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Title: Mein buntes Buch - Naturschilderungen
Author: Löns, Hermann
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Mein buntes Buch - Naturschilderungen" ***


  Anmerkungen zur Transkription


  finden sich am Ende des Buches.



    Hermann Löns

    Mein buntes Buch

    Naturschilderungen

    Adolf Sponholtz Verlag, G. m. b. H. / Hannover



    Alle Rechte, besonders das der Übersetzung,
    vorbehalten
    Copyright 1916

    Rodardruck von C. G. Röder G. m. b. H., Leipzig



Der Feldrain.


Mitten durch die Feldmark zieht sich ein Rain neben dem Koppelwege
hin. Wenn ich nicht Zeit habe, den fernen Wald aufzusuchen, gehe ich
hierhin. Gestört werde ich von Menschen nicht. Die ziehen die Anlagen
vor. So kann ich, gegen die Böschung gelehnt, meine Gedanken mit den
Lerchen emporflattern lassen, so viel ich will.

Im Sommer, wenn die Frucht hochsteht und die Ränder der Felder von
bunten Blumen starren, ist es hier viel schöner als jetzt. Anderseits
sieht man jetzt alles das, was aus der Erde schießt und sprießt und
darüber kreucht und fleugt, mit dankbareren Augen an als späterhin,
wenn alles üppig grünt und blüht.

Auf dem Grabenanwurfe, neben den halb verblühten Blumen des Huflattichs
in ihrer orangeroten Farbe, schieben sich die Blütenstände des
Schachtelhalmes aus den Lehmschollen, seltsam anzusehen. Einst
beherrschten riesenhafte Schachtelhalme die Erde; jetzt sind sie
niedrige Ackerunkräuter.

Sonst ist noch wenig Grün hier zu sehen außer den roten
Taubnesselblüten zwischen der üppig wuchernden Luzerne, in der hier
und da kräftige Ackerehrenpreispflänzchen ihre himmelblauen Blümchen
leuchten lassen. Auf den kahlen Stellen reckt das Hungerblümchen seine
winzigen Blüten, da kriecht der blaß blühende efeublättrige Ehrenpreis,
und Mastkraut und Vogelkreuzkraut, diese Dauerblüher, haben sich wieder
geschmückt, so gut sie es vermögen. Auch die Maßliebchen auf der Trift,
die noch im Weihnachtsmonde blühten, entfalten ihre weißen Sterne. Die
Löwenzahnblumen sind erwacht.

Die Lerchen trillern, in der Linde hinter mir singt der Goldammer
sein zärtliches Liedchen, und vor mir auf den Schollen zwitschert
ein Hänflingshähnchen. Prächtig leuchtet in der Sonne sein purpurner
Scheitel und die rosenrote Brust. Es kümmert sich nicht um den
Turmfalken, der über dem Kleestücke nach Mäusen rüttelt. Ein
Bachstelzenpärchen kommt angeschwenkt. Der Hahn macht der Henne auf
ganz schnurrige Weise den Hof. Fort sind die beiden. Grünfinken,
Gierlitze und Distelfinken schnurren laut lockend vorüber und fallen
auf der Brache ein, hinterher kommt, fröhlich lärmend, ein kleiner Zug
Feldspatzen, dann ein Trupp Buchfinken.

Alle Augenblicke meldet sich neues Leben. Ein Star läßt sich auf der
Linde nieder, klappt mit den Füßen, pfeift, quietscht, quinquiliert
ein Weilchen und fliegt dem Dorfe zu. Seinen Platz nimmt der Grauammer
ein, rasselt sein blechernes Lied herunter und streicht dann plump
mit herabhängenden Füßen ab. Dann hüpft ein alter, tiefschwarzer
Rotschwanzhahn auf dem Steinhaufen herum, fortwährend die rostroten
Schwanzfedern zittern lassend und einen Knicks nach dem anderen
machend, bis ein laut heranburrendes Feldhuhnpaar ihn verscheucht.
Herrisch ruft der Hahn und rennt hochaufgerichtet der geduckt dahin
trippelnden, schüchtern lockenden Henne nach, sie in die hohen Schollen
des Sturzackers treibend.

Ich sehe den vielen Saatkrähen nach, die heiser krächzend der Marsch
zufliegen, den Dohlen, die lustig rufend über die Felder taumeln, und
dem Steinschmätzer, der über dem Rande des Steinbruches wie albern
herumflattert und dabei ganz schnurrige Töne zum besten gibt. Plötzlich
läßt er sich jäh abfallen, und auch der Goldammer bricht sein Liedchen
in der Mitte ab und huscht in den Schlehbusch hinein. Der Wutschrei der
Rauchschwalben warnte beide, und so kam der Sperber zu spät. Gestern
schlug er dicht vor mir eine Lerche, und vor einigen Tagen holte er
einen lustig pfeifenden Starmatz von der Eiche. Leben und Tod sind
dicht beieinander auf der Welt.

Aus den Weidenbüschen des alten Steinbruches tönt der Ruf des
Laubvögelchens hervor, und auf dem verfallenen Schuppen quietscht der
Rotschwanz mühsam sein Liedchen aus der Kehle. Fremde Laute erschallen,
bald rauh, bald weich, scheinen näher zu kommen, entfernen sich und
sind wieder dichter bei mir. Hundert Kraniche und mehr ziehen unter dem
Himmel gegen Abend hin, unaufhörlich rufend. In derselben Höhe kommen
zwei Gabelweihen angestrichen, ebenfalls nordwärts reisend, und darauf
vier Bussarde. Dann erschallen Flötentöne, weiche, und ein Dutzend
Brachvögel fallen auf der Saat ein, stelzen kopfnickend dort umher,
erheben ihr Gefieder aber bald wieder und eilen weiter.

Lange sehe ich zwei Hasen nach, die bald die Häsin treiben, bald
aneinander geraten und sich backpfeifen, und freue mich an dem
Haubenlerchenpärchen, das über den festgetretenen Fußweg trippelt, bis
es neben mir im Grase raschelt und sich erst ein rosenrotes Rüsselchen
und zwei gleichfarbige, breite, scharf bekrallte Händchen und dann ein
schwarzbepelztes Köpfchen hervorwühlt. Ein Maulwurf ist es; eilfertig
wuselt er unter dem Raine her. Ein zweiter folgt ihm, ein dritter,
und dann gibt es ein grimmiges Gebeiße und ein giftiges Gezwitscher
zwischen den beiden letzten Schwarzröcken, denn es sind Männchen, und
das erste, das sich jetzt hurtig unter den Bocksbeerranken eingräbt,
ist ein Weibchen. Hinter ihm her huscht das Männchen, das bei dem
Kampfe obsiegte. Das andere aber putzt sich das arg zerbissene
Schnäuzchen und watschelt trübselig seinem Loche zu, in dem es langsam
versinkt.

Ich bin zu faul, mich wieder umzudrehen, und so bleibe ich mit den
Augen in der Nähe kleben. Da ist ebensoviel zu sehen wie in der Ferne.
Prachtvolle Erdbienen mit tiefpurpurnen Brustschildern und goldgelb
behaarten Leibern sonnen sich auf den kahlen Lehmschollen, ein
schwarzes Herrgottskäferchen mit roten Tupfen erklimmt einen Halm und
fliegt von dessen Spitze in die Welt hinein, und ein langer, dicker,
dunkelblauer Ölkäfer gräbt langsam und bedächtig ein Loch, um darin
seine unzählbaren Eier abzulegen. Eine Unmenge winziger Lärvchen wird
daraus hervorschlüpfen, die Blumen erklimmen und warten und warten,
bis eine Biene ankommt, die sie zu ihrem Neste trägt. Wer von ihnen
dieses Glück nicht hat, muß elend umkommen. Und auch die, die in ein
Bienennest gelangt, aber kein Bienenei findet, geht zugrunde. Von den
vielen Tausend werden nur ganz wenige zu Käfern. Der Tautropfen, der
sich in dem Blattquirle des Wegerichs gehalten hat, lockt eine dicke,
schwarze, mit Gold verbrämte Hummel heran. Sie läßt sich nieder, steckt
den Rüssel in das Wasser und saugt sich satt. Ein Mistkäfer, der über
ihr herumkrabbelt, verliert den Halt und kullert an sie heran. Unwillig
brummt sie und reckt die Vorderfüße drohend gegen den Störenfried,
der sich mühselig wieder auf die Beine hilft und weiter kriecht. Ein
großer, goldgrüner, blitzblanker, schön geriefter Laufkäfer hastet
von Scholle zu Scholle, in jede Ritze den Kopf steckend. Jetzt stößt
er auf eine Graseulenraupe. Er beißt sie hinter den Kopf und in das
Hinterende, läßt sie liegen und rennt weiter, bis er einen Regenwurm
antrifft, mit dem er es ebenso macht. Um die Feuerwanzen, die an den
üppigen Wurzeltrieben der Linde saugen, kümmert er sich aber gar nicht;
ihre grellen Farben werden ihn wohl abschrecken.

Die Sonne prallt nur so gegen den Rain. Ich meine es sehen zu können,
wie sich die Blattüten der Brombeere auseinander wickeln, und während
ich hier liege, hat die Taubnessel schon Dutzende von ihren Blüten
aufgeklappt, die vorhin noch geschlossen waren, und ladet die Bienen,
Hummeln und Schwebfliegen ein, sich gütlich zu tun. Auch der gelbe
Ackerstern, der eben noch nicht sichtbar war, leuchtet jetzt grell
aus dem alten Laube hervor, sehr zur Freude eines winzigen Bienchens,
das sich darin niedergelassen hat. Überall huschen flinke, blanke
Käferchen und rennen gelbe und braune Ameisen umher, bis sie die
von dem Laufkäfer getötete Raupe entdecken, sich daran machen, sie
auszuhöhlen und Fetzchen um Fetzchen nach ihrem Neste unter den jungen
Rainfarrenblättern zu schleppen. Zwei Schmetterlinge, kleine Füchse,
spielen vorüber, und von der anderen Seite ein Morgenrotfalter, der
nach den Wiesen hin will, wunderbar anzusehen mit den rosig leuchtenden
Spitzen seiner Schwingen. An der Grabenpfütze, die vom letzten
Nachtregen hier stehenblieb, läßt sich eine Biene nach der andern
nieder, saugt sich voll, putzt sich den Rüssel ab und summt von dannen.

Plötzlich plumpst ein langer, ganz in blauen Stahl gekleideter
Raubkäfer zwischen den Bienen nieder, die drohend ihre Stacheln
herausstrecken, sich aber beruhigen, wie der Käfer ihnen aus dem
Wege geht. Hastig huscht er dahin, den Hinterleib im Bogen aufwärts
gekrümmt, die gefährlichen Zangen weit geöffnet. Jetzt hat er die
große graue Fliege entdeckt, die infolge ihrer verkrüppelten Flügel
unbehilflich auf derselben Stelle umherhopst. Blitzschnell dreht er
sich um, starrt einen Augenblick nach ihr hin, macht einen Sprung und
greift sie. Sie zirpt jämmerlich, aber er zerrt sie unter den Vorhang,
mit dem der Gundermann ein Mauseloch halb verdeckt hat.

Unglaublich viel ist hier zu sehen. Wenn ich auch nicht, wie gestern
den Hamster, und wie vorgestern das Wieselchen zu Gesicht bekomme, ja
noch nicht einmal den Raubwürger, wie ein anderes Mal, es ist schon
so schön, nur das junge Kraut zu betrachten, das aus dem gelben Boden
drängt, die Blattrosen des Löwenzahns, keine der anderen gleich, die
Unmenge von Knöterichkeimlingen im Graben, die protzige Fetthenne, den
grüngelben Blattstern der Wolfsmilch, die silbernen Fingerkrautblüten,
kaum halb erschlossen und vor allem die üppige Weizensaat, leuchtend in
der Sonne.

Eine weite grüne Fläche, hinter der sich drei purpurrot blühende
Pappeln in den blauen Himmel recken, warme Sonne und Lerchengesang; ist
das nicht allein genug für mich, um ihn lieb zu haben, den Platz am
Feldrain?



Der Waldrand.


Die Sonne bescheint freundlich den Waldrand.

Gestern schien sie heller als heute; dennoch ist die Haubenlerche viel
fleißiger. Unaufhörlich läßt sie ihren Lockruf ertönen, und nun fliegt
sie sogar auf einen Erdhaufen und singt ihr kleines Lied.

Die Luft ist weich und schmeckt nach warmem Regen. Ein weißer Hauch
liegt über dem Felde und nimmt der Sonne Schein und Farbe. Aus den
umgestürzten Schollen steigt ein starker Geruch, und alle Zweige und
Stämme sehen aus, als dufteten sie nach dem neuen Leben, das in ihnen
empordrängt.

Die üppigen Rasen der Vogelmiere auf dem Brachacker hatten jüngst, als
der Wind scharf von Morgen kam und der Boden beinhart gefroren war,
nicht weniger weiße Blütenstreifen als heute, und das Kreuzkraut ebenso
viele goldene Knöpfchen, auch blühten die Maßliebchen gleichfalls am
Raine. Damals wirkte das widersinnig, heute aber nicht.

Auf dem Brombeerbusche am Grabenrande sitzt der Goldammerhahn und
versucht sein Lied zusammenzubringen; gestern, als die Sonne hell vom
hohen Himmel schien, dachte er nicht daran. Auch die Kohlmeise besinnt
sich auf ihre Frühlingsweise; da sie aber damit nicht fertig wird, so
lockt sie wenigstens dreimal so zärtlich, als am gestrigen Tage. Süß
und seltsam hört sich das an.

Der Haselbusch am Graben ist gänzlich aufgeblüht; zwischen den goldenen
Troddeln glühen purpurne Sternchen. Die Eller ist ihm sogar schon
voraus; der Weg ist mit braunen Kätzchen besät. Die silbernen Knospen
an den Weiden recken und strecken sich und die der Espen quellen und
schwellen. Aus dem Vorjahrslaube drängt sich das junge Gras, überholt
von den fetten Blättern des Aronstabes, die Scharfwurz verhüllt den
kahlen Boden und lustig wuchert das zierliche Grün des Ruprechtskrautes.

Die Sonne kommt noch einmal am dunstigen Himmel hervor. Überall spielen
die Wintermücken, daß es lustig blitzt, und hier und da surrt eine
Fliege vorüber. In der alten Samenbuche sitzt eine Krähe und quarrt und
schnarrt auf ganz absonderliche Art; das ist ihr Liebeslied. Aus den
Fichten kommt ein wunderliches Quietschen und Schnalzen; der Häher gibt
seinen zärtlichen Gefühlen Ausdruck. Da hinten auf der grasgrünen Saat
maulschellen sich zwei Hasen um die Häsin. Der Frühling kommt.

Ist es auch wahr? Ist es nicht nur ein bloßes Gerücht, eine falsche
Verheißung? Zwar wippt da schon ein Bergbachstelzenpaar an dem Graben
entlang, hier wühlt ein Maulwurf das knisternde Fallaub auf, sieben
Starmätze pfeifen auf dem Hornzacken der Eiche, im Graben plätschert
zwitschernd und quitschernd ein Spitzmauspaar umher, fauchend und
schnalzend jagt ein Eichkater die Liebste von Ast zu Ast, und ein
Goldhähnchen singt schon so gut, wie es das besser nie können wird.

Aber da hinter dem fernen Walde im kalten Moore liegt der Nordostwind
und schläft. Vielleicht wacht er über Nacht wieder auf und zu
Ende ist es mit Lied und Liebe. Statt der Wintermücken spielen
die Schneeflocken, Star und Bachstelze flüchten von dannen, die
bunten Bergfinken, die der weiche Wind nach Norden lockte, werden
verschwinden, und Amsel, Meise und Goldhähnchen vergessen ihre halb
gelernten Lieder wieder. Die Blümchen auf der Brache und die Kätzchen
an den Bäumen werden wirken wie unangebrachte Witze.

Die Sonne ist fortgegangen; dichter und unsichtiger wird die Luft. Um
so mehr aber leuchten die halb aufgesprungenen Knospen an den grauen
Zweigen des Dornbusches und an den schwarzen Ästen der Traubenkirsche
hinter dem Grabenbord und im Unterholze des Geißblatts kecke junge
Blätter. Ein sachtes Rieseln kommt herunter, unhörbar und leicht.
Fröhlich schmettert der Zaunkönig sein Liedchen, lustig trillert
die Meise, und selbst der schüchterne Baumläufer erhebt sein dünnes
Stimmchen lauter als zuvor.

Der Regen nimmt zu, die Dämmerung geht leise am Waldrande entlang. Da
trommelt ein Specht auf einmal los, daß es weithin dröhnt; das ist
das Zeichen für alles, was Schnäbel hat. Mit einem Schlage bricht ein
vieltöniges Zwitschern und Flöten los, so wirr, so kraus, daß keine
einzelne Stimme sich daraus hervorhebt. Ein Viertelstündchen hält
es an; dann bleibt davon nur das Gestümper der Amsel übrig und des
Rotkehlchens erst halb gelerntes Lied. Auch das verlischt im leisen
Regengeriesel, und der ihrem Schlafwalde zuziehenden Krähen rauhes
Geplärre gibt dem weichen Tage einen harten Abschluß.

Dunkel wird es im Walde. Keine neue Knospe im Gezweig, nicht ein
frisches Blatt am Boden ist mehr zu sehen. Leblos stehen die Stämme da
und recken kahle Wipfel in die Luft. Doch immer noch will das Leben,
das dieser Tag erweckte, sich nicht zur Ruhe begeben. Vom Felde her
schrillt des Rebhahnes herrischer Ruf und von der Mergelgrube kommt das
breite Geschnatter eines arg verliebten Erpels. Wie winzige Gespenster
taumeln bleiche Wintermotten auf der Weibchensuche um die Buchen, zwei
Fledermäuse zickzacken am Graben auf und ab, und im Gebüsch schnauft
ein Igel aufgeregt hinter der Auserwählten her.

Die Nacht kommt näher; tiefer wird der Himmel. Kein einziger Stern
steht an ihm. Die letzte Krähe hastet, verlassen schreiend, über die
Wipfel hin. Dichter fällt der Regen; lauter tröpfelt er in das tote
Laub. Dumpf unkt in den Fichten die Ohreule; hohl heult in den Kiefern
der Kauz los.

Zu Ende ist der milde Tag, an dem der Vorfrühling am Waldrande spuken
ging.



Das Genist.


Vorgestern sah der Bach rein und klar aus und rann bescheiden zwischen
seinen Ufern dahin.

In der Nacht gingen gewaltige Regengüsse in den Bergen nieder und
gestern früh war der Bach trübe und lehmig; er polterte ungestüm dahin,
stieg über seine Ufer und überschwemmte ein gutes Stück der Wiesen.

Nun fällt er bereits. Nicht mehr so wild wie gestern strudelt er dahin,
führt nicht so viel Spreu mit sich, und tritt auch schon langsam wieder
von den Wiesen zurück, einen bräunlichen Streifen da hinterlassend, bis
wohin gestern die Vorflut gereicht hatte.

Das ist das Genist, ein Sammelsurium von Grummetresten, dürren
Stengeln, trockenen Zweigen, Grasrispen, Fruchtkapseln,
Rindenstücken, Wurzeln, Samenkörnern, Blättern, Beeren, Käferflügeln,
Schneckenhäusern, Puppenhüllen, Kerbtierleichen, Steinchen, Federn,
Haaren, Moosflöckchen, Muschelschalen, Knochen und hunderterlei anderen
Dingen, teils aus dem Haushalte der Natur herstammend, teils aus
Trümmern von Gegenständen bestehend, die der Mensch anfertigte.

Ganze Mengen von Grasblättern und Wurzeln sind in den Weidenbüschen
hängen geblieben, um deren Zweige die Flut sie fest herumgewickelt
hat. Nun hängen sie da wie die Reste verwitterter, zerschlissener
Wimpel und flattern im Winde. Dunkelköpfige graue Vögelchen,
Sumpfmeisen und Weidenmeisen, schlüpfen daran herum und pflücken
heraus, was sich in dem Gewirre an Körnern und Kleingetier gerettet hat.

An der Vorflutmarke aber, wo der Bach feineres Genist als
ununterbrochenen Streifen abgesetzt hat, sind die Krähen dabei,
herauszusuchen, was ihnen gut zu fressen dünkt, die schwarzen
Rabenkrähen und die zur Hälfte aschgrauen Nebelkrähen aus
Ostland, ferner eine Anzahl der blanken Saatkrähen sowie einige
Dohlen. Auch etliche Staare, die infolge der milden Witterung
vorläufig hiergeblieben sind, stöbern dort umher, desgleichen zwei
Bergbachstelzen und einige nordische Pieper, die eigentlich weiter zum
Süden reisen wollten, aber wegen der Stürme der letzten Tage diese
Absicht aufgeschoben haben.

Sie finden alle überreiche Nahrung, denn es krimmelt und wimmelt nur so
aus dem halbnassen Geniste hervor, zumal da jetzt die Mittagssonne so
hell scheint und das Gespreu abtrocknet und anwärmt. Überall schlüpfen
schwarze Laufkäfer aller möglichen Gattungen und der verschiedensten
Größe hervor und streben dem trockenen Lande zu, dazwischen sind
grünliche und hier und da ein gleißend kupferroter, der hier sonst
nicht vorkommt und den das Wasser aus den Bergen mitgerissen hat,
winzige, die wie blanker Stahl aussehen, bräunliche mit gelben Flecken,
rote mit schwarzer Kreuzzeichnung, und ein gelblicher, grüngezierter,
rund wie ein Marienkäferchen, dem man es nicht ansieht, daß er zu den
Laufkäfern gehört.

Dann sind Halbflügler da, größere, glänzend schwarze, kupfrige,
grünliche und blaue, kleinere, die gelbrot und blau gemustert sind,
andere mit roten Halsschildern, und unzählige ganz winzige, die an
schönen Abenden gern über den Landstraßen schwirren und den Radfahrern
verhaßt sind, weil sie ihnen in die Augen fliegen und sie durch ihren
beißenden Mundsaft zum Tränen bringen. Ferner gibt es noch größere
und kleine Mistkäfer, stattliche und unglaublich winzige Rüßler,
Blattkäfer, Erdflöhe, die kaum sichtbaren Haarflügler, seltsame
Ameisenkäfer, Stutzkäfer, blank wie Erz, Borkenkäfer, Schnellkäfer und
wer weiß noch welche Käferarten, solche, die hier in der Ebene leben,
andere aus dem Hügellande da hinten und wieder andere oben aus dem
Gebirge.

Die drei Sammler, die dort eifrig an der Arbeit sind, das Genist
durchzusieben und ganze Mengen von Kleinkäfern in ihre Gläser zu
füllen, werden zu Hause beim Aussuchen manches sehr seltene Stück
finden, ebenso wie der andere Sammler, der die Rückstände nach
Schneckenhäusern durchsiebt, denn die liegen zu Tausenden hier. Da
sind einzelne Weinbergschnecken, rote, gelbe, braune, gesprenkelte
und gestreifte große Schnirkelschnecken mit weißen oder braunen
Mundsäumen, kleinere, bräunliche mit seltsam gefalteten Öffnungen,
spitze Schließmundschnecken, viele Arten von Moospuppen, darunter ganz
seltene Arten, halb und ganz durchsichtige Hyalinen, Vitrinen und
Dauderbardien, winzige Schneckchen mit Haaren, Rillen und Stacheln, die
häufigen Bernsteinschnecken und allerlei große und kleine Posthörner
und andere Wasserschnecken, mit Kiemen atmende kleine Deckelschnecken,
darunter eine nadeldünne, braunrote, glänzende, die auf dem Lande lebt
und sehr selten ist, ferner ein weißes, bleiches, zartes und kleines
Schneckchen, das kaum anders als auf diese Weise gefunden wird, weil es
eine unterirdische Lebensweise führt, noch kleinere Deckelschnecken aus
den Quelltümpeln des Gebirges und das noch viel kleinere schneeweiße
Ohrschneckchen, das wie ein Grassamenkorn aussieht. Auch kleine
Müschelchen finden sich vor und ab und zu Nacktschnecken, besonders
eine kleine Verwandte der Ackerschnecke, die wie ein junger Blutegel
anzusehen ist.

