war es, dass selbst unter den fest an das
makedonische Interesse geknuepften griechischen Staaten, den Epeiroten,
Akarnanen, Boeotern und Achaeern, nur die Akarnanen und Boeoter
unerschuettert zu Philippos standen. Mit den Epeiroten verhandelten die
roemischen Gesandten nicht ohne Erfolg und namentlich der Koenig
der Athamanen, Amynander, schloss an Rom sich fest an. Sogar von den
Achaeern hatte Philippos durch die Ermordung des Aratos teils
viele verletzt, teils ueberhaupt einer freieren Entwicklung der
Eidgenossenschaft wieder Raum gegeben; sie hatte unter Philopoemens
(502-571 252-183, Strateg zuerst 546 208) Leitung ihr Heerwesen
regeneriert, in gluecklichen Kaempfen gegen Sparta das Zutrauen zu sich
selber wiedergefunden und folgte nicht mehr, wie zu Aratos' Zeit, blind
der makedonischen Politik. Einzig in ganz Hellas sah die achaeische
Eidgenossenschaft, die von Philippos' Vergroesserungssucht weder
Nutzen noch zunaechst Nachteil zu erwarten hatte, diesen Krieg vom
unparteiischen und nationalhellenischen Gesichtspunkte an; sie begriff,
was zu begreifen nicht schwer war, dass die hellenische Nation damit
den Roemern selber sich auslieferte, sogar ehe diese es wuenschten und
begehrten, und versuchte darum, zwischen Philippos und den Rhodiern
zu vermitteln; allein es war zu spaet. Der nationale Patriotismus, der
einst den Bundesgenossenkrieg beendigt und der. ersten Krieg zwischen
Makedonien und Rom wesentlich mit herbeigefuehrt hatte, war erloschen;
die achaeische Vermittlung blieb ohne Erfolg, und vergeblich bereiste
Philippos die Staedte und Inseln, um die Nation wieder zu entflammen -
es war das die Nemesis fuer Kios und Abydos. Die Achaeer, da sie nicht
aendern konnten und nicht helfen mochten, blieben neutral. Im Herbst des
Jahres 554 (200) landete der Konsul Publius Sulpicius Galba mit seinen
beiden Legionen und 1000 numidischen Reitern, ja sogar mit Elefanten,
die aus der karthagischen Beute herruehrten, bei Apollonia; auf welche
Nachricht der Koenig eilig vom Hellespont nach Thessalien zurueckkehrte.
Indes teils die schon weit vorgerueckte Jahreszeit, teils die Erkrankung
des roemischen Feldherrn bewirkten, dass zu Lande dies Jahr nichts
weiter vorgenommen ward als eine starke Rekognoszierung, bei der die
naechstliegenden Ortschaften, namentlich die makedonische Kolonie
Antipatreia, von den Roemern besetzt wurden. Fuer das naechste Jahr ward
mit den noerdlichen Barbaren, namentlich mit Pleuratos, dem damaligen
Herrn von Skodra, und dem Dardanerfuersten Bato, die selbstverstaendlich
eilten, die gute Gelegenheit zu nutzen, ein gemeinschaftlicher Angriff
auf Makedonien verabredet. Wichtiger waren die Unternehmungen der
roemischen Flotte, die 100 Deck- und 80 leichte Schiffe zaehlte.
Waehrend die uebrigen Schiffe bei Kerkyra fuer den Winter Station
nahmen, ging eine Abteilung unter Gaius Claudius Cento nach dem
Peiraeeus, um den bedraengten Athenern Beistand zu leisten. Da Cento
indes die attische Landschaft gegen die Streifereien der korinthischen
Besatzung und die makedonischen Korsaren schon hinreichend gedeckt fand,
segelte er weiter und erschien ploetzlich vor Chalkis auf Euboea,
dem Hauptwaffenplatz Philipps in Griechenland, wo die Magazine, die
Waffenvorraete und die Gefangenen aufbewahrt wurden und der Kommandant
Sopater nichts weniger als einen roemischen Angriff erwartete. Die
unverteidigte Mauer ward erstiegen, die Besatzung niedergemacht, die
Gefangenen befreit und die Vorraete verbrannt; leider fehlte es an
Truppen, um die wichtige Position zu halten. Auf die Kunde von diesem
ueberfall brach Philippos in ungestuemer Erbitterung sofort von
Demetrias in Thessalien auf nach Chalkis, und da er hier nichts von dem
Feind mehr fand als die Brandstaette, weiter nach Athen, um Gleiches mit
Gleichem zu vergelten. Allein die Ueberrumpelung misslang und auch
der Sturm war vergeblich, so sehr der Koenig sein Leben preisgab; das
Herannahen von Gaius Claudius vom Peiraeeus, des Attalos von Aegina her
zwangen ihn zum Abzug. Philippos verweilte indes noch einige Zeit in
Griechenland; aber politisch und militaerisch waren seine Erfolge gleich
gering. Umsonst versuchte er die Achaeer fuer sich in Waffen zu bringen;
und ebenso vergeblich waren seine Angriffe auf Eleusis und den Peiraeeus
sowie ein zweiter auf Athen selbst. Es blieb ihm nichts uebrig, als
seine begreifliche Erbitterung in unwuerdiger Weise durch Verwuestung
der Landschaft und Zerstoerung, der Baeume des Akademos zu befriedigen
und nach dem Norden zurueckzukehren. So verging der Winter. Mit dem
Fruehjahr 555 (199) brach der Prokonsul Publius Sulpicius aus seinem
Winterlager auf, entschlossen, seine Legionen von Apollonia auf der
kuerzesten Linie in das eigentliche Makedonien zu fuehren. Diesen
Hauptangriff von Westen her sollten drei Nebenangriffe unterstuetzen:
in noerdlicher Richtung der Einfall der Dardaner und Illyrier, in
oestlicher ein Angriff der kombinierten Flotte der Roemer und der
Bundesgenossen, die bei Aegina sich sammelte; endlich von Sueden her
sollten die Athamanen vordringen und, wenn es gelang, sie zur Teilnahme
am Kampfe zu bestimmen, zugleich die Aetoler. Nachdem Galba die Berge,
die der Apsos (jetzt Beratino) durchschneidet, ueberschritten hatte und
durch die fruchtbare dassaretische Ebene gezogen war, gelangte er an
die Gebirgskette, die Illyrien und Makedonien scheidet und betrat, diese
uebersteigend, das eigentliche makedonische Gebiet. Philippos war ihm
entgegengegangen; allein in den ausgedehnten und schwach bevoelkerten
Landschaften Makedoniens suchten sich die Gegner einige Zeit vergeblich,
bis sie endlich in der lynkestischen Provinz, einer fruchtbaren
aber sumpfigen Ebene, unweit der nordwestlichen Landesgrenze
aufeinandertrafen und keine 1000 Schritt voneinander die Lager schlugen.
Philippos' Heer zaehlte, nachdem er das zur Besetzung der noerdlichen
Paesse detachierte Korps an sich gezogen hatte, etwa 20000 Mann zu Fuss
und 2000 Reiter; das roemische war ungefaehr ebenso stark. Indes die
Makedonier hatten den grossen Vorteil, dass sie, in der Heimat fechtend
und mit Weg und Steg bekannt, mit leichter Muehe den Proviant zugefuehrt
erhielten, waehrend sie sich so dicht an die Roemer gelagert hatten,
dass diese es nicht wagen konnten, zu ausgedehnter Fouragierung sich zu
zerstreuen. Der Konsul bot die Schlacht wiederholt an, allein der Koenig
versagte sie beharrlich und die Gefechte zwischen den leichten Truppen,
wenn auch die Roemer darin einige Vorteile erfochten, aenderten in
der Hauptsache nichts. Galba war genoetigt, sein Lager abzubrechen und
anderthalb Meilen weiter bei Oktolophos ein anderes aufzuschlagen, von
wo er leichter sich verproviantieren zu koennen meinte. Aber auch hier
wurden die ausgeschickten Abteilungen von den leichten Truppen und der
Reiterei der Makedonier vernichtet; die Legionen mussten zu Hilfe
kommen und trieben dann freilich die makedonische Vorhut, die zu weit
vorgegangen war, mit starkem Verlust in das Lager zurueck, wobei der
Koenig selbst das Pferd verlor und nur durch die hochherzige Hingebung
eines seiner Reiter das Leben rettete. Aus dieser gefaehrlichen Lage
befreite die Roemer der bessere Erfolg der von Galba veranlassten
Nebenangriffe der Bundesgenossen oder vielmehr die Schwaeche der
makedonischen Streitkraefte. Obwohl Philippos in seinem Gebiet
moeglichst starke Aushebungen vorgenommen und roemische Ueberlaeufer
und andere Soeldner hinzugeworben hatte, hatte er doch nicht vermocht,
ausser den Besatzungen in Kleinasien und Thrakien, mehr als das Heer,
womit er selbst dem Konsul gegenueberstand, auf die Beine zu bringen,
und ueberdies noch, um dieses zu bilden, die Nordpaesse in der
pelagonischen Landschaft entbloessen muessen. Fuer die Deckung der
Ostkueste verliess er sich teils auf die von ihm angeordnete Verwuestung
der Inseln Skiathos und Peparethos, die der feindlichen Flotte eine
Station haetten bieten koennen, teils auf die Besatzung von Thasos und
der Kueste und auf die unter Herakleides bei Demetrias aufgestellte
Flotte. Fuer die Suedgrenze hatte er gar auf die mehr als zweifelhafte
Neutralitaet der Aetoler rechnen muessen. Jetzt traten diese ploetzlich
dem Bunde gegen Makedonien bei und drangen sofort mit den Athamanen
vereinigt in Thessalien ein, waehrend zugleich die Dardaner und Illyrier
die noerdlichen Landschaften ueberschwemmten und die roemische Flotte
unter Lucius Apustius, von Kerkyra aufbrechend, in den oestlichen
Gewaessern erschien, wo die Schiffe des Attalos, der Rhodier und der
Istrier sich mit ihr vereinigten. Philippos gab hiernach freiwillig
seine Stellung auf und wich in oestlicher Richtung zurueck: ob es
geschah, um den wahrscheinlich unvermuteten Einfall der Aetoler
zurueckzuschlagen oder um das roemische Heer sich nach und ins Verderben
zu ziehen oder um je nach den Umstaenden das eine oder das andere zu
tun, ist nicht wohl zu entscheiden. Er bewerkstelligte seinen Rueckzug
so geschickt, dass Galba, der den verwegenen Entschluss fasste, ihm zu
folgen, seine Spur verlor und es Philippos moeglich ward, den Engpass,
der die Landschaften Lynkestis und Eordaea scheidet, auf Seitenwegen
zu erreichen und zu besetzen, um die Roemer hier zu erwarten und ihnen
einen heissen Empfang zu bereiten. Es kam an der von ihm gewaehlten
Stelle zur Schlacht. Aber die langen makedonischen Speere erwiesen sich
unbrauchbar auf dem waldigen und ungleichen Terrain; die Makedonier
wurden teils umgangen, teils durchbrochen und verloren viele Leute.
Indes wenn auch Philippos' Heer nach diesem ungluecklichen Treffen nicht
laenger imstande war, den Roemern das weitere Vordringen zu wehren, so
scheuten sich doch diese selber in dem unwegsamen und feindlichen Land,
weiteren unbekannten Gefahren entgegenzuziehen, und kehrten zurueck
nach Apollonia, nachdem sie die fruchtbaren Landschaften Hochmakedoniens
Eordaea, Elimea, Orestis verwuestet und die bedeutendste Stadt
von Orestis, Keletron (jetzt Kastoria auf einer Halbinsel in dem
gleichnamigen See), sich ihnen ergeben hatte - es war die einzige
makedonische Stadt, die den Roemern ihre Tore oeffnete. Im illyrischen
Land ward die Stadt der Dassaretier, Pelion, an den oberen Zufluessen
des Apsos, erstuermt und stark besetzt, um auf einem aehnlichen Zug
kuenftig als Basis zu dienen. Philippos stoerte die roemische Hauptarmee
auf ihrem Rueckzug nicht, sondern wandte sich in Gewaltmaerschen gegen
die Aetoler und Athamanen, die in der Meinung, dass die Legionen
den Koenig beschaeftigten, das reiche Tal des Peneios furcht- und
ruecksichtslos pluenderten, schlug sie vollstaendig und noetigte, was
nicht fiel, sich einzeln auf den wohlbekannten Bergpfaden zu, retten.
Durch diese Niederlage und ebenso sehr durch die starken Werbungen,
die in Aetolien fuer aegyptische Rechnung stattfanden, schwand die
Streitkraft der Eidgenossenschaft nicht wenig zusammen. Die Dardaner
wurden von dem Fuehrer der leichten Truppen Philipps, Athenagoras,
ohne Muehe und mit starkem Verlust ueber die Berge zurueckgejagt.
Die roemische Flotte richtete auch nicht viel aus; sie vertrieb die
makedonische Besatzung von Andros, suchte Euboea und Skiathos heim
und machte dann Versuche auf die chalkidische Halbinsel, die aber die
makedonische Besatzung bei Mende kraeftig zurueckwies. Der Rest des
Sommers verging mit der Einnahme von Oreos auf Euboea, welche durch die
entschlossene Verteidigung der makedonischen Besatzung lange verzoegert
ward. Die schwache makedonische Flotte unter Herakleides stand untaetig
bei Herakleia und wagte nicht den Feinden das Meer streitig zu machen.
Fruehzeitig gingen diese in die Winterquartiere, die Roemer nach dem
Peiraeeus und Kerkyra, die Rhodier und Pergamener in die Heimat. Im
ganzen konnte Philipp zu den Ereignissen dieses Feldzuges sich
Glueck wuenschen. Die roemischen Truppen standen nach einem aeusserst
beschwerlichen Feldzug im Herbst genau da, von wo sie im Fruehling
aufgebrochen waren, und ohne das rechtzeitige Dareinschlagen der Aetoler
und die unerwartet glueckliche Schlacht am Pass von Eordaea haette
von der gesamten Macht vielleicht kein Mann das roemische Gebiet
wiedergesehen. Die vierfache Offensive hatte ueberall ihren Zweck
verfehlt und Philippos sah im Herbste nicht bloss sein ganzes Gebiet vom
Feind gereinigt, sondern er konnte noch einen, freilich vergeblichen,
Versuch machen, die an der aetolisch-thessalischen Grenze gelegene und
die Peneiosebene beherrschende feste Stadt Thaumakoi den Aetolern zu
entreissen. Wenn Antiochos, um dessen Kommen Philippos vergeblich zu den
Goettern flehte, sich im naechsten Feldzug mit ihm vereinigte, so durfte
er grosse Erfolge erwarten. Es schien einen Augenblick, als schicke
dieser sich dazu an; sein Heer erschien in Kleinasien und besetzte
einige Ortschaften des Koenigs Attalos, der von den Roemern
militaerischen Schutz erbat. Diese indes beeilten sich nicht, den
Grosskoenig jetzt zum Bruch zu draengen; sie schickten Gesandte, die
in der Tat es erreichten, dass Attalos' Gebiet geraeumt ward. Von daher
hatte Philippos nichts zu hoffen. Indes der glueckliche Ausgang des
letzten Feldzugs hatte Philipps Mut oder Uebermut so gehoben, dass,
nachdem er der Neutralitaet der Achaeer und der Treue der Makedonier
sich durch die Aufopferung einiger festen Plaetze und des verabscheuten
Admirals Herakleides aufs neue versichert hatte, im naechsten Fruehling
556 (198) er es war, der die Offensive ergriff und in die atintanische
Landschaft einrueckte, um in dem engen Pass, wo sich der Aoos (Viosa)
zwischen den Bergen Aeropos und Asmaos durchwindet, ein wohlverschanztes
Lager zu beziehen. Ihm gegenueber lagerte das durch neue
Truppensendungen verstaerkte roemische Heer, ueber das zuerst der Konsul
des vorigen Jahres, Publius Villius, sodann seit dem Sommer 556 (198)
der diesjaehrige Konsul Titus Quinctius Flamininus den Oberbefehl
fuehrte. Flamininus, ein talentvoller, erst dreissigjaehriger Mann,
gehoerte zu der juengeren Generation, welche mit dem altvaeterischen
Wesen auch den altvaeterischen Patriotismus von sich abzutun anfing
und zwar auch noch an das Vaterland, aber mehr an sich und an das
Hellenentum dachte. Ein geschickter Offizier und besserer Diplomat, war
er in vieler Hinsicht fuer die Behandlung der schwierigen griechischen
Verhaeltnisse vortrefflich geeignet; dennoch waere es vielleicht fuer
Rom wie fuer Griechenland besser gewesen, wenn die Wahl auf einen minder
von hellenischen Sympathien erfuellten Mann gefallen und ein Feldherr
dorthin gesandt worden waere, den weder feine Schmeichelei bestochen
noch beissende Spottrede verletzt haette, der die Erbaermlichkeit
der hellenischen Staatsverfassungen nicht ueber literarischen und
kuenstlerischen Reminiszenzen vergessen und der Hellas nach Verdienst
behandelt, den Roemern aber es erspart haette, unausfuehrbaren Idealen
nachzustreben. Der neue Oberbefehlshaber hatte mit dem Koenig
sogleich eine Zusammenkunft, waehrend die beiden Heere untaetig sich
gegenueberstanden. Philippos machte Friedensvorschlaege; er erbot sich,
alle eigenen Eroberungen zurueckzugeben und wegen des den griechischen
Staedten zugefuegten Schadens sich einem billigen Austrag zu
unterwerfen; aber an dem Begehren, altmakedonische Besitzungen,
namentlich Thessalien, aufzugeben, scheiterten die Verhandlungen.
Vierzig Tage standen die beiden Heere in dem Engpass des Aoos, ohne dass
Philippos wich oder Flamininus sich entschliessen konnte, entweder den
Sturm anzuordnen oder den Koenig stehenzulassen und die vorjaehrige
Expedition wieder zu versuchen. Da half dem roemischen General die
Verraeterei einiger Vornehmer unter den sonst gut makedonisch gesinnten
Epeiroten, namentlich des Charops, aus der Verlegenheit. Sie fuehrten
auf Bergpfaden ein roemisches Korps von 4000 Mann zu Fuss und 300
Reitern auf die Hoehen oberhalb des makedonischen Lagers und wie alsdann
der Konsul das feindliche Herr von vorn angriff, entschied das
Anruecken jener unvermutet von den beherrschenden Bergen herabsteigenden
roemischen Abteilung die Schlacht. Philippos verlor Lager und
Verschanzung und gegen 2000 Mann und wich eilig zurueck bis an den Pass
Tempel die Pforte des eigentlichen Makedoniens. Allen anderen Besitz gab
er auf bis auf die Festungen; die thessalischen Staedte, die er nicht
verteidigen konnte, zerstoerte er selbst - nur Pherae schloss ihm die
Tore und entging dadurch dem Verderben. Teils durch diese Erfolge der
roemischen Waffen, teils durch Flamininus' geschickte Milde bestimmt,
traten zunaechst die Epeiroten vom makedonischen Buendnis ab. In
Thessalien waren auf die erste Nachricht vom Siege der Roemer sogleich
die Athamanen und Aetoler eingebrochen, und die Roemer folgten bald; das
platte Land war leicht ueberschwemmt, allein die festen Staedte, die gut
makedonisch gesinnt waren und von Philippos Unterstuetzung empfingen,
fielen nur nach tapferem Widerstand oder widerstanden sogar dem
ueberlegenen Feind; so vor allem Atrax am linken Ufer des Peneios, wo
in der Bresche die Phalanx statt der Mauer stand. Bis auf diese
thessalischen Festungen und das Gebiet der treuen Akarnanen war somit
ganz Nordgriechenland in den Haenden der Koalition. Dagegen war der
Sueden durch die Festungen Chalkis und Korinth, die durch das Gebiet der
makedonisch gesinnten Boeoter miteinander die Verbindung unterhielten,
und durch die achaeische Neutralitaet noch immer wesentlich in
makedonischer Gewalt, und Flamininus entschloss sich, da es doch zu
spaet war, um dies Jahr noch in Makedonien einzudringen, zunaechst
Landheer und Flotte gegen Korinth und die Achaeer zu wenden. Die Flotte,
die wieder die rhodischen und pergamenischen Schiffe an sich gezogen
hatte, war bisher damit beschaeftigt gewesen, zwei kleinere Staedte auf
Euboea, Eretria und Karystos, einzunehmen und daselbst Beute zu machen;
worauf beide indes ebenso wie Oreos wieder aufgegeben und von dem
makedonischen Kommandanten von Chalkis, Philokles, aufs neue besetzt
wurden. Die vereinigte Flotte wandte sich von da nach Kenchreae, dem
oestlichen Hafen von Korinth, um diese starke Festung zu bedrohen. Von
der anderen Seite rueckte Flamininus in Phokis ein und besetzte die
Landschaft, in der nur Elateia eine laengere Belagerung aushielt;
diese Gegend, namentlich Antikyra am Korinthischen Meerbusen, war zum
Winterquartier ausersehen. Die Achaeer, die also auf der einen Seite die
roemischen Legionen sich naehern, auf der anderen die roemische Flotte
schon an ihrem eigenen Gestade sahen, verzichteten auf ihre sittlich
ehrenwerte, aber politisch unhaltbare Neutralitaet; nachdem die
Gesandten der am engsten an Makedonien geknuepften Staedte Dyme,
Megalopolis und Argos die Tagsatzung verlassen hatten, beschloss
dieselbe den Beitritt zu der Koalition gegen Philippos. Kykliades und
andere Fuehrer der makedonischen Partei verliessen die Heimat; die
Truppen der Achaeer vereinigten sich sofort mit der roemischen Flotte
und eilten, Korinth zu Lande einzuschliessen, welche Stadt, die
Zwingburg Philipps gegen die Achaeer, ihnen roemischerseits fuer ihren
Beitritt zu dem Bunde zugesichert worden war. Die makedonische
Besatzung indes, die 1300 Mann stark war und grossenteils aus italischen
Ueberlaeufern bestand, verteidigte entschlossen die fast uneinnehmbare
Stadt; ueberdies kam von Chalkis Philokles herbei mit einer Abteilung
von 1500 Mann, die nicht bloss Korinth entsetzte, sondern auch in das
Gebiet der Achaeer eindrang und im Einverstaendnis mit der makedonisch
gesinnten Buergerschaft ihnen Argos entriss. Allein der Lohn
solcher Hingebung war, dass der Koenig die treuen Argeier der
Schreckensherrschaft des Nabis von Sparta auslieferte. Diesen, den
bisherigen Bundesgenossen der Roemer, hoffte er nach dem Beitritt der
Achaeer zu der roemischen Koalition zu sich hinueberzuziehen; denn er
war hauptsaechlich nur deshalb roemischer Bundesgenosse geworden, weil
er in Opposition zu den Achaeern und seit 550 (204) sogar in offenem
Kriege mit ihnen sich befand. Allein Philippos' Angelegenheiten standen
zu verzweifelt, als dass irgend jemand jetzt sich auf seine Seite zu
schlagen Lust verspuert haette. Nabis nahm zwar Argos von Philippos an,
allein er verriet den Verraeter und blieb im Buendnis mit Flamininus,
welcher in der Verlegenheit, jetzt mit zwei untereinander im Krieg
begriffenen Maechten verbuendet zu sein, vorlaeufig zwischen den
Spartanern und Achaeern einen Waffenstillstand auf vier Monate
vermittelte. So kam der Winter heran. Philippos benutzte ihn abermals,
um womoeglich einen billigen Frieden zu erhalten. Auf einer Konferenz,
die in Nikaea am Malischen Meerbusen abgehalten ward, erschien der
Koenig persoenlich und versuchte, mit Flamininus zu einer Verstaendigung
zu gelangen, indem er den petulanten Uebermut der kleinen Herren mit
Stolz und Feinheit zurueckwies und durch markierte Deferenz gegen die
Roemer als die einzigen ihm ebenbuertigen Gegner von diesen ertraegliche
Bedingungen zu erhalten suchte. Flamininus war gebildet genug, um
durch die Urbanitaet des Besiegten gegen ihn und die Hoffart gegen
die Bundesgenossen, welche der Roemer wie der Koenig gleich verachten
gelernt hatten, sich geschmeichelt zu fuehlen; allein seine Vollmacht
ging nicht so weit wie das Begehren des Koenigs: er gestand ihm gegen
Einraeumung von Phokis und Lokris einen zweimonatlichen Waffenstillstand
zu und wies ihn in der Hauptsache an seine Regierung. Im roemischen
Senat war man sich laengst einig, dass Makedonien alle seine
auswaertigen Besitzungen aufgeben muesse; als daher Philippos' Gesandte
in Rom erschienen, begnuegte man sich zu fragen, ob sie Vollmacht
haetten, auf ganz Griechenland, namentlich auf Korinth, Chalkis und
Demetrias zu verzichten, und da sie dies verneinten, brach man sofort
die Unterhandlungen ab und beschloss die energische Fortsetzung des
Krieges. Mit Hilfe der Volkstribunen gelang es dem Senat, den so
nachteiligen Wechsel des Oberbefehls zu verhindern und Flamininus das
Kommando zu verlaengern; er erhielt bedeutende Verstaerkung, und die
beiden frueheren Oberbefehlshaber Publius Galba und Publius Villius
wurden angewiesen, sich ihm zur Verfuegung zu stellen. Auch Philippos
entschloss sich, noch eine Feldschlacht zu wagen. Um Griechenland zu
sichern, wo jetzt alle Staaten mit Ausnahme der Akarnanen und Boeoter
gegen ihn in Waffen standen, wurde die Besatzung von Korinth bis auf
6000 Mann verstaerkt, waehrend er selbst, die letzten Kraefte des
erschoepften Makedoniens anstrengend und Kinder und Greise in die
Phalanx einreihend, ein Heer von etwa 26000 Mann, darunter 16000
makedonische Phalangiten, auf die Beine brachte. So begann der vierte
Feldzug 557 (197). Flamininus schickte einen Teil der Flotte gegen die
Akarnanen, die in Leukas belagert wurden; im eigentlichen Griechenland
bemaechtigte er sich durch List der boeotischen Hauptstadt Thebae,
wodurch sich die Boeoter gezwungen sahen, dem Buendnis gegen Makedonien
wenigstens dem Namen nach beizutreten. Zufrieden, hierdurch die
Verbindung zwischen Korinth und Chalkis gesprengt zu haben, wandte er
sich nach Norden, wo allein die Entscheidung fallen konnte. Die grossen
Schwierigkeiten der Verpflegung des Heeres in dem feindlichen und
grossenteils oeden Lande, die schon oft die Operationen gehemmt hatten,
sollte jetzt die Flotte beseitigen, indem sie das Heer laengs der Kueste
begleitete und ihm die aus Afrika, Sizilien und Sardinien gesandten
Vorraete nachfuehrte. Indes die Entscheidung kam frueher, als Flamininus
gehofft hatte. Philippos, ungeduldig und zuversichtlich wie er war,
konnte es nicht aushalten, den Feind an der makedonischen Grenze zu
erwarten; nachdem er bei Dion sein Heer gesammelt hatte, rueckte
er durch den Tempepass in Thessalien ein und traf mit dem ihm
entgegenrueckenden feindlichen Heer in der Gegend von Skotussa zusammen.
Beide Heere, das makedonische und das roemische, das durch Zuzuege
der Apolloniaten und Athamanen und die von Nabis gesandten Kretenser,
besonders aber durch einen ansehnlichen aetolischen Haufen verstaerkt
worden war, zaehlten ungefaehr gleich viel Streiter, jedes etwa 26000
Mann; doch waren die Roemer an Reiterei dem Gegner ueberlegen. Vorwaerts
Skotussa, auf dem Plateau des Karadagh, traf waehrend eines trueben
Regentages der roemische Vortrab unvermutet auf den feindlichen, der
einen zwischen beiden Lagern gelegenen, hohen und steilen Huegel, die
Kynoskephalae genannt, besetzt hielt. Zurueckgetrieben in die Ebene,
erhielten die Roemer Verstaerkung aus dem Lager von den leichten Truppen
und dem trefflichen Korps der aetolischen Reiterei und draengten nun
ihrerseits den makedonischen Vortrab auf und ueber die Hoehe zurueck.
Hier aber fanden wiederum die Makedonier Unterstuetzung an ihrer
gesamten Reiterei und dem groessten Teil der leichten Infantrie; die
Roemer, die unvorsichtig sich vorgewagt hatten, wurden mit grossem
Verlust bis hart an ihr Lager zurueckgejagt und haetten sich voellig zur
Flucht gewandt, wenn nicht die aetolischen Ritter in der Ebene den Kampf
so lange hingehalten haetten, bis Flamininus die schnell geordneten
Legionen herbeifuehrte. Dem ungestuemen Ruf der siegreichen, die
Fortsetzung des Kampfes fordernden Truppen gab der Koenig nach und
ordnete auch seine Schwerbewaffneten eilig zu der Schlacht, die weder
Feldherr noch Soldaten an diesem Tage erwartet hatten. Es galt, den
Huegel zu besetzen, der augenblicklich von Truppen ganz entbloesst war.
Der rechte Fluegel der Phalanx unter des Koenigs eigener Fuehrung kam
frueh genug dort an, um sich ungestoert auf der Hoehe in Schlachtordnung
zu stellen; der linke aber war noch zurueck, als schon die leichten
Truppen der Makedonier, von den Legionen gescheucht, den Huegel
heraufstuermten. Philipp schob die fluechtigen Haufen rasch an der
Phalanx vorbei in das Mitteltreffen, und ohne zu erwarten, bis auf dem
linken Fluegel Nikanor mit der anderen, langsamer folgenden Haelfte
der Phalanx eingetroffen war, hiess er die rechte Phalanx mit gesenkten
Speeren den Huegel hinab sich auf die Legionen stuerzen und gleichzeitig
die wieder geordnete leichte Infanterie sie umgehen und ihnen in die
Flanke fallen. Der am guenstigen Orte unwiderstehliche Angriff der
Phalanx zersprengte das roemische Fussvolk, und der linke Fluegel der
Roemer ward voellig geschlagen. Auf dem anderen Fluegel liess Nikanor,
als er den Koenig angreifen sah, die andere Haelfte der Phalanx
schleunig nachruecken; sie geriet dabei auseinander, und waehrend die
ersten Reihen schon den Berg hinab eilig dem siegreichen rechten Fluegel
folgten und durch das ungleiche Terrain noch mehr in Unordnung kamen,
gewannen die letzten Glieder eben erst die Hoehe. Der rechte Fluegel der
Roemer ward unter diesen Umstaenden leicht mit dem feindlichen
linken fertig; die Elefanten allein, die auf diesem Fluegel standen,
vernichteten die aufgeloesten makedonischen Scharen. Waehrend hier ein
fuerchterliches Gemetzel entstand, nahm ein entschlossener roemischer
Offizier zwanzig Faehnlein zusammen und warf sich mit diesen auf
den siegreichen makedonischen Fluegel, der, den roemischen linken
verfolgend, so weit vorgedrungen war, dass der roemische rechte ihm im
Ruecken stand. Gegen den Angriff von hinten war die Phalanx wehrlos
und mit dieser Bewegung die Schlacht zu Ende. Bei der vollstaendigen
Aufloesung der beiden Phalangen ist es begreiflich, dass man 13000 teils
gefangene, teils gefallene Makedonier zaehlte, meistens gefallene,
weil die roemischen Soldaten das makedonische Zeichen der Ergebung, das
Aufheben der Sarissen, nicht kannten; der Verlust der Sieger war
gering. Philippos entkam nach Larissa und nachdem er alle seine Papiere
verbrannt hatte, um niemanden zu kompromittieren, raeumte er Thessalien
und ging in seine Heimat zurueck. Gleichzeitig mit dieser grossen
Niederlage erlitten die Makedonier noch andere Nachteile auf allen
Punkten, die sie noch besetzt hielten: in Karien schlugen die rhodischen
Soeldner das dort stehende makedonische Korps und zwangen dasselbe, sich
in Stratonikeia einzuschliessen; die korinthische Besatzung ward von
Nikostratos und seinen Achaeern mit starkem Verlust geschlagen, das
akarnanische Leukas nach heldenmuetiger Gegenwehr erstuermt. Philippos
war vollstaendig ueberwunden; seine letzten Verbuendeten, die Akarnanen,
ergaben sich auf die Nachricht von der Schlacht bei Kynoskephalae. Es
lag vollstaendig in der Hand der Roemer, den Frieden zu diktieren:
sie nutzten ihre Macht, ohne sie zu missbrauchen. Man konnte das Reich
Alexanders vernichten; auf der Konferenz der Bundesgenossen ward dies
Begehren von aetolischer Seite ausdruecklich gestellt. Allein was hiess
das anders als den Wall hellenischer Bildung gegen Thraker und Kelten
niederreissen? Schon war waehrend des eben beendigten Krieges das
bluehende Lysimacheia auf dem Thrakischen Chersonesos von den Thrakern
gaenzlich zerstoert worden - eine ernste Warnung fuer die Zukunft.
Flamininus, der tiefe Blicke in die widerwaertigen Verfehdungen der
griechischen Staaten getan hatte, konnte nicht die Hand dazu
bieten, dass die roemische Grossmacht fuer den Groll der aetolischen
Eidgenossenschaft die Exekution uebernahm, auch wenn nicht seine
hellenischen Sympathien fuer den feinen und ritterlichen Koenig ebenso
sehr gewonnen gewesen waeren wie sein roemisches Nationalgefuehl
verletzt war durch die Prahlerei der Aetoler, der "Sieger von
Kynoskephalae", wie sie sich nannten. Den Aetolern erwiderte er, dass es
nicht roemische Sitte sei, Besiegte zu vernichten, uebrigens seien sie
ja ihre eigenen Herren und stehe es ihnen frei, mit Makedonien ein
Ende zu machen, wenn sie koennten. Der Koenig ward mit aller moeglichen
Ruecksicht behandelt, und nachdem er sich bereit erklaert hatte, auf
die frueher gestellten Forderungen jetzt einzugehen, ihm von Flamininus
gegen Zahlung einer Geldsumme und Stellung von Geiseln, darunter
seines Sohnes Demetrios, ein laengerer Waffenstillstand bewilligt,
den Philippos hoechst noetig brauchte, um die Dardaner aus Makedonien
hinauszuschlagen. Die definitive Regulierung der verwickelten
griechischen Angelegenheiten ward vom Senat einer Kommission von zehn
Personen uebertragen, deren Haupt und Seele wieder Flamininus war.
Philippos erhielt von ihr aehnliche Bedingungen, wie sie Karthago
gestellt worden waren. Er verlor alle auswaertigen Besitzungen in
Kleinasien, Thrakien, Griechenland und auf den Inseln des Aegaeischen
Meeres; dagegen blieb das eigentliche Makedonien ungeschmaelert bis auf
einige unbedeutende Grenzstriche und die Landschaft Orestis, welche frei
erklaert ward - eine Bestimmung, die Philippos aeusserst empfindlich
fiel, allein die die Roemer nicht umhin konnten, ihm vorzuschreiben, da
bei seinem Charakter es unmoeglich war, ihm die freie Verfuegung ueber
einmal von ihm abgefallene Untertanen zu lassen. Makedonien wurde
ferner verpflichtet, keine auswaertigen Buendnisse ohne Vorwissen Roms
abzuschliessen noch nach auswaerts Besatzungen zu schicken; ferner nicht
ausserhalb Makedoniens gegen zivilisierte Staaten noch ueberhaupt gegen
roemische Bundesgenossen Krieg zu fuehren und kein Heer ueber 5000 Mann,
keine Elefanten und nicht ueber fuenf Deckschiffe zu unterhalten, die
uebrigen an die Roemer auszuliefern. Endlich trat Philippos mit den
Roemern in Symmachie, die ihn verpflichtete, auf Verlangen Zuzug zu
senden, wie denn gleich nachher die makedonischen Truppen mit den
Legionen zusammen fochten. Ausserdem zahlte er eine Kontribution von
1000 Talenten (1700000 Taler). Nachdem Makedonien also zu vollstaendiger
politischer Nullitaet herabgedrueckt und ihm nur so viel Macht gelassen
war, als es bedurfte, um die Grenze von Hellas gegen die Barbaren zu
hueten, schritt man dazu, ueber die vom Koenig abgetretenen Besitzungen
zu verfuegen. Die Roemer, die eben damals in Spanien erfuhren, dass
ueberseeische Provinzen ein sehr zweifelhafter Gewinn seien, und die
ueberhaupt keineswegs des Laendererwerbes wegen den Krieg begonnen
hatten, nahmen nichts von der Beute fuer sich und zwangen dadurch auch
ihre Bundesgenossen zur Maessigung. Sie beschlossen, saemtliche Staaten
Griechenlands, die bisher unter Philippos gestanden, frei zu erklaeren;
und Flamininus erhielt den Auftrag, das desfaellige Dekret den zu
den Isthmischen Spielen versammelten Griechen zu verlesen (558 196).
Ernsthafte Maenner freilich mochten fragen, ob denn die Freiheit ein
verschenkbares Gut sei und was Freiheit ohne Einigkeit und Einheit der
Nation bedeute; doch war der Jubel gross und aufrichtig, wie die
Absicht aufrichtig war, in der der Senat die Freiheit verlieh ^1.
--------------------------------------------------- ^1 Wir haben
noch Goldstater mit dem Kopf des Flamininus und der Inschrift "T.
Quincti(us)", unter dem Regiment des Befreiers der Hellenen in
Griechenland geschlagen. Der Gebrauch der lateinischen Sprache ist
eine bezeichnende Artigkeit.
---------------------------------------------------- Ausgenommen waren
von dieser gemeinen Massregel nur die illyrischen Landschaften oestlich
von Epidamnos, die an den Herrn von Skodra, Pleuratos, fielen und
diesen, ein Menschenalter zuvor von den Roemern gedemuetigten Land-
und Seeraeuberstaat wieder zu der maechtigsten unter all den kleinen
Herrschaften in diesen Strichen machten; ferner einige Ortschaften
im westlichen Thessalien, die Amynander besetzt hatte und die man ihm
liess, und die drei Inseln Paros, Skyros und Imbros, welche Athen fuer
seine vielen Drangsale und seine noch zahlreicheren Dankadressen und
Hoeflichkeiten aller Art zum Geschenk erhielt. Dass die Rhodier ihre
karischen Besitzungen behielten und Aegina den Pergamenern blieb,
versteht sich. Sonst ward den Bundesgenossen nur mittelbar gelohnt
durch den Zutritt der neu befreiten Staedte zu den verschiedenen
Eidgenossenschaften. Am besten wurden die Achaeer bedacht, die doch
am spaetesten der Koalition gegen Philippos beigetreten waren; wie es
scheint, aus dem ehrenwerten Grunde, dass dieser Bundesstaat unter
allen griechischen der geordnetste und ehrbarste war. Die saemtlichen
Besitzungen Philipps auf dem Peloponnes und dem Isthmos, also namentlich
Korinth, wurden ihrem Bunde einverleibt. Mit den Aetolern dagegen machte
man wenig Umstaende; sie durften die phokischen und lokrischen Staedte
in ihre Symmachie aufnehmen, allein ihre Versuche, dieselbe auch
auf Akarnanien und Thessalien auszudehnen, wurden teils entschieden
zurueckgewiesen, teils in die Ferne geschoben, und die thessalischen
Staedte vielmehr in vier kleine selbstaendige Eidgenossenschaften
geordnet. Dem Rhodischen Staedtebund kam die Befreiung von Thasos
und Lemnos, der thrakischen und kleinasiatischen Staedte zugute.
Schwierigkeit machte die Ordnung der inneren Verhaeltnisse
Griechenlands, sowohl der Staaten zueinander, als der einzelnen Staaten
in sich. Die dringendste Angelegenheit war der zwischen den Spartanern
und Achaeern seit 550 (204) gefuehrte Krieg, dessen Vermittlung den
Roemern notwendig zufiel. Allein nach vielfachen Versuchen, Nabis
zum Nachgeben, namentlich zur Herausgabe der von Philippos ihm
ausgelieferten achaeischen Bundesstadt Argos zu bestimmen, blieb
Flamininus doch zuletzt nichts uebrig, als dem eigensinnigen kleinen
Raubherrn, der auf den offenkundigen Groll der Aetoler gegen die Roemer
und auf Antiochos' Einruecken in Europa rechnete und die Rueckstellung
von Argos beharrlich weigerte, endlich von den saemtlichen Hellenen auf
einer grossen Tagfahrt in Korinth den Krieg erklaeren zu lassen und mit
der Flotte und dem roemisch-bundesgenoessischen Heere, darunter
auch einem von Philippos gesandten Kontingent und einer Abteilung
lakedaemonischer Emigranten unter dem legitimen Koenig von Sparta,
Agesipolis, in den Peloponnes einzuruecken (559 195). Um den Gegner
durch die ueberwaeltigende Uebermacht sogleich zu erdruecken,
wurden nicht weniger als 50000 Mann auf die Beine gebracht und mit
Vernachlaessigung der uebrigen Staedte sogleich die Hauptstadt selbst
umstellt; allein der gewuenschte Erfolg ward dennoch nicht erreicht.
Nabis hatte eine betraechtliche Armee, bis 15000 Mann, darunter
5000 Soeldner, ins Feld gestellt und seine Herrschaft durch ein
vollstaendiges Schreckensregiment, die Hinrichtung in Masse der
ihm verdaechtigen Offiziere und Bewohner der Landschaft, aufs neue
befestigt. Sogar als er selber nach den ersten Erfolgen der roemischen
Armee und Flotte sich entschloss, nachzugeben und die von Flamininus ihm
gestellten verhaeltnismaessig sehr guenstigen Bedingungen anzunehmen,
verwarf "das Volk", das heisst das von Nabis in Sparta angesiedelte
Raubgesindel, nicht mit Unrecht die Rechenschaft nach dem Siege
fuerchtend und getaeuscht durch obligate Luegen ueber die Beschaffenheit
der Friedensbedingungen und das Heranruecken der Aetoler und der
Asiaten, den von dem roemischen Feldherrn gebotenen Frieden, und der
Kampf begann aufs neue. Es kam zu einer Schlacht vor den Mauern und zu
einem Sturm auf dieselben; schon waren sie von den Roemern erstiegen,
als das Anzuenden der genommenen Strassen die Stuermenden wieder zur
Umkehr zwang. Endlich nahm denn doch der eigensinnige Widerstand ein
Ende. Sparta behielt seine Selbstaendigkeit und ward weder gezwungen,
die Emigranten wieder aufzunehmen, noch dem Achaeischen Bunde
beizutreten; sogar die bestehende monarchische Verfassung und Nabis
selbst blieben unangetastet. Dagegen musste Nabis seine auswaertigen
Besitzungen, Argos, Messene, die kretischen Staedte und ueberdies
noch die ganze Kueste, abtreten, sich verpflichten, weder auswaertige
Buendnisse zu schliessen noch Krieg zu fuehren und keine anderen
Schiffe zu halten als zwei offene Kaehne, endlich alles Raubgut wieder
abzuliefern, den Roemern Geiseln zu stellen und eine Kriegskontribution
zu zahlen. Den spartanischen Emigranten wurden die Staedte an der
lakonischen Kueste gegeben und diese neue Volksgemeinde, die im
Gegensatz zu den monarchisch regierten Spartanern sich die der "freien
Lakonen" nannte, angewiesen, in den Achaeischen Bund einzutreten. Ihr
Vermoegen erhielten die Emigrierten nicht zurueck, indem die ihnen
angewiesene Landschaft dafuer als Ersatz angesehen ward; wogegen
verfuegt wurde, dass ihre Weiber und Kinder nicht wider deren Willen
in Sparta zurueckgehalten werden sollten. Die Achaeer, obwohl sie durch
diese Verfuegung ausser Argos noch die freien Lakonen erhielten, waren
dennoch wenig zufrieden; sie hatten die Beseitigung des gefuerchteten
und gehassten Nabis, die Rueckfuehrung der Emigrierten und die
Ausdehnung der achaeischen Symmachie auf den ganzen Peloponnes erwartet.
Der Unbefangene wird indes nicht verkennen, dass Flamininus diese
schwierigen Angelegenheiten so billig und gerecht regelte, wie es
moeglich ist, wo zwei beiderseits unbillige und ungerechte politische
Parteien sich gegenueberstehen. Bei der alten und tiefen Verfeindung
zwischen den Spartanern und Achaeern waere die Einverleibung Spartas
in den Achaeischen Bund einer Unterwerfung Spartas unter die Achaeer
gleichgekommen, was der Billigkeit nicht minder zuwiderlief als der
Klugheit. Die Rueckfuehrung der Emigranten und die vollstaendige
Restauration eines seit zwanzig Jahren beseitigten Regiments wuerde nur
ein Schreckensregiment an die Stelle eines anderen gesetzt haben; der
Ausweg, den Flamininus ergriff, war eben darum der rechte, weil er beide
extreme Parteien nicht befriedigte. Endlich schien dafuer gruendlich
gesorgt, dass es mit dem spartanischen See- und Landraub ein Ende hatte
und das Regiment daselbst, wie es nun eben war, nur der eigenen Gemeinde
unbequem fallen konnte. Es ist moeglich, dass Flamininus, der den
Nabis kannte und wissen musste, wie wuenschenswert dessen persoenliche
Beseitigung war, davon abstand, um nur einmal zu Ende zu kommen und
nicht durch unabsehbar sich fortspinnende Verwicklungen den reinen
Eindruck seiner Erfolge zu trueben; moeglich auch, dass er ueberdies
an Sparta ein Gegengewicht gegen die Macht der Achaeischen
Eidgenossenschaft im Peloponnes zu konservieren suchte. Indes der erste
Vorwurf trifft einen Nebenpunkt und in letzterer Hinsicht ist es wenig
wahrscheinlich, dass die Roemer sich herabliessen, die Achaeer zu
fuerchten. Aeusserlich wenigstens war somit zwischen den kleinen
griechischen Staaten Friede gestiftet. Aber auch die inneren
Verhaeltnisse der einzelnen Gemeinden gaben dem roemischen
Schiedsrichter zu tun. Die Boeoter trugen ihre makedonische Gesinnung
selbst noch nach der Verdraengung der Makedonier aus Griechenland
offen zur Schau; nachdem Flamininus auf ihre Bitten ihren in Philippos'
Diensten gestandenen Landsleuten die Rueckkehr verstattet hatte, ward
der entschiedenste der makedonischen Parteigaenger, Brachyllas,
zum Vorstand der Boeotischen Genossenschaft erwaehlt und auch sonst
Flamininus auf alle Weise gereizt. Er ertrug es mit beispielloser
Geduld: indes die roemisch gesinnten Boeoter, die wussten, was nach dem
Abzug der Roemer ihrer warte, beschlossen den Tod des Brachyllas, und
Flamininus, dessen Erlaubnis sie sich dazu erbitten zu muessen glaubten,
sagte wenigstens nicht nein. Brachyllas ward demnach ermordet; worauf
die Boeoter sich nicht begnuegten, die Moerder zu verfolgen, sondern
auch den einzeln durch ihr Gebiet passierenden roemischen Soldaten
auflauerten und deren an 500 erschlugen. Dies war denn doch zu arg;
Flamininus legte ihnen eine Busse von einem Talent fuer jeden Soldaten
auf, und da sie diese nicht zahlten, nahm er die naechstliegenden
Truppen zusammen und belagerte Koroneia (558 196). Nun verlegte man sich
auf Bitten; in der Tat liess Flamininus auf die Verwendung der Achaeer
und Athener gegen eine sehr maessige Busse von den Schuldigen ab, und
obwohl die makedonische Partei fortwaehrend in der kleinen Landschaft
am Ruder blieb, setzten die Roemer ihrer knabenhaften Opposition nichts
entgegen als die Langmut der Uebermacht. Auch im uebrigen Griechenland
begnuegte sich Flamininus, soweit es ohne Gewalttaetigkeit anging,
auf die inneren Verhaeltnisse namentlich der neubefreiten Gemeinden
einzuwirken, den Rat und die Gerichte in die Haende der Reicheren
und die antimakedonisch gesinnte Partei ans Ruder zu bringen und die
staedtischen Gemeinwesen dadurch, dass er das, was in jeder Gemeinde
nach Kriegsrecht an die Roemer gefallen war, zu dem Gemeindegut der
betreffenden Stadt schlug, moeglichst an das roemische Interesse zu
knuepfen. Im Fruehjahr 560 (194) war die Arbeit beendigt: Flamininus
versammelte noch einmal in Korinth die Abgeordneten der saemtlichen
griechischen Gemeinden, ermahnte sie zu verstaendigem und maessigem
Gebrauch der ihnen verliehenen Freiheit und erbat sich als einzige
Gegengabe fuer die Roemer, dass man die italischen Gefangenen, die
waehrend des Hannibalischen Krieges nach Griechenland verkauft worden
waren, binnen dreissig Tagen ihm zusende. Darauf raeumte er die letzten
Festungen, in denen noch roemische Besatzung stand, Demetrias, Chalkis
nebst den davon abhaengigen kleineren Forts auf Euboea, und Akrokorinth,
also die Rede der Aetoler, dass Rom die Fesseln Griechenlands von
Philippos geerbt, tatsaechlich Luege strafend, und zog mit den
saemtlichen roemischen Truppen und den befreiten Gefangenen in die
Heimat. Nur von der veraechtlichen Unredlichkeit oder der schwaechlichen
Sentimentalitaet kann es verkannt werden, dass es mit der Befreiung
Griechenlands den Roemern vollkommen ernst war, und die Ursache, weshalb
der grossartig angelegte Plan ein so kuemmerliches Gebaeude lieferte,
einzig zu suchen ist in der vollstaendigen sittlichen und staatlichen
Aufloesung der hellenischen Nation. Es war nichts Geringes, dass eine
maechtige Nation das Land, welches sie sich gewoehnt hatte, als ihre
Urheimat und als das Heiligtum ihrer geistigen und hoeheren Interessen
zu betrachten, mit ihrem maechtigen Arm ploetzlich zur vollen Freiheit
fuehrte und jeder Gemeinde desselben die Befreiung von fremder Schatzung
und fremder Besatzung und die unbeschraenkte Selbstregierung verlieh;
bloss die Jaemmerlichkeit sieht hierin nichts als politische Berechnung.
Der politische Kalkuel machte den Roemern die Befreiung Griechenlands
moeglich, zur Wirklichkeit wurde sie durch die eben damals in Rom und
vor allem in Flamininus selbst unbeschreiblich maechtigen hellenischen
Sympathien. Wenn ein Vorwurf die Roemer trifft, so ist es der, dass sie
alle und vor allem den Flamininus, der die wohlbegruendeten Bedenken
des Senats ueberwand, der Zauber des hellenischen Namens hinderte, die
Erbaermlichkeit des damaligen griechischen Staatenwesens in ihrem ganzen
Umfang zu erkennen, und dass sie all den Gemeinden, die mit ihren in
sich und gegeneinander gaerenden ohnmaechtigen Antipathien weder zu
handeln noch sich ruhig zu halten verstanden, ihr Treiben auch ferner
gestatteten. Wie die Dinge einmal standen, war es vielmehr noetig,
dieser ebenso kuemmerlichen als schaedlichen Freiheit durch eine an Ort
und Stelle dauernd anwesende Uebermacht ein- fuer allemal ein Ende zu
machen; die schwaechliche Gefuehlspolitik war bei all ihrer scheinbaren
Humanitaet weit grausamer, als die strengste Okkupation gewesen sein
wuerde. In Boeotien zum Beispiel musste Rom einen politischen Mord,
wenn nicht veranlassen, doch zulassen, weil man sich einmal entschlossen
hatte, die roemischen Truppen aus Griechenland wegzuziehen und somit den
roemisch gesinnten Griechen nicht wehren konnte, dass sie landueblicher
Weise sich selber halfen. Aber auch Rom selbst litt unter den Folgen
dieser Halbheit. Der Krieg mit Antiochos waere nicht entstanden ohne
den politischen Fehler der Befreiung Griechenlands, und er waere
ungefaehrlich geblieben ohne den militaerischen Fehler, aus den
Hauptfestungen an der europaeischen Grenze die Besatzungen wegzuziehen.
Die Geschichte hat eine Nemesis fuer jede Suende, fuer den impotenten
Freiheitsdrang wie fuer den unverstaendigen Edelmut. 9. Kapitel Der
Krieg gegen Antiochos von Asien In dem Reiche Asien trug das Diadem der
Seleukiden seit dem Jahre 531 (223) der Koenig Antiochos der Dritte, der
Urenkel des Begruenders der Dynastie. Auch er war gleich Philippos
mit neunzehn Jahren zur Regierung gekommen und hatte Taetigkeit und
Unternehmungsgeist genug namentlich in seinen ersten Feldzuegen im Osten
entwickelt, um ohne allzu arge Laecherlichkeit im Hofstil der Grosse zu
heissen. Mehr indes durch die Schlaffheit seiner Gegner, namentlich des
aegyptischen Philopator, als durch seine eigene Tuechtigkeit war es ihm
gelungen, die Integritaet der Monarchie einigermassen wiederherzustellen
und zuerst die oestlichen Satrapien Medien und Parthyene, dann auch den
von Achaeos diesseits des Tauros in Kleinasien begruendeten Sonderstaat
wieder mit der Krone zu vereinigen. Ein erster Versuch, das schmerzlich
entbehrte syrische Kuestenland den Aegyptern zu entreissen, war im
Jahre der Trasimenischen Schlacht von Philopator bei Raphia blutig
zurueckgewiesen worden, und Antiochos hatte sich wohl gehuetet, mit
Aegypten den Streit wieder aufzunehmen, solange dort ein Mann, wenn auch
ein schlaffer, auf dem Thron sass. Aber nach Philopators Tode (549 205)
schien der rechte Augenblick gekommen, mit Aegypten ein Ende zu machen;
Antiochos verband sich zu diesem Zweck mit Philippos und hatte sich
auf Koilesyrien geworfen, waehrend dieser die kleinasiatischen Staedte
angriff. Als die Roemer hier intervenierten, schien es einen Augenblick,
als werde Antiochos gegen sie mit Philippos gemeinschaftliche Sache
machen, wie die Lage der Dinge und der Buendnisvertrag es mit sich
brachten. Allein nicht weitsichtig genug, um ueberhaupt die Einmischung
der Roemer in die Angelegenheiten des Ostens sofort mit aller Energie
zurueckzuweisen, glaubte Antiochos seinen Vorteil am besten zu wahren,
wenn er Philippos' leicht vorauszusehende Ueberwaeltigung durch die
Roemer dazu nutzte, um das Aegyptische Reich, das er mit Philippos
hatte teilen wollen, nun fuer sich allein zu gewinnen. Trotz der engen
Beziehungen Roms zu dem alexandrinischen Hof und dem koeniglichen
Muendel hatte doch der Senat keineswegs die Absicht, wirklich, wie er
sich nannte, dessen "Beschuetzer" zu sein; fest entschlossen, sich um
die asiatischen Angelegenheiten nicht anders als im aeussersten Notfall
zu bekuemmern und den Kreis der roemischen Macht mit den Saeulen des
Herakles und dem Hellespont zu begrenzen, liess er den Grosskoenig
machen. Mit der Eroberung des eigentlichen Aegypten, die leichter gesagt
als getan war, mochte es freilich diesem selbst nicht recht ernst sein;
dagegen ging er daran, die auswaertigen Besitzungen Aegyptens eine nach
der andern zu unterwerfen und griff zunaechst die kilikischen sowie die
syrischen und palaestinensischen an. Der grosse Sieg, den er im Jahre
556 (198) am Berge Panion bei den Jordanquellen ueber den aegyptischen
Feldherrn Skopas erfocht, gab ihm nicht bloss den vollstaendigen Besitz
dieses Gebiets bis an die Grenze des eigentlichen Aegypten, sondern
schreckte die aegyptischen Vormuender des jungen Koenigs so sehr, dass
dieselben, um Antiochos vom Einruecken in Aegypten abzuhalten, sich
zum Frieden bequemten und durch das Verloebnis ihres Muendels mit der
Tochter des Antiochos, Kleopatra, den Frieden besiegelten. Nachdem also
das naechste Ziel erreicht war, ging Antiochos in dem folgenden Jahr,
dem der Schlacht von Kynoskephalae, mit einer starken Flotte von
100 Deck- und 100 offenen Schiffen nach Kleinasien, um die ehemals
aegyptischen Besitzungen an der Sued- und Westkueste Kleinasiens in
Besitz zu nehmen - wahrscheinlich hatte die aegyptische Regierung diese
Distrikte, die faktisch in Philippos' Haenden waren, im Frieden an
Antiochos abgetreten und ueberhaupt auf die saemtlichen auswaertigen
Besitzungen zu dessen Gunsten verzichtet - und um ueberhaupt die
kleinasiatischen Griechen wieder zum Reiche zu bringen. Zugleich
sammelte sich ein starkes syrisches Landheer in Sardes. Dieses Beginnen
war mittelbar gegen die Roemer gerichtet, welche von Anfang an Philippos
die Bedingung gestellt hatten, seine Besatzungen aus Kleinasien
wegzuziehen und den Rhodiern und Pergamenern ihr Gebiet, den
Freistaedten die bisherige Verfassung ungekraenkt zu lassen, und nun an
Philippos' Stelle sich Antiochos derselben bemaechtigen sehen mussten.
Unmittelbar aber sahen sich Attalos und die Rhodier jetzt von Antiochos
durchaus mit derselben Gefahr bedroht, die sie wenige Jahre zuvor zum
Kriege gegen Philippos getrieben hatte; und natuerlich suchten sie die
Roemer in diesen Krieg ebenso wie in den eben beendigten zu verwickeln.
Schon 555/56 (199/98) hatte Attalos von den Roemern militaerische Hilfe
begehrt gegen Antiochos, der sein Gebiet besetzt habe, waehrend Attalos'
Truppen in dem roemischen Kriege beschaeftigt seien. Die energischeren
Rhodier erklaerten sogar dem Koenig Antiochos, als im Fruehjahr 557
(197) dessen Flotte an der kleinasiatischen Kueste hinauf segelte, dass
sie die Ueberschreitung der Chelidonischen Inseln (an der lykischen
Kueste) als Kriegserklaerung betrachten wuerden, und als Antiochos sich
hieran nicht kehrte, hatten sie, ermutigt durch die eben eintreffende
Kunde von der Schlacht bei Kynoskephalae, sofort den Krieg begonnen und
die wichtigsten karischen Staedte Kaunos, Halikarnassos, Myndos, ferner
die Insel Samos in der Tat vor dem Koenig geschuetzt. Auch von den
halbfreien Staedten hatten zwar die meisten sich demselben gefuegt,
allein einige derselben, namentlich die wichtigen Staedte Smyrna,
Alexandreia, Trogs und Lampsakos hatten auf die Kunde von der
Ueberwaeltigung Philipps gleichfalls Mut bekommen, sich dem Syrer zu
widersetzen, und ihre dringenden Bitten vereinigten sich mit denen
der Rhodier. Es ist nicht zu bezweifeln, dass Antiochos, soweit er
ueberhaupt faehig war, einen Entschluss zu fassen und festzuhalten,
schon jetzt es bei sich festgestellt hatte, nicht bloss die aegyptischen
Besitzungen in Asien an sich zu bringen, sondern auch in Europa fuer
sich zu erobern und einen Krieg deswegen mit Rom wo nicht zu suchen,
doch es darauf ankommen zu lassen. Die Roemer hatten insofern alle
Ursache, jenem Ansuchen ihrer Bundesgenossen zu willfahren und in
Asien unmittelbar zu intervenieren; aber sie bezeigten sich dazu wenig
geneigt. Nicht bloss zauderte man, solange der Makedonische Krieg
waehrte, und gab dem Attalos nichts als den Schutz diplomatischer
Verwendung, die uebrigens zunaechst sich wirksam erwies; sondern auch
nach dem Siege sprach man wohl es aus, dass die Staedte, die Ptolemaeos
und Philippos in Haenden gehabt, nicht von Antiochos sollten in Besitz
genommen werden, und die Freiheit der asiatischen Staedte Myrina,
Abydos, Lampsakos ^1, Kios figurierte in den roemischen Aktenstuecken,
allein man tat nicht das Geringste, um sie durchzusetzen und liess es
geschehen, dass Koenig Antiochos die gute Gelegenheit des Abzugs der
makedonischen Besatzungen aus denselben benutzte, um die seinigen
hineinzulegen. Ja man ging so weit, sich selbst dessen Landung in
Europa im Fruehjahr 557 (197) und sein Einruecken in den Thrakischen
Chersonesos gefallen zu lassen, wo er Sestos und Madytos in Besitz nahm
und laengere Zeit verwandte auf die Zuechtigung der thrakischen Barbaren
und die Wiederherstellung des zerstoerten Lysimacheia, das er zu
seinem Hauptwaffenplatz und zur Hauptstadt der neugegruendeten Satrapie
Thrakien ausersehen hatte. Flamininus, in dessen Haenden die Leitung
dieser Angelegenheiten sich befand, schickte wohl nach Lysimacheia an
den Koenig Gesandte, die von der Integritaet des aegyptischen Gebiets
und von der Freiheit der saemtlichen Hellenen redeten; allein es
kam dabei nichts heraus. Der Koenig redete wiederum von seinen
unzweifelhaften Rechtstiteln auf das alte, von seinem Ahnherrn Seleukos
eroberte Reich des Lysimachos, setzte auseinander, dass er nicht
beschaeftigt sei, Land zu erobern, sondern einzig die Integritaet seines
angestammten Gebiets zu wahren, und lehnte die roemische Vermittlung in
seinen Streitigkeiten mit den ihm untertaenigen Staedten in Kleinasien
ab. Mit Recht konnte er hinzufuegen, dass mit Aegypten bereits Friede
geschlossen sei und es den Roemern insofern an einem formellen Grund
fehle zu intervenieren ^2. Die ploetzliche Heimkehr des Koenigs nach
Asien, veranlasst durch die falsche Nachricht von dem Tode des jungen
Koenigs von Aegypten und die dadurch hervorgerufenen Projekte einer
Landung auf Kypros oder gar in Alexandreia, beendigte die Konferenzen,
ohne dass man auch nur zu einem Abschluss, geschweige denn zu einem
Resultat gekommen waere. Das folgende Jahr 559 (195) kam Antiochos
wieder nach Lysimacheia mit verstaerkter Flotte und Armee und
beschaeftigte sich mit der Einrichtung der neuen Satrapie, die er
seinem Sohne Seleukos bestimmte; in Ephesos kam Hannibal zu ihm, der von
Karthago hatte landfluechtig werden muessen, und der ungemein ehrenvolle
Empfang, der ihm zuteil ward, war so gut wie eine Kriegserklaerung
gegen Rom. Nichtsdestoweniger zog noch im Fruehjahr 560 (194) Flamininus
saemtliche roemische Besatzungen aus Griechenland heraus. Es war dies
unter den obwaltenden Verhaeltnissen wenigstens eine arge Verkehrtheit,
wenn nicht ein straefliches Handeln wider das eigene bessere Wissen;
denn der Gedanke laesst sich nicht abweisen, dass Flamininus, um nur
den Ruhm des gaenzlich beendigten Krieges und des befreiten Hellas
ungeschmaelert heimzubringen, sich begnuegte, das glimmende Feuer des
Aufstandes und des Krieges vorlaeufig oberflaechlich zu verschuetten.
Der roemische Staatsmann mochte vielleicht recht haben, wenn er jeden
Versuch, Griechenland unmittelbar in roemische Botmaessigkeit zu bringen
und jede Intervention der Roemer in die asiatischen Angelegenheiten
fuer einen politischen Fehler erklaerte; aber die gaerende Opposition in
Griechenland, der schwaechliche Uebermut des Asiaten, das Verweilen
des erbitterten Roemerfeindes, der schon den Westen gegen Rom in Waffen
gebracht hatte, im syrischen Hauptquartier, alles dies waren deutliche
Anzeichen des Herannahens einer neuen Schilderhebung des hellenischen
Ostens, deren Ziel mindestens sein musste, Griechenland aus der
roemischen Klientel in die der antiroemisch gesinnten Staaten zu bringen
und, wenn dies erreicht worden waere, sofort sich weiter gesteckt
haben wuerde. Es ist einleuchtend, dass Rom dies nicht geschehen lassen
konnte. Indem Flamininus, all jene sicheren Kriegsanzeichen ignorierend,
aus Griechenland die Besatzungen wegzog und gleichzeitig dennoch an den
Koenig von Asien Forderungen stellte, fuer die marschieren zu lassen er
nicht gesonnen war, tat er in Worten zu viel, was in Taten zu wenig
und vergass seiner Feldherrn- und Buergerpflicht ueber der eigenen
Eitelkeit, die Rom den Frieden und den Griechen in beiden Weltteilen
die Freiheit geschenkt zu haben wuenschte und waehnte.
------------------------------------------------------ ^1 Nach einem
kuerzlich aufgefundenen Dekret der Stadt Lampsakos (AM 6, 1891, S. 95)
schickten die Lampsakener nach der Niederlage Philipps Gesandte an den
roemischen Senat mit der Bitte, dass die Stadt in den zwischen Rom und
dem Koenig (Philippos) abgeschlossenen Vertrag mit einbezogen werden
moege (op/o/s symperil/e/phth/o/men [en tais synth/e/kais] tais
genomenais R/o/maiois pros ton [basilea]), welche der Senat, wenigstens
nach der Auffassung der Bittsteller, denselben gewaehrte und sie im
uebrigen an Flamininus und die zehn Gesandten wies. Von diesem erbitten
dann dieselben in Korinth Garantie ihrer Verfassung und Briefe an die
Koenige. Flamininus gibt ihnen auch dergleichen Schreiben; ueber
den Inhalt erfahren wir nichts Genaueres, als dass in dem Dekret die
Gesandtschaft als erfolgreich bezeichnet wird. Aber wenn der Senat und
Flamininus die Autonomie und Demokratie der Lampsakener formell und
positiv garantiert haetten, wuerde das Dekret schwerlich so ausfuehrlich
bei den hoeflichen Antworten verweilen, welche die unterwegs um
Verwendung bei dem Senat angesprochenen roemischen Befehlshaber den
Gesandten erteilten. Bemerkenswert ist in dieser Urkunde noch die gewiss
auf die troische Legende zurueckgehende "Bruederschaft" der Lampsakener
und der Roemer und die von jenen mit Erfolg angerufene Vermittlung
der Bundesgenossen und Freunde Roms, der Massalioten, welche mit den
Lampsakenern durch die gemeinsame Mutterstadt Phokaea verbunden waren.
^2 Das bestimmte Zeugnis des Hieronymos, welcher das Verloebnis der
syrischen Kleopatra mit Ptolemaeos Epiphanes in das Jahr 556 (198)
setzt, in Verbindung mit den Andeutungen bei Livius (33, 40) und Appian
(Syr. 3) und mit dem wirklichen Vollzug der Vermaehlung im Jahre 561
(193) setzen es ausser Zweifel dass die Einmischung der Roemer in die
aegyptischen Angelegenheiten in diesem Fall eine formell unberufene war.
----------------------------------------------------- Antiochos
nuetzte die unerwartete Frist, um im Innern und mit seinen Nachbarn die
Verhaeltnisse zu befestigen, bevor er den Krieg beginnen wuerde, zu
dem er seinerseits entschlossen war und immer mehr es ward, je mehr der
Feind zu zoegern schien. Er vermaehlte jetzt (561 193) dem jungen Koenig
von Aegypten dessen Verlobte, seine Tochter Kleopatra; dass er zugleich
seinem Schwiegersohn die Rueckgabe der ihm entrissenen Provinzen
versprochen habe, ward zwar spaeter aegyptischerseits behauptet, allein
wahrscheinlich mit Unrecht, und jedenfalls blieb faktisch das Land bei
dem Syrischen Reiche ^3. Er bot dem Eumenes, der im Jahre 557 (197)
seinem Vater Attalos auf dem Thron von Pergamon gefolgt war, die
Zurueckgabe der ihm abgenommenen Staedte und gleichfalls eine seiner
Toechter zur Gemahlin, wenn er von dem roemischen Buendnis lassen wolle.
Ebenso vermaehlte er eine Tochter dem Koenig Ariarathes von Kappadokien
und gewann die Galater durch Geschenke, waehrend er die stets
aufruehrerischen Pisidier und andere kleine Voelkerschaften mit den
Waffen bezwang. Den Byzantiern wurden ausgedehnte Privilegien bewilligt;
in Hinsicht der kleinasiatischen Staedte erklaerte der Koenig, dass
er die Unabhaengigkeit der alten Freistaedte wie Rhodos und Kyzikos,
zugestehen und hinsichtlich der uebrigen sich begnuegen wolle mit einer
bloss formellen Anerkennung seiner landesherrlichen Gewalt; er gab sogar
zu verstehen, dass er bereit sei, sich dem Schiedsspruch der Rhodier zu
unterwerfen. Im europaeischen Griechenland war er der Aetoler gewiss und
hoffte auch Philippos wieder unter die Waffen zu bringen. Ja es erhielt
ein Plan Hannibals die koenigliche Genehmigung, wonach dieser von
Antiochos eine Flotte von 100 Segeln und ein Landheer von 10000 Mann zu
Fuss und 1000 Reitern erhalten und damit zuerst in Karthago den Dritten
Punischen und sodann in Italien den Zweiten Hannibalischen Krieg
erwecken sollte; tyrische Emissaere gingen nach Karthago, um die
Schilderhebung daselbst einzuleiten. Man hoffte endlich auf Erfolge der
spanischen Insurrektion, die eben als Hannibal Karthago verliess auf
ihrem Hoehepunkt stand. ------------------------------------------
^3 Wir haben dafuer das Zeugnis des Polybios (28, 1), das die weitere
Geschichte Judaeas vollkommen bestaetigt; Eusebios (chron. p. 117 Mai)
irrt, wenn er Philometor zum Herrn von Syrien macht. Allerdings finden
wir, dass um 567 (187) syrische Steuerpaechter ihre Abgaben nach
Alexandreia zahlen (Ios. ant. Iud. 12, 4, 7); allein ohne Zweifel
geschah dies unbeschadet der Souveraenitaetsrechte nur deswegen, weil
die Mitgift der Kleopatra auf diese Stadtgefaelle angewiesen war;
und eben daher entsprang spaeter vermutlich der Streit.
------------------------------------------- Waehrend also von langer
Hand und im weitesten Umfang der Sturm gegen Rom vorbereitet ward, waren
es wie immer die in diese Unternehmung verwickelten Hellenen, die am
wenigsten bedeuteten und am wichtigsten und ungeduldigsten taten. Die
erbitterten und uebermuetigen Aetoler fingen nachgerade selber an zu
glauben, dass Philippos von ihnen und nicht von den Roemern ueberwunden
worden sei, und konnten es gar nicht erwarten, dass Antiochos in
Griechenland einruecke. Ihre Politik ist charakterisiert durch die
Antwort, die ihr Strateg bald darauf dem Flamininus gab, da derselbe
eine Abschrift der Kriegserklaerung gegen Rom begehrte: die werde er
selber ihm ueberbringen, wenn das aetolische Heer am Tiber lagern werde.
Die Aetoler machten die Geschaeftstraeger des syrischen Koenigs
fuer Griechenland und taeuschten beide Teile, indem sie dem Koenig
vorspiegelten, dass alle Hellenen die Arme nach ihm als ihrem rechten
Erloeser, ausstreckten, und denen, die in Griechenland auf sie hoeren
wollten, dass die Landung des Koenigs naeher sei, als sie wirklich war.
So gelang es ihnen in der Tat, den einfaeltigen Eigensinn des Nabis zum
Losschlagen zu bestimmen und damit in Griechenland das Kriegsfeuer
zwei Jahre nach Flamininus' Entfernung, im Fruehling 562 (192) wieder
anzufachen; allein sie verfehlten damit ihren Zweck. Nabis warf sich auf
Gythion, eine der durch den letzten Vertrag an die Achaeer gekommenen
Staedte der freien Lakonen und nahm sie ein, allein der kriegserfahrene
Strateg, der Achaeer Philopoemen, schlug ihn an den Barbosthenischen
Bergen und kaum den vierten Teil seines Heeres brachte der Tyrann wieder
in seine Hauptstadt zurueck, in der Philopoemen ihn einschloss. Da
ein solcher Anfang freilich nicht genuegte, um Antiochos nach Europa
zufuehren, beschlossen die Aetoler, sich selber in den Besitz von
Sparta, Chalkis und Demetrias zu setzen und durch den Gewinn dieser
wichtigen Staedte den Koenig zur Einschiffung zu bestimmen. Zunaechst
gedachte man sich Spartas dadurch zu bemaechtigen, dass der Aetoler
Alexamenos, unter dem Vorgeben, bundesmaessigen Zuzug zu bringen, mit
1000 Mann in die Stadt einrueckend, bei dieser Gelegenheit den Nabis aus
dem Wege raeume und die Stadt besetze. Es geschah so und Nabis ward bei
einer Heerschau erschlagen; allein als die Aetoler darauf, um die Stadt
zu pluendern, sich zerstreuten, fanden die Lakedaemonier Zeit sich zu
sammeln und machten sie bis auf den letzten Mann nieder. Die Stadt
liess darauf von Philopoemen sich bestimmen, in den Achaeischen
Bund einzutreten. Nachdem den Aetolern dies loebliche Projekt also
verdientermassen nicht bloss gescheitert war, sondern gerade den
entgegengesetzten Erfolg gehabt hatte, fast den ganzen Peloponnes in den
Haenden der Gegenpartei zu einigen, ging es ihnen auch in Chalkis wenig
besser, indem die roemische Partei daselbst gegen die Aetoler und die
chalkidischen Verbannten die roemisch gesinnten Buergerschaften von
Eretria und Karystos auf Euboea rechtzeitig herbeirief. Dagegen glueckte
die Besetzung von Demetrias, da die Magneten, denen die Stadt zugefallen
war, nicht ohne Grund fuerchteten, dass sie von den Roemern dem
Philippos als Preis fuer die Hilfe gegen Antiochos versprochen sei;
es kam hinzu, dass mehrere Schwadronen aetolischer Reiter unter dem
Vorwende, dem Eurylochos, dem zurueckgerufenen Haupt der Opposition
gegen Rom, das Geleite zu geben, sich in die Stadt einzuschleichen
wussten. So traten die Magneten halb freiwillig, halb gezwungen auf
die Seite der Aetoler, und man saeumte nicht, dies bei dem Seleukiden
geltend zu machen. Antiochos entschloss sich. Der Bruch mit Rom, so
sehr man auch bemueht war, ihn durch das diplomatische Palliativ der
Gesandtschaften hinauszuschieben, liess sich nicht laenger vermeiden.
Schon im Fruehling 561 (193) hatte Flamininus, der fortfuhr, im Senat
in den oestlichen Angelegenheiten das entscheidende Wort zu haben, gegen
die Boten des Koenigs Menippos und Hegesianax das roemische Ultimatum
ausgesprochen: entweder aus Europa zu weichen und in Asien nach seinem
Gutduenken zu schalten, oder Thrakien zu behalten und das Schutzrecht
der Roemer ueber Smyrna, Lampsakos und Alexandreia Troas sich gefallen
zu lassen. Dieselben Forderungen waren in Ephesos, dem Hauptwaffenplatz
und Standquartier des Koenigs in Kleinasien, im Fruehling 562 (192) noch
einmal zwischen Antiochos und den Gesandten des Senats Publius Sulpicius
und Publius Villius, verhandelt worden, und von beiden Seiten hatte man
sich getrennt mit der Ueberzeugung, dass eine friedliche Einigung nicht
mehr moeglich sei. In Rom war seitdem der Krieg beschlossen. Schon im
Sommer 562 (192) erschien eine roemische Flotte von 30 Segeln mit
3000 Soldaten an Bord unter Aulus Atilius Serranus vor Gythion, wo
ihr Eintreffen den Abschluss des Vertrags zwischen den Achaeern und
Spartanern beschleunigte; die sizilische und italische Ostkueste wurde
stark besetzt, um gegen etwaige Landungsversuche gesichert zu sein;
fuer den Herbst ward in Griechenland ein Landheer erwartet.
Flamininus bereiste im Auftrag des Senats seit dem Fruehjahr 562 (192)
Griechenland, um die Intrigen der Gegenpartei zu hintertreiben und
soweit moeglich die unzeitige Raeumung Griechenlands wiedergutzumachen.
Bei den Aetolern war es schon so weit gekommen, dass die Tagsatzung
foermlich den Krieg gegen Rom beschloss. Dagegen gelang es dem
Flamininus, Chalkis fuer die Roemer zu retten, indem er eine Besatzung
von 500 Achaeern und 500 Pergamenern hineinwarf. Er machte ferner einen
Versuch, Demetrias wieder zu gewinnen; und die Magneten schwankten. Wenn
auch einige kleinasiatische Staedte, die Antiochos vor dem Beginn des
grossen Krieges zu bezwingen sich vorgenommen, noch widerstanden, er
durfte jetzt nicht laenger mit der Landung zoegern, wofern er nicht die
Roemer all die Vorteile wiedergewinnen lassen wollte, die sie durch
die Wegziehung ihrer Besatzungen aus Griechenland zwei Jahre zuvor
aufgegeben hatten. Antiochos nahm die Schiffe und Truppen zusammen, die
er eben unter der Hand hatte - es waren nur 40 Deckschiffe und 10000
Mann zu Fuss nebst 500 Pferden und sechs Elefanten - und brach vom
thrakischen Chersonesos nach Griechenland auf, wo er im Herbst 562 (192)
bei Pteleon am Pagasaeischen Meerbusen an das Land stieg und sofort das
nahe Demetrias besetzte. Ungefaehr um dieselbe Zeit landete auch ein
roemisches Heer von etwa 25000 Mann unter dem Praetor Marcus Baebius bei
Apollonia. Also war von beiden Seiten der Krieg begonnen. Es kam darauf
an, wie weit jene umfassend angelegte Koalition gegen Rom, als deren
Haupt Antiochos auftrat, sich realisieren werde. Was zunaechst den Plan
betraf, in Karthago und Italien den Roemern Feinde zu erwecken, so
traf Hannibal wie ueberall so auch am Hof zu Ephesos das Los, seine
grossartigen und hochherzigen Plaene fuer kleinkraemerischer und
niedriger Leute Rechnung entworfen zu haben. Zu ihrer Ausfuehrung
geschah nichts, als dass man einige karthagische Patrioten
kompromittierte; den Karthagern blieb keine andere Wahl, als sich den
Roemern unbedingt botmaessig zu erweisen. Die Kamarilla wollte eben
den Hannibal nicht - der Mann war der Hofkabale zu unbequem gross, und
nachdem sie allerlei abgeschmackte Mittel versucht hatte, zum Beispiel
den Feldherrn, mit dessen Namen die Roemer ihre Kinder schreckten, des
Einverstaendnisses mit den roemischen Gesandten zu bezichtigen, gelang
es ihr, den grossen Antiochos, der wie alle unbedeutenden Monarchen auf
seine Selbstaendigkeit sich viel zugute tat und mit nichts so leicht zu
beherrschen war wie mit der Furcht, beherrscht zu werden, auf den weisen
Gedanken zu bringen, dass er sich nicht durch den vielgenannten Mann
duerfe verdunkeln lassen; worauf denn im hohen Rat beschlossen ward, den
Phoeniker kuenftig nur fuer untergeordnete Aufgaben und zum Ratgeben zu
verwenden, vorbehaltlich natuerlich den Rat nie zu befolgen. Hannibal
raechte sich an dem Gesindel, indem er jeden Auftrag annahm und jeden
glaenzend ausfuehrte. In Asien hielt Kappadokien zu dem Grosskoenig;
dagegen trat Prusias von Bithynien wie immer auf die Seite des
Maechtigeren. Koenig Eumenes blieb der alten Politik seines Hauses
getreu, die ihm erst jetzt die rechte Frucht tragen sollte. Er hatte
Antiochos' Anerbietungen nicht bloss beharrlich zurueckgewiesen, sondern
auch die Roemer bestaendig zu einem Kriege gedraengt, von dem er die
Vergroesserung seines Reiches erwartete. Ebenso schlossen die Rhodier
und die Byzantier sich ihren alten Bundesgenossen an. Auch Aegypten trat
auf die Seite Roms und bot Unterstuetzung an Zufuhr und Mannschaft an,
welche man indes roemischerseits nicht annahm. In Europa kam es vor
allem an auf die Stellung, die Philippos von Makedonien einnehmen
wuerde. Vielleicht waere es die richtige Politik fuer ihn gewesen, sich,
alles Geschehenen und nicht Geschehenen ungeachtet, mit Antiochos
zu vereinigen; allein Philippos ward in der Regel nicht durch solche
Ruecksichten bestimmt, sondern durch Neigung und Abneigung,
und begreiflicherweise traf sein Hass viel mehr den treulosen
Bundesgenossen, der ihn gegen den gemeinschaftlichen Feind im Stich
gelassen hatte, um dafuer auch seinen Anteil an der Beute einzuziehen
und ihm in Thrakien ein laestiger Nachbar zu werden, als seinen
Besieger, der ihn ruecksichts- und ehrenvoll behandelt hatte. Es kam
hinzu, dass Antiochos durch Aufstellung abgeschmackter Praetendenten
auf die makedonische Krone und durch die prunkvolle Bestattung der bei
Kynoskephalae bleichenden makedonischen Gebeine den leidenschaftlichen
Mann tief verletzte. Er stellte seine ganze Streitmacht mit aufrichtigem
Eifer den Roemern zur Verfuegung. Ebenso entschieden wie die erste Macht
Griechenlands hielt die zweite, die Achaeische Eidgenossenschaft fest am
roemischen Buendnis; von den kleineren Gemeinden blieben ausserdem dabei
die Thessaler und die Athener, bei welchen letzteren eine von
Flamininus in die Burg gelegte achaeische Besatzung die ziemlich starke
Patriotenpartei zur Vernunft brachte. Die Epeiroten gaben sich Muehe, es
womoeglich beiden Teilen recht zu machen. Sonach traten auf Antiochos'
Seite ausser den Aetolern und den Magneten, denen ein Teil der
benachbarten Perrhaeber sich anschloss, nur der schwache Koenig der
Athamanen, Amynander, der sich durch toerichte Aussichten auf die
makedonische Koenigskrone blenden liess, die Boeoter, bei denen die
Opposition gegen Rom noch immer am Ruder war, und im Peloponnes die
Eleer und Messenier, gewohnt, mit den Aetolern gegen die Achaeer
zu stehen. Das war denn freilich ein erbaulicher Anfang; und der
Oberfeldherrntitel mit unumschraenkter Gewalt, den die Aetoler dem
Grosskoenig dekretierten, schien zu dem Schaden der Spott. Man hatte
sich eben wie gewoehnlich beiderseits belogen: statt der unzaehlbaren
Scharen Asiens fuehrte der Koenig eine Armee heran, kaum halb so stark
wie ein gewoehnliches konsularisches Heer, und statt der offenen
Arme, die saemtliche Hellenen ihrem Befreier vom roemischen Joch
entgegenstrecken sollten, trugen ein paar Klephtenhaufen und einige
verliederlichte Buergerschaften dem Koenig Waffenbruederschaft an.
Fuer den Augenblick freilich war Antiochos den Roemern im eigentlichen
Griechenland zuvorgekommen. Chalkis hatte Besatzung von den griechischen
Verbuendeten der Roemer und wies die erste Aufforderung zurueck;
allein die Festung ergab sich, als Antiochos mit seiner ganzen Macht
davorrueckte, und eine roemische Abteilung, die zu spaet kam, um sie zu
besetzen, wurde beim Delion von Antiochos vernichtet. Euboea also war
fuer die Roemer verloren. Noch machte schon im Winter Antiochos in
Verbindung mit den Aetolern und Athamanen einen Versuch, Thessalien zu
gewinnen; die Thermopylen wurden auch besetzt, Pherae und andere Staedte
genommen, aber Appius Claudius kam mit 2000 Mann von Apollonia heran,
entsetzte Larisa und nahm hier Stellung. Antiochos, des Winterfeldzugs
muede, zog es vor, in sein lustiges Quartier nach Chalkis
zurueckzugehen, wo es hoch herging und der Koenig sogar trotz seiner
fuenfzig Jahre und seiner kriegerischen Plaene mit einer huebschen
Chalkidierin Hochzeit machte. So verstrich der Winter 562/63 (192/91),
ohne dass Antiochos viel mehr getan haette als in Griechenland hin-
und herschreiben - er fuehre den Krieg mit Tinte und Feder, sagte
ein roemischer Offizier. Mit dem ersten Fruehjahr 563 (191) traf der
roemische Stab bei Apollonia ein, der Oberfeldherr Manius Acilius
Glabrio, ein Mann von geringer Herkunft, aber ein tuechtiger, von den
Feinden wie von seinen Soldaten gefuerchteter Feldherr, der Admiral
Gaius Livius, unter den Kriegstribunen Marcus Porcius Cato,
der Ueberwinder Spaniens, und Lucius Valerius Flaccus, die nach
altroemischer Weise es nicht verschmaehten, obwohl gewesene Konsuln,
wieder als einfache Kriegstribune in das Heer einzutreten. Mit sich
brachten sie Verstaerkungen an Schiffen und Mannschaft, darunter
numidische Reiter und libysche Elefanten, von Massinissa gesendet, und
die Erlaubnis des Senats, von den ausseritalischen Verbuendeten bis zu
5000 Mann Hilfstruppen anzunehmen, wodurch die Gesamtzahl der roemischen
Streitkraefte auf etwa 40000 Mann stieg. Der Koenig, der im Anfang des
Fruehjahrs sich zu den Aetolern begeben und von da aus eine zwecklose
Expedition nach Akarnanien gemacht hatte, kehrte auf die Nachricht von
Glabrios Landung in sein Hauptquartier zurueck, um nun in allem Ernst
den Feldzug zu beginnen. Allein durch seine und seiner Stellvertreter in
Asien Saumseligkeit waren unbegreiflicherweise ihm alle Verstaerkungen
ausgeblieben, so dass er nichts hatte als das schwache und nun noch
durch Krankheit und Desertion in den liederlichen Winterquartieren
dezimierte Heer, womit er im Herbst des vorigen Jahres bei Pteleon
gelandet war. Auch die Aetoler, die so ungeheure Massen hatten ins Feld
stellen wollen, fuehrten jetzt, da es galt, ihrem Oberfeldherrn nicht
mehr als 4000 Mann zu. Die roemischen Truppen hatten bereits die
Operationen in Thessalien begonnen, wo die Vorhut in Verbindung mit dem
makedonischen Heer die Besatzungen des Antiochos aus den thessalischen
Staedten hinausschlug und das Gebiet der Athamanen besetzte. Der Konsul
mit der Hauptarmee folgte nach; die Gesamtmacht der Roemer sammelte sich
in Larisa. Statt eilig nach Asien zurueckzukehren und vor dem in jeder
Hinsicht ueberlegenen Feind das Feld zu raeumen, beschloss Antiochos,
sich in den von ihm besetzten Thermopylen zu verschanzen und dort die
Ankunft des grossen Heeres aus Asien abzuwarten. Er selbst stellte
in dem Hauptpass sich auf und befahl den Aetolern, den Hochpfad zu
besetzen, auf welchem es einst Xerxes gelungen war, die Spartaner zu
umgehen. Allein nur der Haelfte des aetolischen Zuzugs gefiel es, diesem
Befehl des Oberfeldherrn nachzukommen; die uebrigen 2000 Mann warfen
sich in die nahe Stadt Herakleia, wo sie an der Schlacht keinen andern
Teil nahmen, als dass sie versuchten, waehrend derselben das roemische
Lager zu ueberfallen und auszurauben. Auch die auf dem Gebirg postierten
Aetoler betrieben den Wachdienst laessig und widerwillig; ihr Posten
auf dem Kallidromos liess sich von Cato ueberrumpeln, und die asiatische
Phalanx, die der Konsul mittlerweile von vorn angegriffen hatte, stob
auseinander, als ihr die Roemer den Berg hinabeilend in die Flanke
fielen. Da Antiochos fuer nichts gesorgt und an den Rueckzug nicht
gedacht hatte, so ward das Heer teils auf dem Schlachtfeld, teils auf
der Flucht vernichtet; kaum dass ein kleiner Haufen Demetrias, und der
Koenig selbst mit 500 Mann Chalkis erreichte. Eilig schiffte er sich
nach Ephesos ein; Europa war bis auf die thrakischen Besitzungen ihm
verloren und nicht einmal die Festungen laenger zu verteidigen. Chalkis
ergab sich an die Roemer, Demetrias an Philippos, dem als Entschaedigung
fuer die fast schon von ihm vollendete und dann auf Befehl des Konsuls
aufgegebene Eroberung der Stadt Lamia in Achaia Phthiotis die Erlaubnis
ward, sich der saemtlichen zu Antiochos uebergetretenen Gemeinden im
eigentlichen Thessalien und selbst des aetolischen Grenzgebiets, der
dolopischen und aperantischen Landschaften, zu bemaechtigen. Was sich in
Griechenland fuer Antiochos ausgesprochen hatte, eilte, seinen
Frieden zu machen: die Epeiroten baten demuetig um Verzeihung fuer ihr
zweideutiges Benehmen, die Boeoter ergaben sich auf Gnade und Ungnade,
die Eleer und Messenier fuegten, die letzteren nach einigem Straeuben,
sich den Achaeern. Es erfuellte sich, was Hannibal dem Koenig
vorhergesagt hatte, dass auf die Griechen, die jedem Sieger sich
unterwerfen wuerden, schlechterdings gar nichts ankomme. Selbst die
Aetoler versuchten, nachdem ihr in Herakleia eingeschlossenes Korps nach
hartnaeckiger Gegenwehr zur Kapitulation gezwungen worden war, mit den
