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Title: Römische Geschichte — Band 5
Author: Mommsen, Theodor
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Römische Geschichte — Band 5" ***


The following e-text of Mommsen's Roemische Geschichte contains some
(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations
is a modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked
in Greek words, nor is there any differentiation between the different
accents of ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.

Theodor Mommsen Roemische Geschichte

Fuenftes Buch Die Begruendung der Militaermonarchie Wie er sich sieht
so um und um, Kehrt es ihm fast den Kopf herum, Wie er wollt' Worte zu
allem finden? Wie er moecht' so viel Schwall verbinden Wie er moecht'
immer mutig bleiben So fort und weiter fort zu schreiben? Goethe 1.
Kapitel Marcus Lepidus und Quintus Sertorius Als Sulla im Jahre 676 (78)
starb, beherrschte die von ihm restaurierte Oligarchie unbeschraenkt den
roemischen Staat; allein wie sie durch Gewalt gegruendet war, bedurfte
sie auch ferner der Gewalt, um sich gegen ihre zahlreichen heimlichen
und offenen Gegner zu behaupten. Was ihr entgegenstand, war nicht etwa
eine einfache Partei mit klar ausgesprochenen Zwecken und unter bestimmt
anerkannten Fuehrern, sondern eine Masse der mannigfaltigsten Elemente,
die wohl im allgemeinen unter dem Namen der Popularpartei sich
zusammenfassten, aber doch in der Tat aus den verschiedenartigsten
Gruenden und in der verschiedenartigsten Absicht gegen die Sullanische
Ordnung des Gemeinwesens Opposition machten. Da waren die Maenner des
positiven Rechts, die Politik weder machten noch verstanden, denen aber
Sullas willkuerliches Schalten mit dem Leben und Eigentum der Buerger
ein Greuel war. Noch bei Lebzeiten Sullas, waehrend jede andere
Opposition schwieg, lehnten die strengen Juristen gegen den Regenten
sich auf: es wurden zum Beispiel die Cornelischen Gesetze, welche
verschiedenen italischen Buergerschaften das roemische Buergerrecht
aberkannten, in gerichtlichen Entscheidungen als nichtig behandelt,
ebenso das Buergerrecht von den Gerichten erachtet als nicht aufgehoben
durch die Kriegsgefangenschaft und den Verkauf in die Sklaverei waehrend
der Revolution. Da waren ferner die Ueberreste der alten liberalen
Senatsminoritaet, welche in frueheren Zeiten auf eine Transaktion mit
der Reformpartei und mit den Italikern hingearbeitet hatte und jetzt in
aehnlicher Weise geneigt war, die starr oligarchische Verfassung Sullas
durch Zugestaendnisse an die Popularen zu mildern. Da waren ferner die
eigentlichen Popularen, die ehrlich glaeubigen bornierten Radikalen,
die fuer die Schlagwoerter des Parteiprogramms Vermoegen und Leben
einsetzten, um nach dem Siege mit schmerzlichem Erstaunen zu erkennen,
dass sie nicht fuer eine Sache, sondern fuer eine Phrase gefochten
hatten. Ihnen galt es vornehmlich um die Wiederherstellung der von
Sulla zwar nicht aufgehobenen, aber doch ihrer wesentlichsten
Befugnisse entkleideten tribunizischen Gewalt, welche nur mit um so
geheimnisvollerem Zauber auf die Menge wirkte, weil das Institut ohne
handgreiflichen praktischen Nutzen und in der Tat ein leeres Gespenst
war - hat doch der Name des Volkstribuns noch ueber ein Jahrtausend
spaeter Rom revolutioniert. Da waren vor allem die zahlreichen und
wichtigen Klassen, die die Sullanische Restauration unbefriedigt
gelassen oder geradezu in ihren politischen oder Privatinteressen
verletzt hatte. Aus solchen Ursachen gehoerte der Opposition an die
dichte und wohlhabende Bevoelkerung der Landschaft zwischen dem Po und
den Alpen, die natuerlich die Gewaehrung des launischen Rechts im
Jahre 665 (89) nur als eine Abschlagszahlung auf das volle roemische
Buergerrecht betrachtete und der Agitation einen willfaehrigen
Boden gewaehrte. Desgleichen die ebenfalls durch Anzahl und Reichtum
einflussreichen und durch ihre Zusammendraengung in der Hauptstadt
noch besonders gefaehrlichen Freigelassenen, die es nicht verschmerzen
konnten, durch die Restauration wieder auf ihr frueheres, praktisch
nichtiges Stimmrecht zurueckgefuehrt worden zu sein. Desgleichen ferner
die hohe Finanz, die zwar vorsichtig sich still verhielt, aber ihren
zaehen Groll und ihre nicht minder zaehe Macht nach wie vor sich
bewahrte. Ebenso missvergnuegt war die hauptstaedtische Menge, die die
wahre Freiheit im freien Brotkorn erkannte. Noch tiefere Erbitterung
gaerte in den von den Sullanischen Konfiskationen betroffenen
Buergerschaften, mochten sie nun, wie zum Beispiel die Pompeianer,
in ihrem durch die Sullanischen Kolonisten geschmaelerten Eigentum
innerhalb desselben Stadtgebiets mit diesen zusammen und mit ihnen in
ewigem Hader leben oder, wie die Arretiner und Volaterraner, zwar noch
im tatsaechlichen Besitz ihrer Mark, aber unter dem Damoklesschwert der
vom roemischen Volke ueber sie verhaengten Konfiskation sich befinden
oder endlich, wie dies besonders in Etrurien der Fall war, als Bettler
in ihren ehemaligen Wohnsitzen oder als Raeuber in den Waeldern
verkommen. Es war endlich in Gaerung der ganze Familien- und
Freigelassenenanhang derjenigen demokratischen Haeupter, die infolge
der Restauration das Leben verloren hatten oder in allem Elend des
Emigrantenrums teils an den mauretanischen Kuesten umherirrten, teils
am Hofe und im Heere Mithradats verweilten; denn nach der von strenger
Familiengeschlossenheit beherrschten politischen Gesinnung dieser Zeit
galt es den Zurueckgebliebenen als Ehrensache ^1, fuer die fluechtigen
Angehoerigen die Rueckkehr in die Heimat, fuer die toten wenigstens
Aufhebung der auf ihrem Andenken und auf ihren Kindern haftenden Makel
und Rueckgabe des vaeterlichen Vermoegens auszuwirken. Vor allem die
eigenen Kinder der Geaechteten, die der Regent von Rechts wegen zu
politischen Parias herabgesetzt hatte, hatten damit gleichsam von dem
Gesetze selbst die Aufforderung empfangen, gegen die bestehende Ordnung
sich zu empoeren. ---------------------------------------------- ^1
Ein bezeichnender Zug ist es, dass ein angesehener Literaturlehrer, der
Freigelassene Staberius Eros, die Kinder der Geaechteten
unentgeltlich an seinem Kursus teilnehmen liess.
----------------------------------------------- Zu allen diesen
oppositionellen Fraktionen kam weiter hinzu die ganze Masse der
ruinierten Leute. All das vornehme und geringe Gesindel, dem im
eleganten oder im banausischen Schlemmen Habe und Haltung darauf
gegangen war; die adligen Herren, an denen nichts mehr vornehm war als
ihre Schulden; die Sullanischen Lanzknechte, die der Machtspruch des
Regenten wohl in Gutsbesitzer, aber nicht in Ackerbauer hatte umschaffen
koennen, und die nach der verprassten ersten Erbschaft der Geaechteten
sich sehnten, eine zweite aehnliche zu tun - sie alle warteten nur
auf die Entfaltung der Fahne, die zum Kampfe gegen die bestehenden
Verhaeltnisse einlud, mochte sonst was immer darauf geschrieben
sein. Mit gleicher Notwendigkeit schlossen alle aufstrebenden und
der Popularitaet beduerftigen Talente der Opposition sich an, sowohl
diejenigen, denen der streng geschlossene Optimatenkreis die Aufnahme
oder doch das rasche Emporkommen verwehrte und die deshalb in die
Phalanx gewaltsam sich einzudraengen und die Gesetze der oligarchischen
Exklusivitaet und Anciennitaet durch die Volksgunst zu brechen
versuchten, als auch die gefaehrlicheren Maenner, deren Ehrgeiz nach
einem hoeheren Ziel strebte, als die Geschicke der Welt innerhalb
der kollegialischen Umtriebe bestimmen zu helfen. Namentlich auf
der Advokatentribuene, dem einzigen von Sulla offengelassenen Boden
gesetzlicher Opposition, ward schon bei Lebzeiten des Regenten von
solchen Aspiranten mit den Waffen der formalen Jurisprudenz und der
schlagfertigen Rede lebhaft gegen die Restauration gestritten; zum
Beispiel der gewandte Sprecher Marcus Tullius Cicero (geboren 3. Januar
648 106), eines Gutsbesitzers von Arpinum Sohn, machte durch seine halb
vorsichtige, halb dreiste Opposition gegen den Machthaber sich rasch
einen Namen. Dergleichen Bestrebungen hatten nicht viel zu bedeuten,
wenn der Opponent nichts weiter begehrte, als den kurulischen Stuhl
damit sich einzuhandeln und sodann als Befriedigter den Rest seiner
Jahre auf demselben zu versitzen. Wenn freilich einem populaeren Mann
dieser Stuhl nicht genuegen und Gaius Gracchus einen Nachfolger finden
sollte, so war ein Kampf auf Tod und Leben unvermeidlich; indes fuer
jetzt wenigstens war noch kein Name zu nennen, dessen Traeger ein so
hohes Ziel sich vorgesteckt haette. Derart war die Opposition, mit der
das von Sulla eingesetzte oligarchische Regiment zu kaempfen hatte,
nachdem dasselbe, frueher als Sulla selbst gedacht haben mochte, durch
seinen Tod auf sich selber angewiesen worden war. Die Aufgabe war an
sich nicht leicht und ward noch erschwert durch die sonstigen sozialen
und politischen Uebelstaende dieser Zeit, vor allem durch die
ungemeine Schwierigkeit, teils die Militaerchefs in den Provinzen in
Unterwuerfigkeit gegen die hoechste buergerliche Obrigkeit zu erhalten,
teils in der Hauptstadt mit den Massen des daselbst sich anhaeufenden
italischen und ausseritalischen Gesindels und der in Rom grossenteils in
faktischer Freiheit lebenden Sklaven fertig zu werden, ohne doch Truppen
zur Verfuegung zu haben. Der Senat stand wie in einer von allen Seiten
ausgesetzten und bedrohten Festung, und ernstliche Kaempfe konnten nicht
ausbleiben. Aber auch die von Sulla geordneten Widerstandsmittel waren
ansehnlich und nachhaltig; und wenngleich die Majoritaet der Nation der
Regierung, wie Sulla sie eingesetzt hatte, offenbar abgeneigt, ja ihr
feindselig gesinnt war, so konnte nichtsdestoweniger gegen die irre und
wirre Masse einer Opposition, welche weder im Ziel noch im Weg zusammen
und hauptlos in hundert Fraktionen auseinanderging, die Regierung sehr
wohl noch auf lange hinaus in ihrer festen Burg sich behaupten. Nur
freilich musste sie auch sich behaupten wollen und wenigstens
einen Funken jener Energie, die ihre Festung gebaut hatte, zu deren
Verteidigung heranbringen; fuer eine Besatzung, die sich nicht wehren
will, zieht der groesste Schanzkuenstler vergebens seine Mauern und
Graeben. Je mehr schliesslich alles ankam auf die Persoenlichkeit der
leitenden Maenner auf beiden Seiten, desto uebler war es, dass es genau
genommen auf beiden Seiten an Fuehrern fehlte. Die Politik dieser Zeit
ward durchaus beherrscht von dem Koteriewesen in seiner schlimmsten
Gestalt. Wohl war dasselbe nichts Neues; die Familien- und
Klubgeschlossenheit ist untrennbar von der aristokratischen Ordnung des
Staats und war seit Jahrhunderten in Rom uebermaechtig. Aber allmaechtig
wurde dieselbe doch erst in dieser Epoche, wie denn ihr Einfluss auch
erst jetzt (zuerst 690 64) durch gesetzliche Repressivmassregeln weniger
gehemmt als konstatiert ward. Alle Vornehmen, die popular Gesinnten
nicht minder als die eigentliche Oligarchie, taten sich in Hetaerien
zusammen; die Masse der Buergerschaft, soweit sie ueberhaupt an den
politischen Vorgaengen regelmaessig sich beteiligte, bildete nach
den Stimmbezirken gleichfalls geschlossene und fast militaerisch
organisierte Vereine, die an den Vorstehern der Bezirke, den
"Bezirksverteilern" (divisores tribuum), ihre natuerlichen Hauptleute
und Mittelsmaenner fanden. Feil war diesen politischen Klubs alles:
die Stimme des Waehlers vor allem, aber auch die des Ratsmanns und des
Richters, auch die Faeuste, die den Strassenkrawall machten, und die
Rottenfuehrer, die ihn lenkten - nur im Tarif unterschieden sich die
Assoziationen der Vornehmen und der Geringen. Die Hetaerie entschied die
Wahlen, die Hetaerie beschloss die Anklagen, die Hetaerie leitete die
Verteidigung; sie gewann den angesehenen Advokaten, sie akkordierte
im Notfall wegen der Freisprechung mit einem der Spekulanten, die den
eintraeglichen Handel mit Richterstimmen im grossen betrieben. Die
Hetaerie beherrschte durch ihre geschlossenen Banden die Strassen der
Hauptstadt und damit nur zu oft den Staat. All diese Dinge geschahen
nach einer gewissen Regel und sozusagen oeffentlich; das
Hetaerienwesen war besser geordnet und besorgt als irgendein Zweig der
Staatsverwaltung; wenn auch, wie es unter zivilisierten Gaunern
ueblich ist, von dem verbrecherischen Treiben nach stillschweigendem
Einverstaendnis nicht geradezu gesprochen ward, so hatte doch niemand
dessen ein Hehl, und angesehene Sachwalter scheuten sich nicht,
ihr Verhaeltnis zu den Hetaerien ihrer Klienten oeffentlich und
verstaendlich anzudeuten. Fand sich hier und da ein einzelner Mann, der
diesem Treiben und nicht zugleich dem oeffentlichen Leben sich entzog,
so war er sicher, wie Marcus Cato, ein politischer Don Quichotte. An die
Stelle der Parteien und des Parteienkampfes traten die Klubs und deren
Konkurrenz, an die Stelle des Regiments die Intrige. Ein mehr als
zweideutiger Charakter, Publius Cethegus, einst einer der eifrigsten
Marianer, spaeter als Ueberlaeufer zu Sulla zu Gnaden aufgenommen,
spielte in dem politischen Treiben dieser Zeit eine der
einflussreichsten Rollen, einzig als schlauer Zwischentraeger
und Vermittler zwischen den senatorischen Fraktionen und als
staatsmaennischer Kenner aller Kabalengeheimnisse; zu Zeiten entschied
ueber die Besetzung der wichtigsten Befehlshaberstellen das Wort seiner
Maetresse Praecia. Eine solche Misere war eben nur moeglich, wo keiner
der politisch taetigen Maenner sich ueber die Linie des Gewoehnlichen
erhob; jedes ausserordentliche Talent haette diese Faktionenwirtschaft
wie Spinnweben weggefegt; aber eben an politischen und militaerischen
Kapazitaeten war der bitterste Mangel. Von dem aelteren Geschlecht
hatten die Buergerkriege keinen einzigen angesehenen Mann uebriggelassen
als den alten, klugen, redegewandten Lucius Philippus (Konsul 663 91),.
der, frueher popular gesinnt, darauf Fuehrer der Kapitalistenpartei
gegen den Senat und mit den Marianern eng verknuepft, endlich zeitig
genug, um Dank und Lohn zu ernten, uebergetreten zu der siegenden
Oligarchie, zwischen den Parteien durchgeschluepft war. Unter den
Maennern der folgenden Generation waren die namhaftesten Haeupter
der reinen Aristokratie Quintus Metellus Pius (Konsul 674 80), Sullas
Genosse in Gefahren und Siegen; Quintus Lutatius Catulus, Konsul in
Sullas Todesjahr 676 (78), der Sohn des Siegers von Vercellae; und zwei
juengere Offiziere, die beiden Brueder Lucius und Marcus Lucullus, von
denen jener in Asien, dieser in Italien mit Auszeichnung unter Sulla
gefochten hatten; um zu schweigen von Optimaten wie Quintus Hortensius
(640-704 114-50), der nur als Sachwalter etwas bedeutete, oder gar
wie Decimus Iunius Brutus (Konsul 677 77), Mamercus Aemilius Lepidus
Livianus (Konsul 677 77) und andern solchen Nullitaeten, an denen der
vollklingende aristokratische Name das gute Beste war. Aber auch
jene vier Maenner erhoben sich wenig ueber den Durchschnittswert der
vornehmen Adligen dieser Zeit. Catulus war gleich seinem Vater ein
feingebildeter Mann und ehrlicher Aristokrat, aber von maessigen
Talenten und namentlich kein Soldat. Metellus war nicht bloss ein
persoenlich achtbarer Charakter, sondern auch ein faehiger und erprobter
Offizier: nicht so sehr wegen seiner engen verwandtschaftlichen und
kollegialischen Beziehungen zu dem Regenten, als besonders wegen seiner
anerkannten Tuechtigkeit war er im Jahre 675 (79) nach Niederlegung des
Konsulats nach Spanien gesandt worden, als dort die Lusitaner und die
roemischen Emigranten unter Quintus Sertorius abermals sich regten.
Tuechtige Offiziere waren auch die beiden Lucullus, namentlich der
aeltere, der ein sehr achtbares militaerisches Talent mit gruendlicher
literarischer Bildung und schriftstellerischen Neigungen vereinigte und
auch als Mensch ehrenwert erschien. Allein als Staatsmaenner waren
doch selbst diese besseren Aristokraten nicht viel weniger schlaff
und kurzsichtig als die Dutzendsenatoren der Zeit. Dem aeusseren Feind
gegenueber bewaehrten die namhafteren darunter sich wohl als brauchbar
und brav; aber keiner von ihnen bezeigte Lust und Geschick, die
eigentlich politischen Aufgaben zu loesen und das Staatsschiff durch
die bewegte See der Intrigen und Parteiungen als rechter Steuermann zu
lenken. Ihre politische Weisheit beschraenkte sich darauf, aufrichtig
zu glauben an die alleinseligmachende Oligarchie, dagegen die Demagogie
ebenso wie jede sich emanzipierende Einzelgewalt herzlich zu hassen und
mutig zu verwuenschen. Ihr kleiner Ehrgeiz nahm mit wenigem vorlieb.
Was von Metellus in Spanien erzaehlt wird, dass er nicht bloss die
wenig harmonische Leier der spanischen Gelegenheitspoeten sich gefallen,
sondern sogar, wo er hinkam, sich gleich einem Gotte mit Weinspenden und
Weihrauchduft empfangen und bei Tafel von niederschwebenden Viktorien
unter Theaterdonner das Haupt mit dem goldenen Siegeslorbeer
sich kraenzen liess, ist nicht besser beglaubigt als die meisten
geschichtlichen Anekdoten; aber auch in solchem Klatsch spiegelt sich
der heruntergekommene Ehrgeiz der Epigonengeschlechter. Selbst die
Besseren waren befriedigt, wenn nicht Macht und Einfluss, sondern das
Konsulat und der Triumph und im Rate ein Ehrenplatz errungen war, und
traten da, wo sie bei rechtem Ehrgeiz erst angefangen haben wuerden,
ihrem Vaterland und ihrer Partei wahrhaft nuetzlich zu sein, von der
politischen Buehne zurueck, um in fuerstlichem Luxus unterzugehen.
Maenner wie Metellus und Lucius Lucullus waren schon als Feldherren
nicht weniger als auf die Erweiterung des roemischen Gebiets durch neu
unterworfene Koenige und Voelkerschaften bedacht auf die der endlosen
Wildbret-, Gefluegel- und Dessertliste der roemischen Gastronomie durch
neue afrikanische und kleinasiatische Delikatessen und haben den
besten Teil ihres Lebens in mehr oder minder geistreichem Muessiggang
verdorben. Das traditionelle Geschick und die individuelle Resignation,
auf denen alles oligarchische Regiment beruht, waren der verfallenen
und kuenstlich wiederhergestellten roemischen Aristokratie dieser
Zeit abhanden gekommen; ihr galt durchgaengig der Cliquengeist
als Patriotismus, die Eitelkeit als Ehrgeiz, die Borniertheit als
Konsequenz. Waere die Sullanische Verfassung unter die Obhut von
Maennern gekommen, wie sie wohl im roemischen Kardinalskollegium und im
venezianischen Rat der Zehn gesessen haben, so ist es nicht zu sagen, ob
die Opposition vermocht haben wuerde, sie so bald zu erschuettern; mit
solchen Verteidigern war allerdings jeder Angriff eine ernste Gefahr.
Unter den Maennern, die weder unbedingte Anhaenger noch offene Gegner
der Sullanischen Verfassung waren, zog keiner mehr die Augen der Menge
auf sich als der junge, bei Sullas Tode achtundzwanzigjaehrige Gnaeus
Pompeius (geb. 29. September 648 106). Es war das ein Unglueck fuer den
Bewunderten wie fuer die Bewunderer; aber es war natuerlich. Gesund an
Leib und Seele, ein tuechtiger Turner, der noch als Oberoffizier mit
seinen Soldaten um die Wette sprang, lief und hob, ein kraeftiger und
gewandter Reiter und Fechter, ein kecker Freischarenfuehrer, war
der Juengling in einem Alter, das ihn von jedem Amt und vom Senat
ausschloss, Imperator und Triumphator geworden und hatte in der
oeffentlichen Meinung den ersten Platz naechst Sulla, ja von dem
laesslichen, halb anerkennenden, halb ironischen Regenten selbst
den Beinamen des Grossen sich erworben. Zum Unglueck entsprach seine
geistige Begabung diesen unerhoerten Erfolgen schlechterdings nicht.
Er war kein boeser und kein unfaehiger, aber ein durchaus gewoehnlicher
Mensch, durch die Natur geschaffen, ein tuechtiger Wachtmeister,
durch die Umstaende berufen, Feldherr und Staatsmann zu sein. Ein
einsichtiger, tapferer und erfahrener, durchaus vorzueglicher Soldat,
war er doch auch als Militaer ohne eine Spur hoeherer Begabung; als
Feldherr wie ueberhaupt ist es ihm eigen, mit einer an Aengstlichkeit
grenzenden Vorsicht zu Werke zu gehen und womoeglich den entscheidenden
Schlag erst dann zu fuehren, wenn die ungeheuerste Ueberlegenheit ueber
den Gegner hergestellt ist. Seine Bildung ist die Dutzendbildung der
Zeit; obwohl durch und durch Soldat versaeumte er doch nicht, als er
nach Rhodos kam, die dortigen Redekuenstler pflichtmaessig zu bewundern
und zu beschenken. Seine Rechtschaffenheit war die des reichen Mannes,
der mit seinem betraechtlichen ererbten und erworbenen Vermoegen
verstaendig Haus haelt; er verschmaehte es nicht, in der ueblichen
senatorischen Weise Geld zu machen, aber er war zu kalt und zu reich, um
deswegen sich in besondere Gefahren zu begeben und hervorragende Schande
sich aufzuladen. Die unter seinen Zeitgenossen im Schwange gehende
Lasterhaftigkeit hat mehr als seine eigene Tugend ihm den - relativ
allerdings wohl gerechtfertigten - Ruhm der Tuechtigkeit und
Uneigennuetzigkeit verschafft. Sein "ehrliches Gesicht" ward fast
sprichwoertlich, und noch nach seinem Tode war er ein wuerdiger und
sittlicher Mann; in der Tat war er ein guter Nachbar, welcher die
empoerende Sitte der Grossen jener Zeit, ihre Gebietsgrenzen durch
Zwangskaeufe oder, noch Schlimmeres, auf Kosten der kleineren
Nachbarn auszudehnen, nicht mitmachte, und zeigte er im Familienleben
Anhaenglichkeit an Frau und Kinder; es gereicht ihm ferner zur Ehre,
dass er zuerst von der barbarischen Sitte abging, die gefangenen
feindlichen Koenige und Feldherrn nach ihrer Auffuehrung im Triumph
hinrichten zu lassen. Aber das hielt ihn nicht ab, wenn sein Herr und
Meister Sulla befahl, sich von der geliebten Frau zu scheiden, weil sie
einem verfemten Geschlecht angehoerte, und auf desselben Gebieters Wink
Maenner, die ihm in schwerer Zeit hilfreich beigestanden hatten, mit
grosser Seelenruhe vor seinen Augen hinrichten zu lassen; er war nicht
grausam, wie man ihm vorwarf, aber, was vielleicht schlimmer ist, kalt
und im Guten wie im Boesen ohne Leidenschaft. Im Schlachtgetuemmel sah
er dem Feinde das Weisse im Auge; im buergerlichen Leben war er ein
schuechterner Mann, dem bei der geringsten Veranlassung das Blut in
die Wangen stieg und der nicht ohne Verlegenheit oeffentlich sprach,
ueberhaupt eckig, steif und ungelenk im Verkehr. Bei all seinem
hoffaertigen Eigensinn war er, wie ja in der Regel diejenigen es sind,
die ihre Selbstaendigkeit zur Schau tragen, ein lenksames Werkzeug in
der Hand derjenigen, die ihn zu nehmen verstanden, namentlich seiner
Freigelassenen und Klienten, von denen er nicht fuerchtete, beherrscht
zu werden. Zu nichts war er minder geschaffen als zum Staatsmann. Unklar
ueber seine Ziele, ungewandt in der Wahl seiner Mittel, im kleinen wie
im grossen kurzsichtig und ratlos, pflegte er seine Unschluessigkeit und
Unsicherheit unter feierlichem Schweigen zu verbergen und, wenn er fein
zu spielen meinte, nur mit dem Glauben andere zu taeuschen, sich
selber zu betruegen. Durch seine militaerische Stellung und seine
landsmannschaftlichen Beziehungen fiel ihm fast ohne sein Zutun eine
ansehnliche, ihm persoenlich ergebene Partei zu, mit der sich die
groessten Dinge haetten durchfuehren lassen; allein Pompeius war in
jeder Beziehung unfaehig, eine Partei zu leiten und zusammenzuhalten,
und wenn sie dennoch zusammenhielt, so geschah dies gleichfalls ohne
sein Zutun durch das blosse Schwergewicht der Verhaeltnisse. Hierin
wie in andern Dingen erinnert er an Marius; aber Marius ist mit seinem
bauerhaft rohen, sinnlich leidenschaftlichen Wesen doch noch minder
unertraeglich als dieser langweiligste und steifleinenste aller
nachgemachten grossen Maenner. Seine politische Stellung war durchaus
schief. Er war Sullanischer Offizier und fuer die restaurierte
Verfassung einzustehen verpflichtet, und doch auch wieder in Opposition
gegen Sulla persoenlich wie gegen das ganze senatorische Regiment.
Das Geschlecht der Pompeier, das erst seit etwa sechzig Jahren in den
Konsularverzeichnissen genannt ward, galt in den Augen der Aristokratie
noch keineswegs als voll; auch hatte der Vater dieses Pompeius gegen
den Senat eine sehr gehaessige Zwitterstellung eingenommen und er selbst
einst in den Reihen der Cinnaner gestanden - Erinnerungen, die wohl
verschwiegen, aber nicht vergessen wurden. Die hervorragende Stellung,
die Pompeius unter Sulla sich erwarb, entzweite ihn innerlich ebensosehr
mit der Aristokratie, wie sie ihn aeusserlich mit derselben verflocht.
Schwachkoepfig wie er war, ward Pompeius auf der so bedenklich rasch und
leicht erklommenen Ruhmeshoehe vom Schwindel ergriffen. Gleich als wolle
er seine duerr prosaische Natur durch die Parallele mit der poetischsten
aller Heldengestalten selber verhoehnen, fing er an sich mit Alexander
dem Grossen zu vergleichen und sich fuer einen einzigen Mann zu halten,
dem es nicht gezieme, bloss einer von den fuenfhundert roemischen
Ratsherren zu sein. In der Tat war niemand mehr geschaffen, in ein
aristokratisches Regiment als Glied sich einzufuegen, als er.
Pompeius' wuerdevolles Aeussere, seine feierliche Foermlichkeit, seine
persoenliche Tapferkeit, sein ehrbares Privatleben, sein Mangel an
aller Initiative haetten ihm, waere er zweihundert Jahre frueher geboren
worden, neben Quintus Maximus und Publius Decius einen ehrenvollen Platz
gewinnen moegen; zu der Wahlverwandtschaft, die zwischen Pompeius und
der Masse der Buergerschaft und des Senats zu allen Zeiten bestand,
hat diese echt optimatische und echt roemische Mediokritaet nicht am
wenigsten beigetragen. Auch in seiner Zeit noch haette es eine klare
und ansehnliche Stellung fuer ihn gegeben, wofern er damit sich genuegen
liess, der Feldherr des Rates zu sein, zu dem er von Haus aus bestimmt
war. Es genuegte ihm nicht und so geriet er in die verhaengnisvolle
Lage, etwas anderes sein zu wollen als er sein konnte. Bestaendig
trachtete er nach einer Sonderstellung im Staat und wenn sie sich
darbot, konnte er sich nicht entschliessen, sie einzunehmen; mit tiefer
Erbitterung nahm er es auf, wenn Personen und Gesetze nicht unbedingt
vor ihm sich beugten, und doch trat er selbst mit nicht bloss
affektierter Bescheidenheit ueberall auf als einer von vielen
Gleichberechtigten und zitterte vor dem blossen Gedanken, etwas
Verfassungswidriges zu beginnen. Also bestaendig in gruendlicher
Spannung mit und doch zugleich der gehorsame Diener der Oligarchie,
bestaendig gepeinigt von einem Ehrgeiz, der vor seinem eigenen Ziele
erschrickt, verfloss ihm in ewigem innerem Widerspruch freudelos sein
vielbewegtes Leben. Ebensowenig als Pompeius kann Marcus Crassus zu den
unbedingten Anhaengern der Oligarchie gezaehlt werden. Er ist eine fuer
diese Epoche hoechst charakteristische Figur. Wie Pompeius, dem er im
Alter um wenige Jahre voranging, gehoerte auch er zu dem Kreise der
hohen roemischen Aristokratie, hatte die gewoehnliche standesmaessige
Erziehung erhalten und gleich Pompeius unter Sulla im Italischen Kriege
mit Auszeichnung gefochten. An geistiger Begabung, literarischer
Bildung und militaerischem Talent weit zurueckstehend hinter vielen
seinesgleichen, ueberfluegelte er sie durch seine grenzenlose
Ruehrigkeit und durch die Beharrlichkeit, mit der er rang, alles
zu besitzen und zu bedeuten. Vor allen Dingen warf er sich in die
Spekulation. Gueterkaeufe waehrend der Revolution begruendeten sein
Vermoegen; aber er verschmaehte keinen Erwerbszweig; er betrieb das
Baugeschaeft in der Hauptstadt ebenso grossartig wie vorsichtig; er ging
mit seinen Freigelassenen bei den mannigfaltigsten Unternehmungen in
Kompagnie; er machte in und ausser Rom, selbst oder durch seine Leute
den Bankier; er Schoss seinen Kollegen Im Senat Geld vor und unternahm
es, fuer ihre Rechnung wie es fiel Arbeiten auszufuehren oder
Richterkollegien zu bestechen. Waehlerisch im Profitmachen war er eben
nicht. Schon bei den Sullanischen Aechtungen war ihm eine Faelschung
in den Listen nachgewiesen worden, weshalb Sulla sich von da an in
Staatsgeschaeften seiner nicht weiter bedient hatte; die Erbschaft nahm
er darum nicht weniger, weil die Testamentsurkunde, in der sein Name
stand, notorisch gefaelscht war; er hatte nichts dagegen, wenn seine
Meier die kleinen Anlieger ihres Herrn von ihren Laendereien gewaltsam
oder heimlich verdraengten. Uebrigens vermied er offene Kollisionen mit
der Kriminaljustiz und lebte als echter Geldmann selbst buergerlich und
einfach. Auf diesem Wege ward Crassus binnen wenig Jahren aus einem Mann
von gewoehnlichem senatorischen, der Herr eines Vermoegens, das nicht
lange vor seinem Tode nach Bestreitung ungeheurer ausserordentlicher
Ausgaben sich noch auf 170 Mill. Sesterzen (13 Mill. Taler) belief:
er war der reichste Roemer geworden und damit zugleich eine politische
Groesse. Wenn nach seiner Aeusserung niemand sich reich nennen durfte,
der nicht aus seinen Zinsen ein Kriegsheer zu unterhalten vermochte, so
war, wer dies vermochte, kaum noch ein blosser Buerger. In der Tat war
Crassus' Blick auf ein hoeheres Ziel gerichtet als auf den Besitz
der gefuelltesten Geldkiste in Rom. Er liess es sich keine Muehe
verdriessen, seine Verbindungen auszudehnen. Jeden Buerger der
Hauptstadt wusste er beim Namen zu gruessen. Keinem Bittenden versagte
er seinen Beistand vor Gericht. Zwar die Natur hatte nicht viel fuer ihn
als Sprecher getan: seine Rede war trocken, der Vortrag eintoenig, er
hoerte schwer; aber sein zaeher Sinn, den keine Langeweile abschreckte
wie kein Genuss abzog, ueberwand die Hindernisse. Nie erschien er
unvorbereitet, nie extemporierte er, und so ward er ein allzeit
gesuchter und allzeit fertiger Anwalt, dem es keinen Eintrag tat, dass
ihm nicht leicht eine Sache zu schlecht war und dass er nicht bloss
durch sein Wort, sondern auch durch seine Verbindungen und vorkommenden
Falls durch sein Gold auf die Richter einzuwirken verstand. Der halbe
Rat war ihm verschuldet; seine Gewohnheit, den Freunden Geld ohne
Zinsen auf beliebige Rueckforderung vorzuschiessen, machte eine Menge
einflussreicher Maenner von ihm abhaengig, um so mehr, da er als echter
Geschaeftsmann keinen Unterschied unter den Parteien machte,
ueberall Verbindungen unterhielt und bereitwillig jedem borgte, der
zahlungsfaehig oder sonst brauchbar war. Die verwegensten Parteifuehrer,
die ruecksichtslos nach allen Seiten hin ihre Angriffe richteten,
hueteten sich, mit Crassus anzubinden; man verglich ihn dem Stier der
Herde, den zu reizen fuer keinen raetlich war. Dass ein so gearteter und
so gestellter Mann nicht nach niedrigen Zielen streben konnte, leuchtet
ein; und, anders als Pompeius, wusste Crassus genau wie ein Bankier,
worauf und womit er politisch spekulierte. Seit Rom stand, war daselbst
das Kapital eine politische Macht; die Zeit war von der Art, dass
dem Golde wie dem Eisen alles zugaenglich schien. Wenn in der
Revolutionszeit eine Kapitalistenaristokratie daran hatte denken moegen,
die Oligarchie der Geschlechter zu stuerzen, so durfte auch ein Mann
wie Crassus die Blicke hoeher erheben als zu den Rutenbuendeln und dem
gestickten Mantel der Triumphatoren. Augenblicklich war er Sullaner und
Anhaenger des Senats; allein er war viel zu sehr Finanzmann, um einer
bestimmten politischen Partei sich zu eigen zu geben und etwas anderes
zu verfolgen als seinen persoenlichen Vorteil. Warum sollte Crassus,
der reichste und der intriganteste Mann in Rom und kein scharrender
Geizhals, sondern ein Spekulant im groessten Massstab, nicht spekulieren
auch auf die Krone? Vielleicht vermochte er allein es nicht, dies
Ziel zu erreichen; aber er hatte ja schon manches grossartige
Gesellschaftsgeschaeft gemacht: es war nicht unmoeglich, dass auch
hierfuer ein passender Teilnehmer sich darbot. Es gehoerte zur Signatur
der Zeit, dass ein mittelmaessiger Redner und Offizier, ein Politiker,
der seine Ruehrigkeit fuer Energie, seine Begehrlichkeit fuer Ehrgeiz
hielt, der im Grunde nichts hatte als ein kolossales Vermoegen und das
kaufmaennische Talent, Verbindungen anzuknuepfen - dass ein solcher
Mann, gestuetzt auf die Allmacht der Koterien und Intrigen, den ersten
Feldherren und Staatsmaennern der Zeit sich ebenbuertig achten und mit
ihnen um den hoechsten Preis ringen durfte, der dem politischen Ehrgeiz
winkt. In der eigentlichen Opposition, sowohl unter den liberalen
Konservativen als unter den Popuhren, hatten die Stuerme der Revolution
mit erschreckender Gruendlichkeit aufgeraeumt. Unter jenen war der
einzig uebriggebliebene namhafte Mann Gaius Cotta (630 bis ca. 681 124
-73), der Freund und Bundesgenosse des Drusus und deswegen im Jahre 663
(91) verbannt, sodann durch Sullas Krieg zurueckgefuehrt in die Heimat;
er war ein kluger Mann und ein tuechtiger Anwalt, aber weder durch das
Gewicht seiner Partei noch durch das seiner Persoenlichkeit zu mehr
berufen als zu einer achtbaren Nebenrolle. In der demokratischen Partei
zog unter dem jungen Nachwuchs der vierundzwanzigjaehrige Gaius Iulius
Caesar (geb. 12. Juli 652? 102) ^2 die Blicke von Freund und Feind
auf sich. Seine Verschwaegerung mit Marius und Cinna - seines Vaters
Schwester war Marius' Gemahlin gewesen, er selbst mit Cinnas Tochter
vermaehlt -; die mutige Weigerung des kaum dem Knabenalter entwachsenen
Juenglings, nach dem Befehl des Diktators seiner jungen Gemahlin
Cornelia den Scheidebrief zuzusenden, wie es doch im gleichen Falle
Pompeius getan; ein keckes Beharren auf dem ihm von Marius zugeteilten,
von Sulla aber wieder aberkannten Priesteramt; seine Irrfahrten
waehrend der ihm drohenden und muehsam durch Fuerbitte seiner Verwandten
abgewandten Aechtung; seiner Tapferkeit in den Gefechten vor Mytilene
und in Kilikien, die dem zaertlich erzogenen und fast weiblich
stutzerhaften Knaben niemand zugetraut hatte; selbst die Warnungen
Sullas vor dem "Knaben im Unterrock", in dem mehr als ein Marius
stecke - alles dies waren ebenso viele Empfehlungen in den Augen der
demokratischen Partei. Indes an Caesar konnten doch nur Hoffnungen fuer
die Zukunft sich knuepfen; und die Maenner, die durch ihr Alter und ihre
Stellung im Staat schon jetzt berufen gewesen sein wuerden, der Zuegel
der Partei und des Staates sich zu bemaechtigen, waren saemtliche tot
oder geaechtet. So war die Fuehrerschaft der Demokratie in Ermangelung
eines wahrhaft Berufenen fuer jeden zu haben, dem es belieben mochte,
sich zum Vertreter der unterdrueckten Volksfreiheit aufzuwerfen; und in
dieser Weise kam sie an Marcus Aemilius Lepidus, einen Sullaner, der
aus mehr als zweideutigen Beweggruenden ueberging in das Lager der
Demokratie. Einst ein eifriger Optimat und stark beteiligt bei den
ueber die Gueter der Geaechteten abgehaltenen Auktionen, hatte er als
Statthalter von Sizilien die Provinz so arg gepluendert, dass ihm eine
Anklage drohte, und, um dieser zu entgehen, sich in die Opposition
geworfen. Es war ein Gewinn von zweifelhaftem Werte. Zwar ein bekannter
Name, ein vornehmer Mann, ein hitziger Redner auf dem Markt war
damit der Opposition erworben; aber Lepidus war ein unbedeutender und
unbesonnener Kopf, der weder im Rate noch im Felde verdiente, an
der Spitze zu stehen. Nichtsdestoweniger hiess die Opposition ihn
willkommen, und dem neuen Demokratenfuehrer gelang es nicht bloss,
seine Anklaeger von der Fortsetzung des gegen ihn begonnenen Angriffs
abzuschrecken, sondern auch, seine Wahl zum Konsul fuer 676 (78)
durchzusetzen, wobei ihm uebrigens ausser den in Sizilien erpressten
Schaetzen auch Pompeius' albernes Bestreben foerderlich war, bei dieser
Gelegenheit Sulla und den reinen Sullanern zu zeigen, was er vermoege.
Da also, als Sulla starb, die Opposition an Lepidus wieder ein Haupt
gefunden hatte und da dieser ihr Fuehrer der hoechste Beamte des Staats
geworden war, so liess sich der nahe Ausbruch einer neuen Revolution
in der Hauptstadt mit Sicherheit vorhersehen.
------------------------------------------------------ ^2 Als Caesars
Geburtsjahr pflegt man das Jahr 654 (100) anzusetzen, weil er nach
Sueton (Caes. 88), Plutarch (Caes. 69) und Appian (civ. 2 149) bei
seinem Tode (15. Maerz 710 44) im 56. Jahre stand; womit auch die
Angabe, dass er zur Zeit der Sullanischen Proskription (672 82) achtzehn
Jahre alt gewesen (Vell. 2, 41), ungefaehr uebereinstimmt. Aber in
unaufloeslichem Widerspruch damit steht es, dass Caesar im Jahre
689 (65) die Aedilitaet, 692 (62) die Praetur, 695 (59) das Konsulat
bekleidet hat und jene Aemter nach den Annalgesetzen fruehestens resp.
im 37/38., 40/41. und 43/44. Lebensjahr bekleidet werden durften. Es ist
nicht abzusehen, wie Caesar saemtliche kurulischen Aemter zwei Jahre
vor der gesetzlichen Zeit bekleidet haben, noch weniger, dass hiervon
nirgends Erwaehnung geschehen sein sollte. Vielmehr legen diese
Tatsachen die Vermutung nahe, dass er, da sein Geburtstag unbezweifelt
auf den 12. Juli fiel, nicht 654 (100), sondern 652 (102) geboren ist,
also im Jahre 672 (82) im 20/21. Lebensjahre stand und nicht im 56.,
sondern 57 Jahre 8 Monate alt starb. Fuer diesen letzteren Ansatz laesst
sich ferner geltend machen, was man auffallenderweise dagegen angefuehrt
hat, dass Caesar "paene puer" von Marius und Cinna zum Flamen des
Jupiter bestellt wurde (Vell. 2, 43); denn Marius starb im Januar 668
(86), wo Caesar nach dem gewoehnlichen Ansatz dreizehn Jahre und sechs
Monate alt, also nicht "beinahe", wie Velleius sagt, sondern wirklich
noch Knabe und aus diesem Grunde eines solchen Priestertums kaum faehig
war. War er dagegen im Juli 652 (102) geboren, so stand er bei dem Tode
des Marius im sechzehnten Lebensjahr; und dazu stimmt die Bezeichnung
bei Velleius wie die allgemeine Regel, dass buergerliche Stellungen
nicht vor Ablauf des Knabenalters uebernommen werden. Zu diesem
letzteren Ansatz passt es ferner allein, dass die um den Ausbruch
des Buergerkrieges von Caesar geschlagenen Denare mit der Zahl LII,
wahrscheinlich dem Lebensjahr, bezeichnet sind; denn als er begann, war
Caesar hiernach etwas ueber 52 Jahre alt. Auch ist es nicht so verwegen,
wie es uns an regelmaessige und amtliche Geburtslisten Gewoehnten
erscheint, in dieser Hinsicht unsere Gewaehrsmaenner eines Irrtum
zu zeihen. Jene vier Angaben koennen sehr wohl alle auf eine
gemeinschaftliche Quelle zurueckgehen und duerfen ueberhaupt, da fuer
die aeltere Zeit vor dem Beginn der acta diurna die Angaben ueber die
Geburtsjahre auch der bekanntesten und hoechstgestellten Roemer, zum
Beispiel ueber das des Pompeius, in der auffallendsten Weise schwanken,
auf keine sehr hohe Glaubwuerdigkeit Anspruch machen. Vgl. Roemisches
Staatsrecht, Bd. 1, S. 570. In dem 'Leben Caesars' von Napoleon
III. (Bd. 2, Kap. 1) ist hiergegen eingewandt worden, teils dass das
Annalgesetz fuer Caesars Geburtsjahr nicht auf 652 (102), sondern 651
(103) fuehren wuerde, teils besonders, dass auch sonst Faelle bekannt
sind, wo dasselbe nicht befolgt worden ist. Allein die erste Behauptung
beruht auf einem Versehen; denn wie Ciceros Beispiel zeigt, forderte das
Annalgesetz nur, dass bei Antritt des Amtes das 43. Lebensjahr begonnen,
nicht dass es zurueckgelegt sei. Die behaupteten Ausnahmen aber von der
Regel treffen saemtlich nicht zu. Wenn Tacitus (ann. 11, 22) sagt, dass
man ehemals bei der Vergebung der Aemter gar keine Ruecksicht auf das
Alter genommen und Konsulat und Diktatur an ganz junge Leute uebertragen
habe, so hat er natuerlich, wie auch alle Erklaerer anerkennen, dabei
die aeltere Zeit im Sinne, vor Erlass der Annalgesetze, das Konsulat des
dreiundzwanzigjaehrigen M. Valerius Corvus und aehnliche Faelle. Dass
Lucullus das hoechste Amt vor dem gesetzlichen Alter empfing, ist
falsch; es wird nur berichtet (Cic. ac. 2. 1, 1), dass auf Grund
einer uns nicht naeher bekannten Ausnahmeklausel zur Belohnung
fuer irgendwelche von ihm verrichtete Tat er von dem gesetzlichen
zweijaehrigen Intervall zwischen Aedilitaet und Praetur dispensiert war
- in der Tat war er 675 Aedil, wahrscheinlich 677 Praetor, 680 Konsul.
Dass der Fall des Pompeius ein gaenzlich verschiedener ist, liegt auf
der Hand; aber auch von Pompeius wird mehrfach ausdruecklich gemeldet
(Cic. imp. Cn. Pomp. 21, 62; App. civ. 3, 88), dass der Senat ihn von
den Altersgesetzen entband. Dass dies fuer Pompeius geschah, der als
sieggekroenter Oberfeldherr und Triumphator, an der Spitze eines Heeres
und seit seiner Koalition mit Crassus auch einer maechtigen Partei,
sich um das Konsulat bewarb, ist ebenso begreiflich, als es im hoechsten
Grade auffallend sein wuerde, wenn dasselbe fuer Caesar bei seiner
Bewerbung um die minderen Aemter geschehen sein sollte, wo er wenig mehr
bedeutete als andere politische Anfaenger; und noch viel auffallender
ist es, dass wohl von jener selbstverstaendlichen Ausnahme, aber nicht
von dieser mehr als seltsamen sich Erwaehnung findet, so nahe solche
Erwaehnungen, namentlich im Hinblick auf den 21jaehrigen Konsul Caesar
den Sohn auch gelegen haben wuerden (vgl. z. B. App. civ. 3, 88). Wenn
aus diesen unzutreffenden Beispielen dann die Folgerung gezogen wird,
dass "man in Rom das Gesetz wenig beachtet habe, wenn es sich um
ausgezeichnete Maenner handelte", so ist ueber Rom und die Roemer wohl
nie etwas Irrigeres gesagt worden als dieser Satz. Die Groesse des
roemischen Gemeinwesens wie nicht minder die seiner grossen Feldherren
und Staatsmaenner beruht vor allen Dingen darauf, dass das Gesetz auch
fuer sie galt. --------------------------------------------- Schon
frueher aber als die Demokraten in der Hauptstadt hatten sich in Spanien
die demokratischen Emigranten wieder geregt. Die Seele dieser Bewegung
war Quintus Sertorius. Dieser vorzuegliche Mann, geboren in Nursia im
Sabinerland, war von Haus aus zart und selbst weich organisiert -
die fast schwaermerische Liebe fuer seine Mutter Raia zeigt es - und
zugleich von der ritterlichsten Tapferkeit, wie die aus dem Kimbrischen,
dem Spanischen und dem Italischen Krieg heimgebrachten ehrenvollen
Narben bewiesen. Obwohl als Redner gaenzlich ungeschult, erregte er
durch den natuerlichen Fluss und die treffende Sicherheit seiner Rede
die Bewunderung der gelernten Sachwalter. Sein ungemeines militaerisches
und staatsmaennisches Talent hatte er namentlich in dem von
den Demokraten so ueber die Massen elend und kopflos gefuehrten
Revolutionskrieg Gelegenheit gefunden in glaenzendem Kontrast zu
beweisen: anerkanntermassen war er der einzige demokratische Offizier,
der den Krieg vorzubereiten und zu leiten verstand, und der einzige
demokratische Staatsmann, der dem gedankenlosen Treiben und Wueten
seiner Partei mit staatsmaennischer Energie entgegentrat. Seine
spanischen Soldaten nannten ihn den neuen Hannibal und nicht bloss
deswegen, weil er gleich diesem im Kriege ein Auge eingebuesst hatte.
Er erinnert in der Tat an den grossen Phoeniker durch seine ebenso
verschlagene als mutige Kriegfuehrung, sein seltenes Talent, den Krieg
durch den Krieg zu organisieren, seine Gewandtheit, fremde Nationen in
sein Interesse zu ziehen und seinen Zwecken dienstbar zu machen, seine
Besonnenheit im Glueck und Unglueck, seine erfinderische Raschheit
in der Benutzung seiner Siege wie in der Abwendung der Folgen seiner
Niederlagen. Man darf zweifeln, ob irgendein roemischer Staatsmann
der frueheren oder der gegenwaertigen Zeit an allseitigem Talent
mit Sertorius sich vergleichen laesst. Nachdem Sullas Feldherren ihn
gezwungen hatten, aus Spanien zu weichen, hatte er an den spanischen
und afrikanischen Kuesten ein unstetes Abenteuerleben gefuehrt, bald
im Bunde, bald im Kriege mit den auch hier einheimischen kilikischen
Piraten und den Haeuptlingen der schweifenden Staemme Libyens. Selbst
hierhin hatte die siegreiche roemische Restauration ihn verfolgt; als er
Tingis (Tanger) belagerte, war dem Fuersten der Stadt zu Hilfe aus dem
roemischen Afrika ein Korps unter Pacciaecus erschienen; aber Pacciaecus
ward von Sertorius voellig geschlagen und Tingis genommen. Auf das
weithin erschallende Geruecht von solchen Kriegstaten des roemischen
Fluechtlings sandten die Lusitaner, die trotz ihrer angeblichen
Unterwerfung unter die roemische Oberhoheit tatsaechlich ihre
Unabhaengigkeit behaupteten und jaehrlich mit den Statthaltern des
Jenseitigen Spaniens fochten, Botschaft an Sertorius nach Afrika, um
ihn zu sich einzuladen und ihm das Feldherrnamt ueber ihre Miliz zu
uebertragen. Sertorius, der zwanzig Jahre zuvor unter Titus Didius in
Spanien gedient hatte und die Hilfsquellen des Landes kannte, beschloss,
der Einladung Folge zu leisten, und schiffte mit Zuruecklassung eines
kleinen Postens an der mauretanischen Kueste nach Spanien sich ein (um
674 80). Die Meerenge, die Spanien und Afrika scheidet, war
besetzt durch ein roemisches, von Cotta gefuehrtes Geschwader; sich
durchzuschleichen war nicht moeglich; so schlug Sertorius sich durch und
gelangte gluecklich zu den Lusitanern. Es waren nicht mehr als zwanzig
lusitanische Gemeinden, die sich unter seine Befehle stellten, und
auch von "Roemern" musterte er nur 2600 Mann, von denen ein guter Teil
Uebergetretene aus dem Heer des Pacciaecus oder roemisch bewaffnete
Afrikaner waren. Sertorius erkannte es, dass alles darauf ankam, den
losen Guerillaschwaermen einen festen Kern roemisch organisierter und
disziplinierter Truppen zu geben; er verstaerkte zu diesem Ende seine
mitgebrachte Schar durch Aushebung von 4000 Fusssoldaten und 700 Reitern
und rueckte mit dieser einen Legion und den Schwaermen der spanischen
Freiwilligen gegen die Roemer vor. Den Befehl im jenseitigen Spanien
fuehrte Lucius Fufidius, der durch seine unbedingte und bei den
Aechtungen erprobte Hingebung an Sulla vom Unteroffizier zum Propraetor
aufgerueckt war; am Baetis ward dieser voellig geschlagen; 2000 Roemer
bedeckten die Walstatt. Eilige Boten beriefen den Statthalter der
benachbarten Ebroprovinz, Marcus Domitius Calvinus, um dem weiteren
Vordringen der Sertorianer ein Ziel zu setzen; bald erschien (675 79)
auch der erprobte Feldherr Quintus Metellus, von Sulla gesandt, um den
unbrauchbaren Fufidius im suedlichen Spanien abzuloesen. Aber es gelang
doch nicht, des Aufstandes Herr zu werden. In der Ebroprovinz wurde von
dem Unterfeldherrn des Sertorius, dem Quaestor Lucius Hirtuleius, nicht
bloss Calvinus' Heer vernichtet und er selbst getoetet, sondern auch
Lucius Manlius, der Statthalter des jenseitigen Galliens, der seinem
Kollegen zu Hilfe mit drei Legionen die Pyrenaeen ueberschritten, von
demselben tapferen Fuehrer vollstaendig geschlagen. Muehsam rettete
Manlius sich mit weniger Mannschaft nach Ilerda (Lerida) und von da
in seine Provinz, auf welchem Marsch er noch durch einen Ueberfall
der aquitanischen Voelkerschaften sein ganzes Gepaeck einbuesste. Im
Jenseitigen Spanien drang Metellus in das lusitanische Gebiet ein;
allein es gelang Sertorius, waehrend der Belagerung von Longobriga
(unweit der Tajomuendung) eine Abteilung unter Aquinus in einen
Hinterhalt zu locken und dadurch Metellus selbst zur Aufhebung der
Belagerung und zur Raeumung des lusitanischen Gebietes zu zwingen.
Sertorius folgte ihm, schlug am Anas (Guadiana) das Korps des Thorius
und tat dem feindlichen Oberfeldherrn selbst unsaeglichen Abbruch im
kleinen Kriege. Metellus, ein methodischer und etwas schwerfaelliger
Taktiker, war in Verzweiflung ueber diesen Gegner, der die
Entscheidungsschlacht beharrlich verweigerte, aber Zufuhr und
Kommunikationen ihm abschnitt und von allen Seiten ihn bestaendig
umschwaermte. Diese ungemeinen Erfolge, die Sertorius in beiden
spanischen Provinzen erfocht, waren im so bedeutsamer, als sie nicht
bloss durch die Waffen errungen wurden und nicht bloss militaerischer
Natur waren. Die Emigrierten als solche waren nicht furchtbar; auch an
einzelnen Erfolgen der Lusitaner unter diesem oder jenem fremden Fuehrer
war wenig gelegen. Aber mit dem sichersten politischen und patriotischen
Takt trat Sertorius, sowie er irgend es vermochte, statt als Condottiere
der gegen Rom empoerten Lusitaner auf als roemischer Feldherr und
Statthalter von Spanien, in welcher Eigenschaft er ja von den ehemaligen
Machthabern dorthin gesandt worden war. Er fing an ^3, aus den Haeuptern
der Emigration einen Senat zu bilden, der bis auf dreihundert Mitglieder
steigen und in roemischen Formen die Geschaefte leiten und die Beamten
ernennen sollte. Er betrachtete sein Heer als ein roemisches und
besetzte die Offiziersstellen ohne Ausnahme mit Roemern. Den Spaniern
gegenueber war er der Statthalter, der kraft seines Amtes Mannschaft
und sonstige Unterstuetzung von ihnen einmahnte; aber freilich ein
Statthalter, der statt des gewohnten despotischen Regiments bemueht
war, die Provinzialen an Rom und an sich persoenlich zu fesseln. Sein
ritterliches Wesen machte ihm das Eingehen auf die spanische Weise
leicht und erweckte bei dem spanischen Adel fuer den wahlverwandten
wunderbaren Fremdling die gluehendste Begeisterung; nach der auch hier
wie bei den Kelten und den Deutschen bestehenden kriegerischen Sitte der
Gefolgschaft schworen Tausende der edelsten Spanier, zu ihrem roemischen
Feldherrn treu bis zum Tode zu stehen, und Sertorius fand in ihnen
zuverlaessigere Waffengefaehrten als in seinen Landsleuten und
Parteigenossen. Er verschmaehte es nicht, auch den Aberglauben der
roheren spanischen Voelkerschaften fuer sich nutzbar zu machen und seine
kriegerischen Plaene als Befehle der Diana durch die weisse Hindin der
Goettin sich zutragen zu lassen. Durchaus fuehrte er ein gerechtes und
gelindes Regiment. Seine Truppen mussten, wenigstens so weit sein Auge
und sein Arm reichten, die strengste Mannszucht halten; so mild er im
allgemeinen im Strafen war, so unerbittlich erwies er sich bei jedem von
seinen Leuten auf befreundetem Gebiet veruebten Frevel. Aber auch auf
dauernde Erleichterung der Lage der Provinzialen war er bedacht; er
setzte die Tribute herab und wies die Soldaten an, sich fuer den Winter
Baracken zu erbauen, wodurch die drueckende Last der Einquartierung
wegfiel und damit eine Quelle unsaeglicher Uebelstaende und Quaelereien
verstopft ward. Fuer die Kinder der vornehmen Spanier ward in Osca
(Huesca) eine Akademie errichtet, in der sie den in Rom gewoehnlichen
hoeheren Jugendunterricht empfingen, roemisch und griechisch reden und
die Toga tragen lernten - eine merkwuerdige Massregel, die keineswegs
bloss den Zweck hatte, von den Verbuendeten die in Spanien nun einmal
unvermeidlichen Geiseln in moeglichst schonender Form zu nehmen, sondern
vor allem ein Ausfluss und eine Steigerung war des grossen Gedankens des
Gaius Gracchus und der demokratischen Partei, die Provinzen allmaehlich
zu romanisieren. Hier zuerst wurde der Anfang dazu gemacht, die
Romanisierung nicht durch Ausrottung der alten Bewohner und Ersetzung
derselben durch italische Emigranten zu bewerkstelligen, sondern die
Provinzialen selbst zu romanisieren. Die Optimaten in Rom spotteten
ueber den elenden Emigranten, den Ausreisser aus der italischen Armee,
den letzten von der Raeuberbande des Carbo; der duerftige Hohn fiel auf
sie selber zurueck. Man rechnete die Massen, die gegen Sertorius ins
Feld gefuehrt worden waren, mit Einschluss des spanischen Landsturms
auf 120000 Mann zu Fuss, 2000 Bogenschuetzen und Schleuderer und 6000
Reiter. Gegen diese ungeheure Uebermacht hatte Sertorius nicht bloss
sich in einer Kette von gluecklichen Gefechten und Siegen behauptet,
sondern auch den groessten Teil Spaniens in seine Gewalt gebracht.
In der jenseitigen Provinz sah sich Metellus beschraenkt auf die
unmittelbar von seinen Truppen besetzten Gebietsteile; hier hatten alle
Voelkerschaften, die es konnten, Partei fuer Sertorius ergriffen. In der
diesseitigen gab es nach den Siegen des Hirtuleius kein roemisches
Heer mehr. Sertorianische Emissaere durchstreiften das ganze gallische
Gebiet; schon fingen auch hier die Staemme an, sich zu regen, und
zusammengerottete Haufen, die Alpenpaesse unsicher zu machen. Die See
endlich gehoerte ebensosehr den Insurgenten wie der legitimen Regierung,
da die Verbuendetem jener, die Korsaren, in den spanischen Gewaessern
fast so maechtig waren wie die roemischen Kriegsschiffe. Auf dem
Vorgebirge der Diana (jetzt Denia zwischen Valencia und Alicante)
richtet Sertorius jenen eine feste Station ein, wo sie teils den
roemischen Schiffen auflauerten, die den roemischen Seestaedten und dem
Heer ihren Bedarf zufuehrten, teils den Insurgenten die Waren abnahmen
oder lieferten, teils deren Verkehr mit Italien und Kleinasien
vermittelten. Dass diese allzeit fertigen Vermittler von der lohenden
Brandstaette ueberall hin die Funken trugen, war in hohem Grade
besorgniserregend, zumal in einer Zeit, wo ueberall im Roemischen
Reiche so viel Brennstoff aufgehaeuft war.
---------------------------------------------------- ^3 Wenigstens die
Grundzuege dieser Organisation muessen in die Jahre 674 (80), 675 (79),
676 (78) fallen, wenngleich die Ausfuehrung ohne Zweifel zum guten
Teil erst den spaeteren Jahren angehoert.
---------------------------------------------------- In diese
Verhaeltnisse hinein traf Sullas ploetzlicher Tod (676 78). Solange
der Mann lebte, auf dessen Stimme ein geuebtes und zuverlaessiges
Veteranenheer jeden Augenblick sich zu erheben bereit war, mochte die
Oligarchie den fast, wie es schien, entschiedenen Verlust der spanischen
Provinzen an die Emigranten sowie die Wahl des Fuehrers der Opposition
daheim zum hoechsten Beamten des Reiches allenfalls als voruebergehende
Missgeschicke ertragen und, freilich in ihrer kurzsichtigen Art, aber
doch nicht ganz mit Unrecht, darauf sich verlassen, dass entweder die
Opposition es nicht wagen werde, zum offenen Kampfe zu schreiten, oder
dass, wenn sie es wage, der zweimalige Erretter der Oligarchie dieselbe
zum dritten Male herstellen werde. Jetzt war der Stand der Dinge ein
anderer geworden. Die demokratischen Heisssporne in der Hauptstadt,
laengst ungeduldig ueber das endlose Zoegern und angefeuert durch die
glaenzenden Botschaften aus Spanien, draengten zum Losschlagen, und
Lepidus, bei dem augenblicklich die Entscheidung stand, ging mit
dem ganzen Eifer des Renegaten und mit der ihm persoenlich eigenen
Leichtfertigkeit darauf ein. Einen Augenblick schien es, als solle an
der Fackel, die den Scheiterhaufen des Regenten anzuendete, auch der
Buergerkrieg sich entflammen; indes Pompeius' Einfluss und die
Stimmung der Sullanischen Veteranen bestimmten die Opposition, das
Leichenbegaengnis des Regenten noch ruhig voruebergehen zu lassen.
Allein nur um so offener traf man sodann die Einleitung zur abermaligen
Revolution. Bereits hallte der Markt der Hauptstadt wider von Anklagen
gegen den "karikierten Romulus" und seine Schergen. Noch bevor der
Gewaltige die Augen geschlossen hatte, wurden von Lepidus und
seinen Anhaengern der Umsturz der Sullanischen Verfassung, die
Wiederherstellung der Getreideverteilungen, die Wiedereinsetzung der
Volkstribune in den vorigen Stand, die Zurueckfuehrung der gesetzwidrig
Verbannten, die Rueckgabe der konfiszierten Laendereien offen als
das Ziel der Agitation bezeichnet. Jetzt wurden mit den Geaechteten
Verbindungen angeknuepft; Marcus Perpenna, in der cinnanischen Zeit
Statthalter von Sizilien, fand sich ein in der Hauptstadt. Die Soehne
der Sullanischen Hochverraeter, auf denen die Restaurationsgesetze
mit unertraeglichem Drucke lasteten, und ueberhaupt die namhafteren
marianisch gesinnten Maenner wurden zum Beitritt aufgefordert; nicht
wenige, wie der junge Lucius Cinna, schlossen sich an; andere freilich
folgten dem Beispiele Gaius Caesars, der zwar auf die Nachricht von
Sullas Tode und Lepidus' Plaenen aus Asien heimgekehrt war, aber nachdem
er den Charakter des Fuehrers und der Bewegung genauer kennengelernt
hatte, vorsichtig sich zurueckzog. In der Hauptstadt ward auf Lepidus'
Rechnung in den Weinhaeusern und den Bordellen gezecht und geworben.
Unter den etruskischen Missvergnuegten endlich ward eine
Verschwoerung gegen die neue Ordnung der Dinge angezettelt ^4.
---------------------------------------------------------- ^4 Die
folgende Erzaehlung beruht wesentlich auf dem Bericht des Licinianus,
der, so truemmerhaft er auch gerade hier ist, dennoch ueber
die Insurrektion des Lepidus wichtige Aufschluesse gibt.
--------------------------------------------------------- Alles dies
geschah unter den Augen der Regierung. Der Konsul Catulus sowie
die verstaendigeren Optimaten drangen darauf, sofort entschieden
einzuschreiten und den Aufstand im Keime zu ersticken; allein die
schlaffe Majoritaet konnte sich nicht entschliessen, den Kampf zu
beginnen, sondern versuchte so lange wie moeglich, durch ein System von
Transaktionen und Konzessionen sich selber zu taeuschen. Lepidus
ging zunaechst auf dasselbe auch seinerseits ein. Das Ansinnen, die
Zurueckgabe der den Volkstribunen entzogenen Befugnisse zu beantragen,
wies er nicht minder ab wie sein Kollege Catulus. Dagegen wurde die
Gracchische Kornverteilung in beschraenktem Umfang wiederhergestellt.
Es scheinen danach nicht wie nach dem Sempronischen Gesetz alle, sondern
nur eine bestimmte Anzahl - vermutlich 40000 - aermere Buerger die
frueheren Spenden, wie sie Gracchus bestimmt hatte, fuenf Scheffel
monatlich fuer den Preis von 6 1/3 Assen (2_ Groschen) empfangen zu
haben - eine Bestimmung, aus der dem Aerar ein jaehrlicher Nettoverlust
von mindestens 300000 Talern erwuchs ^5. Die Opposition, durch diese
halbe Nachgiebigkeit natuerlich ebensowenig befriedigt wie entschieden
ermutigt, trat in der Hauptstadt nur um so schroffer und
gewaltsamer auf; und in Etrurien, dem rechten Herd aller italischen
Proletarierinsurrektionen, brach bereits der Buergerkrieg aus: die
expropriierten Faesulaner setzten sich mit gewaffneter Hand wieder in
den Besitz ihrer verlorenen Gueter und mehrere der von Sulla daselbst
angesiedelten Veteranen kamen bei dem Auflauf um. Der Senat beschloss
auf diese Nachricht, die beiden Konsuln dorthin zu senden, um Truppen
aufzubieten und den Aufstand zu unterdruecken ^6. Es war nicht moeglich,
kopfloser zu verfahren. Der Senat konstatierte der Insurrektion
gegenueber seine Schwachmuetigkeit und seine Besorgnisse durch die
Wiederherstellung des Getreidegesetzes: er gab, um vor dem Strassenlaerm
Ruhe zu haben, dem notorischen Haupte der Insurrektion ein Heer; und
wenn die beiden Konsuln durch den feierlichsten Eid, den man zu ersinnen
vermochte, verpflichtet wurden, die ihnen anvertrauten Waffen
nicht gegeneinander zu kehren, so gehoerte wahrlich die daemonische
Verstocktheit oligarchischer Gewissen dazu, um ein solches Bollwerk
gegen die drohende Insurrektion aufrichten zu moegen. Natuerlich
ruestete Lepidus in Etrurien nicht fuer den Senat, sondern fuer die
Insurrektion, hoehnisch erklaerend, dass der geleistete Eid nur fuer
das laufende Jahr ihn binde. Der Senat setzte die Orakelmaschine in
Bewegung, um ihn zur Rueckkehr zu bestimmen, und uebertrug ihm die
Leitung der bevorstehenden Konsulwahlen: allein Lepidus wich aus,
und waehrend die Boten deswegen kamen und gingen und ueber
Vergleichsvorschlaegen das Amtsjahr zu Ende lief, schwoll seine
Mannschaft zu einem Heer an. Als endlich im Anfang des folgenden
Jahres (677 77) an Lepidus der bestimmte Befehl des Senats erging, nun
ungesaeumt zurueckzukehren, weigerte der Prokonsul trotzig den Gehorsam
und forderte seinerseits die Erneuerung der ehemaligen tribunizischen
Gewalt und die Wiedereinsetzung der gewalttaetig Vertriebenen in ihr
Buergerrecht und ihr Eigentum, ueberdies fuer sich die Wiederwahl zum
Konsul fuer das laufende Jahr, das heisst die Tyrannis in gesetzlicher
Form. Damit war der Krieg erklaert. Die Senatspartei konnte, ausser auf
die Sullanischen Veteranen, deren buergerliche Existenz durch Lepidus
bedroht ward, zaehlen auf das von dem Prokonsul Catulus unter die
Waffen gerufene Heer; und auf die dringenden Mahnungen der Einsichtigen,
namentlich des Philippus, wurde demgemaess die Verteidigung der
Hauptstadt und die Abwehr der in Etrurien stehenden Hauptmacht der
Demokratenpartei dem Catulus vom Senat uebertragen, auch gleichzeitig
Gnaeus Pompeius mit einem anderen Haufen ausgesandt, um seinem
ehemaligen Schuetzling das Potal zu entreissen, das dessen
Unterbefehlshaber Marcus Brutus besetzt hielt. Waehrend Pompeius rasch
seinen Auftrag vollzog und den feindlichen Feldherrn eng in Mutina
einschloss, erschien Lepidus vor der Hauptstadt, um, wie einst Marius,
sie mit stuermender Hand fuer die Revolution zu erobern. Das rechte
Tiberufer geriet ganz in seine Gewalt und er konnte sogar den Fluss
ueberschreiten; auf dem Marsfelde, hart unter den Mauern der Stadt,
wurde die entscheidende Schlacht geschlagen. Allein Catulus siegte;
Lepidus musste zurueckweichen nach Etrurien, waehrend eine andere
Abteilung unter Lepidus' Sohn Scipio sich in die Festung Alba warf.
Damit war der Aufstand im wesentlichen zu Ende. Mutina ergab sich an
Pompeius; Brutus wurde trotz des ihm zugestandenen sicheren Geleits
nachtraeglich auf Befehl des Pompeius getoetet. Ebenso ward Alba nach
langer Belagerung durch Hunger bezwungen und der Fuehrer gleichfalls
hingerichtet. Lepidus, durch Catulus und Pompeius von zwei Seiten
gedraengt, lieferte am etrurischen Gestade noch ein Treffen, um nur den
Rueckzug sich zu ermoeglichen, und schiffte dann in dem Hafen Cosa
nach Sardinien sich ein, von wo aus er der Hauptstadt die Zufuhr
abzuschneiden und die Verbindung mit den spanischen Insurgenten
zu gewinnen hoffte. Allein der Statthalter der Insel leistete ihm
kraeftigen Widerstand, und er selbst starb nicht lange nach seiner
Landung an der Schwindsucht (677 77), womit in Sardinien der Krieg
zu Ende war. Ein Teil seiner Soldaten verlief sich; mit dem Kern der
Insurrektionsarmee und mit wohlgefuellten Kassen begab sich der gewesene
Praetor Marcus Perpenna nach Ligurien und von da nach Spanien zu der
Sertorianern. ----------------------------------------------- ^5 Unter
dem Jahre 676 (78) berichtet Licinianus (p. 23 Pertz, p. 42 Bonn):
(Lepidus) [Ie]gem frumentari[am] nullo resistente l[argi]tus est ut
annon[ae] quinque modi popu[lo da]rentur. Danach hat also das Gesetz der
Konsuln des Jahres 681 (73) Marcus Terentius Lucullus und Gaius Cassius
Varus, welches Cicero (Verr. 3, 70, 136; 5, 21, 52) erwaehnt und auf das
auch Sallust (hist. 3, 61, 19 Dietsch) sich bezieht, die fuenf Scheffel
nicht erst wiederhergestellt, sondern nur durch Regulierung der
sizilischen Getreideankaeufe die Kornspenden gesichert und vielleicht im
einzelnen manches geaendert. Dass das Sempronische Gesetz jedem in Rom
domizilierenden Buerger gestattete, an den Getreidespenden teilzunehmen,
steht fest. Allein die spaetere Getreideverteilung hat diesen Umfang
nicht gehabt; denn da das Monatkorn der roemischen Buergerschaft wenig
mehr als 33000 Medimnen = 198000 roem. Scheffel betrug (Cic. Verr. 3,
30, 72), so empfingen damals nur etwa 40000 Buerger Getreide, waehrend
doch die Zahl der in der Hauptstadt domizilierenden Buerger sicher weit
betraechtlicher war. Diese Einrichtung ruehrt wahrscheinlich aus
dem Octavischen Gesetze her, das im Gegensatze zu der uebertriebenen
Sempronischen eine "maessige, fuer den Staat ertraegliche und fuer das
gemeine Volk notwendige Spendung" (Cic. off. 2, 21, 72; Brut. 62,
222) einfuehrte; und allem Anschein nach ist ebendies Gesetz die von
Licinianus erwaehnte lex frumentaria. Dass Lepidus sich auf einen
solchen Ausgleichsvorschlag einliess, stimmt zu seinem Verhalten
in Betreff der Restitution des Tribunats. Ebenso passt es zu den
Verhaeltnissen, dass die Demokratie durch die hiermit herbeigefuehrte
Regulierung der Kornverteilung sich keineswegs befriedigt fand (Sallust
a. a. O.). Die Verlustsumme ist danach berechnet, dass das Getreide
mindestens den doppelten Wert hatte; wenn die Piraterie oder andere
Ursachen die Kornpreise in die Hoehe trieben, musste sich ein noch
weit betraechtlicherer Schaden herausstellen. ^6 Aus den Truemmern des
Licinianischen Berichts (p. 44 Bonn) geht auch dies hervor, dass der
Beschluss des Senats: "uti Lepidus et Catulus decretis exercitibus
maturrume proficiscerentur" (Sall. hist. 1, 14 Dietsch) - nicht
von einer Entsendung der Konsuln vor Ablauf des Konsulats in ihre
prokonsularischen Provinzen zu verstehen ist, wozu es auch an jedem
Grunde gefehlt haben wuerde, sondern von der Sendung nach Etrurien gegen
die aufstaendischen Faesulaner, ganz aehnlich wie im Catilinarischen
Kriege der Konsul Gaius Antonius ebendorthin geschickt ward. Wenn
Philippus bei Sallust (hist. 1, 84, 4) sagt dass Lepidus ob seditionem
provinciam cum exercitu adeptus est so ist dies damit vollstaendig im
Einklang; denn das ausserordentliche konsularische Kommando in Etrurien
ist ebensowohl eine provincia wie das ordentliche prokonsularische
im Narbonensischen Gallien.
------------------------------------------------ Ueber Lepidus
also hafte die Oligarchie gesiegt; dagegen sah sie sich durch die
gefaehrliche Wendung des Sertorianischen Krieges zu Zugestaendnissen
genoetigt, die den Buchstaben wie den Geist der Sullanischen Verfassung
verletzten. Es war schlechterdings notwendig, ein starkes Heer und
einen faehigen Feldherrn nach Spanien zu senden; und Pompeius gab sehr
deutlich zu verstehen, dass er diesen Auftrag wuensche oder vielmehr
fordere. Die Zumutung war stark. Es war schon uebel genug, dass man
diesen geheimen Gegner in dem Drange der Lepidianischen Revolution
wieder zu einem ausserordentlichen Kommando hatte gelangen lassen;
aber noch viel bedenklicher war es, mit Beseitigung aller von Sulla
aufgestellten Regeln der Beamtenhierarchie einem Manne, der noch kein
buergerliches Amt bekleidet hatte, eine der wichtigsten ordentlichen
Provinzialstatthalterschaften in einer Art zu uebertragen, wobei
an Einhaltung der gesetzlichen Jahresfrist nicht zu denken war. Die
Oligarchie hatte somit, auch abgesehen von der ihrem Feldherrn
Metellus schuldigen Ruecksicht, wohl Ursache, diesem neuen Versuch des
ehrgeizigen Juenglings, seine Sonderstellung zu verewigen, allen Ernstes
sich zu widersetzen; allein leicht war dies nicht. Zunaechst fehlte es
ihr durchaus an einem fuer den schwierigen spanischen Feldherrnposten
geeigneten Mann. Keiner der Konsuln des Jahres bezeigte Lust, sich mit
Sertorius zu messen, und man musste es hinnehmen, was Lucius Philippus
in voller Ratsversammlung sagte, dass unter den saemtlichen namhaften
Senatoren nicht einer faehig und willig sei, in einem ernsthaften
Kriege zu kommandieren. Vielleicht haette man dennoch hierueber sich
hinweggesetzt und nach Oligarchenart, da man keinen faehigen Kandidaten
hatte, die Stelle mit irgendeinem Lueckenbuesser ausgefuellt, wenn
Pompeius den Befehl bloss gewuenscht und nicht ihn an der Spitze einer
Armee gefordert haette. Catulus' Weisungen, das Heer zu entlassen, hatte
er bereits ueberhoert; es war mindestens zweifelhaft, ob die des Senats
eine bessere Aufnahme finden wuerden, und die Folgen eines Bruchs
konnte niemand berechnen - gar leicht konnte die Schale der Aristokratie
emporschnellen, wenn in die entgegengesetzte das Schwert eines bekannten
Generals fiel. So entschloss sich die Majoritaet zur Nachgiebigkeit.
Nicht vom Volke, das hier, wo es um die Bekleidung eines Privatmannes
mit der hoechsten Amtsgewalt sich handelte, verfassungsmaessig haette
befragt werden muessen, sondern vom Senate empfing Pompeius die
prokonsularische Gewalt und den Oberbefehl im diesseitigen Spanien und
ging vierzig Tage nach dessen Empfang, im Sommer 677 (77), ueber die
Alpen. Zunaechst fand der neue Feldherr im Keltenland zu tun, wo zwar
eine foermliche Insurrektion nicht ausgebrochen, aber doch an mehreren
Orten die Ruhe ernstlich gestoert worden war; infolgedessen Pompeius
den Kantons der Volker- Arekomiker und der Helvier ihre Selbstaendigkeit
entzog und sie unter Massalia legte. Auch ward von ihm durch Anlegung
einer neuen Alpenstrasse ueber den Kottischen Berg (Mont Genevre; 2,
105) eine kuerzere Verbindung zwischen dem Potal und dem Keltenlande
hergestellt. ueber dieser Arbeit verfloss die gute Jahreszeit: erst
spaet im Herbst ueberschritt Pompeius die Pyrenaeen. Sertorius hatte
inzwischen nicht gefeiert. Er hatte Hirtuleius in die jenseitige Provinz
entsandt, um Metellus in Schach zu halten, und war selbst bemueht,
seinen vollstaendigen Sieg in der diesseitigen zu verfolgen und sich auf
Pompeius' Empfang vorzubereiten. Die einzelnen keltiberischen Staedte,
die hier noch zu Rom hielten, wurden angegriffen und eine nach der
andern bezwungen; zuletzt, schon mitten im Winter, war das feste
Contrebia (suedoestlich von Saragossa) gefallen. Vergeblich hatten die
bedraengten Staedte Boten ueber Boten an Pompeius gesandt: er liess sich
durch keine Bitten aus seinem gewohnten Geleise langsamen Vorschreitens
bringen. Mit Ausnahme der Seestaedte, die durch die roemische Flotte
verteidigt wurden, und der Distrikte der Indigeten und Laletaner
im nordoestlichen Winkel Spaniens, wo Pompeius, als er endlich die
Pyrenaeen ueberschritten, sich festsetzte und seine ungeuebten Truppen,
um sie an die Strapazen zu gewoehnen, den Winter hindurch biwakieren
liess, war am Ende des Jahres 677 (77) das ganze diesseitige Spanien
durch Vertrag oder Gewalt von Sertorius abhaengig geworden, und die
Landschaft am oberen und mittleren Ebro blieb seitdem die festeste
Stuetze seiner Macht. Selbst die Besorgnis, die das frische roemische
Heer und der gefeierte Name des Feldherrn in der Insurgentenarmee
hervorrief, hatte fuer dieselbe heilsame Folgen. Marcus Perpenna, der
bis dahin als Sertorius im Range gleich auf ein selbstaendiges Kommando
ueber die von ihm aus Ligurien mitgebrachte Mannschaft Anspruch gemacht
hatte, wurde auf die Nachricht von Pompeius' Eintreffen in Spanien von
seinen Soldaten genoetigt, sich unter die Befehle seines faehigeren
Kollegen zu stellen. Fuer den Feldzug des Jahres 678 (76) verwandte
Sertorius gegen Metellus wieder das Korps das Hirtuleius, waehrend
Perpenna mit einem starken Heer am unteren Laufe des Ebro sich
aufstellte, um Pompeius den Uebergang ueber diesen Fluss zu wehren, wenn
er, wie zu erwarten war, in der Absicht, Metellus die Hand zu reichen,
in suedlicher Richtung und, der Verpflegung seiner Truppen wegen, an
der Kueste entlang marschieren wuerde. Zu Perpennas Unterstuetzung war
zunaechst das Korps des Gaius Herennius bestimmt; weiter landeinwaerts,
am oberen Ebro, holte Sertorius selbst die Unterwerfung einzelner,
roemisch gesinnter Distrikte nach und hielt zugleich sich dort bereit,
nach den Umstaenden Perpenna oder Hirtuleius zu Hilfe zu eilen.
Auch diesmal war seine Absicht darauf gerichtet, jeder Hauptschlacht
auszuweichen und den Feind durch kleine Kaempfe und Abschneiden der
Zufuhr aufzureiben. Indes Pompeius erzwang gegen Perpenna den Uebergang
ueber den Ebro und nahm Stellung am Fluss Pallantia bei Saguntum,
unweit des Vorgebirgs der Diana, von wo aus, wie schon gesagt ward, die
Sertorianer ihre Verbindungen mit Italien und dem Osten unterhielten. Es
war Zeit, dass Sertorius selber erschien und die Ueberlegenheit seiner
Truppenzahl und seines Genies gegen die groessere Tuechtigkeit der
Soldaten seines Gegners in die Waagschale warf. Um die Stadt Lauro (am
Xucar suedlich von Valencia), die sich fuer Pompeius erklaert hatte
und deshalb von Sertorius belagert ward, konzentrierte der Kampf
sich laengere Zeit. Pompeius strengte sich aufs aeusserste an, sie
zu entsetzen; allein nachdem vorher ihm mehrere Abteilungen einzeln
ueberfallen und zusammengehauen worden waren, sah sich der grosse
Kriegsmann, ebenda er die Sertorianer umzingelt zu haben meinte und
schon die Belagerten eingeladen hatte, dem Abfangen der Belagerungsarmee
zuzuschauen, ploetzlich vollstaendig ausmanoevriert und musste, um
nicht selber umzingelt zu werden, die Einnahme und Einaescherung der
verbuendeten Stadt und die Abfuehrung der Einwohner nach Lusitanien
von seinem Lager aus ansehen - ein Ereignis, das eine Reihe schwankend
gewordener Staedte im mittleren und oestlichen Spanien wieder an
Sertorius festzuhalten bestimmte. Gluecklicher focht inzwischen
Metellus. In einem heftigen Treffen bei Italica (unweit Sevilla),
das Hirtuleius unvorsichtig gewagt hatte und in dem beide Feldherrn
persoenlich ins Handgemenge kamen, Hirtuleius auch verwundet ward,
schlug er diesen und zwang ihn, das eigentliche roemische Gebiet zu
raeumen und sich nach Lusitanien zu werfen. Dieser Sieg gestattete
Metellus, sich mit Pompeius zu vereinigen. Die Winterquartiere 678/79
(76/75) nahmen beide Feldherren an den Pyrenaeen. Fuer den naechsten
Feldzug 679 (75), beschlossen sie, den Feind in seiner Stellung bei
Valentia gemeinschaftlich anzugreifen. Aber waehrend Metellus heranzog,
bot Pompeius, um die Scharte von Lauro auszuwetzen und die gehofften
Lorbeeren womoeglich allein zu gewinnen, vorher dem feindlichen
Hauptheer die Schlacht an. Mit Freuden ergriff Sertorius die
Gelegenheit, mit Pompeius zu schlagen, bevor Metellus eintraf. Am Flusse
Sucro (Xucar) trafen die Heere aufeinander; nach heftigem Gefecht ward
Pompeius auf dem rechten Fluegel geschlagen und selbst schwer verwundet
vom Schlachtfelde weggetragen. Zwar siegte Afranius mit dem linken und
nahm das Lager der Sertorianer, allein waehrend der Pluenderung von
Sertorius ueberrascht, ward auch er gezwungen zu weichen. Haette
Sertorius am folgenden Tage die Schlacht zu erneuern vermocht, Pompeius'
Heer waere vielleicht vernichtet worden. Allein inzwischen war Metellus
herangekommen, hatte das gegen ihn aufgestellte Korps des Perpenna
niedergerannt und dessen Lager genommen; es war nicht moeglich, die
Schlacht gegen die beiden vereinigten Heere wiederaufzunehmen. Die
Erfolge des Metellus, die Vereinigung der feindlichen Streitkraefte,
das ploetzliche Stocken nach dem Sieg verbreiteten Schrecken unter den
Sertorianern, und wie es bei spanischen Heeren nicht selten vorkam,
verlief infolge dieses Umschwungs der Dinge sich der groesste Teil der
sertorianischen Soldaten. Indes die Entmutigung verflog so rasch wie
sie gekommen war; die weisse Hindin, die die militaerischen Plaene des
Feldherrn bei der Menge vertrat, war bald wieder populaerer als je;
in kurzer Zeit trat in der gleichen Gegend, suedlich von Saguntum
(Murviedro), das fest an Rom hielt, Sertorius mit einer neuen Armee den
Roemern entgegen, waehrend die sertorianischen Kaper den Roemern die
Zufuhr von der Seeseite erschwerten und bereits im roemischen Lager
der Mangel sich bemerklich machte. Es kam abermals zur Schlacht in den
Ebenen des Turiaflusses (Guadalaviar), und lange schwankte der Kampf.
Pompeius mit der Reiterei ward von Sertorius geschlagen und sein
Schwager und Quaestor, der tapfere Lucius Memmius, getoetet; dagegen
ueberwand Metellus den Perpenna und schlug den gegen ihn gerichteten
Angriff der feindlichen Hauptarmee siegreich zurueck, wobei er selbst
im Handgemenge eine Wunde empfing. Abermals zerstreute sich hierauf
das Sertorianische Heer. Valentia, das Gaius Herennius fuer Sertorius
besetzt hielt, ward eingenommen und geschleift. Roemischerseits mochte
man einen Augenblick der Hoffnung sich hingeben mit dem zaehen
Gegner fertig zu sein. Die Sertorianische Armee war verschwunden; die
roemischen Truppen, tief in das Binnenland eingedrungen, belagerten den
Feldherrn selbst in der Festung Clunia am oberen Duero. Allein waehrend
sie vergeblich diese Felsenburg umstanden, sammelten sich anderswo die
Kontingente der insurgierten Gemeinden; Sertorius entschluepfte aus der
Festung und stand noch vor Ablauf des Jahres wieder als Feldherr an
der Spitze einer Armee. Wieder mussten die roemischen Feldherrn mit der
trostlosen Aussicht auf die unausbleibliche Erneuerung der sisypheischen
Kriegsarbeit die Winterquartiere beziehen. Es war nicht einmal moeglich,
sie in dem wegen der Kommunikation mit Italien und dem Osten so
wichtigen, aber von Freund und Feind entsetzlich verheerten Gebiet von
Valentia zu nehmen; Pompeius fuehrte seine Truppen zunaechst in das
Gebiet der Vasconen ^7 (Biscaya) und ueberwinterte dann in dem
der Vaccaeer (um Valladolid), Metellus gar in Gallien.
--------------------------------------------- ^7 In den neu gefundenen
Sallustischen Bruchstuecken, welche dem Ende des Feldzuges von 75
anzugehoeren scheinen, gehoeren hierher die Worte: Romanus [exer]citus
(des Pompeius) frumenti gra[tia r]emotus in Vascones i .. [it]emque
Sertorius mon ...o, cuius multum in[terer]at, ne ei perinde Asiae
[iter et Italiae intercluderetur].
--------------------------------------------- Fuenf Jahre waehrte also
der Sertorianische Krieg und noch war weder hueben noch drueben ein Ende
abzusehen. Unbeschreiblich litt unter demselben der Staat. Eine
Bluete der italischen Jugend ging in den aufreibenden Strapazen dieser
Feldzuege zugrunde. Die oeffentlichen Kassen entbehrten nicht bloss
die spanischen Einnahmen, sondern hatten auch fuer die Besoldung und
Verpflegung der spanischen Heere jaehrlich sehr ansehnliche Summen
nach Spanien zu senden, die man kaum aufzubringen wusste. Dass Spanien
veroedete und verarmte und die so schoen daselbst sich entfaltende
roemische Zivilisation einen schweren Stoss erhielt, versteht sich
von selbst, zumal bei einem so erbittert gefuehrten und nur zu oft die
Vernichtung ganzer Gemeinden veranlassenden Insurrektionskrieg. Selbst
die Staedte, die zu der in Rom herrschenden Partei hielten, hatten
unsaegliche Not zu erdulden; die an der Kueste gelegenen mussten durch
die roemische Flotte mit dem Notwendigen versehen werden, und die Lage
der treuen binnenlaendischen Gemeinden war beinahe verzweifelt.
Fast nicht weniger litt die gallische Landschaft, teils durch die
Requisitionen an Zuzug zu Fuss und zu Pferde, an Getreide und Geld,
teils durch die drueckende Last der Winterquartiere, die infolge
der Missernte 680 (74) sich ins unertraegliche steigerte; fast alle
Gemeindekassen waren genoetigt, zu den roemischen Bankiers ihre
Zuflucht zu nehmen und eine erdrueckende Schuldenlast sich aufzubuerden.
Feldherren und Soldaten fuehrten den Krieg mit Widerwillen. Die
Feldherren waren getroffen auf einen an Talent weit ueberlegenen Gegner,
auf einen langweilig zaehen Widerstand, auf einen Krieg sehr ernsthafter
Gefahren und schwer erfochtener, wenig glaenzender Erfolge; es ward
behauptet, dass Pompeius damit umgehe, sich aus Spanien abberufen und
irgend anderswo ein erwuenschteres Kommando sich uebertragen zu lassen.
Die Soldaten waren gleichfalls wenig erbaut von einem Feldzug, in dem es
nicht allein weiter nichts zu holen gab als harte Schlaege und wertlose
Beute, sondern auch ihr Sold ihnen hoechst unregelmaessig gezahlt ward;
Pompeius berichtete Ende 679 (75) an den Senat, dass seit zwei Jahren
der Sold im Rueckstand sei und das Heer sich aufzuloesen drohe. Einen
ansehnlichen Teil dieser Uebelstaende haette die roemische Regierung
allerdings zu beseitigen vermocht, wenn sie es ueber sich haette
gewinnen koennen, den Spanischen Krieg mit minderer Schlaffheit, um
nicht zu sagen mit besserem Willen zu fuehren. In der Hauptsache aber
war es weder ihre Schuld noch die Schuld der Feldherren, dass ein so
ueberlegenes Genie, wie Sertorius war, auf einem fuer den Insurrektions-
und Korsarenkrieg so ueberaus guenstigen Boden aller numerischen und
militaerischen Ueberlegenheit zum Trotz den kleinen Krieg Jahre und
Jahre fortzufuehren vermochte. Ein Ende war hier so wenig abzusehen,
dass vielmehr die Sertorianische Insurrektion sich mit andern
gleichzeitigen Aufstaenden verschlingen und dadurch ihre Gefaehrlichkeit
steigern zu wollen schien. Ebendamals ward auf allen Meeren mit den
Flibustierflotten, ward in Italien mit den aufstaendischen Sklaven, in
Makedonien mit den Voelkerschaften an der unteren Donau gefochten,
und entschloss sich im Osten Koenig Mithradates, mitbestimmt durch die
Erfolge der spanischen Insurrektion, das Glueck der Waffen noch einmal
zu versuchen. Dass Sertorius mit den italischen und makedonischen
Feinden Roms Verbindungen angeknuepft hat, laesst sich nicht bestimmt
erweisen, obwohl er allerdings mit den Marianern in Italien in
bestaendigem Verkehr stand; mit den Piraten dagegen hatte er schon
frueher offenes Buendnis gemacht, und mit dem pontischen Koenig, mit
welchem er laengst durch Vermittlung der an dessen Hof verweilenden
roemischen Emigranten Einverstaendnisse unterhalten hatte, schloss er
jetzt einen foermlichen Allianztraktat, in dem Sertorius dem Koenig die
kleinasiatischen Klientelstaaten, nicht aber die roemische Provinz
Asia abtrat, ueberdies ihm einen zum Fuehrer seiner Truppen geeigneten
Offizier und eine Anzahl Soldaten zu senden versprach, der Koenig
dagegen ihm 40 Schiffe und 3000 Talente (4« Mill. Taler) zu ueberweisen
sich anheischig machte. Schon erinnerten die klugen Politiker in der
Hauptstadt an die Zeit, als Italien sich durch Philippos und durch
Hannibal von Osten und von Westen aus bedroht sah; der neue Hannibal,
meinte man, koenne, nachdem er, wie sein Vorfahr, Spanien durch sich
selbst bezwungen, eben wie dieser mit den Steilkraeften Spaniens in
Italien gar leicht frueher als Pompeius eintreffen, um, wie einst der
Phoeniker, die Etrusker und Samniten gegen Rom unter die Waffen
zu rufen. Indes dieser Vergleich war doch mehr witzig als richtig.
Sertorius war bei weitem nicht stark genug, um das Riesenunternehmen
Hannibals zu erneuern; er war verloren, wenn er Spanien verliess, an
dessen Landes- und Volkseigentuemlichkeit all seine Erfolge hingen,
und auch hier mehr und mehr genoetigt, der Offensive zu entsagen.
Sein bewundernswertes Fuehrergeschick konnte die Beschaffenheit seiner
Truppen nicht aendern; der spanische Landsturm blieb, was er war,
unzuverlaessig wie die Welle und der Wind, bald in Massen bis zu
150000 Koepfen versammelt, bald wieder auf eine Handvoll Leute
zusammengeschmolzen; in gleicher Weise blieben die roemischen Emigranten
unbotmaessig, hoffaertig und eigensinnig. Die Waffengattungen, die
laengeres Zusammenhalten der Korps erfordern, wie namentlich die
Reiterei, waren natuerlich in seinem Heer sehr ungenuegend vertreten.
Seine faehigsten Offiziere und den Kern seiner Veteranen rieb der Krieg
allmaehlich auf, und auch die zuverlaessigsten Gemeinden fingen an,
der Plackerei durch die Roemer und der Misshandlung durch die
Sertorianischen Offiziere muede zu werden und Zeichen der Ungeduld und
der schwankenden Treue zu geben. Es ist bemerkenswert, dass Sertorius,
auch darin Hannibal gleich, niemals ueber die Hoffnungslosigkeit seiner
Stellung sich getaeuscht hat; er liess keine Gegenheil voruebergehen,
um einen Vergleich herbeizufuehren und waere jeden Augenblick bereit
gewesen, gegen die Zusicherung, in seiner Heimat friedlich leben zu
duerfen, seinen Kommandostab niederzulegen. Allein die politische
Orthodoxie weiss nichts von Vergleich und Versoehnung. Sertorius durfte
nicht rueckwaerts noch seitwaerts; unvermeidlich musste er weiter auf
der einmal betretenen Bahn, wie sie auch schmaler und schwindelnder
ward. Pompeius' Vorstellungen in Rom, denen Mithradates' Auftreten im
Osten Nachdruck gab, hatten Erfolg. Er erhielt vom Senat die noetigen
Gelder zugesandt und Verstaerkung durch zwei frische Legionen. So gingen
die beiden Feldherren im Fruehjahr 680 (74) wieder an die Arbeit und
ueberschritten aufs neue den Ebro. Das oestliche Spanien war infolge
der Schlachten am Xucar und Guadalaviar den Sertorianern entrissen;
der Kampf konzentrierte sich fortan am oberen und mittleren Ebro um
die Hauptwaffenplaetze der Sertorianer Calagurris, Osca, Ilerda. Wie
Metellus in den frueheren Feldzuegen das Beste getan hatte, so gewann er
auch diesmal die wichtigsten Erfolge. Sein alter Gegner Hirtuleius, der
ihm wieder entgegentrat, ward vollstaendig geschlagen und fiel selbst
mit seinem Bruder - ein unersetzlicher Verlust fuer die Sertorianer.
Sertorius, den die Ungluecksbotschaft erreichte, als er selbst im
Begriff war, die ihm gegenueberstehenden Feinde anzugreifen, stiess den
Boten nieder, damit die Nachricht die Seinigen nicht entmutigte; aber
lange war die Kunde nicht zu verbergen. Eine Stadt nach der andern ergab
sich. Metellus besetzte die keltiberischen Staedte Segobriga (zwischen
Toledo und Cuenca) und Bilbilis (bei Calatayud). Pompeius belagerte
Pallantia (Palencia oberhalb Valladolid), das aber Sertorius entsetzte
und den Pompeius noetigte, sich auf Metellus zurueckzuziehen; vor
Calagurris (Calahorra am oberen Ebro), wohin Sertorius sich geworfen,
erlitten sie beide empfindliche Verluste. Dennoch konnten sie, als sie
in die Winterquartiere gingen, Pompeius nach Gallien, Metellus in seine
eigene Provinz, auf betraechtliche Erfolge zuruecksehen; ein grosser
Teil der Insurgenten hatte sich gefuegt oder war mit den Waffen
bezwungen worden. In aehnlicher Weise verlief der Feldzug des folgenden
Jahres (681 78); in diesem war es vor allem Pompeius, der langsam, aber
stetig das Gebiet der Insurrektion einschraenkte. Der Rueckschlag des
Niedergangs ihrer Waffen auf die Stimmung im Insurgentenlager blieb
nicht aus. Wie Hannibals wurden auch Sertorius' kriegerische Erfolge
notwendig immer geringer; man fing an, sein militaerisches Talent in
Zweifel zu ziehen; er sei nicht mehr der alte, hiess es, er verbringe
der Tag beim Schmaus oder beim Becher und verschleudere die Gelder wie
die Stunden. Die Zahl der Ausreisser, der abfallenden Gemeinden mehrte
sich. Bald kamen Plaene der roemischen Emigranten gegen das Leben des
Feldherrn bei diesem zur Anzeige; sie klangen glaublich genug, zumal
da so manche Offiziere der Insurgentenarmee, namentlich Perpenna, nur
widerwillig sich unter den Oberbefehl des Sertorius gefuegt hatten und
seit langem von den roemischen Statthaltern dem Moerder des feindlichen
Oberfeldherrn Amnestie und ein hohes Blutgeld ausgelobt war. Sertorius
entzog auf jene Inzichten hin die Hut seiner Person den roemischen
Soldaten und gab sie erlesenen Spaniern. Gegen die Verdaechtigen
selbst schritt er mit furchtbarer, aber notwendiger Strenge ein
und verurteilte, ohne wie sonst Ratmaenner zuzuziehen, verschiedene
Angeschuldigte zum Tode; den Freunden, hiess es darauf in den Kreisen
der Missvergnuegten, sei er jetzt gefaehrlicher als den Feinden. Bald
ward eine zweite Verschwoerung entdeckt, die ihren Sitz in seinem
eigenen Stabe hatte; wer zur Anzeige gebracht ward, musste fluechtig
werden oder sterben, aber nicht alle wurden verraten und die uebrigen
Verschworenen, unter ihnen vor allem Perpenna, fanden hierin nur einen
Antrieb, sich zu eilen. Man befand sich im Hauptquartier zu Osca. Hier
ward auf Perpennas Veranstaltung dem Feldherrn ein glaenzender Sieg
berichtet, den seine Truppen erfochten haetten; und bei der zur Feier
dieses Sieges von Perpenna veranstalteten festlichen Mahlzeit erschien
denn auch Sertorius, begleitet, wie er pflegte, von seinem spanischen
Gefolge. Gegen den sonstigen Brauch im Sertorianischen Hauptquartier
ward das Fest bald zum Bacchanal; wueste Reden flogen ueber den Tisch,
und es schien, als wenn einige der Gaeste Gelegenheit suchten, einen
Wortwechsel zu beginnen; Sertorius warf sich auf seinem Lager zurueck
und schien den Laerm ueberhoeren zu wollen. Da klirrte eine Trinkschale
auf den Boden: Perpenna gab das verabredete Zeichen. Marcus Antonius,
Sertorius' Nachbar bei Tische, fuehrte den ersten Streich gegen ihn,
und da der Getroffene sich umwandte und sich aufzurichten versuchte,
stuerzte der Moerder sich ueber ihn und hielt ihn nieder, bis die
uebrigen Tischgaeste, saemtlich Teilnehmer der Verschwoerung, sich auf
die Ringenden warfen und den wehrlosen, an beiden Armen festgehaltenen
Feldherrn erstachen (682 72). Mit ihm starben seine treuen Begleiter. So
endigte einer der groessten, wo nicht der groesste Mann, den Rom bisher
hervorgebracht, ein Mann, der unter gluecklicheren Umstaenden vielleicht
der Regenerator seines Vaterlandes geworden sein wuerde, durch den
Verrat der elenden Emigrantenbande, die er gegen die Heimat zu fuehren
verdammt war. Die Geschichte liebt die Coriolane nicht; auch mit diesem
hochherzigsten, genialsten, bedauernswertesten unter allen hat sie keine
Ausnahme gemacht. Die Erbschaft des Gemordeten dachten die Moerder zu
tun. Nach Sertorius' Tode machte Perpenna als der hoechste unter
den roemischen Offizieren der spanischen Armee Ansprueche auf den
Oberbefehl. Man fuegte sich, aber misstrauend und widerstrebend. Wie man
auch gegen Sertorius bei seinen Lebzeiten gemurrt hatte, der Tod setzte
den Helden wieder in sein Recht ein, und gewaltig brauste der Unwille
der Soldaten auf, als bei der Publikation seines Testaments unter
den Namen der Erben auch der des Perpenna verlesen ward. Ein Teil
der Soldaten, namentlich die lusitanischen, verliefen sich; die
zurueckgebliebenen beschlich die Ahnung, dass mit Sertorius' Tode der
Geist und das Glueck von ihnen gewichen sei. Bei der ersten Begegnung
mit Pompeius wurden denn auch die elend gefuehrten und mutlosen
Insurgentenhaufen vollstaendig zersprengt und unter anderen Offizieren
auch Perpenna gefangen eingebracht. Durch die Auslieferung der
Korrespondenz des Sertorius, die zahlreiche angesehene Maenner in
Italien kompromittiert haben wuerde, suchte der Elende sich das Leben zu
erkaufen; indes Pompeius befahl, die Papiere ungelesen zu verbrennen
und ueberantwortete ihn sowie die uebrigen Insurgentenchefs dem
Scharfrichter. Die entkommenen Emigranten verliefen sich und gingen
groesstenteils in die mauretanischen Wuesten oder zu den Piraten.
Einem Teil derselben eroeffnete bald darauf das Plotische Gesetz, das
namentlich der junge Caesar eifrig unterstuetzte, die Rueckkehr in
die Heimat; diejenigen aber, die von ihnen an dem Morde des Sertorius
teilgenommen hatten, starben, mit Ausnahme eines einzigen, saemtlich
eines gewaltsamen Todes. Osca und ueberhaupt die meisten Staedte, die
im Diesseitigen Spanien noch zu Sertorius gehalten hatten, oeffneten
dem Pompeius jetzt freiwillig ihre Tore; nur Uxama (Osma), Clunia und
Calagurris mussten mit den Waffen bezwungen werden. Die beiden
Provinzen wurden neu geordnet; in der jenseitigen erhoehte Metellus den
schuldigsten Gemeinden die Jahrestribute; in der diesseitigen schaltete
Pompeius belohnend und bestrafend, wie zum Beispiel Calagurris seine
Selbstaendigkeit verlor und unter Osca gelegt ward. Einen Haufen
Sertorianischer Soldaten, der in den Pyrenaeen sich zusammengefunden
hatte, bewog Pompeius zur Unterwerfung und siedelte ihn nordwaerts der
Pyrenaeen bei Lugudunum (St. Bertrand im Departement Haute- Garonne) als
die Gemeinde der "Zusammengelaufenen" (convenae) an. Auf der Passhoehe
der Pyrenaeen wurden die roemischen Siegeszeichen errichtet; am Ende des
Jahres 683 (71) zogen Metellus und Pompeius mit ihren Heeren durch die
Strassen der Hauptstadt, um den Dank der Nation fuer die Besiegung der
Spanier dem Vater Jovis auf dem Kapitol darzubringen. Noch ueber das
Grab hinaus schien Sullas Glueck mit seiner Schoepfung zu sein und
dieselbe besser zu schirmen als die zu ihrer Hut bestellten unfaehigen
und schlaffen Waechter. Die italische Opposition hatte durch die
Unfaehigkeit und Vorschnelligkeit ihres Fuehrers, die Emigration durch
inneren Zwist sich selber gesprengt. Diese Niederlagen, obwohl weit
mehr das Werk ihrer eigenen Verkehrtheit und Zerfahrenheit als der
Anstrengungen ihrer Gegner, waren doch ebensoviele Siege der Oligarchie.
Noch einmal waren die kurulischen Stuehle befestigt. 2. Kapitel Die
Sullanische Restaurationsherrschaft Als nach Unterdrueckung der den
Senat in seiner Existenz bedrohenden Cinnanischen Revolution es der
restaurierten Senatsregierung moeglich ward, der inneren und aeusseren
Sicherheit des Reiches wiederum die erforderliche Aufmerksamkeit zu
widmen, zeigten sich der Angelegenheiten genug, deren Loesung nicht
verschoben werden konnte, ohne die wichtigsten Interessen zu verletzen
und gegenwaertige Unbequemlichkeiten zu kuenftigen Gefahren anwachsen
zu lassen. Abgesehen von der sehr ernsten Verwicklung in Spanien war
es schlechterdings notwendig teils die Barbaren in Thrakien und
den Donaulaendern, die Sulla bei seinem Marsch durch Makedonien nur
oberflaechlich hatte zuechtigen koennen, nachhaltig zu Paaren zu treiben
und die verwirrten Verhaeltnisse an der Nordgrenze der griechischen
Halbinsel militaerisch zu regulieren, teils den ueberall, namentlich
aber in den oestlichen Gewaessern herrschenden Flibustierbanden
gruendlich das Handwerk zu legen, teils endlich in die unklaren
kleinasiatischen Verhaeltnisse eine bessere Ordnung zu bringen. Der
Friede, den Sulla im Jahre 670 (84) mit Koenig Mithradates von Pontos
abgeschlossen hatte und von dem der Vertrag mit Murena 673 (81)
wesentlich eine Wiederholung war, trug durchaus den Stempel eines
notduerftig fuer den Augenblick hergestellten Provisoriums; und das
Verhaeltnis der Roemer zu Koenig Tigranes von Armenien, mit dem sie doch
faktisch Krieg gefuehrt hatten, war in diesem Frieden ganz unberuehrt
geblieben. Mit Recht hatte Tigranes darin die stillschweigende Erlaubnis
gefunden, die roemischen Besitzungen in Asien in seine Gewalt zu
bringen. Wenn dieselben nicht preisgegeben bleiben sollten, war es
notwendig in Guete oder Gewalt mit dem neuen Grosskoenig Asiens sich
abzufinden. Betrachten wir, nachdem in dem vorhergehenden Kapitel die
mit dem demokratischen Treiben zusammenhaengende Bewegung in Italien
und Spanien und deren Ueberwaeltigung durch die senatorische Regierung
dargestellt wurde, in diesem das aeussere Regiment, wie die von Sulla
eingesetzte Behoerde es gefuehrt oder auch nicht gefuehrt hat. Man
erkennt noch Sullas kraeftige Hand in den energischen Massregeln, die
in der letzten Zeit seiner Regentschaft der Senat ungefaehr gleichzeitig
gegen die Sertorianer, gegen die Dalmater und Thraker und gegen
die kilikischen Piraten verfuegte. Die Expedition nach der
griechisch-illyrischen Halbinsel hatte den Zweck, teils die barbarischen
Staemme botmaessig oder doch zahm zu machen, die das ganze Binnenland
vom Schwarzen bis zum Adriatischen Meere durchstreiften und unter denen
vornehmlich die Besser (im grossen Balkan), wie man damals sagte, selbst
unter den Raeubern als Raeuber verrufen waren, teils die namentlich
im dalmatischen Litoral sich bergenden Korsaren zu vernichten. Wie
gewoehnlich ging der Angriff gleichzeitig von Dalmatien und von
Makedonien aus, in welcher letzteren Provinz ein Heer von fuenf Legionen
hierzu gesammelt ward. Der gewesene Praetor Gaius Cosconius, welcher
in Dalmatien den Befehl fuehrte, durchstreifte das Land nach allen
Richtungen und erstuermte nach zweijaehriger Belagerung die Festung
Salona. In Makedonien versuchte der Prokonsul Appius Claudius (676 bis
678 78-76) zunaechst sich an der makedonisch-thrakischen Grenze der
Berglandschaften am linken Ufer des Karasu zu bemeistern. Von beiden
Seiten ward der Krieg mit arger Wildheit gefuehrt; die Thraker
zerstoerten die eroberten Ortschaften und metzelten die Gefangenen
nieder und die Roemer vergalten Gleiches mit Gleichem. Ernstliche
Erfolge aber wurden nicht erreicht; die beschwerlichen Maersche und die
bestaendigen Gefechte mit den zahlreichen und tapferen Gebirgsbewohnern
dezimierten nutzlos die Armee; der Feldherr selbst erkrankte und starb.
Sein Nachfolger Gaius Scribonius Curio (679-681 75-73) wurde durch
mancherlei Hindernisse, namentlich auch durch einen nicht unbedeutenden
Militaeraufstand bewogen, die schwierige Expedition gegen die Thraker
fallen zu lassen und dafuer sich nach der makedonischen Nordgrenze zu
wenden, wo er die schwaecheren Dardaner (in Serbien) unterwarf und bis
an die Donau gelangte. Erst der tapfere und faehige Marcus Lucullus
(682, 683 72, 71) rueckte wieder gegen Osten vor, schlug die Besser in
ihren Bergen, nahm ihre Hauptstadt Uscudama (Adrianopel) und zwang
sie, der roemischen Oberhoheit sich zu fuegen. Der Koenig der Odrysen,
Sadalas, und die griechischen Staedte an der Ostkueste noerdlich und
suedlich vom Balkangebirge: Istropolis, Tomoi, Kallatis, Odessos
(bei Varna), Mesembria und andere, wurden abhaengig von den Roemern;
Thrakien, von dem die Roemer bisher kaum mehr inne gehabt hatten als die
attalischen Besitzungen auf dem Chersones, ward jetzt ein freilich wenig
botmaessiger Teil der Provinz Makedonien. Aber weit nachteiliger als
die immer doch auf einen geringen Teil des Reiches sich beschraenkenden
Raubzuege der Thraker und Dardaner war fuer den Staat wie fuer die
einzelnen die Piraterie, die immer weiter um sich griff und immer fester
sich organisierte. Der Seeverkehr war auf dem ganzen Mittelmeer in ihrer
Gewalt. Italien konnte weder seine Produkte aus-, noch das Getreide aus
den Provinzen einfuehren; dort hungerten die Leute, hier stockte wegen
Mangels an Absatz die Bestellung der Getreidefelder. Keine
Geldsendung, kein Reisender war mehr sicher; die Staatskasse erlitt die
empfindlichsten Verluste; eine grosse Anzahl angesehener Roemer wurde
von den Korsaren aufgebracht und musste mit schweren Summen sich
ranzionieren, wenn es nicht gar den Piraten beliebte, an einzelnen
derselben das Blutgericht zu vollstrecken, das dann auch wohl mit wildem
Humor gewuerzt ward. Die Kaufleute, ja die nach dem Osten bestimmten
roemischen Truppenabteilungen fingen an, ihre Fahrten vorwiegend in
die unguenstige Jahreszeit zu verlegen und die Winterstuerme weniger zu
scheuen als die Piratenschiffe, die freilich selbst in dieser Jahreszeit
doch nicht ganz vom Meere verschwanden. Aber wie empfindlich die
Sperrung der See war, sie war eher zu ertragen als die Heimsuchung der
griechischen und kleinasiatischen Inseln und Kuesten. Ganz wie spaeter
in der Normannenzeit liefen die Korsarengeschwader bei den Seestaedten
an und zwangen sie, entweder mit grossen Summen sich loszukaufen, oder
belagerten und stuermten sie mit gewaffneter Hand. Wenn unter Sullas
Augen nach geschlossenem Frieden mit Mithradates Samothrake, Klazomenae,
Samos, Iassos von den Piraten ausgeraubt wurden (670 84), so kann man
sich denken, wie es da zuging, wo weder eine roemische Flotte noch ein
roemisches Heer in der Naehe stand. All die alten reichen Tempel an
den griechischen und kleinasiatischen Kuesten wurden nach der Reihe
gepluendert; allein aus Samothrake soll ein Schatz von 1000 Talenten
(1500000 Talern) weggefuehrt worden sein. Apollon, heisst es bei einem
roemischen Dichter dieser Zeit, ist durch die Piraten so arm geworden,
dass er, wenn die Schwalbe bei ihm auf Besuch ist, aus all seinen
Schaetzen auch nicht ein Quentchen Gold mehr ihr vorzeigen kann.
Man rechnete ueber vierhundert von den Piraten eingenommene oder
gebrandschatzte Ortschaften, darunter Staedte wie Knidos,
Samos, Kolophon; aus nicht wenigen frueher bluehenden Insel- und
Kuestenplaetzen wanderte die gesamte Bevoelkerung aus, um nicht von den
Piraten fortgeschleppt zu werden. Nicht einmal im Binnenland mehr war
man vor denselben sicher; es kam vor, dass sie ein bis zwei Tagemaersche
von der Kueste belegene Ortschaften ueberfielen. Die entsetzliche
Verschuldung, der spaeterhin alle Gemeinden im griechischen Osten
erliegen, stammt grossenteils aus diesen verhaengnisvollen Zeiten. Das
Korsarenwesen hatte seinen Charakter gaenzlich veraendert. Es waren
nicht mehr dreiste Schnapphaehne, die in den kretischen Gewaessern
zwischen Kyrene und dem Peloponnes - in der Flibustiersprache dem
"goldenen Meer" - von dem grossen Zug des italisch-orientalischen
Sklaven- und Luxushandels ihren Tribut nahmen; auch nicht mehr
bewaffnete Sklavenfaenger, die "Krieg, Handel und Piraterie"
ebenmaessig nebeneinander betrieben, es war ein Korsarenstaat mit
einem eigentuemlichen Gemeingeist; mit einer festen, sehr respektablen
Organisation, mit einer eigenen Heimat und den Anfaengen einer
Symmachie, ohne Zweifel auch mit bestimmten politischen Zwecken. Die
Flibustier nannten sich Kiliker; in der Tat fanden auf ihren Schiffen
die Verzweifelten und Abenteurer aller Nationen sich zusammen: die
entlassenen Soeldner von den kretischen Werbeplaetzen, die Buerger der
vernichteten Ortschaften Italiens, Spaniens und Asiens, die Soldaten und
Offiziere aus Fimbrias und Sertorius' Heeren, ueberhaupt die verdorbenen
Leute aller Nationen, die gehetzten Fluechtlinge aller ueberwundenen
Parteien, alles was elend und verwegen war - und wo war nicht Jammer
und Frevel in dieser unseligen Zeit? Es war keine zusammengelaufene
Diebesbande mehr, sondern ein geschlossener Soldatenstaat, in dem
die Freimaurerei der Aechtung und der Missetat an die Stelle der
Nationalitaet trat und innerhalb dessen das Verbrechen, wie so oft,
vor sich selbst sich rettete in den hochherzigsten Gemeinsinn. In
einer zuchtlosen Zeit, wo Feigheit und Unbotmaessigkeit alle Bande der
gesellschaftlichen Ordnung erschlafft hatten, mochten die legitimen
Gemeinwesen sich ein Muster nehmen an diesem Bastardstaat der Not und
Gewalt, in den allein von allen das unverbruechliche Zusammenstehen, der
kameradschaftliche Sinn, die Achtung vor dem gegebenen Treuwort und
den selbstgewaehlten Haeuptern, die Tapferkeit und die Gewandtheit sich
gefluechtet zu haben schienen. Wenn auf der Fahne dieses Staats die
Rache an der buergerlichen Gesellschaft geschrieben war, die, mit Recht
oder mit Unrecht, seine Mitglieder von sich ausgestossen hatte, so liess
sich darueber streiten, ob diese Devise viel schlechter war als die der
italischen Oligarchie und des orientalischen Sultanismus, die im
Zuge schienen, die Welt unter sich zu teilen. Die Korsaren wenigstens
fuehlten jedem legitimen Staate sich ebenbuertig; von ihrem
Raeuberstolz, ihrer Raeuberpracht und ihrem Raeuberhumor zeugt noch
manche echte Flibustiergeschichte toller Lustigkeit und ritterlicher
Banditenweise; sie meinten, und ruehmten sich dessen, in einem gerechten
Krieg mit der ganzen Welt zu leben; was sie darin gewannen, das hiess
ihnen nicht Raubgut, sondern Kriegsbeute; und wenn dem ergriffenen
Flibustier in jedem roemischen Hafen das Kreuz gewiss war, so nahmen
auch sie als ihr Recht in Anspruch, jeden ihrer Gefangenen hinrichten zu
duerfen. Ihre militaerisch-politische Organisation war namentlich seit
dem Mithradatischen Krieg festgeschlossen. Ihre Schiffe, groesstenteils
"Mauskaehne", das heisst kleine, offene, schnellsegelnde Barken, nur
zum kleineren Teil Zwei- und Dreidecker, fuhren jetzt regelmaessig
in Geschwader vereinigt und unter Admiralen, deren Barken in Gold und
Purpur zu glaenzen pflegten. Dem bedrohten Kameraden, mochte er auch
voellig unbekannt sein, weigerte kein Piratenkapitaen den erbetenen
Beistand; der mit einem aus ihrer Mitte abgeschlossene Vertrag ward von
der ganzen Gesellschaft unweigerlich anerkannt, aber auch jede einem
zugefuegte Unbill von allen geahndet. Ihre rechte Heimat war das Meer
von den Saeulen des Herkules bis in die syrischen und aegyptischen
Gewaesser; die Zufluchtsstaetten, deren sie fuer sich und ihre
schwimmenden Haeuser auf dem Festlande bedurften, gewaehrten ihnen
bereitwillig die mauretanischen und dalmatischen Gestade, die Insel
Kreta, vor allem die an Vorspruengen und Schlupfwinkeln reiche, die
Hauptstrasse des Seehandels jener Zeit beherrschende und so gut wie
herrenlose Suedkueste Kleinasiens. Der lykische Staedtebund daselbst und
die pamphylischen Gemeinden hatten wenig zu bedeuten; die seit 652 (102)
in Kilikien bestehende roemische Station reichte zur Beherrschung der
weitlaeufigen Kueste bei weitem nicht aus; die syrische Herrschaft ueber
Kilikien war immer nur nominell gewesen und seit kurzem gar ersetzt
worden durch die armenische, deren Inhaber als echter Grosskoenig um das
Meer gar nicht sich kuemmerte und dasselbe bereitwillig den Kilikern
zur Pluenderung preisgab. So war es kein Wunder, wenn die Korsaren hier
gediehen wie nirgends sonst. Nicht bloss besassen sie hier ueberall am
Ufer Signalplaetze und Stationen, sondern auch weiter landeinwaerts, in
den abgelegensten Verstecken des unwegsamen und gebirgigen lykischen,
pamphylischen, kilikischen Binnenlandes, hatten sie sich ihre
Felsschloesser erbaut, in denen, waehrend sie selbst zur See fuhren,
sie ihre Weiber, Kinder und Schaetze bargen, auch wohl in gefaehrlichen
Zeiten selbst dort eine Zufluchtsstaette fanden. Namentlich gab es
solche Korsarenschloesser in grosser Zahl in dem rauhen Kilikien, dessen
Waldungen zugleich den Piraten das vortrefflichste Holz zum Schiffbau
lieferten und wo deshalb ihre hauptsaechlichsten Schiffbaustaetten
und Arsenale sich befanden. Es war nicht zu verwundern, dass dieser
geordnete Militaerstaat unter den mehr oder minder sich selber
ueberlassenen und sich selber verwaltenden griechischen Seestaedten
sich eine feste Klientel bildete, die mit den Piraten wie mit einer
befreundeten Macht auf Grund bestimmter Vertraege in Handelsverkehr trat
und der Aufforderung der roemischen Statthalter, Schiffe gegen sie zu
stellen, nicht nachkam; wie denn zum Beispiel die nicht unbetraechtliche
Stadt Side in Pamphylien den Piraten gestattete auf ihren Werften
Schiffe zu bauen und die gefangenen Freien auf ihrem Marktplatz
feilzubieten. Eine solche Seeraeuberschaft war eine politische Macht;
und als politische Macht gab sie sich und ward sie genommen, seit zuerst
der syrische Koenig Tryphon sie als solche benutzt und seine Herrschaft
auf sie gestuetzt hatte. Wir finden die Piraten als Verbuendete des
Koenigs Mithradates von Pontos sowie der roemischen demokratischen
Emigration; wir finden sie Schlachten liefern gegen die Flotten Sullas
in den oestlichen wie in den westlichen Gewaessern. Wir finden einzelne
Piratenfuersten, die ueber eine Kette von ansehnlichen Kuestenplaetzen
gebieten. Es laesst sich nicht sagen, wieweit die innere politische
Entwicklung dieses schwimmenden Staates bereits gediehen war; aber
unleugbar liegt in diesen Bildungen der Keim eines Seekoenigtums, das
bereits sich ansaessig zu machen beginnt und aus dem unter guenstigen
Verhaeltnissen wohl ein dauernder Staat sich haette entwickeln moegen.
Es ist hiermit ausgesprochen und ward zum Teil schon frueher bezeichnet,
wie die Roemer auf "ihrem Meere" die Ordnung hielten oder vielmehr nicht
hielten. Roms Schutzherrschaft ueber die Aemter bestand wesentlich
in der militaerischen Vormundschaft; fuer die in der Hand der Roemer
vereinigte Verteidigung zur See und zu Lande zahlten oder zinsten den
Roemern die Provinzialen. Aber wohl niemals hat ein Vormund seinen
Muendel unverschaemter betrogen als die roemische Oligarchie die
untertaenigen Gemeinden. Statt dass Rom eine allgemeine Reichsflotte
aufgestellt und die Seepolizei zentralisiert haette, liess der Senat
die einheitliche Oberleitung des Seepolizeiwesens, ohne die ebenhier
gar nichts auszurichten war, gaenzlich fallen und ueberliess es jedem
einzelnen Statthalter und jedem einzelnen Klientelstaat, sich der
Piraten zu erwehren, wie jeder wollte und konnte. Statt dass Rom, wie
es sich anheischig gemacht, das Flottenwesen mit seinem und der formell
souveraen gebliebenen Klientelstaaten Gut und Blut ausschliesslich
bestritten haette, liess man die italische Kriegsmarine eingehen und
lernte sich behelfen mit den von den einzelnen Kaufstaedten
requirierten Schiffen oder noch haeufiger mit den ueberall organisierten
Strandwachen, wo dann in beiden Faellen alle Kosten und Beschwerden die
Untertanen trafen. Die Provinzialen mochten sich gluecklich schaetzen,
wenn der roemische Statthalter die fuer die Kuestenverteidigung
ausgeschriebenen Requisitionen nur wirklich zu diesem Zwecke verwandte
und nicht fuer sich unterschlug, oder wenn sie nicht, wie sehr haeufig
geschah, angewiesen wurden, fuer einen von den Seeraeubern gefangenen
vornehmen Roemer die Ranzion zu bezahlen. Was etwa Verstaendiges
begonnen ward, wie die Besetzung Kilikiens 652 (102), verkuemmerte
sicher in der Ausfuehrung. Wer von den Roemern dieser Zeit nicht
gaenzlich in der gangbaren duseligen Vorstellung von nationaler Groesse
befangen war, der haette wuenschen muessen, von der Rednerbuehne auf dem
Markte die Schiffsschnaebel herabreissen zu duerfen, um wenigstens
nicht stets durch sie an die in besserer Zeit erfochtenen Seesiege
sich gemahnt zu finden. Indes tat doch Sulla, der in dem Kriege gegen
Mithradates wahrlich hinreichend sich hatte ueberzeugen koennen, welche
Gefahren die Vernachlaessigung des Flottenwesens mit sich bringe,
verschiedene Schritte, um dem Uebel ernstlich zu steuern. Der Auftrag
zwar, welchen er den von ihm in Asien eingesetzten Statthaltern
zurueckgelassen, in den Seestaedten eine Flotte gegen die Seeraeuber
auszuruesten, hatte wenig gefruchtet, da Murena es vorzog, Krieg
mit Mithradates anzufangen, und der Statthalter von Kilikien, Gnaeus
Dolabella, sich ganz unfaehig erwies. Deshalb beschloss im Jahre 675
(79) der Senat, einen der Konsuln nach Kilikien zu senden; das Los traf
den tuechtigen Publius Servilius. Er schlug in einem blutigen Treffen
die Flotte der Piraten und wandte sich darauf zur Zerstoerung derjenigen
Staedte an der kleinasiatischen Suedkueste, die ihnen als Ankerplaetze
und Handelsstationen dienten. Die Festungen des maechtigen Seefuersten
Zeniketes: Olympos, Korykos, Phaselis im oestlichen Lykien, Attaleia in
Pamphylien wurden gebrochen, und in den Flammen der Burg Olympos fand
der Fuerst selbst den Tod. Weiter ging es gegen die Isaurer, welche im
nordwestlichen Winkel des rauben Kilikiens am noerdlichen Abhang des
Tauros ein mit prachtvollen Eichenwaeldern bedecktes Labyrinth von
steilen Bergruecken, zerkluefteten Felsen und tiefgeschnittenen Taelern
bewohnten - eine Gegend, die noch heute von den Erinnerungen an die alte
Raeuberzeit erfuellt ist. Um diese isaurischen Felsennester, die letzten
und sichersten Zufluchtsstaetten der Flibustier, zu bezwingen, fuehrte
Servilius die erste roemische Armee ueber den Tauros und brach die
feindlichen Festungen Oroanda und vor allem Isaura selbst, das Ideal
einer Raeuberstadt, auf der Hoehe eines schwer zugaenglichen Bergzuges
gelegen und die weite Ebene von Ikonion vollstaendig ueberschauend
und beherrschend. Der erst im Jahre 679 (75) beendigte Krieg, aus
dem Publius Servilius fuer sich und seine Nachkommen den Beinamen des
Isaurikers heimbrachte, war nicht ohne Frucht; eine grosse Anzahl von
Korsaren und Korsarenschiffen geriet durch denselben in die Gewalt
der Roemer; Lykien, Pamphylien, Westkilikien wurden arg verheert, die
Gebiete der zerstoerten Staedte eingezogen und die Provinz Kilikien
mit ihnen erweitert. Allein es lag in der Natur der Sache, dass die
Piraterie doch damit keineswegs unterdrueckt war, sondern nur sich
zunaechst nach andern Gegenden, namentlich nach der aeltesten Herberge
der Korsaren des Mittelmeers, nach Kreta, zog. Nur umfassend und
einheitlich durchgefuehrte Repressivmassregeln oder vielmehr nur die
Einrichtung einer staendigen Seepolizei konnten hier durchgreifende
Abhilfe gewaehren. In vielfacher Beziehung mit diesem Seekrieg standen
die Verhaeltnisse des kleinasiatischen Festlandes. Die Spannung, die
hier zwischen Rom und den Koenigen von Pontos und Armenien bestand,
liess nicht nach, sondern steigerte sich mehr und mehr. Auf der einen
Seite griff Koenig Tigranes von Armenien in der ruecksichtslosesten
Weise erobernd um sich. Die Parther, deren in dieser Zeit auch durch
innere Unruhen zerrissener Staat tief daniederlag, wurden in andauernden
Fehden weiter und weiter in das innere Asien zurueckgedraengt. Von den
Landschaften zwischen Armenien, Mesopotamien und Iran wurden Corduene
(noerdliches Kurdistan) und das Atropatenische Medien (Aserbeidschan)
aus parthischen in armenische Lehnkoenigreiche verwandelt und das Reich
von Ninive (Mosul) oder Adiabene, wenigstens voruebergehend, gleichfalls
gezwungen, in die armenische Klientel einzutreten. Auch in Mesopotamien,
namentlich in und um Nisibis, ward die armenische Herrschaft begruendet;
nur die suedliche, grossenteils wueste Haelfte, scheint nicht in festen
Besitz des neuen Grosskoenigs gekommen und namentlich Seleukeia am
Tigris ihm nicht untertaenig geworden zu sein. Das Reich von Edessa oder
Osrhoene uebergab er einem Stamme der schweifenden Araber, den er aus
dem suedlichen Mesopotamien hierher verpflanzte und hier ansaessig
machte, um durch ihn den Euphratuebergang und die grosse Handelsstrasse
zu beherrschen ^1. Aber Tigranes beschraenkte seine Eroberungen
keineswegs auf das oestliche Ufer des Euphrat. Vor allem Kappadokien
war das Ziel seiner Angriffe und erlitt, wehrlos wie es war, von dem
uebermaechtigen Nachbar vernichtende Schlaege. Die oestliche Landschaft
Melitene riss Tigranes von Kappadokien ab und vereinigte sie mit
der gegenueberliegenden armenischen Provinz Sophene, wodurch er
den Euphratuebergang mit der grossen kleinasiatisch-armenischen
Handelsstrasse in seine Gewalt bekam. Nach Sullas Tode rueckten die
Armenier sogar in das eigentliche Kappadokien ein und fuehrten die
Bewohner der Hauptstadt Mazaka (spaeter Caesarea) und elf anderer
griechisch geordneter Staedte weg nach Armenien. Nicht mehr Widerstand
vermochte das in voller Aufloesung begriffene Seleukidenreich dem
neuen Grosskoenig entgegenzustellen. Hier herrschte im Sueden von der
aegyptischen Grenze bis nach Stratons Turm (Caesarea) der Judenfuerst
Alexandros Jannaeos, der im Kampfe mit den syrischen, aegyptischen und
arabischen Nachbarn und mit den Reichsstaedten seine Herrschaft Schritt
vor Schritt erweiterte und befestigte. Die groesseren Staedte Syriens,
Gaza, Stratons Turm, Ptolemais, Beroea versuchten, sich bald als freie
Gemeinden, bald unter sogenannten Tyrannen auf eigene Hand zu behaupten;
vor allem die Hauptstadt Antiocheia war so gut wie selbstaendig.
Damaskos und die Libanostaeler hatten sich dem nabataeischen Fuersten
Aretas von Petra unterworfen. In Kilikien endlich herrschten
die Seeraeuber oder die Roemer. Und um diese in tausend Splitter
zerschellende Krone fuhren die Seleukidenprinzen, als gaelte es das
Koenigtum allen zum Spott und zum Aergernis zu machen, beharrlich fort,
untereinander zu hadern, ja, waehrend von diesem gleich dem Hause des
Laios zum ewigen Zwiste verfluchten Geschlechte die eigenen Untertanen
alle abtruennig wurden, sogar Ansprueche auf den durch den erblosen
Abgang des Koenigs Alexander Il. erledigten Thron von Aegypten zu
erheben. So griff Koenig Tigranes hier ohne Umstaende zu. Das
oestliche Kilikien ward mit Leichtigkeit von ihm unterworfen und
die Buergerschaften von Soloi und anderen Staedten ebenwie die
kappadokischen nach Armenien abgefuehrt. Ebenso wurde die obere syrische
Landschaft, mit Ausnahme der tapfer verteidigten Stadt Seleukeia an der
Muendung des Orontes, und der groesste Teil von Phoenike mit den Waffen
bezwungen: um 680 (74) ward Ptolemais von den Armeniern eingenommen und
schon der Judenstaat ernstlich von ihnen bedroht. Die alte Hauptstadt
der Seleukiden Antiocheia ward eine der Residenzen des Grosskoenigs.
Bereits von dem Jahre 671 (83) an, dem naechsten nach dem Frieden
zwischen Sulla und Mithradates, wird Tigranes in den syrischen
Jahrbuechern als der Landesherr bezeichnet und erscheint Kilikien
und Syrien als eine armenische Satrapie unter dem Statthalter des
Grosskoenigs Magadates. Die Zeit der Koenige von Ninive, der Salmanassar
und Sanherib, schien sich zu erneuern: wieder lastete der orientalische
Despotismus schwer auf der handeltreibenden Bevoelkerung der syrischen
Kueste, wie einst auf Tyros und Sidon; wieder warfen binnenlaendische
Grossstaaten sich auf die Landschaften am Mittelmeer; wieder standen
asiatische Heere von angeblich einer halben Million Streiter an
den kilikischen und syrischen Kuesten. Wie einst Salmanassar und
Nebukadnezar die Juden nach Babylon gefuehrt hatten, so mussten jetzt
aus allen Grenzlandschaften des neuen Reiches, aus Corduene, Adiabene,
Assyrien, Kilikien, Kappadokien, die Einwohner, namentlich die
griechischen oder halbgriechischen Stadtbuerger, mit ihrer gesamten Habe
bei Strafe der Konfiskation alles dessen, was sie zuruecklassen wuerden,
sich zusammensiedeln in der neuen Residenz, einer von jenen mehr die
Nichtigkeit der Voelker als die Groesse der Herrscher verkuendigenden
Riesenstaedten, wie sie in den Euphratlandschaften bei jedem Wechsel
des Oberkoenigtums auf das Machtwort des neuen Grosssultans aus der
Erde springen. Die neue "Tigranesstadt", Tigranokerta, gegruendet an der
Grenze Armeniens und Mesopotamiens und bestimmt zur Hauptstadt der
neu fuer Armenien gewonnenen Gebiete, ward eine Stadt wie Ninive und
Babylon, mit Mauern von fuenfzig Ellen Hoehe und den zum Sultanismus
nun einmal mitgehoerigen Palast-, Garten- und Parkanlagen. Auch sonst
verleugnete der neue Grosskoenig sich nicht: wie in der ewigen Kindheit
des Ostens ueberhaupt die kindlichen Vorstellungen von den Koenigen mit
wirklichen Kronen auf dem Haupte niemals verschwunden sind, so erschien
auch Tigranes, wo er oeffentlich sich zeigte, in Pracht und Tracht eines
Nachfolgers des Dareios und Xerxes, mit dem purpurnen Kaftan, dem halb
weissen, halb purpurnen Untergewand, den langen faltigen Beinkleidern,
dem hohen Turban und der koeniglichen Stirnbinde, wo er ging und
stand von vier "Koenigen" in Sklavenart begleitet und bedient.
------------------------------------------------------------ ^1 Das
Reich von Edessa, dessen Gruendung die einheimischen Chroniken 620 (134)
setzen, kam erst einige Zeit nach seiner Entstehung unter die arabische
Dynastie der Abgaros und Mannos, die wir spaeter daselbst finden.
Offenbar haengt dies zusammen mit der Ansiedlung vieler Araber durch
Tigranes den Grossen in der Gegend von Edessa, Kallirhoe, Karrhae (Plin.
nat. 5, 20, 85; 21, 86; 6, 28, 142); wovon auch Plutarch (Luc. 21)
berichtet, dass Tigranes, die Sitten der Zeltaraber umwandelnd, sie
seinem Reiche naeher ansiedelte, um durch sie des Handels sich zu
bemaechtigen. Vermutlich ist dies so zu verstehen, dass die Beduinen,
die gewohnt waren, durch ihr Gebiet Handelsstrassen zu eroeffnen und
auf diesen feste Durchgangszoelle zu erheben (Strab. 14, 748), dem
Grosskoenig als eine Art von Zollkontrolleuren dienen und an der
Euphratpassage fuer ihn und fuer sich Zoelle erheben sollten. Diese
"osrhoenischen Araber" (Orei Arabes), wie sie Plinius nennt, muessen
auch die Araber am Berg Amanos sein, die Afranius ueberwand (Plut.
Pomp. 39). --------------------------------------------------------
Bescheidener trat Koenig Mithradates auf. Er enthielt sich in Kleinasien
der Uebergriffe und begnuegte sich, was kein Traktat ihm verbot, seine
Herrschaft am Schwarzen Meere fester zu begruenden und die Landschaften,
die das Bosporanische jetzt unter seiner Oberhoheit von seinem
Sohn Machares beherrschte Koenigreich von dem Pontischen trennten,
allmaehlich in bestimmtere Abhaengigkeit zu bringen. Aber auch er wandte
alle Anstrengungen darauf, seine Flotte und sein Heer instand zu setzen
und namentlich das letztere nach roemischem Muster zu bewaffnen und zu
organisieren, wobei die roemischen Emigranten, die in grosser Zahl an
seinem Hofe verweilten, ihm wesentliche Dienste leisteten. Den Roemern
war nichts daran gelegen, in die orientalischen Angelegenheiten noch
weiter verwickelt zu werden, als sie es bereits waren. Es zeigt
sich dies namentlich mit schlagender Deutlichkeit darin, dass die
Gelegenheit, die in dieser Zeit sich darbot, das Aegyptische Reich auf
friedlichem Wege unter unmittelbare roemische Herrschaft zu bringen,
vom Senat verschmaeht ward. Die legitime Deszendenz des Ptolemaeos Lagos
Sohns war zu Ende gegangen, als der nach dem Tode des Ptolemaeos Soter
II. Koenigs Lathyros von Sulla eingesetzte Koenig Alexandros II., ein
Sohn Koenigs Alexandros I., wenige Tage nach seiner Thronbesteigung
bei einem Auflauf in der Hauptstadt getoetet ward (673 81). Dieser
Alexandros hatte in seinem Testament ^2 zum Erben die roemische Gemeinde
eingesetzt. Die Echtheit dieses Dokuments ward zwar bestritten; allein
diese erkannte der Senat an, indem er auf Grund desselben die in Tyros
fuer Rechnung des verstorbenen Koenigs niedergelegten Summen erhob.
Nichtsdestoweniger gestattete er zwei notorisch illegitimen Soehnen des
Koenigs Lathyros, dem einen, Ptolemaeos XI., der neue Dionysos oder der
Floetenblaeser (Auletes) genannt, Aegypten, dem andern, Ptolemaeos dem
Kyprier, Kypros tatsaechlich in Besitz zu nehmen; sie wurden zwar vom
Senat nicht ausdruecklich anerkannt, aber doch auch keine bestimmte
Forderung auf Herausgabe der Reiche an sie gerichtet. Die Ursache,
weshalb der Senat diesen unklaren Zustand fortdauern liess und nicht
dazu kam, in bindender Weise auf Aegypten und Kypros zu verzichten, war
ohne Zweifel die ansehnliche Rente, welche jene gleichsam auf Bittbesitz
herrschenden Koenige fuer die Fortdauer desselben den roemischen
Koteriehaeuptern fortwaehrend zahlten. Allein der Grund, jenem lockenden
Erwerb ueberhaupt zu entsagen, liegt anderswo. Aegypten gab durch
seine eigentuemliche Lage und seine finanzielle Organisation jedem dort
befehligenden Statthalter eine Geld- und Seemacht und ueberhaupt eine
unabhaengige Gewalt in die Haende, wie sie mit dem argwoehnischen
und schwaechlichen Regiment der Oligarchie sich schlechterdings nicht
vertrug; von diesem Standpunkt aus war es verstaendig, dem
unmittelbaren Besitz der Nillandschaft zu entsagen.
-------------------------------------------------------- ^2 Die
streitige Frage, ob dies angebliche oder wirkliche Testament von
Alexander I. (+ 666 88) oder Alexander II. (+ 673 81) herruehre, wird
gewoehnlich fuer die erste Alternative entschieden. Allein die Gruende
sind unzulaenglich; denn Cicero (leg. agr. 1, 4, 12; 15, 38; 16, 41)
sagt nicht, dass Aegypten im Jahre 666 (88), sondern dass es in
oder nach diesem Jahr an Rom gefallen sei; und wenn man daraus, dass
Alexander I. im Ausland, Alexander II. in Alexandreia umkam, gefolgert
hat, dass die in dem fraglichen Testament erwaehnten in Tyros lagernden
Schaetze dem ersteren gehoert haben werden, so ist uebersehen, dass
Alexander II. neunzehn Tage nach seiner Ankunft in Aegypten getoetet
ward (J. A. Letronne, Recueil des inscriptions grecques et latines de
l'Egypte. Bd. 2, Paris 1848, S. 20), wo seine Kasse noch sehr wohl in
Tyros sein konnte. Entscheidend ist dagegen der Umstand, dass der zweite
Alexander der letzte echte Lagide war, da bei den aehnlichen Erwerbungen
von Pergamon Kyrene und Bithynien Rom stets von dem letzten Spross
der berechtigten Herrscherfamilie eingesetzt worden ist. Das alte
Staatsrecht, wie es wenigstens fuer die roemischen Klientelstaaten
massgebend gewesen ist, scheint dem Regenten das letztwillige
Verfuegungsrecht ueber sein Reich nicht unbedingt, sondern nur
in Ermangelung erbberechtigter Agnaten zugestanden zu haben. Vgl.
Gutschmids Anmerkung zu der deutschen Uebersetzung von S. Sharper,
Geschichte Aegyptens. Bd. 2, S. 17. Ob das Testament echt oder falsch
war, ist nicht auszumachen und auch ziemlich gleichgueltig;
besondere Gruende, eine Faelschung anzunehmen, liegen nicht vor.
----------------------------------------------------- Weniger laesst
es sich rechtfertigen, dass der Senat es unterliess, in die
kleinasiatischen und syrischen Angelegenheiten unmittelbar einzugreifen.
Die roemische Regierung erkannte zwar den armenischen Eroberer nicht als
Koenig von Kappadokien und Syrien an; aber sie tat doch auch nichts,
um ihn zurueckzudraengen, wie nahe immer der Krieg, den sie 676 (78)
notgedrungen in Kilikien gegen die Piraten begann, ihr namentlich das
Einschreiten in Syrien legte. In der Tat gab sie, indem sie den Verlust
Kappadokiens und Syriens ohne Kriegserklaerung hinnahm, damit nicht
bloss ihre Schutzbefohlenen, sondern die wichtigsten Grundlagen ihrer
eigenen Machtstellung preis. Es war schon bedenklich, wenn sie in den
griechischen Ansiedlungen und Reichen am Euphrat und Tigris die Vorwerke
ihrer Herrschaft opferte; aber wenn sie die Asiaten am Mittelmeer sich
festsetzen liess, welches die politische Basis ihres Reiches war, so war
dies nicht ein Beweis von Friedensliebe, sondern das Bekenntnis, dass
die Oligarchie durch die Sullanische Restauration wohl oligarchischer,
aber weder klueger noch energischer geworden war, und fuer die roemische
Weltmacht der Anfang des Endes. Auch auf der andern Seite wollte man den
Krieg nicht. Tigranes hatte keine Ursache, ihn zu wuenschen, wenn Rom
ihm auch ohne Krieg all seine Bundesgenossen preisgab. Mithradates, der
denn doch nicht bloss Sultan war und Gelegenheit genug gehabt hatte,
im Glueck und Unglueck Erfahrungen ueber Freunde und Feinde zu machen,
wusste sehr wohl, dass er in einem zweiten roemischen Krieg sehr
wahrscheinlich ebenso allein stehen wuerde wie in dem ersten und dass er
nichts Kluegeres tun konnte, als sich ruhig zu verhalten und sein Reich
im Innern zu staerken. Dass es ihm mit seinen friedlichen Erklaerungen
Ernst war, hatte er in dem Zusammentreffen mit Murena hinreichend
bewiesen; er fuhr fort, alles zu vermeiden, was dazu fuehren musste, die
roemische Regierung aus ihrer Passivitaet herauszudraengen. Allein wie
schon der Erste Mithradatische Krieg sich entsponnen hatte, ohne dass
eine der Parteien ihn eigentlich wuenschte, so entwickelte auch jetzt
aus den entgegengesetzten Interessen sich gegenseitiger Argwohn, aus
diesem gegenseitige Verteidigungsanstalten, und es fuehrten diese
endlich durch ihr eigenes Schwergewicht zum offenen Bruch. Das seit
langem die roemische Politik beherrschende Misstrauen in die eigene
Schlagfertigkeit und Kampfbereitschaft, welches bei dem Mangel stehender
Armeen und dem wenig musterhaften kollegialischen Regiment wohl
erklaerlich ist, machte es gleichsam zu einem Axiom der roemischen
Politik, jeden Krieg nicht bloss bis zur Ueberwaeltigung, sondern bis
zur Vernichtung des Gegners zu fuehren; man war insofern mit dem
Frieden Sullas von Haus aus in Rom so wenig zufrieden wie einst mit den
Bedingungen, die Scipio Africanus den Karthagern gewaehrt hatte. Die
vielfach geaeusserte Besorgnis, dass ein zweiter Angriff des pontischen
Koenigs bevorstehe, ward einigermassen gerechtfertigt durch die
ungemeine Aehnlichkeit der gegenwaertigen Verhaeltnisse mit denen vor
zwoelf Jahren. Wieder traf ein gefaehrlicher Buergerkrieg zusammen mit
ernstlichen Ruestungen Mithradats; wieder ueberschwemmten die Thraker
Makedonien und bedeckten die Korsarenflotten das ganze Mittelmeer;
wieder kamen und gingen die Emissaere, wie einst zwischen Mithradates
und den Italikern, so jetzt zwischen den roemischen Emigranten in
Spanien und denen am Hofe von Sinope. Schon im Anfang des Jahres
677 (77) ward es im Senat ausgesprochen, dass der Koenig nur auf die
Gelegenheit warte, waehrend des italischen Buergerkriegs ueber das
roemische Asien herzufallen; die roemischen Armeen in Asia und Kilikien
wurden verstaerkt, um moeglichen Ereignissen zu begegnen. Andererseits
verfolgte auch Mithradates mit steigender Besorgnis die Entwicklung
der roemischen Politik. Er musste es fuehlen, dass ein Krieg der
Roemer gegen Tigranes, wie sehr auch der schwaechliche Senat davor sich
scheute, doch auf die Laenge kaum vermeidlich sei und er nicht umhin
koennen werde, sich an demselben zu beteiligen. Der Versuch, das immer
noch mangelnde schriftliche Friedensinstrument von dem roemischen Senat
zu erlangen, war in die Wirren der Lepidianischen Revolution gefallen
und ohne Erfolg geblieben; Mithradates fand darin ein Anzeichen der
bevorstehenden Erneuerung des Kampfes. Die Einleitung dazu schien die
Expedition gegen die Seeraeuber, die mittelbar doch auch die Koenige des
Ostens traf, deren Verbuendete sie waren. Noch bedenklicher waren die
schwebenden Ansprueche Roms auf Aegypten und Kypros; es ist bezeichnend,
dass der pontische Koenig den beiden Ptolemaeern, denen der Senat
fortfuhr, die Anerkennung zu weigern, seine beiden Toechter Mithradatis
und Nyssa verlobte. Die Emigranten draengten zum Losschlagen; Sertorius'
Stellung in Spanien, die zu erkunden Mithradates unter passenden
Vorwaenden Boten in das Pompeianische Hauptquartier abordnete, und die
in der Tat eben um diese Zeit imposant war, eroeffnete dem Koenig die
Aussicht, nicht wie in dem ersten Krieg gegen die beiden roemischen
Parteien, sondern mit der einen gegen die andere zu fechten. Ein
guenstigerer Moment konnte kaum gehofft werden, und am Ende war es immer
besser, den Krieg zu erklaeren, als ihn sich erklaeren zu lassen. Da
starb im Jahre 679 (75) Koenig Nikomedes III. Philopator von Bithynien
und hinterliess als der letzte seines Stammes - denn ein von der Nysa
geborener Sohn war oder hiess unecht - sein Reich im Testament den
Roemern, welche diese mit der roemischen Provinz grenzende und laengst
von roemischen Beamten und Kaufleuten erfuellte Landschaft in Besitz zu
nehmen nicht saeumten. Gleichzeitig wurde auch Kyrene, das bereits
seit dem Jahr 658 (96) den Roemern angefallen war, endlich als Provinz
eingerichtet und ein roemischer Statthalter dorthin geschickt (679
75). Diese Massregeln in Verbindung mit den um dieselbe Zeit an der
Suedkueste von Kleinasien gegen die Piraten ausgefuehrten Angriffen
muessen in dem Koenige Besorgnisse erregt haben; die Einziehung
Bithyniens namentlich machte die Roemer zu unmittelbaren Nachbarn des
Pontischen Reiches; und dies vermutlich gab den Ausschlag. Der Koenig
tat den entscheidenden Schritt und erklaerte im Winter 679/80 (75/74)
den Roemern den Krieg. Gern haette Mithradates die schwere Arbeit nicht
allein uebernommen. Sein naechster und natuerlicher Bundesgenosse war
der Grosskoenig Tigranes; allein der kurzsichtige Mann lehnte den
Antrag seines Schwiegervaters ab. So blieben nur die Insurgenten und
die Piraten. Mithradates liess es sich angelegen sein, mit beiden
durch starke, nach Spanien und nach Kreta entsandte Geschwader sich
in Verbindung zu setzen. Mit Sertorius ward ein foermlicher Vertrag
abgeschlossen, durch den Rom an den Koenig Bithynien, Paphlagonien,
Galanen und Kappadokien abtrat - freilich lauter Erwerbungen, die erst
auf dem Schlachtfeld ratifiziert werden mussten. Wichtiger war die
Unterstuetzung, die der spanische Feldherr dem Koenig durch Sendung
roemischer Offiziere zur Fuehrung seiner Heere und Flotten gewaehrte.
Die taetigsten unter den Emigranten im Osten, Lucius Magius und Lucius
Fannius, wurden von Sertorius zu seinen Vertretern am Hofe von Sinope
bestellt. Auch von den Piraten kam Hilfe; sie stellten in grosser Anzahl
im Pontischen Reich sich ein, und namentlich durch sie scheint es dem
Koenige gelungen zu sein, eine durch die Zahl wie durch die Tuechtigkeit
der Schiffe imponierende Seemacht zu bilden. Die Hauptstuetze blieben
die eigenen Streitkraefte, mit denen der Koenig, bevor die Roemer in
Asien eintreffen wuerden, sich ihrer Besitzungen daselbst bemaechtigen
zu koennen hoffte, zumal da in der Provinz Asia die durch die
Sullanische Kriegssteuer hervorgerufene finanzielle Not, in Bithymen der
Widerwille gegen das neue roemische Regiment, in Kilikien und Pamphylien
der von dem kuerzlich beendigten verheerenden Krieg zurueckgebliebene
Brandstoff einer pontischen Invasion guenstige Aussichten eroeffnete.
An Vorraeten fehlte es nicht; in den koeniglichen Speichern lagen zwei
Millionen Medimnen Getreide. Flotte und Mannschaft waren zahlreich und
wohlgeuebt, namentlich die bastarnischen Soldknechte eine auserlesene,
selbst italischen Legionaeren gewachsene Schar. Auch diesmal war es der
Koenig, der die Offensive begann. Ein Korps unter Diophantos ruckte in
Kappadokien ein, um die Festungen daselbst zu besetzen und den Roemern
den Weg in das Pontische Reich zu verlegen; der von Sertorius gesandte
Fuehrer, der Propraetor Marcus Marius, ging in Gemeinschaft mit dem
pontischen Offizier Eumachos nach Phrygien, um die roemische Provinz
und das Taurusgebirge zu insurgieren; die Hauptarmee, ueber 100000
Mann nebst 16000 Reitern und 100 Sichelwagen, gefuehrt von Taxiles und
Hermokrates unter der persoenlichen Oberleitung des Koenigs, und die
von Aristonikos befehligte Kriegsflotte von 400 Segeln bewegten sich
die kleinasiatische Nordkueste entlang, um Paphlagonien und Bithymen zu
besetzen. Roemischerseits ward zur Fuehrung des Krieges in erster Reihe
der Konsul des Jahres 680 (74), Lucius Lucullus, ausersehen, der als
Statthalter von Asien und Kilikien an die Spitze der in Kleinasien
stehenden vier Legionen und einer fuenften von ihm aus Italien
mitgebrachten gestellt und angewiesen ward, mit dieser auf 30000 Mann
zu Fuss und 1600 Reiter sich belaufenden Armee durch Phrygien in das
Pontische Reich einzudringen. Sein Kollege Marcus Cotta ging mit der
Flotte und einem anderen roemischen Korps nach der Propontis, um Asia
und Bithynien zu decken. Endlich wurde eine allgemeine Armierung der
Kuesten, namentlich der von der pontischen Flotte zunaechst bedrohten
thrakischen, angeordnet und die Saeuberung der saemtlichen Meere
und Kuesten von den Piraten und ihren pontischen Genossen
ausserordentlicherweise einem einzigen Beamten uebertragen, wofuer die
Wahl auf den Praetor Marcus Antonius fiel, den Sohn des Mannes, der
dreissig Jahre zuvor zuerst die kilikischen Korsaren gezuechtigt
hatte. Ausserdem stellte der Senat dem Lucullus eine Summe von 72 Mill.
Sesterzen (5« Mill. Talern) zur Verfuegung, um davon eine Flotte zu
erbauen; was Lucullus indes ablehnte. Aus allem sieht man, dass die
roemische Regierung in der Vernachlaessigung des Seewesens den Kern des
Uebels erkannte und hierin wenigstens so weit Ernst machte, als ihre
Dekrete reichten. So begann im Jahre 680 (74) der Krieg auf allen
Punkten. Es war ein Unglueck fuer Mithradates, dass eben im Moment
seiner Kriegserklaerung der Wendepunkt im Sertorianischen Kriege
eintrat, wodurch von vornherein eine seiner hauptsaechlichsten
Hoffnungen ihm zugrunde ging und es der roemischen Regierung moeglich
ward, ihre ganze Macht auf den See- und den kleinasiatischen Krieg zu
verwenden. In Kleinasien dagegen erntete Mithradat die Vorteile der
Offensive und der weiten Entfernung der Roemer von dem unmittelbaren
Kriegsschauplatz. Dem Sertorianischen Propraetor, der in der roemischen
Provinz Asia vorangestellt ward, oeffneten eine betraechtliche Anzahl
kleinasiatischer Staedte die Tore und metzelten wie im Jahre 666 (88)
die bei ihnen ansaessigen roemischen Familien nieder; die Pisider,
Isaurer, Kiliker ergriffen gegen Rom die Waffen. Die Roemer hatten an
den bedrohten Punkten augenblicklich keine Truppen. Einzelne tuechtige
Maenner versuchten wohl auf ihre eigene Hand dieser Aufwiegelung
der Provinzialen zu steuern - so verliess auf die Kunde von diesen
Ereignissen der junge Gaius Caesar Rhodos, wo er seiner Studien wegen
sich aufhielt, und warf sich mit einer rasch zusammengerafften Schar
den Insurgenten entgegen; allein viel konnten solche Freikorps
nicht ausrichten. Wenn nicht der tapfere Vierfuerst des um Pessinus
ansaessigen Keltenstammes der Tolistoboger, Deiotarus, die Partei der
Roemer ergriffen und gluecklich gegen die pontischen Feldherrn gefochten
haette, so haette Lucullus damit beginnen muessen, das Binnenland der
roemischen Provinz dem Feind wiederabzunehmen. Auch so aber verlor
er mit der Beruhigung der Landschaft und mit der Zurueckdraengung des
Feindes eine kostbare Zeit, die durch die geringen Erfolge, welche seine
Reiterei dabei erfocht, nichts weniger als verguetet ward. Unguenstiger
noch als in Phrygien gestalteten sich die Dinge fuer die Roemer an der
Nordkueste Kleinasiens. Hier hatte die grosse Armee und die Flotte der
Pontiker sich Bithyniens vollstaendig bemeistert und den roemischen
Konsul Cotta genoetigt, mit seiner wenig zahlreichen Mannschaft und
seinen Schiffen in den Mauern und dem Hafen von Kalchedon Schutz
zu suchen, wo Mithradates sie blockiert hielt. Indes war diese
Einschliessung insofern ein guenstiges Ereignis fuer die Roemer, als,
wenn Cotta die pontische Armee vor Kalchedon festhielt und Lucullus
ebendahin sich wandte, die saemtlichen roemischen Streitkraefte bei
Kalchedon sich vereinigen und schon hier statt in dem ferneren und
unwegsamen pontischen Land, die Waffenentscheidung erzwingen konnten.
Lucullus schlug auch die Strasse nach Kalchedon ein; allein Cotta,
um noch vor dem Eintreffen des Kollegen auf eigene Hand eine Grosstat
auszufuehren, liess seinen Flottenfuehrer Publius Rutilius Nudus einen
Ausfall machen, der nicht bloss mit einer blutigen Niederlage der
Roemer endigte, sondern auch den Pontikern es moeglich machte, den
Hafen anzugreifen, die Kette, die denselben sperrte, zu sprengen und
saemtliche daselbst befindliche roemische Kriegsschiffe, gegen siebzig
an der Zahl, zu verbrennen. Auf die Nachricht von diesen Unfaellen,
die Lucullus am Fluss Sangarios erhielt, beschleunigte derselbe seinen
Marsch, zur grossen Unzufriedenheit seiner Soldaten, welche nach ihrer
Meinung Cotta nichts anging und die weit lieber ein unverteidigtes Land
gepluendert als ihre Kameraden siegen gelehrt haetten. Sein Eintreffen
machte die erlittenen Unfaelle zum Teil wieder gut: der Koenig hob
die Belagerung von Kalchedon auf, ging aber nicht nach Pontos zurueck,
sondern suedwaerts in die altroemische Provinz, wo er an der Propontis
und am Hellespont sich ausbreitete, Lampsakos besetzte und die grosse
und reiche Stadt Kyzikos zu belagern begann. Immer fester verrannte
er sich also in die Sackgasse, die er eingeschlagen hatte, statt, was
allein fuer ihn Erfolg versprach, die weiten Entfernungen gegen die
Roemer ins Spiel zu bringen. In Kyzikos hatte die alte hellenische
Gewandtheit und Tuechtigkeit sich so rein erhalten wie an wenigen
anderen Orten; ihre Buergerschaft, obwohl sie in der ungluecklichen
Doppelschlacht von Kalchedon an Schiffen und Mannschaft starke Einbusse
erlitten hatte, leistete dennoch den entschlossensten Widerstand.
Kyzikos lag auf einer Insel unmittelbar dem Festland gegenueber und
durch eine Bruecke mit demselben verbunden. Die Belagerer bemaechtigten
sich sowohl des Hoehenzuges auf dem Festland, der an der Bruecke endigt,
und der hier gelegenen Vorstadt, als auch auf der Insel selbst der
beruehmten Dindymenischen Hoehen, und auf der Festland- wie auf der
Inselseite boten die griechischen Ingenieure alle ihre Kunst auf, den
Sturm moeglich zu machen. Allein die Bresche, die endlich zu machen
gelang, wurde waehrend der Nacht wieder von den Belagerten geschlossen
und die Anstrengungen der koeniglichen Armee blieben ebenso fruchtlos
wie die barbarische Drohung des Koenigs, die gefangenen Kyzikener vor
den Mauern toeten zu lassen, wenn die Buergerschaft noch laenger die
Uebergabe verweigere. Die Kyzikener setzten die Verteidigung mit Mut
und Glueck fort; es fehlte nicht viel, so haetten sie im Laufe der
Belagerung den Koenig selbst gefangengenommen. Inzwischen hatte
Lucullus sich einer sehr festen Position im Ruecken der pontischen
Armee bemaechtigt, die ihm zwar nicht gestattete, der bedraengten Stadt
unmittelbar zu Hilfe zu kommen, aber wohl dem Feinde alle Zufuhr zu
Lande abzuschneiden. So stand die ungeheure, mit dem Tross auf 300000
Koepfe geschaetzte Mithradatische Armee, weder imstande zu schlagen,
noch zu marschieren, fest eingekeilt zwischen der unbezwinglichen Stadt
und dem unbeweglich stehenden roemischen Heer und fuer allen ihren
Bedarf einzig angewiesen auf die See, die zum Glueck fuer die Pontiker
ihre Flotte ausschliesslich beherrschte. Aber die schlechte Jahreszeit
brach herein; ein Unwetter zerstoerte einen grossen Teil der
Belagerungsbauten; der Mangel an Lebensmitteln und vor allem an
Pferdefutter fing an unertraeglich zu werden. Die Lasttiere und der
Tross wurden unter Bedeckung des groessten Teils der pontischen Reiterei
weggesandt mit dem Auftrag, um jeden Preis sich durchzuschleichen oder
durchzuschlagen; aber am Fluss Rhyndakos oestlich von Kyzikos holte
Lucullus sie ein und hieb den ganzen Haufen zusammen. Eine andere
Reiterabteilung unter Metrophanes und Lucius Fannius musste nach langer
Irrfahrt im westlichen Kleinasien wieder in das Lager vor Kyzikos
zurueckkehren. Hunger und Seuchen raeumten unter den pontischen Scharen
fuerchterlich auf. Als der Fruehling herankam (681 73), verdoppelten die
Belagerten ihre Anstrengungen und nahmen die auf dem Dindymon angelegten
Schanzen; es blieb dem Koenig nichts uebrig, als die Belagerung
aufzuheben und mit Hilfe der Flotte zu retten, was zu retten war. Er
selber ging mit der Flotte nach dem Hellespont, erlitt aber teils bei
der Abfahrt, teils unterwegs durch Stuerme betraechtliche Einbusse.
Eben dahin brach auch das Landheer unter Hermaeos und Marius auf, um
in Lampsakos und von dessen Mauern geschuetzt sich einzuschiffen. Ihr
Gepaeck liessen sie im Stich, sowie die Kranken und Verwundeten, die
von den erbitterten Kyzikenern saemtlich niedergemacht wurden. Unterwegs
fuegte ihnen Lucullus beim Uebergang ueber die Fluesse Aesepos und
Granikos sehr ansehnlichen Verlust zu; doch erreichten sie ihr Ziel: die
pontischen Schiffe entfuehrten die Ueberreste der grossen Armee und
die lampsakenische Buergerschaft selbst aus dem Bereiche der Roemer.
Lucullus' folgerechte und bedaechtige Kriegfuehrung hatte nicht bloss
die Fehler seines Kollegen wieder gutgemacht, sondern auch, ohne eine
Hauptschlacht zu liefern, den Kern der feindlichen Armee - angeblich
200 000 Soldaten - aufgerieben. Haette er noch die Flotte gehabt, die
im Hafen von Kalchedon verbrannt war, so wuerde er die ganze feindliche
Armee vernichtet haben; so blieb das Zerstoerungswerk unvollendet, und
er musste sogar es leiden, dass trotz der Katastrophe von Kyzikos
die pontische Flotte in der Propontis sich aufstellte, Perinthos und
Byzantion auf der europaeischen Kueste von ihr blockiert, Priapos auf
der asiatischen ausgeraubt, das koenigliche Hauptquartier nach dem
bithynischen Hafen Nikomedeia gelegt ward. Ja ein erlesenes Geschwader
von fuenfzig Segeln, das 10000 erlesene Leute, darunter Marcus Marius
und den Kern der roemischen Emigranten trug, fuhr sogar hinaus in das
Aegaeische Meer; es ging die Rede, dass es bestimmt sei, in Italien zu
landen, um dort aufs neue den Buergerkrieg zu entfachen. Indes fingen
die Schiffe, die Lucullus nach dem Unfall von Kalchedon von den
asiatischen Gemeinden eingefordert hatte, an, sich einzustellen und
ein Geschwader lief aus, um das in das Aegaeische Meer abgegangene
feindliche aufzusuchen. Lucullus selbst, als Flottenfuehrer erprobt,
uebernahm das Kommando. Vor dem Achaeerhafen, in den Gewaessern zwischen
der troischen Kueste und der Insel Tenedos, wurden dreizehn feindliche,
auf der Fahrt nach Lemnos begriffene Fuenfruderer unter Isidoros
ueberfallen und versenkt. Bei der kleinen Insel Neae zwischen Lemnos und
Skyros sodann, an welchem wenig besuchten Punkte die pontische Flottille
von 32 Segeln auf den Strand gezogen lag, fand sie Lucullus, griff
zugleich die Schiffe und die auf der Insel zerstreute Bemannung an und
bemaechtigte sich des ganzen Geschwaders. Hier fanden Marcus Marius
und die tuechtigsten der roemischen Emigrierten entweder im Kampfe oder
nachher durch das Henkerbeil den Tod. Die ganze aegaeische Flotte
der Feinde war von Lucullus vernichtet. Den Krieg in Bithynien hatten
inzwischen mit dem durch Nachsendungen aus Italien verstaerkten Landheer
und einem in Asien zusammengezogenen Geschwader Cotta und die Legaten
Luculls Voconius, Gaius Valerius Triarius und Barba fortgesetzt. Barba
nahm im Binnenland Prusias am Olymp und Nikaea, Triarius an der Kueste
Apameia (sonst Myrleia) und Prusias am Meer (sonst Kios). Man vereinigte
sich dann zu einem gemeinschaftlichen Unternehmen gegen Mithradates
selbst in Nikomedeia; indes der Koenig, ohne nur den Kampf zu versuchen,
entwich auf seine Schiffe und fuhr heimwaerts, und auch dies gelang ihm
nur, weil der mit der Blockierung des Hafens von Nikomedeia beauftragte
roemische Flottenfuehrer Voconius zu spaet eintraf. Unterwegs ward zwar
das wichtige Herakleia an den Koenig verraten und von ihm besetzt; aber
ein Sturm in diesen Gewaessern versenkte ueber sechzig seiner Schiffe
und zerstreute die uebrigen; fast allein gelangte der Koenig nach
Sinope. Die Offensive Mithradats endigte mit einer vollstaendigen und
durchaus nicht, am wenigsten fuer den obersten Leiter, ruehmlichen
Niederlage der pontischen Land- und Seemacht. Lucullus ging jetzt
seinerseits zum Angriff vor. Triarius uebernahm den Befehl ueber die
Flotte mit dem Auftrag, vor allem den Hellespont zu sperren und den aus
Kreta und Spanien rueckkehrenden pontischen Schiffen aufzupassen, Cotta
die Belagerung von Herakleia; das schwierige Verpflegungsgeschaeft ward
den treuen und taetigen Galaterfuersten und dem Koenig Ariobarzanes von
Kappadokien uebertragen; Lucullus selbst rueckte im Herbst 681 (73) ein
in die gesegnete und seit langem von keinem Feinde betretene pontische
Landschaft. Mithradates, jetzt entschlossen zur strengsten Defensive,
wich, ohne eine Schlacht zu liefern, zurueck von Sinope nach Amisos, von
Amisos nach Kabeira (spaeter Neo-Caesarea, jetzt Niksar) am Lykos,
einem Nebenfluss des Iris; er begnuegte sich, den Feind immer tiefer
landeinwaerts sich nachzuziehen und ihm die Zufuhren und Verbindungen zu
erschweren. Rasch folgte Lucullus; Sinope blieb seitwaerts liegen; die
alte Grenze des roemischen Machtgebiets, der Halys, ward ueberschritten,
die ansehnlichen Staedte Amisos, Eupatoria (am Iris), Themiskyra (am
Thermodon) umstellt, bis endlich der Winter den Maerschen, aber nicht
den Einschliessungen der Staedte ein Ende machte. Die Soldaten Luculls
murrten ueber das unaufhaltsame Vordringen, das ihnen nicht gestattete,
die Fruechte ihrer Anstrengungen zu ernten, und ueber die weitlaeufigen
und in der rauben Jahreszeit beschwerlichen Blockaden. Allein es war
nicht Lucullus' Art, auf dergleichen Klagen zu hoeren; im Fruehjahr 682
(72) ging es sofort weiter gegen Kabeira unter Zuruecklassung zweier
Legionen vor Amisos unter Lucius Murena. Der Koenig hatte waehrend des
Winters neue Versuche gemacht, den Grosskoenig von Armenien zum Eintritt
in den Kampf zu bestimmen; sie blieben wie die frueheren vergeblich oder
fuehrten doch nur zu leeren Verheissungen. Noch weniger bezeigten die
Parther Lust, bei der verlorenen Sache sich zu beteiligen. Indes hatte
sich, besonders durch Werbungen im Skythenland, wieder eine ansehnliche
Armee unter Diophantos und Taxiles bei Kabeira zusammengefunden. Das
roemische Heer, das nur noch drei Legionen zaehlte und das an Reiterei
den Pontikern entschieden nachstand, sah sich genoetigt, das Blachfeld
moeglichst zu vermeiden, und gelangte nach Kabeira auf schwierigen
Nebenpfaden, nicht ohne Beschwerden und Verluste. Bei dieser Stadt
lagerten die beiden Armeen laengere Zeit einander gegenueber. Gestritten
ward hauptsaechlich um die Zufuhr, die auf beiden Seiten knapp war;
Mithradates bildete deswegen aus dem Kern seiner Reiterei und einer
Abteilung erlesener Fusssoldaten unter Diophantos und Taxiles ein
fliegendes Korps, das bestimmt war, zwischen dem Lykos und dem Halys
zu streifen und die aus Kappadokien kommenden roemischen
Lebensmitteltransporte aufzufangen. Allein der Unterbefehlshaber
Lucullus, Marcus Fabius Hadrianus, der einen solchen Zug eskortierte,
schlug nicht bloss die ihm auflauernde Schar in dem Engpass, wo sie ihn
zu ueberfallen gedachte, vollstaendig aufs Haupt, sondern auch, nachdem
er Verstaerkung aus dem Lager erhalten hatte, die Armee des Diophantos
und Taxiles selbst, so dass dieselbe voellig sich aufloeste. Es war fuer
den Koenig ein unersetzlicher Verlust, dass seine Reiterei, auf die er
allein vertraute, ihm hier zugrunde gegangen war; sowie er durch
die ersten vom Schlachtfeld nach Kabeira gelangenden Fluechtlinge -
bezeichnend genug die geschlagenen Generale selbst - die Hiobspost,
frueher noch als Lucullus die Nachricht von dem Sieg, erhalten hatte,
beschloss er sofortigen weiteren Rueckzug. Aber der gefasste Entschluss
des Koenigs verbreitete sich mit Blitzesschnelle unter seiner naechsten
Umgebung; und wie die Soldaten die Vertrauten des Koenigs eiligst
einpacken sahen, wurden auch sie von panischem Schreck ergriffen.
Niemand wollte bei dem Aufbruch der letzte sein; Vornehme und Geringe
liefen durcheinander wie gescheuchtes Wild; keine Autoritaet, nicht
einmal die des Koenigs, ward noch beachtet und der Koenig selbst
fortgerissen in dem wilden Getuemmel. Die Verwirrung gewahrend, griff
Lucullus an, und fast ohne Widerstand zu leisten liessen die pontischen
Scharen sich niedermetzeln. Haetten die Legionen Mannszucht zu halten
und ihre Beutegier zu maessigen vermocht, so waere kaum ein Mann ihnen
entronnen und der Koenig ohne Zweifel selbst gefangen worden. Mit Not
entkam Mithradates mit wenigen Begleitern durch die Berge nach Komana
(unweit Tokat und der Irisquelle), von wo ihn aber auch bald eine
roemische Schar unter Marcus Pompeius wiederaufscheuchte und ihn
verfolgte, bis er, von nicht mehr als 2000 Reitern begleitet, in Talaura
in Klein-Armenien die Grenze seines Reiches ueberschritt. In dem Reiche
des Grosskoenigs fand er eine Zufluchtsstaette, aber auch nicht mehr
(Ende 682 72). Tigranes liess seinem fluechtigen Schwiegervater zwar
koenigliche Ehre erzeigen, aber er lud ihn nicht einmal an seinen Hof,
sondern hielt ihn in der abgelegenen Grenzlandschaft, wo er sich befand,
in einer Art von anstaendiger Haft. Ganz Pontos und Klein- Armenien
ueberschwemmten die roemischen Truppen und bis nach Trapezus hinauf
unterwarf sich das platte Land ohne Widerstand dem Sieger. Auch die
Befehlshaber der koeniglichen Schatzhaeuser ergaben sich nach kuerzerem
oder laengerem Zaudern und lieferten ihre Kassenvorraete aus. Die Frauen
des koeniglichen Harems, die koeniglichen Schwestern, seine zahlreichen
Gemahlinnen und Kebse liess der Koenig, da sie zu fluechten nicht
moeglich war, durch einen seiner Verschnittenen in Pharnakeia (Kerasunt)
saemtlich toeten. Hartnaeckigen Widerstand leisteten nur die Staedte.
Zwar die wenigen im Binnenland, Kabeira, Amaseia, Eupatoria, waren bald
in der Gewalt der Roemer; aber die groesseren Seestaedte, Amisos und
Sinope in Pontos, Amastris in Paphlagonien, Tios und das pontische
Herakleia in Bithynien, wehrten sich wie Verzweifelte, teils begeistert
durch die Anhaenglichkeit an den Koenig und die von ihm geschirmte freie
hellenische Stadtverfassung, teils terrorisiert durch die Scharen der
vom Koenig herbeigerufenen Korsaren. Sinope und Herakleia liessen sogar
die Schiffe gegen die Roemer auslaufen, und das sinopische Geschwader
bemaechtigte sich einer roemischen Flottille, die von der Taurischen
Halbinsel fuer Lucullus' Heer Getreide brachte. Herakleia unterlag erst
nach zweijaehriger Belagerung, nachdem die roemische Flotte der Stadt
den Verkehr mit den griechischen Staedten auf der Taurischen Halbinsel
abgeschnitten hatte und in den Reihen der Besatzung Verraeterei
ausgebrochen war. Als Amisos aufs aeusserste gebracht war, zuendete die
Besatzung die Stadt an und bestieg unter dem Schutze der Flammen ihre
Schiffe. In Sinope, wo der kecke Piratenkapitaen Seleukos und der
koenigliche Verschnittene Bakchides die Verteidigung leiteten,
pluenderte die Besatzung die Haeuser, bevor sie abzog, und steckte
die Schiffe, die sie nicht mitnehmen konnte, in Brand; es sollen hier,
obwohl der groesste Teil der Verteidiger sich hatte einschiffen koennen,
doch noch 8000 Korsaren von Lucullus getoetet worden sein. Zwei volle
Jahre nach der Schlacht von Kabeira und darueber (682-684 72- 70)
waehrten diese Staedtebelagerungen, die Lucullus grossenteils durch
seine Unterbefehlshaber betrieb, waehrend er selbst die Verhaeltnisse
der Provinz Asia ordnete, die eine gruendliche Reform erheischten
und erhielten. Wie geschichtlich merkwuerdig auch jener hartnaeckige
Widerstand der pontischen Kaufstaedte gegen die siegreichen Roemer
ist, so kam doch zunaechst wenig dabei heraus; die Sache des Koenigs
Mithradates war darum nicht minder verloren. Der Grosskoenig hatte
offenbar fuer jetzt wenigstens durchaus nicht die Absicht, ihn in sein
Reich zurueckzufuehren. Die roemische Emigration in Asien hatte durch
die Vernichtung der aegaeischen Flotte ihre Besten eingebuesst; von den
Uebriggebliebenen hatten nicht wenige, wie zum Beispiel die taetigen
Fuehrer Lucius Magius und Lucius Fannius, ihren Frieden mit Lucullus
gemacht, und mit dem Tode des Sertorius, der in dem Jahre der Schlacht
von Kabeira umkam, schwand die letzte Hoffnung der Emigration. Die
eigene Macht Mithradats war vollstaendig zerschmettert und eine nach
der andern brachen ihre noch uebrigen Stuetzen zusammen: auch seine von
Kreta und Spanien heimkehrenden Geschwader, siebzig Segel stark, wurden
von Triarius bei der Insel Tenedos angegriffen und vernichtet; auch
der Statthalter des Bosporanischen Reiches, des Koenigs eigener Sohn
Machares, fiel von ihm ab und schloss als selbstaendiger Fuerst des
Taurischen Chersones auf eigene Hand mit den Roemern Frieden
und Freundschaft (684 70). Der Koenig selbst sass nach nicht
allzuruehmlicher Gegenwehr in einem entlegenen armenischen Bergschloss,
ein Fluechtling aus seinem Reiche und fast ein Gefangener seines
Schwiegersohns. Mochten die Korsarenscharen noch auf Kreta sich
behaupten und was aus Amisos und Sinope entkommen war, an die schwer
zugaengliche Ostkueste des Schwarzen Meeres zu den Sanigen und Lazen
sich retten: Lucullus' geschickte Kriegfuehrung und seine verstaendige
Maessigung, die es nicht verschmaehte, den gerechten Beschwerden der
Provinzialen abzuhelfen und die reumuetigen Emigranten als Offiziere
in seinem Heere anzustellen, hatte mit maessigen Opfern Kleinasien vom
Feinde befreit und das Pontische Reich vernichtet, so dass dasselbe
aus einem roemischen Klientelstaat in eine roemische Provinz verwandelt
werden konnte. Eine Kommission des Senats ward erwartet, um in
Gemeinschaft mit dem Oberfeldherrn die neue Provinzialorganisation
festzustellen. Aber noch waren die Verhaeltnisse mit Armenien nicht
geschlichtet. Dass eine Kriegserklaerung der Roemer gegen Tigranes an
sich gerechtfertigt, ja geboten war, wurde frueher gezeigt. Lucullus,
der die Verhaeltnisse aus groesserer Naehe und mit hoeherem Sinn
betrachtete als das Senatorenkollegium in Rom, erkannte deutlich
die Notwendigkeit, Armenien ueber den Tigris zurueckzuweisen und die
verlorene Herrschaft Roms ueber das Mittelmeer wiederherzustellen. Er
zeigte in der Leitung der asiatischen Angelegenheiten sich als
keinen unwuerdigen Nachfolger seines Lehrmeisters und Freundes Sulla;
Philhellene wie wenige Roemer seiner Zeit, war er nicht unempfaenglich
fuer die Verpflichtung, die Rom mit der Erbschaft Alexanders uebernommen
hatte: Schild und Schwert der Griechen im Osten zu sein. Persoenliche
Beweggruende, der Wunsch, auch jenseits des Euphrat Lorbeeren zu ernten,
die Empfindlichkeit darueber, dass der Grosskoenig in einem Schreiben
an ihn den Imperatorentitel weggelassen, koennen freilich Lucullus
mitbestimmt haben; allein es ist ungerecht, kleinliche und
egoistische Motive fuer Handlungen anzunehmen, zu deren Erklaerung die
pflichtmaessigen vollkommen ausreichen. Indes von dem aengstlichen,
laessigen, schlecht unterrichteten und vor allen Dingen von ewiger
Finanznot bedraengten roemischen Regierungskollegium liess sich
nimmermehr erwarten, dass es, ohne unmittelbar dazu genoetigt zu sein,
die Initiative zu einer so weitschichtigen und kostspieligen
Expedition ergreifen werde. Um das Jahr 682 (72) waren die legitimen
Repraesentanten der Seleukidendynastie, Antiochos, der Asiate genannt,
und dessen Bruder, veranlasst durch die guenstige Wendung des Pontischen
Krieges, nach Rom gegangen, um eine roemische Intervention in Syrien und
nebenbei die Anerkennung ihrer Erbansprueche auf Aegypten zu erwirken.
Wenn die letztere Anforderung nicht gewaehrt werden konnte, so liessen
doch der Augenblick wie die Veranlassung sich nicht guenstiger finden,
um den laengst notwendigen Krieg gegen Tigranes zu beginnen. Allein
der Senat hatte die Prinzen wohl als die rechtmaessigen Koenige Syriens
anerkannt, aber sich nicht entschliessen koennen, die bewaffnete
Intervention zu verfuegen. Sollte die gute Gelegenheit benutzt und
gegen Armenien Ernst gemacht werden, so musste Lucullus den Krieg
ohne eigentlichen Auftrag des Senats auf eigene Hand und eigene Gefahr
beginnen; auch er sah sich ebenwie Sulla in die Notwendigkeit versetzt,
was er im offenbarsten Interesse der bestehenden Regierung tat, nicht
mit ihr, sondern ihr zum Trotz ins Werk zu setzen. Erleichtert ward ihm
der Entschluss durch die seit langem unklar zwischen Krieg und
Frieden schwankenden Verhaeltnisse Roms zu Armenien, welche die
Eigenmaechtigkeit seines Verfahrens einigermassen bedeckten und es an
formellen Kriegsgruenden nicht fehlen liessen. Die kappadokischen und
syrischen Zustaende boten Anlaesse genug, und es hatten auch schon bei
der Verfolgung des pontischen Koenigs roemische Truppen das Gebiet
des Grosskoenigs verletzt. Da indes Lucullus' Auftrag auf Fuehrung des
Krieges gegen Mithradates ging und er hieran anzuknuepfen wuenschte,
so zog er es vor, einen seiner Offiziere, Appius Claudius, an den
Grosskoenig nach Antiochien zu senden, um Mithradates' Auslieferung zu
fordern, was denn freilich zum Kriege fuehren musste. Der Entschluss
war ernst, zumal bei der Beschaffenheit der roemischen Armee. Es
war unvermeidlich, waehrend des Feldzugs in Armenien das ausgedehnte
pontische Gebiet stark besetzt zu halten, da sonst dem in Armenien
stehenden Heer die Verbindung mit der Heimat verloren ging und ueberdies
ein Einfall Mithradats in sein ehemaliges Reich leicht vorherzusehen
war. Offenbar reichte die Armee, an deren Spitze Lucullus den
Mithradatischen Krieg beendigt hatte, von beilaeufig 30000 Mann fuer
diese verdoppelte Aufgabe nicht aus. Unter gewoehnlichen Verhaeltnissen
wuerde der Feldherr von seiner Regierung die Nachsendung einer zweiten
Armee erbeten und erhalten haben; allein da Lucullus den Krieg der
Regierung ueber den Kopf nehmen wollte und gewissermassen musste, sah
er sich genoetigt, hierauf zu verzichten und, ob er gleich selbst die
gefangenen thrakischen Soeldner des pontischen Koenigs seinen Truppen
einreihte, dennoch mit nicht mehr als zwei Legionen oder hoechstens
15000 Mann den Krieg ueber den Euphrat zu tragen. Schon dies war
bedenklich; indes die Geringfuegigkeit der Zahl mochte durch die
erprobte Tapferkeit der durchaus aus Veteranen bestehenden Armee
einigermassen ersetzt werden. Weit schlimmer war die Stimmung der
Soldaten, auf die Lucullus in seiner hochadligen Art viel zu wenig
Ruecksicht nahm. Lucullus war ein tuechtiger General und - nach
aristokratischem Massstab - ein rechtschaffener und wohlwollender Mann,
aber nichts weniger als beliebt bei seinen Soldaten. Er war unpopulaer
als entschiedener Anhaenger der Oligarchie, unpopulaer, weil er
in Kleinasien der greulichen Wucherei der roemischen Kapitalisten
nachdruecklich gesteuert hatte, unpopulaer wegen der Arbeiten und
Strapazen, die er dem Soldaten zumutete, unpopulaer, weil er von
seinen Soldaten strenge Mannszucht forderte und die Pluenderung der
griechischen Staedte durch seine Leute moeglichst verhinderte, daneben
aber doch fuer sich selber manchen Wagen und manches Kamel mit den
Schaetzen des Ostens beladen liess, unpopulaer wegen seiner feinen,
vornehmen, hellenisierenden, durchaus nicht kameradschaftlichen und,
wo immer moeglich, zu bequemem Wohlleben sich hinneigenden Weise. Nicht
eine Spur des Zaubers war in ihm, der zwischen dem Feldherrn und dem
Soldaten ein persoenliches Band schlingt. Hierzu kam endlich, dass ein
grosser Teil seiner tuechtigsten Soldaten alle Ursache hatte, sich ueber
die masslose Verlaengerung ihrer Dienstzeit zu beschweren. Seine beiden
besten Legionen waren ebendiejenigen, die Flaccus und Fimbria 668 (86)
nach dem Osten gefuehrt hatten; ungeachtet ihnen vor kurzem nach der
Schlacht von Kabeira der durch dreizehn Feldzuege wohlverdiente Abschied
zugesichert worden war, fuehrte sie Lucullus jetzt dennoch ueber den
Euphrat, einem neuen unabsehbaren Krieg entgegen - es schien, als wolle
man die Sieger von Kabeira schlimmer behandeln als die Geschlagenen von
Cannae. Dass mit so schwachen und so gestimmten Truppen ein Feldherr
auf eigene Faust und streng genommen verfassungswidrig eine Expedition
begann in ein fernes und unbekanntes Land voll reissender Stroeme und
schneebedeckter Berge, das schon durch seine gewaltige Ausdehnung jeden
leichtsinnig unternommenen Angriff gefaehrlich machte, war in der Tat
mehr als gewagt. Vielfach und nicht ohne Grund wurde deshalb Lucullus'
Verfahren in Rom getadelt; nur haette man dabei nicht verschweigen
sollen, dass zunaechst die Verkehrtheit der Regierung dieses verwegene
Vorgehen des Feldherrn veranlasste und dasselbe wo nicht rechtfertigte,
doch entschuldbar machte. Schon die Sendung des Appius Claudius hatte
neben der Aufgabe, den Krieg diplomatisch zu motivieren, den Zweck
gehabt, die Fuersten und Staedte zunaechst Syriens gegen den Grosskoenig
unter die Waffen zu bringen; im Fruehling 685 (69) erfolgte der
foermliche Angriff. Waehrend des Winters hatte der Koenig von
Kappadokien im stillen fuer Transportschiffe gesorgt; auf diesen ward
der Euphrat bei Melitene ueberschritten und der Marsch dann weiter ueber
die Tauruspaesse auf den Tigris gerichtet. Auch diesen ueberschritt
Lucullus in der Gegend von Amida (Diarbekr) und rueckte weiter vor
auf die Strasse zu, welche die an der suedlichen Grenze Armeniens neu
gegruendete zweite Hauptstadt Tigranokerta ^3 mit der alten Metropole
Artaxata verband. Bei jener stand der Grosskoenig, kurz zuvor aus Syrien
zurueckgekommen, nachdem er die Verfolgung seiner Eroberungsplaene am
Mittelmeer wegen der Verwicklung mit den Roemern vorlaeufig vertagt
hatte. Eben entwarf er einen Einfall in das roemische Kleinasien von
Kilikien und Lykaonien aus und ueberlegte bei sich, ob die Roemer Asien
sofort raeumen oder vorher noch, etwa bei Ephesos, sich ihm zur Schlacht
stellen wuerden, als ihm die Nachricht von dem Anmarsche Luculls
gebracht ward, welcher ihn von der Verbindung mit Artaxata abzuschneiden
drohte. Er liess den Boten aufknuepfen, aber die laestige Wirklichkeit
blieb wie sie war; so verliess er denn die neue Hauptstadt und begab
sich in das innere Armenien, um dort, was bis jetzt nicht geschehen war,
gegen die Roemer zu ruesten. Inzwischen sollte Mithrobarzanes mit den
eben zur Verfuegung stehenden Truppen in Verbindung mit den schleunigst
aufgebotenen benachbarten Beduinenstaemmen die Roemer beschaeftigen.
Allein das Korps des Mithrobarzanes ward schon von dem roemischen
Vortrab, die Araber von einem Detachement unter Sextilius zersprengt;
Lucullus gewann die von Tigranokerta nach Artaxata fuehrende Strasse,
und waehrend auf dem rechten Tigrisufer ein roemisches Detachement den
nordwaerts abziehenden Grosskoenig verfolgte, ging er selbst auf
das linke ueber und rueckte vor Tigranokerta. Der nie versiegende
Pfeilregen, mit dem die Besatzung das roemische Heer ueberschuettete,
und die Anzuendung der Belagerungsmaschinen durch Naphtha weihten hier
die Roemer ein in die neuen Gefahren der iranischen Kriege, und der
tapfere Kommandant Mankaeos behauptete die Stadt, bis endlich die grosse
koenigliche Entsatzarmee aus allen Teilen des weiten Reiches und den
angrenzenden, den armenischen Werbern offenstehenden Landschaften
versammelt und durch die nordoestlichen Paesse zum Entsatz der
Hauptstadt herangerueckt war. Der in den Kriegen Mithradats erprobte
Fuehrer Taxiles riet, die Schlacht zu vermeiden und die kleine roemische
Schar durch die Reiterei zu umstellen und auszuhungern. Allein als
der Koenig den roemischen Feldherrn, der sich entschieden hatte, die
Schlacht zu liefern, ohne darum die Belagerung aufzuheben, mit nicht
viel mehr als 10000 Mann gegen die zwanzigfache Uebermacht ausruecken
und keck das Gewaesser ueberschreiten sah, das beide Heere trennte;
als er auf der einen Seite diese kleine Schar ueberblickte, "zur
Gesandtschaft zu viel, zum Heere zu wenig", auf der andern seine
ungeheuren Heerhaufen, in denen die Voelker vom Schwarzen und vom
Kaspischen mit denen vom Mittelmeer und vom Persischen Golf sich
begegneten, deren gefuerchtete eisenbedeckte Lanzenreiter allein
zahlreicher waren als Lucullus' ganzes Heer und in denen es auch an
roemisch geruestetem Fussvolk nicht mangelte: da entschloss er sich, die
vom Feinde begehrte Schlacht ungesaeumt anzunehmen. Waehrend aber die
Armenier noch sich dazu ordneten, erkannte Lucullus' scharfes Auge,
dass sie es versaeumt hatten, eine Hoehe zu besetzen, die ihre ganze
Reiterstellung beherrschte: er eilte sie mit zwei Kohorten einzunehmen,
indem zugleich seine schwache Reiterei durch einen Flankenangriff die
Aufmerksamkeit der Feinde von dieser Bewegung ablenkte, und sowie er
oben angekommen war, fuehrte er seinen kleinen Haufen der feindlichen
Reiterei in den Ruecken. Sie ward gaenzlich zersprengt und warf sich auf
die noch nicht voellig geordnete Infanterie, die davonlief, ohne auch
nur zum Schlagen zu kommen. Das Bulletin des Siegers, dass 100000
Armenier und 5 Roemer gefallen seien und der Koenig Turban und
Stirnbinde von sich werfend unerkannt mit wenigen Reitern
davongesprengt sei, ist im Stile seines Meisters Sulla abgefasst; allein
nichtdestoweniger bleibt der am 6. Oktober 685 (69) vor Tigranokerta
erfochtene Sieg einer der glaenzendsten Sterne in der ruhmreichen
Kriegsgeschichte Roms; und er war nicht minder erfolgreich als
glaenzend. Alle suedlich vom Tigris den Parthern oder den Syrern
entrissenen Landschaften waren damit strategisch den Armeniern verloren
und gingen groesstenteils ohne weiteres ueber in den Besitz des Siegers.
Die neu erbaute zweite Hauptstadt selber machte den Anfang. Die in ihr
sehr zahlreichen griechischen Zwangsansiedler empoerten sich gegen die
Besatzung und oeffneten dem roemischen Heere die Pforten der Stadt, die
den Soldaten zur Pluenderung preisgegeben ward. Sie war geschaffen fuer
das neue Grossreich und ward wie dieses von dem Sieger vertilgt. Aus
Kilikien und Syrien hatte der armenische Satrap Magadates bereits
alle Truppen herausgezogen, um die Entsatzarmee vor Tigranokerta zu
verstaerken. Lucullus rueckte in die noerdlichste Landschaft Syriens
Kommagene ein und erstuermte die Hauptstadt Samosata; bis in das
eigentliche Syrien kam er nicht, doch langten von den Dynasten und
Gemeinden bis zum Roten Meere hinab, von Hellenen, Syrern, Juden,
Arabern, Gesandte an, um den Roemern als den neuen Oberherren zu
huldigen. Selbst der Fuerst von Corduene, der oestlich von Tigranokerta
gelegenen Landschaft, unterwarf sich; wogegen freilich in Nisibis und
damit in Mesopotamien der Bruder des Grosskoenigs Guras sich behauptete.
Durchaus trat Lucullus auf als Schirmherr der hellenischen Fuersten und
Buergerschaften; in Kommagene setzte er einen Prinzen des seleukidischen
Hauses, Antiochos, auf den Thron; Antiochos den Asiaten, der nach dem
Abzug der Armenier nach Antiocheia zurueckgekehrt war, erkannte er
an als Koenig von Syrien; die gezwungenen Ansiedler von Tigranokerta
entliess er wieder in ihre Heimatorte. Die unermesslichen Vorraete und
Schaetze des Grosskoenigs - an Getreide wurden 30 Millionen Medimnen,
an Geld allein in Tigranokerta 8000 Talente (12« Mill. Taler) erbeutet -
machten es Lucullus moeglich, die Kosten des Krieges zu bestreiten, ohne
die Staatskasse in Anspruch zu nehmen, und jedem seiner Soldaten ausser
reichlichster Verpflegung noch eine Verehrung von 800 Denaren (240
Taler) zu machen. -------------------------------------------------
^3 Dass Tigranokerta in der Gegend von Mardin etwa zwei Tagemaersche
westlich von Nisibis gelegen hat, hat die von K. E. Sachau (Ueber die
Lage von Tigranokerta, Abh. der Berliner Akademie, 1880) an Ort und
Stelle angestellte Untersuchung erwiesen, wenn auch die von Sachau
vorgeschlagene genauere Fixierung der Oertlichkeit nicht ausser Zweifel
ist. Dagegen steht seiner Auseinandersetzung ueber den Feldzug Luculls
das Bedenken entgegen, dass auf der dabei angenommenen Route von
einer Ueberschreitung des Tigris in der Tat nicht die Rede sein kann.
---------------------------------------------- Der Grosskoenig war tief
gedemuetigt. Er war ein schwaechlicher Charakter, uebermuetig im Glueck,
im Unglueck verzagt; wahrscheinlich wuerde zwischen ihm und Lucullus ein
Abkommen zustande gekommen sein, das der Grosskoenig mit ansehnlichen
Opfern zu erkaufen, der roemische Feldherr unter leidlichen Bedingungen
zu gewaehren beide alle Ursache hatten, wenn der alte Mithradates
nicht gewesen waere. Dieser hatte nicht teilgenommen an den Kaempfen
um Tigranokerta. Durch die zwischen dem Grosskoenig und den Roemern
eingetretene Spannung nach zwanzigmonatlicher Haft um die Mitte des
Jahres 684 (70) befreit, war er mit 10000 armenischen Reitern in sein
ehemaliges Reich abgesandt worden, um die Kommunikationen des Feindes zu
bedrohen. Zurueckgerufen, noch ehe er hier etwas ausrichten konnte,
als der Grosskoenig seine gesamte Macht aufbot, um die von ihm erbaute
Hauptstadt zu entsetzen, kamen bei seinem Eintreffen vor Tigranokerta
ihm schon die vom Schlachtfeld fluechtenden Haufen entgegen. Vom
Grosskoenig bis zum gemeinen Soldaten schien allen alles verloren. Wenn
aber Tigranes jetzt Frieden machte, so schwand fuer Mithradates nicht
bloss die letzte Moeglichkeit der Wiedereinsetzung in sein Reich,
sondern seine Auslieferung war ohne Zweifel die erste Bedingung des
Friedens; und sicher wuerde Tigranes gegen ihn nicht anders gehandelt
haben als Bocchus einst gegen Jugurtha. Seine ganze Persoenlichkeit
setzte darum der Koenig ein, um diese Wendung zu verhindern und den
armenischen Hof zur Fortfuehrung des Krieges zu bestimmen, bei der
er nichts zu verlieren und alles zu gewinnen hatte; und fluechtig und
entthront wie Mithradates war, war sein Einfluss an diesem Hofe nicht
gering. Noch war er ein stattlicher und gewaltiger Mann, der, obwohl
schon ueber sechzig Jahre alt, sich in voller Ruestung auf das Pferd
schwang und im Handgemenge gleich dem Besten seinen Mann stand. Seinen
Geist schienen die Jahre und die Schicksale gestaehlt zu haben: waehrend
er in frueheren Zeiten seine Heerfuehrer aussandte und selbst an dem
Kriege nicht unmittelbar teilnahm, finden wir fortan als Greis ihn in
der Schlacht selber befehligen und selber fechten. Ihm, der waehrend
seines fuenfzigjaehrigen Regiments so viele unerhoerte Glueckswechsel
erlebt hatte, schien die Sache des Grosskoenigs durch die Niederlage von
Tigranokerta noch keineswegs verloren, vielmehr Lucullus' Stellung sehr
schwierig und, wenn es jetzt nicht zum Frieden kam und der Krieg in
zweckmaessiger Weise fortgefuehrt ward, sogar in hohem Masse bedenklich.
Der vielerfahrene Greis, der fast wie ein Vater dem Grosskoenig
gegenueberstand und jetzt persoenlich auf denselben zu wirken vermochte,
bezwang den schwachen Mann durch seine Energie und bestimmte ihn, nicht
nur sich fuer die Fortsetzung des Krieges zu entscheiden, sondern
auch ihn selber mit dessen politischer und militaerischer Leitung zu
betrauen. Aus einem Kabinettskrieg sollte der Koenig jetzt ein national
asiatischer werden, die Koenige und die Voelker Asiens sich vereinigen
gegen die uebermaechtigen und uebermuetigen Okzidentalen. Es wurden
die groessten Anstrengungen gemacht, die Armenier und die Parther
miteinander zu versoehnen und sie zum gemeinschaftlichen Kampfe gegen
Rom zu bestimmen. Auf Mithradates' Betrieb erbot sich Tigranes, dem
Arsakiden Phraates, dem Gott (regierte seit 684 70), die von den
Armeniern eroberten Landschaften Mesopotamien, Adiabene, die "grossen
Taeler", zurueckzugeben und mit ihm Freundschaft und Buendnis zu machen.
Allein nach allem, was vorhergegangen war, konnte dieses Anerbieten
kaum auf eine guenstige Aufnahme rechnen; Phraates zog es vor, die
Euphratgrenze durch einen Vertrag nicht mit den Armeniern, sondern
mit den Roemern sich zu sichern und zuzusehen, wie sich der verhasste
Nachbar und der unbequeme Fremdling untereinander aufrieben. Mit
groesserem Erfolg als an die Koenige wandte Mithradates sich an die
Voelker des Ostens. Es hielt nicht schwer, den Krieg darzustellen als
einen nationalen des Orients gegen den Okzident, denn er war es; gar
wohl konnte er auch zum Religionskrieg gemacht und die Rede verbreitet
werden, dass das Ziel des Lucullischen Heeres der Tempel der persischen
Nanaea oder Anaitis in Elymais oder dem heutigen Luristan sei, das
gefeiertste und das reichste Heiligtum der ganzen Euphratlandschaft
^4. Scharenweise draengten sich von nah und fern die Asiaten unter die
Banner der Koenige, welche sie aufriefen, den Osten und seine Goetter
vor den gottlosen Fremdlingen zu schirmen. Allein die Tatsachen hatten
gezeigt, dass das blosse Zusammentreiben ungeheurer Heerhaufen nicht
allein fruchtlos war, sondern durch die Einfuegung in dieselben selbst
die wirklich marschier- und schlagfaehigen Scharen unbrauchbar gemacht
und in das allgemeine Verderben mitverwickelt wurden. Mithradates
suchte vor allem die Waffe auszubilden, die zugleich die schwaechste der
Okzidentalen und die staerkste der Asiaten war, die Reiterei: in der von
ihm neugebildeten Armee war die Haelfte der Mannschaft beritten. Fuer
den Dienst zu Fuss las er aus der Masse der aufgebotenen oder freiwillig
sich meldenden Rekruten die dienstfaehigen Leute sorgfaeltig aus und
liess diese durch seine pontischen Offiziere dressieren. Das ansehnliche
Heer, das bald wieder unter den Fahnen des Grosskoenigs zusammenstand,
war aber nicht bestimmt, auf der ersten Walstatt mit den roemischen
Veteranen sich zu messen, sondern sich auf die Verteidigung und auf den
kleinen Krieg zu beschraenken. Schon den letzten Krieg in seinem Reiche
hatte Mithradates stetig zurueckweichend und die Schlacht vermeidend
gefuehrt; auch diesmal wurde eine aehnliche Taktik angenommen und zum
Kriegsschauplatz das eigentliche Armenien bestimmt, das vom Feinde
noch vollkommen unberuehrte Erbland des Tigranes, durch seine physische
Beschaffenheit ebenso wie durch den Patriotismus seiner
Bewohner vortrefflich fuer diese Kriegsweise geeignet.
--------------------------------------------- ^4 Cicero (imp. Cn. Pomp.
9, 23) meint schwerlich einen anderen als einen der reichen Tempel
der Landschaft Elymais, wohin die Raubzuege der syrischen wie der
parthischen Koenige regelmaessig sich richteten (Strab. 16, 744;
Polyb. 31, 11; 1. Makk. 6 u. a. m.), und wahrscheinlich diesen als
den bekanntesten; auf keinen Fall darf an den Tempel von Komana oder
ueberhaupt irgendein Heiligtum im Pontischen Reiche gedacht werden.
--------------------------------------------- Das Jahr 686 (68)
fand Lucullus in einer schwierigen und taeglich bedenklicher sich
gestaltenden Lage. Trotz seiner glaenzenden Siege war man in
Rom durchaus nicht mit ihm zufrieden. Der Senat empfand die
Eigenmaechtigkeit seines Verfahrens; die von ihm empfindlich verletzte
Kapitalistenpartei setzte alle Mittel der Intrige und Bestechung in
Bewegung, um seine Abberufung durchzusetzen. Taeglich erscholl der
Markt der Hauptstadt von gerechten und ungerechten Beschwerden ueber
den tollkuehnen, den habsuechtigen, den unroemischen, den
hochverraeterischen Feldherrn. Den Klagen ueber die Vereinigung einer
so grenzenlosen Macht, zweier ordentlicher Statthalterschaften und eines
wichtigen ausserordentlichen Kommandos, in der Hand eines solchen Mannes
gab auch der Senat insoweit nach, dass er die Provinz Asia einem der
Praetoren, die Provinz Kilikien nebst drei neu ausgehobenen Legionen dem
Konsul Quintus Marcius Rex bestimmte, und den Feldherrn auf das Kommando
gegen Mithradates und Tigranes beschraenkte. Diese in Rom gegen den
Feldherrn sich erhebenden Anklagen fanden einen gefaehrlichen Widerhall
in den Quartieren am Iris und am Tigris: um so mehr, als einzelne
Offiziere, darunter der eigene Schwager des Feldherrn, Publius Clodius,
in diesem Sinne die Soldaten bearbeiteten. Das ohne Zweifel von
diesen in Umlauf gesetzte Geruecht, dass Lucullus jetzt mit dem
Pontisch-Armenischen Krieg noch eine Expedition gegen die Parther zu
verbinden gedenke, naehrte die Erbitterung der Truppen. Waehrend
aber also die schwierige Stimmung der Regierung wie der Soldaten den
siegreichen Feldherrn mit Abberufung und Meuterei bedrohte, fuhr er
selber fort, dem verzweifelten Spieler gleich, seinen Einsatz und
sein Wagen zu steigern. Zwar gegen die Parther zog er nicht; aber als
Tigranes sich weder bereit zeigte, Frieden zu machen, noch, wie Lucullus
es wuenschte, eine zweite Hauptschlacht zu bestehen, entschloss sich
Lucullus von Tigranokerta durch die schwierige Berglandschaft am
oestlichen Ufer des Wansees in das Tal des oestlichen Euphrat (oder
des Arsanias, jetzt Murad Tschai) und aus diesem in das des Araxes
vorzudringen, wo, am noerdlichen Abhang des Ararat, die Hauptstadt des
eigentlichen Armeniens Artaxata mit dem Erbschloss und dem Harem
des Koenigs lag. Er hoffte den Koenig durch die Bedrohung seiner
angestammten Residenz entweder unterwegs oder mindestens doch vor
Artaxata zum Schlagen zu zwingen. Unumgaenglich notwendig war es
freilich, bei Tigranokerta eine Abteilung zurueckzulassen; und da das
Marschheer unmoeglich noch weiter vermindert werden konnte, so blieb
nichts uebrig als die Stellung im Pontos zu schwaechen und von dort
Truppen nach Tigranokerta zu berufen. Die Hauptschwierigkeit aber
war die fuer militaerische Unternehmungen so unbequeme Kuerze des
armenischen Sommers. Auf der armenischen Hochebene, die 5000 Fuss und
mehr ueber der Meeresflaeche liegt, sprosst bei Erzerum das Korn erst
Anfang Juni, und mit der Ernte im September stellt auch schon der Winter
sich ein; in hoechstens vier Monaten musste Artaxata erreicht und
die Kampagne beendigt sein. Im Mittsommer 686 (68) brach Lucullus von
Tigranokerta auf und gelangte, ohne Zweifel durch den Bitlispass und
weiter westlich am Wansee hinauf marschierend, auf das Plateau von Musch
und an den Euphrat. Der Marsch ging, unter bestaendigen sehr laestigen
Scharmuetzeln mit der feindlichen Reiterei, namentlich den berittenen
Bogenschuetzen, langsam, aber ohne wesentliches Hindernis vonstatten,
und auch der Euphratuebergang, den die armenische Reiterei ernstlich
verteidigte, ward durch ein glueckliches Treffen erzwungen; die
armenische Infanterie zeigte sich, aber es glueckte nicht, sie in
das Gefecht zu verwickeln. So gelangte die Armee auf die eigentliche
Hochebene Armeniens und marschierte weiter hinein in das unbekannte
Land. Man hatte keinen eigentlichen Unfall erlitten; aber die blosse
unabwendbare Verzoegerung des Marsches durch die Terrainschwierigkeiten
und die feindlichen Reiter war an sich schon ein sehr empfindlicher
Nachteil. Lange bevor man Artaxata erreicht hatte, brach der Winter
herein; und wie die italischen Soldaten Schnee und Eis um sich sahen,
riss der allzu straff gespannte Bogen der militaerischen Zucht. Eine
foermliche Meuterei noetigte den Feldherrn, den Rueckzug anzuordnen, den
er mit seiner gewoehnlichen Geschicklichkeit bewerkstelligte.
Gluecklich angekommen in Mesopotamien, wo die Jahreszeit noch weitere
Unternehmungen gestattete, ueberschritt Lucullus den Tigris und warf
sich mit der Masse seines Heeres auf die letzte hier den Armeniern
gebliebene Stadt Nisibis. Der Grosskoenig, gewitzigt durch die vor
Tigranokerta gemachte Erfahrung, ueberliess die Stadt sich selbst; trotz
ihrer tapferen Verteidigung ward sie in einer finsteren Regennacht von
den Belagerern erstuermt und Lucullus' Heer fand daselbst nicht minder
reiche Beute und nicht minder bequeme Winterquartiere wie das Jahr
vorher in Tigranokerta. Allein inzwischen fiel die ganze Gewalt der
feindlichen Offensive auf die schwachen, im Pontos und in Armenien
zurueckgebliebenen roemischen Korps. Hier zwang Tigranes den roemischen
Befehlshaber Lucius Fannius - denselben, der frueher zwischen Sertorius
und Mithradates den Vermittler gemacht hatte -, sich in eine Festung zu
werfen und hielt ihn darin belagert. Dort rueckte Mithradates ein mit
4000 armenischen und 4000 eigenen Reitern und rief als Befreier und
Raecher die Nation auf gegen den Landesfeind. Alles fiel ihm zu; die
zerstreuten roemischen Soldaten wurden ueberall aufgehoben und getoetet;
als der roemische Kommandant im Pontos, Hadrianus, seine Truppen
gegen ihn fuehrte, machten die ehemaligen Soeldner des Koenigs und die
zahlreichen, als Sklaven dem Heere folgenden Pontiker gemeinschaftliche
Sache mit dem Feind. Zwei Tage nacheinander waehrte der ungleiche
Kampf; nur dass der Koenig nach zwei empfangenen Wunden vom Schlachtfeld
weggetragen werden musste, gab dem roemischen Befehlshaber die
Moeglichkeit, die so gut wie verlorene Schlacht abzubrechen und mit dem
kleinen Rest seiner Leute sich nach Kabeira zu werfen. Ein anderer von
Lucullus' Unterbefehlshabern, der zufaellig in diese Gegend kam, der
entschlossene Triarius, sammelte zwar wieder einen Heerhaufen um sich
und lieferte dem Koenig ein glueckliches Gefecht; allein er war viel zu
schwach, um ihn wieder vom pontischen Boden zu vertreiben und musste es
geschehen lassen, dass der Koenig Winterquartiere in Komana nahm. So kam
das Fruehjahr 687 (67) heran. Die Vereinigung der Armee in Nisibis, die
Musse der Winterquartiere, die haeufige Abwesenheit des Feldherrn
hatten die Unbotmaessigkeit der Truppen inzwischen noch gesteigert; sie
verlangten nicht bloss ungestuem, zurueckgefuehrt zu werden, sondern
es war bereits ziemlich offenbar, dass sie, wenn der Feldherr sich
weigerte, sie heimzufuehren, von selbst aufbrechen wuerden. Die Vorraete
waren knapp; Fannius und Triarius sandten in ihrer bedraengten Lage die
instaendigsten Bitten um Hilfeleistung an den Oberfeldherrn. Schweren
Herzens entschloss sich Lucullus, der Notwendigkeit zu weichen, Nisibis
und Tigranokerta aufzugeben und, auf all die glaenzenden Hoffnungen
seiner armenischen Expedition verzichtend, zurueckzukehren auf das
rechte Ufer des Euphrat. Fannius wurde befreit; im Pontos aber war
es schon zu spaet. Triarius, nicht stark genug, um mit Mithradates zu
schlagen, hatte bei Gaziura (Turksal am Iris, westlich von Tokat) eine
feste Stellung genommen, waehrend das Gepaeck bei Dadasa zurueckblieb.
Als indes Mithradates den letzteren Ort belagerte, zwangen die
roemischen Soldaten, um ihre Habseligkeiten besorgt, den Fuehrer, seine
gesicherte Stellung zu verlassen und zwischen Gaziura und Ziela (Zilleh)
auf den Skotischen Anhoehen dem Koenig eine Schlacht zu liefern. Was
Triarius vorhergesehen hatte trat ein: trotz der tapfersten Gegenwehr
durchbrach der Fluegel, den der Koenig persoenlich fuehrte, die
roemische Linie und draengte das Fussvolk in eine lehmige Schlucht
zusammen, in der es weder vor noch seitwaerts ruecken konnte und
erbarmungslos niedergehauen ward. Zwar ward durch einen roemischen
Centurio, der dafuer sein Leben opferte, der Koenig auf den Tod
verwundet; aber die Niederlage war darum nicht minder vollstaendig. Das
roemische Lager ward genommen; der Kern des Fussvolks, fast alle Ober-
und Unteroffiziere bedeckten den Boden; die Leichen blieben unbegraben
auf dem Schlachtfeld liegen, und als Lucullus auf dem rechten
Euphratufer ankam, erfuhr er nicht von den Seinigen, sondern durch
die Berichte der Eingeborenen die Niederlage. Hand in Hand mit dieser
Niederlage ging der Ausbruch der Militaerverschwoerung. Ebenjetzt traf
aus Rom die Nachricht ein, dass das Volk beschlossen habe, den
Soldaten, deren gesetzmaessige Dienstzeit abgelaufen sei, das heisst
den Fimbrianern, den Abschied zu bewilligen und einem der Konsuln des
laufenden Jahres den Oberbefehl in Bithynien und Pontus zu uebertragen;
schon war der Nachfolger Luculls, der Konsul Manius Acilius Glabrio, in
Kleinasien gelandet. Die Verabschiedung der tapfersten und unruhigsten
Legionen und die Abberufung des Oberfeldherrn in Verbindung mit dem
Eindruck der Niederlage von Ziela loesten in dem Heer alle Bande der
Autoritaet auf, eben da der Feldherr ihrer am notwendigsten bedurfte.
Bei Talaura in Klein-Armenien stand er den pontischen Truppen
gegenueber, an deren Spitze Tigranes' Schwiegersohn, Mithradates von
Medien, den Roemern bereits ein glueckliches Reitergefecht geliefert
hatte; ebendahin war von Armenien her die Hauptmacht des Grosskoenigs in
Anmarsch. Lucullus sandte an den neuen Statthalter von Kilikien, Quintus
Marcius, der auf dem Marsch nach seiner Provinz soeben mit drei Legionen
in Lykaonien angelangt war, um von ihm Hilfe zu erhalten; derselbe
erklaerte, dass seine Soldaten sich weigerten, nach Armenien zu
marschieren. Er sandte an Glabrio mit dem Ersuchen, den ihm vom Volke
uebertragenen Oberbefehl zu uebernehmen; derselbe bezeigte noch weniger
Lust, dieser jetzt so schwierig und gefaehrlich gewordenen Aufgabe sich
zu unterziehen. Lucullus, genoetigt den Oberbefehl zu behalten, befahl,
um nicht bei Talaura zugleich gegen die Armenier und die Pontiker
schlagen zu muessen, den Aufbruch gegen das anrueckende armenische Heer.
Die Soldaten kamen dem Marschbefehl nach; allein da angelangt, wo die
Strassen nach Armenien und nach Kappadokien sich schieden, schlug die
Masse des Heeres die letztere ein und begab sich in die Provinz Asia.
Hier begehrten die Fimbrianer ihren augenblicklichen Abschied; und
obwohl sie auf die instaendige Bitte des Oberfeldherrn und der uebrigen
Korps hiervon wieder abliessen, beharrten sie doch dabei, wenn der
Winter herankaeme, ohne dass ihnen ein Feind gegenueberstaende, sich
aufloesen zu wollen; was denn auch geschah. Mithradates besetzte nicht
bloss abermals fast sein ganzes Koenigreich, sondern seine Reiter
streiften durch ganz Kappadokien und bis nach Bithymen; gleich
vergeblich bat Koenig Ariobarzanes bei Quintus Marcius, bei Lucullus und
bei Glabrio um Hilfe. Es war ein seltsamer, fast unglaublicher Ausgang
des in so glorreicher Weise gefuehrten Krieges. Wenn man bloss auf die
militaerischen Leistungen sieht, so hat kaum ein anderer roemischer
General mit so geringen Mitteln so viel ausgerichtet wie Lucullus; das
Talent und das Glueck Sullas schienen auf diesen seinen Schueler
sich vererbt zu haben. Dass unter den obwaltenden Verhaeltnissen das
roemische Heer aus Armenien unversehrt nach Kleinasien zurueckkam, ist
ein militaerisches Wunderwerk, das, soweit wir urteilen koennen, den
Xenophontischen Rueckzug weit uebertrifft und wohl zunaechst aus der
Soliditaet des roemischen und der Untuechtigkeit des orientalischen
Kriegswesens sich erklaert, aber doch unter allen Umstaenden dem
Leiter dieses Zuges einen ehrenvollen Platz unter den militaerischen
Kapazitaeten ersten Ranges sichert. Wenn Lucullus' Name gewoehnlich
nicht unter diesen genannt wird, so liegt die Ursache allem Anschein
nach nur darin, dass teils kein militaerisch auch nur leidlicher Bericht
ueber seine Feldzuege auf uns gekommen ist, teils ueberall, und vor
allem im Kriege, zunaechst nichts gilt als das schliessliche Resultat,
und dies freilich kam einer vollstaendigen Niederlage gleich. Durch
die letzte unglueckliche Wendung der Dinge, hauptsaechlich durch die
Meuterei der Soldaten, waren alle Erfolge eines achtjaehrigen Krieges
wieder verloren worden; man stand im Winter 687/88 (67/66) genau wieder
an demselben Fleck wie im Winter 679/80 (75/74). Nicht bessere Resultate
als der Kontinentalkrieg lieferte der Seekrieg gegen die Piraten, der
mit demselben zugleich begann und bestaendig mit ihm in der engsten
Verbindung stand. Es ward bereits erzaehlt, dass der Senat im Jahre 680
(74) den verstaendigen Beschluss fasste, die Saeuberung der Meere von
den Korsaren einem einzigen hoechstkommandierenden Admiral, dem Praetor
Marcus Antonius, zu uebertragen. Allein gleich von vornherein hatte
man sich in der Wahl des Fuehrers durchaus vergriffen, oder vielmehr
diejenigen, welche diese an sich zweckmaessige Massregel durchgesetzt
haetten, hatten nicht berechnet, dass im Senat alle Personenfragen durch
Cethegus' Einfluss und aehnliche Koterieruecksichten entschieden wurden.
Man hatte ferner versaeumt, den gewaehlten Admiral in einer seiner
umfassenden Aufgabe angemessenen Weise mit Geld und Schiffen
auszustatten, so dass er durch seine ungeheuren Requisitionen den
befreundeten Provinzialen fast ebenso laestig fiel wie die Korsaren. Die
Erfolge waren entsprechend. In den kampanischen Gewaessern brachte die
Flotte des Antonius eine Anzahl Piratenschiffe auf. Mit den Kretensern
aber, die mit den Piraten Freundschaft und Buendnis gemacht hatten
und seine Forderung, von dieser Gemeinschaft abzulassen, schroff
zurueckwiesen, kam es zum Gefecht; und die Ketten, die Antonius
vorsorglich auf seinen Schiffen in Vorrat gelegt hatte, um die
gefangenen Flibustier damit zu fesseln, dienten dazu, den Quaestor
und die uebrigen roemischen Gefangenen an die Masten der eroberten
roemischen Schiffe zu schliessen, als die kretischen Feldherren
Lasthenes und Panares aus dem bei ihrer Insel den Roemern gelieferten
Seetreffen triumphierend nach Kydonia zuruecksteuerten. Antonius,
nachdem er mit seiner leichtsinnigen Kriegfuehrung ungeheure Summen
vergeudet und nicht das geringste ausgerichtet hatte, starb im Jahre 683
(71) auf Kreta. Teils der schlechte Erfolg seiner Expedition, teils die
Kostbarkeit des Flottenbaus, teils der Widerwille der Oligarchie
gegen jede umfassendere Beamtenkompetenz bewirkten, dass man nach der
faktischen Beendigung dieser Unternehmung durch Antonius' Tod keinen
Oberadmiral wieder ernannte und auf die alte Weise zurueckkam, jeden
Statthalter in seiner Provinz fuer die Unterdrueckung der Piraterie
sorgen zu lassen; wie denn zum Beispiel die von Lucullus hergestellte
Flotte hierfuer im Aegaeischen Meer taetig war. Nur was die Kreter
anbetrifft, schien eine Schmach wie die vor Kydonia erlittene doch
selbst diesem gesunkenen Geschlecht allein durch die Kriegserklaerung
beantwortet werden zu koennen. Dennoch haetten die kretischen Gesandten,
die im Jahre 684 (70) in Rom mit der Bitte erschienen, die Gefangenen
zuruecknehmen und das alte Buendnis wieder herstellen zu wollen, fast
einen guenstigen Senatsbeschluss erlangt; was die ganze Korporation eine
Schande nannte, das verkaufte bereitwillig fuer klingenden Preis der
einzelne Senator. Erst nachdem ein foermlicher Senatsbeschluss die
Anlehen der kretischen Gesandten bei den roemischen Bankiers klaglos
gestellt, das heisst nachdem der Senat sich selber in die Unmoeglichkeit
versetzt hatte, sich bestechen zu lassen, kam das Dekret zustande,
dass die kretischen Gemeinden ausser den roemischen Ueberlaeufern, die
Urheber des vor Kydonia veruebten Frevels, die Fuehrer Lasthenes und
Panares, den Roemern zu geeigneter Bestrafung zu uebergeben, ferner
saemtliche Schiffe und Boote von vier oder mehr Rudern auszuliefern, 400
Geiseln zu stellen und eine Busse von 4000 Talenten (6250000 Taler) zu
zahlen haetten, wofern sie den Krieg zu vermeiden wuenschten. Als die
Gesandten sich zur Eingebung solcher Bedingungen nicht bevollmaechtigt
erklaerten, wurde einer der Konsuln des naechsten Jahres bestimmt, nach
Ablauf seines Amtsjahres nach Kreta abzugehen, um dort entweder das
Geforderte in Empfang zu nehmen oder den Krieg zu beginnen. Demgemaess
erschien im Jahre 685 (69) der Prokonsul Quintus Metellus in den
kretischen Gewaessern. Die Gemeinden der Insel, voran die groesseren
Staedte Gortyna, Knossos, Kydonia, waren entschlossen, lieber mit den
Waffen sich zu verteidigen, als jenen uebermaessigen Forderungen sich zu
fuegen. Die Kretenser waren ein ruchloses und entartetes Volk, mit deren
oeffentlicher und privater Existenz der Seeraub so innig verwachsen war
wie der Landraub mit dem Gemeinwesen der Aetoler; allein sie glichen den
Aetolern wie ueberhaupt in vielen Stuecken so auch in der Tapferkeit,
und es sind denn auch diese beiden griechischen Gemeinden die einzigen,
die den Kampf um die Unabhaengigkeit mutig und ehrenhaft gefuehrt haben.
Bei Kydonia, wo Metellus seine drei Legionen ans Land setzte, stand eine
kretische Armee von 24000 Mann unter Lasthenes und Panares bereit, ihn
zu empfangen; es kam zu einer Schlacht im offenen Felde, in der der Sieg
nach hartem Kampf den Roemern blieb. Allein die Staedte trotzten dem
roemischen Feldherrn nichtsdestoweniger hinter ihren Mauern; Metellus
musste sich entschliessen, eine nach der andern zu belagern. Zuerst ward
Kydonia, wohin die Truemmer der geschlagenen Armee sich geworfen hatten,
nach langer Belagerung von Panares gegen das Versprechen freien Abzuges
fuer sich selber uebergeben. Lasthenes, der aus der Stadt entwichen war,
musste zum zweiten Male in Knossos belagert werden, und da auch diese
Festung im Begriff war zu fallen, vernichtete er seine Schaetze und
entschluepfte abermals nach Orten, welche, wie Lyktos, Eleutherna und
andere, die Verteidigung noch fortsetzten. Zwei Jahre (686, 687 68, 67)
vergingen, bevor Metellus der ganzen Insel Herr und damit der letzte
Fleck freier griechischer Erde in die Gewalt der uebermaechtigen
Roemer gekommen war; die kretischen Gemeinden, wie sie zuerst von allen
griechischen die freie Stadtverfassung und die Seeherrschaft bei sich
entwickelt hatten, sollten auch die letzten von allen jenen, einst das
Mittelmeer erfuellenden griechischen Seestaaten sein, die der roemischen
Kontinentalmacht erlagen. Alle Rechtsbedingungen waren erfuellt,
um wiederum einen der ueblichen pomphaften Triumphe zu feiern; das
Geschlecht der Meteller konnte seinen makedonischen, numidischen,
dalmatischen, baliarischen Titeln mit gleichem Recht den neuen
kretischen beifuegen, und Rom besass einen stolzen Namen mehr.
Nichtsdestoweniger stand die Macht der Roemer auf dem Mittelmeer nie
tiefer, die der Korsaren nie hoeher als in diesen Jahren. Wohl mochten
die Kiliker und Kreter der Meere, die in dieser Zeit bis 1000 Schiffe
gezaehlt haben sollen, des Isaurikers wie des Kretikers und ihrer
nichtigen Siege spotten. Wie nachdruecklich die Seeraeuber in den
Mithradatischen Krieg eingriffen und wie die hartnaeckige Gegenwehr der
pontischen Seestaedte ihre besten Kraefte aus dem Korsarenstaat zog,
ward bereits erzaehlt. Aber derselbe machte auch auf eigene Hand kaum
minder grossartige Geschaefte. Fast unter den Augen der Flotte Luculls
ueberfiel im Jahre 685 (69) der Pirat Athenodoros die Insel Delos,
zerstoerte deren vielgefeierte Heiligtuemer und Tempel und fuehrte die
ganze Bevoelkerung fort in die Sklaverei. Die Insel Lipara bei Sizilien
zahlte den Piraten jaehrlich einen festen Tribut, um von aehnlichen
Ueberfaellen verschont zu bleiben. Ein anderer Piratenchef, Herakleon,
zerstoerte im Jahre 682 (72) das in Sizilien gegen ihn ausgeruestete
Geschwader und wagte es, mit nicht mehr als vier offenen Booten in den
Hafen von Syrakus einzufahren. Zwei Jahre spaeter stieg sein Kollege
Pyrganion in demselben Hafen sogar an das Land, setzte daselbst sich
fest und schickte von dort aus Streifpartien in die Insel, bis ihn der
roemische Statthalter endlich zwang, sich wiedereinzuschiffen. Das
war man am Ende nachgerade gewohnt, dass alle Provinzen Geschwader
ausruesteten und Strandwachen aufstellten oder doch fuer beides
steuerten, und dennoch die Korsaren so regelmaessig erschienen, um die
Provinzen auszupluendern wie die roemischen Statthalter. Aber selbst den
geweihten Boden Italiens respektierten jetzt die unverschaemten Frevler
nicht mehr: von Kroton fuehrten sie den Tempelschatz der Lakinischen
Hera mit sich fort; sie landeten in Brundisium, Misenum, Caieta, in den
etruskischen Haefen, ja in Ostia selbst; sie brachten die vornehmsten
roemischen Offiziere als Gefangene auf, unter andern den Flottenfuehrer
der kilikischen Armee und zwei Praetoren mit ihrem ganzen Gefolge, mit
den gefuerchteten Beilen und Ruten selbst und allen Abzeichen ihrer
Wuerde; sie entfuehrten aus einer Villa bei Misenum die eigene Schwester
des zur Vernichtung der Piraten ausgesandten roemischen Oberadmirals
Antonius; sie vernichteten im Hafen von Ostia die gegen sie
ausgeruestete und von einem Konsul befehligte roemische Kriegsflotte.
Der latinische Bauersmann, der Reisende auf der Appischen Strasse, der
vornehme Badegast in dem irdischen Paradiese von Baiae waren ihrer Habe
und ihres Lebens fuerder keinen Augenblick sicher; aller Handel und
aller Verkehr stockte; die entsetzlichste Teuerung herrschte in Italien
und namentlich in der von ueberseeischem Korn lebenden Hauptstadt.
Die Mitwelt wie die Geschichte sind freigebig mit Klagen ueber
unertraeglichen Notstand; hier duerfte die Bezeichnung passen. Es ist
bisher geschildert worden, wie der von Sulla restaurierte Senat die
Grenzbewachung in Makedonien, die Disziplin ueber die Klientelkoenige
Kleinasiens, wie er endlich die Seepolizei geuebt hat; die Resultate
waren nirgends erfreulich. Nicht bessere Erfolge erzielte die Regierung
in einer anderen, vielleicht noch dringenderen Angelegenheit, der
Ueberwachung des provinzialen und vor allem des italischen Proletariats.
Der Krebsschaden des Sklavenproletariats zehrte an dem Marke aller
Staaten des Altertums und um so mehr, je maechtiger sie emporgeblueht
waren; denn Macht und Reichtum des Staats fuehrten unter den bestehenden
Verhaeltnissen regelmaessig zu einer unverhaeltnismaessigen Vermehrung
der Sklavenmenge. Natuerlich litt demnach Rom darunter schwerer als
irgendein anderer Staat des Altertums. Schon die Regierung des sechsten
Jahrhunderts hatte gegen die Banden entlaufener Hirten- und Feldsklaven
Truppen schicken muessen. Die unter den italischen Spekulanten mehr und
mehr um sich greifende Plantagenwirtschaft hatte das gefaehrliche
Uebel ins unendliche gesteigert; in der Zeit der Gracchischen und
der Marianischen Krise und mit denselben in engem Zusammenhang hatten
Sklavenaufstaende an zahlreichen Punkten des Roemischen Reiches
stattgehabt, in Sizilien sogar zu zwei blutigen Kriegen (619-622 und
652-654 135-132 und 102-100) sich entwickelt. Aber das Dezennium der
Restaurationsherrschaft nach Sullas Tode ward die goldene Zeit wie
fuer die Flibustier zur See so fuer die gleichartigen Banden auf dem
Festland, vor allem in der bisher noch verhaeltnismaessig leidlich
geordneten italischen Halbinsel. Von einem Landfrieden konnte daselbst
kaum mehr die Rede sein. In der Hauptstadt und den minder bevoelkerten
Landschaften Italiens waren Raeubereien alltaeglich, Mordtaten haeufig.
Gegen Menschenraub an fremden Sklaven wie an freien Leuten erging
- vielleicht in dieser Epoche - ein besonderer Volksschluss; gegen
gewaltsame Besitzentziehung von Grundstuecken ward um diese Zeit eine
eigene summarische Klage neu eingefuehrt. Diese Verbrechen mussten
besonders deswegen gefaehrlich erscheinen, weil sie zwar gewoehnlich
begangen wurden von dem Proletariat, aber als moralische Urheber und
Teilnehmer an dem Gewinn auch die vornehme Klasse in grossem Umfang
dabei mittaetig war. Namentlich der Menschen- und der Ackerraub wurde
sehr haeufig durch die Aufseher der grossen Gueter veranlasst und durch
die daselbst vereinigten haeufig bewaffneten Sklavenscharen ins Werk
gesetzt; und gar mancher hochangesehene Mann verschmaehte nicht, was
einer seiner diensteifrigen Sklavenaufseher so fuer ihn erwarb wie
Mephisto fuer Faust die Linden Philemons. Wie die Dinge standen, zeigt
die verschaerfte Bestrafung der durch bewaffnete Banden veruebten
Eigentumsfrevel, welche einer der besseren Optimaten, Marcus Lucullus,
als Vorstand der hauptstaedtischen Rechtspflege um das Jahr 676 (78)
einfuehrte ^5, mit der ausgesprochenen Absicht, die Eigentuemer der
grossen Sklavenherden durch die Gefahr sich dieselben aberkannt zu
sehen, zu nachdruecklicherer Beaufsichtigung derselben anzuhalten. Wo
also im Auftrag der vornehmen Welt gepluendert und gemordet ward, lag es
diesen Sklaven- und Proletariermassen nahe, das gleiche Geschaeft fuer
eigene Rechnung zu treiben; es genuegte ein Funke, um den furchtbaren
Brennstoff in Flammen zu setzen und das Proletariat in eine
Insurrektionsarmee zu verwandeln. Die Veranlassung fand sich bald.
