Home
  By Author [ A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z |  Other Symbols ]
  By Title [ A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Y  Z |  Other Symbols ]
  By Language
all Classics books content using ISYS

Download this book: [ ASCII | HTML | PDF ]

Look for this book on Amazon


We have new books nearly every day.
If you would like a news letter once a week or once a month
fill out this form and we will give you a summary of the books for that week or month by email.

Title: Römische Geschichte — Band 2
Author: Mommsen, Theodor
Language: German
As this book started as an ASCII text book there are no pictures available.


*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Römische Geschichte — Band 2" ***


The following e-text of Mommsen's Roemische Geschichte contains some
(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations
is a modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked
in Greek words, nor is there any differentiation between the different
accents of ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.

Theodor Mommsen Roemische Geschichte

Zweites Buch Von der Abschaffung des roemischen Koenigtums bis zur
Einigung Italiens

- dei oyk ekpl/e/ttein ton syggraphea terateyomenon dia t/e/s istorias
to?s entygchanontas. - der Historiker soll seine Leser nicht durch
Schauergeschichten in Erschuetterung versetzen. Polybios 1. Kapitel
Aenderung der Verfassung Beschraenkung der Magistratsgewalt Der
strenge Begriff der Einheit und Allgewalt der Gemeinde in allen
Gemeindeangelegenheiten, dieser Schwerpunkt der italischen Verfassungen,
legte in die Haende des einzigen, auf Lebenszeit ernannten Vorstehers
eine furchtbare Gewalt, die wohl der Landesfeind empfand, aber nicht
minder schwer der Buerger. Missbrauch und Druck konnte nicht ausbleiben,
und hiervon die notwendige Folge waren Bestrebungen, jene Gewalt
zu mindern. Aber das ist das Grossartige in diesen roemischen
Reformversuchen und Revolutionen, dass man nie unternimmt, weder die
Gemeinde als solche zu beschraenken noch auch nur sie entsprechender
Organe zu berauben, dass nie die sogenannten natuerlichen Rechte des
einzelnen gegen die Gemeinde geltend gemacht werden, sondern dass der
ganze Sturm sich richtet gegen die Form der Gemeindevertretung. Nicht
Begrenzung der Staats-, sondern Begrenzung der Beamtenmacht ist der Ruf
der roemischen Fortschrittspartei von den Zeiten der Tarquinier bis auf
die der Gracchen; und auch dabei vergisst man nie, dass das Volk
nicht regieren, sondern regiert werden soll. Dieser Kampf bewegt sich
innerhalb der Buergerschaft. Ihm zur Seite entwickelt sich eine andere
Bewegung: der Ruf der Nichtbuerger um politische Gleichberechtigung.
Dahin gehoeren die Agitationen der Plebejer, der Latiner, der Italiker,
der Freigelassenen, welche alle, mochten sie Buerger genannt werden, wie
die Plebejer und die Freigelassenen, oder nicht, wie die Latiner und die
Italiker, politische Gleichheit entbehrten und begehrten. Ein dritter
Gegensatz ist noch allgemeinerer Art: der der Vermoegenden und der
Armen, insbesondere der aus dem Besitz gedraengten oder in demselben
gefaehrdeten Besitzer. Die rechtlichen und politischen Verhaeltnisse
Roms veranlassten die Entstehung zahlreicher Bauernwirtschaften teils
kleiner Eigentuemer, die von der Gnade des Kapital-, teils kleiner
Zeitpaechter, die von der Gnade des Grundherrn abhingen, und beraubten
vielfach einzelne wie ganze Gemeinden des Grundbesitzes, ohne die
persoenliche Freiheit anzugreifen. Dadurch ward das ackerbauende
Proletariat schon so frueh maechtig, dass es wesentlich in die
Schicksale der Gemeinde eingreifen konnte. Das staedtische Proletariat
gewann erst in weit spaeterer Zeit politische Bedeutung. In diesen
Gegensaetzen bewegte sich die innere Geschichte Roms und vermutlich
nicht minder die uns gaenzlich verlorene der uebrigen italischen
Gemeinden. Die politische Bewegung innerhalb der vollberechtigten
Buergerschaft, der Krieg der Ausgeschlossenen und der Ausschliessenden,
die sozialen Konflikte der Besitzenden und der Besitzlosen, so
mannigfaltig sie sich durchkreuzen und ineinanderschlingen und oft
seltsame Allianzen herbeifuehren, sind dennoch wesentlich und von Grund
aus verschieden. Da die Servianische Reform, welche den Insassen
in militaerischer Hinsicht dem Buerger gleichstellte, mehr aus
administrativen Ruecksichten als aus einer politischen Parteitendenz
hervorgegangen zu sein scheint, so darf als der erste dieser
Gegensaetze, der zu inneren Krisen und Verfassungsaenderungen fuehrte,
derjenige betrachtet werden, der auf die Beschraenkung der Magistratur
hinarbeitet. Der frueheste Erfolg dieser aeltesten roemischen
Opposition besteht in der Abschaffung der Lebenslaenglichkeit der
Gemeindevorsteherschaft, das heisst in der Abschaffung des Koenigtums.
Wie notwendig diese in der natuerlichen Entwicklung der Dinge lag,
dafuer ist der schlagendste Beweis, dass dieselbe Verfassungsaenderung
in dem ganzen Kreise der italisch-griechischen Welt in analoger Weise
vor sich gegangen ist. Nicht bloss in Rom, sondern gerade ebenso bei
den uebrigen Latinern sowie bei den Sabellern, Etruskern und Apulern,
ueberhaupt in saemtlichen italischen Gemeinden finden wir, wie in
den griechischen, in spaeterer Zeit die alten lebenslaenglichen durch
Jahresherrscher ersetzt. Fuer den lucanischen Gau ist es bezeugt, dass
er im Frieden sich demokratisch regierte und nur fuer den Krieg die
Magistrate einen Koenig, das heisst einen dem roemischen Diktator
aehnlichen Beamten bestellten; die sabellischen Stadtgemeinden, zum
Beispiel die von Capua und Pompeii, gehorchten gleichfalls spaeterhin
einem jaehrlich wechselnden "Gemeindebesorger" (medix tuticus), und
aehnliche Institutionen moegen wir auch bei den uebrigen Volks-
und Stadtgemeinden Italiens voraussetzen. Es bedarf hiernach keiner
Erklaerung, aus welchen Gruenden in Rom die Konsuln an die Stelle
der Koenige getreten sind; der Organismus der alten griechischen
und italischen Politie entwickelt vielmehr die Beschraenkung der
lebenslaenglichen Gemeindevorstandschaft auf eine kuerzere, meistenteils
jaehrige Frist mit einer gewissen Naturnotwendigkeit aus sich selber.
So einfach indes die Ursache dieser Veraenderung ist, so
mannigfaltig konnten die Anlaesse sein; man mochte nach dem Tode des
lebenslaenglichen Herrn beschliessen keinen solchen wieder zu erwaehlen,
wie nach Romulus' Tode der roemische Senat versucht haben soll; oder der
Herr mochte freiwillig abdanken, was angeblich Koenig Servius Tullius
beabsichtigt hat; oder das Volk mochte gegen einen tyrannischen
Regenten aufstehen und ihn vertreiben, wie dies das Ende des roemischen
Koenigtums war. Denn mag die Geschichte der Vertreibung des letzten
Tarquinius, "des Uebermuetigen", auch noch so sehr in Anekdoten ein- und
zur Novelle ausgesponnen sein, so ist doch an den Grundzuegen nicht zu
zweifeln. Dass der Koenig es unterliess den Senat zu befragen und zu
ergaenzen, dass er Todesurteile und Konfiskationen ohne Zuziehung
von Ratmaennern aussprach, dass er in seinen Speichern ungeheure
Kornvorraete aufhaeufte und den Buergern Kriegsarbeit und Handdienste
ueber die Gebuehr ansann, bezeichnet die Ueberlieferung in glaublicher
Weise als die Ursachen der Empoerung; von der Erbitterung des Volkes
zeugt das foermliche Geloebnis, das dasselbe Mann fuer Mann fuer sich
und seine Nachkommen ablegte, fortan keinen Koenig mehr zu dulden, und
der blinde Hass, der seitdem an den Namen des Koenigs sich anknuepfte,
vor allem aber die Verfuegung, dass der "Opferkoenig", den man kreieren
zu muessen glaubte, damit nicht die Goetter den gewohnten Vermittler
vermissten, kein weiteres Amt solle bekleiden koennen und also dieser
zwar der erste, aber auch der ohnmaechtigste Mann im roemischen
Gemeindewesen ward. Mit dem letzten Koenig wurde sein ganzes Geschlecht
verbannt - ein Beweis, welche Geschlossenheit damals noch die
gentilizischen Verbindungen hatten. Die Tarquinier siedelten darauf
ueber nach Caere, vielleicht ihrer alten Heimat, wo ihr Geschlechtsgrab
kuerzlich aufgedeckt worden ist. An die Stelle aber des einen
lebenslaenglichen traten zwei jaehrige Herrscher an die Spitze der
roemischen Gemeinde. Dies ist alles, was historisch ueber dies wichtige
Ereignis als sicher angesehen werden kann ^1. Dass in einer grossen
weitherrschenden Gemeinde, wie die roemische war, die koenigliche
Gewalt, namentlich wenn sie durch mehrere Generationen bei demselben
Geschlechte gewesen, widerstandsfaehiger und der Kampf also lebhafter
war als in den kleineren Staaten, ist begreiflich; aber auf eine
Einmischung auswaertiger Staaten in denselben deutet keine sichere
Spur. Der grosse Krieg mit Etrurien, der uebrigens wohl nur durch
chronologische Verwirrung in den roemischen Jahrbuechern so nahe an
die Vertreibung der Tarquinier gerueckt ist, kann nicht als eine
Intervention Etruriens zu Gunsten eines in Rom beeintraechtigten
Landsmannes angesehen werden, aus dem sehr zureichenden Grunde, dass
die Etrusker trotz des vollstaendigen Sieges doch weder das roemische
Koenigtum wiederhergestellt noch auch nur die Tarquinier zurueckgefuehrt
haben. ---------------------------------------------- ^1 Die bekannte
Fabel richtet groesstenteils sich selbst; zum guten Teil ist sie aus
Beinamenerklaerung (Brutus, Poplicola, Scaevola) herausgesponnen. Aber
sogar die scheinbar geschichtlichen Bestandteile derselben zeigen
bei genauerer Erwaegung sich als erfunden. Dahin gehoert, dass
Brutus Reiterhauptmann (tribunus celerum) gewesen und als solcher den
Volksschluss ueber die Vertreibung der Tarquinier beantragt haben soll;
denn es ist nach der roemischen Verfassung ganz unmoeglich, dass ein
blosser Offizier das Recht gehabt habe, die Kurien zu berufen. Offenbar
ist diese ganze Angabe zum Zweck der Herstellung eines Rechtsbodens
fuer die roemische Republik ersonnen, und recht schlecht ersonnen, indem
dabei der tribunus celerum mit dem ganz verschiedenen magister equitum
verwechselt und dann das dem letzteren kraft seines praetorischen Ranges
zustehende Recht, die Zenturien zu berufen, auf die Kurienversammlung
bezogen ward. ---------------------------------------------- Sind wir
ueber den historischen Zusammenhang dieses wichtigen Ereignisses
im Dunkeln, so liegt dagegen zum Glueck klar vor, worin die
Verfassungsaenderung bestand. Die Koenigsgewalt ward keineswegs
abgeschafft, wie schon das beweist, dass in der Vakanz nach wie vor
der "Zwischenkoenig" eintrat; es traten nur an die Stelle des einen
lebenslaenglichen zwei Jahreskoenige, die sich Feldherren (praetores)
oder Richter (iudices) oder auch bloss Kollegen (consules) ^2 nannten.
Es sind die Prinzipien der Kollegialitaet und der Annuitaet, die
die Republik und das Koenigtum unterscheiden und die hier zuerst uns
entgegentreten. ------------------------------------ ^2 Consules sind
die zusammen Springenden oder Tanzenden, wie praesul der Vorspringen
exul der Ausspringer (o ekpes/o/n), insula der Einsprung, zunaechst
der ins Meer gefallene Felsblock. ------------------------------------
Dasjenige der Kollegialitaet, dem der dritte spaeterhin gangbarste
Name der Jahreskoenige entlehnt war, erscheint hier in einer ganz
eigentuemlichen Gestalt. Nicht den beiden Beamten zusammen ward die
hoechste Macht uebertragen, sondern es hatte und uebte sie jeder Konsul
fuer sich so voll und ganz, wie der Koenig sie gehabt und geuebt hatte.
Es geht dies so weit, dass von den beiden Kollegen nicht etwa der eine
die Rechtspflege, der andere den Heerbefehl uebernahm, sondern sie
ebenso gleichzeitig in der Stadt Recht sprachen wie zusammen zum Heere
abgingen; im Falle der Kollision entschied ein nach Monaten oder
Tagen bemessener Turnus. Allerdings konnte daneben, wenigstens im
militaerischen Oberbefehl, eine gewisse Kompetenzteilung wohl von Anfang
an stattfinden, beispielsweise der eine Konsul gegen die Aequer, der
andere gegen die Volsker ausruecken; aber sie hatte in keiner Weise
bindende Kraft und jedem der Kollegen stand es rechtlich frei, in den
Amtskreis des andern zu jeder Zeit ueberzugreifen. Wo also die hoechste
Gewalt der hoechsten Gewalt entgegentrat und der eine Kollege das
verbot, was der andere befahl, hoben die konsularischen Machtworte
einander auf. Diese eigentuemlich wenn nicht roemische, so doch
latinische Institution konkurrierender hoechster Gewalt, die im
roemischen Gemeinwesen sich im ganzen genommen praktisch bewaehrt hat,
zu der es aber schwer sein wird, in einem andern groesseren Staat eine
Parallele zu finden, ist offenbar hervorgegangen aus dem Bestreben, die
koenigliche Macht in rechtlich ungeschmaelerter Fuelle festzuhalten und
darum das Koenigsamt nicht etwa zu teilen oder von einem Individuum auf
ein Kollegium zu uebertragen, sondern lediglich es zu verdoppeln und
damit, wo es noetig war, es durch sich selber zu vernichten. Fuer
die Befristung gab das aeltere fuenftaegige Zwischenkoenigtum
einen rechtlichen Anhalt. Die ordentlichen Gemeindevorsteher
wurden verpflichtet, nicht laenger als ein Jahr, von dem Tage ihres
Amtsantritts an gerechnet ^3, im Amte zu bleiben und hoerten, wie der
Interrex mit Ablauf der fuenf Tage, so mit Ablauf des Jahres vor. Rechts
wegen auf, Beamte zu sein. Durch diese Befristung des hoechsten Amtes
ging die tatsaechliche Unverantwortlichkeit des Koenigs fuer den
Konsul verloren. Zwar hatte auch der Koenig von jeher in dem roemischen
Gemeinwesen unter, nicht ueber dem Gesetz gestanden; allein da nach
roemischer Auffassung der hoechste Richter nicht bei sich selbst belangt
werden durfte, hatte er wohl ein Verbrechen begehen koennen, aber
ein Gericht und eine Strafe gab es fuer ihn nicht. Den Konsul dagegen
schuetzte, wenn er Mord oder Landesverrat beging, sein Amt auch,
aber nur, solange es waehrte; nach seinem Ruecktritt unterlag er
dem gewoehnlichen Strafgericht wie jeder andere Buerger.
--------------------------------------------------- ^3 Der Antrittstag
fiel mit dem Jahresanfang (1. Maerz) nicht zusammen und war ueberhaupt
nicht fest. Nach diesem richtete sich der Ruecktrittstag, ausgenommen,
wenn ein Konsul ausdruecklich anstatt eines ausgefallenen gewaehlt war
(consul suffectus), wo er in die Rechte und also auch in die Frist des
Ausgefallenen eintrat. Doch sind diese Ersatzkonsuln in aelterer Zeit
nur vorgekommen, wenn bloss der eine der Konsuln weggefallen war;
Kollegien von Ersatzkonsuln begegnen erst in der spaeteren Republik.
Regelmaessig bestand also das Amtsjahr eines Konsuls aus den
ungleichen Haelften zweier buergerlicher Jahre.
-------------------------------------------------- Zu diesen
hauptsaechlichen und prinzipiellen Aenderungen kamen andere
untergeordnete und mehr aeusserliche, aber doch auch teilweise tief
eingreifende Beschraenkungen hinzu. Das Recht des Koenigs, seine Aecker
durch Buergerfronden zu bestellen, und das besondere Schutzverhaeltnis,
in welchem die Insassenschaft zu dem Koenig gestanden haben muss,
fielen mit der Lebenslaenglichkeit des Amtes von selber. Hatte ferner
im Kriminalprozess sowie bei Bussen und Leibesstrafen bisher dem Koenig
nicht bloss Untersuchung und Entscheidung der Sache zugestanden,
sondern auch die Entscheidung darueber, ob der Verurteilte den Gnadenweg
betreten duerfe oder nicht, so bestimmte jetzt das Valerische Gesetz
(Jahr 245 Roms 500), dass der Konsul der Provokation des Verurteilten
stattgeben muesse, wenn auf Todes- oder Leibesstrafe nicht nach
Kriegsrecht erkannt war; was durch ein spaeteres Gesetz (unbestimmter
Zeit, aber vor dem Jahre 303 451 erlassen) auf schwere Vermoegensbussen
ausgedehnt ward. Zum Zeichen dessen legten die konsularischen Liktoren,
wo der Konsul als Richter, nicht als Feldherr auftrat, die Beile ab, die
sie bisher kraft des ihrem Herrn zustehenden Blutbannes gefuehrt hatten.
Indes drohte dem Beamten, der der Provokation nicht ihren Lauf
liess, das Gesetz nichts anderes als die Infamie, die nach damaligen
Verhaeltnissen im wesentlichen nichts war als ein sittlicher Makel und
hoechstens zur Folge hatte, dass das Zeugnis des Ehrlosen nicht mehr
galt. Auch hier liegt dieselbe Anschauung zu Grunde, dass es rechtlich
unmoeglich ist, die alte Koenigsgewalt zu schmaelern und die infolge der
Revolution dem Inhaber der hoechsten Gemeindegewalt gesetzten Schranken
streng genommen nur einen tatsaechlichen und sittlichen Wert haben. Wenn
also der Konsul innerhalb der alten koeniglichen Kompetenz handelt,
so kann er damit wohl ein Unrecht, aber kein Verbrechen begehen und
unterliegt also deswegen dem Strafrichter nicht. Eine in der Tendenz
aehnliche Beschraenkung fand statt in der Zivilgerichtsbarkeit; denn
wahrscheinlich wurde den Konsuln gleich mit ihrem Eintritt das Recht
genommen, einen Rechtshandel unter Privaten nach ihrem Ermessen zu
entscheiden. Die Umgestaltung des Kriminal- wie des Zivilprozesses
stand in Verbindung mit einer allgemeinen Anordnung hinsichtlich der
Uebertragung der Amtsgewalt auf Stellvertreter oder Nachfolger. Hatte
dem Koenig die Ernennung von Stellvertretern unbeschraenkt frei, aber
nie fuer ihn ein Zwang dazu bestanden, so haben die Konsuln das Recht
der Gewaltuebertragung in wesentlich anderer Weise geuebt. Zwar die
Regel, dass wenn der hoechste Beamte die Stadt verliess, er fuer die
Rechtspflege daselbst einen Vogt zu bestellen habe, blieb auch fuer
die Konsuln in Kraft, und nicht einmal die Kollegialitaet ward auf die
Stellvertretung erstreckt, vielmehr diese Bestellung demjenigen Konsul
auferlegt, welcher zuletzt die Stadt verliess. Aber das Mandierungsrecht
fuer die Zeit, wo die Konsuln in der Stadt verweilten, wurde
wahrscheinlich gleich bei der Einfuehrung dieses Amtes dadurch
beschraenkt, dass dem Konsul das Mandieren fuer bestimmte Faelle
vorgeschrieben, fuer alle Faelle dagegen, wo dies nicht geschehen war,
untersagt ward. Nach diesem Grundsatz ward, wie gesagt, das
gesamte Gerichtswesen geordnet. Der Konsul konnte allerdings die
Kriminalgerichtsbarkeit auch im Kapitalprozess in der Weise ausueben,
dass er seinen Spruch der Gemeinde vorlegte und diese ihn dann
bestaetigte oder verwarf; aber er hat dies Recht, soviel wir sehen, nie
geuebt, vielleicht bald nicht mehr ueben duerfen und vielleicht nur da
ein Kriminalurteil gefaellt, wo aus irgendeinem Grunde die Berufung an
die Gemeinde ausgeschlossen war. Man vermied den unmittelbaren Konflikt
zwischen dem hoechsten Gemeindebeamten und der Gemeinde selbst und
ordnete den Kriminalprozess vielmehr in der Weise, dass das hoechste
Gemeindeamt nur der Idee nach kompetent blieb, aber immer handelte durch
notwendige, wenn auch von ihm bestellte Vertreter. Es sind dies die
beiden nicht staendigen Urteilsprecher fuer Empoerung und Hochverrat
(duoviri perduellionis) und die zwei staendigen Mordspuerer, die
quaestores parricidii. Aehnliches mag vielleicht in der Koenigszeit
da vorgekommen sein, wo der Koenig sich in solchen Prozessen vertreten
liess; aber die Staendigkeit der letzteren Institution und das in
beiden durchgefuehrte Kollegialitaetsprinzip gehoeren auf jeden Fall
der Republik an. Die letztere Einrichtung ist auch insofern von grosser
Wichtigkeit geworden, als damit zum erstenmal neben die zwei staendigen
Oberbeamten zwei Gehilfen traten, die jeder Oberbeamte bei seinem
Amtsantritt ernannte und die folgerecht auch bei seinem Ruecktritt
mit ihm abtraten, deren Stellung also wie das Oberamt selbst nach
den Prinzipien der Staendigkeit, der Kollegialitaet und der Annuitaet
geordnet war. Es ist das zwar noch nicht die niedere Magistratur selbst,
wenigstens nicht in dem Sinne, den die Republik mit der magistratischen
Stellung verbindet, insofern die Kommissarien nicht aus der Wahl der
Gemeinde hervorgehen; wohl aber ist dies der Ausgangspunkt der spaeter
so mannigfaltig entwickelten Institution der Unterbeamten geworden.
In aehnlichem Sinne wurde die Entscheidung im Zivilprozess dem Oberamt
entzogen, indem das Recht des Koenigs, einen einzelnen Prozess zur
Entscheidung einem Stellvertreter zu uebertragen, umgewandelt ward in
die Pflicht des Konsuls, nach Feststellung der Parteilegitimation und
des Gegenstandes der Klage dieselbe zur Erledigung an einen von ihm
auszuwaehlenden und von ihm zu instruierenden Privatmann zu verweisen.
In gleicher Weise wurde den Konsuln die wichtige Verwaltung des
Staatsschatzes und des Staatsarchivs zwar gelassen, aber doch
wahrscheinlich sofort, mindestens sehr frueh, ihnen dabei staendige
Gehilfen und zwar eben jene Quaestoren zugeordnet, welche ihnen freilich
in dieser Taetigkeit unbedingt zu gehorchen hatten, ohne deren Vorwissen
und Mitwirkung aber doch die Konsuln nicht handeln konnten. Wo dagegen
solche Vorschriften nicht bestanden, musste der Gemeindevorstand in
der Hauptstadt persoenlich eingreifen; wie denn zum Beispiel bei der
Einleitung des Prozesses er sich unter keinen Umstaenden vertreten
lassen kann. Diese zwiefache Fesselung des konsularischen
Mandierungsrechts bestand fuer das staedtische Regiment, zunaechst fuer
die Rechtspflege und die Kassenverwaltung. Als Oberfeldherr behielt
der Konsul dagegen das Uebertragungsrecht aller oder einzelner ihm
obliegender Geschaefte. Diese verschiedene Behandlung der buergerlichen
und der militaerischen Gewaltuebertragung ist die Ursache geworden,
weshalb innerhalb des eigentlichen roemischen Gemeinderegiments durchaus
keine stellvertretende Amtsgewalt (pro magistratu) moeglich ist und rein
staedtische Beamte nie durch Nichtbeamte ersetzt, die militaerischen
Stellvertreter aber (pro consule, pro praetore, pro quaestore) von aller
Taetigkeit innerhalb der eigentlichen Gemeinde ausgeschlossen werden.
Das Recht, den Nachfolger zu ernennen, hatte der Koenig nicht gehabt,
sondern nur der Zwischenkoenig. Der Konsul wurde in dieser Hinsicht dem
letzten gleichgestellt; fuer den Fall jedoch, dass er es nicht ausgeuebt
hatte, trat nach wie vor der Zwischenkoenig ein, und die notwendige
Kontinuitaet des Amtes bestand auch in dem republikanischen Regiment
ungeschmaelert fort. Indes wurde das Ernennungsrecht wesentlich
eingeschraenkt zu Gunsten der Buergerschaft, indem der Konsul
verpflichtet ward, fuer die von ihm bezeichneten Nachfolger die
Zustimmung der Gemeinde zu erwirken, weiterhin nur diejenigen zu
ernennen, die die Gemeinde ihm bezeichnete. Durch dieses bindende
Vorschlagsrecht ging wohl in gewissem Sinne die Ernennung der
ordentlichen hoechsten Beamten materiell auf die Gemeinde ueber; doch
bestand auch praktisch noch ein sehr bedeutender Unterschied zwischen
jenem Vorschlags- und dem foermlichen Ernennungsrecht. Der wahlleitende
Konsul war durchaus nicht blosser Wahlvorstand, sondern konnte immer
noch, kraft seines alten koeniglichen Rechts, zum Beispiel einzelne
Kandidaten zurueckweisen und die auf sie fallenden Stimmen unbeachtet
lassen, anfangs auch noch die Wahl auf eine von ihm entworfene
Kandidatenliste beschraenken; und was noch wichtiger war, wenn das
Konsulkollegium durch den gleich zu erwaehnenden Diktator zu ergaenzen
war, wurde bei dieser Ergaenzung die Gemeinde nicht befragt, sondern der
Konsul bestellte in dem Fall mit derselben Freiheit den Kollegen,
wie einst der Zwischenkoenig den Koenig bestellt hatte. Die
Priesterernennung, die den Koenigen zugestanden hatte, ging nicht ueber
auf die Konsuln, sondern es trat dafuer bei den Maennerkollegien die
Selbstergaenzung, bei den Vestalinnen und den Einzelpriestern die
Ernennung durch das Pontifikalkollegium ein, an welches auch die
Ausuebung der gleichsam hausherrlichen Gerichtsbarkeit der Gemeinde
ueber die Priesterinnen der Vesta kam. Um diese fueglich nicht anders
als von einem einzelnen vorzunehmenden Handlungen vollziehen zu
koennen, setzte das Kollegium sich, vermutlich erst um diese Zeit, einen
Vorstand, den Pontifex maximus. Diese Abtrennung der sakralen Obergewalt
von der buergerlichen, waehrend auf den schon erwaehnten "Opferkoenig"
weder die buergerliche noch die sakrale Macht des Koenigtums, sondern
lediglich der Titel ueberging, sowie die aus dem sonstigen Charakter des
roemischen Priestertums entschieden heraustretende, halb magistratische
Stellung des neuen Oberpriesters ist eine der bezeichnendsten und
folgenreichsten Eigentuemlichkeiten dieser auf Beschraenkung der
Beamtengewalt hauptsaechlich im aristokratischen Interesse hinzielenden
Staatsumwaelzung. Dass auch im aeusseren Auftreten der Konsul
weit zurueckstand hinter dem mit Ehrfurcht und Schrecken umgebenen
koeniglichen Amte, dass der Koenigsname und die priesterliche Weihe
ihm entzogen, seinen Dienern das Beil genommen wurde, ist schon
gesagt worden; es kommt hinzu, dass der Konsul statt des koeniglichen
Purpurkleides nur durch den Purpursaum seines Obergewandes von dem
gewoehnlichen Buerger sich unterschied, und dass, waehrend der Koenig
oeffentlich vielleicht regelmaessig im Wagen erschien, der Konsul der
allgemeinen Ordnung sich zu fuegen und gleich jedem anderen Buerger
innerhalb der Stadt zu Fuss zu gehen gehalten war. Indes, diese
Beschraenkungen der Amtsgewalt kamen im wesentlichen nur zur Anwendung
gegen den ordentlichen Gemeindevorstand. Ausserordentlicher Weise
trat neben und in gewissem Sinn anstatt der beiden von der Gemeinde
gewaehlten Vorsteher ein einziger ein, der Heermeister (magister
populi), gewoehnlich bezeichnet als der dictator. Auf die Wahl zum
Diktator uebte die Gemeinde keinerlei Einfluss, sondern sie ging
lediglich aus dem freien Entschluss eines der zeitigen Konsuln hervor,
den weder der Kollege noch eine andere Behoerde hieran hindern konnte;
gegen ihn galt die Provokation nur wie gegen den Koenig, wenn er
freiwillig ihr wich; sowie er ernannt war, waren alle uebrigen Beamten
von Rechts wegen ihm untertan. Dagegen war der Zeit nach die Amtsdauer
des Diktators zwiefach begrenzt: einmal insofern er als Amtsgenosse
derjenigen Konsuln, deren einer ihn ernannt hatte, nicht ueber deren
gesetzliche Amtszeit hinaus im Amte bleiben durfte; sodann war als
absolutes Maximum der Amtsdauer dem Diktator eine sechsmonatliche Frist
gesetzt. Eine der Diktatur eigentuemliche Einrichtung war ferner,
dass der "Heermeister" gehalten war, sich sofort einen "Reitermeister"
(magister equitum) zu ernennen, welcher als abhaengiger Gehilfe neben
ihm, etwa wie der Quaestor neben dem Konsul, fungierte und mit ihm vom
Amte abtrat - eine Einrichtung, die ohne Zweifel damit zusammenhaengt,
dass es dem Heermeister, vermutlich als dem Fuehrer des Fussvolkes,
verfassungsmaessig untersagt war, zu Pferde zu steigen. Diesen
Bestimmungen zufolge ist die Diktatur wohl aufzufassen als eine mit
dem Konsulat zugleich entstandene Einrichtung, die den Zweck hatte,
insbesondere fuer den Kriegsfall die Nachteile der geteilten Gewalt
zeitweilig zu beseitigen und die koenigliche Gewalt voruebergehend
wieder ins Leben zu rufen. Denn im Kriege vor allem musste die
Gleichberechtigung der Konsuln bedenklich erscheinen und nicht bloss
bestimmte Zeugnisse, sondern vor allem die aelteste Benennung des
Beamten selbst und seines Gehilfen wie auch die Begrenzung auf die Dauer
eines Sommerfeldzugs und der Ausschluss der Provokation sprechen fuer
die ueberwiegend militaerische Bestimmung der urspruenglichen Diktatur.
Im ganzen also blieben auch die Konsuln, was die Koenige gewesen waren,
oberste Verwalter, Richter und Feldherren, und auch in religioeser
Hinsicht war es nicht der Opferkoenig, der nur, damit der Name vorhanden
sei, ernannt ward, sondern der Konsul, der fuer die Gemeinde betete
und opferte und in ihrem Namen den Willen der Goetter mit Hilfe der
Sachverstaendigen erforschte. Fuer den Notfall hielt man sich ueberdies
die Moeglichkeit offen, die volle unumschraenkte Koenigsgewalt ohne
vorherige Befragung der Gemeinde jeden Augenblick wieder ins Leben
zu rufen mit Beseitigung der durch die Kollegialitaet und durch die
besonderen Kompetenzminderungen gezogenen Schranken. So wurde die
Aufgabe, die koenigliche Autoritaet rechtlich festzuhalten und
tatsaechlich zu beschraenken, von den namenlosen Staatsmaennern, deren
Werk diese Revolution war, in echt roemischer Weise ebenso scharf
wie einfach geloest. Die Gemeinde gewann also durch die Aenderung der
Verfassung die wichtigsten Rechte: das Recht, die Gemeindevorsteher
jaehrlich zu bezeichnen und ueber Tod und Leben des Buergers in letzter
Instanz zu entscheiden. Aber es konnte das unmoeglich die bisherige
Gemeinde sein, der tatsaechlich zum Adelstande gewordene Patriziat. Die
Kraft des Volkes war bei der "Menge", welche namhafte und vermoegende
Leute bereits in grosser Zahl in sich schloss. Dass diese Menge aus der
Gemeindeversammlung ausgeschlossen war, obwohl sie die gemeinen Lasten
mittrug, mochte ertragen werden, solange die Gemeindeversammlung selbst
im wesentlichen nicht eingriff in den Gang der Staatsmaschine und
solange die Koenigsgewalt eben durch ihre hohe und freie Stellung den
Buergern nicht viel weniger fuerchterlich blieb als den Insassen
und damit in der Nation die Rechtsgleichheit erhielt. Allein als die
Gemeinde selbst zu regelmaessigen Wahlen und Entscheidungen berufen, der
Vorsteher aber faktisch aus ihrem Herrn zum befristeten Auftragnehmer
herabgedrueckt ward, konnte dies Verhaeltnis nicht laenger aufrecht
erhalten werden; am wenigsten bei der Neugestaltung des Staates an dem
Morgen einer Revolution, die nur durch Zusammenwirken der Patrizier und
der Insassen hatte durchgesetzt werden koennen. Eine Erweiterung dieser
Gemeinde war unvermeidlich; und sie ist in der umfassendsten Weise
erfolgt, indem das gesamte Plebejat, das heisst saemtliche Nichtbuerger,
die weder Sklaven noch nach Gastrecht lebende Buerger auswaertiger
Gemeinden waren, in die Buergerschaft aufgenommen wurden. Der
Kurienversammlung der Altbuerger, die bis dahin rechtlich und
tatsaechlich die erste Autoritaet im Staate gewesen war, wurden ihre
verfassungsmaessigen Befugnisse fast gaenzlich entzogen: nur in rein
formellen oder in den die Geschlechtsverhaeltnisse betreffenden Akten,
also hinsichtlich des dem Konsul oder dem Diktator nach Antritt ihres
Amtes eben wie frueher dem Koenig zu leistenden Treugeloebnisses und
des fuer die Arrogation und das Testament erforderlichen gesetzlichen
Dispenses, sollte die Kurienversammlung die bisherige Kompetenz
behalten, aber in Zukunft keinen eigentlichen politischen Schluss mehr
vollziehen duerfen. Bald wurden sogar die Plebejer zum Stimmrecht auch
in den Kurien zugelassen, und es verlor damit die Altbuergerschaft
das Recht ueberhaupt, zusammenzutreten und zu beschliessen. Die
Kurienordnung wurde insofern gleichsam entwurzelt, als sie auf
der Geschlechterordnung beruhte, diese aber in ihrer Reinheit
ausschliesslich bei dem Altbuergertum zu finden war. Indern die Plebejer
in die Kurien aufgenommen wurden, gestattete man allerdings auch ihnen
rechtlich, was frueher nur faktisch bei ihnen vorgekommen sein kann,
sich als Familien und Geschlechter zu konstituieren, aber es ist
bestimmt ueberliefert und auch an sich sehr begreiflich, dass nur ein
Teil der Plebejer zur gentilizischen Konstituierung vorschritt und also
die neue Kurienversammlung im Widerspruch mit ihrem urspruenglichen
Wesen zahlreiche Mitglieder zaehlte, die keinem Geschlecht angehoerten.
Alle politischen Befugnisse der Gemeindeversammlung, sowohl die
Entscheidung auf Provokation in dem Kriminalverfahren, das ja
ueberwiegend politischer Prozess war, als die Ernennung der Magistrate
und die Annahme oder Verwerfung der Gesetze, wurden auf das versammelte
Aufgebot der Waffenpflichtigen uebertragen oder ihm neu erworben, so
dass die Zenturien zu den gemeinen Lasten jetzt auch die gemeinen Rechte
empfingen. Damit gelangten die in der Servianischen Verfassung
gegebenen geringen Anfaenge, wie namentlich das dem Heer ueberwiesene
Zustimmungsrecht bei der Erklaerung eines Angriffskrieges, zu einer
solchen Entwicklung, dass die Kurien durch die Zenturienversammlung
voellig und auf immer verdunkelt wurden und man sich gewoehnte, das
souveraene Volk in der letzteren zu erblicken. Debatte fand auch in
dieser bloss dann statt, wenn der vorsitzende Beamte freiwillig
selbst sprach oder andere sprechen hiess, nur dass bei der Provokation
natuerlich beide Teile gehoert werden mussten; die einfache Majoritaet
der Zenturien entschied. Da in der Kurienversammlung die ueberhaupt
Stimmberechtigten sich voellig gleichstanden, also nach Aufnahme der
saemtlichen Plebejer in die Kurien man bei der ausgebildeten Demokratie
angelangt sein wuerde, so ist es begreiflich, dass die politischen
Abstimmungen den Kurien entzogen blieben; die Zenturienversammlung legte
das Schwergewicht zwar nicht in die Haende der Adligen, aber doch in
die der Vermoegenden, und das wichtige Vorstimmrecht, welches oft
tatsaechlich entschied, in die der Ritter, das ist der Reichen. Nicht
in gleicher Weise wie die Gemeinde wurde der Senat durch die Reform der
Verfassung betroffen. Das bisherige Kollegium der Aeltesten blieb
nicht bloss ausschliesslich patrizisch, sondern behauptete auch seine
wesentlichen Befugnisse, das Recht, den Zwischenkoenig zu stellen und
die von der Gemeinde gefassten Beschluesse als verfassungsmaessige
oder verfassungswidrige zu bestaetigen oder zu verwerfen. Ja, diese
Befugnisse wurden durch die Reform der Verfassung noch gesteigert,
indem fortan auch die Bestellung der Gemeindebeamten wie der Wahl der
Gemeinde, so der Bestaetigung oder Verwerfung des patrizischen Senats
unterlag - nur bei der Provokation ist seine Bestaetigung, soviel wir
wissen, niemals eingeholt worden, da es sich hier um Begnadigung des
Schuldigen handelte, und wenn diese von der souveraenen Volksversammlung
erteilt war, von einer etwaigen Vernichtung dieses Aktes nicht fueglich
die Rede sein konnte. Indes wenngleich durch die Abschaffung des
Koenigtums die verfassungsmaessigen Rechte des patrizischen Senats
eher gemehrt als gemindert wurden, so kam doch auch, und zwar der
Ueberlieferung zufolge sogleich mit der Abschaffung des Koenigtums, fuer
diejenigen Angelegenheiten, die im Senat sonst zur Sprache kamen und die
eine freiere Behandlung zuliessen, eine Erweiterung des Senats auf,
die auch Plebejer in denselben brachte, und die in ihren Folgen eine
vollstaendige Umgestaltung der gesamten Koerperschaft herbeigefuehrt
hat. Seit aeltester Zeit hat der Senat nicht allein und nicht
vorzugsweise, aber doch auch als Staatsrat fungiert; und wenn es
wahrscheinlich schon in der Koenigszeit nicht als verfassungswidrig
angesehen ward, dass in diesem Fall auch Nichtsenatoren an der
Versammlung teilnahmen, so wurde jetzt die Einrichtung getroffen, dass
fuer dergleichen Verhandlungen dem patrizischen Senat (Patres) eine
Anzahl nicht patrizischer "Eingeschriebener" (conscripti) beigegeben
wurden. Eine Gleichstellung war dies freilich in keiner Weise: die
Plebejer im Senat wurden nicht Senatoren, sondern blieben Mitglieder
des Ritterstandes, hiessen nicht "Vaeter", sondern waren nun auch
"Eingeschriebenen und hatten kein Recht, auf das Abzeichen der
senatorischen Wuerde, den roten Schuh. Sie blieben ferner nicht bloss
unbedingt ausgeschlossen von der Ausuebung der dem Senat zustehenden
obrigkeitlichen Befugnisse (auctoritas), sondern sie mussten auch da, wo
es sich bloss um einen Ratschlag (consilium) handelte, es sich gefallen
lassen, der an die Patrizier gerichteten Umfrage schweigend beizuwohnen
und nur bei dem Auseinandertreten zur Abmehrung ihre Meinung zu erkennen
zu geben, "mit den Fuessen zu stimmen" (pedibus in sententiam ire,
pedarii), wie der stolze Adel sagte. Aber dennoch fanden die Plebejer
durch die neue Verfassung ihren Weg nicht bloss auf den Markt,
sondern auch in das Rathaus, und der erste und schwerste Schritt zur
Gleichberechtigung war auch hier getan. Im uebrigen aenderte sich in
den den Senat betreffenden Ordnungen nichts Wesentliches. Unter den
patrizischen Mitgliedern machte sich bald, namentlich bei der Umfrage,
ein Rangunterschied dahin geltend, dass diejenigen, welche zu dem
hoechsten Gemeindeamt demnaechst bezeichnet waren oder dasselbe bereits
verwaltet hatten, vor den uebrigen in der Liste verzeichnet und bei der
Abstimmung gefragt wurden, und die Stellung des ersten von ihnen, des
Vormanns des Rates (princeps senatus), wurde bald ein vielbeneideter
Ehrenplatz. Der fungierende Konsul dagegen galt als Mitglied des Senats
so wenig wie der Koenig und seine eigene Stimme zaehlte darum nicht mit.
Die Wahlen in den Rat, sowohl in den engeren patrizischen wie unter die
bloss Eingeschriebenen, erfolgten durch die Konsuln eben wie frueher
durch die Koenige; nur liegt es in der Sache, dass, wenn der Koenig
vielleicht auf die Vertretung der einzelnen Geschlechter im Rat noch
einigermassen Ruecksicht genommen hatte, den Plebejern gegenueber, bei
denen die Geschlechterordnung nur unvollkommen entwickelt war, diese
Erwaegung gaenzlich wegfiel und somit ueberhaupt die Beziehung des
Senats zu der Geschlechterordnung mehr und mehr in Abnahme kam. Von
einer Beschraenkung der waehlenden Konsuln in der Weise, dass sie nicht
ueber eine bestimmte Zahl von Plebejern in den Senat haetten aufnehmen
duerfen, ist nichts bekannt; es bedurfte einer solchen Ordnung auch
nicht, da die Konsuln ja selbst dem Adel angehoerten. Dagegen ist
wahrscheinlich von Haus aus der Konsul seiner ganzen Stellung gemaess
bei der Bestellung der Senatoren tatsaechlich weit weniger frei und weit
mehr durch Standesmeinung und Observanz gebunden gewesen als der Koenig.
Namentlich die Regel, dass die Bekleidung des Konsulats notwendig den
Eintritt in den Senat auf Lebenszeit herbeifuehre, wenn, was in dieser
Zeit wohl noch vorkam, der Konsul zur Zeit seiner Erwaehlung noch nicht
Mitglied desselben war, wird sich wohl sehr frueh gewohnheitsrechtlich
festgestellt haben. Ebenso scheint es frueh ueblich geworden zu
sein, die Senatorenstellen nicht sofort nach der Erledigung wieder zu
besetzen, sondern bei Gelegenheit der Schatzung, also regelmaessig jedes
vierte Jahr, die Liste des Senats zu revidieren und zu ergaenzen;
worin doch auch eine nicht unwichtige Beschraenkung der mit der Auswahl
betrauten Behoerde enthalten war. Die Gesamtzahl der Senatoren blieb
wie sie war, und zwar wurden auch die Eingeschriebenen in dieselbe
eingerechnet; woraus man wohl auch auf das numerische
Zusammenschwinden des Patriziats zu schliessen berechtigt ist ^4.
----------------------------------------- ^4 Dass die ersten Konsuln 164
Plebejer in den Senat nahmen, ist kaum als geschichtliche Tatsache
zu betrachten, sondern eher ein Zeugnis dafuer, dass die spaeteren
roemischen Archaeologen nicht mehr als 136 roemische Adelsgeschlechter
nachzuweisen vermochten (Roemische Forschungen, Bd. 1, S. 121).
------------------------------------------- Es blieb, wie man sieht, in
dem roemischen Gemeinwesen selbst bei Umwandlung der Monarchie in die
Republik soweit immer moeglich beim alten; soweit eine Staatsumwaelzung
ueberhaupt konservativ sein kann, ist diese es gewesen und keines der
konstitutiven Elemente des Gemeinwesens durch sie eigentlich ueber den
Haufen geworfen worden. Es war das bezeichnend fuer den Charakter der
gesamten Bewegung. Die Vertreibung der Tarquinier war nicht, wie die
klaeglichen, tief verfaelschten Berichte sie darstellen, das Werk eines
von Mitleid und Freiheitsenthusiasmus berauschten Volkes, sondern das
Werk zweier grosser, bereits im Ringen begriffener und der stetigen
Fortdauer ihres Kampfes klar sich bewusster politischer Parteien, der
Altbuerger und der Insassen, welche, wie die englischen Tories und die
Whigs im Jahre 1688, durch die gemeinsame Gefahr das Gemeinwesen in
die Willkuerregierung eines Herrn sich umwandeln zu sehen, auf einen
Augenblick vereinigt wurden, um dann sofort wieder sich zu entzweien.
Die Altbuergerschaft konnte ohne die Neubuerger des Koenigtums sich
nicht entledigen; aber die Neubuerger waren bei weitem nicht maechtig
genug, um jener mit einem Schlag das Heft aus den Haenden zu winden.
Solche Transaktionen beschraenken sich notwendigerweise auf das
geringste Mass gegenseitiger, durch muehsames Abdingen gewonnener
Konzessionen und lassen die Zukunft entscheiden, wie das
Schwergewicht der konstitutiven Elemente weiter sich stellen, wie sie
ineinandergreifen oder einander entgegenwirken werden. Darum verkennt
man die Tragweite der ersten roemischen Revolution durchaus, wenn man in
ihr bloss die unmittelbaren Neuerungen, etwa bloss eine Veraenderung in
der Dauer der hoechsten Magistratur sieht; die mittelbaren Folgen waren
auch hier bei weitem die Hauptsache und wohl gewaltiger, als selbst
ihre Urheber sie ahnten. Dies war die Zeit, wo, um es mit einem Worte
zu sagen, die roemische Buergerschaft im spaeteren Sinne des Wortes
entstand. Die Plebejer waren bisher Insassen gewesen, welche man wohl zu
den Steuern und Lasten mit heranzog, die aber dennoch in den Augen des
Gesetzes wesentlich nichts waren als geduldete Fremdlinge und deren
Kreis gegen die eigentlichen Auslaender scharf abzustecken kaum noetig
scheinen mochte. Jetzt wurden sie als wehrpflichtige Buerger in die
Listen eingeschrieben; und wenn sie auch der Rechtsgleichheit noch
fern standen, immer noch die Altbuerger zu den dem Rat der Alten
verfassungsmaessig zustehenden Autoritaetshandlungen ausschliesslich
befugt und zu den buergerlichen Aemtern und Priestertuemern
ausschliesslich waehlbar, ja sogar der buergerlichen Nutzungen, zum
Beispiel des Anteils an der Gemeinweide, vorzugsweise teilhaft blieben,
so war doch der erste und schwerste Schritt zur voelligen Ausgleichung
geschehen, seit die Plebejer nicht bloss im Gemeindeaufgebot dienten,
sondern auch in der Gemeindeversammlung und im Gemeinderat bei dessen
gutachtlicher Befragung stimmten und Haupt und Ruecken auch des aermsten
Insassen so gut wie des vornehmsten Altbuergers geschuetzt ward durch
das Provokationsrecht. Eine Folge dieser Verschmelzung der Patrizier
und Plebejer zu der neuen gemeinen roemischen Buergerschaft war die
Umwandlung der Altbuergerschaft in einen Geschlechtsadel, welcher,
seit die Adelschaft auch das Recht verlor, in gemeiner Versammlung
zu beschliessen, da die Aufnahme neuer Familien in den Adel durch
Gemeindebeschluss noch weniger zulaessig erschien, jeder, sogar der
Selbstergaenzung unfaehig war. Unter den Koenigen war dergleichen
Abgeschlossenheit dem roemischen Adel fremd und die Aufnahme neuer
Geschlechter nicht allzu selten gewesen; jetzt stellte dieses rechte
Kennzeichnen des Junkertums sich ein als der sichere Vorbote des
bevorstehenden Verlustes seiner politischen Vorrechte und seiner
ausschliesslichen Geltung in der Gemeinde. Die Ausschliessung der
Plebejer von allen Gemeindeaemtern und Gemeindepriestertuemern, waehrend
sie doch zu Offiziers- und Ratsherrenstellen zugelassen wurden, und die
mit verkehrter Hartnaeckigkeit festgehaltene rechtliche Unmoeglichkeit
einer Ehe zwischen Altbuergern und Plebejern drueckten weiter dem
Patriziat von vornherein den Stempel des exklusiven und widersinnig
privilegierten Adeltums auf. Eine zweite Folge der neuen buergerlichen
Einigung muss die festere Regulierung des Niederlassungsrechts sowohl
den latinischen Eidgenossen als anderen Staaten gegenueber gewesen sein.
Weniger des Stimmrechts in den Zenturien wegen, das ja doch nur dem
Ansaessigen zukam, als wegen des Provokationsrechts, das dem Plebejer,
aber nicht dem eine Zeitlang oder auch dauernd in Rom verweilenden
Auslaender gewaehrt werden sollte, wurde es notwendig, die Bedingungen
der Erwerbung des plebejischen Rechts genauer zu formulieren und die
erweiterte Buergerschaft wiederum gegen die jetzigen Nichtbuerger
abzuschliessen. Also geht auf diese Epoche im Sinne und Geiste des
Volkes sowohl die Gehaessigkeit des Gegensatzes zwischen Patriziern und
Plebejern zurueck wie die scharfe und stolze Abgrenzung der cives
Romani gegen die Fremdlinge. Aber jener staedtische Gegensatz war
voruebergehender, dieser politische dauernder Art und das Gefuehl der
staatlichen Einheit und der beginnenden Grossmacht, das hiermit in die
Herzen der Nation gepflanzt ward, expansiv genug, um jene kleinlichen
Unterschiede erst zu untergraben und sodann im allmaechtigen Strom mit
sich fortzureissen. Dies war ferner die Zeit, wo Gesetz und Verordnung
sich schieden. Begruendet zwar ist der Gegensatz in dem innersten Wesen
des roemischen Staates; denn auch die roemische Koenigsgewalt stand
unter, nicht ueber dem Landrecht. Allein die tiefe und praktische
Ehrfurcht, welche die Roemer wie jedes andere politisch faehige Volk vor
dem Prinzip der Autoritaet hegten, erzeugte den merkwuerdigen Satz des
roemischen Staats- und Privatrechts, dass jeder nicht auf ein Gesetz
gegruendete Befehl des Beamten wenigstens waehrend der Dauer seines
Amtes gelte, obwohl er mit diesem wegfiel. Es ist einleuchtend, dass
hierbei, solange die Vorsteher auf Lebenszeit ernannt wurden,
der Unterschied zwischen Gesetz und Verordnung tatsaechlich
fast verschwinden musste und die legislative Taetigkeit der
Gemeindeversammlung keine Entwicklung gewinnen konnte. Umgekehrt erhielt
sie einen weiten Spielraum, seit die Vorsteher jaehrlich wechselten, und
es war jetzt keineswegs ohne praktische Bedeutung, dass, wenn der Konsul
bei der Entscheidung eines Prozesses eine rechtliche Nullitaet beging,
sein Nachfolger eine neue Instruktion der Sache anordnen konnte. Dies
war endlich die Zeit, wo die buergerliche und die militaerische Gewalt
sich voneinander sonderten. Dort herrscht das Gesetz, hier das Beil;
dort waren die konstitutionellen Beschraenkungen der Provokation und
der regulierten Mandierung massgebend ^5, hier schaltete der Feldherr
unumschraenkt wie der Koenig. Es stellte sich fest, dass der Feldherr
und das Heer als solche die eigentliche Stadt regelmaessig nicht
betreten durften. Dass organische und auf die Dauer wirksame
Bestimmungen nur unter der Herrschaft der buergerlichen Gewalt getroffen
werden konnte, lag nicht im Buchstaben, aber im Geiste der Verfassung;
es kam freilich vor, dass gelegentlich diesem zuwider der Feldherr seine
Mannschaft im Lager zur Buergerversammlung berief und rechtlich nichtig
war ein solcher Beschluss nicht, allein die Sitte missbilligte dieses
Verfahren und es unterblieb bald, als waere es verboten. Der Gegensatz
der Quiriten und der Soldaten wurzelte allmaehlich fest und fester
in den Gemuetern der Buerger.
------------------------------------------------------ ^5 Es mag nicht
ueberfluessig sein zu bemerken, dass auch das iudicium legitimum wie
das quod imperio continetur auf dem Imperium des instruierenden Beamten
beruht und der Unterschied nur darin besteht, dass das Imperium dort
von der Lex beschraenkt, hier aber frei ist.
------------------------------------------------------ Indes, um diese
Folgesaetze des neuen Republikanismus zu entwickeln, bedurfte es der
Zeit; wie lebendig die Nachwelt sie empfand, der Mitwelt mochte die
Revolution zunaechst in einem andern Lichte erscheinen. Wohl gewannen
die Nichtbuerger dadurch das Buergerrecht und gewann die neue
Buergerschaft in der Gemeindeversammlung weitgreifende Befugnisse; aber
das Verwerfungsrecht des patrizischen Senats, der gleichsam wie ein
Oberhaus jenen Komitien in fester Geschlossenheit gegenueberstand, hob
rechtlich die freie Bewegung derselben gerade in den entscheidendsten
Dingen auf und war tatsaechlich zwar nicht imstande, den ernstlichen
Willen der Gesamtheit zu brechen, aber doch, ihn zu verzoegern und zu
verkuemmern. Schien die Adelschaft, indem sie es aufgab, allein die
Gemeinde zu sein, nicht allzuviel verloren zu haben, so hatte sie
in anderen Beziehungen entschieden gewonnen. Der Koenig war freilich
Patrizier wie der Konsul, und das Recht der Senatorenernennung steht
diesem wie jenem zu; aber wenn jenen seine Ausnahmestellung ueber
Patrizier nicht minder wie ueber Plebejer hinausrueckte und wenn er
leicht in den Fall kommen konnte, eben gegen den Adel sich auf die Menge
stuetzen zu muessen, so stand der Konsul, Herrscher auf kurze Frist,
vorher und nachher aber nichts als einer aus dem Adel, und dem adligen
Mitbuerger, welchem er heute befahl, morgen gehorchend, keineswegs
ausserhalb seines Standes und musste der Adlige in ihm weit maechtiger
sein als der Beamte. Wenn ja dennoch einmal ausnahmsweise ein der
Adelsherrschaft abgeneigter Patrizier ans Regiment gerufen ward, so
ward seine Amtsgewalt teils durch die vom schroffen Adelsgeiste
durchdrungenen Priesterschaften, teils durch den Kollegen gelaehmt und
leicht durch die Diktatur suspendiert; und was noch wichtiger war,
es fehlte ihm das erste Element der politischen Macht, die Zeit. Der
Vorsteher eines Gemeinwesens, welche Machtfuelle immer ihm eingeraeumt
werden moege, wird die politische Gewalt nie in die Haende bekommen,
wenn er nicht auf laengere Zeit an der Spitze der Geschaefte bleibt;
denn die notwendige Bedingung jeder Herrschaft ist ihre Dauer.
Folgeweise gewann der lebenslaengliche Gemeinderat, und zwar
hauptsaechlich durch seine Befugnis, den Beamten in allen Stuecken
zu beraten, also nicht der engere patrizische, sondern der weitere
patrizisch-plebejische, den Jahresherrschern gegenueber unvermeidlich
einen solchen Einfluss, dass die rechtlichen Verhaeltnisse sich geradezu
umkehrten, der Gemeinderat wesentlich die Regierungsgewalt an sich
nahm und der bisherige Regent herabsank zu dessen vorsitzendem und
ausfuehrendem Praesidenten. Fuer den der Gemeinde zur Annahme oder
Verwerfung vorzulegenden Antrag erschien die Vorberatung im Gesamtsenat
und dessen Billigung zwar nicht als konstitutionell notwendig, aber als
gewohnheitsmaessig geheiligt, und nicht leicht und nicht gern ging man
darueber hinweg. Fuer wichtige Staatsvertraege, fuer die Verwaltung und
Austeilung des Gemeindelandes, ueberhaupt fuer jeden Akt, dessen Folgen
sich ueber das Amtsjahr erstreckten, galt dasselbe, und dem Konsul blieb
nichts als die Erledigung der laufenden Geschaefte, die Einleitung der
Zivilprozesse und das Kommando im Kriege. Vor allem folgenreich war die
Neuerung, dass es weder dem Konsul noch selbst dem sonst unbeschraenkten
Diktator gestattet war, den gemeinen Schatz anders als mit und durch den
Willen des Rates anzugreifen. Indem der Senat es den Konsuln zur Pflicht
machte, die Verwaltung der Gemeindekasse, die der Koenig selbst gefuehrt
hatte oder doch hatte fuehren koennen, an zwei staendige Unterbeamte
abzugeben, welche zwar von den Konsuln ernannt wurden und ihnen zu
gehorchen hatten, aber begreiflicherweise noch weit mehr als die Konsuln
selbst vom Senat abhingen, zog er die Leitung des Kassenwesens an sich,
und es kann dieses Geldbewilligungsrecht des roemischen Senats wohl
in seinen Wirkungen mit dem Steuerbewilligungsrecht in den heutigen
konstitutionellen Monarchien zusammengestellt werden. Die Folgen
ergeben sich von selbst. Die erste und wesentlichste Bedingung
jeder Adelsherrschaft ist, dass die Machtfuelle im Staat nicht einem
Individuum, sondern einer Korporation zusteht; jetzt hatte eine
ueberwiegend adlige Korporation, der Gemeinderat, das Regiment an
sich gebracht und war dabei die exekutive Gewalt nicht bloss dem Adel
geblieben, sondern auch der regierenden Korporation voellig unterworfen
worden. Zwar sassen im Rat eine betraechtliche Anzahl nichtadliger
Maenner; aber da sie der Bekleidung von Aemtern, ja sogar der Teilnahme
an der Debatte unfaehig, also von jedem praktischen Anteil am Regiment
ausgeschlossen waren, spielten sie notwendigerweise auch im Senat eine
untergeordnete Rolle und wurden ueberdies durch das oekonomisch wichtige
Nutzungsrecht der Gemeinweide in pekuniaerer Abhaengigkeit von
der Korporation gehalten. Das allmaehlich sich bildende Recht der
patrizischen Konsuln, wenigstens jedes vierte Jahr die Ratsherrenliste
zu revidieren und zu modifizieren, so nichtig es vermutlich der
Adelschaft gegenueber war, konnte doch sehr wohl in ihrem Interesse
gebraucht und der missliebige Plebejer mittels desselben aus dem
Senat ferngehalten und sogar wieder ausgeschieden werden. Es ist
darum durchaus wahr, dass die unmittelbare Folge der Revolution die
Feststellung der Adelsherrschaft gewesen ist; nur ist es nicht die ganze
Wahrheit. Wenn die Mehrzahl der Mitlebenden meinen mochte, dass die
Revolution den Plebejern nur eine starrere Despotie gebracht habe,
so sehen wir Spaeteren in dieser selbst schon die Knospen der jungen
Freiheit. Was die Patrizier gewannen, ging nicht der Gemeinde verloren,
sondern der Beamtengewalt; die Gemeinde gewann zwar nur wenige
engbeschraenkte Rechte, welche weit minder praktisch und handgreiflich
waren als die Errungenschaften des Adels, und welche nicht einer von
Tausend zu schaetzen wissen mochte, aber in ihnen lag die Buergschaft
der Zukunft. Bisher war politisch die Insassenschaft nichts, die
Altbuergerschaft alles gewesen; indem jetzt jene zur Gemeinde ward, war
die Altbuergerschaft ueberwunden; denn wieviel auch noch zu der vollen
buergerlichen Gleichheit mangeln mochte, es ist die erste Bresche, nicht
die Besetzung des letzten Postens, die den Fall der Festung entscheidet.
Darum datierte die roemische Gemeinde mit Recht ihre politische Existenz
von dem Beginn des Konsulats. Indes, wenn die republikanische Revolution
trotz der durch sie zunaechst begruendeten Junkerherrschaft mit Recht
ein Sieg der bisherigen Insassenschaft oder der Plebs genannt werden
kann, so trug doch auch in der letzteren Beziehung die Revolution
keineswegs den Charakter, den wir heutzutage als den demokratischen
zu bezeichnen gewohnt sind. Das rein persoenliche Verdienst ohne
Unterstuetzung der Geburt und des Reichtums mochte wohl unter der
Koenigsherrschaft leichter als unter derjenigen des Patriziats zu
Einfluss und Ansehen gelangen. Damals war der Eintritt in das Patriziat
rechtlich keinem verschlossen; jetzt war das hoechste Ziel des
plebejischen Ehrgeizes die Aufnahme in den mundtoten Anhang des Senats.
Es lag dabei in der Natur der Sache, dass der regierende Herrenstand,
soweit er ueberhaupt die Plebejer zuliess, nicht unbedingt den
tuechtigsten Maennern, sondern vorzugsweise den Haeuptern der reichen
und angesehenen Plebejerfamilien im Senat neben sich zu sitzen
gestattete und die also zugelassenen Familien eifersuechtig ueber den
Besitz der Ratsherrenstellen wachten. Waehrend also innerhalb der alten
Buergerschaft vollstaendige Rechtsgleichheit bestanden hatte, begann die
Neubuerger- oder die ehemalige Insassenschaft von Haus aus damit, sich
in eine Anzahl bevorrechteter Familien. und eine zurueckgesetzte
Menge zu scheiden. Die Gemeindemacht aber kam in Gemaessheit
der Zenturienordnung jetzt an diejenige Klasse, welche seit der
Servianischen Reform des Heer- und Steuerwesens vorzugsweise die
buergerlichen Lasten trug, an die Ansaessigen, und zwar vorzugsweise
weder an die grossen Gutsbesitzer noch an die Instenleute, sondern an
den mittleren Bauernstand, wobei die Aelteren noch insofern
bevorzugt waren, als sie, obgleich minder zahlreich, doch ebensoviel
Stimmabteilungen innehatten wie die Jugend. Indem also der
Altbuergerschaft und ihrem Geschlechteradel die Axt an die Wurzel und
zu einer neuen Buergerschaft der Grund gelegt ward, fiel in dieser das
Gewicht auf Grundbesitz und Alter und zeigten sich schon die ersten
Ansaetze zu einem neuen, zunaechst auf dem faktischen Ansehen der
Familien beruhenden Adel, der kuenftigen Nobilitaet. Der konservative
Grundcharakter des roemischen Gemeinwesens konnte sich nicht deutlicher
bezeichnen als dadurch, dass die republikanische Staatsumwaelzung
zugleich zu der neuen, ebenfalls konservativen und ebenfalls
aristokratischen Staatsordnung die ersten Linien zog. 2. Kapitel Das
Volkstribunat und die Dezemvirn Die Altbuergerschaft war durch die
neue Gemeindeordnung auf gesetzlichem Wege in den vollen Besitz der
politischen Macht gelangt. Herrschend durch die zu ihrer Dienerin
herabgedrueckte Magistratur, vorwiegend im Gemeinderate, im
Alleinbesitze aller Aemter und Priestertuemer, ausgeruestet mit der
ausschliesslichen Kunde der goettlichen und menschlichen Dinge und
mit der ganzen Routine politischer Praxis, einflussreich in der
Gemeindeversammlung durch den starken Anhang fuegsamer und den einzelnen
Familien anhaenglicher Leute, endlich befugt, jeden Gemeindebeschluss zu
pruefen und zu verwerfen, konnten die Patrizier die faktische Herrschaft
noch auf lange Zeit sich bewahren, eben weil sie rechtzeitig auf die
gesetzliche Alleingewalt verzichtet hatten. Zwar mussten die Plebejer
ihre politische Zuruecksetzung schwer empfinden; allein von der rein
politischen Opposition hatte der Adel unzweifelhaft zunaechst nicht viel
zu besorgen, wenn er es verstand, die Menge, die nichts verlangt
als gerechte Verwaltung und Schutz der materiellen Interessen, dem
politischen Kampfe fernzuhalten. In der Tat finden wir in der ersten
Zeit nach der Vertreibung der Koenige verschiedene Massregeln, welche
bestimmt waren oder doch bestimmt schienen, den gemeinen Mann fuer das
Adelsregiment besonders von der oekonomischen Seite zu gewinnen: es
wurden die Hafenzoelle herabgesetzt, bei hohem Stand der Kornpreise
grosse Quantitaeten Getreide fuer Rechnung des Staats aufgekauft und der
Salzhandel zum Staatsmonopol gemacht, um den Buergern Korn und Salz zu
billigen Preisen abgeben zu koennen, endlich das Volksfest um einen Tag
verlaengert. In denselben Kreis gehoert die schon erwaehnte Vorschrift
hinsichtlich der Vermoegensbussen, die nicht bloss im allgemeinen dem
gefaehrlichen Bruchrecht der Beamten Schranken zu setzen bestimmt,
sondern auch in bezeichnender Weise vorzugsweise auf den Schutz des
kleinen Mannes berechnet war. Denn wenn dem Beamten untersagt ward, an
demselben Tag denselben Mann um mehr als zwei Schafe und um mehr als
dreissig Rinder ausser mit Gestattung der Provokation zu buessen, so
kann die Ursache dieser seltsamen Ansaetze wohl nur darin gefunden
werden, dass fuer den kleinen, nur einige Schafe besitzenden Mann ein
anderes Maximum noetig schien als fuer den reichen Rinderherdenbesitzer
- eine Ruecksichtnahme auf Reichtum oder Armut der Gebuessten, von der
neuere Gesetzgebungen lernen koennten. Allein diese Ordnungen halten
sich auf der Oberflaeche; die Grundstroemung geht vielmehr nach der
entgegengesetzten Richtung. Mit der Verfassungsaenderung leitet in
den finanziellen und oekonomischen Verhaeltnissen Roms eine umfassende
Revolution sich ein. Das Koenigsregiment hatte wahrscheinlich der
Kapitalmacht prinzipiell keinen Vorschub getan und die Vermehrung der
Bauernstellen nach Kraeften gefoerdert; die neue Adelsregierung dagegen
scheint von vornherein auf die Zerstoerung der Mittelklassen, namentlich
des mittleren und kleinen Grundbesitzes, und auf die Entwicklung
einerseits einer Herrschaft der Grund- und Geldherren, anderseits eines
ackerbauenden Proletariats ausgegangen zu sein. Schon die Minderung
der Hafenzoelle, obwohl im allgemeinen eine populaere Massregel, kam
vorzugsweise dem Grosshandel zugute. Aber ein noch viel groesserer
Vorschub geschah der Kapitalmacht durch das System der indirekten
Finanzverwaltung. Es ist schwer zu sagen, worauf dasselbe in seinen
letzten Gruenden beruht; mag es aber auch an sich bis in die Koenigszeit
zurueckreichen, so musste doch seit der Einfuehrung des Konsulats teils
der schnelle Wechsel der roemischen Beamten, teils die Erstreckung der
finanziellen Taetigkeit des Aerars auf Geschaefte, wie der Ein-
und Verkauf von Korn und Salz, die Wichtigkeit der vermittelnden
Privattaetigkeit steigern und, damit den Grund zu jenem
Staatspaechtersystem legen, das in seiner Entwicklung fuer das roemische
Gemeinwesen so folgenreich wie verderblich geworden ist. Der Staat gab
nach und nach alle seine indirekten Hebungen und alle komplizierteren
Zahlungen und Verrichtungen in die Haende von Mittelsmaennern, die
eine Rauschsumme gaben oder empfingen und dann fuer ihre Rechnung
wirtschafteten. Natuerlich konnten nur bedeutende Kapitalisten und, da
der Staat streng auf dingliche Sicherheit sah, hauptsaechlich nur grosse
Grundbesitzer sich hierbei beteiligen, und so erwuchs eine Klasse von
Steuerpaechtern und Lieferanten, die in dem reissend schnellen Wachstum
ihrer Opulenz, in der Gewalt ueber den Staat, dem sie zu dienen
schienen, und in dem widersinnigen und sterilen Fundament ihrer
Geldherrschaft den heutigen Boersenspekulanten vollkommen vergleichbar
sind. Aber zunaechst und am empfindlichsten offenbarte sich die
vereinbarte Richtung der finanziellen Verwaltung in der Behandlung
der Gemeindelaendereien, die so gut wie geradezu hinarbeitete auf die
materielle und moralische Vernichtung der Mittelklassen. Die Nutzung der
gemeinen Weide und der Staatsdomaenen ueberhaupt war ihrer Natur nach
ein buergerliches Vorrecht; das formelle Recht schloss den Plebejer von
der Mitbenutzung des gemeinen Angers aus. Da indes, abgesehen von dem
Uebergang in das Privateigentum oder der Assignation, das roemische
Recht feste und gleich dem Eigentum zu respektierende Nutzungsrechte
einzelner Buerger am Gemeinlande nicht kannte, so hing es, so lange das
Gemeinland Gemeinland blieb, lediglich von der Willkuer des Koenigs
ab den Mitgenuss zu gestatten und zu begrenzen, und es ist nicht zu
bezweifeln, dass er von diesem seinem Recht oder wenigstens seiner Macht
haeufig zu Gunsten von Plebejern Gebrauch gemacht hat. Aber mit der
Einfuehrung der Republik wird der Satz wieder scharf betont, dass
die Nutzung der Gemeinweide von Rechts wegen bloss dem Buerger besten
Rechts, das heisst dem Patrizier zusteht; und wenn auch der Senat zu
Gunsten der reichen in ihm mitvertretenen plebejischen Haeuser nach
wie vor Ausnahmen zuliess, so wurden doch die kleinen plebejischen
Ackerbesitzer und die Tageloehner, die eben die Weide am noetigsten
brauchten, in dem Mitgenuss beeintraechtigt. Es war ferner bisher fuer
das auf die gemeine Weide aufgetriebene Vieh ein Hutgeld erlegt worden,
das zwar maessig genug war, um das Recht, auf diese Weide zu treiben,
immer noch als Vorrecht erscheinen zu lassen, aber doch dem gemeinen
Saeckel eine nicht unansehnliche Einnahme abwarf. Die patrizischen
Quaestoren erhoben dasselbe jetzt saeumig und nachsichtig und liessen
allmaehlich es ganz schwinden. Bisher hatte man, namentlich wenn durch
Eroberung neue Domaenen gewonnen waren, regelmaessig Landauslegungen
angeordnet, bei denen alle aermeren Buerger und Insassen beruecksichtigt
wurden; nur dasjenige Land, das zum Ackerbau sich nicht eignete, ward zu
der gemeinen Weide geschlagen. Diese Assignationen wagte man zwar nicht
ganz zu unterlassen und noch weniger, sie bloss zu Gunsten der Reichen
vorzunehmen; allein sie wurden seltener und karger und an ihre Stelle
trat das verderbliche Okkupationssystem, das heisst die Ueberlassung
der Domaenengueter nicht zum Eigentum oder zur foermlichen Pacht auf
bestimmte Zeitfrist, sondern zur Sondernutzung bis weiter an den ersten
Okkupanten und dessen Rechtsnachfolger, sodass dem Staate die Ruecknahme
jederzeit freistand und der Inhaber die zehnte Garbe oder von Oel und
Wein den fuenften Teil des Ertrages an die Staatskasse abzuliefern
hatte. Es war dies nichts anderes als das frueher beschriebene
Precarium, angewandt auf Staatsdomaenen und mag, namentlich als
transitorische Einrichtung bis zur Durchfuehrung der Assignation, auch
frueher schon bei dem Gemeinlande vorgekommen sein. Jetzt indes wurde
dieser Okkupationsbesitz nicht bloss dauernd, sondern es griffen auch,
wie natuerlich, nur die privilegierten Personen oder deren Guenstlinge
zu und der Zehnte und Fuenfte ward mit derselben Laessigkeit
eingetrieben wie das Hutgeld. So traf den mittleren und kleinen
Grundbesitz ein dreifacher Schlag: die gemeinen Buergernutzungen gingen
ihm verloren; die Steuerlast stieg dadurch, dass die Domanialgefaelle
nicht mehr ordentlich in die gemeine Kasse flossen; und die
Landauslegungen stockten, die fuer das agrikole Proletariat, etwa wie
heutzutage ein grossartiges und fest reguliertes Emigrationssystem es
tun wuerde, einen dauernden Abzugskanal gebildet hatten. Dazu kam
die wahrscheinlich schon jetzt beginnende Grosswirtschaft, welche die
kleinen Ackerklienten vertrieb und statt deren durch Feldsklaven das Gut
nutzte; ein Schlag, der schwerer abzuwenden und wohl verderblicher war
als alle jene politischen Usurpationen zusammengenommen. Die
schweren, zum Teil ungluecklichen Kriege, die dadurch herbeigefuehrten
unerschwinglichen Kriegssteuern und Fronden taten das uebrige, um den
Besitzer entweder geradezu vom Hof zu bringen und ihn zum Knecht, wenn
auch nicht zum Sklaven seines Schuldherrn zu machen, oder ihn durch
Ueberschuldung tatsaechlich zum Zeitpaechter seiner Glaeubiger
herabzudruecken. Die Kapitalisten, denen hier ein neues Gebiet
eintraeglicher und muehe- und gefahrloser Spekulation sich eroeffnete,
vermehrten teils auf diesem Wege ihr Grundeigentum, teils liessen sie
dem Bauern, dessen Person und Gut das Schuldrecht ihnen in die Haende
gab, den Namen des Eigentuemers und den faktischen Besitz. Das letztere
war wohl das Gewoehnlichste wie das Verderblichste; denn mochte damit
fuer den einzelnen der aeusserste Ruin abgewandt sein, so drohte dagegen
diese prekaere, von der Gnade des Glaeubigers jederzeit abhaengige
Stellung des Bauern, bei der derselbe vom Eigentum nichts als die
Lasten trug, den ganzen Bauernstand zu demoralisieren und politisch
zu vernichten. Die Absicht des Gesetzgebers, als er statt der
hypothekarischen Schuld den sofortigen Uebergang des Eigentums auf den
Glaeubiger anordnete, der Ueberschuldung zuvorzukommen und die Lasten
des Staats den wirklichen Inhabern des Grundes und Bodens aufzuwaelzen,
ward umgangen durch das strenge persoenliche Kreditsystem, das fuer
Kaufleute sehr zweckmaessig sein mochte, die Bauern aber ruinierte.
Hatte die freie Teilbarkeit des Bodens schon immer die Gefahr eines
ueberschuldeten Ackerbauproletariats nahegelegt, so musste unter solchen
Verhaeltnissen, wo alle Lasten stiegen, alle Abhilfen sich versperrten,
die Not und die Hoffnungslosigkeit unter der baeuerlichen Mittelklasse
mit entsetzlicher Raschheit um sich greifen. Der Gegensatz der Reichen
und Armen, der aus diesen Verhaeltnissen hervorging, faellt keineswegs
zusammen mit dem der Geschlechter und Plebejer. War auch der bei
weitem groesste Teil der Patrizier reich beguetert, so fehlte es doch
natuerlich auch unter den Plebejern nicht an reichen und ansehnlichen
Familien, und da der Senat, der schon damals vielleicht zur groesseren
Haelfte aus Plebejern bestand, selbst mit Ausschliessung der
patrizischen Magistrate die finanzielle Oberleitung an sich genommen
hatte, so ist es begreiflich, dass alle jene oekonomischen Vorteile,
zu denen die politischen Vorrechte des Adels missbraucht wurden, den
Reichen insgesamt zugute kamen und der Druck auf dem gemeinen Mann um so
schwerer lastete, als durch den Eintritt in den Senat die tuechtigsten
und widerstandsfaehigsten Personen aus der Klasse der Unterdrueckten
uebertraten in die der Unterdruecker. Hierdurch aber ward die politische
Stellung des Adels auf die Dauer unhaltbar. Haette er es ueber sich
vermocht, gerecht zu regieren, und den Mittelstand geschuetzt, wie
es einzelne Konsuln aus seiner Mitte versuchten, ohne bei der
herabgedrueckten Stellung der Magistratur durchdringen zu koennen, so
konnte er sich noch lange im Alleinbesitz der Aemter behaupten.
Haette er es vermocht, die reichen und ansehnlichen Plebejer zu voller
Rechtsgleichheit zuzulassen, etwa an den Eintritt in den Senat die
Gewinnung des Patriziats zu knuepfen, so mochten beide noch lange
ungestraft regieren und spekulieren. Allein es geschah keines von
beiden: die Engherzigkeit und Kurzsichtigkeit, die eigentlichen und
unverlierbaren Privilegien alles echten Junkertums, verleugneten sich
auch in Rom nicht und zerrissen die maechtige Gemeinde in nutz-,
ziel- und ruhmlosem Hader. Indes die naechste Krise ging nicht von
den staendisch Zurueckgesetzten aus, sondern von der notleidenden
Bauernschaft. Die zurechtgemachten Annalen setzen die politische
Revolution in das Jahr 244 (510), die soziale in die Jahre 259 und 260
(495 494); sie scheinen allerdings sich rasch gefolgt zu sein, doch ist
der Zwischenraum wahrscheinlich laenger gewesen. Die strenge Uebung des
Schuldrechts - so lautet die Erzaehlung - erregte die Erbitterung der
ganzen Bauernschaft. Als im Jahre 259 (495) fuer einen gefahrvollen
Krieg die Aushebung veranstaltet ward, weigerte sich die pflichtige
Mannschaft, dem Gebot zu folgen. Wie darauf der Konsul Publius Servilius
die Anwendung der Schuldgesetze vorlaeufig suspendierte und sowohl die
schon in Schuldhaft sitzenden Leute zu entlassen befahl, als auch den
weiteren Lauf der Verhaftungen hemmte, stellten die Bauern sich und
halfen den Sieg erfechten. Heimgekehrt vom Schlachtfeld brachte der
Friede, den sie erstritten hatten, ihnen ihren Kerker und ihre Ketten
wieder; mit erbarmungsloser Strenge wandte der zweite Konsul Appius
Claudius die Kreditgesetze an und der Kollege, den seine frueheren
Soldaten um Hilfe anriefen, wagte nicht sich zu widersetzen. Es schien,
als sei die Kollegialitaet nicht zum Schutz des Volkes eingefuehrt,
sondern zur Erleichterung des Treubruchs und der Despotie; indes man
litt, was nicht zu aendern war. Als aber im folgenden Jahr sich
der Krieg erneuerte, galt das Wort des Konsuls nicht mehr. Erst dem
ernannten Diktator Manius Valerius fuegten sich die Bauern, teils
aus Scheu vor der hoeheren Amtsgewalt, teils im Vertrauen auf
seinen populaeren Sinn - die Valerier waren eines jener alten
Adelsgeschlechter, denen das Regiment ein Recht und eine Ehre,
nicht eine Pfruende duenkte. Der Sieg war wieder bei den roemischen
Feldzeichen; aber als die Sieger heimkamen und der Diktator seine
Reformvorschlaege dem Senat vorlegte, scheiterten sie an dem
hartnaeckigen Widerstand des Senats. Noch stand das Heer beisammen, wie
ueblich vor den Toren der Stadt; als die Nachricht hinauskam, entlud
sich das lange drohende Gewitter - der Korpsgeist und die geschlossene
militaerische Organisation rissen auch die Verzagten und Gleichgueltigen
mit fort. Das Heer verliess den Feldherrn und seine Lagerstatt und
zog, gefuehrt von den Legionskommandanten, den wenigstens grossenteils
plebejischen Kriegstribunen, in militaerischer Ordnung in die Gegend
von Crustumeria zwischen Tiber und Anio, wo es einen Huegel besetzte und
Miene machte, in diesem fruchtbarsten Teil des roemischen Stadtgebiets
eine neue Plebejerstadt zu gruenden. Dieser Abmarsch tat selbst den
hartnaeckigsten Pressern auf eine handgreifliche Art dar, dass ein
solcher Buergerkrieg auch mit ihrem oekonomischen Ruin enden muesse; der
Senat gab nach. Der Diktator vermittelte das Vertraegnis; die Buerger
kehrten zurueck in die Stadtmauern; die aeusserliche Einheit ward
wiederhergestellt. Das Volk nannte den Manius Valerius seitdem "den
Grossen" (maximus) und den Berg jenseits des Anio "den heiligen". Wohl
lag etwas Gewaltiges und Erhebendes in dieser ohne feste Leitung unter
den zufaellig gegebenen Feldherren von der Menge selbst begonnenen
und ohne Blutvergiessen durchgefuehrten Revolution, und gern und stolz
erinnerten sich ihrer die Buerger. Empfunden wurden ihre Folgen
durch viele Jahrhunderte; ihr entsprang das Volkstribunat. Ausser
den transitorischen Bestimmungen, namentlich zur Abstellung der
drueckendsten Schuldnot und zur Versorgung einer Anzahl Landleute
durch Gruendung verschiedener Kolonien, brachte der Diktator
verfassungsmaessig ein Gesetz durch, welches er ueberdies noch, ohne
Zweifel um den Buergern wegen ihres gebrochenen Fahneneides Amnestie
zu sichern, von jedem einzelnen Gemeindeglied beschwoeren und sodann in
einem Gotteshause niederlegen liess unter Aufsicht und Verwahrung zweier
besonders dazu aus der Plebs bestellter Beamten, der beiden "Hausherren"
(aediles). Dies Gesetz stellte den zwei patrizischen Konsuln zwei
plebejische Tribune zur Seite, welche die nach Kurien versammelten
Plebejer zu waehlen hatten. Gegen das militaerische Imperium, das heisst
gegen das der Diktatoren durchaus und gegen das der Konsuln ausserhalb
der Stadt, vermochte die tribunizische Gewalt nichts; der buergerlichen
ordentlichen Amtsgewalt aber, wie die Konsuln sie uebten, trat die
tribunizische unabhaengig gegenueber, ohne dass doch eine Teilung der
Gewalten stattgefunden haette. Die Tribune erhielten das Recht, welches
dem Konsul gegen den Konsul und um so mehr gegen den niederen Beamten
zustand, das heisst das Recht jeden von den Beamten erlassenen Befehl,
durch den der davon betroffene Buerger sich verletzt hielt, auf dessen
Anweisung durch ihren rechtzeitig und persoenlich eingelegten Protest
zu vernichten und ebenso jeden von einem Beamten an die Buergerschaft
gerichteten Antrag nach Ermessen zu hemmen oder zu kassieren, das ist
das Recht der Interzession oder das sogenannte tribunizische Veto.
Es lag also in der tribunizischen Gewalt zunaechst das Recht,
die Verwaltung und die Rechtspflege willkuerlich zu hemmen, dem
Militaerpflichtigen es moeglich zu machen, sich straflos der Aushebung
zu entziehen, die Klageerhebung und die Rechtsvollstreckung gegen
den Schuldner, die Einleitung des Kriminalprozesses und die
Untersuchungshaft des Angeschuldigten zu verhindern oder aufzuheben und
was dessen mehr war. Damit diese Rechtshilfe nicht durch die Abwesenheit
der Helfer vereitelt werde, war ferner verordnet, dass der Tribun keine
Nacht ausserhalb der Stadt zubringen duerfe und Tag und Nacht seine Tuer
offenstehen muesse. Weiter lag es in der Gewalt des Volkstribunats,
der Beschlussfassung der Gemeinde, die ja andernfalls kraft ihres
souveraenen Rechts die von ihr der Plebs verliehenen Privilegien ohne
weiteres haette zuruecknehmen koennen, durch ein einziges Wort eines
einzelnen Tribunen Schranken zu setzen. Aber diese Rechte waeren
wirkungslos gewesen, wenn nicht gegen den, der sich nicht daran kehrte,
insonderheit gegen den zuwiderhandelnden Magistrat dem Volkstribun eine
augenblicklich wirkende und unwiderstehliche Zwangsgewalt zugestanden
haette. Es ward ihm diese in der Form erteilt, dass das Zuwiderhandeln
gegen den seines Rechts sich bedienenden Tribun, vor allen Dingen das
Vergreifen an seiner Persoenlichkeit, welche auf dem heiligen Berg jeder
Plebejer Mann fuer Mann fuer sich und seine Nachkommen geschworen
hatte, fuer jetzt und alle Zukunft vor jeder Unbill zu schuetzen,
ein todeswuerdiges Verbrechen sein sollte und die Handhabung dieser
Kriminaljustiz nicht den Magistraten der Gemeinde, sondern denen der
Plebs uebertragen ward. Kraft dieses seines Richteramts konnte der
Tribun jeden Buerger, vor allem den Konsul im Amte, zur Verantwortung
ziehen, ihn, wenn er nicht freiwillig sich stellte, greifen lassen, ihn
in Untersuchungshaft setzen oder Buergschaftstellung ihm gestatten und
alsdann auf Tod oder Geldbusse erkennen. Zu diesem Zweck standen die
beiden zugleich bestellten Aedilen des Volkes den Tribunen als Diener
und Gehilfen zur Seite, zunaechst, um die Verhaftung zu bewirken,
weshalb auch ihnen dieselbe Unangreifbarkeit durch den Gesamteid der
Plebejer versichert ward. Ausserdem hatten die Aedilen selbst gleich
den Tribunen, aber nur fuer die geringeren mit Bussen suehnbaren Sachen,
richterliche Befugnis. Ward gegen den tribunizischen oder
aedilizischen Spruch Berufung eingelegt, so ging diese nicht an die
Gesamtbuergerschaft, mit der zu verhandeln die Beamten der Plebs
ueberall nicht befugt waren, sondern an die Gesamtheit der Plebejer,
die in diesem Fall nach Kurien zusammentrat und durch Stimmenmehrheit
endgueltig entschied. Dies Verfahren war allerdings mehr ein Gewalt- als
ein Rechtsakt, zumal wenn es gegen einen Nichtplebejer angewandt ward,
wie dies doch eben in der Regel der Fall sein musste. Es war weder mit
dem Buchstaben noch mit dem Geist der Verfassung irgend zu vereinigen,
dass der Patrizier von Behoerden zur Rechenschaft gezogen ward, die
nicht der Buergerschaft, sondern einer innerhalb der Buergerschaft
gebildeten Assoziation vorstanden, und dass er gezwungen ward, statt an
die Buergerschaft, an eben diese Assoziation zu appellieren. Dies war
urspruenglich ohne Frage Lynchjustiz; aber die Selbsthilfe vollzog
sich wohl von jeher in Form Rechtens und wurde seit der gesetzlichen
Anerkennung des Volkstribunats als rechtlich statthaft betrachtet. Der
Absicht nach war diese neue Gerichtsbarkeit der Tribune und der
Aedilen und die daraus hervorgehende Provokationsentscheidung der
Plebejerversammlung ohne Zweifel ebenso an die Gesetze gebunden wie die
Gerichtsbarkeit der Konsuln und Quaestoren und der Spruch der Zenturien
auf Provokation; die Rechtsbegriffe des Verbrechens gegen die Gemeinde
und der Ordnungswidrigkeit wurden von der Gemeinde und deren Magistraten
auf die Plebs und deren Vorsteher uebertragen. Indes diese Begriffe
waren selbst so wenig fest und deren gesetzliche Begrenzung so
schwierig, ja unmoeglich, dass die auf diese Kategorien hin geuebte
Justizpflege schon an sich den Stempel der Willkuer fast unvermeidlich
an sich trug. Seit nun aber gar in den staendischen Kaempfen die
Idee des Rechts sich selber getruebt hatte und seit die gesetzlichen
Parteifuehrer beiderseits mit einer konkurrierenden Gerichtsbarkeit
ausgestattet waren, musste diese mehr und immer mehr der reinen
Willkuerpolizei sich naehern. Namentlich traf dieselbe den Beamten.
Bisher unterlag derselbe nach roemischem Staatsrecht, solange er
Beamter war, ueberhaupt keiner Gerichtsbarkeit, und wenn er auch nach
Niederlegung seines Amtes rechtlich fuer jede seiner Handlungen zur
Verantwortung hatte gezogen werden koennen, so lag doch die Handhabung
dieses Rechts in den Haenden seiner Standesgenossen und schliesslich
der Gesamtgemeinde, zu der diese ebenfalls gehoerten. Jetzt trat in der
tribunizischen Gerichtsbarkeit eine neue Macht auf, welche einerseits
gegen den hoechsten Beamten schon waehrend der Amtsfuehrung einschreiten
konnte, anderseits gegen die adligen Buerger ausschliesslich durch die
nicht adligen gehandhabt ward, und die um so drueckender war, als weder
das Verbrechen noch die Strafe gesetzlich formuliert wurden. Der Sache
nach ward durch die konkurrierende Gerichtsbarkeit der Plebs und der
Gemeinde Gut, Leib und Leben der Buerger dem willkuerlichen Belieben
der Parteiversammlungen preisgegeben. In die Ziviljurisdiktion haben die
plebejischen Institutionen nur insofern eingegriffen, als in den
fuer die Plebs so wichtigen Freiheitsprozessen den Konsuln die
Geschworenenernennung entzogen ward und die Sprueche hier erfolgten von
den besonders dafuer bestimmten Zehnmaenner-Richtern (iudices
decemviri, spaeter decemviri litibus iudicandis). An die konkurrierende
Jurisdiktion schloss sich weiter die Konkurrenz in der gesetzgebenden
Initiative. Das Recht, die Mitglieder zu versammeln und Beschluesse
derselben zu bewirken, stand den Tribunen schon insofern zu, als ohne
dasselbe ueberhaupt keine Assoziation gedacht werden kann. Ihnen aber
ward dasselbe in der eminenten Weise verliehen, dass das autonomische
Versammlungs- und Beschlussrecht der Plebs gesetzlich sichergestellt war
vor jedem Eingriff der Magistrate der Gemeinde, ja der Gemeinde
selbst. Allerdings war es die notwendige Vorbedingung der rechtlichen
Anerkennung der Plebs ueberhaupt, dass die Tribune nicht daran gehindert
werden konnten, ihre Nachfolger von der Versammlung der Plebs waehlen
zu lassen und die Bestaetigung ihrer Kriminalsentenz durch dieselbe zu
bewirken; und es ward ihnen denn dieses Recht auch durch das Icilische
Gesetz (262 492) noch besonders gewaehrleistet und jedem, der dabei
dem Tribun ins Wort falle oder das Volk auseinandergehen heisse, eine
schwere Strafe gedroht. Dass demnach dem Tribun nicht gewehrt werden
konnte, auch andere Antraege als die Wahl seines Nachfolgers und die
Bestaetigung seiner Urteilssprueche zur Abstimmung zu bringen, leuchtet
ein. Gueltige Volksschluesse waren derartige "Beliebungen der Menge"
(plebi scita) zwar eigentlich nicht, sondern anfaenglich nicht viel mehr
als die Beschluesse unserer heutigen Volksversammlungen; allein da der
Unterschied zwischen den Komitien des Volkes und den Konzilien der Menge
denn doch mehr formaler Natur war, ward wenigstens von plebejischer
Seite die Gueltigkeit derselben als autonomischer Festsetzungen der
Gemeinde sofort in Anspruch genommen und zum Beispiel gleich das
Icilische Gesetz auf diesem Wege durchgesetzt. So war der Tribun des
Volks bestellt, dem einzelnen zu Schirm und Schutz, allen zur Leitung
und Fuehrung, versehen mit unbeschraenkter richterlicher Gewalt im
peinlichen Verfahren, um also seinem Befehl Nachdruck geben zu koennen,
endlich selbst persoenlich fuer unverletzlich (sacrosanctus) erklaert,
indem wer sich an ihm oder seinem Diener vergriff, nicht bloss den
Goettern verfallen galt, sondern auch bei den Menschen als nach
rechtlich erwiesenem Frevel des Todes schuldig. Die Tribune der Menge
(tribuni plebis) sind hervorgegangen aus den Kriegstribunen und fuehren
von diesen ihren Namen; rechtlich aber haben sie weiter zu ihnen
keinerlei Beziehung. Vielmehr stehen der Gewalt nach die Volkstribune
und die Konsuln sich gleich. Die Appellation vom Konsul an den Tribun
und das Interzessionsrecht des Tribuns gegen den Konsul ist, wie schon
gesagt ward, durchaus gleichartig der Appellation vom Konsul an den
Konsul und der Interzession des einen Konsuls gegen den andern, und
beide sind nichts als eine Anwendung des allgemeinen Rechtssatzes,
dass zwischen zwei Gleichberechtigten der Verbietende dem Gebietenden
vorgeht. Auch die urspruengliche, allerdings bald vermehrte Zahl und die
Jahresdauer des Amtes, welches fuer die Tribune jedesmal am 10.