schwer gereizten Roemern ihren Frieden zu machen; indes die strengen
Forderungen des roemischen Konsuls und eine rechtzeitig von Antiochos
einlaufende Geldsendung gaben ihnen den Mut, die Verhandlungen noch
einmal abzubrechen und waehrend zwei ganzer Monate die Belagerung in
Naupaktos auszuhalten. Schon war die Stadt aufs Aeusserste gebracht und
die Erstuermung oder die Kapitulation nicht mehr fern, als Flamininus,
fortwaehrend bemueht, jede hellenische Gemeinde vor den aergsten Folgen
ihres eigenen Unverstandes und vor der Strenge seiner rauheren Kollegen
zu bewahren, sich ins Mittel schlug und zunaechst einen leidlichen
Waffenstillstand zustande brachte. Damit ruhten in ganz Griechenland,
vorlaeufig wenigstens, die Waffen. Ein ernsterer Krieg stand in Asien
bevor, den nicht so sehr der Feind, als die weite Entfernung und
die unsichere Verbindung mit der Heimat in sehr bedenklichem Licht
erscheinen liessen, waehrend doch bei Antiochos' kurzsichtigem Eigensinn
der Krieg nicht wohl anders als durch einen Angriff im eigenen Lande
des Feindes beendet werden konnte. Es galt zunaechst, sich der See
zu versichern. Die roemische Flotte, die waehrend des Feldzugs
in Griechenland die Aufgabe gehabt hatte, die Verbindung zwischen
Griechenland und Kleinasien zu unterbrechen, und der es auch gelungen
war, um die Zeit der Schlacht bei den Thermopylen einen starken
asiatischen Transport bei Andros aufzugreifen, war seitdem beschaeftigt,
den Uebergang der Roemer nach Asien fuer das naechste Jahr vorzubereiten
und zunaechst die feindliche Flotte aus dem Aegaeischen Meer zu
vertreiben. Dieselbe lag im Hafen von Kyssus auf dem suedlichen Ufer der
gegen Chios auslaufenden Landzunge Ioniens; dort suchte die roemische
sie auf, bestehend aus 75 roemischen, 23 pergamenischen und sechs
karthagischen Deckschiffen unter der Fuehrung des Gaius Livius. Der
syrische Admiral Polyxenidas, ein rhodischer Emigrierter, hatte nur 70
Deckschiffe entgegenzustellen; allein da die roemische Flotte noch
die rhodischen Schiffe erwartete und Polyxenidas auf die ueberlegene
Seetuechtigkeit namentlich der tyrischen und sidonischen Schiffe
vertraute, nahm er den Kampf sogleich an. Zu Anfang zwar gelang es den
Asiaten, eines der karthagischen Schiffe zu versenken; allein sowie
es zum Entern kam, siegte die roemische Tapferkeit und nur der
Schnelligkeit ihrer Ruder und Segel verdankten es die Gegner, dass
sie nicht mehr als 23 Schiffe verloren. Noch waehrend des Nachsetzens
stiessen zu der roemischen Flotte 25 rhodische Schiffe und die
Ueberlegenheit der Roemer in diesen Gewaessern war nun zwiefach
entschieden. Die feindliche Flotte verhielt sich seitdem ruhig im Hafen
von Ephesos, und da es nicht gelang, sie zu einer zweiten Schlacht zu
bestimmen, loeste die roemisch-bundesgenoessische Flotte fuer den Winter
sich auf; die roemischen Kriegsschiffe gingen nach dem Hafen von Kane
in der Naehe von Pergamon. Beiderseits war man waehrend des Winters
fuer den naechsten Feldzug Vorbereitungen zu treffen bemueht. Die Roemer
suchten die kleinasiatischen Griechen auf ihre Seite zu bringen:
Smyrna, das alle Versuche des Koenigs, der Stadt sich zu bemaechtigen,
beharrlich zurueckgewiesen hatte, nahm die Roemer mit offenen Armen auf
und auch in Samos, Chios, Erythrae, Klazomenae, Phokaea, Kyme und sonst
gewann die roemische Partei die Oberhand. Antiochos war entschlossen,
den Roemern womoeglich den Uebergang nach Asien zu wehren, weshalb er
eifrig zur See ruestete und teils durch Polyxenidas die bei Ephesos
stationierende Flotte herstellen und vermehren, teils durch Hannibal
in Lykien, Syrien und Phoenikien eine neue Flotte ausruesten liess,
ausserdem aber ein gewaltiges Landheer aus allen Gegenden seines
weitlaeufigen Reiches in Kleinasien zusammentrieb. Frueh im naechsten
Jahre (564 190) nahm die roemische Flotte ihre Operationen wieder auf.
Gaius Livius liess durch die rhodische Flotte, die diesmal, 36 Segel
stark, rechtzeitig erschienen war, die feindliche auf der Hoehe von
Ephesos beobachten und ging mit dem groessten Teil der roemischen und
den pergamenischen Schiffen nach dem Hellespont, um seinem Auftrag
gemaess durch die Wegnahme der Festungen daselbst den Uebergang des
Landheeres vorzubereiten. Schon war Sestos besetzt und Abydos aufs
Aeusserste gebracht, als ihn die Kunde von der Niederlage der rhodischen
Flotte zurueckrief. Der rhodische Admiral Pausistratos, eingeschlaefert
durch die Vorspiegelungen seines Landsmannes, von Antiochos abfallen zu
wollen, hatte sich im Hafen von Samos ueberrumpeln lassen, er selbst
war gefallen, seine saemtlichen Schiffe bis auf fuenf rhodische und
zwei troische Segel waren vernichtet, Samos, Phokaea, Kyme auf diese
Botschaft zu Seleukos uebergetreten, der in diesen Gegenden fuer seinen
Vater den Oberbefehl zu Lande fuehrte. Indes als die roemische Flotte
teils von Kane, teils vom Hellespont herbeikam und nach einiger Zeit
zwanzig neue Schiffe der Rhodier bei Samos sich mit ihr vereinigten,
ward Polyxenidas abermals genoetigt, sich in den Hafen von Ephesos
einzuschliessen. Da er die angebotene Seeschlacht verweigerte und bei
der geringen Zahl der roemischen Mannschaften an einen Angriff von der
Landseite nicht zu denken war, blieb auch der roemischen Flotte nichts
uebrig, als gleichfalls sich bei Samos aufzustellen. Eine Abteilung ging
inzwischen nach Patara an die lykische Kueste, um teils den Rhodiern
gegen die sehr beschwerlichen, von dorther auf sie gerichteten Angriffe
Ruhe zu verschaffen, teils und vornehmlich, um die feindliche Flotte,
die Hannibal heranfuehren sollte, vom Aegaeischen Meer abzusperren. Als
dieses Geschwader gegen Patara nichts ausrichtete, erzuernte der neue
Admiral Lucius Aemilius Regillus, der mit 20 Kriegsschiffen von Rom
angelangt war und bei Samos den Gaius Livius abgeloest hatte, sich
darueber so sehr, dass er mit der ganzen Flotte dorthin aufbrach; kaum
gelang es seinen Offizieren, ihm unterwegs begreiflich zu machen, dass
es zunaechst nicht auf die Eroberung von Patara ankomme, sondern auf die
Beherrschung des Aegaeischen Meeres, und ihn zur Umkehr nach Samos zu
bestimmen. Auf dem kleinasiatischen Festland hatte mittlerweile Seleukos
die Belagerung von Pergamon begonnen, waehrend Antiochos mit dem
Hauptheer das pergamenische Gebiet und die Besitzungen der Mytilenaeer
auf dem Festland verwuestete; man hoffte, mit den verhassten Attaliden
fertig zu werden, bevor die roemische Hilfe erschien. Die roemische
Flotte ging nach Elaea und dem Hafen von Adramyttion, um den
Bundesgenossen zu helfen; allein da es dem Admiral an Truppen fehlte,
richtete er nichts aus. Pergamon schien verloren; aber die schlaff und
nachlaessig geleitete Belagerung gestattete dem Eumenes, achaeische
Hilfstruppen unter Diophanes in die Stadt zu werfen, deren kuehne und
glueckliche Ausfaelle die mit der Belagerung beauftragten gallischen
Soeldner des Antiochos dieselbe aufzuheben zwangen. Auch in den
suedlichen Gewaessern wurden die Entwuerfe des Antiochos vereitelt.
Die von Hannibal geruestete und gefuehrte Flotte versuchte, nachdem sie
lange durch die stehenden Westwinde zurueckgehalten worden war, endlich
in das Aegaeische Meer zu gelangen; allein an der Muendung des Eurymedon
vor Aspendos in Pamphylien traf sie auf ein rhodisches Geschwader
unter Eudamos, und in der Schlacht, die die beiden Flotten sich
hier lieferten, trug ueber Hannibals Taktik und ueber die numerische
Ueberzahl die Vorzueglichkeit der rhodischen Schiffe und Seeoffiziere
den Sieg davon - es war dies die erste Seeschlacht und die letzte
Schlacht gegen Rom, die der grosse Karthager schlug. Die siegreiche
rhodische Flotte stellte darauf sich bei Patara auf und hemmte hier die
beabsichtigte Vereinigung der beiden asiatischen Flotten. Im Aegaeischen
Meer ward die roemisch-rhodische Flotte bei Samos, nachdem sie durch
die Entsendung der pergamenischen Schiffe in den Hellespont zur
Unterstuetzung des dort eben anlangenden Landheers sich geschwaecht
hatte, nun ihrerseits von der des Polyxenidas angegriffen, der
jetzt neun Segel mehr zaehlte als der Gegner. Am 23. Dezember des
unberichtigten Kalenders, nach dem berichtigten etwa Ende August 564
(190), kam es zur Schlacht am Vorgebirg Myonnesos zwischen Teos und
Kolophon; die Roemer durchbrachen die feindliche Schlachtlinie und
umzingelten den linken Fluegel gaenzlich, so dass 42 Schiffe von ihnen
genommen wurden oder sanken. Viele Jahrhunderte nachher verkuendigte
den Roemern die Inschrift in saturnischem Mass ueber dem Tempel der
Seegeister, der zum Andenken dieses Sieges auf dem Marsfeld erbaut ward,
wie vor den Augen des Koenigs Antiochos und seines ganzen Landheers die
Flotte der Asiaten geschlagen worden und die Roemer also "den grossen
Zwist schlichteten und die Koenige bezwangen". Seitdem wagten die
feindlichen Schiffe nicht mehr, sich auf der offenen See zu zeigen
und versuchten nicht weiter, den Uebergang des roemischen Landheers zu
erschweren. Zur Fuehrung des Krieges auf dem asiatischen Kontinent
war in Rom der Sieger von Zama ausersehen worden, der in der Tat den
Oberbefehl fuehrte fuer den nominellen Hoechstkommandierenden, seinen
geistig unbedeutenden und militaerisch unfaehigen Bruder Lucius Scipio.
Die bisher in Unteritalien stehende Reserve ward nach Griechenland, das
Heer des Glabrio nach Asien bestimmt; als es bekannt ward, wer dasselbe
befehligen werde, meldeten sich freiwillig 5000 Veteranen aus dem
Hannibalischen Krieg, um noch einmal unter ihrem geliebten Fuehrer zu
fechten. Im roemischen Juli, nach der richtigen Zeit im Maerz fanden
die Scipionen sich bei dem Heere ein, um den asiatischen Feldzug zu
beginnen; allein man war unangenehm ueberrascht, als man statt dessen
sich zunaechst in einen endlosen Kampf mit den verzweifelnden Aetolern
verwickelt fand. Der Senat, der Flamininus' grenzenlose Ruecksichten
gegen die Hellenen uebertrieben fand, hatte den Aetolern die
Wahl gelassen zwischen Zahlung einer voellig unerschwinglichen
Kriegskontribution und unbedingter Ergebung, was sie aufs neue unter die
Waffen getrieben hatte; es war nicht abzusehen, wann dieser Gebirgs-
und Festungskrieg zu Ende gehen werde. Scipio beseitigte das unbequeme
Hindernis durch Verabredung eines sechsmonatlichen Waffenstillstandes
und trat darauf den Marsch nach Asien an. Da die eine feindliche Flotte
in dem Aegaeischen Meere nur blockiert war und die zweite, die aus
dem Suedmeer herankam, trotz des mit ihrer Fernhaltung beauftragten
Geschwaders taeglich dort eintreffen konnte, schien es ratsam, den
Landweg durch Makedonien und Thrakien einzuschlagen und ueber den
Hellespont zu gehen; hier waren keine wesentlichen Hindernisse zu
erwarten, da Koenig Philippos von Makedonien vollstaendig zuverlaessig,
auch Koenig Prusias von Bithynien mit den Roemern in Buendnis war und
die roemische Flotte leicht sich in der Meerenge festzusetzen vermochte.
Der lange und muehselige Weg laengs der makedonischen und thrakischen
Kueste ward ohne wesentlichen Verlust zurueckgelegt; Philippos sorgte
teils fuer Zufuhr, teils fuer freundliche Aufnahme bei den thrakischen
Wilden. Indes hatte man teils mit den Aetolern, teils auf dem Marsch
soviel Zeit verloren, dass das Heer erst etwa um die Zeit der Schlacht
von Myonnesos an dem Thrakischen Chersonesos anlangte. Aber Scipios
wunderbares Glueck raeumte wie einst in Spanien und Afrika so jetzt in
Asien alle Schwierigkeiten vor ihm aus dem Wege. Auf die Kunde von der
Schlacht bei Myonnesos verlor Antiochos so vollstaendig den Kopf, dass
er in Europa die starkbesetzte und verproviantierte Festung Lysimacheia
von der Besatzung und der dem Wiederhersteller ihrer Stadt treu
ergebenen Einwohnerschaft raeumen liess und dabei sogar vergass, die
Besatzungen aus Aenos und Maroneia gleichfalls herauszuziehen, ja die
reichen Magazine zu vernichten, am asiatischen Ufer aber der Landung der
Roemer nicht den geringsten Widerstand entgegensetzte, sondern waehrend
derselben sich in Sardes damit die Zeit vertrieb, auf das Schicksal zu
schelten. Es ist kaum zweifelhaft, dass, wenn er nur bis zu dem nicht
mehr fernen Ende des Sommers Lysimacheia haette verteidigen und sein
grosses Heer an den Hellespont vorruecken lassen, Scipio genoetigt
worden waere, auf dem europaeischen Ufer Winterquartier zu nehmen, in
einer militaerisch wie politisch keineswegs gesicherten Lage. Waehrend
die Roemer, am asiatischen Ufer ausgeschifft, einige Tage
stillstanden, um sich zu erholen und ihren durch religioese Pflichten
zurueckgehaltenen Fuehrer zu erwarten, trafen in ihrem Lager Gesandte
des Grosskoenigs ein, um ueber den Frieden zu unterhandeln. Antiochos
bot die Haelfte der Kriegskosten und die Abtretung seiner europaeischen
Besitzungen sowie der saemtlichen in Kleinasien zu Rom uebergetretenen
griechischen Staedte; allein Scipio forderte Kriegskosten und die
Aufgebung von ganz Kleinasien. Jene Bedingungen, erklaerte er, waeren
annehmbar gewesen, wenn das Heer noch vor Lysimacheia oder auch
diesseits des Hellespont staende; jetzt aber reichten sie nicht, wo
das Ross schon den Zaum, ja den Reiter fuehle. Die Versuche des
Grosskoenigs, von dem feindlichen Feldherrn in morgenlaendischer Art
den Frieden durch Geldsummen zu erkaufen - er bot die Haelfte seiner
Jahreseinkuenfte! -, scheiterten wie billig; fuer die unentgeltliche
Rueckgabe seines in Gefangenschaft geratenen Sohnes gab der stolze
Buerger dem Grosskoenig als Lohn den Freundesrat, auf jede Bedingung
Frieden zu schliessen. In der Tat stand es nicht so; haette der Koenig
sich zu entschliessen vermocht, den Krieg in die Laenge und in das
innere Asien zurueckweichend den Feind sich nachzuziehen, so war ein
guenstiger Ausgang noch keineswegs unmoeglich. Allein Antiochos, gereizt
durch den vermutlich berechneten Uebermut des Gegners und fuer jede
dauernde und konsequente Kriegfuehrung zu schlaff, eilte, seine
ungeheure, aber ungleiche und undisziplinierte Heermasse je eher desto
lieber dem Stoss der roemischen Legionen darzubieten. Im Tale des Hermos
bei Magnesia am Sipylos unweit Smyrna trafen im Spaetherbst 564 (190)
die roemischen Truppen auf den Feind. Er zaehlte nahe an 80000 Mann,
darunter 12000 Reiter; die Roemer, die von Achaeern, Pergamenern und
makedonischen Freiwilligen etwa 5000 Mann bei sich hatten, bei weitem
nicht die Haelfte; allein sie waren des Sieges so gewiss, dass sie nicht
einmal die Genesung ihres krank in Elaea zurueckgebliebenen Feldherrn
abwarteten, an dessen Stelle Gnaeus Domitius das Kommando uebernahm. Um
nur seine ungeheure Truppenzahl aufstellen zu koennen, bildete Antiochos
zwei Treffen; im ersten stand die Masse der leichten Truppen, die
Peltasten, Bogentraeger, Schleuderer, die berittenen Schuetzen der
Myser, Daher und Elymaeer, die Araber auf ihren Dromedaren und die
Sichelwagen; im zweiten hielt auf den beiden Fluegeln die schwere
Kavallerie (die Kataphrakten, eine Art Kuerassiere), neben ihnen im
Mitteltreffen das gallische und kappadokische Fussvolk und im Zentrum
die makedonisch bewaffnete Phalanx, 16000 Mann stark, der Kern des
Heeres, die aber auf dem engen Raum nicht Platz fand und sich in
Doppelgliedern 32 Mann tief aufstellen musste. In dem Zwischenraum der
beiden Treffen standen 54 Elefanten, zwischen die Haufen der Phalanx
und der schweren Reiterei verteilt. Die Roemer stellten auf den linken
Fluegel, wo der Fluss Deckung gab, nur wenige Schwadronen, die Masse der
Reiterei und die saemtlichen Leichtbewaffneten kamen auf den rechten,
den Eumenes fuehrte; die Legionen standen im Mitteltreffen. Eumenes
begann die Schlacht damit, dass er seine Schuetzen und Schleuderer gegen
die Sichelwagen schickte mit dem Befehl, auf die Bespannung zu halten;
in kurzer Zeit waren nicht bloss diese zersprengt, sondern auch die
naechststehenden Kamelreiter mit fortgerissen; schon geriet sogar im
zweiten Treffen der dahinterstehende linke Fluegel der schweren Reiterei
in Verwirrung. Nun warf sich Eumenes mit der ganzen roemischen Reiterei,
die 3000 Pferde zaehlte, auf die Soeldnerinfanterie, die im zweiten
Treffen zwischen der Phalanx und dem linken Fluegel der schweren
Reiterei stand, und da diese wich, flohen auch die schon in Unordnung
geratenen Kuerassiere. Die Phalanx, die eben die leichten Truppen
durchgelassen hatte und sich fertig machte, gegen die roemischen
Legionen vorzugehen, wurde durch den Angriff der Reiterei in der Flanke
gehemmt und genoetigt, stehenzubleiben und nach beiden Seiten Front zu
machen, wobei die tiefe Aufstellung ihr wohl zustatten kam. Waere die
schwere asiatische Reiterei zur Hand gewesen, so haette die Schlacht
wiederhergestellt werden koennen, aber der linke Fluegel war zersprengt,
und der rechte, den Antiochos selber anfuehrte, hatte, die kleine, ihm
gegenueberstehende roemische Reiterabteilung vor sich hertreibend, das
roemische Lager erreicht, wo man des Angriffs sich mit grosser Muehe
erwehrte. Darueber fehlten auf der Walstatt jetzt im entscheidenden
Augenblick die Reiter. Die Roemer hueteten sich wohl, die Phalanx mit
den Legionen anzugreifen, sondern sandten gegen sie die Schuetzen und
Schleuderer, denen in der dichtgedraengten Masse kein Geschoss fehlging.
Die Phalanx zog sich nichtsdestoweniger langsam und geordnet zurueck,
bis die in den Zwischenraeumen stehenden Elefanten scheu wurden und
die Glieder zerrissen. Damit loeste das ganze Heer sich auf in wilder
Flucht; ein Versuch, das Lager zu halten, misslang und mehrte nur
die Zahl der Toten und Gefangenen. Die Schaetzung des Verlustes des
Antiochos auf 50000 Mann ist bei der grenzenlosen Verwirrung nicht
unglaublich; den Roemern, deren Legionen gar nicht zum Schlagen gekommen
waren, kostete der Sieg, der ihnen den dritten Weltteil ueberlieferte,
24 Reiter und 300 Fusssoldaten. Kleinasien unterwarf sich, selbst
Ephesos, von wo der Admiral die Flotte eilig fluechten musste, und die
Residenzstadt Sardes. Der Koenig bat um Frieden und ging ein auf die von
den Roemern gestellten Bedingungen, die, wie gewoehnlich, keine anderen
waren als die vor der Schlacht gebotenen, als namentlich die Abtretung
Kleinasiens enthielten. Bis zu deren Ratifikation blieb das Heer in
Kleinasien auf Kosten des Koenigs, was ihm auf nicht weniger als 3000
Talente (5 Mill. Taler) zu stehen kam. Antiochos selber nach seiner
liederlichen Art verschmerzte bald den Verlust der Haelfte seines
Reiches; es sieht ihm gleich, dass er den Roemern fuer die Abnahme der
Muehe, ein allzugrosses Reich zu regieren, dankbar zu sein behauptete.
Aber Asien war mit dem Tage. von Magnesia aus der Reihe der Grossstaaten
gestrichen; und wohl niemals ist eine Grossmacht so rasch, so voellig
und so schmaehlich zugrunde gegangen wie das Seleukidenreich unter
diesem Antiochos dem Grossen. Er selbst ward bald darauf (567 187)
in Elymais oberhalb des Persischen Meerbusens bei der Pluenderung des
Beltempels, mit dessen Schaetzen er seine leeren Kassen zu fuellen
gekommen war, von den erbitterten Einwohnern erschlagen. Die roemische
Regierung hatte, nachdem der Sieg erfochten war, die Angelegenheiten
Kleinasiens und Griechenlands zu ordnen. Sollte hier die roemische
Herrschaft auf fester Grundlage errichtet werden, so genuegte dazu
keineswegs, dass Antiochos der Oberherrschaft in Vorderasien entsagt
hatte. Die politischen Verhaeltnisse daselbst sind oben dargelegt
worden. Die griechischen Freistaedte an der ionischen und aeolischen
Kueste sowie das ihnen wesentlich gleichartige pergamenische Koenigreich
waren allerdings die natuerlichen Traeger der neuen roemischen
Obergewalt, die auch hier wesentlich auftrat als Schirmherr der
stammverwandten Hellenen. Aber die Dynasten im inneren Kleinasien und
an der Nordkueste des Schwarzen Meeres hatten den Koenigen von Asien
laengst kaum noch ernstlich gehorcht, und der Vertrag mit Antiochos
allein gab den Roemern keine Gewalt ueber das Binnenland. Es war
unabweislich eine gewisse Grenze zu ziehen, innerhalb deren der
roemische Einfluss fortan massgebend sein sollte. Dabei fiel vor allem
ins Gewicht das Verhaeltnis der asiatischen Hellenen zu den seit
einem Jahrhundert daselbst angesiedelten Kelten. Diese hatten die
kleinasiatischen Landschaften foermlich unter sich verteilt und
ein jeder der drei Gaue erhob in seinem Brandschatzungsgebiet die
festgesetzten Tribute. Wohl hatte die Buergerschaft von Pergamon unter
der kraeftigen Fuehrung ihrer dadurch zu erblichem Fuerstentum gelangten
Vorsteher sich des unwuerdigen Joches entledigt, und die schoene
Nachbluete der hellenischen Kunst, welche kuerzlich der Erde wieder
entstiegen ist, ist erwachsen aus diesen letzten, von nationalem
Buergersinn getragenen hellenischen Kriegen. Aber es war ein kraeftiger
Gegenschlag, kein entscheidender Erfolg; wieder und wieder hatten die
Pergamener ihren staedtischen Frieden gegen die Einfaelle der wilden
Horden aus den oestlichen Gebirgen mit den Waffen zu vertreten gehabt,
und die grosse Mehrzahl der uebrigen Griechenstaedte ist wahrscheinlich
in der alten Abhaengigkeit verblieben ^4. Wenn Roms Schirmherrschaft
ueber die Hellenen auch in Asien mehr als ein Name sein sollte, so
musste dieser Tributpflichtigkeit ihrer neuen Klienten ein Ziel gesetzt
werden; und da die roemische Politik den Eigenbesitz und die damit
verknuepfte stehende Besetzung des Landes zur Zeit in Asien noch viel
mehr als auf der griechisch-makedonischen Halbinsel ablehnte, so blieb
in der Tat nichts anderes uebrig, als bis zu der Grenze, welche Roms
Machtgebiet gesteckt werden sollte, auch Roms Waffen zu tragen und bei
den Kleinasiaten ueberhaupt, vor allem aber in den Keltengauen die
neue Oberherrlichkeit mit der Tat einzusetzen.
---------------------------------- ^4 Aus dem erwaehnten Dekret von
Lampsakos geht mit ziemlicher Sicherheit hervor, dass die Lampsakener
bei den Massalioten nicht bloss Verwendung in Rom erbaten, sondern auch
Verwendung bei den Tolistoagiern (so heissen die sonst Tolistoboger
genannten Kelten in dieser Urkunde und in der pergamenischen Inschrift
CIG 3536, den aeltesten Denkmaelern, die sie erwaehnen). Danach sind
wahrscheinlich die Lampsakener noch um die Zeit des Philippischen
Krieges diesem Gau zinsbar gewesen (vgl. Liv. 38, 16).
--------------------------------- Dies hat der neue roemische
Oberfeldherr Gnaeus Manlius Volso getan, der den Lucius Scipio in
Kleinasien abloeste. Es ist ihm dies zum schweren Vorwurf gemacht
worden; die der neuen Wendung der Politik abgeneigten Maenner im Senat
vermissten bei dem Kriege den Zweck wie den Grund. Den ersteren Tadel
gegen diesen Zug insbesondere zu erheben, ist nicht gerechtfertigt;
derselbe war vielmehr, nachdem der roemische Staat sich in die
hellenischen Verhaeltnisse, so, wie es geschehen war, eingemischt
hatte, eine notwendige Konsequenz dieser Politik. Ob das hellenische
Gesamtpatronat fuer Rom das richtige war, kann gewiss in Zweifel gezogen
werden; aber von dem Standpunkt aus betrachtet, den Flamininus und
die von ihm gefuehrte Majoritaet nun einmal genommen hatten, war die
Niederwerfung der Galater in der Tat eine Pflicht der Klugheit wie
der Ehre. Besser begruendet ist der Vorwurf, dass es zur Zeit an einem
rechten Kriegsgrund gegen dieselben fehlte; denn eigentlich im Bunde mit
Antiochos hatten sie nicht gestanden, sondern ihn nur nach ihrem
Brauch in ihrem Lande Mietstruppen anwerben lassen. Aber dagegen fiel
entscheidend ins Gewicht, dass die Sendung einer roemischen
Truppenmacht nach Asien der roemischen Buergerschaft nur unter ganz
ausserordentlichen Verhaeltnissen angesonnen werden konnte und, wenn
einmal eine derartige Expedition notwendig war, alles dafuer sprach,
sie sogleich und mit dem einmal in Asien stehenden siegreichen Heere
auszufuehren. So wurde, ohne Zweifel unter dem Einfluss des Flamininus
und seiner Gesinnungsgenossen im Senat, im Fruehjahr 565 (189) der
Feldzug in das innere Kleinasien unternommen. Der Konsul brach von
Ephesos auf, brandschatzte die Staedte und Fuersten am oberen Maeander
und in Pamphylien ohne Mass und wandte sich darauf nordwaerts gegen die
Kelten. Der westliche Kanton derselben, die Tolistoager, hatte sich auf
den Berg Olympos, der mittlere, die Tectosagen, auf den Berg Magaba mit
Hab und Gut zurueckgezogen, in der Hoffnung, dass sie sich hier wuerden
verteidigen koennen, bis der Winter die Fremden zum Abzug zwaenge.
Allein die Geschosse der roemischen Schleuderer und Schuetzen, die gegen
die damit unbekannten Kelten so oft den Ausschlag gaben, fast wie in
neuerer Zeit das Feuergewehr gegen die wilden Voelker, erzwangen die
Hoehen, und die Kelten unterlagen in einer jener Schlachten, wie sie gar
oft frueher und spaeter am Po und an der Seine geliefert worden
sind, die aber hier so seltsam erscheint wie das ganze Auftreten des
nordischen Stammes unter den griechischen und phrygischen Nationen. Die
Zahl der Erschlagenen und mehr noch die der Gefangenen war an beiden
Stellen ungeheuer. Was uebrig blieb, rettete sich ueber den Halys zu
dem dritten keltischen Gau der Trocmer, welche der Konsul nicht angriff.
Dieser Fluss war die Grenze, an welcher die damaligen Leiter der
roemischen Politik beschlossen hatten innezuhalten. Phrygien, Bithynien,
Paphlagonien sollten von Rom abhaengig werden; die weiter oestlich
gelegenen Landschaften ueberliess man sich selber. Die Regulierung der
kleinasiatischen Verhaeltnisse erfolgte teils durch den Frieden mit
Antiochos (565 189), teils durch die Festsetzungen einer roemischen
Kommission, der der Konsul Volso vorstand. Ausser der Stellung von
Geiseln, darunter seines juengeren gleichnamigen Sohnes, und einer nach
dem Mass der Schaetze Asiens bemessenen Kriegskontribution von 15000
euboeischen Talenten (25« Mill. Taler), davon der fuenfte Teil sogleich,
der Rest in zwoelf Jahreszielern zu entrichten war, wurde Antiochos
auferlegt die Abtretung seines gesamten europaeischen Laenderbesitzes
und in Kleinasien aller seiner Besitzungen und Rechtsansprueche
noerdlich vom Taurusgebirge und westlich von der Muendung des Kestros
zwischen Aspendos und Perge in Pamphylien, so dass ihm in Vorderasien
nichts blieb als das oestliche Pamphylien und Kilikien. Mit dem Patronat
ueber die vorderasiatischen Koenigreiche und Herrschaften war es
natuerlich vorbei. Asien oder, wie das Reich der Seleukiden von da an
gewoehnlich und angemessener genannt wird, Syrien verlor das Recht,
gegen die westlichen Staaten Angriffskriege zu fuehren und im Fall eines
Verteidigungskrieges von ihnen beim Frieden Land zu gewinnen, das
Recht, das Meer westlich von der Kalykadnosmuendung in Kilikien mit
Kriegsschiffen zu befahren, ausser um Gesandte, Geiseln oder Tribut zu
bringen, ueberhaupt Deckschiffe ueber zehn zu halten, ausser im Fall
eines Verteidigungskrieges, und Kriegselefanten zu zaehmen, endlich
das Recht, in den westlichen Staaten Werbungen zu veranstalten oder
politische Fluechtlinge und Ausreisser daraus bei sich aufzunehmen. Die
Kriegsschiffe, die er ueber die bestimmte Zahl besass, die Elefanten und
die politischen Fluechtlinge, welche bei ihm sich befanden, lieferte er
aus. Zur Entschaedigung erhielt der Grosskoenig den Titel eines Freundes
der roemischen Buergergemeinde. Der Staat Syrien war hiermit zu Lande
und auf dem Meer vollstaendig aus dem Westen verdraengt und fuer immer;
es ist bezeichnend fuer die kraft- und zusammenhanglose Organisation des
Seleukidenreichs, dass dasselbe allein unter allen von Rom ueberwundenen
Grossstaaten nach der ersten Ueberwindung niemals eine zweite
Entscheidung durch die Waffen begehrt hat. Die beiden Armenien, bisher
wenigstens dem Namen nach asiatische Satrapien, verwandelten sich, wenn
nicht gerade in Gemaessheit des roemischen Friedensvertrages, doch unter
dessen Einfluss in selbstaendige Koenigreiche und ihre Inhaber Artaxias
und Zariadris wurden Gruender neuer Dynastien. Koenig Ariarathes
von Kappadokien kam, da sein Land ausserhalb der von den Roemern
bezeichneten Grenze ihrer Klientel lag, mit einer Geldbusse von 600
Talenten (1 Mill. Taler) davon, die dann noch auf die Fuerbitte seines
Schwiegersohnes Eumenes auf die Haelfte herabgesetzt ward. Koenig
Prusias von Bithynien behielt sein Gebiet, wie es war, ebenso die
Kelten; doch mussten diese geloben, nicht ferner bewaffnete Haufen ueber
die Grenze zu senden, und die schimpflichen Tribute der kleinasiatischen
Staedte hatten ein Ende. Die asiatischen Griechen ermangelten nicht,
diese allerdings allgemein und nachhaltig empfundene Wohltat mit
goldenen Kraenzen und den transzendentalsten Lobreden zu vergelten. In
Vorderasien war die Besitzregulierung nicht ohne Schwierigkeit, zumal da
hier die dynastische Politik des Eumenes mit der der griechischen Hansa
kollidierte; endlich gelang es, sich in folgender Art zu verstaendigen.
Allen griechischen Staedten, die am Tage der Schlacht von Magnesia frei
und den Roemern beigetreten waren, wurde ihre Freiheit bestaetigt
und sie alle mit Ausnahme der bisher dem Eumenes zinspflichtigen der
Tributzahlung an die verschiedenen Dynasten fuer die Zukunft enthoben.
So wurden namentlich frei die Staedte Dardanos und Ilion, die alten
Stammgenossen der Roemer von Aeneas' Zeiten her, ferner Kyme, Smyrna,
Klazomenae, Erythrae, Chios, Kolophon, Miletos und andere altberuehmte
Namen. Phokaea, das gegen die Kapitulation von den roemischen
Flottensoldaten gepluendert worden war, erhielt zum Ersatz dafuer,
obwohl es nicht unter die im Vertrag bezeichnete Kategorie fiel,
ausnahmsweise gleichfalls seine Mark zurueck und die Freiheit. Den
meisten Staedten der griechisch-asiatischen Hansa wurden ueberdies
Gebietserweiterungen und andere Vorteile zuteil. Am besten ward
natuerlich Rhodos bedacht, das Lykien mit Ausschluss von Telmissos und
den groesseren Teil von Karien suedlich vom Maeander empfing; ausserdem
garantierte Antiochos in seinem Reiche den Rhodiern ihr Eigentum und
ihre Forderungen sowie die bisher genossene Zollfreiheit. Alles uebrige,
also bei weitem der groesste Teil der Beute, fiel an die Attaliden,
deren alte Treue gegen Rom sowie die von Eumenes in diesem Kriege
bestandene Drangsal und sein persoenliches Verdienst um den Ausfall
der entscheidenden Schlacht von Rom so belohnt ward, wie nie ein
Koenig seinen Verbuendeten gelohnt hat. Eumenes empfing in Europa
den Chersonesos mit Lysimacheia; in Asien ausser Mysien, das er schon
besass, die Provinzen Phrygien am Hellespont, Lydien mit Ephesos und
Sardes, den noerdlichen Streif von Karien bis zum Maeander mit Tralles
und Magnesia, Grossphrygien und Lykaonien nebst einem Stueck von
Kilikien, die milysche Landschaft zwischen Phrygien und Lykien und
als Hafenplatz am suedlichen Meer die lykische Stadt Telmissos; ueber
Pamphylien ward spaeter zwischen Eumenes und Antiochos gestritten,
inwieweit es dies- oder jenseits der gesteckten Grenze liege und also
jenem oder diesem zukomme. Ausserdem erhielt er die Schutzherrschaft
und das Zinsrecht ueber diejenigen griechischen Staedte, die nicht
unbeschraenkt die Freiheit empfingen; doch wurde auch hier bestimmt,
dass den Staedten ihre Freibriefe bleiben und die Abgabe nicht erhoeht
werden solle. Ferner musste Antiochos sich anheischig machen, die 350
Talente (600000 Taler), die er dem Vater Attalos schuldig geworden war,
dem Eumenes zu entrichten, ebenso ihn mit 127 Talenten (218000 Taler)
fuer die rueckstaendigen Getreidelieferungen zu entschaedigen.
Endlich erhielt Eumenes die koeniglichen Forsten und die von Antiochos
abgelieferten Elefanten, nicht aber die Kriegsschiffe, die verbrannt
wurden; eine Seemacht litten die Roemer nicht neben sich. Hierdurch
war das Reich der Attaliden in Osteuropa und Asien das geworden, was
Numidien in Afrika war, ein von Rom abhaengiger maechtiger Staat mit
absoluter Verfassung, bestimmt und faehig, sowohl Makedonien als Syrien
in Schranken zu halten, ohne anders als in ausserordentlichen Faellen
roemischer Unterstuetzung zu beduerfen. Mit dieser durch die roemische
Politik gebotenen Schoepfung hatte man die durch republikanische und
nationale Sympathie und Eitelkeit gebotene Befreiung der asiatischen
Griechen soweit moeglich vereinigt. Um die Angelegenheiten des ferneren
Ostens jenseits des Tauros und Halys war man fest entschlossen, sich
nicht zu bekuemmern; es zeigen dies sehr deutlich die Bedingungen des
Friedens mit Antiochos und noch entschiedener die bestimmte Weigerung
des Senats, der Stadt Soloi in Kilikien die von den Rhodiern fuer
sie erbetene Freiheit zu gewaehren. Ebenso getreu blieb man dem
festgestellten Grundsatz, keine unmittelbaren ueberseeischen Besitzungen
zu erwerben. Nachdem die roemische Flotte noch eine Expedition nach
Kreta gemacht und die Freigebung der dorthin in die Sklaverei verkauften
Roemer durchgesetzt hatte, verliessen Flotte und Landheer im Nachsommer
566 (188) Asien, wobei das Landheer, das wieder durch Thrakien zog,
durch die Nachlaessigkeit des Feldherrn unterwegs von den Ueberfaellen
der Wilden viel zu leiden hatte. Die Roemer brachten nichts heim aus
dem Osten als Ehre und Gold, die in dieser Zeit sich schon beide in der
praktischen Form der Dankadresse, dem goldenen Kranze, zusammenzufinden
pflegten. Auch das europaeische Griechenland war von diesem asiatischen
Krieg erschuettert worden und bedurfte neuer Ordnung. Die Aetoler, die
immer noch nicht gelernt hatten, sich in ihre Nichtigkeit zu finden,
hatten nach dem im Fruehling 564 (190) mit Scipio abgeschlossenen
Waffenstillstand nicht bloss durch ihre kephallenischen Korsaren
den Verkehr zwischen Italien und Griechenland schwierig und unsicher
gemacht, sondern vielleicht noch waehrend des Waffenstillstandes,
getaeuscht durch falsche Nachrichten ueber den Stand der Dinge in Asien,
die Tollheit begangen, den Amynander wieder auf seinen athamanischen
Thron zu setzen und mit Philippos in den von diesem besetzten
aetolischen und thessalischen Grenzlandschaften sich herumzuschlagen,
wobei der Koenig mehrere Nachteile erlitt. Es versteht sich, dass
hiernach Rom ihre Bitte um Frieden mit der Landung des Konsuls Marcus
Fulvius Nobilior beantwortete. Er traf im Fruehling 565 (189) bei den
Legionen ein und nahm nach fuenfzehntaegiger Belagerung durch eine fuer
die Besatzung ehrenvolle Kapitulation Ambrakia, waehrend zugleich die
Makedonier, die Illyrier, die Epeiroten, die Akarnanen und Achaeer ueber
die Aetoler herfielen. Von eigentlichem Widerstand konnte nicht die Rede
sein; auf die wiederholten Friedensgesuche der Aetoler standen denn
auch die Roemer vom Kriege ab und gewaehrten Bedingungen, welche solchen
erbaermlichen und tueckischen Gegnern gegenueber billig genannt werden
muessen. Die Aetoler verloren alle Staedte und Gebiete, die in den
Haenden ihrer Gegner waren, namentlich Ambrakia, welches infolge
einer gegen Marcus Fulvius in Rom gesponnenen Intrige spaeter frei und
selbstaendig ward, ferner Oinia, das den Akarnanen gegeben wurde; ebenso
traten sie Kephallenia ab. Sie verloren das Recht, Krieg und Frieden
zu schliessen und wurden in dieser Hinsicht von den auswaertigen
Beziehungen Roms abhaengig; endlich zahlten sie eine starke Geldsumme.
Kephallenia setzte sich auf eigene Hand gegen diesen Vertrag und fuegte
sich erst, als Marcus Fulvius auf der Insel landete; ja die Einwohner
von Same, die befuerchteten, aus ihrer wohlgelegenen Stadt durch
eine roemische Kolonie ausgetrieben zu werden, fielen nach der ersten
Unterwerfung wieder ab und hielten eine viermonatliche Belagerung aus,
worauf die Stadt endlich genommen und die Einwohner saemtlich in
die Sklaverei verkauft wurden. Rom blieb auch hier dabei, sich
grundsaetzlich auf Italien und die italischen Inseln zu beschraenken.
Es nahm von der Beute nichts fuer sich als die beiden Inseln Kephallenia
und Zakynthos, welche den Besitz von Kerkyra und anderen Seestationen am
Adriatischen Meer wuenschenswert ergaenzten. Der uebrige Laendererwerb
kam an die Verbuendeten Roms; indes die beiden bedeutendsten derselben,
Philippos und die Achaeer, waren keineswegs befriedigt durch den ihnen
an der Beute gegoennten Anteil. Philippos fuehlte sich nicht ohne Grund
verletzt. Er durfte sagen, dass in dem letzten Krieg die eigentlichen
Schwierigkeiten, die nicht in dem Feinde, sondern in der Entfernung und
der Unsicherheit der Verbindungen lagen, wesentlich durch seinen loyalen
Beistand ueberwunden waren. Der Senat erkannte dies auch an, indem
er ihm den noch rueckstaendigen Tribut erliess und seine Geiseln ihm
zuruecksandte; allein Gebietserweiterungen, wie er sie gehofft, empfing
er nicht. Er erhielt das magnetische Gebiet mit Demetrias, das er den
Aetolern abgenommen hatte; ausserdem blieben tatsaechlich in seinen
Haenden die dolopische und athamanische Landschaft und ein Teil von
Thessalien, aus denen gleichfalls die Aetoler von ihm vertrieben worden
waren. In Thrakien blieb zwar das Binnenland in makedonischer Klientel,
aber ueber die Kuestenstaedte und die Inseln Thasos und Lemnos,
die faktisch in Philipps Haenden waren, ward nichts bestimmt, der
Chersonesos sogar ausdruecklich an Eumenes gegeben; und es war nicht
schwer zu erkennen, dass Eumenes nur deshalb auch Besitzungen in Europa
empfing, um nicht bloss Asien, sondern auch Makedonien im Notfall
niederzuhalten. Die Erbitterung des stolzen und in vieler Hinsicht
ritterlichen Mannes ist natuerlich; allein es war nicht Schikane,
was die Roemer bestimmte, sondern eine unabweisliche politische
Notwendigkeit. Makedonien buesste dafuer, dass es einmal eine Macht
ersten Ranges gewesen war und mit Rom auf gleichem Fuss Krieg gefuehrt
hatte: man hatte hier, und hier mit viel besserem Grund als gegen
Karthago, sich vorzusehen, dass die alte Machtstellung nicht
wiederkehre. Anders stand es mit den Achaeern. Sie hatten im Laufe des
Krieges gegen Antiochos ihren lange genaehrten Wunsch befriedigt, den
Peloponnes ganz in ihre Eidgenossenschaft zu bringen, indem zuerst
Sparta, dann, nach der Vertreibung der Asiaten aus Griechenland, auch
Elis und Messene mehr oder weniger gezwungen beigetreten waren. Die
Roemer hatten dies geschehen lassen und es sogar geduldet, dass
man dabei mit absichtlicher Ruecksichtslosigkeit gegen Rom verfuhr.
Flamininus hatte, als Messene erklaerte, sich den Roemern zu
unterwerfen, aber nicht in die Eidgenossenschaft eintreten zu wollen und
diese darauf Gewalt brauchte, zwar nicht unterlassen, den Achaeern zu
Gemuete zu fuehren, dass solche Sonderverfuegungen ueber einen Teil der
Beute an sich unrecht und in dem Verhaeltnis der Achaeer zu den Roemern
mehr als unpassend seien, aber denn doch in seiner sehr unpolitischen
Nachgiebigkeit gegen die Hellenen im wesentlichen den Achaeern ihren
Willen getan. Allein damit hatte die Sache kein Ende. Die Achaeer, von
ihrer zwerghaften Vergroesserungssucht gepeinigt, liessen die Stadt
Pleuron in Aetolien, die sie waehrend des Krieges besetzt hatten,
nicht fahren, machten sie vielmehr zum unfreiwilligen Mitgliede ihrer
Eidgenossenschaft; sie kauften Zakynthos von dem Statthalter des letzten
Besitzers Amynander und haetten gern noch Aegina dazu gehabt. Nur
widerwillig gaben sie jene Insel an Rom heraus und hoerten sehr unmutig
Flamininus' guten Ratschlag, sich mit ihrem Peloponnes zu begnuegen. Sie
glaubten es sich schuldig zu sein, die Unabhaengigkeit ihres Staates
um so mehr zur Schau zu tragen, je weniger daran war; man sprach von
Kriegsrecht, von der treuen Beihilfe der Achaeer in den Kriegen
der Roemer; man fragte die roemischen Gesandten auf der achaeischen
Tagsatzung, warum Rom sich um Messene bekuemmere, da Achaia ja nicht
nach Capua frage, und der hochherzige Patriot, der also gesprochen,
wurde beklatscht und war der Stimmen bei den Wahlen sicher. Das alles
wuerde sehr recht und sehr erhaben gewesen sein, wenn es nicht noch viel
laecherlicher gewesen waere. Es lag wohl eine tiefe Gerechtigkeit und
ein noch tieferer Jammer darin, dass Rom, so ernstlich es die Freiheit
der Hellenen zu gruenden und den Dank der Hellenen zu verdienen bemueht
war, dennoch ihnen nichts gab als die Anarchie und nichts erntete
als den Undank. Es lagen auch den hellenischen Antipathien gegen die
Schutzmacht sicher sehr edle Gefuehle zugrunde, und die persoenliche
Bravheit einzelner tonangebender Maenner ist ausser Zweifel. Aber darum
bleibt dieser achaeische Patriotismus nicht minder eine Torheit und eine
wahre historische Fratze. Bei all jenem Ehrgeiz und all jener nationalen
Empfindlichkeit geht durch die ganze Nation vom ersten bis zum letzten
Mann das gruendlichste Gefuehl der Ohnmacht. Stets horcht jeder nach
Rom, der liberale Mann nicht weniger wie der servile; man dankt dem
Himmel, wenn das gefuerchtete Dekret ausbleibt; man mault, wenn
der Senat zu verstehen gibt, dass man wohl tun werde, freiwillig
nachzugeben, um es nicht gezwungen zu tun; man tut, was man muss
womoeglich in einer fuer die Roemer verletzenden Weise, "um die Formen
zu retten"; man berichtet, erlaeutert, verschiebt, weicht aus, und wenn
das endlich alles nicht mehr gehen will, so wird mit einem patriotischen
Seufzer nachgegeben. Das Treiben haette Anspruch wo nicht auf Billigung
doch auf Nachsicht, wenn die Fuehrer zum Kampf entschlossen gewesen
waeren und den Untergang der Nation der Knechtschaft vorgezogen
haetten; aber weder Philopoemen noch Lykortas dachten an einen solchen
politischen Selbstmord - man wollte womoeglich frei sein, aber denn doch
vor allem leben. Zu allem diesem aber sind es niemals die Roemer, die
die gefuerchtete roemische Intervention in die inneren Angelegenheiten
Griechenlands hervorrufen, sondern stets die Griechen selbst, die wie
die Knaben den Stock, den sie fuerchten, selber einer ueber den andern
bringen. Der von dem gelehrten Poebel hellenischer und nachhellenischer
Zeit bis zum Ekel wiederholte Vorwurf, dass die Roemer bestrebt gewesen
waeren, inneren Zwist in Griechenland zu stiften, ist eine der tollsten
Abgeschmacktheiten, welche politisierende Philologen nur je ausgesonnen
haben. Nicht die Roemer trugen den Hader nach Griechenland - wahrlich
Eulen nach Athen -, sondern die Griechen ihre Zwistigkeiten nach Rom.
Namentlich die Achaeer, die ueber ihren Arrondierungsgeluesten gaenzlich
uebersahen, wie sehr zu ihrem eigenen Besten es gewesen, dass Flamininus
die aetolisch gesinnten Staedte nicht der Eidgenossenschaft einverleibt
hatte, erwarben in Lakedaemon und Messene sich eine wahre Hydra inneren
Zwistes. Unaufhoerlich baten und flehten Mitglieder dieser Gemeinden
in Rom, sie aus der verhassten Gemeinschaft zu loesen, darunter
charakteristisch genug selbst diejenigen, die die Rueckkehr in die
Heimat den Achaeern verdankten. Unaufhoerlich ward von dem Achaeischen
Bunde in Sparta und Messene regeneriert und restauriert: die wuetendsten
Emigrierten von dort bestimmten die Massregeln der Tagsatzung. Vier
Jahre nach dem nominellen Eintritt Spartas in die Eidgenossenschaft kam
es sogar zum offenen Kriege und zu einer bis zum Wahnsinn vollstaendigen
Restauration, wobei die saemtlichen von Nabis mit dem Buergerrecht
beschenkten Sklaven wieder in die Knechtschaft verkauft und aus dem
Erloes ein Saeulengang in der Achaeerstadt Megalopolis gebaut,
ferner die alten Gueterverhaeltnisse in Sparta wiederhergestellt,
die Lykurgischen Gesetze durch die achaeischen ersetzt, die Mauern
niedergerissen wurden (566 188). Ueber alle diese Wirtschaft ward
dann zuletzt von allen Seiten der roemische Senat zum Schiedsspruch
aufgefordert - eine Belaestigung, die die gerechte Strafe fuer die
befolgte sentimentale Politik war. Weit entfernt, sich zu viel in diese
Angelegenheiten zu mischen, ertrug der Senat nicht bloss die Nadelstiche
der achaeischen Gesinnungstuechtigkeit mit musterhafter Indifferenz,
sondern liess selbst die aergsten Dinge mit straeflicher
Gleichgueltigkeit geschehen. Man freute sich herzlich in Achaia, als
nach jener Restauration die Nachricht von Rom einlief, dass der
Senat darueber zwar gescholten, aber nichts kassiert habe. Fuer die
Lakedaemonier geschah von Rom aus nichts, als dass der Senat, empoert
ueber den von den Achaeern verfuegten Justizmord von beilaeufig sechzig
bis achtzig Spartanern, der Tagsatzung die Kriminaljustiz ueber die
Spartaner nahm - freilich ein empoerender Eingriff in die inneren
Angelegenheiten eines unabhaengigen Staates! Die roemischen
Staatsmaenner kuemmerten sich so wenig wie moeglich um diese Suendflut
in der Nussschale, wie am besten die vielfachen Klagen beweisen ueber
die oberflaechlichen, widersprechenden und unklaren Entscheidungen des
Senats; freilich, wie sollte er klar antworten, wenn auf einmal vier
Parteien aus Sparta zugleich im Senat gegeneinander redeten! Dazu kam
der persoenliche Eindruck, den die meisten dieser peloponnesischen
Staatsmaenner in Rom machten; selbst Flamininus schuettelte den Kopf,
als ihm einer derselben heute etwas vortanzte und den andern Tag ihn von
Staatsgeschaeften unterhielt. Es kam so weit, dass dem Senat zuletzt die
Geduld voellig ausging und er die Peloponnesier dahin beschied, dass er
sie nicht mehr bescheiden werde und sie machen koennten, was sie wollten
(572 182). Begreiflich ist dies, aber nicht recht; wie die Roemer einmal
standen, hatten sie die sittliche und politische Verpflichtung, hier
mit Ernst und Konsequenz einen leidlichen Zustand herzustellen. Jener
Achaeer Kallikrates, der im Jahre 575 (179) an den Senat ging, um ihn
ueber die Zustaende im Peloponnes aufzuklaeren und eine folgerechte und
gehaltene Intervention zu fordern, mag als Mensch noch etwas weniger
getaugt haben als sein Landsmann Philopoemen, der jene Patriotenpolitik
wesentlich begruendet hat; aber er hatte recht. So umfasste die Klientel
der roemischen Gemeinde jetzt die saemtlichen Staaten von dem oestlichen
zu dem westlichen Ende des Mittelmeeres; nirgend bestand ein Staat, den
man der Muehe wert gehalten haette zu fuerchten. Aber noch lebte ein
Mann, dem Rom diese seltene Ehre erwies: der heimatlose Karthager, der
erst den ganzen Westen, alsdann den ganzen Osten gegen Rom in Waffen
gebracht hatte und der vielleicht nur gescheitert war, dort an der
ehrlosen Aristokraten-, hier an der kopflosen Hofpolitik. Antiochos
hatte sich im Frieden verpflichten muessen, den Hannibal auszuliefern;
allein derselbe war zuerst nach Kreta, dann nach Bithynien entronnen
^5 und lebte jetzt am Hof des Koenigs Prusias, beschaeftigt, diesen in
seinen Kriegen gegen Eumenes zu unterstuetzen und wie immer siegreich
zu Wasser und zu Lande. Es wird behauptet, dass er auch den Prusias
zum Kriege gegen Rom habe reizen wollen; eine Torheit, die so, wie sie
erzaehlt wird, sehr wenig glaublich klingt. Gewisser ist es, dass zwar
der roemische Senat es unter seiner Wuerde hielt, den Greis in seinem
letzten Asyl aufjagen zu lassen - denn die Ueberlieferung, die auch
den Senat beschuldigt, scheint keinen Glauben zu verdienen -, dass aber
Flamininus, der in seiner unruhigen Eitelkeit nach neuen Zielen fuer
grosse Taten suchte, auf seine eigene Hand es unternahm, wie die
Griechen von ihren Ketten, so Rom von Hannibal zu befreien und gegen den
groessten Mann seiner Zeit den Dolch zwar nicht zu fuehren, was nicht
diplomatisch ist, aber ihn zu schleifen und zu richten. Prusias,
der jaemmerlichste unter den Jammerprinzen Asiens, machte sich ein
Vergnuegen daraus, dem roemischen Gesandten die kleine Gefaelligkeit
zu erweisen, die derselbe mit halben Worten erbat, und da Hannibal sein
Haus von Moerdern umstellt sah, nahm er Gift. Er war seit langem gefasst
darauf, fuegt ein Roemer hinzu, denn er kannte die Roemer und das Wort
der Koenige. Sein Todesjahr ist nicht gewiss; wahrscheinlich starb er
in der zweiten Haelfte des Jahres 571 (183), siebenundsechzig Jahre alt.
Als er geboren ward, stritt Rom mit zweifelhaftem Erfolg um den Besitz
von Sizilien; er hatte gerade genug gelebt, um den Westen vollstaendig
unterworfen zu sehen, um noch selber seine letzte Roemerschlacht gegen
die Schiffe seiner roemisch gewordenen Vaterstadt zu schlagen, um dann
zuschauen zu muessen, wie Rom auch den Osten ueberwand gleichwie der
Sturm das fuehrerlose Schiff, und zu fuehlen, dass er allein imstande
war, es zu lenken. Es konnte ihm keine Hoffnung weiter fehlschlagen,
als er starb; aber redlich hatte er in fuenfzigjaehrigem Kampfe den
Knabenschwur gehalten. -------------------------------------------------
^5 Dass er auch nach Armenien gekommen sei und auf Bitten des Koenigs
Artaxias die Stadt Artaxata am Araxes erbaut habe (Strab. 11 p. 528;
Plut. Luc. 31), ist sicher Erfindung; aber es ist bezeichnend, wie
Hannibal, fast wie Alexander, mit den orientalischen Fabeln verwachsen
ist. ------------------------------------------------- Um dieselbe Zeit,
wahrscheinlich in demselben Jahre, starb auch der Mann, den die Roemer
seinen Ueberwinder zu nennen pflegten, Publius Scipio. Ihn hatte das
Glueck mit allen den Erfolgen ueberschuettet, die seinem Gegner versagt
blieben, mit Erfolgen, die ihm gehoerten und nicht gehoerten. Spanien,
Afrika, Asien hatte er zum Reiche gebracht und Rom, das er als die
erste Gemeinde Italiens gefunden, war bei seinem Tode die Gebieterin der
zivilisierten Welt. Er selbst hatte der Siegestitel so viele, dass deren
ueberblieben fuer seinen Bruder und seinen Vetter ^6. Und doch verzehrte
auch ihn durch seine letzten Jahre bitterer Gram, und er starb, wenig
ueber fuenfzig Jahre alt, in freiwilliger Verbannung, mit dem Befehl an
die Seinigen, seine Leiche nicht in der Vaterstadt beizusetzen, fuer
die er gelebt hatte und in der seine Ahnen ruhten. Es ist nicht
genau bekannt, was ihn aus der Stadt trieb. Die Anschuldigungen wegen
Bestechung und unterschlagener Gelder, die gegen ihn und mehr noch
gegen seinen Bruder Lucius gerichtet wurden, waren ohne Zweifel nichtige
Verleumdungen, die solche Verbitterung nicht hinreichend erklaeren;
obwohl es charakteristisch fuer den Mann ist, dass er seine
Rechnungsbuecher, statt sich einfach aus ihnen zu rechtfertigen,
im Angesicht des Volks und der Anklaeger zerriss und die Roemer
aufforderte, ihn zum Tempel des Jupiter zu begleiten und den Jahrestag
seines Sieges bei Zama zu feiern. Das Volk liess den Anklaeger stehen
und folgte dem Scipio auf das Kapitol; aber es war dies der letzte
schoene Tag des hohen Mannes. Sein stolzer Sinn, seine Meinung, ein
anderer und besserer zu sein als die uebrigen Menschen, seine sehr
entschiedene Familienpolitik, die namentlich in seinem Bruder Lucius
den widerwaertigen Strohmann eines Helden grosszog, verletzten viele und
nicht ohne Grund. Wie der echte Stolz das Herz beschirmt, so legt es die
Hoffart jedem Schlag und jedem Nadelstich bloss und zerfrisst auch den
urspruenglichen Hochsinn. Ueberall aber gehoert es zur Eigentuemlichkeit
solcher, aus echtem Gold und schimmerndem Flitter seltsam gemischter
Naturen, wie Scipio eine war, dass sie des Glueckes und des Glanzes der
Jugend beduerfen, um ihren Zauber zu ueben, und dass, wenn dieser Zauber
zu schwinden anfaengt, unter allen am schmerzlichsten der Zauberer
selbst erwacht. ---------------------------------------------------
^6 Africanus, Asiagenus, Hispallus.
--------------------------------------------------- 10. Kapitel Der
Dritte Makedonische Krieg Philippos von Makedonien war empfindlich
gekraenkt durch die Behandlung, die er nach dem Frieden mit Antiochos
von den Roemern erfahren hatte; und der weitere Verlauf der Dinge
war nicht geeignet, seinen Groll zu beschwichtigen. Seine Nachbarn in
Griechenland und Thrakien, grossenteils Gemeinden, die einst vor dem
makedonischen Namen nicht minder gezittert hatten wie jetzt vor dem
roemischen, machten es sich wie billig zum Geschaeft, der gefallenen
Grossmacht all die Tritte zurueckzugeben, die sie seit Philippos' des
Zweiten Zeiten von Makedonien empfangen hatten; der nichtige Hochmut
und der wohlfeile antimakedonische Patriotismus der Hellenen dieser
Zeit machte sich Luft auf den Tagsatzungen der verschiedenen
Eidgenossenschaften und in unaufhoerlichen Beschwerden bei dem
roemischen Senat. Philippos war von den Roemern zugestanden worden,
was er den Aetolern abgenommen habe; allein foermlich an die Aetoler
angeschlossen hatte sich in Thessalien nur die Eidgenossenschaft der
Magneten, wogegen diejenigen Staedte, die Philippos in zwei anderen der
thessalischen Eidgenossenschaften, der thessalischen im engeren Sinn
und der perrhaebischen, den Aetolern entrissen hatte, von ihren Buenden
zurueckverlangt wurden aus dem Grunde, dass Philippos diese Staedte nur
befreit, nicht erobert habe. Auch die Athamanen glaubten ihre Freiheit
begehren zu koennen; auch Eumenes forderte die Seestaedte, die Antiochos
im eigentlichen Thrakien besessen hatte, namentlich Aenos und Maroneia,
obwohl ihm im Frieden mit Antiochos nur der Thrakische Chersonesos
ausdruecklich zugesprochen war. All diese Beschwerden und zahllose
geringere seiner saemtlichen Nachbarn, ueber Unterstuetzung des
Koenigs Prusias gegen Eumenes, ueber Handelskonkurrenz, ueber verletzte
Kontrakte und geraubtes Vieh stroemten nach Rom; vor dem roemischen
Senat musste der Koenig von Makedonien von dem souveraenen Gesindel sich
verklagen lassen und Recht nehmen oder Unrecht, wie es fiel; er musste
sehen, dass das Urteil stets gegen ihn ausfiel, musste knirschend
von der thrakischen Kueste, aus den thessalischen und perrhaebischen
Staedten die Besatzungen wegziehen und die roemischen Kommissare
hoeflich empfangen, welche nachzusehen kamen, ob auch alles
vorschriftsmaessig ausgefuehrt sei. Man war in Rom nicht so erbittert
gegen Philippos wie gegen Karthago, ja in vieler Hinsicht dem
makedonischen Herrn sogar geneigt; man verletzte hier nicht so
ruecksichtslos wie in Libyen die Formen, aber im Grunde war die Lage
Makedoniens wesentlich dieselbe wie die von Karthago. Indes Philippos
war keineswegs der Mann, diese Pein mit phoenikischer Geduld ueber sich
ergehen zu lassen. Leidenschaftlich wie er war, hatte er nach
seiner Niederlage mehr dem treulosen Bundesgenossen gezuernt als dem
ehrenwerten Gegner, und seit langem gewohnt, nicht makedonische, sondern
persoenliche Politik zu treiben, hatte er in dem Kriege mit Antiochos
nichts gesehen als eine vortreffliche Gelegenheit, sich an dem
Alliierten, der ihn schmaehlich im Stich gelassen und verraten hatte,
augenblicklich zu raechen. Dies Ziel hatte er erreicht; allein
die Roemer, die sehr gut begriffen, dass den Makedonier nicht die
Freundschaft fuer Rom, sondern die Feindschaft gegen Antiochos
bestimmte, und die ueberdies keineswegs nach solchen Stimmungen der
Neigung und Abneigung ihre Politik zu regeln pflegten, hatten sich wohl
gehuetet, irgend etwas Wesentliches zu Philippos' Gunsten zu tun, und
hatten vielmehr die Attaliden, die von ihrer ersten Erhebung an
mit Makedonien in heftiger Fehde lagen und von dem Koenig Philippos
politisch und persoenlich aufs bitterste gehasst wurden, die Attaliden,
die unter allen oestlichen Maechten am meisten dazu beigetragen hatten,
Makedonien und Syrien zu zertruemmern und die roemische Klientel auf den
Osten auszudehnen, die Attaliden, die in dem letzten Krieg, wo Philippos
es freiwillig und loyal mit Rom gehalten, um ihrer eigenen Existenz
willen wohl mit Rom hatten halten muessen, hatten diese Attaliden dazu
benutzt, um im wesentlichen das Reich des Lysimachos wieder aufzubauen,
dessen Vernichtung der wichtigste Erfolg der makedonischen Herrscher
nach Alexander gewesen war, und Makedonien einen Staat an die Seite
zu stellen, der zugleich ihm an Macht ebenbuertig und Roms Klient war.
Dennoch haette vielleicht, wie die Verhaeltnisse einmal standen,
ein weiser und sein Volk mit Hingebung beherrschender Regent sich
entschlossen, den ungleichen Kampf gegen Rom nicht wieder aufzunehmen;
allein Philippos, in dessen Charakter von allen edlen Motiven das
Ehrgefuehl, von allen unedlen die Rachsucht am maechtigsten waren, war
taub fuer die Stimme sei es der Feigheit, sei es der Resignation, und
naehrte tief im Herzen den Entschluss, abermals die Wuerfel zu werfen.
Als ihm wieder einmal Schmaehungen hinterbracht wurden, wie sie auf
den thessalischen Tagsatzungen gegen Makedonien zu fallen pflegten,
antwortete er mit der Theokritischen Zeile, dass noch die letzte
Sonne nicht untergegangen sei ^1.
------------------------------------------------- ^1 /E/d/e/
gar phrasd/e/ panth' alion ammi ded?kein. (1, 102).
------------------------------------------------- Philippos bewies bei
der Vorbereitung und der Verbergung seiner Entschluesse eine Ruhe, einen
Ernst und eine Konsequenz, die, wenn er in besseren Zeiten sie bewaehrt
haette, vielleicht den Geschicken der Welt eine andere Richtung gegeben
haben wuerden. Namentlich die Fuegsamkeit gegen die Roemer, mit der er
sich die unentbehrliche Frist erkaufte, war fuer den harten und stolzen
Mann eine schwere Pruefung, die er doch mutig ertrug - seine Untertanen
freilich und die unschuldigen Gegenstaende des Haders, wie das
unglueckliche Maroneia, buessten schwer den verhaltenen Groll. Schon
im Jahre 571 (183) schien der Krieg ausbrechen zu muessen; aber
auf Philippos' Geheiss bewirkte sein juengerer Sohn Demetrios eine
Ausgleichung des Vaters mit Rom, wo er einige Jahre als Geisel gelebt
hatte und sehr beliebt war. Der Senat, namentlich Flamininus, der
die griechischen Angelegenheiten leitete, suchte in Makedonien eine
roemische Partei zu bilden, die Philippos' natuerlich den Roemern nicht
unbekannte Bestrebungen zu paralysieren imstande waere, und hatte
zu deren Haupt, ja vielleicht zum kuenftigen Koenig Makedoniens, den
juengeren, leidenschaftlich an Rom haengenden Prinzen ausersehen. Man
gab mit absichtlicher Deutlichkeit zu verstehen, dass der Senat dem
Vater um des Sohnes willen verzeihe; wovon natuerlich die Folge
war, dass im koeniglichen Hause selbst Zwistigkeiten entstanden und
namentlich des Koenigs aelterer und vom Vater zum Nachfolger bestimmter,
aber in ungleicher Ehe erzeugter Sohn Perseus in seinem Bruder den
kuenftigen Nebenbuhler zu verderben suchte. Es scheint nicht, dass
Demetrios sich in die roemischen Intrigen einliess; erst der falsche
Verdacht des Verbrechens zwang ihn, schuldig zu werden, und auch da
beabsichtigte er, wie es scheint, nichts weiter als die Flucht nach Rom.
Indes Perseus sorgte dafuer, dass der Vater diese Absicht auf die rechte
Weise erfuhr; ein untergeschobener Brief von Flamininus an Demetrios tat
das uebrige und lockte dem Vater den Befehl ab, den Sohn aus dem Wege
zu raeumen. Zu spaet erfuhr Philippos die Raenke, die Perseus gesponnen
hatte, und der Tod ereilte ihn ueber der Absicht, den Brudermoerder zu
strafen und von der Thronfolge auszuschliessen. Er starb im Jahre
575 (179) in Demetrias, im neunundfuenfzigsten Lebensjahre. Das Reich
hinterliess er zerschmettert, das Haus zerruettet, und gebrochenen
Herzens gestand er sich ein, dass all seine Muehsal und all seine Frevel
vergeblich gewesen waren. Sein Sohn Perseus trat darauf die Regierung
an, ohne in Makedonien oder bei dem roemischen Senat Widerspruch zu
finden. Er war ein stattlicher Mann, in allen Leibesuebungen wohl
erfahren, im Lager aufgewachsen und des Befehlens gewohnt, gleich seinem
Vater herrisch und nicht bedenklich in der Wahl seiner Mittel. Ihn
reizten nicht der Wein und die Frauen, ueber die Philippos seines
Regiments nur zu oft vergass; er war stetig und beharrlich wie sein
Vater leichtsinnig und leidenschaftlich. Philippos, schon als Knabe
Koenig und in den ersten zwanzig Jahren seiner Herrschaft vom Glueck
begleitet, war vom Schicksal verwoehnt und verdorben worden; Perseus
bestieg den Thron in seinem einunddreissigsten Jahr, und wie er schon
als Knabe mitgenommen worden war in den ungluecklichen roemischen Krieg,
wie er aufgewachsen war im Druck der Erniedrigung und in dem Gedanken
einer nahen Wiedergeburt des Staates, so erbte er von seinem Vater mit
dem Reich seine Drangsale, seine Erbitterung und seine Hoffnungen.
In der Tat griff er mit aller Entschlossenheit die Fortsetzung des
vaeterlichen Werkes an und ruestete eifriger, als es vorher geschehen
war, zum Kriege gegen Rom; kam doch fuer ihn noch hinzu, dass es
wahrlich nicht die Schuld der Roemer war, wenn er das makedonische
Diadem trug. Mit Stolz sah die stolze makedonische Nation auf den
Prinzen, den sie an der Spitze ihrer Jugend stehen und fechten zu sehen
gewohnt war; seine Landsleute und viele Hellenen aller Staemme meinten
in ihm den rechten Feldherrn fuer den nahen Befreiungskrieg gefunden zu
haben. Aber er war nicht, was er schien; ihm fehlte Philipps Genialitaet
und Philipps Spannkraft, die wahrhaft koeniglichen Eigenschaften, die
das Glueck verdunkelt und geschaendet, aber die reinigende Macht der
Not wieder zu Ehren gebracht hatte. Philippos liess sich und die Dinge
gehen; aber wenn es galt, fand er in sich die Kraft zu raschem und
ernstlichem Handeln. Perseus spann weite und feine Plaene und verfolgte
sie mit unermuedlicher Beharrlichkeit; aber wenn die Stunde schlug
und das, was er angelegt und vorbereitet hatte, ihm in der lebendigen
Wirklichkeit entgegentrat, erschrak er vor seinem eigenen Werke. Wie
es beschraenkten Naturen eigen ist, ward ihm das Mittel zum Zweck; er
haeufte Schaetze auf Schaetze fuer den Roemerkrieg und als die Roemer
im Lande standen, vermochte er nicht von seinen Goldstuecken sich zu
trennen. Es ist bezeichnend, dass nach der Niederlage der Vater zuerst
eilte, die kompromittierenden Papiere in seinem Kabinett zu
vernichten, der Sohn dagegen seine Kassen nahm und sich einschiffte. In
gewoehnlichen Zeiten haette er einen Koenig vom Dutzendschlag so gut und
besser wie mancher andere abgeben koennen; aber er war nicht geschaffen,
ein Unternehmen zu leiten, das von Haus aus verloren war, wenn nicht ein
ausserordentlicher Mann es beseelte. Makedoniens Macht war nicht
gering. Die Ergebenheit des Landes gegen das Haus der Antigoniden war
ungebrochen, das Nationalgefuehl hier allein nicht durch den Hader
politischer Parteien paralysiert. Den grossen Vorteil der monarchischen
Verfassung, dass jeder Regierungswechsel den alten Groll und Zank
beseitigt und eine neue Aera anderer Menschen und frischer Hoffnungen
herauffuehrt, hatte der Koenig verstaendig benutzt und seine Regierung
begonnen mit allgemeiner Amnestie, mit Zurueckberufung der fluechtigen
Bankerottierer und Erlass der rueckstaendigen Steuern. Die gehaessige
Haerte des Vaters brachte also dem Sohn nicht bloss Vorteil, sondern
auch Liebe. Sechsundzwanzig Friedensjahre hatten die Luecken in der
makedonischen Bevoelkerung teils von selbst ausgefuellt, teils der
Regierung gestattet, hierfuer als fuer den eigentlichen wunden Fleck des
Landes ernstliche Fuersorge zu treffen. Philippos hielt die Makedonier
an zur Ehe und Kinderzeugung; er besetzte die Kuestenstaedte, aus denen
er die Einwohner in das Innere zog, mit thrakischen Kolonisten von
zuverlaessiger Wehrhaftigkeit und Treue; er zog, um die verheerenden
Einfaelle der Dardaner ein fuer allemal abzuwehren, gegen Norden eine
Scheidewand, indem er das Zwischenland jenseits der Landesgrenze bis an
das barbarische Gebiet zu Einoede machte, und gruendete neue Staedte
in den noerdlichen Provinzen. Kurz, er tat Zug fuer Zug dasselbe fuer
Makedonien, wodurch spaeter Augustus das Roemische Reich zum zweitenmal
gruendete. Die Armee war zahlreich - 30 000 Mann, ohne die Zuzuege und
die Mietstruppen zu rechnen - und die junge Mannschaft geuebt durch den
bestaendigen Grenzkrieg gegen die thrakischen Barbaren. Seltsam ist es,
dass Philippos nicht wie Hannibal es versuchte, sein Heer roemisch zu
organisieren; allein es begreift sich, wenn man sich erinnert, was
den Makedoniern ihre zwar oft ueberwundene, aber doch noch immer
unueberwindlich geglaubte Phalanx galt. Durch die neuen Finanzquellen,
die Philippos in Bergwerken, Zoellen und Zehnten sich geschaffen hatte,
und den aufbluehenden Ackerbau und Handel war es gelungen, den Schatz,
die Speicher und die Arsenale zu fuellen; als der Krieg begann, lag im
makedonischen Staatsschatz Geld genug, um fuer das dermalige Heer und
fuer 10000 Mann Mietstruppen auf zehn Jahre den Sold zu zahlen und
fanden sich in den oeffentlichen Magazinen Getreidevorraete auf ebenso
lange Zeit (18 Mill. Medimnen oder preussische Scheffel) und Waffen fuer
ein dreifach so starkes Heer, als das gegenwaertige war. In der Tat war
Makedonien ein ganz anderer Staat geworden, als da es durch den Ausbruch
des zweiten Krieges mit Rom ueberrascht ward; die Macht des Reiches war
in allen Beziehungen mindestens verdoppelt - mit einer in jeder Hinsicht
weit geringeren hatte Hannibal es vermocht, Rom bis in seine Grundfesten
zu erschuettern. Nicht so guenstig standen die aeusseren Verhaeltnisse.
Es lag in der Natur der Sache, dass Makedonien jetzt die Plaene von
Hannibal und von Antiochos wieder aufnehmen und versuchen musste, sich
an die Spitze einer Koalition aller unterdrueckten Staaten gegen Roms
Suprematie zu stellen; und allerdings gingen die Faeden vom Hofe zu
Pydna nach allen Seiten. Indes der Erfolg war gering. Dass die Treue der
Italiker schwankte, ward wohl behauptet; allein es konnte weder
Freund noch Feind entgehen, dass zunaechst die Wiederaufnahme der
Samnitenkriege nicht gerade wahrscheinlich sei. Die naechtlichen
Konferenzen makedonischer Abgeordneter mit dem karthagischen Senat,
die Massinissa in Rom denunzierte, konnten gleichfalls ernsthafte und
einsichtige Maenner nicht erschrecken, selbst wenn sie nicht, wie es
sehr moeglich ist, voellig erfunden waren. Die Koenige von Syrien und
Bithynien suchte der makedonische Hof durch Zwischenheiraten in das
makedonische Interesse zu ziehen; allein es kam dabei weiter nichts
heraus, als dass die unsterbliche Naivitaet der Diplomatie, die Laender
mit Liebschaften erobern zu wollen, sich einmal mehr prostituierte.
Den Eumenes, den gewinnen zu wollen laecherlich gewesen waere, haetten
Perseus' Agenten gern beseitigt; er sollte auf der Rueckkehr von Rom,
wo er gegen Makedonien gewirkt hatte, bei Delphi ermordet werden,
allein der saubere Plan misslang. Von groesserer Bedeutung waren die
Bestrebungen, die noerdlichen Barbaren und die Hellenen gegen Rom
aufzuwiegeln. Philippos hatte den Plan entworfen, die alten Feinde
Makedoniens, die Dardaner in dem heutigen Serbien, zu erdruecken durch
einen anderen, vom linken Ufer der Donau herbeigezogenen, noch wilderen
Schwarm deutscher Abstammung, den der Bastarner, sodann mit diesen
und der ganzen dadurch in Bewegung gesetzten Voelkerlawine selbst nach
Italien auf dem Landweg zu ziehen und in die Lombardei einzufallen,
wohin er die Alpenpaesse bereits erkunden liess - ein grossartiger,
Hannibals wuerdiger Entwurf, welchen auch ohne Zweifel Hannibals
Alpenuebergang unmittelbar angeregt hat. Es ist mehr als wahrscheinlich,
dass hiermit die Gruendung der roemischen Festung Aquileia
zusammenhaengt, die eben in Philippos' letzte Zeit faellt (573 181)
und nicht passt zu dem sonst von den Roemern bei ihren italischen
Festungsanlagen befolgten System. Der Plan scheiterte indes an
dem verzweifelten Widerstand der Dardaner und der mitbetroffenen
naechstwohnenden Voelkerschaften; die Bastarner mussten wieder abziehen
und der ganze Haufen ertrank auf der Heimkehr unter dem einbrechenden
Eise der Donau. Der Koenig suchte nun wenigstens unter den Haeuptlingen
des illyrischen Landes, des heutigen Dalmatiens und des noerdlichen
Albaniens, seine Klientel auszubreiten. Nicht ohne Perseus' Vorwissen
kam einer derselben, der treulich zu Rom hielt, Arthetauros, durch
Moerderhand um. Der bedeutendste von allen, Genthios, der Sohn und Erbe
des Pleuratos, stand zwar dem Namen nach gleich seinem Vater in Buendnis
mit Rom, allein die Boten von Issa, einer griechischen Stadt auf einer
der dalmatinischen Inseln, berichteten dem Senat, dass Koenig Perseus
mit dem jungen, schwachen, trunkfaelligen Menschen in heimlichem
Einverstaendnis stehe und Genthios' Gesandte in Rom dem Perseus als
Spione dienten. In den Landschaften oestlich von Makedonien gegen
die untere Donau zu stand der maechtigste unter den thrakischen
Haeuptlingen, der Fuerst der Orysen und Herr des ganzen oestlichen
Thrakiens von der makedonischen Grenze am Hebros (Maritza) bis an den
mit griechischen Staedten bedeckten Kuestensaum, der kluge und tapfere
Kotys, mit Perseus im engsten Buendnis; von den anderen kleineren
Haeuptlingen, die es hier mit Rom hielten, ward einer, der Fuerst
der Sagaeer, Abrupolis, infolge eines gegen Amphipolis am Strymon
gerichteten Raubzugs von Perseus geschlagen und aus dem Lande getrieben.
Von hierher hatte Philipp zahlreiche Kolonisten gezogen und standen
Soeldner zu jeder Zeit in beliebiger Zahl zu Gebot. Unter der
ungluecklichen hellenischen Nation ward von Philippos und Perseus
lange vor der Kriegserklaerung gegen Rom ein zwiefacher Propagandakrieg
lebhaft gefuehrt, indem man teils die nationale, teils - man gestatte
den Ausdruck - die kommunistische Partei auf die Seite Makedoniens zu
bringen versuchte. Dass alle national Gesinnten unter den asiatischen
wie unter den europaeischen Griechen jetzt im Herzen makedonisch waren,
versteht sich von selbst; nicht wegen einzelner Ungerechtigkeiten der
roemischen Befreier, sondern weil die Herstellung der hellenischen
Nationalitaet durch eine fremde den Widerspruch in sich selbst trug,
und jetzt, wo es freilich zu spaet war, jeder es begriff, dass
die abscheulichste makedonische Regierung minder unheilvoll fuer
Griechenland war als die aus den edelsten Absichten ehrenhafter
Auslaender hervorgegangene freie Verfassung. Dass die tuechtigsten und
rechtschaffensten Leute in ganz Griechenland gegen Rom Partei ergriffen,
war in der Ordnung; roemisch gesinnt war nur die feile Aristokratie und
hier und da ein einzelner ehrlicher Mann, der ausnahmsweise sich
ueber den Zustand und die Zukunft der Nation nicht taeuschte. Am
schmerzlichsten empfand dies Eumenes von Pergamon, der Traeger jener
fremdlaendischen Freiheit unter den Griechen. Vergeblich behandelte er
die ihm unterworfenen Staedte mit Ruecksichten aller Art; vergeblich
buhlte er um die Gunst der Gemeinden und der Tagsatzungen mit
wohlklingenden Worten und noch besser klingendem Golde - er musste
vernehmen, dass man seine Geschenke zurueckgewiesen, ja dass man eines
schoenen Tages im ganzen Peloponnes nach Tagsatzungsbeschluss alle
frueher ihm errichteten Statuen zerschlagen und die Ehrentafeln
eingeschmolzen habe (584 170), waehrend Perseus' Name auf allen Lippen
war; waehrend selbst die ehemals am entschiedensten antimakedonisch
gesinnten Staaten, wie die Achaeer, ueber die Aufhebung der gegen
Makedonien gerichteten Gesetze berieten; waehrend Byzantion, obwohl
innerhalb des Pergamenischen Reiches gelegen, nicht von Eumenes, sondern
von Perseus Schutz und Besatzung gegen die Thraker erbat und empfing,
und ebenso Lampsakos am Hellespont sich dem Makedonier anschloss;
waehrend die maechtigen und besonnenen Rhodier dem Koenig Perseus seine
syrische Braut, da die syrischen Kriegsschiffe im Aegaeischen Meer sich
nicht zeigen durften, mit ihrer ganzen praechtigen Kriegsflotte von
Antiocheia her zufuehrten und hochgeehrt und reich beschenkt, namentlich
mit Holz zum Schiffbau, wieder heimkehrten; waehrend Beauftragte der
asiatischen Staedte, also der Untertanen des Eumenes, in Samothrake mit
makedonischen Abgeordneten geheime Konferenzen hielten. Jene Sendung der
rhodischen Kriegsflotte schien wenigstens eine Demonstration; und
sicher war es eine, dass der Koenig Perseus unter dem Vorwand einer
gottesdienstlichen Handlung bei Delphi den Hellenen sich und seine
ganze Armee zur Schau stellte. Dass der Koenig sich auf diese nationale
Propaganda bei dem bevorstehenden Kriege zu stuetzen gedachte, war in
der Ordnung. Arg aber war es, dass er die fuerchterliche oekonomische
Zerruettung Griechenlands benutzte, um alle diejenigen, die eine
Umwaelzung der Eigentums- und Schuldverhaeltnisse wuenschten, an
Makedonien zu ketten. Von der beispiellosen Ueberschuldung der Gemeinden
wie der einzelnen im europaeischen Griechenland, mit Ausnahme des in
dieser Hinsicht etwas besser geordneten Peloponnes, ist es schwer, sich
einen hinreichenden Begriff zu machen; es kam vor, dass eine Stadt die
andere ueberfiel und auspluenderte, bloss um Geld zu machen, so zum
Beispiel die Athener Oropos, und bei den Aetolern, den Perrhaebern,
den Thessalern lieferten die Besitzenden und die Nichtbesitzenden sich
foermliche Schlachten. Die aergsten Greueltaten verstehen sich bei
solchen Zustaenden von selbst; so wurde bei den Aetolern eine allgemeine
Versoehnung verkuendet und ein neuer Landfriede gemacht, einzig zu dem
Zweck, eine Anzahl von Emigranten ins Garn zu locken und zu ermorden.
Die Roemer versuchten zu vermitteln; aber ihre Gesandten kehrten
unverrichteter Sache zurueck und meldeten, dass beide Parteien gleich
schlecht und die Erbitterung nicht zu bezaehmen sei. Hier half in der
Tat nichts anderes mehr als der Offizier und der Scharfrichter; der
sentimentale Hellenismus fing an, ebenso grauenvoll zu werden, wie er
von Anfang an laecherlich gewesen war. Koenig Perseus aber bemaechtigte
sich dieser Partei, wenn sie den Namen verdient, der Leute, die nichts,
am wenigsten einen ehrlichen Namen zu verlieren hatten, und erliess
nicht bloss Verfuegungen zu Gunsten der makedonischen Bankerottierer,
sondern liess auch in Larisa, Delphi und Delos Plakate anschlagen,
welche saemtliche wegen politischer oder anderer Verbrechen oder ihrer
Schulden wegen landfluechtig gewordene Griechen aufforderten, nach
Makedonien zu kommen und volle Einsetzung in ihre ehemaligen Ehren und
Gueter zu gewaertigen. Dass sie kamen, kann man sich denken; ebenso dass
in ganz Nordgriechenland die glimmende soziale Revolution nun in offene
Flammen ausschlug und die national-soziale Partei daselbst um Hilfe
zu Perseus sandte. Wenn die hellenische Nationalitaet nur mit solchen
Mitteln zu retten war, so durfte bei aller Verehrung fuer Sophokles und
Pheidias man sich die Frage erlauben, ob das Ziel des Preises wert sei.
Der Senat begriff, dass er schon zu lange gezoegert habe und dass
es Zeit sei, dem Treiben ein Ende zu machen. Die Vertreibung des
thrakischen Haeuptlings Abrupolis, der mit den Roemern in Buendnis
stand, die Buendnisse Makedoniens mit den Byzantiern, Aetolern und einem
Teil der boeotischen Staedte waren ebensoviel Verletzungen des Friedens
von 557 (197) und genuegten fuer das offizielle Kriegsmanifest; der
wahre Grund des Krieges war, dass Makedonien im Begriff stand, seine
formelle Souveraenitaet in eine reelle zu verwandeln und Rom aus dem
Patronat ueber die Hellenen zu verdraengen. Schon 581 (173) sprachen
die roemischen Gesandten auf der achaeischen Tagsatzung es ziemlich
unumwunden aus, dass ein Buendnis mit Perseus mit dem Abfall von dem
roemischen gleichbedeutend sei. Im Jahr 582 (172) kam Koenig Eumenes
persoenlich nach Rom mit einem langen Beschwerdenregister und deckte
die ganze Lage der Dinge im Senat auf, worauf dieser wider Erwarten
in geheimer Sitzung sofort die Kriegserklaerung beschloss und die
Landungsplaetze in Epeiros mit Besatzungen versah. Der Form wegen ging
noch eine Gesandtschaft nach Makedonien, deren Botschaft aber derart
war, dass Perseus, erkennend, dass er nicht zurueck koenne, die Antwort
gab, er sei bereit, ein neues wirklich gleiches Buendnis mit Rom zu
schliessen, allein den Vertrag von 557 (197) sehe er als aufgehoben
an, und die Gesandten anwies, binnen drei Tagen das Reich zu verlassen.
Damit war der Krieg tatsaechlich erklaert. Es war im Herbst 582 (172);
wenn Perseus wollte, konnte er ganz Griechenland besetzen und die
makedonische Partei ueberall ans Regiment bringen, ja vielleicht die
bei Apollonia stehende roemische Division von 5000 Mann unter Gnaeus
Sicinius erdruecken und den Roemern die Landung streitig machen. Allein
der Koenig, dem schon vor dem Ernst der Dinge zu grauen begann, liess
sich mit seinem Gastfreund, dem Konsular Quintus Marcius Philippus,
ueber die Frivolitaet der roemischen Kriegserklaerung in Verhandlungen
ein und sich durch diese bestimmen, den Angriff zu verschieben und noch
einmal einen Friedensversuch in Rom zu machen, den, wie begreiflich,
der Senat nur beantwortete mit der Ausweisung saemtlicher Makedonier aus
Italien und der Einschiffung der Legionen. Zwar tadelten die Senatoren
der aelteren Schule die "neue Weisheit" ihres Kollegen und die
unroemische List; allein der Zweck war erreicht und der Winter verfloss,
ohne dass Perseus sich ruehrte. Desto eifriger nutzten die roemischen
Diplomaten die Zwischenzeit, um Perseus eines jeden Anhaltes in
Griechenland zu berauben. Der Achaeer war man sicher. Nicht einmal
die Patriotenpartei daselbst, die weder mit jenen sozialen Bewegungen
einverstanden war noch ueberhaupt sich weiter verstieg als zu der
Sehnsucht nach einer weisen Neutralitaet, dachte daran, sich Perseus
in die Arme zu werfen; und ueberdies war dort jetzt durch roemischen
Einfluss die Gegenpartei ans Ruder gekommen, die unbedingt sich an Rom
anschloss. Der Aetolische Bund hatte zwar in seinen inneren Unruhen von
Perseus Hilfe erbeten; aber der unter den Augen der roemischen Gesandten
gewaehlte neue Strateg Lykiskos war roemischer gesinnt als die Roemer
selbst. Auch bei den Thessalern behielt die roemische Partei die
Oberhand. Sogar die von Alters her makedonisch gesinnten und oekonomisch
aufs tiefste zerruetteten Boeoter hatten in ihrer Gesamtheit sich nicht
offen fuer Perseus erklaert; doch liessen wenigstens drei ihrer Staedte,
Thisbae, Haliartos und Koroneia auf eigene Hand sich mit Perseus ein.
Da auf die Beschwerde des roemischen Gesandten die Regierung der
boeotischen Eidgenossenschaft ihm den Stand der Dinge mitteilte,
erklaerte jener, dass sich am besten zeigen werde, welche Stadt es
mit Rom halte und welche nicht, wenn jede sich einzeln ihm gegenueber
ausspreche; und daraufhin lief die Boeotische Eidgenossenschaft geradezu
auseinander. Es ist nicht wahr, dass Epaminondas' grosser Bau von den
Roemern zerstoert worden ist; er fiel tatsaechlich zusammen, ehe sie
daran ruehrten, und ward also freilich das Vorspiel fuer die Aufloesung
der uebrigen, noch fester geschlossenen griechischen Staedtebuende ^2.
Mit der Mannschaft der roemisch gesinnten boeotischen Staedte belagerte
der roemische Gesandte Publius Lentulus Haliartos, noch ehe
die roemische Flotte im Aegaeischen Meer erschien.