In solchen Unmengen setzt das Hochwasser mehrere Male im Jahre die
Schneckenhäuser und Muschelschalen hier ab, daß der Boden rechts
und links von dem Bache viel kalkhaltiger und fruchtbarer ist als
weiterhin. Auch hat er eine ganz andere Pflanzenwelt, denn das Wasser
führt aus dem Gebirge eine Masse von Samen solcher Gewächse mit, die
hier in der Ebene nicht vorkommen. In den dürren Stengeln, die das
Wasser mitführt, in den Grasbüscheln, Rindenfetzen und Holzstücken
findet sich noch manches lebensfähige Ei, manches Fliegentönnchen,
manche Larve oder Puppe, die im Frühling auskommen, und so siedelt sich
an der Grenze der Flutmarke den Bach entlang allerlei kleines Leben an,
das von Rechts wegen der Ebene nicht angehört.

Die meisten Menschen gehen gleichgültig an dem Streifen von Spreu
vorüber, den das Wasser hier angespült und zurückgelassen hat, ohne zu
ahnen, welche Bedeutung er hat. Wenn sie sich aber einmal bückten,
eine Handvoll von dem Geniste aufnähmen, es auseinanderzupften und
alles das betrachteten, woraus es besteht, so würden sie staunen über
die Fülle von Leben, das darin verborgen ist.



Die Frühlingsblumen.


Mit verdrießlichem Gesichte stand der Tag auf. Nun hat er die mürrische
Laune überwunden und zeigt eine zufriedene Miene.

Die gelben Löwenzahnblüten am Raine danken es ihm und öffnen sich,
bunte Schmetterlinge tanzen ausgelassen über die Landstraße, überall
flattern Lerchen aus den lachenden Saaten auf und erfüllen die frische
Luft mit fröhlichen Stimmen.

Die Sonne soll uns den Weg weisen. Voll und heiß scheint sie gegen den
Vorwald, dessen Rand dichtes Gebüsch verschleimt, lustig grünender
Weißdorn, fröhlich blühende Schlehen, strahlende Weidenbüsche und von
den grauen Ranken der Waldrebe umsponnener Bergholunder, über und über
mit grünlichen Blütentrauben bedeckt.

Hier hüpft und schlüpft es in einem fort und singt und klingt auf
mannigfache Art. Aber wie sich auch Ammer und Laubvogel, Rotkehlchen
und Braunelle, Meise und Fink anstrengen, der Knirps von Zaunkönig
überstimmt sie doch alle mit seinem keck hinausgeschmetterten Liedchen.

Das braune Fallaub am Boden ist fast verschwunden unter jungem Grase
und frischen Blüten, weißen und gelben, blauen und roten, bunt
durcheinander gemischt, eine immer schöner als die andere. Aber ob
auch die Windröschen so zierlich, die Waldveilchen so herzig und der
Lerchensporn so üppig ist, die Himmelsschlüssel überragen sie alle an
Vornehmheit und Würde.

Einen leichten Pfirsichduft entlockt ihnen die Sonne. Er mengt sich mit
dem Geruche der Erde und dem Hauche, der aus den aufbrechenden Knospen
quillt, bis er unter dem Atem des Moschusblümchens verschwindet oder
von dem des Waldmeisters, dessen schwache und doch so kecke Quirle
überall das alte Laub durchbrechen.

Es raschelt im Gebüsch; eine Waldmaus springt dahin. Es raschelt im
Grase; eine Eidechse schlüpft von dannen. Im Moose schimmert eine
Blindschleiche, die sich da sonnt, und in dem kleinen Wasserbecken
leuchtet es feuerrot und himmelblau auf. Es sind Bergmolche, die dort
emportauchen, um Luft zu schnappen, und wieder hinabsinken und auf dem
Grunde ihre seltsamen, lächerlichen Minnespiele treiben.

Ein Pfauenauge schwebt vorüber. Ein anderes tanzt darauf zu. Munter
wirbelt das Paar dahin. Ihm folgen zwei Zitronenvögel, ein grünlich
weißes Weibchen, stürmisch von dem goldenen Männchen getrieben. Zwei
Krähen stechen sich, wie Esel quarrend, in der Luft. Zärtlich heult der
Täuber, steigt stolz über die Kronen und klatscht laut die Schwingen
gegeneinander, um der Liebsten zu gefallen. Zu demselben Zwecke
trommelt der Specht so unverdrossen, und aus keinem anderen Grunde
fühlt sich der Grünfink bewogen, den Flug der Fledermaus nachzuäffen.

Dort hinten ist eine neue Farbe im Walde. Eine Buche ist es, die
an den untersten Zweigen ihre Knospen geöffnet. Lauter goldgrüne
Schmetterlinge scheinen den silbernen Stamm zu umflattern. Das sieht so
wunderschön aus, daß wir uns hier lagern müssen, um uns in Ruhe daran
zu freuen, und an den Windröschen darunter, den weißen, verschämten,
den gelben, kecken, an dem protzenhaften, gespreizten Aronstab und
dem wunderfeinen, zierlichen Sauerklee, der den moosigen Stumpf mit
leuchtenden Blättchen und schimmernden Blütchen verhüllt.

Die Drosseln schlagen, die Finken schmettern, ein Täuber ruft, ein
Bussard schreit aus der Höhe herab, und doch ist es, als wäre es still,
friedlich still hier im Walde. Verstohlen flattert eine Krähe von Ast
zu Ast und bricht heimlich Nestreiser. Ein Eichkätzchen hüpft über den
blumigen Erdboden und scharrt nach Käfern. Zwei helle Tauben schweben
heran, blicken lange umher und lassen sich endlich im Grunde nieder, wo
das goldene Milzkraut den Spring rund umher einfaßt und weiterhin die
Lungenblumen versuchen, ihre rosenroten und himmelblauen Blüten dagegen
zur Geltung zu bringen.

Die Sonne verfleckt sich, die Blumen verblassen, das Grün verdunkelt
sich. Ein kühler Luftzug kommt über den Berg und bewegt die Wipfel. Die
Vögel verstummen zumeist. Ein Fink schlägt noch; auch er hört auf, und
einzig und allein die Spechtmeise läßt unaufhörlich ihr eintöniges,
ermüdendes Geflöte hören. Wir steigen bergab und wieder bergauf und
abermals hinab, bis dahin, wo ein Wiesental sich öffnet, und da finden
wir die Sonne wieder und Vogellieder und Blumen, soviel Blumen unter
den hohen Eichen, daß jedes Fleckchen erfüllt von ihnen ist. Und
damit der Weg nicht zu sehr von dieser Pracht absteche, haben ihn die
Ahornbäume mit goldenen Blütenbüscheln bestreut.

Wir müssen wieder rasten, so schön ist es an diesem Ort. Das Moos
ist weich und die Sonne warm, ein Bächlein ist da, das uns allerlei
erzählt, und so kommen und schwinden die Stunden, wie die goldenen
Falter, die zwischen den silbernen Stämmen auftauchen und untergehen.
Menschenstimmen, ein wenig zu laut für diesen Tag, treiben uns weiter,
durch düsteres Tannicht, durchzittert von dem Liebesgezwitscher
unsichtbarer Goldhähnchen, durch helles Buchenholz, erfüllt vom
Geschmetter der Finken, über eine breite, von Wildfährten gemusterte
Trift, durch enge Stangenörter, wo die Sauen im festen Boden gebrochen
haben, an Buchenjugenden vorbei, deren Vorjahrslaub in der Sonne wie
Feuer lodert.

Ohne Plan und Ziel schweifen wir dahin, bis der Tag zur Neige gehen
will und der weite, grüne Teppich von Bärenlauch, der den Hang bedeckt,
sein lustiges Funkeln einstellt und herb und streng aussieht und die
weißen Windröschen ängstliche Gesichter bekommen. Die Dämmerung erwacht
und tritt aus den Dickungen in das hohe Holz, eindringlicher klingt
das Lied des Rotkehlchens; bald wird die Eule rufen. Aber noch einmal
beschert uns dieser Frühlingstag ein kostbares Geschenk. Hier im
jungen Stangenort, rechts und links von dem schmalen Steige, hat er so
viel rote und weiße Blumen ausgeschüttet, daß unsere Augen ganz groß
werden. Von allem, was uns dieser Tag bot, ist dieses das Herrlichste.

Schiene die Sonne, flögen die Falter, schimmerten die Stämmchen,
nicht so wunderbar anzusehen wäre dann dieser Zaubergarten wie nun,
wo die Jungbuchen stumpf und hart aus der märchenhaften Blütenfülle
herausstreben und das Summen der Hummeln ein fernes Glockengeläute
vortäuscht.

Wir stehen und starren und staunen und wissen: immer, nach Jahren noch,
werden wir dieses Tages Ende, dieser Stunde hier und ihrer Gabe dankbar
gedenken.



Der Porst.


An der Quelle, die am Fuße der hohen Geest aus dem anmoorigen Boden
springt, steht ein brauner, blattloser Strauch, über und über mit
goldig schimmernden Blütenkätzchen bedeckt.

Ein Porstbusch ist es. Schon im Spätsommer, als er noch im vollen
Laube stand, hatte er seine Blüten halb fertig; im Herbst und Winter
vollendete er sie, und dann stand er da und wartete auf seinen
Frühling. Lange hat er warten müssen. Die Kolkraben kreisten laut
rufend über der Wohld, die Birkhähne bliesen und trommelten auf den
Wiesen, Hasel und Erle blühten auf und blühten ab; doch erst als der
Kranich im Moor in die Trompete stieß und die Birke sich rührte, durfte
der braune Busch seinen tausend Knospen den Willen lassen, und nun
steht er da, umgeben von goldenem Schein und atmet einen strengen und
starken Duft aus, der sich mit dem Hauche des jungen Birkenlaubes und
dem Kiengeruche der sprossenden Kiefern vermischt.

Alle die anderen Porstbüsche, die zwischen den Rinnsalen, die aus der
Geest quellen, stehen, hier einzeln und hoch, von Birken, Weiden,
Eichen und Erlen bedrängt und von gewaltigen Wacholdern und hohen
Stechpalmen, dort niedriger und in Scharen vereinigt, durchwuchert
von silbern anblühendem Wollgrase und lustig sprießendem Riede, haben
ebenfalls ihre Kätzchen erschlossen. Wenn sie aber auch noch so sehr
prahlen und prunken, zur Alleinherrschaft kommen sie hier doch nicht.
Denn das Bergmilzkraut ist noch da, das mit hellblühendem Rasen die
Wässerchen umflicht, stolze Dotterblumen protzen aus saftigem Laub
hervor, die Weidenbüsche leuchten von oben bis unten vor Blütenpracht,
und das junge Laub der Birken, vermengt mit zierlichen Troddelchen,
schimmert und flimmert im Morgensonnenlichte.

Einst, als der Wolf hier noch das Hirschkalb hetzte, bei Tage der
Adler das große Wort hatte und bei Nacht der Uhu, herrschte der
Porst unumschränkt von der Geest bis an die Aller. Aber die Bauern
brannten ihn nieder, rodeten ihn aus, schlugen Pfähle ein, zogen
Drähte, trieben das Vieh in die Gatter, kalkten das Land, und nun sind
Wiesen und Weiden da, wo ehemals nichts war, als Porst und Porst und
immer wieder nur Porst und hier und da eine Eiche, ein Wacholder, ein
Stechpalmenbusch. Nur an den Seiten der Wiesen und an einigen Gräben
hat er sich noch halten können und zieht braune, goldig leuchtende
Streifen durch die grünen, vom Schaumkraut bläulichweiß überhauchten
Flächen. Hinter den Wiesen aber, in der großen Sinke, die von zwei
flinken Bächen und einem faulen Flüßchen überreich mit Wasser versorgt
wird, hat der Porst noch die Obergewalt. Es fehlt dort anfangs nicht
an Bäumen und Sträuchern, knorrigen Eichen, schlanken Birken, stolzen
Fichten und krausen Kiefern; aber jetzt, wo der Porst in Blüte steht,
kommen sie nicht zur Geltung, denn die ganze weite, breite, nur hier
und da von einer Krüppelkiefer, einem Erlenhorste, einem Weidenbusche
unterbrochene Fläche ist ausgefüllt von ihm, ist ein einziges goldenes,
glühendes, loderndes Gefilde, erfüllt von tausendfältigem Leben.

Dumpf murren in den Tümpeln die Moorfrösche, hell locken im Riede die
Heerschnepfen, wehleidig klagend taumeln die Kiebitze dahin, und mit
jauchzendem Schrei kreist der Bussard unter den Wolken. Auf dem grauen
Wacholdergerippe sitzt der Raubwürger, schrill rufend, helle Weihen
werfen sich mit gellendem Keckern aus der Luft, der Brachvogel steigt
empor und läßt seine wehmütigen Triller weithin schallen, Kuckuck und
Wiedehopf läuten, die Turteltauben schnurren, und viele kleine und
feine Stimmen erklingen, ab und zu übertönt von den herrischen Fanfaren
des Kranichs oder von dem dröhnenden Basse des Rehbockes, der von
einem Menschen Wind bekommen hat und nun durch den Porst flüchtet, daß
der Blütenstaub hinter ihm herwirbelt und die graue Glockenheide, die
braune Sandheide, das grüne Ried und das silberne Wollgras mit dichtem
gelbem Puder verhüllt.

Heute herrscht der Porst hier noch und morgen und übermorgen. Um
das düstere Erlengebüsch frohlockt er und jauchzt aus dem modrigen
Birkenwalde heraus. Aber die Sonne, die ihm nach langem Warten die
Schönheit brachte, wird sie ihm bald nehmen, der Wind streift ihm den
goldenen Staub aus den Kätzchen, der Regen gibt ihm den Rest. Mit
verdorrten, fahlen Blüten wird er dann dastehen; niemand wird nach
ihm hinsehen, wenn er sich mit jungem Laube schmückt, und je voller er
sich beblättert, um so unsichtbarer wird er und verschwindet zwischen
der Heide und dem Riede und den Weiden und dem übrigen Bruchgebüsch als
ein Strauch, den keiner sieht und kennt. Im Herbste wird er dann noch
einmal goldgelb und feuerrot leuchten und lodern und im Winter sich
purpurrot aus dem Schnee erheben, um auf den Frühling zu warten; doch
niemand freut sich an ihm.

Hinter den Erlen quillt eine Rauchsäule empor, und noch eine und immer
mehr. Die Bauern brennen den Porst; er steht ihnen im Wege. Hier liegen
die blühenden Büsche zu Tausenden am Boden, da starren sie tot und
schwarz aus dem jungen Grase. Über das Jahr wird der feurige Busch
nicht mehr so unumschränkt hier herrschen; Wiesen und Weiden werden ihn
durchziehen. Und noch ein Jahr und abermals eins wird kommen, und aus
ist es mit ihm. Nicht mehr wird der Birkhahn hier balzen, der Kranich
trompeten, die Heerschnepfe meckern.

Verschwunden wird bis auf einige dürftige Reste der Porst sein mit
seiner Pracht und all dem bunten, reichen Leben, das sich in ihm barg.



Der Baumgarten.


Die Kohlmeise war es, die den Baumgarten aus dem Winterschlafe brachte.
Sie sang so lange in dem Haselbusche, bis dessen Troddelchen sich
reckten und streckten und goldenen Staub ausschütteten.

Da fühlte sich die Amsel bewogen, die Aprikosen wachzusingen. Es
dauerte eine ganze Weile, ehe ihr das gelang; aber dann entfalteten
alle auf einmal ihre rosenroten Blüten und die Leute, die die Straße
entlang kamen, blieben stehen, lachten mit den Augen und sagten: »Ah!«

Das machte den Buchfinken eifersüchtig und er begann zu schlagen,
daß erst die Knospen an den Kirschbäumen und dann die der Birnbäume
aufsprangen und die Zweige aussahen, als seien sie frisch beschneit,
und als der Grünfink zu schwirren begann und der Girlitz trillerte,
ermunterten sich auch die Pflaumenbäume und die Leute blieben wieder
stehen und sagten: »O wie schön!«

Aber die Apfelbäume rührten sich immer noch nicht, soviel Mühe sich
Meise, Amsel und Fink auch mit ihnen gaben, und Grünfink und Girlitz,
Hänfling und Stieglitz. Es mußte erst das Gartenrotschwänzchen aus dem
Süden kommen; das weckte die Frühäpfel auf, und die späten Sorten
schüttelten auch dann noch nicht den Schlaf ab, sondern warteten, bis
der Wendehals da war. Dann aber bedeckten sie sich mit rosenroten
Knospen, zwischen denen die schlohweißen Blüten leuchteten und abermals
blieben die Leute stehen und sagten: »Ach wie entzückend!«

Mittlerweile war auch das Gras üppig gewachsen und zwischen ihm
öffneten sich Hundert und Aberhundert von goldenen Kettenblumen, so daß
die roten und weißen Taubnesseln gar nicht mehr so zur Geltung kommen
konnten, wie bisher. Sobald die Sonne am Morgen warm schien, öffneten
sich ihre Abbilder, eins nach dem anderen, wandten sich ihr zu und
strahlten und glühten gleich ihr, und nun war der Baumgarten eigentlich
erst gänzlich aufgewacht und lebte in lauter Blüten und Liedern. Um die
Stachelbeerbüsche und Johannisbeerstauden summten die Bienen, über den
goldbesternten Rasen flogen Füchse und Pfauenaugen, und in den herrlich
geschmückten Zweigen sang und klang es von früh bis spät.

Kohlmeise, Amsel und Buchfink, die bislang das größte Wort haben,
verschwinden mit ihren Liedern beinah vor denen der übrigen Vögel, so
singt und klingt es in den Wipfeln. Da ist zuerst der Star. In dem
Nistkasten, der in dem höchsten Birnbaume hängt, baut er und wenn er
nicht Neststoff einträgt oder auf Nahrung ausfliegt, dann sitzt er
vor seinem Hause, sträubt die Kehlfedern, klappt mit den Fittigen und
quiekt und schnalzt und quinquiliert und dreht sich und wendet sich,
daß sein Gefieder nur so blitzt und so blinkert.

Dann ist der Grünfink da, der in dem Rotdorne brütet und den ganzen
Tag lockt und schwirrt, bis es ihm auf einmal einfällt, daß er noch
etwas Besseres kann, um seine Frau zu belustigen, und dann fliegt er,
hin und her taumelnd, genau so wie eine Fledermaus. Das kann außer ihm
nur noch sein kleiner Vetter, der Girlitz, von dem zwei Pärchen in dem
Baumgarten nisten. Es sieht zu putzig aus, wenn der sein seltsames
Geflatter beginnt, bis er wieder auf einem Wipfel einfällt, lustig mit
dem Schwänzchen wippt und fröhlich trillert und das Gezwitscher der
Stieglitze und das Geschwätz der Bluthänflinge übertönt, obgleich er
viel kleiner ist als diese. Dafür sind ihm diese aber an schönen Farben
voraus.

Sie können aber nicht mit dem Gartenrotschwanz wetteifern, dessen
silberklarer Gesang ab und zu laut aus dem Stimmengewirr heraustönt.
Silberweiß ist seine Stirn, kohleschwarz seine Kehle und schön rot
seine Brust. Der allerschönste Vogel in dem ganzen Baumgarten ist es,
obgleich der schwarzweiße Trauerfliegenschnäpper sich auch wohl sehen
lassen kann, und auch hören, denn sein Liedchen, wenn auch nur kurz,
ist hell und klar und fröhlich, und das Vögelchen ist so flink und so
lebhaft, daß es sehr von den übrigen Bewohnern des Baumgartens absticht.

Das tut der Kleinspecht nicht, obgleich er mit seiner schwarzweißroten
Färbung auffallend genug aussieht. Aber er ist ein stilles, bescheidenes
Kerlchen, das meist schweigend an den Stämmen und Ästen entlangrutscht
und die Blutläuse vertilgt und nur ab und zu lockt. Nur wenn er seinem
Frauchen den Hof macht, wird er lebhaft. Dann kichert er schrill und
fliegt mit sonderbarem Geflatter um sie herum, daß er wie ein großer
bunter ausländischer Schmetterling anzusehen ist. In dem toten Ast
des alten Winterapfelbaumes hat er sich seine Nesthöhle gezimmert
und bringt dort Jahr für Jahr seine vier bis fünf Jungen aus. Wenn
die beflogen sind, sieht es reizend aus, wenn die Eltern sie lehren,
wie man sich durch das Leben schlägt. Das ist dann ein wunderliches
Gerutsche und Gekrabbel in den Kronen und ein Hin- und Hergeflatter
und Gequieke und Gepiepse den ganzen Tag lang, bis am Abend alle
miteinander wieder ins Astloch schlüpfen.

Ein überaus schnurriger Gesell ist der Vetter des Zwergspechtes, der
Wendehals. Er sieht mit seinem bräunlichen, äußerst fein gestrichelten
Gefieder und dem breiten, schöngebänderten Schwanze gar nicht aus, als
ob er zu den Spechten gehörte, ruft aber ähnlich wie der Rotspecht,
der in dem benachbarten Eichwalde wohnt und ab und zu hier Gastrollen
gibt. Aber wenn der Wendehals an einem Stamme entlangklettert, oder an
einem morschen Aste nach Larven hämmert, dann sieht man es ihm sofort
an, wohin er zu rechnen ist. Ganz albern stellt er sich an, wirbt er
um sein Weibchen. Dann spreizt er die Schwingen, fächert den Schwanz,
richtet die Scheitelfedern auf, macht den Hals lang und dreht und
wendet ihn so aberwitzigster Art, daß man meinen sollte, er habe gar
keine Knochen darin.

Vielerlei Vögel sind es noch, die in dem Baumgarten leben oder ihn
Tag für Tag besuchen. Da sind die Gartengrasmücke, der Mönch, die
Dorngrasmücke und das Müllerchen, alle vier fleißige Sänger, die in
den Weißdornhecken und in den Stachelbeerbüschen brüten. Dann ist der
Gartenspötter noch da, der in dem Fliederbusche sein kunstvolles Nest
hat, das vier rosenrote Eier enthält, ein ganz emsiger Sänger, und ein
sehr beweglicher Vogel, der den ganzen Tag in den Zweigen umherklettert
und laut dabei singt. Sein Verwandter, der Weidenlaubvogel, ließ sich
im ersten Frühling fleißig mit seinem seltsamen Liedchen vernehmen.
Auch später singt er noch genug, doch übertönen ihn die vielen anderen
Sänger ebenso wie die Kohlmeise, die Gartenmeise und die Blaumeise, die
mit ihm die Vorfrühlingssänger waren, wie denn auch das feine Liedchen
des Baumläufers, der wie ein Mäuschen an den Stämmen emporrutscht,
jetzt ganz verschwindet in der Fülle von Lauten.

Einer aber, der sogar mitten im Winter hier sang, ist nicht
unterzukriegen, obwohl er der kleinste aller Sänger ist. Das ist der
Zaunkönig. Wenn der loslegt, sei es, daß er sein Liedchen schmettert
oder daß er vor einer stromernden Katze warnt, dann ist er mehr als
deutlich zu vernehmen. Viel mehr fällt er auf, als die Braunelle,
die in der Hecke brütet, und das Rotkehlchen, das in einer der vier
Fichten, die in den Ecken des Gartens stehen, sein Nest hat, und am
liebsten in der Frühe oder vor dem Abend sein silbernes Liedchen
erschallen läßt, das sich mit dem lauten und anspruchsvollen Gesange
der Nachtigall, der von dem Parke herüberschallt, zwar nicht an
Stärke, wohl aber an Innigkeit wohl messen kann. Von dort tönt abends
und oft die ganze Nacht hindurch auch das weiche, süße Lied des
Gartenrohrsängers, der dem Baumgarten oft einen Besuch abstattet,
hervor und mischt sich mit dem klagenden Rufe der Käuzchen, die
manchmal am hellen Tage dort angeschwebt kommen und sich einen Sperling
holen, an denen es natürlich auch nicht fehlt, sowohl an Hausspatzen,
wie an den niedlichen Feldsperlingen.

Der schlimmste Räuber nächst den Katzen aber ist der Sperber. Jeden
Tag kommt er an dem Zaune entlang geschwankt, schwingt sich über die
Hecke und geht, ehe sich die Vögel in dem dichten Gezweige bergen
können, mit einem Spatzen, einer Amsel, einem Finken oder einem anderen
Vögelchen ab. Zu den Vögeln, die der Besitzer des Gartens nicht gern
sieht, gehören die Dohlen, die auf dem Turme der alten Kirche horsten,
denn sie holen sich von den Pflaumenbäumen die Tragreiser zum Bau
ihrer Nester, plündern später auch die Kirschen, wobei ihnen Pirol und
Kornbeißer helfen, während wintertags der Dompfaff die Blütenknospen
der Bäume verbeißt.