Dezember wechselte, sind den Tribunen mit den Konsuln gemein, ebenso
die eigentuemliche Kollegialitaet, die in jedes einzelnen Konsuls und in
jedes einzelnen Tribunen Hand die volle Machtfuelle des Amtes legt
und bei Kollisionen innerhalb des Kollegiums nicht die Stimmen zaehlt,
sondern das Nein dem Ja vorgehen laesst - weshalb, wo der Tribun
verbietet, das Verbot des einzelnen trotz des Widerspruchs der Kollegen
genuegt, wo er dagegen anklagt, er durch jeden seiner Kollegen gehemmt
werden kann. Konsuln und Tribune haben beide volle und konkurrierende
Kriminaljurisdiktion, wenn auch jene dieselbe mittelbar, diese
unmittelbar ausueben; wie jenen die beiden Quaestoren, stehen diesen
die beiden Aedilen hierin zur Seite ^1. Die Konsuln sind notwendig
Patrizier, die Tribune notwendig Plebejer. Jene haben die vollere Macht,
diese die unumschraenktere, denn ihrem Verbot und ihrem Gericht fuegt
sich der Konsul, nicht aber dem Konsul sich der Tribun. So ist die
tribunizische Gewalt das Abbild der konsularischen; sie ist aber nicht
minder ihr Gegenbild. Die Macht der Konsuln ist wesentlich positiv,
die der Tribune wesentlich negativ. Nur die Konsuln sind Magistrate des
roemischen Volkes, nicht die Tribune; denn jene erwaehlt die gesamte
Buergerschaft, diese nur die plebejische Assoziation. Zum Zeichen dessen
erscheint der Konsul oeffentlich mit dem den Gemeindebeamten zukommenden
Schmuck und Gefolge, die Tribune aber sitzen auf der Bank anstatt
des Wagenstuhls und ermangeln der Amtsdiener, des Purpursaumes und
ueberhaupt jedes Abzeichens der Magistratur; sogar im Gemeinderat hat
der Tribun weder den Vorsitz noch auch nur den Beisitz. So ist in dieser
merkwuerdigen Institution dem absoluten Befehlen das absolute Verbieten
in der schaerfsten und schroffsten Weise gegenuebergestellt; das war die
Schlichtung des Haders, dass die Zwietracht der Reichen und der
Armen gesetzlich festgestellt und geordnet ward.
--------------------------------------------------- ^1 Dass die
plebejischen Aedilen in derselben Weise den patrizischen Quaestoren
nachgebildet sind wie die plebejischen Tribune den patrizischen Konsuln,
ist deutlich sowohl fuer die Kriminalrechtspflege, wo nur die Tendenz
der beiden Magistraturen, nicht die Kompetenz verschieden gewesen zu
sein scheint, wie fuer das Archivgeschaeft. Fuer die Aedilen ist der
Cerestempel, was der Tempel des Saturnus fuer die Quaestoren, und von
jenem haben sie auch den Namen. Bezeichnend ist die Vorschrift des
Gesetzes von 305 (349) (Liv. 3, 55), dass die Senatsbeschluesse dorthin
an die Aedilen abgeliefert werden sollen (I, 300), waehrend dieselben
bekanntlich nach altem und spaeter nach Beilegung des Staendekampfes
wieder ueberwiegendem Gebrauche den Quaestoren zur Aufbewahrung in
dem Saturnustempel zugestellt wurden.
------------------------------------------------- Aber was war erreicht
damit, dass man die Einheit der Gemeinde brach, dass die Beamten einer
unsteten und von allen Leidenschaften des Augenblicks abhaengigen
Kontrollbehoerde unterworfen wurden, dass auf den Wink eines einzelnen
der auf den Gegenthron gehobenen Oppositionshaeupter die Verwaltung im
gefaehrlichsten Augenblick zum Stocken gebracht werden konnte, dass
man die Kriminalrechtspflege, indem man alle Beamte dazu konkurrierend
bevollmaechtigte, gleichsam gesetzlich aus dem Recht in die Politik
verwies und sie fuer alle Zeiten verdarb? Es ist wohl wahr, dass das
Tribunat wenn nicht unmittelbar zur politischen Ausgleichung der Staende
beigetragen, so doch als eine maechtige Waffe in der Hand der Plebejer
gedient hat, als diese bald darauf die Zulassung zu den Gemeindeaemtern
begehrten. Aber die eigentliche Bestimmung des Tribunats war dieses
nicht. Nicht dem politisch privilegierten Stande ward es abgerungen,
sondern den reichen Grund- und Kapitalherren; es sollte dem
gemeinen Mann billige Rechtspflege sichern und eine zweckmaessigere
Finanzverwaltung herbeifuehren. Diesen Zweck hat es nicht erfuellt
und konnte es nicht erfuellen. Der Tribun mochte einzelnen Unbilden,
einzelnen schreienden Haerten steuern; aber der Fehler lag nicht im
Unrecht, das man Recht hiess, sondern im Rechte, welches ungerecht war:
und wie konnte der Tribun die ordentliche Rechtspflege regelmaessig
hemmen? haette er es gekonnt, so war auch damit noch wenig geholfen,
wenn nicht die Quellen der Verarmung verstopft wurden, die verkehrte
Besteuerung, das schlechte Kreditsystem, die heillose Okkupation der
Domaenen. Aber hieran wagte man sich nicht, offenbar weil die reichen
Plebejer selbst an diesen Missbraeuchen kein minderes Interesse hatten
als die Patrizier. So gruendete man diese seltsame Magistratur, deren
handgreiflicher Beistand dem gemeinen Mann einleuchtete und die doch die
notwendige oekonomische Reform unmoeglich durchsetzen konnte. Sie ist
kein Beweis politischer Weisheit, sondern ein schlechtes Kompromiss
zwischen dem reichen Adel und der fuehrerlosen Menge. Man hat gesagt,
das Volkstribunat habe Rom vor der Tyrannis bewahrt. Waere dies wahr, so
wuerde es wenig bedeuten; die Aenderung der Staatsform ist an sich
fuer ein Volk kein Unheil, und fuer das roemische war es vielmehr ein
Unglueck, dass die Monarchie zu spaet eingefuehrt ward nach Erschoepfung
der physischen und geistigen Kraefte der Nation. Es ist aber nicht
einmal richtig, wie schon das beweist, dass die italischen Staaten
ebenso regelmaessig ohne Tyrannis geblieben sind wie sie in den
hellenischen regelmaessig aufstanden. Der Grund liegt einfach darin,
dass die Tyrannis ueberall die Folge des allgemeinen Stimmrechts ist
und dass die Italiker laenger als die Griechen die nicht grundsaessigen
Buerger von den Gemeindeversammlungen ausschlossen; als Rom hiervon
abging, blieb auch die Monarchie nicht aus, ja knuepfte eben an an das
tribunizische Amt. Dass das Volkstribunat auch genuetzt hat, indem es
der Opposition gesetzliche Bahnen wies und manche Verkehrtheit abwehrte,
wird niemand verkennen; aber ebensowenig, dass, wo es sich nuetzlich
erwies, es fuer ganz andere Dinge gebraucht ward, als wofuer man es
begruendet hatte. Das verwegene Experiment, den Fuehrern der Opposition
ein verfassungsmaessiges Veto einzuraeumen und sie mit der Macht, es
ruecksichtslos geltend zu machen, auszustatten, bleibt ein Notbehelf,
der den Staat politisch aus den Angeln gehoben und die sozialen
Missstaende durch nutzlose Palliative hingeschleppt hat. Indes man hatte
den Buergerkrieg organisiert; er ging seinen Gang. Wie zur Schlacht
standen die Parteien sich gegenueber, jede unter ihren Fuehrern;
Beschraenkung der konsularischen, Erweiterung der tribunizischen Gewalt
ward auf der einen, die Vernichtung des Tribunats auf der andern Seite
angestrebt; die gesetzlich straflos gemachte Insubordination, die
Weigerung, sich zur Landesverteidigung zu stellen, die Buss- und
Strafklagen namentlich gegen Beamte, die die Rechte der Gemeinde
verletzt oder auch nur ihr Missfallen erregt hatten, waren die Waffen
der Plebejer, denen die Junker Gewalt und Einverstaendnisse mit
den Landesfeinden, gelegentlich auch den Dolch des Meuchelmoerders
entgegensetzten; auf den Strassen kam es zum Handgemenge und hueben
und drueben vergriff man sich an der Heiligkeit der Magistratspersonen.
Viele Buergerfamilien sollen ausgewandert sein und in den benachbarten
Gemeinden einen friedlicheren Wohnsitz gesucht haben; und man mag es
wohl glauben. Es zeugt von dem starken Buergersinn im Volk, nicht
dass es diese Verfassung sich gab, sondern dass es sie ertrug und
die Gemeinde trotz der heftigsten Kaempfe dennoch zusammenhielt. Das
bekannteste Ereignis aus diesen Staendekaempfen ist die Geschichte des
Gnaeus Marcius, eines tapferen Adligen, der von Coriolis Erstuermung den
Beinamen trug. Er soll im Jahr 263 (491), erbittert ueber die Weigerung
der Zenturien, ihm das Konsulat zu uebertragen, beantragt haben,
wie einige sagen, die Einstellung der Getreideverkaeufe aus den
Staatsmagazinen, bis das hungernde Volk auf das Tribunat verzichte;
wie andere berichten, geradezu die Abschaffung des Tribunats. Von den
Tribunen auf Leib und Leben angeklagt, habe er die Stadt verlassen,
indes nur, um zurueckzukehren an der Spitze eines volskischen Heeres;
jedoch im Begriff, .seine Vaterstadt fuer den Landesfeind zu erobern,
habe das ernste Wort der Mutter sein Gewissen geruehrt und also sei von
ihm der erste Verrat durch einen zweiten gesuehnt worden und beide durch
den Tod. Wieviel darin wahr ist, laesst sich nicht entscheiden; aber
alt ist die Erzaehlung, aus der die naive Impertinenz der roemischen
Annalisten eine vaterlaendische Glorie gemacht hat, und sie oeffnet den
Einblick in die tiefe sittliche und politische Schaendlichkeit dieser
staendischen Kaempfe. Aehnlichen Schlages ist der Ueberfall des Kapitols
durch eine Schar politischer Fluechtlinge, gefuehrt von dem Sabiner
Appius Herdonius im Jahr 294 (460); sie riefen die Sklaven zu den
Waffen, und erst nach heissem Kampf und mit Hilfe der herbeigeeilten
Tusculaner ward die roemische Buergerwehr der catilinarischen Bande
Meister. Denselben Charakter fanatischer Erbitterung tragen andere
Ereignisse dieser Zeit, deren geschichtliche Bedeutung in den
luegenseligen Familienberichten sich nicht mehr erfassen laesst; so das
Uebergewicht des Fabischen Geschlechtes, das von 269 bis 275 (485-479)
den einen Konsul stellte, und die Reaktion dagegen, die Auswanderung der
Fabier aus Rom und ihre Vernichtung durch die Etrusker am Cremera (277
477). Noch entsetzlicher war die Ermordung des Volkstribuns Gnaeus
Genucius, der es gewagt hatte, zwei Konsulare zur Rechenschaft zu ziehen
und der am Morgen des fuer die Anklage anberaumten Tages tot im Bette
gefunden ward (281 473). Die unmittelbare Folge dieser Untat war
das Publilische Gesetz, eines der folgenreichsten, das die roemische
Geschichte kennt. Zwei der wichtigsten Ordnungen, die Einfuehrung
der plebejischen Tribusversammlung und die wenngleich bedingte
Gleichstellung des Plebiszits mit dem foermlichen, von der ganzen
Gemeinde beschlossenen Gesetz, gehen, jene gewiss, diese wahrscheinlich
zurueck auf den Antrag des Volkstribunen Volero Publilius vom Jahre 283
(471). Die Plebs hatte bis dahin ihre Beschluesse nach Kurien gefasst;
demnach war in diesen ihren Sonderversammlungen teils ohne Unterschied
des Vermoegens und der Ansaessigkeit bloss nach Koepfen abgestimmt
worden, teils hatten, infolge des im Wesen der Kurienversammlung
liegenden Zusammenstehens der Geschlechtsgenossen, die Klienten der
grossen Adelsfamilien in der Plebejerversammlung miteinander gestimmt.
Der eine wie der andere Umstand gab dem Adel vielfache Gelegenheit,
Einfluss auf diese Versammlung zu ueben und besonders die Wahl der
Tribune in seinem Sinne zu lenken; beides fiel fortan weg durch die
neue Abstimmungsweise nach Quartieren. Deren waren in der Servianischen
Verfassung zum Zweck der Aushebung vier gebildet worden, die Stadt und
Land gleichmaessig umfassten (I, 105); spaeterhin - vielleicht im
Jahr 259 (495) - hatte man das roemische Gebiet in zwanzig Distrikte
eingeteilt, von denen die ersten vier die Stadt und deren naechste
Umgebung umfassten, die uebrigen sechzehn mit Zugrundelegung der
Geschlechtergaue des aeltesten roemischen Ackers aus dem Landgebiet
gebildet wurden (I, 51). Zu diesen wurde, wahrscheinlich erst infolge
des Publilischen Gesetzes und um die fuer die Abstimmung wuenschenswerte
Ungleichheit der Gesamtzahl der Stimmabteilungen herbeizufuehren, als
einundzwanzigste Tribus die crustuminische hinzugefuegt, die ihren Namen
von dem Orte trug, wo die Plebs als solche sich konstituiert und
das Tribunat gestiftet hatte (I, 282) und fortan fanden die
Sonderversammlungen der Plebs nicht mehr nach Kurien statt, sondern
nach Tribus. In diesen Abteilungen, die durchaus auf dem Grundbesitz
beruhten, stimmten ausschliesslich die ansaessigen Leute, diese jedoch
ohne Unterschied der Groesse des Grundbesitzes und so, wie sie
in Doerfern und Weilern zusammen wohnten; es war also diese
Tribusversammlung, die im uebrigen aeusserlich der nach Kurien
geordneten nachgebildet ward, recht eigentlich eine Versammlung des
unabhaengigen Mittelstandes, von der einerseits die Freigelassenen
und Klienten der grossen Mehrzahl nach als nicht ansaessige Leute
ausgeschlossen waren, und in der anderseits der groessere
Grundbesitz nicht so wie in den Zenturien ueberwog. Eine allgemeine
Buergerschaftsversammlung war diese "Zusammenkunft der Menge" (concilium
plebis) noch weniger als die plebejische Kurienversammlung, da sie
nicht bloss wie diese die saemtlichen Patrizier, sondern auch die nicht
grundsaessigen Plebejer ausschloss; aber die Menge war maechtig genug,
um es durchzusetzen, dass ihr Beschluss dem von den Zenturien gefassten
rechtlich gleich gelte, falls er vorher vom Gesamtsenat gebilligt worden
war. Dass diese letzte Bestimmung schon vor Erlass der Zwoelf Tafeln
gesetzlich feststand, ist gewiss; ob man sie gerade bei Gelegenheit
des Publilischen Plebiszits eingefuehrt hat, oder ob sie bereits vorher
durch irgendeine andere verschollene Satzung ins Leben gerufen und auf
das Publilische Plebiszit nur angewendet worden ist, laesst sich nicht
mehr ausmachen. Ebenso bleibt es ungewiss, ob durch dies Gesetz die Zahl
der Tribune von zwei auf vier vermehrt ward oder dies bereits vorher
geschehen war. Einsichtiger angelegt als alle diese Parteimassregeln war
der Versuch des Spurius Cassius, die finanzielle Allmacht der Reichen
zu brechen und damit den eigentlichen Quell des Uebels zu verstopfen. Er
war Patrizier, und keiner tat es in seinem Stande an Rang und Ruhm ihm
zuvor; nach zwei Triumphen, im dritten Konsulat (268 486) brachte er an
die Buergergemeinde den Antrag, das Gemeindeland vermessen zu lassen
und es teils zum Besten des oeffentlichen Schatzes zu verpachten, teils
unter die Beduerftigen zu verteilen; das heisst, er versuchte, die
Entscheidung ueber die Domaenen dem Senat zu entreissen und, gestuetzt
auf die Buergerschaft, dem egoistischen Okkupationssystem ein Ende zu
machen. Er mochte meinen, dass die Auszeichnung seiner Persoenlichkeit,
die Gerechtigkeit und Weisheit der Massregel durchschlagen werde, selbst
in diesen Wogen der Leidenschaftlichkeit und der Schwaeche; allein er
irrte. Der Adel erhob sich wie ein Mann; die reichen Plebejer traten auf
seine Seite; der gemeine Mann war missvergnuegt, weil Spurius Cassius,
wie Bundesrecht und Billigkeit geboten, auch den latinischen Eidgenossen
bei der Assignation ihr Teil geben wollte. Cassius musste sterben;
es ist etwas Wahres in der Anklage, dass er koenigliche Gewalt sich
angemasst habe, denn freilich versuchte er gleich den Koenigen, gegen
seinen Stand die Gemeinfreien zu schirmen. Sein Gesetz ging mit ihm
ins Grab, aber das Gespenst desselben stand seitdem den Reichen
unaufhoerlich vor Augen und wieder und wieder stand es auf gegen sie,
bis unter den Kaempfen darueber das Gemeinwesen zugrunde ging. Da
ward noch ein Versuch gemacht, die tribunizische Gewalt dadurch zu
beseitigen, dass man dem gemeinen Mann die Rechtsgleichheit auf einem
geregelteren und wirksameren Wege sicherte. Der Volkstribun Gaius
Terentilius Arsa beantragte im Jahr 292 (462) die Ernennung einer
Kommission von fuenf Maennern zur Entwerfung eines gemeinen Landrechts,
an das die Konsuln kuenftighin in ihrer richterlichen Gewalt gebunden
sein sollten. Aber der Senat weigerte sich, diesem Vorschlag seine
Sanktion zu geben, und es vergingen zehn Jahre, ehe derselbe zur
Ausfuehrung kam - Jahre des heissesten Staendekampfes, welche ueberdies
vielfach bewegt waren durch Kriege und innere Unruhen; mit gleicher
Hartnaeckigkeit hinderte die Adelspartei die Zulassung des Gesetzes im
Senat und ernannte die Gemeinde wieder und wieder dieselben Maenner
zu Tribunen. Man versuchte durch andere Konzessionen den Angriff zu
beseitigen: im Jahre 297 (457) ward die Vermehrung der Tribune von vier
auf zehn bewilligt - freilich ein zweifelhafter Gewinn; im folgenden
Jahre durch ein Icilisches Plebiszit, das aufgenommen ward unter die
beschworenen Privilegien der Gemeinde, der Aventin, bisher Tempelhain
und unbewohnt, unter die aermeren Buerger zu Bauplaetzen erblichen
Besitzes aufgeteilt. Die Gemeinde nahm, was ihr geboten ward, allein sie
hoerte nicht auf, das Landrecht zu fordern. Endlich im Jahre 300 (454)
kam ein Vergleich zustande; der Senat gab in der Hauptsache nach.
Die Abfassung des Landrechts wurde beschlossen; es sollten dazu
ausserordentlicher Weise zehn Maenner von den Zenturien gewaehlt werden,
welche zugleich als hoechste Beamte anstatt der Konsuln zu fungieren
hatten (decem viri consulari imperio legibus scribundis), und zu diesem
Posten sollten nicht bloss Patrizier, sondern auch Plebejer wahlfaehig
sein. Diese wurden hier zum erstenmal, freilich nur fuer ein
ausserordentliches Amt, als waehlbar bezeichnet. Es war dies ein grosser
Schritt vorwaerts zu der vollen politischen Gleichberechtigung, und er
war nicht zu teuer damit verkauft, dass das Volkstribunat aufgehoben,
das Provokationsrecht fuer die Dauer des Dezemvirats suspendiert und
die Zehnmaenner nur verpflichtet wurden, die beschworenen Freiheiten der
Gemeinde nicht anzutasten. Vorher indes wurde noch eine Gesandtschaft
nach Griechenland geschickt um die Solonischen und andere griechische
Gesetze heimzubringen, und erst nach deren Rueckkehr wurden fuer das
Jahr 303 (451) die Zehnmaenner gewaehlt. Obwohl es freistand, auch
Plebejer zu ernennen, so traf doch die Wahl auf lauter Patrizier - so
maechtig war damals noch der Adel -, und erst als eine abermalige Wahl
fuer 304 (450) noetig ward, wurden auch einige Plebejer gewaehlt - die
ersten nichtadligen Beamten, die die roemische Gemeinde gehabt hat.
Erwaegt man diese Massregeln in ihrem Zusammenhang, so kann kaum ein
anderer Zweck ihnen untergelegt werden, als die Beschraenkung der
konsularischen Gewalt durch das geschriebene Gesetz an die Stelle
der tribunizischen Hilfe zu setzen. Von beiden Seiten musste man sich
ueberzeugt haben, dass es nicht so bleiben konnte, wie es war, und die
Permanenzerklaerung der Anarchie wohl die Gemeinde zugrunde richtete,
aber in der Tat und Wahrheit dabei fuer niemand etwas herauskam.
Ernsthafte Leute mussten einsehen, dass das Eingreifen der Tribune
in die Administration sowie ihre Anklaegertaetigkeit schlechterdings
schaedlich wirkten und der einzige wirkliche Gewinn, den das Tribunat
dem gemeinen Mann gebracht hatte, der Schutz gegen parteiische
Rechtspflege war, indem es als eine Art Kassationsgericht die Willkuer
des Magistrats beschraenkte. Ohne Zweifel ward, als die Plebejer ein
geschriebenes Landrecht begehrten, von den Patriziern erwidert, dass
dann der tribunizische Rechtsschutz ueberfluessig werde; und hierauf
scheint von beiden Seiten nachgegeben zu sein. Es ist vielleicht nie
bestimmt ausgesprochen worden, wie es werden sollte nach Abfassung des
Landrechts; aber an dem definitiven Verzicht der Plebs auf das Tribunat
ist nicht zu zweifeln, da dieselbe durch das Dezemvirat in die Lage kam,
nicht anders als auf ungesetzlichem Wege das Tribunat zurueckgewinnen
zu koennen. Die der Plebs gegebene Zusage, dass ihre beschworenen
Freiheiten nicht angetastet werden sollten, kann bezogen werden auf die
vom Tribunat unabhaengigen Rechte der Plebejer, wie die Provokation und
der Besitz des Aventin. Die Absicht scheint gewesen zu sein, dass die
Zehnmaenner bei ihrem Ruecktritt dem Volke vorschlagen sollten, die
jetzt nicht mehr nach Willkuer, sondern nach geschriebenem Recht
urteilenden Konsuln wiederum zu waehlen. Der Plan, wenn er bestand, war
weise; es kam darauf an, ob die leidenschaftlich erbitterten Gemueter
hueben und drueben diesen friedlichen Austrag annehmen wuerden. Die
Dezemvirn des Jahres 303 (451) brachten ihr Gesetz vor das Volk und, von
diesem bestaetigt, wurde dasselbe, in zehn kupferne Tafeln eingegraben,
auf dem Markt an der Rednerbuehne vor dem Rathaus angeschlagen. Da indes
noch ein Nachtrag erforderlich schien, so ernannte man auf das Jahr 304
(450) wieder Zehnmaenner, die noch zwei Tafeln hinzufuegten; so entstand
das erste und einzige roemische Landrecht, das Gesetz der Zwoelf Tafeln.
Es ging aus einem Kompromiss der Parteien hervor und kann schon
darum tiefgreifende, ueber nebensaechliche und blosse
Zweckmaessigkeitsbestimmungen hinausgehende Aenderungen des bestehenden
Rechts nicht wohl enthalten haben. Sogar im Kreditwesen trat keine
weitere Milderung ein, als dass ein - wahrscheinlich niedriges -
Zinsmaximum (10 Prozent) festgestellt und der Wucherer mit schwerer
Strafe - charakteristisch genug mit einer weit schwereren als der Dieb
- bedroht ward; der strenge Schuldprozess blieb wenigstens in seinen
Hauptzuegen ungeaendert. Aenderungen der staendischen Rechte waren
begreiflicherweise noch weniger beabsichtigt; der Rechtsunterschied
zwischen steuerpflichtigen und vermoegenslosen Buergern, die
Ungueltigkeit der Ehe zwischen Adligen und Buergerlichen wurden vielmehr
aufs neue im Stadtrecht bestaetigt, ebenso zur Beschraenkung
der Beamtenwillkuer und zum Schutz des Buergers ausdruecklich
vorgeschrieben, dass das spaetere Gesetz durchaus dem frueheren vorgehen
und dass kein Volksschluss gegen einen einzelnen Buerger erlassen werden
solle. Am bemerkenswertesten ist die Ausschliessung der Provokation
an die Tribuskomitien in Kapitalsachen, waehrend die an die
Zenturien gewaehrleistet ward; was sich daraus erklaert, dass die
Strafgerichtsbarkeit von der Plebs und ihren Vorstehern in der Tat
usurpiert war und mit dem Tribunal auch der tribunizische Kapitalprozess
notwendig fiel, waehrend es vielleicht die Absicht war, den
aedilizischen Multprozess beizubehalten. Die wesentliche politische
Bedeutung lag weit weniger in dem Inhalt des Weistums als in der
jetzt foermlich festgestellten Verpflichtung der Konsuln, nach diesen
Prozessformen und diesen Rechtsregeln Recht zu sprechen, und in der
oeffentlichen Aufstellung des Gesetzbuchs, wodurch die Rechtsverwaltung
der Kontrolle der Publizitaet unterworfen und der Konsul genoetigt ward,
allen gleiches und wahrhaft gemeines Recht zu sprechen. Der Ausgang des
Dezemvirats liegt in tiefem Dunkel. Es blieb - so wird berichtet - den
Zehnmaennern nur noch uebrig, die beiden letzten Tafeln zu publizieren
und alsdann der ordentlichen Magistratur Platz zu machen. Sie zoegerten
indes; unter dem Vorwande, dass das Gesetz noch immer nicht fertig
sei, fuehrten sie selbst nach Ablauf des Amtsjahres ihr Amt weiter,
was insofern moeglich war, als nach roemischem Staatsrecht die
ausserordentlicherweise zur Revision der Verfassung berufene Magistratur
durch die ihr gesetzte Endfrist rechtlich nicht gebunden werden kann.
Die gemaessigte Fraktion der Aristokratie, die Valerier und Horatier an
ihrer Spitze, soll versucht haben, im Senat die Abdankung der Dezemvirn
zu erzwingen; allein das Haupt der Zehnmaenner, Appius Claudius, von
Haus aus ein starrer Aristokrat, aber jetzt umschlagend zum Demagogen
und zum Tyrannen, gewann das Uebergewicht im Senat, und auch das Volk
fuegte sich. Die Aushebung eines doppelten Heeres ward ohne Widerspruch
vollzogen und der Krieg gegen die Volsker wie gegen die Sabiner
begonnen. Da wurde der gewesene Volkstribun Lucius Siccius Dentatus, der
tapferste Mann in Rom, der in hundertundzwanzig Schlachten gefochten und
fuenfundvierzig ehrenvolle Narben aufzuzeigen hatte, tot vor dem
Lager gefunden, meuchlerisch ermordet, wie es hiess, auf Anstiften
der Zehnmaenner. Die Revolution gaerte in den Gemuetern; zum Ausbruch
brachte sie der ungerechte Wahrspruch des Appius in dem Prozess um die
Freiheit der Tochter des Centurionen Lucius Verginius, der Braut des
gewesenen Volkstribuns Lucius Icilius, welcher Spruch das Maedchen den
Ihrigen entriss, um sie unfrei und rechtlos zu machen und den Vater
bewog, seiner Tochter auf offenem Markt das Messer selber in die Brust
zu stossen, um sie der gewissen Schande zu entreissen. Waehrend das
Volk erstarrt ob der unerhoerten Tat die Leiche des schoenen Maedchens
umstand, befahl der Dezemvir seinen Buetteln, den Vater und alsdann den
Braeutigam vor seinen Stuhl zu fuehren, um ihm, von dessen Spruch keine
Berufung galt, sofort Rede zu stehen wegen ihrer Auflehnung gegen seine
Gewalt. Nun war das Mass voll. Geschuetzt von den brausenden Volksmassen
entziehen der Vater und der Braeutigam des Maedchens sich den Haeschern
des Gewaltherrn, und waehrend in Rom der Senat zittert und schwankt,
erscheinen die beiden mit zahlreichen Zeugen der furchtbaren Tat in den
beiden Lagern. Das Unerhoerte wird berichtet; vor allen Augen
oeffnet sich die Kluft, die der mangelnde tribunizische Schutz in der
Rechtssicherheit gelassen hat, und was die Vaeter getan, wiederholen
die Soehne. Abermals verlassen die Heere ihre Fuehrer; sie ziehen in
kriegerischer Ordnung durch die Stadt und abermals auf den heiligen
Berg, wo sie abermals ihre Tribune sich ernennen. Immer noch weigern
die Dezemvirn die Niederlegung ihrer Gewalt; da erscheint das Heer mit
seinen Tribunen in der Stadt und lagert sich auf dem Aventin. Jetzt
endlich, wo der Buergerkrieg schon da war und der Strassenkampf
stuendlich beginnen konnte, jetzt entsagen die Zehnmaenner ihrer
angemassten und entehrten Gewalt, und die Konsuln Lucius Valerius
und Marcus Horatius vermitteln einen zweiten Vergleich, durch den das
Volkstribunal wieder hergestellt wurde. Die Anklagen gegen die Dezemvirn
endigten damit, dass die beiden schuldigsten, Appius Claudius und
Spurius Oppius, im Gefaengnis sich das Leben nahmen, die acht anderen
ins Exil gingen und der Staat ihr Vermoegen einzog. Weitere gerichtliche
Verfolgungen hemmte der kluge und gemaessigte Volkstribun Marcus Duilius
durch den rechtzeitigen Gebrauch seines Veto. So lautet die Erzaehlung,
wie der Griffel der roemischen Aristokraten sie aufgezeichnet hat;
unmoeglich aber kann, auch von den Nebenumstaenden abgesehen, die
grosse Krise, der die Zwoelf Tafeln entsprangen, in solche romantische
Abenteuerlichkeiten und politische Unbegreiflichkeiten ausgelaufen
sein. Das Dezemvirat war nach der Abschaffung des Koenigtums und der
Einsetzung des Volkstribunats der dritte grosse Sieg der Plebs, und die
Erbitterung der Gegenpartei gegen die Institution wie gegen ihr Haupt
Appius Claudius ist erklaerlich genug. Die Plebejer hatten damit das
passive Wahlrecht zu dem hoechsten Gemeindeamt und das gemeine Landrecht
errungen; und nicht sie waren es, die Ursache hatten, sich gegen die
neue Magistratur aufzulehnen und mit Waffengewalt das rein patrizische
Konsularregiment zu restaurieren. Dies Ziel kann nur von der Adelspartei
verfolgt worden sein, und wenn die patrizisch- plebejischen Dezemvirn
den Versuch gemacht haben, sich ueber die Zeit hinaus im Amte zu
behaupten, so ist sicherlich dagegen in erster Reihe der Adel in die
Schranken getreten; wobei er freilich nicht versaeumt haben wird geltend
zu machen, dass ja auch der Plebs ihre verbrieften Rechte geschmaelert,
insbesondere das Tribunat ihr genommen sei. Gelang es dann dem Adel,
die Dezemvirn zu beseitigen, so ist es allerdings begreiflich, dass
nach deren Sturz die Plebs jetzt abermals in Waffen zusammentrat, um
die Ergebnisse sowohl der frueheren Revolution von 260 wie auch der
juengsten Bewegung sich zu sichern; und nur als Kompromiss in diesem
Konflikt lassen die Valerisch-Horatischen Gesetze von 305 (449) sich
verstehen. Der Vergleich fiel wie natuerlich durchaus zu Gunsten der
Plebejer aus und beschraenkte abermals in empfindlicher Weise die Gewalt
des Adels. Dass das Volkstribunat wieder hergestellt, das dem Adel
abgedrungene Stadtrecht definitiv festgehalten und die Konsuln danach
zu richten verpflichtet wurden, versteht sich von selbst. Durch das
Stadtrecht verloren allerdings die Tribus die angemasste Gerichtsbarkeit
in Kapitalsachen; allein die Tribune erhielten sie zurueck, indem ein
Weg gefunden ward, ihnen fuer solche Faelle die Verhandlung mit den
Zenturien moeglich zu machen. Ueberdies blieb ihnen in dem Recht,
auf Geldbussen unbeschraenkt zu erkennen und diesen Spruch an die
Tribuskomitien zu bringen, ein ausreichendes Mittel, die buergerliche
Existenz des patrizischen Gegners zu vernichten. Es ward ferner auf
Antrag der Konsuln von den Zenturien beschlossen, dass kuenftig jeder
Magistrat, also auch der Diktator bei seiner Ernennung verpflichtet
werden solle, der Provokation stattzugeben; wer dem zuwider einen
Beamten ernannte, buesste mit dem Kopfe. Im uebrigen behielt der
Diktator die bisherige Gewalt und konnte namentlich der Tribun seine
Amtshandlungen nicht wie die der Konsuln kassieren. Eine weitere
Beschraenkung der konsularischen Machtfuelle war es, dass die
Verwaltung der Kriegskasse zwei von der Gemeinde gewaehlten Zahlmeistern
(quaestores) uebertragen ward, die zuerst fuer 307 (447) ernannt wurden.
Die Ernennung sowohl der beiden neuen Zahlmeister fuer den Krieg wie
auch der beiden die Stadtkasse verwaltenden ging jetzt ueber auf die
Gemeinde; der Konsul behielt statt der Wahl nur die Wahlleitung.
Die Versammlung, in der die Zahlmeister erwaehlt wurden, war die der
saemtlichen patrizisch-plebejischen ansaessigen Leute und stimmte
nach Quartieren ab; worin ebenfalls eine Konzession an die diese
Versammlungen weit mehr als die Zenturiatkomitien beherrschende
plebejische Bauernschaft liegt. Folgenreicher noch war es, dass den
Tribunen Anteil an den Verhandlungen im Senat eingeraeumt ward. Zwar in
den Sitzungssaal die Tribune zuzulassen, schien dem Senat unter seiner
Wuerde; es wurde ihnen eine Bank an die Tuer gesetzt, um von da aus den
Verhandlungen zu folgen. Das tribunizische Interzessionsrecht hatte sich
auch auf die Beschluesse des Gesamtsenats erstreckt, seit dieser aus
einer beratenden zu einer beschliessenden Behoerde geworden war,
was wohl zuerst eintrat in dem Fall, wo ein Plebiszit fuer die ganze
Gemeinde verbindend werden sollte; es war natuerlich, dass man seitdem
den Tribunen eine gewisse Beteiligung an den Verhandlungen in der
Kurie einraeumte. Um auch gegen Unterschiebung und Verfaelschung von
Senatsbeschluessen gesichert zu sein, an deren Gueltigkeit ja die der
wichtigsten Plebiszite geknuepft war, wurde verordnet, dass in Zukunft
dieselben nicht bloss bei den patrizischen Stadtquaestoren im Saturnus-,
sondern ebenfalls bei den plebejischen Aedilen im Cerestempel hinterlegt
werden sollten. So endigte dieser Kampf, der begonnen war, um die Gewalt
der Volkstribune zu beseitigen, mit der abermaligen und nun definitiven
Sanktionierung ihres Rechts, sowohl einzelne Verwaltungsakte auf
Anrufen des Beschwerten als auch jede Beschlussnahme der konstitutiven
Staatsgewalten nach Ermessen zu kassieren. Mit den heiligsten Eiden und
allem, was die Religion Ehrfuerchtiges darbot, und nicht minder mit den
foermlichsten Gesetzen wurde abermals sowohl die Person der Tribune
als die ununterbrochene Dauer und die Vollzaehligkeit des Kollegiums
gesichert. Es ist seitdem nie wieder in Rom ein Versuch gemacht worden,
diese Magistratur aufzuheben. 3. Kapitel Die Ausgleichung der Staende
und die neue Aristokratie Die tribunizischen Bewegungen scheinen
vorzugsweise aus den sozialen, nicht aus den politischen
Missverhaeltnissen hervorgegangen zu sein und es ist guter Grund
vorhanden zu der Annahme, dass ein Teil der vermoegenden, in den Senat
aufgenommenen Plebejer denselben nicht minder entgegen war als die
Patrizier; denn die Privilegien, gegen welche die Bewegung vorzugsweise
sich richtete, kamen auch ihnen zugute, und wenn sie auch wieder in
anderer Beziehung sich zurueckgesetzt fanden, so mochte es ihnen doch
keineswegs an der Zeit scheinen, ihre Ansprueche auf Teilnahme an
den Aemtern geltend zu machen, waehrend der ganze Senat in seiner
finanziellen Sondermacht bedroht war. So erklaert es sich, dass waehrend
der ersten fuenfzig Jahre der Republik kein Schritt geschah, der
geradezu auf politische Ausgleichung der Staende hinzielte. Allein eine
Buergschaft der Dauer trug dieses Buendnis der Patrizier und der reichen
Plebejer doch keineswegs in sich. Ohne Zweifel hatte ein Teil der
vornehmen plebejischen Familien von Haus aus der Bewegungspartei sich
angeschlossen, teils aus Billigkeitsgefuehl gegen ihre Standesgenossen,
teils infolge des natuerlichen Bundes aller Zurueckgesetzten, teils
endlich, weil sie begriffen, dass Konzessionen an die Menge auf
die Laenge unvermeidlich waren und dass sie, richtig benutzt, die
Beseitigung der Sonderrechte des Patriziats zur Folge haben und damit
der plebejischen Aristokratie das entscheidende Gewicht im Staate
geben wuerden. Wenn diese Ueberzeugung, wie das nicht fehlen konnte, in
weitere Kreise eindrang und die plebejische Aristokratie an der Spitze
ihres Standes den Kampf gegen den Geschlechtsadel aufnahm, so hielt sie
in dem Tribunat den Buergerkrieg gesetzlich in der Hand und konnte
mit dem sozialen Notstand die Schlachten schlagen, um dem Adel die
Friedensbedingungen zu diktieren und als Vermittler zwischen beiden
Parteien fuer sich den Zutritt zu den Aemtern zu erzwingen. Ein solcher
Wendepunkt in der Stellung der Parteien trat ein nach dem Sturz
des Dezemvirats. Es war jetzt vollkommen klar geworden, dass das
Volkstribunat sich nicht beseitigen liess; die plebejische Aristokratie
konnte nichts Besseres tun, als sich dieses gewaltigen Hebels zu
bemaechtigen und sich desselben zur Beseitigung der politischen
Zuruecksetzung ihres Standes zu bedienen. Wie wehrlos der
Geschlechtsadel der vereinigten Plebs gegenueberstand, zeigt nichts so
augenscheinlich, als dass der Fundamentalsatz der exklusiven Partei,
die Ungueltigkeit der Ehe zwischen Adligen und Buergerlichen, kaum vier
Jahre nach der Dezemviralrevolution auf den ersten Streich fiel. Im
Jahre 309 (445) wurde durch das Canuleische Plebiszit verordnet, dass
die Ehe zwischen Adligen und Buergerlichen als eine rechte roemische
gelten und die daraus erzeugten Kinder dem Stande des Vaters folgen
sollten. Gleichzeitig wurde ferner durchgesetzt, dass statt der Konsuln
Kriegstribune - es gab deren damals, vor der Teilung des Heeres
in Legionen, sechs, und danach richtete sich auch die Zahl dieser
Magistrate - mit konsularischer Gewalt ^1 und konsularischer Amtsdauer
von den Zenturien gewaehlt werden sollten. Die naechste Ursache war
militaerischer Art, indem die vielfachen Kriege eine groessere Zahl von
obersten Feldherren forderten, als die Konsularverfassung sie gewaehrte;
aber die Aenderung ist von wesentlicher Bedeutung fuer den Staendekampf
geworden, ja vielleicht jener militaerische Zweck fuer diese Einrichtung
mehr der Vorwand als der Grund gewesen. Zu Offizierstellen konnte nach
altem Recht jeder dienstpflichtige Buerger oder Insasse gelangen, und
es ward also damit das hoechste Amt, nachdem es voruebergehend schon
im Dezemvirat den Plebejern geoeffnet worden war, jetzt in umfassender
Weise saemtlichen freigewordenen Buergern gleichmaessig zugaenglich
gemacht. Die Frage liegt nahe, welches Interesse der Adel dabei haben
konnte, da er einmal auf den Alleinbesitz des hoechsten Amtes verzichten
und in der Sache nachgeben musste, den Plebejern den Titel zu versagen
und das Konsulat ihnen in dieser wunderlichen Form zuzugestehen ^2.
Einmal aber knuepften sich an die Bekleidung des hoechsten Gemeindeamts
mancherlei teils persoenliche, teils erbliche Ehrenrechte: so galt
die Ehre des Triumphs als rechtlich bedingt durch die Bekleidung des
hoechsten Gemeindeamts und wurde nie einem Offizier gegeben, der
nicht dieses selbst verwaltet hatte; so stand es den Nachkommen eines
kurulischen Beamten frei, das Bild eines solchen Ahnen im Familiensaal
auf- und bei geeigneten Veranlassungen oeffentlich zur Schau zu stellen,
waehrend dies fuer andere Vorfahren nicht statthaft war ^3. Es ist
ebenso leicht zu erklaeren wie schwer zu rechtfertigen, dass der
regierende Herrenstand weit eher das Regiment selbst als die daran
geknuepften Ehrenrechte, namentlich die erblichen, sich entwinden
liess und darum, als es jenes mit den Plebejern teilen musste, den
tatsaechlich hoechsten Gemeindebeamten rechtlich nicht als Inhaber des
kurulischen Sessels, sondern als einfachen Stabsoffizier hinstellte,
dessen Auszeichnung eine rein persoenliche war. Von groesserer
politischer Bedeutung aber als die Versagung des Ahnenrechts und der
Ehre des Triumphs war es, dass die Ausschliessung der im Senat sitzenden
Plebejer von der Debatte notwendig fuer diejenigen von ihnen fiel, die
als designierte oder gewesene Konsuln in die Reihe der vor den uebrigen
um ihr Gutachten zu fragenden Senatoren eintraten; insofern war es
allerdings fuer den Adel von grosser Wichtigkeit, den Plebejer nur zu
einem konsularischen Amt, nicht aber zum Konsulat selbst zuzulassen.
--------------------------------------------- ^1 Die Annahme, dass
rechtlich den patrizischen Konsulartribunen das volle, den plebejischen
nur das militaerische Imperium zugestanden habe, ruft nicht bloss manche
Fragen hervor, auf die es keine Antwort gibt, zum Beispiel, was denn
geschah, wenn, wie dies gesetzlich moeglich war, die Wahl auf lauter
Plebejer fiel, sondern verstoesst vor allem gegen den Fundamentalsatz
des roemischen Staatsrechts, dass das Imperium, das heisst das Recht,
dem Buerger im Namen der Gemeinde zu befehlen, qualitativ unteilbar und
ueberhaupt keiner anderen als einer raeumlichen Abgrenzung faehig ist.
Es gibt einen Stadtrechtsbezirk und einen Kriegsrechtsbezirk, in welchem
letzteren die Provokation und andere stadtrechtliche Bestimmungen nicht
massgebend sind; es gibt Beamte, wie zum Beispiel die Prokonsuln, welche
lediglich in dem letzteren zu funktionieren vermoegen; aber es gibt im
strengen Rechtssinn keine Beamten mit bloss jurisdiktionellem wie keine
mit bloss militaerischem Imperium. Der Prokonsul ist in seinem Bezirk
eben wie der Konsul zugleich Oberfeldherr und Oberrichter und befugt,
nicht bloss unter Nichtbuergern und Soldaten, sondern auch unter
Buergern den Prozess zu instruieren. Selbst als mit der Einsetzung der
Praetur der Begriff der Kompetenz fuer die magistratus maiores aufkommt,
hat er mehr tatsaechliche als eigentlich rechtliche Geltung: der
staedtische Praetor ist zwar zunaechst Oberrichter, aber er kann auch
wenigstens fuer gewisse Faelle die Zenturien berufen und kann ein Heer
befehligen; dem Konsul kommt in der Stadt zunaechst die Oberverwaltung
und der Oberbefehl zu, aber er fungiert doch auch bei Emanzipation und
Adoption als Gerichtsherr - die qualitative Unteilbarkeit des hoechsten
Amtes ist also selbst hier noch beiderseits mit grosser Schaerfe
festgehalten. Es muss also die militaerische wie die jurisdiktionelle
Amtsgewalt oder, um diese, dem roemischen Recht dieser Zeit fremden
Abstraktionen beiseite zu lassen, die Amtsgewalt schlechthin den
plebejischen Konsulartribunen virtuell so gut wie den patrizischen
zugestanden haben. Aber wohl moegen, wie W. A. Becker (Handbuch, Bd. 2,
2, S. 137) meint, aus denselben Gruenden, weshalb spaeterhin neben
das gemeinschaftliche Konsulat die - tatsaechlich laengere Zeit den
Patriziern vorbehaltene - Praetur gestellt ward, faktisch schon waehrend
des Konsulartribunats die plebejischen Glieder des Kollegiums von
der Jurisdiktion ferngehalten worden sein und insofern die spaetere
Kompetenzteilung zwischen Konsuln und Praetoren mittels des
Konsulartribunats sich vorbereitet haben. ^2 Die Verteidigung, dass der
Adel an der Ausschliessung der Plebejer aus religioeser Befangenheit
festgehalten habe, verkennt den Grundcharakter der roemischen Religion
und traegt den modernen Gegensatz zwischen Kirche und Staat in das
Altertum hinein. Die Zulassung des Nichtbuergers zu einer buergerlich
religioesen Verrichtung musste freilich dem rechtglaeubigen Roemer
als suendhaft erscheinen; aber nie hat auch der strengste Orthodoxe
bezweifelt, dass durch die lediglich und allein vom Staat abhaengige
Zulassung in die buergerliche Gemeinschaft auch die volle religioese
Gleichheit herbeigefuehrt werde. All jene Gewissensskrupel, deren
Ehrlichkeit an sich nicht beanstandet werden soll, waren abgeschnitten,
sowie man den Plebejern in Masse rechtzeitig das Patriziat zugestand.
Nur das etwa kann man zur Entschuldigung des Adels geltend machen, dass
er, nachdem er bei Abschaffung des Koenigtums den rechten Augenblick
hierzu versaeumt hatte, spaeter selber nicht mehr imstande war,
das Versaeumte nachzuholen. ^3 Ob innerhalb des Patriziats die
Unterscheidung dieser "kurulischen Haeuser" von den uebrigen Familien
jemals von ernstlicher politischer Bedeutung gewesen ist, laesst
sich weder mit Sicherheit verneinen noch mit Sicherheit bejahen, und
ebensowenig wissen wir, ob es in dieser Epoche wirklich noch
nicht kurulische Patrizierfamilien in einiger Anzahl gab.
------------------------------------------------- Indes trotz dieser
kraenkenden Zuruecksetzung waren doch die Geschlechterprivilegien,
soweit sie politischen Wert hatten, durch die neue Institution
gesetzlich beseitigt, und wenn der roemische Adel seines Namens wert
gewesen waere, haette er jetzt den Kampf aufgeben muessen. Allein er hat
es nicht getan. Wenn auch ein vernuenftiger und gesetzlicher Widerstand
fortan unmoeglich war, so bot sich doch noch ein weites Feld fuer die
tueckische Opposition der kleinen Mittel, der Schikanen und der Kniffe;
und so wenig ehrenhaft und staatsklug dieser Widerstand war, so war er
doch in einem gewissen Sinne erfolgreich. Er hat allerdings schliesslich
dem gemeinen Mann Konzessionen verschafft, zu welchen die vereinigte
roemische Aristokratie nicht leicht gezwungen worden waere; aber er
hat es auch vermocht, den Buergerkrieg noch um ein Jahrhundert zu
verlaengern und jenen Gesetzen zum Trotz das Regiment noch mehrere
Menschenalter hindurch tatsaechlich im Sonderbesitz des Adels zu
erhalten. Die Mittel, deren der Adel sich bediente, waren so mannigfach
wie die politische Kuemmerlichkeit ueberhaupt. Statt die Frage ueber die
Zulassung oder Ausschliessung der Buergerlichen bei den Wahlen ein fuer
allemal zu entscheiden, raeumte man, was man einraeumen musste, nur fuer
die jedesmal naechsten Wahlen ein; jaehrlich erneuerte sich also
der eitle Kampf, ob patrizische Konsuln oder aus beiden Staenden
Kriegstribune mit konsularischer Gewalt ernannt werden sollten, und
unter den Waffen des Adels erwies sich diese, den Gegner durch Ermuedung
und Langweile zu ueberwinden, keineswegs als die unwirksamste. Man
zersplitterte ferner die bis dahin ungeteilte hoechste Geaalt, um die
unvermeidliche Niederlage durch Vermehrung der Angriffspunkte in
die Laenge zu ziehen. So wurde die der Regel nach jedes vierte
Jahr stattfindende Feststellung des Budgets und der Buerger- und
Steuerlisten, welche bisher durch die Konsuln bewirkt worden war, schon
im Jahre 319 (435) zweien von den Zenturien aus dem Adel auf hoechstens
achtzehn Monate ernannten Schaetzern (censores) uebertragen. Das neue
Amt ward allmaehlich zum Palladium der Adelspartei, weniger noch wegen
seines finanziellen Einflusses als wegen des daran sich knuepfenden
Rechts, die erledigten Plaetze im Senat und in der Ritterschaft zu
besetzen und bei der Feststellung der Listen von Senat, Ritter- und
Buergerschaft einzelne Personen aus denselben zu entfernen; die hohe
Bedeutung indes und die moralische Machtfuelle, welche spaeterhin der
Zensur beiwohnt, hat sie in dieser Epoche noch keineswegs besessen.
Dagegen die im Jahre 333 (421) hinsichtlich der Quaestur getroffene
wichtige Aenderung glich diesen Erfolg der Adelspartei reichlich wieder
aus. Die patrizisch-plebejische Quartierversammlung, vielleicht darauf
sich stuetzend, dass wenigstens die beiden Kriegszahlmeister faktisch
mehr Offiziere waren als Zivilbeamte und insofern der Plebejer so gut
wie zum Militaertribunat auch zur Quaestur befaehigt erschien, setzte
es durch, dass fuer die Quaestorenwahlen auch plebejische Bewerber
zugelassen wurden und erwarb damit zum erstenmal zu dem aktiven
Wahlrecht auch das passive fuer eines der ordentlichen Aemter. Mit Recht
ward es auf der einen Seite als ein grosser Sieg, auf der anderen als
eine schwere Niederlage empfunden, dass fortan zu dem Kriegs- wie zu
dem Stadtzahlmeisteramt der Patrizier und der Plebejer aktiv und passiv
gleich wahlfaehig waren. Trotz der hartnaeckigsten Gegenwehr schritt
der Adel doch nur von Verlust zu Verlust; die Erbitterung stieg, wie
die Macht sank. Er hat es wohl noch versucht, die der Gemeinde
vertragsmaessig zugesicherten Rechte geradezu anzutasten; aber es
waren diese Versuche weniger berechnete Parteimanoever als Akte einer
impotenten Rachsucht. So namentlich der Prozess gegen Maelius, wie
unsere allerdings wenig zuverlaessige Ueberlieferung ihn berichtet.
Spurius Maelius, ein reicher Plebejer, verkaufte waehrend schwerer
Teuerung (315 439) Getreide zu solchen Preisen, dass er den patrizischen
Magazinvorsteher (praefectus annonae) Gaius Minucius beschaemte und
kraenkte. Dieser beschuldigte ihn des Strebens nach der koeniglichen
Gewalt; mit welchem Recht, koennen wir freilich nicht entscheiden,
allein es ist kaum glaublich, dass ein Mann, der nicht einmal das
Tribunat bekleidet hatte, ernstlich an die Tyrannis gedacht haben
sollte. Indes die Behoerden nahmen die Sache ernsthaft, und auf die
Menge Roms hat der Zeterruf des Koenigtums stets aehnliche Wirkung
geuebt wie der Papstzeter auf die englischen Massen. Titus
Quinctius Capitolinus, der zum sechstenmal Konsul war, ernannte
den achtzigjaehrigen Lucius Quinctius Cincinnatus zum Diktator ohne
Provokation, in offener Auflehnung gegen die beschworenen Gesetze.
Maelius, vorgeladen, machte Miene, sich dem Befehl zu entziehen; da
erschlug ihn der Reiterfuehrer des Diktators, Gaius Servilius Ahala, mit
eigener Hand. Das Haus des Ermordeten ward niedergerissen, das Getreide
aus seinen Speichern dem Volke umsonst verteilt, und die seinen Tod zu
raechen drohten, heimlich ueber die Seite gebracht. Dieser schaendliche
Justizmord, eine Schande mehr noch fuer das leichtglaeubige und blinde
Volk als fuer die tueckische Junkerpartei, ging ungestraft hin; aber
wenn diese gehofft hatte, damit das Provokationsrecht zu untergraben,
so hatte sie umsonst die Gesetze verletzt und umsonst unschuldiges Blut
vergossen. Wirksamer als alle uebrigen Mittel erwiesen sich dem Adel
Wahlintrigen und Pfaffentrug. Wie arg jene gewesen sein muessen, zeigt
am besten, dass es schon 322 (432) noetig schien, ein eigenes Gesetz
gegen Wahlumtriebe zu erlassen, das natuerlich nichts half. Konnte man
nicht durch Korruption oder Drohung auf die Stimmberechtigten wirken, so
taten die Wahldirektoren das uebrige und liessen zum Beispiel so
viele plebejische Kandidaten zu, dass die Stimmen der Opposition sich
zersplitterten, oder liessen diejenigen von der Kandidatenliste weg,
die die Majoritaet zu waehlen beabsichtigte. Ward trotz alledem eine
unbequeme Wahl durchgesetzt, so wurden die Priester befragt, ob bei
derselben nicht eine Nichtigkeit in der Voegelschau oder den sonstigen
religioesen Zeremonien vorgekommen sei; welche diese alsdann zu
entdecken nicht ermangelten. Unbekuemmert um die Folgen und uneingedenk
des weisen Beispiels der Ahnen liess man den Satz sich feststellen,
dass das Gutachten der priesterlichen Sachverstaendigenkollegien ueber
Voegelzeichen, Wunder und aehnliche Dinge den Beamten von Rechts wegen
binde, und es in ihre Macht kommen, jeden Staatsakt, sei es die Weihung
eines Gotteshauses oder sonst eine Verwaltungshandlung, sei es Gesetz
oder Wahl, wegen religioeser Nullitaeten zu kassieren. Auf diesem Wege
wurde es moeglich, dass, obwohl die Waehlbarkeit der Plebejer schon im
Jahre 333 (421) fuer die Quaestur gesetzlich festgestellt worden war und
seitdem rechtlich anerkannt blieb, dennoch erst im Jahre 345 (409) der
erste Plebejer zur Quaestur gelangte; aehnlich haben das konsularische
Kriegstribunat bis zum Jahre 354 (400) fast ausschliesslich Patrizier
bekleidet. Es zeigte sich, dass die gesetzliche Abschaffung der
Adelsprivilegien noch keineswegs die plebejische Aristokratie wirklich
und tatsaechlich dem Geschlechtsadel gleichgestellt hatte. Mancherlei
Ursachen wirkten dabei zusammen: die zaehe Opposition des Adels liess
sich weit leichter in einem aufgeregten Moment der Theorie nach ueber
den Haufen werfen, als in den jaehrlich wiederkehrenden Wahlen dauernd
niederhalten; die Hauptursache aber war die innere Uneinigkeit der
Haeupter der plebejischen Aristokratie und der Masse der Bauernschaft.
Der Mittelstand, dessen Stimmen in den Komitien entschieden, fand sich
nicht berufen, die vornehmen Nichtadligen vorzugsweise auf den Schild
zu heben, solange seine eigenen Forderungen von der plebejischen nicht
minder wie von der patrizischen Aristokratie zurueckgewiesen wurden.
Die sozialen Fragen hatten waehrend dieser politischen Kaempfe im ganzen
geruht oder waren doch mit geringer Energie verhandelt worden. Seitdem
die plebejische Aristokratie sich des Tribunats zu ihren Zwecken
bemaechtigt hatte, war weder von der Domaenenangelegenheit noch von
der Reform des Kreditwesens ernstlich die Rede gewesen; obwohl es weder
fehlte an neugewonnenen Laendereien noch an verarmenden oder
verarmten Bauern. Einzelne Assignationen, namentlich in neueroberten
Grenzgebieten, erfolgten wohl, so des ardeatischen Gebiets 312 (442),
des labicanischen 336 (418), des veientischen 361 (393), jedoch mehr aus
militaerischen Gruenden, als um dem Bauer zu helfen, und keineswegs in
ausreichenden Umfang. Wohl machten einzelne Tribune den Versuch, das
Gesetz des Cassius wieder aufzunehmen: so stellten Spurius Maecilius
und Spurius Metilius im Jahre 337 (417) den Antrag auf Aufteilung
saemtlicher Staatslaendereien - allein sie scheiterten, was
charakteristisch fuer die damalige Situation ist, an dem Widerstand
ihrer eigenen Kollegen, das heisst der plebejischen Aristokratie. Auch
unter den Patriziern versuchten einige, der gemeinen Not zu helfen;
allein mit nicht besserem Erfolg als einst Spurius Cassius. Patrizier
wie dieser, und wie dieser ausgezeichnet durch Kriegsruhm und
persoenliche Tapferkeit, soll Marcus Manlius, der Retter der Burg
waehrend der gallischen Belagerung, als Vorkaempfer aufgetreten sein
fuer die unterdrueckten Leute, mit denen sowohl die Kriegskameradschaft
ihn verband wie der bittere Hass gegen seinen Rivalen, den gefeierten
Feldherrn und optimatischen Parteifuehrer Marcus Furius Camillus. Als
ein tapferer Offizier ins Schuldgefaengnis abgefuehrt werden sollte,
trat Manlius fuer ihn ein und loeste mit seinem Gelde ihn aus; zugleich
bot er seine Grundstuecke zum Verkauf aus, laut erklaerend, dass,
solange er noch einen Fussbreit Landes besitze, solche Unbill nicht
vorkommen solle. Das war mehr als genug, um die ganze Regimentspartei,
Patrizier wie Plebejer, gegen den gefaehrlichen Neuerer zu vereinigen.
Der Hochverratsprozess, die Anschuldigung der beabsichtigten Erneuerung
des Koenigtums, wirkte mit dem tueckischen Zauber stereotyp gewordener
Parteiphrasen auf die blinde Menge; sie selbst verurteilte ihn zum Tode,
und nichts trug sein Ruhm ihm ein, als dass man das Volk zum Blutgericht
an einem Ort versammelte, von wo die Stimmenden den Burgfelsen nicht
erblickten, den stummen Mahner an die Rettung des Vaterlandes aus der
hoechsten Gefahr durch die Hand desselben Mannes, welchen man jetzt dem
Henker ueberlieferte (370 384). Waehrend also die Reformversuche im Keim
erstickt wurden, wurde das Missverstaendnis immer schreiender, indem
einerseits infolge der gluecklichen Kriege die Domanialbesitzungen
mehr und mehr sich ausdehnten, anderseits in der Bauernschaft die
Ueberschuldung und Verarmung immer weiter um sich griff, namentlich
infolge des schweren Veientischen Krieges (348-358 406-396) und der
Einaescherung der Hauptstadt bei dem gallischen Ueberfall (364 390).
Zwar als es indem Veientischen Kriege notwendig wurde, die Dienstzeit
der Soldaten zu verlaengern und sie, statt wie bisher hoechstens nur den
Sommer, auch den Winter hindurch unter den Waffen zu halten, und als
die Bauernschaft, die vollstaendige Zerruettung ihrer oekonomischen Lage
voraussehend, im Begriff war, ihre Einwilligung zu der Kriegserklaerung
zu verweigern, entschloss sich der Senat zu einer wichtigen Konzession:
er uebernahm den Sold, den bisher die Distrikte durch Umlage aufgebracht
hatten, auf die Staatskasse, das heisst auf den Ertrag der indirekten
Abgaben und der Domaenen (348 406). Nur fuer den Fall, dass die
Staatskasse augenblicklich leer sei, wurde des Soldes wegen eine
allgemeine Umlage (tributum) ausgeschrieben, die indes als gezwungene
Anleihe betrachtet und von der Gemeinde spaeterhin zurueckgezahlt
ward. Die Einrichtung war billig und weise; allein da das wesentliche
Fundament, eine reelle Verwertung der Domaenen zum Besten der
Staatskasse, ihr nicht gegeben ward, so kamen zu der vermehrten Last des
Dienstes noch haeufige Umlagen hinzu, die den kleinen Mann darum nicht
weniger ruinierten, dass sie offiziell nicht als Steuern, sondern
als Vorschuesse betrachtet wurden. Unter solchen Umstaenden, wo die
plebejische Aristokratie sich durch den Widerstand des Adels und
die Gleichgueltigkeit der Gemeinde tatsaechlich von der politischen
Gleichberechtigung ausgeschlossen sah und die leidende Bauernschaft der
geschlossenen Aristokratie ohnmaechtig gegenueberstand, lag es nahe,
beiden zu helfen durch ein Kompromiss. Zu diesem Ende brachten die
Volkstribune Gaius Licinius und Lucius Sextius bei der Gemeinde
Antraege dahin ein: einerseits mit Beseitigung des Konsulatribunats
festzustellen, dass wenigstens der eine Konsul Plebejer sein muesse,
und ferner den Plebejern den Zutritt zu dem einen der drei grossen
Priesterkollegien, dem auf zehn Mitglieder zu vermehrenden der
Orakelbewahrer (duoviri, spaeter decemviri sacris faciundis, 1, 191) zu
eroeffnen; anderseits hinsichtlich der Domaenen keinen Buerger auf die
Gemeinweide mehr als hundert Rinder und fuenfhundert Schafe auftreiben
und keinen von dem zur Okkupation freigegebenen Domanialland mehr als
fuenfhundert Iugera (= 494 preussische Morgen) in Besitz nehmen
zu lassen, ferner die Gutsbesitzer zu verpflichten, unter ihren
Feldarbeitern eine zu der Zahl der Ackersklaven im Verhaeltnis stehende
Anzahl freier Arbeiter zu verwenden, endlich den Schuldnern durch Abzug
der gezahlten Zinsen vom Kapital und Anordnung von Rueckzahlungsfristen
Erleichterung zu verschaffen. Die Tendenz dieser Verfuegungen liegt
auf der Hand. Sie sollten dem Adel den ausschliesslichen Besitz der
kurulischen Aemter und der daran geknuepften erblichen Auszeichnungen
der Nobilitaet entreissen, was man in bezeichnender Weise nur dadurch
erreichen zu koennen meinte, dass man die Adligen von der zweiten
Konsulstelle gesetzlich ausschloss. Sie sollten folgeweise die
plebejischen Mitglieder des Senats aus der untergeordneten Stellung,
in der sie als stumme Beisitzer sich befanden, insofern befreien, als
wenigstens diejenigen von ihnen, die das Konsulat bekleidet hatten,
damit ein Anrecht erwarben, mit den patrizischen Konsularen vor den
uebrigen patrizischen Senatoren ihr Gutachten abzugeben. Sie sollten
ferner dem Adel den ausschliesslichen Besitz der geistlichen Wuerden
entziehen; wobei man aus naheliegenden Ursachen die altlatinischen
Priestertuemer der Augurn und Pontifices den Altroemern liess, aber sie
noetigte, das dritte, juengere und einem urspruenglich auslaendischen
Kult angehoerige grosse Kollegium mit den Neubuergern zu teilen.
Sie sollten endlich den geringen Leuten den Mitgenuss der gemeinen
Buergernutzungen, den leidenden Schuldnern Erleichterung, den
arbeitslosen Tageloehnern Beschaeftigung verschaffen. Beseitigung der
Privilegien, buergerliche Gleichheit, soziale Reform - das waren die
drei grossen Ideen, welche dadurch zur Anerkennung kommen sollten.
Vergeblich boten die Patrizier gegen diese Gesetzvorschlaege ihre
letzten Mittel auf; selbst die Diktatur und der alte Kriegsheld Camillus
vermochten nur ihre Durchbringung zu verzoegern, nicht sie abzuwenden.
Gern haette auch das Volk die Vorschlaege geteilt; was lag ihm am
Konsulat und an dem Orakelbewahreramt, wenn nur die Schuldenlast
erleichtert und das Gemeinland frei ward! Aber umsonst war die
plebejische Nobilitaet nicht popular; sie fasste die Antraege in einen
einzigen Gesetzvorschlag zusammen und nach lang-, angeblich elfjaehrigem
Kampfe gab endlich der Senat seine Einwilligung und gingen sie im Jahre
387 (367) durch. Mit der Wahl des ersten nicht patrizischen Konsuls
- sie fiel auf den einen der Urheber dieser Reform, den gewesenen
Volkstribunen Lucius Sextius Lateranus - hoerte der Geschlechtsadel
tatsaechlich und rechtlich auf, zu den politischen Institutionen Roms zu
zaehlen. Wenn nach dem endlichen Durchgang dieser Gesetze der bisherige
Vorkaempfer der Geschlechter, Marcus Furius Camillus, am Fusse des
Kapitols auf einer ueber der alten Malstatt der Buergerschaft, dem
Comitium, erhoehten Flaeche, wo der Senat haeufig zusammenzutreten
pflegte, ein Heiligtum der Eintracht stiftete, so gibt man gern dem
Glauben sich hin, dass er in dieser vollendeten Tatsache den Abschluss
des nur zu lange fortgesponnenen Haders erkannte. Die religioese Weihe
der neuen Eintracht der Gemeinde war die letzte oeffentliche Handlung
des alten Kriegs- und Staatsmannes und der wuerdige Beschluss seiner
langen und ruhmvollen Laufbahn. Er hatte sich auch nicht ganz geirrt;
der einsichtigere Teil der Geschlechter gab offenbar seitdem die
politischen Sonderrechte verloren und war es zufrieden, das Regiment
mit der plebejischen Aristokratie zu teilen. Indes in der Majoritaet der
Patrizier verleugnete das unverbesserliche Junkertum sich nicht. Kraft
des Privilegiums, welches die Vorfechter der Legitimitaet zu allen
Zeiten in Anspruch genommen haben, den Gesetzen nur da zu gehorchen,
wo sie mit ihren Parteiinteressen zusammenstimmen, erlaubten sich die
roemischen Adligen noch verschiedene Male, in offener Verletzung der
vorgetragenen Ordnung, zwei patrizische Konsuln ernennen zu lassen; wie
indes, als Antwort auf eine derartige Wahl fuer das Jahr 411 (343),
das Jahr darauf die Gemeinde foermlich beschloss, die Besetzung beider
Konsulstellen mit Nichtpatriziern zu gestatten, verstand man die darin
liegende Drohung und hat es wohl noch gewuenscht, aber nicht wieder
gewagt, an die zweite Konsulstelle zu ruehren. Ebenso schnitt sich
der Adel nur in das eigene Fleisch durch den Versuch, den er bei der
Durchbringung der Licinischen Gesetze machte, mittels eines politischen
Kipp- und Wippsystems wenigstens einige Truemmer der alten Vorrechte
fuer sich zu bergen. Unter dem Vorwande, dass das Recht ausschliesslich
dem Adel bekannt sei, ward von dem Konsulat, als dies den Plebejern
eroeffnet werden musste, die Rechtspflege getrennt und dafuer ein
eigener dritter Konsul, oder, wie er gewoehnlich heisst, ein Praetor
bestellt. Ebenso kamen die Marktaufsicht und die damit verbundenen
Polizeigerichte sowie die Ausrichtung des Stadtfestes an zwei neu
ernannte Aedilen, die von ihrer staendigen Gerichtsbarkeit, zum
Unterschied von den plebejischen, die Gerichtsstuhl-Aedilen (aediles
curules) genannt wurden. Allein die kurulische Aedilitaet ward sofort
den Plebejern in der Art zugaenglich, dass adlige und buergerliche
Kurulaedilen Jahr um Jahr abwechselten. Im Jahre 398 (356) wurde ferner
die Diktatur, wie schon das Jahr vor den Licinischen Gesetzen (386 368),
das Reiterfuehreramt, im Jahre 403 (351) die Zensur, im Jahre 417 (337)
die Praetur Plebejern uebertragen und um dieselbe Zeit (415 339) der
Adel, wie es frueher in Hinsicht des Konsulats geschehen war, auch von
der einen Zensorstelle gesetzlich ausgeschlossen. Es aenderte nichts,
dass wohl noch einmal ein patrizischer Augur in der Wahl eines
plebejischen Diktators (427 327) geheime, ungeweihten Augen verborgene
Maengel fand und dass der patrizische Zensor seinem Kollegen bis zum
Schlusse dieser Periode (474 280) nicht gestattete, das feierliche Opfer
darzubringen, womit die Schatzung schloss; dergleichen Schikanen
dienten lediglich dazu, die ueble Laune des Junkertums zu konstatieren.
Ebensowenig aenderten etwa die Quengeleien, welche die patrizischen
Vorsitzer des Senats nicht verfehlt haben werden, wegen der Teilnahme
der Plebejer an der Debatte in demselben zu erheben; vielmehr stellte
die Regel sich fest, dass nicht mehr die patrizischen Mitglieder,
sondern die zu einem der drei hoechsten ordentlichen Aemter, Konsulat,
Praetur und kurulischer Aedilitaet gelangten, in dieser Folge und ohne
Unterschied des Standes zur Abgabe ihres Gutachtens aufzufordern seien,
waehrend diejenigen Senatoren, die keines dieser Aemter bekleidet
hatten, auch jetzt noch bloss an der Abmehrung teilnahmen. Das
Recht endlich des Patriziersenats, einen Beschluss der Gemeinde als
verfassungswidrig zu verwerfen, das derselbe auszuueben freilich wohl
ohnehin selten gewagt haben mochte, ward ihm durch das Publilische
Gesetz von 415 (339) und durch das nicht vor der Mitte des fuenften
Jahrhunderts erlassene Maenische in der Art entzogen, dass er veranlasst
ward, seine etwaigen konstitutionellen Bedenken bereits bei Aufstellung
der Kandidatenliste oder Einbringung des Gesetzvorschlags geltend zu
machen; was denn praktisch darauf hinauslief, dass er stets im voraus
seine Zustimmung aussprach. In dieser Art als rein formales Recht ist
die Bestaetigung der Volksschluesse dem Adel bis in die letzte Zeit
der Republik geblieben. Laenger behaupteten begreiflicherweise die
Geschlechter ihre religioesen Vorrechte; ja an manche derselben, die
ohne politische Bedeutung waren, wie namentlich an ihre ausschliessliche
Waehlbarkeit zu den drei hoechsten Flaminaten und dem sacerdotalen
Koenigtum sowie in die Genossenschaften der Springer, hat man niemals
geruehrt. Dagegen waren die beiden Kollegien der Pontifices und der
Augurn, an welche ein bedeutender Einfluss auf die Gerichte und die
Komitien sich knuepfte, zu wichtig, als dass diese Sonderbesitz der
Patrizier haetten bleiben koennen; das Ogulnische Gesetz vom Jahre 454
(300) eroeffnete denn auch in diese den Plebejern den Eintritt, indem
es die Zahl der Pontifices und der Augurn beide von sechs auf neun
vermehrte und in beiden Kollegien die Stellen zwischen Patriziern
und Plebejern gleichmaessig teilte. Den letzten Abschluss des
zweihundertjaehrigen Haders brachte das durch einen gefaehrlichen
Volksaufstand hervorgerufene Gesetz des Diktators Q. Hortensius
(465-468 289-286), das anstatt der frueheren bedingten die unbedingte
Gleichstellung der Beschluesse der Gesamtgemeinde und derjenigen der
Plebs aussprach. So hatten sich die Verhaeltnisse umgewandelt, dass
derjenige Teil der Buergerschaft, der einst allein das Stimmrecht
besessen hatte, seitdem bei der gewoehnlichen Form der fuer die gesamte
Buergerschaft verbindlichen Abstimmungen nicht einmal mehr mitgefragt
ward. Der Kampf zwischen den roemischen Geschlechtern und Gemeinen war
damit im wesentlichen zu Ende. Wenn der Adel von seinen umfassenden
Vorrechten noch den tatsaechlichen Besitz der einen Konsul- und der
einen Zensorstelle bewahrte, so war er dagegen vom Tribunat, der
plebejischen Aedilitaet, von der zweiten Konsul- und Zensorstelle
und von der Teilnahme an den rechtlich den Buergerschaftsabstimmungen
gleichstehenden Abstimmungen der Plebs gesetzlich ausgeschlossen; in
gerechter Strafe seines verkehrten und eigensinnigen Widerstrebens
hatten die ehemaligen patrizischen Vorrechte sich fuer ihn in ebenso
viele Zuruecksetzungen verwandelt. Indes der roemische Geschlechtsadel
ging natuerlich darum keineswegs unter, weil er zum leeren Namen
geworden war. Je weniger der Adel bedeutete und vermochte, desto reiner
und ausschliesslicher entwickelte sich der junkerhafte Geist. Die
Hoffart der "Ramner" hat das letzte ihrer Standesprivilegien um
Jahrhunderte ueberlebt; nachdem man standhaft gerungen hatte, "das
Konsulat aus dem plebejischen Kote zu ziehen", und sich endlich
widerwillig von der Unmoeglichkeit dieser Leistung hatte ueberzeugen
muessen, trug man wenigstens schroff und verbissen sein Adeltum zur
Schau. Man darf, um die Geschichte Roms im fuenften und sechsten
Jahrhundert richtig zu verstehen, dies schmollende Junkertum nicht
vergessen; es vermochte zwar nichts weiter als sich und andere zu
aergern, aber dies hat es denn auch nach Vermoegen getan. Einige Jahre
nach dem Ogulnischen Gesetz (458 296) kam ein bezeichnender Auftritt
dieser Art vor: eine patrizische Frau, welche an einen vornehmen und
zu den hoechsten Wuerden der Gemeinde gelangten Plebejer vermaehlt war,
wurde dieser Missheirat wegen von dem adligen Damenkreise ausgestossen
und zu der gemeinsamen Keuschheitsfeier nicht zugelassen; was denn
zur Folge hatte, dass seitdem in Rom eine besondere adlige und eine
besondere buergerliche Keuschheitsgoettin verehrt ward. Ohne Zweifel kam
es auf Velleitaeten dieser Art sehr wenig an und hat auch der bessere
Teil der Geschlechter sich dieser truebseligen Verdriesslichkeitspolitik
durchaus enthalten; aber ein Gefuehl des Missbehagens liess sie doch
auf beiden Seiten zurueck, und wenn der Kampf der Gemeinde gegen
die Geschlechter an sich eine politische und selbst eine sittliche
Notwendigkeit war, so haben dagegen diese lange nachzitternden
Schwingungen desselben, sowohl die zwecklosen Nachhutgefechte nach der
entschiedenen Schlacht als auch die leeren Rang- und Standeszaenkereien,
das oeffentliche und private Leben der roemischen Gemeinde ohne Not
durchkreuzt und zerruettet. Indes nichtsdestoweniger ward der eine Zweck
des von den beiden Teilen der Plebs im Jahre 387 (367) geschlossenen
Kompromisses, die Beseitigung des Patriziats, im wesentlichen
vollstaendig erreicht. Es fragt sich weiter, inwiefern dies auch von den
beiden positiven Tendenzen desselben gesagt werden kann und ob die
neue Ordnung der Dinge in der Tat der sozialen Not gesteuert und die
politische Gleichheit hergestellt hat. Beides hing eng miteinander
zusammen; denn wenn die oekonomische Bedraengnis den Mittelstand
aufzehrte und die Buergerschaft in eine Minderzahl von Reichen und ein
notleidendes Proletariat aufloeste, so war die buergerliche Gleichheit
damit zugleich vernichtet und das republikanische Gemeinwesen der Sache
nach zerstoert. Die Erhaltung und Mehrung des Mittelstandes, namentlich
der Bauernschaft, war darum fuer jeden patriotischen Staatsmann Roms
nicht bloss eine wichtige, sondern von allen die wichtigste Aufgabe. Die
neu zum Regiment berufenen Plebejer aber waren ueberdies noch, da sie
zum guten Teil die gewonnenen Rechte dem notleidenden und von ihnen
Hilfe erhoffenden Proletariat verdankten, politisch und sittlich
besonders verpflichtet, demselben, soweit es ueberhaupt auf diesem
Wege moeglich war, durch Regierungsmassregeln zu helfen. Betrachten wir
zunaechst, inwiefern indem hierher gehoerenden Teil der Gesetzgebung von
387 (367) eine ernstliche Abhilfe enthalten war. Dass die Bestimmung
zu Gunsten der freien Tageloehner ihren Zweck: der Gross- und
Sklavenwirtschaft zu steuern und den freien Proletariern wenigstens
einen Teil der Arbeit zu sichern, unmoeglich erreichen konnte, leuchtet
ein; aber hier konnte auch die Gesetzgebung nicht helfen, ohne an den
Fundamenten der buergerlichen Ordnung jener Zeit in einer Weise zu
ruetteln, die ueber den Horizont derselben weit hinausging. In der
Domanialfrage dagegen waere es den Gesetzgebern moeglich gewesen, Wandel
zu schaffen; aber was geschah, reichte dazu offenbar nicht aus. Indem
die neue Domaenenordnung die Betreibung der gemeinen Weide mit schon
sehr ansehnlichen Herden und die Okkupation des nicht zur Weide
ausgelegten Domanialbesitzes bis zu einem hoch gegriffenen Maximalsatz
gestattete, raeumte sie den Vermoegenden einen bedeutenden und
vielleicht schon unverhaeltnismaessigen Voranteil an dem Domaenenertrag
ein und verlieh durch die letztere Anordnung dem Domanialbesitz,
obgleich er rechtlich zehntpflichtig und beliebig widerruflich blieb,
sowie dem Okkupationssystem selbst gewissermassen eine gesetzliche
Sanktion. Bedenklicher noch war es, dass die neue Gesetzgebung weder
die bestehenden, offenbar ungenuegenden Anstalten zur Eintreibung des
Hutgeldes und des Zehnten durch wirksamere Zwangsmassregeln ersetzte,
noch eine durchgreifende Revision des Domanialbesitzes vorschrieb,
noch eine mit der Ausfuehrung der neuen Gesetze beauftragte
Behoerde einsetzte. Die Aufteilung des vorhandenen okkupierten
Domaniallandesteils unter die Inhaber bis zu einem billigen Maximalsatz,
teils unter die eigentumslosen Plebejer, beiden aber zu vollem Eigentum,
die Abschaffung des Okkupationssystems fuer die Zukunft und die
Niedersetzung einer zu sofortiger Aufteilung kuenftiger neuer
Gebietserwerbungen befugten Behoerde waren durch die Verhaeltnisse so
deutlich geboten, dass es gewiss nicht Mangel an Einsicht war, wenn
diese durchgreifenden Massregeln unterblieben. Man kann nicht umhin,
sich daran zu erinnern, dass die plebejische Aristokratie, also eben ein
Teil der hinsichtlich der Domanialnutzungen tatsaechlich privilegierten
Klasse es war, welche die neue Ordnung vorgeschlagen hatte, und dass
einer ihrer Urheber selbst, Gaius Licinius Stolo, unter den ersten wegen
Ueberschreitung des Ackermaximum Verurteilten sich befand; und nicht
umhin, sich die Frage vorzulegen, ob die Gesetzgeber ganz ehrlich
verfahren und nicht vielmehr der wahrhaft gemeinnuetzigen Loesung der
leidigen Domanialfrage absichtlich aus dem Wege gegangen sind. Damit
soll indes nicht in Abrede gestellt werden, dass die Bestimmungen der
Licinischen Gesetze, wie sie nun waren, dem kleinen Bauern und dem
Tageloehner wesentlich nuetzen konnten und genuetzt haben. Es muss
ferner anerkannt werden, dass in der naechsten Zeit nach Erlassung des
Gesetzes die Behoerden ueber die Maximalsaetze desselben wenigstens
vergleichungsweise mit Strenge gewacht und die grossen Herdenbesitzer
und die Domanialokkupanten oftmals zu schweren Bussen verurteilt haben.
Auch im Steuer- und Kreditwesen wurde in dieser Epoche mit groesserer
Energie als zu irgendeiner Zeit vor- oder nachher darauf hingearbeitet,
soweit gesetzliche Massregeln reichten, die Schaeden der Volkswirtschaft
zu heilen. Die im Jahre 397 (357) verordnete Abgabe von fuenf vom
Hundert des Wertes der freizulassenden Sklaven war, abgesehen davon,
dass sie der nicht wuenschenswerten Vermehrung der Freigelassenen
einen Hemmschuh anlegte, die erste in der Tat auf die Reichen gelegte
roemische Steuer. Ebenso suchte man dem Kreditwesen aufzuhelfen. Die
Wuchergesetze, die schon die Zwoelf Tafeln aufgestellt hatten, wurden
erneuert und allmaehlich geschaerft, sodass das Zinsmaximum sukzessiv
von zehn (eingeschaerft im Jahre 397 357) auf fuenf vom Hundert (407
347) fuer das zwoelfmonatliche Jahr ermaessigt und endlich (412 342)
das Zinsnehmen ganz verboten ward. Das letztere toerichte Gesetz blieb
formell in Kraft; vollzogen aber ward es natuerlich nicht, sondern
der spaeter uebliche Zinsfuss von eins vom Hundert fuer den Monat
oder zwoelf vom Hundert fuer das buergerliche Gemeinjahr, der nach den
Geldverhaeltnissen des Altertums ungefaehr damals sein mochte, was nach
den heutigen der Zinsfuss von fuenf oder sechs vom Hundert ist, wird
wohl schon in dieser Zeit sich als das Maximum der angemessenen Zinsen
festgestellt haben. Fuer hoehere Betraege wird die Einklagung versagt
und vielleicht auch die gerichtliche Rueckforderung gestattet worden
sein; ueberdies wurden notorische Wucherer nicht selten vor das
Volksgericht gezogen und von den Quartieren bereitwillig zu schweren
Bussen verurteilt. Wichtiger noch war die Aenderung des Schuldprozesses
durch das Poetelische Gesetz (428 oder 441 326 oder 313); es ward
dadurch teils jedem Schuldner, der seine Zahlungsfaehigkeit eidlich
erhaertete, gestattet, durch Abtretung seines Vermoegens seine
persoenliche Freiheit sich zu retten, teils das bisherige kurze
Exekutivverfahren bei der Darlehensschuld abgeschafft und festgestellt,
dass kein roemischer Buerger anders als auf den Spruch von Geschworenen
hin in die Knechtschaft abgefuehrt werden koenne. Dass alle diese Mittel
die bestehenden oekonomischen Missverhaeltnisse wohl hie und da lindern,
aber nicht beseitigen konnten, leuchtet ein; den fortdauernden Notstand
zeigt die Niedersetzung einer Bankkommission zur Regulierung der
Kreditverhaeltnisse und zur Leistung von Vorschuessen aus der
Staatskasse im Jahre 402 (352), die Anordnung gesetzlicher
Terminzahlungen im Jahre 407 (347) und vor allen Dingen der gefaehrliche
Volksaufstand um das Jahr 467 (287), wo das Volk, nachdem es neue
Erleichterungen in der Schuldzahlung nicht hatte erreichen koennen,
hinaus auf das Ianiculum zog und erst ein rechtzeitiger Angriff der
aeusseren Feinde und die in dem Hortensischen Gesetz enthaltenen
Zugestaendnisse der Gemeinde den Frieden wiedergaben. Indes ist es
sehr ungerecht, wenn man jenen ernstlichen Versuchen, der Verarmung
des Mittelstandes zu steuern, ihre Unzulaenglichkeit entgegenhaelt; die
Anwendung partialer und palliativer Mittel gegen radikale Leiden fuer
nutzlos zu erklaeren, weil sie nur zum Teil helfen, ist zwar eines der
Evangelien, das der Einfalt von der Niedertraechtigkeit nie ohne Erfolg
gepredigt wird, aber darum nicht minder unverstaendig. Eher liesse sich
umgekehrt fragen, ob nicht die schlechte Demagogie sich damals
schon dieser Angelegenheit bemaechtigt gehabt und ob es wirklich so
gewaltsamer und gefaehrlicher Mittel bedurft habe, wie zum Beispiel die
Kuerzung der gezahlten Zinsen am Kapital ist. Unsere Akten reichen nicht
aus, um hier ueber Recht und Unrecht zu entscheiden; allein klar genug
erkennen wir, dass der ansaessige Mittelstand immer noch in einer
bedrohten und bedenklichen oekonomischen Lage sich befand, dass man von
oben herab vielfach, aber natuerlich vergeblich sich bemuehte, ihm
durch Prohibitivgesetze und Moratorien zu helfen, dass aber das
aristokratische Regiment fortdauernd gegen seine eigenen Glieder zu
schwach und zu sehr in egoistischen Standesinteressen befangen war, um
durch das einzige wirksame Mittel, das der Regierung zu Gebote stand,
durch die voellige und rueckhaltlose Beseitigung des Okkupationssystems
der Staatslaendereien, dem Mittelstande aufzuhelfen und vor allen Dingen
die Regierung von dem Vorwurf zu befreien, dass sie die gedrueckte
Lage der Regierten zu ihrem eigenen Vorteil ausbeute. Eine wirksamere
Abhilfe, als die Regierung sie gewaehren wollte oder konnte, brachten
den Mittelklassen die politischen Erfolge der roemischen Gemeinde und
die allmaehlich sich befestigende Herrschaft der Roemer ueber Italien.
Die vielen und grossen Kolonien, die zu deren Sicherung gegruendet
werden mussten und von denen die Hauptmasse im fuenften Jahrhundert
ausgefuehrt wurde, verschafften dem ackerbauenden Proletariat
teils eigene Bauernstellen, teils durch den Abfluss auch den
Zurueckgebliebenen Erleichterung daheim. Die Zunahme der indirekten
und ausserordentlichen Einnahmen, ueberhaupt die glaenzende Lage der
roemischen Finanzen fuehrte nur selten noch die Notwendigkeit herbei,
von der Bauernschaft in Form der gezwungenen Anleihe Kontribution zu
erheben. War auch der ehemalige Kleinbesitz wahrscheinlich unrettbar
verloren, so musste der steigende Durchschnittssatz des roemischen
Wohlstandes die bisherigen groesseren Grundbesitzer in Bauern
verwandeln und auch insofern dem Mittelstand neue Glieder zufuehren.
Die Okkupationen der Vornehmen warfen sich vorwiegend auf die grossen
neugewonnenen Landstriche; die Reichtuemer, die durch den Krieg und
den Verkehr massenhaft nach Rom stroemten, muessen den Zinsfuss
herabgedrueckt haben; die steigende Bevoelkerung der Hauptstadt kam
dem Ackerbauer in ganz Latium zugute; ein weises Inkorporationssystem
vereinigte eine Anzahl angrenzender, frueher untertaeniger Gemeinden
mit der roemischen und verstaerkte dadurch namentlich den Mittelstand;
endlich brachten die herrlichen Siege und die gewaltigen Erfolge die
Faktionen zum Schweigen, und wenn der Notstand der Bauernschaft auch
keineswegs beseitigt, noch weniger seine Quellen verstopft wurden,
so leidet es doch keinen Zweifel, dass am Schlusse dieser Periode der
roemische Mittelstand im ganzen in einer weit minder gedrueckten Lage
sich befand als in dem ersten Jahrhundert nach Vertreibung der Koenige.