--------------------------------------- ^2 Die rechtliche Aufloesung der
Boeotischen Eidgenossenschaft erfolgte uebrigens wohl noch nicht jetzt,
sondern erst nach der Zerstoerung Korinths (Paus. 7, 14, 4; 16, 6.)
--------------------------------------- Chalkis ward mit achaeischer,
die orestische Landschaft mit epeirotischer Mannschaft, die
dassaretischen und illyrischen Kastelle an der makedonischen Westgrenze
von den Truppen des Gnaeus Sicinius besetzt, und sowie die Schiffahrt
wieder begann, erhielt Larisa eine Besatzung von 2000 Mann. Perseus
sah dem allem untaetig zu und hatte keinen Fussbreit Landes ausserhalb
seines eigenen Gebietes inne, als im Fruehling oder nach dem offiziellen
Kalender im Juni 583 (171) die roemischen Legionen an der Westkueste
landeten. Es ist zweifelhaft, ob Perseus namhafte Bundesgenossen
gefunden haben wuerde, auch wenn er soviel Energie gezeigt haette,
als er Schlaffheit bewies; unter diesen Umstaenden blieb er natuerlich
voellig allein, und jene weitlaeufigen Propagandaversuche fuehrten
vorlaeufig wenigstens zu gar nichts. Karthago, Genthios von Illyrien,
Rhodos und die kleinasiatischen Freistaedte, selbst das mit Perseus
bisher so eng befreundete Byzanz, boten den Roemern Kriegsschiffe an,
welche diese indes ablehnten. Eumenes machte sein Landheer und seine
Schiffe mobil. Koenig Ariarathes von Kappadokien schickte ungeheissen
Geiseln nach Rom. Perseus' Schwager, Koenig Prusias II. von Bithynien,
blieb neutral. In ganz Griechenland ruehrte sich niemand. Koenig
Antiochos IV. von Syrien, im Kurialstil "der Gott, der glaenzende
Siegbringer" genannt zur Unterscheidung von seinem Vater, dem "Grossen",
ruehrte sich zwar, aber nur um dem ganz ohnmaechtigen Aegypten waehrend
dieses Krieges das syrische Kuestenland zu entreissen. Indes wenn
Perseus auch fast allein stand, so war er doch ein nicht veraechtlicher
Gegner. Sein Heer zaehlte 43000 Mann, darunter 21000 Phalangiten
und 4000 makedonische und thrakische Reiter, der Rest groesstenteils
Soeldner. Die Gesamtmacht der Roemer in Griechenland betrug zwischen
30- und 40000 Mann italischer Truppen, ausserdem ueber 10000 Mann
numidischen, ligurischen, griechischen, kretischen und besonders
pergamenischen Zuzugs. Dazu kam die Flotte, die nur 40 Deckschiffe
zaehlte, da ihr keine feindliche gegenueberstand - Perseus, dem der
Vertrag mit Rom Kriegsschiffe zu bauen verboten hatte, richtete erst
jetzt Werften in Thessalonike ein -, die aber bis 10000 Mann Truppen an
Bord hatte, da sie hauptsaechlich bei Belagerungen mitzuwirken bestimmt
war. Die Flotte fuehrte Gaius Lucretius, das Landheer der Konsul Publius
Licinius Crassus. Derselbe liess eine starke Abteilung in Illyrien, um
von Westen aus Makedonien zu beunruhigen, waehrend er mit der Hauptmacht
wie gewoehnlich von Apollonia nach Thessalien aufbrach. Perseus dachte
nicht daran, den schwierigen Marsch zu stoeren, sondern begnuegte sich,
in Perrhaebien einzuruecken und die naechsten Festungen zu besetzen. Am
Ossa erwartete er den Feind und unweit Larisa erfolgte das erste Gefecht
zwischen den beiderseitigen Reitern und leichten Truppen. Die Roemer
wurden entschieden geschlagen. Kotys mit der thrakischen Reiterei hatte
die italische, Perseus mit der makedonischen die griechische geworfen
und zersprengt; die Roemer hatten 2000 Mann zu Fuss, 2000 Reiter an
Toten, 600 Reiter an Gefangenen verloren und mussten sich gluecklich
schaetzen, unbehindert den Peneios ueberschreiten zu koennen. Perseus
benutzte den Sieg, um auf dieselben Bedingungen, die Philippos erhalten
hatte, den Frieden zu erbitten; sogar dieselbe Summe zu zahlen war er
bereit. Die Roemer schlugen die Forderung ab; sie schlossen nie Frieden
nach einer Niederlage, und hier haette der Friedensschluss allerdings
folgeweise den Verlust Griechenlands nach sich gezogen. Indes
anzugreifen verstand der elende roemische Feldherr auch nicht; man
zog hin und her in Thessalien, ohne dass etwas von Bedeutung geschah.
Perseus konnte die Offensive ergreifen; er sah die Roemer schlecht
gefuehrt und zaudernd; wie ein Lauffeuer war die Nachricht durch
Griechenland gegangen, dass das griechische Heer im ersten Treffen
glaenzend gesiegt habe - ein zweiter Sieg konnte zur allgemeinen
Insurrektion der Patriotenpartei fuehren und durch die Eroeffnung eines
Guerillakrieges unberechenbare Erfolge bewirken. Allein Perseus war ein
guter Soldat, aber kein Feldherr wie sein Vater; er hatte sich auf einen
Verteidigungskrieg gefasst gemacht, und wie die Dinge anders gingen,
fand er sich wie gelaehmt. Einen unbedeutenden Erfolg, den die Roemer
in einem zweiten Reitergefecht bei Phalanna davontrugen, nahm er zum
Vorwand, um nun doch, wie es beschraenkten und eigensinnigen Naturen
eigen ist, zu dem ersten Plan zurueckzukehren und Thessalien zu raeumen.
Das hiess natuerlich soviel, als auf jeden Gedanken einer hellenischen
Insurrektion verzichten; was sonst sich haette erreichen lassen, zeigt
der dennoch erfolgte Parteiwechsel der Epeiroten. Von beiden Seiten
geschah seitdem nichts Ernstliches mehr; Perseus ueberwand den Koenig
Genthios, zuechtigte die Dardaner und liess durch Kotys die roemisch
gesinnten Thraker und die pergamenischen Truppen aus Thrakien
hinausschlagen. Dagegen nahm die roemische Westarmee einige illyrische
Staedte, und der Konsul beschaeftigte sich damit, Thessalien von den
makedonischen Besatzungen zu reinigen und sich der unruhigen Aetoler und
Akarnanen durch Besetzung von Ambrakia zu versichern. Am schwersten
aber empfanden den roemischen Heldenmut die ungluecklichen boeotischen
Staedte, die mit Perseus hielten; die Einwohner sowohl von Thisbae, das
sich ohne Widerstand ergab, sowie der roemische Admiral Gaius Lucretius
vor der Stadt erschien, wie von Haliartos, das ihm die Tore schloss
und erstuermt werden musste, wurden von ihm in die Sklaverei verkauft,
Koroneia von dem Konsul Crassus gar der Kapitulation zuwider ebenso
behandelt. Noch nie hatte ein roemisches Heer so schlechte Mannszucht
gehalten wie unter diesen Befehlshabern. Sie hatten das Heer so
zerruettet, dass auch im naechsten Feldzug 584 (170) der neue Konsul
Aulus Hostilius an ernstliche Unternehmungen nicht denken konnte,
zumal da der neue Admiral Lucius Hortensius sich ebenso unfaehig und
gewissenlos erwies wie sein Vorgaenger. Die Flotte lief ohne allen
Erfolg in den thrakischen Kuestenplaetzen an. Die Westarmee unter Appius
Claudius, dessen Hauptquartier in Lychnidos im dassaretischen Gebiet
war, erlitt eine Schlappe ueber die andere; nachdem eine Expedition
nach Makedonien hinein voellig verunglueckt war, griff gegen Anfang
des Winters der Koenig mit den an der Suedgrenze durch den tiefen,
alle Paesse sperrenden Schnee entbehrlich gewordenen Truppen den Appius
seinerseits an, nahm ihm zahlreiche Ortschaften und eine Menge Gefangene
ab und knuepfte Verbindungen mit dem Koenig Genthios an; ja er konnte
einen Versuch machen, in Aetolien einzufallen, waehrend Appius sich
in Epeiros von der Besatzung einer Festung, die er vergeblich belagert
hatte, noch einmal schlagen liess. Die roemische Hauptarmee machte
ein paar Versuche, erst ueber die Kambunischen Berge, dann durch die
thessalischen Paesse in Makedonien einzudringen, aber sie wurden
schlaff angestellt und beide von Perseus zurueckgewiesen. Hauptsaechlich
beschaeftigte der Konsul sich mit der Reorganisierung des Heeres, die
freilich auch vor allen Dingen noetig war, aber einen strengeren Mann
und einen namhafteren Offizier erforderte. Abschied und Urlaub waren
kaeuflich geworden, die Abteilungen daher niemals vollzaehlig; die
Mannschaft ward im Sommer einquartiert, und wie die Offiziere im grossen
Stil, stahlen die Gemeinen im kleinen; die befreundeten Voelkerschaften
wurden in schmaehlicher Weise beargwohnt - so waelzte man die Schuld der
schimpflichen Niederlage bei Larisa auf die angebliche Verraeterei der
aetolischen Reiterei und sandte unerhoerterweise deren Offiziere zur
Kriminaluntersuchung nach Rom; so draengte man die Molotter in Epeiros.
durch falschen Verdacht zum wirklichen Abfall; die verbuendeten Staedte
wurden, als waeren sie erobert, mit Kriegskontributionen belegt, und
wenn sie auf den roemischen Senat provozierten, die Buerger hingerichtet
oder zu Sklaven verkauft - so in Abdera und aehnlich in Chalkis.
Der Senat schritt sehr ernstlich ein ^3: er befahl die Befreiung
der ungluecklichen Koroneier und Abderiten und verbot den roemischen
Beamten, ohne Erlaubnis des Senats Leistungen von den Bundesgenossen
zu verlangen. Gaius Lucretius ward von der Buergerschaft einstimmig
verurteilt. Allein das konnte nicht aendern, dass das Ergebnis dieser
beiden ersten Feldzuege militaerisch null, politisch ein Schandfleck
fuer die Roemer war, deren ungemeine Erfolge im Osten nicht zum
wenigsten darauf beruhten, dass sie der hellenischen Suendenwirtschaft
gegenueber sittlich rein und tuechtig auftraten. Haette an Perseus'
Stelle Philippos kommandiert, so wuerde dieser Krieg vermutlich mit der
Vernichtung des roemischen Heeres und dem Abfall der meisten Hellenen
begonnen haben; allein Rom war so gluecklich, in den Fehlern stets
von seinen Gegnern ueberboten zu werden. Perseus begnuegte sich in
Makedonien, das nach Sueden und Westen eine wahre Bergfestung
ist, gleichwie in einer belagerten Stadt sich zu verschanzen.
--------------------------------------------------- ^3 Der kuerzlich
aufgefundene Senatsbeschluss vom 9. Oktober 584 (170), der die
Rechtsverhaeltnisse von Thisbae regelt (Eph. epigr. 1872, S. 278 f.;
AM 4, 1889, S. 235f.), gibt einen deutlichen Einblick in diese
Verhaeltnisse. ----------------------------------------------------
Auch der dritte Oberfeldherr, den Rom 585 (169) nach Makedonien sandte,
Quintus Marcius Philippus, jener schon erwaehnte ehrliche Gastfreund
des Koenigs, war seiner keineswegs leichten Aufgabe durchaus nicht
gewachsen. Er war ehrgeizig und unternehmend, aber ein schlechter
Offizier. Sein Wagestueck, durch den Pass Lapathus westlich von Tempe
den Uebergang ueber den Olympos in der Art zu gewinnen, dass er gegen
die Besatzung des Passes eine Abteilung zurueckliess und mit der
Hauptmacht durch unwegsame Abhaenge nach Herakleion zu den Weg sich
bahnte, wird dadurch nicht entschuldigt, dass es gelang. Nicht bloss
konnte eine Handvoll entschlossener Leute ihm den Weg verlegen, wo dann
an keinen Rueckzug zu denken war, sondern noch nach dem Uebergang stand
er mit der makedonischen Hauptmacht vor sich, hinter sich die stark
befestigten Bergfestungen Tempe und Lapathus, eingekeilt in eine schmale
Strandebene und ohne Zufuhr wie ohne Moeglichkeit zu fouragieren,
in einer nicht minder verzweifelten Lage, als da er in seinem ersten
Konsulat in den ligurischen Engpaessen, die seitdem seinen Namen
behielten, sich gleichfalls hatte umzingeln lassen. Allein wie damals
ihn ein Zufall rettete, so jetzt Perseus' Unfaehigkeit. Als ob er den
Gedanken nicht fassen koenne, gegen die Roemer anders als durch Sperrung
der Paesse sich zu verteidigen, gab er sich seltsamerweise verloren,
sowie er die Roemer diesseits derselben erblickte, fluechtete eiligst
nach Pydna und befahl, seine Schiffe zu verbrennen und seine Schaetze zu
versenken. Aber selbst dieser freiwillige Abzug der makedonischen Armee
befreite den Konsul noch nicht aus seiner peinlichen Lage. Er ging zwar
ungehindert vor, musste aber nach vier Tagemaerschen wegen Mangels an
Lebensmitteln sich wieder rueckwaerts wenden; und da auch der Koenig zur
Besinnung kam und schleunigst umkehrte, um in die verlassene Position
wieder einzuruecken, so waere das roemische Heer in grosse Gefahr
geraten, wenn nicht zur rechten Zeit das unueberwindliche Tempe
kapituliert und seine reichen Vorraete dem Feind ueberliefert haette.
Die Verbindung mit dem Sueden war nun zwar dadurch dem roemischen
Heere gesichert; aber auch Perseus hatte sich in seiner frueheren
wohlgewaehlten Stellung an dem Ufer des kleinen Flusses Elpios stark
verbarrikadiert und hemmte hier den weiteren Vormarsch der Roemer.
So verblieb das roemische Heer den Rest des Sommers und den Winter
eingeklemmt in den aeussersten Winkel Thessaliens; und wenn die
Ueberschreitung der Paesse allerdings ein Erfolg und der erste
wesentliche in diesem Krieg war, so verdankte man ihn doch nicht der
Tuechtigkeit des roemischen, sondern der Verkehrtheit des feindlichen
Feldherrn. Die roemische Flotte versuchte vergebens Demetrias zu
nehmen und richtete ueberhaupt gar nichts aus. Perseus' leichte Schiffe
streiften kuehn zwischen den Kykladen, beschuetzten die nach Makedonien
bestimmten Kornschiffe und griffen die feindlichen Transporte auf. Bei
der Westarmee stand es noch weniger gut; Appius Claudius konnte mit
seiner geschwaechten Abteilung nichts ausrichten, und der von ihm
begehrte Zuzug aus Achaia ward durch die Eifersucht des Konsuls
abgehalten zu kommen. Dazu kam, dass Genthios sich von Perseus durch das
Versprechen einer grossen Geldsumme hatte erkaufen lassen, mit Rom zu
brechen, und die roemischen Gesandten einkerkern liess; worauf uebrigens
der sparsame Koenig es ueberfluessig fand, die zugesicherten Gelder
zu zahlen, da Genthios nun allerdings ohnehin gezwungen war, statt der
bisherigen zweideutigen eine entschieden feindliche Stellung gegen
Rom einzunehmen. So hatte man also einen kleinen Krieg mehr neben dem
grossen, der nun schon drei Jahre sich hinzog. Ja haette Perseus
sich von seinem Golde zu trennen vermocht, er haette den Roemern
noch gefaehrlichere Feinde erwecken koennen. Ein Keltenschwarm unter
Clondicus, 10000 Mann zu Pferde und ebenso viele zu Fuss, bot in
Makedonien selbst sich an, bei ihm Dienste zu nehmen; allein man konnte
sich ueber den Sold nicht einigen. Auch in Hellas gaerte es so, dass ein
Guerillakrieg sich mit einiger Geschicklichkeit und einer vollen Kasse
leicht haette entzuenden lassen; allein da Perseus nicht Lust hatte
zu geben und die Griechen nichts umsonst taten, blieb das Land ruhig.
Endlich entschloss man sich in Rom, den rechten Mann nach Griechenland
zu senden. Es war Lucius Aemilius Paullus, der Sohn des gleichnamigen
Konsuls, der bei Cannae fiel; ein Mann von altem Adel, aber geringem
Vermoegen und deshalb auf dem Wahlplatz nicht so gluecklich wie auf
dem Schlachtfeld, wo er in Spanien und mehr noch in Ligurien sich
ungewoehnlich hervorgetan. Ihn waehlte das Volk fuer das Jahr 586 (168)
zum zweitenmal zum Konsul seiner Verdienste wegen, was damals schon
eine seltene Ausnahme war. Er war in jeder Beziehung der rechte: ein
vorzueglicher Feldherr von der alten Schule, streng gegen sich und
seine Leute und trotz seiner sechzig Jahre noch frisch und kraeftig, ein
unbestechlicher Beamter - "einer der wenigen Roemer jener Zeit, denen
man kein Geld bieten konnte", sagt ein Zeitgenosse von ihm - und ein
Mann von hellenischer Bildung, der noch als Oberfeldherr die Gelegenheit
benutzte, um Griechenland der Kunstwerke wegen zu bereisen. Sowie
der neue Feldherr im Lager bei Herakleion eingetroffen war, liess
er, waehrend Vorpostengefechte im Flussbett des Elpios die Makedonier
beschaeftigten, den schlecht bewachten Pass bei Pythion durch Publius
Nasica ueberrumpeln; der Feind war dadurch umgangen und musste nach
Pydna zurueckweichen. Hier, am roemischen 4. September 586 (168) oder
am 22. Juni des Julianischen Kalenders - eine Mondfinsternis, die ein
kundiger roemischer Offizier dem Heer voraussagte, damit kein boeses
Anzeichen darin gefunden werde, gestattet hier die genaue Zeitbestimmung
- wurden beim Traenken der Rosse nach Mittag zufaellig die Vorposten
handgemein, und beide Teile entschlossen sich, die eigentlich erst auf
den naechsten Tag angesetzte Schlacht sofort zu liefern. Ohne Helm
und Panzer durch die Reihen schreitend ordnete der greise Feldherr der
Roemer selber seine Leute. Kaum standen sie, so stuermte die furchtbare
Phalanx auf sie ein; der Feldherr selber, der doch manchen harten
Kampf gesehen hatte, gestand spaeter ein, dass er gezittert habe. Die
roemische Vorhut zerstob, eine paelignische Kohorte ward niedergerannt
und fast vernichtet, die Legionen selbst wichen eilig zurueck, bis sie
einen Huegel erreicht hatten, bis hart an das roemische Lager. Hier
wandte sich das Glueck. Das unebene Terrain und die eilige Verfolgung
hatte die Glieder der Phalanx geloest; in einzelnen Kohorten drangen die
Roemer in jede Luecke ein, griffen von der Seite und von hinten an,
und da die makedonische Reiterei, die allein noch haette Hilfe bringen
koennen, ruhig zusah und bald sich in Massen davonmachte, mit ihr unter
den ersten der Koenig, so war in weniger als einer Stunde das Geschick
Makedoniens entschieden. Die 3000 erlesenen Phalangiten liessen sich
niederhauen bis auf den letzten Mann; es war, als wolle die Phalanx, die
ihre letzte grosse Schlacht bei Pydna schlug, hier selber untergehen.
Die Niederlage war furchtbar; 20000 Makedonier lagen auf dem
Schlachtfeld, 11000 wurden gefangen. Der Krieg war zu Ende, am
fuenfzehnten Tage nachdem Paullus den Oberbefehl uebernommen hatte;
ganz Makedonien unterwarf sich in zwei Tagen. Der Koenig fluechtete
mit seinem Golde - noch hatte er ueber 6000 Talente (10 Mill. Taler) in
seiner Kasse - nach Samothrake, begleitet von wenigen Getreuen. Allein
da er selbst von diesen noch einen ermordete, den Euandros von Kreta,
der als Anstifter des gegen Eumenes versuchten Mordes zur Rechenschaft
gezogen werden sollte, verliessen ihn auch die koeniglichen Pagen und
die letzten Gefaehrten. Einen Augenblick hoffte er, dass das Asylrecht
ihn schuetzen werde; allein selbst er begriff, dass er sich an einen
Strohhalm halte. Ein Versuch, zu Kotys zu fluechten, misslang. So
schrieb er an den Konsul; allein der Brief ward nicht angenommen, da er
sich darin Koenig genannt hatte. Er erkannte sein Schicksal und lieferte
auf Gnade und Ungnade den Roemern sich aus mit seinen Kindern und seinen
Schaetzen, kleinmuetig und weinend, den Siegern selbst zum Ekel.
Mit ernster Freude und mehr der Wandelbarkeit der Geschicke als dem
gegenwaertigen Erfolg nachsinnend empfing der Konsul den vornehmsten
Gefangenen, den je ein roemischer Feldherr heimgebracht hat. Perseus
starb wenige Jahre darauf als Staatsgefangener in Alba am Fuciner
See ^4; sein Sohn lebte in spaeteren Jahren in derselben
italischen Landstadt als Schreiber.
------------------------------------------------ ^4 Dass die Roemer,
um zugleich ihm das Wort zu halten, das ihm sein Leben verbuergte, und
Rache an ihm zu nehmen, ihn durch Entziehung des Schlafs getoetet, ist
sicher eine Fabel. -----------------------------------------------
So ging das Reich Alexanders des Grossen, das den Osten bezwungen und
hellenisiert hatte, 144 Jahre nach seinem Tode zugrunde. Damit aber zu
dem Trauerspiel die Posse nicht fehlte, ward gleichzeitig auch der Krieg
gegen den "Koenig" Genthios von Illyrien von dem Praetor Lucius Anicius
binnen dreissig Tagen begonnen und beendet, die Piratenflotte genommen,
die Hauptstadt Skodra erobert, und die beiden Koenige, der Erbe des
grossen Alexander und der des Pleuratos, zogen nebeneinander gefangen
in Rom ein. Es war im Senat beschlossen worden, dass die Gefahr nicht
wiederkehren duerfe, die Flamininus' unzeitige Milde ueber Rom gebracht
hatte. Makedonien ward vernichtet. Auf der Konferenz zu Amphipolis
am Strymon verfuegte die roemische Kommission die Aufloesung des
festgeschlossenen, durch und durch monarchischen Einheitsstaates
in vier, nach dem Schema der griechischen Eidgenossenschaften
zugeschnittene republikanisch-foederative Gemeindebuende, den von
Amphipolis in den oestlichen Landschaften, den von Thessalonike mit der
chalkidischen Halbinsel, den von Pella an der thessalischen Grenze und
den von Pelagonia im Binnenland. Zwischenheiraten unter den Angehoerigen
der verschiedenen Eidgenossenschaften waren ungueltig, und keiner durfte
in mehr als einer derselben ansaessig sein. Alle koeniglichen Beamten
sowie deren erwachsene Soehne mussten das Land verlassen und sich nach
Italien begeben, bei Todesstrafe - man fuerchtete noch immer, und
mit Recht, die Zuckungen der alten Loyalitaet. Das Landrecht und die
bisherige Verfassung blieb uebrigens bestehen; die Beamten wurden
natuerlich durch Gemeindewahlen ernannt und innerhalb der Gemeinden
wie der Buende die Macht in die Haende der Vornehmen gelegt. Die
koeniglichen Domaenen und die Regalien wurden den Eidgenossenschaften
nicht zugestanden, namentlich die Gold- und Silbergruben, ein
Hauptreichtum des Landes, zu bearbeiten untersagt; doch ward 596 (138)
wenigstens die Ausbeutung der Silbergruben wieder gestattet ^5. Die
Einfuhr von Salz, die Ausfuhr von Schiffbauholz wurden verboten. Die
bisher an den Koenig gezahlte Grundsteuer fiel weg, und es blieb den
Eidgenossenschaften und den Gemeinden ueberlassen, sich selber zu
besteuern; doch hatten diese die Haelfte der bisherigen Grundsteuer
nach einem ein fuer allemal festgestellten Satz, zusammen jaehrlich 100
Talente (170000 Taler), nach Rom zu entrichten ^6. Das ganze Land ward
fuer ewige Zeiten entwaffnet, die Festung Demetrias geschleift; nur an
der Nordgrenze sollte eine Postenkette gegen die Einfaelle der Barbaren
bestehen bleiben. Von den abgelieferten Waffen wurden die
kupfernen Schilde nach Rom gesandt, der Rest verbrannt.
------------------------------------------ ^5 Die Angabe Cassiodors,
dass im Jahre 596 (158) die makedonischen Bergwerke wieder eroeffnet
wurden, erhaelt ihre naehere Bestimmung durch die Muenzen. Goldmuenzen
der vier Makedonien sind nicht vorhanden; die Goldgruben also blieben
entweder geschlossen oder es wurde das gewonnene Gold als Barren
verwertet. Dagegen finden sich allerdings Silbermuenzen des ersten
Makedoniens (Amphipolis), in welchem Bezirk die Silbergruben belegen
sind; fuer die kurze Zeit in der sie geschlagen sein muessen (596-608
158-146) ist die Zahl derselben auffallend gross und zeugt entweder
von einem sehr energischen Betrieb der Gruben oder von massenhafter
Umpraegung des alten Koeniggeldes. ^6 Wenn das makedonische Gemeinwesen
durch die Roemer der "herrschaftlichen Auflagen und Abgaben entlastet
ward" (Polyb. 37, 4), so braucht deshalb noch nicht notwendig ein
spaeterer Erlass dieser Steuer angenommen zu werden; es genuegt zur
Erklaerung von Polybios' Worten, dass die bisher herrschaftliche jetzt
Gemeindesteuer ward. Der Fortbestand der der Provinz Makedonien von
Paullus gegebenen Verfassung bis wenigstens in die augustische Zeit
(Liv. 45, 32; Iust. 33, 2) wuerde freilich sich auch mit dem Erlass der
Steuer vereinigen lassen. ---------------------------------------- Man
erreichte seinen Zweck. Das makedonische Land hat zweimal noch auf den
Ruf von Prinzen aus dem alten Herrscherhause zu den Waffen gegriffen,
und ist uebrigens von jener Zeit bis auf den heutigen Tag ohne
Geschichte geblieben. Aehnlich ward Illyrien behandelt. Das Reich des
Genthios ward in drei kleine Freistaaten zerschnitten; auch hier zahlten
die Ansaessigen die Haelfte der bisherigen Grundsteuer an ihre neuen
Herren, mit Ausnahme der Staedte, die es mit den Roemern gehalten hatten
und dafuer Grundsteuerfreiheit erhielten - eine Ausnahme, die zu machen
Makedonien keine Veranlassung bot. Die illyrische Piratenflotte ward
konfisziert und den angeseheneren griechischen Gemeinden an dieser
Kueste geschenkt. Die ewigen Quaelereien, welche die Illyrier den
Nachbarn namentlich durch ihre Korsaren zufuegten, hatten hiermit
wenigstens auf lange hinaus ein Ende. Kotys in Thrakien, der schwer
zu erreichen und gelegentlich gegen Eumenes zu brauchen war, erhielt
Verzeihung und seinen gefangenen Sohn zurueck. So waren die noerdlichen
Verhaeltnisse geordnet und auch Makedonien endlich von dem Joch der
Monarchie erloest - in der Tat, Griechenland war freier als je, ein
Koenig nirgend mehr vorhanden. Aber man beschraenkte sich nicht
darauf, Makedonien Sehnen und Nerven zu zerschneiden. Es war im Senat
beschlossen, die saemtlichen hellenischen Staaten, Freund und Feind,
ein fuer allemal unschaedlich zu machen und sie miteinander in
dieselbe demuetige Klientel hinabzudruecken. Die Sache selbst mag sich
rechtfertigen lassen; allein die Art der Ausfuehrung namentlich gegen
die maechtigeren unter den griechischen Klientelstaaten ist einer
Grossmacht nicht wuerdig und zeigt, dass die Epoche der Fabier
und Scipionen zu Ende ist. Am schwersten traf dieser Rollenwechsel
denjenigen Staat, der von Rom geschaffen und grossgezogen war, um
Makedonien im Zaum zu halten, und dessen man jetzt nach Makedoniens
Vernichtung freilich nicht mehr bedurfte, das Reich der Attaliden.
Es war nicht leicht, gegen den klugen und besonnenen Eumenes einen
ertraeglichen Vorwand zu finden, um ihn aus seiner bevorzugten Stellung
zu verdraengen und ihn in Ungnade fallen zu lassen. Auf einmal kamen
um die Zeit, da die Roemer im Lager bei Herakleion standen, seltsame
Geruechte ueber ihn in Umlauf; er stehe mit Perseus im heimlichen
Verkehr; ploetzlich sei seine Flotte wie weggeweht gewesen; fuer seine
Nichtteilnahme am Feldzug seien ihm 500, fuer die Vermittlung des
Friedens 1500 Talente geboten worden, und nur an Perseus' Geiz habe sich
der Vertrag zerschlagen. Was die pergamenische Flotte anlangt, so ging
der Koenig mit ihr, als die roemische sich ins Winterquartier begab,
gleichfalls heim, nachdem er dem Konsul seine Aufwartung gemacht hatte.
Die Bestechungsgeschichte ist so sicher ein Maerchen wie nur irgendeine
heutige Zeitungsente; denn dass der reiche, schlaue und konsequente
Attalide, der den Bruch zwischen Rom und Makedonien durch seine Reise
582 (172) zunaechst veranlasst hatte, und fast deswegen von Perseus'
Banditen ermordet worden waere, in dem Augenblick, wo die wesentlichen
Schwierigkeiten eines Krieges ueberwunden waren, an dessen endlichem
Ausgang er ueberdies nie ernstlich gezweifelt haben konnte, dass er
seinen Anteil an der Beute seinem Moerder um einige Talente verkauft
und das Werk langer Jahre an eine solche Erbaermlichkeit gesetzt haben
sollte, ist denn doch nicht bloss gelogen, sondern sehr albern gelogen.
Dass kein Beweis weder in Perseus' Papieren noch sonst sich vorfand, ist
sicher genug; denn selbst die Roemer wagten nicht, jene Verdaechtigungen
laut auszusprechen. Aber sie hatten ihren Zweck. Was man wollte, zeigt
das Benehmen der roemischen Grossen gegen Attalos, Eumenes' Bruder, der
die pergamenischen Hilfstruppen in Griechenland befehligt hatte. Mit
offenen Armen ward der wackere und treue Kamerad in Rom empfangen und
aufgefordert, nicht fuer seinen Bruder, sondern fuer sich zu bitten
- gern werde der Senat ihm ein eigenes Reich gewaehren, Attalos erbat
nichts als Aenos und Maroneia. Der Senat meinte, dass dies nur eine
vorlaeufige Bitte sei und gestand sie mit grosser Artigkeit zu. Als er
aber abreiste, ohne weitere Forderungen gestellt zu haben, und der Senat
zu der Einsicht kam, dass die pergamenische Regentenfamilie unter sich
nicht so lebe, wie es in den fuerstlichen Haeusern hergebracht war,
wurden Aenos und Maroneia zu Freistaedten erklaert. Nicht einen
Fussbreit Landes erhielten die Pergamener von der makedonischen Beute;
hatte man nach Antiochos' Besiegung Philippos gegenueber noch die Formen
geschont, so wollte man jetzt verletzen und demuetigen. Um diese Zeit
scheint der Senat Pamphylien, ueber dessen Besitz Eumenes und Antiochos
bisher gestritten, unabhaengig erklaert zu haben. Wichtiger war es, dass
die Galater, bisher im wesentlichen in der Gewalt des Eumenes, nachdem
derselbe den pontischen Koenig mit Waffengewalt aus Galatien vertrieben
und im Frieden ihm die Zusage abgenoetigt hatte, mit den galatischen
Fuersten keine Verbindung ferner unterhalten zu wollen, jetzt, ohne
Zweifel rechnend auf die zwischen Eumenes und den Roemern eingetretene
Spannung, wenn nicht geradezu von diesen veranlasst, sich gegen Eumenes
erhoben, sein Reich ueberschwemmten und ihn in grosse Gefahr brachten.
Eumenes erbat die roemische Vermittlung; der roemische Gesandte war
dazu bereit, meinte aber, dass Attalos, der das pergamenische Heer
befehligte, besser nicht mitgehe, um die Wilden nicht zu verstimmen, und
merkwuerdigerweise richtete er gar nichts aus, ja er erzaehlte bei der
Rueckkehr, dass seine Vermittlung die Wilden erst recht erbittert habe.
Es waehrte nicht lange, so ward die Unabhaengigkeit der Galater von dem
Senat ausdruecklich anerkannt und gewaehrleistet. Eumenes entschloss
sich, persoenlich nach Rom zu gehen und im Senat seine Sache zu fuehren.
Da beschloss dieser ploetzlich, wie vom boesen Gewissen geplagt,
dass Koenige kuenftig nicht mehr nach Rom sollten kommen duerfen,
und schickte ihm nach Brundisium einen Quaestor entgegen, ihm diesen
Senatsbeschluss vorzulegen, ihn zu fragen, was er wolle, und ihm
anzudeuten, dass man seine schleunige Abreise gern sehen werde. Der
Koenig schwieg lange; er begehre, sagte er endlich, weiter nichts
und schiffte sich wieder ein. Er sah, wie es stand: die Epoche der
halbmaechtigen und halbfreien Bundesgenossenschaft war zu Ende; es
begann die der ohnmaechtigen Untertaenigkeit. Aehnlich erging es den
Rhodiern. Ihre Stellung war ungemein bevorzugt; sie standen mit
Rom nicht in eigentlicher Symmachie, sondern in einem gleichen
Freundschaftsverhaeltnis, das sie nicht hinderte, Buendnisse jeder
Art einzugehen und nicht noetigte, den Roemern auf Verlangen Zuzug
zu leisten. Vermutlich war eben dies die letzte Ursache, weshalb ihr
Einverstaendnis mit Rom schon seit einiger Zeit getruebt war. Die ersten
Zerwuerfnisse mit Rom hatten stattgefunden infolge des Aufstandes
der nach Antiochos' Ueberwindung ihnen zugeteilten Lykier gegen ihre
Zwingherren, die sie (576 178) als abtruennige Untertanen in grausamer
Weise knechteten; diese aber behaupteten, nicht Untertanen, sondern
Bundesgenossen der Rhodier zu sein und drangen damit im roemischen
Senat durch, als derselbe aufgefordert war, den zweifelhaften Sinn
des Friedensinstruments festzustellen. Hierbei hatte indes ein
gerechtfertigtes Mitleid mit den, arg gedrueckten Leuten wohl das meiste
getan; wenigstens geschah von Rom nichts weiter, und man liess diesen
wie anderen hellenischen Hader gehen. Als der Krieg mit Perseus
ausbrach, sahen ihn die Rhodier zwar wie alle uebrigen verstaendigen
Griechen ungern, und namentlich Eumenes als Anstifter desselben war
uebel berufen, so dass sogar seine Festgesandtschaft bei der Heliosfeier
in Rhodos abgewiesen ward. Allein dies hinderte sie nicht, fest an Rom
zu halten und die makedonische Partei, die es wie allerorts so auch
in Rhodos gab, nicht an das Ruder zu lassen; die noch 585 (169) ihnen
erteilte Erlaubnis, Getreide aus Sizilien auszufuehren, beweist die
Fortdauer des guten Vernehmens mit Rom. Ploetzlich erschienen kurz vor
der Schlacht bei Pydna rhodische Gesandte im roemischen Hauptquartier
und im roemischen Senat mit der Erklaerung, dass die Rhodier nicht
laenger diesen Krieg dulden wuerden, der auf ihren makedonischen Handel
und auf die Hafeneinnahme druecke, und dass sie der Partei, die sich
weigere, Frieden zu schliessen, selbst den Krieg zu erklaeren gesonnen
seien, auch zu diesem Ende bereits mit Kreta und mit den asiatischen
Staedten ein Buendnis abgeschlossen haetten. In einer Republik mit
Urversammlungen ist vieles moeglich; aber diese wahnsinnige Intervention
einer Handelsstadt, die erst beschlossen sein kann, als man in Rhodos
den Fall des Tempepasses kannte, verlangt eine naehere Erklaerung. Den
Schluessel gibt die wohl beglaubigte Nachricht, dass der Konsul Quintus
Marcius, jener Meister der "neumodischen Diplomatie", im Lager bei
Herakleion, also nach Besetzung des Tempepasses, den rhodischen
Gesandten Agepolis mit Artigkeiten ueberhaeuft und ihn unter der Hand
ersucht hatte, den Frieden zu vermitteln. Republikanische Verkehrtheit
und Eitelkeit taten das uebrige; man meinte, die Roemer gaeben sich
verloren, man haette gern zwischen vier Grossmaechten zugleich den
Vermittler gespielt - Verbindungen mit Perseus spannen sich an;
rhodische Gesandte von makedonischer Gesinnung sagten mehr, als sie
sagen sollten; und man war gefangen. Der Senat, der ohne Zweifel
groesstenteils selbst von jenen Intrigen nichts wusste, vernahm die
wundersame Botschaft mit begreiflicher Indignation und war erfreut ueber
die gute Gelegenheit zur Demuetigung der uebermuetigen Kaufstadt.
Ein kriegslustiger Praetor ging gar so weit, bei dem Volk die
Kriegserklaerung gegen Rhodos zu beantragen. Umsonst beschworen die
rhodischen Gesandten einmal ueber das andere kniefaellig den Senat, der
hundertundvierzigjaehrigen Freundschaft mehr als des einen Verstosses
zu gedenken; umsonst schickten sie die Haeupter der makedonischen Partei
auf das Schafott oder nach Rom; umsonst sandten sie einen schweren
Goldkranz zum Dank fuer die unterbliebene Kriegserklaerung. Der ehrliche
Cato bewies zwar, dass die Rhodier eigentlich gar nichts verbrochen
haetten und fragte, ob man anfangen wolle, Wuensche und Gedanken zu
strafen und ob man den Voelkern die Besorgnis verargen koenne, dass die
Roemer sich alles erlauben moechten, wenn sie niemanden mehr fuerchten
wuerden. Seine Worte und Warnungen waren vergeblich. Der Senat nahm den
Rhodiern ihre Besitzungen auf dem Festland, die einen jaehrlichen Ertrag
von 120 Talenten (200000 Taler) abwarfen. Schwerer noch fielen die
Schlaege gegen den rhodischen Handel. Schon die Verbote der Salzeinfuhr
nach und der Ausfuhr von Schiffbauholz aus Makedonien scheinen gegen
Rhodos gerichtet. Unmittelbarer noch traf den rhodischen Handel die
Errichtung des delischen Freihafens; der rhodische Hafenzoll, der bis
dahin jaehrlich 1 Mill. Drachmen (286000 Taler) abgeworfen hatte, sank
in kuerzester Zeit auf 150000 Drachmen (43000 Taler). Ueberhaupt aber
waren die Rhodier in ihrer Freiheit und dadurch in ihrer freien und
kuehnen Handelspolitik gelaehmt, und der Staat fing an zu siechen.
Selbst das erbetene Buendnis ward anfangs abgeschlagen und erst 590
(164) nach wiederholten Bitten erneuert. Die gleich schuldigen, aber
machtlosen Kreter kamen mit einem derben Verweis davon. Mit Syrien und
Aegypten konnte man kuerzer zu Werke gehen. Zwischen beiden war Krieg
ausgebrochen, wieder einmal ueber Koilesyrien und Palaestina. Nach der
Behauptung der Aegypter waren diese Provinzen bei der Vermaehlung der
syrischen Kleopatra an Aegypten abgetreten worden; was der Hof von
Babylon indes, der sich im faktischen Besitz befand, in Abrede stellte.
Wie es scheint, gab die Anweisung der Mitgift auf die Steuern der
koilesyrischen Staedte die Veranlassung zu dem Hader und war das Recht
auf syrischer Seite; den Ausbruch des Krieges veranlasste der Tod der
Kleopatra im Jahr 581 (173), mit dem spaetestens die Rentenzahlungen
aufhoerten. Der Krieg scheint von Aegypten begonnen zu sein; allein
auch Koenig Antiochos Epiphanes ergriff die Gelegenheit gern, um das
traditionelle Ziel der Seleukidenpolitik, die Erwerbung Aegyptens,
waehrend der Beschaeftigung der Roemer in Makedonien noch einmal -
es sollte das letzte Mal sein - anzustreben. Das Glueck schien ihm
guenstig. Der damalige Koenig von Aegypten, Ptolemaeos VI. Philometor,
der Sohn jener Kleopatra, hatte kaum das Knabenalter ueberschritten
und war schlecht beraten; nach einem grossen Sieg an der
syrisch-aegyptischen Grenze konnte Antiochos in demselben Jahr, in
welchem die Legionen in Griechenland landeten (583 171), in das Gebiet
seines Neffen einruecken und bald war dieser selbst in seiner Gewalt. Es
gewann den Anschein, als gedenke Antiochos unter Philometors Namen,
sich in den Besitz von ganz Aegypten zu setzen; Alexandreia schloss ihm
deshalb die Tore, setzte den Philometor ab und ernannte an seiner Stelle
den juengeren Bruder, Euergetes II. oder der Dicke genannt, zum Koenig.
Unruhen in seinem Reiche riefen den syrischen Koenig aus Aegypten
ab; als er zurueckkam, hatten in seiner Abwesenheit die Brueder sich
miteinander vertragen, und er setzte nun gegen beide den Krieg fort. Wie
er eben vor Alexandreia stand, nicht lange nach der Schlacht von Pydna
(586 168), traf ihn der roemische Gesandte Gaius Popillius, ein harter,
barscher Mann, und insinuierte ihm den Befehl des Senats, alles Eroberte
zurueckzugeben und Aegypten in einer bestimmten Frist zu raeumen. Der
Koenig erbat sich Bedenkzeit; aber der Konsular zog mit dem Stabe
einen Kreis um ihn und hiess ihn sich erklaeren, bevor er den Kreis
ueberschreite. Antiochos erwiderte, dass er gehorche und zog ab nach
seiner Residenz, um dort als der Gott, der glaenzende Siegbringer, der
er war, die Bezwingung Aegyptens nach roemischer Sitte zu feiern und den
Triumph des Paullus zu parodieren. Aegypten fuegte sich freiwillig
in die roemische Klientel; aber auch die Koenige von Babylon standen
hiermit ab von dem letzten Versuch, ihre Unabhaengigkeit gegen Rom
zu behaupten. Wie Makedonien im Krieg des Perseus, so machten die
Seleukiden im koilesyrischen den gleichen und gleich letzten Versuch,
sich ihre ehemalige Macht wiederzugewinnen; aber es ist bezeichnend
fuer den Unterschied der beiden Reiche, dass dort die Legionen, hier das
barsche Wort eines Diplomaten entschied. In Griechenland selbst waren
als Verbuendete des Perseus, nachdem die boeotischen Staedte schon
mehr als genug gebuesst hatten, nur noch die Molotter zu strafen. Auf
geheimen Befehl des Senats gab Paullus an einem Tage siebzig Ortschaften
in Epeiros der Pluenderung preis und verkaufte die Einwohner, 150000
an der Zahl, in die Sklaverei. Die Aetoler verloren Amphipolis, die
Akarnanen Leukas wegen ihres zweideutigen Benehmens; wogegen die
Athener, die fortfuhren, den bettelnden Poeten ihres Aristophanes zu
spielen, nicht bloss Delos und Lemnos geschenkt erhielten, sondern
sogar sich nicht schaemten, um die oede Staette von Haliartos zu
petitionieren, die ihnen denn auch zuteil ward. So war etwas fuer die
Musen geschehen, aber mehr war zu tun fuer die Justiz. Eine makedonische
Partei gab es in jeder Stadt und also begannen durch ganz Griechenland
die Hochverratsprozesse. Wer in Perseus' Heer gedient hatte, ward sofort
hingerichtet; nach Rom ward beschieden, wen die Papiere des Koenigs
oder die Angabe der zum Denunzieren herbeistroemenden politischen Gegner
konpromittierten - der Achaeer Kallikrates und der Aetoler Lykiskos
zeichneten sich aus in diesem Gewerbe. So wurden die namhafteren
Patrioten unter den Thessalern, Aetolern, Akarnanen, Lesbiern und so
weiter aus der Heimat entfernt; namentlich aber ueber tausend Achaeer,
wobei man nicht so sehr den Zweck verfolgte, den weggefuehrten Leuten
den Prozess, als die kindische Opposition der Hellenen mundtot zu
machen. Den Achaeern, die wie gewoehnlich sich nicht zufrieden gaben,
bis sie die Antwort hatten, die sie ahnten, erklaerte der Senat,
ermuedet durch die ewigen Bitten um Einleitung der Untersuchung, endlich
rundheraus, dass bis auf weiter die Leute in Italien bleiben wuerden.
Sie wurden hier in den Landstaedten interniert und leidlich gehalten,
Fluchtversuche indes mit dem Tode bestraft; aehnlich wird die Lage der
aus Makedonien weggefuehrten ehemaligen Beamten gewesen sein. Wie die
Dinge einmal standen, war dieser Ausweg, so gewaltsam er war, noch der
ertraeglichste und die enragierten Griechen der Roemerpartei sehr wenig
zufrieden damit, dass man nicht haeufiger koepfte. Lykiskos hatte es
deshalb zweckmaessig gefunden, in der Ratsversammlung vorlaeufig 500
der vornehmsten Maenner der aetolischen Patriotenpartei niederstossen
zu lassen; die roemische Kommission, die den Menschen brauchte, liess
es hingehen und tadelte nur, dass man diesen hellenischen Landesgebrauch
durch roemische Soldaten habe vollstrecken lassen. Aber man darf
glauben, dass sie zum Teil, um solche Greuel abzuschneiden, jenes
italische Internierungssystem aufstellte. Da ueberhaupt im eigentlichen
Griechenland keine Macht auch nur von der Bedeutung von Rhodos oder
Pergamon bestand, so bedurfte es hier einer Demuetigung weiter nicht,
sondern was man tat, geschah nur, um Gerechtigkeit, freilich im
roemischen Sinne, zu ueben und die aergerlichsten Ausbrueche des
Parteihaders zu beseitigen. Es waren hiermit die hellenistischen Staaten
saemtlich der roemischen Klientel vollstaendig untertan geworden und das
gesamte Reich Alexanders des Grossen, gleich als waere die Stadt seiner
Erben Erbe geworden, an die roemische Buergergemeinde gefallen. Von
allen Seiten stroemten die Koenige und die Gesandten nach Rom, um Glueck
zu wuenschen, und es zeigte sich, dass niemals kriechender geschmeichelt
wird, als wenn Koenige antichambrieren. Koenig Massinissa, der nur auf
ausdruecklichen Befehl davon abgestanden war, selber zu erscheinen,
liess durch seinen Sohn erklaeren, dass er sich nur als den Nutzniesser,
die Roemer aber als die wahren Eigentuemer seines Reiches betrachte und
dass er stets mit dem zufrieden sein werde, was sie ihm uebrig lassen
wuerden. Darin war wenigstens Wahrheit. Koenig Prusias von Bithynien
aber, der seine Neutralitaet abzubuessen hatte, trug die Palme in diesem
Wettkampf davon; er fiel auf sein Antlitz nieder, als er in den Senat
gefuehrt ward, und huldigte den "rettenden Goettern". Da er so sehr
veraechtlich war, sagt Polybios, gab man ihm eine artige Antwort und
schenkte ihm die Flotte des Perseus. Der Augenblick wenigstens fuer
solche Huldigungen war wohlgewaehlt. Von der Schlacht von Pydna rechnet
Polybios die Vollendung der roemischen Weltherrschaft. Sie ist in der
Tat die letzte Schlacht, in der ein zivilisierter Staat als ebenbuertige
Grossmacht Rom auf der Walstatt gegenuebergetreten ist; alle spaeteren
Kaempfe sind Rebellionen oder Kriege gegen Voelker, die ausserhalb des
Kreises der roemisch-griechischen Zivilisation stehen, gegen sogenannte
Barbaren. Die ganze zivilisierte Welt erkennt fortan in dem roemischen
Senat den obersten Gerichtshof, dessen Kommissionen in letzter Instanz
zwischen Koenigen und Voelkern entscheiden, um dessen Sprache und
Sitte sich anzueignen fremde Prinzen und vornehme junge Maenner in Rom
verweilen. Ein klarer und ernstlicher Versuch, sich dieser Herrschaft zu
entledigen, ist in der Tat nur ein einziges Mal gemacht worden, von dem
grossen Mithradates von Pontos. Die Schlacht bei Pydna bezeichnet aber
auch zugleich den letzten Moment, wo der Senat noch festhaelt an der
Staatsmaxime, wo irgend moeglich jenseits der italischen Meere keine
Besitzungen und keine Besatzungen zu uebernehmen, sondern jene zahllosen
Klientelstaaten durch die blosse politische Suprematie in Ordnung zu
halten. Dieselben durften also weder sich in voellige Schwaeche und
Anarchie aufloesen, wie es dennoch in Griechenland geschah, noch aus
ihrer halbfreien Stellung sich zur vollen Unabhaengigkeit entwickeln,
wie es doch nicht ohne Erfolg Makedonien versuchte. Kein Staat durfte
ganz zugrunde gehen, aber auch keiner sich auf eigene Fuesse stellen;
weshalb der besiegte Feind wenigstens die gleiche, oft eine
bessere Stellung bei den roemischen Diplomaten hatte als der treue
Bundesgenosse, und der Geschlagene zwar aufgerichtet, aber wer selber
sich aufrichtete, erniedrigt ward - die Aetoler, Makedonien nach dem
Asiatischen Krieg, Rhodos, Pergamon machten die Erfahrung. Aber diese
Beschuetzerrolle ward nicht bloss bald den Herren ebenso unleidlich wie
den Dienern, sondern es erwies sich auch das roemische Protektorat mit
seiner undankbaren, stets von vorn wieder beginnenden Sisyphusarbeit
als innerlich unhaltbar. Die Anfaenge eines Systemwechsels und
der steigenden Abneigung Roms, auch nur Mittelstaaten in der ihnen
moeglichen Unabhaengigkeit neben sich zu dulden, zeigen sich
schon deutlich nach der Schlacht von Pydna in der Vernichtung der
makedonischen Monarchie. Die immer haeufigere und immer unvermeidlichere
Intervention in die inneren Angelegenheiten der griechischen
Kleinstaaten mit ihrer Missregierung und ihrer politischen wie sozialen
Anarchie, die Entwaffnung Makedoniens, wo doch die Nordgrenze notwendig
einer anderen Wehr als blosser Posten bedurfte, endlich die beginnende
Grundsteuerentrichtung nach Rom aus Makedonien und Illyrien sind
ebensoviel Anfaenge der nahenden Verwandlung der Klientelstaaten in
Untertanen Roms. Werfen wir zum Schluss einen Blick zurueck auf den
von Rom seit der Einigung Italiens bis auf Makedoniens Zertruemmerung
durchmessenen Lauf, so erscheint die roemische Weltherrschaft keineswegs
als ein von unersaettlicher Laendergier entworfener und durchgefuehrter
Riesenplan, sondern als ein Ergebnis, das der roemischen Regierung
sich ohne, ja wider ihren Willen aufgedrungen hat. Freilich liegt jene
Auffassung nahe genug - mit Recht laesst Sallustius den Mithradates
sagen, dass die Kriege Roms mit Staemmen, Buergerschaften und Koenigen
aus einer und derselben uralten Ursache, aus der nie zu stillenden
Begierde nach Herrschaft und Reichtum hervorgegangen seien; aber mit
Unrecht hat man dieses durch die Leidenschaft und den Erfolg bestimmte
Urteil als eine geschichtliche Tatsache in Umlauf gesetzt. Es ist
offenbar fuer jede nicht oberflaechliche Betrachtung, dass die roemische
Regierung waehrend dieses ganzen Zeitraums nichts wollte und begehrte
als die Herrschaft ueber Italien, dass sie bloss wuenschte, nicht
uebermaechtige Nachbarn neben sich zu haben, und dass sie, nicht aus
Humanitaet gegen die Besiegten, sondern in dem sehr richtigen Gefuehl,
den Kern des Reiches nicht von der Umlage erdruecken zu lassen, sich
ernstlich dagegen stemmte, erst Afrika, dann Griechenland, endlich Asien
in den Kreis der roemischen Klientel hineinzuziehen, bis die Umstaende
jedesmal die Erweiterung des Kreises erzwangen oder wenigstens mit
unwiderstehlicher Gewalt nahelegten. Die Roemer haben stets behauptet,
dass sie nicht Eroberungspolitik trieben und stets die Angegriffenen
gewesen seien; es ist dies doch etwas mehr als eine Redensart. Zu
allen grossen Kriegen mit Ausnahme des Krieges um Sizilien, zu dem
Hannibalischen und dem Antiochischen nicht minder als zu denen mit
Philippos und Perseus, sind sie in der Tat entweder durch einen
unmittelbaren Angriff oder durch eine unerhoerte Stoerung der
bestehenden politischen Verhaeltnisse genoetigt und daher auch in der
Regel von ihrem Ausbruch ueberrascht worden. Dass sie nach dem Sieg
sich nicht so gemaessigt haben, wie sie vor allem im eigenen Interesse
Italiens es haette tun sollen, dass zum Beispiel die Festhaltung
Spaniens, die Uebernahme der Vormundschaft ueber Afrika, vor allem der
halb phantastische Plan, den Griechen ueberall die Freiheit zu bringen,
schwere Fehler waren gegen die italische Politik, ist deutlich genug.
Allein die Ursachen davon sind teils die blinde Furcht vor Karthago,
teils der noch viel blindere hellenische Freiheitsschwindel;
Eroberungslust haben die Roemer in dieser Epoche so wenig bewiesen, dass
sie vielmehr eine sehr verstaendige Eroberungsfurcht zeigen. Ueberall
ist die roemische Politik nicht entworfen von einem einzigen gewaltigen
Kopfe und traditionell auf die folgenden Geschlechter vererbt,
sondern die Politik einer sehr tuechtigen, aber etwas beschraenkten
Ratsherrenversammlung die, um Plaene in Caesars oder Napoleons Sinn zu
entwerfen, der grossartigen Kombination viel zu wenig und des richtigen
Instinkts fuer die Erhaltung des eigenen Gemeinwesens viel zu viel
gehabt hat. Die roemische Weltherrschaft beruht in ihrem letzten Grunde
auf der staatlichen Entwicklung des Altertums ueberhaupt. Die alte Welt
kannte das Gleichgewicht der Nationen nicht und deshalb war jede Nation,
die sich im Innern geeinigt hatte, ihre Nachbarn entweder geradezu
zu unterwerfen bestrebt, wie die hellenischen Staaten, oder doch
unschaedlich zu machen, wie Rom, was denn freilich schliesslich auch
auf die Unterwerfung hinauslief. Aegypten ist vielleicht die einzige
Grossmacht des Altertums, die ernstlich ein System des Gleichgewichts
verfolgt hat; in dem entgegengesetzten trafen Seleukos und Antigonos,
Hannibal und Scipio zusammen, und wenn es uns jammervoll erscheint,
dass all die andern reich begabten und hochentwickelten Nationen des
Altertums haben vergehen muessen, um eine unter allen zu bereichern, und
dass alle am letzten Ende nur entstanden scheinen, um bauen zu helfen
an Italiens Groesse und, was dasselbe ist, an Italiens Verfall, so muss
doch die geschichtliche Gerechtigkeit es anerkennen, dass hierin nicht
die militaerische Ueberlegenheit der Legion ueber die Phalanx, sondern
die notwendige Entwicklung der Voelkerverhaeltnisse des Altertums
ueberhaupt gewaltet, also nicht der peinliche Zufall entschieden,
sondern das unabaenderliche und darum ertraegliche Verhaengnis sich
erfuellt hat. 11. Kapitel Regiment und Regierte Der Sturz des Junkertums
nahm dem roemischen Gemeinwesen seinen aristokratischen Charakter
keineswegs. Es ist schon frueher darauf hingewiesen worden, dass die
Plebejerpartei von Haus aus denselben gleichfalls, ja in gewissem Sinne
noch entschiedener an sich trug als das Patriziat; denn wenn innerhalb
des alten Buergertums die unbedingte Gleichberechtigung gegolten hatte,
so ging die neue Verfassung von Anfang an aus von dem Gegensatz der in
den buergerlichen Rechten wie in den buergerlichen Nutzungen bevorzugten
senatorischen Haeuser zu der Masse der uebrigen Buerger. Unmittelbar mit
der Beseitigung des Junkertums und mit der formellen Feststellung der
buergerlichen Gleichheit bildeten sich also eine neue Aristokratie und
die derselben entsprechende Opposition; und es ist frueher dargestellt
worden, wie jene dem gestuerzten Junkertum sich gleichsam aufpfropfte
und darum auch die ersten Regungen der neuen Fortschrittspartei sich mit
den letzten der alten staendischen Opposition verschlangen. Die
Anfaenge dieser Parteibildung gehoeren also dem fuenften, ihre bestimmte
Auspraegung erst dem folgenden Jahrhundert an. Aber es wird diese innere
Entwicklung nicht bloss von dem Waffenlaerm der grossen Kriege und Siege
gleichsam uebertaeubt, sondern es entzieht sich auch ihr Bildungsprozess
mehr als irgendein anderer in der roemischen Geschichte dem Auge.
Wie eine Eisdecke unvermerkt ueber den Strom sich legt und unvermerkt
denselben mehr und mehr einengt, so entsteht diese neue
roemische Aristokratie; und ebenso unvermerkt tritt ihr die neue
Fortschrittspartei gegenueber gleich der im Grunde sich verbergenden und
langsam sich wieder ausdehnenden Stroemung. Die einzelnen jede fuer sich
geringen Spuren dieser zwiefachen und entgegengesetzten Bewegung, deren
historisches Fazit fuer jetzt noch in keiner eigentlichen Katastrophe
tatsaechlich vor Augen tritt, zur allgemeinen geschichtlichen Anschauung
zusammenzufassen, ist sehr schwer. Aber der Untergang der bisherigen
Gemeindefreiheit und die Grundlegung zu den kuenftigen Revolutionen
fallen in diese Epoche; und die Schilderung derselben sowie der
Entwicklung Roms ueberhaupt bleibt unvollstaendig, wenn es nicht
gelingt, die Maechtigkeit jener Eisdecke sowohl wie die Zunahme der
Unterstroemung anschaulich darzulegen und in dem furchtbaren Droehnen
und Krachen die Gewalt des kommenden Bruches ahnen zu lassen. Die
roemische Nobilitaet knuepfte auch formell an aeltere, noch der Zeit
des Patriziats angehoerende Institutionen an. Die gewesenen ordentlichen
hoechsten Gemeindebeamten genossen nicht bloss, wie selbstverstaendlich,
von jeher tatsaechlich hoeherer Ehre, sondern es knuepften sich daran
schon frueh gewisse Ehrenvorrechte. Das aelteste derselben war wohl,
dass den Nachkommen solcher Beamten gestattet ward, im Familiensaal
an der Wand, wo der Stammbaum gemalt war, die Wachsmasken dieser ihrer
erlauchten Ahnen nach dem Tode derselben aufzustellen und diese Bilder
bei Todesfaellen von Familiengliedern im Leichenkondukt aufzufuehren;
wobei man sich erinnern muss, dass die Verehrung des Bildes nach
italisch-hellenischer Anschauung als unrepublikanisch galt, und die
roemische Staatspolizei darum die Ausstellung der Bilder von Lebenden
ueberall nicht duldete und die der Bilder Verstorbener streng
ueberwachte. Hieran schlossen mancherlei aeussere, solchen Beamten und
ihren Nachkommen durch Gesetz oder Gebrauch reservierte Abzeichen
sich an: der goldene Fingerring der Maenner, der silberbeschlagene
Pferdeschmuck der Juenglinge, der Purpurbesatz des Oberkleides und
die goldene Amulettkapsel der Knaben ^1 - geringe Dinge, aber dennoch
wichtige in einer Gemeinde, wo die buergerliche Gleichheit auch im
aeusseren Auftreten so streng festgehalten und noch waehrend des
Hannibalischen Krieges ein Buerger eingesperrt und jahrelang im
Gefaengnis gehalten ward, weil er unerlaubter Weise mit einem Rosenkranz
auf dem Haupte oeffentlich erschienen war ^2. Diese Auszeichnungen
moegen teilweise schon in der Zeit des Patrizierregiments bestanden
und, solange innerhalb des Patriziats noch vornehme und geringe Familien
unterschieden wurden, den ersteren als aeussere Abzeichen gedient
haben; politische Wichtigkeit erhielten sie sicher erst durch die
Verfassungsaenderung vom Jahre 387 (367), wo durch zu den jetzt wohl
schon durchgaengig Ahnenbilder fuehrenden patrizischen die zum Konsulat
gelangenden plebejischen Familien mit der gleichen Berechtigung
hinzutraten. Jetzt stellte ferner sich fest, dass zu den
Gemeindeaemtern, woran diese erblichen Ehrenrechte geknuepft waren,
weder die niederen noch die ausserordentlichen noch die Vorstandschaft
der Plebs gehoere, sondern lediglich das Konsulat, die diesem
gleichstehende Praetur und die an der gemeinen Rechtspflege, also an der
Ausuebung der Gemeindeherrlichkeit teilnehmende kurulische Aedilitaet
^3. Obwohl diese plebejische Nobilitaet im strengen Sinne des Wortes
sich erst hat bilden koennen, seit die kurulischen Aemter sich den
Plebejern geoeffnet hatten, steht sie doch in kurzer Zeit, um nicht
zu sagen von vornherein, in einer gewissen Geschlossenheit da - ohne
Zweifel weil laengst in den altsenatorischen Plebejerfamilien sich
eine solche Adelschaft vorgebildet hatte. Das Ergebnis der Licinischen
Gesetze kommt also der Sache nach nahezu hinaus auf das, was man jetzt
einen Pairsschub nennen wuerde. Wie die durch ihre kurulischen
Ahnen geadelten plebejischen Familien mit den patrizischen sich
koerperschaftlich zusammenschlossen und eine gesonderte Stellung und
ausgezeichnete Macht im Gemeinwesen errangen, war man wieder auf dem
Punkte angelangt, von wo man ausgegangen war, gab es wieder nicht bloss
eine regierende Aristokratie und einen erblichen Adel, welche beide in
der Tat nie verschwunden waren, sondern einen regierenden Erbadel, und
musste die Fehde zwischen den die Herrschaft okkupierenden Geschlechtern
und den gegen die Geschlechter sich auflehnenden Gemeinen abermals
beginnen. Und so weit war man sehr bald. Die Nobilitaet begnuegte
sich nicht mit ihren gleichgueltigen Ehrenrechten, sondern rang
nach politischer Sonder- und Alleinmacht und suchte die wichtigsten
Institutionen des Staats, den Senat und die Ritterschaft, aus
Organen des Gemeinwesens in Organe des altneuen Adels zu verwandeln.
----------------------------------------------- ^1 All diese Abzeichen
kommen, seit sie ueberhaupt aufkommen, zunaechst wahrscheinlich nur der
eigentlichen Nobilitaet, d. h. den agnatischen Deszendenten kurulischer
Beamten zu, obwohl sie nach der Art solcher Dekorationen im Laufe der
Zeit alle auf einen weiteren Kreis ausgedehnt worden sind. Bestimmt
nachzuweisen ist dies fuer den goldenen Fingerring, den im fuenften
Jahrhundert nur die Nobilitaet (Plin. nat. 33, 1, 18), im sechsten schon
jeder Senator und Senatorensohn (Liv. 26, 36), im siebenten jeder von
Ritterzensus, in der Kaiserzeit jeder Freigeborene traegt; ferner von
dem silbernen Pferdeschmuck, der noch im Hannibalischen Kriege nur der
Nobilitaet zukommt (Liv. 26, 37); von dem Purpurbesatz der Knabentoga,
der anfangs nur den Soehnen der kurulischen Magistrate, dann auch denen
der Ritter, spaeterhin denen aller Freigeborenen endlich, aber doch
schon zur Zeit des Hannibalischen Krieges, selbst den Soehnen
der Freigelassenen gestattet ward (Macr. Sat. 1, 6). Die goldene
Amulettkapsel (bulla) war Abzeichen der Senatorenkinder in der Zeit
des Hannibalischen Krieges (Macr. Sat. a.a.O.; Liv. 26, 36), in der
ciceronischen der Kinder von Ritterzensus (Cic. Verr. 1, 58, 152),
wogegen die Geringeren das Lederamulett (lorum) tragen. Der Purpurstreif
(clavus) an der Tunika ist Abzeichen der Senatoren und der Ritter, so
dass wenigstens in spaeterer Zeit ihn jene breit, diese schmal trugen;
mit der Nobilitaet hat der Clavus nichts zu schaffen. ^2 Plin. nat.
21, 3, 6. Das Recht, oeffentlich bekraenzt zu erscheinen, ward durch
Auszeichnung im Kriege erworben (Polyb. 6, 39, 9; Liv. 10, 41), das
unbefugte Kranztragen war also ein aehnliches Vergehen, wie wenn heute
jemand ohne Berechtigung einen Militaerverdienstorden anlegen wuerde.
^3 Ausgeschlossen bleiben also das Kriegstribunat mit konsularischer
Gewalt, das Prokonsulat, die Quaestur, das Volkstribunat und andere
mehr. Was die Zensur anlangt, so scheint sie trotz des kurulischen
Sessels der Zensoren (Liv. 40, 45 ; vergl. 27, 8) nicht als kurulisches
Amt gegolten zu haben; fuer die spaetere Zeit indes, wo nur der Konsular
Zensor werden kann, ist die Frage ohne praktischen Wert. Die
plebejische Aedilitaet hat urspruenglich sicher nicht zu den kurulischen
Magistraturen gezaehlt (Liv. 23, 23); doch kann es sein, dass
sie spaeter mit in den Kreis derselben hineingezogen ward.
----------------------------------------------- Die rechtliche
Abhaengigkeit des roemischen Senats der Republik, namentlich des
weiteren patrizisch-plebejischen, von der Magistratur, hatte sich rasch
gelockert, ja in das Gegenteil verwandelt. Die durch die Revolution
von 244 (510) eingeleitete Unterwerfung der Gemeindeaemter unter den
Gemeinderat, die Uebertragung der Berufung in den Rat vom Konsul auf den
Zensor, endlich und vor allem die gesetzliche Feststellung des Anrechts
gewesener kurulischer Beamten auf Sitz und Stimme im Senat hatten den
Senat aus einer, von den Beamten berufenen und in vieler Hinsicht von
ihnen abhaengigen Ratsmannschaft in ein so gut wie unabhaengiges und in
gewissem Sinn sich selber ergaenzendes Regierungskollegium umgewandelt;
denn die beiden Wege, durch welche man in den Senat gelangte: die Wahl
zu einem kurulischen Amte und die Berufung durch den Zensor, standen der
Sache nach beide bei der Regierungsbehoerde selbst. Zwar war in dieser
Epoche die Buergerschaft noch zu unabhaengig, um die Nichtadligen aus
dem Senat vollstaendig ausschliessen zu lassen, auch wohl die Adelschaft
noch zu verstaendig, um dies auch nur zu wollen; allein bei der streng
aristokratischen Gliederung des Senats in sich selbst, der scharfen
Unterscheidung sowohl der gewesenen kurulischen Beamten nach ihren
drei Rangklassen der Konsulare, Praetorier und Aedilizier, als auch
namentlich der nicht durch ein kurulisches Amt in den Senat gelangten
und darum von der Debatte ausgeschlossenen Senatoren, wurden doch die
Nichtadligen, obgleich sie wohl in ziemlicher Anzahl im Senate sassen,
zu einer unbedeutenden und verhaeltnismaessig einflusslosen Stellung
in demselben herabgedrueckt und ward der Senat wesentlich Traeger der
Nobilitaet. Zu einem zweiten, zwar minder wichtigen, aber darum nicht
unwichtigen Organ der Nobilitaet wurde das Institut der Ritterschaft
entwickelt. Dem neuen Erbadel musste, da er nicht die Macht hatte,
sich des Alleinbesitzes der Komitien anzumassen, es in hohem Grade
wuenschenswert sein, wenigstens eine Sonderstellung innerhalb der
Gemeindevertretung zu erhalten. In der Quartierversammlung fehlte dazu
jede Handhabe; dagegen schienen die Ritterzenturien in der Servianischen
Ordnung fuer diesen Zweck wie geschaffen. Die achtzehnhundert Pferde,
welche die Gemeinde lieferte ^4, wurden verfassungsmaessig ebenfalls von
den Zensoren vergeben. Zwar sollten diese die Ritter nach militaerischen
Ruecksichten erlesen und bei den Musterungen alle durch Alter oder
sonst unfaehigen oder ueberhaupt unbrauchbaren Reiter anhalten, ihr
Staatspferd abzugeben; aber dass die Ritterpferde vorzugsweise den
Vermoegenden gegeben wurden, lag im Wesen der Einrichtung selbst, und
ueberall war den Zensoren nicht leicht zu wehren, dass sie mehr auf
vornehme Geburt sahen als auf Tuechtigkeit und den einmal aufgenommenen
ansehnlichen Leuten, namentlich den Senatoren, auch ueber die Zeit ihr
Pferd liessen. Vielleicht ist es sogar gesetzlich festgestellt worden,
dass der Senator dasselbe behalten konnte, so lange er wollte. So
wurde es denn wenigstens tatsaechlich Regel, dass die Senatoren in den
achtzehn Ritterzenturien stimmten und die uebrigen Plaetze in denselben
vorwiegend an die jungen Maenner der Nobilitaet kamen. Das
Kriegswesen litt natuerlich darunter, weniger noch durch die effektive
Dienstunfaehigkeit eines nicht ganz geringen Teils der Legionarreiterei,
als durch die dadurch herbeigefuehrte Vernichtung der militaerischen
Gleichheit, indem die vornehme Jugend sich von dem Dienst im Fussvolk
mehr und mehr zurueckzog. Das geschlossene adlige Korps der eigentlichen
Ritterschaft wurde tonangebend fuer die gesamte, den durch Herkunft und
Vermoegen hoechstgestellten Buergern entnommene Legionarreiterei. Man
wird es danach ungefaehr verstehen, weshalb die Ritter schon waehrend
des Sizilischen Krieges dem Befehl des Konsuls Gaius Aurelius Cotta, mit
den Legionariern zu schanzen, den Gehorsam verweigerten (502 252), und
weshalb Cato als Oberfeldherr des spanischen Heeres seiner Reiterei eine
ernste Strafrede zu halten sich veranlasst fand. Aber diese Umwandlung
der Buergerreiterei in eine berittene Nobelgarde gereichte dem
Gemeinwesen nicht entschiedener zum Nachteil als zum Vorteil der
Nobilitaet, welche in den achtzehn Ritterzenturien nicht bloss
ein gesondertes, sondern auch das tonangebende Stimmrecht erwarb.
----------------------------------------------------------------- ^4
Die gangbare Annahme, wonach die sechs Adelszenturien allein 1200
die gesamte Reiterei also 3600 Pferde gezaehlt haben soll, ist nicht
haltbar. Die Zahl der Ritter nach der Anzahl der von den Annalisten
aufgefuehrten Verdoppelungen zu bestimmen, ist ein methodischer Fehler;
jede dieser Erzaehlungen ist vielmehr fuer sich entstanden und zu
erklaeren. Bezeugt aber ist weder die erste Zahl, die nur in der selbst
von den Verfechtern dieser Meinung als verschrieben anerkannten Stelle
Ciceros (rep. 2, 20), noch die zweite, die ueberhaupt nirgend bei den
Alten erscheint. Dagegen spricht fuer die im Text vorgetragene Annahme
einmal und vor allem die nicht durch Zeugnisse, sondern durch die
Institutionen selbst angezeigte Zahl; denn es ist gewiss, dass die
Zenturie 100 Mann zaehlt und es urspruenglich drei, dann sechs,
endlich seit der Servianischen Reform achtzehn Ritterzenturien gab.
Die Zeugnisse gehen nur scheinbar davon ab. Die alte, in sich
zusammenhaengende Tradition, die W. A. Becker (Handbuch, Bd. 2,1, S.
243) entwickelt hat, setzt nicht die achtzehn patrizisch-plebejischen,
sondern die sechs patrizischen Zenturien auf 1800 Koepfe an: und dieser
sind Livius (1, 36, nach der handschriftlich allein beglaubigten und
durchaus nicht nach Livius' Einzelansaetzen zu korrigierenden Lesung)
und Cicero a.a.O. (nach der grammatisch allein zulaessigen Lesung MDCCC,
s. Becker, a.a.O., S. 244) offenbar gefolgt. Allein eben. Cicero deutet
zugleich sehr verstaendlich an, dass hiermit der damalige Bestand der
roemischen Ritterschaft ueberhaupt bezeichnet werden soll. Es ist also
die Zahl der Gesamtheit auf den hervorragendsten Teil uebertragen worden
durch eine Prolepsis, wie sie den alten nicht allzu nachdenklichen
Annalisten gelaeufig ist - ganz in gleicher Art werden ja auch schon
der Stammgemeinde, mit Antizipation des Kontingents der Titier und
der Lucerer, 300 Reiter statt 100 beigelegt (Becker, a.a.O., S. 238).
Endlich ist der Antrag Catos (p. 66 Jordan), die Zahl der Ritterpferde
auf 2200 zu erhoehen, eine ebenso bestimmte Bestaetigung der oben
vorgetragenen wie Widerlegung der entgegengesetzten Ansicht. Die
geschlossene Zahl der Ritterschaft hat wahrscheinlich fortbestanden
bis auf Sulla, wo mit dem faktischen Wegfall der Zensur die Grundlage
derselben wegfiel und allem Anschein nach an die Stelle der zensorischen
Erteilung des Ritterpferdes die Erwerbung desselben durch Erbrecht
trat: fortan ist der Senatorensohn geborener Ritter. Indes neben dieser
geschlossenen Ritterschaft, den equites equo publico, stehen seit
fruehrepublikanischer Zeit die zum Rossdienst auf eigenem Pferd
pflichtigen Buerger, welche nichts sind als die hoechste Zensusklasse;
sie stimmen nicht in den Ritterzenturien, aber gelten sonst als Ritter
und nehmen die Ehrenrechte der Ritterschaft ebenfalls in Anspruch. In
der Augustischen Ordnung bleibt den senatorischen Haeusern das
erbliche Ritterrecht; daneben aber wird die zensorische Verleihung des
Ritterpferdes als Kaiserrecht und ohne Beschraenkung auf eine bestimmte
Zahl erneuert und faellt damit fuer die erste Zensusklasse als
solche die Ritterbenennung weg.
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Verwandter Art ist die foermliche Trennung der Plaetze des senatorischen
Standes von denjenigen, von welchen aus die uebrige Menge den
Volksfesten zuschaute. Es war der grosse Scipio, der in seinem
zweiten Konsulat 560 (194) sie bewirkte. Auch das Volksfest war eine
Volksversammlung so gut wie die zur Abstimmung berufene der Zenturien;
und dass jene nichts zu beschliessen hatte, machte die hierin
liegende offizielle Ankuendigung der Scheidung von Herrenstand und
Untertanenschaft nur um so praegnanter. Die Neuerung fand darum auch auf
Seiten der Regierung vielfachen Tadel, weil sie nur gehaessig und nicht
nuetzlich war und dem Bestreben des kluegeren Teiles der Aristokratie
ihr Sonderregiment unter den Formen der buergerlichen Gleichheit zu
verstecken, ein sehr offenkundiges Dementi gab. Hieraus erklaert es
sich, weshalb die Zensur der Angelpunkt der spaeteren republikanischen
Verfassung ward; warum dieses urspruenglich keineswegs in erster Reihe
stehende Amt sich allmaehlich mit einem ihm an sich durchaus
nicht zukommenden aeusseren Ehrenschmuck und einer ganz einzigen
aristokratisch-republikanischen Glorie umgab und als der Gipfelpunkt
und die Erfuellung einer wohlgefuehrten oeffentlichen Laufbahn erschien;
warum die Regierung jeden Versuch der Opposition, ihre Maenner in
dieses Amt zu bringen oder gar den Zensor waehrend oder nach seiner
Amtsfuehrung wegen derselben vor dem Volke zur Verantwortung zu ziehen,
als einen Angriff auf ihr Palladium ansah und gegen jedes derartige
Beginnen wie ein Mann in die Schranken trat - es genuegt in dieser
Beziehung an den Sturm zu erinnern, den die Bewerbung Catos um die
Zensur hervorrief und an die ungewoehnlich ruecksichtslosen und
formverletzenden Massregeln, wodurch der Senat die gerichtliche
Verfolgung der beiden unbeliebten Zensoren des Jahres 550 (204)
verhinderte. Dabei verbindet mit dieser Glorifizierung der Zensur
sich ein charakteristisches Misstrauen der Regierung gegen dieses ihr
wichtigstes und eben darum gefaehrlichstes Werkzeug. Es war durchaus
notwendig, den Zensoren das unbedingte Schalten ueber das Senatoren-
und Ritterpersonal zu belassen, da das Ausschliessungs- von dem
Berufungsrecht nicht wohl getrennt und auch jenes nicht wohl entbehrt
werden konnte, weniger um oppositionelle Kapazitaeten aus dem Senat
zu beseitigen, was das leisetretende Regiment dieser Zeit vorsichtig
vermied, als um der Aristokratie ihren sittlichen Nimbus zu bewahren,
ohne den sie rasch eine Beute der Opposition werden musste. Das
Ausstossungsrecht blieb; aber man brauchte hauptsaechlich den Glanz
der blanken Waffe - die Schneide, die man fuerchtete, stumpfte man
ab. Ausser der Schranke, welche in dem Amte selbst lag, insofern die
Mitgliederlisten der adligen Koerperschaften nur von fuenf zu fuenf
Jahren der Revision unterlagen, und ausser den in dem Interzessionsrecht
des Kollegen und dem Kassationsrecht des Nachfolgers gegebenen
Beschraenkungen trat noch eine weitere sehr fuehlbare hinzu, indem eine
dem Gesetz gleichstehende Observanz es dem Zensor zur Pflicht
machte, keinen Senator und keinen Ritter ohne Angabe schriftlicher
Entscheidungsgruende und in der Regel nicht ohne ein gleichsam
gerichtliches Verfahren von der Liste zu streichen. In dieser
hauptsaechlich auf den Senat, die Ritterschaft und die Zensur
gestuetzten politischen Stellung riss die Nobilitaet nicht bloss das
Regiment wesentlich an sich, sondern gestaltete auch die Verfassung
in ihrem Sinne um. Es gehoert schon hierher, dass man, um die
Gemeindeaemter im Preise zu halten, die Zahl derselben so wenig
wie irgend moeglich und keineswegs in dem Grade vermehrte, wie die
Erweiterung der Grenzen und die Vermehrung der Geschaefte es erfordert
haetten. Nur dem allerdringlichsten Beduerfnis ward notduerftig
abgeholfen durch die Teilung der bisher von dem einzigen Praetor
verwalteten Gerichtsgeschaefte unter zwei Gerichtsherren, von denen der
eine die Rechtssachen unter roemischen Buergern, der andere diejenigen
unter Nichtbuergern oder zwischen Buergern und Nichtbuergern uebernahm,
im Jahre 511 (243), und durch die Ernennung von vier Nebenkonsuln fuer
die vier ueberseeischen Aemter Sizilien (527 227), Sardinien und Korsika
(527 227), das Dies- und das Jenseitige Spanien (557 197). Die allzu
summarische Art der roemischen Prozesseinleitung sowie der steigende
Einfluss des Bueropersonals gehen wohl zum grossen Teil zurueck auf die
materielle Unzulaenglichkeit der roemischen Magistratur. Unter den
von der Regierung veranlassten Neuerungen, die darum, weil sie
fast durchgaengig nicht den Buchstaben, sondern nur die Uebung der
bestehenden Verfassung aendern, nicht weniger Neuerungen sind, treten
am bestimmtesten die Massregeln hervor, wodurch die Bekleidung der
Offiziersstellen wie der buergerlichen Aemter nicht, wie der Buchstabe
der Verfassung es gestattete und deren Geist es forderte, lediglich
von Verdienst und Tuechtigkeit, sondern mehr und mehr von Geburt
und Anciennetaet abhaengig gemacht ward. Bei der Ernennung der
Stabsoffiziere geschah dies nicht der Form, um so mehr aber der Sache
nach. Sie war schon im Laufe der vorigen Periode grossenteils vom
Feldherrn auf die Buergerschaft uebergegangen; in dieser Zeit kam es
weiter auf, dass die saemtlichen Stabsoffiziere der regelmaessigen
jaehrlichen Aushebung, die vierundzwanzig Kriegstribune der vier
ordentlichen Legionen, in den Quartierversammlungen ernannt wurden.
Immer unuebersteiglicher zog sich also die Schranke zwischen den
Subalternen, die ihre Posten durch puenktlichen und tapferen Dienst vom
Feldherrn, und dem Stab, der seine bevorzugte Stelle durch Bewerbung von
der Buergerschaft sich erwarb. Um nur den aergsten Missbraeuchen dabei
zu steuern und ganz ungepruefte junge Menschen von diesen
wichtigen Posten fernzuhalten, wurde es noetig, die Vergebung
der Stabsoffiziersstellen an den Nachweis einer gewissen Zahl
von Dienstjahren zu knuepfen. Nichtsdestoweniger wurde, seit das
Kriegstribunat, die rechte Saeule des roemischen Heerwesens, den
jungen Adligen als erster Schrittstein auf ihrer politischen Laufbahn
hingestellt war, die Dienstpflicht unvermeidlich sehr haeufig
eludiert und die Offizierswahl abhaengig von allen Uebelstaenden
des demokratischen Aemterbettels und der aristokratischen
Junkerexklusivitaet. Es war eine schneidende Kritik der neuen
Institution, dass bei ernsthaften Kriegen (zum Beispiel 583 171)
es notwendig befunden ward, diese demokratische Offizierswahl zu
suspendieren und die Ernennung des Stabes wieder dem Feldherrn zu
ueberlassen. Bei den buergerlichen Aemtern ward zunaechst und vor allem
die Wiederwahl zu den hoechsten Gemeindestellen beschraenkt. Es war
dies allerdings notwendig, wenn das Jahrkoenigtum nicht ein leerer Name
werden sollte; und schon in der vorigen Periode war die abermalige Wahl
zum Konsulat erst nach Ablauf von zehn Jahren gestattet und die zur
Zensur ueberhaupt untersagt worden. Gesetzlich ging man in dieser Epoche
nicht weiter; wohl aber lag eine fuehlbare Steigerung darin, dass das
Gesetz hinsichtlich des zehnjaehrigen Intervalls zwar im Jahre 537 (217)
fuer die Dauer des Krieges in Italien suspendiert, nachher aber davon
nicht weiter dispensiert, ja gegen das Ende dieses Zeitabschnitts die
Wiederwahl ueberhaupt schon selten ward. Weiter erging gegen das Ende
dieser Periode (574 180) ein Gemeindebeschluss, der die Bewerber um
Gemeindeaemter verpflichtete, dieselben in einer festen Stufenfolge
zu uebernehmen und bei jedem gewisse Zwischenzeiten und Altersgrenzen
einzuhalten. Die Sitte freilich hatte beides laengst vorgeschrieben;
aber es war doch eine empfindliche Beschraenkung der Wahlfreiheit, dass
die uebliche Qualifikation zur rechtlichen erhoben und der Waehlerschaft
das Recht entzogen ward, in ausserordentlichen Faellen sich ueber
jene Erfordernisse wegzusetzen. Ueberhaupt wurde den Angehoerigen der
regierenden Familien ohne Unterschied der Tuechtigkeit der Eintritt in
den Senat eroeffnet, waehrend nicht bloss der aermeren und geringeren
Schichten der Bevoelkerung der Eintritt in die regierenden Behoerden
sich voellig verschloss, sondern auch alle nicht zu der erblichen
Aristokratie gehoerenden roemischen Buerger zwar nicht gerade aus der
Kurie, aber wohl von den beiden hoechsten Gemeindeaemtern, dem Konsulat
und der Zensur, tatsaechlich ferngehalten wurden. Nach Manius Curius und
Gaius Fabricius ist kein nicht der sozialen Aristokratie angehoeriger
Konsul nachzuweisen und wahrscheinlich ueberhaupt kein einziger
derartiger Fall vorgekommen. Aber auch die Zahl der Geschlechter, die
in dem halben Jahrhundert vom Anfang des Hannibalischen bis zum Ende des
Perseischen Krieges zum ersten Male in den Konsular- und Zensorenlisten
erscheinen, ist aeusserst beschraenkt; und bei weitem die meisten
derselben, wie zum Beispiel die Flaminier, Terentier, Porcier, Acilier,
Laelier lassen sich auf Oppositionswahlen zurueckfuehren oder gehen
zurueck auf besondere aristokratische Konnexionen, wie denn die Wahl des
Gaius Laelius 564 (190) offenbar durch die Scipionen gemacht worden
ist. Die Ausschliessung der Aermeren vom Regiment war freilich durch
die Verhaeltnisse geboten. Seit Rom ein rein italischer Staat zu sein
aufgehoert und die hellenische Bildung adoptiert hatte, war es nicht
laenger moeglich, einen kleinen Bauersmann vom Pfluge weg an die
Spitze der Gemeinde zu stellen. Aber das war nicht notwendig und nicht
wohlgetan, dass die Wahlen fast ohne Ausnahme in dem engen Kreis der
kurulischen Haeuser sich bewegten und ein "neuer Mensch" nur durch eine
Art Usurpation in denselben einzudringen vermochte ^5. Wohl lag
eine gewisse Erblichkeit nicht bloss in dem Wesen des senatorischen
Instituts, insofern dasselbe von Haus aus auf einer Vertretung der
Geschlechter beruhte, sondern in dem Wesen der Aristokratie ueberhaupt,
insofern staatsmaennische Weisheit und staatsmaennische Erfahrung von
dem tuechtigen Vater auf den tuechtigen Sohn sich vererben und der
Anhauch des Geistes hoher Ahnen jeden edlen Funken in der Menschenbrust
rascher und herrlicher zur Flamme entfacht. In diesem Sinne war die
roemische Aristokratie zu allen Zeiten erblich gewesen, ja sie hatte in
der alten Sitte, dass der Senator seine Soehne mit sich in den Rat nahm
und der Gemeindebeamte mit den Abzeichen der hoechsten Amtsehre,
dem konsularischen Purpurstreif und der goldenen Amulettkapsel des
Triumphators, seine Soehne gleichsam vorweisend schmueckte, ihre
Erblichkeit mit grosser Naivitaet zur Schau getragen. Aber wenn in der
aelteren Zeit die Erblichkeit der aeusseren Wuerde bis zu einem gewissen
Grade durch die Vererbung der inneren Wuerdigkeit bedingt gewesen
war und die senatorische Aristokratie den Staat nicht zunaechst
kraft Erbrechts gelenkt hatte, sondern kraft des hoechsten aller
Vertretungsrechte, des Rechtes der trefflichen gegenueber den
gewoehnlichen Maennern, so sank sie in dieser Epoche, und namentlich mit
reissender Schnelligkeit seit dem Ende des Hannibalischen Krieges, von
ihrer urspruenglichen hohen Stellung als dem Inbegriff der in Rat und
Tat erprobtesten Maenner der Gemeinde herab zu einem durch Erbfolge sich
ergaenzenden und kollegialisch missregierenden Herrenstand. Ja, so weit
war es in dieser Zeit bereits gekommen, dass aus dem schlimmen Uebel der
Oligarchie das noch schlimmere der Usurpation der Gewalt durch einzelne
Familien sich entwickelte. Von der widerwaertigen Hauspolitik des
Siegers von Zama und von seinem leider erfolgreichen Bestreben, mit
den eigenen Lorbeeren die Unfaehigkeit und Jaemmerlichkeit des Bruders
zuzudecken, ist schon die Rede gewesen; und der Nepotismus der Flaminine
war womoeglich noch unverschaemter und aergerlicher als der der
Scipionen. Die unbedingte Wahlfreiheit gereichte in der Tat weit mehr
solchen Koterien zum Vorteil als der Waehlerschaft. Dass Marcus Valerius
Corvus mit dreiundzwanzig Jahren Konsul geworden war, war ohne
Zweifel zum Besten der Gemeinde gewesen; aber wenn jetzt Scipio
mit dreiundzwanzig Jahren zur Aedilitaet, mit dreissig zum Konsulat
gelangte, wenn Flamininus noch nicht dreissig Jahre alt von der Quaestur
zum Konsulat emporstieg, so lag darin eine ernste Gefahr fuer die
Republik. Man war schon dahin gelangt, den einzigen wirksamen Damm
gegen die Familienregierung und ihre Konsequenzen in einem streng
oligarchischen Regiment finden zu muessen; und das ist der Grund,
weshalb auch diejenige Partei, die sonst der Oligarchie opponierte,
zu der Beschraenkung der Wahlfreiheit die Hand bot.
------------------------------------------------------ 5 Die Stabilitaet
des roemischen Adels kann man namentlich fuer die patrizischen
Geschlechter in den konsularischen und aedilizischen Fasten deutlich
verfolgen. Bekanntlich haben in den Jahren 388-581 (366-173) (mit
Ausnahme der Jahre 399, 400, 401, 403, 405, 409, 411, in denen beide
Konsuln Patrizier waren) je ein Patrizier und ein Plebejer das Konsulat
bekleidet. Ferner sind die Kollegien der kurulischen Aedilen in den
varronisch ungeraden Jahren wenigstens bis zum Ausgang des sechsten
Jahrhunderts ausschliesslich aus den Patriziern gewaehlt worden und sind
fuer die sechzehn Jahre 541, 545, 547, 549, 551, 553, 555, 557, 561,
565, 567, 575, 585, 589, 591, 593 bekannt. Diese patrizischen Konsuln
und Aedilen verteilen sich folgendermassen nach den Geschlechtern:

Konsuln 388-500 Konsuln 501-581 Kurulische Aedilen jener (366-254):
(253-173): 16 patrizische Kollegien

Cornelier 15 15 14

Valerier 10 8 4

Claudier 4 8 2

Aemilier 9 6 2

Fabier 6 6 1

Manlier 4 6 1

Postumier 2 6 2

Servilier 3 4 2

Quinctier 2 3 1

Furier 2 3 -

Sulpicier 6 2 2

Veturier - 2 -

Papirier 3 1 -

Nautier 2 - -

Julier 1 - 1

Foslier 1 - - -------------------------------------------------- 70 70
32

Also die fuenfzehn bis sechzehn hohen Adelsgeschlechter, die zur Zeit
der Licinischen Gesetze in der Gemeinde maechtig waren, haben ohne
wesentliche Aenderung des Bestandes, freilich zum Teil wohl durch
Adoption aufrecht erhalten, die naechsten zwei Jahrhunderte, ja bis
zum Ende der Republik sich behauptet. Zu dem Kreise der plebejischen
Nobilitaet treten zwar von Zeit zu Zeit neue Geschlechter hinzu; indes
auch die alten plebejischen Haeuser, wie die Licinier, Fulvier,
Atilier, Domitier, Marcier, Junier, herrschen in den Fasten in
der entschiedensten Weise durch drei Jahrhunderte vor.
------------------------------------------------------ Von diesem
allmaehlich sich veraendernden Geiste der Regierung trug den Stempel das
Regiment. Zwar in der Verwaltung der aeusseren Angelegenheiten ueberwog
in dieser Zeit noch diejenige Folgerichtigkeit und Energie, durch welche
die Herrschaft der roemischen Gemeinde ueber Italien gegruendet
worden war. In der schweren Lehrzeit des Krieges um Sizilien hatte
die roemische Aristokratie sich allmaehlich auf die Hoehe ihrer neuen
Stellung erhoben; und wenn sie das von Rechts wegen lediglich zwischen
den Gemeindebeamten und der Gemeindeversammlung geteilte Regiment
verfassungswidrig fuer den Gemeinderat usurpierte, so legitimierte sie
sich dazu durch ihre zwar nichts weniger als geniale, aber klare und
feste Steuerung des Staats waehrend des hannibalischen Sturmes und der
daraus sich entspinnenden weiteren Verwicklungen, und bewies es der
Welt, dass den weiten Kreis der italisch-hellenischen Staaten zu
beherrschen einzig der roemische Senat vermochte und in vieler
Hinsicht einzig verdiente: Allein ueber dem grossartigen und mit den
grossartigsten Erfolgen gekroenten Auftreten des regierenden roemischen
Gemeinderats gegen den aeusseren Feind darf es nicht uebersehen werden,
dass in der minder scheinbaren und doch weit wichtigeren und weit
schwereren Verwaltung der inneren Angelegenheiten des Staates sowohl die
Handhabung der bestehenden Ordnungen wie die neuen Einrichtungen einen
fast entgegengesetzten Geist offenbaren, oder, richtiger gesagt, die
entgegengesetzte Richtung hier bereits das Uebergewicht gewonnen hat.
Vor allem dem einzelnen Buerger gegenueber ist das Regiment nicht mehr,
was es gewesen. Magistrat heisst der Mann, der mehr ist als die andern;
und wenn er der Diener der Gemeinde ist, so ist er eben darum der Herr
eines jeden Buergers. Aber diese straffe Haltung laesst jetzt sichtlich
nach. Wo das Koteriewesen und der Aemterbettel so in Bluete steht wie in
dem damaligen Rom, huetet man sich, die Gegendienste der Standesgenossen
und die Gunst der Menge durch strenge Worte und ruecksichtslose
Amtspflege zu verscherzen. Wo einmal ein Beamter mit altem Ernst und
alter Strenge auftritt, da sind es in der Regel, wie zum Beispiel
Cotta (502 252) und Cato, neue, nicht aus dem Schosse des Herrenstandes
hervorgegangene Maenner. Es war schon etwas, dass Paullus, als er zum
Oberfeldherrn gegen Perseus ernannt worden war, statt nach beliebter Art
sich bei der Buergerschaft zu bedanken, derselben erklaerte, er setze
voraus, dass sie ihn zum Feldherrn gewaehlt haetten, weil sie ihn fuer
den faehigsten zum Kommando gehalten, und ersuche sie deshalb, ihm nun
nicht kommandieren zu helfen, sondern stillzuschweigen und zu gehorchen.
Roms Suprematie und Hegemonie im Mittelmeergebiet ruhte nicht zum
wenigsten auf der Strenge seiner Kriegszucht und seiner Rechtspflege.
Unzweifelhaft war es auch, im grossen und ganzen genommen, den
ohne Ausnahme tief zerruetteten hellenischen, phoenikischen und
orientalischen Staaten in diesen Beziehungen damals noch unendlich
ueberlegen; dennoch kamen schon arge Dinge auch in Rom vor. Wie
die Erbaermlichkeit der Oberfeldherren, und zwar nicht etwa von der
Opposition gewaehlter Demagogen, wie Gaius Flaminius und Gaius Varro,
sondern gut aristokratischer Maenner, bereits im dritten Makedonischen
Krieg das Wohl des Staates auf das Spiel gesetzt hatte, ist frueher
erzaehlt worden. Und in welcher Art die Rechtspflege schon hin und
wieder gehandhabt ward, das zeigt der Auftritt im Lager des Konsuls
Lucius Quinctius Flamininus bei Placentia (562 192) - um seinen
Buhlknaben fuer die ihm zuliebe versaeumten Fechterspiele in der
Hauptstadt zu entschaedigen, hatte der hohe Herr einen in das roemische
Lager gefluechteten, vornehmen Boier herbeirufen lassen und ihn mit
eigener Hand beim Gelage niedergestossen. Schlimmer als der Vorgang
selber, dem mancher aehnliche sich an die Seite stellen liesse, war
es noch, dass der Taeter nicht bloss nicht vor Gericht gestellt ward,
sondern, als ihn der Zensor Cato deswegen aus der Liste der Senatoren
strich, seine Standesgenossen den Ausgestossenen im Theater einluden,
seinen Senatorenplatz wieder einzunehmen - freilich war er der Bruder
des Befreiers der Griechen und eines der maechtigsten Koteriehaeupter
des Senats. Auch das Finanzwesen der roemischen Gemeinde ging in dieser
Epoche eher zurueck als vorwaerts. Zwar der Betrag der Einnahmen war
zusehends im Wachsen. Die indirekten Abgaben - direkte gab es in Rom
nicht - stiegen infolge der erweiterten Ausdehnung des roemischen
Gebietes, welche es zum Beispiel noetig machte, in den Jahren 555, 575
(199, 179) an der kampanischen und brettischen Kueste neue Zollbueros
in Puteoli, Castra (Squillace) und anderswo einzurichten. Auf demselben
Grunde beruht der neue, die Salzverkaufspreise nach den verschiedenen
Distrikten Italiens abstufende Salztarif vom Jahre 550 (204), indem es
nicht laenger moeglich war, den jetzt durch ganz Italien zerstreuten
roemischen Buergern das Salz zu einem und demselben Preise abzugeben; da
indes die roemische Regierung wahrscheinlich den Buergern dasselbe
zum Produktionspreis, wenn nicht darunter abgab, so ergab diese
Finanzmassregel fuer den Staat keinen Gewinn. Noch ansehnlicher war die
Steigerung des Ertrages der Domaenen. Die Abgabe freilich, welche von
dem zur Okkupation verstatteten italischen Domanialland dem Aerar von
Rechts wegen zukam, ward zum allergroessten Teil wohl weder gefordert
noch geleistet. Dagegen blieb nicht bloss das Hutgeld bestehen, sondern
es wurden auch die infolge des Hannibalischen Krieges neu gewonnenen
Domaenen, namentlich der groessere Teil des Gebiets von Capua und das
von Leontini, nicht zum Okkupieren hingegeben, sondern parzelliert und
an kleine Zeitpaechter ausgetan und der auch hier versuchten Okkupation
von der Regierung mit mehr Nachdruck als gewoehnlich entgegengetreten;
wodurch dem Staate eine betraechtliche und sichere Einnahmequelle
entstand. Auch die Bergwerke des Staats, namentlich die wichtigen
spanischen, wurden durch Verpachtung verwertet. Endlich traten zu
den Einnahmen die Abgaben der ueberseeischen Untertanen hinzu.
Ausserordentlicherweise flossen waehrend dieser Epoche sehr
bedeutende Summen in den Staatsschatz, namentlich an Beutegeld aus dem
Antiochischen Kriege 200 (14500000 Taler), aus dem Perseischen 210 Mill.
Sesterzen (15 Mill. Taler) - letzteres die groesste Barsumme, die je auf
einmal in die roemische Kasse gelangt ist. Indes ward diese Zunahme
der Einnahme durch die steigenden Ausgaben groesstenteils wieder
ausgeglichen. Die Provinzen, etwa mit Ausnahme Siziliens, kosteten wohl
ungefaehr ebensoviel als sie eintrugen; die Ausgaben fuer Wege- und
andere Bauten stiegen im Verhaeltnis mit der Ausdehnung des Gebiets;
auch die Rueckzahlung der von den ansaessigen Buergern waehrend der
schweren Kriegszeiten erhobenen Vorschuesse (tributa) lastete noch
manches Jahr nachher auf dem roemischen Aerar. Dazu kamen die durch die
verkehrte Wirtschaft und die schlaffe Nachsicht der Oberbehoerden dem
gemeinen Wesen verursachten sehr namhaften Verluste. Von dem Verhalten
der Beamten in den Provinzen, von ihrer ueppigen Wirtschaft aus
gemeinem Saeckel, von den Unterschleifen namentlich am Beutegut, von dem
beginnenden Bestechungs- und Erpressungssystem wird unten noch die
Rede sein. Wie der Staat bei den Verpachtungen seiner Gefaelle und den
Akkorden ueber Lieferungen und Bauten im allgemeinen wegkam, kann man
ungefaehr danach ermessen, dass der Senat im Jahre 587 (167) beschloss,
von dem Betrieb der an Rom gefallenen makedonischen Bergwerke abzusehen,
weil die Grubenpaechter doch entweder die Untertanen pluendern oder die
Kasse bestehlen wuerden - freilich ein naives Armutszeugnis, das die
kontrollierende Behoerde sich selber ausstellte. Man liess nicht bloss,
wie schon gesagt ward, die Abgabe von dem okkupierten Domanialland
stillschweigend fallen, sondern man litt es auch, dass bei Privatanlagen
in der Hauptstadt und sonst auf oeffentlichen Grund und Boden
uebergegriffen und das Wasser aus den oeffentlichen Leitungen zu
Privatzwecken abgeleitet ward; es machte sehr boeses Blut, wenn einmal
ein Zensor gegen solche Kontravenienten ernstlich einschritt und sie
zwang, entweder auf die Sondernutzung des gemeinen Gutes zu verzichten
oder dafuer das gesetzliche Boden- und Wassergeld zu zahlen. Der
Gemeinde gegenueber bewies das sonst so peinliche oekonomische Gewissen
der Roemer eine merkwuerdige Weite. "Wer einen Buerger bestiehlt", sagt
Cato, "beschliesst sein Leben in Ketten und Banden; in Gold und
Purpur aber, wer die Gemeinde bestiehlt." Wenn trotz dessen, dass das
oeffentliche Gut der roemischen Gemeinde ungestraft und ungescheut von
Beamten und Spekulanten gepluendert ward, noch Polybios es hervorhebt,
wie selten in Rom der Unterschleif sei, waehrend man in Griechenland
kaum hier und da einen Beamten finde, der nicht in die Kasse greife;
wie der roemische Kommissar und Beamte auf sein einfaches Treuwort
hin ungeheure Summen redlich verwalte, waehrend in Griechenland
der kleinsten Summe wegen zehn Briefe besiegelt und zwanzig Zeugen
aufgeboten wuerden und doch jedermann betruege, so liegt hierin nur,
dass die soziale und oekonomische Demoralisation in Griechenland noch
viel weiter vorgeschritten war als in Rom und namentlich hier noch nicht
wie dort der unmittelbare und offenbare Kassendefekt florierte. Das
allgemeine finanzielle Resultat spricht sich fuer uns am deutlichsten
in dem Stand der oeffentlichen Bauten und in dem Barbestand des
Staatsschatzes aus. Fuer das oeffentliche Bauwesen finden wir in
Friedenszeiten ein Fuenftel, in Kriegszeiten ein Zehntel der Einkuenfte
verwendet, was den Umstaenden nach nicht gerade reichlich gewesen zu
sein scheint. Es geschah mit diesen Summen sowie mit den nicht in die
Staatskasse unmittelbar fallenden Bruchgeldern wohl manches fuer die
Pflasterung der Wege in und vor der Hauptstadt, fuer die Chaussierung
der italischen Hauptstrassen ^6, fuer die Anlage oeffentlicher
Gebaeude. Wohl die bedeutendste unter den aus dieser Periode bekannten
hauptstaedtischen Bauten war die wahrscheinlich im Jahre 570 (184)
verdungene grosse Reparatur und Erweiterung des hauptstaedtischen
Kloakennetzes, wofuer auf einmal 1700000 Taler (24 Mill. Sesterzen)
angewiesen wurden und der vermutlich der Hauptsache nach angehoert, was
von den Kloaken heute noch vorhanden ist. Aber allem Anschein nach
stand in dem oeffentlichen Bauwesen, auch abgesehen von den schweren
Kriegszeiten, diese Periode hinter dem letzten Abschnitt der vorigen
zurueck; zwischen 482 und 607 (272 und 147) ist in Rom keine neue
Wasserleitung angelegt worden. Der Staatsschatz nahm freilich zu: die
letzte Reserve betrug im Jahre 545 (209), wo man sich genoetigt sah, sie
anzugreifen, nur 1144000 Taler (4000 Pfund Gold; 2, 171), wogegen kurze
Zeit nach dem Schluss dieser Periode (597 157) nahe an 6 Mill. Taler
in edlen Metallen in der Staatskasse vorraetig waren. Allein bei den
ungeheuren ausserordentlichen Einnahmen, welche in dem Menschenalter
nach dem Ende des Hannibalischen Krieges der roemischen Staatskasse
zuflossen, befremdet die letztere Summe mehr durch ihre Niedrigkeit
als durch ihre Hoehe. Soweit bei den vorliegenden, mehr als duerftigen
Angaben es zulaessig ist, hier von Resultaten zu sprechen, zeigen die
roemischen Staatsfinanzen wohl einen Ueberschuss der Einnahme ueber
die Ausgabe, aber darum doch nichts weniger als ein glaenzendes
Gesamtergebnis. ----------------------------------------- ^6 Die Kosten
von diesen sind indes wohl grossenteils auf die Anlieger geworfen
worden. Das alte System, Fronen anzusagen, war nicht abgeschafft; es
muss nicht selten vorgekommen sein, dass man den Gutsbesitzern die
Sklaven wegnahm, um sie beim Strassenbau zu verwenden (Cato agr. 2).
----------------------------------------- Am bestimmtesten tritt der
veraenderte Geist der Regierung hervor in der Behandlung der italischen
und ausseritalischen Untertanen der roemischen Gemeinde. Man hatte
sonst in Italien unterschieden die gewoehnlichen und die latinischen
bundesgenoessischen Gemeinden, die roemischen Passiv- und die roemischen
Vollbuerger. Von diesen vier Klassen wurde die dritte im Laufe dieser
Periode so gut wie vollstaendig beseitigt, indem das, was frueher schon
fuer die Passivbuergergemeinden in Latium und in der Sabina geschehen
war, jetzt auch auf die des ehemaligen volskischen Gebiets Anwendung
fand und diese allmaehlich, zuletzt vielleicht im Jahre 566 (188)
Arpinum, Fundi und Formiae, das volle Buergerrecht empfingen. In
Kampanien wurde Capua nebst einer Anzahl benachbarter kleinerer
Gemeinden infolge seines Abfalls von Rom im Hannibalischen Kriege
aufgeloest. Wenn auch einige wenige Gemeinden, wie Velitrae im
Volskergebiet, Teanum und Cumae in Kampanien, in dem frueheren
Rechtsverhaeltnis verblieben sein moegen, so darf doch, im grossen und
ganzen betrachtet, dies Buergerrecht zweiter Klasse jetzt als beseitigt
gelten. Dagegen trat neu hinzu eine besonders zurueckgesetzte, der
Kommunalfreiheit und des Waffenrechts entbehrende und zum Teil fast den
Gemeindesklaven gleich behandelte Klasse (peregrini dediticii), wozu
namentlich die Angehoerigen der ehemaligen, mit Hannibal verbuendet
gewesenen kampanischen, suedlichen picentischen und brettischen
Gemeinden gehoerten. Ihnen schlossen sich die diesseits der Alpen
geduldeten Kettenstaemme an, deren Stellung zu der italischen
Eidgenossenschaft zwar nur unvollkommen bekannt ist, aber doch durch die
in ihre Bundesvertraege mit Rom aufgenommene Klausel, dass keiner aus
diesen Gemeinden je das roemische Buergerrecht solle gewinnen duerfen,
hinreichend als eine zurueckgesetzte charakterisiert wird. Die Stellung
der nichtlatinischen Bundesgenossen hatte, wie schon frueher angedeutet
ward, durch den Hannibalischen Krieg sich sehr zu ihrem Nachteil
veraendert. Nur wenige Gemeinden dieser Kategorie, wie zum Beispiel
Neapel, Nola, Rhegion, Herakleia, hatten waehrend aller Wechselfaelle
dieses Krieges unveraendert auf der Seite Roms gestanden und darum ihr
bisheriges Bundesrecht unveraendert behalten; bei weitem die meisten
mussten infolge ihres Parteiwechsels sich eine nachteilige Revision der
bestehenden Vertraege gefallen lassen. Von der gedrueckten Stellung
der nichtlatinischen Bundesgenossen zeugt die Auswanderung aus ihren
Gemeinden in die latinischen; als im Jahre 577 (177) die Samniten und
Paeligner bei dem Senat um Herabsetzung ihrer Kontingente einkamen,
wurde dies damit motiviert, dass waehrend der letzten Jahre 4000
samnitische und paelignische Familien nach der latinischen Kolonie
Fregellae uebergesiedelt seien. Dass die Latiner, das heisst jetzt
die wenigen noch ausserhalb des roemischen Buergerverbandes stehenden
Staedte im alten Latium wie Tibur und Praeneste, die ihnen rechtlich
gleichgestellten Bundesstaedte, wie namentlich einzelne der Herniker,
und die durch ganz Italien zerstreuten latinischen Kolonien auch jetzt
noch besser gestellt waren, ist hierin enthalten; doch hatten auch sie
im Verhaeltnis kaum weniger sich verschlechtert. Die ihnen auferlegten
Lasten wurden unbillig gesteigert und der Druck des Kriegsdienstes mehr
und mehr von der Buergerschaft ab auf sie und die anderen italischen
Bundesgenossen gewaelzt. So wurden zum Beispiel 536 (218) fast doppelt
soviel Bundesgenossen aufgeboten als Buerger; so nach dem Ende des
Hannibalischen Krieges die Buerger alle, nicht aber die Bundesgenossen
verabschiedet; so die letzteren vorzugsweise fuer den Besatzungs- und
den verhassten spanischen Dienst verwandt; so bei dem Triumphalgeschenk
577 (177) den Bundesgenossen nicht wie sonst die gleiche Verehrung mit
den Buergern, sondern nur die Haelfte gegeben, so dass inmitten des
ausgelassenen Jubels dieses Soldatenkarnevals die zurueckgesetzten
Abteilungen stumm dem Siegeswagen folgten: so erhielten bei
Landanweisungen in Norditalien die Buerger je zehn, die Nichtbuerger
je drei Morgen Ackerlandes. Die unbeschraenkte Freizuegigkeit war den
latinischen Gemeinden bereits frueher (486 268) genommen und ihnen die
Auswanderung nach Rom nur dann gestattet worden, wenn sie leibliche
Kinder und einen Teil ihres Vermoegens in der Heimatgemeinde
zurueckliessen. Indes diese laestigen Vorschriften wurden auf vielfache
Weise umgangen oder uebertreten, und der massenhafte Zudrang der Buerger
der latinischen Ortschaften nach Rom und die Klagen ihrer Behoerden
ueber die zunehmende Entvoelkerung der Staedte und die Unmoeglichkeit,
unter solchen Umstaenden das festgesetzte Kontingent zu leisten,
veranlassten die roemische Regierung, polizeiliche Ausweisungen aus der
Hauptstadt in grossem Umfang zu veranstalten (567, 577 187, 177). Die
Massregel mochte unvermeidlich sein, ward aber darum nicht weniger
schwer empfunden. Weiter fingen die von Rom im italischen Binnenland
angelegten Staedte gegen das Ende dieser Periode an, statt des
latinischen, das volle Buergerrecht zu empfangen, was bis dahin
nur hinsichtlich der Seekolonien geschehen war, und die bisher fast
regelmaessige Erweiterung der Latinerschaft durch neu hinzutretende
Gemeinden hatte damit ein Ende. Aquileia, dessen Gruendung 571 (183)
begann, ist die juengste der italischen Kolonien Roms geblieben, welche
mit latinischem Recht beliehen wurden; den ungefaehr gleichzeitig
ausgefuehrten Kolonien Potentia, Pisaurum, Mutina, Parma, Luna (570-577
184-177) ward schon das volle Buergerrecht gegeben. Die Ursache war
offenbar das Sinken des latinischen im Vergleich mit dem roemischen
Buergerrecht. Die in die neuen Pflanzstaedte ausgefuehrten Kolonisten
wurden von jeher und jetzt mehr als je vorwiegend aus der roemischen
Buergerschaft ausgewaehlt, und es fehlten selbst unter dem aermeren
Teile derselben die Leute, die willig gewesen waeren, auch mit Erwerbung
bedeutender materieller Verteile ihr Buerger- gegen latinisches Recht
zu vertauschen. Endlich ward den Nichtbuergern, Gemeinden wie Einzelnen,
der Eintritt in das roemische Buergerrecht fast vollstaendig gesperrt.
Das aeltere Verfahren, die unterworfenen Gemeinden der roemischen
einzuverleiben, hatte man um 400 (350) fallenlassen, um nicht durch
uebermaessige Ausdehnung der roemischen Buergerschaft dieselbe allzusehr
zu dezentralisieren, und deshalb die Halbbuergergemeinden eingerichtet.
Jetzt gab man die Zentralisation der Gemeinde auf, indem teils die
Halbbuergergemeinden das Vollbuergerrecht empfingen, teils zahlreiche
entferntere Buergerkolonien zu der Gemeinde hinzutraten; aber auf
das aeltere Inkorporationssystem kam man den verbuendeten Gemeinden
gegenueber nicht zurueck. Dass nach der vollendeten Unterwerfung
Italiens auch nur eine einzige italische Gemeinde das bundesgenoessische
mit dem roemischen Buergerrecht vertauscht haette, laesst sich nicht
nachweisen; wahrscheinlich hat in der Tat seitdem keine mehr dieses
erhalten. Auch der Uebertritt einzelner Italiker in das roemische
Buergerrecht fand fast allein noch statt fuer die latinischen
Gemeindebeamten und durch besondere Beguenstigung fuer einzelne der
bei Gruendung von Buergerkolonien mit zugelassenen Nichtbuerger ^7.
---------------------------------------------- ^7 So wurde bekanntlich
dem Rudiner Ennius bei Gelegenheit der Gruendung der Buergerkolonien
Potentia und Pisaurum von einem der Triumvirn, Q. Fulvius Nobilior, das
Buergerrecht geschenkt (Cic. Brut. 20, 79); worauf er denn auch nach
bekannter Sitte dessen Vornamen annahm. Von Rechts wegen erwarben,
wenigstens in dieser Epoche, die in die Buergerkolonie mit deduzierten
Nichtbuerger dadurch die roemische Civitaet keineswegs, wenn sie auch
haeufig dieselbe sich anmassten (Liv. 34, 42); es wurde aber den mit der
Gruendung einer Kolonie beauftragten Beamten durch eine Klausel in
dem jedesmaligen Volksschluss die Verleihung des Buergerrechts an
eine beschraenkte Anzahl von Personen gestattet (Cic. Balb. 21, 48).
---------------------------------------------- Diesen tatsaechlichen und
rechtlichen Umgestaltungen der Verhaeltnisse der italischen Untertanen
kann wenigstens innerer Zusammenhang und Folgerichtigkeit nicht
abgesprochen wer den. Die Lage der Untertanenklassen wurde im
Verhaeltnis ihrer bisherigen Abstufung durchgaengig verschlechtert
und, waehrend die Regierung sonst die Gegensaetze zu mildern und durch
Uebergaenge zu vermitteln bemueht gewesen war, wuerden jetzt ueberall
die Mittelglieder beseitigt und die verbindenden Bruecken abgebrochen.
Wie innerhalb der roemischen Buergerschaft der Herrenstand von dem Volke
sich absonderte, den oeffentlichen Lasten durchgaengig sich entzog
und die Ehren und Vorteile durchgaengig fuer sich nahm, so trat die
Buergerschaft ihrerseits der italischen Eidgenossenschaft gegenueber
und schloss diese mehr und mehr von dem Mitgenuss der Herrschaft aus,
waehrend sie an den gemeinen Lasten doppelten und dreifachen Anteil
ueberkam. Wie die Nobilitaet gegenueber den Plebejern, so lenkte
die Buergerschaft gegenueber den Nichtbuergern zurueck in die
Abgeschlossenheit des verfallenen Patriziats; das Plebejat, das durch
die Liberalitaet seiner Institutionen grossgeworden war, schnuerte jetzt
selbst sich ein in die starren Satzungen des Junkertums. Die Aufhebung
der Passivbuergerschaften kann an sich nicht getadelt werden und gehoert
auch ihrem Motiv nach vermutlich in einen anderen, spaeter noch zu
eroerternden Zusammenhang; dennoch ging schon dadurch ein vermittelndes
Zwischenglied verloren. Bei weitem bedenklicher aber war das Schwinden
des Unterschieds zwischen den latinischen und den uebrigen italischen
Gemeinden. Die Grundlage der roemischen Macht war die bevorzugte
Stellung der latinischen Nation innerhalb Italiens; sie wich unter den
Fuessen, seit die latinischen Staedte anfingen, sich nicht mehr als die
bevorzugten Teilhaber an der Herrschaft der maechtigen stammverwandten
Gemeinde, sondern wesentlich gleich den uebrigen als Untertanen Roms
zu empfinden und alle Italiker ihre Lage gleich unertraeglich zu finden
begannen. Denn dass die Brettier und ihre Leidensgenossen schon voellig
wie Sklaven behandelt wurden und voellig wie Sklaven sich verhielten,
zum Beispiel von der Flotte, auf der sie als Ruderknechte dienten,
ausrissen, wo sie konnten und gern gegen Rom Dienste nahmen; dass ferner
in den keltischen und vor allem den ueberseeischen Untertanen eine noch
gedruecktere und von der Regierung in berechneter Absicht der Verachtung
und Misshandlung durch die Italiker preisgegebene Klasse den Italikern
zur Seite gestellt ward, schloss freilich auch eine Abstufung innerhalb
der Untertanenschaft in sich, konnte aber doch fuer den frueheren
Gegensatz zwischen den stammverwandten und den stammfremden italischen
Untertanen nicht entfernt einen Ersatz gewaehren. Eine tiefe Verstimmung
bemaechtigte sich der gesamten italischen Eidgenossenschaft, und nur die
Furcht hielt sie ab, laut sich zu aeussern. Der Vorschlag, der nach
der Schlacht bei Cannae im Senat gemacht ward, aus jeder latinischen
Gemeinde zwei Maennern das roemische Buergerrecht und Sitz im Senat
zu gewaehren, war freilich zur Unzeit gestellt und ward mit Recht
abgelehnt; aber er zeigt doch, mit welcher Besorgnis man schon damals
in der herrschenden Gemeinde auf das Verhaeltnis zwischen Latium und Rom
blickte. Wenn jetzt ein zweiter Hannibal den Krieg nach Italien
getragen haette, so durfte man zweifeln, ob auch er an dem felsenfesten
Widerstand des latinischen Namens gegen die Fremdherrschaft gescheitert
sein wuerde. Aber bei weitem die wichtigste Institution, welche diese
Epoche in das roemische Gemeinwesen eingefuehrt hat, und zugleich
diejenige, welche am entschiedensten und verhaengnisvollsten aus der
bisher eingehaltenen Bahn wich, waren die neuen Vogteien. Das aeltere
roemische Staatsrecht kannte zinspflichtige Untertanen nicht; die
ueberwundenen Buergerschaften wurden entweder in die Sklaverei verkauft
oder in der roemischen aufgehoben oder endlich zu einem Buendnis
zugelassen, das ihnen wenigstens die kommunale Selbstaendigkeit und
die Steuerfreiheit sicherte. Allein die karthagischen Besitzungen
in Sizilien, Sardinien und Spanien sowie Hierons Reich hatten ihren
frueheren Herren gesteuert und gezinst; wenn Rom diese Besitzungen
einmal behalten wollte, war es nach dem Urteil der Kurzsichtigen das
Verstaendigste und unzweifelhaft das Bequemste, die neuen Gebiete
lediglich nach den bisherigen Normen zu verwalten. Man behielt also
die karthagisch-hieronische Provinzialverfassung einfach bei und
organisierte nach derselben auch diejenigen Landschaften, die man,
wie das Diesseitige Spanien, den Barbaren entriss. Es war das Hemd des
Nessos, das man vom Feind erbte. Ohne Zweifel war es anfaenglich die
Absicht der roemischen Regierung, durch die Abgaben der Untertanen nicht
eigentlich sich zu bereichern, sondern nur die Kosten der Verwaltung und
Verteidigung damit zu decken; doch wich man auch hiervon schon ab, als
man Makedonien und Illyrien tributpflichtig machte, ohne daselbst die
Regierung und die Grenzbesetzung zu uebernehmen. Ueberhaupt aber kam es
weit weniger darauf an, dass man noch in der Belastung Mass hielt,
als darauf, dass man ueberhaupt die Herrschaft in ein nutzbares Recht
verwandelte; fuer den Suendenfall ist es gleich, ob man nur den Apfel
nimmt oder gleich den Baum pluendert. Die Strafe folgte dem Unrecht auf
dem Fuss. Das neue Provinzialregiment noetigte zu der Einsetzung von
Voegten, deren Stellung nicht bloss mit der Wohlfahrt der Vogteien,
sondern auch mit der roemischen Verfassung schlechthin unvertraeglich
war. Wie die roemische Gemeinde in den Provinzen an die Stelle des
frueheren Landesherrn trat, so war ihr Vogt daselbst an Koenigs Statt;
wie denn auch zum Beispiel der sizilische Praetor in dem Hieronischen
Palast zu Syrakus residierte. Von Rechts wegen sollte nun zwar der
Vogt nichtsdestoweniger sein Amt mit republikanischer Ehrbarkeit und
Sparsamkeit verwalten. Cato erschien als Statthalter von Sardinien in
den ihm untergebenen Staedten zu Fuss und von einem einzigen Diener
begleitet, welcher ihm den Rock und die Opferschale nachtrug, und als er
von seiner spanischen Statthalterschaft heimkehrte, verkaufte er vorher
sein Schlachtross, weil er sich nicht befugt hielt, die Transportkosten
desselben dem Staate in Rechnung zu bringen. Es ist auch keine Frage,
dass die roemischen Statthalter, obgleich sicherlich nur wenige von
ihnen die Gewissenhaftigkeit so wie Cato bis an die Grenze der
Knauserei und Laecherlichkeit trieben, doch zum guten Teil durch ihre
altvaeterliche Froemmigkeit, durch die bei ihren Mahlzeiten herrschende
ehrbare Stille, durch die verhaeltnismaessig rechtschaffene Amts- und
Rechtspflege, namentlich die angemessene Strenge gegen die schlimmsten
unter den Blutsaugern der Provinzialen, die roemischen Steuerpaechter
und Bankiers, ueberhaupt durch den Ernst und die Wuerde ihres Auftretens
den Untertanen, vor allen den leichtfertigen und haltungslosen Griechen
nachdruecklich imponierten. Auch die Provinzialen befanden sich unter
ihnen verhaeltnismaessig leidlich. Man war durch die karthagischen
Voegte und syrakusanischen Herren nicht verwoehnt und sollte bald
Gelegenheit finden, im Vergleich mit den nachkommenden Skorpionen der
gegenwaertigen Ruten sich dankbar zu erinnern; es ist wohl erklaerlich,
wie spaeterhin das sechste Jahrhundert der Stadt als die goldene Zeit
der Provinzialherrschaft erschien. Aber es war auf die Laenge
nicht durchfuehrbar, zugleich Republikaner und Koenig zu sein. Das
Landvogtspielen demoralisierte mit furchtbarer Geschwindigkeit den
roemischen Herrenstand. Hoffart und Uebermut gegen die Provinzialen
lagen so sehr in der Rolle, dass daraus dem einzelnen Beamten kaum
ein Vorwurf gemacht werden darf. Aber schon war es selten, und um
so seltener, als die Regierung mit Strenge an dem alten Grundsatz
festhielt, die Gemeindebeamten nicht zu besolden, dass der Vogt ganz
reine Haende aus der Provinz wieder mitbrachte; dass Paullus, der Sieger
von Pydna, kein Geld nahm, wird bereits als etwas Besonderes angemerkt.
Die ueble Sitte, dem Amtmann "Ehrenwein" und andere "freiwillige" Gaben
zu verabreichen, scheint so alt wie die Provinzialverfassung selbst und
mag wohl auch ein karthagisches Erbstueck sein; schon Cato musste in
seiner Verwaltung Sardiniens 556 (198) sich begnuegen, diese Hebungen zu
regulieren und zu ermaessigen. Das Recht der Beamten und ueberhaupt
der in Staatsgeschaeften Reisenden auf freies Quartier und freie
Befoerderung ward schon als Vorwand zu Erpressungen benutzt. Das
wichtigere Recht des Beamten, Getreidelieferungen teils zu seinem und
seiner Leute Unterhalt (in cellam), teils im Kriegsfall zur Ernaehrung
des Heeres oder bei anderen besonderen Anlaessen gegen einen billigen
Taxpreis in seiner Provinz auszuschreiben, wurde schon so arg
gemissbraucht, dass auf die Klagen der Spanier der Senat im Jahre 583
(171) die Feststellung des Taxpreises fuer beiderlei Lieferungen den
Amtsleuten zu entziehen sich veranlasst fand. Selbst fuer die Volksfeste
in Rom fing schon an bei den Untertanen requiriert zu werden; die
masslosen Tribulationen, die der Aedil Tiberius Sempronius Gracchus
fuer die von ihm auszurichtende Festlichkeit ueber italische wie
ausseritalische Gemeinden ergehen liess, veranlassten den Senat,
offiziell dagegen einzuschreiten (572 182). Was ueberhaupt der
roemische Beamte sich am Schlusse dieser Periode nicht bloss gegen
die ungluecklichen Untertanen, sondern selbst gegen die abhaengigen
Freistaaten und Koenigreiche herausnahm, das zeigen die Raubzuege des
Gnaeus Volso in Kleinasien und vor allem die heillose Wirtschaft in
Griechenland waehrend des Krieges gegen Perseus. Die Regierung hatte
kein Recht, sich darueber zu verwundern, da sie es an jeder ernstlichen
Schranke gegen die uebergriffe dieses militaerischen Willkuerregiments
fehlen liess. Zwar die gerichtliche Kontrolle mangelte nicht ganz.
Konnte auch der roemische Vogt nach dem allgemeinen und mehr
als bedenklichen Grundsatz: gegen den Oberfeldherrn waehrend der
Amtsverwaltung keine Beschwerdefuehrung zu gestatten, regelmaessig erst
dann zur Rechenschaft gezogen werden, wenn das Uebel geschehen war, so
war doch an sich sowohl eine Kriminal- als eine Zivilverfolgung gegen
ihn moeglich. Um jene einzuleiten, musste ein Volkstribun kraft der ihm
zustehenden richterlichen Gewalt die Sache in die Hand nehmen und sie an
das Volksgericht bringen; die Zivilklage wurde von dem Senator, der
die betreffende Praetur verwaltete, an eine nach der damaligen
Gerichtsverfassung aus dem Schosse des Senats bestellte Jury gewiesen.
Dort wie hier lag also die Kontrolle in den Haenden des Herrenstandes,
und obwohl dieser noch rechtlich und ehrenhaft genug war, um gegruendete
Beschwerden nicht unbedingt beiseite zu legen, der Senat sogar
verschiedene Male auf Anrufen der Geschaedigten die Einleitung eines
Zivilverfahrens selber zu veranlassen sich herbeiliess, so konnten doch
Klagen von Niedrigen und Fremden gegen maechtige Glieder der regierenden
Aristokratie vor weit entfernten und wenn nicht in gleicher Schuld
befangenen, doch mindestens dem gleichen Stande angehoerigen Richtern
und Geschworenen von Anfang an nur dann auf Erfolg rechnen, wenn das
Unrecht klar und schreiend war; und vergeblich zu klagen, war fast
gewisses Verderben. Einen gewissen Anhalt fanden die Geschaedigten
freilich in den erblichen Klientelverhaeltnissen, welche die Staedte und
Landschaften der Untertanen mit ihren Besiegern und andern ihnen naeher
getretenen Roemern verknuepften. Die spanischen Statthalter empfanden
es, dass an Catos Schutzbefohlenen sich niemand ungestraft vergriff;
und dass die Vertreter der drei von Paullus ueberwundenen Nationen, der
Spanier, Ligurer und Makedonier, sich es nicht nehmen liessen, seine
Bahre zum Scheiterhaufen zu tragen, war die schoenste Totenklage um
den edlen Mann. Allein dieser Sonderschutz gab nicht bloss den
Griechen Gelegenheit, ihr ganzes Talent, sich ihren Herren gegenueber
wegzuwerfen, in Rom zu entfalten und durch ihre bereitwillige
Servilitaet auch ihre Herren zu demoralisieren - die Beschluesse der
Syrakusaner zu Ehren des Marcellus, nachdem er ihre Stadt zerstoert und
gepluendert und sie ihn vergeblich deshalb beim Senat verklagt hatten,
sind eines der schandbarsten Blaetter in den wenig ehrbaren Annalen
von Syrakus -, sondern es hatte auch bei der schon gefaehrlichen
Familienpolitik dieses Hauspatronat seine politisch bedenkliche Seite.
Immer wurde auf diesem Wege wohl bewirkt, dass die roemischen Beamten
die Goetter und den Senat einigermassen fuerchteten und im Stehlen
meistenteils Mass hielten, allein man stahl denn doch, und ungestraft,
wenn man mit Bescheidenheit stahl. Die heillose Regel stellte sich
fest, dass bei geringen Erpressungen und maessiger Gewalttaetigkeit der
roemische Beamte gewissermassen in seiner Kompetenz und von Rechts wegen
straffrei sei, die Beschaedigten also zu schweigen haetten; woraus
denn die Folgezeit die verhaengnisvollen Konsequenzen zu ziehen nicht
unterlassen hat. Indes waeren auch die Gerichte so streng gewesen, wie
sie schlaff waren, es konnte doch die gerichtliche Rechenschaft nur
den aergsten Uebelstaenden steuern. Die wahre Buergschaft einer guten
Verwaltung liegt in der strengen und gleichmaessigen Oberaufsicht
der hoechsten Verwaltungsbehoerde; und hieran liess der Senat es
vollstaendig mangeln. Hier am fruehesten machte die Schlaffheit und
Unbeholfenheit des kollegialischen Regiments sich geltend. Von Rechts
wegen haetten die Voegte einer weit strengeren und spezielleren
Aufsicht unterworfen werden sollen, als sie fuer die italischen
Munizipalverwaltungen ausgereicht hatte, und mussten jetzt, wo das Reich
grosse ueberseeische Gebiete umfasste, die Anstalten gesteigert werden,
durch welche die Regierung sich die Uebersicht ueber das Ganze bewahrte.
Von beidem geschah das Umgekehrte. Die Voegte herrschten so gut wie
souveraen, und das wichtigste der fuer den letzteren Zweck dienenden
Institute, die Reichsschatzung, wurde noch auf Sizilien, aber auf keine
der spaeter erworbenen Provinzen mehr erstreckt. Diese Emanzipation
der obersten Verwaltungsbeamten von der Zentralgewalt war mehr als
bedenklich. Der roemische Vogt, an der Spitze der Heere des Staats und
im Besitz bedeutender Finanzmittel, dazu einer schlaffen gerichtlichen
Kontrolle unterworfen und von der Oberverwaltung tatsaechlich
unabhaengig, endlich mit einer gewissen Notwendigkeit dahin gefuehrt,
sein und seiner Administrierten Interesse von dem der roemischen
Gemeinde zu scheiden und ihm entgegenzustellen, glich weit mehr einem
persischen Satrapen als einem der Mandatare des roemischen Senats in
der Zeit der Samnitischen Kriege, und kaum konnte der Mann, der eben im
Auslande eine gesetzliche Militaertyrannis gefuehrt hatte, von da den
Weg wieder zurueck in die buergerliche Gemeinschaft finden, die wohl
Befehlende und Gehorchende, aber nicht Herren und Knechte unterschied.
Auch die Regierung empfand es, dass die beiden fundamentalen Saetze
die Gleichheit innerhalb der Aristokratie und die Unterordnung der
Beamtengewalt unter das Senatskollegium, ihr hier unter den Haenden
zu schwinden begannen. Aus der Abneigung der Regierung gegen Erwerbung
neuer Vogteien und gegen das ganze Vogteiwesen, der Einrichtung der
Provinzialquaesturen, die wenigstens die Finanzgewalt den Voegten aus
den Haenden zu nehmen bestimmt waren, der Beseitigung der an sich so
zweckmaessigen Einrichtung laengerer Statthalterschaften leuchtet sehr
deutlich die Besorgnis hervor, welche die weiterblickenden roemischen
Staatsmaenner vor der hier gesaeten Saat empfanden. Aber Diagnose ist
nicht Heilung. Das innere Regiment der Nobilitaet entwickelte sich
weiter in der einmal angegebenen Richtung, und der Verfall der
Verwaltung und des Finanzwesens, die Vorbereitung kuenftiger
Revolutionen und Usurpationen hatten ihren wenn nicht unbemerkten, doch
ungehemmten stetigen Fortgang. Wenn die neue Nobilitaet weniger scharf
als die alte Geschlechtsaristokratie formuliert war und wenn diese
gesetzlich, jene nur tatsaechlich die uebrige Buergerschaft im Mitgenuss
der politischen Rechte beeintraechtigte, so war eben darum die zweite
Zuruecksetzung nur schwerer zu ertragen und schwerer zu sprengen als
die erste. An Versuchen zu dem letzteren fehlte es natuerlich nicht. Die
Opposition ruhte auf der Gemeindeversammlung wie die Nobilitaet auf
dem Senat; um jene zu verstehen, ist zunaechst die damalige roemische
Buergerschaft nach ihrem Geist und ihrer Stellung im Gemeinwesen zu
schildern. Was von einer Buergerversammlung wie die roemische war, nicht
dem bewegenden Triebrad, sondern dem festen Grund des Ganzen, gefordert
werden kann: ein sicherer Blick fuer das gemeine Beste, eine einsichtige
Folgsamkeit gegenueber dem richtigen Fuehrer, ein festes Herz in guten
und boesen Tagen und vor allem die Aufopferungsfaehigkeit des Einzelnen
fuer das Ganze, des gegenwaertigen Wohlbehagens fuer das Glueck der
Zukunft - das alles hat die roemische Gemeinde in so hohem Grade
geleistet, dass, wo der Blick auf das Ganze sich richtet, jede
Bemaekelung in bewundernder Ehrfurcht verstummt. Auch jetzt war der
gute und verstaendige Sinn noch durchaus in ihr vorwiegend. Das ganze
Verhalten der Buergerschaft der Regierung wie der Opposition gegenueber
beweist mit vollkommener Deutlichkeit, dass dasselbe gewaltige
Buergertum, vor dem selbst Hannibals Genie das Feld raeumen musste, auch
in den roemischen Komitien entschied; die Buergerschaft hat wohl oft
geirrt, jedoch nicht geirrt in Poebeltuecke, sondern in buergerlicher
und baeuerlicher Beschraenktheit. Aber allerdings wurde die Maschinerie,
mittels welcher die Buergerschaft in den Gang der oeffentlichen
Angelegenheiten eingriff, immer unbehilflicher und wuchsen ihr durch
ihre eigenen Grosstaten die Verhaeltnisse vollstaendig ueber den
Kopf. Dass im Laufe dieser Epoche teils die meisten bisherigen
Passivbuergergemeinden, teils eine betraechtliche Anzahl neuangelegter
Pflanzstaedte das volle roemische Buergerrecht empfingen, ist
schon angegeben worden. Am Ende derselben erfuellte die roemische
Buergerschaft in ziemlich geschlossener Masse Latium im weitesten Sinn,
die Sabina und einen Teil Kampaniens, so dass sie an der Westkueste
noerdlich bis Caere, suedlich bis Cumae reichte; innerhalb dieses
Gebiets standen nur wenige Staedte, wie Tibur, Praeneste, Signia,
Norba, Ferentinum ausser derselben. Dazu kamen die Seekolonien an den
italischen Kuesten, welche durchgaengig das roemische Vollbuergerrecht
besassen, die picenischen und transapenninischen Kolonien der juengsten
Zeit, denen das Buergerrecht hatte eingeraeumt werden muessen, und eine
sehr betraechtliche Anzahl roemischer Buerger, die, ohne eigentliche,
gesonderte Gemeinwesen zu bilden, in Marktflecken und Doerfern (fora
et conciliabula) durch ganz Italien zerstreut lebten. Wenn man der
Unbehilflichkeit einer also beschaffenen Stadtgemeinde auch fuer die
Zwecke der Rechtspflege ^8 und der Verwaltung teils durch die frueher
schon erwaehnten stellvertretenden Gerichtsherren einigermassen abhalf,
teils wohl auch schon, namentlich in den See- und den neuen picenischen
und transapenninischen Kolonien, zu der spaeteren Organisation kleinerer
staedtischer Gemeinwesen innerhalb der grossen roemischen Stadtgemeinde
wenigstens die ersten Grundlinien zog, so blieb doch in allen
politischen Fragen die Urversammlung auf dem roemischen Marktplatz
allein berechtigt; und es springt in die Augen, dass diese in ihrer
Zusammensetzung wie in ihrem Zusammenhandeln jetzt nicht mehr war, was
sie gewesen, als die saemtlichen Stimmberechtigten ihre buergerliche
Berechtigung in der Art ausuebten, dass sie am Morgen von ihren Hoefen
weggehen und an demselben Abend wieder zurueck sein konnten. Es kam
hinzu, dass die Regierung - ob aus Unverstand, Schlaffheit oder boeser
Absicht, laesst sich nicht sagen - die nach dem Jahre 513 (241) in
den Buergerverband eintretenden Gemeinden nicht mehr wie frueher in
neuerrichtete Wahlbezirke, sondern in die alten mit einschrieb; so dass
allmaehlich jeder Bezirk aus verschiedenen, ueber das ganze roemische
Gebiet zerstreuten Ortschaften sich zusammensetzte. Wahlbezirke wie
diese, von durchschnittlich 8000, die staedtischen natuerlich von mehr,
die laendlichen von weniger Stimmberechtigten, und ohne oertlichen
Zusammenhang und innere Einheit, liessen schon keine bestimmte Leitung
und keine genuegende Vorbesprechung mehr zu; was um so mehr vermisst
werden musste, als den Abstimmungen selbst keine freie Debatte
voranging. Wenn ferner die Buergerschaft vollkommen die Faehigkeit.
hatte, ihre Gemeindeinteressen wahrzunehmen, so war es doch sinnlos und
geradezu laecherlich, in den hoechsten und schwierigsten Fragen, welche
die herrschende Weltmacht zu loesen ueberkam, einem wohlgesinnten, aber
zufaellig zusammengetriebenen Haufen italischer Bauern das entscheidende
Wort einzuraeumen und ueber Feldherrnernennungen und Staatsvertraege in
letzter Instanz Leute urteilen zu lassen, die weder die Gruende noch
die Folgen ihrer Beschluesse begriffen. In allen ueber eigentliche
Gemeindesachen hinausgehenden Dingen haben denn auch die roemischen
Urversammlungen eine unmuendige und selbst alberne Rolle gespielt. In
der Regel standen die Leute da und sagten ja zu allen Dingen; und wenn
sie ausnahmsweise aus eigenem Antrieb nein sagten, wie zum Beispiel bei
der Kriegserklaerung gegen Makedonien 554 (200), so machte sicher
die Kirchturms- der Staatspolitik eine kuemmerliche und
kuemmerlich auslaufende Opposition.
------------------------------------------------- ^8 In der bekanntlich
zunaechst auf ein Landgut in der Gegend von Venafrum sich beziehenden
landwirtschaftlichen Anweisung Catos wird die rechtliche Eroerterung
der etwa entstehenden Prozesse nur fuer einen bestimmten Fall nach Rom
gewiesen: wenn naemlich der Gutsherr die Winterweide an den Besitzer
einer Schafherde verpachtet, also mit einem in der Regel nicht in der
Gegend domizilierten Paechter zu tun hat (agr. 149). Es laesst sich
daraus schliessen. dass in dem gewoehnlichen Fall, wo mit einem in der
Gegend domizilierten Manne kontrahiert ward, die etwa entspringenden
Prozesse schon zu Catos Zeit nicht in Rom, sondern vor den Ortsrichtern
entschieden wurden. -------------------------------------------------
Endlich stellte dem unabhaengigen Buergerstand sich der Klientenpoebel
formell gleichberechtigt und tatsaechlich oft schon uebermaechtig zur
Seite. Die Institutionen, aus denen er hervorging, waren uralt.
Seit unvordenklicher Zeit uebte der vornehme Roemer auch ueber seine
Freigelassenen und Zugewandten eine Art Regiment aus und ward von
denselben bei allen ihren wichtigeren Angelegenheiten zu Rate gezogen,
wie denn zum Beispiel ein solcher Klient nicht leicht seine Kinder
verheiratete, ohne die Billigung seines Patrons erlangt zu haben,
und sehr oft dieser die Partien geradezu machte. Aber wie aus der
Aristokratie ein eigener Herrenstand ward, der in seiner Hand nicht
bloss die Macht, sondern auch den Reichtum vereinigte, so wurden aus
den Schutzbefohlenen Guenstlinge und Bettler; und der neue Anhang der
Reichen unterhoehlte aeusserlich und innerlich den Buergerstand.
Die Aristokratie duldete nicht bloss diese Klientel, sondern beutete
finanziell und politisch sie aus. So zum Beispiel wurden die alten
Pfennigkollekten, welche bisher hauptsaechlich nur zu religioesen
Zwecken und bei der Bestattung verdienter Maenner stattgefunden hatten,
jetzt von angesehenen Herren - zuerst 568 (186) von Lucius Scipio in
Veranlassung eines von ihm beabsichtigten Volksfestes - benutzt, um bei
ausserordentlichen Gelegenheiten vom Publikum eine Beisteuer zu erheben.
Die Schenkungen wurden besonders deshalb gesetzlich beschraenkt (550
204), weil die Senatoren anfingen, unter diesem Namen von ihren Klienten
regelmaessigen Tribut zu nehmen. Aber vor allen Dingen diente der
Schweif dem Herrenstande dazu, die Komitien zu beherrschen; und der
Ausfall der Wahlen zeigt es deutlich, welche maechtige Konkurrenz der
abhaengige Poebel bereits in dieser Zeit dem selbstaendigen Mittelstand
machte. Die reissend schnelle Zunahme des Gesindels, namentlich in
der Hauptstadt, welche hierdurch vorausgesetzt wird, ist auch sonst
nachweisbar. Die steigende Zahl und Bedeutung der Freigelassenen
beweisen die schon im vorigen Jahrhundert gepflogenen und in diesem sich
fortsetzenden, sehr ernsten Eroerterungen ueber ihr Stimmrecht in den
Gemeindeversammlungen, und der waehrend des Hannibalischen Krieges
vom Senat gefasste merkwuerdige Beschluss, die ehrbaren freigelassenen
Frauen zur Beteiligung bei den oeffentlichen Kollekten zuzulassen und
den rechten Kindern freigelassener Vaeter die bisher nur den Kindern der
Freigeborenen zukommenden Ehrenzeichen zu gestatten. Wenig besser als
die Freigelassenen mochte die Majoritaet der nach Rom uebersiedelnden
Hellenen und Orientalen sein, denen die nationale Servilitaet ebenso
unvertilgbar wie jenen die rechtliche anhaftete. Aber es wirkten
nicht bloss diese natuerlichen Ursachen mit zu dem Aufkommen eines
hauptstaedtischen Poebels, sondern es kann auch weder die Nobilitaet
noch die Demagogie von dem Vorwurf freigesprochen werden, systematisch
denselben grossgezogen und durch Volksschmeichelei und noch schlimmere
Dinge den alten Buergersinn, soviel an ihnen war, unterwuehlt zu
haben. Noch war die Waehlerschaft durchgaengig zu achtbar, als dass
unmittelbare Wahlbestechung im grossen sich haette zeigen duerfen;
aber indirekt ward schon in unloeblichster Weise um die Gunst der
Stimmberechtigten geworben. Die alte Verpflichtung der Beamten,
namentlich der Aedilen, fuer billige Kornpreise zu sorgen und die
Spiele zu beaufsichtigen, fing an, in das auszuarten, woraus endlich
die entsetzliche Parole des kaiserlichen Stadtpoebels hervorging: Brot
umsonst und ewiges Volksfest. Grosse Kornsendungen, welche entweder
die Provinzialstatthalter zur Verfuegung der roemischen Marktbehoerde
stellten oder auch wohl die Provinzen selbst, um sich bei einzelnen
roemischen Beamten in Gunst zu setzen, unentgeltlich nach Rom lieferten,
machten es seit der Mitte des sechsten Jahrhunderts den Aedilen
moeglich, an die hauptstaedtische Buergerbevoelkerung das Getreide zu
Schleuderpreisen abzugeben. Es sei kein Wunder, meinte Cato, dass die
Buergerschaft nicht mehr auf guten Rat hoere - der Bauch habe eben
keine Ohren. Die Volkslustbarkeiten nahmen in erschreckender Weise zu.
Fuenfhundert Jahre hatte die Gemeinde sich mit einem Volksfest im Jahr
und mit einem Spielplatz begnuegt; der erste roemische Demagoge von
Profession, Gaius Flaminius, fuegte ein zweites Volksfest und einen
zweiten Spielplatz hinzu (534 220) ^9, und mag sich mit diesen
Einrichtungen, deren Tendenz schon der Name des neuen Festes:
"plebejische Spiele" hinreichend bezeichnet, die Erlaubnis erkauft
haben, die Schlacht am Trasimenischen See zu liefern. Rasch ging man
weiter in der einmal eroeffneten Bahn. Das Fest zu Ehren der Ceres, der
Schutzgottheit des Plebejertums, kann, wenn ueberhaupt, doch nur
wenig juenger sein als das plebejische. Weiter ward nach Anleitung der
Sibyllinischen und Marcischen Weissagungen schon 542 (212) ein viertes
Volksfest zu Ehren Apollons, 550 (204) ein fuenftes zu Ehren der neu aus
Phrygien nach Rom uebergesiedelten Grossen Mutter hinzugefuegt. Es waren
dies die schweren Jahre des Hannibalischen Krieges - bei der ersten
Feier der Apollospiele ward die Buergerschaft von dem Spielplatz weg
zu den Waffen gerufen; die eigentuemlich italische Deisidaemonie
war fieberhaft aufgeregt, und es fehlte nicht an solchen, welche sie
nutzten, um Sibyllen- und Prophetenorakel in Umlauf zu setzen und durch
deren Inhalt und Vertretung sich der Menge zu empfehlen; kaum darf man
es tadeln, dass die Regierung, welche der Buergerschaft so ungeheure
Opfer zumuten musste, in solchen Dingen nachgab. Was man aber einmal
nachgegeben, blieb bestehen; ja selbst in ruhigeren Zeiten (581 173) kam
noch ein freilich geringeres Volksfest, die Spiele zu Ehren der Flora
hinzu. Die Kosten dieser neuen Festlichkeiten bestritten die mit der
Ausrichtung der einzelnen Feste beauftragten Beamten aus eigenen Mitteln
- so die kurulischen Aedilen zu dem alten Volksfest noch das Fest der
Goettermutter und das der Flora, die plebejischen das Plebejer- und das
Ceresfest, der staedtische Praetor die Apollinarischen Spiele. Man mag
damit, dass die neuen Volksfeste wenigstens dem gemeinen Saeckel nicht
zur Last fielen, sich vor sich selber entschuldigt haben; in der Tat
waere es weit weniger nachteilig gewesen, das Gemeindebudget mit einer
Anzahl unnuetzer Ausgaben zu belasten, als zu gestatten, dass die
Ausrichtung einer Volkslustbarkeit tatsaechlich zur Qualifikation
fuer die Bekleidung des hoechsten Gemeindeamtes ward. Die kuenftigen
Konsularkandidaten machten bald in dem Aufwande fuer diese Spiele
einander eine Konkurrenz, die die Kosten derselben ins Unglaubliche
steigerte; und es schadete begreiflicherweise nicht, wenn der Konsul
in Hoffnung noch ausser dieser gleichsam gesetzlichen eine freiwillige
"Leistung" (munus), ein Fechterspiel auf seine Kosten zum besten gab.
Die Pracht der Spiele wurde allmaehlich der Massstab, nach dem die
Waehlerschaft die Tuechtigkeit der Konsulatsbewerber bemass. Die
Nobilitaet hatte freilich schwer zu zahlen - ein anstaendiges
Fechterspiel kostete 750000 Sesterzen (50000 Taler); allein sie zahlte
gern, da sie ja damit den unvermoegenden Leuten die politische Laufbahn
verschloss. Aber die Korruption beschraenkte sich nicht auf den Markt,
sondern uebertrug sich auch schon auf das Lager. Die alte Buergerwehr
hatte sich gluecklich geschaetzt, eine Entschaedigung fuer die
Kriegsarbeit und im gluecklichen Fall eine geringe Siegesgabe
heimzubringen; die neuen Feldherren, an ihrer Spitze Scipio Africanus,
warfen das roemische wie das Beutegeld mit vollen Haenden unter sie
aus - es war darueber, dass Cato waehrend der letzten Feldzuege gegen
Hannibal in Afrika mit Scipio brach. Die Veteranen aus dem Zweiten
Makedonischen und dem kleinasiatischen Krieg kehrten bereits
durchgaengig als wohlhabende Leute heim; schon fing der Feldherr
an, auch von den Besseren gepriesen zu werden, der die Gaben der
Provinzialen und den Kriegsgewinn nicht bloss fuer sich und sein
unmittelbares Gefolge nahm und aus dessen Lager nicht wenige Maenner mit
Golde, sondern viele mit Silber in den Taschen zurueckkamen - dass
auch die bewegliche Beute des Staates sei, fing an in Vergessenheit zu
geraten. Als Lucius Paullus wieder in alter Weise mit derselben verfuhr,
da fehlte wenig, dass seine eigenen Soldaten, namentlich die durch die
Aussicht auf reichen Raub zahlreich herbeigelockten Freiwilligen,
nicht durch Volksbeschluss dem Sieger von Pydna die Ehre des Triumphes
aberkannt haetten, die man schon an jeden Bezwinger von drei ligurischen
Doerfern wegwarf. ------------------------------------------------- ^9
Die Anlage des Circus ist bezeugt. Ueber die Entstehung der plebejischen
Spiele gibt es keine alte Ueberlieferung, denn was der falsche Asconius
(p. 143 Orelli) sagt, ist keine; aber da sie in dem Flaminischen Circus
gefeiert wurden (Val. Max. 1, 7, 4) und zuerst sicher im Jahre 538
(216), vier Jahre nach dessen Erbauung, vorkommen (Liv. 23, 30), so
wird das oben Gesagte dadurch hinreichend bewiesen.
------------------------------------------------- Wie sehr die
Kriegszucht und der kriegerische Geist der Buergerschaft unter diesem
Uebergang der Kriegs- in das Raubhandwerk litten, kann man an den
Feldzuegen gegen Perseus verfolgen; und fast in skurriler Weise
offenbarte die einreissende Feigheit der unbedeutende Istrische
Krieg (576 178), wo ueber ein geringes, vom Geruechte lawinenhaft
vergroessertes Scharmuetzel das Landheer und die Seemacht der Roemer,
ja die Italiker daheim ins Weglaufen kamen und Cato seinen Landsleuten
ueber ihre Feigheit eine eigene Strafpredigt zu halten noetig fand. Auch
hier ging die vornehme Jugend voran. Schon waehrend des Hannibalischen
Krieges (545 200) sahen die Zensoren sich veranlasst, gegen die
Laessigkeit der Militaerpflichtigen von Ritterschatzung mit ernsten
Strafen einzuschreiten. Gegen das Ende dieser Periode (574 ? 180)
stellte ein Buergerschaftsbeschluss den Nachweis von zehn Dienstjahren
als Qualifikation fuer die Bekleidung eines jeden Gemeindeamtes fest, um
die Soehne der Nobilitaet dadurch zum Eintritt in das Heer zu noetigen.
Aber wohl nichts spricht so deutlich fuer den Verfall des rechten
Stolzes und der rechten Ehre bei Hohen wie bei Geringen als das Jagen
nach Abzeichen und Titeln, das im Ausdruck verschieden, aber im Wesen
gleichartig bei allen Staenden und Klassen erscheint. Zu der Ehre des
Triumphes draengte man sich so, dass es kaum gelang, die alte Regel
aufrecht zu erhalten, welche nur dem die Macht der Gemeinde in
offener Feldschlacht mehrenden, ordentlichen hoechsten Gemeindebeamten
verstattete zu triumphieren und dadurch allerdings nicht selten eben die
Urheber der wichtigsten Erfolge von dieser Ehre ausschloss. Man musste
es schon sich gefallen lassen, dass diejenigen Feldherren, welche
vergeblich versucht oder keine Aussicht hatten, den Triumph vom Senat
oder der Buergerschaft zu erlangen, auf eigene Hand wenigstens auf dem
Albanischen Berg triumphierend aufzogen (zuerst 523 231). Schon war kein
Gefecht mit einem ligurischen oder korsischen Haufen zu unbedeutend,
um nicht daraufhin den Triumph zu erbitten. Um den friedlichen
Triumphatoren, wie zum Beispiel die Konsuln des Jahres 570 (184) gewesen
waren, das Handwerk zu legen, wurde die Gestattung des Triumphes an den
Nachweis einer Feldschlacht geknuepft, die wenigstens 5000 Feinden das
Leben gekostet; aber auch dieser Nachweis ward oefter durch falsche
Bulletins umgangen - sah man doch auch schon in den vornehmen Haeusern
manche feindliche Ruestung prangen, die keineswegs vom Schlachtfeld
dahin kam. Wenn sonst der Oberfeldherr des einen Jahres es sich zur
Ehre gerechnet hatte, das naechste Jahr in den Stab seines Nachfolgers
einzutreten, so war es jetzt eine Demonstration gegen die neumodische
Hoffart, dass der Konsular Cato unter Tiberius Sempronius Longus (560
194) und Manius Glabrio (563 191; 2, 258) als Kriegstribun Dienste
nahm. Sonst hatte fuer den der Gemeinde erwiesenen Dienst der Dank der
Gemeinde ein- fuer allemal genuegt; jetzt schien jedes Verdienst eine
bleibende Auszeichnung zu fordern. Bereits der Sieger von Mylae (494
260) Gaius Duilius hatte es durchgesetzt, dass ihm, wenn er abends durch
die Strassen der Hauptstadt ging, ausnahmsweise ein Fackeltraeger und
ein Pfeifer voraufzog. Statuen und Denkmaeler, sehr oft auf Kosten des
Geehrten errichtet, wurden so gemein, dass man es spoettisch fuer eine
Auszeichnung erklaeren konnte, ihrer zu entbehren. Aber nicht lange
genuegten derartige bloss persoenliche Ehren. Es kam auf, aus den
gewonnenen Siegen dem Sieger und seinen Nachkommen einen bleibenden
Zunamen zu schoepfen; welchen Gebrauch vornehmlich der Sieger von Zama
begruendet hat, indem er sich selber den Mann von Afrika, seinen Bruder
den von Asien, seinen Vetter den von Spanien nennen liess ^10. Dem
Beispiel der Hohen folgten die Niederen nach. Wenn der Herrenstand es
nicht verschmaehte, die Rangklassen der Leichenordnung festzustellen und
dem gewesenen Zensor ein purpurnes Sterbekleid zu dekretieren, so konnte
man es den Freigelassenen nicht veruebeln, dass auch sie verlangten,
wenigstens ihre Soehne mit dem vielbeneideten Purpurstreif schmuecken
zu duerfen. Der Rock, der Ring und die Amulettkapsel unterschieden nicht
bloss den Buerger und die Buergerin von dem Fremden und dem Sklaven,
sondern auch den Freigeborenen von dem gewesenen Knecht, den Sohn
freigeborener von dem freigelassener Eltern, den Ritter- und den
Senatorensohn von dem gemeinen Buerger, den Sproessling eines
kurulischen Hauses von dem gemeinen Senator - und das in derjenigen
Gemeinde, in der alles, was gut und gross, das Werk der buergerlichen
Gleichheit war! -------------------------------------------------------
^10 2, 276. Das erste sichere Beispiel eines solchen Beinamens ist
das des Manius Valerius Maximus, Konsul 491 (263), der als Sieger von
Messana den Namen Messala annahm; dass der Konsul von 419 (335) in
aehnlicher Weise Calenus genannt worden sei, ist falsch. Die Beinamen
Maximus im Valerischen und Fabischen Geschlecht sind nicht durchaus
gleichartig. -------------------------------------------------------
Die Zwiespaeltigkeit innerhalb der Gemeinde wiederholt sich in der
Opposition. Gestuetzt auf die Bauernschaft erheben die Patrioten den
lauten Ruf nach Reform; gestuetzt auf die hauptstaedtische Menge beginnt
die Demagogie ihr Werk. Obwohl die beiden Richtungen sich nicht voellig
trennen lassen, sondern mehrfach Hand in Hand gehen, wird es doch
notwendig sein, sie in der Betrachtung voneinander zu sondern. Die
Reformpartei tritt uns gleichsam verkoerpert entgegen in der Person
des Marcus Porcius Cato (520-605 234-149). Cato, der letzte namhafte
Staatsmann des aelteren, noch auf Italien sich beschraenkenden und dem
Weltregiment abgeneigten Systems, galt darum spaeterhin als das Muster
des echten Roemers von altem Schrot und Korn; mit groesserem Recht
wird man ihn betrachten als den Vertreter der Opposition des roemischen
Mittelstandes gegen die neue hellenisch- kosmopolitische Nobilitaet.
Beim Pfluge hergekommen, ward er durch seinen Gutsnachbarn, einen der
wenigen dem Zuge der Zeit abholden Adligen, Lucius Valerius Flaccus, in
die politische Laufbahn gezogen; der derbe sabinische Bauer schien dem
rechtschaffenen Patrizier der rechte Mann, um dem Strom der Zeit sich
entgegenzustemmen; und er hatte in ihm sich nicht getaeuscht. Unter
Flaccus' Aegide und nach guter alter Sitte mit Rat und Tat den
Mitbuergern und dem Gemeinwesen dienend, focht er sich empor bis zum
Konsulat und zum Triumph, ja sogar bis zur Zensur. Mit dem siebzehnten
Jahre eingetreten in die Buergerwehr, hatte er den ganzen Hannibalischen
Krieg von der Schlacht am Trasimenischen See bis zu der bei Zama
durchgemacht, unter Marcellus und Fabius, unter Nero und Scipio gedient
und bei Tarent und Sena, in Afrika, Sardinien, Spanien, Makedonien sich
als Soldat, als Stabsoffizier und als Feldherr gleich tuechtig bewaehrt.
Wie auf der Walstatt stand er auf dem Marktplatz. Seine furchtlose und
schlagfertige Rede, sein derber treffender Bauernwitz, seine Kenntnis
des roemischen Rechts und der roemischen Verhaeltnisse, seine
unglaubliche Ruehrigkeit und sein eiserner Koerper machten ihn zuerst in
den Nachbarstaedten angesehen, alsdann, nachdem er auf dem Markt und in
der Kurie der Hauptstadt auf einen groesseren Schauplatz getreten war,
zu dem einflussreichsten Sachwalter und Staatsredner seiner Zeit.
Er nahm den Ton auf, den zuerst Manius Curius, unter den roemischen
Staatsmaennern sein Ideal, angeschlagen hatte; sein langes Leben hat er
daran gesetzt, dem einreissenden Verfall redlich, wie er es
verstand, nach allen Seiten hin zu begegnen, und noch in seinem
fuenfundachtzigsten Jahre auf dem Marktplatz dem neuen Zeitgeist
Schlachten geliefert. Er war nichts weniger als schoen - gruene Augen
habe er, behaupteten seine Feinde, und rote Haare - und kein grosser
Mann, am wenigsten ein weitblickender Staatsmann. Politisch und sittlich
gruendlich borniert und stets das Ideal der guten alten Zeit vor den
Augen und auf den Lippen, verachtete er eigensinnig alles Neue. Durch
seine Strenge gegen sich vor sich selber legitimiert zu mitleidloser
Schaerfe und Haerte gegen alles und alle, rechtschaffen und ehrbar,
aber ohne Ahnung einer jenseits der polizeilichen Ordnung und der
kaufmaennischen Redlichkeit liegenden Pflicht, ein Feind aller Bueberei
und Gemeinheit wie aller Eleganz und Genialitaet und vor allen Dingen
der Feind seiner Feinde, hat er nie einen Versuch gemacht, die Quellen
des Uebels zu verstopfen, und sein Leben lang gegen nichts gefochten
als gegen Symptome und namentlich gegen Personen. Die regierenden Herren
sahen zwar auf den ahnenlosen Beller vornehm herab und glaubten nicht
mit Unrecht, ihn weit zu uebersehen; aber die elegante Korruption in und
ausser dem Senat zitterte doch im geheimen vor dem alten Sittenmeisterer
von stolzer republikanischer Haltung, vor dem narbenbedeckten Veteranen
aus dem Hannibalischen Krieg, vor dem hoechst einflussreichen Senator
und dem Abgott der roemischen Bauernschaft. Einem nach dem andern
seiner vornehmen Kollegen hielt er oeffentlich sein Suendenregister
vor, allerdings ohne es mit den Beweisen sonderlich genau zu nehmen, und
allerdings auch mit besonderem Genuss denjenigen, die ihn persoenlich
gekreuzt oder gereizt hatten. Ebenso ungescheut verwies und beschalt er
oeffentlich auch der Buergerschaft jede neue Unrechtfertigkeit und jeden
neuen Unfug. Seine bitterboesen Angriffe erweckten ihm zahllose
Feinde und mit den maechtigsten Adelskoterien der Zeit, namentlich
den Scipionen und den Flamininen, lebte er in ausgesprochener
unversoehnlicher Fehde; vierundvierzigmal ist er oeffentlich angeklagt
worden. Aber die Bauernschaft - und es ist dies bezeichnend dafuer, wie
maechtig noch in dieser Zeit in dem roemischen Mittelstand derjenige
Geist war, der den Tag von Cannae hatte uebertragen machen - liess den
ruecksichtslosen Verfechter der Reform in ihren Abstimmungen
niemals fallen; ja als im Jahre 570 (184) Cato mit seinem adligen
Gesinnungsgenossen Lucius Flaccus sich um die Zensur bewarb und
im voraus ankuendigte, dass sie in diesem Amte eine durchgreifende
Reinigung der Buergerschaft an Haupt und Gliedern vorzunehmen
beabsichtigten, wurden die beiden gefuerchteten Maenner von der
Buergerschaft gewaehlt ungeachtet aller Anstrengungen des Adels, und
derselbe musste es hinnehmen, dass in der Tat das grosse Fegefest
stattfand und dabei unter anderen der Bruder des Afrikaners von der
Ritter-, der Bruder des Befreiers der Griechen von der Senatorenliste
gestrichen wurden. Dieser Krieg gegen die Personen und die vielfachen
Versuche, mit Justiz und Polizei den Geist der Zeit zu bannen, wie
achtungswert auch die Gesinnung war, aus der sie hervorgingen,
konnten doch hoechstens den Strom der Korruption auf eine kurze Weile
zurueckstauen; und wenn es bemerkenswert ist, dass Cato dem zum Trotz
oder vielmehr dadurch seine politische Rolle zu spielen vermocht hat, so
ist es ebenso bezeichnend, dass es so wenig ihm gelang, die Koryphaeen
der Gegenpartei wie diesen ihn zu beseitigen, und die von ihm und
seinem Gesinnungsgenossen vor der Buergerschaft angestellten
Rechenschaftsprozesse wenigstens in den politisch wichtigen Faellen
durchgaengig ganz ebenso erfolglos geblieben sind wie die gegen Cato
gerichteten Anklagen. Nicht viel mehr als diese Anklagen haben die
Polizeigesetze gewirkt, welche namentlich zur Beschraenkung des Luxus
und zur Herbeifuehrung eines sparsamen und ordentlichen Haushaltes in
dieser Epoche in ungemeiner Anzahl erlassen wurden und die zum Teil in
der Darstellung der Volkswirtschaft noch zu beruehren sein werden. Bei
weitem praktischer und nuetzlicher waren die Versuche, dem einreissenden
Verfall mittelbar zu steuern, unter denen die Ausweisungen von
neuen Bauernhufen aus dem Domanialland ohne Zweifel den ersten Platz
einnehmen. Dieselben haben in der Zeit zwischen dem ersten und zweiten
Kriege mit Karthago und wieder vom Ende des letzteren bis gegen den
Schluss dieses Zeitabschnitts in grosser Anzahl und in bedeutendem
Umfange stattgefunden; die wichtigsten darunter sind die Aufteilung der
picenischen Possessionen durch Gaius Flaminius im Jahre 522 (232),die
Anlage von acht neuen Seekolonien im Jahre 560 (194) und vor allem die
umfassende Kolonisation der Landschaft zwischen dem Apennin und dem
Po durch die Anlage der latinischen Pflanzstaedte Placentia, Cremona,
Bononia und Aquileia und der Buergerkolonien Potentia, Pisaurum, Mutina,
Parma und Luna in den Jahren 536 (218) und 565-577 (189-177). Bei weitem
die meisten dieser segensreichen Gruendungen duerfen der Reformpartei
zugeschrieben werden. Hinweisend einerseits auf die Verwuestung Italiens
durch den Hannibalischen Krieg und das erschreckende Hinschwindender
Bauernstellen und ueberhaupt der freien italischen Bevoelkerung,
anderseits auf die weit ausgedehnten, neben und gleich Eigentum
besessenen Possessionen der Vornehmen im Cisalpinischen Gallien, in
Samnium, in der apulischen und brettischen Landschaft haben Cato
und seine Gesinnungsgenossen sie gefordert; und obwohl die roemische
Regierung diesen Forderungen wahrscheinlich nicht in dem Massstab
nachkam, wie sie es gekonnt und gesollt haette, so blieb sie doch nicht
taub gegen die warnende Stimme des verstaendigen Mannes. Verwandter
Art ist der Vorschlag, den Cato im Senat stellte, dem Verfall der
Buergerreiterei durch Errichtung von vierhundert neuen Reiterstellen
Einhalt zu tun. An den Mitteln dazu kann es der Staatskasse nicht
gefehlt haben; doch scheint der Vorschlag an dem exklusiven Geiste der
Nobilitaet und ihrem Bestreben, diejenigen, die nur Reiter und nicht
Ritter waren, aus der Buergerreiterei zu verdraengen, gescheitert zu
sein. Dagegen erzwangen die schweren Kriegslaeufte, welche ja sogar die
roemische Regierung zu dem gluecklicherweise verunglueckenden Versuch
bestimmten, ihre Heere nach orientalischer Art vom Sklavenmarkt zu
rekrutieren, die Milderung der fuer den Dienst im Buergerheer bisher
geforderten Qualifikationen: des Minimalzensus von 11000 Assen (300
Taler) und der Freigeborenheit. Abgesehen davon, dass man die zwischen
4000 (115 Taler) und 1500 Assen (43 Taler) geschaetzten Freigeborenen
und saemtliche Freigelassene zum Flottendienst anzog, wurde der
Minimalzensus fuer den Legionaer auf 4000 Asse (115 Taler) ermaessigt
und wurden im Notfall auch sowohl die Flottendienstpflichtigen als
sogar die zwischen 1500 (43 Taler) und 375 Asse (11 Taler) geschaetzten
Freigeborenen in das Buergerfussvolk miteingestellt. Diese vermutlich
dem Ende der vorigen oder dem Anfang dieser Epoche angehoerenden
Neuerungen sind ohne Zweifel ebensowenig wie die servianische
Militaerreform aus Parteibestrebungen hervorgegangen; allein sie taten
doch der demokratischen Partei insofern wesentlichen Vorschub, als mit
den buergerlichen Belastungen zuerst die buergerlichen Ansprueche und
sodann auch die buergerlichen Rechte sich notwendig ins Gleichgewicht
setzten. Die Armen und Freigelassenen fingen an in dem Gemeinwesen etwas
zu bedeuten, seit sie ihm dienten; und hauptsaechlich daraus
entsprang eine der wichtigsten Verfassungsaenderungen dieser Zeit, die
Umgestaltung der Zenturiatkomitien, welche hoechst wahrscheinlich in
demselben Jahre erfolgte, in welchem der Krieg um Sizilien zu Ende
ging (513 241). Nach der bisherigen Stimmordnung hatten in den
Zenturiatkomitien wenn auch nicht mehr, wie bis auf die Reform des
Appius Claudius, allein die Ansaessigen gestimmt, aber doch die
Vermoegenden ueberwogen: es hatten zuerst die Ritter gestimmt, das
heisst der patrizisch-plebejische Adel, sodann die Hoechstbesteuerten,
das heisst diejenigen, die ein Vermoegen von mindestens 100000 Assen
(2900 Taler) dem Zensor nachgewiesen hatten ^11; und diese beiden
Abteilungen hatten, wenn sie zusammenhielten, jede Abstimmung
entschieden. Das Stimmrecht der Steuerpflichtigen der vier folgenden
Klassen war von zweifelhaftem Gewicht, das derjenigen, deren Schaetzung
unter dem niedrigsten Klassensatz von 11000 Assen (300 Taler) geblieben
war, wesentlich illusorisch gewesen. Nach der neuen Ordnung wurde der
Ritterschaft, obwohl sie ihre gesonderten Abteilungen behielt, das
Vorstimmrecht entzogen und dasselbe auf eine aus der ersten Klasse durch
das Los erwaehlte Stimmabteilung uebertragen. Die Wichtigkeit jenes
adligen Vorstimmrechts kann nicht hoch genug angeschlagen werden, zumal
in einer Epoche, in der tatsaechlich der Einfluss des Adels auf die
Gesamtbuergerschaft in stetigem Steigen war. War doch selbst der
eigentliche Junkerstand noch in dieser Zeit maechtig genug, um die
gesetzlich den Patriziern wie den Plebejern offenstehende zweite Konsul-
und zweite Zensorstelle, jene bis an den Schluss dieser Periode (bis
582 172), diese noch ein Menschenalter darueber hinaus (bis 623 131),
lediglich aus den Seinigen zu besetzen, ja in dem gefaehrlichsten
Moment, den die roemische Republik erlebt hat, in der Krise nach der
Cannensischen Schlacht, die vollkommen gesetzlich erfolgte Wahl des
nach aller Ansicht faehigsten Offiziers, des Plebejers Marcellus, zu der
durch des Patriziers Paullus Tod erledigten Konsulstelle einzig seines
Plebejertums wegen rueckgaengig zu machen. Dabei ist es freilich
charakteristisch fuer das Wesen auch dieser Reform, dass das
Vorstimmrecht nur dem Adel, nicht aber den Hoechstbesteuerten entzogen
ward, das den Ritterzenturien entzogene Vorstimmrecht nicht auf eine
etwa durch das Los aus der ganzen Buergerschaft erwaehlte Abteilung,
sondern ausschliesslich auf die erste Klasse ueberging. Diese sowie
ueberhaupt die fuenf Stufen blieben wie sie waren; nur die Grenze
nach unter, wurde wahrscheinlich in der Weise verschoben, dass der
Minimalzensus wie fuer den Dienst in der Legion so auch fuer das
Stimmrecht in den Zenturien von 11000 auf 4000 Asse herabgesetzt ward.
Ueberdies lag schon in der formeller Beibehaltung der frueheren Saetze
bei dem allgemeinen Steigen des Vermoegensstandes gewissermassen eine
Ausdehnung des Stimmrechts im demokratischen Sinn. Die Gesamtzahl der
Abteilungen blieb gleichfalls unveraendert; aber wenn bis dahin, wie
gesagt, die achtzehn Ritterzenturien und die 80 der ersten Klasse in den
193 Stimmzenturien allein die Majoritaet gehabt hatten, so wurden in der
reformierten Ordnung die Stimmen der ersten Klasse auf 70 herabgesetzt
und dadurch bewirkt, dass unter allen Umstaenden wenigstens die zweite
Stufe zur Abstimmung gelangte. Wichtiger noch und der eigentliche
Schwerpunkt der Reform war die Verbindung, in welche die neuen
Stimmabteilungen mit der Tribusordnung gesetzt wurden. Von jeher sind
die Zenturien aus den Tribus in der Weise hervorgegangen, dass wer einer
Tribus angehoerte, von dem Zensor in eine der Zenturien eingeschrieben
werden musste. Seitdem die nicht ansaessigen Buerger in die Tribus
eingeschrieben worden waren, gelangten also auch sie in die Zenturien,
und waehrend sie in den Tribusversammlungen selbst auf die vier
staedtischen Abteilungen beschraenkt waren, hatten sie in denen der
Zenturien mit den ansaessigen Buergern formell das gleiche
Recht, wenngleich wahrscheinlich die zensorische Willkuer in der
Zusammensetzung der Zenturien dazwischen trat und den in die
Landtribus eingeschriebenen Buergern das Uebergewicht auch in der
Zenturienversammlung gewaehrte. Dieses Uebergewicht wurde durch die
reformierte Ordnung rechtlich in der Weise festgestellt, dass von den 70
Zenturien der ersten Klasse jeder Tribus zwei zugewiesen wurden, demnach
die nicht ansaessigen Buerger davon nur acht erhielten; in aehnlicher
Weise muss auch in den vier anderen Stufen den ansaessigen Buergern
das Uebergewicht eingeraeumt worden sein. Im gleichen Sinne wurde die
bisherige Gleichstellung der Freigelassenen mit den Freigeborenen im
Stimmrecht in dieser Zeit beseitigt und wurden auch die ansaessigen
Freigelassenen in die vier staedtischen Tribus gewiesen. Dies geschah im
Jahre 534 (220) durch einen der namhaftesten Maenner der Reformpartei,
den Zensor Gaius Flaminius, und wurde dann von dem Zensor Tiberius
Sempronius Gracchus, dem Vater der beiden Urheber der roemischen
Revolution, fuenfzig Jahre spaeter (585 169) wiederholt und verschaerft.
Diese Reform der Zenturien, die vielleicht in ihrer Gesamtheit
ebenfalls von Flaminius ausgegangen ist, war die erste wichtige
Verfassungsaenderung, die die neue Opposition der Nobilitaet abgewann,
der erste Sieg der eigentlichen Demokratie. Der Kern derselben besteht
teils in der Beschraenkung des zensorischen Willkuerregiments, teils in
der Beschraenkung des Einflusses einerseits der Nobilitaet, anderseits
der Nichtansaessigen und der Freigelassenen, also in der Umgestaltung
der Zenturiatkomitien nach dem fuer die Tributkomitien schon geltenden
Prinzip; was sich schon dadurch empfahl, dass Wahlen, Gesetzvorschlaege,
Kriminalanklagen und ueberhaupt alle die Mitwirkung der Buergerschaft
erfordernde Angelegenheiten durchgaengig an die Tributkomitien gebracht
und die schwerfaelligeren Zenturien nicht leicht anders zusammengerufen
wurden, als wo es verfassungsmaessig notwendig oder doch ueblich war,
um die Zensoren, Konsuln und Praetoren zu waehlen und um einen
Angriffskrieg zu beschliessen. Es ward also durch diese Reform nicht
ein neues Prinzip in die Verfassung hinein, sondern ein laengst in
der praktisch haeufigeren und wichtigeren Kategorie der
Buergerschaftsversammlungen massgebendes zu allgemeiner Geltung
gebracht. Ihre wohl demokratische, aber keineswegs demagogische Tendenz
zeigt sich deutlich in ihrer Stellungnahme zu den eigentlichen
Stuetzen jeder wirklich revolutionaeren Partei, dem Proletariat und der
Freigelassenschaft. Darum darf denn auch die praktische Bedeutung dieser
Abaenderung der fuer die Urversammlungen massgebenden Stimmordnung
nicht allzu hoch angeschlagen werden. Das neue Wahlgesetz hat die
gleichzeitige Bildung eines neuen politisch privilegierten Standes nicht
verhindert und vielleicht nicht einmal wesentlich erschwert. Es ist
sicher nicht bloss Schuld der allerdings mangelhaften Ueberlieferung,
dass wir nirgend eine tatsaechliche Einwirkung der vielbesprochenen
Reform auf den politischen Verlauf der Dinge nachzuweisen vermoegen.
Innerlich haengt uebrigens mit dieser Reform noch die frueher
schon erwaehnte Beseitigung der nicht stimmberechtigten roemischen
Buergergemeinden und deren allmaehliches Aufgehen in die
Vollbuergergemeinde zusammen. Es lag in dem nivellierenden Geiste der
Fortschrittspartei, die Gegensaetze innerhalb des Mittelstandes zu
beseitigen, waehrend die Kluft zwischen Buergern und Nichtbuergern
sich gleichzeitig breiter und tiefer zog.
----------------------------------------------- ^11 Ueber die
urspruenglichen roemischen Zensussaetze ist es schwierig, etwas
Bestimmtes aufzustellen. Spaeterhin galten bekanntlich als Minimalzensus
der ersten Klasse 100000 As, wozu die Zensus der vier uebrigen Klassen
in dem (wenigstens ungefaehren) Verhaeltnis von _, «, ¬, 1/9 stehen.
Diese Saetze aber versteht bereits Polybios und verstehen alle spaeteren
Schriftsteller von dem leichten As (zu 1/10 Denar), und es scheint
hieran festgehalten werden zu muessen, wenn auch in Beziehung auf das
Voconische Gesetz dieselben Summen als schwere Asse (zu ¬ Denar) in
Ansatz gebracht werden (Geschichte des Roemischen Muenzwesens, S. 302).
Appius Claudius aber, der zuerst im Jahre 442 (312) die Zensussaetze
in Geld statt in Grundbesitz ausdrueckte, kann sich dabei nicht des
leichten As bedient haben, der erst 485 (269) aufkam. Entweder also hat
er dieselben Betraege in schweren Assen ausgedrueckt und sind diese
bei der Muenzreduktion in leichte umgesetzt worden, oder er stellte
die spaeteren Ziffern auf, und es blieben dieselben trotz der
Muenzreduktion, welche in diesem Falle eine Herabsetzung der
Klassensaetze um mehr als die Haelfte enthalten haben wuerde. Gegen
beide Annahmen lassen sich gueltige Bedenken erheben; doch scheint
die erstere glaublicher, da ein so exorbitanter Fortschritt in der
demokratischen Entwicklung weder fuer das Ende des fuenften Jahrhunderts
noch als beilaeufige Konsequenz einer bloss administrativen Massregel
wahrscheinlich ist, auch wohl schwerlich ganz aus der Ueberlieferung
verschwunden sein wuerde. 100000 leichte As oder 40000 Sesterzen koennen
uebrigens fueglich als Aequivalent der urspruenglichen roemischen
Vollhufe von vielleicht 20 Morgen angesehen werden; so dass danach
die Schatzungssaetze ueberhaupt nur im Ausdruck, nicht aber im
Wert gewechselt haben wuerden.
----------------------------------------------- Fasst man zusammen, was
von der Reformpartei dieser Zeit gewollt und erreicht ward, so hat sie
dem einreissenden Verfall, vor allem dem Einschwinden des Bauernstandes
und der Lockerung der alten, strengen und sparsamen Sitte, aber auch dem
uebermaechtigen politischen Einfluss der neuen Nobilitaet unzweifelhaft
patriotisch und energisch zu steuern sich bemueht und bis zu einem
gewissen Grade auch gesteuert. Allein man vermisst ein hoeheres
politisches Ziel. Das Missbehagen der Menge, der sittliche Unwille
der Besseren fanden wohl in dieser Opposition ihren angemessenen und
kraeftigen Ausdruck; aber man sieht weder eine deutliche Einsicht in
die Quelle des Uebels noch einen festen Plan, im grossen und ganzen zu
bessern. Eine gewisse Gedankenlosigkeit geht hindurch durch all diese
sonst so ehrenwerten Bestrebungen, und die rein defensive Haltung der
Verteidiger weissagt wenig Gutes fuer den Erfolg. Ob die Krankheit
ueberhaupt durch Menschenwitz geheilt werden konnte, bleibt billig
dahingestellt; die roemischen Reformatoren dieser Zeit aber scheinen
mehr gute Buerger als gute Staatsmaenner gewesen zu sein und den grossen
Kampf des alten Buergertums gegen den neuen Kosmopolitismus auf ihrer
Seite einigermassen unzulaenglich und spiessbuergerlich gefuehrt zu
haben. Aber wie neben der Buergerschaft der Poebel in dieser Zeit
emporkam, so trat auch schon neben die achtbare und nuetzliche
Oppositionspartei die volksschmeichelnde Demagogie. Bereits Cato kennt
das Gewerbe der Leute, die an der Redesucht kranken wie andere an der
Trink- und der Schlafsucht; die sich Zuhoerer mieten, wenn sich keine
freiwillig einfinden, und die man wie den Marktschreier anhoert, ohne
auf sie zu hoeren, geschweige denn, wenn man Hilfe braucht, sich ihnen
anzuvertrauen. In seiner derben Art schildert der Alte diese nach dem
Muster der griechischen Schwaetzer des Marktes gebildeten spassigen
und witzelnden, singenden und tanzenden, allezeit bereiten Herrchen;
zu nichts, meint er, ist so einer zu brauchen, als um sich im Zuge als
Hanswurst zu produzieren und mit dem Publikum Reden zu wechseln - fuer
ein Stueck Brot ist ihm ja das Reden wie das Schweigen feil. In der Tat,
diese Demagogen waren die schlimmsten Feinde der Reform. Wie diese vor
allen Dingen und nach allen Seiten hin auf sittliche Besserung drang, so
hielt die Demagogie vielmehr hin auf Beschraenkung der Regierungs- und
Erweiterung der Buergerschaftskompetenz. In ersterer Beziehung ist die
wichtigste Neuerung die tatsaechliche Abschaffung der Diktatur.
Die durch Quintus Fabius und seine populaeren Gegner 537 (217)
hervorgerufene Krise gab diesem von Haus aus unpopulaeren Institut den
Todesstoss. Obwohl die Regierung einmal nachher noch (538 216) unter
dem unmittelbaren Eindruck der Schlacht von Cannae einen mit aktivem
Kommando ausgestatteten Diktator ernannt hat, so durfte sie dies doch
in ruhigeren Zeiten nicht wieder wagen, und nachdem noch ein paar
Male (zuletzt 552 202), zuweilen nach vorgaengiger Bezeichnung der
zu ernennenden Person durch die Buergerschaft, ein Diktator fuer
staedtische Geschaefte eingesetzt worden war, kam dieses Amt, ohne
foermlich abgeschafft zu werden, tatsaechlich ausser Gebrauch. Damit
ging dem kuenstlich ineinander gefugten roemischen Verfassungssystem ein
fuer dessen eigentuemliche Beamtenkollegialitaet sehr wuenschenswertes
Korrektiv verloren und buesste die Regierung, von der das Eintreten der
Diktatur, das heisst die Suspension der Konsuln, durchaus und in der
Regel auch die Bezeichnung des zu ernennenden Diktators abgehangen
hatte, eines ihrer wichtigsten Werkzeuge ein - nur unvollkommen ward
dasselbe ersetzt durch die vom Senat seitdem in Anspruch genommene
Befugnis, in ausserordentlichen Faellen, namentlich bei ploetzlich
ausbrechendem Aufstand oder Krieg, den zeitigen hoechsten Beamten
gleichsam diktatorische Gewalt zu verleihen durch die Instruktion: nach
Ermessen fuer das gemeine Wohl Massregeln zu treffen, und damit einen
dem heutigen Standrecht aehnlichen Zustand herbeizufuehren. Daneben
dehnte die formelle Kompetenz des Volkes in der Beamtenernennung wie in
Regierungs-, Verwaltungs- und Finanzfragen in bedenklicher Weise
sich aus. Die Priesterschaften, namentlich die politisch wichtigsten
Kollegien der Sachverstaendigen, ergaenzten sich nach altem Herkommen
selber und ernannten selber ihre Vorsteher, soweit diese Koerperschaften
ueberhaupt Vorsteher hatten; und in der Tat war fuer diese zur