Auch dann ist es im Baumgarten nicht still. Meisentrupps, von
einem Buntspechte geführt, fallen ein und säubern die Äste von
Frostspannereiern, Krähen kommen und stellen den Mäusen nach, und
ist sonst nichts los, so sorgen die Sperlinge dafür, daß dort etwas
Leben ist. Am allerlustigsten aber geht es im Baumgarten jetzt zu, wo
alle Zweige voller Blüten sind und im Rasen die goldenen Butterblumen
blühen.



Die Kirchhofsmauer.


Die Dorfkirche ist schon sehr alt. Man sieht das an den gewaltigen
Strebepfeilern, an den Schießscharten, die freilich schon lange
vermauert, aber noch zu erkennen sind, an den Hals- und Armeisen des
Prangers neben der Haupttüre, an der steinernen Sonnenuhr und an den
grünlichen Grabsteinen, die sie umgeben.

Auch die Mauer, die den Kirchhof einschließt, ist sehr alt. Sie bildete
mit der Kirche zusammen einst die Feste des Dorfes, in die sich die
Bauern zu Kriegszeiten, wenn die Not am höchsten war, zurückziehen
konnten. Sie ist hoch und breit und aus großen Bruchsteinen gebaut.
Jetzt ist sie ein wenig verwittert und von Rosen und Pfeifenstrauch,
Spillbaum und Judendorn überwuchert und hier und da von Efeu berankt,
und allerlei zierliche Farne und anderes Gekräut wuchert zwischen den
grauen, mit gelben Flechtenkringeln und dunkelgrünen Moospolsterchen
bewachsenen Steinen hervor.

Im ersten Frühling, wenn der Huflattich am Grunde der Mauer seine
goldenen Sönnchen entfaltet, blüht in ihren Ritzen das zierliche
Hungerblümchen und die Fingerkrautpolster bedecken sich mit weißen und
gelben Blüten. Später bilden rote und weiße Taubnesseln dichte bunte
Sträuße, der Löwenzahn prahlt stolz, der Ehrenpreis blickt freundlich,
bis Schöllkraut und Labkraut ihn und die andern im Verein mit blutrot
besterntem Storchschnabel überprotzen und an manchen Stellen das
Gestein fast ganz verhüllen, während an anderen die Fetthenne, ganz mit
goldenen Blütchen bedeckt, dichte, tief herunterhängende Rasen bildet,
und weiterhin der Gundermann seine blaublühenden Ranken bis an den
Grund der Mauer herabhängen läßt.

Vielerlei Getier lebt an der Mauer, bunte Schnirkelschnecken und die
graue spitze Schließmundschnecke, Sprungspinnen und Mörtelbienen,
auch verschiedene Käfer und sonstige Lebewesen. Gern sonnen sich hier
die Füchse und das Pfauenauge, und nicht selten verschläft ein rotes
Ordensband dort den Tag. In einer von Efeu überwucherten Spalte neben
der Treppe hat der Zaunkönig gebaut, in dem struppigen Judendorn hat
die Braunelle ihr Nest und unter den verbogenen Wurzeln der alten Linde
die Bergbachstelze. Auch das Rotkehlchen, das im Pfarrgarten wohnt,
schlüpft oft an der Mauer hin und her, und der Rotschwanz, der unter
dem Kirchdache seine Brut hat, flattert oft vor ihr umher und fängt
Fliegen.

Dann haben dort noch Kröten ihren Unterschlupf. Rechts von der Linde,
wo die Mauer schon sehr zerfallen ist und Gras und Quendel dicht
wuchern, wohnt eine dicke Erdkröte, und da, wo unter dem Holunderbusch
die kleinen blauen Glockenblumen in dichter Fülle herabhängen,
eine ebenso dicke Wechselkröte. Den Tag über halten sich beide
meist versteckt. Nur wenn nach längerer Dürre ein sanfter Regen
herunterkommt, verlassen sie auch einmal bei hellem Lichte ihre Löcher
und steigen auf den Friedhof hinauf, um zwischen den eingesunkenen
Gräbern auf die Jagd nach Nacktschnecken und Regenwürmern zu gehen, die
dann reichlich aus dem Grase und dem Erdboden hervorkommen.

Langsam und bedächtig schiebt sich die Erdkröte dann über die moosigen
Wege dahin, ab und zu ungeschickt hüpfend, wenn ein Mensch mit seinen
Tritten den Boden erschüttert. Dann drückt sie sich zwischen einige
Steinbrocken oder hinter einen Grasbüschel, und setzt sich erst wieder
in Bewegung, wenn es ringsumher ganz still geworden ist. Dann und
wann, wenn sich vor ihr etwas rührt, macht sie halt und schnellt die
Klappzunge nach der Ackerschnecke, die an einem Blatte emporkriecht,
oder reißt mit derbem Rucke den Regenwurm ganz aus der Erde und
schlingt ihn, mit den Händen nachstopfend, hinab. So treibt sie es, bis
sie übersatt ist und genügend Nachttau mit der Haut aufgenommen hat, um
sich dann, wenn die Frühdämmerung herannaht, wieder in ihr Mauerloch
zurückzuziehen.

Die hübsche, grün und weiß gefleckte Wechselkröte ist viel gewandter
als sie. Sie hüpft so flink wie ein Frosch, klettert sicher an den
steinernen Umfassungen der Gräber empor und läuft, wenn sie sich in
Gefahr glaubt, hurtig in einen Schlupfwinkel. Wenn ihre goldgrünen
Augen irgendwo eine Bewegung im Grase erspähen, so ist sie schnell da
und schnappt die Beute fort. Mit ganz großen Tauwürmern wird sie leicht
fertig, und wenn ihr ein winziger Grasfrosch in den Weg kommt, so
macht sie mit dem auch wenig Umstände. Nur um die mächtigen, blauen,
goldgrün und kupferrot schimmernden Maiwurmkäfer mit den unförmlichen
Leibern, die sie bei ihren Tagesfahrten oft antrifft, kümmert sie sich
nicht, denn die sind ihr ekelhaft.

Im März, wenn die Sonne das Wasser des Dorfteiches anwärmt, tritt
die Erdkröte alljährlich die große Reise nach den Flachsrösteteichen
unter dem Dorfe an, wo sie sich mit ihresgleichen trifft. Aus dem
Murren der Grasfrösche klingt dann ihr trockener, hölzerner, wenig
lauter Paarungsruf heraus, und bald darauf glitzern zwischen den
Wasserpflanzen ihre langen, schwarzgeperlten Laichschnüre, aus denen
sich schnell winzige schwarze Kaulquappen entwickeln, auf die die drei
Arten von Molchen, die dort ebenfalls ihre Laichplätze haben, eifrig
Jagd machen. Erst lange nachher, wenn die Laubfrösche dort meckern und
die Wasserfrösche plärren, kommt auch die Wechselkröte angerückt und
ihr helles Trillern hebt sich dann scharf von dem Quarren der Frösche
und dem Schnarren der Kreuzkröten ab. Ist aber die Laichzeit vorüber,
so tritt sie wieder die lange Reise nach der Kirchhofsmauer an und
sucht wie die alte Erdkröte ihr Loch bei der Linde, ihre Steinspalte
unter dem Glockenblumenbusch auf, das sie Nacht für Nacht verläßt, um
zwischen den Grabhügeln zu jagen.

Es sind die beiden besten und sichersten Schlupfwinkel in dem alten
Gemäuer, und schon so lange wie der alte Pfarrer hier lebt, kennt er
die beiden Kröten. Wahrscheinlich sind es nicht immer dieselben, denn
im Herbst schnobert der Iltis hier oft umher und sammelt Frösche und
Kröten für die karge Zeit. Aber immer wieder sind die beiden Löcher
von alten, dicken Kröten, hier von einer Erdkröte, da von einer
Wechselkröte, besetzt, und das wird wohl so lange dauern, wie die
Kirchhofsmauer besteht.



Die Moorwiese.


Dort, wo die Heide zum Moore geworden ist, liegt ein großes Stück
Wiesenland.

In schwerer Arbeit hat der Bauer die Heide abgeplaggt, Rieselgräben
gezogen, eine Quelle des Söbenbores hineingeleitet, dem Boden Kalk
zugeführt und so die Wiese geschaffen, die ihm seinen Schweiß und seine
Mühe reichlich lohnt.

Dieses grüne Stück Land zwischen Moor und Heide ist eine eigene Welt
für sich. Süße Gräser gedeihen auf ihr und fetter Klee, zierliches
Schaumkraut, kecker Hahnenfuß, gebrechliche Kuckucksnelken und
schwanker Sauerampfer, auch das vornehme Knabenkraut und das stolze
Wohlverleih, und an ihren Rändern die anmutige Spierstaude sowie die
leuchtende Wasserlilie.

Die reichlichere Nahrung brachte ein stärkeres Tierleben hervor, als
nebenan in Heide und Moor. In dem dichten Grase wimmelt es von allerlei
Raupen, Käfern, Heuschrecken und anderem Gewürm, und überall kriechen
die Bernsteinschnecken umher, flattern Motten, schwirren Graseulen,
taumeln Buttervögel, und die großen und kleinen Schillebolde, die,
sobald die Sonne scheint, hier unaufhörlich hin und her flirren, machen
reiche Beute.

Ein gutes Leben haben auch die Moor- und Grasfrösche dort, desgleichen
die Spitzmäuse; ihnen nach schleicht die Kreuzotter, die sich an heißen
Tagen hier gern im kühlen Grase birgt, und der Dorndreher, der in der
Hecke sein Nest hat, findet auf der Wiese Futter genug für seine immer
hungrige Brut. Gern wurmt da auch die Heerschnepfe, und mit Vorliebe
stelzt der Brachvogel dort umher und liest unter bedächtigem Kopfnicken
allerlei kleines Getier auf, wobei ihm ein Kiebitzpaar Gesellschaft
leistet, und an tauschweren Abenden läßt der Wachtelkönig aus dem
langen Grase sein Geschnarre erschallen.

Immer ist hier etwas los. Eben rüttelte der Raubwürger über der Wiese,
nach einer Zwergmaus spähend; darauf ließen sich zwei Krähen nieder und
suchten Heuschrecken; dann kam der Sperber vorbeigeschwenkt, zog aber
mit leeren Griffen ab, weil sich die Dorngrasmücke noch rechtzeitig in
das Gestrüpp fallen ließ, und hinterher kommt ein Kornweihenmännchen
angeschaukelt und suchte die Wiese Fuß um Fuß ab, bis sie niederstößt
und mit irgend einer Beute abzieht. Jetzt läßt sich ein Feldhuhnpaar
dort nieder; der Hahn treibt die Henne eifrig und schwirrt mit ihr
in das Moor hinein. Und dann flimmert und funkelt es herrlich; ein
Fasanenhahn ist aus dem Gebüsche hervorgetreten und läßt sein Gefieder
in der Sonne leuchten.

Ihm gegenüber, am Ende der Wiese, hoppelt ein Hase aus der Heide und
mümmelt eifrig das Gras ab. Kaum ist er verschwunden, so schiebt sich
ein Rehbock halb aus den Birken, sichert ein Weilchen und tritt ganz
heraus, unter fortwährendem Verhoffen das Gras abäsend. Jetzt wirft er
auf und äugt scharf dahin, von wo der Storch angeschritten kommt. Es
paßt ihm nicht, daß ihn der Langhals stört, und halb aus Scherz, halb
im Ernst zieht er, die Läufe im spanischen Tritt setzend, ihm entgegen
und macht drohende Forkelbewegungen mit dem Haupte, bis er seinen Zweck
erreicht hat, der Storch sich aufnimmt und abstreicht, während der Bock
sich langsam an der Hecke herunteräst und dann wieder dem Moore zuzieht.

Eine Weile ist es leer auf der Wiese, nur, daß die Dorngrasmücke ab und
zu über ihr herumzwitschert und Ammern und Finken angeflogen kommen,
um sich an den Staugräben zu tränken. Die Schillebolde schwirren hin
und her, ein Zitronenfalter taumelt vorbei, Weißlinge tanzen auf und
ab, eintönig schwirrt die Laubheuschrecke. Dann läßt sich ein fast ganz
weißer Wespenbussard mitten in der Wiese nieder, schreitet bedächtig im
Grase umher und füllt sich den Kropf, um dann dem Forste zuzuschweben,
wo er seinen Horst hat. Plötzlich ist eine weiße Bachstelze da, lockt,
springt nach Fliegen und flieht eilig, weil das Raubwiesel angehüpft
kommt, hastig durch das Gras schlüpft und mit einer halbwüchsigen
Wühlratte zwischen den Zähnen dem Gebüsche zueilt.

So geht es den ganzen Tag, und naht der Abend heran, verschwinden
die Wasserjungfern, hört das Faltergeflatter auf, erstirbt das
Bienengesumme und das Hummelgebrumm, dann wird ein anderes Leben laut.
Der Heuschreckensänger läßt sein eintöniges Geschwirre ertönen, das
Rotkehlchen singt sein Abendlied. Fledermäuse zickzacken hin und
her und die Nachtschwalbe jagt mit ihnen um die Wette. Wird es noch
dunkler, so stellt sich auch die Mooreule ein und geht auf Mäusefang,
Enten fallen ein und gründeln in den Rieselgräben, um mit lautem
Angstgequarre von dannen zu poltern, wenn der Fuchs sie zu beschleichen
versucht, heftig angeschmält von dem Altreh, das mit seinen beiden
Kitzen auf die Äsung getreten ist.

Ganz duster ist es nun geworden. Im hohen Grase schnauft und schmatzt
der Igel, der Iltis geht auf die Froschjagd und flüchtet, wie der
Dachs heranschleicht und nach Untermast sticht, bis auch ihn ein
dumpfes Dröhnen vergrämt. Ein Rottier ist es, das mit seinen Kälbern
herangezogen kommt, und sich bis zum Morgen in der Wiese äst, deren
Gras reifer und süßer ist als im Forste und auf dem Moore. Ehe aber der
Nebel aus dem Grase weicht, ist das Rotwild schon wieder verschwunden
und außer zwei Hasen ist dort nur noch der Rehbock zu sehen, der aber
auch bald abzieht.

Noch ein Weilchen jagt die Mooreule an den Staugräben entlang, die
Heerschnepfe lockt, der Heuschreckensänger schwirrt: dann verliert sich
der Nebel und die Tiere des Tages treiben wieder ihr lustiges Leben auf
der Wiese zwischen Heide und Moor.



Die Schlucht.


Unter der Steilwand des Berges erhebt sich ein Dutzend Klippen in dem
Buchenaufschlag, und darunter liegt ein großer Erlensumpf, in dem sich
das Regenwasser, das von den Felsen hierhin geleitet wird, fängt, um
in einer Reihe von dünnen Wasserfäden wieder zum Vorscheine zu kommen,
die sich allmählich zusammenfinden und ein Bächlein bilden. Im Laufe
der Zeit hat es sich ein tiefes Bett in den Berg gegraben, den Erdboden
bis auf den felsigen Grund fortgewaschen, und so rinnt es nun in einer
engen Schlucht mit steilen Wänden zu Tale, meist flach und dünn, dann
und wann aber breite flache Tümpel oder tiefe Löcher bildend, je
nachdem die Rinne sich verbreitert oder Felszacken sie einengen.

Da aus der Schlucht immer eine feuchte Luft heraussteigt, sind ihre
Ränder dicht mit Farnen bestanden, hohem Straußfarn und Wurmfarn,
deren verwelkte Wedel jetzt wie braune Fächer herabhängen, starrem
Rippenfarn, dessen Laub auch im Winter grün bleibt, und Tüpfelfarn,
der ganze Rasen zwischen den Wurzeln der alten Eichen bildet,
die die Schlucht begleiten. Aus den Spalten ihrer feuchten Wände
kommen dichte Büschel winziger Felsenfarne hervor, die helles und
dunkles, gefiedertes und gelapptes Laub tragen, und mit Efeuranken,
Lebermoosgeflechten und Laubmoospolstern die Felswände fast ganz
bedecken.

Im Sommer kommt die Sonne wegen der dichtschattenden Eichen und Buchen
nur an ganz wenigen Stellen bis an die Schlucht heran; jetzt aber,
da die Wipfel kahl sind, kann sie sie nur da nicht erreichen, wo die
Fichten sich ganz eng um sie zusammendrängen. Hier, wo die Steilwände
auseinandergehen und der Wasserfaden ein breites Becken mit flachen
Ufern gebildet hat, fällt das Mittagslicht der Wintersonne voll auf das
Wässerchen. Die Schneeflocken an seinen Rändern leuchten nur so und die
Eiszapfen an den freien Wurzeln blitzen und funkeln um die Wette mit
den Blättern des Efeus und des Haselwurzes.

So warm scheint die Sonne, daß die Schneeflöhe auf den Schneeflecken
lustig hin und her hüpfen und der Gletschergast, das seltsame,
flügellose, dunkelerzgrüne Wespchen, munter zwischen den Fruchtschirmen
des Brunnenmooses auf und ab springt. Eine kleine Gehäuseschnecke ist
unter der Wirkung der Sonnenwärme aus der Froststarre erwacht; sie
kriecht langsam vorwärts und weidet den Algenüberzug des Gesteins
ab. Da kommt unter einem faulen Farnwedel ein winziges, fast nacktes
Schneckchen, das auf dem Hinterleibe einen lächerlich kleinen flachen
Deckel trägt, hervorgekrochen. Es streckt seine Taster in die Luft,
bewegt sie hin und her und schleicht dann stracks auf das andere
Schneckchen zu, das, sobald es sich berührt fühlt, sich schleunig
in sein Häuschen zurückzieht. Doch das nützt ihm wenig, denn die
Daudebardie legt sich darüber, raspelt mit ihrer scharfgezähnten Zunge
das Häuschen durch und frißt das Schneckchen bei lebendigem Leibe auf.

In den Sonnenstrahlen, die durch die Wipfel der Fichten fallen, blitzt
und funkelt es unaufhörlich auf und ab. Ein Schwarm von Wintermücken
ist es, die hier ihren Hochzeitstanz aufführen. Den Sommer über haben
sie als Larven in dem faulen Laube am Grunde der Schlucht gelebt, haben
sich im Spätherbste zu Mücken entwickelt und schwärmen nun fröhlich
umher. Sie locken den Zaunkönig an, der eben noch in dem dichten
Waldrebengeflechte, das die lichthungrigen Dornbüsche weiter unten an
der Schlucht umspinnt, fürchterlich lärmte, weil es ihm nicht paßte,
daß die Waldmaus da umhersprang und ihm die Spinnen und Käfer fortfing,
die er als sein ausschließliches Eigentum betrachtet. Nun schlüpft er
in der Schlucht von Wurzel zu Wurzel und hascht alle Augenblicke eine
der Mücken. In den Dornbüschen turnt ein Sumpfmeisenpärchen umher und
pickt die Spannereier von der Rinde fort, und sobald es verschwunden
ist, erscheinen mit vergnügtem Gepiepe zwei Blaumeisen und halten
Nachsuche.

Dann ertönt ein leises Ticken, ein Rotkehlchen aus dem Norden, das den
Winter hierzulande warm genug findet und nicht weiter gewandert ist,
kommt angeschnurrt, macht einen Bückling, fängt eine Mücke, trinkt aus
dem Tümpel, sucht nach Gewürm und Schneckchen im Moose und schnurrt
von dannen. Einige Buch- und Bergfinken fallen ein, tränken sich und
stieben wieder ab. Eine Amsel fliegt herbei, wirft mit dem Schnabel
geräuschvoll das Vorjahrslaub durcheinander, erbeutet Regenwürmer
und Schnakenmaden und streicht mit gellendem Gezeter davon, weil der
Fuchs aus der Fichtendickung heranschleicht. Er besucht die Schlucht
gern, denn allerlei Mäuse wohnen in ihr, und ab und zu erwischt er
dort auch eine Forelle, die sich von Tümpel zu Tümpel geworfen hat,
um in dem sauerstoffreichen Wasser abzulaichen. Damit tut sie den
vielen Salamanderlarven, die auf dem Grunde der Kölke leben, einen
Gefallen, denn die frisch ausgeschlüpften Forellen sind ihnen ein
bequemes Futter. Sie selber aber fallen zum Teil dem Eisvogel zur
Beute, der ab und zu einen Ausflug in die Schlucht macht, während
die Köcherfliegenlarven, die in Menge auf dem Grunde der Pfützen
umherkriechen, der Wasseramsel über die schlechte Zeit hinweghelfen
müssen, wenn der Bach, in den das Bächlein rinnt, durch Regengüsse oder
Schneeschmelze getrübt ist.

Wenn im Vorfrühjahr die Sonne schon mehr Macht hat, blühen die
Haselbüsche auf, die an den Flanken der Schlucht wachsen; über die
ganze Rinne hin leuchtet es von den goldenen Troddelchen und die
bemoosten Felswände werden gelb überpudert. Es dauert dann auch nicht
lange, und die vielen Seidelbaststräucher in den Steinspalten bedecken
sich mit rosenroten Blüten, die blauen Sterne der Leberblümchen
erscheinen im Laube, erst wenige weiße Buschwindröschen, zu denen jeden
Tag mehr kommen, und schließlich auch die gelben, die Goldsternchen des
Scharfkrautes, rosig aufblühende und dann blau werdende Lungenblumen,
die zierlichen Simsen, die unheimliche Schuppenwurz, der bunte
Lerchensporn, das winzige Moschusblümchen, und über sie hin schwirrt
und flirrt es von Motten und Fliegen, und im Laube rispelt und krispelt
es von Käfern aller Art, und lustig flattern die Zitronenfalter
zwischen dem Gebüsche umher.

Um diese Zeit kommen auch die Fadenmolche aus ihren Winterlagern
hervorgekrochen, fressen heißhungrig, bis sie fett und dick sind,
vertauschen ihre mißfarbigen Kleider mit bunten Hochzeitsgewändern und
bevölkern die flache, mit faulen Blättern gefüllte Wasserrinne, bis
das Laichgeschäft vorüber ist. Ihnen folgen die Salamander, die zu
Hunderten hier zusammenkommen und in den tieferen Wasserlöchern ihre
Brut absetzen, um sich dann wieder über den ganzen Wald zu verteilen.

Dann aber ist auch die hohe Zeit für die Schlucht vorbei. Die
Vorfrühlingsblumen verwelken, das Laub der Buchen und Eichen
verschränkt sich und schattet so sehr, daß nur noch die Farne, die
braune Vogelnestwurz, der leichenfarbige Fichtenspargel, Pilze und
wenige Schattenpflanzen hier gedeihen und von den Tieren Schnecken und
solches Gewürm, das mit halbem Lichte zufrieden ist und die feuchte
Kühle liebt, und das zum Teil erst dann zu vollem Leben erwacht und
sich aus den modrigen Spalten und dem vom Fallaube verhüllten Schotter
nach oben zieht, wenn Schnee das Land bedeckt und Eiszapfen aus dem
Moose heraushängen.



Die Heide.


Im Spätherbst, als das rosenrote Seidenkleid der Heide immer mehr
verschoß, wurden die Stadtleute ihr untreu.

Wochenlang waren sie bei ihr zu Gast gewesen, waren auf und ab gezogen
in ihrem Bereiche, hatten ganze Arme voller rosiger Heidsträuße
mitgenommen, hatten auf das überschwenglichste von ihr geschwärmt und
waren dann fortgeblieben.

Sie wußten nicht, wie schön die Heide spät im Herbst ist, wenn ihr
bräunliches Kleid mit silbernen Perlchen bestickt ist, wenn die
Moorhalmbüschel wie helle Flammen leuchten, die Brunkelstauden feuerrot
glühen und die Hängebirken wie goldene Springbrunnen auf die dunklen
Jungföhren herabrieseln.

Die Leute meinen, tot und leer und farblos sei es dann dort. Sie
wissen nichts von den knallroten Pilzen, die im seidengrünen Moose
prahlen, von den blanken Beeren an den bunten Brombeerbüschen, von den
goldgelben Faulbaumsträuchern und den glühroten Espen vor den düsteren
Fichten, von den mit purpurnem Riedgrase besäumten, blau blitzenden
Torfgruben und von dem lustigen Leben, das zwitschernd und trillernd,
pfeifend und kreischend über alle die bunte Pracht hinwegzieht.