------------------------------------------------- ^5 Aus diesen
Bestimmungen hat sich der Begriff des Raubes als eines besonderen
Verbrechens entwickelt, waehrend das aeltere Recht den Raub unter dem
Diebstahl mitbegriff. -------------------------------------------------
Die Fechterspiele, die unter den Volkslustbarkeiten in Italien jetzt
den ersten Rang behaupteten, hatten die Errichtung zahlreicher Anstalten
namentlich in und um Capua herbeigefuehrt, worin diejenigen Sklaven
teils aufbewahrt, teils eingeschult wurden, die bestimmt waren, zur
Belustigung der souveraenen Menge zu toeten oder zu sterben - natuerlich
grossenteils tapfere kriegsgefangene Leute, die es nicht vergessen
hatten, einst gegen die Roemer im Felde gestanden zu haben. Eine
Anzahl solcher verzweifelter Menschen brach aus einer der capuanischen
Fechterschulen aus (681 73) und warf sich auf den Vesuv. An ihrer Spitze
standen zwei keltische Maenner, die mit ihren Sklavennamen Krixos und
Oenomaos genannt werden, und der Thraker Spartacus. Dieser, vielleicht
ein Sproessling des edlen, in der thrakischen Heimat wie in Pantikapaeon
sogar zu koeniglichen Ehren gelangten Geschlechts der Spartokiden,
hatte unter den thrakischen Hilfstruppen im roemischen Heer gedient,
war desertiert und als Raeuber in die Berge gegangen und hier
wiedereingefangen und fuer die Kampfspiele bestimmt worden. Die
Streifereien dieser kleinen, anfaenglich nur vierundsiebzig Koepfe
zaehlenden, aber rasch durch Zulauf aus der Umgegend anschwellenden
Schar wurden den Bewohnern der reichen kampanischen Landschaft bald so
laestig, dass dieselben, nachdem sie vergeblich versucht hatten, sich
selber ihrer zu erwehren, gegen sie Hilfe von Rom erbaten. Es erschien
eine schleunig zusammengeraffte Abteilung von 3000 Mann unter Fuehrung
des Clodius Glaber und besetzte die Aufgaenge zum Vesuv, um die
Sklavenschar auszuhungern. Aber die Raeuber wagten es trotz ihrer
geringen Anzahl und ihrer mangelhaften Bewaffnung, ueber jaehe Abhaenge
hinabkletternd die roemischen Posten zu ueberfallen; und als die elende
Miliz den kleinen Haufen verzweifelter Maenner unvermutet auf sich
eindringen sah, gab sie Fersengeld und verlief sich nach allen Seiten.
Dieser erste Erfolg verschaffte den Raeubern Waffen und steigenden
Zulauf. Wenngleich auch jetzt noch ein grosser Teil von ihnen nichts
fuehrte als zugespitzte Knuettel, so fand die neue und staerkere
Abteilung der Landwehr, zwei Legionen unter dem Praetor Publius
Varinius, die von Rom her in Kampanien einrueckte, sie schon fast wie
ein Kriegsheer in der Ebene lagernd. Varinius hatte einen schwierigen
Stand. Seine Milizen, genoetigt, dem Feind gegenueber zu biwakieren,
wurden durch die feuchte Herbstwitterung und die dadurch erzeugten
Krankheiten arg mitgenommen; und schlimmer noch als die Epidemien
lichteten Feigheit und Unbotmaessigkeit die Reihen. Gleich zu Anfang
lief eine seiner Abteilungen vollstaendig auseinander, so dass die
Fluechtigen nicht etwa auf das Hauptkorps zurueck, sondern geradewegs
nach Hause gingen. Als sodann der Befehl gegeben ward, gegen die
feindlichen Verschanzungen vorzugehen und anzugreifen, weigerte sich der
groesste Teil der Leute, ihm Folge zu leisten. Nichtsdestoweniger brach
Varinius mit denen, die standhielten, gegen die Raeuberschar auf; allein
er fand sie nicht mehr, wo er sie suchte. In tiefster Stille war sie
aufgebrochen und hatte sich suedwaerts gegen Picentia (Vicenza bei
Amalfi) gewendet, wo Varinius sie zwar einholte, aber es doch nicht
wehren konnte, dass sie ueber den Silarus zurueckwich bis in das innere
Lucanien, das gelobte Land der Hirten und der Raeuber. Auch dorthin
folgte Varinius und hier endlich stellte der verachtete Feind sich zum
Treffen. Alle Verhaeltnisse, unter denen der Kampf stattfand, waren
zum Nachteil der Roemer; die Soldaten, so ungestuem sie kurz zuvor die
Schlacht gefordert hatten, schlugen dennoch sich schlecht; Varinius ward
vollstaendig besiegt, sein Pferd und die Insignien seiner Amtswuerde
gerieten mit dem roemischen Lager selbst in Feindeshand. Massenweise
stroemten die sueditalischen Sklaven, namentlich die tapferen halbwilden
Hirten, unter die Fahne der so unverhofft erschienenen Erloeser; nach
den maessigen Angaben stieg die Zahl der bewaffneten Insurgenten auf
40000 Mann. Kampanien, soeben geraeumt, ward rasch wieder eingenommen,
das daselbst unter dem Quaestor des Varinius, Gaius Thoranius,
zurueckgebliebene roemische Korps zersprengt und aufgerieben. Im ganzen
Sueden und Suedwesten Italiens war das offene Land in den Haenden der
siegreichen Raeuberhauptleute; selbst ansehnliche Staedte, wie Consentia
im bruttischen Land, Thurii und Metapont in Lucanien, Nola und Nuceria
in Kampanien, wurden von ihnen erstuermt und erlitten alle Greuel, die
siegreiche Barbaren ueber wehrlose Zivilisierte, entfesselte Sklaven
ueber ihre gewesenen Herren zu bringen vermoegen. Dass ein Kampf wie
dieser ueberhaupt rechtlos und mehr eine Metzelei als ein Krieg war,
versteht sich leider von selbst: die Herren schlugen jeden gefangenen
Sklaven von Rechts wegen ans Kreuz; diese machten natuerlich gleichfalls
ihre Gefangenen nieder oder zwangen gar in noch hoehnischerer Vergeltung
die kriegsgefangenen Roemer, im Fechtspiel einander selber zu morden;
wie dies spaeter mit dreihundert derselben bei der Leichenfeier eines im
Kampfe gefallenen Raeuberhauptmanns geschah. In Rom war man mit Recht in
Besorgnis ueber den immer weiter um sich greifenden verheerenden Brand.
Es ward beschlossen, das naechste Jahr (682 72) beide Konsuln gegen die
furchtbaren Bandenchefs auszusenden. In der Tat gelang es dem Praetor
Quintus Arrius, einem Unterfeldherrn des Konsuls Lucius Genius, den
keltischen Haufen, der unter Krixos von der Masse des Raeuberheers
sich gesondert hatte und auf eigene Hand brandschatzte, in Apulien am
Garganus zu fassen und zu vernichten. Aber um so glaenzendere Siege
erfocht Spartacus im Apennin und im noerdlichen Italien, wo der Konsul
Gnaeus Lentulus, waehrend er die Raeuber zu umzingeln und aufzuheben
vermeinte, sodann sein Kollege Gellius und der soeben noch siegreiche
Praetor Arrius, endlich bei Mutina der Statthalter des Diesseitigen
Gallien, Gaius Cassius (Konsul 681 73), und der Praetor Gnaeus Manlius
einer nach dem andern seinen Streichen erlagen. Die kaum bewaffneten
Sklavenrotten waren der Schreck der Legionen; die Kette der Niederlagen
erinnerte an die ersten Jahre des Hannibalischen Krieges. Was haette
kommen moegen, wenn nicht entlaufene Fechtersklaven, sondern die
Volkskoenige aus den Bergen der Auvergne oder des Balkan an der Spitze
der siegreichen Scharen gestanden haetten, ist nicht zu sagen; wie
die Bewegung einmal war, blieb sie trotz ihrer glaenzenden Siege ein
Raeuberaufstand und unterlag weniger der Uebermacht ihrer Gegner als
der eignen Zwietracht und Planlosigkeit. Die Einigkeit gegen
den gemeinschaftlichen Feind, die in den frueheren sizilischen
Sklavenkriegen in so bemerkenswerter Weise hervorgetreten war, wird in
diesem italischen vermisst, wovon wohl die Ursache darin zu suchen ist,
dass die sizilischen Sklaven in dem gemeinsamen Syrohellenismus einen
gleichsam nationalen Einigungspunkt fanden, die italischen dagegen
in die beiden Massen der Hellenobarbaren und der Keltogermanen sich
schieden. Die Spaltung zwischen dem Kelten Krixos und dem Thraker
Spartacus - Oenomaos war gleich in einem der ersten Gefechte gefallen
- und aehnlicher Hader laehmte die Benutzung der errungenen Erfolge
und verschaffte den Roemern manchen wichtigen Sieg. Aber noch weit
nachteiliger als die keltisch-germanische Unbotmaessigkeit wirkte auf
das Unternehmen der Mangel eines festen Planes und Zieles. Wohl stand
Spartacus, nach dem Wenigen zu schliessen, was wir von dem seltenen
Mann erfahren, hierin ueber seiner Partei. Er verriet neben seinem
strategischen ein nicht gemeines Organisationstalent, wie denn gleich
von Haus aus die Gerechtigkeit, mit der er seiner Schar vorstand und die
Beute verteilte, wenigstens ebensosehr wie seine Tapferkeit die Augen
der Masse auf ihn gelenkt hatte. Um dem empfindlichen Mangel an Reiterei
und an Waffen abzuhelfen, versuchte er mit Hilfe der in Unteritalien
aufgegriffenen Pferdeherden, sich eine Kavallerie zu schulen und zu
disziplinieren und, sowie er den Hafen von Thurii in die Haende bekam,
von dort aus Eisen und Kupfer, ohne Zweifel durch Vermittlung der
Piraten, sich zu verschaffen. Aber in den Hauptsachen vermochte auch
er nicht die wilden Horden, die er anfuehrte, auf feste Endziele
hinzulenken. Gern haette er den tollen Bacchanalien der Grausamkeit
gewehrt, die die Raeuber in den eingenommenen Staedten sich gestatteten
und die die hauptsaechliche Ursache waren, weshalb keine italische Stadt
freiwillig mit den Insurgenten gemeinschaftliche Sache machte; aber der
Gehorsam, den der Raeuberhauptmann im Kampfe fand, hoerte mit dem Siege
auf und seine Vorstellungen und Bitten waren vergeblich. Nach den im
Apennin 682 (72) erfochtenen Siegen stand dem Sklavenheer nach jeder
Richtung hin der Weg frei. Spartacus selbst soll beabsichtigt haben, die
Alpen zu ueberschreiten, um sich und den Seinigen die Rueckkehr in ihre
keltische oder thrakische Heimat zu oeffnen; wenn der Bericht gegruendet
ist, so zeigt er, wie wenig der Sieger seine Erfolge und seine Macht
ueberschaetzte. Da die Mannschaft sich weigerte, dem reichen Italien so
rasch den Ruecken zu wenden, schlug Spartacus den Weg nach Rom ein
und soll daran gedacht haben, die Hauptstadt zu blockieren. Indes auch
diesem zwar verzweifelten, aber doch planmaessigen Beginnen zeigten die
Scharen sich abgeneigt; sie zwangen ihren Fuehrer, da er Feldherr sein
wollte, Raeuberhauptmann zu bleiben und ziellos weiter in Italien auf
Pluenderung umherzuziehen. Rom mochte sich gluecklich preisen, dass
es also kam; auch so aber war guter Rat teuer. Es fehlte an geuebten
Soldaten wie an erprobten Feldherren; Quintus Metellus und Gnaeus
Pompeius waren in Spanien, Marcus Lucullus in Thrakien, Lucius Lucullus
in Kleinasien beschaeftigt, und zur Verfuegung standen nur rohe
Milizen und hoechstens mittelmaessige Offiziere. Man bekleidete mit dem
ausserordentlichen Oberbefehl in Italien den Praetor Marcus Crassus,
der zwar kein namhafter Feldherr war, aber doch unter Sulla mit Ehren
gefochten und wenigstens Charakter hatte, und stellte ihm eine wenn
nicht durch ihre Qualitaet, doch durch ihre Zahl imponierende Armee von
acht Legionen zur Verfuegung. Der neue Oberfeldherr begann damit, die
erste Abteilung, die wieder mit Wegwerfung ihrer Waffen vor den Raeubern
davonlief, nach der ganzen Strenge der Kriegsgesetze zu behandeln und
den zehnten Mann davon hinrichten zu lassen; worauf in der Tat die
Legionen sich wieder etwas mehr zusammennahmen. Spartacus, in dem
naechsten Gefecht besiegt, zog sich zurueck und suchte durch Lucanien
nach Rhegion zu gelangen. Ebendamals beherrschten die Piraten nicht
bloss die sizilischen Gewaesser, sondern selbst den Hafen von Syrakus;
mit Hilfe ihrer Boote gedachte Spartacus ein Korps nach Sizilien zu
werfen, wo die Sklaven nur auf einen Anstoss warteten, um zum dritten
Male loszuschlagen. Der Marsch nach Rhegion gelang, allein die Korsaren,
vielleicht geschreckt durch die von dem Praetor Gaius Verres auf
Sizilien eingerichteten Strandwachen, vielleicht auch von den Roemern
bestochen, nahmen von Spartacus den bedungenen Lohn, ohne ihm
die Gegenleistung dafuer zu gewaehren. Crassus inzwischen war dem
Raeuberheer bis etwa an die Krathismuendung gefolgt und liess, aehnlich
wie Scipio vor Numantia, seine Soldaten, da sie nicht schlugen, wie
sie sollten, einen festungsaehnlich verschanzten Wall in der Laenge von
sieben deutschen Meilen auffuehren, der die Bruttische Halbinsel von
dem uebrigen Italien absperrte ^6 und dem von Rhegion zurueckkehrenden
Insurgentenheer den Weg verlegte und die Zufuhr abschnitt. Indes in
einer dunklen Winternacht durchbrach Spartacus die feindlichen Linien
und stand im Fruehjahr 683 (71) ^7 wieder in Lucanien. Das muehsame
Werk war also vergebens gewesen. Crassus fing an, an der Loesung
seiner Aufgabe zu verzweifeln, und forderte vom Senat, dass er die in
Makedonien unter Marcus Lucullus, im diesseitigen Spanien unter Gnaeus
Pompeius stehenden Heere zu seiner Unterstuetzung nach Italien berufe.
Es bedurfte indes dieses aeussersten Notschrittes nicht; die Uneinigkeit
und der Uebermut der Raeuberhaufen genuegten, um ihre Erfolge wieder zu
vereiteln. Abermals loesten sich die Kelten und Germanen von dem Bunde,
dessen Haupt und Seele der Thraker war, um unter Fuehrern ihrer eigenen
Nation, Gannicus und Castus, sich vereinzelt den Roemern ans Messer
zu liefern. Einmal, am Lucanischen See, rettete sie Spartacus'
rechtzeitiges Erscheinen; sie schlugen nun zwar wohl ihr Lager nahe bei
dem seinigen auf, aber dennoch gelang es Crassus, den Spartacus durch
die Reiterei zu beschaeftigen und indessen die keltischen Haufen zu
umstellen und zum Sonderkampf zu zwingen, in welchem sie saemtlich, man
sagt 12300 Streiter, tapfer kaempfend fielen, alle auf dem Platze und
mit den Wunden nach vorn. Spartacus versuchte darauf, sich mit seiner
Abteilung in die Berge um Petelia (bei Strongoli in Kalabrien) zu werfen
und schlug nachdruecklich die roemische Vorhut, die dem Weichenden
folgte. Allein dieser Sieg gereichte mehr dem Sieger als dem Besiegten
zum Nachteil. Berauscht von dem Erfolg weigerten sich die Raeuber,
weiter zurueckzuweichen, und noetigten ihren Feldherrn, sie
durch Lucanien nach Apulien dem letzten entscheidenden Kampf
entgegenzufuehren. Vor der Schlacht stiess Spartacus sein Ross nieder;
wie er im Glueck und im Unglueck treu bei den Seinen ausgeharrt hatte,
so zeigte er ihnen jetzt durch die Tat, dass es ihm wie allen hier
gehe um Sieg oder Tod. Auch in der Schlacht stritt er mit dem Mut eines
Loewen: zwei Centurionen fielen von seiner Hand; verwundet und in die
Knie gesunken noch fuehrte er den Speer gegen die andringenden Feinde.
Also starben der grosse Raeuberhauptmann und mit ihm die besten seiner
Gesellen den Tod freier Maenner und ehrlicher Soldaten (683 71). Nach
dem teuer erkauften Siege ward von den Truppen, die ihn erfochten, und
von denen des Pompeius, die inzwischen nach Ueberwindung der Sertorianer
aus Spanien eingetroffen waren, durch ganz Apulien und Lucanien eine
Menschenhetze angestellt, wie sie noch nicht dagewesen war, um die
letzten Funken des gewaltigen Brandes zu zertreten. Obwohl in den
suedlichen Landschaften, wo zum Beispiel das Staedtchen Tempsa 683
(71) von einer Raeuberschar eingenommen ward, und in dem durch Sullas
Expropriationen schwer betroffenen Etrurien ein rechter Landfriede noch
keineswegs sich einfand, galt doch derselbe offiziell als in Italien
wiederhergestellt. Wenigstens die schmachvoll verlorenen Adler waren
wiedergewonnen - allein nach dem Sieg ueber die Kelten brachte man
deren fuenf ein; und laengs der Strasse von Capua nach Rom zeugten
die sechstausend Kreuze, die gefangene Sklaven trugen, von der neu
begruendeten Ordnung und dem abermaligen Siege des anerkannten
Rechts ueber das rebellierende lebendige Eigen.
---------------------------------------------- ^6 Da die Linie sieben
deutsche Meilen (Sall. hist. 4, 19 Dietsch; Plut. Crass. 10) lang war,
so ging sie wohl nicht von Squillace nach Pizzo, sondern noerdlicher,
etwa bei Castrovillari und Cassano ueber die hier in gerader Linie etwa
sechs deutsche Meilen breite Halbinsel. ^7 Dass Crassus noch 682 (72)
den Oberbefehl uebernahm, ergibt sich aus der Beseitigung der Konsuln
(Plot. Crass. 10); dass der Winter 682/83 (72/71) den beiden Heeren
am Bruttischen Wall verstrich, aus der "Schneenacht (Plot. a. a. O.).
--------------------------------------------------- Blicken wir zurueck
auf die Ereignisse, die das Dezennium der sullanischen Restauration
erfuellen. Eine gewaltige, den Lebensnerv der Nation notwendig
beruehrende Gefahr war an sich in keiner der waehrend dieser Zeit
vorgekommenen aeusseren oder inneren Bewegungen enthalten, weder in
der Insurrektion des Lepidus, noch in den Unternehmungen der spanischen
Emigranten, noch in den thrakisch-makedonischen und kleinasiatischen
Kriegen, noch in den Piraten- und Sklavenaufstaenden; und dennoch hatte
der Staat fast in all diesen Kaempfen um seine Existenz gefochten.
Die Ursache war, dass die Aufgaben, solange sie noch mit Leichtigkeit
loesbar waren, ueberall ungeloest blieben; die Vernachlaessigung der
einfachsten Vorsichtsmassregeln erzeugte die entsetzlichsten Missstaende
und Ungluecksfaelle und schuf abhaengige Klassen und machtlose
Koenige in ebenbuertige Gegner um. Die Demokratie zwar, und die
Sklaveninsurrektion hatte man besiegt; aber wie die Siege waren,
ward durch sie der Sieger weder innerlich gehoben noch aeusserlich
gekraeftigt. Es war keine Ehre, dass die beiden gefeiertsten Generale
der Regierungspartei in einem achtjaehrigen, mit mehr Niederlagen als
Siegen bezeichneten Kampf des Insurgentenchefs Sertorius und seiner
spanischen Guerillas nicht Herr geworden waren, dass erst der Mordstahl
seiner Freunde den Sertorianischen Krieg zu Gunsten der legitimen
Regierung entschieden hatte. Die Sklaven nun gar war es viel weniger
eine Ehre besiegt, als eine Schande, ihnen jahrelang in gleichem Kampfe
gegenuebergestanden zu haben. Wenig mehr als ein Jahrhundert war seit
dem Hannibalischen Kriege verflossen; es musste dem ehrbaren Roemer das
Blut in die Wangen treiben, wenn er den furchtbar raschen Ruecktritt
der Nation seit jener grossen Zeit erwog. Damals standen die italischen
Sklaven wie die Mauern gegen Hannibals Veteranen; jetzt staeubte die
italische Landwehr vor den Knuetteln ihrer entlaufenen Knechte wie Spreu
auseinander. Damals machte jeder einfache Oberst im Fall der Not den
Feldherrn und focht oft ohne Glueck, doch immer mit Ehren; jetzt hielt
es hart, unter all den vornehmen Offizieren nur einen Fuehrer von
gewoehnlicher Brauchbarkeit zu finden. Damals nahm die Regierung lieber
den letzten Bauer vom Pflug, als dass sie darauf verzichtet haette,
Griechenland und Spanien zu erobern; jetzt war man drauf und dran,
beide laengst erworbene Gebiete wieder preiszugeben, nur um daheim der
aufstaendischen Knechte sich erwehren zu koennen. Auch Spartacus hatte,
so gut wie Hannibal, vom Po bis an die sizilische Meerenge Italien
mit Heeresmacht durchzogen, beide Konsuln geschlagen und Rom mit
der Blockade bedroht; wozu es gegen das ehemalige Rom des groessten
Feldherrn des Altertums bedurft hatte, das vermochte gegen das jetzige
ein kecker Raeuberhauptmann. War es ein Wunder, dass solchen Siegen
ueber Insurgenten und Raeuberfuehrer kein frisches Leben entkeimte?
Ein noch minder erfreuliches Ergebnis aber hatten die aeusseren Kriege
herausgestellt. Zwar der thrakisch-makedonische hatte, wenn kein dem
ansehnlichen Aufwand von Menschen und Feld entsprechendes, doch
auch kein geradezu unguenstiges Resultat gegeben. Dagegen in
dem kleinasiatischen und in dem Piratenkrieg hatte die Regierung
vollstaendigen Bankrott gemacht. Jener schloss ab mit dem Verlust der
gesamten, in acht blutigen Feldzuegen gemachten Eroberungen, dieser mit
der vollstaendigen Verdraengung der Roemer von "ihrem Meer". Einst
hatte Rom im Vollgefuehl der Unwiderstehlichkeit seiner Landmacht das
Uebergewicht auch auf das zweite Element uebertragen; jetzt war der
gewaltige Staat zur See ohnmaechtig und, wie es schien, im Begriff, auch
wenigstens ueber den asiatischen Kontinent die Herrschaft einzubuessen.
Die materiellen Wohltaten des staatlichen Daseins: Sicherheit der
Grenzen, ungestoerter friedlicher Verkehr, Rechtsschutz, geordnete
Verwaltung, fingen an, alle miteinander den saemtlichen im roemischen
Staat vereinigten Nationen zu verschwinden; die segnenden Goetter alle
schienen zum Olymp emporgestiegen zu sein und die jammervolle Erde
den amtlich berufenen oder freiwilligen Pluenderern oder Peinigern
ueberlassen zu haben. Dieser Verfall des Staats ward auch nicht etwa
bloss von dem, der politische Rechte und Buergersinn hatte, als ein
oeffentliches Unglueck gefuehlt, sondern die Proletariatsinsurrektion
und die an die Zeiten der neapolitanischen Ferdinande erinnernde
Raeuber- und Piratenwirtschaft trugen das Gefuehl dieses Verfalls in das
entlegenste Tal, in die niedrigste Huette Italiens, liessen ihn jeden,
der Handel und Verkehr trieb, der nur einen Scheffel Weizen kaufte,
als persoenlichen Notstand empfinden. Wenn nach den Urhebern dieses
heillosen und beispiellosen Jammers gefragt ward, so war es nicht
schwer, mit gutem Recht gar viele deshalb anzuklagen. Die Sklavenwirte,
deren Herz im Geldbeutel sass, die unbotmaessigen Soldaten, die bald
feigen, bald unfaehigen, bald tollkuehnen Generale, die meist am
falschen Ende hetzenden Demagogen des Marktes trugen ihren Teil der
Schuld, oder vielmehr, wer trug an derselben nicht mit? Instinktmaessig
ward es empfunden, dass dieser Jammer, diese Schande, diese Zerruettung
zu kolossal waren, um das Werk eines einzelnen zu sein. Wie die Groesse
des roemischen Gemeinwesens nicht das Werk hervorragender Individuen,
sondern das einer tuechtig organisierten Buergerschaft gewesen ist,
so ist auch der Verfall dieses gewaltigen Gebaeudes nicht aus der
verderblichen Genialitaet einzelner, sondern aus der allgemeinen
Desorganisation hervorgegangen. Die grosse Majoritaet der Buergerschaft
taugte nichts und jeder morsche Baustein half mit zu dem Ruin des
ganzen Gebaeudes; es buesste die ganze Nation, was die ganze Nation
verschuldete. Es war ungerecht, wenn man die Regierung als den letzten
greifbaren Ausdruck des Staats fuer alle heilbaren und unheilbaren
Krankheiten desselben verantwortlich machte; aber das allerdings war
wahr, dass die Regierung in furchtbar schwerer Weise mittrug an dem
allgemeinen Verschulden. In dem Kleinasiatischen Kriege zum Beispiel,
wo kein einzelner der regierenden Herren sich in hervorragender
Weise verfehlt, Lucullus sogar, militaerisch wenigstens, tuechtig, ja
glorreich sich gefuehrt hatte, ward es nur um so deutlicher, dass die
Schuld des Misslingens in dem System und in der Regierung als solcher,
hier zunaechst in dem frueheren schlaffen Preisgeben Kappadokiens und
Syriens und in der schiefen Stellung des tuechtigen Feldherrn gegenueber
dem keines energischen Beschlusses faehigen Regierungskollegium lag.
Ebenso hatte in der Seepolizei der Senat den einmal gefassten richtigen
Gedanken einer allgemeinen Piratenjagd erst in der Ausfuehrung
verdorben und dann ihn gaenzlich fallen lassen, um wieder nach dem alten
toerichten System gegen die Rosse des Meeres Legionen zu senden. Nach
diesem System wurden die Expeditionen des Servilius und des Marcius
nach Kilikien, des Metellus nach Kreta unternommen; nach diesem liess
Triarius die Insel Delos zum Schutz vor den Piraten mit einer Mauer
umziehen. Solche Versuche, der Seeherrschaft sich zu versichern,
erinnern an jenen persischen Grosskoenig, der das Meer mit Ruten
peitschen liess, um es sich untertaenig zu machen. Wohl hatte also die
Nation guten Grund, ihren Bankrott zunaechst der Restaurationsregierung
zur Last zu legen. Immer schon war mit der Wiederherstellung der
Oligarchie ein aehnliches Missregiment gekommen, nach dem Sturz der
Gracchen wie nach dem des Marius und Saturninus; aber so gewaltsam und
zugleich doch auch so schlaff, so verdorben und verderblich war dasselbe
nie zuvor aufgetreten. Wenn aber eine Regierung nicht regieren kann,
hoert sie auf legitim zu sein und es hat, wer die Macht, auch das
Recht, sie zu stuerzen. Zwar ist es leider wahr, dass eine unfaehige und
verbrecherische Regierung lange Zeit das Wohl und die Ehre des Landes
mit Fuessen zu treten vermag, bevor die Maenner sich finden, welche die
von dieser Regierung selbst geschmiedeten entsetzlichen Waffen gegen
sie schwingen und aus der sittlichen Empoerung der Tuechtigen und
dem Notstande der vielen die in solchem Fall legitime Revolution
heraufbeschwoeren koennen und wollen. Aber wenn das Spiel mit dem
Gluecke der Voelker ein lustiges sein mag und wohl lange Zeit hindurch
ungestoert gespielt werden kann, so ist es doch auch ein tueckisches,
das zu seiner Zeit die Spieler verschlingt; und niemand schilt dann die
Axt, wenn sie dem Baum, der solche Fruechte traegt, sich an die Wurzel
legt. Fuer die roemische Oligarchie war diese Zeit jetzt gekommen.
Der Pontisch-Armenische Krieg und die Piratenangelegenheit wurden die
naechsten Ursachen zum Umsturz der Sullanischen Verfassung und zur
Einsetzung einer revolutionaeren Militaerdiktatur. 3. Kapitel Der
Sturz der Oligarchie und die Herrschaft des Pompeius Noch stand die
Sullanische Verfassung unerschuettert. Der Sturm, den Lepidus
und Sertorius gegen sie gewagt hatten, war mit geringer Einbusse
zurueckgeschlagen worden. Das halbfertige Gebaeude mit dem energischen
Geiste seines Urhebers auszubauen, hatte die Regierung freilich
versaeumt. Es zeichnet sie, dass sie die von Sulla zur Verteilung
bestimmten, aber noch nicht von ihm selbst parzellierten Laendereien
weder aufteilte noch auch den Anspruch auf dieselben geradezu aufgab,
sondern die frueheren Eigentuemer ohne Regulierung des Titels vorlaeufig
im Besitze duldete, manche noch unverteilte Strecke sullanischen
Domaniallandes auch wohl gar von einzelnen Personen nach dem alten,
durch die Gracchischen Reformen rechtlich und faktisch beseitigten
Okkupationssystem willkuerlich in Besitz nehmen liess. Was den Optimaten
unter den Sullanischen Bestimmungen gleichgueltig oder unbequem
war, wurde ohne Bedenken ignoriert oder kassiert; so die gegen ganze
Gemeinden ausgesprochene Aberkennung des Staatsbuergerrechts; so das
Verbot der Zusammenschlagung der neuen Bauernstellen; so manche der von
Sulla einzelnen Gemeinden erteilten Freibriefe, natuerlich ohne dass man
die fuer diese Exemtionen gezahlten Summen den Gemeinden zurueckgegeben
haette. Aber wenn auch diese Verletzungen der Ordnungen Sullas durch
die Regierung selbst dazu beitrugen, die Fundamente seines Gebaeudes
zu erschuettern, waren und blieben doch die Sempronischen Gesetze im
wesentlichen abgeschafft. Wohl fehlte es nicht an Maennern, die die
Wiederherstellung der Gracchischen Verfassung im Sinn trugen, und nicht
an Entwuerfen, um das, was Lepidus und Sertorius im Wege der Revolution
versucht hatten, stueckweise auf dem Wege verfassungsmaessiger Reform
zu erreichen. In die beschraenkte Wiederherstellung der Getreidespenden
hatte die Regierung bereits unter dem Druck der Agitation des Lepidus
unmittelbar nach Sullas Tode gewilligt (676 78) und sie tat ferner was
irgend moeglich war, um in dieser Lebensfrage fuer das hauptstaedtische
Proletariat ihm zu Willen zu sein. Als trotz jener Verteilungen die
hohen, hauptsaechlich durch die Piraterie hervorgerufenen Kornpreise
eine so drueckende Teuerung in Rom hervorriefen, dass es darueber im
Jahre 679 (75) zu einem heftigen Strassenauflauf kam, halfen zunaechst
ausserordentliche Ankaeufe von sizilischem Getreide fuer Rechnung der
Regierung der aergsten Not ab; fuer die Zukunft aber regelte ein von den
Konsuln des Jahres 681 (78) eingebrachtes Getreidegesetz die Ankaeufe
des sizilischen Getreides und gab, freilich auf Kosten der Provinzialen,
der Regierung die Mittel, um aehnliche Missstaende besser zu verhueten.
Aber auch die minder materiellen Differenzpunkte, die Wiederherstellung
der tribunizischen Gewalt in ihrem alten Umfang und die Beseitigung
der senatorischen Gerichte, hoerten nicht auf, Gegenstaende populaerer
Agitation zu bilden, und hier leistete die Regierung nachdruecklicheren
Widerstand. Den Streit um das tribunizische Amt eroeffnete schon 678
(76), unmittelbar nach der Niederlage des Lepidus, der Volkstribun
Lucius Sicinius, vielleicht ein Nachkomme des gleichnamigen Mannes,
der mehr als vierhundert Jahre zuvor zuerst dieses Amt bekleidet hatte;
allein er scheiterte an dem Widerstand, den der ruehrige Konsul Gaius
Curio ihm entgegensetzte. Im Jahre 680 (74) nahm Lucius Quinctius die
Agitation wieder auf, liess sich aber durch die Autoritaet des
Konsuls Lucius Lucullus bestimmen, von seinem Vorhaben abzustehen.
Mit groesserem Eifer trat das Jahr darauf in seine Fussstapfen Gaius
Licinius Macer, der - bezeichnend fuer die Zeit - in das oeffentliche
Leben seine literarischen Studien hineintrug und, wie er es in
der Chronik gelesen, der Buergerschaft anriet, die Konskription zu
verweigern. Auch ueber die schlechte Handhabung der Rechtspflege durch
die senatorischen Geschworenen wurden bald nur zu wohl begruendete
Beschwerden laut. Die Verurteilung eines einigermassen einflussreichen
Mannes war kaum mehr zu erlangen. Nicht bloss empfand der Kollege
mit dem Kollegen, der gewesene oder kuenftige Angeklagte mit dem
gegenwaertigen armen Suender billiges Mitleid; auch die Kaeuflichkeit
der Geschworenenstimmen war kaum noch eine Ausnahme. Mehrere Senatoren
waren gerichtlich dieses Verbrechens ueberwiesen worden; auf andere
gleich schuldige wies man mit Fingern; die angesehensten Optimaten,
wie Quintus Catulus, raeumten in offener Senatssitzung es ein, dass die
Beschwerden vollkommen gegruendet seien; einzelne besonders eklatante
Faelle zwangen den Senat mehrmals, zum Beispiel im Jahre 680 (74),
ueber Massregeln gegen die Freiheit der Geschworenen zu deliberieren,
natuerlich nur so lange, bis der erste Laerm sich gelegt hatte und man
die Sache unter das Eis gleiten lassen konnte. Die Folgen dieser elenden
Rechtspflege zeigten sich namentlich in einem System der Pluenderung
und Peinigung der Provinzialen, mit dem verglichen selbst die bisherigen
Frevel ertraeglich und gemaessigt erschienen. Das Stehlen und Rauben
war gewissermassen durch Gewohnheit legitim geworden; die
Erpressungskommission konnte als eine Anstalt gelten, um die aus den
Vogteien heimkehrenden Senatoren zu Gunsten ihrer daheimgebliebenen
Kollegen zu besteuern. Aber als ein angesehener Sikeliote, weil er dem
Statthalter nicht hatte zu einem Verbrechen die Hand bieten wollen,
dafuer von diesem abwesend und ungehoert zum Tode verurteilt ward; als
selbst roemische Buerger, wenn sie nicht Ritter oder Senatoren waren,
in der Provinz nicht mehr sicher waren vor den Ruten und Beilen des
roemischen Vogts, und die aelteste Errungenschaft der roemischen
Demokratie, die Sicherheit des Leibes und Lebens, von der herrschenden
Oligarchie anfing mit Fuessen getreten zu werden: da hatte auch das
Publikum auf dem roemischen Markte ein Ohr fuer die Klagen ueber seine
Voegte in den Provinzen und ueber die ungerechten Richter, die solche
Untaten moralisch mitverschuldeten. Die Opposition unterliess es
natuerlich nicht, auf dem fast allein ihr uebriggebliebenen Terrain, dem
gerichtlichen, ihre Gegner anzugreifen. So zog der junge Gaius Caesar,
der auch, soweit sein Alter es gestattete, sich bei der Agitation um die
Wiederherstellung der tribunizischen Gewalt eifrig beteiligte, im
Jahre 677 (77) einen der angesehensten Sullanischen Parteimaenner,
den Konsular Gnaeus Dolabella, und im folgenden Jahr einen andern
Sullanischen Offizier, Gaius Antonius, vor Gericht; so Marcus Cicero 684
(70) den Gaius Verres, eine der elendesten unter den Kreaturen Sullas
und eine der schlimmsten Geisseln der Provinzialen. Wieder und wieder
wurden die Bilder jener finsteren Zeit der Aechtungen, die entsetzlichen
Leiden der Provinzialen, der schmachvolle Stand der roemischen
Kriminalrechtspflege mit allem Pomp italienischer Rhetorik, mit aller
Bitterkeit italienischen Spottes vor der versammelten Menge entfaltet
und der gewaltige Tote sowie seine lebenden Schergen ihrem Zorn und
Hohn unnachsichtlich preisgegeben. Die Wiederherstellung der vollen
tribunizischen Gewalt, an deren Bestehen die Freiheit, die Macht und
das Glueck der Volksgemeinde wie durch uralt heiligen Zauber geknuepft
schien, die Wiedereinfuehrung der "strengen" Gerichte der Ritterschaft,
die Erneuerung der von Sulla beseitigten Zensur zur Reinigung der
hoechsten Staatsbehoerde von den faulen und schaedlichen Elementen
wurden taeglich mit lautem Ruf von den Rednern der Volkspartei
gefordert. Indes mit alledem kam man nicht weiter. Es gab Skandal und
Laerm genug, aber ein eigentlicher Erfolg ward dadurch, dass man die
Regierung nach und ueber Verdienst prostituierte, doch noch keineswegs
erreicht. Die materielle Macht lag immer noch, solange militaerische
Einmischung fern blieb, in den Haenden der hauptstaedtischen
Buergerschaft; und dies "Volk", das in den Gassen Roms sich draengte und
auf dem Markt Beamte und Gesetze machte, war eben um nichts besser
als der regierende Senat: Zwar musste die Regierung mit der Menge sich
abfinden, wo deren eigenes naechstes Interesse in Frage kam; dies ist
die Ursache der Erneuerung des Sempronischen Korngesetzes. Allein daran
war nicht zu denken, dass diese Buergerschaft um einer Idee oder gar um
einer zweckmaessigen Reform willen Ernst gemacht haette. Mit Recht
ward auf die Roemer dieser Zeit angewandt, was Demosthenes von seinen
Athenern sagte: dass die Leute gar eifrig taeten, solange sie um die
Rednerbuehne staenden und die Vorschlaege zu Reformen vernaehmen; aber
wenn sie nach Hause gekommen seien, denke keiner weiter an das, was er
auf dem Markte gehoert habe. Wie auch jene demokratischen Agitatoren die
Flammen schuerten, es half eben nichts, da der Brennstoff fehlte. Die
Regierung wusste dies und liess in den wichtigen Prinzipienfragen
sich keinerlei Zugestaendnis entreissen; hoechstens dass sie sich
dazu verstand (um 682 72), einem Teil der mit Lepidus landfluechtig
gewordenen Leute die Amnestie zuzugestehen. Was von Konzessionen
erfolgte, ging nicht so sehr aus dem Draengen der Demokratie hervor, als
aus den Vermittlungsversuchen der gemaessigten Aristokratie. Allein
von den beiden Gesetzen, die der einzige noch uebrige Fuehrer dieser
Fraktion, Gaius Cotta, in seinem Konsulat 679 (75) durchsetzte, wurde
das die Gerichte betreffende schon im naechsten Jahre wieder beseitigt,
und auch das zweite, welches die Sullanische Bestimmung aufhob, dass die
Bekleidung des Tribunats zur Uebernahme anderer Magistraturen unfaehig
mache, die uebrigen Beschraenkungen aber bestehen liess, erregte wie
jede halbe Massregel nur den Unwillen beider Parteien. Die Partei der
reformistisch gesinnten Konservativen, die durch Cottas bald nachher (um
681 73) erfolgten fruehen Tod ihr namhaftestes Haupt verlor, sank mehr
und mehr in sich selbst zusammen, erdrueckt zwischen den immer
schroffer hervortretenden Extremen. Von diesen aber blieb die Partei der
Regierung, schlecht und schlaff wie sie war, der gleich schlechten und
gleich schlaffen Opposition gegenueber notwendig im Vorteil. Aber
dies der Regierung so guenstige Verhaeltnis aenderte sich, als die
Differenzen zwischen ihr und denjenigen ihrer Parteigaenger sich
schaerfer entwickelten, deren Hoffnungen ueber den Ehrensitz in der
Kurie und das aristokratische Landhaus hinaus zu hoeheren Zielen
sich erhoben. In erster Linie stand hier Gnaeus Pompeius. Wohl war er
Sullaner; aber es ist frueher gezeigt worden, wie wenig er unter seiner
eigenen Partei sich zurechtfand, wie von der Nobilitaet, als deren
Schild und Schwert er offiziell angesehen ward, ihn doch seine Herkunft,
seine Vergangenheit, seine Hoffnungen immer wieder schieden. Der schon
klaffende Riss hatte waehrend der spanischen Feldzuege (677 - 683 77 -
71) des Feldherrn sich unheilbar erweitert. Unwillig und halb gezwungen
hatte die Regierung ihn ihrem rechten Vertreter Quintus Metellus als
Kollegen beigesellt; und wieder er beschuldigte, wohl nicht ohne
Grund, den Senat durch die sei es liederliche, sei es boeswillige
Vernachlaessigung der spanischen Armeen deren Niederlagen verschuldet
und das Schicksal der Expedition aufs Spiel gesetzt zu haben. Nun kam
er zurueck als Sieger ueber die heimlichen Feinde, an der Spitze eines
krieggewohnten und ihm ganz ergebenen Heeres, fuer seine Soldaten
Landanweisungen begehrend, fuer sich Triumph und Konsulat. Die letzteren
Forderungen verstiessen gegen das Gesetz. Pompeius, obwohl mehrmals
schon ausserordentlicherweise mit der hoechsten Amtsgewalt bekleidet,
hatte noch kein ordentliches Amt, nicht einmal die Quaestur verwaltet
und war noch immer nicht Mitglied des Rats; und Konsul durfte nur
werden, wer die Staffel der geringeren ordentlichen Aemter durchmessen,
triumphieren nur, wer die ordentliche hoechste Gewalt bekleidet hatte.
Der Senat war gesetzlich befugt, ihn, wenn er um das Konsulat sich
bewarb, auf die Bewerbung um die Quaestur zu verweisen, wenn er den
Triumph erbat, ihn an den grossen Scipio zu erinnern, der unter gleichen
Verhaeltnissen auf den Triumph ueber das eroberte Spanien verzichtet
hatte. Nicht minder hing Pompeius hinsichtlich der seinen Soldaten
versprochenen Domaenen verfassungsmaessig ab von dem guten Willen des
Senats. Indes wenn auch der Senat, wie es bei seiner Schwaechlichkeit
auch im Grollen wohl denkbar war, hierin nachgab und dem siegreichen
Feldherrn fuer den gegen die Demokratenchefs geleisteten Schergendienst
den Triumph, das Konsulat, die Landanweisungen zugestand, so war doch
eine ehrenvolle Annulierung in ratsherrlicher Indolenz unter der langen
Reihe der friedlichen senatorischen Imperatoren das guenstigste Los,
das die Oligarchie dem sechsunddreissigjaehrigen Feldherrn zu bereiten
vermochte. Das, wonach sein Herz eigentlich verlangte, das Kommando im
Mithradatischen Krieg freiwillig vom Senat bewilligt zu erhalten, konnte
er nimmer erwarten; in ihrem eigenen wohlverstandenen Interesse
durfte die Oligarchie es nicht zulassen, dass er den afrikanischen und
europaeischen noch die Trophaeen des dritten Weltteils hinzufuegte;
die im Osten reichlich und bequem zu pflueckenden Lorbeeren blieben auf
jeden Fall der reinen Aristokratie vorbehalten. Wenn aber der gefeierte
General bei der herrschenden Oligarchie seine Rechnung nicht fand,
so blieb - da zu einer rein persoenlichen, ausgesprochen dynastischen
Politik weder die Zeit reif noch Pompeius' ganze Persoenlichkeit
geeignet war - ihm keine andere Wahl, als mit der Demokratie
gemeinschaftliche Sache zu machen. An die Sullanische Verfassung band
ihn kein eigenes Interesse: er konnte seine persoenlichen Zwecke
auch innerhalb einer mehr demokratischen ebensogut, wo nicht
besser verfolgen. Dagegen fand er alles, was er brauchte, bei der
demokratischen Partei. Die taetigen und gewandten Fuehrer derselben
waren bereit und faehig, dem unbehilflichen und etwas hoelzernen Helden
die muehselige politische Leitung abzunehmen, und doch viel zu
gering, um dem gefeierten Feldherrn die erste Rolle und namentlich die
militaerische Oberleitung streitig machen zu koennen oder auch nur zu
wollen. Selbst der weitaus bedeutendste von ihnen, Gaius Caesar, war
nichts als ein junger Mensch, dem seine dreisten Fahrten und eleganten
Schulden weit mehr als seine feurige demokratische Beredsamkeit einen
Namen gemacht hatten und der sich sehr geehrt fuehlen musste, wenn der
weltberuehmte Imperator ihm gestattete, sein politischer Adjutant zu
sein. Die Popularitaet, auf welche Menschen wie Pompeius, von groesseren
Anspruechen als Faehigkeiten, mehr Wert zu legen pflegen, als sie gern
sich selber gestehen, musste im hoechsten Mass dem jungen General zuteil
werden, dessen Uebertritt der fast aussichtslosen Sache der Demokratie
den Sieg gab. Der von ihm fuer sich und seine Soldaten geforderte
Siegeslohn fand damit sich von selbst. Ueberhaupt schien, wenn
die Oligarchie gestuerzt ward, bei dem gaenzlichen Mangel anderer
ansehnlicher Oppositionshaeupter es nur von Pompeius abzuhaengen,
seine weitere Stellung sich selber zu bestimmen. Daran aber konnte
kaum gezweifelt werden, dass der Uebertritt des Feldherrn der soeben
siegreich aus Spanien heimkehrenden und noch in Italien geschlossen
zusammenstehenden Armee zur Oppositionspartei den Sturz der bestehenden
Ordnung zur Folge haben muesse. Regierung und Opposition waren gleich
machtlos; sowie die letztere nicht mehr bloss mit Deklamationen focht,
sondern das Schwert eines siegreichen Feldherrn bereit war, ihren
Anforderungen Nachdruck zu geben, war die Regierung jedenfalls,
vielleicht sogar ohne Kampf, ueberwunden. So sah man von beiden Seiten
sich gedraengt zur Koalition. An persoenlichen Abneigungen mochte
es dort wie hier nicht fehlen; der siegreiche Feldherr konnte die
Strassenredner unmoeglich lieben, diese noch weniger den Henker des
Carbo und Brutus mit Freuden als ihr Haupt begruessen; indes die
politische Notwendigkeit ueberwog, wenigstens fuer den Augenblick, jedes
sittliche Bedenken. Aber die Demokraten und Pompeius schlossen ihren
Bund nicht allein. Auch Marcus Crassus war in einer aehnlichen Lage wie
Pompeius. Obwohl Sullaner wie dieser, war doch auch seine Politik, ganz
wie die des Pompeius, vor allem eine persoenliche und durchaus nicht die
der herrschenden Oligarchie; und auch er stand jetzt in Italien an der
Spitze einer starken und siegreichen Armee, mit welcher er soeben den
Sklavenaufstand niedergeschlagen hatte. Es blieb ihm die Wahl entweder
gegen die Koalition mit der Oligarchie sich zu verbinden oder in die
Koalition einzutreten; er waehlte den letzteren und damit ohne Zweifel
den sichereren Weg. Bei seinem kolossalen Vermoegen und seinem Einfluss
auf die hauptstaedtischen Klubs war er ueberhaupt ein schaetzbarer
Bundesgenosse; unter den obwaltenden Umstaenden aber war es ein
unberechenbarer Gewinn, wenn das einzige Heer, mit welchem der Senat
den Truppen des Pompeius haette begegnen koennen, der angreifenden Macht
sich beigesellte. Die Demokraten ueberdies, denen bei der Allianz mit
dem uebermaechtigen Feldherrn nicht wohl zu Mute sein mochte, sahen
nicht ungern in Marcus Crassus ihm ein Gegengewicht und vielleicht einen
kuenftigen Rivalen zur Seite gestellt. So kam im Sommer des Jahres 683
(71) die erste Koalition zustande zwischen der Demokratie einer- und
den beiden Sullanischen Generalen Gnaeus Pompeius und Marcus Crassus
andererseits. Beide machten das Parteiprogramm der Demokratie zu dem
ihrigen; es ward ihnen dafuer zunaechst das Konsulat auf das kommende
Jahr, Pompeius ueberdies der Triumph und die begehrten Landlose fuer
seine Soldaten, Crassus als dem Ueberwinder des Spartacus wenigstens die
Ehre des feierlichen Einzugs in die Hauptstadt zugesichert. Den beiden
italischen Armeen, der hohen Finanz und der Demokratie, die also zum
Sturz der Sullanischen Verfassung verbuendet auftraten, hatte der Senat
nichts gegenueberzustellen als etwa das zweite spanische Heer unter
Quintus Metellus Pius. Allein Sulla hatte richtig vorhergesagt, dass
das, was er getan, nicht zum zweitenmal geschehen werde: Metellus,
durchaus nicht geneigt, sich in einen Buergerkrieg zu verwickeln, hatte
sofort nach Ueberschreitung der Alpen seine Soldaten entlassen. So blieb
der Oligarchie nichts uebrig, als in das Unvermeidliche sich zu
fuegen. Der Rat bewilligte die fuer Konsulat und Triumph erforderlichen
Dispensationen; Pompeius und Crassus wurden, ohne Widerstand zu finden,
zu Konsuln fuer das Jahr 684 (70) gewaehlt, waehrend ihre Heere,
angeblich in Erwartung des Triumphs, vor der Stadt lagerten. Noch vor
dem Antritt seines Amtes bekannte sodann Pompeius in einer von dem
Volkstribun Marcus Lollius Palicanus abgehaltenen Volksversammlung
sich oeffentlich und foermlich zu dem demokratischen Programm. Die
Verfassungsaenderung war damit im Prinzip entschieden. Allen Ernstes
ging man nun an die Beseitigung der sullanischen Institutionen. Vor
allen Dingen erhielt das tribunizische Amt wieder seine fruehere
Geltung. Pompeius selbst als Konsul brachte das Gesetz ein, das den
Volkstribunen ihre althergebrachten Befugnisse, namentlich auch die
legislatorische Initiative zurueckgab - freilich eine seltsame Gabe aus
der Hand des Mannes, der mehr als irgend ein Lebender dazu getan hatte,
der Gemeinde ihre alten Privilegien zu entreissen. Hinsichtlich der
Geschworenenstellung wurde die Bestimmung Sullas, dass das Verzeichnis
der Senatoren als Geschworenenliste dienen solle, zwar abgeschafft;
allein es kam doch keineswegs zu einer einfachen Wiederherstellung der
Gracchischen Rittergerichte. Kuenftig, so bestimmte das neue Aurelische
Gesetz, sollten die Geschworenenkollegien zu einem Dritteil aus
Senatoren bestehen, zu zwei Dritteilen aus Maennern vom Ritterzensus,
von welchen letzteren wieder die Haelfte die Distriktvorsteherschaft
oder das sogenannte Kassentribunat bekleidet haben musste. Es war diese
letzte Neuerung eine weitere, den Demokraten gemachte Konzession, indem
hiernach wenigstens der dritte Teil der Kriminalgeschworenen mittelbar
hervorging aus den Wahlen der Distrikte. Wenn dagegen der Senat nicht
gaenzlich aus den Gerichten verdraengt ward, so ist die Ursache davon
wahrscheinlich teils in Crassus' Beziehungen zum Senat zu suchen, teils
in dem Beitritt der senatorischen Mittelpartei zu der Koalition, mit
dem es auch wohl zusammenhaengt, dass der Bruder ihres kuerzlich
verstorbenen Fuehrers, der Praetor Lucius Cotta, dies Gesetz einbrachte.
Nicht weniger wichtig war die Beseitigung der fuer Asien von Sulla
festgesetzten Steuerordnung, welche vermutlich ebenfalls in dies
Jahr faellt; der damalige Statthalter Asiens, Lucius Lucullus, ward
angewiesen, das von Gaius Gracchus eingefuehrte Verpachtungssystem
wiederherzustellen und damit der hohen Finanz diese wichtige Geld- und
Machtquelle zurueckzugeben. Endlich ward die Zensur wieder ins Leben
gerufen. Die Wahlen dafuer, welche die neuen Konsuln kurz nach Antritt
ihres Amtes anberaumten, fielen, in offenbarer Verhoehnung des Senats,
auf die beiden Konsuln des Jahres 682 (73) Gnaeus Lentulus Clodianus
und Lucius Genius, die wegen ihrer elenden Kriegfuehrung gegen Spartacus
durch den Senat vom Kommando entfernt worden waren. Es begreift sich,
dass diese Maenner alle Mittel, die ihr wichtiges und ernstes Amt ihnen
zu Gebote stellte, in Bewegung setzten, um den neuen Machthabern zu
huldigen und den Senat zu aergern. Mindestens der achte Teil des Senats,
vierundsechzig Senatoren, eine bis dahin unerhoerte Zahl, wurden von
der Liste gestrichen, darunter der einst von Gaius Caesar ohne Erfolg
angeklagte Gaius Antonius und der Konsul des Jahres 683 (71), Publius
Lentulus Sura, vermutlich auch nicht wenige der verhassten Kreaturen
Sullas. So war man mit dem Jahre 684 (70) wieder im wesentlichen
zurueckgekommen auf die vor der sullanischen Restauration bestehenden
Ordnungen. Wieder ward die hauptstaedtische Menge aus der Staatskasse,
das heisst von den Provinzen gespeist; wieder gab die tribunizische
Gewalt jedem Demagogen den gesetzlichen Freibrief, die staatlichen
Ordnungen zu verkehren; wieder erhob der Geldadel, als Inhaber der
Steuerpachtungen und der gerichtlichen Kontrolle ueber die Statthalter,
neben der Regierung sein Haupt so maechtig wie nur je zuvor; wieder
zitterte der Senat vor dem Wahrspruch der Geschworenen des Ritterstandes
und vor der zensorischen Ruege. Das System Sullas, das auf die
politische Vernichtung der kaufmaennischen Aristokratie und der
Demagogie die Alleinherrschaft der Nobilitaet begruendet hatte, war
damit vollstaendig ueber den Haufen geworfen. Abgesehen von einzelnen
untergeordneten Bestimmungen, deren Abschaffung erst spaeter nachgeholt
wurde, wie zum Beispiel der Zurueckgabe des Selbstergaenzungsrechts an
die Priesterkollegien, blieb von Sullas allgemeinen Ordnungen hiernach
nichts uebrig als teils die Konzessionen, die er selbst der Opposition
zu machen notwendig gefunden hatte, wie namentlich die Anerkennung des
roemischen Buergerrechts der saemtlichen Italiker, teils Verfuegungen
ohne schroffe Parteitendenz, an denen deshalb auch die verstaendigen
Demokraten nichts auszusetzen fanden, wie unter anderm die Beschraenkung
der Freigelassenen, die Regulierung der Beamtenkompetenzen und die
materiellen Aenderungen im Kriminalrecht. Weniger einig als ueber diese
prinzipiellen war die Koalition hinsichtlich der persoenlichen Fragen,
die eine solche Staatsumwaelzung anregte. Begreiflicherweise liessen
die Demokraten sich nicht genuegen mit der allgemeinen Anerkennung ihres
Programms, sondern auch sie forderten jetzt eine Restauration in ihrem
Sinn: Wiederherstellung des Andenkens ihrer Toten, Bestrafung der
Moerder, Rueckberufung der Geaechteten aus der Verbannung, Aufhebung der
auf ihren Kindern lastenden politischen Zuruecksetzung, Rueckgabe der
von Sulla eingezogenen Gueter, Schadenersatz aus dem Vermoegen der
Erben und Gehilfen des Diktators. Es waren das allerdings die logischen
Konsequenzen, die aus einem reinen Sieg der Demokratie sich ergaben;
allein der Sieg der Koalition von 683 (71) war doch weit entfernt, ein
solcher zu sein. Die Demokratie gab dazu den Namen und das Programm, die
uebergetretenen Offiziere aber, vor allen Pompeius, die Macht und die
Vollendung; und nun- und nimmermehr konnten diese zu einer Reaktion ihre
Zustimmung geben, die nicht bloss die bestehenden Verhaeltnisse bis in
ihre Grundfesten erschuettert, sondern auch schliesslich sich gegen sie
selbst gewandt haben wuerde - war es doch noch im frischen Andenken,
welcher Maenner Blut Pompeius vergossen, wie Crassus zu seinem ugeheuren
Vermoegen den Grund gelegt hatte. So ist es wohl erklaerlich, aber
auch zugleich bezeichnend fuer die Schwaeche der Demokratie, dass die
Koalition von 683 (71) nicht das geringste tat, um den Demokraten
Rache oder auch nur Rehabilitation zu gewaehren. Die nachtraegliche
Einforderung aller der fuer erstandene konfiszierte Gueter noch
rueckstaendigen oder auch von Sulla den Kaeufern erlassenen Kaufgelder,
welche der Zensor Lentulus in einem besonderen Erlass feststellte,
kann kaum als Ausnahme bezeichnet werden; denn wenn auch nicht wenige
Sullaner dadurch in ihren persoenlichen Interessen empfindlich verletzt
wurden, so war doch die Massregel selbst wesentlich eine Bestaetigung
der von Sulla vorgenommenen Konfiskationen. Sullas Werk war also
zerstoert; aber was nun werden sollte, war damit viel mehr in Frage
gestellt als entschieden. Die Koalition, einzig zusammengehalten durch
den gemeinschaftlichen Zweck, das Restaurationswerk zu beseitigen,
loeste sich, als dieser erreicht war, wenn nicht foermlich, doch der
Sache nach von selber auf; fuer die Frage aber, wohin nun zunaechst das
Schwergewicht der Macht fallen sollte, schien sich eine ebenso rasche
wie gewaltsame Loesung vorzubereiten. Die Heere des Pompeius und Crassus
lagerten immer noch vor den Toren der Stadt. Jener hatte zwar zugesagt,
nach dem Triumph (am letzten Dezember 683 71) seine Soldaten zu
verabschieden; allein zunaechst war es unterblieben, um unter dem
Druck, den das spanische Heer vor der Hauptstadt auf diese und den Senat
ausuebte, die Staatsumwaelzung ungestoert zu vollenden, was denn in
gleicher Weise auch auf die Armee des Crassus Anwendung fand. Diese
Ursache bestand jetzt nicht mehr; aber dennoch unterblieb die Aufloesung
der Heere. Die Dinge nahmen die Wendung, als werde einer der beiden mit
der Demokratie alliierten Feldherrn die Militaerdiktatur ergreifen und
Oligarchen und Demokraten in dieselben Fesseln schlagen. Dieser eine
aber konnte nur Pompeius sein. Von Anfang an hatte Crassus in der
Koalition eine untergeordnete Rolle gespielt; er hatte sich antragen
muessen und verdankte selbst seine Wahl zum Konsulat hauptsaechlich
Pompeius' stolzer Verwendung. Weitaus der staerkere, war Pompeius
offenbar der Herr der Situation; wenn er zugriff, so schien er werden zu
muessen, als was ihn der Instinkt der Menge schon jetzt bezeichnete: der
unumschraenkte Gebieter des maechtigsten Staates der zivilisierten
Welt. Schon draengte sich die ganze Masse der Servilen um den kuenftigen
Monarchen. Schon suchten die schwaecheren Gegner eine letzte Hilfe in
einer neuen Koalition; Crassus, voll alter und neuer Eifersucht auf den
juengeren, so durchaus ihn ueberfluegelnden Rivalen, naeherte sich dem
Senat und versuchte, durch beispiellose Spenden die hauptstaedtische
Menge an sich zu fesseln - als ob die durch Crassus selbst mitgebrochene
Oligarchie und der ewig undankbare Poebel vermocht haben wuerden, gegen
die Veteranen der spanischen Armee irgendwelchen Schutz zu gewaehren.
Einen Augenblick schien es, als wuerde es vor den Toren der Hauptstadt
zwischen den Heeren des Pompeius und Crassus zur Schlacht kommen. Allein
diese Katastrophe wandten die Demokraten durch ihre Einsicht und
ihre Geschmeidigkeit ab. Auch ihrer Partei lag, ebenwie dem Senat und
Crassus, alles daran, dass Pompeius nicht die Diktatur ergriff; aber mit
richtigerer Einsicht in ihre eigene Schwaeche und in den Charakter des
maechtigen Gegners versuchten ihre Fuehrer den Weg der Guete. Pompeius
fehlte keine Bedingung, um nach der Krone zu greifen, als die erste
von allen: der eigene koenigliche Mut. Wir haben den Mann frueher
geschildert, mit seinem Streben, zugleich loyaler Republikaner und Herr
von Rom zu sein, mit seiner Unklarheit und Willenlosigkeit, mit seiner,
unter dem Pochen auf selbstaendige Entschluesse sich verbergenden
Lenksamkeit. Es war dies die erste grosse Probe, auf die das Verhaengnis
ihn stellte; er hat sie nicht bestanden. Der Vorwand, unter dem Pompeius
die Entlassung der Armee verweigerte, war, dass er Crassus misstraute
und darum nicht mit der Entlassung der Soldaten den Anfang machen
koenne. Die Demokraten bestimmten den Crassus, hierin entgegenkommende
Schritte zu tun, dem Kollegen vor aller Augen zum Frieden die Hand zu
bieten; oeffentlich und insgeheim bestuermten sie diesen, dass er zu dem
zwiefachen Verdienst, den Feind besiegt und die Parteien versoehnt zu
haben, noch das dritte und groesste fuegen moege, dem Vaterland
den inneren Frieden zu erhalten und das drohende Schreckbild des
Buergerkrieges zu bannen. Was nur immer auf einen eitlen, ungewandten,
unsicheren Mann zu wirken vermag, alle Schmeichelkuenste der Diplomatie,
aller theatralische Apparat patriotischer Begeisterung wurde in Bewegung
gesetzt, um das ersehnte Ziel zu erreichen; was aber die Hauptsache
war, die Dinge hatten durch Crassus' rechtzeitige Nachgiebigkeit sich
so gestaltet, dass Pompeius nur die Wahl blieb, entweder geradezu als
Tyrann von Rom auf- oder zurueckzutreten. So gab er endlich nach und
willigte in die Entlassung der Truppen. Das Kommando im Mithradatischen
Krieg, das zu erlangen er ohne Zweifel hoffte, als er sich fuer 684 (70)
zum Konsul hatte waehlen lassen, konnte er jetzt nicht wuenschen, da mit
dem Feldzuge von 683 (71) Lucullus diesen Krieg in der Tat beendigt zu
haben schien; die vom Senat in Gemaessheit des Sempronischen Gesetzes
ihm angewiesene Konsularprovinz anzunehmen, hielt er unter seiner
Wuerde, und Crassus folgte darin seinem Beispiel. So zog Pompeius, als
er nach Entlassung seiner Soldaten am letzten Tage des Jahres 684 (70)
sein Konsulat niederlegte, sich zunaechst ganz von den oeffentlichen
Geschaeften zurueck und erklaerte, fortan als einfacher Buerger in
stiller Musse leben zu wollen. Er hatte sich so gestellt, dass er nach
der Krone greifen musste und, da er dies nicht wollte, ihm keine Rolle
uebrig blieb als die nichtige eines resignierenden Thronkandidaten. Der
Ruecktritt des Mannes, dem nach der Lage der Sachen die erste Stelle
zukam, vom politischen Schauplatz fuehrte zunaechst ungefaehr dieselbe
Parteistellung wieder herbei, wie wir sie in der gracchischen und
marianischen Epoche fanden. Sulla hatte dem Senat das Regiment nur
befestigt, nicht gegeben; so blieb denn auch dasselbe, nachdem die von
Sulla errichteten Bollwerke wieder gefallen waren, nichtsdestoweniger
zunaechst dem Senat, waehrend die Verfassung freilich, mit der
er regierte, im wesentlichen die wiederhergestellte Gracchische,
durchdrungen war von einem der Oligarchie feindlichen Geiste. Die
Demokratie hatte die Wiederherstellung der Gracchischen Verfassung
bewirkt; aber ohne einen neuen Gracchus war diese ein Koerper ohne
Haupt, und dass weder Pompeius noch Crassus auf die Dauer dieses Haupt
sein konnten, war an sich klar und durch die letzten Vorgaenge noch
deutlicher dargetan worden. So musste die demokratische Opposition in
Ermangelung eines Fuehrers, der geradezu das Ruder in die Hand genommen
haette, vorlaeufig sich begnuegen, die Regierung auf Schritt und
Tritt zu hemmen und zu aergern. Zwischen der Oligarchie aber und der
Demokratie erhob sich zu neuem Ansehen die Kapitalistenpartei, welche
in der juengsten Krise mit der letzteren gemeinschaftliche Sache gemacht
hatte, die aber zu sich hinueberzuziehen und an ihr ein Gegengewicht
gegen die Demokratie zu gewinnen, die Oligarchen jetzt eifrig bemueht
waren. Also von beiden Seiten umworben, saeumten die Geldherren nicht,
ihre vorteilhafte Lage sich zunutze zu machen und das einzige ihrer
frueheren Privilegien, das sie noch nicht zurueckerlangt hatten, die dem
Ritterstand reservierten vierzehn Baenke im Theater, sich jetzt (687 67)
durch Volksschluss wiedergeben zu lassen. Im ganzen naeherten sie,
ohne mit der Demokratie schroff zu brechen, doch wieder mehr sich
der Regierung. Schon die Beziehungen des Senats zu Crassus und seiner
Klientel gehoeren in diesen Zusammenhang; hauptsaechlich aber scheint
ein besseres Verhaeltnis zwischen dem Senat und der Geldaristokratie
dadurch hergestellt zu sein, dass dieser dem tuechtigsten unter den
senatorischen Offizieren, Lucius Lucullus, auf Andringen der von
demselben schwer gekraenkten Kapitalisten im Jahre 686 (68) die
Verwaltung der fuer diese so wichtigen Provinz Asia abnahm. Waehrend
aber die hauptstaedtischen Faktionen miteinander des gewohnten Haders
pflegten, bei dem denn doch nimmermehr eine eigentliche Entscheidung
herauskommen konnte, gingen im Osten die Ereignisse ihren
verhaengnisvollen Gang, wie wir ihn frueher geschildert haben, und sie
waren es, die den zoegernden Verlauf der hauptstaedtischen Politik zur
Krise draengten. Der Land- wie der Seekrieg hatte dort die unguenstigste
Wendung genommen. Im Anfang des Jahres 687 (67) war die pontische Armee
der Roemer aufgerieben, die armenische in voller Aufloesung auf dem
Rueckzug, alle Eroberungen verloren, das Meer ausschliesslich in der
Gewalt der Piraten, die Kornpreise in Italien dadurch so in die Hoehe
getrieben, dass man eine foermliche Hungersnot befuerchtete. Wohl
hatten, wie wir sahen, die Fehler der Feldherren, namentlich die
voellige Unfaehigkeit des Admirals Marcus Antonius und die Verwegenheit
des sonst tuechtigen Lucius Lucullus, diesen Notstand zum Teil
verschuldet, wohl auch die Demokratie durch ihre Wuehlereien zu
der Aufloesung des armenischen Heeres wesentlich beigetragen. Aber
natuerlich ward die Regierung jetzt fuer alles, was sie und was andere
verdorben hatten, in Bausch und Bogen verantwortlich gemacht und die
grollende hungrige Menge verlangte nur eine Gelegenheit, um mit dem
Senat abzurechnen. Es war eine entscheidende Krise. Die Oligarchie, wie
auch herabgewuerdigt und entwaffnet, war noch nicht gestuerzt, dennoch
lag die Fuehrung der oeffentlichen Angelegenheiten in den Haenden des
Senats; sie stuerzte aber, wenn die Gegner diese, dass heisst namentlich
die Oberleitung der militaerischen Angelegenheiten, sich selber
zueigneten; und jetzt war dies moeglich. Wenn jetzt Vorschlaege ueber
eine andere und bessere Fuehrung des Land- und Seekrieges an die
Komitien gebracht wurden, so war bei der Stimmung der Buergerschaft der
Senat voraussichtlich nicht imstande, deren Durchsetzung zu
verhindern; und eine Intervention der Buergerschaft in diesen hoechsten
Verwaltungsfragen war tatsaechlich die Absetzung des Senats und die
Uebertragung der Leitung des Staats an die Fuehrer der Opposition.
Wieder einmal brachte die Verkettung der Dinge die Entscheidung in
die Haende des Pompeius. Seit mehr als zwei Jahren lebte der gefeierte
Feldherr als Privatmann in der Hauptstadt. Seine Stimme ward im Rathaus
wie auf dem Markte selten vernommen; dort war er nicht gern gesehen und
ohne entscheidenden Einfluss, hier scheute er sich vor dem stuermischen
Treiben der Parteien. Wenn er aber sich zeigte, geschah es mit dem
vollstaendigen Hofstaat seiner vornehmen und geringen Klienten, und eben
seine feierliche Zurueckgezogenheit imponierte der Menge. Wenn er, an
dem der volle Glanz seiner ungemeinen Erfolge noch unvermindert haftete,
jetzt sich erbot, nach dem Osten abzugehen, so ward er ohne Zweifel
mit aller von ihm selbst geforderten militaerischen und politischen
Machtvollkommenheit von der Buergerschaft bereitwillig bekleidet. Fuer
die Oligarchie, die in der politischen Militaerdiktatur ihren sicheren
Ruin, in Pompeius selbst seit der Koalition von 683 (71) ihren
verhasstesten Feind sah, war dies ein vernichtender Schlag; aber auch
der demokratischen Partei konnte dabei nicht wohl zu Mute sein. So
wuenschenswert es ihr an sich sein musste, dem Regiment des Senats ein
Ende zu machen, so war es doch, wenn es in dieser Weise geschah,
weit weniger ein Sieg ihrer Partei als ein persoenlicher ihres
uebermaechtigen Verbuendeten. Leicht konnte in diesem der demokratischen
Partei ein weit gefaehrlicherer Gegner aufstehen als der Senat war.
Die wenige Jahre zuvor durch die Entlassung der spanischen Armee und
Pompeius' Ruecktritt gluecklich vermiedene Gefahr kehrte in verstaerktem
Masse wieder, wenn Pompeius jetzt an die Spitze der Armeen des
Ostens trat. Diesmal indes griff Pompeius zu oder liess es wenigstens
geschehen, dass andere fuer ihn zugriffen. Es wurden im Jahre 687
(67) zwei Gesetzvorschlaege eingebracht, von denen der eine ausser
der laengst von der Demokratie geforderten Entlassung der ausgedienten
Soldaten der asiatischen Armee die Abberufung des Oberfeldherrn
derselben, Lucius Lucullus, und dessen Ersetzung durch einen der Konsuln
des laufenden Jahres, Gaius Piso oder Manius Glabrio, verfuegte, der
zweite den sieben Jahre zuvor zur Reinigung der Meere von den Piraten
vom Senat selbst aufgestellten Plan wiederaufnahm und erweiterte. Ein
einziger, vom Senat aus den Konsularen zu bezeichnender Feldherr sollte
bestellt werden, um zur See auf dem gesamten Mittellaendischen Meer
von den Saeulen des Herkules bis an die pontische und syrische Kueste
ausschliesslich, zu Lande ueber saemtliche Kuesten bis zehn deutsche
Meilen landeinwaerts mit den betreffenden roemischen Statthaltern
konkurrierend, den Oberbefehl zu uebernehmen. Auf drei Jahre hinaus war
demselben das Amt gesichert. Ihn umgab ein Generalstab, wie Rom
noch keinen gesehen hatte, von fuenfundzwanzig Unterbefehlshabern
senatorischen Standes, alle mit praetorischen Insignien und
praetorischer Gewalt bekleidet, und von zwei Unterschatzmeistern mit
quaestorischen Befugnissen, sie alle erlesen durch den ausschliesslichen
Willen des hoechstkommandierenden Feldherrn. Es ward demselben
gestattet, bis zu 120000 Mann Fussvolk, 5000 Reitern, 500 Kriegsschiffen
aufzustellen und zu dem Ende ueber die Mittel der Provinzen und
Klientelstaaten unbeschraenkt zu verfuegen; ueberdies wurden die
vorhandenen Kriegsschiffe und eine ansehnliche Truppenzahl sofort
ihm ueberwiesen. Die Kassen des Staats in der Hauptstadt wie in den
Provinzen sowie die der abhaengigen Gemeinden sollten ihm unbeschraenkt
zu Gebot stehen und trotz der peinlichen Finanznot sofort aus der
Staatskasse ihm eine Summe von 11 Mill. Talern (144 Mill. Sesterzen)
ausgezahlt werden. Es leuchtet ein, dass durch diese Gesetzentwuerfe,
namentlich durch den die Expedition gegen die Piraten betreffenden,
das Regiment des Senats ueber den Haufen fiel. Wohl waren die von der
Buergerschaft ernannten ordentlichen hoechsten Beamten von selbst
die rechten Feldherren der Gemeinde und bedurften auch die
ausserordentlichen Beamten, um Feldherren sein zu koennen, wenigstens
nach strengem Recht der Bestaetigung durch die Buergerschaft; aber
auf die Besetzung der einzelnen Kommandos stand der Gemeinde
verfassungsmaessig kein Einfluss zu und nur entweder auf Antrag des
Senats oder doch auf Antrag eines an sich zum Feldherrnamt berechtigten
Beamten hatten bisher die Komitien hin und wieder hier sich eingemischt
und auch die spezielle Kompetenz vergeben. Hierin stand vielmehr,
seit es einen roemischen Freistaat gab, dem Senate das tatsaechlich
entscheidende Wort zu und es war diese seine Befugnis im Laufe der Zeit
zu endgueltiger Anerkennung gelangt. Freilich hatte die Demokratie auch
hieran schon geruettelt; allein selbst in dem bedenklichsten der bisher
vorgekommenen Faelle, bei der Uebertragung des afrikanischen Kommandos
auf Gaius Marius 647 (107), war nur ein verfassungsmaessig zum
Feldherrnamt ueberhaupt berechtigter Beamter durch den Schluss der
Buergerschaft mit einer bestimmten Expedition beauftragt worden. Aber
jetzt sollte die Buergerschaft einen beliebigen Privatmann nicht bloss
mit der ausserordentlichen hoechsten Amtsgewalt ausstatten, sondern auch
mit einer bestimmt von ihr normierten Kompetenz. Dass der Senat diesen
Mann aus der Reihe der Konsulare zu erkiesen hatte, war eine Milderung
nur in der Form; denn die Auswahl blieb demselben nur deshalb
ueberlassen, weil es eben eine Wahl nicht war und der stuermisch
aufgeregten Menge gegenueber der Senat den Oberbefehl der Meere und
Kuesten schlechterdings keinem andern uebertragen konnte als einzig dem
Pompeius. Aber bedenklicher noch als diese prinzipielle Negierung der
Senatsherrschaft war die tatsaechliche Aufhebung derselben durch die
Einrichtung eines Amtes von fast unbeschraenkter militaerischer und
finanzieller Kompetenz. Waehrend das Feldherrnamt sonst auf eine
einjaehrige Frist, auf eine bestimmte Provinz, auf streng zugemessene
militaerische und finanzielle Hilfsmittel beschraenkt war, war dem neuen
ausserordentlichen Amt von vornherein eine dreijaehrige Dauer gesichert,
die natuerlich weitere Verlaengerung nicht ausschloss, war demselben der
groesste Teil der saemtlichen Provinzen, ja sogar Italien selbst, das
sonst von militaerischer Amtsgewalt frei war, untergeordnet, waren
ihm die Soldaten, Schiffe, Kassen des Staats fast unbeschraenkt zur
Verfuegung gestellt. Selbst der eben erwaehnte uralte Fundamentalsatz
des republikanisch-roemischen Staatsrechts, dass die hoechste
militaerische und buergerliche Amtsgewalt nicht ohne Mitwirkung
der Buergerschaft vergeben werden koenne, ward zu Gunsten des
neuen Oberfeldherrn gebrochen: indem das Gesetz den fuenfundzwanzig
Adjutanten, die er sich ernennen wuerde, im voraus praetorischen Rang
und praetorische Befugnisse verlieh ^1, wurde das hoechste Amt des
republikanischen Rom einem neu geschaffenen untergeordnet, fuer das den
geeigneten Namen zu finden der Zukunft ueberlassen blieb, das aber
der Sache nach schon jetzt die Monarchie in sich enthielt. Es war eine
vollstaendige Umwaelzung der bestehenden Ordnung, zu der mit
diesem Gesetzvorschlag der Grund gelegt ward.
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^1 Die ausserordentliche Amtsgewalt (pro consule, pro praetore, pro
quaestore) konnte nach roemischem Staatsrecht in dreifacher Weise
entstehen. Entweder ging sie hervor aus dem fuer die nichtstaedtische
Amtstaetigkeit geltenden Grundsatz, dass das Amt bis zu dem gesetzlichen
Endtermin, die Amtsgewalt aber bis zum Eintreffen des Nachfolgers
fortdauert, was der aelteste, einfachste und haeufigste Fall ist. Oder
sie entstand auf dem Wege, dass die beikommenden Organe, namentlich
die Komitien, in spaeterer Zeit auch wohl der Senat, einen nicht in der
Verfassung vorgesehenen Oberbeamten ernannten, indem dieser zwar sonst
dem ordentlichen Beamten gleichstand, aber doch zum Kennzeichen der
Ausserordentlichkeit seines Amtes sich nur "an Praetors" oder "an
Konsuls Statt" nannte. Hierher gehoeren auch die in ordentlichem Wege
zu Quaestoren ernannten, dann aber ausserordentlicherweise mit
praetorischer oder gar konsularischer Amtsgewalt ausgestatteten Beamten
(quaestores pro praetore oder pro consule), in welcher Eigenschaft zum
Beispiel Publius Lentulus Marcellinus 679 (73) nach Kyrene (Sall. hist.
2, 39 Dietsch), Gnaeus Piso 689 (65) nach dem Diesseitigen Spanien
(Sall. Cat. 19), Cato 696 (58) nach Kypros (Vell. 2, 45) gingen.
Oder endlich es beruht die ausserordentliche Amtsgewalt auf dem
Mandierungsrecht des hoechsten Beamten. Derselbe ist, wenn er seinen
Amtsbezirk verlaesst oder sonst behindert ist, sein Amt zu versehen,
befugt, einen seiner Leute zu seinem Stellvertreter zu ernennen, welcher
dann legatus pro praetore (Sall. Iug. 36-38) oder wenn die Wahl auf
den Quaestor faellt, quaestor pro praetore (Sall. Iug. 103) heisst.
In gleicher Weise ist er befugt, wenn er keinen Quaestor hat, dessen
Geschaefte durch einen seines Gefolges versehen zu lassen, welcher dann
legatus pro quaestore heisst und mit diesem Namen wohl zuerst auf
den makedonischen Tetradrachmen des Sura, Unterbefehlshabers des
Statthalters von Makedonien 665-667 (89-87) begegnet. Das aber ist
dem Wesen der Mandierung zuwider und darum nach aelterem Staatsrecht
unzulaessig, dass der hoechste Beamte, ohne in seiner Funktionierung
gehindert zu sein, gleich bei Antritt seines Amtes von vornherein einen
oder mehrere seiner Untergebenen mit hoechster Amtsgewalt ausstattet;
und insofern sind die legati pro praetore des Prokonsuls Pompeius eine
Neuerung und schon denen gleichartig, die in der Kaiserzeit eine
so grosse Rolle spielen.
---------------------------------------------------------- Diese
Massregeln eines Mannes, der soeben noch von seiner Halbheit und
Schwaeche so auffallende Beweise geliefert hatte, befremden durch
ihre durchgreifende Energie. Indes ist es doch wohl erklaerlich, dass
Pompeius diesmal entschlossener verfuhr als waehrend seines Konsulats.
Handelte es sich doch nicht darum, sofort als Monarch aufzutreten,
sondern die Monarchie zunaechst nur vorzubereiten durch eine
militaerische Ausnahmemassregel, die, wie revolutionaer sie ihrem Wesen
nach war, doch noch in den Formen der bestehenden Verfassung vollzogen
werden konnte, und die zunaechst Pompeius dem alten Ziel seiner
Wuensche, dem Kommando gegen Mithradates und Tigranes, entgegenfuehrte.
Auch gewichtige Zweckmaessigkeitsgruende sprachen fuer die Emanzipation
der Militaergewalt von dem Senat. Pompeius konnte nicht vergessen
haben, dass ein nach ganz gleichen Grundsaetzen angelegter Plan zur
Unterdrueckung der Piraterie wenige Jahre zuvor an der verkehrten
Ausfuehrung durch den Senat gescheitert, dass der Ausgang des Spanischen
Krieges durch die Vernachlaessigung der Heere von sehen des Senats und
dessen unverstaendige Finanzwirtschaft aufs hoechste gefaehrdet
worden war; er konnte nicht uebersehen, wie die grosse Majoritaet der
Aristokratie gegen ihn, den abtruennigen Sullaner, gesinnt war und
welchem Schicksal er entgegenging, wenn er als Feldherr der Regierung
mit der gewoehnlichen Kompetenz sich nach dem Osten senden liess.
Begreiflich ist es daher, dass er als die erste Bedingung der Uebernahme
des Kommandos eine vom Senat unabhaengige Stellung bezeichnete und dass
die Buergerschaft bereitwillig darauf einging. Es ist ferner in hohem
Grade wahrscheinlich, dass Pompeius diesmal durch seine Umgebungen,
die ueber sein Zurueckweichen vor zwei Jahren vermutlich nicht
wenig ungehalten waren, zu rascherem Handeln fortgerissen ward. Die
Gesetzvorschlaege ueber Lucullus' Abberufung und die Expedition gegen
die Piraten wurden eingebracht von dem Volkstribun Aulus Gabinius,
einem oekonomisch und sittlich ruinierten Mann, aber einem gewandten
Unterhaendler, dreisten Redner und tapferen Soldaten. So wenig ernsthaft
auch Pompeius' Beteuerungen gemeint waren, dass er den Oberbefehl in dem
Seeraeuberkriege durchaus nicht wuensche und nur nach haeuslicher Ruhe
sich sehne, so ist doch davon wahrscheinlich so viel wahr, dass der
kecke und bewegliche Klient, der mit Pompeius und dessen engerem Kreise
im vertraulichen Verkehr stand und die Verhaeltnisse und die Menschen
vollkommen durchschaute, seinem kurzsichtigen und unbehilflichen
Patron die Entscheidung zum guten Teil ueber den Kopf nahm.
---------------------------------------------------- Die Demokratie, wie
unzufrieden ihre Fuehrer im stillen sein mochten, konnte doch nicht
wohl oeffentlich gegen den Gesetzvorschlag auftreten. Die Durchbringung
desselben haette sie allem Anschein nach auf keinen Fall zu hindern
vermocht, wohl aber durch Opposition dagegen mit Pompeius offen
gebrochen und dadurch ihn genoetigt, entweder der Oligarchie sich zu
naehern oder gar beiden Parteien gegenueber seine persoenliche Politik
ruecksichtslos zu verfolgen. Es blieb den Demokraten nichts uebrig, als
ihre Allianz mit Pompeius, wie hohl sie immer war, auch diesmal noch
festzuhalten und diese Gelegenheit zu ergreifen, um wenigstens den Senat
endlich definitiv zu stuerzen und aus der Opposition in das Regiment
ueberzugehen, das weitere aber der Zukunft und Pompeius' wohlbekannter
Charakterschwaeche zu ueberlassen. So unterstuetzten denn auch ihre
Fuehrer, der Praetor Lucius Quinctius, derselbe, der sieben Jahre zuvor
fuer die Wiederherstellung der tribunizischen Gewalt taetig gewesen
war, und der gewesene Quaestor Gaius Caesar, die Gabinischen
Gesetzvorschlaege. Die privilegierten Klassen waren ausser sich, nicht
bloss die Nobilitaet, sondern ebenso die kaufmaennische Aristokratie,
die auch ihre Sonderrechte durch eine so gruendliche Staatsumwaelzung
bedroht fuehlte und wieder einmal ihren rechten Patron in dem Senat
erkannte. Als der Tribun Gabinius nach Einbringung seiner Antraege in
der Kurie sich zeigte, fehlte nicht viel, dass ihn die Vaeter der Stadt
mit eigenen Haenden erwuergt haetten, ohne in ihrem Eifer zu erwaegen,
wie hoechst unvorteilhaft diese Methode zu argumentieren fuer sie
ablaufen wusste. Der Tribun entkam auf den Markt und rief die Menge
auf, das Rathaus zu stuermen, als eben zur rechten Zeit noch die Sitzung
aufgehoben ward. Der Konsul Piso, der Vorkaempfer der Oligarchie, der
zufaellig der Menge in die Haende geriet, waere sicher ein Opfer der
Volkswut geworden, wenn nicht Gabinius darueber zugekommen waere und, um
nicht durch unzeitige Freveltaten seinen gewissen Erfolg auf das Spiel
zu stellen, den Konsul befreit haette. Inzwischen blieb die Erbitterung
der Menge unvermindert und fand stets neue Nahrung in den hohen
Getreidepreisen und den zahlreichen, zum Teil ganz tollen Geruechten,
zum Beispiel, dass Lucius Lucullus die ihm zur Kriegfuehrung
ueberwiesenen Gelder teils in Rom zinsbar belegt, teils mit denselben
den Praetor Quinctius der Sache des Volkes abwendig zu machen versucht
habe; dass der Senat dem "zweiten Romulus", wie man Pompeius nannte,
das Schicksal des ersten ^2 zu bereiten gedenke und dergleichen mehr.
Darueber kam der Tag der Abstimmung heran. Kopf an Kopf gedraengt stand
die Menge auf dem Markte; bis an die Daecher hinauf waren alle Gebaeude,
von wo aus die Rednerbuehne gesehen werden konnte, mit Menschen bedeckt.
Saemtliche Kollegen des Gabinius hatten dem Senat die Interzession
zugesagt: aber den brausenden Wogen der Massen gegenueber schwiegen
alle bis auf den einzigen Lucius Trebellius, der sich und dem Senat
geschworen hatte, lieber zu sterben als zu weichen. Als dieser
interzedierte, unterbrach Gabinius sogleich die Abstimmung ueber seine
Gesetzvorschlaege und beantragte bei dem versammelten Volke, mit seinem
widerstrebenden Kollegen zu verfahren, wie einst auf Tiberius Gracchus'
Antrag mit dem Octavius verfahren war, das heisst ihn sofort seines
Amtes zu entsetzen. Es ward abgestimmt und die Verlesung der Stimmtafeln
begann; als die ersten siebzehn Bezirke, die zur Verlesung kamen, sich
fuer den Antrag erklaerten und die naechste bejahende Stimme demselben
die Majoritaet gab, zog Trebellius, seines Eides vergessend, die
Interzession kleinmuetig zurueck. Vergeblich bemuehte sich darauf der
Tribun Otho zu bewirken, dass wenigstens die Kollegialitaet gewahrt und
statt eines Feldherrn zwei gewaehlt werden moechten; vergeblich strengte
der hochbejahrte Quintus Catulus, der geachtetste Mann im Senat,
seine letzten Kraefte dafuer an, dass die Unterfeldherren nicht vom
Oberfeldherrn ernannt, sondern vom Volke gewaehlt werden moechten. Otho
konnte in dem Toben der Menge nicht einmal sich Gehoer verschaffen; dem
Catulus verschaffte es Gabinius' wohlberechnete Zuvorkommenheit, und in
ehrerbietigem Schweigen horchte die Menge den Worten des Greises; aber
verloren waren sie darum nicht minder. Die Vorschlaege wurden nicht
bloss mit allen Klauseln unveraendert zum Gesetz erhoben, sondern auch,
was Pompeius noch im einzelnen nachtraeglich begehrte,
augenblicklich und vollstaendig bewilligt.
-------------------------------------------------------------- ^2 Der
Sage nach ward Koenig Romulus von den Senatoren in Stuecke zerrissen.
------------------------------------------------------------- Mit
hochgespannten Hoffnungen sah man die beiden Feldherren Pompeius und
Glabrio nach ihren Bestimmungsorten abgehen. Die Kornpreise waren nach
dem Durchgehen der Gabinischen Gesetze sogleich auf die gewoehnlichen
Saetze zurueckgegangen: ein Beweis, welche Hoffnungen an die grossartige
Expedition und ihren ruhmvollen Fuehrer sich knuepften. Sie wurden, wie
spaeter erzaehlt wird, nicht bloss erfuellt, sondern uebertroffen;
in drei Monaten war die Saeuberung der Meere vollendet. Seit dem
Hannibalischen Kriege war die roemische Regierung nicht mit solcher
Energie nach aussen hin aufgetreten; gegenueber der schlaffen
und unfaehigen Verwaltung der Oligarchie hatte die
demokratisch-militaerische Opposition auf das glaenzendste ihren Beruf
dargetan, die Zuegel des Staates zu fassen und zu lenken. Die ebenso
unpatriotischen wie ungeschickten Versuche des Konsuls Piso,
den Anstalten des Pompeius zu Unterdrueckung der Piraterie im
Narbonensischen Gallien kleinliche Hindernisse in den Weg zu legen,
steigerten nur die Erbitterung der Buergerschaft gegen die Oligarchie
und ihren Enthusiasmus fuer Pompeius: einzig dessen persoenliche
Dazwischenkunft verhinderte es, dass die Volksversammlung nicht
den Konsul kurzweg seines Amtes entsetzte. Inzwischen war auf dem
asiatischen Festland die Verwirrung nur noch aerger geworden. Glabrio,
der an Lucullus' Stelle den Oberbefehl gegen Mithradates und Tigranes
uebernehmen sollte, war in Vorderasien sitzen geblieben und hatte
zwar durch verschiedene Proklamationen die Soldaten gegen Lucullus
aufgestiftet, aber den Oberbefehl nicht angetreten, so dass Lucullus
denselben fortzufuehren gezwungen war. Gegen Mithradates war natuerlich
nichts geschehen; die pontischen Reiter pluenderten ungescheut und
ungestraft in Bithynien und Kappadokien. Durch den Piratenkrieg war
auch Pompeius veranlasst worden, sich mit seinem Heer nach Kleinasien
zu begeben; nichts lag naeher, als ihm den Oberbefehl in dem
Pontisch-Armenischen Kriege zu uebertragen, dem er selbst seit
langem nachtrachtete. Allein die demokratische Partei in Rom teilte
begreiflicherweise die Wuensche ihres Generals nicht und huetete sich
wohl, hierin die Initiative zu ergreifen. Es ist sehr wahrscheinlich,
dass sie den Gabinius bestimmt hatte, den Mithradatischen und den
Piratenkrieg nicht von vornherein beide zugleich an Pompeius, sondern
den ersteren an Glabrio zu uebertragen; auf keinen Fall konnte sie jetzt
die Ausnahmestellung des schon allzumaechtigen Feldherrn steigern und
verewigen wollen. Auch Pompeius selbst verhielt nach seiner Gewohnheit
sich leidend, und vielleicht waere er in der Tat nach Vollziehung des
ihm gewordenen Auftrags heimgekehrt, wenn nicht ein allen Parteien
unerwarteter Zwischenfall eingetreten waere. Ein gewisser Gaius
Manilius, ein ganz nichtiger und unbedeutender Mensch, hatte als
Volkstribun es durch seine ungeschickten Gesetzvorschlaege zugleich mit
der Aristokratie und der Demokratie verdorben. In der Hoffnung, sich
unter des maechtigen Feldherrn Fluegeln zu bergen, wenn er diesem
verschaffe, was er, wie jedem bekannt war, sehnlichst wuenschte, aber
doch zu fordern sich nicht getraute, stellte er bei der Buergerschaft
den Antrag, die Statthalter Glabrio aus Bithynien und Pontos, Marcius
Rex aus Kilikien abzuberufen und diese Aemter sowie die Fuehrung
des Krieges im Osten, wie es scheint ohne bestimmte Zeitgrenze
und jedenfalls mit der freiesten Befugnis, Frieden und Buendnis zu
schliessen, dem Prokonsul der Meere und Kuesten neben seinem bisherigen
Amte zu uebertragen (Anfang 688 66). Es zeigte hier sich einmal recht
deutlich, wie zerruettet die roemische Verfassungsmaschine war, seit die
gesetzgeberische Gewalt teils der Initiative nach jedem noch so geringen
Demagogen, und der Beschlussfassung nach der unmuendigen Menge in die
Haende gegeben, teils auf die wichtigsten Verwaltungsfragen erstreckt
war. Der Manilische Vorschlag war keiner der politischen Parteien
genehm; dennoch fand er kaum irgendwo ernstlichen Widerstand. Die
demokratischen Fuehrer konnten aus denselben Gruenden, die sie gezwungen
hatten, das Gabinische Gesetz sich gefallen zu lassen, es nicht wagen,
sich dem Manilischen geradezu zu widersetzen; sie verschlossen ihren
Unwillen und ihre Besorgnisse in sich und redeten oeffentlich fuer den
Feldherrn der Demokratie. Die gemaessigten Optimaten erklaerten sich
fuer den Manilischen Antrag, weil nach dem Gabinischen Gesetz der
Widerstand auf jeden Fall vergeblich war und weiterblickende Maenner
schon damals erkannten, dass es fuer den Senat die richtige Politik sei,
sich Pompeius moeglichst zu naehern und bei dem vorauszusehenden Bruch
zwischen ihm und den Demokraten ihn auf ihre Seite hinueberzuziehen. Die
Maenner des Schaukelsystems endlich segneten den Tag, wo auch sie eine
Meinung zu haben scheinen und entschieden auftreten konnten, ohne es
mit einer der Parteien zu verderben - es ist bezeichnend, dass mit der
Verteidigung des Manilischen Antrags Marcus Cicero zuerst die politische
Rednerbuehne betrat. Einzig die strengen Optimaten, Quintus Catulus an
der Spitze, zeigten wenigstens Farbe und sprachen gegen den Vorschlag.
Natuerlich wurde derselbe mit einer an Einstimmigkeit grenzenden
Majoritaet zum Gesetz erhoben. Pompeius erhielt dadurch zu seiner
frueheren ausgedehnten Machtfuelle noch die Verwaltung der wichtigsten
kleinasiatischen Provinzen, so dass es innerhalb der weiten roemischen
Grenzen kaum noch einen Fleck Landes gab, der ihm nicht gehorcht
haette, und die Fuehrung eines Krieges, von dem man, wie von Alexanders
Heerfahrt, wohl sagen konnte, wo und wann er begann, aber nicht, wo und
wann er enden moege. Niemals noch, seit Rom stand, war solche Gewalt
in den Haenden eines einzigen Mannes vereinigt gewesen. Die
Gabinisch-Manilischen Antraege beendigten den Kampf zwischen dem Senat
und der Popularpartei, den vor siebenundsechzig Jahren die
Sempronischen Gesetze begonnen hatten. Wie die Sempronischen Gesetze die
Revolutionspartei zunaechst als politische Opposition konstituierten, so
ging dieselbe mit den Gabinisch- Manilischen ueber aus der Opposition
in das Regiment; und wie es ein grossartiger Moment gewesen war, als
mit der vergeblichen Interzession des Octavius der erste Bruch in
die bestehende Verfassung geschah, so war es nicht minder ein
bedeutungsvoller Augenblick, als mit dem Ruecktritt des Trebellius das
letzte Bollwerk des senatorischen Regiments zusammenbrach. Auf
beiden Seiten ward dies wohl empfunden, und selbst die schlaffen
Senatorenseelen zuckten auf in diesem Todeskampf; aber es lief doch die
Verfassungsfehde in gar anderer und gar viel kuemmerlicherer Weise zu
Ende, als sie angefangen hatte. Ein in jedem Sinne adliger Juengling
hatte die Revolution eroeffnet; sie ward beschlossen durch kecke
Intriganten und Demagogen des niedrigsten Schlages. Wenn andererseits
die Optimaten mit gemessenem Widerstand, mit einer selbst auf den
verlorenen Posten ernst ausharrenden Verteidigung begonnen hatten,
so endigten sie mit der Initiative zum Faustrecht, mit grosswortiger
Schwaeche und jaemmerlichem Eidbruch. Es war nun erreicht, was einst als
ein kecker Traum erschienen war: der Senat hatte aufgehoert zu regieren.
Aber wenn die einzelnen alten Maenner, die noch die ersten Stuerme der
Revolution gesehen, die Worte der Gracchen vernommen hatten, jene
Zeit und diese miteinander verglichen, so fanden sie alles inzwischen
veraendert, Landschaft und Buergerschaft, Staatsrecht und Kriegszucht,
Leben und Sitte, und wohl mochte schmerzlich laecheln, wer die
Ideale der Gracchenzeit mit ihrer Realisierung verglich. Indes solche
Betrachtungen gehoerten der Vergangenheit an. Fuer jetzt und wohl
auch fuer die Zukunft war der Sturz der Aristokratie eine vollendete
Tatsache. Die Oligarchen glichen einer vollstaendig aufgeloesten Armee,
deren versprengte Haufen noch eine andere Heeresmasse verstaerken,
aber selbst nirgends mehr das Feld halten, noch auf eigene Rechnung ein
Gefecht wagen konnten. Aber indem der alte Kampf zu Ende lief, bereitete
zugleich ein neuer sich vor: der Kampf der beiden bisher zum Sturz der
aristokratischen Staatsverfassung verbuendeten Maechte, der buergerlich
demokratischen Opposition und der immer uebermaechtiger aufstrebenden
Militaergewalt. Pompeius' Ausnahmestellung war schon nach dem
Gabinischen, um wie viel mehr nach dem Manilischen Gesetz mit einer
republikanischen Staatsordnung unvereinbar. Er war, wie schon damals
die Gegner mit gutem Grund sagten, durch das Gabinische Gesetz nicht zum
Admiral, sondern zum Reichsregenten bestellt worden; nicht mit Unrecht
heisst er einem mit den oestlichen Verhaeltnissen vertrauten Griechen
"Koenig der Koenige". Wenn er dereinst, wiederum siegreich und mit
erhoehtem Ruhm, mit gefuellten Kassen, mit schlagfertigen und ergebenen
Truppen zurueckkehrt aus dem Osten, nach der Krone die Hand ausstreckte
- wer wollte dann ihm in den Arm fallen? Sollte etwa gegen den ersten
Feldherrn seiner Zeit und seine erprobten Legionen der Konsular Quintus
Catulus die Senatoren aufbieten? Oder der designierte Aedil Gaius
Caesar die staedtische Menge, deren Augen er soeben an seinen
dreihundertzwanzig silbergeruesteten Fechterpaaren geweidet hatte? Bald
werde man, rief Catulus, abermals auf die Felsen des Kapitols fluechten
muessen, um die Freiheit zu retten. Es war nicht die Schuld des
Propheten, wenn der Sturm nicht, wie er meinte, von Osten kam, sondern
das Schicksal, buchstaeblicher als er selbst es ahnte seine Worte
erfuellend, das vernichtende Unwetter wenige Jahre spaeter aus dem
Keltenland heranfuehrte. 4. Kapitel Pompeius und der Osten Wir haben
frueher gesehen, wie trostlos im Osten zu Lande und zur See die
Angelegenheiten Roms standen, als im Anfang des Jahres 687 (67) Pompeius
zunaechst die Fuehrung des Krieges gegen die Piraten mit beinahe
unumschraenkter Machtvollkommenheit uebernahm. Er begann damit, das
ungeheure ihm ueberwiesene Gebiet in dreizehn Bezirke zu teilen und
jeden derselben einem seiner Unterfeldherren zu ueberweisen, um daselbst
Schiffe und Mannschaften zu ruesten, die Kuesten abzusuchen und die
Piratenboote aufzubringen oder einem der Kollegen ins Garn zu jagen.
Er selbst ging mit dem besten Teil der vorhandenen Kriegsschiffe, unter
denen auch diesmal die rhodischen sich auszeichneten, frueh im Jahr in
See und reinigte zunaechst die sizilischen, afrikanischen und sardischen
Gewaesser, um vor allem die Getreidezufuhr aus diesen Provinzen nach
Italien wieder in Gang zu bringen. Fuer die Saeuberung der spanischen
und gallischen Kuesten sorgten inzwischen die Unterfeldherren. Es war
bei dieser Gelegenheit, dass der Konsul Gaius Piso von Rom aus die
Aushebungen zu hemmen versuchte, welche Pompeius' Legat Marcus Pomponius
kraft des Gabinischen Gesetzes in der Provinz Narbo veranstaltete - ein
unkluges Beginnen, dem zu steuern und zugleich die gerechte Erbitterung
der Menge gegen den Konsul in den gesetzlichen Schranken zu halten
Pompeius voruebergehend wieder in Rom erschien. Als nach vierzig Tagen
im westlichen Becken des Mittelmeers die Schiffahrt ueberall freigemacht
war, ging Pompeius mit seinen sechzig besten Fahrzeugen weiter in das
oestliche Meer, zunaechst nach dem Ur- und Hauptsitz der Piraterie, den
lykischen und kilikischen Gewaessern. Auf die Kunde von dem Herannahen
der roemischen Flotte verschwanden nicht bloss die Piratenkaehne
ueberall von der offenen See; auch die starken lykischen Festen
Antikragos und Kragos ergaben sich, ohne ernstlichen Widerstand zu
leisten. Mehr noch als die Furcht oeffnete Pompeius' wohlberechnete
Milde die Tore dieser schwer zugaenglichen Seeburgen. Seine Vorgaenger
hatten jeden gefangenen Seeraeuber ans Kreuz heften lassen; er gab ohne
Bedenken allen Quartier und behandelte namentlich die auf den genommenen
Piratenbooten vorgefundenen gemeinen Ruderer mit ungewohnter Nachsicht.
Nur die kuehnen kilikischen Seekoenige wagten einen Versuch, wenigstens
ihre eigenen Gewaesser mit den Waffen gegen die Roemer zu behaupten:
nachdem sie ihre Kinder und Frauen und ihre reichen Schaetze in die
Bergschloesser des Taurus gefluechtet hatten, erwarteten sie die
roemische Flotte an der Westgrenze Kilikiens, auf der Hoehe von
Korakesion. Aber Pompeius' wohlbemannte und mit allem Kriegszeug
wohlversehene Schiffe erfochten hier einen vollstaendigen Sieg. Ohne
weiteres Hindernis landete er darauf und begann die Bergschloesser der
Korsaren zu stuermen und zu brechen, waehrend er fortfuhr, ihnen selbst
als Preis der Unterwerfung Freiheit und Leben zu bieten. Bald gab die
grosse Menge es auf, in ihren Burgen und Bergen einen hoffnungslosen
Krieg fortzusetzen und bequemte sich zur Ergebung. Neunundvierzig
Tage nachdem Pompeius in der oestlichen See erschienen, war Kilikien
unterworfen und der Krieg zu Ende. Die rasche Ueberwaeltigung der
Piraterie war eine grosse Erleichterung, aber keine grossartige Tat: mit
den Hilfsmitteln des roemischen Staates, die in verschwenderischem Masse
waren aufgeboten worden, konnten die Korsaren so wenig sich messen
als die vereinigten Diebesbanden einer grossen Stadt mit einer
wohlorganisierten Polizei. Es war naiv, eine solche Razzia als einen
Sieg zu feiern. Aber verglichen mit dem langjaehrigen Bestehen und der
grenzenlosen, taeglich weiter um sich greifenden Ausdehnung des Uebels
ist es erklaerlich, dass die ueberraschend schnelle Ueberwaeltigung der
gefuerchteten Piraten auf das Publikum den gewaltigsten Eindruck machte;
um so mehr, da dies die erste Probe des in einer Hand zentralisierten
Regiments war und die Parteien gespannt darauf harrten, ob es verstehen
werde, besser als das kollegialische zu regieren. Gegen 400 Schiffe
und Boote, darunter 90 eigentliche Kriegsfahrzeuge, wurden teils von
Pompeius genommen, teils ihm ausgeliefert; im ganzen sollen an 1300
Piratenfahrzeuge zugrunde gerichtet und ausserdem die reichgefuellten
Arsenale und Zeughaeuser der Flibustier in Flammen aufgegangen sein.
Von den Seeraeubern waren gegen 10000 umgekommen, ueber 20000 dem
Sieger lebend in die Haende gefallen, wogegen Publius Clodius, der
Flottenfuehrer der in Kilikien stehenden roemischen Armee, und eine
Menge anderer von den Piraten weggefuehrter, zum Teil daheim laengst tot
geglaubter Individuen durch Pompeius ihre Freiheit wiedererlangten. Im
Sommer 687 (67), drei Monate nach dem Beginn des Feldzugs, gingen
Handel und Wandel wieder ihren gewohnten Gang und anstatt der frueheren
Hungersnot herrschte in Italien Ueberfluss. Ein verdriessliches
Zwischenspiel auf der Insel Kreta truebte indes einigermassen diesen
erfreulichen Erfolg der roemischen Waffen. Dort stand schon im zweiten
Jahre Quintus Metellus, beschaeftigt, die im wesentlichen bereits
bewirkte Unterwerfung der Insel zu vollenden, als Pompeius in den
oestlichen Gewaessern erschien. Eine Kollision lag nahe, denn nach dem
Gabinischen Gesetz erstreckte sich Pompeius' Kommando konkurrierend
mit dem des Metellus auf die ganze Ianggestreckte, aber nirgends
ueber zwanzig deutsche Meilen breite Insel; doch war Pompeius so
ruecksichtsvoll, sie keinem seiner Unterbefehlshaber zu ueberweisen.
Allein die noch widerstrebenden kretischen Gemeinden, die ihre
unterworfenen Landsleute von Metellus mit der grausamsten Strenge zur
Verantwortung hatten ziehen sehen und dagegen die milden Bedingungen
vernahmen, welche Pompeius den ihm sich ergebenden Ortschaften
des suedlichen Kleinasiens zu stellen pflegte, zogen es vor, ihre
Gesamtunterwerfung an Pompeius einzugeben, der sie auch in Pamphylien,
wo er eben sich befand, von ihren Gesandten entgegennahm und ihnen
seinen Legaten Lucius Octavius mitgab, um Metellus den Abschluss der
Vertraege anzuzeigen und die Staedte zu uebernehmen. Kollegialisch war
dies Verfahren freilich nicht; allein das formelle Recht war durchaus
auf seiten des Pompeius und Metellus im offenbarsten Unrecht, wenn er,
den Vertrag der Staedte mit Pompeius vollstaendig ignorierend, dieselben
als feindliche zu behandeln fortfuhr. Vergeblich protestierte Octavius;
vergeblich rief er, da er selbst ohne Truppen gekommen war, aus Achaia
den dort stehenden Unterfeldherrn des Pompeius, Lucius Sisenna, herbei;
Metellus, weder um Octavius noch um Sisenna sich bekuemmernd, belagerte
Eleutherna und nahm Lappa mit Sturm, wo Octavius selbst gefangengenommen
und beschimpft entlassen, die mit ihm gefangenen Kreter aber dem
Henker ueberliefert wurden. So kam es zu foermlichen Gefechten zwischen
Sisennas Truppen, an deren Spitze nach dieses Fuehrers Tode sich
Octavius stellte, und denen des Metellus; selbst als jene nach Achaia
zurueckkommandiert worden waren, setzte Octavius in Gemeinschaft mit dem
Kreter Aristion den Krieg fort, und Hierapytna, wo beide sich hielten,
ward von Metellus erst nach der hartnaeckigsten Gegenwehr bezwungen. In
der Tat hatte damit der eifrige Optimat Metellus gegen den Oberfeldherrn
der Demokratie auf eigene Hand den foermlichen Buergerkrieg begonnen;
es zeugt von der unbeschreiblichen Zerruettung der roemischen
Staatsverhaeltnisse, dass diese Auftritte zu nichts weiterem fuehrten
als zu einer bitteren Korrespondenz zwischen den beiden Generalen, die
ein paar Jahre darauf wieder friedlich und sogar "freundschaftlich"
nebeneinander im Senate sassen. Pompeius stand waehrend dieser Vorgaenge
in Kilikien; fuer das naechste Jahr, wie es schien, einen Feldzug
vorbereitend gegen die Kretenser oder vielmehr gegen Metellus, in
der Tat des Winkes harrend, der ihn zum Eingreifen in die gruendlich
verwirrten Angelegenheiten des kleinasiatischen Kontinents berief. Was
von Lucullus' Heer nach den erlittenen Verlusten und der Verabschiedung
der Fimbrianischen Legionen noch uebrig war, stand untaetig am oberen
Halys in der Landschaft der Trokmer an der Grenze des pontischen
Gebietes. Den Oberbefehl fuehrte einstweilen immer noch Lucullus, da
sein ernannter Nachfolger Glabrio fortfuhr, in Vorderasien zu saeumen.
Ebenso untaetig lagerten in Kilikien die drei von Quintus Marcius Rex
befehligten Legionen. Das pontische Gebiet war wieder ganz in der Gewalt
des Koenigs Mithradates, der die einzelnen Maenner und Gemeinden,
die den Roemern sich angeschlossen hatten, wie zum Beispiel die Stadt
Eupatoria, mit grausamer Strenge ihren Abfall buessen liess. Zu einer
ernsten Offensive gegen die Roemer schritten die Koenige des Ostens
nicht, sei es dass sie ueberhaupt nicht in ihrem Plan lag, sei es, was
auch behauptet wurde, dass Pompeius' Landung in Kilikien die Koenige
Mithradates und Tigranes bewog, von weiterem Vorgehen abzustehen.
Rascher als Pompeius selbst es gehofft haben mochte, verwirklichte das
Manilische Gesetz seine im stillen genaehrten Hoffnungen: Glabrio und
Rex wurden abberufen und die Statthalterschaften Pontus-Bithynien
und Kilikien mit den darin stehenden Truppen sowie die Fuehrung des
Pontisch-Armenischen Krieges nebst der Befugnis, mit den Dynasten des
Ostens nach eigenem Gutduenken Krieg, Frieden und Buendnis zu machen,
auf Pompeius uebertragen. Ueber die Aussicht auf so reiche Ehren und
Spolien vergass Pompeius gern die Zuechtigung eines uebellaunigen und
seine sparsamen Lorbeerblaetter neidisch huetenden Optimaten, gab
den Zug gegen Kreta und die fernere Verfolgung der Korsaren auf und
bestimmte auch seine Flotte zu Unterstuetzung des Angriffs, den er gegen
die Koenige von Pontus und Armenien entwarf. Doch verlor er ueber diesen
Landkrieg die immer wieder aufs neue ihr Haupt erhebende Piraterie
keineswegs voellig aus den Augen. Ehe er Asien verliess (691 63), liess
er daselbst noch die noetigen Schiffe gegen die Korsaren instand setzen;
auf seinen Antrag ward das Jahr darauf fuer Italien eine aehnliche
Massregel beschlossen und die dazu noetige Summe vom Senat bewilligt.
Man fuhr fort, die Kuesten mit Reiterbesatzungen und kleinen Geschwadern
zu decken. Wenn man auch, wie schon die spaeter zu erwaehnenden
Expeditionen gegen Kypros 696 (58) und gegen Aegypten 699 (55) beweisen,
der Piraterie nicht durchaus Herr ward, so hat dieselbe doch nach der
Expedition des Pompeius unter allen Wechselfaellen und politischen
Krisen Roms niemals wieder so ihr Haupt emporheben und so voellig die
Roemer an der See verdraengen koennen, wie es unter dem Regiment der
verrotteten Oligarchie geschehen war. Die wenigen Monate, die vor dem
Beginn des kleinasiatischen Feldzugs noch uebrig waren, wurden von dem
neuen Oberfeldherrn mit angestrengter Taetigkeit zu diplomatischen
und militaerischen Vorbereitungen benutzt. Es gingen Gesandte an
Mithradates, mehr um zu kundschaften, als um eine ernstliche Vermittlung
zu versuchen. Am pontischen Hofe hoffte man, dass der Koenig der
Parther, Phraates, durch die letzten bedeutenden Erfolge, die die
Verbuendeten ueber Rom davongetragen hatten, sich zum Eintritt in
das pontisch-armenische Buendnis bestimmen lassen werde. Dem
entgegenzuwirken gingen roemische Boten an den Hof von Ktesiphon;
und ihnen kamen die inneren Wirren zu Hilfe, die das armenische
Herrscherhaus zerrissen. Des Grosskoenigs Tigranes gleichnamiger Sohn
hatte sich gegen seinen Vater empoert, sei es dass er den Tod des
Greises nicht abwarten mochte, sei es dass der Argwohn desselben, der
schon mehreren seiner Brueder das Leben gekostet hatte, ihn die einzige
Moeglichkeit der Rettung in der offenen Empoerung sehen liess. Vom Vater
ueberwunden, hatte er mit einer Anzahl vornehmer Armenier sich an den
Hof des Arsakiden gefluechtet und intrigierte dort gegen den Vater. Es
war zum Teil sein Werk, dass Phraates den Lohn fuer den Beitritt,
der ihm von beiden Seiten geboten ward, den gesicherten Besitz
Mesopotamiens, lieber aus der Hand der Roemer nahm und den mit Lucullus
hinsichtlich der Euphratgrenze abgeschlossenen Vertrag mit Pompeius
erneuerte, ja sogar darauf einging, mit den Roemern gemeinschaftlich
gegen Armenien zu operieren. Noch groesseren Schaden als durch die
Foerderung des Buendnisses zwischen den Roemern und den Parthern tat der
juengere Tigranes den Koenigen Tigranes und Mithradates dadurch, dass
sein Aufstand eine Spaltung zwischen ihnen selbst hervorrief. Der
Grosskoenig naeherte im geheimen den Argwohn, dass der Schwiegervater
bei der Schilderhebung seines Enkels - die Mutter des juengeren
Tigranes, Kleopatra, war die Tochter Mithradats - die Hand im Spiel
gehabt haben moege, und wenn es auch darueber nicht zum offenen Bruch
kam, so war doch das gute Einverstaendnis der beiden Monarchen eben in
dem Augenblick gestoert, wo sie desselben am dringendsten bedurften.
Zugleich betrieb Pompeius die Ruestungen mit Energie. Die asiatischen
Bundes- und Klientelgemeinden wurden gemahnt, den vertragsmaessigen
Zuzug zu leisten. Oeffentliche Anschlaege forderten die entlassenen
Veteranen der Legionen Fimbrias auf, als Freiwillige wieder unter die
Fahnen zurueckzutreten, und durch grosse Versprechungen und den Namen
des Pompeius liess ein ansehnlicher Teil derselben in der Tat sich
bestimmen, dem Rufe zu folgen. Die gesamte Streitmacht, die unter
Pompeius' Befehlen vereinigt war, mochte mit Ausschluss der
Hilfsvoelker sich auf etwa 40-50000 Mann belaufen ^1.
---------------------------------------------- ^1 Pompeius verteilte
unter seine Soldaten und Offiziere als Ehrengeschenk 384 Mill. Sesterzen
(= 16000 Talente; App. Mithr. 116); da die Offiziere 100 Mill. empfingen
(Plin. nat. 37, 2, 16), von den gemeinen Soldaten aber jeder 6000
Sesterzen (Plin., App.), so zaehlte das Heer noch bei dem Triumph etwa
40000 Mann. --------------------------------------------- Im Fruehjahr
688 (66) begab sich Pompeius nach Galatien, um den Oberbefehl ueber die
Truppen Luculls zu uebernehmen und mit ihnen in das pontische Gebiet
einzuruecken, wohin die kilikischen Legionen angewiesen waren zu folgen.
In Danala, einer Ortschaft der Trokmer, trafen die beiden Feldherren
zusammen; die Versoehnung aber, die die beiderseitigen Freunde
zu bewirken gehofft hatten, ward nicht erreicht. Die einleitenden
Hoeflichkeiten gingen bald ueber in bittere Eroerterungen und diese in
heftigen Wortwechsel; man schied verstimmter, als man gekommen war. Da
Lucullus fortfuhr, gleich als waere er noch im Amte, Ehrengeschenke zu
machen und Laendereien zu verteilen, so erklaerte Pompeius alle nach
seinem Eintreffen von seinem Amtsvorgaenger vollzogenen Handlungen
fuer nichtig. Formell war er in seinem Recht; sittlichen Takt in der
Behandlung eines verdienten und mehr als genug gekraenkten Gegners
durfte man bei ihm nicht suchen. Sowie es die Jahreszeit erlaubte,
ueberschritten die roemischen Truppen die pontische Grenze. Gegen sie
stand hier mit 30000 Mann zu Fuss und 3000 Reitern Koenig Mithradates.
Im Stich gelassen von seinen Verbuendeten und mit verstaerkter Macht
und Energie von Rom angegriffen, machte er einen Versuch, Frieden zu
erwirken; allein von unbedingter Unterwerfung, die Pompeius forderte,
wollte er nichts hoeren - was konnte der ungluecklichste Feldzug ihm
Schlimmeres bringen? Um sein Heer, groesstenteils Schuetzen und
Reiter, nicht dem furchtbaren Stoss der roemischen Linieninfanterie
preiszugeben, wich er langsam vor dem Feinde zurueck und noetigte die
Roemer, ihm auf seinen Kreuz- und Quermaerschen zu folgen, wobei er, wo
Gelegenheit dazu war, mit seiner ueberlegenen Reiterei der feindlichen
standhielt und den Roemern durch die Erschwerung der Verpflegung nicht
geringe Drangsale bereitete. Ungeduldig gab endlich Pompeius es auf, die
pontische Armee zu begleiten und ging, den Koenig stehen lassend, daran,
das Land zu unterwerfen: er rueckte an den oberen Euphrat, ueberschritt
ihn und betrat die oestlichen Provinzen des Pontischen Reiches. Aber
auch Mithradates folgte auf das linke Euphratufer nach, und in der
Anaitischen oder Akilisenischen Landschaft angelangt, verlegte er den
Roemern den Weg bei der festen und mit Wasser wohl versehenen Burg
Dasteira, von wo aus er mit seinen leichten Truppen das Blachfeld
beherrschte. Pompeius, immer noch der kilikischen Legionen entbehrend
und ohne sie nicht stark genug, um sich in dieser Lage zu behaupten,
musste ueber den Euphrat zurueckgehen und in dem waldigen, von
Felsschluchten und Tieftaelern vielfach durchschnittenen Terrain des
pontischen Armenien vor den Reitern und Bogenschuetzen des Koenigs
Schutz suchen. Erst als die Truppen aus Kilikien eintrafen und es
moeglich machten, nun mit Uebermacht die Offensive wiederaufzunehmen,
ging Pompeius wieder vor, umschloss das Lager des Koenigs mit einer
Postenkette von fast vier deutschen Meilen Laenge und hielt ihn hier
foermlich blockiert, waehrend die roemischen Detachements die Gegend
weit umher durchstreiften. Die Not im pontischen Lager war gross;
schon musste die Bespannung niedergestossen werden, endlich nach
fuenfundvierzigtaegigem Verweilen liess der Koenig seine Kranken und
Verwundeten, da er sie weder retten konnte, noch dem Feinde in die
Haende fallen lassen wollte, durch die eigenen Leute niedermachen und
brach zur Nachtzeit in moeglichster Stille auf gegen Osten. Vorsichtig
folgte Pompeius durch das unbekannte Land; schon naeherte der Marsch
sich der Grenze, die Mithradates' und Tigranes' Gebiete voneinander
schied. Als der roemische Feldherr erkannte, dass Mithradates nicht
innerhalb seines Gebietes den Kampf zur Entscheidung zu bringen, sondern
den Feind in die grenzenlosen Fernen des Ostens sich nachzuziehen
gedenke, entschloss er sich, dies nicht zu gestatten. Die beiden Heere
lagerten hart aneinander. Waehrend der Mittagsrast brach das roemische
auf, ohne dass der Feind es bemerkte, umging ihn und besetzte die
vorwaerts liegenden und einen vom Feinde zu passierenden Engpass
beherrschenden Anhoehen am suedlichen Ufer des Flusses Lykos (Jeschil
Irmak) unweit des heutigen Enderes, da wo spaeter Nikopolis erbaut ward.
Den folgenden Morgen brachen die Pontiker in gewohnter Weise auf
und, den Feind wie bisher hinter sich vermutend, schlugen sie nach
zurueckgelegtem Tagesmarsch ihr Lager eben in dem Tale, dessen
Hoehenring die Roemer besetzt hatten. Ploetzlich erscholl in der Stille
der Nacht rings im Kreise um sie der gefuerchtete Schlachtruf der
Legionen und regneten von allen Seiten die Geschosse in die asiatischen
Heerhaufen, in denen Soldaten und Tross, Wagen, Pferde, Kamele sich
durcheinander schoben und in deren dichtem Knaeuel trotz der Dunkelheit
kein Geschoss fehlging. Als die Roemer sich verschossen hatten,
stuermten sie von den Hoehen herab auf die in dem Scheine des
inzwischen aufgegangen Mondes sichtbar gewordenen und fast wehrlos ihnen
preisgegebenen Scharen, und was nicht von dem Eisen der Feinde fiel,
ward in dem fuerchterlichen Gedraenge unter den Hufen und Raedern
zermalmt. Es war das letzte Schlachtfeld, auf welchem der greise Koenig
mit den Roemern gestritten hat. Mit drei Begleitern, zweien seiner
Reiter und einer Kebse, die in Maennertracht ihm zu folgen und tapfer
neben ihm zu streiten gewohnt war, entrann er von dort zu der Feste
Sinoria, wo sich ein Teil seiner Getreuen zu ihm fand. Er teilte seine
hier aufbewahrten Schaetze, 6000 Talente Goldes (11 Mill. Taler), unter
sie aus, versah sie und sich mit Gift und eilte mit dem ihm gebliebenen
Haufen den Euphrat hinauf, um mit seinem Verbuendeten, dem Grosskoenig
von Armenien, sich zu vereinigen. Auch diese Hoffnung war eitel;
das Buendnis, auf das vertrauend Mithradates den Weg nach Armenien
einschlug, bestand damals bereits nicht mehr. Waehrend der eben
erzaehlten Kaempfe zwischen Mithradates und Pompeius war der
Partherkoenig, dem Draengen der Roemer und vor allem dem des
landfluechtigen armenischen Prinzen nachgebend, mit gewaffneter Hand in
das Reich des Tigranes eingefallen und hatte denselben gezwungen, sich
in die unzugaenglichen Gebirge zurueckzuziehen. Die Invasionsarmee
begann sogar die Belagerung der Hauptstadt Artaxata; allein da dieselbe
sich in die Laenge zog, entfernte sich Koenig Phraates mit dem groessten
Teil seiner Truppen, worauf Tigranes das zurueckgebliebene parthische
Korps und die von seinem Sohn gefuehrten armenischen Emigranten
ueberwaeltigte und in dem ganzen Reiche seine Herrschaft
wiederherstellte. Begreiflicherweise indes war unter diesen Umstaenden
der Koenig wenig geneigt, mit den aufs neue siegreichen Roemern zu
schlagen, am wenigsten sich fuer Mithradates aufzuopfern, dem er
minder traute als je, seit ihm die Meldung zugekommen war, dass sein
rebellischer Sohn beabsichtige, sich zu dem Grossvater zu begeben. So
knuepfte er mit den Roemern Unterhandlungen ueber einen Sonderfrieden
an; aber er wartete den Abschluss des Vertrages nicht ab, um das
Buendnis, das ihn an Mithradates fesselte, zu zerreissen. An der
armenischen Grenze angelangt, musste dieser vernehmen, dass der
Grosskoenig Tigranes einen Preis von 100 Talenten (150000 Taler) auf
seinen Kopf gesetzt, seine Gesandten festgenommen und sie den Roemern
ausgeliefert habe. Koenig Mithradates sah sein Reich in den Haenden
des Feindes, seine Bundesgenossen im Begriff, mit demselben sich zu
vergleichen; es war nicht moeglich, den Krieg fortzusetzen; er musste
sich gluecklich schaetzen, wenn es ihm gelang, sich an die Ost-
und Nordgestade des Schwarzen Meeres zu retten, vielleicht seinen
abtruennigen und mit den Roemern in Verbindung getretenen Sohn Machares
wieder aus dem Bosporanischen Reiche zu verdraengen und an der Maeotis
fuer neue Entwuerfe einen neuen Boden zu finden. So schlug er sich
nordwaerts. Als der Koenig auf der Flucht die alte Grenze Kleinasiens,
den Phasis, ueberschritten hatte, stellte Pompeius vorlaeufig
seine Verfolgung ein; statt aber in das Quellgebiet des Euphrat
zurueckzukehren, wandte er sich seitwaerts in das Gebiet des Araxes, um
mit Tigranes ein Ende zu machen. Fast ohne Widerstand zu finden gelangte
er in die Gegend von Artaxata (unweit Eriwan) und schlug drei deutsche
Meilen von der Stadt sein Lager. Daselbst fand der Sohn des Grosskoenigs
sich zu ihm, der nach dem Sturze des Vaters das armenische Diadem aus
der Hand der Roemer zu empfangen hoffte und darum den Abschluss des
Vertrages zwischen seinem Vater und den Roemern in jeder Weise zu
hindern bemueht war. Der Grosskoenig war nur um so mehr entschlossen,
den Frieden um jeden Preis zu erkaufen. Zu Pferd und ohne Purpurgewand,
aber geschmueckt mit der koeniglichen Stirnbinde und dem koeniglichen
Turban erschien er an der Pforte des roemischen Lagers und begehrte, vor
den roemischen Feldherrn gefuehrt zu werden. Nachdem er hier auf Geheiss
der Liktoren, wie die roemische Lagerordnung es erheischte, sein Ross
und sein Schwert abgegeben hatte, warf er nach Barbarenart sich dem
Prokonsul zu Fuessen und legte zum Zeichen der unbedingten Unterwerfung
Diadem und Tiara in seine Haende. Pompeius, hocherfreut ueber den
muehelosen Sieg, hob den gedemuetigten Koenig der Koenige auf,
schmueckte ihn wieder mit den Abzeichen seiner Wuerde und diktierte den
Frieden. Ausser einer Zahlung von 9 Mill. Talern (6000 Talente) an
die Kriegskasse und einem Geschenk an die Soldaten, wovon auf jeden
einzelnen 50 Denare (15 Taler) kamen, trat der Koenig alle gemachten
Eroberungen wieder ab, nicht bloss die phoenikischen, syrischen,
kilikischen, kappadokischen Besitzungen, sondern auch am rechten Ufer
des Euphrat Sophene und Korduene; er ward wieder beschraenkt auf das
eigentliche Armenien und mit seinem Grosskoenigtum war es von selber
vorbei. In einem einzigen Feldzuge hatte Pompeius die beiden maechtigen
Koenige von Pontus und Armenien vollstaendig unterworfen. Am Anfang des
Jahres 688 (66) stand kein roemischer Soldat jenseits der Grenze
der altroemischen Besitzungen, am Schlusse desselben irrte Koenig
Mithradates landfluechtig und ohne Heer in den Schluchten des Kaukasus
und sass Koenig Tigranes auf dem armenischen Thron nicht mehr als
Koenig der Koenige, sondern als roemischer Lehnfuerst. Das gesamte
kleinasiatische Gebiet westlich vom Euphrat gehorchte den Roemern
unbedingt; die siegreiche Armee nahm ihre Winterquartiere oestlich von
diesem Strom auf armenischem Boden, in der Landschaft vom oberen Euphrat
bis an den aus welchem damals zuerst die Italiker ihre Rosse traenkten.
Aber das neue Gebiet, das die Roemer hier betraten, erweckte ihnen neue
Kaempfe. Unwillig sahen die tapferen Voelkerschaften des mittleren und
oestlichen Kaukasus die fernen Okzidentalen auf ihrem Gebiet lagern. Es
wohnten dort in der fruchtbaren und wasserreichen Hochebene des heutigen
Georgien die Iberer, eine tapfere, wohlgeordnete, ackerbauende
Nation, deren Geschlechtergaue unter ihren Aeltesten das Land nach
Feldgemeinschaft bestellten, ohne Sondereigentum der einzelnen Bauern.
Heer und Volk waren eins; an der Spitze des Volkes standen teils die
Herrengeschlechter, daraus immer der Aelteste der ganzen iberischen
Nation als Koenig, der Naechstaelteste als Richter und Heerfuehrer
vorstand, teils besondere Priesterfamilien, denen vornehmlich oblag, die
Kunde der mit anderen Voelkern geschlossenen Vertraege zu bewahren und
ueber deren Einhaltung zu wachen. Die Masse der Unfreien galten als
Leibeigene des Koenigs. Auf einer weit niedrigeren Kulturstufe standen
ihre oestlichen Nachbarn, die Albaner oder Alaner, die am unteren
Kur bis zum Kaspischen Meere hinab sassen. Vorwiegend ein Hirtenvolk,
weideten sie, zu Fuss oder zu Pferde, ihre zahlreichen Herden auf den
ueppigen Wiesen des heutigen Schirwan; die wenigen Ackerfelder wurden
noch mit dem alten Holzpflug ohne eiserne Schar bestellt. Muenze war
unbekannt und ueber hundert ward nicht gezaehlt. Jeder ihrer Staemme,
deren sechsundzwanzig waren, hatten seinen eigenen Haeuptling und
sprach seinen besonderen Dialekt. An Zahl den Iberern weit ueberlegen,
vermochten sich die Albaner an Tapferkeit durchaus nicht mit denselben
zu messen. Die Fechtart beider Nationen war uebrigens im ganzen die
gleiche: sie stritten vorwiegend mit Pfeilen und leichten Wurfspiessen,
die sie haeufig nach Indianerart aus Waldverstecken, hinter Baumstaemmen
hervor oder von den Baumwipfeln herab, auf den Feind entsendeten; die
Albaner hatten auch zahlreiche, zum Teil nach medisch-armenischer Art
mit schweren Kuerassen und Schienen gepanzerte Reiter. Beide
Nationen lebten auf ihren Aeckern und Triften in vollkommener, seit
unvordenklicher Zeit bewahrter Unabhaengigkeit. Den Kaukasus scheint
gleichsam die Natur selbst zwischen Europa und Asien als Damm gegen die
Voelkerfluten aufgerichtet zu haben: an ihm hatten einst die Waffen
des Kyros wie die Alexanders ihre Grenze gefunden; jetzt schickte die
tapfere Besatzung dieser Scheidewand sich an, sie auch gegen die Roemer
zu verteidigen. Aufgeschreckt durch die Kunde, dass der roemische
Oberfeldherr im naechsten Fruehjahr das Gebirge zu ueberschreiten und
den pontischen Koenig jenseits des Kaukasus zu verfolgen beabsichtige
- den Mithradates, vernahm man, ueberwinterte in Dioskurias (Iskuria
zwischen Suchum Kale und Anaklia) am Schwarzen Meer -, ueberschritten
zuerst die Albaner unter dem Fuersten Oroizes noch im Mittwinter 688/89
(66/65) den Kur und warfen sich auf das der Verpflegung wegen in
drei groessere Korps unter Quintus Metellus Celer, Lucius Flaccus
und Pompeius selbst auseinander gelegte Heer. Aber Celer, den der
Hauptangriff traf, hielt tapfer stand und Pompeius selbst verfolgte,
nachdem er sich des gegen ihn geschickten Haufens entledigt, die auf
allen Punkten geschlagenen Barbaren bis an den Kur. Der Koenig
der Iberer, Artokes, hielt sich ruhig und versprach Frieden und
Freundschaft; allein Pompeius, davon benachrichtigt, dass er insgeheim
rueste, um die Roemer bei ihrem Marsche in den Paessen des Kaukasus zu
ueberfallen, rueckte im Fruehjahr 689 (65), bevor er die Verfolgung des
Mithradates wiederaufnahm, vor die beiden kaum eine halbe deutsche Meile
voneinander entfernten Festungen Harmozika (Horumziche oder Armazi) und
Seusamora (Tsumar), welche wenig oberhalb des heutigen Tiflis die
beiden Flusstaeler des Kur und seines Nebenflusses Aragua und damit
die einzigen von Armenien nach Iberien fuehrenden Paesse beherrschen.
Artokes, eher er dessen sich versah, vom Feinde ueberrascht, brannte
eiligst die Kurbruecke ab und wich unterhandelnd in das innere Land
zurueck. Pompeius besetzte die Festungen und folgte den Iberern auf
das andere Ufer des Kur, wodurch er sie zu sofortiger Unterwerfung zu
bestimmen hoffte. Artokes aber wich weiter und weiter in das innere Land
zurueck, und als er endlich am Fluss Peloros Halt machte, geschah es
nicht, um sich zu ergeben, sondern um zu schlagen. Allein dem Anprall
der Legionen standen doch die iberischen Schuetzen keinen Augenblick,
und da Artokes auch den Peioros von den Roemern ueberschritten sah,
fuegte er sich endlich den Bedingungen, die der Sieger stellte, und
sandte seine Kinder als Geiseln. Pompeius marschierte jetzt, seinem
frueher entworfenen Plane gemaess, durch den Sarapanapass aus dem Gebiet
des Kur in das des Phasis und von da am Flusse hinab an das Schwarze
Meer, wo an der kolchischen Kueste die Flotte unter Servilius bereits
seiner harrte. Aber es war ein unsicherer Gedanke und fast ein
wesenloses Ziel, dem zuliebe man Heer und Flotte an den maerchenreichen
kolchischen Strand gefuehrt hatte. Der soeben muehselig zurueckgelegte
Zug durch unbekannte und meist feindliche Nationen war nichts,
verglichen mit dem, der noch bevorstand; und wenn es denn wirklich
gelang, von der Phasismuendung aus die Streitmacht nach der Krim zu
fuehren, durch kriegerische und arme Barbarenstaemme, auf unwirtlichen
und unbekannten Gewaessern, laengs einer Kueste, wo an einzelnen Stellen
die Gebirge lotrecht in die See hinabfallen und es schlechterdings
notwendig gewesen waere, die Schiffe zu besteigen; wenn es gelang,
diesen Zug zu vollenden, der vielleicht schwieriger war als die
Heerfahrten Alexanders und Hannibals - was ward im besten Falle damit
erzielt, das irgend den Muehen und Gefahren entsprach? Freilich war der
Krieg nicht geendigt, solange der alte Koenig noch unter den Lebenden
war; aber wer buergte dafuer, dass es wirklich gelang, das koenigliche
Wild zu fangen, um dessentwillen diese beispiellose Jagd angestellt
werden sollte? War es nicht besser, selbst auf die Gefahr hin, dass
Mithradates noch einmal die Kriegsfackel nach Kleinasien schleudere, von
einer Verfolgung abzustehen, die so wenig Gewinn und so viele Gefahren
verhiess? Wohl draengten den Feldherrn zahlreiche Stimmen im Heer, noch
zahlreichere in der Hauptstadt, die Verfolgung unablaessig und um jeden
Preis fortzusetzen; aber es waren Stimmen teils tolldreister Hitzkoepfe,
teils derjenigen perfiden Freunde, die den allzumaechtigen Imperator
gern um jeden Preis von der Hauptstadt ferngehalten und ihn im Osten
in unabsehbare Unternehmungen verwickelt haetten. Pompeius war ein zu
erfahrener und zu bedaechtiger Offizier, um im hartnaeckigen Festhalten
an einer so unverstaendigen Expedition seinen Ruhm und sein Heer auf das
Spiel zu setzen; ein Aufstand der Albaner im Ruecken des Heeres gab den
Vorwand her, um die weitere Verfolgung des Koenigs aufzugeben und die
Rueckkehr anzuordnen. Die Flotte erhielt den Auftrag, in dem Schwarzen
Meer zu kreuzen, die kleinasiatische Nordkueste gegen jeden feindlichen
Einfall zu decken, den Kimmerischen Bosporus aber streng zu blockieren
unter Androhung der Lebensstrafe fuer jeden Kauffahrer, der die Blockade
brechen wuerde. Die Landtruppen fuehrte Pompeius nicht ohne grosse
Beschwerden durch das kolchische und armenische Gebiet an den unteren
Lauf des Kur und weiter, den Strom ueberschreitend, in die albanische
Ebene. Mehrere Tage musste das roemische Heer in der gluehenden Hitze
durch dies wasserarme Blachland marschieren, ohne auf den Feind
zu treffen; erst am linken Ufer des Abas (wahrscheinlich der sonst
Alazonios, jetzt Alasan genannte Fluss) stellte unter Fuehrung des
Koses, Bruders des Koenigs Oroizes, sich die Streitmacht der Albaner den
Roemern entgegen; sie soll mit Einschluss des von den transkaukasischen
Steppenbewohnern eingetroffenen Zuzuges 60000 Mann zu Fuss und 12000
Reiter gezaehlt haben. Dennoch haette sie schwerlich den Kampf gewagt,
wenn sie nicht gemeint haette, bloss mit der roemischen Reiterei fechten
zu sollen; aber die Reiter waren nur vorangestellt und wie diese
sich zurueckzogen, zeigten sich dahinter verborgen die roemischen
Infanteriemassen. Nach kurzem Kampfe war das Heer der Barbaren in die
Waelder versprengt, die Pompeius zu umstellen und anzuzuenden befahl.
Die Albaner bequemten sich hierauf, Frieden zu machen und dem Beispiele
der maechtigeren Voelker folgend, schlossen alle zwischen dem Kur und
dem Kaspischen Meer sitzenden Staemme mit dem roemischen Feldherrn
Vertrag ab. Die Albaner, Iberer und ueberhaupt die suedlich am und unter
dem Kaukasus ansaessigen Voelkerschaften traten also wenigstens fuer den
Augenblick in ein abhaengiges Verhaeltnis zu Rom. Wenn dagegen auch die
Voelker zwischen dem Phasis und der Maeotis, Kolcher, Soaner, Heniocher,
Zyger, Achaeer, sogar die fernen Bastarner dem langen Verzeichnis der
von Pompeius unterworfenen Nationen eingereiht wurden, so nahm man
dabei offenbar es mit dem Begriff der Unterwerfung sehr wenig genau.
Der Kaukasus bewaehrte sich abermals in seiner weltgeschichtlichen
Bedeutung; wie die persische und die hellenische fand auch die roemische
Eroberung an ihm ihre Grenze. So blieb denn Koenig Mithradates sich
selbst und dem Verhaengnis ueberlassen. Wie einst sein Ahnherr, der
Gruender des Pontischen Staates, sein kuenftiges Reich zuerst betreten
hatte, fluechtend vor den Haeschern des Antigonos und nur von sechs
Reitern begleitet, so hatte nun der Enkel die Grenzen seines Reiches
wieder ueberschreiten und seine und seiner Vaeter Eroberungen mit dem
Ruecken ansehen muessen. Aber die Wuerfel des Verhaengnisses hatten
keinem oefter und launenhafter die hoechsten Gewinste und die
gewaltigsten Verluste zugeworfen als dem alten Sultan von Sinope, und
rasch und unberechenbar wechseln die Geschicke im Osten. Wohl mochte
Mithradates jetzt am Abend seines Lebens jeden neuen Wechselfall mit
dem Gedanken hinnehmen, dass auch er nur wieder einen neuen Umschwung
vorbereite und das einzig Stetige der ewige Wandel der Geschicke sei.
War doch die roemische Herrschaft der Orientalen im tiefsten Grunde
ihres Wesens unertraeglich und Mithradates selbst, im Guten wie im
Boesen, der rechte Fuerst des Ostens; bei der Schlaffheit des Regiments,
wie der roemische Senat es ueber die Provinzen uebte, und bei dem
gaerenden und zum Buergerkriege reifenden Hader der politischen Parteien
in Rom konnte Mithradates, wenn es ihm glueckte, seine Zeit abzuwarten,
gar wohl noch zum drittenmal seine Herrschaft wiederherstellen. Darum
eben, weil er hoffte und plante, solange Leben in ihm war, blieb er den
Roemern gefaehrlich, solange er lebte, als landfluechtiger Greis nicht
minder wie da er mit seinen Hunderttausenden ausgezogen war, um Hellas
und Makedonien den Roemern zu entreissen. Der rastlose alte Mann
gelangte im Jahre 689 (85) von Dioskurias unter unsaeglichen Beschwerden
teils zu Lande, teils zur See in das Reich von Pantikapaeon, stuerzte
hier durch sein Ansehen und sein starkes Gefolge seinen abtruennigen
Sohn Machares vom Thron und zwang ihn, sich selber den Tod zu geben. Von
hier aus versuchte er noch einmal, mit den Roemern zu unterhandeln;
er bat, ihm sein vaeterliches Reich zurueckzugeben und erklaerte sich
bereit, die Oberhoheit Roms anzuerkennen und als Lehnfuerst Zins zu
entrichten. Allein Pompeius weigerte sich, dem Koenig eine Stellung zu
gewaehren, in der er das alte Spiel aufs neue begonnen haben wuerde, und
bestand darauf, dass er sich persoenlich unterwerfe. Mithradates aber
dachte nicht daran, sich dem Feinde in die Haende zu liefern, sondern
entwarf neue und immer ausschweifendere Plaene. Mit Anspannung aller der
Mittel, die seine geretteten Schaetze und der Rest seiner Staaten ihm
darboten, ruestete er ein neues, zum Teil aus Sklaven bestehendes Heer
von 36000 Mann, das er nach roemischer Art bewaffnete und einuebte, und
eine Kriegsflotte; dem Geruecht zufolge beabsichtigte er durch Thrakien,
Makedonien und Pannonien westwaerts zu ziehen, die Skythen in den
sarmatischen Steppen, die Kelten an der Donau als Bundesgenossen mit
sich fortzureissen und mit dieser Voelkerlawine sich auf Italien zu
stuerzen. Man hat dies wohl grossartig gefunden und den Kriegsplan des
pontischen Koenigs mit dem Heereszug Hannibals verglichen; aber derselbe
Entwurf, der in einem genialen Geiste genial ist, wird eine Torheit in
einem verkehrten. Diese beabsichtigte Invasion der Orientalen in Italien
war einfach laecherlich und nichts als die Ausgeburt einer ohnmaechtigen
phantasierenden Verzweiflung. Durch die vorsichtige Kaltbluetigkeit
ihres Fuehrers blieben die Roemer davor bewahrt, dem abenteuerlichen
Gegner abenteuernd zu folgen und in der fernen Krim einen Angriff
abzuwehren, dem, wenn er nicht in sich selber erstickte, immer noch
frueh genug am Fusse der Alpen begegnet ward. In der Tat, waehrend
Pompeius, ohne weiter um die Drohungen des ohnmaechtigen Riesen sich zu
bekuemmern, das gewonnene Gebiet zu ordnen beschaeftigt war, erfuellten
ohne sein Zutun sich im entlegenen Norden die Geschicke des greisen
Koenigs. Die unverhaeltnismaessigen Ruestungen hatten unter den
Bosporanern, denen man die Haeuser einriss, die Ochsen vom Pflug spannte
und niederstiess, um Balken und Flechsen zum Maschinenbau zu gewinnen,
die heftigste Gaerung hervorgerufen. Auch die Soldaten gingen unlustig
an die hoffnungslose italische Expedition. Stets war Mithradates umgeben
gewesen von Argwohn und Verrat; er hatte nicht die Gabe, Liebe und
Treue bei den Seinigen zu erwecken. Wie er in frueheren Jahren seinen
ausgezeichneten Feldherrn Archelaos genoetigt hatte, im roemischen Lager
Schutz zu suchen, wie waehrend der Feldzuege Luculls seine vertrautesten
Offiziere Diokles, Phoenix, sogar die namhaftesten roemischen Emigranten
zum Feind uebergegangen waren, so folgte jetzt, wo sein Stern erblich
und der alte, kranke, verbitterte Sultan keinem mehr als seinen
Verschnittenen zugaenglich war, noch rascher Abfall auf Abfall. Der
Kommandant der Festung Phanagoria (auf der asiatischen Kueste Kertsch
gegenueber), Kastor, erhob zuerst die Fahne des Aufstandes; er
proklamierte die Freiheit der Stadt und lieferte die in der Festung
befindlichen Soehne Mithradats in die Haende der Roemer. Waehrend unter
den bosporanischen Staedten der Aufstand sich ausbreitete, Chersonesos
(unweit Sevastopol), Theudosia (Kaffa) und andere sich den Phanagoriten
anschlossen, liess der Koenig seinem Argwohn und seiner Grausamkeit
den Lauf. Auf die Anzeige veraechtlicher Eunuchen hin wurden seine
Vertrautesten an das Kreuz geschlagen; die eigenen Soehne des Koenigs
waren ihres Lebens am wenigsten sicher. Derjenige von ihnen, der des
Vaters Liebling und wahrscheinlich von ihm zum Nachfolger bestimmt war,
Pharnakes, entschloss sich und trat an die Spitze des Insurgenten. Die
Haescher, welche Mithradates sandte, um ihn zu verhaften, die gegen ihn
ausgeschickten Truppen gingen zu ihm ueber; das Korps der italischen
Ueberlaeufer, vielleicht der tuechtigste unter den Mithradatischen
Heerhaufen und ebendarum am wenigsten geneigt, die abenteuerliche und
fuer die Ueberlaeufer besonders bedenkliche Expedition gegen Italien
mitzumachen, erklaerte sich in Masse fuer den Prinzen; die uebrigen
Heerabteilungen und die Flotte folgten dem gegebenen Beispiel. Nachdem
die Landschaft und die Armee den Koenig verlassen hatten, oeffnete
endlich auch die Hauptstadt Pantikapaeon den Insurgenten die Tore
und ueberlieferte ihnen den alten, in seinem Palaste eingeschlossenen
Koenig. Von der hohen Mauer seiner Burg flehte dieser den Sohn an, ihm
wenigstens das Leben zu gewaehren und nicht in das Blut des Vaters
die Haende zu tauchen; aber die Bitte klang uebel aus dem Munde eines
Mannes, an dessen eigenen Haenden das Blut der Mutter und das
frisch vergossene seines unschuldigen Sohnes Xiphares klebte, und in
seelenloser Haerte und Unmenschlichkeit uebertraf Pharnakes noch seinen
Vater. Da es nun also zum Tode ging, so beschloss der Sultan, wenigstens
zu sterben, wie er gelebt hatte: seine Frauen, seine Kebse und seine
Toechter, unter diesen die jugendlichen Braeute der Koenige von Aegypten
und Kypros, sie alle mussten die Bitterkeit des Todes erleiden und den
Giftbecher leeren, bevor auch er denselben nahm und dann, da der Trank
nicht schnell genug wirkte, einem keltischen Soeldner Betuitus den
Nacken zum toedlichen Streiche darbot. So starb im Jahre 691 (63)
Mithradates Eupator, im achtundsechzigsten Jahre seines Lebens, im
siebenundfuenfzigsten seiner Regierung, sechsundzwanzig Jahre nachdem er
zum ersten Male gegen die Roemer ins Feld gezogen war. Die Leiche, die
Koenig Pharnakes als Belegstueck seiner Verdienste und seiner Loyalitaet
an Pompeius sandte, ward auf dessen Anordnung beigesetzt in den
Koenigsgraebern von Sinope. Mithradates' Tod galt den Roemern einem
Siege gleich: lorbeerbekraenzt, als haetten sie einen solchen zu melden,
erschienen die Boten, welche dem Feldherrn die Katastrophe berichteten,
im roemischen Lager von Jericho. Ein grosser Feind ward mit ihm zu Grabe
getragen, ein groesserer, als je noch in dem schlaffen Osten einer den
Roemern erstanden war. Instinktmaessig fuehlte es die Menge; wie einst
Scipio mehr noch ueber Hannibal als ueber Karthago triumphiert hatte, so
wurde auch die Ueberwindung der zahlreichen Staemme des Ostens und
des Grosskoenigs selbst fast vergessen ueber Mithradates' Tod, und bei
Pompeius' feierlichem Einzug zog nichts mehr die Blicke der Menge auf
sich als die Schildereien, in denen man den Koenig Mithradates als
Fluechtling sein Pferd am Zuegel fuehren, dann ihn sterbend zwischen
den Leichen seiner Toechter niedersinken sah. Wie man auch ueber die
Eigenartigkeit des Koenigs urteilen mag, er ist eine bedeutende,
im vollen Sinne des Wortes weltgeschichtliche Gestalt. Er war keine
geniale, wahrscheinlich nicht einmal eine reichbegabte Persoenlichkeit;
aber er besass die sehr respektable Gabe zu hassen, und mit diesem Hasse
hat er den ungleichen Kampf gegen die uebermaechtigen Feinde ein
halbes Jahrhundert hindurch zwar ohne Erfolg, aber mit Ehren bestanden.
Bedeutungsvoller noch als durch seine Individualitaet ward er durch den
Platz, auf den die Geschichte ihn gestellt hat. Als der Vorlaeufer der
nationalen Reaktion des Orients gegen die Okzidentalen hat er den neuen
Kampf des Ostens gegen den Westen eroeffnet; und das Gefuehl, dass
man mit seinem Tode nicht am Ende, sondern am Anfang sei, blieb den
Besiegten wie den Siegern. Pompeius inzwischen war, nachdem er im Jahre
689 (65) mit den Voelkern des Kaukasus gekriegt hatte, zurueckgegangen
in das Pontische Reich und bezwang daselbst die letzten noch Widerstand
leistenden Schloesser, welche, um dem Raeuberunwesen zu steuern,
geschleift, die Schlossbrunnen durch hineingewaelzte Felsbloecke
unbrauchbar gemacht wurden. Von da brach er im Sommer 690 (64) nach
Syrien auf, um dessen Verhaeltnisse zu ordnen. Es ist schwierig, den
aufgeloesten Zustand, in dem die syrischen Landschaften damals sich
befanden, anschaulich darzulegen. Zwar hatte infolge der Angriffe
Luculls der armenische Statthalter Magadates im Jahre 685 (69), diese
Provinzen geraeumt, und auch die Ptolemaeer, so gern sie die Versuche
ihrer Vorfahren, die syrische Kueste zu ihrem Reiche zu fuegen, erneuert
haben wuerden, scheuten sich doch, durch die Okkupation Syriens die
roemische Regierung zu reizen, um so mehr als diese noch nicht einmal
fuer Aegypten ihren mehr als zweifelhaften Rechtstitel reguliert hatte
und von den syrischen Prinzen mehrfach angegangen worden war, sie als
die legitimen Erben des erloschenen Lagidenhauses anzuerkennen. Aber
wenn auch die groesseren Maechte sich augenblicklich saemtlich der
Einmischung in die Angelegenheiten Syriens enthielten, so litt das Land
doch weit mehr, als es unter einem grossen Krieg haette leiden koennen,
durch die end- und ziellosen Fehden der Fuersten, Ritter und Staedte.
Die faktischen Herren im Seleukidenreich waren derzeit die Beduinen,
die Juden und die Nabataeer. Die unwirtliche, quell- und baumlose
Sandsteppe, die von der Arabischen Halbinsel aus bis an und ueber den
Euphrat sich hinziehend gegen Westen bis an den syrischen Gebirgszug und
seinen schmalen Kuestensaum, gegen Osten bis zu den reichen Niederungen
des Tigris und des unteren Euphrat reicht, diese asiatische Sahara ist
die uralte Heimat der Soehne Ismaels; seit es eine Ueberlieferung
gibt, finden wir dort den "Bedawin", den "Sohn der Wueste", seine Zelte
schlagen und seine Kamele weiden oder auch auf seinem geschwinden
Ross Jagd machen, bald auf den Stammfeind, bald auf den wandernden
Handelsmann. Beguenstigt frueher durch Koenig Tigranes, der sich
ihrer fuer seine handelspolitischen Plaene bediente, nachher durch die
vollstaendige Meisterlosigkeit in dem syrischen Lande, breiteten diese
Kinder der Wueste ueber das noerdliche Syrien sich aus; namentlich
spielten diejenigen Staemme hier politisch fast die erste Rolle, die
durch die Nachbarschaft der zivilisierten Syrer die ersten Anfaenge
einer geordneten Existenz in sich aufgenommen hatten. Die namhaftesten
unter diesen Emiren waren Abgaros, der Haeuptling des Araberstammes
der Mardaner, den Tigranes um Edessa und Karrhae im oberen Mesopotamien
angesiedelt hatte; dann westlich vom Euphrat Sampsikeramos, Emir der
Araber von Hemesa (Homs) zwischen Damaskos und Antiocheia und Herr der
starken Festung Arethusa; Azizos, das Haupt einer anderen, in derselben
Gegend streifenden Horde; Alchaudonios, der Fuerst der Rhambaeer, der
schon mit Lucullus sich in Verbindung gesetzt hatte, und andere
mehr. Neben diesen Beduinenfuersten waren ueberall dreiste Gesellen
aufgetreten, die es den Kindern der Wueste in dem edlen Gewerbe der
Wegelagerung gleich- oder auch zuvortaten: so Ptolemaeos Mennaeos' Sohn,
vielleicht der maechtigste unter diesen syrischen Raubrittern und einer
der reichsten Maenner dieser Zeit, der ueber das Gebiet der Ityraeer -
der heutigen Drusen - in den Taelern des Libanos wie an der Kueste und
ueber die noerdlich vorliegende Marsyasebene mit den Staedten Heliopolis
(Baalbek) und Chalkis gebot und 8000 Reiter aus seiner Tasche besoldete;
so Dionaysios und Kinyras, die Herren der Seestaedte Tripolis (Tarablus)
und Byblos (zwischen Tarablus und Beirut); so der Jude Silas in Lysias,
einer Festung unweit Apameia am Orontes. Im Sueden Syriens dagegen
schien der Stamm der Juden sich um diese Zeit zu einer politischen Macht
konsolidieren zu wollen. Durch die fromme und kuehne Verteidigung des
uralten juedischen Nationalkultus, den der nivellierende Hellenismus der
syrischen Koenige bedrohte, war das Geschlecht der Hasmonaeer oder
der Makkabi nicht bloss zum erblichen Prinzipal und allmaehlich zu
koeniglichen Ehren gelangt, sondern es hatten auch die fuerstlichen
Hochpriester erobernd nach Norden, Osten und Sueden um sich gegriffen.
Als der tapfere Jannaeos Alexandros starb (675 79) erstreckte sich das
Juedische Reich gegen Sueden ueber das ganze philistaeische Gebiet
bis an die aegyptische Grenze, gegen Suedosten bis an die des
Nabataeerreiches von Petra, von welchem Jannaeos betraechtliche Strecken
am rechten Ufer des Jordan und des Toten Meeres abgerissen hatte, gegen
Norden ueber Samaria und die Dekapolis bis zum See Genezareth; schon
machte er hier Anstalt, Ptolemais (Acco) einzunehmen und die Uebergriffe
der Ityraeer erobernd zurueckzuweisen. Die Kueste gehorchte den Juden
vom Berg Karmel bis nach Rhinokorura mit Einschluss des wichtigen Gaza
- nur Askalon war noch frei -, so dass das einst vom Meer fast
abgeschnittene Gebiet der Juden jetzt mit unter den Freistaetten der
Piraterie aufgefuehrt werden konnte. Wahrscheinlich haetten, zumal da
der armenische Sturm, eben als er sich den Grenzen Judaeas nahte, durch
Lucullus' Dazwischenkunft von dieser Landschaft abgewendet ward, die
begabten Herrscher des Hasmonaeischen Hauses ihre Waffen noch weiter
getragen, wenn nicht die Machtentwicklung dieses merkwuerdigen,
erobernden Priesterstaates durch innere Spaltungen im Keime geknickt
worden waere. Der konfessionelle und der nationale Unabhaengigkeitssinn,
deren energische Vereinigung den Makkabaeerstaat ins Leben gerufen
hatte, traten rasch wieder aus- und sogar gegeneinander. Der juedischen
Orthodoxie oder dem sogenannten Pharisaeismus genuegte die freie
Religionsuebung, wie sie den syrischen Herrschern abgetrotzt worden war;
ihr praktisches Ziel war eine von dem weltlichen Regiment wesentlich
absehende, aus den Orthodoxen in aller Herren Laendern zusammengesetzte
Judengemeinschaft, welche in der jedem gewissenhaften Juden obliegenden
Steuer fuer den Tempel zu Jerusalem und in den Religionsschulen und
geistlichen Gerichten ihre sichtbaren Vereinigungspunkte fand.
Dieser von dem staatlichen Leben sich abwendenden, mehr und mehr
in theologischer Gedankenlosigkeit und peinlichem Zeremonialdienst
erstarrenden Orthodoxie gegenueber standen die Vertreter der nationalen
Unabhaengigkeit, erstarkt in den gluecklichen Kaempfen gegen die
Fremdherrschaft, vorschreitend zu dem Gedanken einer Wiederherstellung
des juedischen Staates, die Vertreter der alten grossen Geschlechter,
die sogenannten Sadduzaeer, teils dogmatisch, indem sie nur die
heiligen Buecher selber gelten liessen und den Vermaechtnissen der
Schriftgelehrten, das ist der kanonischen Tradition, nur Autoritaet,
nicht Kanonizitaet zusprachen ^2; teils und vor allem politisch, indem
sie anstatt des fatalistischen Zuwartens auf den starken Arm des Herrn
Zebaoth das Heil der Nation erwarten lehrten von den Waffen dieser
Welt und von der innerlichen und aeusserlichen Staerkung des in den
glorreichen Makkabaeerzeiten wiederaufgerichteten Davidischen Reiches.
Jene Orthodoxen fanden ihren Halt in der Priesterschaft und der
Menge; sie bestritten den Hasmonaeern die Legitimitaet ihrer
Hohenpriesterschaft und fochten gegen die boesen Ketzer mit der ganzen
ruecksichtslosen Unversoehnlichkeit, womit die Frommen fuer den Besitz
irdischer Gueter zu streiten gewohnt sind. Die staatliche Partei dagegen
stuetzte sich auf die von den Einfluessen des Hellenismus beruehrte
Intelligenz, auf das Heer, in dem zahlreiche pisidische und kilikische
Soeldner dienten, und auf die tuechtigeren Koenige, welche hier mit
der Kirchengewalt rangen, aehnlich wie ein Jahrtausend spaeter die
Hohenstaufen mit dem Papsttum. Mit starker Hand hatte Jannaeos die
Priesterschaft niedergehalten; unter seinen beiden Soehnen kam es (685f.
69) zu einem Buerger- und Bruderkrieg, indem die Pharisaeer sich dem
kraeftigen Aristobulos widersetzten und versuchten, unter der nominellen
Herrschaft seines Bruders, des gutmuetigen und schlaffen Hyrkanos, ihre
Zwecke zu erreichen. Dieser Zwist brachte nicht bloss die juedischen
Eroberungen ins Stocken, sondern gab auch auswaertigen Nationen
Gelegenheit, sich einzumischen und dadurch im suedlichen Syrien eine
gebietende Stellung zu gewinnen. Zunaechst gilt dies von den Nabataeern.
Diese merkwuerdige Nation ist oft mit ihren oestlichen Nachbarn, den
schweifenden Arabern, zusammengeworfen worden, aber naeher als den
eigentlichen Kindern Ismaels ist sie dem aramaeischen Zweige verwandt.
Dieser aramaeische oder, nach der Benennung der Okzidentalen, syrische
Stamm muss von seinen aeltesten Sitzen um Babylon, wahrscheinlich des
Handels wegen, in sehr frueher Zeit eine Kolonie an die Nordspitze des
Arabischen Meerbusens ausgefuehrt haben: dies sind die Nabataeer auf der
Sinaitischen Halbinsel zwischen dem Golf von Suez und Aila und in der
Gegend von Petra (Wadi Musa). In ihren Haefen wurden die Waren
vom Mittelmeer gegen indische umgesetzt; die grosse suedliche
Karawanenstrasse, die von Gaza zur Euphratmuendung und dem Persischen
Meerbusen lief, fuehrte durch die Hauptstadt der Nabataeer Petra, deren
heute noch prachtvolle Felspalaeste und Felsengraeber deutlicheres
Zeugnis von der nabataeischen Zivilisation ablegen als die fast
verschollene Ueberlieferung. Die Pharisaeerfuehrer, denen nach
Priesterart der Sieg ihrer Partei um den Preis der Unabhaengigkeit und
Integritaet des Landes nicht zu teuer erkauft schien, ersuchten den
Koenig der Nabataeer, Aretas, um Hilfe gegen Aristobulos, wofuer sie
alle von Jannaeos ihm entrissenen Eroberungen an ihn zurueckzugeben
verhiessen. Daraufhin war Aretas mit angeblich 50000 Mann in das
juedische Land eingerueckt und, verstaerkt durch den Anhang der
Pharisaeer, hielt er den Koenig Aristobulos in seiner Hauptstadt
belagert. ----------------------------------------------------- ^2
So verwarfen die Sadduzaeer die Engel- und Geisterlehre und die
Auferstehung der Toten. Die meisten ueberlieferten Differenzpunkte
zwischen Pharisaeern und Sadduzaeern beziehen sich auf untergeordnete
rituelle, juristische und Kalenderfragen. Charakteristisch ist es, dass
die siegenden Pharisaeer diejenigen Tage, an denen sie in den einzelnen
Kontroversen definitiv die Oberhand behalten oder ketzerische Mitglieder
aus dem Oberkonsistorium ausgestossen hatten, in das Verzeichnis
der Gedenk- und Festtage der Nation eingetragen haben.
--------------------------------------------------- Unter dem Faust-
und Fehderecht, die also von einem Ende Syriens zum andern herrschten,
litten natuerlich vor allen Dingen die groesseren Staedte, wie
Antiocheia, Seleukeia, Damaskos, deren Buerger in ihrem Feldbau wie
in ihrem See- und Karawanenhandel sich gelaehmt sahen. Die Buerger
von Byblos und Berytos (Beirut) vermochten weder ihre Aecker noch
ihre Schiffe vor den Ityraeern zu schuetzen, die von ihren Berg- und
Seekastellen aus Land und Meer gleich unsicher machten. Die von Damaskos
suchten der Angriffe der Ityraeer und des Ptolemaeos dadurch sich zu
erwehren, dass sie sich den entfernteren Koenigen der Nabataeer oder
der Juden zu eigen gaben. In Antiocheia mischten sich Sampsikeramos
und Azizos in die inneren Fehden der Buergerschaft und fast waere die
hellenische Grossstadt schon jetzt der Sitz eines arabischen Emirs
geworden. Es waren Zustaende, die an die koeniglosen Zeiten des
deutschen Mittelalters erinnern, als Nuernberg und Augsburg nicht in des
Koenigs Recht und Gericht, sondern einzig in ihren Waellen noch Schutz
fanden; ungeduldig harrten die syrischen Kaufbuerger des starken Arms,
der ihnen Frieden und Verkehrssicherheit wiedergab. An einem legitimen
Koenig uebrigens fehlte es in Syrien nicht; man hatte deren sogar zwei
oder drei. Ein Prinz Antiochos aus dem Hause der Seleukiden war
von Lucullus als Herr der noerdlichsten syrischen Provinz Kommagene
eingesetzt worden, Antiochos der Asiate, dessen Ansprueche auf den
syrischen Thron sowohl bei dem Senat als bei Lucullus Anerkennung
gefunden hatten, war nach dem Abzug der Armenier in Antiocheia
aufgenommen und daselbst als Koenig anerkannt worden. Ihm war dort
sogleich ein dritter Seleukidenprinz, Philippos, als Nebenbuhler
entgegengetreten, und es hatte die grosse, fast wie die alexandrinische
bewegliche und oppositionslustige Buergerschaft von Antiocheia sowie
dieser und jener benachbarte arabische Emir sich eingemischt in
den Familienzwist, der nun einmal von der Herrschaft der Seleukiden
unzertrennlich schien. War es ein Wunder, dass die Legitimitaet
den Untertanen zum Spott und zum Ekel ward und dass die sogenannten
rechtmaessigen Koenige noch etwas weniger im Lande galten als die
kleinen Fuersten und Raubritter? In diesem Chaos Ordnung zu schaffen,
bedurfte es weder genialer Konzeptionen noch gewaltiger Machtentfaltung,
wohl aber der klaren Einsicht in die Interessen Roms und seiner
Untertanen, und der kraeftigen und folgerechten Aufrichtung und
Aufrechthaltung der als notwendig erkannten Institutionen. Die
Legitimitaetspolitik des Senats hatte sich sattsam prostituiert; den
Feldherrn, den die Opposition ans Regiment gebracht, durften nicht
dynastische Ruecksichten leiten, sondern er hatte einzig darauf
zu sehen, dass das Syrische Reich in Zukunft weder durch Zwist der
Praetendenten noch durch die Begehrlichkeit der Nachbarn der roemischen
Klientel entzogen werde. Dazu aber gab es nur einen Weg: dass die
roemische Gemeinde durch einen von ihr gesandten Satrapen mit kraeftiger
Hand die Zuegel der Regierung erfasse, die den Koenigen des regierenden
Hauses mehr noch durch eigene Verschuldung als durch aeussere Unfaelle
seit langem tatsaechlich entglitten waren. Den Weg schlug Pompeius ein.
Antiochos der Asiate erhielt auf seine Bitte, ihn als den angestammten
Herrscher Syriens anzuerkennen, die Antwort, dass Pompeius einem
Koenige, der sein Reich weder zu behaupten noch zu regieren wisse, die
Herrschaft nicht einmal auf die Bitte seiner Untertanen, geschweige denn
gegen deren bestimmt ausgesprochene Wuensche zurueckgeben werde. Mit
diesem Briefe des roemischen Prokonsuls war das Haus des Seleukos von
dem Throne gestossen, den es seit zweihundertfuenfzig Jahren eingenommen
hatte. Antiochos verlor bald darauf sein Leben durch die Hinterlist
des Emirs Sampsikeramos, als dessen Klient er in Antiocheia den Herrn
spielte; seitdem ist von diesen Schattenkoenigen und ihren Anspruechen
nicht weiter die Rede. Wohl aber war es, um das neue roemische Regiment
zu begruenden und eine leidliche Ordnung in die verwirrten Verhaeltnisse
zu bringen, noch erforderlich, mit Heeresmacht in Syrien einzuruecken
und all die Stoerer der friedlichen Ordnung, die waehrend der
vieljaehrigen Anarchie emporgewachsen waren, durch die roemischen
Legionen zu schrecken oder niederzuwerfen. Schon waehrend der Feldzuege
im Pontischen Reiche und am Kaukasus hatte Pompeius den Angelegenheiten
Syriens seine Aufmerksamkeit zugewandt und einzelne Beauftragte und
Abteilungen wo es not tat eingreifen lassen. Aulus Gabinius - derselbe,
der als Volkstribun Pompeius nach dem Osten gesandt hatte - war schon
689 (65) an den Tigris und sodann quer durch Mesopotamien nach Syrien
marschiert, um die verwickelten Verhaeltnisse im juedischen Lande zu
schlichten. Ebenso war das schwer bedraengte Damaskos bereits durch
Lollius und Metellus besetzt worden. Bald nachher traf ein anderer
Adjutant des Pompeius, Marcus Scaurus, in Judaea ein, um die immer neu
wieder daselbst ausbrechenden Fehden beizulegen. Auch Lucius Afrianus,
der waehrend Pompeius' Expedition nach dem Kaukasus das Kommando ueber
die roemischen Truppen in Armenien fuehrte, hatte von Korduene (dem
noerdlichen Kurdistan) aus sich in das obere Mesopotamien begeben und,
nachdem er durch die hilfreiche Teilnahme der in Karrhae angesiedelten
Hellenen den gefaehrlichen Weg durch die Wueste gluecklich zurueckgelegt
hatte, die Araber in Osrhoene zur Botmaessigkeit gebracht. Gegen Ende
des Jahres 690 (64), langte dann Pompeius selbst in Syrien an ^3
und verweilte dort bis zum Sommer des folgenden Jahres, entschlossen
durchgreifend und fuer jetzt und kuenftig die Verhaeltnisse ordnend.
Zurueckgehend auf die Zustaende des Reiches in den besseren Zeiten der
Seleukidenherrschaft, wurden alle usurpierten Gewalten beseitigt, die
Raubherren aufgefordert, ihre Burgen zu uebergeben, die arabischen
Scheichs wieder auf ihr Wuestengebiet beschraenkt, die Verhaeltnisse
der einzelnen Gemeinden definitiv geregelt. Diesen strengen Befehlen
Gehorsam zu verschaffen, standen die Legionen bereit, und ihr
Einschreiten erwies sich insbesondere gegen die verwegenen Raubritter
als notwendig. Silas, der Herr von Lysias, der Herr von Tripolis,
Dionysios, der Herr von Byblos, Kinyras, wurden in ihren Burgen
gefangengenommen und hingerichtet, die Berg- und Seeschloesser der
Ityraeer gebrochen, Ptolemaeos Mennaeos' Sohn in Chalkis gezwungen, mit
1000 Talenten (1827000 Taler) Loesegeld sich Freiheit und Herrschaft
zu erkaufen. Im uebrigen fanden die Befehle des neuen Machthabers
meistenteils widerstandslosen Gehorsam. Nur die Juden schwankten. Die
frueher von Pompeius gesandten Vermittler, Gabinius und Scaurus, hatten
- beide, wie es heisst, mit bedeutenden Summen bestochen - im Streite
der beiden Brueder Hyrkanos und Aristobulos zu Gunsten des letzteren
entschieden, auch den Koenig Aretas veranlasst, die Belagerung von
Jerusalem aufzuheben und sich in seine Heimat zu begeben, wobei er
auf dem Rueckweg noch von Aristobulos eine Niederlage erlitt. Als
aber Pompeius in Syrien eintraf, kassierte er die Anordnungen seiner
Untergebenen und wies die Juden an, ihre alte Hochpriesterverfassung,
wie der Senat sie um 593 (61) anerkannt hatte, wieder einzufuehren und
wie auf das Fuerstentum selbst, so auch auf alle von den Hasmonaeischen
Fuersten gemachten Eroberungen zu verzichten. Es waren die Pharisaeer,
welche eine Gesandtschaft von zweihundert ihrer angesehensten Maenner
an den roemischen Feldherrn gesandt und von ihm den Sturz des Koenigtums
ausgewirkt hatten; nicht zum Vorteil der eigenen Nation, aber wohl zu
dem der Roemer, die der Natur der Sache nach auch hier zurueckkommen
mussten auf die alten Rechte der Seleukiden und eine erobernde Macht,
wie die des Jannaeos war, innerhalb ihres Reiches nicht dulden konnten.
Aristobulos schwankte, ob es besser sei, das Unvermeidliche geduldig
ueber sich ergehen zu lassen oder mit den Waffen in der Hand dem
Verhaengnis zu erliegen; bald schien er im Begriff, sich Pompeius zu
unterwerfen, bald die nationale Partei unter den Juden zum Kampfe gegen
die Roemer aufzurufen. Als endlich, da schon die Legionen vor den Toren
standen, er sich dem Feinde ergab, weigerte sich der entschlossenere
oder fanatisiertere Teil seiner Armee, den Befehlen des unfreien
Koenigs Folge zu leisten. Die Hauptstadt unterwarf sich; den steilen
Tempelfelsen verteidigte jene fanatische Schar drei Monate hindurch mit
todesmutiger Hartnaeckigkeit, bis endlich waehrend der Sabbathruhe der
Belagerten die Belagerer eindrangen, des Heiligtums sich bemaechtigten
und die Anstifter dieser verzweifelten Gegenwehr, soweit sie nicht unter
den roemischen Schwertern gefallen waren, unter die Beile der Liktoren
sandten. Damit ging der letzte Widerstand in den neu zum
roemischen Staat gezogenen Gebieten zu Ende.
----------------------------------------- ^3 Den Winter 689/90 (65/64)
brachte Pompeius noch in der Naehe des Kaspischen Meeres zu (Dio 37,
7). Im Jahre 690 (64) unterwarf er zunaechst im Pontischen Reiche die
letzten noch Widerstand leistenden Burgen und zog dann langsam, ueberall
die Verhaeltnisse regelnd, gegen Sueden. Dass die Ordnung Syriens 690
(64) begann, bestaetigt sich dadurch, dass die syrische Provinzialaera
mit diesem Jahre anhebt und durch Ciceros Angabe hinsichtlich Kommagenes
(ad. Q. fr. 2. 12, 2; vgl. Dio 37, 7). Den Winter 691/90 (64/63) scheint
Pompeius in Antiocheia sein Hauptquartier gehabt zu haben (Ios. bel.
Iud. 14, 3, 1 u. 2, wo die Verwirrung von Niese im Hermes 11, 1877, S.
471 berichtigt worden ist). -----------------------------------------
Das von Lucullus begonnene Werk hatte Pompeius vollendet: die bisher
formell selbstaendigen Staaten Bithynien, Pontus und Syrien waren mit
dem roemischen vereinigt, die seit mehr als hundert Jahren als notwendig
erkannte Vertauschung des schwaechlichen Klientelsystems mit der
unmittelbaren Herrschaft ueber die wichtigeren abhaengigen Gebiete
war endlich verwirklicht worden, sowie der Senat gestuerzt und die
Gracchische Partei ans Ruder gekommen war. Man hatte im Osten neue
Grenzen erhalten, neue Nachbarn, neue freundliche und feindliche
Beziehungen. Neu traten unter die mittelbar roemischen Gebiete ein das
Koenigreich Armenien und die kaukasischen Fuerstentuemer, ferner das
Reich am Kimmerischen Bosporus, der geringe Ueberrest der ausgedehnten
Eroberungen Mithradates Eupators, jetzt unter der Regierung seines
Sohnes und Moerders Pharnakes ein roemischer Klientelstaat; nur die
Stadt Phanagoria, deren Befehlshaber Kastor das Signal zum Aufstand
gegeben hatte, wurde dafuer von den Roemern als frei und unabhaengig
anerkannt. Nicht gleicher Erfolge konnte man gegen die Nabataeer sich
ruehmen. Koenig Aretas hatte zwar, dem Begehren der Roemer sich fuegend,
das juedische Land geraeumt; allein Damaskos war noch in seinen
Haenden und das Nabataeerland nun gar hatte noch kein roemischer Soldat
betreten. Um dies zu unterwerfen oder mindestens doch den neuen Nachbarn
im arabischen Lande zu zeigen, dass jetzt am Orontes und am Jordan die
roemischen Adler geboten und dass die Zeit vorbei war, wo die syrischen
Landschaften als herrenloses Gut zu brandschatzen jedem freistand,
begann Pompeius im Jahre 691 (63) eine Expedition gegen Petra; allein
aufgehalten durch den Aufstand der Juden, der waehrend dieses Zuges
zum Ausbruch kam, ueberliess er seinem Nachfolger Marcus Scaurus nicht
ungern die Ausfuehrung der schwierigen Unternehmung gegen die fern
inmitten der Wueste gelegene Nabataeerstadt ^4. In der Tat sah auch
Scaurus sich bald genoetigt, unverrichteter Sache umzukehren. Er musste
sich begnuegen, in den Wuesten am linken Ufer des Jordan die Nabataeer
zu bekriegen, wo er sich auf die Juden zu stuetzen vermochte, aber doch
auch nur sehr unbedeutende Erfolge davontrug. Schliesslich ueberredete
der gewandte juedische Minister Antipatros aus Idumaea den Aretas, sich
die Gewaehr seiner saemtlichen Besitzungen mit Einschluss von Damaskos
von dem roemischen Statthalter um eine Geldsumme zu erkaufen; und dies
ist denn der auf den Muenzen des Scaurus verherrlichte Friede, wo
Koenig Aretas, das Kamel am Zuegel, kniefaellig, dem Roemer den Oelzweig
darreichend erscheint. ------------------------------------------- ^4
Zwar lassen Orosius (6, 6) und Dio (37, 15), ohne Zweifel beide nach
Livius, Pompeius bis nach Petra gelangen, auch wohl die Stadt einnehmen
oder gar das Rote Meer erreichen; allein dass er im Gegenteil bald nach
Empfang der Nachricht von dem Tode Mithradats, die ihm auf dem Marsche
nach Jerusalem zukam, aus Syrien nach Pontus zurueckging, sagt Plutarch
(Pomp. 41, 42) und wird durch Florus (1, 39) und Josephus (bel. Iud.
14, 3, 3 u. 4) bestaetigt. Wenn Koenig Aretas unter den von Pompeius
Besiegten in den Bulletins figuriert, so genuegte hierfuer sein
durch Pompeius veranlasster Abzug von Jerusalem.
------------------------------------------ Bei weitem folgenreicher
als diese neuen Beziehungen der Roemer zu den Armeniern, Iberern,
Bosporanern und Nabataeern war die Nachbarschaft, in welche sie durch
die Okkupation Syriens zu dem parthischen Staate traten. So geschmeidig
die roemische Diplomatie gegen Phraates aufgetreten war, als noch der
pontische und der armenische Staat aufrecht standen, so willig damals
sowohl Lucullus als Pompeius ihm den Besitz der Landschaften jenseits
des Euphrat zugestanden hatten, so schroff stellte jetzt der neue
Nachbar sich neben den Arsakiden; und wenn die koenigliche Kunst, die
eigenen Fehler zu vergessen, es ihm gestattete, mochte Phraates wohl
jetzt sich der warnenden Worte Mithradats erinnern, dass der Parther
durch das Buendnis mit den Okzidentalen gegen die stammverwandten Reiche
erst diesen und sodann sich selber das Verderben bereite. Roemer und
Parther im Bunde hatten Armenien zugrunde gerichtet; als es gestuerzt
war, kehrte Rom, seiner alten Politik getreu, die Rollen um und
beguenstigte den gedemuetigten Feind auf Kosten des allzumaechtigen
Bundesgenossen. Schon die auffallende Bevorzugung gehoert hierher, die
der Vater Tigranes seinem Sohne, dem Verbuendeten und Tochtermann des
Partherkoenigs, gegenueber bei Pompeius fand; es war eine unmittelbare
Beleidigung, als bald nachher auf Pompeius' Befehl der juengere Tigranes
mit seiner Familie zur Haft gebracht und selbst dann nicht freigegeben
ward, als sich Phraates bei dem befreundeten Feldherrn fuer seine
Tochter und seinen Schwiegersohn verwandte. Aber Pompeius blieb hierbei
nicht stehen. Die Landschaft Korduene, auf welche sowohl Phraates als
Tigranes Ansprueche erhoben, wurde auf Pompeius' Befehl durch roemische
Truppen fuer den letzteren okkupiert und die im Besitz befindlichen
Parther ueber die Grenze hinausgeschlagen, ja bis nach Arbela in
Adiabene verfolgt, ohne dass die Regierung von Ktesiphon auch nur vorher
gehoert worden waere (689 65). Weitaus am bedenklichsten jedoch war
es, dass die Roemer keineswegs geneigt schienen, die traktatenmaessig
festgestellte Euphratgrenze zu respektieren. Mehrmals marschierten
roemische, von Armenien nach Syrien bestimmte Abteilungen quer durch
Mesopotamien; der arabische Emir Abgaros von Osrhoene ward unter
auffallend guenstigen Bedingungen in die roemische Klientel aufgenommen;
ja Oruros, das im oberen Mesopotamien etwa zwischen Nisibis und
dem Tigris 50 deutsche Meilen oestlich von dem kommagenischen
Euphratuebergang liegt, ward bezeichnet als oestlicher Grenzpunkt
der roemischen Herrschaft, vermutlich der mittelbaren, insofern die
groessere und fruchtbarere noerdliche Haelfte Mesopotamiens von den
Roemern ebenso wie Korduene dem Armenischen Reiche zugelegt worden war.
Die Grenze zwischen Roemern und Parthern ward also statt des Euphrat
die grosse syrisch-mesopotamische Wueste; und auch dies schien nur
vorlaeufig. Den parthischen Gesandten, die kamen, um auf das Einhalten
der allerdings, wie es scheint, nur muendlich abgeschlossenen Vertraege
hinsichtlich der Euphratgrenze zu dringen, gab Pompeius die zweideutige
Antwort, dass Roms Gebiet sich so weit erstrecke wie sein Recht. Ein
Kommentar zu dieser Rede schien der auffaellige Verkehr zwischen dem
roemischen Oberfeldherrn und den parthischen Satrapen der Landschaft
Medien und selbst der fernen Provinz Elymais (zwischen Susiana, Medien
und Persien im heutigen Luristan) ^5. Die Statthalter dieses letzteren,
gebirgigen, kriegerischen und entlegenen Landes waren von je her
bestrebt gewesen, eine von dem Grosskoenig unabhaengige Stellung zu
gewinnen; um so verletzender und bedrohlicher war es fuer die parthische
Regierung, wenn Pompeius von diesem Dynasten die dargebotene Huldigung
annahm. Nicht minder war es bezeichnend, dass der Titel des "Koenigs
der Koenige", der dem Partherkoenig bis dahin auch von den Roemern im
offiziellen Verkehr zugestanden worden war, jetzt auf einmal von ihnen
mit dem einfachen Koenigstitel vertauscht ward. Es war das mehr noch
eine Drohung als eine Verletzung der Etikette. Seit Rom die Erbschaft
der Seleukiden getan, schien es fast, als gedenke man dort im gelegenen
Augenblick auf jene alten Zeiten zurueckzugreifen, da ganz Iran und
Turan von Antiocheia aus beherrscht wurden und es doch kein Parthisches
Reich gab, sondern nur eine parthische Satrapie. Der Hof von Ktesiphon
haette also Grund genug gehabt, mit Rom den Krieg zu beginnen; es schien
die Einleitung dazu, dass er im Jahre 690 (64) wegen der Grenzfrage
ihn an Armenien erklaerte. Aber Phraates hatte doch nicht den Mut, eben
jetzt, wo der gefuerchtete Feldherr mit seiner starken Armee an den
Grenzen des Parthischen Reiches stand, mit den Roemern offen zu brechen.
Als Pompeius Kommissarien sandte, um den Streit zwischen Parthien und
Armenien guetlich beizulegen, fuegte Phraates sich der aufgezwungenen
roemischen Vermittlung und liess es sich gefallen, dass ihr
Schiedsspruch den Armeniern Korduene und das noerdliche Mesopotamien
zuwies. Bald nachher schmueckte seine Tochter mit ihrem Sohne und ihrem
Gemahl den Triumph des roemischen Feldherrn. Auch die Parther zitterten
vor der roemischen Uebermacht; und wenn sie nicht wie die Pontiker und
die Armenier den roemischen Waffen erlegen waren, so schien die Ursache
davon nur die zu sein, dass sie es nicht gewagt hatten, den Kampf zu
bestehen. ----------------------------------------------------- ^5 Diese
Auffassung beruht auf der Erzaehlung Plutarchs (Pomp. 36), welche durch
Strabons (16, 744) Schilderung der Stellung des Satrapen von Elymais
unterstuetzt wird. Eine Ausschmueckung davon ist es, wenn in den
Verzeichnissen der von Pompeius besiegten Landschaften und Koenige
Medien und dessen Koenig Dareios aufgefuehrt werden (Diod. fr. Vat. p.
140; App. Mithr. 117); und daraus weiter herausgesponnen ist Pompeius'
Krieg mit den Medern (Vell. 2, 40; App. Mithr. 106, 114) und nun gar der
Zug desselben nach Ekbatana (Oros. hist. 6, 5). Eine Verwechselung mit
der fabelhaften gleichnamigen Stadt auf dem Karmel hat hier schwerlich
stattgefunden; es ist einfach jene unleidliche, wie es scheint aus
Pompeius' grossartigen und absichtlich zweideutigen Bulletins sich
herleitende, Uebertreibung, die aus seiner Razzia gegen die Gaetuler
einen Zug an die afrikanische Westkueste (Plut. Pomp. 38), aus seiner
fehlgeschlagenen Expedition gegen die Nabataeer eine Eroberung der Stadt
Petra, aus seinem Schiedsspruch hinsichtlich der Grenzen Armeniens eine
Feststellung der roemischen Reichsgrenze jenseits Nisibis gemacht hat.
------------------------------------------------------- Noch lag es dem
Feldherrn ob, die inneren Verhaeltnisse der neugewonnenen Landschaften
zu regulieren und die Spuren eines dreizehnjaehrigen, verheerenden
Krieges soweit moeglich zu tilgen. Das in Kleinasien von Lucullus
und der ihm beigegebenen Kommission, auf Kreta von Metellus begonnene
Organisationsgeschaeft erhielt den endlichen Abschluss durch Pompeius.
Die bisherige Provinz Asia, die Mysien, Lydien, Phrygien und Karien
umfasste, ward aus einer Grenz- eine Mittelprovinz; neu eingerichtet
wurden die Provinz Bithynien und Pontus, welche gebildet ward aus dem
gesamten ehemaligen Reiche des Nikomedes und der westlichen Haelfte des
ehemaligen pontischen Staates bis an und ueber den Halys; die Provinz
Kilikien, die zwar schon aelter war, aber doch erst jetzt ihrem Namen
entsprechend erweitert und organisiert ward und auch Pamphylien und
Isaurien miteinschloss; die Provinz Syrien und die Provinz Kreta.
Freilich fehlte viel, dass jene Laendermasse als roemischer
Territorialbesitz in dem heutigen Sinne des Wortes haette betrachtet
werden koennen. Form und Ordnung des Regiments blieben im wesentlichen,
wie sie waren; nur trat an den Platz der bisherigen Monarchen die
roemische Gemeinde. Wie bisher bestanden jene asiatischen Landschaften
aus einer bunten Mischung von Domanialbesitzungen, tatsaechlich oder
rechtlich autonomen Stadtgebieten, fuerstlichen und priesterlichen
Herrschaften und Koenigreichen, welche alle fuer die innere Verwaltung
mehr oder minder sich selbst ueberlassen waren, uebrigens aber bald in
milderen, bald in strengeren Formen von der roemischen Regierung und
deren Prokonsuln in aehnlicher Weise abhingen, wie frueher von dem
Grosskoenig und dessen Satrapen. Wenigstens dem Range nach nahm
unter den abhaengigen Dynasten den ersten Platz ein der Koenig von
Kappadokien, dessen Gebiet schon Lucullus durch die Belehnung mit der
Landschaft Melitene (um Malatia) bis an den Euphrat erweitert hatte
und dem Pompeius noch teils an der Westgrenze einige von Kilikien
abgerissene Bezirke von Kastabala bis nach Derbe bei Ikonion, teils an
der Ostgrenze die am linken Euphratufer Melitene gegenueber gelegene,
anfaenglich dem armenischen Prinzen Tigranes zugedachte Landschaft
Sophene verlieh, wodurch also die wichtigste Euphratpassage ganz in die
Gewalt dieses Fuersten kam. Die kleine Landschaft Kommagene zwischen
Syrien und Kappadokien mit der Hauptstadt Samosata (Samsat) blieb als
abhaengiges Koenigtum dem schon genannten Seleukiden Antiochos ^6:
demselben wurden auch die wichtige, den suedlicheren Uebergang ueber
den. Euphrat beherrschende Festung Seleukeia (bei Biradjik) und die
naechsten Striche am linken Ufer des Euphrat zugeteilt und somit dafuer
gesorgt, dass die beiden Hauptuebergaenge ueber den Euphrat mit einem
entsprechenden Gebiet am oestlichen Ufer in den Haenden zweier von Rom
voellig abhaengigen Dynasten blieben. Neben den Koenigen von Kappadokien
und Kommagene und an wirklicher Macht ihnen bei weitem ueberlegen
herrschte in Kleinasien der neue Koenig Deiotarus. Einer der
Vierfuersten des um Pessinus ansaessigen Keltenstammes der Tolistoboger
und von Lucullus und Pompeius mit den anderen kleinen roemischen
Klienten zur Heerfolge aufgeboten, hatte Deiotarus in diesen Feldzuegen,
im Gegensatz zu all den schlaffen Orientalen, seine Zuverlaessigkeit und
seine Tatkraft so glaenzend bewaehrt, dass die roemischen Feldherren zu
seinem galatischen Erbe und seinen Besitzungen in der reichen Landschaft
zwischen Amisos und der Halysmuendung ihm noch die oestliche Haelfte des
ehemals Pontischen Reiches mit den Seestaedten Pharnakia und Trapezus
und das pontische Armenien bis zur kolchischen und grossarmenischen
Grenze als Koenigreich Klein-Armenien verliehen. Bald nachher vermehrte
er sein schon ansehnliches Gebiet noch durch die Landschaft der
keltischen Trokmer, deren Vierfuersten er verdraengte. So ward der
geringe Lehnsmann einer der maechtigsten Dynasten Kleinasiens, dem die
Hut eines wichtigen Teils der Reichsgrenze anvertraut werden konnte.
Vasallen geringerer Bedeutung waren die uebrigen zahlreichen galatischen
Vierfuersten, von denen einer, der Trokmerfuerst Bogodiatarus, wegen
seiner im Mithradatischen Kriege bewaehrten Tuechtigkeit von Pompeius
mit der ehemals pontischen Grenzstadt Mithradation beschenkt ward;
der Fuerst von Paphlagonien, Attalos, der sein Geschlecht auf das alte
Herrscherhaus der Pylaemeniden zurueckfuehrte; Aristarchos und andere
kleine Herren im kolchischen Gebiet; Tarkondimotos, der im oestlichen
Kilikien in den Bergtaelern des Amanos gebot; Ptolemaeos Mennaeos' Sohn,
der fortfuhr, in Chalkis am Libanos zu herrschen; der Nabataeerkoenig
Aretas als Herr von Damaskos; endlich die arabischen Emirs in den
Landschaften dies- und jenseits des Euphrat, Abgaros in Osrhoene,
den die Roemer, um ihn als vorgeschobenen Posten gegen die Parther zu
benutzen, auf alle Weise in ihr Interesse zu ziehen sich bemuehten,
Sampsikeramos in Hemesa, Alchaudonios der Rhambaeer, ein anderer Emir in
Bostra. Dazu kamen ferner die geistlichen Herren, die im Osten haeufig
gleich den weltlichen Dynasten ueber Land und Leute geboten, und an
deren in dieser Heimat des Fanatismus fest gegruendeter Autoritaet zu
ruetteln oder auch nur die Tempel ihrer Schaetze zu berauben die Roemer
klueglich sich enthielten: der Hochpriester der Goettin Mutter in
Pessinus; die beiden Hochpriester der Goettin Ma in dem kappadokischen
Komana (am oberen Saros) und in der gleichnamigen pontischen Stadt
(Guemenek bei Tokat), welche beide Herren in ihren Landschaften nur dem
Koenig an Macht nachstanden und deren jeder noch in viel spaeterer
Zeit ausgedehnte Liegenschaften mit eigener Gerichtsbarkeit und an
sechstausend Tempelsklaven besass - mit dem pontischen Hochpriesteramt
ward Archelaos, der Sohn des gleichnamigen, von Mithradates zu
den Roemern uebergegangenen Feldherrn, von Pompeius belehnt -; der
Hochpriester des Venasischen Zeus in dem kappadokischen Amt Morimene,
dessen Einkuenfte sich auf jaehrlich 23300 Taler (15 Talente) beliefen;
der "Erzpriester und Herr" desjenigen Gebiets im Rauhen Kilikien, wo
Teukros, des Aias Sohn, dem Zeus einen Tempel gegruendet hatte, welche
seine Nachkommen kraft Erbrechts vorstanden; der "Erzpriester und
Herr des Volkes" der Juden, dem Pompeius, nachdem er die Mauern der
Hauptstadt und die koeniglichen Schatz- und Zwingburgen im Lande
geschleift hatte, unter ernstlicher Verwarnung, Friede zu halten und
nicht weiter auf Eroberungen auszugehen, die Vorstandschaft seiner
Nation zurueckgab. Neben diesen weltlichen und geistlichen Potentaten
standen die Stadtgemeinden. Zum Teil waren dieselben zu groesseren
Verbaenden zusammengeordnet, welche einer verhaeltnismaessigen
Selbstaendigkeit sich erfreuten, wie namentlich der wohlgeordnete
und zum Beispiel der Teilnahme an der wuesten Piratenwirtschaft stets
ferngebliebene Bund der dreiundzwanzig lykischen Staedte; wogegen
die zahlreichen vereinzelt stehenden Gemeinden, selbst wenn sie
die Selbstregierung verbrieft erhalten hatten, tatsaechlich von den
roemischen Statthaltern durchaus abhaengig waren. Die Roemer verkannten
es nicht, dass mit der Aufgabe, den Hellenismus zu vertreten und im
Osten Alexanders Marken zu schirmen und zu erweitern, vor allem die
Hebung des staedtischen Wesens ihnen zur Pflicht geworden war; denn wenn
die Staedte ueberall die Traeger der Gesittung sind, so fasste vor
allem der Antagonismus der Orientalen und Okzidentalen in seiner
ganzen Schaerfe sich zusammen in dem Gegensatz der orientalischen,
militaerisch- despotischen Lebenshierarchie und des
hellenisch-italischen gewerb- und handeltreibenden staedtischen
Gemeinwesens. Lucullus und Pompeius, sowenig sie auch sonst auf die
Nivellierung der Zustaende im Osten ausgingen, und sosehr auch der
letztere in Detailfragen die Anordnungen seines Vorgaengers zu meistern
und zu aendern geneigt war, trafen doch vollstaendig zusammen in dem
Grundsatz, das staedtische Wesen in Kleinasien und Syrien bach
Kraeften zu foerdern. Kyzikos, an dessen kraeftiger Gegenwehr die
erste Heftigkeit des letzten Krieges sich gebrochen hatte, empfing von
Lucullus eine betraechtliche Erweiterung seines Gebietes. Das pontische
Herakleia, wie energisch es auch den Roemern widerstanden hatte, erhielt
dennoch sein Gebiet und seine Haefen zurueck, und Cottas barbarisches
Wueten gegen die unglueckliche Stadt erfuhr im Senat den schaerfsten
Tadel. Lucullus hatte es tief und aufrichtig beklagt, dass das Schicksal
ihm das Glueck versagt hatte, Sinope und Amisos von der Verheerung durch
die pontische und die eigene Soldateska zu erretten; er tat wenigstens,
was er vermochte, um sie wiederherzustellen, erweiterte ansehnlich ihre
Gebiete, bevoelkerte sie aufs neue teils mit den alten Bewohnern, die
auf seine Einladung scharenweise in die geliebte Heimat zurueckkehrten,
teils mit neuen Ansiedlern hellenischer Abstammung und sorgte fuer den
Wiederaufbau der zerstoerten Gebaeude. In gleichem Sinn und in noch
groesserem Massstab verfuhr Pompeius. Schon nach der Ueberwindung der
Piraten hatte er die Gefangenen, deren Zahl 20000 ueberstieg, statt nach
dem Beispiel seiner Vorgaenger sie zu kreuzigen, angesiedelt teils
in den veroedeten Staedten des Ebenen Kilikien, wie in Mallos,
Adana, Epiphaneia, und besonders in Soloi, das seitdem den Namen der
Pompeiusstadt (Pompeiopolis) fuehrte, teils in Dyme in Achaia, ja sogar
in Tarent. Die Piratenkolonisierung fand vielfachen Tadel ^7, da sie
gewissermassen auf das Verbrechen eine Belohnung zu setzen schien; in
der Tat war sie politisch und sittlich wohl gerechtfertigt, denn wie die
Dinge damals standen, war die Piraterie etwas anderes als Raeuberei und
die Gefangenen billig, nach Kriegsrecht zu behandeln. Vor allen Dingen
aber liess Pompeius es sich angelegen sein, in den neuen roemischen
Provinzen das staedtische Wesen emporzubringen. Wie staedtearm
das Pontische Reich war, ward schon bemerkt; die meisten Distrikte
Kappadokiens hatten noch ein Jahrhundert spaeter keine Staedte, sondern
nur Bergfestungen als Zufluchtsort fuer die ackerbauende Bevoelkerung
im Kriege: im ganzen oestlichen Kleinasien wird es, abgesehen von den
sparsam gesaeten griechischen Kolonien an den Kuesten, zu dieser
Zeit nicht anders gewesen sein. Die Zahl der von Pompeius in diesen
Landschaften neu gegruendeten Staedte wird einschliesslich der
kilikischen Ansiedlungen auf neununddreissig angegeben, von denen
mehrere zu hoher Bluete gelangten. Die namhaftesten dieser Ortschaften
in dem ehemaligen Pontischen Reiche sind Nikopolis, die "Siegesstadt",
gegruendet an dem Orte, wo Mithradates die letzte einschneidende
Niederlage erlitt - das schoenste Siegesdenkmal des trophaeenreichen
Feldherrn; Megalopolis, nach Pompeius' Beinamen genannt, an der Grenze
von Kappadokien und Klein-Armenien, das spaetere Sebasteia (jetzt
Siwas); Ziela, wo die Roemer die unglueckliche Schlacht lieferten,
eine um den dasigen Tempel der Anaitis entstandene und bisher dem
Hochpriester derselben eigene Ortschaft, der Pompeius staedtische
Form und staedtisches Recht gab; Diopolis, frueher Kabeira, spaeter
Neo-Caesarea (Niksar), gleichfalls eine der Walstaetten des letzten
Krieges; Magnopolis oder Pompeiopolis, das wiederhergestellte Eupatoria
am Zusammenfluss des Lykos und des Iris, urspruenglich von Mithradates
erbaut, aber wegen des Abfalls der Stadt zu den Roemern wieder von ihm
zerstoert; Neapolis, sonst Phazemon, zwischen Amaseia und dem Halys. Die
meisten dieser Stadtgruendungen wurden nicht durch Kolonisten aus
der Ferne bewirkt, sondern durch Niederlegung der Doerfer und
Zusammenziehung ihrer Bewohnerin den neuen Mauerring; nur in Nikopolis
siedelte Pompeius die Invaliden und Bejahrten seiner Armee an, die es
vorzogen, statt spaeter in Italien, hier sofort eine Heimat sich
zu gruenden. Aber auch an anderen Orten entstanden auf den Wink
des Machthabers neue Brennpunkte der hellenischen Zivilisation. In
Paphlagonien bezeichnete ein drittes Pompeiupolis die Staette, wo
Mithradates' Armee im Jahre 666 (88) den grossen Sieg ueber die Bithyner
erfocht. In Kappadokien, das vielleicht mehr als irgendeine andere
Provinz durch den Krieg gelitten hatte, wurden die Residenz Mazaka
(spaeter Caesarea, jetzt Kayseri) und sieben andere Ortschaften von
Pompeius wiederhergestellt und staedtisch eingerichtet. In Kilikien und
Koilesyrien zaehlte man zwanzig von Pompeius angelegte Staedte. In den
von den Juden geraeumten Distrikten erhob sich Gadara in der Dekapolis
auf Pompeius' Befehl aus seinen Truemmern und ward die Stadt Seleukis
gegruendet. Bei weitem der groesste Teil des auf dem asiatischen
Kontinent zur Verfuegung stehenden Domaniallandes muss von Pompeius fuer
seine neuen Ansiedlungen verwandt worden sein, wogegen auf Kreta, um
das Pompeius sich wenig oder gar nicht kuemmerte, der roemische
Domanialbesitz ziemlich ausgedehnt geblieben zu sein scheint.
--------------------------------------------------- ^6 Der Krieg, den
dieser Antiochos mit Pompeius gefuehrt haben soll (App. Mithr. 106,
117), stimmt sehr wenig zu dem Vertrag, den derselbe mit Lucullus
abschloss (Dio 36, 4) und seinem ungestoerten Verbleiben in der
Herrschaft; vermutlich ist auch er bloss daraus herausgesponnen, dass
Antiochos von Kommagene unter den von Pompeius unterworfenen Koenigen
figurierte. ^7 Hierauf zielt vermutlich Ciceros Vorwurf (off. 3, 12,
49): piratas immunes habemus, socios vectigales; insofern naemlich jene
Piratenkolonien wahrscheinlich von Pompeius zugleich mit der Immunitaet
beschenkt wurden, waehrend bekanntlich die von Rom abhaengigen
Provinzialgemeinden durchschnittlich steuerpflichtig waren.
--------------------------------------------------- Nicht minder wie auf
Gruendung neuer Ortschaften war Pompeius darauf bedacht, die bestehenden
Gemeinden zu ordnen und zu heben. Die eingerissenen Missbraeuche und
Usurpationen wurden nach Vermoegen abgestellt; ausfuehrliche und fuer
die verschiedenen Provinzen mit Sorgfalt entworfene Gemeindeordnungen
regelten im einzelnen das Munizipalwesen. Eine Reihe der ansehnlichsten
Staedte ward mit neuen Privilegien beschenkt. Die Autonomie erhielten
Antiocheia am Orontes, die bedeutendste Stadt des roemischen Asien und
nur wenig zurueckstehend hinter dem aegyptischen Alexandreia und hinter
dem Bagdad des Altertums, der Stadt Seleukeia im Parthischen Reiche,
ferner die Nachbarstadt von Antiocheia, das persische Seleukeia, das
damit fuer seine mutige Gegenwehr gegen Tigranes den Lohn empfing; Gaza
und ueberhaupt alle von der juedischen Herrschaft befreite Staedte; in
Vorderasien Mytilene; Phanagoria am Schwarzen Meer. So war der Bau des
asiatischen Roemerstaates vollendet, der mit seinen Lehnkoenigen und
Vasallen, den gefuersteten Priestern und der Reihe ganz- und halbfreier
Staedte lebhaft erinnert an das Heilige Roemische Reich Deutscher
Nation. Er war kein Wunderwerk, weder hinsichtlich der ueberwundenen
Schwierigkeiten, noch hinsichtlich der erreichten Vollendung, und ward
es auch nicht durch all die grossen Worte, mit denen in Rom die vornehme
Welt zu Gunsten des Lucullus, die lautere Menge zum Preise des Pompeius
freigebig waren. Pompeius namentlich liess sich feiern und feierte sich
selbst in einer Weise, dass man ihn fast fuer noch schwachkoepfiger
haette halten moegen, als er in der Tat war. Wenn die Mytilenaeer
ihm eine Bildsaeule errichteten als ihrem Erretter und Gruender, als
demjenigen, der die den Erdkreis erfuellenden Kriege sowohl zu Lande wie
zur See beendigt, so mochte eine solche Huldigung fuer den Bezwinger der
Piraten und der Reiche des Ostens nicht allzu ueberschwenglich scheinen.
Aber die Roemer uebertrafen diesmal die Griechen. Pompeius' eigene
Triumphalinschriften rechneten 12 Millionen unterworfener Seelen und
1538 eroberte Staedte und Burgen heraus - es schien, als solle die
Quantitaet die Qualitaet ersetzen - und erstreckten den Kreis seiner
Siege vom Maeotischen zum Kaspischen, von diesem zum Roten Meer, von
welchen drei Meeren er keines je mit Augen gesehen hat; ja wenn er
es auch nicht geradezu sagte, so veranlasste er doch das Publikum zu
meinen, dass die Einziehung Syriens, die wahrlich keine Heldentat war,
den ganzen Osten bis nach Baktrien und Indien zum Roemischen Reiche
gebracht habe - in so nebelhafte Ferne verschwamm in seinen Angaben die
Grenzlinie seiner oestlichen Eroberungen. Die demokratische Servilitaet,
die zu allen Zeiten mit der hoefischen gewetteifert hat, ging
bereitwillig auf dergleichen geschmacklosen Schwindel ein. Ihr genuegte
nicht der pomphafte Triumphalzug, der am 28. und 29. September 593
(61), dem sechsundvierzigsten Geburtstag Pompeius des Grossen, durch die
Gassen Roms sich bewegte, verherrlicht, um von den Kleinodien aller Art
zu schweigen, durch die Kroninsignien Mithradats und durch die Kinder
der drei maechtigsten Koenige Asiens, des Mithradates, Tigranes und
Phraates: sie lohnte ihrem Feldherrn, der zweiundzwanzig Koenige
besiegt, dafuer mit koeniglichen Ehren und verlieh ihm den goldenen
Kranz und die Insignien der Magistratur auf Lebenszeit. Die ihm zu Ehren
geschlagenen Muenzen zeigen gar die Weltkugel zwischen dem dreifachen,
aus den drei Weltteilen heimgebrachten Lorbeer und ueber ihr schwebend
jenen dem Triumphator ueber Afrika, Spanien und Asien von der
Buergerschaft verehrten Goldkranz. Es kann solchen kindischen
Huldigungen gegenueber nicht wundernehmen, dass auch im
entgegengesetzten Sinne Stimmen laut wurden. Unter der roemischen
vornehmen Welt war es eine gelaeufige Rede, dass das eigentliche
Verdienst der Unterwerfung des Ostens Lucullus zukomme und Pompeius
nur nach dem Osten gegangen sei, um Lucullus zu verdraengen und die
von fremder Hand gebrochenen Lorbeeren um die eigene Stirn zu flechten.
Beides war vollstaendig falsch; nicht Pompeius, sondern Glabrio ward
nach Asien gesandt, um Lucullus abzuloesen, und wie wacker auch Lucullus
gefochten, es war Tatsache, dass, als Pompeius den Oberbefehl uebernahm,
die Roemer all ihre frueheren Erfolge wieder eingebuesst und keinen
Fussbreit pontischen Bodens innehatten. Mehr zum Ziele traf der Spott
der Hauptstaedter, die nicht ermangelten, dem maechtigen Besieger des
Erdballs die Namen der von ihm ueberwundenen Grossmaechte als Spitznamen
beizulegen und ihn bald als "Sieger von Salem" bald als "Emir"
(Arabarches), bald als den roemischen Sampsikeramos begruessten. Der
unbefangene Urteiler wird indes weder in jene Ueberschwenglichkeiten
noch in diese Verkleinerungen einstimmen. Lucullus und Pompeius haben,
indem sie Asien unterwarfen und ordneten, sich nicht als Helden und
Staatsschoepfer bewaehrt, aber wohl als einsichtige und kraeftige
Heerfuehrer und Statthalter. Als Feldherr bewies Lucullus nicht gemeine
Talente und ein an Verwegenheit grenzendes Selbstvertrauen, Pompeius
militaerische Einsicht und eine seltene Zurueckhaltung, wie denn kaum
je ein General mit solchen Streitkraeften und einer so vollkommen
freien Stellung so vorsichtig aufgetreten ist wie Pompeius im Osten. Die
glaenzendsten Aufgaben trugen von allen Seiten sich ihm gleichsam selber
an: er konnte nach dem Kimmerischen Bosporus und gegen das Rote Meer hin
aufbrechen; er hatte Gelegenheit, den Parthern den Krieg zu erklaeren;
die aufstaendischen Landschaften Aegyptens luden ihn ein, den von
Rom nicht anerkannten Koenig Ptolemaeos vom Thron zu stossen und das
Testament Alexanders in Vollzug zu setzen; aber Pompeius ist weder nach
Pantikapaeon noch nach Petra, weder nach Ktesiphon noch nach Alexandreia
gezogen; durchaus pflueckte er nur diejenigen Fruechte, die ihm von
selber in die Hand fielen. Ebenso schlug er alle seine Schlachten
zur See wie zu Lande mit einer erdrueckenden Uebermacht. Waere diese
Maessigung hervorgegangen aus dem strengen Einhalten der erteilten
Instruktionen, wie Pompeius vorzugehen pflegte, oder auch aus der
Einsicht, dass Roms Eroberungen irgendwo eine Grenze finden muessten und
neuer Gebietszuwachs dem Staat nicht foerderlich sei, so wuerde sie
ein hoeheres Lob verdienen, als die Geschichte es dem talentvollsten
Offizier erteilt; allein wie Pompeius war, ist seine Zurueckhaltung
ohne Zweifel einzig das Resultat des ihm eigentuemlichen Mangels an
Sicherheit und an Initiative - Maengel freilich, die dem Staate in
diesem Falle weit nuetzlicher wurden als die entgegengesetzten Vorzuege
seines Vorgaengers. Allerdings sind auch von Lucullus wie von Pompeius
sehr arge Fehler begangen worden. Lucullus erntete deren Fruechte
selbst, indem sein unbesonnenes Verfahren ihm alle Resultate seiner
Siege wieder entriss; Pompeius ueberliess es seinen Nachfolgern, die
Folgen seiner falschen Politik gegen die Parther zu tragen. Er konnte
diese entweder bekriegen, wenn er dessen sich getraute, oder mit
ihnen Frieden halten und, wie er versprochen, den Euphrat als Grenze
anerkennen; zu jenem war er zu zaghaft, zu diesem zu eitel, und so kam
er denn zu der einfaeltigen Perfidie, die gute Nachbarschaft, die
der Hof von Ktesiphon wuenschte und seinerseits uebte, durch die
masslosesten Uebergriffe unmoeglich zu machen, dennoch aber dem Feinde
zu gestatten, sich die Zeit des Bruches und der Vergeltung selber
waehlen zu duerfen. Als Verwalter Asiens erwarb Lucullus ein mehr als
fuerstliches Vermoegen, und auch Pompeius empfing als Lohn fuer seine
Organisation von dem Koenig von Kappadokien, von der reichen Stadt
Antiocheia und anderen Herren und Gemeinden grosse Barsummen und noch
ansehnlichere Schuldverschreibungen. Indes dergleichen Erpressungen
waren fast eine gewohnheitsmaessige Steuer geworden, und beide
Feldherren bewiesen doch nicht gerade in wichtigeren Fragen sich
kaeuflich, liessen auch womoeglich sich von der Partei bezahlen, deren
Interessen mit denen Roms zusammenfielen. Wie die Zeiten einmal waren,
hindert dies nicht, die Verwaltung beider Maenner als eine relativ
loebliche und zunaechst im Interesse Roms, demnaechst in dem der
Provinzialen gefuehrte zu bezeichnen. Die Verwandlung der Klienten in
Untertanen, die bessere Regulierung der Ostgrenze, die Begruendung eines
einheitlichen und starken Regiments waren segensreich fuer die Herrscher
wie fuer die Beherrschten. Der finanzielle Gewinn, den Rom machte, war
unermesslich; die neue Vermoegenssteuer, die mit Ausnahme einzelner,
besonders befreiter Gemeinden all jene Fuersten, Priester und Staedte
nach Rom zu zahlen hatten, steigerte die roemischen Staatseinnahmen fast
um die Haelfte ihres bisherigen Betrags. Freilich litt Asien schwer.
Pompeius legte an Geld und Kleinodien einen Betrag von 15 Mill. Talern
(200 Mill. Sesterzen) in die Staatskasse nieder und verteilte 29
Millionen (16000 Talente) unter seine Offiziere und Soldaten; wenn
man hierzu die bedeutenden von Lucullus heimgebrachten Summen, die
nichtoffiziellen Erpressungen der roemischen Armee und den Betrag der
Kriegsschaeden selbst rechnet, so ist die finanzielle Erschoepfung des
Landes begreiflich. Die roemische Besteuerung Asiens war vielleicht an
sich nicht schlimmer als die der frueheren Regenten, aber lastete doch
insofern schwerer auf dem Lande, als die Abgaben fortan in das Ausland
gingen und nur zum kleineren Teil wieder in Asien verwandt wurden; und
auf jeden Fall war sie in den alten wie in den neugewonnenen Provinzen
basiert auf die systematische Ausbeutung der Landschaften zu Gunsten
Roms. Aber die Verantwortung hierfuer trifft weit weniger die Feldherren
persoenlich als die Parteien daheim, auf die jene Ruecksicht zu nehmen
hatten; Lucullus war sogar energisch bemueht, dem wucherischen Treiben
der roemischen Kapitalisten in Asien Schranken zu setzen, und sein
Sturz ward wesentlich mit hierdurch herbeigefuehrt. Wie sehr es beiden
Maennern Ernst damit war, die heruntergekommenen Landschaften wieder in
die Hoehe zu bringen, beweist ihre Taetigkeit da, wo keine Ruecksichten
der Parteipolitik ihnen die Haende banden, namentlich ihre Fuersorge
fuer die kleinasiatischen Staedte. Wenn auch noch Jahrhunderte spaeter
manches in Ruinen liegende asiatische Dorf an die Zeiten des grossen
Krieges erinnerte, so mochte doch Sinope wohl mit dem Jahr der
Wiederherstellung durch Lucullus eine neue Aera beginnen und fast alle
ansehnlicheren Binnenstaedte des Pontischen Reiches Pompeius als ihren
Stifter dankbar verehren. Die Einrichtung des roemischen Asien durch
Lucullus und Pompeius darf bei all ihren unleugbaren Maengeln eine
im ganzen verstaendige und loebliche genannt werden; wie schwere
Uebelstaende aber auch ihr anhaften mochten, den vielgeplagten Asiaten
musste sie schon darum willkommen sein, weil sie zugleich kam mit dem
so lange und so schmerzlich entbehrten inneren und aeusseren Frieden.
Es blieb auch im wesentlichen Friede im Orient, bis der von Pompeius mit
der ihm eigenen Zaghaftigkeit nur angedeutete Gedanke, die Landschaften
oestlich vom Euphrat zum Roemischen Reiche zu fuegen, von der neuen
Triarchie der roemischen Machthaber energisch, aber ungluecklich
wiederaufgenommen ward und bald darauf der Buergerkrieg wie alle anderen
so auch die oestlichen Provinzen in seinen verhaengnisvollen Strudel
hineinzog. Dass in der Zwischenzeit die Statthalter Kilikiens bestaendig
mit den Bergvoelkern des Amanos, die von Syrien mit den Schwaermen
der Wueste zu fechten hatten und namentlich in diesem Kriege gegen die
Beduinen manche roemische Truppe aufgerieben ward, ist ohne weitere
Bedeutung. Bemerkenswerter ist der eigensinnige Widerstand, den
die zaehe juedische Nation den Eroberern entgegensetzte. Teils des
abgesetzten Koenigs Aristobulos Sohn Alexandros, teils Aristobulos
selbst, dem es nach einiger Zeit gelang, aus der Gefangenschaft zu
entkommen, erregten waehrend der Statthalterschaft des Aulus Gabinius
(697-700 57-54) drei verschiedene Aufstaende gegen die neuen Machthaber,
deren jedem die von Rom eingesetzte Regierung des Hochpriesters Hyrkanos
ohnmaechtig erlag. Es war nicht politische Ueberlegung, sondern der
unbesiegbare Widerwille des Orientalen gegen das unnatuerliche Joch, der
sie zwang, gegen den Stachel zu loecken; wie denn auch der letzte und
gefaehrlichste dieser Aufstaende, zu welchem die durch die aegyptischen
Krisen veranlasste Wegziehung der syrischen Okkupationsarmee den
naechsten Anstoss gab, begann mit der Ermordung der in Palaestina
ansaessigen Roemer. Nicht ohne Muehe gelang es dem tuechtigen
Statthalter, die wenigen Roemer, die diesem Schicksal sich entzogen und
eine vorlaeufige Zuflucht auf dem Berge Garizim gefunden hatten, von den
dort sie blockiert haltenden Insurgenten zu erretten und nach mehreren
hart bestrittenen Feldschlachten und langwierigen Belagerungen den
Aufstand zu bewaeltigen. Infolgedessen ward die Hohenpriestermonarchie
abgeschafft und das juedische Land, wie einst Makedonien, in fuenf
selbstaendige, von optimatisch geordneten Regierungskollegien verwaltete
Kreise aufgeloest, auch Samaria und andere, von den Juden geschleifte
Ortschaften wiederhergestellt, um ein Gegengewicht gegen Jerusalem
zu bilden, endlich den Juden ein schwererer Tribut auferlegt als
den uebrigen syrischen Untertanen Roms. Noch ist es uebrig, auf
das Koenigreich Aegypten nebst dem letzten ihm von den ausgedehnten
Eroberungen der Lagiden uebriggebliebenen Nebenland, der schoenen Insel
Kypros, einen Blick zu werfen. Aegypten war jetzt der einzige wenigstens
dem Namen nach noch unabhaengige Staat des hellenischen Ostens; ebenwie
einst, als die Perser an der oestlichen Haelfte des Mittelmeers sich
festsetzten, Aegypten ihre letzte Eroberung war, saeumten auch die
maechtigen Eroberer aus dem Westen am laengsten mit der Einziehung
dieser reichen und eigenartigen Landschaft. Die Ursache lag, wie bereits
angedeutet wurde, weder in der Furcht vor dem Widerstand Aegyptens noch
in dem Mangel einer geeigneten Veranlassung. Aegypten war ungefaehr
ebenso machtlos wie Syrien und bereits im Jahre 673 (81) in aller
Form Rechtens der roemischen Gemeinde angestorben; das am Hofe von
Alexandreia herrschende Regiment der koeniglichen Garde, welche Minister
und gelegentlich Koenige ein- und absetzte, fuer sich nahm, was ihr
gefiel, und, wenn ihr die Erhoehung des Soldes verweigert ward, den
Koenig in seinem Palast belagerte, war im Lande oder vielmehr in der
Hauptstadt - denn das Land mit seiner Ackersklavenbevoelkerung kam
ueberhaupt kaum in Betracht - ganz und gar nicht beliebt, und wenigstens
eine Partei daselbst wuenschte die Einziehung Aegyptens durch Rom
und tat sogar Schritte, um sie herbeizufuehren. Allein je weniger die
Koenige Aegyptens daran denken konnten, mit den Waffen gegen Rom zu
streiten, desto energischer setzte das aegyptische Gold gegen
die roemischen Reunionsplaene sich zur Wehre; und infolge der
eigentuemlichen despotisch-kommunistischen Zentralisation der
aegyptischen Volkswirtschaft waren die Einkuenfte des Hofes von
Alexandreia der roemischen Staatseinnahme, selbst nach deren Vermehrung
durch Pompeius, noch ungefaehr gleich. Die argwoehnische Eifersucht der
Oligarchie, die weder die Eroberung noch die Verwaltung Aegyptens gern
einem einzelnen goennte, kam hinzu. So vermochten die faktischen Herren
von Aegypten und Kypros durch Bestechung der fuehrenden Maenner im Senat
sich ihre schwankenden Kronen nicht bloss zu fristen, sondern sogar
neu zu befestigen und vom Senat die Bestaetigung ihrer Koenigstitel
zu erkaufen. Allein damit waren sie noch nicht am Ziel. Das formelle
Staatsrecht forderte einen Beschluss der roemischen Buergerschaft; bevor
dieser erlassen war, waren die Ptolemaeer abhaengig von der Laune jedes
demokratischen Machthabers, und sie hatten also den Bestechungskrieg
auch gegen die andere roemische Partei zu eroeffnen, welche als die
maechtigere weit hoehere Preise bedang. Der Ausgang war ungleich. Die
Einziehung von Kypros ward im Jahre 696 (58) vom Volke, das heisst
von den Fuehrern der Demokratie verfuegt, wobei als offizieller Grund,
weshalb dieselbe jetzt vorgenommen werde, die Foerderung der Piraterie
durch die Kyprioten angegeben ward. Marcus Cato, von seinen Gegnern mit
der Ausfuehrung dieser Massregel beauftragt, kam nach der Insel ohne
Heer; allein es bedurfte dessen auch nicht. Der Koenig nahm Gift; die
Einwohner fuegten sich, ohne Widerstand zu leisten, dem unvermeidlichen
Verhaengnis und wurden dem Statthalter von Kilikien untergeordnet. Der
ueberreiche Schatz von fast 7000 Talenten (fast 13 Mill. Taler), den
der ebenso habsuechtige wie geizige Koenig sich nicht hatte ueberwinden
koennen, fuer die zur Rettung seiner Krone erforderlichen Bestechungen
anzugreifen, fiel mit dieser zugleich an die Roemer und fuellte in
erwuenschter Weise die leeren Gewoelbe ihres Aerars. Dagegen gelang es
dem Bruder, der in Aegypten regierte, die Anerkennung durch Volksschluss
von den neuen Herren Roms im Jahre 695 (59) zu erkaufen; der Kaufpreis
soll 6000 Talente (11 Mill. Taler) betragen haben. Die Buergerschaft
freilich, laengst gegen den guten Floetenblaeser und schlechten Regenten
erbittert und nun durch den definitiven Verlust von Kypros und den
infolge der Transaktionen mit den Roemern unertraeglich gesteigerten
Steuerdruck aufs aeusserste gebracht (696 58), jagte ihn dafuer aus
dem Lande. Als der Koenig darauf, gleichsam wie wegen Entwaehrung des
Kaufobjekts, sich an seine Verkaeufer wandte, waren diese billig genug
einzusehen, dass es ihnen als redlichen Geschaeftsmaennern obliege, dem
Ptolemaeos sein Reich wiederzuverschaffen; nur konnten die Parteien sich
nicht einig werden, wem der wichtige Auftrag, Aegypten mit bewaffneter
Hand zu besetzen, nebst den davon zu erhoffenden Sporteln zukommen
solle. Erst als die Triarchie auf der Konferenz von Luca sich neu
befestigte, wurde zugleich auch diese Angelegenheit geordnet, nachdem
Ptolemaeos noch sich zur Erlegung weiterer 10000 Talente (18 Mill.
Taler) verstanden hatte: der Statthalter Syriens, Aulus Gabinius,
erhielt jetzt von den Machthabern Befehl, sofort zur Zurueckfuehrung des
Koenigs die noetigen Schritte zu tun. Die Buergerschaft von Alexandreia
hatte inzwischen des vertriebenen Koenigs aeltester Tochter Berenike die
Krone aufgesetzt und ihr in der Person eines der geistlichen Fuersten
des roemischen Asien, des Hochpriesters von Komana Archelaos, einen
Gemahl gegeben, der Ehrgeiz genug besass, um an die Hoffnung, den Thron
der Lagiden zu besteigen, seine gesicherte und ansehnliche Stellung zu
setzen. Seine Versuche, die roemischen Machthaber fuer sich zu gewinnen,
blieben ohne Erfolg; aber er schrak auch nicht zurueck vor dem Gedanken,
sein neues Reich mit den Waffen in der Hand selbst gegen die Roemer
behaupten zu muessen. Gabinius, ohne ostensible Vollmacht, den Krieg
gegen Aegypten zu beginnen, aber von den Machthabern dazu angewiesen,
nahm die angebliche Foerderung der Piraterie durch die Aegypter und den
Flottenbau des Archelaos zum Vorwand und brach ungesaeumt auf gegen die
aegyptische Grenze (699 55). Der Marsch durch die Sandwueste zwischen
Gaza und Pelusion, an der so manche gegen Aegypten gerichtete Invasion
gescheitert war, ward diesmal gluecklich zurueckgelegt, was besonders
.dem raschen und geschickten Fuehrer der Reiterei, Marcus Antonius,
verdankt ward. Auch die Grenzfestung Pelusion wurde von der dort
stehenden juedischen Besatzung ohne Gegenwehr uebergeben. Vorwaerts
dieser Stadt trafen die Roemer auf die Aegypter, schlugen sie, wobei
Antonius wiederum sich auszeichnete, und gelangten, die erste roemische
Armee, an den Nil. Hier hatten Flotte und Heer der Aegypter zum letzten
entscheidenden Kampfe sich aufgestellt; aber die Roemer siegten abermals
und Archelaos selbst fand mit vielen der Seinigen kaempfend den Tod.
Sofort nach dieser Schlacht ergab sich die Hauptstadt und damit
war jeder Widerstand am Ende. Das unglueckliche Land ward seinem
rechtmaessigen Zwingherrn ueberliefert: das Henken und Koepfen,
womit ohne des ritterlichen Antonius' Dazwischenkunft Ptolemaeos die
Wiederherstellung des legitimen Regiments bereits in Pelusion zu feiern
begonnen haben wuerde, ging nun ungehemmt seinen Gang, und vor allen
anderen ward die unschuldige Tochter von dem Vater auf das Schafott
gesandt. Die Bezahlung des mit den Machthabern vereinbarten Lohnes
scheiterte an der absoluten Unmoeglichkeit, dem ausgesogenen Lande die
verlangten ungeheuren Summen abzupressen, obwohl man dem armen Volke den
letzten Pfennig nahm; dafuer aber, dass das Land wenigstens ruhig blieb,
sorgte die in der Hauptstadt zurueckgelassene Besatzung von roemischer
Infanterie und keltischer und deutscher Reiterei, welche die
einheimischen Praetorianer abloeste und uebrigens nicht ungluecklich
ihnen nacheiferte. Die bisherige Hegemonie Roms ueber Aegypten ward
damit in eine unmittelbare militaerische Okkupation verwandelt und die
nominelle Fortdauer des einheimischen Koenigtums war nicht so sehr eine
Bevorzugung des Landes als eine zwiefache Belastung. 5. Kapitel Der
Parteienkampf waehrend Pompeius' Abwesenheit Mit dem Gabinischen Gesetze
wechselten die hauptstaedtischen Parteien die Rollen. Seit der erwaehlte
Feldherr der Demokratie das Schwert in der Hand hielt, war seine Partei
oder was dafuer galt auch in der Hauptstadt uebermaechtig. Wohl stand
die Nobilitaet noch geschlossen zusammen und gingen nach wie vor aus
der Komitialmaschine nur Konsuln hervor, die nach dem Ausdrucke der
Demokraten schon in den Windeln zum Konsulate designiert waren; die
Wahlen zu beherrschen und hier den Einfluss der alten Familien zu
brechen, vermochten selbst die Machthaber nicht. Aber leider fing das
Konsulat, ebenda man es so weit gebracht hatte, die "neuen Menschen"
so gut wie vollstaendig davon auszuschliessen, selber an, vor dem neu
aufgehenden Gestirn der; exzeptionellen Militaergewalt zu erbleichen.
Die Aristokratie empfand es, wenn sie auch nicht gerade es sich gestand;
sie gab sich selber verloren. Ausser Quintus Catulus, der mit achtbarer
Festigkeit auf seinem wenig erfreulichen Posten als Vorfechter einer
ueberwundenen Partei bis zu seinem Tode (694 60) ausharrte, ist aus
den obersten Reihen der Nobilitaet kein Optimat zu nennen, der die
Interessen der Aristokratie mit Mut und Stetigkeit vertreten haette.
Eben ihre talentvollsten und gefeiertsten Maenner, wie Quintus Metellus
Pius und Lucius Lucullus, abdizierten tatsaechlich und zogen sich,
soweit es irgend schicklicherweise anging, auf ihre Villen zurueck, um
ueber Gaerten und Bibliotheken, ueber Vogelhaeusern und Fischteichen den
Markt und das Rathaus moeglichst zu vergessen. Noch viel mehr gilt dies
natuerlich von der juengeren Generation der Aristokratie, die entweder
ganz in Luxus und Literatur unterging oder der aufgehenden Sonne sich
zuwandte. Ein einziger unter den Juengeren machte hiervon eine Ausnahme:
es ist Marcus Porcius Cato (geboren 659 95), ein Mann vom besten Willen
und seltener Hingebung, und doch eine der abenteuerlichsten und eine
der unerfreulichsten Erscheinungen in dieser an politischen Zerrbildern
ueberreichen Zeit. Ehrlich und stetig, ernsthaft im Wollen und im
Handeln, voll Anhaenglichkeit an sein Vaterland und die angestammte
Verfassung, aber ein langsamer Kopf und sinnlich wie sittlich ohne
Leidenschaft, haette er allenfalls einen leidlichen Staatsrechenmeister
abgeben moegen. Ungluecklicherweise aber geriet er frueh unter die
Gewalt der Phrase, und, teils beherrscht von den Redensarten der Stoa,
wie sie in abstrakter Kahlheit und geistloser Abgerissenheit in der
damaligen vornehmen Welt im Umlauf waren, teils von dem Exempel seines
Urgrossvaters, den zu erneuern er fuer seine besondere Aufgabe hielt,
fing er an, als Musterbuerger und Tugendspiegel in der suendigen
Hauptstadt umherzuwandeln, gleich dem alten Cato auf die Zeiten zu
schelten, zu Fuss zu gehen statt zu reiten, keine Zinsen zu nehmen,
soldatische Ehrenzeichen abzulehnen und die Wiederherstellung der guten
alten Zeit damit einzuleiten, dass er nach Koenig Romulus' Vorgang ohne
Hemd ging. Eine seltsame Karikatur seines Ahnen, des greisen Bauern,
den Hass und Zorn zum Redner machten, der den Pflug wie das Schwert
meisterlich fuehrte, der mit seinem bornierten, aber originellen und
gesunden Menschenverstand in der Regel den Nagel auf den Kopf traf,
war dieser junge kuehle Gelehrte, dem die Schulmeisterweisheit von den
Lippen troff und den man immer mit dem Buche in der Hand sitzen sah,
dieser Philosoph, der weder das Kriegs- noch sonst irgendein Handwerk
verstand, dieser Wolkenwandler im Reiche der abstrakten Moral. Dennoch
gelangte er zu sittlicher und dadurch selbst zu politischer Bedeutung.
In einer durchaus elenden und feigen Zeit imponierten sein Mut und
seine negativen Tugenden der Menge; er machte sogar Schule, und es
gab einzelne - freilich waren sie danach -, die die lebendige
Philosophenschablone weiter kopierten und abermals karikierten. Auf
derselben Ursache beruht auch sein politischer Einfluss. Da er der
einzige namhafte Konservative war, der wo nicht Talent und Einsicht,
doch Ehrlichkeit und Mut besass und immer bereitstand, wo es noetig und
nicht noetig war, seine Person in die Schanze zu schlagen, so ward
er, obwohl weder sein Alter noch sein Rang noch sein Geist ihn dazu
berechtigten, dennoch bald der anerkannte Vormann der Optimatenpartei.