Ueberlieferung der Kunde goettlicher Dinge von Geschlecht zu Geschlecht
bestimmten Institute die einzige ihrem Geist entsprechende Wahlform die
Kooptation. Es ist darum zwar nicht von grossem politischen
Gewicht, aber bezeichnend fuer die beginnende Desorganisation der
republikanischen Ordnungen, dass in dieser Zeit (vor 542 212) zwar noch
nicht die Wahl in die Kollegien selbst, aber wohl die Bezeichnung
der Vorstaende der Curionen und der Pontifices aus dem Schosse dieser
Koerperschatten von den Kollegien auf die Gemeinde ueberging; wobei
ueberdies noch, mit echt roemischer formaler Goetterfurcht, um ja nichts
zu versehen, nur die kleinere Haelfte der Bezirke, also nicht das
"Volk" den Wahlakt vollzog. Von groesserer Bedeutung war das zunehmende
Eingreifen der Buergerschaft in persoenliche und sachliche Fragen aus
dem Kreise der Militaerverwaltung und der aeusseren Politik. Hierher
gehoert der Uebergang der Ernennung der ordentlichen Stabsoffiziere vom
Feldherrn auf die Buergerschaft, dessen schon gedacht ward; hierher
die Wahlen der Fuehrer der Opposition zu Oberfeldherren gegen Hannibal;
hierher der verfassungs- und vernunftwidrige Buergerschaftsbeschluss
von 537 (217), wodurch das hoechste Kommando zwischen dem unpopulaeren
Generalissimus und seinem populaeren und ihm im Lager wie daheim
opponierenden Unterfeldherrn geteilt ward; hierher das gegen einen
Offizier wie Marcellus vor der Buergerschaft verfuehrte tribunizische
Gequengel wegen unverstaendiger und unredlicher Kriegfuehrung (545 209),
welches denselben doch schon noetigte, aus dem Lager nach der Hauptstadt
zu kommen und sich wegen seiner militaerischen Befaehigung vor dem
Publikum der Hauptstadt auszuweisen; hierher die noch skandaloeseren
Versuche, dem Sieger von Pydna durch Buergerschaftsbeschluss den
Triumph abzuerkennen; hierher die allerdings wohl vom Senat veranlasste
Bekleidung eines Privatmanns mit ausserordentlicher konsularischer
Amtsgewalt (544 210); hierher die bedenkliche Drohung Scipios, den
Oberbefehl in Afrika, wenn der Senat ihm denselben verweigere, sich von
der Buergerschaft bewilligen zu lassen (549 205); hierher der Versuch
eines vor Ehrgeiz. halb naerrischen Menschen, der Buergerschaft
wider Willen der Regierung eine in jeder Hinsicht ungerechtfertigte
Kriegserklaerung gegen die Rhodier zu entreissen (587 167); hierher
das neue staatsrechtliche Axiom, dass jeder Staatsvertrag erst durch
Ratifikation der Gemeinde vollgueltig werde. Dieses Mitregieren und
Mitkommandieren der Buergerschaft war in hohem Grade bedenklich, aber
weit bedenklicher noch ihr Eingreifen in das Finanzwesen der Gemeinde;
nicht bloss, weil die Macht des Senats in der Wurzel getroffen wurde
durch jeden Angriff auf das aelteste und wichtigste Recht der Regierung:
die ausschliessliche Verwaltung des Gemeindevermoegens, sondern weil
die Unterstellung der wichtigsten hierher gehoerigen Angelegenheit,
der Aufteilung der Gemeindedomaenen, unter die Urversammlungen der
Buergerschaft mit Notwendigkeit der Republik ihr Grab grub. Die
Urversammlung aus dem Gemeingut unbeschraenkt in den eigenen Beutel
hineindekretieren zu lassen, ist reicht bloss verkehrt, sondern der
Anfang vom Ende; es demoralisiert die bestgesinnte Buergerschaft und
gibt dem Antragsteller eine mit keinem freien Gemeinwesen vertraegliche
Macht. Wie heilsam auch die Aufteilung des Gemeinlandes und wie
zwiefachen Tadels darum der Senat wert war, indem er es unterliess,
durch freiwillige Aufteilung des okkupierten Landes dies gefaehrlichste
aller Agitationsmittel abzuschneiden, so hat doch Gaius Flaminius, indem
er mit dem Antrag auf Aufteilung der picenischen Domaenen im Jahre
522 (232) an die Buergerschaft ging, durch das Mittel ohne Zweifel dem
Gemeinwesen mehr geschadet, als durch den Zweck ihm genuetzt. Wohl hatte
zweihundertundfuenfzig Jahre zuvor Spurius Cassius dasselbe beantragt;
aber die beiden Massregeln, wie genau sie auch dem Buchstaben nach
zusammenstimmten, waren dennoch insofern voellig verschieden, als
Cassius eine Gemeindesache an die lebendige und noch sich selber
regierende Gemeinde, Flaminius eine Staatsfrage an die Urversammlung
eines grossen Staates brachte. Mit vollem Recht betrachtete nicht etwa
bloss die Regierungs-, sondern auch die Reformpartei das militaerische,
administrative und finanzielle Regiment als legitime Domaene des Senats
und huetete sie sich wohl, von der formellen Macht der innerlich in
unabwendbarer Aufloesung begriffenen Urversammlungen vollen Gebrauch zu
machen, geschweige denn sie zu steigern. Wenn nie, selbst nicht in der
beschraenktesten Monarchie, dem Monarchen eine so voellig nichtige Rolle
zugefallen ist, wie sie dem souveraenen roemischen Volke zugeteilt ward,
so war dies zwar in mehr als einer Hinsicht zu bedauern, aber bei
dem dermaligen Stande der Komitialmaschine auch nach der Ansicht
der Reformfreunde eine Notwendigkeit. Darum haben Cato und seine
Gesinnungsgenossen nie eine Frage an die Buergerschaft gebracht, welche
in das eigentliche Regiment eingegriffen haette, niemals die von ihnen
gewuenschten politischen oder finanziellen Massregeln, wie zum Beispiel
die Kriegserklaerung gegen Karthago und die Ackerauslegungen, mittelbar
oder unmittelbar durch Buergerschaftsbeschluss dem Senat abgezwungen.
Die Regierung des Senats mochte schlecht sein; die Urversammlungen
konnten nicht regieren. Nicht als haette in ihnen eine boeswillige
Majoritaet vorgeherrscht; im Gegenteil fand das Wort eines angesehenen
Mannes, fand der laute Ruf der Ehre und der lautere der Not in der Regel
in den Komitien noch Gehoer und wendete die aeussersten Schaedigungen
und Schaendlichkeiten ab - die Buergerschaft, vor der Marcellus sich
verantwortete, liess den Anklaeger schimpflich durchfallen und waehlte
den Angeklagten zum Konsul fuer das folgende Jahr; auch von der
Notwendigkeit des Krieges gegen Philippos liess die Versammlung sich
ueberzeugen, endigte den Krieg gegen Perseus durch die Wahl des Paullus
und bewilligte diesem den wohlverdienten Triumph. Aber zu solchen
Wahlen und solchen Beschluessen bedurfte es doch schon eines besonderen
Aufschwungs; durchgaengig folgte die Masse willenlos dem naechsten
Impulse, und Unverstand und Zufall entschieden. Im Staate wie in
jedem Organismus ist das Organ, welches nicht mehr wirkt, schon auch
schaedlich; auch die Nichtigkeit der souveraenen Volksversammlung
schloss keine geringe Gefahr ein. Jede Minoritaet im Senat konnte der
Majoritaet gegenueber verfassungsmaessig an die Komitien appellieren.
Jedem einzelnen Manne, der die leichte Kunst besass, unmuendigen Ohren
zu predigen oder auch nur Geld wegzuwerfen, war ein Weg eroeffnet, um
sich eine Stellung zu verschaffen oder einen Beschluss zu erwirken,
denen gegenueber Beamte und Regierung formell gehalten waren zu
gehorchen. Daher denn jene Buergergenerale, gewohnt, im Weinhaus
Schlachtplaene auf den Tisch zu zeichnen und kraft ihres angeborenen
strategischen Genies mitleidig auf den Gamaschendienst herabzusehen;
daher jene Stabsoffiziere, die ihr Kommando dem hauptstaedtischen
Aemterbettel verdankten und, wenn es einmal Ernst galt, vor allen Dingen
in Masse verabschiedet werden mussten - und daher die Schlachten am
Trasimenischen See und bei Cannae und die schimpfliche Kriegfuehrung
gegen Perseus. Auf Schritt und Tritt ward die Regierung durch jene
unberechenbaren Buergerschaftsbeschluesse gekreuzt und beirrt, und
begreiflicherweise eben da am meisten, wo sie am meisten in ihrem guten
Recht war. Aber die Schwaechung der Regierung und der Gemeinde
selbst waren noch die geringere unter den aus dieser Demagogie sich
entwickelnden Gefahren. Unmittelbarer noch draengte unter der Aegide der
verfassungsmaessigen Rechte der Buergerschaft die faktioese Gewalt der
einzelnen Ehrgeizigen sich empor. Was formell als Wille der hoechsten
Autoritaet im Staate auftrat, war der Sache nach sehr oft nichts als
das persoenliche Belieben des Antragstellers; und was sollte werden aus
einem Gemeinwesen, in welchem Krieg und Frieden, Ernennung und Absetzung
des Feldherrn und der Offiziere, die gemeine Kasse und das gemeine Gut
von den Launen der Menge und ihrer zufaelligen Fuehrer abhingen? Das
Gewitter war noch nicht ausgebrochen; aber dicht und dichter ballten die
Wolken sich zusammen und einzelne Donnerschlaege rollten bereits durch
die schwuele Luft. Dabei trafen in zwiefach bedenklicher Weise die
scheinbar entgegengesetztesten Richtungen in ihren aeussersten Spitzen
sowohl hinsichtlich der Zwecke wie hinsichtlich der Mittel zusammen.
In der Poebelklientel und dem Poebelkultus machten Familienpolitik und
Demagogie sich eine gleichartige und gleich gefaehrliche Konkurrenz.
Gaius Flaminius galt den Staatsmaennern der folgenden Generation als der
Eroeffner derjenigen Bahn, aus welcher die Gracchischen Reformen und -
setzen wir hinzu - weiterhin die demokratisch-monarchische Revolution
hervorging. Aber auch Publius Scipio, obwohl tonangebend in der Hoffart,
der Titeljagd, der Klientelmacherei der Nobilitaet, stuetzte sich in
seiner persoenlichen und fast dynastischen Politik gegen den Senat auf
die Menge, die er nicht bloss durch den Schimmer seiner Individualitaet
bezauberte, sondern auch durch seine Kornsendungen bestach, auf die
Legionen, deren Gunst er durch rechte und unrechte Mittel sich erwarb,
und vor allen Dingen auf die ihm persoenlich anhaengende hohe und
niedere Klientel - nur die traeumerische Unklarheit, auf welcher der
Reiz wie die Schwaeche dieses merkwuerdigen Mannes grossenteils beruht,
liessen ihn aus dem Glauben: nichts zu sein noch sein zu wollen als
der erste Buerger von Rom, nicht oder doch nicht voellig erwachen. Die
Moeglichkeit einer Reform zu behaupten, wuerde ebenso verwegen sein,
wie sie zu leugnen; dass eine durchgreifende Verbesserung des Staats an
Haupt und Gliedern dringendes Beduerfnis war und dass von keiner Seite
dazu ein ernstlicher Versuch gemacht ward, ist gewiss. Zwar im einzelnen
geschah von seiten des Senats wie von seiten der buergerschaftlichen
Opposition mancherlei. Dort wie hier waren die Majoritaeten noch
wohlgesinnt und boten ueber den Riss weg, der die Parteien trennte,
noch haeufig sich die Haende, um gemeinschaftlich die schlimmsten
Uebelstaende zu beseitigen. Aber da man die Quellen nicht verstopfte,
so half es wenig, dass die besseren Maenner mit Besorgnis auf das dumpfe
Tosen der anschwellenden Flut lauschten und an Deichen und Daemmen
arbeiteten. Indem auch sie sich mit Palliativen begnuegten und selbst
diese, namentlich eben die wichtigsten, wie die Verbesserung der Justiz
und die Aufteilung des Domaniallandes, nicht rechtzeitig und umfaenglich
genug anwandten, halfen sie mit dazu, den Nachkommen eine boese Zukunft
zu bereiten. Indem sie versaeumten, den Acker umzubrechen waehrend es
Zeit war, zeitigten Unkraut auch, die es nicht saeten. Den spaeteren
Geschlechtern, die die Stuerme der Revolution erlebten, erschien die
Zeit nach dem Hannibalischen Kriege als die goldene Roms und Cato als
das Muster des roemischen Staatsmanns. Es war vielmehr die Windstille
vor dem Sturm und die Epoche der politischen Mittelmaessigkeiten, eine
Zeit wie die des Walpoleschen Regiments in England; und kein Chatham
fand sich in Rom, der die stockenden Adern der Nation wieder in frische
Wallung gebracht haette. Wo man den Blick hinwendet, klaffen in dem
alten Bau Risse und Spalten; man sieht die Arbeiter geschaeftig, bald
sie zu verstreichen, bald sie zu erweitern; von Vorbereitungen aber zu
einem ernstlichen Um- oder Neubau gewahrt man nirgend eine Spur, und
es fragt sich nicht mehr, ob, sondern nur noch, wann das Gebaeude
einstuerzen wird. In keiner Epoche ist die roemische Verfassung formell
so stabil geblieben wie in der vom Sizilischen Kriege bis auf den
Dritten Makedonischen und noch ein Menschenalter darueber hinaus; aber
die Stabilitaet der Verfassung war hier wie ueberall nicht ein Zeichen
der Gesundheit des Staats, sondern der beginnenden Erkrankung und der
Vorbote der Revolution. 12. Kapitel Boden- und Geldwirtschaft Wie mit
dem sechsten Jahrhundert der Stadt zuerst eine einigermassen pragmatisch
zusammenhaengende Geschichte derselben moeglich wird, so treten auch
in dieser Zeit zuerst die oekonomischen Zustaende mit groesserer
Bestimmtheit und Anschaulichkeit hervor. Zugleich stellt die
Grosswirtschaft im Ackerbau wie im Geldwesen in ihrer spaeteren Weise
und Ausdehnung jetzt zuerst sich fest, ohne dass sich genau scheiden
liesse, was darin auf aelteres Herkommen, was auf Nachahmung der Boden-
und Geldwirtschaft der frueher zivilisierten Nationen, namentlich
der Phoeniker, was auf die steigende Kapitalmasse und die steigende
Intelligenz der Nation zurueckgeht. Zur richtigen Einsicht in die innere
Geschichte Roms wird es beitragen, diese wirtschaftlichen Verhaeltnisse
hier zusammenfassend zu schildern. Die Bodenwirtschaft ^1 war entweder
Guts- oder Weide- oder Kleinwirtschaft, wovon die erste in der von Cato
entworfenen Schilderung uns mit grosser Anschaulichkeit entgegentritt.
------------------------------------------------ ^1 Um uebrigens von dem
alten Italien ein richtiges Bild zu gewinnen, ist es notwendig, sich
zu erinnern, welche grossen Veraenderungen auch hier durch die neuere
Kultur entstanden sind. Von den Getreidearten ward im Altertum Roggen
nicht gebaut und des als Unkraut wohlbekannten Hafers sah man in der
Kaiserzeit mit Verwunderung die Deutschen sich zum Brei bedienen. Der
Reis ward in Italien zuerst am Ende des fuenfzehnten, der Mais daselbst
zuerst am Anfang des siebzehnten Jahrhunderts kultiviert. Die Kartoffeln
und Tomaten stammen aus Amerika; die Artischocken scheinen nichts
als eine durch Kultur entstandene Varietaet der den Roemern bekannten
Cardonen, aber doch in ihrer Eigentuemlichkeit neueren Ursprungs zu
sein. Die Mandel dagegen oder die "griechische Nuss", der Pfirsich oder
die "persische", auch die "weiche Nuss" (nux mollusca) sind zwar Italien
urspruenglich fremd, aber begegnen wenigstens schon hundertfuenfzig
Jahre vor Christus. Die Dattelpalme, in Italien aus Griechenland, wie
in Griechenland aus dem Orient eingefuehrt und ein lebendiger Zeuge
des uralten kommerziell-religioesen Verkehrs des Okzidents mit den
Orientalen, ward in Italien bereits dreihundert Jahre vor Christus
gezogen (Liv. 10, 47; Pallad. 5, 5, 2; 11, 12, 1), nicht der Fruechte
wegen (Plin. nat. 13, 4, 26), sondern eben wie heutzutage, als
Prachtgewaechs und um der Blaetter bei oeffentlichen Festlichkeiten
sich zu bedienen. Juenger ist die Kirsche oder die Frucht von Kerasus am
Schwarzen Meer, die erst in der ciceronischen Zeit in Italien gepflanzt
zu werden anfing, obwohl der wilde Kirschbaum daselbst einheimisch ist;
noch juenger vielleicht die Aprikose oder die "armenische Pflaume".
Der Zitronenbaum ward erst in der spaeteren Kaiserzeit in Italien
kultiviert; die Orange kam gar erst durch die Mauren im zwoelften oder
dreizehnten Jahrhundert dahin, ebenso erst im sechzehnten von Amerika
die Aloe (Agave americana). Die Baumwolle ist in Europa zuerst von
Arabern gebaut worden. Auch der Bueffel und der Seidenwurm sind nur dem
neuen, nicht dem alten Italien eigen. Wie man sieht, sind die mangelnden
grossenteils eben diejenigen Produkte, die uns recht "italienisch"
scheinen; und wenn das heutige Deutschland, verglichen mit demjenigen,
welches Caesar betrat, ein suedliches Land genannt werden kann, so ist
auch Italien in nicht minderem Grade seitdem "suedlicher" geworden.
Die roemischen Landgueter waren, als groesserer Grundbesitz betrachtet,
durchgaengig von beschraenktem Umfang. Das von Cato beschriebene hatte
ein Areal von 240 Morgen; ein sehr gewoehnliches Mass war die sogenannte
Centuria von 200 Morgen. Wo die muehsame Rebenzucht betrieben ward,
wurde die Wirtschaftseinheit noch kleiner gemacht; Cato setzt fuer
diesen Fall einen Flaecheninhalt von 100 Morgen voraus. Wer mehr Kapital
in die Landwirtschaft stecken wollte, vergroesserte nicht sein Gut,
sondern erwarb mehrere Gueter; wie denn wohl schon der Maximalsatz des
Okkupationsbesitzes von 500 Morgen als Inbegriff von zwei oder
drei Landguetern gedacht worden ist.
------------------------------------------------ Vererbpachtung ist der
italischen Privat- wie der roemischen Gemeindewirtschaft fremd; nur bei
den abhaengigen Gemeinden kam sie vor. Verpachtung auf kuerzere Zeit,
sowohl gegen eine feste Geldsumme als auch in der Art, dass der Paechter
alle Betriebskosten trug und dafuer einen Anteil, in der Regel wohl die
Haelfte der Fruechte, empfing ^2, war nicht unbekannt, aber Ausnahme und
Notbehelf; ein eigener Paechterstand hat sich deshalb in Italien nicht
gebildet ^3. Regelmaessig leitete also der Eigentuemer selber den
Betrieb seiner Gueter; indes wirtschaftete er nicht eigentlich
selbst, sondern erschien nur von Zeit zu Zeit auf dem Gute, um den
Wirtschaftsplan festzustellen, die Ausfuehrung zu beaufsichtigen und
seinen Leuten die Rechnung abzunehmen, wodurch es ihm moeglich ward,
teils eine Anzahl Gueter gleichzeitig zu nutzen, teils sich
nach Umstaenden den Staatsgeschaeften zu widmen.
--------------------------------------------- ^2 Nach Cato (agr. 137,
vgl. 16) wird bei der Teilpacht der Bruttoertrag des Gutes, nach Abzug
des fuer die Pflugstiere benoetigten Futters, zwischen Verpaechter und
Paechter (colonus partiarius) zu den zwischen ihnen ausgemachten Teilen
geteilt. Dass die Teile in der Regel gleich waren, laesst die Analogie
des franzoesischen bail a cheptel und der aehnlichen italienischen
Pachtung auf halb und halb sowie die Abwesenheit jeder Spur anderer
Quotenteilung vermuten. Denn unrichtig hat man den politor, der das
fuenfte Korn, oder, wenn vor dem Dreschen geteilt wird, den sechsten bis
neunten Aehrenkorb erhaelt (Cato agr. 136, vgl. 5), hierher gezogen;
er ist nicht Teilpaechter, sondern ein in der Erntezeit angenommener
Arbeiter, der seinen Tagelohn durch jenen Gesellschaftsvertrag erhaelt.
^3 Eigentliche Bedeutung hat die Pacht erst gewonnen, als die roemischen
Kapitalisten anfingen, ueberseeische Besitzungen in grossem Umfang zu
erwerben; wo man es denn auch zu schaetzen wusste, wenn eine
Zeitpacht durch mehrere Generationen fortging (Colum. 1, 7, 3).
------------------------------------------------------- Von Getreide
wurden namentlich Spelt und Weizen, auch Gerste und Hirse gebaut;
daneben Rueben, Rettiche, Knoblauch, Mohn und, besonders zum Viehfutter,
Lupinen, Bohnen, Erbsen, Wicken und andere Futterkraeuter. In der
Regel ward im Herbst, nur ausnahmsweise im Fruehjahr gesaet. Fuer die
Bewaesserung und Entwaesserung war man sehr taetig und zum Beispiel die
Drainage durch geblendete Graeben frueh im Gebrauch. Auch Wiesen zur
Heugewinnung fehlten nicht und schon zu Catos Zeit wurden sie
haeufig kuenstlich berieselt. Von gleicher, wo nicht von groesserer
wirtschaftlicher Bedeutung als Korn und Kraut waren der Oelbaum und
der Rebstock, von denen jener zwischen die Saaten, dieser fuer sich auf
eigenen Weinbergen gepflanzt ward ^4. Auch Feigen-, Apfel-, Birn- und
andere Fruchtbaeume wurden gezogen und ebenso, teils zum Holzschlag,
teils wegen des zur Streu und zum Viehfutter nuetzlichen Laubes,
Ulmen, Pappeln und andere Laubbaeume und Buesche. Dagegen hat bei den
Italikern, bei denen durchgaengig Vegetabilien, Fleischspeisen nur
ausnahmsweise und dann fast nur Schweine- und Lammfleisch auf den Tisch
kamen, die Viehzucht eine weit geringere Rolle gespielt als in der
heutigen Oekonomie. Obwohl man den oekonomischen Zusammenhang des
Ackerbaus und der Viehzucht und namentlich die Wichtigkeit der
Duengerproduktion nicht verkannte, so war doch die heutige Verbindung
von Acker- und Viehwirtschaft dem Altertum fremd. An Grossvieh ward nur
gehalten, was zur Bestellung des Ackers erforderlich war, und dasselbe
nicht auf eigenem Weideland, sondern im Sommer durchaus und meistens
auch im Winter im Stall gefuettert. Dagegen wurden auf die Stoppelweide
Schafe aufgetrieben, von denen Cato 100 Stueck auf 240 Morgen rechnet;
haeufig indes zog der Eigentuemer es vor, die Winterweide an einen
grossen Herdenbesitzer in Pacht zu geben oder auch seine Schafherde
einem Teilpaechter gegen Ablieferung einer bestimmten Anzahl von
Laemmern und eines gewissen Masses von Kaese und Milch zu ueberlassen.
Schweine - Cato rechnet auf das groessere Landgut zehn Staelle -,
Huehner, Tauben wurden auf dem Hofe gehalten und nach Beduerfnis
gemaestet, auch, wo Gelegenheit dazu war, eine kleine Hasenschonung und
ein Fischkasten eingerichtet - die bescheidenen Anfaenge der spaeter
so unermesslich sich ausdehnenden Wild- und Fischhegung und Zuechtung.
----------------------------------------------------- ^4 Dass zwischen
den Rebstoecken kein Getreide gebaut ward, sondern hoechstens leicht im
Schatten fortkommende Futterkraeuter, geht aus Cato (agr. 33, vgl. 137)
hervor; und darum rechnet auch Columella (3, 3) bei dem Weinberg keinen
anderen Nebengewinn als den Ertrag der verkauften Ableger. Dagegen die
Baumpflanzung (arbustum) wird wie jedes Getreidefeld besaet (Colum. 2,
9, 6). Nur wo der Wein an lebendigen Baeumen gezogen wird, baut man
auch zwischen diesen Getreide.
----------------------------------------------------- Die Feldarbeit
ward beschafft mit Ochsen, die zum Pfluegen, und Eseln, die besonders
zum Duengerschleppen und zum Treiben der Muehle verwandt wurden; auch
ward wohl noch, wie es scheint fuer den Herrn, ein Pferd gehalten. Man
zog diese Tiere nicht auf dem Gut, sondern kaufte sie; durchgaengig
waren wenigstens Ochsen und Pferde verschnitten. Auf das Gut von 100
Morgen rechnet Cato ein, auf das von 240 drei Joch Ochsen, ein juengerer
Landwirt Saserna auf 200 Morgen zwei Joch; Esel wurden nach Catos
Anschlag fuer das kleinere Grundstueck drei, fuer das groessere vier
erfordert. Die Menschenarbeit ward regelmaessig durch Sklaven beschafft.
An der Spitze der Gutssklavenschaft (familia rustica) stand der
Wirtschafter (vilicus, von villa), der einnimmt und ausgibt, kauft
und verkauft, die Instruktionen des Herrn entgegennimmt und in dessen
Abwesenheit anordnet und straft. Unter ihm stehen die Wirtschafterin
(vilica), die Haus, Kueche und Speisekammer, Huehnerhof und Taubenschlag
besorgt; eine Anzahl Pflueger (bubulci) und gemeiner Knechte, ein
Eseltreiber, ein Schweine- und, wo es eine Schafherde gab,
ein Schafhirt. Die Zahl schwankte natuerlich je nach der
Bewirtschaftungsweise. Auf ein Ackergut von 200 Morgen ohne
Baumpflanzungen werden zwei Pflueger und sechs Knechte, auf ein gleiches
mit Baumpflanzungen zwei Pflueger und neun Knechte, auf ein Gut von 240
Morgen mit Olivenpflanzungen und Schafherde drei Pflueger, fuenf Knechte
und drei Hirten gerechnet. Fuer den Weinberg brauchte man natuerlich
mehr Arbeitskraefte: auf ein Gut von 100 Morgen mit Rebpflanzungen
kommen ein Pflueger, elf Knechte und zwei Hirten. Der Wirtschafter stand
natuerlich freier als die uebrigen Knechte; die Magonischen Buecher
rieten, ihm Ehe, Kinderzeugung und eigene Kasse zu gestatten, und Cato,
ihn mit der Wirtschafterin zu verheiraten; er allein wird auch Aussicht
gehabt haben, im Fall des Wohlverhaltens von dem Herrn die Freiheit zu
erlangen. Im uebrigen bildeten alle einen gemeinschaftlichen Hausstand.
Die Knechte wurden eben wie das Grossvieh nicht auf dem Gut gezogen,
sondern in arbeitsfaehigem Alter auf dem Sklavenmarkt gekauft, auch
wohl, wenn sie durch Alter oder Krankheit arbeitsunfaehig geworden
waren, mit anderem Ausschuss wieder auf den Markt geschickt ^5. Das
Wirtschaftsgebaeude (villa rustica) war zugleich Stallung fuer das
Vieh, Speicher fuer die Fruechte und Wohnung des Wirtschafters wie der
Knechte; wogegen fuer den Herrn haeufig auf dem Gut ein abgesondertes
Landhaus (villa urbana) eingerichtet war. Ein jeder Sklave, auch der
Wirtschafter selbst, erhielt seine Beduerfnisse auf Rechnung des
Herrn in gewissen Fristen nach festen Saetzen geliefert, womit er dann
auszukommen hatte; so Kleider und Schuhzeug, die auf dem Markte gekauft
wurden und von denen die Empfaenger nur die Instandhaltung selber
beschafften; so monatlich eine Quantitaet Weizen, die jeder selbst zu
mahlen hatte, ferner Salz, Zukost - Oliven oder Salzfisch -, Wein und
Oel. Die Quantitaet richtete sich nach der Arbeit, weshalb zum Beispiel
der Wirtschafter, der leichtere Arbeit hat als die Knechte, knapperes
Mass als diese empfing. Alles Backen und Kochen besorgte die
Wirtschafterin und alle assen gemeinschaftlich dieselbe Kost. Es war
nicht Regel, die Sklaven zu fesseln; wer aber Strafe verwirkt hatte oder
einen Entweichungsversuch befuerchten liess, ward angeschlossen auf
die Arbeit geschickt und des Nachts in den Sklavenkerker gesperrt ^6.
Regelmaessig reichten diese Gutssklaven hin; im Notfall halfen, wie sich
von selbst versteht, die Nachbarn mit ihren Sklaven gegen Tagelohn einer
dem andern aus. Fremde Arbeiter wurden sonst fuer gewoehnlich nicht
verwandt, ausser in besonders ungesunden Gegenden, wo man es vorteilhaft
fand, den Sklavenstand zu beschraenken und dafuer gemietete Leute zu
verwenden, und zur Einbringung der Ernte, fuer welche die stehenden
Arbeitskraefte nirgend genuegten. Bei der Korn- und Heuernte nahm
man gedungene Schnitter hinzu, die oft an Lohnes Statt von ihrem
Eingebrachten die sechste bis neunte Garbe oder, wenn sie auch droschen,
das fuenfte Korn empfingen - so zum Beispiel gingen jaehrlich umbrische
Arbeiter in grosser Zahl in das Tal von Rieti, um hier die Ernte
einbringen zu helfen. Die Trauben- und Olivenernte ward in der Regel
einem Unternehmer in Akkord gegeben, welcher durch seine Mannschaften,
gedungene Freie oder auch fremde oder eigene Sklaven, unter Aufsicht
einiger vom Gutsbesitzer dazu angestellter Leute das Lesen und Pressen
besorgte und den Ertrag an den Herrn ablieferte ^7; sehr haeufig
verkaufte auch der Gutsbesitzer die Ernte auf dem Stock oder Zweig
und liess den Kaeufer die Einbringung besorgen.
--------------------------------------------- ^5 Mago oder sein
Uebersetzer (bei Varro tust. 1, 17, 3) raet, die Sklaven nicht zu
zuechten, sondern nicht juenger als zweiundzwanzigjaehrig zu kaufen; und
ein aehnliches Verfahren muss auch Cato im Sinn gehabt haben, wie der
Personalbestand seiner Musterwirtschaft deutlich beweist, obwohl er es
nicht geradezu sagt. Den Verkauf der alten und kranken Sklaven raet Cato
(agr. 2) ausdruecklich an. Die Sklavenzuechtung, wie sie Columella (1,
8) beschreibt, wobei die Sklavinnen, welche drei Soehne haben, von der
Arbeit befreit, die Muetter von vier Soehnen sogar freigelassen
werden, ist wohl mehr eine selbstaendige Spekulation als ein Teil
des regelmaessigen Gutsbetriebes, aehnlich wie das von Cato selbst
betriebene Geschaeft, Sklaven zur Abrichtung und zum Wiederverkauf
aufzukaufen (Plut. Cato mai. 21). Die ebendaselbst erwaehnte
charakteristische Besteuerung bezieht sich wohl auf die eigentliche
Dienerschaft (familia urbana). ^6 In dieser Beschraenkung ist die
Fesselung der Sklaven und selbst der Haussoehne (Dion. Hal. 2, 26)
uralt; und also als Ausnahme erscheinen auch bei Cato die gefesselten
Feldarbeiter, denen, da sie nicht selbst mahlen koennen, statt des
Kornes Brot verabreicht werden muss (56). Sogar in der Kaiserzeit tritt
die Fesselung der Sklaven durchgaengig noch auf als eine definitiv
von dem Herrn, provisorisch von dem Wirtschafter zuerkannte Bestrafung
(Colum. 1, 8; Gaius inst. 1, 13; Ulp. reg. 1, 11). Wenn dennoch die
Bestellung der Felder durch gefesselte Sklaven in spaeterer Zeit als
eigenes Wirtschaftssystem vorkommt und der Arbeiterzwinger (ergastulum),
ein Kellergeschoss mit vielen aber schmalen und nicht vom Boden aus
mit der Hand zu erreichenden Fensteroeffnungen (Colum. 1, 6), ein
notwendiges Stueck des Wirtschaftsgebaeudes wird, so vermittelt sich
dies dadurch, dass die Lage der Gutssklaven haerter war als die der
uebrigen Knechte und darum vorwiegend diejenigen Sklaven dazu genommen
wurden, welche sich vergangen hatten oder zu haben schienen. Dass
grausame Herren uebrigens auch ohne jeden Anlass die Fesselung eintreten
liessen, soll damit nicht geleugnet werden und liegt auch klar darin
angedeutet, dass die Rechtsbuecher die den Verbrechersklaven treffenden
Nachteile nicht ueber die Gefesselten, sondern die Strafe halber
Gefesselten verhaengen. Ganz ebenso stand es mit der Brandmarkung; sie
sollte eigentlich Strafe sein; aber es wurde auch wohl die ganze Herde
gezeichnet (Diod. 35, 5; J. Bernays, Ueber das Phokylideische Gedicht.
Berlin 1856, S. XXXI). ^7 Von der Weinlese sagt dies Cato nicht
ausdruecklich wohl aber Varro (rust. 1, 17), und es liegt auch in
der Sache. Es waere oekonomisch fehlerhaft gewesen, den Stand der
Gutssklavenschaft nach dem Mass der Erntearbeiten einzurichten, und am
wenigsten wuerde man, wenn es dennoch geschehen waere, die Trauben
auf dem Stock verkauft haben, was doch haeufig vorkam (Cato agr. 147).
--------------------------------------------------- Die ganze
Wirtschaft ist durchdrungen von der unbedingten Ruecksichtslosigkeit
der Kapitalmacht. Knecht und Vieh stehen auf einer Linie; ein guter
Kettenhund, heisst es bei einem roemischen Landwirt, muss nicht zu
freundlich gegen seine "Mitsklaven" sein. Man naehrt gehoerig den
Knecht wie den Stier, solange sie arbeiten koennen, weil es nicht
wirtschaftlich waere, sie hungern zu lassen; und man verkauft sie wie
die abgaengige Pflugschar, wenn sie arbeitsunfaehig geworden sind, weil
es ebenfalls nicht wirtschaftlich waere, sie laenger zu behalten.
In aelterer Zeit hatten religioese Ruecksichten auch hier mildernd
eingegriffen und den Knecht wie den Pflugstier an den gebotenen Fest-
und Rasttagen ^8 von der Arbeit entbunden; nichts ist bezeichnender fuer
den Geist Catos und seiner Gesinnungsgenossen als die Art, wie sie die
Heiligung des Feiertags dem Buchstaben nach einschaerften und der Sache
nach umgingen, naemlich anrieten, den Pflug an jenen Tagen allerdings
ruhen zu lassen, aber mit anderen nicht ausdruecklich verpoenten
Arbeiten auch an diesen Tagen die Sklavenschaft rastlos zu
beschaeftigen. Grundsaetzlich ward ihr keinerlei freie Regung gestattet
- der Sklave, lautet einer von Catos Wahrspruechen, muss entweder
arbeiten oder schlafen -, und durch menschliche Beziehungen die Knechte
an das Gut oder an den Herrn zu knuepfen, ward nicht einmal versucht.
Der Rechtsbuchstabe waltete in unverhuellter Scheusslichkeit, und man
machte sich keine Illusionen ueber die Folgen. "Soviel Sklaven, soviel
Feinde", sagt ein roemisches Sprichwort. Es war ein oekonomischer
Grundsatz, Spaltungen innerhalb der Sklavenschaft eher zu hegen als zu
unterdruecken; in demselben Sinne warnten schon Platon und Aristoteles
und nicht minder das Orakel der Ackerwirte, der Karthager Mago,
davor, Sklaven gleicher Nationalitaet zusammenzubringen, um
nicht landsmannschaftliche Verbindungen und vielleicht Komplotte
herbeizufuehren. Es ward, wie schon gesagt, die Sklavenschaft von
den Gutsherren ganz ebenso regiert, wie die roemische Gemeinde die
Untertanenschaften regierte in den "Landguetern des roemischen Volkes",
den Provinzen; und die Welt hat es empfunden, dass der herrschende Staat
sein neues Regierungs- nach dem Sklavenhaltersystem entwickelte. Wenn
man uebrigens sich zu jener wenig beneidenswerten Hoehe des Denkens
emporgeschwungen hat, wo in der Wirtschaft durchaus nichts gilt als das
darin steckende Kapital, so kann man der roemischen Gutswirtschaft das
Lob der Folgerichtigkeit, Taetigkeit, Puenktlichkeit, Sparsamkeit und
Soliditaet nicht versagen. Der kernige, praktische Landmann spiegelt
sich in der Catonischen Schilderung des Wirtschafters, wie er sein soll,
der zuerst im Hofe auf und zuletzt im Bette ist, der streng gegen sich
ist wie gegen seine Leute und vor allem die Wirtschafterin in Respekt
zu halten weiss, aber auch die Arbeiter und das Vieh, insbesondere den
Pflugstier wohl versorgt, der oft und bei jeder Arbeit mit anfasst, aber
sich nie wie ein Knecht muede arbeitet, der stets zu Hause ist,
nicht borgt noch verborgt, keine Gastereien gibt, um keinen anderen
Gottesdienst als um den der eignen Haus- und Feldgoetter sich kuemmert
und als rechter Sklave allen Verkehr mit den Goettern wie mit den
Menschen dem Herrn anheimstellt, der endlich vor allen Dingen demselben
bescheiden begegnet und den von ihm empfangenen Instruktionen, ohne zu
wenig und ohne zu viel zu denken, getreulich und einfach nachlebt. Der
ist ein schlechter Landmann, heisst es anderswo, der das kauft, was er
auf seinem Gute erzeugen kann; ein schlechter Hausvater, welcher bei
Tage vornimmt, was bei Licht sich beschaffen laesst, es sei denn, dass
das Wetter schlecht ist; ein noch schlechterer, welcher am Werkeltag
tut, was am Feiertag getan werden kann; der schlechteste von allen aber
der, welcher bei gutem Wetter zu Hause statt im Freien arbeiten laesst.
Auch die charakteristische Duengerbegeisterung mangelt nicht; und wohl
sind es goldene Regeln, dass fuer den Landmann der Boden nicht da ist
zum Scheuern und Fegen, sondern zum Saeen und Ernten, dass man also
zuvor Reben und Oelbaeume pflanzen und erst nachher und nicht in
allzu frueher Jugend ein Landhaus sich einrichten soll. Eine gewisse
Bauernhaftigkeit ist der Wirtschaft freilich eigen und anstatt der
rationellen Ermittlung der Ursachen und Wirkungen treten durchgaengig
die bekannten baeurischen Erfahrungssaetze auf; doch ist man sichtbar
bestrebt, sich fremde Erfahrungen und auslaendische Produkte anzueignen,
wie denn schon in Catos Verzeichnis der Fruchtbaumsorten
griechische, afrikanische und spanische erscheinen.
---------------------------------------------- ^8 Columella (2, 12, 9)
rechnet auf das Jahr durchschnittlich 45 Regen- und Feiertage; und
damit stimmt ueberein, dass nach Tertullian (idol. 14) die Zahl der
heidnischen Festtage noch nicht die fuenfzig Tage der christlichen
Freudenzeit von Ostern bis Pfingsten erreicht. Dazu kommt dann die
Rastzeit des Mittwinters nach vollbrachter Herbstsaat, welche Columella
auf dreissig Tage anschlaegt. In diese fiel ohne Zweifel durchgaengig
das wandelbare "Saatfest" (feriae sementivae; vgl. 1, 201 und Ov. fast.
1, 661). Mit den Gerichtsferien in der Ernte (Plin. epist. 8, 21, 2 und
sonst) und Weinlesezeit darf dieser Rastmonat nicht verwechselt werden.
---------------------------------------------- Die Bauernwirtschaft
war von der des Gutsbesitzers hauptsaechlich nur verschieden durch den
kleineren Massstab. Der Eigentuemer selbst und seine Kinder arbeiteten
hier mit den Sklaven oder auch an deren Statt. Der Viehstand zog sich
zusammen, und wo das Gut nicht laenger die Kosten des Pfluges und seiner
Bespannung deckte, trat dafuer die Hacke ein. Oel- und Weinbau traten
zurueck oder fielen ganz weg. In der Naehe Roms oder eines anderen
groesseren Absatzplatzes bestanden auch sorgfaeltig berieselte Blumen-
und Gemuesegaerten, aehnlich etwa wie man sie jetzt um Neapel sieht, und
gaben sehr reichlichen Ertrag. Die Weidewirtschaft ward bei weitem mehr
ins Grosse getrieben als der Feldbau. Das Weidelandgut (saltus) musste
auf jeden Fall betraechtlich mehr Flaechenraum haben als das Ackergut
- man rechnete mindestens 800 Morgen - und konnte mit Vorteil fuer das
Geschaeft fast ins Unendliche ausgedehnt werden. Nach den klimatischen
Verhaeltnissen Italiens ergaenzen sich daselbst gegenseitig die
Sommerweide in den Bergen und die Winterweide in den Ebenen; schon
in jener Zeit wurden, eben wie jetzt noch und grossenteils wohl auf
denselben Pfaden, die Herden im Fruehjahr von Apulien nach Samnium und
im Herbst wieder zurueck von da nach Apulien getrieben. Die Winterweide
indes fand, wie schon bemerkt ist, nicht durchaus auf besonderem
Weideland statt, sondern war zum Teil Stoppelweide. Man zog
Pferde, Rinder, Esel Maulesel, hauptsaechlich um den Gutsbesitzern,
Frachtfuehrern, Soldaten und so weiter die benoetigten Tiere zu liefern;
auch Schweine- und Ziegenherden fehlten nicht. Weit selbstaendiger aber
und weit hoeher entwickelt war infolge des fast durchgaengigen Tragens
von Wollstoffen die Schafzucht. Der Betrieb ward durch Sklaven beschafft
und war im ganzen dem Gutsbetrieb aehnlich, so dass der Viehmeister
(magister pecoris) an die Stelle des Wirtschafters trat. Den Sommer
ueber kamen die Hirtensklaven meistenteils nicht unter Dach, sondern
hausten, oft meilenweit von menschlichen Wohnungen entfernt, unter
Schuppen und Huerden; es lag also in den Verhaeltnissen, dass man die
kraeftigsten Maenner dazu auslas, ihnen Pferde und Waffen gab und
ihnen eine bei weitem freiere Bewegung gestattete, als dies bei
der Gutsmannschaft geschah. Um die oekonomischen Resultate dieser
Bodenwirtschaft einigermassen zu wuerdigen, sind die Preisverhaeltnisse
und namentlich die Kornpreise dieser Zeit zu erwaegen. Durchschnittlich
sind dieselben zum Erschrecken gering, und zum guten Teil durch Schuld
der roemischen Regierung, welche in dieser wichtigen Frage, nicht
so sehr durch ihre Kurzsichtigkeit, als durch eine unverzeihliche
Beguenstigung des hauptstaedtischen Proletariats auf Kosten der
italischen Bauernschaft, zu den furchtbarsten Fehlgriffen gefuehrt
worden ist. Es handelt sich hier vor allem um den Konflikt des
ueberseeischen und des italischen Korns. Das Getreide, das von den
Provinzialen teils unentgeltlich, teils gegen eine maessige Verguetigung
der roemischen Regierung geliefert ward, wurde von dieser teils an
Ort und Stelle zur Verpflegung des roemischen Beamtenpersonals und
der roemischen Heere verwandt, teils an die Zehntpaechter in der Art
abgetreten, dass diese dafuer entweder Geldzahlung leisteten oder auch
es uebernahmen, gewisse Quantitaeten Getreide nach Rom oder wohin es
sonst erforderlich war zu liefern. Seit dem Zweiten Makedonischen
Kriege wurden die roemischen Heere durchgaengig mit ueberseeischem Korne
unterhalten, und wenn dies auch der roemischen Staatskasse zum Vorteil
gereichte, so verschloss sich doch damit eine wichtige Absatzquelle fuer
den italischen Landmann. Indes dies war das geringste. Der Regierung,
welche laengst wie billig auf die Kornpreise ein wachsames Auge gehabt
hatte und bei drohenden Teuerungen durch rechtzeitigen Einkauf im
Ausland eingeschritten war, lag es nahe, seit die Kornlieferungen der
Untertanen ihr alljaehrlich grosse Getreidemassen und wahrscheinlich
groessere, als man in Friedenszeiten brauchte, in die Haende fuehrten,
und seit ihr ueberdies die Gelegenheit geboten war, auslaendisches
Getreide in fast unbegrenzter Quantitaet zu maessigen Preisen zu
erwerben, mit solchem Getreide die hauptstaedtischen Maerkte zu
ueberfuehren und dasselbe zu Saetzen abzugeben, die entweder an sich
oder doch verglichen mit den italischen Schleuderpreise waren. Schon
in den Jahren 551-554 (203-200) und, wie es scheint, zunaechst auf
Veranstaltung Scipios, wurde in Rom der preussische Scheffel (sechs
Modii) spanischen und afrikanischen Weizens von Gemeinde wegen an die
Buerger zu 24, ja zu 12 Assen (17-8« Groschen) abgegeben; einige Jahre
nachher (558 196) kamen ueber 160000 Scheffel sizilischen Getreides
zu dem letzteren Spottpreis in der Hauptstadt zur Verteilung. Umsonst
eiferte Cato gegen diese kurzsichtige Politik; die beginnende Demagogie
mischte sich hinein, und diese ausserordentlichen, aber vermutlich sehr
haeufigen Austeilungen von Korn unter dem Marktpreis durch die Regierung
oder einzelne Beamte, sind der Keim der spaeteren Getreidegesetze
geworden. Aber auch wenn das ueberseeische Korn nicht auf diesem
ausserordentlichen Wege an die Konsumenten gelangte, drueckte es auf
den italischen Ackerbau. Nicht bloss wurden die Getreidemassen, die
der Staat an die Zehntpaechter losschlug, ohne Zweifel in der Regel
von diesen so billig erworben, dass sie beim Wiederverkauf unter dem
Produktionspreis weggegeben werden konnten; sondern wahrscheinlich
war auch in den. Provinzen, namentlich in Sizilien, teils infolge
der guenstigen Bodenverhaeltnisse, teils der ausgedehnten Gross-
und Sklavenwirtschaft nach karthagischem System der Produktionspreis
ueberhaupt betraechtlich niedriger als in Italien, der Transport aber
des sizilischen und sardinischen Getreides nach Latium wenigstens
ebenso billig, wenn nicht billiger wie der Transport dahin aus Etrurien,
Kampanien oder gar Norditalien. Es musste also schon im natuerlichen
Laufe der Dinge das ueberseeische Korn nach der Halbinsel stroemen
und das dort erzeugte im Preise herabdruecken. Unter diesen durch die
leidige Sklavenwirtschaft unnatuerlich verschobenen Verhaeltnissen
waere es vielleicht gerechtfertigt gewesen, zu Gunsten des italischen
Getreides auf das ueberseeische einen Schutzzoll zu legen; aber es
scheint vielmehr das Umgekehrte geschehen und zu Gunsten der Einfuhr des
ueberseeischen Korns nach Italien in den Provinzen ein Prohibitivsystem
in Anwendung gebracht zu sein - denn wenn die Ausfuhr einer Quantitaet
Getreide aus Sizilien den Rhodiern als besondere Verguenstigung
gestattet ward, so muss wohl der Regel nach die Kornausfuhr aus den
Provinzen nur nach Italien hin frei gewesen und also das ueberseeische
Korn fuer das Mutterland monopolisiert worden sein. Die Wirkungen
dieser Wirtschaft liegen deutlich vor. Ein Jahr ausserordentlicher
Fruchtbarkeit wie 504 (250), wo man in der Hauptstadt fuer 6 roemische
Modii (= 1 preuss. Scheffel) Spelt nicht mehr als 3/5 Denar (4
Groschen) zahlte und zu demselben Preise 180 roemische Pfund (zu 22 Lot
preussisch) trockene Feigen, 60 Pfund Oel, 72 Pfund Fleisch und 6 Congii
(= 17 preuss. Quart) Wein verkauft wurden, kommt freilich eben seiner
Ausserordentlichkeit wegen wenig in Betracht; aber bestimmter sprechen
andere Tatsachen. Schon zu Catos Zeit heisst Sizilien die Kornkammer
Roms. In fruchtbaren Jahren wurde in den italischen Haefen das
sizilische und sardinische Korn um die Fracht losgeschlagen. In den
reichsten Kornlandschaften der Halbinsel, in der heutigen Romagna und
Lombardei zahlte man zu Polybios' Zeit fuer Kost und Nachtquartier im
Wirtshaus durchschnittlich den Tag einen halben As (1/3 Groschen); der
preussische Scheffel Weizen galt hier einen halben Denar (3« Groschen).
Der letztere Durchschnittspreis, etwa der zwoelfte Teil des sonstigen
Normalpreises ^9, zeigt mit unwidersprechlicher Deutlichkeit, dass es
der italischen Getreideproduktion an Absatzquellen voellig mangelte und
infolgedessen das Korn wie das Kornland daselbst so gut wie entwertet
war. ------------------------------------------ ^9 Als hauptstaedtischer
Mittelpreis des Getreides kann wenigstens fuer das siebente und achte
Jahrhundert Roms angenommen werden 1 Denar fuer den roemischen Modius
oder 1/3 Taler fuer den preussischen Scheffel Weizen, wofuer heutzutage
(nach dem Durchschnitt der Preise in den Provinzen Brandenburg und
Pommern von 1816- 1841) ungefaehr 1 Taler 24 Silbergroschen gezahlt
wird. Ob diese nicht sehr bedeutende Differenz der roemischen und
der heutigen Preise auf dem Steigen des Korn- oder dem Sinken des
Silberwertes beruht, laesst sich schwerlich entscheiden. Uebrigens
duerfte es sehr zweifelhaft sein, ob in dem Rom dieser und der spaeteren
Zeit die Kornpreise wirklich staerker geschwankt haben, als dies
heutzutage der Fall ist. Vergleicht man Preise wie die oben angefuehrten
von 4 und 7 Groschen den preussischen Scheffel mit denen der aergsten
Kriegsteuerung und Hungersnot, wo zum Beispiel im Hannibalischen Kriege
der preussische Scheffel auf 99 (1 Medimnos = 15 Drachmen: Polyb. 9,
44), im Buergerkriege auf 198 (1 Modius = 5 Denare: Cic. Verr. E, 92;
214), in der grossen Teuerung unter Augustus gar auf 218 Groschen (5
Modii = 27; Denare: Euseb. chron. p. Chr. 7 Scal.) stieg, so ist der
Abstand freilich ungeheuer; allein solche Extreme sind wenig belehrend
und koennten nach beiden Seiten hin unter gleichen Bedingungen
auch heute noch sich wiederholen.
--------------------------------------------- In einem grossen
Industriestaat, dessen Ackerbau die Bevoelkerung nicht zu ernaehren
vermag, haette ein solches Ergebnis als nuetzlich oder doch nicht
unbedingt als nachteilig betrachtet werden moegen; ein Land wie Italien,
wo die Industrie unbedeutend, die Landwirtschaft durchaus Hauptsache
war, ward auf diesem Wege systematisch ruiniert und den Interessen der
wesentlich unproduktiven hauptstaedtischen Bevoelkerung, der freilich
das Brot nicht billig genug werden konnte, das Wohl des Ganzen auf die
schmaehlichste Weise geopfert. Nirgend vielleicht liegt es so deutlich
wie hier zutage, wie schlecht die Verfassung und wie unfaehig die
Verwaltung dieser sogenannten goldenen Zeit der Republik war. Das
duerftigste Repraesentativsystem haette wenigstens zu ernstlichen
Beschwerden und zur Einsicht in den Sitz des Uebels gefuehrt; aber in
jenen Urversammlungen der Buergerschaft machte alles andere eher
sich geltend als die warnende Stimme des vorahnenden Patrioten. Jede
Regierung, die diesen Namen verdiente, wuerde von selber eingeschritten
sein; aber die Masse des roemischen Senats mag in gutem Koehlerglauben
in den niedrigen Kornpreisen das wahre Glueck des Volkes gesehen haben,
und die Scipionen und Flaminine hatten ja wichtigere Dinge zu tun, die
Griechen zu emanzipieren und die republikanische Koenigskontrolle zu
besorgen - so trieb das Schiff ungehindert in die Brandung hinein. Seit
der kleine Grundbesitz keinen wesentlichen Reinertrag mehr lieferte, war
die Bauernschaft rettungslos verloren, und um so mehr, als allmaehlich
auch aus ihr, wenngleich langsamer als aus den uebrigen Staenden, die
sittliche Haltung und sparsame Wirtschaft der frueheren republikanischen
Zeit entwich. Es war nur noch eine Zeitfrage, wie rasch die italischen
Bauernhufen durch Aufkaufen und Niederlegen in den groesseren
Grundbesitz aufgehen wuerden. Eher als der Bauer war der Gutsbesitzer
imstande, sich zu behaupten. Derselbe produzierte an sich schon billiger
als jener, wenn er sein Land nicht nach dem aelteren System an kleinere
Zeitpaechter abgab, sondern es nach dem neueren durch seine Knechte
bewirtschaften liess; wo dies also nicht schon frueher geschehen
war, zwang die Konkurrenz des sizilischen Sklavenkorns den italischen
Gutsherrn, zu folgen und anstatt mit freien Arbeiterfamilien mit Sklaven
ohne Weib und Kind zu wirtschaften. Es konnte der Gutsbesitzer ferner
sich eher durch Steigerung oder auch durch Aenderung der Kultur den
Konkurrenten gegenueber halten und eher auch mit einer geringeren
Bodenrente sich begnuegen als der Bauer, dem Kapital wie Intelligenz
mangelten und der nur eben hatte, was er brauchte, um zu leben.
Hierauf beruht in der roemischen Gutswirtschaft das Zuruecktreten
des Getreidebaus, der vielfach sich auf die Gewinnung der fuer das
Arbeiterpersonal erforderlichen Quantitaet beschraenkt zu haben scheint
^10, und die Steigerung der Oel- und Weinproduktion sowie der Viehzucht.
Diese hatten bei den guenstigen klimatischen Verhaeltnissen Italiens
die auslaendische Konkurrenz nicht zu fuerchten: der italische Wein, das
italische Oel, die italische Wolle beherrschten nicht bloss die eigenen
Maerkte, sondern gingen bald auch ins Ausland; das Potal, das sein
Getreide nicht abzusetzen vermochte, versorgte halb Italien mit
Schweinen und Schinken. Dazu stimmt recht wohl, was uns ueber die
oekonomischen Resultate der roemischen Bodenwirtschaft berichtet wird.
Es ist einiger Grund zu der Annahme vorhanden, dass das in Grundstuecken
angelegte Kapital mit sechs Prozent sich gut zu verzinsen schien;
was auch der damaligen, um das Doppelte hoeheren durchschnittlichen
Kapitalrente angemessen erscheint. Die Viehzucht lieferte im ganzen
bessere Ergebnisse als die Feldwirtschaft; in dieser rentierte am besten
der Weinberg, demnaechst der Gemuesegarten und die Olivenpflanzung, am
wenigsten Wiese und Kornfeld ^11. Natuerlich wird die Betreibung einer
jeden Wirtschaftsgattung unter den ihr angemessenen Verhaeltnissen
und auf ihrem naturgemaessen Boden vorausgesetzt. Diese Verhaeltnisse
reichten an sich schon aus, um allmaehlich an die Stelle der
Bauernwirtschaft ueberall die Grosswirtschaft zu setzen; und auf dem
Wege der Gesetzgebung ihnen entgegenzuwirken war schwer. Aber arg war
es, dass man durch das spaeter noch zu erwaehnende Claudische Gesetz
(kurz vor 536 218) die senatorischen Haeuser von der Spekulation
ausschloss und dadurch deren ungeheure Kapitalien kuenstlich zwang,
vorzugsweise in Grund und Boden sich anzulegen, das heisst die alten
Bauernstellen durch Meierhoefe und Viehweiden zu ersetzen. Es kamen
ferner der dem Staat weit nachteiligeren Viehwirtschaft, gegenueber dem
Gutsbetrieb, noch besondere Foerderungen zustatten. Einmal entsprach sie
als die einzige Art der Bodennutzung, welche in der Tat den Betrieb
im grossen erheischte und lohnte, allein der Kapitalienmasse und dem
Kapitalistensinn dieser Zeit. Die Gutswirtschaft forderte zwar nicht
die dauernde Anwesenheit des Herrn auf dem Gut, aber doch sein haeufiges
Erscheinen daselbst und gestattete die Erweiterung der Gueter nicht wohl
und die Vervielfaeltigung des Besitzes nur in beschraenkten Grenzen;
wogegen das Weidegut sich unbegrenzt ausdehnen liess und den Eigentuemer
wenig in Anspruch nahm. Aus diesem Grunde fing man schon an, gutes
Ackerland selbst mit oekonomischem Verlust in Weide zu verwandeln - was
die Gesetzgebung freilich, wir wissen nicht wann, vielleicht um diese
Zeit, aber schwerlich mit Erfolg, untersagte. Dazu kamen die Folgen
der Domaenenokkupation. Durch dieselbe entstanden nicht bloss, da
regelmaessig in groesseren Stuecken okkupiert ward, ausschliesslich
grosse Gueter, sondern es scheuten sich auch die Besitzer, in diesen
auf beliebigen Widerruf stehenden und rechtlich immer unsicheren Besitz
bedeutende Bestellungskosten zu stecken, namentlich Reben und Oelbaeume
zu pflanzen; wovon denn die Folge war, dass man diese
Laendereien vorwiegend als Viehweide nutzte.
------------------------------------------------- ^10 Darum nennt Cato
die beiden Gueter, die er schildert, kurzweg Olivenpflanzung (olivetum)
und Weinberg (vinea), obwohl darauf keineswegs bloss Wein und Oel,
sondern auch Getreide und anderes mehr gebaut ward. Waeren freilich die
800 culei, auf die der Besitzer des Weinbergs angewiesen wird, sich mit
Faessern zu versehen (11), das Maximum einer Jahresernte, so muessten
alle 100 Morgen mit Reben bepflanzt gewesen sein, da der Ertrag von
8 culei fuer den Morgen schon ein fast unerhoerter war (Colum. 3, 3);
allein Varro (rust. 1, 22) verstand, und offenbar mit Recht, die Angabe,
dass der Weinbergbesitzer in den Fall kommen kann, die neue Lese eintun
zu muessen, bevor die alte verkauft ist. ^11 Dass der roemische Landwirt
von seinem Kapital durchschnittlich sechs Prozent machte, laesst
Columella (3, 3, 9) schliessen. Einen genaueren Anschlag fuer Kosten und
Ertrag haben wir nur fuer den Weinberg, wofuer Columella auf den Morgen
folgende Kostenberechnung aufstellt: Kaufpreis des Bodens 1000 Sesterzen
Kaufpreis der Arbeitssklaven auf den Morgen repartiert 1143 Sesterzen
Reben und Pfaehle 2000 Sesterzen Verlorene Zinsen waehrend der ersten
zwei Jahre 497 Sesterzen Zusammen 4640 Sesterzen = 336 Taler. Den Ertrag
berechnet er auf wenigstens 60 Amphoren von mindestens 900 Sesterzen (65
Taler) Wert, was also eine Rente von 17 Prozent darstellen wuerde. Indes
ist dieselbe zum Teil illusorisch, da, auch von Missernten abgesehen,
die Kosten der Einbringung und die fuer Instandhaltung der Reben,
Pfaehle und Sklaven. aus dem Ansatz gelassen worden sind. Den
Bruttoertrag von Wiese, Weide und Wald berechnet derselbe Landwirt auf
hoechstens 100 Sesterzen den Morgen und den des Getreidefeldes eher auf
weniger als auf mehr; wie denn ja auch der Durchschnittsertrag von
25 roemischen Scheffeln Weizen auf den Morgen schon nach dem
hauptstaedtischen Durchschnittspreis von 1 Denar den Scheffel nicht mehr
als 100 Sesterzen Bruttoertrag gibt und am Produktionsplatz der
Preis noch niedriger gestanden haben muss. Varro (3, 2) rechnet als
gewoehnlichen guten Bruttoertrag eines groesseren Gutes 150 Sesterzen
vom Morgen. Entsprechende Kostenanschlaege sind hierfuer nicht
ueberliefert; dass die Bewirtschaftung hier bei weitem weniger Kosten
machte als bei dem Weinberg, versteht sich von selbst. Alle diese
Angaben fallen uebrigens ein Jahrhundert und laenger nach Catos Tod. Von
ihm haben wir nur die allgemeine Angabe, dass sich Viehwirtschaft besser
rentiere als Ackerbau (bei Cic. off. 2,25; 89; Colum. 6 praef. 4, vgl.
2, 16, 2; Plin. nat. 18, 5, 30; Plut. Cato mai. 21); was natuerlich
nicht heissen soll, dass es ueberall raetlich ist, Ackerland in Weide
zu verwandeln, sondern relativ zu verstehen ist dahin, dass das fuer die
Herdenwirtschaft auf Bergweiden und sonst geeignetem Weideland angelegte
Kapital, verglichen mit dem in die Feldwirtschaft auf geeignetem
Kornland gesteckten, hoehere Zinsen trage. Vielleicht ist dabei auch
noch darauf Ruecksicht genommen, dass die mangelnde Taetigkeit und
Intelligenz des Grundherrn bei Weideland weniger nachteilig wirkt
als bei der hoch gesteigerten Reben- und Olivenkultur. Innerhalb des
Ackergutes stellt sich nach Cato die Bodenrente folgendermassen in
absteigender Reihe: 1. Weinberg; 2. Gemuesegarten; 3. Weidenbusch, der
infolge der Rebenkultur hohen Ertrag abwarf; 4. Olivenpflanzung; 5.
Wiese zur Heugewinnung; 6. Kornfeld; 7. Busch; 8. Schlagforst; 9.
Eichenwald zur Viehfuetterung - welche neun Bestandteile in dem
Wirtschaftsplan der catonischen Mustergueter saemtlich wiederkehren. Von
dem hoeheren Reinertrag des Weinbaues gegenueber dem Kornbau zeugt auch,
dass nach dem im Jahre 637 (117) zwischen der Stadt Genua und den ihr
zinspflichtigen Doerfern ausgefaellten Schiedsspruch die Stadt von
dem Wein den Sechsten, von dem Getreide den Zwanzigsten als Erbzins
empfaengt. ----------------------------------------------- Von der
roemischen Geldwirtschaft in aehnlicher Weise eine zusammenfassende
Darstellung zu geben, verbietet teils der Mangel von Fachschriften aus
dem roemischen Altertum ueber dieselbe, teils ihre Natur selbst, die
bei weitem mannigfaltiger und vielseitiger ist als die Bodennutzung.
Was sich ermitteln laesst, gehoert seinen Grundzuegen nach vielleicht
weniger noch als die Bodenwirtschaft den Roemern eigentuemlich an,
sondern ist vielmehr Gemeingut der gesamten antiken Zivilisation,
deren Grosswirtschaft begreiflicherweise eben wie die heutige ueberall
zusammenfiel. Im Geldwesen namentlich scheint das kaufmaennische
Schema zunaechst von den Griechen festgestellt und von den Roemern nur
aufgenommen worden zu sein. Dennoch sind die Schaerfe der Durchfuehrung
und die Weite des Massstabes eben hier so eigentuemlich roemisch, dass
der Geist der roemischen Oekonomie und ihre Grossartigkeit im Guten
wie im Schlimmen vor allem in der Geldwirtschaft sich offenbart.
Der Ausgangspunkt der roemischen Geldwirtschaft war natuerlich das
Leihgeschaeft, und kein Zweig der kommerziellen Industrie ist von den
Roemern eifriger gepflegt worden als das Geschaeft des gewerbmaessigen
Geldverleihers (fenerator) und des Geldhaendlers oder des Bankiers
(argentarius). Das Kennzeichen einer entwickelten Geldwirtschaft, der
Uebergang der groesseren Kassefuehrung von den einzelnen Kapitalisten
auf den vermittelnden Bankier, der fuer seine Kunden Zahlung empfaengt
und leistet, Gelder belegt und aufnimmt und im In- und Ausland
ihre Geldgeschaefte vermittelt, ist schon in der catonischen Zeit
vollstaendig entwickelt. Aber die Bankiers machten nicht bloss die
Kassierer der Reichen in Rom, sondern drangen schon ueberall in die
kleinen Geschaefte ein und liessen immer haeufiger in den Provinzen und
Klientelstaaten sich nieder. Den Geldsuchenden vorzuschiessen fing schon
im ganzen Umfange des Reiches an sozusagen Monopol der Roemer zu werden.
Eng damit verwandt war das unermessliche Gebiet der Entreprise.
Das System der mittelbaren Geschaeftsfuehrung durchdrang den
ganzen roemischen Verkehr. Der Staat ging voran, indem er all seine
komplizierteren Hebungen, alle Lieferungen, Leistungen und Bauten gegen
eine feste zu empfangende oder zu zahlende Summe an Kapitalisten oder
Kapitalistengesellschaften abgab. Aber auch Private gaben durchgaengig
in Akkord, was irgend in Akkord sich geben liess: die Bauten und die
Einbringung der Ernte und sogar die Regulierung der Erbschafts- und
der Konkursmasse, wobei der Unternehmer - gewoehnlich ein Bankier - die
saemtlichen Aktiva erhielt und dagegen sich verpflichtete, die Passiva
vollstaendig oder bis zu einem gewissen Prozentsatz zu berichtigen und
nach Umstaenden noch daraufzuzahlen. Welche hervorragende Rolle in
der roemischen Volkswirtschaft der ueberseeische Handel bereits
frueh gespielt hatte, ist seinerzeit gezeigt worden; von dem weiteren
Aufschwung, den derselbe in dieser Periode nahm, zeugt die steigende
Bedeutung der italischen Hafenzoelle in der roemischen Finanzwirtschaft.
Ausser den keiner weiteren Auseinandersetzung beduerfenden Ursachen,
durch die die Bedeutung des ueberseeischen Handels stieg, ward derselbe
noch kuenstlich gesteigert durch die bevorrechtete Stellung, die die
herrschende italische Nation in den Provinzen einnahm, und durch die
wohl jetzt schon in vielen Klientelstaaten den Roemern und Latinern
vertragsmaessig zustehende Zollfreiheit. Dagegen blieb die Industrie
verhaeltnismaessig zurueck. Die Gewerke waren freilich unentbehrlich,
und es zeigen sich wohl auch Spuren, dass sie bis zu einem gewissen
Grade in Rom sich konzentrierten, wie denn Cato dem kampanischen
Landwirt anraet, seinen Bedarf an Sklavenkleidung und Schuhzeug, an
Pfluegen, Faessern und Schloessern in Rom zu kaufen. Auch kann bei dem
starken Verbrauch von Wollstoffen die Ausdehnung und Eintraeglichkeit
der Tuchfabrikation nicht bezweifelt werden ^12. Doch zeigen sich keine
Versuche, die gewerbsmaessige Industrie, wie sie in Aegypten und Syrien
bestand, nach Italien zu verpflanzen oder auch nur sie im Auslande
mit italischem Kapital zu betreiben. Zwar wurde auch in Italien Flachs
gebaut und Purpur bereitet, aber wenigstens die letztere Industrie
gehoerte wesentlich dem griechischen Tarent an, und ueberall ueberwog
hier wohl schon jetzt die Einfuhr von aegyptischem Linnen und
milesischem oder tyrischem Purpur die einheimische Fabrikation.
----------------------------------------------------------------- ^12
Die industrielle Bedeutung des roemischen Tuchgewerks ergibt sich schon
aus der merkwuerdigen Rolle, die die Walker in der roemischen Komoedie
spielen. Die Eintraeglichkeit der Walkergruben bezeugt Cato (bei
Plut. Cato mai. 21).
-----------------------------------------------------------------
Dagegen gehoert gewissermassen hierher die Pachtung oder der Kauf
ausseritalischer Laendereien durch roemische Kapitalisten, um daselbst
den Kornbau und die Viehzucht im grossen zu betreiben. Die Anfaenge
dieser spaeterhin in so enormen Verhaeltnissen sich entwickelnden
Spekulation fallen, namentlich auf Sizilien, wahrscheinlich schon
in diese Zeit; zumal da die den Sikelioten auferlegten
Verkehrsbeschraenkungen, wenn sie nicht dazu eingefuehrt waren,
doch wenigstens dahin wirken mussten, den davon befreiten roemischen
Spekulanten eine Art von Monopol fuer den Grundbesitzerwerb in die
Haende zu geben. Der Geschaeftsbetrieb in all diesen verschiedenen
Zweigen erfolgte durchgaengig durch Sklaven. Der Geldverleiher und der
Bankier richteten, soweit ihr Geschaeftskreis reichte, Nebenkontore und
Zweigbanken unter Direktion ihrer Sklaven und Freigelassenen ein. Die
Gesellschaft, die vom Staate Hafenzoelle gepachtet hatte, stellte
fuer das Hebegeschaeft in jedem Bureau hauptsaechlich ihre Sklaven
und Freigelassenen an. Wer in Bauunternehmungen machte, kaufte
sich Architektensklaven; wer sich damit abgab, die Schauspiele oder
Fechterspiele fuer Rechnung der Beikommenden zu besorgen, erhandelte
oder erzog sich eine spielkundige Sklaventruppe oder eine Bande zum
Fechthandwerk abgerichteter Knechte. Der Kaufmann liess sich seine Waren
auf eigenen Schiffen unter der Fuehrung von Sklaven oder Freigelassenen
kommen und vertrieb sie wieder in derselben Weise im Gross- oder
Kleinverkehr. Dass der Betrieb der Bergwerke und der Fabriken lediglich
durch Sklaven erfolgte, braucht danach kaum gesagt zu werden. Die Lage
dieser Sklaven war freilich auch nicht beneidenswert und durchgaengig
unguenstiger als die der griechischen; dennoch befanden, wenn von den
letzten Klassen abgesehen wird, die Industriesklaven sich im ganzen
ertraeglicher als die Gutsknechte. Sie hatten haeufiger Familie und
faktisch selbstaendige Wirtschaft und die Moeglichkeit, Freiheit und
eigenes Vermoegen zu erwerben, lag ihnen nicht fern. Daher waren diese
Verhaeltnisse die rechte Pflanzschule der Emporkoemmlinge aus dem
Sklavenstand, welche durch Bediententugend und oft durch Bedientenlaster
in die Reihen der roemischen Buerger und nicht selten zu grossem
Wohlstand gelangten und sittlich, oekonomisch und politisch wenigstens
ebensoviel wie die Sklaven selbst zum Ruin des roemischen Gemeinwesens
beigetragen haben. Der roemische Geschaeftsverkehr dieser Epoche ist der
gleichzeitigen politischen Machtentwicklung vollkommen ebenbuertig und
in seiner Art nicht minder grossartig. Wer ein anschauliches Bild von
der Lebendigkeit des Verkehrs mit dem Ausland zu haben wuenscht, braucht
nur die Literatur, namentlich die Lustspiele dieser Zeit aufzuschlagen,
in denen der phoenikische Handelsmann phoenikisch redend auf die Buehne
gebracht wird und der Dialog von griechischen und halbgriechischen
Worten und Phrasen wimmelt. Am bestimmtesten aber laesst sich die
Ausdehnung und Intensitaet des roemischen Geschaeftsverkehrs in den
Muenz- und Geldverhaeltnissen verfolgen. Der roemische Denar hielt
voellig Schritt mit den roemischen Legionen. Dass die sizilischen
Muenzstaetten, zuletzt im Jahre 542 (212) die syrakusanische, infolge
der roemischen Eroberung geschlossen oder doch auf Kleinmuenze
beschraenkt wurden und in Sizilien und Sardinien der Denar wenigstens
neben dem aelteren Silbercourant und wahrscheinlich sehr bald
ausschliesslich gesetzlichen Kurs erhielt, wurde schon gesagt. Ebenso
rasch, wo nicht noch rascher, drang die roemische Silbermuenze in
Spanien ein, wo die grossen Silbergruben bestanden und eine aeltere
Landesmuenze so gut wie nicht vorhanden war; sehr frueh haben die
spanischen Staedte sogar angefangen, auf roemischen Fuss zu muenzen.
Ueberhaupt bestand, da Karthago nur in beschraenktem Umfang muenzte,
ausser der roemischen keine einzige bedeutende Muenzstaette im
westlichen Mittelmeergebiet mit Ausnahme derjenigen von Massalia und
etwa noch der Muenzstaetten der illyrischen Griechen in Apollonia und
Dyrrhachion. Diese wurden demnach, als die Roemer anfingen sich im
Pogebiet festzusetzen, um 525 (229) dem roemischen Fuss in der Art
unterworfen, dass ihnen zwar die Silberpraegung blieb, sie aber
durchgaengig, namentlich die Massalioten, veranlasst wurden, ihre
Drachme auf das Gewicht des roemischen Dreivierteldenars zu regulieren,
den denn auch die roemische Regierung ihrerseits unter dem Namen der
Victoriamuenze (victoriatus) zunaechst fuer Oberitalien zu praegen
begann. Dieses neue von dem roemischen abhaengige System beherrschte
nicht bloss das massaliotische, oberitalische und illyrische
Gebiet, sondern es gingen auch diese Muenzen in die noerdlichen
Barbarenlandschaften, namentlich die massaliotischen in die
Alpengegenden das ganze Rhonegebiet hinauf und die illyrischen bis
hinein in das heutige Siebenbuergen. Auf die oestliche Haelfte des
Mittelmeergebiets erstreckte in dieser Epoche wie die unmittelbare
roemische Herrschaft so auch die roemische Muenze sich noch nicht;
dafuer aber trat hier der rechte und naturgemaesse Vermittler des
internationalen und ueberseeischen Handels, das Gold, ein. Zwar die
roemische Regierung hielt in ihrer streng konservativen Art, abgesehen
von einer voruebergehenden, durch die Finanzbedraengnis waehrend des
Hannibalischen Krieges veranlassten Goldpraegung, unwandelbar daran
fest, ausser dem national-italischen Kupfer nichts als Silber
zu schlagen; aber der Verkehr hatte bereits solche Verhaeltnisse
angenommen, dass er auch ohne Muenze mit dem Golde nach dem Gewicht
auszukommen vermochte. Von dem Barbestande, der im Jahre 597 (157) in
der roemischen Staatskasse lag, war kaum ein Sechstel gepraegtes oder
ungepraegtes Silber, fuenf Sechstel Gold in Barren ^13, und ohne Zweifel
fanden sich in allen Kassen der groesseren roemischen Kapitalisten die
edlen Metalle wesentlich in dem gleichen Verhaeltnisse. Bereits damals
also nahm das Gold im Grossverkehr die erste Stelle ein und ueberwog,
wie hieraus weiter geschlossen werden darf, im allgemeinen Verkehr
derjenige mit dem Ausland und namentlich mit dem seit Philipp
und Alexander dem Grossen zum Goldcourant uebergegangenen Osten.
------------------------------------------- ^13 Es lagen in der Kasse
17410 roemische Pfund Gold, 22070 Pfund ungepraegten, 18230 Pfund
gepraegten Silbers. Das Legalverhaeltnis des Goldes zum Silber war
1 Pfund Gold = 4000 Sesterzen oder 1:11,91.
---------------------------------------------- Der Gesamtgewinn aus
diesem ungeheuren Geschaeftsverkehr der roemischen Kapitalisten floss
ueber kurz oder lang in Rom zusammen; denn soviel dieselben auch ins
Ausland gingen, siedelten sie doch sich dort nicht leicht dauernd an,
sondern kehrten frueher oder spaeter zurueck nach Rom, indem sie ihr
gewonnenes Vermoegen entweder realisierten und in Italien anlegten
oder auch mit den erworbenen Kapitalien und Verbindungen den
Geschaeftsbetrieb von Rom aus fortsetzten. Die Gelduebermacht Roms
gegen die uebrige zivilisierte Welt war denn auch vollkommen ebenso
entschieden wie seine politische und militaerische. Rom stand in dieser
Beziehung den uebrigen Laendern aehnlich gegenueber wie heutzutage
England dem Kontinent - wie denn ein Grieche von dem juengeren Scipio
Africanus sagt, dass er "fuer einen Roemer" nicht reich gewesen sei.
Was man in dem damaligen Rom unter Reichtum verstand, kann man ungefaehr
danach abnehmen, dass Lucius Paullus bei einem Vermoegen von 100000
Talern (60 Talente) nicht fuer einen reichen Senator galt, und dass
eine Mitgift, wie jede der Toechter des aelteren Scipio Africanus sie
erhielt, von 90000 Talern (50 Talente) als angemessene Aussteuer eines
vornehmen Maedchens angesehen ward, waehrend der reichste Grieche dieses
Jahrhunderts nicht mehr als eine halbe Million Taler (300 Talente) im
Vermoegen hatte. Es war denn auch kein Wunder, dass der kaufmaennische
Geist sich der Nation bemaechtigte, oder vielmehr - denn er war nicht
neu in Rom -, dass daselbst das Kapitalistentum jetzt alle uebrigen
Richtungen und Stellungen des Lebens durchdrang und verschlang und der
Ackerbau wie das Staatsregiment anfingen, Kapitalistenentreprisen zu
werden. Die Erhaltung und Mehrung des Vermoegens war durchaus ein
Teil der oeffentlichen und der Privatmoral. "Einer Witwe Habe mag
sich mindern", schrieb Cato in dem fuer seinen Sohn aufgesetzten
Lebenskatechismus, "der Mann muss sein Vermoegen mehren, und derjenige
ist ruhmwuerdig und goettlichen Geistes voll, dessen Rechnungsbuecher
bei seinem Tode nachweisen, dass er mehr hinzuerworben als ererbt hat".
Wo darum Leistung und Gegenleistung sich gegenueberstehen, wird
jedes auch ohne irgendwelche Foermlichkeit abgeschlossene Geschaeft
respektiert, und wenn nicht durch das Gesetz, doch durch kaufmaennische
Gewohnheit und Gerichtsgebrauch erforderlichenfalls dem verletzten Teil
das Klagerecht zugestanden ^14; aber das formlose Schenkungsversprechen
ist nichtig in der rechtlichen Theorie wie in der Praxis. In Rom, sagt
Polybios, schenkt keiner keinem, wenn er nicht muss, und niemand zahlt
einen Pfennig vor dem Verfalltag, auch unter nahen Angehoerigen nicht.
Sogar die Gesetzgebung ging ein auf diese kaufmaennische Moral, die in
allem Weggeben ohne Entgelt eine Verschleuderung findet; das Geben von
Geschenken und Vermaechtnissen, die Uebernahme von Buergschaften wurden
in dieser Zeit durch Buergerschaftsschluss beschraenkt, die Erbschaften,
wenn sie nicht an die naechsten Verwandten fielen, wenigstens
besteuert. Im engsten Zusammenhang damit durchdrang die kaufmaennische
Puenktlichkeit, Ehrlichkeit und Respektabilitaet das ganze roemische
Leben. Buch ueber seine Ausgabe und Einnahme zu fuehren, ist jeder
ordentliche Mann sittlich verpflichtet - wie es denn auch in jedem
wohleingerichteten Hause ein besonderes Rechnungszimmer (tablinum) gab
-, und jeder traegt Sorge, dass er nicht ohne letzten Willen aus der
Welt scheide; es gehoerte zu den drei Dingen, die Cato in seinem Leben
bereut zu haben bekennt, dass er einen Tag ohne Testament gewesen sei.
Die gerichtliche Beweiskraft, ungefaehr wie wir sie den kaufmaennischen
Buechern beizulegen pflegen, kam nach roemischer Uebung jenen
Hausbuechern durchgaengig zu. Das Wort des unbescholtenen Mannes galt
nicht bloss gegen ihn, sondern auch zu seinen eigenen Gunsten: bei
Differenzen unter rechtschaffenen Leuten war nichts gewoehnlicher als
sie durch einen, von der einen Partei geforderten und von der anderen
geleisteten Eid zu schlichten, womit sie sogar rechtlich als erledigt
galten; und den Geschworenen schrieb eine traditionelle Regel vor, in
Ermangelung von Beweisen zunaechst fuer den unbescholtenen gegen den
bescholtenen Mann und nur bei gleicher Reputierlichkeit beider Parteien
fuer den Beklagten zu sprechen ^15. Die konventionelle Respektabilitaet
tritt namentlich in der scharfen und immer schaerferen Auspraegung
des Satzes hervor, dass kein anstaendiger Mann sich fuer persoenliche
Dienstleistungen bezahlen lassen duerfe. Darum erhielten denn nicht
bloss Beamte, Offiziere, Geschworene, Vormuender und ueberhaupt alle
mit oeffentlichen Verrichtungen beauftragten anstaendigen Maenner keine
andere Verguetung fuer ihre Dienstleistungen als hoechstens den Ersatz
ihrer Auslagen, sondern es wurden auch die Dienste, welche Bekannte
(amici) sich untereinander leisten: Verbuergung, Vertretung im Prozess,
Aufbewahrung (depositum), Gebrauchsueberlassung der nicht zum Vermieten
bestimmten Gegenstaende (commodatum), ueberhaupt Geschaeftsverwaltung
und Besorgung (procuratio) nach demselben Grundsatz behandelt, so dass
es unschicklich war, dafuer eine Verguetung zu empfangen, und eine Klage
selbst auf die versprochene nicht gestattet ward. Wie vollstaendig der
Mensch im Kaufmann aufging, zeigt wohl am schaerfsten die Ersetzung des
Duells, auch des politischen, in dem roemischen Leben dieser Zeit durch
die Geldwette und den Prozess. Die gewoehnliche Form, um persoenliche
Ehrenfragen zu erledigen, war die, dass zwischen dem Beleidiger und dem
Beleidigten um die Wahrheit oder Falschheit der beleidigenden Behauptung
gewettet und im Wege der Einklagung der Wettsumme die Tatfrage in aller
Form rechtens vor die Geschworenen gebracht ward; die Annahme einer
solchen, von dem Beleidigten oder dem Beleidiger angebotenen Wette
war, ganz wie heutzutage die der Ausforderung zum Zweikampf
rechtlich freigestellt, aber ehrenhafterweise oft nicht zu vermeiden.
----------------------------------------------- ^14 Darauf beruht die
Klagbarkeit des Kauf-, Miet-, Gesellschaftsvertrags und ueberhaupt
die ganze Lehre von den nicht formalen klagbaren Vertraegen. ^15 Die
Hauptstelle darueber ist das Fragment Catos bei Gell. 14, 2. Auch fuer
den Literalkontrakt, das heisst die lediglich auf die Eintragung des
Schuldpostens in das Rechnungsbuch des Glaeubigers basierte
Forderung, gibt diese rechtliche Beruecksichtigung der persoenlichen
Glaubwuerdigkeit der Partei, selbst wo es sich um ihr Zeugnis in eigener
Sache handelt, den Schluessel; und daher ist auch, als spaeter diese
kaufmaennische Reputierlichkeit aus dem roemischen Leben entwich,
der Literalkontrakt nicht gerade abgeschafft worden, aber von selber
verschwunden. ---------------------------------------------- Eine der
wichtigsten Folgen dieses mit einer dem Nichtgeschaeftsmann schwer
fasslichen Intensitaet auftretenden Kaufmannstums war die ungemeine
Steigerung des Assoziationswesens. In Rom erhielt dasselbe noch
besondere Nahrung durch das schon oft erwaehnte System der Regierung,
ihre Geschaefte durch Mittelsmaenner beschaffen zu lassen; denn bei
dem Umfang dieser Verrichtungen war es natuerlich und wohl auch der
groesseren Sicherheit wegen oft vom Staate vorgeschrieben, dass
nicht einzelne Kapitalisten, sondern Kapitalistengesellschaften
diese Pachtungen und Lieferungen uebernahmen. Nach dem Muster dieser
Unternehmungen organisierte sich der gesamte Grossverkehr. Es finden
sogar sich Spuren, dass fuer das Assoziationswesen so charakteristische
Zusammentreten der konkurrierenden Gesellschaften zur gemeinschaftlichen
Aufstellung von Monopolpreisen auch bei den Roemern vorgekommen ist ^16.
Namentlich in den ueberseeischen und den sonst mit bedeutendem
Risiko verbundenen Geschaeften nahm das Assoziationswesen eine solche
Ausdehnung an, dass es praktisch an die Stelle der dem Altertum
unbekannten Assekuranzen trat. Nichts war gewoehnlicher als das
sogenannte Seedarlehen, das heutige Grossaventurgeschaeft, wodurch
Gefahr und Gewinn des ueberseeischen Handels sich auf die Eigentuemer
von Schiff und Ladung und die saemtlichen fuer diese Fahrt
kreditierenden Kapitalisten verhaeltnismaessig verteilt. Es war
aber ueberhaupt roemische Wirtschaftsregel, sich lieber bei vielen
Spekulationen mit kleinen Parten zu beteiligen, als selbstaendig zu
spekulieren; Cato riet dem Kapitalisten, nicht ein einzelnes Schiff
mit seinem Gelde auszuruesten, sondern mit neunundvierzig andern
Kapitalisten zusammen fuenfzig Schiffe auszusenden und an jedem zum
fuenfzigsten Teil sich zu interessieren. Die hierdurch herbeigefuehrte
groessere Verwicklung der Geschaeftsfuehrung uebertrug der roemische
Kaufmann durch seine puenktliche Arbeitsamkeit und seine - vom reinen
Kapitalistenstandpunkt aus freilich unserem Kontorwesen bei weitem
vorzuziehende - Sklaven- und Freigelassenenwirtschaft. So griffen diese
kaufmaennischen Assoziationen mit hundertfachen Faeden in die Oekonomie
eines jeden angesehenen Roemers ein. Es gab nach Polybios' Zeugnis
kaum einen vermoegenden Mann in Rom, der nicht als offener oder stiller
Gesellschafter bei den Staatspachtungen beteiligt gewesen waere; und
um soviel mehr wird ein jeder durchschnittlich einen ansehnlichen Teil
seines Kapitals in den kaufmaennischen Assoziationen ueberhaupt stecken
gehabt haben. ---------------------------------------------- ^16 In
dem merkwuerdigen Musterkontrakt Catos (agr. 144) fuer den wegen der
Olivenlese abzuschliessenden Akkord findet sich folgender Paragraph:
"Es soll [bei der Lizitation von den Unternehmungslustigen] niemand
zuruecktreten, um zu bewirken, dass die Olivenlese und Presse teurer
verdungen werde; ausser wenn [der Mitbieter den andern Bieter] sofort
als seinen Kompagnon namhaft macht. Wenn dagegen gefehlt zu sein
scheint, so sollen auf Verlangen des Gutsherrn oder des von ihm
bestellten Aufsehers alle Kompagnons [derjenigen Assoziation, mit
welcher der Akkord abgeschlossen worden ist,] beschwoeren, [nicht zu
jener Beseitigung der Konkurrenz mitgewirkt zu haben]. Wenn sie den
Eid nicht schwoeren, wird der Akkordpreis nicht gezahlt." Dass der
Unternehmer eine Gesellschaft, nicht ein einzelner Kapitalist ist,
wird stillschweigend vorausgesetzt.
--------------------------------------------- Auf allem diesem
aber beruht die Dauer der roemischen Vermoegen, die vielleicht noch
merkwuerdiger ist als deren Groesse. Die frueher hervorgehobene, in
dieser Art vielleicht einzige Erscheinung, dass der Bestand der grossen
Geschlechter durch mehrere Jahrhunderte sich fast gleich bleibt,
findet hier, in den einigermassen engen, aber soliden Grundsaetzen
der kaufmaennischen Vermoegensverwaltung ihre Erklaerung. Bei der
einseitigen Hervorhebung des Kapitals in der roemischen Oekonomie
konnten die von der reinen Kapitalistenwirtschaft unzertrennlichen
Uebelstaende nicht ausbleiben. Die buergerliche Gleichheit, welche
bereits durch das Emporkommen des regierenden Herrenstandes eine
toedliche Wunde empfangen hatte, erlitt einen gleich schweren Schlag
durch die scharf und immer schaerfer sich zeichnende soziale Abgrenzung
der Reichen und der Armen. Fuer die Scheidung nach unten hin ist
nichts folgenreicher geworden als der schon erwaehnte, anscheinend
gleichgueltige, in der Tat einen Abgrund von Kapitalistenuebermut und
Kapitalistenfrevel in sich schliessende Satz, dass es schimpflich sei,
fuer die Arbeit Geld zu nehmen - es zog sich damit die Scheidewand
nicht bloss zwischen dem gemeinen Tageloehner und Handwerker und dem
respektablen Guts- und Fabrikbesitzer, sondern ebenso auch zwischen dem
Soldaten und Unteroffizier und dem Kriegstribun, zwischen dem Schreiber
und Boten und dem Beamten. Nach oben hin zog eine aehnliche Schranke das
von Gaius Flaminius veranlasste Claudische Gesetz (kurz vor 536 218),
welches Senatoren und Senatorensoehnen untersagte, Seeschiffe ausser zum
Transport des Ertrags ihrer Landgueter zu besitzen und wahrscheinlich
auch sich bei den oeffentlichen Lizitationen zu beteiligen, ueberhaupt
ihnen alles das zu betreiben verbot, was die Roemer unter "Spekulation"
(quaestus) verstanden ^17. Zwar ward diese Bestimmung nicht von den
Senatoren hervorgerufen, sondern war ein Werk der demokratischen
Opposition, welche damit zunaechst wohl nur den Uebelstand beseitigen
wollte, dass Regierungsmitglieder mit der Regierung selbst Geschaefte
machten; es kann auch sein, dass die Kapitalisten hier schon, wie
spaeter so oft, mit der demokratischen Partei gemeinschaftliche Sache
gemacht und die Gelegenheit wahrgenommen haben, durch den Ausschluss der
Senatoren die Konkurrenz zu vermindern. Jener Zweck ward natuerlich nur
sehr unvollkommen erreicht, da das Assoziationswesen den Senatoren Wege
genug eroeffnete, im stillen weiter zu spekulieren; aber wohl hat dieser
Volksschluss eine gesetzliche Grenze zwischen den nicht oder doch nicht
offen spekulierenden und den spekulierenden Vornehmen gezogen und
der zunaechst politischen eine reine Finanzaristokratie an die Seite
gestellt, den spaeter so genannten Ritterstand, dessen Rivalitaeten mit
dem Herrenstand die Geschichte des folgenden Jahrhunderts erfuellen.
----------------------------------------------------- ^17 Liv. 21, 63
(vgl. Cic. Verr. 5, 18, 45) spricht nur von der Verordnung ueber die
Seeschiffe; aber dass auch die Staatsentreprisen (redemptiones) dem
Senator gesetzlich untersagt waren, sagen Asconius (tog. cand. p.
94 Orelli) und Dio Cassius (55, 10, 5), und da nach Livius "jede
Spekulation fuer den Senator unschicklich gefunden ward", so hat
das Claudische Gesetz wahrscheinlich weiter gereicht.
---------------------------------------------------- Eine weitere Folge
der einseitigen Kapitalmacht war das unverhaeltnismaessige Hervortreten
eben der sterilsten und fuer die Volkswirtschaft im ganzen und grossen
am wenigsten produktiven Verkehrszweige. Die Industrie, die in erster
Stelle haette erscheinen sollen, stand vielmehr an der letzten. Der
Handel bluehte; aber er war durchgaengig passiv. Nicht einmal an der
Nordgrenze scheint man imstande gewesen zu sein, fuer die Sklaven,
welche aus den keltischen und wohl auch schon aus den deutschen Laendern
nach Ariminum und den anderen norditalischen Maerkten stroemten, mit
Waren Deckung zu geben; wenigstens wurde schon 523 (231) die Ausfuhr des
Silbergeldes in das Keltenland von der roemischen Regierung untersagt.
In dem Verkehr nun gar mit Griechenland, Syrien, Aegypten, Kyrene,
Karthago musste die Bilanz notwendig zum Nachteil Italiens sich stellen.
Rom fing an, die Hauptstadt der Mittelmeerstaaten und Italien Roms
Weichbild zu werden; mehr wollte man eben auch nicht sein und liess
den Passivhandel, wie jede Stadt, die nichts weiter als Hauptstadt ist,
notwendig ihn fuehrt, mit opulenter Gleichgueltigkeit sich gefallen -
besass man doch Geld genug, um damit alles zu bezahlen, was man brauchte
und nicht brauchte. Dagegen die unproduktivsten aller Geschaefte, der
Geldhandel und das Hebungswesen, waren der rechte Sitz und die feste
Burg der roemischen Oekonomie. Was endlich in dieser noch an Elementen
zur Emporbringung eines wohlhabenden Mittel- und auskoemmlichen
Kleinstandes enthalten war, verkuemmerte unter dem unseligen
Sklavenbetrieb oder steuerte im besten Fall zur Vermehrung des
leidigen Freigelassenenstandes bei. Aber vor allem zehrte die tiefe
Unsittlichkeit, welche der reinen Kapitalwirtschaft inwohnt, an dem
Marke der Gesellschaft und des Gemeinwesens und ersetzte die Menschen-
und die Vaterlandsliebe durch den unbedingten Egoismus. Der bessere Teil
der Nation empfand es sehr lebendig, welche Saat des Verderbens in
jenem Spekulantentreiben lag; und vor allem richteten sich der
instinktmaessige Hass des grossen Haufens wie die Abneigung des
wohlgesinnten Staatsmanns gegen das seit langem von den Gesetzen
verfolgte und dem Buchstaben des Rechtes nach immer noch verpoente
gewerbsmaessige Leihgeschaeft. Es heisst in einem Lustspiel dieser Zeit:
Wahrhaftig gleich eracht' ich ganz die Kuppler und euch Wuchrer; Wenn
jene feilstehn insgeheim, tut ihr's auf offnem Markte. Mit Kneipen die,
mit Zinsen ihr, schindet die Leut' ihr beide. Gesetze gnug hat eurethalb
die Buergerschaft erlassen; Ihr bracht' sie, wie man sie erliess; ein
Schlupf ist stets gefunden. Wie heisses Wasser, das verkuehlt, so achtet
das Gesetz ihr. Energischer noch als der Lustspieldichter sprach der
Fuehrer der Reformpartei Cato sich aus. "Es hat manches fuer sich",