Sie ahnen es auch nicht, wie herrlich die Heide selbst dann noch ist,
wenn die Birken ihren goldenen Schmuck verlieren und die Eichen ihr
bronzenes Laub fahren lassen müssen. Viel farbiger als der Buchenwald
ist wintertags die Heide, sei es, daß der Schnee sie verhüllt, von
dem dann die ernsten Föhren, die unheimlichen Wacholder und die
silberstämmigen, dunkelästigen Birken sich feierlich abheben, oder daß
Rauhreif ihr ein zartes Spitzenkleid schenkt, das die Farben der Bäume
und Büsche weicher und feiner macht, und das in der Sonne wunderbar
glimmert und schimmert. Sogar dann, wenn der Nordweststurm seine
zornigsten Lieder singt und die Sonne blutrot in gespenstigen Wolken
hinter den blauen Wäldern untertaucht, hat die Heide Schönheiten, die
andere Landschaften nicht darbieten. Aber nicht viele Menschen wissen
das.

Und jetzt, da die Zeit herankommt, daß die Heide sich zum
Frühlingsfeste rüstet, nun sie ihr fröhlichstes Kleid anlegt, da bleibt
sie allein für sich, denn die Menschen in der Stadt haben keine Kunde
davon, wie lieblich sie ist in ihrer Bräutlichkeit. Wie ein stilles,
halb verlegenes, halb schalkhaftes Lächeln in einem schönen, ernsten
Frauengesicht ist das Aufwachen des Frühlings im Heidlande, langsam
bereitet es sich vor, fast unmerklich tritt es in Erscheinung durch
schüchtern sprießende Gräser, verschämt hervorbrechende Blättchen,
zaghaft sich öffnende Blüten, bis nach und nach die Büsche und Bäume
sich voll begrünen und jede Wiese ein einziges Blumenbeet ist.

Über der wilden Wohld, die geheimnisvoll und dunkel hinter den Wiesen
bollwerkt, kreisen die Kolkraben und rufen laut. Da recken die Erlen
am Forellenbach ihre Troddeln und schütten Goldstaub auf die Wellen.
In den hohen Föhren jagt der Schwarzspecht mit gellendem Jauchzen sein
Weibchen von Stamm zu Stamm. Da werden die Bommelchen am Haselbusch
lang und länger, bis sie wie Gold in der Sonne leuchten. Der Tauber
ruckst auf dem Hornzacken der alten Eiche. Da öffnen die Kuhblumen am
Graben ihre stolzen Blüten. Vor Tau und Tag schlägt der Birkhahn im
Bruche die Trommel, der Kranich trompetet, die Heerschnepfe meckert,
und nun platzen an den kahlen Porstbüschen die braunen Kätzchen auf,
das ganze weite Bruch umzieht sich mit einem goldrot glühenden Geloder,
und auf den angrünenden Wiesen entzünden die Weidenbüsche helle
Freudenfeuer.

Jetzt rühren sich auch die Birken. Sie schmücken sich mit smaragdgrünen
Blättchen und behängen sich mit langen Troddeln, und in wenigen Tagen
geht ein betäubender Juchtenduft vor dem lauen Winde her, gemischt mit
dem strengen Geruch des blühenden Porstes. Auch die Föhren und Fichten
färben sich freudiger, die Erlen brechen auf und schließlich lassen
sich sogar die Eichen rühren und umgeben ihre knorrigen Zweige mit
goldenen Flittern. Nun beginnt ein Jubeln, Singen und Pfeifen, das von
Tag zu Tag stärker wird. In den Wäldern schlagen die Finken, pfeifen
die Stare, flöten die Drosseln, Laubvogel und Rotkehlchen singen ihre
süßen Weisen, die Meisen läuten, die Pieper schmettern, der Grünspecht
kichert, der Buntspecht trommelt, die Weihen werfen sich laut keckernd
aus der Luft, die Kiebitze rufen und taumeln toll vor Lebenslust
umher, und unter den lichten Wolken am hohen Himmel zieht der Bussard
jauchzend seine schönen Kreise.

Auch in dem Dörfchen, das unter den hohen Heidbergen fast ganz
versteckt zwischen seinen Hofeichen liegt, ist der Frühling
eingekehrt. Von jedem Giebel pfeifen die Stare, in allen blühenden
Bäumen schmettern die Finken, in den Fliederbüschen schwatzen die
Sperlinge, auf der Gasse jagen sich zwitschernd die Bachstelzen, und
am Mühlenkolke singt die Nachtigall. Über dem Dorf aber auf der hohen
Geest, wo der Wind am schärfsten weht, wird es nun erst Frühling.
Einzelne Birken sind ganz kahl, andre wollen sich just begrünen, und
nur ganz wenige schaukeln schon ihre Blütenkätzchen. Aber immer mehr
Heidlerchen hängen in der Luft und dudeln ihre lieben Lieder hinab,
von Tag zu Tag färbt sich das Heidkraut frischer, schmücken sich die
mürrischen Wacholderbüsche mit mehr jungen Trieben, verjüngt sich das
Torfmoos im Quellsumpf und umzieht sich sein Abfluß mit silbernen
Wollgrasschäfchen und goldgelben Milzkrautblüten, und hin und her
fliegen die Hänflinge, lustig zwitschernd.

Endlich flötet der Pfingstvogel in den hohen Birken bei dem alten
Schafstall, in der Wiese stelzt der Storch umher, grüne Käfer fliegen
blitzend und schimmernd über den gelben Sandweg, die Morgenrotfalter
taumeln über die Wiesen, die vom Schaumkraut weiß überhaucht sind, an
den Föhren und Fichten springen gelb und rot die Blütenzapfen auf und
sprießen neue Triebe, und ganz und gar hat sich nun der Frühling die
Heide erobert von den kahlen Höhen an bis tief in das Moor hinein, wo
an den Torfgruben die Rosmarinheide ihre rosenroten Glöckchen entfaltet
und auf den Gräbern silbernglänzendes Gras flutet. Das ganze Land ist
verjüngt, überall ist frisches, junges Laub und buntes Geblüm, darüber
hin zieht ein kräftiger Duft, und kein Fleck ist da, wo nicht ein
Vogellied erschallt von der Frühe an, wenn die Birkhähne blasen und
trommeln, bis zur Abendzeit, wenn die Nachtschwalbe mit gellendem Pfiff
dahinschwebt und laut die Fittiche zusammenknallt.

Dann ist die Heide lustiger als zu einer andern Zeit, so voll von
Leben, so bunt von Blumen, so reich an Farben, daß auch ihre ernsten
Menschen fröhlicher werden müssen. Rauscht doch das Birkenlaub so
schelmisch im Wind, summen doch selbst die brummigen Föhren zufriedener
als je, flattert es allerorts weiß und bunt von flinken Faltern und
ist die von Kienduft durchtränkte Luft erfüllt von Lerchengetriller
und Piepergeschmetter, daß der Mensch helläugig werden muß, auch wenn
er bei sengender Sonnenglut im Moor in schwerer Mühe den Torf gewinnen
muß; denn ohne daß er es weiß, machen die leise zitternden weißen
Wollgrasflocken, die silbern blitzenden Birkenstämme und die goldenen
Blüten an den Ginsterbüschen sein Herz leicht und heiter.

Von all der Pracht aber wissen die Menschen in der Stadt nichts;
sonst würden sie nicht in überfüllten Anlagen und lärmdurchtönten
Wirtschaftsgärten Erholung suchen, die dort nicht zu finden ist,
sondern ihren Sonntag in der Heide verbringen, in der lachenden,
lustigen, liederreichen Heide.



Der Fluttümpel.


Einen ganzen Tag und eine volle Nacht schlugen die Wogen über den
Strand. Ein jedes Mal, wenn sie ankamen, luden sie totes und lebendes
Getier, Steine und Tang ab, nahmen dafür aber große Mengen Sand mit, so
daß den ganzen Strand entlang eine Reihe von Tümpeln entstand.

Die meisten von ihnen waren so flach, daß sie die Sonne heute in
wenigen Stunden austrocknete. Der eine aber hier hinter der Barre von
Feuersteinknollen, Seegras und Miesmuscheln, die die Wogen anhäuften,
hat den Sonnenstrahlen widerstanden, denn er ist anderthalb Fuß tief,
zwanzig Schritte lang und zehn breit.

Ein Meer in kleinem Maßstab ist dieser Flutkolk. An mehreren Stellen
liegen Feuersteine, die dicht mit ledrigem Blasentang bewachsen sind,
dessen Laub bis an den Spiegel reicht. Auf anderen Steinen, die das
Wasser hier hinschleuderte, wuchern zarte Tange von hellgrüner Farbe,
auf anderen wieder zierliche Algen, braun, rot und grün gefärbt. Der
Boden des Tümpels besteht aus klarem Sande und den Schalen von Muscheln
und Schneckengehäusen.

Die See hat so viele Dorsche, Knurrhähne und Butts auf den Strand
geworfen, daß die Möwen und Krähen überreichlichen Fraß finden, und so
kümmern sie sich nicht um das Getier, das in dem Kolke lebt, und auch
die Brandenten, die bei hohem Seegange gern in ihm herumschnattern,
gründeln heute, wo das Meer still wie ein Spiegel daliegt, in der
Seegraswiese im Seichtwasser, in dem es von Fischbrut, Schnecken und
Garnelen wimmelt. So haben die Tierchen in dem Tümpel vorläufig Ruhe.

Hurtig schießen die jungen Dorsche durch das Wasser und jagen auf
winzige Krebschen. Sobald aber unser Schatten auf den Wasserspiegel
fällt, huschen sie unter die Steine oder verbergen sich zwischen
dem Blasentang, und die Garnelen fahren von dannen und graben sich
blitzschnell in den Kies ein. Eine durchsichtige Qualle schwimmt
langsam an der Oberfläche. Jetzt schließt sie sich über einem halbtoten
jungen Dorsch und sinkt mit ihm zu Boden, um ihn aufzusaugen, und dicht
neben ihr kriecht ein Seestern und sucht nach lebenden Miesmuscheln.

Zwischen dem zarten hellgrünen Tange bewegt sich etwas, das wie
ein abgerissenes Seegrasblatt aussieht. Es ist eine Seenadel. Ganz
langsam bewegt sich der grasgrüne, stricknadeldünne Fisch dahin.
Weiterhin zwischen dem Blasentang schwimmt ein bräunlicher, größerer,
und allmählich entdecken wir ein ganzes Dutzend der seltsamen Fische
zwischen den roten, braunen und grünen Algenbüschen. Auch einige
fadendünne Jungaale schlängeln sich am Rande des Tümpels dahin und
suchen einen Ausweg, denn das Brackwasser ist ihnen leid und es drängt
sie nach dem Flusse. Sogar eine winzige Scholle ist hier gefangen. Sie
hat sich bis auf die Augen eingewühlt und ist kaum sichtbar.

Da wir ganz stillliegen, zeigt sich immer mehr Leben. Flohkrebse
schießen zwischen den Algen hin und her, die Dorsche necken sich und
die Garnelen wagen sich wieder hervor. Hier vor uns tauchen zwei
winzige schwarze Punkte auf, und da und dort ebenfalls. Es sind die
Augen eines kaum zollangen, schlanken Krebses, der durchsichtig wie
Glas ist, so daß wir ihn nur an den Augen und an dem bräunlichen
Darminhalt erkennen. In Menge sind diese Tiere hier in dem Tümpel; aber
jetzt, wo der Schatten einer vorüberfliegenden Möwe auf das Wasser
fiel, sind sie sämtlich verschwunden, und trotz aller Mühe finden wir
keinen von ihnen wieder, bis auf einmal die schwarzen Augen wieder
auftauchen und sie uns verraten.

Doch nicht nur im Wasser ist reiches Leben, auch der Sand birgt es,
wie die vielen feinen Löcher andeuten, mit denen er gemustert ist.
Kleine, schwarze, glatte, halbflügelige Wühlkäfer sind es, die hier
wie Maulwürfe graben und den winzigen Fliegenlarven nachstellen, die
sich von den faulenden Stoffen nähren, mit denen der Sand durchtränkt
ist. Auch ein sonderbarer kleiner, glasheller Krebs, der Meerfloh,
lebt unter dem Sande. Wir brauchen nur ein wenig zu scharren, und eine
ganze Menge der merkwürdigen Tiere kriecht hervor, hüpft eilig weiter
und bohrt sich schnell wieder ein. Und heben wir hier den faulenden
Blasentang auf, so finden wir einen Verwandten von ihm, den bräunlichen
Strandfloh, der sich mit ängstlichen Sprüngen vor dem Sonnenlichte zu
retten sucht.

Winzige Uferkäfer, in schimmerndes Erz gekleidet, rennen über den
Sand, und bald hier, bald da blitzt es auf, um sofort wieder zu
erlöschen. Das ist der Meerstrandsandläufer, ein wunderschöner, grauer,
weißgebänderter Raubkäfer mit blaugrünem, glänzendem Unterleibe, den er
jedesmal zeigt, wenn er auffliegt, um Strandfliegen zu fangen, die zu
Tausenden hier umherschwirren. Er ist ein reines Sonnentier. Je heißer
die Sonne scheint, um so reger ist er. Bei trübem Wetter verliert er,
wie die Wasserjungfern, die Flugkraft, verbirgt sich im Gekräut und
wartet bessere Tage ab. Ganz sein Gegenteil ist ein Verwandter von ihm,
ein platter Laufkäfer von bleichgelber Farbe mit schwarzem Sattel, der
sich hier überall unter hohlliegenden Steinen findet, wo er den Tag
verbringt, um sich erst in der Nacht hervorzuwagen und auf schlafende
Strandfliegen zu jagen.

Wenn die Sonne noch einige Tage scheint, so verdunstet das Wasser auch
in diesem Tümpel, er trocknet aus, die Dorschbrut und die Garnelen
sterben ab und die anderen zarten Krebse, die Schnecken und Flohkrebse
verkriechen sich unter dem Tang und warten, bis der Sturm abermals die
Wellen bis hierher wirft und wiederum, während er totes und sterbendes
Getier am Strande aufhäuft, den Fluttümpel mit neuem Leben erfüllt.



Der Windbruch.


Mitten in der Wohld liegt eine weite, breite Lichtung.

Der Sturm hat sie geschaffen. In einer schwarzen Nacht kam er über das
Moor gebraust, und als ihm die Wohld im Wege stand, stürzte er sich
mitten in sie hinein, schmiß viele Hunderte von Fichten und Föhren
durcheinander und verschwand über der Geest.

Viele Wochen lang krachten die Äxte und kreischten die Sägen auf dem
Windbruche. Als dann der Frühling kam, wuchs der Holzweg, den die
Bauern von dem Hauptgestelle nach der Blöße geschlagen hatten, zu.
Zwischen den gewaltigen Wurfböden und um die tiefen Kuhlen, in denen
sie gestanden hatten, sproß allerlei Kraut und Gestrüpp, das bisher
vor dem Drucke der dichten Kronen nicht hatte aufkommen können, und so
manches Getier, dem es dort einst zu dumpf gewesen war, siedelte sich
an.

Ein heimlicher Ort ist diese Stelle, eine Welt für sich, fest
umschlossen von engverschränktem Gebüsch und dichtgedrängten Bäumen.
Üppig sind die Himbeeren aufgeschossen, und frisch wuchert süßer
Hornklee. Darum steht der beste Bock in der Jagd mit Vorliebe auf
dieser Stelle, sicher vor dem Jägersmann, denn rundumher liegt so viel
Geknick und steht so viel Gestrüpp, daß der sich nicht unangemeldet
heranpürschen kann.

Die Morgensonne fällt voll auf die Blöße. Die großen Blumen der
Schwertlilien in den Kölken leuchten wie goldene Flammen und die zarten
Blüten der Wasserfeder, die die dunklen Spiegel mit grünem Rasen
bedeckt, schauen ehrfurchtsvoll zu ihnen auf. Ein großer Schillebold
mit himmelblau geziertem Leibe schießt in edlem Fluge hin und her.
Jedesmal, wenn er eine Wendung macht, knistern seine goldbraunen Flügel.

Oben in den Kronen zirpen die Goldhähnchen. Ein Zaunkönig erhebt ein
großes Geschimpfe, denn es paßt ihm nicht, daß die Kreuzotter sich dem
Wurfboden nähert, in dessen Wurzelwerk er gebaut hat. Das Rotkehlchen,
das nicht weit davon brütet, und die Weidenmeise, die sich in einem
faulen Stumpfe ihr Nestloch gezimmert hat, helfen ihm dabei. Dann
raschelt es leise in der Dickung, unter dem Spillbaum, vor dem die
Schlange sich windet, zuckt ein feuerroter Blitz nach ihrem Kopfe,
und dann steht der Waldstorch da, die Otter im Schnabel. Sein blankes
Gefieder wirft rote und grüne Lichter von sich. Er sieht sich um,
schlägt seine Beute gegen die Erde und schleicht wieder zurück.

Heißer scheint die Sonne. Die Wasserwanzen schießen auf den
schwarzen Kölken hin und her und die Frösche, die auf dem hellgrünen
Vergißmeinnichtrasen sitzen, melden sich dann und wann. Plötzlich
verstummen sie. Ein Häher läßt sich an dem Wasserloche nieder, blickt
sich scheu um, trinkt und schwebt davon. Dumpf heult der Hohltäuber,
hell ruft der Schwarzspecht, und unaufhörlich erklingt das Geschmetter
der Finken und das Getriller der Meisen. Ein Pfauenauge spielt mit
seinem Weibchen, ein Zitronenfalter tänzelt um die Faulbaumbüsche, die
Luft blitzt von dem Geflitze der Schwebfliegen und ist erfüllt von
Hummelgesumme.

Auf dem dunklen Wasser wirbeln silbern blitzende Taumelkäfer lustig
umher. Jetzt fahren sie auseinander und tauchen hastig unter, denn ein
Schatten fiel über sie. Der Waldwasserläufer ist es, dieses seltsame
Urwaldschnepflein. Eilfertig trippelt der düstere Vogel, den lichten
Bürzel emporschnellend, an dem Tümpel entlang, hier im saftigen
Torfmoose herumstochernd, da ein Würmchen aus dem Wasser fischend und
dort eine Mücke von einem Halm schnappend, dabei fortwährend nickend
und wippend und gewandt über die Wasserfederpolster rennend.

Jetzt steht er mit schrillem Schrei auf und sofort ist sein Weibchen
bei ihm, das in dem vorjährigen Drosselneste in der Fichte brütet.
Laut rufend schießen die beiden sonderbaren Vögel über die Blöße
hin, ab und zu nach dem Raubwiesel hinunterstoßend, das zwischen dem
Gestrüpp hinschlüpft. Nun fängt auch der Zaunkönig an zu schimpfen,
das Rotkehlchen warnt, die Amsel zetert, die Braunelle entrüstet
sich, die Meisen lärmen, und das dauert so lange, bis der kleine
Räuber sich drückt und es still auf dem Windbruche wird. Die beiden
Waldwasserläufer aber bleiben noch eine ganze Weile wippend und nickend
auf zwei Wurfböden stehen und halten Wacht. Schließlich stiehlt sich
das Weibchen wieder zu seinem verborgenen Neste und das Männchen
trippelt von neuem an dem Pumpe entlang.

Der Kuckuck läutet. Die Tauben gurren. Vom hohen Himmel ruft der
Bussard. Leise bricht es in der Dickung. Unter dem Schneeballbusche
tritt der Bock heraus, äugt lange hin und her und äst sich dann
an Gras und Klee. Goldfinken locken, ein Buntspecht hämmert. Fern
fällt ein Büchsenschuß. Die Hummeln brummen, und die Fliegen summen,
das Sonnenlicht spielt auf den blanken Blättern des protzigen
Hülsenbusches, und hin und her schießt die große, herrlich gefärbte
Wasserjungfer über den Windbruch mitten in der wilden Wohld.



Der Bergteich.


Das Bergstädtchen ist heute ein einziger großer Blumengarten. Überall
recken sich die Rispen des weißen und blauen Flieders zwischen
dem hellgrünen Gesprieße der Tannen und dem tiefen Kupferrot der
Blutbuchen, über jeden Zaun fluten des Goldregens leuchtende Trauben,
die Roßkastanien sind überladen mit roten Kerzen, die Waldrebe
entfaltet ihre blauen Sterne, der Rotdorn bricht fast unter der
Fülle seiner Röschen, und die riesigen Knospen der Pfingstrosen sind
aufgesprungen und lassen ihre weißen und roten Blumenblätter leuchten.

Der Himmel, der zwei Tage grau und grämlich war, ist
vergißmeinnichtblau geworden, die Sonne, die zwei Tage lang hinter
Grauwolken steckte, scheint voll und heiß und lockte Bienen und
Fliegen. Der frische, reinliche Ostwind hat den faulen, schmutzigen
Westwind abgelöst, er schwenkt die blühenden Büsche und läßt die Falter
flattern.

Wo tief zwischen grünen Waldkuppen ein kühles Wasser liegt, dahin zieht
es alle Menschen an diesem glühenden Tag, über den Bergbach, dessen
wilde Wellen rauschend und brausend, blitzend und blendend über das
Wehr springen, den Wiesenpfad über den Berg hinan und hinein in den
schattigen Wald, wo von hoher Felsböschung der Ginster seiner goldenen
Blumen Fülle nicken läßt.

Am Teich sind alle Tische voll von frohem Volk. In der klaren
schönen Flut spiegelt sich der Buchen, Eichen, Fichten und Espen
verschiedenfarbiges Grün in wunderbarer Mischung; wo der Wind den
Wasserspiegel erreicht, kräuselt sich das Wasser blau und silbern. Von
den gelben Rudern spritzen leuchtende Perlen und hinter den Kielen
zittern silberne Streifen her.

Rund um den Teich führt ein abwechslungsreicher Weg durch warmes Licht
und kalten Schatten, über bunte Wiesen und durch grünen Wald. In den
sonnigen Buchten fahren die flinken Ellritzen hin und her, in den tiefen
Ecken steht die bunte Forelle. Silberne Wasserjungfern knistern über
die schwimmenden Blätter der Wasserhirse, stahlblaue Schwalben huschen
über die Flut.

Aus dem Schatten der Buchen, wo einer hohen Kuckucksblume große weiße
Blüten schimmern, tritt man auf eine sonnige Wiese, in der eine bunte
Blume die andre drängt; da surren langhörnige Käfer, da schwirren
glasflüglige Falter, da blitzt und funkelt es von allerlei sonnenfrohem
Kleingetier.

Weiterhin in der sumpfigen Schattenecke plätschert das
Wasserhühnchen herum, dicht über die schwarzgrüne Flut streicht ein
Strandläuferpärchen, mit den langen, schmalen, gebogenen Flügeln fast
das Wasser streifend, behäbig quarrt der Teichfrosch, lustig meckert
der Laubfrosch und langsam rudert ein Molch zwischen dem Kraut umher.

An einem Wieseneinschnitt, den ein kleines Wasser durchrieselt, ist
ein dichtes Beet schneeweißer Dolden. Da schlüpft der Zaunkönig unter
den grünen Schirmen der Pestwurz umher, und zwischen den überrieselten
Steinen fischt die Bergbachstelze nach Gewürm für ihre Kleinen.

Und dann tritt man in das Gedämmer der Fichten, aus deren Wipfeln das
dünne Gepiepe unsichtbarer Goldhähnchen ertönt, und wieder hinaus auf
die sonnige Talsperre, mit ihrer Doppelaussicht auf die tiefe Klamm
und die weite, grüne, von zwei Silberfäden durchzogene Wiese, und den
stillen, grünen, grünumkränzten Teich.

Hinter uns geht die Sonne unter, rote Glut über das dunkle Wasser
gießend. Die Drossel singt und der Kuckuck ruft, das Rotkehlchen
plaudert und die Frösche quaken, Eintagsfliegen tanzen über dem Wasser
in dichten Schwärmen, unbekümmert darum, ob ihr kurzes, auf Stunden
bemessenes Leben von den scharfen Zähnen der Fledermaus beendet wird,
die zwischen ihnen hin und her huscht, oder von dem Rachen der großen
Forellen, die platschend nach ihnen springen, große, goldene Ringe in
das tiefe Rot des Wassers malend.