Wo das Ausharren eines einzelnen entschlossenen Mannes entscheiden
konnte, hat er auch wohl einen Erfolg erzielt und in Detailfragen,
namentlich finanzieller Art, oft zweckmaessig eingegriffen, wie er denn
in keiner Senatssitzung fehlte und mit seiner Quaestur in der Tat Epoche
machte, auch solange er lebte das oeffentliche Budget im einzelnen
kontrollierte und natuerlich denn auch darueber mit den Steuerpaechtern
in bestaendigem Kriege lebte. uebrigens fehlte ihm zum Staatsmann nicht
mehr als alles. Er war unfaehig, einen politischen Zweck auch nur zu
begreifen und politische Verhaeltnisse zu ueberblicken; seine ganze
Taktik bestand darin, gegen jeden Front zu machen, der von dem
traditionellen moralisch-politischen Katechismus der Aristokratie abwich
oder ihm abzuweichen schien, womit er denn natuerlich ebensooft dem
Gegner wie dem Parteigenossen in die Haende gearbeitet hat. Der Don
Quichotte der Aristokratie, bewaehrte er durch sein Wesen und sein
Tun, dass damals allenfalls noch eine Aristokratie vorhanden, die
aristokratische Politik aber nichts mehr war als eine Chimaere. Mit
dieser Aristokratie den Kampf fortzusetzen, brachte geringe Ehre.
Natuerlich ruhten die Angriffe der Demokratie gegen den ueberwundenen
Feind darum nicht. Wie die Trossbuben ueber ein erobertes Lager,
stuerzte sich die populaere Meute auf die gesprengte Nobilitaet, und
wenigstens die Oberflaeche der Politik ward von dieser Agitation zu
hohen Schaumwellen emporgetrieben. Die Menge ging um so bereitwilliger
mit, als namentlich Gaius Caesar sie bei guter Laune hielt durch die
verschwenderische Pracht seiner Spiele (689 65), bei welchen alles
Geraet, selbst die Kaefige der wilden Bestien, aus massivem Silber
erschien, und ueberhaupt durch eine Freigebigkeit, welche darum nur um
so mehr fuerstlich war, weil sie einzig auf Schuldenmachen beruhte. Die
Angriffe auf die Nobilitaet waren von der mannigfaltigsten Art. Reichen
Stoff gewaehrten die Missbraeuche des aristokratischen Regiments:
liberale oder liberal schillernde Beamte und Sachverwalter wie Gaius
Cornelius, Aulus Gabinius, Marcus Cicero fuhren fort, die aergerlichsten
und schaendlichsten Seiten der Optimatenwirtschaft systematisch zu
enthuellen und Gesetze dagegen zu beantragen. Der Senat ward angewiesen,
den auswaertigen Boten an bestimmten Tagen Zutritt zu gewaehren, um
dadurch der ueblichen Verschleppung der Audienzen Einhalt zu tun. Die
von fremden Gesandten in Rom aufgenommenen Darlehen wurden klaglos
gestellt, da dies das einzige Mittel sei, den Bestechungen, die im Senat
an der Tagesordnung waren, ernstlich zu steuern (687 67). Das Recht des
Senats, in einzelnen Faellen von den Gesetzen zu dispensieren, wurde
beschraenkt (687 67); ebenso der Missbrauch, dass jeder vornehme Roemer,
der in den Provinzen Privatgeschaefte zu besorgen hatte, sich dazu vom
Senat den Charakter eines roemischen Gesandten erteilen liess (691 63).
Man schaerfte die Strafen gegen Stimmenkauf und Wahlumtriebe (687, 691
67, 63), welche letztere namentlich in aergerlicher Weise gesteigert
wurden durch die Versuche der aus dem Senat gestossenen Individuen,
durch Wiederwahl in denselben zurueckzugelangen. Es wurde gesetzlich
ausgesprochen, was bis dahin sich nur von selbst verstanden hatte, dass
die Gerichtsherren verbunden seien in Gemaessheit der nach roemischer
Weise zu Anfang des Amtes von ihnen aufgestellten Normen Recht zu
sprechen (687 67). Vor allem aber arbeitete man daran, die demokratische
Restauration zu vervollkommnen und die leitenden Gedanken der
gracchischen Zeit in zeitgemaesser Form zu verwirklichen. Die Wahl der
Priester durch die Komitien, wie sie Gnaeus Domitius eingefuehrt, Sulla
wieder abgeschafft hatte, ward durch ein Gesetz des Volkstribuns Titus
Labienus im Jahre 691 (63) hergestellt. Man wies gern darauf hin,
wieviel zur Wiederherstellung der Sempronischen Getreidegesetze in ihrem
vollen Umfang noch fehle, und ueberging dabei mit Stillschweigen,
dass unter den veraenderten Umstaenden, bei der bedraengten Lage
der oeffentlichen Finanzen und der so sehr vermehrten Zahl der
vollberechtigten roemischen Buerger, diese Wiederherstellung
schlechterdings unausfuehrbar war. In der Landschaft zwischen dem Po
und den Alpen naehrte man eifrig die Agitation um politische
Gleichberechtigung mit den Italikern. Schon 686 (68) reiste Gaius Caesar
zu diesem Zweck daselbst von Ort zu Ort; 689 (65) machte Marcus Crassus
als Zensor Anstalt, die Einwohner geradewegs in die Buergerliste
einzuschreiben, was nur an dem Widerstand seines Kollegen scheiterte;
bei den folgenden Zensuren scheint dieser Versuch sich regelmaessig
wiederholt zu haben. Wie einst Gracchus und Flaccus die Patrone der
Latiner gewesen waren, so warfen sich die gegenwaertigen Fuehrer der
Demokratie zu Beschuetzern der Transpadaner auf, und Gaius Piso (Konsul
687 67) hatte es schwer zu bereuen, dass er gewagt hatte, an einem
dieser Klienten des Caesar und Crassus sich zu vergreifen. Dagegen
zeigten sich dieselben Fuehrer keineswegs geneigt, die politische
Gleichberechtigung der Freigelassenen zu befuerworten; der Volkstribun
Gaius Manilius, der in einer nur von wenigen Leuten besuchten
Versammlung das Sulpicische Gesetz ueber das Stimmrecht der
Freigelassenen hatte erneuern lassen (31. Dezember 687 67), ward von
den leitenden Maennern der Demokratie alsbald desavouiert und mit ihrer
Zustimmung das Gesetz schon am Tage nach seiner Durchbringung vom
Senate kassiert. In demselben Sinn wurden im Jahre 689 (65) durch
Volksbeschluss die saemtlichen Fremden, die weder roemisches noch
latinisches Buergerrecht besassen, aus der Hauptstadt ausgewiesen. Man
sieht, der innere Widerspruch der Gracchischen Politik, zugleich
dem Bestreben der Ausgeschlossenen um Aufnahme in den Kreis der
Privilegierten und dem der Privilegierten um Aufrechterhaltung
ihrer Sonderrechte Rechnung zu tragen, war auch auf ihre Nachfolger
uebergegangen: waehrend Caesar und die Seinen einerseits den
Transpadanern das Buergerrecht in Aussicht stellten, gaben sie
andererseits ihre Zustimmung zu der Fortdauer der Zuruecksetzung der
Freigelassenen und zu der barbarischen Beseitigung der Konkurrenz, die
die Industrie und das Handelsgeschick der Hellenen und Orientalen in
Italien selber den Italikern machte. Charakteristisch ist die Art,
wie die Demokratie hinsichtlich der alten Kriminalgerichtsbarkeit der
Komitien verfuhr. Sulla hatte dieselbe nicht eigentlich aufgehoben, aber
tatsaechlich waren doch die Geschworenenkommissionen ueber
Hochverrat und Mord an ihre Stelle getreten, und an eine ernstliche
Wiederherstellung des alten, schon lange vor Sulla durchaus
unpraktischen Verfahrens konnte kein vernuenftiger Mensch denken. Aber
da doch die Idee der Volkssouveraenitaet eine Anerkennung der peinlichen
Gerichtsbarkeit der Buergerschaft wenigstens im Prinzip zu fordern
schien, so zog der Volkstribun Titus Labienus im Jahre 691 (63) den
alten Mann, der vor achtunddreissig Jahren den Volkstribun Lucius
Saturninus erschlagen hatte oder haben sollte, vor dasselbe
hochnotpeinliche Halsgericht, kraft dessen, wenn die Chronik
recht berichtete, der Koenig Tullus den Schwestermoerder Horatius
verrechtfertigt hatte. Der Angeklagte war ein gewisser Gaius Rabirius,
der den Saturninus wenn nicht getoetet, doch wenigstens mit dem
abgehauenen Kopf desselben an den Tafeln der Vornehmen Parade gemacht
hatte, und der ueberdies unter den apulischen Gutsbesitzern wegen seiner
Menschenfaengerei und seiner Bluttaten verrufen war. Es war, wenn
nicht dem Anklaeger selbst, doch den kluegeren Maennern, die hinter ihm
standen, durchaus nicht darum zu tun, diesen elenden Gesellen den Tod
am Kreuze sterben zu lassen; nicht ungern liess man es geschehen, dass
zunaechst die Form der Anklage vom Senat wesentlich gemildert, sodann
die zur Aburteilung des Schuldigen berufene Volksversammlung unter
irgendeinem Vorwand von der Gegenpartei aufgeloest und damit die ganze
Prozedur beseitigt ward. Immer waren durch dies Verfahren die
beiden Palladien der roemischen Freiheit, das Provokationsrecht der
Buergerschaft und die Unverletzlichkeit des Volkstribunats, noch einmal
als praktisches Recht festgestellt und der demokratische Rechtsboden neu
ausgebessert worden. Mit noch groesserer Leidenschaftlichkeit trat die
demokratische Reaktion in allen Personenfragen auf, wo sie nur irgend
konnte und durfte. Zwar gebot ihr die Klugheit, die Rueckgabe der
von Sulla eingezogenen Gueter an die ehemaligen Eigentuemer nicht zu
betonen, um nicht mit den eigenen Verbuendeten sich zu entzweien und
zugleich mit den materiellen Interessen in einen Kampf zu geraten, dem
die Tendenzpolitik selten gewachsen ist; auch die Rueckberufung der
Emigrierten hing mit dieser Vermoegensfrage zu eng zusammen, um
nicht ebenso unraetlich zu erscheinen. Dagegen machte man grosse
Anstrengungen, um den Kindern der Geaechteten die ihnen entzogenen
politischen Rechte zurueckzugegeben (691 63) und die Spitzen der
Senatspartei wurden von persoenlichen Angriffen unablaessig verfolgt.
So hing Gaius Memmius dem Marcus Lucullus im Jahre 688 (66) einen
Tendenzprozess an. So liess man dessen beruehmteren Bruder vor den Toren
der Hauptstadt drei Jahre auf den wohlverdienten Triumph harren (688-691
66-63). Aehnlich wurden Quintus Rex und der Eroberer von Kreta, Quintus
Metellus, insultiert. Groesseres Aufsehen noch machte es, dass der junge
Fuehrer der Demokratie Gaius Caesar im Jahre 691 (63) nicht bloss sich
es herausnahm, bei der Bewerbung um das hoechste Priesteramt mit den
beiden angesehensten Maennern der Nobilitaet, Quintus Catulus und
Publius Servilius, dem Sieger von Isaura, zu konkurrieren, sondern
sogar bei der Buergerschaft ihnen den Rang ablief. Die Erben Sullas,
namentlich sein Sohn Faustus, sahen sich bestaendig bedroht von einer
Klage auf Rueckerstattung der von dem Regenten angeblich unterschlagenen
oeffentlichen Gelder. Man sprach sogar von der Wiederaufnahme der
im Jahre 664 (99) sistierten demokratischen Anklagen auf Grund des
Varischen Gesetzes. Am nachdruecklichsten wurden begreiflicherweise
die bei den Sullanischen Exekutionen beteiligten Individuen gerichtlich
verfolgt. Wenn der Quaestor Marcus Cato in seiner taeppischen
Ehrlichkeit selber den Anfang damit machte, ihnen die empfangenen
Mordpraemien als widerrechtlich dem Staate entfremdetes Gut
wiederabzufordern (689 65), so kann es nicht befremden, dass das Jahr
darauf (690 64) Gaius Caesar als Vorsitzender in dem Mordgericht
die Klausel in der Sullanischen Ordnung, welche die Toetung eines
Geaechteten straflos erklaerte, kurzweg als nichtig behandelte und
die namhaftesten unter den Schergen Sullas, Lucius Catilina, Lucius
Bellienus, Lucius Luscius, vor seine Geschworenen stellen und zum
Teil auch verurteilen liess. Endlich unterliess man nicht, die lange
verfemten Namen der Helden und Maertyrer der Demokratie jetzt wieder
oeffentlich zu nennen und ihre Andenken zu feiern. Wie Saturninus durch
den gegen seinen Moerder gerichteten Prozess rehabilitiert ward, ist
schon erzaehlt worden. Aber einen anderen Klang noch hatte der Name des
Gaius Marius, bei dessen Nennung einst alle Herzen geklopft hatten;
und es traf sich, dass derselbe Mann, dem Italien die Errettung von den
nordischen Barbaren verdankte, zugleich der Oheim des gegenwaertigen
Fuehrers der Demokratie war. Laut hatte die Menge gejubelt, als im Jahre
686 (68) Gaius Caesar es wagte, den Verboten zuwider bei der Beerdigung
der Witwe des Marius die verehrten Zuege des Helden auf dem Markte
oeffentlich zu zeigen. Aber als gar drei Jahre nachher (689 65) die
Siegeszeichen, die Marius auf dem Kapitol hatte errichten und Sulla
umstuerzen lassen, eines Morgens, allen unerwartet, wieder an der
alten Stelle frisch in Gold und Marmor glaenzten, da draengten sich die
Invaliden aus dem Afrikanischen und Kimbrischen Kriege, Traenen in den
Augen, um das Bild des geliebten Feldherrn, und den jubelnden Massen
gegenueber wagte der Senat nicht, an den Trophaeen sich zu vergreifen,
welche dieselbe kuehne Hand den Gesetzen zum Trotz erneuert hatte.
Indes all dieses Treiben und Hadern, soviel Laerm es auch machte, war
politisch betrachtet von sehr untergeordneter Bedeutung. Die Oligarchie
war ueberwunden, die Demokratie ans Ruder gelangt. Dass die Kleinen
und Kleinsten herbeieilten, um dem am Boden liegenden Feind noch einen
Fusstritt zu versetzen; dass auch die Demokraten ihren Rechtsboden und
ihren Prinzipienkult hatten; dass ihre Doktrinaere nicht ruhten, bis die
saemtlichen Privilegien der Gemeinde in allen Stuecken wiederhergestellt
waren und dabei gelegentlich sich laecherlich machten, wie Legitimisten
es pflegen - das alles war ebenso begreiflich wie gleichgueltig.
Im ganzen genommen ist die Agitation ziellos und sieht man ihr die
Verlegenheit der Urheber an, einen Gegenstand fuer ihre Taetigkeit
zu finden, wie sie sich denn auch fast durchaus um wesentlich schon
erledigte oder um Nebensachen dreht. Es konnte nicht anders sein. In
dem Kampfe gegen die Aristokratie waren die Demokraten Sieger geblieben;
aber sie hatten nicht allein gesiegt und die Feuerprobe stand ihnen noch
bevor - die Abrechnung nicht mit dem bisherigen Feind, sondern mit
dem uebermaechtigen Bundesgenossen, dem sie in dem Kampfe mit der
Aristokratie wesentlich den Sieg verdankten und dem sie jetzt eine
beispiellose militaerische und politische Gewalt selbst in die Haende
gegeben hatten, weil sie nicht wagten, sie ihm zu verweigern. Noch war
der Feldherr des Ostens und der Meere beschaeftigt, Koenige ein-
und abzusetzen; wielange Zeit er dazu sich nehmen, wann er das
Kriegsgeschaeft fuer beendet erklaeren werde, konnte keiner sagen als er
selbst, da wie alles andere, so auch der Zeitpunkt seiner Rueckkehr
nach Italien, das heisst der Entscheidung in seine Hand gelegt war. Die
Parteien in Rom inzwischen sassen und harrten. Die Optimaten freilich
sahen der Ankunft des gefuerchteten Feldherrn verhaeltnismaessig ruhig
entgegen; bei dem Bruch zwischen Pompeius und der Demokratie, dessen
Herannahen auch ihnen nicht entging, konnten sie nicht verlieren,
sondern nur gewinnen. Dagegen die Demokraten warteten mit peinlicher
Angst und suchten waehrend der durch Pompeius' Abwesenheit noch
vergoennten Frist gegen die drohende Explosion eine Kontermine zu legen.
Hierin trafen sie wieder zusammen mit Crassus, dem nichts uebrig blieb,
um dem beneideten und gehassten Nebenbuhler zu begegnen, als sich neu
und enger als zuvor mit der Demokratie zu verbuenden. Schon bei der
ersten Koalition hatten Caesar und Crassus als die beiden Schwaecheren
sich besonders nahe gestanden; das gemeinschaftliche Interesse und die
gemeinschaftliche Gefahr zog das Band noch fester, das den reichsten
und den verschuldetsten Mann von Rom zu engster Allianz verknuepfte.
Waehrend oeffentlich die Demokraten den abwesenden Feldherrn als das
Haupt und den Stolz ihrer Partei bezeichneten und alle ihre Pfeile gegen
die Aristokratie zu richten schienen, ward im stillen gegen Pompeius
geruestet; und diese Versuche der Demokratie, sich der drohenden
Militaerdiktatur zu entwinden, haben geschichtlich eine weit hoehere
Bedeutung als die laermende und groesstenteils nur als Maske benutzte
Agitation gegen die Nobilitaet. Freilich bewegten sie sich in einem
Dunkel, in das unsere Ueberlieferung nur einzelne Streiflichter fallen
laesst; denn nicht die Gegenwart allein, auch die Folgezeit hatte ihre
Ursachen, einen Schleier darueber zu werfen. Indes im allgemeinen sind
sowohl der Gang wie das Ziel dieser Bestrebungen vollkommen klar. Der
Militaergewalt konnte nur durch eine andere Militaergewalt wirksam
Schach geboten werden. Die Absicht der Demokraten war, sich nach dem
Beispiel des Marius und Cinna der Zuegel der Regierung zu bemaechtigen,
sodann einen ihrer Fuehrer sei es mit der Eroberung Aegyptens, sei es
mit der Statthalterschaft Spaniens oder einem aehnlichen ordentlichen
oder ausserordentlichen Amte zu betrauen und in ihm und seinem Heer ein
Gegengewicht gegen Pompeius und dessen Armee zu finden. Dazu bedurften
sie einer Revolution, die zunaechst gegen die nominelle Regierung, in
der Tat gegen Pompeius ging als den designierten Monarchen; und um diese
Revolution zu bewirken, war von der Erlassung der Gabinisch-Manilischen
Gesetze an bis auf Pompeius' Rueckkehr (688 - 692 66 - 62) die
Verschwoerung in Rom in Permanenz ^1. Die Hauptstadt war in
aengstlicher Spannung; die gedrueckte Stimmung der Kapitalisten, die
Zahlungsstockungen, die haeufigen Bankrotte waren Vorboten der gaerenden
Umwaelzung, die zugleich eine gaenzlich neue Stellung der Parteien
herbeifuehren zu muessen schien. Der Anschlag der Demokratie, der ueber
den Senat hinweg auf Pompeius zielte, legte eine Ausgleichung zwischen
diesen nahe. Die Demokratie aber, indem sie der Diktatur des Pompeius
die eines ihr genehmeren Mannes entgegenzustellen versuchte, erkannte
genau genommen auch ihrerseits das Militaerregiment an und trieb in
der Tat den Teufel aus durch Beelzebub; unter den Haenden ward ihr
die Prinzipien- zur Personenfrage.
----------------------------------------------------------- ^1 Wer die
Gesamtlage der politischen Verhaeltnisse dieser Zeit uebersieht, wird
spezieller Beweise nicht beduerfen, um zu der Einsicht zu gelangen, dass
das letzte Ziel der demokratischen Machinationen 688f. (66) nicht der
Sturz des Senats war, sondern der des Pompeius. Doch fehlt es auch
an solchen Beweisen nicht. Dass die Gabinisch-Manilischen Gesetze der
Demokratie einen toedlichen Schlag versetzten, sagt Sallust (Cat. 39);
dass die Verschwoerung 688-689 (66- 65) und die Servilische Rogation
speziell gegen Pompeius gerichtet waren, ist gleichfalls bezeugt (Sall.
Cat. 19; Val. Max. 6, 2, 4; Cic. leg. agr. 2, 17, 46). Ueberdies zeigt
Crassus' Stellung zu der Verschwoerung allein schon hinreichend,
dass sie gegen Pompeius gerichtet war.
---------------------------------------------------------- Die
Einleitung zu der von den Fuehrern der Demokratie entworfenen Revolution
sollte also der Sturz der bestehenden Regierung durch eine zunaechst in
Rom von demokratischen Verschworenen angestiftete Insurrektion sein.
Der sittliche Zustand der niedrigsten wie der hoechsten Schichten der
hauptstaedtischen Gesellschaft bot hierzu den Stoff in beklagenswerter
Fuelle. Wie das freie und das Sklavenproletariat der Hauptstadt
beschaffen waren, braucht hier nicht wiederholt zu werden. Es ward
schon das bezeichnende Wort vernommen, dass nur der Arme den Armen zu
vertreten faehig sei - der Gedanke regte sich also, dass die Masse der
Armen so gut wie die Oligarchie der Reichen sich als selbstaendige
Macht konstituieren und, statt sich tyrannisieren zu lassen, auch wohl
ihrerseits den Tyrannen spielen koenne. Aber auch in den Kreisen
der vornehmen Jugend fanden aehnliche Gedanken einen Widerhall. Das
hauptstaedtische Modeleben zerruettete nicht bloss das Vermoegen,
sondern auch die Kraft des Leibes und des Geistes. Jene elegante Welt
der duftenden Haarlocken, der modischen Stutzbaerte und Manschetten, so
lustig es auch darin bei Tanz und Zitherspiel und frueh und spaet
beim Becher herging, barg doch in sich einen erschreckenden Abgrund
sittlichen und oekonomischen Verfalls, gut oder schlecht verhehlter
Verzweiflung und wahnsinniger oder buebischer Entschluesse. In diesen
Kreisen ward unverhohlen geseufzt nach der Wiederkehr der cinnanischen
Zeit mit ihren Aechtungen und Konfiskationen und ihrer Vernichtung
der Schuldbuecher; es gab Leute genug, darunter nicht wenige von nicht
gemeiner Herkunft und ungewoehnlichen Anlagen, die nur auf das Signal
warteten, um wie eine Raeuberschar ueber die buergerliche Gesellschaft
herzufallen und das verlotterte Vermoegen sich wieder zu erpluendern.
Wo eine Bande sich bildet, fehlt es an Fuehrern nicht; auch hier fanden
sich bald Maenner, die zu Raeuberhauptleuten sich eigneten. Der gewesene
Praetor Lucius Catilina, der Quaestor Gnaeus Piso zeichneten unter ihren
Genossen nicht bloss durch ihre vornehme Geburt und ihren hoeheren Rang
sich aus. Sie hatten die Bruecke vollstaendig hinter sich abgebrochen
und imponierten ihren Spiessgesellen durch ihre Ruchlosigkeit ebensosehr
wie durch ihre Talente. Vor allem Catilina war einer der frevelhaftesten
dieser frevelhaften Zeit. Seine Bubenstuecke gehoeren in die
Kriminalakten, nicht in die Geschichte; aber schon sein Aeusseres, das
bleiche Antlitz, der wilde Blick, der bald traege, bald hastige Gang
verrieten seine unheimliche Vergangenheit. In hohem Grade besass er die
Eigenschaften, die von dem Fuehrer einer solchen Rotte verlangt
werden: die Faehigkeit, alles zu geniessen und alles zu entbehren, Mut,
militaerisches Talent, Menschenkenntnis, Verbrecherenergie und jene
entsetzliche Paedagogik des Lasters, die den Schwachen zu Falle zu
bringen, den Gefallenen zum Verbrecher zu erziehen versteht. Aus solchen
Elementen eine Verschwoerung zum Umsturz der bestehenden Ordnung zu
bilden, konnte Maennern, die Geld und politischen Einfluss besassen,
nicht schwerfallen. Catilina, Piso und ihresgleichen gingen bereitwillig
auf jeden Plan ein, der ihnen Aechtungen und Kassation der Schuldbuecher
in Aussicht stellte; jener war ueberdies noch mit der Aristokratie
speziell verfeindet, weil sie sich der Bewerbung des verworfenen und
gefaehrlichen Menschen um das Konsulat widersetzt hatte. Wie er einst
als Scherge Sullas an der Spitze einer Keltenschar auf die Geaechteten
Jagd gemacht und unter anderen seinen eigenen hochbejahrten Schwager mit
eigener Hand niedergestossen hatte, so liess er jetzt sich bereitwillig
dazu herbei, der Gegenpartei aehnliche Dienst zuzusagen. Ein geheimer
Bund ward gestiftet. Die Zahl der in denselben aufgenommenen
Individuen soll 400 ueberstiegen haben; er zaehlte Affiliierte in allen
Landschaften und Stadtgemeinden Italiens; ueberdies verstand es sich
von selbst, dass einer Insurrektion, die das zeitgemaesse Programm der
Schuldentilgung auf ihre Fahne schrieb, aus den Reihen der liederlichen
Jugend zahlreiche Rekruten ungeheissen zustroemen wuerden. Im Dezember
688 (66) - so wird erzaehlt - glaubten die Leiter des Bundes den
geeigneten Anlass gefunden zu haben, um loszuschlagen. Die beiden
fuer 689 (65) erwaehlten Konsuln Publius Cornelius Sulla und Publius
Autronius Paetus waren vor kurzem der Wahlbestechung gerichtlich
ueberwiesen und deshalb nach gesetzlicher Vorschrift ihrer Anwartschaft
auf das hoechste Amt verlustig erklaert worden. Beide traten hierauf dem
Bunde bei. Die Verschworenen beschlossen, ihnen das Konsulat mit Gewalt
zu verschaffen und dadurch sich selbst in den Besitz der hoechsten
Gewalt im Staate zu setzen. An dem Tage, wo die neuen Konsuln ihr
Amt antreten wuerden, dem 1. Januar 689 (65) sollte die Kurie von
Bewaffneten gestuermt, die neuen Konsuln und die sonst bezeichneten
Opfer niedergemacht und Sulla und Paetus nach Kassierung des
gerichtlichen Urteils, das sie ausschloss, als Konsuln proklamiert
werden. Crassus sollte sodann die Diktatur, Caesar das Reiterfuehreramt
uebernehmen, ohne Zweifel, um eine imposante Militaermacht auf die
Beine zu bringen, waehrend Pompeius fern am Kaukasus beschaeftigt war.
Hauptleute und Gemeine waren gedungen und angewiesen; Catilina wartete
an dem bestimmten Tage in der Naehe des Rathauses auf das verabredete
Zeichen, das auf Crassus' Wink ihm von Caesar gegeben werden sollte.
Allein er wartete vergebens; Crassus fehlte in der entscheidenden
Senatssitzung, und daran scheiterte fuer diesmal die projektierte
Insurrektion. Ein aehnlicher noch umfassenderer Mordplan ward dann
fuer den 5. Februar verabredet; allein auch dieser ward vereitelt, da
Catilina das Zeichen zu frueh gab, bevor noch die bestellten Banditen
sich alle eingefunden hatten. Darueber ward das Geheimnis ruchbar. Die
Regierung wagte zwar nicht, offen der Verschwoerung entgegenzutreten,
aber sie gab doch den zunaechst bedrohten Konsuln Wachen bei und stellte
der Bande der Verschworenen eine von der Regierung bezahlte entgegen.
Um Piso zu entfernen, wurde der Antrag gestellt, ihn als Quaestor mit
praetorischen Befugnissen nach dem diesseitigen Spanien zu senden;
worauf Crassus einging, in der Hoffnung, durch denselben die
Hilfsquellen dieser wichtigen Provinz fuer die Insurrektion zu gewinnen.
Weitergehende Vorschlaege wurden durch die Tribune verhindert. Also
lautet die Ueberlieferung, welche offenbar die in den Regierungskreisen
umlaufende Version wiedergibt und deren Glaubwuerdigkeit im einzelnen
in Ermangelung jeder Kontrolle dahingestellt bleiben muss. Was die
Hauptsache anlangt, die Beteiligung von Caesar und Crassus, so kann
allerdings das Zeugnis ihrer politischen Gegner nicht als ausreichender
Beweis dafuer angesehen werden. Aber es passt doch ihre offenkundige
Taetigkeit in dieser Epoche auffallend genau zu der geheimen, die dieser
Bericht ihnen beimisst. Dass Crassus, der in diesem Jahre Zensor war,
als solcher den Versuch machte, die Transpadaner in die Buergerliste
einzuschreiben, war schon geradezu ein revolutionaeres Beginnen. Noch
bemerkenswerter ist es, dass Crassus bei derselben Gelegenheit Anstalt
machte, Aegypten und Kypros in das Verzeichnis der roemischen Domaenen
einzutragen ^2 und dass Caesar um die gleiche Zeit (689 oder 690 65 oder
64) durch einige Tribune bei der Buergerschaft den Antrag stellen liess,
ihn nach Aegypten zu senden, um den von den Alexandrinern vertriebenen
Koenig Ptolemaeos wiedereinzusetzen. Diese Machinationen stimmen mit
den von den Gegnern erhobenen Anklagen in bedenklicher Weise
zusammen. Gewisses laesst sich hier nicht ermitteln; aber die grosse
Wahrscheinlichkeit ist dafuer, dass Crassus und Caesar den
Plan entworfen hatten, sich waehrend Pompeius' Abwesenheit der
Militaerdiktatur zu bemaechtigen; dass Aegypten zur Basis dieser
demokratischen Militaermacht ausersehen war; dass endlich der
Insurrektionsversuch von 689 (65) angezettelt worden ist, um diese
Entwuerfe zu realisieren und Catilina und Piso also Werkzeuge in
den Haenden von Crassus und Caesar gewesen sind.
--------------------------------------------- ^2 Plut. Crass. 13; Cic.
leg. agr. 2, 17, 44. In dies Jahr (689 65) gehoert Ciceros Rede De rege
Alexandrino, die man unrichtig in das Jahr 698 (56) gesetzt hat. Cicero
widerlegt darin, wie die Fragmente deutlich zeigen, Crassus' Behauptung,
dass durch das Testament des Koenigs Alexandros Aegypten roemisches
Eigentum geworden sei. Diese Rechtsfrage konnte und musste im Jahre
689 (65) diskutiert werden; im Jahre 698 (56) aber war sie durch das
Julische Gesetz von 695 (59) bedeutungslos geworden. Auch handelte es
sich im Jahre 698 (56) gar nicht um die Frage, wem Aegypten gehoere,
sondern um die Zurueckfuehrung des durch einen Aufstand vertriebenen
Koenigs, und es hat bei dieser uns genau bekannten Verhandlung Crassus
keine Rolle gespielt. Endlich war Cicero nach der Konferenz von Luca
durchaus nicht in der Lage, gegen einen der Triumvirn ernstlich zu
opponieren. ----------------------------------------------- Einen
Augenblick kam die Verschwoerung ins Stocken. Die Wahlen fuer 690
(64) fanden statt, ohne dass Crassus und Caesar ihren Versuch sich des
Konsulats zu bemeistern, dabei erneuert haetten; wozu mit beigetragen
haben mag, dass ein Verwandter des Fuehrers der Demokratie, Lucius
Caesar, ein schwacher und von seinem Geschlechtsfreund nicht selten
als Werkzeug benutzter Mann, diesmal um das Konsulat sich bewarb. Indes
draengten die Berichte aus Asien zur Eile. Die kleinasiatischen und
armenischen Angelegenheiten waren bereits vollstaendig geordnet. So klar
auch die demokratischen Strategen es bewiesen, dass der Mithradatische
Krieg erst mit der Gefangennahme des Koenigs als beendigt gelten koenne
und dass es deshalb notwendig sei, die Hetzjagd um das Schwarze Meer
herum zu beginnen, vor allen Dingen aber von Syrien fernzubleiben -
Pompeius war, unbekuemmert um solches Geschwaetz, im Fruehjahr 690 (64)
aus Armenien aufgebrochen und nach Syrien marschiert. Wenn Aegypten
wirklich zum Hauptquartier der Demokratie ausersehen war, so war keine
Zeit zu verlieren; leicht konnte sonst Pompeius eher als Caesar in
Aegypten stehen. Die Verschwoerung von 688 (66) durch die schlaffen
und aengstlichen Repressivmassregeln keineswegs gesprengt, regte sich
wieder, als die Konsulwahlen fuer 691 (63) herankamen. Die Personen
waren vermutlich wesentlich dieselben und auch der Plan nur wenig
veraendert. Die Leiter der Bewegung hielten wieder sich im Hintergrund.
Als Bewerber um das Konsulat hatten sie diesmal aufgestellt: Catilina
selbst und Gaius Antonius, den juengeren Sohn des Redners, einen Bruder
des von Kreta her uebel berufenen Feldherrn. Catilinas war man sicher;
Antonius, urspruenglich Sullaner wie Catilina und wie dieser vor einigen
Jahren von der demokratischen Partei deshalb vor Gericht gestellt und
aus dem Senat ausgestossen, uebrigens ein schlaffer, unbedeutender, in
keiner Hinsicht zum Fuehrer berufener, vollstaendig bankrotter Mann, gab
um den Preis des Konsulats und der daran geknuepften Vorteile sich den
Demokraten willig zum Werkzeug hin. Durch diese Konsuln beabsichtigten
die Haeupter der Verschwoerung, sich des Regiments zu bemaechtigen, die
in der Hauptstadt zurueckgebliebenen Kinder des Pompeius als Geiseln
festzunehmen und in Italien und den Provinzen gegen Pompeius zu ruesten.
Auf die erste Nachricht von dem in der Hauptstadt gefallenen Schlage
sollte der Statthalter Gnaeus Piso im diesseitigen Spanien die Fahne der
Insurrektion aufstecken. Die Kommunikation mit ihm konnte auf dem Seeweg
nicht stattfinden, da Pompeius das Meer beherrschte; man zaehlte dafuer
auf die Transpadaner, die alten Klienten der Demokratie, unter denen
es gewaltig gaerte und die natuerlich sofort das Buergerrecht erhalten
haben wuerden, ferner auf verschiedene keltische Staemme ^3. Bis
nach Mauretanien hin liefen die Faeden dieser Verbindung. Einer der
Mitverschworenen, der roemische Grosshaendler Publius Sittius aus
Nuceria, durch finanzielle Verwicklungen gezwungen, Italien zu meiden,
hatte daselbst und in Spanien einen Trupp verzweifelter Leute bewaffnet
und zog mit diesen als Freischarenfuehrer im westlichen Afrika herum,
wo er alte Handelsverbindungen hatte.
------------------------------------------------- ^3 Die Ambrani (Suet.
Caes. 9) sind wohl nicht die mit den Kimbern zusammen genannten
Ambronen (Plot. Mar. 19), sondern verschrieben fuer Arverni.
------------------------------------------------- Die Partei strengte
alle ihre Kraefte fuer den Wahlkampf an. Crassus und Caesar setzten ihr
Geld - eigenes oder geborgtes -und ihre Verbindungen ein, um Catilina
und Antonius das Konsulat zu verschaffen; Catilinas Genossen spannten
jeden Nerv an, um den Mann an das Ruder zu bringen, der ihnen die Aemter
und Priestertuemer, die Palaeste und Landgueter ihrer Gegner und vor
allen Dingen Befreiung von ihren Schulden verhiess und von dem man
wusste, dass er Wort halten werde. Die Aristokratie war in grosser
Not, hauptsaechlich weil sie nicht einmal Gegenkandidaten aufzustellen
vermochte. Dass ein solcher seinen Kopf wagte, war offenbar; und die
Zeiten waren nicht mehr, wo der Posten der Gefahr den Buerger lockte -
jetzt schwieg selbst der Ehrgeiz vor der Angst. So begnuegte sich die
Nobilitaet, einen schwaechlichen Versuch zu machen, den Wahlumtrieben
durch Erlassung eines neuen Gesetzes ueber den Stimmenkauf zu steuern
-was uebrigens an der Interzession eines Volkstribunen scheiterte -
und ihre Stimmen auf einen Bewerber zu werfen, der ihr zwar auch nicht
genehm, aber doch wenigstens unschaedlich war. Es war dies Marcus
Cicero, notorisch ein politischer Achseltraeger ^4, gewohnt bald mit
den Demokraten, bald mit Pompeius, bald aus etwas weiterer Ferne mit
der Aristokratie zu liebaeugeln und jedem einflussreichen Beklagten
ohne Unterschied der Person oder Partei - auch Catilina zaehlte er unter
seinen Klienten - Advokatendienste zu leisten, eigentlich von keiner
Partei oder, was ziemlich dasselbe ist, von der Partei der materiellen
Interessen, die in den Griechen dominierte und den beredten Sachwalter,
den hoeflichen und witzigen Gesellschafter gern hatte. Er hatte
Verbindungen genug in der Hauptstadt und den Landstaedten, um neben den
vor der Demokratie aufgestellten Kandidaten eine Chance zu haben; und
da auch die Nobilitaet, obwohl nicht gern, und die Pompeianer fuer ihn
stimmten, ward er mit grosser Majoritaet gewaehlt. Die beiden Kandidaten
der Demokratie erhielten fast gleich viele Stimmen, jedoch fielen auf
Antonius, dessen Familie angesehener war als die seines Konkurrenten,
einige mehr. Dieser Zufall vereitelte die Wahl Catilinas und rettete
Rom vor einem zweiten Cinna. Schon etwas frueher war Piso, es hiess
auf Anstiften seines politischen und persoenlichen Feindes Pompeius, in
Spanien von seiner einheimischen Eskorte niedergemacht worden ^5. Mit
dem Konsul Antonius allein war nichts anzufangen; Cicero sprengte das
lockere Band, das ihn an die Verschwoerung knuepfte, noch ehe sie beide
ihre Aemter antraten, indem er auf die von Rechts wegen ihm zustehende
Losung um die Konsularprovinzen Verzicht leistete und dem tief
verschuldeten Kollegen die eintraegliche Statthalterschaft Makedonien
ueberliess. Die wesentlichen Vorbedingungen auch dieses Anschlags
waren also gefallen.
------------------------------------------------------------- ^4 Naiver
kann dies nicht ausgesprochen werden, als es in der seinem Bruder
untergeschobenen Denkschrift geschieht (pet. 1, 5; 13, 51 53 vom
Jahre 690 64); der Bruder selbst wuerde schwerlich sich so offenherzig
oeffentlich geaeussert haben. Als authentisches Belegstueck dazu werden
unbefangene Leute nicht ohne Interesse die zweite Rede gegen Rullus
lesen, wo der "erste demokratische Konsul", in sehr ergoetzlicher
Weise das liebe Publikum nasfuehrend, ihm die "richtige Demokratie"
entwickelt. ^5 Seine noch vorhandene Grabschrift lautet: Cn. Calpurnius
Cn, f. Piso quaestor pro pr. ex s. c. provinciam Hispaniam citeriorem
optinuit. -------------------------------------------------------------
Inzwischen entwickelten die orientalischen Verhaeltnisse sich immer
bedrohlicher fuer die Demokratie. Die Ordnung Syriens schritt rasch
vorwaerts; schon waren von Aegypten Aufforderungen an Pompeius ergangen,
daselbst einzuruecken und das Land fuer Rom einzuziehen; man musste
fuerchten, demnaechst zu vernehmen, dass Pompeius selbst das Niltal in
Besitz genommen habe. Eben hierdurch mag Caesars Versuch, sich geradezu
vom Volke nach Aegypten senden zu lassen, um dem Koenige gegen seine
aufruehrerischen Untertanen Beistand zu leisten, hervorgerufen worden
sein; er scheiterte, wie es scheint, an der Abneigung der Grossen
und Kleinen, irgend etwas gegen Pompeius' Interesse zu unternehmen.
Pompeius' Heimkehr und damit die wahrscheinliche Katastrophe rueckten
immer naeher; wie oft auch die Sehne gerissen war, es musste doch wieder
versucht werden, denselben Boten zu spannen. Die Stadt war in dumpfer
Gaerung: haeufige Konferenzen der Haeupter der Bewegung deuteten an,
dass wieder etwas im Werke sei. Was das sei, ward offenbar, als die
neuen Volkstribune ihr Amt antraten (10. Dezember 690 64) und sogleich
einer von ihnen, Publius Servillius Rullus, ein Ackergesetz beantragte,
das den Fuehrern der Demokraten eine aehnliche Stellung verschaffen
sollte, wie sie infolge der Gabinisch- Manilischen Antraege Pompeius
einnahm. Der nominelle Zweck war die Gruendung von Kolonien in Italien,
wozu der Boden indes nicht durch Expropriation gewonnen werden sollte -
vielmehr wurden alle bestehenden Privatrechte garantiert, ja sogar die
widerrechtlichen Okkupationen der juengsten Zeit in volles Eigentum
umgewandelt. Nur die verpachtete kampanische Domaene sollte parzelliert
und kolonisiert werden, im uebrigen die Regierung das zur Assignation
bestimmte Land durch gewoehnlichen Kauf erwerben. Um die hierzu noetigen
Summen zu beschaffen, sollte das uebrige italische und vor allem alles
ausseritalische Domanialland sukzessiv zum Verkauf gebracht werden;
worunter namentlich die ehemaligen koeniglichen Tafelgueter in
Makedonien, dem Thrakischen Chersones, Bithynien, Pontus, Kyrene, ferner
die Gebiete der nach Kriegsrecht zu vollem Eigen gewonnenen Staedte in
Spanien, Afrika, Sizilien, Hellas, Kilikien verstanden waren. Verkauft
werden sollte ingleichen alles, was der Staat an beweglichen und
unbeweglichem Gut seit dem Jahre 666 (88) erworben und worueber er
nicht frueher verfuegt hatte; was hauptsaechlich auf Aegypten und Kypros
zielte. Zu dem gleichen Zweck wurden alle untertaenigen Gemeinden mit
Ausnahme der Staedte latinischen Rechts und der sonstigen Freistaedte
mit sehr hoch gegriffenen Gefaellen und Zehnten belastet. Ebenfalls
ward endlich fuer jene Ankaeufe bestimmt der Ertrag der neuen
Provinzialgefaelle, anzurechnen vom Jahre 692 (62) und der Erloes aus
der saemtlichen, noch nicht gesetzmaessig verwandten Beute; welche
Anordnungen auf die neuen, von Pompeius im Osten eroeffneten
Steuerquellen und auf die in den Haenden des Pompeius und der Erben
Sullas befindlichen oeffentlichen Gelder sich bezog. Zur Ausfuehrung
dieser Massregel sollten Zehnmaenner mit eigener Jurisdiktion und
eigenem Imperium ernannt werden, welche fuenf Jahre im Amte zu bleiben
und mit 200 Unterbeamten aus dem Ritterstand sich zu umgeben hatten;
bei der Wahl der Zehnmaenner aber sollten nur die Kandidaten, die
persoenlich sich melden wuerden, beruecksichtigt werden duerfen und,
aehnlich wie bei den Priesterwahlen, nur siebzehn durch Los aus den
fuenfunddreissig zu bestimmende Bezirke waehlen. Es war ohne grossen
Scharfsinn zu erkennen, dass man in diesem Zehnmaennerkollegium eine
der des Pompeius nachgebildete, nur etwas weniger militaerisch und mehr
demokratisch gefaerbte Gewalt zu schaffen beabsichtigte. Man bedurfte
der Gerichtsbarkeit namentlich, um die aegyptische Frage zu entscheiden,
der Militaergewalt, um gegen Pompeius zu ruesten; die Klausel, welche
die Wahl eines Abwesenden untersagte, schloss Pompeius aus, und die
Verminderung der stimmberechtigten Bezirke sowie die Manipulation
des Auslosens sollten die Lenkung der Wahl im Sinne der Demokratie
erleichtern. Indes dieser Versuch verfehlte gaenzlich sein Ziel. Die
Menge, die es bequemer fand, das Getreide im Schatten der roemischen
Hallen aus den oeffentlichen Magazinen sich zumessen zu lassen, als es
im Schweisse des Angesichts selber zu bauen, nahm den Antrag an sich
schon mit vollkommener Gleichgueltigkeit auf. Sie fuehlte auch bald
heraus, dass Pompeius einen solchen, in jeder Hinsicht ihn verletzenden
Beschluss sich nimmermehr gefallen lassen werde und dass es nicht gut
stehen koenne mit einer Partei, die in ihrer peinlichen Angst sich zu so
ausschweifenden Anerbietungen herbeilasse. Unter solchen Umstaenden fiel
es der Regierung nicht schwer, den Antrag zu vereiteln; der neue
Konsul Cicero nahm die Gelegenheit wahr, sein Talent, offene Tueren
einzulaufen, auch hier geltend zu machen; noch ehe die bereitstehenden
Tribune interzedierten, zog der Urheber selbst den Vorschlag zurueck
(1. Januar 691 62). Die Demokratie hatte nichts gewonnen als die
unerfreuliche Belehrung, dass die grosse Menge in Liebe oder in Furcht
fortwaehrend noch zu Pompeius hielt und dass jeder Antrag sicher fiel,
den das Publikum als gegen Pompeius gerichtet erkannte. Ermuedet von
all diesem vergeblichen Wuehlen und resultatlosem Planen, beschloss
Catilina, die Sache zur Entscheidung zu treiben und ein fuer allemal ein
Ende zu machen. Er traf im Laufe des Sommers seine Massregeln, um den
Buergerkrieg zu eroeffnen. Faesulae (Fiesole), eine sehr feste Stadt in
dem von Verarmten und Verschworenen wimmelnden Etrurien und fuenfzehn
Jahre zuvor der Herd des Lepidianischen Aufstandes, ward wiederum
zum Hauptquartier der Insurrektion ausersehen. Dorthin gingen die
Geldsendungen, wozu namentlich die in die Verschwoerung verwickelten
vornehmen Damen der Hauptstadt die Mittel hergaben; dort wurden Waffen
und Soldaten gesammelt; ein alter sullanischer Hauptmann, Gaius Manlius,
so tapfer und so frei von Gewissensskrupeln wie nur je ein Lanzknecht,
uebernahm daselbst vorlaeufig den Oberbefehl. Aehnliche wenn auch minder
ausgedehnte Zuruestungen wurden an andern Punkten Italiens gemacht.
Die Transpadaner waren so aufgeregt, dass sie nur auf das Zeichen zum
Losschlagen zu warten schienen. Im bruttischen Lande, an der Ostkueste
Italiens, in Capua, wo ueberall grosse Sklavenmassen angehaeuft waren,
schien eine zweite Sklaveninsurrektion, gleich der des Spartacus, im
Entstehen. Auch in der Hauptstadt bereitete etwas sich vor; wer die
trotzige Haltung sah, in der die vorgeforderten Schuldner vor dem
Stadtpraetor erschienen, musste der Szenen gedenken, die der Ermordung
des Asellio vorangegangen waren. Die Kapitalisten schwebten in
namenloser Angst; es zeigte sich noetig, das Verbot der Gold- und
Silberausfuhr einzuschaerfen und die Haupthaefen ueberwachen zu lassen.
Der Plan der Verschworenen war, bei der Konsulwahl fuer 692 (62) zu der
Catilina sich wieder gemeldet hatte, den wahlleitenden Konsul sowie
die unbequemen Mitbewerber kurzweg niederzumachen und Catilinas Wahl um
jeden Preis durchzusetzen, noetigenfalls selbst bewaffnete Scharen von
Faesulae und den anderen Sammelpunkten gegen die Hauptstadt zu fuehren
und mit ihnen den Widerstand zu brechen. Cicero, bestaendig durch seine
Agenten und Agentinnen von den Verhandlungen der Verschworenen rasch und
vollstaendig unterrichtet, denunzierte an dem anberaumten Wahltag
(20. Oktober) die Verschwoerung in vollem Senat und im Beisein ihrer
hauptsaechlichsten Fuehrer. Catilina liess sich nicht dazu herab zu
leugnen; er antwortete trotzig, wenn die Wahl zum Konsul auf ihn fallen
sollte, so werde es allerdings der grossen hauptlosen Partei gegen die
kleine, von elenden Haeuptern geleitete an einem Fuehrer nicht laenger
fehlen. Indes da handgreifliche Beweise des Komplotts nicht vorlagen,
war von dem aengstlichen Senat nichts weiter zu erreichen, als dass
er in der ueblichen Weise den von den Beamten zweckmaessig befundenen
Ausnahmemassregeln im voraus seine Sanktion erteilte (21. Oktober). So
nahte die Wahlschlacht, diesmal mehr eine Schlacht als eine Wahl;
denn auch Cicero hatte aus den juengeren Maennern namentlich des
Kaufmannsstandes sich eine bewaffnete Leibwache gebildet; und seine
Bewaffneten waren es, die am 28. Oktober, auf welchen Tag die Wahl vom
Senat verschoben worden war, das Marsfeld bedeckten und beherrschten.
Den Verschworenen gelang es weder, den wahlleitenden Konsul
niederzumachen noch die Wahlen in ihrem Sinne zu entscheiden. Inzwischen
aber hatte der Buergerkrieg begonnen. Am 27. Oktober hatte Gaius Manlius
bei Faesulae den Adler aufgepflanzt, um den die Armee der Insurrektion
sich scharen sollte - es war einer der Marianischen aus dem Kimbrischen
Kriege - , und die Raeuber aus den Bergen wie das Landvolk aufgerufen,
sich ihm anzuschliessen. Seine Proklamationen forderten, anknuepfend an
die alten Traditionen der Volkspartei, Befreiung von der erdrueckendem
Schuldenlast und Milderung des Schuldprozesses, der, wenn der
Schuldbestand in der Tat das Vermoegen ueberstieg, allerdings immer noch
rechtlich den Verlust der Freiheit fuer den Schuldner nach sich zog. Es
schien, als wolle das hauptstaedtische Gesindel, indem es gleichsam als
legitimer Nachfolger der alten plebejischen Bauernschaft auftrat und
unter den ruhmvollen Adlern des Kimbrischen Krieges seine Schlachten
schlug, nicht bloss die Gegenwart, sondern auch die Vergangenheit Roms
beschmutzen. Indes blieb diese Schilderhebung vereinzelt; in den anderen
Sammelpunkten kam die Verschwoerung nicht hinaus ueber Waffenaufhaeufung
und Veranstaltung geheimer Zusammenkuenfte, da es ueberall an
entschlossenen Fuehrern gebrach. Es war ein Glueck fuer die Regierung;
denn wie offen auch seit laengerer Zeit der bevorstehende Buergerkrieg
angekuendigt war, hatten doch die eigene Unentschlossenheit und die
Schwerfaelligkeit der verrosteten Verwaltungsmaschinerie ihr nicht
gestattet, irgendwelche militaerische Vorbereitungen zu treffen.
Erst jetzt ward der Landsturm aufgerufen und wurden in die einzelnen
Landschaften Italiens hoehere Offiziere kommandiert, um jeder in seinem
Bezirk die Insurrektion zu unterdruecken, zugleich aus der
Hauptstadt die Fechtersklaven ausgewiesen und wegen der befuerchteten
Brandstiftungen Patrouillen angeordnet. Catilina war in einer peinlichen
Lage. Nach seiner Absicht hatte bei den Konsularwahlen gleichzeitig
in der Hauptstadt und in Etrurien Iosgeschlagen werden sollen;
das Scheitern der ersteren und das Ausbrechen der zweiten Bewegung
gefaehrdete ihn persoenlich wie den ganzen Erfolg seines Unternehmens.
Nachdem einmal die Seinigen bei Faesulae die Waffen gegen die Regierung
erhaben hatten, war in Rom seines Bleibens nicht mehr; und dennoch lag
ihm nicht bloss alles daran, die hauptstaedtische Verschwoerung jetzt
wenigstens zum raschen Losschlagen zu bestimmen, sondern wusste dies
auch geschehen sein, bevor er Rom verliess - denn er kannte seine
Gehilfen zu gut, um sich dafuer auf sie zu verlassen. Die angesehenen
unter den Mitverschworenen, Publius Lentulus Sura, Konsul 683
(71), spaeter aus dem Senat gestossen und jetzt, um in den Senat
zurueckzugelangen, wieder Praetor, und die beiden gewesenen Praetoren
Publius Autronius und Lucius Cassius waren unfaehige Menschen, Lentulus
ein gewoehnlicher Aristokrat von grossen Warten und grossen Anspruechen,
aber langsam im Begreifen und unentschlossen im Handeln, Autronius durch
nichts ausgezeichnet als durch seine gewaltige Kreischstimme; von Lucius
Cassius gar begriff es niemand, wie ein so dicker und so einfaeltiger
Mensch unter die Verschwoerer geraten sei. Die faehigeren Teilnehmer
aber, wie den jungen Senator Gaius Cethegus und die Ritter Lucius
Statilius und Publius Gabinius Capito, durfte Catilina nicht wagen,
an die Spitze zu stellen, da selbst unter den Verschworenen noch die
traditionelle Standeshierarchie ihren Platz behauptete und auch die
Anarchisten nicht meinten, obsiegen zu koennen, wenn nicht ein Konsular
oder mindestens ein Praetorier an der Spitze stand. Wie dringend darum
immer die Insurrektionsarmee nach ihrem Feldherrn verlangte und wie
misslich es fuer diesen war, nach dem Ausbruch des Aufstandes laenger
am Sitze der Regierung zu verweilen, entschloss Catilina sich dennoch,
vorlaeufig noch in Rom zu bleiben. Gewohnt, durch seinen kecken Uebermut
den feigen Gegnern zu imponieren, zeigte er sich oeffentlich auf dem
Markte wie im Rathaus und antwortete auf die Drohungen, die dort gegen
ihn fielen, dass man sich hueten moege, ihn aufs aeusserste zu treiben;
wem man das Haus anzuende, der werde genoetigt, den Brand unter
Truemmern zu loeschen. In der Tat wagten es weder Private noch
Behoerden, auf den gefaehrlichen Menschen die Hand zulegen; es war
ziemlich gleichgueltig, dass ein junger Adliger ihn wegen Vergewaltigung
vor Gericht zog, denn bevor der Prozess zu Ende kommen konnte, musste
laengst anderweitig entschieden sein. Aber auch Catilinas Entwuerfe
scheiterten, hauptsaechlich daran, dass die Agenten der Regierung sich
in den Kreis der Verschworenen gedraengt hatten und dieselbe stets von
allem Detail des Kornplatts genau unterrichtet hielten. Als zum Beispiel
die Verschworenen vor dem festen Praeneste erschienen (1. November), das
sie durch einen Handstreich zu ueberrumpeln gehofft hatten, fanden sie
die Bewohner gewarnt und geruestet; und in aehnlicher Weise schlug alles
fehl. Catilina fand bei all seiner Tollkuehnheit es doch geraten, jetzt
seine Abreise auf einen der naechsten Tage festzusetzen; vorher aber
wurde noch auf seine dringende Mahnung in einer letzten Zusammenkunft
der Verschworenen in der Nacht vom 6. auf den 7. November beschlossen,
den Konsul Cicero, der die Kontermine hauptsaechlich leitete, noch vor
der Abreise des Fuehrers zu ermorden und, um jedem Verrat zuvorzukommen,
diesen Beschluss augenblicklich ins Werk zu setzen. Frueh am Morgen des
7. November pochten denn auch die erkorenen Moerder an dem Hause des
Konsuls; aber sie sahen die Wachen verstaerkt und sich selber abgewiesen
- auch diesmal hatten die Spione der Regierung den Verschworenen den
Rang abgelaufen. Am Tage darauf (8. November) berief Cicero den Senat.
Noch jetzt wagte es Catilina zu erscheinen und gegen die zornigen
Angriffe des Konsuls, der ihm ins Gesicht die Vorgaenge der letzten Tage
enthuellte, eine Verteidigung zu versuchen, aber man hoerte nicht mehr
auf ihn und in der Naehe des Platzes, auf dem er sass, leerten sich die
Baenke. Er verliess die Sitzung und begab sich, wie er uebrigens
auch ohne diesen Zwischenfall ohne Zweifel getan haben wuerde, der
Verabredung gemaess nach Etrurien. Hier rief er sich selber zum Konsul
aus und nahm eine zuwartende Stellung, um auf die erste Meldung von dem
Ausbruch einer Insurrektion in der Hauptstadt die Truppen gegen dieselbe
in Bewegung zu setzen. Die Regierung erklaerte die beiden Fuehrer
Catilina und Manlius sowie diejenigen ihrer Genossen, die nicht bis zu
einem bestimmten Tag die Waffen niedergelegt haben wuerden, in die
Acht und rief neue Milizen ein; aber an die Spitze des gegen Catilina
Gestimmten Heeres ward der Konsul Gaius Antonius gestellt, der notorisch
in die Verschwoerung verwickelt war und bei dessen Charakter es durchaus
vom Zufall abhing, ob er seine Truppen gegen Catilina oder ihm zufuehren
werde. Man schien es geradezu darauf angelegt zu haben, aus
diesem Antonius einen zweiten Lepidus zu machen. Ebensowenig ward
eingeschritten gegen die in der Hauptstadt zurueckgebliebenen Leiter
der Verschwoerung, obwohl jedermann mit Fingern auf sie wies und die
Insurrektion in der Hauptstadt von den Verschworenen nichts weniger als
aufgegeben, vielmehr der Plan derselben noch von Catilina selbst vor
seinem Abgang von Rom festgelegt worden war. Ein Tribun sollte durch
Berufung einer Volksversammlung das Zeichen geben, die Nacht darauf
Cethegus den Konsul Cicero aus dem Wege raeumen, Gabinius und Statilius
die Stadt an zwoelf Stellen zugleich in Brand stecken und mit dem
inzwischen herangezogenen Heere Catilinas die Verbindung in moeglichster
Geschwindigkeit hergestellt werden. Haetten Cethegus' dringende
Vorstellungen gefruchtet und Lentulus, der nach Catilinas Abreise an
die Spitze der Verschworenen gestellt war, sich zu raschem Losschlagen
entschlossen, so konnte die Verschwoerung auch jetzt noch gelingen.
Allein die Konspiratoren waren gerade ebenso unfaehig und ebenso feig
wie ihre Gegner; Wochen verflossen und es kam zu keiner Entscheidung.
Endlich fuehrte die Kontermine sie herbei. In seiner weitlaeufigen
und gern die Saeumigkeit in dem Naechsten und Notwendigen durch die
Entwerfung fernliegender und weitsichtiger Plaene bedeckenden Art
hatte Lentulus sich mit den eben in Rom anwesenden Deputierten eines
Keltengaus, der Allobrogen, eingelassen und diese, die Vertreter eines
gruendlich zerruetteten Gemeinwesens und selber tief verschuldet,
versucht in die Verschwoerung zu verwickeln, auch ihnen bei ihrer
Abreise Boten und Briefe an die Vertrauten mitgegeben. Die Allobrogen
verliessen Rom, wurden aber in der Nacht vom 2. auf den 3. Dezember hart
an den Toren von den roemischen Behoerden angehalten und ihre Papiere
ihnen abgenommen. Es zeigte sich, dass die allobrogischen Abgeordneten
sich zu Spionen der roemischen Regierung hergegeben und die
Verhandlungen nur deshalb gefuehrt hatten, um dieser die gewuenschten
Beweisstuecke gegen die Hauptleiter der Verschwoerung in die Haende
zu spielen. Am Morgen darauf wurden von Cicero in moeglichster Stille
Verhaftsbefehle gegen die gefaehrlichsten Fuehrer des Komplotts erlassen
und gegen Lentulus, Cethegus, Gabinius und Statilius auch vollzogen,
waehrend einige andere durch die Flucht der Festnehmung entgingen.
Die Schuld der Ergriffenen wie der Fluechtigen war vollkommen evident.
Unmittelbar nach der Verhaftung wurden dem Senat die weggenommenen
Briefschaften vorgelegt, zu deren Siegel und Handschrift die Verhafteten
nicht umhin konnten, sich zu bekennen, und die Gefangenen und Zeugen
verhoert; weitere bestaetigende Tatsachen, Waffenniederlagen in den
Haeusern der Verschworenen, drohende Aeusserungen, die sie getan,
ergaben sich alsbald; der Tatbestand der Verschwoerung war vollstaendig
und rechtskraeftig festgestellt und die wichtigsten Aktenstuecke
sogleich auf Ciceros Veranstaltung durch fliegende Blaetter publiziert.
Die Erbitterung gegen die anarchistische Verschwoerung war allgemein.
Gern haette die oligarchische Partei die Enthuellungen benutzt, um mit
der Demokratie ueberhaupt und namentlich mit Caesar abzurechnen, allein
sie war viel zu gruendlich gesprengt, um dies durchsetzen und ihm das
Ende bereiten zu koennen, das sie vor Zeiten den beiden Gracchen und
dem Saturninus bereitet hatte; in dieser Hinsicht blieb es bei dem
guten Willen. Die hauptstaedtische Menge empoerten namentlich die
Brandstiftungsplaene der Verschworenen. Die Kaufmannschaft und die ganze
Partei der materiellen Interessen erkannte in diesem Krieg der Schuldner
gegen die. Glaeubiger natuerlich einen Kampf um ihre Existenz; in
stuermischer Aufregung draengte sich ihre Jugend, die Schwerter in den
Haenden, um das Rathaus und zueckte dieselben gegen die offenen und
heimlichen Parteigenossen Catilinas. In der Tat war fuer den Augenblick
die Verschwoerung paralysiert; wenn auch vielleicht ihre letzten Urheber
noch auf freien Fuessen waren, so war doch der ganze mit der Ausfuehrung
beauftragte Stab der Verschwoerung entweder gefangen oder auf der
Flucht; der bei Faesulae versammelte Haufen konnte ohne Unterstuetzung
durch eine Insurrektion in der Hauptstadt unmoeglich viel ausrichten. In
einem leidlich geordneten Gemeinwesen waere die Sache hiermit politisch
zu Ende gewesen und haetten das Militaer und die Gerichte das weitere
uebernommen. Allein in Rom war es so weit gekommen, dass die Regierung
nicht einmal ein paar angesehene Adlige in sicherem Gewahrsam zu halten
imstande war. Die Sklaven und Freigelassenen des Lentulus und der
uebrigen Verhafteten regten sich; Plaene, hiess es, seien geschmiedet,
um sie mit Gewalt aus den Privathaeusern, in denen sie gefangen sassen,
zu befreien; es fehlte, dank dem anarchischen Treiben der letzten Jahre,
in Rom nicht an Bandenfuehrern, die nach einer gewissen Taxe Auflaeufe
und Gewalttaten in Akkord nahmen; Catilina endlich war von dem Ereignis
benachrichtigt und nahe genug, um mit seinen Scharen einer. dreisten
Streich zu versuchen. Wieviel an diesen Reden Wahres war, laesst sich
nicht sagen; die Besorgnisse aber waren gegruendet, da der Verfassung
gemaess in der Hauptstadt der Regierung weder Truppen noch auch nur eine
achtunggebietende Polizeimacht zu Gebote stand und sie in der Tat jedem
Banditenhaufen preisgegeben war. Der Gedanke ward laut, eile etwaigen
Befreiungsversuche durch sofortige Hinrichtung der Gefangenen
abzuschneiden. Verfassungmaessig war dies nicht moeglich. Nach dem
altgeheiligten Provokationsrecht konnte ueber den Gemeindebuerger ein
Todesurteil nur von der gesamten Buergerschaft und sonst von keiner
andren Behoerde verhaengt werden; seit die Buergerschaftsgerichte selbst
zur Antiquitaet geworden waren, ward ueberhaupt nicht mehr auf den Tod
erkannt. Gern haette Cicero das bedenkliche Ansinnen zurueckgewiesen; so
gleichgueltig auch an sich die Rechtsfrage dem Advokaten sein mochte,
er wusste wohl, wie nuetzlich es ebendiesem ist, liberal zu heissen, und
verspuerte wenig Lust, durch dies vergossene Blut sich auf ewig von
der demokratischen Partei zu scheiden. Indes seine Umgebung, namentlich
seine vornehme Gemahlin draengten ihn, seine Verdienste um das Vaterland
durch diesen kuehnen Schritt zu kroenen; der Konsul, wie alle Feigen
aengstlich bemueht, den Schein der Feigheit zu vermeiden und doch auch
vor der furchtbaren Verantwortung zitternd, berief in seiner Not den
Senat und ueberliess es diesem, ueber Leben und Tod der vier Gefangenen
zu entscheiden. Freilich hatte dies keinen Sinn; denn da der Senat
verfassungmaessig noch viel weniger hierueber erkennen konnte als
der Konsul, so fiel rechtlich doch immer alle Verantwortung auf den
letzteren zurueck; aber wann ist je die Feigheit konsequent gewesen?
Caesar bot alles auf, um die Gefangenen zu retten, und seine Rede voll
versteckter Drohungen vor der kuenftigen unausbleiblichen Rache der
Demokratie machte den tiefsten Eindruck. Obwohl bereits saemtliche
Konsulare und die grosse Majoritaet des Senats sich fuer die Hinrichtung
ausgesprochen hatten, schienen doch nun wieder die meisten, Cicero
voran, sich zur Enthaltung der rechtlichen Schranken zu neigen. Allein
indem Cato nach Rabulistenart die Verfechter der milderen Meinung der
Mitwisserschaft an dem Komplott verdaechtigte und auf die Vorbereitungen
zur Befreiung der Gefangenen durch einen Strassenaufstand hinwies,
wusste er die schwankenden Seelen wieder in eine andere Furcht zu werfen
und fuer die sofortige Hinrichtung der Verbrecher die Majoritaet zu
gewinnen. Die Vollziehung des Beschlusses lag natuerlich dem Konsul
ob, der ihn hervorgerufen hatte. Spaet am Abend des fuenften Dezembers
wurden die Verhafteten aus ihren bisherigen Quartieren abgeholt und
ueber den immer noch dicht von Menschen vollgedraengten Marktplatz in
das Gefaengnis gebracht, worin die zum Tode verurteilten Verbrecher
aufbewahrt zu werden pflegten. Es war ein unterirdisches, zwoelf Fuss
tiefes Gewoelbe am Fuss des Kapitols, das ehemals als Brunnenhaus
gedient hatte. Der Konsul selbst fuehrte den Lentulus, Praetoren
die uebrigen, alle von starken Wachen begleitet; doch fand der
Befreiungsversuch, den man erwartete, nicht statt. Niemand wusste,
ob die Verhafteten in ein gesichertes Gewahrsam oder zur Richtstaette
gefuehrt wurden. An der Tuere des Kerkers wurden sie den Dreimaennern
uebergeben, die die Hinrichtungen leiteten, und in dem unterirdischen
Gewoelbe bei Fackelschein erdrosselt. Vor der Tuere hatte, bis die
Exekutionen vollzogen waren, der Konsul gewartet und rief darauf ueber
den Markt hin mit seiner lauten wohlbekannten Stimme der stumm harrenden
Menge die Worte zu: "Sie sind tot!" Bis tief in die Nacht hinein wogten
die Haufen durch die Strassen und begruessten jubelnd den Konsul,
dem sie meinten, die Sicherung ihrer Haeuser und ihrer Habe schuldig
geworden zu sein. Der Rat ordnete oeffentliche Dankfeste an und
die ersten Maenner der Nobilitaet, Marcus Cato und Quintus Catulus,
begruessten den Urheber des Todesurteils mit dem - hier zuerst
vernommenen - Namen eines Vaters des Vaterlandes. Aber es war eine
grauenvolle Tat und nur um so grauenvoller, weil sie einem ganzen Volke
als gross und preisenswert erschien. Elender hat sich wohl nie ein
Gemeinwesen bankrott erklaert, als Rom durch diesen, mit kaltem Blute
von der Majoritaet der Regierung gefassten, von der oeffentlichen
Meinung gebilligten Beschluss, einige politische Gefangene, die nach
den Gesetzen zwar strafbar waren, aber das Leben nicht verwirkt hatten,
eiligst umzubringen, weil man der Sicherheit der Gefaengnisse nicht
traute und es keine ausreichende Polizei gab! Es war der humoristische
Zug, der selten einer geschichtlichen Tragoedie fehlt, dass dieser Akt
der brutalsten Tyrannei von dem haltungslosesten und aengstlichsten
aller roemischen Staatsmaenner vollzogen werden musste und dass der
"erste demokratische Konsul" dazu ausersehen war, das Palladium der
alten roemischen Gemeindefreiheit, das Provokationsrecht, zu zerstoeren.
Nachdem in der Hauptstadt die Verschwoerung erstickt worden war noch
bevor sie zum Ausbruch kam, blieb es noch uebrig, der Insurrektion in
Etrurien ein Ende zu machen. Der Heerbestand von etwa 2000 Mann, den
Catilina vorfand, hatte sich durch die zahlreich herbeistroemenden
Rekruten nahezu verfuenffacht und bildete schon zwei ziemlich
vollzaehlige Legionen, worin freilich nur etwa der vierte Teil der
Mannschaft genuegend bewaffnet war. Catilina hatte sich mit ihnen in die
Berge geworfen und ein Schlacht mit den Truppen des Antonius vermieden,
um die Organisierung seiner Scharen zu vollenden und den Ausbruch des
Aufstandes in Rom abzuwarten. Aber die Nachricht von dem Scheitern
desselben sprengte auch die Armee der Insurgenten: die Masse der minder
Kompromittierten ging daraufhin wieder nach Hause. Der zurueckbleibende
Rest entschlossener oder vielmehr verzweifelter Leute machte einen
Versuch, sich durch die Apenninenpaesse nach Gallien durchzuschlagen;
aber als die kleine Schar an dem Fuss des Gebirges bei Pistoria
(Pistoja) anlangte, fand sie sich hier von zwei Heeren in die Mitte
genommen. Vor sich hatte sie das Korps des Quintus Metellus, das von
Ravenna und Ariminum herangezogen war, um den noerdlichen Abhang
des Apennin zu besetzen; hinter sich die Armee des Antonius, der
dem Draengen seiner Offiziere endlich nachgegeben und sich zu einem
Winterfeldzuge verstanden hatte. Catilina war nach beiden Seiten hin
eingekeilt und die Lebensmittel gingen zu Ende; es blieb nichts uebrig,
als sich auf den naeherstehenden Feind, das heisst auf Antonius zu
werfen. In einem engen von felsigen Bergen eingeschlossenen Tale kam es
zum Kampfe zwischen den Insurgenten und den Truppen des Antonius,
welche derselbe, um die Exekution gegen seine ehemaligen Verbuendeten
wenigstens nicht selbst vollstrecken zu muessen, fuer diesen Tag unter
einem Vorwand einem tapferen, unter den Waffen ergrauten Offizier, dem
Marcus Petreius, anvertraut hatte. Die Uebermacht der Regierungsarmee
kam bei der Beschaffenheit des Schlachtfeldes wenig in Betracht.
Catilina wie Petreius stellten ihre zuverlaessigsten Leute in die
vordersten Reihen; Quartier ward weder gegeben noch genommen. Lange
stand der Kampf und von beiden Seiten fielen viele tapfere Maenner;
Catilina, der vor dem Anfange der Schlacht sein Pferd und die der
saemtlichen Offiziere zurueckgeschickt hatte, bewies an diesem Tage,
dass ihn die Natur zu nicht gewoehnlichen Dingen bestimmt hatte und dass
er es verstand, zugleich als Feldherr zu kommandieren und als Soldat
zu fechten. Endlich sprengte Petreius mit seiner Garde das Zentrum des
Feindes und fasste, nachdem er dies geworfen hatte, die beiden Fluegel
von innen; der Sieg war damit entschieden. Die Leichen der Catilinarier
- man zaehlte ihrer 3000 - deckten gleichsam in Reihe und Glied den
Boden, wo sie gefochten hatten; die Offiziere und der Feldherr selbst
hatten, da alles verloren war, sich in die Feinde gestuerzt und dort
den Tod gesucht und gefunden (Anfang 692 62). Antonius ward wegen
dieses Sieges vom Senat mit dem Imperatorentitel gebrandmarkt und neue
Dankfeste bewiesen, dass Regierung und Regierte anfingen, sich an den
Buergerkrieg zu gewoehnen. Das anarchistische Komplott war also in der
Hauptstadt wie in Italien mit blutiger Gewalt niedergeschlagen worden;
man ward nur noch an dasselbe erinnert durch die Kriminalprozesse,
die in den etruskischen Landstaedten und in der Hauptstadt unter
den Affiliierten der geschlagenen Partei aufraeumten, und durch die
anschwellenden italischen Raeuberbanden, wie deren zum Beispiel eine aus
den Resten der Heere des Spartacus und des Catilina erwachsene im Jahre
694 (60) im Gebiet von Thurii durch Militaergewalt vernichtet ward. Aber
es ist wichtig, es im Auge zu behalten, dass der Schlag keineswegs bloss
die eigentlichen Anarchisten traf, die zur Anzuendung der Hauptstadt
sich verschworen und bei Pistoria gefochten hatten, sondern die ganze
demokratische Partei. Dass diese, insbesondere Crassus und Caesar, hier
so gut wie bei dem Komplott von 688 (66) die Hand im Spiele hatten,
darf als eine nicht juristisch, aber historisch ausgemachte Tatsache
angesehen werden. Zwar dass Catulus und die uebrigen Haeupter der
Senatspartei den Fuehrer der Demokraten der Mitwisserschaft um das
anarchistische Komplott ziehen und dass dieser als Senator gegen den von
der Oligarchie beabsichtigten brutalen Justizmord sprach und stimmte,
konnte nur von der Parteischikane als Beweis seiner Beteiligung an den
Plaenen Catilinas geltend gemacht werden. Aber mehr ins Gewicht faellt
eine Reihe anderer Tatsachen. Nach ausdruecklichen und unabweisbaren
Zeugnissen waren es vor allen Crassus und Caesar, die Catilinas
Bewerbung um das Konsulat unterstuetzten. Als Caesar 690 (64) die
Schergen Sullas vor das Mordgericht zog, liess er die uebrigen
verurteilen, den schuldigsten und schaedlichsten aber von ihnen allen,
den Catilina, freisprechen. Bei den Enthuellungen des dritten Dezember
nannte Cicero zwar unter den Namen der bei ihm angezeigten Verschworenen
die der beiden einflussreichen Maenner nicht; allein es ist notorisch,
dass die Denunzianten nicht bloss auf diejenigen aussagten, gegen die
nachher die Untersuchung gerichtet ward, sondern ausserdem noch auf
"viele Unschuldige", die der Konsul Cicero aus dem Verzeichnis zu
streichen fuer gut fand; und in spaeteren Jahren, als er keine Ursache
hatte, die Wahrheit zu entstellen, hat eben er ausdruecklich Caesar
unter den Mitwissern genannt. Eine indirekte, aber sehr verstaendliche
Bezichtigung liegt auch darin, dass von den vier am dritten Dezember
Verhafteten die beiden am wenigsten gefaehrlichen, Statilius und
Gabinius, den Senatoren Caesar und Crassus zur Bewachung uebergeben
wurden; offenbar sollten sie entweder, wenn sie sie entrinnen liessen,
vor der oeffentlichen Meinung als Mitschuldige oder, wenn sie in der
Tat sie festhielten, vor ihren Mitverschworenen als Abtruennige
kompromittiert werden. Bezeichnend fuer die Situation ist die folgende
im Senat vorgefallene Szene. Unmittelbar nach der Verhaftung des
Lentulus und seiner Genossen wurde ein von den Verschworenen in der
Hauptstadt an Catilina abgesandter Bote von den Agenten der Regierung
aufgegriffen und derselbe, nachdem ihm Straflosigkeit zugesichert
war, in voller Senatssitzung ein umfassendes Gestaendnis abzulegen
veranlasst. Wie er aber an die bedenklichen Teile seiner Konfession kam
und namentlich als seinen Auftraggeber den Crassus nannte, ward er von
den Senatoren unterbrochen und auf Ciceros Vorschlag beschlossen, die
ganze Angabe ohne weitere Untersuchung zu kassieren, ihren Urheber aber
ungeachtet der zugesicherten Amnestie so lange einzusperren, bis er
nicht bloss die Angabe zurueckgenommen, sondern auch bekannt haben
werde, wer ihn zu solchem falschen Zeugnis aufgestiftet habe! Hier liegt
es deutlich zu Tage, nicht bloss dass jener Mann die Verhaeltnisse recht
genau kannte, der auf die Aufforderung, einen Angriff auf Crassus zu
machen, zur Antwort gab, er habe keine Lust, den Stier der Herde zu
reizen, sondern auch dass die Senatsmajoritaet, Cicero an der Spitze,
unter sich einig geworden war, die Enthuellungen nicht ueber eine
bestimmte Grenze vorschreiten zu lassen. Das Publikum war so heikel
nicht; die jungen Leute, die zur Abwehr der Mordbrenner die Waffen
ergriffen hatten, waren gegen keinen so erbittert wie gegen Caesar; sie
richteten am fuenften Dezember, als er die Kurie verliess, die Schwerter
auf seine Brust und es fehlte nicht viel, dass er schon jetzt an
derselben Stelle sein Leben gelassen haette, wo siebzehn Jahre spaeter
ihn der Todesstreich traf; laengere Zeit hat er die Kurie nicht wieder
betreten. Wer ueberall den Verlauf der Verschwoerung unbefangen erwaegt,
wird des Argwohns sich nicht zu erwehren vermoegen, dass waehrend
dieser ganzen Zeit hinter Catilina maechtigere Maenner standen, welche,
gestuetzt auf den Mangel rechtlich vollstaendiger Beweise und auf die
Lauheit und Feigheit der nur halb eingeweihten und nach jedem Vorwande
zur Untaetigkeit begierig greifenden Senatsmehrheit, es verstanden,
jedes ernstliche Einschreiten der Behoerden gegen die Verschwoerung zu
hemmen, dem Chef der Insurgenten freien Abzug zu verschaffen und selbst
die Kriegserklaerung und Truppensendungen gegen die Insurrektion so zu
lenken, dass sie beinahe auf die Sendung einer Hilfsarmee hinauslief.
Wenn also der Gang der Ereignisse selbst dafuer zeugt, dass die Faeden
des Catilinarischen Komplotts weit hoeher hinaufreichen als bis zu
Lentulus und Catilina, so wird auch das Beachtung verdienen, dass in
viel spaeterer Zeit, als Caesar an die Spitze des Staates gelangt war,
er mit dem einzigen noch uebrigen Catilinarier, dem mauretanischen
Freischarenfuehrer Publius Sittius, im engsten Buendnis stand, und dass
er das Schuldrecht ganz in dem Sinne milderte, wie es die Proklamationen
des Manlius begehrten. All diese einzelnen Inzichten reden deutlich
genug; waere das aber auch nicht, die verzweifelte Lage der Demokratie
gegenueber der seit den Gabinisch- Manilischen Gesetzen drohender als je
ihr zur Seite sich erhebenden Militaergewalt macht es an sich schon fast
zur Gewissheit, dass sie, wie es in solchen Faellen zu gehen pflegt, in
den geheimen Komplotten und dem Buendnis mit der Anarchie eine letzte
Hilfe gesucht hat. Die Verhaeltnisse waren denen der cinnanischen Zeit
sehr aehnlich. Wenn im Osten Pompeius eine Stellung einnahm ungefaehr
wie damals Sulla, so suchten Crassus und Caesar ihm gegenueber in
Italien eine Gewalt aufzurichten, wie Marius und Cinna sie besessen
hatten, um sie dann womoeglich besser als diese zu benutzen. Der Weg
dahin ging wieder durch Terrorismus und Anarchie, und diesen zu bahnen
war Catilina allerdings der geeignete Mann. Natuerlich hielten die
reputierlicheren Fuehrer der Demokratie sich hierbei moeglichst im
Hintergrund und ueberliessen den unsauberen Genossen die Ausfuehrung
der unsauberen Arbeit, deren politisches Resultat sie spaeterhin sich
zuzueignen hofften. Noch mehr wandten, als das Unternehmen gescheitert
war, die hoehergestellten Teilnehmer alles an, um ihre Beteiligung daran
zu verhuellen. Und auch in spaeterer Zeit, als der ehemalige Konspirator
selbst die Zielscheibe der politischen Komplotte geworden war, zog
ebendarum ueber diese duesteren Jahre in dem Leben des grossen Mannes
der Schleier nur um so dichter sich zusammen und wurden in diesem
Sinne sogar eigene Apologien fuer ihn geschrieben ^6.
---------------------------------------------------- ^6 Eine solche ist
der 'Catilina' des Sallustius, der von dem Verfasser, einem
notorischen Caesarianer, nach dem Jahre 708 (46) entweder unter Caesars
Alleinherrschaft oder wahrscheinlicher unter dem Triumvirat seiner Erben
veroeffentlicht wurde; offenbar als politische Tendenzschrift, welche
sich bemueht, die demokratische Partei, auf welcher ja die roemische
Monarchie beruht, zu Ehren zu bringen und Caesars Andenken von dem
schwaerzesten Fleck, der darauf haftete, zu reinigen, nebenher auch den
Oheim des Trimvirn Marcus Antonius moeglichst weisszuwaschen (vgl. z.
B. c. 59 mit Dio 37, 39). Ganz aehnlich soll der 'Jugurtha' desselben
Verfassers teils die Erbaermlichkeit des oligarchischen Regiments
aufdecken, teils den Koryphaeen der Demokratie Gaius Marius
verherrlichen. Dass der gewandte Schriftsteller den apologetischen und
akkusatorischen Charakter dieser seiner Buecher zuruecktreten laesst,
beweist nicht, dass sie keine, sondern dass sie gute Parteischriften
sind. ------------------------------------------------------ Seit fuenf
Jahren stand Pompeius im Osten an der Spitze seiner Heere und Flotten;
seit fuenf Jahren konspirierte die Demokratie daheim, um ihn zu
stuerzen. Das Ergebnis war entmutigend. Mit unsaeglichen Anstrengungen
hatte man nicht bloss nichts erreicht, sondern moralisch wie materiell
ungeheure Einbusse gemacht. Schon die Koalition vom Jahre 683 (71)
musste den Demokraten vom reinen Wasser ein Aergernis sein, obwohl die
Demokratie damals nur mit zwei angesehenen Maennern der Gegenpartei sich
einliess und diese auf ihr Programm verpflichtete. Jetzt aber hatte die
demokratische Partei gemeinschaftliche Sache gemacht mit einer Bande von
Moerdern und Bankerottierern, die fast alle gleichfalls Ueberlaeufer aus
dem Lager der Aristokratie waren, und hatte deren Programm, das heisst
den Cinnanischen Terrorismus, wenigstens vorlaeufig akzeptiert. Die
Partei der materiellen Interessen, eines der Hauptelemente der Koalition
von 683 (71) wurde hierdurch der Demokratie entfremdet und zunaechst
den Optimaten, ueberhaupt aber jeder Macht, die Schutz vor der
Anarchie gewaehren wollte und konnte, in die Arme getrieben. Selbst
die hauptstaedtische Menge, die zwar gegen einen Strassenkrawall nichts
einzuwenden hatte, aber es doch unbequem fand, sich das Haus ueber dem
Kopfe anzuenden zu lassen, ward einigermassen scheu. Es ist merkwuerdig,
dass eben in diesem Jahr (691 63) die volle Wiederherstellung der
Sempronischen Getreidespenden stattfand, und zwar von Seiten des Senats
auf den Antrag Catos. Offenbar hatte der Bund der Demokratenfuehrer
mit der Anarchie zwischen jene und die Stadtbuergerschaft einen
Keil getrieben, und suchte die Oligarchie, nicht ohne wenigstens
augenblicklichen Erfolg, diesen Riss zu erweitern und die Massen auf
ihre Seite hinueberzuziehen. Endlich war Gnaeus Pompeius durch all
diese Kabalen teils gewarnt, teils erbittert worden; nach allem, was
vorgefallen war, und nachdem die Demokratie die Bande, die sie mit
Pompeius verknuepften, selber so gut wie zerrissen hatte, konnte sie
nicht mehr schicklicherweise von ihm begehren, was im Jahre 684
(70) eine gewisse Billigkeit fuer sich gehabt hatte, dass er die
demokratische Macht, die er und die ihn emporgebracht, nicht selber mit
dem Schwerte zerstoere. So war die Demokratie entehrt und geschwaecht;
vor allen Dingen aber war sie laecherlich geworden durch die
unbarmherzige Aufdeckung ihrer Ratlosigkeit und Schwaeche. Wo es sich
um die Demuetigung des gestuerzten Regiments und aehnliche Nichtigkeiten
handelte, war sie gross und gewaltig; aber jeder ihrer Versuche, einen
wirklich politischen Erfolg zu erreichen, war platt zur Erde gefallen.
Ihr Verhaeltnis zu Pompeius war so falsch wie klaeglich. Waehrend sie
ihn mit Lobspruechen und Huldigungen ueberschuettete, spann sie
gegen ihn eine Intrige nach der anderen, die eine nach der anderen,
Seifenblasen gleich, von selber zerplatzten. Der Feldherr des Ostens und
der Meere, weit entfernt, sich dagegen zur Wehr zu setzen, schien das
ganze geschaeftige Treiben nicht einmal zu bemerken und seine Siege
ueber sie zu erfechten wie Herakles den ueber die Pygmaeen, ohne selber
darum gewahr zu werden. Der Versuch, den Buergerkrieg zu entflammen, war
jaemmerlich gescheitert; hatte die anarchistische Fraktion wenigstens
einige Energie entwickelt, so hatte die reine Demokratie die Rotten wohl
zu dingen verstanden, aber weder sie zu fuehren, noch sie zu retten,
noch mit ihnen zu sterben. Selbst die alte todesmatte Oligarchie hatte,
gestaerkt durch die aus den Reihen der Demokratie zu ihr uebertretenden
Massen und vor allem durch die in dieser Angelegenheit unverkennbare
Gleichheit ihrer Interessen und derjenigen des Pompeius, es vermocht,
diesen Revolutionsversuch niederzuschlagen und damit noch einen
letzten Sieg ueber die Demokratie zu erfechten. Inzwischen war Koenig
Mithradates gestorben, Kleinasien und Syrien geordnet, Pompeius'
Heimkehr nach Italien jeden Augenblick zu erwarten. Die Entscheidung
war nicht fern; aber konnte in der Tat noch die Rede sein von einer
Entscheidung zwischen dem Feldherrn, der ruhmvoller und gewaltiger als
je zurueckkam, und der beispiellos gedemuetigten und voellig machtlosen
Demokratie? Crassus schickte sich an, seine Familie und sein Gold zu
Schiffe zu bringen und irgendwo im Osten eine Freistatt aufzusuchen; und
selbst eine so elastische und so energische Natur wie Caesar schien im
Begriff, das Spiel verloren zu geben. In dieses Jahr (691 63) faellt
seine Bewerbung um die Stelle des Oberpontifex; als er am Morgen
der Wahl seine Wohnung verliess, aeusserte er, wenn auch dieses
ihm fehlschlage, werde er, die Schwelle seines Hauses nicht wieder
ueberschreiten. 6. Kapitel Pompeius' Ruecktritt und die Koalition
der Praetendenten Als Pompeius nach Erledigung der ihm aufgetragenen
Verrichtungen seine Blicke wieder der Heimat zuwandte, fand er
zum zweiten Male das Diadem zu seinen Fuessen. Laengst neigte die
Entwicklung des roemischen Gemeinwesens einer solchen Katastrophe sich
zu; es war jedem Unbefangenen offenbar und war tausendmal gesagt worden,
dass, wenn der Herrschaft der Aristokratie ein Ende gemacht sein werde,
die Monarchie unausbleiblich sei. Jetzt war der Senat gestuerzt zugleich
durch die buergerliche, liberale Opposition und die soldatische Gewalt;
es konnte sich nur noch darum handeln, fuer die neue Ordnung der Dinge
die Personen, die Namen und Formen festzustellen, die uebrigens in den
teils demokratischen, teils militaerischen Elementen der Umwaelzung
bereits klar genug angedeutet waren. Die Ereignisse der letzten fuenf
Jahre hatten auf diese bevorstehende Umwandlung des Gemeinwesens
gleichsam das letzte Siegel gedrueckt. In den neu eingerichteten
asiatischen Provinzen, die in ihrem Ordner den Nachfolger des
grossen Alexander koeniglich verehrten und schon seine beguenstigten
Freigelassenen wie Prinzen empfingen, hatte Pompeius den Grund seiner
Herrschaft gelegt und zugleich die Schaetze, das Heer und den Nimbus
gefunden, deren der kuenftige Fuerst des roemischen Staats bedurfte. Die
anarchistische Verschwoerung aber in der Hauptstadt mit dem daran sich
knuepfenden Buergerkrieg hatte es jedem, der politische oder auch nur
materielle Interessen hegte, mit empfindlicher Schaerfe dargelegt, dass
eine Regierung ohne Autoritaet und ohne militaerische Macht, wie die des
Senats war, den Staat der ebenso laecherlichen wie furchtbaren
Tyrannei der politischen Industrieritter aussetzte und dass eine
Verfassungsaenderung, welche die Militaergewalt enger mit dem
Regiment verknuepfte, eine unabweisliche Notwendigkeit war, wenn die
gesellschaftliche Ordnung ferner Bestand haben sollte. So war im Osten
der Herrscher aufgestanden, in Italien der Thron errichtet; allem
Anschein nach war das Jahr 692 (62) das letzte der Republik, das erste
der Monarchie. Zwar ohne Kampf war an dieses Ziel nicht zu gelangen. Die
Verfassung, die ein halbes Jahrtausend gedauert hatte und unter der die
unbedeutende Stadt am Tiber zu beispielloser Groesse und Herrlichkeit
gediehen war, hatte ihre Wurzeln man wusste nicht wie tief in den Boden
gesenkt, und es liess sich durchaus nicht berechnen, bis in welche
Schichten hinab der Versuch, sie umzustuerzen, die buergerliche
Gesellschaft aufwuehlen werde. Mehrere Nebenbuhler waren in dem Wettlauf
nach dem grossen Ziel von Pompeius ueberholt, aber nicht voellig
beseitigt worden. Es lag durchaus nicht ausser der Berechnung, dass alle
diese Elemente sich verbanden, um den neuen Machthaber zu stuerzen und
Pompeius sich gegenueber Quintus Catulus und Marcus Cato mit Marcus
Crassus, Gaius Caesar und Titus Labienus vereinigt fand. Aber nicht
leicht konnte der unvermeidliche und unzweifelhaft ernste Kampf unter
guenstigeren Verhaeltnissen aufgenommen werden. Es war in hohem Grade
wahrscheinlich, dass unter dem frischen Eindrucke des Catilinarischen
Aufstandes einem Regimente, das Ordnung und Sicherheit, wenngleich um
den Preis der Freiheit, verhiess, die gesamte Mittelpartei sich fuegen
werde, vor allem die einzig um ihre materiellen Interessen bekuemmerte
Kaufmannschaft, aber nicht minder ein grosser Teil der Aristokratie,
die, in sich zerruettet und politisch hoffnungslos, zufrieden sein
musste, durch zeitige Transaktion mit dem Fuersten sich Reichtum, Rang
und Einfluss zu sichern; vielleicht sogar mochte ein Teil der von den
letzten Schlaegen schwer getroffenen Demokratie sich bescheiden, von
einem durch sie auf den Schild gehobenen Militaerchef die Realisierung
eines Teils ihrer Forderungen zu erhoffen. Aber wie auch immer die
Parteiverhaeltnisse sich stellten, was kam, zunaechst wenigstens, auf
die Parteien in Italien ueberhaupt noch an, Pompeius gegenueber und
seinem siegreichen Heer? Zwanzig Jahre zuvor hatte Sulla, nachdem er
mit Mithradates einen Notfrieden abgeschlossen hatte, gegen die gesamte,
seit Jahren massenhaft ruestende liberale Partei, von den gemaessigten
Aristokraten und der liberalen Kaufmannschaft an bis hinab zu den
Anarchisten, mit seinen fuenf Legionen eine der natuerlichen Entwicklung
der Dinge zuwiderlaufende Restauration durchzusetzen vermocht. Pompeius'
Aufgabe war weit minder schwer. Er kam zurueck, nachdem er zur See und
zu Lande seine verschiedenen Aufgaben vollstaendig und gewissenhaft
geloest hatte. Er durfte erwarten, auf keine andere ernstliche
Opposition zu treffen als auf die der verschiedenen extremen Parteien,
von denen jede einzeln gar nichts vermochte und die, selbst verbuendet,
immer nicht mehr waren als eine Koalition eben noch hitzig sich
befehdender und innerlich gruendlich entzweiter Faktionen. Vollkommen
ungeruestet waren sie ohne Heer und Haupt, ohne Organisation in Italien,
ohne Rueckhalt in den Provinzen, vor allen Dingen ohne einen Feldherrn;
es war in ihren Reihen kaum ein namhafter Militaer, geschweige denn
ein Offizier, der es haette wagen duerfen, die Buerger zum Kampfe gegen
Pompeius aufzurufen. Auch das durfte in Anschlag kommen, dass der
jetzt seit siebzig Jahren rastlos flammende und an seiner eigenen Glut
zehrende Vulkan der Revolution sichtlich ausbrannte und anfing, in sich
selber zu erloeschen. Es war sehr zweifelhaft, ob es jetzt gelingen
werde, die Italiker so fuer Parteiinteressen zu bewaffnen, wie noch
Cinna und Carbo dies vermocht hatten. Wenn Pompeius zugriff, wie
konnte es ihm fehlen, eine Staatsumwaelzung durchzusetzen, die in der
organischen Entwicklung des roemischen Gemeinwesens mit einer gewissen
Naturnotwendigkeit vorgezeichnet war? Pompeius hatte den Moment erfasst,
indem er die Mission nach dem Orient uebernahm; er schien fortfahren zu
wollen. Im Herbste des Jahres 691 (63) traf Quintus Metellus Nepos aus
dem Lager des Pompeius in der Hauptstadt ein und trat auf als Bewerber
um das Tribunat, in der ausgesprochenen Absicht, als Volkstribun
Pompeius das Konsulat fuer das Jahr 693 (61) und zunaechst durch
speziellen Volksbeschluss die Fuehrung des Krieges gegen Catilina
zu verschaffen. Die Aufregung in Rom war gewaltig. Es war nicht zu
bezweifeln, dass Nepos im direkten oder indirekten Auftrag des
Pompeius handelte; Pompeius' Begehren, in Italien an der Spitze seiner
asiatischen Legionen als Feldherr aufzutreten und daselbst die
hoechste militaerische und die hoechste buergerliche Gewalt zugleich
zu verwalten, ward aufgefasst als ein weiterer Schritt auf dem Wege
zum Throne, Nepos' Sendung als die halboffizielle Ankuendigung der
Monarchie. Es kam alles darauf an, wie die beiden grossen politischen
Parteien zu diesen Eroeffnungen sich verhielten; ihre kuenftige Stellung
und die Zukunft der Nation hingen davon ab. Die Aufnahme aber, die Nepos
fand, war selbst wieder bestimmt durch das damalige Verhaeltnis der
Parteien zu Pompeius, das sehr eigentuemlicher Art war. Als Feldherr der
Demokratie war Pompeius nach dem Osten gegangen. Er hatte Ursache genug,
mit Caesar und seinem Anhang unzufrieden zu sein, aber ein offener
Bruch war nicht erfolgt. Es ist wahrscheinlich, dass Pompeius, der weit
entfernt und mit andern Dingen beschaeftigt war, ueberdies der Gabe,
sich politisch zu orientieren, durchaus entbehrte, den Umfang und den
Zusammenhang der gegen ihn gesponnenen demokratischen Umtriebe
damals wenigstens keineswegs durchschaute, vielleicht sogar in seiner
hochmuetigen und kurzsichtigen Weise einen gewissen Stolz darein
setzte, diese Maulwurfstaetigkeit zu ignorieren. Dazu kam, was bei einem
Charakter von Pompeius' Art sehr ins Gewicht fiel, dass die Demokratie
den aeusseren Respekt gegen den grossen Mann nie aus den Augen gesetzt,
ja eben jetzt (691 63), unaufgefordert wie er es liebte, ihm durch
einen besonderen Volksschluss unerhoerte Ehren und Dekorationen gewaehrt
hatte. Indes waere auch alles dies nicht gewesen, so lag es in Pompeius'
eigenem wohlverstandenen Interesse, sich wenigstens aeusserlich
fortwaehrend zur Popularpartei zu halten; Demokratie und Monarchie
stehen in so enger Wahlverwandtschaft, dass Pompeius, indem er nach der
Krone griff, kaum anders konnte, als sich wie bisher den Vorfechter
der Volksrechte nennen. Wie also persoenliche und politische Gruende,
zusammenwirkten, um trotz allem Vorgefallenen Pompeius und die Fuehrer
der Demokratie bei ihrer bisherigen Verbindung festzuhalten, so geschah
auf der entgegengesetzten Seite nichts, um die Kluft auszufuellen,
die ihn seit seinem Uebertritt in das Lager der Demokratie von seinen
sullanischen Parteigenossen trennte. Sein persoenliches Zerwuerfnis
mit Metellus und Lucullus uebertrug sich auf deren ausgedehnte und
einflussreiche Koterien. Eine kleinliche, aber fuer einen so kleinlich
zugeschnittenen Charakter eben ihrer Kleinlichkeit wegen um so
tiefer erbitternde Opposition des Senats hatte ihn auf seiner ganzen
Feldherrnlaufbahn begleitet. Er empfand es schmerzlich, dass der
Senat nicht das geringste getan, um den ausserordentlichen Mann nach
Verdienst, das heisst ausserordentlich zu ehren. Endlich ist es nicht
aus der Acht zu lassen, dass die Aristokratie eben damals von ihrem
frischen Siege berauscht, die Demokratie tief gedemuetigt war, und dass
die Aristokratie von dem bocksteifen und halb naerrischen Cato, die
Demokratie von dem schmiegsamen Meister der Intrige Caesar geleitet
ward. In diese Verhaeltnisse traf das Auftreten des von Pompeius
gesandten Emissaers. Die Aristokratie betrachtete nicht bloss die
Antraege, die derselbe zu Pompeius' Gunsten ankuendigte, als eine
Kriegserklaerung gegen die bestehende Verfassung, sondern behandelte sie
auch oeffentlich als solche und gab sich nicht die mindeste Muehe,
ihre Besorgnis und ihren Ingrimm zu verhehlen: in der ausgesprochenen
Absicht, diese Antraege zu bekaempfen, liess sich Marcus Cato mit
Nepos zugleich zum Volkstribun waehlen und wies Pompeius' wiederholten
Versuch, sich ihm persoenlich zu naehern, schroff zurueck. Es ist
begreiflich, dass Nepos hiernach sich nicht veranlasst fand,
die Aristokratie zu schonen, dagegen den Demokraten sich um so
bereitwilliger anschloss, als diese, geschmeidig wie immer, in das
Unvermeidliche sich fuegten und das Feldherrnamt in Italien wie das
Konsulat lieber freiwillig zugestanden als es mit den Waffen sich
abzwingen liessen. Das herzliche Einverstaendnis offenbarte sich bald.
Nepos bekannte sich (Dezember 691 63) oeffentlich zu der demokratischen
Auffassung der von der Senatsmajoritaet kuerzlich verfuegten Exekutionen
als verfassungswidriger Justizmorde; und dass auch sein Herr und Meister
sie nicht anders ansah, bewies sein bedeutsames Stillschweigen auf die
voluminoese Rechtfertigungsschrift, die ihm Cicero uebersandt
hatte. Andererseits war es der erste Akt, womit Caesar seine Praetur
eroeffnete, dass er den Quintus Catulus wegen der bei dem Wiederaufbau
des Kapitolinischen Tempels angeblich von ihm unterschlagenen Gelder zur
Rechenschaft zog und die Vollendung des Tempels an Pompeius uebertrug.
Es war das ein Meisterzug. Catulus baute an dem Tempel jetzt bereits
im sechzehnten Jahr und schien gute Lust zu haben, als Oberaufseher
der kapitolinischen Bauten wie zu leben so zu sterben; ein Angriff auf
diesen, nur durch das Ansehen des vornehmen Beauftragten zugedeckten
Missbrauch eines oeffentlichen Auftrags war der Sache nach vollkommen
begruendet und in hohem Masse populaer. Indem aber zugleich dadurch
Pompeius die Aussicht eroeffnet ward, an dieser stolzesten Stelle
der ersten Stadt des Erdkreises den Namen des Catulus tilgen und den
seinigen eingraben zu duerfen, ward ihm ebendas geboten, was ihn vor
allem reizte und der Demokratie nicht schadete, ueberschwengliche, aber
leere Ehre, und ward zugleich die Aristokratie, die doch ihren besten
Mann unmoeglich fallen lassen konnte, auf die aergerlichste Weise mit
Pompeius verwickelt. Inzwischen hatte Nepos seine Pompeius betreffenden
Antraege bei der Buergerschaft eingebracht. Am Tage der Abstimmung
interzedierten Cato und sein Freund und Kollege Quintus Minucius. Als
Nepos sich daran nicht kehrte und mit der Verlesung fortfuhr, kam es zu
einem foermlichen Handgemenge: Cato und Minucius warfen sich ueber ihren
Kollegen und zwangen ihn innezuhalten; eine bewaffnete Schar befreite
ihn zwar und vertrieb die aristokratische Fraktion vom Markte; aber
Cato und Minucius kamen wieder, nun gleichfalls von bewaffneten Haufen
begleitet, und behaupteten schliesslich das Schlachtfeld fuer die
Regierung. Durch diesen Sieg ihrer Bande ueber die des Gegners ermutigt,
suspendierte der Senat den Tribun Nepos sowie den Praetor Caesar, der
denselben bei der Einbringung des Gesetzes nach Kraeften unterstuetzt
hatte, von ihren Aemtern; die Absetzung, die im Senat beantragt
ward, wurde, mehr wohl wegen ihrer Verfassungs- als wegen ihrer
Zweckwidrigkeit, von Cato verhindert. Caesar kehrte sich an den
Beschluss nicht und fuhr in seinen Amtshandlungen fort, bis der Senat
Gewalt gegen ihn brauchte. Sowie dies bekannt ward, erschien die Menge
vor seinem Hause und stellte sich ihm zur Verfuegung; es haette nur von
ihm abgehangen, den Strassenkampf zu beginnen oder wenigstens die von
Metellus gestellten Antraege jetzt wiederaufzunehmen und Pompeius das
von ihm gewuenschte Militaerkommando in Italien zu verschaffen; allein
dies lag nicht in seinem Interesse, und so bewog er die Haufen, sich
wieder zu zerstreuen, worauf der Senat die gegen ihn verhaengte Strafe
zuruecknahm. Nepos selbst hatte sogleich nach seiner Suspension die
Stadt verlassen und sich nach Asien eingeschifft, um Pompeius von dem
Erfolg seiner Sendung Bericht zu erstatten. Pompeius hatte alle Ursache,
mit der Wendung der Dinge zufrieden zu sein. Der Weg zum Thron ging
nun einmal notwendig durch den Buergerkrieg; und diesen mit gutem Fug
beginnen zu koennen dankte er Catos unverbesserlicher Verkehrtheit.
Nach der rechtswidrigen Verurteilung der Anhaenger Catilinas, nach
den unerhoerten Gewaltsamkeiten gegen den Volkstribun Metellus konnte
Pompeius ihn fuehren zugleich als Verfechter der beiden Palladien
der roemischen Gemeindefreiheit, des Berufungsrechts und der
Unverletzlichkeit des Volkstribunats, gegen die Aristokratie und als
Vorkaempfer der Ordnungspartei gegen die Catilinarische Bande. Es schien
fast unmoeglich, dass Pompeius dies unterlassen und mit sehenden Augen
sich zum zweitenmal in die peinliche Situation begeben werde, in die die
Entlassung seiner Armee im Jahre 684 (70) ihn versetzt und aus der erst
das Gabinische Gesetz ihn erloest hatte. Indes, wie nahe es ihm auch
gelegt war, die weisse Binde um seine Stirn zu legen, wie sehr seine
eigene Seele danach geluestete: als es galt, den Griff zu tun, versagten
ihm abermals Herz und Hand. Dieser in allem, nur in seinen Anspruechen
nicht, ganz gewoehnliche Mensch haette wohl gern ausserhalb des
Gesetzes sich gestellt, wenn dies nur haette geschehen koennen, ohne den
gesetzlichen Boden zu verlassen. Schon sein Zaudern in Asien liess dies
ahnen. Er haette, wenn er gewollt, sehr wohl im Januar 692 (62) mit
Flotte und Heer im Hafen von Brundisium eintreffen und Nepos hier
empfangen koennen. Dass er den ganzen Winter 691/92 (63/62) in Asien
saeumte, hatte zunaechst die nachteilige Folge, dass die Aristokratie,
die natuerlich den Feldzug gegen Catilina nach Kraeften beschleunigte,
inzwischen mit dessen Banden fertiggeworden war und damit der
schicklichste Vorwand, die asiatischen Legionen in Italien
zusammenzuhalten, hinwegfiel. Fuer einen Mann von Pompeius' Art, der
in Ermangelung des Glaubens an sich und an seinen Stern sich im
oeffentlichen Leben aengstlich an das formale Recht anklammerte, und
bei dem der Vorwand ungefaehr ebensoviel wog wie der Grund, fiel dieser
Umstand schwer ins Gewicht. Er mochte sich ferner sagen, dass, selbst
wenn er sein Heer entlasse, er dasselbe nicht voellig aus der Hand
gebe und im Notfall doch noch eher als jedes andere Parteihaupt eine
schlagfertige Armee aufzubringen vermoege; dass die Demokratie
in unterwuerfiger Haltung seines Winkes gewaertig und mit dem
widerspenstigen Senat auch ohne Soldaten fertig zu werden sei und was
weiter sich von solchen Erwaegungen darbot, in denen gerade genug Wahres
war, um sie dem, der sich selber betruegen wollte, plausibel erscheinen
zu lassen. Den Anschlag gab natuerlich wiederum Pompeius' eigenstes
Naturell. Er gehoerte zu den Menschen, die wohl eines Verbrechens faehig
sind, aber keiner Insurbordination; im guten wie im schlimmen Sinne
war er durch und durch Soldat. Bedeutende Individualitaeten achten das
Gesetz als die sittliche Notwendigkeit, gemeine als die hergebrachte
alltaegliche Regel; ebendarum fesselt die militaerische Ordnung, in der
mehr als irgendwo sonst das Gesetz als Gewohnheit auftritt, jeden
nicht ganz in sich festen Menschen wie mit einem Zauberbann. Es ist oft
beobachtet worden, dass der Soldat, auch wenn er den Entschluss gefasst
hat, seinen Vorgesetzten den Gehorsam zu versagen, dennoch, wenn dieser
Gehorsam gefordert wird, unwillkuerlich wieder in Reihe und Glied tritt;
es war dies Gefuehl, das Lafayette und Dumouriez im letzten Augenblick
vor dem Treuebruch schwanken und scheitern machte, und eben demselben
ist auch Pompeius unterlegen. Im Herbst 692 (62) schiffte Pompeius nach
Italien sich ein. Waehrend in der Hauptstadt alles sich bereitete, den
neuen Monarchen zu empfangen, kam der Bericht, dass Pompeius, kaum in
Brundisium gelandet, seine Legionen aufgeloest und mit geringem Gefolge
die Reise nach der Hauptstadt angetreten habe. Wenn es ein Glueck ist,
eine Krone muehelos zu gewinnen, so hat das Glueck nie mehr fuer einen
Sterblichen getan, als es fuer Pompeius tat; aber an den Mutlosen
verschwenden die Goetter alle Gunst und alle Gabe umsonst. Die Parteien
atmeten auf. Zum zweiten Male hatte Pompeius abgedankt; die schon
ueberwundenen Mitbewerber konnten abermals den Wettlauf beginnen, wobei
wohl das wunderlichste war, dass in diesem Pompeius wieder mitlief. Im
Januar 693 (61) kam er nach Rom. Seine Stellung war schief und schwankte
so unklar zwischen den Parteien, dass man ihm den Spottnamen Gnaeus
Cicero verlieh. Er hatte es eben mit allen verdorben. Die Anarchisten
sahen in ihm einen Widersacher, die Demokraten einen unbequemen
Freund, Marcus Crassus einen Nebenbuhler, die vermoegende Klasse einen
unzuverlaessigen Beschuetzer, die Aristokratie einen erklaerten Feind
^1. Er war wohl immer noch der maechtigste Mann im Staat; sein durch
ganz Italien zerstreuter militaerischer Anhang, sein Einfluss in den
Provinzen, namentlich den oestlichen, sein militaerischer Ruf, sein
ungeheurer Reichtum gaben ihm ein Gewicht wie es kein anderer hatte;
aber statt des begeisterten Empfanges, auf den er gezaehlt hatte, war
die Aufnahme, die er fand, mehr als kuehl, und noch kuehler behandelte
man die Forderungen, die er stellte. Er begehrte fuer sich, wie er schon
durch Nepos hatte ankuendigen lassen, das zweite Konsulat, ausserdem
natuerlich die Bestaetigung der vor. ihm im Osten getroffenen
Anordnungen und die Erfuellung des seinen Soldaten gegebenen
Versprechens, sie mit Laendereien auszustatten. Hiergegen erhob sich im
Senat eine systematische Opposition, zu der die persoenliche Erbitterung
des Lucullus und des Metellus Creticus, der alte Groll des Crassus und
Catos gewissenhafte Torheit die hauptsaechlichsten Elemente hergaben.
Das gewuenschte zweite Konsulat ward sofort und unverbluemt verweigert.
Gleich die erste Bitte, die der heimkehrende Feldherr an den Senat
richtete, die Wahl der Konsuln fuer 693 (61) bis nach seinem Eintreffen
in der Hauptstadt aufzuschieben, war ihm abgeschlagen worden; viel
weniger war daran zu denken, die erforderliche Dispensation von dem
Gesetze Sullas ueber die Wiederwahl vom Senat zu erlangen. Fuer die
in den oestlichen Provinzen von ihm getroffenen Anordnungen begehrte
Pompeius die Bestaetigung natuerlich im ganzen; Lucullus setzte es
durch, dass ueber jede Verfuegung besonders verhandelt und abgestimmt
ward, womit fuer endlose Trakasserien und eine Menge Niederlagen im
einzelnen das Feld eroeffnet war. Das Versprechen einer Landschenkung
an die Soldaten der asiatischen Armee ward vom Senat wohl im allgemeinen
ratifiziert, jedoch zugleich ausgedehnt auf die kretischen Legionen
des Metellus und, was schlimmer war, es wurde nicht ausgefuehrt, da die
Gemeindekasse leer und der Senat nicht gemeint war, die Domaenen fuer
diesen Zweck anzugreifen. Pompeius, daran verzweifelnd, der zaehen und
tueckischen Opposition des Rates Herr zu werden, wandte sich an die
Buergerschaft. Allein auf diesem Gebiet verstand er noch weniger sich
zu bewegen. Die demokratischen Fuehrer, obwohl sie ihm nicht offen
entgegentraten, hatten doch auch durchaus keine Ursache, seine
Interessen zu den ihrigen zu machen und hielten sich beiseite. Pompeius'
eigene Werkzeuge, wie zum Beispiel die durch seinen Einfloss und zum
Teil durch sein Geld gewaehlten Konsuln Marcus Pupius Piso 693 (61) und
Lucius Afranius 694 (60), erwiesen sich als ungeschickt und unbrauchbar.
Als endlich durch den Volkstribun Lucius Flavius in Form eines
allgemeinen Ackergesetzes die Landanweisung fuer Pompeius' alte Soldaten
an die Buergerschaft gebracht :ward, blieb der von den Demokraten nicht
unterstuetzte, von den Aristokraten offen bekaempfte Antrag in der
Minoritaet (Anfang 694 60). Fast demuetig buhlte der hochgestellte
Feldherr jetzt um die Gunst der Massen, wie denn auf seinem Antrieb
durch ein von dem Praetor Metellus Nepos eingebrachtes Gesetz die
italischen Zoelle abgeschafft wanden (694 60). Aber er spielte den
Demagogen ohne Geschick und ohne Glueck; sein Ansehen litt darunter,
und was er wollte, erreichte er nicht. Er hatte sich vollstaendig
festgezogen. Einer seiner Gegner fusst seine damalige politische
Stellung dahin zusammen, dass er bemueht sei, "seinen gestickten
Triumphalmantel schweigend zu konservieren". Es blieb ihm in der
Tat nichts uebrig, als sich zu aergern.
----------------------------------------------- ^1 Der Eindruck
der ersten Ansprache, die Pompeius nach seiner Rueckkehr an die
Buergerschaft richtete, wird von Cicero (Art. 1, 14) so geschildert:
prima contio Pornpei non iucunda miseris, inanis improbis, beatis non
grata, bonis non gravis; -----------------------------------------------
Da bot sich eine neue Kombination dar. Der Fuehrer der demokratischem
Partei hatte die politische Windstille, die zunaechst auf den Ruecktritt
des bisherigen Machthabers gefolgt war, in seinem Interesse taetig
benutzt. Als Pompeius aus Asien zurueckkam, war Caesar wenig mehr
gewesen als was auch Catilina war: der Chef einer fast zu einem
Verschwoererklub eingeschwundenen politischen Partei und ein bankrotter
Mann. Seitdem aber hatte er nach verwalteter Praetur (692 62) die
Statthalterschaft des Jenseitigen Spanien uebernommen und dadurch Mittel
gefunden, teils seiner Schulden sich zu entledigen; teils zu
seinem militaerischen Ruf den Grund zu legen. Sein alter Freund und
Bundesgenosse Crassus hatte durch die Hoffnung, den. Rueckhalt gegen
Pompeius, den er an Piso verloren, jetzt an Caesar wiederzufinden, sich
bestimmen lassen, ihn noch vor seinem Abgang in die Provinz von dem
drueckendsten Teil seiner Schuldenlast zu befreien. Er selbst hatte
den kurzen Aufenthalt daselbst energisch benutzt. Im Jahre 694 (60) mit
gefuellten Kassen und als Imperator mit wohlgegruendeten Anspruechen auf
den Triumph aus Spanien zurueckgekehrt, trat er fuer das folgende Jahr
als Bewerber um das Konsulat auf, um dessentwillen er, da der Senat ihm
die Erlaubnis, abwesend sich zu der Konsulwahl zu melden, abschlug,
die Ehre des Triumphes unbedenklich darangab. Seit Jahren hatte
die Demokratie danach gerungen, einen der Ihrigen in den Besitz des
hoechsten Amtes zu bringen, um auf dieser Bruecke zu einer eigenen
militaerischen Macht zu gelangen. Laengst war es ja den Einsichtigen
aller Farben klar geworden, dass der Parteienstreit nicht durch
buergerlichen Kampf, sondern nur noch durch Militaermacht entschieden
werden koenne; der Verlauf aber der Koalition zwischen der Demokratie
und den maechtigen Militaerchefs, durch die der Senatsherrschaft ein
Ende gemacht worden war, zeigte mit unerbittlicher Schaerfe, dass jede
solche Allianz schliesslich auf eine Unterordnung der buergerlichen
unter die militaerischen Elemente hinauslief und dass die Volkspartei,
wenn sie wirklich herrschen wollte, nicht mit ihr eigentlich fremden,
ja feindlichen Generalen sich verbuenden, sondern ihre Fuehrer selbst
zu Generalen machen muesse. Die dahin zielenden Versuche, Catilinas Wahl
zum Konsul durchzusetzen, in Spanien oder Aegypten einen militaerischen
Rueckhalt zu gewinnen, waren gescheitert; jetzt bot sich ihr
die Moeglichkeit, ihrem bedeutendsten Manne das Konsulat und die
Konsularprovinz auf dem gewoehnlichen, verfassungsmaessigen Wege
zu verschaffen und durch Begruendung, wenn man so sagen darf, einer
demokratischen Hausmacht sich von dem zweifelhaften und gefaehrlichen
Bundesgenossen Pompeius unabhaengig zu machen. Aber je mehr der
Demokratie daran gelegen sein musste, sich diese Bahn zu eroeffnen,
die ihr nicht so sehr die guenstigste als die einzige Aussicht auf
ernstliche Erfolge darbot, desto gewisser konnte sie dabei auf den
entschlossenen Widerstand ihrer politischen Gegner zaehlen. Es kam
darauf an, wen sie hierbei sich gegenueber fand. Die Aristokratie
vereinzelt war nicht furchtbar; aber es hatte doch soeben in der
Catilinarischen Angelegenheit sich herausgestellt, dass sie da
allerdings noch etwas vermochte, wo sie von den Maennern der materiellen
Interessen und von den Anhaengern des Pompeius mehr oder minder offen
unterstuetzt ward. Sie hatte Catilinas Bewerbung um das Konsulat
mehrmals vereitelt, und dass sie das gleiche gegen Caesar versuchen
werde, war gewiss genug. Aber wenn auch vielleicht Caesar ihr zum
Trotze gewaehlt ward, so reichte die Wahl allein nicht aus. Er bedurfte
mindestens einige Jahre ungestoerter Wirksamkeit ausserhalb Italiens, um
eine feste militaerische Stellung zu gewinnen, und sicherlich liess die
Nobilitaet kein Mittel unversucht, um waehrend dieser Vorbereitungszeit
seine Plaene zu durchkreuzen. Der Gedanke lag nahe, ob es nicht gelingen
koenne, die Aristokratie wieder, wie im Jahre 683/84 (71 /70) zu
isolieren und zwischen den Demokraten nebst ihrem Bundesgenossen
Crassus einer- und Pompeius und der hohen Finanz andererseits ein auf
gemeinschaftlichen Vorteil fest begruendetes Buendnis aufzurichten. Fuer
Pompeius war ein solches allerdings ein politischer Selbstmord. Sein
bisheriges Gewicht im Staate beruhte darauf, dass er das einzige
Parteihaupt war, das zugleich ueber Legionen, wenn auch jetzt
aufgeloeste, doch immer noch in einem gewissen Masse verfuegte. Der Plan
der Demokratie war ebendarauf gerichtet, ihn dieses Uebergewichtes zu
berauben und ihm in ihrem eigenen Haupt einen militaerischen Nebenbuhler
zur Seite zu stellen. Nimmermehr durfte er hierauf eingehen, am
allerwenigsten aber einem Manne wie Caesar, der schon als blosser
politischer Agitator ihm genug zu schaffen gemacht und soeben in Spanien
die glaenzendsten Beweise auch militaerischer Kapazitaet gegeben hatte,
selber zu einer Oberfeldherrnstelle verhelfen. Allein auf der anderen
Seite war, infolge der schikanoesen Opposition des Senats und der
Gleichgueltigkeit der Menge fuer Pompeius und Pompeius' Wuensche, seine
Stellung, namentlich seinen alten Soldaten gegenueber, so peinlich und
so demuetigend geworden, dass man bei seinem Charakter wohl erwarten
konnte, um den Preis der Erloesung aus dieser unbequemen Lage ihn fuer
eine solche Koalition zu gewinnen. Was aber die sogenannte Ritterpartei
anlangt, so fand diese ueberall da sich ein, wo die Macht war, und es
verstand sich von selbst, dass sie nicht lange auf sich werde warten
lassen, wenn sie Pompeius und die Demokratie aufs neue ernstlich sich
verbuenden sah. Es kam hinzu, dass wegen Catos uebrigens sehr loeblicher
Strenge gegen die Steuerpaechter die hohe Finanz eben jetzt wieder mit
dem Senat in heftigem Hader lag. So ward im Sommer 694 (60) die zweite
Koalition abgeschlossen. Caesar liess sich das Konsulat fuer das
folgende Jahr und demnaechst die Statthalterschaft zusichern; Pompeius
ward die Ratifikation seiner im Osten getroffenen Verfuegungen und
Anweisung von Laendereien an die Soldaten der asiatischen Armee
zugesagt; der Ritterschaft versprach Caesar gleichfalls das, was der
Senat verweigert hatte, ihr durch die Buergerschaft zu verschaffen;
Crassus endlich, der unvermeidliche, durfte wenigstens dem Bunde sich
anschliessen, freilich ohne fuer den Beitritt, den er nicht verweigern
konnte, bestimmte Zusagen zu erhalten. Es waren genau dieselben
Elemente, ja dieselben Personen, die im Herbst 683 (71) und die im
Sommer 684 (70) den Bund miteinander schlossen; aber wie so ganz anders
standen doch damals und jetzt die Parteien! Damals war die Demokratie
nichts als eine politische Partei, ihre Verbuendeten siegreiche, an
der Spitze ihrer Armeen stehende Feldherren; jetzt war der Fuehrer der
Demokraten selber ein sieggekroenter, von grossartigen militaerischen
Entwuerfen erfuellter Imperator, die Bundesgenossen gewesene Generale
ohne Armee. Damals siegte die Demokratie in Prinzipienfragen und raeumte
um diesen Preis die hoechsten Staatsaemter ihren beiden Verbuendeten
ein; jetzt war sie praktischer geworden und nahm die hoechste
buergerliche und militaerische Gewalt fuer sich selber, wogegen nur
in untergeordneten Dingen den Bundesgenossen Konzessionen gemacht und,
bezeichnend genug, nicht einmal Pompeius' alte Forderung eines zweiten
Konsulats beruecksichtigt wurde. Damals gab sich die Demokratie ihren
Verbuendeten hin; jetzt mussten diese sich ihr anvertrauen. Alle
Verhaeltnisse sind vollstaendig veraendert, am meisten jedoch der
Charakter der Demokratie selbst. Wohl hatte dieselbe, seit sie
ueberhaupt war, im innersten Kern ein monarchisches Element in sich
getragen; allein das Verfassungsideal, wie es ihren besten Koepfen in
mehr oder minder deutlichen Umrissen vorschwebte, blieb doch immer ein
buergerliches Gemeinwesen, eine perikleische Staatsordnung, in der die
Macht des Fuersten darauf beruhte, dass er die Buergerschaft in edelster
und vollkommenster Weise vertrat und der vollkommenste und edelste
Teil der Buergschaft ihren rechten Vertrauensmann in ihm erkannte.
Auch Caesar ist von solchen Anschauungen ausgegangen; aber es waren
nun einmal Ideale, die wohl auf die Realitaeten einwirken, aber nicht
geradezu realisiert werden konnten. Weder die einfache buergerliche
Gewalt, wie Gaius Gracchus sie besessen, noch die Bewaffnung der
demokratischen Partei, wie sie Cinna, freilich in sehr unzulaenglicher
Art, versucht hatte, vermochten in dem roemischen Gemeinwesen als
dauerndes Schwergewicht sich zu behaupten; die nicht fuer eine Partei,
sondern fuer einen Feldherrn fechtende Heeresmaschine, die rohe
Macht der Condottieri zeigte sich, nachdem sie zuerst im Dienste der
Restauration auf den Schauplatz getreten war, bald allen politischen
Parteien unbedingt ueberlegen. Auch Caesar musste im praktischen
Parteitreiben hiervon sich ueberzeugen und also reifte in ihm der
verhaengnisvolle Entschluss, diese Heeresmaschine selbst seinen Idealen
dienstbar zu machen und das Gemeinwesen, wie er es im Sinne trug, durch
Condottiergewalt aufzurichten. In dieser Absicht schloss er im Jahre
683 (71) den Bund mit den Generalen der Gegenpartei, welcher, ungeachtet
dieselben das demokratische Programm akzeptiert hatten, doch die
Demokratie und Caesar selbst an den Rand des Unterganges fuehrte. In der
gleichen Absicht trat elf Jahre spaeter er selber als Condottiere auf.
Es geschah in beiden Faellen mit einer gewissen Naivitaet, mit dem
guten Glauben an die Moeglichkeit, ein freies Gemeinwesen wo nicht durch
fremde, doch durch den eigenen Saebel begruenden zu koennen. Man sieht
es ohne Muehe ein, dass dieser Glaube trog und dass niemand den boesen
Geist zum Diener nimmt, ohne ihm selbst zum Knecht zu werden; aber die
groessten Maenner sind nicht die, welche am wenigsten irren. Wenn noch
nach Jahrtausenden wir ehrfurchtsvoll uns neigen vor denn, was Caesar
gewollt und getan hat, so liegt die Ursache nicht darin, dass er eine
Krone begehrt und gewonnen hat, was an sich so wenig etwas Grosses ist
wie die Krone selbst, sondern darin, dass sein maechtiges Ideal: eines
freien Gemeinwesens unter einem Herrscher - ihn nie verlassen und
auch als Monarchen ihn davor bewahrt hat, in das gemeine Koenigtum zu
versinken. Ohne Schwierigkeit ward von den vereinigten Parteien Caesars
Wahl zum Konsul fuer das Jahr 695 (59) durchgesetzt. Die Aristokratie
musste zufrieden sein, durch einen selbst in dieser Zeit tiefster
Korruption Aufsehen erregenden Stimmenkauf, wofuer der ganze Herrenstand
die Mittel zusammenschoss, ihm in der Person des Marcus Bibulus einen
Kollegen zuzugesellen, dessen bornierter Starrsinn in ihren Kreisen
als konservative Energie betrachtet ward und an dessen gutem Willen
wenigstens es nicht lag, wenn die vornehmen Herren ihre patriotischen
Auslagen nicht wieder herausbekamen. Als Konsul brachte Caesar zunaechst
die Begehren seiner Verbuendeten zur Verhandlung, unter denen die
Landanweisung an die Veteranen des asiatischen Heeres bei weitem das
wichtigste war. Das zu diesem Ende von Caesar entworfene Ackergesetz
hielt im allgemeinen fest an den Grundzuegen, wie sie der das Jahr zuvor
in Pompeius' Auftrag eingebrachte, aber gescheiterte Gesetzesentwurf
aufgestellt hatte. Zur Verteilung ward nur das italische Domanialland
bestimmt, das heisst wesentlich das Gebiet von Capua, und, wenn dies
nicht ausreichen sollte, anderer italischer Grundbesitz, der aus dem
Ertrage der neuen oestlichen Provinzen zu dem in den zensorischen Listen
verzeichneten Taxationswert angekauft werden sollte; alle bestehenden
Eigentums- und Erbbesitzrechte blieben also unangetastet. Die einzelnen
Parzellen waren klein. Die Landempfaenger sollten arme Buerger, Vaeter
von wenigstens drei Kindern sein; der bedenkliche Grundsatz, dass der
geleistete Militaerdienst Anspruch auf Grundbesitz gebe, ward nicht
aufgestellt, sondern es wurden nur, wie es billig und zu allen Zeiten
geschehen war, die alten Soldaten sowie nicht minder die auszuweisenden
Zeitpaechter den Landausteilern vorzugsweise zur Beruecksichtigung
empfohlen. Die Ausfuehrung ward einer Kommission von zwanzig Maennern
uebertragen, in die Caesar bestimmt erklaerte, sich selber nicht waehlen
lassen zu wollen. Die Opposition hatte gegen diesen Vorschlag einen
schweren Stand. Es liess sich vernuenftigerweise nicht leugnen, dass die
Staatsfinanzen nach Einrichtung der Provinzen Pontus und Syrien imstande
sein mussten, auf die kampanischen Pachtgelder zu verzichten; dass es
unverantwortlich war, einen der schoensten und eben zum Kleinbesitz
vorzueglich geeigneten Distrikt Italiens dem Privatverkehr zu entziehen;
dass es endlich ebenso ungerecht wie laecherlich war, noch jetzt nach
der Erstreckung des Buergerrechts auf ganz Italien der Ortschaft Capua
die Munizipalrechte vorzuenthalten. Der ganze Vorschlag trug den
Stempel der Maessigung, der Ehrlichkeit und der Solidaritaet, womit
sehr geschickt der demokratische Parteicharakter verbunden war; denn im
wesentlichen lief derselbe doch hinaus auf die Wiederherstellung der
in der marianischen Zeit gegruendeten und von Sulla wiederaufgehobenen
capuanischen Kolonie. Auch in der Form beobachtete Caesar jede moegliche
Ruecksicht. Er legte den Entwurf des Ackergesetzes, sowie zugleich den
Antrag, die von Pompeius im Osten erlassenen Verfuegungen in Bausch und
Bogen zu ratifizieren und die Petition der Steuerpaechter um Nachlass
eines Drittels der Pachtsummen, zunaechst dem Senat zur Begutachtung vor
und erklaerte sich bereit, Abaenderungsvorschlaege entgegenzunehmen
und zu diskutieren. Das Kollegium hatte jetzt Gelegenheit, sich zu
ueberzeugen, wie toericht es gehandelt hatte, durch Verweigerung
dieser Begehren Pompeius und die Ritterpartei dem Gegner in die Arme
zu treiben. Vielleicht war es das stille Gefuehl hiervon, das die
hochgeborenen Herren zu dem lautesten und mit dem gehaltenen Auftreten
Caesars uebel kontrastierenden Widerbellen trieb. Das Ackergesetz
ward von ihnen einfach und selbst ohne Diskussion zurueckgewiesen. Der
Beschluss ueber Pompeius' Einrichtungen in Asien fand ebensowenig Gnade
vor ihren Augen. Den Antrag hinsichtlich der Steuerpaechter versuchte
Cato nach der unloeblichen Sitte des roemischen Parlamentarismus
totzusprechen, das heisst bis zu der gesetzlichen Schlussstunde
der Sitzung seine Rede fortzuspinnen; als Caesar Miene machte, den
stoerrigen Mann verhaften zu lassen, ward schliesslich auch dieser
Antrag verworfen. Natuerlich gingen nun saemtliche Antraege an die
Buergerschaft. Ohne sich weit von der Wahrheit zu entfernen, konnte
Caesar der Menge sagen, dass der Senat die vernuenftigsten und
notwendigsten, in der achtungsvollsten Form an ihn gebrachten
Vorschlaege, bloss weil sie von dem demokratischen Konsul kamen,
schnoede zurueckgewiesen habe. Wenn er hinzufuegte, dass die
Aristokraten ein Komplott gesponnen haetten, um die Verwerfung der
Antraege zu bewirken, und die Buergerschaft, namentlich Pompeius
selbst und dessen alte Soldaten, aufforderte, gegen List und Gewalt ihm
beizustehen, so war auch dies keineswegs aus der Luft gegriffen.
Die Aristokratie, voran der eigensinnige Schwachkopf Bibulus und der
standhafte Prinzipiennarr Cato, hatte in der Tat vor, die Sache bis
zu offenbarer Gewalt zu treiben. Pompeius, von Caesar veranlasst, sich
ueber seine Stellung zu der obschwebenden Frage auszusprechen, erklaerte
unumwunden, wie es sonst seine Art nicht war, dass, wenn jemand wagen
sollte, das Schwert zu zuecken, auch er nach dem seinigen greifen und
dann den Schild nicht zu Hause lassen werde; ebenso sprach Crassus sich
aus. Pompeius' alte Soldaten wurden angewiesen, am Tage der Abstimmung,
die ja zunaechst sie anging, zahlreich mit Waffen unter den Kleidern auf
dem Stimmplatz zu erscheinen. Die Nobilitaet liess dennoch kein Mittel
unversucht, um die Antraege Caesars zu vereiteln. An jedem Tage, wo
Caesar vor dem Volke auftrat, stellte sein Kollege Bibulus die bekannten
politischen Wetterbeobachtungen an, die alle oeffentlichen Geschaefte
unterbrachen; Caesar kuemmerte sich um den Himmel nicht, sondern
fuhr fort, seine irdischen Geschaefte zu betreiben. Die tribunizische
Interzession ward eingelegt; Caesar begnuegte sich, sie nicht zu
beachten. Bibulus und Cato sprangen auf die Rednertribuene, harangierten
die Menge und veranlassten den gewoehnlichen Krawall; Caesar liess
sie durch Gerichtsdiener vom Markte hinwegfuehren und uebrigens
dafuer sorgen, dass ihnen kein Leides geschah - es lag auch in seinem
Interesse, dass die politische Komoedie das blieb, was sie war. Alles
Schikanierens und alles Folterns der Nobilitaet ungeachtet, wurden das
Ackergesetz, die Bestaetigung der asiatischen Organisationen und der
Nachlass fuer die Steuerpaechter von der Buergerschaft angenommen, die
Zwanzigerkommission, an ihrer Spitze Pompeius und Crassus, erwaehlt
und in ihr Amt eingesetzt; mit allen ihren Anstrengungen hatte die
Aristokratie nichts weiter erreicht, als dass ihre blinde und gehaessige
Widersetzlichkeit die Bande der Koalition noch fester gezogen und ihre
Energie, deren sie bald bei. wichtigeren Dingen beduerfen sollte, an
diesen im Grunde gleichgueltigen Angelegenheiten sich erschoepft hatte.
Man beglueckwuenschte sich untereinander ueber den bewiesenen Heldenmut;
dass Bibulus erklaert hatte, lieber sterben als weichen zu wollen, dass
Cato noch in den Haenden der Buettel fortgefahren hatte zu perorieren,
waren grosse patriotische Taten; uebrigens ergab man sich in sein
Schicksal. Der Konsul Bibulus schloss sich fuer den noch uebrigen Teil
des Jahres in sein Haus ein, wobei er zugleich durch oeffentlichen
Anschlag bekannt machte, dass er die fromme Absicht habe, an allen in
diesem Jahr zu Volksversammlungen geeigneten Tagen nach Himmelszeichen
zu spaehen. Seine Kollegen bewunderten wieder den grossen Mann, der,
gleich wie Ennius von dem alten Fabius gesagt, "den Staat durch Zaudern
errette", und taten wie er; die meisten derselben, darunter Cato,
erschienen nicht mehr im Senat und halfen innerhalb ihrer vier Waende
ihrem Konsul sich aergern, dass der politischen Astronomie zum Trotz die
Weltgeschichte weiterging. Dem Publikum erschien diese Passivitaet des
Konsuls sowie der Aristokratie ueberhaupt wie billig als politische
Abdikation; und die Koalition war natuerlich sehr wohl damit zufrieden,
dass man sie die weiteren Schritte fast ungestoert tun liess. Der
wichtigste darunter war die Regulierung der kuenftigen Stellung Caesars.
Verfassungsmaessig lag es dem Senat ob, die Kompetenzen des zweiten
konsularischen Amtsjahrs nach vor der Wahl der Konsuln festzustellen;
demgemaess hatte er denn auch, in Voraussicht der Wahl Caesars, dazu
fuer 696 (58) zwei Provinzen ausersehen, in denen der Statthalter nichts
anderes vorzunehmen fand als Strassenbauten und dergleichen nuetzliche
Dinge mehr. Natuerlich konnte es nicht dabei bleiben; es war unter den
Verbuendeten ausgemacht, dass Caesar ein ausserordentliches nach dem
Muster der Gabinisch-Manilischen Gesetze zugeschnittenes Kommando durch
Volksschluss erhalten solle. Caesar indes hatte oeffentlich erklaert,
keinen Antrag zu seinen eigenen Gunsten einbringen zu wollen; der
Volkstribun Publius Vatinius uebernahm es also, den Antrag bei der
Buergerschaft zu stellen, die natuerlich unbedingt gehorchte. Caesar
erhielt dadurch die Statthalterschaft des cisalpinischen Galliens und
den Oberbefehl der drei daselbst stehenden, schon im Grenzkrieg unter
Lucius Afranius erprobten Legionen, ferner propraetorischen Rang fuer
seine Adjutanten, wie die Pompeianischen ihn gehabt hatten; auf fuenf
Jahre hinaus, auf laengere Zeit, als je frueher ein ueberhaupt auf
bestimmte Zeit beschraenkter Feldherr bestellt worden war, ward dies
Amt ihm gesichert. Den Kern seiner Statthalterschaft bildeten die
Transpadaner, seit Jahren schon, in Hoffnung auf das Buergerrecht, die
Klienten der demokratischen Partei in Rom und insbesondere Caesars.
Sein Sprengel erstreckte sich suedlich bis zum Arnus und zum Rubico und
schloss Luca und Ravenna ein. Nachtraeglich ward dann noch die Provinz
Narbo mit der einen daselbst befindlichen Legion zu Caesars Amtsbezirk
hinzugefuegt, was auf Pompeius' Antrag der Senat beschloss, um
wenigstens nicht auch dies Kommando durch ausserordentlichen
Buergerschaftsbeschluss auf Caesar uebergehen zu sehen. Man hatte damit,
was man wollte. Da verfassungsmaessig in dem eigentlichen Italien keine
Truppen stehen durften, so beherrschte der Kommandant der norditalischen
und gallischen Legionen auf die naechsten fuenf Jahre zugleich Italien
und Rom; und wer auf fuenf Jahre, ist auch Herr auf Lebenszeit. Caesars
Konsulat hatte seinen Zweck erreicht. Es versteht sich, dass die neuen
Machthaber nebenbei nicht versaeumten, die Menge durch Spiele und
Lustbarkeiten aller Art bei guter Laune zu erhalten, und dass sie jede
Gelegenheit ergriffen, ihre Kasse zu fuellen; wie denn zum Beispiel dem
Koenig von Aegypten der Volksschluss, der ihn als legitimen Herrscher
anerkannte, von der Koalition um hohen Preis verkauft ward, und ebenso
andere Dynasten und Gemeinden Freibriefe und Privilegien bei dieser
Gelegenheit erwarben. Auch die Dauerhaftigkeit der getroffenen
Einrichtungen schien hinlaenglich gesichert. Das Konsulat ward
wenigstens fuer das naechste Jahr sicheren Haenden anvertraut. Das
Publikum glaubte anfangs, dass es Pompeius und Crassus selber bestimmt
sei; die Machthaber zogen es indes vor, zwei untergeordnete, aber
zuverlaessige Maenner ihrer Partei, Aulus Gabinius, den besten unter
Pompeius' Adjutanten, und Lucius Piso, der minder bedeutend, aber
Caesars Schwiegervater war, fuer 696 (58) zu Konsuln waehlen zu lassen.
Pompeius uebernahm es persoenlich, Italien zu bewachen, wo er an der
Spitze der Zwanzigerkommission die Ausfuehrung des Ackergesetzes betrieb
und gegen 20000 Buerger, grossenteils alte Soldaten aus seiner Armee, im
Gebiete von Capua mit Grundbesitz ausstattete; als Rueckhalt gegen die
hauptstaedtische Opposition dienten ihm Caesars norditalische Legionen.
Auf einen Bruch unter den Machthabern selbst war zunaechst wenigstens
keine Aussicht. Die von Caesar als Konsul erlassenen Gesetze, an deren
Aufrechterhaltung Pompeius wenigstens ebensoviel gelegen war als
Caesar, verbuergten die Fortdauer der Spaltung zwischen Pompeius und der
Aristokratie, deren Spitzen, namentlich Cato, fortfuhren, die Gesetze
als nichtig zu behandeln, und damit den Fortbestand der Koalition. Es
kam hinzu, dass auch die persoenlichen Bande zwischen ihren Haeuptern
sich enger zusammenzogen. Caesar hatte seinen Verbuendeten redlich und
treulich Wort gehalten, ohne sie in dem Versprochenen zu beknappen oder
zu schikanieren, und namentlich das in Pompeius' Interesse beantragte
Ackergesetz voellig wie seine eigene Sache mit Gewandtheit und Energie
durchgefochten; Pompeius war nicht unempfaenglich fuer rechtliches
Verhalten und gute Treue und wohlwollend gestimmt gegen denjenigen, der
ihm ueber die seit drei Jahren gespielte armselige Petentenrolle mit
einem Schlag hinweggeholfen hatte. Der haeufige und vertraute Verkehr
mit einem Manne von der unwiderstehlichen Liebenswuerdigkeit Caesars
tat das uebrige, um den Bund der Interessen in einen Freundschaftsbund
umzugestalten. Das Ergebnis und das Unterpfand dieser Freundschaft,
freilich zugleich auch eine oeffentliche, schwer misszuverstehende
Ankuendigung der neubegruendeten Gesamtherrschaft, war die Ehe, die
Pompeius mit Caesars einziger, dreiundzwanzigjaehriger Tochter einging.
Julia, die die Anmut ihres Vaters geerbt hatte, lebte mit ihrem um das
doppelte aelteren Gemahl in der gluecklichsten Haeuslichkeit, und
die nach so vielen Noeten und Krisen Ruhe und Ordnung herbeisehnende
Buergerschaft sah in diesem Ehebuendnis die Gewaehr einer friedlichen
und gedeihlichen Zukunft. Je fester und enger also das Buendnis zwischen
Pompeius und Caesar sich knuepfte, desto hoffnungsloser gestaltete sich
die Sache der Aristokratie. Sie fuehlte das Schwert ueber ihrem Haupte
schweben und kannte Caesar hinlaenglich, um nicht zu bezweifeln, dass
er, wenn noetig, es unbedenklich brauchen werde. "Von allen Seiten",
schrieb einer von ihnen, "stehen wir im Schach; schon haben wir
aus Furcht vor dem Tode oder vor der Verbannung auf die 'Freiheit'
verzichtet; jeder seufzt, zu reden wagt keiner". Mehr konnten die
Verbuendeten nicht verlangen. Aber wenn auch die Majoritaet der
Aristokratie in dieser wuenschenswerten Stimmung sich befand, so fehlte
es doch natuerlich in dieser Partei auch nicht an Heissspornen. Kaum
hatte Caesar das Konsulat niedergelegt, als einige der hitzigsten
Aristokraten, Lucius Domitius und Gaius Memmius, im vollen Senat den
Antrag stellten, die Julischen Gesetze zu kassieren. Es war das freilich
nichts als eine Torheit, die nur zum Vorteil der Koalition ausschlug;
denn da Caesar nun selbst darauf bestand, dass der Senat die Gueltigkeit
der angefochtenen Gesetze untersuchen moege, konnte dieser nicht anders,
als deren Legalitaet foermlich anerkennen. Allein begreiflicherweise
fanden dennoch die Machthaber hierin eine neue Aufforderung, an einigen
der namhaftesten und vorlautesten Opponenten ein Exempel zu statuieren,
und dadurch sich zu versichern, dass die uebrige Masse bei jenem
zweckmaessigen Seufzen und Schweigen beharre. Anfangs hatte man gehofft,
dass die Klausel des Ackergesetzes, welche wie ueblich den Eid auf das
neue Gesetz von den saemtlichen Senatoren bei Verlust ihrer politischen
Rechte forderte, die heftigsten Widersacher bestimmen werde, nach dem
Vorgange des Metellus Numidicus sich durch die Eidverweigerung selber
zu verbannen. Allein so gefaellig erwiesen sich dieselben doch nicht;
selbst der gestrenge Cato bequemte sich zu schwoeren, und seine Sanchos
folgten ihm nach. Ein zweiter wenig ehrbarer Versuch, die Haeupter
der Aristokratie wegen eines angeblich gegen Pompeius gesponnenen
Mordanschlags mit Kriminalanklagen zu bedrohen und dadurch sie in
die Verbannung zu treiben, ward durch die Unfaehigkeit der Werkzeuge
vereitelt; der Denunziant, ein gewisser Vettius, uebertrieb und
widersprach sich so arg und der Tribun Vatinius, der die unsaubere
Maschine dirigierte, zeigte sein Einverstaendnis mit jenem Vettius
so deutlich, dass man es geraten fand, den letzteren im Gefaengnis zu
erdrosseln und die ganze Sache fallen zu lassen. Indes hatte man bei
dieser Gelegenheit von der vollstaendigen Aufloesung der Aristokratie
und der grenzenlosen Angst der vornehmen Herren sich sattsam ueberzeugt;
selbst ein Mann wie Lucius Lucullus hatte sich persoenlich Caesar zu
Fuessen geworfen und oeffentlich erklaert, dass er seines hohen Alters
wegen sich genoetigt sehe, vom oeffentlichen Leben zurueckzutreten.
Man liess sich denn endlich an einigen wenigen Opfern genuegen.
Hauptsaechlich galt es Cato zu entfernen, welcher seiner Ueberzeugung
von der Nichtigkeit der saemtlichen Julischen Gesetze keinen Hehl hatte,
und der Mann war so, wie er dachte zu handeln. Ein solcher Mann war
freilich Marcus Cicero nicht, und man gab sich nicht die Muehe, ihn zu
fuerchten. Allein die demokratische Partei, die in der Koalition die
erste Rolle spielte, konnte den Justizmord des 5. Dezember 691 (63),
den sie so laut und mit so gutem Rechte getadelt hatte, unmoeglich nach
ihrem Siege ungeahndet lassen. Haette man die wirklichen Urheber des
verhaengnisvollen Beschlusses zur Rechenschaft ziehen wollen, so masste
man freilich sich nicht an den schwachmuetigen Konsul halten, sondern
an die Fraktion der strengen Aristokratie, die den aengstlichen Mann zu
jener Exekution gedraengt hatte. Aber nach formellem Recht waren fuer
dieselbe allerdings nicht die Ratgeber des Konsuls, sondern der Konsul
selbst verantwortlich, und vor allem war es der mildere Weg, nur den
Konsul zur Rechenschaft zu ziehen und das Senatskollegium ganz aus
dem Spiele zu lassen, weshalb auch in den Motiven des gegen Cicero
gerichteten Antrags der Senatsbeschluss, kraft dessen derselbe die
Hinrichtung anordnete, geradezu als untergeschoben bezeichnet ward.
Selbst gegen Cicero haetten die Machthaber gern Aufsehen erregende
Schritte vermieden; allein derselbe konnte es nicht ueber sich gewinnen,
weder den Machthabern die verlangten Garantien zu geben, noch unter
einem der mehrfach ihm dargebotenen schicklichen Vorwaende sich selbst
von Rom zu verbannen, noch auch nur zu schweigen. Bei dem besten Willen,
jeden Anstoss zu vermeiden, und der aufrichtigsten Angst hatte er doch
nicht Haltung genug, um vorsichtig zu sein; das Wort masste heraus, wenn
ein petulanter Witz ihn prickelte oder wenn sein durch das Lob so
vieler adliger Herren fast uebergeschnapptes Selbstbewusstsein die
wohlkadenzierten Perioden des plebejischen Advokaten schwellte. Die
Ausfuehrung der gegen Cato und Cicero beschlossenen Massregeln ward
dem lockeren und wuesten, aber gescheiten und vor allen Dingen
dreisten Publius Clodius uebertragen, der seit Jahren mit Cicero in der
bittersten Feindschaft lebte und, um diese befriedigen und als Demagog
eine Rolle spielen zu koennen, unter Caesars Konsulat sich durch eilige
Adoption aus einem Patrizier in einen Plebejer verwandelt und dann fuer
das Jahr 696 (58) zum Volkstribun hatte waehlen lassen. Als Rueckhalt
fuer Clodius verweilte der Prokonsul Caesar, bis der Schlag gegen die
beiden Opfer gefallen war, in der unmittelbaren Naehe der Hauptstadt.
Den erhaltenen Auftraegen gemaess schlug Clodius der Buergerschaft vor,
Cato mit der Regulierung der verwickelten Gemeindeverhaeltnisse der
Byzantier und mit der Einziehung des Koenigreichs Kypros zu beauftragen,
welches ebenso wie Aegypten durch das Testament Alexanders II. den
Roemern angefallen war und nicht, wie Aegypten, die roemische Einziehung
abgekauft, dessen Koenig ueberdies den Clodius vor Zeiten persoenlich
beleidigt hatte. Hinsichtlich Ciceros brachte Clodius einen
Gesetzentwurf ein, welcher die Hinrichtung eines Buergers ohne Urteil
und Recht als ein mit Landesverweisung zu bestrafendes Verbrechen
bezeichnete. Cato also ward durch eine ehrenvolle Sendung entfernt,
Cicero wenigstens mit der moeglichst gelinden Strafe belegt, ueberdies
in dem Antrag doch nicht mit Namen genannt. Das Vergnuegen aber versagte
man sich nicht, einerseits einen notorisch zaghaften und zu der Gattung
der politischen Wetterfahnen zaehlenden Mann wegen von ihm bewiesener
Energie zu bestrafen, andererseits den verbissenen Gegner aller
Eingriffe der Buergerschaft in die Administration und aller
ausserordentlichen Kommandos durch Buergerschaftsbeschluss selbst
mit einem solchen auszustatten; und mit gleichem Humor ward der Cato
betreffende Antrag motiviert mit der abnormen Tugendhaftigkeit dieses
Mannes, welche ihn vor jedem andern geeignet erscheinen lasse, einen
so kitzlichen Auftrag, wie die Einziehung des ansehnlichen kyprischen
Kronschatzes war, auszufuehren, ohne zu stehlen. Beide Antraege tragen
ueberhaupt den Charakter ruecksichtsvoller Deferenz und kuehler Ironie,
der Caesars Verhalten dem Senat gegenueber durchgaengig bezeichnet.
Auf Widerstand stiessen sie nicht. Es half natuerlich nichts, dass die
Senatsmajoritaet, um doch auf irgendeine Art gegen die Verhoehnung
und Brandmarkung ihres Beschlusses in der Catilinarischen Sache zu
protestieren, oeffentlich das Trauergewand anlegte und dass Cicero
selbst, nun da es zu spaet war, bei Pompeius kniefaellig um Gnade
bat; er musste, noch bevor das Gesetz durchging, das ihm die Heimat
verschloss, sich selber verbannen (April 696 58). Cato liess es
gleichfalls nicht darauf ankommen, durch Ablehnung des ihm gewordenen
Auftrags schaerfere Massregeln zu provozieren, sondern nahm denselben
an und schiffte sich ein nach dem Osten. Das Naechste war getan; auch
Caesar konnte Italien verlassen, um sich ernsteren Aufgaben zu widmen.

7. Kapitel Die Unterwerfung des Westens

Wenn von dem armseligen Einerlei des politischen Egoismus, der in der
Kurie und auf den Strassen der Hauptstadt seine Schlachten schlug, sich
der Gang der Geschichte wieder zu Dingen wendet, die wichtiger sind als
die Frage, ob der erste Monarch Roms Gnaeus, Gaius oder Marcus heissen
wird, so mag es wohl gestattet sein, an der Schwelle eines Ereignisses,
dessen Folgen noch heute die Geschicke der Welt bestimmen, einen
Augenblick umzuschauen und den Zusammenhang zu bezeichnen, in welchem
die Eroberung des heutigen Frankreich durch die Roemer und ihre ersten
Beruehrungen mit den Bewohnern Deutschlands und Grossbritanniens
weltgeschichtlich aufzufassen sind. Kraft des Gesetzes, dass das zum
Staat entwickelte Volk die politisch unmuendigen, das zivilisierte die
geistig unmuendigen Nachbarn in sich aufloest - kraft dieses Gesetzes,
das so allgemeingueltig und so sehr Naturgesetz ist wie das Gesetz der
Schwere, war die italische Nation, die einzige des Altertums, welche die
hoehere politische Entwicklung und die hoehere Zivilisation, wenn auch
letztere nur in unvollkommener und aeusserlicher Weise, miteinander zu
verbinden vermocht hat, befugt, die zum Untergang reifen griechischen
Staaten des Ostens sich untertan zu machen und die Voelkerschaften
niedrigerer Kulturgrade im Westen, Libyer, Iberer, Kelten, Germanen,
durch ihre Ansiedler zu verdraengen - eben wie England mit gleichem
Recht in Asien eine ebenbuertige, aber politisch impotente Zivilisation
sich unterworfen, in Amerika und Australien ausgedehnte barbarische
Landschaften mit dem Stempel seiner Nationalitaet bezeichnet und geadelt
hat und noch fortwaehrend bezeichnet und adelt. Die Vorbedingung
dieser Aufgabe, die Einigung Italiens, hatte die roemische Aristokratie
vollbracht; die Aufgabe selber hat sie nicht geloest, sondern die
ausseritalischen Eroberungen stets nur entweder als notwendiges
Uebel oder auch als einen gleichsam ausserhalb des Staates stehenden
Rentenbesitz betrachtet. Es ist der unvergaengliche Ruhm der roemischen
Demokratie oder Monarchie - denn beides faellt zusammen -, dass sie jene
hoechste Bestimmung richtig begriffen und kraeftig verwirklicht hat.
Was die unwiderstehliche Macht der Verhaeltnisse durch den wider seinen
Willen die Grundlagen der kuenftigen roemischen Herrschaft im Westen wie
im Osten feststellenden Senat vorbereitet hatte, was dann die roemische
Emigration in die Provinzen, die zwar als Landplage kam, aber in die
westlichen Landschaften doch auch als Pionier einer hoeheren Kultur,
instinktmaessig betrieb, das hat der Schoepfer der roemischen Demokratie
Gaius Gracchus mit staatsmaennischer Klarheit und Sicherheit erfasst und
durchzufuehren begonnen. Die beiden Grundgedanken der neuen Politik:
das Machtgebiet Roms, soweit es hellenisch war, zu reunieren, soweit
es nicht hellenisch war, zu kolonisieren, waren mit der Einziehung des
Attalischen Reiches, mit den transalpinischen Eroberungen des Flaccus
bereits in der gracchischen Zeit praktisch anerkannt worden; aber die
obsiegende Reaktion liess sie wieder verkuemmern. Der roemische Staat
blieb eine wueste Laendermasse ohne intensive Okkupation und ohne
gehoerige Grenzen; Spanien und die griechisch-asiatischen Besitzungen
waren durch weite, kaum in ihren Kuestensaeumen den Roemern untertaenige
Gebiete von dem Mutterland geschieden, an der afrikanischen Nordkueste
nur die Gebiete von Karthago und Kyrene inselartig okkupiert, selbst
von dem untertaenigen Gebiet grosse Strecken, namentlich in Spanien, den
Roemern nur dem Namen nach unterworfen: von Seiten der Regierung
aber geschah zur Konzentrierung und Arrondierung der Herrschaft
schlechterdings nichts, und der Verfall der Flotte schien endlich
das letzte Band zwischen den entlegenen Besitzungen zu loesen. Wohl
versuchte die Demokratie, wie sie nur wieder ihr Haupt erhob, auch
die aeussere Politik im Geiste des Gracchus zu gestalten, wie denn
namentlich Marius mit solchen Ideen sich trug; aber da sie nicht auf die
Dauer ans Ruder kam, blieb es bei Entwuerfen. Erst als mit dem Sturz der
Sullanischen Verfassung im Jahre 684 (70) die Demokratie tatsaechlich
das Regiment in die Hand nahm, trat auch in dieser Hinsicht
ein Umschwung ein. Vor allen Dingen ward die Herrschaft auf dem
Mittellaendischen Meere wiederhergestellt, die erste Lebensfrage fuer
einen Staat wie der roemische war. Gegen Osten wurde weiter durch die
Einziehung der pontischen und syrischen Landschaften die Euphratgrenze
gesichert. Aber noch war es uebrig, jenseits der Alpen zugleich
das roemische Gebiet gegen Norden und Westen abzuschliessen und der
hellenischen Zivilisation, der noch keineswegs gebrochenen Kraft des
italischen Stammes hier einen neuen jungfraeulichen Boden zu gewinnen.
Dieser Aufgabe hat Gaius Caesar sich unterzogen. Es ist mehr als
ein Irrtum, es ist ein Frevel gegen den in der Geschichte maechtigen
heiligen Geist, wenn man Gallien einzig als den Exerzierplatz
betrachtet, auf dem Caesar sich und seine Legionen fuer den
bevorstehenden Buergerkrieg uebte. Wenn auch die Unterwerfung des
Westens fuer Caesar insofern ein Mittel zum Zweck war, als er in den
transalpinischen Kriegen seine spaetere Machtstellung begruendet hat,
so ist ebendies das Privilegium des staatsmaennischen Genius, dass
seine Mittel selbst wieder Zwecke sind. Caesar bedurfte wohl fuer seine
Parteizwecke einer militaerischen Macht; Gallien aber hat er nicht
als Parteimann erobert. Es war zunaechst fuer Rom eine politische
Notwendigkeit, der ewig drohenden Invasion der Deutschen schon jenseits
der Alpen zu begegnen und dort einen Damm zu ziehen, der der roemischen
Welt den Frieden sicherte. Aber auch dieser wichtige Zweck war noch
nicht der hoechste und letzte, weshalb Gallien von Caesar erobert ward.
Als der roemischen Buergerschaft die alte Heimat zu eng geworden war
und sie in Gefahr stand zu verkuemmern, rettete die italische
Eroberungspolitik des Senats dieselbe vom Untergang. Jetzt war auch die
italische Heimat wieder zu eng geworden; wieder siechte der Staat
an denselben in gleicher Art, nur in groesseren Verhaeltnissen sich
wiederholenden sozialen Missstaenden. Es war ein genialer Gedanke, eine
grossartige Hoffnung, welche Caesar ueber die Alpen fuehrte: der Gedanke
und die Zuversicht, dort seinen Mitbuergern eine neue, grenzenlose
Heimat zu gewinnen und den Staat zum zweitenmal dadurch zu regenerieren,
dass er auf eine breitere Basis gestellt ward. Gewissermassen laesst
sich zu den auf die Unterwerfung des Westens abzielenden Unternehmungen
schon der Feldzug rechnen, den Caesar im Jahre 693 (61) im Jenseitigen
Spanien unternahm. Wielange auch Spanien schon den Roemern gehorchte,
immer noch war selbst nach der Expedition des Decimus Brutus gegen die
Callaeker das westliche Gestade von den Roemern wesentlich unabhaengig
geblieben und die Nordkueste noch gar von ihnen nicht betreten worden;
und die Raubzuege, denen von dort aus die untertaenigen Landschaften
fortwaehrend sich ausgesetzt sahen, taten der Zivilisierung und
Romanisierung Spaniens nicht geringen Eintrag. Hiergegen richtete sich
Caesars Zug an der Westkueste hinauf. Er ueberschritt die den Tajo
noerdlich begrenzende Kette der Herminischen Berge (Sierra de Estrella),
nachdem er die Bewohner derselben ueberwunden und zum Teil in die Ebene
uebergesiedelt hatte, unterwarf die Landschaft zu beiden Seiten des
Duero und gelangte bis an die nordwestliche Spitze der Halbinsel, wo er
mit Hilfe einer von Gades herbeigezogenen Flottille Brigantium (Coru¤a)
einnahm. Dadurch wurden die Anwohner des Atlantischen Ozeans, Lusitaner
und Callaeker zur Anerkennung der roemischen Suprematie gezwungen,
waehrend der Ueberwinder zugleich darauf bedacht war, durch Herabsetzung
der nach Rom zu entrichtenden Tribute und Regulierung der oekonomischen
Verhaeltnisse der Gemeinden die Lage der Untertanen ueberhaupt
leidlicher zu gestalten. Indes wenn auch schon in diesem militaerischen
und administrativen Debuet des grossen Feldherrn und Staatsmannes
dieselben Talente und dieselben leitenden Gedanken durchschimmern, die
er spaeter auf groesseren Schauplaetzen bewaehrt hat, so war doch seine
Wirksamkeit auf der Iberischen Halbinsel viel zu voruebergehend, um tief
einzugreifen, um so mehr als bei deren eigentuemlichen physischen und
nationalen Verhaeltnissen nur eine laengere Zeit hindurch mit Stetigkeit
fortgesetzte Taetigkeit hier eine dauernde Wirkung aeussern konnte. Eine
bedeutendere Rolle in der romanischen Entwicklung des Westens war der
Landschaft bestimmt, welche zwischen den Pyrenaeen und dem Rheine, dem
Mittelmeer und dem Atlantischen Ozean sich ausbreitet und an der seit
der augustinischen Zeit der Name des Keltenlandes, Gallien, vorzugsweise
haftet, obwohl genau genommen das Keltenland teils enger ist, teils viel
weiter sich erstreckt und jene Landschaft niemals eine nationale und
nicht vor Augustus eine politische Einheit gebildet hat. Es ist eben
darum nicht leicht, von den in sich sehr ungleichartigen Zustaenden,
die Caesar bei seinem Eintreffen daselbst im Jahre 696 (58) vorfand, ein
anschauliches Bild zu entwerfen. In der Landschaft am Mittelmeer, welche
ungefaehr, im Westen der Rhone Languedoc, im Osten Dauphine und Provence
umfassend, seit sechzig Jahren roemische Provinz war, hatten seit dem
kimbrischen Sturm, der auch ueber sie hingebraust war, die roemischen
Waffen selten geruht. 664 (90) hatte Gaius Caelius mit den Salyern um
Aquae Sextiae, 674 (80) Gaius Flaccus auf dem Marsch nach Spanien mit
anderen keltischen Gauen gekaempft. Als im Sertorianischen Krieg der
Statthalter Lucius Manlius, genoetigt, seinen Kollegen jenseits der
Pyrenaeen zu Hilfe zu eilen, geschlagen von Ilerda (Lerida) zurueckkam
und auf dem Heimweg von den westlichen Nachbarn der roemischen Provinz,
den Aquitanern, zum zweitenmal besiegt ward (um 676 78), scheint dies
einen allgemeinen Aufstand der Provinzialen zwischen den Pyrenaeen
und der Rhone, vielleicht selbst derer zwischen Rhone und Alpen
hervorgerufen zu haben. Pompeius musste sich durch das empoerte Gallien
seinen Weg nach Spanien mit dem Schwerte bahnen und gab zur Strafe
fuer die Empoerung die Marken der Volker-Arekomiker und der Helvier
(Departement Gard und Ardeche) den Massalioten zu eigen; der Statthalter
Manius Fonteius (678-680 76-74) fuehrte diese Anordnungen aus und
stellte die Ruhe in der Provinz wieder her, indem er die Vocontier
(Departement Drome) niederwarf, Massalia vor den Aufstaendischen
schuetzte und die roemische Hauptstadt Narbo, die sie berannten, wieder
befreite. Die Verzweiflung indes und die oekonomische Zerruettung,
welche die Mitleidenschaft unter dem Spanischen Krieg und ueberhaupt
die amtlichen und nichtamtlichen Erpressungen der Roemer ueber die
gallischen Besitzungen brachten, liess dieselben nicht zur Ruhe
kommen und namentlich der von Narbo am weitesten entfernte Kanton der
Allobrogen war in bestaendiger Gaerung, von der die "Friedensstiftung",
die Gaius Piso dort 688 (66) vornahm, sowie das Verhalten
der allobrogischen Gesandtschaft in Rom bei Gelegenheit des
Anarchistenkomplotts 691 (63) Zeugnis ablegen und die bald darauf (693
61) in offene Empoerung ausbrach. Catugnatus, der Fuehrer der Allobrogen
in diesem Kriege der Verzweiflung, ward, nachdem er anfangs nicht
ungluecklich gefochten, bei Solonium nach ruehmlicher Gegenwehr von
dem Statthalter Gaius Pomptinus ueberwunden. Trotz aller dieser
Kaempfe wurden die Grenzer. des roemischen Gebiets nicht wesentlich
vorgeschoben; Lugudunum Convenarum, wo Pompeius die Truemmer der
Sertorianischen Armee angesiedelt hatte, Tolosa, Vienna und Genava
waren immer noch die aeussersten roemischen Ortschaften gegen Westen und
Norden. Dabei aber war die Bedeutung dieser gallischen Besitzungen fuer
das Mutterland bestaendig im Steigen; das herrliche, dem italischen
verwandte Klima, die guenstigen Bodenverhaeltnisse, das dem Handel so
foerderliche grosse und reiche Hinterland mit seinen bis nach Britannien
reichenden Kaufstrassen, der bequeme Land- und Seeverkehr mit der Heimat
gaben rasch dem suedlichen Kettenland eine oekonomische Wichtigkeit fuer
Italien, die viel aeltere Besitzungen, wie zum Beispiel die spanischen,
in Jahrhunderten nicht erreicht hatten; und wie die politisch
schiffbruechigen Roemer in dieser Zeit vorzugsweise in Massalia eine
Zufluchtsstaette suchten und dort italische Bildung wie italischen
Luxus wiederfanden, so zogen sich auch die freiwilligen Auswanderer
aus Italien mehr und mehr an die Rhone und die Garonne. "Die Provinz
Gallien", heisst es in einer zehn Jahre vor Caesars Ankunft entworfenen
Schilderung, "ist voll von Kaufleuten; sie wimmelt von roemischen
Buergern. Kein Gallier macht ein Geschaeft ohne Vermittlung eines
Roemers; jeder Pfennig, der in Gallien aus einer Hand in die andere
kommt, geht durch die Rechnungsbuecher der roemischen Buerger". Aus
derselben Schilderung ergibt sich, dass in Gallien auch ausser den
Kolonisten von Narbo roemische Landwirte und Viehzuechter in grosser
Anzahl sich aufhielten; wobei uebrigens nicht ausser acht zu lassen
ist, dass das meiste von Roemern besessene Provinzland, eben wie
in fruehester Zeit der groesste Teil der englischen Besitzungen in
Nordamerika, in den Haenden des hohen, in Italien lebenden Adels war
und jene Ackerbauer und Viehzuechter zum groessten Teil aus deren
Verwaltern, Sklaven oder Freigelassenen bestanden. Es ist begreiflich,
dass unter solchen Verhaeltnissen die Zivilisierung und die
Romanisierung unter den Eingeborenen rasch um sich griff. Diese Kelten
liebten den Ackerbau nicht; ihre neuen Herren aber zwangen sie, das
Schwert mit dem Pfluge zu vertauschen, und es ist sehr glaublich, dass
der erbitterte Widerstand der Allobrogen zum Teil eben durch dergleichen
Anordnungen hervorgerufen ward. In aelteren Zeiten hatte der Hellenismus
auch diese Landschaften bis zu einem gewissen Grade beherrscht; die
Elemente hoeherer Gesittung, die Anregungen zu Wein- und Oelbau, zum
Gebrauche der Schrift ^1 und zur Muenzpraegung kamen ihnen von Massalia.
Auch durch die Roemer ward die hellenische Kultur hier nichts weniger
als verdraengt; Massalia gewann durch sie mehr an Einfluss als es
verlor, und noch in der roemischen Zeit wurden griechische Aerzte und
Rhetoren in den gallischen Kantons von Gemeinde wegen angestellt. Allein
begreiflicherweise erhielt doch der Hellenismus im suedlichen Keltenland
durch die Roemer denselben Charakter wie in Italien: die spezifisch
hellenische Zivilisation wich der lateinisch- griechischen Mischkultur,
die bald hier Proselyten in grosser Anzahl machte. Die "Hosengallier",
wie man im Gegensatz zu den norditalischen "Galliern in der Toga" die
Bewohner des suedlichen Keltenlandes nannte, waren zwar nicht wie jene
bereits vollstaendig romanisiert, aber sie unterschieden sich doch schon
sehr merklich von den "langhaarigen Galliern" der noch unbezwungenen
noerdlichen Landschaften. Die bei ihnen sich einbuergernde Halbkultur
gab zwar Stoff genug her zu Spoettereien ueber ihr barbarisches Latein,
und man unterliess es nicht, dem, der im Verdacht keltischer Abstammung
stand, seine "behoste Verwandtschaft" zu Gemuete zu fuehren; aber dies
schlechte Latein reichte doch dazu aus, dass selbst die entfernten
Allobrogen mit den roemischen Behoerden in Geschaeftsverkehr treten und
sogar in roemischen Gerichten ohne Dolmetsch Zeugnis ablegen konnten.
------------------------------------------- ^1 So ward zum Beispiel in
Vaison im Vocontischen Gau eine in keltischer Sprache mit gewoehnlichem
griechischen Alphabet geschriebene Inschrift gefunden. Sie lautet:
segomaros oyilloneos tooytioys namaysatis e/o/royb/e/l/e/samisosin
nem/e/ton. Das letzte Wort heisst "heilig".
------------------------------------------- Wenn also die keltische
und ligurische Bevoelkerung dieser Gegenden auf dem Wege war, ihre
Nationalitaet einzubuessen und daneben siechte und verkuemmerte unter
einem politischen und oekonomischen Druck, von dessen Unertraeglichkeit
die hoffnungslosen Aufstaende hinreichend Zeugnis ablegen, so ging doch
hier der Untergang der eingeborenen Bevoelkerung Hand in Hand mit der
Einbuergerung derselben hoeheren Kultur, welche wir in dieser Zeit in
Italien finden. Aquae Sextiae und mehr noch Narbo waren ansehnliche
Ortschaften, die wohl neben Benevent und Capua genannt werden mochten;
und Massalia, die bestgeordnete, freieste, wehrhafteste, maechtigste
unter allen von Rom abhaengigen griechischen Staedten, unter ihrem
streng aristokratischen Regiment, auf das die roemischen Konservativen
wohl als auf das Muster einer guten Stadtverfassung hinwiesen, im Besitz
eines bedeutenden und von den Roemern noch ansehnlich vergroesserten
Gebiets und eines ausgebreiteten Handels, stand neben jenen launischen
Staedten wie in Italien neben Capua und Benevent Rhegion und Neapolis.
Anders sah es aus, wenn man die roemische Grenze ueberschritt. Die
grosse keltische Nation, die in den suedlichen Landschaften schon von
der italischen Einwanderung anfing unterdrueckt zu werden, bewegte sich
noerdlich der Cevennen noch in althergebrachter Freiheit. Es ist nicht
das erste Mal, dass wir ihr begegnen; mit den Auslaeufern und Vorposten
des ungeheuren Stammes hatten die Italiker bereits am Tiber und am Po,
in den Bergen Kastiliens und Kaerntens, ja tief im inneren Kleinasien
gefochten, erst hier aber ward der Hauptstock in seinem Kerne von
ihren Angriffen erfasst. Der Keltenstamm hatte bei seiner Ansiedlung
in Mitteleuropa sich vornehmlich ueber die reichen Flusstaeler und
das anmutige Huegelland des heutigen Frankreich mit Einschluss der
westlichen Striche Deutschlands und der Schweiz ergossen und von hier
aus wenigstens den suedlichen Teil von England, vielleicht schon damals
ganz Grossbritannien und Irland besetzt ^2; mehr als irgendwo sonst
bildete er hier eine breite, geographisch geschlossene Voelkermasse.
Trotz der Unterschiede in Sprache und Sitte, die natuerlich innerhalb
dieses weiten Gebietes nicht fehlten, scheint dennoch ein enger
gegenseitiger Verkehr, ein geistiges Gefuehl der Gemeinschaft die
Voelkerschaften von der Rhone und Garonne bis zum Rhein und der Themse
zusammengeknuepft zu haben; wogegen dieselben mit den Kelten in Spanien
und im heutigen Oesterreich wohl oertlich gewissermassen zusammenhingen,
aber doch teils die gewaltigen Bergscheiden der Pyrenaeen und der Alpen,
teils die hier ebenfalls einwirkenden Obergriffe der Roemer und der
Germanen den Verkehr und den geistigen Zusammenhang der Stammverwandten
ganz anders unterbrachen als der schmale Meerarm den der kontinentalen
und der britischen Kelten. Leider ist es uns nicht vergoennt, die
innere Entwicklungsgeschichte des merkwuerdigen Volkes in diesen seinen
Hauptsitzen von Stufe zu Stufe zu verfolgen; wir muessen uns begnuegen,
dessen kulturhistorischen und politischen Zustand, wie er hier
zu Caesars Zeit uns entgegentritt, wenigstens in seinen Umrissen
darzustellen. ------------------------------------------------- ^2 Auf
eine laengere Zeit hindurch fortgesetzte Einwanderung belgischer
Kelten nach Britannien deuten die von belgischen Gauen entlehnten
Namen englischer Voelkerschaften an beiden Ufern der Themse, wie der
Atrebaten, der Belgen, ja der Britanner selbst, welcher von den an der
Somme unterhalb Amiens ansaessigen Britonen zuerst auf einen englischen
Gau und sodann auf die ganze Insel uebertragen zu sein scheint. Auch
die englische Goldmuenzung ist aus der belgischen abgeleitet
und urspruenglich mit ihr identisch.
--------------------------------------------------- Gallien war nach den
Berichten der Alten verhaeltnismaessig wohl bevoelkert. Einzelne Angaben
lassen schliessen, dass in den belgischen Distrikten etwa 900 Koepfe auf
die Quadratmeile kamen - ein Verhaeltnis, wie es heutzutage etwa fuer
Wallis und fuer Livland gilt, - in dem helvetischen Kanton etwa 1100 ^3;
es ist wahrscheinlich, dass in den Distrikten, die kultivierter waren
als die belgischen und weniger gebirgig als der helvetische, wie bei den
Biturigen, Arvernern, Haeduern, sich die Ziffer noch hoeher stellte.
Der Ackerbau ward in Gallien wohl getrieben, wie denn schon Caesars
Zeitgenossen in der Rheinlandschaft die Sitte des Mergelns auffiel ^4
und die uralte keltische Sitte, aus Gerste Bier (cervesia) zu bereiten,
ebenfalls fuer die fruehe und weite Verbreitung der Getreidekultur
spricht; allein er ward nicht geachtet. Selbst in dem zivilisierteren
Sueden galt es noch fuer den freien Kelten als nicht anstaendig, den
Pflug zu fuehren. Weit hoeher stand bei den Kelten die Viehzucht,
fuer welche die roemischen Gutsbesitzer dieser Epoche sich sowohl des
keltischen Viehschlags als auch der tapferen, des Reitens kundigen und
mit der Pflege der Tiere vertrauten keltischen Sklaven vorzugsweise
gern bedienten ^5. Namentlich in den noerdlichen keltischen Landschaften
ueberwog die Viehzucht durchaus. Die Bretagne war zu Caesars Zeit ein
kornarmes Land. Im Nordosten reichten dichte Waelder, an den Kern der
Ardennen sich anschliessend, fast ununterbrochen von der Nordsee bis zum
Rheine, und auf den heute so gesegneten Fluren Flanderns und
Lothringens weidete damals der menapische und treverische Hirte im
undurchdringlichen Eichenwald seine halbwilden Saeue. Ebenwie im Potal
durch die Roemer an die Stelle der keltischen Eichelmast Wollproduktion
und Kornbau getreten sind, so gehen auch die Schafzucht und die
Ackerwirtschaft in den Ebenen der Schelde und der Maas auf sie zurueck.
In Britannien gar war das Dreschen des Kornes noch nicht ueblich, und in
den noerdlicheren Strichen hoerte hier der Ackerbau ganz auf und war die
Viehzucht die einzige bekannte Bodenbenutzung. Der Oel- und Weinbau,
der den Massalioten reichen Ertrag abwarf, ward jenseits der Cevennen
zu Caesars Zeiten noch nicht betrieben.
----------------------------------------------------- ^3 Das erste
Aufgebot der belgischen Kantone ausschliesslich der Remer, also der
Landschaft zwischen Seine und Schelde und oestlich bis gegen Reims
und Andernach von 2000-2200 Quadratmeilen, wird auf etwa 300000
Mann berechnet; wonach, wenn man das fuer die Bellovaker angegebene
Verhaeltnis des ersten Aufgebots zu der gesamten waffenfaehigen
Mannschaft als allgemein gueltig betrachtet, die Zahl der waffenfaehigen
Belgen auf 500000 und danach die Gesamtbevoelkerung auf mindestens 2
Millionen sich stellt. Die Helvetier mit den Nebenvoelkern zaehlten vor
ihrem Auszug 336000 Koepfe; wenn man annimmt, dass sie damals schon vom
rechten Rheinufer verdraengt waren, kann ihr Gebiet auf ungefaehr 300
Quadratmeilen angeschlagen werden. Ob die Knechte hierbei mitgezaehlt
sind, laesst sich um so weniger entscheiden, als wir nicht wissen,
welche Form die Sklaverei bei den Kelten angenommen hatte; was Caesar
(Gall. 1, 4) von Orgetorix' Sklaven, Hoerigen und Schuldnern erzaehlt,
spricht eher fuer als gegen die Mitzaehlung. Dass uebrigens jeder solche
Versuch, das, was der alten Geschichte vor allen Dingen fehlt, die
statistische Grundlage, durch Kombination zu ersetzen, mit billiger
Vorsicht aufgenommen werden muss, wird der verstaendige Leser
ebensowenig verkennen als ihn darum unbedingt wegwerfen. ^4 "In Gallien,
jenseits der Alpen im Binnenland am Rhein, habe ich," erzaehlt Scrofa
bei Varro rust. 1, 7, 8, "als ich dort kommandierte, einige Striche
betreten, wo weder die Rebe noch die Olive noch der Obstbaum fortkommt,
wo man mit weisser Grubenkreide die Aecker duengt, wo man weder Gruben-
noch Seesalz hat, sondern die salzige Kohle gewisser verbrannter Hoelzer
statt Salz benutzt." Diese Schilderung bezieht sich wahrscheinlich
auf die vorcaesarische Zeit und auf die oestlichen Striche der alten
Provinz, wie zum Beispiel die allobrogische Landschaft;
spaeter beschreibt Plinius (nat. 17, 6, 42f.) ausfuehrlich das
gallisch-britannische Mergeln. ^5 "Von gutem Schlag sind in Italien
besonders die gallischen Ochsen, zur Feldarbeit naemlich; wogegen die
ligurischen nichts Rechtes beschaffen" (Varr. rust. 2, 5, 9). Hier
ist zwar das Cisalpinische Gallien gemeint, allein die Viehwirtschaft
daselbst geht doch unzweifelhaft zurueck auf die keltische Epoche. Der
"gallischen Klepper" (Gallici canterii) gedenkt schon Plautus (Aul. 3,
5, 21). "Nicht jede Rasse schickt sich fuer das Hirtengeschaeft; weder
die Bastuler noch die Turduler (beide in Andalusien) eignen sich dafuer;
am besten sind die Kelten, besonders fuer Reit- und Lasttiere (iumenta)"
(Varro rust. 2, 10, 4). ----------------------------------------- Dem
Zusammensiedeln waren die Gallier von Haus aus geneigt; offene Doerfer
gab es ueberall und allein der helvetische Kanton zaehlte deren im Jahre
696 (58) vierhundert ausser einer Menge einzelner Hoefe. Aber es fehlte
auch nicht an ummauerten Staedten, deren Mauern von Fachwerk sowohl
durch ihre Zweckmaessigkeit als durch die zierliche Ineinanderfuegung
von Balken und Steinen den Roemern auffielen, waehrend freilich selbst
in den Staedten der Allobrogen die Gebaeude allein aus Holz aufgefuehrt
waren. Solcher Staedte hatten die Helvetier zwoelf und ebensoviele die
Suessionen; wogegen allerdings in den noerdlicheren Distrikten, zum
Beispiel bei den Nerviern, es wohl auch Staedte gab, aber doch die
Bevoelkerung im Kriege mehr in den Suempfen und Waeldern als hinter
den Mauern Schutz suchte und jenseits der Themse gar die primitive
Schutzwehr der Waldverhacke durchaus an die Stelle der Staedte trat und
im Krieg die einzige Zufluchtsstaette fuer Menschen und Herden war. Mit
der verhaeltnismaessig bedeutenden Entwicklung des staedtischen Lebens
steht in enger Verbindung die Regsamkeit des Verkehrs zu Lande und zu
Wasser. Ueberall gab es Strassen und Bruecken. Die Flussschiffahrt, wozu
Stroeme wie Rhone, Garonne, Loire und Seine von selber aufforderten,
war ansehnlich und ergiebig. Aber weit merkwuerdiger noch ist die
Seeschiffahrt der Kelten. Nicht bloss sind die Kelten allem Anschein
nach diejenige Nation, die zuerst den Atlantischen Ozean regelmaessig
befahren hat, sondern wir finden auch hier die Kunst, Schiffe zu bauen
und zu lenken, auf einer bemerkenswerten Hoehe. Die Schiffahrt der
Voelker des Mittelmeers ist, wie dies bei der Beschaffenheit der von
ihnen befahrenen Gewaesser begreiflich ist, verhaeltnismaessig lange bei
dem Ruder stehengeblieben: die Kriegsfahrzeuge der Phoeniker, Hellenen
und Roemer waren zu allen Zeiten Rudergaleeren, auf welchen das Segel
nur als gelegentliche Verstaerkung des Ruders verwendet wurde; nur die
Handelsschiffe sind in der Epoche der entwickelten antiken Zivilisation
eigentliche Segler gewesen ^6. Die Gallier dagegen bedienten zwar
auf dem Kanal sich zu Caesars Zeit wie noch lange nachher einer Art
tragbarer lederner Kaehne, die im wesentlichen gewoehnliche Ruderboote
gewesen zu sein scheinen; aber an der Westkueste Galliens fuhren die
Santonen, die Pictonen, vor allem die Veneter mit grossen, freilich
plump gebauten Schiffen, die nicht mit Rudern bewegt wurden, sondern
mit Ledersegeln und eisernen Ankerketten versehen waren, und verwandten
diese nicht nur fuer ihren Handelsverkehr mit Britannien, sondern auch
im Seegefecht. Hier also begegnen wir nicht bloss zuerst der Schiffahrt
auf dem freien Ozean, sondern hier hat auch zuerst das Segelschiff
voellig den Platz des Ruderbootes eingenommen - ein Fortschritt,
den freilich die sinkende Regsamkeit der alten Welt nicht zu nutzen
verstanden hat und dessen unuebersehliche Resultate erst unsere
verjuengte Kulturperiode beschaeftigt ist, allmaehlich zu ziehen.
----------------------------------------------------------- ^6 Dahin
fuehrt die Benennung des Kauffahrtei- oder des "runden" im Gegensatz
zu dem "langen" oder dem Kriegsschiff und die aehnliche
Gegeneinanderstellung der "Ruderschiffe" (epik/o/poi n/e/es) und der
"Kauffahrer" (olkades" Dion. Hal. 3, 44); ferner die geringe Bemannung
der Kauffahrteischiffe, die auf den allergroessten nicht mehr betrug als
200 Mann (Rheinisches Museum N. F. 11, 1874, S. 625), waehrend auf der
gewoehnlichen Galeere von drei Verdecken schon 170 Ruderer gebraucht
wurden. Vgl. F. K. Movers, Die Phoenicier. Bonn-Berlin 1840-56, Bd. 2,
3, S. 167f. ----------------------------------------------------------
Bei diesem regelmaessigen Seeverkehr zwischen der britischen und der
gallischen Kueste ist die ueberaus enge politische Verbindung zwischen
den beiderseitigen Anwohnern des Kanals ebenso erklaerlich wie das
Aufbluehen des ueberseeischen Handels und der Fischerei. Es waren die
Kelten, namentlich der Bretagne, die das Zinn der Gruben von Cornwallis
aus England holten und es auf den Fluss- und Landstrassen des
Keltenlandes nach Narbo und Massalia verfuhren. Die Angabe, dass zu
Caesars Zeit einzelne Voelkerschaften an der Rheinmuendung von Fischen
und Vogeleiern lebten, darf man wohl darauf beziehen, dass hier die
Seefischerei und das Einsammeln der Seevoegeleier in ausgedehntem Umfang
betrieben ward. Fasst man die vereinzelten und spaerlichen Angaben, die
ueber den keltischen Handel und Verkehr uns geblieben sind, in Gedanken
ergaenzend zusammen, so begreift man es, dass die Zoelle der Fluss- und
Seehaefen in den Budgets einzelner Kantons, zum Beispiel in denen
der Haeduer und der Veneter, eine grosse Rolle spielten und dass der
Hauptgott der Nation ihr galt als der Beschuetzer der Strassen und des
Handels und zugleich als Erfinder der Gewerke. Ganz nichtig kann danach
auch die keltische Industrie nicht gewesen sein; wie denn die ungemeine
Anstelligkeit der Kelten und ihr eigentuemliches Geschick, jedes
Muster nachzuahmen und jede Anweisung auszufuehren auch von Caesar
hervorgehoben wird. In den meisten Zweigen scheint aber doch das Gewerk
bei ihnen sich nicht ueber das Mass des Gewoehnlichen erhoben zu haben;
die spaeter im mittleren und noerdlichen Gallien bluehende Fabrikation
leinener und wollener Stoffe ist nachweislich erst durch die Roemer ins
Leben gerufen worden. Eine Ausnahme, und soviel wir wissen die
einzige, macht die Bearbeitung der Metalle. Das nicht selten technisch
vorzuegliche und noch jetzt geschmeidige Kupfergeraet, das in den
Graebern des Keltenlandes zum Vorschein kommt, und die sorgfaeltig
justierten arvernischen Goldmuenzen sind heute noch lebendige Zeugen
der Geschicklichkeit der keltischen Kupfer- und Goldarbeiter; und wohl
stimmen dazu die Berichte der Alten, dass die Roemer von den Biturigen
das Verzinnen, von den Alesiern das Versilbern lernten - Erfindungen,
von denen die erste durch den Zinnhandel nahe genug gelegt war und
die doch wahrscheinlich beide noch in der Zeit der keltischen Freiheit
gemacht worden sind. Hand in Hand mit der Gewandtheit in der Bearbeitung
der Metalle ging die Kunst, sie zu gewinnen, die zum Teil, namentlich in
den Eisengruben an der Loire, eine solche bergmaennische Hoehe erreicht
hatte, dass die Grubenarbeiter bei den Belagerungen eine bedeutende
Rolle spielten. Die den Roemern dieser Zeit gelaeufige Meinung, dass
Gallien eines der goldreichsten Laender der Erde sei, wird freilich
widerlegt durch die wohlbekannten Bodenverhaeltnisse und durch die
Fundbestaende der keltischen Graeber, in denen Gold nur sparsam und
bei weitem minder haeufig erscheint als in den gleichartigen Funden der
wahren Heimatlaender des Goldes; es ist auch diese Vorstellung wohl nur
hervorgerufen worden durch das, was griechische Reisende und roemische
Soldaten, ohne Zweifel nicht ohne starke Uebertreibung, ihren
Landsleuten von der Pracht der arvernischen Koenige und den Schaetzen
der tolosanischen Tempel zu erzaehlen wussten. Aber voellig aus der Luft
griffen die Erzaehler doch nicht. Es ist sehr glaublich, dass in und
an den Fluessen, welche aus den Alpen und den Pyrenaeen stroemen,
Goldwaeschereien und Goldsuchereien, die bei dem heutigen Wert
der Arbeitskraft unergiebig sind, in roheren Zeiten und bei
Sklavenwirtschaft mit Nutzen und in bedeutendem Umfang betrieben wurden;
ueberdies moegen die Handelsverhaeltnisse Galliens, wie nicht selten die
der halbzivilisierten Voelker, das Aufhaeufen eines toten Kapitals edler
Metalle beguenstigt haben. Bemerkenswert ist der niedrige Stand der
bildenden Kunst, der bei der mechanischen Geschicklichkeit in Behandlung
der Metalle nur um so greller hervortritt. Die Vorliebe fuer bunte
und glaenzende Zieraten zeigt den Mangel an Schoenheitssinn, und eine
leidige Bestaetigung gewaehren die gallischen Muenzen mit ihren bald
uebereinfach, bald abenteuerlich, immer aber kindisch entworfenen
und fast ohne Ausnahme mit unvergleichlicher Roheit ausgefuehrten
Darstellungen. Es ist vielleicht ohne Beispiel, dass eine Jahrhunderte
hindurch mit einem gewissen technischen Geschick geuebte Muenzpraegung
sich wesentlich darauf beschraenkt hat, zwei oder drei griechische
Stempel immer wieder und immer entstellter nachzuschneiden. Dagegen
wurde die Dichtkunst von den Kelten hoch geschaetzt und verwuchs eng mit
den religioesen und selbst mit den politischen Institutionen der Nation;
wir finden die geistliche wie die Hof- und Bettelpoesie in Bluete. Auch
Naturwissenschaft und Philosophie fanden, wenngleich in den Formen und
den Banden der Landestheologie, bei den Kelten eine gewisse Pflege und
der hellenische Humanismus eine bereitwillige Aufnahme, wo und wie er
an sie herantrat. Die Kunde der Schrift war wenigstens bei den Priestern
allgemein. Meistenteils bediente man in dem freien Gallien zu Caesars
Zeit sich der griechischen, wie unter andern die Helvetier taten; nur
in den suedlichsten Distrikten desselben war schon damals infolge des
Verkehrs mit den romanisierten Kelten die lateinische ueberwiegend, der
wir zum Beispiel auf den arvernischen Muenzen dieser Zeit begegnen.
Auch die politische Entwicklung der keltischen Nation bietet sehr
bemerkenswerte Erscheinungen. Die staatliche Verfassung ruht bei ihr wie
ueberall auf dem Geschlechtsgau mit dem Fuersten, dem Rat der Aeltesten
und der Gemeinde der freien waffenfaehigen Maenner; dies aber ist ihr
eigentuemlich, dass sie ueber diese Gauverfassung niemals hinausgelangt
ist. Bei den Griechen und Roemern trat sehr frueh an die Stelle des
Gaues als die Grundlage der politischen Einheit der Mauerring: wo zwei
Gaue in denselben Mauern sich zusammenfanden, verschmolzen sie zu einem
Gemeinwesen; wo eine Buergerschaft einem Teil ihrer Mitbuerger einen
neuen Mauerring anwies, entstand regelmaessig damit auch ein neuer,
nur durch die Bande der Pietaet und hoechstens der Klientel mit der
Muttergemeinde, verknuepfter Staat. Bei den Kelten dagegen bleibt die
"Buergerschaft" zu allen Zeiten der Clan; dem Gau und nicht irgendeiner
Stadt stehen Fuerst und Rat vor, und der allgemeine Gautag bildet die
letzte Instanz im Staate. Die Stadt hat, wie im Orient, nur merkantile
und strategische, nicht politische Bedeutung; weshalb denn auch die
gallischen Ortschaften, selbst ummauerte und sehr ansehnliche wie Vienna
und Genava, den Griechen und Roemern nichts sind als Doerfer. Zu
Caesars Zeit bestand die urspruengliche Clanverfassung noch wesentlich
ungeaendert bei den Inselkelten und in den noerdlichen Gauen des
Festlandes: die Landesgemeinde behauptete die hoechste Autoritaet; der
Fuerst ward in wesentlichen Fragen durch ihre Beschluesse gebunden; der
Gemeinderat war zahlreich - er zaehlte in einzelnen Clans sechshundert
Mitglieder -, scheint aber nicht mehr bedeutet zu haben als der Senat
unter den roemischen Koenigen. Dagegen in dem regsameren Sueden des
Landes war ein oder zwei Menschenalter vor Caesar - die Kinder der
letzten Koenige lebten noch zu seiner Zeit - wenigstens bei den
groesseren Clans, den Arvernern, Haeduern, Sequanern, Helvetiern, eine
Umwaelzung eingetreten, die die Koenigsherrschaft beseitigte und
dem Adel die Gewalt in die Haende gab. Es ist nur die Kehrseite des
ebenbezeichneten vollstaendigen Mangels staedtischer Gemeinwesen bei den
Kelten, dass der entgegengesetzte Pol der politischen Entwicklung, das
Rittertum, in der keltischen Clanverfassung so voellig ueberwiegt.
Die keltische Aristokratie war allem Anschein nach ein hoher Adel,
groesstenteils vielleicht die Glieder der koeniglichen oder ehemals
koeniglichen Familien, wie es denn bemerkenswert ist, dass die Haeupter
der entgegengesetzten Parteien in demselben Clan sehr haeufig dem
gleichen Geschlecht angehoeren. Diese grossen Familien vereinigten in
ihrer Hand die oekonomische, kriegerische und politische Uebermacht.
Sie monopolisierten die Pachtungen der nutzbaren Rechte des Staates. Sie
noetigen die Gemeinfreien, die die Steuerlast erdrueckte, bei ihnen zu
borgen und zuerst tatsaechlich als Schuldner, dann rechtlich als
Hoerige sich ihrer Freiheit zu begeben. Sie entwickelten bei sich das
Gefolgwesen, das heisst das Vorrecht des Adels, sich mit einer Anzahl
geloehnter reisiger Knechte, sogenannter Ambakten ^7, zu umgeben und
damit einen Staat im Staate zu bilden; und gestuetzt auf diese
ihre eigenen Leute trotzten sie den gesetzlichen Behoerden und dem
Gemeindeaufgebot und sprengten tatsaechlich das Gemeinwesen. Wenn in
einem Clan, dar etwa 80000 Waffenfaehige zaehlte, ein einzelner Adliger
mit 10000 Knechten, ungerechnet die Hoerigen und die Schuldner, auf dem
Landtage erscheinen konnte, so ist es einleuchtend, dass ein solcher
mehr ein unabhaengiger Dynast war als ein Buerger seines Clans. Es kam
hinzu, dass die vornehmen Familien der verschiedenen Clans innig unter
sich zusammenhingen und durch Zwischenheiraten und Sondervertraege
gleichsam einen geschlossenen Bund bildeten, dem gegenueber der einzelne
Clan ohnmaechtig war. Darum vermochten die Gemeinden nicht laenger den
Landfrieden aufrecht zu halten und regierte durchgaengig das Faustrecht.
Schutz fand nur noch der hoerige Mann bei seinem Herrn, den Pflicht und
Interesse noetigten, die seinem Klienten zugefuegte Unbill zu ahnden;
die Freien zu beschirmen hatte der Staat die Gewalt nicht mehr, weshalb
diese zahlreich sich als Hoerige einem Maechtigen zu eigen gaben. Die
Gemeindeversammlung verlor ihre politische Bedeutung; und auch das
Fuerstentum, das den Uebergriffen des Adels haette steuern sollen, erlag
demselben bei den Kelten so gut wie in Latium. An die Stelle des Koenigs
trat der "Rechtswirker" oder Vergobretus ^8, der wie der roemische
Konsul nur auf ein Jahr ernannt ward. Soweit der Gau ueberhaupt noch
zusammenhielt, ward er durch den Gemeinderat geleitet, in dem natuerlich
die Haeupter der Aristokratie die Regierung an sich rissen. Es versteht
sich von selbst, dass unter solchen Verhaeltnissen es in den einzelnen
Clans in ganz aehnlicher Weise gaerte, wie es in Latium nach der
Vertreibung der Koenige Jahrhunderte lang gegaert hatte: waehrend die
Adelschaften der verschiedenen Gemeinden sich zu einem der Gemeindemacht
feindlichen Sonderbuendnis zusammentaten, hoerte die Menge nicht auf,
die Wiederherstellung des Koenigtums zu begehren, und versuchte nicht
selten ein hervorragender Edelmann, wie Spurius Cassius in Rom
getan, gestuetzt auf die Masse der Gauangehoerigen, die Macht seiner
Standesgenossen zu brechen und zu seinem Besten die Krone wieder in ihre
Rechte einzusetzen. ---------------------------------------------------
^7 Dies merkwuerdige Wort muss schon im sechsten Jahrhundert Roms bei
den Kelten im Potal gebraeuchlich gewesen sein; denn bereits Ennius
kennt es, und es kann nur von da her in so frueher Zeit den Italikern
zugekommen sein. Es ist dasselbe aber nicht bloss keltisch, sondern auch
deutsch, die Wurzel unseres "Amt"; wie ja auch das Gefolgwesen selbst
den Kelten und den Deutschen gemeinsam ist. Von grosser geschichtlicher
Wichtigkeit waere es, auszumachen ob das Wort und also auch die Sache zu
den Kelten von den Deutschen oder zu den Deutschen von den Kelten kam.
Wenn, wie man gewoehnlich annimmt, das Wort urspruenglich deutsch ist
und zunaechst den in der Schlacht dem Herrn "gegen den Ruecken" (and =
gegen, bak = Ruecken) stehenden Knecht bezeichnet, so ist dies mit dem
auffallend fruehen Vorkommen dieses Wortes bei den Kelten nicht gerade
unvereinbar. Nach allen Analogien kann das Recht Ambakten, das ist
do?loi misth/o/toi, zu halten, dem keltischen Adel nicht von Haus aus
zugestanden, sondern erst allmaehlich im Gegensatz zu dem aelteren
Koenigtum wie zu der Gleichheit der Gemeinfreien sich entwickelt haben.
Wenn also das Ambaktentum bei den Kelten keine altnationale, sondern
eine relativ junge Institution ist, so ist es auch, bei dem zwischen
den Kelten und Deutschen Jahrhunderte lang bestehenden und weiterhin
zu eroerternden Verhaeltnis, nicht bloss moeglich, sondern sogar
wahrscheinlich, dass die Kelten, in Italien wie in Gallien, zu
diesen gedungenen Waffenknechten hauptsaechlich Deutsche nahmen. Die
"Schweizer" wuerden also in diesem Falle um einige Jahrtausende aelter
sein, als man meint. Sollte die Benennung, womit, vielleicht nach dem
Beispiel der Kelten, die Roemer die Deutschen als Nation bezeichnen, der
Name Germani wirklich keltischen Ursprungs sein, so steht dies damit,
wie man sieht, im besten Einklang. Freilich werden diese Annahmen
immer zurueckstehen muessen, falls es gelingt, das Wort ambactus in
befriedigender Weise aus keltischer Wurzel zu erklaeren; wie denn J. K.
Zeuss (Grammatica celtica. Leipzig 1853, S. 796), wenngleich
zweifelnd, dasselbe auf ambi = um und ag = agere, = Herumbeweger oder
Herumbewegter, also Begleiter, Diener zurueckfuehrt. Dass das Wort auch
als keltischer Eigenname vorkommt (Zeuss, S. 77) und vielleicht noch in
dem cambrischen amaeth = Bauer, Arbeiter erhalten ist (Zeuss, S. 156),
kann nach keiner Seite hin entscheiden. ^8 Von den keltischen
Woertern guerg = Wirker und breth = Gericht.
---------------------------------------------------------------- Wenn
also die einzelnen Gaue unheilbar hinsiechten, so regte sich wohl
daneben maechtig in der Nation das Gefuehl der Einheit und suchte in
mancherlei Weise Form und Halt zu gewinnen. Jenes Zusammenschliessen des
gesamten keltischen Adels im Gegensatz gegen die einzelnen Gauverbaende
zerruettete zwar die bestehende Ordnung der Dinge, aber weckte und
naehrte doch auch die Vorstellung der Zusammengehoerigkeit der Nation.
Ebendahin wirkten die von aussen her gegen die Nation gerichteten
Angriffe und die fortwaehrende Schmaelerung ihres Gebiets im Kriege
mit den Nachbarn. Wie die Hellenen in den Kriegen gegen die Perser,
die Italiker in denen gegen die cisalpinischen Kelten, so scheinen die
transalpinischen Gallier in den Kriegen gegen Rom des Bestehens und der
Macht der nationalen Einheit sich bewusst geworden zu sein. Unter dem
Hader der rivalisierenden Clans und all jenem feudalistischen
Gezaenk machten doch auch die Stimmen derer sich bemerklich, die
die Unabhaengigkeit der Nation um den Preis der Selbstaendigkeit der
einzelnen Gaue und selbst um den der ritterschaftlichen Herrenrechte zu
erkaufen bereit waren. Wie durchweg populaer die Opposition gegen die
Fremdherrschaft war, bewiesen die Kriege Caesars, dem gegenueber die
keltische Patriotenpartei eine ganz aehnliche Stellung hatte wie die
deutschen Patrioten gegen Napoleon: fuer ihre Ausdehnung und ihre
Organisation zeugt unter anderem die Telegraphengeschwindigkeit, mit der
sie sich Nachrichten mitteilte. Die Allgemeinheit und die Maechtigkeit
des keltischen Nationalbewusstseins wuerden unerklaerlich sein, wenn
nicht bei der groessten politischen Zersplitterung die keltische Nation
seit langem religioes und selbst theologisch zentralisiert gewesen
waere. Die keltische Priesterschaft oder, mit dem einheimischen Namen,
die Korporation der Druiden umfasste sicher die Britischen Inseln und
ganz Gallien, vielleicht noch andere Keltenlaender mit einem gemeinsamen
religioes-nationalen Bande. Sie stand unter einem eigenen Haupte, das
die Priester selber sich waehlten, mit eigenen Schulen, in denen die
sehr umfaengliche Tradition fortgepflanzt ward, mit eigenen Privilegien,
namentlich Befreiung von Steuer und Kriegsdienst, welche jeder
Clan respektierte, mit jaehrlichen Konzilien, die bei Chartres im
"Mittelpunkt der keltischen Erde" abgehalten wurden, und vor allen
Dingen mit einer glaeubigen Gemeinde, die an peinlicher Froemmigkeit
und an blindem Gehorsam gegen ihre Priester den heutigen Iren nichts
nachgegeben zu haben scheint. Es ist begreiflich, dass eine solche
Priesterschaft auch das weltliche Regiment an sich zu reissen versuchte
und teilweise an sich riss: sie leitete, wo das Jahrkoenigtum bestand,
im Fall eines Interregnums die Wahlen; sie nahm mit Erfolg das Recht in
Anspruch, einzelne Maenner und ganze Gemeinden von der religioesen und
folgeweise auch der buergerlichen Gemeinschaft auszuschliessen;
sie wusste die wichtigsten Zivilsachen, namentlich Grenz- und
Erbschaftsprozesse an sich zu ziehen, sie entwickelte, gestuetzt wie es
scheint auf ihr Recht, aus der Gemeinde auszuschliessen, und vielleicht
auch auf die Landesgewohnheit, dass zu den ueblichen Menschenopfern
vorzugsweise Verbrecher genommen wurden, eine ausgedehnte priesterliche
Kriminalgerichtsbarkeit, die mit der der Koenige und Vergobreten
konkurrierte; sie nahm sogar die Entscheidung ueber Krieg und Frieden
in Anspruch. Man war nicht fern von einem Kirchenstaat mit Papst und
Konzilien, mit Immunitaeten, Interdikten und geistlichen Gerichten; nur
dass dieser Kirchenstaat nicht, wie der der Neuzeit, von den Nationen
abstrahierte, sondern vielmehr vor allen Dingen national war. Aber wenn
also das Gefuehl der Zusammengehoerigkeit unter den keltischen Staemmen
mit voller Lebendigkeit erwacht war, so blieb es dennoch der Nation
versagt, zu einem Haltpunkt politischer Zentralisation zu gelangen, wie
ihn Italien an der roemischen Buergerschaft, Hellenen und Germanen
an den makedonischen und fraenkischen Koenigen fanden. Die keltische
Priester- und ebenso die Adelschaft, obwohl beide in gewissem Sinn
die Nation vertraten und verbanden, waren doch einerseits ihrer
staendisch-partikularistischen Interessen wegen unfaehig, sie zu
einigen, andererseits maechtig genug, um keinem Koenig und keinem Gau
das Werk der Einigung zu gestatten. Ansaetze zu demselben fehlen nicht;
sie gingen, wie die Gauverfassung es an die Hand gab, den Weg des
Hegemoniesystems. Der maechtige Kanton bestimmte den schwaecheren, sich
ihm in der Art unterzuordnen, dass die fuehrende Gemeinde nach aussen
die andere mitvertrat und in Staatsvertraegen fuer sie mitstipulierte,
der Klientelgau dagegen sich zur Heeresfolge, auch wohl zur Erlegung
eines Tributs verpflichtete. Auf diesem Wege entstanden eine Reihe von
Sonderbuenden: einen fuehrenden Gau fuer das ganze Keltenland, einen
wenn auch noch so losen Verband der gesamten Nation gab es nicht.
Es ward bereits erwaehnt, dass die Roemer bei dem Beginn ihrer
transalpinischen Eroberungen dort im Norden einen britisch- belgischen
Bund unter Fuehrung der Suessionen, im mittleren und suedlichen Gallien
die Arvernerkonfoederation vorfanden, mit welcher letzteren die Haeduer
mit ihrer schwaecheren Klientel rivalisierten. In Caesars Zeit finden
wir die Belgen im nordoestlichen Gallien zwischen Seine und Rhein
noch in einer solchen Gemeinschaft, die sich indes wie es scheint auf
Britannien nicht mehr erstreckt; neben ihnen erscheint in der heutigen
Normandie und Bretagne der Bund der aremorikanischen, das heisst der
Seegaue; im mittleren oder dem eigentlichen Gallien ringen wie ehemals
zwei Parteien um die Hegemonie, an deren Spitze einerseits die Haeduer
stehen, andererseits, nachdem die Arverner, durch die Kriege mit Rom
geschwaecht, zurueckgetreten waren, die Sequaner. Diese verschiedenen
Eidgenossenschaften standen unabhaengig nebeneinander; die fuehrenden
Staaten des mittleren Gallien scheinen ihre Klientel nie auf das
nordoestliche und ernstlich wohl auch nicht auf den Nordwesten Galliens
erstreckt zu haben. Der Freiheitsdrang der Nation fand in diesen
Gauverbaenden eine gewisse Befriedigung; aber sie waren doch in jeder
Hinsicht ungenuegend. Die Verbindung war von der lockersten, bestaendig
zwischen Allianz und Hegemonie schwankenden Art, die Repraesentation der
Gesamtheit im Frieden durch die Bundestage, im Kriege durch den Herzog
^9 im hoechsten Grade schwaechlich. Nur die belgische Eidgenossenschaft
scheint etwas fester zusammengehalten zu haben; der nationale
Aufschwung, aus dem die glueckliche Abwehr der Kimbrer hervorging, mag
ihr zugute gekommen sein. Die Rivalitaeten um die Hegemonie machten
einen Riss in jeden einzelnen Bund, den die Zeit nicht schloss, sondern
erweiterte, weil selbst der Sieg des einen Nebenbuhlers dem Gegner die
politische Existenz liess und demselben, auch wenn er in die Klientel
sich gefuegt hatte, immer gestattet blieb, den Kampf spaeterhin zu
erneuern. Der Wettstreit der maechtigeren Gaue entzweite nicht bloss
diese, sondern in jedem abhaengigen Clan, in jedem Dorfe, ja oft in
jedem Hause setzte er sich fort, indem jeder einzelne nach seinen
persoenlichen Verhaeltnissen Partei ergriff. Wie Hellas sich aufrieb
nicht so sehr in dem Kampfe Athens gegen Sparta als in dem inneren
Zwist athenischer und lakedaemonischer Faktionen in jeder abhaengigen
Gemeinde, ja in Athen selbst: so hat auch die Rivalitaet der Arverner
und Haeduer mit ihren Wiederholungen in kleinem und immer
kleinerem Massstab das Kelterwolk vernichtet.
--------------------------------------------- ^9 Welche Stellung ein
solcher Bundesfeldherr seinen Leuten gegenueber einnahm, zeigt die gegen
Vercingetorix erhobene Anklage auf Landesverrat (Caes. Gall. 7, 20).
--------------------------------------------- Die Wehrhaftigkeit
der Nation empfand den Rueckschlag dieser politischen und sozialen
Verhaeltnisse. Die Reiterei war durchaus die vorwiegende Waffe, woneben
bei den Belgen und mehr noch auf den Britischen Inseln die altnationalen
Streitwagen in bemerkenswerter Vervollkommnung erscheinen. Diese ebenso
zahlreichen wie tuechtigen Reiter- und Wagenkaempferscharen wurden
gebildet aus dem Adel und dessen Mannen, der denn auch echt ritterlich
an Hunden und Pferden seine Lust hatte und es sich viel kosten liess,
edle Rosse auslaendischer Rasse zu reiten. Fuer den Geist und die
Kampfweise dieser Edelleute ist es bezeichnend, dass, wenn das Aufgebot
erging, wer irgend von ihnen sich zu Pferde halten konnte, selbst der
hochbejahrte Greis mit aufsass, und dass sie, im Begriff mit einem
gering geschaetzten Feinde ein Gefecht zu beginnen, Mann fuer Mann
schwuren, Haus und Hof meiden zu wollen, wenn ihre Schar nicht
wenigstens zweimal durch die feindliche Linie setzen werde. Unter
den gedungenen Mannen herrschte das Lanzknechttum mit all seiner
entsittlichten und entgeistigten Gleichgueltigkeit gegen fremdes und
eigenes Leben - das zeigen die Erzaehlungen, wie anekdotenhaft sie auch
gefaerbt sind, von der keltischen Sitte, beim Gastmahl zum Scherz zu
rapieren und gelegentlich auf Leben und Tod zu fechten; von dem dort
herrschenden, selbst die roemischen Fechterspiele noch ueberbietenden
Gebrauch, sich gegen eine bestimmte Geldsumme oder eine Anzahl Faesser
Wein zum Schlachten zu verkaufen und vor den Augen der ganzen Menge auf
dem Schilde hingestreckt den Todesstreich freiwillig hinzunehmen. Neben
diesen Reisigen trat das Fussvolk in den Hintergrund. In der Hauptsache
glich es wesentlich noch den Keltenscharen, mit denen die Roemer in
Italien und Spanien gefochten hatten. Der grosse Schild war wie damals
die hauptsaechlichste Wehr; unter den Waffen spielte dagegen statt des
Schwertes jetzt die lange Stosslanze die erste Rolle. Wo mehrere Gaue
verbuendet Krieg fuehrten, lagerte und stritt natuerlich Clan gegen
Clan; es findet sich keine Spur, dass man das Aufgebot des einzelnen
Gaues militaerisch gegliedert und kleinere und regelrechtere taktische
Abteilungen gebildet haette. Noch immer schleppte ein langer Wagentross
dem Keltenheer das Gepaeck nach; anstatt des verschanzten Lagers, wie
es die Roemer allabendlich schlugen, diente noch immer das duerftige
Surrogat der Wagenburg. Von einzelnen Gauen, wie zum Beispiel
den Nerviern, wird ausnahmsweise die Tuechtigkeit ihres Fussvolks
hervorgehoben; bemerkenswert ist es, dass eben diese keine Ritterschaft
hatten und vielleicht sogar kein keltischer, sondern ein eingewanderter
deutscher Stamm waren. Im allgemeinen aber erscheint das keltische
Fussvolk dieser Zeit als ein unkriegerischer und schwerfaelliger
Landsturm; am meisten in den suedlicheren Landschaften, wo mit der Rohen
auch die Tapferkeit geschwunden war. Der Kelte, sagt Caesar, wagt es
nicht, dem Germanen im Kampfe ins Auge zu sehen; noch schaerfer als
durch dieses Urteil kritisierte der roemische Feldherr die keltische
Infanterie dadurch, dass, nachdem er sie in seinem ersten Feldzug
kennengelernt hatte, er sie nie wieder in Verbindung mit der roemischen
verwandt hat. Ueberblicken wir den Gesamtzustand der Kelten, wie ihn
Caesar in den transalpinischen Landschaften vorfand, so ist, verglichen
mit der Kulturstufe, auf der anderthalb Jahrhunderte zuvor die Kelten
im Potal uns entgegentraten, ein Fortschritt in der Zivilisation
unverkennbar. Damals ueberwog in den Heeren durchaus die in ihrer Art
vortreffliche Landwehr (I, 340); jetzt nimmt die Ritterschaft den ersten
Platz ein. Damals wohnten die Kelten in offenen Flecken; jetzt
umgaben ihre Ortschaften wohlgefuegte Mauern. Auch die lombardischen
Graeberfunde stehen, namentlich in dem Kupfer- und Glasgeraet, weit
zurueck hinter denen des noerdlichen Keltenlandes. Vielleicht der
zuverlaessigste Messer der steigenden Kultur ist das Gefuehl der
Zusammengehoerigkeit der Nation; sowenig davon in den auf dem Boden
der heutigen Lombardei geschlagenen Keltenkaempfen zu Tage tritt, so
lebendig erscheint es in den Kaempfen gegen Caesar. Allem Anschein nach
hatte die keltische Nation, als Caesar ihr gegenuebertrat, das Maximum
der ihr beschiedenen Kultur bereits erreicht und war schon wieder im
Sinken. Die Zivilisation der transalpinischen Kelten in der caesarischen
Zeit bietet selbst fuer uns, die wir nur sehr unvollkommen ueber sie
berichtet sind, manche achtbare und noch mehr interessante Seite; in
mehr als einer Hinsicht schliesst sie sich enger der modernen an als der
hellenisch- roemischen, mit ihren Segelschiffen, ihrem Rittertum, ihrer
Kirchenverfassung, vor allen Dingen mit ihren, wenn auch unvollkommenen
Versuchen, den Staat nicht auf die Stadt, sondern auf den Stamm und in
hoeherer Potenz auf die Nation zu bauen. Aber ebendarum, weil wir hier
der keltischen Nation auf dem Hoehepunkt ihrer Entwicklung begegnen,
tritt um so bestimmter ihre mindere sittliche Begabung oder, was
dasselbe ist, ihre mindere Kulturfaehigkeit hervor. Sie vermochte aus
sich weder eine nationale Kunst noch einen nationalen Staat zu erzeugen
und brachte es hoechstens zu einer nationalen Theologie und einem
eigenen Adeltum. Die urspruengliche naive Tapferkeit war nicht mehr;
der auf hoehere Sittlichkeit und zweckmaessige Ordnungen gestuetzte
militaerische Mut, wie er im Gefolge der gesteigerten Zivilisation
eintritt, hatte nur in sehr verkuemmerter Gestalt sich eingestellt in
dem Rittertum. Wohl war die eigentliche Barbarei ueberwunden; die Zeiten
waren nicht mehr, wo im Keltenland das fette Hueftstueck dem tapfersten
der Gaeste zugeteilt ward, aber jedem der Mitgeladenen, der sich dadurch
verletzt erachtete, freistand, den Empfaenger deswegen zum Kampfe zu
fordern, und wo man mit dem verstorbenen Haeuptling seine treuesten
Gefolgsmaenner verbrannte. Aber doch dauerten die Menschenopfer
noch fort, und der Rechtssatz, dass die Folterung des freien Mannes
unzulaessig, aber die der freien Frau erlaubt sei so gut wie die
Folterung des Sklaven, wirft ein unerfreuliches Licht auf die Stellung,
die das weibliche Geschlecht bei den Kelten auch noch in ihrer
Kulturzeit einnahm. Die Vorzuege, die der primitiven Epoche der Nationen
eigen sind, hatten die Kelten eingebuesst, aber diejenigen nicht
erworben, die die Gesittung dann mit sich bringt, wenn sie ein Volk
innerlich und voellig durchdringt. Also war die keltische Nation
in ihren inneren Zustaenden beschaffen. Es bleibt noch uebrig, ihre
aeusseren Beziehungen zu den Nachbarn darzustellen und zu schildern,
welche Rolle sie in diesem Augenblick einnahmen in dem gewaltigen
Wettlauf und Wettkampf der Nationen, in dem das Behaupten sich ueberall
noch schwieriger erweist als das Erringen. An den Pyrenaeen hatten die
Verhaeltnisse der Voelker laengst sich friedlich geordnet und waren
die Zeiten laengst vorbei, wo die Kelten hier die iberische, das heisst
baskische Urbevoelkerung bedraengten und zum Teil verdraengten. Die
Taeler der Pyrenaeen wie die Gebirge Bearns und der Gascogne und ebenso
die Kuestensteppen suedlich von der Garonne standen zu Caesars Zeit
im unangefochtenen Besitz der Aquitaner, einer grossen Anzahl kleiner,
wenig unter sich und noch weniger mit dem Ausland sich beruehrender
Voelkerschaften iberischer Abstammung; hier war nur die Garonnemuendung
selbst mit dem wichtigen Hafen Burdigala (Bordeaux) in den Haenden
eines keltischen Stammes, der Bituriger-Vivisker. Von weit groesserer
Bedeutung waren die Beruehrungen der keltischen Nation mit dem
Roemervolk und mit den Deutschen. Es soll hier nicht wiederholt werden,
was frueher erzaehlt worden ist, wie die Roemer in langsamem Vordringen
die Kelten allmaehlich zurueckgedrueckt, zuletzt auch den Kuestensaum
zwischen den Alpen und den Pyrenaeen besetzt und sie dadurch von
Italien, Spanien und dem Mittellaendischen Meer gaenzlich abgeschnitten
hatten, nachdem bereits Jahrhunderte zuvor durch die Anlage der
hellenischen Zwingburg an der Rhonemuendung diese Katastrophe
vorbereitet worden war; daran aber muessen wir hier wieder erinnern,
dass nicht bloss die Ueberlegenheit der roemischen Waffen die Kelten
bedraengte, sondern ebensosehr die der roemischen Kultur, der die
ansehnlichen Anfaenge der hellenischen Zivilisation im Keltenlande
ebenfalls in letzter Instanz zugute kamen. Auch hier bahnten Handel
und Verkehr wie so oft der Eroberung den Weg. Der Kelte liebte nach
nordischer Weise feurige Getraenke; dass er den edlen Wein wie der
Skythe unvermischt und bis zum Rausche trank, erregte die Verwunderung
und den Ekel des maessigen Suedlaenders, aber der Haendler verkehrt
nicht ungern mit solchen Kunden. Bald ward der Handel nach dem
Keltenland eine Goldgrube fuer den italischen Kaufmann; es war nichts
Seltenes, dass daselbst ein Krug Wein um einen Sklaven getauscht ward.
Auch andere Luxusartikel, wie zum Beispiel italische Pferde, fanden
in dem Keltenland vorteilhaften Absatz. Es kam sogar bereits vor, dass
roemische Buerger jenseits der roemischen Grenze Grundbesitz erwarben
und denselben nach italischer Art nutzten, wie denn zum Beispiel
roemische Landgueter im Kanton der Segusiaver (bei Lyon) schon um 673
(81) erwaehnt werden. Ohne Zweifel ist es hiervon eine Folge, dass, wie
schon gesagt ward, selbst in dem freien Gallien, zum Beispiel bei den
Arvernern, die roemische Sprache schon vor der Eroberung nicht unbekannt
war; obwohl sich freilich diese Kunde vermutlich noch auf wenige
beschraenkte und selbst mit den Vornehmen des verbuendeten Gaues
der Haeduer durch Dolmetscher verkehrt werden musste. So gut wie die
Haendler mit Feuerwasser und die Squatters die Besetzung Nordamerikas
einleiteten, so wiesen und winkten diese roemischen Weinhaendler und
Gutsbesitzer den kuenftigen Eroberer Galliens heran. Wie lebhaft man
auch auf der entgegengesetzten Seite dies empfand, zeigt das Verbot, das
einer der tuechtigsten Staemme des Keltenlandes, der Gau der Nervier,
gleich einzelnen deutschen Voelkerschaften, gegen den Handelsverkehr mit
den Roemern erliess. Ungestuemer noch als vom Mittellaendischen
Meere die Roemer, draengten vom Baltischen und der Nordsee herab die
Deutschen, ein frischer Stamm aus der grossen Voelkerwiege des Ostens,
der sich Platz machte neben seinen aelteren Bruedern mit jugendlicher
Kraft, freilich auch mit jugendlicher Roheit. Wenn auch die naechst am
Rhein wohnenden Voelkerschaften dieses Stammes, die Usipeten, Tencterer,
Sugambrer, Ubier, sich einigermassen zu zivilisieren angefangen und
wenigstens aufgehoert hatten, freiwillig ihre Sitze zu wechseln, so
stimmen doch alle Nachrichten dahin zusammen, dass weiter landeinwaerts
der Ackerbau wenig bedeutete und die einzelnen Staemme kaum noch
zu festen Sitzen gelangt waren. Es ist bezeichnend dafuer, dass die
westlichen Nachbarn in dieser Zeit kaum eines der Voelker des inneren
Deutschlands seinem Gaunamen nach zu nennen wussten, sondern dieselben
ihnen nur bekannt sind unter den allgemeinen Bezeichnungen der Sueben,
das ist der schweifenden Leute, der Nomaden, und der Markomannen, das
ist der Landwehr ^10 - Namen, die in Caesars Zeit schwerlich schon
Gaunamen waren, obwohl sie den Roemern als solche erschienen und spaeter
auch vielfach Gaunamen geworden sind. Der gewaltigste Andrang dieser
grossen Nation traf die Kelten. Die Kaempfe, die die Deutschen um den
Besitz der Landschaften oestlich vom Rheine mit den Kelten gefuehrt
haben moegen, entziehen sich vollstaendig unseren Blicken. Wir vermoegen
nur zu erkennen, dass um das Ende des siebenten Jahrhunderts Roms schon
alles Land bis zum Rhein den Kelten verloren war, die Boier, die einst
in Bayern und Boehmen gesessen haben mochten, heimatlos herumirrten und
selbst der ehemals von den Helvetiern besessene Schwarzwald wenn
auch noch nicht von den naechstwohnenden deutschen Staemmen in Besitz
genommen, doch wenigstens wuestes Grenzstreitland war - vermutlich
schon damals das, was es spaeter hiess: die helvetische Einoede. Die
barbarische Strategik der Deutschen, durch meilenweite Wuestlegung der
Nachbarschaft sich vor feindlichen Ueberfaellen zu sichern, scheint
hier im groessten Massstab Anwendung gefunden zu haben.
----------------------------------------------------- ^10 So sind
Caesars Sueben wahrscheinlich die Chatten; aber dieselbe Benennung
kam sicher zu Caesars Zeit und noch viel spaeter auch jedem anderen
deutschen Stamme zu, der als ein regelmaessig wandernder bezeichnet
werden konnte. Wenn also auch, wie nicht zu bezweifeln, der "Koenig der
Sueben" bei Mela (3, 1) und Plinius (nat. 2, 67, 170) Ariovist ist,
so folgt darum noch keineswegs, dass Ariovist ein Chatte war. Die
Markomannen als ein bestimmtes Volk lassen sich vor Marbod nicht
nachweisen; es ist sehr moeglich, dass das Wort bis dahin nichts
bezeichnet als was es etymologisch bedeutet, die Land- oder Grenzwehr.
Wenn Caesar (Galt. 1, 51) unter den im Heere Ariovists fechtenden
Voelkern Markomannen erwaehnt, so kann er auch hier eine bloss
appellative Bezeichnung ebenso missverstanden haben, wie dies bei
den Sueben entschieden der Fall ist.
--------------------------------------------------- Aber die Deutschen
waren nicht stehen geblieben am Rheine. Der seinem Kern nach aus
deutschen Staemmen zusammengesetzte Heereszug der Kimbrer und Teutonen,
der fuenfzig Jahre zuvor ueber Pannonien, Gallien, Italien und Spanien
so gewaltig hingebraust war, schien nichts gewesen zu sein als eine
grossartige Rekognoszierung. Schon hatten westlich vom Rhein, namentlich
dem untern Lauf desselben, verschiedene deutsche Staemme bleibende Sitze
gefunden: als Eroberer eingedrungen, fuhren diese Ansiedler fort,
von ihren gallischen Umwohnern gleich wie von Untertanen Geiseln
einzufordern und jaehrlichen Tribut zu erheben. Dahin gehoerten die
Aduatuker, die aus einem Splitter der Kimbrermasse zu einem ansehnlichen
Gau geworden waren, und eine Anzahl anderer, spaeter unter dem Namen der
Tungrer zusammengefasster Voelkerschaften an der Maas in der Gegend von
Luettich; sogar die Treverer (um Trier) und die Nervier (im Hennegau),
zwei der groessten und maechtigsten Voelkerschaften dieser Gegend,
bezeichnen achtbare Autoritaeten geradezu als Germanen. Die
vollstaendige Glaubwuerdigkeit dieser Berichte muss allerdings
dahingestellt bleiben, da es, wie Tacitus in Beziehung auf die zuletzt
erwaehnten beiden Voelker bemerkt, spaeterhin wenigstens in diesen
Strichen fuer eine Ehre galt, von deutschem Blute abzustammen und nicht
zu der gering geachteten keltischen Nation zu gehoeren: doch scheint die
Bevoelkerung in dem Gebiet der Schelde, Maas und Mosel allerdings in der
einen oder andern Weise sich stark mit deutschen Elementen gemischt
oder doch unter deutschen Einfluessen gestanden zu haben. Die deutschen
Ansiedlungen selbst waren vielleicht geringfuegig; unbedeutend waren
sie nicht, denn in dem chaotischen Dunkel, in dem wir um diese Zeit die
Voelkerschaften am rechten Rheinufer auf- und niederwogen sehen, laesst
sich doch wohl erkennen, dass groessere deutsche Massen auf der Spur
jener Vorposten sich anschickten, den Rhein zu ueberschreiten. Von zwei
Seiten durch die Fremdherrschaft bedroht und in sich zerrissen, war es
kaum zu erwarten, dass die unglueckliche keltische Nation sich jetzt
noch emporraffen und mit eigener Kraft sich erretten werde. Die
Zersplitterung und der Untergang in der Zersplitterung war bisher ihre
Geschichte; wie sollte eine Nation, die keinen Tag nannte gleich denen
von Marathon und Salamis, von Aricia und dem Raudischen Felde, eine
Nation, die selbst in ihrer frischen Zeit keinen Versuch gemacht hatte,
Massalia mit gesamter Hand zu vernichten, jetzt, da es Abend ward, so
furchtbarer Feinde sich erwehren? Je weniger die Kelten, sich selbst
ueberlassen, den Germanen gewachsen waren, desto mehr Ursache hatten
die Roemer, die zwischen den beiden Nationen obwaltenden Verwicklungen
sorgsam zu ueberwachen. Wenn auch die daraus entspringenden Bewegungen
sie bis jetzt nicht unmittelbar beruehrt hatten, so waren sie doch
bei dem Ausgang derselben mit ihren wichtigsten Interessen beteiligt.
Begreiflicherweise hatte die innere Haltung der keltischen Nation sich
mit ihren auswaertigen Beziehungen rasch und nachhaltig verflochten. Wie
in Griechenland die lakedaemonische Partei sich gegen die Athener
mit Persien verband, so hatten die Roemer von ihrem ersten Auftreten
jenseits der Alpen an gegen die Arverner, die damals unter den
suedlichen Kelten die fuehrende Macht waren, an deren Nebenbuhlern um
die Hegemonie, den Haeduern, eine Stuetze gefunden und mit Hilfe dieser
neuen "Brueder der roemischen Nation" nicht bloss die Allobrogen und
einen grossen Teil des mittelbaren Gebiets der Arverner sich untertaenig
gemacht, sondern auch in dem freigebliebenen Gallien durch ihren
Einfluss den Uebergang der Hegemonie von den Arvernern auf diese Haeduer
veranlasst. Allein wenn den Griechen nur von einer Seite her fuer ihre
Nationalitaet Gefahr drohte, so sahen sich die Kelten zugleich von zwei
Landesfeinden bedraengt, und es war natuerlich, dass man bei dem einen
vor dem anderen Schutz suchte und dass, wenn die eine Keltenpartei sich
den Roemern anschloss, ihre Gegner dagegen mit den Deutschen Buendnis
machten. Am naechsten lag dies den Belgen, die durch Nachbarschaft und
vielfaeltige Mischung den ueberrheinischen Deutschen genaehert waren
und ueberdies bei ihrer minder entwickelten Kultur sich dem stammfremden
Sueben wenigstens ebenso verwandt fuehlen mochten als dem gebildeten
allobrogischen oder helvetischen Landsmann. Aber auch die suedlichen
Kelten, bei welchen jetzt, wie schon gesagt, der ansehnliche Gau der
Sequaner (um Besan‡on) an der Spitze der den Roemern feindlichen Partei
stand, hatten alle Ursache, gegen die sie zunaechst bedrohenden Roemer
ebenjetzt die Deutschen herbeizurufen; das laessige Regiment des Senats
und die Anzeichen der in Rom sich vorbereitenden Revolution, die den
Kelten nicht unbekannt geblieben waren, liessen gerade diesen Moment als
geeignet erscheinen, um des roemischen Einflusses sich zu entledigen und
zunaechst deren Klienten, die Haeduer, zu demuetigen. Ueber die Zoelle
auf der Saone, die das Gebiet der Haeduer von dem der Sequaner schied,
war es zwischen den beiden Gauen zum Bruch gekommen und um das Jahr 683
(71) hatte der deutsche Fuerst Ariovist mit etwa 15000 Bewaffneten als
Condottiere der Sequaner den Rhein ueberschritten. Der Krieg zog manches
Jahr unter wechselnden Erfolgen sich hin; im ganzen waren die Ergebnisse
den Haeduern unguenstig. Ihr Fuehrer Eporedorix bot endlich die ganze
Klientel auf und zog mit ungeheurer Uebermacht aus gegen die Germanen.
Diese verweigerten beharrlich den Kampf und hielten sich gedeckt in
Suempfen und Waeldern. Als aber dann die Clans, des Harrens muede,
anfingen aufzubrechen und sich aufzuloesen, erschienen die Deutschen in
freiem Felde und nun erzwang bei Admagetobriga Ariovist die Schlacht, in
der die Bluete der Ritterschaft der Haeduer auf dem Kampfplatze blieb.