heisst es in der Vorrede seiner Anweisung zum Ackerbau, "Geld auf Zinsen
zu leihen; aber es ist nicht ehrenhaft. Unsere Vorfahren haben also
geordnet und in dem Gesetze geschrieben, dass der Dieb zwiefachen,
der Zinsnehmer vierfachen Ersatz zu leisten schuldig sei; woraus
man abnehmen kann, ein wieviel schlechterer Buerger als der Dieb der
Zinsnehmer von ihnen erachtet ward". Der Unterschied, meint er anderswo,
zwischen einem Geldverleiher und einem Moerder sei nicht gross; und man
muss es ihm lassen, dass er in seinen Handlungen nicht hinter seinen
Reden zurueckblieb - als Statthalter in Sardinien hat er durch seine
strenge Rechtspflege die roemischen Bankiers geradezu zum Lande
hinausgetrieben. Der regierende Herrenstand betrachtete ueberhaupt
seiner ueberwiegenden Majoritaet nach die Wirtschaft der Spekulanten
mit Widerwillen und fuehrte sich nicht bloss durchschnittlich
rechtschaffener und ehrbarer in den Provinzen als diese Geldleute,
sondern tat auch oefter ihnen Einhalt; nur brachen der haeufige Wechsel
der roemischen Oberbeamten und die unvermeidliche Ungleichheit ihrer
Gesetzhandhabung dem Bemuehen, jenem Treiben zu steuern, notwendig die
Spitze ab. Man begriff es auch wohl, was zu begreifen nicht schwer
war, dass es weit weniger darauf ankam, die Spekulation polizeilich zu
ueberwachen, als der ganzen Volkswirtschaft eine veraenderte Richtung zu
geben; hauptsaechlich in diesem Sinne wurde von Maennern, wie Cato
war, durch Lehre und Beispiel der Ackerbau gepredigt. "Wenn unsere
Vorfahren", faehrt Cato in der eben angefuehrten Vorrede fort, "einem
tuechtigen Mann die Lobrede hielten, so lobten sie ihn als einen
tuechtigen Bauern und einen tuechtigen Landwirt; wer also gelobt ward,
schien das hoechste Lob erhalten zu haben. Den Kaufmann halte ich
fuer wacker und erwerbsfleissig; aber sein Geschaeft ist Gefahren und
Ungluecksfaellen allzusehr ausgesetzt. Dagegen die Bauern geben die
tapfersten Leute und die tuechtigsten Soldaten; kein Erwerb ist wie
dieser ehrbar, sicher und niemandem gehaessig, und die damit sich
abgeben, kommen am wenigsten auf boese Gedanken". Von sich selber
pflegte er zu sagen, dass sein Vermoegen lediglich aus zwei
Erwerbsquellen herstamme: aus dem Ackerbau und aus der Sparsamkeit; und
wenn das auch weder sehr logisch gedacht noch genau der Wahrheit gemaess
war ^18, so hat er doch nicht mit Unrecht seinen Zeitgenossen wie der
Nachwelt als das Muster eines roemischen Gutsbesitzers gegolten. Leider
ist es eine ebenso merkwuerdige wie schmerzliche Wahrheit, dass
dieses soviel und sicher im besten Glauben gepriesene Heilmittel
der Landwirtschaft selber durchdrungen war von dem Gifte der
Kapitalistenwirtschaft. Bei der Weidewirtschaft liegt dies auf der
Hand; sie war darum auch bei dem Publikum am meisten beliebt und bei der
Partei der sittlichen Reform am wenigsten gut angeschrieben. Aber wie
war es denn mit dem Ackerbau selbst? Der Krieg, den vom dritten bis zum
fuenften Jahrhundert der Stadt das Kapital gegen die Arbeit in der Art
gefuehrt hatte, dass es mittels des Schuldzinses die Bodenrente den
arbeitenden Bauern entzog und den muessig zehrenden Rentiers in die
Haende fuehrte, war ausgeglichen worden hauptsaechlich durch die
Erweiterung der roemischen Oekonomie und das Hinueberwerfen des in
Latium vorhandenen Kapitals auf die in dem ganzen Mittelmeergebiet
taetige Spekulation. Jetzt vermochte auch das ausgedehnte
Geschaeftsgebiet die gesteigerte Kapitalmasse nicht mehr zu fassen;
und eine wahnwitzige Gesetzgebung arbeitete zugleich daran, teils die
senatorischen Kapitalien auf kuenstlichem Wege zur Anlage in italischem
Grundbesitz zu draengen, teils durch die Einwirkung auf die Kornpreise
das italische Ackerland systematisch zu entwerten. So begann denn der
zweite Feldzug des Kapitals gegen die freie Arbeit oder, was im Altertum
wesentlich dasselbe ist, gegen die Bauernwirtschaft; und war der
erste arg gewesen, so schien er mit dem zweiten verglichen milde und
menschlich. Die Kapitalisten liehen nicht mehr an den Bauern auf
Zinsen aus, was an sich schon nicht anging, da der Kleinbesitzer keinen
Ueberschuss von Belang mehr erzielte, und auch nicht einfach und
nicht radikal genug war, sondern sie kauften die Bauernstellen auf und
verwandelten sie im besten Fall in Meierhoefe mit Sklavenwirtschaft.
Man nannte das ebenfalls Ackerbau; in der Tat war es wesentlich die
Anwendung der Kapitalwirtschaft auf die Erzeugung der Bodenfruechte.
Die Schilderung der Ackerbauer, die Cato gibt, ist vortrefflich und
vollkommen richtig; aber wie passt sie auf die Wirtschaft selbst, die er
schildert und anraet? Wenn ein roemischer Senator, wie das nicht selten
gewesen sein kann, solcher Landgueter wie das von Cato beschriebene
vier besass, so lebten auf dem gleichen Raum, der zur Zeit der alten
Kleinherrschaft hundert bis hundertundfuenfzig Bauernfamilien ernaehrt
hatte, jetzt eine Familie freier Leute und etwa fuenfzig groesstenteils
unverheiratete Sklaven. Wenn dies das Heilmittel war, um die sinkende
Volkswirtschaft zu bessern, so sah es leider der Krankheit selber bis
zum Verwechseln aehnlich. ---------------------------------------------
^18 Einen Teil seines Vermoegens steckte Cato wie jeder andere Roemer
in Viehzucht und Handels- und andere Unternehmungen. Aber es war
nicht seine Art, geradezu die Gesetze zu verletzen; er hat weder in
Staatspachtungen spekuliert, was er als Senator nicht durfte, noch
Zinsgeschaefte betrieben. Man tut ihm Unrecht, wenn man ihm in letzter
Beziehung eine von seiner Theorie abweichende Praxis vorwirft: das
Seedarlehen, mit dem er allerdings sich abgab, ist vor dem Gesetz kein
verbotener Zinsbetrieb und gehoert auch der Sache nach wesentlich zu
den Reederei- und Befrachtungsgeschaeften.
------------------------------------------------- Das Gesamtergebnis
dieser Wirtschaft liegt in den veraenderten Bevoelkerungsverhaeltnissen
nur zu deutlich vor Augen. Freilich war der Zustand der italischen
Landschaften sehr ungleich und zum Teil sogar gut. Die bei der
Kolonisation des Gebietes zwischen den Apenninen und dem Po in grosser
Anzahl daselbst gegruendeten Bauernstellen verschwanden nicht so
schnell. Polybios, der nicht lange nach dem Ende dieser Periode
die Gegend bereiste, ruehmt ihre zahlreiche, schoene und kraeftige
Bevoelkerung; bei einer richtigen Korngesetzgebung waere es wohl
moeglich gewesen, nicht Sizilien, sondern die Polandschaft zur
Kornkammer der Hauptstadt zu machen. Aehnlich hatte Picenum und der
sogenannte "gallische Acker" durch die Aufteilungen des Domaniallandes
in Gemaessheit des Flaminischen Gesetzes 522 (232) eine zahlreiche
Bauernschaft erhalten, welche freilich im Hannibalischen Krieg arg
mitgenommen ward. In Etrurien und wohl auch in Umbrien waren die inneren
Verhaeltnisse der untertaenigen Gemeinden dem Gedeihen eines freien
Bauernstandes unguenstig. Besser stand es in Latium, dem die Vorteile
des hauptstaedtischen Marktes doch nicht ganz entzogen werden konnten
und das der Hannibalische Krieg im ganzen verschont hatte, sowie in den
abgeschlossenen Bergtaelern der Marser und Sabeller. Sueditalien dagegen
hatte der Hannibalische Krieg furchtbar heimgesucht und ausser einer
Menge kleinerer Ortschaften die beiden groessten Staedte, Capua und
Tarent, beide einst imstande, Heere von 30000 Mann ins Feld zu stellen,
zugrunde gerichtet. Samnium hatte von den schweren Kriegen des fuenften
Jahrhunderts sich wieder erholt; nach der Zaehlung von 529 (225) war
es imstande, halb soviel Waffenfaehige zu stellen als die saemtlichen
latinischen Staedte und wahrscheinlich damals nach dem roemischen
Buergerdistrikt die bluehendste Landschaft der Halbinsel. Allein
der Hannibalische Krieg hatte das Land aufs neue veroedet und die
Ackeranweisungen daselbst an die Soldaten des Scipionischen Heeres,
obwohl bedeutend, deckten doch wahrscheinlich nicht den Verlust. Noch
uebler waren in demselben Kriege Kampanien und Apulien, beides bis dahin
wohlbevoelkerte Landschaften, von Freund und Feind zugerichtet worden.
In Apulien fanden spaeter zwar Ackeranweisungen statt, allein die hier
angelegten Kolonien wollten nicht gedeihen. Bevoelkerter blieb die
schoene kampanische Ebene; doch ward die Mark von Capua und der anderen,
im Hannibalischen Kriege aufgeloesten Gemeinden Staatsbesitz und waren
die Inhaber derselben durchgaengig nicht Eigentuemer, sondern kleine
Zeitpaechter. Endlich in dem weiten lucanischen und brettischen Gebiet
ward die schon vor dem Hannibalischen Krieg sehr duenne Bevoelkerung
von der ganzen Schwere des Krieges selbst und der daran sich reihenden
Strafexekutionen getroffen; und auch von Rom aus geschah nicht viel, um
hier den Ackerbau wieder in die Hoehe zu bringen - mit Ausnahme etwa von
Valentia (Vibo, jetzt Monteleone) kam keine der dort angelegten
Kolonien recht in Aufnahme. Bei aller Ungleichheit der politischen
und oekonomischen Verhaeltnisse der verschiedenen Landschaften und dem
verhaeltnismaessig bluehenden Zustand einzelner derselben ist im ganzen
doch der Rueckgang unverkennbar, und er wird durch die unverwerflichsten
Zeugnisse ueber den allgemeinen Zustand Italiens bestaetigt. Cato und
Polybios stimmen darin ueberein, dass Italien am Ende des sechsten
Jahrhunderts weit schwaecher als am Ende des fuenften bevoelkert und
keineswegs mehr imstande war, Heermassen aufzubringen wie im Ersten
Punischen Kriege. Die steigende Schwierigkeit der Aushebung,
die Notwendigkeit, die Qualifikation zum Dienst in den Legionen
herabzusetzen, die Klagen der Bundesgenossen ueber die Hoehe der von
ihnen zu stellenden Kontingente bestaetigen diese Angaben; und was die
roemische Buergerschaft anlangt, so reden die Zahlen. Sie zaehlte
im Jahre 502 (252), kurz nach Regulus' Zug nach Afrika, 298000
waffenfaehige Maenner; dreissig Jahre spaeter, kurz vor dem Anfang des
Hannibalischen Krieges (534 220), war sie auf 270000 Koepfe, also um
ein Zehntel, wieder zwanzig Jahre weiter, kurz vor dem Ende desselben
Krieges (550 204) auf 214000 Koepfe, also um ein Viertel gesunken; und
ein Menschenalter nachher, waehrend dessen keine ausserordentlichen
Verluste eingetreten waren, wohl aber die Anlage besonders der
grossen Buergerkolonien in der norditalischen Ebene einen fuehlbaren
ausserordentlichen Zuwachs gebracht hatte, war dennoch kaum die Ziffer
wieder erreicht, auf der die Buergerschaft zu Anfang dieser Periode
gestanden hatte. Haetten wir aehnliche Ziffern fuer die italische
Bevoelkerung ueberhaupt, so wuerden sie ohne allen Zweifel ein
verhaeltnismaessig noch ansehnlicheres Defizit aufweisen. Das Sinken
der Volkskraft laesst sich weniger belegen, doch ist es von
landwirtschaftlichen Schriftstellern bezeugt, dass Fleisch und Milch
aus der Nahrung des gemeinen Mannes mehr und mehr verschwanden. Daneben
wuchs die Sklavenbevoelkerung, wie die freie sank. In Apulien, Lucanien
und dem Brettierland muss schon zu Catos Zeit die Viehwirtschaft den
Ackerbau ueberwogen haben; die halbwilden Hirtensklaven waren hier
recht eigentlich die Herren im Hause. Apulien ward durch sie so unsicher
gemacht, dass starke Besatzung dorthin gelegt werden musste; im Jahre
569 (185) wurde daselbst eine im groessten Massstab angelegte, auch mit
dem Bacchanalienwesen sich verzweigende Sklavenverschwoerung entdeckt
und gegen 7000 Menschen kriminell verurteilt. Aber auch in Etrurien
mussten roemische Truppen gegen eine Sklavenbande marschieren (558 196,
und sogar in Latium kam es vor, dass Staedte wie Setia und Praeneste
Gefahr liefen, von einer Bande entlaufener Knechte ueberrumpelt zu
werden (556 198). Zusehends schwand die Nation zusammen und loeste
die Gemeinschaft der freien Buerger sich auf in eine Herren- und
Sklavenschaft; und obwohl es zunaechst die beiden langjaehrigen Kriege
mit Karthago waren, welche die Buerger- wie die Bundesgenossenschaft
dezimierten und ruinierten, so haben zu dem Sinken der italischen
Volkskraft und Volkszahl die roemischen Kapitalisten ohne Zweifel
ebensoviel beigetragen wie Hamilkar und Hannibal. Es kann niemand
sagen, ob die Regierung haette helfen koennen; aber erschreckend und
beschaemend ist es, dass in den doch grossenteils wohlmeinenden und
tatkraeftigen Kreisen der roemischen Aristokratie nicht einmal die
Einsicht in den ganzen Ernst der Situation und die Ahnung von der ganzen
Hoehe der Gefahr sich offenbart. Als eine roemische Dame vom hohen
Adel, die Schwester eines der zahlreichen Buergeradmirale, die im Ersten
Punischen Krieg die Flotten der Gemeinde zugrunde gerichtet hatten,
eines Tages auf dem roemischen Markt ins Gedraenge geriet, sprach sie es
laut vor den Umstehenden aus, dass es hohe Zeit sei, ihren Bruder wieder
an die Spitze einer Flotte zu stellen und durch einen neuen Aderlass der
Buergerschaft auf dem Markte Luft zu machen (508 246). So dachten und
sprachen freilich die wenigsten; aber es war diese frevelhafte Rede doch
nichts als der schneidende Ausdruck der straeflichen Gleichgueltigkeit,
womit die gesamte hohe und reiche Welt auf die gemeine Buerger- und
Bauernschaft herabsah. Man wollte nicht gerade ihr Verderben, aber man
liess es geschehen; und so kam denn ueber das eben noch in maessiger
und verdienter Wohlfahrt unzaehliger freier und froehlicher Menschen
bluehende italische Land mit Riesenschnelle die Veroedung. 13. Kapitel
Glaube und Sitte In strenger Bedingtheit verfloss dem Roemer das Leben
und je vornehmer er war, desto weniger war er ein freier Mann. Die
allmaechtige Sitte bannte ihn in einen engen Kreis des Denkens und
Handelns und streng und ernst oder, um die bezeichnenden lateinischen
Ausdruecke zu brauchen, traurig und schwer gelebt zu haben, war sein
Ruhm. Keiner hatte mehr und keiner weniger zu tun, als sein Haus in
guter Zucht zu halten und in Gemeideangelegenheiten mit Tat und Rat
seinen Mann zu stehen. Indem aber der einzelne nichts sein wollte noch
sein konnte als ein Glied der Gemeinde, ward der Ruhm und die Macht
der Gemeinde auch von jedem einzelnen Buerger als persoenlicher
Besitz empfunden und ging zugleich mit dem Namen und dern Hof auf die
Nachfahren ueber; und wie also ein Geschlecht nach dem anderen in die
Gruft gelegt. ward und jedes folgende zu dem alten Ehrenbestande neuen
Erwerb haeufte, schwoll das Gesamtgefuehl der edlen roemischen Familien
zu jenem gewaltigen Buergerstolz an, dessengleichen die Erde wohl nicht
wieder gesehen hat und dessen so fremd- wie grossartige Spuren, wo wir
ihnen begegnen, uns gleichsam einer anderen Welt anzugehoeren scheinen.
Zwar gehoerte zu dem eigentuemlichen Gepraege dieses maechtigen
Buergersinnes auch dies, dass er durch die starre buergerliche
Einfachheit und Gleichheit waehrend des Lebens nicht unterdrueckt, aber
gezwungen ward, sich in die schweigende Brust zu verschliessen und dass
er erst nach dem Tode sich aeussern durfte; dann aber trat er auch
in dem Leichenbegaengnis des angesehenen Mannes mit einer sinnlichen
Gewaltigkeit hervor, die mehr als jede andere Erscheinung im roemischen
Leben geeignet ist, uns Spaeteren von diesem wunderbaren Roemergeist
eine Ahnung zu geben. Es war ein seltsamer Zug, dem beizuwohnen die
Buergerschaft geladen ward durch den Ruf des Weibels der Gemeinde:
"Jener Wehrmann ist Todes verblichen; wer da kann, der komme, dem Lucius
Aemilius das Geleite zu geben; er wird weggetragen aus seinem Hause".
Es eroeffneten ihn die Scharen der Klageweiber, der Musikanten und
der Taenzer, von welchen letzteren einer in Kleidung und Maske als des
Verstorbenen Konterfei erschien, auch wohl gestikulierend und agierend
den wohlbekannten Mann noch einmal der Menge vergegenwaertigte. Sodann
folgte der grossartigste und eigentuemlichste Teil dieser Feierlichkeit,
die Ahnenprozession, gegen die alles uebrige Gepraenge so verschwand,
dass wahrhaft vornehme roemische Maenner wohl ihren Erben vorschrieben,
die Leichenfeier lediglich darauf zu beschraenken. Es ist schon frueher
gesagt worden, dass von denjenigen Ahnen, die die kurulische Aedilitaet
oder ein hoeheres ordentliches Amt bekleidet hatten, die in Wachs
getriebenen und bemalten Gesichtsmasken, soweit moeglich nach dem Leben
gefertigt, aber auch fuer die fruehere Zeit bis in und ueber die der
Koenige hinauf nicht mangelnd, an den Waenden des Familiensaales in
hoelzernen Schreinen aufgestellt zu werden pflegten und als der hoechste
Schmuck des Hauses galten. Wenn ein Todesfall in der Familie eintrat,
so wurden mit diesen Gesichtsmasken und der entsprechenden Amtstracht
geeignete Leute, namentlich Schauspieler, fuer das Leichenbegaengnis
staffiert, so dass die Vorfahren, jeder in dem bei Lebzeiten von ihm
gefuehrten vornehmsten Schmuck, der Triumphator im goldgestickten, der
Zensor im purpurnen, der Konsul im purpurgesaeumten Mantel, mit ihren
Liktoren und den sonstigen Abzeichen ihres Amtes, alle zu Wagen dem
Toten das letzte Geleite gaben. Auf der mit schweren purpurnen und
goldgestickten Decken und feinen Leintuechern ueberspreiteten Bahre lag
dieser selbst, gleichfalls in dem vollen Schmuck des hoechsten von ihm
bekleideten Amtes und umgeben von den Ruestungen der von ihm erlegten
Feinde und den in Scherz und Ernst ihm gewonnenen Kraenzen. Hinter
der Bahre kamen die Leidtragenden, alle in schwarzem Gewande und ohne
Schmuck, die Soehne des Verstorbenen mit verhuelltem Haupt, die Toechter
ohne Schleier, die Verwandter. und Geschlechtsgenossen, die Freunde,
Klienten: und Freigelassenen. So ging der Zug auf den Markt. Hier wurde
die Leiche in die Hoehe gerichtet; die Ahnen stiegen von den Wagen
herab und liessen auf den kurulischen Stuehlen sich nieder, und des
verstorbenen Sohn oder der naechste Geschlechtsgenosse betrat die
Rednerbuehne, um in schlichter Aufzaehlung die Namen und Taten eines
jeden der im Kreise herumsitzenden Maenner und zuletzt die des juengst
Verstorbenen der versammelten Menge zu verlautbaren. Man mag das
Barbarensitte nennen, und eine kuenstlerisch empfindende Nation haette
freilich diese wunderliche Auferstehung der Toter, sicherlich nicht bis
in die Epoche der voll entwickelten Zivilisation hinein ertragen; aber
selbst sehr kuehle und sehr wenig ehrfuerchtig geartete Griechen, wie
zum Beispiel Polybios, liessen doch durch die grandiose Naivitaet
dieser Totenfeier sich imponieren. Zu der ernsten Feierlichkeit, zu dem
gleichfoermigen Zuge, zu der stolzen Wuerdigkeit des roemischen
Lebens gehoerte es notwendig mit, dass die abgeschiedenen Geschlechter
fortfuhren, gleichsam koerperlich unter dem gegenwaertigen zu wandeln
und dass, wenn ein Buerger, der Muehsal und der Ehren satt, zu seinen
Vaetern versammelt ward, diese Vaeter selbst auf dem Markte erschienen,
um ihn in ihrer Mitte zu empfangen. Aber man war jetzt an einem
Wendepunkt angelangt. Soweit Roms Macht sich nicht mehr auf Italien
beschraenkte, sondern weithin nach Osten und Westen uebergriff, war es
auch mit der alten italischen Eigenartigkeit vorbei und trat an deren
Stelle die hellenisierende Zivilisation. Zwar unter griechischem
Einfluss hatte Italien gestanden, seit es ueberhaupt eine Geschichte
hatte. Es ist frueher dargestellt worden, wie das jugendliche
Griechenland und das jugendliche Italien, beide mit einer gewissen
Naivitaet und Originalitaet, geistige Anregungen gaben und empfingen;
wie in spaeterer Zeit in mehr aeusserlicher Weise Rom sich die Sprache
und die Erfindungen der Griechen zum praktischen Gebrauche anzueignen
bemueht war. Aber der Hellenismus der Roemer dieser Zeit war dennoch in
seinen Ursachen wie in seinen Folgen etwas wesentlich Neues. Man fing
an, das Beduerfnis nach einem reicheren Geistesleben zu empfinden und
vor der eigenen geistigen Nichtigkeit gleichsam zu erschrecken; und
wenn selbst kuenstlerisch begabte Nationen, wie die englische und die
deutsche, in den Pausen ihrer Produktivitaet es nicht verschmaeht
haben, sich der armseligen franzoesischen Kultur als Lueckenbuesser zu
bedienen, so kann es nicht befremden, dass die italische jetzt sich mit
brennendem Eifer auf die herrlichen Schaetze wie auf den wuesten Unflat
der geistigen Entwicklung von Hellas warf. Aber es war doch noch etwas
Tieferes und Innerlicheres, was die Roemer unwiderstehlich in den
hellenischen Strudel hineinriss. Die hellenische Zivilisation nannte
wohl noch sich hellenisch, aber sie war es nicht mehr, sondern vielmehr
humanistisch und kosmopolitisch. Sie hatte auf dem geistigen Gebiete
vollstaendig und bis zu einem gewissen Grade auch politisch das Problem
geloest, aus einer Masse verschiedener Nationen ein Ganzes zu gestalten;
und indem dieselbe Aufgabe in weiteren Grenzen jetzt auf Rom ueberging,
uebernahm es mit der anderen Erbschaft Alexanders des Grossen auch den
Hellenismus. Darum ist derselbe jetzt weder bloss Anregung mehr noch
Nebensache, sondern durchdringt das innerste Mark der italischen Nation.
Natuerlich straeubte die lebenskraeftige italische Eigenartigkeit sich
gegen das fremde Element. Erst nach dem heftigsten Kampfe raeumte der
italische Bauer dem weltbuergerlichen Grossstaedter das Feld; und wie
bei uns der franzoesische Frack den germanischen Deutschrock ins Leben
gerufen hat, so hat auch der Rueckschlag des Hellenismus in Rom eine
Richtung erweckt, die sich in einer den frueheren Jahrhunderten durchaus
fremden Weise dem griechischen Einfluss prinzipiell opponierte und dabei
ziemlich haeufig in derbe Albernheiten und Laecherlichkeiten verfiel. Es
gab kein Gebiet des menschlichen Tuns und Sinnens, auf dem dieser Kampf
der alten und der neuen Weise nicht gefuehrt worden waere. Selbst die
politischen Verhaeltnisse wurden davon beherrscht. Das wunderliche
Projekt, die Hellenen zu emanzipieren, dessen wohlverdienter Schiffbruch
frueher dargestellt ward; der verwandte gleichfalls hellenische
Gedanke der Solidaritaet der Republiken den Koenigen gegenueber und die
Propaganda hellenischer Politie gegen orientalische Despotie, welche
beide zum Beispiel fuer die Behandlung Makedoniens mit massgebend
gewesen sind, sind die fixen Ideen der neuen Schule, eben wie die
Karthagerfurcht die fixe Idee der alten war; und wenn Cato die
letztere bis zur Laecherlichkeit gepredigt hat, so ward auch mit dem
Philhellenentum hier und da wenigstens ebenso albern kokettiert - so zum
Beispiel liess der Besieger des Koenigs Antiochos nicht bloss sich in
griechischer Tracht seine Bildsaeule auf dem Kapitol errichten, sondern
legte auch, statt auf gut lateinisch sich Asiaticus zu nennen, den
freilich sinn- und sprachwidrigen, aber doch praechtigen und beinahe
griechischen Beinamen Asiagenus sich zu ^1. Eine wichtigere Konsequenz
dieser Stellung der herrschenden Nation zu dem Hellenentum war es, dass
die Latinisierung in Italien ueberall, nur nicht den Hellenen gegenueber
Boden gewann. Die Griechenstaedte in Italien, soweit der Krieg sie nicht
zernichtete, blieben griechisch. In Apulien, um das die Roemer
sich freilich wenig bekuemmerten, scheint eben in dieser Epoche der
Hellenismus vollstaendig durchgedrungen zu sein und die dortige lokale
Zivilisation mit der verbluehenden hellenischen sich ins Niveau gesetzt
zu haben. Die Ueberlieferung schweigt zwar davon; aber die zahlreichen,
durchgaengig mit griechischer Aufschrift versehenen Stadtmuenzen und die
hier allein in Italien mehr schwunghaft und praechtig als geschmackvoll
betriebene Fabrikation bemalter Tongefaesse nach griechischer Art zeigen
uns Apulien vollstaendig eingegangen in griechische Art und griechische
Kunst. --------------------------------------------------- ^1 Dass
Asiagenus die urspruengliche Titulatur des Helden von Magnesia und
seiner Deszendenten war, ist durch Muenzen und Inschriften festgestellt;
wenn die kapitolinischen Fasten ihn Asiaticus nennen, so stellt sich
dies zu den mehrfach vorkommenden Spuren nicht gleichzeitiger Redaktion.
Es kann jener Beiname nichts sein als eine Korruption von Asiagen/e/s.
wie auch spaetere Schriftsteller wohl dafuer schreiben, was aber
nicht den Sieger von Asia bezeichnet, sondern den geborenen Asiaten.
---------------------------------------------------- Aber der
eigentliche Kampfplatz des Hellenismus und seiner nationalen
Antagonisten war in der gegenwaertigen Periode das Gebiet des Glaubens
und der Sitte und der Kunst und Literatur; und es darf nicht unterlassen
werden, von dieser freilich in tausenderlei Richtungen zugleich sich
bewegenden und schwer zu einer Anschauung zusammenzufassenden grossen
Prinzipienfehde eine Darstellung zu versuchen. Wie der alte einfache
Glaube noch jetzt in den Italikern lebendig war, zeigt am deutlichsten
die Bewunderung oder Verwunderung, welche dies Problem der italischen
Froemmigkeit bei den hellenischen Zeitgenossen erregte. Bei dem Zwiste
mit den Aetolern bekam es der roemische Oberfeldherr zu hoeren, dass
er waehrend der Schlacht nichts getan habe als wie ein Pfaffe beten und
opfern; wogegen Polybios mit seiner etwas platten Gescheitheit seine
Landsleute auf die politische Nuetzlichkeit dieser Gottesfurcht
aufmerksam macht und sie belehrt, dass der Staat nun einmal nicht aus
lauter klugen Leuten bestehen koenne und dergleichen Zeremonien um der
Menge willen sehr zweckmaessig seien. Aber wenn man in Italien noch
besass, was in Hellas laengst eine Antiquitaet war, eine nationale
Religion, so fing sie doch schon sichtlich an, sich zur Theologie zu
verknoechern. In nichts vielleicht tritt die beginnende Erstarrung
des Glaubens so bestimmt hervor wie in den veraenderten oekonomischen
Verhaeltnissen des Gottesdienstes und der Priesterschaft. Der
oeffentliche Gottesdienst wurde nicht bloss immer weitschichtiger,
sondern vor allem auch immer kostspieliger. Lediglich zu dem wichtigen
Zweck, die Ausrichtung der Goetterschmaeuse zu beaufsichtigen, wurde im
Jahre 558 (196) zu den drei alten Kollegien der Augurn, Pontifices und
Orakelbewahrer ein viertes der drei Schmausherren (tres viri epulones)
hinzugefuegt. Billig schmausen nicht bloss die Goetter, sondern auch
ihre Priester; neuer Stiftungen indes bedurfte es hierfuer nicht, da ein
jedes Kollegium sich seiner Schmausangelegenheiten mit Eifer und
Andacht befliss. Neben den klerikalen Gelagen fehlt auch die klerikale
Immunitaet nicht. Die Priester nahmen selbst in Zeiten schwerer
Bedraengnis es als ihr Recht in Anspruch, zu den oeffentlichen Abgaben
nicht beizutragen und liessen erst nach sehr aergerlichen Kontroversen
sich zur Nachzahlung der rueckstaendigen Steuern zwingen (558 196). Wie
fuer die Gemeinde wurde auch fuer den einzelnen Mann die Froemmigkeit
mehr und mehr ein kostspieliger Artikel. Die Sitte der Stiftungen und
ueberhaupt der Uebernahme dauernder pekuniaerer Verpflichtungen
zu religioesen Zwecken war bei den Roemern in aehnlicher Weise wie
heutzutage in den katholischen Laendern verbreitet; diese Stiftungen,
namentlich seit sie von der hoechsten geistlichen und zugleich hoechsten
Rechtsautoritaet der Gemeinde, den Pontifices, als eine auf jeden Erben
und sonstigen Erwerber des Gutes von Rechts wegen uebergehende Reallast
betrachtet wurden, fingen an, eine hoechst drueckende Vermoegenslast
zu werden - "Erbschaft ohne Opferschuld" ward bei den Roemern
sprichwoertlich gesagt, etwa wie bei uns "Rose ohne Dornen". Das
Geluebde des Zehnten der Habe wurde so gemein, dass jeden Monat ein paar
Male infolgedessen auf dem Rindermarkt in Rom oeffentliches Gastgebot
abgehalten ward. Mit dem orientalischen Kult der Goettermutter gelangten
unter anderem gottseligen Unfug auch die jaehrlich an festen Tagen
wiederkehrenden, von Haus zu Haus geheischten Pfennigkollekten
(stipem cogere) nach Rom. Endlich die untergeordnete Priester- und
Prophetenschaft gab wie billig nichts fuer nichts; und es ist ohne
Zweifel aus dem Leben gegriffen, wenn auf der roemischen Buehne in
der ehelichen Gardinenkonversation neben der Kuechen-, Hebammen- und
Praesentenrechnung auch das fromme Konto mit erscheint: Gleichfalls,
Mann, muss ich was haben auf den naechsten Feiertag Fuer die Kuesterin,
fuer die Wahrsagerin, fuer die Traum- und die kluge Frau; Saehst du nur,
wie die mich anguckt! Eine Schand' ist's, schick' ich nichts. Auch der
Opferfrau durchaus mal geben muss ich ordentlich. Man schuf zwar in
dieser Zeit in Rom nicht wie frueher einen Silber- so jetzt einen
Goldgott; aber in der Tat regierte er dennoch in den hoechsten wie
in den niedrigsten Kreisen des religioesen Lebens. Der alte Stolz
der latinischen Landesreligion, die Billigkeit ihrer oekonomischen
Anforderungen, war unwiederbringlich dahin. Aber gleichzeitig war es
auch mit der alten Einfachheit aus. Das Bastardkind von Vernunft
und Glauben, die Theologie, war bereits geschaeftig, die ihr eigene
beschwerliche Weitlaeufigkeit und feierliche Gedankenlosigkeit in den
alten Landesglauben hinein und dessen Geist damit auszutreiben. Der
Katalog der Verpflichtungen und Vorrechte des Jupiterpriesters zum
Beispiel koennte fueglich im Talmud stehen. Mit der natuerlichen Regel,
dass nur die fehlerlos verrichtete religioese Pflicht den Goettern
genehm sei, trieb man es praktisch so weit, dass ein einzelnes
Opfer wegen wieder und wieder begangener Versehen bis dreissigmal
hintereinander wiederholt wird, dass die Spiele, die ja auch
Gottesdienst waren, wenn der leitende Beamte sich versprochen oder
vergriffen oder die Musik einmal eine unrichtige Pause gemacht hatte,
als nicht geschehen galten und von vorne, oft mehrere, ja bis zu
sieben Malen hintereinander wieder begonnen werden massten. In
dieser Uebertreibung der Gewissenhaftigkeit liegt an sich schon ihre
Erstarrung; und die Reaktion dagegen, die Gleichgueltigkeit und der
Unglaube liessen auch nicht auf sich warten. Schon im Ersten Punischen
Kriege (505 249) kam es vor, dass mit den vor der Schlacht zu
befragenden Auspizien der Konsul selber offenkundigen Spott trieb -
freilich ein Konsul aus dem absonderlichen und im Guten und Boesen der
Zeit voraneilenden Geschlecht der Claudier. Gegen das Ende dieser Epoche
werden schon Klagen laut, dass die Augurallehre vernachlaessigt
werde und dass, mit Cato zu reden, eine Menge alter Vogelkunden und
Vogelschauungen durch die Traegheit des Kollegiums in Vergessenheit
geraten sei. Ein Augur wie Lucius Paullus, der in dem Priestertum
eine Wissenschaft und nicht einen Titel sah, war bereits eine seltene
Ausnahme und musste es auch wohl sein, wenn die Regierung immer offener
und ungescheuter die Auspizien zur Durchsetzung ihrer politischen
Absichten benutzte, das heisst die Landesreligion nach Polybios'
Auffassung als einen zur Prellung des grossen Publikums brauchbaren
Aberglauben behandelte. Wo also vorgearbeitet war, fand die
hellenistische Irreligiositaet offene Bahn. Mit der beginnenden
Kunstliebhaberei fingen schon zu Catos Zeit die heiligen Bildnisse
der Goetter an, die Zimmer der Reichen gleich anderem Hausgeraet zu
schmuecken. Gefaehrlichere Wunden schlug der Religion die beginnende
Literatur. Zwar offene Angriffe durfte sie nicht wagen, und was geradezu
durch sie zu den religioesen Vorstellungen hinzukam, wie zum Beispiel
durch Ennius, der in Nachbildung des griechischen Uranos dem roemischen
Saturnus geschoepfte Vater Caelus, war wohl auch hellenistisch, aber
nicht von grosser Bedeutung. Folgenreich dagegen war die Verbreitung
der Epicharmischen und Euhemeristischen Lehren in Rom. Die poetische
Philosophie, welche die spaeteren Pythagoreer aus den Schriften des
alten sizilischen Lustspieldichters Epicharmos von Megara (um 280 470)
ausgezogen oder vielmehr, wenigstens groesstenteils, ihm untergeschoben
hatten, sah in den griechischen Goettern Natursubstanzen, in Zeus die
Luft, in der Seele ein Sonnenstaeubchen und so weiter; insofern diese
Naturphilosophie, aehnlich wie in spaeterer Zeit die stoische Lehre,
in ihren allgemeinsten Grundzuegen der roemischen Religion
wahlverwandt war, war sie geeignet, die allegorisierende Aufloesung der
Landesreligion einzuleiten. Eine historisierende Zersetzung der Religion
lieferten die "heiligen Memoiren" des Euhemeros von Messene (um 450
300), die in Form von Berichten ueber die von dem Verfasser in das
wunderbare Ausland getanen Reisen die von den sogenannten Goettern
umlaufenden Nachrichten gruendlich und urkundlich sichteten und im
Resultat darauf hinausliefen, dass es Goetter weder gegeben habe noch
gebe. Zur Charakteristik des Buches mag das eine genuegen, dass die
Geschichte von Kronos' Kinderverschlingung erklaert wird aus der
in aeltester Zeit bestehenden und durch Koenig Zeus abgeschafften
Menschenfresserei. Trotz oder auch durch seine Plattheit und
Tendenzmacherei machte das Produkt in Griechenland ein unverdientes
Glueck und half in Gemeinschaft mit den gangbaren Philosophien dort
die tote Religion begraben. Es ist ein merkwuerdiges Zeichen des
ausgesprochenen und wohlbewussten Antagonismus zwischen der Religion und
der neuen Literatur, dass bereits Ennius diese notorisch destruktiven
Epicharmischen und Euhemeristischen Schriften ins Lateinische
uebertrug. Die Uebersetzer moegen vor der roemischen Polizei sich damit
gerechtfertigt haben, dass die Angriffe sich nur gegen die griechischen
und nicht gegen die latinischen Goetter wandten; aber die Ausrede war
ziemlich durchsichtig. In seinem Sinne hatte Cato ganz recht, diese
Tendenzen, wo immer sie ihm vorkamen, ohne Unterschied mit der
ihm eigenen Bitterkeit zu verfolgen und auch den Sokrates einen
Sittenverderber und Religionsfrevler zu heissen. So ging es mit der
alten Landesreligion zusehends auf die Neige; und wie man die maechtigen
Staemme des Urwaldes rodete, bedeckte sich der Boden mit wucherndem
Domgestruepp und bis dahin nicht gesehenem Unkraut. Inlaendischer
Aberglaube und auslaendische Afterweisheit gingen buntscheckig durch-,
neben- und gegeneinander. Kein italischer Stamm blieb frei von der
Umwandlung alten Glaubens in neuen Aberglauben. Wie bei den Etruskern
die Gedaerme- und Blitzweisheit, so stand bei den Sabellern, besonders
den Marsern, die freie Kunst des Vogelguckens und Schlangenbeschwoerens
in ueppigem Flor. Sogar bei der latinischen Nation, ja in Rom selbst
begegnen, obwohl hier verhaeltnismaessig am wenigsten, doch auch
aehnliche Erscheinungen - so die praenestinischen Spruchlose und in
Rom im Jahre 573 (181) die merkwuerdige Entdeckung des Grabes und der
hinterlassenen Schriften des Koenigs Numa, welche ganz unerhoerten und
seltsamen Gottesdienst vorgeschrieben haben sollen. Mehr als dies
und dass die Buecher sehr neu ausgesehen haetten, erfuhren die
Glaubensdurstigen zu ihrem Leidwesen nicht; denn der Senat legte die
Hand auf den Schatz und liess die Rollen kurzweg ins Feuer werfen.
Die inlaendische Fabrikation reichte also vollkommen aus, um jeden
billigerweise zu verlangenden Bedarf von Unsinn zu decken; allein man
war weit entfernt, sich daran genuegen zu lassen. Der damalige,
bereits denationalisierte und von orientalischer Mystik durchdrungene
Hellenismus brachte wie den Unglauben so auch den Aberglauben in seinen
aergerlichsten und gefaehrlichsten Gestaltungen nach Italien, und eben
als auslaendischer hatte dieser Schwindel noch einen ganz besonderen
Reiz. Die chaldaeischen Astrologen und Nativitaetensteller waren
schon im sechsten Jahrhundert durch ganz Italien verbreitet; noch weit
bedeutender aber, ja weltgeschichtlich epochemachend war die Aufnahme
der phrygischen Goettermutter unter die oeffentlich anerkannten Goetter
der roemischen Gemeinde, zu der die Regierung waehrend der letzten
bangen Jahre des Hannibalischen Krieges (550 204) sich hatte verstehen
muessen. Es ging deswegen eine eigene Gesandtschaft nach Pessinus, einer
Stadt des kleinasiatischen Keltenlandes, und der raube Feldstein, den
die dortige Priesterschaft als die richtige Mutter Kybele den Fremden
freigebig verehrte, ward mit unerhoertem Gepraenge von der Gemeinde
eingeholt, ja es wurden zur ewigen Erinnerung an das froehliche Ereignis
unter den hoeheren Staenden Klubgesellschaften mit umgehender
Bewirtung der Mitglieder untereinander gestiftet, welche das beginnende
Cliquentreiben wesentlich gefoerdert zu haben scheinen. Mit der
Konzessionierung dieses Kybelekultes fusste die Gottesverehrung der
Orientalen offiziell Fuss in Rom, und wenn auch die Regierung noch
streng darauf hielt, dass die Kastratenpriester der neuen Goetter Kelten
(Galli), wie sie hiessen, auch blieben und noch kein roemischer Buerger
zu diesem frommen Eunuchentum sich hergab, so musste dennoch der wueste
Apparat der "Grossen Mutter", diese, mit dem Obereunuchen an der Spitze
unter fremdlaendischer Musik von Pfeifen und Pauken in orientalischer
Kleiderpracht durch die Gassen aufziehende und von Haus zu Haus
bettelnde Priesterschaft und das ganze sinnlich-moenchische Treiben vom
wesentlichsten Einfluss auf die Stimmung und Anschauung des Volkes sein.
Wohin das fuehrte, zeigte sich nur zu rasch und nur zu schrecklich.
Wenige Jahre spaeter (568 186) kam eine Muckerwirtschaft der
scheusslichsten Art bei den roemischen Behoerden zur Anzeige, eine
geheime naechtliche Feier zu Ehren des Gottes Bakchos, die durch einen
griechischen Pfaffen zuerst nach Etrurien gekommen war und, wie ein
Krebsschaden um sich fressend, sich rasch nach Rom und ueber ganz
Italien verbreitet, ueberall die Familien zerruettet und die aergsten
Verbrechen, unerhoerte Unzucht, Testamentsfaelschungen, Giftmorde
hervorgerufen hatte. Ueber 7000 Menschen wurden deswegen kriminell,
grossenteils mit dem Tode bestraft und strenge Vorschriften fuer die
Zukunft erlassen; dennoch gelang es nicht, der Wirtschaft Herr zu
werden, und sechs Jahre spaeter (574 180) klagte der betreffende Beamte,
dass wieder 3000 Menschen verurteilt seien und noch kein Ende sich
absehen lasse. Natuerlich waren in der Verdammung dieser ebenso
unsinnigen wie gemeinschaedlichen Afterfroemmigkeit alle vernuenftigen
Leute sich einig; die altglaeubigen Frommen wie die Angehoerigen der
hellenischen Aufklaerung trafen hier im Spott wie im Aerger zusammen.
Cato setzte seinem Wirtschafter in die Instruktion, "dass er ohne
Vorwissen und Auftrag des Herrn kein Opfer darbringen noch fuer sich
darbringen lassen solle ausser an dem Hausherd und am Flurfest auf dem
Fluraltar, und dass er nicht sich Rats erholen duerfe weder bei
einem Eingeweidebeschauer noch bei einem klugen Mann noch bei einem
Chaldaeer". Auch die bekannte Frage, wie nur der Priester es anfange,
das Lachen zu verbeissen, wenn er seinem Kollegen begegne, ist
ein Catonisches Wort und urspruenglich auf den etruskischen
Gedaermebetrachter angewandt worden. Ziemlich in demselben Sinn schilt
Ennius in echt euripideischem Stil auf die Bettelpropheten und ihren
Anhang: Diese aberglaeubischen Pfaffen, dieses freche Prophetenpack,
Die verrueckt und die aus Faulheit, die gedraengt von Hungerpein, Wollen
andern Wege weisen, die sie sich nicht finden aus, Schenken Schaetze
dem, bei dem sie selbst den Pfennig betteln gehn. Aber in solchen Zeiten
hat die Vernunft von vornherein gegen die Unvernunft verlorenes
Spiel. Die Regierung schritt freilich ein; die frommen Preller wurden
polizeilich gestraft und ausgewiesen, jede auslaendische nicht besonders
konzessionierte Gottesverehrung untersagt, selbst die Befragung des
verhaeltnismaessig unschuldigen Spruchorakels in Praeneste noch
512 (242) von Amts wegen verhindert und, wie schon gesagt ward, das
Muckerwesen streng verfolgt. Aber wenn die Koepfe einmal gruendlich
verrueckt sind, so setzt auch der hoehere Befehl sie nicht wieder in die
Richte. Wieviel die Regierung dennoch nachgeben musste oder wenigstens
nachgab, geht gleichfalls aus dem Gesagten hervor. Die roemische Sitte,
die etruskischen Weisen in vorkommenden Faellen von Staats wegen
zu befragen und deshalb auch auf die Fortpflanzung der etruskischen
Wissenschaft in den vornehmen etruskischen Familien von Regierungs wegen
hinzuwirken, sowie die Gestattung des nicht unsittlichen und auf die
Frauen beschraenkten Geheimdienstes der Demeter moegen wohl noch der
aelteren, unschuldigen und verhaeltnismaessig gleichgueltigen Uebernahme
auslaendischer Satzungen beizuzaehlen sein. Aber die Zulassung des
Goettermutterdienstes ist ein arges Zeichen davon, wie schwach dem
neuen Aberglauben gegenueber sich die Regierung fuehlte, vielleicht auch
davon, wie tief er in sie selber eingedrungen war; und ebenso ist
es entweder eine unverzeihliche Nachlaessigkeit oder etwas noch
Schlimmeres, dass gegen eine Wirtschaft, wie die Bacchanalien waren,
erst so spaet und auch da noch auf eine zufaellige Anzeige hin von den
Behoerden eingeschritten ward. Wie nach der Vorstellung der achtbaren
Buergerschaft dieser Zeit das roemische Privatleben beschaffen sein
sollte, laesst sich im wesentlichen abnehmen aus dem Bilde, das uns
von dem des aelteren Cato ueberliefert worden ist. Wie taetig Cato als
Staatsmann, Sachwalter, Schriftsteller und Spekulant auch war, so war
und blieb das Familienleben der Mittelpunkt seiner Existenz - besser ein
guter Ehemann sein, meinte er, als ein grosser Senator. Die haeusliche
Zucht war streng. Die Dienerschaft durfte nicht ohne Befehl das Haus
verlassen noch ueber die haeuslichen Vorgaenge mit Fremden schwatzen.
Schwerere Strafen wurden nicht mutwillig auferlegt, sondern nach einer
gleichsam gerichtlichen Verhandlung zuerkannt und vollzogen; wie scharf
es dabei herging, kann man daraus abnehmen, dass einer seiner Sklaven
wegen eines ohne Auftrag von ihm abgeschlossenen und dem Herrn zu
Ohren gekommenen Kaufhandels sich erhing. Wegen leichter Vergehen, zum
Beispiel bei Beschickung der Tafel vorgekommener Versehen, pflegte der
Konsular dem Fehlbaren die verwirkten Hiebe nach Tische eigenhaendig mit
dem Riemen aufzuzaehlen. Nicht minder streng hielt er Frau und Kinder
in Zucht, aber in anderer Art; denn an die erwachsenen Kinder und an die
Frau Hand anzulegen wie an die Sklaven, erklaerte er fuer suendhaft. Bei
der Wahl der Frau missbilligte er die Geldheiraten und empfahl, auf gute
Herkunft zu sehen, heiratete uebrigens selbst im Alter die Tochter eines
seiner armen Klienten. Uebrigens nahm er es mit der Enthaltsamkeit
auf Seiten des Mannes so, wie man es damit ueberall in Sklavenlaendern
nimmt; auch galt ihm die Ehefrau durchaus nur als ein notwendiges Uebel.
Seine Schriften fliessen ueber von Scheltreden gegen das schwatzhafte,
putzsuechtige, unregierliche schoene Geschlecht; "ueberlaestig und
hoffaertig sind die Frauen alle" - meinte der alte Herr - und "waeren
die Menschen der Weiber los, so moechte unser Leben wohl minder gottlos
sein". Dagegen war die Erziehung der ehelichen Kinder ihm Herzens- und
Ehrensache und die Frau in seinen Augen eigentlich nur der Kinder wegen
da. Sie naehrte in der Regel selbst, und wenn sie ihre Kinder an der
Brust von Sklavinnen saugen liess, so legte sie dafuer auch wohl selbst
deren Kinder an die eigene Brust - einer der wenigen Zuege, worin das
Bestreben hervortritt, durch menschliche Beziehungen, Muttergemeinschaft
und Milchbruederschaft die Institution der Sklaverei zu mildern. Bei
dem Waschen und Wickeln der Kinder war der alte Feldherr, wenn irgend
moeglich, selber zugegen. Mit Ehrfurcht wachte er ueber die kindliche
Unschuld; wie in Gegenwart der vestalischen Jungfrauen, versichert er,
habe er in Gegenwart seiner Kinder sich gehuetet, ein schaendliches Wort
in den Mund zu nehmen und nie vor den Augen seiner Tochter die Mutter
umfasst, ausser wenn diese bei einem Gewitter in Angst geraten sei.
Die Erziehung seines Sohnes ist wohl der schoenste Teil seiner
mannigfaltigen und vielfach ehrenwerten Taetigkeit. Seinem Grundsatz
getreu, dass der rotbackige Bube besser tauge als der blasse, leitete
der alte Soldat seinen Knaben selbst zu allen Leibesuebungen an und
lehrte ihn ringen, reiten, schwimmen und fechten und Hitze und Frost
ertragen. Aber er empfand auch sehr richtig, dass die Zeit vorbei war,
wo der Roemer damit auskam, ein tuechtiger Bauer und Soldat zu sein, und
ebenso den nachteiligen Einfluss, den es auf das Gemuet des Knaben haben
musste, wenn er in dem Lehrer, der ihn gescholten und gestraft und ihm
Ehrerbietung abgewonnen hatte, spaeterhin einen Sklaven erkannte. Darum
lehrte er selbst den Knaben, was der Roemer zu lernen pflegte, lesen
und schreiben und das Landrecht kennen; ja er arbeitete noch in spaeten
Jahren sich in die allgemeine Bildung der Hellenen soweit hinein, dass
er imstande war, das, was er daraus dem Roemer brauchbar erachtete,
seinem Sohn in der Muttersprache zu ueberliefern. Auch seine ganze
Schriftstellerei war zunaechst auf den Sohn berechnet, und sein
Geschichtswerk schrieb er fuer diesen mit grossen deutlichen Buchstaben
eigenhaendig ab. Er lebte schlicht und sparsam. Seine strenge
Wirtschaftlichkeit litt keine Luxusausgaben. Kein Sklave durfte ihn mehr
kosten als 1500 (460 Taler), kein Kleid mehr als 100 Denare (30
Taler); in seinem Haus sah man keinen Teppich und lange Zeit an den
Zimmerwaenden keine Tuenche. Fuer gewoehnlich ass und trank er dieselbe
Kost mit seinem Gesinde und litt nicht, dass die Mahlzeit ueber 30 Asse
(21 Groschen) an baren Auslagen zu stehen kam; im Kriege war sogar der
Wein durchgaengig von seinem Tisch verbannt und trank er Wasser oder
nach Umstaenden Wasser mit Essig gemischt. Dagegen war er kein Feind von
Gastereien; sowohl mit seiner Klubgesellschaft in der Stadt als auch auf
dem Lande mit seinen Gutsnachbarn sass er gern und lange bei Tafel, und
wie seine mannigfaltige Erfahrung und sein schlagfertiger Witz ihn zu
einem beliebten Gesellschafter machten, so verschmaehte er auch weder
die Wuerfel noch die Flasche, teilte sogar in seinem Wirtschaftsbuch
unter anderen Rezepten ein erprobtes Hausmittel mit fuer den Fall,
dass man eine ungewoehnlich starke Mahlzeit und einen allzutiefen Trunk
getan. Sein ganzes Sein bis ins hoechste Alter hinauf war Taetigkeit.
Jeder Augenblick war eingeteilt und ausgefuellt, und jeden Abend pflegte
er bei sich zu rekapitulieren, was er den Tag ueber gehoert, gesagt und
getan hatte. So blieb denn Zeit fuer die eigenen Geschaefte wie fuer
die der Bekannten und der Gemeinde und nicht minder fuer Gespraech und
Vergnuegen; alles ward rasch und ohne viel Reden abgetan, und in echtem
Taetigkeitsinn war ihm nichts so verhasst als die Vielgeschaeftigkeit
und die Wichtigtuerei mit Kleinigkeiten. So lebte der Mann, der den
Zeitgenossen und den Nachkommen als der rechte roemische Musterbuerger
galt und in dem, gegenueber dem griechischen Muessiggang und der
griechischen Sittenlosigkeit, die roemische, allerdings etwas
grobdraehtige Taetigkeit und Bravheit gleichsam verkoerpert erschienen -
wie denn ein spaeter roemischer Dichter sagt: Nichts ist an der fremden
Sitt' als tausendfache Schwindelei; Besser als der roemische Buerger
fuehrt sich keiner auf der Welt; Mehr als hundert Sokratesse gilt der
eine Cato mir. Solche Urteile wird die Geschichte nicht unbedingt sich
aneignen; aber wer die Revolution ins Auge fasst, welche der entartete
Hellenismus dieser Zeit in dem Leben und Denken der Roemer vollzog, wird
geneigt sein, die Verurteilung der fremden Sitte eher zu schaerfen
als zu mildern. Die Bande der Familie lockerten sich mit grauenvoller
Geschwindigkeit. Pestartig griff die Grisetten- und Buhlknabenwirtschaft
um sich, und wie die Verhaeltnisse lagen, war es nicht einmal moeglich,
gesetzlich dagegen. etwas Wesentliches zu tun - die hohe Steuer,
welche Cato als Zensor (570 184) auf diese abscheulichste Gattung der
Luxussklaven legte, wollte nicht viel bedeuten und ging ueberdies ein
paar Jahre darauf mit der Vermoegenssteuer ueberhaupt tatsaechlich
ein. Die Ehelosigkeit, ueber die schon zum Beispiel im Jahre 520 (234)
schwere Klage gefuehrt ward, und die Ehescheidungen nahmen natuerlich
im Verhaeltnis zu. Im Schosse der vornehmsten Familien kamen grauenvolle
Verbrechen vor, wie zum Beispiel der Konsul Gaius Calpurnius Piso von
seiner Gemahlin und seinem Stiefsohn vergiftet ward, um eine Nachwahl
zum Konsulat herbeizufuehren und dadurch dem letzeren das hoechste
Amt zu verschaffen, was auch gelang (574 180). Es beginnt ferner die
Emanzipation der Frauen. Nach alter Sitte stand die verheiratete
Frau von Rechts wegen unter der eheherrlichen, mit der vaeterlichen
gleichstehenden Gewalt, die unverheiratete unter der Vormundschaft
ihrer naechsten maennlichen Agnaten, die der vaeterlichen Gewalt wenig
nachgab; eigenes Vermoegen hatte die Ehefrau nicht, die vaterlose
Jungfrau und die Witwe wenigstens nicht dessen Verwaltung. Aber jetzt
fingen die Frauen an, nach vermoegensrechtlicher Selbstaendigkeit
zu streben und teils auf Advokatenschleichwegen, namentlich durch
Scheinehen, sich der agnatischen Vormundschaft entledigend die
Verwaltung ihres Vermoegens selbst in die Hand zu nehmen, teils bei der
Verheiratung sich auf nicht viel bessere Weise der nach der Strenge
des Rechts notwendigen eheherrlichen Gewalt zu entziehen. Die Masse von
Kapital, die in den Haenden der Frauen sich zusammenfand, schien den
Staatsmaennern der Zeit so bedenklich, dass man zu dem exorbitanten
Mittel griff, die testamentarische Erbeseinsetzung der Frauen gesetzlich
zu untersagen (585 169), ja sogar durch eine hoechst
willkuerliche Praxis auch die ohne Testament auf Frauen fallenden
Kollateralerbschaften denselben groesstenteils zu entziehen. Ebenso
wurden die Familiengerichte ueber die Frau, die an jene eheherrliche
und vormundschaftliche Gewalt anknuepften, praktisch mehr und mehr zur
Antiquitaet. Aber auch in oeffentlichen Dingen fingen die Frauen schon
an, einen Willen zu haben und gelegentlich, wie Cato meinte, "die
Herrscher der Welt zu beherrschen"; in der Buergerschaftsversammlung
war ihr Einfluss zu spueren, ja es erhoben sich bereits in den Provinzen
Statuen roemischer Damen. Die Ueppigkeit stieg in Tracht, Schmuck und
Geraet, in den Bauten und in der Tafel; namentlich seit der Expedition
nach Kleinasien im Jahre 564 (190) trug der asiatisch-hellenische Luxus,
wie er in Ephesos und Alexandreia herrschte, sein leeres Raffinement und
seine geld-, tag- und freudenverderbende Kleinkraemerei ueber nach Rom.
Auch hier waren die Frauen voran; sie setzten es trotz Catos eifrigem
Schelten durch, dass der bald nach der Schlacht von Cannae (539 215)
gefasste Buergerschaftsbeschluss, welcher ihnen den Goldschmuck, die
bunten Gewaender und die Wagen untersagte, nach dem Frieden mit Karthago
(559 195) wieder aufgehoben ward; ihrem eifrigen Gegner blieb nichts
uebrig, als auf diese Artikel eine hohe Steuer zu legen (570 184).
Eine Masse neuer und groesstenteils frivoler Gegenstaende, zierlich
figuriertes Silbergeschirr, Tafelsofas mit Bronzebeschlag, die
sogenannten attalischen Gewaender und Teppiche von schwerem Goldbrokat
fanden jetzt ihren Weg nach Rom. Vor allem war es die Tafel, um die
dieser neue Luxus sich drehte. Bisher hatte man ohne Ausnahme nur einmal
am Tage warm gegessen; jetzt wurden auch bei dem zweiten Fruehstueck
(prandium) nicht selten warme Speisen aufgetragen, und fuer die
Hauptmahlzeit reichten die bisherigen zwei Gaenge nicht mehr aus.
Bisher hatten die Frauen im Hause das Brotbacken und die Kueche selber
beschafft und nur bei Gastereien hatte man einen Koch von Profession
besonders gedungen, der dann Speisen wie Gebaeck gleichmaessig besorgte.
Jetzt dagegen begann die wissenschaftliche Kochkunst. In den guten
Haeusern ward ein eigener Koch gehalten. Die Arbeitsteilung ward
notwendig, und aus dem Kuechenhandwerk zweigte das des Brot- und
Kuchenbackens sich ab - um 583 (171) entstanden die ersten
Baeckerlaeden in Rom. Gedichte ueber die Kunst, gut zu essen, mit langen
Verzeichnissen der essenswertesten Seefische und Meerfruechte fanden
ihr Publikum; und es blieb nicht bei der Theorie. Auslaendische
Delikatessen, pontische Sardellen, griechischer Wein fingen an, in
Rom geschaetzt zu werden, und Catos Rezept, dem gewoehnlichen Landwein
mittels Salzlake den Geschmack des koischen zu geben, wird den
roemischen Weinhaendlern schwerlich erheblichen Abbruch getan haben.
Das alte ehrbare Singen und Sagen der Gaeste und ihrer Knaben wurde
verdraengt durch die asiatischen Harfenistinnen. Bis dahin hatte man in
Rom wohl bei der Mahlzeit tapfer getrunken, aber eigentliche Trinkgelage
nicht gekannt; jetzt kam das foermliche Kneipen in Schwung, wobei der
Wein wenig oder gar nicht gemischt und aus grossen Bechern getrunken
ward und das Vortrinken mit obligater Nachfolge regierte, das
"griechisch Trinken" (Graeco more bibere) oder "griechen" (pergraecari,
congraecare), wie die Roemer es nennen. Im Gefolge dieser Zechwirtschaft
nahm das Wuerfelspiel, das freilich bei den Roemern laengst ueblich war,
solche Verhaeltnisse an, dass die Gesetzgebung es noetig fand, dagegen
einzuschreiten. Die Arbeitsscheu und das Herumlungern griffen zusehends
um sich ^2. Cato schlug vor, den Markt mit spitzen Steinen pflastern zu
lassen, um den Tagedieben das Handwerk zu legen; man lachte ueber den
Spass und kam der Lust zu lottern und zu gaffen von allen Seher. her
entgegen. Der erschreckenden Ausdehnung der Volkslustbarkeiten waehrend
dieser Epoche wurde bereits gedacht. Zu Anfang derselben ward,
abgesehen von einigen unbedeutenden, mehr den religioesen Zeremonien
beizuzaehlenden Wettrennen und Wettfahrten, nur im Monat September ein
einziges allgemeines Volksfest von viertaegiger Dauer und mit einem fest
bestimmten Kostenmaximum abgehalten; am Schlusse derselben hatte dieses
Volksfest wenigstens schon sechstaegige Dauer und wurden ueberdies
daneben zu Anfang April das Fest der Goettermutter oder die sogenannten
megalensischen, gegen Ende April das Ceres- und das Flora-, im Juni
das Apollo-, im November das Plebejerfest und wahrscheinlich alle diese
bereits mehrtaegig gefeiert. Dazu kamen die zahlreichen Instaurationen,
bei denen die fromme Skrupulositaet vermutlich oft bloss als Vorwand
diente, und die unaufhoerlichen ausserordentlichen Volksfeste, unter
denen die schon erwaehnten Schmaeuse von den Geloebniszehnten (2., 391),
die Goetterschmaeuse, die Triumphal- und die Leichenfeste und vor allem
die Festlichkeiten hervortreten, welche nach dem Abschluss eines
der laengeren, durch die etruskisch-roemische Religion abgegrenzten
Zeitraeume, der sogenannten Saecula, zuerst im Jahre 505 (249), gefeiert
wurden. Gleichzeitig mehrten sich die Hausfeste. Waehrend des Zweiten
Punischen Krieges kamen unter den Vornehmen die schon erwaehnten
Schmausereien an dem Einzugstag der Goettermutter auf (seit 550 204),
unter den geringeren Leuten die aehnlichen Saturnalien (seit 537 217);
beide unter dem Einfluss der fortan festverbuendeten Gewalten des
fremden Pfaffen und des fremden Kochs. Man war ganz nahe an dem idealen
Zustand, dass jeder Tagedieb wusste, wo er jeden Tag verderben konnte;
und das in einer Gemeinde, wo sonst fuer jeden einzelnen wie fuer alle
zusammen die Taetigkeit Lebenszweck und das muessige Geniefeen von der
Sitte wie vom Gesetz geaechtet gewesen war! Dabei machten innerhalb
dieser Festlichkeiten die schlechten und demoralisierenden Elemente
mehr und mehr sich geltend. Den Glanz- und Schlusspunkt der Volksfeste
bildeten freilich nach wie vor noch die Wettfahrten; und ein Dichter
dieser Zeit schildert sehr anschaulich die Spannung, womit die Augen der
Menge an dem Konsul hingen, wenn er den Wagen das Zeichen zum Abfahren
zu geben im Begriff war. Aber die bisherigen Lustbarkeiten genuegten
doch schon nicht mehr; man verlangte nach neuen und mannigfaltigeren.
Neben den einheimischen Ringern und Kaempfern treten jetzt (zuerst 568
186) auch griechische Athleten auf. Von den dramatischen Auffuehrungen
wird spaeter die Rede sein; es war wohl auch ein Gewinn von
zweifelhaftem Wert, aber doch auf jeden Fall der beste bei dieser
Gelegenheit gemachte Erwerb, dass die griechische Komoedie und Tragoedie
nach Rom verpflanzt ward. Den Spass, Hasen und Fuechse vor dem Publikum
laufen und hetzen zu lassen, mochte man schon lange sich gemacht haben;
jetzt wurden aus diesen unschuldigen Jagden foermliche Tierhetzen,
und die wilden Bestien Afrikas, Loewen und Panther, wurden (zuerst
nachweislich 568 186) mit grossen Kosten nach Rom transportiert, um
toetend oder sterbend den hauptstaedtischen Gaffern zur Augenweide zu
dienen. Die noch abscheulicheren Fechterspiele, wie sie in Etrurien und
Kampanien gangbar waren, fanden jetzt auch in Rom Eingang; zuerst im
Jahre 490 (264) wurde auf dem roemischen Markt Menschenblut zum Spasse
vergossen. Natuerlich trafen diese entsittlichenden Belustigungen auch
auf strengen Tadel; der Konsul des Jahres 476 (268), Publius Sempronius
Sophus, sandte seiner Frau den Scheidebrief zu, weil sie einem
Leichenspiel beigewohnt hatte; die Regierung setzte es durch, dass die
Ueberfuehrung der auslaendischen Bestien nach Rom durch Buergerbeschluss
untersagt ward und hielt mit Strenge darauf, dass bei den Gemeindefesten
keine Gladiatoren erschienen. Allein auch hier fehlte ihr doch sei
es die rechte Macht oder die rechte Energie; es gelang zwar, wie
es scheint, die Tierhetzen niederzuhalten, aber das Auftreten von
Fechterpaaren bei Privatfesten, namentlich bei Leichenfeiern, ward nicht
unterdrueckt. Noch weniger war es zu verhindern, dass das Publikum
dem Tragoeden den Komoedianten, dem Komoedianten den Seiltaenzer, dem
Seiltaenzer den Fechter vorzog und die Schaubuehne sich mit Vorliebe
in dem Schmutze des hellenischen Lebens herumtrieb. Was von bildenden
Elementen in den szenischen und musischen Spielen enthalten war, gab man
von vornherein preis; die Absicht der roemischen Festgeber ging ganz und
gar nicht darauf, durch die Macht der Poesie die gesamte Zuschauerschaft
wenn auch nur voruebergehend auf die Hoehe der Empfindung der Besten
zu erheben, wie es die griechische Buehne in ihrer Bluetezeit tat, oder
einem ausgewaehlten Kreise einen Kunstgenuss zu bereiten, wie unsere
Theater es versuchen. Wie in Rom Direktion und Zuschauer beschaffen
waren, zeigt der Auftritt bei den Triumphalspielen 587 (167), wo
die ersten griechischen Floetenspieler, da sie mit ihren Melodien
durchfielen, vom Regisseur angewiesen wurden, statt zu musizieren
miteinander zu boxen, worauf denn der Jubel kein Ende nehmen wollte.
---------------------------------------- ^2 Eine Art Parabase in dem
Plautinischen 'Curculio' schildert das derzeitige Treiben auf dem
hauptstaedtischen Markte, zwar mit wenig Witz, aber mit grosser
Anschaulichkeit: Lasst euch weisen, welchen Orts ihr welche Menschen
finden moegt, Dass nicht seine Zeit verliere, wer von euch zu sprechen
wuenscht Einen rechten oder schlechten, guten oder schlimmen Mann.
Suchst Du einen Eidesfaelscher? auf die Dingstatt schick' ich Dich.
Einen Luegensack und Prahlhans? geh zur Cluacina hin. [Reiche wueste
Ehemaenner sind zu haben im Bazar; Auch der Lustknab' ist zu Haus dort
und wer auf Geschaeftchen passt.] Doch am Fischmarkt sind, die gehen
kneipen aus gemeinem Topf. Brave Maenner, gute Zahler wandeln auf dem
untern Markt, In der Mitt' am Graben aber die, die nichts als Schwindler
sind. Dreiste Schwaetzer, boese Buben stehn zusammen am Bassin; Mit der
frechen Zunge schimpfen sie um nichts die Leute aus Und doch liefern
wahrlich selber gnug, das man ruegen mag. Unter den alten Buden sitzen,
welche Geld auf Zinsen leihn; Unterm Kastortempel, denen rasch zu borgen
schlecht bekommt; Auf der Tuskergasse sind die Leute, die sich bieten
feil; Im Velabrum hat es Baecker, Fleischer, Opferpfaffen auch,
Schuldner den Termin verlaengernd, Wuchrer verhelfend zum Ganttermin:
Reiche wueste Ehemaenner bei Leucadia Oppia. Die eingeklammerten Verse
sind ein spaeterer, erst nach Erbauung des ersten roemischen Basars
(570 184) eingelegter Zusatz. Mit dem Geschaeft des Baeckers (pistor,
woertlich Mueller) war in dieser Zeit Delikatessenverkauf und
Kneipgelegenheit verbunden (Fest. v. alicariae p. 7 Mueller; Plaut.
Capt. 160; Poen. 1, 2, 54; Trin. 407). Dasselbe gilt von den
Fleischern. Leucadia Oppia mag ein schlechtes Haus gehalten haben.
------------------------------------------------------- Schon verdarb
nicht mehr bloss die hellenische Ansteckung die roemischen Sitten,
sondern umgekehrt fingen die Schueler an, die Lehrmeister zu
demoralisieren. Die Fechterspiele, die in Griechenland unbekannt waren,
fuehrte Koenig Antiochos Epiphanes (579-590 175-164), der Roemeraffe
von Profession, zuerst am syrischen Hofe ein, und obwohl sie dem
menschlicheren und kunstsinnigeren griechischen Publikum anfangs mehr
Abscheu als Freude erregten, so hielten sie sich doch dort ebenfalls und
kamen allmaehlich in weiteren Kreisen in Gebrauch. Selbstverstaendlich
hatte diese Revolution in Leben und Sitte auch eine oekonomische
Revolution in ihrem Gefolge. Die Existenz in der Hauptstadt ward immer
begehrter wie immer kostspieliger. Die Mieten stiegen zu unerhoerter
Hoehe. Die neuen Luxusartikel wurden mit Schwindelpreisen bezahlt;
das Faesschen Sardellen aus dem Schwarzen Meer mit 1600 Sesterzen
(120 Taler) hoeher als ein Ackerknecht, ein huebscher Knabe mit 24000
Sesterzen (1800 Taler) hoeher als mancher Bauernhof. Geld also und
nichts als Geld war die Losung fuer hoch und niedrig. Schon lange tat
in Griechenland niemand etwas umsonst, wie die Griechen selber mit
unloeblicher Naivitaet einraeumten; seit dem Zweiten Makedonischen Krieg
fingen die Roemer an, auch in dieser Hinsicht zu hellenisieren. Die
Respektabilitaet musste mit gesetzlichen Notstuetzen versehen und zum
Beispiel durch Volksschluss den Sachwaltern untersagt werden, fuer
ihre Dienste Geld zu nehmen; eine schoene Ausnahme machten nur die
Rechtsverstaendigen, die bei ihrer ehrbaren Sitte, guten Rat umsonst zu
geben, nicht durch Buergerbeschluss festgehalten zu werden brauchten.
Man stahl womoeglich nicht geradezu; aber alle krummen Wege, zu
schnellem Reichtum zu gelangen, schienen erlaubt: Pluenderung
und Bettel, Lieferantenbetrug und Spekulantenschwindel, Zins- und
Kornwucher, selbst die oekonomische Ausnutzung rein sittlicher
Verhaeltnisse wie der Freundschaft und der Ehe. Vor allem die letztere
wurde auf beiden Seiten Gegenstand der Spekulation; Geldheiraten waren
gewoehnlich und es zeigte sich noetig, den Schenkungen, welche die
Ehegatten sich untereinander machten, die rechtliche Gueltigkeit
abzuerkennen. Dass unter Verhaeltnissen dieser Art Plaene zur Anzeige
kamen, die Hauptstadt an allen Ecken anzuzuenden, kann nicht befremden.
Wenn der Mensch keinen Genuss mehr in der Arbeit findet und bloss
arbeitet, um so schnell wie moeglich zum Genuss zu gelangen, so ist es
nur ein Zufall, wenn er kein Verbrecher wird. Alle Herrlichkeiten der
Macht und des Reichtums hatte das Schicksal ueber die Roemer mit voller
Hand ausgeschuettet; aber wahrlich, die Pandorabuechse war eine Gabe
von zweifelhaftem Wert. 14. Kapitel Literatur und Kunst Die roemische
Literatur beruht auf ganz eigentuemlichen, in dieser Art kaum bei einer
anderen Nation wiederkehrenden Anregungen. Um sie richtig zu
wuerdigen, ist es notwendig, zuvoerderst den Volksunterricht und die
Volksbelustigungen dieser Zeit ins Auge zu fassen. Alle geistige Bildung
geht aus von der Sprache; und es gilt dies vor allem fuer Rom. In einer
Gemeinde, wo die Rede und die Urkunde so viel bedeutete, wo der Buerger
in einem Alter, in welchem man nach heutigen Begriffen noch Knabe ist,
bereits ein Vermoegen zu unbeschraenkter Verwaltung ueberkam und in den
Fall kommen konnte, vor der versammelten Gemeinde Standreden halten
zu muessen, hat man nicht bloss auf den freien und feinen Gebrauch der
Muttersprache von jeher grossen Wert gelegt, sondern auch frueh sich
bemueht, denselben in den Knabenjahren sich anzueignen. Auch die
griechische Sprache war bereits in der hannibalischen Zeit in Italien
allgemein verbreitet. In den hoeheren Kreisen war die Kunde der
allgemein vermittelnden Sprache der alten Zivilisation laengst haeufig
gewesen und jetzt, bei dem durch die veraenderte Weltstellung ungeheuer
gesteigerten roemischen Verkehr mit Auslaendern und im Auslande, dem
Kaufmann wie dem Staatsmann wo nicht notwendig, doch vermutlich schon
sehr wesentlich. Durch die italische Sklaven- und Freigelassenschaft
aber, die zu einem sehr grossen Teil aus geborenen Griechen oder
Halbgriechen bestand, drang griechische Sprache und griechisches Wissen
bis zu einem gewissen Grade ein auch in die unteren Schichten namentlich
der hauptstaedtischen Bevoelkerung. Aus den Lustspielen dieser Zeit kann
man sich ueberzeugen, dass eben der nicht vornehmen hauptstaedtischen
Menge ein Latein mundgerecht war, welches zum rechten Verstaendnis das
Griechische so notwendig voraussetzt wie Sternes Englisch und Wielands
Deutsch das Franzoesische ^1. Die Maenner der senatorischen Familien
aber redeten nicht bloss griechisch vor einem griechischen Publikum,
sondern machten auch diese Reden bekannt - so Tiberius Gracchus (Konsul
577, 591 177,163) eine von ihm auf Rhodos gehaltene - und schrieben
in der hannibalischen Zeit ihre Chroniken griechisch, von welcher
Schriftstellerei spaeter noch zu sprechen sein wird. Einzelne gingen
noch weiter. Den Flamininus ehrten die Griechen durch Huldigungen in
roemischer Sprache; aber auch er erwiderte das Kompliment: der
"grosse Feldherr der Aeneiaden" brachte den griechischen Goettern nach
griechischer Sitte mit griechischen Distichen seine Weihgeschenke dar
^2. Einem anderen Senator rueckte Cato es vor, dass er bei griechischen
Trinkgelagen griechische Rezitative mit der gehoerigen
Modulation vorzutragen sich nicht geschaemt habe.
---------------------------------------------------------- ^1 Ein
bestimmter Kreis griechischer Ausdruecke, wie stratioticus, machaera,
nauclerus, trapezita, danista, drapeta, oenopolium, bolus, malacus,
morus, graphicus, logus, apologus, techna, schema, gehoert durchaus zum
Charakter der Plautinischen Sprache; Uebersetzungen werden selten dazu
gefuegt und nur bei Woertern, die ausserhalb des durch jene Anfuehrungen
bezeichneten Ideenkreises stehen, wie zum Beispiel es im 'Wilden' (1,
1, 60), freilich in einem vielleicht erst spaeter eingefuegten
Verse heisst: phron/e/sis est sapientia [Edelmut ist Weisheit]. Auch
griechische Brocken sind gemein, zum Beispiel in der 'Casina' (3, 6, 9):
pragmata moi parecheis - Dabo mega kakon, ut opinor; ebenso griechische
Wortspiele, zum Beispiel in 'Die beiden Bacchis' (240): opus est
chryso Chrysalo; wie denn auch Ennius die etymologische Bedeutung von
Alexandros, Andromache als den Zuschauern bekannt voraussetzt (Varro
ling. 7, 82). Am bezeichnendsten sind die halbgriechischen Bildungen
wie ferritribax, plagipatida, pugilice oder im 'Bramarbas' (213): euge!
euscheme hercle astitit sic dulice et comoedice! Ei die Tenuere! Holla,
seht mir den Farceur da, den Akteur! ^2 Eines dieser im Namen des
Flamininus gedichteten Epigramme lautet also: Dioskuren, o hoert,
ihr freudigen Tummler der Rosse! Knaben des Zeus, o hoert, Spartas
tyndarische Herrn! Titus der Aeneiade verehrt euch die herrliche
Gabe, Als Freiheit verliehn er dem hellenischen Stamm.
---------------------------------------------------------- Unter dem
Einfluss dieser Verhaeltnisse entwickelte sich der roemische Unterricht.
Es ist ein Vorurteil, dass in der allgemeinen Verbreitung der
elementaren Kenntnisse das Altertum hinter unserer Zeit wesentlich
zurueckgestanden habe. Auch unter den niederen Klassen und den
Sklaven wurde viel gelesen, geschrieben und gerechnet; bei dem
Wirtschaftersklaven zum Beispiel setzt Cato nach Magos Vorgang die
Faehigkeit zu lesen und zu schreiben voraus. Der Elementarunterricht
sowie der Unterricht im Griechischen muessen lange vor dieser Zeit in
sehr ausgedehntem Umfang in Rom erteilt worden sein. Dieser Epoche
aber gehoeren die Anfaenge eines Unterrichts an, der statt einer bloss
aeusserlichen Abrichtung eine wirkliche Geistesbildung bezweckt.
Bisher hatte in Rom die Kenntnis des Griechischen im buergerlichen und
geselligen Leben so wenig einen Vorzug gegeben, wie etwa heutzutage in
einem Dorfe der deutschen Schweiz die Kenntnis des Franzoesischen ihn
gibt; und die aeltesten Schreiber griechischer Chroniken mochten unter
den uebrigen Senatoren stehen wie in den holsteinischen Marschen der
Bauer, welcher studiert hat und des Abends, wenn er vom Pfluge nach
Hause kommt, den Virgilius vom Schranke nimmt. Wer mit seinem Griechisch
mehr vorstellen wollte, galt als schlechter Patriot und als Geck;
und gewiss konnte noch in Catos Zeit auch wer schlecht oder gar nicht
griechisch sprach, ein vornehmer Mann sein und Senator oder
Konsul werden. Aber es ward doch schon anders. Der innerliche
Zersetzungsprozess der italischen Nationalitaet war bereits, namentlich
in der Aristokratie, weit genug gediehen, um das Surrogat der
Nationalitaet, die allgemein humane Bildung, auch fuer Italien
unvermeidlich zu machen; und auch der Drang nach einer gesteigerten
Zivilisation regte bereits sich maechtig. Diesem kam der griechische
Sprachunterricht gleichsam von selber entgegen. Von jeher ward dabei die
klassische Literatur, namentlich die 'Ilias' und mehr noch die 'Odyssee'
zu Grunde gelegt; die ueberschwenglichen Schaetze hellenischer Kunst und
Wissenschaft lagen damit bereits ausgebreitet vor den Augen der Italiker
da. Ohne eigentlich aeusserliche Umwandlung des Unterrichts ergab
es sich von selbst, dass aus dem empirischen Sprach- ein hoeherer
Literaturunterricht wurde, dass die an die Literatur sich knuepfende
allgemeine Bildung den Schuelern in gesteigertem Mass ueberliefert, dass
die erlangte Kunde von diesen benutzt ward, um einzudringen in die den
Geist der Zeit beherrschende griechische Literatur, die Euripideischen
Tragoedien und die Lustspiele Menanders. In aehnlicher Weise gewann auch
der lateinische Unterricht ein groesseres Schwergewicht. Man fing an,
in der hoeheren Gesellschaft Roms das Beduerfnis zu empfinden, die
Muttersprache wo nicht mit der griechischen zu vertauschen, doch
wenigstens zu veredeln und dem veraenderten Kulturstand anzuschmiegen;
und auch hierfuer sah man in jeder Beziehung sich angewiesen auf die
Griechen. Die oekonomische Gliederung der roemischen Wirtschaft legte,
wie jedes andere geringe und um Lohn geleistete Geschaeft, so auch den
Elementarunterricht in der Muttersprache vorwiegend in die Haende von
Sklaven, Freigelassenen oder Fremden, das heisst vorwiegend von Griechen
oder Halbgriechen ^3; es hatte dies um so weniger Schwierigkeit, als das
lateinische Alphabet dem griechischen fast gleich, die beiden Sprachen
nahe und auffaellig verwandt waren. Aber dies war das wenigste; weit
tiefer griff die formelle Bedeutung des griechischen Unterrichts in den
lateinischen ein. Wer da weiss, wie unsaeglich schwer es ist, fuer
die hoehere geistige Bildung der Jugend geeignete Stoffe und geeignete
Formen zu finden und wie noch viel schwieriger man von den einmal
gefundenen Stoffen und Formen sich losmacht, wird es begreifen, dass man
dem Beduerfnis eines gesteigerten lateinischen Unterrichts nicht anders
zu genuegen wusste, als indem man diejenige Loesung dieses Problems,
welche der griechische Sprach- und Literaturunterricht darstellte, auf
den Unterricht im Lateinischen einfach uebertrug - geht doch heutzutage
in der Uebertragung der Unterrichtsmethode von den toten auf die
lebenden Sprachen ein ganz aehnlicher Prozess unter unseren Augen vor.
--------------------------------------------- ^3 Ein solcher war zum
Beispiel der Sklave des aelteren Cato, Chilon, der als Kinderlehrer
fuer seinen Herrn Geld erwarb (Plut. Cato mai. 20).
--------------------------------------------- Aber leider fehlte es
zu einer solchen Uebertragung eben am Besten. Lateinisch lesen und
schreiben konnte man freilich an den Zwoelf Tafeln lernen; aber eine
lateinische Bildung setzte eine Literatur voraus und eine solche war
in Rom nicht vorhanden. Hierzu kam ein Zweites. Die Ausdehnung der
roemischen Volkslustbarkeit ist frueher dargestellt worden. Laengst
spielte bei denselben die Buehne eine bedeutende Rolle; die Wagenrennen
waren wohl bei allen die eigentliche Hauptbelustigung, fanden aber doch
durchgaengig nur einmal, am Schlusstage statt, waehrend die ersten Tage
wesentlich dem Buehnenspiel anheimfielen. Allein lange Zeit bestanden
diese Buehnenvorstellungen hauptsaechlich in Taenzen und Gaukelspiel;
die improvisierten Lieder, die bei denselben auch vorgetragen wurden,
waren ohne Dialog und ohne Handlung. Jetzt erst sah man fuer sie sich
nach einem wirklichen Schauspiel um. Die roemischen Volksfestlichkeiten
standen durchaus unter der Herrschaft der Griechen, die ihr Talent
des Zeitvertreibs und Tageverderbes von selber den Roemern zu
Plaesiermeistern bestellte. Keine Volksbelustigung aber war in
Griechenland beliebter und keine mannigfaltiger als das Theater;
dasselbe musste bald die Blicke der roemischen Festgeber und ihres
Hilfspersonals auf sich ziehen. Wohl lag nun in dem aelteren roemischen
Buehnenlied ein dramatischer, der Entwicklung vielleicht faehiger Keim;
allein daraus das Drama herauszubilden, forderte vom Dichter wie vom
Publikum eine Genialitaet im Geben und Empfangen, wie sie bei den
Roemern ueberhaupt nicht und am wenigsten in dieser Zeit zu finden war;
und waere sie zu finden gewesen, so wuerde die Hastigkeit der mit dem
Amuesement der Menge betrauten Leute schwerlich der edlen Frucht Ruhe
und Weile zur Zeitigung gegoennt haben. Auch hier war ein aeusserliches
Beduerfnis vorhanden, dem die Nation nicht zu genuegen vermochte; man
wuenschte sich ein Theater und es mangelten die Stuecke. Auf diesen
Elementen beruht die roemische Literatur; und ihre Mangelhaftigkeit war
damit von vornherein und notwendig gegeben. Alle wirkliche Kunst beruht
auf der individuellen Freiheit und dem froehlichen Lebensgenuss, und die
Keime zu einer solchen hatten in Italien nicht gefehlt; allein indem
die roemische Entwicklung die Freiheit und Froehlichkeit durch das
Gemeingefuehl und das Pflichtbewusstsein ersetzte, ward die Kunst von
ihr erdrueckt und musste statt sich zu entwickelt. verkuemmern. Der
Hoehepunkt der roemischen Entwicklung ist die literaturlose Zeit.
Erst als die roemische Nationalitaet sich aufzuloesen und die
hellenisch-kosmopolitischen Tendenzen sich geltend zu machen anfingen,
stellte im Gefolge derselben die Literatur in Rom sich ein; und darum
steht sie von Haus aus und mit zwingender innerlicher Noetigung auf
griechischem Boden und in schroffem Gegensatz gegen den spezifisch
roemischen Nationalsinn. Vor allem die roemische Poesie ging. zunaechst
gar nicht aus dem innerlichen Dichtertriebe hervor, sondern aus den
aeusserlichen Anforderungen der Schule, welche lateinische Lehrbuecher,
und der Buehne, die lateinische Schauspiele brauchte. Beide
Institutionen aber, die Schule wie die Buehne, waren durch und durch
antiroemisch und revolutionaer. Der gaffende Theatermuessiggang war
dem Philisterernst wie dem Taetigkeitssinn der Roemer alten Schlags
ein Greuel; und wenn es der tiefste und grossartigste Gedanke in
dem roemischen Gemeinwesen war, dass es innerhalb der roemischen
Buergerschaft keinen Herrn und keinen Knecht, keinen Millionaer und
keinen Bettler geben, vor allem aber der gleiche Glaube und die gleiche
Bildung alle Roemer umfassen sollte, so war die Schule und die notwendig
exklusive Schulbildung noch bei weitem gefaehrlicher, ja fuer das
Gleichheitsgefuehl geradezu zerstoerend. Schule und Theater wurden die
wirksamsten Hebel des neuen Geistes der Zeit und nur um so mehr, weil
sie lateinisch redeten. Man konnte vielleicht griechisch sprechen
und schreiben, ohne darum aufzuhoeren, ein Roemer zu sein; hier aber
gewoehnte man sich, mit roemischen Worten zu reden, waehrend das
ganze innere Sein und Leben griechisch ward. Es ist nicht eine der
erfreulichsten Tatsachen in diesem glaenzenden Saeculum des roemischen
Konservativismus, aber wohl eine der merkwuerdigsten und geschichtlich
belehrendsten, wie waehrend desselben in dem gesamten nicht unmittelbar
politischen geistigen Gebiet der Hellenismus Wurzel geschlagen und wie
der Maitre de Plaisir des grossen Publikums und der Kinderlehrer im
engen Bunde miteinander eine roemische Literatur erschaffen haben.
Gleich in dem aeltesten roemischen Schriftsteller erscheint die spaetere
Entwicklung gleichsam in der Nuss. Der Grieche Andronikos (vor 482
bis nach 547 272-207), spaeter als roemischer Buerger Lucius ^4 Livius
Andronicus genannt, kam in fruehem Alter im Jahre 482 (272) unter den
anderen tarentinischen Gefangenen nach Rom in den Besitz des Siegers
von Sena, Marcus Livius Salinator (Konsul 535, 547 219, 207). Sein
Sklavengewerbe war teils die Schauspielerei und Textschreiberei, teils
der Unterricht in der lateinischen und griechischen Sprache, welchen
er sowohl den Kindern seines Herrn als auch anderen Knaben vermoegender
Maenner in und ausser dem Hause erteilte; er zeichnete sich dabei so
aus, dass sein Herr ihn freigab, und selbst die Behoerde, die sich
seiner nicht selten bedient, zum Beispiel nach der gluecklichen Wendung
des Hannibalischen Krieges 547 (207) ihm die Verfertigung des
Dankliedes uebertragen hatte, aus Ruecksicht fuer ihn der Poeten- und
Schauspielerzunft einen Platz fuer ihren gemeinsamen Gottesdienst im
Minervatempel auf dem Aventin einraeumte. Seine Schriftstellerei ging
hervor aus seinem zwiefachen Gewerbe. Als Schulmeister uebersetzte er
die Odyssee ins Lateinische, um den lateinischen Text ebenso bei seinem
lateinischen wie den griechischen bei seinem griechischen Unterricht zu
Grunde zu legen; und es hat dieses aelteste roemische Schulbuch seinen
Platz im Unterricht durch Jahrhunderte behauptet. Als Schauspieler
schrieb er nicht bloss wie jeder andere sich die Texte selbst,
sondern er machte sie auch als Buecher bekannt, das heisst, er las sie
oeffentlich vor und verbreitete sie durch Abschriften. Was aber noch
wichtiger war, er setzte an die Stelle des alten wesentlich lyrischen
Buehnengedichts das griechische Drama. Es war im Jahre 514 (240),
ein Jahr nach dem Ende des Ersten Punischen Krieges, dass das erste
Schauspiel auf der roemischen Buehne aufgefuehrt ward. Diese Schoepfung
eines Epos, einer Tragoedie, einer Komoedie in roemischer Sprache und
von einem Mann, der mehr Roemer als Grieche war, war geschichtlich ein
Ereignis; von einem kuenstlerischen Wert der Arbeiten kann nicht die
Rede sein. Sie verzichten auf jeden Anspruch an Originalitaet; als
Uebersetzungen aber betrachtet, sind sie von einer Barbarei, die nur um
so empfindlicher ist, als diese Poesie nicht naiv ihre eigene
Einfalt vortraegt, sondern die hohe Kunstbildung des Nachbarvolkes
schulmeisterhaft nachstammelt. Die starken Abweichungen vom Original
sind nicht aus der Freiheit, sondern aus der Roheit der Nachdichtung
hervorgegangen; die Behandlung ist bald platt, bald schwuelstig, die
Sprache hart und verzwickt ^5. Man glaubt es ohne Muehe, was die alten
Kunstrichter versichern, dass, von den Zwangslesern in der Schule
abgesehen, keiner die Livischen Gedichte zum zweiten Male in die Hand
nahm. Dennoch wurden diese Arbeiten in mehrfacher Hinsicht massgebend
fuer die Folgezeit. Sie eroeffneten die roemische Uebersetzungsliteratur
und buergerten die griechischen Versmasse in Latium ein. Wenn dies nur
hinsichtlich der Dramen geschah und die Livische 'Odyssee' vielmehr in
dem nationalen saturnischen Masse geschrieben ward, so war der Grund
offenbar, dass die Jamben und Trochaeen der Tragoedie und Komoedie
weit leichter sich im Lateinischen nachbilden liessen als die epischen
Daktylen. -------------------------------------------------------- ^4
Die spaetere Regel, dass der Freigelassene notwendig den Vornamen des
Patrons fuehrt, gilt fuer das republikanische Rom noch nicht. ^5 In
einem der Trauerspiele des Livius hiess es: quem ego nefrendem alui
lacteam immulgens opem. Milchfuell' ein Zahnlosem melkend ihm aufnaehrt'
ich ihn. Die Homerischen Verse (Od. 12, 16) O?d' ara Kirk/e/n ex Aide/o/
elthontes el/e/thomen, alla mal' '/o/ka /e/lth' entynamen/e/. ama
d? amphipoloi pheron ayt/e/ siton kai krea polla kai aithopa oinon
erythron. aber verborgen Kehrten der Kirke wir nicht vom Hades, sondern
gar hurtig Kam sie gewaertig herbei; es trugen die dienenden Jungfraun
Brot ihr und Fleisch in Fuell' und den tiefrot funkelnden Wein her.
werden also verdolmetscht: topper citi ad aedis - venimus Circae: simul
duona coram (?) - portant ad navis. milia alia in isdem - inserinuntur.
In Eil' geschwinde kaemmen - wir zu Kirkes Hause. Zugleich vor uns die
Gueter - bringt man zu den Schiffen Auch wurden aufgeladen - tausend
andere Dinge. Am merkwuerdigsten ist nicht so sehr die Barbarei als
die Gedankenlosigkeit des Uebersetzers, der statt Kirke zum
Odysseus vielmehr den Odysseus zur Kirke schickt. Ein zweites, noch
laecherlicheres Quiproquo ist die Uebersetzung von aidoioisin ed/o/ka
(Od. 15, 373) durch lusi (Fest. v. affatim p. 11). Dergleichen ist
auch geschichtlich nicht gleichgueltig; man erkennt darin die Stufe
der Geistesbildung, auf der diese aeltesten roemischen versezimmernden
Schulmeister standen; und nebenbei auch, dass dem Andronikos, wenn er
gleich in Tarent geboren war, doch das Griechische nicht
eigentlich Muttersprache gewesen sein kann.
---------------------------------------------- Indes diese Vorstufe der
literarischen Entwicklung ward bald ueberschritten. Die Livischen Epen
und Dramen galten den Spaeteren, und ohne Zweifel mit gutem Recht,
gleich den daedalischen Statuen von bewegungs- und ausdrucksloser
Starrheit mehr als Kuriositaeten denn als Kunstwerke. In der folgenden
Generation aber baute auf den einmal festgestellten Grundlagen eine
lyrische, epische und dramatische Kunst sich auf; und auch geschichtlich
ist es von hoher Wichtigkeit, dieser poetischen Entwicklung zu folgen.