Endlich, die buergerliche Gleichheit ward durch die Reform vom Jahre
387 (367) und deren weitere folgerichtige Entwicklung in gewissem Sinne
allerdings erreicht oder vielmehr wieder hergestellt. Wie einst, als
die Patrizier noch in der Tat die Buergerschaft ausmachten, sie
untereinander an Rechten und Pflichten unbedingt gleichgestanden hatten,
so gab es jetzt wieder in der erweiterten Buergerschaft dem Gesetze
gegenueber keinen willkuerlichen Unterschied. Diejenigen Abstufungen
freilich, welche die Verschiedenheiten in Alter, Einsicht, Bildung
und Vermoegen in der buergerlichen Gesellschaft mit Notwendigkeit
hervorrufen, beherrschten natuerlicherweise auch das Gemeindeleben;
allein der Geist der Buergerschaft und die Politik der Regierung wirkten
gleichmaessig dahin, diese Scheidung moeglichst wenig hervortreten
zu lassen. Das ganze roemische Wesen lief darauf hinaus, die Buerger
durchschnittlich zu tuechtigen Maennern heranzubilden, geniale Naturen
aber nicht emporkommen zu lassen. Der Bildungsstand der Roemer hielt
mit der Machtentwicklung ihrer Gemeinde durchaus nicht Schritt und ward
instinktmaessig von oben herab mehr zurueckgehalten als gefoerdert. Dass
es Reiche und Arme gab, liess sich nicht verhindern; aber wie in einer
rechten Bauerngemeinde fuehrte der Bauer wie der Tageloehner selber
den Pflug und galt auch fuer den Reichen die gut wirtschaftliche Regel,
gleichmaessig sparsam zu leben und vor allem kein totes Kapital bei
sich hinzulegen - ausser dem Salzfass und dem Opferschaelchen sah man
Silbergeraet in dieser Zeit in keinem roemischen Hause. Es war das
nichts Kleines. Man spuert es an den gewaltigen Erfolgen, welche die
roemische Gemeinde in dem Jahrhundert vom letzten Veientischen bis auf
den Pyrrhischen Krieg nach aussen hin errang, dass hier das Junkertum
der Bauernschaft Platz gemacht hatte, dass der Fall des hochadligen
Fabiers nicht mehr und nicht weniger von der ganzen Gemeinde betrauert
worden waere als der Fall des plebejischen Deciers von Plebejern und
Patriziern betrauert ward, dass auch dem reichsten Junker das Konsulat
nicht von selber zufiel und ein armer Bauersmann aus der Sabina, Manius
Curius, den Koenig Pyrrhos in der Feldschlacht ueberwinden und aus
Italien verjagen konnte, ohne darum aufzuhoeren, einfacher sabinischer
Stellbesitzer zu sein und sein Brotkorn selber zu bauen. Indes darf es
ueber dieser imponierenden republikanischen Gleichheit nicht uebersehen
werden, dass dieselbe zum guten Teil nur formaler Art war und aus
derselben eine sehr entschieden ausgepraegte Aristokratie nicht so
sehr hervorging als vielmehr darin von vornherein enthalten war. Schon
laengst hatten die reichen und angesehenen nichtpatrizischen Familien
von der Menge sich ausgeschieden und im Mitgenuss der senatorischen
Rechte, in der Verfolgung einer, von der der Menge unterschiedenen
und sehr oft ihr entgegenwirkenden Politik sich mit dem Patriziat
verbuendet. Die Licinischen Gesetze hoben die gesetzlichen Unterschiede
innerhalb der Aristokratie auf und verwandelten die den gemeinen Mann
vom Regiment ausschliessende Schranke aus einem unabaenderlichen Rechts-
in ein nicht unuebersteigliches, aber doch schwer zu uebersteigendes
tatsaechliches Hindernis. Auf dem einen wie dem anderen Wege kam
frisches Blut in den roemischen Herrenstand; aber an sich blieb nach
wie vor das Regiment aristokratisch und auch in dieser Hinsicht die
roemische eine rechte Bauerngemeinde, in welcher der reiche Vollhufener
zwar aeusserlich von dem armen Insten sich wenig unterscheidet und
auf gleich und gleich mit ihm verkehrt, aber nichtsdestoweniger die
Aristokratie so allmaechtig regiert, dass der Unbemittelte weit eher
in der Stadt Buergermeister als in seinem Dorfe Schulze wird. Es war
wichtig und segensreich, dass nach der neuen Gesetzgebung auch der
aermste Buerger das hoechste Gemeindeamt bekleiden durfte; aber darum
war es nichtsdestoweniger nicht bloss eine seltene Ausnahme, dass
ein Mann aus den unteren Schichten der Bevoelkerung dazu gelangte
^4, sondern es war wenigstens gegen den Schluss dieser Periode
wahrscheinlich schon nur moeglich mittels einer Oppositionswahl.
Jedem aristokratischen Regiment tritt von selber eine entsprechende
Oppositionspartei gegenueber; und da auch die formelle Gleichstellung
der Staende die Aristokratie nur modifizierte und der neue Herrenstand
das alte Patriziat nicht bloss beerbte, sondern sich auf denselben
pfropfte und aufs innigste mit ihm zusammenwuchs, so blieb auch die
Opposition bestehen und tat in allen und jeden Stuecken das gleiche.
Da die Zuruecksetzung jetzt nicht mehr die Buergerlichen, sondern den
gemeinen Mann traf, so trat die neue Opposition von vornherein auf als
Vertreterin der geringen Leute und namentlich der kleinen Bauern; und
wie die neue Aristokratie sich an das Patriziat anschloss, so schlangen
sich die ersten Regungen dieser neuen Opposition mit den letzten
Kaempfen gegen die Patrizierprivilegien zusammen. Die ersten Namen
in der Reihe dieser neuen roemischen Volksfuehrer sind Manius Curius
(Konsul 464, 479, 480, 290 275, 274; Zensor 481 273) und Gaius Fabricius
(Konsul 472, 476, 481, 282, 278, 273; Zensor 479 275), beide ahnenlose
und nichtwohlhabende Maenner, beide - gegen das aristokratische Prinzip,
die Wiederwahl zu dem hoechsten Gemeindeamt zu beschraenken - jeder
dreimal durch die Stimmen der Buergerschaft an die Spitze der Gemeinde
gerufen, beide als Tribune, Konsuln und Zensoren Gegner der patrizischen
Privilegien und Vertreter des kleinen Bauernstandes gegen die
aufkeimende Hoffart der vornehmen Haeuser. Die kuenftigen Parteien
zeichnen schon sich vor; aber noch schweigt auf beiden Seiten vor dem
Interesse des Gemeinwohls das der Partei. Der adlige Appius Claudius und
der Bauer Manius Curius, dazu noch heftige persoenliche Gegner,
haben durch klugen Rat und kraeftige Tat den Koenig Pyrrhos gemeinsam
ueberwunden; und wenn Gaius Fabricius den aristokratisch gesinnten und
aristokratisch lebenden Publius Cornelius Rufinus als Zensor deswegen
bestrafte, so hielt ihn dies nicht ab, demselben seiner anerkannten
Feldherrntuechtigkeit wegen zum zweiten Konsulat zu verhelfen. Der Riss
war wohl schon da; aber noch reichten die Gegner sich ueber ihm die
Haende. ------------------------------------------- ^4 Die Armut der
Konsulare dieser Epoche, welche in den moralischen Anekdotenbuechern
der spaeteren Zeit eine grosse Rolle spielt, beruht grossenteils auf
Missverstaendnis teils des alten sparsamen Wirtschaftens, welches sich
recht gut mit ansehnlichem Wohlstand vertraegt, teils der alten
schoenen Sitte, verdiente Maenner aus dem Ertrag von Pfennigkollekten
zu bestatten, was durchaus keine Armenbeerdigung ist. Auch die
autoschediastische Beinamenerklaerung, die so viel Plattheiten in die
roemische Geschichte gebracht hat, hat hierzu ihren Beitrag geliefert
(Serranus). ------------------------------------------ Die Beendigung
der Kaempfe zwischen Alt- und Neubuergern, die verschiedenartigen und
verhaeltnismaessig erfolgreichen Versuche, dem Mittelstande aufzuhelfen,
die inmitten der neugewonnenen buergerlichen Gleichheit bereits
hervortretenden Anfaenge der Bildung einer neuen aristokratischen und
einer neuen demokratischen Partei sind also dargestellt worden. Es
bleibt noch uebrig zu schildern, wie unter diesen Veraenderungen
das neue Regiment sich konstituierte, und wie nach der politischen
Beseitigung der Adelschaft die drei Elemente des republikanischen
Gemeinwesens, Buergerschaft, Magistratur und Senat, gegeneinander sich
stellten. Die Buergerschaft in ihren ordentlichen Versammlungen blieb
nach wie vor die hoechste Autoritaet im Gemeinwesen und der legale
Souveraen; nur wurde gesetzlich festgestellt, dass, abgesehen von den
ein fuer allemal den Zenturien ueberwiesenen Entscheidungen, namentlich
den Wahlen der Konsuln und Zensoren, die Abstimmung nach Distrikten
ebenso gueltig sein solle wie die nach Zenturien, was fuer die
patrizisch-plebejische Versammlung das Valerisch-Horatische Gesetz von
305 (449) einfuehrte und das Publilische von 415 (339) erweiterte, fuer
die plebejische Sonderversammlung aber das Hortensische um 467 (287)
verordnete. Dass im ganzen dieselben Individuen in beiden Versammlungen
stimmberechtigt waren, ist schon hervorgehoben worden, aber auch,
dass, abgesehen von dem Ausschluss der Patrizier von der plebejischen
Sonderversammlung, auch in der allgemeinen Distriktsversammlung
alle Stimmberechtigten durchgaengig sich gleichstanden, in den
Zenturiatkomitien aber die Wirksamkeit des Stimmrechts nach dem
Vermoegen des Stimmenden sich abstufte, also insofern allerdings die
erstere eine nivellierende und demokratische Neuerung war. Von weit
groesserer Bedeutung war es, dass gegen das Ende dieser Periode die
uralte Bedingung des Stimmrechts, die Ansaessigkeit, zum erstenmal in
Frage gestellt zu werden anfing. Appius Claudius, der kuehnste Neuerer,
den die roemische Geschichte kennt, legte in seiner Zensur 442 (312),
ohne den Senat oder das Volk zu fragen, die Buergerliste so an, dass der
nicht grundsaessige Mann in die ihm beliebige Tribus und alsdann nach
seinem Vermoegen in die entsprechende Zenturie aufgenommen ward. Allein
diese Aenderung griff zu sehr dem Geiste der Zeit vor, um vollstaendig
Bestand zu haben. Einer der naechsten Nachfolger des Appius, der
beruehmte Besieger der Samniten, Quintus Fabius Rullianus, uebernahm es
in seiner Zensur 450 (304) sie zwar nicht ganz zu beseitigen, aber
doch in solche Grenzen einzuschliessen, dass den Grundsaessigen und
Vermoegenden effektiv die Herrschaft in den Buergerversammlungen
blieb. Es wies die nicht grundsaessigen Leute saemtlich in die vier
staedtischen Tribus, die jetzt aus den ersten im Range die letzten
wurden. Die Landquartiere dagegen, deren Zahl zwischen den Jahren 367
(241) und 513 (387) allmaehlich von siebzehn bis auf einunddreissig
stieg, also die von Haus aus bei weitem ueberwiegende und immer mehr
das Uebergewicht erhaltende Majoritaet der Stimmabteilungen, wurden
den saemtlichen ansaessigen Buergern gesetzlich vorbehalten. In
den Zenturien blieb es bei der Gleichstellung der ansaessigen und
nichtansaessigen Buerger, wie Appius sie eingefuehrt hatte. Auf diese
Weise ward dafuer gesorgt, dass in den Tributkomitien die Ansaessigen
ueberwogen, waehrend fuer die Zenturiatkomitien an sich schon die
Vermoegenden den Ausschlag gaben. Durch diese weise und gemaessigte
Festsetzung eines Mannes, der seiner Kriegstaten wegen wie mehr noch
wegen dieser seiner Friedenstat mit Recht den Beinamen des Grossen
(Maximus) erhielt, ward einerseits die Wehrpflicht wie billig auch
auf die nicht ansaessigen Buerger erstreckt, anderseits dafuer Sorge
getragen, dass in der Distriktversammlung ihrem Einfluss, insbesondere
dem der meistenteils des Grundbesitzes entbehrenden gewesenen Sklaven,
derjenige Riegel vorgeschoben ward, welcher in einem Staat, der
Sklaverei zulaesst, ein leider unerlaessliches Beduerfnis ist. Ein
eigentuemliches Sittengericht, das allmaehlich an die Schatzung und die
Aufnahme der Buergerliste sich anknuepfte, schloss ueberdies aus der
Buergerschaft alle notorisch unwuerdigen Individuen aus und wahrte dem
Buergertum die sittliche und politische Reinheit. Die Kompetenz der
Komitien zeigt die Tendenz, sich mehr und mehr, aber sehr allmaehlich
zu erweitern. Schon die Vermehrung der vom Volk zu waehlenden Magistrate
gehoert gewissermassen hierher; bezeichnend ist es besonders, dass seit
392 (362) die Kriegstribune einer Legion, seit 443 (311) je vier in
jeder der vier ersten Legionen, nicht mehr vom Feldherrn, sondern von
der Buergerschaft ernannt wurden. In die Administration griff waehrend
dieser Periode die Buergerschaft im ganzen nicht ein; nur das Recht der
Kriegserklaerung wurde von ihr, wie billig, mit Nachdruck festgehalten
und namentlich auch fuer den Fall festgestellt, wo ein an Friedens
Statt abgeschlossener laengerer Waffenstillstand ablief und zwar nicht
rechtlich, aber tatsaechlich ein neuer Krieg begann (327 427). Sonst
ward eine Verwaltungsfrage fast nur dann dem Volke vorgelegt, wenn
die regierenden Behoerden unter sich in Kollision gerieten und eine
derselben die Sache an das Volk brachte - so, als den Fuehrern der
gemaessigten Partei unter dem Adel, Lucius Valerius und Marcus Horatius,
im Jahre 305 (449) und dem ersten plebejischen Diktator Gaius Marcus
Rutilus im Jahre 398 (356) vom Senat die verdienten Triumphe nicht
zugestanden wurden; als die Konsuln des Jahres 459 (295) ueber ihre
gegenseitige Kompetenz nicht untereinander sich einigen konnten; und als
der Senat im Jahre 364 (390) die Auslieferung eines pflichtvergessenen
Gesandten an die Gallier beschloss und ein Konsulartribun deswegen
an die Gemeinde sich wandte - es war dies der erste Fall, wo ein
Senatsbeschluss vom Volke kassiert ward, und schwer hat ihn die Gemeinde
gebuesst. Zuweilen gab auch die Regierung in schwierigen Fragen dem Volk
die Entscheidung anheim: so zuerst, als Caere, nachdem ihm das Volk den
Krieg erklaert hatte, ehe dieser wirklich begann, um Frieden bat (401
353); und spaeter, als der Senat den demuetig von den Samniten erbetenen
Frieden ohne weiteres abzuschlagen Bedenken trug (436 318). Erst gegen
das Ende dieser Periode finden wir ein bedeutend erweitertes Eingreifen
der Distriktversammlung auch in Verwaltungsangelegenheiten, namentlich
Befragung derselben bei Friedensschluessen und Buendnissen; es ist
wahrscheinlich, dass diese zurueckgeht auf das Hortensische Gesetz
von 467 (287). Indes trotz dieser Erweiterungen der Kompetenz der
Buergerversammlungen begann der praktische Einfluss derselben auf die
Staatsangelegenheiten vielmehr, namentlich gegen das Ende dieser Epoche,
zu schwinden. Vor allem die Ausdehnung der roemischen Grenzen entzog
der Urversammlung ihren richtigen Boden. Als Versammlung der
Gemeindesaessigen konnte sie frueher recht wohl in genuegender
Vollzaehligkeit sich zusammenfinden und recht wohl missen, was sie
wollte, auch ohne zu diskutieren; aber die roemische Buergerschaft war
jetzt schon weniger Gemeinde als Staat. Dass die zusammen Wohnenden auch
miteinander stimmten, brachte allerdings in die roemischen Komitien,
wenigstens, wenn nach Quartieren gestimmt ward, einen gewissen
inneren Zusammenhang und in die Abstimmung hier und da Energie und
Selbstaendigkeit; in der Regel aber waren doch die Komitien in ihrer
Zusammensetzung wie in ihrer Entscheidung teils von der Persoenlichkeit
des Vorsitzenden und vom Zufall abhaengig, teils den in der Hauptstadt
domizilierten Buergern in die Haende gegeben. Es ist daher vollkommen
erklaerlich, dass die. Buergerversammlungen, die in den beiden ersten
Jahrhunderten. der Republik eine grosse und praktische Wichtigkeit
haben, allmaehlich beginnen, ein reines Werkzeug in der Hand des
vorsitzenden Beamten zu werden; freilich ein sehr gefaehrliches, da der
zum Vorsitz berufenen Beamten so viele waren und jeder Beschluss der
Gemeinde galt als der legale Ausdruck des Volkswillens in letzter
Instanz. An der Erweiterung aber der verfassungsmaessigen Rechte der
Buergerschaft war insofern nicht viel gelegen, als diese weniger als
frueher eines eigenen Wollens und Handelns faehig war, und als es eine
eigentliche Demagogie in Rom noch nicht gab - haette eine solche
damals bestanden, so wuerde sie versucht haben, nicht die Kompetenz
der Buergerschaft zu erweitern, sondern die politische Debatte vor der
Buergerschaft zu entfesseln, waehrend es doch bei den alten Satzungen,
dass nur der Magistrat die Buerger zur Versammlung zu berufen und dass
er jede Debatte und jede Amendementsstellung auszuschliessen befugt sei,
unveraendert sein Bewenden hatte. Zur Zeit machte sich diese beginnende
Zerruettung der Verfassung hauptsaechlich nur insofern geltend, als die
Urversammlungen sich wesentlich passiv verhielten und im ganzen in das
Regiment weder foerdernd noch stoerend eingriffen. Was die Beamtengewalt
anlangt, so war deren Schmaelerung nicht gerade das Ziel der zwischen
Alt- und Neubuergern gefuehrten Kaempfe, wohl aber eine ihrer
wichtigsten Folgen. Bei dem Beginn der staendischen Kaempfe, das heisst
des Streites um den Besitz der konsularischen Gewalt, war das Konsulat
noch die einige und unteilbare wesentliche koenigliche Amtsgewalt
gewesen und hatte der Konsul wie ehemals der Koenig noch alle
Unterbeamten nach eigener freier Wahl bestellt; an Ende desselben waren
die wichtigsten Befugnisse: Gerichtsbarkeit, Strassenpolizei, Senatoren-
und Ritterwahl, Schatzung und Kassenverwaltung von dem Konsulat getrennt
und an Beamte uebergegangen, die gleich dem Konsul von der Gemeinde
ernannt wurden und weit mehr neben als unter ihm standen. Das Konsulat,
sonst das einzige ordentliche Gemeindeamt, war jetzt nicht mehr
einmal unbedingt das erste: in der neu sich feststellenden Rang- und
gewoehnlichen Reihenfolge der Gemeindeaemter stand das Konsulat
zwar ueber Praetur, Aedilitaet und Quaestur, aber unter dem
Einschaetzungsamt, an das ausser den wichtigsten finanziellen
Geschaeften die Feststellung der Buerger-, Ritter- und Senatorenliste
und damit eine durchaus willkuerliche sittliche Kontrolle ueber die
gesamte Gemeinde und jeden einzelnen, geringsten wie vornehmsten Buerger
gekommen war. Der dem urspruenglichen roemischen Staatsrecht mit dem
Begriff des Oberamts unvereinbar erscheinende Begriff der begrenzten
Beamtengewalt oder der Kompetenz brach allmaehlich sich Bahn und
zerfetzte und zerstoerte den aelteren des einen und unteilbaren
Imperium. Einen Anfang dazu machte schon die Einsetzung der staendigen
Nebenaemter, namentlich der Quaestur; vollstaendig durchgefuehrt
ward sie durch die Licinischen Gesetze (387 367), welche von den drei
hoechsten Beamten der Gemeinde die ersten beiden fuer Verwaltung und
Kriegfuehrung, den dritten fuer die Gerichtsleitung bestimmten. Aber man
blieb hierbei nicht stehen. Die Konsuln, obwohl sie rechtlich durchaus
und ueberall konkurrierten, teilten doch natuerlich seit aeltester Zeit
tatsaechlich die verschiedenen Geschaeftskreise (provinciae) unter sich.
Urspruenglich war dies lediglich durch freie Vereinbarung oder in deren
Ermangelung durch Losung geschehen; allmaehlich aber griffen die
anderen konstitutiven Gewalten im Gemeinwesen in diese faktischen
Kompetenzbestimmungen ein. Es ward ueblich, dass der Senat Jahr fuer
Jahr die Geschaeftskreise abgrenzte und sie zwar nicht geradezu unter
die konkurrierenden Beamten verteilte, aber doch durch Ratschlag und
Bitte auch auf die Personenfragen entscheidend einwirkte. Aeussersten
Falls erlangte der Senat auch wohl einen Gemeindebeschluss, der die
Kompetenzfrage definitiv entschied; doch hat die Regierung diesen
bedenklichen Ausweg nur sehr selten angewandt. Ferner wurden die
wichtigsten Angelegenheiten, wie zum Beispiel die Friedensschluesse,
den Konsuln entzogen und dieselben genoetigt, hierbei an den Senat
zu rekurrieren und nach dessen Instruktion zu verfahren. Fuer den
aeussersten Fall endlich konnte der Senat jederzeit die Konsuln vom
Amt suspendieren, indem nach einer nie rechtlich festgestellten und nie
tatsaechlich verletzten Uebung der Eintritt der Diktatur lediglich von
dem Beschluss des Senats abhing und die Bestimmung der zu ernennenden
Person, obwohl verfassungsmaessig bei dem ernennenden Konsul, doch der
Sache nach in der Regel bei dem Senat stand. Laenger als in dem Konsulat
blieb in der Diktatur die alte Einheit und Rechtsfuelle des Imperium
enthalten; obwohl sie natuerlich als ausserordentliche Magistratur
der Sache nach von Haus aus eine Spezialkompetenz hatte, gab es doch
rechtlich eine solche fuer den Diktator noch weit weniger als fuer den
Konsul. Indes auch sie ergriff allmaehlich der neu in das roemische
Rechtsleben eintretende Kompetenzbegriff. Zuerst 391 (363) begegnet
ein aus theologischem Skrupel ausdruecklich bloss zur Vollziehung einer
religioesen Zeremonie ernannter Diktator; und wenn dieser selbst noch,
ohne Zweifel formell verfassungsmaessig, die ihm gesetzte Kompetenz
als nichtig behandelte und ihr zum Trotz den Heerbefehl uebernahm, so
wiederholte bei den spaeteren, gleichartig beschraenkten Ernennungen,
die zuerst 403 (351) und seitdem sehr haeufig begegnen, diese Opposition
der Magistratur sich nicht, sondern auch die Diktatoren erachteten
fortan durch ihre Spezialkompetenzen sich gebunden. Endlich lagen in
dem 412 (342) erlassenen Verbot der Kumulierung ordentlicher kurulischer
Aemter und in der gleichzeitigen Vorschrift, dass derselbe Mann dasselbe
Amt in der Regel nicht vor Ablauf einer zehnjaehrigen Zwischenzeit
solle verwalten koennen, sowie in der spaeteren Bestimmung, dass das
tatsaechlich hoechste Amt, die Zensur, ueberhaupt nicht zum zweitenmal
bekleidet werden duerfe (489 265), weitere sehr empfindliche
Beschraenkungen der Magistratur. Doch war die Regierung noch stark
genug, um ihre Werkzeuge nicht zu fuerchten und darum eben die
brauchbarsten absichtlich ungenutzt zu lassen; tapfere Offiziere wurden
sehr haeufig von jenen Vorschriften entbunden ^5, und es kamen noch
Faelle vor, wie der des Quintus Fabius Rullianus, der in achtundzwanzig
Jahren fuenfmal Konsul war, und des Marcus Valerius Corvus (384-
483 370-271), welcher, nachdem er sechs Konsulate, das erste im
dreiundzwanzigsten, das letzte im zweiundsiebzigsten Jahre, verwaltet
und drei Menschenalter hindurch der Hort der Landsleute und der
Schrecken der Feinde gewesen war, hundertjaehrig zur Grube fuhr.
------------------------------------------------- ^5 Wer die
Konsularverzeichnisse vor und nach 412 (342) vergleicht, wird an der
Existenz des oben erwaehnten Gesetzes ueber die Wiederwahl zum Konsulat
nicht zweifeln; denn so gewoehnlich vor diesem Jahr die Wiederbekleidung
des Amtes besonders nach drei bis vier Jahren ist, so haeufig sind
nachher die Zwischenraeume von zehn Jahren und darueber. Doch finden
sich, namentlich waehrend der schweren Kriegsjahre 434-443 (320-311),
Ausnahmen in sehr grosser Zahl. Streng hielt man dagegen an der
Unzulaessigkeit der Aemterkumulierung. Es findet sich kein sicheres
Beispiel der Verbindung zweier der drei ordentlichen kurulischen (Liv.
39, 39, 4) Aemter (Konsulat, Praetur, kurulische Aedilitaet), wohl aber
von anderen Kumulierungen, zum Beispiel der kurulischen Aedilitaet
und des Reiterfuehreramts (Liv. 23 24, 30); der Praetur und der Zensur
(Fast. Capitol. a 501); der Praetur und der Diktatur (Liv. 8, 12);
des Konsulats und der Diktatur (Liv. 8, 12).
------------------------------------------------- Waehrend also der
roemische Beamte immer vollstaendiger und immer bestimmter aus
dem unbeschraenkten Herrn in den gebundenen Auftragnehmer und
Geschaeftsfuehrer der Gemeinde sich umwandelte, unterlag die alte
Gegenmagistratur, das Volkstribunat, gleichzeitig einer gleichartigen
mehr innerlichen als aeusserlichen Umgestaltung. Dasselbe diente im
Gemeinwesen zu einem doppelten Zweck. Es war von Haus aus bestimmt
gewesen, den Geringen und Schwachen. durch eine gewissermassen
revolutionaere Hilfsleistung (auxilium) gegen den gewalttaetigen
Uebermut der Beamten zu schuetzen; es war spaeterhin gebraucht worden,
um die rechtliche Zuruecksetzung der Buergerlichen und die Privilegien
des Geschlechtsadels zu beseitigen. Letzteres war erreicht. Der
urspruengliche Zweck war nicht bloss an sich mehr ein demokratisches
Ideal als eine politische Moeglichkeit, sondern auch der plebejischen
Aristokratie, in deren Haenden das Tribunat sich befinden musste
und befand, vollkommen ebenso verhasst und mit der neuen, aus der
Ausgleichung der Staende hervorgegangenen, womoeglich noch entschiedener
als die bisherige aristokratisch gefaerbten, Gemeindeordnung vollkommen
ebenso unvertraeglich, wie es dem Geschlechtsadel verhasst und mit der
patrizischen Konsularverfassung unvertraeglich gewesen war. Aber anstatt
das Tribunat abzuschaffen, zog man vor, es aus einem Ruestzeug der
Opposition in ein Regierungsorgan umzuschaffen und zog die Volkstribune,
die von Haus aus von aller Teilnahme an der Verwaltung ausgeschlossen
und weder Beamte noch Mitglieder des Senats waren, jetzt hinein in den
Kreis der regierenden Behoerden. Wenn sie in der Gerichtsbarkeit von
Anfang an den Konsuln gleichstanden und schon in den ersten Stadien
der staendischen Kaempfe gleich diesen die legislatorische Initiative
erwarben, so empfingen sie jetzt auch, wir wissen nicht genau wann,
aber vermutlich bei oder bald nach der schliesslichen Ausgleichung der
Staende, gleiche Stellung mit den Konsuln gegenueber der tatsaechlich
regierenden Behoerde, dem Senate. Bisher hatten sie, auf einer Bank an
der Tuer sitzend, der Senatsverhandlung beigewohnt, jetzt erhielten sie
gleich und neben den uebrigen Beamten ihren Platz im Senate selbst und
das Recht, bei der Verhandlung das Wort zu ergreifen; wenn ihnen das
Stimmrecht versagt blieb, so war dies nur eine Anwendung des allgemeinen
Grundsatzes des roemischen Staatsrechts, dass den Rat nur gab, wer zur
Tat nicht berufen war und also saemtlichen funktionierenden Beamten
waehrend ihres Amtsjahrs nur Sitz, nicht Stimme im Gemeinderat zukam.
Aber es blieb hierbei nicht. Die Tribune empfingen das unterscheidende
Vorrecht der hoechsten Magistratur, das sonst von den ordentlichen
Beamten nur den Konsuln und Praetoren zustand: das Recht, den Senat zu
versammeln, zu befragen und einen Beschluss desselben zu bewirken ^6. Es
war das nur in der Ordnung: die Haeupter der plebejischen Aristokratie
mussten denen der patrizischen im Senate gleichgestellt werden, seit das
Regiment von dem Gesellschaftsadel uebergegangen war auf die vereinigte
Aristokratie. Indem dieses urspruenglich von aller Teilnahme an der
Staatsverwaltung ausgeschlossene Oppositionskollegium jetzt, namentlich
fuer die eigentlich staedtischen Angelegenheiten, eine zweite hoechste
Exekutivstelle ward und eines der gewoehnlichsten und brauchbarsten
Organe der Regierung, dass heisst des Senats, um die Buergerschaft zu
lenken und vor allem um Ausschreitungen der Beamten zu hemmen, wurde es
allerdings seinem urspruenglichen Wesen nach absorbiert und
politisch vernichtet; indes war dieses Verfahren in der Tat durch
die Notwendigkeit geboten. Wie klar auch die Maengel der roemischen
Aristokratie zutage liegen und wie entschieden das stetige Wachsen
der aristokratischen Uebermacht mit der tatsaechlichen Beseitigung des
Tribunats zusammenhaengt, so kann doch nicht verkannt werden, dass auf
die Laenge sich nicht mit einer Behoerde regieren liess, welche
nicht bloss zwecklos war und fast auf die Hinhaltung des leidenden
Proletariats durch truegerische Hilfsvorspiegelung berechnet, sondern
zugleich entschieden revolutionaer und im Besitz einer eigentlich
anarchischen Befugnis der Hemmung der Beamten-, ja der Staatsgewalt
selbst. Aber der Glaube an das Ideale, in dem alle Macht wie alle
Ohnmacht der Demokratie begruendet ist, hatte in den Gemuetern der
Roemer aufs engste an das Gemeindetribunat sich geheftet, und man
braucht nicht erst an Cola Rienzi zu erinnern, um einzusehen, dass
dasselbe, wie wesenlos immer der daraus fuer die Menge entspringende
Vorteil war, ohne eine furchtbare Staatsumwaelzung nicht beseitigt
werden konnte. Darum begnuegte man sich mit echt buergerlicher
Staatsklugheit, in den moeglichst wenig in die Augen fallenden Formen
die Sache zu vernichten. Der blosse Name dieser ihrem innersten
Kern nach revolutionaeren Magistratur blieb immer noch innerhalb des
aristokratisch regierten Gemeinwesens gegenwaertig ein Widerspruch und
fuer die Zukunft, in den Haenden einer dereinstigen Umsturzpartei, eine
schneidende und gefaehrliche Waffe; indes fuer jetzt und noch auf lange
hinaus war die Aristokratie so unbedingt maechtig und so vollstaendig
im Besitz des Tribunats, dass von einer kollegialischen Opposition der
Tribune gegen den Senat schlechterdings keine Spur sich findet und die
Regierung der etwa vorkommenden verlorenen oppositionellen Regungen
einzelner solcher Beamten immer ohne Muehe und in der Regel durch
das Tribunat selbst Herr ward.
------------------------------------------------- ^6 Daher werden die
fuer den Senat bestimmten Depeschen adressiert an Konsuln,
Praetoren, Volkstribune und Senat (Cic. ad fam. 15, 2 und sonst).
------------------------------------------------- In der Tat war es
der Senat, der die Gemeinde regierte, und fast ohne Widerstand seit der
Ausgleichung der Staende. Seine Zusammensetzung selbst war eine andere
geworden. Das freie Schalten der Oberbeamten, wie es nach Beseitigung
der alten Geschlechtervertretung in dieser Hinsicht stattgefunden
hatte, hatte schon mit der Abschaffung der lebenslaenglichen
Gemeindevorstandschaft sehr wesentliche Beschraenkungen erfahren. Ein
weiterer Schritt zur Emanzipation des Senats von der Beamtengewalt
erfolgte durch den Uebergang der Feststellung dieser Listen von den
hoechsten Gemeindebeamten auf eine Unterbehoerde, von den Konsuln auf
die Zensoren. Allerdings wurde, sei es gleich damals oder bald nachher,
auch das Recht des mit der Anfertigung der Liste beauftragten Beamten,
einzelne Senatoren wegen eines ihnen anhaftenden Makels aus derselben
wegzulassen und somit aus dem Senat auszuschliessen, wo nicht
eingefuehrt, doch wenigstens schaerfer formuliert ^7 und somit jenes
eigentuemliche Sittengericht begruendet, auf dem das hohe Ansehen der
Zensoren vornehmlich beruht. Allein derartige Ruegen konnten, da zumal
beide Zensoren darueber einig sein mussten, wohl dazu dienen, einzelne
der Versammlung nicht zur Ehre gereichende oder dem in ihr herrschenden
Geist feindliche Persoenlichkeiten zu entfernen, nicht aber sie
selbst in Abhaengigkeit von der Magistratur versetzen.
------------------------------------------------- ^7 Diese Befugnis
sowie die aehnlichen hinsichtlich der Ritter- und der Buergerliste waren
wohl nicht foermlich und gesetzlich den Zensoren beigelegt, lagen aber
tatsaechlich von jeher in ihrer Kompetenz. Das Buergerrecht vergibt
die Gemeinde, nicht der Zensor aber wem dieser in dem Verzeichnis
der Stimmberechtigten keine oder eine schlechtere Stelle anweist, der
verliert das Buergerrecht nicht, kann aber die buergerlichen Befugnisse
nicht oder nur an dem geringeren Platz ausueben bis zur Anfertigung
einer neuen Liste. Ebenso verhaelt es sich mit dem Senat: wen der Zensor
in seiner Liste auslaesst, der scheidet aus demselben, solange die
betreffende Liste gueltig bleibt - es kommt vor, dass der vorsitzende
Beamte sie verwirft und die aeltere Liste wieder in Kraft setzt.
Offenbar kam also in dieser Hinsicht es nicht so sehr darauf an, was
den Zensoren gesetzlich freistand, sondern was bei denjenigen Beamten,
welche nach ihren Listen zu laden hatten, ihre Autoritaet vermochte.
Daher begreift man, wie diese Befugnis allmaehlich stieg und wie mit
der steigenden Konsolidierung der Nobilitaet dergleichen Streichungen
gleichsam die Form richterlicher Entscheidungen annahmen und gleichsam
als solche respektiert wurden. Hinsichtlich der Feststellung der
Senatsliste hat freilich auch ohne Zweifel die Bestimmung des Ovinischen
Plebiszits wesentlich mitgewirkt, dass die Zensoren "aus
allen Rangklassen die Besten" in den Senat nehmen sollten.
---------------------------------------------- Entscheidend aber
beschraenkte das Ovinische Gesetz, welches etwa um die Mitte dieser
Periode, wahrscheinlich bald nach den Licinischen Gesetzen durchgegangen
ist, das Recht der Beamten, den Senat nach ihrem Ermessen zu
konstituieren, indem es demjenigen, der kurulischer Aedil, Praetor oder
Konsul gewesen war, sofort vorlaeufig Sitz und Stimme im Senat verlieh
und die naechst eintretenden Zensoren verpflichtete, diese Expektanten
entweder foermlich in die Senatorenliste einzuzeichnen oder doch nur aus
denjenigen Gruenden, welche auch zur Ausstossung des wirklichen Senators
genuegten, von der Liste auszuschliessen. Freilich reichte die Zahl
dieser gewesenen Magistrate bei weitem nicht aus, um den Senat auf der
normalen Zahl von dreihundert zu halten; und unter dieselbe durfte man,
besonders da die Senatoren- zugleich Geschworenenliste war, ihn nicht
herabgehen lassen. So blieb dem zensorischen Wahlrecht immer noch ein
bedeutender Spielraum; indes nahmen diese, nicht durch die Bekleidung
eines Amtes, sondern durch die zensorische Wahl erkiesten Senatoren
- haeufig diejenigen Buerger, die ein nicht kurulisches Gemeindeamt
verwaltet oder durch persoenliche Tapferkeit sich hervorgetan, einen
Feind im Gefecht getoetet oder einem Buerger das Leben gerettet hatten
- zwar an der Abstimmung, aber nicht an der Debatte teil. Der Kern des
Senats und derjenige Teil desselben, in dem Regierung und Verwaltung
sich konzentriert, ruhte also nach dem Ovinischen Gesetz im wesentlichen
nicht mehr auf der Willkuer eines Beamten, sondern mittelbar auf der
Wahl durch das Volk; und die roemische Gemeinde war auf diesem Wege
zwar nicht zu der grossen Institution der Neuzeit, dem repraesentativen
Volksregimente, aber wohl dieser Institution nahe gekommen, waehrend
die Gesamtheit der nicht debattierenden Senatoren gewaehrte, was bei
regierenden Kollegien so notwendig wie schwierig herzustellen ist, eine
kompakte Masse urteilsfaehiger und urteilsberechtiger, aber schweigender
Mitglieder. Die Kompetenz des Senats wurde formell kaum veraendert. Der
Senat huetete sich wohl, durch unpopulaere Verfassungsaenderungen
oder offenbare Verfassungsverletzungen der Opposition und der Ambition
Handhaben darzubieten; er liess es sogar geschehen, wenn er es auch
nicht foerderte, dass die Buergerschaftskompetenz im demokratischen
Sinne ausgedehnt ward. Aber wenn die Buergerschaft den Schein, so erwarb
der Senat das Wesen der Macht: einen bestimmenden Einfluss auf die
Gesetzgebung und die Beamtenwahlen und das gesamte Gemeinderegiment.
Jeder neue Gesetzvorschlag ward zunaechst im Senat vorberaten, und kaum
wagte es je ein Beamter, ohne oder wider das Gutachten des Senats einen
Antrag an die Gemeinde zu stellen; geschah es dennoch, so hatte der
Senat durch die Beamteninterzession und die priesterliche Kassation eine
lange Reihe von Mitteln in der Hand, um jeden unbequemen Antrag im Keime
zu ersticken oder nachtraeglich zu beseitigen; und im aeussersten Fall
hatte er als oberste Verwaltungsbehoerde mit der Ausfuehrung auch die
Nichtausfuehrung der Gemeindebeschluesse in der Hand. Es nahm der Senat
ferner unter stillschweigender Zustimmung der Gemeinde das Recht in
Anspruch, in dringenden Faellen unter Vorbehalt der Ratifikation durch
Buergerschaftsbeschluss, von den Gesetzen zu entbinden - ein Vorbehalt,
der von Haus aus nicht viel bedeutete und allmaehlich so vollstaendig
zur Formalitaet ward, dass man in spaeterer Zeit sich nicht einmal mehr
die Muehe gab, den ratifizierenden Gemeindebeschluss zu beantragen. Was
die Wahlen anlangt, so gingen sie, soweit sie den Beamten zustanden und
von politischer Wichtigkeit waren, tatsaechlich ueber auf den Senat;
auf diesem Wege erwarb derselbe, wie schon gesagt ward, das Recht, den
Diktator zu bestellen. Groessere Ruecksicht masste allerdings auf die
Gemeinde genommen werden: es konnte ihr das Recht nicht entzogen werden,
die Gemeindeaemter zu vergeben; doch ward, wie gleichfalls schon bemerkt
wurde, sorgfaeltig darueber gewacht, dass diese Beamtenwahl nicht
etwa in die Vergebung bestimmter Kompetenzen, namentlich nicht der
Oberfeldherrnstellen in bevorstehenden Kriegen, uebergehe. Ueberdies
brachte teils der neu eingefuehrte Kompetenzbegriff, teils das dem Senat
tatsaechlich zugestandene Recht, von den Gesetzen zu entbinden, einen
wichtigen Teil der Aemterbesetzung in die Haende des Senats. Von dem
Einfluss, den der Senat auf die Feststellung der Geschaeftskreise
namentlich der Konsuln ausuebte, ist schon die Rede gewesen. Von dem
Dispensationsrecht war eine der wichtigsten Anwendungen die Entbindung
des Beamten von der gesetzlichen Befristung seines Amtes, welche zwar,
als den Grundgesetzen der Gemeinde zuwider, nach roemischen Staatsrecht
in dem eigentlichen Stadtbezirk nicht vorkommen durfte, aber ausserhalb
desselben wenigstens insoweit galt, als der Konsul und Praetor, dem die
Frist verlaengert war, nach Ablauf derselben fortfuhr, "an Konsul" oder
"Praetor Statt" (pro consule, pro praetore) zu fungieren. Natuerlich
stand dies wichtige, dem Ernennungsrecht wesentlich gleichstehende
Recht der Fristerstreckung gesetzlich allein der Gemeinde zu und ward
anfaenglich auch faktisch von ihr gehandhabt; aber doch wurde schon 447
(307) und seitdem regelmaessig den Oberfeldherren das Kommando durch
blossen Senatsbeschluss verlaengert. Dazu kam endlich der uebermaechtige
und klug vereinigte Einfluss der Aristokratie auf die Wahlen, welcher
dieselben nicht immer, aber in der Regel auf die der Regierung genehmen
Kandidaten lenkte. Was schliesslich die Verwaltung anlangt, so hing
Krieg, Frieden und Buendnis, Kolonialgruendung, Ackerassignation,
Bauwesen, ueberhaupt jede Angelegenheit von dauernder und
durchgreifender Wichtigkeit, und namentlich das gesamte Finanzwesen
lediglich ab von dem Senat. Er war es, der Jahr fuer Jahr den Beamten in
der Feststellung ihrer Geschaeftskreise und in der Limitierung der einem
jeden zur Verfuegung zu stellenden Truppen und Gelder die allgemeine
Instruktion gab, und an ihn ward von allen Seiten in allen wichtigen
Faellen rekurriert: keinem Beamten, mit Ausnahme des Konsuls, und keinem
Privaten durften die Vorsteher der Staatskasse Zahlung anders leisten
als nach vorgaengigem Senatsbeschluss. Nur in die Besorgung der
laufenden Angelegenheiten und in die richterliche und militaerische
Spezialverwaltung mischte das hoechste Regierungskollegium sich
nicht ein; es war zu viel politischer Sinn und Takt in der roemischen
Aristokratie, um die Leitung des Gemeinwesens in eine Bevormundung
des einzelnen Beamten und das Werkzeug in eine Maschine verwandeln
zu wollen. Dass dies neue Regiment des Senats bei aller Schonung der
bestehenden Formen eine vollstaendige Umwaelzung des alten Gemeinwesens
in sich schloss, leuchtet ein; dass die freie Taetigkeit
der Buergerschaft stockte und erstarrte und die Beamten zu
Sitzungspraesidenten und ausfuehrenden Kommissarien herabsanken,
dass ein durchaus nur beratendes Kollegium die Erbschaft beider
verfassungsmaessiger Gewalten tat und, wenn auch in den bescheidensten
Formen, die Zentralregierung der Gemeinde ward, war revolutionaer und
usurpatorisch. Indes wenn jede Revolution und jede Usurpation durch
die ausschliessliche Faehigkeit zum Regimente vor dem Richterstuhl der
Geschichte gerechtfertigt erscheint, so muss auch ihr strenges Urteil
es anerkennen, dass diese Koerperschaft ihre grosse Aufgabe zeitig
begriffen und wuerdig erfuellt hat. Berufen nicht durch den eitlen
Zufall der Geburt, sondern wesentlich durch die freie Wahl der Nation;
bestaetigt von vier zu vier Jahren durch das strenge Sittengericht der
wuerdigsten Maenner; auf Lebenszeit im Amte und nicht abhaengig von dem
Ablauf des Mandats oder von der schwankenden Meinung des Volkes; in sich
einig und geschlossen seit der Ausgleichung der Staende; alles in
sich schliessend, was das Volk besass von politischer Intelligenz und
praktischer Staatskunde; unumschraenkt verfuegend in allen finanziellen
Fragen und in der Leitung der auswaertigen Politik; die Exekutive
vollkommen beherrschend durch deren kurze Dauer und durch die dem
Senat nach der Beseitigung des staendischen Haders dienstbar gewordene
tribunizische Interzession, war der roemische Senat der edelste Ausdruck
der Nation und in Konsequenz und Staatsklugheit, in Einigkeit und
Vaterlandsliebe, in Machtfuelle und sicherem Mut die erste politische
Koerperschaft aller Zeiten - auch jetzt noch "eine Versammlung von
Koenigen", die es verstand, mit republikanischer Hingebung despotische
Energie zu verbinden. Nie ist ein Staat nach aussen fester und wuerdiger
vertreten worden als Rom in seiner guten Zeit durch seinen Senat. In
der inneren Verwaltung ist es allerdings nicht zu verkennen, dass die
im Senat vorzugsweise vertretene Geld- und Grundaristokratie in den ihre
Sonderinteressen betreffenden Angelegenheiten parteiisch verfuhr und
dass die Klugheit und die Energie der Koerperschaft hier haeufig von ihr
nicht zum Heil des Staates gebraucht worden sind. Indes der grosse, in
schweren Kaempfen festgestellte Grundsatz, dass jeder roemische Buerger
gleich vor dem Gesetz sei in Rechten und Pflichten, und die daraus sich
ergebende Eroeffnung der politischen Laufbahn, das heisst des
Eintritts in den Senat fuer jedermann, erhielten neben dem Glanz der
militaerischen und politischen Erfolge die staatliche und nationale
Eintracht und nahmen dem Unterschied der Staende jene Erbitterung und
Gehaessigkeit, die den Kampf der Patrizier und Plebejer bezeichnen; und
da die glueckliche Wendung der aeusseren Politik es mit sich brachte,
dass laenger als ein Jahrhundert die Reichen Spielraum fuer sich fanden,
ohne den Mittelstand unterdruecken zu muessen, so hat das roemische Volk
in seinem Senat laengere Zeit, als es einem Volke verstattet zu sein
pflegt, das grossartigste aller Menschenwerke durchzufuehren vermocht,
eine weise und glueckliche Selbstregierung. 4. Kapitel Sturz der
etruskischen Macht Die Kelten Nachdem die Entwicklung der roemischen
Verfassung waehrend der zwei ersten Jahrhunderte der Republik
dargestellt ist, ruft uns die aeussere Geschichte Roms und Italiens
wieder zurueck in den Anfang dieser Epoche. Um diese Zeit, als die
Tarquinier aus Rom vertrieben wurden, stand die etruskische Macht auf
ihrem Hoehepunkt. Die Herrschaft auf der Tyrrhenischen See besassen
unbestritten die Tusker und die mit ihnen eng verbuendeten Karthager.
Wenn auch Massalia unter steten und schweren Kaempfen sich behauptete,
so waren dagegen die Haefen Kampaniens und der volskischen Landschaft
und seit der Schlacht von Alalia auch Korsika im Besitz der Etrusker. In
Sardinien gruendeten durch die vollstaendige Eroberung der Insel (um 260
500) die Soehne des karthagischen Feldherrn Mago die Groesse zugleich
ihres Hauses und ihrer Stadt, und in Sizilien behaupteten die Phoeniker
waehrend der inneren Fehden der hellenischen Kolonien ohne wesentliche
Anfechtung den Besitz der Westhaelfte. Nicht minder beherrschten die
Schiffe der Etrusker das Adriatische Meer, und selbst in den oestlichen
Gewaessern waren ihre Kaper gefuerchtet. Auch zu Lande schien ihre Macht
im Steigen. Den Besitz der latinischen Landschaft zu gewinnen, war fuer
Etrurien, das von den volskischen in seiner Klientel stehenden Staedten
und von seinen kampanischen Besitzungen allein durch die Latiner
geschieden war, von der entscheidendsten Wichtigkeit. Bisher hatte das
feste Bollwerk der roemischen Macht Latium ausreichend beschirmt und die
Tibergrenze mit Erfolg gegen Etrurien behauptet. Allein als der gesamte
tuskische Bund, die Verwirrung und die Schwaeche des roemischen Staats
nach der Vertreibung der Tarquinier benutzend, jetzt unter dem Koenig
Lars Porsena von Clusium seinen Angriff maechtiger als zuvor erneuerte,
fand er nicht ferner den gewohnten Widerstand; Rom kapitulierte und trat
im Frieden (angeblich 247 507) nicht bloss alle Besitzungen am rechten
Tiberufer an die naechstliegenden tuskischen Gemeinden ab und gab also
die ausschliessliche Herrschaft ueber den Strom auf, sondern lieferte
auch dem Sieger seine saemtlichen Waffen aus und gelobte, fortan des
Eisens nur zur Pflugschar sich zu bedienen. Es schien, als sei die
Einigung Italiens unter tuskischer Suprematie nicht mehr fern. Allein
die Unterjochung, womit die Koalition der etruskischen und karthagischen
Nation die Griechen wie die Italiker bedroht, ward gluecklich abgewendet
durch das Zusammenhalten der durch Stammverwandtschaft wie durch die
gemeinsame Gefahr aufeinander angewiesenen Voelker. Zunaechst fand das
etruskische Heer, das nach Roms Fall in Latium eingedrungen war, vor den
Mauern von Aricia die Grenze seiner Siegesbahn durch die rechtzeitige
Hilfe der den Aricinern zur Hilfe herbeigeeilten Kymaeer (248 506). Wir
wissen nicht, wie der Krieg endigte, und namentlich nicht, ob Rom schon
damals den verderblichen und schimpflichen Frieden zerriss; gewiss ist
nur, dass die Tusker auch diesmal auf dem linken Tiberufer sich dauernd
zu behaupten nicht vermochten. Bald ward die hellenische Nation zu einem
noch umfassenderen und noch entscheidenderen Kampf gegen die
Barbaren des Westens wie des Ostens genoetigt. Es war um die Zeit der
Perserkriege. Die Stellung der Tyrier zu dem Grosskoenig fuehrte auch
Karthago in die Bahnen der persischen Politik - wie denn selbst ein
Buendnis zwischen den Karthagern und Xerxes glaubwuerdig ueberliefert
ist - und mit den Karthagern die Etrusker. Es war eine der
grossartigsten politischen Kombinationen, die gleichzeitig die
asiatischen Scharen auf Griechenland, die phoenikischen auf Sizilien
warf, um mit einem Schlag die Freiheit und die Zivilisation vom
Angesicht der Erde zu vertilgen. Der Sieg blieb den Hellenen. Die
Schlacht bei Salamis (274 der Stadt 480) rettete und raechte das
eigentliche Hellas; und an demselben Tag - so wird erzaehlt - besiegten
die Herren von Syrakus und Akragas, Gelon und Theron, das ungeheure
Heer des karthagischen Feldherrn Hamilkar, Magos Sohn, bei Himera so
vollstaendig, dass der Krieg damit zu Ende war und die Phoeniker, die
damals noch keineswegs den Plan verfolgten, ganz Sizilien fuer eigene
Rechnung sich zu unterwerfen, zurueckkehrten zu ihrer bisherigen
defensiven Politik. Noch sind von den grossen Silberstuecken erhalten,
welche aus dem Schmuck der Gemahlin Gelons, Damareta, und anderer
edler Syrakusanerinnen fuer diesen Feldzug geschlagen wurden, und die
spaeteste Zeit gedachte dankbar des milden und tapferen Koenigs von
Syrakus und des herrlichen, von Simonides gefeierten Sieges. Die
naechste Folge der Demuetigung Karthagos war der Sturz der Seeherrschaft
ihrer etruskischen Verbuendeten. Schon Anaxilas, der Herr von Rhegion
und Zankte, hatte ihren Kapern die sizilische Meerenge durch eine
stehende Flotte gesperrt (um 272 482); einen entscheidenden Sieg
erfochten bald darauf die Kymaeer und Hieron von Syrakus bei Kyme (280
474) ueber die tyrrhenische Flotte, der die Karthager vergeblich Hilfe
zu bringen versuchten. Das ist der Sieg, welchen Pindaros in der ersten
pythischen Ode feiert, und noch ist der Etruskerhelm vorhanden, den
Hieron nach Olympia sandte mit der Aufschrift: "Hiaron des Deinomenes
Sohn und die Syrakosier dem Zeus Tyrrhanisches von Kyma" ^1.
----------------------------------------------- ^1 Fiaron o
Diomeneos kai toi Syrakosioi toi Di' T?ran' apo K?mas.
----------------------------------------------- Waehrend diese
ungemeinen Erfolge gegen Karthager und Etrusker Syrakus an die Spitze
der sizilischen Griechenstaedte brachten, erhob unter den italischen
Hellenen, nachdem um die Zeit der Vertreibung der Koenige aus Rom (243
511) das achaeische Sybaris untergegangen war, das dorische Tarent
sich unbestritten zu der ersten Stelle; die furchtbare Niederlage der
Tarentiner durch die Iapyger (280 474), die schwerste, die bis dahin
ein Griechenheer erlitten hatte, entfesselte nur, aehnlich wie der
Persersturm in Hellas, die ganze Gewalt des Volksgeistes in energisch
demokratischer Entwicklung. Von jetzt an spielen nicht mehr die
Karthager und die Etrusker die erste Rolle in den italischen Gewaessern,
sondern im Adriatischen und Ionischen Meer die Tarentiner, im
Tyrrhenischen die Massalioten und die Syrakusaner, und namentlich die
letzteren beschraenkten mehr und mehr das etruskische Korsarenwesen.
Schon Hieron hatte nach dem Siege bei Kyme die Insel Aenaria (Ischia)
besetzt und damit die Verbindung zwischen den kampanischen und den
noerdlichen Etruskern unterbrochen. Um das Jahr 302 (452) wurde von
Syrakus, um der tuskischen Piraterie gruendlich zu steuern, eine eigene
Expedition ausgesandt, die die Insel Korsika und die etruskische Kueste
verheerte und die Insel Aethalia (Elba) besetzte. Ward man auch nicht
voellig Herr ueber die etruskisch-karthagischen Piraten - wie denn
das Kaperwesen zum Beispiel in Antium bis in den Anfang des fuenften
Jahrhunderts der Stadt fortgedauert zu haben scheint -, so war doch das
maechtige Syrakus ein starkes Bollwerk gegen die verbuendeten Tusker
und Phoeniker. Einen Augenblick freilich schien es, als muesse die
syrakusische Macht gebrochen werden durch die Athener, deren Seezug
gegen Syrakus im Lauf des Peloponnesischen Krieges (339-341 415-413)
die Etrusker, die alten Handelsfreunde Athens, mit drei Fuenfzigruderern
unterstuetzten. Allein der Sieg blieb, wie bekannt, im Westen wie
im Osten den Dorern. Nach dem schmaehlichen Scheitern der attischen
Expedition ward Syrakus so unbestritten die erste griechische Seemacht,
dass die Maenner, die dort an der Spitze des Staates standen, die
Herrschaft ueber Sizilien und Unteritalien und ueber beide Meere
Italiens ins Auge fassten; wogegen anderseits die Karthager, die ihre
Herrschaft in Sizilien jetzt ernstlich bedroht sahen, auch auf ihrer
Seite die Ueberwaeltigung der Syrakusaner und die Unterwerfung der
ganzen Insel zum Ziel ihrer Politik nehmen mussten und nahmen. Der
Verfall der sizilischen Mittelstaaten, die Steigerung der karthagischen
Macht auf der Insel, die zunaechst aus diesen Kaempfen hervorgingen,
koennen hier nicht erzaehlt werden; was Etrurien anlangt, so fuehrte
gegen dies der neue Herr von Syrakus, Dionysios (reg. 348-387 406-367),
die empfindlichsten Schlaege. Der weitstrebende Koenig gruendete
seine neue Kolonialmacht vor allem in dem italischen Ostmeer, dessen
noerdlichere Gewaesser jetzt zum erstenmal einer griechischen Seemacht
untertan wurden. Um das Jahr 367 (387) besetzte und kolonisierte
Dionysios an der illyrischen Kueste den Hafen Lissos und die Insel
Issa, an der italischen die Landungsplaetze Ankon, Numana und Atria; das
Andenken an die syrakusanische Herrschaft in dieser entlegenen Gegend
bewahrten nicht bloss die "Graeben des Philistos", ein ohne Zweifel
von dem bekannten Geschichtschreiber und Freunde des Dionysios, der die
Jahre seiner Verbannung (368 386f.) in Atria verlebte, angelegter
Kanal an der Pomuendung; auch die veraenderte Benennung des italischen
Ostmeers selbst, wofuer seitdem anstatt der aelteren Benennung des
Ionischen Busens die heute noch gangbare des "Meeres von Hadria"
vorkommt, geht wahrscheinlich auf diese Ereignisse zurueck ^2.
Aber nicht zufrieden mit diesen Angriffen auf die Besitzungen und
Handelsverbindungen der Etrusker im Ostmeer, griff Dionysios durch die
Erstuermung und Pluenderung der reichen caeritischen Hafenstadt Pygri
(369 385 die etruskische Macht in ihrem innersten Kern an. Sie hat denn
auch sich nicht wieder erholt. Als nach Dionysios' Tode die inneren
Unruhen in Syrakus den Karthagern freiere Bahn machten und deren Flotte
wieder im Tyrrhenischen Meer das Uebergewicht bekam, das sie seitdem mit
kurzen Unterbrechungen behauptete, lastete dieses nicht minder schwer
auf den Etruskern wie auf den Griechen; so dass sogar, als im Jahre 444
(310) Agathokles von Syrakus zum Krieg mit Karthago ruestete, achtzehn
tuskische Kriegsschiffe zu ihm stiessen. Die Etrusker mochten fuer
Korsika fuerchten, das sie wahrscheinlich damals noch behaupteten; die
alte tuskisch-phoenikische Symmachie, die noch zu Aristoteles' Zeit
(370-432 384-322) bestand, ward damit gesprengt, aber die Schwaeche
der Etrusker zur See nicht wieder aufgehoben.
------------------------------------------------------- ^2 Hekataeos (+
nach 257 497, Rom) und noch Herodot (270 bis nach 345 484- 409) kennen
den Hatrias nur als das Podelta und das dasselbe bespuelende Meer (K.
O. Mueller, Die Etrusker. Breslau 1828. Bd. 1, S. 140; GGM 1, p. 23).
In weiterer Bedeutung findet sich die Benennung des Hadriatischen
Meeres zuerst bei dem sogenannten Skylax um 418 der Stadt (336).
-------------------------------------------------------- Dieser rasche
Zusammensturz der etruskischen Seemacht wuerde unerklaerlich sein, wenn
nicht gegen die Etrusker zu eben der Zeit, wo die sizilischen Griechen
sie zur See angriffen, auch zu Lande von allen Seiten her die schwersten
Schlaege gefallen waeren. Um die Zeit der Schlachten von Salamis, Himera
und Kyme ward, dem Berichte der roemischen Annalen zufolge, zwischen
Rom und Veii ein vieljaehriger und heftiger Krieg gefuehrt (271-280
483-474). Die Roemer erlitten in demselben schwere Niederlagen; im
Andenken geblieben ist die Katastrophe der Fabier (277 477), die infolge
der inneren Krisen sich freiwillig aus der Hauptstadt verbannt und die
Verteidigung der Grenze gegen Etrurien uebernommen hatten, hier aber
am Bache Cremera bis auf den letzten waffenfaehigen Mann niedergehauen
wurden. Allein der Waffenstillstand auf 400 Monate, der anstatt Friedens
den Krieg beendigte, fiel fuer die Roemer insofern guenstig aus, als er
wenigstens den Status quo der Koenigszeit wiederherstellte; die Etrusker
verzichteten auf Fidenae und den am rechten Tiberufer
gewonnenen Distrikt. Es ist nicht auszumachen, inwieweit dieser
roemisch-etruskische Krieg mit dem hellenisch-persischen und dem
sizilisch-karthagischen in unmittelbaren Zusammenhange stand; aber
moegen die Roemer die Verbuendeten der Sieger von Salamis und von Himera
gewesen sein oder nicht, die Interessen wie die Folgen trafen jedenfalls
zusammen. Wie die Latiner warfen auch die Samniten sich auf die
Etrusker; und kaum war deren kampanische Niederlassung durch die Folgen
des Treffens bei Kyme vom Mutterlande abgeschnitten worden, als sie
auch schon nicht mehr imstande war, den Angriffen der sabellischen
Bergvoelker zu widerstehen. Die Hauptstadt Capua fiel 330 (424) und
die tuskische Bevoelkerung ward hier bald nach der Eroberung von den
Samniten ausgerottet oder verjagt. Freilich hatten auch die kampanischen
Griechen, vereinzelt und geschwaecht, unter derselben Invasion schwer
zu leiden; Kyme selbst ward 334 (420) von den Sabellern erobert. Dennoch
behaupteten die Griechen sich namentlich in Neapolis, vielleicht mit
Hilfe der Syrakusaner, waehrend der etruskische Name in Kampanien aus
der Geschichte verschwindet; kaum dass einzelne etruskische Gemeinden
eine kuemmerliche und verlorene Existenz sich dort fristeten. Aber noch
folgenreichere Ereignisse traten um dieselbe Zeit im noerdlichen Italien
ein. Eine neue Nation pochte an die Pforten der Alpen: es waren die
Kelten; und ihr erster Andrang traf die Etrusker. Die keltische, auch
galatische oder gallische Nation hat von der gemeinschaftlichen Mutter
eine andere Ausstattung empfangen als die italische, die germanische und
die hellenische Schwester. Es fehlt ihr bei manchen tuechtigen und
noch mehr glaenzenden Eigenschaften die tiefe sittliche und staatliche
Anlage, auf welche alles Gute und Grosse in der menschlichen Entwicklung
sich gruendet. Es galt, sagt Cicero, als schimpflich fuer den freien
Kelten, das Feld mit eigenen Haenden zu bestellen. Dem Ackerbau zogen
sie das Hirtenleben vor und trieben selbst in den fruchtbaren Poebenen
vorzugsweise die Schweinezucht, von dem Fleisch ihrer Herden sich
naehrend und in den Eichenwaeldern mit ihnen Tag und Nacht verweilend.
Die Anhaenglichkeit an die eigene Scholle, wie sie den Italikern und den
Germanen eigen ist, fehlt bei den Kelten; wogegen sie es lieben, in den
Staedten und Flecken zusammen zu siedeln und diese bei ihnen frueher,
wie es scheint, als in Italien Ausdehnung und Bedeutung gewonnen haben.
Ihre buergerliche Verfassung ist unvollkommen; nicht bloss wird die
nationale Einheit nur durch ein schwaches Band vertreten, was ja in
gleicher Weise von allen Nationen anfaenglich gilt, sondern es mangelt
auch in den einzelnen Gemeinden an Eintracht und festem Regiment, an
ernstem Buergersinn und folgerechtem Streben. Die einzige Ordnung, der
sie sich schicken, ist die militaerische, in der die Bande der Disziplin
dem einzelnen die schwere Muehe abnehmen, sich selber zu bezwingen.
"Die hervorstehenden Eigenschaften der keltischen Rasse", sagt ihr
Geschichtschreiber Thierry, "sind die persoenliche Tapferkeit, in der
sie es allen Voelkern zuvortun; ein freier, stuermischer, jedem Eindruck
zugaenglicher Sinn; viel Intelligenz, aber daneben die aeusserste
Beweglichkeit, Mangel an Ausdauer, Widerstreben gegen Zucht und Ordnung,
Prahlsucht und ewige Zwietracht, die Folge der grenzenlosen Eitelkeit."
Kuerzer sagt ungefaehr dasselbe der alte Cato: "auf zwei Dinge geben
die Kelten viel: auf das Fechten und auf den Esprit" ^3. Solche
Eigenschaften guter Soldaten und schlechter Buerger erklaeren die
geschichtliche Tatsache, dass die Kelten alle Staaten erschuettert und
keinen gegruendet haben. Ueberall finden wir sie bereit zu wandern, das
heisst zu marschieren; dem Grundstueck die bewegliche Habe vorziehend,
allem anderen aber das Gold; das Waffenwerk betreibend als geordnetes
Raubwesen oder gar als Handwerk um Lohn und allerdings mit solchem
Erfolge, dass selbst der roemische Geschichtschreiber Sallustius im
Waffenwerk den Kelten den Preis vor den Roemern zugesteht. Es sind die
rechten Lanzknechte des Altertums, wie die Bilder und Beschreibungen sie
uns darstellen: grosse, nicht sehnige Koerper, mit zottigem Haupthaar
und langem Schnauzbart - recht im Gegensatz zu Griechen und Roemern, die
das Haupt und die Oberlippe schoren -, in bunten gestickten Gewaendern,
die beim Kampf nicht selten abgeworfen wurden, mit dem breiten Goldring
um den Hals, unbehelmt und ohne Wurfwaffen jeder Art, aber dafuer mit
ungeheurem Schild nebst dem langen schlechtgestaehlten Schwert, dem
Dolch und der Lanze, alle diese Waffen mit Gold geziert, wie sie denn
die Metalle nicht ungeschickt zu bearbeiten verstanden. Zum Renommieren
dient alles, selbst die Wunde, die oft nachtraeglich erweitert wird, um
mit der breiteren Schmarre zu prunken. Gewoehnlich fechten sie zu
Fuss, einzelne Schwaerme aber auch zu Pferde, wo dann jedem Freien zwei
gleichfalls berittene Knappen folgen; Streitwagen finden sich frueh wie
bei den Libyern und den Hellenen in aeltester Zeit. Mancher Zug erinnert
an das Ritterwesen des Mittelalters; am meisten die den Roemern und
Griechen fremde Sitte des Zweikampfes. Nicht bloss im Kriege pflegten
sie den einzelnen Feind, nachdem sie ihn zuvor mit Worten und Gebaerden
verhoehnt hatten, zum Kampfe zu fordern; auch im Frieden fochten sie
gegeneinander in glaenzender Ruestung auf Leben und Tod. Dass die
Zechgelage hernach nicht fehlten, versteht sich. So fuehrten sie unter
eigener oder fremder Fahne ein unstetes Soldatenleben, das sie von
Irland und Spanien bis nach Kleinasien zerstreute unter steten Kaempfen
und sogenannten Heldentaten; aber was sie auch begannen, es zerrann wie
der Schnee im Fruehling, und nirgends ist ein grosser Staat,
nirgends eine eigene Kultur von ihnen geschaffen worden.
------------------------------------------------------- ^3 Pleraque
Gallia duas res industriosissime persequitur: rem militarem et
argute loqui. (Cato or. frg. 2, 2).
------------------------------------------------------- So schildern uns
die Alten diese Nation; ueber ihre Herkunft laesst sich nur mutmassen.
Demselben Schoss entsprungen, aus dem auch die hellenischen, italischen
und germanischen Voelkerschaften hervorgingen, sind die Kelten
ohne Zweifel gleich diesen aus dem oestlichen Mutterland in Europa
eingerueckt, wo sie in fruehester Zeit das Westmeer erreichten und in
dem heutigen Frankreich ihre Hauptsitze begruendeten ^4, gegen Norden
hin uebersiedelnd auf die britannischen Inseln, gegen Sueden die
Pyrenaeen ueberschreitend und mit den iberischen Voelkerschaften um den
Besitz der Halbinsel ringend. An den Alpen indes stroemte ihre erste
grosse Wanderung vorbei und erst von den westlichen Laendern aus
begannen sie in kleineren Massen und in entgegengesetzter Richtung jene
Zuege, die sie ueber die Alpen und den Haemus, ja ueber den Bosporus
fuehrten und durch die sie der Schrecken der saemtlichen zivilisierten
Nationen des Altertums geworden und durch manche Jahrhunderte geblieben
sind, bis Caesars Siege und die von Augustus geordnete
Grenzverteidigung ihre Macht fuer immer brachen.
-------------------------------------------------------- ^4
Neuerdings ist von kundigen Sprachforschern behauptet worden, dass die
Verwandtschaft der Kelten und der Italiker naeher sei, als selbst die
der letzteren und der Hellenen, das heisst, dass derjenige Ast des
grossen Baumes, von dem die west- und suedeuropaeischen Voelkerschaften
indogermanischen Stammes entsprungen sind, zunaechst sich in Griechen
und Italokelten und betraechtlich spaeter die letzteren sich wieder
in Italiker und Kelten gespalten haetten. Geographisch ist diese
Aufstellung sehr annehmbar, und auch die geschichtlich vorliegenden
Tatsachen lassen sich vielleicht damit ebenfalls in Einklang bringen
da, was bisher als graecoitalische Zivilisation angesehen worden ist,
fueglich graecokeltoitalisch gewesen sein kann - wissen wir doch ueber
die aelteste keltische Kulturstufe in der Tat nichts. Die sprachliche
Untersuchung scheint indes noch nicht so weit gediehen zu sein, dass
ihre Ergebnisse in die aelteste Voelkergeschichte eingereiht werden
duerften. ------------------------------------------------------- Die
einheimische Wandersage, die hauptsaechlich Livius uns erhalten hat,
berichtet von diesen spaeteren ruecklaeufigen Zuegen folgendermassen
^5. Die gallische Eidgenossenschaft, an deren Spitze damals wie noch zu
Caesars Zeit der Gau der Biturigen (um Bourges) stand, habe unter dem
Koenig Ambiatus zwei grosse Heeresschwaerme entsendet, gefuehrt von den
beiden Neffen des Koenigs, und es sei der eine derselben, Sigovesus,
ueber den Rhein in der Richtung auf den Schwarzwald zu vorgedrungen, der
zweite, Bellovesus, ueber die Graischen Alpen (den Kleinen St.
Bernhard) in das Potal hinabgestiegen. Von jenem stamme die gallische
Niederlassung an der mittleren Donau, von diesem die aelteste keltische
Ansiedlung in der heutigen Lombardei, der Gau der Insubrer mit dem
Hauptort Mediolanum (Mailand). Bald sei ein zweiter Schwarm gefolgt,
der den Gau der Cenomaner mit den Staedten Brixia (Brescia) und Verona
begruendet habe. Unaufhoerlich stroemte es fortan ueber die Alpen in
das schoene ebene Land; die keltischen Staemme samt den von ihnen
aufgetriebenen und fortgerissenen ligurischen entrissen den Etruskern
einen Platz nach dem andern, bis das ganze linke Poufer in ihren Haenden
war. Nach dem Fall der reichen etruskischen Stadt Melpum (vermutlich
in der Gegend von Mailand), zu deren Bezwingung sich die schon im Potal
ansaessigen Kelten mit neugekommenen Staemmen vereinigt hatten (358?
396), gingen diese letzteren hinueber auf das rechte Ufer des Flusses
und begannen die Umbrer und Etrusker in ihren uralten Sitzen zu
bedraengen. Es waren dies vornehmlich die angeblich auf einer anderen
Strasse, ueber den Poeninischen Berg (Grossen St. Bernhard) in Italien
eingedrungenen Boier; sie siedelten sich an in der heutigen Romagna, wo
die alte Etruskerstadt Felsina, von den neuen Herren Bononia umgenannt,
ihre Hauptstadt wurde. Endlich kamen die Senonen, der letzte groessere
Keltenstamm, der ueber die Alpen gelangt ist; er nahm seine Sitze an
der Kueste des Adriatischen Meeres von Rimini bis Ancona. Aber einzelne
Haufen keltischer Ansiedler muessen sogar bis tief nach Umbrien hinein,
ja bis an die Grenze des eigentlichen Etrurien vorgedrungen sein; denn
noch bei Todi am oberen Tiber haben sich Steinschriften in keltischer
Sprache gefunden. Enger und enger zogen sich nach Norden und Osten
hin die Grenzen Etruriens zusammen, und um die Mitte des vierten
Jahrhunderts sah die tuskische Nation sich schon wesentlich auf
dasjenige Gebiet beschraenkt, das seitdem ihren Namen getragen hat und
heute noch traegt. ------------------------------------------- ^5 Die
Sage ueberliefern Livius (5, 34) und Iustin (24, 4) und auch Caesar
(Gall. 6, 24) hat sie im Sinn gehabt. Die Verknuepfung indes der
Wanderung des Bellovesus mit der Gruendung von Massalia, wodurch jene
chronologisch auf die Mitte des zweiten Jahrhunderts der Stadt bestimmt
wird, gehoert unzweifelhaft nicht der einheimischen, natuerlich
zeitlosen Sage an, sondern der spaeteren chronologisierenden Forschung
und verdient keinen Glauben. Einzelne Einfaelle und Einwanderungen
moegen sehr frueh stattgefunden haben; aber das gewaltige Umsichgreifen
der Kelten in Norditalien kann nicht vor die Zeit des Sinkens der
etruskischen Macht, das heisst nicht vor die zweite Haelfte des dritten
Jahrhunderts der Stadt gesetzt werden. Ebenso ist, nach der einsichtigen
Ausfuehrung von Wickham und Cramer, nicht daran zu zweifeln, dass der
Zug des Bellovesus wie der des Hannibal nicht ueber die Kottischen Alpen
(Mont Genevre) und durch das Gebiet der Tauriner, sondern ueber die
Graischen (den Kleinen St. Bernhard) und durch das der Salasser ging;
den Namen des Berges gibt Livius wohl nicht nach der Sage, sondern
nach seiner Vermutung an. Ob die italischen Boier aufgrund einer echten
Sagenreminiszenz oder nur aufgrund eines angenommenen Zusammenhangs mit
den noerdlich von der Donau wohnhaften Boiern durch den oestlichen Pass
der Poeninischen Alpen gefuehrt werden, muss dahingestellt bleiben.
------------------------------------------------- Unter diesen, wie auf
Verabredung gemeinschaftlichen Angriffen der verschiedensten Voelker,
der Syrakusaner, Latiner, Samniten und vor allem der Kelten brach die
eben noch so gewaltig und so ploetzlich in Latium und Kampanien und
auf beiden italischen Meeren um sich greifende etruskische Nation
noch gewaltsamer und noch ploetzlicher zusammen. Der Verlust der
Seeherrschaft, die Bewaeltigung der kampanischen Etrusker gehoert
derselben Epoche an, wo die Insubrer und Cenomaner am Po sich
niederliessen; und eben um diese Zeit ging auch die durch Porsena
wenige Jahrzehnte zuvor aufs tiefste gedemuetigte und fast geknechtete
roemische Buergerschaft zuerst angreifend gegen Etrurien vor. Im
Waffenstillstand mit Veii von 280 (474) hatte sie das Verlorene
wiedergewonnen und im wesentlichen den Zustand wiederhergestellt, wie er
zu der Zeit der Koenige zwischen beiden Nationen bestanden hatte. Als
er im Jahre 309 (445) ablief, begann zwar die Fehde aufs neue; aber
es waren Grenzgefechte und Beutezuege, die fuer beide Teile ohne
wesentliches Resultat verliefen. Etrurien stand noch zu maechtig da, als
dass Rom einen ernstlichen Angriff haette unternehmen koennen. Erst
der Abfall der Fidenaten, die die roemische Besatzung vertrieben, die
Gesandten ermordeten und sich dem Koenig der Veienter, Lars Tolumnius,
unterwarfen, veranlasste einen bedeutenderen Krieg, welcher gluecklich
fuer die Roemer ablief: der Koenig Tolumnius fiel im Gefecht von der
Hand des roemischen Konsuls Aulus Cornelius Cossus (326? 428), Fidenae
ward genommen und 329 (425) ein neuer Stillstandsvertrag auf 200 Monate
abgeschlossen. Waehrend desselben steigerte sich Etruriens Bedraengnis
mehr und mehr und naeherten sich die keltischen Waffen schon den
bisher noch verschonten Ansiedlungen am rechten Ufer des Po. Als der
Waffenstillstand Ende 346 (408) abgelaufen war, entschlossen sich die
Roemer auch ihrerseits zu einem Eroberungskrieg gegen Etrurien, der
jetzt nicht bloss gegen, sondern um Veii gefuehrt ward. Die Geschichte
des Krieges gegen die Veienter, Capenaten und Falisker und der
Belagerung Veiis, die gleich der trojanischen zehn Jahre gewaehrt
haben soll, ist wenig beglaubigt. Sage und Dichtung haben sich dieser
Ereignisse bemaechtigt, und mit Recht; denn gekaempft ward hier mit bis
dahin unerhoerter Anstrengung um einen bis dahin unerhoerten Kampfpreis.
Es war das erstemal, dass ein roemisches Heer Sommer und Winter, Jahr
aus Jahr ein im Felde blieb, bis das vorgesteckte Ziel erreicht war; das
erstemal, dass die Gemeinde aus Staatsmitteln dem Aufgebot Sold zahlte.
Aber es war auch das erstemal, dass die Roemer es versuchten, sich
eine stammfremde Nation zu unterwerfen und ihre Waffen ueber die alte
Nordgrenze der latinischen Landschaft hinuebertrugen. Der Kampf war
gewaltig, der Ausgang kaum zweifelhaft. Die Roemer fanden Unterstuetzung
bei den Latinern und den Hernikern, denen der Sturz des gefuerchteten
Nachbarn fast nicht minder Genugtuung und Foerderung gewaehrte als den
Roemern selbst; waehrend Veii von seiner Nation verlassen dastand und
nur die naechsten Staedte, Capena, Falerii, auch Tarquinii, ihm
Zuzug leisteten. Die gleichzeitigen Angriffe der Kelten wuerden
diese Nichtteilnahme der noerdlichen Gemeinden allein schon genuegend
erklaeren; es wird indes erzaehlt und es ist kein Grund es zu
bezweifeln, dass zunaechst innere Parteiungen in dem etruskischen
Staedtebund, namentlich die Opposition der aristokratischen Regierungen
der uebrigen Staedte gegen das von den Veientern beibehaltene oder
wiederhergestellte Koenigsregiment, jene Untaetigkeit der uebrigen
Etrusker herbeigefuehrt haben. Haette die etruskische Nation sich an dem
Kampf beteiligen koennen oder wollen, so wuerde die roemische Gemeinde
kaum imstande gewesen sein, die bei der damaligen hoechst unentwickelten
Belagerungskunst riesenhafte Aufgabe der Bezwingung einer grossen und
festen Stadt zu Ende zu fuehren; vereinzelt aber und verlassen wie
sie war, unterlag die Stadt (358 396) nach tapferer Gegenwehr dem
ausharrenden Heldengeist des Marcus Furius Camillus, welcher zuerst
seinem Volke die glaenzende Bahn der auslaendischen Eroberungen auftat.
Von dem Jubel, den der grosse Erfolg in Rom erregte, ist ein Nachklang
die in den Festspielen Roms bis in spaete Zeit fortgepflanzte Sitte
des "Veienterverkaufs", wobei unter den zur Versteigerung gebrachten
parodischen Beutestuecken der aergste alte Krueppel, den man auftreiben
konnte, im Purpurmantel und Goldschmuck den Beschluss machte als "Koenig
der Veienter". Die Stadt ward zerstoert, der Boden verwuenscht zu
ewiger Oede. Falerii und Capena eilten, Frieden zu machen; das maechtige
Volsinii, das in bundesmaessiger Halbheit waehrend Veiis Agonie geruht
hatte und nach der Einnahme zu den Waffen griff, bequemte nach wenigen
Jahren (363 391) sich gleichfalls zum Frieden. Es mag eine wehmuetige
Sage sein, dass die beiden Vormauern der etruskischen Nation, Melpum und
Veii, an demselben Tage jenes den Kelten, dieses den Roemern unterlagen;
aber es liegt in ihr auf jeden Fall eine tiefe geschichtliche Wahrheit.
Der doppelte Angriff von Norden und Sueden und der Fall der beiden
Grenzfesten war der Anfang des Endes der grossen etruskischen
Nation. Indes einen Augenblick schien es, als sollten die beiden
Voelkerschaften, durch deren Zusammenwirken Etrurien sich in seiner
Existenz bedroht sah, vielmehr untereinander sich aufreiben und auch
Roms neu aufbluehende Macht von den fremden Barbaren zertreten
werden. Diese Wendung der Dinge, die dem natuerlichen Lauf der Politik
widersprach, beschworen ueber die Roemer der eigene Uebermut und die
eigene Kurzsichtigkeit herauf. Die keltischen Scharen, die nach Melpums
Fall ueber den Fluss gesetzt waren, ueberfluteten mit reissender
Geschwindigkeit das noerdliche Italien, nicht bloss das offene Gebiet am
rechten Ufer des Padus und laengs des Adriatischen Meeres, sondern auch
das eigentliche Etrurien diesseits des Apennin. Wenige Jahre nachher
(363 391) ward schon das im Herzen Etruriens gelegene Clusium (Chiusi an
der Grenze von Toskana und dem Kirchenstaat) von den keltischen Senonen
belagert; und so gedemuetigt waren die Etrusker, dass die bedraengte
tuskische Stadt die Zerstoerer Veiis um Hilfe anrief. Es waere
vielleicht weise gewesen, dieselbe zu gewaehren und zugleich die
Gallier durch die Waffen und die Etrusker durch den gewaehrten Schutz
in Abhaengigkeit von Rom zu bringen; allein eine solche weitblickende
Intervention, die die Roemer genoetigt haben wuerde, einen ernsten Kampf
an der tuskischen Nordgrenze zu beginnen, lag jenseits des Horizonts
ihrer damaligen Politik. So blieb nichts uebrig, als sich jeder
Einmischung zu enthalten. Allein toerichterweise schlug man die
Hilfstruppen ab und schickte Gesandte; und noch toerichter meinten
diese, den Kelten durch grosse Worte imponieren und, als dies
fehlschlug, gegen Barbaren ungestraft das Voelkerrecht verletzen zu
koennen: sie nahmen in den Reihen der Clusiner teil an einem Gefecht und
der eine von ihnen stach darin einen gallischen Befehlshaber vom Pferde.
Die Barbaren verfuhren in diesem Fall mit Maessigung und Einsicht. Sie
sandten zunaechst an die roemische Gemeinde, um die Auslieferung der
Frevler am Voelkerrecht zu fordern, und der Senat war bereit, dem
billigen Begehren sich zu fuegen. Allein in der Masse ueberwog das
Mitleid gegen die Landsleute die Gerechtigkeit gegen die Fremden;
die Genugtuung ward von der Buergerschaft verweigert, ja nach einigen
Berichten ernannte man die tapferen Vorkaempfer fuer das Vaterland sogar
zur Konsulartribunen fuer das Jahr 364 (390) ^6, das in den roemischen
Annalen so verhaengnisvoll werden sollte. Da brach der Brennus, das
heisst der Heerkoenig der Gallier, die Belagerung von Clusium ab und der
ganze Keltenschwarm - die Zahl wird auf 70000 Koepfe angegeben - wandte
sich gegen Rom. Solche Zuege in unbekannte und ferne Gegenden waren
den Galliern gelaeufig, die unbekuemmert um Deckung und Rueckzug als
bewaffnete Auswandererscharen marschierten; in Rom aber ahnte man
offenbar nicht, welche Gefahr in diesem so ploetzlichen und so
gewaltigen Ueberfall lag. Erst als die Gallier im Anmarsch auf Rom
waren, ueberschritt eine roemische Heeresmacht den Tiber und vertrat
ihnen den Weg. Keine drei deutsche Meilen von den Toren, gegenueber
der Muendung des Baches Allia in den Tiberfluss, trafen die Heere
aufeinander und kam es am 18. Juli 364 (390) zur Schlacht. Auch jetzt
noch ging man, nicht wie gegen ein Heer, sondern wie gegen Raeuber,
uebermuetig und tolldreist in den Kampf unter unerprobten Feldherren
- Camillus hatte infolge des Staendehaders von den Geschaeften sich
zurueckgezogen. Waren es doch Wilde, gegen die man fechten sollte; was
bedurfte es des Lagers, der Sicherung des Rueckzugs? Aber die Wilden
waren Maenner von todverachtendem Mut und ihre Fechtweise den Italikern
so neu wie schrecklich; die blossen Schwerter in der Faust stuerzten die
Kelten im rasenden Anprall sich auf die roemische Phalanx und rannten
sie im ersten Stosse ueber den Haufen. Die Niederlage war vollstaendig;
von den Roemern, die den Fluss im Ruecken gefochten hatten, fand ein
grosser Teil bei dem Versuch, denselben zu ueberschreiten, seinen
Untergang; was sich rettete, warf sich seitwaerts nach dem nahen Veii.
Die siegreichen Kelten standen zwischen dem Rest des geschlagenen Heeres
und der Hauptstadt. Diese war rettungslos dem Feinde preisgegeben; die
geringe dort zurueckgebliebene oder dorthin gefluechtete Mannschaft
reichte nicht aus, um die Mauern zu besetzen, und drei Tage nach der
Schlacht zogen die Sieger durch die offenen Tore in Rom ein. Haetten sie
es am ersten getan, wie sie es konnten, so war nicht bloss die Stadt,
sondern auch der Staat verloren; die kurze Zwischenzeit machte es
moeglich, die Heiligtuemer zu fluechten oder zu vergraben und, was
wichtiger war, die Burg zu besetzen und notduerftig mit Lebensmitteln
zu versehen. Was die Waffen nicht tragen konnte, liess man nicht auf die
Burg - man hatte kein Brot fuer alle. Die Menge der Wehrlosen verlief
sich in die Nachbarstaedte; aber manche, vor allem eine Anzahl
angesehener Greise, mochten den Untergang der Stadt nicht ueberleben und
erwarteten in ihren Haeusern den Tod durch das Schwert der Barbaren. Sie
kamen, mordeten und pluenderten, was an Menschen und Gut sich vorfand
und zuendeten schliesslich vor den Augen der roemischen Besatzung auf
dem Kapitol die Stadt an allen Ecken an. Aber die Belagerungskunst
verstanden sie nicht und die Blockade des steilen Burgfelsens war
langwierig und schwierig, da die Lebensmittel fuer den grossen
Heeresschwarm nur durch bewaffnete Streifpartien sich herbeischaffen
liessen und diesen die benachbarten latinischen Buergerschaften,
namentlich die Ardeaten, haeufig mit Mut und Glueck sich entgegenwarfen.
Dennoch harrten die Kelten mit einer unter ihren Verhaeltnissen
beispiellosen Energie sieben Monate unter dem Felsen aus und schon
begannen der Besatzung, die der Ueberrumpelung in einer dunkeln Nacht
nur durch das Schnattern der Heiligen Gaense im kapitolinischen Tempel
und das zufaellige Erwachen des tapferen Marcus Manlius entgangen war,
die Lebensmittel auf die Neige zu geben, als den Kelten ein Einfall der
Veneter in das neu gewonnene senonische Gebiet am Padus gemeldet ward
und sie bewog, das ihnen fuer den Abzug gebotene Loesegeld anzunehmen.
Das hoehnische Hinwerfen des gallischen Schwertes, dass es aufgewogen
werde vom roemischen Golde, bezeichnete sehr richtig die Lage der Dinge.
Das Eisen der Barbaren hatte gesiegt, aber sie verkauften ihren Sieg
und gaben ihn damit verloren.
------------------------------------------------------ ^6 Dies ist nach
der gangbaren Gleichung 390 v. Chr.; in der Tat aber fiel die Einnahme
Roms Ol. 98, 1 = 388 v. Chr. und ist nur durch die zerruettete
roemische Jahrzaehlung verschoben.
------------------------------------------------------ Die
fuerchterliche Katastrophe der Niederlage und des Brandes, der 18. Juli
und der Bach der Allia, der Platz, wo die Heiligtuemer vergraben gewesen
und wo die Ueberrumpelung der Burg war abgeschlagen worden - all
die Einzelheiten dieses unerhoerten Ereignisses gingen ueber von der
Erinnerung der Zeitgenossen in die Phantasie der Nachwelt, und noch
wir begreifen es kaum, dass wirklich schon zwei Jahrtausende verflossen
sind, seit jene welthistorischen Gaense sich wachsamer bewiesen als die
aufgestellten Posten. Und doch - mochte in Rom verordnet werden, dass in
Zukunft bei einem Einfall der Kelten keines der gesetzlichen Privilegien
vom Kriegsdienst befreien solle; mochte man dort rechnen nach den Jahren
von der Eroberung der Stadt; mochte diese Begebenheit widerhallen in
der ganzen damaligen zivilisierten Welt und ihren Weg finden bis in die
griechischen Annalen: die Schlacht an der Allia mit ihren Resultaten
ist dennoch kaum den folgenreichen geschichtlichen Begebenheiten
beizuzaehlen. Sie aendert eben nichts in den politischen Verhaeltnissen.