Dann ruft die Eule, ein kühler Wind kommt über die Berge, der Teich
verliert den Rosenglanz und die Wälder um ihn ziehen ihr schwarzes
Nachtkleid an. Aber der Mond will nicht, daß dem hellen Tag eine dunkle
Nacht folgen soll. Groß und rund steigt er über den Berg und wirft eine
lange silberne Straße über das Wasser, eine Straße, auf der nur Wesen
gehen können, die ohne Leib sind. Aus den schwarzen Buchten tauchen
sie auf, aus den schwarzen Winkeln kommen sie hervor, weiße, wesenlose
Gestalten, aus dem Nichts entstehend, in das Nichts zerfließend, bis
sie vor dem hellen Mondlicht wieder fliehen in ihre schwarzen Buchten
und dunklen Winkel, die Nebelelfen.

Die lauten, frohen Menschen sind alle schon fort. Ganz still ist es
geworden am Teiche. Eines kleinen Vogels süßperlendes Nachtlied, der
Eule tiefer, runder Ruf, eines Fisches Platschen, der Espen Geflüster,
alles ist es, was noch laut ist in der Mondnachtstille.

Wir sind auch ganz still. Was sollen Worte hier, wo die Gedanken kaum
hineinzuflüstern wagen in die feierliche Stimmung von Wald und Wasser
und Mondenschein.



Die Marsch.


Langsam und behäbig fließt der Fluß durch die Marsch. Sein dunkles
Wasser glitzert silbern im Sonnenlicht und gibt verzerrte Bilder von
den goldenen Kuhblumen und den silbernen Weidenbüschen wieder, die sich
in ihm spiegeln.

Ein frischer Hauch bewegt lustig den duftigen, aus unzähligen lichten
Schaumkrautblüten gewebten Schleier, der sich über das grasgrüne Land
zieht. Zwischen ihnen tanzen zarte Falter hin, deren Schwingenspitzen
feurig wie die Morgensonne leuchten.

Hoch oben am bachblumenblauen Himmel spielen fröhlich die Schwalben und
kreisen, dunkel eben und jetzt hell aussehend, zwei große Weihen. Unten
am Ufer flirren und schwirren um die schimmernden Ellernbüsche zahllose
Frühlingsfliegen. Wenn sie sich dem Wasserspiegel nähern, springen
ihnen laut schnalzend blinkende Fische entgegen.

Zwei Krähen, blitzblank im Sonnenschein leuchtend, kommen angeflogen.
Mit schneidendem Rufe steht ein Kiebitz auf, holt sie ein, stürzt sich
auf sie hinab und umfuchtelt sie in regellosem Fluge. Ein zweiter
gesellt sich zu ihm, noch einer, ein vierter und immer mehr: wie eine
Schar von Gespenstern gaukelt es um die schwarzen Eierdiebe her.

Selbstzufrieden stümpert der schwarzköpfige Rohrammerhahn sein
dürftiges Liedchen von der Spitze eines dürren Reethalms. Aus
dem Weidicht kommt das Gezirpe der Rohrsänger, ein Gemisch von
Froschgequarre und Riedgeruschel. Ein Pieper flattert unbeholfen empor,
hölzern klappernd und fällt wie kraftlos in das Gras. Wehmütig piepst
die gelbe Bachstelze und fröhlich zwitschernd steigt das Weißkehlchen
auf.

In den Uferbuchten prahlen die Frösche; aus dem verworrenen Getöse
klingt hier und da und dort das breite Lachen eines alten Vorsängers
heraus. Wo einer der Störche, die würdevoll und gemessen, weithin
sichtbar, durch das Gras waten, sich naht, endet das Gequarre in einem
entsetzten Gepaddel und Geplantsche, bis der schwarzweißrote Schreck
weitergestelzt ist, und der Lärm erst schüchtern wieder beginnt, um
immer zuversichtlicher und unbekümmerter anzuschwellen.

Das breite, weite, grüne Land ist voll von kleinen Vogelstimmen, und
der Himmel darüber tönt von Lerchengetriller und Schwalbengezwitscher.
Dennoch steht eine große Ruhe über der grünen, mit silbernen und
goldenen Blüten besäten Marsch, eine Ruhe, die der klirrende Ruf der
leuchtenden Seeschwalben, der spitze Schrei des dunklen Rohrhuhns eher
verstärkt als zerstört, und auch das Jodeln der Wasserläufer und das
weithin hörbare Flöten eines Brachvogels geht in ihr schließlich doch
unter.

Hinter den Ellernbüschen kommt ein Flug schlanker Vögel angeschwenkt,
schlägt Bogen über Bogen, fällt ein, steht auf, läßt sich abermals
nieder, nimmt sich wiederum hoch, und verharrt schließlich auf einer
höheren Stelle, deren Graswuchs mager und dünn ist. Kampfläufer sind
es, schnurrige Gesellen. In anspruchsloses Graubraun sind die Weibchen
gekleidet; die Männchen jedoch prunken in schimmernden Rüstungen. Der
eine ist dunkelstahlblau an Nackenlatz und Brustschild, der da erzgrün,
dieser rostrot, jener weiß, und andere sind weiß- und gelbgefleckt,
hell und dunkel gemustert; aber keiner gleicht dem anderen völlig.

Stocksteif stehen sie da, die seltsamen Burschen, ungemein viel Würde
entwickelnd. Stochert einer einmal nach einem Würmchen im Rasen,
so besinnt er sich doch sofort, daß heute Mensurtag ist, und nimmt
schnell wieder Haltung an. Auf einmal stehen sich zwei gegenüber,
zittern vor Kampflust, sträuben die Kragen, nehmen Paukstellung an,
fahren aufeinander los, rennen sich die Schnäbel gegen Gesicht und
Brust, prallen zurück, sausen wieder zusammen und stehen plötzlich
mit heruntergelassenen Schilden da, als hätten sie nichts miteinander
vorgehabt.

Es ist ja auch nur Bestimmungsmensur, das Gefecht, nicht so schlimm
gemeint, wie es aussieht. Der dunkelerzgrüne und der hellkupferrote
Hahn treten jetzt an. Hei, wie sie aufeinander losfahren,
zurückweichen, Pause machen, hin und her trippeln, einen neuen Gang
beginnen, mitten darin abbrechen, wieder zusammenprallen, in die Höhe
hüpfen, stürmisch flattern, den Gegner mit Finten aus der Deckung
locken und ihm schnell einen Stich versetzen. Dann auf einmal ist der
Kampf zu Ende. Die Fechter stehen gleichgültig da, zupfen sich den
Paukwichs zurecht, rennen im Grase umher und suchen im Moose nach
Käfern.

Fort stiebt die ganze Gesellschaft, Paukanten sowohl wie Corona.
Im Zickzack schwenkt der Flug über die nassen, von goldenen Blumen
strahlenden Sinken, burrt quer über den Fluß, saust um die Weiden
herum und verschwindet in der Ferne, wo die beiden Reiher an dem
Ufer stehen. Der Rohrweih, der dort angeschaukelt kommt, hat sie
vertrieben. Wo sein Schatten hinfällt, schweigen die Frösche, verstummt
der Wiesenschmätzer, bricht der Rohrsänger sein Gezirpe ab. Aber eine
Seeschwalbe, wie ein silberner, rotbespitzter Pfeil herunterschießend,
vier Kiebitze und zwei Wasserläufer belästigen das braune Gespenst so
lange, bis es sich von dannen macht, und sofort fangen die Frösche
wieder zu quarren an, Schmätzer und Rohrsänger legen von frischem los,
und die Wasserhühner kommen kopfnickend aus dem Ried hervorgerudert.

Über der Kuhle, die ganz von den starren Blättern der Krebsschere
erfüllt ist, schweben stumm die Trauerseeschwalben hin und her, dann
und wann hinabschießend und eine Beute aufnehmend. In dem dichten
Wirrwarr von Rohr und Schilf führt eine Entenmutter ihre wolligen
Jungen. Mit schallendem Fluge streichen Stare herbei, fallen im Grase
ein, watscheln dort herum und suchen eifrig nach Futter. Über der
offenen Blänke flirrt es silbern und spritzt es, als regnete es dort;
der Barsch jagt Fischbrut, dicke Blasen steigen auf und zerplatzen
seufzend; der Aal wühlt im Schlamme. Trillernd schwirren zierliche
Uferläufer vorüber und drei Erpel, die das Segelboot aufstörte, stehen
mit Getöse auf und klatschen weiterhin in das Schilf.

Kühler weht es vom Abend her. Die Sonne versinkt. Nebel tauchen auf.
Der Heuschreckensänger läßt sein eintöniges Geschwirre erschallen,
die Frösche werden lauter. Schon unkt ein Dommelchen in seinem
Rohrverstecke, heiser ruft ein Reiher, stolz vor rosenrot glühenden
Wolken dahinrudernd, und mehr und mehr erklingt das Gemecker der
Himmelsziegen, die pfeilschnell dahinsausen.

Die Ferne versinkt in Nebel, und die Nähe geht im Dunst unter. Hart
schnarrt in strengen Pausen der Wachtelkönig, gellend pfeift die Ralle,
klagend ruft eine Mooreule. Noch einmal glüht die Sonne auf, ehe sie
Abschied nimmt. Das Blaukehlchen vermischt sein Lied mit dem Geruschel
des Rohres und dem Gekluckse der Wellen, bis das Plärren der Frösche
alle anderen Laute verschlingt und der Nebel alle Farben zudeckt.



Der Haselbusch.


Wo der Wildbach zwischen den zerborstenen, mit lustigen Farnen
geschmückten grauen Klippen aus dem Unterwalde herauspoltert, reckt
sich ein alter, krummgewachsener Haselbaum über dem krausen Verhaue von
Schlehen, Weißdorn, Rosen und Brombeeren. Auf seinem untersten Zweige,
der tot und trocken auf das quicklebendige Wasser hinabhängt, sitzt
der Eisvogel gern und lauert auf die Ellritzen, die in der flachen
Bucht spielen. Schüttelt ein Wind die Äste des Hasels, daß die Käfer
und Fliegen, die auf den Blättern sitzen, herabfallen, dann gehen die
Forellen, die in dem Kolke hinter der gischtumsprühten Klippe stehen,
danach hoch, oder die gelbbäuchige Bergbachstelze, die in der Felsritze
unter den Farnwedeln ihr Nest hat, schnappt sie fort, ehe sie in das
Wasser fallen, wenn nicht die weißbrüstige Bachamsel, die unter der
überhängenden Wand brütet, ihr zuvorkommt.

Den ganzen Tag ist in und um den alten Haselbaum ein lustiges Leben.
Bald flattert die Dorngrasmücke aus ihm heraus, zwitschert lustig und
schlüpft in den Bergholderbusch neben ihm hinein, bald turnen die
Meisen in ihm herum. Dann wartet der Dorndreher dort, bis er einen
Käfer eräugt, die Grünfinken oder die Stieglitze lassen sich auf ihm
nieder, ein Häher, der aus dem Bache trinken will, sieht sich von da
um, und gern treten die Rehe dort hin und her und äsen sich an all den
üppigen Kräutern unter ihm.

Abends aber, wenn die Krähen laut quarrend zu Berge fliegen und in
dem alten Steinbruche das Käuzchen quiekt, wird ein anderes Leben in
dem alten Busche wach. Da, wo der Schlehenbusch sich mit dem Hasel
verschlingt und der von der Waldrebe umsponnene Weißdorn sich zwischen
beide drängt, rispelt und krispelt es verstohlen. Ein winziger
Kobold, mit großen, nachtdunklen Äuglein und langem, gespreiztem
Schnurrbärtchen, wohlbepelzt und feingeschwänzt, klettert über den
mit goldenen Flechten besetzten Ast des Nußbaumes, putzt sich das
rosarote Schnäuzchen, zupft an dem rötlichen, in der Dämmerung schwarz
aussehenden Fellchen, knabbert ein Käferchen auf, fängt ein Möttchen,
speist ein Räupchen, dreht sich um, setzt sich auf die Keulchen,
lockt leise und wartet, bis ein, zwei, drei, vier noch kleinere
Gespensterchen hinter ihm herkrabbeln und sich zu ihm gesellen, vier
kleinwinzige Haselmäuschen, seine Jungen. Es leckt sie, säubert sie,
hilft ihnen über einen dicken Astknorren, weist ihnen die Knospe, in
der das Würmchen steckt, bringt ihnen bei, daß das braune Ding, das
da an der Rinde klebt, eine schmackhafte Schmetterlingspuppe ist,
nimmt ihnen die Angst vor dem heftig schnurrenden Eulenfalter, den es
gehascht hat, und die Furcht vor dem Maikäfer, der mit lautem Getöse
daherschnurrt und an einem Blatte hängen bleibt, von dem ihn die alte
Haselmaus herabreißt. Knipps knapps, ist der Nacken durchgebissen,
ritsch ratsch, sind die Flügel herunter, zwick zwack, die Beine davon,
und nun geht das Geknusper und Geknasper los. Das schmeckt lecker, das
bekommt gut, das ist besser als im Frühling die Knospen und jungen
Triebe und die mageren Würmchen und die alten, muffigen Schlehen und
Mehlfäßchen im alten Laube, oder die vorjährige dürre Motte und der
halblebendige Käfer oder der ankeimende Grassamen. Nun ist die fette,
die schöne Zeit da.

Wenn nur die Angst nicht wäre, die gräßliche Angst! Horch, was war das
da unten? Sollte das das Wiesel sein oder der Iltis und am Ende sogar
der Fuchs, der Gaudieb? Und was flog dort eben hin? Der Kauz oder nur
eine Fledermaus? Wie schön wäre es, könnte man jetzt beim Sternenlichte
auf den äußersten Ästen umherturnen oder am Boden zwischen den blanken
Efeublättern nach Käfern jagen! Aber da oben ist man vor der Eule nicht
sicher und da unten könnte einen das Wiesel haschen. Es ist schon
besser, in dem dichten Gewirr der Äste des Hasel, der Schlehen und des
Weißdorns zu bleiben, oder in den Ranken der Waldrebe umherzuklettern
oder zwischen den zackigen Wildrosenschößlingen, die das Wiesel scheut
und wo man vor der Eule sicher ist. Da wimmelt es ja überall von
Nachtfaltern, Käfern und Raupen. Ein dicker Schwärmer kommt angesaust.
Wupps, hat ihn die alte Haselmaus am Flunk erwischt. Er schnurrt und
burrt so gefährlich, daß die vier kleinen Haselmäuse entsetzt auf einen
Haufen zusammenkriechen. Doch die Mutter hat ihm schon einen Flügel
nach dem anderen abgeknipst, und wenn er auch noch heftig mit den
grünen Augen funkelt und wild den bunten Hinterleib bewegt, es hilft
ihm alles nichts, vier paar Rosenmäulchen fallen über ihn her und
bald ist nichts von ihm übrig, als die dicken Fühler und die dünnen
Beine, die in das Gras fallen. Dann schnurrt ein Bockkäfer daher, dem
es ebenso geht, und die große grüne Heuschrecke, die auf dem Aste
heranstelzt, muß ebenfalls daran glauben.

Aber dann gibt es ein Unglück. Die eine von den kleinen Haselmäusen hat
eine dicke fette Raupe gewittert und klettert in demselben Augenblicke
hinter ihr her, als ein jäher Windstoß den Zweig heftig anrührt. Sie
verliert den Halt, schlägt durch das Laubwerk, plumpst vor die Klippe,
wird von dem Strudel gefaßt und in den Kolk getrieben. Dreimal dreht
sie sich hilflos um sich selber, und noch einmal, dann aber steigt die
dreipfündige Forelle hoch und nimmt sie in die Tiefe mit.

Das Käuzchen vom Steinbruche ruft lauter und schwebt an dem Haselbusche
vorüber. Der Nebel wird dicker, die Luft kühlt sich ab. Die Haselmäuse
haben sich sattgefressen und sind müde von dem Umherklettern. Die Alte
geht voran, ihre drei Kinder folgen ihr. Da, wo am Grunde der Klippe
der Hasel mit den Schlehen und dem Weißdorn sich ineinander verfilzt
und Gras und Kraut und altes Laub die Lücken füllen, wo sie den
Winter verschlafen hat, da hat sie auch ihren Sommerschlupf und dort
verschwindet sie mit ihren Jungen, um erst wieder wach zu werden, wenn
die Abendsonne den Haselbusch nicht mehr bescheint.



Das Bergmoor.


Menschengesichter gibt es, hinter deren düsteren Augen und
verschlossenen Lippen wir ein böses Geheimnis ahnen; wir gehen ihnen
aus dem Wege.

Und wieder gibt es Menschengesichter, ernst aber mit Güte in den Augen,
mit Lippen, die nicht oft und nicht viel reden, mit Geheimnissen, die
aber keinen Hauch von Grausen ausströmen; an solchen Menschen nehmen
wir Anteil.

So ist der Brocken. Er hat seine Geheimnisse, aber sie sind nicht
schrecklicher Art. Es sind Geheimnisse, wie einsame Menschen von viel
Gemüt und gutem Humor sie in sich hegen, Leute, wie Arnold Böcklin
und Wilhelm Busch es waren, die der gemeinen Menge als schrullenhafte
Sonderlinge gelten.

Wer kennt ihn von den zweimalhunderttausend Leutchen, die alljährlich
zu Fuß oder mit dem Wagen oder auf der Eisenbahn auf seinen Gipfel
klettern? Nicht Hundert davon sehen mehr von ihm, als die gelben
Granitwege zwischen sturmzerfetzten Fichten, als die Aussicht in das
bunte Land, als die weißgedeckte Tafel im Unterkunftshause mit ihren
Flaschenkübeln.

Auf gebahnten Wegen geht es hinauf, man ißt und trinkt, bewundert die
Aussicht oder schimpft, ist sie nicht da, schreibt Ansichtskarten, und
dann geht man auf sicheren Steigen hinab in dem stolzen Gefühle, den
Brocken kennen gelernt zu haben. Man hat ihn kennen gelernt, wie einen
großen Mann, den man im Gehrock und hohem Hute aufsuchte und mit dem
man zehn Minuten sprechen durfte.

Und das ist gerade das Reizvolle an dem seltsamen Berge, daß ihn so
viele Menschen besuchen, daß aber nur ganz wenige ihn kennen. Ist
Pfingsten helles, warmes Wetter, dann kann es sein, daß dort oben
zweimal tausend Menschen Mittag essen, daß alle Zuwege bunt von bunten
Hüten und hellen Kleidern und laut von Gelächter und Gesang sind; wer
aber bescheid weiß, der tritt vom bezeichneten Pfade und ist dann
allein, hört und sieht nichts mehr von dem Volke der Ausflügler,
braucht keinen Singsang und kein Gejodel mehr auszustehen und sich
nicht über Papier, Kartons, Stanniol, Eierschalen und Flaschenscherben
zu ärgern, mit denen die Wegeränder verschandelt sind. Frau Einsamkeit
sieht ihn mit großen, guten Augen an, hängt sich an seinen Arm und
weist ihm die Geheimnisse des Berges, seine großen und kostbaren
Schätze, seine kleinen und feinen Sächelchen, an denen er seine Freude
hat.

Seitdem die Bahn bis zu seiner Spitze geht, hat er viele von seinen
Schätzen beiseite geschafft, denn zu arg wütete das unholde Volk
dagegen. Jetzt grasen die Leute die ganze Kuppe ab, hungrig auf
Brockenmyrte, wie sie die zierlich begrünten Ranken der Krähenbeere
tauften. Aber sieh dich hier im Moore einmal um! Du gehst nur auf
Brockenmyrte, ganze Rasen bildet sie und darüber nicken, rosig und
weiß, wie die Gesichter von Elfenkinderchen, die lieblichen Blüten der
Rosmarinheide unter den silberweißen Wimpeln des Wollgrases. Nebenan,
wo das Torfmoor verdächtig naß aussieht, rankt die zierliche Moosbeere
und läßt auf haarfeinen Stielchen ihre entzückenden Blümchen, winzige
Abbilder der Türkenbundlilie, erzittern, und daneben steht ein üppiger
Strauch der Zwergbirke. Ist es ein Andenken, das der Berg sich aus
jener Zeit bewahrte, wo das Inlandeis bis tief nach Norddeutschland
hineinreichte und schlitzäugige, schwarzhaarige Jäger dem Mammut
Fallgruben bauten und den Moschusochsen vor den Hunden erlegten? Oder
haben reisende Vögel aus dem Nordlande die Samen hierher verschleppt?
Unter der Kleintierwelt des Berges ist allerlei zu finden, was sonst
nur in den Mooren des hohen Nordens oder vor den Gletschern der
Hochalpen lebt, ein blankes Käferchen, ein grauer Falter, eine Spinne
oder eine Milbe.

Jetzt, wo die Sonne gegen die wilde Trümmerhalde scheint, die das
Moor umsäumt, lebt das kleine Leben auf. Da surrt und burrt es
tausendfältig um die rötlichgrünen Kugelblüten der Heidelbeeren vor
Bienen und Wespen, Fliegen und Hummeln, die Blöcke wimmeln von plumpen
Rüsselkäfern, schlanken Schnellkäfern. Auf dem tiefen Tümpel, in dem
sich die Äste der Zwergweide ihr goldgrünes Laub spiegeln, huschen
Wasserwanzen hin, und am Rande ist ein Gewimmel eben ausgeschlüpfter
Larven des Grasfrosches, eine willkommene Beute für die Bergmolche,
deren himmelblaue Seiten und feuerrote Bäuche jedesmal aufleuchten,
wenn die schlanken Tiere Luft schöpfen. Auf den von Flechten und Moosen
buntgesprenkelten grauen Granitblöcken sonnt sich die Waldeidechse und
zwischen den Heidelbeersträuchern jagen sich liebestolle Spitzmäuse.

Heute wacht der Berg; gestern schlief er, hatte sich die Nebelkappe
über den Kopf gezogen und schnarchte, daß die verwetterten Fichten
hin und her schwankten. Kein Käfer kroch, keine Biene flog und kein
Vogel sang. Aber heute früh, als der Nebel zerriß und die Sonne den
Berg so lange streichelte, bis er ein vergnügtes Gesicht machte,
da meldeten sich die Fichtenmeisen überall, der Fink schlug, die
Braunelle zwitscherte, Graudrossel und Schnarre flöteten, der Laubvogel
sang, und da erhob sich auch der Wiesenpieper, stieg ungeschickt
in die Luft und klapperte seinen hölzernen Singsang, und über die
Trümmerhalde stieg der Steinschmätzer und quirlte mit viel Geflatter
sein Schalksnarrenlied heraus. Dann, auf einmal, wimmelte die Luft von
Mauerseglern. Sie brüten dort unten in den Städten und lassen sich
hier nicht sehen, wenn der Berg sein Nebelkleid trägt; sobald aber die
Sonne auf seine Glatze scheint, sind sie da, kreischen hungrig und
erschrecken die Brockenfahrer, die vom Turme in das leuchtende Land
sehen, mit schallendem Schwingenschlage. Sobald aber der Wind kälter
pfeift, sind sie verschwunden, wie fortgezaubert.

Denn der Berg hat seine Launen; er lacht gern, aber er hat doch dicht
am Wasser gebaut. Außerdem ist er ein Freund von Späßen. Hier ist doch
Mai, leuchtender, lachender Mai mit hellgrünen Tannensprossen, jungem
Ebereschenlaub, bienenumschwärmtem Heidelbeergekräut, blütenüberdecktem
Sauerkleerasen, Falterflug, Käfergeschwirre und Vogelgesang. Dicht
daneben ist Winter. Da liegt der Schnee hart und fest zwischen dem
wilden Getrümmer, rührt sich noch keine Fichte, haben die Heidelbeeren
noch dünne Zweige, fliegt kein Falter, kriecht kein Käfer, und hurtig
hüpft der Gletschergast im nassen Moose umher. Daneben aber, wer möchte
es glauben, ist Sommer, reichlicher Frühsommer. Die Heidelbeeren sind
abgeblüht, der Sauerklee steht in Frucht, die Fichten haben lange
Triebe. Noch etwas weiter hin, und der Vorfrühling winkt mit den
allerersten Grasspitzchen, winzigen Knöspchen an den Fichtenzweigen und
eben sich erschließenden Heidelbeerblüten.

Ach ja, es ist ein sonderbarer Geselle, der Berg. Die Wege und die
Bahn hat er sich gefallen lassen müssen und das Gasthaus und die
Wetterbeobachtungsstelle; mehr gewährt er aber nicht. Hier starren,
von Heidelbeergebüsch, Moos und Farn halb versteckt, gewaltige
Mauern, kunstvoll gefugt, und leicht denkt sich der Wanderer eine
Raubritterburg in früheren Zeiten hierhin. Aber dem ist nicht so
gewesen. Die Räuber, die hier wohnten, hatten vier Beine und hießen
Bär, Luchs und Wildkatze, und bis auf die letzte, die unten am Berge
noch ihr heimliches Leben führt, sind sie verschwunden, der eine seit
zweihundert, der andere seit hundert Jahren, und jenes Gemäuer ist
der Rest von Torfarbeiterhäusern und Torfköhlereien. Die Arbeit war
zwecklos; der Berg litt es nicht, daß man seine Moore ausbeutete; er
wartete, bis die Torfhaufen aufgetürmt waren, und dann weichte er sie
so ein, bis sie umfielen. Da gab man es auf.