Die Haeduer, durch diese Niederlage gezwungen, auf die Bedingungen, wie
der Sieger sie stellte, Frieden zu schliessen, mussten auf die Hegemonie
verzichten und mit ihrem ganzen Anhang in die Klientel der Sequaner sich
fuegen, auch sich anheischig machen, den Sequanern oder vielmehr dem
Ariovist Tribut zu zahlen und die Kinder ihrer vornehmsten Adligen als
Geiseln zu stellen, endlich eidlich versprechen, weder diese Geiseln
je zurueckzufordern noch die Intervention der Roemer anzurufen. Dieser
Friede ward, wie es scheint, um 693 (61) geschlossen ^11. Ehre und
Vorteil geboten den Roemern, dagegen aufzutreten; der vornehme Haeduer
Divitiacus, das Haupt der roemischen Partei in seinem Clan und darum
jetzt von seinen Landsleuten verbannt, ging persoenlich nach Rom, um
ihre Dazwischenkunft zu erbitten; eine noch ernstere Warnung war der
Aufstand der Allobrogen 693 (61), der Nachbarn der Sequaner, welcher
ohne Zweifel mit diesen Ereignissen zusammenhing. In der Tat ergingen
Befehle an die gallischen Statthalter, den Haeduern beizustehen; man
sprach davon, Konsuln und konsularische Armeen ueber die Alpen zu
senden; allein der Senat, an den diese Angelegenheiten zunaechst zur
Entscheidung kamen, kroente schliesslich auch hier grosse Worte mit
kleinen Taten: die allobrogische Insurrektion ward mit den Waffen
unterdrueckt, fuer die Haeduer aber geschah nicht nur nichts, sondern es
ward sogar Ariovist im Jahre 695 (59) in das Verzeichnis der den Roemern
befreundeten Koenige eingeschrieben ^12. Der deutsche Kriegsfuerst nahm
dies begreiflicherweise als Verzicht der Roemer auf das nicht von ihnen
eingenommene Keltenland; er richtete demgemaess sich hier haeuslich
ein und fing an, auf gallischem Boden ein deutsches Fuerstentum zu
begruenden. Die zahlreichen Haufen, die er mitgebracht hatte, die noch
zahlreicheren, die auf seinen Ruf spaeter aus der Heimat nachkamen -
man rechnete, dass bis zum Jahre 696 (58) etwa 120000 Deutsche den
Rhein ueberschritten -, diese ganze gewaltige Einwanderung der deutschen
Nation, welche durch die einmal geoeffneten Schleusen stromweise ueber
den schoenen Westen sich ergoss, gedachte er daselbst ansaessig zu
machen und auf dieser Grundlage seine Herrschaft ueber das Keltenland
aufzubauen. Der Umfang der von ihm am linken Rheinufer ins Leben
gerufenen deutschen Ansiedlungen laesst sich nicht bestimmen; ohne
Zweifel reichte er weit und noch viel weiter seine Entwuerfe. Die Kelten
wurden von ihm als eine im ganzen unterworfene Nation behandelt und
zwischen den einzelnen Gauen kein Unterschied gemacht. Selbst die
Sequaner, als deren gedungener Feldhauptmann er den Rhein ueberschritten
hatte, mussten dennoch, als waeren auch sie besiegte Feinde, ihm fuer
seine Leute ein Drittel ihrer Mark abtreten - vermutlich den spaeter von
den Tribokern bewohnten oberen Elsass, wo Ariovist sich mit den Seinigen
auf die Dauer einrichtete; ja als sei dies nicht genug, ward ihnen
nachher fuer die nachgekommenen Haruder noch ein zweites Drittel
abverlangt. Ariovist schien im Keltenland die Rolle des makedonischen
Philipp uebernehmen und ueber die germanisch gesinnten Kelten nicht
minder wie ueber die den Roemern anhaengenden den Herrn spielen zu
wollen. ------------------------------------------------- ^11 Ariovists
Ankunft in Gallien ist nach Caesar (Gall. 1, 36) auf 683 (71), die
Schlacht von Admagetobriga (denn so heisst der einer falschen Inschrift
zuliebe jetzt gewoehnlich Magetobriga genannte Ort) nach Caesar (Gall.
1, 35) und Cicero (Art. 1, 19) auf 693 (61) gesetzt worden. ^12 Um
diesen Hergang der Dinge nicht unglaublich zu finden oder demselben
gar tiefere Motive unterzulegen, als staatsmaennische Unwissenheit
und Faulheit sind, wird man wohltun, den leichtfertigen Ton sich zu
vergegenwaertigen, in dem ein angesehener Senator wie Cicero in
seiner Korrespondenz sich ueber diese wichtigen
transalpinischen Angelegenheiten auslaesst.
------------------------------------------------ Das Auftreten des
kraeftigen deutschen Fuersten in einer so gefaehrlichen Naehe, das schon
an sich die ernstesten Besorgnisse der Roemer erwecken musste, erschien
noch bedrohlicher insofern, als dasselbe keineswegs vereinzelt stand.
Auch die am rechten Rheinufer ansaessigen Usipeten und Tencterer waren,
der unaufhoerlichen Verheerung ihres Gebiets durch die uebermuetigen
Suebenstaemme muede, das Jahr bevor Caesar in Gallien eintraf (695
59) aus ihren bisherigen Sitzen aufgebrochen, um sich andere an der
Rheinmuendung zu suchen. Schon hatten sie dort den Menapiern den auf
dem rechten Ufer belegenen Teil ihres Gebiets weggenommen, und es war
vorherzusehen, dass sie den Versuch machen wuerden, auch auf dem linken
sich festzusetzen. Zwischen Koeln und Mainz sammelten ferner sich
suebische Haufen und drohten in dem gegenueberliegenden Keltengau der
Treverer als ungeladene Gaeste zu erscheinen. Endlich ward auch
das Gebiet des oestlichsten Clans der Kelten, der streitbaren und
zahlreichen Helvetier, immer nachdruecklicher von den Germanen
heimgesucht, so dass die Helvetier, die vielleicht schon ohnehin durch
das Zurueckstroemen ihrer Ansiedler aus dem verlorenen Gebiet nordwaerts
vom Rheine an Ueberbevoelkerung litten, ueberdies durch die Festsetzung
Ariovists im Gebiet der Sequaner, einer voelligen Isolierung von ihren
Stammgenossen entgegengingen, den verzweifelten Entschluss fassten, ihr
bisheriges Gebiet freiwillig den Germanen zu raeumen und westlich vom
Jura geraeumigere und fruchtbarere Sitze und zugleich womoeglich die
Hegemanie im inneren Gallien zu gewinnen - ein Plan, den schon waehrend
der kimbrischen Invasion einige ihrer Distrikte gefasst und auszufuehren
versucht hatten. Die Rauraker, deren Gebiet (Basel und der suedliche
Elsass) in aehnlicher Weise bedroht war, ferner die Reste der Boier,
die bereits frueher von den Germanen gezwungen waren, ihrer Heimat
den Ruecken zu kehren, und nun unstet umherirrten, und andere kleinere
Staemme machten mit den Helvetiern gemeinschaftliche Sache. Bereits
693 (61) kamen ihre Streiftrupps ueber den Jura und selbst bis in die
roemische Provinz; der Aufbruch selbst konnte nicht mehr lange sich
verzoegern; unvermeidlich rueckten alsdann germanische Ansiedler nach in
die von ihren Verteidigern verlassene wichtige Landschaft zwischen dem
Boden- und dem Genfersee. Von den Rheinquellen bis zum Atlantischen
Ozean waren die deutschen Staemme in Bewegung, die ganze Rheinlinie von
ihnen bedroht; es war ein Moment wie da die Alamannen und Franken sich
ueber das sinkende Reich der Caesaren warfen, und jetzt gleich schien
gegen die Kelten ebendas ins Werk gesetzt werden zu sollen, was ein
halbes Jahrtausend spaeter gegen die Roemer gelang. Unter diesen
Verhaeltnissen traf der neue Statthalter Gaius Caesar im Fruehling 696
(58) in dem Narbonensischen Gallien ein, das zu seiner urspruenglichen,
das Diesseitige Gallien nebst Istrien und Dalmatien umfassenden
Statthalterschaft durch Senatsbeschluss hinzugefuegt worden war. Sein
Amt, das ihm zuerst auf fuenf (bis Ende 700 54), dann im Jahre 699 (55)
auf weitere fuenf Jahre (bis Ende 705 49) uebertragen ward, gab ihm das
Recht, zehn Unterbefehlshaber von propraetorischem Rang zu ernennen, und
- wenigstens nach seiner Auslegung - aus der besonders im Diesseitigen
Gallien zahlreichen Buergerbevoelkerung des ihm gehorchenden Gebiets
nach Gutduenken seine Legionen zu ergaenzen oder auch neue zu bilden.
Das Heer, das er in den beiden Provinzen uebernahm, bestand an
Linienfussvolk aus vier geschulten und kriegsgewohnten Legionen, der
siebenten, achten, neunten und zehnten, oder hoechstens 24000 Mann, wozu
dann, wie ueblich, die Untertanenkontingente hinzutraten. Reiterei und
Leichtbewaffnete waren ausserdem vertreten durch Reiter aus Spanien und
numidische, kretische, balearische Schuetzen und Schleuderer. Caesars
Stab, die Elite der hauptstaedtischen Demokratie, enthielt neben nicht
wenigen unbrauchbaren, vornehmen jungen Maennern einzelne faehige
Offiziere, wie Publius Crassus, den juengeren Sohn des alten politischen
Bundesgenossen Caesars, und Titus Labienus, der dem Haupt der Demokratie
als treuer Adjutant vom Forum auf das Schlachtfeld gefolgt war.
Bestimmte Auftraege hatte Caesar nicht erhalten; fuer den Einsichtigen
und Mutigen lagen sie in den Verhaeltnissen. Auch hier war nachzuholen,
was der Senat versaeumt hatte, und vor allen Dingen der Strom der
deutschen Voelkerwanderung zu hemmen. Ebenjetzt begann die mit
der deutschen eng verflochtene und seit langen Jahren vorbereitete
helvetische Invasion. Um die verlassenen Huetten nicht den Germanen zu
goennen, und um sich selber die Rueckkehr unmoeglich zu machen, hatten
die Helvetier ihre Staedte und Weiler niedergebrannt, und ihre langen
Wagenzuege, mit Weibern, Kindern und dem besten Teil der Fahrnis
beladen, trafen von allen Seiten her am Leman bei Genava (Genf) ein, wo
sie und ihre Genossen sich zum 28. Maerz ^13 dieses Jahres Rendezvous
gegeben hatten. Nach ihrer eigenen Zaehlung bestand die gesamte Masse
aus 368000 Koepfen, wovon etwa der vierte Teil imstande war, die Waffen
zu tragen. Das Juragebirge, das vom Rhein bis zur Rhone sich erstreckend
die helvetische Landschaft gegen Westen fast vollstaendig abschloss und
dessen schmale Defileen fuer den Durchzug einer solchen Karawane ebenso
schlecht geeignet waren wie gut fuer die Verteidigung, hatten darum die
Fuehrer beschlossen, in suedlicher Richtung zu umgehen und den Weg
nach Westen sich da zu eroeffnen, wo zwischen dem suedwestlichen und
hoechsten Teil des Jura und den savoyischen Bergen bei dem heutigen
Fort de l'Ecluse die Rhone die Gebirgsketten durchbrochen hat. Allein am
rechten Ufer treten hier die Felsen und Abgruende so hart an den Fluss,
dass nur ein schmaler, leicht zu sperrender Pfad uebrig bleibt und die
Sequaner, denen dies Ufer gehoerte, den Helvetiern mit Leichtigkeit den
Pass verlegen konnten. Sie zogen es darum vor, oberhalb des Durchbruchs
der Rhone auf das linke allobrogische Ufer ueberzugehen, um weiter
stromabwaerts, wo die Rhone in die Ebene eintritt, wieder das rechte zu
gewinnen und dann weiter nach dem ebenen Westen Galliens zu ziehen; dort
war der fruchtbare Kanton der Santonen (Saintonge, das Tal der
Charente) am Atlantischen Meer von den Wanderern zu ihrem neuen Wohnsitz
ausersehen. Dieser Marsch fuehrte, wo er das linke Rhoneufer betrat,
durch roemisches Gebiet; und Caesar, ohnehin nicht gemeint, sich die
Festsetzung der Helvetier im westlichen Gallien gefallen zu lassen, war
fest entschlossen, ihnen den Durchzug nicht zu gestatten. Allein von
seinen vier Legionen standen drei weit entfernt bei Aquileia; obwohl er
die Milizen der jenseitigen Provinz schleunigst aufbot, schien es kaum
moeglich, mit einer so geringen Mannschaft dem zahllosen Keltenschwarm
den Uebergang ueber die Rhone, von ihrem Austritt aus dem Leman bei Genf
bis zu ihrem Durchbruch, auf einer Strecke von mehr als drei deutschen
Meilen, zu verwehren. Caesar gewann indes durch Unterhandlungen mit den
Helvetiern, die den Uebergang ueber den Fluss und den Marsch durch das
allobrogische Gebiet gern in friedlicher Weise bewerkstelligt
haetten, eine Frist von fuenfzehn Tagen, welche dazu benutzt ward, die
Rhonebruecke bei Genava (Genf) abzubrechen und das suedliche Ufer der
Rhone durch eine fast vier deutsche Meilen lange Verschanzung dem Feinde
zu sperren - es war die erste Anwendung des von den Roemern spaeter
in so ungeheurem Umfang durchgefuehrten Systems, mittels einer Kette
einzelner, durch Waelle und Graeben miteinander in Verbindung gesetzter
Schanzen die Reichsgrenze militaerisch zu schliessen. Die Versuche der
Helvetier, auf Kaehnen oder mittels Furten an verschiedenen Stellen
das andere Ufer zu gewinnen, wurden in diesen Linien von den Roemern
gluecklich vereitelt und die Helvetier genoetigt, von dem Rhoneuebergang
abzustehen. Dagegen vermittelte die den Roemern feindlich gesinnte
Partei in Gallien, die an den Helvetiern eine maechtige Verstaerkung zu
erhalten hoffte, namentlich der Haeduer Dumnorix, des Divitiacus Bruder
und in seinem Gau wie dieser an der Spitze der roemischen so seinerseits
an der Spitze der nationalen Partei, ihnen den Durchmarsch durch die
Jurapaesse und das Gebiet der Sequaner. Dies zu verbieten hatten
die Roemer keinen Rechtsgrund; allein es standen fuer sie bei dem
helvetischen Heerzug andere und hoehere Interessen auf dem Spiel als die
Frage der formellen Integritaet des roemischen Gebiets - Interessen, die
nur gewahrt werden konnten, wenn Caesar, statt, wie alle Statthalter
des Senats, wie selbst Marius getan, auf die bescheidene Aufgabe der
Grenzbewachung sich zu beschraenken, an der Spitze einer ansehnlichen
Armee die bisherige Reichsgrenze ueberschritt. Caesar war Feldherr nicht
des Senats, sondern des Staates: er schwankte nicht. Sogleich von Genava
aus hatte er sich in eigener Person nach Italien begeben und mit der ihm
eigenen Raschheit die drei dort kantonnierenden sowie zwei neugebildete
Rekrutenlegionen herangefuehrt. Diese Truppen vereinigte er mit dem
bei Genava stehenden Korps und ueberschritt mit der gesamten Macht
die Rhone. Sein unvermutetes Erscheinen im Gebiete der Haeduer brachte
natuerlich daselbst sofort wieder die roemische Partei ans Regiment,
was der Verpflegung wegen nicht gleichgueltig war. Die Helvetier fand er
beschaeftigt, die Saone zu passieren und aus dem Gebiet der Sequaner
in das der Haeduer einzuruecken; was von ihnen noch am linken
Saoneufer stand, namentlich das Korps der Tigoriner, ward von den rasch
vordringenden Roemern aufgehoben und vernichtet. Das Gros des Zuges
war indes bereits auf das rechte Ufer des Flusses uebergesetzt; Caesar
folgte ihnen und bewerkstelligte den Uebergang, den der ungeschlachte
Zug der Helvetier in zwanzig Tagen nicht hatte vollenden koennen,
in vierundzwanzig Stunden. Die Helvetier, durch diesen Uebergang der
roemischen Armee ueber den Fluss gehindert, ihren Marsch in westlicher
Richtung fortzusetzen, schlugen die Richtung nach Norden ein, ohne
Zweifel in der Voraussetzung, dass Caesar nicht wagen werde, ihnen weit
in das innere Gallien hinein zu folgen, und in der Absicht, wenn er von
ihnen abgelassen habe, sich wieder ihrem eigentlichen Ziel zuzuwenden.
Fuenfzehn Tage marschierte das roemische Heer in dem Abstand etwa einer
deutschen Meile von dem feindlichen hinter demselben her, an seine
Fersen sich heftend und auf einen guenstigen Augenblick hoffend, um den
feindlichen Heereszug unter den Bedingungen des Sieges anzugreifen und
zu vernichten. Allein dieser Augenblick kam nicht; wie schwerfaellig
auch die helvetische Karawane einherzog, die Fuehrer wussten einen
Ueberfall zu verhueten und zeigten sich wie mit Vorraeten reichlich
versehen, so durch ihre Spione von jedem Vorgang im roemischen Lager
aufs genaueste unterrichtet. Dagegen fingen die Roemer an, Mangel an dem
Notwendigsten zu leiden, namentlich als die Helvetier sich von der Saone
entfernten und der Flusstransport aufhoerte. Das Ausbleiben der von den
Haeduern versprochenen Zufuhren, aus dem diese Verlegenheit zunaechst
hervorging, erregte um so mehr Verdacht, als beide Heere immer noch auf
ihrem Gebiete sich herumbewegten. Ferner zeigte sich die ansehnliche,
fast 4000 Pferde zaehlende roemische Reiterei voellig unzuverlaessig
- was freilich erklaerlich war, da dieselbe fast ganz aus keltischer
Ritterschaft, namentlich den Reitern der Haeduer unter dem Befehl des
wohlbekannten Roemerfeindes Dumnorix bestand und Caesar selbst sie mehr
noch als Geiseln denn als Soldaten uebernommen hatte. Man hatte
guten Grund zu glauben, dass eine Niederlage, die sie von der
weit schwaecheren helvetischen Reiterei erlitten, durch sie selbst
herbeigefuehrt worden war, und dass durch sie der Feind von allen
Vorfaellen im roemischen Lager unterrichtet ward. Caesars Lage wurde
bedenklich; in leidiger Deutlichkeit kam es zu Tage, was selbst bei den
Haeduern, trotz ihres offiziellen Buendnisses mit Rom und der nach
Rom sich neigenden Sonderinteressen dieses Gaus, die keltische
Patriotenpartei vermochte; was sollte daraus werden, wenn man in die
gaerende Landschaft tiefer und tiefer sich hineinwagte und von den
Verbindungen immer weiter sich entfernte? Eben zogen die Heere an
der Hauptstadt der Haeduer, Bibracte (Autun), in maessiger Entfernung
vorueber; Caesar beschloss, dieses wichtigen Ortes sich mit gewaffneter
Hand zu bemaechtigen, bevor er den Marsch in das Binnenland fortsetzte,
und es ist wohl moeglich, dass er ueberhaupt beabsichtigte, von weiterer
Verfolgung abzustehen und in Bibracte sich festzusetzen. Allein da er,
von der Verfolgung ablassend, sich gegen Bibracte wendete, meinten die
Helvetier, dass die Roemer zur Flucht Anstalt machten, und griffen nun
ihrerseits an. Mehr hatte Caesar nicht gewuenscht. Auf zwei parallel
laufenden Huegelreihen stellten die beiden Heere sich auf; die Kelten
begannen das Gefecht, sprengten die in die Ebene vorgeschobene roemische
Reiterei auseinander und liefen an gegen die am Abhang des Huegels
postierten roemischen Legionen, mussten aber hier vor Caesars Veteranen
weichen. Als darauf die Roemer, ihren Vorteil verfolgend, nun ihrerseits
in die Ebene hinabstiegen, gingen die Kelten wieder gegen sie vor und
ein zurueckgehaltenes keltisches Korps nahm sie zugleich in die
Flanke. Dem letzteren ward die Reserve der roemischen Angriffskolonne
entgegengeworfen; sie draengte dasselbe von der Hauptmasse ab auf das
Gepaeck und die Wagenburg, wo es aufgerieben ward. Auch das Gros des
helvetischen Zuges ward endlich zum Weichen gebracht und genoetigt, den
Rueckzug in oestlicher Richtung zu nehmen - der entgegengesetzten von
derjenigen, in die ihr Zug sie fuehrte. Den Plan der Helvetier, am
Atlantischen Meer sich neue Wohnsitze zu gruenden, hatte dieser Tag
vereitelt und die Helvetier der Willkuer des Siegers ueberliefert; aber
es war ein heisser auch fuer die Sieger gewesen. Caesar, der Ursache
hatte, seinem Offizierkorps nicht durchgaengig zu trauen, hatte gleich
zu Anfang alle Offizierspferde fortgeschickt, um die Notwendigkeit
standzuhalten den Seinigen gruendlich klar zu machen; in der Tat wuerde
die Schlacht, haetten die Roemer sie verloren, wahrscheinlich die
Vernichtung der roemischen Armee herbeigefuehrt haben. Die roemischen
Truppen waren zu erschoepft, um die Ueberwundenen kraeftig zu verfolgen;
allein infolge der Bekanntmachung Caesars, dass er alle, die die
Helvetier unterstuetzen wuerden, wie diese selbst als Feinde der Roemer
behandeln werde, ward, wohin die geschlagene Armee kam, zunaechst in dem
Gau der Lingonen (um Langres), ihr jede Unterstuetzung verweigert und,
aller Zufuhr und ihres Gepaecks beraubt und belastet von der Masse des
nicht kampffaehigen Trosses, mussten sie wohl dem roemischen Feldherrn
sich unterwerfen. Das Los der Besiegten war ein verhaeltnismaessig
mildes. Den heimatlosen Boiern wurden die Haeduer angewiesen, in ihrem
Gebiet Wohnsitze einzuraeumen; und diese Ansiedlung der ueberwundenen
Feinde inmitten der maechtigsten Kettengaue tat fast die Dienste einer
roemischen Kolonie. Die von den Helvetiern und Raurakern noch uebrigen,
etwas mehr als ein Drittel der ausgezogenen Mannschaft, wurden
natuerlich in ihr ehemaliges Gebiet zurueckgesandt. Dasselbe wurde der
roemischen Provinz einverleibt, aber die Bewohner zum Buendnis mit Rom
unter guenstigen Bedingungen zugelassen, um unter roemischer Hoheit
am oberen Rhein die Grenze gegen die Deutschen zu verteidigen. Nur die
suedwestliche Spitze des helvetischen Gaus wurde von den Roemern in
unmittelbaren Besitz genommen und spaeterhin hier, an dem anmutigen
Gestade des Leman, die alte Keltenstadt Noviodunum (jetzt Nyon) in eine
roemische Grenzfestung, die Julische Reiterkolonie ^14, umgewandelt.
--------------------------------------------------- ^13 Nach dem
unberichtigten Kalender. Nach der gangbaren Rektifikation, die indes
hier keineswegs auf hinreichend zuverlaessigen Daten beruht, entspricht
dieser Tag dem 16. April des Julianischen Kalenders. ^14 Julia
Equestris, wo der letzte Beiname zu fassen ist wie in anderen Kolonien
Caesars die Beinamen sextanorum, decimanorum, u. a. m. Es waren
keltische oder deutsche Reiter Caesars, die, natuerlich unter Erteilung
des roemischen oder doch des latinischen Buergerrechts, hier Landlose
empfingen. ------------------------------------------------- Am
Oberrhein also war der drohenden Invasion der Deutschen vorgebeugt und
zugleich die den Roemern feindliche Partei unter den Kelten gedemuetigt.
Auch am Mittelrhein, wo die Deutschen bereits vor Jahren uebergegangen
waren und die in Gallien mit der roemischen wetteifernde Macht des
Ariovist taeglich weiter um sich griff, musste in aehnlicher Weise
durchgegriffen werden, und leicht war die Veranlassung zum Bruche
gefunden. Im Vergleich mit dem von Ariovist ihnen drohenden oder bereits
auferlegten Joch mochte hier dem groesseren Teil der Kelten jetzt die
roemische Suprematie das geringere Uebel duenken; die Minoritaet, die
an ihrem Roemerhass festhielt, musste wenigstens verstummen. Ein unter
roemischem Einfluss abgehaltener Landtag der Keltenstaemme des mittleren
Galliens ersuchte im Namen der keltischen Nation den roemischen
Feldherrn um Beistand gegen die Deutschen. Caesar ging darauf ein. Auf
seine Veranlassung stellten die Haeduer die Zahlung des vertragsmaessig
an Ariovist zu entrichtenden Tributes ein und forderten die gestellten
Geiseln zurueck, und da Ariovist wegen dieses Vertragsbruchs die
Klienten Roms angriff, nahm Caesar davon Veranlassung, mit ihm in
direkte Verhandlung zu treten und, ausser der Rueckgabe der Geiseln
und dem Versprechen, mit den Haeduern Frieden zu halten, namentlich zu
fordern, dass Ariovist sich anheischig mache, keine Deutschen mehr ueber
den Rhein nachzuziehen. Der deutsche Feldherr antwortete dem roemischen
in dem Vollgefuehl ebenbuertigen Rechtes. Ihm sei das noerdliche
Gallien so gut nach Kriegsrecht untertaenig geworden wie den Roemern das
suedliche; wie er die Roemer nicht hindere, von den Allobrogen Tribut
zu nehmen, so duerften auch sie ihm nicht wehren, seine Untertanen zu
besteuern. In spaeteren geheimen Eroeffnungen zeigte es sich, dass der
Fuerst der roemischen Verhaeltnisse wohl kundig war: er erwaehnte der
Aufforderungen, die ihm von Rom aus zugekommen seien, Caesar aus dem
Wege zu raeumen, und erbot sich, wenn Caesar ihm das noerdliche Gallien
ueberlassen wolle, ihm dagegen zur Erlangung der Herrschaft ueber
Italien behilflich zu sein - wie ihm der Parteihader der keltischen
Nation den Eintritt in Gallien eroeffnet hatte, so schien er von dem
Parteihader der italischen die Befestigung seiner Herrschaft daselbst
zu erwarten. Seit Jahrhunderten war den Roemern gegenueber diese Sprache
der vollkommen ebenbuertigen und ihre Selbstaendigkeit schroff und
ruecksichtslos aeussernden Macht nicht gefuehrt worden, wie man sie
jetzt von dem deutschen Heerkoenig vernahm: kurzweg weigerte er sich
zu kommen, als der roemische Feldherr nach der bei Klientelfuersten
hergebrachten Uebung ihm ansann, vor ihm persoenlich zu erscheinen. Um
so notwendiger war es, nicht zu zaudern: sogleich brach Caesar auf gegen
Ariovist. Ein panischer Schrecken ergriff seine Truppen, vor allem seine
Offiziere, als sie daran sollten, mit den seit vierzehn Jahren nicht
unter Dach und Fach gekommenen deutschen Kernscharen sich zu messen -
auch in Caesars Lager schien die tiefgesunkene roemische Sitten- und
Kriegszucht sich geltend machen und Desertion und Meuterei hervorrufen
zu wollen. Allein der Feldherr, indem er erklaerte, noetigenfalls mit
der zehnten Legion allein gegen den Feind zu ziehen, wusste nicht
bloss durch solche Ehrenmahnung diese, sondern durch den kriegerischen
Wetteifer auch die uebrigen Regimenter an die Adler zu fesseln und etwas
von seiner eigenen Energie den Truppen einzuhauchen. Ohne ihnen Zeit zu
lassen, sich zu besinnen, fuehrte er in raschen Maerschen sie weiter
und kam gluecklich Ariovist in der Besetzung der sequanischen Hauptstadt
Vesontio (Besan‡on) zuvor. Eine persoenliche Zusammenkunft der beiden
Feldherrn, die auf Ariovists Begehren stattfand, schien einzig einen
Versuch gegen Caesars Person bedecken zu sollen; zwischen den beiden
Zwingherren Galliens konnten nur die Waffen entscheiden. Vorlaeufig
kam der Krieg zum Stehen. Im unteren Elsass, etwa in der Gegend von
Muelhausen, eine deutsche Meile vom Rhein ^15, lagerten die beiden Heere
in geringer Entfernung voneinander, bis es Ariovist gelang, mit seiner
sehr ueberlegenen Macht an dem roemischen Lager vorbeimarschierend, sich
ihm in den Ruecken zu legen und die Roemer von ihrer Basis und ihren
Zufuhren abzuschneiden. Caesar versuchte sich aus seiner peinlichen Lage
durch eine Schlacht zu befreien; allein Ariovist nahm sie nicht an.
Dem roemischen Feldherrn blieb nichts uebrig, als trotz seiner geringen
Staerke, die Bewegung des Feindes nachzuahmen und seine Verbindungen
dadurch wieder zu gewinnen, dass er zwei Legionen am Feinde vorbeiziehen
und jenseits des Lagers der Deutschen eine Stellung nehmen liess,
waehrend vier in dem bisherigen Lager zurueckblieben. Ariovist, da er
die Roemer geteilt sah, versuchte einen Sturm auf ihr kleineres Lager;
allein die Roemer schlugen ihn ab. Unter dem Eindruck dieses Erfolges
ward das gesamte roemische Heer zum Angriff vorgefuehrt; und auch die
Deutschen stellten in Schlachtordnung sich auf, in langer Linie, jeder
Stamm fuer sich, hinter sich, um die Flucht zu erschweren, die Karren
der Armee mit dem Gepaeck und den Weibern. Der rechte Fluegel der Roemer
unter Caesars eigener Fuehrung stuerzte sich rasch auf den Feind
und trieb ihn vor sich her; dasselbe gelang dem rechten Fluegel der
Deutschen. Noch stand die Waage gleich; allein die Taktik der Reserven
entschied, wie so manchen anderen Kampf gegen Barbaren, so auch den
gegen die Germanen zu Gunsten der Roemer; ihre dritte Linie, die Publius
Crassus rechtzeitig zur Hilfe sandte, stellte auf dem linken Fluegel die
Schlacht wieder her und damit war der Sieg entschieden. Bis an den
Rhein ward die Verfolgung fortgesetzt; nur wenigen, darunter dem
Koenig, gelang es, auf das andere Ufer zu entkommen (696 58).
---------------------------------------- ^15 F. W. A. Goeler (Caesars
gallischer Krieg. Karlsruhe 1858, S. 45f.) meint, das Schlachtfeld
bei Cernay unweit Muehlhausen aufgefunden zu haben, was im ganzen
uebereinkommt mit Napoleons (precis p. 35) Ansetzung des Schlachtfeldes
in der Gegend von Belfort. Diese Annahme ist zwar nicht sicher, aber
den Umstaenden angemessen; denn dass Caesar fuer die kurze Strecke von
Besan‡on bis dahin sieben Tagemaersche brauchte, erklaert er selbst
(Lall. 1, 41) durch die Bemerkung, dass er einen Umweg von ueber zehn
deutschen Meilen genommen, um die Bergwege zu vermeiden, und dafuer,
dass die Schlacht 5, nicht 50 Milien vom Rhein geschlagen ward,
entscheidet bei gleicher Autoritaet der Ueberlieferung die ganze
Darstellung der bis zum Rhein fortgesetzten und offenbar nicht
mehrtaegigen, sondern an dem Schlachttag selbst beendigten Verfolgung.
Der Vorschlag W. Ruestows (Einleitung zu Caesars Kommentar, S. 117),
das Schlachtfeld an die obere Saar zu verlegen, beruht auf einem
Missverstaendnis. Das von den Sequanern, Denkern, Lingonen erwartete
Getreide soll dem roemischen Heere nicht unterwegs auf dem Marsche gegen
Ariovist zukommen, sondern vor dem Aufbruch nach Besan‡on geliefert
und von den Truppen mitgenommen werden; wie dies sehr deutlich daraus
hervorgeht, dass Caesar, indem er seine Truppen auf jene Lieferungen
hinweist, daneben sie auf das unterwegs einzubringende Korn vertroestet.
Von Besan‡on aus beherrschte Caesar die Gegend von Langres und Epinal
und schrieb, wie begreiflich, seine Lieferungen lieber hier aus als
in den ausfouragierten Distrikten, aus denen er kam.
---------------------------------------- So glaenzend kuendigte dem
maechtigen Strom, den hier die italischen Soldaten zum erstenmal
erblickten, das roemische Regiment sich an; mit einer einzigen
gluecklichen Schlacht war die Rheinlinie gewonnen. Das Schicksal der
deutschen Ansiedlungen am linken Rheinufer lag in Caesars Hand; der
Sieger konnte sie vernichten, aber er tat es nicht. Die benachbarten
keltischen Gaue, die Sequaner, Leuker, Mediomatriker, waren weder
wehrhaft noch zuverlaessig; die uebersiedelten Deutschen versprachen
nicht bloss tapfere Grenzhueter, sondern auch bessere Untertanen Roms
zu werden, da sie von den Kelten die Nationalitaet, von ihren
ueberrheinischen Landsleuten das eigene Interesse an der Bewahrung der
neugewonnenen Wohnsitze schied und sie bei ihrer isolierten Stellung
nicht umhin konnten, an der Zentralgewalt festzuhalten. Caesar zog hier
wie ueberall die ueberwundenen Feinde den zweifelhaften Freunden vor;
er liess den von Ariovist laengs des linken Rheinufers angesiedelten
Germanen, den Tribokern um Strassburg, den Nemetern um Speyer, den
Vangionen um Worms, ihre neuen Sitze und vertraute ihnen die
Bewachung der Rheingrenze gegen ihre Landsleute an ^16.
---------------------------------------------- ^16 Das scheint die
einfachste Annahme ueber den Ursprung dieser germanischen Ansiedlungen.
Dass Ariovist jene Voelker am Mittelrhein ansiedelte, ist deshalb
wahrscheinlich, weil sie in seinem Heer fechten (Caes. Gall. 1, 51) und
frueher nicht vorkommen; dass ihnen Caesar ihre Sitze liess, deshalb,
weil er Ariovist gegenueber sich bereit erklaerte, die in Gallien
bereits ansaessigen Deutschen zu dulden (Caes. Gall. 1, 35. 43), und
weil wir sie spaeter in diesen Sitzen finden. Caesar gedenkt der nach
der Schlacht hinsichtlich dieser germanischen Ansiedlungen getroffenen
Verfuegungen nicht, weil er ueber alle in Gallien von ihm vorgenommenen
organischen Einrichtungen grundsaetzlich Stillschweigen beobachtet.
---------------------------------------------- Die Sueben aber, die am
Mittelrhein das treverische Gebiet bedrohten, zogen auf die Nachricht
von Ariovists Niederlage wieder zurueck in das innere Deutschland, wobei
sie unterwegs durch die naechstwohnenden Voelkerschaften ansehnliche
Einbusse erlitten. Die Folgen dieses einen Feldzuges waren unermesslich;
noch Jahrtausende nachher wurden sie empfunden. Der Rhein war die Grenze
des Roemischen Reiches gegen die Deutschen geworden. In Gallien, das
nicht mehr vermochte, sich selber zu gebieten, hatten bisher die Roemer
an der Suedkueste geherrscht, seit kurzem die Deutschen versucht,
weiter oberwaerts sich festzusetzen. Die letzten Ereignisse hatten
es entschieden, dass Gallien nicht nur zum Teil, sondern ganz der
roemischen Oberhoheit zu verfallen und dass die Naturgrenze, die der
maechtige Fluss darbietet, auch die staatliche Grenze zu werden bestimmt
war. In seiner besseren Zeit hatte der Senat nicht geruht, bis Roms
Herrschaft Italiens natuerliche Grenzen, die Alpen und das Mittelmeer
und dessen naechste Inseln, erreicht hatte. Einer aehnlichen
militaerischen Abrundung bedurfte auch das erweiterte Reich; aber
die gegenwaertige Regierung ueberliess dieselbe dem Zufall und sah
hoechstens darauf, nicht dass die Grenzen verteidigt werden konnten,
sondern dass sie nicht unmittelbar von ihr selbst verteidigt zu werden
brauchten. Man fuehlte es, dass jetzt ein anderer Geist und ein
anderer Arm die Geschicke Roms zu lenken begannen. Die Grundmauern des
kuenftigen Gebaeudes standen; um aber dasselbe auszubauen und bei den
Galliern die Anerkennung der roemischen Herrschaft und der Rheingrenze
bei den Deutschen vollstaendig durchzufuehren, fehlte doch noch gar
viel. Ganz Mittelgallien zwar von der roemischen Grenze bis hinauf nach
Chartres und Trier fuegte sich ohne Widerrede dem neuen Machthaber, und
am oberen und mittleren Rhein war auch von den Deutschen vorlaeufig kein
Angriff zu besorgen. Allein die noerdlichen Landschaften, sowohl die
aremorikanischen Gaue in der Bretagne und der Normandie als auch die
maechtigere Konfoederation der Belgen, waren von den gegen das mittlere
Gallien gefuehrten Schlaegen nicht mitgetroffen worden und fanden sich
nicht veranlasst, dem Besieger Ariovists sich zu unterwerfen. Es kam
hinzu, dass, wie bemerkt, zwischen den Belgen und den ueberrheinischen
Deutschen sehr enge Beziehungen bestanden und auch an der Rheinmuendung
germanische Staemme sich fertig machten, den Strom zu ueberschreiten.
Infolgedessen brach Caesar mit seinem jetzt auf acht Legionen vermehrten
Heer im Fruehjahr 697 (57) auf gegen die belgischen Gaue. Eingedenk des
tapferen und gluecklichen Widerstandes, den sie fuenfzig Jahre zuvor
mit gesamter Hand an der Landgrenze den Kimbrern geleistet hatte, und
gespornt durch die zahlreich aus Mittelgallien zu ihnen gefluechteten
Patrioten, sandte die Eidgenossenschaft der Belgen ihr gesamtes erstes
Aufgebot, 300000 Bewaffnete unter Anfuehrung des Koenigs der Suessionen,
Galba, an ihre Suedgrenze, um Caesar daselbst zu empfangen. Nur ein
einziger Gau, der der maechtigen Remer (um Reims), ersah in dieser
Invasion der Fremden die Gelegenheit, das Regiment abzuschuetteln, das
ihre Nachbarn, die Suessionen, ueber sie ausuebten, und schickte sich
an, die Rolle, die in Mittelgallien die Haeduer gespielt hatten, im
noerdlichen zu uebernehmen. In ihrem Gebiet trafen das roemische und
das belgische Heer fast gleichzeitig ein. Caesar unternahm es nicht,
dem tapferen, sechsfach staerkeren Feinde eine Schlacht zu liefern;
nordwaerts der Aisne, unweit des heutigen Pontavert, zwischen Reims
und Laon, nahm er sein Lager auf einem teils durch den Fluss und
durch Suempfe, teils durch Graeben und Redouten von allen Seiten fast
unangreifbar gemachten Plateau und begnuegte sich, die Versuche
der Belgen, die Aisne zu ueberschreiten und ihn damit von seinen
Verbindungen abzuschneiden, durch defensive Massregeln zu vereiteln.
Wenn er darauf zaehlte, dass die Koalition demnaechst unter ihrer
eigenen Schwere zusammenbrechen werde, so hatte er richtig gerechnet.
Koenig Galba war ein redlicher, allgemein geachteter Mann; aber der
Lenkung einer Armee von 300000 Mann auf feindlichem Boden war er nicht
gewachsen. Man kam nicht weiter und die Vorraete gingen auf die Neige;
Unzufriedenheit und Entzweiung fingen an, im Lager der Eidgenossen sich
einzunisten. Die Bellovaker vor allem, den Suessionen an Macht
gleich und schon verstimmt darueber, dass die Feldhauptmannschaft des
eidgenoessischen Heeres nicht an sie gekommen war, waren nicht laenger
zu halten, seit die Meldung eingetroffen war, dass die Haeduer als
Bundesgenossen der Roemer Anstalt machten, in das bellovakische Gebiet
einzuruecken. Man beschloss, sich aufzuloesen und nach Hause zu gehen;
wenn Schande halber die saemtlichen Gaue zugleich sich verpflichteten,
dem zunaechst angegriffenen mit gesamter Hand zu Hilfe zu eilen, so
ward durch solche unausfuehrbare Stipulationen das klaegliche
Auseinanderlaufen der Eidgenossenschaft nur klaeglich beschoenigt. Es
war eine Katastrophe, welche lebhaft an diejenige erinnert, die im Jahre
1792 fast auf demselben Boden eintrat; und gleichwie in dem Feldzug
in der Champagne war die Niederlage nur um so schwerer, weil sie ohne
Schlacht erfolgt war. Die schlechte Leitung der abziehenden Armee
gestattete dem roemischen Feldherrn, dieselbe zu verfolgen, als waere
sie eine geschlagene, und einen Teil der bis zuletzt gebliebenen
Kontingente aufzureiben. Aber die Folgen des Sieges beschraenkten
sich hierauf nicht. Wie Caesar in die westlichen Kantone der Belgen
einrueckte, gab einer nach dem andern fast ohne Gegenwehr sich verloren:
die maechtigen Suessionen (um Soissons), ebenso wie ihre Nebenbuhler,
die Bellovaker (um Beauvais) und die Ambianer (um Amiens). Die Staedte
oeffneten die Tore, als sie die fremdartigen Belagerungsmaschinen, die
auf die Mauern zurollenden Tuerme erblickten; wer sich dem fremden
Herrn nicht ergeben mochte, suchte eine Zuflucht jenseits des Meeres in
Britannien. Aber in den oestlichen Kantonen regte sich energischer
das Nationalgefuehl. Die Viromanduer (um Arras), die Atrebaten (um
Saint-Quentin), die deutschen Aduatuker (um Namur), vor allem aber die
Nervier (im Hennegau) mit ihrer nicht geringen Klientel, an Zahl
den Suessionen und Bellovakern wenig nachgebend, an Tapferkeit und
kraeftigem Vaterlandssinn ihnen weit ueberlegen, schlossen einen zweiten
und engeren Bund und zogen ihre Mannschaften an der oberen Samtire
zusammen. Keltische Spione unterrichteten sie aufs genaueste ueber die
Bewegungen der roemischen Armee; ihre eigene Ortskunde sowie die hohen
Verzaeunungen, welche in diesen Landschaften ueberall angelegt waren,
um den dieselben oft heimsuchenden berittenen Raeuberscharen den Weg zu
versperren, gestatteten den Verbuendeten, ihre eigenen Operationen dem
Blick der Roemer groesstenteils zu entziehen. Als diese an der Sambre
unweit Bavay anlangten und die Legionen eben beschaeftigt waren, auf dem
Kamm des linken Ufers das Lager zu schlagen, die Reiterei und leichte
Infanterie die jenseitigen Hoehen zu erkunden, wurden auf einmal die
letzteren von der gesamten Masse des feindlichen Landsturms ueberfallen
und den Huegel hinab in den Fluss gesprengt. In einem Augenblick hatte
der Feind auch diesen ueberschritten und stuermte mit todverachtender
Entschlossenheit die Hoehen des linken Ufers. Kaum blieb den schanzenden
Legionaeren die Zeit, um die Hacke mit dem Schwert zu vertauschen; die
Soldaten, viele unbehelmt, mussten fechten, wo sie eben standen, ohne
Schlachtlinie, ohne Plan, ohne eigentliches Kommando, denn bei der
Ploetzlichkeit des Ueberfalls und dem von hohen Hecken durchschnittenen
Terrain hatten die einzelnen Abteilungen die Verbindung voellig
verloren. Statt der Schlacht entspann sich eine Anzahl zusammenhangloser
Gefechte. Labienus mit dem linken Fluegel warf die Atrebaten und
verfolgte sie bis ueber den Fluss. Das roemische Mitteltreffen draengte
die Viromanduer den Abhang hinab. Der rechte Fluegel aber, bei dem der
Feldherr selbst sich befand, wurde von den weit zahlreicheren Nerviern
um so leichter ueberfluegelt, als das Mitteltreffen, durch seinen
Erfolg fortgerissen, den Platz neben ihm geraeumt hatte, und selbst das
halbfertige Lager von den Nerviern besetzt; die beiden Legionen, jede
einzeln in ein dichtes Knaeuel zusammengeballt und von vorn und in
beiden Flanken angegriffen, ihrer meisten Offiziere und ihrer besten
Soldaten beraubt, schienen im Begriff, gesprengt und zusammengehauen
zu werden. Schon flohen der roemische Tross und die Bundestruppen nach
allen Seiten; von der keltischen Reiterei jagten ganze Abteilungen,
wie das Kontingent der Treverer, mit verhaengten Zuegeln davon, um vom
Schlachtfelde selbst die willkommene Kunde der erlittenen Niederlage
daheim zu melden. Es stand alles auf dem Spiel. Der Feldherr selbst
ergriff den Schild und focht unter den Vordersten; sein Beispiel, sein
auch jetzt noch begeisternder Zuruf brachten die schwankenden Reihen
wieder zum Stehen. Schon hatte man einigermassen sich Luft gemacht
und wenigstens die Verbindung der beiden Legionen dieses Fluegels
wiederhergestellt, als Succurs herbeikam: teils von dem Uferkamm herab,
wo waehrenddessen mit dem Gepaeck die roemische Nachhut eingetroffen
war, teils vom anderen Flussufer her, wo Labienus inzwischen bis an das
feindliche Lager vorgedrungen war und sich dessen bemaechtigt hatte und
nun, endlich die auf dem rechten Fluegel drohende Gefahr gewahrend, die
siegreiche zehnte Legion seinem Feldherrn zu Hilfe sandte. Die
Nervier, von ihren Verbuendeten getrennt und von allen Seiten zugleich
angegriffen, bewaehrten jetzt, wo das Glueck sich wandte, denselben
Heldenmut, wie da sie sich Sieger glaubten; noch von den Leichenbergen
der Ihrigen herunter fochten sie bis auf den letzten Mann. Nach ihrer
eigenen Angabe ueberlebten von ihren sechshundert Ratsherren nur drei
diesen Tag. Nach dieser vernichtenden Niederlage mussten die Nervier,
Atrebaten und Viromanduer wohl die roemische Hoheit anerkennen. Die
Aduatuker, zu spaet eingetroffen, um an dem Kampfe an der Sambre
teilzunehmen, versuchten zwar noch, in der festesten ihrer Staedte (auf
dem Berge Falhize an der Maas unweit Huy) sich zu halten, allein
bald unterwarfen auch sie sich. Ein noch nach der Ergebung gewagter
naechtlicher Ueberfall des roemischen Lagers vor der Stadt schlug fehl
und der Treubruch ward von den Roemern mit furchtbarer Strenge geahndet.
Die Klientel der Aduatuker, die aus den Eburonen zwischen Maas und
Rhein und anderen kleinen, benachbarten Staemmen bestand, wurde von den
Roemern selbstaendig erklaert, die gefangenen Aduatuker aber in Masse
zu Gunsten des roemischen Schatzes unter dem Hammer verkauft. Es schien,
als ob das Verhaengnis, das die Kimbrer betroffen hatte, auch diesen
letzten kimbrischen Splitter noch verfolge. Den uebrigen unterworfenen
Staemmen begnuegte sich Caesar eine allgemeine Entwaffnung und
Geiselstellung aufzuerlegen. Die Remer wurden natuerlich der fuehrende
Gau im belgischen wie die Haeduer im mittleren Gallien; sogar in diesem
begaben sich manche mit den Haeduern verfeindete Clans vielmehr in die
Klientel der Reiner. Nur die entlegenen Seekantone der Moriner (Artois)
und der Menapier (Flandern und Brabant) und die grossenteils von
Deutschen bewohnte Landschaft zwischen Schelde und Rhein blieben fuer
diesmal von der roemischen Invasion noch verschont und im Besitz ihrer
angestammten Freiheit. Die Reihe kam an die aremorikanischen Gaue. Noch
im Herbst 697 (57) ward Publius Crassus mit einem roemischen Korps dahin
gesandt; er bewirkte, dass die Veneter, die, als Herren der Haefen
des heutigen Morbihan und einer ansehnlichen Flotte, in Schiffahrt und
Handel unter allen keltischen Gauen den ersten Platz einnahmen, und
ueberhaupt die Kuestendistrikte zwischen Loire und Seine sich den
Roemern unterwarfen und ihnen Geiseln stellten. Allein es gereute sie
bald. Als im folgenden Winter (697/98 57/5 roemische Offiziere in diese
Gegenden kamen, um Getreidelieferungen daselbst auszuschreiben, wurden
sie von den Venetern als Gegengeiseln festgehalten. Dem gegebenen
Beispiel folgten rasch nicht bloss die aremoricanischen, sondern auch
die noch freigebliebenen Seekantone der Belgen; wo, wie in einigen
Gauen der Normandie, der Gemeinderat sich weigerte, der Insurrektion
beizutreten, machte die Menge ihn nieder und schloss mit verdoppeltem
Eifer der Nationalsache sich an. Die ganze Kueste von der Muendung der
Loire bis zu der des Rheins stand auf gegen Rom; die entschlossensten
Patrioten aus allen keltischen Gauen eilten dorthin, um mitzuwirken an
dem grossen Werke der Befreiung; man rechnete schon auf den Aufstand der
gesamten belgischen Eidgenossenschaft, auf Beistand aus Britannien, auf
das Einruecken der ueberrheinischen Germanen. Caesar sandte Labienus mit
der ganzen Reiterei an den Rhein, um die gaerende belgische Landschaft
niederzuhalten und noetigenfalls den Deutschen den Uebergang ueber den
Fluss zu wehren; ein anderer seiner Unterbefehlshaber, Quintus Titurius
Sabinus, ging mit drei Legionen nach der Normandie, wo die Hauptmasse
der Insurgenten sich sammelte. Allein der eigentliche Herd der
Insurrektion waren die maechtigen und intelligenten Veneter; gegen sie
ward zu Lande und zur See der Hauptangriff gerichtet. Die teils aus
den Schiffen der untertaenigen Keltengaue, teils aus einer Anzahl
roemischer, eiligst auf der Loire erbauter und mit Ruderern aus der
Narbonensischen Provinz bemannter Galeeren gebildete Flotte fuehrte der
Unterfeldherr Decimus Brutus heran; Caesar selbst rueckte mit dem Kern
seiner Infanterie ein in das Gebiet der Veneter. Aber man war dort
vorbereitet und hatte ebenso geschickt wie entschlossen die guenstigen
Verhaeltnisse benutzt, die das bretagnische Terrain und der Besitz einer
ansehnlichen Seemacht darbot. Die Landschaft war durchschnitten und
getreidearm, die Staedte groesstenteils auf Klippen und Landspitzen
gelegen und vom Festlande her nur auf schwer zu passierenden Watten
zugaenglich; die Verpflegung wie die Belagerung waren fuer das zu
Lande angreifende Heer gleich schwierig, waehrend die Kelten durch
ihre Schiffe die Staedte leicht mit allem Noetigen versehen und im
schlimmsten Fall die Raeumung derselben bewerkstelligen konnten. Die
Legionen verschwendeten in den Belagerungen der venetischen Ortschaften
Zeit und Kraft, um zuletzt die wesentlichen Fruechte des Sieges auf
den Schiffen der Feinde verschwinden zu sehen. Als daher die roemische
Flotte, lange in der Loiremuendung von Stuermen zurueckgehalten, endlich
an der bretagnischen Kueste eintraf, ueberliess man es ihr, den Kampf
durch eine Seeschlacht zu entscheiden. Die Kelten, ihrer Ueberlegenheit
auf diesem Elemente sich bewusst, fuehrten gegen die von Brutus
befehligte roemische Flotte die ihrige vor. Nicht bloss zaehlte diese
zweihundertzwanzig Segel, weit mehr, als die Roemer hatten aufbringen
koennen; ihre hochbordigen, festgebauten Segelschiffe von flachem
Boden waren auch bei weitem geeigneter fuer die hochgehenden Fluten des
Atlantischen Meeres als die niedrigen leichtgefugten Rudergaleeren
der Roemer mit ihren scharfen Kielen. Weder die Geschosse noch die
Enterbruecken der Roemer vermochten das hohe Deck der feindlichen
Schiffe zu erreichen und an den maechtigen Eichenplanken derselben
prallten die eisernen Schnaebel machtlos ab. Allein die roemischen
Schiffsleute zerschnitten die Taue, durch welche die Rahen an den Masten
befestigt waren, mittels an langen Stangen befestigter Sicheln; Rahen
und Segel stuerzten herab und, da man den Schaden nicht rasch zu
ersetzen verstand, ward das Schiff dadurch zum Wrack, wie heutzutage
durch Stuerzen der Maste, und leicht gelang es den roemischen Booten,
durch vereinigten Angriff des gelaehmten feindlichen Schiffes sich zu
bemeistern. Als die Gallier dieses Manoevers innewurden, versuchten sie
von der Kueste, an der sie den Kampf mit den Roemern aufgenommen hatten,
sich zu entfernen und die hohe See zu gewinnen, wohin die roemischen
Galeeren ihnen nicht folgen konnten; allein zum Unglueck fuer sie trat
ploetzlich eine vollstaendige Windstille ein und die ungeheure Flotte,
an deren Ausruestung die Seegaue alle ihre Kraefte gesetzt hatten, ward
von den Roemern fast gaenzlich vernichtet. So ward diese Seeschlacht
- soweit die geschichtliche Kunde reicht, die aelteste auf dem
Atlantischen Ozean geschlagene - ebenwie zweihundert Jahre zuvor das
Treffen bei Mylae trotz der unguenstigsten Verhaeltnisse durch eine
von der Not eingegebene glueckliche Erfindung zum Vorteil der Roemer
entschieden. Die Folge des von Brutus erfochtenen Sieges war die
Ergebung der Veneter und der ganzen Bretagne. Mehr, um der
keltischen Nation, nach so vielfaeltigen Beweisen von Milde gegen die
Unterworfenen, jetzt durch ein Beispiel furchtbarer Strenge gegen die
hartnaeckig Widerstrebenden zu imponieren, als um den Vertragsbruch
und die Festnahme der roemischen Offiziere zu ahnden, liess Caesar den
gesamten Gemeinderat hinrichten und die Buergerschaft des venetischen
Gaus bis auf den letzten Mann in die Knechtschaft verkaufen. Durch dies
entsetzliche Geschick wie durch ihre Intelligenz und ihren Patriotismus
haben die Veneter mehr als irgendein anderer Keltenclan sich ein Anrecht
erworben auf die Teilnahme der Nachwelt. Dem am Kanal versammelten
Aufgebot der Kuestenstaaten setzte Sabinus inzwischen dieselbe Taktik
entgegen, durch die Caesar das Jahr zuvor den belgischen Landsturm an
der Aisne ueberwunden hatte; er verhielt sich verteidigend, bis Ungeduld
und Mangel in den Reihen der Feinde einrissen, und wusste sie dann durch
Taeuschung ueber die Stimmung und Staerke seiner Truppen und vor allem
durch die eigene Ungeduld zu einem unbesonnenen Sturm auf das roemische
Lager zu verlocken und dabei zu schlagen, worauf die Milizen sich
zerstreuten und die Landschaft bis zur Seine sich unterwarf. Nur
die Moriner und Menapier beharrten dabei, sich der Anerkennung der
roemischen Hoheit zu entziehen. Um sie dazu zu zwingen, erschien
Caesar an ihren Grenzen: aber gewitzigt durch die von ihren Landsleuten
gemachten Erfahrungen, vermieden sie es, den Kampf an der Landesgrenze
aufzunehmen und wichen zurueck in die damals von den Ardennen gegen die
Nordsee hin fast ununterbrochen sich erstreckenden Waelder. Die Roemer
versuchten, sich durch dieselben mit der Axt eine Strasse zu bahnen, zu
deren beiden Seiten die gefaellten Baeume als Verbacke gegen feindliche
Ueberfaelle aufgeschichtet wurden; allein selbst Caesar, verwegen wie er
war, fand nach einigen Tagen muehseligsten Marschierens es ratsam, zumal
da es gegen den Winter ging, den Rueckzug anzuordnen, obwohl von den
Morinern nur ein kleiner Teil unterworfen und die maechtigen Menapier
gar nicht erreicht worden waren. Das folgende Jahr (699 55) ward,
waehrend Caesar selbst in Britannien beschaeftigt war, der groesste Teil
des Heeres aufs neue gegen diese Voelkerschaften gesandt; allein auch
diese Expedition blieb in der Hauptsache erfolglos. Dennoch war das
Ergebnis der letzten Feldzuege die fast vollstaendige Unterwerfung
Galliens unter die Herrschaft der Roemer. Wenn Mittelgallien ohne
Gegenwehr sich unter dieselbe gefuegt hatte, so waren durch den Feldzug
des Jahres 697 (57) die belgischen, durch den des folgenden Jahres
die Seegaue mit den Waffen zur Anerkennung der roemischen Herrschaft
gezwungen worden. Die hochfliegenden Hoffnungen aber, mit denen die
keltischen Patrioten den letzten Feldzug begonnen, hatten nirgends sich
erfuellt. Weder Deutsche noch Briten waren ihnen zu Hilfe gekommen,
und in Belgien hatte Labienus' Anwesenheit genuegt, die Erneuerung der
vorjaehrigen Kaempfe zu verhueten. Waehrend also Caesar das roemische
Gebiet im Westen mit den Waffen zu einem geschlossenen Ganzen
fortbildete, versaeumte er nicht, der neu unterworfenen Landschaft,
welche ja bestimmt war, die zwischen Italien und Spanien klaffende
Gebietsluecke auszufuellen, mit der italischen Heimat wie mit den
spanischen Provinzen Kommunikationen zu eroeffnen. Die Verbindung
zwischen Gallien und Italien war allerdings durch die von Pompeius im
Jahre 677 (77) angelegte Heerstrasse ueber den Mont Genevre wesentlich
erleichtert worden; allein seit das ganze Gallien den Roemern
unterworfen war, bedurfte man einer aus dem Potal nicht in westlicher,
sondern in noerdlicher Richtung den Alpenkamm ueberschreitenden und
eine kuerzere Verbindung zwischen Italien und dem mittleren Gallien
herstellenden Strasse. Dem Kaufmann diente hierzu laengst der Weg, der
ueber den Grossen Bernhard in das Wallis und an den Genfer See fuehrt;
um diese Strasse in seine Gewalt zu bringen, liess Caesar schon im
Herbst 697 (57) durch Servius Galba Octodurum (Martigny) besetzen
und die Bewohner des Wallis zur Botmaessigkeit bringen, was durch die
tapfere Gegenwehr dieser Bergvoelker natuerlich nur verzoegert, nicht
verhindert ward. Um ferner die Verbindung mit Spanien zu gewinnen, wurde
im folgenden Jahr (698 56) Publius Crassus nach Aquitanien gesandt mit
dem Auftrag, die daselbst wohnenden iberischen Staemme zur Anerkennung
der roemischen Herrschaft zu zwingen. Die Aufgabe war nicht ohne
Schwierigkeit; die Iberer hielten fester zusammen als die Kelten und
verstanden es besser als diese, von ihren Feinden zu lernen. Die Staemme
jenseits der Pyrenaeen, namentlich die tuechtigen Kantabrer sandten
ihren bedrohten Landsleuten Zuzug; mit diesem kamen erfahrene, unter
Sertorius' Fuehrung roemisch geschulte Offiziere, die soweit
moeglich die Grundsaetze der roemischen Kriegskunst, namentlich das
Lagerschlagen, bei dem schon durch seine Zahl und seine Tapferkeit
ansehnlichen aquitanischen Aufgebot einfuehrten. Allein der vorzuegliche
Offizier, der die Roemer fuehrte, wusste alle Schwierigkeiten zu
ueberwinden, und nach einigen hart bestrittenen, aber gluecklich
gewonnenen Feldschlachten die Voelkerschaften von der Garonne bis nahe
an die Pyrenaeen zur Ergebung unter den neuen Herrn zu bestimmen. Das
eine Ziel, das Caesar sich gesteckt hatte, die Unterwerfung Galliens,
war mit kaum nennenswerten Ausnahmen im wesentlichen soweit erreicht,
als es ueberhaupt mit dem Schwert sich erreichen liess. Allein die
andere Haelfte des von Caesar begonnenen Werkes war noch bei weitem
nicht genuegend erledigt und die Deutschen noch keineswegs ueberall
genoetigt, den Rhein als Grenze anzuerkennen. Eben jetzt, im Winter
698/99 (56/55) hatte an dem unteren Laufe des Flusses, bis wohin
die Roemer noch nicht vorgedrungen waren, eine abermalige
Grenzueberschreitung stattgefunden. Die deutschen Staemme der Usipeten
und Tencterer, deren Versuche, in dem Gebiet der Menapier ueber den
Rhein zu setzen, bereits erwaehnt wurden, waren endlich doch, die
Wachsamkeit ihrer Gegner durch einen verstellten Abzug taeuschend,
auf den eigenen Schiffen der Menapier uebergegangen - ein ungeheurer
Schwarm, der sich mit Einschluss der Weiber und Kinder auf 430000 Koepfe
belaufen haben soll. Noch lagerten sie, es scheint in der Gegend von
Nimwegen und Kleve; aber es hiess, dass sie, den Aufforderungen der
keltischen Patriotenpartei folgend, in das Innere Galliens einzuruecken
beabsichtigten, und das Geruecht ward dadurch bestaerkt, dass ihre
Reiterscharen bereits bis an die Grenzen der Treuerer streiften. Indes
als Caesar mit seinen Legionen ihnen gegenueber anlangte, schienen die
vielgeplagten Auswanderer nicht nach neuen Kaempfen begierig, sondern
gern bereit, von den Roemern Land zu nehmen und es unter ihrer Hoheit
in Frieden zu bestellen. Waehrend darueber verhandelt ward, stieg in
dem roemischen Feldherrn der Argwohn auf, dass die Deutschen nur Zeit
zu gewinnen suchten, bis die von ihnen entsendeten Reiterscharen
wiedereingetroffen seien. Ob derselbe gegruendet war oder nicht, laesst
sich nicht sagen; aber darin bestaerkt durch einen Angriff, den trotz
des tatsaechlichen Waffenstillstandes ein feindlicher Trupp auf seine
Vorhut unternahm, und erbittert durch den dabei erlittenen empfindlichen
Verlust, glaubte Caesar sich berechtigt, jede voelkerrechtliche
Ruecksicht aus den Augen zu setzen. Als am anderen Morgen die Fuersten
und Aeltesten der Deutschen, den ohne ihr Vorwissen unternommenen
Angriff zu entschuldigen, im roemischen Lager erschienen, wurden sie
festgehalten und die nichts ahnende, ihrer Fuehrer beraubte Menge
von dem roemischen Heer ploetzlich ueberfallen. Es war mehr eine
Menschenjagd als eine Schlacht; was nicht unter den Schwertern der
Roemer fiel, ertrank im Rheine; fast nur die zur Zeit des Ueberfalls
detachierten Abteilungen entkamen dem Blutbad und gelangten zurueck
ueber den Rhein, wo ihnen die Sugambrer in ihrem Gebiet, es scheint an
der Lippe, eine Freistatt gewaehrten. Das Verfahren Caesars gegen diese
deutschen Einwanderer fand im Senat schweren und gerechten Tadel;
allein wie wenig auch dasselbe entschuldigt werden kann, den deutschen
Uebergriffen war dadurch mit erschreckendem Nachdruck gesteuert. Doch
fand es Caesar ratsam, noch einen Schritt weiter zu gehen und die
Legionen ueber den Rhein zu fuehren. An Verbindungen jenseits desselben
mangelte es ihm nicht. Den Deutschen auf ihrer damaligen Bildungsstufe
fehlte noch jeder nationale Zusammenhang; an politischer Zerfahrenheit
gaben sie, wenn auch aus anderen Ursachen, den Kelten nichts nach. Die
Ubier (an der Sieg und Lahn), der zivilisierteste unter den deutschen
Staemmen, waren vor kurzem von einem maechtigen suebischen Gau des
Binnenlandes botmaessig und zinspflichtig gemacht worden und hatten
schon 697 (57) Caesar durch ihre Boten ersucht, auch sie wie die Gallier
von der suebischen Herrschaft zu befreien. Es war Caesars Absicht nicht,
diesem Ansinnen, das ihn in endlose Unternehmungen verwickelt haben
wuerde, ernstlich zu entsprechen; aber wohl schien es zweckmaessig,
um das Erscheinen der germanischen Waffen diesseits des Rheines zu
verhindern, die roemischen jenseits desselben wenigstens zu zeigen. Der
Schutz, den die entronnenen Usipeten und Tencterer bei den Sugambrern
gefunden hatten, bot eine geeignete Veranlassung dar. In der Gegend,
wie es scheint, zwischen Koblenz und Andernach schlug Caesar eine
Pfahlbruecke ueber den Rhein und fuehrte seine Legionen hinueber aus
dem treverischen in das ubische Gebiet. Einige kleinere Gaue gaben ihre
Unterwerfung ein; allein die Sugambrer, gegen die der Zug zunaechst
gerichtet war, zogen, wie das roemische Heer herankam, mit ihren
Schutzbefohlenen sich in das innere Land zurueck. In gleicher Weise
liess der maechtige suebische Gau, der die Ubier bedraengte, vermutlich
derjenige, der spaeter unter dem Namen der Chatten auftritt, die
zunaechst an das ubische Gebiet angrenzenden Distrikte raeumen und das
nicht streitbare Volk in Sicherheit bringen, waehrend alle waffenfaehige
Mannschaft angewiesen ward, im Mittelpunkt des Gaues sich zu versammeln.
Diesen Handschuh aufzuheben hatte der roemische Feldherr weder
Veranlassung noch Lust; sein Zweck, teils zu rekognoszieren, teils durch
einen Zug ueber den Rhein womoeglich den Deutschen, wenigstens aber den
Kelten und den Landsleuten daheim zu imponieren, war im wesentlichen
erreicht; nach achtzehntaegigem Verweilen am rechten Rheinufer traf er
wieder in Gallien ein und brach die Rheinbruecke hinter sich ab (699
55). Es blieben die Inselkelten. Bei dem engen Zusammenhang zwischen
ihnen und den Kelten des Festlandes, namentlich den Seegauen, ist es
begreiflich, dass sie an dem nationalen Widerstand wenigstens mit ihren
Sympathien sich beteiligt hatten und den Patrioten wenn auch nicht
bewaffneten Beistand, doch mindestens jedem von ihnen, fuer den die
Heimat nicht mehr sicher war, auf ihrer meerbeschuetzten Insel eine
ehrenvolle Freistatt gewaehrten. Eine Gefahr lag hierin allerdings, wenn
nicht fuer die Gegenwart, doch fuer die Zukunft; es schien zweckmaessig,
wo nicht die Eroberung der Insel selbst zu unternehmen, doch auch hier
die Defensive offensiv zu fuehren und durch eine Landung an der Kueste
den Insulanern zu zeigen, dass der Arm der Roemer auch ueber den Kanal
reiche. Schon der erste roemische Offizier, der die Bretagne betrat,
Publius Crassus, war von dort nach den "Zinninseln" an der Westspitze
Englands (Scillyinseln) hinuebergefahren (697 57); im Sommer 699 (55)
ging Caesar selbst mit nur zwei Legionen da, wo er am schmalsten ist
^17, ueber den Kanal. Er fand die Kueste mit feindlichen Truppenmassen
bedeckt und fuhr mit seinen Schiffen weiter; aber die britischen
Streitwagen bewegten sich ebenso schnell zu Lande fort wie die
roemischen Galeeren auf der See, und nur mit groesster Muehe gelang es
den roemischen Soldaten unter dem Schutze der Kriegsschiffe, die durch
Wurfmaschinen und Handgeschuetze den Strand fegten, im Angesicht der
Feinde teils watend, teils in Kaehnen das Ufer zu gewinnen. Im ersten
Schreck unterwarfen sich die naechsten Doerfer; allein bald wurden die
Insulaner gewahr, wie schwach der Feind sei und wie er nicht wage, sich
vom Ufer zu entfernen. Die Eingeborenen verschwanden in das Binnenland
und kamen nur zurueck, um das Lager zu bedrohen; die Flotte aber, die
man auf der offenen Reede gelassen hatte, erlitt durch den ersten ueber
sie hereinbrechenden Sturmwind sehr bedeutenden Schaden. Man musste sich
gluecklich schaetzen, die Angriffe der Barbaren abzuschlagen, bis man
die Schiffe notduerftig repariert hatte, und mit denselben, noch ehe die
schlimme Jahreszeit hereinbrach, die gallische Kueste wiederzuerreichen.
------------------------------------------- ^17 Dass Caesars
Ueberfahrten nach Britannien aus den Haefen der Kueste von Calais bis
Boulogne an die Kueste von Kent gingen, ergibt die Natur der Sache sowie
Caesars ausdrueckliche Angabe. Die genauere Bestimmung der Oertlichkeit
ist oft versucht worden, aber nicht gelungen. Ueberliefert ist nur, dass
bei der ersten Fahrt die Infanterie in dem einen, die Reiterei in einem
anderen, von jenem 8 Milien in oestlicher Richtung entfernten Hafen
sich einschiffte (Gall. 4, 22, 23, 28) und dass die zweite Fahrt aus
demjenigen von diesen beiden Haefen, den Caesar am bequemsten gefunden,
dem (sonst nicht weiter genannten) Irischen, von der britannischen
Kueste 30 (so nach Caesars Handschriften 5, 2) oder 40 (= 320 Stadien,
nach Strab. 4, 5, 2, der unzweifelhaft aus Caesar schoepfte) Milien
entfernten abging. Aus Caesars Worten (Gall. 4, 21), dass er "die
kuerzeste Ueberfahrt" gewaehlt habe, kann man verstaendigerweise wohl
folgern, dass er nicht durch den Kanal, sondern durch den Pas de Calais,
aber keineswegs, dass er durch diesen auf der mathematisch kuerzesten
Linie fuhr. Es gehoert der Inspirationsglaube der Lokaltopographen dazu,
um mit solchen Daten in der Hand, von denen das an sich beste noch durch
die schwankende Ueberlieferung der Zahl fast unbrauchbar wird, an die
Bestimmung der Oertlichkeit zu gehen; doch moechte unter den vielen
Moeglichkeiten am meisten fuer sich zu haben, dass der Irische Hafen
(den schon Strab. a. a. O. wahrscheinlich richtig mit demjenigen
identifiziert, von dem bei der ersten Fahrt die Infanterie ueberging)
bei Ambleteuse, westlich vom Cap Gris Nez, der Reiterhaufen bei Ecale
(Wissant), oestlich von demselben Vorgebirge, zu suchen ist, die
Landung aber oestlich von Dover bei Walmercastle stattfand.
------------------------------------------- Caesar selbst war mit
den Ergebnissen dieser leichtsinnig und mit unzulaenglichen Mitteln
unternommenen Expedition so unzufrieden, dass er sogleich (Winter
699/700 55/54) eine Transportflotte von 800 Segeln instand setzen liess
und im Fruehling 700 (54), diesmal mit fuenf Legionen und 2000 Reitern,
zum zweitenmal nach der kentischen Kueste unter Segel ging. Vor der
gewaltigen Armada wich die auch diesmal am Ufer versammelte Streitmacht
der Briten, ohne einen Kampf zu wagen; Caesar trat sofort den Marsch ins
Binnenland an und ueberschritt nach einigen gluecklichen Gefechten den
Fluss Stour; allein er musste sehr wider seinen Willen innehalten, weil
die Flotte auf der offenen Reede wiederum von den Stuermen des Kanals
halb vernichtet worden war. Bis man die Schiffe auf den Strand gezogen
und fuer die Reparatur umfassende Vorkehrungen getroffen, ging eine
kostbare Zeit verloren, die die Kelten weislich benutzten. Der tapfere
und umsichtige Fuerst Cassivellaunus, der in dem heutigen Middlesex
und der Umgegend gebot, sonst der Schreck der Kelten suedlich von der
Themse, jetzt aber Hort und Vorfechter der ganzen Nation, war an die
Spitze der Landesverteidigung getreten. Er sah bald, dass mit dem
keltischen Fussvolk gegen das roemische schlechterdings nichts
auszurichten und die schwer zu ernaehrende und schwer zu regierende
Masse des Landsturms der Verteidigung nur hinderlich war; also entliess
er diesen und behielt nur die Streitwagen, deren er 4000 zusammenbrachte
und deren Kaempfer, geuebt vom Wagen herabspringend zu Fuss zu fechten,
gleich der Buergerreiterei des aeltesten Rom in zwiefacher Weise
verwendet werden konnten. Als Caesar den Marsch wieder fortzusetzen
imstande war, fand er denselben nirgend sich verlegt; aber die
britischen Streitwagen zogen stets dem roemischen Heer vorauf und zur
Seite, bewirkten die Raeumung des Landes, die bei dem Mangel an Staedten
keine grosse Schwierigkeit machte, hinderten jede Detachierung und
bedrohten die Kommunikationen. Die Themse ward - wie es scheint zwischen
Kingston und Brentford oberhalb London - von den Roemern ueberschritten;
man kam vorwaerts, aber nicht eigentlich weiter; der Feldherr erfocht
keinen Sieg, der Soldat machte keine Beute und das einzige wirkliche
Resultat, die Unterwerfung der Trinobanten im heutigen Essex, war
weniger die Folge der Furcht vor den Roemern als der tiefen Verfeindung
dieses Gaus mit Cassivellaunus. Mit jedem Schritte vorwaerts stieg die
Gefahr, und der Angriff, den die Fuersten von Kent nach Cassivellaunus'
Anordnung auf das roemische Schiffslager machten, mahnte, obwohl er
abgeschlagen ward, doch dringend zur Umkehr. Die Erstuermung eines
grossen britischen Verhacks, in dem eine Menge Vieh den Roemern in die
Haende fiel, gab fuer das ziellose Vordringen einen leidlichen Abschluss
und einen ertraeglichen Vorwand fuer die Umkehr. Auch Cassivellaunus
war einsichtig genug, den gefaehrlichen Feind nicht aufs Aeusserste zu
treiben, und versprach, wie Caesar verlangte, die Trinobanten nicht zu
beunruhigen, Abgaben zu zahlen und Geiseln zu stellen; von Auslieferung
der Waffen oder Zuruecklassung einer roemischen Besatzung war nicht die
Rede, und selbst jene Versprechungen wurden vermutlich, soweit sie die
Zukunft betrafen, ernstlich weder gegeben noch genommen. Nach Empfang
der Geiseln kehrte Caesar in das Schiffslager und von da nach Gallien
zurueck. Wenn er, wie es allerdings scheint, gehofft hatte,
Britannien diesmal zu erobern, so war dieser Plan teils an dem klugen
Verteidigungssystem des Cassivellaunus, teils und vor allem an der
Unbrauchbarkeit der italischen Ruderflotte auf den Gewaessern der
Nordsee vollkommen gescheitert; denn dass der bedungene Tribut niemals
erlegt ward, ist gewiss. Der naechste Zweck aber: die Inselkelten aus
ihrer trotzigen Sicherheit aufzuruetteln und sie zu veranlassen,
in ihrem eigenen Interesse ihre Inseln nicht laenger zum Herd der
festlaendischen Emigration herzugeben, scheint allerdings erreicht
worden zu sein; wenigstens werden Beschwerden ueber dergleichen
Schutzverleihung spaeterhin nicht wieder vernommen. Das Werk der
Zurueckweisung der germanischen Invasion und der Unterwerfung der
festlaendischen Kelten war vollendet. Aber oft ist es leichter, eine
freie Nation zu unterwerfen als eine unterworfene in Botmaessigkeit zu
erhalten. Die Rivalitaet um die Hegemonie, an der mehr noch als an den
Angriffen Roms die keltische Nation zugrunde gegangen war, ward
durch die Eroberung gewissermassen aufgehoben, indem der Eroberer die
Hegemonie fuer sich selbst nahm. Die Sonderinteressen schwiegen; in dem
gemeinsamen Druck fuehlte man doch sich wieder als ein Volk, und was
man, da man es besass, gleichgueltig verspielt hatte, die Freiheit und
die Nationalitaet, dessen unendlicher Wert ward nun, da es zu spaet war,
von der unendlichen Sehnsucht vollstaendig ermessen. Aber war es denn
zu spaet? Mit zorniger Scham gestand man es sich, dass eine Nation, die
mindestens eine Million waffenfaehiger Maenner zaehlte, eine Nation
von altem und wohlbegruendetem kriegerischen Ruhm, von hoechstens
50000 Roemern sich hatte das Joch auflegen lassen. Die Unterwerfung der
Eidgenossenschaft des mittleren Galliens, ohne dass sie auch nur einen
Schlag getan, die der belgischen, ohne dass sie mehr getan als schlagen
wollen; dagegen wieder der heldenmuetige Untergang der Nervier und
Veneter, der kluge und glueckliche Widerstand der Moriner und der Briten
unter Cassivellaunus - alles, was im einzelnen versaeumt und geleistet,
gescheitert und erreicht war, spornte die Gemueter aller Patrioten zu
neuen, womoeglich einigeren und erfolgreicheren Versuchen. Namentlich
unter dem keltischen Adel herrschte eine Gaerung, die jeden Augenblick
in einen allgemeinen Aufstand ausbrechen zu muessen schien. Schon vor
dem zweiten Zug nach Britannien im Fruehjahr 700 (54) hatte Caesar es
notwendig gefunden, sich persoenlich zu den Treverern zu begeben, die,
seit sie 697 (57) in der Nervierschlacht sich kompromittiert hatten,
auf den allgemeinen Landtagen nicht mehr erschienen waren und mit
den ueberrheinischen Deutschen mehr als verdaechtige Verbindungen
angeknuepft hatten. Damals hatte Caesar sich begnuegt, die namhaftesten
Maenner der Patriotenpartei, namentlich den Indutiomarus, unter dem
treverischen Reiterkontingent mit sich nach Britannien zu fuehren; er
tat sein moegliches, die Verschwoerung nicht zu sehen, um nicht durch
strenge Massregeln sie zur Insurrektion zu zeitigen. Allein als der
Haeduer Dumnorix, der gleichfalls dem Namen nach als Reiteroffizier, in
der Tat aber als Geisel sich bei dem nach Britannien bestimmten Heere
befand, geradezu verweigerte sich einzuschiffen und statt dessen nach
Hause ritt, konnte Caesar nicht umhin, ihn als Ausreisser verfolgen zu
lassen, wobei er von der nachgeschickten Abteilung eingeholt und, da er
gegen dieselbe sich zur Wehre setzte, niedergehauen ward (700 54).
Dass der angesehenste Ritter des maechtigsten und noch am wenigsten
abhaengigen Keltengaus von den Roemern getoetet worden, war ein
Donnerschlag fuer den ganzen keltischen Adel; jeder, der sich aehnlicher
Gesinnung bewusst war - und es war dies die ungeheure Majoritaet -, sah
in jener Katastrophe das Bild dessen, was ihm selber bevorstand. Wenn
Patriotismus und Verzweiflung die Haeupter des keltischen Adels bestimmt
hatte sich zu verschwoeren, so trieb jetzt Furcht und Notwehr die
Verschworenen zum Losschlagen. Im Winter 700/01 (54/53) lagerte, mit
Ausnahme einer in die Bretagne und einer zweiten in den sehr unruhigen
Gau der Carnuten (bei Chartres) verlegten Legion, das gesamte roemische
Heer, sechs Legionen stark, im belgischen Gebiet. Die Knappheit der
Getreidevorraete hatte Caesar bewogen, seine Truppen weiter, als er
sonst zu tun pflegte, auseinander und in sechs verschiedene, in den
Gauen der Bellovaker, Ambianer, Moriner, Nervier, Reiner und Eburonen,
errichtete Lager zu verlegen. Das am weitesten gegen Osten im
eburonischen Gebiet, wahrscheinlich unweit des spaeteren Aduatuca,
des heutigen Tongern, angelegte Standlager, das staerkste von allen,
bestehend aus einer Legion unter einem der angesehensten Caesarischen
Divisionsfuehrer, dem Quintus Titurius Sabinus, und ausserdem
verschiedenen, von dem tapferen Lucius Aurunculeius Cotta, gefuehrten
Detachements zusammen von der Staerke einer halben Legion ^18, fand sich
urploetzlich von dem Landsturm der Eburonen unter den Koenigen Ambiorix
und Catuvolcus umzingelt. Der Angriff kam so unerwartet, dass die eben
vom Lager abwesenden Mannschaften nicht einberufen werden konnten und
von den Feinden aufgehoben wurden; uebrigens war zunaechst die Gefahr
nicht gross, da es an Vorraeten nicht mangelte und der Sturm, den
die Eburonen versuchten, an den roemischen Verschanzungen machtlos
abprallte. Aber Koenig Ambiorix eroeffnete dem roemischen Befehlshaber,
dass die saemtlichen roemischen Lager in Gallien an demselben Tage in
gleicher Weise angegriffen und die Roemer unzweifelhaft verloren seien,
wenn die einzelnen Korps nicht rasch aufbraechen und miteinander sich
vereinigten; dass Sabinus damit um so mehr Ursache habe zu eilen, als
gegen ihn auch die ueberrheinischen Deutschen bereits im Anmarsch seien;
dass er selbst aus Freundschaft fuer die Roemer ihnen freien Abzug bis
zu dem naechsten, nur zwei Tagemaersche entfernten roemischen Lager
zusichere. Einiges in diesen Angaben schien nicht erfunden; dass der
kleine, von den Roemern besonders beguenstigte Gau der Eburonen den
Angriff auf eigene Hand unternommen habe, war in der Tat unglaublich und
bei der Schwierigkeit, mit den anderen, weit entfernten Lagern sich in
Verbindung zu setzen, die Gefahr von der ganzen Masse der Insurgenten
angegriffen und vereinzelt aufgerieben zu werden, keineswegs gering
zu achten; nichtsdestoweniger konnte es nicht dem geringsten Zweifel
unterliegen, dass sowohl die Ehre wie die Klugheit gebot, die vom Feinde
angebotene Kapitulation zurueckzuweisen und an dem anvertrauten Posten
auszuharren. Auch im Kriegsrat vertraten zahlreiche Stimmen, namentlich
die gewichtige des Lucius Aurunculeius Cotta diese Ansicht. Dennoch
entschied sich der Kommandant dafuer, den Vorschlag des Ambiorix
anzunehmen. Die roemischen Truppen zogen also am anderen Morgen ab;
aber in einem schmalen Tal, kaum eine halbe Meile vom Lager, angelangt,
fanden sie sich von den Eburonen umzingelt und jeden Ausweg gesperrt.
Sie versuchten, mit den Waffen sich den Weg zu oeffnen; allein die
Eburonen liessen sich auf kein Nahgefecht ein und begnuegten sich, aus
ihren unangreifbaren Stellungen ihre Geschosse in den Knaeuel der Roemer
zu entsenden. Wie verwirrt, als ob er Rettung vor dem Verrat bei dem
Verraeter suchte, begehrte Sabinus eine Zusammenkunft mit Ambiorix;
sie wurde gewaehrt und er und die ihn begleitenden Offiziere erst
entwaffnet, dann niedergemacht. Nach dem Fall des Befehlshabers warfen
sich die Eburonen von allen Seiten zugleich auf die erschoepften und
verzweifelnden Roemer und brachen ihre Reihen: die meisten, unter ihnen
der schon frueher verwundete Cotta, fanden bei diesem Angriff ihren
Tod; ein kleiner Teil, dem es gelungen war, das verlassene Lager
wiederzugewinnen, stuerzte sich waehrend der folgenden Nacht in
die eigenen Schwerter. Der ganze Heerhaufen ward vernichtet.
---------------------------------------------- ^18 Dass Cotta, obwohl
nicht Unterfeldherr des Sabinus, sondern gleich ihm Legat, doch der
juengere und minder angesehene General und wahrscheinlich im Fall einer
Differenz sich zu fuegen angewiesen war, ergibt sich sowohl aus den
frueheren Leistungen des Sabinus, als daraus, dass, wo beide zusammen
genannt werden (Gall. 4, 22, 37; 5, 24, 26, 52; 6, 32; anders 6, 37),
Sabinus regelmaessig voransteht, nicht minder aus der Erzaehlung der
Katastrophe selbst. ueberdies kann man doch unmoeglich annehmen, dass
Caesar einem Lager zwei Offiziere mit gleicher Befugnis vorgesetzt und
fuer den Fall der Meinungsverschiedenheit gar keine Anordnung getroffen
haben soll. Auch zaehlen die fuenf Kohorten nicht als Legion mit (vgl.
Gall. 6, 32, 33), so wenig wie die zwoelf Kohorten an der Rheinbruecke
(Gall. 6, 29 vgl. 32, 33), und scheinen aus Detachements anderer
Heerteile bestanden zu haben, die diesem den Germanen zunaechst
gelegenen Lager zur Verstaerkung zugeteilt worden waren.
---------------------------------------------- Dieser Erfolg, wie die
Insurgenten ihn selber kaum gehofft haben mochten, steigerte die
Gaerung unter den keltischen Patrioten so gewaltig, dass die Roemer, mit
Ausnahme der Haeduer und der Reiner, keines einzigen Distrikts ferner
sicher waren und an den verschiedensten Punkten der Aufstand losbrach.
Vor allen Dingen verfolgten die Eburonen ihren Sieg. Verstaerkt durch
das Aufgebot der Aduatuker, die gern die Gelegenheit ergriffen, das von
Caesar ihnen zugefuegte Leid zu vergelten, und der maechtigen und noch
unbezwungenen Menapier, erschienen sie in dem Gebiet der Nervier,
welche sogleich sich anschlossen, und der ganze also auf 60000 Koepfe
angeschwollene Schwarm rueckte vor das im nervischen Gau befindliche
roemische Lager. Quintus Cicero, der hier kommandierte, hatte mit seinem
schwachen Korps einen schweren Stand, namentlich als die Belagerer, von
dem Feinde lernend, Waelle und Graeben, Schilddaecher und bewegliche
Tuerme in roemischer Weise auffuehrten und die strohgedeckten
Lagerhuetten mit Brandschleudern und Brandspeeren ueberschuetteten. Die
einzige Hoffnung der Belagerten beruhte auf Caesar, der nicht allzuweit
entfernt in der Gegend von Amiens mit drei Legionen im Winterlager
stand. Allein - ein charakteristischer Beweis fuer die im Keltenland
herrschende Stimmung - geraume Zeit hindurch kam dem Oberfeldherrn nicht
die geringste Andeutung zu weder von der Katastrophe des Sabinus, noch
von der gefaehrlichen Lage Ciceros. Endlich gelang es einem keltischen
Reiter aus Ciceros Lager, sich durch die Feinde bis zu Caesar
durchzuschleichen. Auf die erschuetternde Kunde brach Caesar
augenblicklich auf, zwar nur mit zwei schwachen Legionen, zusammen etwa
7000 Mann stark, und 400 Reitern; aber nichtsdestoweniger genuegte die
Meldung, dass Caesar anrueckte, um die Insurgenten zur Aufhebung der
Belagerung zu bestimmen. Es war Zeit; nicht der zehnte Mann in Ciceros
Lager war unverwundet. Caesar, gegen den das Insurgentenheer sich
gewandt hatte, taeuschte die Feinde in der schon mehrmals mit Erfolg
angewandten Weise ueber seine Staerke; unter den unguenstigsten
Verhaeltnissen wagten sie einen Sturm auf das Roemerlager und erlitten
dabei eine Niederlage. Es ist seltsam, aber charakteristisch fuer die
keltische Nation, dass infolge dieser einen verlorenen Schlacht, oder
vielleicht mehr noch infolge von Caesars persoenlichem Erscheinen auf
dem Kampfplatz die so siegreich aufgetretene, so weithin ausgedehnte
Insurrektion ploetzlich und klaeglich den Krieg abbrach. Nervier,
Menapier, Aduatuker, Eburonen begaben sich nach Hause. Das gleiche taten
die Mannschaften der Seegaue, die Anstalt gemacht hatten, die Legion
in der Bretagne zu ueberfallen. Die Treverer, durch deren Fuehrer
Indutiomarus die Eburonen, die Klienten des maechtigen Nachbargaus, zu
jenem so erfolgreichen Angriff hauptsaechlich bestimmt worden waren,
hatten auf die Kunde der Katastrophe von Aduatuca die Waffen ergriffen
und waren in das Gebiet der Remer eingerueckt, um die unter Labienus'
Befehl dort kantonnierende Legion anzugreifen; auch sie stellten fuer
jetzt die Fortsetzung des Kampfes ein. Nicht ungern verschob Caesar
die weiteren Massregeln gegen die aufgestandenen Distrikte auf das
Fruehjahr, um seine hart mitgenommenen Truppen nicht der ganzen Strenge
des gallischen Winters auszusetzen und um erst dann wieder auf dem
Kampfplatze zu erscheinen, wenn durch die angeordnete Aushebung von
dreissig neuen Kohorten die vernichteten fuenfzehn in imponierender
Weise ersetzt sein wuerden. Die Insurrektion spann inzwischen sich fort,
wenn auch zunaechst die Waffen ruhten. Ihre Hauptsitze in Mittelgallien
waren teils die Distrikte der Carnuten und der benachbarten Senonen (um
Sens), welche letztere den von Caesar eingesetzten Koenig aus dem Lande
jagten, teils die Landschaft der Treverer, welche die gesamte keltische
Emigration und die ueberrheinischen Deutschen zur Teilnahme an dem
bevorstehenden Nationalkrieg aufforderten und ihre ganze Mannschaft
aufboten, um mit dem Fruehjahr zum zweitenmal in das Gebiet der Roemer
einzuruecken, das Korps des Labienus aufzuheben und die Verbindung mit
den Aufstaendischen an der Seine und Loire zu suchen. Die Abgeordneten
dieser drei Gaue blieben auf dem von Caesar im mittleren Gallien
ausgeschriebenen Landtag aus und erklaerten damit ebenso offen den
Krieg, wie es ein Teil der belgischen Gaue durch die Angriffe auf das
Lager des Sabinus und Cicero getan hatte. Der Winter neigte sich zu
Ende, als Caesar mit seinem inzwischen ansehnlich verstaerkten Heer
aufbrach gegen die Insurgenten. Die Versuche der Treverer, den Aufstand
zu konzentrieren, waren nicht geglueckt; die gaerenden Landschaften
wurden durch den Einmarsch roemischer Truppen im Zaum gehalten, die in
offener Empoerung stehenden vereinzelt angegriffen. Zuerst wurden die
Nervier von Caesar selbst zu Paaren getrieben. Das gleiche widerfuhr
den Senonen und Carnuten. Auch die Menapier, der einzige Gau, der sich
niemals noch den Roemern unterworfen hatte, wurden durch einen von drei
Seiten zugleich gegen sie gerichteten Gesamtangriff genoetigt, der
lange bewahrten Freiheit zu entsagen. Den Treverern bereitete inzwischen
Labienus dasselbe Schicksal. Ihr erster Angriff war gelaehmt worden
teils durch die Weigerung der naechstwohnenden deutschen Staemme, ihnen
Soeldner zu liefern, teils dadurch, dass Indutiomarus, die Seele der
ganzen Bewegung, in einem Scharmuetzel mit den Reitern des Labienus
geblieben war. Allein sie gaben ihre Entwuerfe darum nicht auf. Mit
ihrem gesamten Aufgebot erschienen sie Labienus gegenueber und harrten
der nachfolgenden deutschen Scharen; denn bessere Aufnahme als bei
den Anwohnern des Rheines hatten ihre Werber bei den streitbaren
Voelkerschaften des inneren Deutschlands, namentlich, wie es scheint,
den Chatten gefunden. Allein da Labienus Miene machte, diesen ausweichen
und Hals ueber Kopf abmarschieren zu wollen, griffen die Treverer,
noch ehe die Deutschen angelangt waren und in der unguenstigsten
Oertlichkeit, die Roemer an und wurden vollstaendig geschlagen. Den zu
spaet eintreffenden Deutschen blieb nichts uebrig als umzukehren, dem
treverischen Gau nichts als sich zu unterwerfen; das Regiment daselbst
kam wieder an das Haupt der roemischen Partei, an des Indutiomarus
Schwiegersohn Cingetorix. Nach diesen Expeditionen Caesars gegen die
Menapier und des Labienus gegen die Treverer traf in dem Gebiet der
letzteren die ganze roemische Armee wieder zusammen. Um den Deutschen
das Wiederkommen zu verleiden, ging Caesar noch einmal ueber den Rhein,
um womoeglich gegen die laestigen Nachbarn einen nachdruecklichen Schlag
zu fuehren; allein da die Chatten, ihrer erprobten Taktik getreu, sich
nicht an ihrer Westgrenze, sondern weit landeinwaerts, es scheint am
Harz, zur Landesverteidigung sammelten, kehrte er sogleich wieder um und
begnuegte sich, an dem Rheinuebergang Besatzung zurueckzulassen. Mit
den saemtlichen an dem Aufstand beteiligten Voelkerschaften war also
abgerechnet; nur die Eburonen waren uebergangen, aber nicht vergessen.
Seit Caesar die Katastrophe von Aduatuca erfahren hatte, trug er das
Trauergewand und hatte geschworen, erst dann es abzulegen, wenn er seine
nicht im ehrlichen Kriege gefallenen, sondern heimtueckisch ermordeten
Soldaten geraecht haben wuerde. Rat- und tatlos sassen die Eburonen in
ihren Huetten und sahen zu, wie einer nach dem andern die Nachbargaue
den Roemern sich unterwarfen, bis die roemische Reiterei vom
treverischen Gebiet aus durch die Ardennen in ihr Land einrueckte.
Man war so wenig auf den Angriff gefasst, dass sie beinahe den Koenig
Ambiorix in seinem Hause ergriffen haette; mit genauer Not, waehrend
sein Gefolge fuer ihn sich aufopferte, entkam er in das nahe Gehoelz.
Bald folgten den Reitern zehn roemische Legionen. Zugleich erging an
die umwohnenden Voelkerschaften die Aufforderung, mit den roemischen
Soldaten in Gemeinschaft die vogelfreien Eburonen zu hetzen und ihr
Land zu pluendern; nicht wenige folgten dem Ruf, sogar von jenseits
des Rheines eine kecke Schar sugambrischer Reiter, die uebrigens es den
Roemern nicht besser machte wie den Eburonen und fast durch einen kecken
Handstreich das roemische Lager bei Aduatuca ueberrumpelt haette. Das
Schicksal der Eburonen war entsetzlich. Wie sie auch in Waeldern und
Suempfen sich bargen, der Jaeger waren mehr als des Wildes. Mancher
gab sich selbst den Tod wie der greise Fuerst Catuvolcus; nur einzelne
retteten Leben und Freiheit, unter diesen wenigen aber der Mann, auf
den die Roemer vor allem fahndeten, der Fuerst Ambiorix: mit nur vier
Reitern entrann er ueber den Rhein. Auf diese Exekution gegen den Gau,
der vor allen andern gefrevelt, folgten in den anderen Landschaften die
Hochverratsprozesse gegen die einzelnen. Die Zeit der Milde war
vorbei. Nach dem Spruche des roemischen Prokonsuls ward der angesehene
carnutische Ritter Acco von roemischen Liktoren enthauptet (701 53)
und die Herrschaft der Ruten und Beile damit foermlich eingeweiht. Die
Opposition verstummte: ueberall herrschte Ruhe. Caesar ging, wie er
pflegte, im Spaetjahr 701 (53) ueber die Alpen, um den Winter hindurch
die immer mehr sich verwickelnden Verhaeltnisse in der Hauptstadt
aus der Naehe zu beobachten. Der kluge Rechner hatte diesmal sich
verrechnet. Das Feuer war gedaempft, aber nicht geloescht. Den Streich,
unter dem Accos Haupt fiel, fuehlte der ganze keltische Adel. Eben
jetzt bot die Lage der Dinge mehr Aussicht als je. Die Insurrektion des
letzten Winters war offenbar nur daran gescheitert, dass Caesar selbst
auf dem Kampfplatz erschienen war; jetzt war er fern, durch den nahe
bevorstehenden Buergerkrieg festgehalten am Po, und das gallische Heer,
das an der oberen Seine zusammengezogen stand, weit getrennt von
dem gefuerchteten Feldherrn. Wenn jetzt ein allgemeiner Aufstand in
Mittelgallien ausbrach, so konnte das roemische Heer umzingelt, die
fast unverteidigte altroemische Provinz ueberschwemmt sein, bevor
Caesar wieder jenseits der Alpen stand, selbst wenn die italischen
Verwicklungen nicht ueberhaupt ihn abhielten, sich ferner um Gallien zu
kuemmern. Verschworene aus allen mittelgallischen Gauen traten zusammen;
die Carnuten, als durch Accos Hinrichtung zunaechst betroffen, erboten
sich voranzugehen. An dem festgesetzten Tage im Winter 701/02 (53/52)
gaben die carnutischen Ritter Gutruatus und Conconnetodumnus in Cenabum
(Orleans) das Zeichen zur Erhebung und machten die daselbst anwesenden
Roemer insgesamt nieder. Die gewaltigste Bewegung ergriff das ganze
Keltenland; ueberall regten sich die Patrioten. Nichts aber ergriff
so tief die Nation wie die Schilderhebung der Arverner. Die Regierung
dieser Gemeinde, die einst unter ihren Koenigen die erste im suedlichen
Gallien gewesen und noch nach dem durch die ungluecklichen Kriege gegen
Rom herbeigefuehrten Zusammensturz ihres Prinzipats eine der reichsten,
gebildetsten und maechtigsten in ganz Gallien geblieben war,
hatte bisher unverbruechlich zu Rom gehalten. Auch jetzt war die
Patriotenpartei in dem regierenden Gemeinderat in der Minoritaet; ein
Versuch, von demselben den Beitritt zu der Insurrektion zu erlangen,
war vergeblich. Die Angriffe der Patrioten richteten sich also gegen den
Gemeinderat und die bestehende Verfassung selbst, und um so mehr, als
die Verfassungsaenderung, die bei den Arvernern den Gemeinderat an
die Stelle des Fuersten gesetzt hatte, nach den Siegen der Roemer und
wahrscheinlich unter dem Einfluss derselben erfolgt war. Der Fuehrer der
arvernischen Patrioten, Vercingetorix, einer jener Adligen, wie sie wohl
bei den Kelten begegnen, von fast koeniglichem Ansehen in und ausser
seinem Gau, dazu ein stattlicher, tapferer, kluger Mann, verliess die
Hauptstadt und rief das Landvolk, das der herrschenden Oligarchie
ebenso feind war wie den Roemern, zugleich zur Wiederherstellung des
arvernischen Koenigtums und zum Krieg gegen Rom auf. Rasch fiel die
Menge ihm zu; die Wiederherstellung des Thrones des Luerius und
Betuhus war zugleich die Erklaerung des Nationalkriegs gegen Rom.
Den einheitlichen Halt, an dessen Mangel alle bisherigen Versuche der
Nation, das fremdlaendische Joch von sich abzuschuetteln, gescheitert
waren, fand sie jetzt in dem neuen selbsternannten Koenig der Arverner.
Vercingetorix ward fuer die Kelten des Festlandes, was fuer die
Inselkelten Cassivellaunus; gewaltig durchdrang die Massen das Gefuehl,
dass er oder keiner der Mann sei, die Nation zu erretten. Rasch war
der Westen von der Muendung der Garonne bis zu der der Seine von
der Insurrektion erfasst und Vercingetorix hier von allen Gauen als
Oberfeldherr anerkannt; wo der Gemeinderat Schwierigkeit machte,
noetigte ihn die Menge zum Anschluss an die Bewegung; nur wenige Gaue,
wie der der Biturigen, liessen zum Beitritt sich zwingen, und vielleicht
auch diese nur zum Schein. Weniger guenstigen Boden fand der Aufstand in
den Landschaften oestlich von der oberen Loire. Alles kam hier auf die
Haeduer an; und diese schwankten. Die Patriotenpartei war in diesem Gau
sehr maechtig; aber der alte Antagonismus gegen die fuehrenden Arverner
hielt ihrem Einfluss die Waage - zum empfindlichsten Nachteil der
Insurrektion, da der Anschluss der oestlichen Kantone, namentlich der
Sequaner und der Helvetier, durch den Beitritt der Haeduer bedingt
war und ueberhaupt in diesem Teile Galliens die Entscheidung bei ihnen
stand. Waehrend also die Aufstaendischen daran arbeiteten, teils die
noch schwankenden Kantone, vor allen die Haeduer, zum Beitritt zu
bewegen, teils sich Narbos zu bemaechtigen - einer ihrer Fuehrer, der
verwegene Lucterius, hatte bereits innerhalb der Grenzen der alten
Provinz am Tarn sich gezeigt -, erschien ploetzlich im tiefen Winter,
Freunden und Feinden gleich unerwartet, der roemische Oberfeldherr
diesseits der Alpen. Rasch traf er nicht bloss die noetigen Anstalten,
um die alte Provinz zu decken, sondern sandte auch ueber die
schneebedeckten Cevennen einen Haufen in das arvernische Gebiet; aber
seines Bleibens war nicht hier, wo ihn jeden Augenblick der Zutritt
der Haeduer zu dem gallischen Buendnis von seiner um Sens und Langres
lagernden Armee abschneiden konnte. In aller Stille ging er nach Vienna
und von da, nur von wenigen Reitern begleitet, durch das Gebiet
der Haeduer zu seinen Truppen. Die Hoffnungen schwanden, welche die
Verschworenen zum Losschlagen bestimmt hatten; in Italien blieb es
Friede und Caesar stand abermals an der Spitze seiner Armee. Was aber
sollten sie beginnen? Es war eine Torheit, unter solchen Umstaenden auf
die Entscheidung der Waffen es ankommen zu lassen; denn diese hatten
bereits unwiderruflich entschieden. Man konnte ebensogut versuchen,
mit Steinwuerfen die Alpen zu erschuettern, wie die Legionen mit
den keltischen Haufen, mochten dieselben nun in ungeheuren Massen
zusammengeballt oder vereinzelt ein Gau nach dem andern preisgegeben
werden. Vercingetorix verzichtete darauf, die Roemer zu schlagen.
Er nahm ein aehnliches Kriegssystem an, wie dasjenige war, durch das
Cassivellaunus die Inselkelten gerettet hatte. Das roemische
Fussvolk war nicht zu besiegen; aber Caesars Reiterei bestand fast
ausschliesslich aus dem Zuzug des keltischen Adels und war durch den
allgemeinen Abfall tatsaechlich aufgeloest. Es war der Insurrektion, die
ja eben wesentlich aus dem keltischen Adel bestand, moeglich, in dieser
Waffe eine solche Ueberlegenheit zu entwickeln, dass sie weit und breit
das Land oede legen, Staedte und Doerfer niederbrennen, die Vorraete
vernichten, die Verpflegung und die Verbindungen des Feindes gefaehrden
konnte, ohne dass derselbe es ernstlich zu hindern vermochte.
Vercingetorix richtete demzufolge all seine Anstrengung auf die
Vermehrung der Reiterei und der nach damaliger Fechtweise regelmaessig
damit verbundenen Bogenschuetzen zu Fuss. Die ungeheuren und sich selber
laehmenden Massen der Linienmiliz schickte er zwar nicht nach Hause,
liess sie aber doch nicht vor den Feind und versuchte, ihnen allmaehlich
einige Schanz-, Marschier- und Manoevrierfaehigkeit und die Erkenntnis
beizubringen, dass der Soldat nicht bloss bestimmt ist, sich zu
raufen. Von den Feinden lernend, adoptierte er namentlich das roemische
Lagersystem, auf dem das ganze Geheimnis der taktischen Ueberlegenheit
der Roemer beruhte; denn infolgedessen vereinigte jedes roemische
Korps alle Vorteile der Festungsbesatzung mit allen Vorteilen der
Offensivarmee ^19. Freilich war jenes dem staedtearmen Britannien und
seinen rauhen, entschlossenen und im ganzen einigen Bewohnern vollkommen
angemessene System auf die reichen Landschaften an der Loire und deren
schlaffe, in vollstaendiger politischer Aufloesung begriffene Bewohner
nicht unbedingt uebertragbar. Vercingetorix setzte wenigstens durch,
dass man nicht wie bisher jede Stadt zu halten versuchte und darum
keine hielt; man ward sich einig, die der Verteidigung nicht faehigen
Ortschaften, bevor der Angriff sie erreichte, zu vernichten, die
starken Festungen aber mit gesamter Hand zu verteidigen. Daneben tat der
Arvernerkoenig, was er vermochte, um durch unnachsichtliche Strenge die
Feigen und Saeumigen, durch Bitten und Vorstellungen die Schwankenden,
die Habsuechtigen durch Gold, die entschiedenen Gegner durch Zwang
an die Sache des Vaterlandes zu fesseln und selbst dem vornehmen oder
niedrigen Gesindel einigen Patriotismus aufzunoetigen oder abzulisten.
-------------------------------------------------------- ^19 Freilich
war dies nur moeglich, solange die Offensivwaffen hauptsaechlich auf
Hieb und Stich gerichtet waren. In der heutigen Kriegfuehrung ist,
wie dies Napoleon I. vortrefflich auseinandergesetzt hat, dies System
deshalb unanwendbar geworden, weil bei unseren, aus der Ferne wirkenden
Offensivwaffen die deployierte Stellung vorteilhafter ist als
die konzentrische. In Caesars Zeit verhielt es sich umgekehrt.
----------------------------------------------------- Noch bevor der
Winter zu Ende war, warf er sich auf die im Gebiet der Haeduer von
Caesar angesiedelten Boier, um diese fast einzigen zuverlaessigen
Bundesgenossen Roms zu vernichten, bevor Caesar herankam. Die Nachricht
von diesem Angriff bestimmte auch Caesar, mit Zuruecklassung des
Gepaecks und zweier Legionen in den Winterquartieren von Agedincum
(Sens), sogleich und frueher, als er sonst wohl getan haben wuerde,
gegen die Insurgenten zu marschieren. Dem empfindlichen Mangel an
Reiterei und leichtem Fussvolk half er einigermassen ab durch nach und
nach herbeigezogene deutsche Soeldner, die statt ihrer eigenen kleinen
und schwachen Klepper mit italischen und spanischen, teils gekauften,
teils von den Offizieren requirierten Pferden ausgeruestet wurden.
Caesar, nachdem er unterwegs die Hauptstadt der Carnuten, Cenabum,
die das Zeichen zum Abfall gegeben, hatte pluendern und in Asche legen
lassen, rueckte ueber die Loire in die Landschaft der Biturigen. Er
erreichte damit, dass Vercingetorix die Belagerung der Stadt der Boier
aufgab und gleichfalls sich zu den Biturigen begab. Hier zuerst sollte
die neue Kriegfuehrung sich erproben. Auf Vercingetorix' Geheiss gingen
an einem Tage mehr als zwanzig Ortschaften der Biturigen in Flammen
auf; die gleiche Selbstverwuestung verhaengte der Feldherr ueber die
benachbarten Gaue, soweit sie von roemischen Streifparteien erreicht
werden konnten. Nach seiner Absicht sollte auch die reiche und feste
Hauptstadt der Biturigen Avaricum (Bourges) dasselbe Schicksal treffen;
allein die Majoritaet des Kriegsrats gab den kniefaelligen Bitten der
biturigischen Behoerden nach und beschloss, diese Stadt vielmehr
mit allem Nachdruck zu verteidigen. So konzentrierte sich der Krieg
zunaechst um Avaricum. Vercingetorix stellte sein Fussvolk inmitten der
der Stadt benachbarten Suempfe in einer so unnahbaren. Stellung auf,
dass es, auch ohne von der Reiterei gedeckt zu sein, den Angriff der
Legionen nicht zu fuerchten brauchte. Die keltische Reiterei bedeckte
alle Strassen und hemmte die Kommunikation. Die Stadt wurde stark
besetzt und zwischen ihr und der Armee vor den Mauern die Verbindung
offen gehalten. Caesars Lage war sehr schwierig. Der Versuch, das
keltische Fussvolk zum Schlagen zu bringen, misslang; es ruehrte sich
nicht aus seinen unangreifbaren Linien. Wie tapfer vor der Stadt auch
seine Soldaten schanzten und fochten, die Belagerten wetteiferten mit
ihnen an Erfindsamkeit und Mut, und fast waere es ihnen gelungen, das
Belagerungszeug der Gegner in Brand zu stecken. Dabei ward die Aufgabe,
ein Heer von beilaeufig 60000 Mann in einer weithin oede gelegten
und von weit ueberlegenen Reitermassen durchstreiften Landschaft mit
Lebensmitteln zu versorgen, taeglich schwieriger. Die geringen Vorraete
der Boier waren bald verbraucht; die von den Haeduern versprochene
Zufuhr blieb aus; schon war das Getreide aufgezehrt und der Soldat
ausschliesslich auf Fleischrationen gesetzt. Indes rueckte der
Augenblick heran, wo die Stadt, wie todverachtend auch die Besatzung
kaempfte, nicht laenger zu halten war. Noch war es nicht unmoeglich,
die Truppen bei naechtlicher Weile in der Stille herauszuziehen und die
Stadt zu vernichten, bevor der Feind sie besetzte. Vercingetorix traf
die Anstalten dazu, allein das Jammergeschrei, das im Augenblick des
Abmarsches die zurueckbleibenden Weiber und Kinder erhoben, machte die
Roemer aufmerksam; der Abzug misslang. An dem folgenden trueben und
regnichten Tage ueberstiegen die Roemer die Mauern und schonten,
erbittert durch die hartnaeckige Gegenwehr, in der eroberten Stadt weder
Geschlecht noch Alter. Die reichen Vorraete, die die Kelten in derselben
aufgehaeuft hatten, kamen den ausgehungerten Soldaten Caesars zugute.
Mit der Einnahme von Avaricum (Fruehling 702 52) war ueber die
Insurrektion ein erster Erfolg erfochten und nach frueheren Erfahrungen
mochte Caesar wohl erwarten, dass damit dieselbe sich aufloesen und es
nur noch erforderlich sein werde, einzelne Gaue zu Paaren zu treiben.
Nachdem er also mit seiner gesamten Armee sich in dem Gau der
Haeduer gezeigt und durch diese imposante Demonstration die gaerende
Patriotenpartei daselbst genoetigt hatte, fuer den Augenblick
wenigstens, sich ruhig zu verhalten, teilte er sein Heer und sandte
Labienus zurueck nach Agedincum, um in Verbindung mit den dort
zurueckgelassenen Truppen an der Spitze von vier Legionen die Bewegung
zunaechst in dem Gebiet der Carnuten und Senonen, die auch diesmal
wieder voranstanden, zu unterdruecken, waehrend er selber mit den sechs
uebrigen Legionen sich suedwaerts wandte und sich anschickte, den Krieg
in die arvernischen Berge, das eigene Gebiet des Vercingetorix, zu
tragen. Labienus rueckte von Agedincum aus das linke Seineufer hinauf,
um der auf einer Insel in der Seine gelegenen Stadt der Parisier,
Lutetia (Paris), sich zu bemaechtigen und von dieser gesicherten und im
Herzen der aufstaendischen Landschaft befindlichen Stellung aus diese
wieder zu unterwerfen. Allein hinter Melodunum (Melun) fand er sich den
Weg verlegt durch das gesamte Insurgentenheer, das unter der Fuehrung
des greisen Camulogenus zwischen unangreifbaren Suempfen hier sich
aufgestellt hatte. Labienus ging eine Strecke zurueck, ueberschritt
bei Melodunum die Seine und rueckte auf dem rechten Ufer derselben
ungehindert gegen Lutetia; Camulogenus liess diese Stadt abbrennen und
die auf das linke Ufer fuehrenden Bruecken abbrechen und nahm Labienus
gegenueber eine Stellung ein, in welcher dieser weder ihn zum Schlagen
zu bringen, noch unter den Augen der feindlichen Armee den Uebergang zu
bewirken imstande war. Die roemische Hauptarmee ihrerseits rueckte
am Allier hinab in den Arvernergau. Vercingetorix versuchte, ihr den
Uebergang auf das linke Ufer des Allier zu verwehren, allein Caesar
ueberlistete ihn und stand nach einigen Tagen vor der arvernischen
Hauptstadt Gergovia ^20. Indes hatte Vercingetorix, ohne Zweifel schon,
waehrend er Caesar am Allier gegenueberstand, in Gergovia hinreichende
Vorraete zusammenbringen und vor den Mauern der auf der Spitze eines
ziemlich steil sich erhebenden Huegels gelegenen Stadt ein mit starken
Steinwaellen versehenes Standlager fuer seine Truppen anlegen lassen;
und da er hinreichenden Vorsprung hatte, langte er vor Caesar
bei Gergovia an und erwartete in dem befestigten Lager unter der
Festungsmauer den Angriff. Caesar mit seiner verhaeltnismaessig
schwachen Armee konnte den Platz weder regelrecht belagern, noch auch
nur hinreichend blockieren; er schlug sein Lager unterhalb der von
Vercingetorix besetzten Anhoehe und verhielt sich notgedrungen ebenso
untaetig wie sein Gegner. Fuer die Insurgenten war es fast ein Sieg,
dass Caesars von Triumph zu Triumph fortschreitender Lauf an der Seine
wie am Allier ploetzlich gestockt war. In der Tat kamen die Folgen
dieser Stockung fuer Caesar beinahe denen einer Niederlage gleich.
Die Haeduer, die bisher immer noch geschwankt hatten, machten jetzt
ernstlich Anstalt, der Patriotenpartei sich anzuschliessen; schon war
die Mannschaft, die Caesar nach Gergovia entboten hatte, auf dem Marsche
durch die Offiziere bestimmt worden, sich fuer die Insurgenten zu
erklaeren; schon hatte man gleichzeitig im Kanton selbst angefangen, die
daselbst ansaessigen Roemer zu pluendern und zu erschlagen. Noch hatte
Caesar, indem er jenem auf Gergovia zurueckenden Korps der Haeduer mit
zwei Dritteln des Blockadeheeres entgegengegangen war, dasselbe
durch sein ploetzliches Erscheinen wieder zum nominellen Gehorsam
zurueckgebracht; allein es war mehr als je ein hohles und bruechiges
Verhaeltnis, dessen Fortbestand fast zu teuer erkauft worden war durch
die grosse Gefahr der vor Gergovia zurueckgelassenen beiden Legionen.
Denn auf diese hatte Vercingetorix, Caesars Abmarsch rasch und
entschlossen benutzend, waehrend dessen Abwesenheit einen Angriff
gemacht, der um ein Haar mit der Ueberwaeltigung derselben und
der Erstuermung des roemischen Lagers geendigt haette. Nur Caesars
unvergleichliche Raschheit wandte eine zweite Katastrophe wie die von
Aduatuca hier ab. Wenn auch die Haeduer jetzt wieder gute Worte gaben,
war es doch vorherzusehen, dass sie, wenn die Blockade sich noch laenger
ohne Erfolg hinspann, sich offen auf die Seite der Aufstaendischen
schlagen und dadurch Caesar noetigen wuerden, dieselbe aufzuheben;
denn ihr Beitritt wuerde die Verbindung zwischen ihm und Labienus
unterbrochen und namentlich den letzteren in seiner Vereinzelung der
groessten Gefahr ausgesetzt haben. Caesar war entschlossen, es hierzu
nicht kommen zu lassen, sondern, wie peinlich und selbst gefaehrlich es
auch war, unverrichteter Sache von Gergovia abzuziehen, dennoch, wenn
es einmal geschehen musste, lieber sogleich aufzubrechen und, in den Gau
der Haeduer einrueckend, deren foermlichen Uebertritt um jeden Preis zu
verhindern. Ehe er indes diesen, seinem raschen und sicheren Naturell
wenig zusagenden Rueckzug antrat, machte er noch einen letzten Versuch,
sich aus seiner peinlichen Verlegenheit durch einen glaenzenden Erfolg
zu befreien. Waehrend die Masse der Besatzung von Gergovia beschaeftigt
war, die Seite, auf der der Sturm erwartet ward, zu verschanzen, ersah
der roemische Feldherr sich die Gelegenheit, einen anderen, weniger
bequem gelegenen, aber augenblicklich entbloessten Aufgang zu
ueberrumpeln. In der Tat ueberstiegen die roemischen Sturmkolonnen die
Lagermauer und besetzten die naechstliegenden Quartiere des Lagers;
allein schon war auch die ganze Besatzung alarmiert und bei den geringen
Entfernungen fand es Caesar nicht raetlich, den zweiten Sturm auf
die Stadtmauer zu wagen. Er gab das Zeichen zum Rueckzug; indes die
vordersten Legionen, vom Ungestuem des Sieges hingerissen, hoerten
nicht oder wollten nicht hoeren, und drangen unaufhaltsam vor bis an die
Stadtmauer, einzelne sogar bis in die Stadt. Aber immer dichtere Massen
warfen den Eingedrungenen sich entgegen; die vordersten fielen, die
Kolonnen stockten; vergeblich stritten Centurionen und Legionaere
mit dem aufopferndsten Heldenmut; die Stuermenden wurden mit
sehr betraechtlichem Verlust aus der Stadt hinaus und den Berg
hinuntergejagt, wo die von Caesar in der Ebene aufgestellten Truppen sie
aufnahmen und groesseres Unglueck verhueteten. Die gehoffte Einnahme
von Gergovia hatte sich in eine Niederlage verwandelt, und der
betraechtliche Verlust an Verwundeten und Toten - man zaehlte 700
gefallene Soldaten, darunter 46 Centurionen - war der kleinste Teil des
erlittenen Unfalls. Caesars imponierende Stellung in Gallien beruhte
wesentlich auf seinem Siegernimbus; und dieser fing an zu erblassen.
Schon die Kaempfe um Avaricum, Caesars vergebliche Versuche, den Feind
zum Schlagen zu zwingen, die entschlossene Verteidigung der Stadt und
ihre fast zufaellige Erstuermung, trugen einen anderen Stempel als die
frueheren Keltenkriege und hatten den Kelten Vertrauen auf sich und
ihren Fuehrer eher gegeben als genommen. Weiter hatte das neue System
der Kriegfuehrung: unter dem Schutze der Festungen in verschanzten
Lagern dem Feind die Stirne zu bieten - bei Lutetia sowohl wie bei
Gergovia sich vollkommen bewaehrt. Diese Niederlage endlich, die erste,
die Caesar selbst von den Kelten erlitten hatte, kroente den Erfolg, und
sie gab denn auch gleichsam das Signal fuer einen zweiten Ausbruch der
Insurrektion. Die Haeduer brachen jetzt foermlich mit Caesar und traten
mit Vercingetorix in Verbindung. Ihr Kontingent, das noch bei Caesars
Armee sich befand, machte nicht bloss von dieser sich los, sondern nahm
auch bei der Gelegenheit in Noviodunum an der Loire die Depots der Armee
Caesars weg, wodurch die Kassen und Magazine, eine Menge Remontepferde
und saemtliche Caesar gestellte Geiseln den Insurgenten in die Haende
fielen. Wenigstens ebensowichtig war es, dass auf diese Nachrichten
hin auch die Belgen, die bisher der ganzen Bewegung sich ferngehalten
hatten, anfingen sich zu ruehren. Der maechtige Gau der Bellovaker
machte sich auf, um das Korps des Labienus, waehrend es bei Lutetia
dem Aufgebot der umliegenden mittelgallischen Gaue gegenueberstand, im
Ruecken anzugreifen. Auch sonst ward ueberall geruestet; die Gewalt
des patriotischen Aufschwungs riss selbst die entschiedensten und
beguenstigtsten Parteigaenger Roms mit sich fort, wie zum Beispiel den
Koenig der Atrebaten, Commius, der seiner treuen Dienste wegen von den
Roemern wichtige Privilegien fuer seine Gemeinde und die Hegemonie ueber
die Moriner empfangen hatte. Bis in die altroemische Provinz gingen die
Faeden der Insurrektion: sie machte, vielleicht nicht ohne Grund, sich
Hoffnung, selbst die Allobrogen gegen die Roemer unter die Waffen
zu bringen. Mit einziger Ausnahme der Reiner und der von den Remern
zunaechst abhaengigen Distrikte der Suessionen, Leuker und Lingonen,
deren Partikularismus selbst unter diesem allgemeinen Enthusiasmus nicht
muerbe ward, stand jetzt in der Tat, zum ersten und zum letzten Male,
die ganze keltische Nation von den Pyrenaeen bis zum Rhein fuer ihre
Freiheit und Nationalitaet unter den Waffen; wogegen, merkwuerdig genug,
die saemtlichen deutschen Gemeinden, die bei den bisherigen Kaempfen in
erster Reihe gestanden hatten, sich ausschlossen, ja sogar die Treuerer
und, wie es scheint, auch die Menapier durch ihre Fehden mit den
Deutschen verhindert wurden, an dem Nationalkrieg taetigen Anteil zu
nehmen. ------------------------------------------------- ^20 Man sucht
diesen Ort auf einer Anhoehe eine Stunde suedlich von der arvernischen
Hauptstadt Nemetum, dem heutigen Clermont welche noch jetzt Gergoie
genannt wird; und sowohl die bei den Ausgrabungen daselbst zu Tage
gekommenen Ueberreste von rohen Festungsmauern, wie die urkundlich bis
ins zehnte Jahrhundert hinauf verfolgte Ueberlieferung des Namens lassen
an der Richtigkeit dieser Ortsbestimmung keinen Zweifel. Auch passt
dieselbe wie zu den uebrigen Angaben Caesars, so namentlich dazu dass er
Gergovia ziemlich deutlich als Hauptort der Arverner bezeichnet (Gall.
7, 4). Man wird demnach anzunehmen haben, dass die Arverner nach der
Niederlage genoetigt wurden, sich von Gergovia nach dem nahen,
weniger festen Nemetum ueberzusiedeln.
--------------------------------------------------- Es war ein schwerer,
entscheidungsvoller Augenblick, als nach dem Abzug von Gergovia und
dem Verlust von Noviodunum in Caesars Hauptquartier ueber die nun zu
ergreifenden Massregeln Kriegsrat gehalten ward. Manche Stimmen sprachen
sich fuer den Rueckzug ueber die Cevennen in die altroemische Provinz
aus, welche jetzt der Insurrektion von allen Seiten her offenstand
und allerdings der zunaechst doch zu ihrem Schutze von Rom gesandten
Legionen dringend bedurfte. Allein Caesar verwarf diese aengstliche,
nicht durch die Lage der Dinge, sondern durch Regierungsinstruktionen
und Verantwortungsfurcht bestimmte Strategie. Er begnuegte sich, in der
Provinz den Landsturm der dort ansaessigen Roemer unter die Waffen
zu rufen und durch ihn, so gut es eben ging, die Grenzen besetzen zu
lassen. Dagegen brach er selbst in entgegengesetzter Richtung auf und
rueckte in Gewaltmaerschen auf Agedincum zu, auf das er Labienus sich
in moeglichster Eile zurueckzuziehen befahl. Die Kelten versuchten
natuerlich, die Vereinigung der beiden roemischen Heere zu verhindern.
Labienus haette wohl, ueber die Marne setzend und am rechten Seineufer
flussabwaerts marschierend, Agedincum erreichen koennen, wo er seine
Reserve und sein Gepaeck zurueckgelassen hatte; aber er zog es vor, den
Kelten nicht abermals das Schauspiel des Rueckzugs roemischer Truppen
zu gewaehren. Er ging daher, statt ueber die Marne, vielmehr unter den
Augen des getaeuschten Feindes ueber die Seine und lieferte am linken
Ufer derselben den feindlichen Massen eine Schlacht, in welcher er
siegte und unter vielen andern auch der keltische Feldherr selbst, der
alte Camulogenus, auf der Walstatt blieb. Ebensowenig gelang es den
Insurgenten, Caesar an der Loire aufzuhalten; Caesar gab ihnen keine
Zeit, dort groessere Massen zu versammeln, und sprengte die Milizen der
Haeduer, die er allein dort vorfand, ohne Muehe auseinander. So ward
die Vereinigung der beiden Heerhaufen gluecklich bewerkstelligt. Die
Aufstaendischen inzwischen hatten ueber die weitere Kriegfuehrung in
Bibracte (Autun), der Hauptstadt der Haeduer, geratschlagt; die Seele
dieser Beratungen war wieder Vercingetorix, dem nach dem Siege von
Gergovia die Nation begeistert anhing. Zwar schwieg der Partikularismus
auch jetzt nicht; die Haeduer machten noch in diesem Todeskampf der
Nation ihre Ansprueche auf die Hegemonie geltend und stellten auf der
Landesversammlung den Antrag, an die Stelle des Vercingetorix einen der
Ihrigen zu setzen. Allein die Landesvertreter hatten dies nicht bloss
abgelehnt und Vercingetorix im Oberbefehl bestaetigt, sondern auch
seinen Kriegsplan unveraendert angenommen. Es war im wesentlichen
derselbe, nach dem er bei Avaricum und bei Gergovia operiert hatte. Zum
Angelpunkt der neuen Stellung ward die feste Stadt der Mandubier, Alesia
(Alise Sainte-Reine bei Semur im Departement Cote d'Or ^21), ausersehen
und unter deren Mauern abermals ein verschanztes Lager angelegt.
Ungeheure Vorraete wurden hier aufgehaeuft und die Armee von Gergovia
dorthin beordert, deren Reiterei nach Beschluss der Landesversammlung
bis auf 15000 Pferde gebracht ward. Caesar schlug mit seiner gesamten
Heeresmacht, nachdem er sie bei Agedincum wiedervereinigt hatte, die
Richtung auf Vesontio ein, um sich nun der geaengsteten Provinz zu
naehern und sie vor einem Einfall zu beschuetzen, wie denn in der Tat
sich Insurgentenscharen schon in dem Gebiet der Helvier am Suedabhang
der Cevennen gezeigt hatten. Alesia lag fast auf seinem Wege; die
Reiterei der Kelten, die einzige Waffe, mit der Vercingetorix operieren
mochte, griff unterwegs ihn an, zog aber zu aller Erstaunen den
kuerzeren gegen Caesars neue deutsche Schwadronen und die zu deren
Rueckhalt aufgestellte roemische Infanterie. Vercingetorix eilte um so
mehr, sich in Alesia einzuschliessen; und wenn Caesar nicht ueberhaupt
auf die Offensive verzichten wollte, blieb ihm nichts uebrig, als zum
drittenmal in diesem Feldzug gegen eine, unter einer wohlbesetzten und
verproviantierten Festung gelagerte und mit ungeheuren Reitermassen
versehene Armee mit einer weit schwaecheren Angriffsweise vorzugehen.
Allein, wenn den Kelten bisher nur ein Teil der roemischen Legionen
gegenuebergestanden, so war in den Linien um Alesia Caesars ganze
Streitmacht vereinigt und es gelang Vercingetorix nicht, wie es ihm bei
Avaricum und Gergovia gelungen war, sein Fussvolk unter dem Schutz der
Festungsmauern aufzustellen und durch seine Reiterei seine Verbindungen
nach aussen hin sich offen zu halten, waehrend er die des Feindes
unterbrach. Die keltische Reiterei, schon entmutigt durch jene von den
geringgeschaetzten Gegnern ihnen beigebrachte Niederlage, wurde von
Caesars deutschen Berittenen in jedem Zusammentreffen geschlagen. Die
Umwallungslinie der Belagerer erhob sich in der Ausdehnung von
zwei deutschen Meilen um die ganze Stadt mit Einschluss des an sie
angelehnten Lagers. Auf einen Kampf unter den Mauern war Vercingetorix
gefasst gewesen, aber nicht darauf, in Alesia belagert zu werden - dazu
genuegten fuer seine angeblich 80000 Mann Infanterie und 15000
Reiter zaehlende Armee und die zahlreiche Stadtbewohnerschaft die
aufgespeicherten Vorraete, wie ansehnlich sie waren, doch bei weitem
nicht. Vercingetorix musste sich ueberzeugen, dass sein Kriegsplan
diesmal zu seinem eigenen Verderben ausgeschlagen und er verloren war,
wofern nicht die gesamte Nation herbeieilte und ihren eingeschlossenen
Feldherrn befreite. Noch reichten, als die roemische Umwallung sich
schloss, die vorhandenen Lebensmittel aus auf einen Monat und vielleicht
etwas darueber; im letzten Augenblick, wo der Weg wenigstens fuer
Berittene noch frei war, entliess Vercingetorix seine gesamte Reiterei
und entsandte zugleich an die Haeupter der Nation die Weisung, alle
Mannschaft aufzubieten und sie zum Entsatz von Alesia heranzufuehren. Er
selbst, entschlossen, die Verantwortung fuer den von ihm entworfenen
und fehlgeschlagenen Kriegsplan auch persoenlich zu tragen, blieb in der
Festung, um im Guten und Boesen das Schicksal der Seinigen zu teilen.
Caesar aber machte sich gefasst, zugleich zu belagern und belagert zu
werden. Er richtete seine Umwallungslinie auch an der Aussenseite zur
Verteidigung ein und versah sich auf laengere Zeit mit Lebensmitteln.
Die Tage verflossen; schon hatte man in der Festung keinen Malter
Getreide mehr, schon die ungluecklichen Stadtbewohner austreiben
muessen, um zwischen den Verschanzungen der Kelten und der Roemer,
an beiden unbarmherzig zurueckgewiesen, elend umzukommen. Da, in der
letzten Stunde, zeigten hinter Caesars Linien sich die unabsehbaren
Zuege des keltisch- belgischen Entsatzheeres, angeblich 250000 Mann
zu Fuss und 8000 Reiter. Vom Kanal bis zu den Cevennen hatten die
insurgierten Gaue jeden Nerv angestrengt, um den Kern ihrer Patrioten,
den Feldherrn ihrer Wahl zu retten - einzig die Bellovaker hatten
geantwortet, dass sie wohl gegen die Roemer, aber nicht ausserhalb der
eigenen Grenzen zu fechten gesonnen seien. Der erste Sturm, der die
Belagerten von Alesia und die Entsatztruppen draussen auf die roemische
Doppellinie unternahmen, ward abgeschlagen; aber als nach eintaegiger
Rast derselbe wiederholt ward, gelang es an einer Stelle, wo die
Umwallungslinie ueber den Abhang eines Berges hinlief und von dessen
Hoehe herab angegriffen werden konnte, die Graeben zuzuschuetten und die
Verteidiger von dem Wall herunterzuwerfen. Da nahm Labienus, von Caesar
hierher gesandt, die naechsten Kohorten zusammen und warf sich mit vier
Legionen auf den Feind. Unter den Augen des Feldherrn, der selbst in dem
gefaehrlichsten Augenblick erschien, wurden im verzweifelten Nahgefecht
die Stuermenden zurueckgejagt und die mit Caesar gekommenen, die
Fluechtenden in den Ruecken fassenden Reiterscharen vollendeten die
Niederlage. Es war mehr als ein grosser Sieg; ueber Alesia, ja ueber die
keltische Nation war damit unwiderruflich entschieden. Das Keltenheer,
voellig entmutigt, verlief unmittelbar vom Schlachtfeld sich nach Hause.
Vercingetorix haette vielleicht noch jetzt fliehen, wenigstens durch das
letzte Mittel des freien Mannes sich erretten koennen; er tat es nicht,
sondern erklaerte im Kriegsrat, dass, da es ihm nicht gelungen sei, die
Fremdherrschaft zu brechen, er bereit sei, sich als Opfer hinzugeben und
soweit moeglich das Verderben von der Nation auf sein Haupt abzulenken.
So geschah es. Die keltischen Offiziere lieferten ihren von der ganzen
Nation feierlich erwaehlten Feldherrn dem Landesfeind zu geeigneter
Bestrafung aus. Hoch zu Ross und im vollen Waffenschmucke erschien
der Koenig der Arverner vor dem roemischen Prokonsul und umritt dessen
Tribunal; darauf gab er Ross und Waffen ab und liess schweigend auf den
Stufen zu Caesars Fuessen sich nieder (702 52). Fuenf Jahre spaeter ward
er im Triumph durch die Gassen der italischen Hauptstadt gefuehrt und
als Hochverraeter an der roemischen Nation, waehrend sein Ueberwinder
den Goettern derselben den Feierdank auf der Hoehe des Kapitols
darbrachte, an dessen Fuss enthauptet. Wie nach truebe verlaufenem Tage
wohl die Sonne im Sinken durchbricht, so verleiht das Geschick noch
untergehenden Voelkern wohl einen letzten grossartigen Mann. Also
steht am Ausgang der phoenikischen Geschichte Hannibal, also an dem der
keltischen Vercingetorix. Keiner von beiden vermochte seine Nation von
der Fremdherrschaft zu erretten, aber sie haben ihr die letzte noch
uebrige Schande, einen ruhmlosen Untergang, erspart. Auch Vercingetorix
hat ebenwie der Karthager nicht bloss gegen den Landesfeind kaempfen
muessen, sondern vor allem gegen die antinationale Opposition verletzter
Egoisten und aufgestoerter Feiglinge, wie sie die entartete Zivilisation
regelmaessig begleitet; auch ihm sichern seinen Platz in der Geschichte
nicht seine Schlachten und Belagerungen, sondern dass er es vermocht
hat, einer zerfahrenen und im Partikularismus verkommenen Nation in
seiner Person einen Mittel- und Haltpunkt zu geben. Und doch gibt
es wieder kaum einen schaerferen Gegensatz als der ist zwischen dem
nuechternen Buergersmann der phoenikischen Kaufstadt mit seinen, auf das
eine grosse Ziel hin fuenfzig Jahre hindurch mit unwandelbarer Energie
gerichteten Plaenen, und dem kuehnen Fuersten des Keltenlandes, dessen
gewaltige Taten zugleich mit seiner hochherzigen Aufopferung, ein kurzer
Sommer einschliesst. Das ganze Altertum kennt keinen ritterlicheren Mann
in seinem innersten Wesen wie in seiner aeusseren Erscheinung. Aber der
Mensch soll kein Ritter sein und am wenigsten der Staatsmann. Es war der
Ritter, nicht der Held, der es verschmaehte, sich aus Alesia zu
retten, waehrend doch an ihm allein der Nation mehr gelegen war als an
hunderttausend gewoehnlichen tapferen Maennern. Es war der Ritter, nicht
der Held, der sich da zum Opfer hingab, wo durch dieses Opfer nichts
weiter erreicht ward, als dass die Nation sich oeffentlich entehrte
und ebenso feig wie widersinnig mit ihrem letzten Atemzug ihren
weltgeschichtlichen Todeskampf ein Verbrechen gegen ihren Zwingherrn
nannte. Wie so ganz anders hat in den gleichen Lagen Hannibal gehandelt!
Es ist nicht moeglich, ohne geschichtliche und menschliche Teilnahme von
dem edlen Arvernerkoenig zu scheiden; aber es gehoert zur Signatur der
keltischen Nation, dass ihr groesster Mann doch nur ein Ritter war.
--------------------------------------------- ^21 Die kuerzlich viel
eroerterte Frage, ob Alesia nicht vielmehr in Alaise (25 Kilometer
suedlich von Besan‡on, Dep. Doubs) zu erkennen sei, ist von
allen besonnenen Forschern mit Recht verneint worden.
--------------------------------------------- Der Fall von Alesia
und die Kapitulation der daselbst eingeschlossenen Armee war fuer die
keltische Insurrektion ein furchtbarer Schlag; indes es hatten schon
ebensoschwere die Nation betroffen und doch war der Kampf wieder
erneuert worden. Aber Vercingetorix' Verlust war unersetzlich. Mit ihm
war die Einheit in die Nation gekommen; mit ihm schien sie auch wieder
entwichen. Wir finden nicht, dass die Insurrektion einen Versuch machte,
die Gesamtverteidigung fortzusetzen und einen anderen Oberfeldherrn zu
bestellen; der Patriotenbund fiel von selbst auseinander und jedem Clan
blieb es ueberlassen, wie es ihm beliebte, mit den Roemern zu streiten
oder auch sich zu vertragen. Natuerlich ueberwog durchgaengig das
Verlangen nach Ruhe. Auch Caesar hatte ein Interesse daran, rasch zu
Ende zu kommen. Von den zehn Jahren seiner Statthalterschaft waren
sieben verstrichen. Das letzte aber durch seine politischen Gegner in
der Hauptstadt ihm in Frage gestellt; nur auf zwei Sommer noch konnte
er mit einiger Sicherheit rechnen und wenn sein Interesse wie seine Ehre
verlangte, dass er die neu gewonnenen Landschaften seinem Nachfolger in
einem leidlichen und einigermassen beruhigten Friedensstand uebergab, so
war, um einen solchen herzustellen, die Zeit wahrlich karg zugemessen.
Gnade zu ueben war in diesem Falle noch mehr als fuer die Besiegten
Beduerfnis fuer den Sieger; und er durfte seinen Stern preisen, dass die
innere Zerfahrenheit und das leichte Naturell der Kelten ihm hierin
auf halbem Wege entgegenkam. Wo, wie in den beiden angesehensten
mittelgallischen Kantons, dem der Haeduer und dem der Arverner, eine
starke roemisch gesinnte Partei bestand, wurde den Landschaften sogleich
nach dem Fall von Alesia die vollstaendige Wiederherstellung ihres
frueheren Verhaeltnisses zu Rom gewaehrt und selbst ihre Gefangenen,
20000 an der Zahl, ohne Loesegeld entlassen, waehrend die der uebrigen
Clans in die harte Knechtschaft der siegreichen Legionaere kamen. Wie
die Haeduer und die Arverner ergab sich ueberhaupt der groessere Teil
der gallischen Distrikte in sein Schicksal und liess ohne weitere
Gegenwehr die unvermeidlichen Strafgerichte ueber sich ergehen.
Aber nicht wenige harrten auch in toerichtem Leichtsinn oder dumpfer
Verzweiflung bei der verlorenen Sache aus, bis die roemischen
Exekutionstruppen innerhalb ihrer Grenzen erschienen. Solche
Expeditionen wurden noch im Winter 702/03 (52/51) gegen die Biturigen
und die Carnuten unternommen. Ernsteren Widerstand leisteten
die Bellovaker, die das Jahr zuvor von dem Entsatz Alesias sich
ausgeschlossen hatten; sie schienen beweisen zu wollen, dass sie an
jenem entscheidenden Tage wenigstens nicht aus Mangel an Mut und an
Freiheitsliebe gefehlt hatten. Es beteiligten sich an diesem Kampfe
die Atrebaten, Ambianer, Caleten und andere belgische Gaue; der tapfere
Koenig der Atrebaten, Commius, dem die Roemer seinen Beitritt zur
Insurrektion am wenigsten verziehen und gegen den kuerzlich Labienus
sogar einen widerwaertig tueckischen Mordversuch gerichtet hatte,
fuehrte den Bellovakern 500 deutsche Reiter zu, deren Wert der
vorjaehrige Feldzug hatte kennen lehren. Der entschlossene und
talentvolle Bellovaker Correus, dem die oberste Leitung des Krieges
zugefallen war, fuehrte den Krieg, wie Vercingetorix ihn gefuehrt hatte,
und mit nicht geringem Erfolg; Caesar, obwohl er nach und nach
den groessten Teil seines Heeres heranzog, konnte das Fussvolk der
Bellovaker weder zum Schlagen bringen noch auch nur dasselbe verhindern,
andere, gegen Caesars verstaerkte Streitmacht besseren Schutz
gewaehrende Stellungen einzunehmen; die roemischen Reiter aber,
namentlich die keltischen Kontingente, erlitten in verschiedenen
Gefechten durch die feindliche Reiterei, besonders die deutsche
des Commius, die empfindlichsten Verluste. Allein nachdem in einem
Scharmuetzel mit den roemischen Fouragierern Correus den Tod gefunden,
war der Widerstand auch hier gebrochen; der Sieger stellte ertraegliche
Bedingungen, auf die hin die Bellovaker nebst ihren Verbuendeten
sich unterwarfen. Die Treuerer wurden durch Labienus zum Gehorsam
zurueckgebracht und beilaeufig das Gebiet der verfemten Eburonen noch
einmal durchzogen und verwuestet. Also ward der letzte Widerstand
der belgischen Eidgenossenschaft gebrochen. Noch einen Versuch, der
Roemerherrschaft sich zu erwehren, machten die Seegaue in Verbindung mit
ihren Nachbarn an der Loire. Insurgentenscharen aus dem andischen, dem
carnutischen und anderen umliegenden Gauen sammelten sich an der unteren
Loire und belagerten in Lemonum (Poitiers) den roemisch gesinnten
Fuersten der Pictonen. Allein bald trat auch hier eine ansehnliche
roemische Macht ihnen entgegen; die Insurgenten gaben die Belagerung
auf und zogen ab, um die Loire zwischen sich und den Feind zu bringen,
wurden aber auf dem Marsche dahin eingeholt und geschlagen, worauf die
Carnuten und die uebrigen aufstaendischen Kantons, selbst die Seegaue
ihre Unterwerfung einsandten. Der Widerstand war zu Ende; kaum dass
ein einzelner Freischarenfuehrer hie und da noch das nationale Banner
aufrecht hielt. Der kuehne Drappes und des Vercingetorix treuer
Waffengefaehrte Lucterius sammelten nach der Aufloesung der an der Loire
vereinigten Armee die Entschlossensten und warfen sich mit diesen in
die feste Bergstadt Uxellodunum am Lot ^22, die ihnen unter schweren und
verlustvollen Gefechten ausreichend zu verproviantieren gelang. Trotz
des Verlustes ihrer Fuehrer, von denen Drappes gefangen, Lucterius
von der Stadt abgesprengt ward, wehrte die Besatzung sich auf das
aeusserste; erst als Caesar selbst erschien und auf seine Anordnung die
Quelle, aus der die Belagerten ihr Wasser holten, mittels unterirdischer
Stollen abgeleitet ward, fiel die Festung, die letzte Burg der
keltischen Nation. Um die letzten Verfechter der Sache der Freiheit zu
kennzeichnen, befahl Caesar, der gesamten Besatzung die Haende abzuhauen
und sie also, einen jeden in seine Heimat, zu entlassen. Dem Koenig
Commius, der noch in der Gegend von Arras sich hielt und daselbst bis in
den Winter 703/04 (51/50) mit den roemischen Truppen sich herumschlug,
gestattete Caesar, dem alles daran lag, in ganz Gallien wenigstens dem
offenen Widerstand ein Ziel zu setzen, seinen Frieden zu machen und
liess es sogar hingehen, dass der erbitterte und mit Recht misstrauische
Mann trotzig sich weigerte, persoenlich im roemischen Lager zu
erscheinen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Caesar in aehnlicher Weise
bei den schwer zugaenglichen Distrikten im Nordwesten wie im Nordosten
Galliens mit einer nur nominellen Unterwerfung, vielleicht sogar
schon mit der faktischen Waffenruhe sich genuegen liess ^23.
------------------------------------------- ^22 Man sucht dies
gewoehnlich bei Capdenac unweit Figeac; F. W. A. Goeler hat sich
neuerlich fuer das auch frueher schon in Vorschlag gebrachte Luzech
westlich von Cahors erklaert. ^23 Bei Caesar selbst steht dies freilich
begreiflicherweise nicht geschrieben; aber eine verstaendliche Andeutung
in dieser Beziehung macht Sallust (hist. 1, 9 Kritz), obwohl auch er
als Caesarianer schrieb. Weitere Beweise ergeben die Muenzen.
------------------------------------------------- Also ward Gallien, das
heisst das Land westlich vom Rhein und noerdlich von den Pyrenaeen, nach
nur achtjaehrigen Kaempfen (696 bis 703 58-51) den Roemern untertaenig.
Kaum ein Jahr nach der voelligen Beruhigung des Landes, zu Anfang des
Jahres 705 (49), mussten die roemischen Truppen infolge des nun endlich
in Italien ausgebrochenen Buergerkrieges ueber die Alpen zurueckgezogen
werden und es blieben nichts als hoechstens einige schwache
Rekrutenabteilungen im Keltenland zurueck. Dennoch standen die Kelten
nicht wieder gegen die Fremdherrschaft auf; und waehrend in allen alten
Provinzen des Reichs gegen Caesar gestritten ward, blieb allein die
neugewonnene Landschaft ihrem Besieger fortwaehrend botmaessig. Auch die
Deutschen haben ihre Versuche, auf dem linken Rheinufer sich erobernd
festzusetzen, waehrend dieser entscheidenden Jahre nicht wiederholt.
Ebensowenig kam es in Gallien waehrend der nachfolgenden Krisen zu einer
neuen nationalen Insurrektion oder deutschen Invasion, obgleich sie
die guenstigsten Gelegenheiten darboten. Wenn ja irgendwo Unruhen
ausbrachen, wie zum Beispiel 708 (46) die Bellovaker gegen die Roemer
sich erhoben, so waren diese Bewegungen so vereinzelt und so ausser
Zusammenhang mit den Verwicklungen in Italien, dass sie ohne wesentliche
Schwierigkeit von den roemischen Statthaltern unterdrueckt wurden.
Allerdings ward dieser Friedenszustand hoechst wahrscheinlich, aehnlich
wie Jahrhunderte lang der spanische, damit erkauft, dass man den
entlegensten und am lebendigsten von dem Nationalgefuehl durchdrungenen
Landschaften, der Bretagne, den Scheldedistrikten, der Pyrenaeengegend,
vorlaeufig gestattete, sich in mehr oder minder bestimmter Weise der
roemischen Botmaessigkeit tatsaechlich zu entziehen. Aber darum nicht
weniger erwies sich Caesars Bau, wie knapp er auch dazu zwischen
anderen, zunaechst noch dringenderen Arbeiten die Zeit gefunden, wie
unfertig und nur notduerftig abgeschlossen er ihn auch verlassen hatte,
dennoch, sowohl hinsichtlich der Zurueckweisung der Deutschen als
der Unterwerfung der Kelten, in dieser Feuerprobe im wesentlichen als
haltbar. In der Oberverwaltung blieben die von dem Statthalter des
Narbonensischen Galliens neu gewonnenen Gebiete vorlaeufig mit der
Provinz Narbo vereinigt; erst als Caesar dieses Amt abgab (710 44),
wurden aus dem von ihm eroberten Gebiet zwei neue Statthalterschaften,
das eigentliche Gallien und Belgica, gebildet. Dass die einzelnen Gaue
ihre politische Selbstaendigkeit verloren, lag im Wesen der Eroberung.
Sie wurden durchgaengig der roemischen Gemeinde steuerpflichtig. Ihr
Steuersystem indes war natuerlich nicht dasjenige, mittels dessen die
adlige und finanzielle Aristokratie Asia ausnutzte, sondern es wurde,
wie in Spanien geschah, einer jeden einzelnen Gemeinde eine ein fuer
allemal bestimmte Abgabe auferlegt und deren Erhebung ihr selbst
ueberlassen. Auf diesem Wege flossen jaehrlich 40 Mill. Sesterzen (3
Mill. Taler) aus Gallien in die Kassen der roemischen Regierung, die
dafuer freilich die Kosten der Verteidigung der Rheingrenze uebernahm.
Dass ausserdem die in den Tempeln der Goetter und den Schatzkammern der
Grossen aufgehaeuften Goldmassen infolge des Krieges ihren Weg nach Rom
fanden, versteht sich von selbst; wenn Caesar im ganzen Roemischen Reich
sein gallisches Gold ausbot und davon auf einmal solche Massen auf den
Geldmarkt brachte, dass das Gold gegen Silber um 25 Prozent fiel, so
laesst dies ahnen, welche Summen Gallien durch den Krieg eingebuesst
hat. Die bisherigen Gauverfassungen mit ihren Erbkoenigen oder ihren
feudal- oligarchischen Vorstandschaften blieben auch nach der Eroberung
im wesentlichen bestehen, und selbst das Klientelsystem, das einzelne
Kantons von anderen, maechtigeren abhaengig machte, ward nicht
abgeschafft, obwohl freilich mit dem Verlust der staatlichen
Selbstaendigkeit ihm die Spitze abgebrochen war; Caesar war nur darauf
bedacht, unter Benutzung der bestehenden dynastischen, feudalistischen
und hegemonischen Spaltungen die Verhaeltnisse im Interesse Roms zu
ordnen und ueberall die der Fremdherrschaft genehmen Maenner an die
Spitze zu bringen. Ueberhaupt sparte Caesar keine Muehe, um in Gallien
eine roemische Partei zu bilden; seinen Anhaengern wurden ausgedehnte
Belohnungen an Geld und besonders an konfiszierten Landguetern bewilligt
und ihnen durch seinen Einfluss Plaetze im Gemeinderat und die ersten
Gemeindeaemter in ihren Gauen verschafft. Diejenigen Gaue, in denen eine
hinreichend starke und zuverlaessige roemische Partei bestand, wie
die der Remer, der Lingonen, der Haeduer, wurden durch Erteilung einer
freieren Kommunalverfassung - des sogenannten Buendnisrechts - und
durch Bevorzugungen bei der Ordnung des Hegemoniewesens gefoerdert. Den
Nationalkult und dessen Priester scheint Caesar von Anfang an soweit
irgend moeglich geschont zu haben; von Massregeln, wie sie in spaeterer
Zeit von den roemischen Machthabern gegen das Druidenwesen ergriffen
wurden, findet bei ihm sich keine Spur, und wahrscheinlich damit
haengt es zusammen, dass seine gallischen Kriege, soviel wir sehen, den
Charakter des Religionskrieges durchaus nicht in der Art tragen, wie er
bei den britannischen spaeter so bestimmt hervortritt. Wenn Caesar
also der besiegten Nation jede zulaessige Ruecksicht bewies und ihre
nationalen, politischen und religioesen Institutionen soweit schonte,
als es mit der Unterwerfung unter Rom irgend sich vertrug, so geschah
dies nicht, um auf den Grundgedanken seiner Eroberung, die Romanisierung
Galliens, zu verzichten, sondern um denselben in moeglichst schonender
Weise zu verwirklichen. Auch begnuegte er sich nicht, dieselben
Verhaeltnisse, die die Suedprovinz bereits grossenteils romanisiert
hatten, im Norden ihre Wirkung ebenfalls tun zu lassen, sondern er
foerderte, als echter Staatsmann, von oben herab die naturgemaesse
Entwicklung und tat dazu, die immer peinliche Uebergangszeit moeglichst
zu verkuerzen. Um zu schweigen von der Aufnahme einer Anzahl vornehmer
Kelten in den roemischen Buergerverband, ja einzelner vielleicht schon
in den roemischen Senat, so ist wahrscheinlich Caesar es gewesen, der in
Gallien auch innerhalb der einzelnen Gaue als offizielle Sprache
anstatt der einheimischen die lateinische, wenn auch noch mit gewissen
Einschraenkungen, und anstatt des nationalen das roemische Muenzsystem
in der Art einfuehrte, dass die Gold- und die Denarpraegung den
roemischen Behoerden vorbehalten blieb, dagegen die Scheidemuenze von
den einzelnen Gauen und nur zur Zirkulation innerhalb der Gaugrenzen,
aber doch auch nach roemischem Fuss geschlagen werden sollte. Man mag
laecheln ueber das kauderwelsche Latein, dessen die Anwohner der Loire
und Seine fortan verordnungsmaessig sich beflissen ^24; es lag doch
in diesen Sprachfehlern eine groessere Zukunft als in dem korrekten,
hauptstaedtischen Latein. Vielleicht geht es auch auf Caesar zurueck,
wenn die Gauverfassung im Keltenland spaeterhin der italischen
Stadtverfassung genaehert erscheint und die Hauptorte des Gaues sowie
die Gemeinderaete in ihr schaerfer hervortreten, als dies in der
urspruenglichen keltischen Ordnung wahrscheinlich der Fall war. Wie
wuenschenswert in militaerischer wie in politischer Hinsicht es gewesen
waere, als Stuetzpunkte der neuen Herrschaft und Ausgangspunkte der
neuen Zivilisation eine Reihe transalpinischer Kolonien zu begruenden,
mochte niemand mehr empfinden als der politische Erbe des Gaius Gracchus
und des Marius. Wenn er dennoch sich beschraenkte auf die Ansiedlung
seiner keltischen oder deutschen Reiter in Noviodunum und auf die der
Boier im Haeduergau, welche letztere Niederlassung in dem Krieg gegen
Vercingetorix schon voellig die Dienste einer roemischen Kolonie tat,
so war die Ursache nur die, dass seine weiteren Plaene ihm noch nicht
gestatteten, seinen Legionen statt des Schwertes den Pflug in die Hand
zu geben. Was er in spaeteren Jahren fuer die altroemische Provinz
in dieser Beziehung getan, wird seines Orts dargelegt werden; es ist
wahrscheinlich, dass nur die Zeit ihm gemangelt hat, um das gleiche
auch auf die von ihm neu unterworfenen Landschaften zu erstrecken.
------------------------------------------------- ^24 So lesen wir auf
einem Semis, den ein Vergobret der Lexovier (Lisieux, Dep. Calvados)
schlagen liess, folgende Aufschrift: Cisiambos Cattos vercobreto;
simissos (so) publicos Lixovio. Die oft kaum leserliche Schrift und
das unglaublich abscheuliche Gepraege dieser Muenzen stehen mit
ihrem stammelnden Latein in bester Harmonie.
------------------------------------------------ Mit der keltischen
Nation war es zu Ende. Ihre politische Aufloesung war durch Caesar
eine vollendete Tatsache geworden, ihre nationale eingeleitet und im
regelmaessigen Fortschreiten begriffen. Es war dies kein zufaelliges
Verderben, wie das Verhaengnis es auch entwicklungsfaehigen
Voelkern wohl zuweilen bereitet, sondern eine selbstverschuldete und
gewissermassen geschichtlich notwendige Katastrophe. Schon der Verlauf
des letzten Krieges beweist dies, mag man ihn nun im ganzen oder im
einzelnen betrachten. Als die Fremdherrschaft gegruendet werden
sollte, leisteten ihr nur einzelne, noch dazu meistens deutsche
oder halbdeutsche Landschaften energischen Widerstand. Als die
Fremdherrschaft gegruendet war, wurden die Versuche, sie abzuschuetteln,
entweder ganz kopflos unternommen, oder sie waren mehr als billig das
Werk einzelner hervorragender Adliger und darum mit dem Tod oder der
Gefangennahme eines Indutiomarus, Camulogenus, Vercingetorix, Correus
sogleich und voellig zu Ende. Der Belagerungs- und der kleine Krieg, in
denen sich sonst die ganze sittliche Tiefe der Volkskriege entfaltet,
waren und blieben in diesem keltischen von charakteristischer
Erbaermlichkeit. Jedes Blatt der keltischen Geschichte bestaetigt
das strenge Wort eines der wenigen Roemer, die es verstanden, die
sogenannten Barbaren nicht zu verachten, dass die Kelten dreist die
kuenftige Gefahr herausfordern, vor der gegenwaertigen aber der Mut
ihnen entsinkt. In dem gewaltigen Wirbel der Weltgeschichte, der alle
nicht gleich dem Stahl harten und gleich dem Stahl geschmeidigen Voelker
unerbittlich zermalmt, konnte eine solche Nation auf die Laenge sich
nicht behaupten; billig erlitten die Kelten des Festlandes dasselbe
Schicksal von den Roemern, das ihre Stammgenossen auf der irischen Insel
bis in unsere Tage hinein von den Sachsen erleiden: das Schicksal,
als Gaerungsstoff kuenftiger Entwicklung aufzugehen in eine staatlich
ueberlegene Nationalitaet. Im Begriff, von der merkwuerdigen Nation zu
scheiden, mag es gestattet sein, noch daran zu erinnern, dass in den
Berichten der Alten ueber die Kelten an der Loire und Seine kaum einer
der charakteristischen Zuege vermisst wird, an denen wir gewohnt sind,
Paddy zu erkennen. Es findet alles sich wieder: die Laessigkeit in
der Bestellung der Felder; die Lust am Zechen und Raufen; die
Prahlhansigkeit - wir erinnern an jenes in dem heiligen Hain der
Arverner nach dem Sieg von Gergovia aufgehangene Schwert des Caesar, das
sein angeblicher ehemaliger Besitzer an der geweihten Staette laechelnd
betrachtete und das heilige Gut sorgfaeltig zu schonen befahl; die
Rede voll von Vergleichen und Hyperbeln, von Anspielungen und barocken
Wendungen; der drollige Humor - ein vorzuegliches Beispiel davon ist die
Satzung, dass, wenn jemand einem oeffentlich Redenden ins Wort faellt,
dem Stoerenfried von Polizei wegen ein derbes und wohl sichtbares Loch
in den Rock geschnitten wird; die innige Freude am Singen und Sagen von
den Taten der Vorzeit und die entschiedenste Redner- und Dichtergabe;
die Neugier - kein Kaufmann wird durchgelassen, bevor er auf offener
Strasse erzaehlt hat, was er an Neuigkeiten weiss oder nicht weiss - und
die tolle Leichtglaeubigkeit, die auf solche Nachrichten hin handelt,
weshalb in den besser geordneten Kantons den Wandersleuten bei strenger
Strafe verboten war, unbeglaubigte Berichte andern als Gemeindebeamten
mitzuteilen; die kindliche Froemmigkeit, die in dem Priester den
Vater sieht und ihn in allen Dingen um Rat fragt; die unuebertroffene
Innigkeit des Nationalgefuehls und das fast familienartige
Zusammenhalten der Landsleute gegen den Fremden; die Geneigtheit, unter
dem ersten besten Fuehrer sich aufzulehnen und Banden zu bilden, daneben
aber die voellige Unfaehigkeit, den sicheren, von Uebermut wie von
Kleinmut entfernten Mut sich zu bewahren, die rechte Zeit zum Abwarten
und zum Losschlagen wahrzunehmen, zu irgendeiner Organisation, zu irgend
fester militaerischer oder politischer Disziplin zu gelangen oder auch
nur sie zu ertragen. Es ist und bleibt zu allen Zeiten und aller Orten
dieselbe faule und poetische, schwachmuetige und innige, neugierige,
leichtglaeubige, liebenswuerdige, gescheite, aber politisch durch und
durch unbrauchbare Nation, und darum ist denn auch ihr Schicksal immer
und ueberall dasselbe gewesen. Aber dass dieses grosse Volk durch
Caesars transalpinische Kriege zugrunde ging, ist noch nicht
das bedeutendste Ergebnis dieses grossartigen Unternehmens; weit
folgenreicher als das negative war das positive Resultat. Es leidet
kaum einen Zweifel, dass, wenn das Senatsregiment sein Scheinleben
noch einige Menschenalter laenger gefristet haette, die sogenannte
Voelkerwanderung vierhundert Jahre frueher eingetreten sein wuerde, als
sie eingetreten ist, und eingetreten sein wuerde zu einer Zeit, wo die
italische Zivilisation sich weder in Gallien noch an der Donau noch
in Afrika und Spanien haeuslich niedergelassen hatte. Indem der grosse
Feldherr und Staatsmann Roms mit sicherem Blick in den deutschen
Staemmen den ebenbuertigen Feind der roemisch-griechischen Welt
erkannte; indem er das neue System offensiver Verteidigung mit fester
Hand selbst bis ins einzelne hinein begruendete und die Reichsgrenzen
durch Fluesse oder kuenstliche Waelle verteidigen, laengs der Grenze die
naechsten Barbarenstaemme zur Abwehr der entfernteren kolonisieren,
das roemische Heer durch geworbene Leute aus den feindlichen Laendern
rekrutieren lehrte, gewann er der hellenisch-italischen Kultur die
noetige Frist, um den Westen ebenso zu zivilisieren, wie der Osten
bereits von ihr zivilisiert war. Gewoehnliche Menschen schauen die
Fruechte ihres Tuns; der Same, den geniale Naturen streuen, geht langsam
auf. Es dauerte Jahrhunderte, bis man begriff, dass Alexander nicht
bloss ein ephemeres Koenigreich im Osten errichtet, sondern den
Hellenismus nach Asien getragen habe; wieder Jahrhunderte, bis man
begriff, dass Caesar nicht bloss den Roemern eine neue Provinz erobert,
sondern die Romanisierung der westlichen Landschaften begruendet habe.
Auch von jenen militaerisch leichtsinnigen und zunaechst erfolglosen
Zuegen nach England und Deutschland haben erst die spaeten Nachfahren
den Sinn erkannt. Ein ungeheurer Voelkerkreis, von dessen Dasein und
Zustaenden bis dahin kaum der Schiffer und der Kaufmann einige
Wahrheit und viele Dichtung berichtet hatten, ward durch sie der
roemisch-griechischen Welt aufgeschlossen. "Taeglich", heisst es in
einer roemischen Schrift vom Mai 698 (56), "melden die gallischen Briefe
und Botschaften uns bisher unbekannte Namen von Voelkern, Gauen und
Landschaften". Diese Erweiterung des geschichtlichen Horizonts durch
Caesars Zuege jenseits der Alpen war ein weltgeschichtliches Ereignis,
so gut wie die Erkundung Amerikas durch europaeische Scharen. Zu
dem engen Kreis der Mittelmeerstaaten traten die mittel- und
nordeuropaeischen Voelker, die Anwohner der Ost- und der Nordsee hinzu,
zu der alten Welt eine neue, die fortan durch jene mitbestimmt ward und
sie mitbestimmte. Es hat nicht viel gefehlt, dass bereits von Ariovist
das durchgefuehrt ward, was spaeter dem gotischen Theoderich
gelang. Waere dies geschehen, so wuerde unsere Zivilisation zu der
roemisch-griechischen schwerlich in einem innerlicheren Verhaeltnis
stehen als zu der indischen und assyrischen Kultur. Dass von Hellas
und Italien vergangener Herrlichkeit zu dem stolzeren Bau der neueren
Weltgeschichte eine Bruecke hinueberfuehrt, dass Westeuropa romanisch,
das germanische Europa klassisch ist, dass die Namen Themistokles und
Scipio fuer uns einen anderen Klang haben, als Asoka und Salmanassar,
dass Homer und Sophokles nicht wie die Veden und Kalidasa nur den
literarischen Botaniker anziehen, sondern in dem eigenen Garten uns
bluehen, das ist Caesars Werk; und wenn die Schoepfung seines grossen
Vorgaengers im Osten von den Sturmfluten des Mittelalters fast
ganz zertruemmert worden ist, so hat Caesars Bau die Jahrtausende
ueberdauert, die dem Menschengeschlecht Religion und Staat verwandelt,
den Schwerpunkt der Zivilisation selbst ihm verschoben haben, und
fuer das, was wir Ewigkeit nennen, steht er aufrecht. Um das Bild
der Verhaeltnisse Roms zu den Voelkern des Nordens in dieser Zeit zu
vollenden, bleibt es noch uebrig, einen Blick auf die Landschaften zu
werfen, die noerdlich der italischen und der griechischen Halbinsel,
von den Rheinquellen bis zum Schwarzen Meer sich erstrecken. Zwar in
das gewaltige Voelkergetuemmel, das auch dort damals gewogt haben mag,
reicht die Fackel der Geschichte nicht und die einzelnen Streiflichter,
die in dieses Gebiet fallen, sind, wie der schwache Schimmer in tiefer
Finsternis, mehr geeignet zu verwirren als aufzuklaeren. Indes es ist
die Pflicht des Geschichtschreibers, auch die Luecken in dem Buche der
Voelkergeschichte zu bezeichnen; er darf es nicht verschmaehen, neben
Caesars grossartigem Verteidigungssystem der duerftigen Anstalten zu
gedenken, durch die die Feldherren des Senats nach dieser Seite hin die
Reichsgrenze zu schuetzen vermeinten. Das nordoestliche Italien blieb
nach wie vor den Angriffen der alpinischen Voelkerschaften preisgegeben.
Das im Jahre 695 (59) bei Aquileia lagernde starke roemische Heer
und der Triumph des Statthalters des Cisalpinischen Galliens, Lucius
Afranius, lassen schliessen, dass um diese Zeit eine Expedition in die
Alpen stattgefunden; wovon es eine Folge sein mag, dass wir bald darauf
die Roemer in naeherer Verbindung mit einem Koenig der Noriker finden.
Dass aber auch nachher Italien durchaus von dieser Seite nicht gesichert
war, bewies der Ueberfall der bluehenden Stadt Tergeste durch die
alpinischen Barbaren im Jahre 702 (52), als die transalpinische
Insurrektion Caesar genoetigt hatte, Oberitalien ganz von Truppen
zu entbloessen. Auch die unruhigen Voelker, die den illyrischen
Kuestenstrich innehatten, machten ihren roemischen Herren bestaendig
zu schaffen. Die Dalmater, schon frueher das ansehnlichste Volk dieser
Gegend, vergroesserten durch Aufnahme der Nachbarn in ihren Verband sich
so ansehnlich, dass die Zahl ihrer Ortschaften von zwanzig auf achtzig
stieg. Als sie die Stadt Promona (nicht weit vom Kerkafluss), die
sie den Liburniern entrissen hatten, diesen wiederherauszugeben sich
weigerten, liess Caesar nach der Pharsalischen Schlacht gegen sie
marschieren; aber die Roemer zogen hierbei zunaechst den kuerzeren,
und infolgedessen ward Dalmatien fuer einige Zeit ein Herd der Caesar
feindlichen Partei und wurde hier den Feldherren Caesars von den
Einwohnern, in Verbindung mit den Pompeianern und mit den Seeraeubern,
zu Lande und zu Wasser energischer Widerstand geleistet. Makedonien
endlich nebst Epirus und Hellas war so veroedet und heruntergekommen wie
kaum ein anderer Teil des Roemischen Reiches. Dyrrhachion, Thessalonike,
Byzantion hatten noch einigen Handel und Verkehr; Athen zog durch seinen
Namen und seine Philosophenschule die Reisenden und die Studenten an;
im ganzen aber lag ueber Hellas' einst volkreichen Staedten und
menschenwimmelnden Haefen die Ruhe des Grabes. Aber wenn die Griechen
sich nicht regten, so setzten dagegen die Bewohner der schwer
zugaenglichen makedonischen Gebirge nach alter Weise ihre Raubzuege und
Fehden fort, wie denn zum Beispiel um 697/98 (57/56) Agraeer und Doloper
die aetolischen Staedte, im Jahre 700 (54) die in den Drintaelern
wohnenden Pirusten das suedliche Illyrien ueberrannten. Ebenso hielten
es die Anwohner. Die Dardaner an der Nordgrenze wie die Thraker im Osten
waren zwar in den achtjaehrigen Kaempfen 676 bis 683 (78-71) von den
Roemern gedemuetigt worden; der maechtigste unter den thrakischen
Fuersten, der Herr des alten Odrysenreichs Kotys, ward seitdem den
roemischen Klientelkoenigen beigezaehlt. Allein nichtsdestoweniger hatte
das befriedete Land nach wie vor von Norden und Osten her Einfaelle zu
leiden. Der Statthalter Gaius Antonius ward uebel heimgeschickt,
sowohl von den Dardanern, als auch von den in der heutigen Dobrudscha
ansaessigen Staemmen, welche mit Hilfe der vom linken Donauufer
herbeigezogenen, gefuerchteten Bastarner ihm bei Istropolis (Istere
unweit Kustendsche) eine bedeutende Niederlage beibrachten (692-693
62-61). Gluecklicher focht Gaius Octavius gegen Besser und Thraker
(694 60). Dagegen machte Marcus Piso (697-698 57-56) wiederum als
Oberfeldherr sehr schlechte Geschaefte, was auch kein Wunder war, da
er um Geld Freunden und Feinden gewaehrte, was sie wuenschten.
Die thrakischen Dentheleten (am Strymon) pluenderten unter seiner
Statthalterschaft Makedonien weit und breit und stellten auf der
grossen, von Dyrrhachion nach Thessalonike fuehrenden roemischen
Heerstrasse selbst ihre Posten aus; in Thessalonike machte man sich
darauf gefasst, von ihnen eine Belagerung auszuhalten, waehrend
die starke roemische Armee in der Provinz nur da zu sein schien, um
zuzusehen, wie die Bergbewohner und die Nachbarvoelker die friedlichen
Untertanen Roms brandschatzten. Dergleichen Angriffe konnten freilich
Roms Macht nicht gefaehrden, und auf eine Schande mehr kam es laengst
nicht mehr an. Aber eben um diese Zeit begann jenseits der Donau, in den
weiten dakischen Steppen, ein Volk sich staatlich zu konsolidieren, das
eine andere Rolle in der Geschichte zu spielen bestimmt schien als die
Besser und die Dentheleten. Bei den Geten oder Dakern war in uralter
Zeit dem Koenig des Volkes ein heiliger Mann zur Seite getreten,
Zalmoxis genannt, der, nachdem er der Goetter Wege und Wunder auf
weiten Reisen in der Fremde erkundet und namentlich die Weisheit der
aegyptischen Priester und der griechischen Pythagoreer ergruendet hatte,
in seine Heimat zurueckgekommen war, um in einer Hoehle des 'Heiligen
Berges' als frommer Einsiedler sein Leben zu beschliessen. Nur dem
Koenig und dessen Dienern blieb er zugaenglich und spendete ihm und
durch ihn dem Volke seine Orakel fuer jedes wichtige Beginnen. Seinen
Landsleuten galt er anfangs als Priester des hoechsten Gottes und
zuletzt selber als Gott, aehnlich wie es von Moses und Aaron heisst,
dass der Herr den Aaron zum Propheten und zum Gotte des Propheten den
Moses gesetzt habe. Es war hieraus eine bleibende Institution geworden:
von Rechts wegen stand dem Koenig der Geten ein solcher Gott zur Seite,
aus dessen Munde alles kam oder zu kommen schien, was der Koenig befahl.
Diese eigentuemliche Verfassung, in der die theokratische Idee der,
wie es scheint, absoluten Koenigsgewalt dienstbar geworden war, mag den
getischen Koenigen eine Stellung ihren Untertanen gegenueber gegeben
haben, wie etwa die Kalifen sie gegenueber den Arabern haben; und eine
Folge davon war die wunderbare religioes-politische Reform der Nation,
welche um diese Zeit der Koenig der Geten, Burebistas, und der Gott,
Dekaeneos, durchsetzten. Das namentlich durch beispiellose Voellerei
sittlich und staatlich gaenzlich heruntergekommene Volk ward durch das
neue Maessigkeits- und Tapferkeitsevangelium wie umgewandelt; mit seinen
sozusagen puritanisch disziplinierten und begeisterten Scharen gruendete
Koenig Burebistas binnen wenigen Jahren ein gewaltiges Reich, das auf
beiden Ufern der Donau sich ausbreitete und suedwaerts bis tief
in Thrakien, Illyrien und das nordische Land hinein reichte. Eine
unmittelbare Beruehrung mit den Roemern hatte noch nicht stattgefunden,
und es konnte niemand sagen, was aus diesem sonderbaren, an die Anfaenge
des Islam erinnernden Staat werden moege; das aber mochte man, auch ohne
Prophet zu sein, vorherzusagen, dass Prokonsuln wie Antonius und Piso
nicht berufen waren, mit Goettern zu streiten. 8. Kapitel Pompeius' und
Caesars Gesamtherrschaft Unter den Demokratenchefs, die seit Caesars
Konsulat sozusagen offiziell als die gemeinschaftlichen Beherrscher des
Gemeinwesens, als die regierenden "Dreimaenner" anerkannt waren, nahm
der oeffentlichen Meinung zufolge durchaus die erste Stelle Pompeius
ein. Er war es, der den Optimaten der "Privatdiktator" hiess; vor ihm
tat Cicero seinen vergeblichen Fussfall; ihm galten die schaerfsten
Sarkasmen in den Mauerplakaten des Bibulus, die giftigsten Pfeile in
den Salonreden der Opposition. Es war dies nur in der Ordnung. Nach
den vorliegenden Tatsachen war Pompeius unbestritten der erste Feldherr
seiner Zeit, Caesar ein gewandter Parteifuehrer und Parteiredner, von
unleugbaren Talenten, aber ebenso notorisch von unkriegerischem, ja
weibischem Naturell. Diese Urteile waren seit langem gelaeufig; man
konnte es von dem vornehmen Poebel nicht erwarten, dass er um das Wesen
der Dinge sich kuemmere und einmal festgestellte Plattheiten wegen
obskurer Heldentaten am Tajo aufgebe. Offenbar spielte Caesar in dem
Bunde nur die Rolle des Adjutanten, der das fuer seinen Chef ausfuehrte,
was Flavius, Afranius und andere, weniger faehige Werkzeuge versucht
und nicht geleistet hatten. Selbst seine Statthalterschaft schien dies
Verhaeltnis nicht zu aendern. Eine sehr aehnliche Stellung hatte erst
kuerzlich Afranius eingenommen, ohne darum etwas Besonderes zu bedeuten;
mehrere Provinzen zugleich waren in den letzten Jahren wiederholentlich
einem Statthalter untergeben und schon oft weit mehr als vier Legionen
in einer Hand vereinigt gewesen; da es jenseits der Alpen wieder ruhig
und Fuerst Ariovist von den Roemern als Freund und Nachbar anerkannt
war, so war auch keine Aussicht zur Fuehrung eines irgend ins Gewicht
fallenden Krieges. Die Vergleichung der Stellungen, wie sie Pompeius
durch das Gabinisch-Manilische, Caesar durch das Vatinische Gesetz
erhalten hatten, lag nahe; allein sie fiel nicht zu Caesars Vorteil aus.
Pompeius gebot fast ueber das gesamte Roemische Reich, Caesar ueber
zwei Provinzen. Pompeius standen die Soldaten und die Kassen des Staats
beinahe unbeschraenkt zur Verfuegung, Caesar nur die ihm angewiesenen
Summen und ein Heer von 24000 Mann. Pompeius war es anheimgegeben, den
Zeitpunkt seines Ruecktritts selber zu bestimmen; Caesars Kommando
war ihm zwar auf lange hinaus, aber doch nur auf eine begrenzte Frist
gesichert. Pompeius endlich war mit den wichtigsten Unternehmungen zur
See und zu Lande betraut worden; Caesar ward nach Norden gesandt, um von
Oberitalien aus die Hauptstadt zu ueberwachen und dafuer zu sorgen, dass
Pompeius ungestoert sie beherrsche. Aber als Pompeius von der Koalition
zum Beherrscher der Hauptstadt bestellt ward, uebernahm er, was ueber
seine Kraefte weit hinausging. Pompeius verstand vom Herrschen nichts
weiter, als was sich zusammenfassen laesst in Parole und Kommando.
Die Wellen des hauptstaedtischen Treibens gingen hohl, zugleich von
vergangenen und von zukuenftigen Revolutionen; die Aufgabe, diese in
jeder Hinsicht dem Paris des neunzehnten Jahrhunderts vergleichbare
Stadt ohne bewaffnete Macht zu regieren, war unendlich schwer, fuer
jenen eckigen vornehmen Mustersoldaten aber geradezu unloesbar. Sehr
bald war er so weit, dass Feinde und Freunde, beide ihm gleich unbequem,
seinetwegen machen konnten, was ihnen beliebte; nach Caesars Abgang von
Rom beherrschte die Koalition wohl noch die Geschicke der Welt, aber
nicht die Strassen der Hauptstadt. Auch der Senat, dem ja immer noch
eine Art nominellen Regiments zustand, liess die Dinge in der Hauptstadt
gehen, wie sie gehen konnten und mochten; zum Teil, weil der von der
Koalition beherrschten Fraktion dieser Koerperschaft die Instruktionen
der Machthaber fehlten, zum Teil, weil die grollende Opposition aus
Gleichgueltigkeit oder Pessimismus beiseite trat, hauptsaechlich aber,
weil die gesamte hochadlige Koerperschaft ihre vollstaendige Ohnmacht wo
nicht zu begreifen, doch zu fuehlen begann. Augenblicklich also gab es
in Rom nirgends eine Widerstandskraft irgendwelcher Regierung, nirgends
eine wirkliche Autoritaet. Man lebte im Interregnum zwischen dem
zertruemmerten aristokratischen und dem werdenden militaerischen
Regiment; und wenn das roemische Gemeinwesen wie kein anderes alter
oder neuer Zeit alle verschiedensten politischen Funktionen und
Organisationen rein und normal dargestellt hat, so erscheint in ihm
auch die politische Desorganisation, die Anarchie, in einer nicht
beneidenswerten Schaerfe. Es ist ein seltsames Zusammentreffen, dass in
denselben Jahren, in welchen Caesar jenseits der Alpen ein Werk fuer
die Ewigkeit schuf, in Rom eine der tollsten politischen Grotesken
aufgefuehrt ward, die jemals ueber die Bretter der Weltgeschichte
gegangen ist. Der neue Regent des Gemeinwesens regierte nicht, sondern
schloss sich in sein Haus ein und maulte im stillen. Die ehemalige, halb
abgesetzte Regierung regierte gleichfalls nicht, sondern seufzte, bald
einzeln in den traulichen Zirkeln der Villen, bald in der Kurie im Chor.
Der Teil der Buergerschaft, dem Freiheit und Ordnung noch am Herzen
lagen, war des wuesten Treibens uebersatt; aber voellig fuehrer- und
ratlos verharrte er in nichtiger Passivitaet und mied nicht bloss jede
politische Taetigkeit, sondern, soweit es anging, das politische Sodom
selbst. Dagegen: das Gesindel aller Art hatte nie bessere Tage, nie
lustigere Tummelplaetze gehabt. Die Zahl der kleinen grossen Maenner
war Legion. Die Demagogie ward voellig zum Handwerk, dem denn auch das
Handwerkszeug nicht fehlte: der verschabte Mantel, der verwilderte Bart,
das langflatternde Haar, die tiefe Bassstimme; und nicht selten war es
ein Handwerk mit goldenem Boden. Fuer die stehenden Bruellaktionen waren
die geprueften Gurgeln des Theaterpersonals ein begehrter Artikel ^1;
Griechen und Juden, Freigelassene und Sklaven waren in den oeffentlichen
Versammlungen die regelmaessigsten Besucher und die lautesten Schreier;
selbst wenn es zum Stimmen ging, bestand haeufig nur der kleinere
Teil der Stimmenden aus verfassungsmaessig stimmberechtigten Buergern.
"Naechstens", heisst es in einem Briefe aus dieser Zeit, "koennen wir
erwarten, dass unsere Lakaien die Freilassungssteuer abvotieren." Die
eigentlichen Maechte des Tages waren die geschlossenen und bewaffneten
Banden, die von vornehmen Abenteurern aus fechtgewohnten Sklaven und
Lumpen aufgestellten Bataillone der Anarchie. Ihre Inhaber hatten von
Haus aus meistenteils zur Popularpartei gezaehlt; aber seit Caesars
Entfernung, der der Demokratie allein zu imponieren und allein sie zu
lenken verstanden hatte, war aus derselben alle Disziplin entwichen und
jeder Parteigaenger machte Politik auf seine eigene Hand. Am liebsten
fochten diese Leute freilich auch jetzt noch unter dem Panier der
Freiheit; aber genau genommen waren sie weder demokratisch
noch antidemokratisch gesinnt, sondern schrieben auf die einmal
unentbehrliche Fahne, wie es fiel, bald den Volksnamen, bald den Namen
des Senats oder den eines Parteichefs; wie denn zum Beispiel Clodius
nacheinander fuer die herrschende Demokratie, fuer den Senat und fuer
Crassus gefochten oder zu fechten vorgegeben hat. Farbe hielten die
Bandenfuehrer nur insofern, als sie ihre persoenlichen Feinde, wie
Clodius den Cicero, Milo den Clodius, unerbittlich verfolgten, wogegen
die Parteistellung ihnen nur als Schachzug in diesen Personenfehden
diente. Man koennte ebensogut ein Charivari auf Noten setzen als die
Geschichte dieses politischen Hexensabbaths schreiben wollen; es
liegt auch nichts daran, all die Mordtaten, Haeuserbelagerungen,
Brandstiftungen und sonstigen Raeuberszenen inmitten einer Weltstadt
aufzuzaehlen und nachzurechnen, wie oft die Skala vom Zischen und
Schreien zum Anspeien und Niedertreten und von da zum Steinewerfen
und Schwerterzuecken durchgemacht ward. Der Protagonist auf diesem
politischen Lumpentheater war jener Publius Clodius, dessen, wie schon
erwaehnt ward, die Machthaber sich gegen Cato und Cicero bedienten. Sich
selbst ueberlassen, trieb dieser einflussreiche, talentvolle, energische
und in seinem Metier in der Tat musterhafte Parteigaenger waehrend
seines Volkstribunats (696 58) ultrademokratische Politik, gab den
Staedtern das Getreide umsonst, beschraenkte das Recht der Zensoren,
sittenlose Buerger zu bemaekeln, untersagte den Beamten, durch
religioese Formalitaeten den Gang der Komitialmaschine zu hemmen,
beseitigte die Schranken, die kurz zuvor (690 64), um dem Bandenwesen
zu steuern, dem Assoziationsrecht der niederen Klassen gesetzt worden
waren, und stellte die damals aufgehobenen "Strassenklubs" (collegia
compitalicia) wieder her, welche nichts anderes waren als eine
foermliche, nach den Gassen abgeteilte und fast militaerisch
gegliederte Organisation des gesamten hauptstaedtischen Freien- oder
Sklavenproletariats. Wenn dazu noch das weitere Gesetz, das Clodius
ebenfalls bereits entworfen hatte und als Praetor 702 (52) einzubringen
gedachte, den Freigelassenen und den im tatsaechlichen Besitz der
Freiheit lebenden Sklaven die gleichen politischen Rechte mit
den Freigeborenen gab, so konnte der Urheber all dieser tapferen
Verfassungsbesserungen sein Werk fuer vollendet erklaeren und als neuer
Numa der Freiheit und Gleichheit den suessen Poebel der Hauptstadt
einladen, in dem auf einer seiner Brandstaetten am Palatin von ihm
errichteten Tempel der Freiheit ihn zur Feier des eingetretenen
demokratischen Millenniums das Hochamt zelebrieren zu sehen.
Natuerlich schlossen diese Freiheitsbestrebungen den Schacher mit
Buergerschaftsbeschluessen nicht aus; wie Caesar hielt auch Caesars
Affe fuer seine Mitbuerger Statthalterschaften und andere Posten
und Poestchen, fuer die untertaenigen Koenige und Staedte
die Herrlichkeitsrechte des Staates feil.
------------------------------------------------ ^1 Das heisst
cantorum convicio contiones celebrare (Cic. Sest. 55, 118).
------------------------------------------------ All diesen Dingen sah
Pompeius zu, ohne sich zu regen. Wenn er es nicht empfand, wie arg er
damit sich kompromittierte, so empfand es sein Gegner. Clodius ward so
dreist, dass er ueber eine ganz gleichgueltige Frage, die Ruecksendung
eines gefangenen armenischen Prinzen, mit dem Regenten von Rom geradezu
anband; und bald ward der Zwist zur foermlichen Fehde, in der Pompeius'
voellige Hilflosigkeit zu Tage kam. Das Haupt des Staates wusste dem
Parteigaenger nichts anders zu begegnen als mit dessen eigenen, nur
weit ungeschickter gefuehrten Waffen. War er von Clodius wegen des
armenischen Prinzen schikaniert worden, so aergerte er ihn wieder, indem
er den von Clodius ueber alles gehassten Cicero aus dem Exil erloeste,
in das ihn Clodius gesandt hatte, und erreichte denn auch so gruendlich
seinen Zweck, dass er den Gegner in einen unversoehnlichen Feind
verwandelte. Wenn Clodius mit seinen Banden die Strassen unsicher
machte, so liess der siegreiche Feldherr gleichfalls Sklaven und Fechter
marschieren, in welchen Balgereien natuerlich der General gegen den
Demagogen den kuerzeren zog, auf der Strasse geschlagen, und von Clodius
und dessen Spiessgesellen Gaius Cato in seinem Garten fast bestaendig in
Belagerung gehalten ward. Es ist nicht der am wenigsten merkwuerdige Zug
in diesem merkwuerdigen Schauspiel, dass in ihrem Hader der Regent und
der Schwindler beide wetteifernd um die Gunst der gestuerzten Regierung
buhlten, Pompeius, zum Teil auch, um dem Senat gefaellig zu sein,
Ciceros Zurueckberufung zuliess, Clodius dagegen die Julischen
Gesetze fuer nichtig erklaerte und Marcus Bibulus aufrief, deren
verfassungswidrige Durchbringung oeffentlich zu bezeugen! Ein
positives Resultat konnte natuerlicherweise aus diesem Brodel trueber
Leidenschaften nicht hervorgehen; der eigentlichste Charakter desselben
war eben seine bis zum Graesslichen laecherliche Zwecklosigkeit. Selbst
ein Mann von Caesars Genialitaet hatte es erfahren muessen, dass das
demokratische Treiben vollstaendig abgenutzt war und sogar der Weg zum
Thron nicht mehr durch die Demagogie ging. Es war nichts weiter als ein
geschichtlicher Lueckenbuesser, wenn jetzt, in dem Interregnum zwischen
Republik und Monarchie, irgendein toller Geselle mit des Propheten
Mantel und Stab, die Caesar selbst abgelegt hatte, sich noch einmal
staffierte und noch einmal Gaius Gracchus' grosse Ideale parodisch
verzerrt ueber die Szene gingen; die sogenannte Partei, von der diese
demokratische Agitation ausging, war so wenig eine, dass ihr spaeter in
dem Entscheidungskampf nicht einmal eine Rolle zufiel. Selbst das laesst
sich nicht behaupten, dass durch diesen anarchistischen Zustand das
Verlangen nach einer starken, auf Militaermacht gegruendeten Regierung
in den Gemuetern der politisch indifferent Gesinnten lebendig angefacht
worden sei. Auch abgesehen davon, dass diese neutrale Buergerschaft
hauptsaechlich ausserhalb Roms zu suchen war und also von dem
hauptstaedtischen Krawallieren nicht unmittelbar beruehrt ward, so waren
diejenigen Gemueter, die ueberhaupt durch solche Motive sich bestimmen
liessen, schon durch fruehere Erfahrungen, namentlich die Catilinarische
Verschwoerung, gruendlich zum Autoritaetsprinzip bekehrt worden; auf
die eigentlichen Aengsterlinge aber wirkte die Furcht vor der von
dem Verfassungsumsturz unzertrennlichen, ungeheuren Krise bei weitem
nachdruecklicher als die Furcht vor der blossen Fortdauer der im Grunde
doch sehr oberflaechlichen hauptstaedtischen Anarchie. Das einzige
Ergebnis derselben, das geschichtlich in Anschlag kommt, ist die
peinliche Stellung, in die Pompeius durch die Angriffe der Clodianer
geriet und durch die seine weiteren Schritte wesentlich mitbedingt
wurden. Wie wenig Pompeius auch die Initiative liebte und verstand,
so ward er doch diesmal durch die Veraenderung seiner Stellung
sowohl Clodius als Caesar gegenueber gezwungen, aus seiner bisherigen
Passivitaet herauszutreten. Die verdriessliche und schimpfliche Lage,
in die ihn Clodius versetzt hatte, musste auf die Laenge selbst seine
traege Natur zu Hass und Zorn entflammen. Aber weit wichtiger war die
Verwandlung, die in seinem Verhaeltnis zu Caesar stattgefunden
hatte. Wenn von den beiden verbuendeten Machthabern Pompeius in der
uebernommenen Taetigkeit vollkommen bankrott geworden war, so hatte
Caesar aus seiner Kompetenz etwas zu machen gewusst, was jede Berechnung
wie jede Befuerchtung weit hinter sich liess. Ohne wegen der Erlaubnis
viel anzufragen, hatte Caesar durch Aushebungen in seiner grossenteils
von roemischen Buergern bewohnten suedlichen Provinz sein Heer
verdoppelt, hatte mit diesem, statt von Norditalien aus ueber Rom Wache
zu halten, die Alpen ueberschritten, eine neue kimbrische Invasion im
Beginn erstickt und binnen zwei Jahren (696, 697 58, 57) die roemischen
Waffen bis an den Rhein und den Kanal getragen. Solchen Tatsachen
gegenueber ging selbst der aristokratischen Taktik des Ignorierens und
Verkleinerns der Atem aus. Der oft als Zaertling Verhoehnte war jetzt
der Abgott der Armee, der gefeierte sieggekroente Held, dessen junge
Lorbeeren die welken des Pompeius ueberglaenzten und dem sogar der Senat
die nach gluecklichen Feldzuegen ueblichen Ehrenbezeigungen schon 697
(57) in reicherem Masse zuerkannte, als sie je Pompeius zuteil geworden
waren. Pompeius stand zu seinem ehemaligen Adjutanten, genau wie nach
den Gabinisch-Manilischen Gesetzen dieser gegen ihn gestanden hatte.
Jetzt war Caesar der Held des Tages und der Herr der maechtigsten
roemischen Armee, Pompeius ein ehemals beruehmter Exgeneral. Zwar war
es zwischen Schwiegervater und Schwiegersohn noch zu keiner Kollision
gekommen und das Verhaeltnis aeusserlich ungetruebt; aber jedes
politische Buendnis ist innerlich aufgeloest, wenn das Machtverhaeltnis
der Beteiligten sich wesentlich verschiebt. Wenn der Zank mit Clodius
nur aergerlich war, so lag in der veraenderten Stellung Caesars fuer
Pompeius eine sehr ernste Gefahr: ebenwie einst Caesar und dessen
Verbuendete gegen ihn, so sah jetzt er sich genoetigt, gegen Caesar
einen militaerischen Rueckhalt zu suchen und, seine stolze Amtlosigkeit
beiseitelegend, aufzutreten als Bewerber um irgendein ausserordentliches
Amt, das ihn in den Stand setzte, dem Statthalter der beiden Gallien mit
gleicher und womoeglich mit ueberlegener Macht zur Seite zu bleiben.
Wie seine Lage, war auch seine Taktik genau die Caesars waehrend des
Mithradatischen Krieges. Um die Militaermacht des ueberlegenen, aber
noch entfernten Gegners durch die Erlangung eines aehnlichen
Kommandos aufzuwiegen, bedurfte Pompeius zunaechst der offiziellen
Regierungsmaschine. Anderthalb Jahre zuvor hatte diese unbedingt ihm
zur Verfuegung gestanden. Die Machthaber beherrschten den Senat
damals sowohl durch die Komitien, die ihnen als den Herren der Strasse
unbedingt gehorchten, wie durch den von Caesar energisch terrorisierten
Senat; als Vertreter der Koalition in Rom und als deren anerkanntes
Haupt haette Pompeius vom Senat wie von der Buergerschaft ohne Zweifel
jeden Beschluss erlangt, den er wuenschte, selbst wenn er gegen Caesars
Interesse war. Allein durch den ungeschickten Handel mit Clodius hatte
Pompeius die Strassenherrschaft eingebuesst und konnte nicht
daran denken, einen Antrag zu seinen Gunsten bei der Volksgemeinde
durchzusetzen. Nicht ganz so unguenstig standen die Dinge fuer ihn im
Senat; doch war es auch hier zweifelhaft, ob Pompeius nach dieser langen
und verhaengnisvollen Passivitaet die Zuegel der Majoritaet noch fest
genug in der Hand habe, um einen Beschluss, wie er ihn brauchte, zu
bewirken. Auch die Stellung des Senats, oder vielmehr der Nobilitaet
ueberhaupt, war inzwischen eine andere geworden. Eben aus ihrer
vollstaendigen Erniedrigung schoepfte sie frische Kraefte. Es war bei
der Koalition von 694 (60) verschiedenes an den Tag gekommen, was fuer
das Sonnenlicht noch keineswegs reif war. Die Entfernung Catos und
Ciceros, welche die oeffentliche Meinung, wie sehr auch die Machthaber
dabei sich zurueckhielten und sogar sich die Miene gaben, sie zu
beklagen, mit ungeirrtem Takt auf ihre wahren Urheber zurueckfuehrte,
und die Verschwaegerung zwischen Caesar und Pompeius erinnerten mit
unerfreulicher Deutlichkeit an monarchische Ausweisungsdekrete und
Familienallianzen. Auch das groessere Publikum, das den politischen
Ereignissen ferner stand, ward aufmerksam auf die immer bestimmter
hervortretenden Grundlagen der kuenftigen Monarchie. Von dem Augenblick
an, wo dieses begriff, dass es Caesar nicht um eine Modifikation der
republikanischen Verfassung zu tun sei, sondern dass es sich handle um
Sein oder Nichtsein der Republik, werden unfehlbar eine Menge der besten
Maenner, die bisher sich zur Popularpartei gerechnet und in Caesar ihr
Haupt verehrt hatten, auf die entgegengesetzte Seite uebergetreten sein.
Nicht mehr in den Salons und den Landhaeusern des regierenden Adels
allein wurden die Reden von den "drei Dynasten", dem "dreikoepfigen
Ungeheuer" vernommen. Caesars konsularischen Reden horchte die Menge
dichtgedraengt, ohne dass Zuruf oder Beifall aus ihr erscholl; keine
Hand regte sich zum Klatschen, wenn der demokratische Konsul in das
Theater trat. Wohl aber pfiff man, wo eines der Werkzeuge der Machthaber
oeffentlich sich sehen liess, und selbst gesetzte Maenner klatschten,
wenn ein Schauspieler eine antimonarchische Sentenz oder eine Anspielung
gegen Pompeius vorbrachte. Ja als Cicero ausgewiesen werden sollte,
legten eine grosse Zahl - angeblich zwanzigtausend - Buerger,
groesstenteils aus den Mittelklassen, nach dem Beispiel des Senats
das Trauergewand an. "Nichts ist jetzt populaerer", heisst es in einem
Briefe aus dieser Zeit, "als der Hass der Popularpartei." Die Machthaber
liessen Andeutungen fallen, dass durch solche Opposition leicht die
Ritter ihre neuen Sonderplaetze im Theater, der gemeine Mann sein
Brotkorn einbuessen koenne; man nahm darauf mit den Aeusserungen des
Unwillens sich vielleicht etwas mehr in acht, aber die Stimmung
blieb die gleiche. Mit besserem Erfolg ward der Hebel der materiellen
Interessen angesetzt. Caesars Gold floss in Stroemen. Scheinreiche mit
zerruetteten Finanzen, einflussreiche, in Geldverlegenheiten befangene
Damen, verschuldete junge Adlige, bedraengte Kaufleute und Bankiers
gingen entweder selbst nach Gallien, um an der Quelle zu schoepfen, oder
wandten sich an Caesars hauptstaedtische Agenten; und nicht leicht ward
ein aeusserlich anstaendiger Mann - mit ganz verlorenem Gesindel mied
Caesar sich einzulassen - dort oder hier zurueckgewiesen. Dazu kamen
die ungeheuren Bauten, die Caesar fuer seine Rechnung in der Hauptstadt
ausfuehren liess und bei denen eine Unzahl von Menschen aller Staende
vom Konsular bis zum Lasttraeger hinab Gelegenheit fand zu verdienen,
sowie die unermesslichen, fuer oeffentliche Lustbarkeiten aufgewandten
Summen. In beschraenkterem Masse tat Pompeius das gleiche; ihm verdankte
die Hauptstadt das erste steinerne Theater, und er feierte dessen
Einweihung mit einer nie zuvor gesehenen Pracht. Dass solche Spenden
eine Menge oppositionell Gesinnter, namentlich in der Hauptstadt, mit
der neuen Ordnung der Dinge bis zu einem gewissen Grade aussoehnten,
versteht sich ebenso von selbst, wie dass der Kern der Opposition diesem
Korruptionssystem nicht erreichbar war. Immer deutlicher kam es zu Tage,
wie tief die bestehende Verfassung im Volke Wurzel geschlagen hatte
und wie wenig namentlich die dem unmittelbaren Parteitreiben ferner
stehenden Kreise, vor allem die Landstaedte, der Monarchie geneigt oder
auch nur bereit waren, sie ueber sich ergehen zu lassen. Haette Rom
eine Repraesentativverfassung gehabt, so wuerde die Unzufriedenheit der
Buergerschaft ihren natuerlichen Ausdruck in den Wahlen gefunden und,
indem sie sich aussprach, sich gesteigert haben; unter den bestehenden
Verhaeltnissen blieb den Verfassungstreuen nichts uebrig als dem
Senat, der, herabgekommen wie er war, doch immer noch als Vertreter und
Verfechter der legitimen Republik erschien, sich unterzuordnen. So kam
es, dass der Senat, jetzt da er gestuerzt worden war, ploetzlich
eine weit ansehnlichere und weit ernstlicher getreue Armee zu seiner
Verfuegung fand, als da er in Macht und Glanz die Gracchen stuerzte und,
geschirmt durch Sullas Saebel, den Staat restaurierte. Die Aristokratie
empfand es; sie fing wieder an sich zu regen. Eben jetzt hatte Marcus
Cicero, nachdem er sich verpflichtet hatte, den Gehorsam im Senat sich
anzuschliessen und nicht bloss keine Opposition zu machen, sondern nach
Kraeften fuer die Machthaber zu wirken, von denselben die Erlaubnis
zur Rueckkehr erhalten. Obwohl Pompeius der Oligarchie hiermit nur
beilaeufig eine Konzession machte und vor allem dem Clodius einen Possen
zu spielen, demnaechst ein durch hinreichende Schlaege geschmeidigtes
Werkzeug in dem redefertigen Konsular zu erwerben bedacht war, so nahm
man doch die Gelegenheit wahr, wie Ciceros Verbannung eine Demonstration
gegen den Senat gewesen war, so seine Rueckkehr zu republikanischen
Demonstrationen zu benutzen. In moeglichst feierlicher Weise, uebrigens
gegen die Clodianer durch die Bande des Titus Annius Milo geschuetzt,
brachten beide Konsuln nach vorgaengigem Senatsbeschluss einen Antrag an
die Buergerschaft, dem Konsular Cicero die Rueckkehr zu gestatten,
und der Senat rief saemtliche verfassungstreue Buerger auf, bei der
Abstimmung nicht zu fehlen. Wirklich versammelte sich am Tage der
Abstimmung (4. August 697 57) in Rom namentlich aus den Landstaedten
eine ungewoehnliche Anzahl achtbarer Maenner. Die Reise des Konsulars
von Brundisium nach der Hauptstadt gab Gelegenheit zu einer Reihe
aehnlicher, nicht minder glaenzender Manifestationen der oeffentlichen
Meinung. Das neue Buendnis zwischen dem Senat und der verfassungstreuen
Buergerschaft ward bei dieser Gelegenheit gleichsam oeffentlich
bekannt gemacht und eine Art Revue ueber die letztere gehalten,
deren ueberraschend guenstiges Ergebnis nicht wenig dazu beitrug,
den gesunkenen Mut der Aristokratie wiederaufzurichten. Pompeius'
Hilflosigkeit gegenueber diesen trotzigen Demonstrationen sowie
die unwuerdige und beinahe laecherliche Stellung, in die er Clodius
gegenueber geraten war, brachten ihn und die Koalition um ihren Kredit;
und die Fraktion des Senats, welche derselben anhing, durch Pompeius'
seltene Ungeschicklichkeit demoralisiert und ratlos sich selber
ueberlassen, konnte nicht verhindern, dass in dem Kollegium die
republikanisch- aristokratische Partei wieder voellig die Oberhand
gewann. Das Spiel dieser stand in der Tat damals - 697 (57) - fuer einen
mutigen und geschickten Spieler noch keineswegs verzweifelt. Sie hatte
jetzt, was sie seit einem Jahrhundert nicht gehabt, festen Rueckhalt in
dem Volke; vertraute sie diesem und sich selber, so konnte sie auf dem
kuerzesten und ehrenvollsten Wege zum Ziel gelangen. Warum nicht die
Machthaber mit offenem Visier angreifen? Warum kassierte nicht
ein entschlossener und namhafter Mann an der Spitze des Senats
die ausserordentlichen Gewalten als verfassungswidrig und rief die
saemtlichen Republikaner Italiens gegen die Tyrannen und deren
Anhang unter die Waffen? Moeglich war es wohl, auf diesem Wege die
Senatsherrschaft noch einmal zu restaurieren. Allerdings spielten die
Republikaner damit hohes Spiel; aber vielleicht waere auch hier, wie so
oft, der mutigste Entschluss zugleich der kluegste gewesen. Nur freilich
war die schlaffe Aristokratie dieser Zeit eines solchen einfachen
und mutigen Entschlusses kaum noch faehig. Aber es gab einen anderen,
vielleicht sichereren, auf jeden Fall der Art und Natur dieser
Verfassungsgetreuen angemesseneren Weg: sie konnten darauf hinarbeiten,
die beiden Machthaber zu entzweien und durch diese Entzweiung
schliesslich selber ans Ruder zu gelangen. Das Verhaeltnis der den Staat
beherrschenden Maenner hatte sich verschoben und gelockert, seit Caesar
uebermaechtig neben Pompeius sich gestellt und diesen genoetigt hatte,
um eine neue Machtstellung zu werben; es war wahrscheinlich, dass,
wenn er dieselbe erlangte, es damit auf die eine oder die andere Weise
zwischen ihnen zum Bruch und zum Kampfe kam. Blieb in diesem
Pompeius allein, so war seine Niederlage kaum zweifelhaft, und die
Verfassungspartei fand in diesem Fall nach beendigtem Kampfe nur
statt unter der Zwei-, sich unter der Einherrschaft. Allein, wenn die
Nobilitaet gegen Caesar dasselbe Mittel wandte, durch das dieser seine
bisherigen Siege erfochten hatte, und mit dem schwaecheren Nebenbuhler
in Buendnis trat, so blieb mit einem Feldherrn wie Pompeius, mit einem
Heere wie das der Verfassungstreuen war, der Sieg wahrscheinlich diesen;
nach dem Siege aber mit Pompeius fertig zu werden, konnte, nach den
Beweisen von politischer Unfaehigkeit, die derselbe zeither gegeben,
nicht als eine besonders schwierige Aufgabe erscheinen. Die Dinge
hatten sich dahin gewandt, eine Verstaendigung zwischen Pompeius und
der republikanischen Partei beiden nahezulegen; ob es zu einer solchen
Annaeherung kommen und wie ueberhaupt das voellig unklar gewordene
Verhaeltnis der beiden Machthaber und der Aristokratie gegeneinander
zunaechst sich stellen werde, musste sich entscheiden, als im Herbst
697 (57) Pompeius mit dem Antrag an den Senat ging, ihn mit einer
ausserordentlichen Amtsgewalt zu betrauen. Er knuepfte wieder an an
das, wodurch er elf Jahre zuvor seine Macht begruendet hatte: an die
Brotpreise in der Hauptstadt, die ebendamals wie vor dem Gabinischen
Gesetz eine drueckende Hoehe erreicht hatten. Ob sie durch besondere
Machinationen hinaufgetrieben worden waren, wie deren Clodius bald dem
Pompeius, bald dem Cicero und diese wieder jenem Schuld gaben, laesst
sich nicht entscheiden; die fortdauernde Piraterie, die Leere des
oeffentlichen Schatzes und die laessige und unordentliche Ueberwachung
der Kornzufuhr durch die Regierung reichten uebrigens auch ohne
politischen Kornwucher an sich schon vollkommen aus, um in einer
fast lediglich auf ueberseeische Zufuhr angewiesenen Grossstadt
Brotteuerungen herbeizufuehren. Pompeius' Plan war, sich vom Senat die
Oberaufsicht ueber das Getreidewesen im ganzen Umfang des
Roemischen Reiches und zu diesem Endzwecke teils das unbeschraenkte
Verfuegungsrecht ueber die roemische Staatskasse, teils Heer und Flotte
uebertragen zu lassen, sowie ein Kommando, welches nicht bloss ueber das
ganze Roemische Reich sich erstreckte, sondern dem auch in jeder Provinz
das des Statthalters wich - kurz, er beabsichtigte, eine verbesserte
Auflage des Gabinischen Gesetzes zu veranstalten, woran sich sodann die
Fuehrung des eben damals schwebenden Aegyptischen Krieges ebenso von
selbst angeschlossen haben wuerde wie die des Mithradatischen an die
Razzia gegen die Piraten. Wie sehr auch die Opposition gegen die neuen
Dynasten in den letzten Jahren Boden gewonnen hatte, es stand dennoch,
als diese Angelegenheit im September 697 (57) im Senat zur Verhandlung
kam, die Majoritaet desselben noch unter dem Bann des von Caesar
erregten Schreckens. Gehorsam nahm sie den Vorschlag im Prinzip an, und
zwar auf Antrag des Marcus Cicero, der hier den ersten Beweis der in der
Verbannung gelernten Fuegsamkeit geben sollte und gab. Allein bei der
Feststellung der Modalitaeten wurden von dem urspruenglichen Plane, den
der Volkstribun Gaius Messius vorlegte, doch sehr wesentliche Stuecke
abgedungen. Pompeius erhielt weder freie Verfuegung ueber das Aerar,
noch eigene Legionen und Schiffe, noch auch eine der der Statthalter
uebergeordnete Gewalt, sondern man begnuegte sich, ihm zum Behuf der
Ordnung des hauptstaedtischen Verpflegungswesens ansehnliche Summen,
fuenfzehn Adjutanten und in allen Verpflegungsangelegenheiten volle
prokonsularische Gewalt im ganzen roemischen Gebiet auf die naechsten
fuenf Jahre zu bewilligen und dies Dekret von der Buergerschaft
bestaetigen zu lassen. Es waren sehr mannigfaltige Ursachen,
welche diese, fast einer Ablehnung gleichkommende Abaenderung des
urspruenglichen Planes herbeifuehrten: die Ruecksicht auf Caesar, dem in
Gallien selbst seinen Kollegen nicht bloss neben-, sondern ueberzuordnen
eben die Furchtsamsten am meisten Bedenken tragen mussten; die
versteckte Opposition von Pompeius' Erbfeind und widerwilligem
Bundesgenossen Crassus, dem Pompeius selber zunaechst das Scheitern
seines Planes beimass oder beizumessen vorgab; die Antipathien der
republikanischen Opposition im Senat gegen jeden die Gewalt der
Machthaber der Sache oder auch nur dem Namen nach erweiternden
Beschluss; endlich und zunaechst die eigene Unfaehigkeit des Pompeius,
der, selbst nachdem er hatte handeln muessen, es nicht ueber sich
gewinnen konnte, zum Handeln sich zu bekennen, sondern wie immer seine
wahre Absicht gleichsam im Inkognito durch seine Freunde vorfuehren
liess, selber aber in bekannter Bescheidenheit erklaerte, auch mit
Geringerem sich begnuegen zu wollen. Kein Wunder, dass man ihn beim
Worte nahm und ihm das Geringere gab. Pompeius war nichtsdestoweniger
froh, wenigstens eine ernstliche Taetigkeit und vor allen Dingen einen
schicklichen Vorwand gefunden zu haben, um die Hauptstadt zu verlassen;
es gelang ihm auch, freilich nicht ohne dass die Provinzen den
Rueckschlag schwer empfanden, dieselbe mit reichlicher und billiger
Zufuhr zu versehen. Aber seinen eigentlichen Zweck hatte er verfehlt;
der Prokonsulartitel, den er berechtigt war in allen Provinzen zu
fuehren, blieb ein leerer Name, solange er nicht ueber eigene Truppen
verfuegte. Darum liess er bald darauf den zweiten Antrag an den Senat
gelangen, dass derselbe ihm den Auftrag erteilen moege, den vertriebenen
Koenig von Aegypten, wenn noetig mit Waffengewalt, in seine Heimat
zurueckzufuehren. Allein je mehr es offenbar ward, wie dringend er des
Senats bedurfte, desto weniger nachgiebig und weniger ruecksichtsvoll
nahmen die Senatoren sein Anliegen auf. Zunaechst ward in den
Sibyllinischen Orakeln entdeckt, dass es gottlos sei, ein roemisches
Heer nach Aegypten zu senden; worauf der fromme Senat fast einstimmig
beschloss, von der bewaffneten Intervention abzustehen. Pompeius war
bereits so gedemuetigt, dass er auch ohne Heer die Sendung angenommen
haben wuerde; allein in seiner unverbesserlichen Hinterhaeltigkeit liess
er auch dies nur durch seine Freunde erklaeren und sprach und stimmte
fuer die Absendung eines anderen Senators. Natuerlich wies der Senat
jenen Vorschlag zurueck, der ein dem Vaterlande so kostbares Leben
freventlich preisgab, und das schliessliche Ergebnis der endlosen
Verhandlungen war der Beschluss, ueberhaupt in Aegypten nicht zu
intervenieren (Januar 698 56). Diese wiederholten Zurueckweisungen, die
Pompeius im Senat erfuhr und, was schlimmer war, hingehen lassen musste,
ohne sie wettzumachen, galten natuerlich, mochten sie kommen von welcher
Seite sie wollten, dem grossen Publikum als ebensoviele Siege der
Republikaner und Niederlagen der Machthaber ueberhaupt; die Flut der
republikanischen Opposition war demgemaess im stetigen Steigen. Schon
die Wahlen fuer 698 (56) waren nur zum Teil im Sinne der Dynasten
ausgefallen: Caesars Kandidaten fuer die Praetur, Publius Vatinius und
Gaius Alfius, waren durchgegangen, dagegen zwei entschiedene Anhaenger
der gestuerzten Regierung, Gnaeus Lentulus Marcellinus und Gnaeus
Domitius Calvinus, jener zum Konsul, dieser zum Praetor gewaehlt worden.
Fuer 699 (55) aber war als Bewerber um das Konsulat gar Lucius Domitius
Ahenobarbus aufgetreten, dessen Wahl bei seinem Einfluss in der
Hauptstadt und seinem kolossalen Vermoegen schwer zu verhindern und
von dem es hinreichend bekannt war, dass er sich nicht an verdeckter
Opposition werde genuegen lassen. Die Komitien also rebellierten; und
der Senat stimmte ein. Es ward feierlich von ihm geratschlagt ueber
ein Gutachten, das etruskische Wahrsager von anerkannter Weisheit ueber
gewisse Zeichen und Wunder auf Verlangen des Senats abgegeben hatten.
Die himmlische Offenbarung verkuendete, dass durch den Zwist der
hoeheren Staende die ganze Gewalt ueber Heer und Schatz auf einen
Gebieter ueberzugehen und der Staat in Unfreiheit zu geraten drohe -
es schien, dass die Goetter zunaechst auf den Antrag des Gaius Messius
zielten. Bald stiegen die Republikaner vom Himmel auf die Erde herab.
Das Gesetz ueber das Gebiet von Capua und die uebrigen von Caesar als
Konsul erlassenen Gesetze waren von ihnen stets als nichtig bezeichnet,
und schon im Dezember 697 (57) im Senat geaeussert worden, dass es
erforderlich sei, sie wegen ihrer Formfehler zu kassieren. Am 6. April
698 (56) stellte der Konsular Cicero im vollen Senat den Antrag, die
Beratung ueber die kampanische Ackerverteilung fuer den 15. Mai auf die
Tagesordnung zu setzen. Es war die foermliche Kriegserklaerung; und sie
war um so bezeichnender, als sie aus dem Munde eines jener Maenner kam,
die nur dann ihre Farbe zeigen, wenn sie meinen, es mit Sicherheit tun
zu koennen. Offenbar hielt die Aristokratie den Augenblick gekommen, um
den Kampf nicht mit Pompeius gegen Caesar, sondern gegen die Tyrannis
ueberhaupt zu beginnen. Was weiter folgen werde, war leicht zu sehen.
Domitius hatte es kein Hehl, dass er als Konsul Caesars sofortige
Abberufung aus Gallien bei der Buergerschaft zu beantragen beabsichtige.
Eine aristokratische Restauration war im Werke; und mit dem Angriff auf
die Kolonie Capua warf die Nobilitaet den Machthabern den Handschuh hin.
Caesar, obwohl er ueber die hauptstaedtischen Ereignisse von Tag zu Tag
detaillierte Berichte empfing und, wenn die militaerischen Ruecksichten
es irgend erlaubten, sie von seiner Suedprovinz aus in moeglichster
Naehe verfolgte, hatte doch bisher sichtbar wenigstens nicht in
dieselben eingegriffen. Aber jetzt hatte man ihm so gut wie seinen
Kollegen, ja ihm vornehmlich, den Krieg erklaert, er musste handeln und
handelte rasch. Eben befand er sich in der Naehe; die Aristokratie hatte
nicht einmal fuer gut befunden, mit dem Bruche zu warten, bis er wieder
ueber die Alpen zurueckgegangen sein wuerde. Anfang April 698 (56)
verliess Crassus die Hauptstadt, um mit seinem maechtigeren Kollegen
das Erforderliche zu verabreden; er fand Caesar in Ravenna. Von da
aus begaben beide sich nach Luca und hier traf auch Pompeius mit
ihnen zusammen, der bald nach Crassus (11. April), angeblich um die
Getreidesendungen aus Sardinien und Afrika zu betreiben, sich von Rom
entfernt hatte. Die namhaftesten Anhaenger der Machthaber, wie der
Prokonsul des diesseitigen Spaniens, Metellus Nepos, der Propraetor
von Sardinien, Appius Claudius, und viele andere, folgten ihnen nach;
hundertundzwanzig Liktoren, ueber zweihundert Senatoren zaehlte man auf
dieser Konferenz, wo bereits, im Gegensatz zu dem republikanischen, der
neue monarchische Senat repraesentiert war. In jeder Hinsicht stand
das entscheidende Wort bei Caesar. Er benutzte es, um die bestehende
Gesamtherrschaft auf einer neuen Basis gleichmaessigerer Machtverteilung
wiederherzustellen und fester zu gruenden. Die militaerisch
bedeutendsten Statthalterschaften, die es neben der der beiden Gallien
gab, wurden den zwei Kollegen zugestanden: Pompeius die beider Spanien,
Crassus die von Syrien, welche Aemter ihnen durch Volksschluss auf
fuenf Jahre (700-704 54- 50) gesichert und militaerisch wie finanziell
angemessen ausgestattet werden sollten. Dagegen bedang Caesar sich die
Verlaengerung seines Kommandos, das mit dem Jahre 700 (54) zu Ende
lief, bis zum Schluss des Jahres 705 (49) aus, sowie die Befugnis, seine
Legionen auf zehn zu vermehren und die Uebernahme des Soldes fuer die
eigenmaechtig von ihm ausgehobenen Truppen auf die Staatskasse. Pompeius
und Crassus ward ferner fuer das naechste Jahr (699 55), bevor sie
in ihre Statthalterschaften abgingen, das zweite Konsulat zugesagt,
waehrend Caesar es sich offen hielt, gleich nach Beendigung seiner
Statthalterschaft im Jahre 706 (48), wo das gesetzlich zwischen zwei
Konsulaten erforderliche zehnjaehrige Intervall fuer ihn verstrichen
war, zum zweitenmal das hoechste Amt zu verwalten. Den militaerischen
Rueckhalt, dessen Pompeius und Crassus zur Regulierung der
hauptstaedtischen Verhaeltnisse um so mehr bedurften, als die
urspruenglich hierzu bestimmten Legionen Caesars jetzt aus dem
Transalpinischen Gallien nicht weggezogen werden konnten, fanden sie
in den Legionen, die sie fuer die spanischen und syrischen Armeen neu
ausheben und erst, wenn es ihnen selber angemessen schiene, von Italien
aus an ihre verschiedenen Bestimmungsplaetze abgehen lassen sollten.
Die Hauptfragen waren damit erledigt; die untergeordneten Dinge, wie
die Festsetzung der gegen die hauptstaedtische Opposition zu befolgenden
Taktik, die Regulierung der Kandidaturen fuer die naechsten Jahre
und dergleichen mehr, hielten nicht lange auf. Die persoenlichen
Zwistigkeiten, die dem Vertraegnis im Wege standen, schlichtete der
grosse Meister der Vermittlung mit gewohnter Leichtigkeit und zwang die
widerstrebenden Elemente, sich miteinander zu behaben. Zwischen Pompeius
und Crassus ward aeusserlich wenigstens ein kollegialisches Einvernehmen
wiederhergestellt. Sogar Publius Clodius ward bestimmt, sich und seine
Meute ruhig zu halten und Pompeius nicht ferner zu belaestigen - keine
der geringsten Wundertaten des maechtigen Zauberers. Dass diese
ganze Schlichtung der schwebenden Fragen nicht aus einem Kompromiss
selbstaendiger und ebenbuertig rivalisierender Machthaber, sondern
lediglich aus dem guten Willen Caesars hervorging, zeigen die
Verhaeltnisse. Pompeius befand sich in Luca in der peinlichen Lage
eines machtlosen Fluechtlings, welcher kommt, bei seinem Gegner Hilfe zu
erbitten. Mochte Caesar ihn zurueckweisen und die Koalition als geloest
erklaeren oder auch ihn aufnehmen und den Bund fortbestehen lassen,
wie er eben war - Pompeius war sowieso politisch vernichtet. Wenn er
in diesem Fall mit Caesar nicht brach, so war er der machtlose
Schutzbefohlene seines Verbuendeten. Wenn er dagegen mit Caesar brach
und, was nicht gerade wahrscheinlich war, noch jetzt eine Koalition mit
der Aristokratie zustande brachte, so war doch auch dieses notgedrungen
und im letzten Augenblick abgeschlossene Buendnis der Gegner so wenig
furchtbar, dass Caesar schwerlich, um dies abzuwenden, sich zu jenen
Konzessionen verstanden hat. Eine ernstliche Rivalitaet des Crassus
Caesar gegenueber war vollends unmoeglich. Es ist schwer zu sage.,
welche Motive Caesar bestimmten, seine ueberlegene Stellung ohne Not
aufzugeben und, was er seinem Nebenbuhler selbst bei dem Abschluss des
Bundes 694 (60) versagt und dieser seitdem, in der offenbaren Absicht
gegen Caesar geruestet zu sein, auf verschiedenen Wegen ohne, ja gegen
Caesars Willen vergeblich angestrebt hatte, das zweite Konsulat und die
militaerische Macht, jetzt freiwillig ihm einzuraeumen. Allerdings ward
nicht Pompeius allein an die Spitze eines Heeres gestellt, sondern auch
sein alter Feind und Caesars langjaehriger Verbuendeter Crassus; und
unzweifelhaft erhielt Crassus seine ansehnliche militaerische
Stellung nur als Gegengewicht gegen Pompeius' neue Macht. Allein
nichtsdestoweniger verlor Caesar unendlich, indem sein Rival fuer seine
bisherige Machtlosigkeit ein bedeutendes Kommando eintauschte. Es ist
moeglich, dass Caesar sich seiner Soldaten noch nicht hinreichend
Herr fuehlte, um sie mit Zuversicht in den Krieg gegen die formellen
Autoritaeten des Landes zu fuehren, und darum ihm daran gelegen war,
nicht jetzt durch die Abberufung aus Gallien zum Buergerkrieg gedraengt
zu werden; allein ob es zum Buergerkriege kam oder nicht, stand
augenblicklich weit mehr bei der hauptstaedtischen Aristokratie als bei
Pompeius, und es waere dies hoechstens ein Grund fuer Caesar gewesen,
nicht offen mit Pompeius zu brechen, um nicht durch diesen Bruch die
Opposition zu ermutigen, nicht aber ihm das zuzugestehen, was er ihm
zugestand. Rein persoenliche Motive mochten mitwirken; es kann sein,
dass Caesar sich erinnerte, einstmals in gleicher Machtlosigkeit
Pompeius gegenuebergestanden zu haben und nur durch dessen freilich mehr
schwach- als grossmuetiges Zuruecktreten vom Untergang gerettet worden
zu sein; es ist wahrscheinlich, dass Caesar sich scheute, das Herz
seiner geliebten und ihren Gemahl aufrichtig liebenden Tochter zu
zerreissen - in seiner Seele war fuer vieles Raum noch neben dem
Staatsmann. Allein die entscheidende Ursache war unzweifelhaft die
Ruecksicht auf Gallien. Caesar betrachtete - anders als seine Biographen
- die Unterwerfung Galliens nicht als eine zur Gewinnung der Krone
ihm nuetzliche beilaeufige Unternehmung, sondern es hing ihm die
aeusserliche Sicherheit und die innere Reorganisation, mit einem
Worte, die Zukunft des Vaterlandes daran. Um diese Eroberung ungestoert
vollenden zu koennen und nicht gleich jetzt die Entwirrung der
italischen Verhaeltnisse in die Hand nehmen zu muessen, gab er
unbedenklich seine Ueberlegenheit ueber seinen Rivalen daran und
gewaehrte Pompeius hinreichende Macht, um mit dem Senat und dessen
Anhang fertigzuwerden. Es war das ein arger politischer Fehler, wenn
Caesar nichts wollte, als moeglichst rasch Koenig von Rom werden; allein
der Ehrgeiz des seltenen Mannes beschraenkte sich nicht auf das niedrige
Ziel einer Krone. Er traute es sich zu, die beiden ungeheuren Arbeiten:
die Ordnung der inneren Verhaeltnisse Italiens und die Gewinnung
und Sicherung eines neuen und frischen Bodens fuer die italische
Zivilisation, nebeneinander zu betreiben und zu vollenden. Natuerlich
kreuzten sich diese Aufgaben; seine gallischen Eroberungen haben ihn auf
seinem Wege zum Thron viel mehr noch gehemmt als gefoerdert. Es trug ihm
bittere Fruechte, dass er die italische Revolution, statt sie im Jahre
698 (56) zu erledigen, auf das Jahr 706 (48) hinausschob. Allein als
Staatsmann wie als Feldherr war Caesar ein ueberverwegener Spieler, der,
sich selber vertrauend wie seine Gegner verachtend, ihnen immer viel
und mitunter ueber alles Mass hinaus vorgab. Es war nun also an der
Aristokratie, ihren hohen Einsatz gutzumachen und den Krieg so kuehn
zu fuehren, wie sie kuehn ihn erklaert hatte. Allein es gibt kein
klaeglicheres Schauspiel, als wenn feige Menschen das Unglueck haben,
einen mutigen Entschluss zu fassen. Man hatte sich eben auf gar
nichts vorgesehen. Keinem schien es beigefallen zu sein, dass Caesar
moeglicherweise sich zur Wehr setzen, dass nun gar Pompeius und Crassus
sich mit ihm aufs neue und enger als je vereinigen wuerden. Das scheint
unglaublich; man begreift es, wenn man die Persoenlichkeiten ins Auge
fasst, die damals die verfassungstreue Opposition im Senate fuehrten.
Cato war noch abwesend ^2; der einflussreichste Mann im Senat war in
dieser Zeit Marcus Bibulus, der Held des passiven Widerstandes, der
eigensinnigste und stumpfsinnigste aller Konsulare. Man hatte die Waffen
lediglich ergriffen, um sie zu strecken, sowie der Gegner nur an die
Scheide schlug; die blosse Kunde von den Konferenzen in Luca genuegte,
um jeden Gedanken einer ernstlichen Opposition niederzuschlagen und die
Masse der Aengstlichen, das heisst die ungeheure Majoritaet des Senats,
wieder zu ihrer in ungluecklicher Stunde verlassenen Untertanenpflicht
zurueckzubringen. Von der anberaumten Verhandlung zur Pruefung der
Gueltigkeit der Julischen Gesetze war nicht weiter die Rede; die von
Caesar auf eigene Hand errichteten Legionen wurden durch Beschluss
des Senats auf die Staatskasse uebernommen; die Versuche, bei der
Regulierung der naechsten Konsularprovinzen Caesar beide Gallien oder
doch das eine derselben hinwegzudekretieren, wurden von der Majoritaet
abgewiesen (Ende Mai 698 56). So tat die Koerperschaft oeffentlich
Busse. Im geheimen kamen die einzelnen Herren, einer nach dem andern,
toedlich erschrocken ueber ihre eigene Verwegenheit, um ihren Frieden zu
machen und unbedingten Gehorsam zu geloben - keiner schneller als Marcus
Cicero, der seine Wortbruechigkeit zu spaet bereute und hinsichtlich
seiner juengsten Vergangenheit sich mit Ehrentiteln belegte, die
durchaus mehr treffend als schmeichelhaft waren ^3. Natuerlich liessen
die Machthaber sich beschwichtigen; man versagte keinem den Pardon,
da keiner die Muehe lohnte, mit ihm eine Ausnahme zu machen. Um zu
erkennen, wie ploetzlich nach dem Bekanntwerden der Beschluesse von Luca
der Ton in den aristokratischen Kreisen umschlug, ist es der Muehe wert,
die kurz zuvor von Cicero ausgegangenen Broschueren mit der Palinodie
zu vergleichen, die er ausgehen liess, um seine Reue und seine
guten Vorsaetze oeffentlich zu konstatieren ^4.
--------------------------------------------- ^2 Cato war noch nicht in
Rom, als Cicero am 11. Maerz 698 (56) fuer Sestius sprach (Sest. 28, 60)
und als im Senat infolge der Beschluesse von Luca ueber Caesars Legionen
verhandelt ward (Plut. Caes. 21); erst bei den Verhandlungen im Anfang
699 (55) finden wir ihn wieder taetig; und da er im Winter reiste (Plus.
Cato min 38), kehrte er also Ende 698 (56) nach Rom zurueck. Er kann
daher auch nicht, wie man missverstaendlich aus Asconius (p. 35, 53)
gefolgert hat, im Februar 698 (56) verteidigt haben. ^3 Me asinum
germanum fuisse (Art. 4, 5, 3). ^4 Diese Palinodie ist die noch
vorhandene Rede ueber die den Konsuln des Jahres 699 (55) anzuweisenden
Provinzen. Sie ist Ausgang Mai 698 (56) gehalten; die Gegenstuecke
dazu sind die Reden fuer Sestius und gegen Vatinius und die ueber das
Gutachten der etruskischen Wahrsager aus den Monaten Maerz und April,
in denen das aristokratische Regime nach Kraeften verherrlicht und
namentlich in sehr kavalierem Ton behandelt wird. Man kann es nur
billigen, dass Cicero, wie er selbst gesteht (Att. 4, 5, 1), sogar
vertrauten Freunden jenes Dokument seines wiedergekehrten Gehorsams zu
uebersenden sich schaemte. ------------------------------------------
Wie es ihnen gefiel und gruendlicher als zuvor konnten also die
Machthaber die italischen Verhaeltnisse ordnen. Italien und die
Hauptstadt erhielten tatsaechlich eine, wenn auch nicht unter den Waffen
versammelte Besatzung und einen der Machthaber zum Kommandanten. Von den
fuer Syrien und Spanien durch Crassus und Pompeius ausgehobenen Truppen
gingen zwar die ersteren nach dem Osten ab; allein Pompeius liess die
beiden spanischen Provinzen durch seine Unterbefehlshaber mit der
bisher dort stehenden Besatzung verwalten, waehrend er die Offiziere und
Soldaten der neu, dem Namen nach zum Abgang nach Spanien ausgehobenen
Legionen auf Urlaub entliess und selbst mit ihnen in Italien blieb.
Wohl steigerte sich der stille Widerstand der oeffentlichen Meinung, je
deutlicher und allgemeineres begriffen ward, dass die Machthaber
daran arbeiteten, mit der alten Verfassung ein Ende zu machen und in
moeglichst schonender Weise die bestehenden Verhaeltnisse der Regierung
und Verwaltung in die Formen der Monarchie zu fuegen; allein man
gehorchte, weil man musste. Vor allen Dingen wurden alle wichtigeren
Angelegenheiten und namentlich alle das Militaerwesen und die aeusseren
Verhaeltnisse betreffenden, ohne den Senat deswegen zu fragen, bald
durch Volksbeschluss, bald durch das blosse Gutfinden der Herrscher
erledigt. Die in Luca vereinbarten Bestimmungen hinsichtlich des
Militaerkommandos von Gallien wurden durch Crassus und Pompeius, die
Spanien und Syrien betreffenden durch den Volkstribun Gaius Trebonius
unmittelbar an die Buergerschaft gebracht, auch sonst wichtigere
Statthalterschaften haeufig durch Volksschluss besetzt. Dass fuer die
Machthaber es der Einwilligung der Behoerden nicht beduerfe, um
ihre Truppen beliebig zu vermehren, hatte Caesar bereits hinreichend
dargetan; ebensowenig trugen sie Bedenken, ihre Truppen sich
untereinander zu borgen, wie zum Beispiel Caesar von Pompeius fuer
den Gallischen, Crassus von Caesar fuer den Parthischen Krieg solche
kollegialische Unterstuetzung empfing. Die Transpadaner, denen nach
der bestehenden Verfassung nur das latinische Recht zustand, wurden von
Caesar waehrend seiner Verwaltung tatsaechlich als roemische Vollbuerger
behandelt ^5. Wenn sonst die Einrichtung neu erworbener Gebiete durch
eine Senatskommission beschafft worden war, so organisierte Caesar seine
ausgedehnten gallischen Eroberungen durchaus nach eigenem Ermessen und
gruendete zum Beispiel ohne jede weitere Vollmacht Buergerkolonien,
namentlich Novum Comum (Como) mit fuenftausend Kolonisten. Piso fuehrte
den Thrakischen, Gabinius den Aegyptischen, Crassus den Parthischen
Krieg, ohne den Senat zu fragen, ja ohne auch nur, wie es herkoemmlich
war, an den Senat zu berichten; in aehnlicher Weise wurden Triumphe und
andere Ehrenbezeigungen bewilligt und vollzogen, ohne dass der
Senat darum begruesst ward. Offenbar liegt hierin nicht eine blosse
Vernachlaessigung der Formen, die um so weniger erklaerlich waere, als
in den bei weitem meisten Faellen eine Opposition des Senats durchaus
nicht zu erwarten war. Vielmehr war es die wohlberechnete Absicht, den
Senat von dem militaerischen und dem Gebiet der hoeheren Politik zu
verdraengen und seine Teilnahme an der Verwaltung auf die finanziellen
Fragen und die inneren Angelegenheiten zu beschraenken; und auch die
Gegner erkannten dies wohl und protestierten, soweit sie konnten,
gegen dies Verfahren der Machthaber durch Senatsbeschluesse und
Kriminalklagen. Waehrend die Machthaber also den Senat in der
Hauptsache beiseite schoben, bedienten sie sich der minder gefaehrlichen
Volksversammlungen auch ferner noch - es war dafuer gesorgt, dass die
Herren der Strasse denen des Staats dabei keine Schwierigkeit mehr in
den Weg legten; indes in vielen Faellen entledigte man sich auch
dieses leeren Schemens und gebrauchte unverhohlen autokratische Formen.
---------------------------------------------- ^5 Ueberliefert ist dies
nicht. Allein dass Caesar auf den latinischen Gemeinden, das heisst aus
dem bei weitem groesseren Teil seiner Provinz ueberhaupt keine Soldaten
ausgehoben hat, ist an sich schon voellig unglaublich und wird geradezu
widerlegt dadurch, dass die Gegenpartei die von Caesar ausgehobene
Mannschaft geringschaetzig bezeichnet als "groesstenteils aus den
transpadanischen Kolonie* gebuertig" (Caes. civ. 3, 87); denn hier sind
offenbar die launischen Kolonien Strabos (Ascon. Pis. p. 3; Suet.