Sowohl dem Umfang der Produktion nach wie in der Wirkung auf das
Publikum stand an der Spitze der poetischen Entwicklung das Drama. Ein
stehendes Theater mit festem Eintrittsgeld gab es im Altertum nicht;
in Griechenland wie in Rom trat das Schauspiel nur als Bestandteil der
jaehrlich wiederkehrenden oder auch ausserordentlichen buergerlichen
Lustbarkeiten auf. Zu den Massregeln, wodurch die Regierung der mit
Recht besorglich erscheinenden Ausdehnung der Volksfeste entgegenwirkte
oder entgegenzuwirken sich einbildete, gehoerte es mit, dass sie die
Errichtung eines steinernen Theatergebaeudes nicht zugab ^6. Statt
dessen wurde fuer jedes Fest ein Brettergeruest mit einer Buehne fuer
die Akteure (proscaenium, pulpitum) und einem dekorierten Hintergrund
(scaena) aufgeschlagen und im Halbzirkel vor derselben der
Zuschauerplatz (cavea) abgesteckt, welcher ohne Stufen und Sitze bloss
abgeschraegt ward, so dass die Zuschauer, soweit sie nicht Sessel sich
mitbringen liessen, kauerten, lagen oder standen ^7. Die Frauen moegen
frueh abgesondert und auf die obersten und schlechtesten Plaetze
beschraenkt worden sein; sonst waren gesetzlich die Plaetze nicht
geschieden, bis man seit dem Jahre 560 (194), wie schon gesagt ward,
den Senatoren die untersten und besten Plaetze reservierte.
--------------------------------------------- ^6 Zwar wurde schon
575 (179) ein solches fuer die Apollinarischen Spiele am Flaminischen
Rennplatz erbaut (Liv. 40, 51; W. A. Becker, Topographie der Stadt Rom,
S. 605), aber wahrscheinlich bald darauf wieder niedergerissen. ^7 Noch
599 (155) gab es Sitzplaetze im Theater nicht (F. W. Ritschl, Parerga
zu Plautus und Terentius. Bd. 1. Leipzig 1845, S. XVII, XX, 214; vgl.
O. Ribbeck, Die roemische Tragoedie im Zeitalter der Republik. Leipzig
1875, S. 285); wenn dennoch nicht bloss die Verfasser der plautinischen
Prologe, sondern schon Plautus selbst mehrfach auf ein sitzendes
Publikum hindeutet (Mil. 82; 83; Aul. 4, 9, 6; Truc. a. E.; Epid. a.
E.), so muessen wohl die meisten Zuschauer sich Stuehle mitgebracht
oder sich auf den Boden gesetzt haben.
--------------------------------------------- Das Publikum war nichts
weniger als vornehm. Allerdings zogen die besseren Staende sich nicht
von den allgemeinen Volkslustbarkeiten zurueck; die Vaeter der Stadt
scheinen sogar anstandshalber verpflichtet gewesen zu sein, sich bei
denselben zu zeigen. Aber wie es im Wesen eines Buergerfestes liegt,
wurden zwar Sklaven und wohl auch Auslaender ausgeschlossen, aber jedem
Buerger mit Frau und Kindern der Zutritt unentgeltlich verstattet ^8,
und es kann darum die Zuschauerschaft nicht viel anders gewesen
sein, als wie man sie heutzutage bei oeffentlichen Feuerwerken und
Gratisvorstellungen sieht. Natuerlich ging es denn auch nicht allzu
ordentlich her: Kinder schrien, Frauen schwatzten und kreischten, hier
und da machte eine Dirne Anstalt, sich auf die Buehne zu draengen; die
Gerichtsdiener hatten an diesen Festtagen nichts weniger als Feiertag
und Gelegenheit genug hier einen Mantel abzupfaenden und da mit der Rute
zu wirken. ---------------------------------------------- ^8 Frauen und
Kinder scheinen zu allen Zeiten im roemischen Theater zugelassen worden
zu sein (Val. Man.. 6, 3, 12; Plut. Quaest. conv. 14; Cic. har. resp.
12, 24; Vitr. 5, 3, 1; Suet. Aug. 44 usw.); aber Sklaven waren von
Rechts wegen ausgeschlossen (Cic, har. resp. 12, 26; Ritschl, Parerga,
Bd. 1, S. XIX, 223) und dasselbe muss wohl von den Fremden gelten,
abgesehen natuerlich von den Gaesten der Gemeinde, die unter oder neben
den Senatoren Platz nahmen (Varro 5, 155; Tust. 43, 5, 10; Suet.
Aug. 44). ---------------------------------------------- Durch
die Einfuehrung des griechischen Dramas steigerten sich wohl die
Anforderungen an das Buehnenpersonal und es scheint an faehigen Leuten
kein Oberfluss gewesen zu sein - ein Stueck des Naevius musste einmal
in Ermangelung von Schauspielern durch Dilettanten aufgefuehrt werden.
Allein. in der Stellung des Kuenstlers aenderte sich dadurch nichts;
der Poet oder, wie er in dieser Zeit genannt ward, der "Schreiber", der
Schauspieler und der Komponist gehoerten nach wie vor nicht bloss zu der
an sich gering geachteten Klasse der Lohnarbeiter, sondern wurden auch
vor wie nach in der oeffentlichen Meinung auf die markierteste Weise
zurueckgesetzt und polizeilich misshandelt (l, 475). Natuerlich hielten
sich alle reputierlichen Leute von diesem Gewerbe fern - der Direktor
der Truppe (dominus gregis, factionis, auch choragus), in der Regel
zugleich der Hauptschauspieler, war meist ein Freigelassener, ihre
Glieder in der Regel seine Sklaven; die Komponisten, die uns genannt
werden, sind saemtlich Unfreie. Der Lohn war nicht bloss gering - ein
Buehnendichterhonorar von 8000 Sesterzen (600 Taler) wird kurz nach dem
Ende dieser Periode als ein ungewoehnlich hohes bezeichnet -, sondern
ward ueberdies von den festgebenden Beamten nur gezahlt, wenn das
Stueck nicht durchfiel. Mit der Bezahlung war alles abgetan: von
Dichterkonkurrenz und Ehrenpreisen, wie sie in Attika vorkamen, war in
Rom noch nicht die Rede - man scheint daselbst in dieser Zeit, wie
bei uns, nur geklatscht oder ausgepfiffen, auch an jedem Tage nur ein
einziges Stueck zur Auffuehrung gebracht zu haben ^9. Unter solchen
Verhaeltnissen, wo die Kunst um Tagelohn ging und es statt der
Kuenstlerehre nur eine Kuenstlerschande gab, konnte das neue roemische
Nationaltheater weder originell noch ueberhaupt nur kuenstlerisch
sich entwickeln; und wenn der edle Wetteifer der edelsten Athener die
attische Buehne ins Leben gerufen hatte, so konnte die roemische, im
ganzen genommen, nichts werden als eine Sudelkopie davon, bei der man
nur sich wundert, dass sie im einzelnen noch so viel Anmut und Witz zu
entfalten vermocht hat. ----------------------------------------------
^9 Aus den plautinischen Prologen (Cas. 17; Amph. 65) darf auf eine
Preisverteilung nicht geschlossen werden (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S.
229); aber auch Trin. 706 kann sehr wohl dem griechischen Original,
nicht dem Uebersetzer angehoeren, und das voellige Stillschweigen
der Didaskalien und Prologe sowie der gesamten Ueberlieferung ueber
Preisgerichte und Preise ist entscheidend. Dass an jedem Tage nur ein
Stueck gegeben wird, folgt daraus, dass die Zuschauer am Beginn des
Stuecks von Hause kommen (Poen. 10) und nach dem Ende nach Hause gehen
(Epid. Pseud. Rud. Stich. Truc. a. E.). Man kam, wie dieselben Stellen
zeigen, nach dem zweiten Fruehstueck ins Theater und war zur Mittagszeit
wieder zu Hause; es waehrte das Schauspiel also nach unserer Rechnung
etwa von Mittag bis halb drei Uhr, und so lange mag ein Plautinisches
Stueck mit der Musik in den Zwischenakten auch ungefaehr spielen (vgl.
Hor. epist. 2, 1. 1891. Wenn Tacitus (arm. 14 20) die Zuschauer
"ganze Tage" im Theater zubringen laesst, so sind dies Zustaende einer
spaeteren Zeit. ---------------------------------------------- In
der Buehnenwelt ward das Trauerspiel bei weitem durch die Komoedie
ueberwogen; die Stirnen der Zuschauer runzelten sich, wenn statt des
gehofften Lustspiels ein Trauerspiel begann. So ist es gekommen, dass
diese Zeit wohl eigene Komoediendichter, wie Plautus und Caecilius,
aufweist, eigene Tragoediendichter aber nicht begegnen, und dass
unter den dem Namen nach uns bekannten Dramen dieser Epoche auf ein
Trauerspiel drei Lustspiele kommen. Natuerlich griffen die roemischen
I.ustspieldichter oder vielmehr Uebersetzer zunaechst nach den Stuecken,
welche die hellenische Schaubuehne der Zeit beherrschten; und damit
fanden sie sich ausschliesslich ^10 gebannt in den Kreis der neueren
attischen Komoedie und zunaechst ihrer namhaftesten Dichter Philemon
von Soioi in Kilikien (394? - 492 360 - 262) und Menandros von Athen
(412-462 342-292). Dieses Lustspiel ist nicht bloss fuer die roemische
Literatur-, sondern selbst fuer die ganze Volksentwicklung so wichtig
geworden, dass auch die Geschichte Ursache hat, dabei zu verweilen.
------------------------------------------ ^10 Die sparsame Benutzung
der sogenannten mittleren Komoedie der Attiker kommt geschichtlich nicht
in Betracht, da diese nichts war als das minder entwickelte menandrische
Lustspiel. Vor. einer Benutzung der aelteren Komoedie mangelt jede Spur.
Die roemische Hilarotragoedie, die Gattung des Plautinischen Amphitryon,
heisst zwar den roemischen Literarhistorikern die Rhinthonische; aber
auch die neueren Attiker dichteten dergleichen Parodien und es ist nicht
abzusehen, warum die Roemer fuer ihre Uebersetzungen, statt auf
diese naechstliegenden Dichter, vielmehr auf Rinthon und die
aelteren zurueckgegriffen haben sollten.
------------------------------------------ Die Stuecke sind von
ermuedender Einfoermigkeit. Fast ohne Ausnahme drehen sie sich darum,
einem jungen Menschen auf Kosten entweder seines Vaters oder auch des
Bordellhalters zum Besitze eines Liebchens von unzweifelhafter Anmut und
sehr zweifelhafter Sittlichkeit zu verhelfen. Der Weg zum Liebesglueck
geht regelmaessig durch irgendeine Geldprellerei, und der verschmitzte
Bediente, der die benoetigte Summe und die erforderliche Schwindelei
liefert, waehrend der Liebhaber ueber seine Liebes- und Geldnot jammert,
ist das eigentliche Triebrad des Stueckes. Es ist kein Mangel
an obligaten Betrachtungen ueber Freude und Leid der Liebe, an
traenenreichen Abschiedsszenen, an Liebhabern, die vor Herzenspein sich
ein Leides anzutun drohen; die Liebe oder vielmehr die Verliebtheit
war, wie die alten Kunstrichter sagen, der eigentliche Lebenshauch der
Menandrischen Poesie. Den Schluss macht die wenigstens bei Menander
unvermeidliche Hochzeit; wobei noch zu mehrerer Erbauung und
Befriedigung der Zuschauer die Tugend des Maedchens sich herauszustellen
pflegt als wenn nicht ganz, doch so gut wie unbeschaedigt und das
Maedchen selbst als die abhanden gekommene Tochter eines reichen Mannes,
demnach als eine in jeder Hinsicht gute Partie. Neben diesen liebes-
finden sich auch Ruehrstuecke; wie denn zum Beispiel unter den
Plautinischen Komoedien der 'Strick' sich um Schiffbruch und
Asylrecht bewegt, das 'Dreitalerstueck' und 'Die Gefangenen' gar keine
Maedchenintrige enthalten, sondern die edelmuetige Aufopferung des
Freundes fuer den Freund, des Sklaven fuer den Herrn schildern. Personen
und Situationen wiederholen sich dabei wie auf einer Tapete bis ins
einzelne herab, wie man denn gar nicht herauskommt aus den Apartes
ungesehener Horcher, aus dem Anpochen an die Haustueren, aus den mit
irgendeinem Gewerbe durch die Strassen fegenden Sklaven; die stehenden
Masken, deren es eine gewisse feste Zahl, zum Beispiel acht Greisen-,
sieben Bedientenmasken gab, aus denen, in der Regel wenigstens,
der Dichter nur auszuwaehlen hatte, beguenstigten weiter die
schablonenartige Behandlung. Eine solche Komoedie musste wohl das
lyrische Element in der aelteren, den Chor, wegwerfen und sich von Haus
aus auf Gespraech und hoechstens Rezitation beschraenken - mangelte ihr
doch nicht bloss das politische Element, sondern ueberhaupt jede
wahre Leidenschaft und jede poetische Hebung. Auf eine grossartige
und eigentlich poetische Wirkung legten es die Stuecke auch
verstaendigerweise gar nicht an; ihr Reiz bestand zunaechst in der
Verstandesbeschaeftigung durch den Stoff sowohl, wobei die neuere
Komoedie sich von der aelteren ebenso sehr durch die groessere
innerliche Leere wie durch die groessere aeusserliche Verschlungenheit
der Fabel unterschied, als besonders durch die Ausfuehrung im Detail,
wobei namentlich die fein zugespitzte Konversation der Triumph des
Dichters und das Entzuecken des Publikums war. Verwirrungen und
Verwechslungen, womit sich ein Hinuebergreifen in den tollen, oft
zuegellosen Schwank sehr gut vertraegt - wie denn zum Beispiel
die Casina mit dem Abzug der beiden Braeutigame und des als Braut
aufgeputzten Soldaten echt falstaffisch schliesst -, Scherze, Schnurren
und Raetsel, welche ja auch an der attischen Tafel dieser Zeit in
Ermangelung eines wirklichen Gespraechs die stehenden Unterhaltungstoffe
hergaben, fuellen zum guten Teil diese Komoedien aus. Die Dichter
derselben schrieben nicht wie Eupolis und Aristophanes fuer eine grosse
Nation, sondern vielmehr fuer eine gebildete und, wie andere geistreiche
und in tatenloser Geistreichigkeit verkommende Zirkel, in Rebusraten und
Scharadenspiel aufgehende Gesellschaft. Sie geben darum auch kein Bild
ihrer Zeit - von der grossen geschichtlichen und geistigen Bewegung
derselben ist in diesen Komoedien nichts zu spueren, und man muss erst
daran erinnert werden, dass Philemon und Menander wirklich Zeitgenossen
von Alexander und Aristoteles gewesen sind -, aber wohl ein ebenso
elegantes wie treues Bild der gebildeten attischen Gesellschaft,
aus deren Kreisen die Komoedie auch niemals heraustritt. Noch in dem
getruebten lateinischen Abbild, aus dem wir sie hauptsaechlich kennen,
ist die Anmut des Originals nicht voellig verwischt und namentlich
in den Stuecken, die dem talentvollsten unter diesen Dichtern, dem
Menander, nachgebildet sind, das Leben, das der Dichter leben sah und
selber lebte, nicht so sehr in seinen Verirrungen und Verzerrungen, als
in seiner liebenswuerdigen Alltaeglichkeit artig widergespiegelt. Die
freundlichen haeuslichen Verhaeltnisse zwischen Vater und Tochter, Mann
und Frau, Herrn und Diener, mit ihren Liebschaften und sonstigen kleinen
Krisen sind so allgemeingueltig abkonterfeit, dass sie noch heute ihre
Wirkung nicht verfehlen; der Bedientenschmaus zum Beispiel, womit der
'Stichus' schliesst, ist in der Beschraenktheit seiner Verhaeltnisse und
der Eintracht der beiden Liebhaber und des einen Schaetzchens in seiner
Art von unuebertrefflicher Zierlichkeit. Von grosser Wirkung sind die
eleganten Grisetten, die gesalbt und geschmueckt, mit modischem Haarputz
und im bunten goldgestickten Schleppgewande erscheinen oder besser
noch auf der Buehne Toilette machen. In ihrem Gefolge stellen die
Gelegenheitsmacherinnen sich ein, bald von der gemeinsten Sorte, wie
deren eine im 'Curculio' auftritt, bald Duennen gleich Goethes alter
Barbara, wie die Scapha in der Wunderkomoedie; auch an hilfreichen
Bruedern und Kumpanen ist kein Mangel. Sehr reichlich und mannigfaltig
besetzt sind die alten Rollen; es erscheinen umeinander der strenge
und geizige, der zaertliche und weichmuetige, der nachsichtige
gelegenheitsmachende Papa, der verliebte Greis, der alte bequeme
Junggesell, die eifersuechtige bejahrte Hausehre mit ihrer alten, gegen
den Herrn mit der Frau haltenden Magd; wogegen die Juenglingsrollen
zuruecktreten und weder der erste Liebhaber noch der hie und
da begegnende tugendhafte Mustersohn viel bedeuten wollen. Die
Bedientenwelt: der verschmitzte Kammerdiener, der strenge Hausmeister,
der alte wackere Erzieher, der knoblauchduftende Ackerknecht, das
impertinente Juengelchen - leitet schon hinueber zu den sehr zahlreichen
Gewerberollen. Eine stehende Figur darunter ist der Spassmacher
(parasitus), welcher fuer die Erlaubnis, an der Tafel des Reichen
mitzuschmausen, die Gaeste mit Schnurren und Scharaden zu belustigen,
auch nach Umstaenden sich die Scherben an den Kopf werfen zu lassen hat
- es war dies damals in Athen ein foermliches Gewerbe, und sicher ist es
auch keine poetische Fiktion, wenn ein solcher Schmarotzer auftritt, aus
seinen Witz- und Anekdotenbuechern sich eigens praeparierend. Beliebte
Rollen sind ferner der Koch, der nicht bloss mit unerhoerten Saucen zu
renommieren versteht, sondern auch wie ein gelernter Dieb zu stipitzen;
der freche, zu jedem Laster sich mit Vergnuegen bekennende Bordellwirt,
wovon der Ballio im 'Luegenbold' ein Musterexemplar ist; der
militaerische Bramarbas, in dem die Landsknechtwirtschaft
der Diadochenzeit sehr bestimmt anklingt; der gewerbsmaessige
Industrieritter oder der Sykophant, der schuftige Wechsler, der
feierlich alberne Arzt, der Priester, Schiffer, Fischer und dergleichen
mehr. Dazu kommen endlich die eigentlichen Charakterrollen, wie der
Aberglaeubige Menanders, der Geizige in der Plautinischen Topfkomoedie.
Die nationalhellenische Poesie hat auch in dieser ihrer letzten
Schoepfung ihre unverwuestliche plastische Kraft noch bewaehrt; aber die
Seelenmalerei ist hier doch schon mehr aeusserlich kopiert als innerlich
nachempfunden und um so mehr, je mehr die Aufgabe sich den wahrhaft
poetischen naehert - es ist bezeichnend, dass in den eben angefuehrten
Charakterrollen die psychologische Wahrheit grossenteils durch die
abstrakte Begriffsentwicklung vertreten wird, der Geizige hier die
Nagelschnitze sammelt und die vergossene Traene als verschwendetes
Wasser beklagt. Indes dieser Mangel an tiefer Charakteristik und
ueberhaupt die ganze poetische und sittliche Hohlheit dieser neueren
Komoedie faellt weniger den Lustspieldichtern zur Last als der gesamten
Nation. Das spezifische Griechentum war im Verscheiden; Vaterland,
Volksglaube, Haeuslichkeit, alles edle Tun und Sinnen war gewichen,
Poesie, Historie und Philosophie innerlich erschoepft und dem Athener
nichts uebrig geblieben, als die Schule, der Fischmarkt und das Bordell
- es ist kein Wunder und kaum ein Tadel, wenn die Poesie, die die
menschliche Existenz zu verklaeren bestimmt ist, aus einem solchen Leben
nichts weiter machen konnte, als was das Menandrische Lustspiel uns
darstellt. Sehr merkwuerdig ist dabei, wie die Poesie dieser Zeit, wo
immer sie dem zerruetteten attischen Leben einigermassen den Ruecken zu
wenden vermochte, ohne doch in. schulmaessige Nachdichtung zu verfallen,
sofort sich am Ideal staerkt und erfrischt. In dem einzigen Ueberrest
des parodisch-heroischen Lustspiels dieser Zeit, in Plautus'
'Amphitryon' weht durchaus eine reinere und poetischere Luft als
in allen uebrigen Truemmern der gleichzeitigen Schaubuehne; die
gutmuetigen, leise ironisch gehaltenen Goetter, die edlen Gestalten aus
der Heroenwelt, die possierlich feigen Sklaven machen zueinander den
wundervollsten Gegensatz und nach dem drolligen Verlauf der Handlung die
Geburt des Goettersohnes unter Donner und Blitz eine beinahe grossartige
Schlusswirkung. Diese Aufgabe der Mythenironisierung war aber auch
verhaeltnismaessig unschuldig und poetisch, verglichen mit der des
gewoehnlichen das attische Leben der Zeit schildernden Lustspiels. Eine
besondere Anklage darf vom geschichtlich- sittlichen Standpunkt aus
gegen die Poeten keineswegs erhoben und dem einzelnen Dichter kein
individueller Vorwurf daraus gemacht werden, dass er im Niveau seiner
Epoche steht; die Komoedie war nicht Ursache, sondern Wirkung der in dem
Volksleben waltenden Verdorbenheit. Aber wohl ist es, namentlich um
den Einfluss dieser Lustspiele auf das roemische Volksleben richtig zu
beurteilen, notwendig, auf den Abgrund hinzuweisen, der unter all jener
Feinheit und Zierlichkeit sich auftut. Die Flegeleien und Zoten, welche
zwar Menander einigermassen vermied, an denen aber bei den anderen
Poeten kein Mangel ist, sind das wenigste; weit schlimmer ist die
grauenvolle Lebensoede, deren einzige Oasen die Verliebtheit und der
Rausch sind, die fuerchterliche Prosa, worin was einigermassen wie
Enthusiasmus aussieht allein bei den Gaunern zu finden ist, denen der
eigene Schwindel den Kopf verdreht hat und die das Prellergewerbe mit
einer gewissen Begeisterung treiben, und vor allem jene unsittliche
Sittlichkeit, mit welcher namentlich die menandrischen Stuecke staffiert
sind. Das Laster wird abgestraft, die Tugend belohnt und etwaige
Peccadillos durch Bekehrung bei oder nach der Hochzeit zugedeckt. Es
gibt Stuecke, wie die Plautinische 'Dreitalerkomoedie' und mehrere
Terenzische, in denen allen Personen bis auf die Sklaven hinab eine
Portion Tugendhaftigkeit beigemischt ist; alle wimmeln von ehrlichen
Leuten, die fuer sich betruegen lassen, von Maedchentugend womoeglich,
von gleich beguenstigten und Kompagnie machenden Liebhabern; moralische
Gemeinplaetze und wohl gedrechselte Sittensprueche sind gemein wie
die Brombeeren. In einem versoehnenden Finale, wie das in 'Die beiden
Bacchis' ist, wo die prellenden Soehne und die geprellten Vaeter zu
guter Letzt alle miteinander ins Bordell kneipen gehen, steckt eine
voellig Kotzebuesche Sittenfaeulnis. Auf diesen Grundlagen und aus
diesen Elementen erwuchs das roemische Lustspiel. Originalitaet ward
bei demselben nicht bloss durch aesthetische, sondern wahrscheinlich
zunaechst durch polizeiliche Unfreiheit ausgeschlossen. Unter der
betraechtlichen Masse der lateinischen Lustspiele dieser Gattung, die
uns bekannt sind, findet sich nicht ein einziges, das sich nicht als
Nachbildung eines bestimmten griechischen ankuendigte; es gehoert
zum vollstaendigen Titel, dass der Name des griechischen Stueckes und
Verfassers mit genannt wird, und wenn, wie das wohl vorkam, ueber die
"Neuheit" eines Stueckes gestritten ward, so handelte es sich darum, ob
dasselbe schon frueher uebersetzt worden sei. Die Komoedie spielt
nicht etwa bloss haeufig im Ausland, sondern es ist eine zwingende
Notwendigkeit und die ganze Kunstgattung (fabula palliata) danach
benannt, dass der Schauplatz ausserhalb Roms, gewoehnlich in Athen ist
und dass die handelnden Personen Griechen oder doch Nichtroemer sind.
Selbst im einzelnen wird, besonders in denjenigen Dingen, worin auch
der ungebildete Roemer den Gegensatz bestimmt empfand, das auslaendische
Kostuem streng durchgefuehrt. So wird der Name Roms und der Roemer
vermieden und wo ihrer gedacht wird, heissen sie auf gut griechisch
"Auslaender" (barbari); ebenso erscheint unter den unzaehlige Male
vorkommenden Geld- und Muenzbezeichnungen auch nicht ein einziges Mal
die roemische Muenze. Man macht sich von so grossen und so gewandten
Talenten, wie Naevius und Plautus waren, eine seltsame Vorstellung,
wenn man dergleichen auf ihre freie Wahl zurueckfuehrt; diese krasse und
sonderbare Exterritorialitaet der roemischen Komoedie war ohne Zweifel
durch ganz andere als aesthetische Ruecksichten bedingt. Die Verlegung
solcher gesellschaftlicher Verhaeltnisse, wie sie die neuattische
Komoedie durchgaengig zeichnet, nach dem Rom der hannibalischen Epoche
wuerde geradezu ein Attentat auf dessen buergerliche Ordnung und Sitte
gewesen sein. Da aber die Schauspiele in dieser Zeit regelmaessig
von den Aedilen und Praetoren gegeben wurden, die gaenzlich vom Senat
abhingen, und selbst die ausserordentlichen Festlichkeiten, zum Beispiel
die Leichenspiele, nicht ohne Regierungserlaubnis stattfanden, und da
ferner die roemische Polizei ueberall nicht und am wenigsten mit den
Komoedianten Umstaende zu machen gewohnt war, so ergibt es sich von
selbst, weshalb diese Komoedie, selbst nachdem sie unter die roemischen
Volkslustbarkeiten aufgenommen war, doch noch keinen Roemer auf die
Buehne bringen durfte und gleichsam in das Ausland verbannt blieb. Noch
viel entschiedener ward den Bearbeitern das Recht, einen Lebenden lobend
oder tadelnd zu nennen, sowie jede verfaengliche Anspielung auf
die Zeitverhaeltnisse untersagt. In dem ganzen plautinischen und
nachplautinischen Komoedienrepertoire ist, soweit wir es kennen, nicht
zu einer einzigen Injurienklage Stoff. Ebenso begegnet uns von den
bei dem lebhaften Munizipalsinn der Italiker besonders bedenklichen
Invektiven gegen Gemeinden - wenn von einigen ganz unschuldigen Scherzen
abgesehen wird - kaum eine andere Spur als der bezeichnende Hohn auf
die ungluecklichen Capuaner und Atellaner und merkwuerdigerweise
verschiedene Spottreden ueber die Hoffart wie ueber das schlechte
Latein der Praenestiner ^11. Ueberhaupt findet sich in den Plautinischen
Stuecken von Beziehungen auf die Ereignisse und Verhaeltnisse der
Gegenwart nichts als Glueckwuensche fuer die Kriegfuehrung ^12 oder zu
den friedlichen Zeiten; allgemeine Ausfaelle gegen Korn- und Zinswucher,
gegen Verschwendung, gegen Kandidatenbestechung, gegen die allzu
haeufigen Triumphe, gegen die gewerbsmaessigen Beitreiber verwirkter
Geldbussen, gegen pfaendende Steuerpaechter, gegen die teuren Preise der
Oelhaendler, ein einziges Mal - im 'Curculio' - eine an die
Parabasen der aelteren attischen Komoedie erinnernde, uebrigens wenig
verfaengliche laengere Diatribe ueber das Treiben auf dem roemischen
Markt. Aber selbst in solchen hoechst polizeilich normal patriotischen
Bestrebungen unterbricht sich wohl der Dichter: Doch bin ich nicht
naerrisch, mich zu kuemmern um den Staat, Da die Obrigkeit da ist, die
sich hat zu kuemmern drum? und im ganzen genommen ist kaum ein
politisch zahmeres Lustspiel zu denken, als das roemische des sechsten
Jahrhunderts gewesen ist ^13. Eine merkwuerdige Ausnahme macht allein
der aelteste namhafte roemische Lustspieldichter Gnaeus Naevius. Wenn
er auch nicht gerade roemische Originallustspiele schrieb, so sind
doch noch die wenigen Truemmer, die wir von ihm besitzen, voll von
Beziehungen auf roemische Zustaende und Personen. Er nahm es unter
anderm sich heraus, nicht bloss einen gewissen Maler Theodotos mit Namen
zu verhoehnen, sondern selbst an den Sieger von Zama folgende Verse zu
richten, deren Aristophanes sich nicht haette schaemen duerfen: Jenen
selbst, der grosse Dinge ruhmvoll oft zu Ende fuehrte, Dessen Taten
lebendig leben, der bei den Voelkern allen allein gilt, Den hat nach
Haus der eigene Vater von dem Liebchen geholt im Hemde. Wie in den
Worten: Heute wollen freie Worte reden wir am Freiheitsfest, so mag er
oefter polizeiwidrig angesetzt und bedenkliche Fragen getan haben, wie
zum Beispiel: Wie ward ein so gewaltiger Staat nur so geschwind euch
ruiniert? worauf denn mit einem politischen Suendenregister geantwortet
ward, zum Beispiel: Es taten neue Redner sich, einfaeltige
junge Menschen auf.
----------------------------------------------------------------- ^11
Bacch. 24; Trin. 609; Truc. 3, 2, 23. Auch Naevius, der es freilich
ueberall nicht so genau nahm, spottet ueber Praenestiner und Lanuviner
(com. 21 R.) Eine gewisse Spannung zwischen Praenestinern und Roemern
tritt oefter hervor (Liv. 23, 20, 42, 1); und die Exekutionen in der
pyrrhischen sowie die Katastrophe der sullanischen Zeit stehen sicher
damit im Zusammenhang. Unschuldige Scherze wie Capt. 160; 881 passierten
natuerlich die Zensur. Bemerkenswert ist auch das Kompliment
fuer Massalia (Cas. 5, 4, 1). ^12 So schliesst der Prolog der
Kaestchenkomoedie mit folgenden Worten, die hier stehen moegen als die
einzige gleichzeitige Erwaehnung des Hannibalischen Krieges in der auf
uns gekommenen Literatur: Also verhaelt sich dieses. Lebet wohl und
siegt Mit Maennermut, so wie ihr dies bisher getan. Bewahret eure
Verbuendeten alten und neuen Bunds, Zuleget Zuzug ihnen, eurem rechten
Schluss gemaess, Verderbt die Verhassten, wirket Lorbeer euch und
Lob, Damit besiegt gewaehre der Poener euch die Poen. Die vierte Zeile
(augete auxilia vostris iustis legibus) geht auf die den saeumigen
latinischen Kolonien im Jahre 550 (204) auferlegten Nachleistungen (Liv.
29, 15; oben 2, 175). ^13 Man kann darum auch bei Plautus kaum mit
der Annahme von Anspielungen auf Zeitereignisse vorsichtig genug sein.
Vielen verkehrten Scharfsinn dieser Art hat die neueste Untersuchung
beseitigt; aber sollte nicht auch die Beziehung auf die Bacchanalien,
welche im Cas. 5, 4, 11 gefunden wird (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. 192),
zensurwidrig sein? Man koennte sogar die Sache umkehren und aus den
Erwaehnungen des Bacchusfestes in der 'Casina' und einigen anderen
Stuecken (Amph. 703; Aul. 3, 1, 3; Bacch. 53, 371; Mil. 1016 und
besonders Men. 836) den Schluss ziehen, dass dieselben zu einer Zeit
geschrieben sind, wo es noch nicht verfaenglich war, von Bacchanalien
zu reden. ------------------------------------------------- Allein
die roemische Polizei war nicht gemeint, gleich der attischen die
Buehneninvektiven und politischen Diatriben zu privilegieren oder auch
nur zu dulden. Naevius ward wegen solcher und aehnlicher Ausfaelle in
den Block geschlossen und musste sitzen, bis er in anderen Komoedien
oeffentlich Busse und Abbitte getan hatte. Ihn trieben diese Haendel,
wie es scheint, aus. der Heimat; seine Nachfolger aber liessen durch
sein Beispiel sich warnen - einer derselben deutet sehr verstaendlich
an, dass er ganz und gar nicht Lust habe, gleich dem Kollegen Naevius
der unfreiwilligen Maulsperre zu unterliegen. So ward es durchgesetzt,
was in seiner Art nicht viel weniger einzig ist als die Besiegung
Hannibals, dass in einer Epoche der fieberhaftesten Volksaufregung
eine volkstuemliche Schaubuehne von der vollstaendigsten politischen
Farblosigkeit entstand. Aber innerhalb dieser von Sitte und Polizei eng
und peinlich gezogenen Schranken ging der Poesie der Atem aus. Nicht
mit Unrecht mochte Naevius die Lage des Dichters unter dem Szepter der
Lagiden und Seleukiden, verglichen mit derjenigen in dem freien Rom,
beneidenswert nennen ^14. Der Erfolg im einzelnen ward natuerlich
bestimmt durch die Beschaffenheit des eben vorliegenden Originals und
das Talent des einzelnen Bearbeiters; doch muss bei aller individuellen
Verschiedenheit dies ganze Uebersetzungsrepertoire in gewissen
Grundzuegen uebereingestimmt haben, insofern saemtliche Lustspiele
denselben Bedingungen der Auffuehrung und demselben Publikum angepasst
wurden. Durchgaengig war die Behandlung im ganzen wie im einzelnen
im hoechsten Grade frei; und sie musste es wohl sein. Wenn die
Originalstuecke vor derselben Gesellschaft spielten, die sie kopierten,
und eben hierin ihr hauptsaechlichster Reiz lag, so war das roemische
Publikum dieser Zeit von dem attischen so verschieden, dass es jene
auslaendische Welt nicht einmal imstande war recht zu verstehen. Von
dem haeuslichen Leben der Hellenen fasste der Roemer weder die Anmut und
Humanitaet noch die Sentimentalitaet und die uebertuenchte Leere. Die
Sklavenwelt war eine voellig andere; der roemische Sklave war ein Stueck
Hausrat, der attische ein Bedienter - wo Sklavenehen vorkommen, oder
der Herr mit dem Sklaven ein humanes Gespraech fuehrt, erinnern die
roemischen Uebersetzer ihr Publikum daran, sich an dergleichen in Athen
gewoehnliche Dinge nicht zu stossen ^15; und als man spaeter Lustspiele
in roemischem Kostuem zu schreiben anfing, musste die Rolle des
pfiffigen Bedienten herausgeworfen werden, weil das roemische Publikum
solche, ihre Herren uebersehende und gaengelnde Sklaven nicht vertrug.
Eher als die feinen Alltagsfiguren hielten die an sich derber
und possenhafter zugeschnittenen Staende- und Charakterbilder die
Uebertragung aus; aber auch von diesen musste doch der roemische
Bearbeiter manche und wahrscheinlich eben die feinsten und
originellsten, wie zum Beispiel die Thais, die Hochzeitskoechin, die
Mondbeschwoererin, den Bettelpfaffen Menanders, ganz liegen lassen und
sich vorwiegend an diejenigen auslaendischen Gewerbe halten, mit welchen
der bereits sehr allgemein in Rom verbreitete griechische Tafelluxus
sein Publikum vertraut gemacht hatte. Wenn der Kochkuenstler und der
Spassmacher in dem Plautinischen Lustspiel mit so auffallender Vorliebe
und Lebendigkeit geschildert sind, so liegt der Schluessel dazu darin,
dass griechische Koeche ihre Dienste schon damals auf dem roemischen
Markt taeglich ausboten und dass Cato das Verbot, einen Spassmacher zu
halten, sogar seinem Wirtschafter in die Instruktion zu setzen noetig
fand. In gleicher Weise konnte der Uebersetzer von der eleganten
attischen Konversation seiner Originale einen sehr grossen Teil nicht
brauchen. Zu der raffinierten Kneip- und Bordellwirtschaft Athens
stand der roemische Buerger- und Bauersmann ungefaehr wie der deutsche
Kleinstaedter zu den Mysterien des Palais Royal. Die eigentliche
Kuechengelehrsamkeit ging nicht in seinen Kopf; die Esspartien blieben
freilich auch in der roemischen Nachbildung sehr zahlreich, aber
ueberall dominiert ueber die mannigfaltige Baeckerei und die
raffinierten Saucen und Fischgerichte der derbe roemische
Schweinebraten. Von den Raetselreden und Trinkliedern, von der
griechischen Rhetorik und Philosophie, die in den Originalen eine so
grosse Rolle spielten, begegnet in der Bearbeitung nur hier und da eine
verlorene Spur. ------------------------------------------- ^14 Etwas
anderes kann die merkwuerdige Stelle in dem 'Maedel von Tarent' nicht
bedeuten: Was im Theater hier mir gerechten Beifall fand, Dass das kein
Koenig irgend anzufechten wagt - Wie viel besser als hier der Freie
hat's darin der Knecht! ^15 Wie das moderne Hellas ueber Sklaventum
dachte, kann man zum Beispiel bei Euripides (Ion. 854; vgl. Hel. 728)
sehen: Dem Sklaven bringt das eine einzig Schande nur: Der Name; in
allem andern ist nicht schlechter als Der freie Mann der Sklave,
welcher brav sich fuehrt. ----------------------------------------- Die
Verwuestung, welche die roemischen Bearbeiter durch die Ruecksicht auf
ihr Publikum in den Originalen anzurichten genoetigt waren, draengte
sie unvermeidlich in eine Weise des Zusammenstreichens und
Durcheinanderwerfens hinein, mit der keine kuenstlerische Komposition
sich vertrug. Es war gewoehnlich, nicht bloss ganze Rollen des Originals
herauszuwerfen, sondern auch dafuer andere aus anderen Lustspielen
desselben oder auch eines anderen Dichters wieder einzustuecken; was
freilich bei der aeusserlich rationellen Komposition der Originale und
ihren stehenden Figuren und Motiven nicht voellig so arg war, wie es
scheint. Es gestatteten ferner wenigstens in der aelteren Zeit sich
die Dichter hinsichtlich der Komposition die seltsamsten Lizenzen. Die
Handlung des sonst so vortrefflichen 'Stichus' (aufgefuehrt 554 200)
besteht darin, dass zwei Schwestern, welche der Vater veranlassen
moechte, sich von ihren abwesenden Ehemaennern zu scheiden, die
Penelopen spielen, bis die Maenner mit reichem Kaufmannsgewinn und als
Praesent fuer den Schwiegervater mit einem huebschen Maedchen wieder
nach Hause kommen. In der 'Casina', die bei dem Publikum ganz besonders
Glueck machte, kommt die Braut, von der das Stueck heisst und um die es
sich dreht, gar nicht zum Vorschein, und die Aufloesung wird ganz naiv
als "spaeter drinnen vor sich gehend" vom Epilog erzaehlt. Ueberhaupt
wird sehr oft die Verwicklung ueber das Knie gebrochen, ein
angesponnener Faden fallengelassen und was dergleichen Zeichen einer
unfertigen Kunst mehr sind. Die Ursache hiervon ist wahrscheinlich weit
weniger in der Ungeschicklichkeit der roemischen Bearbeiter zu suchen
als in der Gleichgueltigkeit des roemischen Publikums gegen die
aesthetischen Gesetze. Allmaehlich indes bildete sich der Geschmack.
In den spaeteren Stuecken hat Plautus offenbar mehr Sorgfalt auf
die Komposition gewendet und 'Die Gefangenen' zum Beispiel, der
'Luegenbold', 'Die beiden Bacchis' sind in ihrer Art meisterhaft
gefuehrt; seinem Nachfolger Caecilius, von dem wir keine Stuecke mehr
besitzen, wird es nachgeruehmt, dass er sich vorzugsweise durch die
kunstmaessigere Behandlung des Sujets auszeichnete. In der Behandlung
des einzelnen fuehren das Bestreben des Poeten, seinen roemischen
Zuhoerern die Dinge moeglichst vor die Augen zu bringen, und die
Vorschrift der Polizei, die Stuecke auslaendisch zu halten, die
wunderlichsten Kontraste herbei. Die roemischen Goetter, die sakralen,
militaerischen, juristischen Ausdruecke der Roemer, nehmen sich seltsam
aus in der griechischen Welt; bunt durcheinander gehen die roemischen
Aedilen und Dreiherren mit den Agoranomen und Demarchen; in Aetolien
oder Epidamnos spielende Stuecke schicken den Zuschauer ohne Bedenken
nach dem Velabrum und dem Kapitol. Schon eine solche klecksartige
Aufsetzung der roemischen Lokaltoene auf den griechischen Grund ist
eine Barbarisierung; aber diese in ihrer naiven Art oft sehr spasshaften
Interpolationen sind weit ertraeglicher als die durchgaengige Umstimmung
der Stuecke ins Rohe, welche bei der keineswegs attischen Bildung des
Publikums den Bearbeitern notwendig schien. Freilich mochten schon von
den neuattischen Poeten manche in der Ruepelhaftigkeit keiner Nachhilfe
beduerfen; Stuecke wie die Plautinische 'Eselskomoedie' werden ihre
unuebertreffliche Plattheit und Gemeinheit nicht erst dem Uebersetzer
verdanken. Aber es walten doch in den roemischen Komoedien die rohen
Motive in einer Weise vor, dass die Uebersetzer hierin entweder
interpoliert oder mindestens sehr einseitig kompiliert haben muessen.
In der unendlichen Pruegelfuelle und der stets ueber dem Ruecken
der Sklaven schwebenden Peitsche erkennt man deutlich das catonische
Hausregiment, sowie die catonische Opposition gegen die Frauen in dem
nimmer endenden Heruntermachen der Weiber. Unter den Spaessen eigener
Erfindung, mit welchen die roemischen Bearbeiter die elegante attische
Konversation zu wuerzen fuer gut befunden haben, finden sich manche
von einer kaum glaublichen Gedankenlosigkeit und Roheit ^16.
---------------------------------------------------- ^16 So ist zum
Beispiel in das sonst sehr artige Examen, welches in dem Plautinischen
'Stichus' der Vater mit seinen Toechtern ueber die Eigenschaften einer
guten Ehefrau anstellt, die ungehoerige Frage eingelegt, ob es besser
sei, eine Jungfrau oder eine Witwe zu heiraten, bloss um darauf mit
einem nicht minder ungehoerigen und im Munde der Sprecherin geradezu
unsinnigen Gemeinplatz gegen die Frauen zu antworten. Aber das ist
Kleinigkeit gegen den folgenden Fall. In Menanders 'Halsband' klagt ein
Ehemann dem Freunde seine Not: A: Ich freite die reiche Erbin Lamia, du
weisst Es doch? - B: Ja freilich. - A: Sie, der dieses Haus gehoert Und
die Felder und alles andre hier umher. Sie duenkt, Gott weiss es! von
allem Ungemach das aergste uns; Zur Last ist sie all' und jedem, nicht
bloss mir allein, Dem Sohn auch und gar der Tochter. - B: Allerdings,
ich weiss, So ist es. In der lateinischen Bearbeitung des Caecilius
ist aus diesem, in seiner grossen Einfachheit eleganten Gespraech der
folgende Flegeldialog geworden: B: Deine Frau ist also zaenkisch, nicht?
- A: Ei schweig davon! - B: Wieso? - A: Ich mag nichts davon hoeren.
Komm' ich etwa dir Nach Haus und setze mich, augenblicks versetzt sie
mir Einen nuechternen Kuss. - B: Ei nun, mit dem Kusse trifft sie's
schon; Ausspeien sollst du, meint sie, was du auswaerts trankst.
------------------------------------------------- Was dagegen die
metrische Behandlung anlangt, so macht im ganzen der geschmeidige und
klingende Vers den Bearbeitern alle Ehre. Wenn die jambischen Trimeter,
die in den Originalen vorherrschten und ihrem maessigen Konversationston
allein angemessen waren, in der lateinischen Bearbeitung sehr haeufig
durch jambische oder trochaeische Tetrameter ersetzt worden sind, so
wird auch hiervon die Ursache weniger in der Ungeschicklichkeit der
Bearbeiter zu suchen sein, die den Trimeter gar wohl zu handhaben
wussten, als in dem ungebildeten Geschmack des roemischen Publikums,
dem der praechtige Vollklang der Langverse auch da gefiel, wo er nicht
hingehoerte. Endlich traegt auch die Inszenierung der Stuecke den
gleichen Stempel der Gleichgueltigkeit der Direktion wie des Publikums
gegen die aesthetischen Anforderungen. Die griechische Schaubuehne,
welche schon wegen des Umfangs des Theaters und des Spielens bei Tage
auf ein eigentliches Gebaerdenspiel verzichtete, die Frauenrollen mit
Maennern besetzte und einer kuenstlichen Verstaerkung der Stimme des
Schauspielers notwendig bedurfte, ruhte in szenischer wie in akustischer
Hinsicht durchaus auf dem Gebrauch der Gesichts- und Schallmasken.
Diese waren auch in Rom wohlbekannt; bei den Dilettantenauffuehrungen
erschienen die Spieler ohne Ausnahme maskiert. Dennoch wurden den
Schauspielern, welche die griechischen Lustspiele in Rom auffuehren
sollten, die dafuer notwendigen, freilich ohne Zweifel viel
kuenstlicheren Masken nicht gegeben; was denn, von allem andern
abgesehen, in Verbindung mit der mangelhaften akustischen Einrichtung
der Buehne ^17 den Schauspieler nicht bloss noetigte seine Stimme
ueber die Gebuehr anzustrengen, sondern schon den Livius zu dem hoechst
unkuenstlerischen, aber unvermeidlichen Ausweg zwang, die Gesangstuecke
durch einen ausserhalb des Spielerpersonals stehenden Saenger vortragen
und von dem Schauspieler, in dessen Rolle sie fielen, nur durch stummes
Spiel darstellen zu lassen. Ebensowenig fanden die roemischen Festgeber
ihre Rechnung dabei, sich fuer Dekorationen und Maschinerie in
wesentliche Kosten zu setzen. Auch die attische Buehne stellte
regelmaessig eine Strasse mit Haeusern im Hintergrunde vor und hatte
keine wandelbaren Dekorationen; allein man besass doch ausser anderem
mannigfaltigen Apparat namentlich eine Vorrichtung, um eine kleinere,
das Innere eines Hauses vorstellende Buehne auf die Hauptszene
hinauszuschieben. Das roemische Theater aber ward damit nicht versehen,
und man kann es darum dem Poeten kaum zum Vorwurf machen, wenn
alles, sogar das Wochenbett auf der Strasse abgehalten wird.
---------------------------------------------------- ^17 Selbst als man
steinerne Theater baute, mangelten diesen die Schallgefaesse, wodurch
die griechischen Baumeister die Schauspieler unterstuetzten (Vitr. 5,
5, 8). ---------------------------------------------------- So war das
roemische Lustspiel des sechsten Jahrhunderts beschaffen. Die Art und
Weise, wie man die griechischen Schauspiele nach Rom uebertrug, gewaehrt
von dem verschiedenartigen Kulturstand ein geschichtlich unschaetzbares
Bild; in aesthetischer wie in sittlicher Hinsicht aber stand das
Original nicht hoch und das Nachbild noch tiefer. Die Welt bettelhaften
Gesindels, wie sehr auch die roemischen Bearbeiter sie unter der Wohltat
des Inventars antraten, erschien doch in Rom verschlagen und fremdartig,
die feine Charakteristik gleichsam weggeworfen; die Komoedie stand
nicht mehr auf dem Boden der Wirklichkeit, sondern die Personen und
Situationen schienen wie ein Kartenspiel, willkuerlich und gleichgueltig
gemischt; im Original ein Lebens-, ward sie in der Bearbeitung ein
Zerrbild. Bei einer Direktion, die imstande war, einen griechischen Agon
mit Floetenspiel, Taenzerchoeren, Tragoeden und Athleten anzukuendigen
und schliesslich denselben in eine Pruegelei zu verwandeln, vor einem
Publikum, welches, wie noch spaetere Dichter klagen, in Masse aus dem
Schauspiel weglief, wenn es Faustkaempfer oder Seiltaenzer oder gar
Fechter zu sehen gab, mussten Dichter, wie die roemischen waren,
Lohnarbeiter von gesellschaftlich niedriger Stellung, wohl selbst wider
die eigene bessere Einsicht und den eigenen besseren Geschmack sich
der herrschenden Frivolitaet und Roheit mehr oder minder fuegen. Es ist
alles Moegliche, dass nichtsdestoweniger einzelne lebende und frische
Talente unter ihnen aufstanden, die das Fremdlaendische und Gemachte
in der Poesie wenigstens zurueckzudraengen und in den einmal gewiesenen
Bahnen zu erfreulichen und selbst bedeutenden Schoepfungen zu gelangen
vermochten. An ihrer Spitze steht Gnaeus Naevius, der erste Roemer, der
es verdient, ein Dichter zu heissen und, soweit die ueber ihn erhaltenen
Berichte und die geringen Bruchstuecke seiner Werke uns ein Urteil
gestatten, allem Anschein nach eines der merkwuerdigsten und
bedeutendsten Talente in der roemischen Literatur ueberhaupt. Er war
des Andronicus juengerer Zeitgenosse - seine poetische Taetigkeit begann
bedeutend vor und endigte wahrscheinlich erst nach dem Hannibalischen
Kriege - und im allgemeinen von ihm abhaengig; auch er war, wie das in
gemachten Literaturen zu sein pflegt, in allen von seinem Vorgaenger
aufgebrachten Kunstgattungen, im Epos, im Trauer- und Lustspiel,
zugleich taetig und schloss auch im Metrischen sich eng an ihn an.
Nichtsdestoweniger trennt die Dichter wie die Dichtungen eine ungeheure
Kluft. Naevius war kein Freigelassener, kein Schulmeister und kein
Schauspieler, sondern ein zwar nicht vornehmer, aber unbescholtener
Buerger, wahrscheinlich einer der latinischen Gemeinden Kampaniens, und
Soldat im Ersten Punischen Kriege ^18. Recht im Gegensatz zu Livius ist
Naevius' Sprache bequem und klar, frei von aller Steifheit und von
aller Affektion und scheint selbst im Trauerspiel dem Pathos gleichsam
absichtlich aus dem Wege zu gehen; die Verse, trotz des nicht seltenen
Hiatus und mancher anderen, spaeterhin beseitigten Lizenzen, fliessen
leicht und schoen ^19. Wenn die Quasipoesie des Livius etwa wie bei uns
die Gottschedische aus rein aeusserlichen Impulsen hervor- und durchaus
am Gaengelbande der Griechen ging, so emanzipierte sein Nachfolger die
roemische Poesie und traf mit der wahren Wuenschelrute des Dichters
diejenigen Quellen, aus denen allein in Italien eine volkstuemliche
Dichtung entspringen konnte: die Nationalgeschichte und die Komik.
Die epische Dichtung lieferte nicht mehr bloss dem Schulmeister ein
Lesebuch, sondern wandte sich selbstaendig an das hoerende und
lesende Publikum. Die Buehnendichtung war bisher, gleich der
Kostuemverfertigung, ein Nebengeschaeft des Schauspielers oder eine
Handlangerei fuer denselben gewesen; mit Naevius wandte das Verhaeltnis
sich um und der Schauspieler ward nun der Diener des Dichters. Durchaus
bezeichnet seine poetische Taetigkeit ein volkstuemliches Gepraege. Es
tritt am bestimmtesten hervor in seinem ernsten Nationalschauspiel und
in seinem Nationalepos, wovon spaeter noch die Rede sein wird; aber auch
in den Lustspielen, die unter allen seinen poetischen Leistungen die
seinem Talent am meisten zusagenden und erfolgreichsten gewesen zu sein
scheinen, haben, wie schon gesagt ward, wahrscheinlich nur aeussere
Ruecksichten den Dichter bestimmt, sich so, wie er es tat, den
griechischen Originalen anzuschliessen und dennoch ihn nicht gehindert,
in frischer Lustigkeit und im vollen Leben in der Gegenwart seine
Nachfolger und wahrscheinlich selbst die matten Originale weit
hinter sich zurueckzulassen, ja in gewissem Sinne in die Bahnen des
Aristophanischen Lustspiels einzulenken. Er hat es wohl empfunden und in
seiner Grabschrift auch ausgesprochen, was er seiner Nation gewesen ist:
Wenn Goettern um den Menschen - Totentrauer ziemte, Den Dichter Naevius
klagten - goettliche Camenen; Dieweil, seit er hinunter - zu den
Schatten abschied, Verschollen ist in Rom der - Ruhm der roemischen
Rede. ------------------------------------------------- ^18 Die
Personalnotizen ueber Naevius sind arg verwirrt. Da er im Ersten
Punischen Kriege focht, kann er nicht nach 495 (259) geboren sein. 519
(235) wurden Schauspiele, wahrscheinlich die ersten, von ihm gegeben
(Gell. 12, 21, 45). Dass er schon 550 (204) gestorben sei, wie
gewoehnlich angegeben wird, bezweifelte Varro (bei Cic. Brut. 15,
60) gewiss mit Recht; waere es wahr, so muesste er waehrend des
Hannibalischen Krieges in Feindesland entwichen sein. Auch die
Spottverse auf Scipio koennen nicht vor der Schlacht bei Zama
geschrieben sein. Man wird sein Leben zwischen 490 (264) und 560 (194)
setzen duerfen, so dass er Zeitgenosse der beiden 543 (211) gefallenen
Scipionen (Cic. rep. 4, 10), zehn Jahre juenger als Andronicus und
vielleicht zehn Jahre aelter als Plautus war. Seine kampanische Herkunft
deutet Gellius, seine latinische Nationalitaet, wenn es dafuer der
Beweise beduerfte, er selbst in der Grabschrift an. wenn er nicht
roemischer Buerger, sondern etwa Buerger von Cales oder einer anderen
latinischen Stadt Kampaniens war, so erklaert es sich leichter, dass ihn
die roemische Polizei so ruecksichtslos behandelte. Schauspieler war er
auf keinen Fall, da er im Heere diente. ^19 Man vergleiche zum
Beispiel mit den livianischen das Bruchstueck aus Naevius' Trauerspiel
'Lycurgus': Die ihr des koeniglichen Leibes haltet Wacht, Sogleich zum
laubesreichen Platze macht euch auf, Wo willig ungepflanzt emporsprosst
das Gebuesch. Oder die beruehmten Worte, die in 'Hektors Abschied'
Hektor zu Priamos sagt: Lieblich, Vater, klingt von dir mir Lob, dem
vielgelobten Mann. und den reizenden Vers aus dem 'Maedel von Tarent':
Alii adnutat, alii adnictat; alium amat, alium tenet. Zu diesem
nickt sie, nach jenem blickt sie; diesen im Herzen, den im Arm.
---------------------------------------------- Und solcher Maenner- und
Dichterstolz ziemte wohl dem Manne, der die Kaempfe gegen Hamilkar und
gegen Hannibal teils miterlebte, teils selber mitfocht, und der fuer die
tief bewegte und in gewaltigem Freudenjubel gehobene Zeit nicht gerade
den poetisch hoechsten, aber wohl einen tuechtigen, gewandten und
volkstuemlichen dichterischen Ausdruck fand. Es ist schon erzaehlt
worden, in welche Haendel mit den Behoerden er darueber geriet und
wie er, vermutlich dadurch von Rom vertrieben, sein Leben in Utica
beschloss. Auch hier ging das individuelle Leben ueber dem gemeinen
Besten, das Schoene ueber dem Nuetzlichen zugrunde. In der aeusseren
Stellung wie in der Auffassung seines Dichterberufs scheint ihm sein
juengerer Zeitgenosse, Titus Maccius Plautus (500? - 570 254- 184).
weit nachgestanden zu haben. Gebuertig aus dem kleinen, urspruenglich
umbrischen, aber damals, vielleicht schon latinisierten Staedtchen
Sassina, lebte er in Rom als Schauspieler und, nachdem er den damit
gemachten Gewinn in kaufmaennischen Spekulationen wieder eingebuesst
hatte, als Theaterdichter von der Bearbeitung griechischer Lustspiele,
ohne in einem anderen Fache der Literatur taetig zu sein und
wahrscheinlich ohne Anspruch auf eigentliches Schriftstellertum zu
machen. Solcher handwerksmaessigen Komoedienbearbeiter scheint es in
Rom damals eine ziemliche Zahl gegeben zu haben; allein ihre Namen sind,
zumal da sie wohl durchgaengig ihre Stuecke nicht publizierten ^20, so
gut wie verschollen, und was von diesem Repertoire sich erhielt, ging
spaeterhin auf den Namen des populaersten unter ihnen, des Plautus. Die
Literatoren des folgenden Jahrhunderts zaehlten bis hundertunddreissig
solcher "plautinischer Stuecke", von denen indes auf jeden Fall ein
grosser Teil nur von Plautus durchgesehen oder ihm ganz fremd war; der
Kern derselben ist noch vorhanden. Ein gegruendetes Urteil ueber die
poetische Eigentuemlichkeit des Bearbeiters zu faellen, ist dennoch sehr
schwer, wo nicht unmoeglich, da die Originale uns nicht erhalten sind.
Dass die Bearbeitung ohne Auswahl gute wie schlechte Stuecke uebertrug,
dass sie der Polizei wie dem Publikum gegenueber untertaenig und
untergeordnet dastand, dass sie gegen die aesthetischen Anforderungen
sich ebenso gleichgueltig verhielt wie ihr Publikum und diesem zuliebe
die Originale ins Possenhafte und Gemeine umstimmte, sind Vorwuerfe,
die mehr gegen die ganze Uebersetzungsfabrik als gegen den einzelnen
Bearbeiter sich richten. Dagegen darf als dem Plautus eigentuemlich
gelten die meisterliche Behandlung der Sprache und der mannigfachen
Rhythmen, ein seltenes Geschick, die Situation buehnengerecht zu
gestalten und zu nutzen, der fast immer gewandte und oft vortreffliche
Dialog und vor allen Dingen eine derbe und frische Lustigkeit, die
in gluecklichen Spaessen, in einem reichen Schimpfwoerterlexikon, in
launigen Wortbildungen, in drastischen, oft mimischen Schilderungen und
Situationen unwiderstehlich komisch wirkt - Vorzuege, in denen man
den gewesenen Schauspieler zu erkennen meint. Ohne Zweifel hat der
Bearbeiter auch hierin mehr das Gelungene der Originale festgehalten als
selbstaendig geschaffen - was in den Stuecken sicher auf den Uebersetzer
zurueckgefuehrt werden kann, ist milde gesagt mittelmaessig; allein
es wird dadurch begreiflich, warum Plautus der eigentliche roemische
Volkspoet und der rechte Mittelpunkt der roemischen Buehne geworden und
geblieben, ja noch nach dem Untergang der roemischen Welt das
Theater mehrfach auf ihn zurueckgekommen ist.
------------------------------------------------ ^20 Diese Annahme
scheint deshalb notwendig, weil man sonst unmoeglich in der Art, wie
die Alten es tun, ueber die Echtheit oder Unechtheit der Plautinischen
Stuecke haette schwanken koennen; bei keinem eigentlichen Schriftsteller
des roemischen Altertums begegnet eine auch nur annaehernd aehnliche
Ungewissheit ueber das literarische Eigentum. Auch in dieser Hinsicht
wie in so vielen anderen aeusserlichen Dingen besteht die
merkwuerdigste Analogie zwischen Plautus und Shakespeare.
------------------------------------------------- Noch weit weniger
vermoegen wir zu einem eigenen Urteil ueber den dritten und letzten
- denn Ennius schrieb wohl Komoedien, aber durchaus ohne Erfolg
- namhaften Lustspieldichter dieser Epoche, Statius Caecilius, zu
gelangen. Der Lebensstellung und dem Gewerbe nach stand er mit Plautus
gleich. Geboren im Keltenland in der Gegend von Mediolanum kam er unter
den insubrischen Kriegsgefangenen nach Rom und lebte dort als Sklave,
spaeter als Freigelassener von der Bearbeitung griechischer Komoedien
fuer das Theater bis zu seinem wahrscheinlich fruehen Tode (586 168).
Dass seine Sprache nicht rein war, ist bei seiner Herkunft begreiflich;
dagegen bemuehte er sich, wie schon gesagt ward, um strengere
Komposition. Bei den Zeitgenossen fanden seine Stuecke nur schwer
Eingang, und auch das spaetere Publikum liess gegen Plautus und Terenz
den Caecilius fallen; wenn dennoch die Kritiker der eigentlichen
Literaturzeit Roms, der varronischen und augustinischen Epoche, unter
den roemischen Bearbeitern griechischer Lustspiele dem Caecilius die
erste Stelle eingeraeumt haben, so scheint dies darauf zu beruhen,
dass die kunstrichterliche Mittelmaessigkeit gern der geistesverwandten
poetischen vor dem einseitig Vortrefflichen den Vorzug gibt.
Wahrscheinlich hat jene Kunstkritik den Caecilius nur deshalb unter ihre
Fluegel genommen, weil et regelrechter als Plautus und kraeftiger als
Terenz war; wobei er immer noch recht wohl weit geringer als beide
gewesen sein kann. Wenn also der Literarhistoriker bei aller Anerkennung
des sehr achtbaren Talents der roemischen Lustspieldichter doch in ihrem
reinen Uebersetzungsrepertoire weder eine kuenstlerisch bedeutende
noch eine kuenstlerisch reine Leistung erkennen kann, so muss das
geschichtlich-sittliche Urteil ueber dasselbe notwendig noch bei weitem
haerter ausfallen. Das griechische Lustspiel, das demselben zu Grunde
liegt, war sittlich insofern gleichgueltig, als es eben nur im Niveau
der Korruption seines Publikums stand; die roemische Schaubuehne aber
war in dieser zwischen der alten Strenge und der neuen Verderbnis
schwankenden Epoche die hohe Schule zugleich des Hellenismus und des
Lasters. Dieses attisch-roemische Lustspiel mit seiner in der Frechheit
wie in der Sentimentalitaet gleich unsittlichen, den Namen der Liebe
usurpierenden Leibes- und Seelenprostitution, mit seiner widerlichen
und widernatuerlichen Edelmuetigkeit, mit seiner durchgaengigen
Verherrlichung des Kneipenlebens, mit seiner Mischung von Bauernroheit
und auslaendischem Raffinement, war eine fortlaufende Predigt
roemisch-hellenischer Demoralisation und ward auch als solche empfunden.
Ein Zeugnis bewahrt der Epilog der Plautinischen 'Gefangenen': Dieses
Lustspiel, da ihr schautet, ist anstaendig ganz und gar: Nicht
wird darin ausgegriffen, Liebeshaendel hat es nicht, Keine
Kinderunterschiebung, keine Geldabschwindelung; Nicht kauft drin der
Sohn sein Maedchen ohne des Vaters Willen frei. Selten nur ersinnt ein
Dichter solcherlei Komoedien, Die die Guten besser machen. Wenn drum
euch dies Stueck gefiel, Wenn wir Spieler euch gefallen, lasst uns dies
das Zeichen sein: Wer auf Anstand haelt, der klatsche nun zum Lohn uns
unserm Spiel. Man sieht hier, wie die Partei der sittlichen Reform
ueber das griechische Lustspiel geurteilt hat; und es kann hinzugesetzt
werden, dass auch in jenen weissen Raben, den moralischen Lustspielen,
die Moralitaet von derjenigen Art ist, die nur dazu taugt, die Unschuld
gewisser zu betoeren. Wer kann es bezweifeln, dass diese Schauspiele
der Korruption praktischen Vorschub getan haben? Als Koenig Alexander
an einem Lustspiel dieser Art, das der Verfasser ihm vorlas, keinen
Geschmack fand, entschuldigte sich der Dichter, dass das nicht an ihm
sondern an dem Koenige liege; um ein solches Stueck zu geniessen, muesse
man gewohnt sein, Kneipgelage abzuhalten und eines Maedchens wegen
Schlaege auszuteilen und zu empfangen. Der Mann kannte sein Handwerk;
wenn also die roemische Buergerschaft allmaehlich an diesen griechischen
Komoedien Geschmack fand, so sieht man, um weichen Preis es geschah.
Es gereicht der roemischen Regierung zum Vorwurf, nicht, dass sie fuer
diese Poesie so wenig tat, sondern dass sie dieselbe ueberhaupt duldete.
Das Laster ist zwar auch ohne Kanzel maechtig; aber damit ist es noch
nicht entschuldigt, demselben eine Kanzel zu errichten. Es war mehr eine
Ausrede als eine ernstliche Verteidigung, dass man das hellenisierende
Lustspiel von der unmittelbaren Beruehrung der Personen und
Institutionen Roms fernhielt. Vielmehr haette die Komoedie
wahrscheinlich sittlich weniger geschadet, wenn man sie freier haette
walten, den Beruf des Poeten sich veredeln und eine einigermassen
selbstaendige roemische Poesie sich entwickeln lassen; denn die Poesie
ist auch eine sittliche Macht, und wenn sie tiefe Wunden schlaegt, so
vermag sie auch viel zu heilen. Wie es war, geschah auch auf diesem
Gebiet von der Regierung zu wenig und zu viel; die politische Halbheit
und die moralische Heuchelei ihrer Buehnenpolizei hat zu der furchtbar
raschen Aufloesung der roemischen Nation das Ihrige beigetragen. Wenn
indes die Regierung dem roemischen Lustspieldichter nicht gestattete,
die Zustaende seiner Vaterstadt darzustellen und seine Mitbuerger
auf die Buehne zu bringen, so war doch dadurch die Entstehung eines
lateinischen Nationallustspiels nicht unbedingt abgeschnitten; denn
die roemische Buergerschaft war in dieser Zeit noch nicht mit der
latinischen Nation zusammengefallen, und es stand dem Dichter frei,
seine Stuecke wie in Athen und Massalia, ebenso auch in den italischen
Staedten latinischen Rechts spielen zu lassen. In der Tat entstand auf
diesem Wege das lateinische Originallustspiel (fabula togata ^21; der
nachweislich aelteste Verfasser solcher Stuecke, Titinius, bluehte
wahrscheinlich um das Ende dieser Epoche ^22. Auch diese Komoedie ruhte
auf der Grundlage des neuattischen Intrigenstuecks; aber sie war nicht
Uebersetzung, sondern Nachdichtung: der Schauplatz des Stuecks war in
Italien und die Schauspieler erschienen in dem nationalen Gewande,
in der Toga. Hier waltet das latinische Leben und Treiben in
eigentuemlicher Frische. Die Stuecke bewegen sich in dem buergerlichen
Leben der Mittelstaedte Latiums, wie schon die Titel zeigen: 'Die
Harfenistin oder das Maedchen von Ferentinum', 'Die Floetenblaeserin',
'Die Juristin', 'Die Walker', und manche einzelne Situationen noch
weiter bestaetigen, wie zum Beispiel ein Spiessbuerger sich darin seine
Schuhe nach dem Muster der albanischen Koenigssandalen machen laesst. In
auffallender Weise treten die maennlichen gegen die Frauenrollen zurueck
^23. Mit echt nationalem Stolze gedenkt der Dichter der grossen Zeit
des Pyrrhischen Krieges und sieht herab auf die neulatinischen Nachbarn,
Welche oskisch und volskisch reden, denn Latein verstehn sie nicht.
------------------------------------------ ^21 Togatus bezeichnet in der
juristischen und ueberhaupt in der technischen Sprache den Italiker im
Gegensatz nicht bloss zu dem Auslaender, sondern auch zu dem roemischen
Buerger. So ist vor allen Dingen formula togatorum (CIL I, 200, von 21;
50) das Verzeichnis derjenigen italischen Militaerpflichtigen, die
nicht in den Legionen dienen. Auch die Benennung des Cisalpinischen oder
Diesseitigen Galliens als Gallia togata, die zuerst bei Hirtius
vorkommt und nicht lange nachher aus dem gemeinen Sprachgebrauch
wieder verschwindet, bezeichnet diese Landschaft vermutlich nach ihrer
rechtlichen Stellung, insofern in der Epoche vom Jahre 665 (89) bis zum
Jahre 705 (49) die grosse Mehrzahl ihrer Gemeinden latinisches Recht
besass. Virgil (Aen. 1, 282) scheint ebenfalls bei der gens togata, die
er neben den Roemern nennt, an die latinische Nation gedacht zu haben.
Danach wird man auch in der fabula togata dasjenige Lustspiel zu
erkennen haben, das in Latium spielte wie die fabula palliata in
Griechenland; beiden aber ist die Verlegung des Schauplatzes in das
Ausland gemeinsam, und die Stadt und die Buergerschaft Roms auf die
Buehne zu bringen, bleibt ueberhaupt dem Lustspieldichter untersagt.
Dass in der Tat die togata nur in den Staedten latinischen Rechts
spielen durfte, zeigt die Tatsache, dass alle Staedte, in denen unseres
Wissens Stuecke des Titinius und Afranius spielen, Setia, Ferentinum,
Velitrae, Brundisium nachweislich bis auf den Bundesgenossenkrieg
latinisches oder doch bundesgenoessisches Recht gehabt haben. Durch
die Erstreckung des Buergerrechts auf ganz Italien ging den
Lustspieldichtern diese latinische Inszenierung verloren, da das
Cisalpinische Gallien, das rechtlich an die Stelle der latinischen
Gemeinden gesetzt ward fuer den hauptstaedtischen Buehnendichter zu fern
lag, und es scheint damit auch die fabula togata in der Tat verschwunden
zu sein. Indes traten die rechtlich untergegangenen Gemeinden Italiens,
wie Capua und Atella, in diese Luecke ein, und insofern ist die fabula
Atellana gewissermassen die Fortsetzung der togata. ^22 Ueber Titinius
fehlt es an allen literarischen Angaben; ausser dass, nach einem
Varronischen Fragment zu schliessen, er aelter als Terenz (558-595
196-159) gewesen zu sein scheint (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. 194) -
denn mehr moechte freilich auch aus dieser Stelle nicht entnommen werden
koennen und, wenn auch von den beiden hier verglichenen Gruppen die
zweite (Trabea, Atilius, Caecilius) im ganzen aelter ist als die erste
(Titinius, Terentius, Atta), darum noch nicht gerade der aelteste der
juengeren Gruppe juenger zu erachten sein als der juengste der aelteren.
^23 Von den fuenfzehn Titinischen Komoedien, die wir kennen, sind sechs
nach Maenner- (baratus?, caecus, fullo nes, Hortensius, Quintus, varus),
neun nach Frauenrollen benannt (Gemma, iurisperita, prilia?, privigna,
psaltria oder Ferentinatis, Setina, tibicina, Veliterna, Ulubrana ?),
von denen zwei, die 'Juristin' und die 'Floetenblaeserin' offenbar
Maennergewerbe parodierten. Auch in den Bruchstuecken waltet
die Frauenwelt vor. ---------------------------------------- Der
hauptstaedtischen Buehne gehoert dieses Lustspiel ebenso an wie das
griechische; immer aber mag in demselben etwas von der landschaftlichen
Opposition gegen das grossstaedtische Wesen und Unwesen geherrscht
haben, wie sie gleichzeitig bei Cato und spaeterhin bei Varro
hervortritt. Wie in der deutschen Komoedie, die in ganz aehnlicher
Weise von der franzoesischen ausgegangen war wie die roemische von
der attischen, sehr bald die franzoesische Lisette durch das
Frauenzimmerchen Franziska abgeloest ward, so trat, wenn nicht mit
gleicher poetischer Gewalt, doch in derselben Richtung und vielleicht
mit aehnlichem Erfolg, in Rom neben das hellenisierende das latinische
Nationallustspiel. Wie das griechische Lustspiel kam auch das
griechische Trauerspiel im Laufe dieser Epoche nach Rom. Dasselbe war
ein wertvollerer und in gewisser Hinsicht auch ein leichterer Erwerb
als die Komoedie. Die Grundlage des Trauerspiels, das griechische,
namentlich das Homerische Epos, war den Roemern nicht fremd und bereits
mit ihrer eigenen Stammsage verflochten; und ueberhaupt ward der
empfaengliche Fremde weit leichter heimisch in der idealen Welt der
heroischen Mythen als auf dem Fischmarkt von Athen. Dennoch hat auch das
Trauerspiel, nur minder schroff und minder gemein, die antinationale
und hellenisierende Weise gefoerdert; wobei es von der entscheidendsten
Wichtigkeit war, dass die griechische tragische Buehne dieser Zeit
vorwiegend von Euripides (274, 348 480, 406) beherrscht ward. Diesen
merkwuerdigen Mann und seine noch viel merkwuerdigere Wirkung auf Mit-
und Nachwelt erschoepfend darzustellen, ist dieses Ortes nicht; aber
die geistige Bewegung der spaeteren griechischen und der
griechisch-roemischen Epoche ward so sehr durch ihn bestimmt, dass
es unerlaesslich ist, sein Wesen wenigstens in den Grundzuegen zu
skizzieren. Euripides gehoert zu denjenigen Dichtern, welche die Poesie
zwar auf eine hoehere Stufe heben, aber in diesem Fortschritt bei
weitem mehr das richtige Gefuehl dessen, was sein sollte, als die
Macht offenbaren, dies poetisch zu erschaffen. Das tiefe Wort, welches
sittlich wie poetisch die Summe aller Tragik zieht, dass Handeln Leiden
ist, gilt freilich auch fuer die antike Tragoedie; den handelnden
Menschen stellt sie dar, aber eigentliche Individualisierung ist ihr
fremd. Die unuebertroffene Grossheit, womit der Kampf des Menschen und
des Schicksals bei Aeschylos sich vollzieht, beruht wesentlich darauf,
dass jede der ringenden Maechte nur im ganzen aufgefasst wird; das
wesenhafte Menschliche ist im 'Prometheus' und 'Agamemnon' nur leicht
angehaucht von dichterischer Individualisierung. Sophokles fasst wohl
die Menschennatur in ihrer allgemeinen Bedingtheit, den Koenig, den
Greis, die Schwester; aber den Mikrokosmos des Menschen in seiner
Allseitigkeit, den Charakter bringt keine einzelne seiner Gestalten
zu Anschauung. Es ist hier ein hohes Ziel erreicht, aber nicht das
hoechste; die Schilderung des Menschen in seiner Ganzheit und die
Verflechtung dieser einzelnen, in sich fertigen Gestalten zu einer
hoeheren poetischen Totalitaet ist eine Steigerung und darum sind,
gegen Shakespeare gehalten, Aeschylos und Sophokles unvollkommene
Entwicklungsstufen. Allein wie Euripides es unternimmt, den Menschen
darzustellen wie er ist, liegt darin mehr ein logischer und in gewissem
Sinn ein geschichtlicher als ein dichterischer Fortschritt. Er hat
die antike Tragoedie zu zerstoeren, nicht die moderne zu erschaffen
vermocht. Ueberall blieb er auf halbem Wege stehen. Die Masken, durch
welche die Aeusserung des Seelenlebens gleichsam aus dem Besonderen
ins Allgemeine uebersetzt wird, sind fuer die typische Tragoedie
des Altertums ebenso notwendig wie mit dem Charaktertrauerspiel
unvertraeglich; Euripides aber behielt sie bei. Mit bewundernswert
feinem Gefuehl hatte die aeltere Tragoedie das dramatische Element, das
frei walten zu lassen sie nicht vermochte, niemals rein dargestellt,
sondern es stets durch die epischen Stoffe aus der Uebermenschenwelt
der Goetter und Heroen und durch die lyrischen Choere gewissermassen
gebunden. Man fuehlt es, dass Euripides an diesen Ketten riss: er ging
mit seinen Stoffen wenigstens bis in die halb historische Zeit hinab und
seine Chorlieder traten so zurueck, dass man bei spaeteren Auffuehrungen
sie haeufig und wohl kaum zum Nachteil der Stuecke wegliess - aber doch
hat er weder seine Gestalten voellig auf den Boden der Wirklichkeit
gestellt noch den Chor ganz beiseite geworfen. Durchaus und nach
allen Seiten hin ist er der volle Ausdruck einer Zeit einerseits der
grossartigsten geschichtlichen und philosophischen Bewegung, anderseits
der Truebung des Urquells aller Poesie, der reinen und schlichten
Volkstuemlichkeit. Wenn die ehrfuerchtige Froemmigkeit der aelteren
Tragiker deren Stuecke gleichsam mit einem Abglanz des Himmels
ueberstroemt, wenn die Abgeschlossenheit des engen Horizontes der
aelteren Hellenen auch ueber den Hoerer ihre befriedende Macht uebt, so
erscheint die Euripideische Welt in dem fahlen Schimmer der Spekulation
so entgoettlicht wie durchgeistigt, und truebe Leidenschaften zucken
wie die Blitze durch die grauen Wolken hin. Der alte, tiefe innerliche
Schicksalsglaube ist verschwunden; das Fatum regiert als aeusserlich
despotische Macht, und knirschend tragen die Knechte ihre Fesseln.
Derjenige Unglaube, welcher der verzweifelnde Glaube ist, redet aus
diesem Dichter mit daemonischer Gewalt. Notwendigerweise gelangt also
der Dichter niemals zu einer ihn selber ueberwaeltigenden plastischen
Konzeption und niemals zu einer wahrhaft poetischen Wirkung im
ganzen; weshalb er auch sich gegen die Komposition seiner Trauerspiele
gewissermassen gleichgueltig verhalten, ja hierin nicht selten geradezu
gesudelt und seinen Stuecken weder in einer Handlung noch in einer
Persoenlichkeit einen Mittelpunkt gegeben hat - die liederliche
Manier, den Knoten durch den Prolog zu schuerzen und durch eine
Goettererscheinung oder eine aehnliche Plumpheit zu loesen, hat recht
eigentlich Euripides aufgebracht. Alle Wirkung liegt bei ihm im Detail,
und mit allerdings grosser Kunst ist hierin von allen Seiten alles
aufgeboten, um den unersetzlichen Mangel poetischer Totalitaet zu
verdecken. Euripides ist Meister in den sogenannten Effekten, welche in
der Regel sinnlich sentimental gefaerbt sind und oft noch durch einen
besonderen Hautgout, zum Beispiel durch Verwehung von Liebesstoffen
mit Mord oder Inzest, die Sinnlichkeit stacheln. Die Schilderungen der
willig sterbenden Polyxena, der vor geheimem Liebesgram vergehenden
Phaedra, vor allem die prachtvolle der mystisch verzueckten Bakchen
sind in ihrer Art von der groessten Schoenheit; aber sie sind weder
kuenstlerisch noch sittlich rein und Aristophanes' Vorwurf, dass der
Dichter keine Penelope zu schildern vermoege, vollkommen begruendet.
Verwandter Art ist das Hineinziehen des gemeinen Mitleids in die
Euripideische Tragoedie. Wenn seine verkuemmerten Heroen, wie der
Menelaos in der 'Helena', die Andromache, die Elektra als arme
Baeuerin, der kranke und ruinierte Kaufmann Telephos, widerwaertig oder
laecherlich und in der Regel beides zugleich sind, so machen
dagegen diejenigen Stuecke, die mehr in der Atmosphaere der gemeinen
Wirklichkeit sich halten und aus dem Trauerspiel in das ruehrende
Familienstueck und beinahe schon in die sentimentale Komoedie
uebergehen, wie die 'Iphigenie in Aulis', der 'Ion', die 'Alkestis'
vielleicht unter all seinen zahlreichen Werken die erfreulichste
Wirkung. Ebenso oft, aber mit geringerem Glueck versucht der Dichter das
Verstandesinteresse ins Spiel zu bringen. Dahin gehoert die verwickelte
Handlung, welche darauf berechnet ist, nicht wie die aeltere Tragoedie
das Gemuet zu bewegen, sondern vielmehr die Neugierde zu spannen;
dahin der dialektisch zugespitzte, fuer uns Nichtathener oft geradezu
unertraegliche Dialog; dahin die Sentenzen, die wie die Blumen im
Ziergarten durch die Euripideischen Stuecke ausgestreut sind; dahin
vor allem die Euripideische Psychologie, die keineswegs auf unmittelbar
menschlicher Nachempfindung, sondern auf rationeller Erwaegung beruht.
Seine Medeia ist insofern allerdings nach dem Leben geschildert, als
sie vor ihrer Abfahrt gehoerig mit Reisegeld versehen wird; von dem
Seelenkampf zwischen Mutterliebe und Eifersucht wird der unbefangene
Leser nicht viel bei Euripides finden. Vor allem aber ist in den
Euripideischen Tragoedien die poetische Wirkung ersetzt durch die
tendenzioese. Ohne eigentlich unmittelbar in die Tagesfragen einzutreten
und durchaus mehr die sozialen als die politischen Fragen ins Auge
fassend, trifft doch Euripides in seinen innerlichen Konsequenzen
zusammen mit dem gleichzeitigen politischen und philosophischen
Radikalismus und ist der erste und oberste Apostel der neuen, die alte
attische Volkstuemlichkeit aufloesenden kosmopolitischen Humanitaet.
Hierauf beruht wie die Opposition, auf die der ungoettliche und
unattische Dichter bei seinen Zeitgenossen stiess, so auch der
wunderbare Enthusiasmus, mit welchem die juengere Generation und das
Ausland dem Dichter der Ruehrung und der Liebe, der Sentenz und der
Tendenz, der Philosophie und der Humanitaet sich hingab. Das griechische
Trauerspiel schritt mit Euripides ueber sich selber hinaus und brach
also zusammen; aber des weltbuergerlichen Dichters Erfolg ward dadurch
nur gefoerdert, da gleichzeitig auch die Nation ueber sich hinausschritt
und gleichfalls zusammenbrach. Die Aristophanische Kritik mochte
sittlich wie poetisch vollkommen das Richtige treffen; aber die Dichtung
wirkt nun einmal geschichtlich nicht in dem Masse ihres absoluten
Wertes, sondern in dem Masse, wie sie den Geist der Zeit vorzufuehlen
vermag, und in dieser Hinsicht ist Euripides unuebertroffen. So ist es
denn gekommen, dass Alexander ihn fleissig las, dass Aristoteles den
Begriff des tragischen Dichters im Hinblick auf ihn entwickelte, dass
die juengste dichtende wie bildende Kunst in Attika aus ihm gleichsam
hervorging, das neuattische Lustspiel nichts tat, als den Euripides
ins Komische uebertragen, und die in den spaeteren Vasenbildern uns
entgegentretende Malerschule ihre Stoffe nicht mehr den alten Epen,
sondern der Euripideischen Tragoedie entnahm, dass endlich, je mehr das
alte Hellas dem neuen Hellenismus wich, des Dichters Ruhm und Einfluss
mehr und mehr stieg und das Griechentum im Auslande, in Aegypten wie
in Rom, unmittelbar oder mittelbar wesentlich durch Euripides bestimmt
ward. Der Euripideische Hellenismus ist durch die verschiedenartigsten
Kanaele nach Rom geflossen und mag daselbst wohl rascher und tiefer
mittelbar gewirkt haben als geradezu in der Form der Uebersetzung. Die
tragische Schaubuehne ist in Rom nicht gerade spaeter eroeffnet worden
als die komische; allein sowohl die bei weitem groesseren Kosten
der tragischen Inszenierung, worauf doch, wenigstens waehrend des
Hannibalischen Krieges, ohne Zweifel Ruecksicht genommen worden ist,
als auch die Beschaffenheit des Publikums hielten die Entwicklung der
Tragoedie zurueck. In den Plautinischen Lustspielen wird auf Tragoedien
nicht gerade oft hingedeutet, und die meisten Anfuehrungen der Art
moegen aus den Originalen heruebergenommen sein. Der erste und einzig
erfolgreiche Tragoediendichter dieser Zeit war des Naevius und Plautus
juengerer Zeitgenosse Quintus Ennius (515-585 239-169), dessen Stuecke
schon von den gleichzeitigen Lustspieldichtern parodiert und von den
Spaeteren bis in die Kaiserzeit hinein geschaut und deklamiert wurden.
Uns ist die tragische Schaubuehne der Roemer weit weniger bekannt als
die komische; im ganzen genommen wiederholen dieselben Erscheinungen,
die bei dieser wahrgenommen wurden, sich auch bei jener. Das Repertoire
ging gleichfalls wesentlich aus Uebersetzungen griechischer Stuecke
hervor. Die Stoffe werden mit Vorliebe der Belagerung von Troja und
den unmittelbar damit zusammenhaengenden Sagen entnommen, offenbar
weil dieser Mythenkreis allein dem roemischen Publikum durch den
Schulunterricht gelaeufig war; daneben ueberwiegen die sinnlich-
grausamen Motive, der Mutter- oder Kindermord in den 'Eumeniden', im
'Alkmaeon', im 'Kresphontes', in der 'Melanippe', in der 'Medeia', die
Jungfrauenopfer in der 'Polyxena', den 'Erechthiden', der 'Andromeda',
der 'Iphigeneia' - man kann nicht umhin, sich dabei zu erinnern, dass
das Publikum dieser Tragoedien Fechterspielen zuzuschauen gewohnt war.
Frauen- und Geisterrollen scheinen den tiefsten Eindruck gemacht zu
haben. Die bemerkenswerteste Abweichung der roemischen Bearbeitung
von dem Original betrifft ausser dem Wegfall der Masken den Chor.
Der roemischen, zunaechst wohl fuer das komische chorlose Spiel
eingerichteten Buehne mangelte der besondere Tanzplatz (orchestra) mit
dem Altar in der Mitte, auf dem der griechische Chor sich bewegte, oder
vielmehr es diente derselbe bei den Roemern als eine Art Parkett; danach
muss wenigstens der kunstvoll gegliederte und mit der Musik und der
Deklamation verschlungene Chortanz in Rom weggefallen sein, und wenn der
Chor auch blieb, so hatte er doch wenig zu bedeuten. Im einzelnen
fehlte es natuerlich an Vertauschungen der Masse, an Verkuerzungen
und Verunstaltungen nicht; in der lateinischen Bearbeitung der
Euripideischen 'Iphigeneia' zum Beispiel ist, sei es nach dem Muster
einer anderen Tragoedie, sei es nach eigener Erfindung des Bearbeiters,
aus dem Frauen- ein Soldatenchor gemacht. Gute Uebersetzungen in unserem
Sinn koennen die lateinischen Tragoedien des sechsten Jahrhunderts
freilich nicht genannt werden ^24, doch gab wahrscheinlich ein
Trauerspiel des Ennius von dem Euripideischen Original ein weit minder
getruebtes Bild als ein Plautinisches Lustspiel von dem des Menander.
Die geschichtliche Stellung und Wirkung des griechischen Trauerspiels in
Rom ist derjenigen der griechischen Komoedie vollstaendig gleichartig;
und wenn, wie das der Unterschied der Dichtgattungen mit sich bringt,
in dem Trauerspiel die hellenistische Richtung geistiger und reinlicher
auftritt, so trug dagegen die tragische Buehne dieser Zeit und
ihr hauptsaechlicher Vertreter Ennius noch weit entschiedener die
antinationale und mit Bewusstsein propagandistische Tendenz zur Schau.
Ennius, schwerlich der bedeutendste, aber sicher der einflussreichste
Dichter des sechsten Jahrhunderts, war kein geborener Latiner, sondern
von Haus aus ein Halbgrieche; messapischer Abkunft und hellenischer
Bildung, siedelte er in seinem fuenfunddreissigsten Jahre nach Rom
ueber und lebte dort, anfangs als Insasse, seit 570 (184) als Buerger in
beschraenkten Verhaeltnissen, teils von dem Unterricht im Lateinischen
und Griechischen, teils von dem Ertrag seiner Stuecke, teils von den
Verehrungen derjenigen roemischen Grossen, welche, wie Publius Scipio,
Titus Flaminius, Marcus Fulvius Nobilior, geneigt waren, den modernen
Hellenismus zu foerdern und dem Poeten zu lohnen, der ihr eigenes und
ihrer Ahnen Lob sang, und auch wohl einzelne von ihnen, gewissermassen
als im voraus fuer die zu verrichtenden Grosstaten bestellter Hofpoet,
ins Feldlager begleitete. Das Klientennaturell, das fuer einen solchen
Beruf erforderlich war, hat er selbst zierlich geschildert ^25. Von Haus
aus und seiner ganzen Lebensstellung nach Kosmopolit, verstand er es,
die Nationalitaeten, unter denen er lebte, die griechische, launische,
ja sogar die oskische sich anzueignen, ohne doch einer von ihnen sich
zu eigen zu geben; und wenn bei den frueheren roemischen Poeten
der Hellenismus mehr folgeweise aus ihrer dichterischen Wirksamkeit
hervorgegangen als ihr deutliches Ziel gewesen war, und sie darum
auch mehr oder minder wenigstens versucht hatten, sich auf einen
volkstuemlichen Boden zu stellen, so ist sich Ennius vielmehr seiner
revolutionaeren Tendenz mit merkwuerdiger Klarheit bewusst und arbeitet
sichtlich darauf hin, die neologisch-hellenische Richtung bei den
Italikern energisch zur Geltung zu bringen. Sein brauchbarstes Werkzeug
war die Tragoedie. Die Truemmer seiner Trauerspiele zeigen, dass ihm das
gesamte tragische Repertoire der Griechen und namentlich auch Aeschylos
und Sophokles sehr wohl bekannt waren; um so weniger ist es zufaellig,
dass er bei weitem die meisten und darunter alle seiner gefeierten
Stuecke dem Euripides nachgebildet hat. Bei der Auswahl und Behandlung
bestimmten ihn freilich zum Teil aeussere Ruecksichten; aber nicht
dadurch allein kann es veranlasst sein, dass er so entschieden den
Euripides im Euripides hervorhob, die Choere noch mehr vernachlaessigte
als sein Original, die sinnliche Wirkung noch schaerfer als der Grieche
akzentuierte, dass er Stuecke aufgriff wie den 'Thyestes' und den aus
Aristophanes' unsterblichem Spott so wohlbekannten 'Telephos' und deren
Prinzenjammer und Jammerprinzen, ja sogar ein Stueck wie 'Menalippe
die Philosophin', wo die ganze Handlung sich um die Verkehrtheit der
Volksreligion dreht und die Tendenz, dieselbe vom naturphilosophischen
Standpunkte aus zu befehden, auf der flachen Hand liegt. Gegen den
Wunderglauben fliegen ueberall, zum Teil in nachweislich eingelegten
Stellen ^26, die schaerfsten Pfeile, und von Tiraden, wie die folgende
ist: Himmelsgoetter freilich gibt es, sagt' ich sonst und sag' ich noch;
Doch sie kuemmern keinesweges, mein' ich, sich um der Menschen Los,
Sonst ging's gut den Guten, schlecht den Boesen; doch dem ist nicht so.
wundert man sich fast, dass sie die roemische Buehnenzensur passierten.
Dass Ennius in einem eigenen Lehrgedicht dieselbe Irreligiositaet
wissenschaftlich predigte, ward schon bemerkt; und offenbar ist es ihm
mit dieser Aufklaerung Herzenssache gewesen. Dazu stimmt vollkommen die
hier und da hervortretende radikal gefaerbte politische Opposition
^27, die Verherrlichung der griechischen Tafelfreuden, vor allem die
Vernichtung des letzten nationalen Elements in der lateinischen Poesie,
des saturnischen Masses, und dessen Ersetzung durch den griechischen
Hexameter. Dass der "vielgestaltige" Poet alle diese Aufgaben mit
gleicher Sauberkeit ausfuehrte, dass er der keineswegs daktylisch
angelegten Sprache den Hexameter abrang und ohne den natuerlichen Fluss
der Rede zu hemmen sich mit Sicherheit und Freiheit in den ungewohnten
Massen und Formen bewegte, zeugt von seinem ungemeinen, in der Tat mehr
griechischen als roemischen Formtalent ^28; wo man bei ihm anstoesst,
verletzt viel haeufiger griechische Sprachdiftelei ^29 als roemische
Roheit. Er war kein grosser Dichter, aber ein anmutiges und heiteres
Talent, durchaus eine lebhaft anempfindende poetische Natur, die
freilich des poetischen Kothurnes bedurfte, um sich als Dichter zu
fuehlen, und der die komische Ader vollstaendig abging. Man begreift den
Stolz, womit der hellenisierende Poet auf die rauhen Weisen herabsieht,
"in denen die Waldgeister und die Barden ehemals sangen", und die
Begeisterung, womit er die eigene Kunstpoesie feiert: Heil Dichter
Ennius! welcher du den Sterblichen Das Feuerlied kredenzest aus
der tiefen Brust.
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^24 Zur Vergleichung stehe hier der Anfang der Euripideischen und
der Ennianischen 'Medeia': Eith' /o/phel' Argo?s diaspasthai skaphos
Kolch/o/n es aian kyaneas Sypl/e/gadas