Auch seine Fichten will er so haben, wie es ihm paßt. Und es paßt
ihm nicht, stehen sie in Reihe und Glied, wie die da unten im Forst.
Hier und da läßt er sie ja wachsen, aber gar zu keck dürfen sie nicht
werden, denn dann ruft er den Wind. Der kommt mit Schnee und Rauhreif,
und davon packt er den Bäumen so viel auf, bis sie auf die Knie fallen,
und wenn er seinen bösen Tag hat, dann wirft er sie durcheinander, wie
Kraut und Rüben, und trampelt mit seinen Nagelschuhen darauf umher, daß
sie tausendweise ihr Leben lassen müssen. Und dann kommt das tückische
Torfmoos an, reckt sich, streckt sich, quillt und schwillt, überspinnt
die toten Stämme, zernagt sie und frißt sie endlich ganz auf, und da,
wo einst Fichte bei Fichte stand, in der die Meisen pfiffen, läßt der
Wiesenpieper über kahlen Moorflächen sein ödes Gesinge erschallen, der
Birkhahn führt im Frühling seinen Minnetanz dort auf und im Frühherbste
schreit hier der edle Hirsch.

Wer aber sieht den Birkhahn tanzen und springen und schaut zu, wenn der
Platzhirsch dem Nebenbuhler heiser röhrend entgegenzieht? Wer kennt
den einsamen Hasen, der zwischen den Trümmern der Granitkuppe wohnt,
die unterirdische Gewalten einst sprengten und deren Reste bis nach
Wernigerode und Ilsenburg rollten? Nur wer am Pflanzenwuchse erkennen
kann, wo er den Fuß hinsetzen darf, ohne im Torfschlamm zu versinken,
sieht das Reh das junge Gras äsen und belauscht den Urhahn, der sich
im feinen Steingeröll badet, während die Henne im Heidelbeerbuschwerk
ihre Brut den Käferfang lehrt. Er hat seine Nücken und Tücken, der
Berg. Lose aufeinander geschichtet ist das wilde Trümmerwerk, und hier
ist die Torfdecke fest und sicher; daneben reichen drei Bergstöcke
nicht aus, den weichen Schlamm abzuloten. Und darum wird der große Troß
der Brockenfahrer niemals das geheime Leben des Brockens kennen lernen,
sondern sich an den sicheren Wegen genügen lassen und an der Aussicht
und der trefflichen Küche dort oben, und nichts wissen von den geheimen
Schönheiten seiner verschwiegenen Moore.



Der Bach.


Die Klippe ist dem Bache ein Ärgernis; seit ewigen Zeiten versperrt sie
ihm den Weg.

Wenn seine Wellen, die weiter oben und unten meistenteils gemütlich
plaudernd dahinrieseln, bei ihr anlangen, so bekommen sie jedesmal
einen Wutanfall.

Dumpfe Verwünschungen murmeln sie und wilde Flüche sprudeln sie heraus,
sie schäumen vor Zorn und geifern vor Grimm, und wie Zähneknirschen
klingt das Knirren und Knarren des Gerölles, das sie mit sich führen.

Aber oben auf der Klippe inmitten des spritzenden Gischtes sitzt
Knickschen und singt sein Lied, singt sein Lied trotz Eis und Schnee,
singt ein Stück Frühling in den Winter hinein, ein bißchen Frohsinn
durch das Wellengegrolle, ein wenig Liebe über dem Haß zwischen Wasser
und Fels.

Keck sitzt es da, die blütenweiße Brust der Sonne zugekehrt, und
schwatzt und plaudert halblaut sein schnurriges Liedchen vor sich
hin, macht einen Knicks, schnellt das Stummelschwänzchen auf und ab
und zwitschert weiter, als wenn keine Eiszacken an den Tagwurzeln der
Fichten blitzten und die Jungbuchen keine Schneebälle trügen.

Die Vormittagssonne steht hell am blauen Himmel und bescheint die
verschneiten Fichten an der Steilwand, vor der die roten und gelben
Kreuzschnäbel, die dort jetzt brüten, mit lauten Lockrufen auf und ab
fliegen. Ab und zu rasselt ein Samenzapfen, den sie abbissen, durch
das Gezweig und reißt den Schnee herunter, der polternd zu Boden
fällt. Die Wasseramsel kümmert sich nicht darum. Aber nun beginnt die
kleine Meise, die in den Waldrebenranken umherturnt, heiser zu zetern.
Blitzschnell dreht Knickschen sich um sich selbst, schnarrt trocken und
schwingt sich nach dem anderen Ufer, denn zwischen den Brombeerstauden
schnüffelt, nur einen Fuß von ihm entfernt, das Hermelin umher, und dem
ist nicht zu trauen.

Fortwährend schnarrend sitzt die Wasseramsel auf einem angetriebenen
Aste, der sich in einer Felsspalte verfangen hat, und macht dem weißen
Wiesel einen höhnischen Diener nach dem andern, bis dieses, durch das
Zetern der Meisen und das Schimpfen des Zaunkönigs verärgert, unter den
Wurzeln verschwindet. Da schnurrt Knickschen wieder auf seine Klippe,
bleibt dort einen Augenblick sitzen, späht dann unter sich und stürzt
sich kopfüber in das tiefe, grüne Stillwasser zwischen den schäumenden
Strudeln. Mit drei Flügelschlägen schwimmt es dem Flohkrebschen nach,
das es erblickte, faßt es, taucht mit ihm vor einem halbüberspülten
Steine am Ufer auf und schluckt es hinab.

Sofort ist es wieder in dem strudelnden Seichtwasser zwischen den
abgerollten Steinen, rennt hurtig dahin, fischt hier eine Mückenlarve,
da einen Wasserkäfer, dort ein Müschelchen, watet bis an die Brust in
das ruhige Wasser, stochert mit dem Schnabel zwischen den rötlichen
Flutwurzeln der Ellern umher, wo es allerlei kleines Getier erwischt,
Köcherfliegenlarven, Wassermilben, Schnecken, schwimmt, wo das Wasser
tiefer wird, darin umher, wie eine Ente gründelnd, taucht dann gänzlich
unter, rennt auf dem Grunde hin, stöbert dort ein Weilchen umher,
erscheint trocken und sauber, als sei das Wasser nicht naß, und so
fröhlich, als sei es auch gar nicht kalt, wieder auf einem Steine und
singt los, als wären die Ufer voller Blüten und als sprängen an den
Büschen die neuen Blätter aus den Knospen.

Den Eisvogel, der wie ein lebendiger Edelstein dahinfunkelt und mit
scharfem Schrei das verworrene Gerausche des Baches durchschneidet,
würdigt der seltsame Vogel kaum eines Blickes, und auch die beiden
gelbbrüstigen Bergbachstelzen aus Nordland, denen der Winter hier mild
genug erscheint, und die lustig von Stein zu Stein trippeln, regen sie
nicht auf; aber nun schnurrt sie mit kurzen Flügelschlägen bachabwärts
und fährt auf eine ihrer Art los, die sich in ihr Gebiet gewagt hat.
Bis zu der Mühle treibt sie sie hin, und darüber hinweg, und erst da, wo
der Bach breit und behäbig zwischen den Pappeln dahinplätschert, läßt
sie ab, nimmt auf einem Blocke Platz und glättet ihr Gefieder, das bei
der Balgerei ein wenig in Unordnung kam.

Doch der Tag ist kurz, die Kälte zehrt und die Nahrung ist sparsamer
als zur sommerlichen Zeit. Sie erhebt wieder ihr Gefieder, durchfliegt,
ohne sich zu besinnen, die brausenden Wassermassen, die über das Wehr
stürzen, liest von dem nassen, moosigen Gebälke die Schnecken und
Larven ab, stürzt sich in den Kolk, rennt auf dessen Grund umher, sitzt
plötzlich wieder zwischen den schäumenden Wellen auf einem angespülten
Holzblocke, fliegt zu den Pappeln hin, huscht unter den hohlgewaschenen
Wurzeln hin und her, bis des Müllers Katze, die dort angeschlichen
kommt, sie vertreibt, und so nimmt sie sich wieder auf und kehrt zu
ihrem Lieblingsplatze, der Klippe im Bache zurück, unter der der
Strudel all das Gewürm zusammentreibt, das die Wellen auf ihrem Laufe
mit sich rissen.

Da treibt sie ihr munteres Wesen den ganzen Tag über, jetzt über
die Uferklippen trippelnd, nun in dem niedrigen Wasser watend, auf
dem Grunde des Baches einherrennend oder wie ein Fisch seine Flut
durchschwimmend, stumm auf einem Stein sitzend, schieben sich die
Wolken vor die Sonne, lustig singend, wird der Himmel wieder heiter.
Doch wenn es Abend wird, wenn die Mäuse im Fallaube pfeifen und das
Käuzchen in den Weiden ruft, dann fliegt Knickschen nach der Mühle hin,
stürzt sich in die tosenden Wassermassen, die über das Wehr hinfallen,
und birgt sich dort, sicher vor Wiesel und Iltis, in einem Balkenwinkel.

Dort wird sie, wenn die Finken wieder schlagen und die Drosseln
pfeifen, und sie sich gepaart hat, auch ihr weiches, warmes, rundes
Nest bauen, ihre schneeweißen Eier legen, sie ausbrüten und ihre Brut
aufziehen, damit ihr Geschlecht nicht aussterbe, daß sie wintertags,
wenn es stille an dem Bache ist, den Menschen mit ihren lustigen
Liedern erfreue, unbekümmert darum, daß es rohe Tröpfe darunter gibt,
die dem lieben Vogel mit Pulver und Blei nachstellen, weil irgend ein
törichter Bücherschreiber ihr nachgesagt hat, daß sie ein böser Feind
der Forellenbrut sei.

Zwar ist das nicht an dem, und wenn es so wäre, reichlich machte durch
fröhliches Singen und lustiges Benehmen die paar Fischchen Knickschen
wieder wett, des Bergbaches reizendster Schmuck.



Der Überhälter.


Nicht weit von dem Waldrande, eingeschlossen von Dickungen und
Stangenörtern, steht ein alter Eichbaum.

Mit knorrigen Wurzeln, die wie ein Haufen von Schlangen
übereinanderkriechen, hält er sich in der Erde fest. Sein
hochschäftiger Stamm trägt eine lange, breite, aber gut verheilte Narbe
von der Wunde, die ihm der Blitz schlug, der auch einige der Äste in
der krausen Krone tötete, die nun als kahle Hornzacken starr gegen den
Himmel stehen.

Einst standen viele solcher Eichen hier; dieses ist die letzte. Sie
stand schon, als der Adler hier noch horstete, als der Uhu hier noch
jagte, als der Wolf noch aus dem Walde brach und die Schafe riß, als
die Wildkatze nächtlicherweile das Unterholz verließ, um auf Raub
auszugehen. Hunderte und Hunderte von alten Eichen und knorrigen
Hagebuchen standen an Stelle der Fichten- und Rotbuchenörter und
boten in ihren Höhlungen Kauz und Hohltaube, Blauracke und Wiedehopf
Brutgelegenheiten die Menge. Unter den Eichen stockten Schlehen,
Weißdorne und Stachelbeerbüsche und bildeten dichtes Gehege für die
Schnepfe, die in dem Dung der Kühe und Schweine, die hier zur Weide
getrieben wurden, reiche Nahrung fand.

Es kam eine andere, holzhungerige Zeit. Alle die alten Eichen
fielen unter Axt und Säge. Als die Hohltaube, die Blauracke und der
Wiedehopf wiederkehrten, fanden sie keine Bruthöhlen mehr und verzogen
anderswohin; der Kauz aber paßte sich der neuen Zeit an und bequemte
sich dazu, in einem alten Krähenneste zu brüten. Der Waldschnepfe
gefiel es dort auch nicht mehr, denn die Dornbüsche wurden ausgerodet,
das Vieh ging nicht mehr auf Weide in den Wald, und so blieb auch sie
fort.

So war es eine Zeitlang öde und still da. Dann bedeckten sich die
Kahlschläge mit Fichten- und Buchenjugenden, es wurden allmählich
Stangenörter daraus, und die wuchsen, bis sie zu Altholz wurden, und
ein neues Leben webte im Walde. Vielfältig war es zwar, doch nicht
so bunt und so reich, wie ehedem. Der Buchfinken und Amseln wurden
so viele, wie es einst Dompfaffen und Singdrosseln gab. Statt der
Hohltaube rückte die Ringeltaube ein, Krähen ersetzten die Dohlen, die
Häher die Racke, der Star den Wiedehopf, der Fasan die Schnepfe.

Auch die letzte alte Eiche, die stehen geblieben war als Wahrbaum für
die Landmesser, bekam andere Gäste. Die Zeiten, daß der Adler von ihrem
Wipfel aus Umschau hielt und der Uhu in ihrem Geäste den Igel kröpfte,
waren schon lange vorbei, desgleichen die Tage, da der Waldstorch
sich in ihr einschwang und der Wanderfalk in ihr horstete; sogar der
Gabelweih, der einst so gern auf ihren Hornzacken fußte, und der
Kolkrabe, der von da aus Wache hielt, blieben mit der Zeit aus, denn
die neue Zeit litt nicht mehr, daß sie am Leben blieben.

Immer aber ist sie noch von allen Bäumen im ganzen Forste der, der
die meisten Freunde hat, ganz gleich, ob sie in vollem Laube steht
oder ihre nackten Äste wie wunderliche Runen gegen Himmel reckt. Der
Falke aus Nordland, der vorüberreist, rastet auf ihr, die Krähen aus
dem Osten fallen auf ihr ein, wenn sie über das Land ziehen, die Stare
pfeifen auf ihren Hornzacken, wenn der Frühling kommt, und wiederum,
ehe der Herbst hereinbricht. Sie sucht sich der Schwarzspecht, will
er sich ein Weibchen ertrommeln, und der Grünspecht, läßt er sein
Werbegejauchze erschallen, in ihrem Geäste halten die Häher Schule
ab und auf ihrer Spitze sitzt an schönen, windstillen Mittagen der
Pfingstvogel und singt so zart und fein, wie eine Grasmücke.

Alles Geflügel, das in dem Forste sein Unterkommen hat, besucht den
alten Baum einmal. Lebt auch das Rotkehlchen im unteren Holze, im
Vorfrühlinge schwingt es sich ganz oben in den Überhälter und läßt
von da sein silberhelles Lied in die Dämmerung hinunterrieseln. Die
Dorngrasmücke, die im Gestrüppe wohnt, und sogar der Zaunkönig, der
sonst nur am Boden haust, bekommen auch dann und wann den Einfall, in
das krause Geäst zu flattern und von da herab ihre frischen Weisen
erklingen zu lassen, und die Amsel sucht sich nicht minder als die
Singdrossel den höchsten Ast, singt sie dem einschlafenden Tage das
Schlummerlied.

Es vergeht nicht eine Stunde zur Sommerszeit, daß der alte Baum nicht
neuen Besuch erhält. War es eben der Trauerfliegenschnäpper, der lustig
in ihm sang, so ist es jetzt der Gartenrotschwanz. Eben jubelte
der Mönch dort, nun trillert das Müllerchen da. Vorhin rutschte der
Baumläufer an dem Stamm entlang; jetzt klettert die Spechtmeise dort
umher. Fuhr gestern der Habicht aus dem Laube und schlug die Krähe,
so schießt heute der Sperber dort hervor und greift die Amsel. Vor
einem Weilchen schmetterte der Schwirrlaubvogel, wo hinterher der
Weidenzeisig rief, und ihm folgte der Fitis. Der Hänfling löst den
Stieglitz, diesen der Buchfink ab. Dem Goldammer folgt der Feldspatz,
und dann sitzt der Kuckuck da, ruft laut und fliegt immer noch rufend
in den Stangenort, und wo er saß, läßt sich der Täuber nieder und
ruckst. Dann klopft der Buntspecht an einem toten Aste herum, die
Kohlmeise kommt und pickt nach Käferlarven, die Blaumeise folgt ihr,
und ihr die Sumpfmeise, und schließlich fällt ein Kernbeißer ein,
rastet einen Augenblick und fliegt weiter. So geht es den ganzen Tag,
und auch bei der Nacht bekommt die Eiche bald von dem Waldkauz, bald
von der Ohreule Besuch.

Auch an anderem Leben mangelt es ihr nicht. Tagsüber turnen die
Eichkatzen gern in ihr hin und her, und alle paar Nächte erklimmt sie
der Marder. Unter ihrem Wurzelwerk wohnt die Waldmaus, und deshalb
stöbert das Hermelin dort gern herum. Die Waldeidechsen sonnen sich
gern auf den Wurzelknorren, und eine dicke Kröte hat dort ihren
Unterschlupf, denn an Nahrung gebricht es ihr hier nie. Zwar an den
stolzen Heldenbock, dessen Larven den Stamm kreuz und quer durchlöchert
haben, und gar an den wehrhaften Schröter, der so gern an dem gegorenen
Saft, der aus dem Rindenrisse quillt, leckt, wagt sie sich nicht, auch
nicht an die Trauermäntel und Admirale, die um den Stamm flattern,
und noch weniger an die Hornissen und Wespen, die dort ebenfalls
umherfliegen, aber die blauen und grauen Schmeißfliegen und das viele
andere kleine Volk, das hier schwirrt und flirrt und krimmelt und
wimmelt, ist ihr verfallen, sobald es in den Bereich ihrer Klappzunge
gerät.

Immer und immer lebt es um den alten Baum. In seinen Rindenritzen
birgt sich das Ordensband, an seinem Stamme haften die grünen Wickler,
klettern die Puppenräuber, huschen die Mordwespen, und wintertags, wenn
die Dämmerung früh in den Wald fällt, ist um seinen Stamm ein wildes
Geflatter von bleichen Frostspannermännchen, die auf der Weiberjagd
sind. Kommt dann der Morgen, so rücken die Meisen heran, geführt von
einem Buntspechte, gefolgt von Goldhähnchen und Baumläufern, und sorgen
dafür, daß das Geschmeiß sich nicht so sehr vermehre, daß es im Mai dem
Baume alle jungen Blätter nimmt.

Viele tausend Eichen stehen in dem Forst, keine aber ist so alt und
so ehrwürdig wie der Überhälter. Doch sein Kern ist rotfaul, sein
Stammholz von Larven durchwühlt. Die große Ameise zernagt ihn und Pilze
fressen an seinem Marke. Noch einige Jahre oder Jahrzehnte wird er sich
halten, mit knorrigen Wurzeln die Erde packen und starre Hornzacken gen
Himmel recken. Aber eines Jahres wird der Blitz ihn fällen oder der
Sturm ihn zerbrechen, den alten Überhälter, dessen Astrunen so schön
von den Tagen sprachen, da noch der Adler hier hauste und der Uhu des
Nachts seinen Waidruf erschallen ließ.



Der Feldteich.


Mitten im Felde liegt ein mäßig großer Teich. Eine doppelte Reihe
alter, hohler, krummer Kopfweiden faßt ihn auf der einen Seite ein,
drei mächtige Schwarzpappeln halten gegenüber Wacht.

Ein Drittel des Teiches ist von Schilf, Kalmus, Schwertlilie, Rohr und
Pumpkeule erfüllt, die ein undurchdringliches Dickicht bilden. Vor
ihnen bedecken Mummeln und Nixenblumen den Wasserspiegel, desgleichen
Laichkraut, Schwimmknöterich und Froschbiß. An einer Stelle erheben
sich in Menge die harten, zackigen Blätterbündel der Krebsschere,
dunkel gegen den lichten Teppich von Wasserlinsen abstechend.

Allerlei Vogelvolk, das dort reichliche Nahrung findet, bewohnt
das Röhricht. Jahr für Jahr bringt ein Stockentenpaar seine Jungen
hier aus. Auch die Wasserralle brütet hier, dann noch je ein paar
Teichhühner und Zwergtaucher. Ein Rohrammerpaar lebt dort ebenfalls,
und vier Arten von den kleinen Rohrsängern, darunter der sonderbare
Schwirrl, der wie eine Heuschrecke schwirrt, und ein Pärchen des
Drosselrohrsängers, der mit hartem, scharfem, herrischem Rufe alle
anderen Stimmen übertönt, sogar das gellende Gemecker der Laubfrösche
und das breite Geplärr der Wasserfrösche.

Wenn es Abend wird und die Unken anfangen zu läuten, dann erschallt
aus dem Geröhr ein ganz seltsamer Ton. Er ist nicht leise und ist auch
nicht laut, und wenn es eben scheint, er käme aus dem Wasser, so klingt
es gleich darauf, als ob er aus der Luft ertöne. Ein ganz tiefer,
dunkler, unirdischer Laut ist es, unheimlich zugleich und gemütlich
dabei, drohend und zärtlich gleicherweise, ein verhaltenes, gedämpftes,
halblautes »Uh«, das in streng abgemessenen Pausen hörbar ist.

Von den Pappeln meldet das Käuzchen den Abend an; im Weidicht singt
das Blaukehlchen; lauter kiksen die Teichhühner, stärker plärren
die Frösche und im Röhricht schnattern und pantschen die Enten. Da
ratschelt es im Schilfe, ein sonderbarer Vogel stiehlt sich hervor
und schleicht am Rande des Röhrichts schnell und sicher über die
Seerosenblätter. Ganz schmal und glatt ist er, und tief gebückt hält er
sich. Ab und zu schnellt sich der Hals lang aus den Schultern heraus,
und der lange, scharfe, spitze Schnabel schnappt irgend eine Beute aus
der Luft oder aus dem Wasser.

Der dumpfe Ton in der Mitte des Dickichts kommt näher und wiederholt
sich häufiger. Es rispelt und krispelt in den harten Halmen, und
plötzlich schwebt ein Vogel, dem gleichend, der jetzt in dem Schilfe
verschwindet, herbei, und taucht ebenfalls dort unter, wo der andere
sich verkroch. Dann gibt es ein lautes Rauschen und Rascheln, wilder,
öfter ertönt das dunkle »Uh, uh, uh« und jetzt zickzacken die beiden
Zwergrohrdommeln über den Teich hin, vorne die Henne, dahinter der
Hahn. Mit lautlosem eulenhaftem Fluge schweben sie dahin, jetzt
geradeaus und langsam, nun nach rechts und links sich wendend und
hastiger rudernd, und dann verschwinden sie mit Geraschel in den
Pumpkeulen, um drüben wieder zum Vorschein zu kommen und bald über dem
Teiche, bald über der Wiese ihr geisterhaftes Gaukelspiel fortzusetzen,
bis sie dessen müde sind und der Hunger sie antreibt, sich mit allerlei
Larven, Pferdeegeln, Schnecken und Kaulquappen die Kröpfe zu füllen,
und dann, faul und müde, angeklammert an einem Rohrhalm, zu schlafen.

Da hocken sie zwischen den gelben Blättern und sind in ihrer fahlen
Farbe fast unsichtbar. Weckt sie ein verdächtiges Geräusch, so machen
sie sich ganz lang und dünn und richten die Schnäbel steif in die
Höhe, und erst, wenn bei der Suche auf Jungenten der Hund ihnen ganz
nahe kommt, schlüpfen sie von Stengel zu Stengel und verbergen sich
im dichtesten Röhricht, und es muß schon sehr schlimm kommen, lassen
sie sich zum Auffliegen bewegen. Denn als reiner Nachtvogel scheut
der Zwergreiher den Flug bei Tage. So spielt sich sein Leben in aller
Heimlichkeit ab, und nicht oft kommt es vor, daß der Jäger ihn zu
Gesicht bekommt und, verblüfft über den ihm unbekannten Vogel, ihn
erlegt und dann nicht weiß, was er aus dem winzigen Reiherchen mit dem
Eulengefieder machen soll. Steht er gar an dem Teiche auf streichende
Enten an und vernimmt den dumpfen Ruf der Zwergdommel, so sieht er sich
die Augen nach dem Tiere aus, das sich so sonderbar verkündet, ohne
sich blicken zu lassen, rät auf dieses und das und bleibt so klug, wie
zuvor.