Wie die Gallier wieder abgezogen sind mit ihrem Golde, das nur eine
spaet und schlecht erfundene Erzaehlung den Helden Camillus wieder nach
Rom zurueckbringen laesst; wie die Fluechtigen sich wieder heimgefunden
haben, der wahnsinnige Gedanke einiger mattherziger Klugheitspolitiker,
die Buergerschaft nach Veii ueberzusiedeln, durch Camillus' hochsinnige
Gegenrede beseitigt ist, die Haeuser eilig und unordentlich - die engen
und krummen Strassen Roms schrieben von dieser Zeit sich her - sich
aus den Truemmern erheben, steht auch Rom wieder da in seiner alten
gebietenden Stellung; ja es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieses
Ereignis wesentlich, wenn auch nicht im ersten Augenblick, dazu
beigetragen hat, dem Gegensatz zwischen Etrurien und Rom seine Schaerfe
zu nehmen und vor allem zwischen Latium und Rom die Bande der Einigkeit
fester zu knuepfen. Der Kampf der Gallier und Roemer ist, ungleich dem
zwischen Rom und Etrurien oder Rom und Samnium, nicht ein Zusammenstoss
zweier politischer Maechte, die einander bedingen und bestimmen; er ist
den Naturkatastrophen vergleichbar, nach denen der Organismus, wenn er
nicht zerstoert wird, sofort wieder sich ins gleiche setzt. Die Gallier
sind noch oft wiedergekehrt nach Latium; so im Jahre 387 (367), wo
Camillus sie bei Alba schlug - der letzte Sieg des greisen Helden, der
sechsmal konsularischer Kriegstribun, fuenfmal Diktator gewesen und
viermal triumphierend auf das Kapitol gezogen war; im Jahre 393 (361),
wo der Diktator Titus Quinctius Pennus ihnen gegenueber keine volle
Meile von der Stadt an der Aniobruecke lagerte, aber ehe es noch zum
Kampfe gekommen war, der gallische Schwarm nach Kampanien weiterzog;
im Jahre 394 (360), wo der Diktator Quintus Servilius Ahala vor dem
Collinischen Tor mit den aus Kampanien heimkehrenden Scharen stritt;
im Jahre 396 (358), wo ihnen der Diktator Gaius Sulpicius Peticus eine
nachdrueckliche Niederlage beibrachte; im Jahre 404 (350), wo sie
sogar den Winter ueber auf dem Albaner Berg kampierten und sich mit
den griechischen Piraten an der Kueste um den Raub schlugen, bis Lucius
Furius Camillus, der Sohn des beruehmten Feldherrn, im folgenden
Jahr sie vertrieb - ein Ereignis, von dem der Zeitgenosse Aristoteles
(370-432 384-322) in Athen vernahm. Allein diese Raubzuege,
wie schreckhaft und beschwerlich sie sein mochten, waren mehr
Ungluecksfaelle als politische Ereignisse und das wesentlichste Resultat
derselben, dass die Roemer sich selbst und dem Auslande in immer
weiteren Kreisen als das Bollwerk der zivilisierten Nationen Italiens
gegen den Anstoss der gefuerchteten Barbaren erschienen - eine
Auffassung, die ihre spaetere Weltstellung mehr als man meint gefoerdert
hat. Die Tusker, die den Angriff der Kelten auf Rom benutzt hatten, um
Veii zu berennen, hatten nichts ausgerichtet, da sie mit ungenuegenden
Kraeften erschienen waren; kaum waren die Barbaren abgezogen, als
der schwere Arm Latiums sie mit unvermindertem Gewicht traf. Nach
wiederholten Niederlagen der Etrusker blieb das ganze suedliche Etrurien
bis zu den Ciminischen Huegeln in den Haenden der Roemer, welche in
den Gebieten von Veii, Capena und Falerii vier neue Buergerbezirke
einrichteten (367 387) und die Nordgrenze sicherten durch die Anlage der
Festungen Sutrium (371 383) und Nepete (381 373). Mit raschen Schritten
ging dieser fruchtbare und mit roemischen Kolonisten bedeckte Landstrich
der vollstaendigen Romanisierung entgegen. Um 396 (358) versuchten zwar
die naechstliegenden etruskischen Staedte Tarquinii, Caere, Falerii
sich gegen die roemischen Uebergriffe aufzulehnen, und wie tief die
Erbitterung war, die dieselben in Etrurien erweckt hatten, zeigt die
Niedermetzlung der saemtlichen, im ersten Feldzug gemachten roemischen
Gefangenen, dreihundertundsieben an der Zahl, auf dem Marktplatz von
Tarquinii; allein es war die Erbitterung der Ohnmacht. Im Frieden (403
351) musste Caere, das, als den Roemern zunaechst gelegen, am schwersten
buesste, die halbe Landmark an Rom abtreten und mit dem geschmaelerten
Gebiet, das ihm blieb, aus dem etruskischen Bunde aus- und in das
Untertanenverhaeltnis zu Rom treten, welches inzwischen zunaechst fuer
einzelne latinische Gemeinden aufgekommen war. Es schien indes nicht
ratsam, dieser entfernteren und von der roemischen stammverschiedenen
Gemeinde diejenige kommunale Selbstaendigkeit zu belassen, welche
den untertaenigen Gemeinden Latiums noch verblieben war; man gab der
caeritischen Gemeinde das roemische Buergerrecht nicht bloss ohne
aktives und passives Wahlrecht in Rom, sondern auch unter Entziehung
der Selbstverwaltung, so dass an die Stelle der eigenen Beamten bei der
Rechtspflege und Schatzung die roemischen traten und am Orte selbst ein
Vertreter (praefectus) des roemischen Praetors die Verwaltung leitete -
eine hier zuerst begegnende staatsrechtliche Form der Untertaenigkeit,
wodurch der bisher selbstaendige Staat in eine rechtlich fortbestehende,
aber jeder eigenen Bewegung beraubte Gemeinde umgewandelt ward. Nicht
lange nachher (411 343) trat auch Falerii, das seine urspruengliche
latinische Nationalitaet auch unter der Tuskerherrschaft sich bewahrt
hatte, aus dem etruskischen Bunde aus und in ewigen Bund mit Rom; damit
war ganz Suedetrurien in der einen oder anderen Form der roemischen
Suprematie unterworfen. Tarquinii und wohl das noerdliche Etrurien
ueberhaupt begnuegte man sich, durch einen Friedensvertrag auf 400
Monate fuer lange Zeit zu fesseln (403 351). Auch im noerdlichen Italien
ordneten sich allmaehlich die durch und gegen einander stuermenden
Voelker wieder in dauernder Weise und in festere Grenzen. Die Zuege
ueber die Alpen hoerten auf, zum Teil wohl infolge der verzweifelten
Verteidigung der Etrusker in ihrer beschraenkteren Heimat und der
ernstlichen Gegenwehr der maechtigen Roemer, zum Teil wohl auch infolge
uns unbekannter Veraenderungen im Norden der Alpen. Zwischen Alpen
und Apenninen bis hinab an die Abruzzen waren jetzt die Kelten im
allgemeinen die herrschende Nation und namentlich die Herren des
ebenen Landes und der reichen Weiden; aber bei ihrer schlaffen und
oberflaechlichen Ansiedlungsweise wurzelte ihre Herrschaft nicht tief
in der neu gewonnenen Landschaft und gestaltete sich keineswegs zum
ausschliesslichen Besitz. Wie es in den Alpen stand und wie hier
keltische Ansiedler mit aelteren etruskischen oder andersartigen
Staemmen sich vermischten, gestattet unsere ungenuegende Kunde ueber
die Nationalitaet der spaeteren Alpenvoelker nicht auszumachen; nur
die Raeter in dem heutigen Graubuenden und Tirol duerfen als ein
wahrscheinlich etruskischer Stamm bezeichnet werden. Die Taeler des
Apennin behielten die Umbrer, den nordoestlichen Teil des Potals die
anderssprachigen Veneter im Besitz; in den westlichen Bergen behaupteten
sich ligurisch: Staemme, die bis Pisa und Arezzo hinab wohnten und
das eigentliche Keltenland von Etrurien schieden. Nur in dem mittleren
Flachland hausten die Kelten, noerdlich vom Po die Insubrer und
Cenomaner, suedlich die Boier, an der adriatischen Kueste von Ariminum
bis Ankon, in der sogenannten "Gallierlandschaft" (ager Gallicus) die
Senonen, kleinerer Voelkerschaften zu geschweigen. Aber selbst hier
muessen die etruskischem Ansiedlungen zum Teil wenigstens fortbestanden
haben, etwa wie Ephesos und Milet griechisch blieben unter persischer
Oberherrlichkeit. Mantua wenigstens, das durch seine Insellage
geschuetzt war, war noch in der Kaiserzeit eine tuskische Stadt und
auch in Atria am Po, wo zahlreiche Vasenfunde gemacht sind, scheint das
etruskische Wesen fortbestanden zu haben; noch die unter dem Namen des
Skylax bekannte, um 418 (336) abgefasste Kuestenbeschreibung nennt die
Gegend von Atria und Spina tuskisches Land. Nur so erklaert sich auch,
wie etruskische Korsaren bis weit ins fuenfte Jahrhundert hinein das
Adriatische Meer unsicher machen konnten, und weshalb nicht bloss
Dionysios von Syrakus die Kuesten desselben mit Kolonien bedeckte,
sondern selbst Athen noch um 429 (325), wie eine kuerzlich entdeckte
merkwuerdige Urkunde lehrt, zum Schutz der Kauffahrer gegen die
tyrrhenischen Kaper die Anlage einer Kolonie im Adriatischen Meere
beschloss. Aber mochte hier mehr oder weniger von etruskischem Wesen
sich behaupten, es waren das einzelne Truemmer und Splitter der
frueheren Machtentwicklung; der etruskischen Nation kam nicht mehr
zugute, was hier im friedlichen Verkehr oder im Seekrieg von einzelnen
noch etwa erreicht ward. Dagegen gingen wahrscheinlich von diesen
halbfreien Etruskern die Anfaenge derjenigen Zivilisation aus, die wir
spaeterhin bei den Kelten und ueberhaupt den Alpenvoelkern finden.
Schon dass die Keltenschwaerme in den lombardischen Ebenen, mit dem
sogenannten Skylax zu reden, das Kriegerleben aufgaben und sich bleibend
ansaessig machten, gehoert zum Teil hierher; aber auch die Anfaenge der
Handwerke und Kuenste und das Alphabet sind den lombardischen Kelten,
ja den Alpenvoelkern bis in die heutige Steiermark hinein durch die
Etrusker zugekommen. Also blieben nach dem Verlust der Besitzungen in
Kampanien und der ganzen Landschaft noerdlich vom Apennin und suedlich
vom Ciminischen Walde den Etruskern nur sehr beschraenkte Grenzen: die
Zeiten der Macht und des Aufstrebens waren fuer sie auf immer vorueber.
In engster Wechselwirkung mit diesem aeusseren Sinken steht der innere
Verfall der Nation, zu dem die Keime freilich wohl schon weit frueher
gelegt worden waren. Die griechischen Schriftsteller dieser Zeit sind
voll von Schilderungen der masslosen Ueppigkeit des etruskischen Lebens:
unteritalische Dichter des fuenften Jahrhunderts der Stadt preisen den
tyrrhenischen Wein und die gleichzeitigen Geschichtschreiber Timaeos
und Theopomp entwerfen Bilder von der etruskischen Weiberzucht und
der etruskischen Tafel, welche der aergsten byzantinischen und
franzoesischen Sittenlosigkeit nichts nachgeben. Wie wenig beglaubigt
das einzelne in diesen Berichten auch ist, so scheint doch mindestens
die Angabe begruendet zu sein, dass die abscheuliche Lustbarkeit der
Fechterspiele, der Krebsschaden des spaeteren Rom und ueberhaupt der
letzten Epoche des Altertums, zuerst bei den Etruskern aufgekommen
ist; und jedenfalls lassen sie im ganzen keinen Zweifel an der tiefen
Entartung der Nation. Auch die politischen Zustaende derselben sind
davon durchdrungen. So weit unsere duerftige Kunde reicht, finden
wir aristokratische Tendenzen vorwiegend, in aehnlicher Weise wie
gleichzeitig in Rom, aber schroffer und verderblicher. Die Abschaffung
des Koenigtums, die um die Zeit der Belagerung Veiis schon in allen
Staaten Etruriens durchgefuehrt gewesen zu sein scheint, rief in den
einzelnen Staedten ein Patrizierregiment hervor, das durch das lose
eidgenossenschaftliche Band sich nur wenig beschraenkt sah. Selten nur
gelang es, selbst zur Landesverteidigung alle etruskischen Staedte
zu vereinigen, und Volsiniis nominelle Hegemonie haelt nicht den
entferntesten Vergleich aus mit der gewaltigen Kraft, die durch
Roms Fuehrung die latinische Nation empfing. Der Kampf gegen die
ausschliessliche Berechtigung der Altbuerger zu allen Gemeindestellen
und allen Gemeindenutzungen, der auch den roemischen Staat haette
verderben muessen, wenn nicht die aeusseren Erfolge es moeglich gemacht
haetten, die Ansprueche der gedrueckten Proletarier auf Kosten fremder
Voelker einigermassen zu befriedigen und dem Ehrgeiz andere Bahnen
zu oeffnen - dieser Kampf gegen das politische und was in Etrurien
besonders hervortritt, gegen das priesterliche Monopol der
Adelsgeschlechter muss Etrurien staatlich, oekonomisch und sittlich
zugrunde gerichtet haben. Ungeheure Vermoegen, namentlich an
Grundbesitz, konzentrierten sich in den Haenden von wenigen Adligen,
waehrend die Massen verarmten; die sozialen Umwaelzungen, die hieraus
entstanden, erhoehten die Not, der sie abhelfen sollten, und bei der
Ohnmacht der Zentralgewalt blieb zuletzt den bedraengten Aristokraten,
zum Beispiel in Arretium 453 (301), in Volsinii 488 (266) nichts uebrig,
als die Roemer zu Hilfe zu rufen, die denn zwar der Unordnung, aber
zugleich auch dem Rest von Unabhaengigkeit ein Ende machten. Die Kraft
des Volkes war gebrochen seit dem Tage von Veii und Melpum; es wurden
wohl einige Male noch ernstliche Versuche gemacht, sich der roemischen
Oberherrschaft zu entziehen, aber wenn es geschah, kam die Anregung
dazu den Etruskern von aussen, von einen andern italischen Stamm, den
Samniten. 5. Kapitel Die Unterwerfung der Latiner und Kampaner unter Rom
Das grosse Werk der Koenigszeit war Roms Herrschaft ueber Latium in der
Form der Hegemonie. Dass die Umwandlung der roemischen Verfassung sowohl
auf das Verhaeltnis der roemischen Gemeinde zu Latium wie auf die
innere Ordnung der latinischen Gemeinden selbst nicht ohne maechtige
Rueckwirkung bleiben konnte, leuchtet an sich ein und geht auch aus
der Ueberlieferung hervor; von den Schwankungen, in welche durch die
Revolution in Rom die roemisch-latinische Eidgenossenschaft geriet,
zeugt die in ungewoehnlich lebhaften Farben schillernde Sage von dem
Siege am Regiller See, den der Diktator oder Konsul Aulus Postumius
(255? 258? 499 496) mit Hilfe der Dioskuren ueber die Latiner gewonnen
haben soll, und bestimmter die Erneuerung des ewigen Bundes zwischen Rom
und Latium durch Spurius Cassius in seinem zweiten Konsulat (261
493). Indes geben diese Erzaehlungen eben ueber die Hauptsache, das
Rechtsverhaeltnis der neuen roemischen Republik zu der latinischen
Eidgenossenschaft, am wenigsten Aufschluss; und was wir sonst ueber
dasselbe wissen, ist zeitlos ueberliefert und kann nur nach ungefaehrer
Wahrscheinlichkeit hier eingereiht werden. Es liegt im Wesen der
Hegemonie, dass sie durch das blosse innere Schwergewicht der
Verhaeltnisse allmaehlich in die Herrschaft uebergeht; auch die
roemische ueber Latium hat davon keine Ausnahme gemacht. Sie war
begruendet auf die wesentliche Rechtsgleichheit des roemischen Staates
und der latinischen Eidgenossenschaft; aber wenigstens im Kriegswesen
und in der Behandlung der gemachten Eroberungen trug dies Verhaeltnis
des Einheitsstaates einer- und des Staatenbundes anderseits
die Hegemonie der Sache nach in sich. Nach der urspruenglichen
Bundesverfassung war wahrscheinlich das Recht zu Krieg und Vertrag mit
auswaertigen Staaten, also die volle staatliche Selbstbestimmung sowohl
Rom wie den einzelnen Staedten des latinischen Bundes gewahrt, und es
stellte auch wohl bei gemeinschaftlicher Kriegfuehrung Rom wie Latium
das gleiche Kontingent, in der Regel jedes ein "Heer" von 8400 Mann ^1;
aber den Oberbefehl fuehrte der roemische Feldherr, welcher dann die
Stabsoffiziere, also die Teilfuehrer (tribuni militum), nach eigener
Wahl ernannte. Im Falle des Sieges wurden die bewegliche Beute wie das
eroberte Land zwischen Rom und der Eidgenossenschaft geteilt, und wenn
man in dem eroberten Gebiet Festungen anzulegen beschloss, so wurde
nicht bloss deren Besatzung und Bevoelkerung teils aus roemischen,
teils aus eidgenoessischen Aussendlingen gebildet, sondern auch die
neugegruendete Gemeinde als souveraener Bundesstaat in die latinische
Eidgenossenschaft aufgenommen und mit Sitz und Stimme auf
der latinischen Tagsatzung ausgestattet.
------------------------------------------------------- ^1 Die
urspruengliche Gleichheit der beiden Armeen geht schon aus Liv. 1, 52;
8, 8, 14 und Dion. Hal. 8, 15, am deutlichsten aber aus Polyb. 6, 26
hervor. ------------------------------------------------------- Diese
Bestimmungen werden wahrscheinlich schon in der Koenigszeit, sicher
in der republikanischen Epoche sich mehr und mehr zu Ungunsten der
Eidgenossenschaft verschoben und Roms Hegemonie weiter entwickelt haben.
Am fruehesten fiel ohne Zweifel weg das Kriegs- und Vertragsrecht der
Eidgenossenschaft gegenueber dem Ausland ^2; Krieg und Vertrag kam ein
fuer allemal an Rom. Die Stabsoffiziere fuer die latinischen Truppen
muessen in aelterer Zeit wohl ebenfalls Latiner gewesen sein; spaeter
wurden dazu wo nicht ausschliesslich, doch vorwiegend roemische
Buerger genommen ^3. Dagegen wurde nach wie vor der latinischen
Eidgenossenschaft insgesamt kein staerkeres Kontingent zugemutet als das
von der roemischen Gemeinde gestellte war; und ebenso war der
roemische Oberfeldherr gehalten, die latinischen Kontingente nicht
zu zersplittern, sondern den von jeder Gemeinde gesandten Zuzug als
besondere Heerabteilung unter dem von der Gemeinde bestellten Anfuehrer
^4 zusammenzuhalten. Das Anrecht der latinischen Eidgenossenschaft auf
einen Anteil an der beweglichen Beute wie an dem eroberten Lande blieb
formell bestehen; aber der Sache nach ist der wesentliche Kriegsertrag
ohne Zweifel schon in frueher Zeit an den fuehrenden Staat gekommen.
Selbst bei der Anlegung der Bundesfestungen oder der sogenannten
latinischen Kolonien waren in der Regel vermutlich die meisten und
nicht selten alle Ansiedler Roemer; und wenn auch dieselben durch die
Uebersiedelung aus roemischen Buergern Buerger einer eidgenoessischen
Gemeinde wurden, so blieb doch wohl der neugepflanzten Ortschaft
haeufig eine ueberwiegende und fuer die Eidgenossenschaft
gefaehrliche Anhaenglichkeit an die wirkliche Mutterstadt.
----------------------------------------------- ^2 Dass in den spaeteren
Bundesvertraegen zwischen Rom und Latium es den latinischen Gemeinden
untersagt war ihre Kontingente von sich aus zu mobilisieren und allein
ins Feld zu senden, sagt ausdruecklich Dionysios (8, 15). ^3 Diese
latinischen Stabsoffiziere sind die zwoelf praefecti sociorum, welche
spaeterhin, als die alte Phalanx sich in die spaeteren Legionen und
alae aufgeloest hatte, ebenso je sechs und sechs den beiden alae der
Bundesgenossenkontingente vorstehen, wie die zwoelf Kriegstribunen
des roemischen Heeres je sechs und sechs den beiden Legionen. Dass der
Konsul jene wie urspruenglich auch diese ernennt, sagt Polyb. 6 26, 5.
Da nun nach dem alten Rechtssatz, dass jeder Heerespflichtige Offizier
werden kann, es gesetzlich dem Heerfuehrer gestattet war, einen Latiner
zum Fuehrer einer roemischen wie umgekehrt einen Roemer zum Fuehrer
einer latinischen Legion zu bestellen, so fuehrte dies praktisch dazu,
dass die tribuni militum durchaus und die praefecti sociorum wenigstens
in der Regel Roemer waren. ^4 Dies sind die decuriones turmarum und
praefecti cohortium (Polyb. 6, 21, 5; Liv. 25, 14; Sall. Iug. 69 und
sonst). Natuerlich wurden, wie die roemischen Konsuln von Rechts
wegen, in der Regel auch tatsaechlich Oberfeldherren waren, vielleicht
durchaus, mindestens sehr haeufig auch in den abhaengigen Staedten die
Gemeindevorsteher an die Spitze der Gemeindekontingente gestellt
(Liv. 23, 19; Orelli 7022); wie denn selbst der gewoehnliche Name
der latinischen Obrigkeiten (praetores) sie als Offiziere bezeichnet.
---------------------------------------------- Die Rechte dagegen,
welche die Bundesvertraege dem einzelnen Buerger einer der verbuendeten
Gemeinden in jeder Bundesstadt zusicherten, wurden nicht beschraenkt.
Es gehoerten dahin namentlich die volle Rechtsgleichheit in Erwerb
von Grundbesitz und beweglicher Habe, in Handel und Wandel, Ehe und
Testament, und die unbeschraenkte Freizuegigkeit, sodass der in
einer Bundesstadt verbuergerte Mann nicht bloss in jeder andern
sich niederzulassen rechtlich befugt war, sondern auch daselbst als
Rechtsgenosse (municeps) mit Ausnahme der passiven Wahlfaehigkeit an
allen privaten und politischen Rechten und Pflichten teilnahm, sogar
wenigstens in der nach Distrikten berufenen Gemeindeversammlung in
einer freilich beschraenkten Weise zu stimmen befugt war ^5.
--------------------------------------------- ^5 Es wurde ein solcher
Insasse nicht wie der wirkliche Mitbuerger einem ein fuer allemal
bestimmten Stimmbezirk zugeteilt, sondern vor jeder einzelnen Abstimmung
nach Stimmbezirken der, in dem die Insassen diesmal zu stimmen hatten,
durch das Los festgestellt. Der Sache nach kam dies wohl darauf hinaus,
dass in der roemischen Tribusversammlung den Latinern eine Stimme
eingeraeumt ward. Da der Platz in irgendeiner Tribus die Vorbedingung
des ordentlichen Zenturiatstimmrechts war, so muss, wenn die Insassen
auch in der Zenturienversammlung mitgestimmt haben, was wir nicht
wissen, fuer diese eine aehnliche Losung festgesetzt gewesen sein.
An den Kurien werden sie gleich den Plebejern teilgenommen haben.
------------------------------------------- So etwa mag in der ersten
republikanischen Zeit das Verhaeltnis der roemischen Gemeinde zu der
latinischen Eidgenossenschaft beschaffen gewesen sein, ohne dass sich
ausmachen liesse, was darin auf aeltere Satzungen und was auf die
Buendnisrevision von 261 (493) zurueckgeht. Mit etwas groesserer
Sicherheit darf die Umgestaltung der Ordnungen der einzelnen zu der
latinischen Eidgenossenschaft gehoerigen Gemeinden nach dem Muster der
roemischen Konsularverfassung als Neuerung bezeichnet und in diesen
Zusammenhang gestellt werden. Denn obgleich die verschiedenen Gemeinden
zu der Abschaffung des Koenigtums an sich recht wohl voneinander
unabhaengig gelangt sein koennen, so verraet doch die gleichartige
Benennung der neuen Jahreskoenige in der roemischen und den uebrigen
Gemeindeverfassungen von Latium sowie die weitgreifende Anwendung des
so eigentuemlichen Kollegialitaetsprinzips ^6 augenscheinlich einen
aeusseren Zusammenhang; irgend einmal nach der Vertreibung der
Tarquinier aus Rom muessen durchaus die latinischen Gemeindeordnungen
nach dem Schema der Konsularverfassung revidiert worden sein. Es
kann nun freilich diese Ausgleichung der latinischen Verfassungen mit
derjenigen der fuehrenden Stadt moeglicherweise erst einer spaeteren
Epoche angehoeren; indes spricht die innere Wahrscheinlichkeit vielmehr
dafuer, dass der roemische Adel, nachdem er bei sich die Abschaffung
des lebenslaenglichen Koenigtums bewirkt hatte, dieselbe
Verfassungsaenderung auch den Gemeinden der latinischen
Eidgenossenschaft angesonnen und, trotz des ernsten und den Bestand des
roemisch-latinischen Bundes selbst in Frage stellenden Widerstandes,
welchen teils die vertriebenen Tarquinier, teils die koeniglichen
Geschlechter und koeniglich gesinnten Parteien der uebrigen Gemeinden
Latiums geleistet zu haben scheinen, schliesslich in ganz Latium
die Adelsherrschaft eingefuehrt hat. Die eben in diese Zeit fallende
gewaltige Machtentwicklung Etruriens, die stetigen Angriffe der
Veienter, der Heereszug des Porsena moegen wesentlich dazu beigetragen
haben, die latinische Nation bei der einmal festgestellten Form
der Einigung, das heisst bei der fortwaehrenden Anerkennung der
Oberherrlichkeit Roms festzuhalten und dem zuliebe eine ohne Zweifel
auch im Schosse der latinischen Gemeinden vielfach vorbereitete
Verfassungsaenderung, ja vielleicht selbst eine Steigerung
der hegemonischen Rechte sich gefallen zu lassen.
------------------------------------------ ^6 Regelmaessig stehen
bekanntlich die latinischen Gemeinden unter zwei Praetoren. Daneben
kommen in einer Reihe von Gemeinden auch Einzelbeamte vor, welche dann
den Diktatortitel fuehren - so in Alba (Orelli-Henzen 2293), Tusculum,
Lanuvium (Cic. Mil. 10, 27;17, 45; Ascon. Mil. p. 32 Orelli, Orelli
2786, 5157, 6086), Compitum (Orelli 3324), Nomentum (Orelli 208, 6138,
7032; vgl. W. Henzen in Bullettino dell' Istituto 1858, S. 169) und
Aricia (Orelli 1455). Dazu kommt der aehnliche Diktator in der civitas
sine suffragio Caere (Orelli 3787, 5772; auch Garrucci, Diss. arch. Bd.
1, S. 31, obwohl irrig nach Sutrium gesetzt); ferner die gleichnamigen
Beamten von Fidenae (Orelli 112). Alle diese Aemter oder aus Aemtern
hervorgegangenen Priestertuemer (der Diktator von Caere ist zu erklaeren
nach Liv. 9, 43: Anagninis - magistratibus praeter quam sacrorum
curatione interdictum) sind jaehrig (Orelli 208). Auch der Bericht
Macers und der aus ihm schoepfenden Annalisten, dass Alba schon zur Zeit
seines Falls nicht mehr unter Koenigen, sondern unter Jahresdiktatoren
gestanden habe (Dion. Hal. 5, 74; Plut. Rom. 27; Liv. 1, 23), ist
vermutlich bloss eine Folgerung aus der ihm bekannten Institution
der ohne Zweifel gleich der nomentanischen jaehrigen sacerdotalen
albanischen Diktatur, bei welcher Darstellung ueberdies die
demokratische Parteistellung ihres Urhebers mit im Spiel gewesen sein
wird. Es steht dahin, ob der Schluss gueltig ist und nicht, auch wenn
Alba zur Zeit seiner Aufloesung unter lebenslaenglichen Herrschern
stand, die Abschaffung des Koenigtums in Rom nachtraeglich die
Verwandlung der albanischen Diktatur in ein Jahramt herbeifuehren
konnte. All diese latinischen Magistraturen kommen in der Sache
wie besonders auch in den Namen wesentlich mit der in Rom durch die
Revolution festgestellten Ordnung in einer Weise ueberein, die durch
die blosse Gleichartigkeit der politischen Grundverhaeltnisse nicht
genuegend erklaert wird. ----------------------------------------- Die
dauernd geeinigte Nation vermochte es, ihre Machtstellung nach allen
Seiten hin nicht bloss zu behaupten, sondern auch zu erweitern. Dass die
Etrusker nur kurze Zeit im Besitze der Suprematie ueber Latium blieben
und die Verhaeltnisse hier bald wieder in die Lage zurueckkamen, welche
sie in der Koenigszeit gehabt hatten, wurde schon dargestellt; zu einer
eigentlichen Erweiterung der roemischen Grenzen kam es aber nach dieser
Seite hin erst mehr als ein Jahrhundert nach der Vertreibung der Koenige
aus Rom. Mit den Sabinern, die das Mittelgebirge von den Grenzen der
Umbrer bis hinab zu der Gegend zwischen Tiber und Anio einnahmen und
die in der Epoche, in welche die Anfaenge Roms fallen, bis nach Latium
selbst kaempfend und erobernd vordrangen, haben spaeterhin die Roemer
trotz der unmittelbaren Nachbarschaft sich verhaeltnismaessig wenig
beruehrt. Die schwache Teilnahme derselben an dem verzweifelten
Widerstand der oestlichen und suedlichen Nachbarvoelker geht selbst aus
den Berichten der Jahrbuecher noch hervor und, was wichtiger ist, es
begegnen hier keine Zwingburgen, wie sie namentlich in dem volskischen
Gebiet so zahlreich angelegt worden sind. Vielleicht haengt dies damit
zusammen, dass die sabinischen Scharen wahrscheinlich eben um diese Zeit
sich ueber Unteritalien ergossen; gelockt von den anmutigen Sitzen am
Tifernus und Volturnus scheinen sie wenig in die Kaempfe eingegriffen
zu haben, deren Schauplatz das Gebiet suedlich vom Tiber war. Bei weitem
heftiger und dauernder war der Widerstand der Aequer, die, oestlich von
Rom bis in die Taeler des Turano und Salto und am Nordrande des Fuciner
Sees sitzend, mit den Sabinern und Marsern grenzten ^7, und der Volsker,
welche suedlich von den um Ardea sesshaften Rutulern und den suedwaerts
bis Cora sich erstreckenden Latinern die Kueste bis nahe an die Muendung
des Lirisflusses nebst den vorliegenden Inseln und im Innern das ganze
Stromgebiet des Liris besassen. Die mit diesen beiden Voelkern sich
jaehrlich erneuernden Fehden, die in der roemischen Chronik so berichtet
werden, dass der unbedeutendste Streifzug von dem folgenreichen Kriege
kaum unterschieden und der historische Zusammenhang gaenzlich beiseite
gelassen wird, sollen hier nicht erzaehlt werden; es genuegt hinzuweisen
auf die dauernden Erfolge. Deutlich erkennen wir, dass es den Roemern
und Latinern vor allem darauf ankam, die Aequer von den Volskern zu
trennen und der Kommunikationen Herr zu werden; in der Gegend zwischen
dem Suedabhang des Albaner Gebirges, den volskischen Bergen und den
Pomptinischen Suempfen scheinen ueberdies die Latiner und die Volsker
zunaechst sich beruehrt und selbst gemischt durcheinander gesessen zu
haben ^8. In dieser Gegend haben die Latiner die ersten Schritte getan
ueber ihre Landesgrenze hinaus und sind Bundesfestungen im Fremdland,
sogenannte latinische Kolonien zuerst angelegt worden, in der Ebene
Velitrae (angeblich um 260 494) unter dem Albaner Gebirge selbst und
Suessa in der pomptinischen Niederung, in den Bergen Norba (angeblich
262 492) und Signia (angeblich verstaerkt 259 495), welche beide auf den
Verbindungspunkten zwischen der aequischen und volskischen Landschaft
liegen. Vollstaendiger noch ward der Zweck erreicht durch den Beitritt
der Herniker zu dem Bunde der Latiner und Roemer (268 486), welcher die
Volsker vollstaendig isolierte und dem Bunde eine Vormauer gewaehrte
gegen die suedlich und oestlich wohnenden sabellischen Staemme; man
begreift es, weshalb dem kleinen Volk volle Gleichheit mit den beiden
anderen in Rat und Beuteanteil zugestanden ward. Die schwaecheren Aequer
waren seitdem wenig gefaehrlich; es genuegte, von Zeit zu Zeit einen
Pluenderzug gegen sie zu unternehmen. Auch die Rutuler, welche in der
Kuestenebene suedlich mit Latium grenzten, unterlagen frueh; ihre
Stadt Ardea wurde schon im Jahre 312 (442) in eine latinische Kolonie
umgewandelt ^9. Ernstlicher widerstanden die Volsker. Der erste namhafte
Erfolg, den nach den oben erwaehnten die Roemer ihnen abgewannen, ist,
merkwuerdig genug, die Gruendung von Circeii im Jahre 361 (393), das,
solange Antium und Tarracina noch frei waren, nur zu Wasser mit Latium
in Verbindung gestanden haben kann. Antium zu besetzen, ward oft
versucht und gelang auch voruebergehend 287 (467); aber 295 (459)
machte die Stadt sich wieder frei, und erst nach dem gallischen Brande
erhielten infolge eines heftigen dreizehnjaehrigen Krieges (365-377
389-377) die Roemer die entschiedene Oberhand im antiatischen und
pomptinischen Gebiet. Satricum, unweit Antium, wurde im Jahre 369 (385)
mit einer latinischen Kolonie belegt, nicht lange nachher wahrscheinlich
Antium selbst sowie Tarracina ^10, das pomptinische Gebiet ward durch
die Anlage der Festung Setia (372 382, verstaerkt 375 379) gesichert
und in den Jahren 371 f. (383) in Ackerlose und Buergerbezirke verteilt.
Seitdem haben die Volsker wohl noch sich empoert, aber keine Kriege mehr
gegen Rom gefuehrt. ------------------------------------------ ^7 Die
Landschaft der Aequer umfasst nicht bloss das Tal des Anio oberhalb von
Tibur und das Gebiet der spaeteren latinischen Kolonien Carsioli (am
oberen Turano) und Alba (am Fuciner See), sondern auch den Bezirk des
spaeteren Municipiums der Aequiculi welche nichts sind als derjenige
Rest der Aequer, welchem nach der Unterwerfung durch die Roemer und
nach der Assignierung des groessten Teils des Gebiets an roemische oder
latinische Kolonisten die munizipale Selbstaendigkeit verblieb. ^8 Allem
Anschein nach ist Velitrae, obwohl in der Ebene gelegen, urspruenglich
volskisch und also latinische Kolonie, Cora dagegen auf dem
Volskergebirge urspruenglich latinisch. ^9 Nicht lange nachher muss die
Gruendung des Dianahains im Walde von Aricia erfolgt sein, welche nach
Catos Bericht (orig. p. 12 Jordan) ein tusculanischer Diktator vollzog
fuer die Stadtgemeinden des alten Latiums Tusculum, Aricia, Lanuvium,
Laurentum, Cora und Tibur und die beiden latinischen Kolonien (welche
deshalb an der letzten Stelle stehen) Suessa Pometia und Ardea (populus
Ardeatis Rutulus). Das Fehlen Praenestes und der kleineren Gemeinden
des alten Latium zeigt, wie es auch in der Sache liegt, dass nicht
saemtliche Gemeinden des damaligen Latinischen Bundes sich an der
Weihung beteiligten. Dass sie vor 372 (382) faellt, beweist das
Auftreten von Pometia und das Verzeichnis stimmt voellig zu dem, was
anderweitig ueber den Bestand des Bundes kurz nach dem Zutritt von Ardea
sich ermitteln laesst. Den ueberlieferten Jahreszahlen der Gruendungen
darf mehr als den meisten der aeltesten Ueberlieferungen Glauben
beigemessen werden, da die den italischen Staedten gemeinsame
Jahreszaehlung ab urbe condita allem Anschein nach das Gruendungsjahr
der Kolonien durch unmittelbare Ueberlieferung bewahrt hat. ^10 Als
latinische Gemeinden erscheinen beide in dem sogenannten Cassischen
Verzeichnis um 372 (382) nicht, wohl aber in dem karthagischen
Vertrag vom Jahre 406 (348); in der Zwischenzeit also sind die
Staedte latinische Kolonien geworden.
---------------------------------------------- Aber je entschiedenere
Erfolge der Bund der Roemer, Latiner und Herniker gegen die Etrusker,
Aequer, Volsker und Rutuler davontrug, desto mehr entwich aus ihm die
Eintracht. Die Ursache lag zum Teil wohl in der frueher dargestellten,
aus den bestehenden Verhaeltnissen mit innerer Notwendigkeit sich
entwickelnden, aber darum nicht weniger schwer auf Latium lastenden
Steigerung der hegemonischen Gewalt Roms, zum Teil in einzelnen
gehaessigen Ungerechtigkeiten der fuehrenden Gemeinde. Dahin gehoeren
vornehmlich der schmaehliche Schiedsspruch zwischen den Aricinern
und den Rutulern in Ardea 308 (446), wo die Roemer, angerufen zu
kompromissarischer Entscheidung ueber ein zwischen den beiden Gemeinden
streitiges Grenzgebiet, dasselbe fuer sich nahmen, und als ueber diesen
Spruch in Ardea innere Streitigkeiten entstanden, das Volk zu den
Volskern sich schlagen wollte, waehrend der Adel an Rom festhielt, die
noch schaendlichere Ausnutzung dieses Haders zu der schon erwaehnten
Aussendung roemischer Kolonisten in die reiche Stadt, unter die die
Laendereien der Anhaenger der antiroemischen Partei ausgeteilt wurden
(312 442). Hauptsaechlich indes war die Ursache, weshalb der Bund sich
innerlich aufloeste, eben die Niederwerfung der gemeinschaftlichen
Feinde; die Schonung von der einen, die Hingebung von der anderen Seite
hatte ein Ende, seitdem man gegenseitig des anderen nicht mehr meinte zu
beduerfen. Zum offenen Bruche zwischen den Latinern und Hernikern einer-
und den Roemern anderseits gab die naechste Veranlassung teils die
Einnahme Roms durch die Kelten und dessen dadurch herbeigefuehrte
augenblickliche Schwaeche, teils die definitive Besetzung und Aufteilung
des pomptinischen Gebiets; bald standen die bisherigen Verbuendeten
gegeneinander im Felde. Schon hatten latinische Freiwillige in grosser
Anzahl an dem letzten Verzweiflungskampf der Antiaten teilgenommen;
jetzt mussten die namhaftesten latinischen Staedte: Lanuvium (371 383),
Praeneste (372-374, 400 382-380, 354), Tusculum (373 381), Tibur
(394, 400 360, 354) und selbst einzelne der im Volskerland von dem
roemisch-latinischen Bunde angelegten Festungen wie Velitrae und Circeii
mit den Waffen bezwungen werden, ja die Tiburtiner scheuten sich sogar
nicht, mit den eben einmal wieder einrueckenden gallischen Scharen
gemeinschaftliche Sache gegen Rom zu machen. Zum gemeinschaftlichen
Aufstand kam es indes nicht und ohne viel Muehe bemeisterte Rom die
einzelnen Staedte; Tusculum ward sogar (373 381) genoetigt, seine
politische Selbstaendigkeit aufzugeben und in den roemischen
Buergerverband als untertaenige Gemeinde (civitas sine suffragio)
einzutreten, so dass die Stadt ihre Mauern und eine wenn auch
beschraenkte Selbstverwaltung, darum auch eigene Beamten und eine eigene
Buergerversammlung behielt, dagegen aber ihre Buerger als roemische
das aktive und passive Wahlrecht entbehrten - der erste Fall, dass eine
ganze Buergerschaft dem roemischen Gemeinwesen als abhaengige Gemeinde
einverleibt wurde. Ernster war der Kampf gegen die Herniker (392-396
362-358), in dem der erste der Plebs angehoerige konsularische
Oberfeldherr Lucius Genucius fiel; allein auch hier siegten die Roemer.
Die Krise endigte damit, dass die Vertraege zwischen Rom und der
latinischen wie der hernikischen Eidgenossenschaft im Jahre 396 (358)
erneuert wurden. Der genauere Inhalt derselben ist nicht bekannt, aber
offenbar fuegten beide Eidgenossenschaften abermals und wahrscheinlich
unter haerteren Bedingungen sich der roemischen Hegemonie. Die in
demselben Jahr erfolgte Einrichtung zweier neuer Buergerbezirke im
pomptinischen Gebiet zeigt deutlich die gewaltig vordringende roemische
Macht. In offenbarem Zusammenhang mit dieser Krise in dem Verhaeltnis
zwischen Rom und Latium steht die um das Jahr 370 (384) erfolgte
Schliessung der latinischen Eidgenossenschaft ^11, obwohl es nicht
sicher zu bestimmen ist, ob sie Folge oder, wie wahrscheinlicher,
Ursache der eben geschilderten Auflehnung Latiums gegen Rom war. Nach
dem bisherigen Recht war jede von Rom und Latium gegruendete souveraene
Stadt unter die am Bundesfest und Bundestag teilberechtigten Kommunen
eingetreten, wogegen umgekehrt jede einer anderen Stadt inkorporierte
und also staatlich vernichtete Gemeinde aus der Reihe der Bundesglieder
gestrichen ward. Dabei ward indes nach latinischer Art die einmal
feststehende Zahl von dreissig foederierten Gemeinden in der Art
festgehalten, dass von den teilnehmenden Staedten nie mehr und nie
weniger als dreissig stimmberechtigt waren und eine Anzahl spaeter
eingetretener oder auch ihrer Geringfuegigkeit oder begangener Vergehen
wegen zurueckgesetzter Gemeinden des Stimmrechts entbehrten. Hiernach
war der Bestand der Eidgenossenschaft um das Jahr 370 (384) folgender
Art. Von altlatinischen Ortschaften waren, ausser einigen jetzt
verschollenen oder doch der Lage nach unbekannten, noch autonom und
stimmberechtigt zwischen Tiber und Anio Nomentum, zwischen dem Anio
und dem Albaner Gebirg Tibur, Gabii, Scaptia, Labici ^12, Pedum und
Praeneste, am Albaner Gebirg Corbio, Tusculum, Bovillae, Aricia,
Corioli und Lanuvium, in den volskischen Bergen Cora, endlich in der
Kuestenebene Laurentum. Dazu kamen die von Rom und dem latinischen Bunde
angelegten Kolonien: Ardea im ehemaligen Rutulergebiet und in dem der
Volsker Satricum, Velitrae, Norba, Signia, Setia und Circeii. Ausserdem
hatten siebzehn andere Ortschaften, deren Namen nicht sicher bekannt
sind, das Recht der Teilnahme am Latinerfest ohne Stimmrecht. Auf diesem
Bestande von siebenundvierzig teil- und dreissig stimmberechtigten Orten
blieb die latinische Eidgenossenschaft seitdem unabaenderlich stehen;
weder sind die spaeter gegruendeten latinischen Gemeinden, wie Sutrium,
Nepete, Antium, Tarracina, Cales, unter dieselben eingereiht, noch die
spaeter der Autonomie entkleideten latinischen Gemeinden, wie
Tusculum und Lanuvium, aus dem Verzeichnis gestrichen.
----------------------------------------- ^11 In dem von Dionysios (5,
61) mitgeteilten Verzeichnis der dreissig latinischen Bundesstaedte,
dem einzigen, das wir besitzen, werden genannt die Ardeaten, Ariciner,
Bovillaner, Bubentaner (unbekannter Lage), Corner (vielmehr Coraner),
Carventaner (unbekannter Lage), Circeienser, Coriolaner, Corbinter,
Cabaner (vielleicht die Cabenser am Albaner Berg, Bullettino dell'
Istituto 1861, S. 205), Fortineer (unbekannt), Gabiner, Laurenter,
Lanuviner, Lavinaten, Labicaner, Nomentaner, Norbaner, Praenestiner,
Pedaner, Querquetulaner (unbekannter Lage), Satricaner, Scaptiner,
Senner, Tiburtiner, Tusculaner, Tellenier (unbekannter Lage), Toleriner
(unbekannter Lage) und Veliterner. Die gelegentlichen Erwaehnungen
teilnahmeberechtigter Gemeinden, wie von Ardea (Liv. 32, 1), Laurentum
(Liv. 37, 3), Lanuvium (Liv. 41, 16), Bovillae, Gabii, Labici (Cic.
Planc. 9, 23) stimmen mit diesem Verzeichnis. Dionysios teilt es bei
Gelegenheit der Kriegserklaerung Latiums gegen Rom im Jahre 256 (498)
mit, und es lag darum nahe, wie dies Niebuhr getan, dies Verzeichnis
als der bekannten Bundeserneuerung vom Jahre 261 (493) entlehnt zu
betrachten. Allein da in diesem nach dem latinischen Alphabet geordneten
Verzeichnis der Buchstabe g an der Stelle erscheint, die er zur Zeit der
Zwoelf Tafeln sicher noch nicht hatte und schwerlich vor dem fuenften
Jahrhundert bekommen hat (mein Die unteritalischen Dialekte. Leipzig
1850, S. 33), so muss dasselbe einer viel juengeren Quelle entnommen
sein; und es ist bei weitem die einfachste Annahme, darin das
Verzeichnis derjenigen Orte zu erkennen die spaeterhin als die
ordentlichen Glieder der latinischen Eidgenossenschaft betrachtet wurden
und die Dionysios, seiner pragmatisierenden Gewohnheit gemaess,
als deren urspruenglichen Bestand auffuehrt. Es erscheint in dem
Verzeichnis, wie es zu erwarten war, keine einzige nichtlatinische
Gemeinde; dasselbe zaehlt lediglich urspruenglich latinische oder mit
latinischen Kolonien belegte Orte auf - Corbio und Corioli wird niemand
als Ausnahme geltend machen. Vergleicht man nun mit diesem Register
das der latinischen Kolonien so sind bis zum Jahre 372 (382) gegruendet
worden Suessa Pometia, Velitrae, Norba, Signia, Ardea, Circeii (361
393), Satricum (369 385), Sutrium (371 383), Nepete (371), Setia (372
382). Von den letzten drei ungefaehr gleichzeitigen koennen sehr wohl
die beiden etruskischen etwas spaeter datieren als Setia, da ja die
Gruendung jeder Stadt eine gewisse Zeitdauer in Anspruch nahm und unsere
Liste von kleineren Ungenauigkeiten nicht frei sein kann. Nimmt man
dies an, so enthaelt das Verzeichnis saemtliche bis zum Jahre 372 (382)
ausgefuehrte Kolonien einschliesslich der beiden bald nachher aus dem
Verzeichnis gestrichenen Satricum, zerstoert 377 (377), und Velitrae,
des latinischen Rechts entkleidet 416 (338); es fehlen nur Suessa
Pometia, ohne Zweifel als vor dem Jahre 372 (382) zerstoert, und Signia,
wahrscheinlich weil im Text des Dionysios, der nur neunundzwanzig Namen
nennt, hinter S/E/TIN/O/N ausgefallen ist SIGNIN/O/N. Im vollkommenen
Einklang hiermit mangeln in diesem Verzeichnis ebenso alle nach dem
Jahre 372 (382) gegruendeten latinischen Kolonien wie alle Orte, die wie
Ostia, Antemnae, Alba vor dem Jahre 370 (384) der roemischen Gemeinde
inkorporiert wurden, wogegen die spaeter einverleibten, wie Tusculum,
Lanuvium, Velitrae, in demselben stehen geblieben sind. Was das von
Plinius mitgeteilte Verzeichnis von zweiunddreissig zu Plinius' Zeit
untergegangenen, ehemals am Albanischen Fest beteiligten Ortschaften
betrifft, so bleiben nach Abzug von sieben, die auch bei Dionysios
stehen (denn die Cusuetaner des Plinius scheinen die Dionysischen
Carventaner zu sein) noch fuenfundzwanzig, meistenteils ganz unbekannte
Ortschaften ohne Zweifel teils jene siebzehn nicht stimmenden Gemeinden,
groesstenteils wohl eben die aeltesten, spaeter zurueckgestellten
Glieder der albanischen Festgenossenschaft, teils eine Anzahl anderer
untergegangener oder ausgestossener Bundesglieder, zu welchen letzteren
vor allem der alte, auch von Plinius genannte Vorort Alba gehoert. ^12
Allerdings berichtet Livius (4, 47), dass Labici im Jahre 336 (418)
Kolonie geworden sei. Allein abgesehen davon, dass Diodor (13, 6)
hierueber schweigt, kann Labici weder eine Buergerkolonie geworden sein,
da die Stadt teils nicht an der Kueste lag, teils auch spaeter noch
im Besitz der Autonomie erscheint, noch eine latinische, da es kein
einziges zweites Beispiel einer im urspruenglichen Latium angelegten
latinischen Kolonie gibt noch nach dem Wesen dieser Gruendungen geben
kann. Hoechst wahrscheinlich ist hier wie anderswo, da zumal als
verteiltes Ackermass zwei Iugera genannt werden, die gemeine
Buerger- mit der kolonialen Assignation verwechselt worden.
------------------------------------------- Mit dieser Schliessung der
Eidgenossenschaft haengt auch die geographische Fixierung des Umfanges
von Latium zusammen. Solange die latinische Eidgenossenschaft noch offen
war, hatte auch die Grenze von Latium mit der Anlage neuer Bundesstaedte
sich vorgeschoben; aber wie die juengeren latinischen Kolonien keinen
Anteil am Albaner Fest erhielten, galten sie auch geographisch nicht
als Teil von Latium - darum werden wohl Ardea und Circeii, nicht aber
Sutrium und Tarracina zur Landschaft Latium gerechnet. Aber nicht bloss
wurden die nach 370 (384) mit latinischem Recht ausgestatteten Orte
von der eidgenoessischen Gemeinschaft ferngehalten, sondern es wurden
dieselben auch privatrechtlich insofern voneinander isoliert, als die
Verkehrs- und wahrscheinlich auch die Ehegemeinschaft (commercium et
conubium) einer jeden von diesen Gemeinden zwar mit der roemischen,
nicht aber mit den uebrigen latinischen gestattet ward, so dass also zum
Beispiel der Buerger von Sutrium wohl in Rom, aber nicht in Praeneste
einen Acker zu vollem Eigentum besitzen und wohl von einer Roemerin,
nicht aber von einer Tiburtinerin rechte Kinder gewinnen konnte ^13.
------------------------------------------------------ ^13 Diese
Beschraenkung der alten vollen latinischen Rechtsgemeinschaft begegnet
zwar zuerst in der Vertragserneuerung von 416 (338) (Liv. 8, 14); da
indes das Isolierungssystem, von dem dieselbe ein wesentlicher Teil ist,
zuerst fuer die nach 370 (384) ausgefuehrten latinischen Kolonien begann
und 416 (338) nur generalisiert ward, so war diese Neuerung hier zu
erwaehnen. ------------------------------------------- Wenn ferner
bisher innerhalb der Eidgenossenschaft eine ziemlich freie Bewegung
gestattet worden war und zum Beispiel die sechs altlatinischen Gemeinden
Aricia, Tusculum, Tibur, Lanuvium, Cora und Laurentum und die zwei
neulatinischen Ardea und Suessa Pometia der aricinischen Diana ein
Heiligtum gemeinschaftlich hatten stiften duerfen, so findet
von aehnlichen der roemischen Hegemonie Gefahr drohenden
Sonderkonfoederationen, ohne Zweifel nicht zufaellig, in spaeterer Zeit
sich kein weiteres Beispiel. Ebenso wird man die weitere Umgestaltung
der latinischen Gemeindeverfassungen und ihre voellige Ausgleichung mit
der Verfassung Roms dieser Epoche zuschreiben duerfen; denn wenn als
notwendiger Bestandteil der latinischen Magistratur neben den beiden
Praetoren spaeterhin die beiden mit der Markt- und Strassenpolizei und
der dazu gehoerigen Rechtspflege betrauten Aedilen erscheinen, so hat
diese offenbar gleichzeitig und auf Anregung der fuehrenden Macht in
allen Bundesgemeinden erfolgte Einsetzung staedtischer Polizeibehoerden
sicher nicht vor der in das Jahr 387 (367) fallenden Einrichtung der
kurulischen Aedilitaet in Rom, aber wahrscheinlich auch eben um diese
Zeit stattgefunden. Ohne Zweifel war diese Anordnung nur das Glied einer
Kette von bevormundenden und die bundesgenoessischen Gemeindeordnungen
im polizeilich-aristokratischen Sinne umgestaltenden Massregeln.
Offenbar fuehlte Rom nach dem Fall von Veii und der Eroberung des
pomptinischen Gebietes sich maechtig genug, um die Zuegel der Hegemonie
straffer anzuziehen und die saemtlichen latinischen Staedte in eine
so abhaengige Stellung zu bringen, dass sie faktisch vollstaendig
untertaenig wurden. In dieser Zeit (406 348) verpflichteten sich die
Karthager in dem mit Rom abgeschlossenen Handelsvertrag, den Latinern,
die Rom botmaessig seien, namentlich den Seestaedten Ardea, Antium,
Circeii, Tarracina, keinen Schaden zuzufuegen; wuerde aber eine der
latinischen Staedte vom roemischen Buendnis abgefallen sein, so sollten
die Phoeniker dieselbe angreifen duerfen, indes, wenn sie sie etwa
erobern wuerden, gehalten sein, sie nicht zu schleifen, sondern sie
den Roemern zu ueberliefern. Hier liegt es vor, durch welche Ketten die
roemische Gemeinde ihre Schutzstaedte an sich band und was eine Stadt,
die der einheimischen Schutzherrschaft sich entzog, dadurch einbuesste
und wagte. Zwar blieb auch jetzt noch wenn nicht der hernikischen, doch
wenigstens der latinischen Eidgenossenschaft ihr formelles Anrecht auf
den dritten Teil von Kriegsgewinn und wohl noch mancher andere Ueberrest
der ehemaligen Rechtsgleichheit; aber was nachweislich verloren ging,
war wichtig genug, um die Erbitterung begreiflich zu machen, welche in
dieser Zeit unter den Latinern gegen Rom herrschte. Nicht bloss fochten
ueberall, wo Heere gegen Rom im Felde standen, latinische Reislaeufer
zahlreich unter der fremden Fahne gegen ihre fuehrende Gemeinde; sondern
im Jahre 405 (349) beschloss sogar die latinische Bundesversammlung,
den Roemern den Zuzug zu verweigern. Allen Anzeichen nach stand eine
abermalige Schilderhebung der gesamten latinischen Bundesgenossenschaft
in nicht ferner Zeit bevor; und eben jetzt drohte ein Zusammenstoss mit
einer anderen italischen Nation, die wohl imstande war, der vereinigten
Macht des latinischen Stammes ebenbuertig zu begegnen. Nach der
Niederwerfung der noerdlichen Volsker stand den Roemern im Sueden
zunaechst kein bedeutender Gegner gegenueber; unaufhaltsam naeherten
ihre Legionen sich dem Liris. Im Jahre 397 (357) ward gluecklich
gekaempft mit den Privernaten, 409 (345) Sora am oberen Liris besetzt.
Schon standen also die roemischen Heere an der Grenze der Samniten, und
das Freundschaftsbuendnis, das im Jahre 400 (354) die beiden tapfersten
und maechtigsten italischen Nationen miteinander schlossen, war das
sichere Vorzeichen des herannahenden und mit der Krise innerhalb der
latinischen Nation in drohender Weise sich verschlingenden Kampfes um
die Oberherrschaft Italiens. Die samnitische Nation, die, als man in
Rom die Tarquinier austrieb, ohne Zweifel schon seit laengerer Zeit
im Besitz des zwischen der apulischen und der kampanischen Ebene
aufsteigenden und beide beherrschenden Huegellandes gewesen war, war
bisher auf der einen Seite durch die Daunier - Arpis Macht und Bluete
faellt in diese Zeit -, auf der andern durch die Griechen und Etrusker
an weiterem Vordringen gehindert worden. Aber der Sturz der etruskischen
Macht um das Ende des dritten (450), das Sinken der griechischen
Kolonien im Laufe des vierten Jahrhunderts (450-350) machten gegen
Westen und Sueden ihnen Luft und ein samnitischer Schwarm nach dem
andern zog jetzt bis an, ja ueber die sueditalischen Meere. Zuerst
erschienen sie in der Ebene am Golf, wo der Name der Kampaner seit dem
Anfang des vierten Jahrhunderts vernommen wird; die Etrusker wurden hier
erdrueckt, die Griechen beschraenkt, jenen Capua (330 424), diesen Kyme
(334 420) entrissen. Um dieselbe Zeit, vielleicht schon frueher,
zeigen sich in Grossgriechenland die Lucaner, die im Anfang des vierten
Jahrhunderts mit Terinaeern und Thurinern im Kampf liegen und geraume
Zeit vor 364 (390) in dem griechischen Laos sich festsetzten. Um diese
Zeit betrug ihr Aufgebot 30000 Mann zu Fuss und 4000 Reiter. Gegen das
Ende des vierten Jahrhunderts ist zuerst die Rede von der gesonderten
Eidgenossenschaft der Brettier ^14, die, ungleich den andern
sabellischen Staemmen, nicht als Kolonie, sondern im Kampf von den
Lucanern sich losgemacht und mit vielen fremdartigen Elementen sich
gemischt hatten. Wohl suchten die unteritalischen Griechen sich des
Andranges der Barbaren zu erwehren; der Achaeische Staedtebund ward 361
(393) rekonstituiert und festgesetzt, dass, wenn eine der verbuendeten
Staedte von Lucanern angegriffen werde, alle Zuzug leisten und die
Fuehrer der ausbleibenden Heerhaufen Todesstrafe leiden sollten. Aber
selbst die Einigung Grossgriechenlands half nicht mehr, da der Herr von
Syrakus, der aeltere Dionysios, mit den Italikern gegen seine Landsleute
gemeinschaftliche Sache machte. Waehrend Dionysios den grossgriechischen
Flotten die Herrschaft ueber die italischen Meere entriss, ward von den
Italikern eine Griechenstadt nach der andern besetzt oder vernichtet;
in unglaublich kurzer Zeit war der bluehende Staedtering zerstoert
oder veroedet. Nur wenigen griechischen Orten, wie zum Beispiel Neapel,
gelang es muehsam und mehr durch Vertraege als durch Waffengewalt,
wenigstens ihr Dasein und ihre Nationalitaet zu bewahren; durchaus
unabhaengig und maechtig blieb allein Tarent, das durch seine
entferntere Lage und durch seine in steten Kaempfen mit den Messapiern
unterhaltene Schlagfertigkeit sich aufrecht hielt, wenngleich auch diese
Stadt bestaendig mit den Lucanern um ihre Existenz zu fechten hatte und
genoetigt war, in oder griechischen Heimat Buendnisse und Soeldner zu
suchen. ---------------------------------------------- ^14 Der Name
selbst ist uralt, ja der aelteste einheimische Name der Bewohner des
heutigen Kalabrien (Antiochos fr. 5 Mueller). Die bekannte Ableitung ist
ohne Zweifel erfunden. -----------------------------------------------
Um die Zeit, wo Veii und die pomptinische Ebene roemisch wurden, hatten
die samnitischen Scharen bereits ganz Unteritalien inne mit Ausnahme
weniger und unter sich nicht zusammenhaengender griechischer
Pflanzstaedte und der apulisch- messapischen Kueste. Die um 418 (336)
abgefasste griechische Kuestenbeschreibung setzt die eigentlichen
Samniten mit ihren "fuenf Zungen" von einem Meer zum andern an und
am Tyrrhenischen neben sie in noerdlicher Richtung die Kampaner,
in suedlicher die Lucaner, unter denen hier wie oefter die Brettier
mitbegriffen sind und denen bereits die ganze Kueste von Paestum am
Tyrrhenischen bis nach Thurii am Ionischen Meer zugeteilt wird. In
der Tat, wer miteinander vergleicht, was die beiden grossen Nationen
Italiens, die latinische und die samnitische, errungen hatten, bevor
sie sich beruehrten, dem erscheint die Eroberungsbahn der letzteren
bei weitem ausgedehnter und glaenzender als die der Roemer. Aber der
Charakter der Eroberungen war ein wesentlich verschiedener. Von dem
festen staedtischen Mittelpunkt aus, den Latium im Rom besass, dehnt die
Herrschaft dieses Stammes langsam nach allen Seiten sich aus, zwar
in verhaeltnismaessig engen Grenzen, aber festen Fuss fassend, wo sie
hintritt, teils durch Gruendung von befestigten Staedten roemischer Art
mit abhaengigem Bundesrecht, teils durch Romanisierung des eroberten
Gebiets. Anders in Samnium. Es gibt hier keine einzelne fuehrende
Gemeinde und darum auch keine Eroberungspolitik. Waehrend die Eroberung
des veientischen und pomptinischen Gebietes fuer Rom eine wirkliche
Machterweiterung war, wurde Samnium durch die Entstehung der
kampanischen Staedte, der lucanischen, der brettischen Eidgenossenschaft
eher geschwaecht als gestaerkt; denn jeder Schwarm, der neue Sitze
gesucht und gefunden hatte, ging fortan fuer sich seine Wege. Die
samnitischen Scharen erfuellen einen unverhaeltnismaessig weiten
Raum, den sie ganz sich eigen zu machen keineswegs bedacht sind; die
groesseren Griechenstaedte, Tarent, Thurii, Kroton, Metapont, Herakleia,
Rhegion, Neapel, wenngleich geschwaecht und oefters abhaengig, bestehen
fort, ja selbst auf dem platten Lande und in den kleineren Staedten
werden die Hellenen geduldet, und Kyme zum Beispiel, Poseidonia, Laos,
Hipponion blieben, wie die erwaehnte Kuestenbeschreibung und die Muenzen
lehren, auch unter samnitischer Herrschaft noch Griechenstaedte.
So entstanden gemischte Bevoelkerungen, wie denn namentlich die
zwiesprachigen Brettier ausser samnitischen auch hellenische Elemente
und selbst wohl Ueberreste der alten Autochthonen in sich aufnahmen;
aber auch in Lucanien und Kampanien muessen in minderem Grade
aehnliche Mischungen stattgefunden haben. Dem gefaehrlichen Zauber
der hellenischen Kultur konnte auch die samnitische Nation sich
nicht entziehen, am wenigsten in Kampanien, wo Neapel frueh mit den
Einwanderern sich auf freundlichen Verkehr stellte und wo der Himmel
selbst die Barbaren humanisierte. Nola, Nuceria, Teanum, obwohl rein
samnitischer Bevoelkerung, nahmen griechische Weise und griechische
Stadtverfassung an, wie denn auch die heimische Gauverfassung unter
den veraenderten Verhaeltnissen unmoeglich fortbestehen konnte. Die
kampanischen Samnitenstaedte begannen Muenzen zu schlagen, zum Teil
mit griechischer Aufschrift; Capua ward durch Handel und Ackerbau der
Groesse nach die zweite Stadt Italiens, die erste an Ueppigkeit und
Reichtum. Die tiefe Entsittlichung, worin den Berichten der Alten
zufolge diese Stadt es allen uebrigen italischen zuvorgetan hat,
spiegelt sich namentlich in dem Werbewesen und in den Fechterspielen,
die beide vor allem in Capua zur Bluete gelangt sind. Nirgends
fanden die Werber so zahlreichen Zulauf wie in dieser Metropole
der entsittlichten Zivilisation; waehrend Capua selbst sich vor den
Angriffen der nachdraengenden Samniten nicht zu bergen wusste, stroemte
die streitbare kampanische Jugend unter selbstgewaehlten Condottieren
massenweise namentlich nach Sizilien. Wie tief diese Landknechtfahrten
in die Geschicke Italiens eingriffen, wird spaeter noch darzustellen
sein; fuer die kampanische Weise sind sie ebenso bezeichnend wie die
Fechterspiele, die gleichfalls in Capua zwar nicht ihre Entstehung,
aber ihre Ausbildung empfingen. Hier traten sogar waehrend des Gastmahls
Fechterpaare auf und ward deren Zahl je nach dem Rang der geladenen
Gaeste abgemessen. Diese Entartung der bedeutendsten samnitischen Stadt,
die wohl ohne Zweifel auch mit dem hier noch nachwirkenden etruskischen
Wesen eng zusammenhaengt, musste fuer die ganze Nation verhaengnisvoll
werden; wenn auch der kampanische Adel es verstand, mit dem tiefsten
Sittenverfall ritterliche Tapferkeit und hohe Geistesbildung zu
verbinden, so konnte er doch fuer seine Nation nimmermehr werden, was
die roemische Nobilitaet fuer die latinische war. Aehnlich wie auf die
Kampaner, wenn auch in minderer Staerke, wirkte der hellenische Einfluss
auf die Lucaner und Brettier. Die Graeberfunde in all diesen Gegenden
beweisen, wie die griechische Kunst daselbst mit barbarischem Luxus
gepflegt ward; der reiche Gold- und Bernsteinschmuck, das prachtvolle
gemalte Geschirr, wie wir sie jetzt den Haeusern der Toten entheben,
lassen ahnen, wie weit man hier schon sich entfernt hatte von der alten
Sitte der Vaeter. Andere Spuren bewahrt die Schrift; die altnationale
aus dem Norden mitgebrachte ward von den Lucanern und Brettiern
aufgegeben und mit der griechischen vertauscht, waehrend in Kampanien
das nationale Alphabet und wohl auch die Sprache unter dem bildenden
Einfluss der griechischen sich selbstaendig entwickelte zu groesserer
Klarheit und Feinheit. Es begegnen sogar einzelne Spuren des Einflusses
griechischer Philosophie. Nur das eigentliche Samnitenland blieb
unberuehrt von diesen Neuerungen, die, so schoen und natuerlich sie
teilweise sein mochten, doch maechtig dazu beitrugen, das von Haus aus
schon lose Band der nationalen Einheit immer mehr zu lockern. Durch den
Einfluss des hellenischen Wesens kam ein tiefer Riss in den samnitischen
Stamm. Die gesitteten "Philhellenen" Kampaniens gewoehnten sich, gleich
den Hellenen selbst, vor den rauheren Staemmen der Berge zu zittern,
die ihrerseits nicht aufhoerten, in Kampanien einzudringen und die
entarteten aelteren Ansiedler zu beunruhigen. Rom war ein geschlossener
Staat, der ueber die Kraft von ganz Latium verfuegte; die Untertanen
mochten murren, aber sie gehorchten. Der samnitische Stamm war zerfahren
und zersplittert, und die Eidgenossenschaft im eigentlichen Samnium
hatte sich zwar die Sitten und die Tapferkeit der Vaeter ungeschmaelert
bewahrt, war aber auch darueber mit den uebrigen samnitischen Voelker-
und Buergerschaften voellig zerfallen. In der Tat war es dieser Zwist
zwischen den Samniten der Ebene und den Samniten der Gebirge, der die
Roemer ueber den Liris fuehrte. Die Sidiciner in Teanum, die Kampaner
in Capua suchten gegen die eigenen Landsleute, die mit immer neuen
Schwaermen ihr Gebiet brandschatzten und darin sich festzusetzen
drohten, Hilfe bei den Roemern (411 343). Als das begehrte Buendnis
verweigert ward, bot die kampanische Gesandtschaft die Unterwerfung der
Stadt unter die Oberherrlichkeit Roms an, und solcher Lockung vermochten
die Roemer nicht zu widerstehen. Roemische Gesandte gingen zu den
Samniten, ihnen den neuen Erwerb anzuzeigen und sie aufzufordern, das
Gebiet der befreundeten Macht zu respektieren. Wie die Ereignisse weiter
verliefen, ist im einzelnen nicht mehr zu ermitteln ^15; wir sehen nur,
dass zwischen Rom und Samnium, sei es nach einem Feldzug, sei es ohne
vorhergehenden Krieg, ein Abkommen zustande kam, wodurch die Roemer
freie Hand erhielten gegen Capua, die Samniten gegen Teanum und die
Volsker am oberen Liris. Dass die Samniten sich dazu verstanden,
erklaert sich aus den gewaltigen Anstrengungen, die eben um diese Zeit
die Tarentiner machten, sich der sabellischen Nachbarn zu entledigen;
aber auch die Roemer hatten guten Grund, sich mit den Samniten so
schnell wie moeglich abzufinden, denn der bevorstehende Uebergang
der suedlich an Latium angrenzenden Landschaft in roemischen Besitz
verwandelte die laengst unter den Latinern bestehende Gaerung in offene
Empoerung. Alle urspruenglich latinischen Staedte, selbst die in den
roemischen Buergerverband aufgenommenen Tusculaner ergriffen die Waffen
gegen Rom, mit einziger Ausnahme der Laurenter, waehrend dagegen von
den ausserhalb der Grenzen Latiums gegruendeten Kolonien nur die alten
Volskerstaedte Velitrae, Antium und Tarracina sich an der Auflehnung
beteiligten. Dass die Capuaner, ungeachtet der eben erst freiwillig den
Roemern angetragenen Unterwerfung, dennoch die erste Gelegenheit, der
roemischen Herrschaft wieder ledig zu werden, bereitwillig ergriffen
und, trotz des Widerstandes der an dem Vertrag mit Rom festhaltenden
Optimatenpartei, die Gemeinde gemeinschaftliche Sache mit der
latinischen Eidgenossenschaft machte, ist erklaerlich; wogegen die noch
selbstaendigen Volskerstaedte, wie Fundi und Formiae, und die Herniker
sich gleich der kampanischen Aristokratie an diesem Aufstande nicht
beteiligten. Die Lage der Roemer war bedenklich; die Legionen, die ueber
den Liris gegangen waren und Kampanien besetzt hatten, waren durch
den Aufstand der Latiner von der Heimat abgeschnitten und nur ein
Sieg konnte sie retten. Bei Trifanum (zwischen Minturnae, Suessa und
Sinuessa) ward die entscheidende Schlacht geliefert (414 340): der
Konsul Titus Manlius Imperiosus Torquatus erfocht ueber die vereinigten
Latiner und Kampaner einen vollstaendigen Sieg. In den beiden folgenden
Jahren wurden die einzelnen Staedte, soweit sie noch Widerstand
leisteten, durch Kapitulation oder Sturm bezwungen und die
ganze Landschaft zur Unterwerfung gebracht.
--------------------------------------------------- ^15 Vielleicht kein
Abschnitt der roemischen Annalen ist aerger entstellt als die Erzaehlung
des ersten samnitisch-latinischen Krieges, wie sie bei Livius,
Dionysios, Appian steht oder stand. Sie lautet etwa folgendermassen.
Nachdem 411 (343) beide Konsuln in Kampanien eingerueckt waren, erfocht
zuerst der Konsul Marcus Valerius Corvus am Berge Gaurus ueber die
Samniten einen schweren und blutigen Sieg; alsdann auch der Kollege
Aulus Cornelius Cossus, nachdem er der Vernichtung in einem Engpass
durch Hingebung einer von dem Kriegstribun Publius Decius gefuehrten
Abteilung entgangen war. Die dritte und entscheidende Schlacht ward
am Eingang der Caudinischen Paesse bei Suessula von den beiden Konsuln
geschlagen; die Samniten wurden vollstaendig ueberwunden - man las
vierzigtausend ihrer Schilde auf dem Schlachtfelde auf - und zum Frieden
genoetigt, in welchem die Roemer Capua, das sich ihnen zu eigen
gegeben, behielten, Teanum dagegen den Samniten ueberliessen (413 341).
Glueckwuensche kamen von allen Seiten, selbst von Karthago. Die Latiner,
die den Zuzug verweigert hatten und gegen Rom zu ruesten schienen,
wandten ihre Waffen statt gegen Rom vielmehr gegen die Paeligner,
waehrend die Roemer zunaechst durch eine Militaerverschwoerung der in
Kampanien zurueckgelassenen Besatzung (412 342), dann durch die Einnahme
von Privernum (413 341) und den Krieg gegen die Antiaten beschaeftigt
waren. Nun aber wechseln ploetzlich und seltsam die Parteiverhaeltnisse.
Die Latiner, die umsonst das roemische Buergerrecht und Anteil am
Konsulat gefordert hatten, erhoben sich gegen Rom in Gemeinschaft mit
den Sidicinern, die vergeblich den Roemern die Unterwerfung angetragen
hatten und vor den Samniten sich nicht zu retten wussten, und mit den
Kampanern, die der roemischen Herrschaft bereits muede waren. Nur die
Laurenter in Latium und die kampanischen Ritter hielten zu den Roemern,
welche ihrerseits Unterstuetzung fanden bei den Paelignern und
den Samniten. Das latinische Heer ueberfiel Samnium; das
roemisch-samnitische schlug, nachdem es an den Fuciner See und von da
an Latium vorueber in Kampanien einmarschiert war, die
Entscheidungsschlacht gegen die vereinigten Latiner und Kampaner am
Vesuv, welche der Konsul Titus Manlius Imperiosus, nachdem er selbst
durch die Hinrichtung seines eigenen, gegen den Lagerbefehl siegenden
Sohnes die schwankende Heereszucht wiederhergestellt und sein Kollege
Publius Decius Mus die Goetter versoehnt hatte durch seinen Opfertod,
endlich mit Aufbietung der letzten Reserve gewann. Aber erst eine zweite
Schlacht, die der Konsul Manlius den Latinern und Kampanern bei Trifanum
lieferte, machte dem Krieg ein Ende; Latium und Capua unterwarfen sich
und wurden um einen Teil ihres Gebietes gestraft. Einsichtigen und
ehrlichen Lesern wird es nicht entgehen, dass dieser Bericht von
Unmoeglichkeiten aller Art wimmelt. Dahin gehoert das Kriegfuehren der
Antiaten nach der Dedition von 377 (377) (Liv. 6, 33); der selbstaendige
Feldzug der Latiner gegen die Paeligner im schneidenden Widerspruch zu
den Bestimmungen der Vertraege zwischen Rom und Latium; der unerhoerte
Marsch des roemischen Heeres durch das marsische und samnitische Gebiet
nach Capua, waehrend ganz Latium gegen Rom in Waffen stand; um nicht
zu reden von dem ebenso verwirrten wie sentimentalen Bericht ueber den
Militaeraufstand von 412 (342) und den Geschichtchen von dem gezwungenen
Anfuehrer desselben, dem lahmen Titus Quinctius, dem roemischen Goetz
von Berlichingen. Vielleicht noch bedenklicher sind die Wiederholungen;
so ist die Erzaehlung von dem Kriegstribun Publius Decius nachgebildet
der mutigen Tat des Marcus Calpurnius Flamma, oder wie er sonst hiess,
im Ersten Punischen Kriege; so kehrt die Eroberung Privernums durch
Gaius Plautius wieder im Jahre 425 (329), und nur diese zweite ist in
den Triumphalfasten verzeichnet; so der Opfertod des Publius Decius
bekanntlich bei dem Sohne desselben 459 (295). Ueberhaupt verraet in
diesem Abschnitt die ganze Darstellung eine andere Zeit und eine andere
Hand als die sonstigen glaubwuerdigeren annalistischen Berichte; die
Erzaehlung ist voll von ausgefuehrten Schlachtgemaelden; von eingewebten
Anekdoten, wie zum Beispiel der von dem setinischen Praetor, der auf den
Stufen des Rathauses den Hals bricht, weil er dreist genug gewesen war,
das Konsulat zu begehren, und den mannigfaltigen aus dem Beinamen
des Titus Manlius herausgesponnenen; von ausfuehrlichen und zum Teil
bedenklichen archaeologischen Digressionen, wohin zum Beispiel die
Geschichte der Legion (von der die hoechst wahrscheinlich apokryphe
Notiz ueber die aus Roemern und Latinern gemischten Manipel des zweiten
Tarquinius bei Liv. 1, 52 offenbar ein zweites Bruchstueck ist),
die verkehrte Auffassung des Vertrages zwischen Capua und Rom (meine
Geschichte des roemischen Muenzwesens. Breslau 1860, S. 334, A.
122), die Devotionsformulare, der kampanische Denar, das laurentische
Buendnis, die bina iugera bei der Assignation gehoeren. Unter solchen
Umstaenden erscheint es von grossem Gewicht, dass Diodoros, der
anderen und oft aelteren Berichten folgt, von all diesen Ereignissen
schlechterdings nichts kennt als die letzte Schlacht bei Trifanum;
welche auch in der Tat schlecht passt zu der uebrigen Erzaehlung, die
nach poetischer Gerechtigkeit schliessen sollte mit dem Tode des Decius.
--------------------------------------------- Die Folge des Sieges
war die Aufloesung des latinischen Bundes. Derselbe wurde aus einer
selbstaendigen politischen Konfoederation in eine bloss religioese
Festgenossenschaft umgewandelt; die altverbrieften Rechte der
Eidgenossenschaft auf ein Maximum der Truppenaushebung und einen Anteil
an dem Kriegsgewinn gingen damit als solche zu Grunde, und was derart
spaeter noch vorkam, traegt den Charakter der Gnadenbewilligung. An
die Stelle des einen Vertrages zwischen Rom einer- und der latinischen
Eidgenossenschaft anderseits traten im besten Fall ewige Buendnisse
zwischen Rom und den einzelnen eidgenoessischen Orten. Zu diesem
Vertragsverhaeltnis wurden von den altlatinischen Orten ausser Laurentum
auch Tibur und Praeneste zugelassen, welche indes Stuecke ihres Gebiets
an Rom abtreten mussten. Gleiches Recht erhielten die ausserhalb Latium
gegruendeten Gemeinden latinischen Rechts, soweit sie sich nicht an dem
Kriege beteiligt hatten. Die Isolierung der Gemeinden gegeneinander,
welche fuer die nach dem Jahre 370 (384) gegruendeten Orte bereits
frueher festgestellt worden war, ward also auf die gesamte Nation
erstreckt. Im uebrigen blieben den einzelnen Orten die bisherigen
Gerechtsame und ihre Autonomie. Die uebrigen altlatinischen Gemeinden
sowie die abgefallenen Kolonien verloren saemtlich die Selbstaendigkeit
und traten in einer oder der anderen Form in den roemischen
Buergerverband ein. Die beiden wichtigsten Kuestenstaedte Antium (416
338) und Tarracina (425 329) wurden, nach dem Muster von Ostia, mit
roemischen Vollbuergern besetzt und auf eine engbegrenzte kommunale
Selbstaendigkeit beschraenkt, die bisherigen Buerger zu Gunsten der
roemischen Kolonisten ihres Grundeigentums grossenteils beraubt
und, soweit sie es behielten, ebenfalls in den Vollbuergerverband
aufgenommen. Lanuvium, Aricia, Nomentum, Pedum wurden roemische
Buergergemeinden mit beschraenkter Selbstverwaltung nach dem Muster von
Tusculum (l, 360). Velitraes Mauern wurden niedergerissen, der Senat
in Masse ausgewiesen und im roemischen Etrurien interniert, die Stadt
wahrscheinlich als untertaenige Gemeinde nach caeritischem Recht
konstituiert. Von dem gewonnenen Acker wurde ein Teil, zum Beispiel
die Laendereien der veliternischen Ratsmitglieder, an roemische Buerger
verteilt; mit diesen Einzelassignationen haengt die Errichtung zweier
neuer Buergerbezirke im Jahre 422 (332) zusammen. Wie tief man in Rom
die ungeheure Bedeutung des gewonnenen Erfolges empfand, zeigt die
Ehrensaeule, die man dem siegreichen Buergermeister des Jahres 416
(338), Gaius Maenius, auf dem roemischen Markte errichtete, und die
Schmueckung der Rednertribuene auf demselben mit den Schnaebeln der
unbrauchbar befundenen antiatischen Galeeren. In gleicher Weise ward
in dem suedlichen volskischen und dem kampanischen Gebiet die roemische
Herrschaft durchgefuehrt und befestigt. Fundi, Formiae, Capua, Kyme und
eine Anzahl kleinerer Staedte wurden abhaengige roemische Gemeinden mit
Selbstverwaltung; um das vor allem wichtige Capua zu sichern, erweiterte
man kuenstlich die Spaltung zwischen Adel und Gemeinde, revidierte
die Gemeindeverfassung im roemischen Interesse und kontrollierte die
staedtische Verwaltung durch jaehrlich nach Kampanien gesandte
roemische Beamte. Dieselbe Behandlung widerfuhr einige Jahre darauf
dem volskischen Privernum, dessen Buerger, unterstuetzt von dem kuehnen
fundanischen Parteigaenger Vitruvius Vaccus, die Ehre hatten, fuer die
Freiheit dieser Landschaft den letzten Kampf zu kaempfen - er endigte
mit der Erstuermung der Stadt (425 329) und der Hinrichtung des Vaccus
im roemischen Kerker. Um eine eigene roemische Bevoelkerung in diesen
Gegenden emporzubringen, teilte man von den im Krieg gewonnenen
Laendereien, namentlich im privernatischen und im falernischen Gebiet,
so zahlreiche Ackerlose an roemische Buerger aus, dass wenige Jahre
nachher (436 318) auch dort zwei neue Buergerbezirke errichtet werden
konnten. Die Anlegung zweier Festungen als Kolonien latinischen Rechts
sicherte schliesslich das neu gewonnene Land. Es waren dies Cales (420
334) mitten in der kampanischen Ebene, von wo aus Teanum und Capua
beobachtet werden konnten, und Fregellae (426 328), das den Uebergang
ueber den Liris beherrschte. Beide Kolonien waren ungewoehnlich stark
und gelangten schnell zur Bluete, trotz der Hindernisse, welche die
Sidiciner der Gruendung von Cales, die Samniten der von Fregellae in
den Weg legten. Auch nach Sora ward eine roemische Besatzung verlegt,
worueber die Samniten, denen dieser Bezirk vertragsmaessig ueberlassen
worden war, sich mit Grund, aber vergeblich beschwerten. Ungeirrt ging
Rom seinem Ziel entgegen, seine energische und grossartige Staatskunst
mehr als auf dem Schlachtfelde offenbarend in der Sicherung der
gewonnenen Landschaft, die es politisch und militaerisch mit einem
unzerreissbaren Netze umflocht. Dass die Samniten das bedrohliche
Vorschreiten der Roemer nicht gern sahen, versteht sich; sie warfen
ihnen auch wohl Hindernisse in den Weg, aber versaeumten es doch jetzt,
wo es vielleicht noch Zeit war, mit der von den Umstaenden geforderten
Energie ihnen die neue Eroberungsbahn zu verlegen. Zwar Teanum scheinen
sie nach dem Vertrag mit Rom eingenommen und stark besetzt zu haben;
denn waehrend die Stadt frueher Hilfe gegen Samnium in Capua und Rom
nachsucht, erscheint sie in den spaeteren Kaempfen als die Vormauer der
samnitischen Macht gegen Westen. Aber am oberen Liris breiteten sie wohl
erobernd und zerstoerend sich aus, versaeumten es aber, hier auf die
Dauer sich festzusetzen. So zerstoerten sie die Volskerstadt Fregellae,
wodurch nur die Anlage der eben erwaehnten roemischen Kolonie daselbst
erleichtert ward, und schreckten zwei andere Volskerstaedte, Fabrateria
(Ceccano) und Luca (unbekannter Lage), so, dass dieselben, Capuas
Beispiel folgend, sich (424 330) den Roemern zu eigen gaben. Die
samnitische Eidgenossenschaft gestattete, dass die roemische Eroberung
Kampaniens eine vollendete Tatsache geworden war, bevor sie sich
ernstlich derselben widersetzte; wovon der Grund allerdings zum Teil
in den gleichzeitigen Fehden der samnitischen Nation mit den italischen
Hellenen, aber zum Teil doch auch in der schlaffen und zerfahrenen
Politik der Eidgenossenschaft zu suchen ist. 6. Kapitel Die Italiker
gegen Rom Waehrend die Roemer am Liris und Volturnus fochten, bewegten
den Suedosten der Halbinsel andere Kaempfe. Die reiche tarentinische
Kaufmannsrepublik, immer ernstlicher bedroht von den lucanischen und
messapischen Haufen und ihren eigenen Schwertern mit Recht misstrauend,
gewann fuer gute Worte und besseres Geld die Bandenfuehrer der Heimat.
Der Spartanerkoenig Archidamos, der mit einem starken Haufen den
Stammgenossen zu Hilfe gekommen war, erlag an demselben Tage, wo Philipp
bei Chaeroneia siegte, den Lucanern (416 338); wie die frommen Griechen
meinten, zur Strafe dafuer, dass er und seine Leute neunzehn Jahre
frueher teilgenommen hatten an der Pluenderung des delphischen
Heiligtums. Seinen Platz nahm ein maechtigerer Feldhauptmann ein,
Alexander der Molosser, Bruder der Olympias, der Mutter Alexanders des
Grossen. Mit den mitgebrachten Scharen vereinigte er unter seinen
Fahnen die Zuzuege der Griechenstaedte, namentlich der Tarentiner und
Metapontiner; ferner die Poediculer (um Rubi, jetzt Ruvo), die gleich
den Griechen sich von der sabellischen Nation bedroht sahen; endlich
sogar die lucanischen Verbannten selbst, deren betraechtliche Zahl auf
heftige innere Unruhen in dieser Eidgenossenschaft schliessen laesst.
So sah er sich bald dem Feinde ueberlegen. Consentia (Cosenza), der
Bundessitz, wie es scheint, der in Grossgriechenland angesiedelten
Sabeller, fiel in seine Haende. Umsonst kommen die Samniten den Lucanern
zu Hilfe; Alexander schlaegt ihre vereinigte Streitmacht bei Paestum, er
bezwingt die Daunier um Sipontum, die Messapier auf der suedoestlichen
Halbinsel; schon gebietet er von Meer zu Meer und ist im Begriff, den
Roemern die Hand zu reichen und mit ihnen gemeinschaftlich die Samniten
in ihren Stammsitzen anzugreifen. Aber so unerwartete Erfolge waren den
Tarentiner Kaufleuten unerwuenscht und erschreckend; es kam zum Kriege
zwischen ihnen und ihrem Feldhauptmann, der als gedungener Soeldner
erschienen war und nun sich anliess, als wolle er im Westen ein
hellenisches Reich begruenden gleichwie sein Neffe im Osten. Alexander
war anfangs im Vorteil: er entriss den Tarentinern Herakleia, stellte
Thurii wieder her und scheint die uebrigen italischen Griechen
aufgerufen zu haben, sich unter seinem Schutz gegen die Tarentiner
zu vereinigen, indem er zugleich es versuchte, zwischen ihnen und den
sabellischen Voelkerschaften den Frieden zu vermitteln. Allein seine
grossartigen Entwuerfe fanden nur schwache Unterstuetzung bei den
entarteten und entmutigten Griechen und der notgedrungene Parteiwechsel
entfremdete ihm seinen bisherigen lucanischen Anhang; bei Pandosia fiel
er von der Hand eines lucanischen Emigrierten (422 332) ^1. Mit seinem
Tode kehrten im wesentlichen die alten Zustaende wieder zurueck.
Die griechischen Staedte sahen sich wiederum vereinzelt und wiederum
lediglich darauf angewiesen, sich jede, so gut es gehen mochte, zu
schuetzen durch Vertrag oder Tributzahlung oder auch durch auswaertige
Hilfe, wie zum Beispiel Kroton um 430 (324) mit Hilfe von Syrakus die
Brettier zurueckschlug. Die samnitischen Staemme erhielten aufs neue
das Uebergewicht und konnten, unbekuemmert um die Griechen, wieder
ihre Blicke nach Kampanien und Latium wenden.
---------------------------------------------- ^1 Es wird nicht
ueberfluessig sein, daran zu erinnern, dass, was ueber Archidamos und
Alexander bekannt ist, aus griechischen Jahrbuechern herruehrt und der
Synchronismus dieser und der roemischen fuer die gegenwaertige Epoche
noch bloss approximativ festgestellt ist. Man huete sich daher, den im
allgemeinen unverkennbaren Zusammenhang der west- und der
ostitalischen Ereignisse zu sehr ins einzelne verfolgen zu wollen.
---------------------------------------------- Hier aber war in der
kurzen Zwischenzeit ein ungeheurer Umschwung eingetreten. Die latinische
Eidgenossenschaft war gesprengt und zertruemmert, der letzte Widerstand
der Volsker gebrochen, die kampanische Landschaft, die reichste und
schoenste der Halbinsel, im unbestrittenen und wohlbefestigten Besitz
der Roemer, die zweite Stadt Italiens in roemischer Klientel.
Waehrend die Griechen und Samniten miteinander rangen, hatte Rom fast
unbestritten sich zu einer Machtstellung emporgeschwungen, die zu
erschuettern kein einzelnes Volk der Halbinsel die Mittel mehr besass
und die alle zugleich mit roemischer Unterjochung bedrohte. Eine
gemeinsame Anstrengung der jedes fuer sich Rom nicht gewachsenen
Voelker konnte vielleicht die Ketten noch sprengen, ehe sie voellig sich
befestigten; aber die Klarheit, der Mut, die Hingebung, wie eine solche
Koalition unzaehliger, bisher grossenteils feindlich oder doch fremd
sich gegenueberstehender Volks- und Stadtgemeinden sie erforderte,
fanden sich nicht oder doch erst, als es bereits zu spaet war. Nach
dem Sturz der etruskischen Macht, nach der Schwaechung der griechischen
Republiken war naechst Rom unzweifelhaft die bedeutendste Macht in
Italien die samnitische Eidgenossenschaft und zugleich diejenige, die
von den roemischen Uebergriffen am naechsten und unmittelbarsten
bedroht war. Ihr also kam es zu, in dem Kampf um die Freiheit und die
Nationalitaet, den die Italiker gegen Rom zu fuehren hatten, die erste
Stelle und die schwerste Last zu uebernehmen. Sie durfte rechnen auf
den Beistand der kleinen sabellischen Voelkerschaften, der Vestiner,
Frentaner, Marruciner und anderer kleinerer Gaue, die in baeuerlicher
Abgeschiedenheit zwischen ihren Bergen wohnten, aber nicht taub waren,
wenn der Aufruf eines verwandten Stammes sie mahnte, zur Verteidigung
der gemeinsamen Gueter die Waffen zu ergreifen. Wichtiger waere der
Beistand der kampanischen und grossgriechischen Hellenen, namentlich
der Tarentiner, und der maechtigen Lucaner und Brettier gewesen;
allein teils die Schlaffheit und Fahrigkeit der in Tarent herrschenden
Demagogen und die Verwicklung der Stadt in die sizilischen
Angelegenheiten, teils die innere Zerrissenheit der lucanischen
Eidgenossenschaft, teils und vor allem die seit Jahrhunderten bestehende
tiefe Verfehdung der unteritalischen Hellenen mit ihren lucanischen
Bedraengern liessen kaum hoffen, dass Tarent und Lucanien
gemeinschaftlich sich den Samniten anschliessen wuerden. Von den
Sabinern und den Marsern als den naechsten und seit langem in
friedlichem Verhaeltnis mit Rom lebenden Nachbarn der Roemer war wenig
mehr zu erwarten als schlaffe Teilnahme oder Neutralitaet; die Apuler,
die alten und erbitterten Gegner der Sabeller, waren die natuerlichen
Verbuendeten der Roemer. Dass dagegen die fernen Etrusker, wenn ein
erster Erfolg errungen war, dem Bunde sich anschliessen wuerden, liess
sich erwarten, und selbst ein Aufstand in Latium und dem Volsker- und
Hernikerland lag nicht ausser der Berechnung. Vor allen Dingen aber
mussten die Samniten, die italischen Aetoler, in denen die nationale
Kraft noch ungebrochen lebte, vertrauen auf die eigene Kraft, auf die
Ausdauer im ungleichen Kampf, welche den uebrigen Voelkern Zeit gab
zu edler Scham, zu gefasster Ueberlegung, zum Sammeln der Kraefte;
ein einziger gluecklicher Erfolg konnte alsdann die Kriegs- und
Aufruhrsflammen rings um Rom entzuenden. Die Geschichte darf dem edlen
Volke das Zeugnis nicht versagen, dass es seine Pflicht begriffen
und getan hat. Mehrere Jahre schon waehrte der Hader zwischen Rom und
Samnium infolge der bestaendigen Uebergriffe, die die Roemer sich am
Liris erlaubten und unter denen die Gruendung von Fregellae 426 (328)
der letzte und wichtigste war. Zum Ausbruch des Kampfes aber gaben die
Veranlassung die kampanischen Griechen. Seitdem Cumae und Capua roemisch
geworden waren, lag den Roemern nichts so nahe wie die Unterwerfung
der Griechenstadt Neapolis, die auch die griechischen Inseln im Golf
beherrschte, innerhalb des roemischen Machtgebiets die einzige noch
nicht unterworfene Stadt. Die Tarentiner und Samniten, unterrichtet von
dem Plane der Roemer, sich der Stadt zu bemaechtigen, beschlossen,
ihnen zuvorzukommen; und wenn die Tarentiner nicht sowohl zu fern als
zu schlaff waren, um diesen Plan auszufuehren, so warfen die Samniten in
der Tat eine starke Besatzung hinein. Sofort erklaerten die Roemer dem
Namen nach den Neapoliten, in der Tat den Samniten den Krieg (427 327)
und begannen die Belagerung von Neapolis. Nachdem dieselbe eine Weile
gewaehrt hatte, wurden die kampanischen Griechen des gestoerten Handels
und der fremden Besatzung muede; und die Roemer, deren ganzes Bestreben
darauf gerichtet war, von der Koalition, deren Bildung bevorstand, die
Staaten zweiten und dritten Ranges durch Sondervertraege fernzuhalten,
beeilten sich, sowie sich die Griechen auf Unterhandlungen einliessen,
ihnen die guenstigsten Bedingungen zu bieten: volle Rechtsgleichheit
und Befreiung vom Landdienst, gleiches Buendnis und ewigen Frieden.