M/e/d' ten napaisi P/e/lioy pesein pote Utinam ne in nemore Pelio
securibus Tm/e/theisa pe?k/e/, m/e/d' eretm/o/sai cheras Caesa
accidisset abiegna ad terram trabes, Neve inde navis inchoandae
exordium Coepisset, quae nunc nominatur nomine Andr/o/n arist/o/n, oi
to pagchryson theros Argo, quia Argivi in ea dilecti viri Vecti petebant
pellem inauratam arietis Pelia met/e/lthon. Oy gar an despoin em/e/
Colchis, imperio regis Peliae, per dolum. M/e/deia p?rgoys g/e/s epleysa
I/o/lkias Nam nunquam era errans mea domo efferret pedem Er/o/ti thymon
ekplageis' Iasonos. Medea, animo aegra, amore saevo saucia.

Nie durch die schwarzen Symplegaden haette hin Fliegen gesollt ins
Kolcherland der Argo Schiff, Noch stuerzen in des Pelion O waer' im
Pelionhaine von den Waldesschlucht jemals Beilen nie Gefaellt die
Fichte, noch berudern Gehaun zur Erde hingestuerzt sie die Hand der
Tannenstamm Und haette damit der Angriff angefangen nie Zum Beginn des
Schiffes, das man jetzt mit Namen nennt


Der Tapfern, die das goldne Vliess Argo weil drin fuhr Argos dem Pelias
auserlesne Schar, Von Kolchi nach Gebot des Koenigs Pelias Zu holen
gingen! Nicht die Herrin Mit List zu holen uebergueldetes waere mir
Widdervliess! Medeia zu des Iolkerlandes Tuermen Vors Haus dann irr den
Fuss mir dann Herrin setzte nie, Von Iasons Liebe sinnbetoert Medea,
krank im Herzen, wund von hinweggeschifft. Liebespein.

Die Abweichungen der Uebersetzung vom Original sind belehrend, nicht
bloss die Tautologien und Periphrasen, sondern auch die Beseitigung
oder Erlaeuterung der weniger bekannten mythologischen Namen: der
Symplegaden, des Kolcherlandes, der Argo. Eigentliche Missverstaendnisse
des Originals aber sind bei Ennius selten. ^25 Ohne Zweifel mit Recht
galt den Alten als Selbstcharakteristik des Dichters die Stelle im
siebenten Buch der Chronik, wo der Konsul den Vertrauten zu sich
ruft, mit welchem er gern und Oftmals Tisch und Gespraech und seiner
Geschaefte Eroertrung Teilte, wenn heim er kam, ermuedet von wichtigen
Dingen, Drob er geratschlagt hatte die groessere Haelfte des Tags durch
Auf dem Markte sowohl wie im ehrwuerdigen Stadtrat; Welchem das Gross'
und das Klein' und den Scherz auch er mitteilen Durft' und alles
zugleich, was gut und was uebel man redet, Schuetten ihm aus, wenn er
mocht', und anvertrauen ihm sorglos; Welcher geteilt mit ihm viel Freud'
im Hause und draussen; Den nie schaendlicher Rat aus Leichtsinn oder
aus Bosheit Uebel zu handeln verlockt; ein Mann, unterrichtet, ergeben,
Angenehm, redegewandt und genuegsam froehlichen Herzens, Redend zur
richtigen Zeit und das Passende, klueglich und kuerzlich, Im Verkehre
bequem und bewandert verschollener Dinge, Denn ihn lehrten die Jahre die
Sitten der Zeit und der Vorzeit, Von vielfaeltigen Sachen der Goetter
und Menschen Gesetz auch, Und ein Gespraech zu berichten verstand er
sowie zu verschweigen. In der vorletzten Zeile ist wohl zu schreiben
multarum rerum leges divumque hominumque. ^26 Vgl. 2, 393. Aus der
Definition des Wahrsagers bei Euripides (Iph. Aul. 956), dass er ein
Mann sei, Der wenig Wahres unter vielem Falschen sagt Im besten Fall;
und trifft er's nicht, es geht ihm hin. hat der lateinische Uebersetzer
folgende Diatribe gegen die Horoskopsteller gemacht: Sterneguckerzeichen
sucht er auf am Himmel, passt, ob wo Jovis Zieg' oder Krebs ihm
aufgeh' oder einer Bestie Licht. Nicht vor seine Fuesse schaut man und
durchforscht den Himmelsraum. ^27 Im 'Telephus' heisst es: Palam mutire
plebeis piaculum est. Verbrechen ist gemeinem Mann ein lautes Wort.
^28 Die folgenden, in Form und Inhalt vortrefflichen Worte gehoeren
der Bearbeitung des Euripideischen 'Phoenix' an: Doch dem Mann mit
Mute maechtig ziemt's zu wirken in der Welt Und den Schuldigen zu laden
tapfer vor den Richterstuhl. Das ist Freiheit, wo im Busen rein und
fest wem schlaegt das Herz; Sonst in dunkler Nacht verborgen bleibt
die frevelhafte Tat. In dem wahrscheinlich der Sammlung der vermischten
Gedichte einverleibten 'Scipio' standen die malerischen Zeilen: --
munduscaeli vastus constitit silentio; Et Neptunus saevus undis asperis
pausam dedit, Sol equis iter repressit ungulis volantibus, Constitere
amnes perennes, arbores vento vacant. [Iovis winkt';] es ging ein
Schweigen durch des Himmels weiten Raum. Rasten hiess die Meereswogen
streng die grollenden Neptun, Seiner Rosse fliegende Hufe hielt zurueck
der Sonnengott, Inne haelt der Fluss im Fluten, im Gezweig nicht weht
der Wind. Die letzte Stelle gibt auch einen Einblick in die Art, wie
der Dichter seine Originalpoesien arbeitete: sie ist nichts als eine
Ausfuehrung der Worte, die in der urspruenglich wohl Sophokleischen
Tragoedie 'Hektors Loesung' ein dem Kampfe zwischen Hephaestos und dem
Skamander Zuschauender spricht: Constitit Credo Scamander, arbores vento
vacant. Inne haelt, schau! der Skamander, im Gezweig nicht weht der
Wind. und das Motiv ruehrt schliesslich aus der Ilias (21, 381) her. ^29
So heisst es im 'Phoenix': - - stultust, qui cupita cupiens cupienter
cupit. Toericht, wer Begehrtes begehrend ein Begieriger begehrt, und es
ist dies noch nicht das tollste Radschlagen der Art. Auch
akrostichische Spielereien kommen vor (Cic. div. 2, 54, 111).
---------------------------------------------------- Der geistreiche
Mann war eben sich bewusst, mit vollen Segeln zu fahren; das griechische
Trauerspiel ward und blieb fortan ein Besitztum der launischen Nation.
Einsamere Wege und mit minder guenstigem Winde steuerte ein kuehnerer
Schiffer nach einem hoeheren Ziel. Naevius bearbeitete nicht bloss
gleich Ennius, wenngleich mit weit geringerem Erfolg, griechische
Trauerspiele fuer die roemische Buehne, sondern er versuchte auch
ein ernstes Nationalschauspiel (fabula praetextata) selbstaendig zu
schaffen. Aeusserliche Hindernisse standen hier nicht im Weg; er
brachte Stoffe sowohl aus der roemischen Sage als aus der gleichzeitigen
Landesgeschichte auf die Buehne seiner Heimat. Derart sind seine
'Erziehung des Romulus und Remus' oder der 'Wolf', worin der Koenig
Amulius von Alba auftrat, und sein 'Clastidium', worin der Sieg des
Marcellus ueber die Kelten 532 (222) gefeiert ward. Nach seinem Vorgang
hat auch Ennius in der 'Ambrakia' die Belagerung der Stadt durch seinen
Goenner Nobilior 565 (189; 2, 273) nach eigener Anschauung geschildert.
Die Zahl dieser Nationalschauspiele blieb indes gering und die Gattung
verschwand rasch wieder vom Theater; die duerftige Sage und die farblose
Geschichte Roms vermochten mit dem hellenischen Sagenkreis nicht auf die
Dauer zu konkurrieren. Ueber den dichterischen Gehalt der Stuecke haben
wir kein Urteil mehr; aber wenn die poetische Intention im ganzen in
Anschlag kommen darf, so gibt es in der roemischen Literatur wenige
Griffe von solcher Genialitaet, wie die Schoepfung eines roemischen
Nationalschauspiels war. Nur die griechischen Tragoedien der aeltesten,
den Goettern noch sich naeher fuehlenden Zeit, nur Dichter wie
Phrynichos und Aeschylos hatten den Mut gehabt, die von ihnen
miterlebten und mitverrichteten Grosstaten neben denen der Sagenzeit auf
die Buehne zu bringen; und wenn irgendwo es uns lebendig entgegentritt,
was die Punischen Kriege waren und wie sie wirkten; so ist es hier,
wo ein Dichter, der wie Aeschylos die Schlachten, die er sang, selber
geschlagen, die Koenige und Konsuln Roms auf diejenige Buehne fuehrte,
auf der man bis dahin einzig Goetter und Heroen zu sehen gewohnt war.
Auch die Lesepoesie beginnt in dieser Epoche in Rom; schon Livius
buergerte die Sitte, welche bei den Alten die heutige Publikation
vertrat, die Vorlesung neuer Werke durch den Verfasser, auch in Rom
wenigstens insofern ein, als er dieselben in seiner Schule vortrug. Da
die Dichtkunst hier nicht oder doch nicht geradezu nach Brot ging, ward
dieser Zweig derselben nicht so wie die Buehnendichtung von der Ungunst
der oeffentlichen Meinung betroffen; gegen das Ende dieser Epoche sind
auch schon der eine oder der andere vornehme Roemer in dieser Art
als Dichter oeffentlich aufgetreten ^30. Vorwiegend indes ward die
rezitative Poesie kultiviert von denselben Dichtern, die mit
der szenischen sich abgaben, und ueberhaupt hat jene neben der
Buehnendichtung eine untergeordnete Rolle gespielt, wie es denn auch ein
eigentliches dichterisches Lesepublikum in dieser Zeit nur noch in
sehr beschraenktem Masse in Rom gegeben haben kann. Vor allem schwach
vertreten war die lyrische, didaktische, epigrammatische Poesie.
Die religioesen Festkantaten, von denen die Jahrbuecher dieser Zeit
allerdings bereits den Verfasser namhaft zu machen der Muehe wert
halten, sowie die monumentalen Tempel- und Grabinschriften, fuer welche
das saturnische Mass das stehende blieb, gehoerten kaum der eigentlichen
Literatur an. Soweit ueberhaupt in dieser die kleinere Poesie erscheint,
tritt sie in der Regel und schon bei Naevius unter dem Namen der Satura
auf - eine Bezeichnung, die urspruenglich dem alten, seit Livius
durch das griechische Drama von der Buehne verdraengten handlungslosen
Buehnengedicht zukam, nun aber in der rezitativen Poesie einigermassen
unseren "vermischten Gedichten" entspricht und gleich diesen nicht
eigentlich eine positive Kunstgattung und Kunstweise anzeigt, sondern
nur Gedichte nicht epischer und nicht dramatischer Art von beliebigem,
meist subjektivem Stoff und beliebiger Form. Ausser Catos spaeter
noch zu erwaehnendem 'Gedicht von den Sitten', welches vermutlich,
anknuepfend an die aelteren Anfaenge volkstuemlich didaktischer Poesie,
in saturnischen Versen geschrieben war, gehoeren hierher besonders
die kleineren Gedichte des Ennius, welche der auf diesem Gebiet sehr
fruchtbare Dichter teils in seiner Saturensammlung, teils abgesondert
veroeffentlichte: kuerzere erzaehlende Poesien aus der vaterlaendischen
Sagen- oder gleichzeitigen Geschichte, Bearbeitungen des religioesen
Romans des Euhemeros, der auf den Namen des Epicharmos laufenden
naturphilosophischen Poesien, der Gastronomie des Archestratos von Gela,
eines Poeten der hoeheren Kochkunst; ferner einen Dialog zwischen
dem Leben und dem Tode, Aesopische Fabeln, eine Sammlung von
Sittenspruechen, parodische und epigrammatische Kleinigkeiten - geringe
Sachen, aber bezeichnend wie fuer die Mannigfaltigkeit so auch fuer die
didaktisch-neologische Tendenz des Dichters, der auf diesem Gebiete,
wohin die Zensur nicht reichte, sich offenbar am freiesten gehen liess.
---------------------------------------- ^30 Ausser Cato werden noch
aus dieser Zeit zwei "Konsulare und Poeten" genannt (Suet. vita Ter. 4):
Quintus Labeo, Konsul 571 (183), und Marcus Popillius, Konsul 581 (173).
Doch bleibt es dahingestellt, ob sie ihre Gedichte auch
publizierten. Selbst von Cato duerfte letzteres zweifelhaft sein.
---------------------------------------- Groessere dichterische
wie geschichtliche Bedeutung nehmen die Versuche in Anspruch, die
Landeschronik metrisch zu behandeln. Wieder war es Naevius, der
dichterisch formte, was sowohl von der Sagen- als von der gleichzeitigen
Geschichte einer zusammenhaengenden Erzaehlung faehig war und namentlich
den Ersten Punischen Krieg einfach und klar, so schlecht und recht, wie
die Dinge waren, ohne irgend etwas als unpoetisch zu verschmaehen und
ohne irgendwie, namentlich in der Schilderung der geschichtlichen Zeit,
auf poetische Hebung oder gar Verzierungen auszugehen, durchaus in der
gegenwaertigen Zeit berichtend, in dem halb prosaischen saturnischen
Nationalversmass heruntererzaehlte ^31. Es gilt von dieser Arbeit
wesentlich dasselbe, was von dem Nationalschauspiel desselben Dichters
gesagt ward. Die epische Poesie der Griechen bewegt sich wie die
tragische voellig und wesentlich in der heroischen Zeit; es war
ein durchaus neuer und wenigstens der Anlage nach ein beneidenswert
grossartiger Gedanke, mit dem Glanze der Poesie die Gegenwart zu
durchleuchten. Mag immerhin in der Ausfuehrung die Naevische Chronik
nicht viel mehr gewesen sein als die in mancher Hinsicht verwandten
mittelalterlichen Reimchroniken, so hatte doch sicher mit gutem Grund
der Dichter sein ganz besonderes Wohlgefallen an diesem seinem Werke.
Es war nichts Kleines in einer Zeit, wo es eine historische Literatur
ausser den offiziellen Aufzeichnungen noch schlechterdings nicht gab,
seinen Landsleuten ueber die Taten der Zeit und der Vorzeit einen
zusammenhaengenden Bericht gedichtet und daneben die grossartigsten
Momente daraus ihnen dramatisch zur Anschauung gebracht zu haben.
------------------------------------------------------- ^31 Den Ton
werden folgende Bruchstuecke veranschaulichen. Von der Dido: Freundlich
und kundig fragt sie - welcher Art Aeneas Von Troia schied. spaeter:
Die Haende sein zum Himmel - hob empor der Koenig Amulius, dankt den
Goettern - aus einer Rede, wo die indirekte Fassung bemerkenswert ist:
Doch liessen sie im Stiche - jene tapfren Maenner, Das wuerde Schmach
dem Volk sein - jeglichem Geschlechte. bezueglich auf die Landung in
Malta im Jahre 498 (256): Nach Meute schifft der Roemer, - ganz und gar
die Insel Brennt ab, verheert, zerstoert er, - macht den Feind zunichte.
endlich von dem Frieden, der den Krieg um Sizilien beendigte: Bedungen
wird es auch durch - Gaben des Lutatius Zu suehnen; er bedingt noch, -
dass sie viel Gefangne Und aus Sizilien gleichfalls - rueck die Geiseln
geben. --------------------------------------------------------
Eben dieselbe Aufgabe wie Naevius stellte sich auch Ennius; aber die
Gleichheit des Gegenstandes laesst den politischen und poetischen
Gegensatz des nationalen und des antinationalen Dichters nur um so
greller hervortreten. Naevius suchte fuer den neuen Stoff eine
neue Form; Ennius fuegte oder zwaengte denselben in die Formen des
hellenischen Epos. Der Hexameter ersetzt den saturnischen Vers,
die aufgeschmueckte, nach plastischer Anschaulichkeit ringende
Homeridenmanier die schlichte Geschichtserzaehlung. Wo es irgend angeht,
wird geradezu Homer uebertragen, wie zum Beispiel die Bestattung der
bei Herakleia Gefallenen nach dem Muster der Bestattung des Patroklos
geschildert wird und in der Kappe des mit den Istriern fechtenden
Kriegstribuns Marcus Livius Stolo kein anderer steckt als der Homerische
Aias - nicht einmal die Homerische Anrufung der Muse wird dem Leser
erlassen. Die epische Maschinerie ist vollstaendig im Gange; nach der
Schlacht von Cannae zum Beispiel verzeiht Juno in vollem Goetterrat
den Roemern und verheisst ihnen Jupiter nach erlangter ehefraeulicher
Einwilligung den endlichen Sieg ueber die Karthager. Auch die
neologische und hellenistische Tendenz ihres Verfassers verleugnen die
'Jahrbuecher' keineswegs. Schon die bloss dekorative Verwendung der
Goetterwelt traegt diesen Stempel. In dem merkwuerdigen Traumgesicht,
womit das Gedicht sich einfuehrt, wird auf gut pythagoreisch berichtet,
dass die jetzt im Quintus Ennius wohnhafte Seele vor diesem in Horneros
und noch frueher in einem Pfau sesshaft gewesen sei, und alsdann auf gut
naturphilosophisch das Wesen der Dinge und das Verhaeltnis des Koerpers
zum Geiste auseinandergesetzt. Selbst die Wahl des Stoffes dient den
gleichen Zwecken - haben doch die hellenischen Literaten aller
Zeiten eine vorzueglich geeignete Handhabe fuer ihre griechisch-
kosmopolitischen Tendenzen eben in der Zurechtmachung der roemischen
Geschichte gefunden. Ennius betont es, dass man die Roemer Griechen ja
immer genannt und Graier sie pflege zu heissen. Der poetische Wert der
vielgefeierten Jahrbuecher ist nach den frueheren Bemerkungen ueber die
Vorzuege und Maengel des Dichters im allgemeinen leicht abzumessen.
Dass durch den Aufschwung, den die grosse Zeit der Punischen Kriege dem
italischen Volksgefuehl gab, auch dieser lebhaft mitempfindende Poet
sich gehoben fuehlte und er nicht bloss die Homerische Einfachheit oft
gluecklich traf, sondern auch noch oefter die roemische Feierlichkeit
und Ehrenhaftigkeit aus seinen Zeilen ergreifend widerhallt, ist ebenso
natuerlich wie die Mangelhaftigkeit der epischen Komposition, die
notwendig sehr lose und gleichgueltig gewesen sein muss, wenn es dem
Dichter moeglich war, einem sonst verschollenen Helden und Patron
zuliebe ein eigenes Buch nachtraeglich einzufuegen. Im ganzen aber waren
die 'Jahrbuecher' ohne Frage Ennius' verfehltestes Werk. Der Plan,
eine 'Ilias' zu machen, kritisiert sich selbst. Ennius ist es gewesen,
welcher mit diesem Gedicht zum erstenmal jenen Wechselbalg von Epos und
Geschichte in die Literatur eingefuehrt hat, der von da an bis auf den
heutigen Tag als Gespenst, das weder zu leben noch zu sterben vermag, in
ihr umgeht. Einen Erfolg aber hat das Gedicht allerdings gehabt. Ennius
gab sich mit noch groesserer Unbefangenheit fuer den roemischen Homer
als Klopstock fuer den deutschen, und ward von den Zeitgenossen und mehr
noch von der Nachwelt dafuer genommen. Die Ehrfurcht vor dem Vater der
roemischen Poesie erbte fort von Geschlecht zu Geschlecht: den
Ennius, sagt noch der feine Quintilian, wollen wir verehren wie einen
altersgrauen heiligen Hain, dessen maechtige tausendjaehrige Eichen mehr
ehrwuerdig als schoen sind; und wer darueber sich wundern sollte,
der moege an verwandte Erscheinungen, an den Erfolg der Aeneide,
der Henriade, der Messiade sich erinnern. Eine maechtige poetische
Entwicklung der Nation freilich wuerde jene beinahe komische offizielle
Parallelisierung der Homerischen 'Ilias' und der Ennianischen
'Jahrbuecher' so gut abgeschuettelt haben wie wir die Sappho-Karschin
und den Pindar-Willamov; aber eine solche hat in Rom nicht
stattgefunden. Bei dem stofflichen Interesse des Gedichts besonders
fuer die aristokratischen Kreise und dem grossen Formtalent des Dichters
blieben die 'Jahrbuecher' das aelteste roemische Originalgedicht,
welches den spaeteren gebildeten Generationen lesenswert und lesbar
erschien; und so ist es wunderlicherweise gekommen, dass in diesem
durchaus antinationalen Epos eines halbgriechischen Literaten die
spaetere Zeit das rechte roemische Mustergedicht verehrt hat. Nicht
viel spaeter als die roemische Poesie, aber in sehr verschiedener Weise
entstand in Rom eine prosaische Literatur. Es fielen bei dieser sowohl
die kuenstlichen Foerderungen hinweg, wodurch die Schule und die Buehne
vor der Zeit eine roemische Poesie grosszogen, als auch die kuenstliche
Hemmung, worauf namentlich die roemische Komoedie in der strengen
und beschraenkten Buehnenzensur traf. Es war ferner diese
schriftstellerische Taetigkeit nicht durch den dem "Baenkelsaenger"
anhaftenden Makel von vornherein bei der guten Gesellschaft in den Bann
getan. Darum ist denn auch die prosaische Schriftstellerei zwar bei
weitem weniger ausgedehnt und weniger rege als die gleichzeitige
poetische, aber weit naturgemaesser entwickelt; und wenn die Poesie
fast voellig in den Haenden der geringen Leute ist und kein einziger
vornehmer Roemer unter den gefeierten Dichtern dieser Zeit erscheint,
so ist umgekehrt unter den Prosaikern dieser Epoche kaum ein nicht
senatorischer Norne und sind es durchaus die Kreise der hoechsten
Aristokratie, gewesene Konsuln und Zensoren, die Fabier, die Gracchen,
die Scipionen, von denen diese Literatur ausgeht. Dass die konservative
und nationale Tendenz sich besser mit dieser Prosaschriftstellerei
vertrug als mit der Poesie, liegt in der Sache; doch hat auch hier,
und namentlich in dem wichtigsten Zweige dieser Literatur, in der
Geschichtschreibung, die hellenistische Richtung auf Stoff und
Form maechtig, ja uebermaechtig eingewirkt. Bis in die Zeit des
Hannibalischen Krieges gab es in Rom eine Geschichtschreibung nicht;
denn die Anzeichnungen des Stadtbuchs gehoerten zu den Akten, nicht zu
der Literatur, und verzichteten von Haus aus auf jede Entwicklung des
Zusammenhanges der Dinge. Es ist bezeichnend fuer die Eigentuemlichkeit
des roemischen Wesens, dass trotz der weit ueber die Grenzen Italiens
ausgedehnten Macht der roemischen Gemeinde und trotz der stetigen
Beruehrung der vornehmen roemischen Gesellschaft mit den literarisch
so fruchtbaren Griechen dennoch nicht vor der Mitte des sechsten
Jahrhunderts das Beduerfnis sich regte, die Taten und Geschicke der
roemischen Buergerschaft auf schriftstellerischem Wege zur Kunde der
Mit- und Nachwelt zu bringen. Als nun aber dies Beduerfnis endlich
empfunden ward, fehlte es fuer die roemische Geschichte an fertigen
schriftstellerischem Formen und an einem fertigen Lesepublikum; und
grosses Talent und laengere Zeit waren erforderlich, um beide zu
erschaffen. Zunaechst wurden daher diese Schwierigkeiten gewissermassen
umgangen dadurch, dass man die Landesgeschichte entweder in der
Muttersprache, aber in Versen, oder in Prosa, aber griechisch schrieb.
Von den metrischen Chroniken des Naevius (geschrieben um 550? 204) und
Ennius (geschrieben um 581 173) ist schon die Rede gewesen; sie gehoeren
zugleich zu der aeltesten historischen Literatur der Roemer, ja die
des Naevius darf als das ueberhaupt aelteste roemische Geschichtswerk
angesehen werden. Ungefaehr gleichzeitig entstanden die griechischen
Geschichtsbuecher des Quintus Fabius Pictor ^32 (nach 553 201), eines
waehrend des Hannibalischen Krieges in Staatsgeschaeften taetigen Mannes
aus vornehmem Geschlecht, und des Sohnes des Scipio Africanus, Publius
Scipio (+ um 590 164). Dort also bediente man sich der bis zu einem
gewissen Grade bereits entwickelten Dichtkunst und wandte sich an das
nicht gaenzlich mangelnde poetische Publikum; hier fand man die fertigen
griechischen Formen vor und richtete die Mitteilungen, wie schon das
weit hinaus ueber die Grenzen Latiums sich erstreckende stoffliche
Interesse derselben es nahelegte, zunaechst an das gebildete Ausland.
Den ersten Weg schlugen die plebejischen, den zweiten die vornehmeren
Schriftsteller ein; eben wie in der Zeit Friedrichs des Grossen neben
der vaterlaendischen Pastoren- und Professorenschriftstellerei eine
aristokratische Literatur in franzoesischer Sprache stand und die
Gleim und Ramler deutsche Kriegslieder, die Koenige und Feldherren
franzoesische Kriegsgeschichten verfassten. Weder die metrischen
Chroniken, noch die griechischen roemischer Verfasser waren eine
eigentliche lateinische Geschichtschreibung; diese begann erst mit
Cato, dessen nicht vor dem Schluss dieser Epoche publizierte
'Ursprungsgeschichten' zugleich das aelteste lateinisch geschriebene
Geschichts- und das erste bedeutende prosaische Werk der roemischen
Literatur sind ^33. -----------------------------------------------
^32 Die griechische Abfassung dieses aeltesten prosaischen roemischen
Geschichtswerkes ist durch Dionys (1, 6) und Cicero (div. 1, 27 , 43)
ausser Zweifel gestellt. Ein Problem bleiben die unter demselben Namen
von Quintilian und spaeteren Grammatikern angefuehrten lateinischen
Annalen, und es wird die Schwierigkeit noch dadurch gesteigert, dass
unter demselben Namen auch eine sehr ausfuehrliche Darstellung des
pontifizischen Rechts in lateinischer Sprache angefuehrt wird. Indes
die letztere Schrift wird von keinem, der die Entwicklung der roemischen
Literatur im Zusammenhang verfolgt hat, einem Verfasser aus der Zeit des
Hannibalischen Krieges beigelegt werden; und auch lateinische Annalen
aus dieser Zeit erscheinen problematisch, obwohl es dahingestellt
bleiben muss, ob hier eine Verwechslung mit dem juengeren Annalisten
Quintus Fabius Maximus Servilianus (Konsul 612 142) obwaltet, oder ob
von den griechischen Annalen des Fabius wie von denen des Acilius und
des Albinus eine alte lateinische Bearbeitung existiert, oder ob es zwei
Annalisten des Namens Fabius Pictor gegeben hat. Das dem Lucius
Cincius Alimentus, einem Zeitgenossen des Fabius, beigelegte, ebenfalls
griechische Geschichtswerk scheint untergeschoben und ein Machwerk aus
augustischer Zeit. ^33 Catos gesamte literarische Taetigkeit gehoert
erst in sein Greisenalter (Cic. Cat. 11 38; Nep. Cato 3); die Abfassung
auch der frueheren Buecher der 'Ursprungsgeschichten' faellt nicht vor,
aber wahrscheinlich auch nicht lange nach 586 (168) (Plin. nat. 3, 14,
114). ----------------------------------------------- Alle diese Werke
waren freilich nicht im Sinne der Griechen ^34, wohl aber im Gegensatz
zu der rein notizenhaften Fassung des Stadtbuchs pragmatische
Geschichten von zusammenhaengender Erzaehlung und mehr oder minder
geordneter Darstellung. Sie umfassten, soviel wir sehen saemtlich, die
Landesgeschichte von der Erbauung Roms bis auf die Zeit des Schreibers,
obwohl dem Titel nach das Werk des Naevius nur den ersten Krieg
mit Karthago, das Catos nur die Ursprungsgeschichten betraf; danach
zerfielen sie von selbst in die drei Abschnitte der Sagenzeit, der
Vor- und der Zeitgeschichte. Bei der Sagenzeit war fuer die
Entstehungsgeschichte der Stadt Rom, die ueberall mit grosser
Ausfuehrlichkeit dargestellt ward, die eigentuemliche Schwierigkeit
zu ueberwinden, dass davon, wie frueher ausgefuehrt ward, zwei voellig
unvereinbare Fassungen vorlagen: die nationale, welche wenigstens in den
Hauptumrissen wahrscheinlich schon im Stadtbuch schriftlich fixiert war,
und die griechische des Timaeos, die diesen roemischen Chronikschreibern
nicht unbekannt geblieben sein kann. Jene sollte Rom an Alba, diese Rom
an Troia anknuepfen; dort ward es also von dem albanischen Koenigssohn
Romulus, hier von dem troischen Fuersten Aeneas erbaut. Der
gegenwaertigen Epoche, wahrscheinlich entweder dem Naevius oder dem
Pictor, gehoert die Verklitterung der beiden Maerchen an. Der albanische
Koenigssohn Romulus bleibt der Gruender Roms, aber wird zugleich
Aeneas Tochtersohn; Aeneas gruendet Rom nicht, bringt aber dafuer die
roemischen Penaten nach Italien und erbaut diesen zum Sitze Lavinium,
sein Sohn Ascanius die Mutterstadt von Rom und die alte Metropole
Latiums, das Lange Alba. Das alles war recht uebel und ungeschickt
erfunden. Dass die urspruenglichen Penaten Roms nicht, wie man bisher
geglaubt, in ihrem Tempel am roemischen Markte, sondern in dem zu
Lavinium aufbewahrt seien, musste dem Roemer ein Greuel sein, und die
griechische Dichtung kam noch schlimmer weg, indem die Goetter erst
dem Enkel verliehen, was sie dem Ahn zugeschieden hatten. Indes die
Redaktion genuegte ihrem Zweck: ohne geradezu den nationalen Ursprung
Roms zu verleugnen, trug sie doch auch der hellenisierenden Tendenz
Rechnung und legalisierte einigermassen das in dieser Zeit bereits stark
im Schwunge gehende Kokettieren mit dem Aeneadentum; und so wurde
dies die stereotype und bald die offizielle Ursprungsgeschichte der
maechtigen Gemeinde. ----------------------------------------------- ^34
Offenbar im Gegensatz gegen Fabius hebt Polybios (40, 6, 4) es hervor,
dass der Graecomane Albinus sich Muehe gegeben habe, seine
Geschichte pragmatisch zu schreiben.
----------------------------------------------- Von der Ursprungsfabel
abgesehen, hatten im uebrigen die griechischen Historiographen sich
um die roemische Gemeinde wenig oder gar nicht gekuemmert, so dass die
weitere Darstellung der Landesgeschichte vorwiegend aus einheimischen
Quellen geflossen sein muss, ohne dass in der uns zugekommenen
duerftigen Kunde mit Bestimmtheit auseinander traete, welcherlei
Ueberlieferungen ausser dem Stadtbuch den aeltesten Chronisten zu Gebote
gestanden und was sie etwa von dem Ihrigen hinzugetan haben. Die aus
Herodot eingelegten Anekdoten ^35 sind diesen aeltesten Annalisten wohl
noch fremd gewesen und eine unmittelbare Entlehnung griechischen Stoffes
in diesem Abschnitt nicht nachweisbar. Um so bemerkenswerter ist die
ueberall, selbst bei dem Griechenfeind Cato, mit grosser Bestimmtheit
hervortretende Tendenz, nicht bloss Rom an Hellas anzuknuepfen, sondern
Italiker und Griechen als ein urspruenglich gleiches Volk darzustellen
- hierher gehoeren die aus Griechenland eingewanderten Uritaliker oder
Aboriginer sowie die nach Italien wandernden Urgriechen oder Pelasger.
--------------------------------------------------- ^35 So ist die
Geschichte der Belagerung von Gabii aus Herodotischen Anekdoten von
Zopyros und dem Tyrannen Thrasybulos zusammengeschrieben, eine
Version der Aussetzungsgeschichte des Romulus, ueber den Leisten
der Herodotischen Erzaehlung von Kyros' Jugend geschlagen.
--------------------------------- Die landlaeufige Erzaehlung fuehrte in
einem, wenn auch schwach und lose geknuepften Faden, doch einigermassen
zusammenhaengend durch die Koenigszeit bis hinab auf die Einsetzung
der Republik; hier aber versiegte die Sage ganz, und es war nicht
bloss schwierig, sondern wohl geradezu unmoeglich, aus den
Beamtenverzeichnissen und den ihnen angehaengten duerftigen Vermerken
eine irgendwie zusammenhaengende und lesbare Erzaehlung zu gestalten.
Am meisten empfanden dies die Dichter. Naevius scheint deshalb von der
Koenigszeit sogleich auf den Krieg um Sizilien uebergegangen zu sein;
Ennius, der im dritten seiner achtzehn Buecher noch die Koenigszeit,
im sechsten schon den Krieg mit Pyrrhos beschrieb, kann die ersten
zwei Jahrhunderte der Republik hoechstens in den allgemeinsten Umrissen
behandelt haben. Wie die griechisch schreibenden Annalisten sich
geholfen haben, wissen wir nicht. Einen eigentuemlichen Weg schlug Cato
ein. Auch er verspuerte keine Lust, wie er selber sagt, "zu berichten,
was auf der Tafel im Hause des Oberpriesters steht: wie oft der Weizen
teuer gewesen und wann Mond und Sonne sich verfinstert haetten"; und
so bestimmte er denn das zweite und dritte Buch seines Geschichtswerkes
fuer die Berichte ueber die Entstehung der uebrigen italischen Gemeinden
und deren Eintritt in die roemische Eidgenossenschaft. Er machte
sich also los aus den Fesseln der Chronik, welche Jahr fuer Jahr
nach Voranstellung der jedesmaligen Beamten die Ereignisse berichtet;
namentlich hierher wird die Angabe gehoeren, dass Catos Geschichtswerk
die Vorgaenge "abschnittsweise" erzaehlte. Diese in einem roemischen
Werke auffallende Beruecksichtigung der uebrigen italischen Gemeinden
griff teils in die oppositionelle Stellung des Verfassers ein, welcher
gegen das hauptstaedtische Treiben sich durchaus auf das munizipale
Italien stuetzte, teils gewaehrte sie einen gewissen Ersatz fuer die
mangelnde Geschichte Roms von der Vertreibung des Koenigs Tarquinius bis
auf den Pyrrhischen Krieg, indem sie deren wesentliches Ergebnis,
die Einigung Italiens unter Rom, in ihrer Art gleichfalls darstellte.
Dagegen die Zeitgeschichte wurde wiederum zusammenhaengend und eingehend
behandelt: nach eigener Kunde schilderten Naevius den ersten, Fabius den
zweiten Krieg mit Karthago; Ennius widmete wenigstens dreizehn von den
achtzehn Buechern seiner Chronik der Epoche von Pyrrhos bis auf den
Istrischen Krieg; Cato erzaehlte im vierten und fuenften Buche seines
Geschichtswerkes die Kriege vom Ersten Punischen bis auf den mit Perseus
und in den beiden letzten, wahrscheinlich anders und ausfuehrlicher
angelegten die Ereignisse aus den letzten zwanzig Lebensjahren des
Verfassers. Fuer den Pyrrhischen Krieg mag Ennius den Timaeos oder
andere griechische Quellen benutzt haben; im ganzen aber beruhten
die Berichte teils auf eigener Wahrnehmung oder Mitteilungen von
Augenzeugen, teils einer auf dem andern. Gleichzeitig mit der
historischen und gewissermassen als ein Anhang dazu begann die Rede- und
Briefliteratur, welche ebenfalls Cato eroeffnet - denn aus der frueheren
Zeit besass man nichts als einige, meistenteils wohl erst in spaeterer
Zeit aus den Familienarchiven an das Licht gezogene Leichenreden,
wie zum Beispiel diejenige, die der alte Quintus Fabius, der Gegner
Hannibals, als Greis seinem im besten Mannesalter verstorbenen Sohn
gehalten hatte. Cato dagegen zeichnete von den unzaehligen Reden, die er
waehrend seiner langen und taetigen oeffentlichen Laufbahn gehalten,
die geschichtlich wichtigen in seinem Alter auf, gewissermassen als
politische Memoiren, und machte sie teils in seinem Geschichtswerk,
teils, wie es scheint, als selbstaendige Nachtraege dazu, bekannt. Auch
eine Briefsammlung hat es von ihm schon gegeben. Mit der nichtroemischen
Geschichte befasste man sich wohl insoweit, als eine gewisse Kenntnis
derselben dem gebildeten Roemer nicht mangeln durfte; schon von dem
alten Fabius heisst es, dass ihm nicht bloss die roemischen, sondern
auch die auswaertigen Kriege gelaeufig gewesen, und dass Cato den
Thukydides und die griechischen Historiker ueberhaupt fleissig las, ist
bestimmt bezeugt. Allein wenn man von der Anekdoten- und Spruchsammlung
absieht, welche Cato als Fruechte dieser Lektuere fuer sich
zusammenstellte, ist von einer schriftstellerischen Taetigkeit
auf diesem Gebiet nichts wahrzunehmen. Dass durch diese beginnende
historische Literatur insgesamt eine harmlose Unkritik durchgeht,
versteht sich von selbst; weder Schriftsteller noch Leser nahmen an
inneren oder aeusseren Widerspruechen leicht Anstoss. Koenig Tarquinius
der Zweite, obwohl bei dem Tode seines Vaters schon erwachsen und
neununddreissig Jahre nach demselben zur Regierung gelangend, besteigt
nichtsdestoweniger noch als Juengling den Thron. Pythagoras, der etwa
ein Menschenalter vor Vertreibung der Koenige nach Italien kam, gilt den
roemischen Historikern darum nicht minder als Freund des weisen Numa.
Die im Jahre 262 (492) der Stadt nach Syrakus geschickten Staatsboten
verhandeln dort mit dem aelteren Dionysios, der sechsundachtzig Jahre
nachher (348 406) den Thron bestieg. Vornehmlich tritt diese naive
Akrisie hervor in der Behandlung der roemischen Chronologie. Da nach
der - wahrscheinlich in ihren Grundzuegen schon in der vorigen Epoche
festgestellten - roemischen Zeitrechnung die Gruendung Roms 240 Jahre
vor die Einweihung des Kapitolinischen Tempels, 360 Jahre vor den
gallischen Brand und das letztere, auch in griechischen Geschichtswerken
erwaehnte Ereignis nach diesen in das Jahr des athenischen Archonten
Pyrgion 388 v. Chr. (Ol. 98, 1) fiel, so stellt sich hiernach die
Erbauung Roms auf Ol. 8, 1. Dieses war, nach der damals bereits als
kanonisch geltenden Eratosthenischen Zeitrechnung, das Jahr nach Troias
Fall 436; nichtsdestoweniger blieb in der gemeinen Erzaehlung der
Gruender Roms der Tochtersohn des troischen Aeneas. Cato, der als guter
Finanzmann hier nachrechnete, machte freilich in diesem Fall auf
den Widerspruch aufmerksam; eine Aushilfe aber scheint auch er nicht
vorgeschlagen zu haben - das spaeter zu diesem Zweck eingeschobene
Verzeichnis der albanischen Koenige ruehrt sicher nicht von ihm her.
Dieselbe Unkritik, wie sie hier obwaltet, beherrschte bis zu einem
gewissen Grade auch die Darstellung der historischen Zeit. Die Berichte
trugen sicher ohne Ausnahme diejenige starke Parteifaerbung, wegen
welcher der fabische ueber die Anfaenge des zweiten Krieges mit Karthago
von Polybios mit der ihm eigenen kuehlen Bitterkeit durchgezogen wird.
Das Misstrauen indes ist hier besser am Platz als der Vorwurf. Es ist
einigermassen laecherlich, von den roemischen Zeitgenossen Hannibals
ein gerechtes Urteil ueber ihre Gegner zu verlangen; eine bewusste
Entstellung der Tatsachen aber, soweit der naive Patriotismus nicht
von selber eine solche einschliesst, ist den Vaetern der roemischen
Geschichte doch nicht nachgewiesen worden. Auch von wissenschaftlicher
Bildung und selbst von dahin einschlagender Schriftstellerei gehoeren
die Anfaenge in diese Epoche. Der bisherige Unterricht hatte sich
wesentlich auf Lesen und Schreiben und auf die Kenntnis des Landrechts
beschraenkt ^36. Allmaehlich aber ging den Roemern in der innigen
Beruehrung mit den Griechen der Begriff einer allgemeineren Bildung auf
und regte sich das Bestreben, nicht gerade diese griechische Bildung
unmittelbar nach Rom zu verpflanzen, aber doch nach ihr die
roemische einigermassen zu modifizieren.
------------------------------------------- ^36 Plautus sagt (Most. 126)
von den Eltern, dass sie die Kinder "lesen und die Rechte und
Gesetze kennen lehren"; und dasselbe zeigt Plut. Cato mai. 20.
------------------------------------------- Vor allen Dingen fing
die Kenntnis der Muttersprache an sich zur lateinischen Grammatik
auszubilden; die griechische Sprachwissenschaft uebertrug sich auf das
verwandte italische Idiom. Die grammatische Taetigkeit begann ungefaehr
gleichzeitig mit der roemischen Schriftstellerei. Schon um 520 (234)
scheint ein Schreiblehrer Spurius Carvilius das lateinische Alphabet
reguliert und dem ausserhalb desselben stehenden Buchstaben g (I,
487) den Platz des entbehrlich gewordenen z gegeben zu haben, welchen
derselbe noch in den heutigen okzidentalischen Alphabeten behauptet. An
der Feststellung der Rechtschreibung werden die roemischen Schulmeister
fortwaehrend gearbeitet haben; und auch die lateinischen Musen haben
ihre schulmeisterliche Hippokrene nie verleugnet und zu allen Zeiten
neben der Poesie sich der Orthographie beflissen. Namentlich Ennius
hat, auch hierin Klopstock gleich, nicht bloss das anklingende
Etymologienspiel schon ganz in alexandrinischer Art geuebt ^37,
sondern auch fuer die bis dahin uebliche einfache Bezeichnung der
Doppelkonsonanten die genauere griechische Doppelschreibung eingefuehrt.
Von Naevius und Plautus freilich ist nichts dergleichen bekannt - die
volksmaessigen Poeten werden gegen Rechtschreibung und Etymologie auch
in Rom sich so gleichgueltig verhalten haben, wie Dichter es pflegen.
--------------------------------------- ^37 So heisst ihm in den
Epicharmischen Gedichten Jupiter davon quod invat, Ceres davon quod
gerit fruges. ---------------------------------------- Rhetorik und
Philosophie blieben den Roemern dieser Zeit noch fern. Die Rede stand
bei ihnen zu entschieden im Mittelpunkt des oeffentlichen Lebens, als
dass der fremde Schulmeister ihr haette beikommen koennen; der echte
Redner Cato goss ueber das alberne Isokrateische "ewig reden lernen und
niemals reden koennen" die ganze Schale seines zornigen Spottes aus. Die
griechische Philosophie, obwohl sie durch Vermittlung der lehrhaften und
vor allem der tragischen Poesie einen gewissen Einfluss auf die Roemer
gewann, wurde doch mit einer aus baeurischer Ignoranz und ahnungsvollem
Instinkt gemischten Apprehension betrachtet. Cato nannte den Sokrates
unverbluemt einen Schwaetzer und einen als Frevler an dem Glauben und
den Gesetzen seiner Heimat mit Recht hingerichteten Revolutionaer; und
wie selbst die der Philosophie geneigten Roemer von ihr dachten, moegen
wohl die Worte des Ennius aussprechen: Philosophieren will ich, doch
kurz und nicht die ganze Philosophie; Gut ist's von ihr nippen, aber
sich in sie versenken schlimm. Dennoch duerfen die poetische Sittenlehre
und die Anweisung zur Redekunst, die sich unter den Catonischen
Schriften befanden, angesehen werden als die roemische Quintessenz
oder, wenn man lieber will, das roemische Caput mortuum der griechischen
Philosophie und Rhetorik. Die naechsten Quellen Catos waren fuer das
Sittengedicht neben der selbstverstaendlichen Anpreisung der einfachen
Vaetersitte vermutlich die Pythagoreischen Moralschriften, fuer das
Rednerbuch die Thukydideischen und besonders die Demosthenischen Reden,
welche alle Cato eifrig studierte. Von dem Geiste dieser Handbuecher
kann man ungefaehr sich eine Vorstellung machen nach der goldenen, von
den Nachfahren oefter angefuehrten als befolgten Regel fuer den Redner,
"an die Sache zu denken und daraus die Worte sich ergeben zu lassen"
^38. ----------------------------------------------------- ^38 Rem tene,
verba sequentur. -----------------------------------------------------
Aehnliche allgemein propaedeutische Handbuecher verfasste Cato auch
fuer die Heilkunst, die Kriegswissenschaft, die Landwirtschaft und die
Rechtswissenschaft, welche Disziplinen alle ebenfalls mehr oder
minder unter griechischem Einfluss standen. Wenn nicht die Physik
und Mathematik, so fanden doch die damit zusammenhaengenden
Nuetzlichkeitswissenschaften bis zu einem gewissen Grade Eingang in Rom.
Am meisten gilt dies von der Medizin. Nachdem im Jahre 535 (219) der
erste griechische Arzt, der Peloponnesier Archagathos in Rom sich
niedergelassen und dort durch seine chirurgischen Operationen solches
Ansehen erworben hatte, dass ihm von Staats wegen ein Lokal angewiesen
und das roemische Buergerrecht geschenkt ward, stroemten seine Kollegen
scharenweise nach Italien. Cato freilich machte nicht bloss die fremden
Heilkuenstler mit einem Eifer herunter, der einer besseren Sache wuerdig
war, sondern versuchte auch, durch sein aus eigener Erfahrung und
daneben wohl auch aus der medizinischen Literatur der Griechen
zusammengestelltes medizinisches Hilfsbuechlein die gute alte Sitte
wieder emporzubringen, wo der Hausvater zugleich der Hausarzt war.
Die Aerzte und das Publikum kuemmerten wie billig sich wenig um
dieses eigensinnige Gekeife; doch blieb das Gewerbe, eines der
eintraeglichsten, die es in Rom gab, Monopol der Auslaender, und
Jahrhunderte lang hat es in Rom nur griechische Aerzte gegeben. Von der
barbarischen Gleichgueltigkeit, womit man bisher in Rom die Zeitmessung
behandelt hatte, kam man wenigstens einigermassen zurueck. Mit der
Aufstellung der ersten Sonnenuhr auf dem roemischen Markt im Jahre 491
(263) fing die griechische Stunde (/o/ra, hora) auch bei den Roemern an
gebraucht zu werden; freilich begegnete es dabei, dass man in Rom eine
fuer das um vier Grade suedlicher liegende Katane gearbeitete Sonnenuhr
aufstellte und ein Jahrhundert lang sich danach richtete. Gegen Ende
dieser Epoche erscheinen einzelne vornehme Maenner, die sich fuer
mathematische Dinge interessierten. Manius Acilius Glabrio (Konsul 563
191) versuchte der Kalenderverwirrung durch ein Gesetz zu steuern,
das dem Pontifikalkollegium gestattete, nach Ermessen Schaltmonate
einzulegen und wegzulassen; wenn dies seinen Zweck verfehlte, ja uebel
aerger machte, so lag die Ursache davon wohl weniger in dem Unverstand
als in der Gewissenlosigkeit der roemischen Theologen. Auch der
griechisch gebildete Marcus Fulvius Nobilior (Konsul 565 189) gab sich
Muehe wenigstens um allgemeine Kundmachung des roemischen Kalenders.
Gaius Sulpicius Gallus (Konsul 588 166), der nicht bloss die
Mondfinsternis von 586 (168) vorhergesagt, sondern auch ausgerechnet
hatte, wie weit es von der Erde bis zum Monde sei und der selbst als
astronomischer Schriftsteller aufgetreten zu sein scheint, wurde deshalb
von seinen Zeitgenossen als ein Wunder des Fleisses und des Scharfsinnes
angestaunt. Dass fuer die Landwirtschaft und die Kriegskunst zunaechst
die ererbte und die eigene Erfahrung massgebend war, versteht sich von
selbst und spricht auch in derjenigen der zwei Catonischen Anleitungen
zur Landwirtschaft, die auf unsere Zeit gekommen ist, sehr bestimmt
sich aus. Dennoch fielen auch auf diesen untergeordneten eben wie in
den hoeheren geistigen Gebieten die Resultate der griechischen und der
lateinischen, ja selbst der phoenikischen Kultur zusammen und kann
schon darum die einschlagende auslaendische Literatur nicht ganz
unberuecksichtigt geblieben sein. Dagegen gilt dasselbe nur in
untergeordnetem Grade von der Rechtswissenschaft. Die Taetigkeit der
Rechtsgelehrten dieser Zeit ging noch wesentlich auf in der Bescheidung
der anfragenden Parteien und in der Belehrung der juengeren Zuhoerer;
doch bildete in dieser muendlichen Unterweisung schon sich ein
traditioneller Regelstamm und auch schriftstellerische Taetigkeit
mangelt nicht ganz. Wichtiger als Catos kuerzer Abriss wurde fuer die
Rechtswissenschaft das von Sextus Aelius Paetus, genannt der "Schlaue"
(catus), welcher der erste praktische Jurist seiner Zeit war und infolge
dieser seiner gemeinnuetzigen Taetigkeit zum Konsulat (556 198) und zur
Zensur (560 194) emporstieg, veroeffentlichte sogenannte "dreiteilige
Buch", das heisst eine Arbeit ueber die Zwoelf Tafeln, welche zu jedem
Satze derselben eine Erlaeuterung, hauptsaechlich wohl der veralteten
und unverstaendlichen Ausdruecke, und das entsprechende Klagformular
hinzufuegte. Wenn dabei in jener Glossierung der Einfluss der
griechischen grammatischen Studien unleugbar hervortritt, so knuepfte
die Klagformulierung vielmehr an die aeltere Sammlung des Appius und
die ganze volkstuemliche und prozessualische Rechtsentwicklung an. Im
allgemeinen tritt der Wissenschaftsbestand dieser Epoche mit grosser
Bestimmtheit hervor in der Gesamtheit jener von Cato fuer seinen Sohn
aufgesetzten Handbuecher, die als eine Art Enzyklopaedie in kurzen
Saetzen darlegen sollten, was ein "tuechtiger Mann" (vir bonus) als
Redner, Arzt, Landwirt, Kriegsmann und Rechtskundiger sein muesse. Ein
Unterschied zwischen propaedeutischen und Fachwissenschaften wurde noch
nicht gemacht, sondern was von der Wissenschaft ueberhaupt notwendig und
nuetzlich erschien, von jedem rechten Roemer gefordert. Ausgeschlossen
ist dabei teils die lateinische Grammatik, die also damals noch nicht
diejenige formale Entwicklung gehabt haben kann, welche der eigentliche
wissenschaftliche Sprachunterricht voraussetzt, teils die Musik und der
ganze Kreis der mathematischen und physischen Wissenschaften. Durchaus
sollte in der Wissenschaft das unmittelbar Praktische, aber auch nichts
als dies und dieses moeglichst kurz und schlicht zusammengefasst werden.
Die griechische Literatur wurde dabei wohl benutzt, aber nur um aus
der Masse von Spreu und Wust einzelne brauchbare Erfahrungssaetze zu
gewinnen - "die griechischen Buecher muss man einsehen, aber nicht
durchstudieren", lautet einer von Catos Weidspruechen. So entstanden
jene haeuslichen Not- und Hilfsbuecher, die freilich mit der
griechischen Spitzfindigkeit und Unklarheit auch den griechischen
Scharf- und Tiefsinn austrieben, aber eben dadurch fuer die Stellung der
Roemer zu den griechischen Wissenschaften fuer alle Zeiten massgebend
geworden sind. So zog denn mit der Weltherrschaft zugleich Poesie und
Literatur in Rom ein, oder, mit einem Dichter der ciceronischen Zeit zu
reden: Als wir Hannibal bezwungen, nahte mit beschwingtem Schritt
Der Quiriten hartem Volke sich die Mus' im Kriegsgewand. Auch in den
sabellisch und etruskisch redenden Landschaften wird es gleichzeitig
an geistiger Bewegung nicht gemangelt haben. Wenn Trauerspiele in
etruskischer Sprache erwaehnt werden, wenn Tongefaesse mit oskischen
Inschriften Bekanntschaft ihrer Verfertiger mit der griechischen
Komoedie verraten, so draengt die Frage sich auf, ob nicht gleichzeitig
mit Naevius und Cato auch am Arnus und Volturnus eine gleich der
roemischen hellenisierende Literatur in der Bildung begriffen gewesen
ist. Indes jede Kunde darueber ist verschollen, und die Geschichte
kann hier nur die Luecke bezeichnen. Die roemische Literatur, ueber
die allein uns ein Urteil noch verstattet ist, wie problematisch ihr
absoluter Wert dem Aesthetiker erscheinen mag, bleibt dennoch fuer
denjenigen, der die Geschichte Roms erkennen will, von einzigem Wert
als das Spiegelbild des inneren Geisteslebens Italiens in dem
waffenklirrenden und zukunftsvollen sechsten Jahrhundert, in welchem die
italische Entwicklung abschloss und das Land anfing einzutreten in die
allgemeinere der antiken Zivilisation. Auch in ihr herrscht diejenige
Zwiespaeltigkeit, die ueberall in dieser Epoche das Gesamtleben der
Nation durchdringt und die Uebergangszeit charakterisiert. Ueber die
Mangelhaftigkeit der hellenistisch-roemischen Literatur kann kein
unbefangenes und durch den ehrwuerdigen Rost zweier Jahrtausende
unbeirrtes Auge sich taeuschen. Die roemische Literatur steht neben
der griechischen wie die deutsche Orangerie neben dem sizilischen
Orangenwald; man kann an beiden sich erfreuen, aber nebeneinander sie
auch nur zu denken, geht nicht an. Womoeglich noch entschiedener als
von der roemischen Schriftstellerei in der fremden Sprache gilt dies von
derjenigen in der Muttersprache der Latiner; zu einem sehr grossen Teil
ist dieselbe gar nicht das Werk von Roemern, sondern von Fremdlingen,
von Halbgriechen, Kelten, bald auch Afrikanern, die das Latein sich
erst aeusserlich angeeignet hatten - unter denen, die in dieser Zeit als
Dichter vor das Publikum traten, ist nicht bloss, wie gesagt, nicht
ein nachweislich vornehmer Mann, sondern auch keiner, dessen Heimat
erweislich das eigentliche Latium waere. Selbst die Benennung des
Dichters ist auslaendisch; schon Ennius nennt sich mit Nachdruck einen
Poeten ^39. Aber diese Poesie ist nicht bloss auslaendisch, sondern
sie ist auch mit allen denjenigen Maengeln behaftet, welche da sich
einfinden, wo die Schulmeister schriftstellern und der grosse Haufe das
Publikum ausmacht. Es ist gezeigt worden, wie die Komoedie durch
die Ruecksicht auf die Menge kuenstlerisch vergroebert wurde, ja in
poebelhafte Roheit verfiel; es ist ferner gezeigt worden, dass zwei der
einflussreichsten roemischen Schriftsteller zunaechst Schulmeister und
erst folgeweise Poeten waren, und dass, waehrend die griechische erst
nach dem Abbluehen der volkstuemlichen Literatur erwachsene Philologie
nur am toten Koerper experimentierte, in Latium Begruendung der
Grammatik und Grundlegung der Literatur, fast wie bei den heutigen
Heidenmissionen, von Haus aus Hand in Hand gegangen sind. In der Tat,
wenn man diese hellenistische Literatur des sechsten Jahrhunderts
unbefangen ins Auge fasst, jene handwerksmaessige, jeder eigenen
Produktivitaet bare Poesie, jene durchgaengige Nachahmung eben der
flachsten Kunstgattungen des Auslandes, jenes Uebersetzungsrepertoire,
jenen Wechselbalg von Epos, so fuehlt man sich versucht sie rein zu
den Krankheitssymptomen dieser Epoche zu rechnen.
--------------------------------------- ^39 Vgl. 2, 445: Enni poeta
salve, qui mortalibus Versus propinas flammeos medullitus. Die
Bildung des Namens poeta aus dem vulgar-griechischen po/e/t/e/s statt
poi/e/t/e/s - wie epo/e/sen den attischen Toepfern gelaeufig war - ist
charakteristisch. Uebrigens bezeichnet poeta technisch nur den Verfasser
epischer und rezitativer Gedichte, nicht den Buehnendichter, welcher
in dieser Zeit vielmehr scriba heisst (Fest. v. scriba, p. 333 M.).
----------------------------------------- Dennoch wuerde ein solches
Urteil, wenn nicht ungerecht, doch nur sehr einseitig gerecht sein.
Vor allen Dingen ist wohl zu bedenken, dass diese gemachte Literatur in
einer Nation emporkam, die nicht bloss keine volkstuemliche Dichtkunst
besass, sondern auch nie mehr zu einer solchen gelangen konnte. In dem
Altertum, welchem die moderne Poesie des Individuums fremd ist, faellt
die schoepferisch poetische Taetigkeit wesentlich in die unbegreifliche
Zeit des Werdebangens und der Werdelust der Nation; unbeschadet der
Groesse der griechischen Epiker und Tragiker darf man es aussprechen,
dass ihr Dichten wesentlich bestand in der Redaktion der uralten
Erzaehlungen von menschlichen Goettern und goettlichen Menschen. Diese
Grundlage der antiken Poesie mangelte in Latium gaenzlich; wo die
Goetterwelt gestaltlos und die Sage nichtig blieb, konnten auch die
goldenen Aepfel der Poesie freiwillig nicht gedeihen. Hierzu kommt ein
Zweites und Wichtigeres. Die innerliche geistige Entwicklung wie die
aeusserliche staatliche Entfaltung Italiens waren gleichmaessig auf
einem Punkte angelangt, wo es nicht laenger moeglich war, die auf dem
Ausschluss aller hoeheren und individuellen Geistesbildung beruhende
roemische Nationalitaet festzuhalten und den Hellenismus von sich
abzuwehren. Zunaechst auf dieser allerdings revolutionaeren und
denationalisierenden, aber fuer die notwendige geistige Ausgleichung der
Nationen unerlaesslichen Propaganda des Hellenismus in Italien beruht
die geschichtliche und selbst die dichterische Berechtigung der
roemisch-hellenistischen Literatur. Es ist aus ihrer Werkstatt nicht
ein einziges neues und echtes Kunstwerk hervorgegangen, aber sie hat
den geistigen Horizont von Hellas ueber Italien erstreckt. Schon rein
aeusserlich betrachtet setzt die griechische Poesie bei dem Hoerer
eine gewisse Summe positiver Kenntnisse voraus. Die voellige
Abgeschlossenheit in sich, die zu den wesentlichsten Eigentuemlichkeiten
zum Beispiel des Shakespeareschen Dramas gehoert, ist der antiken
Dichtung fremd; wem der griechische Sagenkreis nicht bekannt ist, der
wird fuer jede Rhapsodie wie fuer jede Tragoedie den Hintergrund und oft
selbst das gemeine Verstaendnis vermissen. Wenn dem roemischen
Publikum dieser Zeit, wie das die Plautinischen Lustspiele zeigen, die
Homerischen Gedichte und die Heraklessagen einigermassen gelaeufig und
von den uebrigen Mythen wenigstens die allgemeingueltigen bekannt waren
^40, so wird diese Kunde neben der Schule zunaechst durch die Buehne ins
Publikum gedrungen und damit zum Verstaendnis der hellenischen Dichtung
wenigstens ein Anfang gemacht sein. Aber weit tiefer noch wirkte, worauf
schon die geistreichsten Literatoren des Altertums mit Recht den
Ton gelegt haben, die Einbuergerung griechischer Dichtersprache und
griechischer Masse in Latium. Wenn "das besiegte Griechenland den rauhen
Sieger durch die Kunst ueberwand", so geschah dies zunaechst dadurch,
dass dem ungefuegen lateinischen Idiom eine gebildete und gehobene
Dichtersprache abgewonnen ward, dass anstatt der eintoenigen und
gehackten Saturnier der Senar floss und der Hexameter rauschte, dass
die gewaltigen Tetrameter, die jubelnden Anapaeste, die kunstvoll
verschlungenen lyrischen Rhythmen das lateinische Ohr in der
Muttersprache trafen. Die Dichtersprache ist der Schluessel zu der
idealen Welt der Poesie, das Dichtmass der Schluessel zu der poetischen
Empfindung; wem das beredte Beiwort stumm und das lebendige Gleichnis
tot ist, wem die Takte der Daktylen und Jamben nicht innerlich
erklingen, fuer den haben Homer und Sophokles umsonst gedichtet. Man
sage nicht, dass das poetische und rhythmische Gefuehl sich von selber
verstehen. Die idealen Empfindungen sind freilich von der Natur in
die Menschenbrust gepflanzt, aber um zu keimen brauchen sie guenstigen
Sonnenscheins; und vor allem in der poetisch wenig angeregten
latinischen Nation bedurften sie auch aeusserlicher Pflege. Man sage
auch nicht, dass bei der weitverbreiteten Kenntnis der griechischen
Sprache deren Literatur fuer das empfaengliche roemische Publikum
ausgereicht haette. Der geheimnisvolle Zauber, den die Sprache ueber
den Menschen ausuebt und von dem Dichtersprache und Rhythmus nur
Steigerungen sind, haengt nicht jeder zufaellig angelernten, sondern
einzig der Muttersprache an. Von diesem Gesichtspunkt aus wird man die
hellenistische Literatur und namentlich die Poesie der Roemer dieser
Zeit gerechter beurteilen. Wenn ihr Bestreben darauf hinausging,
den Euripideischen Radikalismus nach Rom zu verpflanzen, die Goetter
entweder in verstorbene Menschen oder in gedachte Begriffe aufzuloesen,
ueberhaupt dem denationalisierten Hellas ein denationalisiertes
Latium an die Seite zu setzen und alle rein und scharf entwickelten
Volkstuemlichkeiten in den problematischen Begriff der allgemeinen
Zivilisation aufzuloesen, so steht diese Tendenz erfreulich oder
widerwaertig zu finden in eines jeden Belieben, in niemandes aber, ihre
historische Notwendigkeit zu bezweifeln. Von diesem Gesichtspunkte aus
laesst selbst die Mangelhaftigkeit der roemischen Poesie zwar nimmermehr
sich verleugnen, aber sich erklaeren und damit gewissermassen sich
rechtfertigen. Wohl geht durch sie hindurch ein Missverhaeltnis zwischen
dem geringfuegigen und oft verhunzten Inhalt und der verhaeltnismaessig
vollendeten Form, aber die eigentliche Bedeutung dieser Poesie war auch
eben formeller und vor allen Dingen sprachlicher und metrischer Art. Es
war nicht schoen, dass die Poesie in Rom vorwiegend in den Haenden
von Schulmeistern und Auslaendern und vorwiegend Uebersetzung oder
Nachdichtung war; aber wenn die Poesie zunaechst nur eine Bruecke
von Latium nach Hellas schlagen sollte, so waren Livius und
Ennius allerdings berufen zum poetischen Pontifikat in Rom und die
Uebersetzungsliteratur das einfachste Mittel zum Ziele. Es war noch
weniger schoen, dass die roemische Poesie sich mit Vorliebe auf die
verschliffensten und geringhaltigsten Originale warf; aber in diesem
Sinne war es zweckgemaess. Niemand wird die Euripideische Poesie der
Homerischen an die Seite stellen wollen; aber geschichtlich
betrachtet sind Euripides und Menander voellig ebenso die Bibel des
kosmopolitischen Hellenismus wie die 'Ilias' und die 'Odyssee' diejenige
des volkstuemlichen Hellenentums, und insofern hatten die Vertreter
dieser Richtung guten Grund, ihr Publikum vor allem in diesen
Literaturkreis einzufuehren. Zum Teil mag auch das instinktmaessige
Gefuehl der beschraenkten poetischen Kraft die roemischen Bearbeiter
bewogen haben, sich vorzugsweise an Euripides und Menander zu halten und
den Sophokles und gar den Aristophanes beiseite liegen zu lassen; denn
waehrend die Poesie wesentlich national und schwer zu verpflanzen
ist, so sind Verstand und Witz, auf denen die Euripideische wie die
Menandrische Dichtung beruhte, von Haus aus kosmopolitisch. Immer
verdient es noch ruehmliche Anerkennung, dass die roemischen Poeten des
sechsten Jahrhunderts nicht an die hellenische Tagesliteratur oder den
sogenannten Alexandrinismus sich anschlossen, sondern lediglich in
der aelteren klassischen Literatur, wenn auch nicht gerade in deren
reichsten und reinsten Bereichen, ihre Muster sich suchten. Ueberhaupt,
wie unzaehlige falsche Akkommodationen und kunstwidrige Missgriffe
man auch denselben nachweisen mag, es sind eben nur diejenigen
Versuendigungen an dem Evangelium, welche das nichts weniger als
reinliche Missionsgeschaeft mit zwingender Notwendigkeit begleiten; und
sie werden geschichtlich und selbst aesthetisch einigermassen aufgewogen
durch den von dem Propagandatum ebenso unzertrennlichen Glaubenseifer.
Ueber das Evangelium mag man anders urteilen als Ennius getan; aber wenn
es bei dem Glauben nicht so sehr darauf ankommt, was, als wie geglaubt
wird, so kann auch den roemischen Dichtern des sechsten Jahrhunderts
Anerkennung und Bewunderung nicht versagt werden. Ein frisches und
maechtiges Gefuehl fuer die Gewalt der hellenischen Weltliteratur, eine
heilige Sehnsucht, den Wunderbaum in das fremde Land zu verpflanzen,
durchdrangen die gesamte Poesie des sechsten Jahrhunderts und flossen in
eigentuemlicher Weise zusammen mit dem durchaus gehobenen Geiste
dieser grossen Zeit. Der spaetere gelaeuterte Hellenismus sah auf die
poetischen Leistungen derselben mit einer gewissen Verachtung herab;
eher vielleicht haette er zu den Dichtern hinaufsehen moegen, die bei
aller Unvollkommenheit doch in einem innerlicheren Verhaeltnis zu der
griechischen Poesie standen und der echten Dichtkunst naeher kamen als
ihre hoeher gebildeten Nachfahren. In der verwegenen Nacheiferung,
in den klingenden Rhythmen, selbst in dem maechtigen Dichterstolz
der Poeten dieser Zeit ist mehr als in irgendeiner anderen Epoche der
roemischen Literatur eine imponierende Grandiositaet, und auch wer ueber
die Schwaechen dieser Poesie sich nicht taeuscht, darf das stolze Wort
auf sie anwenden, mit dem sie selber sich gefeiert hat, dass sie
den Sterblichen das Feuerlied kredenzt hat aus der tiefen Brust.
----------------------------------------------------- ^40 Aus dem
troischen und dem Herakles-Kreise kommen selbst untergeordnete Figuren
vor, zum Beispiel Talthybios (Stich. 305), Autolykos (Bacch. 275),
Parthaon (Men. 745). In den allgemeinsten Umrissen muessen ferner zum
Beispiel die thebanische und die Argonautensage, die Geschichten von
Bellerophon (Bacch. 810), Pentheus (Merc. 467), Prokne und Philomele
(Rud. 604), Sappho und Phaon (Mil. 1247) bekannt gewesen sein.
----------------------------------------------------- Wie die
hellenisch-roemische Literatur dieser Zeit wesentlich tendenzioes
ist, so beherrscht die Tendenz auch ihr Widerspiel, die gleichzeitige
nationale Schriftstellerei. Wenn jene nichts mehr und nichts weniger
wollte, als die latinische Nationalitaet durch Schoepfung einer
lateinisch redenden, aber in Form und Geist hellenischen Poesie
vernichten, so musste eben der beste und reinste Teil der latinischen
Nation mit dem Hellenismus selbst die entsprechende Literatur
gleichfalls von sich werfen und in Acht und Bann tun. Man stand zu Catos
Zeit in Rom der griechischen Literatur gegenueber ungefaehr wie in der
Zeit der Caesaren dem Christentum: Freigelassene und Fremde bildeten den
Kern der poetischen wie spaeter den Kern der christlichen Gemeinde; der
Adel der Nation und vor allem die Regierung sahen in der Poesie wie
im Christentum lediglich feindliche Maechte; ungefaehr aus denselben
Ursachen sind Plautus und Ennius von der roemischen Aristokratie zum
Gesindel gestellt und die Apostel und Bischoefe von der roemischen
Regierung hingerichtet worden. Natuerlich war es auch hier vor allem
Cato, der die Heimat gegen die Fremde mit Lebhaftigkeit vertrat. Die
griechischen Literaten und Aerzte sind ihm der gefaehrlichste Abschaum
des grundverdorbenen Griechenvolks ^41, und mit unaussprechlicher
Verachtung werden die roemischen Baenkelsaenger von ihm behandelt. Man
hat ihn und seine Gesinnungsgenossen deswegen oft und hart getadelt
und allerdings sind die Aeusserungen seines Unwillens nicht selten
bezeichnet von der ihm eigenen schroffen Borniertheit; bei genauerer
Erwaegung indes wird man nicht bloss im einzelnen ihm wesentlich Recht
geben, sondern auch anerkennen muessen, dass die nationale Opposition
auf diesem Boden mehr als irgendwo sonst ueber die Unzulaenglichkeit der
bloss ablehnenden Verteidigung hinausgegangen ist. Wenn sein juengerer
Zeitgenosse Aulus Postumius Albinus, der durch sein widerliches
Hellenisieren den Hellenen selbst zum Gespoett ward und der zum Beispiel
schon griechische Verse zimmerte - wenn dieser Albinus sich in der
Vorrede zu seinem Geschichtswerk wegen des mangelhaften Griechisch damit
verteidigte, dass er ein geborener Roemer sei, war da die Frage nicht
voellig an ihrem Orte, ob er rechtskraeftig verurteilt worden sei, Dinge
zu treiben, .die er nicht verstehe? oder waren etwa die Gewerbe des
fabrikmaessigen Komoedienuebersetzers und des um Brot und Protektion
singenden Heldendichters vor zweitausend Jahren ehrenhafter, als sie es
jetzt sind? oder hatte Cato nicht Ursache, es dem Nobilior vorzuruecken,
dass er den Ennius, welcher uebrigens in seinen Versen die roemischen
Potentaten ohne Ansehen der Person glorifizierte und auch den Cato
selbst mit Lob ueberhaeufte, als den Saenger seiner kuenftigen
Grosstaten mit sich nach Ambrakia nahm? oder nicht Ursache die Griechen,
die er in Rom und Athen kennenlernte, ein unverbesserlich elendes
Gesindel zu schelten? Diese Opposition gegen die Bildung der Zeit und
den Tageshellenismus war wohl berechtigt; einer Opposition aber gegen
die Bildung und das Hellenentum ueberhaupt hat Cato keineswegs sich
schuldig gemacht. Vielmehr ist es das hoechste Lob der Nationalpartei,
dass auch sie mit grosser Klarheit die Notwendigkeit begriff, eine
lateinische Literatur zu erschaffen und dabei die Anregungen des
Hellenismus ins Spiel zu bringen; nur sollte ihrer Absicht nach die
lateinische Schriftstellerei nicht nach der griechischen abgeklatscht
und der roemischen Volkstuemlichkeit aufgezwaengt, sondern unter
griechischer Befruchtung der italischen Nationalitaet gemaess entwickelt
werden. Mit einem genialen Instinkt, der weniger von der Einsicht der
einzelnen als von dem Schwung der Epoche ueberhaupt zeugt, erkannte man,
dass fuer Rom bei dem gaenzlichen Mangel der poetischen Vorschoepfung
der einzige Stoff zur Entwicklung eines eigenen geistigen Lebens in der
Geschichte lag. Rom war, was Griechenland nicht war, ein Staat; und
auf dieser gewaltigen Empfindung beruht sowohl der kuehne Versuch, den
Naevius machte, mittels der Geschichte zu einem roemischen Epos und
einem roemischen Schauspiel zu gelangen, als auch die Schoepfung der
lateinischen Prosa durch Cato. Das Beginnen freilich, die Goetter und
Heroen der Sage durch Roms Koenige und Konsuln zu ersetzen, gleicht dem
Unterfangen der Giganten, mit aufeinander getuermten Bergen den Himmel
zu stuermen; ohne eine Goetterwelt gibt es kein antikes Epos und kein
antikes Drama, und die Poesie kennt keine Surrogate. Maessiger und
verstaendiger ueberliess Cato die eigentliche Poesie als unrettbar
verloren der Gegenpartei, obwohl sein Versuch, nach dem Muster der
aelteren roemischen, des appischen Sitten- und des Ackerbaugedichts eine
didaktische Poesie in nationalem Versmass zu erschaffen, wenn nicht dem
Erfolge, doch der Absicht nach bedeutsam und achtungswert bleibt. Einen
guenstigeren Boden gewaehrte ihm die Prosa, und er hat denn auch
die ganze ihm eigene Vielseitigkeit und Energie daran gesetzt, eine
prosaische Literatur in der Muttersprache zu erschaffen. Es ist dies
Bestreben nur um so roemischer und nur um so achtbarer, als er sein
Publikum zunaechst im Familienkreise erblickte und als er damit
in seiner Zeit ziemlich alleinstand. So entstanden seine
'Ursprungsgeschichten', seine aufgezeichneten Staatsreden, seine
fachwissenschaftlichen Werke. Allerdings sind sie vom nationalen Geiste
getragen und bewegen sich in nationalen Stoffen; allein sie sind nichts
weniger als antihellenisch, sondern vielmehr wesentlich, nur freilich
in anderer Art als die Schriften der Gegenpartei, unter griechischem
Einfluss entstanden. Die Idee und selbst der Titel seines Hauptwerkes
ist den griechischen "Gruendungsgeschichten" (ktiseis) entlehnt.
Dasselbe gilt von seiner Redeschriftstellerei - er hat den Isokrates
verspottet, aber vom Thukydides und Demosthenes zu lernen versucht.
Seine 'Enzyklopaedie' ist wesentlich das Resultat seines Studiums der
griechischen Literatur. Von allem, was der ruehrige und patriotische
Mann angegriffen hat, ist nichts folgenreicher und nichts seinem
Vaterlande nuetzlicher gewesen als diese von ihm selbst wohl
verhaeltnismaessig gering angeschlagene literarische Taetigkeit. Er
fand zahlreiche und wuerdige Nachfolger in der Rede- und der
wissenschaftlichen Schriftstellerei; und wenn auf seine originellen,
in ihrer Art wohl der griechischen Logographie vergleichbaren
'Ursprungsgeschichten' auch kein Herodot und Thukydides gefolgt ist, so
ward es doch von ihm und durch ihn festgestellt, dass die literarische
Beschaeftigung mit den Nuetzlichkeitswissenschaften wie mit der
Geschichte fuer den Roemer nicht bloss ehrenhaft, sondern ehrenvoll
sei. ------------------------------------------------ ^41 "Von diesen
Griechen", heisst es bei ihm, "werde ich an seinem Orte sagen, mein Sohn
Marcus, was ich zu Athen ueber sie in Erfahrung gebracht habe; und will
es beweisen, dass es nuetzlich ist, ihre Schriften einzusehen, nicht sie
durchzustudieren. Es ist eine grundverdorbene und unregierliche Rasse -
glaube mir, das ist wahr wie ein Orakel; und wenn das Volk seine Bildung
herbringt, so wird es alles verderben und ganz besonders, wenn es
seine Aerzte hierher schickt. Sie haben sich verschworen, alle Barbaren
umzubringen mit Arzeneiung, aber sie lassen sich dafuer noch bezahlen,
damit man ihnen vertraue und sie uns leicht zugrunde richten moegen.
Auch uns nennen sie Barbaren, ja schimpfen uns mit dem noch gemeineren
Namen der Opiker. Auf die Heilkuenstler also lege ich dir Acht und
Bann." Der eifrige Mann wusste nicht, dass der Name der Opiker, der
im Lateinischen eine schmutzige Bedeutung hat, im Griechischen ganz
unverfaenglich ist, und dass die Griechen auf die unschuldigste
Weise dazu gekommen waren, die Italiker mit demselben zu bezeichnen.
----------------------------------------------- Werfen wir schliesslich
noch einen Blick auf den Stand der bauenden und bildenden Kuenste, so
macht, was die ersten anlangt, der beginnende Luxus sich weniger in dem
oeffentlichen als im Privatbauwesen bemerklich. Erst gegen den Schluss
dieser Periode, namentlich mit der Catonischen Zensur (570 184)
faengt man in jenem an, neben der gemeinen Notdurft auch die gemeine
Bequemlichkeit ins Auge zu fassen, die aus den Wasserleitungen
gespeisten Bassins (lacus) mit Stein auszulegen (570 184), Saeulengaenge
aufzufuehren (575, 580 179, 174) und vor allem die attischen Gerichts-
und Geschaeftshallen, die sogenannten Basiliken nach Rom zu uebertragen.
Das erste dieser etwa unseren heutigen Basaren entsprechende Gebaeude,
die porcische oder Silberschmiedhalle, wurde von Cato im Jahre 570 (184)
neben dem Rathaus errichtet, woran dann rasch andere sich anschlossen,
bis allmaehlich an den Langseiten des Marktes die Privatlaeden durch
diese glaenzenden saeulengetragenen Hallen ersetzt waren. Tiefer aber
griff in das taegliche Leben die Umwandlung des Hausbaues ein, welche
spaetestens in diese Epoche gesetzt werden muss: es schieden sich
allmaehlich Wohnsaal (atrium), Hof (cavum aedium), Garten und
Gartenhallen (peristylium), der Raum zur Aufbewahrung der Papiere
(tablinum), Kapelle, Kueche, Schlafzimmer; und in der inneren
Einrichtung fing die Saeule an sowohl im Hofe wie im Wohnsaal zur
Stuetzung der offenen Decke und auch fuer die Gartenhallen verwandt
zu werden - wobei wohl ueberall griechische Muster kopiert oder doch
benutzt wurden. Doch blieb das Baumaterial einfach; "unsere Vorfahren",
sagt Varro, "wohnten in Haeusern aus Backsteinen und legten nur, um die
Feuchtigkeit abzuwehren, ein maessiges Quaderfundament". Von roemischer
Plastik begegnet kaum eine andere Spur als etwa die Wachsbossierung der
Ahnenbilder. Etwas oefter ist von Malerei und Malern die Rede: Manius
Valerius liess den Sieg ueber die Karthager und Hieron, den er im
Jahre 491 (263) vor Messana erfochten, auf der Seitenwand des Rathauses
abschildern - die ersten historischen Fresken in Rom, denn viele
gleichartige folgten und die im Gebiet der bildenden Kunst das sind, was
nicht viel spaeter das Nationalepos und das Nationalschauspiel im Gebiet
der Poesie wurden. Es werden als Maler genannt, ein gewisser Theodotos,
der, wie Naevius spottete, verschanzt, in Decken sitzend, drinnen im
heiligen Raum die scherzenden Laren malte mit dem Ochsenschwanz.
Marcus Pacuvius von Brundisium, welcher in dem Herkulestempel auf dem
Rindermarkt malte - derselbe, der im hoeheren Alter als Bearbeiter
griechischer Tragoedien sich einen Namen gemacht hat; der Kleinasiate
Marcus Plautius Lyco, dem fuer seine schoenen Malereien im Junotempel
zu Ardea diese Gemeinde ihr Buergerrecht verlieh ^42. Aber es tritt doch
eben darin sehr deutlich hervor, dass die Kunstuebung in Rom nicht bloss
ueberhaupt untergeordnet und mehr Handwerk als Kunst war, sondern dass
sie auch, wahrscheinlich noch ausschliesslicher als die Poesie,
den Griechen und Halbgriechen anheimfiel.
------------------------------------------------------ ^42 Plautius
gehoert in diese oder in den Anfang der folgenden Periode, da die
Beischrift bei seinen Bildern (Plin. nat. 35, 10, 115) als hexametrisch
nicht fueglich aelter sein kann als Ennius und die Schenkung des
ardeatischen Buergerrechts notwendig vor dem Bundesgenossenkrieg
stattgefunden haben muss, durch den Ardea seine Selbstaendigkeit verlor.
------------------------------------------------------- Dagegen
zeigen sich in den vornehmen Kreisen die ersten Spuren des spaeteren
dilettantischen und Sammlerinteresses. Man bewunderte schon die Pracht
der korinthischen und athenischen Tempel und sah die altmodischen
Tonbilder auf den roemischen Tempeldaechern mit Geringschaetzung an;
selbst ein Mann wie Lucius Paullus, eher Catos Gesinnungsgenosse
als Scipios, betrachtete und beurteilte den Zeus des Pheidias mit
Kennerblick. Mit dem Wegfuehren der Kunstschaetze aus den eroberten
griechischen Staedten machte in groesserem Massstab den ersten Anfang
Marcus Marcellus nach der Einnahme von Syrakus (542 212); und obwohl
dies bei den Maennern alter Zucht scharfen Tadel fand und zum Beispiel
der alte strenge Quintus Maximus nach der Einnahme von Tarent (545 209)
die Bildsaeulen der Tempel nicht anzuruehren, sondern den Tarentinern
ihre erzuernten Goetter zu lassen gebot, so wurden doch dergleichen
Tempelpluenderungen immer haeufiger. Namentlich durch Titus Flamininus
(560 194) und Marcus Fulvius Nobilior (567 187), zwei Hauptvertreter des
roemischen Hellenismus, sowie durch Lucius Paullus (587 167) fuellten
sich die oeffentlichen Gebaeude Roms mit den Meisterwerken des
griechischen Meissels. Auch hier ging den Roemern die Ahnung auf, dass
das Kunstinteresse so gut wie das poetische einen wesentlichen Teil der
hellenischen Bildung, das heisst der modernen Zivilisation ausmache;
allein waehrend die Aneignung der griechischen Poesie ohne eine gewisse
poetische Taetigkeit unmoeglich war, schien hier das blosse Beschauen
und Herbeischaffen auszureichen, und darum ist eine eigene Literatur in
Rom auf kuenstlichem Wege gestaltet, zur Entwicklung einer eigenen Kunst
aber nicht einmal ein Versuch gemacht worden.





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