Weil der Teich so weit entlegen ist, so kommt der Jäger selten zu
ihm, und die Dommelchen fühlen sich so sicher, daß sie schon am
Spätnachmittage fischen gehen, zumal wenn sie Junge haben. Da, wo
das Röhricht am allerdichtesten ist, steht das wirre, unordentliche
Nest auf einer breiten, hohen Riedgrasbülte, gegen den Himmel durch
darüber geknickte Stengel gut vor den scharfen Blicken der Rohrweihe
verborgen, die fast jeden Tag vorübergaukelt. Merkwürdige Geschöpfe
sind die jungen Dommelchen, halb wie Igel, halb wie junge Krokodile
aussehend mit den stacheligen Speilen und dem breiten, kurzen
Schnabel. Immer haben sie Hunger, fortwährend gieren sie, und die
Alten können gar nicht genug Pferdeegel, Kaulquappen, Jungfrösche,
Wasserjungferlarven, Schnecken und Gewürm herbeischaffen und ihnen
in die Kröpfe hineinwürgen. Das reichliche Futter setzt aber auch
gut an. Die Kleinen bekommen jeden Tag dickere Bäuche und längere
Schnäbel, die schimmelartigen Daunen fallen aus, die Speile platzen
und lassen die Federn hervorbrechen, und bald verlassen die Jungen das
Nest und klettern den Eltern entgegen, wenn die mit vollen Kröpfen
herangeschlüpft kommen.

Schließlich naht der Abend heran, an dem die junge Brut sich darauf
besinnt, daß sie nicht nur Zehen zum Klettern, sondern auch Schwingen
zum Fliegen haben, und es beginnt erst ein unbeholfenes Geflatter und
Getaumel, bis von Nacht zu Nacht der Flug der Jungen sicherer und
länger wird und sie es den Alten gleichtun. Dann aber verlassen sie
alle den Teich und ziehen erst zusammen unstet von einem Röhricht zum
anderen, um sich schließlich zu teilen und jeder für sich erst langsam,
dann eiliger, Nacht für Nacht dem Süden zuzurücken, um dort, entweder
in den Schilfbrüchen Südeuropas, oder gar in den Sümpfen Afrikas, den
Winter zu verbringen.

Im Frühling aber treibt es sie wieder zurück und aus dem Rohrdickichte
des Feldteiches ertönt dann auf das neue ihr dumpfer Ruf, den keiner
kennt und den niemand zu deuten weiß.



Der Bergwald.


Zwei Gesichter hat der Berg. Ernst ist sein Südabhang. Kein Ort
unterbricht die grüne Gleichförmigkeit seines steilen Hanges. So
unnahbar sieht er aus, daß keine der bunten Ortschaften im Auetale es
wagte, sich ihm zu nähern: sein ernstes Gesicht jagte sie nach den
Weserbergen hin.

Ein ganz anderes Antlitz hat der Berg nach Norden hin; da ist nichts
von Unnahbarkeit, von abweisender Schroffheit zu spüren. In langsamen
Absätzen steigt er zu Tal und so kletterten die Ansiedlungen hoch an
ihm empor, trieben ihre Häuser, Äcker und Felder in seinen Wald und
brachten viele Farben in seine grüne Gleichförmigkeit, rote Dächer und
weiße Rauchwolken, aus kühn emporstrebenden Schloten hervorquellend,
einer regen Industrie fröhliche Banner.

Außer diesen beiden großen Gegensätzen zeigt der Berg aber noch viele
anderer Art. Hier, wo die düstere Fichte herrscht, ähnelt er dem
Oberharze; nebenan, wo die Buche das große Wort führt, gleicht er den
Weserbergen, und weiterhin, da wo Buche und Eiche sich mengen und ein
Bach rieselt, erinnert er an die Bergwälder Thüringens. Dann aber
wieder tritt die Kiefer auf heidwüchsigen Flächen auf, und wer die
Beschaffenheit des Bodens nicht beachtet und die Steine übersieht,
der könnte meinen, er sei in einem der hochgelegenen Geestwälder der
Lüneburger Heide, vorzüglich im Vorherbste, wenn der Honigbaum blüht.

Aber auch um die jetzige Zeit kann man sich dort in die Heide träumen,
weil gerade so wie dort das düstere Gezweig der Kiefern goldene
Schossen treibt und über den heidwüchsigen Rodungen die Birke ihr
grünes Blättergeflatter bewegt, während rundumher der Baumpieper
schmettert, im Dickicht Haubenmeisen zwitschern und kollern, der
Laubvogel sein wehmütiges Lied flötet und von der blauen Höhe eine
Heidlerche süß singt. Ganz so wie in der fernen Heide blitzen goldgrüne
Käfer über die sonnigen Schneisen, tanzen die krausen Schatten der
Kiefern auf der weißen Fahrstraße, schweben düstere Falter über das
spitze Gras.

Der Eindruck bleibt auch noch im raumen Stangenorte, dessen Boden bunt
ist von den hellgrünen Bickbeerensträuchern und dem rostroten Dürrlaube
des Adlerfarns. In allen Kronen piepsen unsichtbare Goldhähnchen,
überall leuchten die roten Mordwespen, der Wind erfüllt den Wald mit
dem behäbigen Gebrumme, wie es nur die Kiefer kann, und die Sonne
entlockt ihm den eigenen Duft von Kien und Juchten, den nur der
Heidwald ausströmt.

Dann, auf einmal, ist etwas da, was nicht in den Heidwald gehört.
Ein großer, rostroter Falter fegt mit wildem Zickzackfluge über
das leuchtende Bickbeergrün, hastet zwischen den rotschimmernden
Stämmen hindurch, saust über das schattige Gestell, taumelt an den
Birken vorbei und verschwindet dort, wo das lachende Laub einer Buche
auftaucht. Denn das ist sein, des Hammerschmieds, Baum; mit den Kiefern
und Birken will der seltsame Schmetterling nichts zu tun haben, der auf
den Flügeln in blauen Feldern vier weiße Halbkreuze trägt. Die Buche
ist sein Baum und wo sie herrscht, da ist seine Heimat. Ihr strebt er
zu.

Jäh bricht der Kiefernwald ab und macht dem Buchenwalde Platz. Hier
und da hat sich noch eine Kiefer vorgewagt, einige Birken ringen sich
zum Lichte, eine Eiche schafft sich mit rücksichtslosen Ästen Raum,
aber weiterhin herrscht der grüne Schatten, den nur die Buche gibt,
der keiner Blume, es sei denn, daß sie sich von Moder nährt, das Leben
gönnt, der alles grüne Leben am Boden in muffigem Fallaube erstickt.
Verschwunden sind die frohen Käfer und die lustigen Schmetterlinge,
verhallt sind des Piepers und der Goldhähnchen Lieder; eines einzelnen
Finken Schlag klingt verloren in der Stille und ein Häherruf
unterbricht auf einen Augenblick das schwere Schweigen.

Hart neben dem Buchenwalde erhebt sich wie eine schwarze Mauer das
Fichtenaltholz, kalt und tot wie ein Gefängnis. Lautlos treten die Füße
über die weichen, braunen Matten des Bodens. Hier und da ist ein heller
Fleck, als fiele aus einem Dachfenster ein karges Licht, und läßt ein
Büschlein Schattengrases, einen Bickbeerenhorst, eines Farnes frohes
Blattwerk weithin wirken. Oder es fällt von obenher ein Vogelruf in
das kalte Schweigen oder ein langer blauer Sonnenstrahl überschneidet
schräg die düsteren Stämme, bemalt sie mit Gold, macht aus dem toten
Zweigwerk ein silbernes Netz und aus dem Bock, der langsam dahinzieht,
ein fabelhaftes Wesen von lodernder Glut.

Dort aber, wo das Bächlein sich abhastet, um aus dem Bergwalddunkel in
das lachende Land zu kommen, springen die Hainbuchen hinzu und stellen
sich rechts und links daneben, damit es sich vor den ernsten Fichten
nicht allzusehr grusele. Sie spreizen ihre Zweige weit von sich, damit
der Mönch und Zaunkönig etwas Sonne haschen können und nicht ganz ihre
kecken Lieder verlernen, und auf daß dort auch allerlei gutes Kraut
wachsen könne, damit Has und Reh bei Tage Äsung finden.

Hinter dem Bache, wo die Talwand steil emporstrebt, ist ein wilder
Kampf zwischen allen Bäumen, die es im Berge gibt. Da zanken sich Buche
und Kiefer um den besten Platz, und während sie streiten, schleicht
sich die Birke zwischen sie, und auch die Lärche findet sich ein, bis
dann wieder die Eiche hinzutritt und die anderen beiseite schiebt. Und
während sich die großen Herren balgen, hat es das kleine Volk gut,
und so sprießt Pfeifengras und Adlerfarn, Bickbeere und Eberesche,
Heidecker und Siebenstern, weil die uneinigen Bäume ihnen nicht, wie im
geschlossenen Bestande, alles Licht und jedes bißchen Luft wegnehmen.

Darum gefällt es der Amsel dort auch so ausnehmend und der Graudrossel
nicht minder, Mönch und Zaunkönig und Fink sagt es dort ganz besonders
zu und die drei Vettern, der schwirrende Laubvogel des Buchenwaldes,
der Weidenlaubvogel aus dem Birkengebüsch und des Kiefernwaldes
Fitis finden sich hier zusammen und veranstalten einen ergötzlichen
Gesangswettstreit; aber die Finken übertönen sie, des Rotkehlchens
silberhelles Lied kommt auch noch voll zur Geltung, von der Blöße her
mischt sich die Braunelle ein, der Pieper macht sich kräftig bemerkbar
und das Geplauder des Grauhänflings bringt neues Leben hinzu.

Oben auf der Rodung ist eine andere Welt. Die Sonne liegt auf der
weiten, ringsum von dunklen Fichten eingefaßten Blöße und es ist still
und verlassen dort. Aus himmelhoher Luft kommt eines Seglers spitziger
Ruf, irgendwo lockt traurig ein Vogel, ein weißer Schmetterling
flattert, wie verängstet, über die Ödnis, und der grüne Buchenhorst
sieht aus, als hätte sich Bäumchen an Bäumchen gedrückt, aus Furcht
vor der Einsamkeit, die von allen Seiten auf sie eindringt. Unheimlich
klingt vom fernen Tann des Taubers dumpfer Ruf.

Doch hinter der blanken Blöße, wo ein Hohlweg den Boden zerschneidet,
an dessen Abhängen Farne winken, Silberweiden schimmern und der
Bergholder mit lichten Dolden prahlt, oder dort, wo ein Eichenhain mit
lustiggrünenden Ästen sich lichtet, und hier, wo die Buchen so weit
stehen, daß die Sonne über den Boden Macht hat, oder dort, wo der alte
Steinbruch gähnt, und weiterhin, wo fleißige Hände im neuen Bruche
schaffen und unfern davon der Wald vor dem Abhange zurückprallt und von
grasiger, hellgeblümter Halde der Blick hinunter in das Tal und hinüber
zu den Bergketten reicht, da ist trotz aller Bergwaldheimlichkeit
Leben, und trotz des Lebens Waldheimlichkeit.

Wenn auch Maschinenwerk knarrt und klappert oder froher Wanderer
Stimmen von der Wirtschaft herschallen, ein Viertelstündchen weiter
ist wieder die Einsamkeit zu finden mit Wipfelrauschen, Bussardruf
und Vogellied, wo nur die reihenweise Gliederung des Waldes, die
Wegeführung und die Wagenspur von Menschen und Menschenwerk reden und
den Wanderer nicht zu jenem bedrückenden Gefühle der Verlassenheit
kommen lassen, das ihn beschleicht, schweift er im pfadlosen Moore oder
in der ungeteilten Heide. Er weiß, daß der Weg ihn zu Menschen bringt,
ihn zum Abhange des Berges führt, dorthin, wo sich Ort an Ort reiht, an
den Südhang oder dahin, wo tief im Tale der Aue die Straße von Dorf zu
Dorf geht.

Und so wird der Berg jedem gerecht, der ihn aufsucht. Der menschenmüde
Waldfahrer kann stundenlang schweifen ohne gestört zu werden, und der
frohe Wanderer kann sich des stillen Waldes freuen, während vom Hange
her rote Dächer ihn grüßen und vom Tale aus der Pfiff der Dampfpfeife
und das Rollen der Räder ihm meldet, daß ein kurzer Weg ihm wieder
Gesellschaft bringe.



Der Eisenbahndamm.


Als häßlicher gelber Wall zog sich anfangs der neue Bahndamm durch das
Wiesenland vor der Stadt. Es dauerte aber gar nicht lange, so begrünte
er sich, und als der Frühling kam, sah er längst nicht mehr so kahl und
so nackt aus.

Der Boden, aus dem er aufgebaut war, und der teils aus den großen
Ausschachtungen neben ihm gewonnen, teils von weither angefahren
war, enthielt eine Unmenge von Samenkörnern, auch Wurzelstöcke und
Knollen, und die keimten oder trieben aus. Die Vögel, die gern auf
den Leitungsdrähten sitzen, bringen in ihrem Kote allerlei unverdaute
Sämereien dahin, und aus den mit Getreide, Wolle, Häuten und Kohlen
beladenen Güterwagen fiel manches Körnlein heraus, wie denn auch der
Wind allerlei leichtes Gesäme antrieb.

Kaum ist der März in das Land gekommen, so überziehen sich die kahlen
Stellen mit den zierlichen Blütchen des winzigen Hungerblümchens
und des Zwergsteinbrechs, das Marienblümchen erhebt seine weißen,
der Huflattich seine gelben Sterne. Schießt das Gras höher, ist der
Huflattich greis geworden, so strahlen überall die goldenen Sonnen des
Löwenzahnes, und Taubnesseln mit roten und weißen Blütenquirlen bilden
weithin sichtbare bunte Flecken an den Abhängen. Darüber hinaus ragt
der Hahnenfuß, an den Abflüssen wuchert das Schaumkraut und neben ihm
später auch hellrote Kuckucksnelke, bräunlicher Ampfer, blauer Beinwell
sowie massenhaft die Wucherblume, ganz und gar mit großen weißen
Strahlblumen bedeckt.

Ist eine Blumenart abgeblüht, so tritt eine andere an ihre Stelle,
um den Bahndamm zu schmücken, bis er im Sommer wie ein künstlich
angelegtes Blumenbeet aussieht. Labkräuter verhüllen ganze Flächen
mit weißen und gelben Blütenschleiern, die Hauhechel schmückt sich
rosenrot, bis zur Manneshöhe reckt sich weißer und gelber Steinklee,
die wilde Reseda bildet ganze Bestände, blau schimmert der rauhe
Natterwurz, und die stolze Nachtkerze, eine echte Eisenbahnpflanze,
die aus Amerika kam, wie der unscheinbare, aber in Unzahl auftretende
Kuhschwanz, sucht mit ihren großen, hellgelben Blumen die heimische
Königskerze um ihr Ansehen zu bringen.

Dann sind Stellen da, ganz rosenrot von Weidenröschen, blau von
Kornblumen und Rittersporn, feuerrot von Feldmohn, weiß von
Hundskamille und strahlend gelb von Färberkamille. Rote Flockblumen
und weiße Schafgarben bringen wieder andere Töne in die Farbenpracht,
die Rasen des blühenden Quendels oder die goldgelb besternten Polster
der Fetthenne. Darüber nicken hohe Gräser, erheben stolze Disteln ihre
purpurnen Köpfe, reckt protzig der Rainfarn seine flammenden Dolden
und der Riesenampfer seine mächtigen braunen Rispen über all dem
unscheinbaren Gekräut und Graswerk, das den Boden überzieht: Melde und
Knöterich, Gundermann und Hirtentäschel, Schachtelhalm und Wegerich
und allerlei Kleearten, wilden und zahmen, und den Moosrosen, die alle
feuchten Stellen überziehen.

Die vielerlei Pflanzen bieten allerlei kleinem Getier Nahrung und
Obdach. Es krimmelt und wimmelt am Boden von Käfern, Ameisen, Spinnen,
Heuhüpfern und Wanzen; es summt und brummt von Fliegen, Bienen, Wespen
und Hummeln um die bunten Blumen. Und es flittert und flattert von
Füchsen, Pfauenaugen, Schwalbenschwänzen, Weißlingen, und dazwischen
huschen blitzschnell die glühäugigen, mit prachtvollen Metallflecken
geschmückten Eulenfalter umher, oder ein Karpfenrögelchen saust
reißenden Fluges dahin. Wenn aber ein Zug über die Geleise donnert,
flattern Tausende von kleinen, bleichen Motten aus dem Grase heraus,
werden von dem Luftzuge mitgerissen und hin und her gewirbelt und
fallen schließlich wieder in das Gekräut zurück, wo Raubkäfer und
Laufspinnen über sie herfallen oder einer der Vögel sie aufschnappt,
die sich dort aufhalten.

Nicht wenige Vögel sind es, die dort ständig wohnen, denn da der
Bahndamm mit einer Hecke und einem Drahtgitter umsäumt ist, so haben
sie Ruhe vor den Menschen. Der erste Vogel, der sich ansiedelte, als
Schwellen und Schienen lagen, die Blockstellen gebaut waren und die
Arbeiter abzogen, war die Haubenlerche. Erst war es ein Pärchen; jetzt
sind es viele, die sich die Strecke geteilt haben. Ehe die Bahn gebaut
wurde, kam die Haubenlerche in dem Wiesenlande nur da vor, wo die
Landstraße es berührte. Sie will trockenen, festen Boden haben, und so
kam ihr die Bahnanlage wie gewünscht. Sie lebt fast nur auf dem Damm.
Den ganzen Tag rennt sie zwischen den Geleisen umher und sucht nach
Körnern und Gewürm. Ihr Nest hat sie in die Lücke unter einer Schwelle
zwischen struppige Meldebüsche gebaut, und sie bleibt ruhig auf den
Eiern sitzen, wenn ein Zug über ihr hinwegrattert. Selbst im Winter
bleibt sie dem Bahndamm treu.

Das tut der Rotschwanz nicht, obgleich er sich ganz an die Bahn gewöhnt
hat, dieser Klippenvogel aus dem Süden. Er hat sein Nest in der oberen
Blockstelle über dem Ausguck des Wärters, der gut Freund mit ihm ist
und an regnerischen Tagen, wenn die Fliegen sich verkriechen, die Bäume
in dem Gärtchen schüttelt, um den Rotschwänzen das Leben leichter zu
machen. Sofort sind die Vögelchen da, umflattern, ohne sich vor dem
Manne zu scheuen, die Zweige und haschen die Kerfe, die herausfliegen.
Auf der untern Blockstelle hat ein weißes Bachstelzenpaar Wohnung
gefunden, das sich mit dem Wärter ebensogut steht und ruhig seine
Jungen füttert, wenn er am Fenster steht und sein Gesicht dicht bei dem
Neste hat. Ab und zu kommen die Rotschwänze oder die Bachstelzen, die
weiter an der Strecke brüten, zu Besuch, und dann gibt es ein heftiges
Gekrätsche und wildes Gejage, bis die Eindringlinge abziehen, denn
jedes Paar duldet keinen seiner Art in seinem Gebiete.

Wenn aber die gelbe Kuhstelze, die unten an dem Damme brütet und meist
auf der Wiese lebt, sich auf dem Geleise zeigt, so kümmern sich die
Bachstelzen um sie ebensowenig wie um die Goldammer, die ihr Nest
unter dem Brombeerbusche hat und sich auch auf das Geleise traut und
nach Körnchen sucht. Auch die Dorngrasmücke und der Hänfling, die
in der Hecke wohnen, bleiben unbehelligt, desgleichen der Grünfink
und die Grauammer, die irgendwo in der Nähe ihre Nester haben und
sich gern auf den Leitungsdrähten niederlassen. Hier ruhen sich mit
Vorliebe auch Spatzen, Schwalben und Stare aus und häufig auch der
schmucke Steinschmätzer. Auch der ist erst hier eingezogen, als
die Bahn angelegt wurde, denn so sehr sein Vetter, der niedliche
Wiesenschmätzer, die Wiese liebt, so zieht er den kahlen Boden vor.
Während sein Weibchen in der Steinritze über der Landstraßenüberführung
auf den Eiern sitzt, rennt er hurtig und viel knicksend über die
Schwellen, und wenn er recht guter Laune ist, steigt er seltsam
flatternd in die Luft und schwatzt im Fliegen auf sonderbare Art.

Wenn von all den bunten Blüten am Bahndamme nur noch einzelne
Flockblumen und der Rainfarn blühen, wenn die Schwalben sich auf den
Leitungsdrähten zur Reise sammeln, dann zieht der Steinschmätzer
fort, die Bachstelze folgt ihm und schließlich verschwindet auch der
Rotschwanz, und von all den Vögeln, die in der schönen Zeit auf dem
Bahndamme lebten, bleibt nur die Haubenlerche zurück, trippelt zwischen
den Geleisen umher und ruft ab und zu wehmütig. Aber Tag für Tag kommen
Scharen von Ammern, Hänflingen, Grünfinken, Stieglitzen und Spatzen
angeschwirrt und lassen sich dort nieder, denn den ganzen Winter über
bieten ihnen der Damm und seine Abhänge reiche Nahrung durch die
Samen der Unkräuter und die vielen Körner, die aus den Güterwagen
herausfallen, und die Abfälle, die die Reisenden aus den Fenstern
werfen.

Und wenn eine dicke Schneedecke die Felder und Wiesen verhüllt, so
fristet der Bahndamm manchem Vögelchen, das sonst Not leiden würde, das
Leben und hilft ihm über die schwere Zeit hinfort.



Das Brandmoor.


Hohe alte Birken begleiten die feste Straße, die durch das Dorf führt;
ihre dünnen, lang herabhängenden Zweige pendeln im lauen Winde langsam
hin und her.

Nördlich des Doppeldorfes endet die feste Straße, hören die alten
Birken auf. Der Knüppeldamm beginnt; jüngere Birken mit krausen Kronen
besäumen ihn. Die Torfschuppen, die Häuser, die Gemüsegärten, die
Kleewiesen bleiben zurück; das Moor allein herrscht noch. Weit und
breit liegt es da, zur linken Hand von Wald begrenzt, rechter Hand von
der hohen Geest umschlossen.

Gewaltige Torfmieten, hier von hellbraunem Neutorf, dort von dunklem
Alttorf gebildet, erheben sich rechts und links von dem mit graubraunem
Staub bedeckten Damm, den ein schmaler Strich blühenden Heidkrauts
einfaßt. Hier und da starren Haufen von ausgegrabenem Wurzelwerk, Reste
eines alten Waldes, der vor Jahrhunderten von dem Torfmoose aufgesaugt
wurde. In den abgebauten Abstichen wuchern Binsen und Rischbülten;
zwischen ihnen stockt junger Birkenaufwuchs.

Es ist stiller im Moore geworden. Die Hunderte von fremden Arbeitern,
die noch vor kurzem hier schafften, sind in ihre Heimat gezogen.
Nur dort und da sieht man noch die weißen Hemdsmaugen und die hellen
Fluckerhüte einheimischer Torfarbeiter aufleuchten. Die Bienen läuten,
die Moormännchen zirpen, die Hänflinge schwatzen, die Heuschrecken
geigen, und zwitschernd schießen die Schwalben in lockeren Verbänden
über den weiten, breiten, von den blühenden Moorhalmen bräunlich
gefärbten Plan.

Immer noch begleitet fertiger Torf, geringelt oder aufgemietet, den
Damm. Hinter dem allerletzten Hause, neben dem hohe Sonnenblumen
eine fremde Farbe in das Land bringen, hört er dann auf. Noch einige
Kleewiesen grünen, eine Roggenstoppel schimmert goldig, reifender
Buchweizen schiebt sich bis an den Weg, durchsetzt mit den hohen,
rosenroten Blütenrispen des Weidenröschens, und dann ist hier nichts
als Moorhalm und Moorhalm und Moorhalm, dichtstehend, als habe
Menschenhand ihn gesät.

Braune Lieschgrasfalter tanzen über den Weg, Trauermäntel spielen um
die Stämme der Birken, Libellen flirren dahin, Sandkäfer blitzen auf.
Stumm flattert ein bräunlicher Vogel von dem alten Wurzelknorren davon;
der Steinschmätzer ist es, silbern leuchtet sein Schwanzgrund. Über
dem alten Abstiche rüttelt der Turmfalk, auf eine Maus lauernd. In der
Ferne schaukelt eine helle Weihe langsam dahin.