Daraufhin ward, nachdem die Neapoliten sich der Besatzung durch List
entledigt hatten, der Vertrag abgeschlossen (428 326). Im Anfang dieses
Krieges hielten die sabellischen Staedte suedlich vom Volturnus, Nola,
Nuceria, Herculaneum, Pompeii, es mit Samnium; allein teils ihre
sehr ausgesetzte Lage, teils die Machinationen der Roemer, welche die
optimatische Partei in diesen Staedten durch alle Hebel der List und
des Eigennutzes auf ihre Seite zu ziehen versuchten und dabei an Capuas
Vorgang einen maechtigen Fuersprecher fanden, bewirkten, dass diese
Staedte nicht lange nach dem Fall von Neapolis sich entweder fuer Rom
oder doch neutral erklaerten. Ein noch wichtigerer Erfolg gelang den
Roemern in Lucanien. Das Volk war auch hier mit richtigem Instinkt fuer
den Anschluss an die Samniten; da aber das Buendnis mit den Samniten
auch Frieden mit Tarent nach sich zog und ein grosser Teil der
regierenden Herren Lucaniens nicht gemeint war, die eintraeglichen
Pluenderzuege einzustellen, so gelang es den Roemern, mit Lucanien
ein Buendnis abzuschliessen, das unschaetzbar war, weil dadurch den
Tarentinern zu schaffen gemacht wurde und also die ganze Macht Roms
gegen Samnium verwendbar blieb. So stand Samnium nach allen Seiten hin
allein; kaum dass einige der oestlichen Bergdistrikte ihm Zuzug sandten.
Mit dem Jahre 428 (326) begann der Krieg im samnitischen Lande selbst;
einige Staedte an der kampanischen Grenze, Rufrae (zwischen Venafrum und
Teanum) und Allifae, wurden von den Roemern besetzt. In den folgenden
Jahren durchzogen die roemischen Heere fechtend und pluendernd Samnium
bis in das vestinische Gebiet hinein, ja bis nach Apulien, wo man sie
mit offenen Armen empfing, ueberall im entschiedensten Vorteil. Der
Mut der Samniten war gebrochen; sie sandten die roemischen Gefangenen
zurueck und mit ihnen die Leiche des Fuehrers der Kriegspartei, Brutulus
Papius, welcher den roemischen Henkern zuvorgekommen war, nachdem die
samnitische Volksgemeinde beschlossen hatte, den Frieden von dem Feinde
zu erbitten und durch die Auslieferung ihres tapfersten Feldherrn
sich leidlichere Bedingungen zu erwirken. Aber als die demuetige, fast
flehentliche Bitte bei der roemischen Volksgemeinde keine Erhoerung
fand (432 322), ruesteten sich die Samniten unter ihrem neuen Feldherrn
Gavius Pontius zur aeussersten und verzweifelten Gegenwehr. Das
roemische Heer, das unter den beiden Konsuln des folgenden Jahres
(433 321), Spurius Postumius und Titus Veturius, bei Calatia (zwischen
Caserta und Maddaloni) gelagert war, erhielt die durch die Aussage
zahlreicher Gefangenen bestaetigte Nachricht, dass die Samniten Luceria
eng eingeschlossen haetten und die wichtige Stadt, an der der Besitz
Apuliens hing, in grosser Gefahr schwebe. Eilig brach man auf. Wollte
man zu rechter Zeit anlangen, so konnte kein anderer Weg eingeschlagen
werden als mitten durch das feindliche Gebiet, da wo spaeter als
Fortsetzung der Appischen Strasse die roemische Chaussee von Capua ueber
Benevent nach Apulien angelegt ward. Dieser Weg fuehrte zwischen den
heutigen Orten Arpaja und Montesarchio (Caudium) durch einen feuchten
Wiesengrund, der rings von hohen und steilen Waldhuegeln umschlossen und
nur durch tiefe Einschnitte beim Ein- und Austritt zugaenglich war.
Hier hatten die Samniten verdeckt sich aufgestellt. Die Roemer, ohne
Hindernis in das Tal eingetreten, fanden den Ausweg durch Verhaue
gesperrt und stark besetzt; zurueckmarschierend erblickten sie den
Eingang in aehnlicher Weise geschlossen und gleichzeitig kroenten die
Bergraender rings im Kreise sich mit den samnitischen Kohorten. Zu spaet
begriffen sie, dass sie sich durch eine Kriegslist hatten taeuschen
lassen und dass die Samniten nicht bei Luceria sie erwarteten, sondern
in dem verhaengnisvollen Pass von Caudium. Man schlug sich, aber ohne
Hoffnung auf Erfolg und ohne ernstliches Ziel; das roemische Heer
war gaenzlich unfaehig zu manoevrieren und ohne Kampf vollstaendig
ueberwunden. Die roemischen Generale Boten die Kapitulation an. Nur
toerichte Rhetorik laesst dem samnitischen Feldherrn die Wahl bloss
zwischen Entlassung und Niedermetzelung der roemischen Armee; er konnte
nichts Besseres tun als die angebotene Kapitulation annehmen und das
feindliche Heer, die gesamte augenblicklich aktive Streitmacht der
roemischen Gemeinde mit beiden hoechstkommandierenden Feldherren,
gefangen machen; worauf ihm dann der Weg nach Kampanien und Latium
offenstand und unter den damaligen Verhaeltnissen, wo die Volsker
und Herniker und der groesste Teil der Latiner ihn mit offenen Armen
empfangen haben wuerden, Roms politische Existenz ernstlich gefaehrdet
war. Allein statt diesen Weg einzuschlagen und eine Militaerkonvention
zu schliessen, dachte Gavius Pontius durch einen billigen Frieden
gleich den ganzen Hader beendigen zu koennen; sei es, dass er die
unverstaendige Friedenssehnsucht der Eidgenossen teilte, der das Jahr
zuvor Brutulus Papius zum Opfer gefallen war, sei es, dass er
nicht imstande war, der kriegsmueden Partei zu wehren, dass sie den
beispiellosen Sieg ihm verdarb. Die gestellten Bedingungen waren maessig
genug: Rom solle die vertragswidrig angelegten Festungen - Cales und
Fregellae - schleifen und den gleichen Bund mit Samnium erneuern.
Nachdem die roemischen Feldherren dieselben eingegangen waren und fuer
die getreuliche Ausfuehrung sechshundert aus der Reiterei erlesene
Geiseln gestellt, ueberdies ihr und ihrer saemtlichen Stabsoffiziere
Eideswort dafuer verpfaendet hatten, wurde das roemische Heer entlassen,
unverletzt, aber entehrt; denn das siegestrunkene samnitische Heer
gewann es nicht ueber sich, den gehassten Feinden die schimpfliche Form
der Waffenstreckung und des Abzuges unter dem Galgen durch zu erlassen.
Allein der roemische Senat, unbekuemmert um den Eid der Offiziere und
um das Schicksal der Geiseln, kassierte den Vertrag und begnuegte sich
diejenigen, die ihn abgeschlossen hatten, als persoenlich fuer
dessen Erfuellung verantwortlich dem Feinde auszuliefern. Es kann
der unparteiischen Geschichte wenig darauf ankommen, ob die roemische
Advokaten- und Pfaffenkasuistik hierbei den Buchstaben des Rechts
gewahrt oder der Beschluss des roemischen Senats denselben verletzt hat;
menschlich und politisch betrachtet trifft die Roemer hier kein Tadel.
Es ist ziemlich gleichgueltig, ob nach formellem roemischen Staatsrecht
der kommandierende General befugt oder nicht befugt war, ohne
vorbehaltene Ratifikation der Buergerschaft Frieden zu schliessen; dem
Geiste und der Uebung der Verfassung nach stand es vollkommen Fest, dass
in Rom jeder nicht rein militaerische Staatsvertrag zur Kompetenz der
buergerlichen Gewalten gehoerte und ein Feldherr, der ohne Auftrag von
Rat und Buergerschaft Frieden schloss, mehr tat, als er tun durfte. Es
war ein groesserer Fehler des samnitischen Feldherrn, den roemischen die
Wahl zu stellen zwischen Rettung ihres Heeres und Ueberschreitung ihrer
Vollmacht, als der roemischen, dass sie nicht die Seelengroesse hatten,
die letztere Anmutung unbedingt zurueckzuweisen; und dass der roemische
Senat einen solchen Vertrag verwarf, war recht und notwendig. Kein
grosses Volk gibt, was es besitzt, anders hin als unter dem Druck der
aeussersten Notwendigkeit; alle Abtretungsvertraege sind Anerkenntnisse
einer solchen, nicht sittliche Verpflichtungen. Wenn jede Nation mit
Recht ihre Ehre darein setzt, schimpfliche Vertraege mit den Waffen
zu zerreissen, wie kann ihr dann die Ehre gebieten, an einem Vertrage
gleich dem Caudinischen, zu dem ein ungluecklicher Feldherr moralisch
genoetigt worden ist, geduldig festzuhalten, wenn die frische Schande
brennt und die Kraft ungebrochen dasteht? So brachte der Friedensvertrag
von Caudium nicht die Ruhe, die die Friedensenthusiasten in Samnium
toerichterweise davon erhofft hatten, sondern nur Krieg und wieder
Krieg, mit gesteigerter Erbitterung auf beiden Seiten durch die
verscherzte Gelegenheit, das gebrochene feierliche Wort, die
geschaendete Waffenehre, die preisgegebenen Kameraden. Die
ausgelieferten roemischen Offiziere wurden von den Samniten nicht
angenommen, teils weil sie zu gross dachten, um an diesen Ungluecklichen
ihre Rache zu ueben, teils weil sie damit den Roemern wuerden
zugestanden haben, dass das Buendnis nur die Schwoerenden verpflichtet
habe, nicht den roemischen Staat. Hochherzig verschonten sie sogar die
Geiseln, deren Leben nach Kriegsrecht verwirkt war, und wandten sich
vielmehr sogleich zum Waffenkampf. Luceria ward von ihnen besetzt,
Fregellae ueberfallen und erstuermt (434 320), bevor die Roemer die
aufgeloeste Armee wieder reorganisiert hatten; was man haette erreichen
koennen, wenn man den Vorteil nicht haette aus den Haenden fahren
lassen, zeigt der Uebertritt der Satricaner ^2 zu den Samniten. Aber
Rom war nur augenblicklich gelaehmt, nicht geschwaecht; voll Scham
und Erbitterung bot man dort auf, was man an Mannschaft und Mitteln
vermochte und stellte den erprobtesten, als Soldat wie als Feldherr
gleich ausgezeichneten Fuehrer Lucius Papirius Cursor an die Spitze des
neugebildeten Heeres. Dasselbe teilte sich; die eine Haelfte zog durch
die Sabina und das adriatische Litoral vor Luceria, die andere ebendahin
durch Samnium selbst, indem die letztere das samnitische Heer unter
gluecklichen Gefechten vor sich her trieb. Man traf wieder zusammen
unter den Mauern von Luceria, dessen Belagerung um so eifriger betrieben
ward, als dort die roemischen Reiter gefangen sassen; die Apuler,
namentlich die Arpaner, leisteten dabei den Roemern wichtigen Beistand,
vorzueglich durch Beschaffung der Zufuhr. Nachdem die Samniten zum
Entsatz der Stadt eine Schlacht geliefert und verloren hatten, ergab
sich Luceria den Roemern (435 319): Papirius genoss die doppelte
Freude, die verlorengegebenen Kameraden zu befreien und der samnitischen
Besatzung von Luceria die Galgen von Caudium zu vergelten. In den
folgenden Jahren (435-437 319-317) ward der Krieg nicht so sehr in
Samnium gefuehrt ^3 als in den benachbarten Landschaften. Zuerst
zuechtigten die Roemer die samnitischen Verbuendeten in dem apulischen
und frentanischen Gebiet und schlossen mit den apulischen Teanensern und
den Canusinern neue Bundesvertraege ab. Gleichzeitig ward Satricum zur
Botmaessigkeit zurueckgebracht und schwer fuer seinen Abfall bestraft.
Alsdann zog der Krieg sich nach Kampanien, wo die Roemer die Grenzstadt
gegen Samnium Saticula (vielleicht S. Agata de' Goti) eroberten (438
316). Jetzt aber schien hier das Kriegsglueck sich wieder gegen sie
wenden zu wollen. Die Samniten zogen die Nuceriner (438 316) und bald
darauf die Nolaner auf ihre Seite; am oberen Liris vertrieben die
Soraner selbst die roemische Besatzung (439 315); eine Erhebung der
Ausonen bereitete sich vor und bedrohte das wichtige Cales; selbst in
Capua regten sich lebhaft die antiroemisch Gesinnten. Ein samnitisches
Heer rueckte in Kampanien ein und lagerte vor der Stadt, in der
Hoffnung, durch seine Naehe der Nationalpartei das Uebergewicht zu geben
(440 314). Allein Sora ward von den Roemern sofort angegriffen und,
nachdem die samnitische Entsatzarmee geschlagen war (440 314), wieder
genommen. Die Bewegungen unter den Ausonen wurden mit grausamer Strenge
unterdrueckt, ehe der Aufstand recht zum Ausbruch kam, und gleichzeitig
ein eigener Diktator ernannt, um die politischen Prozesse gegen die
Fuehrer der samnitischen Partei in Capua einzuleiten und abzuurteilen,
so dass die namhaftesten derselben, um dem roemischen Henker zu
entgehen, freiwillig den Tod nahmen (440 314). Das samnitische Heer vor
Capua ward geschlagen und zum Abzug aus Kampanien gezwungen; die
Roemer, dem Feinde auf den Fersen folgend, ueberschritten den Matese und
lagerten im Winter 440 (314) vor der Hauptstadt Samniums Bovianum.
Nola war von den Verbuendeten preisgegeben; die Roemer waren einsichtig
genug, durch den guenstigsten, dem neapolitanischen aehnlichen
Bundesvertrag die Stadt fuer immer von der samnitischen Partei zu
trennen (441 313). Fregellae, das seit der caudinischen Katastrophe
in den Haenden der antiroemischen Partei und deren Hauptburg in der
Landschaft am Liris gewesen war, fiel endlich auch, im achten Jahre nach
der Einnahme durch die Samniten (441 313); zweihundert der Buerger, die
vornehmsten der nationalen Partei, wurden nach Rom gefuehrt und dort zum
warnenden Beispiel fuer die ueberall sich regenden Patrioten auf offenem
Markte enthauptet. --------------------------------------- ^2 Es sind
dies nicht die Einwohner von Satricum bei Antium, sondern die einer
anderen volskischen, damals als roemische Buergergemeinde ohne
Stimmrecht konstituierten Stadt bei Arpinum. ^3 Dass zwischen den
Roemern und Samniten 436, 437 (318, 317) ein foermlicher zweijaehriger
Waffenstillstand bestanden habe, ist mehr als unwahrscheinlich.
--------------------------------------- Hiermit waren Apulien und
Kampanien in den Haenden der Roemer. Zur endlichen Sicherstellung und
bleibenden Beherrschung des eroberten Gebietes wurden in den Jahren
440 bis 442 (314 bis 312) in demselben eine Anzahl neuer Festungen
gegruendet: Luceria in Apulien, wohin seiner isolierten und ausgesetzten
Lage wegen eine halbe Legion als bleibende Besatzung gesandt ward,
ferner Pontiae (die Ponzainseln) zur Sicherung der kampanischen
Gewaesser, Saticula an der kampanisch-samnitischen Grenze als Vormauer
gegen Samnium, endlich Interamna (bei Monte Cassino) und Suessa Aurunca
(Sessa) auf der Strasse von Rom nach Capua. Besatzungen kamen ausserdem
nach Caiatia (Cajazzo), Sora und anderen militaerisch wichtigen
Plaetzen. Die grosse Militaerstrasse von Rom nach Capua, die der Zensor
Appius Claudius 442 (312) chaussieren und den dazu erforderlichen Damm
durch die Pontinischen Suempfe ziehen liess, vollendete die Sicherung
Kampaniens. Immer vollstaendiger entwickelten sich die Absichten der
Roemer; es galt die Unterwerfung Italiens, das durch das roemische
Festungs- und Strassennetz von Jahr zu Jahr enger umstrickt ward. Von
beiden Seiten schon waren die Samniten von den Roemern umsponnen; schon
schnitt die Linie von Rom nach Luceria Nord- und Sueditalien voneinander
ab, wie einst die Festungen Norba und Signia die Volsker und Aequer
getrennt hatten; und wie damals auf die Herniker, stuetzte Rom sich
jetzt auf die Arpaner. Die Italiker mussten erkennen, dass es um ihrer
aller Freiheit geschehen war, wenn Samnium unterlag, und dass es die
allerhoechste Zeit war, dem tapferen Bergvolk, das nun schon fuenfzehn
Jahre allein den ungleichen Kampf gegen die Roemer kaempfte, endlich
mit gesamter Kraft zu Hilfe zu kommen. Die naechsten Bundesgenossen der
Samniten waeren die Tarentiner gewesen; allein es gehoert zu dem ueber
Samnium und ueber Italien ueberhaupt waltenden Verhaengnis, dass in
diesem zukunftbestimmenden Augenblick die Entscheidung in den Haenden
dieser italischen Athener lag. Seit die urspruenglich nach alter
dorischer Art streng aristokratische Verfassung Tarents in die
vollstaendigste Demokratie uebergegangen war, hatte in dieser
hauptsaechlich von Schiffern, Fischern und Fabrikanten bewohnten Stadt
ein unglaublich reges Leben sich entwickelt; Sinn und Tun der mehr
reichen als vornehmen Bevoelkerung wehrte allen Ernst des Lebens in dem
witzig und geistreich quirlenden Tagestreiben von sich ab und schwankte
zwischen dem grossartigsten Wagemut und der genialsten Erhebung und
zwischen schandbarem Leichtsinn und kindischer Schwindelei. Es wird auch
in diesem Zusammenhang, wo ueber das Sein oder Nichtsein hochbegabter
und altberuehmter Nationen die ernsten Lose fallen, nicht unstatthaft
sein, daran zu erinnern, dass Platon, der etwa sechzig Jahre vor
dieser Zeit (389) nach Tarent kam, seinem eigenen Zeugnis zufolge am
Dionysienfest die ganze Stadt berauscht sah, und dass das parodische
Possenspiel, die sogenannte "lustige Tragoedie" eben um die Zeit des
grossen samnitischen Krieges in Tarent geschaffen ward. Zu dieser
Lotterwirtschaft und Lotterpoesie der Tarentiner Eleganten und Literaten
liefert die Ergaenzung die unstete, uebermuetige und kurzsichtige
Politik der Tarentiner Demagogen, welche regelmaessig da sich
beteiligten, wo sie nichts zu schaffen hatten, und da ausblieben, wo ihr
naechstes Interesse sie hinrief. Sie hatten, als nach der caudinischen
Katastrophe Roemer und Samniten sich in Apulien gegenueberstanden,
Gesandte dorthin geschickt, die beiden Parteien geboten, die Waffen
niederzulegen (434 320). Diese diplomatische Intervention in dem
italischen Entscheidungskampf konnte verstaendigerweise nichts sein als
die Ankuendigung, dass Tarent aus seiner bisherigen Passivitaet jetzt
endlich herauszutreten entschlossen sei. Grund genug hatte es wahrlich
dazu, wie schwierig und gefaehrlich es auch fuer Tarent selbst war,
in diesen Krieg verwickelt zu werden: denn die demokratische
Machtentwicklung des Staates hatte sich lediglich auf die Flotte
geworfen, und waehrend diese, gestuetzt auf die starke Handelsmarine
Tarents, unter den grossgriechischen Seemaechten den ersten Rang
einnahm, bestand die Landmacht, auf die es jetzt ankam, wesentlich aus
gemieteten Soeldnern und war in tiefem Verfall. Unter diesen Umstaenden
war es fuer die tarentinische Republik keine leichte Aufgabe, an dem
Kampf zwischen Rom und Samnium sich zu beteiligen, auch abgesehen von
der wenigstens beschwerlichen Fehde, in welche die roemische Politik
die Tarentiner mit den Lucanern zu verwickeln gewusst hatte. Indes bei
kraeftigem Willen waren diese Schwierigkeiten wohl zu ueberwinden;
und beide streitende Teile fassten die Aufforderung der tarentinischen
Gesandten, mit dem Kampf einzuhalten, in diesem Sinne auf. Die Samniten
als die Schwaecheren zeigten sich bereit, derselben nachzukommen; die
Roemer antworteten durch die Aufsteckung des Zeichens zur Schlacht.
Vernunft und Ehre geboten den Tarentinern, dem herrischen Gebot ihrer
Gesandten jetzt die Kriegserklaerung gegen Rom auf dem Fusse folgen zu
lassen; allein in Tarent war eben weder diese noch jene am Regimente und
man hatte dort bloss mit sehr ernsthaften Dingen sehr kindisch
gespielt. Die Kriegserklaerung gegen Rom erfolgte nicht; statt dessen
unterstuetzte man lieber gegen Agathokles von Syrakus, der frueher in
tarentinischen Diensten gestanden hatte und in Ungnade entlassen
worden war, die oligarchische Staedtepartei in Sizilien und sandte,
dem Beispiel Spartas folgend, eine Flotte nach der Insel, die in
der kampanischen See bessere Dienste getan haben wuerde (440 314).
Energischer handelten die nord- und mittelitalischen Voelker, die
namentlich durch die Anlegung der Festung Luceria aufgeruettelt worden
zu sein scheinen. Zuerst (443 311) schlugen die Etrusker los, deren
Waffenstillstandsvertrag von 403 (351) schon einige Jahre frueher
zu Ende gegangen war. Die roemische Grenzfestung Sutrium hatte eine
zweijaehrige Belagerung auszuhalten, und in den heftigen Gefechten, die
unter ihren Mauern geliefert wurden, zogen die Roemer in der Regel
den kuerzeren, bis der Konsul des Jahres 444 (310), Quintus Fabius
Rullianus, ein in den Samnitenkriegen erprobter Fuehrer, nicht bloss
im roemischen Etrurien das Uebergewicht der roemischen Waffen
wiederherstellte, sondern auch kuehn eindrang in das eigentliche, durch
die Verschiedenheit der Sprache und die geringen Kommunikationen den
Roemern bis dahin fast unbekannt gebliebene etruskische Land. Der Zug
ueber den noch von keinem roemischen Heer ueberschrittenen Ciminischen
Wald und die Pluenderung des reichen, lange von Kriegsnot verschont
gebliebenen Gebiets brachte ganz Etrurien in Waffen; die roemische
Regierung, welche die tollkuehne Expedition ernstlich missbilligte und
die Ueberschreitung der Grenze dem verwegenen Fuehrer zu spaet untersagt
hatte, raffte, um dem erwarteten Ansturm der gesamten etruskischen Macht
zu begegnen, in schleunigster Eile neue Legionen zusammen. Allein
ein rechtzeitiger und entscheidender Sieg des Rullianus, die lange im
Andenken des Volkes fortlebende Schlacht am Vadimonischen See, machte
aus dem unvorsichtigen Beginnen eine gefeierte Heldentat und brach
den Widerstand der Etrusker. Ungleich den Samniten, die nun schon seit
achtzehn Jahren den ungleichen Kampf fochten, bequemten sich schon
nach der ersten Niederlage drei der maechtigsten etruskischen Staedte,
Perusia, Cortona und Arretium, zu einem Sonderfrieden auf dreihundert
(444 310) und, nachdem im folgenden Jahre die Roemer noch einmal bei
Perusia die uebrigen Etrusker besiegt hatten, auch die Tarquinienser zu
einem Frieden auf vierhundert Monate (446 308); worauf auch die uebrigen
Staedte vom Kampfe abstanden und in Etrurien vorlaeufig Waffenruhe
eintrat. Waehrend dieser Ereignisse hatte auch in Samnium der Krieg
nicht geruht. Der Feldzug von 443 (311) beschraenkte sich gleich den
bisherigen auf die Belagerung und Erstuermung einzelner samnitischer
Plaetze; aber im naechsten Jahre nahm der Krieg eine lebhaftere Wendung.
Rullianus' gefaehrliche Lage in Etrurien und die ueber die Vernichtung
der roemischen Nordarmee verbreiteten Geruechte ermutigten die Samniten
zu neuen Anstrengungen; der roemische Konsul Gaius Marcius Rutilus wurde
von ihnen besiegt und selber schwer verwundet. Aber der Umschwung der
Dinge in Etrurien zerstoerte die neu aufleuchtenden Hoffnungen. Wieder
trat Lucius Papirius Cursor an die Spitze der gegen die Samniten
gesandten roemischen Truppen, und wieder blieb er Sieger in einer
grossen und entscheidenden Schlacht (445 309), zu der die Eidgenossen
ihre letzten Kraefte angestrengt hatten; der Kern ihrer Armee, die
Buntroecke mit den Gold-, die Weissroecke mit den Silberschilden wurden
hier aufgerieben und die glaenzenden Ruestungen derselben schmueckten
seitdem bei festlichen Gelegenheiten die Budenreihen laengs des
roemischen Marktes. Immer hoeher stieg die Not, immer hoffnungsloser
ward der Kampf. Im folgenden Jahre (446 308) legten die Etrusker die
Waffen nieder; in ebendemselben ergab die letzte Stadt Kampaniens, die
noch zu den Samniten hielt, Nuceria, zu Wasser und zu Lande gleichzeitig
angegriffen, unter guenstigen Bedingungen sich den Roemern. Zwar fanden
die Samniten neue Bundesgenossen an den Umbrern im noerdlichen, an den
Marsern und Paelignern im mittleren Italien, ja selbst von den
Hernikern traten zahlreiche Freiwillige in ihre Reihen; allein was
mit entscheidendem Gewicht gegen Rom in die Waagschale haette fallen
koennen, wenn die Etrusker noch unter Waffen gestanden haetten,
vermehrte jetzt bloss die Erfolge des roemischen Sieges, ohne denselben
ernstlich zu erschweren. Den Umbrern, die Miene machten, einen Zug nach
Rom zu unternehmen, verlegte Rullianus am oberen Tiber mit der Armee von
Samnium den Weg, ohne dass die geschwaechten Samniten es haetten hindern
koennen, und dies genuegte, um den umbrischen Landsturm zu zerstreuen.
Der Krieg zog sich alsdann wieder nach Mittelitalien. Die Paeligner
wurden besiegt, ebenso die Marser; wenngleich die uebrigen sabellischen
Staemme noch dem Namen nach Feinde der Roemer blieben, stand doch
allmaehlich Samnium von dieser Seite tatsaechlich allein. Aber
unerwartet kam ihnen Beistand aus dem Tibergebiet. Die Eidgenossenschaft
der Herniker, wegen ihrer unter den samnitischen Gefangenen
vorgefundenen Landsleute von den Roemern zur Rede gestellt, erklaerte
diesen jetzt den Krieg (448 306) - mehr wohl aus Verzweiflung, als aus
Berechnung. Es schlossen auch einige der bedeutendsten hernikischen
Gemeinden von vornherein sich von der Kriegfuehrung aus; aber Anagnia,
weitaus die ansehnlichste Hernikerstadt, setzte die Kriegserklaerung
durch. Militaerisch ward allerdings die augenblickliche Lage der Roemer
durch diesen unerwarteten Aufstand im Ruecken der mit der Belagerung der
Burgen von Samnium beschaeftigten Armee in hohem Grade bedenklich. Noch
einmal war den Samniten das Kriegsglueck guenstig; Sora und Caiatia
fielen ihnen in die Haende. Allein die Anagniner unterlagen unerwartet
schnell den von Rom ausgesandten Truppen, und rechtzeitig machten diese
auch dem in Samnium stehenden Heere Luft; es war eben alles verloren.
Die Samniten baten um Frieden, indes vergeblich; noch konnte man
sich nicht einigen. Erst der Feldzug von 449 (305) brachte die letzte
Entscheidung. Die beiden roemischen Konsularheere drangen, Tiberius
Minucius und nach dessen Fall Marcus Fulvius von Kampanien aus durch
die Bergpaesse, Lucius Postumius vom Adriatischen Meere her am Biferno
hinauf, in Samnium ein, um hier vor der Hauptstadt des Landes, Bovianum,
sich die Hand zu reichen; ein entscheidender Sieg ward erfochten, der
samnitische Feldherr Statius Gellius gefangengenommen und Bovianum
erstuermt. Der Fall des Hauptwaffenplatzes der Landschaft machte dem
zweiundzwanzigjaehrigen Krieg ein Ende. Die Samniten zogen aus Sora und
Arpinum ihre Besatzungen heraus und schickten Gesandte nach Rom, den
Frieden zu erbitten; ihrem Beispiel folgten die sabellischen Staemme,
die Marser, Marruciner, Paeligner, Frentaner, Vestiner, Picenter. Die
Bedingungen, die Rom gewaehrte, waren leidlich; Gebietsabtretungen
wurden zwar einzeln gefordert, zum Beispiel von den Paelignern, allein
sehr bedeutend scheinen sie nicht gewesen zu sein. Das gleiche Buendnis
zwischen den sabellischen Staaten und den Roemern wurde erneuert (450
304). Vermutlich um dieselbe Zeit und wohl infolge des samnitischen
Friedens ward auch Friede gemacht zwischen Rom und Tarent. Unmittelbar
zwar hatten beide Staedte nicht gegeneinander im Felde gestanden; die
Tarentiner hatten dem langen Kampfe zwischen Rom und Samnium von Anfang
bis zu Ende untaetig zugesehen und nur im Bunde mit den Sallentinern
gegen die Bundesgenossen Roms, die Lucaner, die Fehde fortgesetzt. Zwar
hatten sie in den letzten Jahren des Samnitischen Krieges noch einmal
Miene gemacht nachdruecklicher aufzutreten. Teils die bedraengte Lage,
in welche die unaufhoerlichen lucanischen Angriffe sie selbst brachten,
teils wohl auch das immer naeher sich ihnen aufdraengende Gefuehl,
dass Samniums voellige Unterdrueckung auch ihre eigene Unabhaengigkeit
bedrohe, hatten sie bestimmt, trotz der mit Alexander gemachten
unerfreulichen Erfahrungen abermals einem Condottiere sich
anzuvertrauen. Es kam auf ihren Ruf der spartanische Prinz Kleonymos
mit fuenftausend Soeldnern, womit er eine ebenso starke, in Italien
angeworbene Schar sowie die Zuzuege der Messapier, der kleineren
Griechenstaedte und vor allem das tarentinische Buergerheer, 22 000 Mann
stark, vereinigte. An der Spitze dieser ansehnlichen Armee noetigte er
die Lucaner, mit Tarent Frieden zu machen und eine samnitisch gesinnte
Regierung einzusetzen, wogegen freilich Metapont ihnen aufgeopfert
ward. Noch standen die Samniten unter Waffen, als dies geschah; nichts
hinderte den Spartaner, ihnen zu Hilfe zu kommen und das Gewicht seines
starken Heeres und seiner Kriegskunst fuer die Freiheit der italischen
Staedte und Voelker in die Waagschale zu werfen. Allein Tarent handelte
nicht, wie Rom im gleichen Falle gehandelt haben wuerde; und Prinz
Kleonymos selbst war auch nichts weniger als ein Alexander oder ein
Pyrrhos. Er beeilte sich nicht, einen Krieg zu beginnen, bei dem mehr
Schlaege zu erwarten standen als Beute, sondern machte lieber mit den
Lucanern gemeinschaftliche Sache gegen Metapont und liess es in dieser
Stadt sich wohl sein, waehrend er redete von einem Zug gegen Agathokles
von Syrakus und von der Befreiung der sizilischen Griechen. Darueber
machten denn die Samniten Frieden; und als nach dessen Abschluss Rom
anfing, sich um den Suedosten der Halbinsel ernstlicher zu bekuemmern
und zum Beispiel im Jahre 447 (307) ein roemischer Heerhaufen das Gebiet
der Sallentiner brandschatzte oder vielmehr wohl in hoeherem Auftrag
rekognoszierte, ging der spartanische Condottiere mit seinen Soeldnern
zu Schiff und ueberrumpelte die Insel Kerkyra, die vortrefflich gelegen
war, um von dort aus gegen Griechenland und Italien Piratenzuege zu
unternehmen. So von ihrem Feldherrn im Stich gelassen und zugleich ihrer
Bundesgenossen im mittleren Italien beraubt, blieb den Tarentinern sowie
den mit ihnen verbuendeten Italikern, den Lucanern und Sallentinern,
jetzt freilich nichts uebrig, als mit Rom ein Abkommen nachzusuchen, das
auf leidliche Bedingungen gewaehrt worden zu sein scheint. Bald nachher
(451 303) ward sogar ein Einfall des Kleonymos, der im sallentinischen
Gebiet gelandet war und Uria belagerte, von den Einwohnern mit
roemischer Hilfe abgeschlagen. Roms Sieg war vollstaendig; und
vollstaendig ward er benutzt. Dass den Samniten, den Tarentinern und
den ferner wohnenden Voelkerschaften ueberhaupt so maessige Bedingungen
gestellt wurden, war nicht Siegergrossmut, die die Roemer nicht kannten,
sondern kluge und klare Berechnung. Zunaechst und vor allem kam es
darauf an, nicht so sehr das suedliche Italien so rasch wie moeglich
zur formellen Anerkennung der roemischen Suprematie zu zwingen als
die Unterwerfung Mittelitaliens, zu welcher durch die in Kampanien und
Apulien schon waehrend des letzten Krieges angelegten Militaerstrassen
und Festungen der Grund gelegt war, zu ergaenzen und zu vollenden und
die noerdlichen und suedlichen Italiker dadurch in zwei militaerisch
von jeder unmittelbaren Beruehrung miteinander abgeschnittene
Massen auseinanderzusprengen. Darauf zielten denn auch die naechsten
Unternehmungen der Roemer mit energischer Konsequenz. Vor allen Dingen
benutzte oder machte man die Gelegenheit, mit den in der Tiberlandschaft
einstmals mit der roemischen Einzelmacht rivalisierenden und noch nicht
voellig beseitigten Eidgenossenschaften der Aequer und der Herniker
aufzuraeumen. In demselben Jahre, in welchem der Friede mit Samnium
zustande kam (450 304), ueberzog der Konsul Publius Sempronius Sophus
die Aequer mit Krieg; vierzig Ortschaften unterwarfen sich in fuenfzig
Tagen; das gesamte Gebiet mit Ausnahme des engen und rauhen Bergtals,
das noch heute den alten Volksnamen traegt (Cicolano), wurde roemischer
Besitz und hier am Nordrand des Fuciner Sees im Jahre darauf die Festung
Alba mit einer Besatzung von 6000 Mann gegruendet, fortan die Vormauer
gegen die streitbaren Marser und die Zwingburg Mittelitaliens; ebenso
zwei Jahre darauf am oberen Turano, naeher an Rom, Carsioli, beide als
Bundesgemeinden latinischen Rechts. Dass von den Hernikern wenigstens
Anagnia sich an dem letzten Stadium des Samnitischen Krieges beteiligt
hatte, gab den erwuenschten Grund, das alte Bundesverhaeltnis zu loesen.
Das Schicksal der Anagniner war natuerlicherweise bei weitem haerter als
dasjenige, welches ein Menschenalter zuvor den latinischen Gemeinden im
gleichen Fall bereitet worden war. Sie mussten nicht bloss wie diese das
roemische Passivbuergerrecht sich gefallen lassen, sondern verloren auch
gleich den Caeriten die eigene Verwaltung; auf einem Teile ihres Gebiets
am oberen Trerus (Sacco) wurde ueberdies ein neuer Buergerbezirk sowie
gleichzeitig ein anderer am unteren Anio eingerichtet (455 299). Man
bedauerte nur, dass die drei naechst Anagnia bedeutendsten hernikischen
Gemeinden Aletrium, Verulae und Ferentinum nicht auch abgefallen waren;
denn da sie die Zumutung, freiwillig in den roemischen Buergerverband
einzutreten, hoeflich ablehnten und jeder Vorwand, sie dazu zu noetigen,
mangelte, musste man ihnen wohl nicht bloss die Autonomie, sondern
selbst das Recht der Tagsatzung und der Ehegemeinschaft auch ferner
zugestehen und damit noch einen Schatten der alten hernikischen
Eidgenossenschaft uebrig lassen. In dem Teil der volskischen Landschaft,
welchen bis dahin die Samniten im Besitz gehabt, banden aehnliche
Ruecksichten nicht. Hier wurden Arpinum und Frusino untertaenig und die
letztere Stadt eines Drittels ihrer Feldmark beraubt, ferner am
oberen Liris neben Fregellae die schon frueher mit Besatzung belegte
Volskerstadt Sora jetzt auf die Dauer in eine latinische Festung
verwandelt und eine Legion von 4000 Mann dahin gelegt. So war das alte
Volskergebiet vollstaendig unterworfen und ging seiner Romanisierung
mit raschen Schritten entgegen. In die Landschaft, welche Samnium und
Etrurien scheidet, wurden zwei Militaerstrassen hineingefuehrt und
beide durch Festungen gesichert. Die noerdliche, aus der spaeter die
Flaminische wurde, deckte die Tiberlinie; sie fuehrte durch das mit Rom
verbuendete Ocriculum nach Narnia, wie die Roemer die alte umbrische
Feste Nequinum umnannten, als sie dort eine Militaerkolonie anlegten
(455 299). Die suedliche, die spaetere Valerische, lief an den Fuciner
See ueber die eben erwaehnten Festungen Carsioli und Alba. Die kleinen
Voelkerschaften, in deren Gebiet diese Anlagen stattfanden, die Umbrer,
die Nequinum hartnaeckig verteidigten, die Aequer, die noch einmal Alba,
die Marser, die Carsioli ueberfielen, konnten Rom in seinem Gang nicht
aufhalten; fast ungehindert schoben jene beiden maechtigen Riegel sich
zwischen Samnium und Etrurien. Der grossen Strassen- und Festungsanlagen
zur bleibenden Sicherung Apuliens und vor allem Kampaniens wurde schon
gedacht; durch sie ward Samnium weiter nach Osten und Westen von
dem roemischen Festungsnetz umstrickt. Bezeichnend fuer die
verhaeltnismaessige Schwaeche Etruriens ist es, dass man es nicht
notwendig fand, die Paesse durch den Ciminischen Wald in gleicher Weise
durch eine Chaussee und angemessene Festungen zu sichern. Die bisherige
Grenzfestung Sutrium blieb hier auch ferner der Endpunkt der roemischen
Militaerlinie und man begnuegte sich damit, die Strasse von dort nach
Arretium durch die beikommenden Gemeinden in militaerisch
brauchbarem Stande halten zu lassen ^4.
------------------------------------------------ ^4 Die Operationen in
dem Feldzug 537 (217) und bestimmter noch die Anlage der Chaussee von
Arretium nach Bononia 567 (187) zeigen, dass schon vor dieser Zeit die
Strasse von Rom nach Arretium instand gesetzt worden ist. Allein eine
roemische Militaerchaussee kann sie in dieser Zeit dennoch nicht gewesen
sein, da sie, nach ihrer spaeteren Benennung der "Cassischen Strasse" zu
schliessen, als via consularis nicht frueher angelegt sein kann als 583
(171); denn zwischen Spurius Cassius, Konsul 252, 261, 268 (502, 493,
486), an den natuerlich nicht gedacht werden darf, und Gaius Cassius
Longinus, Konsul 583 (171), erscheint kein Cassier in den
roemischen Konsuln- und Zensorenlisten.
----------------------------------------------- Die hochherzige
samnitische Nation begriff es, dass ein solcher Friede verderblicher war
als der verderblichste Krieg, und, was mehr ist, sie handelte danach.
Eben fingen in Norditalien die Kelten nach langer Waffenruhe wieder
an sich zu regen; noch standen ferner daselbst einzelne etruskische
Gemeinden gegen die Roemer unter den Waffen und es wechselten hier kurze
Waffenstillstaende mit heftigen, aber erfolglosen Gefechten. Noch war
ganz Mittelitalien in Gaerung und zum Teil in offenem Aufstand; noch
waren die Festungen in der Anlage begriffen, der Weg zwischen Etrurien
und Samnium noch nicht voellig gesperrt. Vielleicht war es noch nicht
zu spaet, die Freiheit zu retten; aber man durfte nicht saeumen: die
Schwierigkeit des Angriffs stieg, die Macht der Angreifer sank mit jedem
Jahre des verlaengerten Friedens. Kaum fuenf Jahre hatten die
Waffen geruht und noch mussten all die Wunden bluten, welche der
zweiundzwanzigjaehrige Krieg den Bauernschaften Samniums geschlagen
hatte, als im Jahre 456 (298) die samnitische Eidgenossenschaft den
Kampf erneuerte. Den letzten Krieg hatte wesentlich Lucaniens Verbindung
mit Rom und die dadurch mitveranlasste Fernhaltung Tarents zu Gunsten
Roms entschieden; dadurch belehrt, warfen die Samniten jetzt sich
zuvoerderst mit aller Macht auf die Lucaner und brachten hier in der Tat
ihre Partei ans Ruder und ein Buendnis zwischen Samnium und Lucanien zum
Abschluss. Natuerlich erklaerten die Roemer sofort den Krieg; in Samnium
hatte man es nicht anders erwartet. Es bezeichnet die Stimmung, dass die
samnitische Regierung den roemischen Gesandten die Anzeige machte, sie
sei nicht imstande, fuer ihre Unverletzlichkeit zu buergen, wenn sie
samnitisches Gebiet betraeten. Der Krieg begann also von neuem (456
298), und waehrend ein zweites Heer in Etrurien focht, durchzog die
roemische Hauptarmee Samnium und zwang die Lucaner Frieden zu machen und
Geiseln nach Rom zu senden. Das folgende Jahr konnten beide Konsuln
nach Samnium sich wenden; Rullianus siegte bei Tifernum, sein treuer
Waffengefaehrte Publius Decius Mus bei Maleventum, und fuenf Monate
hindurch lagerten zwei roemische Heere in Feindesland. Es war
das moeglich, weil die tuskischen Staaten auf eigene Hand mit Rom
Friedensverhandlungen angeknuepft hatten. Die Samniten, welche von Haus
aus in der Vereinigung ganz Italiens gegen Rom die einzige Moeglichkeit
des Sieges gesehen haben muessen, boten das Aeusserste auf, um den
drohenden Sonderfrieden zwischen Etrurien und Rom abzuwenden; und als
endlich ihr Feldherr Gellius Egnatius den Etruskern in ihrem eigenen
Lande Hilfe zu bringen anbot, verstand sich in der Tat der etruskische
Bundesrat dazu, auszuharren und noch einmal die Entscheidung der Waffen
anzurufen. Samnium machte die gewaltigsten Anstrengungen, um drei Heere
zugleich ins Feld zu stellen, das eine bestimmt zur Verteidigung des
eigenen Gebiets, das zweite zum Einfall in Kampanien, das dritte und
staerkste nach Etrurien; und wirklich gelangte im Jahre 458 (296)
das letzte, gefuehrt von Egnatius selbst, durch das marsische und das
umbrische Gebiet, deren Bewohner im Einverstaendnis waren, ungefaehrdet
nach Etrurien. Die Roemer nahmen waehrend dessen einige feste Plaetze
in Samnium und brachen den Einfluss der samnitischen Partei in Lucanien;
den Abmarsch der von Egnatius gefuehrten Armee wussten sie nicht zu
verhindern. Als man in Rom die Kunde empfing, dass es den Samniten
gelungen sei, all die ungeheuren, zur Trennung der suedlichen Italiker
von den noerdlichen gemachten Anstrengungen zu vereiteln, dass das
Eintreffen der samnitischen Scharen in Etrurien das Signal zu einer fast
allgemeinen Schilderhebung gegen Rom geworden sei, dass die etruskischen
Gemeinden aufs eifrigste arbeiteten, ihre eigenen Mannschaften
kriegsfertig zu machen und gallische Scharen in Sold zu nehmen, da ward
auch in Rom jeder Nerv angespannt, Freigelassene und Verheiratete
in Kohorten formiert - man fuehlte hueben und drueben, dass die
Entscheidung bevorstand. Das Jahr 458 (296) jedoch verging, wie es
scheint, mit Ruestungen und Maerschen. Fuer das folgende (459 295)
stellten die Roemer ihre beiden besten Generale, Publius Decius Mus und
den hochbejahrten Quintus Fabius Rullianus, an die Spitze der Armee in
Etrurien, welche mit allen in Kampanien irgend entbehrlichen Truppen
verstaerkt ward und wenigstens 60000 Mann, darunter ueber ein Drittel
roemische Vollbuerger, zaehlte; ausserdem ward eine zwiefache Reserve
gebildet, die erste bei Falerii, die zweite unter den Mauern der
Hauptstadt. Der Sammelplatz der Italiker war Umbrien, wo die Strassen
aus dem gallischen, etruskischen und sabellischen Gebiet zusammenliefen;
nach Umbrien liessen auch die Konsuln teils am linken, teils am rechten
Ufer des Tiber hinauf ihre Hauptmacht abruecken, waehrend zugleich die
erste Reserve eine Bewegung gegen Etrurien machte, um womoeglich die
etruskischen Truppen von dem Platz der Entscheidung zur Verteidigung
der Heimat abzurufen. Das erste Gefecht lief nicht gluecklich fuer die
Roemer ab; ihre Vorhut ward von den vereinigten Galliern und Samniten
in dem Gebiet von Chiusi geschlagen. Aber jene Diversion erreichte ihren
Zweck; minder hochherzig als die Samniten, die durch die Truemmer ihrer
Staedte hindurchgezogen waren, um auf der rechten Walstatt nicht zu
fehlen, entfernte sich auf die Nachricht von dem Einfall der roemischen
Reserve in Etrurien ein grosser Teil der etruskischen Kontingente von
der Bundesarmee, und die Reihen derselben waren sehr gelichtet, als
es am oestlichen Abhang des Apennin bei Sentinum zur entscheidenden
Schlacht kam. Dennoch war es ein heisser Tag. Auf dem rechten
Fluegel der Roemer, wo Rullianus mit seinen beiden Legionen gegen das
samnitische Heer stritt, stand die Schlacht lange ohne Entscheidung. Auf
dem linken, den Publius Decius befehligte, wurde die roemische Reiterei
durch die gallischen Streitwagen in Verwirrung gebracht, und schon
begannen hier auch die Legionen zu weichen. Da rief der Konsul den
Priester Marcus Livius heran und hiess ihn zugleich das Haupt des
roemischen Feldherrn und das feindliche Heer den unterirdischen Goettern
weihen; alsdann in den dichtesten Haufen der Gallier sich stuerzend
suchte und fand er den Tod. Diese heldenmuetige Verzweiflung des hohen
Mannes, des geliebten Feldherrn, war nicht vergeblich. Die fliehenden
Soldaten standen wieder, die Tapfersten warfen dem Fuehrer nach sich in
die feindlichen Reihen, um ihn zu raechen oder mit ihm zu sterben;
und eben im rechten Augenblicke erschien, von Rullianus gesendet, der
Konsular Lucius Scipio mit der roemischen Reserve auf dem gefaehrdeten
linken Fluegel. Die vortreffliche kampanische Reiterei, die den Galliern
in die Flanke und den Ruecken fiel, gab hier den Ausschlag; die Gallier
flohen, und endlich wichen auch die Samniten, deren Feldherr Egnatius am
Tore des Lagers fiel. 9000 Roemer bedeckten die Walstatt; aber der teuer
erkaufte Sieg war solchen Opfers wert. Das Koalitionsheer loeste sich
auf und damit die Koalition selbst; Umbrien blieb in roemischer Gewalt,
die Gallier verliefen sich, der Ueberrest der Samniten, noch immer
in geschlossener Ordnung, zog durch die Abruzzen ab in die Heimat.
Kampanien, das die Samniten waehrend des etruskischen Krieges
ueberschwemmt hatten, ward nach dessen Beendigung mit leichter Muehe
wieder von den Roemern besetzt. Etrurien bat im folgenden Jahre 460
(294) um Frieden; Volsinii, Perusia, Arretium und wohl ueberhaupt
alle dem Bunde gegen Rom beigetretenen Staedte gelobten Waffenruhe auf
vierhundert Monate. Aber die Samniten dachten anders: sie ruesteten
sich zur hoffnungslosen Gegenwehr mit jenem Mute freier Maenner, der das
Glueck zwar nicht zwingen, aber beschaemen kann. Als im Jahre 460 (294)
die beiden Konsularheere in Samnium einrueckten, stiessen sie ueberall
auf den erbittertsten Widerstand; ja, Marcus Atilius erlitt eine
Schlappe bei Luceria, und die Samniten konnten in Kampanien eindringen
und das Gebiet der roemischen Kolonie Interamna am Liris verwuesten. Im
Jahre darauf lieferten Lucius Papirius Cursor, der Sohn des Helden des
ersten Samnitischen Krieges, und Spurius Carvilius bei Aquilonia eine
grosse Feldschlacht gegen das samnitische Heer, dessen Kern, die 16
000 Weissroecke, mit heiligem Eide geschworen hatte, den Tod der
Flucht vorzuziehen. Indes das unerbittliche Schicksal fragt nicht nach
Schwueren und verzweifeltem Flehen; der Roemer siegte und stuermte
die Festen, in die die Samniten sich und ihre Habe gefluechtet hatten.
Selbst nach dieser grossen Niederlage wehrten sich die Eidgenossen
gegen den immer uebermaechtigeren Feind noch jahrelang mit beispielloser
Ausdauer in ihren Burgen und Bergen und erfochten noch manchen Vorteil
im einzelnen; des alten Rullianus erprobter Arm ward noch einmal (462
292) gegen sie aufgeboten, und Gavius Pontius, vielleicht der Sohn des
Siegers von Caudium, erfocht sogar fuer sein Volk einen letzten Sieg,
den die Roemer niedrig genug an ihm raechten, indem sie ihn, als er
spaeter gefangen ward, im Kerker hinrichten liessen (463 291). Aber
nichts regte sich weiter in Italien; denn der Krieg, den Falerii 461
(293) begann, verdient kaum diesen Namen. Wohl mochte man in Samnium
sehnsuechtig die Blicke wenden nach Tarent, das allein noch imstande
war, Hilfe zu gewaehren; aber sie blieb aus. Es waren dieselben Ursachen
wie frueher, welche die Untaetigkeit Tarents herbeifuehrten: das innere
Missregiment und der abermalige Uebertritt der Lucaner zur roemischen
Partei im Jahre 456 (298); hinzu kam noch die nicht ungegruendete Furcht
vor Agathokles von Syrakus, der eben damals auf dem Gipfel seiner Macht
stand und anfing, sich gegen Italien zu wenden. Um das Jahr 455 (299)
setzte dieser auf Kerkyra sich fest, von wo Kleonymos durch Demetrios
den Belagerer vertrieben war und bedrohte nun vom Adriatischen wie vom
Ionischen Meere her die Tarentiner. Die Abtretung der Insel an Koenig
Pyrrhos von Epeiros im Jahre 459 (295) beseitigte allerdings zum grossen
Teil die gehegten Besorgnisse; allein die kerkyraeischen Angelegenheiten
fuhren fort, die Tarentiner zu beschaeftigen, wie sie denn im Jahre 464
(290) den Koenig Pyrrhos im Besitz der Insel gegen Demetrios schuetzen
halfen, und ebenso hoerte Agathokles nicht auf, durch seine italische
Politik die Tarentiner zu beunruhigen. Als er starb (465 289) und mit
ihm die Macht der Syrakusaner in Italien zugrunde ging, war es zu spaet;
Samnium, des siebenunddreissigjaehrigen Kampfes muede, hatte das Jahr
vorher (464 290) mit dem roemischen Konsul Manius Curius Dentatus Friede
geschlossen und der Form nach den Bund mit Rom erneuert. Auch diesmal
wurden, wie im Frieden von 450 (304) dem tapferen Volke von den Roemern
keine schimpflichen oder vernichtenden Bedingungen gestellt; nicht
einmal Gebietsabtretungen scheinen stattgefunden zu haben. Die
roemische Staatsklugheit zog es vor, auf dem bisher eingehaltenen
Wege fortzuschreiten, und ehe man an die unmittelbare Eroberung des
Binnenlandes ging, zunaechst das kampanische und adriatische Litoral
fest und immer fester an Rom zu knuepfen. Kampanien zwar war laengst
untertaenig; allein die weitblickende roemische Politik fand es
noetig, zur Sicherung der kampanischen Kueste dort zwei Strandfestungen
anzulegen, Minturnae und Sinuessa (459 295), deren neue Buergerschaften
nach dem fuer Kuestenkolonien feststehenden Grundsatz in das volle
roemische Buergerrecht eintraten. Energischer noch ward die Ausdehnung
der roemischen Herrschaft in Mittelitalien gefoerdert. Wie die
Unterwerfung der Aequer und Herniker die unmittelbare Folge des Ersten
Samnitischen Krieges war, so schloss sich an das Ende des Zweiten
diejenige der Sabiner. Derselbe Feldherr, der die Samniten schliesslich
bezwang, Manius Curius, brach in demselben Jahre (464 290) den kurzen
und ohnmaechtigen Widerstand derselben und zwang die Sabiner zur
unbedingten Ergebung. Ein grosser Teil des unterworfenen Gebiets wurde
von den Siegern unmittelbar in Besitz genommen und an roemische Buerger
ausgeteilt, den uebrigbleibenden Gemeinden Cures, Reate, Amiternum,
Nursia das roemische Untertanenrecht (civitas sine suffragio)
aufgezwungen. Bundesstaedte gleichen Rechts wurden hier nicht
gegruendet; die Landschaft kam vielmehr unter die unmittelbare
Herrschaft Roms, die sich also ausdehnte bis zum Apennin und den
umbrischen Bergen. Aber schon beschraenkte man sich nicht auf das Gebiet
diesseits der Berge; der letzte Krieg hatte allzu deutlich gezeigt, dass
die roemische Herrschaft ueber Mittelitalien nur gesichert war, wenn
sie von Meer zu Meer reichte. Die Festsetzung der Roemer jenseits des
Apennin beginnt mit der Anlegung der starken Festung Hatria (Atri) im
Jahre 465 (289), an der noerdlichen Abdachung der Abruzzen gegen die
picenische Ebene, nicht unmittelbar an der Kueste und daher latinischen
Rechts, aber dem Meere nah und der Schlussstein des gewaltigen, Nord-
und Sueditalien trennenden Keils. Aehnlicher Art und von noch groesserer
Bedeutung war die Gruendung von Venusia (463 291), wohin die unerhoerte
Zahl von 20000 Kolonisten gefuehrt ward; die Stadt, an der Markscheide
von Samnium, Apulien und Lucanien, auf der grossen Strasse zwischen
Tarent und Samnium in einer ungemein festen Stellung gegruendet, war
bestimmt, die Zwingburg der umwohnenden Voelkerschaften zu sein und vor
allen Dingen zwischen den beiden maechtigsten Feinden Roms im suedlichen
Italien die Verbindung zu unterbrechen. Ohne Zweifel ward zu gleicher
Zeit auch die Suedstrasse, die Appius Claudius bis nach Capua gefuehrt
hatte, von dort weiter bis nach Venusia verlaengert. So erstreckte sich,
als die Samnitischen Kriege zu Ende gingen, das geschlossene, das heisst
fast ausschliesslich aus Gemeinden roemischen oder latinischen Rechts
bestehende Gebiet Roms nordwaerts bis zum Ciminischen Walde, oestlich
bis in die Abruzzen und an das Adriatische Meer, suedlich bis nach
Capua, waehrend die beiden vorgeschobenen Posten Luceria und Venusia,
gegen Osten und Sueden auf den Verbindungslinien der Gegner angelegt,
dieselben nach allen Richtungen hin isolierten. Rom war nicht mehr bloss
die erste, sondern bereits die herrschende Macht auf der Halbinsel, als
gegen das Ende des fuenften Jahrhunderts der Stadt diejenigen Nationen,
welche die Gunst der Goetter und die eigene Tuechtigkeit jede in ihrer
Landschaft an die Spitze gerufen hatten, im Rat und auf dem Schlachtfeld
sich einander zu naehern begannen und, wie in Olympia die vorlaeufigen
Sieger zu dem zweiten und ernsteren Kampf, so auf der groesseren
Voelkerringstatt jetzt Karthago, Makedonien und Rom sich anschickten zu
dem letzten und entscheidenden Wettgang. 7. Kapitel Koenig Pyrrhos
gegen Rom und die Einigung Italiens In der Zeit der unbestrittenen
Weltherrschaft Roms pflegten die Griechen ihre roemischen Herren damit
zu aergern, dass sie als die Ursache der roemischen Groesse das Fieber
bezeichneten, an welchem Alexander von Makedonien den 11. Juni 431 (323)
in Babylon verschied. Da es nicht allzu troestlich war, das Geschehene
zu ueberdenken, verweilte man nicht ungern mit den Gedanken bei dem,
was haette kommen moegen, wenn der grosse Koenig, wie es seine Absicht
gewesen sein soll, als er starb, sich gegen Westen gewendet und mit
seiner Flotte den Karthagern das Meer, mit seinen Phalangen den Roemern
die Erde streitig gemacht haben wuerde. Unmoeglich ist es nicht, dass
Alexander mit solchen Gedanken sich trug; und man braucht auch nicht,
um sie zu erklaeren, bloss darauf hinzuweisen, dass ein Autokrat, der
kriegslustig und mit Soldaten und Schiffen versehen ist, nur schwer
die Grenze seiner Kriegfuehrung findet. Es war eines griechischen
Grosskoenigs wuerdig, die Sikelioten gegen Karthago, die Tarentiner
gegen Rom zu schuetzen und dem Piratenwesen auf beiden Meeren ein
Ende zu machen; die italischen Gesandtschaften, die in Babylon neben
zahllosen andern erschienen, der Brettier, Lucaner, Etrusker ^1, boeten
Gelegenheit genug, die Verhaeltnisse der Halbinsel kennenzulernen
und Beziehungen dort anzuknuepfen. Karthago mit seinen vielfachen
Verbindungen im Orient musste den Blick des gewaltigen Mannes notwendig
auf sich ziehen, und wahrscheinlich lag es in seinen Absichten, die
nominelle Herrschaft des Perserkoenigs ueber die tyrische Kolonie in
eine wirkliche umzuwandeln; nicht umsonst fand sich ein aus Karthago
gesandter Spion in der unmittelbaren Umgebung Alexanders. Indes
mochten dies Traeume oder Plaene sein, der Koenig starb, ohne mit
den Angelegenheiten des Westens sich beschaeftigt zu haben, und jene
Gedanken gingen mit ihm zu Grabe. Nur wenige kurze Jahre hatte ein
griechischer Mann die ganze intellektuelle Kraft des Hellenentums, die
ganze materielle Fuelle des Ostens vereinigt in seiner Hand gehalten;
mit seinem Tode ging zwar das Werk seines Lebens, die Gruendung des
Hellenismus im Orient, keineswegs zugrunde, wohl aber spaltete
sich sofort das kaum geeinigte Reich und unter dem steten Hader der
verschiedenen, aus diesen Truemmern sich bildenden Staaten ward ihrer
aller weltgeschichtliche Bestimmung, die Propaganda der griechischen
Kultur im Osten zwar nicht aufgegeben, aber abgeschwaecht und
verkuemmert. Bei solchen Verhaeltnissen konnten weder die griechischen
noch die asiatisch-aegyptischen Staaten daran denken, im Okzident festen
Fuss zu fassen und gegen die Roemer oder die Karthager sich zu wenden.
Das oestliche und das westliche Staatensystem bestanden nebeneinander,
ohne zunaechst politisch ineinanderzugreifen; und namentlich Rom blieb
den Verwicklungen der Diadochenperiode wesentlich fremd. Nur Beziehungen
oekonomischer Art stellten sich fest; wie denn zum Beispiel der
rhodische Freistaat, der vornehmste Vertreter einer neutralen
Handelspolitik in Griechenland und daher der allgemeine Vermittler
des Verkehrs in einer Zeit ewiger Kriege, um das Jahr 448 (306) einen
Vertrag mit Rom abschloss, natuerlich einen Handelstraktat, wie
er begreiflich ist zwischen einem Kaufmannsvolk und den Herren der
caeritischen und kampanischen Kueste. Auch bei der Soeldnerlieferung,
die von dem allgemeinen Werbeplatz der damaligen Zeit, von Hellas aus
nach Italien und namentlich nach Tarent ging, wirkten die politischen
Beziehungen, die zum Beispiel zwischen Tarent und dessen Mutterstadt
Sparta bestanden, nur in sehr untergeordneter Weise mit; im ganzen waren
die Werbungen nichts als kaufmaennische Geschaefte, und Sparta, obwohl
es regelmaessig den Tarentinern zu den italischen Kriegen die Hauptleute
lieferte, trat mit den Italikern darum so wenig in Fehde wie im
nordamerikanischen Freiheitskrieg die deutschen Staaten mit der
Union, deren Gegnern sie ihre Untertanen verkauften.
--------------------------------------------------- ^1 Die Erzaehlung,
dass auch die Roemer Gesandte an Alexander nach Babylon geschickt, geht
auf das Zeugnis des Kleitarchos zurueck (Plin. nat. 3, 5, 57), aus dem
die uebrigen, diese Tatsache meldenden Zeugen (Aristos und Asklepiades
bei Arrian 7, 15, 5; Memnon c. 25) ohne Zweifel schoepften. Kleitarchos
war allerdings Zeitgenosse dieser Ereignisse, aber sein Leben Alexanders
nichtsdestoweniger entschieden mehr historischer Roman als Geschichte;
und bei dem Schweigen der zuverlaessigen Biographen (Art. a. a. O.;
Liv. 9, 18) und dem voellig romanhaften Detail des Berichts, wonach zum
Beispiel die Roemer dem Alexander einen goldenen Kranz ueberreicht und
dieser die zukuenftige Groesse Roms vorhergesagt haben soll, wird
man nicht umhin koennen, diese Erzaehlung zu den vielen anderen durch
Kleitarchos in die Geschichte eingefuehrten Ausschmueckungen zu stellen.
--------------------------------------------------- Nichts anderes als
ein abenteuernder Kriegshauptmann war auch Koenig Pyrrhos von Epeiros;
er war darum nicht minder ein Gluecksritter, dass er seinen Stammbaum
zurueckfuehrte auf Aeakos und Achilleus und dass er, waere er
friedlicher gesinnt gewesen, als "Koenig" ueber ein kleines Bergvolk
unter makedonischer Oberherrlichkeit oder auch allenfalls in isolierter
Freiheit haette leben und sterben koennen. Man hat ihn wohl verglichen
mit Alexander von Makedonien; und allerdings die Gruendung eines
westhellenischen Reiches, dessen Kern Epeiros, Grossgriechenland,
Sizilien gebildet haetten, das die beiden italischen Meere beherrscht
und Rom wie Karthago in die Reihe der barbarischen Grenzvoelker des
hellenistischen Staatensystems, der Kelten und Inder gedraengt haben
wuerde - dieser Gedanke ist wohl gross und kuehn wie derjenige, der den
makedonischen Koenig ueber den Hellespont fuehrte. Aber nicht bloss der
verschiedene Ausgang unterscheidet den oestlichen und den westlichen
Heerzug. Alexander konnte mit seiner makedonischen Armee, in der
namentlich der Stab vorzueglich war, dem Grosskoenig vollkommen die
Spitze bieten; aber der Koenig von Epeiros, das neben Makedonien stand
etwa wie Hessen neben Preussen, erhielt eine nennenswerte Armee nur
durch Soeldner und durch Buendnisse, die auf zufaelligen politischen
Kombinationen beruhten. Alexander trat im Perserreich auf als Eroberer,
Pyrrhos in Italien als Feldherr einer Koalition von Sekundaerstaaten;
Alexander hinterliess sein Erbland vollkommen gesichert durch die
unbedingte Untertaenigkeit Griechenlands und das starke, unter Antipater
zurueckbleibende Heer, Pyrrhos buergte fuer die Integritaet seines
eigenen Gebietes nichts als das Wort eines zweifelhaften Nachbarn. Fuer
beide Eroberer hoerte, wenn ihre Plaene gelangen, die Heimat notwendig
auf, der Schwerpunkt des neuen Reiches zu sein; allein eher noch war es
ausfuehrbar, den Sitz der makedonischen Militaermonarchie nach Babylon
zu verlegen als in Tarent oder Syrakus eine Soldatendynastie zu
gruenden. Die Demokratie der griechischen Republiken, so sehr sie eine
ewige Agonie war, liess sich in die straffen Formen des Militaerstaats
nun einmal nicht zurueckzwingen; Philipp wusste wohl, warum er die
griechischen Republiken seinem Reich nicht einverleibte. Im Orient war
ein nationaler Widerstand nicht zu erwarten; herrschende und dienende
Staemme lebten dort seit langem nebeneinander und der Wechsel des
Despoten war der Masse der Bevoelkerung gleichgueltig oder gar
erwuenscht. Im Okzident konnten die Roemer, die Samniten, die Karthager
auch ueberwunden werden; aber kein Eroberer haette es vermocht, die
Italiker in aegyptische Fellahs zu verwandeln oder aus den roemischen
Bauern Zinspflichtige hellenischer Barone zu machen. Was man auch ins
Auge fasst, die eigene Macht, die Bundesgenossen, die Kraefte der Gegner
- ueberall erscheint der Plan des Makedoniers als eine ausfuehrbare,
der des Epeiroten als eine unmoegliche Unternehmung; jener als die
Vollziehung einer grossen geschichtlichen Aufgabe, dieser als ein
merkwuerdiger Fehlgriff; jener als die Grundlegung zu einem neuen
Staatensystem und einer neuen Phase der Zivilisation, dieser als eine
geschichtliche Episode. Alexanders Werk ueberlebte ihn, obwohl der
Schoepfer zur Unzeit starb; Pyrrhos sah mit eigenen Augen das Scheitern
aller seiner Plaene, ehe der Tod ihn abrief. Sie beide waren kuehne und
grosse Naturen, aber Pyrrhos nur der erste Feldherr, Alexander vor allem
der genialste Staatsmann seiner Zeit; und wenn es die Einsicht in das
Moegliche und Unmoegliche ist, die den Helden vom Abenteurer scheidet,
so muss Pyrrhos diesen zugezaehlt und darf seinem groesseren Verwandten
sowenig zur Seite gestellt werden wie etwa der Connetable von Bourbon
Ludwig dem Elften. Und dennoch knuepft sich ein wunderbarer Zauber an
den Namen des Epiroten, eine eigene Teilnahme, die allerdings zum Teil
der ritterlichen und liebenswuerdigen Persoenlichkeit desselben, aber
mehr doch noch dem Umstande gilt, dass er der erste Grieche ist, der den
Roemern im Kampfe gegenuebertritt. Mit ihm beginnen jene unmittelbaren
Beziehungen zwischen Rom und Hellas, auf denen die ganze spaetere
Entfaltung der antiken Zivilisation und ein wesentlicher Teil der
modernen beruht. Der Kampf zwischen Phalangen und Kohorten, zwischen
der Soeldnerarmee und der Landwehr, zwischen dem Heerkoenigtum und dem
Senatorenregiment, zwischen dem individuellen Talent und der nationalen
Kraft - dieser Kampf zwischen Rom und dem Hellenismus ward zuerst
durchgefochten in den Schlachten zwischen Pyrrhos und den roemischen
Feldherren; und wenn auch die unterliegende Partei noch oft nachher
appelliert hat an neue Entscheidung der Waffen, so hat doch jeder
spaetere Schlachttag das Urteil lediglich bestaetigt. Wenn aber auf
der Walstatt wie in der Kurie die Griechen unterliegen, so ist
ihr Uebergewicht nicht minder entschieden in jedem anderen, nicht
politischen Wettkampf, und eben schon diese Kaempfe lassen es ahnen,
dass der Sieg Roms ueber die Hellenen ein anderer sein wird als der
ueber Gallier und Phoeniker, und dass Aphroditens Zauber erst zu wirken
beginnt, wenn die Lanze zersplittert und Helm und Schild beiseite gelegt
ist. Koenig Pyrrhos war der Sohn des Aeakides, des Herrn der Molosser
(um Janina), welcher, von Alexander geschont als Verwandter und
getreuer Lehnsmann, nach dessen Tode in den Strudel der makedonischen
Familienpolitik hineingerissen ward und darin zuerst sein Reich und dann
das Leben verlor (441 313). Sein damals sechsjaehriger Sohn ward von dem
Herrn der illyrischen Taulantier, Glaukias, gerettet und im Laufe
der Kaempfe um Makedoniens Besitz, noch ein Knabe, von Demetrios dem
Belagerer wieder zurueckgefuehrt in sein angestammtes Fuerstentum (447
307), um es nach wenigen Jahren durch den Einfluss der Gegenpartei
wieder einzubuessen (um 452 302) und als landfluechtiger Fuerstensohn
im Gefolge der makedonischen Generale seine militaerische Laufbahn
zu beginnen. Bald machte seine Persoenlichkeit sich geltend. Unter
Antigonos machte er dessen letzte Feldzuege mit; der alte Marschall
Alexanders hatte seine Freude an dem geborenen Soldaten, dem nach dem
Urteile des ergrauten Feldherrn nur die Jahre fehlten um schon jetzt der
erste Kriegsmann der Zeit zu sein. Die unglueckliche Schlacht bei Ipsos
brachte ihn als Geisel nach Alexandreia an den Hof des Gruenders der
Lagidendynastie, wo er durch sein kuehnes und derbes Wesen, seinen alles
nicht Militaerische gruendlich verachtenden Soldatensinn nicht minder
des staatsklugen Koenigs Ptolemaeos Aufmerksamkeit auf sich zog als
durch seine maennliche Schoenheit, der das wilde Antlitz, der gewaltige
Tritt keinen Eintrag tat, die der koeniglichen Damen. Eben damals
gruendete der kuehne Demetrios sich wieder einmal, diesmal in
Makedonien, ein neues Reich; natuerlich in der Absicht, von dort aus die
Alexandermonarchie zu erneuern. Es galt, ihn niederzuhalten, ihm daheim
zu schaffen zu machen; und der Lagide, der solche Feuerseelen, wie der
epeirotische Juengling eine war, vortrefflich fuer seine feine Politik
zu nutzen verstand, tat nicht bloss seiner Gemahlin, der Koenigin
Berenike einen Gefallen, sondern foerderte auch seine eigenen Zwecke,
indem er dem jungen Fuersten seine Stieftochter, die Prinzessin Antigone
zur Gemahlin gab und dem geliebten "Sohn" zur Rueckkehr in die
Heimat seinen Beistand und seinen maechtigen Einfluss lieh (458 296).
Zurueckgekehrt in sein vaeterliches Reich fiel ihm bald alles zu; die
tapferen Epeiroten, die Albanesen des Altertums, hingen mit angestammter
Treue und frischer Begeisterung an dem mutigen Juengling, dem "Adler",
wie sie ihn hiessen. In den um die makedonische Thronfolge nach
Kassanders Tod (457 297) entstandenen Wirren erweiterte der Epeirote
sein Reich; nach und nach gewann er die Landschaften an dem ambrakischen
Busen mit der wichtigen Stadt Ambrakia, die Insel Kerkyra, ja selbst
einen Teil des makedonischen Gebiets, und widerstand mit weit geringeren
Streitkraeften dem Koenig Demetrios zur Bewunderung der Makedonier
selbst. Ja, als Demetrios durch seine eigene Torheit in Makedonien
vom Thron gestuerzt war, trug man dort dem ritterlichen Gegner, dem
Verwandten der Alexandriden, denselben freiwillig an (467 287). In der
Tat, keiner war wuerdiger als Pyrrhos, das koenigliche Diadem Philipps
und Alexanders zu tragen. In einer tief versunkenen Zeit, in der
Fuerstlichkeit und Niedertraechtigkeit gleichbedeutend zu werden
begannen, leuchtete hell Pyrrhos' persoenlich unbefleckter und
sittenreiner Charakter. Fuer die freien Bauern des makedonischen
Stammlandes, die, obwohl gemindert und verarmt, sich doch fernhielten
von dem Verfall der Sitten und der Tapferkeit, den das Diadochenregiment
in Griechenland und Asien herbeifuehrte, schien eben Pyrrhos recht
eigentlich zum Koenig geschaffen; er, der gleich Alexander in seinem
Haus, im Freundeskreise allen menschlichen Beziehungen sein Herz offen
erhielt und das in Makedonien so verhasste orientalische Sultanwesen
stets von sich abgewehrt hatte; er, der gleich Alexander anerkannt
der erste Taktiker seiner Zeit war. Aber das seltsam ueberspannte
makedonische Nationalgefuehl, das den elendesten makedonischen Herrn dem
tuechtigsten Fremden vorzog, die unvernuenftige Widerspenstigkeit der
makedonischen Truppen gegen jeden nicht makedonischen Fuehrer, welcher
der groesste Feldherr aus Alexanders Schule, der Kardianer Eumenes
erlegen war, bereitete auch der Herrschaft des epeirotischen Fuersten
ein schnelles Ende. Pyrrhos, der die Herrschaft ueber Makedonien mit dem
Willen der Makedonier nicht fuehren konnte, und zu machtlos, vielleicht
auch zu hochherzig war, um sich dem Volke gegen dessen Willen
aufzudraengen, ueberliess schon nach siebenmonatlicher Herrschaft das
Land seiner einheimischen Missregierung und ging heim zu seinen treuen
Epeiroten (467 287). Aber der Mann, der Alexanders Krone getragen
hatte, der Schwager des Demetrios, der Schwiegersohn des Lagiden und des
Agathokles von Syrakus, der hochgebildete Strategiker, der Memoiren und
wissenschaftliche Abhandlungen ueber die Kriegskunst schrieb, konnte
unmoeglich sein Leben darueber beschliessen, dass er zu gesetzter Zeit
im Jahre die Rechnungen des koeniglichen Viehverwalters durchsah und
von seinen braven Epeiroten die landueblichen Geschenke an Rindern und
Schafen entgegennahm, um sich alsdann am Altar des Zeus von ihnen den
Eid der Treue erneuern zu lassen und selbst den Eid auf die Gesetze zu
wiederholen und, diesem allen zu mehrerer Bekraeftigung, mit ihnen die
Nacht hindurch zu zechen. War kein Platz fuer ihn auf dem makedonischen
Thron, so war ueberhaupt in der Heimat seines Bleibens nicht; er konnte
der Erste sein und also nicht der Zweite. So wandten sich seine Blicke
in die Weite. Die Koenige, die um Makedoniens Besitz haderten, obwohl
sonst in nichts einig, waren gern bereit, gemeinschaftlich zu helfen,
dass der gefaehrliche Nebenbuhler freiwillig ausscheide; und dass die
treuen Kriegsgenossen ihm folgen wuerden, wohin er sie fuehrte, dessen
war er gewiss. Eben damals stellten die italischen Verhaeltnisse sich
so, dass jetzt wiederum als ausfuehrbar erscheinen konnte, was vierzig
Jahre frueher Pyrrhos' Verwandter, seines Vaters Vetter Alexander von
Epeiros, und eben erst sein Schwiegervater Agathokles beabsichtigt
hatten; und so entschloss sich Pyrrhos, auf seine makedonischen Plaene
zu verzichten und im Westen eine neue Herrschaft fuer sich und fuer
die hellenische Nation zu gruenden. Die Waffenruhe, die der Friede mit
Samnium 464 (290) fuer Italien herbeigefuehrt hatte, war von kurzer
Dauer; der Anstoss zur Bildung einer neuen Ligue gegen die roemische
Uebermacht kam diesmal von den Lucanern. Dieser Voelkerschaft, die
durch ihre Parteinahme fuer Rom die Tarentiner waehrend der Samnitischen
Kriege gelaehmt und zu deren Entscheidung wesentlich beigetragen
hatte, waren dafuer von den Roemern die Griechenstaedte in ihrem Gebiet
preisgegeben worden; und demgemaess hatten sie nach abgeschlossenem
Frieden in Gemeinschaft mit den Brettiern sich daran gemacht, eine nach
der anderen zu bezwingen. Die Thuriner, wiederholt angegriffen von dem
Feldherrn der Lucaner, Stenius Statilius, und aufs aeusserste bedraengt,
wandten sich, ganz wie einst die Kampaner die Hilfe Roms gegen die
Samniten in Anspruch genommen hatten und ohne Zweifel um den gleichen
Preis ihrer Freiheit und Selbstaendigkeit, mit der Bitte um Beistand
gegen die Lucaner an den roemischen Senat. Da das Buendnis mit diesen
durch die Anlage der Festung Venusia fuer Rom entbehrlich geworden
war, gewaehrten die Roemer das Begehren der Thuriner und geboten
ihren Bundesfreunden von der Stadt, die sich den Roemern ergeben
habe, abzulassen. Die Lucaner und Brettier, also von den maechtigeren
Verbuendeten betrogen um den Anteil an der gemeinschaftlichen
Beute, knuepften Verhandlungen an mit der samnitisch- tarentinischen
Oppositionspartei, um eine neue Koalition der Italiker zustande zu
bringen; und als die Roemer sie durch eine Gesandtschaft warnen liessen,
setzten sie den Gesandten gefangen und begannen den Krieg gegen Rom mit
einem neuen Angriff auf Thurii (um 469 285), indem sie zugleich nicht
bloss die Samniten und die Tarentiner, sondern auch die Norditaliker,
die Etrusker, Umbrer, Gallier aufriefen, mit ihnen zum Freiheitskampf
sich zu vereinigen. In der Tat erhob sich der etruskische Bund und dang
zahlreiche gallische Haufen; das roemische Heer, das der Praetor Lucius
Caecilius den treu gebliebenen Arretinern zu Hilfe fuehrte, ward unter
den Mauern dieser Stadt von den senonischen Soeldnern der Etrusker
vernichtet, der Feldherr selbst fiel mit 13000 seiner Leute (470 284).
Die Senonen zaehlten zu Roms Bundesgenossen: die Roemer schickten
demnach Gesandte an sie, um ueber die Stellung von Reislaeufern gegen
Rom Klage zu fuehren und die unentgeltliche Rueckgabe der Gefangenen zu
begehren. Aber auf Befehl des Senonenhaeuptlings Britomaris, der den Tod
seines Vaters an den Roemern zu raechen hatte, erschlugen die Senonen
die roemischen Boten und ergriffen offen die Partei der Etrusker. Ganz
Norditalien, Etrusker, Umbrer, Gallier, stand somit gegen Rom in
Waffen; es konnten grosse Erfolge gewonnen werden, wenn die suedlichen
Landschaften diesen Augenblick ergriffen und auch diejenigen, die es
nicht bereits getan, sich gegen Rom erklaerten. In der Tat scheinen die
Samniten, immer fuer die Freiheit einzustehen willig, den Roemern
den Krieg erklaert zu haben; aber geschwaecht und von allen Seiten
eingeschlossen, wie sie waren, konnten sie dem Bunde wenig nuetzen,
und Tarent zauderte nach seiner Gewohnheit. Waehrend unter den
Gegnern Buendnisse verhandelt, Subsidientraktate festgesetzt, Soeldner
zusammengebracht wurden, handelten die Roemer. Zunaechst hatten es die
Senonen zu empfinden, wie gefaehrlich es sei, die Roemer zu besiegen.
Der Konsul Publius Cornelius Dolabella rueckte mit einem starken Heer
in ihr Gebiet; was nicht ueber die Klinge sprang, ward aus dem Lande
ausgetrieben und dieser Stamm ausgestrichen aus der Reihe der italischen
Nationen (471 283). Bei einem vorzugsweise von seinen Herden lebenden
Volke war eine derartige massenhafte Austreibung wohl ausfuehrbar;
wahrscheinlich halfen diese aus Italien vertriebenen Senonen die
gallischen Schwaerme bilden, die bald nachher das Donaugebiet,
Makedonien, Griechenland, Kleinasien ueberschwemmten. Die naechsten
Nachbarn und Stammgenossen der Senonen, die Boier, erschreckt und
erbittert durch die furchtbar schnell sich vollendende Katastrophe,
vereinigten sich augenblicklich mit den Etruskern, die noch den Krieg
fortfuehrten und deren senonische Soeldner jetzt gegen die Roemer nicht
mehr als Mietlinge fochten, sondern als verzweifelte Raecher der Heimat;
ein gewaltiges etruskisch-gallisches Heer zog gegen Rom, um fuer die
Vernichtung des Senonenstammes an der Hauptstadt der Feinde Rache zu
nehmen und vollstaendiger, als einst der Heerkoenig derselben Senonen
es getan, Rom von der Erde zu vertilgen. Allein beim Uebergang ueber den
Tiber in der Naehe des Vadimonischen Sees wurde das vereinigte Heer von
den Roemern nachdruecklich geschlagen (471 283). Nachdem sie das
Jahr darauf noch einmal bei Populonia mit nicht besserem Erfolg eine
Feldschlacht gewagt hatten, liessen die Boier ihre Bundesgenossen im
Stich und schlossen fuer sich mit den Roemern Frieden (472 282). So
war das gefaehrlichste Glied der Ligue, das Galliervolk, einzeln
ueberwunden, ehe noch der Bund sich vollstaendig zusammenfand, und
dadurch Rom freie Hand gegen Unteritalien gegeben, wo in den Jahren
469-471 (285-283) der Kampf nicht ernstlich gefuehrt worden war. Hatte
bis dahin die schwache roemische Armee Muehe gehabt, sich in Thurii
gegen die Lucaner und Brettier zu behaupten, so erschien jetzt (472
282) der Konsul Gaius Fabricius Luscinus mit einem starken Heer vor der
Stadt, befreite dieselbe, schlug die Lucaner in einem grossen
Treffen und nahm ihren Feldherrn Statilius gefangen. Die kleineren
nichtdorischen Griechenstaedte, die in den Roemern ihre Retter
erkannten, fielen ihnen ueberall freiwillig zu; roemische Besatzungen
blieben zurueck in den wichtigsten Plaetzen, in Lokri, Kroton, Thurii
und namentlich in Rhegion, auf welche letztere Stadt auch die Karthager
Absichten zu haben schienen. Ueberall war Rom im entschiedensten
Vorteil. Die Vernichtung der Senonen hatte den Roemern eine bedeutende
Strecke des adriatischen Litorals in die Haende gegeben; ohne Zweifel
im Hinblick auf die unter der Asche glimmende Fehde mit Tarent und die
schon drohende Invasion der Epeiroten eilte man, sich dieser Kueste
sowie der Adriatischen See zu versichern. Es ward (um 471 283) eine
Buergerkolonie gefuehrt nach dem Hafenplatz Sena (Sinigaglia), der
ehemaligen Hauptstadt des senonischen Bezirks und gleichzeitig segelte
eine roemische Flotte aus dem Tyrrhenischen Meer in die oestlichen
Gewaesser, offenbar, um im Adriatischen Meer zu stationieren und dort
die roemischen Besitzungen zu decken. Die Tarentiner hatten seit dem
Vertrag von 450 (304) mit Rom in Frieden gelebt. Sie hatten der langen
Agonie der Samniten, der raschen Vernichtung der Senonen zugesehen, sich
die Gruendung von Venusia, Hatria, Sena, die Besetzung von Thurii und
Rhegion gefallen lassen, ohne Einspruch zu tun. Aber als jetzt die
roemische Flotte auf ihrer Fahrt vom Tyrrhenischen ins Adriatische Meer
in die tarentinischen Gewaesser gelangte und im Hafen der befreundeten
Stadt vor Anker ging, schwoll die langgehegte Erbitterung endlich ueber;
die alten Vertraege, die den roemischen Kriegsschiffen untersagten,
oestlich vom Lakinischen Vorgebirg zu fahren, wurden in der
Buergerversammlung von den Volksmaennern zur Sprache gebracht; wuetend
stuerzte der Haufen ueber die roemischen Kriegsschiffe her, die,
unversehens nach Piratenart ueberfallen, nach heftigem Kampfe
unterlagen; fuenf Schiffe wurden genommen und deren Mannschaft
hingerichtet oder in die Knechtschaft verkauft, der roemische Admiral
selbst war in dem Kampf gefallen. Nur der souveraene Unverstand und
die souveraene Gewissenlosigkeit der Poebelherrschaft erklaert diese
schmachvollen Vorgaenge. Jene Vertraege gehoerten einer Zeit an, die
laengst ueberschritten und verschollen war; es ist einleuchtend, dass
sie wenigstens seit der Gruendung von Hatria und Sena schlechterdings
keinen Sinn mehr hatten und dass die Roemer im guten Glauben an das
bestehende Buendnis in den Golf einfuhren - lag es doch gar sehr
in ihrem Interesse, wie der weitere Verlauf der Dinge zeigt, den
Tarentinern durchaus keinen Anlass zur Kriegserklaerung darzubieten.
Wenn die Staatsmaenner Tarents den Krieg an Rom erklaeren wollten, so
taten sie bloss, was laengst haette geschehen sollen; und wenn sie es
vorzogen, die Kriegserklaerung statt auf den wirklichen Grund vielmehr
auf formalen Vertragsbruch zu stuetzen, so liess sich dagegen weiter
nichts erinnern, da ja die Diplomatie zu allen Zeiten es unter ihrer
Wuerde erachtet hat, das Einfache einfach zu sagen. Allein dass man,
statt den Admiral zur Umkehr aufzufordern, die Flotte mit gewaffneter
Hand ungewarnt ueberfiel, war eine Torheit nicht minder als eine
Barbarei, eine jener entsetzlichen Barbareien der Zivilisation, wo die
Gesittung ploetzlich das Steuerruder verliert und die nackte Gemeinheit
vor uns hintritt, gleichsam um zu warnen vor dem kindischen Glauben,
als vermoege die Zivilisation aus der Menschennatur die Bestialitaet
auszuwurzeln. Und als waere damit noch nicht genug getan, ueberfielen
nach dieser Heldentat die Tarentiner Thurii, dessen roemische Besatzung
infolge der Ueberrumpelung kapitulierte (im Winter 472/73 282/81), und
bestraften die Thuriner, dieselben, die die tarentinische Politik
den Lucanern preisgegeben und dadurch gewaltsam zur Ergebung an Rom
gedraengt hatte, schwer fuer ihren Abfall von der hellenischen Partei zu
den Barbaren. Die Barbaren verfuhren indes mit einer Maessigung, die bei
solcher Macht und nach solchen Kraenkungen Bewunderung erregt. Es lag
im Interesse Roms, die tarentinische Neutralitaet so lange wie moeglich
gelten zu lassen, und die leitenden Maenner im Senat verwarfen deshalb
den Antrag, den eine Minoritaet in begreiflicher Erbitterung stellte,
den Tarentinern sofort den Krieg zu erklaeren. Vielmehr wurde die
Fortdauer des Friedens roemischerseits an die maessigsten Bedingungen
geknuepft, die sich mit Roms Ehre vertrugen: Entlassung der Gefangenen,
Rueckgabe von Thurii, Auslieferung der Urheber des Ueberfalls der
Flotte. Mit diesen Vorschlaegen ging eine roemische Gesandtschaft nach
Tarent (473 281), waehrend gleichzeitig, ihren Worten Nachdruck zu
geben, ein roemisches Heer unter dem Konsul Lucius Aemilius in Samnium
einrueckte. Die Tarentiner konnten, ohne ihrer Unabhaengigkeit etwas zu
vergeben, diese Bedingungen eingehen, und bei der geringen Kriegslust
der reichen Kaufstadt durfte man in Rom mit Recht annehmen, dass ein
Abkommen noch moeglich sei. Allein der Versuch, den Frieden zu erhalten,
scheiterte - sei es an dem Widerspruch derjenigen Tarentiner, die die
Notwendigkeit erkannten, den Uebergriffen Roms je eher desto lieber mit
den Waffen entgegenzutreten, sei es bloss an der Unbotmaessigkeit des
staedtischen Poebels, der sich mit beliebter griechischer Ungezogenheit
sogar an der Person des Gesandten in unwuerdiger Weise vergriff. Nun
rueckte der Konsul in das tarentinische Gebiet ein; aber statt sofort
die Feindseligkeiten zu eroeffnen, bot er noch einmal auf dieselben
Bedingungen den Frieden; und da auch dies vergeblich war, begann er zwar
die Aecker und Landhaeuser zu verwuesten und schlug die staedtischen
Milizen, aber die vornehmeren Gefangenen wurden ohne Loesegeld
entlassen und man gab die Hoffnung nicht auf, dass der Kriegsdruck der
aristokratischen Partei in der Stadt das Uebergewicht geben und damit
den Frieden herbeifuehren werde. Die Ursache dieser Zurueckhaltung war,
dass die Roemer die Stadt nicht dem Epeirotenkoenig in die Arme treiben
wollten. Die Absichten desselben auf Italien waren kein Geheimnis mehr.