Caes. 8) gemeint. Von launischen Kohorten aber findet sich in Caesars
gallischer Armee keine Spur; vielmehr sind nach seinen ausdruecklichen
Angaben alle von ihm im Cisalpinischen Gallien ausgehobenen Rekruten den
Legionen zu- oder in Legionen eingeteilt worden. Es ist moeglich, dass
Caesar mit der Aushebung die Schenkung des Buergerrechts verband;
aber wahrscheinlicher hielt er vielmehr in dieser Angelegenheit den
Standpunkt seiner Partei fest, welche den Transpadanern das roemische
Buergerrecht nicht so sehr zu verschaffen suchte, als vielmehr es ansah,
als ihnen schon gesetzlich zustehend. Nur so konnte sich das Geruecht
verbreiten, dass Caesar von sich aus bei den transpadanischen Gemeinden
roemische Munizipalverfassung eingefuehrt habe (Cic. Att. 5, 3, 2;
ad fam. 8, 1 2). So erklaert es sich auch, warum Hirtius die
transpadanischen Staedte als "Kolonien roemischer Buerger" bezeichnet
(Gall. 8, 24) und warum Caesar die von ihm gegruendete Kolonie Comum
als Buergerkolonie behandelte (Suet. Caes. 28; Strab. 5, 1 p. 213; Plut.
Caes. 29), waehrend die gemaessigte Partei der Aristokratie ihr nur
dasselbe Recht wie den uebrigen transpadanischen Gemeinden, also das
launische, zugestand, die Ultras sogar das den Ansiedlern erteilte
Stadtrecht ueberhaupt fuer nichtig erklaerten, also auch die an die
Bekleidung eines launischen Munizipalamtes geknuepften Privilegien den
Comensern nicht zugestanden (Cic. Att. 5, 11, 2; App. civ. 2, 26).
Vgl. Hermes 16, 1880, S. 30.
------------------------------------------------- Der gedemuetigte Senat
musste wohl oder uebel in seine Lage sich schicken. Der Fuehrer der
gehorsamen Majoritaet blieb Marcus Cicero. Er war brauchbar wegen seines
Advokatentalents, fuer alles Gruende oder doch Worte zu finden, und
es lag eine echt Caesarische Ironie darin, den Mann, mittels dessen
vorzugsweise die Aristokratie ihre Demonstrationen gegen die Machthaber
aufgefuehrt hatte, als Mundstueck des Servilismus zu verwenden. Darum
erteilte man ihm Verzeihung fuer sein kurzes Geluesten, wider
den Stachel zu loecken, jedoch nicht ohne sich vorher seiner
Unterwuerfigkeit in jeder Weise versichert zu haben. Gewissermassen um
als Geisel fuer ihn zu haften, hatte sein Bruder einen Offizierposten
im gallischen Heere uebernehmen muessen; ihn selbst hatte Pompeius
genoetigt, eine Unterbefehlshaberstelle unter ihm anzunehmen, welche
eine Handhabe hergab, um ihn jeden Augenblick mit Manier zu verbannen.
Clodius war zwar angewiesen worden, ihn bis weiter in Ruhe zu lassen,
aber Caesar liess ebensowenig um Ciceros willen den Clodius fallen wie
den Cicero um des Clodius willen, und der grosse Vaterlandserretter
wie der nicht minder grosse Freiheitsmann machten im Hauptquartier
von Samarobriva sich eine Antichambrekonkurrenz, die gehoerig zu
illustrieren es leider an einem roemischen Aristophanes gebrach. Aber
nicht bloss ward dieselbe Rute ueber Ciceros Haupte schwebend erhalten,
die ihn bereits einmal so schmerzlich getroffen hatte; auch goldene
Fesseln wurden ihm angelegt. Bei seinen bedenklich verwickelten Finanzen
waren ihm die zinsfreien Darlehen Caesars und die Mitaufseherschaft
ueber die ungeheure Summen in Umlauf setzenden Bauten desselben in hohem
Grade willkommen und manche unsterbliche Senatsrede erstickte in dem
Gedanken an den Geschaeftstraeger Caesars, der nach dem Schluss der
Sitzung ihm den Wechsel praesentieren moechte. Also gelobte er sich,
"kuenftig nicht mehr nach Recht und Ehre zu fragen, sondern um die
Gunst der Machthaber sich zu bemuehen" und "geschmeidig zu sein wie ein
Ohrlaeppchen". Man brauchte ihn denn, wozu er gut war: als Advokaten,
wo es vielfach sein Los war, eben seine bittersten Feinde auf hoeheren
Befehl verteidigen zu muessen, und vor allem im Senat, wo er fast
regelmaessig den Dynasten als Organ diente und die Antraege stellte,
"denen andere wohl zustimmten, er aber selbst nicht"; ja als anerkannter
Fuehrer der Majoritaet der Gehorsamen erlangte er sogar eine gewisse
politische Bedeutung. In aehnlicher Weise wie mit Cicero verfuhr man mit
den uebrigen der Furcht, der Schmeichelei oder dem Golde zugaenglichen
Mitgliedern des regierenden Kollegiums, und es gelang, dasselbe im
ganzen botmaessig zu erhalten. Allerdings blieb eine Fraktion von
Gegnern, die wenigstens Farbe hielten und weder zu schrecken noch
zu gewinnen waren. Die Machthaber hatten sich ueberzeugt, dass
Ausnahmemassregeln, wie die gegen Cato und Cicero, der Sache mehr
schadeten als nuetzten und dass es ein minderes Uebel sei, die unbequeme
republikanische Opposition zu ertragen, als aus den Opponenten Maertyrer
der Republik zu machen. Darum liess man es geschehen, dass Cato
zurueckkam (Ende 698 56) und von da an wieder im Senat und auf dem
Markte, oft unter Lebensgefahr, den Machthabern eine Opposition machte,
die wohl ehrenwert, aber leider doch auch zugleich laecherlich war.
Man liess es geschehen, dass er es bei Gelegenheit der Antraege des
Trebonius auf dein Marktplatz wieder einmal bis zum Handgemenge trieb
und dass er im Senat den Antrag stellte, den Prokonsul Caesar wegen
seines treulosen Benehmens gegen die Usipeten und Tencterer diesen
Barbaren auszuliefern. Man nahm es hin, dass Marcus Favonius, Catos
Sancho, nachdem der Senat den Beschluss gefasst hatte, die Legionen
Caesars auf die Staatskasse zu uebernehmen, zur Tuer der Kurie sprang
und die Gefahr des Vaterlandes auf die Gasse hinausrief; dass derselbe
in seiner skurrilen Art die weisse Binde, die Pompeius um sein krankes
Bein trug, ein deplaziertes Diadem hiess; dass der Konsular Lentulus
Marcellinus, da man ihm Beifall klatschte, der Versammlung zurief, sich
dieses Rechts, ihre Meinung zu aeussern, jetzt ja fleissig zu bedienen,
da es ihnen noch gestattet sei; dass der Volkstribun Gaius Ateius Capito
den Crassus bei seinem Abzug nach Syrien in allen Formen damaliger
Theologie oeffentlich den boesen Geistern ueberantwortete. Im ganzen
waren dies eitle Demonstrationen einer verbissenen Minoritaet: doch war
die kleine Partei, von der sie ausgingen, insofern von Bedeutung, als
sie teils der im stillen gaerenden republikanischen Opposition Nahrung
und Losung gab, teils ab und zu doch die Senatsmajoritaet, die ja im
Grunde ganz dieselben Gesinnungen gegen die Machthaber hegte, zu einem
gegen diese gerichteten Beschluss fortriss. Denn auch die Majoritaet
fuehlte das Beduerfnis, wenigstens zuweilen und in untergeordneten
Dingen ihrem verhaltenen Groll Luft zu machen und namentlich, nach der
Weise der widerwillig Servilen, ihren Groll gegen die grossen Feinde
wenigstens an den kleinen auszulassen. Wo es nur anging, ward den
Werkzeugen der Machthaber ein leiser Fusstritt versetzt: so wurde
Gabinius das erbetene Dankfest verweigert (698 56), so Piso aus der
Provinz abberufen, so vom Senat Trauer angelegt, als der Volkstribun
Gaius Cato die Wahlen fuer 699 (55) so lange hinderte, bis der der
Verfassungspartei angehoerige Konsul Marcellinus vom Amt abgetreten war.
Sogar Cicero, wie demuetig er immer vor den Machthabern sich neigte,
liess doch auch eine ebenso giftige wie geschmacklose Broschuere gegen
Caesars Schwiegervater ausgehen. Aber sowohl diese oppositionellen
Velleitaeten der Senatsmajoritaet wie der resultatlose Widerstand der
Minoritaet zeigen nur um so deutlicher, dass das Regiment, wie einst von
der Buergerschaft auf den Senat, so jetzt von diesem auf die Machthaber
uebergegangen und der Senat schon nicht viel mehr war als ein
monarchischer, aber auch zur Absorbierung der antimonarchischen
Elemente benutzter Staatsrat. "Kein Mensch", klagten die Anhaenger
der gestuerzten Regierung, "gilt das mindeste ausser den dreien; die
Herrscher sind allmaechtig und sie sorgen dafuer, dass keiner darueber
im unklaren bleibe; der ganze Senat ist wie umgewandelt und gehorcht
den Gebietern; unsere Generation wird einen Umschwung der Dinge
nicht erleben." Man lebte eben nicht in der Republik, sondern in der
Monarchie. Aber wenn ueber die Lenkung des Staats von den Machthabern
unumschraenkt verfuegt ward, so blieb noch ein von dem eigentlichen
Regiment gewissermassen abgesondertes politisches Gebiet, das leichter
zu verteidigen und schwerer zu erobern war: das der ordentlichen
Beamtenwahlen und das der Geschworenengerichte. Dass die letzteren nicht
unmittelbar unter die Politik fallen, aber ueberall und vor allem in Rom
von dem das Staatswesen beherrschenden Geiste mitbeherrscht werden, ist
von selber klar. Die Wahlen der Beamten gehoerten allerdings von Rechts
wegen zu dem eigentlichen Regiment des Staates; allein da in dieser
Zeit derselbe wesentlich durch ausserordentliche Beamte oder auch ganz
titellose Maenner verwaltet ward und selbst die hoechsten ordentlichen
Beamten, wenn sie zu der antimonarchischen Partei gehoerten, auf die
Staatsmaschine in irgend fuehlbarer Weise einzuwirken nicht vermochten,
so sanken die ordentlichen Beamten mehr und mehr herab zu Figuranten,
wie sich denn auch eben die oppositionellsten von ihnen geradezu und
mit vollem Recht als machtlose Nullen bezeichneten, ihre Wahlen also zu
Demonstrationen. So konnte, nachdem die Opposition von dem eigentlichen
Schlachtfeld bereits gaenzlich verdraengt war, dennoch die Fehde noch in
den Wahlen und den Prozessen fortgefuehrt werden. Die Machthaber sparten
keine Muehe, um auch hier Sieger zu bleiben. Hinsichtlich der Wahlen
hatten sie bereits in Luca fuer die naechsten Jahre die Kandidatenlisten
untereinander festgestellt und liessen kein Mittel unversucht, um die
dort vereinbarten Kandidaten durchzubringen. Zunaechst zum Zweck der
Wahlagitation spendeten sie ihr Gold aus. Jaehrlich wurden aus Caesars
und Pompeius' Heeren eine grosse Anzahl Soldaten auf Urlaub entlassen,
um an den Abstimmungen in Rom teilzunehmen. Caesar pflegte selbst von
Oberitalien aus in moeglichster Naehe die Wahlbewegungen zu leiten und
zu ueberwachen. Dennoch ward der Zweck nur sehr unvollkommen erreicht.
Fuer 699 (55) wurden zwar, dem Vertrag von Luca entsprechend, Pompeius
und Crassus zu Konsuln gewaehlt und der einzige ausharrende Kandidat der
Opposition, Lucius Domitius, beseitigt; allein schon dies war nur durch
offenbare Gewalt durchgesetzt worden, wobei Cato verwundet ward und
andere hoechst aergerliche Auftritte vorfielen. In den naechsten
Konsularwahlen fuer 700 (54) ward gar, allen Anstrengungen der
Machthaber zum Trotz, Domitius wirklich gewaehlt, und auch Cato siegte
jetzt ob in der Bewerbung um die Praetur, in der ihn das Jahr zuvor zum
Aergernis der ganzen Buergerschaft Caesars Klient Vatinius aus dem Felde
geschlagen hatte. Bei den Wahlen fuer 701 (53) gelang es der Opposition,
unter andern Kandidaten auch die der Machthaber so unwidersprechlich
der aergerlichsten Wahlumtriebe zu ueberweisen, dass diese, auf die der
Skandal zurueckfiel, nicht anders konnten als sie fallen lassen. Diese
wiederholten und argen Niederlagen der Dynasten auf dem Wahlschlachtfeld
moegen zum Teil zurueckzufuehren sein auf die Unregierlichkeit der
eingerosteten Maschinerie, die unberechenbaren Zufaelligkeiten des
Wahlgeschaefts, die Gesinnungsopposition der Mittelklassen, die
mancherlei hier eingreifenden und die Parteistellung oft seltsam
durchkreuzenden Privatruecksichten; die Hauptursache aber liegt
anderswo. Die Wahlen waren in dieser Zeit wesentlich in der Gewalt
der verschiedenen Klubs, in die die Aristokratie sich gruppierte; das
Bestechungswesen war von denselben im umfassendsten Massstab und mit
groesster Ordnung organisiert. Dieselbe Aristokratie also, die im Senat
vertreten war, beherrschte auch die Wahlen; aber wenn sie im Senat
grollend nachgab, wirkte und stimmte sie hier im geheimen und vor jeder
Rechenschaft sicher den Machthabern unbedingt entgegen. Dass durch das
strenge Strafgesetz gegen die klubbistischen Wahlumtriebe, das Crassus
als Konsul 699 (55) durch die Buergerschaft bestaetigen liess, der
Einfluss der Nobilitaet auf diesem Felde keineswegs gebrochen ward,
versteht sich von selbst und zeigen die Wahlen der naechsten
Jahre. Ebensogrosse Schwierigkeiten machten den Machthabern die
Geschworenengerichte. Bei ihrer dermaligen Zusammensetzung entschied in
denselben, neben dem auch hier einflussreichen Senatsadel,
vorwiegend die Mittelklasse. Die Festsetzung eines hochgegriffenen
Geschworenenzensus durch ein von Pompeius 699 (55) beantragtes Gesetz
ist ein bemerkenswerter Beweis dafuer, dass die Opposition gegen die
Machthaber ihren Hauptsitz in dem eigentlichen Mittelstand hatte und
die hohe Finanz hier wie ueberall sich gefuegiger erwies als dieser.
Nichtsdestoweniger war der republikanischen Partei hier noch nicht
aller Boden entzogen und sie ward nicht muede, mit politischen
Kriminalanklagen, zwar nicht die Machthaber selbst, aber wohl deren
hervorragende Werkzeuge zu verfolgen. Dieser Prozesskrieg ward um so
lebhafter gefuehrt, als dem Herkommen gemaess das Anklagegeschaeft
der senatorischen Jugend zukam und begreiflicherweise unter diesen
Juenglingen mehr als unter den aelteren Standesgenossen noch
republikanische Leidenschaft, frisches Talent und kecke Angriffslust
zu finden war. Allerdings waren die Gerichte nicht frei; wenn die
Machthaber Ernst machten, wagten sie so wenig wie der Senat den Gehorsam
zu verweigern. Keiner von den Gegnern wurde von der Opposition mit so
grimmigem, fast sprichwoertlich gewordenem Hasse verfolgt wie Vatinius,
bei weitem der verwegenste und unbedenklichste unter den engeren
Anhaengern Caesars; aber sein Herr befahl, und er ward in allen gegen
ihn erhobenen Prozessen freigesprochen. Indes Anklagen von Maennern, die
so wie Gaius Licinius Calvus und Gaius Asinius Pollio das Schwert
der Dialektik und die Geissel des Spottes zu schwingen verstanden,
verfehlten ihr Ziel selbst dann nicht, wenn sie scheiterten; und auch
einzelne Erfolge blieben nicht aus. Meistens freilich wurden sie
ueber untergeordnete Individuen davongetragen, allein auch einer der
hoechstgestellten und verhasstesten Anhaenger der Dynasten, der Konsulat
Gabinius, ward auf diesem Wege gestuerzt. Allerdings vereinigte mit dem
unversoehnlichen Hass der Aristokratie, die ihm das Gesetz ueber die
Fuehrung des Seeraeuberkrieges so wenig vergab wie die wegwerfende
Behandlung des Senats waehrend seiner syrischen Statthalterschaft,
sich gegen Gabinius die Wut der hohen Finanz, der gegenueber er als
Statthalter Syriens es gewagt hatte, die Interessen der Provinzialen zu
vertreten, und selbst der Groll des Crassus, dem er bei Uebergabe der
Provinz Weitlaeufigkeiten gemacht hatte. Sein einziger Schutz gegen
alle diese Feinde war Pompeius, und dieser hatte alle Ursache, seinen
faehigsten, kecksten und treuesten Adjutanten um jeden Preis zu
verteidigen; aber hier wie ueberall verstand er es nicht, seine Macht zu
gebrauchen und seine Klienten so zu vertreten, wie Caesar die seinigen
vertrat: Ende 700 (54) fanden die Geschworenen den Gabinius der
Erpressungen schuldig und schickten ihn in die Verbannung. Im ganzen
waren also auf dem Gebiete der Volkswahlen und der Geschworenengerichte
es die Machthaber, welche den kuerzeren zogen. Die Faktoren, die darin
herrschten, waren minder greifbar und darum schwerer zu terrorisieren
oder zu korrumpieren als die unmittelbaren Organe der Regierung
und Verwaltung. Die Gewalthaber stiessen hier, namentlich in den
Volkswahlen, auf die zaehe Kraft der geschlossenen und in Koterien
gruppierten Oligarchie, mit der man noch durchaus nicht fertig ist, wenn
man ihr Regiment gestuerzt hat, und die um so schwerer zu brechen ist,
je verdeckter sie auftritt. Sie stiessen hier ferner, namentlich in den
Geschworenengerichten, auf den Widerwillen der Mittelklassen gegen
das neue, monarchische Regiment, den mit allen daraus entspringenden
Verlegenheiten sie ebensowenig zu beseitigen vermochten. Sie erlitten
auf beiden Gebieten eine Reihe von Niederlagen, von denen die Wahlsiege
der Opposition zwar nur den Wert von Demonstrationen hatten, da die
Machthaber die Mittel besassen und gebrauchten, um jeden
missliebigen Beamten tatsaechlich zu annullieren, die oppositionellen
Kriminalverurteilungen aber in empfindlicher Weise sie brauchbarer
Gehilfen beraubten. Wie die Dinge standen, vermochten die Machthaber
die Volkswahlen und die Geschworenengerichte weder zu beseitigen noch
ausreichend zu beherrschen, und die Opposition, wie sehr sie auch hier
sich eingeengt fand, behauptete bis zu einem gewissen Grade doch den
Kampfplatz. Noch schwieriger aber erwies es sich, der Opposition auf
einem Felde zu begegnen, dem sie immer eifriger sich zuwandte, je mehr
sie aus der unmittelbaren politischen Taetigkeit herausgedraengt
ward. Es war dies die Literatur. Schon die gerichtliche Opposition war
zugleich, ja, vor allem eine literarische, da die Reden regelmaessig
veroeffentlicht wurden und als politische Flugschriften dienten.
Rascher und schaerfer noch trafen die Pfeile der Poesie. Die lebhafte
hocharistokratische Jugend, noch energischer vielleicht der gebildete
Mittelstand in den italischen Landstaedten, fuehrten den Pamphleten- und
Epigrammenkrieg mit Eifer und Erfolg. Nebeneinander fochten auf diesem
Felde der vornehme Senatorensohn Gaius Licinius Calvus (672-706
82-48), der als Redner und Pamphletist ebenso wie als gewandter Dichter
gefuerchtet war, und die Munizipalen von Cremona und Verona, Marcus
Furius Bibaculus (652-691 102-63) und Quintus Valerius Catullus (667
bis ca. 700 87-54), deren elegante und beissende Epigramme pfeilschnell
durch Italien flogen und sicher ihr Ziel trafen. Durchaus herrscht in
der Literatur dieser Jahre der oppositionelle Ton. Sie ist voll von
grimmigem Hohn gegen den "grossen Caesar", "den einzigen Feldherrn",
gegen den liebevollen Schwiegervater und Schwiegersohn, welche den
ganzen Erdkreis zugrunde richten, um ihren verlotterten Guenstlingen
Gelegenheit zu geben, die Spolien der langhaarigen Kelten durch die
Strassen Roms zu paradieren, mit der Beute der fernsten Insel des
Westens koenigliche Schmaeuse auszurichten und als goldregnende
Konkurrenten die ehrlichen Jungen daheim bei ihren Maedchen
auszustechen. Es ist in den Catullischen Gedichten ^6 und den sonstigen
Truemmern der Literatur dieser Zeit etwas von jener Genialitaet des
persoenlich-politischen Hasses, von jener in rasender Lust oder ernster
Verzweiflung ueberschaeumenden republikanischen Agonie, wie sie in
maechtigerer Weise hervortreten in Aristophanes und Demosthenes.
Wenigstens der einsichtigste der drei Herrscher erkannte es wohl,
dass es ebenso unmoeglich war, diese Opposition zu verachten wie durch
Machtbefehl sie zu unterdruecken. Soweit er konnte, versuchte Caesar
vielmehr die namhaftesten Schriftsteller persoenlich zu gewinnen. Schon
Cicero hatte die ruecksichtsvolle Behandlung, die er vorzugsweise von
Caesar erfuhr, zum guten Teil seinem literarischen Ruf zu danken;
aber der Statthalter Galliens verschmaehte es nicht, selbst mit jenem
Catullus durch Vermittlung seines in Verona ihm persoenlich bekannt
gewordenen Vaters einen Spezialfrieden zu schliessen; der junge Dichter,
der den maechtigen General eben mit den bittersten und persoenlichsten
Sarkasmen ueberschuettet hatte, ward von demselben mit der
schmeichelhaftesten Auszeichnung behandelt. Ja Caesar war genialisch
genug, um seinen literarischen Gegnern auf ihr eigenes Gebiet zu folgen
und als indirekte Abwehr vielfaeltiger Angriffe einen ausfuehrlichen
Gesamtbericht ueber die gallischen Kriege zu veroeffentlichen, welcher
die Notwendigkeit und Verfassungsmaessigkeit seiner Kriegfuehrung mit
gluecklich angenommener Naivitaet vor dem Publikum entwickelte. Allein
poetisch und schoepferisch ist nun einmal unbedingt und ausschliesslich
die Freiheit; sie, und sie allein, vermag es, noch in der elendesten
Karikatur, noch mit ihrem letzten Atemzug frische Naturen zu
begeistern. Alle tuechtigen Elemente der Literatur waren und blieben
antimonarchisch, und wenn Caesar selbst sich auf dieses Gebiet wagen
durfte ohne zu scheitern, so war der Grund doch nur, dass er selbst
sogar jetzt noch den grossartigen Traum eines freien Gemeinwesens
im Sinne trug, den er freilich weder auf seine Gegner noch auf seine
Anhaenger zu uebertragen vermochte. Die praktische Politik ward nicht
unbedingter von den Machthabern beherrscht als die Literatur von den
Republikanern ^7. ----------------------------------------- ^6 Die uns
aufbehaltene Sammlung ist voll von Beziehungen auf die Ereignisse der
Jahre 699 (55) und 700 (54) und ward ohne Zweifel in dem letzteren
bekannt gemacht; der juengste Vorfall, dessen sie gedenkt, ist der
Prozess des Vatinius (August 700 54). Hieronymus' Angabe, dass Catullus
697/98 (57/56) gestorben, braucht also nur um wenige Jahre verschoben zu
sein. Daraus, dass Vatinius bei "seinem Konsulat sich verschwoert",
hat man mit Unrecht geschlossen, dass die Sammlung erst nach Vatinius'
Konsulat (707 47) erschienen ist; es folgt daraus nur, dass Vatinius,
als sie erschien, schon darauf rechnen durfte, in einem bestimmten Jahre
Konsul zu werden, wozu er bereits 700 (54) alle Ursache hatte; denn
sicher stand sein Name mit auf der in Luca vereinbarten Kandidatenliste
(Cic. Art. 4, 8 b, 2). ^7 Das folgende Gedicht Catulls (29) ist im Jahre
699 (53) oder 700 (54), nach Caesars britannischer Expedition und vor
dem Tode der Julia, geschrieben. Wer kann es ansehn, wer vermag es
auszustehn, Wer nicht ein Bock, ein Spieler oder Schlemmer ist, Dass
jetzt Mamurra sein nennt das, was einst besass Der Langhaarkelten und
der fernen Briten Land? Du Schlappschwanz Romulus, das siehst und
gibst du zu? Der also soll in Uebermut und salbenschwer , Als suesser
Schnabelierer, als Adonis nun Hier ziehn in aller unsrer Maedchen
Zimmer ein? Du Schlappschwanz Romulus, das siehst und gibst du zu?
Ein Schlemmer bist du, bist ein Spieler, bist ein Bock! Drum also
uebersetztest, einziger General, Zum fernstentlegnen Eiland du des
Okzidents, Damit hier euer ausgedienter Zeitvertreib Zwei Millionen
koenne oder drei vertun? Was heisst verkehrt freigebig sein, wenn
dieses nicht? Hat nicht genug schon er verdorben und verprasst? Zuerst
verlottert ward das vaeterliche Gut, Sodann des Pontus Beute, dann
Iberiens, Davon des Tajo goldbeschwerte Welle weiss. Den fuerchtet, ihr
Britanner; Kelten, fuerchtet den! Was heget ihr den Lumpen, welcher
gar nichts als Ein fettes Erbe durch die Gurgel jagen kann? Drum
also ruiniertet ihr der Erde Kreis, Ihr liebevollen
Schwiegervater-Schwiegersohn? Mamurra aus Formiae, Caesars Guenstling
und eine Zeitlang waehrend der gallischen Kriege Offizier in dessen
Heer, war, vermutlich kurz vor Abfassung dieses Gedichts, nach der
Hauptstadt zurueckgekehrt und wahrscheinlich damals beschaeftigt mit
dem Bau seines vielbesprochenen, mit verschwenderischer Pracht
ausgestatteten Marmorpalastes auf dem Caelischen Berge. Die iberische
Beute wird sich auf Caesars Statthalterschaft des Jenseitigen Spanien
beziehen und Mamurra schon damals, wie sicher spaeter in Gallien, in
seinem Hauptquartier sich befunden haben; das pontische geht vermutlich
auf Pompeius' Krieg gegen Mithradates, da zumal. nach der Andeutung des
Dichters nicht bloss Caesar den Mamurra bereichert hat. Unschuldiger als
diese giftige, von Caesar bitter empfundene Invektive (Suet. Caes. 73)
ist ein anderes, ungefaehr gleichzeitiges Gedicht desselben Poeten (11),
das hier auch stehen mag, weil es mit seiner pathetischen Einleitung
zu einer nichts weniger als pathetischen Kommission den Generalstab
der neuen Machthaber, die aus der Spelunke ploetzlich ins Hauptquartier
avancierten Gabinius, Antonius und wie sie weiter heissen, sehr artig
persifliert. Man erinnere sich, dass es in einer Zeit geschrieben ward,
wo Caesar am Rhein und an der Themse kaempfte und wo die Expeditionen
des Crassus nach Parthien, des Gabinius nach Aegypten vorbereitet
wurden. Der Dichter, gleichsam auch von einem der Machthaber einen
der vakanten Posten erhoffend, gibt zweien seiner Klienten die letzten
Auftraege vor der Abreise: Furius und Aurelius, Adjutanten Ihr Catulls,
mag ziehn er an Indiens Ende, Wo des Ostmeers brandende Welle weithin
Hallend den Strand schlaegt, Oder nach Hyrkanien und Arabien, In der
pfeilfroh'n Parther Gebiet und Saker Oder wo den Spiegel des Meers der
siebenfaeltige Nil faerbt; Oder fuehrt sein Weg ihn die Alpen ueber, Wo
den Malstein setzte der grosse Caesar, Wo der Rhein fliesst und an dem
Erdrand hausen Wilde Britanner - Ihr, bereit, all das mit Catullus, was
ihm Goetterratsschluss davon bestimmt, zu teilen, Meinem Schatz noch
bringet zuvor die kurze Leidige Botschaft! Mag sie stehn und gehen mit
ihren Maennern, Welche sie dreihundert zugleich umarmt haelt, Keinem
treulieb, aber zu jeder Stunde Jedem zu Willen. Nicht wie sonst
nachblickte sie meiner Liebe, Die geknickt mutwillig sie, gleich
dem Veilchen, Das entlang am Saume des Ackers wandelnd Streifte die
Pflugschar. ------------------------------------------- Es ward noetig,
gegen diese zwar machtlose, aber immer laestiger und dreister werdende
Opposition mit Ernst einzuschreiten. Den Ausschlag gab, wie es scheint,
die Verurteilung des Gabinius (Ende 700 54). Die Herrscher kamen
ueberein, eine wenn auch nur zeitweilige Diktatur eintreten zu lassen
und mittels dieser neue Zwangsmassregeln namentlich hinsichtlich der
Wahlen und der Geschworenengerichte durchzusetzen. Als derjenige,
dem zunaechst die Regierung Roms und Italiens oblag, uebernahm die
Ausfuehrung dieses Beschlusses Pompeius; sie trug denn auch den Stempel
der ihm eigenen Schwerfaelligkeit im Entschliessen und im Handeln und
seiner wunderlichen Unfaehigkeit, selbst da, wo er befehlen wollte und
konnte, mit der Sprache herauszugehen. Bereits Ausgang 700 (54) ward in
Andeutungen und nicht durch Pompeius selbst die Forderung der Diktatur
im Senat vorgebracht. Als ostensibler Grund diente die fortwaehrende
Klub- und Bandenwirtschaft in der Hauptstadt, die durch Bestechungen
und Gewalttaetigkeiten allerdings auf die Wahlen wie auf die
Geschworenengerichte den verderblichsten Druck ausuebte und den Krawall
daselbst in Permanenz hielt; man muss es zugeben, dass sie es den
Machthabern leichtmachte, ihre Ausnahmemassregeln zu rechtfertigen.
Allein begreiflicherweise scheute sogar die servile Majoritaet davor
zurueck, das zu bewilligen, was der kuenftige Diktator selbst sich zu
scheuen schien offen zu begehren. Als dann die beispiellose Agitation
fuer die Wahlen zum Konsulat fuer 701 (53) die aergerlichsten Auftritte
herbeifuehrte, die Wahlen ein volles Jahr ueber die festgesetzte Zeit
sich verschleppten und erst nach siebenmonatlichem Interregnum im Juli
701 (53) stattfanden, fand Pompeius darin den erwuenschten Anlass als
das einzige Mittel, den Knoten wo nicht zu loesen, doch zu zerhauen,
dem Senat jetzt bestimmt die Diktatur zu bezeichnen; allein das
entscheidende Befehlswort ward immer noch nicht gesprochen. Vielleicht
waere es noch lange ungesprochen geblieben, wenn nicht bei den
Konsularwahlen fuer 702 (52) gegen die Kandidaten der Machthaber Quintus
Metellus Scipio und Publius Plautius Hypsaeus, beide dem Pompeius
persoenlich nahestehende und durchaus ergebene Maenner, der verwegenste
Parteigaenger der republikanischen Opposition, Titus Annius Milo, als
Gegenkandidat in die Schranken getreten waere. Milo, ausgestattet
mit physischem Mut, mit einem gewissen Talent zur Intrige und zum
Schuldenmachen und vor allem mit reichlich angeborener und sorgfaeltig
ausgebildeter Dreistigkeit, hatte unter den politischen Industrierittern
jener Tage sich einen Namen gemacht und war in seinem Handwerk naechst
Clodius der renommierteste Mann, natuerlich also auch mit diesem in
toedlichster Konkurrenzfeindschaft. Da dieser Achill der Strasse von
den Machthabern acquiriert worden war und mit ihrer Zulassung wieder
den Ultrademokraten spielte, so ward der Hektor der Strasse
selbstverstaendlich Aristokrat, und die republikanische Opposition, die
jetzt mit Catilina selbst Buendnis geschlossen haben wuerde, wenn er
sich ihr angetragen haette, erkannte Milo bereitwillig an als ihren
rechtmaessigen Vorfechter in allen Krawallen. In der Tat waren die
wenigen Erfolge, die sie auf diesem Schlachtfelde davon trug, das Werk
Milos und seiner wohlgeschulten Fechterbande. So unterstuetzten denn
hinwiederum Cato und die Seinigen Milos Bewerbung um das Konsulat;
selbst Cicero konnte nicht umhin, seines Feindes Feind, seinen
langjaehrigen Beschuetzer, zu empfehlen; und da Milo selbst weder Geld
noch Gewalt sparte, um seine Wahl durchzusetzen, so schien dieselbe
gesichert. Fuer die Machthaber waere sie nicht bloss eine neue
empfindliche Niederlage gewesen, sondern auch eine wirkliche Gefahr;
denn es war vorauszusehen, dass der verwegene Parteigaenger sich nicht
so leicht wie Domitius und andere Maenner der anstaendigen Opposition
als Konsul werde annullieren lassen. Da begab es sich, dass zufaellig
unweit der Hauptstadt, auf der Appischen Strasse, Achill und Hektor
aufeinandertrafen und zwischen den beiderseitigen Banden eine Rauferei
entstand, in welcher Clodius selbst einen Saebelhieb in die Schulter
erhielt und genoetigt ward, in ein benachbartes Haus sich zu fluechten.
Es war dies ohne Auftrag Milos geschehen; da die Sache aber so weit
gekommen war und der Sturm nun doch einmal bestanden werden musste,
so schien das ganze Verbrechen Milo wuenschenswerter und selbst minder
gefaehrlich als das halbe: er befahl seinen Leuten, den Clodius aus
seinem Versteck hervorzuziehen und ihn niederzumachen (13. Januar 702
52). Die Strassenfuehrer von der Partei der Machthaber, die Volkstribune
Titus Munatius Plancus, Quintus Pompeius Rufus und Gaius Sallustius
Crispus, sahen in diesem Vorfall einen passenden Anlass, um im Interesse
ihrer Herren Milos Kandidatur zu vereiteln und Pompeius' Diktatur
durchzusetzen. Die Hefe des Poebels, namentlich die Freigelassenen
und Sklaven, hatten mit Clodius ihren Patron und kuenftigen Befreier
eingebuesst: die erforderliche Aufregung war also leicht bewirkt.
Nachdem der blutige Leichnam auf der Rednerbuehne des Marktes in Parade
ausgestellt und die dazu gehoerigen Reden gehalten worden waren, ging
der Krawall los. Zum Scheiterhaufen fuer den grossen Befreier ward der
Sitz der perfiden Aristokratie bestimmt: die Rotte trug den Koerper in
das Rathaus und zuendete das Gebaeude an. Hierauf zog der Schwarm vor
Milos Haus und hielt dasselbe belagert, bis dessen Bande die Angreifer
mit Pfeilschuessen vertrieb. Weiter ging es vor das Haus des Pompeius
und seiner Konsularkandidaten, von denen jener als Diktator, diese als
Konsuln begruesst wurden, und von da vor das des Zwischenkoenigs
Marcus Lepidus, dem die Leitung der Konsulwahlen oblag. Da dieser
pflichtmaessig sich weigerte, dieselben, wie die bruellenden Haufen es
forderten, sofort zu veranstalten, so ward auch er fuenf Tage lang
in seiner Wohnung belagert gehalten. Aber die Unternehmer dieser
skandaloesen Auftritte hatten ihre Rolle ueberspielt. Allerdings war
auch ihr Herr und Meister entschlossen, diesen guenstigen Zwischenfall
zu benutzen, um nicht bloss Milo zu beseitigen, sondern auch die
Diktatur zu ergreifen; allein er wollte sie nicht von einem Haufen
Knuettelmaenner empfangen, sondern vom Senat. Pompeius zog Truppen
heran, um die in der Hauptstadt herrschende und in der Tat aller Welt
unertraeglich gewordene Anarchie niederzuschlagen; zugleich befahl er
jetzt, was er bisher erbeten, und der Senat gab nach. Es war nur
ein nichtiger Winkelzug, dass auf Vorschlag von Cato und Bibulus der
Prokonsul Pompeius unter Belassung seiner bisherigen Aemter statt zum
Diktator zum "Konsul ohne Kollegen" ernannt ward (25. des Schaltmonats
^8 702 52) - ein Winkelzug, welcher eine mit zwiefachem inneren
Widerspruch behaftete ^9 Benennung zuliess, um nur die einfach
sachbezeichnende zu vermeiden, und der lebhaft erinnert an den weisen
Beschluss des verschollenen Junkertums, den Plebejern nicht das
Konsulat, sondern nur die konsularische Gewalt einzuraeumen.
---------------------------------------------------- ^8 In diesem
Jahr folgte auf den Januar mit 29 und den Februar mit 23 Tagen der
Schaltmonat mit 28 und sodann der Maerz. ^9 Consul heisst Kollege (I,
260) und ein Konsul, der zugleich Prokonsul ist, ist zugleich
wirklicher und stellvertretender Konsul.
---------------------------------------------------- Also im
legalen Besitz der Vollmacht, ging Pompeius an das Werk und schritt
nachdruecklich vor gegen die in den Klubs und den Geschworenengerichten
maechtige republikanische Partei. Die bestehenden Wahlvorschriften
wurden durch ein besonderes Gesetz wiederholt eingeschaerft und
durch ein anderes gegen die Wahlumtriebe, das fuer alle seit 684 (70)
begangenen Vergehen dieser Art rueckwirkende Kraft erhielt, die bisher
darauf gesetzten Strafen gesteigert. Wichtiger noch war die Verfuegung,
dass die Statthalterschaften, also die bei weitem bedeutendere und
besonders die weit eintraeglichere Haelfte der Amtstaetigkeit, an die
Konsuln und Praetoren nicht sofort bei dem Ruecktritt vom Konsulat oder
der Praetur, sondern erst nach Ablauf von weiteren fuenf Jahren vergeben
werden sollten, welche Ordnung selbstverstaendlich erst nach vier Jahren
ins Leben treten konnte und daher fuer die naechste Zeit die Besetzung
der Statthalterschaften wesentlich von den zur Regulierung dieses
Interim zu erlassenden Senatsbeschluessen, also tatsaechlich von der
augenblicklich den Senat beherrschenden Person oder Fraktion abhaengig
machte. Die Geschworenenkommissionen blieben zwar bestehen, aber
dem Rekusationsrecht wurden Grenzen gesetzt und, was vielleicht noch
wichtiger war, die Redefreiheit in den Gerichten aufgehoben, indem
sowohl die Zahl der Advokaten als die jedem zugemessene Sprechzeit durch
Maximalsaetze beschraenkt und die eingerissene Unsitte: neben den Tat-
auch noch Charakterzeugen oder sogenannte "Lobredner" zugunsten
des Angeklagten beizubringen, untersagt ward. Der gehorsame Senat
dekretierte ferner auf Pompeius' Wink, dass durch den Raufhandel auf
der Appischen Strasse das Vaterland in Gefahr geraten sei; demnach
wurde fuer alle mit demselben zusammenhaengenden Verbrechen durch ein
Ausnahmegesetz eine Spezialkommission bestellt und deren Mitglieder
geradezu von Pompeius ernannt. Es ward auch ein Versuch gemacht, dem
zensorischen Amt wieder eine ernstliche Bedeutung zu verschaffen und
durch dasselbe die tief zerruettete Buergerschaft von dem schlimmsten
Gesindel zu saeubern. Alle diese Massregeln erfolgten unter dem Drucke
des Saebels. Infolge der Erklaerung des Senats, dass das Vaterland
gefaehrdet sei, rief Pompeius in ganz Italien die dienstpflichtige
Mannschaft unter die Waffen und nahm sie fuer alle Faelle in Eid und
Pflicht; vorlaeufig ward eine ausreichende und zuverlaessige Truppe auf
das Kapitol gelegt; bei jeder oppositionellen Regung drohte Pompeius mit
bewaffnetem Einschreiten und stellte waehrend der Prozessverhandlungen
ueber die Ermordung des Clodius allem Herkommen zuwider auf der
Gerichtsstaette selbst Wache auf. Der Plan zur Wiederbelebung der Zensur
scheiterte daran, dass unter der servilen Senatsmajoritaet niemand
sittlichen Mut und Autoritaet genug besass, um sich um ein solches Amt
auch nur zu bewerben. Dagegen ward Milo von den Geschworenen verurteilt
(8. April 702 52), Catos Bewerbung um das Konsulat fuer 703 (51)
vereitelt. Die Reden- und Pamphletenopposition erhielt durch die neue
Prozessordnung einen Schlag, von dem sie sich nicht wieder erholt
hat; die gefuerchtete gerichtliche Beredsamkeit ward damit von dem
politischen Gebiet verdraengt und trug fortan die Zuegel der Monarchie.
Verschwunden war die Opposition natuerlich weder aus den Gemuetern
der grossen Majoritaet der Nation noch auch nur voellig aus
dem oeffentlichen Leben - dazu haette man die Volkswahlen, die
Geschworenengerichte und die Literatur nicht bloss beschraenken, sondern
vernichten muessen. Ja eben bei diesen Vorgaengen selbst tat Pompeius
durch seine Ungeschicklichkeit und Verkehrtheit wieder dazu, dass
den Republikanern selbst unter seiner Diktatur einzelne, fuer ihn
empfindliche Triumphe zuteil wurden. Die Tendenzmassregeln, die
die Herrscher zur Befestigung ihrer Macht ergriffen, wurden
natuerlicherweise offiziell als im Interesse der oeffentlichen Ruhe und
Ordnung getroffene Verfuegungen charakterisiert und jeder Buerger, der
die Anarchie nicht wollte, als mit denselben wesentlich einverstanden
bezeichnet. Mit dieser durchsichtigen Fiktion trieb es Pompeius aber
so weit, dass er in die Spezialkommission zur Untersuchung des letzten
Auflaufs statt sicherer Werkzeuge die achtbarsten Maenner aller
Parteien, sogar Cato einwaehlte und seinen Einfluss auf das Gericht
wesentlich dazu anwandte, um die Ordnung zu handhaben und das in den
Gerichten dieser Zeit hergebrachte Spektakeln seinen Anhaengern so gut
wie den Gegnern unmoeglich zu machen. Diese Neutralitaet des Regenten
sah man den Urteilen des Spezialhofes an. Die Geschworenen wagten zwar
nicht, Milo selbst freizusprechen; aber die meisten untergeordneten
Angeklagten von der Partei der republikanischen Opposition gingen frei
aus, waehrend die Verurteilung unnachsichtlich diejenigen traf, die in
dem letzten Krawall fuer Clodius, das heisst fuer die Machthaber Partei
genommen hatten, unter ihnen nicht wenige von Caesars und selbst von
Pompeius' vertrautesten Freunden, sogar seinen Kandidaten zum Konsulat,
Hypsaeus, und die Volkstribune Plancus und Rufus, die in seinem
Interesse die Erneute dirigiert hatten. Wenn Pompeius deren Verurteilung
nicht hinderte, um unparteiisch zu erscheinen, so war dies eine
Albernheit, und eine zweite, dass er denn doch wieder in ganz
gleichgueltigen Dingen zu Gunsten seiner Freunde seine eigenen Gesetze
verletzte, zum Beispiel im Prozess des Plancus als Charakterzeuge
auftrat, und einzelne ihm besonders nahestehende Angeklagte, wie
den Metellus Scipio, in der Tat vor der Verurteilung schuetzte. Wie
gewoehnlich wollte er auch hier entgegengesetzte Dinge: indem er
versuchte, zugleich den Pflichten des unparteiischen Regenten und des
Parteihauptes Genuege zu tun, erfuellte er weder diese noch jene und
erschien der oeffentlichen Meinung mit Recht als ein despotischer
Regent, seinen Anhaengern mit gleichem Recht als ein Fuehrer, der die
Seinigen entweder nicht schuetzen konnte oder nicht schuetzen
wollte. Indes wenn auch die Republikaner noch sich regten und sogar,
hauptsaechlich durch Pompeius' Fehlgriffe, hie und da ein einzelner
Erfolg sie anfrischte, so war doch der Zweck, den die Machthaber bei
jener Diktatur sich gesteckt hatten, im ganzen erreicht, der Zuegel
straffer angezogen, die republikanische Partei gedemuetigt und die neue
Monarchie befestigt. Das Publikum fing an sich in diese zu finden. Als
Pompeius nicht lange nachher von einer ernsthaften Krankheit genas,
ward seine Wiederherstellung durch ganz Italien mit den obligaten
Freudenbezeigungen gefeiert, die bei solchen Gelegenheiten in Monarchien
ueblich sind. Die Machthaber zeigten sich befriedigt: schon am 1. August
702 (52) legte Pompeius die Diktatur nieder und teilte das Konsulat mit
seinem Klienten Metellus Scipio. 9. Kapitel Crassus' Tod Der Bruch der
Gesamtherrscher Unter den Haeuptern des "dreikoepfigen Ungeheuers"
war Marcus Crassus jahrelang mitgerechnet worden, ohne eigentlich
mitzuzaehlen. Er diente den wirklichen Machthabern Pompeius und
Caesar als Gleichgewichtstein, oder genauer gesagt, er fiel in Caesars
Waagschale gegen Pompeius. Diese Rolle ist nicht allzu ehrenvoll; aber
Crassus ward nie durch leidenschaftliches Ehrgefuehl gehindert, seinen
Vorteil zu verfolgen. Er war Kaufmann und liess mit sich handeln. Was
ihm geboten ward, war nicht viel; da indes mehr nicht zu erhalten war,
nahm er es an und suchte den nagenden Ehrgeiz und den Verdruss ueber
seine der Macht so nahe und doch machtlose Stellung ueber den immer
hoeher sich ihm haeufenden Goldbergen zu vergessen. Aber die Konferenz
zu Luca wandelte auch fuer ihn die Verhaeltnisse um: um gegen Pompeius
nach den so ausgedehnten Zugestaendnissen auch ferner im Uebergewicht zu
bleiben, gab Caesar seinem alten Verbuendeten Crassus Gelegenheit, durch
den Parthischen Krieg ebendahin in Syrien zu gelangen, wohin Caesar
durch den keltischen in Gallien gelangt war. Es war schwer zu sagen, ob
diese neuen Aussichten mehr den Heisshunger nach Gold reizten, der dem
jetzt sechzigjaehrigen Manne zur anderen Natur geworden war und mit
jeder neu erworbenen Million nur um so zehrender ward, oder mehr den in
der Brust des Graukopfs lange muehsam niedergekaempften und jetzt mit
unheimlichem Feuer in ihr gluehenden Ehrgeiz. Bereits Anfang 700 (54)
traf er in Syrien ein: nicht einmal den Ablauf seines Konsulats hatte
er abgewartet um aufzubrechen. Voll hastiger Leidenschaft schien er
jede Minute auskaufen zu wollen, um das Versaeumte nachzuholen, zu den
Schaetzen des Westens noch die des Ostens einzutun, Feldherrnmacht und
Feldherrnruhm rasch wie Caesar und muehelos wie Pompeius zu erjagen.
Er fand den Parthischen Krieg bereits eingeleitet. Pompeius' illoyales
Verhalten gegen die Parther ist frueher erzaehlt worden; er hatte
die vertragsmaessige Euphratgrenze nicht respektiert und zu Gunsten
Armeniens, das jetzt roemischer Klientelstaat war, mehrere Landschaften
vom Parthischen Reich abgerissen. Koenig Phraates hatte sich das
gefallen lassen: nachdem er aber von seinen beiden Soehnen Mithradates
und Orodes ermordet worden war, erklaerte der neue Koenig Mithradates
dem Koenig von Armenien, des kuerzlich verstorbenen Tigranes Sohn
Artavasdes, sofort den Krieg (um 698 ^1 56). Es war dies zugleich
eine Kriegserklaerung gegen Rom; sowie daher der Aufstand der Juden
unterdrueckt war, fuehrte der tuechtige und mutige Statthalter Syriens,
Gabinius, die Legionen ueber den Euphrat. Im Partherreich indes war
inzwischen eine Umwaelzung eingetreten; die Grossen des Reiches, an
ihrer Spitze der junge, kuehne und talentvolle Grosswesir, hatten den
Koenig Mithradates gestuerzt und dessen Bruder Orodes auf den Thron
gesetzt. Mithradates machte deshalb gemeinschaftliche Sache mit
den Roemern und begab sich in Gabinius' Lager. Alles versprach dem
Unternehmen des roemischen Statthalters den besten Erfolg, als er
unvermutet Befehl bekam, den Koenig von Aegypten mit Waffengewalt
nach Alexandreia zurueckzufuehren. Er wusste gehorchen; aber in der
Erwartung, bald wieder zurueck zu sein, veranlasste er den bei ihm um
Hilfe bittenden entthronten Partherfuersten, den Krieg inzwischen auf
eigene Faust zu eroeffnen. Mithradates tat es und Seleukeia und Babylon
erklaerten sich fuer ihn; aber Seleukeia nahm der Wesir, er persoenlich
der erste auf der Zinne, mit stuermender Hand ein, und in Babylon wusste
Mithradates selbst, durch Hunger bezwungen, sich ergeben, worauf er
auf Befehl des Bruders hingerichtet ward. Sein Tod war ein fuehlbarer
Verlust fuer die Roemer; aber die Gaerung im Parthischen Reich war doch
keineswegs damit zu Ende und auch der armenische Krieg waehrte noch
fort. Eben war Gabinius im Begriff, nach Beendigung des aegyptischen
Feldzuges die immer noch guenstige Gelegenheit zu nutzen und den
unterbrochenen Parthischen Krieg wiederaufzunehmen, als Crassus
in Syrien eintraf und mit dem Kommando zugleich die Plaene seines
Vorgaengers uebernahm. Voll hochfliegender Hoffnungen schlug er
die Schwierigkeiten des Marsches gering, die Widerstandskraft der
feindlichen Heere noch geringer an; zuversichtlich sprach er nicht bloss
von der Unterwerfung der Panther, sondern eroberte schon in Gedanken
die Reiche von Baktrien und Indien.
--------------------------------------------------- ^1 Tigranes
lebte noch im Februar 698 (56) (Cic. Sest. 27, 59); dagegen herrschte
Artavasdes schon vor 700 (54) (Iust. 42, 2, 4; Plut. Crass. 49).
--------------------------------------------------- Eile indes hatte der
neue Alexander nicht. Erfand, bevor er so grosse Plaene ins Werk
setzte, noch Musse zu sehr weitlaeufigen und sehr eintraeglichen
Nebengeschaeften. Der Tempel der Derketo in Hierapolis Bambyke, des
Jehova in Jerusalem und andere reiche Heiligtuemer der syrischen
Provinz wurden auf Crassus' Befehl ihrer Schaetze beraubt und von
allen Untertanen Zuzug oder lieber noch statt desselben Geldsummen
beigetrieben. Die militaerischen Operationen des ersten Sommers
beschraenkten sich auf eine umfassende Rekognoszierung in Mesopotamien:
der Euphrat ward ueberschritten, bei Ichnae (am Belik, noerdlich von
Rakkah) der parthische Satrap geschlagen und die naechstliegenden
Staedte, darunter das ansehnliche Nikephorion (Rakkah), besetzt, worauf
man mit Zuruecklassung von Besatzungen in denselben wieder nach Syrien
zurueckging. Man hatte bisher geschwankt, ob es ratsamer sei, auf
dem Umweg ueber Armenien oder auf der geraden Strasse durch die
mesopotamische Wueste nach Parthien zu marschieren. Der erste Weg durch
gebirgige und von zuverlaessigen Verbuendeten beherrschte Landschaften
empfahl sich durch die groessere Sicherheit; Koenig Artavasdes kam
selbst in das roemische Hauptquartier, um diesen Feldzugsplan zu
befuerworten. Allein jene Rekognoszierung entschied fuer den Marsch
durch Mesopotamien. Die zahlreichen und bluehenden griechischen und
halbgriechischen Staedte in den Landschaften am Euphrat und Tigris, vor
allen die Weltstadt Seleukeia, waren der parthischen Herrschaft durchaus
abgeneigt; wie frueher die Buerger von Karrhae, so hatten jetzt alle von
den Roemern beruehrten griechischen Ortschaften es mit der Tat bewiesen,
wie bereit sie waren, die unertraegliche Fremdherrschaft abzuschuetteln
und die Roemer als Befreier, beinahe als Landsleute zu empfangen. Der
Araberfuerst Abgaros, der die Wueste von Edessa und Karrhae und damit
die gewoehnliche Strasse vom Euphrat an den Tigris beherrschte, hatte
im Lager der Roemer sich eingefunden, um dieselben seiner Ergebenheit
persoenlich zu versichern. Durchaus hatten die Parther sich
unvorbereitet gezeigt. So ward denn der Euphrat (bei Biradjik)
ueberschritten (701 53). Um von da an den Tigris zu gelangen, konnte man
einen zwiefachen Weg waehlen: entweder rueckte das Heer am Euphrat hinab
bis auf die Hoehe von Seleukeia, wo der Euphrat und der Tigris nur noch
wenige Meilen voneinander entfernt sind; oder man schlug sogleich
nach dem Uebergang auf der kuerzesten Linie, quer durch die grosse
mesopotamische Wueste, den Weg zum Tigris ein. Der erste Weg fuehrte
unmittelbar auf die parthische Hauptstadt Ktesiphon zu, die Seleukeia
gegenueber am andern Ufer des Tigris lag; es erhoben sich fuer diesen im
roemischen Kriegsrat mehrere gewichtige Stimmen; namentlich der Quaestor
Gaius Cassius wies auf die Schwierigkeiten des Wuestenmarsches und auf
die bedenklichen, von den roemischen Besatzungen am linken Euphratufer
ueber die parthischen Kriegsvorbereitungen einlaufender. Berichte hin.
Allein damit im Widerspruch meldete der arabische Fuerst Abgaros, dass
die Parther beschaeftigt seien, ihre westlichen Landschaften zu raeumen.
Bereits haetten sie ihre Schaetze eingepackt und sich in Bewegung
gesetzt, um zu den Hyrkanern und Skythen zu fluechten; nur durch einen
Gewaltmarsch auf dem kuerzesten Wege sei es ueberhaupt noch moeglich,
sie zu erreichen; durch einen solchen werde es aber auch wahrscheinlich
gelingen, wenigstens den Nachtrab der grossen Armee unter Sillakes
und dem Wesir einzuholen und aufzureiben und die ungeheure Beute zu
gewinnen. Diese Rapporte der befreundeten Beduinen entschieden ueber die
Marschrichtung; das roemische Heer, bestehend aus sieben Legionen, 4000
Reitern und 4000 Schleuderern und Schuetzen, wandte vom Euphrat sich
ab und hinein in die unwirtlichen Ebenen des noerdlichen Mesopotamiens.
Weit und breit zeigte sich kein Feind; nur Hunger und Durst und die
endlose Sandwueste schienen Wache zu halten an den Pforten des Ostens.
Endlich, nach vieltaegigem muehseligen Marsch, unweit des ersten
Flusses, den das roemische Heer zu ueberschreiten hatte, des Balissos
(Belik), zeigten sich die ersten feindlichen Reiter. Abgaros mit
seinen Arabern ward ausgesandt, um zu kundschaften; die parthischen
Reiterscharen wichen zurueck bis an und ueber den Fluss und verschwanden
in der Ferne, verfolgt von Abgaros und den Seinen. Ungeduldig harrte man
auf die Rueckkehr desselben und auf genauere Kundschaft. Der Feldherr
hoffte, hier endlich an den ewig zurueckweichenden Feind zu kommen;
sein junger tapferer Sohn Publius, der mit der groessten Auszeichnung in
Gallien unter Caesar gefochten hatte und von diesem an der Spitze einer
keltischen Reiterschar zur Teilnahme an dem Parthischen Kriege entsandt
worden war, brannte vor stuermischer Kampflust. Da keine Botschaft kam,
entschloss man sich, auf gut Glueck vorwaerts zu gehen: das Zeichen
zum Aufbruch ward gegeben, der Balissos ueberschritten, das Heer nach
kurzer, ungenuegender Mittagsrast ohne Aufenthalt im Sturmschritt
weitergefuehrt. Da erschollen ploetzlich rings umher die Kesselpauken
der Parther; auf allen Seiten sah man ihre seidenen, goldgestickten
Fahnen flattern, ihre Eisenhelme und Panzer im Strahl der heissen
Mittagssonne glaenzen; und neben dem Wesir hielt Fuerst Abgaros mit
seinen Beduinen. Man begriff zu spaet, in welches Netz man sich hatte
verstricken lassen. Mit sicherem Blick hatte der Wesir sowohl die Gefahr
durchschaut wie die Mittel, ihr zu begegnen. Mit orientalischem Fussvolk
war gegen die roemische Linieninfanterie nichts auszurichten: er hatte
sich desselben entledigt und, indem er diese auf dem Hauptschlachtfeld
unbrauchbare Masse unter Koenig Orodes' eigener Fuehrung gegen Armenien
sandte, den Koenig Artavasdes gehindert, die versprochenen 10000
schweren Reiter zu Crassus' Heer stossen zu lassen, die dieser jetzt
schmerzlich vermisste. Dagegen trat der roemischen, in ihrer Art
unuebertrefflichen Taktik der Wesir mit einer vollkommen verschiedenen
gegenueber. Sein Heer bestand ausschliesslich aus Reiterei; die Linie
bildeten die schweren Reiter, mit langen Stosslanzen bewaffnet und
Mann und Ross durch metallene Schuppenpanzer oder Lederkoller und
durch aehnliche Schienen geschirmt; die Masse der Truppen bestand aus
berittenen Bogenschuetzen. Diesen gegenueber waren die Roemer in den
gleichen Waffen sowohl der Zahl wie der Tuechtigkeit nach durchaus im
Nachteil. Ihre Linieninfanterie, wie vorzueglich sie auch im Nahkampf,
sowohl auf kurze Distanz mit dem schweren Wurfspeer als im Handgemenge
mit dem Schwert, war, konnte doch eine bloss aus Reiterei bestehende
Armee nicht zwingen, sich mit ihr einzulassen, und fand, wenn es
zum Handgemenge kam, auch hier in den eisenstarrenden Scharen der
Lanzenreiter einen ihr gewachsenen, wo nicht ueberlegenen Gegner.
Einem Heer gegenueber, wie dies parthische war, stand das roemische
strategisch im Nachteil, weil die Reiterei die Kommunikationen
beherrschte; taktisch, weil jede Nahwaffe der Fernwaffe unterliegen
muss, wenn jene nicht zum Kampfe Mann gegen Mann gelangt. Die
konzentrierte Stellung, auf der die ganze roemische Kriegsweise beruhte,
steigerte einem solchen Angriff gegenueber die Gefahr; je dichter die
roemische Kolonne sich scharte, desto unwiderstehlicher ward allerdings
ihr Stoss, aber desto weniger fehlten auch die Fernwaffen ihr Ziel.
Unter gewoehnlichen Verhaeltnissen, wo Staedte zu verteidigen und
Bodenschwierigkeiten zu beruecksichtigen sind, haette jene bloss mit
Reiterei gegen Fussvolk operierende Taktik sich niemals vollstaendig
durchfuehren lassen; in der mesopotamischen Wueste aber, wo das Heer,
fast wie das Schiff auf der hohen See, viele Tagemaersche hindurch weder
auf ein Hindernis noch auf einen strategischen Anhaltspunkt traf,
war diese Kriegfuehrung eben darum so unwiderstehlich, weil die
Verhaeltnisse hier gestatteten, sie in ihrer ganzen Reinheit und also
in ihrer ganzen Gewalt zu entwickeln. Hier vereinigte sich alles, um
die fremden Fussgaenger gegen die einheimischen Reiter in Nachteil zu
setzen. Wo der schwerbeladene roemische Infanterist muehsam durch den
Sand oder die Steppe sich hinschleppte und auf dem pfadlosen, durch weit
auseinandergelegene und schwer aufzufindende Quellen bezeichneten
Wege vor Hunger und mehr noch vor Durst verkam, flog der parthische
Reitersmann, von Kindesbeinen an gewohnt, auf seinem geschwinden Ross
oder Kamel zu sitzen, ja fast auf demselben zu leben, leicht durch die
Wueste, deren Ungemach er seit langem gelernt hatte sich zu erleichtern
und im Notfall zu ertragen. Hier fiel kein Regen, der die unertraegliche
Hitze gemildert und die Bogensehnen und Schleuderriemen der feindlichen
Schuetzen und Schleuderer erschlafft haette; hier waren in dem tiefen
Sande an vielen Stellen kaum ordentliche Graeben und Waelle fuer das
Lager zu ziehen. Kaum vermag die Phantasie eine Lage zu erdenken, in der
die militaerischen Vorteile alle mehr auf der einen, die Nachteile
alle mehr auf der andern Seite waren. Auf die Frage, unter welchen
Verhaeltnissen bei den Parthern diese neue Taktik entstand, die erste
nationale, die auf ihrem rechten Terrain sich der roemischen ueberlegen
erwies, koennen wir leider nur mit Mutmassungen antworten. Die
Lanzenreiter und berittenen Bogenschuetzen sind im Orient uralt und
bildeten bereits die Kerntruppen in den Heeren des Kyros und Dareios;
bisher aber waren diese Waffen nur in zweiter Reihe und wesentlich zur
Deckung der durchaus unbrauchbaren orientalischen Infanterie verwendet
worden. Auch die parthischen Heere wichen hierin von den uebrigen
orientalischen keineswegs ab; es werden dergleichen erwaehnt, die zu
fuenf Sechsteln aus Fussvolk bestanden. In dem Feldzug des Crassus
dagegen trat die Reiterei zum ersten Male selbstaendig auf, und es
erhielt diese Waffe dadurch eine ganz neue Verwendung und einen ganz
anderen Wert. Die unwiderstehliche Ueberlegenheit des roemischen
Fussvolks im Nahkampf scheint unabhaengig voneinander die Gegner Roms
in den verschiedensten Weltgegenden zu gleicher Zeit und mit aehnlichem
Erfolg darauf gefuehrt zu haben, ihm mit der Reiterei und dem Fernkampf
entgegenzutreten. Was Cassivellaunus in Britannien vollstaendig,
Vercingetorix in Gallien zum Teil gelang, was bis zu einem gewissen
Grade schon Mithradates Eupator versuchte, das hat der Wesir des Orodes
nur in groesserem Massstab und vollstaendiger durchgefuehrt: wobei es
ihm namentlich zustatten kam, dass er in der schweren Kavallerie
das Mittel, eine Linie zu bilden, in dem im Orient nationalen
und vornehmlich in den persischen Landschaften mit meisterlicher
Schuetzenkunst gehandhabten Bogen eine wirksame Fernwaffe, endlich in
den Eigentuemlichkeiten des Landes und des Volkes die Moeglichkeit fand,
seinen genialen Gedanken rein zu realisieren. Hier, wo die roemische
Nahwaffe und das roemische Konzentrierungssystem zum ersten Male der
Fernwaffe und dem Deployierungssystem unterlagen, bereitete diejenige
militaerische Revolution sich vor, die erst mit der Einfuehrung des
Feuergewehrs ihren vollstaendigen Abschluss erhalten hat. Unter diesen
Verhaeltnissen ward sechs Meilen suedlich von Karrhae (Harran), wo
roemische Besatzung stand, in noerdlicher Richtung etwas naeher an
Ichnae, inmitten der Sandwueste die erste Schlacht zwischen Roemern und
Parthern geschlagen. Die roemischen Schuetzen wurden vorgesandt, wichen
aber augenblicklich zurueck vor der ungeheuren Ueberzahl und der weit
groesseren Spannkraft und Tragweite der parthischen Bogen. Die Legionen,
die trotz der Mahnung der einsichtigeren Offiziere, sie moeglichst
entfaltet gegen den Feind zu fuehren, in ein dichtes Viereck von zwoelf
Kohorten an jeder Seite gestellt worden waren, waren bald ueberfluegelt
und von den furchtbaren Pfeilen ueberschuettet, die hier auch ungezielt
ihren Mann trafen und denen die Soldaten mit nichts auch nur zu erwidern
vermochten. Die Hoffnung, dass der Feind sich verschiessen moege,
verschwand bei einem Blick auf die endlose Reihe der mit Pfeilen
beladenen Kamele. Immer weiter dehnten die Parther sich aus. Damit die
Ueberfluegelung nicht zur Umzingelung werde, rueckte Publius Crassus mit
einem auserlesenen Korps von Reitern, Schuetzen und Linieninfanterie zum
Angriff vor. In der Tat gab der Feind es auf, den Kreis zu schliessen,
und wich zurueck, hitzig verfolgt von dem ungestuemen Fuehrer der
Roemer. Als aber darueber das Korps des Publius die Hauptarmee ganz aus
dem Gesicht verloren hatte, hielten die schweren Reiter ihm gegenueber
stand, und wie ein Netz zogen die von allen Seiten herbeieilenden
parthischen Haufen sich um dasselbe zusammen. Publius, der die Seinigen
unter den Pfeilen der berittenen Schuetzen dicht und nutzlos um sich
fallen sah, stuerzte verzweifelt mit seiner unbepanzerten keltischen
Reiterei sich auf die eisenstarrenden Lanzenreiter der Feinde; allein
die todesverachtende Tapferkeit seiner Kelten, die die Lanzen mit
den Haenden packten oder von den Pferden sprangen, um die Feinde
niederzustechen, tat ihre Wunder umsonst. Die Truemmer des Korps, unter
ihnen der am Schwertarm verwundete Fuehrer, wurden auf eine kleine
Anhoehe gedraengt, wo sie den feindlichen Schuetzen erst recht zur
bequemen Zielscheibe dienten. Mesopotamische Griechen, die der Gegend
genau kundig waren, beschworen den Crassus, mit ihnen abzureiten und
einen Versuch zu machen, sich zu retten; aber er weigerte sich, sein
Schicksal von dem der tapferen Maenner zu trennen, die sein verwegener
Mut in den Tod gefuehrt hatte, und liess von der Hand seines
Schildtraegers sich durchbohren. Gleich ihm gaben die meisten noch
uebrigen Offiziere sich selbst den Tod. Von der ganzen gegen 6000
Mann starken Abteilung wurden nicht mehr als 500 gefangen; zu retten
vermochte sich keiner. Gegen das Hauptheer hatte inzwischen der Angriff
nachgelassen und man rastete nur zu gern. Als endlich das Ausbleiben
jeder Meldung von dem entsandten Korps es aus der truegerischen
Ruhe aufschreckte und es, um dasselbe aufzusuchen, der Walstatt
sich naeherte, ward dem Vater das Haupt des Sohnes auf einer Stange
entgegengetragen; und abermals begann nun gegen das Hauptheer
die schreckliche Schlacht, mit demselben Ungestuem und derselben
hoffnungslosen Gleichfoermigkeit. Man vermochte weder die Lanzenreiter
zu sprengen noch die Schuetzen zu erreichen; erst die Nacht machte dem
Morden ein Ende. Haetten die Parther auf dem Schlachtfeld biwakiert, es
waere schwerlich vom roemischen Heer ein Mann entkommen. Allein nicht
geuebt, anders als beritten zu fechten, und darum besorgt vor einem
Ueberfall, hatten sie die Gewohnheit, niemals hart am Feinde zu lagern;
hoehnisch riefen sie den Roemern zu, dass sie dem Feldherrn eine Nacht
schenkten, um seinen Sohn zu beweinen, und jagten davon, um am anderen
Morgen wiederzukehren und das blutend am Boden liegende Wild abzufangen.
Natuerlich warteten die Roemer den Morgen nicht ab. Die Unterfeldherren
Cassius und Octavius - Crassus selbst hatte gaenzlich den Kopf verloren
- liessen sofort und in moeglichster Stille, mit Zuruecklassung der
saemtlichen - angeblich 4000 - Verwundeten und Versprengten, die noch
marschfaehigen Leute aufbrechen, um in den Mauern von Karrhae Schutz
zu suchen. Dass die Parther, als sie den folgenden Tag wiederkamen,
zunaechst sich daran machten, die zerstreut Zurueckgelassenen
aufzusuchen und niederzumetzeln, und dass die Besatzung und die
Einwohnerschaft von Karrhae, durch Ausreisser fruehzeitig von der
Katastrophe in Kenntnis gesetzt, schleunigst der geschlagenen Armee
entgegengerueckt waren, rettete die Truemmer derselben vor der, wie es
schien, unausbleiblichen Vernichtung. An eine Belagerung von Karrhae
konnten die parthischen Reiterscharen nicht denken. Allein bald
brachen die Roemer freiwillig auf, sei es durch Mangel an Lebensmitteln
genoetigt, sei es infolge der mutlosen Uebereilung des Oberfeldherrn,
den die Soldaten vergeblich versucht hatten vom Kommando zu entfernen
und durch Cassius zu ersetzen. Man schlug die Richtung nach den
armenischen Bergen ein; die Nacht marschierend und am Tage rastend,
erreichte Octavius mit einem Haufen von 5000 Mann die Festung Sinnaka,
die nur noch einen Tagesmarsch von den sicheren Hoehen entfernt war,
und befreite sogar mit eigener Lebensgefahr den Oberfeldherrn, den der
Fuehrer irregeleitet und dem Feinde preisgegeben hatte. Da ritt der
Wesir vor das roemische Lager, um im Namen seines Koenigs den
Roemern Frieden und Freundschaft zu bieten und auf eine persoenliche
Zusammenkunft der beiden Feldherren anzutragen. Das roemische Heer,
demoralisiert wie es war, beschwor, ja zwang seinen Fuehrer, das
Anerbieten anzunehmen. Der Wesir empfing den Konsular und dessen
Stab mit den ueblichen Ehren und erbot sich aufs neue, einen
Freundschaftspakt abzuschliessen; nur forderte er, mit gerechter
Bitterkeit an das Schicksal der mit Lucullus und Pompeius hinsichtlich
der Euphratgrenze abgeschlossenen Vertraege erinnernd, dass derselbe
sogleich schriftlich abgefasst werde. Ein reichgeschmueckter Zelter
ward vorgefuehrt: es war ein Geschenk des Koenigs fuer den roemischen
Oberfeldherrn; die Diener des Wesirs draengten sich um Crassus,
beeifert, ihn aufs Pferd zu heben. Es schien den roemischen Offizieren,
als beabsichtige man, sich der Person des Oberfeldherrn zu bemaechtigen;
Octavius, unbewaffnet wie er war, riss einem Parther das Schwert aus
der Scheide und stiess den Pferdeknecht nieder. In dem Anlauf, der sich
hieraus entspann, wurden die roemischen Offiziere alle getoetet; auch
der greise Oberfeldherr wollte, wie sein Grossohm, dem Feinde nicht
lebend als Trophaee dienen und suchte und fand den Tod. Die im Lager
zurueckgebliebene fuehrerlose Menge ward zum Teil gefangen, zum Teil
versprengt. Was der Tag von Karrhae begonnen hatte, vollendete der von
Sinnaka (9. Juni 701 53); beide nahmen ihren Platz neben den Daten von
der Allia, von Cannae und von Arausio. Die Euphratarmee war nicht mehr.
Nur der Reiterschar des Gaius Cassius, welche bei dem Abmarsch von
Karrhae von dem Hauptheer abgesprengt worden war, und einigen anderen
zerstreuten Haufen und vereinzelten Fluechtlingen gelang es, sich den
Parthern und den Beduinen zu entziehen und einzeln den Rueckweg nach
Syrien zu finden. Von ueber 40000 roemischen Legionaeren, die den
Euphrat ueberschritten hatten, kam nicht der vierte Mann zurueck; die
Haelfte war umgekommen; gegen 10000 roemische Gefangene wurden von den
Siegern im aeussersten Osten ihres Reiches, in der Oase von Merv, nach
parthischer Art als heerpflichtige Leibeigene angesiedelt. Zum ersten
Male, seit die Adler die Legionen fuehrten, waren dieselben in
diesem Jahre zu Siegeszeichen in den Haenden fremder Nationen, fast
gleichzeitig eines deutschen Stammes im Westen und im Osten der Parther
geworden. Von dem Eindruck, den die Niederlage der Roemer im Osten
machte, ist uns leider keine ausreichende Kunde geworden; aber tief und
bleibend muss er gewesen sein. Koenig Orodes richtete eben die Hochzeit
seines Sohnes Pakoros mit der Schwester seines neuen Verbuendeten, des
Koenigs Artavasdes von Armenien, aus, als die Siegesbotschaft seines
Wesirs bei ihm einlief und, nach orientalischer Sitte, zugleich mit ihr
der abgehauene Kopf des Crassus. Schon war die Tafel aufgehoben; eine
der wandernden kleinasiatischen Schauspielertruppen, wie sie in jener
Zeit zahlreich bestanden und die hellenische Poesie und die hellenische
Buehnenkunst bis tief in den Osten hineintrugen, fuehrten eben vor dem
versammelten Hofe Euripides' 'Bakchen' auf. Der Schauspieler, der die
Rolle der Agaue spielte, welche in wahnsinnig dionysischer Begeisterung
ihren Sohn zerrissen hat und nun das Haupt desselben auf dem Thyrsus
tragend, vom Kithaeron zurueckkehrt, vertauschte dieses mit dem blutigen
Kopfe des Crassus, und zum unendlichen Jubel seines Publikums von
halbhellenisierten Barbaren begann er aufs neue das wohlbekannte Lied:
Wir bringen vom Berge Nach Hause getragen Die herrliche Beute, Das
blutende Wild. Es war seit den Zeiten der Achaemeniden der erste
ernsthafte Sieg, den die Orientalen ueber den Okzident erfochten; und
wohl lag auch darin ein tiefer Sinn, dass zur Feier dieses Sieges
das schoenste Erzeugnis der okzidentalischen Welt, die griechische
Tragoedie, durch ihre herabgekommenen Vertreter in jener grausigen
Groteske sich selber parodierte. Das roemische Buergertum und der Genius
von Hellas fingen gleichzeitig an, sich auf die Ketten des Sultanismus
zu schicken. Die Katastrophe, entsetzlich an sich, schien auch in ihren
Folgen furchtbar zu werden und die Grundfesten der roemischen Macht
im Osten erschuettern zu sollen. Es war das wenigste, dass jetzt die
Parther. jenseits des Euphrat unbeschraenkt schalteten, dass Armenien,
nachdem es schon vor der Katastrophe des Crassus vom roemischen Buendnis
abgefallen war, durch dieselbe ganz in parthische Klientel geriet,
dass den treuen Buergern von Karrhae durch den von den Parthern ihnen
gesetzten neuen Herrn, einen der verraeterischen Wegweiser der Roemer
namens Andromachos, ihre Anhaenglichkeit an die Okzidentalen bitter
vergolten ward. Allen Ernstes schickten die Parther sich an, nun
ihrerseits die Euphratgrenze zu ueberschreiten und im Verein mit den
Armeniern und den Arabern die Roemer aus Syrien zu vertreiben. Die Juden
und andere Orientalen mehr harrten hier der Erloesung von der roemischen
Herrschaft nicht minder ungeduldig, wie die Hellenen jenseits des
Euphrat der Erloesung von der parthischen; in Rom stand der Buergerkrieg
vor der Tuer; der Angriff ebenhier und ebenjetzt war eine schwere
Gefahr. Allein zum Gluecke Roms hatten auf beiden Seiten die Fuehrer
gewechselt. Sultan Orodes verdankte dem heldenmuetigen Fuersten, der ihm
erst die Krone aufgesetzt und dann das Land von den Feinden gesaeubert
hatte, zu viel, um sich seiner nicht baldmoeglichst durch den Henker
zu entledigen. Seinen Platz als Oberfeldherr der nach Syrien bestimmten
Invasionsarmee fuellte ein Prinz aus, des Koenigs Sohn Pakoros,
dem seiner Jugend und Unerfahrenheit wegen der Fuerst Osakes als
militaerischer Ratgeber beigegeben werden musste. Andererseits uebernahm
an Crassus' Stelle das Kommando in Syrien interimistisch der besonnene
und entschlossene Quaestor Gaius Cassius. Da die Parther, ebenwie
frueher Crassus, den Angriff nicht beeilten, sondern in den Jahren 701
(53) und 702 (52) nur schwache, leicht zurueckgeworfene Streifscharen
ueber den Euphrat sandten, so behielt Cassius Zeit, das Heer
einigermassen zu reorganisieren und die Juden, die die Erbitterung ueber
die von Crassus veruebte Spoliation des Tempels schon jetzt unter die
Waffen getrieben hatte, mit Hilfe des treuen Anhaengers der Roemer,
Herodos Antipatros, zum Gehorsam zurueckzubringen. Die roemische
Regierung haette also volle Zeit gehabt, zur Verteidigung dar bedrohten
Grenze frische Truppen zu senden; allein es unterblieb ueber den
Konvulsionen der beginnenden Revolution, und als endlich im Jahre 703
(51) die grosse parthische Invasionsarmee am Euphrat erschien, hatte
Cassius immer noch nur die zwei schwachen, aus den Truemmern der Armee
des Crassus gebildeten Legionen ihr entgegenzustellen. Natuerlich konnte
er damit weder den Uebergang wehren noch die Provinz verteidigen. Syrien
ward von den Parthern ueberrannt und ganz Vorderasien zitterte. Allein
die Parther verstanden es nicht, Staedte zu belagern. Von Antiocheia,
in das Cassius mit seinen Truppen sich geworfen hatte, zogen sie nicht
bloss unverrichteter Sache ab, sondern wurden auf dem Rueckzug am
Orontes noch durch Cassius' Reiterei in einen Hinterhalt gelockt und
hier durch die roemische Infanterie uebel zugerichtet; Fuerst Osakes
selbst war unter den Toten. Freund und Feind ward hier inne, dass die
parthische Armee unter einem gewoehnlichen Feldherrn und auf
einem gewoehnlichen Terrain nicht viel mehr leiste als jede andere
orientalische. Indes aufgegeben war der Angriff nicht. Noch im Winter
703/04 (51/50) lagerte Pakoros in Kyrrhestike diesseits des Euphrat;
und der neue Statthalter Syriens, Marcus Bibulus, ein ebenso elender
Feldherr wie unfaehiger Staatsmann, wusste nichts Besseres zu tun, als
sich in seine Festungen einzuschliessen. Allgemein ward erwartet, dass
der Krieg im Jahre 704 (50) mit erneuter Heftigkeit ausbrechen werde.
Allein statt gegen die Roemer wandte Pakoros die Waffen gegen seinen
eigenen Vater und trat deshalb sogar mit dem roemischen Statthalter
in Einverstaendnis. Damit war zwar weder der Fleck von dem Schilde
der roemischen Ehre gewaschen noch auch Roms Ansehen im Orient
wiederhergestellt, allein mit der parthischen Invasion in Vorderasien
war es vorbei, und es blieb, vorlaeufig wenigstens, die Euphratgrenze
erhalten. In Rom wirbelte inzwischen der kreisende Vulkan der Revolution
seine Rauchwolken sinnbetaeubend empor. Man fing an, keinen Soldaten und
keinen Denar mehr gegen den Landesfeind, keinen Gedanken mehr uebrig zu
haben fuer die Geschichte der Voelker. Es ist eines der entsetzlichsten
Zeichen der Zeit, dass das ungeheure Nationalunglueck von Karrhae und
Sinnaka den derzeitigen Politikern weit weniger zu denken und zu reden
gab als jener elende Krawall auf der Appischen Strasse, in dem ein
paar Monate nach Crassus der Bandenfuehrer Clodius umkam; aber es ist
begreiflich und beinahe verzeihlich. Der Bruch zwischen den beiden
Machthabern, lange als unvermeidlich gefuehlt und oft so nahe
verkuendigt, rueckte jetzt unaufhaltsam heran. Wie in der alten
griechischen Schiffersage befand sich das Fahrzeug der roemischen
Gemeinde gleichsam zwischen zwei aufeinander zuschwimmenden Felsen;
von Augenblick zu Augenblick den krachenden Zusammenstoss erwartend,
starrten die, welche es trug, von namenloser Angst gebannt, in die hoch
und hoeher strudelnde Brandung, und waehrend jedes kleinste Ruecken hier
tausend Augen auf sich zog, wagte nicht eines, den Blick nach rechts
oder links zu verwenden. Nachdem auf der Zusammenkunft von Luca im April
698 (36) Caesar sich Pompeius gegenueber zu ansehnlichen Konzessionen
verstanden und die Machthaber damit sich wesentlich ins Gleichgewicht
gesetzt hatten, fehlte es ihrem Verhaeltnis nicht an den aeusseren
Bedingungen der Haltbarkeit, insoweit eine Teilung der an sich
unteilbaren monarchischen Gewalt ueberhaupt haltbar sein kann.
Eine andere Frage war es, ob die Machthaber, wenigstens fuer jetzt,
entschlossen waren, zusammenzuhalten und gegenseitig sich ohne
Hinterhalt als gleichberechtigt anzuerkennen. Dass dies bei Caesar
insofern der Fall war, als er um den Preis der Gleichstellung mit
Pompeius sich die zur Unterwerfung Galliens notwendige Frist erkauft
hatte, ist frueher dargelegt worden. Aber Pompeius war es schwerlich
jemals auch nur vorlaeufig Ernst mit der Kollegialitaet. Er war eine
von den kleinlichen und gemeinen Naturen, gegen die es gefaehrlich ist,
Grossmut zu ueben: seinem kleinlichen Sinn erschien es sicher als
Gebot der Klugheit, dem unwillig anerkannten Nebenbuhler bei erster
Gelegenheit ein Bein zu stellen, und seine gemeine Seele duerstete nach
der Moeglichkeit, die durch Caesars Nachsicht erlittene Demuetigung ihm
umgekehrt zu vergelten. Wenn aber Pompeius wahrscheinlich nach seiner
dumpfen und traegen Natur niemals recht sich dazu verstanden hatte,
Caesar neben sich gelten zu lassen, so ist doch die Absicht, das
Buendnis zu sprengen, ihm wohl erst allmaehlich zum klaren Bewusstsein
gelangt. Auf keinen Fall wird das Publikum, das ueberhaupt Pompeius' An-
und Absichten gewoehnlich besser durchschaute als er selbst, darin
sich getaeuscht haben, dass wenigstens mit dem Tode der schoenen Julia,
welche in der Bluete ihrer Jahre im Herbst 700 (54) starb und der ihr
einziges Kind bald in das Grab nachfolgte, das persoenliche Verhaeltnis
zwischen ihrem Vater und ihrem Gemahl geloest war. Caesar versuchte, die
vom Schicksal getrennten verwandtschaftlichen Bande wiederherzustellen;
er warb fuer sich um die Hand der einzigen Tochter des Pompeius und trug
diesem seine jetzt naechste Verwandte, seiner Schwester Enkelin Octavia,
als Gemahlin an; allein Pompeius liess seine Tochter ihrem bisherigen
Gatten Faustus Sulla, dem Sohn des Regenten, und vermaehlte sich selber
mit der Tochter des Quintus Metellus Scipio. Der persoenliche Bruch war
unverkennbar eingetreten, und Pompeius war es, der die Hand zurueckzog.
Man erwartete, dass der politische ihm auf dem Fusse folgen
werde; allein hierin hatte man sich getaeuscht: in oeffentlichen
Angelegenheiten blieb vorlaeufig noch ein kollegialisches Einvernehmen
bestehen. Die Ursache war, dass Caesar nicht geradezu das Verhaeltnis
loesen wollte, bevor Galliens Unterwerfung eine vollendete Tatsache
war, Pompeius nicht, bevor durch die Uebernahme der Diktatur die
Regierungsbehoerden und Italien vollstaendig in seine Gewalt gebracht
sein wuerden. Es ist sonderbar, aber wohl erklaerlich, dass die
Machthaber hierbei sich gegenseitig unterstuetzten; Pompeius ueberliess
nach der Katastrophe von Aduatuca im Winter 700 (54) eine seiner
auf Urlaub entlassenen italienischen Legionen leihweise an Caesar;
andererseits gewaehrte Caesar Pompeius seine Einwilligung und seine
moralische Unterstuetzung bei den Repressivmassregeln, die dieser gegen
die stoerrige republikanische Opposition ergriff. Erst nachdem Pompeius
auf diesem Wege im Anfang des Jahres 702 (52) sich das ungeteilte
Konsulat und einen durchaus den Caesars ueberwiegenden Einfluss in der
Hauptstadt verschafft und die saemtliche waffenfaehige Mannschaft in
Italien den Soldateneid in seine Haende und auf seinen Namen abgeleistet
hatte, fasste er den Entschluss, baldmoeglichst mit Caesar foermlich zu
brechen; und die Absicht trat auch klar genug hervor. Dass die nach dem
Auflauf auf der Appischen Strasse stattfindende gerichtliche Verfolgung
eben Caesars alte demokratische Parteigenossen mit schonungsloser Haerte
traf, konnte vielleicht noch als blosse Ungeschicklichkeit hingehen.
Dass das neue Gesetz gegen die Wahlumtriebe, indem es bis 684 (70)
zurueckgriff, auch die bedenklichen Vorgaenge bei Caesars Bewerbung um
das Konsulat miteinschloss, mochte gleichfalls nicht mehr sein, obgleich
nicht wenige Caesarianer darin eine bestimmte Absicht zu erkennen
meinten. Aber auch bei dem besten Willen konnte man nicht mehr die Augen
verschliessen, als Pompeius sich zum Kollegen im Konsulat nicht seinen
frueheren Schwiegervater Caesar erkor, wie es der Lage des Sache
entsprach und vielfach gefordert ward, sondern in seinem neuen
Schwiegervater Scipio sich einen von ihm voellig abhaengigen Figuranten
an die Seite setzte; noch weniger, als Pompeius sich gleichzeitig die
Statthalterschaft beider Spanien auf weitere fuenf Jahre, also bis 709
(45) verlaengern und fuer die Besoldung seiner Truppen sich aus der
Staatskasse eine ansehnliche feste Summe auswerfen liess, nicht nur,
ohne fuer Caesar die gleiche Verlaengerung des Kommandos und die gleiche
Geldbewilligung zu bedingen, sondern sogar durch die gleichzeitig
ergangenen neuen Regulative ueber die Besetzung der Statthalterschaften
von weitem hinarbeitend auf eine Abberufung Caesars vor dem frueher
verabredeten Termin. Unverkennbar waren diese Uebergriffe darauf
berechnet, Caesars Stellung zu untergraben und demnaechst ihn zu
stuerzen. Der Augenblick konnte nicht guenstiger sein. Nur darum hatte
Caesar in Luca Pompeius so viel eingeraeumt, weil Crassus und dessen
syrische Armee bei einem etwaigen Bruch mit Pompeius notwendig in
Caesars Waagschale fielen; denn auf Crassus, der seit der sullanischen
Zeit mit Pompeius aufs tiefste verfeindet und fast ebensolange mit
Caesar politisch und persoenlich verbuendet war, und der nach seiner
Eigentuemlichkeit allenfalls, wenn er nicht selbst Koenig von Rom werden
konnte, auch damit sich begnuegt haben wuerde, des neuen Koenigs von Rom
Bankier zu sein, durfte Caesar ueberhaupt zaehlen und auf keinen
Fall besorgen, ihn sich gegenueber als Verbuendeten seiner Feinde zu
erblicken. Die Katastrophe von Juni 791 (53), in der Heer und Feldherr
in Syrien zu Grunde gingen, war darum auch fuer Caesar ein furchtbar
schwerer Schlag. Wenige Monate spaeter loderte in Gallien, ebenda es
vollstaendig unterworfen schien, die nationale Insurrektion gewaltiger
empor als je und trat zum erstenmal hier gegen Caesar ein ebenbuertiger
Gegner in dem Arvernerkoenig Vercingetorix auf. Wieder einmal hatte
das Geschick fuer Pompeius gearbeitet: Crassus war tot, ganz Gallien im
Aufstand, Pompeius faktisch Diktator von Rom und Herr des Senats - was
haette kommen moegen, wenn er jetzt, statt in weite Ferne hinein gegen
Caesar zu intrigieren, kurzweg die Buergerschaft oder den Senat
zwang, Caesar sofort aus Gallien abzurufen! Aber Pompeius hat es nie
verstanden, das Glueck bei der Locke zu fassen. Er kuendigte den Bruch
deutlich genug an; bereits 702 (52) liessen seine Handlungen darueber
keinen Zweifel und schon im Fruehjahr 703 (51) sprach er seine Absicht,
mit Caesar zu brechen, unverhohlen aus; aber er brach nicht und liess
ungenutzt die Monate verstreichen. Indes wie auch Pompeius zoegerte, die
Krise rueckte doch durch das Schwergewicht der Dinge selbst unaufhaltsam
heran. Der bevorstehende Krieg war nicht etwa ein Kampf zwischen
Republik und Monarchie - die Entscheidung darueber war bereits vor
Jahren gefallen -, sondern ein Kampf um den Besitz der Krone Roms
zwischen Pompeius und Caesar. Aber keiner der Praetendenten fand seine
Rechnung dabei, die rechte Parole auszusprechen; er haette damit den
ganzen sehr ansehnlichen Teil der Buergerschaft, der den Fortbestand
der Republik wuenschte und an dessen Moeglichkeit glaubte, dem Gegner
geradezu ins Lager getrieben. Die alten Schlachtrufe, wie sie Gracchus
und Drusus, Cinna und Sulla angestimmt hatten, wie verbraucht und
inhaltlos sie waren, blieben immer noch gut genug zum Feldgeschrei fuer
den Kampf der beiden um die Alleinherrschaft ringenden Generale; und
wenn auch fuer den Augenblick sowohl Pompeius wie Caesar offiziell sich
zu der sogenannten Popularpartei rechneten, so konnte es doch keinen
Augenblick zweifelhaft sein, dass Caesar das Volk und den demokratischen
Fortschritt, Pompeius die Aristokratie und die legitime Verfassung auf
sein Panier schreiben werde. Caesar hatte keine Wahl. Er war von Haus
aus und sehr ernstlich Demokrat, die Monarchie, wie er sie verstand,
mehr aeusserlich als im Wesen selbst von dem gracchischen Volksregiment
verschieden; und er war ein zu hochsinniger und zu tiefer Staatsmann, um
seine Farbe zu decken und unter einem anderen als seinem eigenen Wappen
zu fechten. Der unmittelbare Nutzen freilich, den dies Feldgeschrei ihm
brachte, war gering; er beschraenkte in der Hauptsache sich darauf,
dass er dadurch der Unbequemlichkeit ueberhoben ward, das Koenigtum beim
Namen zu nennen und mit dem verfemten Worte die Masse der Lauen und
die eigenen Anhaenger zu konsternieren. Positiven Gewinn trug die
demokratische Fahne kaum noch ein, seit die gracchischen Ideale durch
Clodius schaendlich und laecherlich geworden waren; denn wo gab
es jetzt, abgesehen etwa von den Transpadanern, einen Kreis von
irgendwelcher Bedeutung, der durch die Schlachtrufe der Demokratie zur
Teilnahme an dem Kampfe sich haette bestimmen lassen? Damit waere auch
Pompeius' Rolle in dem bevorstehenden Kampf entschieden gewesen, wenn
nicht ohnehin schon es sich von selbst verstanden haette, dass er in
denselben eintreten wusste als der Feldherr der legitimen Republik. Ihn
hatte, wenn je einen, die Natur zum Glied einer Aristokratie bestimmt,
und nur sehr zufaellige und sehr egoistische Motive hatten ihn als
Ueberlaeufer aus dem aristokratischen in das demokratische Lager
gefuehrt. Dass er jetzt wieder auf seine sullanischen Traditionen
zurueckkam, war nicht bloss sachgemaess, sondern in jeder Beziehung von
wesentlichem Nutzen. So verbraucht das demokratische Feldgeschrei war,
von so gewaltiger Wirkung wusste das konservative sein, wenn es von dem
rechten Mann ausging. Vielleicht die Majoritaet, auf jeden Fall der Kern
der Buergerschaft, gehoerte der verfassungstreuen Partei an, und ihrer
numerischen und moralischen Staerke nach war dieselbe wohl berufen,
in dem bevorstehenden Praetendentenkampf in maechtiger, vielleicht in
entscheidender Weise zu intervenieren. Es fehlte ihr nichts als ein
Fuehrer. Marcus Cato, ihr gegenwaertiges Haupt, tat als Vormann seine
Schuldigkeit, wie er sie verstand, unter taeglicher Lebensgefahr und
vielleicht ohne Hoffnung auf Erfolg; seine Pflichttreue ist achtbar,
aber der letzte auf einem verlorenen Posten zu sein, ist Soldaten-,
nicht Feldherrnlob. Die gewaltige Reserve, die der Partei der
gestuerzten Regierung wie von selber in Italien erwachsen war, wusste
er weder zu organisieren noch rechtzeitig in den Kampf zu ziehen; und,
worauf am Ende alles ankam, die militaerische Fuehrung hat er aus guten
Gruenden niemals in Anspruch genommen. Wenn anstatt dieses Mannes, der
weder Parteihaupt noch General zu sein verstand, ein Mann von Pompeius'
politischer und militaerischer Bedeutung das Banner der bestehenden
Verfassung erhob, so stroemten notwendig die Munizipalen Italiens
haufenweise demselben zu, um darunter, zwar nicht fuer den Koenig
Pompeius, aber doch gegen den Koenig Caesar fechten zu helfen. Hierzu
kam ein anderes, wenigstens ebenso wichtiges Moment. Es war Pompeius'
Art, selbst wenn er sich entschlossen hatte, nicht den Weg zur
Ausfuehrung seines Entschlusses finden zu koennen. Wenn er den Krieg
vielleicht zu fuehren, aber gewiss nicht zu erklaeren verstand, so war
die catonische Partei sicher unfaehig, ihn zu fuehren, aber sehr
faehig und vor allem sehr bereit gegen die in der Gruendung begriffene
Monarchie den Krieg zu motivieren. Nach Pompeius' Absicht sollte,
waehrend er selbst sich beiseite hielt und in seiner Art bald davon
redete demnaechst in seine spanischen Provinzen abgehen zu wollen, bald
zur Uebernahme des Kommandos am Euphrat sich reisefertig machte, die
legitime Regierungsbehoerde, das heisst der Senat, mit Caesar brechen,
ihm den Krieg erklaeren und mit dessen Fuehrung Pompeius beauftragen,
der dann, dem allgemeinen Verlangen nachgebend, als Beschuetzer der
Verfassung gegen demagogisch-monarchische Wuehlereien, als rechtlicher
Mann und Soldat der bestehenden Ordnung gegen die Wuestlinge und
Anarchisten, als wohlbestallter Feldherr der Kurie gegen den Imperator
von der Gasse aufzutreten und wieder einmal das Vaterland zu retten
gedachte. Also gewann Pompeius durch die Allianz mit den Konservativen,
teils zu seinen persoenlichen Anhaengern eine zweite Armee, teils ein
angemessenes Kriegsmanifest - Vorteile, die allerdings erkauft wurden
um den hohen Preis des Zusammengehens mit prinzipiellen Gegnern. Von den
unzaehligen Uebelstaenden, die in dieser Koalition lagen, entwickelte
sich vorlaeufig nur erst der eine, aber bereits sehr ernste, dass
Pompeius es aus der Hand gab, wann und wie es ihm gefiel, gegen Caesar
loszuschlagen, und in diesem entscheidenden Punkte sich abhaengig machte
von allen Zufaelligkeiten und Launen einer aristokratischen Korporation.
So ward also die republikanische Opposition, nachdem sie sich Jahre
lang mit der Zuschauerrolle hatte begnuegen muessen und kaum hatte wagen
duerfen zu pfeifen, jetzt durch den bevorstehenden Bruch der Machthaber
wieder auf die politische Schaubuehne zurueckgefuehrt. Es war dies
zunaechst der Kreis, der in Cato seinen Mittelpunkt fand, diejenigen
Republikaner, die den Kampf fuer die Republik und gegen die Monarchie
unter allen Umstaenden und je eher desto lieber zu wagen entschlossen
waren. Der klaegliche Ausgang des im Jahre 698 (56) gemachten Versuchs
hatte sie belehrt, dass sie fuer sich allein den Krieg weder zu fuehren
noch auch nur hervorzurufen imstande waren; maenniglich war es bekannt,
dass selbst in dem Senat zwar die ganze Koerperschaft mit wenigen
vereinzelten Ausnahmen der Monarchie abgeneigt war, allein die
Majoritaet doch das oligarchische Regiment nur dann restaurieren wollte,
wenn es ohne Gefahr sich restaurieren liess, womit es denn freilich gute
Weile hatte. Gegenueber einesteils den Machthabern, andernteils dieser
schlaffen Majoritaet, die vor allen Dingen und um jeden Preis
Frieden verlangte und jedem entschiedenen Handeln, am meisten einem
entschiedenen Bruch mit dem einen oder dem anderen der Machthaber
abgeneigt war, lag fuer die Catonische Partei die einzige Moeglichkeit,
zu einer Restauration des alten Regiments zu gelangen, in der Koalition
mit dem minder gefaehrlichen der Herrscher. Wenn Pompeius sich zu der
oligarchischen Verfassung bekannte und fuer sie gegen Caesar zu streiten
sich erbot, so konnte und musste die republikanische Opposition ihn
als ihren Feldherrn anerkennen und mit ihm im Bunde die furchtsame
Majoritaet zur Kriegserklaerung zwingen. Dass es Pompeius mit seiner
Verfassungstreue nicht voller Ernst war, konnte zwar niemand entgehen;
aber halb, wie er in allem war, war es ihm doch auch keineswegs so wie
Caesar zum deutlichen und sicheren Bewusstsein gekommen, dass es das
erste Geschaeft des neuen Monarchen sein muesse, mit dem oligarchischen
Geruempel gruendlich und abschliessend aufzuraeumen. Auf alle Faelle
bildete der Krieg ein wirklich republikanisches Heer und wirklich
republikanische Feldherren heran, und es konnte dann, nach dem Siege
ueber Caesar, unter guenstigeren Aussichten dazu geschritten werden,
nicht bloss einen der Monarchen, sondern die im Werden begriffene
Monarchie selbst zu beseitigen. Verzweifelt wie die Sache der Oligarchie
stand, war das Anerbieten des Pompeius, mit ihr sich zu verbuenden, fuer
sie die moeglichst guenstige Fuegung. Der Abschluss der Allianz zwischen
Pompeius und der catonischen Partei erfolgte verhaeltnismaessig rasch.
Schon waehrend Pompeius' Diktatur hatte beiderseits eine bemerkenswerte
Annaeherung stattgefunden. Pompeius ganzes Verhalten in der Milonischen
Krise, seine schroffe Zurueckweisung des die Diktatur ihm antragenden
Poebels, seine bestimmte Erklaerung, nur vom Senat dies Amt annehmen zu
wollen, seine unnachsichtige Strenge gegen die Ruhestoerer jeder Art und
namentlich gegen die Ultrademokraten, die auffallende Zuvorkommenheit,
womit er Cato und dessen Gesinnungsgenossen behandelte, schienen ebenso
darauf berechnet, die Maenner der Ordnung zu gewinnen, wie sie fuer den
Demokraten Caesar beleidigend waren. Andererseits hatten auch Cato und
seine Getreuen den Antrag, Pompeius die Diktatur zu uebertragen,
statt ihn mit gewohntem Rigorismus zu bekaempfen, unter unwesentlichen
Formaenderungen zu dem ihrigen gemacht; zunaechst aus den Haenden des
Bibulus und Cato hatte Pompeius das ungeteilte Konsulat empfangen.
Wenn so schon zu Anfang des Jahres 702 (52) die Catonische Partei und
Pompeius wenigstens stillschweigend sich verstanden, so durfte das
Buendnis als foermlich abgeschlossen gelten, als bei den Konsulwahlen
fuer 703 (51) zwar nicht Cato selbst gewaehlt ward, aber doch neben
einem unbedeutenden Manne der Senatsmajoritaet einer der entschiedensten
Anhaenger Catos, Marcus Claudius Marcellus. Marcellus war
kein stuermischer Eiferer und noch weniger ein Genie, aber ein
charakterfester und strenger Aristokrat, eben der rechte Mann, um, wenn
mit Caesar der Krieg begonnen werden sollte, denselben zu erklaeren. Wie
die Verhaeltnisse lagen, kann diese nach den unmittelbar vorher gegen
die republikanische Opposition ergriffenen Repressivmassregeln so
auffallende Wahl kaum anders erfolgt sein als mit Einwilligung oder
wenigstens unter stillschweigender Zulassung des derzeitigen Machthabers
von Rom. Langsam und schwerfaellig, wie er pflegte, aber unverwandt
schritt Pompeius auf den Bruch zu. In Caesars Absicht lag es dagegen
nicht, in diesem Augenblicke mit Pompeius sich zu ueberwerfen. Zwar
ernstlich und auf die Dauer konnte er die Herrschergewalt mit keinem
Kollegen teilen wollen, am wenigsten mit einem so untergeordneter Art,
wie Pompeius war, und ohne Zweifel war er laengst entschlossen, nach
Beendigung der gallischen Eroberung die Alleinherrschaft fuer sich zu
nehmen und noetigenfalls mit den Waffen zu erzwingen. Allein ein Mann
wie Caesar, in dem der Offizier durchaus dem Staatsmann untergeordnet
war, konnte nicht verkennen, dass die Regulierung des staatlichen
Organismus durch Waffengewalt denselben in ihren Folgen tief und oft
fuer immer zerruettet, und musste darum, wenn irgend moeglich, die
Verwicklung durch friedliche Mittel oder wenigstens ohne offenbaren
Buergerkrieg zu loesen suchen. War aber dennoch der Buergerkrieg nicht
zu vermeiden, so konnte er doch nicht wuenschen, jetzt dazu gedraengt
zu werden, wo in Gallien der Aufstand des Vercingetorix eben alles
Erreichte aufs neue in Frage stellte und ihn vom Winter 701/02 (53/52)
bis zum Winter 702/03 (52/51) unausgesetzt beschaeftigte, wo Pompeius
und die grundsaetzlich ihm feindliche Verfassungspartei in Italien
geboten. Darum suchte er das Verhaeltnis mit Pompeius und damit den
Frieden aufrecht zu halten und, wenn irgend moeglich, in friedlicher
Weise zu dem bereits in Luca ihm zugesicherten Konsulat fuer 706 (48) zu
gelangen. Ward er alsdann nach abschliessender Erledigung der keltischen
Angelegenheiten in ordnungsgemaesser Weise an die Spitze des Staates
gestellt, so konnte er, der dem Staatsmann Pompeius noch weit
entschiedener ueberlegen war als dem Feldherrn, wohl darauf rechnen,
ohne besondere Schwierigkeit diesen in der Kurie und auf dem
Forum auszumanoevrieren. Vielleicht war es moeglich, fuer seinen
schwerfaelligen, unklaren und hoffaertigen Nebenbuhler irgendeine
ehrenvolle und einflussreiche Stellung zu ermitteln, in der dieser sich
zu annullieren zufrieden war; die wiederholten Versuche Caesars, sich
mit Pompeius verschwaegert zu halten, mochten darauf abzielen,
eine solche Loesung anzubahnen und in der Sukzession der aus beider
Nebenbuhler Blut herstammenden Sproesslinge die letzte Schlichtung des
alten Haders herbeizufuehren. Die republikanische Opposition blieb dann
fuehrerlos, also wahrscheinlich ebenfalls ruhig und der Friede
ward erhalten. Gelang dies nicht und mussten, wie es allerdings
wahrscheinlich war, schliesslich die Waffen entscheiden, so verfuegte
dann Caesar als Konsul in Rom ueber die gehorsame Senatsmajoritaet und
konnte die Koalition der Pompeianer und der Republikaner erschweren, ja
vielleicht vereiteln und den Krieg weit schicklicher und vorteilhafter
fuehren, als wenn er jetzt als Prokonsul von Gallien gegen den Senat und
dessen Feldherrn marschieren liess. Allerdings hing das Gelingen dieses
Planes davon ab, dass Pompeius gutmuetig genug war, jetzt noch Caesar zu
dem ihm in Luca zugesicherten Konsulat fuer 706 (48) gelangen zu lassen;
aber selbst wenn er fehlschlug, war es fuer Caesar immer noch
nuetzlich, die groesste Nachgiebigkeit tatsaechlich und wiederholt
zu dokumentieren. Teils ward dadurch Zeit gewonnen, um inzwischen im
Keltenland zum Ziele zu kommen, teils blieb den Gegnern die gehaessige
Initiative des Bruches und also des Buergerkriegs, was sowohl der
Senatsmajoritaet und der Partei der materiellen Interessen, also auch
namentlich den eigenen Soldaten gegenueber fuer Caesar vom groessten
Belang war. Hiernach handelte er. Er ruestete freilich: durch neue
Aushebungen im Winter 702/03 (52/51) stieg die Zahl seiner Legionen,
einschliesslich der von Pompeius entlehnten, auf elf. Aber zugleich
billigte er ausdruecklich und oeffentlich Pompeius' Verhalten waehrend
der Diktatur und die durch ihn bewirkte Wiederherstellung der Ordnung
in der Hauptstadt, wies die Warnungen geschaeftiger Freunde als
Verleumdungen zurueck, rechnete jeden Tag, um den es gelang, die
Katastrophe zu verzoegern, sich zum Gewinn, uebersah, was
sich uebersehen liess, und ertrug, was ertragen werden konnte,
unerschuetterlich festhaltend nur an der einen und entscheidenden
Forderung, dass, wenn mit dem Jahre 705 (49) seine Statthalterschaft zu
Ende ging, das nach republikanischem Staatsrecht zulaessige, von seinem
Kollegen vertragsmaessig zugestandene zweite Konsulat fuer das Jahr
706 (48) ihm zuteil werde. Ebendies wurde das Schlachtfeld des jetzt
beginnenden diplomatischen Krieges. Wenn Caesar genoetigt wurde,
entweder sein Statthalteramt vor dem letzten Dezember 705 (49)
niederzulegen oder die Uebernahme des hauptstaedtischen Amtes ueber
den 1. Januar 706 (48) hinauszuschieben, er also eine Zeitlang zwischen
Statthalterschaft und Konsulat ohne Amt, folglich der - nach roemischem
Recht nur gegen den amtlosen Mann zulaessigen - Kriminalanklage
ausgesetzt blieb, so hatte, da Cato laengst bereit stand, ihn peinlich
zu belangen, und da Pompeius ein mehr als zweifelhafter Beschuetzer
war, das Publikum guten Grund, ihm in diesem Fall das Schicksal Milos zu
prophezeien. Um aber jenes zu erreichen, gab es fuer Caesars Gegner
ein sehr einfaches Mittel. Nach der bestehenden Wahlordnung war jeder
Bewerber um das Konsulat verpflichtet, vor der Wahl, also ein halbes
Jahr vor dem Amtsantritt, sich persoenlich bei dem wahlleitenden
Beamten zu melden und die Einzeichnung seines Namens in die offizielle
Kandidatenliste zu bewirken. Es mag bei den Vertraegen von Luca als
selbstverstaendlich angesehen worden sein, dass Caesar von dieser
rein formellen und sehr oft den Kandidaten erlassenen Verpflichtung
dispensiert werde; allein das desfaellige Dekret war noch nicht
ergangen, und da Pompeius jetzt im Besitz der Dekretiermaschine war,
hing Caesar in dieser Hinsicht von dem guten Willen seines Nebenbuhlers
ab. Unbegreiflicherweise gab Pompeius diese vollkommen sichere Stellung
freiwillig auf; mit seiner Einwilligung und waehrend seiner Diktatur
702 (52) ward durch ein tribunizisches Gesetz Caesar die persoenliche
Meldung erlassen. Als indes bald darauf die neue Wahlordnung erging, war
darin die Verpflichtung der Kandidaten, persoenlich sich einschreiben zu
lassen, allgemein wiederholt und keinerlei Ausnahme zu Gunsten der durch
aeltere Volksschluesse davon Entbundenen hinzugefuegt; nach formellem
Recht war das zu Gunsten Caesars ergangene Privileg durch das juengere
allgemeine Gesetz aufgehoben. Caesar beschwerte sich, und die Klausel
wurde auch nachgetragen, aber nicht durch besonderen Volksschluss
bestaetigt, so dass diese durch reine Interpolation dem schon
promulgierten Gesetz eingefuegte Bestimmung rechtlich nur als eine
Nullitaet angesehen werden konnte. Was also Pompeius einfach haette
festhalten koennen, hatte er vorgezogen erst zu verschenken, sodann
zurueckzunehmen und diese Zuruecknahme schliesslich in illoyalster
Weise zu bemaenteln. Wenn hiermit nur mittelbar auf Verkuerzung der
Statthalterschaft Caesars hingearbeitet ward, so verfolgte dagegen das
gleichzeitig ergangene Regulativ ueber die Statthalterschaften dasselbe
Ziel geradezu. Die zehn Jahre, auf welche, zuletzt durch das von
Pompeius selbst in Gemeinschaft mit Crassus beantragte Gesetz, Caesar
die Statthalterschaft gesichert worden war, liefen nach der hierfuer
ueblichen Rechnung vom 1. Maerz 695 (59) bis zum letzten Februar 705
(49). Da ferner nach der frueheren Uebung dem Prokonsul oder Propraetor
das Recht zustand, unmittelbar nach Beendigung seines Konsulats oder
seiner Praetur in sein Provinzialamt einzutreten, so war Caesars
Nachfolger nicht aus den staedtischen Beamten des Jahres 704 (50),
sondern aus denen des Jahres 705 (49) zu ernennen und konnte also nicht
vor dem 1. Januar 706 (48) eintreten. Insofern hatte Caesar auch noch
waehrend der letzten zehn Monate des Jahres 705 (49) ein Anrecht auf das
Kommando, nicht auf Grund des Pompeisch- Licinischen Gesetzes, aber auf
Grund der alten Regel, dass das befristete Kommando auch nach Ablauf der
Frist bis zum Eintreffen des Nachfolgers fortdauert. Seitdem nun aber
das neue Regulativ des Jahres 702 (52) nicht die abgehenden, sondern die
vor fuenf Jahren oder laenger abgegangenen Konsuln und Praetoren zu den
Statthalterschaften berief und also zwischen dem buergerlichen Amt und
dem Kommando, statt der bisherigen unmittelbaren Aufeinanderfolge, ein
Intervall vorschrieb, war nichts mehr im Wege, jede gesetzlich erledigte
Statthalterschaft sofort anderweitig zu besetzen, also in dem gegebenen
Falle fuer die gallischen Provinzen den Kommandowechsel statt am 1.
Januar 706 (48) vielmehr am 1. Maerz 705 (49) herbeizufuehren. Pompeius'
kuemmerliche Hinterhaeltigkeit und zoegernde Tuecke sind in diesen
Veranstaltungen in merkwuerdiger Weise gemischt mit dem
knifflichen Formalismus und der konstitutionellen Gelehrsamkeit der
Verfassungspartei. Jahre zuvor, ehe diese staatsrechtlichen Waffen
gebraucht werden konnten, legte man sie sich zurecht und setzte sich
in die Verfassung, teils Caesar vor dem Tage, wo die durch Pompeius'
eigenes Gesetz ihm zugesicherte Frist zu Ende lief, also vom 1. Maerz
705 (49) an, durch Sendung der Nachfolger zur Niederlegung des Kommandos
noetigen, teils die bei den Wahlen fuer 706 (48) auf ihn lautenden
Stimmtafeln als nichtige behandeln zu koennen. Caesar, nicht in der
Lage, diese Schachzuege zu hindern, schwieg dazu und liess die Dinge
an sich kommen. Allgemach rueckte denn der verfassungsmaessige
Schneckengang weiter. Nach der Observanz hatte der Senat ueber die
Statthalterschaften des Jahres 705 (49), insofern sie an gewesene
Konsuln kamen, zu Anfang des Jahres 703 (51), insofern sie an gewesene
Praetoren kamen, zu Anfang des Jahres 704 (50) zu beraten; jene erstere
Beratung gab den ersten Anlass, die Ernennung von neuen Statthaltern
fuer beide Gallien im Senat zur Sprache zu bringen und damit den ersten
Anlass zu offener Kollision zwischen der von Pompeius vorgeschobenen
Verfassungspartei und den Vertretern Caesars im Senat. Der Konsul
Marcus Marcellus brachte den Antrag ein, den beiden fuer 705 (49) mit
Statthalterschaften auszustattenden Konsularen die beiden bisher von
dem Prokonsul Gaius Caesar verwalteten vom 1. Maerz jenes Jahres an zu
ueberweisen. Die lange zurueckgehaltene Erbitterung brach im Strom durch
die einmal aufgezogene Schleuse; es kam bei diesen Unterhandlungen alles
zur Sprache, was die Catonianer gegen Caesar im Sinn trugen. Fuer
sie stand es fest, dass das durch Ausnahmegesetz dem Prokonsul Caesar
gestattete Recht, sich abwesend zur Konsulwahl zu melden, durch
spaeteren Volksschluss wieder aufgehoben, auch in diesem nicht in
gueltiger Weise vorbehalten sei. Der Senat sollte ihrer Meinung nach
diesen Beamten veranlassen, da die Unterwerfung Galliens beendigt sei,
die ausgedienten Soldaten sofort zu verabschieden. Die von Caesar
in Oberitalien vorgenommenen Buergerrechtsverleihungen und
Koloniegruendungen wurden von ihnen als verfassungswidrig und nichtig
bezeichnet; davon zu weiterer Verdeutlichung verhaengte Marcellus ueber
einen angesehenen Ratsherrn der Caesarischen Kolonie Comum, der, selbst
wenn diesem Ort nicht Buerger-, sondern nur latinisches Recht zukam,
befugt war, das roemische Buergerrecht in Anspruch zu nehmen, die
nur gegen Nichtbuerger zulaessige Strafe des Auspeitschens. Caesars
derzeitige Vertreter, unter denen Gaius Vibius Pansa, der Sohn eines
von Sulla geaechteten Mannes, aber dennoch in die politische Laufbahn
gelangt, frueher Offizier in Caesars Heer und in diesem Jahre
Volkstribun, der namhafteste war, machten im Senat geltend, dass sowohl
der Stand der Dinge in Gallien als auch die Billigkeit erfordere,
nicht nur Caesar nicht vor der Zeit abzurufen, sondern vielmehr ihm das
Kommando neben dem Konsulat zu lassen; sie wiesen ohne Zweifel darauf
hin, dass vor wenigen Jahren Pompeius ganz ebenso die spanischen
Statthalterschaften mit dem Konsulat vereinigt habe und noch
gegenwaertig, ausser dem wichtigen Oberaufsichtsamt ueber das
hauptstaedtische Verpflegungswesen, mit dem spanischen Oberkommando das
von Italien kumuliere, ja dessen saemtliche waffenfaehige Mannschaft von
ihm eingeschworen und ihres Eides noch nicht entbunden sei. Der Prozess
fing an sich zu formulieren, aber er kam darum nicht in rascheren Gang.
Die Majoritaet des Senats, den Bruch kommen sehend, liess es Monate lang
zu keiner beschlussfaehigen Sitzung kommen; und wieder andere Monate
gingen ueber Pompeius' feierlichem Zaudern verloren. Endlich brach
dieser das Schweigen und stellte sich zwar wie immer in rueckhaltiger
und unsicherer Weise, doch deutlich genug, gegen seinen bisherigen
Verbuendeten auf die Seite der Verfassungspartei. Die Forderung
der Caesarianer, ihrem Herrn die Kumulierung des Konsulats mit dem
Prokonsulat zu gestatten, wies er kurz und schroff von der Hand; dies
Verlangen, fuegte er mit plumper Grobheit hinzu, komme ihm nicht besser
vor, als wenn der Sohn dem Vater Stockschlaege anbiete. Dem Antrag des
Marcellus stimmte er im Prinzip insofern bei, als auch er erklaerte,
Caesar den unmittelbaren Anschluss des Konsulats an das Prokonsulat
nicht erlauben zu wollen. Indes liess er durchblicken, ohne doch
hierueber sich bindend zu erklaeren, dass man die Zulassung zu den
Wahlen fuer 706 (48) unter Beseitigung der persoenlichen Meldung sowie
die Fortfuehrung der Statthalterschaft bis zum 13. November 705 (49)
aeussersten Falls Caesar vielleicht gestatten werde. Zunaechst
aber willigte der unverbesserliche Zauderer in die Vertagung der
Nachfolgerernennung bis nach dem letzten Februar 704 (50), was von
Caesars Wortfuehrern verlangt ward, wahrscheinlich auf Grund einer
Klausel des Pompeisch-Licinischen Gesetzes, welche vor dem Anfang von
Caesars letztem Statthalterjahr jede Verhandlung des Senats ueber
die Nachfolgerernennung untersagte. In diesem Sinne fielen denn die
Beschluesse des Senats aus (29. September 703 51). Die Besetzung der
gallischen Statthalterschaften ward fuer den 1. Maerz 704 (50) auf die
Tagesordnung gebracht, schon jetzt aber die Sprengung der Armee Caesars,
aehnlich wie es einst durch Volksschluss mit dem Heere des Lucullus
geschehen war, in der Art in die Hand genommen, dass die Veteranen
desselben veranlasst wurden, sich wegen ihrer Verabschiedung an
den Senat zu wenden. Caesars Vertreter bewirkten zwar, soweit sie
verfassungsmaessig es konnten, die Kassation dieser Beschluesse durch
ihr tribunizisches Veto; allein Pompeius sprach sehr bestimmt aus, dass
die Beamten verpflichtet seien, dem Staat unbedingt zu gehorchen und
Interzessionen und aehnliche antiquierte Formalitaeten hierin nichts
aendern wuerden. Die oligarchische Partei, zu deren Organ Pompeius
jetzt sich machte, verriet nicht undeutlich die Absicht, nach einem
allfaelligen Siege die Verfassung in ihrem Sinn zu revidieren und alles
zu beseitigen, was wie Volksfreiheit auch nur aussah; wie sie denn auch,
ohne Zweifel aus diesem Grunde, es unterliess, bei ihren gegen Caesar
gerichteten Angriffen sich irgendwie der Komitien zu bedienen. Die
Koalition zwischen Pompeius und der Verfassungspartei war also foermlich
erklaert, auch ueber Caesar das Urteil offenbar bereits gefaellt und nur
der Termin der Eroeffnung verschoben. Die Wahlen fuer das folgende Jahr
fielen durchgaengig gegen ihn aus. Waehrend dieser kriegsvorbereitenden
Parteimanoever der Gegner war es Caesar gelungen, mit der gallischen
Insurrektion fertigzuwerden und in dem ganzen unterworfenen Gebiet den
Friedensstand herzustellen. Schon im Sommer 703 (51) zog er, unter dem
schicklichen Vorwand der Grenzverteidigung, aber offenbar zum Zeichen
dessen, dass die Legionen in Gallien jetzt anfingen entbehrt werden zu
koennen, eine derselben nach Norditalien. Er musste, wenn nicht frueher,
jedenfalls wohl jetzt erkennen, dass es ihm nicht erspart bleiben werde,
das Schwert gegen seine Mitbuerger zu ziehen; allein nichtsdestoweniger
suchte er, da es hoechst wuenschenswert war, die Legionen noch eine
Zeitlang in dem kaum beschwichtigten Gallien zu lassen, auch jetzt noch
zu zoegern und gab, wohl bekannt mit der extremen Friedensliebe der
Senatsmajoritaet, die Hoffnung nicht auf, sie ungeachtet des von
Pompeius auf sie ausgeuebten Druckes von der Kriegserklaerung noch
zurueckzuhalten. Selbst grosse Opfer scheute er nicht, um nur fuer jetzt
nicht mit der obersten Regierungsbehoerde in offenen Widerspruch zu
geraten. Als der Senat (Fruehling 704 50) auf Betrieb des Pompeius
sowohl an diesen wie an Caesar das Ansuchen stellte, je eine Legion fuer
den bevorstehenden Parthischen Krieg abzugeben, und als in Gemaessheit
dieses Beschlusses Pompeius die vor mehreren Jahren an Caesar
ueberlassene Legion von diesem zurueckverlangte, um sie nach Syrien
einzuschiffen, kam Caesar der zwiefachen Aufforderung nach, da an sich
weder die Opportunitaet dieses Senatsbeschlusses noch die Berechtigung
der Forderung des Pompeius sich bestreiten liess und Caesar an der
Einhaltung der Schranken des Gesetzes und der formalen Loyalitaet mehr
gelegen war als an einigen tausend Soldaten mehr. Die beiden Legionen
kamen ohne Verzug und stellten sich der Regierung zur Verfuegung,
aber statt sie an den Euphrat zu senden, hielt diese sie in Capua
fuer Pompeius in Bereitschaft, und das Publikum hatte wieder einmal
Gelegenheit, Caesars offenkundige Bemuehungen, den Bruch abzuwenden,
mit der perfiden Kriegsvorbereitung der Gegner zu vergleichen. Fuer die
Verhandlungen mit dem Senat war es Caesar gelungen, nicht nur den einen
der beiden Konsuln des Jahres, Lucius Aemilius Paullus, zu erkaufen,
sondern vor allem den Volkstribun Gaius Curio, wahrscheinlich das
eminenteste unter den vielen liederlichen Genies dieser Epoche ^2:
unuebertroffen an vornehmer Eleganz, an fliessender und geistreicher
Rede, an Intrigengeschick und an jener Tatkraft, welche bei energisch
angelegten, aber verlotterten Charakteren in den Pausen des Muessiggangs
nur um so maechtiger sich regt; aber auch unuebertroffen in wuester
Wirtschaft, im Borgtalent - man schlug seine Schulden auf 60 Mill.
Sesterzen (4« Mill. Taler) an - und in sittlicher wie politischer
Grundsatzlosigkeit. Schon frueher hatte er Caesar sich zu Kauf
angetragen und war abgewiesen worden: das Talent, das er seitdem in
seinen Angriffen auf Caesar entwickelt hatte, bestimmte diesen, ihn
nachtraeglich zu erstehen - der Preis war hoch, aber die Ware war
es wert. Curio hatte in den ersten Monaten seines Volkstribunats den
unabhaengigen Republikaner gespielt und als solcher sowohl gegen Caesar
wie gegen Pompeius gedonnert. Die anscheinend unparteiische Stellung,
die dies ihm gab, benutzte er mit seltener Gewandtheit, um, als im
Maerz 704 (50) der Antrag ueber die Besetzung der gallischen
Statthalterschaften fuer das naechste Jahr aufs neue im Senat zur
Verhandlung kam, diesem Beschlusse vollstaendig beizupflichten, aber
die gleichzeitige Ausdehnung desselben auch auf Pompeius und dessen
ausserordentliche Kommandos zu verlangen. Seine Auseinandersetzung, dass
ein verfassungsmaessiger Zustand sich nur durch Beseitigung saemtlicher
Ausnahmestellungen herbeifuehren lasse, dass Pompeius, als nur vom Senat
mit dem Prokonsulat betraut, noch viel weniger als Caesar demselben den
Gehorsam verweigern koenne, dass die einseitige Beseitigung des einen
der beiden Generaele die Gefahr fuer die Verfassung nur steigere,
leuchtete den politischen Halbweisen wie dem grossen Publikum vollkommen
ein, und Curios Erklaerung, dass er jedes einseitige Vorschreiten gegen
Caesar durch das verfassungsmaessig ihm zustehende Veto zu verhindern
gedenke, fand in und ausser dem Senat vielfach Billigung. Caesar
erklaerte sich mit Curios Vorschlag sofort einverstanden und erbot sich,
Statthalterschaft und Kommando jeden Augenblick auf Anforderndes Senats
niederzulegen, wofern Pompeius das gleiche tue; er durfte es, denn ohne
sein italisch-spanisches Kommando war Pompeius nicht laenger furchtbar.
Dagegen konnte Pompeius eben deswegen nicht umhin sich zu weigern; seine
Erwiderung, dass Caesar zuerst niederlegen muesse und er dem gegebenen
Beispiel bald zu folgen gedenke, befriedigte um so weniger, als er nicht
einmal einen bestimmten Termin fuer seinen Ruecktritt ansetzte. Wieder
stockte Monate lang die Entscheidung; Pompeius und die Catonianer, die
bedenkliche Stimmung der Senatsmajoritaet erkennend, wagten es nicht,
Curios Antrag zur Abstimmung zu bringen. Caesar benutzte den Sommer, um
den Friedensstand in den von ihm eroberten Landschaften zu konstatieren,
an der Schelde eine grosse Heerschau ueber seine Truppen und durch die
ihm voellig ergebene norditalische Statthalterschaft einen Triumphzug zu
halten; der Herbst fand ihn in der suedlichen Grenzstadt seiner Provinz,
in Ravenna. Die nicht laenger zu verzoegernde Abstimmung ueber Curios
Antrag fand endlich statt und konstatierte die Niederlage der Partei
des Pompeius und Cato in ihrem ganzen Umfang. Mit 370 gegen 30 Stimmen
beschloss der Senat, dass die Prokonsuln von Spanien und Gallien
beide aufzufordern seien, ihre Aemter zugleich niederzulegen; und
mit grenzenlosem Jubel vernahmen die guten Buerger von Rom die frohe
Botschaft von Curios rettender Tat. Pompeius ward also vom Senat nicht
minder abberufen als Caesar, und waehrend Caesar bereit stand, dem
Befehl nachzukommen, verweigerte Pompeius geradezu den Gehorsam. Der
vorsitzende Konsul Gaius Marcellus, des Marcus Marcellus Vetter und
gleich diesem zur Catonischen Partei gehoerig, hielt der servilen
Majoritaet eine bittere Strafpredigt; und aergerlich war es freilich, so
im eigenen Lager geschlagen zu werden und geschlagen mittels der Phalanx
der Memmen. Aber wo sollte der Sieg auch herkommen unter einem Fuehrer,
der, statt kurz und bestimmt den Senatoren seine Befehle zu diktieren,
sich auf seine alten Tage bei einem Professor der Redekunst zum
zweitenmal in die Lehre begab, um dem jugendfrischen glaenzenden
Talente Curios mit neu aufpolierter Eloquenz zu begegnen?
----------------------------------------------------------- ^2
homo ingeniosissime nequam (Vell, 2, 48).
----------------------------------------------------------- Die im
Senat geschlagene Koalition war in der peinlichsten Lage. Die Catonische
Fraktion hatte es uebernommen, die Dinge zum Bruche zu treiben und den
Senat mit sich fortzureissen und sah nun in der aergerlichsten Weise
ihr Fahrzeug auf den Sandbaenken der schlaffen Majoritaet stranden.
Von Pompeius mussten ihre Fuehrer in den Konferenzen die bittersten
Vorwuerfe hoeren; er wies mit Nachdruck und mit vollem Recht auf die
Gefahren des Scheinfriedens hin, und wenn es auch nur an ihm selber
lag den Knoten durch eine rasche Tat zu durchhauen, so wussten seine
Verbuendeten doch sehr wohl, dass sie diese von ihm nimmermehr erwarten
durften und dass es an ihnen war, wie sie es zugesagt, ein Ende zu
machen. Nachdem die Vorfechter der Verfassung und des Senatsregiments
bereits frueher die verfassungsmaessigen Rechte der Buergerschaft und
der Volkstribune fuer inhaltlose Formalitaeten erklaert hatten, sahen
sie sich jetzt in die Notwendigkeit versetzt, die verfassungsmaessigen
Entscheidungen des Senats selbst in aehnlicher Weise zu behandeln und,
da die legitime Regierung nicht mit ihrem Willen sich wollte retten
lassen, sie wider ihren Willen zu erretten. Es war das weder neu noch
zufaellig; in ganz aehnlicher Weise wie jetzt Cato und die Seinen
hatten auch Sulla und Lucullus jeden im rechten Interesse der Regierung
gefassten energischen Entschluss derselben ueber den Kopf nehmen zu
muessen: die Verfassungsmaschine war eben vollstaendig abgenutzt, und
wie seit Jahrhunderten die Komitien, so jetzt auch der Senat nichts als
ein lahmes, aus dem Geleise weichendes Rad. Es ging die Rede (Oktober
704 50), dass Caesar vier Legionen aus dem Jenseitigen in das
Diesseitige Gallien gezogen und bei Placentia aufgestellt habe. Obwohl
diese Truppenverlegung an sich in den Befugnissen des Statthalters lag,
Curio ueberdies die vollstaendige Grundlosigkeit des Geruechts im
Senat handgreiflich dartat und die Kurie den Antrag des Konsuls Gaius
Marcellus, daraufhin Pompeius Marschbefehl gegen Caesar zu erteilen,
mit Mehrheit verwarf, so begab sich dennoch der genannte Konsul in
Verbindung mit den beiden fuer 705 (49) erwaehlten gleichfalls zur
Catonischen Partei gehoerigen Konsuln zu Pompeius, und diese drei
Maenner ersuchten kraft eigener Machtvollkommenheit den General, sich an
die Spitze der beiden bei Capua stehenden Legionen zu stellen und nach
Ermessen die italische Wehrmannschaft unter die Waffen zu rufen. Eine
formwidrigere Vollmacht zur Eroeffnung des Buergerkrieges liess schwer
sich denken; allein man hatte keine Zeit mehr, auf solche Nebensachen
Ruecksicht zu nehmen: Pompeius nahm sie an. Die Kriegsvorbereitungen,
die Aushebungen begannen; um sie persoenlich zu foerdern, verliess
Pompeius im Dezember 704 (50) die Hauptstadt. Caesar hatte es
vollstaendig erreicht, den Gegnern die Initiative des Buergerkrieges
zuzuschieben. Er hatte, waehrend er selber den Rechtsboden festhielt,
Pompeius gezwungen, den Krieg zu erklaeren, und ihn zu erklaeren nicht
als Vertreter der legitimen Gewalt, sondern als Feldherr einer offenbar
revolutionaeren und die Mehrheit terrorisierenden Senatsminoritaet. Es
war dieser Erfolg nicht gering anzuschlagen, wenngleich der Instinkt der
Massen sich keinen Augenblick darueber taeuschen konnte und taeuschte,
dass es in diesem Krieg sich um andere Dinge handelte als um formale
Rechtsfragen. Nun, wo der Krieg erklaert war, lag es in Caesars
Interesse, baldmoeglichst zum Schlagen zu kommen. Die Ruestungen der
Gegner waren erst im Beginnen und selbst die Hauptstadt unbesetzt. In
zehn bis zwoelf Tagen konnte daselbst eine den in Oberitalien stehenden
Truppen Caesars dreifach ueberlegene Armee beisammen sein; aber noch
war es nicht unmoeglich, Rom unverteidigt zu ueberrumpeln, ja vielleicht
durch einen raschen Winterfeldzug ganz Italien einzunehmen und den
Gegnern ihre besten Hilfsquellen zu verschliessen, bevor sie noch
dieselben nutzbar zu machen vermochten. Der kluge und energische Curio,
der nach Niederlegung seines Tribunats (9. Dezember 704 50) sofort zu
Caesar nach Ravenna gegangen war, stellte seinem Meister die Lage der
Dinge lebhaft vor, und es bedurfte dessen schwerlich, um Caesar zu
ueberzeugen, dass jetzt laengeres Zaudern nur schaden koenne. Allein
da er, um nicht den Gegnern Veranlassung zu Beschwerden zu geben, nach
Ravenna selbst bisher keine Truppen gezogen hatte, konnte er fuer jetzt
nichts tun, als seinen saemtlichen Korps den Befehl zum schleunigsten
Aufbruch zufertigen und musste warten, bis wenigstens die eine in
Oberitalien stehende Legion in Ravenna eintraf. Inzwischen sandte er
ein Ultimatum nach Rom, das, wenn zu nichts anderem, doch dazu nuetzlich
war, dass es durch Nachgiebigkeit bis aufs aeusserste seine Gegner
noch weiter in der oeffentlichen Meinung kompromittierte und vielleicht
sogar, indem er selber zu zaudern schien, sie bestimmte, die Ruestungen
gegen ihn laessiger zu betreiben. In diesem Ultimatum liess Caesar alle
frueheren an Pompeius gestellten Gegenforderungen fallen und erbot sich
seinerseits, bis zu der von dem Senate festgesetzten Frist sowohl die
Statthalterschaft des Jenseitigen Galliens niederzulegen als auch
von den zehn ihm eigenen Legionen acht aufzuloesen; er erklaerte sich
befriedigt, wenn der Senat ihm entweder die Statthalterschaft des
Diesseitigen Galliens und Illyriens mit einer oder auch die des
Diesseitigen Galliens allein mit zwei Legionen, nicht etwa bis zur
Uebernahme des Konsulats, sondern bis nach Beendigung der Konsulwahlen
fuer 706 (48) belasse. Er ging also auf diejenigen Vergleichsvorschlaege
ein, mit denen zu Anfang der Verhandlungen die Senatspartei, ja Pompeius
selbst erklaert hatten, sich befriedigen zu wollen, und zeigte
sich bereit, von der Wahl zum Konsulat bis zum Antritt desselben
im Privatstand zu verharren. Ob es Caesar mit diesen erstaunlichen
Zugestaendnissen Ernst war und er sein Spiel gegen Pompeius selbst bei
solchem Vorgeben durchfuehren zu koennen sich getraute oder ob er darauf
rechnete, dass man auf der andern Seite bereits zu weit gegangen sei, um
in diesen Vergleichsvorschlaegen mehr zu finden als den Beweis dafuer,
dass Caesar seine Sache selbst als verloren betrachte, laesst sich nicht
mehr mit Sicherheit entscheiden. Die Wahrscheinlichkeit ist dafuer, dass
Caesar weit eher den Fehler allzukecken Spielens als den schlimmeren
beging, etwas zu versprechen, was er nicht zu halten gesonnen war, und
dass, wenn wunderbarerweise seine Vorschlaege angenommen worden waeren,
er sein Wort gutgemacht haben wuerde. Curio uebernahm es, seinen
Herrn noch einmal in der Hoehle des Loewen zu vertreten. In drei Tagen
durchflog er die Strasse von Ravenna nach Rom; als die neuen Konsuln
Lucius Lentulus und Gaius Marcellus der juengere ^3 zum erstenmal am 1.
Januar 705 (49) den Senat versammelten, uebergab er in voller
Sitzung das von dem Feldherrn an den Senat gerichtete Schreiben. Die
Volkstribune Marcus Antonius, in der Skandalchronik der Stadt bekannt
als Curios vertrauter Freund und aller seiner Torheiten Genosse,
aber zugleich auch aus den aegyptischen und gallischen Feldzuegen als
glaenzender Reiteroffizier, und Quintus Cassius, Pompeius' ehemaliger
Quaestor, welche beide jetzt an Curios Stelle Caesars Sache in Rom
fuehrten, erzwangen die sofortige Verlesung der Depesche. Die ernsten
und klaren Warte, in denen Caesar den drohenden Buergerkrieg, den
allgemeinen Wunsch nach Frieden, Pompeius' Uebermut, seine eigene
Nachgiebigkeit mit der ganzen unwiderstehlichen Macht der Wahrheit
darlegte, die Vergleichsvorschlaege von einer ohne Zweifel seine eigenen
Anhaenger ueberraschenden Maessigung, die bestimmte Erklaerung, dass
hiermit die Hand zum Frieden zum letztenmal geboten sei, machten den
tiefsten Eindruck. Trotz der Furcht vor den zahlreich in die Hauptstadt
gestroemten Soldaten des Pompeius war die Gesinnung der Majoritaet nicht
zweifelhaft; man durfte nicht wagen, sie sich aussprechen zu lassen.
Ueber den von Caesar erneuerten Vorschlag, dass beiden Statthaltern
zugleich die Niederlegung ihres Kommandos aufgegeben werden moege, ueber
alle durch sein Schreiben nahegelegten Vergleichsvorschlaege und ueber
den von Marcus Caelius Rufus und Marcus Calidius gestellten Antrag,
Pompeius zur sofortigen Abreise nach Spanien zu veranlassen, weigerten
sich die Konsuln, wie sie als Vorsitzende es durften, die Abstimmung
zu eroeffnen. Selbst der Antrag eines der entschiedensten
Gesinnungsgenossen, der nur nicht gegen die militaerische Lage der
Dinge so blind war wie seine Partei, des Marcus Marcellus: die
Beschlussfassung auszusetzen, bis der italische Landsturm unter Waffen
stehe und den Senat zu schuetzen vermoege, durfte nicht zur Abstimmung
gebracht werden. Pompeius liess durch sein gewoehnliches Organ
Quintus Scipio erklaeren, dass er jetzt oder nie die Sache des Senats
aufzunehmen entschlossen sei und sie fallen lasse, wenn man noch laenger
zaudere. Der Konsul Lentulus sprach es unumwunden aus, dass es gar auf
den Beschluss des Senats nicht mehr ankomme, sondern, wenn derselbe bei
seiner Servilitaet verharren sollte, er von sich aus handeln und
mit seinen maechtigen Freunden das weitere veranlassen werde. So
terrorisiert, beschloss die Majoritaet, was ihr befohlen ward: dass
Caesar bis zu einem bestimmten, nicht fernen Tage das Jenseitige Gallien
an Lucius Domitius Ahenobarbus, das Diesseitige an Marcus Servilius
Nonianus abzugeben und das Heer zu entlassen habe, widrigenfalls er als
Hochverraeter erachtet werde. Als die Tribune von Caesars Partei gegen
diesen Beschluss ihres Interzessionsrechts sich bedienten, wurden sie
nicht bloss, wie sie wenigstens behaupteten, in der Kurie selbst von
Pompeianischen Soldaten mit den Schwertern bedroht und, um ihr Leben zu
retten, in Sklavenkleidern aus der Hauptstadt zu fluechten gezwungen,
sondern es behandelte auch der nun hinreichend eingeschuechterte
Senat ihr formell durchaus verfassungsmaessiges Einschreiten wie einen
Revolutionsversuch, erklaerte das Vaterland in Gefahr und rief in den
ueblichen Formen die gesamte Buergerschaft unter die Waffen und an die
Spitze der Bewaffneten die saemtlichen verfassungstreuen Beamten (7.
Januar 705 49). ----------------------------------------------- ^3 Zu
unterscheiden von dem gleichnamigen Konsul des Jahres 704 (SO); dieser
war ein Vetter, der Konsul des Jahres 705 (49) ein Bruder des
Marcus Marcellus, Konsul 703 (51).
---------------------------------------------- Nun war es genug. Wie
Caesar durch die schutzflehend zu ihm ins Lager fluechtenden Tribune von
der Aufnahme in Kenntnis gesetzt ward, welche seine Vorschlaege in der
Hauptstadt gefunden hatten, rief er die Soldaten der dreizehnten Legion,
die inzwischen aus ihren Kantonierungen bei Tergeste (Triest) in Ravenna
eingetroffen war, zusammen und entwickelte vor ihnen den Stand
der Dinge. Es war nicht bloss der geniale Herzenskuendiger und
Geisterbeherrscher, dessen glaenzende Rede in diesem erschuetternden
Wendepunkt seines und des Weltgeschicks hoch emporleuchtete und flammte;
nicht bloss der freigebige Heermeister und der sieghafte Feldherr,
welcher zu den Soldaten sprach, die von ihm selbst unter die Waffen
gerufen und seit acht Jahren mit immer steigender Begeisterung seinen
Fahnen gefolgt waren; es sprach vor allem der energische und konsequente
Staatsmann, der nun seit neunundzwanzig Jahren die Sache der Freiheit
in guter und boeser Zeit vertreten, fuer sie den Dolchen der Moerder
und den Henkern der Aristokratie, den Schwertern der Deutschen und den
Fluten des unbekannten Ozeans Trotz geboten hatte, ohne je zu weichen
und zu wanken, der die Sullanische Verfassung zerrissen, das Regiment
des Senats gestuerzt, die wehr- und waffenlose Demokratie in dem Kampfe
jenseits der Alpen beschildet und bewehrt hatte; und er sprach nicht zu
dem clodianischen Publikum, dessen republikanischer Enthusiasmus
laengst zu Asche und Schlacken niedergebrannt war, sondern zu den
jungen Mannschaften aus den Staedten und Doerfern Norditaliens, die
den maechtigen Gedanken der buergerlichen Freiheit noch frisch und rein
empfanden, die noch faehig waren, fuer Ideale zu fechten und zu sterben,
die selbst fuer ihre Landschaft das von der Regierung ihnen versagte
Buergerrecht in revolutionaerer Weise von Caesar empfangen hatten,
die Caesars Sturz den Ruten und Beilen abermals preisgab und die die
tatsaechlichen Beweise bereits davon besassen, wie unerbittlichen
Gebrauch die Oligarchie davon gegen die Transpadaner zu machen gedachte.
Vor solchen Zuhoerern legte ein solcher Redner die Tatsachen dar: den
Dank fuer die Eroberung Galliens, den der Adel dem Feldherrn und dem
Heer bereitete, die geringschaetzige Beseitigung der Komitien, die
Terrorisierung des Senats, die heilige Pflicht, das vor einem halben
Jahrtausend von den Vaetern mit den Waffen in der Hand dem Adel
abgezwungene Volkstribunat mit gewaffneter Hand zu schirmen, den alten
Schwur zu halten, den jene fuer sich wie fuer die Enkel ihrer Enkel
geleistet, fuer die Tribune der Gemeinde Mann fuer Mann einzustehen bis
in den Tod. Als dann er, der Fuehrer und Feldherr der Popularpartei, die
Soldaten des Volkes aufrief, jetzt, nachdem der Gueteversuch erschoepft,
die Nachgiebigkeit an den aeussersten Grenzen angelangt war, jetzt ihm
zu folgen in den letzten, den unvermeidlichen, den entscheidenden
Kampf gegen den ebenso verhassten wie verachteten, ebenso perfiden wie
unfaehigen und bis zur Laecherlichkeit unverbesserlichen Adel - da war
kein Offizier und kein Soldat, der sich zurueckgehalten haette. Der
Aufbruch war befohlen; an der Spitze seines Vortrabs ueberschritt Caesar
den schmalen Bach, der seine Provinz von Italien schied und jenseits
dessen die Verfassung den Prokonsul von Gallien bannte. Indem er nach
neunjaehriger Abwesenheit den Boden des Vaterlandes wieder betrat,
betrat er zugleich die Bahn der Revolution. "Die Wuerfel waren
geworfen." 10. Kapitel Brundisium, Ilerda, Pharsalos und Thapsus
Zwischen den beiden bisherigen Gesamtherrschern von Rom sollten also
die Waffen entscheiden, wer von ihnen berufen sei, Roms erster
Alleinherrscher zu sein. Sehen wir, wie fuer die bevorstehende
Kriegfuehrung zwischen Caesar und Pompeius sich das Machtverhaeltnis
gestellt hatte. Caesars Macht ruhte zunaechst auf der voellig
unumschraenkten Gewalt, deren er innerhalb seiner Partei genoss. Wenn
die Ideen der Demokratie und der Monarchie in ihr zusammenflossen, so
war dies nicht die Folge einer zufaellig eingegangenen und zufaellig
loesbaren Koalition, sondern es war im tiefsten Wesen der Demokratie
ohne Repraesentativverfassung begruendet, dass Demokratie wie Monarchie
zugleich ihren hoechsten und letzten Ausdruck in Caesar fanden.
Politisch wie militaerisch entschied Caesar durchaus in erster und
letzter Instanz. In wie hohen Ehren er auch jedes brauchbare Werkzeug
hielt, so blieb es doch immer Werkzeug: Caesar stand innerhalb
seiner Partei ohne Genossen, nur umgeben von militaerisch-politischen
Adjutanten, die in der Regel aus der Armee hervorgegangen und als
Soldaten geschult waren, nirgends nach Grund und Zweck zu fragen,
sondern unbedingt zu gehorchen. Darum vor allem hat in dem
entscheidenden Augenblick, als der Buergerkrieg begann, von allen
Soldaten und Offizieren Caesars nur ein einziger ihm den Gehorsam
verweigert; und es bestaetigt nur diese Auffassung des Verhaeltnisses
Caesars zu seinen Anhaengern, dass dieser eine eben von allen der
Erste war. Titus Labienus hatte mit Caesar alle Drangsale der duesteren
catilinarischen Zeit wie allen Glanz der gallischen Siegeslaufbahn
geteilt, hatte regelmaessig selbstaendig befehligt und haeufig die halbe
Armee gefuehrt; er war ohne Frage wie der aelteste, tuechtigste und
treueste unter Caesars Adjutanten, so auch der hoechstgestellte und
am hoechsten geehrte. Noch im Jahre 704 (50) hatte Caesar ihm den
Oberbefehl im Diesseitigen Gallien uebertragen, um teils diesen
Vertrauensposten in sichere Hand zu geben, teils zugleich Labienus in
seiner Bewerbung um das Konsulat damit zu foerdern. Allein ebenhier trat
Labienus mit der Gegenpartei in Verbindung, begab sich beim Beginn
der Feindseligkeiten im Jahre 705 (49), statt in Caesars in Pompeius'
Hauptquartier und kaempfte waehrend des ganzen Buergerkrieges mit
beispielloser Erbitterung gegen seinen alten Freund und Kriegsherrn. Wir
sind weder ueber Labienus' Charakter noch ueber die einzelnen Umstaende
seines Parteiwechsels genuegend unterrichtet; im wesentlichen aber
liegt hier sicher nichts vor als ein weiterer Beleg dafuer, dass
der Kriegsfuerst weit sicherer auf seine Hauptleute als auf seine
Marschaelle zaehlen kann. Allem Anschein nach war Labienus eine jener
Persoenlichkeiten, die mit militaerischer Brauchbarkeit vollstaendige
staatsmaennische Unfaehigkeit vereinigen und die dann, wenn sie
ungluecklicherweise Politik machen wollen oder muessen, jenen
tollen Schwindelanfaellen ausgesetzt sind, wovon die Geschichte der
Napoleonischen Marschaelle so manches tragikomische Beispiel aufzeigt.
Er mochte wohl sich berechtigt halten, als das zweite Haupt der
Demokratie neben Caesar zu gelten; und dass er mit diesem Anspruch
zurueckgewiesen ward, wird ihn in das Lager der Gegner gefuehrt haben.
Es zeigte hier zum ersten Male sich die ganze Schwere des Uebelstandes,
dass Caesars Behandlung seiner Offiziere als unselbstaendiger Adjutanten
keine zur Uebernahme eines abgesonderten Kommandos geeigneten Maenner
in seinem Lager emporkommen liess, waehrend er doch bei der leicht
vorherzusehenden Zersplitterung der bevorstehenden Kriegfuehrung durch
alle Provinzen des weiten Reiches ebensolcher Maenner dringend bedurfte.
Allein dieser Nachteil wurde dennoch weit aufgewogen durch die erste
und nur um diesen Preis zu bewahrende Bedingung eines jeden Erfolgs,
die Einheit der obersten Leitung. Die einheitliche Leitung erhielt ihre
volle Gewalt durch die Brauchbarkeit der Werkzeuge. Hier kam in erster
Linie in Betracht die Armee. Sie zaehlte noch neun Legionen Infanterie
oder hoechstens 50000 Mann, welche aber alle vor dem Feinde gestanden
und von denen zwei Drittel saemtliche Feldzuege gegen die Kelten
mitgemacht hatten. Die Reiterei bestand aus deutschen und norischen
Soeldnern, deren Brauchbarkeit und Zuverlaessigkeit in dem Kriege
gegen Vercingetorix erprobt worden war. Der achtjaehrige Krieg voll
mannigfacher Wechselfaelle gegen die tapfere, wenn auch militaerisch der
italischen entschieden nachstehende keltische Nation hatte Caesar
die Gelegenheit gegeben, seine Armee zu organisieren, wie nur er zu
organisieren verstand. Alle Brauchbarkeit des Soldaten setzt physische
Tuechtigkeit voraus: bei Caesars Aushebungen wurde auf Staerke und
Gewandtheit der Rekruten mehr als auf Vermoegen und Moralitaet gesehen.
Aber die Leistungsfaehigkeit der Armee beruht, wie die einer jeden
Maschine, vor allen Dingen auf der Leichtigkeit und Schnelligkeit der
Bewegung: in der Bereitschaft zum sofortigen Aufbruch zu jeder Zeit und
in der Schnelligkeit des Marschierens erlangten Caesars Soldaten eine
selten erreichte und wohl nie uebertroffene Vollkommenheit. Mut galt
natuerlich ueber alles: die Kunst, den kriegerischen Wetteifer und den
Korpsgeist anzufachen, so dass die Bevorzugung einzelner Soldaten und
Abteilungen selbst den Zurueckstehenden als die notwendige Hierarchie
der Tapferkeit erschien, uebte Caesar mit unerreichter Meisterschaft.
Er gewoehnte den Leuten das Fuerchten ab, indem er, wo es ohne
ernste Gefahr geschehen konnte, die Soldaten nicht selten von einem
bevorstehenden Kampf nicht in Kenntnis setzte, sondern sie unvermutet
auf den Feind treffen liess. Aber der Tapferkeit gleich stand der
Gehorsam. Der Soldat wurde angehalten, das Befohlene zu tun, ohne nach
Ursache und Absicht zu fragen; manche zwecklose Strapaze wurde einzig
als Uebung in der schweren Kunst der blinden Folgsamkeit ihm auferlegt.
Die Disziplin war streng, aber nicht peinlich: unnachsichtlich ward sie
gehandhabt, wenn der Soldat vor dem Feinde stand; zu anderen Zeiten, vor
allem nach dem Siege, wurden die Zuegel nachgelassen, und wenn es dem
sonst brauchbaren Soldaten dann beliebte, sich zu parfuemieren oder mit
eleganten Waffen und andern Dingen sich zu putzen, ja sogar, wenn er
Brutalitaeten oder Unrechtfertigkeiten selbst bedenklicher Art sich
zu Schulden kommen liess und nur nicht zunaechst die militaerischen
Verhaeltnisse dadurch beruehrt wurden, so ging die Narrenteidung wie das
Verbrechen ihm hin und die desfaelligen Klagen der Provinzialen fanden
bei dem Feldherrn ein taubes Ohr. Meuterei dagegen ward, nicht bloss den
Anstiftern, sondern selbst dem Korps, niemals verziehen. Aber der
rechte Soldat soll nicht bloss ueberhaupt tuechtig, tapfer und gehorsam,
sondern er soll dies alles willig, ja freiwillig sein; und nur genialen
Naturen ist es gegeben, durch Beispiel und durch Hoffnung und vor allem
durch das Bewusstsein, zweckmaessig gebraucht zu werden, die beseelte
Maschine, die sie regieren, zum freudigen Dienen zu bestimmen. Wenn der
Offizier, um von seinen Leuten Tapferkeit zu verlangen, selbst mit
ihnen der Gefahr ins Auge gesehen haben muss, so hatte Caesar auch als
Feldherr Gelegenheit gehabt, den Degen zu ziehen und dann gleich dem
Besten ihn gebraucht; an Taetigkeit aber und Strapazen mutete er stets
sich selbst weit mehr zu als seinen Soldaten. Caesar sorgte dafuer, dass
an den Sieg, der zunaechst freilich dem Feldherrn Gewinn bringt, doch
auch fuer den Soldaten sich persoenliche Hoffnungen knuepften. Dass er
es verstand, die Soldaten fuer die Sache der Demokratie zu begeistern,
soweit die prosaisch gewordene Zeit noch Begeisterung gestattet, und
dass die politische Gleichstellung der transpadanischen Landschaft, der
Heimat seiner meisten Soldaten, mit dem eigentlichen Italien als eines
der Kampfziele hingestellt ward, wurde schon erwaehnt. Es versteht sich,
dass daneben auch materielle Praemien nicht fehlten, sowohl besondere
fuer hervorragende Waffentaten, wie allgemeine fuer jeden tuechtigen
Soldaten; dass die Offiziere dotiert, die Soldaten beschenkt und fuer
den Triumph die verschwenderischsten Gaben in Aussicht gestellt wurden.
Aber vor allen Dingen verstand es Caesar als wahrer Heermeister, in
jedem einzelnen grossen oder kleinen Triebrad des maechtigen Instruments
das Gefuehl zweckmaessiger Verwendung zu erwecken. Der gewoehnliche
Mensch ist zum Dienen bestimmt und er straeubt sich nicht, Werkzeug zu
sein, wenn er fuehlt, dass ein Meister ihn lenkt. Allgegenwaertig und
jederzeit ruhte der Adlerblick des Feldherrn auf dem ganzen Heer, mit
unparteiischer Gerechtigkeit belohnend und bestrafend und der Taetigkeit
eines jeden die zum Besten aller dienenden Wege weisend, so dass auch
mit des Geringsten Schweiss und Blut nicht experimentiert oder gespielt,
darum aber auch, wo es noetig war, unbedingte Hingebung bis in den Tod
gefordert ward. Ohne dem einzelnen in das gesamte Triebwerk den Einblick
zu gestatten, liess Caesar ihn doch genug von dem politischen und
militaerischen Zusammenhang der Dinge ahnen, um als Staatsmann und
Feldherr von dem Soldaten erkannt, auch wohl idealisiert zu werden.
Durchaus behandelte er die Soldaten nicht als seinesgleichen, aber als
Maenner, welche Wahrheit zu fordern berechtigt und zu ertragen faehig
waren, und die den Versprechungen und Versicherungen des Feldherrn
Glauben zu schenken hatten, ohne Prellerei zu vermuten oder auf
Geruechte zu horchen; als langjaehrige Kameraden in Krieg und Sieg,
unter denen kaum einer war, den er nicht mit Namen kannte und bei dem
sich nicht in all den Feldzuegen ein mehr oder minder persoenliches
Verhaeltnis zu dem Feldherrn gebildet haette; als gute Genossen, mit
denen er zutraulich und mit der ihm eigenen heiteren Elastizitaet
schwatzte und verkehrte; als Schutzbefohlene, deren Dienste zu
vergelten, deren Unbill und Tod zu raechen ihm heilige Pflicht war.
Vielleicht nie hat es eine Armee gegeben, die so vollkommen war, was
die Armee sein soll: eine fuer ihre Zwecke faehige und fuer ihre Zwecke
willige Maschine in der Hand eines Meisters, der auf sie seine eigene
Spannkraft uebertraegt. Caesars Soldaten waren und fuehlten sich
zehnfacher Uebermacht gewachsen: wobei nicht uebersehen werden
darf, dass bei der durchaus auf das Handgemenge und vornehmlich den
Schwertkampf berechneten roemischen Taktik der geuebte roemische Soldat
dem Neuling in noch weit hoeherem Grade ueberlegen war, als dies unter
den heutigen Verhaeltnissen der Fall ist ^1. Aber noch mehr als durch
die ueberlegene Tapferkeit fuehlten die Gegner sich gedemuetigt durch
die unwandelbare und ruehrende Treue, mit der Caesars Soldaten an ihrem
Feldherrn hingen. Es ist wohl ohne Beispiel in der Geschichte, dass, als
der Feldherr seine Soldaten aufrief, ihm in den Buergerkrieg zu folgen,
mit der einzigen, schon erwaehnten Ausnahme des Labienus kein roemischer
Offizier und kein roemischer Soldat ihn im Stich liess. Die Hoffnungen
der Gegner auf eine ausgedehnte Desertion scheiterten ebenso schmaehlich
wie der fruehere Versuch, sein Heer wie das des Lucullus auseinander
zu sprengen; selbst Labienus erschien in Pompeius' Lager wohl mit
einem Haufen keltischer und deutscher Reiter, aber ohne einen einzigen
Legionaer. Ja die Soldaten, als wollten sie zeigen, dass der Krieg ganz
ebenso ihre Sache sei wie die des Feldherrn, machten unter sich aus,
dass sie den Sold, den ihnen Caesar beim Ausbruch des Buergerkrieges
zu verdoppeln versprochen hatte, bis zu dessen Beendigung dem Feldherrn
kreditieren und inzwischen die aermeren Kameraden aus allgemeinen
Mitteln unterstuetzen wollten; ueberdies ruestete und besoldete
jeder Unteroffizier einen Reiter aus seiner Tasche.
------------------------------------------------------ ^1 Ein gefangener
Centurio von der zehnten Legion Caesars erklaerte dem feindlichen
Oberfeldherrn dass er bereit sei, es mit zehn von seinen Leuten gegen
die beste feindliche Kohorte (500 Mann) aufzunehmen (Bell. Afr. 45). "In
der Fechtweise der Alten", urteilt Napoleon I., "bestand die Schlacht
aus lauter Zweikaempfen; in dem Munde des heutigen Soldaten wuerde es
Prahlerei sein, was in dem jenes Centurionen nur richtig war." Von dem
Soldatengeist, der Caesars Armee durchdrang, legen die seinen Memoiren
angehaengten Berichte ueber den Afrikanischen und den Zweiten Spanischen
Krieg, von denen jener einen Offizier zweiten Ranges zum Verfasser zu
haben scheint, dieser ein in jeder Beziehung subalternes
Lagerjournal ist, lebendigen Beweis ab.
------------------------------------------------------ Wenn also Caesar
das eine hatte, was not tat: unbeschraenkte politische und militaerische
Gewalt und eine schlagfertige zuverlaessige Armee, so dehnte seine Macht
verhaeltnismaessig sich nur ueber einen sehr beschraenkten Raum aus. Sie
ruhte wesentlich auf der oberitalischen Provinz. Diese Landschaft war
nicht bloss die am besten bevoelkerte unter allen italischen, sondern
auch der Sache der Demokratie als ihrer eigenen ergeben. Von der
daselbst herrschenden Stimmung zeugt das Verhalten einer Abteilung
Rekruten von Opitergium (Oderzo in der Delegation Treviso), die nicht
lange nach dem Ausbruch des Krieges in den illyrischen Gewaessern, auf
einem elenden Floss von den feindlichen Kriegsschiffen umzingelt, den
ganzen Tag bis zur sinkenden Sonne sich zusammenschiessen liessen, ohne
sich zu ergeben, und, soweit sie den Geschossen entgangen waren, in der
folgenden Nacht mit eigener Hand sich den Tod gaben. Man begreift,
was einer solchen Bevoelkerung zugemutet werden konnte. Wie sie Caesar
bereits die Mittel gewaehrt hatte, seine urspruengliche Armee mehr als
zu verdoppeln, so stellten auch nach Ausbruch des Buergerkrieges zu den
sofort angeordneten umfassenden Aushebungen die Rekruten zahlreich sich
ein. In dem eigentlichen Italien dagegen war Caesars Einfluss dem der
Gegner nicht entfernt zu vergleichen. Wenn er auch durch geschickte
Manoever die Catonische Partei ins Unrecht zu setzen gewusst und alle,
die einen Vorwand wuenschten, um mit gutem Gewissen entweder neutral zu
bleiben, wie die Senatsmajoritaet, oder seine Partei zu ergreifen, wie
seine Soldaten und die Transpadaner, von seinem guten Recht hinreichend
ueberzeugt hatte, so liess sich doch die Masse der Buergerschaft
natuerlich dadurch nicht irren und sah, als der Kommandant von
Gallien seine Legionen gegen Rom in Bewegung setzte, allen formalen
Rechtseroerterungen zum Trotz, in Cato und Pompeius die Verteidiger der
legitimen Republik, in Caesar den demokratischen Usurpator. Allgemein
erwartete man ferner von dem Neffen des Marius, dem Schwiegersoehne
des Cinna, dem Verbuendeten des Catilina die Wiederholung der
Marianisch-Cinnanischen Greuel, die Realisierung der von Catilina
entworfenen Saturnalien der Anarchie; und wenn auch Caesar hierdurch
allerdings Verbuendete gewann, die politischen Fluechtlinge sofort
in Masse sich ihm zur Verfuegung stellten, die verlorenen Leute
ihren Erloeser in ihm sahen, die niedrigsten Schichten des haupt- und
landstaedtischen Poebels auf die Kunde von seinem Anmarsch in Gaerung
gerieten, so waren dies doch von den Freunden, die gefaehrlicher als die
Feinde sind. Noch weniger als in Italien hatte Caesar in den Provinzen
und den Klientelstaaten Einfluss. Das Transalpinische Gallien bis zum
Rhein und zum Kanal gehorchte ihm zwar, und die Kolonisten von Narbo
sowie die sonst daselbst ansaessigen roemischen Buerger waren ihm
ergeben; allein selbst in der Narbonensischen Provinz hatte die
Verfassungspartei zahlreiche Anhaenger, und nun gar die neueroberten
Landschaften waren fuer Caesar in dem bevorstehenden Buergerkrieg
weit mehr eine Last als ein Vorteil, wie er denn aus guten Gruenden in
demselben von dem keltischen Fussvolk gar keinen, von der Reiterei
nur sparsamen Gebrauch machte. In den uebrigen Provinzen und den
benachbarten, halb oder ganz unabhaengigen Staaten hatte Caesar wohl
auch versucht, sich Rueckhalt zu verschaffen, hatte den Fuersten reiche
Geschenke gespendet, in manchen Staedten grosse Bauten ausfuehren
lassen und in Notfaellen ihnen finanziellen und militaerischen Beistand
gewaehrt; allein im ganzen war natuerlich damit nicht viel erreicht
worden, und die Beziehungen zu den deutschen und keltischen Fuersten in
den Rhein- und Donaulandschaften, namentlich die der Reiterwerbung
wegen wichtige zu dem norischen Koenig Voccio waren wohl die einzigen
derartigen Verhaeltnisse, die fuer ihn etwas bedeuten mochten. Wenn
Caesar also in den Kampf eintrat nur als Kommandant von Gallien, ohne
andere wesentliche Hilfsmittel als brauchbare Adjutanten, ein
treues Heer und eine ergebene Provinz, so begann ihn Pompeius als
tatsaechliches Oberhaupt des roemischen Gemeinwesens und im Vollbesitz
aller der legitimen Regierung des grossen roemischen Reiches zur
Verfuegung stehenden Hilfsquellen. Allein wenn seine Stellung politisch
und militaerisch weit ansehnlicher war, so war sie dagegen auch weit
minder klar und fest. Die Einheit der Oberleitung, die aus Caesars
Stellung sich von selbst und mit Notwendigkeit ergab, war dem Wesen der
Koalition zuwider; und obwohl Pompeius, zu sehr Soldat, um sich
ueber die Unentbehrlichkeit derselben zu taeuschen, sie der Koalition
aufzuzwingen versuchte und sich vom Senat zum alleinigen und
unumschraenkten Oberfeldherrn zu Lande und zur See ernennen liess, so
konnte doch der Senat selbst nicht beseitigt und ein ueberwiegender
Einfluss auf die politische, ein gelegentliches und darum doppelt
schaedliches Eingreifen in die militaerische Oberleitung ihm nicht
verwehrt werden. Die Erinnerung an den zwanzigjaehrigen, auf beiden
Seiten mit vergifteten Waffen gefuehrten Krieg zwischen Pompeius und der
Verfassungspartei, das auf beiden Seiten lebhaft vorhandene und muehsam
verhehlte Bewusstsein, dass die naechste Folge des erfochtenen Sieges
der Bruch zwischen den Siegern sein werde, die Verachtung, die man
gegenseitig und von beiden Seiten mit nur zu gutem Grund sich zollte,
die unbequeme Anzahl angesehener und einflussreicher Maenner in den
Reihen der Aristokratie und die geistige und sittliche Inferioritaet
fast aller Beteiligten erzeugten ueberhaupt bei den Gegnern Caesars
ein widerwilliges und widersetzliches Zusammenwirken, das mit dem
eintraechtigen und geschlossenen Handeln auf der anderen Seite den
uebelsten Kontrast bildet. Wenn also alle Nachteile der Koalition unter
sich feindlicher Maechte von Caesars Gegnern in ungewoehnlichem Masse
empfunden wurden, so war doch allerdings auch diese Koalition eine sehr
ansehnliche Macht. Die See beherrschte sie ausschliesslich: alle Haefen,
alle Kriegsschiffe, alles Flottenmaterial standen zu ihrer Verfuegung.
Die beiden Spanien, gleichsam Pompeius' Hausmacht so gut wie die beiden
Gallien Caesars, waren ihrem Herrn treu anhaenglich und in den Haenden
tuechtiger und zuverlaessiger Verwalter. Auch in den uebrigen Provinzen,
natuerlich mit Ausnahme der beiden Gallien, waren die Statthalter- und
Kommandantenstellen waehrend der letzten Jahre unter dem Einfluss von
Pompeius und der Senatsminoritaet mit sicheren Maennern besetzt worden.
Durchaus und mit grosser Entschiedenheit ergriffen die Klientelstaaten
Partei gegen Caesar und fuer Pompeius. Die bedeutendsten Fuersten und
Staedte waren in den verschiedenen Abschnitten seiner mannigfaltigen
Wirksamkeit zu Pompeius in die engsten persoenlichen Beziehungen
getreten - wie er denn in dem Kriege gegen die Marianer der
Waffengenosse der Koenige von Numidien und Mauretanien gewesen war
und das Reich des ersteren wiederaufgerichtet hatte; wie er im
Mithradatischen Kriege ausser einer Menge anderer kleinerer geistlicher
und weltlicher Fuerstentuemer die Koenigreiche Bosporus, Armenien und
Kappadokien wiederhergestellt, das galatische des Deiotarus geschaffen
hatte; wie zunaechst auf seine Veranlassung der Aegyptische Krieg
unternommen und durch seinen Adjutanten die Lagidenherrschaft neu
befestigt worden war. Selbst die Stadt Massalia in Caesars eigener
Provinz verdankte wohl auch diesem manche Verguenstigungen, aber
Pompeius vom Sertorianischen Kriege her eine sehr ansehnliche
Gebietserweiterung, und es stand ausserdem die hier regierende
Oligarchie mit der roemischen in einem natuerlichen und durch vielfache
Zwischenbeziehungen befestigten Bunde. Diese persoenlichen Ruecksichten
und Verhaeltnisse sowie die Glorie des Siegers in drei Weltteilen,
welche in diesen abgelegeneren Teilen des Reiches die des Eroberers von
Gallien noch weit ueberstrahlte, schadeten indes hier Caesar vielleicht
weniger noch als die daselbst nicht unbekannt gebliebenen An- und
Absichten des Erben des Gaius Gracchus ueber die Notwendigkeit
der Reunion der abhaengigen Staaten und die Nuetzlichkeit der
Provinzialkolonisationen. Keiner unter den abhaengigen Dynasten sah von
dieser Gefahr sich naeher bedroht als Koenig Juba von Numidien. Nicht
bloss war er vor Jahren, noch bei Lebzeiten seines Vaters Hiempsal, mit
Caesar persoenlich aufs heftigste zusammengeraten, sondern es hatte auch
kuerzlich derselbe Curio, der jetzt unter Caesars Adjutanten fast den
ersten Platz einnahm, bei der roemischen Buergerschaft den Antrag auf
Einziehung des Numidischen Reiches gestellt. Sollte endlich es so
weit kommen, dass die unabhaengigen Nachbarstaaten in den roemischen
Buergerkrieg eingriffen, so war der einzige wirklich maechtige, der der
Parther, durch die zwischen Pakoros und Bibulus angeknuepfte Verbindung
tatsaechlich bereits mit der aristokratischen Partei alliiert, waehrend
Caesar viel zu sehr Roemer war, um aus Parteiinteressen sich mit den
Ueberwindern seines Freundes Crassus zu verkuppeln. Was Italien anlangt,
so war, wie schon gesagt, die grosse Majoritaet der Buergerschaft Caesar
abgeneigt; vor allem natuerlich die gesamte Aristokratie mit ihrem sehr
betraechtlichen Anhang, nicht viel minder aber auch die hohe Finanz, die
nicht hoffen durfte, bei einer durchgreifenden Reform des Gemeinwesens
ihre parteiischen Geschworenengerichte und ihr Erpressungsmonopol
zu konservieren. Ebenso antidemokratisch gesinnt waren die kleinen
Kapitalisten, die Landgutsbesitzer und ueberhaupt alle Klassen, die
etwas zu verlieren hatten; nur dass freilich in diesen Schichten die
Sorge um die naechsten Zinstermine und um Saaten und Ernten in der
Regel jede andere Ruecksicht ueberwog. Die Armee, ueber die Pompeius
verfuegte, bestand hauptsaechlich in den spanischen Truppen, sieben
krieggewohnten und in jeder Hinsicht zuverlaessigen Legionen, wozu
die weiter in Syrien, Asia, Makedonien, Afrika, Sizilien und sonst
befindlichen, freilich schwachen und sehr zerstreuten Truppenabteilungen
kamen. In Italien standen unter den Waffen zunaechst nur die zwei von
Caesar kuerzlich abgegebenen Legionen, deren Effektivbestand sich nicht
ueber 7000 Mann belief und deren Zuverlaessigkeit mehr als
zweifelhaft war, da sie, ausgehoben im Diesseitigen Gallien und alte
Waffengefaehrten Caesars, ueber die unfeine Intrige, durch die man sie
das Lager hatte wechseln machen, in hohem Grade missvergnuegt waren und
ihres Feldherrn, der die fuer den Triumph jedem Soldaten versprochenen
Geschenke ihnen vor ihrem Abmarsch grossmuetig vorausgezahlt hatte,
sehnsuechtig gedachten. Allein abgesehen davon, dass die spanischen
Truppen mit dem Fruehjahr entweder auf dem Landweg durch Gallien
oder zur See in Italien eintreffen konnten, konnten in Italien die
Mannschaften der von den Aushebungen von 699 (55) noch uebrigen drei
Legionen sowie das im Jahre 702 (52) in Pflicht genommene italische
Aufgebot aus dem Urlaub einberufen werden. Mit Einrechnung dieser
stellte sich die Zahl der Pompeius im ganzen zur Verfuegung stehenden
Truppen, ohne die sieben Legionen in Spanien und die in den andern
Provinzen zerstreuten zu rechnen, bloss in Italien auf zehn Legionen
^2 oder gegen 60000 Mann, so dass es eben keine Uebertreibung war, wenn
Pompeius behauptete, nur mit dem Fusse stampfen zu duerfen, um den Boden
mit Bewaffneten zu bedecken. Freilich bedurfte es wenn auch kurzer,
doch einiger Frist, um diese Truppen zu mobilisieren; die Anstalten
dazu sowie zur Effektuierung der neuen, infolge des Ausbruchs des
Buergerkrieges vom Senat angeordneten Aushebungen waren aber auch
bereits ueberall im Gange. Unmittelbar nach dem entscheidenden
Senatsbeschluss (7. Januar 705 49), mitten im tiefen Winter, waren die
angesehensten Maenner der Aristokratie in die verschiedenen Landschaften
abgegangen, um die Einberufung der Rekruten und die Anfertigung von
Waffen zu beschleunigen. Sehr empfindlich war der Mangel an Reiterei,
da man fuer diese gewohnt war, sich gaenzlich auf die Provinzen und
namentlich die keltischen Kontingente zu verlassen; um wenigstens einen
Anfang zu machen, wurden dreihundert Caesar gehoerende Gladiatoren aus
den Fechtschulen von Capua entnommen und beritten gemacht, was indes
so allgemeine Missbilligung fand, dass Pompeius diese Truppe wieder
aufloeste und dafuer aus den berittenen Hirtensklaven Apuliens 300
Reiter aushob. ------------------------------------------------ ^2 Diese
Ziffer gab Pompeius selbst an (Caes. civ. 1, 6) und es stimmt damit,
dass er in Italien etwa 60 Kohorten oder 30000 Mann einbuesste und
25000 nach Griechenland ueberfuehrte (Caes, civ. 3, 10).
------------------------------------------------- In der Staatskasse war
Ebbe wie gewoehnlich; man war beschaeftigt, aus den Gemeindekassen und
selbst den Tempelschaetzen der Munizipien den unzureichenden Barbestand
zu ergaenzen. Unter diesen Umstaenden ward zu Anfang Januar 705 (49) der
Krieg eroeffnet. Von marschfaehigen Truppen hatte Caesar nicht mehr als
eine Legion, 5000 Mann Infanterie und 300 Reiter, bei Ravenna, das auf
der Chaussee etwa 50 deutsche Meilen von Rom entfernt war; Pompeius zwei
schwache Legionen, 7000 Mann Infanterie und eine geringe Reiterschar,
unter Appius Claudius' Befehlen bei Luceria, von wo man, ebenfalls
auf der Chaussee, ungefaehr ebensoweit nach der Hauptstadt hatte. Die
anderen Truppen Caesars, abgesehen von den rohen, noch in der Bildung
begriffenen Rekrutenabteilungen, standen zur Haelfte an der Saone und
Loire, zur Haelfte in Belgien, waehrend Pompeius' italische Reserven
bereits von allen Seiten in den Sammelplaetzen eintrafen; lange bevor
auch nur die Spitze der transalpinischen Heerhaufen Caesars in Italien
einruecken konnte, wusste hier ein weit ueberlegenes Heer bereit stehen,
sie zu empfangen. Es schien eine Torheit, mit einem Haufen von der
Staerke des Catilinarischen und augenblicklich ohne wirksame Reserve
angreifend vorzugehen gegen eine ueberlegene und stuendlich anwachsende
Armee unter einem faehigen Feldherrn; allein es war eine Torheit im
Geiste Hannibals. Wenn der Anfang des Kampfes bis zum Fruehjahr sich
hinauszog, so ergriffen Pompeius' spanische Truppen im Transalpinischen,
seine italischen im Cisalpinischen Gallien die Offensive, und Pompeius,
als Taktiker Caesar gewachsen, an Erfahrung ihm ueberlegen, war in einem
solchen regelmaessig verlaufenden Feldzug ein furchtbarer Gegner. Jetzt
liess er vielleicht, gewohnt, mit ueberlegenen Massen langsam und
sicher zu operieren, durch einen durchaus improvisierten Angriff sich
deroutieren; und was Caesars dreizehnte Legion nach der ernsten Probe
des gallischen Ueberfalls und der Januarkampagne im Bellovakerland nicht
aus der Fassung bringen konnte, die Ploetzlichkeit des Krieges und
die Muehsal des Winterfeldzuges, masste die Pompeianischen aus alten
Caesarischen Soldaten oder auch schlecht geuebten Rekruten bestehenden
und noch in der Bildung begriffenen Heerhaufen desorganisieren. So
rueckte denn Caesar in Italien ein ^3. Zwei Chausseen fuehrten damals
aus der Romagna nach Sueden: die Aemilisch-Cassische, die von Bononia
ueber den Apennin nach Arretium und Rom, und die Popillisch-Flaminische,
die von Ravenna an der Kueste des Adriatischen Meeres nach Fanum und,
dort sich teilend, in westlicher Richtung durch den Furlopass nach Rom,
in suedlicher nach Ancona und weiter nach Apulien lief. Auf der ersteren
gelangte Marcus Antonius bis Arretium; auf der zweiten drang Caesar
selbst vor. Widerstand ward nirgends geleistet: die vornehmen
Werbeoffiziere waren keine Militaers, die Rekrutenmassen keine Soldaten,
die Landstaedter nur besorgt, nicht in eine Belagerung verwickelt zu
werden. Als Curio mit 1500 Mann auf Iguvium anrueckte, wo ein paar
tausend umbrische Rekruten unter dem Praetor Quintus Minucius
Thermus sich gesammelt hatten, suchten, auf die blosse Meldung seines
Anmarsches, General und Soldaten das Weite; und aehnlich ging es im
kleinen ueberall. Caesar hatte die Wahl, entweder gegen Rom, dem seine
Reiter in Arretium bereits auf 28 deutsche Meilen sich genaehert hatten,
oder gegen die bei Luceria lagernden Legionen zu marschieren. Er waehlte
das letztere. Die Konsternation der Gegenpartei war grenzenlos. Pompeius
erhielt die Meldung von Caesars Anmarsch in Rom; er schien anfangs die
Hauptstadt verteidigen zu wollen, aber als die Nachricht von Caesars
Einruecken in das Picenische und von seinen ersten Erfolgen daselbst
einlief, gab er sie auf und befahl die Raeumung. Ein panischer Schreck,
vermehrt durch das falsche Geruecht, dass vor den Toren sich Caesars
Reiter gezeigt haetten, kam ueber die vornehme Welt. Die Senatoren,
denen angezeigt worden war, dass man jeden in der Hauptstadt
Zurueckbleibenden als Mitschuldigen des Rebellen Caesar behandeln werde,
stroemten scharenweise aus den Toren. Die Konsuln selbst hatten so
vollstaendig den Kopf verloren, dass sie nicht einmal die Kassen in
Sicherheit brachten; als Pompeius sie aufforderte, dies nachzuholen,
wozu ausreichend Zeit war, liessen sie ihm zuruecksagen, dass sie es
fuer sicherer hielten, wenn er zuvor Picenum besetze! Man war ratlos;
also ward grosser Kriegsrat in Teanum Sidicinum gehalten (23. Januar),
dem Pompeius, Labienus und beide Konsuln beiwohnten. Zunaechst lagen
wieder Vergleichsvorschlaege Caesars vor: selbst jetzt noch erklaerte
dieser sich bereit, sein Heer sofort zu entlassen, seine Provinzen den
ernannten Nachfolgern zu uebergeben und sich in regelrechter Weise
um das Konsulat zu bewerben, wofern Pompeius nach Spanien abgehe
und Italien entwaffnet werde. Die Antwort war, dass man, wenn Caesar
sogleich in seine Provinz zurueckkehre, sich anheischig mache,
die Entwaffnung Italiens und die Abreise des Pompeius durch einen
ordnungsmaessig in der Hauptstadt zu fassenden Senatsbeschluss
herbeizufuehren; was vielleicht nicht eine plumpe Prellerei, sondern
eine Annahme des Vergleichsvorschlags sein sollte, jedenfalls aber der
Sache nach das Gegenteil war. Die von Caesar gewuenschte persoenliche
Zusammenkunft mit Pompeius lehnte dieser ab und musste sie ablehnen, um
nicht durch den Anschein einer neuen Koalition mit Caesar das schon rege
Misstrauen der Verfassungspartei noch mehr zu reizen. Die Kriegfuehrung
anlangend einigte man in Teanum sich dahin, dass Pompeius das
Kommando der bei Luceria stehenden Truppen, auf denen trotz ihrer
Unzuverlaessigkeit doch alle Hoffnung beruhte, uebernehmen, mit diesen
in seine und Labienus' Heimat, in Picenum, einruecken, dort wie einst
vor fuenfunddreissig Jahren den Landsturm persoenlich zu den Waffen
rufen und an der Spitze der treuen picenischen und der kriegsgewohnten,
ehemals Caesarischen Kohorten versuchen solle, dem Vordringen des
Feindes eine Schranke zu setzen. Es kam nur darauf an, ob die picenische
Landschaft sich so lange hielt, bis Pompeius zu ihrer Verteidigung
herankam. Bereits war Caesar mit seiner wiedervereinigten Armee auf der
Kuestenstrasse ueber Ancona in dieselbe eingedrungen. Auch hier waren
die Ruestungen in vollem Gange; gleich in der noerdlichsten picenischen
Stadt Auximum stand ein ansehnlicher Haufe von Rekruten unter Publius
Attius Varus beisammen; allein auf Ersuchen der Munizipalitaet raeumte
Varus die Stadt, noch ehe Caesar erschien, und eine Handvoll von dessen
Soldaten, die den Trupp unweit Auximum einholten, zerstreuten ihn
vollstaendig nach kurzem Gefecht - es war das erste in diesem Kriege.
Ebenso raeumten bald darauf Gaius Lucilius Hirrus mit 3000 Mann
Camerinum, Publius Lentulus Spinther mit 5000 Asculum. Die Pompeius ganz
ergebenen Mannschaften liessen zum groessten Teil Haus und Hof willig im
Stich und folgten den Fuehrern ueber die Grenze: die Landschaft
selbst aber war schon verloren, als der zur vorlaeufigen Leitung der
Verteidigung von Pompeius gesandte Offizier Lucius Vibullius Rufus, kein
vornehmer Senator, aber ein kriegskundiger Militaer, daselbst eintraf;
er musste sich begnuegen, die geretteten etwa 6000 bis 7000 Rekruten
den unfaehigen Werbeoffizieren abzunehmen und sie vorlaeufig nach dem
naechsten Sammelplatz zu fuehren. Dies war Corfinium, der Mittelpunkt
der Aushebungen im albensischen, marsischen und paelignischen Gebiet;
die hier versammelte Rekrutenmasse von beilaeufig 15000 Mann war das
Kontingent der streitbarsten und der zuverlaessigsten Landschaften
Italiens und der Kern des in der Bildung begriffenen Heeres der
Verfassungspartei. Als Vibullius hier eintraf, war Caesar noch mehrere
Tagemaersche zurueck; es war nichts im Wege, Pompeius' Instruktionen
gemaess sofort aufzubrechen und die geretteten picenischen nebst den
in Corfinium gesammelten Rekruten dem Hauptheer in Apulien zuzufuehren.
Allein in Corfinium kommandierte der designierte Nachfolger Caesars in
der Statthalterschaft des Jenseitigen Gallien, Lucius Domitius, einer
der borniertesten Starrkoepfe der roemischen Aristokratie; und dieser
weigerte sich nicht bloss, Pompeius' Befehlen Folge zu leisten,
sondern verhinderte auch den Vibullius, wenigstens mit der picenischen
Mannschaft nach Apulien abzuruecken. So fest hielt er sich ueberzeugt,
dass Pompeius nur aus Eigensinn zaudere und notwendig zum Entsatz
herbeikommen muesse, dass er kaum sich ernstlich auf die Belagerung
gefusst machte und nicht einmal die in die umliegenden Staedte verlegten
Rekrutenhaufen in Corfinium zusammenzog. Pompeius aber erschien nicht
und aus guten Gruenden; denn seine beiden unzuverlaessigen Legionen
konnte er wohl als Rueckhalt fuer den picenischen Landsturm verwenden,
aber nicht mit ihnen allein Caesar die Schlacht anbieten. Dafuer kam
nach wenigen Tagen Caesar (14. Februar). Zu den Truppen desselben war
in Picenum die zwoelfte und vor Corfinium die achte von den
transalpinischen Legionen gestossen, und ausserdem wurden teils aus den
gefangenen oder freiwillig sich stellenden Pompeianischen Mannschaften,
teils aus den ueberall sofort ausgehobenen Rekruten drei neue Legionen
gebildet, so dass Caesar vor Corfinium bereits an der Spitze einer Armee
von 40000 Mann, zur Haelfte gedienter Leute, stand. Solange Domitius auf
Pompeius' Eintreffen hoffte, liess er die Stadt verteidigen; als dessen
Briefe ihn endlich enttaeuscht hatten, beschloss er nicht etwa, auf
dem verlorenen Posten auszuharren, womit er seiner Partei den groessten
Dienst geleistet haben wuerde, auch nicht einmal zu kapitulieren,
sondern, waehrend dem gemeinen Soldaten der Entsatz als nahe
bevorstehend angekuendigt ward, selber mit den vornehmen Offizieren in
der naechsten Nacht auszureissen. Indes selbst diesen sauberen Plan ins
Werk zu setzen verstand er nicht. Sein verwirrtes Benehmen verriet ihn.
Ein Teil der Mannschaften fing an zu meutern: die marsischen Rekruten,
die eine solche Schaendlichkeit ihres Feldherrn nicht fuer moeglich
hielten, wollten gegen die Meuterer kaempfen; aber auch sie mussten sich
widerwillig von der Wahrheit der Anschuldigung ueberzeugen, worauf denn
die gesamte Besatzung ihren Stab festnahm und ihn, sich und die Stadt
an Caesar uebergab (20. Februar). Das 3000 Mann starke Korps in Alba
und 1500 in Tarracina gesammelte Rekruten streckten hierauf die Waffen,
sowie Caesars Reiterpatrouillen sich zeigten; eine dritte Abteilung
in Sulmo von 3500 Mann war bereits frueher genoetigt worden zu
kapitulieren. ----------------------------------------------- ^3 Der
Senatsbeschluss war vom 7. Januar; am 18. wusste man schon in Rom seit
mehreren Tagen, dass Caesar die Grenze ueberschritten habe (Cic. Att.
7, 10; 9, 10, 4); der Bote brauchte von Rom nach Ravenna allermindestens
drei Tage. Danach faellt der Aufbruch um den 12. Januar, welcher
nach der gangbaren Reduktion dem julianischen 24. November 704 (50)
entspricht. ----------------------------------------------- Pompeius
hatte Italien verloren gegeben, sowie Caesar Picenum eingenommen hatte;
nur wollte er die Einschiffung so lange wie moeglich verzoegern, um von
den Mannschaften zu retten, was noch zu retten war. Langsam hatte
er demnach sich nach dem naechsten Hafenplatz Brundisium in Bewegung
gesetzt. Hier fanden die beiden Legionen von Luceria und was Pompeius in
dem menschenleeren Apulien an Rekruten in der Eile hatte zusammenraffen
koennen, sowie die von den Konsuln und sonstigen Beauftragten in
Kompanien ausgehobenen und eiligst nach Brundisium gefuehrten Leute sich
ein; ebendahin begab sich eine Menge politischer Fluechtlinge, unter
ihnen die angesehensten Senatoren in Begleitung ihrer Familien. Die
Einschiffung begann; allein die vorraetigen Fahrzeuge genuegten nicht,
um die ganze Masse, die sich doch noch auf 25000 Koepfe belief, auf
einmal zu transportieren. Es blieb nichts uebrig, als das Heer zu
teilen. Die groessere Haelfte ging vorauf (4. Maerz), mit der kleineren
von etwa 10000 Mann erwartete Pompeius in Brundisium die Rueckkehr der
Flotte; denn wie wuenschenswert fuer einen etwaigen Versuch, Italien
wieder einzunehmen, auch der Besitz von Brundisium war, so getraute
man sich doch nicht, den Platz auf die Dauer gegen Caesar zu halten.
Inzwischen traf Caesar vor Brundisium ein; die Belagerung begann. Caesar
versuchte vor allem, die Hafenmuendung durch Daemme und schwimmende
Bruecken zu schliessen, um die rueckkehrende Flotte auszusperren; allein
Pompeius liess die im Hafen liegenden Handelsfahrzeuge armieren und
wusste die voellige Schliessung des Hafens so lange zu verhindern, bis
die Flotte erschien und die von Pompeius, trotz der Wachsamkeit der
Belagerer und der feindlichen Gesinnung der Stadtbewohner, mit grosser
Geschicklichkeit bis auf den letzten Mann unbeschaedigt aus der Stadt
herausgezogenen Truppen aus Caesars Bereich nach Griechenland entfuehrte
(17. Maerz). An dem Mangel einer Flotte scheiterte wie die Belagerung
selbst, so auch die weitere Verfolgung. In einem zweimonatlichen
Feldzug, ohne ein einziges ernstliches Gefecht, hatte Caesar eine Armee
von zehn Legionen so aufgeloest, dass mit genauer Not die kleinere
Haelfte derselben in verwirrter Flucht ueber das Meer entkommen, die
ganze italische Halbinsel aber mit Einschluss der Hauptstadt nebst der
Staatskasse und allen daselbst aufgehaeuften Vorraeten in die Gewalt
des Siegers geraten war. Nicht ohne Grund klagte die geschlagene Partei
ueber die schauerliche Raschheit, Einsicht und Energie des "Ungeheuers".
Indes es liess sich fragen, ob Caesar durch die Eroberung Italiens mehr
gewann oder mehr verlor. In militaerischer Hinsicht wurden zwar jetzt
sehr ansehnliche Hilfsquellen nicht bloss den Gegnern entzogen, sondern
auch fuer Caesar fluessig gemacht; schon im Fruehjahr 705 (49) zaehlte
seine Armee infolge der ueberall angeordneten massenhaften Aushebungen
ausser den neun alten eine bedeutende Anzahl von Rekrutenlegionen.
Andererseits aber wurde es jetzt nicht bloss noetig, in Italien eine
ansehnliche Besatzung zurueckzulassen, sondern auch Massregeln zu
treffen gegen die von den seemaechtigen Gegnern beabsichtigte Sperrung
des ueberseeischen Verkehrs und die infolgedessen namentlich der
Hauptstadt drohende Hungersnot, wodurch Caesars bereits hinreichend
verwickelte militaerische Aufgabe noch weiter sich komplizierte.
Finanziell war es allerdings von Belang, dass es Caesar geglueckt war,
der hauptstaedtischen Kassenbestaende sich zu bemaechtigen; aber die
hauptsaechlichsten Einnahmequellen, namentlich die Abgaben aus dem
Orient, waren doch in den Haenden des Feindes und bei den so sehr
vermehrten Beduerfnissen fuer das Heer sowie der neuen Verpflichtung,
fuer die darbende hauptstaedtische Bevoelkerung zu sorgen, zerrannen
die vorgefundenen ansehnlichen Summen so schnell, dass Caesar sich bald
genoetigt sah, den Privatkredit anzusprechen, und, da er unmoeglich
damit lange sich fristen zu koennen schien, allgemein als die einzig
uebrig bleibende Aushilfe umfassende Konfiskationen erwartet wurden.
Ernstere Schwierigkeiten noch bereiteten die politischen Verhaeltnisse,
in welche Caesar mit der Eroberung Italiens eintrat. Die Besorgnis der
besitzenden Klassen vor einer anarchischen Umwaelzung war allgemein.
Feinde und Freunde sahen in Caesar einen zweiten Catilina; Pompeius
glaubte oder behauptete zu glauben, dass Caesar nur durch die
Unmoeglichkeit, seine Schulden zu bezahlen, zum Buergerkrieg getrieben
worden sei. Das war allerdings absurd; aber in der Tat waren Caesars
Antezedentien nichts weniger als beruhigend und noch weniger beruhigend
der Hinblick auf das Gefolge, das jetzt ihn umgab. Individuen des
anbruechigsten Rufes, stadtkundige Gesellen wie Quintus Hortensius,
Gaius Curio, Marcus Antonius - dieser der Stiefsohn des auf Ciceros
Befehl hingerichteten Catilinariers Lentulus - spielten darin die ersten
Rollen; die hoechsten Vertrauensposten wurden an Maenner vergeben, die
es laengst aufgegeben hatten, ihre Schulden auch nur zu summieren; man
sah Caesarische Beamte Taenzerinnen nicht bloss unterhalten - das
taten andere auch -, sondern oeffentlich in Begleitung solcher Dirnen
erscheinen. War es ein Wunder, dass auch ernsthafte und politisch
parteilose Maenner Amnestie fuer alle landfluechtigen Verbrecher,
Vernichtung der Schuldbuecher, umfassende Konfiskations-, Acht- und
Mordbefehle erwarteten, ja eine Pluenderung Roms durch die gallische
Soldateska? Indes hierin taeuschte das "Ungeheuer" die Erwartungen
seiner Feinde wie seiner Freunde. Schon wie Caesar die erste italische
Stadt Ariminum besetzte, untersagte er allen gemeinen Soldaten, sich
bewaffnet innerhalb der Mauern sehen zu lassen; durchaus und ohne
Unterschied, ob sie ihn freundlich oder feindlich empfangen hatten,
wurden die Landstaedte vor jeder Unbill geschuetzt. Als die meuterische
Garnison am spaeten Abend Corfinium uebergab, verschob er, gegen jede
militaerische Ruecksicht, die Besetzung der Stadt bis zum anderen
Morgen, einzig, um die Buergerschaft nicht einem naechtlichen Einmarsch
seiner erbitterten Soldaten preiszugeben. Von den Gefangenen wurden die
Gemeinen, als voraussetzlich politisch indifferent, in die eigene Armee
eingereiht, die Offiziere aber nicht bloss verschont, sondern auch
ohne Unterschied der Person und ohne Annahme irgendwelcher Zusagen frei
entlassen, und was sie als Privateigentum in Anspruch nahmen, ohne auch
nur die Berechtigung der Reklamationen mit Strenge zu untersuchen, ihnen
ohne Weiterungen verabfolgt. So ward selbst Lucius Domitius behandelt,
ja sogar dem Labienus das zurueckgelassene Geld und Gepaeck ins
feindliche Lager nachgesandt. In der peinlichsten Finanznot wurden
dennoch die ungeheuren Gueter der anwesenden wie der abwesenden Gegner
nicht angegriffen; ja Caesar borgte lieber bei den Freunden, als dass er
auch nur durch Ausschreibung der formell zulaessigen, aber tatsaechlich
antiquierten Grundsteuer die Besitzenden gegen sich aufgeregt haette.
Nur die Haelfte, und nicht die schwerere, seiner Aufgabe betrachtete der
Sieger als mit dem Siege geloest; die Buergschaft der Dauer sah er nach
seiner eigenen Aeusserung allein in der unbedingten Begnadigung der
Besiegten und hatte darum auch auf dem ganzen Marsche von Ravenna
bis Brundisium unablaessig die Versuche erneuert, eine persoenliche
Zusammenkunft mit Pompeius und einen ertraeglichen Vergleich
einzuleiten. Aber wenn die Aristokratie schon frueher von keiner
Aussoehnung hatte wissen wollen, so hatte die unerwartete und so
schimpfliche Emigration ihren Zorn bis zum Wahnsinn gesteigert, und
das wilde Racheschnauben der Geschlagenen kontrastierte seltsam mit der
Versoehnlichkeit des Siegers. Die aus dem Emigrantenlager den in Italien
zurueckgebliebenen Freunden regelmaessig zukommenden Mitteilungen
flossen ueber von Entwuerfen zu Konfiskationen und Proskriptionen,
von Epurationsplaenen des Senats und des Staats, gegen die Sullas
Restaurationen Kinderspiel waren und die selbst die gemaessigten
Parteigenossen mit Entsetzen vernahmen. Die tolle Leidenschaft der
Ohnmacht, die weise Maessigung der Macht taten ihre Wirkung. Die ganze
Masse, der die materiellen Interessen ueber die politischen gingen,
warf sich Caesar in die Arme. Die Landstaedte vergoetterten "die
Rechtschaffenheit, die Maessigung, die Klugheit" des Siegers; und selbst
die Gegner raeumten ein, dass es mit diesen Huldigungen Ernst war. Die
hohe Finanz, Steuerpaechter und Geschworene verspuerten nach dem argen
Schiffbruch, der die Verfassungspartei in Italien betroffen hatte, keine
besondere Lust, sich weiter denselben Steuermaennern anzuvertrauen; die
Kapitalien kamen wieder zum Vorschein und "die reichen Herren begaben
sich wieder an ihr Tagewerk, die Zinsbuecher zu schreiben". Selbst die
grosse Majoritaet des Senats, wenigstens der Zahl nach - denn allerdings
befanden sich von den vornehmeren und einflussreichen Senatsmitgliedern
nur wenige darunter - war, trotz der Befehle des Pompeius und
der Konsuln, in Italien, zum Teil sogar in der Hauptstadt selbst
zurueckgeblieben und liess Caesars Regiment sich gefallen. Caesars eben
in ihrer scheinbaren Ueberschwenglichkeit wohlberechnete Milde erreichte
ihren Zweck: die zappelnde Angst der besitzenden Klassen vor der
drohenden Anarchie wurde einigermassen beschwichtigt. Wohl war dies fuer
die Folgezeit ein unberechenbarer Gewinn; die Abwendung der Anarchie
und der fast nicht minder gefaehrlichen Angst vor der Anarchie war die
Vorbedingung der kuenftigen Reorganisation des Gemeinwesens. Aber
fuer den Augenblick war diese Milde fuer Caesar gefaehrlicher als die
Erneuerung der cinnanischen und catilinarischen Raserei gewesen sein
wuerde; sie verwandelte Feinde nicht in Freunde und Freunde in Feinde.
Caesars catilinarischer Anhang grollte, dass das Morden und Pluendern
unterblieb; von diesen verwegenen, verzweifelten und zum Teil
talentvollen Gesellen waren die bedenklichsten Querspruenge zu erwarten.
Die Republikaner aller Schattierungen dagegen wurden durch die Gnade
des Ueberwinders weder bekehrt noch versoehnt. Nach dem Credo der
Catonischen Partei entband die Pflicht gegen das, was sie Vaterland
nannte, von jeder anderen Ruecksicht; selbst wer Caesar Freiheit und
Leben verdankte, blieb befugt und verpflichtet, gegen ihn die Waffen zu
ergreifen oder doch mindestens gegen ihn zu komplottieren. Die minder
entschiedenen Fraktionen der Verfassungspartei liessen zwar allenfalls
sich willig finden, von dem neuen Monarchen Frieden und Schutz
anzunehmen; aber sie hoerten doch darum nicht auf, die Monarchie wie
den Monarchen von Herzen zu verwuenschen. Je offenbarer die
Verfassungsaenderung hervortrat, desto bestimmter kam der grossen
Majoritaet der Buergerschaft, sowohl in der politisch lebhaften,
aufgeregten Hauptstadt wie in der energischen laendlichen und
landstaedtischen Bevoelkerung, ihre republikanische Besinnung zum
Bewusstsein; insofern berichteten die Verfassungsfreunde in Rom mit
Recht an ihre Gesinnungsgenossen im Exil, dass daheim alle Klassen und
alle Individuen pompeianisch gesinnt seien. Die schwierige Stimmung all
dieser Kreise wurde noch gesteigert durch den moralischen Druck, den die
entschiedeneren und vornehmeren Gesinnungsgenossen eben als Emigranten
auf die Menge der Geringeren und Lauen ausuebten. Dem ehrlichen Mann
schlug ueber sein Verbleiben in Italien das Gewissen; der Halbaristokrat
glaubte sich zu den Plebejern zu stellen, wenn er nicht mit den
Domitiern und den Metellern ins Exil ging und gar, wenn er in dem
Caesarischen Senat der Nullitaeten mitsass. Die eigene Milde des Siegers
gab dieser stillen Opposition erhoehte politische Bedeutung: da Caesar
nun einmal des Terrorismus sich enthielt, so schienen die heimlichen
Gegner ihre Abneigung gegen sein Regiment ohne viele Gefahr betaetigen
zu koennen. Sehr bald machte er in dieser Beziehung merkwuerdige
Erfahrungen mit dem Senat. Caesar hatte den Kampf begonnen, um den
terrorisierten Senat von seinen Unterdrueckern zu befreien. Dies
war geschehen; er wuenschte also von dem Senat die Billigung des
Geschehenen, die Vollmacht zu weiterer Fortsetzung des Krieges zu
erlangen. Zu diesem Zwecke beriefen, als Caesar vor der Hauptstadt
erschien (Ende Maerz), die Volkstribune seiner Partei ihm den Senat (1.
April). Die Versammlung war ziemlich zahlreich, aber selbst von den in
Italien verbliebenen Senatoren waren doch die namhaftesten ausgeblieben,
sogar der ehemalige Fuehrer der servilen Majoritaet, Marcus Cicero, und
Caesars eigener Schwiegervater Lucius Piso; und was schlimmer war,
auch die Erschienenen waren nicht geneigt, auf Caesars Vorschlaege
einzugehen. Als Caesar von einer Vollmacht zur Fortsetzung des Krieges
sprach, meinte der eine der zwei einzigen anwesenden Konsulare, Servius
Sulpicius Rufus, ein urfurchtsamer Mann, der nichts wuenschte als einen
ruhigen Tod in seinem Bette, dass Caesar sich mehr um das Vaterland
verdient machen werde, wenn er es aufgebe, den Krieg nach Griechenland
und Spanien zu tragen. Als dann Caesar den Senat ersuchte, wenigstens
seine Friedensvorschlaege an Pompeius zu uebermitteln, war man dem an
sich zwar nicht entgegen, aber die Drohungen der Emigranten gegen die
Neutralen hatten diese so in Furcht gesetzt, dass niemand sich fand, um
die Friedensbotschaft zu uebernehmen. An der Abneigung der Aristokratie,
den Thron des Monarchen errichten zu helfen, und an derselben
Schlaffheit des hohen Kollegiums, durch die kurz zuvor Caesar Pompeius'
legale Ernennung zum Oberfeldherrn in dem Buergerkrieg vereitelt hatte,
scheiterte jetzt auch er mit dem gleichen Verlangen. Andere Hemmungen
kamen hinzu. Caesar wuenschte, um seine Stellung doch irgendwie zu
regulieren, zum Diktator ernannt zu werden; es geschah nicht, weil ein
solcher verfassungsmaessig nur von einem der Konsuln bestellt werden
konnte und der Versuch, den Konsul Lentulus zu kaufen, wozu bei dessen
zerruetteten Vermoegensverhaeltnissen wohl Aussicht war, dennoch
fehlschlug. Der Volkstribun Lucius Metellus ferner legte gegen
saemtliche Schritte des Prokonsuls Protest ein und machte Miene, die
Staatskasse, als Caesars Leute kamen, um sie zu leeren, mit seinem
Leibe zu decken. Caesar konnte in diesem Falle nicht umhin, den
Unverletzlichen so saenftiglich wie moeglich beiseiteschieben zu lassen;
uebrigens blieb er dabei, sich aller Gewaltschritte zu enthalten. Dem
Senat erklaerte er, ebenwie es kurz zuvor die Verfassungspartei getan,
dass er zwar gewuenscht habe, auf gesetzlichem Wege und mit Beihilfe
der hoechsten Behoerde die Verhaeltnisse zu ordnen; allein da diese
verweigert werde, koenne er ihrer auch entraten. Ohne weiter um den
Senat und die staatsrechtlichen Formalien sich zu kuemmern, uebergab er
die einstweilige Verwaltung der Hauptstadt dem Praetor Marcus Aemilius
Lepidus als Stadtpraefekten und ordnete fuer die Verwaltung der
ihm gehorchenden Landschaften und die Fortsetzung des Krieges das
Erforderliche an. Selbst unter dem Getoese des Riesenkampfes und neben
dem lockenden Klang der verschwenderischen Versprechungen Caesars machte
es noch tiefen Eindruck auf die hauptstaedtische Menge, als sie in ihrem
freien Rom zum erstenmal den Monarchen als Monarchen schalten und die
Tuer der Staatskasse durch seine Soldaten aufsprengen sah. Allein die
Zeiten waren nicht mehr, wo Eindruecke und Stimmungen der Masse den
Gang der Ereignisse bestimmten; die Legionen entschieden und auf einige
schmerzliche Empfindungen mehr oder weniger kam eben nichts weiter an.
Caesar eilte, den Krieg wiederaufzunehmen. Seine bisherigen Erfolge
verdankte er der Offensive, und er gedachte auch ferner, dieselbe
festzuhalten. Die Lage seines Gegners war seltsam. Nachdem der
urspruengliche Plan, den Feldzug zugleich von Italien und Spanien aus in
den beiden Gallien offensiv zu fuehren, durch Caesars Angriff vereitelt
war, hatte Pompeius nach Spanien zu gehen beabsichtigt. Hier hatte er
eine sehr starke Stellung. Das Heer zaehlte sieben Legionen; es dienten
darin eine grosse Anzahl von Pompeius' Veteranen, und die mehrjaehrigen
Kaempfe in den lusitanischen Bergen hatten Soldaten und Offiziere
gestaehlt. Unter den Anfuehrern war Marcus Varro zwar nichts als ein
beruehmter Gelehrter und ein getreuer Anhaenger; aber Lucius Afranius
hatte mit Auszeichnung im Orient und in den Alpen gefochten, und Marcus
Petreius, der Ueberwinder Catilinas, war ein ebenso unerschrockener
wie faehiger Offizier. Wenn in der jenseitigen Provinz Caesar noch von
seiner Statthalterschaft her mancherlei Anhang hatte, so war dagegen
die wichtigere Ebroprovinz mit allen Banden der Verehrung und der
Dankbarkeit an den beruehmten General gefesselt, der zwanzig Jahre zuvor
im Sertorianischen Kriege in ihr das Kommando gefuehrt und nach
dessen Beendigung sie neu eingerichtet hatte. Pompeius konnte nach
der italischen Katastrophe offenbar nichts Besseres tun als mit den
geretteten Heerestruemmern sich dorthin begeben und an der Spitze seiner
gesamten Macht Caesar entgegentreten. Ungluecklicherweise aber hatte
er, in der Hoffnung, die in Corfinium stehenden Truppen noch retten
zu koennen, so lange in Apulien sich verweilt, dass er statt der
kampanischen Haefen das naehere Brundisium zum Einschiffungsort zu
waehlen genoetigt war. Warum er, Herr der See und Siziliens, nicht
spaeterhin auf den urspruenglichen Plan wieder zurueck kam, laesst sich
nicht entscheiden; ob vielleicht die Aristokratie in ihrer kurzsichtigen
und misstrauischen Art keine Lust bezeigte, sich den spanischen Truppen
und der spanischen Bevoelkerung anzuvertrauen - genug, Pompeius blieb
im Osten und Caesar hatte die Wahl, den naechsten Angriff entweder gegen
die Armee zu richten, die in Griechenland unter Pompeius' eigenem Befehl
sich organisierte, oder gegen die schlagfertige seiner Unterfeldherren
in Spanien. Er hatte fuer das letztere sich entschieden und, sowie der
italische Feldzug zu Ende ging, Massregeln getroffen, um neun seiner
besten Legionen, ferner 6000 Reiter, teils in den Keltengauen von Caesar
einzeln ausgesuchte Leute, teils deutsche Soeldner, und eine
Anzahl iberischer und ligurischer Schuetzen an der unteren Rhone
zusammenzuziehen. Aber ebenhier waren auch seine Gegner taetig gewesen.
Der vom Senat an Caesars Stelle zum Statthalter des Jenseitigen Galliens
ernannte Lucius Domitius hatte von Corfinium aus, sowie Caesar ihn
freigegeben, sich mit seinem Gesinde und mit Pompeius' Vertrauensmann
Lucius Vibullius Rufus nach Massalia auf den Weg gemacht und in der Tat
die Stadt bestimmt, sich fuer Pompeius zu erklaeren, ja Caesars Truppen
den Durchmarsch zu weigern. Von den spanischen Truppen blieben die zwei
am wenigsten zuverlaessigen Legionen unter Varros Oberbefehl in der
jenseitigen Provinz stehen; dagegen hatten die fuenf besten,
verstaerkt durch 40000 Mann spanischen Fussvolks, teils keltiberischer
Linieninfanterie, teils lusitanischer und anderer Leichten, und durch
5000 spanische Reiter, unter Afranius und Petreius, den durch Vibullius
ueberbrachten Befehlen des Pompeius gemaess sich aufgemacht, um die
Pyrenaeen dem Feinde zu sperren. Hierueber traf Caesar selbst in
Gallien ein und entsandte sogleich, da die Einleitung der Belagerung von
Massalia ihn selber noch zurueckhielt, den groessten Teil seiner an der
Rhone versammelten Truppen, sechs Legionen und die Reiterei, auf der
grossen, ueber Narbo (Narbonne) nach Rhode (Rosas) fuehrenden Chaussee,
um an den Pyrenaeen dem Feinde zuvorzukommen. Es gelang; als Afranius
und Petreius an den Paessen anlangten, fanden sie dieselben bereits
besetzt von den Caesarianern und die Linie der Pyrenaeen verloren. Sie
nahmen darauf zwischen diesen und dem Ebro eine Stellung bei Ilerda
(Lerida). Diese Stadt liegt vier Meilen noerdlich vom Ebro an dem
rechten Ufer eines Nebenflusses desselben, des Sicoris (Segre), ueber
den nur eine einzige solide Bruecke unmittelbar bei Ilerda fuehrte.
Suedlich von Ilerda treten die das linke Ufer des Ebro begleitenden
Gebirge ziemlich nahe an die Stadt hinan; nordwaerts erstreckt sich zu
beiden Seiten des Sicoris ebenes Land, das von dem Huegel, auf welchem
die Stadt gebaut ist, beherrscht wird. Fuer eine Armee, die sich
musste belagern lassen, war es eine vortreffliche Stellung; aber die
Verteidigung Spaniens konnte, nachdem die Besetzung der Pyrenaeenlinie
versaeumt war, doch nur hinter dem Ebro ernstlich aufgenommen werden,
und da weder eine feste Verbindung zwischen Ilerda und dem Ebro
hergestellt, noch dieser Fluss ueberbrueckt war, so war der Rueckzug aus
der vorlaeufigen in die wahre Verteidigungsstellung nicht hinreichend
gesichert. Die Caesarianer setzten sich oberhalb Ilerda in dem Delta
fest, das der Fluss Sicoris mit dem unterhalb Ilerda mit ihm sich
vereinigenden Cinga (Cinca) bildet; indes ward es mit dem Angriff erst
Ernst, nachdem Caesar im Lager eingetroffen war (23. Juni). Unter den
Mauern der Stadt ward von beiden Teilen gleich erbittert und gleich
tapfer mit vielfach wechselndem Erfolg gekaempft; ihren Zweck aber:
zwischen dem Pompeianischen Lager und der Stadt sich festzusetzen
und dadurch der Steinbruecke sich zu bemaechtigen., erreichten die
Caesarianer nicht und blieben also fuer ihre Kommunikation mit Gallien
lediglich angewiesen auf zwei Bruecken, welche sie ueber den Sicoris und
zwar, da der Fluss bei Ilerda selbst zu solcher Ueberbrueckung schon zu
ansehnlich war, vier bis fuenf deutsche Meilen weiter oberwaerts in der
Eile geschlagen hatten. Als dann mit der Schneeschmelze die Hochwasser
kamen, wurden diese Notbruecken weggerissen; und da es an Schiffen
fehlte, um die hochangeschwollenen Fluesse zu passieren, und unter
diesen Umstaenden an Wiederherstellung der Bruecken zunaechst nicht
gedacht werden konnte, so war die Caesarische Armee beschraenkt auf den
schmalen Raum zwischen der Cinca und dem Sicoris, das linke Ufer des
Sicoris aber und damit die Strasse, auf der die Armee mit Gallien und
Italien kommunizierte, fast unverteidigt den Pompeianern preisgegeben,
die den Fluss teils auf der Stadtbruecke, teils nach lusitanischer Art
auf Schlaeuchen schwimmend passierten. Es war die Zeit kurz vor der
Ernte; die alte Frucht war fast aufgebraucht, die neue noch nicht
eingebracht und der enge Landstreif zwischen den beiden Baechen bald
ausgezehrt. Im Lager herrschte foermliche Hungersnot - der preussische
Scheffel Weizen kostete 300 Denare (90 Taler) - und brachen bedenkliche
Krankheiten aus; dagegen haeufte am linken Ufer Proviant und die
mannigfaltigste Zufuhr sich an, dazu Mannschaften aller Art: Nachschub
aus Gallien von Reiterei und Schuetzen, beurlaubte Offiziere und
Soldaten, heimkehrende Streifscharen, im ganzen eine Masse von 6000
Koepfen, welche von den Pompeianern mit ueberlegener Macht angegriffen
und mit grossem Verlust in die Berge gedraengt wurden, waehrend die
Caesarianer am rechten Ufer dem ungleichen Gefecht untaetig zusehen
mussten. Die Verbindungen der Armee waren in den Haenden der Pompeianer;
in Italien blieben die Nachrichten aus Spanien ploetzlich aus, und die
bedenklichen Geruechte, die dort umzulaufen begannen, waren von der
Wahrheit nicht allzuweit entfernt. Haetten die Pompeianer ihren Vorteil
mit einigem Nachdruck verfolgt, so konnte es ihnen nicht fehlen, die auf
dem linken Ufer des Sicoris zusammengedraengte, kaum widerstandsfaehige
Masse entweder in ihre Gewalt zu bringen oder wenigstens nach Gallien
zurueckzuwerfen und dies Ufer so vollstaendig zu besetzen, dass ohne
ihr Wissen kein Mann den Fluss ueberschritt. Allein beides war versaeumt
worden; jene Haufen waren wohl mit Verlust beiseite gedraengt, aber
doch weder vernichtet noch voellig zurueckgeworfen worden, und die
Ueberschreitung des Flusses zu wehren, ueberliess man wesentlich dem
Flusse selbst. Hierauf baute Caesar seinen Plan. Er liess tragbare
Kaehne von leichtem Holzgestell und Korbgeflecht mit lederner
Bekleidung, nach dem Muster der im Kanal bei den Briten und spaeter den
Sachsen ueblichen, im Lager anfertigen und sie auf Wagen an den
Punkt, wo die Bruecken gestanden hatten, transportieren. Auf diesen
gebrechlichen Nachen wurde das andere Ufer erreicht und, da man es
unbesetzt fand, ohne grosse Schwierigkeit die Bruecke wiederhergestellt;
rasch war dann auch die Verbindungsstrasse freigemacht und die sehnlich
erwartete Zufuhr in das Lager geschafft. Caesars gluecklicher Einfall
riss also das Heer aus der ungeheuren Gefahr, in der es schwebte. Sofort
begann dann Caesars an Tuechtigkeit der feindlichen weit ueberlegene
Reiterei, die Landschaft am linken Ufer des Sicoris zu durchstreifen;
schon traten die ansehnlichsten spanischen Gemeinden zwischen den
Pyrenaeen und dem Ebro, Osca, Tarraco, Dertosa und andere, ja selbst
einzelne suedlich vom Ebro auf Caesars Seite. Durch die Streiftrupps
Caesars und die Uebertritte der benachbarten Gemeinden wurde nun den
Pompeianern die Zufuhr knapp; sie entschlossen sich endlich zum
Rueckzug hinter die Ebrolinie und gingen eiligst daran, unterhalb der
Sicorismuendung eine Schiffbruecke ueber den Ebro zu schlagen. Caesar
suchte den Gegnern den Rueckweg ueber den Ebro abzuschneiden und sie in
Ilerda festzuhalten; allein solange die Feinde im Besitz der Bruecke
bei Ilerda blieben und er dort weder Furt noch Bruecken in seiner Gewalt
hatte, durfte er seine Armee nicht auf die beiden Flussufer verteilen
und konnte Ilerda nicht einschliessen. Seine Soldaten schanzten also
Tag und Nacht, um durch Abzugsgraeben den Fluss so viel tiefer zu legen,
dass die Infanterie ihn durchwaten koenne. Aber die Vorbereitungen
der Pompeianer, den Ebro zu passieren, kamen frueher zu Ende als die
Anstalten der Caesarianer zur Einschliessung von Ilerda; als jene nach
Vollendung der Schiffbruecke den Marsch nach dem Ebro zu am linken Ufer
des Sicoris antraten, schienen die Ableitungsgraeben der Caesarianer
dem Feldherrn doch nicht weit genug vorgerueckt, um die Furt fuer die
Infanterie zu benutzen; nur seine Reiter liess er den Strom passieren
und, dem Feinde an die Fersen sich heftend, wenigstens ihn aufhalten
und schaedigen. Allein als Caesars Legionen am grauenden Morgen die seit
Mitternacht abziehenden feindlichen Kolonnen erblickten, begriffen
sie mit der instinktmaessigen Sicherheit krieggewohnter Veteranen die
strategische Bedeutung dieses Rueckzugs, der sie noetigte, dem Gegner in
ferne, unwegsame und von feindlichen Scharen erfuellte Landschaften zu
folgen; auf ihre eigene Bitte wagte es der Feldherr, auch das Fussvolk
in den Fluss zu fuehren, und obwohl den Leuten das Wasser bis an die
Schultern ging, ward er doch ohne Unfall durchschritten. Es war die
hoechste Zeit. Wenn die schmale Ebene, welche die Stadt Ilerda von den
den Ebro einfassenden Gebirgen trennt, einmal durchschritten und das
Heer der Pompeianer in die Berge eingetreten war, so konnte der Rueckzug
an den Ebro ihnen nicht mehr verwehrt werden. Schon hatten dieselben,
trotz der bestaendigen, den Marsch ungemein verzoegernden Angriffe der
feindlichen Reiterei, den Bergen sich bis auf eine Meile genaehert, als
sie, seit Mitternacht auf dem Marsche und unsaeglich erschoepft,
ihren urspruenglichen Plan, die Ebene noch an diesem Tage ganz zu
durchschreiten, aufgaben und Lager schlugen. Hier holte Caesars
Infanterie sie ein und lagerte am Abend und in der Nacht ihnen
gegenueber, indem der anfaenglich beabsichtigte naechtliche Weitermarsch
von den Pompeianern aus Furcht vor den naechtlichen Angriffen der
Reiterei wieder aufgegeben ward. Auch am folgenden Tage standen beide
Heere unbeweglich, nur beschaeftigt, die Gegend zu rekognoszieren. Am
fruehen Morgen des dritten brach Caesars Fussvolk auf, um, durch die
pfadlosen Berge zur Seite der Strasse die Stellung der Feinde umgehend,
ihnen den Weg zum Ebro zu verlegen. Der Zweck des seltsamen Marsches,
der anfangs in das Lager vor Ilerda sich zurueckzuwenden schien, ward
von den Pompeianischen Offizieren nicht sogleich erkannt. Als sie ihn
fassten, opferten sie Lager und Gepaeck und rueckten im Gewaltmarsch auf
der Hauptstrasse vor, um den Uferkamm vor den Caesarianern zu gewinnen.
Indes es war bereits zu spaet; schon hielten, als sie herankamen, auf
der grossen Strasse selbst die geschlossenen Massen des Feindes. Ein
verzweifelter Versuch der Pompeianer, ueber die Bergsteile andere Wege
zum Ebro ausfindig zu machen, ward von Caesars Reiterei vereitelt,
welche die dazu vorgesandten lusitanischen Truppen umzingelte und
zusammenhieb. Waere es zwischen der Pompeianischen Armee, die die
feindlichen Reiter im Ruecken, das Fussvolk von vorne sich gegenueber
hatte und gaenzlich demoralisiert war, und den Caesarianern zu einer
Schlacht gekommen, so war deren Ausgang kaum zweifelhaft, und die
Gelegenheit zum Schlagen bot mehrfach sich dar; aber Caesar machte
keinen Gebrauch davon und zuegelte nicht ohne Muehe die ungeduldige
Kampfeslust seiner siegesgewissen Soldaten. Die Pompeianische Armee
war ohnehin strategisch verloren; Caesar vermied es, durch nutzloses
Blutvergiessen sein Heer zu schwaechen und die arge Fehde noch weiter
zu vergiften. Schon am Tage, nachdem es gelungen war, die Pompeianer
vom Ebro abzuschneiden, hatten die Soldaten der beiden Heere miteinander
angefangen zu fraternisieren und wegen der Uebergabe zu unterhandeln,
ja es waren bereits die von den Pompeianern geforderten Bedingungen,
namentlich Schonung der Offiziere, von Caesar zugestanden worden, als
Petreius mit seiner aus Sklaven und Spaniern bestehenden Eskorte ueber
die Unterhaendler zukam und die Caesarianer, deren er habhaft ward,
niedermachen liess. Caesar sandte dennoch die zu ihm in das Lager
gekommenen Pompeianer ungeschaedigt zurueck und beharrte dabei, eine
friedliche Loesung zu suchen. Ilerda, wo die Pompeianer noch Besatzung
und ansehnliche Magazine hatten, ward jetzt das Ziel ihres Marsches;
allein vor sich das feindliche Heer und zwischen sich und der Festung
den Sicoris, marschierten sie, ohne ihrem Ziele naeher zu kommen. Ihre
Reiterei ward allmaehlich so eingeschuechtert, dass das Fussvolk sie in
die Mitte nehmen und Legionen in die Nachhut gestellt werden mussten;
die Beschaffung von Wasser und Fourage ward immer schwieriger; schon
musste man die Lasttiere niederstossen, da man sie nicht ernaehren
konnte. Endlich fand die umherirrende Armee sich foermlich
eingeschlossen, den Sicoris im Ruecken, vor sich das feindliche
Heer, das Wall und Graben um sie herumzog. Sie versuchte den Fluss zu
ueberschreiten, aber Caesars deutsche Reiter und leichte Infanterie
kamen in der Besetzung des entgegenstehenden Ufers ihr zuvor. Alle
Tapferkeit und alle Treue konnten die unvermeidliche Kapitulation
nicht laenger abwenden (2. August 705 49). Caesar gewaehrte nicht bloss
Offizieren und Soldaten Leben und Freiheit und sowohl den Besitz der
ihnen noch gebliebenen Habe wie auch die Zurueckgabe der bereits ihnen
abgenommenen, deren vollen Wert er selber seinen Soldaten zu erstatten
uebernahm, sondern waehrend er die in Italien gefangenen Rekruten
zwangsweise in seine Armee eingereiht hatte, ehrte er diese alten
Legionaere des Pompeius durch die Zusage, dass keiner wider seinen
Willen genoetigt werden solle, in sein Heer einzutreten. Er forderte
nur, dass ein jeder die Waffen abgebe und sich in seine Heimat verfuege.
Demgemaess wurden die aus Spanien gebuertigen Soldaten, etwa der dritte
Teil der Armee, sogleich, die italischen an der Grenze des Jen- und
Diesseitigen Galliens verabschiedet. Das Diesseitige Spanien fiel mit
der Aufloesung dieser Armee von selbst in die Gewalt des Siegers. Im
Jenseitigen, wo Marcus Varro fuer Pompeius den Oberbefehl fuehrte,
schien es diesem, als er die Katastrophe von Ilerda erfuhr,
das raetlichste, sich in die Inselstadt Gades zu werfen und die
betraechtlichen Summen, die er durch Einziehung der Tempelschaetze und
der Vermoegen angesehener Caesarianer zusammengebracht hatte, die nicht
unbedeutende von ihm aufgestellte Flotte und die ihm anvertrauten
zwei Legionen dorthin in Sicherheit zu bringen. Allein auf das blosse
Geruecht von Caesars Ankunft erklaerten die namhaftesten Staedte der
Caesar seit langem anhaenglichen Provinz sich fuer diesen und verjagten
die Pompeianischen Besatzungen oder bestimmten sie zu gleichem Abfall:
so Corduba, Carmo und Gades selbst. Auch eine der Legionen brach auf
eigene Hand nach Hispalis auf und trat mit dieser Stadt zugleich auf
Caesars Seite. Als endlich selbst Italica dem Varro die Tore sperrte,
entschloss dieser sich zu kapitulieren. Ungefaehr gleichzeitig unterwarf
sich auch Massalia. Mit seltener Energie hatten die Massalioten nicht
bloss die Belagerung ertragen, sondern auch die See gegen Caesar
behauptet; es war ihr heimisches Element und sie durften hoffen, auf
diesem kraeftige Unterstuetzung von Pompeius zu empfangen, welcher ja
das Meer ausschliesslich beherrschte. Indes Caesars Unterfeldherr, der
tuechtige Decimus Brutus, derselbe, der ueber die Veneter den ersten
Seesieg im Ozean erfochten hatte, wusste rasch eine Flotte herzustellen
und, trotz der wackeren Gegenwehr der feindlichen, teils aus
albioekischen Soldknechten der Massalioten, teils aus Hirtensklaven des
Domitius bestehenden Flottenmannschaft, durch seine tapferen, aus den
Legionen auserlesenen Schiffssoldaten die staerkere massaliotische
Flotte zu ueberwinden und die groessere Haelfte der Schiffe zu versenken
oder zu erobern. Als dann ein kleines Pompeianisches Geschwader unter
Lucius Nasidius aus dem Osten ueber Sizilien und Sardinien im Hafen
von Massalia eintraf, erneuerten die Massalioten noch einmal ihre
Seeruestung und liefen zugleich mit den Schiffendes Nasidius gegen
Brutus aus. Haetten in dem Treffen, das auf der Hoehe von Tauroeis
(La Ciotat, oestlich von Marseille) geschlagen ward, die Schiffe
des Nasidius mit demselben verzweifelten Mut gestritten, den die
massaliotischen an diesem Tage bewiesen, so moechte das Ergebnis
desselben wohl ein verschiedenes gewesen sein; allein die Flucht
der Nasidianer entschied den Sieg fuer Brutus und die Truemmer der
Pompeianischen Flotte fluechteten nach Spanien. Die Belagerten waren von
der See vollstaendig verdraengt. Auf der Landseite, wo Gaius Trebonius
die Belagerung leitete, ward auch nachher noch die entschlossenste
Gegenwehr fortgesetzt; allein trotz der haeufigen Ausfaelle der
albioekischen Soeldner und der geschickten Verwendung der ungeheuren,
in der Stadt aufgehaeuften Geschuetzvorraete rueckten endlich doch
die Arbeiten der Belagerer bis an die Mauer vor und einer der Tuerme
stuerzte zusammen. Die Massalioten erklaerten, dass sie die Verteidigung
aufgaeben, aber mit Caesar selbst die Kapitulation abzuschliessen
wuenschten, und ersuchten den roemischen Befehlshaber, bis zu Caesars
Ankunft die Belagerungsarbeiten einzustellen. Trebonius hatte von Caesar
gemessenen Befehl, die Stadt so weit irgend moeglich zu schonen; er
gewaehrte den erbetenen Waffenstillstand. Allein da die Massalioten ihn
zu einem tueckischen Ausfall benutzten, in dem sie die eine Haelfte der
fast unbewachten roemischen Werke vollstaendig niederbrannten, begann
von neuem und mit gesteigerter Erbitterung der Belagerungskampf.
Der tuechtige Befehlshaber der Roemer stellte mit ueberraschender
Schnelligkeit die vernichteten Tuerme und den Damm wieder her; bald
waren die Massalioten abermals vollstaendig eingeschlossen. Als Caesar,
von der Unterwerfung Spaniens zurueckkehrend, vor ihrer Stadt ankam,
fand er dieselbe teils durch die feindlichen Angriffe, teils durch
Hunger und Seuchen aufs Aeusserste gebracht und zum zweitenmal, und
diesmal ernstlich, bereit, auf jede Bedingung zu kapitulieren. Nur
Domitius, der schmaehlich missbrauchten Nachsicht des Siegers eingedenk,
bestieg einen Nachen und schlich sich durch die roemische Flotte, um
fuer seinen unversoehnlichen Groll ein drittes Schlachtfeld zu suchen.
Caesars Soldaten hatten geschworen, die ganze maennliche Bevoelkerung
der treubruechigen Stadt ueber die Klinge springen zu lassen und
forderten mit Ungestuem von dem Feldherrn das Zeichen zur Pluenderung.
Allein Caesar, seiner grossen Aufgabe, die hellenisch-italische
Zivilisation im Westen zu begruenden auch hier eingedenk, liess sich
nicht zwingen, zu der Zerstoerung Korinths die Fortsetzung zu liefern.
Massalia, von jenen einst so zahlreichen freien und seemaechtigen
Staedten der alten ionischen Schiffernation die von der Heimat am
weitesten entfernte und fast die letzte, in der das hellenische
Seefahrerleben noch rein und frisch sich erhalten hatte, wie denn auch
die letzte griechische Stadt, die zur See geschlagen hat - Massalia
musste zwar seine Waffen- und Flottenvorraete an den Sieger abliefern
und verlor einen Teil seines Gebietes und seiner Privilegien, aber
behielt seine Freiheit und seine Nationalitaet und blieb, wenn auch
materiell in geschmaelerten Verhaeltnissen, doch geistig nach wie vor
der Mittelpunkt der hellenischen Kultur in der fernen, eben jetzt zu
neuer geschichtlicher Bedeutung gelangenden keltischen Landschaft.
Waehrend also in den westlichen Landschaften der Krieg nach manchen
bedenklichen Wechselfaellen schliesslich sich durchaus zu Caesars
Gunsten entschied und Spanien und Massalia unterworfen, die feindliche
Hauptarmee bis auf den letzten Mann gefangengenommen wurde, hatte auch
auf dem zweiten Kriegsschauplatze, auf welchem Caesar es notwendig
gefunden, sofort nach der Eroberung Italiens die Offensive zu ergreifen,
die Waffenentscheidung stattgefunden. Es ward schon gesagt, dass die
Pompeianer die Absicht hatten, Italien auszuhungern. Die Mittel dazu
hatten sie in Haenden. Sie beherrschten die See durchaus und arbeiteten
allerorts, in Gades, Utica, Messana, vor allem im Osten, mit grossem
Eifer an der Vermehrung ihrer Flotte; sie hatten ferner die saemtlichen
Provinzen inne, aus denen die Hauptstadt ihre Subsistenzmittel zog:
Sardinien und Korsika durch Marcus Cotta, Sizilien durch Marcus Cato,
Afrika durch den selbst ernannten Oberfeldherrn Titus Attius Varus und
ihren Verbuendeten, den Koenig Juba von Numidien. Es war fuer Caesar
unumgaenglich noetig, diese Plaene des Feindes zu durchkreuzen und
demselben die Getreideprovinzen zu entreissen. Quintus Valerius ward
mit einer Legion nach Sardinien gesandt und zwang den Pompeianischen
Statthalter, die Insel zu raeumen. Die wichtigere Unternehmung, Sizilien
und Afrika dem Feinde abzunehmen, wurde unter Beistand des tuechtigen
und kriegserfahrenen Gaius Caninius Rebilus dem jungen Gaius Curio
anvertraut. Sizilien ward von ihm ohne Schwertstreich besetzt; Cato,
ohne rechte Armee und kein Mann des Degens, raeumte die Insel, nachdem
er in seiner rechtschaffenen Art die Sikelioten vorher gewarnt hatte,
sich nicht durch unzulaenglichen Widerstand nutzlos zu kompromittieren.