Schon war eine tarentinische Gesandtschaft zu Pyrrhos gegangen und
unverrichteter Sache zurueckgekehrt; der Koenig hatte mehr begehrt, als
sie zu bewilligen Vollmacht hatte. Man musste sich entscheiden. Dass die
Buergerwehr vor den Roemern nur wegzulaufen verstand, davon hatte man
sich sattsam ueberzeugt; es blieb nur die Wahl zwischen Frieden mit Rom,
den die Roemer unter billigen Bedingungen zu bewilligen fortwaehrend
bereit waren, und Vertrag mit Pyrrhos auf jede dem Koenig gutduenkende
Bedingung, das heisst die Wahl zwischen Unterwerfung unter die roemische
Obermacht oder unter die Tyrannis eines griechischen Soldaten. Die
Parteien hielten in der Stadt sich fast die Waage; endlich blieb die
Oberhand der Nationalpartei, wobei ausser dem wohl gerechtfertigten
Motiv, sich, wenn einmal ueberhaupt einem Herrn, lieber einem Griechen
als Barbaren zu eigen zu geben, auch noch die Furcht der Demagogen
mitwirkte, dass Rom trotz seiner jetzigen, durch die Umstaende
erzwungenen Maessigung bei geeigneter Gelegenheit nicht saeumen werde,
Rache fuer die von dem Tarentiner Poebel veruebten Schaendlichkeiten zu
nehmen. Die Stadt schloss also mit Pyrrhos ab. Er erhielt den Oberbefehl
ueber die Truppen der Tarentiner und der uebrigen gegen Rom unter Waffen
stehenden Italioten; ferner das Recht, in Tarent Besatzung zu halten.
Dass die Stadt die Kriegskosten trug, versteht sich von selbst. Pyrrhos
versprach dagegen, in Italien nicht laenger als noetig zu bleiben,
vermutlich unter dem stillschweigenden Vorbehalt, die Zeit, waehrend
welcher er dort noetig sein werde, nach eigenem Ermessen festzustellen.
Dennoch waere ihm die Beute fast unter den Haenden entschluepft.
Waehrend die tarentinischen Gesandten - ohne Zweifel die Haeupter der
Kriegspartei - in Epeiros abwesend waren, schlug in der von den Roemern
jetzt hart gedraengten Stadt die Stimmung um; schon war der Oberbefehl
dem Agis, einem roemisch Gesinnten uebertragen, als die Rueckkehr der
Gesandten mit dem abgeschlossenen Traktat in Begleitung von Pyrrhos'
vertrautem Minister Kineas die Kriegspartei wieder ans Ruder brachte.
Bald fasste eine festere Hand die Zuegel und machte dem klaeglichen
Schwanken ein Ende. Noch im Herbst 473 (281) landete Pyrrhos' General
Milon mit 3000 Epeiroten und besetzte die Zitadelle der Stadt;
ihm folgte zu Anfang des Jahres 474 (280) nach einer stuermischen,
zahlreiche Opfer fordernden Ueberfahrt der Koenig selbst. Er fuehrte
nach Tarent ein ansehnliches, aber buntgemischtes Heer, teils bestehend
aus den Haustruppen, den Molossern, Thesprotiern, Chaonern, Ambrakioten,
teils aus dem makedonischen Fussvolk und der thessalischen Reiterei, die
Koenig Ptolemaeos von Makedonien vertragsmaessig ihm ueberlassen, teils
aus aetolischen, akarnanischen, athamanischen Soeldnern; im ganzen
zaehlte man 20000 Phalangiten, 2000 Bogenschuetzen, 500 Schleuderer,
3000 Reiter und 20 Elefanten, also nicht viel weniger, als dasjenige
Heer betragen hatte, mit dem Alexander fuenfzig Jahre zuvor den
Hellespont ueberschritt. Die Angelegenheiten der Koalition standen nicht
zum besten, als der Koenig kam. Zwar hatte der roemische Konsul, sowie
er die Soldaten Milons anstatt der tarentinischen Miliz sich gegenueber
aufziehen sah, den Angriff auf Tarent aufgegeben und sich nach Apulien
zurueckgezogen; aber mit Ausnahme des Gebietes von Tarent beherrschten
die Roemer so gut wie ganz Italien. Nirgends in Unteritalien hatte
die Koalition eine Armee im Felde, und auch in Oberitalien hatten die
Etrusker, die allein noch in Waffen standen, in dem letzten Feldzuge
(473 281) nichts als Niederlagen erlitten. Die Verbuendeten hatten, ehe
der Koenig zu Schiff ging, ihm den Oberbefehl ueber ihre saemtlichen
Truppen uebertragen und ein Heer von 350000 Mann zu Fuss und 20000
Reiter ins Feld stellen zu koennen erklaert; zu diesen grossen Worten
bildete die Wirklichkeit einen unerfreulichen Kontrast. Das Heer, dessen
Oberbefehl man Pyrrhos uebertragen, war noch erst zu schaffen, und
vorlaeufig standen dazu hauptsaechlich nur Tarents eigene Hilfsquellen
zu Gebot. Der Koenig befahl die Anwerbung eines italischen
Soeldnerheeres mit tarentinischem Gelde und hob die dienstfaehigen
Leute aus der Buergerschaft zum Kriegsdienst aus. So aber hatten die
Tarentiner den Vertrag nicht verstanden. Sie hatten gemeint, den Sieg
wie eine andere Ware fuer ihr Geld sich gekauft zu haben; es war eine
Art Kontraktbruch, dass der Koenig sie zwingen wollte, sich ihn selber
zu erfechten. Je mehr die Buergerschaft anfangs nach Milons Eintreffen
sich gefreut hatte, des laestigen Postendienstes los zu sein, desto
unwilliger stellte man jetzt sich unter die Fahnen des Koenigs; den
Saeumigen musste mit Todesstrafe gedroht werden. Jetzt gab der Ausgang
bei allen der Friedenspartei Recht, und es wurden sogar mit Rom
Verbindungen angeknuepft oder schienen doch angeknuepft zu werden.
Pyrrhos, auf solchen Widerstand vorbereitet, behandelte die Stadt fortan
wie eine eroberte: die Soldaten wurden in die Haeuser einquartiert,
die Volksversammlungen und die zahlreichen Kraenzchen (syssitia)
suspendiert, das Theater geschlossen, die Promenaden gesperrt, die Tore
mit epeirotischen Wachen besetzt. Eine Anzahl der fuehrenden Maenner
wurden als Geiseln ueber das Meer gesandt; andere entzogen sich dem
gleichen Schicksal durch die Flucht nach Rom. Diese strengen Massregeln
waren notwendig, da es schlechterdings unmoeglich war, sich in
irgendeinem Sinn auf die Tarentiner zu verlassen; erst jetzt konnte der
Koenig, gestuetzt auf den Besitz der wichtigen Stadt, die Operationen
im Felde beginnen. Auch in Rom wusste man sehr wohl, welchem Kampf man
entgegenging. Um vor allem die Treue der Bundesgenossen, das heisst der
Untertanen zu sichern, erhielten die unzuverlaessigen Staedte Besatzung
und wurden die Fuehrer der Partei der Unabhaengigkeit, wo es notwendig
schien, festgesetzt oder hingerichtet, so zum Beispiel eine Anzahl
Mitglieder des praenestinischen Senats. Fuer den Krieg selbst wurden
grosse Anstrengungen gemacht; es ward eine Kriegssteuer ausgeschrieben,
von allen Untertanen und Bundesgenossen das volle Kontingent eingemahnt,
ja die eigentlich von der Dienstpflicht befreiten Proletarier unter die
Waffen gerufen. Ein roemisches Heer blieb als Reserve in der Hauptstadt.
Ein zweites rueckte unter dem Konsul Tiberius Coruncanius in Etrurien
ein und trieb Volci und Volsinii zu Paaren. Die Hauptmacht war
natuerlich nach Unteritalien bestimmt; man beschleunigte so viel als
moeglich ihren Abmarsch, um Pyrrhos noch in der Gegend von Tarent zu
erreichen und ihn zu hindern, die Samniten und die uebrigen gegen Rom
in Waffen stehenden sueditalischen Aufgebote mit seinen Truppen zu
vereinigen. Einen vorlaeufigen Damm gegen das Umsichgreifen des
Koenigs sollten die roemischen Besatzungen gewaehren, die in den
Griechenstaedten Unteritaliens lagen. Indes die Meuterei der in Rhegion
liegenden Truppe - es war eine der aus den kampanischen Untertanen
Roms ausgehobenen Legionen unter einem kampanischen Hauptmann Decius -
entriss den Roemern diese wichtige Stadt, ohne sie doch Pyrrhos in
die Haende zu geben. Wenn einerseits bei diesem Militaeraufstand der
Nationalhass der Kampaner gegen die Roemer unzweifelhaft mitwirkte, so
konnte anderseits Pyrrhos, der zu Schirm und Schutz der Hellenen ueber
das Meer gekommen war, unmoeglich die Truppe in den Bund aufnehmen,
welche ihre rheginischen Wirte in den Haeusern niedergemacht hatte;
und so blieb sie fuer sich, im engen Bunde mit ihren Stamm- und
Frevelgenossen, den Mamertinern, das heisst den kampanischen Soeldnern
des Agathokles, die das gegenueberliegende Messana in aehnlicher Weise
gewonnen hatten, und brandschatzte und verheerte auf eigene Rechnung die
umliegenden Griechenstaedte, so Kroton, wo sie die roemische Besatzung
niedermachte, und Kaulonia, das sie zerstoerte. Dagegen gelang es
den Roemern, durch ein schwaches Korps, das an die lucanische Grenze
rueckte, und durch die Besatzung von Venusia die Lucaner und Samniten an
der Vereinigung mit Pyrrhos zu hindern, waehrend die Hauptmacht, wie
es scheint vier Legionen, also mit der entsprechenden Zahl von
Bundestruppen mindestens 50000 Mann stark, unter dem Konsul Publius
Laevinus gegen Pyrrhos marschierte. Dieser hatte sich zur Deckung der
tarentinischen Kolonie Herakleia zwischen dieser Stadt und Pandosia ^2
mit seinen eigenen und den tarentinischen Truppen aufgestellt (474 280).
Die Roemer erzwangen unter Deckung ihrer Reiterei den Uebergang
ueber den Siris und eroeffneten die Schlacht mit einem hitzigen und
gluecklichen Reiterangriff; der Koenig, der seine Reiter selber fuehrte,
stuerzte und die griechischen Reiter, durch das Verschwinden des
Fuehrers in Verwirrung gebracht, raeumten den feindlichen Schwadronen
das Feld. Indes Pyrrhos stellte sich an die Spitze seines Fussvolks,
und von neuem begann ein entscheidenderes Treffen. Siebenmal trafen die
Legionen und die Phalanx im Stoss aufeinander und immer noch stand der
Kampf. Da fiel Megakles, einer der besten Offiziere des Koenigs, und
weil er an diesem heissen Tage die Ruestung des Koenigs getragen hatte,
glaubte das Heer zum zweitenmal, dass der Koenig gefallen sei; die
Reihen wurden unsicher, schon meinte Laevinus den Sieg in der Hand zu
haben und warf seine saemtliche Reiterei den Griechen in die Flanke.
Aber Pyrrhos, entbloessten Hauptes durch die Reihen des Fussvolks
schreitend, belebte den sinkenden Mut der Seinigen. Gegen die Reiter
wurden die bis dahin zurueckgehaltenen Elefanten vorgefuehrt; die Pferde
scheuten vor ihnen, die Soldaten wussten den gewaltigen Tieren nicht
beizukommen und wandten sich zur Flucht. Die zersprengten Reiterhaufen,
die nachsetzenden Elefanten loesten endlich auch die geschlossenen
Glieder des roemischen Fussvolks, und die Elefanten, im Verein mit der
trefflichen thessalischen Reiterei, richteten ein grosses Blutbad unter
den Fluechtenden an. Haette nicht ein tapferer roemischer Soldat, Gaius
Minucius, der erste Hastat der vierten Legion, einen der Elefanten
verwundet und dadurch die verfolgenden Truppen in Verwirrung gebracht,
so waere das roemische Heer aufgerieben worden; so gelang es, den Rest
der roemischen Truppen ueber den Siris zurueckzufuehren. Ihr Verlust
war gross: 7000 Roemer wurden tot oder verwundet von den Siegern auf der
Walstatt gefunden, 2000 gefangen eingebracht; die Roemer selbst gaben,
wohl mit Einschluss der vom Schlachtfeld zurueckgebrachten Verwundeten,
ihren Verlust an auf 15000 Mann. Aber auch Pyrrhos' Heer hatte nicht
viel weniger gelitten; gegen 4000 seiner besten Soldaten bedeckten das
Schlachtfeld und mehrere seiner tuechtigsten Obersten waren gefallen.
Erwaegend, dass sein Verlust hauptsaechlich auf die altgedienten Leute
traf, die bei weitem schwerer zu ersetzen waren als die roemische
Landwehr, und dass er den Sieg nur der Ueberraschung durch den
Elefantenangriff verdankte, die sich nicht oft wiederholen liess, mag
der Koenig wohl, strategischer Kritiker wie er war, spaeterhin diesen
Sieg einer Niederlage aehnlich genannt haben; wenn er auch nicht so
toericht war, wie die roemischen Poeten nachher gedichtet haben, in
der Aufschrift des von ihm in Tarent aufgestellten Weihgeschenkes diese
Selbstkritik dem Publikum mitzuteilen. Politisch kam zunaechst wenig
darauf an, welche Opfer der Sieg gekostet hatte; vielmehr war der Gewinn
der ersten Schlacht gegen die Roemer fuer Pyrrhos ein unschaetzbarer
Erfolg. Sein Feldherrntalent hatte auch auf diesem neuen Schlachtfeld
sich glaenzend bewaehrt, und wenn irgend etwas, musste der Sieg von
Herakleia dem hinsiechenden Bunde der Italiker Einigkeit und Energie
einhauchen. Aber auch die unmittelbaren Ergebnisse des Sieges waren
ansehnlich und nachhaltig. Lucanien war fuer die Roemer verloren;
Laevinus zog die dort stehenden Truppen an sich und ging nach Apulien.
Die Brettier, Lucaner, Samniten vereinigten sich ungehindert mit
Pyrrhos. Mit Ausnahme von Rhegion, das unter dem Druck der kampanischen
Meuterer schmachtete, fielen die Griechenstaedte saemtlich dem Koenig
zu, ja Lokri lieferte ihm freiwillig die roemische Besatzung aus; von
ihm waren sie ueberzeugt, und mit Recht, dass er sie den Italikern
nicht preisgeben werde. Die Sabeller und Griechen also traten zu Pyrrhos
ueber; aber weiter wirkte der Sieg auch nicht. Unter den Latinern zeigte
sich keine Neigung, der roemischen Herrschaft, wie schwer sie auch
lasten mochte, mit Hilfe eines fremden Dynasten sich zu entledigen.
Venusia, obgleich jetzt rings von Feinden umschlossen, hielt
unerschuetterlich fest an Rom. Den am Siris Gefangenen, deren tapfere
Haltung der ritterliche Koenig durch die ehrenvollste Behandlung
vergalt, bot er nach griechischer Sitte an, in sein Heer einzutreten;
allein er erfuhr, dass er nicht mit Soeldnern focht, sondern mit einem
Volke. Nicht einer, weder Roemer noch Latiner, nahm bei ihm Dienste.
------------------------------------------- 2 Bei dem heutigen Anglona;
nicht zu verwechseln mit der bekannteren Stadt gleichen Namens in der
Gegend von Cosenza. ------------------------------------------- Pyrrhos
bot den Roemern Frieden an. Er war ein zu einsichtiger Militaer, um das
Missliche seiner Stellung zu verkennen, und ein zu gewiegter Staatsmann,
um nicht denjenigen Augenblick, der ihm die guenstigste Stellung
gewaehrte, rechtzeitig zum Friedensschluss zu benutzen. Jetzt hoffte er
unter dem ersten Eindruck der gewaltigen Schlacht, es in Rom durchsetzen
zu koennen, dass die griechischen Staedte in Italien frei wuerden und
zwischen ihnen und Rom eine Reihe Staaten zweiten und dritten Ranges als
abhaengige Verbuendete der neuen griechischen Macht ins Leben traeten;
denn darauf gingen seine Forderungen: Entlassung aller griechischen
Staedte - also namentlich der kampanischen und lucanischen - aus der
roemischen Botmaessigkeit und Rueckgabe des den Samniten, Dauniern,
Lucanern, Brettiern abgenommenen Gebiets, das heisst namentlich
Aufgabe von Luceria und Venusia. Konnte ein weiterer Kampf mit Rom auch
schwerlich vermieden werden, so war es doch wuenschenswert, diesen erst
zu beginnen, wenn die westlichen Hellenen unter einem Herrn vereinigt,
Sizilien gewonnen, vielleicht Afrika erobert war. Mit solchen
Instruktionen versehen, begab sich Pyrrhos' vertrauter Minister, der
Thessalier Kineas, nach Rom. Der gewandte Unterhaendler, den seine
Zeitgenossen dem Demosthenes verglichen, soweit sich dem Staatsmann
der Rhetor, dem Volksfuehrer der Herrendiener vergleichen laesst, hatte
Auftrag, die Achtung, die der Sieger von Herakleia fuer seine Besiegten
in der Tat empfand, auf alle Weise zur Schau zu tragen, den Wunsch des
Koenigs, selber nach Rom zu kommen, zu erkennen zu geben, durch die im
Munde des Feindes so wohlklingende Lob- und durch ernste Schmeichelrede,
gelegentlich auch durch wohlangebrachte Geschenke die Gemueter zu des
Koenigs Gunsten zu stimmen, kurz, alle Kuenste der Kabinettspolitik, wie
sie an den Hoefen von Alexandreia und Antiocheia erprobt waren, gegen
die Roemer zu versuchen. Der Senat schwankte; manchen erschien es der
Klugheit gemaess, einen Schritt zurueck zu tun und abzuwarten, bis der
gefaehrliche Gegner sich weiter verwickelt haben oder nicht mehr sein
wuerde. Indes der greise und blinde Konsular Appius Claudius (Zensor
442 312, Konsul 447, 458 307, 296), der seit langem sich von den
Staatsgeschaeften zurueckgezogen hatte, aber in diesem entscheidenden
Augenblick sich in den Senat fuehren liess, hauchte die ungebrochene
Energie einer gewaltigen Natur mit seinen Flammenworten dem juengeren
Geschlecht in die Seele. Man antwortete dem Koenig das stolze Wort, das
hier zuerst vernommen und seitdem Staatsgrundsatz ward, dass Rom nicht
unterhandle, solange auswaertige Truppen auf italischem Gebiet staenden,
und das Wort wahr zu machen, wies man den Gesandten sofort aus der
Stadt. Der Zweck der Sendung war verfehlt und der gewandte Diplomat,
statt mit seiner Redekunst Effekt zu machen, hatte vielmehr durch diesen
maennlichen Ernst nach so schwerer Niederlage sich selber imponieren
lassen - er erklaerte daheim, dass in dieser Stadt jeder Buerger ihm
erschienen sei wie ein Koenig; freilich, der Hofmann hatte ein freies
Volk zu Gesicht bekommen. Pyrrhos, der waehrend dieser Verhandlungen
in Kampanien eingerueckt war, brach auf die Nachricht von ihrem Abbruch
sogleich auf gegen Rom, um den Etruskern die Hand zu reichen, die
Bundesgenossen Roms zu erschuettern, die Stadt selber zu bedrohen. Aber
die Roemer liessen sich so wenig schrecken wie gewinnen. Auf den Ruf des
Heroldes, "an die Stelle der Gefallenen sich einschreiben zu lassen",
hatte gleich nach der Schlacht von Herakleia die junge Mannschaft sich
scharenweise zur Aushebung gedraengt; mit den beiden neugebildeten
Legionen und dem aus Lucanien zurueckgezogenen Korps folgte Laevinus,
staerker als vorher, dem Marsch des Koenigs; er deckte gegen denselben
Capua und vereitelte dessen Versuche, mit Neapel Verbindungen
anzuknuepfen. So straff war die Haltung der Roemer, dass ausser den
unteritalischen Griechen kein namhafter Bundesstaat es wagte, vom
roemischen Buendnis abzufallen. Da wandte Pyrrhos sich gegen Rom selbst.
Durch die reiche Landschaft, deren bluehenden Zustand er mit Bewunderung
schaute, zog er gegen Fregellae, das er ueberrumpelte, erzwang den
Uebergang ueber den Liris und gelangte bis nach Anagnia, das nicht mehr
als acht deutsche Meilen von Rom entfernt ist. Kein Heer warf sich ihm
entgegen; aber ueberall schlossen die Staedte Latiums ihm die Tore,
und gemessenen Schrittes folgte von Kampanien aus Laevinus ihm nach,
waehrend von Norden der Konsul Tiberius Coruncanius, der soeben mit
den Etruskern durch einen rechtzeitigen Friedensschluss sich abgefunden
hatte, eine zweite roemische Armee heranfuehrte und in Rom selbst die
Reserve unter dem Diktator Gnaeus Domitius Calvinus sich zum Kampfe
fertig machte. Dagegen war nichts auszurichten; dem Koenig blieb nichts
uebrig als umzukehren. Eine Zeitlang stand er noch in Kampanien den
vereinigten Heeren der beiden Konsuln untaetig gegenueber; aber es bot
sich keine Gelegenheit, einen Hauptschlag auszufuehren. Als der Winter
herankam, raeumte der Koenig das feindliche Gebiet und verteilte seine
Truppen in die befreundeten Staedte; er selbst nahm Winterquartier in
Tarent. Hierauf stellten auch die Roemer ihre Operationen ein; das Heer
bezog Standquartiere bei Firmum im Picenischen, wo auf Befehl des Senats
die am Siris geschlagenen Legionen den Winter hindurch zur Strafe unter
Zelten kampierten. So endigte der Feldzug des Jahres 474 (280).
Der Sonderfriede, den Etrurien im entscheidenden Augenblick mit Rom
abgeschlossen hatte, und des Koenigs unvermuteter Rueckzug, der die
hochgespannten Hoffnungen der italischen Bundesgenossen gaenzlich
taeuschte, wogen zum grossen Teil den Eindruck des Sieges von Herakleia
auf. Die Italiker beschwerten sich ueber die Lasten des Krieges,
namentlich ueber die schlechte Mannszucht der bei ihnen einquartierten
Soeldner, und der Koenig, muede des kleinlichen Gezaenks und des
unpolitischen wie unmilitaerischen Gehabens seiner Bundesgenossen,
fing an zu ahnen, dass die Aufgabe, die ihm zugefallen war, trotz aller
taktischen Erfolge politisch unloesbar sein moege. Die Ankunft einer
roemischen Gesandtschaft, dreier Konsulate, darunter der Sieger
von Thurii, Gaius Fabricius, liess einen Augenblick wieder die
Friedenshoffnungen bei ihm erwachen; allein es zeigte sich bald, dass
sie nur Vollmacht hatte, wegen Loesung oder Auswechselung der Gefangenen
zu unterhandeln. Pyrrhos schlug diese Forderung ab, allein er entliess
zur Feier der Saturnalien saemtliche Gefangene auf ihr Ehrenwort; dass
sie es hielten und dass der roemische Gesandte einen Bestechungsversuch
abwies, hat man in der Folgezeit in unschicklichster und mehr fuer die
Ehrlosigkeit der spaeteren als die Ehrenhaftigkeit der frueheren Zeit
bezeichnender Weise gefeiert. Mit dem Fruehjahr 475 (279) ergriff
Pyrrhos abermals die Offensive und rueckte in Apulien ein, wohin
das roemische Heer ihm entgegenkam. In der Hoffnung durch einen
entscheidenden Sieg die roemische Symmachie in diesen Landschaften zu
erschuettern, bot der Koenig eine zweite Schlacht an und die Roemer
verweigerten sie nicht. Bei Ausculum (Ascoli di Puglia) trafen
beide Heere aufeinander. Unter Pyrrhos' Fahnen fochten ausser seinen
epeirotischen und makedonischen Truppen die italischen Soeldner,
die Buergerwehr - die sogenannten Weissschilde - von Tarent und die
verbuendeten Lucaner, Brettier und Samniten, zusammen 70000 Mann zu
Fuss, davon 16000 Griechen und Epeiroten, ueber 8000 Reiter und 19
Elefanten. Mit den Roemern standen an diesem Tage die Latiner, Kampaner,
Volsker, Sabiner, Umbrer, Marruciner, Paeligner, Frentaner und Arpaner;
auch sie zaehlten ueber 70000 Mann zu Fuss, darunter 20000 roemische
Buerger, und 8000 Reiter. Beide Teile hatten in ihrem Heerwesen
Aenderungen vorgenommen. Pyrrhos, mit scharfem Soldatenblick die
Vorzuege der roemischen Manipularordnung erkennend, hatte auf den
Fluegeln die lange Front seiner Phalangen vertauscht mit einer der
Kohortenstellung nachgebildeten unterbrochenen Aufstellung in Faehnlein
und, vielleicht nicht minder aus politischen wie aus militaerischen
Gruenden, zwischen die Abteilungen seiner eigenen Leute die
tarentinischen und samnitischen Kohorten eingeschoben; im Mitteltreffen
allein stand die epeirotische Phalanx in geschlossener Reihe. Die Roemer
fuehrten zur Abwehr der Elefanten eine Art Streitwagen heran, aus denen
Feuerbecken an eisernen Stangen hervorragten und auf denen bewegliche,
zum Herablassen eingerichtete und in Eisenstachel endende Maste
befestigt waren - gewissermassen das Vorbild der Enterbruecken, die im
Ersten Punischen Krieg eine so grosse Rolle spielen sollten. Nach dem
griechischen Schlachtbericht, der minder parteiisch scheint als der
uns auch vorliegende roemische, waren die Griechen am ersten Tage im
Nachteil, da sie weder dazu gelangten, an den schroffen und sumpfigen
Flussufern, wo sie gezwungen wurden, das Gefecht anzunehmen, ihre Linie
zu entwickeln, noch Reiterei und Elefanten ins Gefecht zu bringen.
Am zweiten Tage kam dagegen Pyrrhos den Roemern in der Besetzung des
durchschnittenen Terrains zuvor und erreichte so ohne Verlust die Ebene,
wo er seine Phalanx ungestoert entfalten konnte. Vergeblich stuerzten
sich die Roemer verzweifelten Muts mit ihren Schwertern auf die
Sarissen; die Phalanx stand unerschuetterlich jedem Angriff von vorn,
doch vermochte auch sie es nicht, die roemischen Legionen zum Weichen
zu bringen. Erst als die zahlreiche Bedeckung der Elefanten die auf
den roemischen Streitwagen fechtende Mannschaft durch Pfeile und
Schleudersteine vertrieben und der Bespannung die Straenge zerschnitten
hatte und nun die Elefanten gegen die roemische Linie anprallten,
kam dieselbe ins Schwanken. Das Weichen der Bedeckungsmannschaft der
roemischen Wagen gab das Signal zur allgemeinen Flucht, die indes nicht
sehr zahlreiche Opfer kostete, da das nahe Lager die Verfolgten aufnahm.
Dass waehrend des Haupttreffens ein von der roemischen Hauptmacht
abgesondertes arpanisches Korps das schwach besetzte epeirotische
Lager angegriffen und in Brand gesteckt habe, meldet nur der roemische
Schlachtbericht; wenn es aber auch richtig ist, so haben doch die Roemer
auf alle Faelle mit Unrecht behauptet, dass die Schlacht unentschieden
geblieben sei. Beide Berichte stimmen vielmehr darin ueberein, dass das
roemische Heer ueber den Fluss zurueckging und Pyrrhos im Besitz des
Schlachtfeldes blieb. Die Zahl der Gefallenen war nach dem griechischen
Berichte auf roemischer Seite 6000, auf griechischer 3505 ^3; unter den
Verwundeten war der Koenig selbst, dem ein Wurfspiess den Arm durchbohrt
hatte, waehrend er wie immer im dichtesten Getuemmel kaempfte. Wohl war
es ein Sieg, den Pyrrhos erfochten hatte, aber es waren unfruchtbare
Lorbeeren; als Feldherrn wie als Soldaten machte der Sieg dem Koenig
Ehre, aber seine politischen Zwecke hat er nicht gefoerdert. Pyrrhos
bedurfte eines glaenzenden Erfolges, der das roemische Heer aufloeste
und den schwankenden Bundesgenossen die Gelegenheit und den Anstoss
zum Parteiwechsel gab; da aber die roemische Armee und die roemische
Eidgenossenschaft ungebrochen geblieben und das griechische Heer, das
nichts war ohne seinen Feldherrn, durch dessen Verwundung auf laengere
Zeit angefesselt ward, musste er wohl den Feldzug verloren geben und in
die Winterquartiere gehen, die der Koenig in Tarent, die Roemer
diesmal in Apulien nahmen. Immer deutlicher offenbarte es sich,
dass militaerisch die Hilfsquellen des Koenigs den roemischen ebenso
nachstanden, wie politisch die lose und widerspenstige Koalition den
Vergleich nicht aushielt mit der festgegruendeten roemischen Symmachie.
Wohl konnte das Ueberraschende und Gewaltige in der griechischen
Kriegfuehrung, das Genie des Feldherrn noch einen Sieg mehr wie die von
Herakleia und Ausculum erfechten, aber jeder neue Sieg vernutzte die
Mittel zu weiteren Unternehmungen und es war klar, dass die Roemer
schon jetzt sich als die Staerkeren fuehlten und den endlichen Sieg mit
mutiger Geduld erharrten. Dieser Krieg war nicht das feine Kunstspiel,
wie die griechischen Fuersten es uebten und verstanden; an der vollen
und gewaltigen Energie der Landwehr zerschellten alle strategischen
Kombinationen. Pyrrhos fuehlte, wie die Dinge standen; ueberdruessig
seiner Siege und seine Bundesgenossen verachtend, harrte er nur aus,
weil die militaerische Ehre ihm vorschrieb, Italien nicht zu verlassen,
bevor er seine Schutzbefohlenen vor den Barbaren gesichert haben wuerde.
Es war bei seinem ungeduldigen Naturell vorauszusetzen, dass er den
ersten Vorwand ergreifen wuerde, um der laestigen Pflicht sich zu
entledigen; und die Veranlassung, sich von Italien zu entfernen,
boten bald die sizilischen Angelegenheiten ihm dar.
------------------------------------------ ^3 Diese Zahlen scheinen
glaubwuerdig. Der roemische Bericht gibt, wohl an Toten und Verwundeten,
fuer jede Seite 15000 Mann an, ein spaeterer sogar auf roemischer 5000,
auf griechischer 20000 Tote. Es mag das hier Platz finden um an einem
der seltenen Beispiele, wo Kontrolle moeglich ist, die fast ausnahmslose
Unglaubwuerdigkeit der Zahlenangaben zu zeigen, in denen die Luege
bei den Annalisten lawinenartig anschwillt.
------------------------------------------ Nach Agathokles' Tode (465
289) fehlte es den sizilischen Griechen an jeder leitenden Macht.
Waehrend in den einzelnen hellenischen Staedten unfaehige Demagogen und
unfaehige Tyrannen einander abloesten, dehnten die Karthager, die alten
Herren der Westspitze, ihre Herrschaft ungestoert aus. Nachdem Akragas
ihnen erlegen war, glaubten sie die Zeit gekommen, um zu dem seit
Jahrhunderten im Auge behaltenen Ziel endlich den letzten Schritt zu tun
und die ganze Insel unter ihre Botmaessigkeit zu bringen: sie wandten
sich zum Angriff auf Syrakus. Die Stadt, die einst mit ihren Heeren und
Flotten Karthago den Besitz der Insel streitig gemacht hatte, war durch
den inneren Hader und die Schwaeche des Regiments so tief herabgekommen,
dass sie ihre Rettung suchen musste in dem Schutz ihrer Mauern und
in auswaertiger Hilfe; und niemand konnte diese gewaehren als Koenig
Pyrrhos. Pyrrhos war des Agathokles Tochtermann, sein Sohn, der damals
sechzehnjaehrige Alexander, des Agathokles Enkel, beide in jeder
Beziehung die natuerlichen Erben der hochfliegenden Plaene des Herrn von
Syrakus; und wenn es mit der Freiheit doch zu Ende war, konnte Syrakus
Ersatz darin finden, die Hauptstadt eines westhellenischen Reiches
zu sein. So trugen die Syrakusaner gleich den Tarentinern und unter
aehnlichen Bedingungen dem Koenig Pyrrhos freiwillig die Herrschaft
entgegen (um 475 279), und durch eine seltene Fuegung der Dinge schien
sich alles zu vereinigen zum Gelingen der grossartigen, zunaechst auf
den Besitz von Tarent und Syrakus gebauten Plaene des Epeirotenkoenigs.
Freilich war die naechste Folge von dieser Vereinigung der italischen
und sizilischen Griechen unter eine Hand, dass auch die Gegner sich
enger zusammenschlossen. Karthago und Rom verwandelten ihre alten
Handelsvertraege jetzt in ein Offensiv- und Defensivbuendnis gegen
Pyrrhos (475 279), dessen Bedingungen dahin lauteten, dass, wenn Pyrrhos
roemisches oder karthagisches Gebiet betrete, der nicht angegriffene
Teil dem angegriffenen auf dessen Gebiet Zuzug leisten und die
Hilfstruppen selbst besolden solle; dass in solchem Falle Karthago die
Transportschiffe zu stellen und auch mit der Kriegsflotte den Roemern
beizustehen sich verpflichte, doch solle deren Bemannung nicht gehalten
sein, zu Lande fuer die Roemer zu fechten; dass endlich beide Staaten
sich das Wort gaeben, keinen Sonderfrieden mit Pyrrhos zu schliessen.
Der Zweck des Vertrages war auf roemischer Seite, einen Angriff auf
Tarent moeglich zu machen und Pyrrhos von der Heimat abzuschneiden, was
beides ohne Mitwirkung der punischen Flotte nicht ausfuehrbar war,
auf seiten der Karthager, den Koenig in Italien festzuhalten, um ihre
Absichten auf Syrakus ungestoert ins Werk setzen zu koennen ^4. Es lag
also im Interesse beider Maechte, zunaechst sich des Meeres zwischen
Italien und Sizilien zu versichern. Eine starke karthagische Flotte
von 120 Segeln unter dem Admiral Mago ging von Ostia, wohin Mago sich
begeben zu haben scheint, um jenen Vertrag abzuschliessen, nach der
sizilischen Meerenge. Die Mamertiner, die fuer ihre Frevel gegen die
griechische Bevoelkerung Messanas die gerechte Strafe erwartete, wenn
Pyrrhos in Sizilien und Italien ans Regiment kam, schlossen sich eng an
die Roemer und Karthager und sicherten diesen die sizilische Seite
des Passes. Gern haetten die Verbuendeten auch Rhegion auf der
gegenueberliegenden Kueste in ihre Gewalt gebracht; allein verzeihen
konnte Rom der kampanischen Besatzung unmoeglich, und ein Versuch der
vereinigten Roemer und Karthager, sich der Stadt mit gewaffneter Hand zu
bemaechtigen, schlug fehl. Von dort segelte die karthagische Flotte nach
Syrakus und blockierte die Stadt von der Seeseite, waehrend gleichzeitig
ein starkes phoenikisches Heer die Belagerung zu Lande begann (476
278). Es war hohe Zeit, dass Pyrrhos in Syrakus erschien; aber freilich
standen in Italien die Angelegenheiten keineswegs so, dass er und seine
Truppen dort entbehrt werden konnten. Die beiden Konsuln des Jahres
476 (278) Gaius Fabricius Luscinus und Quintus Aemilius Papus, beide
erprobte Generale, hatten den neuen Feldzug kraeftig begonnen, und
obwohl bisher die Roemerin diesem Kriege nur Niederlagen erlitten
hatten, waren nicht sie es, sondern die Sieger, die sich ermattet
fuehlten und den Frieden herbeiwuenschten. Pyrrhos machte noch einen
Versuch, ein leidliches Abkommen zu erlangen. Der Konsul Fabricius hatte
dem Koenig einen Elenden zugesandt, der ihm den Antrag gemacht, gegen
gute Bezahlung den Koenig zu vergiften. Zum Dank gab der Koenig nicht
bloss alle roemischen Gefangenen ohne Loesegeld frei, sondern er fuehlte
sich so hingerissen von dem Edelsinn seiner tapferen Gegner, dass er zur
Belohnung ihnen selber einen ungemein billigen und guenstigen Frieden
antrug. Kineas scheint noch einmal nach Rom gegangen zu sein und
Karthago ernstlich gefuerchtet zu haben, dass sich Rom zum Frieden
bequeme. Indes der Senat blieb fest und wiederholte seine fruehere
Antwort. Wollte der Koenig nicht Syrakus den Karthagern in die Haende
fallen und damit seinen grossen Plan sich zerstoeren lassen, so
blieb ihm nichts anderes uebrig, als seine italischen Bundesgenossen
preiszugeben und sich vorlaeufig auf den Besitz der wichtigsten
Hafenstaedte, namentlich von Tarent und Lokri, zu beschraenken.
Vergebens beschworen ihn die Lucaner und Samniten, sie nicht im Stich
zu lassen; vergebens forderten die Tarentiner ihn auf, entweder seiner
Feldherrnpflicht nachzukommen oder die Stadt ihnen zurueckzugeben. Den
Klagen und Vorwuerfen setzte der Koenig Vertroestungen auf kuenftige
bessere Zeiten oder auch derbe Abweisung entgegen; Milon blieb in Tarent
zurueck, des Koenigs Sohn Alexander in Lokri und mit der Hauptmacht
schiffte noch im Fruehjahr 476 (278) sich Pyrrhos in Tarent nach Syrakus
ein. -------------------------------------------------------- ^4 Die
spaeteren Roemer und mit ihnen die neueren geben dem Buendnis die
Wendung, als haetten die Roemer absichtlich vermieden, die karthagische
Hilfe in Italien anzunehmen. Das waere unvernuenftig gewesen, und die
Tatsachen sprechen dagegen. Dass Mago in Ostia nicht landete, erklaert
sich nicht aus solcher Vorsicht, sondern einfach daraus, dass Latium von
Pyrrhos ganz und gar nicht bedroht war und karthagischen Beistandes also
nicht bedurfte; und vor Rhegion kaempften die Karthager allerdings
fuer Rom. -------------------------------------------------------- Nach
Pyrrhos' Abzug erhielten die Roemer freie Hand in Italien, wo niemand
ihnen auf offenem Felde zu widerstehen wagte und die Gegner ueberall
sich einschlossen in ihre Festen oder in ihre Waelder. Indes der Kampf
ging nicht so schnell zu Ende, wie man wohl gehofft haben mochte, woran
teils die Natur dieses Gebirgs- und Belagerungskrieges schuld war, teils
wohl auch die Erschoepfung der Roemer, von deren furchtbaren Verlusten
das Sinken der Buergerrolle von 473 (281) auf 479 (275) um 17000 Koepfe
zeugt. Noch im Jahre 476 (278) gelang es dem Konsul Gaius Fabricius, die
bedeutende tarentinische Pflanzstadt Herakleia zu einem Sonderfrieden
zu bringen, der ihr unter den guenstigsten Bedingungen gewaehrt ward.
Im Feldzug von 477 (277) schlug man sich in Samnium herum, wo ein
leichtsinnig unternommener Angriff auf die verschanzten Hoehen den
Roemern viele Leute kostete, und wandte sich alsdann nach dem suedlichen
Italien, wo die Lucaner und Brettier geschlagen wurden. Dagegen kam bei
einem Versuch, Kroton zu ueberrumpeln, Milon von Tarent aus den
Roemern zuvor; die epeirotische Besatzung machte alsdann sogar einen
gluecklichen Ausfall gegen das belagernde Heer. Indes gelang es endlich
dem Konsul dennoch, dieselbe durch eine Kriegslist zum Abmarsch zu
bestimmen und der unverteidigten Stadt sich zu bemaechtigen (477
277). Wichtiger war es, dass die Lokrenser, die frueher die roemische
Besatzung dem Koenig ausgeliefert hatten, jetzt, den Verrat durch Verrat
suehnend, die epeirotische erschlugen; womit die ganze Suedkueste in den
Haenden der Roemer war mit Ausnahme von Rhegion und Tarent. Indes
mit diesen Erfolgen war man im wesentlichen doch wenig gefoerdert.
Unteritalien selbst war laengst wehrlos; Pyrrhos aber war nicht
bezwungen, solange Tarent in seinen Haenden und ihm damit die
Moeglichkeit blieb, den Krieg nach Belieben wieder zu erneuern, und
an die Belagerung dieser Stadt konnten die Roemer nicht denken. Selbst
davon abgesehen, dass in dem durch Philipp von Makedonien und Demetrios
den Belagerer umgeschaffenen Festungskrieg die Roemer gegen
einen erfahrenen und entschlossenen griechischen Kommandanten im
entschiedensten Nachteil waren, bedurfte es dazu einer starken Flotte,
und obwohl der karthagische Vertrag den Roemern Unterstuetzung zur See
verhiess, so standen doch Karthagos eigene Angelegenheiten in Sizilien
durchaus nicht so, dass es diese haette gewaehren koennen. Pyrrhos'
Landung auf der Insel, welche trotz der karthagischen Flotte ungehindert
erfolgt war, hatte dort mit einem Schlage die Lage der Dinge veraendert.
Er hatte Syrakus sofort entsetzt, alle freien Griechenstaedte in
kurzer Zeit in seiner Hand vereinigt und als Haupt der sikeliotischen
Konfoederation den Karthagern fast ihre saemtlichen Besitzungen
entrissen. Kaum vermochten mit Hilfe der damals auf dem Mittelmeer ohne
Nebenbuhler herrschenden karthagischen Flotte sich die Karthager
in Lilybaeon, die Mamertiner in Messana, und auch hier unter steten
Angriffen, zu behaupten. Unter solchen Umstaenden waere in Gemaessheit
des Vertrags von 475 (279) viel eher Rom im Fall gewesen, den Karthagern
auf Sizilien Beistand zu leisten, als Karthago mit seiner Flotte den
Roemern Tarent erobern zu helfen; ueberhaupt aber war man eben von
keiner Seite sehr geneigt, dem Bundesgenossen die Macht zu sichern oder
gar zu erweitern. Karthago hatte den Roemern die Hilfe erst angeboten,
als die wesentliche Gefahr vorueber war; diese ihrerseits hatten nichts
getan, den Abzug des Koenigs aus Italien, den Sturz der karthagischen
Macht in Sizilien zu verhindern. Ja in offener Verletzung der Vertraege
hatte Karthago sogar dem Koenig einen Sonderfrieden angetragen und gegen
den ungestoerten Besitz von Lilybaeon sich erboten, auf die uebrigen
sizilischen Besitzungen zu verzichten, sogar dem Koenig Geld und
Kriegsschiffe zur Verfuegung zu stellen, natuerlich zur Ueberfahrt
nach Italien und zur Erneuerung des Krieges gegen Rom. Indes es war
einleuchtend, dass mit dem Besitz von Lilybaeon und der Entfernung des
Koenigs die Stellung der Karthager auf der Insel ungefaehr dieselbe
geworden waere, wie sie vor Pyrrhos' Landung gewesen war; sich selbst
ueberlassen waren die griechischen Staedte ohnmaechtig und das verlorene
Gebiet leicht wiedergewonnen. So schlug Pyrrhos den nach zwei Seiten
hin perfiden Antrag aus und ging daran, sich selber eine Kriegsflotte zu
erbauen. Nur Unverstand und Kurzsichtigkeit haben dies spaeter getadelt;
es war vielmehr ebenso notwendig als mit den Mitteln der Insel leicht
durchzufuehren. Abgesehen davon, dass der Herr von Ambrakia, Tarent
und Syrakus nicht ohne Seemacht sein konnte, bedurfte er der Flotte,
um Lilybaeon zu erobern, um Tarent zu schuetzen, um Karthago daheim
anzugreifen, wie es Agathokles, Regulus, Scipio vor- und nachher mit
so grossem Erfolg getan. Nie stand Pyrrhos seinem Ziele naeher als im
Sommer 478 (276), wo er Karthago gedemuetigt vor sich sah, Sizilien
beherrschte und mit Tarents Besitz einen festen Fuss in Italien
behauptete, und wo die neugeschaffene Flotte, die alle diese Erfolge
zusammenknuepfen, sichern und steigern sollte, zur Abfahrt fertig im
Hafen von Syrakus lag. Die wesentliche Schwaeche von Pyrrhos' Stellung
beruhte auf seiner fehlerhaften inneren Politik. Er regierte Sizilien
wie er Ptolemaeos hatte in Aegypten herrschen sehen; er respektierte die
Gemeindeverfassungen nicht, setzte seine Vertrauten zu Amtleuten
ueber die Staedte wann und auf so lange es ihm gefiel, gab anstatt
der einheimischen Geschworenen seine Hofleute zu Richtern, sprach
Konfiskationen, Verbannungen, Todesurteile nach Gutduenken aus
und selbst ueber diejenigen, die seine Ueberkunft nach Sizilien am
lebhaftesten betrieben hatten, legte Besatzungen in die Staedte und
beherrschte Sizilien nicht als der Fuehrer des Nationalbundes, sondern
als Koenig. Mochte er dabei nach orientalisch-hellenistischen Begriffen
sich ein guter und weiser Regent zu sein duenken und auch wirklich sein,
so ertrugen doch die Griechen diese Verpflanzung des Diadochensystems
nach Syrakus mit aller Ungeduld einer in langer Freiheitsagonie aller
Zucht entwoehnten Nation; sehr bald duenkte das karthagische Joch
dem toerichten Volk ertraeglicher als das neue Soldatenregiment.
Die bedeutendsten Staedte knuepften mit den Karthagern, ja mit den
Mamertinern Verbindungen an; ein starkes karthagisches Heer wagte
wieder, sich auf der Insel zu zeigen und, ueberall von den Griechen
unterstuetzt, machte es reissende Fortschritte. Zwar in der Schlacht,
die Pyrrhos ihm lieferte, war das Glueck wie immer mit dem "Adler";
allein es hatte sich bei dieser Gelegenheit offenbart, wie die Stimmung
auf der Insel war und was kommen konnte und musste, wenn der Koenig sich
entfernte. Zu diesem ersten und wesentlichsten Fehler fuegte Pyrrhos
einen zweiten: er ging mit der Flotte statt nach Lilybaeon nach Tarent.
Augenscheinlich musste er, eben bei der Gaerung in den Gemuetern der
Sikelioten, vor allen Dingen erst von dieser Insel die Karthager
ganz verdraengt und damit den Unzufriedenen den letzten Rueckhalt
abgeschnitten haben, ehe er nach Italien sich wenden durfte; hier
war nichts zu versaeumen, denn Tarent war ihm sicher genug und an den
uebrigen Bundesgenossen, nachdem sie einmal aufgegeben waren, jetzt
wenig gelegen. Es ist begreiflich, dass sein Soldatensinn ihn trieb, den
nicht sehr ehrenvollen Abzug vom Jahre 476 (278) durch eine glaenzende
Wiederkehr auszutilgen und dass ihm das Herz blutete, wenn er die Klagen
der Lucaner und Samniten vernahm. Allein Aufgaben, wie sie Pyrrhos sich
gestellt hatte, koennen nur geloest werden von eisernen Naturen, die
das Mitleid und selbst das Ehrgefuehl zu beherrschen vermoegen; und eine
solche war Pyrrhos nicht. Die verhaengnisvolle Einschiffung fand
statt gegen das Ende des Jahres 478 (276). Unterwegs hatte die neue
syrakusanische Flotte mit der karthagischen ein heftiges Gefecht zu
bestehen und buesste darin eine betraechtliche Anzahl Schiffe ein. Die
Entfernung des Koenigs und die Kunde von diesem ersten Unfall genuegten
zum Sturz des sikeliotischen Reiches; auf sie hin weigerten alle Staedte
dem abwesenden Koenig Geld und Truppen und der glaenzende Staat brach
schneller noch als er entstanden war wiederum zusammen, teils weil der
Koenig selbst die Treue und Liebe, auf der jedes Gemeinwesen ruht, in
den Herzen seiner Untertanen untergraben hatte, teils weil es dem Volk
an der Hingebung fehlte, zur Rettung der Nationalitaet auf vielleicht
nur kurze Zeit der Freiheit zu entsagen. Damit war Pyrrhos' Unternehmen
gescheitert, der Plan seines Lebens ohne Aussicht dahin; er ist fortan
ein Abenteurer, der es fuehlt, dass er viel gewesen und nichts mehr ist,
der den Krieg nicht mehr als Mittel zum Zwecke fuehrt, sondern, um
in wildem Wuerfelspiel sich zu betaeuben und womoeglich im
Schlachtgetuemmel einen Soldatentod zu finden. An der italischen
Kueste angelangt, begann der Koenig mit einem Versuch, sich Rhegions zu
bemaechtigen, aber mit Hilfe der Mamertiner schlugen die Kampaner den
Angriff ab, und in dem hitzigen Gefecht vor der Stadt ward der Koenig
selbst verwundet, indem er einen feindlichen Offizier vom Pferde hieb.
Dagegen ueberrumpelte er Lokri, dessen Einwohner die Niedermetzelung
der epeirotischen Besatzung schwer buessten, und pluenderte den reichen
Schatz des Persephonetempels daselbst, um seine leere Kasse zu fuellen.
So gelangte er nach Tarent, angeblich mit 20000 Mann zu Fuss und 3000
Reitern. Aber es waren nicht mehr die erprobten Veteranen von vordem und
nicht mehr begruessten die Italiker in ihnen ihre Retter; das Vertrauen
und die Hoffnung, damit man den Koenig fuenf Jahre zuvor empfing, waren
gewichen, den Verbuendeten Geld und Mannschaft ausgegangen. Den schwer
bedraengten Samniten, in deren Gebiet die Roemer 478/79 (276/75)
ueberwintert hatten, zu Hilfe rueckte der Koenig im Fruehjahr 479 (275)
ins Feld und zwang bei Benevent auf dem Arusinischen Felde den Konsul
Manius Curius zur Schlacht, bevor er sich mit seinem von Lucanien
heranrueckenden Kollegen vereinigen konnte. Aber die Heeresabteilung,
die den Roemern in die Flanke zu fallen bestimmt war, verirrte sich
waehrend des Nachtmarsches in den Waeldern und blieb im entscheidenden
Augenblick aus; und nach heftigem Kampf entschieden auch hier wieder die
Elefanten die Schlacht, aber diesmal fuer die Roemer, indem sie, von den
zur Bedeckung des Lagers aufgestellten Schuetzen in Verwirrung gebracht,
auf ihre eigenen Leute sich warfen. Die Sieger besetzten das Lager; in
ihre Haende fielen 1300 Gefangene und vier Elefanten - die ersten, die
Rom sah, ausserdem eine unermessliche Beute, aus deren Erloes spaeter
in Rom der Aquaedukt, welcher das Aniowasser von Tibur nach Rom fuehrte,
gebaut ward. Ohne Truppen, um das Feld zu halten, und ohne Geld sandte
Pyrrhos an seine Verbuendeten, die ihm zur Ausruestung nach Italien
gesteuert hatten, die Koenige von Makedonien und Asien; aber auch in
der Heimat fuerchtete man ihn nicht mehr und schlug die Bitte ab.
Verzweifelnd an dem Erfolg gegen Rom und erbittert durch diese
Weigerungen liess Pyrrhos Besatzung in Tarent und ging selber noch im
selben Jahre (479 275) heim nach Griechenland, wo eher noch als bei
dem stetigen und gemessenen Gang der italischen Verhaeltnisse sich dem
verzweifelten Spieler eine Aussicht eroeffnen mochte. In der Tat gewann
er nicht bloss schnell zurueck, was von seinem Reiche war abgerissen
worden, sondern er griff noch einmal und nicht ohne Erfolg nach
der makedonischen Krone. Allein an Antigonos Gonatas' ruhiger und
umsichtiger Politik und mehr noch an seinem eigenen Ungestuem und
der Unfaehigkeit, den stolzen Sinn zu zaehmen, scheiterten auch seine
letzten Plaene; er gewann noch Schlachten, aber keinen dauernden
Erfolg mehr und fand sein Ende in einem elenden Strassengefecht im
peloponnesischen Argos (482 272). In Italien ist der Krieg zu Ende mit
der Schlacht bei Benevent; langsam verenden die letzten Zuckungen der
nationalen Partei. Zwar so lange der Kriegsfuerst, dessen maechtiger Arm
es gewagt hatte, dem Schicksal in die Zuegel zu fallen, noch unter den
Lebenden war, hielt er, wenngleich abwesend, gegen Rom die feste Burg
von Tarent. Mochte auch nach des Koenigs Entfernung in der Stadt die
Friedenspartei die Oberhand gewinnen, Milon, der fuer Pyrrhos darin den
Befehl fuehrte, wies ihre Anmutungen ab und liess die roemisch gesinnten
Staedter in dem Kastell, das sie im Gebiet von Tarent sich errichtet
hatten, auf ihre eigene Hand mit Rom Frieden schliessen, wie es ihnen
beliebte, ohne darum seine Tore zu oeffnen. Aber als nach Pyrrhos'
Tode eine karthagische Flotte in den Hafen einlief und Milon die
Buergerschaft im Begriff sah, die Stadt an die Karthager auszuliefern,
zog er es vor, dem roemischen Konsul Lucius Papirius die Burg zu
uebergeben (482 272) und damit fuer sich und die Seinigen freien Abzug
zu erkaufen. Fuer die Roemer war dies ein ungeheurer Gluecksfall. Nach
den Erfahrungen, die Philipp vor Perinth und Byzanz, Demetrios vor
Rhodos, Pyrrhos vor Lilybaeon gemacht hatten, laesst sich bezweifeln, ob
die damalige Strategik ueberhaupt imstande war, eine wohlbefestigte und
wohlverteidigte und von der See her zugaengliche Stadt zur Uebergabe zu
zwingen; und welche Wendung haetten die Dinge nehmen moegen, wenn
Tarent das in Italien fuer die Phoeniker geworden waere, was in Sizilien
Lilybaeon fuer sie gewesen war! Indes das Geschehene war nicht zu
aendern. Der karthagische Admiral, da er die Burg in den Haenden
der Roemer sah, erklaerte, nur vor Tarent erschienen zu sein, um dem
Vertrage gemaess den Bundesgenossen bei der Belagerung der Stadt
Hilfe zu leisten, und ging unter Segel nach Afrika; und die roemische
Gesandtschaft, welche wegen der versuchten Okkupation von Tarent
Aufklaerung zu fordern und Beschwerde zu fuehren nach Karthago
gesandt ward, brachte nichts zurueck als die feierliche und eidliche
Bekraeftigung dieser angeblichen bundesfreundlichen Absicht, wobei man
denn auch in Rom vorlaeufig sich beruhigte. Die Tarentiner erhielten,
vermutlich durch Vermittlung ihrer Emigrierten, die Autonomie von den
Roemern zurueck; aber Waffen und Schiffe mussten ausgeliefert und die
Mauern niedergerissen werden. In demselben Jahre, in dem Tarent roemisch
ward, unterwarfen sich endlich auch die Samniten, Lucaner und Brettier,
welche letztere die Haelfte des eintraeglichen und fuer den Schiffbau
wichtigen Silawaldes abtreten mussten. Endlich traf auch die seit
zehn Jahren in Rhegion hausende Bande die Strafe fuer den gebrochenen
Fahneneid wie fuer den Mord der rheginischen Buergerschaft und der
Besatzung von Kroton. Es war zugleich die allgemeine Sache der Hellenen
gegen die Barbaren, welche Rom hier vertrat; der neue Herr von Syrakus,
Hieron, unterstuetzte darum auch die Roemer vor Rhegion durch Sendung
von Lebensmitteln und Zuzug und machte gleichzeitig einen mit der
roemischen Expedition gegen Rhegion kombinierten Angriff auf deren
Stamm- und Schuldgenossen in Sizilien, die Mamertiner in Messana. Die
Belagerung der letzteren Stadt zog sich sehr in die Laenge; dagegen
wurde Rhegion, obwohl auch hier die Meuterer hartnaeckig und lange
sich wehrten, im Jahre 484 (270) von den Roemern erstuermt, was von
der Besatzung uebrig war, in Rom auf offenem Markte gestaeupt und
enthauptet, die alten Einwohner aber zurueckgerufen und soviel moeglich
in ihr Vermoegen wieder eingesetzt. So war im Jahre 484 (270) ganz
Italien zur Untertaenigkeit gebracht. Nur die hartnaeckigsten Gegner
Roms, die Samniten, setzten trotz des offiziellen Friedensschlusses
noch als "Raeuber" den Kampf fort, sodass sogar im Jahre 485 (269) noch
einmal beide Konsuln gegen sie geschickt werden mussten. Aber auch der
hochherzigste Volksmut, die tapferste Verzweiflung gehen einmal zu Ende;
Schwert und Galgen brachten endlich auch den samnitischen Bergen die
Ruhe. Zur Sicherung dieser ungeheuren Erwerbungen wurde wiederum eine
Reihe von Kolonien angelegt: in Lucanien Paestum und Cosa (481 273), als
Zwingburgen fuer Samnium Beneventum (486 268) und Aesernia (um 491 263),
als Vorposten gegen die Gallier Ariminum (486 268), in Picenum Firmum
(um 490 264) und die Buergerkolonie Castrum novum; die Fortfuehrung
der grossen Suedchaussee, welche an der Festung Benevent eine neue
Zwischenstation zwischen Capua und Venusia erhielt, bis zu den
Haefen von Tarent und Brundisium und die Kolonisierung des letzteren
Seeplatzes, den die roemische Politik zum Nebenbuhler und Nachfolger des
tarentinischen Emporiums sich ausersehen hatte, wurden vorbereitet. Die
neuen Festungs- und Strassenanlagen veranlassten noch einige Kriege mit
den kleinen Voelkerschaften, deren Gebiet durch dieselben geschmaelert
ward, den Picentern (485, 486 269, 268), von denen eine Anzahl in die
Gegend von Salernum verpflanzt ward, den Sallentinern um Brundisium
(487, 488 267, 266), den umbrischen Sassinaten (487, 488 267, 266),
welche letzte nach der Austreibung der Senonen das Gebiet von Ariminum
besetzt zu haben scheinen. Durch diese Anlagen ward die Herrschaft Roms
ueber das unteritalische Binnenland und die ganze italische Ostkueste
vom Ionischen Meer bis zur keltischen Grenze ausgedehnt. Bevor wir die
politische Ordnung darstellen, nach der das also geeinigte Italien von
Rom aus regiert ward, bleibt es noch uebrig, auf die Seeverhaeltnisse
im vierten und fuenften Jahrhundert einen Blick zu werfen. Es waren in
dieser Zeit wesentlich Syrakus und Karthago, die um die Herrschaft in
den westlichen Gewaessern miteinander rangen; im ganzen ueberwog trotz
der grossen Erfolge, welche Dionysios (348-389 406-365), Agathokles
(437-465 317- 289) und Pyrrhos (476-478 278-276) voruebergehend zur See
erlangten, doch hier Karthago und sank Syrakus mehr und mehr zu einer
Seemacht zweiten Ranges herab. Mit Etruriens Bedeutung zur See war es
voellig vorbei; die bisher etruskische Insel Korsika kam, wenn nicht
gerade in den Besitz, doch unter die maritime Suprematie der Karthager.
Tarent, das eine Zeitlang noch eine Rolle gespielt hatte, ward durch
die roemische Okkupation gebrochen. Die tapferen Massalioten behaupteten
sich wohl in ihren eigenen Gewaessern; aber in die Vorgaenge auf den
italischen griffen sie nicht wesentlich ein. Die uebrigen Seestaedte
kamen kaum noch ernstlich in Betracht. Rom selber entging dem gleichen
Schicksal nicht; in seinen eigenen Gewaessern herrschten ebenfalls
fremde Flotten. Wohl war es Seestadt von Haus aus und ist in der Zeit
seiner Frische seinen alten Traditionen niemals so untreu geworden,
dass es die Kriegsmarine gaenzlich vernachlaessigt haette, und nie so
toericht gewesen, bloss Kontinentalmacht sein zu wollen. Latium
lieferte zum Schiffbau die schoensten Staemme, welche die geruehmten
unteritalischen bei weitem uebertrafen, und die fortdauernd in Rom
unterhaltenen Docks beweisen allein schon, dass man dort nie darauf
verzichtet hat, eine eigene Flotte zu besitzen. Indes waehrend der
gefaehrlichen Krisen, welche die Vertreibung der Koenige, die inneren
Erschuetterungen in der roemisch-latinischen Eidgenossenschaft und
die ungluecklichen Kriege gegen die Etrusker und die Kelten ueber
Rom brachten, konnten die Roemer sich um den Stand der Dinge auf
dem Mittelmeer nur wenig bekuemmern, und bei der immer entschiedener
hervortretenden Richtung der roemischen Politik auf Unterwerfung des
italischen Kontinents verkuemmerte die Seemacht. Es ist bis zum Ende des
vierten Jahrhunderts (ca. 350) kaum von latinischen Kriegsschiffen
die Rede, ausser dass auf einem roemischen das Weihgeschenk aus der
veientischen Beute nach Delphi gesandt ward (360 394). Die Antiaten
freilich fuhren fort, ihren Handel mit bewaffneten Schiffen und also
auch gelegentlich das Piratengewerbe zu betreiben und der "tyrrhenische
Korsar" Postumius, den Timoleon um 415 (339) aufbrachte, koennte
allerdings ein Antiate gewesen sein; aber unter den Seemaechten jener
Zeit zaehlten sie schwerlich mit und waere es der Fall gewesen, so
wuerde bei der Stellung Antiums zu Rom darin fuer Rom nichts weniger als
ein Vorteil gelegen haben. Wie weit es um das Jahr 400 (ca. 350) mit dem
Verfall der roemischen Seemacht gekommen war, zeigt die Auspluenderung
der latinischen Kuesten durch eine griechische, vermutlich sizilische
Kriegsflotte im Jahre 405 (349), waehrend zugleich keltische Haufen das
latinische Land brandschatzend durchzogen. Das Jahr darauf (406 348),
und ohne Zweifel unter dem unmittelbaren Eindruck dieser bedenklichen
Ereignisse, schlossen die roemische Gemeinde und die Phoeniker von
Karthago, beiderseits fuer sich und die abhaengigen Bundesgenossen,
einen Handels- und Schiffahrtsvertrag, die aelteste roemische Urkunde,
von der der Text, freilich nur in griechischer Uebersetzung, auf
uns gekommen ist ^5. Die Roemer mussten darin sich verpflichten, die
libysche Kueste westlich vom Schoenen Vorgebirge (Cap Bon), Notfaelle
ausgenommen, nicht zu befahren; dagegen erhielten sie freien Verkehr
gleich den einheimischen auf Sizilien, soweit dies karthagisch war, und
in Afrika und Sardinien wenigstens das Recht, gegen den unter Zuziehung
der karthagischen Beamten festgestellten und von der karthagischen
Gemeinde garantierten Kaufpreis ihre Waren abzusetzen. Den Karthagern
scheint wenigstens in Rom, vielleicht in ganz Latium freier Verkehr
zugestanden zu sein, nur machten sie sich anheischig, die botmaessigen
latinischen Gemeinden nicht zu vergewaltigen, auch, wenn sie als Feinde
den latinischen Boden betreten wuerden, dort nicht Nachtquartier zu
nehmen - also ihre Seeraeuberzuege nicht in das Binnenland auszudehnen
- noch gar Festungen im latinischen Lande anzulegen. Wahrscheinlich in
dieselbe Zeit gehoert auch der oben schon erwaehnte Vertrag zwischen
Rom und Tarent, von dessen Entstehungszeit nur berichtet wird, dass
er laengere Zeit vor 472 (282) abgeschlossen ward; durch denselben
verpflichteten sich die Roemer, gegen welche Zusicherungen
tarentinischerseits wird nicht gesagt, die Gewaesser oestlich vom
Lakinischen Vorgebirge nicht zu befahren, wodurch sie also voellig
vom oestlichen Becken des Mittelmeeres ausgeschlossen wurden.
----------------------------------------- ^5 Die Nachweisung, dass die
bei Polybios (3, 22) mitgeteilte Urkunde nicht dem Jahre 245 (509),
sondern dem Jahre 406 (348) angehoert, ist in der Roemischen Chronologie
bis auf Caesar. 2. Aufl. Berlin 1859, S. 320f., gegeben worden.
----------------------------------------- Es waren dies Niederlagen so
gut wie die an der Allia, und auch der roemische Senat scheint sie
als solche empfunden und die guenstige Wendung, die die italischen
Verhaeltnisse bald nach dem Abschluss der demuetigenden Vertraege mit
Karthago und Tarent fuer Rom nahmen, mit aller Energie benutzt zu haben,
um die gedrueckte maritime Stellung zu verbessern. Die wichtigsten
Kuestenstaedte wurden mit roemischen Kolonien belegt: der Hafen von
Caere, Pyrgi, dessen Kolonisierung wahrscheinlich in diese Zeit faellt;
ferner an der Westkueste Antium im Jahre 415 (339); Tarracina im Jahre
425 (329), die Insel Pontia 441 (313), womit, da Ardea und Circeii
bereits frueher Kolonisten empfangen hatten, alle namhaften Seeplaetze
im Gebiet der Rutuler und Volsker latinische oder Buergerkolonien
geworden waren; weiter im Gebiet der Aurunker Minturnae und Sinuessa im
Jahre 459 (295), im lucanischen Paestum und Cosa im Jahre 481 (273), und
am adriatischen Litoral Sena gallica und Castrum novum um das Jahr
471 (283), Ariminum im Jahre 486 (268), wozu noch die gleich nach der
Beendigung des Pyrrhischen Krieges erfolgte Besetzung von Brundisium
hinzukommt. In der groesseren Haelfte dieser Ortschaften, den Buerger-
oder Seekolonien ^6, war die junge Mannschaft vom Dienst in den
Legionen befreit und lediglich bestimmt, die Kuesten zu ueberwachen. Die
gleichzeitige wohlueberlegte Bevorzugung der unteritalischen Griechen
vor ihren sabellischen Nachbarn, namentlich der ansehnlichen Gemeinden
Neapolis, Rhegion, Lokri, Thurii, Herakleia, und deren gleichartige
und unter gleichartigen Bedingungen gewaehrte Befreiung vom Zuzug zum
Landheer vollendete das um die Kuesten Italiens gezogene roemische Netz.
----------------------------------------- ^6 Es waren dies Pyrgi, Ostia,
Antium, Tarracina, Minturnae, Sinuessa, Sena gallica und Castrum
novum. ---------------------------------------- Aber mit einer
staatsmaennischen Sicherheit, von welcher die folgenden Generationen
haetten lernen koennen, erkannten es die leitenden Maenner des
roemischen Gemeinwesens, dass alle diese Kuestenbefestigungen und
Kuestenbewachungen unzulaenglich bleiben mussten, wenn nicht die
Kriegsmarine des Staats wieder auf einen achtunggebietenden Fuss
gebracht ward. Einen gewissen Grund dazu legte schon nach der
Unterwerfung von Antium (416 338) die Abfuehrung der brauchbaren
Kriegsgaleeren in die roemischen Docks; die gleichzeitige Verfuegung
indes, dass die Antiaten sich alles Seeverkehrs zu enthalten haetten ^7,
charakterisiert mit schneidender Deutlichkeit, wie ohnmaechtig damals
die Roemer noch zur See sich fuehlten und wie voellig ihre Seepolitik
noch aufging in der Okkupierung der Kuestenplaetze. Als sodann die
sueditalischen Griechenstaedte, zuerst 428 (326) Neapel, in die
roemische Klientel eintraten, machten die Kriegsschiffe, welche jede
dieser Staedte sich verpflichtete, den Roemern als bundesmaessige
Kriegshilfe zu stellen, zu einer roemischen Flotte wenigstens wieder
einen Anfang. Im Jahre 443 (311) wurden weiter infolge eines eigens
deswegen gefassten Buergerschaftsschlusses zwei Flottenherren (duoviri
navales) ernannt, und diese roemische Seemacht wirkte im Samnitischen
Kriege mit bei der Belagerung von Nuceria. Vielleicht gehoert selbst die
merkwuerdige Sendung einer roemischen Flotte von 25 Segeln zur Gruendung
einer Kolonie auf Korsika, welcher Theophrastos in seiner um 446 (308)
geschriebenen Pflanzengeschichte gedenkt, dieser Zeit an. Wie wenig aber
mit allem dem unmittelbar erreicht war, zeigt der im Jahre 448 (306)
erneuerte Vertrag mit Karthago. Waehrend die Italien und Sizilien
betreffenden Bestimmungen des Vertrages von 406 (348) unveraendert
blieben, wurde den Roemern ausser der Befahrung der oestlichen Gewaesser
jetzt weiter die frueher gestattete des Atlantischen Meers, sowie der
Handelsverkehr mit den Untertanen Karthagos in Sardinien und Afrika,
endlich wahrscheinlich auch die Festsetzung auf Korsika ^8 untersagt,
sodass nur das karthagische Sizilien und Karthago selbst ihrem
Handel geoeffnet blieben. Man erkennt hier die mit der Ausdehnung der
roemischen Kuestenherrschaft steigende Eifersucht der herrschenden
Seemacht: sie zwang die Roemer, sich ihrem Prohibitivsystem zu fuegen,
sich von den Produktionsplaetzen im Okzident und im Orient ausschliessen
zu lassen - in diesen Zusammenhang gehoert noch die Erzaehlung von der
oeffentlichen Belohnung des phoenikischen Schiffers, der ein in
den Atlantischen Ozean ihm nachsteuerndes roemisches Fahrzeug mit
Aufopferung seines eigenen auf eine Sandbank gefuehrt hatte - und ihre
Schiffahrt auf den engen Raum des westlichen Mittelmeers vertragsmaessig
zu beschraenken, um nur ihre Kueste nicht der Pluenderung preiszugeben
und die alte und wichtige Handelsverbindung mit Sizilien zu sichern.
Die Roemer mussten sich fuegen; aber sie liessen nicht ab von den
Bemuehungen, ihr Seewesen aus seiner Ohnmacht zu reissen. Eine
durchgreifende Massregel in diesem Sinne war die Einsetzung der vier
Flottenquaestoren (quaestores classici) im Jahre 487 (267), von denen
der erste in Ostia, dem Seehafen der Stadt Rom, seinen Sitz erhielt, der
zweite von Cales, damals der Hauptstadt des roemischen Kampaniens, aus
die kampanischen und grossgriechischen, der dritte von Ariminum aus
die transapenninischen Haefen zu beaufsichtigen hatte; der Bezirk des
vierten ist nicht bekannt. Diese neuen staendigen Beamten waren zwar
nicht allein, aber doch mitbestimmt, die Kuesten zu ueberwachen und
zum Schutze derselben eine Kriegsmarine zu bilden. Die Absicht des
roemischen Senats, die Selbstaendigkeit zur See wiederzugewinnen und
teils die maritimen Verbindungen Tarents abzuschneiden, teils den von
Epeiros kommenden Flotten das Adriatische Meer zu sperren, teils sich
von der karthagischen Suprematie zu emanzipieren, liegt deutlich zutage.
Das schon eroerterte Verhaeltnis zu Karthago waehrend des letzten
italischen Krieges weist davon die Spuren auf. Zwar zwang Koenig Pyrrhos
die beiden grossen Staedte noch einmal - es war das letzte Mal - zum
Abschluss einer Offensivallianz; allein die Lauigkeit und Treulosigkeit
dieses Buendnisses, die Versuche der Karthager, sich in Rhegion und
Tarent festzusetzen, die sofortige Besetzung Brundisiums durch die
Roemer nach Beendigung des Krieges zeigen deutlich, wie sehr
die beiderseitigen Interessen schon sich einander stiessen.
------------------------------------- ^7 Diese Angabe ist ebenso
bestimmt (Liv. 8,14: interdictum mari Antiati populo est) wie an sich
glaubwuerdig; denn Antium war ja nicht bloss von Kolonisten, sondern
auch noch von der ehemaligen, in der Feindschaft gegen Rom aufgenaehrten
Buergerschaft bewohnt. Damit im Widerspruch stehen freilich die
griechischen Berichte, dass Alexander der Grosse (+ 431 323) und
Demetrios der Belagerer (+ 471 283) in Rom ueber antiatische Seeraeuber
Beschwerde gefuehrt haben sollen. Der erste aber ist mit dem ueber die
roemische Gesandtschaft nach Babylon gleichen Schlages und vielleicht
gleicher Quelle. Demetrios dem Belagerer sieht es eher aehnlich, dass er
die Piraterie im Tyrrhenischen Meer, das er nie mit Augen gesehen hat,
durch Verordnung abschaffte, und undenkbar ist es gerade nicht, dass
die Antiaten auch als roemische Buerger ihr altes Gewerbe noch trotz des
Verbots unter der Hand eine Zeitlang fortgesetzt haben; viel wird indes
auch auf die zweite Erzaehlung nicht zu geben sein. ^8 Nach Servius
(Aen. 4, 628) war in den roemisch-karthagischen Vertraegen bestimmt,
es solle kein Roemer karthagischen, kein Karthager roemischen Boden
betreten (vielmehr besetzen), Korsika aber zwischen beiden neutral
bleiben (ut neque Romani ad litora Carthaginiensium accederent neque
Carthaginienses ad litora Romanorum - Corsica esset media inter
Romanos et Carthaginienses). Das scheint hierher zu gehoeren und die
Kolonisierung von Korsika eben durch diesen Vertrag verhindert worden zu
sein. ---------------------------------------- Begreiflicherweise suchte
Rom sich gegen Karthago auf die hellenischen Seestaaten zu stuetzen. Mit
Massalia bestand das alte enge Freundschaftsverhaeltnis ununterbrochen
fort. Das nach Veiis Eroberung von Rom nach Delphi gesandte Weihgeschenk
ward daselbst in dem Schatzhaus der Massalioten aufbewahrt. Nach der
Einnahme Roms durch die Kelten ward in Massalia fuer die Abgebrannten
gesammelt, wobei die Stadtkasse voranging; zur Vergeltung gewaehrte
dann der roemische Senat den massaliotischen Kaufleuten
Handelsbeguenstigungen und raeumte bei der Feier der Spiele auf dem
Markt neben der Senatorentribuene den Massalioten einen Ehrenplatz
(graecostasis) ein. Eben dahin gehoeren die um das Jahr 448 (306)
mit Rhodos und nicht lange nachher mit Apollonia, einer ansehnlichen
Kaufstadt an der epeirotischen Kueste, von den Roemern abgeschlossenen
Handels- und Freundschaftsvertraege und vor allem die fuer Karthago
sehr bedenkliche Annaeherung, welche unmittelbar nach dem Ende des
Pyrrhischen Krieges zwischen Rom und Syrakus stattfand. Wenn also die
roemische Seemacht zwar mit der ungeheuren Entwicklung der Landmacht
auch nicht entfernt Schritt hielt und namentlich die eigene Kriegsmarine
der Roemer keineswegs war, was sie nach der geographischen und
kommerziellen Lage des Staates haette sein muessen, so fing doch auch
sie an, allmaehlich sich aus der voelligen Nichtigkeit, zu welcher sie
um das Jahr 400 (354) herabgesunken war, wieder emporzuarbeiten; und
bei den grossen Hilfsquellen Italiens mochten wohl die Phoeniker mit
besorgten Blicken diese Bestrebungen verfolgen. Die Krise ueber die
Herrschaft auf den italischen Gewaessern nahte heran; zu Lande war der
Kampf entschieden. Zum erstenmal war Italien unter der Herrschaft
der roemischen Gemeinde zu einem Staat vereinigt. Welche politische
Befugnisse dabei die roemische Gemeinde den saemtlichen uebrigen
italischen entzog und in ihren alleinigen Besitz nahm, das heisst,
welcher staatsrechtliche Begriff mit dieser Herrschaft Roms zu verbinden
ist, wird nirgends ausdruecklich gesagt, und es mangelt selbst, in
bezeichnender und klug berechneter Weise, fuer diesen Begriff an einem
allgemeingueltigen Ausdruck ^9. Nachweislich gehoerten dazu nur das
Kriegs- und Vertrags- und das Muenzrecht, so dass keine italische
Gemeinde einem auswaertigen Staat Krieg erklaeren oder mit ihm auch nur
verhandeln und kein Courantgeld schlagen durfte, dagegen jede von
der roemischen Gemeinde erlassene Kriegserklaerung und jeder von ihr
abgeschlossene Staatsvertrag von Rechtswegen alle uebrigen italischen
Gemeinden mit band und das roemische Silbergeld in ganz Italien
gesetzlich gangbar ward; und es ist wahrscheinlich, dass die
formulierten Befugnisse der fuehrenden Gemeinde sich nicht weiter
erstreckten. Indes notwendig knuepften hieran tatsaechlich
viel weitergehende Herrschaftsrechte sich an.
------------------------------------------- ^9 Die Klausel, dass das
abhaengige Volk sich verpflichtet, "die Hoheit des roemischen freundlich
gelten zu lassen" (maiestatem populi Romani comiter conservare),
ist allerdings die technische Bezeichnung dieser mildesten
Untertaenigkeitsform, aber wahrscheinlich erst in bedeutend spaeterer
Zeit aufgekommen (Cic. Balb. 16, 35). Auch die privatrechtliche
Bezeichnung der Klientel, so treffend sie eben in ihrer Unbestimmtheit
das Verhaeltnis bezeichnet (Dig. 49, 15, 7, 1), ist schwerlich
in aelterer Zeit offiziell auf dasselbe angewendet worden.
------------------------------------------- Im einzelnen war das
Verhaeltnis, in welchem die Italiker zu der fuehrenden Gemeinde standen,
ein hoechst ungleiches, und es sind in dieser Hinsicht, ausser der
roemischen Vollbuergerschaft, drei verschiedene Klassen von Untertanen
zu unterscheiden. jene selbst vor allem ward so weit ausgedehnt, als es
irgend moeglich war, ohne den Begriff eines staedtischen Gemeinwesens
fuer die roemische Kommune voellig aufzugeben. Das alte Buergergebiet
war bis dahin hauptsaechlich durch Einzelassignation in der Weise
erweitert worden, dass das suedliche Etrurien bis gegen Caere und
Falerii, die den Hernikern entrissenen Strecken am Sacco und am Anio,
der groesste Teil der sabinischen Landschaft und grosse Striche der
ehemals volskischen, besonders die pomptinische Ebene in roemisches
Bauernland umgewandelt und meistenteils fuer deren Bewohner neue
Buergerbezirke eingerichtet waren. Dasselbe war sogar schon mit dem von
Capua abgetretenen Falernerbezirke am Volturnus geschehen. Alle
diese ausserhalb Rom domizilierten Buerger entbehrten eines eigenen
Gemeinwesens und eigener Verwaltung; auf dem assignierten Gebiet
entstanden hoechstens Marktflecken (fora et conciliabula). In nicht
viel anderer Lage befanden sich die nach den oben erwaehnten sogenannten
Seekolonien entsandten Buerger, denen gleichfalls das roemische
Vollbuergerrecht verblieb und deren Selbstverwaltung wenig bedeutete.
Gegen den Schluss dieser Periode scheint die roemische Gemeinde damit
begonnen zu haben, den naechstliegenden Passivbuergergemeinden gleicher
oder nah verwandter Nationalitaet das Vollbuergerrecht zu gewaehren;
welches wahrscheinlich zuerst fuer Tusculum geschehen ist ^10, ebenso
vermutlich auch fuer die uebrigen Passivbuergergemeinden im eigentlichen
Latium, dann am Ausgang dieser Periode (486 268) auf die sabinischen
Staedte erstreckt ward, die ohne Zweifel damals schon wesentlich
latinisiert waren und in dem letzten schweren Krieg ihre Treue genuegend
bewaehrt hatten. Diesen Staedten blieb die nach ihrer frueheren
Rechtsstellung ihnen zukommende beschraenkte Selbstverwaltung auch nach
ihrer Aufnahme in den roemischen Buergerverband; mehr aus ihnen als
aus den Seekolonien haben sich die innerhalb der roemischen
Vollbuergerschaft bestehenden Sondergemeinwesen und damit im Laufe der
Zeit die roemische Munizipalordnung herausgebildet. Hiernach wird die
roemische Vollbuergerschaft am Ende dieser Epoche sich noerdlich bis
in die Naehe von Caere, oestlich bis an den Apennin, suedlich bis nach
Tarracina erstreckt haben, obwohl freilich von einer eigentlichen
Grenze hier nicht die Rede sein kann und teils eine Anzahl Bundesstaedte
latinischen Rechts, wie Tibur, Praeneste, Signia, Norba, Circeii,
sich innerhalb dieser Grenzen befanden, teils ausserhalb derselben die
Bewohner von Minturnae, Sinuessa, des falernischen Gebiets, der Stadt
Sena Gallica und anderer Ortschaften mehr, ebenfalls volles Buergerrecht
besassen und roemische Bauernfamilien vereinzelt oder in Doerfern
vereinigt vermutlich schon jetzt durch ganz Italien zerstreut sich
fanden. ---------------------------------------------------- ^10 Dass
Tusculum, wie es zuerst das Passivbuergerrecht erhielt, so auch zuerst
dies mit dem Vollbuergerrecht vertauschte, ist an sich wahrscheinlich,
und vermutlich wird in dieser, nicht in jener Beziehung die Stadt
von Cicero (Mut. 8, 19) municipium antiquissimum genannt.
----------------------------------------------------- Unter den
untertaenigen Gemeinden stehen die Passivbuerger (cives sine suffragio),
abgesehen von dem aktiven und passiven Wahlrecht, in Rechten und
Pflichten den Vollbuergern gleich. Ihre Rechtsstellung ward durch die
Beschluesse der roemischen Komitien und die fuer sie vom roemischen
Praetor erlassenen Normen geregelt, wobei indes ohne Zweifel die
bisherigen Ordnungen wesentlich zugrunde gelegt wurden. Recht sprach
fuer sie der roemische Praetor oder dessen jaehrlich in die einzelnen
Gemeinden entsandte "Stellvertreter" (praefecti). Den besser gestellten
von ihnen, wie zum Beispiel der Stadt Capua, blieb die Selbstverwaltung
und damit der Fortgebrauch der Landessprache und die eigenen Beamten,
welche die Aushebung und die Schatzung besorgten. Den Gemeinden
schlechteren Rechts, wie zum Beispiel Caere, wurde auch die eigene
Verwaltung genommen, und es war dies ohne Zweifel die drueckendste unter
den verschiedenen Formen der Untertaenigkeit. Indes zeigt sich, wie
oben bemerkt ward, am Ende dieser Periode bereits das Bestreben,
diese Gemeinden, wenigstens soweit sie faktisch latinisiert waren,
der Vollbuergerschaft einzuverleiben. Die bevorzugteste und wichtigste
Klasse unter den untertaenigen Gemeinden war die der latinischen
Staedte, welche an den von Rom inner- und selbst schon ausserhalb
Italien gegruendeten autonomen Gemeinden, den sogenannten latinischen
Kolonien ebenso zahlreichen als ansehnlichen Zuwachs erhielt und
stetig durch neue Gruendungen dieser Art sich vermehrte. Diese neuen
Stadtgemeinden roemischen Ursprungs, aber latinischen Rechts wurden
immer mehr die eigentlichen Stuetzen der roemischen Herrschaft ueber
Italien. Es waren dies nicht mehr diejenigen Latiner, mit denen am
Regiller See und bei Trifanum gestritten worden war - nicht jene alten
Glieder des albischen Bundes, welche der Gemeinde Rom von Haus aus sich
gleich, wo nicht besser achteten und welche, wie die gegen Praeneste
zu Anfang des Pyrrhischen Krieges verfuegten furchtbar strengen
Sicherheitsmassregeln und die nachweislich lange noch fortzuckenden
Reibungen namentlich mit den Praenestinern beweisen, die roemische
Herrschaft als schweres Joch empfanden. Dies alte Latium war wesentlich
entweder unter oder in Rom aufgegangen und zaehlte nur noch wenige und
mit Ausnahme von Praeneste und Tibur durchgaengig unbedeutende politisch
selbstaendige Gemeinden. Das Latium der spaeteren republikanischen Zeit
bestand vielmehr fast ausschliesslich aus Gemeinden, die von Anbeginn
an in Rom ihre Haupt- und Mutterstadt verehrt hatten, die inmitten
fremdsprachiger und anders gearteter Landschaften durch Sprach-, Rechts-
und Sittengemeinschaft an Rom geknuepft waren, die als kleine Tyrannen
der umliegenden Distrikte ihrer eigenen Existenz wegen wohl an Rom
halten mussten wie die Vorposten an der Hauptarmee, die endlich, infolge
der steigenden materiellen Vorteile des roemischen Buergertums, aus
ihrer wenngleich beschraenkten Rechtsgleichheit mit den Roemern immer
noch einen sehr ansehnlichen Gewinn zogen, wie ihnen denn zum Beispiel
ein Teil der roemischen Domaene zur Sondernutzung ueberwiesen zu werden
pflegte und die Beteiligung an den Verpachtungen und Verdingungen des
Staats ihnen wie dem roemischen Buerger offenstand. Voellig
blieben allerdings auch hier die Konsequenzen der ihnen gewaehrten
Selbstaendigkeit nicht aus. Venusinische Inschriften aus der Zeit
der roemischen Republik und kuerzlich zum Vorschein gekommene
beneventanische ^11 lehren, dass Venusia so gut wie Rom seine Plebs
und seine Volkstribune gehabt und dass die Oberbeamten von Benevent
wenigstens um die Zeit des Hannibalischen Krieges den Konsultitel
gefuehrt haben. Beide Gemeinden gehoeren zu den juengsten unter den
latinischen Kolonien aelteren Rechts; man sieht, welche Ansprueche um
die Mitte des fuenften Jahrhunderts in denselben sich regten. Auch diese
sogenannten Latiner, hervorgegangen aus der roemischen Buergerschaft
und in jeder Beziehung sich ihr gleich fuehlend, fingen schon an,
ihr untergeordnetes Bundesrecht unwillig zu empfinden und nach voller
Gleichberechtigung zu streben. Deswegen war denn der Senat bemueht,
diese latinischen Gemeinden, wie wichtig sie immer fuer Rom waren, doch
nach Moeglichkeit in ihren Rechten und Privilegien herabzudruecken und
ihre bundesgenoessische Stellung in die der Untertaenigkeit insoweit
umzuwandeln, als dies geschehen konnte, ohne zwischen ihnen und den
nichtlatinischen Gemeinden Italiens die Scheidewand wegzuziehen. Die
Aufhebung des Bundes der latinischen Gemeinden selbst sowie ihrer
ehemaligen vollstaendigen Gleichberechtigung und der Verlust der
wichtigsten denselben zustaendigen politischen Rechte ist schon
dargestellt worden; mit der vollendeten Unterwerfung Italiens geschah
ein weiterer Schritt und wurde der Anfang dazu gemacht, auch die bisher
nicht angetasteten individuellen Rechte des einzelnen latinischen
Mannes, vor allem die wichtige Freizuegigkeit, zu beschraenken. Fuer die
im Jahre 486 (268) gegruendete Gemeinde Ariminum und ebenso fuer alle
spaeter konstituierten autonomen Gemeinden wurde die Bevorzugung vor den
uebrigen Untertanen beschraenkt auf die privatrechtliche Gleichstellung
ihrer und der roemischen Gemeindebuerger im Handel und Wandel sowie
im Erbrecht ^12. Vermutlich um dieselbe Zeit ward die den bisher
gegruendeten latinischen Gemeinden gewidmete volle Freizuegigkeit, die
Befugnis eines jeden ihrer Buerger, durch Uebersiedelung nach Rom das
volle Buergerrecht daselbst zu gewinnen, fuer die spaeter eingerichteten
latinischen Pflanzstaedte beschraenkt auf diejenigen Personen, welche
in ihrer Heimat zu dem hoechsten Gemeindeamt gelangt waren; nur diesen
blieb es gestattet, ihr koloniales Buergerrecht mit dem roemischen zu
vertauschen. Es erscheint hier deutlich die vollstaendige Umaenderung
der Stellung Roms. Solange Rom noch, wenn auch die erste, doch nur eine
der vielen italischen Stadtgemeinden war, wurde der Eintritt selbst in
das unbeschraenkte roemische Buergerrecht durchgaengig als ein Gewinn
fuer die aufnehmende Gemeinde betrachtet und die Gewinnung dieses
Buergerrechts den Nichtbuergern auf alle Weise erleichtert, ja oft
als Strafe ihnen auferlegt. Seit aber die roemische Gemeinde allein
herrschte und die uebrigen alle ihr dienten, kehrte das Verhaeltnis sich
um: die roemische Gemeinde fing an, ihr Buergerrecht eifersuechtig zu
bewahren, und machte darum der alten vollen Freizuegigkeit ein Ende;
obwohl die Staatsmaenner dieser Zeit doch einsichtig genug waren,
wenigstens den Spitzen und Kapazitaeten der hoechstgestellten
Untertanengemeinden den Eintritt in das roemische Buergerrecht
gesetzlich offenzuhalten. Auch die Latiner also hatten es zu empfinden,
dass Rom, nachdem es hauptsaechlich durch sie sich Italien
unterworfen hatte, jetzt ihrer nicht mehr so wie bisher bedurfte.
-------------------------------------- ^11 V Cervio A. f. cosol
dedicavit und lunonei Quiritei sacra. C. Falcilius L. f. consol
dedicavit. ^12 Nach Ciceros Zeugnis (Caecin. 35) gab Sulla den
Volaterranern das ehemalige Recht von Ariminum, das heisst, setzt
der Redner hinzu, das Recht der "zwoelf Kolonien", welche nicht die
roemische Civitaet, aber volles Commercium mit den Roemern hatten. Ueber
wenige Dinge ist soviel verhandelt worden wie ueber die Beziehung dieses
Zwoelfstaedterechts; und doch liegt dieselbe nicht fern. Es sind in
Italien und im Cisalpinischen Gallien, abgesehen von einigen frueh
wieder verschwundenen, im ganzen vierunddreissig latinische Kolonien
gegruendet worden; die zwoelf juengsten derselben - Ariminum,
Beneventum, Firmum, Aesernia, Brundisium, Spoletium, Cremona, Placentia,
Copia, Valentia, Bononia, Aquileia - sind hier gemeint, und da Ariminum
von ihnen die aelteste und diejenige ist, fuer welche diese neue Ordnung
zunaechst festgesetzt ward - vielleicht zum Teil deswegen mit, weil dies
die erste ausserhalb Italien gegruendete roemische Kolonie war -, so
heisst das Stadtrecht dieser Kolonien richtig das ariminensische. Damit
ist zugleich erwiesen, was schon aus anderen Gruenden die hoechste
Wahrscheinlichkeit fuer sich hatte, dass alle nach Aquileias
Gruendung in Italien (im weiteren Sinn) gestifteten Kolonien zu den
Buergerkolonien gehoerten. Den Umfang der Rechtsschmaelerung der
juengeren latinischen Staedte im Gegensatz zu den aelteren vermoegen wir
uebrigens nicht voellig zu bestimmen. Wenn die Ehegemeinschaft, wie es
nicht unwahrscheinlich, aber freilich nichts weniger als ausgemacht ist
(oben 1, 116; Diod. p. 590, 62. Frg. Vat. p. 130 Dind.), ein Bestandteil
der urspruenglichen bundesgenoessischen Rechtsgleichheit war, so ist
sie jedenfalls den juengeren nicht mehr zugestanden worden.
------------------------------------------------- Das
Verhaeltnis endlich der nichtlatinischen Bundesgemeinden unterlag
selbstverstaendlich den mannigfachsten Normen, wie eben der einzelne
Bundesvertrag sie festgesetzt hatte. Manche dieser ewigen Buendnisse,
wie zum Beispiel die der hernikischen Gemeinden, gingen ueber in
voellige Gleichstellung mit den latinischen. Andere, bei denen dies
nicht der Fall war, wie die von Neapel, Nola, Herakleia, gewaehrten
verhaeltnismaessig sehr umfassende Rechte; wieder andere, wie zum
Beispiel die tarentinischen und die samnitischen Vertraege, moegen sich
der Zwingherrschaft genaehert haben. Als allgemeine Regel kann wohl
angenommen werden, dass nicht bloss die latinische und hernikische,
von denen es ueberliefert ist, sondern saemtliche italische
Voelkergenossenschaften, namentlich auch die samnitische und die
lucanische, rechtlich aufgeloest oder doch zur Bedeutungslosigkeit
abgeschwaecht wurden und durchschnittlich keiner italischen Gemeinde
mit anderen italischen die Verkehrs- oder Ehegemeinschaft oder gar das
gemeinsame Beratschlagungs- und Beschlussfassungsrecht zustand. Ferner
wird, wenn auch in verschiedener Weise, dafuer gesorgt worden sein,
dass die Wehr- und Steuerkraft der saemtlichen italischen Gemeinden
der fuehrenden zur Disposition stand. Wenngleich auch ferner noch die
Buergermiliz einer- und die Kontingente "latinischen Namens" anderseits
als die wesentlichen und integrierenden Bestandteile des roemischen
Heeres angesehen wurden und ihm somit sein nationaler Charakter
im ganzen bewahrt blieb, so wurden doch nicht bloss die roemischen
Passivbuerger zu demselben mit herangezogen, sondern ohne Zweifel auch
die nichtlatinischen foederierten Gemeinden entweder, wie dies mit den
griechischen geschah, zur Stellung von Kriegsschiffen verpflichtet,
oder, wie dies fuer die apulischen, sabellischen und etruskischen auf
einmal oder allmaehlich verordnet worden sein muss, in das Verzeichnis
der zuzugpflichtigen Italiker (formula togatorum) eingetragen.
Durchgaengig scheint dieser Zuzug eben wie der der latinischen Gemeinden
fest normiert worden zu sein, ohne dass doch die fuehrende Gemeinde
erforderlichenfalls verhindert gewesen waere, mehr zu fordern. Es
lag hierin zugleich eine indirekte Besteuerung, indem jede Gemeinde
verpflichtet war, ihr Kontingent selbst auszuruesten und zu besolden.
Nicht ohne Absicht wurden darum vorzugsweise die kostspieligsten
Kriegsleistungen auf die latinischen oder nichtlatinischen foederierten
Gemeinden gewaelzt, die Kriegsmarine zum groessten Teil durch die
griechischen Staedte instand gehalten und bei dem Rossdienst die
Bundesgenossen, spaeterhin wenigstens, in dreifach staerkerem
Verhaeltnis als die roemische Buergerschaft angezogen, waehrend
im Fussvolk der alte Satz, dass das Bundesgenossenkontingent nicht
zahlreicher sein duerfte als das Buergerheer, noch lange Zeit wenigstens
als Regel in Kraft blieb. Das System, nach welchem dieser Bau im
einzelnen zusammengefuegt und zusammengehalten ward, laesst aus den
wenigen auf uns gekommenen Nachrichten sich nicht mehr feststellen.
Selbst das Zahlenverhaeltnis, in welchem die drei Klassen der
Untertanenschaft zueinander und zu der Vollbuergerschaft standen,
ist nicht mehr auch nur annaehernd zu ermitteln ^13 und ebenso die
geographische Verteilung der einzelnen Kategorien ueber Italien nur
unvollkommen bekannt. Die bei diesem Bau zugrunde liegenden leitenden
Gedanken liegen dagegen so offen vor, dass es kaum noetig ist, sie noch
besonders zu entwickeln. Vor allem ward, wie gesagt, der unmittelbare
Kreis der herrschenden Gemeinde teils durch Ansiedelung der Vollbuerger,
teils durch Verleihung des Passivbuergerrechts soweit ausgedehnt, wie
es irgend moeglich war, ohne die roemische Gemeinde, die doch eine
staedtische war und bleiben sollte, vollstaendig zu dezentralisieren.
Als das Inkorporationssystem bis an und vielleicht schon ueber seine
natuerlichen Grenzen ausgedehnt war, mussten die weiter hinzutretenden
Gemeinden sich in ein Untertaenigkeitsverhaeltnis fuegen; denn die reine
Hegemonie als dauerndes Verhaeltnis ist innerlich unmoeglich. So stellte
sich, nicht durch willkuerliche Monopolisierung der Herrschaft, sondern
durch das unvermeidliche Schwergewicht der Verhaeltnisse neben die
Klasse der herrschenden Buerger die zweite der Untertanen. Unter den
Mitteln der Herrschaft standen in erster Linie natuerlich die Teilung
der Beherrschten durch Sprengung der italischen Eidgenossenschaften und
Einrichtung einer moeglichst grossen Zahl verhaeltnismaessig geringer
Gemeinden, sowie die Abstufung des Druckes der Herrschaft nach den
verschiedenen Kategorien der Untertanen. Wie Cato in seinem Hausregiment
dahin sah, dass die Sklaven sich miteinander nicht allzu gut vertragen
moechten, und absichtlich Zwistigkeiten und Parteiungen unter ihnen
naehrte, so hielt es die roemische Gemeinde im grossen; das Mittel war
nicht schoen, aber wirksam. Nur eine weitere Anwendung desselben Mittels
war es, wenn in jeder abhaengigen Gemeinde die Verfassung nach dem
Muster der roemischen umgewandelt und ein Regiment der wohlhabenden und
angesehenen Familien eingesetzt ward, welches mit der Menge in einer
natuerlichen mehr oder minder lebhaften Opposition stand und durch seine
materiellen und kommunalregimentlichen Interessen darauf angewiesen
war, auf Rom sich zu stuetzen. Das merkwuerdigste Beispiel in dieser
Beziehung gewaehrt die Behandlung von Capua, welches als die einzige
italische Stadt, die vielleicht mit Rom zu rivalisieren vermochte, von
Haus aus mit argwoehnischer Vorsicht behandelt worden zu sein scheint.
Man verlieh dem kampanischen Adel einen privilegierten Gerichtsstand,
gesonderte Versammlungsplaetze, ueberhaupt in jeder Hinsicht eine
Sonderstellung, ja man wies ihm sogar nicht unbetraechtliche Pensionen -
sechzehnhundert je von jaehrlich 450 Stateren (etwa 200 Taler) - auf die
kampanische Gemeindekasse an. Diese kampanischen Ritter waren es, deren
Nichtbeteiligung an dem grossen latinisch-kampanischen Aufstand 414
(340) zu dessen Scheitern wesentlich beitrug und deren tapfere Schwerter
im Jahre 459 (295) bei Sentinum fuer die Roemer entschieden; wogegen das
kampanische Fussvolk in Rhegion die erste Truppe war, die im Pyrrhischen
Kriege von Rom abfiel. Einen anderen merkwuerdigen Beleg fuer die
roemische Praxis: die staendischen Zwistigkeiten innerhalb der
abhaengigen Gemeinden durch Beguenstigung der Aristokratie fuer das
roemische Interesse auszubeuten, gibt die Behandlung, die Volsinii im
Jahre 489 (265) widerfuhr. Es muessen dort, aehnlich wie in Rom, die
Alt- und Neubuerger sich gegenuebergestanden und die letzteren auf
gesetzlichem Wege die politische Gleichberechtigung erlangt haben.
Infolge dessen wandten die Altbuerger von Volsinii sich an den
roemischen Senat mit dem Gesuch um Wiederherstellung der alten
Verfassung; was die in der Stadt herrschende Partei begreiflicherweise
als Landesverrat betrachtete und die Bittsteller dafuer zur gesetzlichen
Strafe zog. Der roemische Senat indes nahm Partei fuer die Altbuerger
und liess, da die Stadt sich nicht gutwillig fuegte, durch militaerische
Exekution nicht bloss die in anerkannter Wirksamkeit bestehende
Gemeindeverfassung von Volsinii vernichten, sondern auch durch die
Schleifung der alten Hauptstadt Etruriens das Herrentum Roms den
Italikern in einem Exempel von erschreckender Deutlichkeit vor Augen
legen. ------------------------------------------------- ^13 Es ist
zu bedauern, dass wir ueber die Zahlenverhaeltnisse nicht genuegende
Auskunft zu geben imstande sind. Man kann die Zahl der waffenfaehigen
roemischen Buerger fuer die spaetere Koenigszeit auf etwa 20000
veranschlagen. Nun ist aber von Albas Fall bis auf die Eroberung von
Veii die unmittelbare roemische Mark nicht wesentlich erweitert worden;
womit es vollkommen uebereinstimmt, dass von der ersten Einrichtung der
einundzwanzigste Bezirk um das Jahr 259 (495) an, worin keine oder doch
keine bedeutende Erweiterung der roemischen Grenze lag, bis auf das Jahr
367 (387) neue Buergerbezirke nicht errichtet wurden. Mag man nun auch
die Zunahme durch den Ueberschuss der Geborenen ueber die Gestorbenen,
durch Einwanderungen und Freilassungen noch so reichlich in Anschlag
bringen, so ist es doch schlechterdings unmoeglich, mit den engen
Grenzen eines Gebiets von schwerlich 30 Quadratmeilen die ueberlieferten
Zensuszahlen in Uebereinstimmung zu bringen, nach denen die Zahl der
waffenfaehigen roemischen Buerger in der zweiten Haelfte des dritten
Jahrhunderts zwischen 104000 und 150000 schwankt, und im Jahre 362
(392), wofuer eine vereinzelte Angabe vorliegt, 152573 betrug. Vielmehr
werden diese Zahlen mit den 84700 Buergern des Servianischen Zensus auf
einer Linie stehen und ueberhaupt die ganze bis auf die vier Lustren des
Servius Tullius hinaufgefuehrte und mit reichlichen Zahlen ausgestattete
aeltere Zensusliste nichts sein als eine jener scheinbar urkundlichen
Traditionen, die eben in ganz detaillierten Zahlenangaben sich gefallen
und sich verraten. Erst mit der zweiten Haelfte des vierten Jahrhunderts
beginnen die grossen Gebietserwerbungen, wodurch die Buergerrolle
ploetzlich und betraechtlich steigen musste. Es ist glaubwuerdig
ueberliefert, wie an sich glaublich, dass um 416 (338) man 165000
roemische Buerger zaehlte, wozu es recht gut stimmt, dass zehn Jahre
vorher, als man gegen Latium und Gallien die ganze Miliz unter die
Waffen rief, das erste Aufgebot zehn Legionen, also 50000 Mann betrug.
Seit den grossen Gebietserweiterungen in Etrurien, Latium und Kampanien
zaehlte man im fuenften Jahrhundert durchschnittlich 250000, unmittelbar
vor dem ersten Punischen Kriege 280000 bis 290000 waffenfaehige
Buerger. Diese Zahlen sind sicher genug, allein aus einem anderen
Grunde geschichtlich nicht vollstaendig brauchbar: dabei naemlich
sind wahrscheinlich die roemischen Vollbuerger und die nicht, wie die
Kampaner, in eigenen Legionen dienenden "Buerger ohne Stimme", wie zum
Beispiel die Caeriten, ineinander gerechnet, waehrend doch die letzteren
faktisch durchaus den Untertanen beigezaehlt werden muessen
(Roemische Forschungen, Bd. 2, S. 396).
---------------------------------------------------- Aber der roemische
Senat war weise genug, nicht zu uebersehen, dass das einzige Mittel, der
Gewaltherrschaft Dauer zu geben, die eigene Maessigung der Gewalthaber
ist. Darum ward den abhaengigen Gemeinden die Autonomie gelassen oder
verliehen, die einen Schatten von Selbstaendigkeit, einen eigenen Anteil
an Roms militaerischen und politischen Erfolgen und vor allem eine
freie Kommunalverfassung in sich schloss - so weit die italische
Eidgenossenschaft reichte, gab es keine Helotengemeinde. Darum
verzichtete Rom von vornherein mit einer in der Geschichte vielleicht
beispiellosen Klarheit und Hochherzigkeit auf das gefaehrlichste aller
Regierungsrechte, auf das Recht, die Untertanen zu besteuern. Hoechstens
den abhaengigen keltischen Gauen moegen Tribute auferlegt worden
sein; soweit die italische Eidgenossenschaft reichte, gab es keine
zinspflichtige Gemeinde. Darum endlich ward die Wehrpflicht zwar wohl
auf die Untertanen mit, aber doch keineswegs von der herrschenden
Buergerschaft abgewaelzt; vielmehr wurde wahrscheinlich die letztere
nach Verhaeltnis bei weitem staerker als die Bundesgenossenschaft und
in dieser wahrscheinlich wiederum die Gesamtheit der Latiner bei weitem
staerker in Anspruch genommen als die nichtlatinischen Bundesgemeinden;
so dass es eine gewisse Billigkeit fuer sich hatte, wenn auch von dem
Kriegsgewinn zunaechst Rom und nach ihm die Latinerschaft den besten
Teil fuer sich nahmen. Der schwierigen Aufgabe, ueber die Masse der
italischen zuzugpflichtigen Gemeinden den Ueberblick und die Kontrolle
sich zu bewahren, genuegte die roemische Zentralverwaltung teils
durch die vier italischen Quaesturen, teils durch die Ausdehnung
der roemischen Zensur ueber die saemtlichen abhaengigen Staedte. Die
Flottenquaestoren hatten neben ihrer naechsten Aufgabe auch von den
neugewonnenen Domaenen die Einkuenfte zu erheben und die Zuzuege der
neuen Bundesgenossen zu kontrollieren; sie waren die ersten roemischen
Beamten, denen gesetzlich Sitz und Sprengel ausserhalb Rom angewiesen
ward und bildeten zwischen dem roemischen Senat und den italischen
Gemeinden die notwendige Mittelinstanz. Es hatte ferner, wie die
spaetere Munizipalverfassung zeigt, in jeder italischen ^14 Gemeinde die
Oberbehoerde, wie sie immer heissen mochte, jedes vierte oder fuenfte
Jahr eine Schatzung vorzunehmen; eine Einrichtung, zu der die Anregung
notwendig von Rom ausgegangen sein muss und welche nur den Zweck gehabt
haben kann, mit der roemischen Zensur korrespondierend dem Senat den
Ueberblick ueber die Wehr- und Steuerfaehigkeit des gesamten Italiens
zu bewahren. ------------------------------------------------- ^14
Nicht bloss in jeder latinischen: denn die Zensur oder die sogenannte
Quinquennalitaet kommt bekanntlich auch bei solchen Gemeinden vor,
deren Verfassung nicht nach dem latinischen Schema konstituiert
ist. ------------------------------------------------- Mit dieser
militaerisch-administrativen Einigung der gesamten diesseits des
Apennin bis hinab zum Iapygischen Vorgebirg und zur Meerenge von Rhegion
wohnhaften Voelkerschaften haengt endlich auch das Aufkommen eines
neuen, ihnen allen gemeinsamen Namens zusammen, der "Maenner der Toga",
was die aelteste staatsrechtliche roemische, oder der Italiker, was
die urspruenglich bei den Griechen gebraeuchliche und sodann allgemein
gangbar gewordene Bezeichnung ist. Die verschiedenen Nationen, welche
diese Landschaften bewohnten, moegen wohl zuerst sich als eine Einheit
gefuehlt und zusammengefunden haben teils in dem Gegensatz gegen die
Hellenen, teils und vor allem in der gemeinschaftlichen Abwehr der
Kelten; denn mochte auch einmal eine italische Gemeinde mit diesen gegen
Rom gemeinschaftliche Sache machen und die Gelegenheit nutzen, um die
Unabhaengigkeit wiederzugewinnen, so brach doch auf die Laenge das
gesunde Nationalgefuehl notwendig sich Bahn. Wie der "gallische
Acker" bis in spaete Zeit als der rechtliche Gegensatz des italischen
erscheint, so sind auch die "Maenner der Toga" also genannt worden
im Gegensatz zu den keltischen "Hosenmaennern" (bracati); und
wahrscheinlich hat selbst bei der Zentralisierung des italischen
Wehrwesens in den Haenden Roms die Abwehr der keltischen Einfaelle
sowohl als Ursache wie als Vorwand eine wichtige Rolle gespielt. Indem
die Roemer teils in dem grossen Nationalkampf an die Spitze traten,
teils die Etrusker, Latiner, Sabeller, Apuler und Hellenen innerhalb der
sogleich zu bezeichnenden Grenzen gleichmaessig noetigten, unter ihren
Fahnen zu fechten, erhielt die bis dahin schwankende und mehr innerliche
Einheit geschlossene und staatsrechtliche Festigkeit und ging der Name
Italia, der urspruenglich und noch bei den griechischen Schriftstellern
des fuenften Jahrhunderts, zum Beispiel bei Aristoteles, nur dem
heutigen Kalabrien eignet, ueber auf das gesamte Land der
Togatraeger. Die aeltesten Grenzen dieser grossen von Rom gefuehrten
Wehrgenossenschaft oder des neuen Italien reichen am westlichen Litoral
bis in die Gegend von Livorno unterhalb des Arnus ^15, am oestlichen bis
an den Aesis oberhalb Ancona; die ausserhalb dieser Grenzen liegenden,
von Italikern kolonisierten Ortschaften, wie Sena gallica und Ariminum
jenseits des Apennin, Messana in Sizilien, galten, selbst wenn sie, wie
Ariminum, Glieder der Eidgenossenschaft oder sogar, wie Sena, roemische
Buergergemeinden waren, doch als geographisch ausserhalb Italien
gelegen. Noch weniger konnten die keltischen Gaue des Apennin,
wenngleich vielleicht schon jetzt einzelne derselben in der Klientel von
Rom sich befanden, den Togamaennern beigezaehlt werden. Das neue Italien
war also eine politische Einheit geworden; es war aber auch im Zuge,
eine nationale zu werden. Bereits hatte die herrschende latinische
Nationalitaet die Sabiner und Volsker sich assimiliert und einzelne
latinische Gemeinden ueber ganz Italien verstreut; es war nur die
Entwicklung dieser Keime, dass spaeter einem jeden zur Tragung des
latinischen Rockes Befugten auch die latinische Sprache Muttersprache
war. Dass aber die Roemer schon jetzt dieses Ziel deutlich erkannten,
zeigt die uebliche Erstreckung des latinischen Namens auf die ganze
zuzugpflichtige italische Bundesgenossenschaft ^16. Was immer von diesem
grossartigen politischen Bau sich noch erkennen laesst, daraus spricht
der hohe politische Verstand seiner namenlosen Baumeister; und
die ungemeine Festigkeit, welche diese aus so vielen und so
verschiedenartigen Bestandteilen zusammengefuegte Konfoederation
spaeterhin unter den schwersten Stoessen bewaehrt hat, drueckte ihrem
grossen Werke das Siegel des Erfolges auf. Seitdem die Faeden dieses so
fein wie fest um ganz Italien geschlungenen Netzes in den Haenden der
roemischen Gemeinde zusammenliefen, war diese eine Grossmacht und trat
anstatt Tarents, Lucaniens und anderer durch die letzten Kriege aus der
Reihe der politischen Maechte geloeschter Mittel- und Kleinstaaten in
das System der Staaten des Mittelmeers ein. Gleichsam die offizielle
Anerkennung seiner neuen Stellung empfing Rom durch die beiden
feierlichen Gesandtschaften, die im Jahre 481 (273) von Alexandreia
nach Rom und wieder von Rom nach Alexandreia gingen, und wenn sie auch
zunaechst nur die Handelsverbindungen regelten, doch ohne Zweifel
schon eine politische Verbuendung vorbereiteten. Wie Karthago mit der
aegyptischen Regierung um Kyrene rang und bald mit der roemischen
um Sizilien ringen sollte, so stritt Makedonien mit jener um den
bestimmenden Einfluss in Griechenland, mit dieser demnaechst um die
Herrschaft der adriatischen Kuesten; es konnte nicht fehlen, dass die
neuen Kaempfe, die allerorts sich vorbereiteten, ineinander eingriffen
und dass Rom als Herrin Italiens in den weiten Kreis hineingezogen ward,
den des grossen Alexanders Siege und Entwuerfe seinen Nachfolgern
zum Tummelplatz abgesteckt hatten.
------------------------------------------------- ^15 Diese aelteste
Grenze bezeichnen wahrscheinlich die beiden kleinen Ortschaften ad
fines, wovon die eine noerdlich von Arezzo auf der Strasse nach Florenz,
die zweite an der Kueste unweit Livorno lag. Etwas weiter suedlich von
dem letzteren heisst Bach und Tal von Vada noch jetzt fiume della fine,
valle della fine (Targioni Tozzetti, Viaggi. Bd. 4, S. 430). ^16 Im
genauen geschaeftlichen Sprachgebrauch geschieht dies freilich nicht.
Die vollstaendigste Bezeichnung der Italiker findet sich in dem
Ackergesetz von 643 (111), Zeile 21: [ceivis] Romanus sociumve nominisve
Latini quibus ex formula togatorum [milites in terra Italia imperare
solent]; ebenso wird daselbst Zeile 29 vom Latinus der peregrinus
unterschieden und heisst es im Senatsbeschluss ueber die Bacchanalien
von 568 (186): ne quis ceivis Romanus neve nominis Latini neve socium
quisquam. Aber im gewoehnlichen Gebrauch wird von diesen drei Gliedern
sehr haeufig das zweite oder das dritte weggelassen und neben den
Roemern bald nur derer Latini nominis, bald nur der socii gedacht
(W. Weissenborn zu Liv. 22, 50, 6), ohne dass ein Unterschied in der
Bedeutung waere. Die Bezeichnung homines nominis Latini ac socii
Italici (Sall. Iug. 40), so korrekt sie an sich ist, ist dem offiziellen
Sprachgebrauch fremd, der wohl ein Italia, aber nicht Italici kennt.
----------------------------------------------- 8. Kapitel Recht,
Religion, Kriegswesen, Volkswirtschaft, Nationalitaet In der
Entwicklung, welche waehrend dieser Epoche dem Recht innerhalb der
roemischen Gemeinde zuteil ward, ist wohl die wichtigste materielle
Neuerung die eigentuemliche Sittenkontrolle, welche die Gemeinde selbst
und in untergeordnetem Grade ihre Beauftragten anfingen, ueber die
einzelnen Buerger auszuueben. Der Keim dazu ist in dem Rechte des
Beamten zu suchen, wegen Ordnungswidrigkeiten Vermoegensbussen (multae)
zu erkennen. Bei allen Bussen von mehr als zwei Schafen und 30 Rindern,
oder, nachdem durch Gemeindebeschluss vom Jahre 324 (430) die Viehbussen
in Geld umgesetzt worden waren, von mehr als 3020 Libralassen (218
Taler), kam bald nach der Vertreibung der Koenige die Entscheidung
im Wege der Provokation an die Gemeinde, und es erhielt damit das
Bruchverfahren ein urspruenglich ihm durchaus fremdes Gewicht. Unter den
vagen Begriff der Ordnungswidrigkeit liess sich alles, was man wollte,
bringen und durch die hoeheren Stufen der Vermoegensbussen alles, was
man wollte, erreichen; es war eine Milderung, die die Bedenklichkeit
dieses arbitraeren Verfahrens weit mehr offenbart als beseitigt, dass
diese Vermoegensbussen, wo sie nicht gesetzlich auf eine bestimmte Summe
festgestellt waren, die Haelfte des dem Gebuessten gehoerigen
Vermoegens nicht erreichen durften. In diesen Kreis gehoeren schon die
Polizeigesetze, an denen die roemische Gemeinde seit aeltester Zeit
ueberreich war: die Bestimmungen der Zwoelf Tafeln, welche die Salbung
der Leiche durch gedungene Leute, die Mitgabe von mehr als einem Pfuhl
und mehr als drei purpurbesetzten Decken sowie von Gold und flatternden
Kraenzen, die Verwendung von bearbeitetem Holz zum Scheiterhaufen, die
Raeucherungen und Besprengungen desselben mit Weihrauch und Myrrhenwein
untersagten, die Zahl der Floetenblaeser im Leichenzug auf hoechstens
zehn beschraenkten und die Klageweiber und die Begraebnisgelage verboten
- gewissermassen das aelteste roemische Luxusgesetz; ferner die aus
den staendischen Kaempfen hervorgegangenen Gesetze gegen den Geldwucher
sowohl wie gegen Obernutzung der Gemeinweide und unverhaeltnismaessige
Aneignung von okkupablem Domanialland. Weit bedenklicher aber als diese
und aehnliche Bruchgesetze, welche doch wenigstens die Kontravention und
oft auch das Strafmass ein fuer allemal formulierten, war die allgemeine
Befugnis eines jeden mit Jurisdiktion versehenen Beamten wegen
Ordnungswidrigkeit eine Busse zu erkennen und, wenn diese das
Provokationsmass erreichte und der Gebuesste sich nicht in die Strafe
fuegte, die Sache an die Gemeinde zu bringen. Schon im Laufe des
fuenften Jahrhunderts ist in diesem Wege wegen sittenlosen Lebenswandels
sowohl von Maennern wie von Frauen, wegen Kornwucher, Zauberei und
aehnlicher Dinge gleichsam kriminell verfahren worden. In innerlicher
Verwandtschaft hiermit steht die gleichfalls in dieser Zeit aufkommende
Quasijurisdiktion der Zensoren, welche ihre Befugnis, das roemische
Budget und die Buergerlisten festzustellen, benutzten, teils um von sich
aus Luxussteuern aufzulegen, welche von den Luxusstrafen nur der Form
nach sich unterschieden, teils besonders um auf die Anzeige anstoessiger
Handlungen hin dem tadelhaften Buerger die politischen Ehrenrechte zu
schmaelern oder zu entziehen. Wie weit schon jetzt diese Bevormundung
ging, zeigt, dass solche Strafen wegen nachlaessiger Bestellung des
eigenen Ackers verhaengt wurden, ja dass ein Mann wie Publius Cornelius
Rufmus (Konsul 464, 477 290, 277) von den Zensoren des Jahres 479
(275) aus dem Ratsherrenverzeichnis gestrichen ward, weil er silbernes
Tafelgeraet zum Werte von 3360 Sesterzen (240 Taler) besass. Allerdings
hatten nach der allgemein fuer Beamtenverordnungen gueltigen Regel die
Verfuegungen der Zensoren nur fuer die Dauer ihrer Zensur, das heisst
durchgaengig fuer die naechsten fuenf Jahre rechtliche Kraft, und
konnten von den naechsten Zensoren nach Gefallen erneuert oder nicht
erneuert werden; aber nichtsdestoweniger war diese zensorische Befugnis
von einer so ungeheuren Bedeutung, dass infolge dessen die Zensur aus
einem Unteramt an Rang und Ansehen von allen roemischen Gemeindeaemtern
das erste ward. Das Senatsregiment ruhte wesentlich auf dieser
doppelten, mit ebenso ausgedehnter wie arbitraerer Machtvollkommenheit
versehenen Ober- und Unterpolizei der Gemeinde und der Gemeindebeamten.
Dieselbe hat wie jedes aehnliche Willkuerregiment viel genuetzt und viel
geschadet, und es soll dem nicht widersprochen werden, der den Schaden
fuer ueberwiegend haelt; nur darf es nicht vergessen werden, dass bei
der allerdings aeusserlichen, aber straffen und energischen Sittlichkeit
und dem gewaltig angefachten Buergersinn, welche diese Zeit recht
eigentlich bezeichnen, der eigentlich gemeine Missbrauch doch von
diesen Institutionen fern blieb und, wenn die individuelle Freiheit
hauptsaechlich durch sie niedergehalten worden ist, auch die gewaltige
und oft gewaltsame Aufrechthaltung des Gemeinsinns und der guten
alten Ordnung und Sitte in der roemischen Gemeinde eben auf diesen
Institutionen beruhen. Daneben macht in der roemischen Rechtsentwicklung
zwar langsam, aber dennoch deutlich genug eine humanisierende und
modernisierende Tendenz sich geltend. Die meisten Bestimmungen der
Zwoelf Tafeln, welche mit dem Solonischen Gesetz uebereinkommen und
deshalb mit Grund fuer materielle Neuerungen gehalten werden duerfen,
tragen diesen Stempel; so die Sicherung des freien Assoziationsrechts
und der Autonomie der also entstandenen Vereine; die Vorschrift ueber
die Grenzstreifen, die dem Abpfluegen wehrte; die Milderung der Strafe
des Diebstahls, indem der nicht auf frischer Tat ertappte Dieb sich
fortan durch Leistung des doppelten Ersatzes von dem Bestohlenen loesen
konnte. Das Schuldrecht ward in aehnlichem Sinn, jedoch erst ueber ein
Jahrhundert nachher, durch das Poetelische Gesetz gemildert. Die freie
Bestimmung ueber das Vermoegen, die dem Herrn desselben bei Lebzeiten
schon nach aeltestem roemischen Recht zugestanden hatte, aber fuer den
Todesfall bisher geknuepft gewesen war an die Einwilligung der Gemeinde,
wurde auch von dieser Schranke befreit, indem das Zwoelftafelgesetz
oder dessen Interpretation dem Privattestament dieselbe Kraft beilegte,
welche dem von den Kurien bestaetigten zukam; es war dies ein wichtiger
Schritt zur Sprengung der Geschlechtsgenossenschaften und zur voelligen
Durchfuehrung der Individualfreiheit im Vermoegensrecht. Die furchtbar
absolute vaeterliche Gewalt wurde beschraenkt durch die Vorschrift,
dass der dreimal vom Vater verkaufte Sohn nicht mehr in dessen Gewalt
zurueckfallen, sondern fortan frei sein solle; woran bald durch eine -
streng genommen freilich widersinnige - Rechtsdeduktion die Moeglichkeit
angeknuepft ward, dass sich der Vater freiwillig der Herrschaft ueber
den Sohn begebe durch Emanzipation. Im Eherecht wurde die Zivilehe
gestattet; und wenn auch mit der rechten buergerlichen ebenso notwendig
wie mit der rechten religioesen die volle eheherrliche Gewalt verknuepft
war, so lag doch in der Zulassung der ohne solche Gewalt geschlossenen
Verbindung an Ehestatt der erste Anfang zur Lockerung der Vollgewalt des
Eheherrn. Der Anfang einer gesetzlichen Noetigung zum ehelichen Leben
ist die Hagestolzensteuer (aes uxorium), mit deren Einfuehrung Camillus
als Zensor im Jahre 351 (403) seine oeffentliche Laufbahn begann.
Durchgreifendere Aenderungen als das Recht selbst erlitt die politisch
wichtigere und ueberhaupt veraenderlichere Rechtspflegeordnung.
Vor allen Dingen gehoert dahin die wichtige Beschraenkung der
oberrichterlichen Gewalt durch die gesetzliche Aufzeichnung des
Landrechts und die Verpflichtung des Beamten, fortan nicht mehr nach
dem schwankenden Herkommen, sondern nach dem geschriebenen Buchstaben im
Zivil- wie im Kriminalverfahren zu entscheiden (303, 304 451, 450).
Die Einsetzung eines ausschliesslich fuer die Rechtspflege taetigen
roemischen Oberbeamten im Jahre 387 (367) und die gleichzeitig in
Rom erfolgte und unter Roms Einfluss in allen latinischen Gemeinden
nachgeahmte Gruendung einer besonderen Polizeibehoerde erhoehten die
Schnelligkeit und Sicherheit der Justiz. Diesen Polizeiherren oder den
Aedilen kam natuerlich zugleich eine gewisse Jurisdiktion zu, insofern
sie teils fuer die auf offenem Markt abgeschlossenen Verkaeufe,
also namentlich fuer die Vieh- und Sklavenmaerkte die ordentlichen
Zivilrichter waren, teils in der Regel sie es waren, welche in dem Buss-
und Bruechverfahren als Richter erster Instanz oder, was nach roemischem
Recht dasselbe ist, als oeffentliche Anklaeger fungierten. Infolgedessen
lag die Handhabung der Bruechgesetze und ueberhaupt das ebenso
unbestimmte wie politisch wichtige Bruechrecht hauptsaechlich in ihrer
Hand. Aehnliche, aber untergeordnetere und besonders gegen die geringen
Leute gerichtete Funktionen standen den zuerst 465 (289) ernannten
drei Nacht- oder Blutherren (tres viri nocturni oder capitales) zu: sie
wurden mit der naechtlichen Feuer- und Sicherheitspolizei und mit der
Aufsicht ueber die Hinrichtungen beauftragt, woran sich sehr bald,
vielleicht schon von Haus aus eine gewisse summarische Gerichtsbarkeit
geknuepft hat ^1. Mit der steigenden Ausdehnung der roemischen Gemeinde
wurde es endlich, teils mit Ruecksicht auf die Gerichtspflichtigen,
notwendig in den entfernteren Ortschaften eigene, wenigstens fuer die
geringeren Zivilsachen kompetente Richter niederzusetzen, was fuer
die Passivbuergergemeinden Regel war, aber vielleicht selbst auf
die entfernteren Vollbuergergemeinden erstreckt ward ^2 - die ersten
Anfaenge einer neben der eigentlich roemischen sich
entwickelnden roemisch-munizipalen Jurisdiktion.
------------------------------------------------- ^1 Die frueher
aufgestellte Behauptung, dass diese Dreiherren bereits der aeltesten
Zeit angehoeren, ist deswegen irrig, weil der aeltesten Staatsordnung
Beamtenkollegien von ungerader Zahl fremd sind (Roemische Chronologie
bis auf Caesar. z. Aufl. Berlin 1859, S. 15, A. 12). Wahrscheinlich ist
die gut beglaubigte Nachricht, dass sie zuerst 465 (289) ernannt wurden
(Liv. ep. 11), einfach festzuhalten und die auch sonst bedenkliche
Deduktion des Faelschers Licinius Macer (bei Liv. 7, 46), welche ihrer
vor 450 (304) Erwaehnung tut, einfach zu verwerfen. Anfaenglich wurden
ohne Zweifel, wie dies bei den meisten der spaeteren magistratus minores
der Fall gewesen ist, die Dreiherren von den Oberbeamten ernannt; das
papirische Plebiszit, das die Ernennung derselben auf die Gemeinde
uebertrug (Festus v. sacramentum p. 344 M.), ist auf jeden Fall, da es
den Praetor nennt, qui inter civis ius dicit, erst nach Einsetzung der
Fremdenpraetur, also fruehestens gegen die Mitte des 6. Jahrhunderts
erlassen. ^2 Dahin fuehrt, was Liv. 9, 20 ueber die Reorganisation der
Kolonie Antium zwanzig Jahre nach ihrer Gruendung berichtet; und es ist
an sich klar, dass wenn man dem Ostienser recht wohl auferlegen konnte,
seine Rechtshaendel alle in Rom abzumachen, dies fuer Ortschaften
wie Antium und Sena sich nicht durchfuehren liess.
------------------------------------------------ In dem Zivilverfahren,
welches indes nach den Begriffen dieser Zeit die meisten gegen
Mitbuerger begangenen Verbrechen einschloss, wurde die wohl schon
frueher uebliche Teilung des Verfahrens in Feststellung der Rechtsfrage
vor dem Magistrat (ius) und Entscheidung derselben durch einen vom
Magistrat ernannten Privatmann (iudicium) mit Abschaffung des
Koenigtums gesetzliche Vorschrift; und dieser Trennung hat das roemische
Privatrecht seine logische und praktische Schaerfe und Bestimmtheit
wesentlich zu verdanken ^3. Im Eigentumsprozess wurde die bisher der
unbedingten Willkuer der Beamten anheimgegebene Entscheidung ueber den
Besitzstand allmaehlich rechtlichen Regeln unterworfen und neben
dem Eigentums- das Besitzrecht entwickelt, wodurch abermals die
Magistratsgewalt einen wichtigen Teil ihrer Macht einbuesste. Im
Kriminalverfahren wurde das Volksgericht, die bisherige Gnaden- zur
rechtlich gesicherten Appellationsinstanz. War der Angeklagte nach
Verhoerung (quaestio) von dem Beamten verurteilt und berief sich auf die
Buergerschaft, so schritt der Magistrat vor dieser zu dem Weiterverhoer
(anquisitio), und wenn er nach dreimaliger Verhandlung vor der Gemeinde
seinen Spruch wiederholt hatte, wurde im vierten Termin das Urteil
von der Buergerschaft bestaetigt oder verworfen. Milderung war nicht
gestattet. Denselben republikanischen Sinn atmen die Saetze, dass das
Haus den Buerger schuetze und nur ausserhalb des Hauses eine Verhaftung
stattfinden koenne; dass die Untersuchungshaft zu vermeiden und es jedem
angeklagten und noch nicht verurteilten Buerger zu gestatten sei, durch
Verzicht auf sein Buergerrecht den Folgen der Verurteilung, soweit sie
nicht das Vermoegen, sondern die Person betrafen, sich zu entziehen -
Saetze, die allerdings keineswegs gesetzlich formuliert wurden und den
anklagenden Beamten also nicht rechtlich banden, aber doch durch ihren
moralischen Druck namentlich fuer die Beschraenkung der Todesstrafe
von dem groessten Einfluss gewesen sind. Indes wenn das roemische
Kriminalrecht fuer den starken Buergersinn wie fuer die steigende
Humanitaet dieser Epoche ein merkwuerdiges Zeugnis ablegt, so litt
es dagegen praktisch namentlich unter den hier besonders schaedlich
nachwirkenden staendischen Kaempfen. Die aus diesen hervorgegangene
konkurrierende Kriminaljurisdiktion erster Instanz der saemtlichen
Gemeindebeamten war die Ursache, dass es in dem roemischen
Kriminalverfahren eine feste Instruktionsbehoerde und eine ernsthafte
Voruntersuchung fortan nicht mehr gab; und indem das Kriminalurteil
letzter Instanz in den Formen und von den Organen der Gesetzgebung
gefunden ward, auch seinen Ursprung aus dem Gnadenverfahren niemals
verleugnete, ueberdies noch die Behandlung der polizeilichen Bussen
auf das aeusserlich sehr aehnliche Kriminalverfahren nachteilig
zurueckwirkte, wurde nicht etwa missbraeuchlich, sondern gewissermassen
verfassungsmaessig die Entscheidung in den Kriminalsachen nicht nach
festem Gesetz, sondern nach dem willkuerlichen Belieben der Richter
gefaellt. Auf diesem Wege ward das roemische Kriminalverfahren
vollstaendig grundsatzlos und zum Spielball und Werkzeug der politischen
Parteien herabgewuerdigt; was um so weniger entschuldigt werden kann,
als dies Verfahren zwar vorzugsweise fuer eigentliche politische
Verbrechen, aber doch auch fuer andere, zum Beispiel fuer Mord und
Brandstiftung zur Anwendung kam. Dazu kam die Schwerfaelligkeit jenes
Verfahrens, welche im Verein mit der republikanisch hochmuetigen
Verachtung des Nichtbuergers es verschuldet hat, dass man sich
immer mehr gewoehnte, ein summarisches Kriminal- oder vielmehr
Polizeiverfahren gegen Sklaven und geringe Leute neben jenem foermlichen
zu dulden. Auch hier ueberschritt der leidenschaftliche Streit um die
politischen Prozesse die natuerlichen Grenzen und fuehrte Institutionen
herbei, die wesentlich dazu beigetragen haben, die Roemer allmaehlich
der Idee einer festen sittlichen Rechtsordnung zu entwoehnen.
---------------------------------------------- ^3 Man pflegt die
Roemer als das zur Jurisprudenz privilegierte Volk zu preisen und ihr
vortreffliches Recht als eine mystische Gabe des Himmels anzustaunen;
vermutlich besonders, um sich die Scham zu ersparen ueber die
Nichtswuerdigkeit des eigenen Rechtszustandes. Ein Blick auf das
beispiellos schwankende und unentwickelte roemische Kriminalrecht
koennte von der Unhaltbarkeit dieser unklaren Vorstellungen auch
diejenigen ueberzeugen, denen der Satz zu einfach scheinen moechte, dass
ein gesundes Volk ein gesundes Recht hat und ein krankes ein krankes.
Abgesehen von allgemeineren staatlichen Verhaeltnissen, von welchen die
Jurisprudenz eben auch und sie vor allem abhaengt, liegen die Ursachen
der Trefflichkeit des roemischen Zivilrechts hauptsaechlich in zwei
Dingen: einmal darin, dass der Klaeger und der Beklagte gezwungen
wurden, vor allen Dingen die Forderung und ebenso die Einwendung in
bindender Weise zu motivieren und zu formulieren; zweitens darin, dass
man fuer die gesetzliche Fortbildung des Rechtes ein staendiges Organ
bestellte und dies an die Praxis unmittelbar anknuepfte. Mit jenem
schnitten die Roemer die advokatische Rabulisterei, mit diesem die
unfaehige Gesetzmacherei ab, soweit sich dergleichen abschneiden laesst,
und mit beiden zusammen genuegten sie, soweit es moeglich ist, den zwei
entgegenstehenden Forderungen, dass das Recht stets fest und dass
es stets zeitgemaess sein soll.
---------------------------------------------- Weniger sind wir
imstande, die Weiterbildung der roemischen Religionsvorstellungen in
dieser Epoche zu verfolgen. Im allgemeinen hielt man einfach fest an
der einfachen Froemmigkeit der Ahnen und den Aber- wie den Unglauben
in gleicher Weise fern. Wie lebendig die Idee der Vergeistigung alles
Irdischen, auf der die roemische Religion beruhte, noch am Ende dieser
Epoche war, beweist der vermutlich doch erst infolge der Einfuehrung
des Silbercourants im Jahre 485 (269) neu entstandene Gott "Silberich"
(Argentinus), der natuerlicherweise des aelteren Gottes "Kupferich"
(Aesculanus) Sohn war. Die Beziehungen zum Ausland sind dieselben wie
frueher; aber auch hier und hier vor allem ist der hellenische Einfluss
im Steigen. Erst jetzt beginnen den hellenischen Goettern in Rom selber
sich Tempel zu erheben. Der aelteste war der Tempel der Kastoren,
welcher in der Schlacht am Regillischen See gelobt und am 15. Juli 269
(485) eingeweiht sein soll. Die Sage, welche an denselben sich knuepft,
dass zwei uebermenschlich schoene und grosse Juenglinge auf dem
Schlachtfelde in den Reihen der Roemer mitkaempfend und unmittelbar nach
der Schlacht ihre schweisstriefenden Rosse auf dem roemischen Markt am
Quell der Juturna traenkend und den grossen Sieg verkuendend gesehen
worden seien, traegt ein durchaus unroemisches Gepraege und ist ohne
allen Zweifel der bis in die Einzelheiten gleichartigen Epiphanie der
Dioskuren in der beruehmten, etwa ein Jahrhundert vorher zwischen den
Krotoniaten und den Lokrern am Flusse Sagras geschlagenen Schlacht in
sehr frueher Zeit nachgedichtet. Auch der delphische Apoll wird nicht
bloss beschickt, wie es ueblich ist, bei allen unter dem Einfluss
griechischer Kultur stehenden Voelkern, und nicht bloss nach besonderen
Erfolgen, wie nach der Eroberung von Veii, mit dem Zehnten der Beute
(360 394) beschenkt, sondern es wird auch ihm ein Tempelinder Stadt
gebaut (323 431, erneuert 401 353). Dasselbe geschah gegen das Ende
dieser Periode fuer die Aphrodite (459 295), welche in raetselhafter
Weise mit der alten roemischen Gartengoettin Venus zusammenfloss ^4, und
fuer den von Epidauros im Peloponnes erbetenen und feierlich nach
Rom gefuehrten Asklapios oder Aesculapius (463 291). Einzeln wird
in schweren Zeitlaeuften Klage vernommen ueber das Eindringen
auslaendischen Aberglaubens, vermutlich etruskischer Haruspizes (so 326
428); wo aber dann die Polizei nicht ermangelt, ein billiges Einsehen zu
tun. --------------------------------------------- ^4 In der spaeteren
Bedeutung als Aphrodite erscheint die Venus wohl zuerst bei der
Dedikation des in diesem Jahre geweihten Tempels (Liv. 10, 31; W. A.
Becker, Topographie der Stadt Rom [Becker, Handbuch, 1]. Leipzig 1843,
S. 472). --------------------------------------------- In Etrurien
dagegen wird, waehrend die Nation in politischer Nichtigkeit und traeger
Opulenz stockte und verdarb, das theologische Monopol des Adels,
der stumpfsinnige Fatalismus, die wueste und sinnlose Mystik, die
Zeichendeuterei und das Bettelprophetenwesen sich allmaehlich zu jener
Hoehe entwickelt haben, auf der wir sie spaeter dort finden. In dem
Priesterwesen traten unseres Wissens durchgreifende Veraenderungen nicht
ein. Die verschaerfte Einziehung, welche fuer die zur Bestreitung der
Kosten des oeffentlichen Gottesdienstes angewiesenen Prozessbussen um
das Jahr 465 (289) verfuegt wurde, deutet auf das Steigen des sakralen
Staatsbudgets, wie es die vermehrte Zahl der Staatsgoetter und Tempel
mit Notwendigkeit mit sich brachte. Unter den ueblen Folgen des
Staendehaders ist es schon angefuehrt worden, dass man den Kollegien der
Sachverstaendigen einen unstatthaften Einfluss einzuraeumen begann und
sich ihrer bediente, um politische Akte zu kassieren, wodurch teils der
Glaube im Volke erschuettert, teils den Pfaffen ein sehr schaedlicher
Einfluss auf die oeffentlichen Geschaefte zugestanden ward. Im
Kriegswesen trat in dieser Epoche eine vollstaendige Revolution ein. Die
uralte graecoitalische Heerordnung, welche gleich der homerischen auf
der Aussonderung der angesehensten und tuechtigsten, in der Regel zu
Pferde fechtenden Kriegsleute zu einem eigenen Vordertreffen beruht
haben mag, war in der spaeteren Koenigszeit durch die legio, die
altdorische Hoplitenphalanx von wahrscheinlich acht Gliedern Tiefe
ersetzt worden, welche fortan das Schwergewicht des Kampfes uebernahm,
waehrend die Reiter auf die Fluegel gestellt und, je nach den Umstaenden
zu Pferde oder abgesessen, hauptsaechlich als Reserve verwandt wurden.
Aus dieser Herstellung entwickelte sich ungefaehr gleichzeitig in
Makedonien die Sarissenphalanx und in Italien die Manipularordnung,
jene durch Verdichtung und Vertiefung, diese durch Aufloesung und
Vermannigfaltigung der Glieder, zunaechst durch die Teilung der alten
legio von 8400 in zwei legiones von je 4200 Mann. Die alte dorische
Phalanx hatte durchaus auf dem Nahgefecht mit dem Schwert und vor
allem dem Spiess beruht und den Wurfwaffen nur eine beilaeufige und
untergeordnete Stellung im Treffen eingeraeumt. In der Manipularlegion
wurde die Stosslanze auf das dritte Treffen beschraenkt und den beiden
ersten anstatt derselben eine neue und eigentuemlich italische Wurfwaffe
gegeben, das Pilum, ein fuenftehalb Ellen langes viereckiges oder
rundes Holz mit drei- oder vierkantiger eiserner Spitze, das vielleicht
urspruenglich zur Verteidigung der Lagerwaelle erfunden worden war,
aber bald von dem letzten auf die ersten Glieder ueberging und von dem
vorrueckenden Gliede auf eine Entfernung von zehn bis zwanzig Schritten
in die feindlichen Reihen geworfen ward. Zugleich gewann das Schwert
eine bei weitem groessere Bedeutung als das kurze Messer der Phalangiten
hatte haben koennen; denn die Wurfspeersalve war zunaechst nur bestimmt,
dem Angriff mit dem Schwert die Bahn zu brechen. Wenn ferner die
Phalanx, gleichsam eine einzige gewaltige Lanze, auf einmal auf den
Feind geworfen werden musste, so wurden in der neuen italischen Legion
die kleineren, im Phalangensystem wohl auch vorhandenen, aber in der
Schlachtordnung unaufloeslich fest verknuepften Einheiten taktisch
voneinander gesondert. Das geschlossene Quadrat teilte sich nicht bloss,
wie gesagt, in zwei gleich starke Haelften, sondern jede von diesen
trat weiter in der Tiefrichtung auseinander in drei Treffen, das der
Hastaten, das der Principes und das der Triarier, von ermaessigter,
wahrscheinlich in der Regel nur vier Glieder betragender Tiefe und
loeste in der Frontrichtung sich auf in je zehn Haufen (manipuli),
so dass zwischen je zwei Treffen und je zwei Haufen ein merklicher
Zwischenraum blieb. Es war nur eine Fortsetzung derselben
Individualisierung, wenn der Gesamtkampf auch der verkleinerten
taktischen Einheit zurueck- und der Einzelkampf in den Vordergrund trat,
wie dies aus der schon erwaehnten entscheidenden Rolle des Handgemenges
und Schwertgefechtes deutlich hervorgeht. Eigentuemlich entwickelte sich
auch das System der Lagerverschanzung; der Platz, wo der Heerhaufe wenn
auch nur fuer eine einzige Nacht sein Lager nahm, ward ohne Ausnahme mit
einer regelmaessigen Umwallung versehen und gleichsam in eine Festung
umgeschaffen. Wenig aenderte sich dagegen in der Reiterei, die auch in
der Manipularlegion die sekundaere Rolle behielt, welche sie neben
der Phalanx eingenommen hatte. Auch das Offiziersystem blieb in der
Hauptsache ungeaendert; nur wurden jetzt jeder der zwei Legionen des
regelmaessigen Heeres ebenso viele Kriegstribune vorgesetzt, wie
sie bisher das gesamte Heer befehligt hatten, also die Zahl der
Stabsoffiziere verdoppelt. Es duerfte auch in dieser Zeit sich die
scharfe Grenze festgestellt haben zwischen den Subalternoffizieren,
welche sich ihren Platz an der Spitze der Manipel als Gemeine mit dem
Schwerte zu gewinnen hatten und in regelmaessigem Avancement von den
niederen in die hoeheren Manipel uebergingen, und den je sechs und sechs
den ganzen Legionen vorgesetzten Kriegstribunen, fuer welche es kein
regelmaessiges Avancement gab und zu denen man gewoehnlich Maenner
aus der besseren Klasse nahm. Namentlich muss es dafuer von Bedeutung
geworden sein, dass, waehrend frueher die Subaltern- wie die
Stabsoffiziere gleichmaessig vom Feldherrn ernannt wurden, seit dem
Jahre 392 (362) ein Teil der letzteren Posten durch Buergerschaftswahl
vergeben ward. Endlich blieb auch die alte, furchtbar strenge
Kriegszucht unveraendert. Nach wie vor war es dem Feldherrn gestattet,
jedem in seinem Lager dienenden Mann den Kopf vor die Fuesse zu legen
und den Stabsoffizier so gut wie den gemeinen Soldaten mit Ruten
auszuhauen; auch wurden dergleichen Strafen nicht bloss wegen gemeiner
Verbrechen erkannt, sondern ebenso, wenn sich ein Offizier gestattet
hatte, von dem erteilten Befehle abzuweichen, oder wenn eine Abteilung
sich hatte ueberrumpeln lassen oder vom Schlachtfeld gewichen war.
Dagegen bedingt die neue Heerordnung eine weit ernstere und laengere
militaerische Schule als die bisherige phalangitische, worin das
Schwergewicht der Masse auch die Ungeuebten zusammenhielt. Wenn dennoch
kein eigener Soldatenstand sich entwickelte, sondern das Heer nach wie
vor Buergerheer blieb, so ward dies hauptsaechlich dadurch erreicht,
dass man die bisherige Gliederung der Soldaten nach dem Vermoegen aufgab
und sie nach dem Dienstalter ordnete. Der roemische Rekrut trat jetzt
ein unter die leichtbewaffneten, ausserhalb der Linie besonders mit
Steinschleudern fechtenden "Sprenkler" (rorarii) und avancierte aus
diesem allmaehlich in das erste und weiter in das zweite Treffen,
bis endlich die langgedienten und erfahrenen Soldaten in dem an
Zahl schwaechsten, aber in dem ganzen Heer Ton und Geist angebenden
Triarierkorps sich zusammenfanden. Die Vortrefflichkeit dieser
Kriegsordnung, welche die naechste Ursache der ueberlegenen politischen
Stellung der roemischen Gemeinde geworden ist, beruht wesentlich auf den
drei grossen militaerischen Prinzipien der Reserve, der Verbindung des
Nah- und Ferngefechts und der Verbindung von Offensive und Defensive.
Das Reservesystem war schon in der aelteren Verwendung der Reiterei
angedeutet, hier aber durch die Gliederung des Heeres in drei Treffen
und die Aufsparung der Veteranenkernschar fuer den letzten und
entscheidenden Stoss vollstaendig entwickelt. Wenn die hellenische
Phalanx den Nahkampf, die orientalischen mit Bogen und leichten
Wurfspeeren bewaffneten Reitergeschwader den Fernkampf einseitig
ausgebildet hatten, so wurde durch die roemische Verbindung des schweren
Wurfspiesses mit dem Schwerte, wie mit Recht gesagt worden ist, ein
aehnlicher Erfolg erreicht wie in der modernen Kriegfuehrung durch die
Einfuehrung der Bajonettflinte; es arbeitete die Wurfspeersalve dem
Schwertkampf genau in derselben Weise vor wie jetzt die Gewehrsalve
dem Angriff mit dem Bajonett. Endlich das ausgebildete Lagersystem
gestattete es den Roemern, die Vorteile des Belagerungs- und des
Offensivkrieges miteinander zu verbinden und die Schlacht je nach
Umstaenden zu verweigern oder zu liefern, und im letzteren Fall sie
unter den Lagerwaellen gleichwie unter den Mauern einer Festung zu
schlagen - der Roemer, sagt ein roemisches Sprichwort, siegt durch
Stillsitzen. Dass diese neue Kriegsordnung im wesentlichen eine
roemische oder wenigstens italische Um- und Fortbildung der alten
hellenischen Phalangentaktik ist, leuchtet ein; wenn gewisse
Anfaenge des Reservesystems und der Individualisierung der kleineren
Heerabteilungen schon bei den spaeteren griechischen Strategen,
namentlich bei Xenophon begegnen, so folgt daraus nur, dass man die
Mangelhaftigkeit des alten Systems auch hier empfunden, aber doch nicht
vermocht hat, sie zu beseitigen. Vollstaendig entwickelt erscheint die
Manipularlegion im Pyrrhischen Kriege; wann und unter welchen Umstaenden
und ob sie auf einmal oder nach und nach entstanden ist, laesst sich
nicht mehr nachweisen. Die erste von der aelteren italisch-hellenischen
gruendlich verschiedene Taktik, die den Roemern gegenuebertrat, war die
keltische Schwerterphalanx; es ist nicht unmoeglich, dass man durch die
Gliederung der Armee und die Frontalintervalle der Manipel ihren ersten
und allein gefaehrlichen Stoss abwehren wollte und abgewehrt hat;
und damit stimmt es zusammen, wenn in manchen einzelnen Notizen der
bedeutendste roemische Feldherr der Gallierzeit, Marcus Furius Camillus,
als Reformator des roemischen Kriegswesens erscheint. Die weiteren an
den Samnitischen und Pyrrhischen Krieg anknuepfenden Ueberlieferungen
sind weder hinreichend beglaubigt noch mit Sicherheit einzureihen ^5;
so wahrscheinlich es auch an sich ist, dass der langjaehrige samnitische
Bergkrieg auf die individuelle Entwicklung des roemischen Soldaten,
und der Kampf gegen einen der ersten Kriegskuenstler aus der Schule des
grossen Alexander auf die Verbesserung des Technischen im
roemischen Heerwesen nachhaltig eingewirkt hat.
------------------------------------------- ^5 Nach der roemischen
Tradition fuehrten die Roemer urspruenglich viereckige Schilde; worauf
sie von den Etruskern den runden Hoplitenschild (clupeus, aspis)von
den Samniten den spaeteren viereckigen Schild (scutum, thyreos) und den
Wurfspeer (veru) entlehnten (Diodor. Vat. fr. p. 54; Sall. Catil. 51,
38; Verg. Aen. 7, 665; Fest. v. Samnites p. 327 Mueller und die bei
Marquardt, Handbuch, Bd. 3, 2, S. 241 angefuehrten). Allein dass der
Hoplitenschild, das heisst die dorische Phalangentaktik nicht den
Etruskern, sondern den Hellenen unmittelbar nachgeahmt ward, darf
als ausgemacht gelten. Was das Scutum anlangt, so wird dieser grosse
zylinderfoermig gewoelbte Lederschild allerdings wohl an die Stelle
des platten kupfernen Clupeus getreten sein, als die Phalanx in Manipel
auseinandertrat; allein die unzweifelhafte Herleitung des Wortes aus dem
Griechischen macht misstrauisch gegen die Herleitung der Sache von den
Samniten. Von den Griechen kam den Roemern auch die Schleuder (funda
aus sphendon/e/, wie fides aus sphid/e/, oben). Das Pilum gilt den
Alten durchaus als roemische Erfindung.
---------------------------------------- In der Volkswirtschaft war
und blieb der Ackerbau die soziale und politische Grundlage sowohl der
roemischen Gemeinde als des neuen italischen Staates. Aus den roemischen
Bauern bestand die Gemeindeversammlung und das Heer; was sie als
Soldaten mit dem Schwerte gewonnen hatten, sicherten sie als Kolonisten
mit dem Pfluge. Die Ueberschuldung des mittleren Grundbesitzes fuehrte
die furchtbaren inneren Krisen des dritten und vierten Jahrhunderts
herbei, an denen die junge Republik zugrunde gehen zu muessen schien;
die Wiedererhebung der latinischen Bauernschaft, welche waehrend
des fuenften teils durch die massenhaften Landanweisungen und
Inkorporationen, teils durch das Sinken des Zinsfusses und die steigende
Volksmenge Roms bewirkt ward, war zugleich Wirkung und Ursache der
gewaltigen Machtentwicklung Roms - wohl erkannte Pyrrhos' scharfer
Soldatenblick die Ursache des politischen und militaerischen
Uebergewichts der Roemer in dem bluehenden Zustande der roemischen
Bauernwirtschaften. Aber auch das Aufkommen der Grosswirtschaft in dem
roemischen Ackerbau scheint in diese Zeit zu fallen. In der aelteren
Zeit gab es wohl auch schon einen - wenigstens verhaeltnismaessig -
grossen Grundbesitz; aber dessen Bewirtschaftung war keine Gross-,
sondern nur eine vervielfaeltigte Kleinwirtschaft (I, 204). Dagegen darf
die mit der aelteren Wirtschaftsweise zwar nicht unvereinbare, aber doch
der spaeteren bei weitem angemessenere Bestimmung des Gesetzes vom
Jahre 387 (367), dass der Grundbesitzer neben den Sklaven eine
verhaeltnismaessige Zahl freier Leute zu verwenden verbunden sei, wohl
als die aelteste Spur der spaeteren zentralisierten Gutswirtschaft
angesehen werden ^6; und es ist bemerkenswert, dass gleich hier bei
ihrem ersten Vorkommen dieselbe wesentlich auf dem Sklavenhalten ruht.
Wie sie aufkam, muss dahingestellt bleiben; moeglich ist es, dass die
karthagischen Pflanzungen auf Sizilien schon den aeltesten roemischen
Gutsbesitzern als Muster gedient haben und vielleicht steht selbst das
Aufkommen des Weizens in der Landwirtschaft neben dem Spelt, das
Varro um die Zeit der Dezemvirn setzt, mit dieser veraenderten
Wirtschaftsweise in Zusammenhang. Noch weniger laesst sich ermitteln,
wie weit diese Wirtschaftsweise schon in dieser Epoche um sich
gegriffen hat; nur daran, dass sie noch nicht Regel gewesen sein und
den italischen Bauernstand noch nicht absorbiert haben kann, laesst
die Geschichte des Hannibalischen Krieges keinen Zweifel. Wo sie aber
aufkam, vernichtete sie die aeltere, auf dem Bittbesitz beruhende
Klientel; aehnlich wie die heutige Gutswirtschaft grossenteils durch
Niederlegung der Bauernstellen und Verwandlung der Hufen in Hoffeld
entstanden ist. Es ist keinem Zweifel unterworfen, dass zu der
Bedraengnis des kleinen Ackerbauernstandes eben das Einschraenken
dieser Ackerklientel hoechst wesentlich mitgewirkt hat.
--------------------------------------------------- ^6 Auch Varro (rust.
1, 2, 9) denkt sich den Urheber des Licinischen Ackergesetzes offenbar
als Selbstbewirtschafter seiner ausgedehnten Laendereien; obgleich
uebrigens die Anekdote leicht erfunden sein kann, um den Beinamen zu
erklaeren. ------------------------------------------------- Ueber
den inneren Verkehr der Italiker untereinander sind die schriftlichen
Quellen stumm; einigen Aufschluss geben lediglich die Muenzen. Dass in
Italien, von den griechischen Staedten und dem etruskischen Populonia
abgesehen, waehrend der ersten drei Jahrhunderte Roms nicht gemuenzt
ward und als Tauschmaterial anfangs das Vieh, spaeter Kupfer nach dem
Gewicht diente, wurde schon gesagt. In die gegenwaertige Epoche faellt
der Uebergang der Italiker vom Tausch- zum Geldsystem, wobei man
natuerlich zunaechst auf griechische Muster sich hingewiesen sah. Es lag
indes in den Verhaeltnissen, dass in Mittelitalien statt des Silbers das
Kupfer zum Muenzmetall ward und die Muenzeinheit sich zunaechst anlehnte
an die bisherige Werteinheit, das Kupferpfund; womit es zusammenhaengt,
dass man die Muenzen goss, statt sie zu praegen, denn kein Stempel
haette ausgereicht fuer so grosse und schwere Stuecke. Doch scheint von
Haus aus zwischen Kupfer und Silber ein festes Gleichungsverhaeltnis
(250 : 1) normiert und die Kupfermuenze mit Ruecksicht darauf
ausgebracht worden zu sein, so dass zum Beispiel in Rom das grosse
Kupferstueck, der As, dem Werte nach einem Skrupel (= 1/288 Pfund)
Silber gleichkam. Geschichtlich bemerkenswerter ist es, dass die Muenze
in Italien hoechst wahrscheinlich von Rom ausgegangen ist und zwar eben
von den Dezemvirn, die in der Solonischen Gesetzgebung das Vorbild auch
zur Regulierung des Muenzwesens fanden, und dass sie von Rom aus sich
verbreitete ueber eine Anzahl latinischer, etruskischer, umbrischer
und ostitalischer Gemeinden; zum deutlichen Beweise der ueberlegenen
Stellung, die Rom schon seit dem Anfang des vierten Jahrhunderts
in Italien behauptete. Wie alle diese Gemeinden formell unabhaengig
nebeneinander standen, war gesetzlich auch der Muenzfuss durchaus
oertlich und jedes Stadtgebiet ein eigenes Muenzgebiet; indes lassen
sich doch die mittel- und norditalischen Kupfermuenzfuesse in drei
Gruppen zusammenfassen, innerhalb welcher man die Muenzen im gemeinen
Verkehr als gleichartig behandelt zu haben scheint. Es sind dies teils
die Muenzen der noerdlich vom Ciminischen Walde gelegenen etruskischen
und der umbrischen Staedte, teils die Muenzen von Rom und Latium, teils
die des oestlichen Litorals. Dass die roemischen Muenzen mit dem Silber
nach dem Gewicht geglichen waren, ist schon bemerkt worden: diejenigen
der italischen Ostkueste finden wir dagegen in ein bestimmtes
Verhaeltnis gesetzt zu den Silbermuenzen, die im suedlichen Italien
seit alter Zeit gangbar waren und deren Fuss sich auch die italischen
Einwanderer, zum Beispiel die Brettier, Lucaner, Nolaner, ja die
latinischen Kolonien daselbst wie Cales und Suessa und sogar die Roemer
selbst fuer ihre unteritalischen Besitzungen aneigneten. Danach wird
auch der italische Binnenhandel in dieselben Gebiete zerfallen sein,
welche unter sich verkehrten gleich fremden Voelkern. Im ueberseeischen
Verkehr bestanden die frueher bezeichneten sizilisch- latinischen,
etruskisch-attischen und adriatisch-tarentinischen Handelsbeziehungen
auch in dieser Epoche fort oder gehoeren ihr vielmehr recht eigentlich
an; denn obwohl die derartigen, in der Regel ohne Zeitangabe
vorkommenden Tatsachen der Obersicht wegen schon bei der ersten
Periode zusammengefasst worden sind, erstrecken sich diese Angaben doch
ebensowohl auf die gegenwaertige mit. Am deutlichsten sprechen auch
hierfuer die Muenzen. Wie die Praegung des etruskischen Silbergeldes
auf attischen Fuss und das Eindringen des italischen und besonders
latinischen Kupfers in Sizilien fuer die ersten beiden Handelszuege
zeugen, so spricht die eben erwaehnte Gleichstellung des
grossgriechischen Silbergeldes mit der picenischen und apulischen
Kupfermuenze nebst zahlreichen anderen Spuren fuer den regen Verkehr
der unteritalischen Griechen, namentlich der Tarentiner mit dem
ostitalischen Litoral. Dagegen scheint der frueher wohl lebhaftere
Handel zwischen den Latinern und den kampanischen Griechen durch die
sabellische Einwanderung gestoert worden zu sein und waehrend der ersten
hundertundfuenfzig Jahre der Republik nicht viel bedeutet zu haben; die
Weigerung der Samniten, in Capua und Cumae den Roemern in der Hungersnot
von 343 (411) mit ihrem Getreide zu Hilfe zu kommen, duerfte eine Spur
der zwischen Latium und Kampanien veraenderten Beziehungen sein, bis
im Anfang des fuenften Jahrhunderts die roemischen Waffen die alten
Verhaeltnisse wiederherstellten und steigerten. Im einzelnen mag es
noch gestattet sein, als eines der seltenen datierten Fakten aus der
Geschichte des roemischen Verkehrs der Notiz zu gedenken, welche aus
der ardeatischen Chronik erhalten ist, dass im Jahre 454 (300) der
erste Barbier aus Sizilien nach Ardea kam, und einen Augenblick bei dem
gemalten Tongeschirr zu verweilen, das vorzugsweise aus Attika, daneben
aus Kerkyra und Sizilien nach Lucanien, Kampanien und Etrurien gesandt
ward, um dort zur Ausschmueckung der Grabgemaecher zu dienen und ueber
dessen merkantilische Verhaeltnisse wir zufaellig besser als ueber
irgendeinen anderen ueberseeischen Handelsartikel unterrichtet sind.
Der Anfang dieser Einfuhr mag um die Zeit der Vertreibung der Tarquinier
fallen, denn die noch sehr sparsam in Italien vorkommenden Gefaesse des
aeltesten Stils duerften in der zweiten Haelfte des dritten Jahrhunderts
der Stadt (500-450) gemalt sein, waehrend die zahlreicheren des strengen
Stils der ersten (450-400), die des vollendet schoenen der zweiten
Haelfte des vierten (400-350) angehoeren, und die ungeheuren Massen der
uebrigen, oft durch Pracht und Groesse, aber selten durch vorzuegliche
Arbeit sich auszeichnenden Vasen im ganzen dem folgenden Jahrhundert
(350-250) beizulegen sein werden. Es waren allerdings wieder die
Hellenen, von denen die Italiker diese Sitte der Graeberschmueckung
entlehnten; aber wenn die bescheidenen Mittel und der feine Takt der
Griechen sie bei diesen in engen Grenzen hielten, ward sie in Italien
mit barbarischer Opulenz und barbarischer Verschwendung weit ueber das
urspruengliche und schickliche Mass ausgedehnt. Aber es ist bezeichnend,
dass es in Italien lediglich die Laender der hellenischen Halbkultur
sind, in welchen diese Ueberschwenglichkeit begegnet; wer solche
Schrift zu lesen versteht, wird in den etruskischen und kampanischen
Leichenfeldern, den Fundgruben unserer Museen, den redenden Kommentar zu
den Berichten der Alten ueber die im Reichtum und Uebermut erstickende
etruskische und kampanische Halbbildung erkennen. Dagegen blieb das
schlichte samnitische Wesen diesem toerichten Luxus zu allen Zeiten
fern; in dem Mangel des griechischen Grabgeschirrs tritt ebenso
fuehlbar wie in dem Mangel einer samnitischen Landesmuenze die geringe
Entwicklung des Handelsverkehrs und des staedtischen Lebens in dieser
Landschaft hervor. Noch bemerkenswerter ist es, dass auch Latium, obwohl
den Griechen nicht minder nahe wie Etrurien und Kampanien und mit ihnen
im engsten Verkehr, dieser Graeberpracht sich fast ganz enthalten
hat. Es ist wohl mehr als wahrscheinlich, namentlich wegen der ganz
abweichenden Beschaffenheit der Graeber in dem einzigen Praeneste, dass
wir hierin den Einfluss der strengen roemischen Sittlichkeit, oder, wenn
man lieber will, der straffen roemischen Polizei wiederzuerkennen haben.
Im engsten Zusammenhange damit stehen die bereits erwaehnten Interdikte,
welche schon das Zwoelftafelgesetz gegen purpurne Bahrtuecher und
den Goldschmuck als Totenmitgift schleudert, und die Verbannung des
silbernen Geraetes mit Ausnahme des Salzfasses und der Opferschale aus
dem roemischen Hausrat wenigstens durch das Sittengesetz und die
Furcht vor der zensorischen Ruege; und auch in dem Bauwesen werden
wir demselben, allem gemeinen wie edlen Luxus feindlichen Sinn
wiederbegegnen. Indes mochte auch Rom durch solche Einwirkung von oben
her laenger als Volsinii und Capua eine gewisse aeussere Einfachheit
bewahren, so werden sein Handel und Gewerbe, auf denen ja neben dem
Ackerbau seine Bluete von Haus aus beruhte, darum noch nicht als
unbedeutend gedacht werden duerfen und nicht minder den Einfluss der
neuen Machtstellung Roms empfunden haben. Zu der Entwicklung eines
eigentlichen staedtischen Mittelstandes, einer unabhaengigen Handwerker-
und Kaufmannschaft kam es in Rom nicht. Die Ursache war neben der
frueh eingetretenen unverhaeltnismaessigen Zentralisierung des Kapitals
vornehmlich die Sklavenwirtschaft. Es war im Altertum ueblich und in
der Tat eine notwendige Konsequenz der Sklaverei, dass die kleineren
staedtischen Geschaefte sehr haeufig von Sklaven betrieben wurden,
welche ihr Herr als Handwerker oder Kaufleute etablierte, oder auch
von Freigelassenen, fuer welche der Herr nicht bloss sehr oft das
Geschaeftskapital hergab, sondern von denen er sich auch regelmaessig
einen Anteil, oft die Haelfte des Geschaeftsgewinns ausbedang. Der
Kleinbetrieb und der Kleinverkehr in Rom waren ohne Zweifel in
stetigem Steigen; es finden sich auch Belege dafuer, dass die dem
grossstaedtischen Luxus dienstbaren Gewerbe anfingen, sich in Rom zu
konzentrieren - so ist das ficoronische Schmuckkaestchen im fuenften
Jahrhundert der Stadt von einem praenestinischen Meister verfertigt
und nach Praeneste verkauft, aber dennoch in Rom gearbeitet worden ^7.
Allein da der Reinertrag auch des Kleingeschaefts zum groessten Teil
in die Kassen der grossen Haeuser floss, so kam ein industrieller und
kommerzieller Mittelstand nicht in entsprechender Ausdehnung empor.
Ebensowenig sonderten sich die Grosshaendler und grossen Industriellen
scharf von den grossen Grundbesitzern. Einerseits waren die letzteren
seit alter zugleich Geschaeftsbetreibende und Kapitalisten und in ihren
Haenden Hypothekardarlehen, Grosshandel und Lieferungen und Arbeiten
fuer den Staat vereinigt. Anderseits war es bei dem starken sittlichen
Akzent, der in dem roemischen Gemeinwesen auf den Grundbesitz fiel, und
bei seiner politischen Alleinberechtigung, welche erst gegen das Ende
dieser Epoche einige Einschraenkungen erlitt, ohne Zweifel schon in
dieser Zeit gewoehnlich, dass der glueckliche Spekulant mit einem
Teil seiner Kapitalien sich ansaessig machte. Es geht auch aus der
politischen Bevorzugung der ansaessigen Freigelassenen deutlich genug
hervor, dass die roemischen Staatsmaenner dahin wirkten, auf diesem Wege
die gefaehrliche Klasse der nicht grundsaessigen Reichen zu vermindern.
------------------------------------------------------ ^7 Die Vermutung,
dass der Kuenstler, welcher an diesem Kaestchen fuer die Dindia Macolnia
in Rom gearbeitet hat, Novius Plautius, ein Kampaner, gewesen sei,
wird durch die neuerlich gefundenen alten praenestinischen Grabsteine
widerlegt, auf denen unter andern Macolniern und Plautiern auch ein
Lucius Magulnius des Plautius Sohn (L. Magolnio Pla. f.) vorkommt.
------------------------------------------------------ Aber wenn auch
in Rom weder ein wohlhabender staedtischer Mittelstand noch eine
streng geschlossene Kapitalistenklasse sich bildete, so war das
grossstaedtische Wesen doch an sich in unaufhaltsamem Steigen.
Deutlich weist darauf hin die zunehmende Zahl der in der
Hauptstadt zusammengedraengten Sklaven, wovon die sehr ernsthafte
Sklavenverschwoerung des Jahres 335 (419) zeugt, und noch mehr die
steigende, allmaehlich unbequem und gefaehrlich werdende Menge der
Freigelassenen, worauf die im Jahre 397 (357) auf die Freilassungen
gelegte ansehnliche Steuer und die Beschraenkung der politischen Rechte
der Freigelassenen im Jahre 450 (304) einen sicheren Schluss gestatten.
Denn es lag nicht bloss in den Verhaeltnissen, dass die grosse
Majoritaet der freigelassenen Leute sich dem Gewerbe oder dem Handel
widmen musste, sondern es war auch die Freilassung selbst bei den
Roemern, wie gesagt, weniger eine Liberalitaet als eine industrielle
Spekulation, indem der Herr bei dem Anteil an dem Gewerb- oder
Handelsgewinn des Freigelassenen oft besser seine Rechnung fand als bei
dem Anrecht auf den ganzen Reinertrag des Sklavengeschaefts. Die Zunahme
der Freilassungen muss deshalb mit der Steigerung der kommerziellen
und industriellen Taetigkeit der Roemer notwendig Hand in Hand gegangen
sein. Einen aehnlichen Fingerzeig fuer die steigende Bedeutung des
staedtischen Wesens in Rom gewaehrt die gewaltige Entwicklung der
staedtischen Polizei. Es gehoert zum grossen Teil wohl schon dieser Zeit
an, dass die vier Aedilen unter sich die Stadt in vier Polizeibezirke
teilten und dass fuer die ebenso wichtige wie schwierige Instandhaltung
des ganz Rom durchziehenden Netzes von kleineren und groesseren
Abzugskanaelen sowie der oeffentlichen Gebaeude und Plaetze, fuer die
gehoerige Reinigung und Pflasterung der Strassen, fuer die Beseitigung
den Einsturz drohender Gebaeude, gefaehrlicher Tiere, uebler Gerueche,
fuer die Fernhaltung der Wagen ausser in den Abend- und Nachtstunden
und ueberhaupt fuer die Offenhaltung der Kommunikation, fuer die
ununterbrochene Versorgung des hauptstaedtischen Marktes mit gutem und
billigem Getreide, fuer die Vernichtung gesundheitsschaedlicher Waren
und falscher Masse und Gewichte, fuer die besondere Ueberwachung
von Baedern, Schenken, schlechten Haeusern von den Aedilen Fuersorge
getroffen ward. Im Bauwesen mag wohl die Koenigszeit, namentlich die
Epoche der grossen Eroberungen, mehr geleistet haben als die ersten zwei
Jahrhunderte der Republik. Anlagen wie die Tempel auf dem Kapitol und
dem Aventin und der grosse Spielplatz moegen den sparsamen Vaetern der
Stadt ebenso wie den fronenden Buergern ein Greuel gewesen sein, und
es ist bemerkenswert, dass das vielleicht bedeutendste Bauwerk der
republikanischen Zeit vor den Samnitischen Kriegen, der Cerestempel am
Circus, ein Werk des Spurius Cassius (261 493) war, welcher in mehr als
einer Hinsicht wieder in die Traditionen der Koenige zurueckzulenken
suchte. Auch den Privatluxus hielt die regierende Aristokratie mit einer
Strenge nieder, wie sie die Koenigsherrschaft bei laengerer Dauer sicher
nicht entwickelt haben wuerde. Aber auf die Laenge vermochte selbst der
Senat sich nicht laenger gegen das Schwergewicht der Verhaeltnisse zu
stemmen. Appius Claudius war es, der in seiner epochemachenden Zensur
(442 312) das veraltete Bauernsystem des Sparschatzsammelns beiseite
warf und seine Mitbuerger die oeffentlichen Mittel in wuerdiger Weise
gebrauchen lehrte. Er begann das grossartige System gemeinnuetziger
oeffentlicher Bauten, das, wenn irgendetwas, Roms militaerische Erfolge
auch von dem Gesichtspunkt der Voelkerwohlfahrt aus gerechtfertigt hat
und noch heute in seinen Truemmern Tausenden und Tausenden, welche von
roemischer Geschichte nie ein Blatt gelesen haben, eine Ahnung gibt
von der Groesse Roms. Ihm verdankt der roemische Staat die erste grosse
Militaerchaussee, die roemische Stadt die erste Wasserleitung. Claudius'
Spuren folgend, schlang der roemische Senat um Italien jenes Strassen-
und Festungsnetz, dessen Gruendung frueher beschrieben ward und
ohne das, wie von den Achaemeniden bis hinab auf den Schoepfer der
Simplonstrasse die Geschichte aller Militaerstaaten lehrt, keine
militaerische Hegemonie bestehen kann. Claudius' Spuren folgend,
baute Manius Curius aus dem Erloes der Pyrrhischen Beute eine zweite
hauptstaedtische Wasserleitung (482 272) und oeffnete schon einige Jahre
vorher (464 290) mit dem sabinischen Kriegsgewinn dem Velino, da wo
er oberhalb Terni in die Nera sich stuerzt, das heute noch von ihm
durchflossene breitere Bett, um in dem dadurch trockengelegten schoenen
Tal von Rieti fuer eine grosse Buergeransiedlung Raum und auch fuer sich
eine bescheidene Hufe zu gewinnen. Solche Werke verdunkelten selbst
in den Augen verstaendiger Leute die zwecklose Herrlichkeit der
hellenischen Tempel. Auch das buergerliche Leben wurde jetzt ein
anderes. Um die Zeit des Pyrrhos begann auf den roemischen Tafeln
das Silbergeschirr sich zu zeigen ^8 und das Verschwinden der
Schindeldaecher in Rom datieren die Chronisten von dem Jahre 470 (284).
Die neue Hauptstadt Italiens legte endlich ihr dorfartiges Ansehen
allmaehlich ab und fing nun auch an, sich zu schmuecken. Zwar war es
noch nicht Sitte, in den eroberten Staedten zu Roms Verherrlichung
die Tempel ihrer Zierden zu berauben; aber dafuer prangten an der
Rednerbuehne des Marktes die Schnaebel der Galeeren von Antium und
an oeffentlichen Festtagen laengs der Hallen am Markte die von den
Schlachtfeldern Samniums heimgebrachten goldbeschlagenen Schilde.
Besonders der Ertrag der Bruechgelder diente zur Pflasterung der
Strassen in und vor der Stadt oder zur Errichtung und Ausschmueckung
oeffentlicher Gebaeude. Die hoelzernen Buden der Fleischer, welche an
den beiden Langseiten des Marktes sich hinzogen, wichen zuerst an
der palatinischen, dann auch an der den Carinen zugewandten Seite
den steinernen Hallen der Geldwechsler; dadurch ward dieser Platz
zur roemischen Boerse. Die Bildsaeulen der gefeierten Maenner der
Vergangenheit, der Koenige, Priester und Helden der Sagenzeit, des
griechischen Gastfreundes, der den Zehnmaennern die Solonischen Gesetze
verdolmetscht haben sollte, die Ehrensaeulen und Denkmaeler der
grossen Buergermeister, welche die Veienter, die Latiner, die Samniten
ueberwunden hatten, der Staatsboten, die in Vollziehung ihres Auftrages
umgekommen waren, der reichen Frauen, die ueber ihr Vermoegen zu
oeffentlichen Zwecken verfuegt hatten, ja sogar schon gefeierter
griechischer Weisen und Helden, wie des Pythagoras und des Alkibiades,
wurden auf der Burg oder auf dem roemischen Markte aufgestellt. Also
ward, nachdem die roemische Gemeinde eine Grossmacht geworden war, Rom
selber eine Grossstadt. --------------------------------------- ^8 Der
wegen seines silbernen Tafelgeraets gegen Publius Cornelius Rufinus
(Konsul 464, 477 290, 277) verhaengten zensorischen Makel wurde schon
gedacht. Fabius' befremdliche Angabe (bei Strabon 5, p. 228), dass die
Roemer zuerst nach der Besiegung der Sabiner sich dem Luxus ergeben
haetten (aisthesthai to? plontoy), ist offenbar nur eine abersetzung
derselben Anekdote ins Historische; denn die Besiegung der
Sabiner faellt in Rufinus' erstes Konsulat.
------------------------------------- Endlich trat denn auch Rom
als Haupt der roemisch-italischen Eidgenossenschaft wie in das
hellenistische Staatensystem, so auch in das hellenische Geld- und
Muenzwesen ein. Bis dahin hatten die Gemeinden Nord- und Mittelitaliens
mit wenigen Ausnahmen einzig Kupfercourant, die sueditalischen Staedte
dagegen durchgaengig Silbergeld geschlagen und es der Muenzfuesse und
Muenzsysteme gesetzlich so viele gegeben, als es souveraene Gemeinden in
Italien gab. Im Jahre 485 (269) wurden alle diese Muenzstaetten auf
die Praegung von Scheidemuenze beschraenkt, ein allgemeiner, fuer ganz
Italien geltender Courantfuss eingefuehrt und die Courantpraegung in Rom
zentralisiert, nur dass Capua seine eigene, zwar unter roemischem Namen,
aber auf abweichenden Fuss gepraegte Silbermuenze auch ferner behielt.
Das neue Muenzsystem beruhte auf dem gesetzlichen Verhaeltnisse der
beiden Metalle, wie dasselbe seit langem feststand; die gemeinsame
Muenzeinheit war das Stueck von zehn, nicht mehr pfuendigen, sondern auf
das Drittelpfund reduzierten Assen, der Denarius, in Kupfer 3 1/3, in
Silber 1/72 eines roemischen Pfundes, eine Kleinigkeit mehr als
die attische Drachme. Zunaechst herrschte in der Praegung noch die
Kupfermuenze vor und wahrscheinlich ist der aelteste Silberdenar
hauptsaechlich fuer Unteritalien und fuer den Verkehr mit dem Ausland
geschlagen worden. Wie aber der Sieg der Roemer ueber Pyrrhos und
Tarent und die roemische Gesandtschaft nach Alexandreia dem griechischen
Staatsmanne dieser Zeit zu denken geben mussten, so mochte auch
der einsichtige griechische Kaufmann wohl nachdenklich diese neuen
roemischen Drachmen betrachten, deren flaches, unkuenstlerisches und
einfoermiges Gepraege neben dem gleichzeitigen wunderschoenen
der Muenzen des Pyrrhos und der Sikelioten freilich duerftig
und unansehnlich erscheint, die aber dennoch keineswegs, wie die
Barbarenmuenzen des Altertums, sklavisch nachgeahmt und in Schrot und
Korn ungleich sind, sondern mit ihrer selbstaendigen und gewissenhaften
Praegung von Haus aus jeder griechischen ebenbuertig sich an die
Seite stellen. Wenn also von der Entwicklung der Verfassungen, von
den Voelkerkaempfen um Herrschaft und Freiheit, wie sie Italien und
insbesondere Rom von der Verbannung des Tarquinischen Geschlechts bis
zur Ueberwaeltigung der Samniten und der italischen Griechen bewegten,
der Blick sich wendet zu den stilleren Kreisen des menschlichen Daseins,
die die Geschichte doch auch beherrscht und durchdringt, so begegnet ihm
ebenfalls ueberall die Nachwirkung der grossartigen Ereignisse, durch
welche die roemische Buergerschaft die Fesseln des Geschlechterregiments
sprengte und die reiche Fuelle der nationalen Bildungen Italiens
allmaehlich unterging, um ein einziges Volk zu bereichern. Durfte
auch der Geschichtschreiber es nicht versuchen, den grossen Gang
der Ereignisse in die grenzenlose Mannigfaltigkeit der individuellen
Gestaltung hinein zu verfolgen, so ueberschritt er doch seine Aufgabe
nicht, wenn er, aus der zertruemmerten Ueberlieferung einzelne
Bruchstuecke ergreifend, hindeutete auf die wichtigsten Aenderungen,
die in dieser Epoche im italischen Volksleben stattgefunden haben. Wenn
dabei noch mehr als frueher das roemische in den Vordergrund trat, so
ist dies nicht bloss in den zufaelligen Luecken unserer Ueberlieferung
begruendet; vielmehr ist es eine wesentliche Folge der veraenderten
politischen Stellung Roms, dass die latinische Nationalitaet die
uebrigen italischen immer mehr verdunkelt. Es ist schon darauf
hingewiesen worden, dass in dieser Epoche die Nachbarlaender, das
suedliche Etrurien, die Sabina, das Volskerland sich zu romanisieren
anfingen, wovon der fast gaenzliche Mangel von Sprachdenkmaelern der
alten Landesdialekte und das Vorkommen sehr alter roemischer Inschriften
in diesen Gegenden Zeugnis ablegt; die Aufnahme der Sabiner in das
volle Buergerrecht am Ende dieser Periode spricht dafuer, dass die
Latinisierung Mittelitaliens schon damals das bewusste Ziel der
roemischen Politik war. Die zahlreich durch ganz Italien zerstreuten
Einzelassignationen und Kolonialgruendungen sind nicht bloss
militaerisch, sondern auch sprachlich und national die vorgeschobenen
Posten des latinischen Stammes. Die Latinisierung der Italiker
ueberhaupt ward schwerlich schon damals beabsichtigt; im Gegenteil
scheint der roemische Senat den Gegensatz der latinischen gegen die
uebrigen Nationalitaeten absichtlich aufrecht erhalten zu haben
und gestattete zum Beispiel die Einfuehrung des Lateinischen in den
offiziellen Sprachgebrauch den kampanischen Halbbuergergemeinden noch
nicht. Indes die Natur der Verhaeltnisse ist staerker als selbst die
staerkste Regierung; mit dem latinischen Volke gewannen auch dessen
Sprache und Sitte in Italien zunaechst das Prinzipat und fingen bereits
an, die uebrigen italischen Nationalitaeten zu untergraben. Gleichzeitig
wurden dieselben von einer anderen Seite und mit einem anders
begruendeten Uebergewicht angegriffen durch den Hellenismus. Es war dies
die Epoche, wo das Griechentum seiner geistigen Ueberlegenheit ueber die
uebrigen Nationen anfing, sich bewusst zu werden und nach allen Seiten
hin Propaganda zu machen. Auch Italien blieb davon nicht unberuehrt. Die
merkwuerdigste Erscheinung in dieser Art bietet Apulien, das seit dem
fuenften Jahrhundert Roms allmaehlich seine barbarische Mundart ablegte
und sich im stillen hellenisierte. Es erfolgte dies aehnlich wie
in Makedonien und Epeiros nicht durch Kolonisierung, sondern durch
Zivilisierung, die mit dem tarentinischen Landhandel Hand in Hand
gegangen zu sein scheint - wenigstens spricht es fuer die letztere
Annahme, dass die den Tarentinern befreundeten Landschaften der
Poediculer und Daunier die Hellenisierung vollstaendiger durchfuehrten
als die Tarent naeher wohnenden, aber bestaendig mit ihm hadernden
Sallentiner, und dass die am fruehesten graezisierten Staedte, zum
Beispiel Arpi, nicht an der Kueste gelegen waren. Dass auf Apulien das
griechische Wesen staerkeren Einfluss uebte als auf irgendeine andere
italische Landschaft, erklaert sich teils aus seiner Lage, teils aus der
geringen Entwicklung einer eigenen nationalen Bildung, teils wohl
auch aus seiner dem griechischen Stamm minder fremd als die uebrigen
italischen gegenueberstehenden Nationalitaet. Indes ist schon frueher
darauf aufmerksam gemacht worden, dass auch die suedlichen sabellischen
Staemme, obwohl zunaechst sie im Verein mit syrakusanischen Tyrannen
das hellenische Wesen in Grossgriechenland knickten und verdarben,
doch zugleich durch die Beruehrung und Mischung mit den Griechen teils
griechische Sprache neben der einheimischen annahmen, wie die Brettier
und Nolaner, teils wenigstens griechische Schrift und griechische Sitte,
wie die Lucaner und ein Teil der Kampaner. Etrurien zeigt gleichfalls
die Ansaetze einer verwandten Entwicklung in den bemerkenswerten dieser
Epoche angehoerenden Vasenfunden, in denen es mit Kampanien und Lucanien
rivalisiert; und wenn Latium und Samnium dem Hellenismus fernergeblieben
sind, so fehlt es doch auch hier nicht an Spuren des beginnenden und
immer steigenden Einflusses griechischer Bildung. In allen Zweigen der
roemischen Entwicklung dieser Epoche, in Gesetzgebung und Muenzwesen, in
der Religion, in der Bildung der Stammsage stossen wir auf griechische
Spuren, und namentlich seit dem Anfang des fuenften Jahrhunderts, das
heisst seit der Eroberung Kampaniens, erscheint der griechische Einfluss
auf das roemische Wesen in raschem und stets zunehmendem Wachstum.