Curio liess zur Deckung dieser fuer die Hauptstadt so wichtigen Insel
die Haelfte seiner Truppen zurueck und schiffte sich mit der anderen,
zwei Legionen und 500 Reitern, nach Afrika ein. Hier durfte er erwarten,
ernsteren Widerstand zu finden: ausser der ansehnlichen und in ihrer
Art tuechtigen Armee Jubas hatte der Statthalter Varus aus den in
Afrika ansaessigen Roemern zwei Legionen gebildet und auch ein kleines
Geschwader von zehn Segeln aufgestellt. Mit Hilfe seiner ueberlegenen
Flotte bewerkstelligte indes Curio ohne Schwierigkeit die Landung
zwischen Hadrumetum, wo die eine Legion der Feinde nebst ihren
Kriegsschiffen, und Utica, vor welcher Stadt die zweite Legion unter
Varus selbst stand. Curio wandte sich gegen die letztere und schlug sein
Lager unweit Utica, ebenda, wo anderthalb Jahrhunderte zuvor der
aeltere Scipio sein erstes Winterlager in Afrika genommen hatte. Caesar,
genoetigt, seine Kerntruppen fuer den Spanischen Krieg zusammenzuhalten,
hatte die sizilisch-afrikanische Armee groesstenteils aus den vom Feind
uebernommenen Legionen, namentlich den Kriegsgefangenen von Corfinium,
zusammensetzen muessen; die Offiziere der Pompeianischen Armee in
Afrika, die zum Teil bei denselben in Corfinium ueberwundenen Legionen
gestanden hatten, liessen jetzt kein Mittel unversucht, ihre alten,
nun gegen sie fechtenden Soldaten zu ihrem ersten Eidschwur wieder
zurueckzubringen. Indes Caesar hatte in seinem Stellvertreter sich nicht
vergriffen. Curio verstand es, ebensowohl die Bewegung des Heeres und
der Flotte zu lenken, als auch persoenlichen Einfluss auf die Soldaten
zu gewinnen; die Verpflegung war reichlich, die Gefechte ohne Ausnahme
gluecklich. Als Varus, in der Voraussetzung, dass es den Truppen Curios
an Gelegenheit fehlte, auf seine Seite ueberzugehen, hauptsaechlich, um
ihnen diese zu verschaffen, sich entschloss, eine Schlacht zu liefern,
rechtfertigte der Erfolg seine Erwartungen nicht. Begeistert durch die
feurige Ansprache ihres jugendlichen Fuehrers schlugen Curios Reiter die
feindlichen in die Flucht und saebelten im Angesichte beider Heere die
mit den Reitern ausgerueckte leichte Infanterie der Feinde nieder; und
ermutigt durch diesen Erfolg und durch Curios persoenliches Beispiel,
gingen auch seine Legionen durch die schwierige, die beiden Linien
trennende Talschlucht vor zum Angriff, den die Pompeianer aber nicht
erwarteten, sondern schimpflich in ihr Lager zurueckflohen und auch
dies die Nacht darauf raeumten. Der Sieg war so vollstaendig, dass Curio
sofort dazu schritt, Utica zu belagern. Als indes die Meldung
eintraf, dass Koenig Juba mit seiner gesamten Heeresmacht zum Entsatz
heranrueckte, entschloss sich Curio, ebenwie bei Syphax' Eintreffen
Scipio getan, die Belagerung aufzuheben und in Scipios ehemaliges Lager
zurueckzugehen, bis aus Sizilien Verstaerkung nachkommen werde. Bald
darauf lief ein zweiter Bericht ein, dass Koenig Juba durch Angriffe
seiner Nachbarfuersten veranlasst worden sei, mit seiner Hauptmacht
wieder umzukehren, und den Belagerten nur ein maessiges Korps unter
Saburra zur Hilfe sende. Curio, der bei seinem lebhaften Naturell nur
sehr ungern sich entschlossen hatte zu rasten, brach nun sofort wieder
auf, um mit Saburra zu schlagen, bevor derselbe mit der Besatzung
von Utica in Verbindung treten koenne. Seiner Reiterei, die am Abend
voraufgegangen war, gelang es in der Tat, das Korps des Saburra am
Bagradas bei naechtlicher Weile zu ueberraschen und uebel zuzurichten;
und auf diese Siegesbotschaft beschleunigte Curio den Marsch der
Infanterie, um durch sie die Niederlage zu vollenden. Bald erblickte man
auf den letzten Abhaengen der gegen den Bagradas sich senkenden Anhoehen
das Korps des Saburra, das mit den roemischen Reitern sich herumschlug;
die heranrueckenden Legionen halfen, dasselbe voellig in die Ebene
hinabdraengen. Allein hier wendete sich das Gefecht. Saburra stand
nicht, wie man meinte, ohne Rueckhalt, sondern nicht viel mehr als eine
deutsche Meile entfernt von der numidischen Hauptmacht. Bereits trafen
der Kern des numidischen Fussvolks und 2000 gallische und spanische
Reiter auf dem Schlachtfeld ein, um Saburra zu unterstuetzen, und der
Koenig selbst mit dem Gros der Armee und sechzehn Elefanten war im
Anmarsch. Nach dem Nachtmarsch und dem hitzigen Gefecht waren von den
roemischen Reitern augenblicklich nicht viel ueber 200 beisammen,
und diese sowie die Infanterie von den Strapazen und dem Fechten aufs
aeusserste erschoepft, alle in der weiten Ebene, in die man sich hatte
verlocken lassen, rings eingeschlossen von den bestaendig sich mehrenden
feindlichen Scharen. Vergeblich suchte Curio, handgemein zu werden;
die libyschen Reiter wichen, wie sie pflegten, sowie eine roemische
Abteilung vorging, um, wenn sie umkehrte, sie zu verfolgen. Vergeblich
versuchte er, die Hoehen wiederzugewinnen; sie wurden von den
feindlichen Reitern besetzt und versperrt. Es war alles verloren. Das
Fussvolk ward niedergehauen bis auf den letzten Mann. Von der Reiterei
gelang es einzelnen sich durchzuschlagen; und Curio haette wohl sich zu
retten vermocht, aber er ertrug es nicht, ohne das ihm anvertraute Heer
allein vor seinem Herrn zu erscheinen, und starb mit dem Degen in der
Hand. Selbst die Mannschaft, die im Lager vor Utica sich zusammenfand,
und die Flottenbesatzung, die sich so leicht nach Sizilien haette retten
koennen, ergaben sich unter dem Eindruck der fuerchterlich raschen
Katastrophe den Tag darauf an Varus (August oder September 705 49). So
endigte die von Caesar angeordnete sizilisch-afrikanische Expedition.
Sie erreichte insofern ihren Zweck, als durch die Besetzung Siziliens in
Verbindung mit der von Sardinien wenigstens dem dringendsten Beduerfnis
der Hauptstadt abgeholfen ward; die vereitelte Eroberung Afrikas, aus
welcher die siegende Partei keinen weiteren wesentlichen Gewinn zog, und
der Verlust zweier unzuverlaessiger Legionen liessen sich verschmerzen.
Aber ein unersetzlicher Verlust fuer Caesar, ja fuer Rom, war
Curios frueher Tod. Nicht ohne Ursache hatte Caesar dem militaerisch
unerfahrenen und wegen seines Lotterlebens berufenen jungen Mann das
wichtigste selbstaendige Kommando anvertraut; es war ein Funken von
Caesars eigenem Geist in dem feurigen Juengling. Auch er hatte wie
Caesar den Becher der Lust bis auf die Hefen geleert; auch er ward nicht
darum Staatsmann, weil er Offizier war, sondern es gab seine politische
Taetigkeit ihm das Schwert in die Hand; auch seine Beredsamkeit war
nicht die der gerundeten Perioden, sondern die Beredsamkeit des tief
empfundenen Gedankens; auch seine Kriegfuehrung ruhte auf dem raschen
Handeln mit geringen Mitteln; auch sein Wesen war Leichtigkeit und
oft Leichtfertigkeit, anmutige Offenherzigkeit und volles Leben im
Augenblick. Wenn, wie sein Feldherr von ihm sagt, Jugendfeuer und hoher
Mut ihn zu Unvorsichtigkeiten hinrissen und wenn er, um nicht einen
verzeihlichen Fehler sich verzeihen zu lassen, allzu stolz den Tod nahm,
so fehlen Momente gleicher Unvorsichtigkeit und gleichen Stolzes auch
in Caesars Geschichte nicht. Man darf es beklagen, dass es dieser
uebersprudelnden Natur nicht vergoennt war, auszuschaeumen und sich
aufzubewahren fuer die folgende, an Talenten so bettelarme, dem
schrecklichen Regiment der Mittelmaessigkeiten so rasch verfallende
Generation. Inwiefern diese Kriegsvorgaenge des Jahres 705 (49) in
Pompeius' allgemeinen Feldzugsplan eingriffen, namentlich welche Rolle
in diesem nach dem Verlust Italiens den wichtigen Heereskoerpern im
Westen zugeteilt war, laesst sich nur vermutungsweise bestimmen. Dass
Pompeius die Absicht gehabt, seinem in Spanien fechtenden Heer zu Lande
ueber Afrika und Mauretanien zu Hilfe zu kommen, war nichts als ein
im Lager von Ilerda umherlaufendes abenteuerliches und ohne Zweifel
durchaus grundloses Geruecht. Viel wahrscheinlicher ist es, dass er bei
seinem frueheren Plan, Caesar im Dies- und Jenseitigen Gallien von zwei
Seiten anzugreifen, selbst nach dem Verlust von Italien noch beharrte
und einen kombinierten Angriff zugleich von Spanien und Makedonien aus
beabsichtigte. Vermutlich sollte die spanische Armee so lange an
den Pyrenaeen sich defensiv verhalten, bis die in der Organisation
begriffene makedonische gleichfalls marschfaehig war; worauf dann beide
zugleich aufgebrochen sein und, je nach den Umstaenden, entweder an
der Rhone oder am Po sich die Hand gereicht, auch die Flotte
vermutlich gleichzeitig versucht haben wuerde, das eigentliche Italien
zurueckzuerobern. In dieser Voraussetzung, wie es scheint, hatte Caesar
zunaechst sich darauf gefasst gemacht, einem Angriff auf Italien zu
begegnen. Einer der tuechtigsten seiner Offiziere, der Volkstribun
Marcus Antonius, befehligte hier mit propraetorischer Gewalt. Die
suedoestlichen Haefen Sipus, Brundisium, Tarent, wo am ersten ein
Landungsversuch zu erwarten war, hatten eine Besatzung von drei Legionen
erhalten. Ausserdem zog Quintus Hortensius, des bekannten Redners
ungeratener Sohn, eine Flotte im Tyrrhenischen, Publius Dolabella eine
zweite im Adriatischen Meere zusammen, welche teils die Verteidigung
unterstuetzten, teils fuer die bevorstehende Ueberfahrt nach
Griechenland mitverwandt werden sollten. Falls Pompeius versuchen
wuerde, zu Lande in Italien einzudringen, hatten Marcus Licinius
Crassus, der aelteste Sohn des alten Kollegen Caesars, die Verteidigung
des Diesseitigen Galliens, des Marcus Antonius juengerer Bruder Gaius
die von Illyricum zu leiten. Indes der vermutete Angriff liess lange
auf sich warten. Erst im Hochsommer des Jahres ward man in Illyrien
handgemein. Hier stand Caesars Statthalter Gaius Antonius mit seinen
zwei Legionen auf der Insel Curicta (Veglia, im Golf von Quarnero),
Caesars Admiral Publius Dolabella mit 40 Schiffen in dem schmalen
Meerarm zwischen dieser Insel und dem Festland. Das letztere Geschwader
griffen Pompeius' Flottenfuehrer im Adriatischen Meer, Marcus Octavius
mit der griechischen, Lucius Scribonius Libo mit der illyrischen
Flottenabteilung an, vernichteten saemtliche Schiffe Dolabellas und
schnitten Antonius auf seiner Insel ab. Ihn zu retten, kamen aus Italien
ein Korps unter Basilus und Sallustius und das Geschwader des Hortensius
aus dem Tyrrhenischen Meer; allein weder jenes noch dieses vermochten
der weit ueberlegenen feindlichen Flotte etwas anzuhaben. Die Legionen
des Antonius mussten ihrem Schicksal ueberlassen werden. Die Vorraete
gingen zu Ende, die Truppen wurden schwierig und meuterisch; mit
Ausnahme weniger Abteilungen, denen es gelang, auf Floessen das Festland
zu erreichen, streckte das Korps, immer noch fuenfzehn Kohorten stark,
die Waffen und ward auf den Schiffen Libos nach Makedonien gefuehrt, um
dort in die Pompeianische Armee eingereiht zu werden, waehrend
Octavius zurueckblieb, um die Unterwerfung der von Truppen entbloessten
illyrischen Kueste zu vollenden. Die Delmater, jetzt in diesen Gegenden
die bei weitem maechtigste Voelkerschaft, die wichtige Inselstadt Issa
(Lissa) und andere Ortschaften ergriffen die Partei des Pompeius; allein
die Anhaenger Caesars behaupteten sich in Salome (Spalato) und Lissos
(Alessio) und hielten in der ersteren Stadt nicht bloss die Belagerung
mutig aus, sondern machten, als sie aufs Aeusserste gebracht waren,
einen Ausfall mit solchem Erfolg, dass Octavius die Belagerung aufhob
und nach Dyrrhachion abfuhr, um dort zu ueberwintern. Dieser in
Illyricum von der Pompeianischen Flotte erfochtene Erfolg, obwohl an
sich nicht unbedeutend, wirkte doch auf den Gesamtgang des Feldzuges
wenig ein; und zwerghaft gering erscheint er, wenn man erwaegt, dass
die Verrichtungen der unter Pompeius' Oberbefehl stehenden Land- und
Seemacht waehrend des ganzen ereignisreichen Jahres 705 (49) sich auf
diese einzige Waffentat beschraenkten und dass vom Osten her, wo der
Feldherr, der Senat, die zweite grosse Armee, die Hauptflotte, ungeheure
militaerische und noch ausgedehntere finanzielle Hilfsmittel der Gegner
Caesars vereinigt waren, da, wo es not tat, in jenen allentscheidenden
Kampf im Westen gar nicht eingegriffen ward. Der aufgeloeste Zustand der
in der oestlichen Haelfte des Reiches befindlichen Streitkraefte,
die Methode des Feldherrn, nie anders als mit ueberlegenen Massen
zu operieren, seine Schwerfaelligkeit und Weitschichtigkeit und
die Zerfahrenheit der Koalition mag vielleicht die Untaetigkeit der
Landmacht zwar nicht entschuldigen, aber doch einigermassen erklaeren;
aber dass die Flotte, die doch ohne Nebenbuhler das Mittelmeer
beherrschte, so gar nichts tat, um den Gang der Dinge bestimmen
zu helfen, nichts fuer Spanien, so gut wie nichts fuer die treuen
Massalioten, nichts, um Sardinien, Sizilien, Afrika zu verteidigen und
Italien wo nicht wieder zu besetzen, doch wenigstens ihm die
Zufuhr abzusperren - das macht an unsere Vorstellungen von der
im Pompeianischen Lager herrschenden Verwirrung und Verkehrtheit
Ansprueche, denen wir nur mit Muehe zu genuegen vermoegen. Das
Gesamtresultat dieses Feldzugs war entsprechend. Caesars doppelte
Offensive gegen Spanien und gegen Sizilien und Afrika war dort
vollstaendig, hier wenigstens teilweise gelungen; dagegen ward Pompeius'
Plan, Italien auszuhungern, durch die Wegnahme Siziliens in der
Hauptsache, sein allgemeiner Feldzugsplan durch die Vernichtung der
spanischen Armee vollstaendig vereitelt; und in Italien waren Caesars
Verteidigungsanstalten nur zum kleinsten Teil zur Verwendung gekommen.
Trotz der empfindlichen Verluste in Afrika und Illyrien ging doch Caesar
in der entschiedensten und entscheidendsten Weise aus diesem ersten
Kriegsjahr als Sieger hervor. Wenn indes vom Osten aus nichts
Wesentliches geschah, um Caesar an der Unterwerfung des Westens zu
hindern, so arbeitete man doch wenigstens dort in der so schmaehlich
gewonnenen Frist daran, sich politisch und militaerisch zu
konsolidieren. Der grosse Sammelplatz der Gegner Caesars ward
Makedonien. Dorthin begab sich Pompeius selbst und die Masse der
brundisinischen Emigranten; dorthin die uebrigen Fluechtlinge aus
dem Westen: Marcus Cato aus Sizilien, Lucius Domitius von Massalia;
namentlich aber aus Spanien eine Menge der besten Offiziere und Soldaten
der aufgeloesten Armee, an der Spitze ihre Feldherrn Afranius und Varro.
In Italien ward die Emigration unter den Aristokraten allmaehlich nicht
bloss Ehren-, sondern fast Modesache, und neuen Schwung erhielt sie
durch die unguenstigen Nachrichten, die ueber Caesars Lage vor Ilerda
eintrafen; auch von den laueren Parteigenossen und den politischen
Achseltraegern kamen nach und nach nicht wenige an, und selbst Marcus
Cicero ueberzeugte sich endlich, dass er seiner Buergerpflicht nicht
ausreichend damit genuege, wenn er eine Abhandlung ueber die Eintracht
schreibe. Der Emigrantensenat in Thessalonike, wo das offizielle Rom
seinen interimistischen Sitz aufschlug, zaehlte gegen 200 Mitglieder,
darunter manche hochbejahrte Greise und fast saemtliche Konsulare. Aber
freilich waren es Emigranten. Auch dieses roemische Koblenz stellte die
hohen Ansprueche und duerftigen Leistungen der vornehmen Welt Roms,
ihre unzeitigen Reminiszenzen und unzeitigeren Rekriminationen,
ihre politischen Verkehrtheiten und finanziellen Verlegenheiten in
klaeglicher Weise zur Schau. Es war das wenigste, dass man, waehrend
der alte Bau zusammensank, mit der peinlichsten Wichtigkeit jeden alten
Schnoerkel und Rostfleck der Verfassung in Obacht nahm: am Ende war es
bloss laecherlich, wenn es den vornehmen Herren Gewissensskrupel machte,
ausserhalb des geheiligten staedtischen Bodens ihre Ratversammlung Senat
zu heissen und sie vorsichtig sich die "Dreihundert" titulierten ^4;
oder wenn man weitlaeufige staatsrechtliche Untersuchungen anstellte, ob
und wie ein Kuriatgesetz von Rechts wegen sich anderswo zustande
bringen lasse als im roemischen Mauerring. Weit schlimmer war die
Gleichgueltigkeit der Lauen und die bornierte Verbissenheit der Ultras.
Jene waren weder zum Handeln zu bringen noch auch nur zum Schweigen.
Wurden sie aufgefordert, in einer bestimmten Weise fuer das gemeine
Beste taetig zu sein, so betrachteten sie, mit der schwachen Leuten
eigenen Inkonsequenz, jedes solche Ansinnen als einen boeswilligen
Versuch, sie noch weiter zu kompromittieren und taten das Befohlene gar
nicht oder mit halbem Herzen. Dabei aber fielen sie natuerlich mit ihrem
verspaeteten Besserwissen und ihren superklugen Unausfuehrbarkeiten
den Handelnden bestaendig zur Last; ihr Tagewerk bestand darin, jeden
kleinen und grossen Vorgang zu bekritteln, zu bespoetteln und zu
beseufzen und durch ihre eigene Laessigkeit und Hoffnungslosigkeit die
Menge abzuspannen und zu entmutigen. Wenn hier die Atome der Schwaeche
zu schauen war, so stand dagegen deren Hypertonie bei den Ultras in
voller Bluete. Hier hatte man es kein Hehl, dass die Vorbedingung fuer
jede Friedensverhandlung die Ueberbringung von Caesars Kopf sei: jeder
der Friedensversuche, die Caesar auch jetzt noch wiederholentlich
machte, ward unbesehen von der Hand gewiesen oder nur benutzt, um auf
heimtueckische Weise den Beauftragten des Gegners nach dem Leben zu
stellen. Dass die erklaerten Caesarianer samt und sonders Leben und
Gut verwirkt hatten, verstand sich von selbst; aber auch den mehr oder
minder Neutralen ging es wenig besser. Lucius Domitius, der Held von
Corfinium, machte im Kriegsrat alles Ernstes den Vorschlag, diejenigen
Senatoren, die im Heer des Pompeius gefochten haetten, ueber alle, die
entweder neutral geblieben oder zwar emigriert, aber nicht in das
Heer eingetreten seien, abstimmen zu lassen und diese einzeln je nach
Befinden freizusprechen oder mit Geldbusse oder auch mit dem Verlust des
Lebens und des Vermoegens zu bestrafen. Ein anderer dieser Ultras
erhob bei Pompeius gegen Lucius Afranius wegen seiner mangelhaften
Verteidigung Spaniens eine foermliche Anklage auf Bestechung und Verrat.
Diesen in der Wolle gefaerbten Republikanern nahm ihre politische
Theorie fast den Charakter eines religioesen Glaubensbekenntnisses an;
sie hassten denn auch die laueren Parteigenossen und den Pompeius mit
seinem persoenlichen Anhang womoeglich noch mehr als die offenbaren
Gegner, und durchaus mit jener Stupiditaet des Hasses, wie sie
orthodoxen Theologen eigen zu sein pflegt; sie wesentlich verschuldeten
die zahllosen und erbitterten Sonderfehden, welche die Emigrantenarmee
und den Emigrantensenat zerrissen. Aber sie liessen es nicht bei Worten.
Marcus Bibulus, Titus Labienus und andere dieser Koterie fuehrten ihre
Theorie praktisch durch und liessen, was ihnen von Caesars Armee an
Offizieren oder Soldaten in die Haende fiel, in Masse hinrichten; was
begreiflicherweise Caesars Truppen nicht gerade bewog, mit minderer
Energie zu fechten. Wenn waehrend Caesars Abwesenheit von Italien die
Konterrevolution zu Gunsten der Verfassungsfreunde, zu der alle Elemente
vorhanden waren, dennoch daselbst nicht ausbrach, so lag, nach der
Versicherung einsichtiger Gegner Caesars, die Ursache hauptsaechlich
in der allgemeinen Besorgnis vor dem unbezaehmbaren Wueten der
republikanischen Ultras nach erfolgter Restauration. Die Besseren im
Pompeianischen Lager waren in Verzweiflung ueber dies rasende Treiben.
Pompeius, selbst ein tapferer Soldat, schonte, soweit er durfte und
konnte, der Gefangenen; aber er war zu schwachmuetig und in einer zu
schiefen Stellung, um, wie es ihm als Oberfeldherrn zukam, alle Greuel
dieser Art zu hemmen oder gar zu ahnden. Energischer versuchte der
einzige Mann, der wenigstens mit sittlicher Haltung in den Kampf
eintrat, Marcus Cato, diesem Treiben zu steuern, er erwirkte, dass der
Emigrantensenat durch ein eigenes Dekret es untersagte, untertaenige
Staedte zu pluendern und einen Buerger anders als in der Schlacht zu
toeten. Ebenso dachte der tuechtige Marcus Marcellus. Freilich wusste
es niemand besser als Cato und Marcellus, dass die extreme Partei ihre
rettenden Taten wenn noetig allen Senatsbeschluessen zum Trotze vollzog.
Wenn aber bereits jetzt, wo man noch Klugheitsruecksichten zu beobachten
hatte, die Wut der Ultras sich nicht baendigen liess, so mochte man nach
dem Siege auf eine Schreckensherrschaft sich gefasst machen, von der
Marius und Sulla selbst sich schaudernd abgewandt haben wuerden; und man
begreift es, dass Cato, seinem eigenen Gestaendnis zufolge, mehr noch
als vor der Niederlage, graute vor dem Siege seiner eigenen Partei.
----------------------------------------- ^4 Da nach formellem Recht die
"gesetzliche Ratversammlung" unzweifelhaft ebenso wie das "gesetzliche
Gericht" nur in der Stadt selbst oder innerhalb der Bannmeile
stattfinden konnte, so nannte die bei dem afrikanischen Heer den Senat
vertretende Versammlung sich die "Dreihundert" (Bell. Afr. 88, 90; App.
hist. 2, 95), nicht weil er aus 300 Mitgliedern bestand, sondern weil
dies die uralte Normzahl der Senatoren war. Es ist sehr glaublich, dass
diese Versammlung sich durch angesehene Ritter verstaerkte; aber wenn
Plutarch (Cato min. 59, 61) die Dreihundert zu italischen Grosshaendlern
macht, so hat er seine Quelle (Bell. Afr. 90) missverstanden. Aehnlich
wird der Quasisenat schon in Thessalonike geordnet gewesen sein.
--------------------------------------- Die Leitung der militaerischen
Vorbereitungen im makedonischen Lager lag in der Hand des Oberfeldherrn
Pompeius. Die stets schwierige und gedrueckte Stellung desselben hatte
durch die ungluecklichen Ereignisse des Jahres 705 (49) sich noch
verschlimmert. In den Augen seiner Parteigenossen trug wesentlich er
davon die Schuld. Es war das in vieler Hinsicht nicht gerecht. Ein
guter Teil der erlittenen Unfaelle kam auf Rechnung der Verkehrtheit und
Unbotmaessigkeit der Unterfeldherren, namentlich des Konsuls Lentulus
und des Lucius Domitius; von dem Augenblick an, wo Pompeius an die
Spitze der Armee getreten war, hatte er sie geschickt und mutig gefuehrt
und wenigstens sehr ansehnliche Streitkraefte aus dem Schiffbruch
gerettet; dass er Caesars jetzt von allen anerkanntem, durchaus
ueberlegenem Genie nicht gewachsen war, konnte billigerweise ihm nicht
vorgeworfen werden. Indes es entschied allein der Erfolg. Im Vertrauen
auf den Feldherrn Pompeius hatte die Verfassungspartei mit Caesar
gebrochen; die verderblichen Folgen dieses Bruches fielen auf
den Feldherrn Pompeius zurueck, und wenn auch bei der notorischen
militaerischen Unfaehigkeit aller uebrigen Chefs kein Versuch gemacht
ward, das Oberkommando zu wechseln, so war doch wenigstens das Vertrauen
zu dem Oberfeldherrn paralysiert. Zu diesen Nachwehen der erlittenen
Niederlagen kamen die nachteiligen Einfluesse der Emigration. Unter
den eintreffenden Fluechtlingen war allerdings eine Anzahl tuechtiger
Soldaten und faehiger Offiziere namentlich der ehemaligen spanischen
Armee; allein die Zahl derer, die kamen, um zu dienen und zu fechten,
war ebenso gering, wie zum Erschrecken gross die der vornehmen Generale,
die mit ebenso gutem Fug wie Pompeius sich Prokonsuln und Imperatoren
nannten, und der vornehmen Herren, die mehr oder weniger unfreiwillig
am aktiven Kriegsdienst sich beteiligten. Durch diese ward die
hauptstaedtische Lebensweise in das Feldlager eingebuergert, keineswegs
zum Vorteil des Heeres: die Zelte solcher Herren waren anmutige Lauben,
der Boden mit frischem Rasen zierlich bedeckt, die Waende mit Efeu
bekleidet; auf dem Tisch stand silbernes Tafelgeschirr und oft kreiste
dort schon am hellen Tage der Becher. Diese eleganten Krieger machten
einen seltsamen Kontrast mit Caesars Grasteufeln, vor deren grobem Brot
jene erschraken und die in Ermangelung dessen auch Wurzeln assen und
schwuren, eher Baumrinde zu kauen als vom Feinde abzulassen. Wenn
ferner die unvermeidliche Ruecksicht auf eine kollegialische und
ihm persoenlich abgeneigte Behoerde Pompeius schon an sich in seiner
Taetigkeit hemmte, so steigerte diese Verlegenheit sich ungemein,
als der Emigrantensenat beinahe im Hauptquartier selbst seinen Sitz
aufschlug und nun alles Gift der Emigration in diesen Senatssitzungen
sich entleerte. Eine bedeutende Persoenlichkeit endlich, die gegen all
diese Verkehrtheiten ihr eigenes Gewicht haette einsetzen koennen,
war nirgends vorhanden. Pompeius selbst war dazu geistig viel zu
untergeordnet und viel zu zoegernd, schwerfaellig und versteckt. Marcus
Cato wuerde wenigstens die erforderliche moralische Autoritaet gehabt
und auch des guten Willens, Pompeius damit zu unterstuetzen, nicht
ermangelt haben; allein Pompeius, statt ihn zum Beistand aufzufordern,
setzte ihn mit misstrauischer Eifersucht zurueck und uebertrug zum
Beispiel das so wichtige Oberkommando der Flotte lieber an den in
jeder Beziehung unfaehigen Bibulus als an Cato. Wenn somit Pompeius
die politische Seite seiner Stellung mit der ihm eigenen Verkehrtheit
behandelte und was an sich schon verdorben war, nach Kraeften weiter
verdarb, so widmete er dagegen mit anerkennenswertem Eifer sich seiner
Pflicht, die bedeutenden, aber aufgeloesten Streitkraefte der Partei
militaerisch zu organisieren. Den Kern derselben bildeten die aus
Italien mitgebrachten Truppen, aus denen mit den Ergaenzungen aus den
illyrischen Kriegsgefangenen und den in Griechenland domizilierten
Roemern zusammen fuenf Legionen gebildet wurden. Drei andere kamen aus
dem Osten: die beiden aus den Truemmern der Armee des Crassus gebildeten
syrischen und eine aus den zwei schwachen, bisher in Kilikien stehenden
kombinierte. Der Wegziehung dieser Besatzungstruppen stellte sich nichts
in den Weg, da teils die Pompeianer mit den Parthern im Einvernehmen
standen und selbst ein Buendnis mit ihnen haetten haben koennen, wenn
Pompeius nicht unwillig sich geweigert haette, den geforderten Preis:
die Abtretung der von ihm selbst zum Reiche gebrachten syrischen
Landschaft, dafuer zu zahlen; teils Caesars Plan, zwei Legionen nach
Syrien zu entsenden und durch den in Rom gefangengehaltenen Prinzen
Aristobulos die Juden abermals unter die Waffen zu bringen, zum Teil
durch andere Ursachen, zum Teil durch Aristobulos' Tod vereitelt ward.
Weiter wurden aus den in Kreta und Makedonien angesiedelten gedienten
Soldaten eine, aus den kleinasiatischen Roemern zwei neue Legionen
ausgehoben. Zu allem dem kamen 2000 Freiwillige, die aus den Truemmern
der spanischen Kernscharen und anderen aehnlichen Zuzuegen hervorgingen,
und endlich die Kontingente der Untertanen. Wie Caesar hatte Pompeius
es verschmaeht, von denselben Infanterie zu requirieren; nur zur
Kuestenbesatzung waren die epirotischen, aetolischen und thrakischen
Milizen aufgeboten und ausserdem an leichten Truppen 3000 griechische
und kleinasiatische Schuetzen und 1200 Schleuderer angenommen worden.
Die Reiterei dagegen bestand, ausser einer aus dem jungen Adel Roms
gebildeten, mehr ansehnlichen als militaerisch bedeutenden Nobelgarde
und den von Pompeius beritten gemachten apulischen Hirtensklaven,
ausschliesslich aus den Zuzuegen der Untertanen und Klienten Roms. Den
Kern bildeten die Kelten, teils von der Besatzung von Alexandreia, teils
die Kontingente des Koenigs Deiotarus, der trotz seines hohen Alters an
der Spitze seiner Reiterei in Person erschienen war, und der uebrigen
galatischen Dynasten. Mit ihnen wurden vereinigt die vortrefflichen
thrakischen Reiter, die teils von ihren Fuersten Sadala und Rhaskuporis
herangefuehrt, teils von Pompeius in der makedonischen Provinz
angeworben waren; die kappadokische Reiterei; die von Koenig Antiochos
von Kommagene gesendeten, berittenen Schuetzen; die Zuzuege der Armenier
von diesseits des Euphrat unter Taxiles, von jenseits desselben unter
Megabares und die von Koenig Juba gesandten numidischen Scharen - die
gesamte Masse stieg auf 7000 Pferde. Sehr ansehnlich endlich war die
Pompeianische Flotte. Sie ward gebildet teils aus den von Brundisium
mitgefuehrten oder spaeter erbauten roemischen Fahrzeugen, teils aus den
Kriegsschiffen des Koenigs von Aegypten, der kolchischen Fuersten, des
kilikischen Dynasten Tarkondimotos, der Staedte Tyros, Rhodos, Athen,
Kerkyra und ueberhaupt der saemtlichen asiatischen und griechischen
Seestaaten und zaehlte gegen 500 Segel, wovon die roemischen den
fuenften Teil ausmachten. An Getreide und Kriegsmaterial waren in
Dyrrhachion ungeheure Vorraete aufgehaeuft. Die Kriegskasse war
wohlgefuellt, da die Pompeianer sich im Besitz der hauptsaechlichen
Einnahmequellen des Staats befanden und die Geldmittel der
Klientelfuersten, der angesehenen Senatoren, der Steuerpaechter und
ueberhaupt der gesamten roemischen und nichtroemischen Bevoelkerung
in ihrem Bereich fuer sich nutzbar machten. Was in Afrika, Aegypten,
Makedonien, Griechenland, Vorderasien und Syrien das Ansehen
der legitimen Regierung und Pompeius' oftgefeierte Koenigs- und
Voelkerklientel vermochte, war zum Schutz der roemischen Republik in
Bewegung gesetzt worden; wenn in Italien die Rede ging, dass Pompeius
die Geten, Kolcher und Armenier gegen Rom bewaffne, wenn im Lager er
der "Koenig der Koenige" hiess, so waren dies kaum Uebertreibungen zu
nennen. Im ganzen gebot derselbe ueber eine Armee von 7000 Reitern und
elf Legionen, von denen freilich hoechstens fuenf als kriegsgewohnt
bezeichnet werden durften, und ueber eine Flotte von 500 Segeln.
Die Stimmung der Soldaten, fuer deren Verpflegung und Sold
Pompeius genuegend sorgte und denen fuer den Fall des Sieges die
ueberschwenglichsten Belohnungen zugesichert waren, war durchgaengig
gut, in manchen und eben den tuechtigsten Abteilungen sogar
vortrefflich; indes bestand doch ein grosser Teil der Armee aus neu
ausgehobenen Truppen, deren Formierung und Exerzierung, wie eifrig sie
auch betrieben ward, notwendigerweise Zeit erforderte. Die Kriegsmacht
ueberhaupt war imposant, aber zugleich einigermassen buntscheckig. Nach
der Absicht des Oberfeldherrn sollten bis zum Winter 705/06 (49/48) Heer
und Flotte wesentlich vollstaendig an der Kueste und in den Gewaessern
von Epirus vereinigt sein. Der Admiral Bibulus war auch bereits mit 110
Schiffen in seinem neuen Hauptquartier Kerkyra eingetroffen. Dagegen war
das Landheer, dessen Hauptquartier waehrend des Sommers zu Berrhoea am
Haliakmon gewesen war, noch zurueck; die Masse bewegte sich langsam auf
der grossen Kunststrasse von Thessalonike nach der Westkueste auf
das kuenftige Hauptquartier Dyrrhachion zu; die beiden Legionen, die
Metellus Scipio aus Syrien heranfuehrte, standen gar noch bei Pergamon
in Kleinasien im Winterquartier und wurden erst zum Fruehjahr in Europa
erwartet. Man nahm sich eben Zeit. Vorlaeufig waren die epirotischen
Haefen ausser durch die Flotte nur noch durch die Buergerwehren und die
Aufgebote der Umgegend verteidigt. So war es Caesar moeglich geblieben,
trotz des dazwischenfallenden Spanischen Krieges auch in Makedonien die
Offensive fuer sich zu nehmen, und er wenigstens saeumte nicht. Laengst
hatte er die Zusammenziehung von Kriegs- und Transportschiffen in
Brundisium angeordnet und nach der Kapitulation der spanischen Armee
und dem Fall von Massalia die dort verwendeten Kerntruppen zum groessten
Teil ebendahin dirigiert. Die unerhoerten Anstrengungen zwar, die
also von Caesar den Soldaten zugemutet wurden, lichteten mehr als die
Gefechte die Reihen, und die Meuterei einer der vier aeltesten Legionen,
der neunten, auf ihrem Durchmarsch durch Placentia war ein gefaehrliches
Zeichen der bei der Armee einreissenden Stimmung; doch wurden Caesars
Geistesgegenwart und persoenliche Autoritaet derselben Herr, und von
dieser Seite stand der Einschiffung nichts im Wege. Allein woran schon
im Maerz 705 (49) die Verfolgung des Pompeius gescheitert war, der
Mangel an Schiffen, drohte auch diese Expedition zu vereiteln. Die
Kriegsschiffe, die Caesar in den gallischen, sizilischen und italischen
Haefen zu erbauen befohlen hatte, waren noch nicht fertig oder doch
nicht zur Stelle; sein Geschwader im Adriatischen Meer war das Jahr
zuvor bei Curicta vernichtet worden; er fand bei Brundisium nicht mehr
als zwoelf Kriegsschiffe und kaum Transportfahrzeuge genug, um den
dritten Teil seiner nach Griechenland bestimmten Armee von zwoelf
Legionen und 10000 Reitern auf einmal ueberzufuehren. Die ansehnliche
feindliche Flotte beherrschte ausschliesslich das Adriatische Meer
und namentlich die saemtlichen festlaendischen und Inselhaefen der
Ostkueste. Unter solchen Umstaenden draengt die Frage sich auf, warum
Caesar nicht statt des Seeweges den zu Lande durch Illyrien einschlug,
welcher aller von der Flotte drohenden Gefahren ihn ueberhob und
ueberdies fuer seine groesstenteils aus Gallien kommenden Truppen
kuerzer war als der ueber Brundisium. Zwar waren die illyrischen
Landschaften unbeschreiblich rauh und arm; aber sie sind doch von
anderen Armeen nicht lange nachher durchschritten worden, und dieses
Hindernis ist dem Eroberer Galliens schwerlich unuebersteiglich
erschienen. Vielleicht besorgte er, dass waehrend des schwierigen
illyrischen Marsches Pompeius seine gesamte Streitmacht ueber das
Adriatische Meer fuehren moechte, wodurch die Rollen auf einmal sich
umkehren, Caesar in Makedonien, Pompeius in Italien zu stehen kommen
konnte; obwohl ein solcher rascher Wechsel dem schwerfaelligen
Gegner doch kaum zuzutrauen war. Vielleicht hatte Caesar auch in der
Voraussetzung, dass seine Flotte inzwischen auf einen achtunggebietenden
Stand gebracht sein wuerde, sich fuer den Seeweg entschieden, und als
er nach seiner Rueckkehr aus Spanien des wahren Standes der Dinge im
Adriatischen Meere inne ward, mochte es zu spaet sein, den Feldzugsplan
zu aendern. Vielleicht, ja nach Caesars raschem, stets zur Entscheidung
draengenden Naturell darf man sagen wahrscheinlich, fand er durch die
augenblicklich noch unbesetzte, aber sicher in wenigen Tagen mit Feinden
sich bedeckende epirotische Kueste sich unwiderstehlich gelockt, den
ganzen Plan des Gegners wieder einmal durch einen verwegenen Zug zu
durchkreuzen. Wie dem auch sei, am 4. Januar 706 ^5 (48) ging Caesar mit
sechs, durch die Strapazen und Krankheiten sehr gelichteten Legionen und
600 Reitern von Brundisium nach der epirotischen Kueste unter Segel. Es
war ein Seitenstueck zu der tollkuehnen britannischen Expedition; indes
wenigstens der erste Wurf war gluecklich. Inmitten der akrokeraunischen
(Chimara-) Klippen, auf der wenig besuchten Reede von Paleassa
(Paljassa) ward die Kueste erreicht. Man sah die Transportschiffe sowohl
aus dem Hafen von Orikon (Bucht von Avlona), wo ein Pompeianisches
Geschwader von achtzehn Schiffen lag, als auch aus dem Hauptquartier
der feindlichen Flotte bei Kerkyra; aber dort hielt man sich zu schwach,
hier war man nicht segelfertig, und ungehindert ward der erste Transport
ans Land gesetzt. Waehrend die Schiffe sogleich zurueckgingen, um
den zweiten nachzuholen, ueberstieg Caesar noch denselben Abend die
akrokeraunischen Berge. Seine ersten Erfolge waren so gross wie die
Ueberraschung der Feinde. Der epirotische Landsturm setzte nirgends sich
zur Wehr; die wichtigen Hafenstaedte Orikon und Apollonia nebst einer
Menge kleinerer Ortschaften wurden weggenommen; Dyrrhachion, von den
Pompeianern zum Hauptwaffenplatz ausersehen und mit Vorraeten aller Art
angefuellt, aber nur schwach besetzt, schwebte in der groessten Gefahr.
-------------------------------------------------------- ^5 Nach
dem berichtigten Kalender am 5. November 705 (49).
-------------------------------------------------------- Indes der
weitere Verlauf des Feldzuges entsprach diesem glaenzenden Anfange
nicht. Bibulus machte die Nachlaessigkeit, die er sich hatte zu Schulden
kommen lassen, nachtraeglich durch verdoppelte Anstrengungen zum
Teil wieder gut. Nicht bloss brachte er von den heimkehrenden
Transportschiffen gegen dreissig auf, die er saemtlich mit Mann und Maus
verbrennen liess, sondern er richtete auch laengs des ganzen von Caesar
besetzten Kuestenstrichs, von der Insel Sason (Saseno) bis zu den Haefen
von Kerkyra, den sorgfaeltigsten Wachtdienst ein, so beschwerlich auch
die rauhe Jahreszeit und die Notwendigkeit, den Wachtschiffen alle
Beduerfnisse, selbst Holz und Wasser, von Kerkyra zuzufuehren,
denselben machten; ja sein Nachfolger Libo - er selbst unterlag bald
den ungewohnten Strapazen - sperrte sogar eine Zeitlang den Hafen von
Brundisium, bis ihn von der kleinen Insel vor demselben, auf der er
sich festgesetzt hatte, der Wassermangel wieder vertrieb. Es war Caesars
Offizieren nicht moeglich, ihrem Feldherrn den zweiten Transport der
Armee nachzufuehren. Ebensowenig gelang ihm selbst die Wegnahme von
Dyrrhachion. Pompeius erfuhr durch einen der Friedensboten Caesars von
dessen Vorbereitungen zur Fahrt nach der epirotischen Kueste und darauf
den Marsch beschleunigend warf er sich noch eben zu rechter Zeit in
diesen wichtigen Waffenplatz. Caesars Lage war kritisch. Obwohl er in
Epirus so weit sich ausbreitete, als es bei seiner geringen Staerke nur
irgend moeglich war, so blieb die Subsistenz seiner Armee doch
schwierig und unsicher, waehrend die Feinde, im Besitz der Magazine von
Dyrrhachion und Herren der See, Ueberfluss an allem hatten. Mit seinem
vermutlich wenig ueber 20000 Mann starken Heer konnte er dem wenigstens
doppelt so zahlreichen Pompeianischen keine Schlacht anbieten, sondern
musste sich gluecklich schaetzen, dass Pompeius methodisch zu Werke ging
und, statt sofort die Schlacht zu erzwingen, zwischen Dyrrhachion und
Apollonia am rechten Ufer des Apsos, Caesar auf dem linken gegenueber,
das Winterlager bezog, um mit dem Fruehjahr, nach dem Eintreffen der
Legionen von Pergamon, mit unwiderstehlicher Uebermacht den Feind
zu vernichten. So verflossen Monate. Wenn der Eintritt der besseren
Jahreszeit, die dem Feinde starken Zuzug und den freien Gebrauch seiner
Flotte brachte, Caesar noch in derselben Lage fand, so war er, mit
seiner schwachen Schar zwischen der ungeheuren Flotte und dem dreifach
ueberlegenen Landheer der Feinde in den epirotischen Felsen eingekeilt,
allem Anscheine nach verloren; und schon neigte der Winter sich zu Ende.
Alle Hoffnung beruhte immer noch auf der Transportflotte: dass diese
durch die Blockade sich durchschlich oder durchschlug, war kaum zu
hoffen; aber nach der ersten freiwilligen Tollkuehnheit war diese zweite
durch die Notwendigkeit geboten. Wie verzweifelt Caesar selbst seine
Lage erschien, beweist sein Entschluss, da die Flotte immer nicht kam,
allein auf einer Fischerbarke durch das Adriatische Meer nach Brundisium
zu fahren, um sie zu holen; was in der Tat nur darum unterblieb, weil
sich kein Schiffer fand, die verwegene Fahrt zu unternehmen. Indes es
bedurfte seines persoenlichen Erscheinens nicht, um den treuen Offizier,
der in Italien kommandierte, Marcus Antonius, zu bestimmen, diesen
letzten Versuch zur Rettung seines Herrn zu machen. Abermals lief die
Transportflotte, mit vier Legionen und 800 Reitern an Bord, aus dem
Hafen von Brundisium aus und gluecklich fuehrte ein starker Suedwind sie
an Libos Galeeren vorueber. Allein derselbe Wind, der hier die Flotte
rettete, machte es ihr unmoeglich, wie ihr befohlen war, an der
apolloniatischen Kueste zu landen, und zwang sie, an Caesars und
Pompeius' Lager vorbeizufahren und noerdlich von Dyrrhachion nach Lissos
zu steuern, welche Stadt zu gutem Glueck noch zu Caesar hielt. Als
sie an dem Hafen von Dyrrhachion vorueberfuhr, brachen die rhodischen
Galeeren auf, um sie zu verfolgen, und kaum waren Antonius' Schiffe in
den Hafen von Lissos eingefahren, als auch das feindliche Geschwader vor
demselben erschien. Aber eben in diesem Augenblick schlug ploetzlich der
Wind um und warf die verfolgenden Galeeren wieder zurueck in die
offene See und zum Teil an die felsige Kueste. Durch die wunderbarsten
Glueckszufaelle war die Landung auch des zweiten Transportes
gelungen. Noch standen zwar Antonius und Caesar etwa vier Tagemaersche
voneinander, getrennt durch Dyrrhachion und die gesamte feindliche
Armee; indes Antonius bewerkstelligte gluecklich den gefaehrlichen
Marsch um Dyrrhachion herum durch die Paesse des Graba Balkan und ward
von Caesar, der ihm entgegengegangen war, am rechten Ufer des Apsos
aufgenommen. Pompeius, nachdem er vergeblich versucht hatte, die
Vereinigung der beiden feindlichen Armeen zu verhindern und das Korps
des Antonius einzeln zum Schlagen zu zwingen, nahm eine neue Stellung
bei Asparagion an dem Flusse Genusas (Uschkomobin), der dem Apsos
parallel zwischen diesem und der Stadt Dyrrhachion fliesst, und hielt
hier sich wieder unbeweglich. Caesar fuehlte jetzt sich stark genug,
eine Schlacht zu liefern; aber Pompeius ging nicht darauf ein. Dagegen
gelang es Caesar, den Gegner zu taeuschen und unversehens mit seinen
besser marschierenden Truppen sich, aehnlich wie bei Ilerda, zwischen
das feindliche Lager und die Festung Dyrrhachion zu werfen, auf die
dieses sich stuetzte. Die Kette des Graba Balkan, die in der Richtung
von Osten nach Westen streichend am Adriatischen Meere in der schmalen
dyrrhachinischen Landzunge endigt, entsendet drei Meilen oestlich
von Dyrrhachion in suedwestlicher Richtung einen Seitenarm, der in
bogenfoermiger Richtung ebenfalls zum Meere sich wendet, und der Haupt-
und der Seitenarm des Gebirges schliessen zwischen sich eine kleine,
um eine Klippe am Meeresstrand sich ausbreitende Ebene ein. Hier nahm
Pompeius jetzt sein Lager, und obwohl die Caesarische Armee ihm den
Landweg nach Dyrrhachion verlegt hielt, blieb er doch mit Hilfe seiner
Flotte fortwaehrend mit dieser Stadt in Verbindung und ward von dort
mit allem Noetigen reichlich und bequem versehen, waehrend bei den
Caesarianern, trotz starker Detachierungen in das Hinterland und trotz
aller Anstrengungen des Feldherrn, ein geordnetes Fahrwesen und damit
eine regelmaessige Verpflegung in Gang zu bringen, es doch mehr als
knapp herging und Fleisch, Gerste, ja Wurzeln sehr haeufig die Stelle
des gewohnten Weizens vertreten massten. Da der phlegmatische Gegner
beharrlich bei seiner Passivitaet blieb, unternahm Caesar, den
Hoehenkreis zu besetzen, der die von Pompeius eingenommene Strandebene
umschloss, um wenigstens die ueberlegene feindliche Reiterei
festzustellen und ungestoerter gegen Dyrrhachion operieren zu koennen,
womoeglich aber den Gegner entweder zur Schlacht oder zur Einschiffung
zu noetigen. Von Caesars Truppen war beinahe die Haelfte ins Binnenland
detachiert; es schien fast abenteuerlich, mit dem Rest eine vielleicht
doppelt so zahlreiche, konzentriert aufgestellte, auf die See und die
Flotte gestuetzte Armee gewissermassen belagern zu wollen. Dennoch
schlossen Caesars Veteranen unter unsaeglichen Anstrengungen das
Pompeianische Lager mit einer drei und eine halbe deutsche Meile langen
Postenkette ein und fuegten spaeter, ebenwie vor Alesia, zu dieser
inneren Linie noch eine zweite aeussere hinzu, um sich vor Angriffen von
Dyrrhachion aus und vor den mit Hilfe der Flotte so leicht ausfuehrbaren
Umgehungen zu schuetzen. Pompeius griff mehrmals einzelne dieser
Verschanzungen an, um womoeglich die feindliche Linie zu sprengen,
allein durch eine Schlacht die Einschliessung zu hindern versuchte er
nicht, sondern zog es vor, auch seinerseits um sein Lager herum eine
Anzahl Schanzen anzulegen und dieselben durch Linien miteinander zu
verbinden. Beiderseits war man bemueht, die Schanzen moeglichst weit
vorzuschieben und die Erdarbeiten rueckten unter bestaendigen Gefechten
nur langsam vor. Zugleich schlug man auf der entgegengesetzten Seite des
Caesarischen Lagers sich herum mit der Besatzung vor Dyrrhachion; durch
Einverstaendnisse innerhalb der Festung hoffte Caesar sie in seine
Gewalt zu bringen, ward aber durch die feindliche Flotte daran
verhindert. Unaufhoerlich ward an den verschiedensten Punkten - an einem
der heissesten Tage an sechs Stellen zugleich - gefochten und in der
Regel behielt in diesen Scharmuetzeln die erprobte Tapferkeit der
Caesarianer die Oberhand; wie denn zum Beispiel einmal eine einzige
Kohorte sich gegen vier Legionen mehrere Stunden lang in ihrer Schanze
hielt, bis Unterstuetzung herbeikam. Ein Haupterfolg ward auf keiner
Seite erreicht; doch machten sich die Folgen der Einschliessung den
Pompeianern allmaehlich in drueckender Weise fuehlbar. Die Stauung der
von den Hoehen in die Ebene sich ergiessenden Baeche noetigte sie,
sich mit sparsamem und schlechtem Brunnenwasser zu begnuegen. Noch
empfindlicher war der Mangel an Futter fuer die Lasttiere und die
Pferde, dem auch die Flotte nicht genuegend abzuhelfen vermochte; sie
fielen zahlreich und es half nur wenig, dass die Pferde durch die Flotte
nach Dyrrhachion geschafft wurden, da sie auch hier nicht ausreichend
Futter fanden. Lange konnte Pompeius nicht mehr zoegern, sich durch
einen gegen den Feind gefuehrten Schlag aus seiner unbequemen Lage zu
befreien. Da ward er durch keltische Ueberlaeufer davon in Kenntnis
gesetzt, dass der Feind es versaeumt habe, den Strand zwischen seinen
beiden 600 Fuss voneinander entfernten Schanzenketten durch einen
Querwall zu sichern, und baute hierauf seinen Plan. Waehrend er
die innere Linie der Verschanzungen Caesars vom Lager aus durch die
Legionen, die aeussere durch die auf Schiffe gesetzten und jenseits der
feindlichen Verschanzungen gelandeten leichten Truppen angreifen liess,
landete eine dritte Abteilung in dem Zwischenraum zwischen beiden Linien
und griff die schon hinreichend beschaeftigten Verteidiger derselben im
Ruecken an. Die zunaechst am Meer befindliche Schanze wurde genommen
und die Besatzung floh in wilder Verwirrung; mit Muehe gelang es dem
Befehlshaber der naechsten Schanze, Marcus Antonius, diese zu behaupten
und fuer den Augenblick dem Vordringen der Pompeianer ein Ziel zu
setzen; aber, abgesehen von dem ansehnlichen Verlust, blieb die
aeusserste Schanze am Meer in den Haenden der Pompeianer und die Linie
durchbrochen. Um so eifriger ergriff Caesar die Gelegenheit, die
bald darauf sich ihm darbot, eine unvorsichtig sich vereinzelnde
Pompeianische Legion mit dem Gros seiner Infanterie anzugreifen. Allein
die Angegriffenen leisteten tapferen Widerstand, und in dem mehrmals zum
Lager groesserer und kleinerer Abteilungen benutzten und kreuz und quer
von Waellen und Graeben durchzogenen Terrain, auf dem gefochten ward,
kam Caesars rechter Fluegel nebst der Reiterei ganz vom Wege ab statt
den linken im Angriff auf die Pompeianische Legion zu unterstuetzen,
geriet er in einen engen, aus einem der alten Lager zum Fluss
hingefuehrten Laufgraben. So fand Pompeius, der den Seinigen zu Hilfe
mit fuenf Legionen eiligst herbeikam, die beiden Fluegel der Feinde
voneinander getrennt und den einen in einer gaenzlich preisgegebenen
Stellung. Wie die Caesarianer ihn anruecken sahen, ergriff sie ein
panischer Schreck; alles stuerzte in wilder Flucht zurueck, und wenn
es bei dem Verlust von 1000 der besten Soldaten blieb und Caesars Armee
nicht eine vollstaendige Niederlage erlitt, so hatte sie dies nur dem
Umstand zu danken, dass auch Pompeius sich auf dem durchschnittenen
Boden nicht frei entwickeln konnte und ueberdies, eine Kriegslist
besorgend, seine Truppen anfangs zurueckhielt. Aber auch so waren es
unheilvolle Tage. Nicht bloss hatte Caesar die empfindlichsten Verluste
erlitten und seine Verschanzungen, das Resultat einer viermonatlichen
Riesenarbeit, auf einen Schlag eingebuesst: er war durch die letzten
Gefechte wieder genau auf den Punkt zurueckgeworfen, von welchem er
ausgegangen war. Von der See war er vollstaendiger verdraengt als je,
seit des Pompeius aeltester Sohn Gnaeus Caesars wenige, im Hafen
von Orikon lagernde Kriegsschiffe durch einen kuehnen Angriff
teils verbrannt, teils weggefuehrt und bald nachher die in Lissos
zurueckgebliebene Truppenflotte gleichfalls in Brand gesteckt hatte;
jede Moeglichkeit, von Brundisium noch weitere Verstaerkungen zur
See heranzuziehen, war damit fuer Caesar verloren. Die zahlreiche
Pompeianische Reiterei, jetzt ihrer Fesseln entledigt, ergoss sich in
die Umgegend und drohte Caesar die stets schwierige Verpflegung der
Armee voellig unmoeglich zu machen. Caesars verwegenes Unternehmen,
gegen einen seemaechtigen, auf die Flotte gestuetzten Feind ohne Schiffe
offensiv zu operieren, war vollstaendig gescheitert. Auf dem
bisherigen Kriegsschauplatz fand er sich einer unbezwinglichen
Verteidigungsstellung gegenueber und weder gegen Dyrrhachion noch gegen
das feindliche Heer einen ernstlichen Schlag auszufuehren imstande;
dagegen hing es jetzt nur von Pompeius ab, gegen den bereits in seinen
Subsistenzmitteln sehr gefaehrdeten Gegner unter den guenstigsten
Verhaeltnissen zum Angriff ueberzugehen. Der Krieg war an einem
Wendepunkt angelangt. Bisher hatte Pompeius, allem Anscheine nach, das
Kriegsspiel ohne eigenen Plan gespielt und nur nach dem jedesmaligen
Angriff seine Verteidigung bemessen; und es war dies nicht zu tadeln,
da das Hinziehen des Krieges ihm Gelegenheit gab, seine Rekruten
schlagfaehig zu machen, seine Reserven heranzuziehen und das
Uebergewicht seiner Flotte im Adriatischen Meer immer vollstaendiger zu
entwickeln. Caesar war nicht bloss taktisch, sondern auch strategisch
geschlagen. Diese Niederlage hatte zwar nicht diejenige Folge, die
Pompeius nicht ohne Ursache erhoffte: zu einer sofortigen voelligen
Aufloesung der Armee durch Hunger und Meuterei liess die eminente
soldatische Energie der Veteranen Caesars es nicht kommen. Allein
es schien doch nur von dem Gegner abzuhaengen, durch zweckmaessige
Verfolgung seines Sieges die volle Frucht desselben zu ernten.
An Pompeius war es, die Offensive zu ergreifen, und er war dazu
entschlossen. Es boten sich ihm drei verschiedene Wege dar, um seinen
Sieg fruchtbar zu machen. Der erste und einfachste war, von der
ueberwundenen Armee nicht abzulassen und, wenn sie aufbrach, sie zu
verfolgen. Ferner konnte Pompeius Caesar selbst und dessen Kerntruppen
in Griechenland stehen lassen und selber, wie er laengst vorbereitet
hatte, mit der Hauptarmee nach Italien ueberfahren, wo die Stimmung
entschieden antimonarchisch war und die Streitmacht Caesars, nach
Entsendung der besten Truppen und des tapfern und zuverlaessigen
Kommandanten zu der griechischen Armee, nicht gar viel bedeuten wollte.
Endlich konnte der Sieger sich auch in das Binnenland wenden, die
Legionen des Metellus Scipio an sich liehen und versuchen, die im
Binnenlande stehenden Truppen Caesars aufzuheben. Es hatte naemlich
dieser, unmittelbar nachdem der zweite Transport bei ihm eingetroffen
war, teils, um die Subsistenzmittel fuer seine Armee herbeizuschaffen,
starke Detachements nach Aetolien und Thessalien entsandt, teils
ein Korps von zwei Legionen unter Gnaeus Domitius Calvinus auf der
Egnatischen Chaussee gegen Makedonien vorgehen lassen, das dem auf
derselben Strasse von Thessalonike her anrueckenden Korps des Scipio
den Weg verlegen und womoeglich es einzeln schlagen sollte. Schon hatten
Calvinus und Scipio sich bis auf wenige Meilen einander genaehert,
als Scipio sich ploetzlich rueckwaerts wandte und, rasch den Haliakmon
(Jadsche Karasu) ueberschreitend und dort sein Gepaeck unter Marcus
Favonius zuruecklassend, in Thessalien eindrang, um die mit der
Unterwerfung des Landes beschaeftigte Rekrutenlegion Caesars unter
Lucius Cassius Longinus mit Uebermacht anzugreifen. Longinus aber zog
sich ueber die Berge nach Ambrakia auf das von Caesar nach Aetolien
gesandte Detachement unter Gnaeus Calvisius Sabinus zurueck, und Scipio
konnte ihn nur durch seine thrakischen Reiter verfolgen lassen, da
Calvinus seine unter Favonius am Haliakmon zurueckgelassene Reserve
mit dem gleichen Schicksale bedrohte, welches er selbst dem Longinus
zu bereiten gedachte. So trafen Calvinus und Scipio am Haliakmon wieder
zusammen und lagerten hier laengere Zeit einander gegenueber. Pompeius
konnte zwischen diesen Plaenen waehlen; Caesar blieb keine Wahl. Er
trat nach jenem ungluecklichen Gefechte den Rueckzug auf Apollonia an.
Pompeius folgte. Der Marsch von Dyrrhachion nach Apollonia auf einer
schwierigen, von mehreren Fluessen durchschnittenen Strasse war keine
leichte Aufgabe fuer eine geschlagene und vom Feinde verfolgte Armee;
indes die geschickte Leitung ihres Feldherrn und die unverwuestliche
Marschfaehigkeit der Soldaten noetigten Pompeius nach viertaegiger
Verfolgung, dieselbe als nutzlos einzustellen. Er hatte jetzt sich zu
entscheiden zwischen der italischen Expedition und dem Marsch in das
Binnenland; und so raetlich und lockend auch jene schien, so manche
Stimmen auch dafuer sich erhoben, er zog es doch vor, das Korps des
Scipio nicht preiszugeben, um so mehr, als er durch diesen Marsch
das des Calvinus in die Haende zu bekommen hoffte. Calvinus stand
augenblicklich auf der Egnatischen Strasse bei Herakleia Lynkestis,
zwischen Pompeius und Scipio und, nachdem Caesar sich auf Apollonia
zurueckgezogen, von diesem weiter entfernt als von der grossen Armee des
Pompeius, zu allem dem ohne Kenntnis von den Vorgaengen bei Dyrrhachion
und von seiner bedenklichen Lage, da nach den bei Dyrrhachion erlangten
Erfolgen die ganze Landschaft sich zu Pompeius neigte und die Boten
Caesars ueberall aufgegriffen wurden. Erst als die feindliche Hauptmacht
bis auf wenige Stunden sich ihm genaehert hatte, erfuhr Calvinus aus den
Erzaehlungen der feindlichen Vorposten selbst den Stand der Dinge. Ein
rascher Aufbruch in suedlicher Richtung gegen Thessalien zu entzog ihn
im letzten Augenblick der drohenden Vernichtung; Pompeius musste sich
damit begnuegen, Scipio aus seiner gefaehrdeten Stellung befreit zu
haben. Caesar war inzwischen unangefochten nach Apollonia gelangt.
Sogleich nach der Katastrophe von Dyrrhachion hatte er sich
entschlossen, wenn moeglich den Kampf von der Kueste weg in das
Binnenland zu verlegen, um die letzte Ursache des Fehlschlagens seiner
bisherigen Anstrengungen, die feindliche Flotte, aus dem Spiel zu
bringen. Der Marsch nach Apollonia hatte nur den Zweck gehabt, dort, wo
seine Depots sich befanden, seine Verwundeten in Sicherheit zu bringen
und seinen Soldaten die Loehnung zu zahlen; sowie dies geschehen war,
brach er, mit Hinterlassung von Besatzungen in Apollonia, Orikon und
Lissos, nach Thessalien auf. Nach Thessalien hatte auch das Korps des
Calvinus sich in Bewegung gesetzt; und die aus Italien, jetzt auf dem
Landwege durch Illyrien, anrueckenden Verstaerkungen, zwei Legionen
unter Quintus Cornificius, konnte er gleichfalls hier leichter noch
als in Epirus an sich ziehen. Auf schwierigen Pfaden im Tale des Aoos
aufwaertssteigend und die Bergkette ueberschreitend, die Epirus von
Thessalien scheidet, gelangte er an den Peneios; ebendorthin ward
Calvinus dirigiert und die Vereinigung der beiden Armeen also auf dem
kuerzesten und dem Feinde am wenigsten ausgesetzten Wege bewerkstelligt.
Sie erfolgte bei Aeginion unweit der Quelle des Peneios. Die erste
thessalische Stadt, vor der die jetzt vereinigte Armee erschien,
Gomphoi, schloss ihr die Tore; sie ward rasch erstuermt und der
Pluenderung preisgegeben, und dadurch geschreckt unterwarfen sich die
uebrigen Staedte Thessaliens, sowie nur Caesars Legionen vor den Mauern
sich zeigten. Ueber diesen Maerschen und Gefechten und mit Hilfe der,
wenn auch nicht allzureichlichen, Vorraete, die die Landschaft am
Peneios darbot, schwanden allmaehlich die Spuren und die Erinnerungen
der ueberstandenen unheilvollen Tage. Unmittelbare Fruechte also
hatten die Siege von Dyrrhachion fuer die Sieger nicht viele getragen.
Pompeius, mit seiner schwerfaelligen Armee und seiner zahlreichen
Reiterei, hatte dem beweglichen Feind in die Gebirge zu folgen nicht
vermocht; Caesar wie Calvinus hatten der Verfolgung sich entzogen
und beide standen vereinigt und in voller Sicherheit in Thessalien.
Vielleicht waere es das richtigste gewesen, wenn Pompeius jetzt ohne
weiteres mit seiner Hauptmacht zu Schiff nach Italien gegangen waere,
wo der Erfolg kaum zweifelhaft war. Indes vorlaeufig ging nur eine
Abteilung der Flotte nach Sizilien und Italien ab. Man betrachtete im
Lager der Koalition durch die Schlachten von Dyrrhachion die Sache mit
Caesar als so vollstaendig entschieden, dass es nur galt, die Fruechte
der Siege zu ernten, das heisst, die geschlagene Armee aufzusuchen
und abzufangen. An die Stelle der bisherigen uebervorsichtigen
Zurueckhaltung trat ein durch die Umstaende noch weniger
gerechtfertigter Uebermut; man achtete es nicht, dass man in der
Verfolgung doch eigentlich gescheitert war, dass man sich gefasst halten
musste, in Thessalien auf eine voellig erfrischte und reorganisierte
Armee zu treffen und dass es nicht geringe Bedenken hatte, vom Meere
sich entfernend und auf die Unterstuetzung der Flotte verzichtend, dem
Gegner auf das von ihm gewaehlte Schlachtfeld zu folgen. Man war
eben entschlossen, um jeden Preis mit Caesar zu schlagen und darum
baldmoeglichst und auf dem moeglichst bequemen Wege an ihn zu kommen.
Cato uebernahm das Kommando in Dyrrhachion, wo eine Besatzung von
achtzehn Kohorten, und in Kerkyra, wo 300 Kriegsschiffe zurueckblieben:
Pompeius und Scipio begaben sich, jener wie es scheint die Egnatische
Chaussee bis Pella verfolgend und dann die grosse Strasse nach Sueden
einschlagend, dieser vom Haliakmon aus durch die Paesse des Olymp,
an den unteren Peneios und trafen bei Larisa zusammen. Caesar
stand suedlich davon in der Ebene, die zwischen dem Huegelland von
Kynoskephalae und dem Othrysgebirge sich ausbreitet und von dem
Nebenfluss des Peneios, dem Enipeus, durchschnitten wird, am linken Ufer
desselben bei der Stadt Pharsalos; ihm gegenueber, am rechten Ufer des
Enipeus am Abhang der Hoehen von Kynoskephalae, schlug Pompeius sein
Lager ^6. Pompeius' Armee war vollstaendig beisammen; Caesar dagegen
erwartete noch das frueher nach Aetolien und Thessalien detachierte,
jetzt unter Quintus Fufius Calenus in Griechenland stehende Korps von
fast zwei Legionen und die auf dem Landweg von Italien ihm nachgesandten
und bereits in Illyrien angelangten zwei Legionen des Cornificius.
Pompeius' Heer, elf Legionen oder 47000 Mann und 7000 Pferde stark,
war dem Caesar an Fussvolk um mehr als das Doppelte, an Reiterei um das
Siebenfache ueberlegen; Strapazen und Gefechte hatten Caesars Truppen
so dezimiert, dass seine acht Legionen nicht ueber 22000 Mann unter den
Waffen, also bei weitem nicht die Haelfte des Normalbestandes zaehlten.
Pompeius' siegreiche, mit einer zahllosen Reiterei und guten Magazinen
versehene Armee hatte Lebensmittel in Fuelle, waehrend Caesars Truppen
notduerftig sich hinhielten und erst von der nicht fernen Getreideernte
bessere Verpflegung erhofften. Die Stimmung der Pompeianischen Soldaten,
die in der letzten Kampagne den Krieg kennen und ihrem Fuehrer vertrauen
gelernt hatten, war die beste. Alle militaerischen Gruende sprachen
auf Pompeius' Seite dafuer, da man nun einmal in Thessalien Caesar
gegenueberstand, mit der Entscheidungsschlacht nicht lange zu zoegern;
und mehr wohl noch als diese wog im Kriegsrat die Emigrantenungeduld der
vielen vornehmen Offiziere und Heerbegleiter. Seit den Ereignissen von
Dyrrhachion betrachteten diese Herren den Triumph ihrer Partei als eine
ausgemachte Tatsache; bereits wurde eifrig gehadert ueber die Besetzung
von Caesars Oberpontifikat und Auftraege nach Rom gesandt, um fuer
die naechsten Wahlen Haeuser am Markt zu mieten. Als Pompeius Bedenken
zeigte, den Bach, der beide Heere schied und den Caesar mit seinem
viel schwaecheren Heer zu passieren sich nicht getraute, seinerseits
zu ueberschreiten, erregte dies grossen Unwillen; Pompeius, hiess es,
zaudere nur mit der Schlacht, um noch etwas laenger ueber so viele
Konsulare und Praetorier zu gebieten und seine Agamemnonrolle zu
verewigen. Pompeius gab nach; und Caesar, der in der Meinung, dass es
nicht zum Kampf kommen werde, eben eine Umgehung der feindlichen Armee
entworfen hatte und dazu gegen Skotussa aufzubrechen im Begriff war,
ordnete ebenfalls seine Legionen zur Schlacht, als er die Pompeianer
sich anschicken sah, sie auf seinem Ufer ihm anzubieten. Also ward, fast
auf derselben Walstatt, wo hundertfuenfzig Jahre zuvor die Roemer
ihre Herrschaft im Osten begruendet hatten, am 9. August 706 (48) die
Schlacht von Pharsalos geschlagen. Pompeius lehnte den rechten Fluegel
an den Enipeus, Caesar ihm gegenueber den linken an das vor dem Enipeus
sich ausbreitende durchschnittene Terrain; die beiden anderen Fluegel
standen in die Ebene hinaus, beiderseits gedeckt durch die Reiterei
und die leichten Truppen. Pompeius' Absicht war, sein Fussvolk in
der Verteidigung zu halten, dagegen mit seiner Reiterei die schwache
Reiterschar, die, nach deutscher Art mit leichter Infanterie gemischt,
ihr gegenueberstand, zu zersprengen und sodann Caesars rechten Fluegel
in den Ruecken zu nehmen. Sein Fussvolk hielt den ersten Stoss der
feindlichen Infanterie mutig aus und es kam das Gefecht hier zum Stehen.
Labienus sprengte ebenfalls die feindliche Reiterei nach tapferem, aber
kurzem Widerstand auseinander und entwickelte sich linkshin, um das
Fussvolk zu umgehen. Aber Caesar, die Niederlage seiner Reiterei
voraussehend, hatte hinter ihr auf der bedrohten Flanke seines rechten
Fluegels etwa 2000 seiner besten Legionaere aufgestellt. Wie die
feindlichen Reiter, die Caesarischen vor sich hertreibend, heran und um
die Linie herum jagten, prallten sie ploetzlich auf diese unerschrocken
gegen sie anrueckende Kernschar und, durch den unerwarteten und
ungewohnten Infanterieangriff ^7 rasch in Verwirrung gebracht, sprengten
sie mit verhaengten Zuegeln vom Schlachtfeld. Die siegreichen Legionaere
hieben die preisgegebenen feindlichen Schuetzen zusammen, rueckten
dann auf den linken Fluegel des Feindes los und begannen nun ihrerseits
dessen Umgehung. Zugleich ging Caesars bisher zurueckgehaltenes drittes
Treffen auf der ganzen Linie zum Angriff vor. Die unverhoffte Niederlage
der besten Waffe des Pompeianischen Heeres, wie sie den Mut der Gegner
hob, brach den der Armee und vor allem den des Feldherrn. Als Pompeius,
der seinem Fussvolk von Haus aus nicht traute, die Reiter zurueckjagen
sah, ritt er sofort von dem Schlachtfeld zurueck in das Lager, ohne auch
nur den Ausgang des von Caesar befohlenen Gesamtangriffs abzuwarten.
Seine Legionen fingen an zu schwanken und bald ueber den Bach in das
Lager zurueckzuweichen, was nicht ohne schweren Verlust bewerkstelligt
ward. Der Tag war also verloren und mancher tuechtige Soldat gefallen,
die Armee indes noch im wesentlichen intakt und Pompeius' Lage weit
minder bedenklich als die Caesars nach der Niederlage von Dyrrhachion.
Aber wenn Caesar in den Wechselfaellen seiner Geschicke es gelernt
hatte, dass das Glueck auch seinen Guenstlingen wohl auf Augenblicke
sich zu entziehen liebt, um durch Beharrlichkeit von ihnen abermals
bezwungen zu werden, so kannte Pompeius das Glueck bis dahin nur als
die bestaendige Goettin und verzweifelte an sich und an ihr, als sie
ihm entwich; und wenn in Caesars grossartiger Natur die Verzweiflung nur
immer maechtigere Kraefte entwickelte, so versank Pompeius' duerftige
Seele unter dem gleichen Druck in den bodenlosen Abgrund der
Kuemmerlichkeit. Wie er einst im Kriege mit Sertorius im Begriff gewesen
war, das anvertraute Amt im Stiche lassend vor dem ueberlegenen Gegner
auf und davon zu gehen, so warf er jetzt, da er die Legionen ueber den
Bach zurueckweichen sah, die verhaengnisvolle Feldherrnschaerpe von sich
und ritt auf dem naechsten Weg dem Meere zu, um dort ein Schiff sich zu
suchen. Seine Armee, entmutigt und fuehrerlos - denn Scipio, obwohl von
Pompeius als Kollege im Oberkommando anerkannt, war doch nur dem Namen
nach Oberfeldherr -, hoffte hinter den Lagerwaellen Schutz zu finden;
aber Caesar gestattete ihr keine Rast: rasch wurde die hartnaeckige
Gegenwehr der roemischen und thrakischen Lagerwachen ueberwaeltigt und
die Masse genoetigt, sich in Unordnung die Anhoehen von Krannon und
Skotussa hinaufzuziehen, an deren Fusse das Lager geschlagen war.
Sie versuchte, auf diesen Huegeln sich fortbewegend Larisa
wiederzuerreichen; allein Caesars Truppen, weder der Beute noch der
Muedigkeit achtend und auf besseren Wegen in die Ebene vorrueckend,
verlegten den Fluechtigen den Weg; ja, als am spaeten Abend die
Pompeianer ihren Marsch einstellten, vermochten ihre Verfolger es
noch, eine Schanzlinie zu ziehen, die den Fluechtigen den Zugang zu dem
einzigen in der Naehe befindlichen Bach verschloss. So endigte der Tag
von Pharsalos. Die feindliche Armee war nicht bloss geschlagen,
sondern vernichtet. 15000 der Feinde lagen tot oder verwundet auf dem
Schlachtfeld, waehrend die Caesarianer nur 200 Mann vermissten; die
noch zusammengebliebene Masse, immer noch gegen 20000 Mann, streckte
am Morgen nach der Schlacht die Waffen; nur einzelne Trupps, darunter
freilich die namhaftesten Offiziere, suchten eine Zuflucht in den
Bergen; von den elf feindlichen Adlern wurden neun Caesar ueberbracht.
Caesar, der schon am Tage der Schlacht die Soldaten erinnert hatte,
im Feinde nicht den Mitbuerger zu vergessen, behandelte die Gefangenen
nicht wie Bibulus und Labienus es taten; indes auch er fand doch noetig,
jetzt die Strenge walten zu lassen. Die gemeinen Soldaten wurden in
das Heer eingereiht, gegen die Leute besseren Standes Geldbussen oder
Vermoegenskonfiskationen erkannt; die gefangenen Senatoren und namhaften
Ritter erlitten, mit wenigen Ausnahmen, den Tod. Die Zeiten der
Gnade waren vorbei; je laenger er waehrte, desto ruecksichtsloser
und unversoehnlicher waltete der Buergerkrieg.
------------------------------------------ ^6 Die genaue Bestimmung
des Schlachtfeldes ist schwierig. Appian (bist. 2, 75) setzt dasselbe
ausdruecklich zwischen (Neu-) Pharsalos (jetzt Fersala) und den Enipeus.
Von den beiden Gewaessern, die hier allein von einiger Bedeutung und
unzweifelhaft der Apidanos und Enipeus der Alten sind, dem Sofadhitiko
und dem Fersaliti, hat jener seine Quellen auf den Bergen von Thaumakoi
(Dhomoko) und den Dolopischen Hoehen, dieser auf dem Othrys, und fliesst
nur der Fersaliti bei Pharsalos vorbei; da nun aber der Enipeus
nach Strabon (9 p. 432) auf dem Othrys entspringt und bei Pharsalos
vorbeifliesst, so ist der Fersaliti mit vollem Recht von W. M. Leake
(Travels in Northern Greece. Bd. 4. London 1835, S. 320) fuer den
Enipeus erklaert worden und die von Goeler befolgte Annahme, dass der
Fersaliti der Apidanos sei, unhaltbar. Damit stimmen auch alle sonstigen
Angaben der Alten ueber beide Fluesse. Nur muss freilich mit Leake
angenommen werden, dass der durch die Vereinigung des Fersaliti und
des Sofadhitiko gebildete, zum Peneios gehende Fluss von Vlokho bei
den Alten, wie der Sofadhitiko, Apidanos hiess: was aber auch um so
natuerlicher ist als wohl der Sofadhitiko, nicht aber der Fersaliti
bestaendig Wasser hat (Leake, Bd. 4, S. 321). Zwischen Fersala also und
dem Fersaliti muss Altpharsalos gelegen haben, wovon die Schlacht den
Namen traegt. Demnach ward die Schlacht am linken Ufer des Fersaliti
gefochten, und zwar so, dass die Pompeianer, mit dem Gesicht nach
Pharsalos stehend, ihren rechten Fluegel an den Fluss lehnten (Caes.
civ. 3, 83. Frontin. strat. 2, 3, 22). Aber das Lager der Pompeianer
kann hier nicht gestanden haben, sondern nur am Abhang der Hoehen von
Kynoskephalae am rechten Ufer des Enipeus, teils weil sie Caesar den Weg
nach Skotussa verlegten, teils weil ihre Rueckzugslinie offenbar ueber
die oberhalb des Lagers befindlichen Berge nach Larisa ging; haetten
sie, nach Leakes (Bd. 4, S. 482) Annahme, oestlich von Pharsalos am
linken Ufer des Enipeus gelagert, so konnten sie nimmermehr durch diesen
gerade hier tief eingeschnittenen Bach (Leake, Bd. 4, S. 469) nordwaerts
gelangen und Pompeius haette statt nach Larisa, nach Lamia fluechten
muessen. Wahrscheinlich schlugen also die Pompeianer am rechten Ufer des
Fersaliti ihr Lager und passierten den Fluss, sowohl um zu schlagen, als
um nach der Schlacht wieder in ihr Lager zu gelangen von wo sie sodann
sich die Abhaenge von Krannon und Skotussa hinaufzogen, die ueber dem
letzteren Orte zu den Hoehen von Kynoskephalae sich gipfeln. Unmoeglich
war dies nicht. Der Enipeus ist ein schmaler, langsam fliessender
Bach, den Leake im November zwei Fuss tief fand und der in der heissen
Jahreszeit oft ganz trocken liegt (Leake, Bd. 1, S. 448 und Bd. 4,
S. 472; vgl. Lucan. 6, 373), und die Schlacht ward im Hochsommer
geschlagen. Ferner standen die Heere vor der Schlacht drei
Viertelmeilen auseinander (App. civ. 2, 65), so dass die Pompeianer alle
Vorbereitungen treffen und auch die Verbindung mit ihrem Lager durch
Bruecken gehoerig sichern konnten. Waere die Schlacht in eine voellige
Deroute ausgegangen, so haette freilich der Rueckzug an und ueber den
Fluss nicht ausgefuehrt werden koennen, und ohne Zweifel aus diesem
Grunde verstand Pompeius nur ungern sich dazu, hier zu schlagen. Der am
weitesten von der Rueckzugsbasis entfernte linke Fluegel der Pompeianer
hat dies auch empfunden; aber der Rueckzug wenigstens ihres Zentrums und
ihres rechten Fluegels ward nicht in solcher Hast bewerkstelligt, dass
er unter den gegebenen Bedingungen unausfuehrbar waere. Caesar und seine
Ausschreiber verschweigen die Ueberschreitung des Flusses, weil dieselbe
die uebrigens aus der ganzen Erzaehlung hervorgehende Kampfbegierde der
Pompeianer zu deutlich ins Licht stellen wuerde, und ebenso die fuer
diese guenstigen Momente des Rueckzugs. ^7 In diesen Zusammenhang
gehoert die bekannte Anweisung Caesars an seine Soldaten, nach den
Gesichtern der feindlichen Reiter zu stossen. Die Infanterie, welche
hier in ganz irregulaerer Weise offensiv gegen die Kavallerie auftrat,
der mit den Saebeln nicht beizukommen war, sollte ihre Pila nicht
abwerfen, sondern sie als Handspeere gegen die Reiter brauchen und, um
dieser sich besser zu erwehren, damit nach oben zu stossen (Plut. Pomp.
69. 71; Plut. Caes. 45; App, civ. 2, 76, 78; Flor. epit. 2, 13;
Oros. hist. 6, 15; irrig Frontin strat. 4, 7, 32). Die anekdotenhafte
Umwandlung dieser Instruktion, dass die Pompeianischen Reiter durch die
Furcht vor Schmarren im Gesicht zum Weglaufen sollten gebracht werden
und auch wirklich "die Haende vor die Augen haltend" (Plutarch)
davongaloppiert seien, faellt in sich selbst zusammen: denn sie hat nur
dann eine Pointe, wenn die Pompeianische Reiterei hauptsaechlich aus dem
jungen Adel Roms, den "artigen Taenzern", bestand; und dies ist
falsch. Hoechstens kann es sein, dass der Lagerwitz jener einfachen
und zweckmaessigen militaerischen Ordre diese sehr unsinnige,
aber allerdings lustige Wendung gab.
-------------------------------------------------------- Es dauerte
einige Zeit, bevor die Folgen des 9. August 706 (48) vollstaendig sich
uebersehen liessen. Was am wenigsten Zweifel litt, war der Uebertritt
aller derer, die zu der bei Pharsalos ueberwundenen Partei nur als zu
der maechtigeren sich geschlagen hatten, auf die Seite Caesars; die
Niederlage war eine so voellig entscheidende, dass dem Sieger alles
zufiel, was nicht fuer eine verlorene Sache streiten wollte oder musste.
Alle die Koenige, Voelker und Staedte, die bisher Pompeius' Klientel
gebildet hatten, riefen jetzt ihre Flotten- und Heereskontingente
zurueck und verweigerten den Fluechtlingen der geschlagenen Partei die
Aufnahme - so Aegypten, Kyrene, die Gemeinden Syriens, Phoenikiens,
Kilikiens und Kleinasiens, Rhodos, Athen und ueberhaupt der ganze Osten.
Ja, Koenig Pharnakes vom Bosporus trieb den Diensteifer so weit, dass er
auf die Nachricht von der Pharsalischen Schlacht nicht bloss die manches
Jahr zuvor vom Pompeius frei erklaerte Stadt Phanagoria und die Gebiete
der von ihm bestaetigten kolchischen Fuersten, sondern selbst das von
demselben dem Koenig Deiotarus verliehene Koenigreich Klein-Armenien
in Besitz nahm. Fast die einzigen Ausnahmen von dieser allgemeinen
Unterwerfung waren die kleine Stadt Megara, die von den Caesarianern
sich belagern und erstuermen liess, und Koenig Juba von Numidien, der
von Caesar die Einziehung seines Reiches schon laengst und nach dem
Siege ueber Curio nur um so sicherer zu gewaertigen hatte und also
freilich, wohl oder uebel, bei der geschlagenen Partei ausharren
musste. Ebenso wie die Klientelgemeinden sich dem Sieger von Pharsalos
unterwarfen, kam auch der Schweif der Verfassungspartei, alle, die
mit halbem Herzen mitgemacht hatten oder gar, wie Marcus Cicero
und seinesgleichen, nur um die Aristokratie herumtrippelten wie die
Halbhexen um den Blocksberg, herbei, um mit dem neuen Alleinherrscher
ihren Frieden zu machen, den denn auch dessen geringschaetzige Nachsicht
den Bittstellern bereitwillig und hoeflich gewaehrte. Aber der Kern
der geschlagenen Partei transigierte nicht. Mit der Aristokratie war es
vorbei; aber die Aristokraten konnten doch sich nimmermehr zur
Monarchie bekehren. Auch die hoechsten Offenbarungen der Menschheit
sind vergaenglich; die einmal wahre Religion kann zur Luege, die einst
segenhafte Staatsordnung zum Fluche werden; aber selbst das vergangene
Evangelium noch findet Bekenner, und wenn solcher Glaube nicht Berge
versetzen kann wie der Glaube an die lebendige Wahrheit, so bleibt er
doch sich selber bis zu seinem Untergange treu und weicht aus dem Reiche
der Lebendigen nicht, bevor er seine letzten Priester und seine letzten
Buerger sich nachgezogen hat und ein neues Geschlecht, von jenen
Schemen des Gewesenen und Verwesenden befreit, ueber die verjuengte Welt
regiert. So war es in Rom. In welchen Abgrund der Entartung auch
jetzt das aristokratische Regiment versunken war, es war einst ein
grossartiges politisches System gewesen; das heilige Feuer, durch das
Italien erobert und Hannibal besiegt worden war, gluehte, wie getruebt
und verdumpft, dennoch fort in dem roemischen Adel, solange es einen
solchen gab, und machte eine innerliche Verstaendigung zwischen den
Maennern des alten Regiments und dem neuen Monarchen unmoeglich. Ein
grosser Teil der Verfassungspartei fuegte sich wenigstens aeusserlich
und erkannte die Monarchie insofern an, als sie von Caesar Gnade
annahmen und soweit moeglich, sich ins Privatleben zurueckzogen; was
freilich regelmaessig nicht ohne den Hintergedanken geschah, sich damit
auf einen kuenftigen Umschwung der Dinge aufzusparen. Vorzugsweise
taten dies die minder namhaften Parteigenossen; doch zaehlte auch
der tuechtige Marcus Marcellus, derselbe, der den Bruch mit Caesar
herbeigefuehrt hatte, zu diesen Verstaendigen und verbannte sich
freiwillig nach Lesbos. Aber in der Majoritaet der echten Aristokratie
war die Leidenschaft maechtiger als die kuehle Ueberlegung; wobei
freilich auch Selbsttaeuschungen ueber den noch moeglichen Erfolg und
Besorgnisse vor der unvermeidlichen Rache des Siegers mannigfaltig
mitwirkten. Keiner wohl beurteilte mit so schmerzlicher Klarheit und so
frei von Furcht wie von Hoffnung fuer sich die Lage der Dinge wie
Marcus Cato. Vollkommen ueberzeugt, dass nach den Tagen von Ilerda und
Pharsalos die Monarchie unvermeidlich sei, und sittlich fest genug, um
auch diese bittere Wahrheit sich einzugestehen und danach zu handeln,
schwankte er einen Augenblick, ob die Verfassungspartei den Krieg
ueberhaupt noch fortsetzen duerfe, der notwendig fuer eine verlorene
Sache vielen Opfer zumutete, die nicht wussten, wofuer sie sie brachten.
Aber wenn er sich entschloss, weiter gegen die Monarchie zu kaempfen,
nicht um den Sieg, sondern um rascheren und ehrenvolleren Untergang, so
suchte er doch soweit moeglich in diesen Krieg keinen hineinzuziehen,
der den Untergang der Republik ueberleben und mit der Monarchie sich
abfinden mochte. Solange die Republik nur bedroht gewesen, meinte er,
habe man das Recht und die Pflicht gehabt, auch den lauen und schlechten
Buerger zur Teilnahme an dem Kampfe zu zwingen; aber jetzt sei es
sinnlos und grausam, den einzelnen zu noetigen, dass er mit der
verlorenen Republik sich zugrunde richte. Nicht bloss entliess er selbst
jeden, der nach Italien heimzukehren begehrte; als der wildeste unter
den wilden Parteimaennern, Gnaeus Pompeius der Sohn, auf die Hinrichtung
dieser Leute, namentlich des Cicero drang, war es einzig Cato, der sie
durch seine sittliche Autoritaet verhinderte. Auch Pompeius begehrte
keinen Frieden. Waere er ein Mann gewesen, der es verdiente, an dem
Platze zu stehen, wo er stand, so moechte man meinen, er habe es
begriffen, dass, wer nach der Krone greift, nicht wieder zurueck kann
in das Geleise der gewoehnlichen Existenz und darum fuer den, der
fehlgegriffen, kein Platz mehr auf der Erde ist. Allein schwerlich
dachte Pompeius zu gross, um eine Gnade zu erbitten, die der Sieger
vielleicht hochherzig genug gewesen waere, ihm nicht zu versagen,
sondern vielmehr wahrscheinlich dazu zu gering. Sei es, dass er es nicht
ueber sich gewann, Caesar sich anzuvertrauen, sei es, dass er in seiner
gewoehnlichen unklaren und unentschiedenen Weise, nachdem der erste
unmittelbare Eindruck der Katastrophe von Pharsalos geschwunden war,
wieder anfing, Hoffnung zu schoepfen, Pompeius war entschlossen, den
Kampf gegen Caesar fortzusetzen und nach dem Pharsalischen noch ein
anderes Schlachtfeld sich zu suchen. So ging also, wie Caesar immer
durch Klugheit und Maessigung den Groll seiner Gegner zu beschwichtigen
und ihre Zahl zu mindern bemueht war, der Kampf nichtsdestoweniger
unabaenderlich weiter. Allein die fuehrenden Maenner hatten fast alle
bei Pharsalos mitgefochten, und obwohl sie, mit Ausnahme von Lucius
Domitius Ahenobarbus, der auf der Flucht niedergemacht ward, saemtlich
sich retteten, wurden sie doch nach allen Seiten hin versprengt, weshalb
sie nicht dazu kamen, einen gemeinschaftlichen Plan fuer die Fortsetzung
des Feldzuges zu verabreden. Die meisten von ihnen gelangten, teils
durch die oeden makedonischen und illyrischen Gebirge, teils mit Hilfe
der Flotte, nach Kerkyra, wo Marcus Cato die zurueckgelassene Reserve
kommandierte. Hier fand unter Catos Vorsitz eine Art Kriegsrat statt,
dem Metellus Scipio, Titus Labienus, Lucius Afranius, Gnaeus Pompeius
der Sohn und andere beiwohnten; allein teils die Abwesenheit des
Oberfeldherrn und die peinliche Ungewissheit ueber sein Schicksal,
teils die innere Zerfahrenheit der Partei verhinderte eine gemeinsame
Beschlussfassung, und es schlug schliesslich jeder den Weg ein, der
ihm fuer sich oder fuer die gemeine Sache der zweckmaessigste zu sein
schien. Es war in der Tat in hohem Grade schwierig, unter den vielen
Strohhalmen, an die man etwa sich anklammern konnte, denjenigen zu
bezeichnen, der am laengsten ueber Wasser halten wuerde. Makedonien und
Griechenland waren durch die Schlacht von Pharsalos verloren. Zwar
hielt Cato, nachdem er auf die Nachricht von der Niederlage Dyrrhachion
sogleich geraeumt hatte, nach Kerkyra, Rutilius Lupus noch den
Peloponnes eine Zeitlang fuer die Verfassungspartei. Einen Augenblick
schien es auch, als wollten die Pompeianer sich in Patrae auf dem
Peloponnes verteidigen; allein die Nachricht von Calenus' Anruecken
genuegte, um sie von hier zu verscheuchen. Kerkyra zu behaupten wurde
ebensowenig versucht. An der italischen und sizilischen Kueste hatten
die nach den Siegen von Dyrrhachion dorthin entsandten Pompeianischen
Geschwader gegen die Haefen von Brundisium, Messana und Vibo nicht
unbedeutende Erfolge errungen und in Messana namentlich die ganze in der
Ausruestung begriffene Flotte Caesars niedergebrannt; allein die hier
taetigen Schiffe, groesstenteils kleinasiatische und syrische, wurden
infolge der Pharsalischen Schlacht von ihren Gemeinden abberufen, so
dass die Expedition damit von selber ein Ende nahm. In Kleinasien und
Syrien standen augenblicklich gar keine Truppen, weder der einen noch
der anderen Partei, mit Ausnahme der bosporanischen Armee des Pharnakes,
die, angeblich fuer Rechnung Caesars, verschiedene Landschaften der
Gegner desselben eingenommen hatte. In Aegypten stand zwar noch ein
ansehnliches roemisches Heer, gebildet aus den dort von Gabinius
zurueckgelassenen und seitdem aus italischen Landstreichern und
syrischem oder kilikischem Raeubergesindel rekrutierten Truppen;
allein es verstand sich von selbst und ward durch die Rueckberufung
der aegyptischen Schiffe bald offiziell bestaetigt, dass der Hof von
Alexandreia keineswegs die Absicht hatte, bei der geschlagenen Partei
auszuhalten oder gar ihr seine Truppenmacht zur Verfuegung zu stellen.
Etwas guenstigere Aussichten boten sich den Besiegten im Westen dar. In
Spanien waren unter der Bevoelkerung die Pompeianischen Sympathien
so maechtig, dass die Caesarianer den von dort aus gegen Afrika
beabsichtigten Angriff deswegen unterlassen mussten und eine
Insurrektion unausbleiblich schien, sowie ein namhafter Fuehrer auf der
Halbinsel sich zeigen wuerde. In Afrika aber hatte die Koalition oder
vielmehr der eigentliche Machthaber daselbst, Koenig Juba von Numidien,
seit dem Herbst 705 (49) ungestoert geruestet. Wenn also der ganze Osten
durch die Schlacht von Pharsalos der Koalition verloren war, so konnte
sie dagegen in Spanien wahrscheinlich und sicher in Afrika den Krieg
in ehrenhafter Weise weiterfuehren; denn die Hilfe des laengst
der roemischen Gemeinde untertaenigen Koenigs von Numidien gegen
revolutionaere Mitbuerger in Anspruch zu nehmen, war fuer den Roemer
wohl eine peinliche Demuetigung, aber keineswegs ein Landesverrat. Wem
freilich in diesem Kampfe der Verzweiflung weder Recht noch Ehre etwas
weiter galt, der mochte auch, sich selber ausserhalb des Gesetzes
erklaerend, die Raeuberfehde eroeffnen oder, mit unabhaengigen
Nachbarstaaten in Buendnis tretend, den Landesfeind in den inneren
Streit hineinziehen oder endlich, die Monarchie mit den Lippen
bekennend, die Restauration der legitimen Republik mit dem Dolch des
Meuchelmoerders betreiben. Dass die Ueberwundenen austraten und der
neuen Monarchie absagten, war wenigstens der natuerliche und insofern
richtigste Ausdruck ihrer verzweifelten Lage. Das Gebirge und vor allem
das Meer waren in jener Zeit seit Menschengedenken wie die Freistatt
allen Frevels, so auch die des unertraeglichen Elends und des
unterdrueckten Rechtes; Pompeianern und Republikanern lag es nahe, der
Monarchie Caesars, die sie ausstiess, in den Bergen und auf den Meeren
trotzig den Krieg zu machen, und namentlich nahe, die Piraterie in
groesserem Massstab, in festerer Geschlossenheit, mit bestimmteren
Zielen aufzunehmen. Selbst nach der Abberufung der aus dem Osten
gekommenen Geschwader besassen sie noch eine sehr ansehnliche eigene
Flotte, waehrend Caesar immer noch so gut wie ohne Kriegsschiffe war;
und ihre Verbindung mit den Delmatern, die im eigenen Interesse gegen
Caesar aufgestanden waren, ihre Herrschaft ueber die wichtigsten Meere
und Hafenplaetze, gaben fuer den Seekrieg, namentlich im kleinen, die
vorteilhaftesten Aussichten. Wie einst Sullas Demokratenhetze geendigt
hatte mit dem Sertorianischen Aufstand, der anfangs Piraten-, dann
Raeuberfehde war und schliesslich doch ein sehr ernstlicher Krieg
ward, so konnte, wenn in der catonischen Aristokratie oder unter
den Anhaengern des Pompeius so viel Geist und Feuer war wie in der
marianischen Demokratie, und wenn in ihr der rechte Seekoenig sich
fand, auf dem noch unbezwungenen Meere wohl ein von Caesars Monarchie
unabhaengiges und vielleicht dieser gewachsenes Gemeinwesen entstehen.
In jeder Hinsicht weit schaerfere Missbilligung verdient der Gedanke,
einen unabhaengigen Nachbarstaat in den roemischen Buergerkrieg
hineinzuziehen und durch ihn eine Konterrevolution herbeizufuehren:
Gesetz und Gewissen verurteilen den Ueberlaeufer strenger als den
Raeuber, und leichter findet die siegreiche Raeuberschar den Rueckweg
zu einem freien und geordneten Gemeinwesen, als die vom Landesfeind
zurueckgefuehrte Emigration. Uebrigens war es auch kaum wahrscheinlich,
dass die geschlagene Partei auf diesem Wege eine Restauration wuerde
bewirken koennen. Der einzige Staat, auf den sie versuchen konnte sich
zu stuetzen, war der der Parther; und von diesem war es wenigstens
zweifelhaft, ob er ihre Sache zu der seinigen machen, und sehr
unwahrscheinlich, dass er gegen Caesar sie durchfechten werde. Die
Zeit der republikanischen Verschwoerungen aber war noch nicht gekommen.
Waehrend also die Truemmer der geschlagenen Partei ratlos vom Schicksal
sich treiben liessen und auch die den Kampf fortzusetzen entschieden
waren nicht wussten, wie noch wo, hatte Caesar, wie immer rasch
entschlossen und rasch handelnd, alles beiseite gelassen, um Pompeius zu
verfolgen, den einzigen seiner Gegner, den er als Offizier achtete, und
denjenigen, dessen persoenliche Gefangennahme die eine und vielleicht
die gefaehrlichere Haelfte seiner Gegner wahrscheinlich paralysiert
haben wuerde. Mit weniger Mannschaft fuhr er ueber den Hellespont -
seine einzelne Barke traf in demselben auf eine feindliche, nach dem
Schwarzen Meere bestimmte Flotte und nahm die ganze, durch die Kunde
von der Pharsalischen Schlacht wie mit Betaeubung geschlagene Mannschaft
derselben gefangen - und eilte, sowie die notwendigsten Anordnungen
getroffen waren, Pompeius in den Osten nach. Dieser war vom
Pharsalischen Schlachtfeld nach Lesbos gegangen, wo er seine Gemahlin
und seinen zweiten Sohn Sextus abholte, und weiter um Kleinasien herum
nach Kilikien und von da nach Kypros gesegelt. Er haette zu seinen
Parteigenossen nach Kerkyra oder Afrika gelangen koennen; allein der
Widerwille gegen seine aristokratischen Verbuendeten und der Gedanke an
die Aufnahme, die nach dem Tage von Pharsalos und vor allem nach seiner
schimpflichen Flucht ihn dort erwartete, scheinen ihn bewogen zu
haben, seinen Weg fuer sich zu gehen und lieber in den Schutz
des Partherkoenigs als in den Catos sich zu begeben. Waehrend er
beschaeftigt war, von den roemischen Steuerpaechtern und Kaufleuten auf
Kypros Geld und Sklaven beizutreiben und einen Haufen von 2000 Sklaven
zu bewaffnen, erhielt er die Nachricht, dass Antiocheia sich fuer Caesar
erklaert habe und der Weg zu den Parthern nicht mehr offen sei. So
aenderte er seinen Plan und ging unter Segel nach Aegypten, wo in dem
Heere eine Menge seiner alten Soldaten dienten und die Lage und die
reichen Hilfsmittel des Landes Zeit und Gelegenheit gewaehrten, den
Krieg zu reorganisieren. In Aegypten hatten nach Ptolemaeos Auletes'
Tode (Mai 703 51) dessen Kinder, die etwa sechzehnjaehrige Kleopatra
und der zehnjaehrige Ptolemaeos Dionysos, nach dem Willen ihres Vaters
gemeinschaftlich und als Gatten, den Thron bestiegen; allein bald hatte
der Bruder oder vielmehr dessen Vormund Potheinos die Schwester aus dem
Reiche getrieben und sie genoetigt, eine Zuflucht in Syrien zu
suchen, von wo aus sie Anstalten traf, um in ihr vaeterliches Reich
zurueckzugelangen. Ptolemaeos und Potheinos standen eben, um gegen sie
die Ostgrenze zu decken, mit der ganzen aegyptischen Armee bei Pelusion,
als Pompeius bei dem Kasischen Vorgebirge vor Anker ging und den Koenig
ersuchen liess, ihm die Landung zu gestatten. Der aegyptische Hof,
laengst von der Katastrophe bei Pharsalos unterrichtet, war im Begriffe,
Pompeius zurueckzuweisen; allein der Hofmeister des Koenigs, Theodotos,
wies darauf hin, dass in diesem Falle Pompeius wahrscheinlich seine
Verbindungen in der aegyptischen Armee benutzen werde, um dieselbe
aufzuwiegeln; es sei sicherer und auch mit Ruecksicht auf Caesar
vorzuziehen, wenn man die Gelegenheit wahrnehme, um Pompeius aus der
Welt zu schaffen. Dergleichen politische Raesonnements verfehlten bei
den Staatsmaennern der hellenischen Welt nicht leicht ihre Wirkung. Der
General der koeniglichen Truppen, Achillas, und einige von Pompeius'
ehemaligen Soldaten fuhren mit einem Kahn an Pompeius' Schiff heran und
luden ihn ein, zum Koenig zu kommen und, da das Fahrwasser seicht sei,
ihre Barke zu besteigen. Im Aussteigen stach der Kriegstribun Lucius
Septimius ihn hinterruecks nieder, unter den Augen seiner Gattin und
seines Sohnes, welche von dem Verdeck ihres Schiffes aus dem Morde
zusehen mussten, ohne retten oder raechen zu koennen (28. September
706 48). An demselben Tage, an dem er dreizehn Jahre zuvor, ueber
Mithradates triumphierend, in die Hauptstadt eingezogen war, endigte
auf einer oeden Duene des unwirtlichen kasischen Strandes durch die Hand
eines seiner alten Soldaten der Mann, der ein Menschenalter hindurch
der Grosse geheissen und Jahre lang Rom beherrscht hatte. Ein guter
Offizier, uebrigens aber von mittelmaessigen Gaben des Geistes und
des Herzens, hatte das Schicksal mit dreissigjaehriger daemonischer
Bestaendigkeit alle glaenzenden muehelosen Aufgaben nur darum ihm zu
loesen gewaehrt, alle von anderen gepflanzten und gepflegten Lorbeeren
nur darum ihm zu brechen gestattet, nur darum alle Bedingungen zur
Erlangung der hoechsten Gewalt ihm entgegengetragen, um an ihm ein
Beispiel falscher Groesse aufzustellen, wie die Geschichte kein zweites
kennt. Unter allen klaeglichen Rollen gibt es keine klaeglichere
als die, mehr zu gelten als zu sein; und es ist das Verhaengnis der
Monarchie, da doch kaum alle tausend Jahre in dem Volke ein Mann
aufsteht, welcher Koenig nicht bloss heisst, sondern auch ist,
dass diese Klaeglichkeit unvermeidlich an ihr haftet. Wenn dies
Missverhaeltnis zwischen Scheinen und Sein vielleicht nie so schroff
hervorgetreten ist wie in Pompeius, so mag der ernste Gedanke wohl
dabei verweilen, dass er eben in gewissem Sinn die Reihe der roemischen
Monarchen eroeffnet. Als Caesar, Pompeius' Spuren folgend, auf der
Reede von Alexandreia eintraf, war bereits alles vorueber. Mit tiefer
Erschuetterung wandte er sich ab, als ihm der Moerder das Haupt des
Mannes auf das Schiff entgegentrug, der sein Schwiegersohn und lange
Jahre sein Genosse in der Herrschaft gewesen und den lebend in seine
Gewalt zu bringen er nach Aegypten gekommen war. Die Antwort auf die
Frage, wie Caesar mit dem gefangenen Pompeius verfahren sein wuerde,
hat der Dolch des voreiligen Moerders abgeschnitten; aber wenn die
menschliche Teilnahme, die in Caesars grosser Seele noch neben dem
Ehrgeiz Raum fand, ihm die Schonung des ehemaligen Freundes gebot, so
forderte auch sein Interesse, denselben auf andere Art zu annullieren
als durch den Henker. Pompeius war zwanzig Jahre lang der anerkannte
Gebieter von Rom gewesen; eine so tief gewurzelte Herrschaft geht nicht
unter mit dem Tode des Herrn. Pompeius' Tod loeste die Pompeianer nicht
auf, sondern gab ihnen statt eines bejahrten, unfaehigen und vernutzten
Hauptes an dessen beiden Soehnen Gnaeus und Sextus zwei Fuehrer, welche
beide jung und ruehrig und von denen der zweite eine entschiedene
Kapazitaet war. Der neugegruendeten Erbmonarchie heftete sogleich
parasitisch sich das erbliche Praetendententum an, und es war sehr
zweifelhaft, ob bei diesem Wechsel der Personen Caesar nicht mehr
verlor, als er gewann. Indes in Aegypten hatte Caesar jetzt nichts
weiter zu tun, und Roemer und Aegypter erwarteten, dass er sofort
wieder unter Segel gehen und sich an die Unterwerfung Afrikas und an
das unermessliche Organisationswerk machen werde, das ihm nach dem Siege
bevorstand. Allein Caesar, seiner Gewohnheit getreu, wo er einmal in dem
weiten Reiche sich befand, die Verhaeltnisse sogleich und persoenlich
endgueltig zu regeln, und fest ueberzeugt, dass weder von der roemischen
Besatzung noch von dem Hofe irgendein Widerstand zu erwarten sei,
ueberdies in dringender Geldverlegenheit, landete in Alexandreia mit den
zwei ihn begleitenden, auf 3200 Mann zusammengeschmolzenen Legionen und
800 keltischen und deutschen Reitern, nahm Quartier in der koeniglichen
Burg und ging daran, die noetigen Summen beizutreiben und die
aegyptische Erbfolge zu ordnen, ohne sich stoeren zu lassen durch
Potheinos' naseweise Bemerkung, dass Caesar doch ueber diese
Kleinigkeiten nicht seine so wichtigen eigenen Angelegenheiten
versaeumen moege. Gegen die Aegypter verfuhr er dabei gerecht und selbst
nachsichtig. Obwohl der Beistand, den sie Pompeius geleistet hatten,
zur Auflegung einer Kriegskontribution berechtigte, ward doch das
erschoepfte Land damit verschont und unter Erlass dessen, was auf die im
Jahre 695 (59) stipulierte und seitdem erst etwa zur Haelfte abbezahlte
Summe weiter rueckstaendig war, lediglich eine Schlusszahlung von 10
Mill. Denaren (3 Mill. Taler) gefordert. Den beiden kriegfuehrenden
Geschwistern ward die sofortige Einstellung der Feindseligkeiten
anbefohlen und beide zur Untersuchung und Entscheidung des Streites vor
den Schiedsherrn geladen. Man fuegte sich; der koenigliche Knabe befand
sich bereits in der Burg und auch Kleopatra stellte dort sich ein.
Caesar sprach das Reich Aegypten, dem Testament des Auletes gemaess, den
beiden geschwisterlichen Gatten Kleopatra und Ptolemaeos Dionysos zu
und gab ferner unaufgefordert, unter Kassierung der frueher verfuegten
Einziehung des Kyprischen Reiches, dieses als aegyptische Sekundogenitur
an die juengeren Kinder des Auletes Arsinoe und Ptolemaeos den
Juengeren. Allein im stillen bereitete ein Ungewitter sich vor.
Alexandreia war eine Weltstadt so gut wie Rom, an Einwohnerzahl der
italischen Hauptstadt schwerlich nachstehend, an ruehrigem Handelsgeist,
an Handwerkergeschick, an Sinn fuer Wissenschaft und Kunst ihr weit
ueberlegen; in der Buergerschaft war ein reges nationales Selbstgefuehl
und wenn kein politischer Sinn, doch ein unruhiger Geist, der sie ihre
Strassenkrawalle so regelmaessig und so herzhaft abhalten liess wie
heutzutage die Pariser; man kann sich ihre Empfindungen denken, als sie
in der Residenz der Lagiden den roemischen Feldherrn schalten und
ihre Koenige vor seinem Tribunal Recht nehmen sah. Potheinos und der
koenigliche Knabe, beide begreiflicherweise sehr unzufrieden sowohl mit
der peremtorischen Einmahnung alter Schulden wie mit der Intervention
in dem Thronstreit, welche nur zu Gunsten der Kleopatra ausfallen konnte
und ausfiel, schickten zur Befriedigung der roemischen Forderungen
die Schaetze der Tempel und das goldene Tischgeraet des Koenigs mit
absichtlicher Ostentation zum Einschmelzen in die Muenze; mit tiefer
Erbitterung schauten die aberglaeubisch frommen und der weltberuehmten
Pracht ihres Hofes wie eines eigenen Besitzes sich erfreuenden Aegypter
die nackten Waende ihrer Tempel und die hoelzernen Becher auf der Tafel
ihres Koenigs. Auch die roemische Okkupationsarmee, welche durch den
langen Aufenthalt in Aegypten und die vielen Zwischenheiraten zwischen
den Soldaten und aegyptischen Maedchen wesentlich denationalisiert war
und ueberdies eine Menge alter Soldaten des Pompeius und verlaufener
italischer Verbrecher und Sklaven in ihren Reihen zaehlte, grollte
Caesar, auf dessen Befehl sie ihre Aktion an der syrischen Grenze hatte
einstellen muessen, und seiner Handvoll hochmuetiger Legionaere. Schon
der Auflauf bei der Landung, als die Menge die roemischen Beile in die
alte Koenigsburg tragen sah, und die zahlreichen Meuchelmorde, welche
gegen seine Soldaten in der Stadt veruebt wurden, hatten Caesar darueber
belehrt, in welcher ungeheuren Gefahr er mit seinen wenigen Leuten
dieser erbitterten Menge gegenueber schwebte. Allein die Umkehr war
wegen der in dieser Jahreszeit herrschenden Nordwestwinde schwierig, und
der Versuch der Einschiffung konnte leicht das Signal zum Ausbruch
der Insurrektion werden; ueberhaupt lag es nicht in Caesars Art,
unverrichteter Sache sich davonzumachen. Er beorderte also zwar sogleich
Verstaerkungen aus Asien herbei, trug aber, bis diese eintrafen,
zunaechst die groesste Sicherheit zur Schau. Nie war es lustiger in
seinem Lager hergegangen als waehrend dieser alexandrinischen Rast; und
wenn die schoene und geistreiche Kleopatra mit ihren Reizen ueberhaupt
nicht, und am wenigsten gegen ihren Richter, sparsam war, so schien auch
Caesar unter all seinen Siegen die ueber schoene Frauen am hoechsten
zu schaetzen. Es war ein lustiges Vorspiel zu sehr ernsten Auftritten.
Unter Fuehrung des Achillas und, wie spaeter sich auswies, auf geheimen
Befehl des Koenigs und seines Vormundes, erschien die in Aegypten
stehende roemische Okkupationsarmee unvermutet in Alexandreia; und sowie
die Buergerschaft sah, dass sie kam, um Caesar anzugreifen, machte sie
mit den Soldaten gemeinschaftliche Sache. Mit einer Geistesgegenwart,
die seine fruehere Tolldreistigkeit gewissermassen rechtfertigt, raffte
Caesar schleunigst seine zerstreuten Mannschaften zusammen, bemaechtigte
sich der Person des Koenigs und seiner Minister, verschanzte sich in
der koeniglichen Burg und dem benachbarten Theater, liess, da es an Zeit
gebrach, die in dem Haupthafen unmittelbar vor dem Theater stationierte
Kriegsflotte in Sicherheit zu bringen, dieselbe anzuenden und die den
Hafen beherrschende Leuchtturminsel Pharos durch Boote besetzen. So war
wenigstens eine beschraenkte Verteidigungsstellung gewonnen und der Weg
offen gehalten, um Zufuhr und Verstaerkungen herbeizuschaffen. Zugleich
ging dem Kornmandanten von Kleinasien sowie den naechsten untertaenigen
Landschaften, den Syrern und Nabataeern, den Kretensern und den
Rhodiern, der Befehl zu, schleunigst Truppen und Schiffe nach Aegypten
zu senden. Die Insurrektion, an deren Spitze die Prinzessin Arsinoe und
deren Vertreter, der Eunuch Ganymedes, sich gestellt hatten, schaltete
indes frei in ganz Aegypten und in dem groessten Teil der Hauptstadt,
in deren Strassen taeglich gefochten ward, ohne dass es weder Caesar
gelang, sich freier zu entwickeln und bis zu dem hinter der Stadt
befindlichen Suesswassersee von Marea durchzubrechen, wo er sich mit
Wasser und mit Fourage haette versorgen koennen, noch den Alexandrinern,
der Belagerten Herr zu werden und sie alles Trinkwassers zu berauben;
denn als die Nilkanaele in Caesars Stadtteil durch hineingeleitetes
Seewasser verdorben waren, fand sich unerwartet trinkbares Wasser in
den am Strande gegrabenen Brunnen. Da Caesar von der Landseite nicht
zu ueberwaeltigen war, richteten sich die Anstrengungen der Belagerer
darauf, seine Flotte zu vernichten und ihn von der See abzuschneiden,
auf der die Zufuhr ihm zukam. Die Leuchtturminsel und der Damm, durch
den diese mit dem Festland zusammenhing, teilte den Hafen in eine
westliche und eine oestliche Haelfte, die durch zwei Bogenoeffnungen des
Dammes miteinander in Verbindung standen. Caesar beherrschte die Insel
und den Osthafen, waehrend der Damm und der Westhafen im Besitz der
Buergerschaft war, und seine Schiffe fuhren, da die alexandrinische
Flotte verbrannt war, ungehindert ab und zu. Die Alexandriner, nachdem
sie vergeblich versucht hatten, aus dem Westhafen in den oestlichen
Brander einzufuehren, stellten darauf mit den Resten ihres Arsenals ein
kleines Geschwader her und verlegten damit Caesars Schiffen den Weg, als
dieselben eine Transportflotte mit einer aus Kleinasien nachgekommenen
Legion hereinbugsierten; indes wurden Caesars vortreffliche rhodische
Seeleute des Feindes Herr. Nicht lange darauf nahmen indes die Buerger
die Leuchtturminsel weg ^8 und sperrten von da aus die schmale und
klippige Muendung des Osthafens fuer groessere Schiffe gaenzlich;
so dass Caesars Flotte genoetigt war, auf der offenen Reede vor dem
Osthafen zu stationieren und seine Verbindung mit der See nur noch
an einem schwachen Faden hing. Caesars Flotte, auf jener Reede
zu wiederholten Malen von der ueberlegenen feindlichen Seemacht
angegriffen, konnte weder dem ungleichen Kampf ausweichen, da der
Verlust der Leuchtturminsel ihr den inneren Hafen verschloss, noch
auch das Weite suchen, da der Verlust der Reede Caesar ganz von der See
abgesperrt haben wuerde. Wenn auch die tapfern Legionaere, unterstuetzt
durch die Gewandtheit der rhodischen Matrosen, bisher noch immer diese
Gefechte zu Gunsten der Roemer entschieden hatten, so erneuerten und
steigerten doch die Alexandriner mit unermuedeter Beharrlichkeit ihre
Flottenruestungen; die Belagerten mussten schlagen, so oft es den
Belagerern beliebte, und wurden jene ein einziges Mal ueberwunden, so
war Caesar vollstaendig eingeschlossen und wahrscheinlich verloren.
Es ward schlechterdings noetig, einen Versuch zur Wiedergewinnung der
Leuchtturminsel zu machen. Der zwiefache Angriff, der durch Boote von
der Hafen-, durch die Kriegsschiffe von der Seeseite her gemacht ward,
brachte in der Tat nicht bloss die Insel, sondern auch den unteren Teil
des Dammes in Caesars Gewalt; erst bei der zweiten Bogenoeffnung des
Dammes befahl Caesar anzuhalten und den Damm hier gegen die Stadt zu
durch einen Querwall zu sperren. Allein waehrend hier um die Schanzenden
ein hitziges Gefecht sich entspann, entbloessten die roemischen Truppen
den unteren, an die Insel anstossenden Teil des Dammes; unversehens
landete hier eine Abteilung Aegypter, griff die auf dem Damm am Querwall
zusammengedraengten roemischen Soldaten und Matrosen von hinten an und
sprengte die ganze Masse in wilder Verwirrung in das Meer. Ein Teil ward
von den roemischen Schiffen aufgenommen; die meisten ertranken. Etwa 400
Soldaten und eine noch groessere Zahl von der Flottenmannschaft wurden
das Opfer dieses Tages; der Feldherr selbst, der das Schicksal der
Seinigen geteilt, hatte sich auf sein Schiff und, als dieses von
Menschen ueberschwert sank, schwimmend auf ein anderes retten muessen.
Indes so empfindlich auch der erlittene Verlust war, er ward durch
den Wiedergewinn der Leuchtturminsel, die samt dem Damm bis zur ersten
Bogenoeffnung in Caesars Haenden blieb, reichlich aufgewogen. Endlich
kam der ersehnte Entsatz. Mithradates von Pergamon, ein tuechtiger
Kriegsmann aus der Schule des Mithradates Eupator, dessen natuerlicher
Sohn er zu sein behauptete, fuehrte zu Lande von Syrien her eine
buntscheckige Armee heran: die Ityraeer des Fuersten von Libanos,
die Beduinen des Jamblichos, Sampsikeramos' Sohn, die Juden unter dem
Minister Antipatros, ueberhaupt die Kontingente der kleinen Haeuptlinge
und Gemeinden Kilikiens und Syriens. Von Pelusion, das Mithradates
am Tage seiner Ankunft zu besetzen geglueckt war, schlug er, um das
durchschnittene Terrain des Delta zu vermeiden und den Nil vor seiner
Teilung zu ueberschreiten, die grosse Strasse nach Memphis ein, wobei
seine Truppen von den besonders in diesem Teil Aegyptens zahlreich
ansaessigen Juden vielfache landsmannschaftliche Unterstuetzung
empfingen. Die Aegypter, jetzt den jungen Koenig Ptolemaeos an der
Spitze, welchen Caesar in der vergeblichen Hoffnung, die Insurrektion
durch ihn zu beschwichtigen, zu den Seinigen entlassen hatte, entsandten
ein Heer auf dem Nil, um Mithradates auf dessen jenseitigem Ufer
festzuhalten. Dasselbe traf auch, noch jenseits Memphis bei dem
sogenannten Judenlager, zwischen Omion und Heliopolis, auf den Feind;
allein Mithradates, geuebt, in roemischer Weise zu manoevrieren und zu
lagern, gewann dennoch unter gluecklichen Gefechten das andere Ufer
bei Memphis. Caesar andererseits, sowie er von dem Eintreffen der
Entsatzarmee Kunde erhielt, fuehrte einen Teil seiner Truppen auf
Schiffen an die Spitze des Sees von Marea westlich von Alexandreia
und marschierte um diesen herum und den Nil hinab dem flussaufwaerts
herankommenden Mithradates entgegen. Die Vereinigung erfolgte, ohne dass
der Feind sie zu hindern versucht haette. Caesar rueckte dann in das
Delta, wohin der Koenig sich zurueckgezogen hatte, warf, trotz des
tiefeingeschnittenen Kanals vor ihrer Front, die aegyptische Vorhut
im ersten Anlauf und stuermte sofort das aegyptische Lager selbst. Es
befand sich am Fuss einer Anhoehe zwischen dem Nil, von dem nur ein
schmaler Weg es trennte, und schwer zugaenglichen Suempfen. Caesar liess
zugleich von vorn und seitwaerts auf dem Weg am Nil das Lager berennen
und waehrend dieses Sturmes ein drittes Detachement die Anhoehen hinter
dem Lager ungesehen ersteigen. Der Sieg war vollstaendig; das Lager
ward genommen und was von den Aegyptern nicht unter den feindlichen
Schwertern fiel, ertrank bei dem Versuch, zu der Nilflotte zu entkommen.
Mit einem der Boote, die mit Menschen ueberladen sanken, verschwand auch
der junge Koenig in den Wellen seines heimischen Stromes. Unmittelbar
vom Schlachtfeld rueckte Caesar von der Landseite her geradeswegs an
der Spitze seiner Reiterei in den von den Aegyptern besetzten Teil
der Hauptstadt. Im Trauergewande, ihre Goetterbilder in den Haenden,
empfingen ihn um Friede bittend die Feinde, die Seinigen aber, da
sie ihn von der anderen Seite, als von der er ausgezogen als Sieger
wiederkehren sahen, mit grenzenlosem Jubel. Das Schicksal der Stadt, die
den Herrn der Welt in seinen Plaenen zu kreuzen gewagt und um ein Haar
seinen Untergang herbeigefuehrt hatte, lag in Caesars Hand; allein
er war zu sehr Regent, um empfindlich zu sein, und verfuhr mit den
Alexandrinern wie mit den Massalioten. Caesar, hinweisend auf die arg
verwuestete und bei Gelegenheit des Flottenbrandes ihrer Kornmagazine,
ihrer weltberuehmten Bibliothek und anderer bedeutender oeffentlicher
Gebaeude beraubte Stadt, ermahnte die Einwohnerschaft, sich kuenftig
allein der Kuenste des Friedens ernstlich zu befleissigen und die Wunden
zu heilen, die sie sich selber geschlagen; uebrigens begnuegte er sich,
den in Alexandreia angesessenen Juden dieselben Rechte zu gewaehren,
deren die griechische Stadtbevoelkerung genoss, und anstatt der
bisherigen, wenigstens dem Namen nach den Koenigen von Aegypten
gehorchenden roemischen Okkupationsarmee eine foermliche roemische
Besatzung, zwei der daselbst belagerten und eine dritte spaeter aus
Syrien nachgekommene Legion, unter einem von ihm selbst ernannten
Befehlshaber nach Alexandreia zu legen. Zu diesem Vertrauensposten ward
absichtlich ein Mann ausersehen, dessen Geburt es ihm unmoeglich machte,
denselben zu missbrauchen, Rufio, ein tuechtiger Soldat, aber eines
Freigelassenen Sohn. Das Regiment Aegyptens unter Roms Oberhoheit
erhielten Kleopatra und deren juengerer Bruder Ptolemaeos; die
Prinzessin Arsinoe ward, um nicht den nach orientalischer Art
der Dynastie ebenso ergebenen wie gegen den einzelnen Dynasten
gleichgueltigen Aegyptern abermals als Vorwand fuer Insurrektionen
zu dienen, nach Italien abgefuehrt; Kypros wurde wieder ein Teil der
roemischen Provinz Kilikien. ---------------------------------------
^8 Der Verlust der Leuchtturminsel muss in der Luecke Bell. Alex. 12
ausgefallen sein, da die Insel anfaenglich ja in Caesars Gewalt war
(civ. 3,112; Bell. Alex. 8). Der Damm muss bestaendig in der Gewalt
der Feinde gewesen sein, da Caesar mit der Insel nur durch Schiffe
verkehrte. ----------------------------------------- Dieser
alexandrinische Aufstand, so geringfuegig er an sich war und so wenig
er innerlich zusammenhing mit den weltgeschichtlichen Ereignissen, die
zugleich im roemischen Staate sich vollzogen, griff dennoch insofern in
dieselben folgenreich ein, als er den Mann, der alles in allem war und
ohne den nichts gefoerdert und nichts geloest werden konnte, vom Oktober
706 (48) bis zum Maerz 707 (47) noetigte, seine eigentlichen Aufgaben
liegen zu lassen, um mit Juden und Beduinen gegen einen Stadtpoebel
zu kaempfen. Die Folgen des persoenlichen Regiments fingen an, sich
fuehlbar zu machen. Man hatte die Monarchie; aber ueberall herrschte
die entsetzlichste Verwirrung und der Monarch war nicht da. Ebenwie die
Pompeianer waren augenblicklich auch die Caesarianer ohne obere Leitung;
es entschied ueberall die Faehigkeit der einzelnen Offiziere und vor
allen Dingen der Zufall. In Kleinasien stand bei Caesars Abreise nach
Aegypten kein Feind. Indes hatte Caesars Statthalter daselbst, der
tuechtige Gnaeus Domitius Calvinus, Befehl erhalten, dem Koenig
Pharnakes wiederabzunehmen, was derselbe den Verbuendeten des Pompeius
ohne Auftrag entrissen hatte; und da dieser, ein starrkoepfiger und
uebermuetiger Despot wie sein Vater, die Raeumung Klein- Armeniens
beharrlich verweigerte, so blieb nichts uebrig, als gegen
ihn marschieren zu lassen. Calvinus hatte von den drei ihm
zurueckgelassenen, aus pharsalischen Kriegsgefangenen gebildeten
Legionen zwei nach Aegypten absenden muessen; er ergaenzte die
Luecke durch eine eiligst aus den im Pontus domizilierten Roemern
zusammengeraffte und zwei nach roemischer Art exerzierte Legionen des
Deiotarus und rueckte in Klein-Armenien ein. Allein das bosporanische,
in zahlreichen Kaempfen mit den Anwohnern des Schwarzen Meeres erprobte
Heer erwies sich tuechtiger als das seinige. In dem Treffen bei
Nikopolis ward Calvinus' pontisches Aufgebot zusammengehauen und liefen
die galatischen Legionen davon; nur die eine alte Legion der Roemer
schlug mit maessigem Verlust sich durch. Statt Klein-Armenien zu
erobern, konnte Calvinus nicht einmal verhindern, dass Pharnakes sich
seiner pontischen "Erbstaaten" wieder bemaechtigte und ueber deren
Bewohner, namentlich die ungluecklichen Amisener, die ganze Schale
seiner scheusslichen Sultanslaunen ausgoss (Winter 706/07 48/47). Als
dann Caesar selbst in Kleinasien eintraf und ihm sagen liess, dass der
Dienst, den Pharnakes ihm persoenlich geleistet, indem er Pompeius
keine Hilfe gewaehrt habe, nicht in Betracht kommen duerfe gegen den
dem Reiche zugefuegten Schaden und dass vor jeder Unterhandlung er
die Provinz Pontus raeumen und das geraubte Gut zurueckstellen muesse,
erklaerte er sich zwar bereit zu gehorchen; aber wohl wissend, wie guten
Grund Caesar hatte, nach dem Westen zu eilen, machte er dennoch keine
ernstlichen Anstalten zur Raeumung. Er wusste nicht, dass Caesar abtat,
was er angriff. Ohne weiter zu verhandeln, nahm Caesar die eine von
Alexandreia mitgebrachte Legion und die Truppen des Calvinus und
Deiotarus zusammen und rueckte gegen Pharnakes' Lager bei Ziela. Wie
die Bosporaner ihn kommen sahen, durchschritten sie keck den tiefen
Bergspalt, der ihre Front deckte, und griffen den Huegel hinauf
die Roemer an. Caesars Soldaten waren noch mit dem Lagerschlagen
beschaeftigt und einen Augenblick schwankten die Reihen; allein die
kriegsgewohnten Veteranen sammelten sich rasch und gaben das Beispiel
zum allgemeinen Angriff und zum vollkommenen Siege (2. August 707 47).
In fuenf Tagen war der Feldzug beendigt - zu dieser Zeit, wo jede Stunde
kostbar war, ein unschaetzbarer Gluecksfall. Mit der Verfolgung des
Koenigs, der ueber Sinope heimgegangen war, beauftragte Caesar des
Pharnakes illegitimen Bruder, den tapferen Mithradates von Pergamon,
welcher zum Lohn fuer die in Aegypten geleisteten Dienste an Pharnakes'
Stelle die bosporanische Koenigskrone empfing. Im uebrigen wurden die
syrischen und kleinasiatischen Angelegenheiten friedlich geschlichtet,
die eigenen Bundesgenossen reich belohnt, die des Pompeius im ganzen
mit Geldbussen oder Verweisen entlassen. Nur der maechtigste unter den
Klienten des Pompeius, Deiotarus, wurde wieder auf sein angestammtes
enges Gebiet, den tolistobogischen Gau, beschraenkt. An seiner Stelle
ward mit Klein-Armenien Koenig Ariobarzanes von Kappadokien belehnt, mit
dem von Deiotarus usurpierten Vierfuerstentum der Trokmer aber der neue
Koenig des Bosporus, welcher wie von vaeterlicher Seite dem pontischen,
so von muetterlicher einem der galatischen Fuerstengeschlechter
entstammte. Auch in Illyrien hatten, waehrend Caesar in Aegypten war,
sehr ernsthafte Auftritte sich zugetragen. Die delmatische Kueste war
seit Jahrhunderten ein wunder Fleck der roemischen Herrschaft und die
Bewohner mit Caesar seit den Kaempfen um Dyrrhachion in offener Fehde;
im Binnenland aber wimmelte es noch von dem thessalischen Kriege her von
versprengten Pompeianern. Indes hatte Quintus Cornificius mit den
aus Italien nachrueckenden Legionen sowohl die Eingeborenen wie die
Fluechtlinge im Zaum gehalten und zugleich der in diesen rauben Gegenden
so schwierigen Verpflegung der Truppen genuegt. Selbst als der
tuechtige Marcus Octavius, der Sieger von Curicta, mit einem Teil der
Pompeianischen Flotte in diesen Gewaessern erschien, um hier zur See und
zu Lande den Krieg gegen Caesar zu leiten, wusste Cornificius, gestuetzt
auf die Schiffe und den Hafen der Iadestiner (Zara), nicht bloss sich
zu behaupten, sondern bestand auch selbst zur See gegen die Flotte des
Gegners manches glueckliche Gefecht. Aber als der neue Statthalter von
Illyrien, der von Caesar aus dem Exil zurueckberufene Aulus Gabinius,
mit fuenfzehn Kohorten und 3000 Reitern im Winter 706/07 (48/47) auf
dem Landweg in Illyrien eintraf, wechselte das System der Kriegfuehrung.
Statt wie sein Vorgaenger sich auf den kleinen Krieg zu beschraenken,
unternahm der kuehne taetige Mann sogleich, trotz der rauben Jahreszeit,
mit seiner gesamten Streitmacht eine Expedition in die Gebirge. Aber die
unguenstige Witterung, die Schwierigkeit der Verpflegung und der
tapfere Widerstand der Delmater rieben das Heer auf; Gabinius musste
den Rueckzug antreten, ward auf diesem von den Delmatern angegriffen
und schmaehlich geschlagen, und erreichte mit den schwachen Ueberresten
seiner stattlichen Armee muehsam Salome, wo er bald darauf starb. Die
meisten illyrischen Kuestenstaedte ergaben sich hierauf der Flotte des
Octavius; die an Caesar festhielten, wie Salome und Epidauros (Ragusa
vecchia), wurden von der Flotte zur See, zu Lande von den Barbaren so
heftig bedraengt, dass die Uebergabe und die Kapitulation der in Salome
eingeschlossenen Heerestruemmer nicht mehr fern schien. Da liess der
Kommandant des brundisischen Depots, der energische Publius Vatinius,
in Ermangelung von Kriegsschiffen gewoehnliche Boote mit Schnaebeln
versehen und sie mit den aus den Hospitaelern entlassenen Soldaten
bemannen und lieferte mit dieser improvisierten Kriegsflotte der weit
ueberlegenen Octavianischen bei der Insel Tauris (Torcola zwischen
Lelina und Curzola) ein Treffen, in dem die Tapferkeit des Anfuehrers
und der Schiffssoldaten wie so oft ersetzte, was den Schiffen abging,
und die Caesarianer einen glaenzenden Sieg erfochten. Marcus Octavius
verliess diese Gewaesser und begab sich nach Afrika (Fruehjahr 707 47);
die Delmater setzten zwar noch Jahre lang mit grosser Hartnaeckigkeit
sich zur Wehr, allein es war dies nichts als ein oertlicher
Gebirgskrieg. Als Caesar aus Aegypten zurueckkam, hatte sein
entschlossener Adjutant die in Illyrien drohende Gefahr bereits
beseitigt. Um so ernster stand es in Afrika, wo die Verfassungspartei
vom Anfang des Buergerkrieges an unumschraenkt geherrscht und ihre Macht
fortwaehrend gesteigert hatte. Bis zur Pharsalischen Schlacht hatte
hier eigentlich Koenig Juba das Regiment gefuehrt; er hatte Curio
ueberwunden, und die Kraft des Heeres waren seine fluechtigen Reiter und
seine zahllosen Schuetzen; der Pompeianische Statthalter Varus spielte
neben ihm eine so subalterne Rolle, dass er sogar diejenigen Soldaten
Curios, die sich ihm ergeben hatten, dem Koenig hatte ausliefern
und deren Hinrichtung oder Abfuehrung in das innere Numidien hatte
mitansehen muessen. Dies aenderte sich nach der Pharsalischen Schlacht.
An eine Flucht zu den Parthern dachte, mit Ausnahme des Pompeius selbst,
kein namhafter Mann der geschlagenen Partei. Ebensowenig versuchte
man, die See mit vereinten Kraeften zu behaupten; Marcus Octavius'
Kriegfuehrung in den illyrischen Gewaessern stand vereinzelt und war
ohne dauernden Erfolg. Die grosse Majoritaet der Republikaner wie der
Pompeianer wandte sich nach Afrika, wo allein noch ein ehrenhafter und
verfassungsmaessiger Kampf gegen den Usurpator moeglich schien.
Dort fanden die Truemmer der bei Pharsalos zersprengten Armee, die
Besatzungstruppen von Dyrrhachion, Kerkyra und dem Peloponnes, die Reste
der illyrischen Flotte sich allmaehlich zusammen; es trafen dort ein
der zweite Oberfeldherr Metellus Scipio, die beiden Soehne des Pompeius,
Gnaeus und Sextus, der politische Fuehrer der Republikaner Marcus Cato,
die tuechtigen Offiziere Labienus, Afranius, Petreius, Octavius und
andere. Wenn die Kraefte der Emigration verringert waren, so hatte
dagegen ihr Fanatismus sich womoeglich noch gesteigert. Man fuhr nicht
bloss fort, die Gefangenen und selbst die Parlamentaere Caesars zu
ermorden, sondern Koenig Juba, in dem die Erbitterung des Parteimannes
mit der Wut des halbbarbarischen Afrikaners zusammenfloss, stellte die
Maxime auf, dass in jeder der Sympathien mit dem Feinde verdaechtigen
Gemeinde die Buergerschaft ausgerottet und die Stadt niedergebrannt
werden muesse, und fuehrte auch gegen einige Ortschaften, zum Beispiel
das unglueckliche Vaga bei Hadrumetum, diese Theorie in der Tat
praktisch durch. Ja dass nicht die Hauptstadt der Provinz selber, das
bluehende, ebenwie einst Karthago von den numidischen Koenigen laengst
mit scheelem Auge angesehene Utica, von Koenig Juba dieselbe Behandlung
erfuhr und dass man gegen die, allerdings nicht mit Unrecht, der
Hinneigung zu Caesar beschuldigte Buergerschaft mit Vorsichtsmassregeln
sich begnuegte, hatte sie nur Catos energischem Auftreten zu danken. Da
weder Caesar selbst noch einer seiner Statthalter das geringste gegen
Afrika unternahm, so hatte die Koalition vollkommen Zeit, sich
dort politisch und militaerisch zu reorganisieren. Vor allem war es
notwendig, die durch Pompeius' Tod erledigte Oberfeldherrnstelle aufs
neue zu besetzen. Koenig Juba hatte nicht uebel Lust, die Stellung, die
er bis auf die Pharsalische Schlacht in Afrika gehabt, auch ferner zu
behaupten; wie er denn ueberhaupt nicht mehr als Klient der Roemer,
sondern als gleichberechtigter Verbuendeter oder gar als Schutzherr
auftrat und zum Beispiel es sich herausnahm, roemisches Silbergeld mit
seinem Namen und Wappen zu schlagen, ja sogar den Anspruch erhob, allein
im Lager den Purpur zu fuehren und den roemischen Heerfuehrern ansann,
den purpurnen Feldherrnmantel abzulegen. Metellus Scipio ferner
forderte den Oberbefehl fuer sich, weil Pompeius ihn, mehr aus
schwiegersoehnlichen als aus militaerischen Ruecksichten, im
thessalischen Feldzug als sich gleichberechtigt anerkannt hatte.
Die gleiche Forderung erhob Varus als - freilich selbsternannter -
Statthalter von Afrika, da der Krieg in seiner Provinz gefuehrt werden
sollte. Endlich die Armee begehrte zum Fuehrer den Propraetor Marcus
Cato. Offenbar hatte sie recht. Cato war der einzige Mann, der fuer das
schwere Amt die erforderliche Hingebung, Energie und Autoritaet besass;
wenn er kein Militaer war, so war es doch unendlich besser, einen
Nichtmilitaer, der sich zu bescheiden und seine Unterfeldherrn handeln
zu lassen verstand, als einen Offizier von unerprobter Faehigkeit, wie
Varus, oder gar einen von erprobter Unfaehigkeit, wie Metellus Scipio,
zum Oberfeldherrn zu bestellen. Indes die Entscheidung fiel schliesslich
auf ebendiesen Scipio, und Cato selbst war es, der sie im wesentlichen
bestimmte. Es geschah dies nicht, weil er jener Aufgabe sich nicht
gewachsen fuehlte oder weil seine Eitelkeit bei dem Ausschlagen mehr
ihre Rechnung fand als bei dem Annehmen; noch weniger, weil er Scipio
liebte oder achtete, mit dem er vielmehr persoenlich verfeindet war und
der ueberall bei seiner notorischen Untuechtigkeit einzig durch seine
Schwiegervaterschaft zu einer gewissen Bedeutung gelangt war; sondern
einzig und allein, weil sein verbissener Rechtsformalismus lieber die
Republik von Rechts wegen zugrunde gehen liess, als sie auf irregulaere
Weise rettete. Als er nach der Pharsalischen Schlacht auf Kerkyra mit
Marcus Cicero zusammentraf, hatte er sich erboten, diesem, der noch von
seiner kilikischen Statthalterschaft her mit der Generalschaft behaftet
war, als dem hoeherstehenden Offizier, wie es Rechtens war, das Kommando
in Kerkyra zu uebertragen und den ungluecklichen Advokaten, der
seine Lorbeeren vom Amanos jetzt tausendmal verwuenschte, durch
diese Bereitwilligkeit fast zur Verzweiflung, aber auch alle halbwegs
einsichtigen Maenner zum Erstaunen gebracht. Die gleichen Prinzipien
wurden hier geritten, wo etwas mehr darauf ankam; Cato erwog die Frage,
wem die Oberfeldherrnstelle gebuehre, als handelte es sich um ein
Ackerfeld bei Tusculum, und sprach sie dem Scipio zu. Durch diesen
Ausspruch wurde seine eigene und die Kandidatur des Varus beseitigt.
Er war es aber auch, und er allein, der mit Energie den Anspruechen des
Koenigs Juba entgegentrat und es ihn fuehlen liess, dass der roemische
Adel zu ihm nicht bittend komme wie zu dem Grossfuersten der Parther,
um bei dem Schutzherrn Beistand zu suchen, sondern befehlend und von dem
Untertan Beistand fordernd. Bei dem gegenwaertigen Stande der roemischen
Streitkraefte in Afrika konnte Juba nicht umhin, etwas gelindere Saiten
aufzuziehen, obgleich er freilich bei dem schwachen Scipio es dennoch
durchsetzte, dass die Besoldung seiner Truppen der roemischen Kasse
aufgebuerdet und fuer den Fall des Sieges ihm die Abtretung der Provinz
Afrika zugesichert ward. Dem neuen Oberfeldherrn zur Seite trat wiederum
der Senat der "Dreihundert", der in Utica seinen Sitz aufschlug
und seine gelichteten Reihen durch Aufnahme der angesehensten und
vermoegendsten Maenner des Ritterstandes ergaenzte. Die Ruestungen
wurden, hauptsaechlich durch Catos Eifer, mit der groessten Energie
gefoerdert und jeder waffenfaehige Mann, selbst Freigelassene und
Libyer, in die Legionen eingestellt; wodurch dem Ackerbau die Haende so
sehr entzogen wurden, dass ein grosser Teil der Felder unbestellt blieb,
aber allerdings auch ein imposantes Resultat erzielt ward. Das schwere
Fussvolk zaehlte vierzehn Legionen, wovon zwei bereits durch Varus
aufgestellt, acht andere teils aus den Fluechtigen, teils aus den in der
Provinz Konskribierten gebildet und vier roemisch bewaffnete Legionen
des Koenigs Juba waren. Die schwere Reiterei, bestehend aus den mit
Labienus eingetroffenen Kelten und Deutschen und allerlei darunter
eingereihten Leuten, war ohne Jubas roemisch geruestete Reiterschar 1600
Mann stark. Die leichten Truppen bestanden aus zahllosen Massen
ohne Zaum und Zuegel reitender und bloss mit Wurfspeeren bewaffneter
Numidier, aus einer Anzahl berittener Bogenschuetzen und grossen
Schwaermen von Schuetzen zu Fuss. Dazu kamen endlich Jubas 120 Elefanten
und die von Publius Varus und Marcus Octavius befehligte 55 Segel
starke Flotte. Dem drueckenden Geldmangel wurde einigermassen durch eine
Selbstbesteuerung des Senats abgeholfen, die um so ergiebiger war,
als die reichsten afrikanischen Kapitalisten in denselben einzutreten
veranlasst worden waren. Getreide und andere Vorraete hatte man in
den verteidigungsfaehigen Festungen in ungeheuren Massen aufgehaeuft,
zugleich aus den offenen Ortschaften die Vorraete moeglichst entfernt.
Die Abwesenheit Caesars, die schwierige Stimmung seiner Legionen, die
Gaerung in Spanien und Italien hoben allmaehlich die Stimmung, und die
Erinnerung an die Pharsalische Schlacht fing an, neuen Siegeshoffnungen
zu weichen. Die von Caesar in Aegypten verlorene Zeit raechte nirgend
sich schwerer als hier. Haette er unmittelbar nach Pompeius' Tode
sich nach Afrika gewendet, so wuerde er daselbst ein schwaches,
desorganisiertes und konsterniertes Heer und vollstaendige Anarchie
unter den Fuehrern vorgefunden haben; wogegen jetzt, namentlich durch
Catos Energie, eine der bei Pharsalos geschlagenen an Zahl gleiche
Armee unter namhaften Fuehrern und unter einer geregelten Oberleitung in
Afrika stand. Es schien ueberhaupt ueber dieser afrikanischen Expedition
Caesars ein eigener Unstern zu walten. Noch vor seiner Einschiffung nach
Aegypten hatte Caesar in Spanien und Italien verschiedene Massregeln zur
Einleitung und Vorbereitung des afrikanischen Krieges angeordnet; aus
allen war aber nichts als Unheil entsprungen. Von Spanien aus sollte,
Caesars Anordnung zufolge, der Statthalter der suedlichen Provinz,
Quintus Cassius Longinus, mit vier Legionen nach Afrika uebersetzen,
dort den Koenig Bogud von Westmauretanien ^9 an sich ziehen und mit ihm
gegen Numidien und Afrika vorgehen. Aber jenes nach Afrika bestimmte
Heer schloss eine Menge geborener Spanier und zwei ganze ehemals
Pompeianische Legionen in sich; Pompeianische Sympathien herrschten
in der Armee wie in der Provinz, und das ungeschickte und tyrannische
Auftreten des Caesarischen Statthalters war nicht geeignet, sie zu
beschwichtigen. Es kam foermlich zum Aufstande; Truppen und Staedte
ergriffen Partei fuer oder gegen den Statthalter; schon war es darauf
oder daran, dass die, welche gegen den Statthalter Caesars sich erhoben
hatten, offen die Fahne des Pompeius aufsteckten; schon hatte Pompeius'
aeltester Sohn Gnaeus, um diese guenstige Wendung zu benutzen, sich von
Afrika nach Spanien eingeschifft, als die Desavouierung des Statthalters
durch die angesehensten Caesarianer selbst und das Einschreiten des
Befehlshabers der noerdlichen Provinz den Aufstand eben noch rechtzeitig
unterdrueckten. Gnaeus Pompeius, der unterwegs mit einem vergeblichen
Versuch, sich in Mauretanien festzusetzen, Zeit verloren hatte, kam zu
spaet; Gaius Trebonius, den Caesar nach seiner Heimkehr aus dem Osten
zur Abloesung des Cassius nach Spanien sandte (Herbst 707 47), fand
ueberall unweigerlichen Gehorsam. Aber natuerlich war ueber diesen
Irrungen von Spanien aus nichts geschehen, um die Organisation der
Republikaner in Afrika zu stoeren; ja es war sogar, infolge der
Verwicklungen mit Longinus, Koenig Bogud von Westmauretanien, der auf
Caesars Seite stand und wenigstens Koenig Juba einige Hindernisse haette
in den Weg legen koennen, mit seinen Truppen nach Spanien
abgerufen worden.
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^9 Die Staatengestaltung im nordwestlichen Afrika waehrend dieser Zeit
liegt sehr im Dunkel. Nach dem Jugurthinischen Kriege herrschte Koenig
Bocchus von Mauretanien wahrscheinlich vom westlichen Meere bis zum
Hafen von Saldae, in dem heutigen Marokko und Algier; die von den
mauretanischen Oberkoenigen wohl von Haus aus verschiedenen Fuersten
von Tingis (Tanger), die schon frueher vorkommen (Plut. Sert. 9) und zu
denen vermutlich Sallusts (hist. 3, 31 Kritz) Leptasta und Ciceros
(Vat. 5, 12) Mastanesosus gehoeren, moegen in beschraenkten Grenzen
selbstaendig gewesen oder auch bei ihm zu Lehen gegangen sein; aehnlich
wie schon Syphax ueber viele Stammfuersten gebot (App. Pun. 10) und um
diese Zeit in dem benachbarten Numidien Cirta, wahrscheinlich doch unter
Jubas Oberherrlichkeit, von dem Fuersten Massinissa besessen ward (App.
civ. 4, 54). Um 672 (82) finden wir an Bocchus' Stelle einen Koenig
Bocud oder Bogud (Oros. hist. 5, 21, 14), des Bocchus Sohn. Von 705
(49) an erscheint das Reich geteilt zwischen dem Koenig Bogud, der die
westliche, und dem Koenig Bocchus, der die oestliche Haelfte besitzt und
auf welche die spaetere Scheidung Mauretaniens in Boguds Reich oder den
Staat von Tingis und Bocchus' Reich oder den Staat von Jol
(Caesarea) zurueckgeht (Plin. nat. 5, 2, 19, vergl. Bell. Afr. 23).
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Bedenklicher noch waren die Vorgaenge unter den Truppen, die Caesar im
suedlichen Italien hatte zusammenziehen lassen, um mit ihnen nach Afrika
ueberzuschiffen. Es waren groesstenteils die alten Legionen, die in
Gallien, Spanien, Thessalien Caesars Thron begruendet hatten. Den Geist
dieser Truppen hatten die Siege nicht gebessert, die lange Rast in
Unteritalien vollstaendig zerruettet. Die fast uebermenschlichen
Zumutungen, die der Feldherr an sie machte und deren Folgen in den
schrecklich gelichteten Reihen nur zu grell hervortraten, liessen selbst
in diesen Eisenmaennern einen Sauerteig des Grolls zurueck, der nur
der Zeit und Ruhe bedurfte, um die Gemueter in Gaerung zu bringen. Der
einzige Mann, der ihnen imponierte, war seit einem Jahre fern und fast
verschollen, ihre vorgesetzten Offiziere aber scheuten weit mehr sich
vor den Soldaten als diese vor ihnen und sahen den Weltbesiegern jede
Brutalitaet gegen ihre Quartiergeber und jede Indisziplin nach. Als nun
der Befehl, sich nach Sizilien einzuschiffen, kam und der Soldat das
ueppige Wohlleben in Kampanien wieder mit einer dritten, der spanischen
und thessalischen an Drangsalen sicher nicht nachstehenden
Kampagne vertauschen sollte, rissen die allzulange gelockerten und
allzuploetzlich wiederangezogenen Zuegel. Die Legionen weigerten sich
zu gehorchen, bevor die versprochenen Geschenke ihnen gezahlt seien,
und wiesen die von Caesar gesandten Offiziere mit Hohnreden, ja mit
Steinwuerfen zurueck. Ein Versuch, den beginnenden Aufstand durch
Steigerung der versprochenen Summen zu daempfen, hatte nicht bloss
keinen Erfolg, sondern die Soldaten brachen massenweise auf, um die
Erfuellung der Versprechungen in der Hauptstadt von dem Feldherrn zu
erpressen. Einzelne Offiziere, die die meuterischen Rotten unterwegs
zurueckzuhalten versuchten, wurden erschlagen. Es war eine furchtbare
Gefahr. Caesar liess die wenigen in der Stadt befindlichen Soldaten die
Tore besetzen, um die mit Recht befuerchtete Pluenderung wenigstens fuer
den ersten Anlauf abzuwehren, und erschien ploetzlich unter dem tobenden
Haufen mit der Frage, was sie begehrten. Man rief: den Abschied.
Augenblicklich ward er, wie gebeten, erteilt. Wegen der Geschenke,
fuegte Caesar hinzu, welche er fuer den Triumph seinen Soldaten zugesagt
habe, sowie wegen der Aecker, die er ihnen nicht versprochen, aber
bestimmt gehabt, moechten sie an dem Tage, wo er mit den anderen
Soldaten triumphieren werde, sich bei ihm melden; an dem Triumphe
selbst freilich koennten sie, als vorher entlassen, natuerlich
nicht teilnehmen. Auf diese Wendung waren die Massen nicht gefasst;
ueberzeugt, dass Caesar ihrer fuer den afrikanischen Feldzug nicht
entraten koenne, hatten sie den Abschied nur gefordert, um, wenn er
ihnen verweigert werde, daran ihre Bedingungen zu knuepfen. Halb
irre geworden in dem Glauben an ihre eigene Unentbehrlichkeit; zu
unbehilflich um wieder einzulenken und die verfahrene Unterhandlung in
das rechte Geleise zurueckzubringen; als Menschen beschaemt durch die
Treue, mit der der Imperator auch seinen treuvergessenen Soldaten Wort
hielt, und durch die Hochherzigkeit desselben, welche ebenjetzt weit
mehr gewaehrte, als er je zugesagt hatte; als Soldaten tief ergriffen,
da der Feldherr ihnen in Aussicht stellte, dem Triumph ihrer Kameraden
als Buergersleute zuschauen zu muessen und da er sie nicht mehr
"Kameraden" hiess, sondern "Buerger" und mit dieser aus seinem Munde
so fremdartig klingenden Anrede gleichsam mit einem Schlage ihre ganze
stolze Soldatenvergangenheit zerstoerte, und zu alledem unter dem Zauber
des unwiderstehlich gewaltigen Menschen - standen die Soldaten eine
Weile stumm und zaudernd, bis von allen Seiten der Ruf erscholl, dass
der Feldherr sie wieder zu Gnaden annehmen und es ihnen wieder gestatten
moege, Caesars Soldaten zu heissen. Caesar gestattete es, nachdem er
hinreichend sich hatte bitten lassen; den Raedelsfuehrern bei dieser
Meuterei aber wurde an ihren Triumphalgeschenken ein Dritteil gekuerzt.
Ein groesseres psychologisches Meisterstueck kennt die Geschichte nicht,
und keines, das vollstaendiger gelungen waere. Auf den afrikanischen
Feldzug wirkte diese Meuterei immerhin wenigstens insofern nachteilig
ein, als sie die Eroeffnung desselben betraechtlich verzoegerte. Als
Caesar in dem zur Einschiffung bestimmten Hafen von Lilybaeon eintraf,
waren die zehn nach Afrika bestimmten Legionen dort bei weitem noch
nicht vollstaendig versammelt und eben die erprobten Truppen noch am
weitesten zurueck. Indes kaum waren sechs Legionen, darunter fuenf
neu gebildete, daselbst angelangt und die noetigen Kriegs- und
Transportschiffe angekommen, als Caesar mit denselben in See stach (25.
Dezember 707 47 des unberichtigten, etwa 8. Oktober des
Julianischen Kalenders). Die feindliche Flotte, die der herrschenden
Aequinoktialstuerme wegen bei der Insel Aegimuros vor der Karthagischen
Bucht auf den Strand gezogen war, hinderte die Ueberfahrt nicht; allein
dieselben Stuerme zerstreuten die Flotte Caesars nach allen Richtungen,
und als Caesar unweit Hadrumetum (Susa) die Gelegenheit zu landen ersah,
konnte er nicht mehr als etwa 3000 Mann, groesstenteils Rekruten, und
150 Reiter ausschiffen. Der Versuch, das vom Feinde stark besetzte
Hadrumetum wegzunehmen, misslang; dagegen bemaechtigte Caesar sich der
beiden nicht weit voneinander entfernten Hafenplaetze Ruspina (Monastir
bei Susa) und Klein-Leptis. Hier verschanzte er sich; aber seine
Stellung war so unsicher, dass er seine Reiter auf den Schiffen
und diese segelfertig und mit Wasservorrat versehen hielt, um jeden
Augenblick, wenn er mit Uebermacht sollte angegriffen werden, wieder
sich einschiffen zu koennen. Indes war dies nicht noetig, da eben noch
zu rechter Zeit die verschlagenen Schiffe anlangten (3. Januar 708 46).
Gleich am folgenden Tage unternahm Caesar, dessen Heer infolge der von
den Pompeianern getroffenen Anstalten Mangel an Getreide litt, mit drei
Legionen einen Zug in das innere Land, ward aber nicht weit von
Ruspina auf dem Marsche von den Heerhaufen angegriffen, die Labienus
heranfuehrte, um Caesar von der Kueste zu vertreiben. Da Labienus
ausschliesslich Reiterei und Schuetzen, Caesar fast nichts als
Linieninfanterie hatte, so wurden die Legionen rasch umzingelt und den
Geschossen der Feinde preisgegeben, ohne sie erwidern oder mit Erfolg
angreifen zu koennen. Zwar machte die Deployierung der ganzen Linie die
Fluegel wieder frei und mutige Angriffe retteten die Ehre der Waffen;
allein der Rueckzug war unvermeidlich, und waere Ruspina nicht so nahe
gewesen, so haette der maurische Wurfspeer vielleicht hier dasselbe
ausgerichtet, was bei Karrhae der parthische Bogen. Caesar, den dieser
Tag von der ganzen Schwierigkeit des bevorstehenden Krieges ueberzeugt
hatte, wollte seine unerprobten und durch die neue Gefechtsweise
entmutigten Soldaten keinem solchen Angriff wieder aussetzen, sondern
wartete das Eintreffen seiner Veteranenlegionen ab. Die Zwischenzeit
wurde benutzt, um die drueckende Ueberlegenheit des Feindes in den
Fernwaffen einigermassen auszugleichen. Dass die geeigneten Leute von
der Flotte als leichte Reiter oder Schuetzen in die Landarmee eingereiht
wurden, konnte nicht viel helfen. Etwas mehr wirkten die von Caesar
veranlassten Diversionen. Es gelang, die am suedlichen Abhang
des Grossen Atlas gegen die Sahara zu schweifenden gaetulischen
Hirtenstaemme gegen Juba in Waffen zu bringen; denn selbst bis zu ihnen
hatten die Schlaege der marianisch-sullanischen Zeit sich erstreckt, und
ihr Groll gegen den Pompeius, der sie damals den numidischen Koenigen
untergeordnet hatte, machte sie den Erben des maechtigen, bei ihnen noch
vom Jugurthinischen Feldzug her in gutem Andenken lebenden Marius
von vorn herein geneigt. Die mauretanischen Koenige, Bogud in Tingis,
Bocchus in Jol, waren Jubas natuerliche Rivalen und zum Teil laengst
mit Caesar in Buendnis. Endlich streifte in dem Grenzgebiet zwischen den
Reichen des Juba und des Bocchus noch der letzte der Catilinarier,
jener Publius Sittius aus Nuceria, der achtzehn Jahre zuvor aus
einem bankrotten italischen Kaufmann sich in einen mauretanischen
Freischarenfuehrer verwandelt und seitdem in den libyschen Haendeln sich
einen Namen und ein Heergefolge geschaffen hatte. Bocchus und Sittius
fielen vereinigt in das numidische Land, besetzten die wichtige Stadt
Cirta, und ihr Angriff sowie der der Gaetuler noetigte den Koenig Juba,
einen Teil seiner Truppen an seine Sued- und Westgrenze zu senden. Indes
blieb Caesars Lage unbequem genug. Seine Armee war auf den Raum
einer Quadratmeile zusammengedraengt; wenn auch die Flotte Getreide
herbeischaffte, so ward doch der Mangel an Fourage von Caesars Reitern
ebenso gefuehlt wie vor Dyrrhachion von denen des Pompeius. Die leichten
Truppen des Feindes blieben, aller Anstrengungen Caesars ungeachtet, den
seinigen so unermesslich ueberlegen, dass es fast unmoeglich schien, die
Offensive in das Binnenland hinein auch mit Veteranen durchzufuehren.
Wenn Scipio zurueckwich und die Kuestenstaedte preisgab, so konnte er
vielleicht einen Sieg erfechten wie die, welche des Orodes Wesir ueber
Crassus, Juba ueber Curio davongetragen hatten, wenigstens aber den
Krieg ins unendliche hinausziehen. Diesen Feldzugsplan ergab die
einfachste Ueberlegung: selbst Cato, obwohl nichts weniger als ein
Strateg, riet dazu und erbot sich, zugleich mit einem Korps nach Italien
ueberzufahren und dort die Republikaner unter die Waffen zu rufen, was
bei der gruendlichen Verwirrung daselbst gar wohl Erfolg haben konnte.
Allein Cato konnte nur raten, nicht befehlen; der Oberbefehlshaber
Scipio entschied, dass der Krieg in der Kuestenlandschaft gefuehrt
werden solle. Es war dies nicht bloss insofern verkehrt, als man damit
einen sicheren Erfolg verheissenden Kriegsplan fahren liess, sondern
auch insofern, als die Landschaft, in die man den Krieg verlegte, in
bedenklicher Gaerung, und das Heer, das man Caesar gegenueberstellte,
zum guten Teil ebenfalls schwierig war. Die fuerchterlich strenge
Aushebung, die Wegschleppung der Vorraete, die Verwuestung der kleineren
Ortschaften, ueberhaupt das Gefuehl einer von Haus aus fremden und
bereits verlorenen Sache aufgeopfert zu werden, hatten die einheimische
Bevoelkerung erbittert gegen die auf afrikanischem Boden ihren letzten
Verzweiflungskampf kaempfenden roemischen Republikaner; und das
terroristische Verfahren der letzteren gegen alle auch nur der
Gleichgueltigkeit verdaechtigen Gemeinden hatte diese Erbitterung zum
furchtbarsten Hass gesteigert. Die afrikanischen Staedte erklaerten, wo
sie irgend es wagen konnten, sich fuer Caesar; unter den Gaetulern und
den Libyern, die unter den leichten Truppen und selbst in den Legionen
in Menge dienten, riss die Desertion ein. Indes Scipio beharrte mit
aller dem Unverstand eigenen Hartnaeckigkeit auf seinem Plan, zog mit
gesamter Heeresmacht von Utica her vor die von Caesar besetzten Staedte
Ruspina und Klein-Leptis, belegte noerdlich davon Hadrumetum, suedlich
Thapsus (am Vorgebirge Ras Dimas) mit starken Besatzungen und bot
in Gemeinschaft mit Juba, der mit all seinen nicht durch die
Grenzverteidigung in Anspruch genommenen Truppen gleichfalls vor Ruspina
erschien, zu wiederholten Malen dem Feinde die Schlacht an. Aber Caesar
war entschlossen, seine Veteranenlegionen zu erwarten. Als diese dann
nach und nach eintrafen und auf dem Kampfplatz erschienen, verloren
Scipio und Juba die Lust, eine Feldschlacht zu wagen, und Caesar hatte
kein Mittel, sie bei ihrer ausserordentlichen Ueberlegenheit an leichter
Reiterei zu einer solchen zu zwingen. Ueber Maersche und Scharmuetzel
in der Umgegend von Ruspina und Thapsus, die hauptsaechlich um die
Auffindung der landueblichen Kellerverstecke (Silos) und um Ausbreitung
der Posten sich bewegten, verflossen fast zwei Monate. Caesar, durch die
feindlichen Reiter genoetigt, sich moeglichst auf den Anhoehen zu halten
oder auch seine Flanken durch verschanzte Linien zu decken, gewoehnte
doch waehrend dieser muehseligen und aussichtslosen Kriegfuehrung
allmaehlich seine Soldaten an die fremdartige Kampfweise. Freund und
Feind erkannten in dem vorsichtigen Fechtmeister, der seine Leute
sorgfaeltig und nicht selten persoenlich einschulte, den raschen
Feldherrn nicht wieder und wurden fast irre an dieser im Zoegern wie im
Zuschlagen sich gleichbleibenden Meisterschaft. Endlich wandte Caesar,
nachdem er seine letzten Verstaerkungen an sich gezogen hatte, sich
seitwaerts gegen Thapsus. Scipio hatte diese Stadt, wie gesagt, stark
besetzt und damit den Fehler begangen, seinem Gegner ein leicht zu
fassendes Angriffsobjekt darzubieten; zu dem ersten fuegte er bald den
zweiten, noch minder verzeihlichen hinzu, die von Caesar gewuenschte und
von Scipio mit Recht bisher verweigerte Feldschlacht jetzt zur Rettung
von Thapsus auf einem Terrain zu liefern, das die Entscheidung in die
Haende der Linieninfanterie gab. Unmittelbar am Strande, Caesars Lager
gegenueber, traten Scipios und Jubas Legionen an, die vorderen Reihen
kampffertig, die hinteren beschaeftigt, ein verschanztes Lager zu
schlagen; zugleich bereitete die Besatzung von Thapsus einen Ausfall
vor. Den letzteren zurueckzuweisen, genuegten Caesars Lagerwachen. Seine
kriegsgewohnten Legionen, schon nach der unsicheren Aufstellung und den
schlecht geschlossenen Gliedern den Feind richtig wuerdigend, zwangen,
waehrend drueben noch geschanzt ward und ehe noch der Feldherr das
Zeichen gab, einen Trompeter, zum Angriff zu blasen, und gingen auf der
ganzen Linie vor, allen voran Caesar selbst, der, da er die Seinigen
ohne seinen Befehl abzuwarten vorruecken sah, an ihrer Spitze auf den
Feind eingaloppierte. Der rechte Fluegel, den uebrigen Abteilungen
voran, scheuchte die ihm gegenueberstehende Linie der Elefanten - es
war dies die letzte grosse Schlacht, in der die Bestien verwendet worden
sind - durch Schleuderkugeln und Pfeile zurueck auf ihre eigenen Leute.
Die Deckungsmannschaft ward niedergehauen, der linke Fluegel der Feinde
gesprengt und die ganze Linie aufgerollt. Die Niederlage war um so
vernichtender, als das neue Lager der geschlagenen Armee noch
nicht fertig und das alte betraechtlich entfernt war; beide wurden
nacheinander fast ohne Gegenwehr erobert. Die Masse der geschlagenen
Armee warf die Waffen weg und bat um Quartier; aber Caesars Soldaten
waren nicht mehr dieselben, die vor Ilerda willig der Schlacht sich
enthalten, bei Pharsalos der Wehrlosen ehrenvoll geschont hatten. Die
Gewohnheit des Buergerkrieges und der von der Meuterei zurueckgebliebene
Groll machten auf dem Schlachtfelde von Thapsus in schrecklicher Weise
sich geltend. Wenn der Hydra, mit der man kaempfte, stets neue Koepfe
nachwuchsen, wenn die Armee von Italien nach Spanien, von Spanien nach
Makedonien, von Makedonien nach Afrika geschleudert ward, die immer
heisser ersehnte Ruhe immer nicht kam, so suchte, und nicht ganz ohne
Ursache, der Soldat davon den Grund in Caesars unzeitiger Milde. Er
hatte es sich geschworen nachzuholen, was der Feldherr versaeumt, und
blieb taub fuer das Flehen der entwaffneten Mitbuerger wie fuer die
Befehle Caesars und der hoeheren Offiziere. Die fuenfzigtausend Leichen,
die das Schlachtfeld von Thapsus bedeckten, darunter auch mehrere als
heimliche Gegner der neuen Monarchie bekannte und deshalb bei dieser
Gelegenheit von ihren eigenen Leuten niedergemachte Caesarische
Offiziere, zeigten, wie der Soldat sich Ruhe schafft. Die siegende Armee
dagegen zaehlte nicht mehr als fuenfzig Tote (6. April 708 46). Eine
Fortsetzung des Kampfes fand nach der Schlacht von Thapsus so wenig in
Afrika statt, wie anderthalb Jahre zuvor im Osten nach der Pharsalischen
Niederlage. Cato als Kommandant von Utica berief den Senat, legte den
Stand der Verteidigungsmittel dar und stellte es zur Entscheidung der
Versammelten, ob man sich unterwerfen oder bis auf den letzten Mann
sich verteidigen wolle, einzig sie beschwoerend, nicht jeder fuer sich,
sondern alle fuer einen zu beschliessen und zu handeln. Die mutigere
Meinung fand manchen Vertreter; es wurde beantragt, die waffenfaehigen
Sklaven von Staats wegen freizusprechen, was aber Cato als einen
ungesetzlichen Eingriff in das Privateigentum zurueckwies und statt
dessen einen patriotischen Aufruf an die Sklaveneigentuemer vorschlug.
Allein bald verging der groesstenteils aus afrikanischen Grosshaendlern
bestehenden Versammlung diese Anwandlung von Entschlossenheit, und man
ward sich einig zu kapitulieren. Als dann Faustus Sulla, des Regenten
Sohn, und Lucius Afranius mit einer starken Abteilung Reiterei vom
Schlachtfelde her in Utica eintrafen, machte Cato noch einen Versuch,
durch sie die Stadt zu halten; allein ihre Forderung, sie zuvoerderst
die unzuverlaessige Buergerschaft von Utica insgesamt niedermachen zu
lassen, wies er unwillig zurueck und liess lieber die letzte Burg der
Republikaner dem Monarchen ohne Gegenwehr in die Haende fallen als die
letzten Atemzuege der Republik durch eine solche Metzelei entweihen.
Nachdem er, teils durch seine Autoritaet, teils durch freigebige
Spenden, dem Wueten der Soldateska gegen die ungluecklichen Uticenser
nach Vermoegen gesteuert und, soweit es in seiner Macht stand, denen,
die Caesars Gnade sich nicht anvertrauen mochten, die Mittel zur Flucht,
denen, die bleiben wollten, die Gelegenheit, unter moeglichst leidlichen
Bedingungen zu kapitulieren mit ruehrender Sorgfalt gewaehrt und
durchaus sich ueberzeugt hatte, dass er niemand weiter Hilfe zu leisten
vermoege, hielt er seines Kommandos sich entbunden, zog sich in sein
Schlafgemach zurueck und stiess sich das Schwert in die Brust. Auch von
den uebrigen gefluechteten Reitern retteten sich nur wenige. Die von
Thapsus gefluechteten Reiter stiessen auf die Scharen des Sittius und
wurden von ihnen niedergehauen oder gefangen; ihre Fuehrer Afranius und
Faustus wurden an Caesar ausgeliefert und, da dieser sie nicht sogleich
hinrichten liess, von dessen Veteranen in einem Auflauf erschlagen.
Der Oberfeldherr Metellus Scipio geriet mit der Flotte der geschlagenen
Partei in die Gewalt der Kreuzer des Sittius und durchbohrte
sich selbst, da man Hand an ihn legen wollte. Koenig Juba, nicht
unvorbereitet auf einen solchen Ausgang, hatte fuer diesen Fall
beschlossen, zu enden, wie es ihm koeniglich duenkte, und auf dem Markte
seiner Stadt Zama einen ungeheuren Scheiterhaufen ruesten lassen, der
mit seinem Koerper auch all seine Schaetze und die Leichen der gesamten
Buergerschaft von Zama verzehren sollte. Allein die Stadtbewohner
verspuerten kein Verlangen, bei der Leichenfeier des afrikanischen
Sardanapal sich als Dekoration verwenden zu lassen und schlossen dem
Koenig, da er, vom Schlachtfeld fluechtend, in Begleitung von Marcus
Petreius vor der Stadt erschien, die Tore. Der Koenig, eine jener im
grellen und uebermuetigen Lebensgenuss verwilderten Naturen, die
auch aus dem Tode sich ein Taumelfest bereiten, begab sich mit seinem
Begleiter nach einem seiner Landhaeuser, liess einen reichlichen Schmaus
auftragen und forderte nach geendeter Mahlzeit den Petreius auf, mit ihm
im Zweikampf um den Tod zu fechten. Es war der Besieger Catilinas, der
ihn von der Hand des Koenigs empfing; der Koenig liess darauf von einem
seiner Sklaven sich durchbohren. Die wenigen angesehenen Maenner, welche
entkamen, wie Labienus und Sextus Pompeius, folgten dem aelteren Bruder
des letzteren nach Spanien und suchten, wie einst Sertorius, in
den Gebirgen und Gewaessern dieser immer noch halb unabhaengigen
Landschaften ein letztes Raeuber- und Piratenasyl. Ohne Widerstand
ordnete Caesar die afrikanischen Verhaeltnisse. Wie schon Curio
beantragt hatte, ward das Reich des Massinissa aufgeloest. Der
oestlichste Teil oder die Landschaft von Sitifis ward mit dem Reich
des Koenigs Bocchus von Ostmauretanien vereinigt, auch der treue Koenig
Bogud von Tingis mit ansehnlichen Gaben bedacht. Cirta (Constantine)
und den umliegenden Landstrich, die bisher, unter Jubas Oberhoheit, der
Fuerst Massinissa und dessen Sohn Arabion besessen hatten, erhielt der
Condottiere Publius Sittius, um seine halbroemischen Scharen daselbst
anzusiedeln ^10; zugleich aber wurde dieser Distrikt sowie ueberhaupt
der bei weitem groesste und fruchtbarste Teil des bisherigen Numidischen
Reiches als "Neuafrika" mit der aelteren Provinz Afrika vereinigt und
die Verteidigung der Kuestenlandschaft gegen die schweifenden Staemme
der Wueste, welche die Republik einem Klientelkoenig ueberlassen
hatte, von dem neuen Herrscher auf das Reich selbst uebernommen.
---------------------------------------------- ^10 Die Inschriften der
bezeichneten Gegend bewahren zahlreiche Spuren dieser Kolonisierung. Der
Name der Sittier ist dort ungemein haeufig; die afrikanische Ortschaft
Milev fuehrt als roemische den Namen colonia Sarnensis (CIL VIII, p.
1094), offenbar von dem nucerinischen Flussgott Sarnus (Suet. rhet. 4).
---------------------------------------------- Der Kampf, den Pompeius
und die Republikaner gegen Caesars Monarchie unternommen hatten, endigte
also nach vierjaehriger Dauer mit dem vollstaendigen Sieg des neuen
Monarchen. Zwar die Monarchie ward nicht erst auf den Schlachtfeldern
von Pharsalos und Thapsus festgestellt; sie durfte bereits sich datieren
von dem Augenblick, wo Pompeius und Caesar im Bunde die Gesamtherrschaft
begruendet und die bisherige aristokratische Verfassung ueber den Haufen
geworfen hatten. Doch waren es erst jene Bluttaufen des 9. August 706
(48) und des 6. April 708 (46), die das dem Wesen der Alleinherrschaft
widerstreitende Gesamtregiment beseitigten und der neuen
Monarchie festen Bestand und foermliche Anerkennung verliehen.
Praetendenteninsurrektionen und republikanische Verschwoerungen mochten
nachfolgen und neue Erschuetterungen, vielleicht sogar neue Revolutionen
und Restaurationen hervorrufen; aber die waehrend eines halben
Jahrtausend ununterbrochene Kontinuitaet der freien Republik war
durchrissen und im ganzen Umfang des weiten Roemischen Reiches durch
die Legitimitaet der vollendeten Tatsache die Monarchie begruendet.
Der verfassungsmaessige Kampf war zu Ende; und dass er zu Ende war, das
sprach Marcus Cato aus, als er zu Utica sich in sein Schwert stuerzte.
Seit vielen Jahren war er in dem Kampfe der legitimen Republik gegen
ihre Bedraenger der Vormann gewesen; er hatte ihn fortgesetzt, lange
nachdem jede Hoffnung zu siegen in ihm erloschen war. Jetzt aber war
der Kampf selbst unmoeglich geworden; die Republik, die Marcus Brutus
begruendet hatte, war tot und niemals wieder zum Leben zu erwecken; was
sollten die Republikaner noch auf der Erde? Der Schatz war geraubt, die
Schildwache damit abgeloest; wer konnte sie schelten, wenn sie heimging?
Es ist mehr Adel und vor allem mehr Verstand in Catos Tode, als in
seinem Leben gewesen war. Cato war nichts weniger als ein grosser Mann;
aber bei all jener Kurzsichtigkeit, jener Verkehrtheit, jener duerren
Langweiligkeit und jenen falschen Phrasen, die ihn, fuer seine wie fuer
alle Zeit, zum Ideal des gedankenlosen Republikanertums und zum Liebling
aller damit spielenden Individuen gestempelt haben, war er dennoch
der einzige, der das grosse, dem Untergang verfallene System in dessen
Agonie ehrlich und mutig vertrat. Darum, weil vor der einfaeltigen
Wahrheit die kluegste Luege innerlich sich zernichtet fuehlt und weil
alle Hoheit und Herrlichkeit der Menschennatur schliesslich nicht auf
der Klugheit beruht, sondern auf der Ehrlichkeit, darum hat Cato eine
groessere geschichtliche Rolle gespielt als viele an Geist ihm weit
ueberlegene Maenner. Es erhoeht nur die tiefe und tragische Bedeutung
seines Todes, dass er selber ein Tor war: eben weil Don Quichotte ein
Tor ist, ist er ja eine tragische Gestalt. Es ist erschuetternd, dass
auf jener Weltbuehne, darauf so viele grosse und weise Maenner gewandelt
und gehandelt hatten, der Narr bestimmt war zu epilogieren. Auch ist er
nicht umsonst gestorben. Es war ein furchtbar schlagender Protest der
Republik gegen die Monarchie, dass der letzte Republikaner ging, als
der erste Monarch kam; ein Protest, der all jene sogenannte
Verfassungsmaessigkeit, mit welcher Caesar seine Monarchie umkleidete,
wie Spinneweben zerriss und das Schibboleth der Versoehnung aller
Parteien, unter dessen Aegide das Herrentum erwuchs, in seiner ganzen
gleisnerischen Luegenhaftigkeit prostituierte. Der unerbittliche Krieg,
den das Gespenst der legitimen Republik Jahrhunderte lang, von Cassius
und Brutus an bis auf Thrasea und Tacitus, ja noch viel weiter hinab,
gegen die Caesarische Monarchie gefuehrt hat - dieser Krieg der
Komplotte und der Literatur ist die Erbschaft, die Cato sterbend seinem
Feinde vermachte. Ihre ganze vornehme, rhetorisch transzendentale,
anspruchsvoll strenge, hoffnungslose und bis zum Tode getreue Haltung
hat diese republikanische Opposition von Cato uebernommen und dann auch
den Mann, der im Leben nicht selten ihr Spott und ihr Aergernis gewesen
war, schon unmittelbar nach seinem Tode als Heiligen zu verehren
begonnen. Die groesste aber unter diesen Huldigungen war die
unfreiwillige, die Caesar ihm erwies, indem er von der geringschaetzigen
Milde, mit welcher er seine Gegner, Pompeianer wie Republikaner, zu
behandeln gewohnt war, allein gegen Cato eine Ausnahme machte und noch
ueber das Grab hinaus ihn mit demjenigen energischen Hasse verfolgte;
welchen praktische Staatsmaenner zu empfinden pflegen gegen die auf dem
idealen Gebiet, ihnen ebenso gefaehrlich wie unerreichbar, opponierenden
Gegner. 11. Kapitel Die alte Republik und die neue Monarchie Der
neue Monarch von Rom, der erste Herrscher ueber das ganze Gebiet
roemisch-hellenischer Zivilisation, Gaius Iulius Caesar, stand im
sechsundfuenfzigsten Lebensjahr (geb. 12. Juli 652 ? 102), als die
Schlacht bei Thapsus, das letzte Glied einer langen Kette folgenschwerer
Siege, die Entscheidung ueber die Zukunft der Welt in seine Haende
legte. Weniger Menschen Spannkraft ist also auf die Probe gestellt
worden wie die dieses einzigen schoepferischen Genies, das Rom, und des
letzten, das die alte Welt hervorgebracht und in dessen Bahnen sie denn
auch bis zu ihrem eigenen Untergange sich bewegt hat. Der Sproessling
einer der aeltesten Adelsfamilien Latiums, welche ihren Stammbaum auf
die Helden der Ilias und die Koenige Roms, ja auf die beiden Nationen
gemeinsame Venus-Aphrodite zurueckfuehrte, waren seine Knaben- und
ersten Juenglingsjahre vergangen, wie sie der vornehmen Jugend jener
Epoche zu vergehen pflegten. Auch er hatte von dem Becher des Modelebens
den Schaum wie die Hefen gekostet, hatte rezitiert und deklamiert, auf
dem Faulbett Literatur getrieben und Verse gemacht, Liebeshaendel jeder
Gattung abgespielt und sich einweihen lassen in alle Rasier-, Frisier-
und Manschettenmysterien der damaligen Toilettenweisheit, sowie in die
noch weit geheimnisvollere Kunst, immer zu borgen und nie zu bezahlen.
Aber der biegsame Stahl dieser Natur widerstand selbst diesem
zerfahrenen und windigen Treiben; Caesar blieb sowohl die koerperliche
Frische ungeschwaecht wie die Spannkraft des Geistes und des Herzens. Im
Fechten und im Reiten nahm er es mit jedem seiner Soldaten auf, und
sein Schwimmen rettete ihm bei Alexandreia das Leben; die unglaubliche
Schnelligkeit seiner gewoehnlich des Zeitgewinns halber naechtlichen
Reisen - das rechte Gegenstueck zu der prozessionsartigen Langsamkeit,
mit der Pompeius sich von einem Ort zum andern bewegte - war das
Erstaunen seiner Zeitgenossen und nicht die letzte Ursache seiner
Erfolge. Wie der Koerper war der Geist. Sein bewunderungswuerdiges
Anschauungsvermoegen offenbarte sich in der Sicherheit und
Ausfuehrbarkeit all seiner Anordungen, selbst wo er befahl, ohne mit
eigenen Augen zu sehen. Sein Gedaechtnis war unvergleichlich und es war
ihm gelaeufig, mehrere Geschaefte mit gleicher Sicherheit nebeneinander
zu betreiben.: Obgleich Gentleman, Genie und Monarch hatte er dennoch
ein Herz. Solange er lebte, bewahrte er fuer seine wuerdige Mutter
Aurelia - der Vater starb ihm frueh - die reinste Verehrung; seinen
Frauen und vor allem seiner Tochter Iulia widmete er eine ehrliche
Zuneigung, die selbst auf die politischen Verhaeltnisse nicht ohne
Rueckwirkung blieb. Mit den tuechtigsten und kernigsten Maennern seiner
Zeit, hohen und niederen Ranges, stand er in einem schoenen Verhaeltnis
gegenseitiger Treue, mit jedem nach seiner Art. Wie er selbst niemals
einen der Seinen in Pompeius' kleinmuetiger und gefuehlloser Art fallen
liess und, nicht bloss aus Berechnung, in guter und boeser Zeit ungeirrt
an den Freunden festhielt, so haben auch von diesen manche, wie
Aulus Hirtius und Gaius Matius, noch nach seinem Tode ihm in schoenen
Zeugnissen ihre Anhaenglichkeit bewahrt. Wenn in einer so harmonisch
organisierten Natur ueberhaupt eine einzelne Seite als charakteristisch
hervorgehoben werden kann, so ist es die, dass alle Ideologie und alles
Phantastische ihm fern lag. Es versteht sich von selbst, dass Caesar
ein leidenschaftlicher Mann war, denn ohne Leidenschaft gibt es keine
Genialitaet; aber seine Leidenschaft war niemals maechtiger als er. Er
hatte eine Jugend gehabt, und Lieder, Liebe und Wein waren auch in sein
Gemuet in lebendigem Leben eingezogen; aber sie drangen ihm doch
nicht bis in den innerlichsten Kern seines Wesens. :Die Literatur
beschaeftigte ihn lange und ernstlich; aber wenn Alexandern der
homerische Achill nicht schlafen liess, so stellte Caesar in seinen
schlaflosen Stunden Betrachtungen ueber die Beugungen der lateinischen
Haupt- und Zeitwoerter an. Er machte Verse wie damals jeder, aber
sie waren schwach; dagegen interessierten ihn astronomische und
naturwissenschaftliche Gegenstaende. Wenn der Wein fuer Alexander der
Sorgenbrecher war und blieb, so mied nach durchschwaermter Jugendzeit
der nuechterne Roemer denselben durchaus. Wie allen denen, die in der
Jugend der volle Glanz der Frauenliebe umstrahlt hat, blieb ein Schimmer
davon unvergaenglich auf ihm ruhen: noch in spaeteren Jahren begegneten
ihm Liebesabenteuer und Erfolge bei Frauen und blieb ihm eine gewisse
Stutzerhaftigkeit im aeusseren Auftreten oder richtiger das erfreuliche
Bewusstsein der eigenen maennlich schoenen Erscheinung. Sorgfaeltig
deckte er mit dem Lorbeerkranz, mit dem er in spaeteren Jahren
oeffentlich erschien, die schmerzlich empfundene Glatze und haette
ohne Zweifel manchen seiner Siege darum gegeben, wenn er damit die
jugendlichen Locken haette zurueckkaufen koennen. Aber wie gern er auch
noch als Monarch mit den Frauen verkehrte, so hat er doch nur mit ihnen
gespielt und ihnen keinerlei Einfluss ueber sich eingeraeumt; selbst
sein vielbesprochenes Verhaeltnis zu der Koenigin Kleopatra ward nur
angesponnen, um einen schwacher Punkt in seiner politischen Stellung zu
maskieren. Caesar war durchaus Realist und Verstandesmensch; und was
er angriff und tat, war von der genialen Nuechternheit durchdrungen und
getragen, die seine innerste Eigentuemlichkeit bezeichnet. Ihr verdankte
er das Vermoegen, unbeirrt durch Erinnern und Erwarten energisch
im Augenblick zu leben; ihr die Faehigkeit, in jedem Augenblick mit
gesammelter Kraft zu handeln und auch dem kleinsten und beilaeufigsten
Beginnen seine volle Genialitaet zuzuwenden; ihr die Vielseitigkeit,
mit der er erfasste und beherrschte, was der Verstand begreifen und
der Wille zwingen kann; ihr die sichere Leichtigkeit, mit der er seine
Perioden fuegte, wie seine Feldzuege entwarf; ihr die "wunderbare
Heiterkeit", die in guten und boesen Tagen ihm treu blieb; ihr die
vollendete Selbstaendigkeit, die keinem Liebling und keiner Maetresse,
ja nicht einmal dem Freunde Gewalt ueber sich gestattete. Aus dieser
Verstandesklarheit ruehrt es aber auch her, dass Caesar sich ueber die
Macht des Schicksals und das Koennen des Menschen niemals Illusionen
machte; fuer ihn war der holde Schleier gehoben, der dem Menschen die
Unzulaenglichkeit seines Wirkens verdeckt. Wie klug er auch plante
und alle Moeglichkeiten bedachte, das Gefuehl wich doch nie aus seiner
Brust, dass in allen Dingen das Glueck, das heisst der Zufall das gute
Beste tun muesse; und damit mag es denn auch zusammenhaengen, dass er
so oft dem Schicksal Paroli geboten und namentlich mit verwegener
Gleichgueltigkeit seine Person wieder und wieder auf das Spiel gesetzt
hat. Wie ja wohl ueberwiegend verstaendige Menschen in das reine
Hasardspiel sich fluechten, so war auch in Caesars Rationalismus ein
Punkt, wo er mit dem Mystizismus gewissermassen sich beruehrte. Aus
einer solchen Anlage konnte nur ein Staatsmann hervorgehen. Von frueher
Jugend an war denn auch Caesar ein Staatsmann im tiefsten Sinne des
Wortes und sein Ziel das hoechste, das dem Menschen gestattet ist
sich zu stecken: die politische, militaerische, geistige und sittliche
Wiedergeburt der tiefgesunkenen eigenen und der noch tiefer gesunkenen,
mit der seinigen innig verschwisterten hellenischen Nation. Die harte
Schule dreissigjaehriger Erfahrungen aenderte seine Aerasichten ueber
die Mittel, wie dies Ziel zu erreichen sei; das Ziel blieb ihm
dasselbe in den Zeiten hoffnungsvoller Erniedrigung wie unbegrenzter
Machtvollkommenheit, in den Zeiten, wo er als Demagog und Verschworener
auf dunklen Wegen zu ihm hinschlich, wie da er als Mitinhaber der
hoechsten Gewalt und sodann als Monarch vor den Augen einer Welt im
vollen Sonnenschein an seinem Werke schuf. Alle zu den verschiedensten
Zeiten von ihm ausgegangenen Massregeln bleibender Art ordnen in den
grossen Bauplan zweckmaessig sich ein. Von einzelnen Leistungen Caesars
sollte darum eigentlich nicht geredet werden; er hat nichts Einzelnes
geschaffen. Mit Recht ruehmt man den Redner Caesar wegen seiner aller
Advokatenkunst spottenden maennlichen Beredsamkeit, die wie die klare
Flamme zugleich erleuchtete und erwaermte. Mit Recht bewundert man
an dem Schriftsteller Caesar die unnachahmliche Einfachheit der
Komposition, die einzige Reinheit und Schoenheit der Sprache. Mit Recht
haben die groessten Kriegsmeister aller Zeiten den Feldherrn Caesar
gepriesen, der wie kein anderer ungeirrt von Routine und Tradition immer
diejenige Kriegfuehrung zu finden wusste, durch welche in dem gegebenen
Falle der Feind besiegt wird und welche also in dem gegebenen Falle
die rechte ist; der mit divinatorischer Sicherheit fuer jeden Zweck das
rechte Mittel fand; der nach der Niederlage schlagfertig dastand,
wie Wilhelm von Oranien, und mit dem Siege ohne Ausnahme den Feldzug
beendigte; der das Element der Kriegfuehrung, dessen Behandlung
das militaerische Genie von der gewoehnlichen Offiziertuechtigkeit
unterscheidet, die rasche Bewegung der Massen mit unuebertroffener
Vollkommenheit handhabte und nicht in der Massenhaftigkeit der
Streitkraefte, sondern in der Geschwindigkeit ihrer Bewegung, nicht im
langen Vorbereiten, sondern im raschen, ja verwegenen Handeln, selbst
mit unzulaenglichen Mitteln, die Buergschaft des Sieges fand. Allein
alles dieses ist bei Caesar nur Nebensache; er war zwar ein grosser
Redner, Schriftsteller und Feldherr, aber jedes davon ist er nur
geworden, weil er ein vollendeter Staumann war. Namentlich spielt der
Soldat in ihm eine durchaus beilaeufige Rolle, und es ist eine der
hauptsaechlichsten Eigentuemlichkeiten, die ihn von Alexander, Hannibal
und Napoleon unterscheidet, dass in ihm nicht der Offizier, sondern
der Demagog der Ausgangspunkt der politischen Taetigkeit war. Seinem
urspruenglichsten Plan zufolge hatte er sein Ziel wie Perikles und Gaius
Gracchus ohne Waffengewalt zu erreichen gedacht, und achtzehn Jahre
hindurch hatte er als Fuehrer der Popularpartei ausschliesslich in
politischen Plaenen und Intrigen sich bewegt, bevor er, ungern sich
ueberzeugend von der Notwendigkeit eines militaerischen Rueckhalts,
schon ein Vierziger, an die Spitze einer Armee trat. Es war erklaerlich,
dass er auch spaeterhin immer noch mehr Staatsmann blieb als General
- aehnlich wie Cromwell, der auch aus dem Oppositionsfuehrer zum
Militaerchef und Demokratenkoenig sich umschuf und der ueberhaupt, wie
wenig der Puritanerfuerst dem lockeren Roemer zu gleichen scheint, doch
in seiner Entwicklung wie in seinen Zielen und Erfolgen vielleicht unter
allen Staatsmaennern Caesar am naechsten verwandt ist. Selbst in seiner
Kriegfuehrung ist diese improvisierte Feldherrnschaft noch wohl zu
erkennen; in Napoleons Unternehmungen gegen Aegypten und gegen England
ist der zum Feldherrn aufgediente Artillerieleutnant nicht deutlicher
sichtbar wie in den gleichartigen Caesars der zum Feldherrn
metamorphosierte Demagog. Ein geschulter Offizier wuerde es schwerlich
fertig gebracht haben, aus politischen Ruecksichten nicht durchaus
zwingender Natur die gegruendetsten militaerischen Bedenken in der Art
beiseite zu schieben, wie dies Caesar mehrmals, am auffallendsten bei
seiner Landung in Epirus getan hat. Einzelne seiner Handlungen sind
darum militaerisch tadelhaft; aber der Feldherr verliert nur, was der
Staatsmann gewinnt. Die Aufgabe des Staatsmanns ist universeller
Natur wie Caesars Genie: wenn er die vielfaeltigsten und voneinander
entlegensten Dinge angriff, so gingen sie doch alle ohne Ausnahme
zurueck auf das eine grosse Ziel, dem er mit unbedingter Treue und
Folgerichtigkeit diente; und nie hat er von den vielfaeltigen Seiten und
Richtgen seiner grossen Taetigkeit eine vor der andern bevorzugt.
Obwohl ein Meister der Kriegskunst, hat er doch aus staatsmaennischen
Ruecksichten das Aeusserste getan, um den Buergerkrieg abzuwenden und
um, da er dennoch begann, wenigstens so unblutige Lorbeeren wie moeglich
zu ernten. Obwohl der Begruender der Militaermonarchie, hat er doch mit
einer in der Geschichte beispiellosen Energie weder Marschallshierarchie
noch Praetorianerregiment aufkommen lassen. Wenn ueberhaupt eine
Seite der buergerlichen Verdienste, so wurden von ihm vielmehr die
Wissenschafter, und die Kuenste des Friedens vor den militaerischen
bevorzugt. Die bemerkenswerteste Eigentuemlichkeit seines
staatsmaennischen Schaffens ist dessen vollkommene Harmonie. In der
Tat waren alle Bedingungen zu dieser schwersten aller menschlichen
Leistungen in Caesar vereinigt. Durch und durch Realist, liess er die
Bilder der Vergangenheit und die ehrwuerdige Tradition nirgends sich
anfechten: ihm galt nichts in der Politik als die lebendige Gegenwart
und das verstaendige Gesetz, ebenwie er, auch als Grammatiker die
historisch- antiquarische Forschung beiseite schob und nichts anerkannte
als einerseits den lebendigen Sprachgebrauch, andererseits die Regel der
Gleichmaessigkeit Ein geborener Herrscher, regierte er die Gemueter
der Menschen, wie der Wind die Wolken zwingt, und noetigte die
verschiedenartigsten Naturen, ihm sich zu eigen zu geben, den schlichten
Buerger und den derben Unteroffizier, die vornehmen Damen Roms und
die schoenen Fuerstinnen Aegyptens und Mauretaniens, den
glaenzenden Kavalleriegeneral und den kalkulierenden Bankier. Sein
Organisationstalent ist wunderbar; nie hat ein Staatsmann seine
Buendnisse, nie ein Feldherr seine Armee aus ungefuegen und
widerstrebenden Elementen so entschieden zusammengezwungen und so fest
zusammengehalten wie Caesar seine Koalitionen und seine Legionen; nie
ein Regent mit so scharfem Blick seine Werkzeuge beurteilt und ein jedes
an den ihm angemessenen Platz gestellt. Er war Monarch; aber nie hat er
den Koenig gespielt. Auch als unumschraenkter Herr von Rom blieb er in
seinem Auftreten der Parteifuehrer; vollkommen biegsam und geschmeidig,
bequem und anmutig in der Unterhaltung, zuvorkommend gegen jeden, schien
er nichts sein zu wollen als der Erste unter seinesgleichen. Den
Fehler so vieler ihm sonst ebenbuertiger Maenner, den militaerischen
Kommandoton auf die Politik zu uebertragen, hat Caesar durchaus
vermieden; wie vielen Anlass das verdriessliche Verhaeltnis zum Senat
ihm auch dazu gab, er hat nie zu Brutalitaeten gegriffen, wie die des
achtzehnten Brumaire eine war. Caesar war Monarch; aber nie hat ihn
der Tyrannenschwindel erfasst. Er ist vielleicht der einzige unter den
Gewaltigen des Herrn, welcher im grossen wie im kleinen nie nach Neigung
oder Laune, sondern ohne Ausnahme nach seiner Regentenpflicht gehandelt
hat, und der, wenn er auf sein Leben zuruecksah, wohl falsche Rechnungen
zu bedauern, aber keinen Fehltritt der Leidenschaft zu bereuen fand. Es
ist nichts in Caesars Lebensgeschichte, das auch nur im kleinen ^1 sich
vergleichen liesse mit jenen poetisch-sinnlichen Aufwallungen, mit
der Ermordung des Kleitos oder dem Brand von Persepolis, welche die
Geschichte von seinem grossen Vorgaenger im Osten berichtet. Er
ist endlich vielleicht der einzige unter jenen Gewaltigen, der den
staatsmaennischen Takt fuer das Moegliche und Unmoegliche bis an das
Ende seiner Laufbahn sich bewahrt hat und nicht gescheitert ist an
derjenigen Aufgabe, die fuer grossartig angelegte Naturen von allen
die schwerste ist, an der Aufgabe, auf der Zinne des Erfolgs dessen
natuerliche Schranken zu erkennen. Was moeglich war, hat er geleistet
und nie um des unmoeglichen Besseren willen das moegliche Gute
unterlassen, nie es verschmaeht, unheilbare Uebel durch Palliative
wenigstens zu lindern. Aber wo er erkannte, dass das Schicksal
gesprochen, hat er immer gehorcht. Alexander am Hypanis, Napoleon in
Moskau kehrten um, weil sie mussten, und zuernten dem Geschick, dass es
auch seinen Lieblingen nur begrenzte Erfolge goennt; Caesar ist an der
Themse und am Rhein freiwillig zurueckgegangen und gedachte auch an
der Donau und am Euphrat nicht ungemessene Plaene der Weltueberwindung,
sondern bloss wohlerwogene Grenzregulierungen ins Werk zu setzen.
---------------------------------------------- ^1 Wenn der Handel mit
Laberius, den der bekannte Prolog erzaehlt, als ein Beispiel von
Caesars Tyrannenlaunen angefuehrt worden ist, so hat man die Ironie der
Situation wie des Dichters gruendlich verkannt; ganz abgesehen von der
Naivitaet, den sein Honorar bereitwillig einstreichenden Poeten als
Maertyrer zu behandeln. ----------------------------------------------
So war dieser einzige Mann, den zu schildern so leicht scheint und doch
so unendlich schwer ist. Seine ganze Natur ist durchsichtige Klarheit;
und die Ueberlieferung bewahrt ueber ihn ausgiebigere und lebendigere
Kunde als ueber irgendeinen seiner Pairs in der antiken Welt. Eine
solche Persoenlichkeit konnte wohl flacher oder tiefer, aber nicht
eigentlich verschieden aufgefasst werden; jedem nicht ganz verkehrten
Forscher ist das hohe Bild mit denselben wesentlichen Zuegen erschienen,
und doch ist dasselbe anschaulich wiederzugeben noch keinem gelungen.
Das Geheimnis liegt in dessen Vollendung. Menschlich wie geschichtlich
steht Caesar in dem Gleichungspunkt, in welchem die grossen Gegensaetze
des Daseins sich ineinander aufheben. Von gewaltiger Schoepferkraft und
doch zugleich vom durchdringendsten Verstande; nicht mehr Juengling und
noch nicht Greis; vom hoechsten Wollen und vom hoechsten Vollbringen;
erfuellt von republikanischen Idealen und zugleich geboren zum Koenig;
ein Roemer im tiefsten Kern seines Wesens und wieder berufen, die
roemische und die hellenische Entwicklung in sich wie nach aussen hin
zu versoehnen und zu vermaehlen, ist Caesar der ganze und vollstaendige
Mann. Darum fehlt es denn auch bei ihm mehr als bei irgendeiner anderen
geschichtlichen Persoenlichkeit an den sogenannten charakteristischen
Zuegen, welche ja doch nichts anderes sind als Abweichungen von der
naturgemaessen menschlichen Entwicklung. Was dem ersten oberflaechlichen
Blick dafuer gilt, zeigt sich bei naeherer Betrachtung nicht als
Individualitaet, sondern als Eigentuemlichkeit der Kulturepoche oder der
Nation; wie denn seine Jugendabenteuer ihm mit allen gleichgestellten
begabteren Zeitgenossen gemein sind, sein unpoetisches, aber energisch
logisches Naturell das Naturell der Roemer ueberhaupt ist. Es gehoert
dies mit zu Caesars voller Menschlichkeit, dass er im hoechsten Grade
durch Zeit und Ort bedingt ward; denn eine Menschlichkeit an sich gibt
es nicht, sondern der lebendige Mensch kann eben nicht anders als in
einer gegebenen Volkseigentuemlichkeit und in einem bestimmten Kulturzug
stehen. Nur dadurch war Caesar ein voller Mann, weil er wie kein anderer
mitten in die Stroemungen seiner Zeit sich gestellt hatte und weil
er die kernige Eigentuemlichkeit der roemischen Nation, die reale
buergerliche Tuechtigkeit vollendet wie kein anderer in sich trug; wie
denn auch sein Hellenismus nur der mit der italischen Nationalitaet
laengst innig verwachsene war. Aber eben hierin liegt auch die
Schwierigkeit, man darf vielleicht sagen die Unmoeglichkeit, Caesar
anschaulich zu schildern. Wie der Kuenstler alles machen kann, nur nicht
die vollendete Schoenheit, so kann auch der Geschichtschreiber, wo
ihm alle tausend Jahre einmal das Vollkommene begegnet, nur darueber
schweigen. Denn es laesst die Regel wohl sich aussprechen, aber sie gibt
uns nur die negative Vorstellung von der Abwesenheit des Mangels; das
Geheimnis der Natur, in ihren vollendetsten Offenbarungen Normalitaet
und Individualitaet miteinander zu verbinden, ist unaussprechlich.
Uns bleibt nichts, als diejenigen gluecklich zu preisen, die dieses
Vollkommene schauten, und eine Ahnung desselben aus dem Abglanz zu
gewinnen, der auf den von dieser grossen Natur geschaffenen Werken
unvergaenglich ruht. Zwar tragen auch diese den Stempel der Zeit.
Der roemische Mann selbst stellte seinem jugendlichen griechischen
Vorgaenger nicht bloss ebenbuertig, sondern ueberlegen sich an die
Seite; aber die Welt war inzwischen alt geworden und ihr Jugendschimmer
verblasst. Caesars Taetigkeit ist nicht mehr wie die Alexanders ein
freudiges Vorwaertsstreben in die ungemessene Weite; er baute auf und
aus Ruinen und war zufrieden, in den einmal angewiesenen weiten, aber
begrenzten Raeumen moeglichst ertraeglich und moeglichst sicher sich
einzurichten. Mit Recht hat denn auch der feine Dichtertakt der Voelker
um den unpoetischen Roemer sich nicht bekuemmert und dagegen den Sohn
des Philippos mit allem Goldglanz der Poesie, mit allen Regenbogenfarben
der Sage bekleidet. Aber mit gleichem Recht hat das staatliche Leben
der Nationen seit Jahrtausenden wieder und wieder auf die Linien
zurueckgelenkt, die Caesar gezogen hat, und wenn die Voelker, denen die
Welt gehoert, noch heute mit seinem Namen die hoechsten ihrer Monarchen
nennen, so liegt darin eine tiefsinnige, leider auch eine beschaemende
Mahnung. Wenn es gelingen sollte, aus den alten in jeder Hinsicht
heillosen Zustaenden herauszukommen und das Gemeinwesen zu verjuengen,
so musste vor allen Dingen das Land tatsaechlich beruhigt und der Boden
von den Truemmern, die von der letzten Katastrophe her ueberall ihn
bedeckten, gesaeubert werden. Caesar ging dabei aus von dem Grundsatz
der Versoehnung der bisherigen Parteien oder, richtiger gesagt - denn
von wirklicher Ausgleichung kann bei unversoehnlichen Gegensaetzen nicht
gesprochen werden -, von dem Grundsatz, dass der Kampfplatz, auf dem die
Nobilitaet und die Popularen bisher miteinander gestritten hatten,
von beiden Teilen aufzugeben sei und beide auf dem Boden der neuen
monarchischen Verfassung sich zusammenzufinden haetten. Vor allen Dingen
also galt aller aeltere Hader der republikanischen Vergangenheit als
abgetan fuer immer und ewig. Waehrend Caesar die auf die Nachricht
von der Pharsalischen Schlacht von dem hauptstaedtischen Poebel
umgestuerzten Bildsaeulen Sullas wiederaufzurichten befahl und also es
anerkannte, dass ueber diesen grossen Mann einzig der Geschichte Gericht
zu halten gebuehre, hob er zugleich die letzten noch nachwirkenden
Folgen seiner Ausnahmegesetze auf, rief die noch von den cinnanischen
und sertorianischen Wirren her Verbannten aus dem Exil zurueck und
gab den Kindern der von Sulla Geaechteten die verlorene passive
Wahlfaehigkeit wieder. Ebenso wurden alle diejenigen restituiert, die in
dem vorbereitenden Stadium der letzten Katastrophe durch Zensorenspruch
oder politischen Prozess, namentlich durch die auf Grund der
Exzeptionalgesetze von 702 (52) erhobenen Anklagen, ihren Sitz im Senat
oder ihre buergerliche Existenz eingebuesst hatten. Nur blieben, wie
billig, diejenigen, die Geaechtete fuer Geld getoetet hatten, auch
ferner bescholten und ward der verwegenste Condottiere der Senatspartei,
Milo, von der allgemeinen Begnadigung ausgeschlossen. Weit schwieriger
als die Ordnung dieser im wesentlichen bereits der Vergangenheit
anheimgefallenen Fragen war die Behandlung der im Augenblick sich
gegenueberstehenden Parteien: teils des eigenen demokratischen Anhangs
Caesars, teils der gestuerzten Aristokratie. Dass jener mit Caesars
Verfahren nach dem Sieg und mit seiner Aufforderung, den alten
Parteistandpunkt aufzugeben, womoeglich noch minder einverstanden war
als diese, versteht sich von selbst. Caesar selbst wollte wohl im
ganzen dasselbe, was Gaius Gracchus im Sinne getragen hatte; allein
die Absichten der Caesarianer waren nicht mehr die der Gracchaner. Die
roemische Popularpartei war in immer steigender Progression aus der
Reform in die Revolution, aus der Revolution in die Anarchie, aus der
Anarchie in den Krieg gegen das Eigentum gedraengt worden; sie feierte
unter sich das Andenken der Schreckensherrschaft und schmueckte, wie
einst der Gracchen, so jetzt des Catilina Grab mit Blumen und Kraenzen;
sie hatte unter Caesars Fahne sich gestellt, weil sie von ihm das
erwartete, was Catilina ihr nicht hatte verschaffen koennen. Als nun
aber sehr bald sich herausstellte, dass Caesar nichts weniger sein
wollte als der Testamentsvollstrecker Catilinas, dass die Verschuldeten
von ihm hoechstens Zahlungserleichterungen und Prozessmilderungen zu
hoffen hatten, da ward die erbitterte Frage laut, fuer wen denn die
Volkspartei gesiegt habe, wenn nicht fuer das Volk? und fing das
vornehme und niedere Gesindel dieser Art vor lauter Aerger ueber die
fehlgeschlagenen politisch-oekonomischen Saturnalien erst an, mit
den Pompeianern zu liebaeugeln, dann sogar waehrend Caesars fast
zweijaehriger Abwesenheit von Italien (Januar 706 48 bis Herbst 707 47)
daselbst einen Buergerkrieg im Buergerkriege anzuzetteln. Der Praetor
Marcus Caelius Rufus, ein guter Adliger und schlechter Schuldenbezahler,
von einigem Talent und vieler Bildung, als ein heftiger und redefertiger
Mann bisher im Senat und auf dem Markte einer der eifrigsten Vorkaempfer
fuer Caesar, brachte, ohne hoeheren Auftrag, bei dem Volke ein Gesetz
ein, das den Schuldnern ein sechsjaehriges zinsfreies Moratorium
gewaehrte, sodann, da man ihm hierbei in den Weg trat, ein zweites, das
gar alle Forderungen aus Darlehen und laufenden Hausmieten kassiert;
worauf der Caesarische Senat ihn seines Amtes entsetzte. Es war eben die
Zeit vor der Pharsalischen Schlacht, und die Waagschale in dem grossen
Kampfe schien sich auf die Seite der Pompeianer zu neigen; Rufus trat
mit dem alten senatorischen Bandenfuehrer Milo in Verbindung und beide
stifteten eine Konterrevolution an, die teils die republikanische
Verfassung, teils Kassation der Forderungen und Freierklaerung der
Sklaven auf ihr Panier schrieb. Milo verliess seinen Verbannungsort
Massalia und rief in der Gegend von Thurii die Pompeianer und die
Hirtensklaven unter die Waffen; Rufus machte Anstalt, sich durch
bewaffnete Sklaven der Stadt Capua zu bemaechtigen. Allein der letztere
Plan ward vor der Ausfuehrung entdeckt und durch die capuanische
Buergerwehr vereitelt; Quintus Pedius, der mit einer Legion in das
thurinische Gebiet einrueckte, zerstreute die daselbst hausende Bande;
und der Fall der beiden Fuehrer machte dem Skandal ein Ende (706
48). Dennoch fand sich das Jahr darauf (707 47) ein zweiter Tor, der
Volkstribun Publius Dolabella, der, gleich verschuldet, aber ungleich
weniger begabt als sein Vorgaenger, dessen Gesetz ueber die Forderungen
und Hausmieten abermals einbrachte und mit seinem Kollegen Lucius
Trebellius darueber noch einmal - es war das letzte Mal - den
Demagogenkrieg begann; es gab arge Haendel zwischen den, beiderseitigen
bewaffneten Banden und vielfachen Strassenlaerm, bis der Kommandant
von Italien, Marcus Antonius, das Militaer einschreiten liess und bald
darauf Caesars Rueckkehr aus dem Osten dem tollen Treiben vollstaendig
ein Ziel setzte. Caesar legte diesen hirnlosen Versuchen, die
Catilinarischen Projekte wieder aufzuwaermen, so wenig Gewicht bei, dass
er selbst den Dolabella in Italien duldete, ja nach einiger Zeit ihn
sogar wieder zu Gnaden annahm. Gegen solches Gesindel, dem es nicht um
irgend welche politische Frage, sondern einzig um den Krieg gegen das
Eigentum zu, tun ist, genuegt, wie gegen die Raeuberbanden, das blosse
Dasein einer starken Regierung; und Caesar war zu gross und zu besonnen,
um mit der Angst, die die italischen Trembleurs vor diesen damaligen
Kommunisten empfanden, Geschaefte zu machen und damit seiner Monarchie
eine falsche Popularitaet zu erschwindeln. Wenn Caesar also die
gewesene demokratische Partei ihrem schon bis an die aeusserste Grenze
vorgeschrittenen Zersetzungsprozess ueberlassen konnte und ueberliess,
so hatte er dagegen gegenueber der bei weitem lebenskraeftigeren
ehemaligen aristokratischen Partei durch die gehoerige Verbindung
des Niederdrueckens und des Entgegenkommens die Aufloesung nicht
herbeizufuehren - dies vermochte nur die Zeit - sondern sie
vorzubereiten und einzuleiten. Es war das wenigste, dass Caesar, schon
aus natuerlichem Anstandsgefuehl, es vermied, die gestuerzte Partei
durch leeren Hohn zu erbittern, ueber die besiegten Mitbuerger nicht
triumphierte ^2, des Pompeius oft und immer mit Achtung gedachte und
sein vom Volke umgestuerztes Standbild am Rathaus bei der Herstellung
des Gebaeudes an dem frueheren ausgezeichneten Platze wiederum errichten
liess. Der politischen Verfolgung nach dem Siege steckte Caesar die
moeglichst engen Grenzen. Es fand keine Untersuchung statt ueber die
vielfachen Verbindungen, die die Verfassungspartei auch mit nominellen
Caesarianern gehabt hatte; Caesar warf die in den feindlichen
Hauptquartieren von Pharsalos und Thapsus vorgefundenen Papierstoesse
ungelesen ins Feuer und verschonte sich und das Land mit politischen
Prozessen gegen des Hochverrats verdaechtige Individuen. Ferner
gingen straffrei aus alle gemeinen Soldaten, die ihren roemischen oder
provinzialen Offizieren in den Kampf gegen Caesar gefolgt waren. Eine
Ausnahme ward nur gemacht mit denjenigen roemischen Buergern, die in dem
Heere des numidischen Koenigs Juba Dienste genommen hatten; ihnen
wurde zur Strafe des Landesverrates das Vermoegen eingezogen. Auch
den Offizieren der besiegten Partei hatte Caesar bis zum Ausgang des
spanischen Feldzugs 705 (49) uneingeschraenkte Begnadigung gewaehrt;
allein er ueberzeugte sich, dass er hiermit zu weit gegangen und dass
die Beseitigung wenigstens der Haeupter unvermeidlich sei. Die Regel,
die er von jetzt an zur Richtschnur nahm, war, dass wer nach der
Kapitulation von Ilerda im feindlichen Heere als Offizier gedient oder
im Gegensenat gesessen hatte, wenn er das Ende des Kampfes erlebte, sein
Vermoegen und seine politischen Rechte verlor und fuer Lebenszeit aus
Italien verbannt ward, wenn er das Ende des Kampfes nicht erlebte,
wenigstens sein Vermoegen an den Staat fiel, wer aber von diesen frueher
von Caesar Gnade angenommen hatte und abermals in den feindlichen Reihen
betroffen ward, damit das Leben verwirkt hatte. In der Ausfuehrung indes
wurden diese Saetze wesentlich gemildert. Todesurteile wurden nur gegen
die wenigsten unter den zahlreichen Rueckfaelligen wirklich vollstreckt.
Bei der Konfiskation des Vermoegens der Gefallenen wurden nicht nur die
auf den einzelnen Massen haftenden Schulden sowie die Mitgiftforderungen
der Witwen wie billig ausgezahlt, sondern auch den Kindern der Toten ein
Teil des vaeterlichen Vermoegens gelassen. Von denjenigen endlich, die
jenen Regeln zufolge Verbannung und Vermoegenskonfiskation traf, wurden
nicht wenige sogleich ganz begnadigt oder kamen, wie die zu Mitgliedern
des Senats von Utica gepressten afrikanischen Grosshaendler, mit
Geldbussen davon. Aber auch den uebrigen ward fast ohne Ausnahme
Freiheit und Vermoegen zurueckgegeben, wenn sie nur es ueber sich
gewannen, deshalb bittend bei Caesar einzukommen; manchem, der dessen
sich weigerte, wie zum Beispiel dem Konsular Marcus Marcellus, ward die
Begnadigung auch ungebeten oktroyiert und endlich im Jahre 710 (44)
fuer alle noch nicht Zurueckberufenen eine allgemeine Amnestie erlassen.
------------------------------------------------------- ^2 Auch der
Triumph nach der spaeter zu erzaehlenden Schlacht bei Munda galt
wohl nur den zahlreich in dem besiegten Heer dienenden Lusitanern.
-------------------------------------------------------- Die
republikanische Opposition liess sich denn begnadigen; aber sie war
nicht versoehnt. Unzufriedenheit mit der neuen Ordnung der Dinge und
Erbitterung gegen den ungewohnten Herrscher waren allgemein. Zu offenem
politischen Widerstand gab es freilich keine Gelegenheit mehr - es kam
kaum in Betracht, dass einige oppositionelle Tribune bei Gelegenheit der
Titelfrage durch demonstratives Einschreiten gegen die, welche Caesar
Koenig genannt hatten, sich die republikanische Maertyrerkrone erwarben;
aber um so entschiedener aeusserte der Republikanismus sich als
Gesinnungsopposition und im geheimen Treiben und Wuehlen. Keine
Hand regte sich, wenn der Imperator oeffentlich erschien. Es regnete
Maueranschlaege und Spottverse voll bitterer und treffender Volkssatire
gegen die neue Monarchie. Wo ein Schauspieler eine republikanische
Anspielung wagte, begruesste ihn der lauteste Beifall. Catos Lob und
Preis war das Modethema der oppositionellen Broschuerenschreiber, und
die Schriften derselben fanden nur ein um so dankbareres Publikum, weil
auch die Literatur nicht mehr frei war. Caesar bekaempfte zwar auch
jetzt noch die Republikaner auf dem eigenen Gebiet; er selbst und seine
faehigeren Vertrauten antworteten auf die Catoliteratur mit Anticatonen,
und es ward zwischen den republikanischen und den Caesarischen
Skribenten um den toten Mann von Utica gestritten wie zwischen Troern
und Hellenen um die Leiche des Patroklos; allein es verstand sich
von selbst, dass in diesem Kampfe, in dem das durchaus republikanisch
gestimmte Publikum Richter war, die Caesarianer den kuerzeren zogen. Es
blieb nichts uebrig, als die Schriftsteller zu terrorisieren; weshalb
denn unter den Verbannten die literarisch bekannten und gefaehrlichen
Maenner, wie Publius Nigidius Figulus und Aulus Caecina, schwerer
als andere die Erlaubnis zur Rueckkehr nach Italien erhielten, die
in Italien geduldeten oppositionellen Schriftsteller aber einer
tatsaechlichen Zensur unterworfen wurden, die um so peinlicher fesselte,
weil das Mass der zu befuerchtenden Strafe durchaus arbitraer war
^3. Das Wuehlen und Treiben der gestuerzten Parteien gegen die neue
Monarchie wird zweckmaessiger in einem andern Zusammenhang
dargestellt werden; hier genuegt es zu sagen, dass Praetendenten-
wie republikanische Aufstaende unaufhoerlich im ganzen Umfange des
Roemischen Reiches gaerten, dass die Flamme des Buergerkrieges, bald von
den Pompeianern, bald von den Republikanern angefacht, an verschiedenen
Orten hell wieder emporschlug und in der Hauptstadt die Verschwoerung
gegen das Leben des Herrschers in Permanenz blieb, Caesar aber durch die
Anschlaege sich nicht einmal bewegen liess, auf die Dauer sich mit einer
Leibwache zu umgeben und in der Regel sich begnuegte, die entdeckten
Konspirationen durch oeffentliche Anschlaege bekannt zu machen. Wie
sehr Caesar alle seine persoenliche Sicherheit angehenden Dinge mit
gleichgueltiger Verwegenheit zu behandeln pflegte, die ernste
Gefahr konnte er doch sich unmoeglich verhehlen, mit der diese Masse
Missvergnuegter nicht bloss ihn, sondern auch seine Schoepfungen
bedrohte. Wenn er dennoch, alles Warnens und Hetzens seiner Freunde
nicht achtend, ohne ueber die Unversoehnlichkeit auch der begnadigten
Gegner sich zu taeuschen, mit einer wunderbar kaltbluetigen Energie
dabei beharrte, der bei weitem groesseren Anzahl derselben zu verzeihen,
so war dies weder ritterliche Hochherzigkeit einer stolzen, noch
Gefuehlsmilde einer weichen Natur, sondern es war die richtige
staatsmaennische Erwaegung, dass ueberwundene Parteien rascher und mit
minderem Schaden fuer den Staat innerhalb des Staats sich absorbieren,
als wenn man sie durch Aechtung auszurotten oder durch Verbannung aus
dem Gemeinwesen auszuscheiden versucht. Caesar konnte fuer seine hohen
Zwecke die Verfassungspartei selbst nicht entbehren, die ja nicht etwa
bloss die Aristokratie, sondern alle Elemente des Freiheits- und des
Nationalsinns innerhalb der italischen Buergerschaft in sich schloss;
fuer seine Plaene zur Verjuengung des alternden Staats bedurfte er
der ganzen Masse von Talenten, Bildung, ererbtem und selbsterworbenem
Ansehen, die diese Partei in sich schloss; und wohl in diesem Sinne
mag er die Begnadigung der Gegner den schoensten Lohn des Siegs genannt
haben. So wurden denn zwar die hervorragendsten Spitzen der geschlagenen
Parteien beseitigt; aber den Maennern zweiten und dritten Ranges und
namentlich der juengeren Generation ward die volle Begnadigung nicht
vorenthalten, jedoch ihnen auch nicht gestattet, in passiver Opposition
zu schmollen, sondern dieselben durch mehr oder minder gelinden Zwang
veranlasst, sich an der neuen Verwaltung taetig zu beteiligen und Ehren
und Aemter von ihr anzunehmen. Wie fuer Heinrich IV. und Wilhelm von
Oranien so begannen auch fuer Caesar die groessten Schwierigkeiten erst
nach dem Siege. Jeder revolutionaere Sieger macht die Erfahrung, dass,
wenn er nach Ueberwaeltigung der Gegner nicht, wie Cinna und Sulla,
Parteihaupt bleibt, sondern wie Caesar, wie Heinrich IV. und Wilhelm
von Oranien, an die Stelle des notwendig einseitigen Parteiprogramms die
Wohlfahrt des Gemeinwesens setzen will, augenblicklich alle Parteien,
die eigene wie die besiegt, sich gegen das neue Oberhaupt vereinigen;
und um so mehr, je groesser und reiner dasselbe seinen neuen Beruf
auffasst. Die Verfassungsfreunde und die Pompeianer, wenn sie auch
mit den Lippen Caesar huldigten, grollten doch im Herzen entweder der
Monarchie oder wenigstens der Dynastie; die gesunkene Demokratie war,
seit sie begriffen, dass Caesars Zwecke keineswegs die ihrigen waren,
gegen denselben in offenem Aufruhr; selbst die persoenlichen Anhaenger
Caesars murrten, als sie ihr Haupt statt eines Condottierstaats eine
allen gliche und gerechte Monarchie gruenden und die auf sie treffenden
Gewinnportionen durch das Hinzutreten der Besiegten sich verringern
sahen. Diese Ordnung des Gemeinwesens war keiner Partei genehm und
musste den Genossen nicht minder als den Gegnern oktroyiert werden.
Caesars eigene Stellung war jetzt in gewissem Sinne gefaehrdeter als vor
dem Siege; aber was er verlor, gewann der Staat. Indem er die Parteien
vernichtete und die Parteimaenner nicht bloss schonte, sondern jeden
Mann von Talent oder auch nur von guter Herkunft, ohne Ruecksicht auf
seine politische Vergangenheit, zu Aemtern gelangen liess, gewann
er nicht bloss fuer seinen grossen Bau alle im Staate vorhandene
Arbeitskraft, sondern das freiwillige oder gezwungene Schaffen der
Maenner aller Parteien an demselben Werke fuehrte auch unmerklich die
Nation hinueber auf den neubereiteten Boden. Wenn diese Ausgleichung
der Parteien fuer den Augenklick nur aeusserlicher Art war und dieselben
sich fuer jetzt viel weniger in der Anhaenglichkeit an die neuen
Zustaende begegneten als in dem Hasse gegen Caesar, so irrte dies
ihn nicht; er wusste es wohl, dass die Gegensaetze doch in solcher
aeusserlichen Vereinigung sich abstumpfen und dass nur auf diesem Wege
der Staatsmann der Zeit vorarbeitet, welche freilich allein vermag,
solchen Hader schliesslich zu suehnen, indem sie das alte Geschlecht ins
Grab legt. Noch weniger fragte er, wer ihn hasste oder auf Mord gegen
ihn sann. Wie jeder echte Staatsmann diente er dem Volke nicht um
Lohn, auch nicht um den Lohn seiner Liebe, sondern gab die Gunst der
Zeitgenossen hin fuer den Segen der Zukunft und vor allem fuer
die Erlaubnis, seien Nation retten und verjuengen zu duerfen.
--------------------------------------------------- ^3 Wer alte und neue
Schriftstellerbedraengnisse zu vergleichen wuenscht, wird in dem
Briefe des Caecina (Cic. ad fam. 6, 7) Gelegenheit dazu finden.
---------------------------------------------------- Versuchen wir
im einzelnen Rechenschaft zu geben von der Ueberfuehrung der alten
Zustaende in die neue Bahn, so ist zunaechst daran zu erinnern, dass
Caesar nicht kam um anzufangen, sondern um zu vollenden. Der Plan zu
einer zeitgemaessen Politik, laengst von Gaius Gracchus entworfen, war
von seinen Anhaengern und Nachfolgern wohl mit mehr oder minder Geist
und Glueck, aber ohne Schwanken festgehalten worden. Caesar, von Haus
aus und gleichsam schon nach Erbrecht das Haupt der Popularpartei, hatte
seit dreissig Jahren deren Schild hoch emporgehalten, ohne je die Farbe
zu wechseln oder auch nur zu decken; er blieb Demokrat auch als Monarch.
Wie er die Erbschaft seiner Partei, abgesehen natuerlich von den
catilinarischen und clodischen Verkehrtheiten, unbeschraenkt antrat,
der Aristokratie und den echten Aristokraten den bittersten, selbst
persoenlichen Hass zollte und die wesentlichen Gedanken der roemischen
Demokratie: die Milderung der Lage der Schuldner, die ueberseeische
Kolonisation, die allmaehliche Nivellierung der unter den Klassen
der Staatsangehoerigen bestehenden Rechtsverschiedenheiten, die
Emanzipierung der exekutiven Gewalt vom Senat, unveraendert festhielt,
so war auch seine Monarchie so wenig mit der Demokratie im Widerspruch,
dass vielmehr diese erst durch jene zur Vollendung und Erfuellung
gelangte. Denn diese Monarchie war nicht die orientalische Despotie von
Gottes Gnaden, sondern die Monarchie, wie Gaius Gracchus sie gruenden
wollte, wie Perikles und Cromwell sie gruendeten: die Vertretung der
Nation durch ihren hoechsten und unumschraenkten Vertrauensmann. Es
waren insofern die Gedanken, die dem Werke Caesars zu Grunde lagen,
nicht eigentlich neue; aber ihm gehoert ihre Verwirklichung, die zuletzt
ueberall die Hauptsache bleibt, und ihm die Grossheit der Ausfuehrung,
die selbst den genialen Entwerfer, wenn er sie haette schauen koennen,
ueberrascht haben moechte und die jeden, dem sie in lebendiger
Wirklichkeit oder im Spiegel der Geschichte entgegengetreten ist,
welcher geschichtlichen Epoche und welcher politischen Farbe immer er
angehoere, je nach dem Mass seiner Fassungskraft fuer menschliche und
geschichtliche Groesse mit tiefer und tieferer Bewegung und Bewunderung
ergriffen hat und ewig ergreifen wird. Wohl aber wird es gerade hier
am Orte sein, das, was der Geschichtschreiber stillschweigend ueberall
voraussetzt, einmal ausdruecklich zu fordern und Einspruch zu tun
gegen die der Einfalt und der Perfidie gemeinschaftliche Sitte,
geschichtliches Lob und geschichtlichen Tadel, von den gegebenen
Verhaeltnissen abgeloest, als allgemein gueltige Phrase zu verbrauchen,
in diesem Falle das Urteil ueber Caesar in ein Urteil ueber den
sogenannten Caesarismus umzudeuten. Freilich soll die Geschichte der
vergangenen Jahrhunderte die Lehrmeisterin des laufenden sein; aber
nicht in dem gemeinen Sinne, als koenne man die Konjunkturen der
Gegenwart in den Berichten ueber die Vergangenheit nur einfach
wiederaufblaettern und aus denselben der politischen Diagnose und
Rezeptierkunst die Symptome und Spezifika zusammenlesen; sondern sie ist
lehrhaft einzig insofern, als die Beobachtung der aelteren Kulturen
die organischen Bedingungen der Zivilisation ueberhaupt, die ueberall
gleichen Grundkraefte und die ueberall verschiedene Zusammensetzung
derselben offenbart und statt zum gedankenlosen Nachahmen vielmehr zum
selbstaendigen Nachschoepfen anleitet und begeistert. In diesem Sinne
ist die Geschichte Caesars und des roemischen Caesarentums, bei aller
unuebertroffenen Grossheit des Werkmeisters, bei aller geschichtlichen
Notwendigkeit des Werkes, wahrlich eine schaerfere Kritik der modernen
Autokratie, als eines Menschen Hand sie zu schreiben vermag. Nach dem
gleichen Naturgesetz, weshalb der geringste Organismus unendlich mehr
ist als die kunstvollste Maschine, ist auch jede noch so mangelhafte
Verfassung, die der freien Selbstbestimmung einer Mehrzahl von Buergern
Spielraum laesst, unendlich mehr als der genialste und humanste
Absolutismus; denn jene ist der Entwicklung faehig, also lebendig,
dieser ist was er ist, also tot. Dieses Naturgesetz hat auch an der
roemischen absoluten Militaermonarchie sich bewaehrt und nur um so
vollstaendiger sich bewaehrt, als sie, unter dem genialen Impuls ihres
Schoepfers und bei der Abwesenheit aller wesentlichen Verwicklungen
mit dem Ausland, sich reiner und freier als irgendein aehnlicher Staat
gestaltet hat. Von Caesar an hielt, wie die spaeteren Buecher dies
darlegen werden und Gibbon laengst es dargelegt hat, das roemische
Wesen nur noch aeusserlich zusammen und ward nur mechanisch erweitert,
waehrend es innerlich eben mit ihm voellig vertrocknete und abstarb.
Wenn in den Anfaengen der Autokratie und vor allem in Caesars
eigener Seele noch der hoffnungsreiche Traum einer Vereinigung freier
Volksentwicklung und absoluter Herrschaft waltet, so hat schon das
Regiment der hochbegabten Kaiser des Julianischen Geschlechts in
schrecklicher Weise gelehrt, inwiefern es moeglich ist, Feuer und Wasser
in dasselbe Gefaess zu fassen. Caesars Werk war notwendig und heilsam,
nicht weil es an sich Segen brachte oder auch nur bringen konnte,
sondern weil, bei der antiken, auf Sklavenrum gebauten, von der
republikanisch-konstitutionellen Vertretung voellig abgewandten
Volksorganisation und gegenueber der legitimen, in der Entwicklung
eines halben Jahrtausends zum oligarchischen Absolutismus herangereiften
Stadtverfassung, die absolute Militaermonarchie der logisch notwendige
Schlussstein und das geringste Uebel war. Wenn einmal in Virginien und
den Carolinas die Sklavenhalteraristokratie es so weit gebracht haben
wird wie ihre Wahlverwandten in dem sullanischen Rom, so wird dort auch
der Caesarismus vor dem Geist der Geschichte legitimiert sein ^4; wo er
unter andern Entwicklungsverhaeltnissen auftritt, ist er zugleich
eine Fratze und eine Usurpation. Die Geschichte aber wird sich nicht
bescheiden, dem rechten Caesar deshalb die Ehre zu verkuerzen, weil ein
solcher Wahlspruch den schlechten Caesaren gegenueber die Einfalt irren
und der Bosheit zu Lug und Trug Gelegenheit geben kann. Sie ist auch
eine Bibel, und wenn sie so wenig wie diese, weder dem Toren es wehren
kann sie misszuverstehen, noch dem Teufel sie zu zitieren, so wird
auch sie imstande sein, beides zu ertragen wie zu vergiften.
----------------------------------------------------- ^4 Als dies
geschrieben wurde, im Jahre 1857, konnte man noch nicht wissen, wie
bald durch den gewaltigsten Kampf und den herrlichsten Sieg, den die
Geschichte des Menschengeschlechts bisher verzeichnet hat, demselben
diese furchtbare Probe erspart und dessen Zukunft der unbedingten,
durch keinen fokalen Caesarismus auf dir Dauer zu hemmenden sich
selbst beherrschenden Freiheit gesichert werden sollte.
------------------------------------------------------ Die Stellung
des neuen Staatsoberhaupts erscheint formell, zunaechst wenigstens,
als Diktatur. Caesar uebernahm dieselbe zuerst nach der Rueckkehr aus
Spanien im Jahre 705 (49), legte sie aber nach wenigen Tagen wieder
nieder und fuehrte den entscheidenden Feldzug des Jahres 706 (48)
lediglich als Konsul - es war dies das Amt, ueber dessen Bekleidung
zunaechst der Buergerkrieg ausgebrochen war. Aber im Herbst dieses
Jahres, nach der Pharsalischen Schlacht, kam er wieder auf die Diktatur
zurueck und liess sich dieselbe abermals uebertragen, zuerst auf
unbestimmte Zeit, jedoch vom 1. Januar 709 (45) an als Jahresamt,
alsdann im Januar oder Februar 710 ^5 (44) auf die Dauer seines Lebens,
so dass er die frueher vorbehaltene Niederlegung des Amtes schliesslich
ausdruecklich fallen liess und der Lebenslaenglichkeit des Amtes in dem
neuen Titel dictator perpetuus formellen Ausdruck gab. Diese Diktatur,
sowohl jene erste ephemere wie die zweite dauernde, ist nicht die
der alten Verfassung, sondern das nur in dem Namen mit dieser
zusammentreffende hoechste Ausnahmeamt nach der Ordnung Sullas; ein Amt,
dessen Kompetenz nicht durch die verfassungsmaessigen Ordnungen
ueber das hoechste Einzelamt, sondern durch besonderen Volksschluss
festgestellt ward und zwar dahin, dass der Inhaber in dem Auftrag,
Gesetze zu entwerfen und das Gemeinwesen zu ordnen, eine rechtlich
unumschraenkte, die republikanische Teilung der Gewalten aufhebende
Amtsbefugnis empfing. Es sind nur Anwendungen von dieser allgemeinen
Befugnis auf den einzelnen Fall, wenn dem Machthaber das Recht
ohne Befragen des Senats und des Volkes ueber Krieg und Frieden zu
entscheiden, die selbstaendige Verfuegung ueber Heere und Kassen,
die Ernennung der Provinzialstatthalter nach durch besondere Akte
uebertragen wurden. Selbst solche Befugnisse, welche ausserhalb
der magistratischen, ja ausserhalb der Kompetenz der Staatsgewalten
ueberhaupt lagen, konnte Caesar hiernach von Rechts wegen sich beilegen;
und es erscheint fast als eine Konzession seinerseits, dass er darauf
verzichtete, die Magistrate anstatt der Komitien zu ernennen, und sich
darauf beschraenkte, fuer einen Teil der Praetoren und der niederen
Magistrate ein bindendes Vorschlagsrecht in Anspruch zu nehmen; dass
er sich ferner zu der nach dem Herkommen ueberhaupt nicht statthaften
Kreierung von Patriziern noch durch besonderen Volksschluss ermaechtigen
liess. ------------------------------------------------------- ^5 Am 26.