In das vierte Jahrhundert faellt die Einrichtung der auch sprachlich
merkwuerdigen "graecostasis", einer Tribuene auf dem roemischen Markt
fuer die vornehmen griechischen Fremden, zunaechst die Massalioten. Im
folgenden fangen die Jahrbuecher an, vornehme Roemer mit griechischen
Beinamen, wie Philippos oder roemisch Pilipus, Philon, Sophos, Hypsaeos
aufzuweisen. Griechische Sitten dringen ein; so der nichtitalische
Gebrauch, Inschriften zur Ehre des Toten auf dem Grabmal anzubringen,
wovon die Grabschrift des Lucius Scipio, Konsul 456 (298), das aelteste
uns bekannte Beispiel ist; so die gleichfalls den Italikern fremde
Weise, ohne Gemeindebeschluss an oeffentlichen Orten den Vorfahren
Ehrendenkmaeler zu errichten, womit der grosse Neuerer Appius Claudius
den Anfang machte, als er in dem neuen Tempel der Bellona Erzschilde mit
den Bildern und den Elogien seiner Vorfahren aufhaengen liess (442 312);
so die im Jahre 461 (293) bei dem roemischen Volksfest eingefuehrte
Erteilung von Palmzweigen an die Wettkaempfer; so vor allem die
griechische Tischsitte. Die Weise, bei Tische nicht wie ehemals auf
Baenken zu sitzen, sondern auf Sofas zu liegen; die Verschiebung der
Hauptmahlzeit von der Mittag- auf die Stunde zwischen zwei und drei Uhr
nachmittags nach unserer Rechnung; die Trinkmeister bei den Schmaeusen,
welche meistens durch Wuerfelung aus den Gaesten fuer den Schmaus
bestellt werden und nun den Tischgenossen vorschreiben, was, wie
und wann getrunken werden soll; die nach der Reihe von den Gaesten
gesungenen Tischlieder, die freilich in Rom nicht Skolien, sondern
Ahnengesaenge waren - alles dies ist in Rom nicht urspruenglich und doch
schon in sehr alter Zeit den Griechen entlehnt; denn zu Catos Zeit waren
diese Gebraeuche bereits gemein, ja zum Teil schon wieder abgekommen.
Man wird daher ihre Einfuehrung spaetestens in diese Zeit zu setzen
haben. Charakteristisch ist auch die Errichtung der Bildsaeulen des
"weisesten und des tapfersten Griechen" auf dem roemischen Markt, die
waehrend der Samnitischen Kriege auf Geheiss des pythischen Apollon
stattfand; man waehlte, offenbar unter sizilischem oder kampanischem
Einfluss, den Pythagoras und den Alkibiades, den Heiland und den
Hannibal der Westhellenen. Wie verbreitet die Kenntnis des Griechischen
schon im fuenften Jahrhundert unter den vornehmen Roemern war, beweisen
die Gesandtschaften der Roemer nach Tarent, wo der Redner der Roemer,
wenn auch nicht im reinsten Griechisch, doch ohne Dolmetsch sprach,
und des Kineas nach Rom. Es leidet kaum einen Zweifel, dass seit dem
fuenften Jahrhundert die jungen Roemer, die sich den Staatsgeschaeften
widmeten, durchgaengig die Kunde der damaligen Welt- und
Diplomatensprache sich erwarben. So schritt auf dem geistigen Gebiet der
Hellenismus ebenso unaufhaltsam vorwaerts, wie der Roemer arbeitete, die
Erde sich untertaenig zu machen; und die sekundaeren Nationalitaeten,
wie die samnitische, keltische, etruskische, verloren, von zwei Seiten
her bedraengt, immer mehr an Ausdehnung wie an innerer Kraft. Wie aber
die beiden grossen Nationen, beide angelangt auf dem Hoehepunkt ihrer
Entwicklung, in feindlicher wie in freundlicher Beruehrung anfangen sich
zu durchdringen, tritt zugleich ihre Gegensaetzlichkeit, der gaenzliche
Mangel alles Individualismus in dem italischen und vor allem in dem
roemischen Wesen gegenueber der unendlichen stammlichen, oertlichen und
menschlichen Mannigfaltigkeit des Hellenismus in voller Schaerfe hervor.
Es gibt keine gewaltigere Epoche in der Geschichte Roms als die Epoche
von der Einsetzung der roemischen Republik bis auf die Unterwerfung
Italiens; in ihr wurde das Gemeinwesen nach innen wie nach aussen
begruendet, in ihr das einige Italien erschaffen, in ihr das
traditionelle Fundament des Landrechts und der Landesgeschichte erzeugt,
in ihr das Pilum und der Manipel, der Strassen- und Wasserbau, die
Guts- und Geldwirtschaft begruendet, in ihr die Kapitolinische
Woelfin gegossen und das ficoronische Kaestchen gezeichnet. Aber die
Individualitaeten, welche zu diesem Riesenbau die einzelnen Steine
herbeigetragen und sie zusammengefuegt haben, sind spurlos verschollen
und die italischen Voelkerschaften nicht voelliger in der roemischen
aufgegangen als der einzelne roemische Buerger in der roemischen
Gemeinde. Wie das Grab in gleicher Weise ueber dem bedeutenden wie ueber
dem geringen Menschen sich schliesst, so steht auch in der roemischen
Buergermeisterliste der nichtige Junker ununterscheidbar neben dem
grossen Staatsmann. Von den wenigen Aufzeichnungen, welche aus dieser
Zeit bis auf uns gekommen sind, ist keine ehrwuerdiger und keine
zugleich charakteristischer als die Grabschrift des Lucius Cornelius
Scipio, der im Jahre 456 (298) Konsul war und drei Jahre nachher in der
Entscheidungsschlacht bei Sentinum mitfocht. Auf dem schoenen Sarkophag
in edlem dorischen Stil, der noch vor achtzig Jahren den Staub
des Besiegers der Samniten einschloss, ist der folgende Spruch
eingeschrieben: Cornelius Lucius - Scipio Barbatus, Gnaivod patre
prognatus, - fortis vir sapiensque, Quoius forma virtu - tei parisuma
fuit, Consol censor aidilis - quei fuit apud vos, Taurasia Cisauna -
Samnio cepit, Subigit omne Loucanam - opsidesque abdoucit. Cornelius
Lucius - Scipio Barbatus, Des Vaters Gnaevos Sohn, ein - Mann so klug
wie tapfer, Des Wohlgestalt war seiner - Tugend angemessen, Der Konsul,
Zensor war bei - euch wie auch Aedilis, Taurasia, Cisauna - nahm er ein
in Samnium, Bezwingt Lucanien ganz und - fuehret weg die Geiseln. So wie
diesem roemischen Staatsmann und Krieger mochte man unzaehligen anderen,
die an der Spitze des roemischen Gemeinwesens gestanden haben, es
nachruehmen, dass sie adlige und schoene, tapfere und kluge Maenner
gewesen; aber weiter war auch nichts von ihnen zu melden. Es ist wohl
nicht bloss Schuld der Ueberlieferung, dass keiner dieser Cornelier,
Fabier, Papirier und wie sie weiter heissen, uns in einem menschlich
bestimmten Bild entgegentritt. Der Senator soll nicht schlechter und
nicht besser, ueberhaupt nicht anders sein als die Senatoren alle; es
ist nicht noetig und nicht wuenschenswert, dass ein Buerger die uebrigen
uebertreffe, weder durch prunkendes Silbergeraet und hellenische Bildung
noch durch ungemeine Weisheit und Trefflichkeit. Jene Ausschreitungen
straft der Zensor und fuer diese ist kein Raum in der Verfassung. Das
Rom dieser Zeit gehoert keinem einzelnen an; die Buerger muessen sich
alle gleichen, damit jeder einem Koenig gleich sei. Allerdings macht
schon jetzt daneben die hellenische Individualentwicklung sich geltend;
und die Genialitaet und Gewaltsamkeit derselben traegt eben wie die
entgegengesetzte Richtung den vollen Stempel dieser grossen Zeit. Es
ist nur ein einziger Mann hier zu nennen; aber in ihm ist auch der
Fortschrittsgedanke gleichsam inkarniert. Appius Claudius (Zensor 442
312; Konsul 447, 458 307, 296), der Ururenkel des Dezemvirs, war ein
Mann von altem Adel und stolz auf die lange Reihe seiner Ahnen;
aber dennoch ist er es gewesen, der die Beschraenkung des vollen
Gemeindebuergerrechts auf die ansaessigen Leute gesprengt, der das alte
Finanzsystem gebrochen hat. Von Appius Claudius datieren nicht bloss
die roemischen Wasserleitungen und Chausseen, sondern auch die roemische
Jurisprudenz, Eloquenz, Poesie und Grammatik - die Veroeffentlichung
eines Klagspiegels, aufgezeichnete Reden und pythagoreische Sprueche,
selbst Neuerungen in der Orthographie werden ihm beigelegt. Man darf
ihn darum noch nicht unbedingt einen Demokraten nennen, noch ihn jener
Oppositionspartei beizaehlen, die in Manius Curius ihren Vertreter fand;
in ihm war vielmehr der Geist der alten und neuen patrizischen Koenige
maechtig, der Geist der Tarquinier und der Caesaren, zwischen denen er
in dem fuenfhundertjaehrigen Interregnum ausserordentlicher Taten und
gewoehnlicher Maenner die Verbindung macht. Solange Appius Claudius
an dem oeffentlichen Leben taetigen Anteil nahm, trat er in seiner
Amtsfuehrung wie in seinem Lebenswandel, keck und ungezogen wie ein
Athener, nach rechts wie nach links hin Gesetzen und Gebraeuchen
entgegen; bis dann, nachdem er laengst von der politischen Buehne
abgetreten war, der blinde Greis wie aus dem Grabe wiederkehrend, in der
entscheidenden Stunde den Koenig Pyrrhos im Senate ueberwand und Roms
vollendete Herrschaft ueber Italien zuerst foermlich und feierlich
aussprach. Aber der geniale Mann kam zu frueh oder zu spaet; die Goetter
blendeten ihn wegen seiner unzeitigen Weisheit. Nicht das Genie des
einzelnen herrschte in Rom und durch Rom in Italien, sondern der eine
unbewegliche, von Geschlecht zu Geschlecht im Senat fortgepflanzte
politische Gedanke, in dessen leitende Maximen schon die senatorischen
Knaben sich hineinlebten, indem sie in Begleitung ihrer Vaeter mit zum
Rate gingen und an der Tuer des Saales der Weisheit derjenigen Maenner
lauschten, auf deren Stuehlen sie dereinst bestimmt waren zu sitzen.
So wurden ungeheure Erfolge um ungeheuren Preis erreicht; denn auch der
Nike folgt ihre Nemesis. Im roemischen Gemeinwesen kommt es auf keinen
Menschen besonders an, weder auf den Soldaten noch auf den Feldherrn,
und unter der starren sittlich- polizeilichen Zucht wird jede
Eigenartigkeit des menschlichen Wesens erstickt. Rom ist gross geworden
wie kein anderer Staat des Altertums; aber es hat seine Groesse teuer
bezahlt mit der Aufopferung der anmutigen Mannigfaltigkeit, der bequemen
Laesslichkeit, der innerlichen Freiheit des hellenischen Lebens. 9.
Kapitel Kunst und Wissenschaft Die Entwicklung der Kunst und namentlich
der Dichtkunst steht im Altertum im engsten Zusammenhang mit der
Entwicklung der Volksfeste. Das schon in der vorigen Epoche wesentlich
unter griechischem Einfluss, zunaechst als ausserordentliche Feier,
geordnete Dankfest der roemischen Gemeinde, die "grossen" oder
"roemischen Spiele", nahm waehrend der gegenwaertigen an Dauer wie an
Mannigfaltigkeit der Belustigungen zu. Urspruenglich beschraenkt auf die
Dauer eines Tages wurde das Fest nach der gluecklichen Beendigung
der drei grossen Revolutionen von 245, 260 und 387 (509, 494 und 367)
jedesmal um einen Tag verlaengert und hatte am Ende dieser Periode also
bereits eine viertaegige Dauer ^1. Wichtiger noch war es, dass das Fest
wahrscheinlich mit Einsetzung der von Haus aus mit der Ausrichtung und
Ueberwachung desselben betrauten kurulischen Aedilitaet (387 367)
seinen ausserordentlichen Charakter und damit seine Beziehung auf ein
bestimmtes Feldherrngeluebde verlor und in die Reihe der ordentlichen,
jaehrlich wiederkehrenden als erstes unter allen eintrat. Indes blieb
die Regierung beharrlich dabei, das eigentliche Schaufest, namentlich
das Hauptstueck, das Wagenrennen, nicht mehr als einmal am Schluss
des Festes stattfinden zu lassen; an den uebrigen Tagen war es wohl
zunaechst der Menge ueberlassen, sich selber ein Fest zu geben, obwohl
Musikanten, Taenzer, Seilgaenger, Taschenspieler, Possenreisser und
dergleichen Leute mehr nicht verfehlt haben werden, gedungen oder nicht
gedungen, dabei sich einzufinden. Aber um das Jahr 390 (364) trat
eine wichtige Veraenderung ein, welche mit der vielleicht gleichzeitig
erfolgten Fixierung und Verlaengerung des Festes in Zusammenhang stehen
wird: man schlug von Staats wegen waehrend der ersten drei Tage
im Rennplatz ein Brettergeruest auf und sorgte fuer angemessene
Vorstellungen auf demselben zur Unterhaltung der Menge. Um indes nicht
auf diesem Wege zu weit gefuehrt zu werden, wurde fuer die Kosten des
Festes eine feste Summe von 200000 Assen (14500 Taler) ein fuer allemal
aus der Staatskasse ausgeworfen und diese ist auch bis auf die Punischen
Kriege nicht gesteigert worden; den etwaigen Mehrbetrag mussten die
Aedilen, welche diese Summe zu verwenden hatten, aus ihrer Tasche
decken und es ist nicht wahrscheinlich, dass sie in dieser Zeit oft und
betraechtlich vom Eigenen zugeschossen haben. Dass die neue Buehne im
allgemeinen unter griechischem Einfluss stand, beweist schon ihr Name
(scaena sk/e/n/e/). Sie war zwar zunaechst lediglich fuer Spielleute und
Possenreisser jeder Art bestimmt, unter denen die Taenzer zur Floete,
namentlich die damals gefeierten etruskischen, wohl noch die vornehmsten
sein mochten; indes war nun doch eine oeffentliche Buehne in Rom
entstanden und bald oeffnete dieselbe sich auch den roemischen Dichtern.
------------------------------------------------------- ^1 Was Dionys
(6, 95; vgl. B. G. Niebuhr, Roemische Geschichte. Bd. 2, S. 40) und,
schoepfend aus einer anderen Dionysischen Stelle, Plutarch (Cam. 42)
von dem latinischen Fest berichtet, ist, wie ausser anderen Gruenden
schlagend die Vergleichung der letzteren Stelle mit Liv. 6, 42 (F. W.
Ritschl, Parerga zu Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 313)
zeigt, vielmehr von den roemischen Spielen zu verstehen; Dionys hat, und
zwar nach seiner Gewohnheit im Verkehrten beharrlich, den Ausdruck ludi
maximi missverstanden. Uebrigens gab es auch eine Ueberlieferung, wonach
der Ursprung des Volksfestes, statt wie gewoehnlich auf die Besiegung
der Latiner durch den ersten Tarquinius, vielmehr auf die Besiegung der
Latiner am Regiller See zurueckgefuehrt ward (Cic. div. 1, 26, 55;
Dion. Hal. 7, 71). Dass die wichtigen, an der letzten Stelle aus Fabius
aufbehaltenen Angaben in der Tat auf das gewoehnliche Dankfest und nicht
auf eine besondere Votivfeierlichkeit gehen, zeigt die ausdrueckliche
Hinweisung auf die jaehrliche Wiederkehr der Feier und die genau mit
der Angabe bei dem falschen Asconius (Ps. Ascon. p. 142 Or.) stimmende
Kostensumme. --------------------------------------------------- Denn
an Dichtern fehlte es in Latium nicht. Latinische "Vaganten" oder
"Baenkelsaenger" (grassatores, spatiatores) zogen von Stadt zu Stadt und
von Haus zu Haus und trugen ihre Lieder (saturae) mit gestikulierendem
Tanz zur Floetenbegleitung vor. Das Mass war natuerlich das einzige, das
es damals gab, das sogenannte saturnische. Eine bestimmte Handlung lag
den Liedern nicht zugrunde, und ebensowenig scheinen sie dialogisiert
gewesen zu sein; man wird sich dieselben nach dem Muster jener
eintoenigen, bald improvisierten, bald rezitierten Ballaten und
Tarantellen vorstellen duerfen, wie man sie heute noch in den roemischen
Osterien zu hoeren bekommt. Dergleichen Lieder kamen denn auch frueh
auf die oeffentliche Buehne und sind allerdings der erste Keim des
roemischen Theaters geworden. Aber diese Anfaenge der Schaubuehne sind
in Rom nicht bloss, wie ueberall, bescheiden, sondern in bemerkenswerter
Weise gleich von vornherein bescholten. Schon die Zwoelf Tafeln treten
dem ueblen und nichtigen Singsang entgegen, indem sie nicht bloss auf
Zauber-, sondern selbst auf Spottlieder, die man auf einen Mitbuerger
verfertigt oder ihm vor der Tuere absingt, schwere Kriminalstrafen
setzen und die Zuziehung von Klagefrauen bei der Bestattung verbieten.
Aber weit strenger als durch die gesetzlichen Restriktionen ward die
beginnende Kunstuebung durch den sittlichen Bann getroffen, welchen der
philisterhafte Ernst des roemischen Wesens gegen diese leichtsinnigen
und bezahlten Gewerbe schleuderte. "Das Dichterhandwerk", sagt Cato,
"war sonst nicht angesehen; wenn jemand damit sich abgab oder bei den
Gelagen sich anhaengte, so hiess er ein Bummler." Wer nun aber gar Tanz,
Musik und Baenkelgesang fuer Geld betrieb, ward bei der immer mehr sich
festsetzenden Bescholtenheit eines jeden durch Dienstverrichtungen
gegen Entgelt gewonnenen Lebensunterhalts von einem zwiefachen Makel
getroffen. Wenn daher das Mitwirken bei den landueblichen maskierten
Charakterpossen als ein unschuldiger jugendlicher Mutwille betrachtet
ward, so galt das Auftreten auf der oeffentlichen Buehne fuer Geld und
ohne Masken geradezu fuer schaendlich, und der Saenger und Dichter stand
dabei mit dem Seiltaenzer und dem Hanswurst voellig in gleicher Reihe.
Dergleichen Leute wurden durch die Sittenmeister regelmaessig
fuer unfaehig erklaert, in dem Buergerheer zu dienen und in der
Buergerversammlung zu stimmen. Es wurde ferner nicht bloss, was allein
schon bezeichnend genug ist, die Buehnendirektion betrachtet als zur
Kompetenz der Stadtpolizei gehoerig, sondern es ward auch der
Polizei wahrscheinlich schon in dieser Zeit gegen die gewerbmaessigen
Buehnenkuenstler eine ausserordentliche arbitraere Gewalt eingeraeumt.
Nicht allein hielten die Polizeiherren nach vollendeter Auffuehrung
ueber sie Gericht, wobei der Wein fuer die geschickten Leute ebenso
reichlich floss, wie fuer den Stuemper die Pruegel fielen, sondern es
waren auch saemtliche staedtische Beamte gesetzlich befugt, ueber jeden
Schauspieler zu jeder Zeit und an jedem Orte koerperliche Zuechtigung
und Einsperrung zu verhaengen. Die notwendige Folge davon war, dass
Tanz, Musik und Poesie, wenigstens soweit sie auf der oeffentlichen
Buehne sich zeigten, den niedrigsten Klassen der roemischen
Buergerschaft und vor allem den Fremden in die Haende fielen; und wenn
in dieser Zeit die Poesie dabei noch ueberhaupt eine zu geringe Rolle
spielte, als dass fremde Kuenstler mit ihr sich beschaeftigt haetten,
so darf dagegen die Angabe, dass in Rom die gesamte sakrale und profane
Musik wesentlich etruskisch, also die alte, einst offenbar hochgehaltene
latinische Floetenkunst durch die fremdlaendische unterdrueckt war,
schon fuer diese Zeit gueltig erachtet werden. Von einer poetischen
Literatur ist keine Rede. Weder die Maskenspiele noch die
Buehnenrezitationen koennen eigentlich feste Texte gehabt haben, sondern
wurden je nach Beduerfnis regelmaessig von den Vortragenden selbst
verfertigt. Von schriftstellerischen Arbeiten aus dieser Zeit wusste man
spaeterhin nichts aufzuzeigen als eine Art roemischer 'Werke und Tage',
eine Unterweisung des Bauern an seinen Sohn ^2, und die schon erwaehnten
pythagoreischen Gedichte des Appius Claudius, den ersten Anfang
hellenisierender roemischer Poesie. Uebrig geblieben ist von den
Dichtungen dieser Epoche nichts als eine und die andere Grabschrift
im saturnischen Masse. Wie die Anfaenge der roemischen Schaubuehne so
gehoeren auch die Anfaenge der roemischen Geschichtschreibung in
diese Epoche, sowohl der gleichzeitigen Aufzeichnung der merkwuerdigen
Ereignisse wie der konventionellen Feststellung der Vorgeschichte der
roemischen Gemeinde. Die gleichzeitige Geschichtschreibung knuepft an
das Beamtenverzeichnis an. Das am weitesten zurueckreichende, das den
spaeteren roemischen Forschern vorgelegen hat und mittelbar auch uns
noch vorliegt, scheint aus dem Archiv des kapitolinischen Jupitertempels
herzuruehren, da es von dem Konsul Marcus Horatius an, der denselben
am 13. September seines Amtsjahres einweihte, die Namen der jaehrigen
Gemeindevorsteher auffuehrt, auch auf das unter den Konsuln Publius
Servilius und Lucius Aebutius (nach der jetzt gangbaren Zaehlung 291 der
Stadt 463) bei Gelegenheit einer schweren Seuche erfolgte Geloebnis:
von da an jedes hundertste Jahr in die Wand des kapitolinischen Tempels
einen Nagel zu schlagen, Ruecksicht nimmt. Spaeterhin sind es die Mass-
und Schriftgelehrten der Gemeinde, das heisst die Pontifices, welche
die Namen der jaehrigen Gemeindevorsteher von Amts wegen verzeichnen
und also mit der aelteren Monat- eine Jahrtafel verbinden; beide werden
seitdem unter dem - eigentlich nur der Gerichtstagtafel zukommenden -
Namen der Fasten zusammengefasst. Diese Einrichtung mag nicht lange nach
der Abschaffung des Koenigtums getroffen sein, da in der Tat, um
die Reihenfolge der oeffentlichen Akte konstatieren zu koennen,
die offizielle Verzeichnung der Jahrbeamten dringendes praktisches
Beduerfnis war; aber wenn es ein so altes offizielles Verzeichnis der
Gemeindebeamten gegeben hat, so ist dies wahrscheinlich im
gallischen Brande (364 390) zugrunde gegangen und die Liste des
Pontifikalkollegiums nachher aus der von dieser Katastrophe nicht
betroffenen kapitolinischen, so weit diese zurueckreichte, ergaenzt
worden. Dass das uns vorliegende Vorsteherverzeichnis zwar in den
Nebensachen, besonders den genealogischen Angaben nach der Hand aus den
Stammbaeumen des Adels vervollstaendigt worden ist, im wesentlichen
aber von Anfang an auf gleichzeitige und glaubwuerdige Aufzeichnungen
zurueckgeht, leidet keinen Zweifel; die Kalenderjahre aber gibt dasselbe
nur unvollkommen und annaehernd wieder, da die Gemeindevorsteher
nicht mit dem Neujahr, ja nicht einmal mit einem ein fuer allemal
festgestellten Tage antraten, sondern aus mancherlei Veranlassungen
der Antrittstag sich hin und her schob und die haeufig zwischen zwei
Konsulaten eintretenden Zwischenregierungen in der Rechnung nach
Amtsjahren ganz ausfielen. Wollte man dennoch nach dieser Vorsteherliste
die Kalenderjahre zaehlen, so war es noetig, den Antritts- und
Abgangstag eines jeden Kollegiums nebst den etwaigen Interregnen mit
anzumerken; und auch dies mag frueh geschehen sein. Ausserdem aber
wurde die Liste der Jahrbeamten zur Kalenderjahrliste in der Weise
hergerichtet, dass man durch Akkommodation jedem Kalenderjahr ein
Beamtenpaar zuteilte und, wo die Liste nicht ausreichte, Fuelljahre
einlegte, welche in der spaeteren (Varronischen) Tafel mit den Ziffern
379-383, 421, 430, 445, 453 bezeichnet sind. Vom Jahre 291 (463) ist
die roemische Liste nachweislich, zwar nicht im einzelnen, wohl aber im
ganzen, mit dem roemischen Kalender in Uebereinstimmung, also insoweit
chronologisch sicher, als die Mangelhaftigkeit des Kalenders selbst dies
verstattet; die jenseits jenes Jahres liegenden 47 Jahrstellen entziehen
sich der Kontrolle, werden aber wenigstens in der Hauptsache gleichfalls
richtig sein ^3; was jenseits des Jahres 245 (509) liegt,
ist chronologisch verschollen.
----------------------------------------------------- ^2 Erhalten ist
davon das Bruchstueck: Bei trocknem Herbste, nassem - Fruehling, wirst
du, Knabe, Einernten grosse Spelte. Wir wissen freilich nicht, mit
welchem Rechte dieses Gedicht spaeterhin als das aelteste roemische
galt (Macr. Sat. 5, 20; Fest. v. flaminius p. 93 M; Serv. georg. 1,
101; Plin. nat. 17, 2, 14). ^3 Nur die ersten Stellen in der Liste geben
Anlass zum Verdacht und moegen spaeter hinzugefuegt sein, um die Zahl
der Jahre von der Koenigsflucht bis zum Stadtbrande auf 120
abzurunden. ------------------------------------------------ Eine
gemeingebraeuchliche Aera hat sich nicht gebildet; doch ist in
sakralen Verhaeltnissen gezaehlt worden nach dem Einweihungsjahr des
kapitolinischen Jupitertempels, von wo ab ja auch die Beamtenliste lief.
Nahe lag es, neben den Namen der Beamten die wichtigsten unter ihrer
Amtsfuehrung vorgefallenen Ereignisse anzumerken; und aus solchen, dem
Beamtenkatalog beigefuegten Nachrichten ist die roemische Chronik,
ganz wie aus den der Ostertafel beigeschriebenen Notizen die
mittelalterliche, hervorgegangen. Aber erst spaet kam es zu der Anlegung
einer foermlichen, die Namen saemtlicher Beamten und die merkwuerdigen
Ereignisse Jahr fuer Jahr stetig verzeichnenden Chronik (liber annalis)
durch die Pontifices. Vor der unter dem 5. Juni 351 (403) angemerkten
Sonnenfinsternis, womit wahrscheinlich die vom 20. Juni 354
(400) gemeint ist, fand sich in der spaeteren Stadtchronik keine
Sonnenfinsternis nach Beobachtung verzeichnet; die Zensuszahlen
derselben fangen erst seit dem Anfang des fuenften Jahrhunderts der
Stadt an, glaublich zu lauten; die vor dem Volk gefuehrten Busssachen
und die von Gemeinde wegen gesuehnten Wunderzeichen scheint man erst
seit der zweiten Haelfte des fuenften Jahrhunderts regelmaessig in die
Chronik eingetragen zu haben. Allem Anschein nach hat die Einrichtung
eines geordneten Jahrbuchs und, was sicher damit zusammenhaengt, die
eben eroerterte Redaktion der aelteren Beamtenliste zum Zweck der
Jahrzaehlung mittels Einlegung der chronologisch noetigen Fuelljahre in
der ersten Haelfte des fuenften Jahrhunderts stattgefunden. Aber auch
nachdem sich die Uebung festgestellt hatte, dass es dem Oberpontifex
obliege, Kriegslaeufte und Kolonisierungen, Pestilenz und teuere
Zeit, Finsternisse und Wunder, Todesfaelle der Priester und anderer
angesehener Maenner, die neuen Gemeindebeschluesse, die Ergebnisse
der Schatzung Jahr fuer Jahr aufzuschreiben und diese Anzeichnungen in
seiner Amtwohnung zu bleibendem Gedaechtnis und zu jedermanns Einsicht
aufzustellen, war man damit von einer wirklichen Geschichtschreibung
noch weit entfernt. Wie duerftig die gleichzeitige Aufzeichnung noch am
Schlusse dieser Periode war und wie weiten Spielraum sie der Willkuer
spaeterer Annalisten gestattete, zeigt mit schneidender Deutlichkeit die
Vergleichung der Berichte ueber den Feldzug vom Jahre 456 (298) in
den Jahrbuechern und auf der Grabschrift des Konsuls Scipio ^4. Die
spaeteren Historiker waren augenscheinlich ausserstande, aus diesen
Stadtbuchnotizen einen lesbaren und einigermassen zusammenhaengenden
Bericht zu gestalten; und auch wir wuerden, selbst wenn uns das
Stadtbuch noch in seiner urspruenglichen Fassung vorlaege, schwerlich
daraus die Geschichte der Zeit pragmatisch zu schreiben vermoegen. Indes
gab es solche Stadtchroniken nicht bloss in Rom, sondern jede latinische
Stadt hat wie ihre Pontifices, so auch ihre Annalen besessen, wie dies
aus einzelnen Notizen zum Beispiel fuer Ardea, Ameria, Interamna am Nar
deutlich hervorgeht; und mit der Gesamtheit dieser Stadtchroniken haette
vielleicht sich etwas Aehnliches erreichen lassen, wie es fuer
das fruehere Mittelalter durch die Vergleichung der verschiedenen
Klosterchroniken erreicht worden ist. Leider hat man in Rom
spaeterhin es vorgezogen, die Luecke vielmehr durch hellenische
oder hellenisierende Luege zu fuellen.
------------------------------------------------ ^4 1, 470. Nach den
Annalen kommandiert Scipio in Etrurien, sein Kollege in Samnium und ist
Lucanien dies Jahr im Bunde mit Rom; nach der Grabschrift erobert
Scipio zwei Staedte in Samnium und ganz Lucanien.
------------------------------------------------ Ausser diesen
freilich duerftig angelegten und unsicher gehandhabten offiziellen
Veranstaltungen zur Feststellung der verflossenen Zeiten und vergangenen
Ereignisse koennen in dieser Epoche kaum Aufzeichnungen vorgekommen
sein, welche der roemischen Geschichte unmittelbar gedient haetten.
Von Privatchroniken findet sich keine Spur. Nur liess man sich in den
vornehmen Haeusern es angelegen sein, die auch rechtlich so wichtigen
Geschlechtstafeln festzustellen und den Stammbaum zu bleibendem
Gedaechtnis auf die Wand des Hausflurs zu malen. An diesen Listen,
die wenigstens auch die Aemter nannten, fand nicht bloss die
Familientradition einen Halt, sondern es knuepften sich hieran auch wohl
frueh biographische Aufzeichnungen. Die Gedaechtnisreden, welche in
Rom bei keiner vornehmen Leiche fehlen durften und regelmaessig von
dem naechsten Verwandten des Verstorbenen gehalten wurden, bestanden
wesentlich nicht bloss in der Aufzaehlung der Tugenden und Wuerden des
Toten, sondern auch in der Aufzaehlung der Taten und Tugenden seiner
Ahnen; und so gingen auch sie wohl schon in fruehester Zeit traditionell
von einer Generation auf die andere ueber. Manche wertvolle Nachricht
mochte hierdurch erhalten, freilich auch manche dreiste Verdrehung
und Faelschung in die Ueberlieferung eingefuehrt werden. Aber wie die
Anfaenge der wirklichen Geschichtschreibung gehoeren ebenfalls in diese
Zeit die Anfaenge der Aufzeichnung und konventionellen Entstellung der
Vorgeschichte Roms. Die Quellen dafuer waren natuerlich dieselben wie
ueberall. Einzelne Namen, wie die der Koenige Numa, Ancus, Tullus,
denen die Geschlechtsnamen wohl erst spaeter zugeteilt worden sind,
und einzelne Tatsachen, wie die Besiegung der Latiner durch Koenig
Tarquinius und die Vertreibung des tarquinischen Koenigsgeschlechts
mochten in allgemeiner, muendlich fortgepflanzter wahrhafter
Ueberlieferung fortleben. Anderes lieferte die Tradition der adligen
Geschlechter, wie zum Beispiel die Fabiererzaehlungen mehrfach
hervortreten. In anderen Erzaehlungen wurden uralte Volksinstitutionen,
besonders mit grosser Lebendigkeit rechtliche Verhaeltnisse symbolisiert
und historisiert; so die Heiligkeit der Mauern in der Erzaehlung vom
Tode des Remus, die Abschaffung der Blutrache in der von dem Ende des
Koenigs Tatius, die Notwendigkeit der die Pfahlbruecke betreffenden
Ordnung in der Sage von Horatius Cocles ^5, die Entstehung des
Gnadenurteils der Gemeinde in der schoenen Erzaehlung von den Horatiern
und Curiatiern, die Entstehung der Freilassung und des Buergerrechts
der Freigelassenen in derjenigen von der Tarquinierverschwoerung und dem
Sklaven Vindicius. Ebendahin gehoert die Geschichte der Stadtgruendung
selbst, welche Roms Ursprung an Latium und die allgemeine latinische
Metropole Alba anknuepfen soll. Zu den Beinamen der vornehmen Roemer
entstanden historische Glossen, wie zum Beispiel Publius Valerius der
"Volksdiener" (Poplicola) einen ganzen Kreis derartiger Anekdoten um
sich gesammelt hat, und vor allem knuepften an den heiligen Feigenbaum
und andere Plaetze und Merkwuerdigkeiten der Stadt sich in grosser
Menge Kuestererzaehlungen von der Art derjenigen an, aus denen ueber ein
Jahrtausend spaeter auf demselben Boden die Mirabilia Urbis erwuchsen.
Eine gewisse Zusammenknuepfung dieser verschiedenen Maerchen, die
Feststellung der Reihe der sieben Koenige, die ohne Zweifel auf der
Geschlechterrechnung ruhende Ansetzung ihrer Regierungszeit insgesamt
auf 240 Jahre ^6 und selbst der Anfang offizieller Aufzeichnung dieser
Ansetzungen hat wahrscheinlich schon in dieser Epoche stattgefunden: die
Grundzuege der Erzaehlung und namentlich deren Quasichronologie treten
in der spaeteren Tradition mit so unwandelbarer Festigkeit auf, dass
schon darum ihre Fixierung nicht in, sondern vor die literarische Epoche
Roms gesetzt werden muss. Wenn bereits im Jahre 458 (296) die an den
Zitzen der Woelfin saugenden Zwillinge Romulus und Remus in Erz gegossen
an dem heiligen Feigenbaum aufgestellt wurden, so muessen die Roemer,
die Latium und Samnium bezwangen, die Entstehungsgeschichte ihrer
Vaterstadt nicht viel anders vernommen haben als wir sie bei Livius
lesen; sogar die Aboriginer, das sind die "Vonanfanganer", dies naive
Rudiment der geschichtlichen Spekulation des latinischen Stammes,
begegnen schon um 465 (289) bei dem sizilischen Schriftsteller Kallias.
Es liegt in der Natur der Chronik, dass sie zu der Geschichte die
Vorgeschichte fuegt und wenn nicht bis auf die Entstehung von Himmel
und Erde, doch wenigstens bis auf die Entstehung der Gemeinde
zurueckgefuehrt zu werden verlangt; und es ist auch ausdruecklich
bezeugt, dass die Tafel der Pontifices das Gruendungsjahr Roms angab.
Danach darf angenommen werden, dass das Pontifikalkollegium, als es
in der ersten Haelfte des fuenften Jahrhunderts anstatt der
bisherigen spaerlichen und in der Regel wohl auf die Beamtennamen
sich beschraenkenden Aufzeichnungen zu der Anlegung einer foermlichen
Jahreschronik fortschritt, auch die zu Anfang fehlende Geschichte
der Koenige Roms und ihres Sturzes hinzufuegte und, indem es auf den
Einweihungstag des kapitolinischen Tempels, den 13. September 245
(509), zugleich die Stiftung der Republik setzte, einen freilich nur
scheinhaften Zusammenhang zwischen der zeitlosen und der annalistischen
Erzaehlung herstellte. Dass bei dieser aeltesten Aufzeichnung der
Urspruenge Roms auch der Hellenismus seine Hand im Spiele gehabt
hat, ist kaum zu bezweifeln; die Spekulation ueber Ur- und spaetere
Bevoelkerung, ueber die Prioritaet des Hirtenlebens vor dem Ackerbau
und die Umwandlung des Menschen Romulus in den Gott Quirinus sehen ganz
griechisch aus, und selbst die Truebung der echt nationalen Gestalten
des frommen Numa und der weisen Egeria durch die Einmischung
fremdlaendischer pythagoreischer Urweisheit scheint keineswegs zu
den juengsten Bestandteilen der roemischen Vorgeschichte zu gehoeren.
--------------------------------------- ^5 Diese Richtung der Sage
erhellt deutlich aus dem aelteren Plinius (nat. 36, 15, 100). ^6 Man
rechnete, wie es scheint, drei Geschlechter auf ein Jahrhundert und
rundete die Ziffer 233 1/3 auf 240 ab, aehnlich wie die Epoche zwischen
der Koenigsflucht und dem Stadtbrand auf 120 Jahre abgerundet ward.
Wodurch man gerade auf diese Zahlen gefuehrt ward, zeigt zum
Beispiel die oben eroerterte Feststellung des Flaechenmasses.
-------------------------------------- Analog diesen Anfaengen der
Gemeinde sind auch die Stammbaeume der edlen Geschlechter in aehnlicher
Weise vervollstaendigt und in beliebter heraldischer Manier durchgaengig
auf erlauchte Ahnen zurueckgefuehrt worden; wie denn zum Beispiel die
Aemilier, Calpurnier, Pinarier und Pomponier von den vier Soehnen des
Numa: Mamercus, Calpus, Pinus und Pompo, die Aemilier ueberdies noch von
dem Sohne des Pythagoras Mamercus, der "Wohlredende" (aim?los) genannt,
abstammen wollten. Dennoch darf trotz der ueberall hervortretenden
hellenischen Reminiszenzen diese Vorgeschichte der Gemeinde wie der
Geschlechter wenigstens relativ eine nationale genannt werden, insofern
sie teils in Rom entstanden, teils ihre Tendenz zunaechst nicht darauf
gerichtet ist, eine Bruecke zwischen Rom und Griechenland, sondern eine
Bruecke zwischen Rom und Latium zu schlagen. Es war die hellenische
Erzaehlung und Dichtung, welche jener anderen Aufgabe sich unterzog. Die
hellenische Sage zeigt durchgaengig das Bestreben, mit der allmaehlich
sich erweiternden geographischen Kunde Schritt zu halten und mit Hilfe
ihrer zahllosen Wander- und Schiffergeschichten eine dramatisierte
Erdbeschreibung zu gestalten. Indes verfaehrt sie dabei selten naiv.
Ein Bericht wie der des aeltesten Rom erwaehnenden griechischen
Geschichtswerkes, der sizilischen Geschichte des Antiochos von Syrakus
(geschlossen 330 424): dass ein Mann namens Sikelos aus Rom nach Italia,
das heisst nach der brettischen Halbinsel gewandert sei - ein solcher,
einfach die Stammverwandtschaft der Roemer, Siculer und Brettier
historisierender und von aller hellenisierenden Faerbung freier Bericht
ist eine seltene Erscheinung. Im ganzen ist die Sage, und je spaeter
desto mehr, beherrscht von der Tendenz, die ganze Barbarenwelt
darzustellen als von den Griechen entweder ausgegangen oder doch
unterworfen; und frueh zog sie in diesem Sinn ihre Faeden auch ueber den
Westen. Fuer Italien sind weniger die Herakles- und Argonautensage
von Bedeutung geworden, obwohl bereits Hekataeos (+ nach 257 497) die
Saeulen des Herakles kennt und die Argo aus dem Schwarzen Meer in den
Atlantischen Ozean, aus diesem in den Nil und zurueck in das Mittelmeer
fuehrt, als die an den Fall Ilions anknuepfenden Heimfahrten. Mit
der ersten aufdaemmernden Kunde von Italien beginnt auch Diomedes
im Adriatischen, Odysseus im Tyrrhenischen Meer zu irren, wie denn
wenigstens die letztere Lokalisierung schon der Homerischen Fassung
der Sage nahe genug lag. Bis in die Zeiten Alexanders hinein haben die
Landschaften am Tyrrhenischen Meer in der hellenischen Fabulierung zum
Gebiet der Odysseussage gehoert; noch Ephoros, der mit dem Jahre 414
(340) schloss, und der sogenannte Skylax (um 418 336) folgen wesentlich
dieser. Von troischen Seefahrten weiss die ganze aeltere Poesie nichts;
bei Homer herrscht Aeneas nach Ilions Fall ueber die in der Heimat
zurueckbleibenden Troer. Erst der grosse Mythenwandler Stesichoros
(122-201 632-553) fuehrte in seiner 'Zerstoerung Ilions' den Aeneas in
das Westland, um die Fabelwelt seiner Geburts- und seiner Wahlheimat,
Siziliens und Unteritaliens, durch den Gegensatz der troischen Helden
gegen die hellenischen poetisch zu bereichern. Von ihm ruehren die
seitdem feststehenden dichterischen Umrisse dieser Fabel her, namentlich
die Gruppe des Helden, wie er mit der Gattin und dem Soehnchen und
dem alten, die Hausgoetter tragenden Vater aus dem brennenden
Ilion davongeht, und die wichtige Identifizierung der Troer mit den
sizilischen und italischen Autochthonen, welche besonders in dem
troischen Trompeter Misenos, dem Eponymos des Misenischen Vorgebirges,
schon deutlich hervortritt ^7. Den alten Dichter leitete dabei das
Gefuehl, dass die italischen Barbaren den Hellenen minder fern als
die uebrigen standen und das Verhaeltnis der Hellenen und der Italiker
dichterisch angemessen dem der homerischen Achaeer und Troer gleich
gefasst werden konnte. Bald mischt sich denn diese neue Troerfabel mit
der aelteren Odysseussage, indem sie zugleich sich weiter ueber Italien
verbreitet. Nach Hellanikos (schrieb um 350 400) kamen Odysseus und
Aeneas durch die thrakische und molottische (epeirotische) Landschaft
nach Italien, wo die mitgefuehrten troischen Frauen die Schiffe
verbrennen und Aeneas die Stadt Rom gruendet und sie nach dem Namen
einer dieser Troerinnen benennt; aehnlich, nur minder unsinnig,
erzaehlte Aristoteles (370- 432 384-322), dass ein achaeisches, an die
latinische Kueste verschlagenes Geschwader von den troischen Sklavinnen
angezuendet worden und aus den Nachkommen der also zum Dableiben
genoetigten achaeischen Maenner und ihrer troischen Frauen die Latiner
hervorgegangen seien. Damit mischten denn auch sich Elemente der
einheimischen Sage, wovon der rege Verkehr zwischen Sizilien und
Italien wenigstens gegen das Ende dieser Epoche schon die Kunde bis nach
Sizilien verbreitet hatte; in der Version von Roms Entstehung, welche
der Sizilianer Kallias um 465 (289) aufzeichnete, sind Odysseus-,
Aeneas- und Romulusfabeln ineinandergeflossen ^8. Aber der eigentliche
Vollender der spaeter gelaeufigen Fassung dieser Troerwanderung ist
Timaeos von Tauromenion auf Sizilien, der sein Geschichtswerk 492 (262)
schloss. Er ist es, bei dem Aeneas zuerst Lavinium mit dem Heiligtum
der troischen Penaten und dann erst Rom gruendet; er muss auch schon die
Tyrerin Elisa oder Dido in die Aeneassage eingeflochten haben, da bei
ihm Dido Karthagos Gruenderin ist und Rom und Karthago ihm in demselben
Jahre erbaut heissen. Den Anstoss zu diesen Neuerungen gaben, neben
der eben zu der Zeit und an dem Orte, wo Timaeos schrieb, sich
vorbereitenden Krise zwischen den Roemern und den Karthagern, offenbar
gewisse nach Sizilien gelangte Berichte ueber latinische Sitten und
Gebraeuche; im wesentlichen aber kann die Erzaehlung nicht von Latium
heruebergenommen, sondern nur die eigene nichtsnutzige Erfindung der
alten "Sammelvettel" gewesen sein. Timaeos hatte von dem uralten Tempel
der Hausgoetter in Lavinium erzaehlen hoeren; aber dass diese den
Lavinaten als die von den Aeneiaden aus Ilion mitgebrachten Penaten
gaelten, hat er ebenso sicher von dem Seinigen hinzugetan, wie die
scharfsinnige Parallele zwischen dem roemischen Oktoberross und dem
Trojanischen Pferde und die genaue Inventarisierung der lavinischen
Heiligtuemer - es waren, sagt der wuerdige Gewaehrsmann, Heroldstaebe
von Eisen und Kupfer und ein toenerner Topf troischer Fabrik! Freilich
durften eben die Penaten noch Jahrhunderte spaeter durchaus von keinem
geschaut werden; aber Timaeos war einer von den Historikern, die ueber
nichts so genau Bescheid wissen als ueber unwissbare Dinge. Nicht mit
Unrecht riet Polybios, der den Mann kannte, ihm nirgend zu trauen, am
wenigsten aber da, wo er - wie hier - sich auf urkundliche Beweisstuecke
berufe. In der Tat war der sizilische Rhetor, der das Grab des
Thukydides in Italien zu zeigen wusste und der fuer Alexander kein
hoeheres Lob fand, als dass er schneller mit Asien fertig geworden sei
als Isokrates mit seiner 'Lobrede', vollkommen berufen, aus der naiven
Dichtung der aelteren Zeit den wuesten Brei zu kneten, welchem das
Spiel des Zufalls eine so seltsame Zelebritaet verliehen hat.
---------------------------------------------------- ^7 Auch die
troischen Kolonien" auf Sizilien, die Thukydides, Pseudoskylax und
andere nennen, sowie die Bezeichnung Capuas als einer troischen
Gruendung bei Hekataeos werden auf Stesichoros und auf dessen
Identifizierung der italischen und sizilischen Eingeborenen mit den
Troern zurueckgehen. ^8 Nach ihm vermaehlte sich eine aus Ilion nach Rom
gefluechtete Frau Rome oder vielmehr deren gleichnamige Tochter mit dem
Koenig der Aboriginer Latinos und gebar ihm drei Soehne, Romos, Romylos
und Telegonos. Der letzte, der ohne Zweifel hier als Gruender von
Tusculum und Praeneste auftritt, gehoert bekanntlich der Odysseussage
an. -------------------------------------------------- Inwieweit die
hellenische Fabulierung ueber italische Dinge, wie sie zunaechst in
Sizilien entstand, schon jetzt in Italien selbst Eingang gefunden
hat, ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen. Die Anknuepfungen an
den odysseischen Kreis, welche spaeterhin in den Gruendungssagen von
Tusculum, Praeneste, Antium, Ardea, Cortona begegnen, werden wohl
schon in dieser Zeit sich angesponnen haben; und auch der Glaube an die
Abstammung der Roemer von Troern oder Troerinnen musste schon am Schluss
dieser Epoche in Rom feststehen, da die erste nachweisliche Beruehrung
zwischen Rom und dem griechischen Osten die Verwendung des Senats fuer
die "stammverwandten" Ilier im Jahre 472 (282) ist. Dass aber dennoch
die Aeneasfabel in Italien verhaeltnismaessig jung ist, beweist ihre im
Vergleich mit der odysseischen hoechst duerftige Lokalisierung; und die
Schlussredaktion dieser Erzaehlungen sowie ihre Ausgleichung mit der
roemischen Ursprungssage gehoert auf jeden Fall erst der Folgezeit an.
Waehrend also bei den Hellenen die Geschichtschreibung, oder was so
genannt ward, sich um die Vorgeschichte Italiens in ihrer Art bemuehte,
liess sie in einer fuer den gesunkenen Zustand der hellenischen Historie
ebenso bezeichnenden wie fuer uns empfindlichen Weise die gleichzeitige
italische Geschichte so gut wie vollstaendig liegen. Kaum dass
Theopomp von Chios (schloss 418 336) der Einnahme Roms durch die
Kelten beilaeufig gedachte und Aristoteles, Kleitarchos, Theophrastos,
Herakleides von Pontos (+ um 450 300) einzelne Rom betreffende
Ereignisse gelegentlich erwaehnten; erst mit Hieronymos von Kardia,
der als Geschichtschreiber des Pyrrhos auch dessen italische Kriege
erzaehlte, wird die griechische Historiographie zugleich Quelle fuer die
roemische Geschichte. Unter den Wissenschaften empfing die Jurisprudenz
eine unschaetzbare Grundlage durch die Aufzeichnung des Stadtrechts in
den Jahren 303, 304 (451, 450). Dieses unter dem Namen der Zwoelf Tafeln
bekannte Weistum ist wohl das aelteste roemische Schriftstueck, das
den Namen eines Buches verdient. Nicht viel juenger mag der Kern
der sogenannten "koeniglichen Gesetze" sein, das heisst gewisser,
vorzugsweise sakraler Vorschriften, die auf Herkommen beruhten und
wahrscheinlich von dem Kollegium der Pontifices, das zur Gesetzgebung
nicht, wohl aber zur Gesetzweisung befugt war, unter der Form
koeniglicher Verordnungen zu allgemeiner Kunde gebracht wurden.
Ausserdem sind vermutlich schon seit dem Anfang dieser Periode wenn
nicht die Volks-, so doch die wichtigsten Senatsbeschluesse regelmaessig
schriftlich verzeichnet worden; wie denn ueber deren Aufbewahrung
bereits in den fruehesten staendischen Kaempfen mitgestritten ward.
Waehrend also die Masse der geschriebenen Rechtsurkunden sich mehrte,
stellten auch die Grundlagen einer eigentlichen Rechtswissenschaft sich
fest. Sowohl den jaehrlich wechselnden Beamten als den aus dem Volke
herausgegriffenen Geschworenen war es Beduerfnis, an sachkundige
Maenner sich wenden zu koennen, welche den Rechtsgang kannten und nach
Praezedentien oder in deren Ermangelung nach Gruenden eine Entscheidung
an die Hand zu geben wussten. Die Pontifices, die es gewohnt waren,
sowohl wegen der Gerichtstage als wegen aller auf die Goetterverehrung
bezueglichen Bedenken und Rechtsakte vom Volke angegangen zu werden,
gaben auch in anderen Rechtspunkten auf Verlangen Ratschlaege und
Gutachten ab und entwickelten so im Schoss ihres Kollegiums die
Tradition, die dem roemischen Privatrecht zugrunde liegt, vor allem die
Formeln der rechten Klage fuer jeden einzelnen Fall. Ein Spiegel,
der all diese Klagen zusammenfasste, nebst einem Kalender, der die
Gerichtstage angab, wurde um 450 (300) von Appius Claudius oder von
dessen Schreiber Gnaeus Flavius dem Volk bekanntgemacht. Indes
dieser Versuch, die ihrer selbst noch nicht bewusste Wissenschaft zu
formulieren, steht fuer lange Zeit gaenzlich vereinzelt da. Dass die
Kunde des Rechtes und die Rechtweisung schon jetzt ein Mittel war,
dem Volk sich zu empfehlen und zu Staatsaemtern zu gelangen, ist
begreiflich, wenn auch die Erzaehlung, dass der erste plebejische
Pontifex Publius Sempronius Sophus (Konsul 450 304) und der erste
plebejische Oberpontifex Tiberius Coruncanius (Konsul 474 280) diese
Priesterehren ihrer Rechtskenntnis verdankten, wohl eher Mutmassung
Spaeterer ist als Ueberlieferung. Dass die eigentliche Genesis der
lateinischen und wohl auch der anderen italischen Sprachen vor diese
Periode faellt und schon zu Anfang derselben die lateinische Sprache im
wesentlichen fertig war, zeigen die freilich durch ihre halb muendliche
Tradition stark modernisierten Bruchstuecke der Zwoelf Tafeln, welche
wohl eine Anzahl veralteter Woerter und schroffer Verbindungen,
namentlich infolge der Weglassung des unbestimmten Subjekts, aber
doch keineswegs, wie das Arvalied, wesentliche Schwierigkeiten des
Verstaendnisses darbieten und weit mehr mit der Sprache Catos als mit
der der alten Litaneien uebereinkommen. Wenn die Roemer im Anfang des
siebenten Jahrhunderts Muehe hatten, Urkunden des fuenften zu verstehen,
so kam dies ohne Zweifel nur daher, dass es damals in Rom noch keine
eigentliche Forschung, am wenigsten eine Urkundenforschung gab. Dagegen
wird in dieser Zeit der beginnenden Rechtweisung und Gesetzesredaktion
auch der roemische Geschaeftsstil zuerst sich festgestellt haben,
welcher, wenigstens in seiner entwickelten Gestalt, an feststehenden
Formeln und Wendungen, endloser Aufzaehlung der Einzelheiten und
langatmigen Perioden der heutigen englischen Gerichtssprache nichts
nachgibt und sich dem Eingeweihten durch Schaerfe und Bestimmtheit
empfiehlt, waehrend der Laie je nach Art und Laune mit Ehrfurcht,
Ungeduld oder Aerger nichtsverstehend zuhoert. Ferner begann in dieser
Epoche die rationelle Behandlung der einheimischen Sprachen. Um
den Anfang derselben drohte, wie wir sahen, das sabellische wie das
latinische Idiom sich zu barbarisieren und griff die Verschleifung
der Endungen, die Verdumpfung der Vokale und der feineren Konsonanten
aehnlich um sich wie im fuenften und sechsten Jahrhundert unserer
Zeitrechnung innerhalb der romanischen Sprachen. Hiergegen trat aber
eine Reaktion ein: im Oskischen werden die zusammengefallenen Laute
d und r, im Lateinischen die zusammengefallenen Laute g und k wieder
geschieden und jeder mit seinem eigenen Zeichen versehen; o und u,
fuer die es im oskischen Alphabet von Haus aus an gesonderten Zeichen
gemangelt hatte und die im Lateinischen zwar urspruenglich geschieden
waren, aber zusammenzufallen drohten, traten wieder auseinander, ja im
Oskischen wird sogar das i in zwei lautlich und graphisch verschiedene
Zeichen aufgeloest; endlich schliesst die Schreibung sich der Aussprache
wieder genauer an, wie zum Beispiel bei den Roemern vielfaeltig s durch
r ersetzt ward. Die chronologischen Spuren fuehren fuer diese Reaktion
auf das fuenfte Jahrhundert; das lateinische g zum Beispiel war um das
Jahr 300 (450) noch nicht, wohl aber um das Jahr 500 (250) vorhanden;
der erste des Papirischen Geschlechts, der sich Papirius statt Papisius
nannte, war der Konsul des Jahres 418 (336); die Einfuehrung jenes r
anstatt des s wird dem Appius Claudius, Zensor 442 (312) beigelegt.
Ohne Zweifel steht die Zurueckfuehrung einer feineren und schaerferen
Aussprache im Zusammenhang mit dem steigenden Einfluss der griechischen
Zivilisation, welcher eben in dieser Zeit sich auf allen Gebieten des
italischen Wesens bemerklich macht; und wie die Silbermuenzen von Capua
und Nola weit vollkommener sind als die gleichzeitigen Asse von Ardea
und Rom, so scheint auch Schrift und Sprache rascher und vollstaendiger
sich im kampanischen Lande reguliert zu haben als in Latium. Wie wenig
trotz der darauf gewandten Muehe die roemische Sprache und Schreibweise
noch am Schlusse dieser Epoche festgestellt war, beweisen die aus
dem Ende des fuenften Jahrhunderts erhaltenen Inschriften, in denen
namentlich in der Setzung oder Weglassung von m, d und s im Auslaut
und n im Inlaut und in der Unterscheidung der Vokale o u und e i die
groesste Willkuer herrscht ^9; es ist wahrscheinlich, dass gleichzeitig
die Sabeller hierin schon weiter waren, waehrend die Umbrer von dem
regenerierenden hellenischen Einfluss nur wenig beruehrt worden sind.
----------------------------------------------------- ^9 In den beiden
Grabschriften des Lucius Scipio, Konsul 456 (298), und des gleichnamigen
Konsuls vom Jahre 495 (259) fehlen m und d im Auslaut der Beugungen
regelmaessig, doch findet sich einmal Luciom und einmal Gnaivod; es
steht nebeneinander im Nominativ Cornelio und filios; cosol, cesor und
consol censor; aidiles, dedet, ploirume (= plurimi), hec (Nom.
Sing.) neben aidilis, cepit, quei, hic. Der Rhotazismus ist bereits
vollstaendig durchgefuehrt; man findet duonoro (= bonorum),
ploirume, nicht wie im saliarischen Liede foedesum, plusima. Unsere
inschriftlichen Ueberreste reichen ueberhaupt im allgemeinen nicht ueber
den Rhotazismus hinauf; von dem aelteren s begegnen nur einzelne
Spuren, wie noch spaeterhin honos, labos neben honor und labor und
die aehnlichen Frauenvornamen Maio (maios, maior) und Mino auf
neu gefundenen Grabschriften von Praeneste.
---------------------------------------------------- Durch diese
Steigerung der Jurisprudenz und Grammatik muss auch der elementare
Schulunterricht, der an sich wohl schon frueher aufgekommen war, eine
gewisse Steigerung erfahren haben. Wie Homer das aelteste griechische,
die Zwoelf Tafeln das aelteste roemische Buch waren, so wurden auch
beide in ihrer Heimat die wesentliche Grundlage des Unterrichts und das
Auswendiglernen des juristisch-politischen Katechismus ein Hauptstueck
der roemischen Kindererziehung. Neben den lateinischen "Schreibmeistern"
(litteratores) gab es natuerlich, seit die Kunde des Griechischen
fuer jeden Staats- und Handelsmann Beduerfnis war, auch griechische
Sprachlehrer (grammatici ^10), teils Hofmeister-Sklaven, teils
Privatlehrer, die in ihrer Wohnung oder in der des Schuelers Anweisung
zum Lesen und Sprechen des Griechischen erteilten. Dass wie im
Kriegswesen und bei der Polizei so auch bei dem Unterricht der Stock
seine Rolle spielte, versteht sich von selbst ^11. Die elementare Stufe
indes kann der Unterricht dieser Zeit noch nicht ueberstiegen haben;
es gab keine irgend wesentliche soziale Abstufung zwischen dem
unterrichteten und dem nichtunterrichteten Roemer. Dass die Roemer in
den mathematischen und mechanischen Wissenschaften zu keiner Zeit
sich ausgezeichnet haben, ist bekannt und bewaehrt sich auch fuer die
gegenwaertige Epoche an dem fast einzigen Faktum, welches mit Sicherheit
hierhergezogen werden kann, der von den Dezemvirn versuchten Regulierung
des Kalenders. Sie wollten den bisherigen, auf der alten, hoechst
unvollkommenen Trieteris beruhenden vertauschen mit dem damaligen
attischen der Oktaeteris, welcher den Mondmonat von 29« Tagen
beibehielt, das Sonnenjahr aber statt auf 368_ a vielmehr auf 365¬ Tage
ansetzte und demnach bei unveraenderter gemeiner Jahrlaenge von 354
Tagen nicht, wie frueher, auf je vier Jahre 59, sondern auf je acht
Jahre 90 Tage einschaltete. In demselben Sinne beabsichtigten die
roemischen Kalenderverbesserer unter sonstiger Beibehaltung des
geltenden Kalenders in den zwei Schaltjahren des vierjaehrigen Zyklus
nicht die Schaltmonate, aber die beiden Februare um je sieben Tage zu
verkuerzen, also diesen Monat in den Schaltjahren statt zu 29 und 28 zu
22 und 21 Tagen anzusetzen. Allein mathematische Gedankenlosigkeit und
theologische Bedenken, namentlich die Ruecksicht auf das eben in die
betreffenden Februartage fallende Jahrfest des Terminus, zerruetteten
die beabsichtigte Reform in der Art, dass der Schaltjahrfebruar vielmehr
24- und 23taegig ward, also das neue roemische Sonnenjahr in der Tat auf
366¬ Tag auskam. Einige Abhilfe fuer die hieraus folgenden praktischen
Uebelstaende ward darin gefunden, dass, unter Beseitigung der bei den
jetzt so ungleich gewordenen Monaten nicht mehr anwendbaren Rechnung
nach Monaten oder Zehnmonaten des Kalenders, man sich gewoehnte, wo es
auf genauere Bestimmungen ankam, nach Zehnmonatfristen eines Sonnenjahrs
von 365 Tagen oder dem sogenannten zehnmonatlichen Jahre von 304 Tagen
zu rechnen. ueberdies kam besonders fuer baeuerliche Zwecke der auf
das aegyptische 365¬taegige Sonnenjahr von Eudoxos (blueht 386
368) gegruendete Bauernkalender auch in Italien frueh in Gebrauch.
------------------------------------------- ^10 Litterator und
grammaticus verhalten sich ungefaehr wie Lehrer und Maitre; die letztere
Benennung kommt nach dem aelteren Sprachgebrauch nur dem Lehrer des
Griechischen, nicht dem der Muttersprache zu. Litteratus ist juenger und
bezeichnet nicht den Schulmeister, sondern den gebildeten Mann. ^11
Es ist doch wohl ein roemisches Bild, was Plautus (Bacch. 431) als ein
Stueck der guten alten Kindererziehung anfuehrt: wenn nun du darauf nach
Hause kamst, In dem Jaeckchen auf dem Schemel sassest du zum Lehrer hin;
Und wenn dann das Buch ihm lesend eine Silbe du gefehlt, Faerbte
deinen Buckel er dir bunt wie einen Kinderlatz.
------------------------------------------- Einen hoeheren Begriff von
dem, was auch in diesen Faechern die Italiker zu leisten vermochten,
gewaehren die Werke der mit den mechanischen Wissenschaften eng
zusammenhaengenden Bau- und Bildkunst. Zwar eigentlich originelle
Erscheinungen begegnen auch hier nicht; aber wenn durch den Stempel der
Entlehnung, welcher der italischen Plastik durchgaengig aufgedrueckt
ist, das kuenstlerische Interesse an derselben sinkt, so heftet das
historische sich nur um so lebendiger an dieselbe, insofern sie teils
von einem sonst verschollenen Voelkerverkehr die merkwuerdigsten
Zeugnisse bewahrt, teils bei dem so gut wie vollstaendigen Untergang
der Geschichte der nichtroemischen Italiker fast allein uns die
verschiedenen Voelkerschaften der Halbinsel in lebendiger Taetigkeit
nebeneinander darstellt. Neues ist hier nicht zu sagen; aber wohl
laesst sich mit schaerferer Bestimmtheit und auf breiterer Grundlage
ausfuehren, was schon oben gezeigt ward, dass die griechische Anregung
die Etrusker und die Italiker von verschiedenen Seiten her maechtig
erfasst, und dort eine reichere und ueppigere, hier, wo ueberhaupt, eine
verstaendigere und innigere Kunst ins Leben gerufen hat. Wie voellig
die italische Architektur aller Landschaften schon in ihrer aeltesten
Periode von hellenischen Elementen durchdrungen ward, ist frueher
dargestellt worden. Die Stadtmauern, die Wasserbauten, die pyramidalisch
gedeckten Graeber, der tuscanische Tempel sind nicht oder nicht
wesentlich verschieden von den aeltesten hellenischen Bauwerken. Von
einer Weiterbildung der Architektur bei den Etruskern waehrend dieser
Epoche hat sich keine Spur erhalten; wir begegnen hier weder einer
wesentlich neuen Rezeption noch einer originellen Schoepfung - man
muesste denn Prachtgraeber dahin rechnen wollen, wie das von Varro
beschriebene sogenannte Grabmal des Porsena in Chiusi, das lebhaft an
die zwecklose und sonderbare Herrlichkeit der aegyptischen Pyramiden
erinnert. Auch in Latium bewegte man waehrend der ersten anderthalb
Jahrhunderte der Republik sich wohl lediglich in den bisherigen Gleisen,
und es ist schon gesagt worden, dass mit der Einfuehrung der Republik
die Kunstuebung eher gesunken als gestiegen ist. Es ist aus dieser Zeit
kaum ein anderes architektonisch bedeutendes latinisches Bauwerk zu
nennen als der im Jahre 261 (493) in Rom am Circus erbaute Cerestempel,
der in der Kaiserzeit als Muster des tuscanischen Stiles gilt. Aber
gegen das Ende dieser Epoche kommt ein neuer Geist in das italische und
namentlich das roemische Bauwesen: es beginnt der grossartige Bogenbau.
Zwar sind wir nicht berechtigt, den Bogen und das Gewoelbe fuer
italische Erfindungen zu erklaeren. Es ist wohl ausgemacht, dass in der
Epoche der Genesis der hellenischen Architektur die Hellenen den Bogen
noch nicht kannten und darum fuer ihre Tempel die flache Decke und das
schraege Dach ausreichen mussten; allein gar wohl kann der Keilschnitt
eine juengere, aus der rationellen Mechanik hervorgegangene Erfindung
der Hellenen sein, wie ihn denn die griechische Tradition auf den
Physiker Demokritos (294-397 460-357) zurueckfuehrt. Mit dieser
Prioritaet des hellenischen Bogenbaus vor dem roemischen ist auch
vereinbar, was vielfach und vielleicht mit Recht angenommen wird, dass
die Gewoelbe an der roemischen Hauptkloake und dasjenige, welches ueber
das alte, urspruenglich pyramidalisch gedeckte kapitolinische Quellhaus
spaeterhin gespannt ward, die aeltesten erhaltenen Bauwerke sind, bei
welchen das Bogenprinzip zur Anwendung gekommen ist; denn es ist mehr
als wahrscheinlich, dass diese Bogenbauten nicht der Koenigs-, sondern
der republikanischen Periode angehoeren und in der Koenigszeit man auch
in Italien nur flache oder ueberkragte Daecher gekannt hat. Allein wie
man auch ueber die Erfindung des Bogens selbst denken mag, die Anwendung
im grossen ist ueberall und vor allem in der Baukunst wenigstens
ebenso bedeutend wie die Aufstellung des Prinzips; und diese gebuehrt
unbestritten den Roemern. Mit dem fuenften Jahrhundert beginnt
der wesentlich auf den Bogen gegruendete Tor-, Bruecken- und
Wasserleitungsbau, der mit dem roemischen Namen fortan unzertrennlich
verknuepft ist. Verwandt ist hiermit noch die Entwicklung der den
Griechen fremden, dagegen bei den Roemern vorzugsweise beliebten und
besonders fuer die ihnen eigentuemlichen Kulte, namentlich den nicht
griechischen der Vesta, angewendeten Form des Rundtempels und des
Kuppeldachs ^12. ----------------------------------------- ^12 Eine
Nachbildung der aeltesten Hausform, wie man wohl gemeint hat, ist der
Rundtempel sicher nicht; vielmehr geht der Hausbau durchaus vom Viereck
aus. Die spaetere roemische Theologie knuepfte diese Rundform an
die Vorstellung des Erdballs oder des kugelfoermig die Zentralsonne
umgebenden Weltalls (Fest. v. rutundam p. 282; Plut. Num. 11; Ov. fast.
6, 267f.); in der Tat ist dieselbe wohl einfach darauf zurueckzufuehren,
dass fuer die zum Abhegen und Aufbewahren bestimmte Raeumlichkeit als
die bequemste wie die sicherste Form stets die kreisrunde gegolten hat.
Darauf beruhten die runden Schatzhaeuser der Hellenen ebenso wie der
Rundbau der roemischen Vorratskammer oder des Penatentempels; es war
natuerlich auch die Feuerstelle - das heisst den Altar der Vesta - und
die Feuerkammer - das heisst den Vestatempel - rund anzulegen, so gut
wie dies mit der Zisterne und der Brunnenfassung (puteal) geschah. Der
Rundbau an sich ist graecoitalisch wie der Quadratbau und jener der
Kammer eigen, wie dieser dem Wohnhaus; aber die architektonische und
religioese Entwicklung des einfachen Tholos zum Rundtempel mit Pfeilern
und Saeulen ist latinisch. ----------------------------------------
Etwas Aehnliches mag von manchen untergeordneten, aber darum nicht
unwichtigen Fertigkeiten auf diesem Gebiet gelten. Von Originalitaet
oder gar von Kunstuebung kann dabei nicht die Rede sein; aber auch
aus den festgefuegten Steinplatten der roemischen Strassen, aus ihren
unzerstoerbaren Chausseen, aus den breiten, klingend harten Ziegeln, aus
dem ewigen Moertel ihrer Gebaeude redet die unverwuestliche Soliditaet,
die energische Tuechtigkeit des roemischen Wesens. Wie die tektonischen,
und womoeglich noch mehr, sind die bildenden und zeichnenden Kuenste auf
italischem Boden nicht so sehr durch griechische Anregung befruchtet,
als aus griechischen Samenkoernern gekeimt. Dass dieselben, obwohl erst
die juengeren Schwestern der Architektur, doch wenigstens in Etrurien
schon waehrend der roemischen Koenigszeit sich zu entwickeln begannen,
wurde bereits bemerkt; ihre hauptsaechliche Entfaltung aber gehoert in
Etrurien, und um so mehr in Latium, dieser Epoche an, wie dies schon
daraus mit Evidenz hervorgeht, dass in denjenigen Landschaften, welche
die Kelten und Samniten den Etruskern im Laufe des vierten Jahrhunderts
entrissen, von etruskischer Kunstuebung fast keine Spur begegnet. Die
tuskische Plastik warf sich zuerst und hauptsaechlich auf die Arbeit
in gebranntem Ton, in Kupfer und in Gold, welche Stoffe die reichen
Tonlager und Kupfergruben und der Handelsverkehr Etruriens den
Kuenstlern darboten. Von der Schwunghaftigkeit, womit die Tonbildnerei
betrieben wurde, zeugen die ungeheuren Massen von Reliefplatten und
statuarischen Arbeiten aus gebranntem Ton, womit Waende, Giebel und
Daecher der etruskischen Tempel nach Ausweis der noch vorhandenen Ruinen
einst verziert waren, und der nachweisliche Vertrieb derartiger Arbeiten
aus Etrurien nach Latium. Der Kupferguss stand nicht dahinter zurueck.
Etruskische Kuenstler wagten sich an die Verfertigung von kolossalen,
bis zu fuenfzig Fuss hohen Bronzebildsaeulen, und in Volsinii,
dem etruskischen Delphi, sollen um das Jahr 489 (265) zweitausend
Bronzestatuen gestanden haben, wogegen die Steinbildnerei in Etrurien,
wie wohl ueberall, weit spaeter begann und ausser inneren Ursachen auch
durch den Mangel eines geeigneten Materials zurueckgehalten ward - die
lunensischen (carrarischen) Marmorbrueche waren noch nicht eroeffnet.
Wer den reichen und zierlichen Goldschmuck der suedetruskischen Graeber
gesehen hat, der wird die Nachricht nicht unglaublich finden, dass die
tyrrhenischen Goldschalen selbst in Attika geschaetzt wurden. Auch die
Steinschneidekunst ward, obwohl sie juenger ist, doch auch in Etrurien
vielfaeltig geuebt. Ebenso abhaengig von den Griechen, uebrigens den
bildenden Kuenstlern vollkommen ebenbuertig, waren die sowohl in der
Umrisszeichnung auf Metall wie in der monochromatischen Wandmalerei
ungemein taetigen etruskischen Zeichner und Maler. Vergleichen wir
hiermit das Gebiet der eigentlichen Italiker, so erscheint es zunaechst
gegen die etruskische Fuelle fast kunstarm. Allein bei genauerer
Betrachtung kann man der Wahrnehmung sich nicht entziehen, dass sowohl
die sabellische wie die latinische Nation weit mehr als die etruskische
Faehigkeit und Geschick fuer die Kunst gehabt haben muessen. Zwar auf
eigentlich sabellischem Gebiet, in der Sabina, in den Abruzzen, in
Samnium, finden sich Kunstwerke so gut wie gar nicht und mangeln sogar
die Muenzen. Diejenigen sabellischen Staemme dagegen, welche an die
Kuesten der Tyrrhenischen oder Ionischen See gelangten, haben die
hellenische Kunst sich nicht bloss wie die Etrusker aeusserlich
angeeignet, sondern sie mehr oder minder vollstaendig bei sich
akklimatisiert. Schon in Velitrae, wo wohl allein in der einstmaligen
Landschaft der Volsker deren Sprache und Eigentuemlichkeit spaeterhin
sich behauptet haben, haben sich bemalte Terrakotten gefunden von
lebendiger und eigentuemlicher Behandlung. In Unteritalien ist Lucanien
zwar in geringem Grade von der hellenischen Kunst ergriffen worden; aber
in Kampanien wie im brettischen Lande haben sich Sabeller und Hellenen
wie in Sprache und Nationalitaet so auch und vor allem in der Kunst
vollstaendig durchdrungen und es stehen namentlich die kampanischen und
brettischen Muenzen mit den gleichzeitigen griechischen so vollstaendig
auf einer Linie der Kunstbehandlung, dass nur die Aufschrift sie von
ihnen unterscheidet. Weniger bekannt, aber nicht weniger sicher ist es,
dass auch Latium wohl an Kunstreichtum und Kunstmasse, aber nicht an
Kunstsinn und Kunstuebung hinter Etrurien zurueckstand. Offenbar hat
die um den Anfang des 5. Jahrhunderts erfolgte Festsetzung der Roemer in
Kampanien, die Verwandlung der Stadt Cales in eine latinische Gemeinde,
der falernischen Landschaft bei Capua in einen roemischen Buergerbezirk,
zunaechst die kampanische Kunstuebung den Roemern aufgeschlossen. Zwar
mangelt bei diesen nicht bloss die in dem ueppigen Etrurien fleissig
gepflegte Steinschneidekunst voellig und begegnet nirgends eine Spur,
dass die latinischen Gewerke gleich den etruskischen Goldschmieden
und Tonarbeitern fuer das Ausland taetig gewesen sind. Zwar sind
die latinischen Tempel nicht gleich den etruskischen mit Bronze-
und Tonzierat ueberladen, die latinischen Graeber nicht gleich den
etruskischen mit Goldschmuck angefuellt worden und schillerten die
Waende jener nicht wie die der etruskischen von bunten Gemaelden. Aber
nichtsdestoweniger stellt sich im ganzen die Waage nicht zum Vorteil
der etruskischen Nation. Die Erfindung des Janusbildes, welche wie
die Gottheit selbst den Latinern beigelegt werden darf, ist nicht
ungeschickt, und originellerer Art als die irgendeines etruskischen
Kunstwerks. Die schoene Gruppe der Woelfin mit den Zwillingen lehnt
wohl an aehnliche griechische Erfindungen sich an, ist aber in dieser
Ausfuehrung sicher wenn nicht in Rom, so doch von Roemern erfunden; und
es ist bemerkenswert, dass sie zuerst auf den von den Roemern in und
fuer Kampanien gepraegten Silbermuenzen auftritt. In dem oben erwaehnten
Cales scheint bald nach seiner Gruendung eine besondere Gattung
figurierten Tongeschirrs erfunden worden zu sein, das mit dem Namen der
Meister und des Verfertigungsorts bezeichnet und in weitem Umfang bis
nach Etrurien hinein vertrieben worden ist. Die vor kurzem auf dem
Esquilin zum Vorschein gekommenen figurierten Altaerchen von gebranntem
Ton entsprechen in der Darstellung wie in der Ornamentik genau den
gleichartigen Weihgeschenken der kampanischen Tempel. Indes schliesst
dies nicht aus, dass auch griechische Meister fuer Rom gearbeitet haben.
Der Bildner Damophilos, der mit Gorgasos die bemalten Tonfiguren fuer
den uralten Cerestempel verfertigt hat, scheint kein anderer gewesen zu
sein als der Lehrer des Zeuxis, Demophilos von Himera (um 300 450). Am
belehrendsten sind diejenigen Kunstzweige, in denen uns teils nach alten
Zeugnissen, teils nach eigener Anschauung eine vergleichendes Urteil
gestattet ist. Von latinischen Arbeiten in Stein ist kaum etwas anderes
uebrig als der am Ende dieser Periode in dorischem Stil gearbeitete
Steinsarg des roemischen Konsuls Lucius Scipio; aber die edle
Einfachheit desselben beschaemt alle aehnlichen etruskischen Werke. Aus
den etruskischen Graebern sind manche schoene Bronzen alten strengen
Kunststils, namentlich Helme, Leuchter und dergleichen Geraetstuecke
erhoben worden; aber welches dieser Werke reicht an die im Jahre
458 (296) am ruminalischen Feigenbaum auf dem roemischen Markte aus
Strafgeldern aufgestellte bronzene Woelfin, noch heute den schoensten
Schmuck des Kapitols? Und dass auch die latinischen Metallgiesser so
wenig wie die etruskischen vor grossen Aufgaben zurueckschraken, beweist
das von Spurius Carvilis (Konsul 461 293) aus den eingeschmolzenen
samnitischen Ruestungen errichtete kolossale Erzbild des Jupiter auf
dem Kapitol, aus dessen Abfall beim Ziselieren die zu den Fuessen des
Kolosses stehende Statue des Siegers hatte gegossen werden koennen; man
sah dieses Jupiterbild bis vom Albanischen Berge. Unter den gegossenen
Kupfermuenzen gehoeren bei weitem die schoensten dem suedlichen Latium
an; die roemischen und umbrischen sind leidlich, die etruskischen fast
bildlos und oft wahrhaft barbarisch. Die Wandmalereien, die Gaius
Fabius in dem 452 302 dedizierten Tempel der Wohlfahrt auf dem Kapitol
ausfuehrte, erwarben in Zeichnung und Faerbung noch das Lob griechisch
gebildeter Kunstrichter der augusteischen Epoche; und es werden von den
Kunstenthusiasten der Kaiserzeit wohl auch die caeritischen, aber mit
noch groesserem Nachdruck die roemischen, lanuvinischen und ardeatischen
Fresken als Meisterwerke der Malerei gepriesen. Die Zeichnung auf
Metall, welche in Latium nicht wie in Etrurien die Handspiegel, sondern
die Toilettenkaestchen mit ihren zierlichen Umrissen schmueckte, ward
in Latium in weit geringerem Umfang und fast nur in Praeneste geuebt;
es finden sich vorzuegliche Kunstwerke unter den etruskischen
Metallspiegeln wie unter den praenestinischen Kaestchen, aber es war
ein Werk der letzteren Gattung, und zwar ein hoechst wahrscheinlich
in dieser Epoche in der Werkstatt eines praenestinischen Meisters
entstandenes Werk ^13, von dem mit Recht gesagt werden konnte, dass kaum
ein zweites Erzeugnis der Graphik des Altertums so wie die ficoronische
Cista den Stempel einer in Schoenheit und Charakteristik vollendeten
und noch vollkommen reinen und ernsten Kunst an sich traegt.
--------------------------------------------------- ^13 Novius Plautius
goss vielleicht nur die Fuesse und die Deckelgruppe; das Kaestchen
selbst kann von einem aelteren Kuenstler herruehren, aber, da der
Gebrauch dieser Kaestchen sich wesentlich auf Praeneste beschraenkt
hat, kaum von einem anderen als einem praenestinischen.
---------------------------------------------------- Der allgemeine
Stempel der etruskischen Kunstwerke ist teils eine gewisse barbarische
Ueberschwenglichkeit im Stoff wie im Stil, teils der voellige Mangel
innerer Entwicklung. Wo der griechische Meister fluechtig skizziert,
verschwendet der etruskische Schueler schuelerhaft den Fleiss; an
die Stelle des leichten Materials und der maessigen Verhaeltnisse
griechischer Werke tritt bei den etruskischen ein renommistisches
Hervorheben der Groesse und Kostbarkeit oder auch bloss der Seltsamkeit
des Werkes. Die etruskische Kunst kann nicht nachbilden, ohne zu
uebertreiben: das Strenge wird ihr hart, das Anmutige weichlich, das
Schreckliche zum Scheusal, die Ueppigkeit zur Zote, und immer deutlicher
tritt dies hervor, je mehr die urspruengliche Anregung zuruecktritt
und die etruskische Kunst sich auf sich selber angewiesen findet. Noch
auffallender ist das Festhalten an den hergebrachten Formen und
dem hergebrachten Stil. Sei es, dass die anfaengliche freundlichere
Beruehrung mit Etrurien hier den Hellenen den Samen der Kunst
auszustreuen gestattete, eine spaetere Epoche der Feindseligkeit aber
den juengeren Entwicklungsstadien der griechischen Kunst den Eingang in
Etrurien erschwerte, sei es, was wahrscheinlicher ist, dass die rasch
eintretende geistige Erstarrung der Nation die Hauptsache dabei tat: die
Kunst blieb in Etrurien auf der primitiven Stufe, auf welcher sie bei
ihrem ersten Eindringen daselbst sich befunden hatte, wesentlich stehen
- bekanntlich ist dies die Ursache gewesen; weshalb die etruskische
Kunst, die unentwickelt gebliebene Tochter der hellenischen, solange
als deren Mutter gegolten hat. Mehr noch als das strenge Festhalten des
einmal ueberlieferten Stils in den aelteren Kunstzweigen beweist die
unverhaeltnismaessig elende Behandlung der spaeter aufgekommenen,
namentlich der Bildhauerei in Stein und des Kupfergusses in der
Anwendung auf Muenzen, wie rasch aus der etruskischen Kunst der Geist
entwich. Ebenso belehrend sind die gemalten Gefaesse, die in den
juengeren etruskischen Grabstaetten in so ungeheurer Anzahl sich finden.
Waeren dieselben so frueh wie die mit Umrissen verzierten Metallplatten
oder die bemalten Terrakotten bei den Etruskern gangbar geworden, so
wuerde man ohne Zweifel auch sie in Menge und in wenigstens relativer
Guete dort fabrizieren gelernt haben; aber in der Epoche, in welcher
dieser Luxus emporkam, misslang die selbsttaetige Reproduktion
vollstaendig, wie die vereinzelten mit etruskischen Inschriften
versehenen Gefaesse beweisen, und man begnuegte sich darum, dieselben zu
kaufen, statt sie zu formen. Aber auch innerhalb Etruriens erscheint ein
weiterer bemerkenswerter Gegensatzinder kuenstlerischen Entwicklung
der suedlichen und der noerdlichen Landschaft. Es ist Suedetrurien,
hauptsaechlich die Bezirke von Caere, Tarquinii, Volci, die
die gewaltigen Prunkschaetze besonders von Wandgemaelden,
Tempeldekorationen, Goldschmuck und gemalten Tongefaessen bewahren; das
noerdliche Etrurien steht weit dahinter zurueck, und es hat zum Beispiel
sich kein gemaltes Grab noerdlich von Chiusi gefunden. Die suedlichsten
etruskischen Staedte Veii, Caere, Tarquinii sind es, die der roemischen
Tradition als die Ur- und Hauptsitze der etruskischen Kunst gelten;
die noerdlichste Stadt Volaterrae, mit dem groessten Gebiet unter allen
etruskischen Gemeinden, steht von allen auch der Kunst am fernsten.
Wenn in Suedetrurien die griechische Halbkultur, so ist in Nordetrurien
vielmehr die Unkultur zu Hause. Die Ursachen dieses bemerkenswerten
Gegensatzes moegen teils in der verschiedenartigen, in Suedetrurien
wahrscheinlich stark mit nicht etruskischen Elementen gemischten
Nationalitaet, teils in der verschiedenen Maechtigkeit des hellenischen
Einflusses zu suchen sein, welcher letztere namentlich in Caere sich
sehr entschieden geltend gemacht haben muss; die Tatsache selbst ist
nicht zu bezweifeln. Um so mehr musste die fruehe Unterjochung der
suedlichen Haelfte Etruriens durch die Roemer und die sehr zeitig hier
beginnende Romanisierung der etruskischen Kunst verderblich werden;
was Nordetrurien, auf sich allein beschraenkt, kuenstlerisch zu leisten
vermochte, zeigen die wesentlich ihm angehoerenden Kupfermuenzen. Wenden
wir die Blicke von Etrurien nach Latium, so hat freilich auch dies
keine neue Kunst geschaffen; es war einer weit spaeteren Kulturepoche
vorbehalten, aus dem Motiv des Bogens eine neue, von der hellenischen
Tektonik verschiedene Architektur zu entwickeln und sodann mit dieser
harmonisch eine neue Bildnerei und Malerei zu entfalten. Die latinische
Kunst ist nirgend originell und oft gering; aber die frisch empfindende
und taktvoll waehlende Aneignung des fremden Gutes ist auch ein hohes
kuenstlerisches Verdienst. Nicht leicht hat die latinische Kunst
barbarisiert und in ihren besten Erzeugnissen steht sie voellig im
Niveau der griechischen Technik. Eine gewisse Abhaengigkeit der Kunst
Latiums wenigstens in ihren frueheren Stadien von der sicher aelteren
etruskischen soll darum nicht geleugnet werden; es mag Varro immerhin
mit Recht angenommen haben, dass bis auf die im Cerestempel von
griechischen Kuenstlern ausgefuehrten nur "tuscanische" Tonbilder die
roemischen Tempel verzierten; aber dass doch vor allem der unmittelbare
Einfluss der Griechen die latinische Kunst bestimmt hat, ist an sich
schon klar und liegt auch in eben diesen Bildwerken sowie in den
latinischen und roemischen Muenzen deutlich zu Tage. Selbst
die Anwendung der Metallzeichnung in Etrurien lediglich auf den
Toilettenspiegel, in Latium lediglich auf den Toilettenkasten deutet
auf die Verschiedenartigkeit der beiden Landschaften zuteil gewordenen
Kunstanregung. Es scheint indes nicht gerade Rom gewesen zu sein, wo die
latinische Kunst ihre frischesten Blueten trieb; die roemischen Asse
und die roemischen Denare werden von den latinischen Kupfer- und den
seltenen latinischen Silbermuenzen an Feinheit und Geschmack der Arbeit
bei weitem uebertroffen und auch die Meisterwerke der Malerei und
Zeichnung gehoeren vorwiegend Praeneste, Lanuvium, Ardea an. Auch
stimmt dies vollstaendig zu dem frueher bezeichneten realistischen und
nuechternen Sinn der roemischen Republik, welcher in dem uebrigen Latium
sich schwerlich mit gleicher Strenge geltend gemacht haben kann. Aber
im Lauf des fuenften Jahrhunderts und besonders in der zweiten Haelfte
desselben regte es denn doch sich maechtig auch in der roemischen Kunst.
Es war dies die Epoche, in welcher der spaetere Bogen- und Strassenbau
begann, in welcher Kunstwerke wie die Kapitolinische Woelfin entstanden,
in welcher ein angesehener Mann aus einem altadeligen roemischen
Geschlechte den Pinsel ergriff, um einen neugebauten Tempel
auszuschmuecken und dafuer den Ehrenbeinamen des "Malers" empfing. Das
ist nicht Zufall. Jede grosse Zeit erfasst den ganzen Menschen; und wie
starr die roemische Sitte, wie streng die roemische Polizei immer war,
der Aufschwung, den die roemische Buergerschaft als Herrin der Halbinsel
oder richtiger gesagt, den das zum erstenmal staatlich geeinigte Italien
nahm, tritt auch in dem Aufschwung der latinischen und besonders
der roemischen Kunst ebenso deutlich hervor wie in dem Sinken der
etruskischen der sittliche und politische Verfall der Nation. Wie die
gewaltige Volkskraft Latiums die schwaecheren Nationen bezwang, so
hat sie auch dem Erz und dem Marmor ihren unvergaenglichen Stempel
aufgedrueckt.





*** End of this LibraryBlog Digital Book "Römische Geschichte — Band 2" ***

Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.



Home