Januar 710 ;44) heisst Caesar noch dictator IIII (Triumphaltafel); am
25. Februar des Jahres war er bereits dictator perpetuus (Cic. Phil.
2, 34, 87). Vgl. Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, 3. Aufl.. S. 726.
------------------------------------------------------- Fuer andere
Aemter im eigentlichen Sinn bleibt neben dieser Diktatur kein Raum.
Die Zensur als solche hat Caesar nicht uebernommen ^6, wohl aber die
zensorischen Rechte, namentlich das wichtige der Senatorenernennung
in umfassender Weise geuebt.
----------------------------------------------- ^6 Die Formulierung
jener Diktatur scheint die "Sittenbesserung" ausdruecklich
mithervorgehoben zu haben; aber ein eigenes Amt derart hat Caesar
nicht bekleidet (Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, 3. Aufl., S. 705).
----------------------------------------------- Das Konsulat hat er
haeufig neben der Diktatur, einmal auch ohne Kollegen bekleidet, aber
keineswegs dauernd an seine Person geknuepft und den Aufforderungen,
dasselbe auf fuenf oder gar auf zehn Jahre nacheinander zu uebernehmen,
keine Folge gegeben. Die Oberaufsicht ueber den Kult brauchte Caesar
nicht erst sich uebertragen zu lassen, da er bereits Oberpontifex war.
Es versteht sich, dass auch die Mitgliedschaft des Augurnkollegiums ihm
zuteil ward und ueberhaupt alte und neue Ehrenrechte in Fuelle, wie der
Titel eines Vaters des Vaterlandes, die Benennung seines Geburtsmonats
mit dem Namen, den er nach heute fuehrt, des Julius, und andere, zuletzt
in platte Vergoetterung sich verlaufende Manifestationen des beginnenden
Hoftons. Hervorgehoben zu werden verdienen nur zwei Einrichtungen:
dass Caesar den Tribunen des Volkes namentlich in ihrer besonderen
persoenlichen Unverletzlichkeit gleichgestellt und dass die
Imperatorenbenennung dauernd an seine Person geknuepft und neben
den sonstigen Amtsbezeichnungen von ihm als Titel gefuehrt ward ^7.
------------------------------------------------------------------ ^7
Caesar fuehrt die Bezeichnung Imperator immer ohne Iterationsziffer und
immer hinter dem Namen an erster Stelle (Roemisches Staatsrecht, Bd.
2, 3. Aufl., S. 767, A. 1).
------------------------------------------------------------------ Fuer
den Verstaendigen wird es weder dafuer eines Beweises beduerfen, dass
Caesar beabsichtigte, die hoechste Gewalt dem Gemeinwesen einzufuegen,
und zwar nicht nur auf einige Jahre oder auch als persoenliches Amt auf
unbestimmte Zeit, etwa wie Sullas Regentschaft, sondern als wesentliches
und bleibendes Organ, noch auch dafuer, dass er fuer die neue
Institution eine entsprechende und einfache Bezeichnung ausersah; denn
wenn es ein politischer Fehler ist, inhaltlose Namen zu schaffen, so
ist es kaum ein geringerer, den Inhalt der Machtfuelle ohne Namen
hinzustellen. Nur ist es freilich, teils weil in dieser Uebergangszeit
die ephemeren und die bleibenden Bauten sich noch nicht klar voneinander
sondern, teils weil die dem Winke bereits zuvorkommende Devotion der
Klienten den Herrn mit einer ohne Zweifel ihm selbst widerwaertigen
Fuelle von Vertrauensdekreten und Ehrengesetzen ueberschuettete, nicht
leicht festzustellen, welche definitive Formulierung Caesar im Sinne
gehabt hat. Am wenigsten konnte die neue Monarchie an das Konsulat
anknuepfen, schon wegen der von diesem Amt nicht wohl zu trennenden
Kollegialitaet, es hat auch Caesar offenbar darauf hingearbeitet, dieses
bisher hoechste Amt zum leeren Titel herabzusetzen und spaeterhin,
wenn er es uebernahm, dasselbe nicht das ganze Jahr hindurch gefuehrt,
sondern vor dem Ablauf an Personen zweiten Ranges abgegeben. Die
Diktatur tritt praktisch am haeufigsten und bestimmtesten hervor, aber
wahrscheinlich nur, weil Caesar sie als das benutzen wollte, was sie
von alters her im Verfassungsorganismus bedeutet hatte, als
ausserordentliche Vorstandschaft zur Ueberwindung ausserordentlicher
Krisen. Als Traegerin der neuen Monarchie dagegen empfahl sie sich
wenig, da Exzeptionalitaet und Unpopularitaet diesem Amte einmal
anhafteten und es dem Vertreter der Demokratie kaum zugetraut werden
kann, diejenige Form, die der genialste Vorfechter der Gegenpartei
fuer seine Zwecke geschaffen hatte, fuer die dauernde Organisation
zu waehlen. Bei weitem geeigneter fuer die Formulierung der Monarchie
erscheint der neue Imperatorenname, schon darum, weil er in dieser
Verwendung ^8 neu ist und kein bestimmter aeusserer Anlass zur
Einfuehrung desselben erhellt. Der neue Wein durfte nicht in alte
Schlaeuche gefuellt werden: hier ist zu der neuen Sache der neue Name
und in demselben in praegnantester Weise zusammengefasst, was schon in
dem Gabinischen Gesetz, nur mit minderer Schaerfe, die demokratische
Partei als Kompetenz ihres Oberhauptes formuliert hatte: die
Konzentrierung und Perpetuierung der Amtsgewalt (imperium) in der Hand
eines vom Senat unabhaengigen Volkshauptes. Auch begegnet auf Caesars
Muenzen, namentlich auf denen der letzten Zeit, neben der Diktatur
vorwiegend der Imperatorentitel und scheint in Caesars Gesetz ueber
politische Verbrechen der Monarch mit diesem Ausdruck bezeichnet worden
zu sein. Es hat denn auch die Folgezeit, wenngleich nicht unmittelbar,
die Monarchie an den Imperatornamen geknuepft. Um diesem neuen Amt
zugleich die demokratische und die religioese Weihe zu verleihen,
beabsichtigte Caesar wahrscheinlich, mit demselben teils die
tribunizische Gewalt, teils das Oberpontifikat ein fuer allemal zu
verknuepfen. ---------------------------------------------------- ^8
In republikanischer Zeit wird der Imperatorname, der den siegreichen
Feldherrn bezeichnet, abgelegt mit dem Ende des Feldzugs; als
dauernde Titulatur erscheint er bei Caesar zuerst.
---------------------------------------------------- Dass die neue
Organisation nicht bloss auf die Lebenszeit ihres Stifters beschraenkt
bleiben sollte, ist unzweifelhaft; aber derselbe ist nicht dazu gelangt,
die vor allem schwierige Frage der Nachfolge zu erledigen, und es muss
dahingestellt bleiben, ob er die Aufstellung irgendeiner Form fuer
die Nachfolgerwahl im Sinn gehabt hat, wie sie bei dem urspruenglichen
Koenigtum bestanden hatte, oder ob er fuer das hoechste Amt wie die
Lebenslaenglichkeit, so auch die Erblichkeit hat einfuehren wollen,
wie dies sein Adoptivsohn spaeterhin behauptet hat ^9. Es ist nicht
unwahrscheinlich, dass er die Absicht gehabt hat, beide Systeme
gewissermassen miteinander zu verbinden und die Nachfolge, aehnlich wie
Cromwell und wie Napoleon, in der Weise zu ordnen, dass dem Herrscher
der Sohn in der Herrschaft nachfolgt, wenn er aber keinen Sohn hat oder
der Sohn ihm nicht zur Nachfolge geeignet scheint, der Herrscher in
der Form der Adoption den Nachfolger nach freier Wahl ernennt.
----------------------------------------------------- ^9 Dass bei
Caesars Lebzeiten das Imperium sowohl wie das Oberpontifikat fuer seine
agnatische - leibliche oder durch Adoption vermittelte - Deszendenz
durch einen foermlichen legislatorischen Akt erblich gemacht worden
ist, hat Caesar der Sohn als seinen Rechtstitel zur Herrschaft geltend
gemacht. Nach der Beschaffenheit unserer Ueberlieferung muss die
Existenz eines derartigen Gesetzes oder Senatsbeschlusses entschieden
in Abrede gestellt werden; es bleibt aber wohl moeglich, dass Caesar die
Erlassung eines solchen beabsichtigt hat. Vgl. Roemisches
Staatsrecht, Bd. 2, 3. Aufl., S. 767, 1106.
----------------------------------------------------- Staatsrechtlich
lehnte das neue Imperatorenamt sich an an die Stellung, welche die
Konsuln oder Prokonsuln ausserhalb der Bannmeile einnahmen, so dass
zunaechst das militaerische Kommando, daneben aber auch die hoechste
richterliche und folgeweise auch die administrative Gewalt darin
enthalten war ^10. Insofern aber war die Gewalt des Imperators
qualitativ der konsularisch- prokonsularischen ueberlegen, als jene
nicht nach Zeit und Raum begrenzt, sondern lebenslaenglich und auch in
der Hauptstadt wirksam war ^11, als der Imperator nicht, wohl aber der
Konsul, durch gleich maechtige Kollegen gehemmt werden konnte und
als alle im Laufe der Zeit der urspruenglicher. hoechsten Amtsgewalt
gesetzten Beschraenkungen, namentlich die Verpflichtung der Provokation
stattzugeben und die Ratschlaege des Senats zu beachten, fuer den
Imperator wegfielen. Um es mit einem Worte zu sagen: dies neue
Imperatorenamt war nichts anderes als das wiederhergestellte uralte
Koenigtum; denn ebenjene Beschraenkungen in der zeitlichen und
oertlichen Begrenzung der Gewalt, in der Kollegialitaet und der fuer
gewisse Faelle notwendigen Mitwirkung des Rats oder der Gemeinde waren
es ja, die den Konsul vom Koenig unterschieden. Es ist kaum ein Zug
der neuen Monarchie, der nicht in der alten sich wiederfaende:
die Vereinigung der hoechsten militaerischen, richterlichen und
administrativen Gewalt in der Hand des Fuersten; eine religioese
Vorstandschaft ueber das Gemeinwesen; das Recht, Verordnungen mit
bindender Kraft zu erlassen; die Herabdrueckung des Senats zum
Staatsrat; die Wiedererweckung des Patriziats und der Stadtpraefektur.
Aber schlagender noch als diese Analogien ist die innere Gleichartigkeit
der Monarchie des Servius Tullius und der Monarchie Caesars: wenn jene
alten Koenige vor. Rom bei all ihrer Vollgewalt doch Herrn einer freien
Gemeinde und eben sie die Schutzmaenner des gemeinen Mannes gegen den
Adel gewesen waren, so war auch Caesar nicht gekommen, um die Freiheit
aufzuloesen, sondern um sie zu erfuellen, und zunaechst, um das
unertraegliche Joch der Aristokratie zu brechen. Es darf auch nicht
befremden, dass Caesar, nichts weniger als ein politischer Antiquarius,
ein halbes Jahrtausend zurueckgriff, um zu seinem neuen Staat das Muster
zu finden; denn da das hoechste Amt des roemischen Gemeinwesens zu allen
Zeiten ein durch eine Anzahl Spezialgesetze eingeschraenktes Koenigtum
geblieben war, war auch der Begriff des Koenigtums selbst keineswegs
verschollen. Zu den verschiedensten Zeiten und von sehr verschiedenen
Seiten her, in der Dezemviralgewalt, in der Sullanischen und in seiner
eigenen Diktatur, war man waehrend der Republik praktisch auf denselben
zurueckgekommen; ja mit einer gewissen logischen Notwendigkeit trat
ueberall, wo das Beduerfnis einer Ausnahmegewalt .sich zeigte, im
Gegensatz gegen das gewoehnliche beschraenkte das unbeschraenkte
Imperium hervor, welches eben nichts anderes war als die koenigliche
Gewalt. Endlich empfahlen auch aeussere Ruecksichten dies Zurueckgehen
auf das ehemalige Koenigtum. Die Menschheit gelangt zu Neuschoepfungen
unsaeglich schwer und hegt darum die einmal entwickelten Formen als ein
heiliges Erbstueck. Darum knuepfte Caesar mit gutem Bedacht an Servius
Tullius in aehnlicher Weise an, wie spaeter Karl der Grosse an ihn
angeknuepft hat und Napoleon an Karl den Grossen wenigstens anzuknuepfen
versuchte. Er tat dies auch nicht etwa auf Umwegen und heimlich, sondern
so gut wie seine Nachfahren in moeglichst offenkundiger Weise; es war ja
eben der Zweck dieser Anknuepfung, eine klare, nationale und populaere
Formulierung fuer den neuen Staat zu finden. Seit alter Zeit standen
auf dem Kapitol die Standbilder derjenigen sieben Koenige, welche die
konventionelle Geschichte Roms aufzufuehren pflegte; Caesar befahl,
daneben das seinige als das achte zu errichten. Er erschien oeffentlich
in der Tracht der alten Koenige von Alba. In seinem neuen Gesetz ueber
politische Verbrechen war die hauptsaechlichste Abweichung von dem
Sullanischen die, dass neben die Volksgemeinde und auf eine Linie mit
ihr der Imperator als der lebendige und persoenliche Ausdruck des Volkes
gestellt ward. In der fuer die politischen Eide ueblichen Formel ward zu
dem Jovis und den Penaten des roemischen Volkes der Genius des Imperator
hinzugefuegt. Das aeussere Kennzeichen der Monarchie war nach der im
ganzen Altertum verbreiteten Ansicht das Bild des Monarchen auf den
Muenzen: seit dem Jahre 710 (44) erscheint auf denen des roemischen
Staats der Kopf Caesars. Man konnte hiernach wenigstens darueber sich
nicht beschweren, dass Caesar das Publikum ueber die Auffassung seiner
Stellung im dunkeln liess; so bestimmt und so foermlich wie moeglich
trat er auf, nicht bloss als Monarch, sondern eben als Koenig von Rom.
Moeglich ist es sogar, obwohl nicht gerade wahrscheinlich und auf jeden
Fall von untergeordneter Bedeutung, dass er im Sinne gehabt hat, seine
Amtsgewalt nicht mit dem neuen Imperatoren-, sondern geradezu mit dem
alten Koenigsnamen zu bezeichnen ^12. Schon bei seinen Lebzeiten waren
viele seiner Feinde wie seine Freunde der Ansicht, dass er beabsichtige,
sich ausdruecklich zum Koenig von Rom ernennen zu lassen; ja einzelne
seiner leidenschaftlichsten Anhaenger legten ihm die Aufsetzung der
Krone auf verschiedenen Wegen und zu verschiedenen Zeiten nahe; am
auffallendsten Marcus Antonius, indem er als Konsul vor allem Volke
Caesar das Diadem darbot (15. Februar 710 44). Caesar aber wies diese
Antraege ohne Ausnahme von der Hand. Wenn er zugleich gegen diejenigen
einschritt, die diese Vorfaelle benutzten, um republikanische Opposition
zu machen, so folgt daraus noch keineswegs, dass es ihm mit der
Zurueckweisung nicht Ernst war. Die Annahme nun gar, dass diese
Aufforderungen auf sein Geheiss erfolgt seien, um die Menge auf das
ungewohnte Schauspiel des roemischen Diadems vorzubereiten, verkennt
voellig die gewaltige Macht der Gesinnungsopposition, mit welcher Caesar
zu rechnen hatte und die durch eine solche oeffentliche Anerkennung
ihrer Berechtigung von Seiten Caesars selbst nicht nachgiebiger werden
konnte, vielmehr notwendig dadurch weiteren Boden gewann. Es kann der
unberufene Eifer leidenschaftlicher Anhaenger allein diese Auftritte
veranlasst haben; es kann auch sein, dass Caesar die Szene mit Antonius
nur zuliess oder auch veranstaltete, um durch die vor den Augen der
Buergerschaft erfolgte und auf seinen Befehl selbst in die Kalender
des Staats eingetragene, in der Tat nicht wohl wieder zurueckzunehmende
Ablehnung des Koenigstitels dem unbequemen Klatsch auf moeglichst
eklatante Weise ein Ende zu machen. Die Wahrscheinlichkeit spricht
dafuer, dass Caesar, der den Wert einer gelaeufigen Formulierung ebenso
wuerdigte wie die mehr an die Namen als an das Wesen der Dinge sich
heftenden Antipathien der Menge, entschlossen war, den mit uraltem
Bannfluch behafteten und den Roemern seiner Zeit mehr noch fuer die
Despoten des Orients als fuer ihren Numa und Servius gelaeufigen
Koenigsnamen zu vermeiden und das Wesen des Koenigtums unter
dem Imperatorentitel sich anzueignen.
--------------------------------------------- ^10 Die verbreitete
Meinung, die in dem kaiserlichen Imperatorenamt nichts als die
lebenslaengliche Reichsfeldherrnwuerde sieht, wird weder durch
die Bedeutung des Wortes noch durch die Auffassung der alten
Berichterstatter gerechtfertigt. Imperium ist die Befehlsgewalt,
imperator der Inhaber derselben; in diesen Worten wie in den
entsprechenden griechischen Ausdrucken krat/o/r, aytokrat/o/r liegt so
wenig eine spezifisch militaerische Beziehung, dass es vielmehr eben
das Charakteristische der roemischen Amtsgewalt ist, wo sie rein und
vollstaendig auftritt, Krieg und Prozess, das ist die militaerische und
die buergerliche Befehlsgewalt, als ein untrennbares Ganze in sich zu
enthalten. Ganz richtig sagt Dio Cassius (53, 17, vgl. 43, 44; 52, 41),
dass der Name Imperator von den Kaisern angenommen ward "zur Anzeige
ihrer Vollgewalt anstatt des Koenigs- und Diktaturtitels (pros
d/e/l/o/sin t/e/s aytotelo?s sph/o/n exoysias, anti t/e/s to? basile/o/s
to? te diktat/o/ros epikl/e/se/o/s); denn diese aelteren Titel sind
dem Namen nach verschwunden, der Sache nach aber gibt der Imperatorname
dieselben Befugnisse (to de d/e/ ergon ayt/o/n t/e/ to? aytokrat/o/ros
pros/e/goria bebais?ntai), zum Beispiel das Recht, Soldaten auszuheben,
Steuern; auszuschreiben, Krieg zu erklaeren und Frieden zu schliessen,
ueber Buerger und Nichtbuerger in und ausser der Stadt die hoechste
Gewalt zu ueben und jeden an jedem Orte am Leben oder sonst zu strafen.,
ueberhaupt der mit dem hoechsten Imperium in aeltester Zeit verbundenen
Befugnisse sich anzumassen". Deutlicher kann es wohl nicht gesagt
werden, dass imperator eben gar nichts ist als ein Synonym fuer rex,
so gut wie imperare mit regere zusammenfaellt. ^11 Als Augustus bei
Konstituierung des Prinzipats das Caesarische Imperium wiederaufnahm,
geschah dies mit der Beschraenkung, dass es raeumlich und in gewissem
Sinn auch zeitlich begrenzt sein solle; die prokonsularische Gewalt der
Kaiser, welche nichts ist als ebendies Imperium, sollte fuer Rom und
Italien nicht zur Anwendung kommen (Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, 3,
Aufl., S. 854j. Auf diesem Moment ruht der wesentliche Unterschied
des Caesarischen Imperiums und des Augustfischen Prinzipats, sowie
andererseits auf der schon prinzipiell und mehr noch praktisch
unvollstaendigen Verwirklichung jener Schranke die reale Gleichheit
beider Institutionen. ^12 Ueber diese Frage laesst sich streiten;
dagegen muss die Annahme, dass es Caesars Absicht gewesen, die Roemer
als Imperator, die Nichtroemer als Rex zu beherrschen, einfach verworfen
werden. Sie stuetzt sich einzig auf die Erzaehlung, dass in der
Senatssitzung, in welcher Caesar ermordet ward, von einem der
Orakelpriester Lucius Cotta ein Sibyllenspruch, wonach die Parther
nur von einem "Koenig" koennten ueberwunden werden, habe vorgelegt und
infolgedessen der Beschluss gefasst werden sollen, Caesar das Koenigtum
ueber die roemischen Provinzen zu uebertragen. Diese Erzaehlung war
allerdings schon unmittelbar nach Caesars Tod in Umlauf. Allein nicht
bloss findet sie nirgends irgendwelche auch nur mittelbare Bestaetigung,
sondern sie wird von dem Zeitgenossen Cicero (div. 2, 54, 119)
sogar ausdruecklich fuer falsch erklaert und von den spaeteren
Geschichtschreibern, namentlich von Sueton (79) und Dio (44, 15) nur
als ein Geruecht berichtet, das sie weit entfernt sind, verbuergen zu
wollen; und sie wird denn auch dadurch nicht besser beglaubigt, dass
Plutarch (Caes. 60, 64; Brut. 10) und Appian (civ. 2, 110) ihrer
Gewohnheit gemaess jener anekdotenhaft, dieser pragmatisierend, sie
wiederholen. Es ist diese Erzaehlung aber nicht bloss unbezeugt, sondern
auch innerlich unmoeglich. Wenn man auch davon absehen will, dass Caesar
zu viel Geist und zu viel politischen Takt hatte, um nach Oligarchenart
wichtige Staatsfragen durch einen Schlag mit der Orakelmaschine zu
entscheiden, so konnte er doch nimmermehr daran denken, den Staat,
den er nivellieren wollte, also foermlich und rechtlich zu spalten.
--------------------------------------------- Indes wie auch die
definitive Titulatur gedacht gewesen sein mag, der Herr war da, und
sogleich richtete denn auch der Hof in obligatem Pomp und obligater
Geschmacklosigkeit und Leerheft sich ein. Caesar erschien oeffentlich
statt in dem mit Purpurstreifen verbraemten Gewande der Konsuln in dem
ganzpurpurnen, das im Altertum als das Koenigskleid galt, und empfing,
auf seinem Goldsessel sitzend, ohne sich von demselben zu erheben, den
feierlichen Zug des Senats. Die Geburtstags-, Sieges- und Geluebdefeste
zu seinen Ehren fuellten den Kalender. Wenn Caesar nach der Hauptstadt
kam, zogen die vornehmsten seiner Diener scharenweise auf weite Strecken
ihm entgegen ihn einzuholen. Ihm nahe zu sein fing an so viel zu
bedeuten, dass die Mietpreise in dem von ihm bewohnten Stadtviertel
in die Hoehe gingen. Durch die Menge der zur Audienz sich draengenden
Personen ward die persoenliche Verhandlung mit ihm so erschwert, dass
Caesar sogar mit seinen Vertrauten vielfach schriftlich zu verkehren
sich genoetigt sah und dass auch die Vornehmsten stundenlang im
Vorzimmer zu warten hatten. Man empfand es, deutlicher als es Caesar
selber lieb war, dass man nicht mehr zu einem Mitbuerger kam. Es
entstand ein monarchischer Adel, welcher in merkwuerdiger Weise zugleich
neu und alt war und aus dem Gedanken entsprang, den Adel der Oligarchie
durch den des Koenigtums, die Nobilitaet durch das Patriziat in Schatten
zu stellen. Noch immer bestand die Patrizierschaft, wenngleich ohne
wesentliche staendische Vorrechte, doch als geschlossene Junkergilde
fort; aber da sie keine neuen Geschlechter aufnehmen konnte, war sie im
Laufe der Jahrhunderte mehr und mehr zusammengestorben: nicht mehr als
fuenfzehn bis sechzehn Patriziergeschlechter waren zu Caesars Zeit noch
vorhanden. Indem Caesar, selber einem derselben entsprossen, das Recht,
neue patrizische Geschlechter zu kreieren, durch Volksbeschluss
dem Imperator erteilen liess, gruendete er, im Gegensatz zu der
republikanischen Nobilitaet, den neuen Adel des Patriziats, der
alle Erfordernisse eines monarchischen Adels: altersgrauen Zauber,
vollstaendige Abhaengigkeit von der Regierung und gaenzliche
Bedeutungslosigkeit auf das gluecklichste vereinigte. Nach allen Seiten
hin offenbarte sich das neue Herrenrum. Unter einem also tatsaechlich
unumschraenkten Monarchen konnte kaum von einer Verfassung die Rede
sein, geschweige denn von denn Fortbestand des bisherigen, auf dem
gesetzlichen Zusammenwirken der Buergerschaft, des Senats und der
einzelner. Beamten beruhenden Gemeinwesens. Mit voller Bestimmtheit
ging Caesar zurueck auf die Ueberlieferung der Koenigszeit: die
Buergerschaftsversammlung blieb, was sie schon in der Koenigszeit
gewesen war, neben und mit dem Koenig der hoechste und letzte
Ausdruck des souveraenen Volkswillens; der Senat ward wieder auf
seine urspruengliche Bestimmung zurueckgefuehrt, dem Herrn auf dessen
Verlangen Rat zu erteilen; der Herrscher endlich konzentrierte in seiner
Person aufs neue die gesamte Beamtengewalt, so dass es einen anderen
selbstaendigen Staatsbeamten neben ihm so wenig gab wie neben
den Koenigen der aeltesten Zeit. Fuer die Gesetzgebung hielt der
demokratische Monarch fest an dem uralten Satz des roemischen
Staatsrechts, dass nur die Volksgemeinde in Gemeinschaft mit dem
sie berufenden Koenig vermoegend sei, das Gemeinwesen organisch
zu regulieren, und sanktionierte seine konstitutiven Verfuegungen
regelmaessig durch Volksschluss. Die freie Kraft und die
sittlich-staatliche Autoritaet, die das Ja oder Nein jener alten
Wehrmannschaften in sich getragen hatte, liess sich freilich den
sogenannten Komitien dieser Zeit nicht wiedereinfloessen; die Mitwirkung
der Buergerschaft bei der Gesetzgebung, die in der alten Verfassung
hoechst beschraenkt, aber wirklich und lebendig gewesen war, war in
der neuen in praktischer Hinsicht ein wesenloser Schatten. Besonderer
beschraenkender Massregeln gegen die Komitien bedurfte es darum auch
nicht; eine vieljaehrige Erfahrung hatte gezeigt, dass mit diesem
formellen Souveraen jede Regierung, die Oligarchie wie der Monarch,
bequem auskam. Nur insofern, als diese Caesarischen Komitien dazu
dienten, die Volkssouveraenitaet prinzipiell festzuhalten und energisch
gegen den Sultanismus zu protestieren, waren sie ein wichtiges Moment in
dem Caesarischen System und mittelbar von praktischer Bedeutung. Daneben
aber wurde, wie nicht bloss an sich klar, sondern auch bestimmt bezeugt
ist, schon von Caesar selbst und nicht erst von seinen Nachfolgern auch
der andere Satz des aeltesten Staatsrechts wieder aufgenommen, dass,
was der hoechste oder vielmehr einzige Beamte befiehlt, unbedingt
Gueltigkeit hat, solange er im Amte bleibt, und die Gesetzgebung zwar
nur dem Koenig und der Buergerschaft gemeinschaftlich zukommt, die
koenigliche Verordnung aber, wenigstens bis zum Abgang ihres Urhebers,
dem Gesetz gleichsteht. Wenn der Demokratenkoenig also der Volksgemeinde
wenigstens einen formellen Anteil an der Souveraenitaet zugestand, so
war es dagegen keineswegs seine Absicht, mit der bisherigen Regierung,
dem Senatorenkollegium, die Gewalt zu teilen. Caesars Senat sollte
- ganz anders als der spaetere Augusteische - nichts sein als
ein hoechster Reichsrat, den er benutzte, um die Gesetze mit ihm
vorzuberaten und die wichtigeren administrativer. Verfuegungen durch
ihn oder wenigstens unter seinem Namen zu erlassen, denn es kam freilich
auch vor, dass Senatsbeschluesse ergingen, von denen selbst von den
als bei der Redaktion gegenwaertig aufgefuehrten Senatoren keiner eine
Ahnung hatte. Es hatte keine wesentlichen Formschwierigkeiten, den Senat
wieder auf seine urspruengliche beratende Stellung zurueckzufuehren, aus
der er mehr tatsaechlich als rechtlich herausgetreten war; dagegen war
es hier notwendig, sich vor praktischem Widerstand zu schuetzen, da der
roemische Senat ebenso der Herd der Opposition gegen Caesar war wie der
attische Areopag derjenige gegen Perikles. Hauptsaechlich aus diesem
Grunde wurde die Zahl der Senatoren, die bisher hoechstens sechshundert
im Normalbestand betragen hatte und durch die letzten Krisen stark
zusammengeschwunden war, durch ausserordentliche Ergaenzung bis auf
neunhundert gebracht und zugleich, um sie mindestens auf dieser Hoehe zu
halten, die Zahl der jaehrlich zu ernennenden Quaestoren, das heisst der
jaehrlich in den Senat eintretenden Mitglieder, von zwanzig auf vierzig
erhoeht ^13. Die ausserordentliche Ergaenzung des Senats nahm der
Monarch allein vor. Bei der ordentlichen sicherte er einen dauernden
Einfluss sich dadurch, dass die Wahlkollegien durch Gesetz
^14 verpflichtet wurden, den ersten zwanzig vom Monarchen mit
Empfehlungsschreiben versehenen Bewerbern um die Quaestur ihre Stimmen
zu geben; ueberdies stand es der Krone frei, die an die Quaestur
oder ein derselben uebergeordnetes Amt geknuepften Ehrenrechte, also
namentlich den Sitz im Senat, ausnahmsweise auch an nichtqualifizierte
Individuen zu vergeben. Die ausserordentlichen Ergaenzungswahlen fielen
natuerlich wesentlich auf Anhaenger der neuen Ordnung der Dinge
und brachten neben angesehenen Rittern auch manche zweifelhafte und
plebejische Individuen in die hohe Korporation: ehemalige, durch den
Zensor oder infolge eines Richterspruchs von der Liste gestrichene
Senatoren, Auslaender aus Spanien und Gallien, welche zum Teil erst
im Senat ihr Lateinisch zu lernen hatten, gewesene Unteroffiziere, die
bisher nicht einmal den Ritterring gehabt, Soehne von freigelassenen
Leuten oder von solchen, die unehrenhafte Gewerbe betrieben, und
dergleichen Elemente mehr. Die exklusiven Kreise der Nobilitaet, denen
diese Umgestaltung des senatorischen Personals natuerlich zum bittersten
Aerger gereichte, sahen darin eine absichtliche Herabwuerdigung der
Institution des Senats selbst. Einer solchen sich selber vernichtenden
Staatskunst war Caesar nicht faehig; er war ebenso entschlossen,
sich nicht von seinem Rat regieren zu lassen, als ueberzeugt von der
Notwendigkeit des Instituts an sich. Richtiger haetten sie in diesem
Verfahren die Absicht des Monarchen erkannt, dem Senat seinen bisherigen
Charakter der ausschliesslichen Repraesentation des oligarchischen Adels
zu nehmen und ihn wieder zu dem zu machen, was er in der Koenigszeit
gewesen war: zu einem alle Klassen der Staatsangehoerigen durch ihre
intelligentesten Elemente vertretenden und auch den niedrig geborenen
und selbst den fremden Mann nicht mit Notwendigkeit ausschliessenden
Reichsrat - gerade wie jene aeltesten Koenige Nichtbuerger, zog
Caesar Nichtitaliker in seinen Senat.
-------------------------------------------------------- ^13 Nach
der frueher angenommenen Wahrscheinlichkeitsrechnung wuerde dies eine
durchschnittliche Gesamtzahl von 1000-1200 Senatoren ergeben. ^14
Dasselbe bezog sich allerdings nur auf die Wahlen fuer das Jahr 711 (43)
und 712 (42) (Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, 3. Aufl., S. 730);
aber gewiss sollte die Einrichtung bleibend werden.
-------------------------------------------------------- Wenn hiermit
das Regiment der Nobilitaet beseitigt und ihre Existenz untergraben, der
Senat in seiner neuen Gestalt aber nichts als ein Werkzeug des Monarchen
war, so wurde zugleich in der Verwaltung und Regierung des Staats
die Autokratie in der schaerfsten Weise durchgefuehrt und die gesamte
Exekutive in der Hand des Monarchen vereinigt. Vor allen Dingen
entschied natuerlich in jeder irgend wesentlichen Frage der Imperator
in eigener Person. Caesar hat es vermocht, das persoenliche Regiment
in einer Ausdehnung durchzufuehren, die fuer uns geringe Menschen kaum
fasslich ist und die doch nicht allein aus der beispiellosen Raschheit
und Sicherheit seines Arbeitens sich erklaert, sondern ausserdem noch
begruendet ist in einer allgemeineren Ursache. Wenn wir Caesar, Sulla,
Gaius Gracchus, ueberhaupt die roemischen Staatsmaenner durchweg eine
unsere Vorstellungen von menschlicher Arbeitskraft uebersteigende
Taetigkeit entwickeln sehen, so liegt die Ursache nicht in der seit
jener Zeit veraenderten Menschennatur, sondern in der seit jener Zeit
veraenderten Organisation des Hauswesens. Das roemische Haus war eine
Maschine, in der dem Herrn auch die geistigen Kraefte seiner Sklaven
und Freigelassenen zuwuchsen; ein Herr, der diese zu regieren verstand,
arbeitete gleichsam mit unzaehligen Geistern. Es war das Ideal
buerokratischer Zentralisation, dem unser Kontorwesen zwar mit Eifer
nachstrebt, aber doch hinter dem Urbild ebenso weit zurueckbleibt wie
die heutige Kapitalherrschaft hinter dem antiken Sklavensystem. Caesar
verstand diesen Vorteil zu nutzen: wo ein Posten besonderes Vertrauen
in Anspruch nimmt, sehen wir grundsaetzlich, soweit irgend andere
Ruecksichten es gestatten, ihn denselben mit seinen Sklaven,
Freigelassenen, niedrig geborenen Klienten besetzen. Seine Werke im
ganzen zeigen, was ein organisierendes Genie wie das seinige mit einem
solchen Werkzeug auszurichten vermochte; auf die Frage, wie im einzelnen
diese wunderbaren Leistungen durchgefuehrt wurden, haben wir keine
hinreichende Antwort - die Buerokratie gleicht der Fabrik auch darin,
dass das geschaffene Werk nicht als das des einzelnen erscheint, der es
gearbeitet hat, sondern als das der Fabrik, die es stempelt. Nur das ist
vollkommen klar, dass Caesar durchaus keinen Gehilfen bei seinem Werke
gehabt hat, der von persoenlichem Einfluss auf dasselbe oder auch nur
in den ganzen Plan eingeweiht gewesen waere; er war nicht nur allein
Meister, sondern er arbeitete auch ohne Gesellen, nur mit Handlangern.
Im einzelnen versteht sich von selbst, dass in den eigentlich
politischen Angelegenheiten Caesar soweit irgend moeglich jede
Stellvertretung vermied. Wo sie unumgaenglich war, wie denn Caesar
namentlich waehrend seiner haeufigen Abwesenheit von Rom eines hoeheren
Organs daselbst durchaus bedurfte, wurde in bezeichnender Weise hierzu
nicht der legale Stellvertreter des Monarchen, der Stadtpraefekt,
bestimmt, sondern ein Vertrauensmann ohne offiziell anerkannte
Kompetenz, gewoehnlich Caesars Bankier, der kluge und geschmeidige
phoenikische Kaufmann Lucius Cornelius Balbus aus Gades. In der
Verwaltung war Caesar vor allem darauf bedacht, die Schluessel
der Staatskasse, die der Senat nach dem Sturze des Koenigtums sich
zugeeignet und mittels deren er sich des Regiments bemaechtigt hatte,
wiederum an sich zu nehmen und sie nur solchen Dienern anzuvertrauen,
die mit ihrem Kopfe unbedingt und ausschliesslich ihm hafteten. Zwar dem
Eigentum nach blieb das Privatvermoegen des Monarchen von dem Staatsgut
natuerlich streng geschieden; aber die Verwaltung des ganzen Finanz- und
Geldwesens des Staates nahm Caesar in die Hand und fuehrte sie
durchaus in der Art, wie er, und ueberhaupt die roemischen Grossen,
die Verwaltung ihres eigenen Vermoegens zu fuehren pflegten. Fuer die
Zukunft wurden die Erhebung der Provinzialgefaelle und in der Hauptsache
auch die Leitung des Muenzwesens den Sklaven und Freigelassenen des
Imperators uebertragen und die Maenner senatorischen Standes davon
ausgeschlossen - ein folgenreicher Schritt, aus dem im Laufe der Zeit
der so wichtige Prokuratorenstand und das "kaiserliche Haus" sich
entwickelt haben. Dagegen von den Statthalterschaften, die, nachdem sie
ihre finanziellen Geschaefte an die neuen kaiserlichen Steuereinnehmer
abgegeben, mehr noch als bisher wesentlich Militaerkommandos waren, ging
nur das aegyptische Kommando an die eigenen Leute des Monarchen
ueber. Die in eigentuemlicher Art geographisch isolierte und politisch
zentralisierte Landschaft am Nil war, wie schon die waehrend der
letzten Krise mehrfach vorgekommenen Versuche bedraengter italischer
Parteichefs, daselbst sich festzusetzen, hinreichend bewiesen, wie kein
anderer Distrikt geeignet, unter einem faehigen Fuehrer auf die Dauer
sich von der Zentralgewalt loszumachen. Wahrscheinlich war es eben diese
Ruecksicht, die Caesar bestimmte, das Land nicht foermlich zur Provinz
zu erklaeren, sondern die ungefaehrlichen Lagiden daselbst zu belassen;
und sicher wurden aus diesem Grunde die in Aegypten stationierenden
Legionen nicht einem dem Senat, das heisst der ehemaligen Regierung
angehoerigen Manne anvertraut, sondern dieses Kommando, aehnlich wie die
Steuereinnehmerstellen, als ein Gesindeposten behandelt. Im allgemeinen
aber ueberwog bei Caesar die Ruecksicht, die Soldaten Roms nicht, wie
die der Koenige des Ostens, durch Lakaien kommandieren zu lassen.
Es blieb Regel, die bedeutenderen Statthalterschaften mit gewesenen
Konsuln, die geringeren mit gewesenen Praetoren zu besetzen; anstatt
des fuenfjaehrigen Zwischenraums, den das Gesetz von 702 (52)
vorgeschrieben, knuepfte wahrscheinlich wieder in alter Weise der
Anfang der Statthalterschaft unmittelbar an das Ende der staedtischen
Amtstaetigkeit an. Dagegen die Verteilung der Provinzen unter
die qualifizierten Kandidaten, die bisher bald durch Volks- oder
Senatsbeschluss, bald durch Vereinbarung der Beamten oder durch das Los
erfolgt war, ging ueber an den Monarchen; und indem die Konsuln haeufig
veranlasst wurden, vor Ende des Jahres abzudanken und nachgewaehlten
Konsuln (consules suffecti) Platz zu machen, ferner die Zahl der
jaehrlich ernannten Praetoren von acht auf sechzehn erhoeht und dem
Imperator die Ernennung der Haelfte derselben in aehnlicher Art wie die
der Haelfte der Quaestoren uebertragen ward, endlich demselben das Recht
reserviert blieb, zwar nicht Titularkonsuln, aber doch Titularpraetoren
wie Titularquaestoren zu ernennen, sicherte Caesar sich fuer die
Besetzung der Statthalterschaften eine hinreichende Zahl ihm genehmer
Kandidaten. Die Abberufung blieb natuerlich dem Ermessen des Regenten
anheimgestellt, ebenso wie die Ernennung; als Regel wurde angenommen,
dass der konsularische Statthalter nicht ueber zwei, der praetorische
nicht ueber ein Jahr in der Provinz bleiben solle. Was endlich die
Verwaltung der Haupt- und Residenzstadt anlangt, so beabsichtigte der
Imperator eine Zeitlang offenbar, auch diese in aehnlicher Weise von ihm
ernannten Beamten anzuvertrauen. Er rief die alte Stadtverweserschaft
der Koenigszeit wieder ins Leben; zu verschiedenen Malen uebertrug er
waehrend seiner Abwesenheit die Verwaltung der Hauptstadt einem oder
mehreren solchen von ihm ohne Befragen des Volkes und auf unbestimmte
Zeit ernannten Stellvertretern, welche die Geschaefte der saemtlichen
Verwaltungsbeamten in sich vereinigten und sogar das Recht besassen,
mit eigenem Namen, obwohl natuerlich nicht mit eigenem Bilde, Muenze
zu schlagen. In dem Jahre 707 (47) und in den ersten neun Monaten des
Jahres 709 (45) gab es ferner weder Praetoren noch kurulische Aedilen
noch Quaestoren; auch die Konsuln wurden in jenem Jahre erst gegen das
Ende ernannt, und in diesem war gar Caesar Konsul ohne Kollegen. Es
sieht dies ganz aus wie ein Versuch, die alte koenigliche Gewalt
auch innerhalb der Stadt Rom, bis auf die durch die demokratische
Vergangenheit des neuen Monarchen gebotenen Beschraenkungen,
vollstaendig zu erneuern, also von Beamten, ausser dem Koenig selbst,
nur den Stadtpraefekten waehrend des Koenigs Abwesenheit und die zum
Schutz der Volksfreiheit bestellten Tribunen und Volksaedilen bestehen
zu lassen, aber das Konsulat, die Zensur, die Praetur, die kurulische
Aedilitaet und die Quaestur wiederabzuschaffen ^15. Indes ging Caesar
hiervon spaeter wieder ab: weder nahm er selbst den Koenigstitel an,
noch tilgte er jene ehrwuerdigen, mit der glorreichen Geschichte der
Republik verwachsenen Namen. Den Konsuln, Praetoren, Aedilen, Tribunen
und Quaestoren blieb im wesentlichen ihre bisherige formelle Kompetenz,
allein ihre Stellung ward dennoch gaenzlich umgewandelt. Es war der
politische Grundgedanke der Republik, dass das Roemische Reich in der
Stadt Rom aufgehe, und deshalb waren konsequent die hauptstaedtischen
Munizipal- durchaus als Reichsbeamte behandelt worden. In Caesars
Monarchie fiel mit jener Auffassung auch diese Folge weg; die
Beamten Roms bildeten fortan nur die erste unter den vielen
Reichsmunizipalitaeten, und namentlich das Konsulat ward ein reiner
Titularposten, der nur durch die daran geknuepfte Expektanz einer
hoeheren Statthalterschaft eine gewisse praktische Bedeutung bewahrte.
Das Schicksal, das die roemische Gemeinde den unterworfenen zu bereiten
gewohnt gewesen, widerfuhr durch Caesar ihr selber: ihre Souveraenitaet
ueber das Roemische Reich verwandelte sich in eine beschraenkte
Kommunalfreiheit innerhalb des roemischen Staates. Dass zugleich die
Zahl der Praetoren und Quaestoren verdoppelt ward, wurde schon erwaehnt;
das gleiche geschah hinsichtlich der Volksaedilen, zu denen zwei
neue "Getreideaedilen" (aediles Ceriales) zur Ueberwachung der
hauptstaedtischen Zufuhr hinzukamen. Die Besetzung dieser Aemter blieb
der Gemeinde und ward hinsichtlich der Konsuln, vielleicht auch der
Volkstribune und der Volksaedilen, nicht beschraenkt; dass fuer die
Haelfte der jaehrlich zu ernennenden Praetoren, kurulischen Aedilen
und Quaestoren der Imperator ein die Waehler bindendes Vorschlagsrecht
erhielt, ward in der Hauptsache schon erwaehnt. Ueberhaupt wurden die
altheiligen Palladien der Volksfreiheit nicht angetastet; was natuerlich
nicht hinderte, gegen den einzelnen aufsaetzigen Volkstribun ernstlich
einzuschreiten, ja ihn abzusetzen und von der Liste der Senatoren
zu streichen. Indem also der Imperator fuer die allgemeineren und
wichtigeren Fragen sein eigener Minister war; indem er die Finanzen
durch seine Bedienten, das Heer durch seine Adjutanten beherrschte;
indem die alten republikanischen Staatsaemter wieder in Gemeindeaemter
der Stadt Rom umgewandelt waren, war die Autokratie hinreichend
begruendet. ----------------------------------------- ^15 Daher denn
auch die vorsichtigen Wendungen bei Erwaehnung dieser Aemter in Caesars
Gesetzen: cum censor aliusve quis magistratus Romae populi censum aget
(Lex Iul. munic., Z. 144); praetor isve quei Romae iure deicundo praerit
(Lex Rubr. oft); quaestor urbanes queive aerario praerit (Lex Iul.
munic., Z. 37 u. oe.). ----------------------------------------- In der
geistlichen Hierarchie dagegen hat Caesar, obwohl er auch ueber diesen
Teil des Staatshaushalts ein ausfuehrliches Gesetz erliess, nichts
Wesentliches geneuert, ausser dass er das Oberpontifikat und vielleicht
die Mitgliedschaft der hoeheren Priesterkollegien ueberhaupt mit der
Person des Regenten verknuepfte; womit es teilweise zusammenhaengt,
dass in den drei hoechsten Kollegien je eine, in dem vierten der
Schmausherren drei neue Stellen geschaffen wurden. Hatte die roemische
Staatskirche bisher der herrschenden Oligarchie zur Stuetze gedient, so
konnte sie ebendenselben Dienst auch der neuen Monarchie leisten.
Die konservative Religionspolitik des Senats ging ueber auf die neuen
Koenige von Rom; als der streng konservative Varro um diese Zeit seine
'Altertuemer der goettlichen Dinge', das Haupt- und Grundbuch der
roemischen Staatstheologie, bekannt machte, durfte er dieselben dem
Oberpontifex Caesar zueignen. Der matte Glanz, den der Joviskult noch
zu geben vermochte, umfloss den neugegruendeten Thron, und der alte
Landesglaube ward in seinen letzten Stadien das Werkzeug eines freilich
von Haus aus hohlen und schwaechlichen Caesaropapismus. Im Gerichtswesen
ward zunaechst die alte koenigliche Gerichtsbarkeit wiederhergestellt.
Wie der Koenig urspruenglich in Kriminal- und Zivilsachen Richter
gewesen war, ohne in jenen an die Gnadeninstanz des Volkes, in diesen
an die Ueberweisung der Entscheidung der streitigen Frage an Geschworene
rechtlich gebunden zu sein: so nahm auch Caesar das Recht in Anspruch,
Blutgerichte wie Privatprozesse zu alleiniger und endgueltiger
Entscheidung an sich zu ziehen und sie im Falle seiner Anwesenheit
selbst, im Fall seiner Abwesenheit durch den Stadtverweser zu erledigen.
In der Tat finden wir ihn, ganz nach der Weise der alten Koenige, teils
oeffentlich auf dem Markte der Hauptstadt zu Gericht sitzen ueber des
Hochverrats angeklagte roemische Buerger, teils in seinem Hause Gericht
halten ueber die des gleichen Vergehens beschuldigten Klientelfuersten;
so dass das Vorrecht, das die roemischen Buerger vor den uebrigen
Untertanen des Koenigs voraus hatten, allein in der Oeffentlichkeit
der Gerichtsverhandlung bestanden zu haben scheint. Indes dieses
wiedererweckte koenigliche Oberrichtertum konnte, wenngleich Caesar mit
Unparteilichkeit und Sorgfalt sich demselben unterzog, doch der Natur
der Sache nach tatsaechlich nur in Ausnahmefaellen zur Anwendung kommen.
Fuer den gewoehnlichen Rechtsgang in Kriminal- und Zivilsachen blieb
daneben die bisherige republikanische Rechtspflege im wesentlichen
bestehen. Die Kriminalsachen fanden nach wie vor ihre Erledigung vor
den verschiedener, fuer die einzelnen Verbrechen kompetenten
Geschworenenkommissionen, die Zivilsachen teils vor dem Erbschafts-
oder dem sogenannten "Hundertmaennergericht", teils vor den
Einzelgeschworenen; die Leitung der Gerichte ward, wie bisher, in der
Hauptstadt hauptsaechlich von den Praetoren, in den Provinzen von den
Statthaltern beschafft. Auch die politischen Verbrechen blieben selbst
unter der Monarchie einer Geschworenenkommission ueberwiesen; die neue
Ordnung, die Caesar fuer dieselbe erliess, spezifizierte die gesetzlich
strafbaren Handlungen genau und in liberaler, jede Gesinnungsverfolgung
ausschliessender Weise und setzte als Strafe nicht den Tod fest, sondern
die Verbannung. Hinsichtlich der Auswahl der Geschworenen, die die
Senatorenpartei ausschliesslich aus dem Senat, die strengen Gracchaner
ausschliesslich aus dem Ritterstand erkoren wissen wollten, liess
Caesar, getreu dem Grundsatz der Versoehnung der Parteien, es bei dem
Transaktionsgesetze Cottas, jedoch mit der wahrscheinlich schon durch
das Gesetz des Pompeius vom Jahre 699 (55) vorbereiteten Modifikation,
dass die aus den unteren Schichten des Volkes hervorgegangenen
Aerartribunen beseitigt, damit also ein Geschworenenzensus von
mindestens 400000 Sesterzen (30000 Taler) festgesetzt ward, und
Senatoren und Ritter in die Geschworenenfunktionen, die so lange
der Zankapfel zwischen ihnen gewesen waren, jetzt sich teilten. Das
Verhaeltnis der koeniglichen und der republikanischen Gerichtsbarkeit
war im ganzen konkurrierender Art, so dass jede Sache sowohl vor dem
Koenigsgericht als vor dem beikommenden republikanischen Gerichtshof
anhaengig gemacht werden konnte, wobei im Kollisionsfall natuerlich der
letztere zurueckstand; wenn dagegen das eine oder das andere Gericht
den Spruch gefaellt hatte, die Sache damit endgueltig erledigt war. Zur
Umstossung eines in einer Zivil- oder in einer Kriminalsache von den
berufenen Geschworenen gefaellten Verdikts war auch der neue Herrscher
nicht befugt, ausgenommen wo besondere Momente, zum Beispiel Bestechung
oder Gewalt, schon nach dem Recht der Republik die Kassation des
Geschworenenspruchs herbeifuehrten. Dagegen erhielt der Satz, dass wegen
eines jeden bloss magistratischen Dekrets der dadurch Beschwerte an den
Vorgesetzten des Dezernenten zu appellieren befugt sei, wahrscheinlich
schon jetzt die grosse Ausdehnung, aus der die spaetere kaiserliche
Appellationsinstanz hervorgegangen ist: es wurden vielleicht saemtliche
rechtsprechende Magistrate, mindestens aber die Statthalter der
saemtlichen Provinzen insofern als Unterbeamte des Herrschers angesehen,
dass von jedem ihrer Dekrete Berufung an denselben eingelegt werden
konnte. Allerdings haben diese Neuerungen, von denen die wichtigste,
die Generalisierung der Appellation, nicht einmal unbedingt zu den
Besserungen gezaehlt werden kann, die Schaeden, an denen die roemische
Rechtspflege daniederlag, keineswegs ausgeheilt. Der Kriminalprozess
kann in keinem Sklavenstaat gesund sein, da das Verfahren gegen Sklaven
wenn nicht rechtlich, doch tatsaechlich in der Hand des Herrn liegt. Der
roemische Herr ahndete begreiflicherweise das Verbrechen seines Knechts
durchgaengig nicht als solches, sondern nur insofern es den Sklaven ihm
unbrauchbar oder unangenehm machte; die Verbrechersklaven wurden eben
nur ausrangiert, etwa wie die stoessigen Ochsen, und, wie diese an
den Schlaechter, so jene in die Fechtbude verkauft. Aber auch der
Kriminalprozess gegen Freie, der von Haus aus politischer Prozess
gewesen und zum guten Teil immer geblieben war, hatte in dem wuesten
Treiben der letzten Generationen aus einem ernstlichen Rechtshandel
sich umgewandelt in eine mit Gunst, Geld und Gewalt zu schlagende
Cliquenschlacht. Die Schuld lag an allen Beteiligten zugleich, an den
Beamten, der Jury, den Parteien, sogar dem Zuschauerpublikum; aber die
unheilbarsten Wunden schlug dem Rechte das Treiben der Advokaten. Indem
die Schmarotzerpflanze der roemischen Advokatenberedsamkeit gedieh,
wurden alle positiven Rechtsbegriffe zersetzt und der dem Publikum so
schwer einleuchtende Unterschied zwischen Meinung und Beweis aus der
roemischen Kriminalpraxis recht eigentlich ausgetrieben. "Ein recht
schlechter Angeklagter", sagt ein vielerfahrener roemischer Advokat
dieser Zeit, "kann auf jedes beliebige Verbrechen, das er begangen oder
nicht begangen hat, angeklagt werden und wird sicher verurteilt." Es
sind aus dieser Epoche zahlreiche Plaedoyers in Kriminalsachen erhalten;
kaum eines ist darunter, das auch nur ernstlich versuchte, das fragliche
Verbrechen zu fixieren und den Beweis oder Gegenbeweis zu formulieren
^16. Dass der gleichzeitige Zivilprozess ebenfalls vielfach ungesund
war, bedarf kaum der Erwaehnung; auch er litt unter den Folgen der in
alles sich mengenden Parteipolitik, wie denn zum Beispiel in dem
Prozess des Publius Quinctius (671-673 83-81) die widersprechendsten
Entscheidungen fielen, je nachdem Cinna oder Sulla in Rom die Oberhand
hatte; und die Anwaelte, haeufig Nichtjuristen, stifteten auch hier
absichtlich und unabsichtlich Verwirrung genug. Aber es lag doch in
der Natur der Sache, dass teils die Partei hier nur ausnahmsweise sich
einmengte, teils die Advokatenrabulistik nicht so rasch und nicht
so tief die Rechtsbegriffe aufzuloesen vermochte; wie denn auch die
Zivilplaedoyers, die wir aus dieser Epoche besitzen, zwar nicht nach
unseren strengeren Begriffen gute Advokatenschriften, aber doch weit
weniger libellistischen und weit mehr juristischen Inhalts sind als die
gleichzeitigen Kriminalreden. Wenn Caesar der Advokatenberedsamkeit
den von Pompeius ihr angelegten Maulkorb liess oder gar ihn noch
verschaerfte, war damit wenigstens nichts verloren; und viel war
gewonnen, wenn besser gewaehlte und besser beaufsichtigte Beamte
und Geschworene ernannt wurden und die handgreifliche Bestechung
und Einschuechterung der Gerichte ein Ende nahm. Aber das heilige
Rechtsgefuehl und die Ehrfurcht vor dem Gesetz, schwer in den Gemuetern
der Menge zu zerruetten, sind schwerer noch wiederzuerzeugen. Wie auch
der Gesetzgeber mannigfaltigen Missbrauch abstellte, den Grundschaden
vermochte er nicht zu heilen; und man durfte zweifeln, ob die Zeit,
die alles Heilbare heilt, hier Hilfe bringen werde.
------------------------------------------------- ^16 "Weit oefter",
sagt Cicero in seiner Anweisung zur Redekunst (De orat. 2, 42, 178),
zunaechst in Beziehung auf den Kriminalprozess, "bestimmen Abneigung
oder Zuneigung oder Parteilichkeit oder Erbitterung oder Schmerz oder
Freude oder Hoffnung oder Furcht oder Taeuschung oder ueberhaupt eine
Leidenschaft den Wahrspruch der Leute als der Beweis oder die Vorschrift
oder eine Rechtsregel oder die Prozessinstruktion oder die Gesetze."
Darauf wird denn die weitere Unterweisung fuer den angehenden Sachwalter
begruendet. ------------------------------------------------- Das
roemische Heerwesen dieser Zeit war ungefaehr in derselben Verfassung
wie das karthagische zur Zeit Hannibals. Die regierenden Klassen
sendeten nur noch die Offiziere; die Untertanenschaft, Plebejer
und Provinzialen, bildeten das Heer. Der Feldherr war von der
Zentralregierung finanziell und militaerisch fast unabhaengig und
im Glueck wie im Unglueck wesentlich auf sich selbst und auf
die Hilfsquellen seines Sprengels angewiesen. Buerger- und sogar
Nationalsinn waren aus dem Heere verschwunden und als innerliches Band
einzig der Korpsgeist uebriggeblieben. Die Armee hatte aufgehoert ein
Werkzeug des Gemeinwesens zu sein; politisch hatte sie einen eigenen
Willen nicht, wohl aber vermochte sie den des Werkmeisters sich
anzueignen; militaerisch sank sie unter den gewoehnlichen elenden
Fuehrern zu einer aufgeloesten, unbrauchbaren Rotte herab, entwickelte
aber auch unter dem rechten Feldherrn sich zu einer dem Buergerheer
unerreichbaren militaerischen Vollkommenheit. Der Offiziersstand vor
allem war im tiefsten Verfall. Die hoeheren Staende, Senatoren und
Ritter entwoehnten immer mehr sich der Waffen. Wenn man sonst um die
Stabsoffizierstellen eifrig geworben hatte, so war jetzt jeder Mann von
Ritterrang, welcher dienen mochte, einer Kriegstribunenstelle sicher
und schon mussten manche dieser Posten mit Maennern niedrigeren Standes
besetzt werden; wer aber ueberhaupt von den Vornehmen noch diente,
suchte wenigstens seine Dienstzeit in Sizilien oder einer anderen
Provinz abzutun, wo man sicher war, nicht vor den Feind zu kommen.
Offiziere von gewoehnlicher Bravour und Brauchbarkeit wurden wie
Meerwunder angestaunt; wie denn namentlich mit Pompeius seine
Zeitgenossen eine sie in jeder Hinsicht kompromittierende militaerische
Vergoetterung trieben. Zum Ausreissen wie zur Meuterei gab in der
Regel der Stab das Signal; trotz der straeflichen Nachsicht der
Kommandierenden waren Antraege auf Kassation vornehmer Offiziere
alltaegliche Vorfaelle. Noch besitzen wir das von Caesars eigener Hand
nicht ohne Ironie gezeichnete Bild, wie in seinem eigenen Hauptquartier,
als es gegen Ariovist gehen sollte, geflucht und geweint und an
Testamenten und sogar an Urlaubsgesuchen gearbeitet ward. In der
Soldatenschaft war von den besseren Staenden keine Spur mehr zu
entdecken. Gesetzlich bestand die allgemeine Wehrpflicht noch, allein
die Aushebung erfolgte, wenn es neben der Anwerbung dazu kam, in
regelloser Weise; zahlreiche Pflichtige wurden uebergangen und
die einmal Eingetretenen dreissig Jahre und laenger bei den Adlern
festgehalten. Die roemische Buergerreiterei vegetierte nur noch als
eine Art berittener Nobelgarde, deren salbenduftende Kavaliere und
ausgesuchte Luxuspferde einzig bei den hauptstaedtischen Festen
eine Rolle spielten; das sogenannte Buergerfussvolk war eine aus
den niedrigsten Schichten der Buergerbevoelkerung zusammengeraffte
Lanzknechttruppe; die Untertanen stellten die Reiterei und die leichten
Truppen ausschliesslich und fingen an, auch im Fussvolk immer staerker
mitverwendet zu werden. Die Rottenfuehrerstellen in den Legionen, auf
denen bei der damaligen Kriegfuehrung die Tuechtigkeit der Abteilungen
wesentlich beruhte und zu denen nach der nationalen Kriegsverfassung
der Soldat mit der Pike sich empordiente, wurden jetzt nicht bloss
regelmaessig nach Gunst vergeben, sondern sogar nicht selten an den
Meistbietenden verkauft. Die Zahlung des Soldes erfolgte bei der
schlechten Finanzwirtschaft der Regierung und der Feilheit und
Betruegerei der grossen Majoritaet der Beamten hoechst mangelhaft und
unregelmaessig. Die notwendige Folge hiervon war, dass im gewoehnlichen
Laufe der Dinge die roemischen Armeen die Provinzen ausraubten, gegen
die Offiziere meuterten und vor dem Feinde davonliefen; es kam vor, dass
betraechtliche Heere, wie das makedonische des Piso im Jahre 697
(57), ohne eigentliche Niederlage, bloss durch diese Misswirtschaft
vollstaendig ruiniert wurden. Faehige Fuehrer dagegen, wie Pompeius,
Caesar, Gabinius, bildeten wohl aus dem vorhandenen Material tuechtige
und schlagfertige, zum Teil musterhafte Armeen; allein es gehoerten
diese Armeen viel mehr ihrem Heerfuehrer als dem Gemeinwesen. Der noch
weit vollstaendigere Verfall der roemischen Marine, die zu allem andern
den Roemern antipathisch geblieben und nie voellig nationalisiert worden
war, bedarf kaum der Erwaehnung. Es war eben auch hier nach allen Seiten
hin unter dem oligarchischen Regiment ruiniert worden, was ueberhaupt
ruiniert werden konnte. Caesars Reorganisation des roemischen
Militaerwesens beschraenkte sich im wesentlichen darauf, die unter der
bisherigen schlaffen und unfaehigen Oberleitung gelockerten Zuegel der
Disziplin wieder straff und fest anzuziehen. Einer radikalen Reform
schien ihm das roemische Heerwesen entweder nicht beduerftig oder auch
nicht faehig; die Elemente der Armee akzeptierte er, ebenwie Hannibal
sie akzeptiert hatte. Die Bestimmung seiner Gemeindeordnung, dass,
um vor dem dreissigsten Jahre ein Gemeindeamt zu bekleiden oder im
Gemeinderat zu sitzen, ein dreijaehriger Dienst zu Pferde - das heisst
als Offizier - oder ein sechsjaehriger zu Fuss erforderlich sei, beweist
wohl, dass er die besseren Staende in das Heer zu ziehen wuenschte,
aber ebenso deutlich auch, dass bei dem immer mehr einreissenden
unkriegerischen Geist der Nation er selbst es nicht mehr fuer moeglich
hielt, die Bekleidung eines Ehrenamtes an die Ueberstehung der
Dienstzeit unbedingt wie ehedem zu knuepfen. Ebendaraus wird es sich
erklaeren, dass Caesar keinen Versuch gemacht hat, die roemische
Buergerreiterei wiederherzustellen. Die Aushebung ward besser geordnet,
die Dienstzeit geregelt und abgekuerzt; uebrigens blieb es dabei, dass
die Linieninfanterie vorwiegend aus den niederen Staenden der roemischen
Buergerschaft, die Reiterei und die leichte Infanterie aus der
Untertanenschaft ausgehoben ward - dass fuer die Reorganisation der
Kriegsflotte nichts geschah, ist auffallend. Eine ohne Zweifel ihrem
Urheber selbst bedenkliche Neuerung, zu der die Unzuverlaessigkeit
der Untertanenreiterei zwang, war es, dass Caesar zuerst von dem
altroemischen System abwich, niemals mit Soeldnern zu fechten, und in
die Reiterei gemietete Auslaender, namentlich Deutsche, einstellte.
Eine andere Neuerung war die Einsetzung der Legionsadjutanten (legati
legionis). Bis dahin hatten die teils von der Buergerschaft, teils von
dem betreffenden Statthalter ernannten Kriegstribune in der Art die
Legionen gefuehrt, dass jeder derselben je sechs vorgesetzt waren und
unter diesen das Kommando wechselte; einen Einzelkommandanten der Legion
bestellte nur voruebergehend und ausserordentlicherweise der Feldherr.
In spaeterer Zeit dagegen erscheinen jene Legionsobersten oder
Legionsadjutanten teils als eine bleibende und organische Institution,
teils als ernannt nicht mehr von dem Statthalter, dem sie gehorchen,
sondern von dem Oberkommando in Rom; beides scheint auf Caesars an das
Gabinische Gesetz anknuepfende Einrichtungen zurueckzugehen. Der Grund
der Einfuehrung dieser wichtigen Zwischenstufe in die militaerische
Hierarchie wird teils in dem Beduerfnis einer energischen
Zentralisierung des Kommandos, teils in dem fuehlbaren Mangel an
faehigen Oberoffizieren, teils und vor allem in der Absicht zu suchen
sein, durch Zuordnung eines oder mehrerer vom Imperator ernannten
Obersten dem Statthalter ein Gegengewicht zu geben. Die wesentlichste
Veraenderung im Heerwesen bestand in der Aufstellung eines bleibenden
Kriegshauptes in dem Imperator, welcher anstatt des bisherigen
unmilitaerischen und in jeder Beziehung unfaehigen Regierungskollegiums
das gesamte Armeeregiment in seinen Haenden vereinigte und dasselbe
also aus einer meist bloss nominellen Direktion in ein wirkliches und
energisches Oberkommando umschuf. Wir sind nicht gehoerig darueber
unterrichtet, in welcher Weise dies Oberkommando sich zu den bis
dahin in ihren Sprengeln allmaechtigen Spezialkommandos stellte.
Wahrscheinlich lag dabei im allgemeinen die Analogie des zwischen dem
Praetor und dem Konsul oder auch dem Konsul und dem Diktator obwaltenden
Verhaeltnisses zu Grunde, so dass der Statthalter zwar an sich die
hoechste militaerische Gewalt in seinem Sprengel behielt, aber der
Imperator in jedem Augenblick dieselbe ihm ab und sie fuer sich oder
seine Beauftragten zu nehmen befugt war und dass, waehrend die Gewalt
des Statthalters auf den Sprengel beschraenkt war, die des Imperators
wieder, wie die koenigliche und die aeltere konsularische, sich ueber
das gesamte Reich erstreckte. Ferner ist hoechst wahrscheinlich schon
jetzt die Ernennung der Offiziere, sowohl der Kriegstribune als der
Centurionen, soweit sie bisher dem Statthalter zugestanden ^17, ebenso
wie die Ernennung der neuen Legionsadjutanten unmittelbar an den
Imperator gekommen und ebenso moegen schon jetzt die Anordnung der
Aushebungen, die Abschiedserteilung, die wichtigeren Kriminalfaelle
an das Oberkommando gezogen worden sein. Bei dieser Beschraenkung
der Kompetenz der Statthalter und bei der regulierten Kontrolle des
Imperators war fernerhin nicht leicht, weder eine voellige Verwahrlosung
der Armeen noch eine Umwandlung derselben in persoenliche Gefolgschaften
der einzelnen Offiziere zu befuerchten. Indes, so entschieden auch die
Verhaeltnisse zur Militaermonarchie hindraengten und so bestimmt
Caesar das Oberkommando ausschliesslich fuer sich nahm, war er dennoch
keineswegs gesonnen, seine Gewalt durch und auf das Heer zu begruenden.
Er hielt zwar eine stehende Armee notwendig fuer seinen Staat, aber
nur, weil derselbe seiner geographischen Lage nach einer umfassenden
Grenzregulierung und stehender Grenzbesatzungen bedurfte. Teils in
frueheren Epochen, teils waehrend des letzten Buergerkrieges hatte er
an Spaniens Befriedigung gearbeitet und in Afrika laengs der grossen
Wueste, im Nordwesten des Reiches an der Rheinlinie feste Stellungen
fuer die Grenzverteidigung eingerichtet. Mit aehnlichen Plaenen
beschaeftigte er sich fuer die Landschaften am Euphrat und an der Donau.
Vor allen Dingen gedachte er gegen die Parther zu ziehen und den Tag von
Karrhae zu raechen; er hatte drei Jahre fuer diesen Krieg bestimmt und
war entschlossen, mit diesen gefaehrlichen Feinden ein fuer allemal und
ebenso vorsichtig wie gruendlich abzurechnen. Ebenso hatte er den Plan
entworfen, den zu beiden Seiten der Donau gewaltig um sich greifenden
Getenkoenig Burebistas anzugreifen und auch im Nordosten Italien durch
aehnliche Marken zu schuetzen, wie er sie ihm im Keltenland geschaffen.
Dagegen liegen durchaus keine Beweise dafuer vor, dass Caesar gleich
Alexander einen Siegeslauf in die unendliche Ferne im Sinn hatte; es
wird wohl erzaehlt, dass er von Parthien aus an das Kaspische und von
diesem an das Schwarze Meer, sodann an dem Nordufer desselben bis zur
Donau zu ziehen, ganz Skythien und Germanien bis an den - nach damaliger
Vorstellung vom Mittelmeer nicht allzu fernen - noerdlichen Ozean zum
Reiche zu bringen und durch Gallien heimzukehren beabsichtigt habe;
allein keine irgend glaubwuerdige Autoritaet verbuergt die Existenz
dieser fabulosen Projekte. Bei einem Staat, der, wie der roemische
Caesars, bereits eine schwer zu bewaeltigende Masse barbarischer
Elemente in sich schloss und mit deren Assimilierung noch auf
Jahrhunderte hinaus mehr als genug zu tun hatte, waeren solche
Eroberungen, auch ihre militaerische Ausfuehrbarkeit angenommen, doch
nichts gewesen als noch weit glaenzendere und noch weit schlimmere
Fehler als die indische Heerfahrt Alexanders. Sowohl nach Caesars
Verfahren in Britannien und Deutschland wie nach dem Verhalten
derjenigen, die die Erben seiner politischen Gedanken wurden, ist es
in hohem Grade wahrscheinlich, dass Caesar, mit Scipio Aemilianus, die
Goetter nicht anrief, das Reich zu mehren, sondern es zu erhalten, und
dass seine Eroberungsplaene sich beschraenkten auf eine, freilich nach
seinem grossartigen Massstab bemessene, Grenzregulierung, welche
die Euphratlinie sichern und anstatt der voellig schwankenden und
militaerisch nichtigen nordoestlichen Reichsgrenze die Donaulinie
feststellen und verteidigungsfaehig machen sollte. Indes wenn es nur
wahrscheinlich bleibt, dass Caesar nicht in dem Sinne als Welteroberer
bezeichnet werden darf wie Alexander und Napoleon, so ist das vollkommen
gewiss, dass er seine neue Monarchie nicht zunaechst auf die Armee
zu stuetzen, ueberhaupt nicht die militaerische Gewalt ueber die
buergerliche zu setzen, sondern sie dem buergerlichen Gemeinwesen ein-
und soweit moeglich unterzuordnen gedachte. Die unschaetzbaren Stuetzen
eines Soldatenstaates, jene alten vielgefeierten gallischen
Legionen, wurden eben wegen ihres mit einem buergerlichen Gemeinwesen
unvertraeglichen Korpsgeistes in ehrenvoller Weise annulliert und ihre
ruhmvollen Namen pflanzten nur sich fort in neugegruendeten staedtischen
Gemeinden. Die von Caesar bei der Entlassung mit Landlosen beschenkten
Soldaten wurden nicht wie die Sullas in eigenen Kolonien gleichsam
militaerisch zusammengesiedelt, sondern, namentlich soweit sie in
Italien ansaessig wurden, moeglichst vereinzelt und durch die ganze
Halbinsel zerstreut; nur war es freilich nicht zu vermeiden, dass auf
den zur Verfuegung gebliebenen Teilen des kampanischen Ackers die alten
Soldaten Caesars dennoch in Masse sich zusammenfanden. Der schwierigen
Aufgabe, die Soldaten einer stehenden Armee innerhalb der Kreise des
buergerlichen Lebens zu halten, suchte Caesar zu genuegen teils durch
Festhaltung der bisherigen nur gewisse Dienstjahre, nicht aber einen
eigentlich stehenden, das heisst durch keine Entlassung unterbrochenen
Dienst vorschreibenden Ordnung, teils durch die schon erwaehnte
Verkuerzung der Dienstzeit, welche einen rascheren Wechsel des
Soldatenpersonals herbeifuehrte, teils durch regelmaessige Ansiedlung
der ausgedienten Soldaten als Ackerkolonisten, teils und vornehmlich
dadurch, dass die Armee von Italien und ueberhaupt von den eigentlichen
Sitzen des buergerlichen und politischen Lebens der Nation ferngehalten
und der Soldat dahin gewiesen ward, wo er nach der Meinung des grossen
Koenigs allein an seinem Platze war: in die Grenzstationen zur Abwehr
des auswaertigen Feindes. Das rechte Kriterium des Militaerstaates, die
Entwicklung und Bevorzugung der Gardetruppe, findet ebenfalls bei Caesar
sich nicht. Obwohl in der aktiven Armee das Institut einer besonderen
Leibwache des Feldherrn bereits seit langem bestand, so tritt diese
doch in Caesars Heerfuehrung vollstaendig in den Hintergrund; seine
praetorische Kohorte scheint wesentlich nur aus Ordonnanzoffizieren
oder nichtmilitaerischen Begleitern bestanden zu haben und niemals ein
eigentliches Elitenkorps, also auch niemals Gegenstand der Eifersucht
der Linientruppen gewesen zu sein. Wenn Caesar schon als Feldherr die
Leibwache tatsaechlich fallen liess, so duldete er um so weniger als
Koenig eine Garde um sich. Obwohl bestaendig, und ihm wohl bewusst,
von Moerdern umschlichen, wies er dennoch den Antrag des Senats
auf Errichtung einer Nobelgarde zurueck, entliess, sowie die Dinge
einigermassen sich beruhigten, die spanische Eskorte, deren er in der
ersten Zeit in der Hauptstadt sich bedient hatte, und begnuegte sich mit
dem Gefolge von Gerichtsdienern, wie es fuer die roemischen Oberbeamten
hergebracht war. Wie viel auch Caesar von dem Gedanken seiner Partei
und seiner Jugend, ein perikleisches Regiment in Rom nicht kraft des
Saebels, sondern kraft des Vertrauens der Nation zu begruenden,
im Kampfe mit den Realitaeten hatte muessen fallen lassen - den
Grundgedanken, keine Militaermonarchie zu stiften, hielt er auch jetzt
noch mit einer Energie fest, zu der die Geschichte kaum eine Parallele
darbietet. Allerdings war auch dies ein unausfuehrbares Ideal - es
war die einzige Illusion, in der das sehnsuechtige Verlangen in diesem
starken Geiste maechtiger war als der klare Verstand. Ein Regiment, wie
es Caesar im Sinne trug, war nicht bloss notwendig hoechst persoenlicher
Natur und musste mit dem Tode des Urhebers ebenso zugrunde gehen wie
die verwandten Schoepfungen Perikles' und Cromwells mit dem Tode ihrer
Stifter; sondern bei dem tief zerruetteten Zustand der Nation war es
nicht einmal glaublich, dass es dem achten Koenig von Rom auch nur fuer
seine Lebenszeit gelingen werde, so wie seine sieben Vorgaenger seine
Mitbuerger bloss kraft Gesetz und Recht zu beherrschen, und ebensowenig
wahrscheinlich, dass es ihm gelingen werde, das stehende Heer, nachdem
es im letzten Buergerkrieg seine Macht kennengelernt und die Scheu
verlernt hatte, wieder als dienendes Glied in die buergerliche Ordnung
einzufuegen. Wer kaltbluetig erwog, bis zu welchem Grade die Furcht
vor dem Gesetz aus den untersten wie aus den obersten Schichten der
Gesellschaft entwichen war, dem musste die erstere Hoffnung vielmehr ein
Traum duenken; und wenn mit der Marianischen Reform des Heerwesens
der Soldat ueberhaupt aufgehoert hat, Buerger zu sein, so zeigten die
kampanische Meuterei und das Schlachtfeld von Thapsus mit leidiger
Deutlichkeit, in welcher Art jetzt die Armee dem Gesetze ihren Arm lieh.
Selbst der grosse Demokrat vermochte die Gewalten, die er entfesselt
hatte, nur muehsam und mangelhaft wieder zu baendigen; Tausende von
Schwertern flogen noch auf seinen Wink aus der Scheide, aber zurueck
in die Scheide kehrten sie schon nicht mehr auf seinen Wink.
Das Verhaengnis ist maechtiger als das Genie. Caesar wollte der
Wiederhersteller des buergerlichen Gemeinwesens werden und ward der
Gruender der von ihm verabscheuten Militaermonarchie; er stuerzte den
Aristokraten- und Bankierstaat im Staate nur, um an deren Platz den
Soldatenstaat im Staate zu setzen, und das Gemeinwesen blieb wie bisher
tyrannisiert und exploitiert von einer privilegierten Minoritaet. Aber
dennoch ist es ein Privilegium der hoechsten Naturen, also schoepferisch
zu irren. Die genialen Versuche grosser Maenner, das Ideal zu
realisieren, wenn sie auch ihr Ziel nicht erreichen, bilden den
besten Schatz der Nationen. Es ist Caesars Werk, dass der roemische
Militaerstaat erst nach mehreren Jahrhunderten zum Polizeistaat ward und
dass die roemischen Imperatoren, wie wenig sie sonst auch dem grossen
Begruender ihrer Herrschaft glichen, doch den Soldaten wesentlich nicht
gegen den Buerger verwandten, sondern gegen den Feind, und Nation und
Armee beide zu hoch achteten, um diese zum Konstabler ueber jene zu
setzen. -------------------------------------------------------- ^17 An
die Ernennung eines Teiles der Kriegstribune durch die Buergerschaft
hat Caesar, auch hierin Demokrat, nicht geruehrt.
-------------------------------------------------------- Die Ordnung
des Finanzwesens machte bei den soliden Grundlagen, die die ungeheure
Groesse des Reiches und der Ausschluss des Kreditsystems gewaehrten,
verhaeltnismaessig geringe Schwierigkeit. Wenn der Staat bisher in
bestaendiger Finanzverlegenheit sich befunden hatte, so war daran die
Unzulaenglichkeit der Staatseinnahmen am wenigsten schuld; vielmehr
hatten diese eben in den letzten Jahren sich ungemein vermehrt. Zu der
aelteren Gesamteinnahme, die auf 200 Mill. Sesterzen (15 Mill.
Taler) angeschlagen wird, waren durch die Einrichtung der Provinzen
Bithynien-Pontus und Syrien 85 Mill. Sesterzen (6500000 Taler) gekommen;
welcher Zuwachs, nebst den sonstigen neueroeffneten oder gesteigerten
Einnahmequellen, namentlich durch den bestaendig steigenden Ertrag der
Luxusabgaben, den Verlust der kampanischen Pachtgelder weit ueberwog.
Ausserdem waren durch Lucullus, Metellus, Pompeius, Cato und andere
ausserordentlicherweise dem Staatsschatz ungeheure Summen zugeflossen.
Die Ursache der finanziellen Verlegenheiten lag vielmehr teils in den
gesteigerten ordentlichen und ausserordentlichen Ausgaben, teils in der
geschaeftlichen Verwirrung. Unter jenen nahm die Getreideverteilung an
die hauptstaedtische Menge fast unerschwingliche Summen in Anspruch:
durch die von Cato 691 (63) ihr gegebene Ausdehnung stieg die jaehrliche
Ausgabe dafuer auf 30 Mill. Sesterzen (2300000 Taler), und seit
Abschaffung der bisher gezahlten Verguetung im Jahre 696 (58)
verschlang dieselbe gar den fuenften Teil der Staatseinkuenfte. Auch
das Militaerbudget war gestiegen, seit zu den Besatzungen von Spanien,
Makedonien und den uebrigen Provinzen noch die von Kilikien, Syrien und
Gallien hinzukamen. Unter den ausserordentlichen Ausgaben sind in erster
Linie die grossen Kosten der Flottenruestungen zu nennen, wofuer zum
Beispiel fuenf Jahre nach der grossen Razzia von 687 (67) auf einmal 34
Mill. Sesterzen (2600000 Taler) verausgabt wurden. Dazu kamen die sehr
ansehnlichen Summen, welche die Kriegszuege und Kriegsvorbereitungen
wegnahmen, wie denn bloss fuer Ausruestung des makedonischen Heeres an
Piso auf einmal 18 Mill. Sesterzen (1370000 Taler), an Pompeius fuer die
Unterhaltung und Besoldung der spanischen Armee gar jaehrlich 24 Mill.
Sesterzen (1826000 Taler) und aehnliche Summen an Caesar fuer die
gallischen Legionen gezahlt wurden. So betraechtlich aber auch diese
Ansprueche waren, die an die roemische Staatskasse gemacht wurden, so
haette dennoch dieselbe ihnen zu genuegen vermocht, wenn nicht ihre
einst so musterhafte Verwaltung von der allgemeinen Schlaffheit und
Unehrlichkeit dieser Zeit mitergriffen worden waere; oft stockten
die Zahlungen des Aerars bloss deshalb, weil man dessen ausstehende
Forderungen einzumahnen versaeumte. Die vorgesetzten Beamten, zwei von
den Quaestoren, junge, jaehrlich gewechselte Menschen, verhielten im
besten Fall sich passiv; unter dem frueherhin seiner Ehrenhaftigkeit
wegen mit Recht hoch angesehenen Schreiber- und sonstigen Bueropersonal
waren jetzt, namentlich seit diese Posten kaeuflich geworden waren, die
aergsten Missbraeuche im Schwange. Sowie indes die Faeden des roemischen
Staatsfinanzwesens nicht mehr wie bisher im Senat, sondern in Caesars
Kabinett zusammenliefen, kam von selbst neues Leben, strengere Ordnung
und festerer Zusammenhang in alle Raeder und Triebfedern dieser grossen
Maschine. Die beiden von Gaius Gracchus herruehrenden und Krebsschaeden
gleich das roemische Finanzwesen zerfressenden Institutionen: die
Verpachtung der direkten Abgaben und die Getreideverteilungen, wurden
teils abgeschafft, teils umgestaltet. Caesar wollte nicht wie sein
Vorlaeufer die Nobilitaet durch die Bankieraristokratie und den
hauptstaedtischen Poebel in Schach halten, sondern sie beseitigen und
das Gemeinwesen von saemtlichen Parasiten hohen und niederen Ranges
befreien; und darum ging er in diesen beiden wichtigen Fragen nicht mit
Gaius Gracchus, sondern mit dem Oligarchen Sulla. Das Verpachtungssystem
blieb fuer die indirekten Abgaben bestehen, bei denen es uralt war
und, bei der auch von Caesar unverbruechlich festgehaltenen Maxime der
roemischen Finanzverwaltung, die Abgabenerhebung um jeden Preis einfach
und uebersichtlich zu erhalten, schlechterdings nicht entbehrt werden
konnte. Die direkten Abgaben aber wurden fortan durchgaengig entweder,
wie die afrikanischen und sardinischen Korn- und Oellieferungen,
behandelt als unmittelbar an den Staat abzufuehrende Naturalleistungen,
oder, wie die kleinasiatischen Gefaelle, in feste Geldabgaben verwandelt
und die Einziehung der Einzelbetraege den Steuerdistrikten selbst
ueberlassen. Die Kornverteilungen in der Hauptstadt waren bisher als
nutzbares Recht der herrschenden und, weil sie herrschte, von den
Untertanen zu speisenden Gemeinde angesehen worden. Dieser ehrlose
Grundsatz ward von Caesar beseitigt; aber es konnte nicht uebersehen
werden, dass eine Menge gaenzlich unvermoegender Buerger lediglich durch
diese Speisungen vor dem Verhungern geschuetzt worden war. In diesem
Sinne hielt Caesar dieselben fest. Hatte nach der Sempronischen, von
Cato wiedererneuerten Ordnung jeder in Rom angesessene roemische Buerger
rechtlich Anspruch gehabt auf unentgeltliches Brotkorn, so wurde diese
Empfaengerliste, welche zuletzt bis auf 320000 Nummern gestiegen
war, durch Ausscheidung aller wohlhabenden oder anderweit versorgten
Individuen auf 150000 herabgebracht und diese Zahl als Maximalzahl
der Freikornstellen ein fuer allemal fixiert, zugleich eine jaehrliche
Revision der Liste angeordnet, um die durch Austritt oder Tod
leergewordenen Plaetze mit den beduerftigsten unter den Bewerbern
wieder zu besetzen. Indem also das politische Privilegium in eine
Armenversorgung umgewandelt ward, trat ein in sittlicher wie in
geschichtlicher Hinsicht bemerkenswerter Satz zum erstenmal in lebendige
Wirksamkeit. Nur langsam und von Stufe zu Stufe ringt die buergerliche
Gesellschaft sich durch zu der Solidaritaet der Interessen; im frueheren
Altertum schuetzte der Staat die Seinigen wohl vor dem Landesfeind und
dem Moerder, aber er war nicht verpflichtet, durch Verabreichung der
notwendigen Subsistenzmittel den gaenzlich hilflosen Mitbuerger vor dem
schlimmeren Feinde des Mangels zu bewahren. Die attische Zivilisation
ist es gewesen, die in der Solonischen und nachsolonischen Gesetzgebung
zuerst den Grundsatz entwickelt hat, dass es Pflicht der Gemeinde ist,
fuer ihre Invaliden, ja fuer ihre Armen ueberhaupt zu sorgen; und
zuerst Caesar hat, was in der beschraenkten Enge des attischen Lebens
Gemeindesache geblieben war, zu einer organischen Staatsinstitution
entwickelt und eine Einrichtung, die fuer den Staat eine Last und eine
Schmach war, umgeschaffen in die erste jener heute so unzaehlbaren wie
segensreichen Anstalten, in denen das unendliche menschliche
Erbarmen mit dem unendlichen menschlichen Elend ringt. Ausser diesen
prinzipiellen Reformen fand eine durchgaengige Revision des Einnahme-
und Ausgabewesens statt. Die ordentlichen Einnahmen wurden ueberall
reguliert und fixiert. Nicht wenigen Gemeinden, ja ganzen Landschaften
ward, sei es mittelbar durch Verleihung des roemischen oder latinischen
Buergerrechts, sei es unmittelbar durch Privilegium, die Steuerfreiheit
bewilligt; so erhielten sie zum Beispiel alle sizilischen ^18 Gemeinden
auf jenem, die Stadt Ilion auf diesem Wege. Noch groesser war die
Zahl derjenigen, deren Steuerquantum herabgesetzt ward; wie denn den
Gemeinden im Jenseitigen Spanien schon nach Caesars Statthalterschaft
auf dessen Betrieb eine Steuerherabsetzung vom Senat bewilligt worden
war, und jetzt der am meisten gedrueckten Provinz Asia nicht bloss die
Hebung ihrer direkten Steuern erleichtert, sondern auch der dritte Teil
derselben ganz erlassen ward. Die neu hinzukommenden Abgaben, wie die
der in Illyrien unterworfenen und vor allem der gallischen Gemeinden,
welche letztere zusammen 40 Mill. Sesterzen (3 Mill. Taler) jaehrlich
entrichteten, waren durchgaengig niedrig gegriffen. Freilich ward
dagegen auch einzelnen Staedten, wie Klein-Leptis in Afrika, Sulci auf
Sardinien und mehreren spanischen Gemeinden, zur Strafe ihres
Verhaltens waehrend des letzten Krieges die Steuer erhoeht. Die sehr
eintraeglichen, in den letzten Zeiten der Anarchie abgeschafften
italischen Hafenzoelle wurden um so mehr wiederhergestellt, als diese
Abgabe wesentlich die aus dem Osten eingehenden Luxuswaren traf. Zu
diesen neu- oder wiedereroeffneten ordentlichen Einnahmequellen kamen
die Summen hinzu, die ausserordentlicherweise, namentlich infolge des
Buergerkrieges, an den Sieger gelangten: die in Gallien gesammelte
Beute; der hauptstaedtische Kassenbestand; die aus den italischen
und spanischen Tempeln entnommenen Schaetze, die in Formen der
Zwangsanleihe, des Zwangsgeschenkes oder der Busse von den abhaengigen
Gemeinden und Dynasten erhobenen Summen und die in aehnlicher Weise
durch Rechtsspruch oder auch bloss durch Zusendung des Zahlungsbefehls
einzelnen reichen Roemern auferlegten Strafgelder; vor allen Dingen aber
der Erloes aus dem Vermoegen der geschlagenen Gegner. Wie ergiebig diese
Einnahmequellen waren, mag man daraus abnehmen, dass allein die Busse
der afrikanischen Grosshaendler, die in dem Gegensenat gesessen, sich
auf 100 Mill. Sesterzen (7« Mill. Taler) und der von den Kaeufern des
Vermoegens des Pompeius gezahlte Preis auf 70 Mill. Sesterzen (5300000
Taler) belief. Dieses Verfahren war notwendig, weil die Macht der
geschlagenen Nobilitaet zum guten Teil auf ihrem kolossalen Reichtum
ruhte und nur dadurch wirksam gebrochen werden konnte, dass ihr
die Tragung der Kriegskosten auferlegt ward. Die Gehaessigkeit der
Konfiskationen aber ward einigermassen dadurch gemildert, dass Caesar
ihren Ertrag allein dem Staate zugute kommen liess und, statt in Sullas
Weise seinen Guenstlingen jeden Unterschleif nachzusehen, selbst von
seinen treuesten Anhaengern, zum Beispiel von Marcus Antonius,
die Kaufgelder mit Strenge beitrieb.
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Den Wegfall der sizilischen Zehnten bezeugt Varro in einer nach
Ciceros Tode publizierten Schrift (rust. 2 praef.), indem er als die
Kornprovinzen, aus denen Rom seine Subsistenz entnimmt, nur Afrika und
Sardinien, nicht mehr Sizilien nennt. Die Latinitaet, wie sie Sizilien
erhielt, muss also wohl die Immunitaet eingeschlossen haben
(vgl. Roemisches Staatsrecht, Bd. 3, S. 684).
------------------------------------------------------------------- In
den Ausgaben wurde zunaechst durch die ansehnliche Beschraenkung
der Getreidespenden eine Verminderung erzielt. Die beibehaltene
Kornverteilung an die hauptstaedtischen Armen sowie die verwandte, von
Caesar neu eingefuehrte Oellieferung fuer die hauptstaedtischen Baeder
ward wenigstens zum grossen Teil ein- fuer allemal fundiert auf die
Naturalabgaben von Sardinien und namentlich von Afrika und schied
dadurch aus dem Kassenwesen ganz oder groesstenteils aus. Andererseits
stiegen die regelmaessigen Ausgaben fuer das Militaerwesen, teils durch
die Vermehrung des stehenden Heeres, teils durch die Erhoehung der
bisherigen Loehnung des Legionaers, von jaehrlich 480 (36 Taler)
auf jaehrlich 900 Sesterzen (68« Taler). Beides war in der Tat
unerlaesslich. Eine ernstliche Grenzverteidigung mangelte ganz und die
unerlaessliche Voraussetzung derselben war eine ansehnliche Vermehrung
der Armee. Die Verdoppelung des Soldes hat Caesar wohl benutzt, um
seine Soldaten fest an sich zu ketten, aber nicht aus diesem Grunde als
bleibende Neuerung eingefuehrt. Der bisherige Sold von 1 1/3 Sesterz (2
Groschen) den Tag war festgesetzt worden in uralten Zeiten, wo das Geld
einen ganz anderen Wert hatte als in dem damaligen Rom; nur deshalb
hatte er bis in eine Zeit hinein, wo der gemeine Tageloehner in
der Hauptstadt mit seiner Haende Arbeit taeglich durchschnittlich 3
Sesterzen (5 Groschen) verdiente, beibehalten werden koennen, weil in
diesen Zeiten der Soldat nicht des Soldes halber, sondern hauptsaechlich
wegen der groesstenteils unerlaubten Akzidentien des Militaerdienstes in
das Heer eintrat. Zu einer ernstlichen Reform des Militaerwesens und zur
Beseitigung des meist den Provinzialen aufgebuerdeten unregelmaessigen
Soldatenverdienstes war die erste Bedingung eine zeitgemaesse Erhoehung
der regulaeren Loehnung; und die Fixierung derselben auf 2« Sesterzen
(4 Groschen) darf als eine billige, die dem Aerar dadurch aufgebuerdete
grosse Last als eine notwendige und in ihren Folgen segensreiche
betrachtet werden. Von dem Belauf der ausserordentlichen Ausgaben, die
Caesar uebernehmen musste oder freiwillig uebernahm, ist es schwer, sich
eine Vorstellung zu machen. Die Kriege selbst frassen ungeheure Summen;
und vielleicht nicht geringere wurden erfordert, um die Zusicherungen
zu erfuellen, die Caesar waehrend des Buergerkrieges zu machen genoetigt
worden war. Es war ein schlimmes und fuer die Folgezeit leider nicht
verlorenes Beispiel, dass jeder gemeine Soldat fuer seine Teilnahme
am Buergerkrieg 20000 Sesterzen (1500 Taler), jeder Buerger der
hauptstaedtischen Menge fuer seine Nichtbeteiligung an demselben als
Zulage zum Brotkorn 300 Sesterzen (22 Taler) empfing; Caesar indes,
nachdem er einmal in dem Drange der Umstaende sein Wort verpfaendet,
war zu sehr Koenig, um davon abzudingen. Ausserdem genuegte Caesar
unzaehligen Anforderungen ehrenhafter Freigebigkeit und machte
namentlich fuer das Bauwesen, das waehrend der Finanznot der letzten
Zeit der Republik schmaehlich vernachlaessigt worden war, ungeheure
Summen fluessig - man berechnete den Kostenbetrag seiner teils waehrend
der gallischen Feldzuege, teils nachher in der Hauptstadt ausgefuehrten
Bauten auf 160 Mill. Sesterzen (12 Mill. Taler). Das Gesamtresultat der
finanziellen Verwaltung Caesars ist darin ausgesprochen, dass er durch
einsichtige und energische Reformen und durch die rechte Vereinigung von
Sparsamkeit und Liberalitaet allen billigen Anspruechen reichlich und
voellig genuegte und dennoch bereits im Maerz 710 (44) in der Kasse des
Staats 700, in seiner eigenen 100 Mill. Sesterzen (zusammen 61 Mill.
Taler) bar lagen - eine Summe, die den Kassenbestand der Republik in
ihrer bluehendsten Zeit um das Zehnfache ueberstieg. Aber die Aufgabe,
die alten Parteien aufzuloesen und das neue Gemeinwesen mit einer
angemessenen Verfassung, einer schlagfertigen Armee und geordneten
Finanzen auszustatten, so schwierig sie war, war nicht der schwierigste
Teil von Caesars Werk. Sollte in Wahrheit die italische Nation
wiedergeboren werden, so bedurfte es einer Reorganisation, die alle
Teile des grossen Reiches, Rom, Italien und die Provinzen, umwandelte.
Versuchen wir auch hier sowohl die alten Zustaende als auch die Anfaenge
einer neuen und leidlicheren Zeit zu schildern. Aus Rom war der gute
Stamm latinischer Nation laengst voellig verschwunden. Es liegt in
den Verhaeltnissen, dass die Hauptstadt ihr munizipales und selbst
ihr nationales Gepraege schneller verschleift als jedes untergeordnete
Gemeinwesen. Hier scheiden die hoeheren Klassen rasch aus dem
staedtischen Gemeinleben aus, um mehr in dem ganzen Staate als in
einer einzelnen Stadt ihre Heimat zu finden; hier konzentriert
sich unvermeidlich die auslaendische Ansiedlung, die fluktuierende
Bevoelkerung von Vergnuegens- und Geschaeftsreisenden, die Masse
des muessigen, faulen, verbrecherischen, oekonomisch und moralisch
bankrotten und eben darum kosmopolitischen Gesindels. Auf Rom fand
dies alles in hervorragender Weise Anwendung. Der wohlhabende Roemer
betrachtete sein Stadthaus haeufig nur als ein Absteigequartier. Indem
aus der staedtischen Munizipalitaet die Reichsaemter hervorgingen, das
staedtische Vogtding die Versammlung der Reichsbuerger ward, kleinere,
sich selber regierende Bezirks- oder sonstige Gemeinschaften innerhalb
der Hauptstadt nicht geduldet wurden, hoerte jedes eigentliche
Kommunalleben fuer Rom auf. Aus dem ganzen Umfange des weitumfassenden
Reiches stroemte man nach Rom, um zu spekulieren, zu debauchieren, zu
intrigieren, zum Verbrecher sich auszubilden oder auch daselbst vor
dem Auge des Gesetzes sich zu verbergen. Diese Uebel gingen aus dem
hauptstaedtischen Wesen gewissermassen mit Notwendigkeit hervor; andere,
mehr zufaellige und vielleicht noch ernstere gesellten sich dazu. Es hat
vielleicht nie eine Grossstadt gegeben, die so durchaus nahrungslos
war wie Rom; teils die Einfuhr, teils die haeusliche Fabrikation durch
Sklaven machten hier jede freie Industrie von vornherein unmoeglich.
Die nachteiligen Folgen des Grunduebels der Staatenbildung im Altertum
ueberhaupt, des Sklavensystems, traten in der Hauptstadt schaerfer als
irgendwo sonst hervor. Nirgends haeuften solche Sklavenmassen sich an
wie in den hauptstaedtischen Palaesten der grossen Familien oder
der reichen Emporkoemmlinge. Nirgends mischten sich so wie in der
hauptstaedtischen Sklavenschaft die Nationen dreier Weltteile, Syrer,
Phryger und andere Halbhellenen mit Libyern und Mohren, Geten und Iberer
mit den immer zahlreicher einstroemenden Kelten und Deutschen. Die
von der Unfreiheit unzertrennliche Demoralisation und der scheussliche
Widerspruch des formellen und des sittlichen Rechts kamen weit greller
zum Vorschein bei dem halb oder ganz gebildeten, gleichsam vornehmen
Stadtsklaven als bei dem Ackerknecht, der das Feld gleich dem
gefesselten Stier in Ketten bestellte. Schlimmer noch als die
Sklavenmassen waren die der rechtlich oder auch bloss tatsaechlich
freigegebenen Leute, ein Gemisch bettelhaften Gesindels und
schwerreicher Parvenus, nicht mehr Sklaven und doch nicht voellig
Buerger, oekonomisch und selbst rechtlich von ihrem Herrn abhaengig und
doch mit den Anspruechen freier Maenner; und eben die Freigelassenen
zogen sich vor allem nach der Hauptstadt, wo es Verdienst mancherlei
Art gab und der Kleinhandel wie das kleine Handwerk fast ganz in ihren
Haenden waren. Ihr Einfluss auf die Wahlen wird ausdruecklich bezeugt;
und dass sie auch bei den Strassenkrawallen voran waren, zeigt schon das
gewoehnliche Signal, wodurch diese von den Demagogen gleichsam angesagt
wurden, die Schliessung der Buden und Verkaufslokale. Zu allem dem kam,
dass die Regierung nicht bloss nichts tat, um dieser Korrumpierung der
hauptstaedtischen Bevoelkerung entgegenzuwirken, sondern sogar ihrer
egoistischen Politik zuliebe ihr Vorschub leistete. Die verstaendige
Gesetzvorschrift, welche dem wegen Kapitalverbrechens verurteilten
Individuum den Aufenthalt in der Hauptstadt untersagte, ward von
der schlaffen Polizei nicht zur Ausfuehrung gebracht. Die dringend
nahegelegte polizeiliche Ueberwachung der Assoziation des Gesindels
ward anfangs vernachlaessigt, spaeterhin als freiheitswidrige
Volksbeschraenkung sogar fuer strafbar erklaert. Die Volksfeste hatte
man so anwachsen lassen, dass die sieben ordentlichen allein, die
roemischen, die plebejischen, die der Goettermutter, der Ceres,
des Apoll, der Flora und der Victoria, zusammen zweiundsechzig Tage
waehrten, wozu dann noch die Fechterspiele und unzaehlige andere
ausserordentliche Lustbarkeiten kamen. Die bei einem solchen, durchaus
von der Hand in den Mund lebenden Proletariat unumgaengliche Fuersorge
fuer niedrige Getreidepreise ward mit dem gewissenlosesten Leichtsinn
gehandhabt, und die Preisschwankungen des Brotkorns waren fabelhafter
und unberechenbarer Art ^19. Endlich, die Getreideverteilungen luden das
gesamte nahrungslose und arbeitsscheue Buergerproletariat offiziell ein,
seinen Sitz in der Hauptstadt aufzuschlagen. Es war eine arge Saat und
die Ernte entsprach ihr. Das Klub- und Bandenwesen auf dem politischen
Gebiet, auf dem religioesen der Isisdienst und der gleichartige fromme
Schwindel hatten hier ihre Wurzeln. Man war bestaendig im Angesicht
einer Teuerung und nicht selten in voller Hungersnot. Nirgends war man
seines Lebens weniger sicher als in der Hauptstadt: der gewerbsmaessig
betriebene Banditenmord war das einzige derselben eigene Handwerk;
es war die Einleitung zur Ermordung, dass das Schlachtopfer nach
Rom gelockt ward; niemand wagte sich ohne bewaffnetes Gefolge in die
Umgegend der Hauptstadt. Auch die aeussere Beschaffenheit derselben
entsprach dieser inneren Zerruettung und schien eine lebendige Satire
auf das aristokratische Regiment. Fuer die Regulierung des Tiberstromes
ward nichts getan; kaum dass man die einzige Bruecke, mit der man immer
noch sich behalf, wenigstens bis zur Tiberinsel von Stein auffuehren
liess. Fuer die Planierung der Siebenhuegelstadt war ebensowenig etwas
geschehen, ausser wo etwa die Schutthaufen ausgeglichen hatten. Die
Strassen gingen eng und winkelig Huegel auf und ab und waren
elend gehalten, die Trottoirs schmal und schlecht gepflastert.
Die gewoehnlichen Haeuser waren von Ziegeln ebenso liederlich wie
schwindelnd hoch gebaut, meistens von spekulierenden Baumeistern fuer
Rechnung der kleinen Besitzer, wobei jene steinreich, diese zu Bettlern
wurden. Wie einzelne Inseln in diesem Meer von elenden Gebaeuden
erschienen die glaenzenden Palaeste der Reichen, die den kleinen
Haeusern ebenso den Raum verengten wie ihre Besitzer den kleinen Leuten
ihr Buergerrecht im Staat und neben deren Marmorsaeulen und
griechischen Statuen die verfallenden Tempel mit ihren grossenteils noch
holzgeschnitzten Goetterbildern eine traurige Figur machten. Von einer
Strassen-, einer Ufer-, Feuer- und Baupolizei war kaum die Rede; wenn
die Regierung um die alljaehrlich eintretenden Ueberschwemmungen,
Feuersbruenste und Haeusereinstuerze ueberhaupt sich bekuemmerte, so
geschah es, um von den Staatstheologen Bericht und Bedenken ueber den
wahren Sinn solcher Zeichen und Wunder zu begehren. Man versuche sich
ein London zu denken mit der Sklavenbevoelkerung von New Orleans, mit
der Polizei von Konstantinopel, mit der Industrielosigkeit des heutigen
Rom und bewegt von einer Politik nach dem Muster der Pariser von 1848,
und man wird eine ungefaehre Vorstellung von der republikanischen
Herrlichkeit gewinnen, deren Untergang Cicero und seine Genossen
in ihren Schmollbriefen betrauern.
--------------------------------------------------- ^19 In dem
Produktionsland Sizilien ward der roemische Scheffel innerhalb weniger
Jahre zu 2 und zu 20 Sesterzen verkauft; man rechne danach, wie die
Preisschwankungen in Rom sich stellen mussten, das von
ueberseeischem Korn lebte und der Sitz der Spekulanten war.
--------------------------------------------------- Caesar trauerte
nicht, aber er suchte zu helfen, soweit zu helfen war. Rom blieb
natuerlich, was es war, eine Weltstadt. Der Versuch ihm wiederum
einen spezifisch italischen Charakter zu geben, waere nicht bloss
unausfuehrbar gewesen, sondern haette auch in Caesars Plan nicht
gepasst. Aehnlich wie Alexander fuer sein
griechisch-orientalisches Reich eine angemessene Hauptstadt in dem
hellenisch-juedisch-aegyptischen und vor allem kosmopolitischen
Alexandreia fand, so sollte auch die im Mittelpunkt des Orients und
Okzidents gelegene Hauptstadt des neuen roemisch-hellenischen Weltreichs
nicht eine italische Gemeinde sein, sondern die denationalisierte
Kapitale vieler Nationen. Darum duldete es Caesar, dass neben dem Vater
Jovis die neu angesiedelten aegyptischen Goetter verehrt wurden, und
gestattete sogar den Juden die freie Uebung ihres seltsam fremdartigen
Rituals auch in der Hauptstadt des Reiches. Wie widerlich bunt immer die
parasitische, namentlich hellenisch-orientalische Bevoelkerung in Rom
sich mischte, er trat ihrer Ausbreitung nirgends in den Weg; es
ist bezeichnend, dass er bei seinen hauptstaedtischen Volksfesten
Schauspiele nicht bloss in lateinischer und griechischer, sondern auch
in anderen Zungen, vermutlich in phoenikischer, hebraeischer, syrischer,
spanischer auffuehren liess. Aber wenn Caesar den Grundcharakter der
Hauptstadt so, wie er ihn fand, mit vollem Bewusstsein akzeptierte, so
wirkte er doch energisch hin auf die Besserung der daselbst obwaltenden
klaeglichen und schimpflichen Zustaende. Leider waren eben die
Grunduebel am wenigsten austilgbar. Die Sklaverei mit ihrem Gefolge von
Landplagen konnte Caesar nicht abstellen; es muss dahingestellt bleiben,
ob er mit der Zeit versucht haben wuerde, die Sklavenbevoelkerung in
der Hauptstadt wenigstens zu beschraenken, wie er dies auf einem
anderen Gebiete unternahm. Ebensowenig vermochte Caesar eine freie
hauptstaedtische Industrie aus dem Boden zu zaubern; doch halfen die
ungeheuren Bauten der Nahrungslosigkeit daselbst einigermassen ab
und eroeffneten dem Proletariat eine Quelle schmalen, aber ehrlichen
Erwerbes. Dagegen wirkte Caesar energisch darauf hin, die Masse des
freien Proletariats zu vermindern. Der stehende Zufluss von solchen, die
die Getreidespenden nach Rom fuehrten, ward durch Verwandlung derselben
in eine auf eine feste Kopfzahl beschraenkte Armenversorgung wenn
nicht ganz verstopfte ^20, doch sehr wesentlich beschraenkt. Unter
dem vorhandenen Proletariat raeumten einerseits die Gerichte auf, die
angewiesen wurden, mit unnachsichtlicher Strenge gegen das Gesindel
einzuschreiten, andererseits die umfassende ueberseeische Kolonisation;
von den 80000 Kolonisten, die Caesar in den wenigen Jahren seiner
Regierung ueber das Meer fuehrte, wird ein sehr grosser Teil den unteren
Schichten der hauptstaedtischen Bevoelkerung entnommen sein, wie
denn die meisten korinthischen Ansiedler Freigelassene waren. Dass in
Abweichung von der bisherigen Ordnung, die dem Freigelassenen jedes
staedtische Ehrenamt verschloss, Caesar ihnen in seinen Kolonien die
Tuere des Rathauses eroeffnete, geschah ohne Zweifel, um die besser
gestellten von ihnen fuer die Auswanderung zu gewinnen. Diese
Auswanderung muss aber auch mehr gewesen sein als eine bloss
voruebergehende Veranstaltung; Caesar, ueberzeugt wie jeder andere
verstaendige Mann, dass die einzige wahrhafte Hilfe gegen das Elend des
Proletariats in einem wohlregulierten Kolonisierungssystem besteht, und
durch die Beschaffenheit des Reiches in den Stand gesetzt, dasselbe in
fast ungemessener Ausdehnung zu verwirklichen, wird die Absicht
gehabt haben, hiermit dauernd fortzufahren und dem stets wieder sich
erzeugenden Uebel einen bleibenden Abzug zu eroeffnen. Massregeln
wurden ferner ergriffen, um den argen Preisschwankungen der wichtigsten
Nahrungsmittel auf den hauptstaedtischen Maerkten Grenzen zu setzen. Die
neu geordneten und liberal verwalteten Staatsfinanzen lieferten
hierzu die Mittel und zwei neu ernannte Beamte, die Getreideaedilen,
uebernahmen die spezielle Beaufsichtigung der Lieferanten und des
Marktes der Hauptstadt. Dem Klubwesen wurde wirksamer, als es durch
Prohibitivgesetze moeglich war, gesteuert durch die veraenderte
Verfassung, indem mit der Republik und den republikanischen Wahlen
und Gerichten die Bestechung und Vergewaltigung der Wahl- und
Richterkollegien, ueberhaupt die politischen Saturnalien der Kanaille
von selbst ein Ende hatten. Ausserdem wurden die durch das Clodische
Gesetz ins Leben getretenen Verbindungen aufgeloest und das ganze
Assoziationswesen unter die Oberaufsicht der Regierungsbehoerden
gestellt. Mit Ausnahme der althergebrachten Zuenfte und
Vergesellschaftungen, der religioesen Vereinigungen der Juden und
anderer besonders ausgenommener Kategorien, wofuer die einfache Anzeige
an den Senat genuegt zu haben scheint, wurde die Erlaubnis, eine
bleibende Gesellschaft mit festen Versammlungsfristen und stehenden
Einschuessen zu konstituieren, an eine vom Senat und regelmaessig
wohl erst nach eingeholter Willensmeinung des Monarchen zu erteilende
Konzession geknuepft. Dazu kam eine strengere Kriminalrechtspflege
und eine energische Polizei. Die Gesetze, namentlich hinsichtlich
des Verbrechens der Vergewaltigung, wurden verschaerft und die
unvernuenftige Bestimmung des republikanischen Rechts, dass der
ueberwiesene Verbrecher befugt sei, durch Selbstverbannung einem Teil
der verwirkten Strafe sich zu entziehen, wie billig beseitigt. Das
detaillierte Regulativ, das Caesar ueber die hauptstaedtische Polizei
erliess, ist grossenteils noch erhalten und es kann, wer da will, sich
ueberzeugen, dass der Imperator es nicht verschmaehte, die Hausbesitzer
zur Instandsetzung der Strassen und zur Pflasterung der Trottoirs in
ihrer ganzen Breite mit behauenen Steinen anzuhalten und geeignete
Bestimmungen ueber das Tragen der Saenften und das Fahren der Wagen zu
erlassen, die bei der Beschaffenheit der Strassen nur zur Abend- und
Nachtzeit in der Hauptstadt frei zirkulieren durften. Die Oberaufsicht
ueber die Lokalpolizei blieb wie bisher hauptsaechlich den vier Aedilen,
welche, wenn nicht schon frueher, wenigstens jetzt angewiesen wurden,
jeder einen bestimmt abgegrenzten Polizeidistrikt innerhalb der
Hauptstadt zu ueberwachen. Endlich das hauptstaedtische Bauwesen und
die damit zusammenhaengende Fuersorge fuer die gemeinnuetzigen Anstalten
ueberhaupt nahm durch Caesar, der die Baulust des Roemers und des
Organisators in sich vereinigte, ploetzlich einen Aufschwung, der nicht
bloss die Misswirtschaft der letzten anarchischen Zeiten beschaemte,
sondern auch alles, was die roemische Aristokratie in ihrer besten
Zeit geleistet hatte, so weit hinter sich liess wie Caesars Genie das
redliche Bemuehen der Marcier und der Aemilier. Es war nicht bloss die
Ausdehnung der Bauten an sich und die Groesse der darauf verwandten
Summen, durch die Caesar seine Vorgaenger uebertraf, sondern der echt
staatsmaennische und gemeinnuetzige Sinn, der das, was Caesar fuer
die oeffentlichen Anstalten Roms tat, vor allen aehnlichen Leistungen
auszeichnet. Er baute nicht, wie seine Nachfolger, Tempel und sonstige
Prachtgebaeude, sondern er entlastete den Markt von Rom, auf dem sich
immer noch die Buergerversammlungen, die Hauptgerichtsstaetten, die
Boerse und der taegliche Geschaeftsverkehr wie der taegliche Muessiggang
zusammendraengten, wenigstens von den Versammlungen und den Gerichten,
indem er fuer jene eine neue Dingstaette, die Saepta Iulia auf dem
Marsfeld, fuer diese einen besonderen Gerichtsmarkt, das Forum Iulium
zwischen Kapitol und Palatin, anlegen liess. Verwandten Geistes ist die
von ihm herruehrende Einrichtung, dass den hauptstaedtischen Baedern
jaehrlich 3 Millionen Pfund Oel, groesstenteils aus Afrika, geliefert
und diese dadurch in den Stand gesetzt wurden, den Badenden das zum
Salben des Koerpers erforderliche Oel unentgeltlich zu verabfolgen
- eine nach der alten wesentlich auf Baden und Salben gegruendeten
Diaetetik hoechst zweckmaessige Massregel der Reinlichkeits- und
Gesundheitspolizei. Indes diese grossartigen Einrichtungen waren nur die
ersten Anfaenge einer vollstaendigen Umwandlung Roms. Bereits waren
die Entwuerfe gemacht zu einem neuen Rathaus, einem neuen prachtvollen
Basar, einem mit dem Pompeischen wetteifernden Theater, einer
oeffentlichen lateinischen und griechischen Bibliothek nach dem Muster
der kuerzlich zugrunde gegangenen von Alexandreia - die erste Anstalt
derart in Rom -, endlich zu einem Tempel des Mars, der an Reichtum und
Herrlichkeit alles bisher Dagewesene ueberboten haben wuerde. Genialer
noch war der Gedanke, einmal durch die Pomptinischen Suempfe einen Kanal
zu legen und deren Wasser nach Tarracina abzuleiten, sodann den unteren
Lauf des Tiberstroms zu aendern und ihn von dem heutigen Ponte Molle an,
statt zwischen dem Vaticanischen und dem Marsfelde hindurch, vielmehr um
das Vaticanische Feld und das Ianiculum herum nach Ostia zu fuehren,
wo die schlechte Reede einem vollgenuegenden Kunsthafen Platz machen
sollte. Durch diesen Riesenplan wurde einerseits der gefaehrlichste
Feind der Hauptstadt, die boese Luft der Nachbarschaft, gebannt,
andrerseits auf einen Schlag die aeusserst beschraenkte Baugelegenheit
in der Hauptstadt in der Art erweitert, dass das damit auf das linke
Tiberufer verlegte Vaticanische Feld an die Stelle des Marsfeldes treten
und das geraeumige Marsfeld fuer oeffentliche und Privatbauten verwendet
werden konnte, waehrend sie zugleich den so schmerzlich vermissten
sicheren Seehafen erhielt. Es schien, als wolle der Imperator Berge und
Fluesse versetzen und mit der Natur selber den Wettlauf wagen. Indessen
so sehr auch durch die neue Ordnung die Stadt Rom an Bequemlichkeit
und Herrlichkeit gewann, ihre politische Suprematie ging ihr, wie schon
gesagt ward, durch ebendieselbe unwiderbringlich verloren. Dass der
roemische Staat mit der Stadt Rom zusammenfalle, war zwar im Laufe der
Zeit immer unnatuerlicher und verkehrter geworden; aber der Satz war
doch so innig mit dem Wesen der roemischen Republik verwachsen, dass er
nicht vor dieser selbst zugrunde gehen konnte. Erst in dem neuen
Staate Caesars ward er, etwa mit Ausnahme einiger legaler Fiktionen,
vollstaendig beseitigt und das hauptstaedtische Gemeinwesen rechtlich
auf eine Linie mit allen uebrigen Munizipalitaeten gestellt; wie denn
Caesar, hier wie ueberall bemueht, nicht bloss die Sache zu ordnen,
sondern auch sie offiziell bei dem rechten Namen zu nennen, seine
italische Gemeindeordnung, ohne Zweifel absichtlich, zugleich fuer
die Hauptstadt und fuer die uebrigen Stadtgemeinden erliess. Man kann
hinzufuegen, dass Rom, eben weil es eines lebendigen Kommunalwesens als
Hauptstadt nicht faehig war, hinter den uebrigen Munizipalitaeten der
Kaiserzeit sogar wesentlich zurueckstand. Das republikanische Rom war
eine Raeuberhoehle, aber zugleich der Staat; das Rom der Monarchie,
obwohl es mit allen Herrlichkeiten dreier Weltteile sich zu schmuecken
und in Gold und Marmor zu schimmern begann, war doch nichts im Staate
als das Koenigsschloss in Verbindung mit dem Armenhaus, das heisst ein
notwendiges uebel. ------------------------------------------- ^20
Es ist nicht ohne Interesse, dass ein spaeterer, aber einsichtiger
politischer Schriftsteller, der Verfasser der unter Sallustius' Namen an
Caesar gerichteten Briefe, diesem den Rat erteilt, die hauptstaedtische
Getreideverteilung in die einzelnen Munizipien zu verlegen. Die
Kritik hat ihren guten Sinn; wie denn bei der grossartigen munizipalen
Waisenversorgung unter Traian offenbar aehnliche Gedanken gewaltet
haben. ------------------------------------------- Wenn es in der
Hauptstadt sich nur darum handelte, durch polizeiliche Ordnungen im
groessten Massstab handgreifliche Uebelstaende hinwegzuraeumen, so war
es dagegen eine bei weitem schwierigere Aufgabe, der tief zerruetteten
italischen Volkswirtschaft aufzuhelfen. Die Grundleiden waren die
bereits frueher ausfuehrlich hervorgehobenen, das Zusammenschwinden
der ackerbauenden und die unnatuerliche Vermehrung der kaufmaennischen
Bevoelkerung, woran ein unabsehbares Gefolge anderer Uebelstaende sich
anschloss. Wie es mit der italischen Bodenwirtschaft stand, wird
dem Leser unvergessen sein. Trotz der ernstlichsten Versuche, der
Vernichtung des kleinen Grundbesitzes zu steuern, war doch in dieser
Epoche kaum mehr in einer Landschaft des eigentlichen Italien, etwa mit
Ausnahme der Apenninen- und Abruzzentaeler, die Bauernwirtschaft die
vorwiegende Wirtschaftsweise. Was die Gutswirtschaft anlangt, so ist
zwischen der frueher dargestellten Catonischen und derjenigen, die uns
Varro schildert, kein wesentlicher Unterschied wahrzunehmen, nur
dass die letztere im Guten wie im Schlimmen von dem gesteigerten
grossstaedtischen Leben in Rom die Spuren zeigt. "Sonst", sagt Varro,
"war die Scheune auf dem Gut groesser als das Herrenhaus; jetzt
pflegt es umgekehrt zu sein." In der tusculanischen und tiburtinischen
Feldmark, an den Gestaden von Tarracina und Baiae erhoben sich da, wo
die alten latinischen und italischen Bauernschaften gesaet und geerntet
hatten, jetzt in unfruchtbarem Glanz die Landhaeuser der roemischen
Grossen, von denen manches mit den dazu gehoerigen Gartenanlagen und
Wasserleitungen, den Suess- und Salzwasserreservoirs zur Aufbewahrung
und Zuechtung von Fluss- und Seefischen, den Schnecken- und
Siebenschlaeferzuechtungen, den Wildschonungen zur Hegung von Hasen,
Kaninchen, Hirschen, Rehen und Wildschweinen und den Vogelhaeusern,
in denen selbst Kraniche und Pfauen gehalten wurden, den Raum einer
maessigen Stadt bedeckte. Aber der grossstaedtische Luxus macht
auch manche fleissige Hand reich und ernaehrt mehr Arme als die
almosenspendende Menschenliebe. Jene Vogelhaeuser und Fischteiche der
vornehmen Herren waren natuerlich in der Regel eine sehr kostspielige
Liebhaberei. Allein extensiv und intensiv hatte diese Wirtschaft sich
so hoch entwickelt, dass zum Beispiel der Bestand eines Taubenhauses bis
auf 100000 Sesterzen (7600 Taler) geschaetzt ward; dass eine rationelle
Maestungswirtschaft entstanden war und der in den Vogelhaeusern
gewonnene Duenger landwirtschaftlich in Betracht kam; dass ein einziger
Vogelhaendler auf einmal 5000 Krammetsvoegel - denn auch diese wusste
man zu hegen - das Stueck zu 3 Denaren (21 Groschen), ein einziger
Fischteichbesitzer 2000 Muraenen zu liefern imstande war und aus den
von Lucius Lucullus hinterlassenen Fischen 40000 Sesterzen (3050 Taler)
geloest wurden. Begreiflicherweise konnte unter solchen Umstaenden,
wer diese Wirtschaft geschaeftlich und intelligent betrieb, mit
verhaeltnismaessig geringem Anlagekapital sehr hohen Gewinn erzielen.
Ein kleiner Bienenzuechter dieser Zeit verkaufte von seinem nicht
mehr als einen Morgen grossen, in der Naehe von Falerii gelegenen
Thymiangaertchen Jahr aus Jahr ein an Honig fuer mindestens 10000
Sesterzen (760 Taler). Der Wetteifer der Obstzuechter ging so weit, dass
in eleganten Landhaeusern die marmorgetaefelte Obstkammer nicht selten
zugleich als Tafelzimmer eingerichtet, auch wohl gekauftes Prachtobst
dort zur Schau als eigenes Gewaechs gestellt ward. In dieser Zeit
wurden auch zuerst die kleinasiatische Kirsche und andere auslaendische
Fruchtbaeume in den italischen Gaerten angepflanzt. Die Gemuesegaerten,
die Rosen- und Veilchenbeete in Latium und Kampanien warfen reichen
Ertrag ab und der "Naschmarkt" (forum cupedinis) neben der Heiligen
Strasse, wo Fruechte, Honig und Kraenze feilgeboten zu werden pflegten,
spielte eine wichtige Rolle im hauptstaedtischen Leben. Ueberhaupt stand
die Gutswirtschaft, Plantagenwirtschaft wie sie war, oekonomisch auf
einer schwer zu uebertreffenden Hoehe der Entwicklung. Das Tal von
Rieti, die Umgegend des Fuciner Sees, die Landschaften am Liris und
Volturnus, ja Mittelitalien ueberhaupt, waren landwirtschaftlich in dem
bluehendsten Zustand; selbst gewisse Industrien, die geeignet waren,
sich an den Betrieb des Guts mittels Sklaven anzuschliessen, wurden von
den intelligenten Landwirten mit aufgenommen und, wo die Verhaeltnisse
guenstig waren, Wirtshaeuser, Webereien und besonders Ziegeleien auf dem
Gute angelegt. Die italischen Produzenten, namentlich von Wein und Oel,
versorgten nicht bloss die italischen Maerkte, sondern machten auch
in beiden Artikeln ansehnliche ueberseeische Ausfuhrgeschaefte. Eine
schlichte fachwissenschaftliche Schrift dieser Zeit vergleicht
Italien einem grossen Fruchtgarten; und die Schilderungen, die ein
gleichzeitiger Dichter von seinem schoenen Heimatland entwirft, wo die
wohlbewaesserte Wiese, das ueppige Kornfeld, der lustige Rebenhuegel
von der dunklen Zeile der Oelbaeume umsaeumt wird, wo der Schmuck des
Landes, lachend in mannigfaltiger Anmut, die holdesten Gaerten in seinem
Schosse hegt und selber von nahrunggebenden Baeumen umkraenzt wird diese
Schilderungen, offenbar treue Gemaelde der dem Dichter taeglich vor
Augen stehenden Landschaft, versetzen uns in die bluehendsten Striche
von Toscana und Terra di lavoro. Die Weidewirtschaft freilich, die aus
den frueher entwickelten Ursachen besonders im Sueden und Suedosten
Italiens immer weiter vordrang, war in jeder Beziehung ein Rueckschritt;
allein auch sie nahm doch bis zu einem gewissen Grade teil an der
allgemeinen Steigerung des Betriebes, wie denn fuer die Verbesserung der
Rassen vieles geschah und zum Beispiel Zuchtesel mit 60000 (4600 Taler),
100000 (7570 Taler), ja 400000 Sesterzen (30000 Taler) bezahlt wurden.
Die gediegene italische Bodenwirtschaft erzielte in dieser Zeit, wo die
allgemeine Entwicklung der Intelligenz und die Fuelle der Kapitalien
sie befruchtete, bei weitem glaenzendere Resultate als jemals die alte
Bauernwirtschaft hatte geben koennen, und ging sogar schon hinaus ueber
die Grenzen Italiens, indem der italische Oekonom auch in den Provinzen
grosse Strecken viehzuechtend und selbst kornbauend exploitierte. Welche
Dimensionen aber neben dieser auf dem Ruin der kleinen Bauernschaft
unnatuerlich gedeihenden Gutswirtschaft die Geldwirtschaft angenommen,
wie die italische Kaufmannschaft mit den Juden um die Wette in alle
Provinzen und Klientelstaaten des Reiches sich ergossen hatte, alles
Kapital endlich in Rom zusammenfloss, dafuer wird es, nach dem frueher
darueber Gesagten, hier genuegen, auf die einzige Tatsache hinzuweisen,
dass auf dem hauptstaedtischen Geldmarkt der regelmaessige Zinsfuss in
dieser Zeit sechs vom Hundert, das Geld daselbst also um die Haelfte
billiger war als sonst durchschnittlich im Altertume. Infolge dieser
agrarisch wie merkantil auf Kapitalmassen und Spekulation begruendeten
Volkswirtschaft ergab sich das fuerchterlichste Missverhaeltnis in der
Verteilung des Vermoegens. Die oft gebrauchte und oft gemissbrauchte
Rede von einem aus Millionaeren und Bettlern zusammengesetzten
Gemeinwesen trifft vielleicht nirgends so vollstaendig zu wie bei
dem Rom der letzten Zeit der Republik; und nirgends wohl auch ist der
Kernsatz des Sklavenstaats, dass der reiche Mann, der von der Taetigkeit
seiner Sklaven lebt, notwendig respektabel, der arme Mann, der von
seiner Haende Arbeit lebt, notwendig gemein ist, mit so grauenvoller
Sicherheit als der unwidersprechliche Grundgedanke des ganzen
oeffentlichen und privaten Verkehrs anerkannt worden ^21. Einen
wirklichen Mittelstand in unserm Sinne gibt es nicht, wie es denn in
keinem vollkommen entwickelten Sklavenstaat einen solchen geben kann;
was gleichsam als guter Mittelstand erscheint und gewissermassen auch es
ist, sind diejenigen reichen Geschaeftsmaenner und Grundbesitzer, die
so ungebildet oder auch so gebildet sind, um sich innerhalb der
Sphaere ihrer Taetigkeit zu bescheiden und vom oeffentlichen Leben
sich fernzuhalten. Unter den Geschaeftsmaennern, wo die zahlreichen
Freigelassenen und sonstigen emporgekommenen Leute in der Regel von dem
Schwindel erfasst wurden, den vornehmen Mann zu spielen, gab es solcher
Verstaendigen nicht allzuviel: ein Musterbild dieser Gattung ist der in
den Berichten aus dieser Zeit haeufig erwaehnte Titus Pomponius Atticus,
der teils mit der grossen Gutswirtschaft, welche er in Italien und
in Epirus betrieb, teils mit seinen durch ganz Italien, Griechenland,
Makedonien, Kleinasien sich verzweigenden Geldgeschaeften ein ungeheures
Vermoegen gewann, dabei aber durchaus der einfache Geschaeftsmann
blieb, sich nicht verleiten liess, um ein Amt zu werben oder auch nur
Staatsgeldgeschaefte zu machen, und, dem geizigen Knausern ebenso
fern wie dem wuesten und laestigen Luxus dieser Zeit - seine Tafel zum
Beispiel ward mit 100 Sesterzen (7« Talern) taeglich bestritten -,
sich genuegen liess an einer bequemen, die Anmut des Land- und des
Stadtlebens, die Freuden des Verkehrs mit der besten Gesellschaft Roms
und Griechenlands und jeden Genuss der Literatur und der Kunst sich
aneignenden Existenz. Zahlreicher und tuechtiger waren die italischen
Gutsbesitzer alten Schlages. Die gleichzeitige Literatur bewahrt in
der Schilderung des Sextus Roscius, der bei den Proskriptionen 673 (81)
mitermordet ward, das Bild eines solchen Landedelmanns (pater familias
rusticanus); sein Vermoegen, angeschlagen auf 6 Mill. Sesterzen (457000
Taler), ist wesentlich angelegt in seinen dreizehn Landguetern; die
Wirtschaft betreibt er selbst rationell und mit Leidenschaft; nach der
Hauptstadt kommt er selten oder nie, und wenn er dort erscheint, so
sticht er mit seinen ungehobelten Manieren nicht minder von dem feinen
Senator ab wie die zahllosen Scharen seiner rauben Ackerknechte von
dem zierlichen hauptstaedtischen Bedientenschwarm. Mehr als die
kosmopolitisch gebildeten Adelskreise und der ueberall und nirgends
heimische Kaufmannsstand bewahrten diese Gutsbesitzer und die wesentlich
durch dieselben gehaltenen "Ackerstaedte" (municipia rusticana) sowohl
die Zucht und Sitte der Vaeter als auch deren reine und edle Sprache.
Der Gutsbesitzerstand gilt als der Kern der Nation; der Spekulant, der
sein Vermoegen gemacht hat und unter die Notabeln des Landes einzutreten
wuenscht, kauft sich an und sucht wenn nicht selbst Squire zu werden,
doch wenigstens einen Sohn dazu zu erziehen. Den Spuren dieser
Gutsbesitzerschaft begegnen wir, wo in der Politik eine volkstuemliche
Regung sich zeigt und wo die Literatur einen gruenen Spross treibt: aus
ihr sog die patriotische Opposition gegen die neue Monarchie ihre
beste Kraft; ihr gehoeren Varro, Lucretius, Catullus an; und vielleicht
nirgends tritt die relative Frische dieser Gutsbesitzerexistenz
charakteristischer hervor als in der anmutigen arpinatischen Einleitung
zu dem zweiten Buche der Schrift Ciceros von den Gesetzen, einer gruenen
Oase in der fuerchterlichen Oede dieses ebenso leeren wie voluminoesen
Skribenten. -------------------------------------------------------
^21 Charakteristisch ist die folgende Auseinandersetzung in Ciceros
'Pflichtenlehre' (off. 1, 42): "Darueber, welche Geschaefte und
Erwerbszweige als anstaendig gelten koennen und welche als gemein,
herrschen im allgemeinen folgende Vorstellungen. Bescholten sind
zunaechst die Erwerbszweige, wobei man den Hass des Publikums sich
zuzieht, wie der der Zolleinnehmer, der der Geldverleiher. Unanstaendig
und gemein ist auch das Geschaeft der Lohnarbeiter, denen ihre
koerperliche, nicht ihre Geistesarbeit bezahlt wird; denn fuer diesen
selben Lohn verkaufen sie gleichsam sich in die Sklaverei. Gemeine Leute
sind auch die von dem Kaufmann zu sofortigem Verschleiss einkaufenden
Troedler; denn sie kommen nicht fort, wenn sie nicht ueber alle Massen
luegen, und nichts ist minder ehrenhaft als der Schwindel. Auch die
Handwerker treiben saemtlich gemeine Geschaefte; denn man kann
nicht Gentleman sein in der Werkstatt. Am wenigsten ehrbar sind die
Handwerker, die der Schlemmerei an die Hand gehen, zum Beispiel:
'Wurstmacher, Salzfischhaendler, Koch, Gefluegelverkaeufer, Fischer'
mit Terenz (Eun. 2, 2, 26) zu reden; dazu noch etwa die
Parfuemerienhaendler, die Tanzmeister und die ganze Sippschaft der
Spielbuden. Diejenigen Erwerbszweige aber, welche entweder eine hoehere
Bildung voraussetzen oder einen nicht geringen Ertrag abwerfen, wie die
Heilkunst, die Baukunst, der Unterricht in anstaendigen Gegenstaenden,
sind anstaendig fuer diejenigen, deren Stande sie angemessen sind. Der
Handel aber, wenn er Kleinhandel ist, ist gemein; der grosse Kaufmann
freilich, der aus den verschiedensten Laendern eine Menge von Waren
einfuehrt und sie an eine Menge von Leuten ohne Schwindel absetzt,
ist nicht gerade sehr zu schelten; ja wenn er, des Gewinstes satt oder
vielmehr mit dem Gewinste zufrieden, wie oft zuvor vom Meere in den
Hafen, so schliesslich aus dem Hafen selbst zu Grundbesitz gelangt, so
darf man wohl mit gutem Recht ihn loben. Aber unter allen Erwerbszweigen
ist keiner besser, keiner ergiebiger, keiner erfreulicher, keiner dem
freien Manne anstaendiger als der Grundbesitz." Also der anstaendige
Mann muss streng genommen Gutsbesitzer sein; das Kaufmannsgewerbe
passiert ihm nur, insofern es Mittel zu diesem letzten Zweck ist,
die Wissenschaft als Profession nur den Griechen und den nicht den
herrschenden Staenden angehoerigen Roemern, welche damit sich in den
vornehmen Kreisen allenfalls fuer ihre Person eine gewisse
Duldung erkaufen duerfen. Es ist die vollkommen ausgebildete
Plantagenbesitzeraristokratie, mit einer starken Schattierung von
kaufmaennischer Spekulation und einer leisen Nuance von allgemeiner
Bildung. ------------------------------------------------------- Aber
die gebildete Kaufmannschaft und der tuechtige Gutsbesitzerstand wird
weit ueberwuchert von den beiden tonangebenden Klassen der Gesellschaft:
dem Bettelvolk und der eigentlichen vornehmen Welt. Wir haben keine
statistischen Ziffern, um das relative Mass der Armut und des Reichtums
fuer diese Epoche scharf zu bezeichnen; doch darf hier wohl wieder an
die Aeusserung erinnert werden, die etwa fuenfzig Jahre frueher
ein roemischer Staatsmann tat: dass die Zahl der Familien von
festgegruendetem Reichtum innerhalb der roemischen Buergerschaft
nicht auf 2000 sich belaufe. Die Buergerschaft war seitdem eine andere
geworden; aber dass das Missverhaeltnis zwischen arm und reich sich
wenigstens gleichgeblieben war, dafuer sprechen deutliche Spuren. Die
fortschreitende Verarmung der Menge offenbart sich nur zu grell in dem
Zudrang zu den Getreidespenden und zur Anwerbung unter das Heer;
die entsprechende Steigerung des Reichtums bezeugt ausdruecklich ein
Schriftsteller dieser Generation, indem er, von den Verhaeltnissen der
marianischen Zeit sprechend, ein Vermoegen von 2 Mill. Sesterzen (152
000 Taler) "nach damaligen Verhaeltnissen Reichtum" nennt; und ebendahin
fuehren die Angaben, die wir ueber das Vermoegen einzelner Individuen
finden. Der schwerreiche Lucius Domitius Ahenobarbus verhiess
zwanzigtausend Soldaten jedem vier Jugera Land aus eigenem Besitz;
das Vermoegen des Pompeius belief sich auf 70 Mill. Sesterzen (5300000
Taler), das des Schauspielers Aesopus auf 20 (1520000 Taler); Marcus
Crassus, der reichste der Reichen, besass am Anfang seiner Laufbahn 7
(530000 Taler), am Ausgang derselben nach Verspendung ungeheurer Summen
an das Volk 170 Millionen Sesterzen (13 Mill. Taler). Die Folgen solcher
Armut und solchen Reichtums waren nach beiden Seiten eine aeusserlich
verschiedene, aber wesentlich gleichartige oekonomische und sittliche
Zerruettung. Wenn der gemeine Mann einzig durch die Unterstuetzung aus
Staatsmitteln vor dem Verhungern gerettet ward, so war es die notwendige
Folge dieses Bettlerelends, die freilich wechselwirkend auch wieder
als Ursache auftrat, dass er der Bettlerfaulheit und dem bettlerhaften
Wohlleben sich ergab. Statt zu arbeiten, gaffte der roemische Plebejer
lieber im Theater; die Schenken und Bordelle hatten solchen Zuspruch,
dass die Demagogen ihre Rechnung dabei fanden, vorwiegend die Besitzer
derartiger Etablissements in ihr Interesse zu ziehen. Die Fechterspiele,
die Offenbarung wie die Nahrung der aergsten Demoralisation in der
alten Welt, waren zu solcher Bluete gelangt, dass mit dem Verkauf der
Programme derselben ein eintraegliches Geschaeft gemacht ward, und
nahmen in dieser Zeit die entsetzliche Neuerung auf, dass ueber Leben
und Tod des Besiegten nicht das Duellgesetz oder die Willkuer des
Siegers, sondern die Laune des zuschauenden Publikums entschied und
nach dessen Wink der Sieger den daniederliegenden Besiegten entweder
verschonte oder durchbohrte. Das Handwerk des Fechters war so im
Preise gestiegen oder auch die Freiheit so im Preise gesunken, dass die
Unerschrockenheit und der Wetteifer, die auf den Schlachtfeldern dieser
Zeit vermisst wurden, in den Heeren der Arena allgemein waren und, wo
das Duellgesetz es mit sich brachte, jeder Gladiator lautlos und ohne zu
zucken sich durchbohren liess, ja dass freie Maenner nicht selten sich
den Unternehmern fuer Kost und Lohn als Fechtknechte verkauften. Auch
die Plebejer des fuenften Jahrhunderts hatten gedarbt und gehungert,
aber ihre Freiheit hatten sie nicht verkauft; und noch weniger wuerden
die Rechtweiser jener Zeit sich dazu hergegeben haben, den ebenso
sitten- wie rechtswidrigen Kontrakt eines solchen Fechtknechts, "sich
unweigerlich fesseln, peitschen, brennen oder toeten zu lassen, wenn
die Gesetze der Anstalt dies mit sich bringen wuerden", auf unfeinen
juristischen Schleichwegen als statthaft und klagbar hinzustellen. In
der vornehmen Welt kam nun dergleichen nicht vor; aber im Grunde war sie
kaum anders, am wenigsten besser. Im Nichtstun nahm es der Aristokrat
dreist mit dem Proletarier auf; wenn dieser auf dem Pflaster lungerte,
dehnte jener sich bis in den hellen Tag hinein in den Feldern. Die
Verschwendung regierte hier ebenso mass- wie geschmacklos. Sie warf sich
auf die Politik wie auf das Theater, natuerlich zu beider Verderben: man
kaufte das Konsulamt um unglaublichen Preis - im Sommer 700 (54) ward
allein die erste Stimmabteilung mit 10 Mill. Sesterzen (760000 Talern)
bezahlt - und verdarb durch den tollen Dekorationsluxus dem
Gebildeten alle Freude am Buehnenspiel. Die Mietpreise scheinen in Rom
durchschnittlich vierfach hoeher als in den Landstaedten sich gestellt
zu haben; ein Haus daselbst ward einmal fuer 15 Mill. Sesterzen (1150000
Taler) verkauft. Das Haus des Marcus Lepidus (Konsul 676 78), als Sulla
starb, das schoenste in Rom, war ein Menschenalter spaeter noch nicht
der hundertste in der Rangfolge der roemischen Palaeste. Des mit den
Landhaeusern getriebenen Schwindels ward bereits gedacht; wir finden,
dass fuer ein solches, das hauptsaechlich seines Fischteiches wegen
geschaetzt war, 4 Mill. Sesterzen (300000 Taler) bezahlt wurden; und der
ganz vornehme Mann bedurfte jetzt schon wenigstens zweier Landhaeuser,
eines in den Sabiner- oder Albaner Bergen bei der Hauptstadt und eines
zweiten in der Naehe der kampanischen Baeder, dazu noch womoeglich
eines Gartens unmittelbar vor den Toren Roms. Noch unsinniger als diese
Villen- waren die Grabpalaeste, von denen einzelne noch bis auf den
heutigen Tag es bezeugen, welches himmelhohen Quaderhaufens der reiche
Roemer bedurfte, um standesmaessig gestorben zu sein. Die Pferde- und
Hundeliebhaber fehlten auch nicht; fuer ein Luxuspferd waren 24000
Sesterzen (1830 Taler) ein nicht ungewoehnlicher Preis. Man raffinierte
auf Moebel von feinem Holz - ein Tisch von afrikanischem Zypressenholz
ward mit 1 Mill. Sesterzen (67000 Taler) bezahlt; auf Gewaender von
Purpurstoffen oder durchsichtiger Gaze und daneben auch auf die zierlich
vor dem Spiegel zurechtgelegten Falten - der Redner Hortensius soll
einen Kollegen wegen Injurien belangt haben, weil er ihm im Gedraenge
den Rock zerknittert; auf Edelsteine und Perlen, die zuerst in dieser
Zeit an die Stelle des alten, unendlich schoeneren und kunstvolleren
Goldschmucks traten: es war schon vollkommenes Barbarentum, wenn bei
Pompeius' Triumph ueber Mithradates das Bild des Siegers ganz von
Perlen gearbeitet erschien und wenn man im Speisesaal die Sofas und
die Etageren mit Silber beschlagen, ja das Kuechengeschirr von Silber
fertigen liess. Gleicher Art ist es, wenn die Sammler dieser Zeit aus
den alten Silberbechern die kunstvollen Medaillons herausbrachen um sie
in goldene Gefaesse wiedereinzusetzen. Auch der Reiseluxus ward nicht
vermisst. "Wenn der Statthalter reiste", erzaehlt Cicero von einem der
sizilischen, "was natuerlich im Winter nicht geschah, sondern erst
mit Fruehlingsanfang, nicht dem des Kalenders, sondern dem Anfang der
Rosenzeit, so liess er, wie es bei den Koenigen von Bithynien Brauch
war, sich auf einer Achttraegersaenfte befoerdern, sitzend auf Kissen
von maltesischer Gaze und mit Rosenblaettern gestopft, einen Kranz auf
dem Kopf, einen zweiten um den Hals geschlungen, ein feines, leinenes,
kleingetuepfeltes, mit Rosen angefuelltes Riechsaeckchen an die Nase
haltend; und so liess er bis vor sein Schlafzimmer sich tragen." Aber
keine Gattung des Luxus bluehte so wie die roheste von allen, der Luxus
der Tafel. Die ganze Villeneinrichtung und das ganze Villenleben lief
schliesslich hinaus auf das Dinieren; man hatte nicht bloss verschiedene
Tafelzimmer fuer Winter und Sommer, sondern auch in der Bildergalerie,
in der Obstkammer, im Vogelhaus wurde serviert oder auf einer im
Wildpark aufgeschlagenen Estrade, um welche dann, wenn der bestellte
"Orpheus" im Theaterkostuem erschien und Tusch blies, die dazu
abgerichteten Rehe und Wildschweine sich draengten. So ward fuer
Dekoration gesorgt, aber die Realitaet darueber durchaus nicht
vergessen. Nicht bloss der Koch war ein graduierter Gastronom, sondern
oft machte der Herr selbst den Lehrmeister seiner Koeche. Laengst war
der Braten durch Seefische und Austern in den Schatten gestellt; jetzt
waren die italischen Flussfische voellig von der guten Tafel verbannt
und galten die italischen Delikatessen und die italischen Weine fast
fuer gemein. Es wurden jetzt schon bei Volksfesten ausser dem italischen
Falerner drei Sorten auslaendischen Weines - Sizilianer, Lesbier,
Chier - verteilt, waehrend ein Menschenalter zuvor es auch bei grossen
Schmaeusen genuegt hatte, einmal griechischen Wein herumzugeben; in dem
Keller des Redners Hortensius fand sich ein Lager von 10000 Kruegen
(zu 33 Berliner Quart) fremden Weines. Es war kein Wunder, dass die
italischen Weinbauer anfingen, ueber die Konkurrenz der griechischen
Inselweine zu klagen. Kein Naturforscher kann eifriger die Laender
und Meere nach neuen Tieren und Pflanzen durchsuchen, als es von den
Esskuenstlern jener Zeit wegen neuer Kuechenelegantien geschah ^22. Wenn
dann der Gast, um den Folgen der ihm vorgesetzten Mannigfaltigkeiten zu
entgehen, nach der Mahlzeit ein Vomitiv nahm, so fiel dies niemand mehr
auf. Die Debauche aller Art ward so systematisch und so schwerfaellig,
dass sie ihre Professoren fand, die davon lebten, vornehmen Juenglingen
theoretisch und praktisch als Lastermeister zu dienen. Es wird nicht
noetig sein, bei diesem wuesten Gemaelde eintoenigster Mannigfaltigkeit
noch laenger zu verweilen; um so weniger, als ja auch auf diesem
Gebiet die Roemer nichts weniger als originell waren und sich darauf
beschraenkten, von dem hellenisch-orientalischen Luxus eine noch mass-
und noch geistlosere Kopie zu liefern. Natuerlich verschlingt Plutos
seine Kinder so gut wie Kronos; die Konkurrenz um alle jene meist
nichtigen Gegenstaende vornehmer Begehrlichkeit trieb die Preise so
in die Hoehe, dass den mit dem Strome Schwimmenden in kurzer Zeit das
kolossalste Vermoegen zerrann und auch diejenigen, die nur Ehren halber
das Notwendigste mitmachten, den ererbten und festgegruendeten Wohlstand
rasch sich unterhoehlen sahen. Die Bewerbung um das Konsulat zum
Beispiel war die gewoehnliche Landstrasse zum Ruin angesehener Haeuser;
und fast dasselbe gilt von den Spielen, den grossen Bauten und all jenen
andern, zwar lustigen, aber teuren Metiers. Der fuerstliche Reichtum
jener Zeit wird nur von der noch fuerstlicheren Verschuldung ueberboten:
Caesar schuldete um 692 (62) nach Abzug seiner Aktiva 25 Mill. Sesterzen
(1900000 Taler), Marcus Antonius als Vierundzwanzigjaehriger 6 Mill.
Sesterzen (460000 Taler), vierzehn Jahre spaeter 40 (3 Mill. Taler),
Curio 60 (4« Mill. Taler), Milo 70 Mill. (5« Mill. Taler). Wie
durchgaengig jenes verschwenderische Leben und Treiben der vornehmen
roemischen Welt auf Kredit beruhte, davon zeugt die Tatsache, dass durch
die Anleihen der verschiedenen Konkurrenten um das Konsulat einmal in
Rom der Monatzins ploetzlich von vier auf acht vom Hundert aufschlug.
Die Insolvenz, statt rechtzeitig den Konkurs oder doch die Liquidation
herbeizufuehren und damit wenigstens wieder ein klares Verhaeltnis
herzustellen, ward in der Regel von dem Schuldner, solange es irgend
ging, verschleppt; statt seine Habe, namentlich seine Grundstuecke
zu verkaufen, fuhr er fort, zu borgen und den Scheinreichen weiter zu
spielen, bis denn der Krach nur um so aerger kam und Konkurse ausbrachen
wie zum Beispiel der des Milo, bei dem die Glaeubiger etwas ueber vier
vom Hundert der liquidierten Summen erhielten. Es gewann bei diesem
rasend schnellen Umschlagen vom Reichtum zum Bankrott und diesem
systematischen Schwindel natuerlich niemand als der kuehle Bankier,
der es verstand, Kredit zu geben und zu verweigern. So kamen denn die
Kreditverhaeltnisse fast auf demselben Punkte wieder an, wo sie in
den schlimmsten Zeiten der sozialen Krise des fuenften Jahrhunderts
gestanden hatten: die nominellen Grundeigentuemer waren gleichsam die
Bittbesitzer ihrer Glaeubiger, die Schuldner entweder ihren Glaeubigern
knechtisch untertan, so dass die geringeren von ihnen, gleich den
Freigelassenen, in dem Gefolge derselben erschienen, die vornehmeren
selbst im Senat nach dem Wink ihres Schuldherrn sprachen und stimmten,
oder auch im Begriff, dem Eigentum selbst den Krieg zu erklaeren und
ihre Glaeubiger entweder durch Drohungen zu terrorisieren oder gar
sich ihrer durch Komplott und Buergerkrieg zu entledigen. Auf diesen
Verhaeltnissen ruhte die Macht des Crassus; aus ihnen entsprangen die
Auflaeufe, deren Signal das "freie Folium" war, des Cinna und bestimmter
noch des Catilina, des Caelius, des Dolabella, vollkommen gleichartig
jenen Schlachten der Besitzenden und Nichtbesitzenden, die ein
Jahrhundert zuvor die hellenische Welt bewegten. Dass bei so
unterhoehlten oekonomischen Zustaenden jede finanzielle oder politische
Krise die entsetzlichste Verwirrung hervorrief, lag in der Natur
der Dinge: es bedarf kaum gesagt zu werden, dass die gewoehnlichen
Erscheinungen: das Verschwinden des Kapitals, die ploetzliche Entwertung
der Grundstuecke, zahllose Bankrotte und eine fast allgemeine Insolvenz,
ebenwie waehrend des Bundesgenoessischen und Mithradatischen, so
auch jetzt waehrend des Buergerkrieges sich einstellten.
--------------------------------------------------- ^22 Wir haben noch
(Macr. Sat. 3, 13) den Speisezettel derjenigen Mahlzeit, welche Lucius
Lentulus Niger vor 691 (63) bei Antritt seines Pontifikats gab und an
der die Pontifices - darunter Caesar -, die Vestalischen Jungfrauen und
einige andere Priester und nah verwandte Damen Anteil nahmen. Vor der
Mahlzeit kamen Meerigel; frische Austern soviel die Gaeste wollten;
Gienmuscheln; Lazarusklappen; Krammetsvoegel mit Spargeln; gemaestetes
Huhn; Auster- und Muschelpastete; schwarze und weisse Meereicheln;
noch einmal Lazarusklappen; Glykymarismuscheln; Nesselmuscheln;
Feigenschnepfen; Rehrippen; Schweinsrippen; Gefluegel in Mehl gebacken;
Feigenschnepfen; Purpurmuscheln, zwei Sorten. Die Mahlzeit selbst
bestand aus Schweinsbrust, Schweinskopf; Fischpastete; Schweinspastete;
Enten; Kriechenten gekocht; Hasen; gebratenem Gefluegel;
Kraftmehlbackwerk; pontischem Backwerk. Das sind die Kollegienschmaeuse,
von denen Varro (rust. 3, 2, 16) sagt, dass sie die Preise aller
Delikatessen in die Hoehe trieben. Derselbe zaehlt in einer seiner
Satiren als die namhaftesten auslaendischen Delikatessen folgende
auf: Pfauen von Samos; Haselhuehner aus Phrygien; Kraniche von Melos;
Zicklein von Ambrakia; Thunfische von Kalchedon; Muraenen aus der
Gaditanischen Meerenge; Edelfische (?) von Pessinus. Austern und
Muscheln von Tarent; Stoere (?) von Rhodos; Scarusfische (?) von
Kilikien; Nuesse von Thasos; Datteln aus Aegypten; spanische Eicheln.
--------------------------------------------------- Dass Sittlichkeit
und Familienleben unter solchen Verhaeltnissen in allen Schichten der
Gesellschaft zur Antiquitaet wurden, versteht sich von selbst. Es war
nicht mehr der aergste Schimpf und das schlimmste Verbrechen, arm zu
sein, sondern das einzige: um Geld verkaufte der Staatsmann den Staat,
der Buerger seine Freiheit; um Geld war die Offizierstelle wie die Kugel
des Geschworenen feil; um Geld gab die vornehme Dame so gut sich preis
wie die gemeine Dirne; Urkundenfaelschung und Meineide waren so
gemein geworden, dass bei einem Volkspoeten dieser Zeit der Eid "das
Schuldenpflaster" heisst. Man hatte vergessen, was Ehrlichkeit war; wer
eine Bestechung zurueckwies, galt nicht fuer einen rechtschaffenen Mann,
sondern fuer einen persoenlichen Feind. Die Kriminalstatistik aller
Zeiten und Laender wird schwerlich ein Seitenstueck bieten zu
einem Schaudergemaelde so mannigfaltiger, so entsetzlicher und so
widernatuerlicher Verbrechen, wie es der Prozess des Aulus Cluentius in
dem Schoss einer der angesehensten Familien einer italischen Ackerstadt
vor uns aufrollt. Wie aber im tiefen Grunde des Volkslebens der Schlamm
immer giftiger und immer bodenloser sich sammelte, so legte sich um so
viel glatter und gleissender ueber die Oberflaeche der Firnis feiner
Sitten und allgemeiner Freundschaft. Alle Welt besuchte sich einander,
so dass in den vornehmen Haeusern es schon noetig wird, die jeden Morgen
zum Lever sich einstellenden Personen in einer gewissen, von dem Herrn
oder gelegentlich auch dem Kammerdiener festgesetzten Reihenfolge
vorzulassen, auch nur den namhafteren einzeln Audienz zu geben,
die uebrigen aber teils in Gruppen, teils schliesslich in Masse
abzufertigen, mit welcher Scheidung Gaius Gracchus, auch hierin der
Pfadfinder der neuen Monarchie, vorangegangen sein soll. Eine
ebenso grosse Ausdehnung wie die Hoeflichkeitsbesuche hat auch der
Hoeflichkeitsbriefwechsel gewonnen; zwischen Personen, die weder ein
persoenliches Verhaeltnis noch Geschaefte miteinander haben, fliegen
dennoch die "freundschaftlichen" Briefe ueber Land und Meer, und
umgekehrt kommen eigentliche und foermliche Geschaeftsbriefe fast nur
da noch vor, wo das Schreiben an eine Korporation gerichtet ist. In
der gleichen Weise werden die Einladungen zur Tafel, die ueblichen
Neujahrsgeschenke, die haeuslichen Feste ihrem Wesen entfremdet und fast
in oeffentliche Festlichkeiten verwandelt; ja, der Tod selbst befreit
nicht von diesen Ruecksichten auf die unzaehligen "Naechsten", sondern,
um anstaendig gestorben zu sein, muss der Roemer jeden derselben
wenigstens mit einem Andenken bedacht haben. Ebenwie in gewissen
Kreisen unserer Boersenwelt war der eigentliche innige haeusliche und
hausfreundliche Zusammenhang dem damaligen Rom so vollstaendig abhanden
gekommen, dass mit den inhaltlos gewordenen Formen und Floskeln
desselben der gesamte Geschaefts- und Bekanntenverkehr sich staffieren
und dann allmaehlich an die Stelle der wirklichen jenes Gespenst der
"Freundschaft" treten konnte, welches unter den mancherlei ueber den
Aechtungen und Buergerkriegen dieser Zeit schwebenden Hoellengeistern
nicht den letzten Platz einnimmt. Ein ebenso charakteristischer Zug
in dem schimmernden Verfall dieser Zeit ist die Emanzipation der
Frauenwelt. oekonomisch hatten die Frauen laengst sich selbstaendig
gemacht; in der gegenwaertigen Epoche begegnen schon eigene
Frauenanwaelte, die einzelnstehenden reichen Damen bei ihrer
Vermoegensverwaltung und ihren Prozessen dienstbeflissen zur Hand
gehen, durch Geschaefts- und Rechtskenntnis ihnen imponieren und damit
reichlichere Trinkgelder und Erbschaftsquoten herausschlagen als
andere Pflastertreter der Boerse. Aber nicht bloss der oekonomischen
Vormundschaft des Vaters oder des Mannes fuehlten die Frauen sich
entbunden. Liebeshaendel aller Art waren bestaendig auf dem Tapet.
Ballettaenzerinnen (mimae) nahmen an Mannigfaltigkeit und Virtuositaet
ihrer Industrien mit den heutigen es vollkommen auf; ihre Primadonnen,
die Cytheris und wie sie weiter heissen, beschmutzen selbst die Blaetter
der Geschichte. Indes ihrem gleichsam konzessionierten Gewerbe tat sehr
wesentlichen Abbruch die freie Kunst der Damen der aristokratischen
Kreise. Liaisons in den ersten Haeusern waren so haeufig geworden,
dass nur ein ganz ausnehmendes Aergernis sie zum Gegenstand besonderen
Klatsches machen konnte; ein gerichtliches Einschreiten nun gar schien
beinahe laecherlich. Ein Skandal ohnegleichen, wie ihn Publius Clodius
693 (61) bei dem Weiberfest im Hause des Oberpontifex auffuehrte, obwohl
tausendmal aerger als die Vorfaelle, die noch fuenfzig Jahre zuvor
zu einer Reihe von Todesurteilen gefuehrt hatten, ging fast ohne
Untersuchung und ganz ohne Strafe hin. Die Badesaison - im April, wo
die Staatsgeschaefte ruhten und die vornehme Welt in Baiae und Puteoli
zusammenstroemte - zog ihren Hauptreiz mit aus den erlaubten und
unerlaubten Verhaeltnissen, die neben Musik und Gesang und eleganten
Fruehstuecken im Nachen oder am Ufer die Gondelfahrten belebten. Hier
herrschten die Damen unumschraenkt; indes begnuegten sie sich keineswegs
mit dieser ihnen von Rechts wegen zustehenden Domaene, sondern
sie machten auch Politik, erschienen in Parteizusammenkuenften und
beteiligten sich mit ihrem Geld und ihren Intrigen an dem wuesten
Koterietreiben der Zeit. Wer diese Staatsmaenninnen auf der Buehne
Scipios und Catos agieren sah und daneben den jungen Elegant, wie er
mit glattem Kinn, feiner Stimme und trippelndem Gang, mit Kopf- und
Busentuechern, Manschettenhemden und Frauensandalen das lockere Dirnchen
kopierte, dem mochte wohl grauen vor der unnatuerlichen Welt, in der
die Geschlechter die Rollen schienen wechseln zu wollen. Wie man in
den Kreisen dieser Aristokratie ueber Ehescheidung dachte, laesst das
Verfahren ihres besten und sittlichsten Mannes Marcus Cato erkennen,
der auf Bitten eines heiratslustigen Freundes von seiner Frau sich
zu scheiden, keinen Anstand nahm und ebensowenig daran, nach dem Tode
dieses Freundes dieselbe Frau zum zweitenmal zu heiraten. Ehe- und
Kinderlosigkeit griffen vornehmlich in den hoeheren Staenden immer
weiter um sich. Wenn unter diesen die Ehe laengst als eine Last galt,
die man hoechstens im oeffentlichen Interesse ueber sich nahm, so
begegnen wir jetzt schon auch bei Cato und Catos Gesinnungsgenossen der
Maxime, aus der ein Jahrhundert zuvor Polybios den Verfall von
Hellas ableitete: dass es Buergerpflicht sei, die grossen Vermoegen
zusammenzuhalten und darum nicht zu viel Kinder zu zeugen. Wo waren die
Zeiten, als die Benennung "Kinderzeuger" (proletarius) fuer den Roemer
ein Ehrenname gewesen war! Infolge dieser sozialen Zustaende schwand der
latinische Stamm in Italien in erschreckender Weise zusammen und
legte sich ueber die schoenen Landschaften teils die parasitische
Einwanderung, teils die reine Oede. Ein ansehnlicher Teil der
Bevoelkerung Italiens stroemte in das Ausland. Schon die Summe von
Kapazitaeten und Arbeitskraeften, welche die Lieferung von italischen
Beamten und italischen Besatzungen fuer das gesamte Mittelmeergebiet in
Anspruch nahm, ueberstieg die Kraefte der Halbinsel, zumal da die also
in die Fremde gesandten Elemente zum grossen Teil der Nation fuer immer
verloren gingen. Denn je mehr die roemische Gemeinde zu einem viele
Nationen umfassenden Reiche erwuchs, desto mehr entwoehnte sich die
regierende Aristokratie, Italien als ihre ausschliessliche Heimat zu
betrachten; von der zum Dienst ausgehobenen oder angeworbenen Mannschaft
aber ging ein ansehnlicher Teil in den vielen Kriegen, namentlich in dem
blutigen Buergerkriege zugrunde, und ein anderer ward durch die lange,
zuweilen auf ein Menschenalter sich erstreckende Dienstzeit der Heimat
voellig entfremdet. In gleicher Weise wie der oeffentliche Dienst
hielt die Spekulation einen Teil der Grundbesitzer- und fast die ganze
Kaufmannschaft wenn nicht auf zeitlebens, doch auf lange Zeit
ausser Landes fest und entwoehnte namentlich die letztere in dem
demoralisierenden Handelsreiseleben ueberhaupt der buergerlichen
Existenz im Mutterlande und der vielfach bedingten innerhalb der
Familie. Als Ersatz dafuer erhielt Italien teils das Sklaven- und
Freigelassenenproletariat, teils die aus Kleinasien, Syrien und
Aegypten einstroemenden Handwerker und Haendler, die vornehmlich in der
Hauptstadt und mehr noch in den Hafenstaedten Ostia, Puteoli, Brundisium
wucherten. Aber in dem groessten und wichtigsten Teil Italiens trat
nicht einmal ein solcher Ersatz der reinen Elemente durch unreine ein,
sondern schwand die Bevoelkerung sichtlich hin. Vor allem galt dies von
den Weidelandschaften, wie denn das gelobte Land der Viehzucht, Apulien,
von Gleichzeitigen der menschenleerste Teil Italiens genannt wird, und
von der Umgegend Roms, wo die Campagna unter der steten Wechselwirkung
des zurueckgehenden Ackerbaues und der zunehmenden boesen Luft
jaehrlich mehr veroedete. Labici, Gabii, Bovillae, einst freundliche
Landstaedtchen, waren so verfallen, dass es schwer hielt, Vertreter
derselben fuer die Zeremonie des Latinerfestes aufzutreiben. Tusculum,
obwohl immer noch eine der angesehensten Gemeinden Latiums, bestand fast
nur noch aus einigen vornehmen Familien, die in der Hauptstadt lebten,
aber ihr tusculanisches Heimatrecht festhielten, und stand an Zahl der
stimmfaehigen Buerger weit zurueck selbst hinter kleinen Gemeinden des
inneren Italiens. Der Stamm der waffenfaehigen Mannschaft war in diesem
Landstrich, auf dem einst Roms Wehrhaftigkeit wesentlich beruht
hatte, so vollstaendig ausgegangen, dass man die im Vergleich mit den
gegenwaertigen Verhaeltnissen fabelhaft klingenden Berichte der Chronik
von den Aequer- und Volskerkriegen mit Staunen und vielleicht mit Grauen
las. Nicht ueberall war es so arg, namentlich nicht in den uebrigen
Teilen Mittelitaliens und in Kampanien: aber dennoch "standen", wie
Varro klagt, durchgaengig einst menschenreiche Staedte veroedet. Es
ist ein grauenvolles Bild, dies Bild Italiens unter dem Regiment der
Oligarchie. Zwischen der Welt der Bettler und der Welt der Reichen ist
der verhaengnisvolle Gegensatz durch nichts vermittelt oder gemildert.
Je deutlicher und peinlicher er auf beiden Seiten empfunden ward, je
schwindelnd hoeher der Reichtum stieg, je tiefer der Abgrund der
Armut gaehnte, desto haeufiger ward in dieser wechselvollen Welt der
Spekulation und des Gluecksspiels der einzelne aus der Tiefe in die
Hoehe und wieder aus der Hoehe in die Tiefe geschleudert. Je weiter
aeusserlich die beiden Welten auseinanderklafften, desto vollstaendiger
begegneten sie sich in der gleichen Vernichtung des Familienlebens, das
doch aller Nationalitaet Keim und Kern ist, in der gleichen Faulheit
und Ueppigkeit, der gleichen bodenlosen Oekonomie, der gleichen
unmaennlichen Abhaengigkeit, der gleichen, nur im Tarif unterschiedenen
Korruption, der gleichen Verbrecherentsittlichung, dem gleichen
Geluesten, mit dem Eigentum den Krieg zu beginnen. Reichtum und Elend
im innigen Bunde treiben die Italiker aus Italien aus und fuellen die
Halbinsel halb mit Sklavengewimmel, halb mit schauerlicher Stille. Es
ist ein grauenvolles Bild, aber kein eigentuemliches; ueberall, wo das
Kapitalistenregiment im Sklavenstaat sich vollstaendig entwickelt, hat
es Gottes schoene Welt in gleicher Weise verwuestet. Wie die Stroeme
in verschiedenen Farben spiegeln, die Kloake aber ueberall sich gleich
sieht, so gleicht auch das Italien der ciceronischen Epoche wesentlich
dem Hellas des Polybios und bestimmter noch dem Karthago der
hannibalischen Zeit, wo in ganz aehnlicher Weise das allmaechtig
regierende Kapital den Mittelstand zugrunde gerichtet, den Handel und
die Gutswirtschaft zur hoechsten Bluete gesteigert und schliesslich eine
gleissend uebertuenchte sittliche und politische Verwesung der Nation
herbeigefuehrt hatte. Alles, was in der heutigen Welt das Kapital an
argen Suenden gegen Nation und Zivilisation begangen hat, bleibt so tief
unter den Greueln der alten Kapitalistenstaaten, wie der freie Mann,
sei er auch noch so arm, ueber dem Sklaven bleibt; und erst wenn
Nordamerikas Drachensaat reift, wird die Welt wieder aehnliche Fruechte
zu ernten haben. Diese Leiden, an denen die italische Volkswirtschaft
daniederlag, waren ihrem tiefsten Kerne nach unheilbar, und was daran
noch geheilt werden konnte, musste wesentlich das Volk und die Zeit
bessern; denn auch die weiseste Regierung vermag so wenig wie der
geschickteste Arzt, die verdorbenen Saefte des Organismus in frische
zu verwandeln oder bei tieferliegenden Uebeln mehr zu tun, als die
Zufaelligkeiten abzuwehren, die die Heilkraft der Natur in ihrem Wirken
hindern. Eine solche Abwehr gewaehrte an sich schon die friedliche
Energie des neuen Regiments, durch welche einige der aergsten Auswuechse
von selber wegfielen, wie zum Beispiel die kuenstliche Grossziehung
des Proletariats, die Straflosigkeit der Verbrechen, der Aemterkauf und
anderes mehr. Allein etwas mehr konnte die Regierung doch tun als bloss
nicht schaden. Caesar gehoerte nicht zu den ueberklugen Leuten, die
das Meer darum nicht eindaemmen, weil der Springflut doch kein Deich zu
trotzen vermag. Es ist besser, wenn die Nation und ihre Oekonomie von
selbst die naturgemaesse Bahn geht; aber da sie aus dieser ausgewichen
war, so setzte Caesar alle seine Energie ein, um von oben herab die
Nation in das heimatliche und Familienleben zurueckzubringen und die
Volksoekonomie durch Gesetz und Dekret zu reformieren. Um der dauernden
Abwesenheit der Italiker aus Italien zu steuern und die vornehme Welt
und die Kaufmannschaft zur Gruendung eigener Herde in der Heimat zu
veranlassen, wurde nicht bloss die Dienstzeit der Soldaten verkuerzt,
sondern auch den Maennern senatorischen Standes ueberhaupt untersagt,
anders als in oeffentlichen Geschaeften ihren Aufenthalt ausserhalb
Italiens zunehmen, den uebrigen Italikern in heiratsfaehigem Alter (vom
zwanzigsten bis zum vierzigsten Jahr) vorgeschrieben, nicht ueber drei
Jahre hintereinander von Italien abwesend zu sein. In demselben Sinn
hatte Caesar schon in seinem ersten Konsulat bei Gruendung der Kolonie
Capua die Vaeter mehrerer Kinder vorzugsweise bedacht und setzte nun als
Imperator den Vaetern zahlreicher Familien ausserordentliche Belohnungen
aus, waehrend er zugleich als oberster Richter der Nation Scheidung
und Ehebruch mit einem nach roemischen Begriffen unerhoerten Rigorismus
behandelte. Er verschmaehte es sogar nicht, ein detailliertes
Luxusgesetz zu erlassen, das unter anderm die Bauverschwendung
wenigstens in einem ihrer unsinnigsten Auswuechse, den Grabmonumenten,
beschnitt, den Gebrauch von Purpurgewaendern und Perlen auf gewisse
Zeiten, Alters- und Rangklassen beschraenkte und ihn erwachsenen
Maennern ganz untersagte, dem Tafelaufwand ein Maximum setzte und eine
Anzahl Luxusgerichte geradezu verbot. Dergleichen Verordnungen waren
freilich nicht neu; neu aber war es, dass der "Sittenmeister" ernstlich
ueber deren Befolgung hielt, die Esswarenmaerkte durch bezahlte
Aufpasser ueberwachte, ja, den vornehmen Herren durch seine
Gerichtsdiener die Tafel revidieren und die verbotenen Schuesseln
auf dieser selbst konfiszieren liess. Durch solche theoretische und
praktische Unterweisung in der Maessigkeit, welche die neue monarchische
Polizei der vornehmen Welt erteilte, konnte freilich kaum mehr erreicht
werden, als dass der Luxus sich etwas mehr in die Verborgenheit
zurueckzog; allein wenn die Heuchelei die Huldigung ist, die das Laster
der Tugend darbringt, so war unter den damaligen Verhaeltnissen selbst
eine polizeilich hergestellte Scheinehrbarkeit ein nicht zu verachtender
Fortschritt zum Bessern. Ernsterer Art waren und mehr Erfolg versprachen
die Massregeln Caesars zur besseren Regulierung der italischen Geld-
und Bodenwirtschaft. Zunaechst handelte es sich hier um transitorische
Bestimmungen hinsichtlich des Geldmangels und der Schuldenkrise
ueberhaupt. Das durch den Laerm ueber die zurueckgehaltenen Kapitalien
hervorgerufene Gesetz, dass niemand ueber 60000 Sesterzen (4600 Taler)
an barem Gold und Silber vorraetig haben duerfe, mag wohl nur
erlassen sein, um den Zorn des blinden Publikums gegen die Wucherer
zu beschwichtigen; die Form der Publikation, wobei fingiert ward, dass
hiermit nur ein aelteres, in Vergessenheit geratenes Gesetz wieder
eingeschaerft werde, zeigt es, dass Caesar dieser Verfuegung sich
schaemte, und schwerlich wird von ihr wirklich Anwendung gemacht sein.
Eine weit ernstere Frage war die Behandlung der schwebenden Forderungen,
deren vollstaendigen Erlass die Partei, die sich die seine nannte, von
Caesar mit Ungestuem begehrte. Dass derselbe auf dieses Begehren so
nicht einging, ward schon gesagt; indes wurden doch, und zwar schon im
Jahre 705 (49), den Schuldnern zwei wichtige Zugestaendnisse gemacht.
Einmal wurden die rueckstaendigen Zinsen niedergeschlagen ^23 und die
gezahlten vom Kapital abgezogen. Zweitens ward der Glaeubiger genoetigt,
die bewegliche und unbewegliche Habe des Schuldners an Zahlungs
Statt nach demjenigen Taxwert anzunehmen, welchen die Sachen vor dem
Buergerkrieg und der durch denselben herbeigefuehrten allgemeinen
Entwertung gehabt hatten. Die letztere Festsetzung war nicht unbillig;
wenn der Glaeubiger tatsaechlich als der Eigentuemer der Habe seines
Schuldners bis zum Belauf der ihm geschuldeten Summe anzusehen war, so
war es wohl gerechtfertigt, dass er an der allgemeinen Entwertung des
Besitzes seinen Anteil mittrug. Dagegen die Annullierung der geleisteten
oder ausstehenden Zinszahlungen, durch welche der Sache nach die
Glaeubiger ausser den Zinsen selbst von dem, was sie zur Zeit der
Erlassung des Gesetzes an Kapital zu fordern hatten, durchschnittlich
25 Prozent einbuessten, war in der Tat nichts anderes als eine teilweise
Gewaehrung der von den Demokraten so ungestuem begehrten Kassation
der aus Darlehen herruehrenden Forderungen; und wie arg auch die
Zinswucherer gewirtschaftet haben mochten, so ist es doch nicht
moeglich, damit die rueckwirkende Vernichtung aller Zinsforderungen
ohne Unterschied zu rechtfertigen. Um diese Agitation wenigstens zu
begreifen, muss man sich erinnern, wie die demokratische Partei zu der
Zinsfrage stand. Das gesetzliche Verbot, Zinsen zu nehmen, das die alte
Plebejeropposition im Jahre 412 (342) erzwungen hatte, war zwar durch
die mittels der Praetur den Zivilprozess beherrschende Nobilitaet
tatsaechlich ausser Anwendung gesetzt, aber doch formell seit jener Zeit
in Gueltigkeit geblieben; und die Demokraten des siebenten Jahrhunderts,
die sich durchaus als die Fortsetzer jener alten staendisch-sozialen
Bewegung betrachteten, hatten die Nichtigkeit der Zinszahlungen zu jeder
Zeit behauptet, auch schon in den Wirren der marianischen Zeit dieselbe
wenigstens voruebergehend praktisch geltend gemacht. Es ist nicht
glaublich, dass Caesar die kruden Ansichten seiner Partei ueber
die Zinsfrage teilte; wenn er in seinem Bericht ueber die
Liquidationsangelegenheit der Verfuegung ueber die Hingabe der Habe der
Schuldner an Zahlungs Statt gedenkt, aber von der Kassation der Zinsen
schweigt, so ist dies vielleicht ein stummer Selbstvorwurf. Allein wie
jeder Parteifuehrer hing doch auch er von seiner Partei ab und konnte
die traditionellen Saetze der Demokratie in der Zinsfrage nicht
geradezu verleugnen; um so mehr, als er ueber diese Frage nicht als der
allmaechtige Sieger von Pharsalos, sondern schon vor seinem Abgang
nach Epirus zu entscheiden hatte. Wenn er aber diesen Bruch in die
Rechtsordnung und das Eigentum vielleicht mehr zuliess als bewirkte,
so ist es sicher sein Verdienst, dass jenes ungeheuerliche Begehren der
Kassation saemtlicher Darlehnsforderungen zurueckgewiesen ward: und
es darf wohl als eine Ehrenrettung fuer ihn angesehen werden, dass
die Schuldner ueber das ihnen gemachte, nach ihrer Ansicht hoechst
ungenuegende Zugestaendnis noch weit ungehaltener waren als die
verkuerzten Glaeubiger und unter Caelius und Dolabella jene toerichten
und, wie bereits frueher erzaehlt, rasch vereitelten Versuche machten,
das, was Caesar ihnen verweigert hatte, durch Krawall und Buergerkrieg
zu erzwingen. ------------------------------------------ ^23 Dieses ist
zwar nicht ueberliefert, folgt aber notwendig aus der Gestattung, die
durch Barzahlung oder Anweisung gezahlten Zinsen (si quid usurae nomine
numeratum auf perscriptum fuisset: Suet. Caes. 42) als
gesetzwidrig gezahlt an dem Kapital zu kuerzen.
------------------------------------------ Aber Caesar beschraenkte sich
nicht darauf, dem Schuldner fuer den Augenblick zu helfen, sondern er
tat, was er als Gesetzgeber tun konnte, um die fuerchterliche Allmacht
des Kapitals auf die Dauer zu beugen. Vor allen Dingen ward der grosse
Rechtssatz proklamiert, dass die Freiheit nicht ein dem Eigentum
kommensurables Gut ist, sondern ein ewiges Menschenrecht, das der Staat
nur dem Schuldigen, nicht dem Schuldner abzuerkennen das Recht hat.
Es ist Caesar, der, vielleicht auch hier angeregt durch die humanere
aegyptische und griechische, besonders die Solonische Gesetzgebung
^24, dieses den Satzungen der aelteren Konkursordnung schnurstracks
widersprechende Prinzip eingefuehrt hat in das gemeine Recht, wo es seit
ihm unangefochten sich behauptet. Nach roemischem Landrecht ward der
zahlungsunfaehige Schuldner Knecht seines Glaeubigers. Das Poetelische
Gesetz hatte zwar dem nur durch Verlegenheiten, nicht durch wahre
Ueberschuldung augenblicklich zahlungsunfaehig Gewordenen verstattet,
durch Abtretung seiner Habe die persoenliche Freiheit zu retten;
fuer den wirklich Ueberschuldeten jedoch war jener Rechtssatz wohl
in Nebenpunkten gemildert, aber in der Hauptsache durch ein halbes
Jahrtausend unveraendert festgehalten worden; ein zunaechst auf das
Vermoegen gerichteter Konkurs kam nur ausnahmsweise vor dann, wenn der
Schuldner tot oder seines Buergerrechts verlustig gegangen oder nicht
aufzufinden war. Erst Caesar gab dem ueberschuldeten Manne das Recht,
worauf noch unsere heutigen Konkursordnungen beruhen: durch foermliche
Abtretung der Habe an die Glaeubiger, mochte sie zu ihrer Befriedigung
ausreichen oder nicht, allemal seine persoenliche Freiheit, wenn auch
mit geschmaelerten Ehren- und politischen Rechten, zu erretten und
eine neue Vermoegensexistenz zu beginnen, in der er wegen der aus der
aelteren Zeit herruehrenden und im Konkurs nicht gedeckten Forderungen
nur dann eingeklagt werden durfte, wenn er sie bezahlen konnte, ohne
wiederum sich oekonomisch zu ruinieren. Wenn also dem grossen Demokraten
die unvergaengliche Ehre zuteil ward, die persoenliche Freiheit
prinzipiell vom Kapital zu emanzipieren, so versuchte er ferner,
die Uebermacht des Kapitals durch Wuchergesetze auch polizeilich
einzudaemmen. Die demokratische Antipathie gegen die Zinsvertraege
verleugnete auch er nicht. Fuer den italischen Geldverkehr wurde eine
Maximalsumme der dem einzelnen Kapitalisten zu gestattenden Zinsdarlehen
festgestellt, welche sich nach dem einem jeden zustaendigen italischen
Grundbesitz gerichtet zu haben scheint und vielleicht die Haelfte des
Wertes desselben betrug. Uebertretungen dieser Bestimmung wurden,
nach Art des in den republikanischen Wuchergesetzen vorgeschriebenen
Verfahrens, als Kriminalvergehen behandelt und vor eine eigene
Geschworenenkommission gewiesen. Wenn es gelang, diese Vorschriften
praktisch durchzufuehren, so wurde jeder italische Geschaeftsmann
dadurch genoetigt, vor allem zugleich auch italischer Grundbesitzer zu
werden, und die Klasse der bloss von ihren Zinsen zehrenden Kapitalisten
verschwand in Italien gaenzlich. Mittelbar wurde damit auch die nicht
minder schaedliche Kategorie der ueberschuldeten und der Sache nach nur
fuer ihre Glaeubiger das Gut verwaltenden Grundeigentuemer wesentlich
beschraenkt, indem die Glaeubiger, wenn sie ihr Zinsgeschaeft
fortfuehren wollten, gezwungen wurden, selber sich anzukaufen. Schon
hierin uebrigens liegt es, dass Caesar keineswegs jenes naive Zinsverbot
der alten Popularpartei einfach erneuern, sondern vielmehr das
Zinsnehmen innerhalb gewisser Grenzen gestatten wollte. Sehr
wahrscheinlich aber hat er dabei sich nicht auf jene bloss fuer Italien
gueltige Anordnung eines Maximalsatzes der auszuleihenden Summen
beschraenkt, sondern auch, namentlich mit Ruecksicht auf die Provinzen,
fuer die Zinsen selbst Maximalsaetze vorgeschrieben. Die Verfuegungen,
dass es unstatthaft sei, hoehere Zinsen als eins vom Hundert monatlich
oder von rueckstaendigen Zinsen wieder Zinsen zu nehmen oder endlich an
rueckstaendigen Zinsen mehr als eine dem Kapital gleichkommende Summe
gerichtlich geltend zu machen, wurden, wahrscheinlich ebenfalls nach
griechisch-aegyptischem Muster ^25, im Roemischen Reiche zuerst von
Lucius Lucullus fuer Kleinasien aufgestellt und daselbst von seinen
besseren Nachfolgern beibehalten, sodann bald auch auf andere Provinzen
durch Statthalterverordnungen uebertragen und endlich wenigstens ein
Teil derselben durch einen Beschluss des roemischen Senats vom Jahre
704 (50) mit Gesetzeskraft in allen Provinzen versehen. Wenn diese
Lucullischen Verfuegungen spaeterhin in ihrem vollen Umfang als
Reichsgesetz erscheinen und durchaus die Grundlage der roemischen,
ja der heutigen Zinsgesetzgebung geworden sind, so darf auch dies
vielleicht auf eine Bestimmung Caesars zurueckgefuehrt werden.
------------------------------------------------- ^24 Die aegyptischen
Koenigsgesetze (Diod. 1, 79) und ebenso das Solonische Recht (Plut. Sol.
13, 15) untersagten die Schuldbriefe, worin auf die Nichtzahlung der
Verlust der persoenlichen Freiheit des Schuldners gesetzt war; und
wenigstens das letztere legte auch im Falle des Konkurses dem Schuldner
nicht mehr auf als die Abtretung seiner saemtlichen Aktiva. ^25
Wenigstens der letztere Satz kehrt wieder in den alten aegyptischen
Koenigsgesetzen (Diod. 1, 79). Dagegen kennt das Solonische Recht keine
Zinsbeschraenkungen, erlaubt vielmehr ausdruecklich, Zinsen von
jeder beliebigen Hoehe auszumachen.
------------------------------------------------- Hand in Hand mit
diesen Bestrebungen, der Kapitaluebermacht zu wehren, gingen die
Bemuehungen, die Bodenwirtschaft in diejenige Bahn zurueckzuleiten, die
dem Gemeinwesen die foerderlichste war. Sehr wesentlich war hierfuer
schon die Verbesserung der Rechtspflege und der Polizei. Wenn
bisher niemand in Italien seines Lebens und seines beweglichen oder
unbeweglichen Eigentums sicher gewesen war, wenn zum Beispiel die
roemischen Bandenfuehrer in den Zwischenzeiten, wo ihre Leute nicht
in der Hauptstadt Politik machen halfen, in den Waeldern Etruriens
dem Raube obgelegen oder auch die Landgueter ihrer Soldherren durch
Eroberungen arrondiert hatten, so hatte dergleichen Faustrecht nunmehr
ein Ende; und vor allem die ackerbauende Bevoelkerung aller Klassen
musste davon die wohltaetigen Folgen empfinden. Auch Caesars Bauplaene,
die sich durchaus nicht auf die Hauptstadt beschraenkten, waren
bestimmt, hier einzugreifen; so sollte zum Beispiel die Anlegung einer
bequemen Fahrstrasse von Rom durch die Apenninenpaesse zum Adriatischen
Meer den italischen Binnenverkehr beleben, die Niedrigerlegung des
Fuciner Sees der marsischen Bauernschaft zugute kommen. Allein auch
unmittelbar griff Caesar in die wirtschaftlichen Zustaende Italiens ein.
Den italischen Viehzuechtern wurde auferlegt, wenigstens den dritten
Teil ihrer Hirten aus freigeborenen, erwachsenen Leuten zu nehmen,
wodurch zugleich dem Banditenwesen gesteuert und dem freien Proletariat
eine Erwerbsquelle geoeffnet ward. In der agrarischen Frage ging Caesar,
der bereits in seinem ersten Konsulat in die Lage gekommen war, sie zu
regulieren, verstaendiger als Tiberius Gracchus, nicht darauf aus, die
Bauernwirtschaft wiederherzustellen um jeden Preis, selbst um den einer
unter juristischen Klauseln versteckten Revolution gegen das Eigentum;
ihm wie jedem andern echten Staatsmann galt vielmehr als die erste und
unverbruechlichste aller politischen Maximen die Sicherheit dessen, was
Eigentum ist oder doch im Publikum als Eigentum gilt, und nur innerhalb
der hierdurch gezogenen Schranken suchte er die Hebung des italischen
Kleinbesitzes, die auch ihm als eine Lebensfrage der Nation erschien,
zu bewerkstelligen. Es liess auch so noch viel in dieser Beziehung sich
tun. Jedes Privatrecht, mochte es Eigentum oder titulierter Erbbesitz
heissen, auf Gracchus oder auf Sulla zurueckgehen, ward unbedingt
von ihm respektiert. Dagegen das saemtliche wirkliche Domanialland in
Italien, mit Einschluss eines ansehnlichen Teils der in den Haenden
geistlicher Innungen befindlichen, rechtlich dem Staate zustaendigen
Liegenschaften, wurde von Caesar, nachdem er in seiner streng sparsamen,
auch im kleinen keine Verschleuderung und Vernachlaessigung duldenden
Weise durch die wiedererweckte Zwanzigerkommission eine allgemeine
Revision der italischen Besitztitel veranstaltet hatte, zur Verteilung
in gracchanischer Weise bestimmt, natuerlich soweit es sich zum Ackerbau
eignete - die dem Staate gehoerigen apulischen Sommer- und samnitischen
Winterweiden blieben auch ferner Domaene; und es war wenigstens die
Absicht des Imperators, wenn diese Domaenen nicht ausreichen wuerden,
das weiter erforderliche Land durch Ankauf italischer Grundstuecke aus
der Staatskasse zu beschaffen. Bei der Auswahl der neuen Bauern wurden
natuerlich vor allen die gedienten Soldaten beruecksichtigt und soweit
moeglich die Last, welche die Aushebung fuer das Mutterland war, dadurch
in eine Wohltat umgewandelt, dass Caesar den als Rekruten ausgehobenen
Proletarier ihm als Bauer zurueckgab; bemerkenswert ist es auch, dass
die veroedeten latinischen Gemeinden, wie zum Beispiel Veii und Capena,
vorzugsweise mit neuen Kolonisten bedacht worden zu sein scheinen. Die
Vorschrift Caesars, dass die neuen Eigentuemer erst nach zwanzig Jahren
befugt sein sollten, die empfangenen Laendereien zu veraeussern, war
ein gluecklicher Mittelweg zwischen der voelligen Freigebung des
Veraeusserungsrechts, die den groessten Teil des verteilten Landes rasch
wieder in die Haende der grossen Kapitalisten zurueckgefuehrt haben
wuerde, und den bleibenden Beschraenkungen der Verkehrsfreiheit, wie sie
Tiberius Gracchus und Sulla, beide gleich vergeblich, verfuegt hatten.
Wenn also die Regierung energisch dazu tat, die kranken Elemente des
italischen Volkslebens zu entfernen und die gesunden zu staerken, so
sollte endlich das neu regulierte Munizipalwesen, nachdem sich dasselbe
erst juengst aus der Krise des Bundesgenossenkriegs in und neben dem
Staatswesen entwickelt hatte, der neuen absoluten Monarchie das mit ihr
vertraegliche Gemeindeleben mitteilen und die stockende Zirkulation
der edelsten Elemente des oeffentlichen Lebens wieder zu rascheren
Pulsschlaegen erwecken. Als leitender Grundsatz in den beiden im Jahre
705 (49) fuer das Cisalpinische Gallien, im Jahre 709 (45) fuer Italien
erlassenen Gemeindeordnungen ^26, von denen namentlich die letztere
fuer die ganze Folgezeit Grundgesetz blieb, erscheint teils die strenge
Reinigung der staedtischen Kollegien von allen unsittlichen Elementen,
waehrend von politischer Polizei darin keine Spur vorkommt, teils die
moeglichste Beschraenkung des Zentralisierens und die moeglichst freie
Bewegung der Gemeinden, denen auch jetzt noch die Wahl der Beamten
und eine wenngleich beschraenkte Zivil- und Kriminalgerichtsbarkeit
verblieb. Die allgemeinen polizeilichen Bestimmungen, zum Beispiel
die Beschraenkungen des Assoziationsrechts, griffen freilich auch hier
Platz. ---------------------------------------------- ^26 Von
beiden Gesetzen sind betraechtliche Bruchstuecke noch vorhanden.
---------------------------------------------- Dies sind die
Ordnungen, durch die Caesar versuchte, die italische Volkswirtschaft
zu reformieren. Es ist leicht, sowohl ihre Unzulaenglichkeit darzutun,
indem auch sie noch eine Menge von Uebelstaenden bestehen liessen, als
auch nachzuweisen, dass sie vielfach schaedlich wirkten, indem sie die
Verkehrsfreiheit zum Teil sehr empfindlich beschraenkten. Es ist noch
leichter nachzuweisen, dass die Schaeden der italischen Volkswirtschaft
ueberhaupt unheilbarer Art waren. Aber trotzdem wird der praktische
Staatsmann das Werk wie den Meister bewundern. Es war schon etwas, dass
da, wo ein Mann wie Sulla, an Abhilfe verzweifelnd, mit einer bloss
formalen Reorganisation sich begnuegt hatte, das Uebel an seinem
eigentlichen Sitze angefasst und hier mit ihm gerungen ward; und wir
duerfen wohl urteilen, dass Caesar mit seinen Reformen dem Masse des
Moeglichen so nahe kam, als zu kommen dem Staatsmann und dem Roemer
gegeben war. Die Verjuengung Italiens hat auch er von ihnen nicht
erwarten koennen noch erwartet, sondern diese vielmehr auf einem sehr
verschiedenen Wege zu erreichen gesucht, den darzulegen es noetig wird,
zunaechst die Lage der Provinzen, wie Caesar sie vorfand, ins Auge zu
fassen. Die Provinzen, welche Caesar vorfand, waren vierzehn an der
Zahl; sieben europaeische: das Jenseitige und das Diesseitige Spanien;
das Transalpinische Gallien; das Italische Gallien mit Illyricum;
Makedonien mit Griechenland; Sizilien; Sardinien mit Korsika; fuenf
asiatische: Asia; Bithynien und Pontus; Kilikien mit Kypros; Syrien;
Kreta; und zwei afrikanische: Kyrene und Afrika; wozu Caesar durch die
Einrichtung der beiden neuen Statthalterschaften des Lugdunensischen
Galliens und Belgiens und durch Konstituierung Illyricums als
einer eigenen Provinz noch drei neue Sprengel hinzufuegte ^27.
------------------------------------------ ^27 Da nach Caesars
Ordnung jaehrlich sechzehn Propraetoren und zwei Prokonsuln in die
Statthalterschaften sich teilten und die letzteren zwei Jahre im Amt
blieben, so moechte man schliessen dass er die Zahl der Provinzen
insgesamt auf zwanzig zu bringen beabsichtigte. Zu einer Gewissheit ist
indes hier um so weniger zu gelangen, als Caesar vielleicht
absichtlich weniger Aemter einrichtete als Kandidaturen.
------------------------------------------ In dem Regiment ueber
diese Provinzen war die oligarchische Misswirtschaft auf einem Punkte
angekommen, wie ihn wenigstens im Okzident, trotz mancher achtbarer
Leistungen in diesem Fach, keine zweite Regierung jemals erreicht hat
und wo nach unserer Fassungskraft eine Steigerung nicht mehr moeglich
scheint. Allerdings traf die Verantwortung hierfuer die Roemer
nicht allein. Fast ueberall hatte bereits vor ihnen das griechische,
phoenikische oder asiatische Regiment den Voelkern den hoeheren Sinn und
das Rechts- und Freiheitsgefuehl besserer Zeiten ausgetrieben. Es war
wohl arg, dass jeder angeschuldigte Provinziale auf Verlangen in Rom
persoenlich zur Verantwortung sich zu stellen verpflichtet war; dass der
roemische Statthalter beliebig in die Rechtspflege und in die
Verwaltung der abhaengigen Gemeinden eingriff, Bluturteile faellte und
Verhandlungen des Gemeinderats kassierte; dass er im Kriegsfall mit den
Milizen nach Gutduenken und oft in schandbarer Weise schaltete, wie zum
Beispiel Cotta bei der Belagerung des pontischen Herakleia der Miliz
alle gefaehrlichen Posten anwies, um seine Italiker zu schonen, und, da
die Belagerung nicht nach Wunsch ging, seinen Werkmeistern den Kopf vor
die Fuesse zu legen befahl. Es war wohl arg, dass keine Vorschrift der
Sittlichkeit oder des Strafrechts weder die roemischen Voegte noch ihr
Gefolge band und dass Vergewaltigungen, Schaendungen und Ermordungen mit
oder ohne Form Rechtens in den Provinzen alltaegliche Auftritte waren.
Allein es war dies wenigstens nichts Neues: fast ueberall war man
sklavischer Behandlung laengst gewohnt und es kam am Ende wenig darauf
an, ob ein karthagischer Vogt, ein syrischer Satrap oder ein roemischer
Prokonsul den Lokaltyrannen spielte. Das materielle Wohlbefinden,
ziemlich das einzige, wofuer man in den Provinzen noch Sinn hatte, ward
durch jene Vorgaenge, die zwar bei den vielen Tyrannen viele, aber doch
nur einzelne Individuen trafen, weit minder gestoert als durch die auf
allen zugleich lastende finanzielle Exploitierung, welche mit solcher
Energie doch niemals noch aufgetreten war. Die Roemer bewaehrten
ihre alte Meisterschaft im Geldwesen jetzt auf diesem Gebiet in einer
entsetzlichen Weise. Es ist frueher versucht worden, das roemische
System der Provinzialbelastung in seinen bescheidenen und verstaendigen
Grundlagen wie in seiner Steigerung und Verderbung darzustellen.
Dass die letztere progressiv zunahm, versteht sich von selbst. Die
ordentlichen Abgaben wurden weit drueckender durch die Ungleichheit
der Steuerverteilung und durch das verkehrte Hebesystem als durch ihre
Hoehe. Ueber die Einquartierungslast aeusserten roemische Staatsmaenner
selbst, dass eine Stadt ungefaehr gleich viel leide, wenn der Feind
sie erstuerme und wenn ein roemisches Heer Winterquartier in ihr nehme.
Waehrend die Besteuerung nach ihrem urspruenglichen Charakter die
Verguetung fuer die von Rom uebernommene Kriegslast gewesen war und die
steuernde Gemeinde also ein Recht darauf hatte, vom ordentlichen Dienst
verschont zu bleiben, wurde jetzt, wie zum Beispiel fuer Sardinien
bezeugt ist, der Besatzungsdienst groesstenteils den Provinzialen
aufgebuerdet und sogar in den ordentlichen Heeren ausser anderen
Leistungen die ganze schwere Last des Reiterdienstes auf sie abgewaelzt.
Die ausserordentlichen Leistungen, wie zum Beispiel die Kornlieferungen
gegen geringe oder gar keine Verguetung zum Besten des hauptstaedtischen
Proletariats, die haeufigen und kostspieligen Flottenruestungen und
Strandverteidigungen, um der Piraterie zu steuern, die Aufgaben,
Kunstwerke, wilde Bestien oder andere Beduerfnisse des wahnwitzigen
roemischen Theater- und Tierhetzenluxus herbeizuschaffen, die
militaerischen Requisitionen im Kriegsfall, waren ebenso haeufig wie
erdrueckend und unberechenbar. Ein einzelnes Beispiel mag zeigen, wie
weit die Dinge gingen. Waehrend der dreijaehrigen Verwaltung Siziliens
durch Gaius Verres sank die Zahl der Ackerwirte in Leontinoi von 84 auf
32, in Motuka von 187 auf 86, in Herbita von 252 auf 120, in Agyrion von
250 auf 80; so dass in vier der fruchtbarsten Distrikte Siziliens von
hundert Grundbesitzern 59 ihre Aecker lieber brach liegen liessen, als
sie unter diesem Regiment bestellten. Und diese Ackerwirte waren,
wie schon ihre geringe Zahl zeigt und auch ausdruecklich gesagt wird,
keineswegs kleine Bauern, sondern ansehnliche Plantagenbesitzer und zum
grossen Teil roemische Buerger! In den Klientelstaaten waren die Formen
der Besteuerung etwas verschieden, aber die Lasten selbst womoeglich
noch aerger, da ausser den Roemern hier auch noch die einheimischen
Hoefe erpressten. In Kappadokien und Aegypten war der Bauer wie der
Koenig bankrott und jener den Steuereinnehmer, dieser den roemischen
Glaeubiger zu befriedigen ausserstande. Dazu kamen denn die eigentlichen
Erpressungen nicht bloss des Statthalters selbst, sondern auch seiner
"Freunde", von denen jeder gleichsam eine Anweisung auf den Statthalter
zu haben meinte und ein Anrecht, durch ihn aus der Provinz als ein
gemachter Mann zurueckzukommen. Die roemische Oligarchie glich in dieser
Beziehung vollstaendig einer Raeuberbande und betrieb das Pluendern der
Provinzialen berufs- und handwerksmaessig: ein tuechtiges Mitglied
griff nicht allzu saeuberlich zu, da man ja mit den Sachwaltern und den
Geschworenen zu teilen hatte und je mehr, um desto sicherer stahl. Auch
die Diebesehre war bereits entwickelt: der grosse Raeuber sah auf den
kleinen, dieser auf den blossen Dieb geringschaetzig herab; wer einmal
wunderbarerweise verurteilt worden war, tat gross mit der hohen Ziffer
der als erpresst ihm nachgewiesenen Summen. So wirtschafteten in den
Aemtern die Nachfolger jener Maenner, die von ihrer Verwaltung nichts
nach Hause zu bringen gewohnt gewesen als den Dank der Untertanen und
den Beifall der Mitbuerger. Aber womoeglich noch aerger und noch weniger
einer Kontrolle unterworfen hausten die italischen Geschaeftsmaenner
unter den ungluecklichen Provinzialen. Die eintraeglichsten Stuecke
des Grundbesitzes und das gesamte Handels- und Geldwesen in den Aemtern
konzentrierten sich in ihren Haenden. Die Gueter in den ueberseeischen
Gebieten, welche italischen Vornehmen gehoerten, waren allem Elend
der Verwalterwirtschaft ausgesetzt und sahen niemals ihren Herrn,
ausgenommen etwa die Jagdparke, welche schon in dieser Zeit im
Transalpinischen Gallien mit einem Flaecheninhalt bis fast zu einer
deutschen Quadratmeile vorkommen. Die Wucherei florierte wie nie zuvor.
Die kleinen Landeigentuemer in Illyricum, Asia, Aegypten wirtschafteten
schon zu Varros Zeit groesstenteils tatsaechlich als Schuldknechte ihrer
roemischen oder nichtroemischen Glaeubiger, ebenwie einst die Plebejer
fuer ihre patrizischen Zinsherren. Es kam vor, dass Kapitalien selbst an
Stadtgemeinden zu vier Prozent monatlich verborgt wurden. Es war etwas
Gewoehnliches, dass ein energischer und einflussreicher Geschaeftsmann
zu besserer Betreibung seiner Geschaefte entweder vom Senat sich den
Gesandten- ^28 oder auch vom Statthalter den Offizierstitel geben liess
und womoeglich auch Mannschaft dazu; in beglaubigter Weise wird ein Fall
erzaehlt, wo einer dieser ehrenwerten kriegerischen Bankiers wegen einer
Forderung an die Stadt Salamis auf Kypros den Gemeinderat derselben im
Rathaus so lange blockiert hielt, bis fuenf der Ratsmitglieder Hungers
gestorben waren. -----------------------------------------------------
^28 Dies ist die sogenannte "freie Gesandtschaft" (libera legatio),
naemlich eine Gesandtschaft ohne eigentliche oeffentliche Auftraege.
----------------------------------------------------- Zu dieser
gedoppelten Pressung, von denen jede allein unertraeglich war und
deren Ineinandergreifen immer besser sich regulierte, kamen dann die
allgemeinen Drangsale hinzu, von denen doch auch die roemische
Regierung die Schuld, zum grossen Teil wenigstens mittelbar trug. In den
vielfachen Kriegen wurden bald von den Barbaren, bald von den roemischen
Heeren grosse Kapitalien aus dem Lande weggeschleppt und groessere
verdorben. Bei der Nichtigkeit der roemischen Land- und Seepolizei
wimmelte es ueberall von Land- und Seeraeubern. In Sardinien und im
inneren Kleinasien war die Bandenwirtschaft endemisch; in Afrika und
im Jenseitigen Spanien machte sie es noetig, alle ausserhalb der
staedtischen Ringmauern angelegten Gebaeude mit Mauern und Tuermen zu
befestigen. Das furchtbare Uebel der Piraterie ward bereits in einem
anderen Zusammenhang geschildert. Die Panazeen des Prohibitivsystems,
mit denen der roemische Statthalter dazwischenzufahren pflegte, wenn,
wie das unter solchen Verhaeltnissen nicht fehlen konnte, Geldklemme
oder Brotteuerung eintrat, die Verbote der Gold- und Getreideausfuhr
aus der Provinz, machten denn auch die Sache nicht besser. Die
Kommunalverhaeltnisse waren fast ueberall, ausser durch den allgemeinen
Notstand, auch noch durch lokale Wirren und Unterschleife der
Gemeindebeamten zerruettet. Wo solche Bedraengnisse nicht etwa
voruebergehend, sondern Menschenalter hindurch auf den Gemeinden und
den einzelnen mit unabwendbar stetigem, jaehrlich steigendem Drucke
lasteten, musste wohl der bestgeordnete oeffentliche oder Privathaushalt
ihnen erliegen und das unsaeglichste Elend ueber alle Nationen vom Tajo
bis zum Euphrat sich ausbreiten. "Alle Gemeinden", heisst es in einer
schon 684 (70) veroeffentlichten Schrift "sind zugrunde gerichtet";
ebendasselbe wird fuer Spanien und das Narbonensische Gallien, also
die verhaeltnismaessig oekonomisch noch am leidlichsten gestellten
Provinzen, insbesondere bezeugt. In Kleinasien gar standen Staedte wie
Samos und Halikarnassos fast leer; der rechtliche Sklavenstand schien
hier, verglichen mit den Peinigungen, denen der freie Provinziale
unterlag, ein Hafen der Ruhe, und sogar der geduldige Asiate war,
nach den Schilderungen roemischer Staatsmaenner selbst, des Lebens
ueberdruessig geworden. Wen zu ergruenden geluestet, wie tief der Mensch
sinken kann, sowohl in dem frevelhaften Zufuegen wie in dem nicht
minder frevelhaften Ertragen alles denkbaren Unrechts, der mag aus den
Kriminalakten dieser Zeit zusammenlesen, was roemische Grosse zu tun,
was Griechen, Syrer und Phoeniker zu leiden vermochten. Selbst die
eigenen Staatsmaenner raeumten oeffentlich und ohne Umschweife ein, dass
der roemische Name durch ganz Griechenland und Asien unaussprechlich
verhasst sei; und wenn die Buerger des pontischen Herakleia einmal die
roemischen Zoellner saemtlich erschlugen, so war dabei nur zu bedauern,
dass dergleichen nicht oefter geschah. Die Optimaten spotteten ueber
den neuen Herrn, der seine "Meierhoefe" einen nach dem andern selbst
zu besichtigen kam; in der Tat forderte der Zustand aller Provinzen den
ganzen Ernst und die ganze Weisheit eines jener seltenen Maenner, denen
der Koenigsname es verdankt, dass er den Voelkern nicht bloss gilt als
leuchtendes Exempel menschlicher Unzulaenglichkeit. Die geschlagenen
Wunden musste die Zeit heilen; dass sie es konnte und dass nicht ferner
neue geschlagen wurden, dafuer sorgte Caesar. Das Verwaltungswesen ward
durchgreifend umgestaltet. Die Sullanischen Prokonsuln und Propraetoren
waren in ihrem Sprengel wesentlich souveraen und tatsaechlich keiner
Kontrolle unterworfen gewesen; die Caesarischen waren die wohl in Zucht
gehaltenen Diener eines strengen Herrn, der schon durch die Einheit
und die lebenslaengliche Dauer seiner Macht zu den Untertanen ein
natuerlicheres und leidlicheres Verhaeltnis hatte als jene vielen,
jaehrlich wechselnden kleinen Tyrannen. Die Statthalterschaften wurden
zwar auch ferner unter die jaehrlich abtretenden zwei Konsuln und
sechzehn Praetoren verteilt, aber dennoch, indem der Imperator acht von
den letzteren geradezu ernannte und die Verteilung der Provinzen unter
die Konkurrenten lediglich von ihm abhing, der Sache nach von dem
Imperator vergeben. Auch die Kompetenz der Statthalter ward tatsaechlich
beschraenkt. Es blieb ihnen die Leitung der Rechtspflege und die
administrative Kontrolle der Gemeinden, aber ihr Kommando ward
paralysiert durch das neue Oberkommando in Rom und dessen, dem
Statthalter zur Seite gestellte Adjutanten, das Hebewesen wahrscheinlich
schon jetzt, auch in den Provinzen wesentlich an kaiserliche Bediente
uebertragen, so dass der Statthalter fortan mit einem Hilfspersonal
umringt war, welches entweder durch die Gesetze der militaerischen
Hierarchie oder durch die noch strengeren der haeuslichen Zucht
unbedingt von dem Imperator abhing. Wenn bisher der Prokonsul und
sein Quaestor erschienen waren gleichsam als die zur Einziehung der
Brandschatzung abgesandten Mitglieder einer Raeuberbande, so waren
Caesars Beamte dazu da, um den Schwachen gegen den Starken zu
beschuetzen; und an die Stelle der bisherigen, schlimmer als nichtigen
Kontrolle der Ritter- oder senatorischen Gerichte trat fuer sie die
Verantwortung vor einem gerechten und unnachsichtigen Monarchen. Das
Gesetz ueber Erpressungen, dessen Bestimmungen Caesar schon in seinem
ersten Konsulat verschaerft hatte, wurde gegen die Oberkommandanten
in den Aemtern von ihm mit unerbittlicher, selbst ueber den Buchstaben
desselben hinausgehender Schaerfe zur Anwendung gebracht; und die
Steuerbeamten gar, wenn sie ja es wagten, sich eine Unrechtfertigkeit zu
erlauben, buessten ihrem Herrn, wie Knechte und Freigelassene nach
dem grausamen Hausrecht jener Zeit zu buessen pflegten. Die
ausserordentlichen oeffentlichen Lasten wurden auf das richtige Mass
und den wirklichen Notfall zurueckgefuehrt, die ordentlichen wesentlich
vermindert. Der durchgreifenden Regulierung des Steuerwesens ward
bereits frueher gedacht: die Ausdehnung der Steuerfreiheiten, die
durchgaengige Herabsetzung der direkten Abgaben, die Beschraenkung des
Zehntsystems auf Afrika und Sardinien, die vollstaendige Beseitigung der
Mittelsmaenner bei der Einziehung der direkten Abgaben waren fuer die
Provinzialen segensreiche Reformen. Dass Caesar nach dem Beispiel
eines seiner groessten demokratischen Vorgaenger, des Sertorius, die
Untertanen von der Einquartierungslast hat befreien und die Soldaten
anhalten wollen, sich selber bleibende stadtartige Standlager zu
errichten, ist zwar nicht nachzuweisen; aber er war, wenigstens nachdem
er die Praetendenten- mit der Koenigsrolle vertauscht hatte, nicht
der Mann, den Untertan dem Soldaten preiszugeben; und es war in seinem
Geiste gedacht, als die Erben seiner Politik solche Kriegslager und aus
diesen Kriegslagern wieder Staedte erschufen, in denen die italische
Zivilisation Brennpunkte inmitten der barbarischen Grenzlandschaften
fand. Bei weitem schwieriger als dem Beamtenunwesen zu steuern war
es, die Provinzialen von der erdrueckenden Uebermacht des roemischen
Kapitals zu befreien. Geradezu brechen liess dieselbe sich nicht, ohne
Mittel anzuwenden, die noch gefaehrlicher waren als das Uebel; die
Regierung konnte vorlaeufig nur einzelne Missbraeuche abstellen, wie zum
Beispiel Caesar die Benutzung des Staatsgesandtentitels zu wucherlichen
Zwecken untersagte, und der offenbaren Vergewaltigung und dem
handgreiflichen Wucher durch scharfe Handhabung der allgemeinen
Straf- und der auch auf die Provinzen sich erstreckenden Wuchergesetze
entgegentreten, eine gruendlichere Heilung des Uebels aber von dem unter
der besseren Verwaltung wiederaufbluehenden Wohlstand der Provinzialen
erwarten. Transitorische Verfuegungen, um der Ueberschuldung einzelner
Provinzen abzuhelfen, waren in den letzten Zeiten mehrfach ergangen.
Caesar selbst hatte 694 (60) als Statthalter des Jenseitigen Spaniens
den Glaeubigern zwei Drittel der Einnahmen ihrer Schuldner zugewiesen,
um daraus sich bezahlt zu machen. Aehnlich hatte schon Lucius Lucullus
als Statthalter von Kleinasien einen Teil der masslos angeschwollenen
Zinsreste geradezu kassiert, fuer den uebrigen Teil die Glaeubiger
angewiesen auf den vierten Teil des Ertrages der Laendereien ihrer
Schuldner sowie auf eine angemessene Quote der aus Hausmiete oder
Sklavenarbeit denselben zufliessenden Nutzungen. Es ist nicht
ueberliefert, dass Caesar nach dem Buergerkrieg aehnliche allgemeine
Schuldenliquidationen in den Provinzen veranlasst haette; doch kann es,
nach dem eben Bemerkten und nach dem, was fuer Italien geschah, kaum
bezweifelt werden, dass Caesar darauf ebenfalls hingearbeitet hat oder
dies wenigstens in seinem Plan lag. Wenn also der Imperator, soweit
Menschenkraft es vermochte, die Provinzialen der Bedrueckungen durch die
Beamten und Kapitalisten Roms entlastete, so durfte man zugleich von der
durch ihn neu erstarkenden Regierung mit Sicherheit erwarten, dass
sie die wilden Grenzvoelker verscheuchen und die Land- und Seepiraten
zerstreuen werde, wie die aufsteigende Sonne die Nebel verjagt. Wie auch
noch die alten Wunden schmerzten, mit Caesar erschien den vielgeplagten
Untertanen die Morgenroete einer ertraeglicheren Zeit, seit
Jahrhunderten wieder die erste intelligente und humane Regierung und
eine Friedenspolitik, die nicht auf der Feigheit, sondern auf der Kraft
beruhte. Wohl mochten mit den besten Roemern vor allem die Untertanen
an der Leiche des grossen Befreiers trauern. Allein diese Abstellung
der bestehenden Missbraeuche war nicht die Hauptsache in Caesars
Provinzialreform. In der roemischen Republik waren, nach der Ansicht der
Aristokratie wie der Demokratie, die Aemter nichts gewesen als wie sie
haeufig genannt werden: Landgueter des roemischen Volkes, und als solche
waren sie benutzt und ausgenutzt worden. Damit war es jetzt vorbei. Die
Provinzen als solche sollten allmaehlich untergehen, um der verjuengten
hellenisch-italischen Nation eine neue und geraeumigere Heimat zu
bereiten, von deren einzelnen Bezirken keiner nur um eines andern willen
da war, sondern alle fuer einen und einer fuer alle; die Leiden und
Schaeden der Nation, fuer die in dem alten Italien keine Hilfe war,
sollte das neue Dasein in der verjuengten Heimat, das frischere,
breitere, grossartigere Volksleben von selber ueberwinden. Bekanntlich
waren diese Gedanken nicht neu. Die seit Jahrhunderten stehend gewordene
Emigration aus Italien in die Provinzen hatte laengst, freilich
den Emigranten selber unbewusst, eine solche Ausdehnung Italiens
vorbereitet. In planmaessiger Weise hatte zuerst Gaius Gracchus, der
Schoepfer der roemischen demokratischen Monarchie, der Urheber der
transalpinischen Eroberungen, der Gruender der Kolonien Karthago und
Narbo, die Italiker ueber Italiens Grenzen hinausgelenkt, sodann der
zweite geniale Staatsmann, den die roemische Demokratie hervorgebracht,
Quintus Sertorius, damit begonnen, die barbarischen Okzidentalen zur
latinischen Zivilisation anzuleiten; er gab der vornehmen spanischen
Jugend roemische Tracht und hielt sie an, lateinisch zu sprechen und
auf der von ihm gegruendeten Bildungsanstalt in Osca sich die hoehere
italische Bildung anzueignen. Bei Caesars Regierungsantritt war
bereits eine massenhafte, freilich der Stetigkeit wie der Konzentration
grossenteils ermangelnde italische Bevoelkerung in allen Provinzen und
Klientelstaaten vorhanden - um von den foermlich italischen Staedten in
Spanien und dem suedlichen Gallien zu schweigen, erinnern wir nur an
die zahlreichen Buergertruppen, die Sertorius und Pompeius in Spanien,
Caesar in Gallien, Juba in Numidien, die Verfassungspartei in Afrika,
Makedonien, Griechenland, Kleinasien und Kreta aushoben; an die freilich
uebelgestimmte lateinische Leier, auf der die Stadtpoeten von Corduba
schon im Sertorianischen Kriege der roemischen Feldherren Lob und
Preis sangen; an die eben ihrer sprachlichen Eleganz wegen geschaetzten
Uebersetzungen griechischer Poesien, die der aelteste namhafte
ausseritalische Poet, der Transalpiner Publius Terentius Varro von der
Aude, kurz nach Caesars Tode veroeffentlichte. Andererseits war die
Durchdringung des latinischen und des hellenischen Wesens, man moechte
sagen, so alt wie Rom. Schon bei der Einigung Italiens hatte die
obsiegende latinische Nation alle anderen besiegten Nationalitaeten
sich assimiliert, nur die einzige griechische, so wie sie war, sich
eingefuegt, ohne sie aeusserlich mit sich zu verschmelzen. Wohin der
roemische Legionaer kam, dahin folgte der griechische Schulmeister, in
seiner Art nicht minder ein Eroberer, ihm nach; schon frueh finden wir
namhafte griechische Sprachlehrer ansaessig am Guadalquivir, und in
der Anstalt von Osca ward so gut griechisch gelehrt wie lateinisch. Die
hoehere roemische Bildung selbst war ja durchaus nichts anderes als
die Verkuendung des grossen Evangeliums hellenischer Art und Kunst im
italischen Idiom; gegen die bescheidene Anmassung der zivilisierenden
Eroberer, dasselbe zunaechst in ihrer Sprache den Barbaren des Westens
zu verkuendigen, konnte der Hellene wenigstens nicht laut protestieren.
Schon laengst erblickte der Grieche ueberall, und am entschiedensten
eben da, wo das Nationalgefuehl am reinsten und am staerksten war,
an den von barbarischer Denationalisierung bedrohten Grenzen, wie zum
Beispiel in Massalia, am Nordgestade des Schwarzen Meeres und am Euphrat
und Tigris, den Schild und das Schwert des Hellenismus in Rom; und
in der Tat nahmen Pompeius' Staedtegruendungen im fernen Osten nach
jahrhundertelanger Unterbrechung Alexanders segensreiches Werk wieder
auf. Der Gedanke eines italisch-hellenischen Reiches mit zweien Sprachen
und einer einheitlichen Nationalitaet war nicht neu - er waere sonst
auch nichts gewesen als ein Fehler; aber dass er aus schwankenden
Entwuerfen zu sicherer Fassung, aus zerstreuten Anfaengen zu
konzentrierter Grundlegung fortschritt, ist das Werk des dritten
und groessten der demokratischen Staatsmaenner Roms. Die erste und
wesentlichste Bedingung zu der politischen und nationalen
Nivellierung des Reichs war die Erhaltung und Ausdehnung der beiden
zu gemeinschaftlichem Herrschen bestimmten Nationen, unter moeglichst
rascher Beseitigung der neben ihr stehenden barbarischen oder barbarisch
genannten Staemme. In gewissem Sinne koennte man allerdings neben
Roemern und Griechen noch eine dritte Nationalitaet nennen, die mit
denselben in der damaligen Welt an Ubiquitaet wetteiferte und auch
in dem neuen Staate Caesars eine nicht unwesentliche Rolle zu spielen
bestimmt war. Es sind dies die Juden. Das merkwuerdige, nachgiebig zaehe
Volk war in der alten wie in der heutigen Welt ueberall und nirgends
heimisch und ueberall und nirgends maechtig. Die Diadochen Davids und
Salomos bedeuteten fuer die Juden jener Zeit kaum mehr, als heutzutage
Jerusalem fuer sie bedeutet; die Nation fand wohl fuer ihre religioese
und geistige Einheit einen sichtbaren Anhalt in dem kleinen
Koenigreich von Jerusalem, aber sie selbst bestand keineswegs in der
Untertanenschaft der Hasmonaeer, sondern in den zahllos durch das ganze
Parthische und das ganze Roemische Reich zerstreuten Judenschaften.
In Alexandreia namentlich und aehnlich in Kyrene bildeten die Juden
innerhalb dieser Staedte eigene, administrativ und selbst lokal
abgegrenzte Gemeinwesen, den Judenvierteln unserer Staedte nicht
ungleich, aber freier gestellt und von einem "Volksherrn" als oberstem
Richter und Verwalter geleitet. Wie zahlreich selbst in Rom die
juedische Bevoelkerung bereits vor Caesar war, und zugleich, wie
landsmannschaftlich eng die Juden auch damals zusammenhielten, beweist
die Bemerkung eines Schriftstellers dieser Zeit, dass es fuer den
Statthalter bedenklich sei, den Juden in seiner Provinz zu nahe zu
treten, weil er dann sicher darauf zaehlen duerfe, nach seiner Heimkehr
von dem hauptstaedtischen Poebel ausgepfiffen zu werden. Auch zu
jener Zeit war das vorwiegende Geschaeft der Juden der Handel: mit dem
erobernden roemischen Kaufmann zog damals der juedische Haendler ebenso
ueberall hin wie spaeter mit dem genuesischen und venezianischen, und
neben der roemischen stroemte das Kapital allerorts bei der juedischen
Kaufmannschaft zusammen. Auch zu jener Zeit endlich begegnen wir der
eigentuemlichen Antipathie der Okzidentalen gegen diese so gruendlich
orientalische Rasse und ihre fremdartigen Meinungen und Sitten.
Dies Judentum, obwohl nicht der erfreulichste Zug in dem nirgends
erfreulichen Bilde der damaligen Voelkermengung, war nichtsdestoweniger
ein im natuerlichen Verlauf der Dinge sich entwickelndes geschichtliches
Moment, das der Staatsmann weder sich ableugnen noch bekaempfen durfte
und dem Caesar vielmehr, ebenwie sein Vorgaenger Alexander, in richtiger
Erkenntnis der Verhaeltnisse moeglichst Vorschub tat. Wenn Alexander,
der Stifter des alexandrinischen Judentums, damit nicht viel weniger
fuer die Nation tat wie ihr eigener David durch den Tempelbau von
Jerusalem, so foerderte auch Caesar die Juden in Alexandreia wie in Rom
durch besondere Beguenstigungen und Vorrechte und schuetzte namentlich
ihren eigentuemlichen Kult gegen die roemischen wie gegen die
griechischen Lokalpfaffen. Die beiden grossen Maenner dachten natuerlich
nicht daran, der hellenischen oder italisch-hellenischen Nationalitaet
die juedische ebenbuertig zur Seite zu stellen. Aber der Jude, der nicht
wie der Okzidentale die Pandoragabe politischer Organisation empfangen
hat und gegen den Staat sich wesentlich gleichgueltig verhaelt; der
ferner ebenso schwer den Kern seiner nationalen Eigentuemlichkeit
aufgibt als bereitwillig denselben mit jeder beliebigen Nationalitaet
umhuellt und bis zu einem gewissen Grad der fremden Volkstuemlichkeit
sich anschmiegt - der Jude war ebendarum wie geschaffen fuer einen
Staat, welcher auf den Truemmern von hundert lebendigen Politien
erbaut und mit einer gewissermassen abstrakten und von vornherein
verschliffenen Nationalitaet ausgestattet werden sollte. Auch in der
alten Welt war das Judentum ein wirksames Ferment des Kosmopolitismus
und der nationalen Dekomposition und insofern ein vorzugsweise
berechtigtes Mitglied in dem Caesarischen Staate, dessen Politie doch
eigentlich nichts als Weltbuergertum, dessen Volkstuemlichkeit im
Grunde nichts als Humanitaet war. Indes die positiven Elemente des neuen
Buergertums blieben ausschliesslich die latinische und die hellenische
Nationalitaet. Mit dem spezifisch italischen Staat der Republik war es
also zu Ende; jedoch war es nichts als ein sehr erklaerliches, aber auch
sehr albernes Gerede des grollenden Adels, dass Caesar Italien und
Rom absichtlich zugrunde richte, um den Schwerpunkt des Reiches in den
griechischen Osten zu verlegen und zur Hauptstadt desselben Ilion oder
Alexandreia zu machen. Vielmehr behielt in Caesars Organisation die
latinische Nationalitaet immer das Uebergewicht; wie sich dies schon
darin ausspricht, dass er jede Verfuegung in lateinischer, aber die fuer
die griechisch redenden Landschaften bestimmten daneben in griechischer
Sprache erliess. Im allgemeinen ordnete er die Verhaeltnisse der beiden
grossen Nationen in seiner Monarchie ebenwie sie in dem geeinigten
Italien seine republikanischen Vorgaenger geordnet hatten: die
hellenische Nationalitaet wurde geschuetzt, wo sie bestand, die
italische nach Vermoegen erweitert und ihr die Erbschaft der
aufzuloesenden Rassen bestimmt. Es war dies schon deshalb notwendig,
weil eine voellige Gleichstellung des griechischen und lateinischen
Elements im Staate aller Wahrscheinlichkeit nach in sehr kurzer
Zeit diejenige Katastrophe herbeigefuehrt haben wuerde, die manche
Jahrhunderte spaeter der Byzantinismus vollzog; denn das Griechentum
war nicht bloss geistig nach allen Richtungen hin dem roemischen Wesen
ueberlegen, sondern auch an Masse, und hatte in Italien selbst an
den Schwaermen der gezwungen oder freiwillig nach Italien wandernden
Hellenen und Halbhellenen eine Unzahl unscheinbarer, aber in ihrem
Einfluss nicht hoch genug anzuschlagender Apostel. Um nur der
eminentesten Erscheinung auf diesem Gebiete zu gedenken, so ist das
Regiment der griechischen Lakaien ueber die roemischen Monarchen so alt
wie die Monarchie: der erste in der ebenso langen wie widerwaertigen
Liste dieser Individuen ist Pompeius' vertrauter Bedienter Theophanes
von Mytilene, welcher durch seine Gewalt ueber den schwachen Herrn
wahrscheinlich mehr als irgendein anderer Mann zu dem Ausbruch des
Krieges zwischen Pompeius und Caesar beigetragen hat. Nicht ganz mit
Unrecht ward er nach seinem Tode von seinen Landsleuten goettlich
verehrt: eroeffnete er doch die Kammerdienerregierung der Kaiserzeit,
die gewissermassen eben auch eine Herrschaft der Hellenen ueber die
Roemer war. Die Regierung hatte demnach allen Grund, die Ausbreitung des
Hellenismus wenigstens im Westen nicht noch von oben herab zu foerdern.
Wenn Sizilien nicht bloss des Zehntendrucks entlastet, sondern auch
seinen Gemeinden das latinische Recht bestimmt ward, dem seiner Zeit
vermutlich die volle Gleichstellung mit Italien nachfolgen sollte,
so kann Caesars Absicht nur gewesen sein, die herrliche, aber damals
veroedete und wirtschaftlich zum groessten Teil in italische Haende
gelangte Insel, welche die Natur nicht so sehr zum Nachbarland Italiens
bestimmt hat als zu der schoensten seiner Landschaften, voellig in
Italien aufgehen zu lassen. Im uebrigen aber ward das Griechentum, wo es
bestand, erhalten und geschuetzt. Wie nahe auch die politischen Krisen
es dem Imperator legten, die festen Pfeiler des Hellenismus im Okzident
und in Aegypten umzustuerzen, Massalia und Alexandreia wurden weder
vernichtet noch denationalisiert. Dagegen das roemische Wesen ward durch
Kolonisierung wie durch Latinisierung mit allen Kraeften und an den
verschiedensten Punkten des Reiches von der Regierung gehoben. Der
zwar aus einer argen Vereinigung formeller Rechts- und brutaler
Machtentwicklung hervorgegangene, aber, um freie Hand gegen die zur
Vernichtung bestimmten Nationen zu haben, unumgaenglich notwendige Satz,
dass an allem, nicht durch besonderen Akt der Regierung an Gemeinden
oder Private abgetretenen Grund und Boden in den Provinzen der Staat
das Eigentum, der zeitige Inhaber nur einen geduldeten und jederzeit
widerruflichen Erbbesitz habe, wurde auch von Caesar festgehalten
und durch ihn aus einer demokratischen Parteitheorie zu einem
Fundamentalprinzip des monarchischen Rechts erhoben. In erster Linie kam
fuer die Ausbreitung der roemischen Nationalitaet natuerlich Gallien
in Frage. Gallien diesseits der Alpen erhielt durch die laengst von
der Demokratie als vollzogen angenommene und nun (705 49) durch Caesar
schliesslich vollzogene Aufnahme der transpadanischen Gemeinden in
den roemischen Buergerverband durchgaengig, was ein grosser Teil
der Bewohner laengst gehabt: politische Gleichberechtigung mit dem
Hauptland. Tatsaechlich hatte sich diese Provinz in den vierzig
Jahren, die seit Erteilung des Latinerrechts verflossen waren, bereits
vollstaendig latinisiert. Die Exklusiven mochten spotten ueber den
breiten und gurgelnden Akzent des Kettenlateins und ein "ich weiss nicht
was von hauptstaedtischer Anmut" bei dem Insubrer und Veneter vermissen,
der sich als Caesars Legionaer mit dem Schwert einen Platz auf dem
roemischen Markt und sogar in der roemischen Kurie erobert hatte.
Nichtsdestoweniger war das Cisalpinische Gallien mit seiner dichten,
vorwiegend bauernschaftlichen Bevoelkerung schon vor Caesar der Sache
nach eine italische Landschaft und blieb Jahrhunderte lang der rechte
Zufluchtsort italischer Sitte und italischer Bildung; wie denn
die Lehrer der latinischen Literatur nirgends sonst ausserhalb der
Hauptstadt so vielen Zuspruch und Anklang fanden. Wenn also das
Cisalpinische Gallien wesentlich in Italien aufging, so trat zugleich
an die Stelle, die es bisher eingenommen hatte, die transalpinische
Provinz, die ja durch Caesars Eroberungen aus einer Grenz- in eine
Binnenprovinz umgewandelt worden war und die durch ihre Naehe wie durch
ihr Klima vor allen anderen Gebieten sich dazu eignete, mit der Zeit
gleichfalls eine italische Landschaft zu werden. Dorthin hauptsaechlich,
nach dem alten Zielpunkt der ueberseeischen Ansiedlungen der roemischen
Demokratie, ward der Strom der italischen Emigration gelenkt. Es wurden
daselbst teils die alte Kolonie Narbo durch neue Ansiedler verstaerkt,
teils in Baeterrae (Beziers) unweit Narbo, in Arelate (Arles) und
Arausio (Orange) an der Rhone und in der neuen Hafenstadt Forum Iulii
(Frejus) vier neue Buergerkolonien angelegt, deren Namen zugleich das
Andenken der tapferen Legionen bewahrten, die das noerdliche Gallien
zum Reiche gebracht hatten ^29. Die nicht mit Kolonisten belegten
Ortschaften scheinen zugleich, wenigstens groesstenteils, in derselben
Art wie einst das transpadanische Kettenland, der Romanisierung
entgegengefuehrt worden zu sein durch Verleihung latinischen
Stadtrechts; namentlich wurde Nemausus (Nimes) als der Hauptort des den
Massalioten infolge ihrer Auflehnung gegen Caesar aberkannten Gebiets
aus einem massaliotischen Flecken in eine latinische Stadtgemeinde
umgewandelt und mit ansehnlichem Gebiet und selbst mit Muenzrecht
ausgestattet ^30. Indem also das Cisalpinische Gallien von der
vorbereitenden Stufe zur vollen Gleichstellung mit Italien fortschritt,
rueckte gleichzeitig die narbonensische Provinz in jenes vorbereitende
Stadium nach; ganz wie bisher im Cisalpinischen Gallien hatten die
ansehnlichsten Gemeinden daselbst das volle Buerger-, die uebrigen
latinisches Recht. --------------------------------- ^29 Narbo heisst
Kolonie der Decimaner, Baeterrae der Septimaner, Forum Iulii der
Octavaner, Arelate der Sextaner, Arausio der Secundaner. Die neunte
Legion fehlt, weil sie ihre Nummer durch die Meuterei von Placentia
entehrt hatte. Dass uebrigens die Kolonisten dieser Kolonien den
eponymen Legionen angehoerten, wird nicht gesagt und ist nicht
glaublich; die Veteranen selbst wurden wenigstens der grossen Mehrzahl
nach in Italien angesiedelt. Ciceros Klage, dass Caesar "ganze Provinzen
und Landschaften auf einen Schlag konfisziert habe" (off. 2, 7, 27, vgl.
Phil. 13,15; 31, 32), geht ohne Zweifel, wie schon die enge Verknuepfung
derselben mit dem Tadel des Triumphs ueber die Massalioten beweist, auf
die dieser Kolonien wegen in der narbonensischen Provinz vorgenommenen
Landeinziehungen und zunaechst auf die Massalia auferlegten
Gebietsverluste. ^30 Ausdruecklich ueberliefert ist es nicht, von wem
das latinische Recht der nichtkolonisierten Ortschaften dieser Gegend
und namentlich von Nemausus herruehrt. Aber da Caesar selbst (civ.
1, 35) so gut wie geradezu sagt, dass Nemausus bis 705 (49) ein
massaliotisches Dorf war; da nach dem Livianischen Bericht (Dio 41, 25;
Flor. epit. 2, 13; Oros. hist. 6, 15) eben dieser Teil des Gebietes
den Massalioten von Caesar entzogen ward da endlich schon auf
voraugustischen Muenzen und sodann bei Strabon die Stadt als Gemeinde
latinischen Rechts vorkommt, so kann nur Caesar der Urheber dieser
Latinitaetsverleihung sein. Von Ruscino (Roussillon bei Perpignan) und
anderen, im Narbonensischen Gallien frueh zu latinischer Stadtverfassung
gelangten Gemeinden laesst sich nur vermuten, dass sie dieselbe
gleichzeitig mit Nemausus empfingen. ---------------------------------
In den anderen nichtgriechischen und nichtlatinischen Landschaften des
Reiches, welche der Einwirkung Italiens und dem Assimilationsprozess
noch ferner standen, beschraenkte Caesar sich darauf, einzelne
Brennpunkte fuer die italische Zivilisation zu gruenden, wie dies bisher
in Gallien Narbo gewesen war, um durch sie die kuenftige vollstaendige
Ausgleichung vorzubereiten. Solche Anfaenge lassen, mit Ausnahme der
aermsten und geringsten von allen, der sardinischen, in saemtlichen
Provinzen des Reiches sich nachweisen. Wie Caesar im noerdlichen Gallien
verfuhr, ward schon dargelegt; die lateinische Sprache erhielt hier,
wenn auch noch nicht fuer alle Zweige des oeffentlichen Verkehrs,
durchgaengig offizielle Geltung und es entstand am Lemansee als die
noerdlichste Stadt italischer Verfassung die Kolonie Noviodunum (Nyon).
In Spanien, vermutlich damals der am dichtesten bevoelkerten
Landschaft des Roemischen Reiches, wurden nicht bloss in der wichtigen
hellenisch-iberischen Hafenstadt Emporiae neben der alten Bevoelkerung
Caesarische Kolonisten angesiedelt, sondern, wie neuerdings aufgefundene
Urkunden gezeigt haben, auch eine Anzahl wahrscheinlich ueberwiegend dem
hauptstaedtischen Proletariat entnommener Kolonisten in der Stadt Urso
(Osuna), unweit Sevilla im Herzen von Andalusien, und vielleicht noch
in mehreren anderen Ortschaften dieser Provinz versorgt. Die alte und
reiche Kaufstadt Gades, deren Munizipalwesen Caesar schon als Praetor
zeitgemaess umgestaltet hatte, erhielt jetzt von dem Imperator das
volle Recht der italischen Munizipien (705 49) und wurde, was in
Italien Tusculum gewesen war, die erste ausseritalische, nicht von Rom
gegruendete Gemeinde, die in den roemischen Buergerverband eintrat.
Einige Jahre nachher (709 45) wurde das gleiche Recht auch einigen
anderen spanischen Gemeinden und vermutlich noch mehreren das latinische
zuteil. In Afrika wurde, was Gaius Gracchus nicht hatte zu Ende fuehren
sollen, jetzt ins Werk gesetzt und an derjenigen Staette, wo die Stadt
der Erbfeinde Roms gestanden, 3000 italische Kolonisten und eine grosse
Anzahl der im karthagischen Gebiet ansaessigen Pacht- und Bittbesitzer
angesiedelt; und zum Erstaunen rasch wuchs unter den unvergleichlich
guenstigen Lokalverhaeltnissen die neue "Venuskolonie", das roemische
Karthago, wieder empor. Utica, bis dahin die Haupt- und erste
Handelsstadt der Provinz, war schon im vorweg, es scheint durch
Erteilung des latinischen Rechts, fuer die Wiedererweckung des
ueberlegenen Konkurrenten einigermassen entschaedigt worden. In dem neu
zum Reiche gefuegten numidischen Gebiet erhielten das wichtige Cirta und
die uebrigen, dem roemischen Condottiere Publius Sittius fuer sich
und die Seinigen ueberwiesenen Gemeinden das Recht roemischer
Militaerkolonien. Die stattlichen Provinzstaedte freilich, die
das wahnsinnige Wueten Jubas und der verzweifelten Reste der
Verfassungspartei in Schutthaufen verwandelt hatte, erhoben sich
nicht so rasch wieder, wie sie eingeaeschert worden waren, und manche
Truemmerstaette erinnerte noch lange nachher an diese verhaengnisvolle
Zeit; allein die beiden neuen Julischen Kolonien, Karthago und
Cirta, wurden und blieben die Mittelpunkte der afrikanisch-roemischen
Zivilisation. In dem veroedeten griechischen Land beschaeftigte Caesar
ausser mit anderen Plaenen, zum Beispiel der Anlage einer roemischen
Kolonie in Buthroton (Korfu gegenueber), vor allem sich mit der
Wiederherstellung von Korinth; nicht bloss wurde eine ansehnliche
Buergerkolonie dorthin gefuehrt, sondern auch der Plan entworfen, durch
den Durchstich des Isthmus die gefaehrliche Umschiffung des Peloponnes
abzuschneiden und den ganzen italisch-asiatischen Verkehr durch den
Korinthisch-Saronischen Meerbusen zu leiten. Endlich rief selbst in dem
entlegenen hellenischen Osten der Monarch italische Ansiedlungen ins
Leben: so am Schwarzen Meer in Herakleia und in Sinope, welche Staedte
die italischen Kolonisten aehnlich wie Emporiae mit den alten Bewohnern
teilten; so an der syrischen Kueste in dem wichtigen Hafen von Berytos,
das wie Sinope italische Verfassung erhielt; ja sogar in Aegypten wurde
auf der den Hafen von Alexandreia beherrschenden Leuchtturminsel eine
roemische Station gegruendet. Durch diese Anordnungen ward die italische
Gemeindefreiheit in weit umfassenderer Weise, als es bisher geschehen
war, in die Provinzen getragen. Die Vollbuergergemeinden, also
saemtliche Staedte der cisalpinischen Provinz und die in dem
Transalpinischen Gallien und sonst zerstreuten Buergerkolonien und
Buergermunizipien, standen den italischen insofern gleich, als sie
sich selber verwalteten und selbst eine, allerdings beschraenkte,
Gerichtsbarkeit ausuebten: wogegen freilich die wichtigeren Prozesse vor
die hier kompetenten roemischen Behoerden, in der Regel den Statthalter
des Sprengels gehoerten ^31. Die formell autonomen latinischen und die
sonstigen befreiten Gemeinden, also jetzt die sizilischen und die des
Narbonensischen Galliens, soweit sie nicht Buergergemeinden waren, alle
und auch in anderen Provinzen eine betraechtliche Zahl, hatten nicht
bloss die freie Verwaltung, sondern wahrscheinlich unbeschraenkte
Gerichtsbarkeit, so dass der Statthalter hier nur kraft seiner
allerdings sehr arbitraeren Verwaltungskontrolle einzugreifen befugt
war. Wohl hatte es auch frueher schon Vollbuergergemeinden innerhalb der
Statthaltersprengel gegeben, wie zum Beispiel Aquileia und Narbo, und
hatten ganze Statthaltersprengel, wie das Diesseitige Gallien,
aus Gemeinden mit italischer Verfassung bestanden; aber wenn nicht
rechtlich, war es doch politisch eine ungemein wichtige Neuerung,
dass es jetzt eine Provinz gab, die so gut wie Italien lediglich von
roemischen Buergern bevoelkert war ^32, und dass andere es zu werden
versprachen. Es fiel damit der eine grosse tatsaechliche Gegensatz, in
dem Italien zu den Provinzen gestanden hatte; und auch der zweite,
dass in Italien regelmaessig keine Truppen standen, wohl aber in den
Provinzen, war gleichermassen im Verschwinden: die Truppen standen jetzt
nur da, wo es eine Grenze zu verteidigen gab, und die Kommandanten der
Provinzen, bei denen dies nicht zutraf, wie zum Beispiel bei Narbo
und Sizilien, waren nur dem Namen nach noch Offiziere. Der formelle
Gegensatz zwischen Italien und den Provinzen, der zu allen Zeiten
auf anderen Unterschieden beruht hatte, blieb allerdings auch jetzt
bestehen, Italien der Sprengel der buergerlichen Rechtspflege und der
Konsuln-Praetoren, die Provinzen kriegsrechtliche Jurisdiktionsbezirke
und den Prokonsuln und Propraetoren unterworfen; allein der Prozess nach
Buerger- und nach Kriegsrecht fiel laengst praktisch zusammen, und die
verschiedene Titulatur der Beamten hatte wenig zu bedeuten, seit
ueber allen der eine Imperator stand.
----------------------------------------------- ^31 Dass keiner
Vollbuergergemeinde mehr als beschraenkte Gerichtsbarkeit zustand,
ist ausgemacht. Auffallend ist es aber, was aus der Caesarischen
Gemeindeordnung fuer das Cisalpinische Gallien bestimmt hervorgeht, dass
die jenseits der munizipalen Kompetenz liegenden Prozesse aus dieser
Provinz nicht vor den Statthalter derselben, sondern vor den roemischen
Praetor gehen; denn im uebrigen ist der Statthalter ja in seinem
Sprengel ebensowohl anstatt des Praetors, der zwischen Buergern, wie
anstatt dessen, der zwischen Buergern und Nichtbuergern Recht spricht,
und durchaus fuer alle Prozesse kompetent. Ohne Zweifel ist dies ein
Ueberrest der vorsullanischen Ordnung, wo in dem ganzen festlaendischen
Gebiet bis zu den Alpen lediglich die Stadtbeamten kompetent waren
und also hier saemtliche Prozesse, wo sie die munizipale Kompetenz
ueberschritten, notwendig vor die Praetoren in Rom kamen. Dagegen in
Narbo, Gades, Karthago, Korinth gingen die Prozesse in diesem Fall
sicher an den betreffenden Statthalter; wie denn auch schon aus
praktischen Ruecksichten nicht wohl an einen Rechtszug nach Rom gedacht
werden kann. ^32 Warum die Erteilung des roemischen Buergerrechts an
eine Landschaft insgesamt und der Fortbestand der Provinzialverwaltung
fuer dieselbe als sich einander ausschliessende Gegensaetze gedacht zu
werden pflegen, ist nicht abzusehen. Ueberdies erhielt notorisch das
Cisalpinische Gallien durch den Roscischen Volksschluss vom 11. Maerz
705 (49) die Civitaet, waehrend es Provinz blieb, solange Caesar lebte,
und erst nach seinem Tode mit Italien vereinigt ward (Dio 48, 12),
auch die Statthalter bis 711 (43) nachweisbar sind. Schon dass die
Caesarische Gemeindeordnung die Landschaft nie als Italien, sondern
als Cisalpinisches Gallien bezeichnet, musste auf das Richtige fuehren.
----------------------------------------------- Offenbar ist in all
diesen einzelnen munizipalen Gruendungen und Ordnungen, die wenigstens
dem Plan, wenn auch vielleicht nicht alle der Ausfuehrung nach, auf
Caesar zurueckgehen, ein bestimmtes System. Italien ward aus der
Herrin der unterworfenen Voelkerschaften umgewandelt in die Mutter
der verjuengten italisch-hellenischen Nation. Die dem Mutterlande
vollstaendig gleichgestellte cisalpinische Provinz verhiess und
verbuergte es, dass in der Monarchie Caesars, ebenwie in der frischeren
Epoche der Republik, jede latinisierte Landschaft erwarten durfte, den
aelteren Schwestern und der Mutter selbst ebenbuertig an die Seite
zu treten. Auf der Vorstufe zur vollen nationalen und politischen
Ausgleichung mit Italien standen dessen Nebenlaender, das griechische
Sizilien und das rasch sich latinisierende suedliche Gallien. Auf
einer entfernteren Stufe zu dieser Ausgleichung standen die uebrigen
Landschaften des Reiches, in denen, wie bisher in Suedgallien Narbo
roemische Kolonie gewesen war, jetzt die grossen Seestaedte: Emporiae,
Gades, Karthago, Korinth, Herakleia im Pontos, Sinope, Berytos,
Alexandreia, italische oder hellenisch-italische Gemeinden wurden, die
Stuetzpunkte einer italischen Zivilisation selbst im griechischen Osten,
die Grundpfeiler der kuenftigen nationalen und politischen Nivellierung
des Reiches. Die Herrschaft der Stadtgemeinde Rom ueber das Litoral des
Mittelmeeres war zu Ende; an ihre Stelle trat der neue Mittelmeerstaat
und sein erster Akt war die Suehnung der beiden groessten Untaten,
die jene Stadtgemeinde an der Zivilisation begangen hatte. Wenn die
Zerstoerung der beiden groessten Handelsplaetze im roemischen Gebiet den
Wendepunkt bezeichnete, wo die Schutzherrschaft der roemischen
Gemeinde in politische Tyrannisierung und finanzielle Ausnutzung der
untertaenigen Landschaften ueberging, so bezeichnete jetzt die
sofortige und glaenzende Wiederherstellung von Karthago und Korinth die
Begruendung des neuen, alle Landschaften am Mittelmeer zu nationaler und
politischer Gleichheit, zu wahrhaft staatlicher Einigung heranbildenden
grossen Gemeinwesens. Wohl durfte Caesar der Stadt Korinth zu ihrem
vielberuehmten alten den neuen Namen der "Julischen Ehre" verleihen.
Wenn also das neue einheitliche Reich mit einer Nationalitaet
ausgestattet ward, die freilich notwendigerweise der volkstuemlichen
Individualitaet entbehrte und mehr ein unlebendiges Kunstprodukt als ein
frischer Trieb der Natur war, so bedurfte dasselbe ferner der Einheit
in denjenigen Institutionen, in denen das allgemeine Leben der Nationen
sich bewegt: in Verfassung und Verwaltung, in Religion und Rechtspflege,
in Muenze, Mass und Gewicht; wobei natuerlich lokale Besonderheiten
mannigfaltigster Art mit wesentlicher Einigung sich vollkommen
vertrugen. Ueberall kann auf diesen Gebieten nur von Anfaengen die Rede
sein, da die einheitliche Durchbildung der Monarchie Caesars in der
Zukunft lag und er nichts tat, als fuer den Bau von Jahrhunderten
den Grund legen. Aber von den Linien, die der grosse Mann auf diesen
Gebieten gezogen hat, lassen noch manche sich erkennen; und es
ist erfreulicher, hier ihm nachzugehen, als in dem Truemmerbau der
Nationalitaeten. Hinsichtlich der Verfassung und Verwaltung wurden
bereits in einem anderen Zusammenhang die wichtigsten Momente der
neuen Einheit hervorgehoben: der Uebergang der Souveraenitaet von dem
roemischen Gemeinderat auf den Alleinherrscher der Mittelmeermonarchie;
die Umwandlung jenes Gemeinderats in einen hoechsten, Italien wie
die Provinzen repraesentierenden Reichsrat: vor allem die
begonnene Uebertragung der roemischen und ueberhaupt der italischen
Gemeindeordnung auf die Provinzialgemeinden. Es fuehrte dieser letztere
Weg, die Verleihung latinischen und demnach roemischen Rechts an die
zum vollstaendigen Eintritt in den Einheitsstaat reifen Gemeinden,
gleichmaessige kommunale Ordnungen allmaehlich von selbst herbei. Nur in
einer Hinsicht konnte man hierauf nicht warten. Das neue Reich bedurfte
sofort einer Institution, die der Regierung die hauptsaechlichen
Grundlagen der Verwaltung, die Bevoelkerungs- und
Vermoegensverhaeltnisse der einzelnen Gemeinden, uebersichtlich vor
Augen legte, das heisst eines verbesserten Zensus. Zunaechst ward der
italische reformiert. Nach Caesars Verordnung ^33, die freilich wohl nur
die infolge des Bundesgenossenkrieges wenigstens im Prinzip getroffenen
Anordnungen zur Ausfuehrung brachte, sollten kuenftig, wenn in der
roemischen Gemeinde die Schatzung stattfand, gleichzeitig in jeder
italischen der Name eines jeden Gemeindebuergers und der seines Vaters
oder Freilassers, sein Bezirk, sein Alter und sein Vermoegen von der
hoechsten Behoerde der Gemeinde aufgezeichnet und diese Listen an den
roemischen Schatzmeister so frueh abgeliefert werden, dass dieser das
allgemeine Verzeichnis der roemischen Buerger und der roemischen Habe
rechtzeitig vollenden konnte. Dass es Caesars Absicht war, aehnliche
Institutionen auch in den Provinzen einzufuehren, dafuer buergt teils
die von Caesar angeordnete Vermessung und Katastrierung des gesamten
Reiches, teils die Einrichtung selbst; denn es war ja damit die
allgemeine Formel gefunden, um so gut in den italischen wie in den
nichtitalischen Gemeinden des Staats die fuer die Zentralverwaltung
erforderlichen Aufnahmen zu bewirken. Offenbar war es auch hier
Caesars Absicht, auf die Traditionen der aelteren republikanischen Zeit
zurueckzugehen und die Reichsschatzung wiedereinzufuehren, welche
die aeltere Republik, wesentlich in derselben Weise wie Caesar die
italische, durch analoge Ausdehnung des Instituts der staedtischen
Zensur mit seinen Fristen und sonstigen wesentlichen Normen auf die
saemtlichen Untertanengemeinden Italiens und Siziliens bewirkt hatte.
Es war dies eines der ersten Institute gewesen, das die erstarrende
Aristokratie verfallen und damit der obersten Verwaltungsbehoerde jede
Uebersicht ueber die disponiblen Mannschaften und Steuerkraefte und also
jede Moeglichkeit einer wirksamen Kontrolle verloren gehen liess.
Die vorhandenen Spuren und der Zusammenhang der Dinge selbst zeigen
unwidersprechlich, dass Caesar die Erneuerung der seit
Jahrhunderten verschollenen Reichsschatzung vorbereitete.
--------------------------------------------------- ^33 Das Fortbestehen
der munizipalen Schatzungsbehoerden spricht dafuer, dass die oertliche
Abhaltung des Zensus bereits infolge des Bundesgenossenkriegs fuer
Italien fortgesetzt worden war (Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, 3.
Aufl., S. 368); wahrscheinlich aber ist die Durchfuehrung dieses Systems
Caesars Werk. ---------------------------------------------------
Dass in der Religion und in der Rechtspflege an eine durchgreifende
Nivellierung nicht gedacht werden konnte, ist kaum noetig zu sagen;
doch bedurfte der neue Staat bei aller Toleranz gegen Lokalglauben
und Munizipalstatute eines gemeinsamen, der italisch-hellenischen
Nationalitaet entsprechenden Kultus und einer allgemeinen, den
Munizipalstatuten uebergeordneten Rechtssatzung. Er bedurfte ihrer: denn
beides war tatsaechlich schon da. Auf dem religioesen Gebiet war man
seit Jahrhunderten taetig gewesen, den italischen und den hellenischen
Kult teils durch aeusserliche Aufnahme, teils durch innerliche
Ausgleichung der Gottheitsbegriffe ineinanderzuarbeiten und bei der
nachgiebigen Formlosigkeit der italischen Goetter hatte es nicht einmal
grosse Schwierigkeit gemacht, den Jupiter in dem Zeus, die Venus in der
Aphrodite und so jede wesentliche Idee des latinischen Glaubens in ihrem
hellenischen Gegenbild aufzuheben. Die italisch-hellenische Religion
stand bereits in den Grundzuegen fertig da; wie sehr man eben auf diesem
Gebiete sich dessen bewusst war, ueber die spezifisch roemische hinaus
und zu einer italisch- hellenischen Quasinationalitaet fortgeschritten
zu sein, beweist zum Beispiel die in Varros schon erwaehnter Theologie
aufgestellte Unterscheidung der "gemeinen", d. h. der von den Roemern
wie den Griechen anerkannten Goetter, von den besonderen der roemischen
Gemeinde. Im Rechtswesen hatte es auf dem Gebiete des Kriminal-
und Polizeirechts, wo die Regierung unmittelbar eingreift und dem
rechtlichen Beduerfnis wesentlich durch eine verstaendige Legislation
genuegt wird, keine Schwierigkeit, auf dem Wege der gesetzgeberischen
Taetigkeit denjenigen Grad materieller Gleichfoermigkeit zu erreichen,
der allerdings auch hier fuer die Reichseinheit notwendig war. Im
Zivilrecht dagegen, wo die Initiative dem Verkehr, dem Gesetzgeber nur
die Formulierung zusteht, war das einheitliche Reichszivilrecht, das
der Gesetzgeber zu schaffen freilich nicht vermocht haette, laengst
auch bereits auf naturgemaessem Wege durch den Verkehr selber entwickelt
worden. Das roemische Stadtrecht zwar beruhte rechtlich immer noch
auf der in den Zwoelf Tafeln enthaltenen Formulierung des latinischen
Landrechts. Die spaeteren Gesetze hatten wohl im einzelnen mancherlei
zeitgemaesse Verbesserungen eingefuehrt, unter denen leicht die
wichtigste sein mochte die Abschaffung der alten ungeschickten
Prozesseroeffnung durch stehende Spruchformeln der Parteien und ihre
Ersetzung durch eine von dem prozessleitenden Beamten schriftlich
abgefasste Instruktion fuer den Einzelgeschworenen (formula); allein
in der Hauptsache hatte die Volkslegislation nur ueber jene altersgraue
Grundlage einen den englischen Statutargesetzen vergleichbaren
unuebersehlichen Wust grossenteils laengst veralteter und vergessener
Spezialgesetze aufgeschichtet. Die Versuche wissenschaftlicher
Formulierung und Systematisierung hatten die verschlungenen Gaenge des
alten Zivilrechts allerdings zugaenglich gemacht und erhellt; allein dem
Grundmangel, dass ein vor vierhundert Jahren abgefasstes staedtisches
Weistum mit seinen ebenso diffusen wie konfusen Nachtraegen jetzt als
das Recht eines grossen Staates dienen sollte, konnte kein roemischer
Blackstone abhelfen. Gruendlicher half der Verkehr sich selbst. Laengst
hatte in Rom der rege Verkehr zwischen Roemern und Nichtroemern ein
internationales Privatrecht (ius gentium; 1, 167) entwickelt, das heisst
einen Komplex von Satzungen namentlich ueber Verkehrsverhaeltnisse,
nach welchen roemische Richter dann sprachen, wenn eine Sache weder nach
ihrem eigenen noch nach irgendeinem anderen Landrecht entschieden werden
konnte, sondern sie genoetigt waren, von den roemischen, hellenischen,
phoenikischen und sonstigen Rechtseigentuemlichkeiten absehend, auf
die allem Verkehr zu Grunde liegenden gemeinsamen Rechtsanschauungen
zurueckzugehen. Hier knuepfte die neuere Rechtsbildung an. Zunaechst als
Richtschnur fuer den rechtlichen Verkehr der roemischen Buerger
unter sich setzte sie an die Stelle des alten, praktisch unbrauchbar
gewordenen tatsaechlich ein neues Stadtrecht, das materiell beruhte
auf einem Kompromiss zwischen dem nationalen Zwoelftafelrecht und dem
internationalen oder dem sogenannten Rechte der Voelker. An jenem wurde
wesentlich, wenn auch natuerlich mit zeitgemaessen Modifikationen,
festgehalten im Ehe-, Familien- und Erbfolgerecht; dagegen ward in allen
Bestimmungen, die den Vermoegensverkehr betrafen, also fuer Eigentum und
Kontrakte, das Internationalrecht massgebend; ja hier wurde sogar
dem lokalen Provinzialrecht manche wichtige Einrichtung entlehnt, zum
Beispiel die Wuchergesetzgebung und das Hypothekarinstitut. Ob auf
einmal oder allmaehlich, ob durch einen oder mehrere Urheber, durch wen,
wann und wie diese tiefgreifende Neuerung ins Leben trat, sind Fragen,
auf die wir eine genuegende Antwort schuldig bleiben muessen; wir
wissen nur, dass diese Reform, wie natuerlich, zunaechst ausging von dem
Stadtgericht, dass sie zuerst sich formulierte in den jaehrlich von
dem neu antretenden Stadtrichter zur Nachachtung fuer die Parteien
ergehenden Belehrungen ueber die wichtigsten, in dem beginnenden
Gerichtsjahr einzuhaltenden Rechtsmaximen (edictum annuum oder perpetuum
praetoris urbani de iuris dictione) und dass sie, wenn auch manche
vorbereitende Schritte in frueheren Zeiten getan sein moegen, sicher
erst in dieser Epoche ihre Vollendung fand. Die neue Rechtssatzung war
theoretisch abstrakt, insofern die roemische Rechtsanschauung darin
ihrer nationalen Besonderheit insoweit sich entaeussert hatte, als
sie derselben sich bewusst worden war; sie war aber zugleich praktisch
positiv, indem sie keineswegs in die truebe Daemmerung allgemeiner
Billigkeit oder gar in das reine Nichts des sogenannten Naturrechts
verschwamm, sondern von bestimmten Behoerden fuer bestimmte konkrete
Faelle nach festen Normen angewandt ward und einer gesetzlichen
Formulierung nicht bloss faehig, sondern in dem Stadtedikt wesentlich
schon teilhaft geworden war. Diese Satzung entsprach ferner materiell
den Beduerfnissen der Zeit, insofern sie fuer Prozess, Eigentumserwerb,
Kontraktabschluss die durch den gesteigerten Verkehr geforderten
bequemeren Formen darbot. Sie war endlich bereits im wesentlichen
im ganzen Umfang des roemischen Reiches allgemein subsidiaeres Recht
geworden, indem man die mannigfaltigen Lokalstatuten fuer diejenigen
Rechtsverhaeltnisse, die nicht zunaechst Verkehrsverhaeltnisse sind,
sowie fuer den Lokalverkehr zwischen Gliedern desselben Rechtssprengels
beibehielt, dagegen den Vermoegensverkehr zwischen Reichsangehoerigen
verschiedener Rechtskreise durchgaengig nach dem Muster des, rechtlich
auf diese Faelle freilich nicht anwendbaren, Stadtediktes sowohl in
Italien wie in den Provinzen regulierte. Das Recht des Stadtedikts
hatte also wesentlich dieselbe Stellung in jener Zeit, die in unserer
staatlichen Entwicklung das roemische Recht eingenommen hat: auch dies
ist, soweit solche Gegensaetze sich vereinigen lassen, zugleich abstrakt
und positiv; auch dies empfahl sich durch seine, verglichen mit dem
aelteren Satzungsrecht, geschmeidigen Verkehrsformen und trat neben
den Lokalstatuten als allgemeines Hilfsrecht ein. Nur darin hatte die
roemische Rechtsentwicklung vor der unsrigen einen wesentlichen Vorzug,
dass die denationalisierte Gesetzgebung nicht, wie bei uns, vorzeitig
und durch Kunstgeburt, sondern rechtzeitig und naturgemaess sich
einfand. Diesen Rechtszustand fand Caesar vor. Wenn er den Plan entwarf
zu einem neuen Gesetzbuch, so ist es nicht schwer zu sagen, was er
damit beabsichtigt hat. Es konnte dies Gesetzbuch einzig das Recht der
roemischen Buerger zusammenfassen und allgemeines Reichsgesetzbuch nur
insofern sein, als ein zeitgemaesses Gesetzbuch der herrschenden Nation
von selbst im ganzen Umfange des Reiches allgemeines Subsidiarrecht
werden musste. Im Kriminalrecht, wenn ueberhaupt der Plan sich auf
dies miterstreckte, bedurfte es nur einer Revision und Redaktion der
Sullanischen Ordnungen. Im Zivilrecht war fuer einen Staat, dessen
Nationalitaet eigentlich die Humanitaet war, die notwendige und
einzig moegliche Formulierung jenes schon aus dem rechtlichen Verkehr
freiwillig hervorgewachsene Stadtedikt in gesetzlicher Sicherung und
Praezisierung. Den ersten Schritt zu dieser hatte das Cornelische Gesetz
von 687 (67) getan, indem es den Richter an die zu Anfang seines Amtes
aufgestellten Maximen band und ihm vorschrieb, nicht willkuerlich
anderes Recht zu sprechen - eine Bestimmung, die wohl mit dem
Zwoelftafelgesetz verglichen werden darf und fuer die Fixierung des
neueren Stadtrechts fast ebenso bedeutsam geworden ist wie jenes
fuer die Fixierung des aelteren. Aber wenn auch seit dem Cornelischen
Volksschluss das Edikt nicht mehr unter dem Richter stand, sondern
gesetzlich der Richter unter dem Edikt; wenn auch das neue Gesetzbuch
im Gerichtsgebrauch wie im Rechtsunterricht das alte Stadtrecht
tatsaechlich verdraengt hatte, so stand es doch noch jedem Stadtrichter
frei, bei Antritt seines Amtes das Edikt unbeschraenkt und willkuerlich
zu veraendern, und ueberwog das Zwoelftafelrecht mit seinen Zusaetzen
formell immer noch das Stadtedikt, so dass in jedem einzelnen
Kollisionsfall die veraltete Satzung durch arbitraeres Eingreifen der
Beamten, also genau genommen durch Verletzung des formellen Rechts,
beseitigt werden musste. Die subsidiaere Anwendung des Stadtedikts
in dem Fremdengericht in Rom und in den verschiedenen
Provinzialgerichtshoefen war nun gar gaenzlich in die Willkuer der
einzelnen Oberbeamten gestellt. Offenbar war es notwendig, das alte
Stadtrecht, soweit es nicht in das neuere uebergegangen war, definitiv
zu beseitigen und in dem letzteren der willkuerlichen Aenderung durch
jeden einzelnen Stadtrichter angemessene Grenzen zu setzen, etwa
auch die subsidiaere Anwendung desselben neben den Lokalstatuten
zu regulieren. Dies war Caesars Absicht, als er den Plan zu einem
Gesetzbuch entwarf; denn dies musste sie sein. Der Plan ward nicht
ausgefuehrt und damit jener laestige Uebergangszustand in dem roemischen
Rechtswesen verewigt, bis nach sechshundert Jahren, und auch dann nur
unvollkommen, diese notwendige Reform von einem der Nachfolger Caesars,
dem Kaiser Justinianus, vollzogen ward. Endlich in Muenze, Mass und
Gewicht war die wesentliche Ausgleichung des latinischen und des
hellenischen Systems laengst im Zuge. Sie war uralt in den fuer Handel
und Verkehr unentbehrlichen Bestimmungen des Gewichts, der Koerper- und
Laengenmasse und in dem Muenzwesen wenig juenger als die Einfuehrung der
Silberpraegung. Indes reichten diese aelteren Gleichungen nicht aus, da
in der hellenischen Welt selbst die verschiedenartigsten metrischen und
Muenzsysteme nebeneinander bestanden; es war notwendig und lag auch ohne
Zweifel in Caesars Plan, in dem neuen einheitlichen Reich, soweit es
nicht bereits frueher schon geschehen war, roemische Muenze, roemisches
Mass und roemisches Gewicht jetzt ueberall in der Art einzufuehren, dass
im offiziellen Verkehr allein danach gerechnet, und die nichtroemischen
Systeme teils auf lokale Geltung beschraenkt, teils zu den roemischen
in ein ein fuer allemal reguliertes Verhaeltnis gesetzt wurden ^34.
Nachweisen indes laesst Caesars Taetigkeit sich nur auf zweien
der wichtigsten dieser Gebiete, in dem Geld- und im Kalenderwesen.
------------------------------------------------ ^34 Kuerzlich zum
Vorschein gekommene pompeianische Gewichte legen die Annahme nahe, dass
im Anfang der Kaiserzeit neben dem roemischen Pfund die attische Mine
(vermutlich im Verhaeltnis von 3 : 4) als zweites Reichsgewicht
Geltung gehabt hat (Heymes 16, 1880, S. 311).
------------------------------------------------ Das roemische Geldwesen
beruhte auf den beiden neben und in einem festen Verhaeltnis zueinander
umlaufenden edlen Metallen, von denen das Gold nach dem Gewicht ^35, das
Silber nach dem Gepraege gegeben und genommen ward, tatsaechlich aber
infolge des ausgedehnten ueberseeischen Verkehrs das Gold bei weitem das
Silber ueberwog. Ob nicht schon frueher im ganzen Umfange des Reiches
die Annahme des roemischen Silbergeldes obligatorisch war, ist ungewiss;
auf jeden Fall vertrat die Stelle des Reichsgeldes im ganzen roemischen
Gebiet wesentlich das ungemuenzte Gold, um so mehr als die Roemer in
allen Provinzen und Klientelstaaten die Goldpraegung untersagt hatten,
und hatte der Denar ausser in Italien auch im Cisalpinischen Gallien,
in Sizilien, in Spanien und sonst vielfach, namentlich im Westen,
gesetzlich oder faktisch sich eingebuergert. Mit Caesar aber beginnt die
Reichsmuenze. Ebenwie Alexander bezeichnete auch er die Gruendung der
neuen, die zivilisierte Welt umfassenden Monarchie dadurch, dass das
einzig weltenvermittelnde Metall auch in der Muenze den ersten Platz
erhielt. In wie grossartigem Umfang sogleich das neue Caesarische
Goldstueck (zu 7 Taler, 18 Groschen nach heutigem Metallwert) gepraegt
ward, beweist die Tatsache, dass in einem einzelnen, sieben Jahre nach
Caesars Tode vergrabenen Schatz sich 80000 dieser Stuecke beisammen
gefunden haben. Freilich moegen hier nebenbei auch finanzielle
Spekulationen von Einfluss gewesen sein ^36. Was das Silbergeld anlangt,
so ward durch Caesar die Alleinherrschaft des roemischen Denars im
gesamten Westen, zu der der Grund schon frueher gelegt worden war,
schliesslich festgestellt, indem er die einzige okzidentalische
Muenzstaette, die im Silbercourant noch mit der roemischen konkurrierte,
die massaliotische, definitiv schloss. Die Praegung von silberner oder
kupferner Scheidemuenze blieb einer Anzahl okzidentalischer Gemeinden
erlaubt, wie denn Dreivierteldenare von einigen latinischen Gemeinden
des suedlichen Galliens, halbe Denare von mehreren nordgallischen Gauen,
kupferne Kleinmuenzen vielfach auch noch nach Caesar von Kommunen des
Westens geschlagen worden sind; allein auch diese Scheidemuenze war
durchgaengig auf roemischen Fuss gepraegt und ihre Annahme ueberdies
wahrscheinlich nur im Lokalverkehr obligatorisch. An eine einheitliche
Regulierung des Muenzwesens im Osten, wo grosse Massen groben,
grossenteils zu leicht ausgebrachten oder vernutzten Silbergeldes,
zum Teil sogar, wie in Aegypten, eine unserem Papiergeld verwandte
Kupfermuenze umlief, auch die syrischen Handelsstaedte den Mangel ihrer
bisherigen, dem mesopotamischen Courant entsprechenden Landesmuenze sehr
schwer empfunden haben wuerden, scheint Caesar so wenig gedacht zu haben
wie die fruehere Regierung. Wir finden hier spaeter die Einrichtung,
dass der Denar ueberall gesetzlichen Kurs hat und offiziell nur nach ihm
gerechnet wird ^37, die Lokalmuenzen aber innerhalb ihres beschraenkten
Rayons zwar auch Legalkurs, aber nach einem fuer sie unguenstigen Tarif
gegen den Denar haben ^38; dieselbe ist wahrscheinlich nicht auf einmal
und zum Teil auch wohl schon von Caesar eingefuehrt worden, auf
jeden Fall aber die wesentliche Ergaenzung der Caesarischen
Reichsmuenzordnung, deren neues Goldstueck in dem ungefaehr gleich
schweren Alexanders sein unmittelbares Muster fand und wohl
ganz besonders auf die Zirkulation im Orient berechnet war.
------------------------------------------------------ ^35 Die
Goldstuecke, die Sulla und gleichzeitig Pompeius, beide in geringer
Zahl, schlagen liessen, heben diesen Satz nicht auf: denn sie wurden
wahrscheinlich lediglich nach dem Gewicht genommen aehnlich wie die
goldenen Philippeer, die auch bis nach Caesars Zeit im Umlauf gewesen
sind. Merkwuerdig sind sie allerdings, insofern sie das Caesarische
Reichsgold aehnlich einleiten wie Sullas Regentschaft die neue
Monarchie. ^36 Es scheint naemlich, dass man in aelterer Zeit die auf
Silber lautenden Forderungen der Staatsglaeubiger nicht wider deren
Willen in Gold, nach dem legalen Kurs desselben zum Silber, bezahlen
konnte; wogegen es keinen Zweifel leidet, dass seit Caesar das
Goldstueck unweigerlich fuer 100 Silbersesterzen angenommen werden
musste. Es war dies ebendamals um so wichtiger, als infolge der durch
Caesar in Umlauf gebrachten grossen Quantitaeten Goldes dasselbe eine
Zeitlang im Handelskurs 25 Prozent unter dem Legalkurs stand. ^37 Es
gibt wohl keine Inschrift der Kaiserzeit, die Geldsummen anders als
in roemischer Muenze angaebe. ^38 So gilt die attische Drachme, obwohl
merklich schwerer als der Denar, doch diesem gleich; das antiochische
Tetradrachmon, durchschnittlich 15 Gramm Silber schwer, gleich
3 roemischen Denaren, die nur gegen 12 Gramm wiegen; so der
kleinasiatische Cistophorus nach Silberwert ueber 3, nach dem Legaltarif
2 Denare; so die rhodische halbe Drachme nach Silberwert _, nach
dem Legaltarif 5/8 Denare und so weiter.
------------------------------------------------------ Verwandter Art
war die Kalenderreform. Der republikanische Kalender, unglaublicherweise
immer noch der alte, aus der vormetonischen Oktaeteris verunstaltete
Dezemviralkalender, war durch die Verbindung elendester Mathematik und
elendester Administration dahin gelangt, um volle 67 Tage der wahren
Zeit voranzugehen und zum Beispiel das Bluetenfest statt am 28. April
am 11. Juli zu feiern. Caesar beseitigte endlich diesen Missstand und
fuehrte mit Hilfe des griechischen Mathematikers Sosigenes das nach dem
aegyptischen Eudoxischen Kalender geordnete italische Bauernjahr sowie
ein verstaendiges Einschaltungssystem in den religioesen und offiziellen
Gebrauch ein, indem zugleich das alte Kalenderneujahr des 1. Maerz
abgeschafft, dagegen der zunaechst fuer den Amtswechsel der hoechsten
Magistrate festgestellte und infolgedessen laengst im buergerlichen
Leben ueberwiegende Termin des 1. Januar auch als Kalenderepoche fuer
den Jahreswechsel angenommen ward. Beide Aenderungen traten mit dem 1.
Januar 709 der Stadt, 45 vor Chr., ins Leben und mit ihnen der Gebrauch
des von seinem Urheber benannten Julianischen Kalenders, der lange nach
dem Untergang der Monarchie Caesars in der gebildeten Welt massgebend
geblieben und in der Hauptsache es noch ist. Zur Erlaeuterung ward in
einem ausfuehrlichen Edikt ein den aegyptischen Himmelsbeobachtungen
entnommener und, freilich nicht geschickt, auf Italien uebertragener
Sternkalender hinzugefuegt, welcher den Auf- und Untergang der namhaften
Gestirne nach Kalendertagen bestimmte ^39. Auch auf diesem Gebiet
also setzten die roemische und die griechische Welt sich ins gleiche.
---------------------------------------------------------- ^39 Die
Identitaet dieses vielleicht von Marcus Flavius redigierten Edikts
(Macr. Sat. I, 14, 2) und der angeblichen Schrift Caesars von den
Gestirnen beweist der Scherz Ciceros (Plut. Caes. 59), dass jetzt die
Leier nach Verordnung aufgehe. Uebrigens wusste man schon vor Caesar,
dass das Sonnenjahr von 365 Tagen sechs Stunden, das dem aegyptischen
Kalender zugrunde lag und das er seinem Kalender zugrunde legte, etwas
zu lang angesetzt sei. Die genaueste Berechnung des tropischen Jahres,
die die alte Welt kannte, die des Hipparchos, setzte dasselbe auf 365
Tage 5 Stunden 52' 12"; die wahre Laenge ist 365 Tage 5 Stunden 48' 48".
---------------------------------------------------------- Dies waren
die Grundlagen der Mittelmeermonarchie Caesars. Zum zweitenmal war in
Rom die soziale Frage zu einer Krise gelangt, wo die Gegensaetze, so wie
sie aufgestellt waren, unaufloeslich, so wie sie ausgesprochen waren,
unversoehnlich nicht bloss schienen, sondern waren. Damals war Rom
dadurch gerettet worden, dass Italien in Rom und Rom in Italien
aufging und in der neuen erweiterten und verwandelten Heimat jene alten
Gegensaetze nicht ausgeglichen wurden, sondern wegfielen. Wieder ward
jetzt Rom dadurch gerettet, dass die Landschaften des Mittelmeeres
in ihm aufgingen oder zum Aufgehen vorbereitet wurden; der Krieg der
italischen Armen und Reichen, der in dem alten Italien nur mit der
Vernichtung der Nation endigen konnte, hatte in dem Italien dreier
Weltteile kein Schlachtfeld und keinen Sinn mehr. Die latinischen
Kolonien schlossen die Kluft, die im fuenften Jahrhundert die roemische
Gemeinde zu verschlingen drohte; den tieferen Riss des siebenten
Jahrhunderts fuellten Gaius Gracchus' und Caesars transalpinische und
ueberseeische Kolonisationen. Fuer das einzige Rom hat die Geschichte
nicht bloss Wunder getan, sondern auch seine Wunder wiederholt und
zweimal die im Staate selbst unheilbare innere Krise dadurch geheilt,
dass sie den Staat verjuengte. Wohl ist viel Verwesung in dieser
Verjuengung; wie die Einigung Italiens auf den Truemmern der
samnitischen und etruskischen Nation sich vollzog, so erbaute auch die
Mittelmeermonarchie sich auf den Ruinen unzaehliger, einst lebendiger
und tuechtiger Staaten und Staemme; aber es ist eine Verwesung, der
frische und zum Teil noch heute gruenende Saaten entkeimten. Was
zugrunde ging um des neuen Gebaeudes willen, waren nur die laengst
schon von der nivellierenden Zivilisation zum Untergang bezeichneten
sekundaeren Nationalitaeten. Caesar hat, wo er zerstoerend auftrat, nur
den ausgefaellten Spruch der geschichtlichen Entwicklung vollzogen,
die Keime der Kultur aber geschuetzt, wo und wie er sie fand, in seinem
eigenen Lande so gut wie bei der verschwisterten Nation der Hellenen. Er
hat das Roemertum gerettet und erneuert, aber auch das Griechentum hat
er nicht bloss geschont, sondern mit derselben sicheren Genialitaet,
womit er die Neugruendung Roms vollbrachte, auch der Regeneration
der Hellenen sich unterzogen und das unterbrochene Werk des grossen
Alexander wiederaufgenommen, dessen Bild, wohl mag man es glauben,
niemals aus Caesars Seele wich. Er hat diese beiden grossen Aufgaben
nicht bloss nebeneinander, sondern eine durch die andere geloest. Die
beiden grossen Wesenheiten des Menschentums, die allgemeine und die
individuelle Entwicklung oder Staat und Kultur, einst im Keime vereinigt
in jenen alten, fern von den Kuesten und Inseln des Mittelmeers in
urvaeterlicher Einfachheit ihre Herden weidenden Graecoitalikern, hatten
sich geschieden, als dieselben sich sonderten in Italiker und Hellenen,
und waren seitdem durch Jahrtausende geschieden geblieben. Jetzt erschuf
der Enkel des troischen Fuersten und der latinischen Koenigstochter aus
einem Staat ohne eigene Kultur und einer kosmopolitischen Zivilisation
ein neues Ganzes, in welchem auf dem Gipfel menschlichen Daseins, in der
reichen Fuelle des glueckseligen Alters Staat und Kultur wiederum sich
zusammenfanden und den einem solchen Inhalt angemessenen Umkreis wuerdig
erfuellten. Die Linien sind dargelegt, welche Caesar fuer dieses
Werk gezogen hat, nach denen er selbst arbeitete und nach denen die
Spaeteren, viele Jahrhunderte hindurch gebannt in die von diesem Manne
vorgezeichneten Bahnen, wo nicht mit dem Geiste und der Energie, doch
im ganzen nach den Intentionen des grossen Meisters weiter zu arbeiten
versuchten. Vollendet ist wenig, gar manches nur angelegt. Ob der Plan
vollstaendig ist, mag entscheiden, wer mit einem solchen Mann in die
Wette zu denken wagt; wir bemerken keine wesentlichen Luecken in dem,
was vorliegt, jeder einzelne Baustein genug, um einen Mann unsterblich
zu machen, und doch wieder alle zusammen ein harmonisches Ganzes. Fuenf
und ein halbes Jahr, nicht halb so lange wie Alexander, schaltete Caesar
als Koenig von Rom; zwischen sieben grossen Feldzuegen, die ihm nicht
mehr als zusammen fuenfzehn Monate ^40 in der Hauptstadt seines Reiches
zu verweilen erlaubten, ordnete er die Geschicke der Welt fuer die
Gegenwart und die Zukunft; von der Feststellung der Grenzlinie
zwischen Zivilisation und Barbarei an bis hinab zu der Beseitigung der
Regenpfuetzen auf den Gassen der Hauptstadt, und behielt dabei noch
Zeit und Heiterkeit genug, um den Preisstuecken im Theater aufmerksam zu
folgen und dem Sieger den Kranz mit improvisierten Versen zu erteilen.
Die Schnelligkeit und Sicherheit der Ausfuehrung des Planes beweist,
dass er lange durchdacht und in allen Teilen im einzelnen festgestellt
war; allein auch so bleibt sie nicht viel weniger wunderbar als der Plan
selbst. Die Grundzuege waren gegeben und damit der neue Staat fuer alle
Zukunft bestimmt; vollenden konnte den Bau nur die grenzenlose Zukunft.
Insofern durfte Caesar sich sagen, dass sein Ziel erreicht sei, und
das wohl mochten die Worte bedeuten, die man zuweilen aus seinem
Munde vernahm, dass er genug gelebt habe. Aber eben weil der Bau ein
unendlicher war, fuegte der Meister, solange er lebte, rastlos Stein auf
Stein, mit immer gleicher Geschmeidigkeit und immer gleicher Spannkraft
taetig an seinem Werk, ohne je zu ueberstuerzen oder zu verschieben,
eben als gebe es fuer ihn nur ein Heute und kein Morgen. So wirkte
und schaffte er wie nie ein Sterblicher vor und nach ihm, und als ein
Wirkender und Schaffender lebt er noch nach Jahrtausenden im Gedaechtnis
der Nationen, der erste und doch auch der einzige Imperator Caesar.
------------------------------------------------------- ^40 Caesar
verweilte in Rom im April und Dezember 705 (49), beide Male auf wenige
Tage; vom September bis Dezember 707 (47); etwa vier Herbstmonate des
fuenfzehnmonatlichen Jahres 708 (46) und vom Oktober 709 (45) bis zum
Maerz 710 (44). -------------------------------------------------------
12. Kapitel Religion, Bildung, Literatur und Kunst In der
religioes-philosophischen Entwicklung tritt in dieser Epoche kein neues
Moment hervor. Die roemisch-hellenische Staatsreligion und die damit
untrennbar verbundene stoische Staatsphilosophie waren fuer jede
Regierung, Oligarchie, Demokratie oder Monarchie, nicht bloss ein
bequemes Instrument, sondern deshalb geradezu unentbehrlich, weil
es ebenso unmoeglich war, den Staat ganz ohne religioese Elemente zu
konstruieren als irgendeine neue zur Ersetzung der alten geeignete
Staatsreligion aufzufinden. So fuhr denn zwar der revolutionaere Besen
gelegentlich sehr unsanft in die Spinnweben der auguralen Vogelweisheit
hinein; aber die morsche, in allen Fugen krachende Maschine ueberdauerte
dennoch das Erdbeben, das die Republik selber verschlang, und rettete
ihre Geistlosigkeit und ihre Hoffart ungeschmaelert hinueber in die neue
Monarchie. Es versteht sich, dass sie zunahm an Ungnade bei allen denen,
die ein freies Urteil sich bewahrten. Zwar gegen die Staatsreligion
verhielt die oeffentliche Meinung sich wesentlich gleichgueltig; sie war
allerseits als eine Institution politischer Konvenienz anerkannt und es
bekuemmerte sich niemand sonderlich um sie, mit Ausnahme der politischen
und antiquarischen Gelehrten. Aber gegen ihre philosophische Schwester
entwickelte sich in dem unbefangenen Publikum jene Feindseligkeit, die
die leere und doch auch perfide Phrasenheuchelei auf die Laenge nie
verfehlt zu erwecken. Dass der Stoa selbst von ihrer eigenen Nichtigkeit
eine Ahnung aufzugehen begann, beweist ihr Versuch, auf dem Wege
des Synkretismus sich wieder einigen Geist kuenstlich einzufloessen:
Antiochos von Askalon (blueht 675 79), der mit dem stoischen System
das platonisch-aristotelische zu einer organischen Einheit
zusammengeklittert zu haben behauptete, brachte es in der Tat dahin,
dass seine missgeschaffene Doktrin die Modephilosophie der Konservativen
seiner Zeit und von den vornehmen Dilettanten und Literaten Roms
gewissenhaft studiert ward. Wer irgend in geistiger Frische sich regte,
opponierte der Stoa oder ignorierte sie. Es war hauptsaechlich
der Widerwille gegen die grossmauligen und langweiligen roemischen
Pharisaeer, daneben freilich auch der zunehmende Hang, sich aus dem
praktischen Leben in schlaffe Apathie oder nichtige Ironie zu fluechten,
dem waehrend dieser Epoche das System Epikurs seine Ausbreitung in
weiteren Kreisen und die Diogenische Hundephilosophie ihre Einbuergerung
in Rom verdankte. Wie matt und gedankenarm auch jenes sein mochte,
eine Philosophie, die nicht in der Veraenderung der hergebrachten
Bezeichnungen den Weg zur Freiheit suchte, sondern mit den vorhandenen
sich begnuegte und durchaus nur die sinnliche Wahrnehmung als wahr
gelten liess, war immer noch besser als das terminologische Geklapper
und die hohlen Begriffe der stoischen Weisheit; und die Hundephilosophie
gar war von allen damaligen philosophischen Systemen insofern bei weitem
das vorzueglichste, als ihr System sich darauf beschraenkte, gar
kein System zu haben, sondern alle Systeme und alle Systematiker zu
verhoehnen. Auf beiden Gebieten wurde gegen die Stoa mit Eifer und
Glueck Krieg gefuehrt; fuer ernste Maenner predigte der Epikureer
Lucretius mit dem vollen Akzent der innigen Ueberzeugung und des
heiligen Eifers gegen den stoischen Goetter- und Vorsehungsglauben und
die stoische Lehre von der Unsterblichkeit der Seele; fuer das grosse
lachbereite Publikum traf der Kyniker Varro mit den fluechtigen Pfeilen
seiner vielgelesenen Satiren noch schaerfer zum Ziel. Wenn also die
tuechtigsten Maenner der aelteren Generation die Stoa befehdeten, so
stand dagegen die juengere, wie zum Beispiel Catullus, zu ihr in gar
keinem innerlichen Verhaeltnis mehr und kritisierte sie noch bei
weitem schaerfer durch vollstaendiges Ignorieren. Indes wenn hier ein
glaubenloser Glaube aus politischer Konvenienz aufrecht erhalten
ward, so brachte man dies anderswo reichlich wieder ein. Unglaube und
Aberglaube, verschiedene Farbenbrechungen desselben geschichtlichen
Phaenomens, gingen auch in der damaligen roemischen Welt Hand in Hand
und es fehlte nicht an Individuen, welche sie beide in sich vereinigten,
mit Epikuros die Goetter leugneten und doch vor jeder Kapelle beteten
und opferten. Natuerlich galten nur noch die aus dem Orient gekommenen
Goetter, und wie die Menschen fortfuhren, aus den griechischen
Landschaften nach Italien zu stroemen, so wanderten auch die Goetter
des Ostens in immer steigender Zahl nach dem Westen hinueber. Was der
phrygische Kult damals in Rom bedeutete, beweist sowohl die Polemik
bei den aelteren Maennern, wie bei Varro und Lucretius, als auch die
poetische Verherrlichung desselben bei dem modernen Catullus, die mit
der charakteristischen Bitte schliesst, dass die Goettin geneigen moege,
nur andere, nicht den Dichter selbst verrueckt zu machen. Neu trat hinzu
der persische Goetterdienst, der zuerst durch Vermittlung der von Osten
und von Westen her auf dem Mittelmeere sich begegnenden Piraten zu den
Okzidentalen gelangt sein soll und als dessen aelteste Kultstaette im
Westen der Berg Olympos in Lykien bezeichnet wird. Dafuer, dass man
bei der Aufnahme der orientalischen Kulte im Okzident das, was sie von
hoeheren spekulativen und sittlichen Elementen enthielten, durchgaengig
fallen liess, ist es ein merkwuerdiger Beleg, dass der hoechste Gott der
reinen Lehre Zarathustras, Ahuramazda, im Westen so gut wie unbekannt
blieb und hier die Verehrung sich vorzugsweise wieder demjenigen Gott
zuwandte, der in der alten persischen Volksreligion den ersten Platz
eingenommen hatte und durch Zarathustra an den zweiten gerueckt worden
war, dem Sonnengott Mithra. Rascher noch als die lichteren und milderen
persischen Himmelsgestalten traf der langweilig geheimnisvolle Schwarm
der aegyptischen Goetterkarikaturen in Rom ein, die Naturmutter Isis
mit ihrem ganzen Gefolge, dem ewig sterbenden und ewig wiederauflebenden
Osiris, dem finsteren Sarapis, dem schweigsam ernsten Harpokrates,
dem hundskoepfigen Anubis. In dem Jahre, wo Clodius die Klubs und
Konventikel freigab (696 58), und ohne Zweifel eben infolge dieser
Emanzipation des Poebels, machte jener Schwarm sogar Anstalt, in die
alte Burg des roemischen Jupiter auf dem Kapitol seinen Einzug zu
halten, und kaum gelang es, von hier ihn noch abzuwehren und die
unvermeidlichen Tempel wenigstens in die Vorstaedte Roms zu bannen. Kein
Kult war in den unteren Schichten der hauptstaedtischen Bevoelkerung
gleich populaer: als der Senat die innerhalb der Ringmauer angelegten
Isistempel einzureissen befahl, wagte kein Arbeiter, die erste Hand
daran zu legen, und der Konsul Lucius Paullus musste selber den ersten
Axtschlag tun (704 50); man konnte darauf wetten, dass je lockerer
ein Dirnchen war, es desto frommer die Isis verehrte. Dass Loswerfen,
Traumdeuten und dergleichen freie Kuenste ihren Mann ernaehrten,
versteht sich von selbst. Das Horoskopstellen ward schon
wissenschaftlich betrieben: Lucius Tarutius aus Firmum, ein angesehener
und in seiner Art gelehrter, mit Varro und Cicero befreundeter Mann,
stellte ganz ernsthaft den Koenigen Romulus und Numa und der Stadt Rom
selbst die Nativitaet und erhaertete zur Erbauung der beiderseitigen
Glaeubigen mittels seiner chaldaeischen und aegyptischen Weisheit die
Berichte der roemischen Chronik. Aber bei weitem die merkwuerdigste
Erscheinung auf diesem Gebiet ist der erste Versuch, das rohe Glauben
mit dem spekulativen Denken zu verquicken, das erste Hervortreten
derjenigen Tendenzen, die wir als neuplatonische zu bezeichnen gewohnt
sind, in der roemischen Welt. Ihr aeltester Apostel daselbst war Publius
Nigidius Figulus, ein vornehmer Roemer von der strengsten Fraktion der
Aristokratie, der 696 (58) die Praetur bekleidete und im Jahre 709 (45)
als politischer Verbannter ausserhalb Italiens starb. Mit staunenswerter
Vielgelehrtheit und noch staunenswerterer Glaubensstaerke schuf er aus
den disparatesten Elementen einen philosophisch-religioesen Bau, dessen
wunderlichen Grundriss er mehr wohl noch in muendlichen Verkuendigungen
entwickelte als in seinen theologischen und naturwissenschaftlichen
Schriften. In der Philosophie griff er, Erloesung suchend von den
Totengerippen der umgehenden Systeme und Abstraktionen, zurueck auf den
verschuetteten Born der vorsokratischen Philosophie, deren alten Weisen
der Gedanke selber noch mit sinnlicher Lebendigkeit erschienen war.
Die naturwissenschaftliche Forschung, die, zweckmaessig behandelt, dem
mystischen Schwindel und der frommen Taschenspielerei auch jetzt noch
so vortreffliche Handhaben darbietet und im Altertum, bei der
mangelhafteren Einsicht in die physikalischen Gesetze, sie noch bequemer
darbot, spielte begreiflicherweise auch hier eine ansehnliche Rolle.
Seine Theologie beruhte wesentlich auf dem wunderlichen Gebraeu, in dem
den geistesverwandten Griechen orphische und andere uralte oder
sehr neue einheimische Weisheit mit persischen, chaldaeischen und
aegyptischen Geheimlehren zusammengeflossen war und in welches Figulus
noch die Quasiresultate der tuskischen Forschung in das Nichts und
die einheimische Vogelfluglehre zu weiterer harmonischer Konfusion
einarbeitete. Dem ganzen System gab die politisch-religioes-nationale
Weihe der Name des Pythagoras, des ultrakonservativen Staatsmannes,
dessen oberster Grundsatz war, "die Ordnung zu foerdern und der
Unordnung zu wehren", des Wundermannes und Geisterbeschwoerers, des in
Italien heimischen, selbst in Roms Sagengeschichte verflochtenen und auf
dem roemischen Markte im Standbilde zu schauenden uralten Weisen.
Wie Geburt und Tod miteinander verwandt sind, so, schien es, sollte
Pythagoras nicht bloss an der Wiege der Republik stehen als des weisen
Numa Freund und der klugen Mutter Egeria Kollege, sondern auch als der
letzte Hort der heiligen Vogelweisheit an ihrem Grabe. Das neue System
war aber nicht bloss wunderhaft, es wirkte auch Wunder: Nigidius
verkuendigte dem Vater des nachmaligen Kaisers Augustus an dem Tage
selbst, wo dieser geboren ward, die kuenftige Groesse des Sohnes; ja die
Propheten bannten den Glaeubigen Geister und, was mehr sagen will, sie
wiesen ihnen die Plaetze nach, wo ihre verlorenen Muenzen lagen.
Die neu-alte Weisheit, wie sie nun eben war, machte doch auf die
Zeitgenossen einen tiefen Eindruck; die vornehmsten, gelehrtesten,
tuechtigsten Maenner der verschiedensten Parteien, der Konsul des
Jahres 705 (49), Appius Claudius, der gelehrte Marcus Varro, der tapfere
Offizier Publius Vatinius, machten das Geisterzitieren mit, und es
scheint sogar, dass gegen das Treiben dieser Gesellschaften polizeilich
eingeschritten werden musste. Diese letzten Versuche, die roemische
Theologie zu retten, machen, aehnlich wie Catos verwandte Bestrebungen
auf dem politischen Gebiet, zugleich einen komischen und einen
wehmuetigen Eindruck; man darf ueber das Evangelium wie ueber die
Apostel laecheln, aber immer ist es eine ernsthafte Sache, wenn auch
die tuechtigen Maenner anfangen, sich dem Absurden zu ergeben. Die
Jugendbildung bewegte sich, wie sich von selbst versteht, in dem in der
vorigen Epoche vorgezeichneten Kreise zwiesprachiger Humanitaet, und
mehr und mehr ging die allgemeine Bildung auch der roemischen Welt
ein auf die von den Griechen dafuer festgestellten Formeln. Selbst
die koerperlichen Uebungen schritten von dem Ballspiel, dem Laufen
und Fechten fort zu den kunstmaessiger entwickelten griechischen
Turnkaempfen; wenn es auch fuer diese noch keine oeffentlichen Anstalten
gab, pflegte doch in den vornehmen Landhaeusern schon neben den
Badezimmern die Palaestra nicht zu fehlen. In welcher Art der Kreis
der allgemeinen Bildung sich in der roemischen Welt im Laufe eines
Jahrhunderts umgewandelt hatte, zeigt die Vergleichung der Catonischen
'Encyklopaedie' mit der gleichartigen Schrift Varros 'Von den
Schulwissenschaften'. Als Bestandteile der nichtfachwissenschaftlichen
Bildung erscheinen bei Cato die Redekunst, die Ackerbau-, Rechts-,
Kriegs- und Arzneikunde, bei Varro - nach wahrscheinlicher Vermutung
- Grammatik, Logik oder Dialektik, Rhetorik, Geometrie, Arithmetik,
Astronomie, Musik, Medizin und Architektur. Es sind also im Verlaufe
des siebenten Jahrhunderts Kriegs-, Rechts- und Ackerbaukunde aus
allgemeinen zu Fachwissenschaften geworden. Dagegen tritt bei Varro die
hellenische Jugendbildung bereits in ihrer ganzen Vollstaendigkeit
auf: neben dem grammatisch-rhetorisch-philosophischen Kursus, der
schon frueher in Italien eingefuehrt war, findet jetzt auch der
laenger spezifisch hellenisch gebliebene
geometrisch-arithmetisch-astronomisch-musikalische ^1 sich ein. Dass
namentlich die Astronomie, die in der Nomenklatur der Gestirne dem
gedankenlosen gelehrten Dilettantismus der Zeit, in ihren Beziehungen
zur Astrologie dem herrschenden religioesen Schwindel entgegenkam, in
Italien von der Jugend regelmaessig und eifrig studiert ward, laesst
sich auch anderweitig belegen: Aratos' astronomische Lehrgedichte fanden
unter allen Werken der alexandrinischen Literatur am fruehesten Eingang
in den roemischen Jugendunterricht. Zu diesem hellenischen Kursus
trat dann noch die aus dem aelteren roemischen Jugendunterricht
stehengebliebene Medizin und endlich die dem damaligen statt des Ackers
Haeuser und Villen bauenden vornehmen Roemer unentbehrliche Architektur.
--------------------------------------------- ^1 Es sind dies,
wie bekannt, die sogenannten sieben freien Kuenste, die mit dieser
Unterscheidung der frueher in Italien eingebuergerten drei und der
nachtraeglich rezipierten vier Disziplinen sich durch das
ganze Mittelalter behauptet haben.
--------------------------------------------- Im Vergleich mit der
vorigen Epoche nimmt die griechische wie die lateinische Bildung an
Umfang und an Schulstrenge ebenso zu wie ab an Reinheit und an Feinheit.
Der steigende Drang nach griechischem Wissen gab dem Unterricht von
selbst einen gelehrten Charakter. Horneros oder Euripides zu exponieren
war am Ende keine Kunst; Lehrer und Schueler fanden besser ihre Rechnung
bei den alexandrinischen Poesien, welche ueberdies auch ihrem Geiste
nach der damaligen roemischen Welt weit naeher standen als die echte
griechische Nationalpoesie und die, wenn sie nicht ganz so ehrwuerdig
wie die Ilias waren, doch bereits ein hinreichend achtbares Alter
besassen, um Schulmeistern als Klassiker zu gelten. Euphorions
Liebesgedichte, Kalkmachos' 'Ursachen' und seine 'Ibis', Lykophrons
komisch dunkle 'Alexandra' enthielten in reicher Fuelle seltene Vokabeln
(glossae), die zum Exzerpieren und Interpretieren sich eigneten, muehsam
verschlungene und muehsam aufzuloesende Saetze, weitlaeufige Exkurse
voll Zusammengeheimnissung verlegener Mythen, ueberhaupt Vorrat zu
beschwerlicher Gelehrsamkeit aller Art. Der Unterricht bedurfte immer
schwierigerer Uebungsstuecke; jene Produkte, grossenteils Musterarbeiten
von Schulmeistern, eigneten sich vortrefflich zu Lehrstuecken fuer
Musterschueler. So nahmen die alexandrinischen Poesien in dem italischen
Schulunterricht, namentlich als Probeaufgaben, bleibenden Platz und
foerderten allerdings das Wissen, aber auf Kosten des Geschmacks und
der Gescheitheit. Derselbe ungesunde Bildungshunger draengte ferner die
roemische Jugend, den Hellenismus so viel wie moeglich an der Quelle zu
schoepfen. Die Kurse bei den griechischen Meistern in Rom genuegten
nur noch fuer den ersten Anlauf; wer irgend wollte mitsprechen koennen,
hoerte griechische Philosophie in Athen, griechische Rhetorik in Rhodos
und machte eine literarische und Kunstreise durch Kleinasien, wo noch
am meisten von den alten Kunstschaetzen der Hellenen an Ort und Stelle
anzutreffen war und, wenn auch handwerksmaessig, die musische Bildung
derselben sich fortgepflanzt hatte; wogegen das fernere und mehr als
Sitz der strengen Wissenschaften gefeierte Alexandreia weit seltener
das Reiseziel der bildungslustigen jungen Leute war. Aehnlich wie der
griechische steigert sich auch der lateinische Unterricht. Zum Teil
geschah dies schon durch die blosse Rueckwirkung des griechischen, dem
er ja seine Methode und seine Anregungen wesentlich entlehnte. Ferner
trugen die politischen Verhaeltnisse, der durch das demokratische
Treiben in immer weitere Kreise getragene Zudrang zu der Rednerbuehne
auf dem Markte, zur Verbreitung und Steigerung der Redeuebungen nicht
wenig bei; "wo man hinblickt", sagt Cicero, "ist alles von Rhetoren
voll". Es kam hinzu, dass die Schriften des sechsten Jahrhunderts, je
weiter sie in die Vergangenheit zuruecktraten, desto entschiedener als
klassische Texte der goldenen Zeit der lateinischen Literatur zu
gelten anfingen und damit dem wesentlich auf sie sich konzentrierenden
Unterricht ein groesseres Schwergewicht gaben. Endlich gab die von
vielen Seiten her einreissende und einwandernde Barbarei und die
beginnende Latinisierung ausgedehnter keltischer und spanischer
Landschaften der lateinischen Sprachlehre und dem lateinischen
Unterricht von selbst eine hoehere Bedeutung, als er sie hatte
haben koennen, solange nur Latium lateinisch sprach: der Lehrer der
lateinischen Literatur hatte in Comum und Narbo von Haus aus eine andere
Stellung als in Praeneste und Ardea. Im ganzen genommen war die Bildung
mehr im Sinken als im Steigen. Der Ruin der italischen Landstaedte, das
massenhafte Eindringen fremder Elemente, die politische, oekonomische
und sittliche Verwilderung der Nation, vor allem die zerruettenden
Buergerkriege verdarben auch in der Sprache mehr, als alle Schulmeister
der Welt wieder gutmachen konnten. Die engere Beruehrung mit der
hellenischen Bildung der Gegenwart, der bestimmtere Einfluss
der geschwaetzigeren athenischen Weisheit und der rhodischen und
kleinasiatischen Rhetorik fuehrten vorwiegend eben die schaedlichsten
Elemente des Hellenismus der roemischen Jugend zu. Die propagandistische
Mission, die Latium unter den Kelten, Iberern und Libyern uebernahm,
wie stolz die Aufgabe auch war, musste doch fuer die lateinische Sprache
aehnliche Folgen haben, wie die Hellenisierung des Ostens sie fuer die
hellenische gehabt hatte. Wenn das roemische Publikum dieser Zeit die
wohlgefuegte und rhythmisch kadenzierte Periode des Redners beklatschte
und dem Schauspieler ein sprachlicher oder metrischer Verstoss teuer
zu stehen kam, so zeigt dies wohl, dass die schulmaessig reflektierte
Einsicht in die Muttersprache in immer weiteren Kreisen Gemeingut ward:
aber daneben klagen urteilsfaehige Zeitgenossen, dass die hellenische
Bildung in Italien um 690 (64) weit tiefer gestanden als ein
Menschenalter zuvor; dass man das reine gute Latein nur selten mehr, am
ersten noch aus dem Munde aelterer gebildeter Frauen zu hoeren bekomme;
dass die Ueberlieferung echter Bildung, der alte, gute lateinische
Mutterwitz, die Lucilische Feinheit, der gebildete Leserkreis der
scipionischen Zeit allmaehlich ausgingen. Dass Wort und Begriff der
"Urbanitaet", das heisst der feinen nationalen Gesittung, in dieser
Zeit aufkamen, beweist nicht, dass sie herrschte, sondern dass sie
im Verschwinden war und dass man in der Sprache und dem Wesen der
latinisierten Barbaren oder barbarisierten Lateiner die Abwesenheit
dieser Urbanitaet schneidend empfand. Wo noch der urbane
Konversationston begegnet, wie in Varros Satiren und Ciceros Briefen, da
ist es ein Nachklang der alten in Reate und Arpinum noch nicht so wie
in Rom verschollenen Weise. So blieb die bisherige Jugendbildung ihrem
Wesen nach unveraendert, nur dass sie, nicht so sehr durch ihren eigenen
als durch den allgemeinen Verfall der Nation, weniger Gutes und mehr
Uebles stiftete als in der vorhergegangenen Epoche. Eine Revolution
auch auf diesem Gebiet leitete Caesar ein. Wenn der roemische Senat die
Bildung erst bekaempft und sodann hoechstens geduldet hatte, so musste
die Regierung des neuen italisch-hellenischen Reiches, dessen Wesen ja
die Humanitaet war, dieselbe notwendig in hellenischer Weise von
oben herab foerdern. Wenn Caesar saemtlichen Lehrern der freien
Wissenschaften und saemtlichen Aerzten der Hauptstadt das roemische
Buergerrecht verlieh, so darf darin wohl eine gewisse Einleitung
gefunden werden zu jenen Anstalten, in denen spaeterhin fuer die hoehere
zwiesprachige Bildung der Jugend des Reiches von Staats wegen gesorgt
ward und die der praegnanteste Ausdruck des neuen Staates der Humanitaet
sind; und wenn Caesar ferner die Gruendung einer oeffentlichen
griechischen und lateinischen Bibliothek in der Hauptstadt beschlossen
und bereits den gelehrtesten Roemer der Zeit, Marcus Varro, zum
Oberbibliothekar ernannt hatte, so liegt darin unverkennbar die Absicht,
mit der Weltmonarchie die Weltliteratur zu verknuepfen. Die sprachliche
Entwicklung dieser Zeit knuepfte an den Gegensatz an zwischen dem
klassischen Latein der gebildeten Gesellschaft und der Vulgaersprache
des gemeinen Lebens. Jenes selbst war ein Erzeugnis der spezifischen
italischen Bildung; schon in dem Scipionischen Kreise war das "reine
Latein" Stichwort gewesen und wurde die Muttersprache nicht mehr voellig
naiv gesprochen, sondern in bewusstem Unterschied von der Sprache des
grossen Haufens. Diese Epoche eroeffnet mit einer merkwuerdigen Reaktion
gegen den bisher in der hoeheren Umgangssprache und demnach auch in der
Literatur alleinherrschenden Klassizismus, einer Reaktion, die innerlich
und aeusserlich mit der gleichartigen Sprachreaktion in Griechenland eng
zusammenhing. Eben um diese Zeit begannen der Rhetor und Romanschreiber
Hegesias von Magnesia und die zahlreichen, an ihn sich anschliessenden
kleinasiatischen Rhetoren und Literaten sich aufzulehnen gegen den
orthodoxen Attizismus. Sie forderten das Buergerrecht fuer die Sprache
des Lebens, ohne Unterschied, ob das Wort und die Wendung in Attika
entstanden sei oder in Karien und Phrygien; sie selber sprachen und
schrieben nicht fuer den Geschmack der gelehrten Cliquen, sondern fuer
den des grossen Publikums. Gegen den Grundsatz liess sich nicht viel
einwenden; nur freilich konnte das Resultat nicht besser sein als das
damalige kleinasiatische Publikum war, das den Sinn fuer Strenge und
Reinheit der Produktion gaenzlich verloren hatte und nur nach dem
Zierlichen und Brillanten verlangte. Um von den aus dieser Richtung
entsprungenen Afterkunstgattungen, namentlich dem Roman und der
romanhaften Geschichte, hier zu schweigen, so war schon der Stil
dieser Asiaten begreiflicherweise zerhackt und ohne Kadenz und Periode,
verzwickt und weichlich, voll Flitter und Bombast, durchaus gemein und
manieriert; "wer Hegesias kennt", sagt Cicero, "der weiss, was albern
ist". Dennoch fand dieser neue Stil seinen Weg auch in die latinische
Welt. Als die hellenische Moderhetorik, nachdem sie am Ende der vorigen
Epoche in den latinischen Jugendunterricht sich eingedraengt hatte,
zu Anfang der gegenwaertigen den letzten Schritt tat und mit Quintus
Hortensius (640-704 114- 50), dem gefeiertsten Sachwalter der
sullanischen Zeit, die roemische Rednerbuehne selbst betrat, da
schmiegte sie auch in dem lateinischen Idiom dem schlechten griechischen
Zeitgeschmack eng sich an; und das roemische Publikum, nicht mehr das
rein und streng gebildete der scipionischen Zeit, beklatschte natuerlich
eifrig den Neuerer, der es verstand, dem Vulgarismus den Schein
kunstgerechter Leistung zu geben. Es war dies von grosser Bedeutung. Wie
in Griechenland der Sprachstreit immer zunaechst in den Rhetorenschulden
gefuehrt ward, so war auch in Rom die gerichtliche Rede gewissermassen
mehr noch als die Literatur massgebend fuer den Stil, und es war deshalb
mit dem Sachwalterprinzipat gleichsam von Rechts wegen die Befugnis
verbunden, den Ton der modischen Sprech- und Schreibweise anzugeben.
Hortensius' asiatischer Vulgarismus verdraengte also den Klassizismus
von der roemischen Rednerbuehne und zum Teil auch aus der Literatur.
Aber bald schlug in Griechenland wie in Rom die Mode wieder um. Dort war
es die Rhodische Rhetorenschule, die ohne auf die ganze keusche Strenge
des attischen Stils zurueckzugehen, doch versuchte, zwischen ihm und
der modernen Weise einen Mittelweg einzuschlagen; wenn die rhodischen
Meister es mit der innerlichen Korrektheit des Denkens und Sprechens
nicht allzu genau nahmen, so drangen sie doch wenigstens auf sprachliche
und stilistische Reinheit, auf sorgfaeltige Auswahl der Woerter und
Wendungen und durchgefuehrte Kadenzierung der Saetze. In Italien war es
Marcus Tullius Cicero (648-711 106-43), der, nachdem er in seiner ersten
Jugend die Hortensische Manier mitgemacht hatte, durch das Hoeren der
rhodischen Meister und durch eigenen gereifteren Geschmack auf bessere
Wege zurueckgefuehrt ward und fortan sich strenger Reinheit der Sprache
und durchgaengiger Periodisierung und Kadenzierung der Rede befliss. Die
Sprachmuster, an die er hierbei sich anschloss, fand er vor allen Dingen
in denjenigen Kreisen der hoeheren roemischen Gesellschaft, welche von
dem Vulgarismus noch wenig oder gar nicht gelitten hatten; und wie schon
gesagt ward, es gab deren noch, obwohl sie anfingen zu schwinden. Die
aeltere lateinische und die gute griechische Literatur, so bedeutend
auch namentlich auf den Numerus der Rede die letztere eingewirkt hat,
standen daneben doch nur in zweiter Linie; es war diese Sprachreinigung
also keineswegs eine Reaktion der Buch- gegen die Umgangssprache,
sondern eine Reaktion der Sprache der wirklich Gebildeten gegen den
Jargon der falschen und halben Bildung. Caesar, auch auf dem Gebiet der
Sprache der groesste Meister seiner Zeit, sprach den Grundgedanken
des roemischen Klassizismus aus, indem er in Rede und Schrift jedes
fremdartige Wort so zu vermeiden gebot, wie der Schiffer die Klippe
meidet: man verwarf das poetische und das verschollene Wort der aelteren
Literatur ebenso, wie die baeurische oder der Sprache des gemeinen
Lebens entlehnte Wendung und namentlich die, wie die Briefe dieser Zeit
es beweisen, in sehr weitem Umfang in die Umgangssprache eingedrungenen
griechischen Woerter und Phrasen. Aber nichtsdestoweniger verhielt
dieser schulmaessige und kuenstliche Klassizismus der ciceronischen Zeit
sich zu dem scipionischen, wie zu der Unschuld die bekehrte Suende oder
wie zu dem mustergueltigen Franzoesisch Molieres und Boileaus das der
napoleonischen Klassizisten; wenn jener aus dem vollen Leben
geschoepft hatte, so fing dieser gleichsam die letzten Atemzuege eines
unwiderbringlich untergehenden Geschlechts noch eben rechtzeitig auf.
Wie er nun war, er breitete rasch sich aus. Mit dem Sachwalterprinzipat
ging auch die Sprach- und Geschmacksdiktatur von Hortensius auf Cicero
ueber, und die mannigfaltige und weitlaeufige Schriftstellerei
des letzteren gab diesem Klassizismus, was ihm noch gefehlt hatte,
ausgedehnte prosaische Texte. So wurde Cicero der Schoepfer der modernen
klassischen lateinischen Prosa und knuepfte der roemische Klassizismus
durchaus und ueberall an Cicero als Stilisten an; dem Stilisten Cicero,
nicht dem Schriftsteller, geschweige denn dem Staatsmanne, galten die
ueberschwenglichen und doch nicht ganz phrasenhaften Lobsprueche, mit
denen die begabtesten Vertreter des Klassizismus, namentlich Caesar
und Catullus, ihn ueberhaeufen. Bald ging man weiter. Was Cicero in
der Prosa, das fuehrte in der Poesie gegen das Ende der Epoche die
neuroemische an die griechische Modepoesie sich anlehnende Dichterschule
durch, deren bedeutendstes Talent Catullus war. Auch hier verdraengte
die hoehere Umgangssprache die bisher auf diesem Gebiet noch vielfach
waltenden archaistischen Reminiszenzen und fuegte wie die lateinische
Prosa sich dem attischen Numerus, so die lateinische Poesie sich
allmaehlich den strengen oder vielmehr peinlichen metrischen Gesetzen
der Alexandriner; so zum Beispiel wird von Catullus an es nicht
mehr verstattet, mit einem einsilbigen oder einem nicht besonders
schwerwichtigen zweisilbigen Wort zugleich einen Vers zu beginnen und
einen im vorigen begonnenen Satz zu schliessen. Endlich trat denn die
Wissenschaft hinzu, fixierte das Sprachgesetz und entwickelte die Regel,
die nicht mehr aus der Empirie bestimmt ward, sondern den Anspruch
machte, die Empirie zu bestimmen. Die Deklinationsendungen, die bisher
noch zum Teil geschwankt hatten, sollten jetzt ein fuer allemal fixiert
werden, wie zum Beispiel von den bisher nebeneinander gangbaren Genetiv-
und Dativformen der sogenannten vierten Deklination (senatuis
und senatus, senatui und senatu) Caesar ausschliesslich die
zusammengezogenen (us und u) gelten liess. In der Orthographie
wurde mancherlei geaendert, um die Schrift mit der Sprache wieder
vollstaendiger ins gleiche zu setzen - so ward das inlautende u in
Woertern wie maxumus nach Caesars Vorgang durch i ersetzt und von den
beiden ueberfluessig gewordenen Buchstaben k und q die Beseitigung
des ersten durchgesetzt, die des zweiten wenigstens vorgeschlagen. Die
Sprache war, wenn noch nicht erstarrt, doch im Erstarren begriffen,
von der Regel zwar noch nicht gedankenlos beherrscht, aber doch bereits
ihrer sich bewusst geworden. Dass fuer diese Taetigkeit auf dem Gebiete
der lateinischen Grammatik die griechische nicht bloss im allgemeinen
den Geist und die Methode hergab, sondern die lateinische Sprache auch
wohl geradezu nach jener rektifiziert ward, beweist zum Beispiel die
Behandlung des schliessenden s, das bis gegen den Ausgang dieser Epoche
nach Gefallen bald als Konsonant, bald nicht als solcher gegolten hatte,
von den neumodischen Poeten aber durchgaengig wie im Griechischen als
konsonantischer Auslaut behandelt ward. Diese Sprachregulierung ist die
eigentliche Domaene des roemischen Klassizismus; in der verschiedensten
Weise und ebendarum nur um so bedeutsamer wird bei den Koryphaeen
desselben, bei Cicero, Caesar, sogar in den Gedichten Catulls, die Regel
eingeschaerft und der Verstoss dagegen abgetrumpft; wogegen die
aeltere Generation sich ueber die auf dem sprachlichen Gebiet ebenso
ruecksichtslos wie auf dem politischen durchgreifende Revolution
mit begreiflicher Empfindlichkeit aeussert ^2. Indem aber der neue
Klassizismus, das heisst das regulierte und mit dem mustergueltigen
Griechisch soweit moeglich ins gleiche gesetzte mustergueltige Latein,
hervorgehend aus der bewussten Reaktion gegen den in die hoehere
Gesellschaft und selbst in die Literatur eingedrungenen Vulgarismus,
sich literarisch fixierte und schematisch formulierte, raeumte dieser
doch keineswegs das Feld. Wir finden ihn nicht bloss naiv in den Werken
untergeordneter, nur zufaellig unter die Schriftsteller verschlagener
Individuen, wie in dem Bericht ueber Caesars zweiten spanischen Krieg,
sondern wir werden ihm auch in der eigentlichen Literatur, im Mimus,
im Halbroman, in den aesthetischen Schriften Varros mehr oder weniger
ausgepraegt begegnen; und charakteristisch ist es, dass er eben in den
am meisten volkstuemlichen Gebieten der Literatur sich behauptet und
dass wahrhaft konservative Maenner, wie Varro, ihn in Schutz nehmen. Der
Klassizismus ruht auf dem Tode der italischen Sprache wie die Monarchie
auf dem Untergang der italischen Nation; es war vollkommen konsequent,
dass die Maenner, in denen die Republik noch lebendig war, auch der
lebenden Sprache fortfuhren, ihr Recht zu geben und ihrer relativen
Lebendigkeit und Volkstuemlichkeit zuliebe ihre aesthetischen Maengel
ertrugen. So gehen denn die sprachlichen Meinungen und Richtungen dieser
Epoche ueberall hin auseinander: neben der altfraenkischen Poesie des
Lucretius erscheint die durchaus moderne des Catullus, neben Ciceros
kadenzierter Periode Varros absichtlich jede Gliederung verschmaehender
Satz. Auch hierin spiegelt sich die Zerrissenheit der Zeit.
---------------------------------------- ^2 So sagt Varro (rust. 1, 2):
ab aeditimo, ut dicere didicimus a patribus nostris; ut corrigimur ab
recentibus urbanis, ab aedituo. ----------------------------------------
In der Literatur dieser Periode faellt zunaechst, im Vergleich mit der
frueheren, die aeussere Steigerung des literarischen Treibens in Rom
auf. Die literarische Taetigkeit der Griechen gedieh laengst nicht mehr
in der freien Luft der buergerlichen Unabhaengigkeit, sondern nur noch
in den wissenschaftlichen Anstalten der groesseren Staedte und besonders
der Hoefe. Angewiesen auf Gunst und Schutz der Grossen und durch das
Erloeschen der Dynastien von Pergamon (621 133), Kyrene (658 96),
Bithynien (679 75) und Syrien (690 64), durch den sinkenden Glanz der
Hofhaltung der Lagiden aus den bisherigen Musensitzen verdraengt ^3,
ueberdies seit Alexanders des Grossen Tod notwendig kosmopolitisch und
unter den Aegyptern und Syrern wenigstens ebenso fremd wie unter den
Lateinern, fingen die hellenischen Literaten mehr und mehr an, ihre
Blicke nach Rom zu wenden. Neben dem Koch, dem Buhlknaben und dem
Spassmacher spielten unter dem Schwarm griechischer Bedienten, mit denen
der vornehme Roemer dieser Zeit sich umgab, auch der Philosoph, der Poet
und der Memoirenschreiber hervorragende Rollen. Schon begegnen in diesen
Stellungen namhafte Literaten; wie zum Beispiel der Epikureer Philodemos
als Hauptphilosoph bei Lucius Piso, Konsul 696 (58), angestellt war
und nebenbei mit seinen artigen Epigrammen auf den grobdraehtigen
Epikureismus seines Patrons die Eingeweihten erbaute. Von allen Seiten
zogen immer zahlreicher die angesehensten Vertreter der griechischen
Kunst und Wissenschaft sich nach Rom, wo der literarische Verdienst
jetzt reichlicher floss als irgendwo sonst; so werden als in Rom
ansaessig genannt der Arzt Asklepiades, den Koenig Mithradates
vergeblich von dort weg in seinen Dienst zu ziehen versuchte, der
Gelehrte fuer alles, Alexandros von Milet, genannt der Polyhistor; der
Poet Parthenios aus Nikaea in Bithymen; der als Reisender, Lehrer und
Schriftsteller gleich gefeierte Poseidonios von Apameia in Syrien, der
hochbejahrt im Jahre 703 (51) von Rhodos nach Rom uebersiedelte, und
andere mehr. Ein Haus wie das des Lucius Lucullus war, fast wie
das alexandrinische Museion, ein Sitz hellenischer Bildung und ein
Sammelplatz hellenischer Literaten; roemische Mittel und hellenische
Kennerschaft hatten in diesen Hallen des Reichtums und der Wissenschaft
einen unvergleichlichen Schatz von Bildwerken und Gemaelden aelterer und
gleichzeitiger Meister sowie eine ebenso sorgfaeltig ausgewaehlte wie
prachtvoll ausgestattete Bibliothek vereinigt und jeder Gebildete und
namentlich jeder Grieche war hier willkommen - oft sah man den Hausherrn
selbst mit einem seiner gelehrten Gaeste in philologischem oder
philosophischem Gespraech den schoenen Saeulengang auf- und
niederwandeln. Freilich trugen diese Griechen mit ihren
reichen Bildungsschaetzen auch zugleich ihre Verkehrtheit und
Bedientenhaftigkeit nach Italien; wie sich denn zum Beispiel einer
dieser gelehrten Landlaeufer, der Verfasser der 'Schmeichelredekunst',
Aristodemos von Nysa, um 700 (54) seinen Herren durch den Nachweis
empfahl, dass Horneros ein geborener Roemer gewesen sei. In demselben
Masse wie das Treiben der griechischen Literaten in Rom stieg auch bei
den Roemern selbst die literarische Taetigkeit und das literarische
Interesse. Selbst die griechische Schriftstellerei, die der strengere
Geschmack des scipionischen Zeitalters gaenzlich beseitigt hatte,
tauchte jetzt wieder auf. Die griechische Sprache war nun einmal
Weltsprache, und eine griechische Schrift fand ein ganz anderes Publikum
als eine lateinische; darum liessen, wie die Koenige von Armenien
und Mauretanien, so auch roemische Vornehme, wie zum Beispiel Lucius
Lucullus, Marcus Cicero, Titus Atticus, Quintus Scaevola (Volkstribun
700 54), gelegentlich griechische Prosa und sogar griechische Verse
ausgehen. Indes dergleichen griechische Schriftstellerei geborener
Roemer blieb Nebensache und beinahe Spielerei; die literarischen wie
die politischen Parteien Italiens trafen doch alle zusammen in dem
Festhalten an der italischen, nur mehr oder minder vom Hellenismus
durchdrungenen Nationalitaet. Auch konnte man in dem Gebiet lateinischer
Schriftstellerei wenigstens ueber Mangel an Ruehrigkeit sich nicht
beklagen. Es regnete in Rom Buecher und Flugschriften aller Art und vor
allen Dingen Poesien. Die Dichter wimmelten daselbst wie nur in
Tarsos oder Alexandreia; poetische Publikationen waren zur stehenden
Jugendsuende regerer Naturen geworden, und auch damals pries
man denjenigen gluecklich, dessen Jugendgedichte die mitleidige
Vergessenheit der Kritik entzog. Wer das Handwerk einmal verstand,
schrieb ohne Muehe auf einen Ansatz seine fuenfhundert Hexameter, an
denen kein Schulmeister etwas zu tadeln, freilich auch kein Leser etwas
zu loben fand. Auch die Frauenwelt beteiligte sich lebhaft an diesem
literarischen Treiben; die Damen beschraenkten sich nicht darauf, Tanz
und Musik zu machen, sondern beherrschten durch Geist und Witz die
Konversation und sprachen vortrefflich ueber griechische und lateinische
Literatur; und wenn die Poesie auf die Maedchenherzen Sturm lief, so
kapitulierte die belagerte Festung nicht selten gleichfalls in artigen
Versen. Die Rhythmen wurden immer mehr das elegante Spielzeug
der grossen Kinder beiderlei Geschlechts; poetische Billets,
gemeinschaftliche poetische Uebungen und Wettdichtungen unter guten
Freunden waren etwas Gewoehnliches, und gegen das Ende dieser Epoche
wurden auch bereits in der Hauptstadt Anstalten eroeffnet, in denen
unfluegge lateinische Poeten das Versemachen fuer Geld erlernen konnten.
Infolge des starken Buecherkonsums wurde die Technik des fabrikmaessigen
Abschreibens wesentlich vervollkommnet und die Publikation
verhaeltnismaessig rasch und wohlfeil bewirkt; der Buchhandel ward ein
angesehenes und eintraegliches Gewerbe und der Laden des Buchhaendlers
ein gewoehnlicher Versammlungsort gebildeter Maenner. Das Lesen war zur
Mode, ja zur Manie geworden; bei Tafel ward, wo nicht bereits roherer
Zeitvertreib sich eingedraengt hatte, regelmaessig vorgelesen, und
wer eine Reise vorhatte, vergass nicht leicht, eine Reisebibliothek
einzupacken. Den Oberoffizier sah man im Lagerzelt den schluepfrigen
griechischen Roman, den Staatsmann im Senat den philosophischem Traktat
in der Hand. Es stand denn auch im roemischen Staate, wie es in jedem
Staate gestanden hat und stehen wird, wo die Buerger lesen "von der
Tuerschwell an bis zum Privet". Der parthische Wesir hatte nicht
unrecht, wenn er den Buergern von Seleukeia die im Lager des Crassus
gefundenen Romane wies und sie fragte, ob sie die Leser solcher
Buecher noch fuer furchtbare Gegner hielten.
------------------------------------------------- ^3 Merkwuerdig ist
fuer diese Verhaeltnisse die Dedikation der auf den Namen des Skymnos
gehenden poetischen Erdbeschreibung. Nachdem der Dichter seine Absicht
erklaert hat, in dem beliebten menandrischen Mass einen fuer Schueler
fasslichen und leicht auswendig zu lernenden Abriss der Geographie zu
bearbeiten, widmet er, wie Apollodoros sein aehnliches historisches
Kompendium dem Koenig Attalos Philadelphos von Pergamon widmete, dem es
ewigen Ruhm Gebracht, dass seinen Namen dies Geschichtswerk traegt, sein
Handbuch dem Koenig Nikomedes III. (663? - 679 91 - 75) von Bithynien:
Dass, wie die Leute sagen, koenigliche Huld Von allen jetzigen Koenigen
nur du erzeigst, Dies zu erproben an mir selbst, entschloss ich mich,
Zu kommen und zu sehen, was ein Koenig sei. Bestaerkt in diesem durch
Apolls Orakelwort, Nah' ich mich billig deinem fast, auf deinen Wink,
Zu der Gelehrten insgemein gewordnen Herd.
------------------------------------------------- Die literarische
Tendenz dieser Zeit war keine einfache und konnte es nicht sein, da
die Zeit selbst zwischen der alten und der neuen Weise geteilt war.
Dieselben Richtungen, die auf dem politischen Gebiet sich bekaempften,
die national-italische der Konservativen, die hellenisch-italische oder,
wenn man will, kosmopolitische der neuen Monarchie, haben auch auf
dem literarischen ihre Schlachten geschlagen. Jene lehnt sich auf die
aeltere lateinische Literatur, die auf dem Theater, in der Schule und
in der gelehrten Forschung mehr und mehr den Charakter der Klassizitaet
annimmt. Mit minderem Geschmack und staerkerer Parteitendenz, als die
scipionische Epoche bewies, werden jetzt Ennius, Pacuvius und namentlich
Plautus in den Himmel erhoben. Die Blaetter der Sibylle steigen im
Preise, je weniger ihrer werden; die relative Nationalitaet und relative
Produktivitaet der Dichter des sechsten Jahrhunderts wurde nie lebhafter
empfunden als in dieser Epoche des ausgebildeten Epigonentums, die in
der Literatur ebenso entschieden wie in der Politik zu dem Jahrhundert
der Hannibalskaempfer hinaufsah als zu der goldenen, leider
unwiederbringlich dahingegangenen Zeit. Freilich war in dieser
Bewunderung der alten Klassiker ein guter Teil derselben Hohlheit und
Heuchelei, die dem konservativen Wesen dieser Zeit ueberhaupt eigen
sind, und die Zwischengaenger mangelten auch hier nicht. Cicero zum
Beispiel, obwohl in der Prosa einer der Hauptvertreter der modernen
Tendenz, verehrte dennoch die aeltere nationale Poesie ungefaehr
mit demselben anbruechigen Respekt, welchen er der aristokratischen
Verfassung und der Auguraldisziplin zollte; "der Patriotismus erfordert
es", heisst es bei ihm, "lieber eine notorisch elende Uebersetzung
des Sophokles zu lesen als das Original". Wenn also die moderne, der
demokratischen Monarchie verwandte literarische Richtung selbst unter
den rechtglaeubigen Enniusbewunderern stille Bekenner genug zaehlte,
so fehlte es auch schon nicht an dreisteren Urteilern, die mit der
einheimischen Literatur ebenso unsaeuberlich umgingen wie mit der
senatorischen Politik. Man nahm nicht bloss die strenge Kritik der
scipionischen Epoche wieder auf und liess den Terenz nur gelten, um
Ennius und mehr noch die Ennianisten zu verdammen, sondern die juengere
und verwegenere Welt ging weit darueber hinaus und wagte es schon,
wenn auch nur noch in ketzerischer Auflehnung gegen die literarische
Orthodoxie, den Plautus einen rohen Spassmacher, den Lucilius einen
schlechten Verseschmied zu heissen. Statt auf die einheimische lehnt
sich diese moderne Richtung vielmehr auf die neuere griechische
Literatur oder den sogenannten Alexandrinismus. Es kann nicht umgangen
werden, von diesem merkwuerdigen Wintergarten hellenischer Sprache und
Kunst hier wenigstens so viel zu sagen, als fuer das Verstaendnis der
roemischen Literatur dieser und der spaeteren Epochen erforderlich
ist. Die alexandrinische Literatur ruht auf dem Untergang des reinen
hellenischen Idioms, das seit der Zeit Alexanders des Grossen im Leben
ersetzt ward durch einen verkommenen, zunaechst aus der Beruehrung des
makedonischen Dialekts mit vielfachen griechischen und barbarischen
Staemmen hervorgegangenen Jargon; oder genauer gesagt, die
alexandrinische Literatur ist hervorgegangen aus dem Ruin der
hellenischen Nation ueberhaupt, die, um die alexandrinische
Weltmonarchie und das Reich des Hellenismus zu begruenden, in ihrer
volkstuemlichen Individualitaet untergehen musste und unterging.
Haette Alexanders Weltreich Bestand gehabt, so wuerde an die Stelle
der ehemaligen nationalen und volkstuemlichen eine nur dem Namen nach
hellenische, wesentlich denationalisierte und gewissermassen von oben
herab ins Leben gerufene, aber allerdings die Welt beherrschende,
kosmopolitische Literatur getreten sein; indes wie der Staat Alexanders
mit seinem Tode aus den Fugen wich, gingen auch die Anfaenge der ihm
entsprechenden Literatur rasch zugrunde. Die griechische Nation aber
gehoerte darum nicht weniger mit allem, was sie gehabt, mit ihrer
Volkstuemlichkeit, ihrer Sprache, ihrer Kunst, der Vergangenheit an. Nur
in einem verhaeltnismaessig engen Kreis nicht von Gebildeten, die es
als solche nicht mehr gab, sondern von Gelehrten wurde die griechische
Literatur noch als tote gepflegt, ihr reicher Nachlass in wehmuetiger
Freude oder trockener Gruebelei inventarisiert und auch wohl das
lebendige Nachgefuehl oder die tote Gelehrsamkeit bis zu einer
Scheinproduktivitaet gesteigert. Diese posthume Produktivitaet ist der
sogenannte Alexandrinismus. Er ist wesentlich gleichartig derjenigen
Gelehrtenliteratur, welche, abstrahierend von den lebendigen romanischen
Nationalitaeten und ihren vulgaeren Idiomen, in einem philologisch
gelehrten, kosmopolitischen Kreise als kuenstliche Nachbluete des
untergegangenen Altertums waehrend des fuenfzehnten und sechzehnten
Jahrhunderts erwuchs; der Gegensatz zwischen dem klassischen und dem
Vulgaergriechisch der Diadochenzeit ist wohl minder schroff, aber nicht
eigentlich ein anderer als der zwischen dem Latein des Manutius und
dem Italienischen Macchiavellis. Italien hatte bisher sich gegen den
Alexandrinismus im wesentlichen ablehnend verhalten. Die relative
Bluetezeit desselben ist die Zeit kurz vor und nach dem Ersten
Punischen Krieg; dennoch schlossen Naevius, Ennius, Pacuvius und schloss
ueberhaupt die gesamte nationalroemische Schriftstellerei bis hinab auf
Varro und Lucretius in allen Zweigen poetischer Produktion, selbst das
Lehrgedicht nicht ausgenommen, nicht an ihre griechischen Zeitgenossen
oder juengsten Vorgaenger sich an, sondern ohne Ausnahme an Homer,
Euripides, Menandros und die anderen Meister der lebendigen und
volkstuemlichen griechischen Literatur. Die roemische Literatur ist
niemals frisch und national gewesen; aber solange es ein roemisches Volk
gab, griffen seine Schriftsteller instinktmaessig nach lebendigen und
volkstuemlichen Mustern und kopierten, wenn auch nicht immer aufs
beste noch die besten, doch wenigstens Originale. Die ersten roemischen
Nachahmer - denn die geringen Anfaenge aus der marianischen Zeit
koennen kaum mitgezaehlt werden - fand die nach Alexander entstandene
griechische Literatur unter den Zeitgenossen Ciceros und Caesars; und
nun griff der roemische Alexandrinismus mit reissender Schnelligkeit
um sich. Zum Teil ging dies aus aeusserlichen Ursachen hervor. Die
gesteigerte Beruehrung mit den Griechen, namentlich die haeufigen
Reisen der Roemer in die hellenischen Landschaften und die Ansammlung
griechischer Literaten in Rom, verschafften natuerlich der griechischen
Tagesliteratur, den zu jener Zeit in Griechenland gangbaren epischen und
elegischen Poesien, Epigrammen und milesischen Maerchen, auch unter den
Italikern ein Publikum. Indem ferner die alexandrinische Poesie, wie
frueher dargestellt ward, in dem italischen Jugendunterricht sich
festsetzte, wirkte dies auf die lateinische Literatur um so mehr
zurueck, als diese von der hellenischen Schulbildung zu allen Zeiten
wesentlich abhaengig war und blieb. Es findet sich hier sogar eine
unmittelbare Anknuepfung der neuroemischen an die neugriechische
Literatur: der schon genannte Parthenios, einer der bekannteren
alexandrinischen Elegiker, eroeffnete, es scheint um 700 (54), eine
Literatur- und Poesieschule in Rom, und es sind noch die Exzerpte
vorhanden, in denen er Stoffe fuer lateinische erotisch-mythologische
Elegien nach dem bekannten alexandrinischen Rezept einem seiner
vornehmen Schueler an die Hand gab. Aber es waren keineswegs bloss diese
zufaelligen Veranlassungen, die den roemischen Alexandrinismus ins Leben
riefen; er war vielmehr ein vielleicht nicht erfreuliches, aber durchaus
unvermeidliches Erzeugnis der politischen und nationalen Entwicklung
Roms. Einerseits loeste, wie Hellas im Hellenismus, so jetzt Latium im
Romanismus sich auf; die nationale Entwicklung Italiens ueberwuchs und
zersprengte sich in ganz aehnlicher Weise in Caesars Mittelmeer - wie
die hellenische in Alexanders Ostreich. Wenn andererseits das neue
Reich darauf beruhte, dass die maechtigen Stroeme der griechischen
und lateinischen Nationalitaet, nachdem sie Jahrtausende hindurch in
parallelen Betten geflossen, nun endlich zusammenfielen, so musste
auch die italische Literatur nicht bloss wie bisher an der griechischen
ueberhaupt einen Halt suchen, sondern eben mit der griechischen
Literatur der Gegenwart, das heisst mit dem Alexandrinismus sich
ins Niveau setzen. Mit dem schulmaessigen Latein, der geschlossenen
Klassikerzahl, dem exklusiven Kreise der klassikerlesenden "Urbanen" war
die volkstuemliche lateinische Literatur tot und zu Ende; es
entstand dafuer eine durchaus epigonenhafte, kuenstlich grossgezogene
Reichsliteratur, die nicht auf einer bestimmten Volkstuemlichkeit ruhte,
sondern in zweien Sprachen das allgemeine Evangelium der Humanitaet
verkuendigte und geistig durchaus und bewusst von der hellenischen,
sprachlich teils von dieser, teils von der altroemischen Volksliteratur
abhing. Es war dies kein Fortschritt. Die Mittelmeermonarchie Caesars
war wohl eine grossartige und, was mehr ist, eine notwendige Schoepfung;
aber sie war von oben herab ins Leben gerufen und darum nichts in ihr
zu finden von dem frischen Volksleben, von der uebersprudelnden
Nationalkraft, wie sie juengeren, beschraenkteren, natuerlicheren
Gemeinwesen eigen sind, wie noch der Staat Italien des sechsten
Jahrhunderts sie hatte aufzeigen koennen. Der Untergang der italischen
Volkstuemlichkeit, abgeschlossen in Caesars Schoepfung, brach der
Literatur das Herzblatt aus. Wer ein Gefuehl hat fuer die innige
Wahlverwandtschaft der Kunst und der Nationalitaet, der wird stets sich
von Cicero und Horaz ab zurueck zu Cato und Lucretius wenden; und
nur die, freilich auf diesem Gebiete verjaehrte, schulmeisterliche
Auffassung der Geschichte wie der Literatur hat es vermocht, die mit
der neuen Monarchie beginnende Kunstepoche vorzugsweise die goldene
zu heissen. Aber wenn der roemisch-hellenische Alexandrinismus der
caesarischen und augusteischen Zeit zurueckstehen muss hinter der,
wie immer unvollkommenen, aelteren nationalen Literatur, so ist er
andererseits dem Alexandrinismus der Diadochenzeit ebenso entschieden
ueberlegen wie Caesars Dauerbau der ephemeren Schoepfung Alexanders.
Es wird spaeter darzustellen sein, dass die augustische Literatur,
verglichen mit der verwandten der Diadochenzeit, weit minder eine
Philologen- und weit mehr eine Reichsliteratur gewesen ist als diese und
darum auch in den hoeheren Kreisen der Gesellschaft weit dauernder und
weit allgemeiner als jemals der griechische Alexandrinismus gewirkt
hat. Nirgends sah es truebseliger aus als in der Buehnenliteratur.
Trauerspiel wie Lustspiel waren in der roemischen Nationalliteratur
bereits vor der gegenwaertigen Epoche innerlich abgestorben. Neue
Stuecke wurden nicht mehr gespielt. Dass noch in der sullanischen Zeit
das Publikum dergleichen zu sehen erwartete, zeigen die dieser
Zeit angehoerigen Wiederauffuehrungen Plautinischer Komoedien mit
gewechselten Titeln und Personennamen, wobei die Direktion wohl
hinzufuegte, dass es besser sei, ein gutes altes, als ein schlechtes
neues Stueck zu sehen. Davon hatte man denn nicht weit zu der voelligen
Einraeumung der Buehne an die toten Poeten, die wir in der ciceronischen
Zeit finden und der der Alexandrinismus sich gar nicht widersetzte.
Seine Produktivitaet auf diesem Gebiete war schlimmer als keine. Eine
wirkliche Buehnendichtung hat die alexandrinische Literatur nie gekannt;
nur das Afterdrama, das zunaechst zum Lesen, nicht zur Auffuehrung
geschrieben ward, konnte durch sie in Italien eingebuergert werden, und
bald fingen denn diese dramatischen Jamben auch an, in Rom ebenso wie in
Alexandreia zu grassieren und namentlich das Trauerspielschreiben unter
den stehenden Entwicklungskrankheiten zu figurieren. Welcher Art diese
Produktionen waren, kann man ungefaehr danach bemessen, dass Quintus
Cicero, um die Langeweile des gallischen Winterquartiers homoeopathisch
zu vertreiben, in sechzehn Tagen vier Trauerspiele verfertigte. Einzig
in dem "Lebensbild" oder dem Mimus verwuchs der letzte noch
gruenende Trieb der nationalen Literatur, die Atellanenposse, mit
den ethologischen Auslaeufern des griechischen Lustspiels, die der
Alexandrinismus mit groesserer poetischer Kraft und besserem Erfolg als
jeden anderen Zweig der Poesie kultivierte. Der Mimus ging hervor aus
den seit langem ueblichen Charaktertaenzen zur Floete, die teils bei
anderen Gelegenheiten, namentlich zur Unterhaltung der Gaeste waehrend
der Tafel, teils besonders im Parterre des Theaters waehrend der
Zwischenakte aufgefuehrt wurden. Es war nicht schwer, aus diesen
Taenzen, bei denen die Rede wohl laengst gelegentlich zur Hilfe genommen
ward, durch Einfuehrung einer geordneteren Fabel und eines regelrechten
Dialogs kleine Komoedien zu machen, die jedoch von dem frueheren
Lustspiel und selbst von der Posse sich doch dadurch noch wesentlich
unterschieden, dass der Tanz und die von solchem Tanz unzertrennliche
Laszivitaet hier fortfuhren, eine Hauptrolle zu spielen, und dass der
Mimus, als nicht eigentlich auf den Brettern, sondern im Parterre zu
Hause, jede szenische Idealisierung wie die Gesichtsmasken und die
Theaterschuhe, beiseite warf und, was besonders wichtig war, die
Frauenrollen auch von Frauen darstellen liess. Dieser neue Mimus, der
zuerst um 672 (82) auf die hauptstaedtische Buehne gekommen zu sein
scheint, verschlang bald die nationale Harlekinade, mit der er ja in den
wesentlichsten Beziehungen zusammenfiel, und ward als das gewoehnliche
Zwischen- und namentlich Nachspiel neben den sonstigen Schauspielen
verwendet ^4. Die Fabel war natuerlich noch gleichgueltiger, lockerer
und toller als in der Harlekinade; wenn es nur bunt herging, so fragte
das Publikum nicht, warum es lachte, und rechtete nicht mit dem
Poeten, der, statt den Knoten zu loesen, ihn zerhieb. Die Sujets waren
vorwiegend verliebter Art, meistens von der frechsten Sorte; gegen den
Ehemann zum Beispiel nahmen Poet und Publikum ohne Ausnahme Partei und
die poetische Gerechtigkeit bestand in der Verhoehnung der guten Sitte.
Der kuenstlerische Reiz beruhte ganz wie bei der Atellane auf der
Sittenmalerei des gemeinen und gemeinsten Lebens, wobei die laendlichen
Bilder vor denen des hauptstaedtischen Lebens und Treibens zuruecktreten
und der suesse Poebel von Rom, ganz wie in den gleichartigen
griechischen Stuecken der von Alexandreia, aufgefordert wird, sein
eigenes Konterfei zu beklatschen. Viele Stoffe sind dem Handwerkerleben
entnommen: es erscheinen der auch hier unvermeidliche 'Walker', dann
'Der Seiler', 'Der Faerber, 'Der Salzmann', 'Die Weberinnen', 'Der
Hundejunge'; andere Stuecke geben Charakterfiguren: 'Der Vergessliche',
'Das Grossmaul', 'Der Mann von 100000 Sesterzen' ^5; oder Bilder
des Auslandes: 'Die Etruskerin', 'Die Gallier', 'Der Kretenser',
'Alexandreia'; oder Schilderungen von Volksfesten: 'Die Compitalien',
'Die Saturnalien', 'Anna Perenna', 'Die warmen Baeder'; oder
travestierte Mythologie: 'Die Fahrt in die Unterwelt', 'Der Arverner
See'. Treffende Schlagwoerter und kurze, leicht behalt- und anwendbare
Gemeinsprueche sind willkommen; aber auch jeder Unsinn hat von selber
das Buergerrecht: in dieser verkehrten Welt wird Bacchus um Wasser, die
Quellnymphe um Wein angegangen. Sogar von den auf dem roemischen Theater
sonst so streng untersagten politischen Anspielungen finden in diesen
Mimen sich einzelne Beispiele ^6. Was die metrische Form anlangt, so
gaben sich diese Poeten, wie sie selber sagen, "nur maessige Muehe mit
dem Versemass"; die Sprache stroemte selbst in den zur Veroeffentlichung
redigierten Stuecken ueber von Vulgaerausdruecken und gemeinen
Wortbildungen. Es ist, wie man sieht, der Mimus wesentlich nichts als
die bisherige Posse; nur dass die Charaktermasken und die stehende
Szenerie von Atella sowie das baeuerliche Gepraege wegfaellt und dafuer
das hauptstaedtische Leben in seiner grenzenlosen Freiheit und Frechheit
auf die Bretter kommt. Die meisten Stuecke dieser Art waren ohne Zweifel
fluechtigster Natur und machten nicht Anspruch auf einen Platz in
der Literatur; die Mimen aber des Laberius, voll drastischer
Charakterzeichnung und sprachlich und metrisch in ihrer Art
meisterlich behandelt, haben in derselben sich behauptet und auch der
Geschichtschreiber muss es bedauern, dass es uns nicht mehr vergoennt
ist, das Drama der republikanischen Agonie in Rom mit seinem
grossen attischen Gegenbild zu vergleichen.
---------------------------------------------------- ^4 Dass der Mimus
zu seiner Zeit an die Stelle der Atellane getreten sei, bezeugt Cicero
(ad fam. 9 16); damit stimmt ueberein, dass die Mimen und Miminnen
zuerst um die sullanische Zeit hervortreten (Rhet. Her. 1, 14, 24; 2,
13, 19; Atta com. 1 Ribbeck.; Plin. nat. 7, 48, 158; Plut. Sull. z. 36).
Uebrigens wird die Bezeichnung mimus zuweilen ungenau von dem Komoeden
ueberhaupt gebraucht. So war der bei der Apollonischen Festfeier 542/43
212/211 auftretende mimus (Festus v. salva res est; vgl. Cic. De orat.
2, 59, 242) offenbar nichts als ein Schauspieler der palliata, denn fuer
wirkliche Mimen im spaetem Sinn ist in dieser Zeit in der roemischen
Theaterentwicklung kein Raum. Zu dem Mimus der klassischen griechischen
Zeit, prosaischen Dialogen, in denen Genrebilder, namentlich laendliche,
dargestellt wurden, hat der roemische Mimus keine naehere Beziehung.
^5 Mit dem Besitz dieser Summe, wodurch man in die erste Stimmklasse
eintritt und die Erbschaft dem Voconischen Gesetz unterworfen wird,
ist die Grenze ueberschritten, welche die geringen (tenuiores) von den
anstaendigen Leuten scheidet. Darum fleht auch der arme Klient Catulls
(23, 26) die Goetter an, ihm zu diesem Vermoegen zu verhelfen. ^6 In
Laberius' 'Fahrt in die Unterwelt' tritt allerlei Volk auf, das Wunder
und Zeichen gesehen hat; dem einen ist ein Ehemann mit zwei Frauen
erschienen, worauf der Nachbar meint, das sei ja noch aerger als das
kuerzlich von einem Wahrsager erblickte Traumgesicht von sechs Aedilen.
Naemlich Caesar wollte - nach dem Klatsch der Zeit - die Vielweiberei
in Rom einfuehren (Suet. Caes. 82) und ernannte in der Tat statt vier
Aedilen deren sechs. Man sieht auch hieraus, dass Laberius
Narrenrecht zu ueben und Caesar Narrenfreiheit zu gestatten verstand.
---------------------------------------------------- Mit der Nichtigkeit
der Buehnenliteratur Hand in Hand geht die Steigerung des Buehnenspiels
und der Buehnenpracht. Dramatische Vorstellungen erhielten ihren
regelmaessigen Platz im oeffentlichen Leben nicht bloss der Hauptstadt,
sondern auch der Landstaedte; auch jene bekam nun endlich durch Pompeius
ein stehendes Theater (699 55) und die kampanische Sitte, waehrend des
in alter Zeit stets unter freiem Himmel stattfindenden Schauspiels zum
Schutze der Spieler und der Zuschauer Segeldecken ueber das Theater zu
spannen, fand ebenfalls jetzt Eingang in Rom (676 78). Wie derzeit
in Griechenland nicht die mehr als blassen Siebengestirne der
alexandrinischen Dramatiker, sondern das klassische Schauspiel, vor
allem die Euripideische Tragoedie in reichster Entfaltung szenischer
Mittel die Buehne behauptete, so wurden auch in Rom zu Ciceros Zeit
vorzugsweise die Trauerspiele des Ennius, Pacuvius und Accius, die
Lustspiele des Plautus gegeben. Wenn der letztere in der vorigen Periode
durch den geschmackvolleren, aber an komischer Kraft freilich geringeren
Terenz verdraengt worden war, so wirkten jetzt Roscius und Varro, das
heisst das Theater und die Philologie zusammen, um ihm eine aehnliche
Wiederaufstehung zu bereiten, wie sie Shakespeare durch Garrick und
Johnson widerfuhr; und auch Plautus hatte dabei von der gesunkenen
Empfaenglichkeit und der unruhigen Hast des durch die kurzen und
lotterigen Possen verwoehnten Publikums zu leiden, so dass die Direktion
die Laenge der Plautinischen Komoedien zu entschuldigen, ja vielleicht
auch zu streichen und zu aendern sich genoetigt sah. Je beschraenkter
das Repertoire war, desto mehr richtete sich sowohl die Taetigkeit des
dirigierenden und exekutierenden Personals, als auch das Interesse des
Publikums auf die szenische Darstellung der Stuecke. Kaum gab es in Rom
ein eintraeglicheres Gewerbe als das des Schauspielers und der Taenzerin
ersten Ranges. Das fuerstliche Vermoegen des tragischen Schauspielers
Aesopus ward bereits erwaehnt; sein noch hoeher gefeierter Zeitgenosse
Roscius schlug seine Jahreseinnahme auf 600000 Sesterzen (46000 Taler)
an ^7 und die Taenzerin Dionysia die ihrige auf 200000 Sesterzen
(15000 Taler). Daneben wandte man ungeheure Summen auf Dekorationen und
Kostueme: gelegentlich schritten Zuege von sechshundert aufgeschirrten
Maultieren ueber die Buehne und das troische Theaterheer ward dazu
benutzt, um dem Publikum eine Musterkarte der von Pompeius in Asien
besiegten Nationen vorzufuehren. Die den Vortrag der eingelegten
Gesangstuecke begleitende Musik erlangte gleichfalls groessere und
selbstaendigere Bedeutung; wie der Wind die Wellen, sagt Varro, so
lenkt der kundige Floetenspieler die Gemueter der Zuhoerer mit jeder
Abwandlung der Melodie. Sie gewoehnte sich, das Tempo rascher zu
nehmen und noetigte dadurch den Schauspieler zu lebhafterer Aktion.
Die musikalische und Buehnenkennerschaft entwickelte sich; der Habitue
erkannte jedes Tonstueck an der ersten Note und wusste die Texte
auswendig; jeder musikalische oder Rezitationsfehler ward streng von
dem Publikum geruegt. Lebhaft erinnert das roemische Buehnenwesen der
ciceronischen Zeit an das heutige franzoesische Theater. Wie den losen
Tableaus der Tagesstuecke der roemische Mimus entspricht, fuer den wie
fuer jene nichts zu gut und nichts zu schlecht war, so findet auch in
beiden sich dasselbe traditionell klassische Trauerspiel und Lustspiel,
die zu bewundern oder mindestens zu beklatschen der gebildete Mann von
Rechts wegen verpflichtet ist. Der Menge wird Genuege getan, indem sie
in der Posse sich selber wiederfindet, in dem Schauspiel den dekorativen
Pomp anstaunt und den allgemeinen Eindruck einer idealen Welt empfaengt;
der hoeher Gebildete kuemmert im Theater sich nicht um das Stueck,
sondern einzig um die kuenstlerische Darstellung. Endlich die roemische
Schauspielkunst selbst pendelte in ihren verschiedenen Sphaeren,
aehnlich wie die franzoesische, zwischen der Chaumiere und dem Salon.
Es war nichts Ungewoehnliches, dass die roemischen Taenzerinnen bei dem
Finale das Obergewand abwarfen und dem Publikum einen Tanz im Hemde zum
besten gaben; andererseits aber galt auch dem roemischen Talma als
das hoechste Gesetz seiner Kunst nicht die Naturwahrheit, sondern das
Ebenmass. -------------------------------------------------------- ^7
Vom Staat erhielt er fuer jeden Spieltag 1000 Denare (300 Taler) und
ausserdem die Besoldung fuer seine Truppe. In spaeteren Jahren wies
er fuer sich das Honorar zurueck.
-------------------------------------------------------- In der
rezitativen Poesie scheint es an metrischen Chroniken nach dem Muster
der Ennianischen nicht gefehlt zu haben; aber sie duerften ausreichend
kritisiert sein durch jenes artige Maedchengeluebde, von dem Catullus
singt: der heiligen Venus, wenn sie den geliebten Mann von seiner
boesen politischen Poesie ihr wieder zurueck in die Arme fuehre, das
schlechteste der schlechten Heldengedichte zum Brandopfer darzubringen.
In der Tat ist auf dem ganzen Gebiet der rezitativen Dichtung in dieser
Epoche die aeltere nationalroemische Tendenz nur durch ein einziges
namhaftes Werk vertreten, das aber auch zu den bedeutendsten
dichterischen Erzeugnissen der roemischen Literatur ueberhaupt gehoert.
Es ist das Lehrgedicht des Titus Lucretius Carus (655-699 99-55) 'Vom
Wesen der Dinge', dessen Verfasser, den besten Kreisen der roemischen
Gesellschaft angehoerig, vom oeffentlichen Leben aber, sei es durch
Kraenklichkeit, sei es durch Abneigung ferngehalten, kurz vor dem
Ausbruch des Buergerkrieges im besten Mannesalter starb. Als Dichter
knuepft er energisch an Ennius an und damit an die klassische
griechische Literatur. Unwillig wendet er sich weg von dem "hohlen
Hellenismus" seiner Zeit und bekennt sich mit ganzer Seele und vollem
Herzen als den Schueler der "strengen Griechen", wie denn selbst des
Thukydides heiliger Ernst in einem der bekanntesten Abschnitte dieser
roemischen Dichtung keinen unwuerdigen Widerhall gefunden hat. Wie
Ennius bei Epicharmos und Euhemeros seine Weisheit schoepft, so entlehnt
Lucretius die Form seiner Darstellung dem Empedokles, "dem herrlichsten
Schatz des gabenreichen sizilischen Eilands", und liest dem Stoffe nach
"die goldenen Worte alle zusammen aus den Rollen des Epikuros", "welcher
die anderen Weisen ueberstrahlt, wie die Sonne die Sterne verdunkelt".
Wie Ennius verschmaeht auch Lucretius die der Poesie von dem
Alexandrinismus aufgelastete mythologische Gelehrsamkeit und fordert
nichts von seinem Leser als die Kenntnis der allgemein gelaeufigen Sagen
^8. Dem modernen Purismus zum Trotz, der die Fremdwoerter aus der
Poesie auswies, setzt Lucretius, wie es Ennius getan, statt matten
und undeutlichen Lateins lieber das bezeichnende griechische Wort. Die
altroemische Alliteration, das Nichtineinandergreifen der Vers- und
Satzeinschnitte und ueberhaupt die aeltere Rede- und Dichtweise begegnen
noch haeufig in Lucretius' Rhythmen, und obwohl er den Vers melodischer
behandelt als Ennius, so waelzen sich doch seine Hexameter nicht wie
die der modernen Dichterschule zierlich huepfend gleich dem rieselnden
Bache, sondern mit gewaltiger Langsamkeit gleich dem Strome fluessigen
Goldes. Auch philosophisch und praktisch lehnt Lucretius durchaus an
Ennius sich an, den einzigen einheimischen Dichter, den sein Gedicht
feiert; das Glaubensbekenntnis des Saengers von Rudiae: Himmelsgoetter
freilich gibt es, sagt' ich sonst und sag' ich noch, Doch sie kuemmern
keinesweges, mein' ich, sich um der Menschen Los bezeichnet vollstaendig
auch Lucretius' religioesen Standpunkt und nicht mit Unrecht nennt
er deshalb selbst sein Lied gleichsam die Fortsetzung dessen, Das uns
Ennius sang, der des unverwelklichen Lorbeers Kranz zuerst mitbracht'
aus des Helikon lieblichem Haine, Dass Italiens Voelkern er strahl' in
glaenzender Glorie. ---------------------------------------------------
^8 Einzelne scheinbare Ausnahmen, wie das Weihrauchland Panchaea,
sind daraus zu erklaeren, dass dies aus dem Reiseroman des Euhemeros
vielleicht schon in die Ennianische Poesie, auf jeden Fall in die
Gedichte des Lucius Manlius (Plin. nat. 10, 2, 4) uebergegangen und
daher dem Publikum, fuer das Lucretius schrieb, wohlbekannt war.
--------------------------------------------------- Noch einmal, zum
letztenmal noch erklingt in Lucretius' Gedicht der ganze Dichterstolz
und der ganze Dichterernst des sechsten Jahrhunderts, in welchem, in
den Bildern von dem furchtbaren Poener und dem herrlichen Scipiaden, die
Anschauung des Dichters heimischer ist als in seiner eigenen gesunkenen
Zeit ^9. Auch ihm klingt der eigene "aus dem reichen Gemuet anmutig
quillende" Gesang den gemeinen Liedern gegenueber "wie gegen das
Geschrei der Kraniche das kurze Lied des Schwanes"; auch ihm schwillt
das Herz, den selbsterfundenen Melodien lauschend, von hoher Ehren
Hoffnung - ebenwie Ennius den Menschen, denen er "das Feuerlied
kredenzet aus der tiefen Brust", verbietet, an seinem, des
unsterblichen Saengers Grabe zu trauern.
----------------------------------------------- ^9 Naiv erscheint
dies in den kriegerischen Schilderungen, in denen die heerverderbenden
Seestuerme, die die eigenen Leute zertretenden Elefantenscharen, also
Bilder aus den Punischen Kriegen, erscheinen, als gehoerten sie
der unmittelbaren Gegenwart an. Vgl. 2, 41; 5, 1226, 1303, 1339.
----------------------------------------------- Es ist ein seltsames
Verhaengnis, dass dieses ungemeine, an urspruenglicher poetischer
Begabung den meisten, wo nicht allen seinen Vorgaengern weit ueberlegene
Talent in eine Zeit gefallen war, in der es selber sich fremd und
verwaist fuehlte und infolgedessen in der wunderlichsten Weise sich
im Stoffe vergriffen hat. Epikuros' System, welches das All in einen
grossen Atomenwirbel verwandelt und die Entstehung und das Ende der Welt
sowie alle Probleme der Natur und des Lebens in rein mechanischer
Weise abzuwickeln unternimmt, war wohl etwas weniger albern als die
Mythenhistorisierung, wie Euhemeros und nach ihm Ennius sie versucht
hatten; aber ein geistreiches und frisches System war es nicht, und
die Aufgabe nun gar, diese mechanische Weltanschauung poetisch zu
entwickeln, war von der Art, dass wohl nie ein Dichter an einen
undankbareren Stoff Leben und Kunst verschwendet hat. Der philosophische
Leser tadelt an dem Lucretischen Lehrgedicht die Weglassung der
feineren Pointen des Systems, die Oberflaechlichkeit namentlich in der
Darstellung der Kontroversen, die mangelhafte Gliederung, die haeufigen
Wiederholungen mit ebensogutem Recht, wie der poetische an der
rhythmisierten Mathematik sich aergert, die einen grossen Teil des
Gedichtes geradezu unlesbar macht. Trotz dieser unglaublichen Maengel,
denen jedes mittelmaessige Talent unvermeidlich haette erliegen muessen,
durfte dieser Dichter mit Recht sich ruehmen, aus der poetischen Wildnis
einen neuen Kranz davongetragen zu haben, wie die Musen noch keinen
verliehen hatten; und es sind auch keineswegs bloss die gelegentlichen
Gleichnisse und sonstigen eingelegten Schilderungen maechtiger
Naturerscheinungen und maechtigerer Leidenschaften, die dem Dichter
diesen Kranz erwarben. Die Genialitaet der Lebensanschauung wie der
Poesie des Lucretius ruht auf seinem Unglauben, welcher mit der vollen
Siegeskraft der Wahrheit und darum mit der vollen Lebendigkeit der
Dichtung dem herrschenden Heuchel- oder Aberglauben gegenuebertrat und
treten durfte. Als danieder er sah das Dasein liegen der Menschheit
Jammervoll auf der Erd', erdrueckt von der lastenden Gottfurcht, Die vom
Himmelsgewoelb ihr Antlitz offenbarend, Schauerlich anzusehen, hinab
auf die Sterblichen drohte, Wagt' es ein griechischer Mann zuerst das
sterbliche Auge Ihr entgegenzuheben, zuerst ihr entgegenzutreten; Und
die mutige Macht des Gedankens siegte; gewaltig Trat hinaus er ueber
die flammenden Schranken des Weltalls Und der verstaendige Geist
durchschritt das unendliche Ganze. Also eiferte der Dichter, die Goetter
zu stuerzen, wie Brutus die Koenige gestuerzt, und "die Natur von ihren
strengen Herren zu erloesen". Aber nicht gegen Jovis altersschwachen
Thron wurden diese Flammenworte geschleudert; ebenwie Ennius kaempft
Lucretius praktisch vor allen Dingen gegen den wuesten Fremd- und
Aberglauben der Menge, den Kult der Grossen Mutter zum Beispiel und
die kindische Blitzweisheit der Etrusker. Das Grauen und der Widerwille
gegen die entsetzliche Welt ueberhaupt, in der und fuer die der Dichter
schrieb, haben dies Gedicht eingegeben. Es wurde verfasst in jener
hoffnungslosen Zeit, wo das Regiment der Oligarchie gestuerzt und das
Caesars noch nicht aufgerichtet war, in den schwuelen Jahren, waehrend
deren der Ausbruch des Buergerkrieges in langer peinlicher Spannung
erwartet ward. Wenn man dem ungleichartigen und unruhigen Vortrag es
anzufuehlen meint, dass der Dichter taeglich erwartete, den wuesten
Laerm der Revolution ueber sich und sein Werk hereinbrechen zu sehen,
so wird man auch bei seiner Anschauung der Menschen und der Dinge nicht
vergessen duerfen, unter welchen Menschen und in Aussicht auf welche
Dinge sie ihm entstand. War es doch in Hellas in der Epoche vor
Alexander ein gangbares und von allen Besten tief empfundenes Wort, dass
nicht geboren zu sein das Beste von allem, das naechstdem Beste aber sei
zu sterben. Unter allen in der verwandten caesarischen Zeit einem zarten
und poetisch organisierten Gemuet moeglichen Weltanschauungen war diese
die edelste und die veredelndste, dass es eine Wohltat fuer den Menschen
ist, erloest zu werden von dem Glauben an die Unsterblichkeit der Seele
und damit von der boesen die Menschen, gleichwie die Kinder die Angst
im dunkeln Gemach, tueckisch beschleichenden Furcht vor dem Tode und vor
den Goettern; dass, wie der Schlaf der Nacht erquicklicher ist als die
Plage des Tages, so auch der Tod, das ewige Ausruhen von allem Hoffen
und Fuerchten, besser ist als das Leben, wie denn auch die Goetter des
Dichters selber nichts sind noch haben als die ewige selige Ruhe; dass
die Hoellenstrafen nicht nach dem Leben den Menschen peinigen, sondern
waehrend desselben in den wilden und rastlosen Leidenschaften des
klopfenden Herzens; dass die Aufgabe des Menschen ist, seine Seele zum
ruhigen Gleichmass zu stimmen, den Purpur nicht hoeher zu schaetzen als
das warme Hauskleid, lieber unter den Gehorchenden zu verharren, als in
das Getuemmel der Bewerber um das Herrenamt sich zu draengen, lieber
am Bach im Grase zu liegen, als unter dem goldenen Plafond des
Reichen dessen zahllose Schuesseln leeren zu helfen. Diese
philosophisch-praktische Tendenz ist der eigentliche ideelle Kern
des Lucretischen Lehrgedichts und durch alle oede physikalischer
Demonstrationen nur verschuettet, nicht erdrueckt. Wesentlich auf ihr
beruht dessen relative Weisheit und Wahrheit. Der Mann, der mit einer
Ehrfurcht vor seinen grossen Vorgaengern, mit einem gewaltsamen Eifer,
wie sie dies Jahrhundert sonst nicht kennt, solche Lehre gepredigt und
sie mit musischem Zauber verklaert hat, darf zugleich ein guter Buerger
und ein grosser Dichter genannt werden. Das Lehrgedicht vom Wesen der
Dinge, wie vieles auch daran den Tadel herausfordert, ist eines der
glaenzendsten Gestirne in den sternenarmen Raeumen der roemischen
Literatur geblieben, und billig waehlte der groesste deutsche
Sprachenmeister die Wiederlesbarmachung des Lucretischen Gedichts zu
seiner letzten und meisterlichsten Arbeit. Lucretius, obwohl seine
poetische Kraft wie seine Kunst schon von den gebildeten Zeitgenossen
bewundert ward, blieb doch, Spaetling wie er war, ein Meister ohne
Schueler. In der hellenischen Modedichtung dagegen fehlte es an
Schuelern wenigstens nicht, die den alexandrinischen Meistern
nachzueifern sich muehten. Mit richtigem Takt hatten die begabteren
unter den alexandrinischen Poeten die groesseren Arbeiten und die
reinen Dichtgattungen, das Drama, das Epos, die Lyrik, vermieden; ihre
erfreulichsten Leistungen waren ihnen, aehnlich wie den neulateinischen
Dichtern, in "kurzatmigen" Aufgaben gelungen und vorzugsweise in
solchen, die auf den Grenzgebieten der Kunstgattungen, namentlich
dem weiten, zwischen Erzaehlung und Lied in der Mitte liegenden sich
bewegten. Lehrgedichte wurden vielfach geschrieben. Sehr beliebt waren
ferner kleine heroisch-erotische Epen, vornehmlich aber eine diesem
Altweibersommer der griechischen Poesie eigentuemliche und fuer ihre
philologische Hippokrene charakteristische, gelehrte Liebeselegie,
wobei der Dichter die Schilderung der eigenen, vorwiegend sinnlichen
Empfindungen mit epischen Fetzen aus dem griechischen Sagenkreis mehr
oder minder willkuerlich durchflocht. Festlieder wurden fleissig und
kuenstlich gezimmert; ueberhaupt waltete bei dem Mangel an freiwilliger
poetischer Erfindung das Gelegenheitsgedicht vor und namentlich das
Epigramm, worin die Alexandriner Vortreffliches geleistet haben. Die
Duerftigkeit der Stoffe und die sprachliche und rhythmische Unfrische,
die jeder nicht volkstuemlichen Literatur unvermeidlich anhaftet, suchte
man moeglichst zu verstecken unter verzwickten Themen, geschraubten
Wendungen, seltenen Woertern und kuenstlicher Versbehandlung, ueberhaupt
dem ganzen Apparat philologisch- antiquarischer Gelehrsamkeit und
technischer Gewandtheit. Dies war das Evangelium, das den roemischen
Knaben dieser Zeit gepredigt ward, und sie kamen in hellen Haufen, um zu
hoeren und auszuueben: schon um 700 (54) waren Euphorions Liebesgedichte
und aehnliche alexandrinische Poesien die gewoehnliche Lektuere und
die gewoehnlichen Deklamationsstuecke der gebildeten Jugend ^10. Die
literarische Revolution war da; aber sie lieferte zunaechst mit
seltenen Ausnahmen nur fruehreife oder unreife Fruechte. Die Zahl der
"neumodischen Dichter" war Legion, aber die Poesie war rar und Apollo,
wie immer, wenn es so gedrang am Parnasse hergeht, genoetigt, sehr
kurzen Prozess zu machen. Die langen Gedichte taugten niemals etwas,
die kurzen selten. Auch in diesem literarischen Zeitalter war die
Tagespoesie zur Landplage geworden; es begegnete wohl, dass einem der
Freund zum Hohn als Festtagsgeschenk einen Stoss schofler Verse frisch
vom Buchhaendlerlager ins Haus schickte, deren Wert der zierliche
Einband und das glatte Papier schon auf drei Schritte verriet. Ein
eigentliches Publikum, in dem Sinne wie die volkstuemliche Literatur
ein Publikum hat, fehlte den roemischen Alexandrinern so gut wie den
hellenischen: es ist durchaus die Poesie der Clique oder vielmehr
der Cliquen, deren Glieder eng zusammenhalten, dem Eindringling uebel
mitspielen, unter sich die neuen Poesien vorlesen und kritisieren, auch
wohl in ganz alexandrinischer Weise die gelungenen Produktionen wieder
poetisch feiern und vielfach durch Cliquenlob einen falschen und
ephemeren Ruhm erschwindeln. Ein namhafter und selbst in dieser neuen
Richtung poetisch taetiger Lehrer der lateinischen Literatur,
Valerius Cato, scheint ueber den angesehensten dieser Zirkel eine Art
Schulpatronat ausgeuebt und ueber den relativen Wert der Poesien
in letzter Instanz entschieden zu haben. Ihren griechischen Mustern
gegenueber sind diese roemischen Poeten durchgaengig unfrei, zuweilen
schuelerhaft abhaengig; die meisten ihrer Produkte werden nichts gewesen
sein als die herben Fruechte einer im Lernen begriffenen und noch
keineswegs als reif entlassenen Schuldichtung. Indem man in der Sprache
und im Mass weit enger, als je die volkstuemliche lateinische Poesie es
getan, an die griechischen Vorbilder sich anschmiegte, ward allerdings
eine groessere sprachliche und metrische Korrektheit und Konsequenz
erreicht; aber es geschah auf Kosten der Biegsamkeit und Fuelle des
nationalen Idioms. Stofflich erhielten unter dem Einfluss teils der
weichlichen Muster, teils der sittenlosen Zeit die erotischen Themen ein
auffallendes, der Poesie wenig zutraegliches Uebergewicht; doch wurden
auch die beliebten metrischen Kompendien der Griechen schon vielfach
uebersetzt, so das astronomische des Aratos von Cicero und entweder am
Ende dieser oder wahrscheinlicher am Anfang der folgenden Periode das
geographische Lehrbuch des Eratosthenes von Publius Varro von der Aude
und die physikalisch-medizinischen des Nikandros von Aemilius Macer.
Es ist weder zu verwundern noch zu bedauern, dass von dieser zahllosen
Dichterschar uns nur wenige Namen aufbehalten worden sind; und auch
diese werden meistens nur genannt als Kuriositaeten oder als
gewesene Groessen: so der Redner Quintus Hortensius mit seinen
"fuenfhunderttausend Zeilen" langweiliger Schluepfrigkeit und der etwas
haeufiger erwaehnte Laevius, dessen 'Liebesscherze' nur durch ihre
verwickelten Masse und manierierten Wendungen ein gewisses Interesse auf
sich zogen. Nun gar das Kleinepos 'Smyrna' des Gaius Helvius Cinna (+
710? 44), so sehr es von der Clique angepriesen ward, traegt sowohl in
dem Stoff, der geschlechtlichen Liebe der Tochter zu dem eigenen Vater,
wie in der neunjaehrigen darauf verwandten Muehsal die schlimmsten
Kennzeichen der Zeit an sich. Eine originelle und erfreuliche Ausnahme
machen allein diejenigen Dichter dieser Schule, die es verstanden,
mit der Sauberkeit und der Formgewandtheit derselben den in dem
republikanischen und namentlich dem landstaedtischen Leben noch
vorhandenen volkstuemlichen Gehalt zu verbinden. Es galt dies, um von
Laberius und Varro hier zu schweigen, namentlich von den drei schon
oben erwaehnten Poeten der republikanischen Opposition Marcus Furius
Bibaculus (652-691 102-63), Gaius Licinius Calvus (672-706 82-48)
und Quintus Valerius Catullus (667 bis ca. 700 87-54).
---------------------------------------------------- ^10 "Freilich",
sagt Cicero (Tusc. 3, 19, 45) in Beziehung auf Ennius, "wird der
herrliche Dichter von unseren Euphorionrezitierern verachtet." "Ich bin
gluecklich angelangt", schreibt derselbe an Atticus (7, 2 z. A.), "da
uns von Epirus herueber der guenstige Nordwind wehte. Diesen Spondaicus
kannst du, wenn du Lust hast, einem von den Neumodischen als dein eigen
verkaufen" (ita belle nobis flavit ab Epiro lenissumus Onchesmites.
Hunc spodeiazonta si cui voles t/o/n neoter/o/n pro tuo vendito).
---------------------------------------------------- Von den beiden
ersten, deren Schriften untergegangen sind, koennen wir dies freilich
nur mutmassen; ueber die Gedichte des Catullus steht auch uns noch ein
Urteil zu. Auch er haengt in Stoff und Form ab von den Alexandrinern.
Wir finden in seiner Sammlung Uebersetzungen von Stuecken des
Kallimachos und nicht gerade von den recht guten, sondern von den
recht schwierigen. Auch unter den Originalen begegnen gedrechselte
Modepoesien, wie die ueberkuenstlichen Galliamben zum Lobe der
Phrygischen Mutter; und selbst das sonst so schoene Gedicht von der
Hochzeit der Thetis ist durch die echt alexandrinische Einschachtelung
der Ariadneklage in das Hauptgedicht kuenstlerisch verdorben. Aber neben
diesen Schulstuecken steht die melodische Klage der echten Elegie, steht
das Festgedicht im vollen Schmuck individueller und fast dramatischer
Durchfuehrung, steht vor allem die solideste Kleinmalerei gebildeter
Geselligkeit, die anmutigen sehr ungenierten Maedchenabenteuer,
davon das halbe Vergnuegen im Ausschwatzen und Poetisieren der
Liebesgeheimnisse besteht, das liebe Leben der Jugend bei vollen Bechern
und leeren Beuteln, die Reise- und die Dichterlust; die roemische und
oefter noch die veronesische Stadtanekdote und der launige Scherz in dem
vertrauten Zirkel der Freunde. Jedoch nicht bloss in die Saiten greift
des Dichters Apoll, sondern er fuehrt auch den Bogen: der gefluegelte
Pfeil des Spottes verschont weder den langweiligen Versemacher noch
den sprachverderbenden Provinzialen, aber keinen trifft er oefter und
schaerfer als die Gewaltigen, von denen der Freiheit des Volkes Gefahr
droht. Die kurzzeiligen und kurzweiligen, oft von anmutigen
Refrains belebten Masse sind von vollendeter Kunst und doch ohne die
widerwaertige Glaette der Fabrik. Umeinander fuehren diese Gedichte
in das Nil- und in das Potal; aber in dem letzteren ist der Dichter
unvergleichlich besser zu Hause. Seine Dichtungen ruhen wohl auf der
alexandrinischen Kunst, aber doch auch auf dem buergerlichen, ja dem
landstaedtischen Selbstgefuehl, auf dem Gegensatz von Verona zu Rom, auf
dem Gegensatz des schlichten Munizipalen gegen die hochgeborenen, ihren
geringen Freunden gewoehnlich uebel mitspielenden Herren vom Senat, wie
er in Catulls Heimat, dem bluehenden und verhaeltnismaessig frischen
Cisalpinischen Gallien, lebendiger noch als irgendwo anders empfunden
werden mochte. In die schoensten seiner Lieder spielen die suessen
Bilder vom Gardasee hinein und schwerlich haette in dieser Zeit ein
Hauptstaedter ein Gedicht zu schreiben vermocht wie das tief empfundene
auf des Bruders Tod oder das brave, echt buergerliche Festlied zu der
Hochzeit des Manlius und der Arunculeia. Catullus, obwohl abhaengig
von den alexandrinischen Meistern und mitten in der Mode- und
Cliquendichtung jener Zeit stehend, war doch nicht bloss ein guter
Schueler unter vielen maessigen und schlechten, sondern seinen Meistern
selbst um so viel ueberlegen, als der Buerger einer freien italischen
Gemeinde mehr war als der kosmopolitische hellenische Literat. Eminente
schoepferische Kraft und hohe poetische Intentionen darf man freilich
bei ihm nicht suchen; er ist ein reichbegabter und anmutiger, aber kein
grosser Poet, und seine Gedichte sind, wie er selbst sie nennt, nichts
als "Scherze und Torheiten". Aber wenn nicht bloss die Zeitgenossen
von diesen fluechtigen Liedchen elektrisiert wurden, sondern auch
die Kunstkritiker der augustischen Zeit ihn neben Lucretius als
den bedeutendsten Dichter dieser Epoche bezeichnen, so hatten die
Zeitgenossen wie die Spaeteren vollkommen recht. Die lateinische Nation
hat keinen zweiten Dichter hervorgebracht, in dem der kuenstlerische
Gehalt und die kuenstlerische Form in so gleichmaessiger Vollendung
wiedererscheinen wie bei Catullus; und in diesem Sinne ist Catullus'
Gedichtsammlung allerdings das Vollkommenste, was die lateinische Poesie
ueberhaupt aufzuweisen vermag. Es beginnt endlich in dieser Epoche
die Dichtung in prosaischer Form. Das bisher unwandelbar festgehaltene
Gesetz der echten, naiven wie bewussten, Kunst, dass der poetische Stoff
und die metrische Fassung sich einander bedingen, weicht der Vermischung
und Truebung aller Kunstgattungen und Kunstformen, welche zu den
bezeichnendsten Zuegen dieser Zeit gehoert. Zwar von Romanen ist noch
weiter nichts anzufuehren, als dass der beruehmteste Geschichtschreiber
dieser Epoche, Sisenna, sich nicht fuer zu gut hielt, die viel gelesenen
Milesischen Erzaehlungen des Aristeides, schluepfrige Modenovellen der
plattesten Sorte, ins Lateinische zu uebersetzen. Eine originellere und
erfreulichere Erscheinung auf diesem zweifelhaften poetisch-prosaischen
Grenzgebiet sind die aesthetischen Schriften Varros, der nicht bloss
der bedeutendste Vertreter der lateinischen philologisch-historischen
Forschung, sondern auch in der schoenen Literatur einer der
fruchtbarsten und interessantesten Schriftsteller ist. Einem in der
sabinischen Landschaft heimischen, dem roemischen Senat seit zweihundert
Jahren angehoerigen Plebejergeschlechte entsprossen, streng in
altertuemlicher Zucht und Ehrbarkeit erzogen ^11 und bereits am Anfang
dieser Epoche ein reifer Mann, gehoerte Marcus Terentius Varro von
Reate (638-727 116-27) politisch, wie sich von selbst versteht, der
Verfassungspartei an und beteiligte sich ehrlich und energisch an ihrem
Tun und Leiden. Er tat dies teils literarisch, indem er zum Beispiel
die erste Koalition, das "dreikoepfige Ungeheuer" in Flugschriften
bekaempfte, teils im ernsteren Kriege, wo wir ihn im Heere des Pompeius
als Kommandanten des Jenseitigen Spaniens fanden. Als die Sache
der Republik verloren war, ward Varro von seinem Ueberwinder zum
Bibliothekar der neu zu schaffenden Bibliothek in der Hauptstadt
bestimmt. Die Wirren der folgenden Zeit rissen den alten Mann noch
einmal in ihren Strudel hinein, und erst siebzehn Jahre nach Caesars
Tode, im neunundachtzigsten seines wohlausgefuellten Lebens rief der Tod
ihn ab. Die aesthetischen Schriften, die ihm einen Namen gemacht haben,
waren kuerzere Aufsaetze, teils einfach prosaische ernsteren Inhalts,
teils launige Schilderungen, deren prosaisches Grundwerk
vielfach eingelegte Poesien durchwirken. Jenes sind die
'Philosophisch-historischen Abhandlungen' (logistorici), dies die
Menippischen Satiren. Beide schliessen nicht an lateinische Vorbilder
sich an, namentlich die Varronische Satura keineswegs an die Lucilische;
wie denn ueberhaupt die roemische Satura nicht eigentlich eine
feste Kunstgattung, sondern nur negativ das bezeichnet, dass "das
mannigfaltige Gedicht" zu keiner der anerkannten Kunstgattungen gezaehlt
sein will und darum denn auch die Saturapoesie bei jedem begabten Poeten
wieder einen andern und eigenartigen Charakter annimmt. Es war vielmehr
die voralexandrinische griechische Philosophie, in der Varro die Muster
fuer seine strengeren wie fuer seine leichteren aesthetischen Arbeiten
fand: fuer die ernsteren Abhandlungen in den Dialogen des Herakleides
von Herakleia am Schwarzen Meer (+ um 450 300), fuer die Satiren in den
Schriften des Menippos von Gadara in Syrien (blueht um 475 280). Die
Wahl war bezeichnend. Herakleides, als Schriftsteller angeregt durch
Platons philosophische Gespraeche, hatte ueber deren glaenzende Form
den wissenschaftlichen Inhalt gaenzlich aus den Augen verloren und die
poetisch- fabulistische Einkleidung zur Hauptsache gemacht; er war
ein angenehmer und vielgelesener Autor, aber nichts weniger als
ein Philosoph. Menippos war es ebensowenig, sondern der echteste
literarische Vertreter derjenigen Philosophie, deren Weisheit darin
besteht, die Philosophie zu leugnen und die Philosophen zu verhoehnen,
der Hundeweisheit des Diogenes; ein lustiger Meister ernsthafter
Weisheit, bewies er in Exempeln und Schnurren, dass ausser dem
rechtschaffenen Leben alles auf Erden und im Himmel eitel sei, nichts
aber eitler als der Hader der sogenannten Weisen. Dies waren die rechten
Muster fuer Varro, einen Mann voll altroemischen Unwillens ueber die
erbaermliche Zeit und voll altroemischer Laune, dabei durchaus nicht
ohne plastisches Talent, aber fuer alles, was nicht wie Bild und
Tatsache aussah, sondern wie Begriff oder gar wie System, vollstaendig
vernagelt und vielleicht den unphilosophischsten unter den
unphilosophischen Roemern ^12. Allein Varro war kein unfreier Schueler.
Die Anregung und im allgemeinen die Form entlehnte er von Herakleides
und Mennippos; aber er war eine zu individuelle und zu entschieden
roemische Natur, um nicht seine Nachschoepfungen wesentlich selbstaendig
und national zu halten. Fuer seine ernsten Abhandlungen, in denen ein
moralischer Satz oder sonst ein Gegenstand von allgemeinem Interesse
behandelt ward, verschmaehte er in der Fabulierung an die Milesischen
Maerchen zu streifen, wie Herakleides es getan, und so gar kinderhafte
Geschichten wie die vom Abaris und von dem nach siebentaegigem Tode
wieder zum Leben erwachenden Maedchen dem Leser aufzutischen. Nur selten
entnahm er die Einkleidung den edleren Mythen der Griechen, wie in
dem Aufsatz 'Orestes oder vom Wahnsinn'; regelmaessig gab ihm einen
wuerdigeren Rahmen fuer seine Stoffe die Geschichte, namentlich die
gleichzeitige vaterlaendische, wodurch diese Aufsaetze zugleich, wie sie
auch heissen, 'Lobschriften' wurden auf geachtete Roemer, vor allem
auf die Koryphaeen der Verfassungspartei. So war die Abhandlung 'Vom
Frieden' zugleich eine Denkschrift auf Metellus Pius, den letzten in der
glaenzenden Reihe der gluecklichen Feldherrn des Senats; die 'Von der
Goetterverehrung' zugleich bestimmt, das Andenken an den hochgeachteten
Optimaten und Pontifex Gaius Curio zu bewahren; der Aufsatz 'Ueber das
Schicksal' knuepfte an Marius an, der 'Ueber die Geschichtschreibung'
an den ersten Historiker dieser Epoche, Sisenna, der 'Ueber die Anfaenge
der roemischen Schaubuehne' an den fuerstlichen Spielgeber Scaurus, der
'Ueber die Zahlen' an den feingebildeten roemischen Bankier Atticus.
Die beiden philosophisch-historischen Aufsaetze 'Laelius oder von der
Freundschaft, 'Cato oder vom Alter', welche Cicero, wahrscheinlich nach
dem Muster der Varronischen, schrieb, moegen von Varros halb lehrhafter,
halb erzaehlender Behandlung dieser Stoffe ungefaehr eine Vorstellung
geben. ------------------------------------------------------ ^11 "Mir
als Knaben", sagt er irgendwo, "genuegte ein einziger Flausrock und ein
einziges Unterkleid, Schuhe ohne Struempfe, ein Pferd ohne Sattel; ein
warmes Bad hatte ich nicht taeglich, ein Flussbad selten." Wegen
seiner persoenlichen Tapferkeit erhielt er im Piratenkrieg, wo er eine
Flottenabteilung fuehrte, den Schiffskranz. ^12 Etwas Kindischeres gibt
es kaum als Varros Schema der saemtlichen Philosophien, das erstlich
alle nicht die Beglueckung des Menschen als letztes Ziel aufstellenden
Systeme kurzweg fuer nicht vorhanden erklaert und dann die Zahl
der unter dieser Voraussetzung denkbaren Philosophien auf
zweihundertachtundachtzig berechnet. Der tuechtige Mann war leider zu
sehr Gelehrter um einzugestehen, dass er Philosoph weder sein koenne
noch sein moege, und hat deshalb als solcher zeit seines Lebens zwischen
Stoa, Pythagoreismus und Diogenismus einen nicht schoenen Eiertanz
aufgefuehrt. ------------------------------------------------------
Ebenso originell in Form und Inhalt ward von Varro die Menippische
Satire behandelt; die dreiste Mischung von Prosa und Versen ist dem
griechischen Original fremd und der ganze geistige Inhalt von roemischer
Eigentuemlichkeit, man moechte sagen von sabinischem
Erdgeschmack durchdrungen. Auch diese Satiren behandeln, wie die
philosophisch-historischen Aufsaetze, irgendein moralisches oder sonst
fuer das groessere Publikum geeignetes Thema, wie dies schon einzelne
Titel zeigen: 'Hercules' Saeulen oder vom Ruhm'; 'Der Topf findet den
Deckel oder von den Pflichten des Ehemanns'; 'Der Nachttopf hat
sein Mass oder vom Zechen'; 'Papperlapapp oder von der Lobrede'.
Die plastische Einkleidung, die auch hier nicht fehlen durfte, ist
natuerlich der vaterlaendischen Geschichte nur selten entlehnt, wie
in der Satire 'Serranus oder von den Wahlen'. Dagegen spielt die
Diogenische Hundewelt wie billig eine grosse Rolle: es begegnen der Hund
Gelehrter, der Hund Rhetor, der Ritter-Hund, der Wassertrinker-Hund,
der Hundekatechismus und dergleichen mehr. Ferner wird die Mythologie zu
komischen Zwecken in Kontribution gesetzt: wir finden einen 'Befreiten
Prometheus', einen 'Strohernen Aias', einen 'Herkules Sokratiker', einen
'Anderthalb Odysseus', der nicht bloss zehn, sondern fuenfzehn Jahre in
Irrfahrten sich umhergetrieben hat. Der dramatisch-novellistische Rahmen
schimmert in einzelnen Stuecken, zum Beispiel im 'Befreiten Prometheus',
in dem 'Mann von sechzig Jahren', im 'Fruehauf' noch aus den
Truemmern hervor; es scheint, dass Varro die Fabel haeufig, vielleicht
regelmaessig als eigenes Erlebnis erzaehlte, wie zum Beispiel im
'Fruehauf' die handelnden Personen zum Varro hingehen und ihm Vortrag
halten, "da er als Buechermacher ihnen bekannt war". Ueber den
poetischen Wert dieser Einkleidung ist uns ein sicheres Urteil nicht
mehr gestattet; einzeln begegnen noch in unseren Truemmern allerliebste
Schilderungen voll Witz und Lebendigkeit - so eroeffnet im 'Befreiten
Prometheus' der Heros nach Loesung seiner Fesseln eine Menschenfabrik,
in welcher Goldschuh, der Reiche, sich ein Maedchen bestellt von Milch
und feinstem Wachs, wie es die milesischen Bienen aus mannigfachen
Blueten sammeln, ein Maedchen ohne Knochen und Sehnen, ohne Haut und
Haar, rein und fein, schlank, glatt, zart, allerliebst. Der Lebensatem
dieser Dichtung ist die Polemik - nicht so sehr die politische der
Partei, wie Lucilius und Catullus sie uebten, sondern die allgemeine
sittliche des strengen Alten gegen die zuegellose und verkehrte Jugend,
des in seinen Klassikern lebenden Gelehrten gegen die lockere und
schofle oder doch ihrer Tendenz nach verwerfliche moderne Poesie ^13,
des guten Buergers von altem Schlag gegen das neue Rom, in dem der
Markt, mit Varro zu reden, ein Schweinestall ist und Numa, wenn er auf
seine Stadt den Blick wendet, keine Spur seiner weisen Satzungen mehr
gewahrt. Varro tat in dem Verfassungskampf, was ihm Buergerpflicht
schien; aber sein Herz war bei diesem Parteitreiben nicht - "warum",
klagt er einmal, "riefet ihr mich aus meinem reinen Leben in den
Rathausschmutz?" Er gehoerte der guten alten Zeit an, wo die Rede nach
Zwiebeln und Knoblauch duftete, aber das Herz gesund war. Nur eine
einzelne Seite dieser altvaeterischen Opposition gegen den Geist der
neuen Zeit ist die Polemik gegen die Erbfeinde des echten Roemertums,
die griechischen Weltweisen; aber es lag sowohl im Wesen der
Hundephilosophie als in Varros Naturell, dass die menippische Geissel
ganz besonders den Philosophen um die Ohren schwirrte und sie denn auch
in angemessene Angst versetzte - nicht ohne Herzklopfen uebersandten
die philosophischen Skribenten der Zeit dem "scharfen Mann" ihre neu
erschienenen Traktate. Das Philosophieren ist wahrlich keine Kunst. Mit
dem zehnten Teil der Muehe, womit der Herr den Sklaven zum Kunstbaecker
erzieht, bildet er selbst sich zum Philosophen; freilich, wenn dann
der Baecker und der Philosoph beide unter den Hammer kommen, geht der
Kuchenkuenstler hundertmal teurer weg als der Weltweise. Sonderbare
Leute, diese Philosophen! Der eine befiehlt, die Leichen in Honig
beizusetzen - ein Glueck, dass man ihm nicht den Willen tut, wo bliebe
sonst der Honigwein? Der andere meint, dass die Menschen wie die Kresse
aus der Erde gewachsen sind. Der dritte hat einen Weltbohrer
erfunden, durch den die Erde einst untergehen wird.
-------------------------------------------------------- ^13 "Willst du
etwa", schreibt er einmal, "die Redefiguren und Verse des Quintussklaven
Clodius abgurgeln und ausrufen: O Geschick! o Schicksalsgeschick!"
Anderswo: "Da der Quintussklave Clodius eine solche Anzahl von Komoedien
ohne irgendeine Muse gemacht hat, sollte ich da nicht einmal ein
einziges Buechlein mit Ennius zu reden 'fabrizieren' koennen?" Dieser
sonst nicht bekannte Clodius muss wohl ein schlechter Nachahmer des
Terenz gewesen sein, da zumal jene ihm spoettisch heimgegebenen Worte:
"O Geschick! o Schicksalsgeschick!" in einem Terenzischen Lustspiel
sich wiederfinden. Die folgende Selbstvorstellung eines Poeten in Varros
'Esel beim Lautenspiel': Schueler mich heisst man Pacuvs; er dann war
des Ennius Schueler, Dieser der Musen; ich selbst nenne Pompilius mich
koennte fueglich die Einleitung des Lucretius parodieren, dem Varro
schon als abgesagter Feind des epikurischen Systems nicht
geneigt gewesen sein kann und den er nie anfuehrt.
-------------------------------------------------------- Gewiss, niemals
hat ein Kranker etwas je getraeumt So toll, was nicht gelehrt schon
haette ein Philosoph. Es ist spasshaft anzusehen, wie so ein Langbart-
der etymologisierende Stoiker ist gemeint - ein jedes Wort bedaechtig
auf der Goldwaage waegt; aber nichts geht doch ueber den echten
Philosophenzank - ein stoischer Faustkampf uebertrifft weit jede
Athletenbalgerei. In der Satire 'Die Marcusstadt oder vom Regimente', wo
Marcus sich ein Wolkenkuckucksheim nach seinem Herzen schuf, erging es,
ebenwie in dem attischen, dem Bauern gut, dem Philosophen aber uebel;
der Schnell-durch-ein-Glied-Beweis (Celer-di?-enos-l/e/mmatos-logos),
Antipatros, des Stoikers Sohn, schlaegt darin seinem Gegner, offenbar
dem philosophischen Zweiglied (Dilemma), mit der Feldhacke den Schaedel
ein. Mit dieser sittlich polemischen Tendenz und diesem Talent, einen
kaustischen und pittoresken Ausdruck fuer sie zu finden, das, wie die
dialogische Einkleidung der im achtzigsten Jahre geschriebenen Buecher
vom Landbau beweist, bis in das hoechste Alter ihn nicht verliess,
vereinigte sich auf das gluecklichste Varros unvergleichliche Kunde der
nationalen Sitte und Sprache, die in den philologischen Schriften seines
Greisenalters kollektaneenartig, hier aber in ihrer ganzen unmittelbaren
Fuelle und Frische sich entfaltet. Varro war im besten und vollsten
Sinne des Wortes ein Lokalgelehrter, der seine Nation in ihrer
ehemaligen Eigentuemlichkeit und Abgeschlossenheit wie in ihrer modernen
Verschliffenheit und Zerstreuung aus vieljaehriger eigener Anschauung
kannte und seine unmittelbare Kenntnis der Landessitte und Landessprache
durch die umfassendste Durchforschung der geschichtlichen und
literarischen Archive ergaenzt und vertieft hatte. Was insofern an
verstandesmaessiger Auffassung und Gelehrsamkeit in unserem Sinn ihm
abging, das gewann die Anschauung und die in ihm lebendige Poesie. Er
haschte weder nach antiquarischen Notizen noch nach seltenen veralteten
oder poetischen Woertern ^14; aber er selbst war ein alter und
altfraenkischer Mann und beinah ein Bauer, die Klassiker seiner Nation
ihm liebe, langgewohnte Genossen; wie konnte es fehlen, dass von der
Sitte der Vaeter, die er ueber alles liebte und vor allen kannte,
gar vielerlei in seinen Schriften erzaehlt ward, und dass seine
Rede ueberfloss von sprichwoertlichen griechischen und lateinischen
Wendungen, von guten alten, in der sabinischen Umgangssprache bewahrten
Woertern, von Ennianischen, Lucilischen, vor allem Plautinischen
Reminiszenzen? Den Prosastil dieser aesthetischen Schriften aus Varros
frueherer Zeit darf man sich nicht vorstellen nach dem seines im
hohen Alter geschriebenen und wahrscheinlich im unfertigen Zustand
veroeffentlichten sprachwissenschaftlichen Werkes, wo allerdings die
Satzglieder am Faden der Relative aufgereiht werden wie die Drosseln an
der Schnur; dass aber Varro grundsaetzlich die strenge Stilisierung und
die attische Periodisierung verwarf, wurde frueher schon bemerkt, und
seine aesthetischen Aufsaetze waren zwar ohne den gemeinen Schwulst und
die falschen Flitter des Vulgarismus, aber in mehr lebendig gefuegten
als wohl gegliederten Saetzen unklassisch und selbst schluderig
geschrieben. Die eingelegten Poesien dagegen bewiesen nicht bloss, dass
ihr Urheber die mannigfaltigsten Masse meisterlich wie nur einer der
Modepoeten zu bilden verstand, sondern auch, dass er ein Recht hatte,
denen sich zuzuzaehlen, welchen ein Gott es vergoennt hat, "die Sorgen
aus dem Herzen zu bannen durch das Lied und die heilige Dichtkunst"
^15. Schule machte die Varronische Skizze so wenig wie das Lucretische
Lehrgedicht; zu den allgemeineren Ursachen kam hier noch hinzu das
durchaus individuelle Gepraege derselben, welches unzertrennlich war von
dem hoeheren Alter, der Bauernhaftigkeit und selbst von der eigenartigen
Gelehrsamkeit ihres Verfassers. Aber die Anmut und Laune vor allem der
menippischen Satiren, welche an Zahl wie an Bedeutung Varros ernsteren
Arbeiten weit ueberlegen gewesen zu sein scheinen, fesselte die
Zeitgenossen sowohl wie diejenigen Spaeteren, die fuer Originalitaet und
Volkstuemlichkeit Sinn hatten; und auch wir noch, denen es nicht mehr
vergoennt ist, sie zu lesen, moegen aus den erhaltenen Bruchstuecken
einigermassen es nachempfinden, dass der Schreiber "es verstand, zu
lachen und mit Mass zu scherzen". Und schon als der letzte Hauch des
scheidenden guten Geistes der alten Buergerzeit, als der juengste
gruene Spross, den die volkstuemliche lateinische Poesie getrieben hat,
verdienten es Varros Satiren, dass der Dichter in seinem poetischen
Testament diese seine menippischen Kinder jedem empfahl, Dem da Romas
liegt und Latiums Bluehen am Herzen, und sie behaupten denn auch einen
ehrenvollen Platz in der Literatur wie in der Geschichte des italischen
Volkes ^16. ---------------------------------------------- ^14 Er selbst
sagt einmal treffend, dass er veraltete Woerter nicht besonders liebe,
aber oefter brauche, poetische Woerter sehr liebe, aber nicht brauche.
^15 Die folgende Schilderung ist dem 'Marcussklaven' entnommen: Auf
einmal, um die Zeit der Mitternacht etwa, Als uns mit Feuerflammen
weit und breit gestickt Der luftige Raum den Himmelssternenreigen wies,
Umschleierte des Himmels goldenes Gewoelb Mit kuehlem Regenflor der
raschen Wolken Zug, Hinab das Wasser schuettend auf die Sterblichen, Und
schossen, los sich reissend von dem eisigen Pol, Die Wind', heran, des
Grossen Baeren tolle Brut, Fortfuehrend mit sich Ziegel, Zweig' und
Wetterwust. Doch wir, gestuerzt, schiffbruechig, gleich der Stoerche
Schwarm, Die an zweizackigen Blitzes Glut die Fluegel sich Versengt, wir
fielen traurig jaeh zur Erd' hinab. In der 'Menschenstadt' heisst es:
Nicht wird frei dir die Brust durch Gold und Fuelle der Schaetze; Nicht
dem Sterblichen nimmt von der Seele der persische Goldberg Sorg' und
Furcht, und auch der Saal nicht Crassus des Reichen. Aber auch leichtere
Weise gelang dem Dichter. In 'Der Topf hat sein Mass' stand folgender
zierliche Lobspruch auf den Wein: Es bleibt der Wein fuer jedermann der
beste Trank. Er ist das Mittel, das den Kranken macht gesund; Er ist der
suesse Keimeplatz der Froehlichkeit, Er ist der Kitt, der Freundeskreis
zusammenhaelt. Und in dem 'Weltbohrer' schliesst der heimkehrende
Wandersmann also seinen Zuruf an die Schiffer: Lasst schiessen die
Zuegel dem leisesten Hauch, Bis dass uns des frischeren Windes Geleit
Rueckfuehrt in die liebliche Heimat! ^16 Die Skizzen Varros haben eine
so ungemeine historische und selbst poetische Bedeutsamkeit und sind
doch infolge der truemmerhaften Gestalt, in der uns die Kunde davon
zugekommen ist, so wenigen bekannt und so verdriesslich kennenzulernen,
dass es wohl erlaubt sein wird, einige derselben hier mit der wenigen
zur Lesbarkeit unumgaenglichen Restauration zu resuemieren. Die Satire
'Fruehauf' schildert die laendliche Haushaltung. "Fruehauf ruft mit der
Sonne zum Aufstehen und fuehrt selbst die Leute auf den Arbeitsplatz.
Die Jungen machen selbst sich ihr Bett, das die Arbeit ihnen weich
macht, und stellen sich selber Wasserkrug und Lampe dazu. Der Trank ist
der klare frische Quell, die Kost Brot und als Zubrot Zwiebeln. In Haus
und Feld gedeiht alles. Das Haus ist kein Kunstbau; aber der Architekt
koennte Symmetrie daran lernen. Fuer den Acker wird gesorgt, dass er
nicht unordentlich und wuest in Unsauberkeit und Vernachlaessigung
verkomme; dafuer wehrt die dankbare Ceres den Schaden von der Frucht,
dass die Schober hochgeschichtet das Herz des Landmannes erfreuen. Hier
gilt noch das Gastrecht; willkommen ist, wer nur Muttermilch gesogen
hat. Brotkammer und Weinfass und der Wurstvorrat am Hausbalken,
Schluessel und Schloss sind dem Wandersmann dienstwillig, und hoch
tuermen vor ihm die Speisen sich auf; zufrieden sitzt der gesaettigte
Gast, nicht vor- noch rueckwaerts schauend, nickend am Herde in der
Kueche. Zum Lager wird der waermste doppelwollige Schafpelz fuer ihn
ausgebreitet. Hier gehorcht man noch als guter Buerger dem gerechten
Gesetz, das weder aus Missgunst Unschuldigen zu nahe tritt, noch
aus Gunst Schuldigen verzeiht. Hier redet man nicht Boeses wider den
Naechsten. Hier rekelt man nicht mit den Fuessen auf dem heiligen Herd,
sondern ehrt die Goetter mit Andacht und mit Opfern, wirft dem Hausgeist
sein Stueckchen Fleisch in das bestimmte Schuesselchen und geleitet,
wenn der Hausherr stirbt, die Bahre mit demselben Gebet, mit welchem die
des Vaters und des Grossvaters hinweggetragen wurde." In einer anderen
Satire tritt ein "Lehrer der Alten auf, dessen die gesunkene Zeit
dringender zu beduerfen scheint als des Jugendlehrers, und setzt
auseinander, "wie einst alles in Rom keusch und fromm war und jetzt
alles so ganz anders ist". "Truegt mich mein Auge oder sehe ich Sklaven
in Waffen gegen ihre Herren? - Einst ward, wer zur Aushebung sich nicht
stellte, von Staats wegen als Sklave in die Fremde verkauft; jetzt
heisst [der Aristokratie, 2, 225; 3, 358; 4, 103 u. 330] der Zensor, der
Feigheit und alles hingehen laesst, ein grosser Buerger und erntet Lob,
dass er nicht darauf aus ist, sich durch Kraenkung der Mitbuerger einen
Namen zu machen. - Einst liess der roemische Bauer sich alle Woche
einmal den Bart scheren; jetzt kann der Ackersklave es nicht fein genug
haben. - Einst sah man auf den Guetern einen Kornspeicher, der zehn
Ernten fasste, geraeumige Keller fuer die Weinfaesser und entsprechende
Keltern; jetzt haelt der Herr sich Pfauenherden und laesst seine Tueren
mit afrikanischem Zypressenholz einlegen. - Einst drehte die Hausfrau
mit der Hand die Spindel und hielt dabei den Topf auf dem Herd im Auge,
damit der Brei nicht verbrenne; jetzt" - heisst es in einer andern
Satire -"bettelt die Tochter den Vater um ein Pfund Edelsteine, das
Weib den Mann um einen Scheffel Perlen an. - Einst war der Mann in der
Brautnacht stumm und bloede; jetzt gibt die Frau sich dem ersten besten
Kutscher preis. - Einst war der Kindersegen der Stolz des Weibes, jetzt,
wenn der Mann sich Kinder wuenscht, antwortet sie: Weisst du nicht,
was Ennius sagt?: Lieber will ich ja das Leben dreimal wagen in der
Schlacht, Als ein einzig Mal gebaeren. - Einst war die Frau vollkommen
zufrieden, wenn der Mann ein- oder zweimal im Jahre sie in dem
ungepolsterten Wagen ueber Land fuhr"; jetzt - konnte er hinzusetzen
(vgl. Cic. Mil. 21, 55) - schmollt die Frau, wenn der Mann ohne sie auf
sein Landgut geht, und folgt der reisenden Dame das elegante griechische
Bedientengesindel und die Kapelle nach auf die Villa." In einer Schrift
der ernsteren Gattung 'Catus oder die Kinderzucht' belehrt Varro
den Freund, der ihn deswegen um Rat gefragt, nicht bloss ueber die
Gottheiten, denen nach altem Brauch fuer der Kinder Wohl zu opfern war,
sondern, hinweisend auf die verstaendigere Kindererziehung der Perser
und auf seine eigene streng verlebte Jugend, warnt er vor ueberfuettern
und ueberschlafen, vor suessem Brot und feiner Kost - die jungen Hunde,
meint der Alte, werden jetzt verstaendiger genaehrt als die Kinder -,
ebenso vor dem Besiebnen und Besegnen, das in Krankheitsfaellen so oft
die Stelle des aerztlichen Rates vertrat. Er raet, die Maedchen zum
Sticken anzuhalten, damit sie spaeter die Stickereien und Webereien
richtig zu beurteilen verstaenden, und sie nicht zu frueh das
Kinderkleid ablegen zu lassen; er warnt davor, die Knaben in die
Fechterspiele zu fuehren, in denen frueh das Herz verhaertet und die
Grausamkeit gelernt wird. In dem 'Mann von sechzig Jahren' erscheint
Varro als ein roemischer Epimenides, der, als zehnjaehriger Knabe
eingeschlafen, nach einem halben Jahrhundert wiedererwacht. Er
staunt darueber, statt seines glattgeschorenen Knabenkopfes ein altes
Glatzhaupt wiederzufinden, mit haesslicher Schnauze und wuesten Borsten
gleich dem Igel; mehr noch aber staunt er ueber das verwandelte Rom.
Die lucrinischen Austern, sonst eine Hochzeitschuessel, sind jetzt ein
Alltagsgericht; dafuer ruestet denn auch der bankrotte Schlemmer im
stillen die Brandfackel. Wenn sonst der Vater dem Knaben vergab, so ist
jetzt das Vergeben an den Knaben gekommen; das heisst, er vergibt
dem Vater mit Gift. Der Wahlplatz ist zur Boerse geworden, der
Kriminalprozess zur Goldgrube fuer die Geschworenen. Keinem Gesetze wird
noch gehorcht, ausser dem einen, dass nichts fuer nichts gegeben wird.
Alle Tugenden sind geschwunden; dafuer begruessen den Erwachten als neue
Insassen die Gotteslaesterung, die Wortlosigkeit, die Geilheit. "O wehe
dir, Marcus, ueber solchen Schlaf und solches Erwachen!" Die Skizze
gleicht der catilinarischen Zeit, kurz nach welcher (um 697 57) sie
der alte Mann geschrieben haben muss, und es lag eine Wahrheit in der
bitteren Schlusswendung, wo der Marcus, gehoerig ausgescholten wegen
seiner unzeitgemaessen Anklagen und antiquarischen Reminiszenzen, mit
parodischer Anwendung einer uralten roemischen Sitte, als unnuetzer
Greis auf die Bruecke geschleppt und in den Tiber gestuerzt wird. Es
war allerdings fuer solche Maenner in Rom kein Platz mehr.
---------------------------------------------- Zu einer kritischen
Geschichtschreibung in der Art, wie die Nationalgeschichte von den
Attikern in ihrer klassischen Zeit, wie die Weltgeschichte von Polybios
geschrieben ward, ist man in Rom eigentlich niemals gelangt. Selbst
auf dem dafuer am meisten geeigneten Boden, in der Darstellung der
gleichzeitigen und der juengst vergangenen Ereignisse, blieb es im
ganzen bei mehr oder minder unzulaenglichen Versuchen; in der Epoche
namentlich von Sulla bis auf Caesar wurden die nicht sehr bedeutenden
Leistungen, welche die vorhergehende auf diesem Gebiet aufzuweisen
hatte, die Arbeiten Antipaters und Asellios, kaum auch nur erreicht.
Das einzige diesem Gebiete angehoerende namhafte Werk, das in der
gegenwaertigen Epoche entstand, ist des Lucius Cornelius Sisenna
(Praetor 676 78) Geschichte des Bundesgenossen- und Buergerkrieges.
Von ihr bezeugen die, welche sie lasen, dass sie an Lebendigkeit und
Lesbarkeit die alten trockenen Chroniken weit uebertraf, dafuer aber in
einem durchaus unreinen und selbst in das Kindische verfallenden Stil
geschrieben war; wie denn auch die wenigen uebrigen Bruchstuecke
eine kleinliche Detailmalerei des Graesslichen ^17 und eine Menge
neugebildeter oder der Umgangssprache entnommener Woerter aufzeigen.
Wenn noch hinzugefuegt wird, dass das Muster des Verfassers und
sozusagen der einzige ihm gelaeufige griechische Historiker Kleitarchos
war, der Verfasser einer zwischen Geschichte und Fiktion schwankenden
Biographie Alexanders des Grossen in der Art des Halbromans, der den
Namen des Curtius traegt, so wird man nicht anstehen, in Sisennas
vielgeruehmtem Geschichtswerk nicht ein Erzeugnis echter historischer
Kritik und Kunst zu erkennen, sondern den ersten roemischen Versuch
in der bei den Griechen so beliebten Zwittergattung von Geschichte und
Roman, welche das tatsaechliche Grundwerk durch erfundene Ausfuehrung
lebendig und interessant machen moechte und es dadurch schal und unwahr
macht; und es wird nicht ferner Verwunderung erregen demselben
Sisenna auch als Uebersetzer griechischer Moderomane zu begegnen.
---------------------------------------------- ^17 "Die Unschuldigen",
hiess es in einer Rede, "zitternd an allen Gliedern, schleppst du heraus
und am hohen Uferrande des Flusses beim Morgengrauen (laessest du sie
schlachten)." Solche ohne Muehe einer Taschenbuchsnovelle einzufuegende
Phrasen begegnen mehrere. ----------------------------------------------
Dass es auf dem Gebiet der allgemeinen Stadt- und gar der Weltchronik
noch weit erbaermlicher aussah, lag in der Natur der Sache. Die
steigende Regsamkeit der antiquarischen Forschung liess erwarten,
dass aus Urkunden und sonstigen zuverlaessigen Quellen die gangbare
Erzaehlung rektifiziert werden wuerde; allein diese Hoffnung erfuellte
sich nicht. Je mehr und je tiefer man forschte, desto deutlicher trat
es hervor, was es hiess, eine kritische Geschichte Roms schreiben.
Schon die Schwierigkeiten, die der Forschung und Darstellung sich
entgegenstellten, waren unermesslich; aber die bedenklichsten
Hindernisse waren nicht die literarischer Art. Die konventionelle
Urgeschichte Roms, wie sie jetzt seit wenigstens zehn Menschenaltern
erzaehlt und geglaubt ward, war mit dem buergerlichen Leben der Nation
aufs innigste zusammengewachsen; und doch musste bei jeder eingehenden
und ehrlichen Forschung nicht bloss einzelnes hie und da modifiziert,
sondern das ganze Gebaeude so gut umgeworfen werden wie die fraenkische
Urgeschichte vom Koenig Pharamund und die britische vom Koenig Arthur.
Ein konservativ gesinnter Forscher, wie zum Beispiel Varro war, konnte
an dieses Werk nicht Hand legen wollen; und haette ein verwegener
Freigeist sich dazu gefunden, so wuerde gegen diesen schlimmsten aller
Revolutionaere, der der Verfassungspartei sogar ihre Vergangenheit
zu nehmen Anstalt machte, von allen guten Buergern das "Kreuzige"
erschollen sein. So fuehrte die philologische und antiquarische
Forschung von der Geschichtschreibung mehr ab als zu ihr hin. Varro
und die Einsichtigeren ueberhaupt gaben die Chronik als solche offenbar
verloren; hoechstens dass man, wie Titus Pomponius Atticus tat,
die Beamten- und Geschlechtsverzeichnisse in tabellarischer
Anspruchslosigkeit zusammenstellte - ein Werk uebrigens, durch das die
synchronistische griechisch-roemische Jahrzaehlung in der Weise, wie
sie den Spaeteren konventionell feststand, zum Abschluss gefuehrt
worden ist. Die Stadtchronikenfabrik stellte aber darum ihre Taetigkeit
natuerlich nicht ein, sondern fuhr fort zu der grossen, von der
Langenweile fuer die Langeweile geschriebenen Bibliothek ihre Beitraege
so gut in Prosa wie in Versen zu liefern, ohne dass die Buchmacher, zum
Teil bereits Freigelassene, um die eigentliche Forschung irgend sich
bekuemmert haetten. Was uns von diesen Schriften genannt wird - erhalten
ist keine derselben -, scheint nicht bloss durchaus untergeordneter
Art, sondern grossenteils sogar von unlauterer Faelschung durchdrungen
gewesen zu sein. Zwar die Chronik des Quintus Claudius Quadrigarius
(um 676? 78) war in einem altmodischen, aber guten Stil geschrieben
und befliss in der Darstellung der Fabelzeit sich wenigstens einer
loeblichen Kuerze. Aber wenn Gaius Licinius Macer (+ als gewesener
Praetor 688 66), des Dichters Calvus Vater und ein eifriger Demokrat,
mehr als irgendein anderer Chronist auf Urkundenforschung und Kritik
Anspruch machte, so sind seine "leinenen Buecher" und anderes ihm
Eigentuemliche im hoechsten Grade verdaechtig und wird wahrscheinlich
eine sehr umfassende und zum Teil in die spaeteren Annalisten
uebergegangene Interpolation der gesamten Chronik zu demokratisch-
tendenzioesen Zwecken auf ihn zurueckgehen. Valerius Antias endlich
uebertraf in der Weitlaeufigkeit wie in der kindischen Fabulierung alle
seine Vorgaenger. Die Zahlenluege war hier systematisch bis auf die
gleichzeitige Geschichte herab durchgefuehrt und die Urgeschichte Roms
aus dem Platten abermals ins Platte gearbeitet; wie denn zum Beispiel
die Erzaehlung, in welcher Art der weise Numa nach Anweisung der Nymphe
Egeria die Goetter Faunus und Picus mit Weine fing, und die schoene,
von selbigem Numa hierauf mit Gott Jupiter gepflogene Unterhaltung allen
Verehrern der sogenannten Sagengeschichte Roms nicht dringend genug
empfohlen werden koennen, um womoeglich auch sie, versteht sich
ihrem Kerne nach, zu glauben. Es waere ein Wunder gewesen, wenn die
griechischen Novellenschreiber dieser Zeit solche fuer sie wie gemachte
Stoffe sich haetten entgehen lassen. In der Tat fehlte es auch nicht
an griechischen Literaten, welche die roemische Geschichte zu Romanen
verarbeiteten: eine solche Schrift waren zum Beispiel des schon unter
den in Rom lebenden griechischen Literaten erwaehnten Polyhistors
Alexandros fuenf Buecher 'Ueber Rom', ein widerwaertiges Gemisch
abgestandener historischer Ueberlieferung und trivialer, vorwiegend
erotischer Erfindung. Er vermutlich hat den Anfang dazu gemacht, das
halbe Jahrtausend, welches mangelte, um Troias Untergang und Roms
Entstehung in den durch die beiderseitigen Fabeln geforderten
chronologischen Zusammenhang zu bringen, auszufuellen mit einer jener
tatenlosen Koenigslisten, wie sie den aegyptischen und griechischen
Chronisten leider gelaeufig waren; denn allem Anschein nach ist er
es, der die Koenige Aventinus und Tiberinus und das albanische
Silviergeschlecht in die Welt gesetzt hat, welche dann im einzelnen
mit Namen, Regierungszeit und mehrerer Anschaulichkeit wegen auch einem
Konterfei auszustatten die Folgezeit nicht versaeumte. So dringt von
verschiedenen Seiten her der historische Roman der Griechen in die
roemische Historiographie ein; und es ist mehr als wahrscheinlich, dass
von dem, was man heute Tradition der roemischen Urzeit zu nennen gewohnt
ist, nicht der kleinste Teil aus Quellen herruehrt von dem Schlage der
'Amadis von Gallien' und der Fouqueschen Ritterromane - eine erbauliche
Betrachtung wenigstens fuer diejenigen, die Sinn haben fuer den
Humor der Geschichte und die Komik der noch in gewissen Zirkeln des
neunzehnten Jahrhunderts fuer Koenig Numa gehegten Pietaet zu wuerdigen
verstehen. Neu ein in die roemische Literatur tritt in dieser
Epoche neben der Landes- die Universal- oder, richtiger gesagt, die
zusammengefasste roemisch-hellenische Geschichte. Cornelius Nepos
aus Ticinum (ca. 650 - ca. 725 100-30) liefert zuerst eine allgemeine
Chronik (herausgegeben vor 700 54) und eine nach gewissen Kategorien
geordnete allgemeine Biographiensammlung politisch oder literarisch
ausgezeichneter roemischer und griechischer oder doch in die roemische
oder griechische Geschichte eingreifender Maenner. Diese Arbeiten
schliessen an die Universalgeschichten sich an, wie sie die Griechen
schon seit laengerer Zeit schrieben; und ebendiese griechischen
Weltchroniken begannen jetzt auch, wie zum Beispiel die im Jahre 698
(56) abgeschlossene des Kastor, Schwiegersohns des galatischen Koenigs
Deiotarus, die bisher von ihnen vernachlaessigte roemische Geschichte
in ihren Kreis zu ziehen. Diese Arbeiten haben allerdings, ebenwie
Polybios, versucht, an die Stelle der lokalen die Geschichte der
Mittelmeerwelt zu setzen; aber was bei Polybios aus grossartig klarer
Auffassung und tiefem geschichtlichen Sinn hervorging, ist in diesen
Chroniken vielmehr das Produkt des praktischen Beduerfnisses fuer den
Schul- und den Selbstunterricht. Der kuenstlerischen Geschichtschreibung
koennen diese Weltchroniken, Lehrbuecher fuer den Schulunterricht oder
Handbuecher zum Nachschlagen, und die ganze damit zusammenhaengende,
auch in lateinischer Sprache spaeterhin sehr weitschichtig gewordene
Literatur kaum zugezaehlt werden; und namentlich Nepos selbst war
ein reiner, weder durch Geist noch auch nur durch Planmaessigkeit
ausgezeichneter Kompilator. Merkwuerdig und in hohem Grade
charakteristisch ist die Historiographie dieser Zeit allerdings, aber
freilich so unerfreulich wie die Zeit selbst. Das Ineinandergreifen der
griechischen und der lateinischen Literatur tritt auf keinem Gebiet
so deutlich hervor wie auf dem der Geschichte; hier setzen die
beiderseitigen Literaturen in Stoff und Form am fruehesten sich ins
gleiche und die einheitliche Auffassung der hellenisch-italischen
Geschichte, mit der Polybios seiner Zeit vorangeeilt war, lernte jetzt
bereits der griechische wie der roemische Knabe in der Schule. Allein
wenn der Mittelmeerstaat einen Geschichtschreiber gefunden hatte, ehe
er seiner selbst sich bewusst worden war, so stand jetzt, wo dies
Bewusstsein sich eingestellt hatte, weder bei den Griechen noch bei den
Roemern ein Mann auf, der ihm den rechten Ausdruck zu leihen vermochte.
Eine roemische Geschichtschreibung, sagt Cicero, gibt es nicht; und
soweit wir urteilen koennen, ist dies nicht mehr als die einfache
Wahrheit. Die Forschung wendet von der Geschichtschreibung sich ab,
die Geschichtschreibung von der Forschung; die historische
Literatur schwankt zwischen dem Schulbuch und dem Roman. Alle reinen
Kunstgattungen, Epos, Drama, Lyrik, Historie, sind nichtig in dieser
nichtigen Welt; aber in keiner Gattung spiegelt doch der geistige
Verfall der ciceronischen Zeit in so grauenvoller Klarheit sich wieder
wie in ihrer Historiographie. Die kleine historische Literatur dieser
Zeit weist dagegen unter vielen geringfuegigen und verschollenen
Produktionen eine Schrift ersten Ranges auf: die Memoiren Caesars oder
vielmehr der militaerische Rapport des demokratischen Generals an das
Volk, von dem er seinen Auftrag erhalten hatte. Der vollendete und
allein von dem Verfasser selbst veroeffentlichte Abschnitt, der die
keltischen Feldzuege bis zum Jahre 702 (52) schildert, hat offenbar den
Zweck, das formell verfassungswidrige Beginnen Caesars, ohne Auftrag der
kompetenten Behoerde ein grosses Land zu erobern und zu diesem Ende sein
Heer bestaendig zu vermehren, so gut wie moeglich vor dem Publikum zu
rechtfertigen; es ward geschrieben und bekannt gemacht im Jahre 703
(51), als in Rom der Sturm gegen Caesar losbrach und er aufgefordert
ward, sein Heer zu entlassen und sich zur Verantwortung zu stellen ^18.
Der Verfasser dieser Rechtfertigungsschrift schreibt, wie er auch
selber sagt, durchaus als Offizier und vermeidet es sorgfaeltig,
die militaerische Berichterstattung auf die bedenklichen Gebiete der
politischen Organisation und Administration zu erstrecken. Seine in der
Form eines Militaerberichts entworfene Gelegenheits- und Parteischrift
ist selber ein Stueck Geschichte wie die Bulletins Napoleons, aber ein
Geschichtswerk im rechten Sinne des Wortes ist sie nicht und soll sie
nicht sein; die Objektivitaet der Darstellung ist nicht die historische,
sondern die des Beamten. Allein in dieser bescheidenen Gattung ist
die Arbeit meisterlich und vollendet wie keine andere in der gesamten
roemischen Literatur. Die Darstellung ist immer knapp und nie
karg, immer schlicht und nie nachlaessig, immer von durchsichtiger
Lebendigkeit und nie gespannt oder manieriert. Die Sprache ist
vollkommen rein von Archaismen wie von Vulgarismen, der Typus der
modernen Urbanitaet. Den Buechern vom Buergerkrieg meint man es
anzufuehlen, dass der Verfasser den Krieg hatte vermeiden wollen und
nicht vermeiden koennen, vielleicht auch, dass in Caesars Seele wie in
jeder anderen die Zeit der Hoffnung eine reinere und frischere war als
die der Erfuellung; aber ueber die Schrift vom Gallischen Krieg ist eine
helle Heiterkeit, eine einfache Anmut ausgegossen, welche nicht
minder einzig in der Literatur dastehen wie Caesar in der Geschichte.
------------------------------------------------ ^18 Dass die Schrift
ueber den Gallischen Krieg auf einmal publiziert worden ist, hat man
laengst vermutet; den bestimmten Beweis dafuer liefert die Erwaehnung
der Gleichstellung der Boier und der Haeduer schon im ersten Buch
(c. 28), waehrend doch die Boier noch im siebenten (c. 10) als
zinspflichtige Untertanen der Haeduer vorkommen und offenbar erst
wegen ihres Verhaltens und desjenigen der Haeduer in dem Kriege gegen
Vercingetorix gleiches Recht mit ihren bisherigen Herren erhielten.
Andererseits wird, wer die Geschichte der Zeit aufmerksam verfolgt, in
der Aeusserung ueber die Milonische Krise (7, 6) den Beweis finden, dass
die Schrift vor dem Ausbruch des Buergerkrieges publiziert ward;
nicht weil Pompeius hier gelobt wird, sondern weil Caesar daselbst die
Ausnahmegesetze vom Jahr 702 (52) billigt. Dies konnte und musste er
tun, solange er ein friedliches Abkommen mit Pompeius herbeizufuehren
suchte, nicht aber nach dem Bruch, wo er die aufgrund jener fuer ihn
verletzenden Gesetze erfolgten Verurteilungen umstiess. Darum ist die
Veroeffentlichung dieser Schrift mit vollem Recht in das Jahr 703 (51)
gesetzt worden. Die Tendenz der Schrift erkennt man am deutlichsten in
der bestaendigen, oft, am entschiedensten wohl bei der aquitanischen
Expedition, nicht gluecklichen Motivierung jedes einzelnen Kriegsakts
als einer nach Lage der Dinge unvermeidlichen Defensivmassregel. Dass
die Gegner Caesars Angriffe auf die Kelten und Deutschen vor allem
als unprovoziert tadelten, ist bekannt (Suet. Caes. 24).
------------------------------------------------ Verwandter Art sind die
Briefwechsel von Staatsmaennern und Literaten dieser Zeit, die in der
folgenden Epoche mit Sorgfalt gesammelt und veroeffentlicht wurden: so
die Korrespondenz von Caesar selbst, von Cicero, Calvus und andern. Den
eigentlich literarischen Leistungen koennen sie noch weniger beigezaehlt
werden; aber fuer die geschichtliche wie fuer jede andere Forschung
war diese Korrespondenzliteratur ein reiches Archiv und das treueste
Spiegelbild einer Epoche, in der so viel wuerdiger Gehalt vergangener
Zeiten und so viel Geist, Geschicklichkeit und Talent im kleinen Treiben
sich verfluechtigte und verzettelte. Eine Journalistik in dem heutigen
Sinn hat bei den Roemern niemals sich gebildet; die literarische Polemik
blieb angewiesen auf die Broschuerenliteratur und daneben allenfalls
auf die zu jener Zeit allgemein verbreitete Sitte die fuer das Publikum
bestimmten Notizen an oeffentlichen Orten mit dem Pinsel oder dem
Griffel anzuschreiben. Dagegen wurden untergeordnete Individuen
dazu verwandt, fuer die abwesenden Vornehmen die Tagesvorfaelle
und Stadtneuigkeiten aufzuzeichnen; auch fuer die sofortige
Veroeffentlichung eines Auszugs aus den Senatsverhandlungen traf
Caesar schon in seinem ersten Konsulat geeignete Massregeln. Aus den
Privatjournalen jener roemischen Penny-a-liners und diesen offiziellen
laufenden Berichten entstand eine Art von hauptstaedtischem
Intelligenzblatt (acta diurna), in dem das Resuemee der vor dem Volke
und im Senat verhandelten Geschaefte, ferner Geburten, Todesfaelle
und dergleichen mehr verzeichnet wurden. Dasselbe wurde eine nicht
unwichtige geschichtliche Quelle, blieb aber ohne eigentliche politische
wie ohne literarische Bedeutung. Zu der historischen Nebenliteratur
gehoert von Rechts wegen auch die Redeschriftstellerei. Die Rede,
aufgezeichnet oder nicht, ist ihrer Natur nach ephemer und gehoert der
Literatur nicht an; indes kann sie, wie der Bericht und der Brief, und
sie noch leichter als diese, durch die Praegnanz des Moments und die
Macht des Geistes, denen sie entspringt, eintreten unter die bleibenden
Schaetze der nationalen Literatur. So spielten denn auch in Rom
die Aufzeichnungen der vor der Buergerschaft oder den Geschworenen
gehaltenen Reden politischen Inhalts nicht bloss seit langem eine grosse
Rolle in dem oeffentlichen Leben, sondern es wurden auch die Reden
namentlich des Gaius Gracchus mit Recht gezaehlt zu den klassischen
roemischen Schriften. In dieser Epoche aber tritt hier nach allen Seiten
hin eine seltsame Verwandlung ein. Die politische Redeschriftstellerei
ist im Sinken wie die Staatsrede selbst. Die politische Rede fand,
in Rom wie ueberhaupt in den alten Politien, ihren Hoehepunkt in den
Verhandlungen vor der Buergerschaft: hier fesselten den Redner nicht,
wie im Senat, kollegialische Ruecksichten und laestige Formen, nicht,
wie in den Gerichtsreden, die der Politik an sich fremden Interessen der
Anklage und Verteidigung; hier allein schwoll ihm das Herz hoch vor der
ganzen, an seinen Lippen hangenden grossen und maechtigen roemischen
Volksgemeinde. Allein damit war es nun vorbei. Nicht als haette es
an Rednern gemangelt oder an der Veroeffentlichung der vor der
Buergerschaft gehaltenen Reden; vielmehr ward die politische
Schriftstellerei jetzt erst recht weitlaeufig und es fing an, zu den
stehenden Tafelbeschwerden zu gehoeren, dass der Wirt die Gaeste durch
Vorlesung seiner neuesten Reden inkommodierte. Auch Publius Clodius
liess seine Volksreden als Broschueren ausgehen, ebenwie Gaius Gracchus;
aber es ist nicht dasselbe, wenn zwei Maenner dasselbe tun. Die
bedeutenderen Fuehrer selbst der Opposition, vor allem Caesar selbst,
sprachen zu der Buergerschaft nicht oft und veroeffentlichten nicht
mehr die vor ihr gehaltenen Reden; ja sie suchten zum Teil fuer ihre
politischen Flugschriften sich eine andere Form als die hergebrachte der
Contionen, in welcher Hinsicht namentlich die Lob- und Tadelschriften
auf Cato bemerkenswert sind. Es ist das wohl erklaerlich. Gaius Gracchus
hatte zur Buergerschaft gesprochen; jetzt sprach man zu dem Poebel;
und wie das Publikum, so die Rede. Kein Wunder, wenn der reputierliche
politische Schriftsteller auch die Einkleidung vermied, als habe er
seine Worte an die auf dem Markte der Hauptstadt versammelten Haufen
gerichtet. Wenn also die Redeschriftstellerei in ihrer bisherigen
literarischen und politischen Geltung in derselben Weise verfaellt,
wie alle naturgemaess aus dem nationalen Leben entwickelten Zweige
der Literatur, so beginnt zugleich eine seltsame nichtpolitische
Plaedoyerliteratur. Bisher hatte man nichts davon gewusst, dass der
Advokatenvortrag als solcher, ausser fuer die Richter und die Parteien,
auch noch fuer Mit- und Nachwelt zur literarischen Erbauung bestimmt
sei; kein Sachwalter hatte seine Plaedoyers aufgezeichnet und
veroeffentlicht, wofern dieselben nicht etwa zugleich politische Reden
waren und insofern sich dazu eigneten, als Parteischriften verbreitet zu
werden, und auch dies war nicht gerade haeufig geschehen. Noch Quintus
Hortensius (640-704 114-50), in den ersten Jahren dieser Periode der
gefeiertste roemische Advokat, veroeffentlichte nur wenige und wie es
scheint nur die ganz oder halb politischen Reden. Erst sein Nachfolger
in dem Prinzipat der roemischen Sachwalter, Marcus Tullius Cicero
(648-711 106-43), war von Haus aus ebensosehr Schriftsteller wie
Gerichtsredner; er publizierte seine Plaedoyers regelmaessig und auch
dann, wenn sie nicht oder nur entfernt mit der Politik zusammenhingen.
Dies ist nicht Fortschritt, sondern Unnatur und Verfall. Auch in
Athen ist das Auftreten der nichtpolitischen Advokatenreden unter den
Gattungen der Literatur ein Zeichen der Krankheit; und zwiefach ist es
dies in Rom, das diese Missbildung nicht wie Athen aus dem ueberspannten
rhetorischen Treiben mit einer gewissen Notwendigkeit erzeugt, sondern
willkuerlich und im Widerspruch mit den besseren Traditionen der Nation
dem Ausland abgeborgt hat. Dennoch kam diese neue Gattung rasch
in Aufnahme, teils weil sie mit der aelteren politischen
Redeschriftstellerei vielfach sich beruehrte und zusammenfloss, teils
weil das unpoetische, rechthaberische, rhetorisierende Naturell der
Roemer fuer den neuen Samen einen guenstigen Boden darbot, wie ja denn
noch heute die Advokatenrede und selbst eine Art von Prozessliteratur
in Italien etwas bedeutet. Also erwarb die von der Politik emanzipierte
Redeschriftstellerei das Buergerrecht in der roemischen Literatenwelt
durch Cicero. Wir haben dieses vielseitigen Mannes schon mehrfach
gedenken muessen. Als Staatsmann ohne Einsicht, Ansicht und Absicht,
hat er nacheinander als Demokrat, als Aristokrat und als Werkzeug der
Monarchen figuriert und ist nie mehr gewesen als ein kurzsichtiger
Egoist. Wo er zu handeln schien, waren die Fragen, auf die es ankam,
regelmaessig eben abgetan: so trat er im Prozess des Verres gegen die
Senatsgerichte auf, als sie bereits beseitigt waren; so schwieg er bei
der Verhandlung ueber das Gabinische und verfocht das Manilische Gesetz;
so polterte er gegen Catilina, als dessen Abgang bereits feststand, und
so weiter. Gegen Scheinangriffe war er gewaltig und Mauern von Pappe hat
er viele mit Geprassel eingerannt; eine ernstliche Sache ist nie, weder
im guten noch im boesen, durch ihn entschieden worden und vor allem
die Hinrichtung der Catilinarier hat er weit mehr geschehen lassen als
selber bewirkt. In literarischer Hinsicht ist es bereits hervorgehoben
worden, dass er der Schoepfer der modernen lateinischen Prosa war; auf
seiner Stilistik ruht seine Bedeutung, und allein als Stilist auch
zeigt er ein sicheres Selbstgefuehl. Als Schriftsteller dagegen steht
er vollkommen ebenso tief wie als Staatsmann. Er hat in den
mannigfaltigsten Aufgaben sich versucht, in unendlichen Hexametern
Marius' Gross- und seine eigenen Kleintaten besungen, mit seinen Reden
den Demosthenes, mit seinen philosophischen Gespraechen den Platon
aus dem Felde geschlagen und nur die Zeit hat ihm gefehlt, um auch den
Thukydides zu ueberwinden. Er war in der Tat so durchaus Pfuscher,
dass es ziemlich einerlei war, welchen Acker er pfluegte. Eine
Journalistennatur im schlechtesten Sinne des Wortes, an Worten, wie er
selber sagt, ueberreich, an Gedanken ueber alle Begriffe arm, gab es
kein Fach, worin er nicht mit Hilfe weniger Buecher rasch einen lesbaren
Aufsatz uebersetzend oder kompilierend hergestellt haette. Am treuesten
gibt seine Korrespondenz sein Bild wieder. Man pflegt sie interessant
und geistreich zu nennen: sie ist es auch, solange sie das
hauptstaedtische oder Villenleben der vornehmen Welt widerspiegelt;
aber wo der Schreiber auf sich selbst angewiesen ist, wie im Exil, in
Kilikien und nach der Pharsalischen Schlacht, ist sie matt und leer, wie
nur je die Seele eines aus seinen Kreisen verschlagenen Feuilletonisten.
Dass ein solcher Staatsmann und ein solcher Literat auch als
Mensch nicht anders sein konnte als von schwach ueberfirnisster
Oberflaechlichkeit und Herzlosigkeit, ist kaum noch noetig zu sagen.
Sollen wir den Redner noch schildern? Der grosse Schriftsteller ist doch
auch ein grosser Mensch; und vor allem dem grossen Redner stroemt die
Ueberzeugung und die Leidenschaft klarer und brausender aus den Tiefen
der Brust hervor als den duerftigen vielen, die nur zaehlen und nicht
sind. Cicero hatte keine Ueberzeugung und keine Leidenschaft; er
war nichts als Advokat und kein guter Advokat. Er verstand es, seine
Sacherzaehlung anekdotenhaft pikant vorzutragen, wenn nicht das Gefuehl,
doch die Sentimentalitaet seiner Zuhoerer zu erregen und durch Witze
oder Witzeleien meist persoenlicher Art das trockene Geschaeft der
Rechtspflege zu erheitern; seine besseren Reden, wenngleich auch sie
die freie Anmut und den sicheren Treff der vorzueglichsten Kompositionen
dieser Art, zum Beispiel der Memoiren von Beaumarchais, bei weitem nicht
erreichen, sind doch eine leichte und angenehme Lektuere. Werden aber
schon die eben bezeichneten Vorzuege dem ernsten Richter als Vorzuege
sehr zweifelhaften Wertes erscheinen, so muss der absolute Mangel
politischen Sinnes in den staatsrechtlichen, juristischer Deduktion
in den Gerichtsreden, der pflichtvergessene, die Sache stets ueber dem
Anwalt aus den Augen verlierende Egoismus, die graessliche Gedankenoede
jeden Leser der Ciceronischen Reden von Herz und Verstand empoeren. Wenn
hier etwas wunderbar ist, so sind es wahrlich nicht die Reden, sondern
die Bewunderung, die dieselben fanden. Mit Cicero wird jeder Unbefangene
bald im reinen sein; der Ciceronianismus ist ein Problem, das in der Tat
nicht eigentlich aufgeloest, sondern nur aufgehoben werden kann in dem
groesseren Geheimnis der Menschennatur: der Sprache und der Wirkung der
Sprache auf das Gemuet. Indem die edle lateinische Sprache, eben bevor
sie als Volksidiom unterging, von jenem gewandten Stilisten noch
einmal gleichsam zusammengefasst und in seinen weitlaeufigen Schriften
niedergelegt ward, ging auf das unwuerdige Gefaess etwas ueber von der
Gewalt, die die Sprache ausuebt, und von der Pietaet, die sie erweckt.
Man besass einen grossen lateinischen Prosaiker; denn Caesar war, wie
Napoleon, nur beilaeufig Schriftsteller. War es zu verwundern, dass man
in Ermangelung eines solchen wenigstens den Genius der Sprache ehrte
in dem grossen Stilisten? und dass, wie Cicero selbst, so auch Ciceros
Leser sich gewoehnten zu fragen, nicht was, sondern wie er geschrieben?
Gewohnheit und Schulmeisterei vollendeten dann, was die Macht
der Sprache begonnen hatte. Ciceros Zeitgenossen uebrigens waren
begreiflicherweise in dieser seltsamen Abgoetterei weit weniger befangen
als viele der Spaeteren. Die Ciceronische Manier beherrschte wohl ein
Menschenalter hindurch die roemische Advokatenwelt, so gut wie die
noch weit schlechtere des Hortensius es getan; allein die bedeutendsten
Maenner, zum Beispiel Caesar, hielten doch stets derselben sich
fern, und unter der juengeren Generation regte bei allen frischen
und lebendigen Talenten sich die entschiedenste Opposition gegen jene
zwitterhafte und schwaechliche Redekunst. Man vermisste in Ciceros
Sprache Knappheit und Strenge, in den Spaessen das Leben, in der
Anordnung Klarheit und Gliederung, vor allen Dingen aber in der ganzen
Beredsamkeit das Feuer, das den Redner macht. Statt der rhodischen
Eklektiker fing man an, auf die echten Attiker, namentlich auf
Lysias und Demosthenes zurueckzugehen und suchte eine kraeftigere
und maennlichere Beredsamkeit in Rom einzubuergern. Dieser Richtung
gehoerten an der feierliche, aber steife Marcus Iunius Brutus (669-712
85-42), die beiden politischen Parteigaenger Marcus Caelius Rufus
(672-706 82-48) und Gaius Scribonius Curio (+ 705 49), beide als Redner
voll Geist und Leben, der auch als Dichter bekannte Calvus (672-706
82-48), die literarische Koryphaee dieses juengeren Rednerkreises,
und der ernste und gewissenhafte Gaius Asinius Pollio (678-757 76-4 n.
Chr.). Unleugbar war in dieser juengeren Redeliteratur mehr
Geschmack und mehr Geist als in der Hortensischen und Ciceronischen
zusammengenommen; indes vermoegen wir nicht zu ermessen, wie weit unter
den Stuermen der Revolution, die diesen ganzen reichbegabten Kreis mit
einziger Ausnahme des Pollio rasch wegrafften, die besseren Keime noch
zur Entwicklung gelangten. Die Zeit war ihnen allzu kurz gemessen. Die
neue Monarchie begann damit, der Redefreiheit den Krieg zu machen und
unterdrueckte die politische Rede bald ganz. Seitdem ward wohl noch die
untergeordnete Gattung des reinen Advokatenplaedoyers in der Literatur
festgehalten; aber die hoehere Redekunst und Redeliteratur, die durchaus
ruht auf dem politischen Treiben, ging mit diesem selbst notwendig
und fuer immer zu Grabe. Endlich entwickelt sich in der
aesthetischen Literatur dieser Zeit die kuenstlerische Behandlung
fachwissenschaftlicher Stoffe in der Form des stilisierten Dialogs, wie
sie bei den Griechen sehr verbreitet und vereinzelt auch bereits frueher
bei den Roemern vorgekommen war. Namentlich Cicero versuchte sich
vielfach in der Darstellung rhetorischer und philosophischer Stoffe in
dieser Form und in der Verschmelzung des Lehrbuchs mit dem Lesebuche.
Seine Hauptschriften sind die 'Vom Redner' (geschrieben 699 55),
wozu die Geschichte der roemischen Beredsamkeit (der Dialog 'Brutus',
geschrieben 708 46) und andere kleinere rhetorische Aufsaetze ergaenzend
hinzutreten, und die Schrift 'Vom Staat' (geschrieben 700 54), womit
die Schrift 'Von den Gesetzen' (geschrieben 702? 52) nach Platonischem
Muster in Verbindung gesetzt ist. Es sind keine grosse Kunstwerke, aber
unzweifelhaft diejenigen Arbeiten, in denen die Vorzuege des Verfassers
am meisten und seine Maengel am wenigsten hervortreten. Die rhetorischen
Schriften erreichen bei weitem nicht die lehrhafte Strenge und
begriffliche Schaerfe der dem Herennius gewidmeten Rhetorik, aber
enthalten dafuer einen Schatz von praktischer Sachwaltererfahrung
und Sachwalteranekdoten aller Art in leichter und geschmackvoller
Darstellung und loesen in der Tat das Problem einer amuesanten
Lehrschrift. Die Schrift vom Staat fuehrt in einem wunderlichen,
geschichtlich-philosophischen Zwittergebilde den Grundgedanken durch,
dass die bestehende Verfassung Roms wesentlich die von den
Philosophen gesuchte ideale Staatsordnung sei; eine freilich eben so
unphilosophische wie unhistorische, uebrigens auch nicht einmal dem
Verfasser eigentuemliche Idee, die aber begreiflicherweise populaer
ward und blieb. Das wissenschaftliche Grundwerk dieser rhetorischen und
politischen Schriften Ciceros gehoert natuerlich durchaus den Griechen
und auch vieles einzelne, zum Beispiel der grosse Schlusseffekt in der
Schrift vom Staate, der Traum des Scipio, ist geradezu ihnen abgeborgt;
doch kommt denselben insofern eine relative Originalitaet zu, als die
Bearbeitung durchaus roemische Lokalfarbe zeigt und das staatliche
Selbstgefuehl, zu dem der Roemer den Griechen gegenueber allerdings
berechtigt war, den Verfasser sogar mit einer gewissen Selbstaendigkeit
seinen griechischen Lehrmeistern entgegentreten liess. Auch die
Gespraechsform Ciceros ist zwar weder die echte Fragedialektik der
besten griechischen Kunstdialoge noch der echte Konversationston
Diderots oder Lessings; aber die grossen Gruppen der um Crassus und
Antonius sich versammelnden Advokaten und der aelteren und juengeren
Staatsmaenner des Scipionischen Zirkels geben doch einen lebendigen
und bedeutenden Rahmen, passende Anknuepfungen fuer geschichtliche
Beziehungen und Anekdoten und geschickte Ruhepunkte fuer die
wissenschaftliche Eroerterung. Der Stil ist ebenso durchgearbeitet und
gefeilt wie in den bestgeschriebenen Reden und insofern erfreulicher als
diese, als der Verfasser hier nicht oft einen vergeblichen Anlauf zum
Pathos nimmt. Wenn diese philosophisch gefaerbten rhetorischen und
politischen Schriften Ciceros nicht ohne Verdienst sind, so fiel dagegen
der Kompilator vollstaendig durch, als er in der unfreiwilligen Musse
seiner letzten Lebensjahre (709, 710 45, 44) sich an die eigentliche
Philosophie machte und mit ebenso grosser Verdriesslichkeit wie
Eilfertigkeit in ein paar Monaten eine philosophische Bibliothek
zusammenschrieb. Das Rezept war sehr einfach. In roher Nachahmung der
populaeren aristotelischen Schriften, in welchen die dialogische Form
hauptsaechlich zur Entwicklung und Kritisierung der verschiedenen
aelteren Systeme benutzt war, naehte Cicero die das gleiche Problem
behandelnden epikureischen, stoischen und synkretistischen Schriften,
wie sie ihm in die Hand kamen oder gegeben wurden, zu einem sogenannten
Dialog aneinander, ohne von sich mehr dazu zu tun als teils irgendeine,
aus der reichen Sammlung von Vorreden fuer kuenftige Werke, die er
liegen hatte, dem neuen Buche vorgeschobene Einleitung, teils eine
gewisse Popularisierung, indem er roemische Beispiele und Beziehungen
einflocht, auch wohl auf ungehoerige, aber dem Schreiber wie dem
Leser gelaeufigere Gegenstaende, in der Ethik zum Beispiel auf den
rednerischen Anstand, abschweifte, teils diejenige Verhunzung,
ohne welche ein weder zum philosophischen Denken noch auch nur zum
philosophischen Wissen gelangter, schnell und dreist arbeitender Literat
dialektische Gedankenreihen nicht reproduziert. Auf diesem Wege konnten
denn freilich sehr schnell eine Menge dicker Buecher entstehen - "es
sind Abschriften", schrieb der Verfasser selbst einem ueber seine
Fruchtbarkeit verwunderten Freunde; "sie machen mir wenig Muehe, denn
ich gebe nur die Worte dazu und die habe ich in Ueberfluss". Dagegen
war denn weiter nichts zu sagen; wer aber in solchen Schreibereien
klassische Produktionen sucht, dem kann man nur raten sich in
literarischen Dingen eines schoenen Stillschweigens zu befleissigen.
Unter den Wissenschaften herrschte reges Leben nur in einer einzigen:
es war dies die lateinische Philologie. Das von Stilo angelegte
Gebaeude sprachlicher und sachlicher Forschung innerhalb des latinischen
Volksbereichs wurde vor allem von seinem Schueler Varro in
der grossartigsten Weise ausgebaut. Es erschienen umfassende
Durcharbeitungen des gesamten Sprachschatzes, namentlich Figulus'
weitschichtige grammatische Kommentarien und Varros grosses Werk
'Von der lateinischen Sprache'; grammatische und sprachgeschichtliche
Monographien, wie Varros Schriften vom lateinischen Sprachgebrauch,
ueber die Synonymen, ueber das Alter der Buchstaben, ueber die
Entstehung der lateinischen Sprache; Scholien zu der aelteren
Literatur, besonders zum Plautus; literargeschichtliche Arbeiten,
Dichterbiographien, Untersuchungen ueber die aeltere Schaubuehne, ueber
die szenische Teilung der Plautinischen Komoedien und ueber die Echtheit
derselben. Die lateinische Realphilologie, welche die gesamte aeltere
Geschichte und das aus der praktischen Jurisprudenz ausfallende
Sakralrecht in ihren Kreis zog, wurde zusammengefasst in Varros
fundamentalen und fuer alle Zeiten fundamental gebliebenen 'Altertuemern
der menschlichen und der goettlichen Dinge' (bekanntgemacht zwischen
687 und 709 67 und 45). Die erste Haelfte 'Von den menschlichen
Dingen' schilderte die Urzeit Roms, die Stadt- und Landeinteilung,
die Wissenschaft von den Jahren, Monaten und Tagen, endlich die
oeffentlichen Handlungen daheim und im Kriege; in der zweiten Haelfte
'Von den goettlichen Dingen' wurde die Staatstheologie, das Wesen und
die Bedeutung der Sachverstaendigenkollegien, der heiligen Staetten,
der religioesen Feste, der Opfer- und Weihgeschenke, endlich der Goetter
selbst uebersichtlich entwickelt. Dazu kam ausser einer Anzahl von
Monographien - zum Beispiel ueber die Herkunft des roemischen Volkes,
ueber die aus Troia stammenden roemischen Geschlechter, ueber die
Distrikte - als ein groesserer und selbstaendigerer Nachtrag die Schrift
'Vom Leben des roemischen Volkes'; ein merkwuerdiger Versuch einer
roemischen Sittengeschichte, die ein Bild des haeuslichen finanziellen
und Kulturzustandes in der Koenigs-, der ersten republikanischen, der
hannibalischen und der juengsten Zeit entwarf. Diese Arbeiten Varros
ruhen auf einer so vielseitigen und in ihrer Art so grossartigen
empirischen Kenntnis der roemischen Welt und ihres hellenischen
Grenzgebiets, wie sie nie weder vor- noch nachher ein anderer Roemer
besessen hat und zu der die lebendige Anschauung der Dinge und das
Studium der Literatur gleichmaessig beigetragen haben; das Lob der
Zeitgenossen war wohlverdient, dass Varro seine in ihrer eigenen Welt
fremden Landsleute in der Heimat orientiert und die Roemer kennen
gelehrt habe, wer und wo sie seien. Kritik aber und System wird man
vergebens suchen. Die griechische Kunde scheint aus ziemlich trueben
Quellen geflossen und es finden sich Spuren, dass auch in der roemischen
der Schreiber von dem Einfluss des historischen Romans seiner Zeit nicht
frei war. Der Stoff ist wohl in ein bequemes und symmetrisches Fachwerk
eingereiht, aber methodisch weder gegliedert noch behandelt und bei
allem Bestreben, Ueberlieferung und eigene Beobachtung harmonisch zu
verarbeiten, sind doch Varros wissenschaftliche Arbeiten weder von einem
gewissen Koehlerglauben gegenueber der Tradition noch von unpraktischer
Scholastik freizusprechen ^19. Die Anlehnung an die griechische
Philologie besteht mehr im Nachahmen der Maengel als der Vorzuege
derselben, wie denn vor allem das Etymologisieren auf blossen Anklang
hin sowohl bei Varro selbst wie bei den sonstigen Sprachgelehrten dieser
Zeit sich in die reine Scharade und oft geradezu ins Alberne verlaeuft
^20. In ihrer empirischen Sicherheit und Fuelle wie auch in ihrer
empirischen Unzulaenglichkeit und Unmethode erinnert die Varronische
lebhaft an die englische Nationalphilologie und findet auch ebenwie
diese ihren Mittelpunkt in dem Studium der aelteren Schaubuehne. Dass
die monarchische Literatur im Gegensatz gegen diese sprachliche Empirie
die Sprachregel entwickelte, ward bereits bemerkt. Es ist in hohem Grade
bedeutsam, dass an der Spitze der modernen Grammatiker kein geringerer
Mann steht als Caesar selbst, der in seiner Schrift ueber die Analogie
(bekanntgemacht zwischen 696 und 704 68 und 50) es zuerst unternahm
die freie Sprache unter die Gewalt des Gesetzes zu zwingen.
-------------------------------------------------------- ^19 Ein
merkwuerdiges Exempel ist in der Schrift von der Landwirtschaft die
allgemeine Auseinandersetzung ueber das Vieh (2, 1), mit den neunmal
neun Unterabteilungen der Viehzuchtlehre, mit der "unglaublichen" aber
"wahren" Tatsache, dass die Stuten bei Olisipo (Lissabon) vom
Winde befruchtet werden, ueberhaupt mit ihrem sonderbaren Gemenge
philosophischer, historischer und landwirtschaftlicher Notizen. ^20 So
leitet Varro facere her von facies, weil wer etwas macht, der Sache ein
Ansehn gibt, volpes, den Fuchs, nach Stilo von volare pedibus als den
Fliegefuss; Gaius Trebatius, ein philosophischer Jurist dieser Zeit,
sacellum von sacra cella; Figulus frater von fere alter und so weiter.
Dies Treiben, das nicht etwa vereinzelt, sondern als Hauptelement
der philologischen Literatur dieser Zeit erscheint hat die groesste
Aehnlichkeit mit der Weise, wie man bis vor kurzem Sprachvergleichung
trieb, ehe die Einsicht in den Sprachenorganismus hier den
Empirikern das Handwerk legte.
-------------------------------------------------------- Neben dieser
ungemeinen Regsamkeit auf dem Gebiet der Philologie faellt die geringe
Taetigkeit in den uebrigen Wissenschaften auf. Was von Belang in der
Philosophie erschien, wie Lucretius' Darstellung des epikureischen
Systems in dem poetischen Kinderkleide der vorsokratischen Philosophie
und die besseren Schriften Ciceros, tat seine Wirkung und fand sein
Publikum nicht durch, sondern trotz des philosophischen Inhalts
einzig durch die aesthetische Form; die zahlreichen Uebersetzungen
epikureischer Schriften und die pythagoreischen Arbeiten, wie Varros
grosses Werk ueber die Elemente der Zahlen und das noch
ausfuehrlichere des Figulus von den Goettern, hatten ohne Zweifel weder
wissenschaftlichen noch formellen Wert. Auch in den Fachwissenschaften
ist es schwach bestellt. Varros dialogisch geschriebene Buecher vom
Landbau sind freilich methodischer als die seiner Vorgaenger Cato und
Saserna, auf die denn auch mancher tadelnde Seitenblick faellt, dafuer
aber im ganzen mehr aus der Schreibstube hervorgegangen als, wie jene
aelteren Werke, aus der lebendigen Erfahrung. Von desselben sowie des
Servius Sulpicius Rufus (Konsul 703 51) juristischen Arbeiten ist
kaum etwas weiter zu sagen, als dass sie zu dem dialektischen und
philologischen Aufputz der roemischen Jurisprudenz beigetragen haben.
Weiter aber ist hier nichts zu nennen als etwa noch des Gaius Matius
drei Buecher ueber Kochen, Einsalzen und Einmachen, unseres Wissens
das aelteste roemische Kochbuch und als das Werk eines vornehmen Mannes
allerdings eine bemerkenswerte Erscheinung. Dass Mathematik und Physik
durch die gesteigerten hellenistischen und utilitarischen Tendenzen der
Monarchie gefoerdert wurden, zeigt sich wohl in der steigenden Bedeutung
derselben im Jugendunterricht und in einzelnen praktischen Anwendungen,
wohin, ausser der Reform des Kalenders, etwa noch gezaehlt werden
koennen das Aufkommen der Wandkarten in dieser Zeit; die verbesserte
Technik des Schiffsbaus und der musikalischen Instrumente; Anlagen
und Bauten wie das von Varro angegebene Vogelhaus, die von Caesars
Ingenieuren ausgefuehrte Pfahlbruecke ueber den Rhein, sogar zwei
halbkreisfoermige, zum Zusammenschieben eingerichtete, zuerst
gesondert als zwei Theater, dann zusammen als Amphitheater benutzte
Brettergerueste. Auslaendische Naturmerkwuerdigkeiten bei den
Volksfesten oeffentlich zur Schau zu stellen war nicht ungewoehnlich;
und die Schilderungen merkwuerdiger Tiere, die Caesar in seine
Feldzugsberichte eingelegt hat, beweisen, dass ein Aristoteles, wenn er
aufgetreten waere, seinen Fuersten wiederum gefunden haben wuerde.
Was aber von literarischen Leistungen auf diesem Gebiet erwaehnt wird,
haengt wesentlich an den Neupythagoreismus sich an; so des Figulus
Zusammenstellung griechischer und barbarischer, d. h. aegyptischer
Himmelsbeobachtungen und desselben Schriften von den Tieren, den Winden,
den Geschlechtsteilen. Nachdem ueberhaupt die griechische Naturforschung
von dem Aristotelischen Streben, im einzelnen das Gesetz zu finden, mehr
und mehr zu der empirischen und meistens unkritischen Beobachtung des
Aeusserlichen und Auffallenden in der Natur abgeirrt war, konnte die
Naturwissenschaft, indem sie als mystische Naturphilosophie auftrat,
statt aufzuklaeren und anzuregen, nur noch mehr verdummen und laehmen;
und solchem Treiben gegenueber liess man es besser noch bei der
Plattheit bewenden, welche Cicero als sokratische Weisheit vortraegt,
dass die Naturforschung entweder nach Dingen sucht, die niemand wissen
koenne, oder nach solchen, die niemand zu wissen brauche. Werfen wir
schliesslich noch einen Blick auf die Kunst, so zeigen auch hier sich
dieselben unerfreulichen Erscheinungen, die das ganze geistige Leben
dieser Periode erfuellen. Das Staatsbauwesen stockte in der Geldklemme
der letzten Zeit der Republik so gut wie ganz. Von dem Bauluxus
der Vornehmen Roms war bereits die Rede; die Architekten lernten
infolgedessen den Marmor verschwenden - die farbigen Sorten wie der
gelbe numidische (Giallo antico) und andere kamen in dieser Zeit in
Aufnahme und auch die lunensischen (carrarischen) Marmorbrueche wurden
jetzt zuerst benutzt - und fingen an, die Fussboeden der Zimmer mit
Mosaik auszulegen, die Waende mit Marmorplatten zu taefeln oder auch
den Stuck marmorartig zu bemalen - die ersten Anfaenge der
spaeteren Zimmerwandmalerei. Die Kunst aber gewann nicht bei dieser
verschwenderischen Pracht. In den bildenden Kuensten waren Kennerschaft
und Sammelei in weiterem Zunehmen. Es war eine blosse Affektation
catonischer Simplizitaet, wenn ein Advokat vor den Geschworenen von den
Kunstwerken "eines gewissen Praxiteles" sprach; alles reiste und schaute
und das Handwerk der Kunstciceronen oder, wie sie damals hiessen, der
Exegeten, war keines von den schlechtesten. Auf alte Kunstwerke wurde
foermlich Jagd gemacht - weniger freilich noch auf Statuen und Gemaelde,
als nach der rohen Art roemischer Prachtwirtschaft auf kunstvolles
Geraet und Zimmer- und Tafeldekoration aller Art. Schon zu jener Zeit
wuehlte man die alten griechischen Graeber von Capua und Korinth um
wegen der Erz- und Tongefaesse, die den Toten waren mit ins Grab gegeben
worden. Fuer eine kleine Nippfigur von Bronze wurden 40000 (3000 Taler),
fuer ein paar kostbare Teppiche 200000 Sesterzen (15000 Taler) bezahlt;
eine gutgearbeitete kupferne Kochmaschine kam hoeher zu stehen als ein
Landgut. Wie billig ward bei dieser barbarischen Kunstjagd der reiche
Liebhaber von seinen Zutraegern haeufig geprellt: aber der oekonomische
Ruin namentlich des an Kunstwerken ueberreichen Kleinasiens brachte auch
manches wirklich alte und seltene Prachtstueck und Kunststueck auf den
Markt und von Athen, Syrakus, Kyzikos, Pergamon, Chios, Samos und wie
die alten Kunststaetten weiter hiessen, wanderte alles, was feil war und
gar manches, was es nicht war, in die Palaeste und Villen der roemischen
Grossen. Welche Kunstschaetze zum Beispiel das Haus des Lucullus barg,
der freilich wohl nicht mit Unrecht beschuldigt wurde, sein artistisches
Interesse auf Kosten seiner Feldherrnpflichten befriedigt zu haben,
ward bereits erwaehnt. Die Kunstliebhaber draengten sich daselbst wie
heutzutage in Villa Borghese und beklagten auch damals schon sich ueber
die Verbannung der Kunstschaetze auf die Palaeste und Landhaeuser
der vornehmen Herren, wo sie schwierig und nur nach besonders von dem
Besitzer eingeholter Erlaubnis gesehen werden konnten. Die oeffentlichen
Gebaeude dagegen fuellten sich keineswegs im Verhaeltnis mit beruehmten
Werken griechischer Meister, und vielfach standen noch in den Tempeln
der Hauptstadt nichts als die alten holzgeschnitzten Goetterbilder. Von
Ausuebung der Kunst ist so gut wie gar nichts zu berichten; kaum wird
aus dieser Zeit ein anderer roemischer Bildhauer oder Maler mit Namen
genannt als ein gewisser Arellius, dessen Bilder reissend abgingen,
nicht ihres kuenstlerischen Wertes wegen, sondern weil der arge Roue
in den Bildern der Goettinnen getreue Konterfeie seiner jedesmaligen
Maetressen lieferte. Die Bedeutung von Musik und Tanz stieg im
oeffentlichen wie im haeuslichen Leben. Wie die Theatermusik und das
Tanzstueck in der Buehnenentwicklung dieser Zeit zu selbstaendigerer
Geltung gelangte, wurde bereits dargestellt; es kann noch hinzugefuegt
werden, dass jetzt in Rom selbst auf der oeffentlichen Buehne schon
sehr haeufig von griechischen Musikern, Taenzern und Deklamatoren
Vorstellungen gegeben wurden, wie sie in Kleinasien und ueberhaupt in
der ganzen hellenischen und hellenisierenden Welt ueblich waren ^21.
Dazu kamen denn die Musikanten und Taenzerinnen, die bei Tafel und sonst
auf Bestellung ihre Kuenste produzierten, und die in vornehmen Haeusern
nicht mehr seltenen eigenen Kapellen von Saiten- und Blasinstrumenten
und Saengern. Dass aber auch die vornehme Welt selbst fleissig spielte
und sang, beweist schon die Aufnahme der Musik in den Kreis der
allgemein anerkannten Unterrichtsgegenstaende; und was das Tanzen
anlangt, so wurde, um von den Frauen zu schweigen, selbst Konsularen
es vorgehalten, dass sie im kleinen Zirkel sich mit Tanzvorstellungen
produzierten. ------------------------------------------- ^21
Dergleichen "griechische Spiele" waren nicht bloss in den griechischen
Staedten Italiens, namentlich in Neapel (Cic. Arch. 5, 10; Plut. Brut.
21), sondern jetzt schon auch in Rom sehr haeufig (Cic. ad. fam. 7, 1,
3; Att. 16, 5, 1; Suet. Caes. 39; Plut. Brut. 21). Wenn die bekannte
Grabschrift der vierzehnjaehrigen Licinia Eucharis, die wahrscheinlich
dem Ende dieser Epoche angehoert, dieses "wohlunterrichtete und in
allen Kuensten von den Musen selbst unterwiesene Maedchen", in den
Privatvorstellungen der vornehmen Haeuser als Taenzerin glaenzen und
oeffentlich zuerst auf der griechischen Schaubuehne auftreten laesst
(modo nobilium ludos decoravi choro, Et Graeca in scaena prima populo
apparui), so kann dies wohl nur heissen, dass sie das erste Maedchen
war, das auf der oeffentlichen griechischen Schaubuehne in Rom erschien,
wie denn ueberhaupt erst in dieser Epoche die Frauenzimmer in Rom
anfingen, oeffentlich aufzutreten. Diese "griechischen Spielen in Rom
scheinen nicht eigentlich szenische gewesen zu sein, sondern vielmehr
zu der Gattung der zusammengesetzten, zunaechst
musikalisch-deklamatorischen Auffuehrungen gehoert zu haben, wie sie
auch in Griechenland in spaeterer Zeit nicht selten vorkamen (F. G.
Welcker, Die griechischen Tragoedien. Bonn 1839-41, S. 1277). Dahin
fuehrt das Hervortreten des Floetenspiels bei Polybios (30, 13)
des Tanzes in dem Berichte Suetons ueber die bei Caesars Spielen
aufgefuehrten kleinasiatischen Waffentaenze und in der Grabschrift der
Eucharis; auch die Beschreibung des Kitharoeden Her. Rhet. 4, 47, 60
(vgl. Vitr. 5, 7) wird solchen "griechischen Spielen" entnommen sein.
Bezeichnend ist noch die Verbindung dieser Vorstellungen in Rom
mit griechischen Athletenkaempfen (Polyb. a. a. O.; Liv. 39, 22).
Dramatische Rezitationen waren von diesen Mischspielen keineswegs
ausgeschlossen, wie denn unter den Spielern, die Lucius Anicius 587
(167) in Rom auftreten liess, ausdruecklich Tragoedien miterwaehnt
werden; aber es wurden doch dabei nicht eigentlich Schauspiele
aufgefuehrt, sondern vielmehr von einzelnen Kuenstlern entweder ganze
Dramen oder wohl noch haeufiger Stuecke daraus deklamierend oder singend
zur Floete vorgetragen. Das wird denn auch in Rom vorgekommen sein; aber
allem Anschein nach war fuer das roemische Publikum die Hauptsache bei
diesen griechischen Spielen Musik und Tanz, und die Texte moegen fuer
sie wenig mehr bedeutet haben als heutzutage die der italienischen Oper
fuer die Londoner und Pariser. Jene zusammengesetzten Spiele mit ihrem
wuesten Potpourri eigneten sich auch weit besser fuer das roemische
Publikum und namentlich fuer die Auffuehrungen in Privathaeusern als
eigentlich szenische Auffuehrungen in griechischer Sprache; dass auch
die letzteren in Rom vorgekommen sind, laesst sich nicht widerlegen,
aber auch nicht beweisen. -------------------------------------------
Indes gegen das Ende dieser Periode zeigen mit der beginnenden Monarchie
sich auch in der Kunst die Anfaenge einer besseren Zeit. Welchen
gewaltigen Aufschwung das hauptstaedtische Bauwesen durch Caesar nahm
und das Reichsbauwesen nehmen sollte, ist frueher erzaehlt worden.
Sogar im Stempelschnitt der Muenzen erscheint um das Jahr 700 (54)
eine bemerkenswerte Aenderung: das bis dahin groesstenteils rohe und
nachlaessige Gepraege wird seitdem feiner und sorgsamer behandelt.
Wir stehen am Ende der roemischen Republik. Wir sahen sie ein halbes
Jahrtausend in Italien und in den Landschaften am Mittelmeer schalten;
wir sahen sie nicht durch aeussere Gewalt, sondern durch inneren Verfall
politisch und sittlich, religioes und literarisch zugrunde gehen und der
neuen Monarchie Caesars Platz machen. Es war in der Welt, wie Caesar
sie vorfand, viel edle Erbschaft vergangener Jahrhunderte und eine
unendliche Fuelle von Pracht und Herrlichkeit, aber wenig Geist, noch
weniger Geschmack und am wenigsten Freude im und am Leben. Wohl war es
eine alte Welt; und auch Caesars genialer Patriotismus vermochte nicht,
sie wieder jung zu machen. Die Morgenroete kehrt nicht wieder, bevor
die Nacht voellig hereingebrochen ist. Aber doch kam mit ihm den
vielgeplagten Voelkern am Mittelmeer nach schwuelem Mittag ein
leidlicher Abend; und als sodann nach langer geschichtlicher Nacht
der neue Voelkertag abermals anbrach und frische Nationen in freier
Selbstbewegung nach neuen und hoeheren Zielen den Lauf begannen, da
fanden sich manche darunter, in denen der von Caesar ausgestreute Same
aufgegangen war und die ihm ihre nationale Individualitaet verdankten
und verdanken.





*** End of this LibraryBlog Digital Book "Römische Geschichte — Band 5" ***

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