Die braunen Moorhalme machen der rosenroten Heide Platz. Stärker wird
das Geläute der Bienen. Überall flattern winzige blaue und ab und zu
auch ein goldroter Falter. Rundherum geigen die Grillen, zirpen die
Moormännchen. Dann und wann flattert ein weißer Schmetterling dahin.
Der Schrei einer dahinstreichenden Krähe sticht hart ab von den vielen
kleinen, zu einer großen eintönigen Weise verbundenen Stimmen.

Zur Linken, wo der Handweiser steht, führt ein Querdamm. Hinter ihm
ist die ganze Fläche von einem einzigen, grellleuchtenden Rosenschein
erfüllt. So rot blüht die Heide nicht, und so hoch bollwerkt sie
nicht. Weidenröschen sind es, Millionen, die das Moor bedecken und in
Zauberfarben hüllen. Es sieht aus als wäre das Morgenrot auf den Boden
gefallen und dort liegengeblieben. Ein einziges himbeerrotes Blumenbeet
ist die weite Fläche.

Denn da war im vorigen Jahre der große Brand, der von Pfingsten bis in
den Winter hinein währte. Dreihundert Morgen Moor verkohlten bis auf
den Sandgrund. Alle Arbeit war vergebens; es währte weiter, brannte
noch unter dem ersten Schnee langsam fort. Die Menschen konnten nur
dafür sorgen, daß das Feuer den Damm nicht übersprang; dann wäre bei
der Trockenheit das gesamte Moor ausgebrannt, und aus wäre es gewesen
mit der blühenden Torfindustrie in der ganzen Gegend.

Endlich erstickten Regen, Schnee und Frost den Brand, der ein halbes
Jahr gewütet hatte. Auf die schwarze Torfkohle und die gelbe Asche
flogen, vom Winde getrieben, die wolligen Samen des Weidenröschens von
allen Seiten, klebten dort fest und warteten, bis es Frühling wurde.
Dann keimten sie und bedeckten den schwarzen, gelbgefleckten Brandplan
mit frischem Grün. Als es dann Sommer war, sprossen daraus lange
Rispen, ganz mit rosigen Knospen bedeckt. Die sprangen dann auf und da,
wo es im Jahre vorher rot flackerte und weiß qualmte und dann schwarz
starrte, blüht und glüht und leuchtet es nun von morgenrotfarbigen
Blumen.

Wunderschön sieht das aus, doch der Bauer, der uns begegnet, blickt mit
bösen Augen danach hin. Milliarden von weißflockigen Samenkörnchen wird
der Herbstwind über das Moor führen und da abladen, wo später Hafer
und Buchweizen wachsen soll; das wird ein schlimmes Dreschen werden,
wenn sich die Samenwolle in das Getriebe der Maschinen setzt und ihr
Staub die Lungen der Menschen erfüllt, daß sie vor Atemnot bei der
Arbeit umfallen. Schon hat hier und da eine Staude die roten Blumen
in weiße Flocken verwandelt, dort hinten sieht eine ganze Fläche aus,
als läge Schnee darauf, und bald wird das ganze weite, breite, rosige
Blumengefilde ein weißes Feld sein, und hinterher wird ringsherum das
Moor silbern schimmern von den verwehten Samenfederchen.

Noch aber blüht es in rosiger Pracht über der schwarzen, von
Algenanflug und Jungmoos seltsam und unheimlich gefärbten Fläche.
Gespenstig starrt dort ein hoher, verkohlter Baumstrunk in die Luft,
von dem der Raubwürger Umschau hält und mit klirrendem Warnruf
weiterstreicht, wie wir ihm uns nähern. Das aber, was da schwarz
und steif wie ein verbrannter Stamm das große rosige Blumenbeet
überschneidet, ist der Schäfer, der da, auf seinen Stab gelehnt, steht
und strickt. Neben ihm liegt sein gelber Hund und die Schnucken weiden
die junge Heide ab, die zwischen den verkohlten Stengeln ausgeschlagen
ist.

Schlimm hat das Feuer gewütet. Der Damm ist bestreut mit armdicken,
verkohlten Knüppeln, den Resten der in langer Arbeit hergestellten
Befestigung der Moorstraße. Daneben steht ein verkohlter Stuken
bei dem andern. Bis auf den Sand, auf dem der von dem Torfmoose
begrabene Wald stand, ist der Torf ausgebrannt, so daß die Sümpfe nach
jahrhundertelanger Verborgenheit wieder zutage traten. Drei Jahrzehnte
wird es dauern, ehe hier wieder abbaufähiger Torf gewachsen ist.
Der zarte grüne Anflug, der den schwarzen Grus und die gelbe Asche
überzieht, ist der Anfang dazu. In einigen Jahren werden hier zwischen
den Binsen und dem Wollgrase die hellen Torfmoospolster schwellen, nach
unten absterben, nach oben weiterwachsen, und langsam zu einem einzigen
großen, nassen Kissen zusammenquellen.

Hier in den alten Abstichen wächst der Torf schon wieder. In dem
einen schwimmen, von den goldgelben Lippenblüten des Wasserschlauchs
überragt, dichte Torfmoosballen. Der andere daneben ist ganz ausgefüllt
von den saftiggrünen Blättern und den breiten weißen Löffelblumen des
Schweineohrs. Was vermodert und zu Boden sinkt, wird erst Schlamm und
dann Torf, und darauf wächst das Torfmoos, bis es den Rand des Kolkes
erreicht hat, über ihn hinausquillt und immer höher wächst, die Binsen
und das Risch an seinen Ufern überwuchert und höher und weiter wächst,
und sich mit den benachbarten Torfmoospolstern vereinigt. Wo man jetzt
trockenen Fußes geht, da wird es dann feucht und unwegsam, und je höher
das Moor wächst, um so nasser und tiefer wird es werden. Da, wo jetzt
das goldrot in der Sonne leuchtende Reh durch die rosenroten Blumen
zieht, wird der Brachvogel stelzen und die Heerschnepfe brüten, und wo
sich jetzt in dem Brandgrus das Birkwild badet, wird die Ente einfallen
und im Mai wird dort, wo heute eine rote Rispe neben der anderen steht,
das Wollgras das Moor mit dichten weißen Flocken bedecken, daß es wie
überschneit aussieht.

Dann, nach Jahrzehnten, wird der Torf wieder reif sein, und die Bauern
werden ihn stechen, ringeln, in Mieten häufen und, wenn es dürr genug
ist, einfahren, wenn nicht, wie im letzten Sommer, wieder Feuer
auskommt und alles hier eine rote Glut unter dem Boden und ein weißer
Rauch über ihm ist, denn ein brennend fortgeworfenes Streichholz genügt
schon, um das trockene Gras zum Brennen und das Moor zum Glimmen zu
bringen. Unter dem Heidkraut glüht der Brand dann in aller Heimlichkeit
weiter, frißt und frißt und wächst und wächst, bis er so groß ist,
daß an kein Löschen mehr zu denken ist und dem Menschen nichts mehr
übrigbleibt als dafür zu sorgen, daß es nicht das meilenbreite Moor
verzehrt.

Die Strahlen der Abendsonne fallen auf das große Blumenbeet; herrlicher
als zuvor prangt es, und glüht und leuchtet und verschwimmt, als
wolle es sich von dem Boden losreißen, gen Himmel steigen und als
Abendröte mit den Wolken verschmelzen. Und dabei ist es ein rosenrotes
Leichentuch, das die Stätte bedeckt, wo die Birkhenne auf dem
Nest verbrannte und das Rehkitz in die unterirdische Glut fiel und
verkohlte, und um das herum die Bauern standen mit schwarzen, von
Schweiß mit Striemen durchzogenen Gesichtern und rußigen Händen, mit
bitteren Mienen in den Rauch starrten, aufseufzten und dann wieder
darangingen, dem Brande zu wehren, damit er nicht weiterfräße und über
das Jahr, soweit man sehen kann, alles ein einziges, wunderbares,
rosenrotes Leichentuch sei.



Der Quellbrink.


Oben auf dem Kopfe des Heidberges herrschen Magerkeit und Dürre.

Zwei alte, hohe, krummgewachsene Föhren stehen dort, ein halbes Dutzend
schiefer Birken und eine Menge spitzer oder krauser, alter und junger
Machandeln.

Wo nicht der gelbe, an buntem Geschiebe überreiche Sand zutage tritt,
bedeckt der Schafschwingel mit bläulichgrünen Borsten den Boden oder
andere büschelige Gräser, brechdürres silbergraues Renntiermoos und
sparsam blühendes, von den Schnucken niedriggehaltenes Heidkraut.

Selbst wenn es tagelang geregnet hat und der Wind streicht hinterher
nur einige Stunden über den Heidberg, sieht es da so dürr und so
trocken aus wie vordem. Doch die kräftigen Eichen, die beiden mächtigen
Buchen und die stattlichen Fichten, die den an der Flanke des Hügels
gelegenen alten Schafkoben beschützen, beweisen, daß der Berg nicht so
wasserarm ist, wie es den Anschein hat, und einige hundert Schritte
davon sieht es schon anders aus.

Da ist die Heide kniehoch und mit Doppheide gemischt, und zwischen den
runden Bülten zeigen sich kleinere und größere, nackte, schmierige
Flächen schwarzbraunen Moorbodens. Stellenweise macht die Heide
dem Wollgrase und dem Moorhalme Platz, ist immer mehr mit Torfmoos
durchflochten, wird immer nasser, bis sie schließlich hinter den hohen
Wacholdern, krummen Birken und krüppelhaften Föhren zu einem einzigen
großen Quellbrinke wird, auf dem es überall quillt und träufelt und
rieselt und fließt von dem klarsten Wasser.

Hier steht eine alte, windschiefe Eiche mit wunderlich gebogenem
Gezweige. Unter ihren seltsam gestalteten knorrigen, dicht mit den
Wedeln des Engelsüß bedeckten Tagwurzeln trieft und tröpfelt es
unablässig und bildet einen schmalen Wasserfaden, der sich hier mit
einem anderen vereinigt, der zwischen einem hohen, ulkig geformten
Machandel und einer putzigen, krummen Fichte hervorkommt, und der bei
der alten, dicken, wie eine riesige Harfe aussehenden Hängebirke zwei
andere aufnimmt und mit ihnen zusammen einen kleinen, tief in das
Torfmoos eingeschnittenen, vielfach gekrümmten Wasserlauf bildet, der
in einem Quellbecken mit schöngeschwungener Borde endigt.

So klein dieser Tümpel ist, so reizend ist er. An dem einen Ufer faßt
ihn hellgrünes, an dem anderen goldgelbes, blutrot gemustertes Torfmoos
ein. Seine Ränder sind ganz dicht mit den lichtgrünen spitzen Blättern
des Beinheils besäumt, das mit grünlichgelben, kupferrot angelaufenen
Fruchtrispen geschmückt ist. Die Einschnitte des Beckens, die von den
eindringenden Wasserfäden gebildet sind, füllen die purpurnen, silbern
glitzernden Blattbüschel des großen Sonnentaues aus. Auf dem weißen
Sande, der den Boden des Beckens bildet und in dem es an einigen
Stellen fortwährend quillt und wühlt, schlängeln sich wie große Würmer
die schwarzgrünen oder rostroten Ranken des Quellmooses.

In der Mitte des Quellkumpes hat sich aus dem Stumpfe einer alten
Eiche eine hohe, runde, aus blutrotem, am Rande goldgrünem und gelbem
Torfmoose gewachsene Insel gebildet, in deren Mitte ein hoher, spitzer
Fubusch wächst, dessen harte, dornige Blätter das Sonnenlicht in
silbernen Blitzen zurückgeben. Das Torfmooskissen unter ihm ist von der
Moosbeere durchflochten, aus deren zierlichem Laube die roten Beeren
hervorfunkeln. Hohe, bleiche Simsen mit silberigen Blüten heben sich
von dem starren Blattwerke des stolzen Strauches wirksam ab und ein
großer Fliegenpilz lodert davor, wie eine glühende Flamme.

Alte Machandeln umgeben im Kreise die Quelle, als hüteten sie ein
Geheimnis. Einige davon bestehen aus einem einzigen Stamme, der in
einem spitzen Wipfel oder in eine runde Krone ausläuft, andere sind aus
vielen, auf gespenstige Weise verreckten Stämmen gebildet, oder auf
putzige Art verbogen und in ulkiger Weise gestaltet. Zwischen ihnen
wuchert das Torfmoos in fußhohen, nassen Polstern, von der Doppheide
überragt, die dort, wo es trockener ist, der Sandheide Platz machen
muß, die sich hier zu drei Fuß hohen Sträuchern entwickelt hat, um
deren reiche Blütenfülle es von Bienen summt und brummt, zwischen denen
hier und da ein zierlicher blauer Falter flattert.

Aus der Quelle quält sich ein schmales Wässerchen unter dem Mooskissen
her, bekommt von allen Seiten Zulauf und bildet bald darauf wieder ein
Becken, in dessen Sandgrunde es heftig wogt und wirbelt und dessen
bleichgelbe und blutrot gesprenkelte Moosufer von zwei herrlichen
großen Königsfarnen beschattet werden, zwischen denen sich ein
putzwunderlich gewachsener Schneeballstrauch mit rot angelaufenen
Blättern und scharlachfarbigen Beeren hervorwindet, und unter ihm ein
Faulbaumbusch, ganz und gar mit schwarzen blanken Früchten behangen.
Vor dem Abflusse dieses Beckens wuchert die zierliche Krötenbinse
und bildet ein kleines, tief blutrotes Beet auf dem nassen Sande,
und mitten zwischen ihr sitzt ein knallgrüner Laubfrosch und meckert
lustig, während über dem Tümpel eine große, himmelblaue Wasserjungfer
auf und ab schießt und bei jeder Wendung mit den goldbraunen Flügeln
laut knistert.

Unter diesem Becken steigt der Boden an, so daß das Wasser seitabwärts
sich seinen Weg suchen muß. Nach der einen Seite müht es sich durch
ein verworrenes Machandeldickicht hin, um, sobald die Büsche ihm
Raum lassen, einen winzigen Teich mit steilen Mooswänden zu bilden,
der noch von vier Seiten Zufluß bekommt. Zwischen den beiden oberen
Rinnsalen liegt ein mächtiger Findelstein aus weißlichem Granit,
hinter dem sich ein alter, vielverästelter Rosenbusch hervorreckt,
der so dicht mit dicken scharlachroten Früchten bedeckt ist, daß das
Blattwerk dazwischen fast verschwindet, und unter dem Steine sprießen
die hellgrünen Wedel eines zierlichen Farns aus dem blutroten fußhohen
Moospolster hervor, auf dem ein grellgestreifter Moorfrosch hockt, der
ab und zu die rote Zunge nach einer Mücke oder Fliege vorschnellt,
blitzschnell sich dabei umdrehend. Da diese Quelle in der vollen
Sonne liegt, flirrt und flattert es von vielen goldenen und roten
Schillebolden über ihrem Spiegel, der rundherum unter dem Moose von den
schirmförmigen runden Blättern des Wassernabels umschlossen wird.

Der andere Wasserlauf, der aus dem oberen Becken hervortritt und sich
dann im tiefen Moose verläuft, hat einstmals auch einen offenen Pump
gebildet; da er aber ganz von Weidengebüsch umschlossen ist, so wuchs
einmal das Moos so üppig, daß es ihn bis auf ein tiefes Wasserloch
zudeckte, und dann siedelte sich das Schweineohr in ihm an und wucherte
so stark, daß es ihn ganz ausfüllte, so daß nichts mehr von ihm zu
sehen ist, sondern er gänzlich verschwunden ist unter dem hohen und
dichten Gewirre von dicken, fleischigen Stengeln, breiten, saftigen
Blättern und großen, weißen Blüten, von denen manche schon zu dicken
Fruchtkolben geworden sind, deren feuerrote Giftfarbe seltsam von dem
Untergrunde absticht. In diesem feuchten, kühlen Grunde lagert sich das
Birkwild gern, wenn es gar zu heiß ist, und äst sich an den Früchten
der Moosbeere, die die nassen Polster unter den Weidenbüschen dicht
berankt hat.

Rund um das Buschwerk ist der Boden mit fußhohem Moose, Wollgras und
Farnkraut bedeckt, und ist selbst im heißesten Sommer immer naß. Dann
hebt er sich zu einer dicht mit Machandeln bestockten, heidwüchsigen
Sandwelle, aus deren anderer Seite ein halbes Dutzend Wässerchen
herausquellen, die ein weites, offenes und tiefes Becken bilden, das
von der Höhe her noch drei Zuflüsse bekommt. Die Ufer dieses Pumpes
sind stellenweise recht steil und tief eingeschnitten. Auf den moosigen
Landzungen recken stolze Farnen ihre Wedeltrichter und in den oberen
Buchten wuchern Beinheil und Sonnentau, in den unteren ein hellgrünes
Laichkraut, das sich mühsam aus dem angespülten Sande hervorarbeiten
muß. Am Kopfe des Beckens steht eine junge, krumme, von einem alten
Gaisblattbusche halb erdrosselte Eiche, die eine Unmenge wachsgelb und
hellrot gemusterter Blumenbüschel trägt, zwischen denen die Beeren wie
Rubine funkeln. In dem Gewirre des Busches hat der Hänfling sein Nest,
der auf dem Gipfel des hohen, spitzen Machandels, der gegenüber der
Eiche auf der anderen Seite der Quelle steht, lustig schwatzt, aber nun
dem Raubwürger Platz machen muß, der von da aus auf eine Maus lauert.

Die Abflüsse dieses Beckens rinnen um drei schlanke Birken her, bilden
zwischen einem halben Hundert alter Machandeln ein kleines Moor, das
von der Sandheide rosenrot gefärbt und von den dürren Blüten der
Doppheide rostrot gesprenkelt ist, und treten dann wieder in allerlei
von Porstbüschen, Weiden und Brombeeren umwucherten und vom Torfmoose
halb erstickten Tümpeln heraus, deren Wässer sich unter der Erde
sammeln und bei einer vom Blitze der halben Krone beraubten kernfaulen
Eiche einen kleinen, drei Fuß tiefen Teich entstehen lassen, bei dem
sieben hohe spitze Machandeln Wache halten, und in dem ein krummer
Ebereschenbaum seine roten Früchte spiegelt. Der weiße Grund des
Pumpes ist in fortwährender Bewegung; bald hier, bald da öffnet er
sich und ein silberner Strudel quillt daraus hervor und bewegt die
langen, rosenroten Wasserwurzeln der Ellernstockausschläge, die die
Ufer umgeben, hin und her. Allerlei schöne Blumen blühen hier, blaue
Enzianen und Knaulen, gelber Weiderich und Hahnenfuß, weiße Dolden und
Spierstauden und hohe Sumpfdisteln, um deren rote Köpfe die Hummeln
brummen und weiße und rostrote Falter flattern, und auf die vielerlei
Fliegen, die hier surren, macht die schlanke Waldeidechse Jagd, die
sich auf dem Goldmoospolster an dem Fuße der Eiche sonnt.

Noch eine ganze Anzahl von quelligen Tümpeln, Wasserlöchern und Kuhlen
sind über den Quellbrink zerstreut, dem eigenartigsten Fleckchen
Land, das es hier weit und breit gibt, und das dem, der es oft
besucht, jedesmal neue Überraschungen bietet. Denn hier schlüpft die
Schlingnatter, lauert der Eisvogel, zwitschert die Wasserspitzmaus;
der Hase scharrt sich sein Lager unter dem Machandel und der Bock
birgt sich im Weidicht; gern pirscht der Fuchs hier, das Raubwiesel
stellt den jungen Wiesenpiepern und die Otter den Mäusen nach, Sperber,
Habicht, Lerchenfalk suchen hier nach Raub, auch die Kornweihe und die
Eule, und wenn nachts das Rotwild aus dem Forst tritt und zu Felde
zieht, tränkt es sich gern an den klaren Quellen, und in aller Frühe
schleicht der Waldstorch dort umher, der heimliche Vogel aus der wilden
Wohld da hinter dem Bruche.

Immer ist es schön hier und reich an allerlei Leben, sowohl im
Vorfrühling, wenn der Porst aufbricht und die Moormännchen zirpen,
späterhin, wenn das Wollgras weiße Wimpelchen wehen läßt und die
Heidlerche singt, zur Heuezeit, wenn die Doppheide anfängt zu blühen
und das Beinheil mit goldenen, rotgezierten Sternchen bedeckt ist,
die betäubend nach Honig riechen, im Erntemond, wenn die Immen um
die blühenden Heidbüsche summen, und noch später, wenn die Birken
wie goldene Springbrunnen im Winde wallen und die Krammetsvögel
scharenweise auf den Machandelbüschen einfallen.

Sogar wintertags, wenn der Schnee auf der Heide liegt und Rauhreif die
Bäume und Sträucher eingesponnen hat, lohnt es sich, den Quellbrink zu
besuchen, dessen viele Wässerchen auch um diese Zeit nicht erstarren,
sondern zwischen Eis und Schnee aus dem Boden quellen und sich sammeln
und schließlich zu dem Bächlein werden, daß sich dort unten durch die
Wiesen hinschlängelt.



Die Durchfahrt.


An drei Stellen wird das Flüßchen, das durch das Wiesenland zwischen
dem Dorfe und dem Forste hinflutet, von Fahrwegen geschnitten, auf
denen die Bauern das Heu von den Wiesen, das Holz aus dem Walde und den
Torf von dem Moore abfahren.

Die beiden ersten Straßen gehen mit Brücken über das Wasser. Die
dritte, die am weitesten von dem Dorfe entfernt ist und nicht so viel
benutzt wird wie die beiden anderen, hat keine Brücke, sondern nur
eine Durchfahrt. Damit die Fußgänger sich nicht nasse Füße zu holen
brauchen, ist unterhalb der Strömung zu beiden Seiten das Ufer hoch
aufgeschüttet und zwischen vier starken Pfählen eine lange, dicke
Eichenbohle befestigt, die an der einen Seite mit einem einfachen
Geländer versehen ist. Drei dicke Pfähle, einer immer einen halben
Fuß höher als der andere, die dort eingerammt sind, wo der schmale
Fußsteig sich aus dem Rasen den Anwurf hinaufwindet, bilden eine
kunstlose Treppe. Auf der einen Seite des Steges hat sich Weidengebüsch
angesiedelt, auf der anderen erhebt sich eine vom Winde zerzauste Eiche
über dem Ellernstockausschlag zu ihren Füßen.

Obgleich sowohl das Brückchen als auch der Baum und die Büsche an und
für sich in keiner Weise bedeutend sind, fallen sie in dem weiten,
flachen Wiesengelände doch sehr auf und wirken viel größer, als sie in
Wirklichkeit sind, zumal der Bach an dieser Stelle viermal so breit als
in seinem übrigen Laufe ist und in regnerischen Zeiten beiderseits weit
in den Weg hineinreicht. Da zudem in und bei dem Buschwerk die Blumen
und das Schilf vor der Sense geschützt sind, der Mist der Pferde und
Kühe, die hier die Wagen durchziehen, allerlei kleines Getier anlockt,
auch die Fischbrut sich an den seichten Stellen sonnt und die Strömung
totes und lebendiges Gewürm und auch wohl abgestandene Fische und
verendete Mäuse anspült, so geht es bei der Durchfahrt immer lebhaft zu.

Abends, wenn die letzten Wagen durchgefahren sind, steht der Reiher
gern vor dem Stege und lauert auf Fische. Späterhin streicht der
Waldkauz vorbei und sieht zu, ob er nicht einen Häsling oder einen
anderen Fisch greifen kann, der sich zu nahe an die Oberfläche wagt.
Allnächtlich fallen die Wildenten dort ein und suchen Gewürm, und der
Uferläufer kommt mit lautem Getriller angeschwebt, trippelt an dem
Rande des Wassers umher und fischt nach den winzigen Krebstierchen,
die in ganzen Wolken in dem Seichtwasser auftauchen, bis ein leises
Plantschen ihn davontreibt, das von dem Otter herrührt, der auf der
Jagd dort auftaucht und eine Weile auf dem Sande ausruht, ehe er wieder
in den Bach gleitet.

Ist es dann Tag geworden, so kommen die Gabelweihen, die hinten
im Walde horsten, angeschaukelt, denn sie finden ab und zu einen
abgestandenen Fisch hier, und bevor die ersten Wagen erscheinen, fußt
der Bussard auf dem Tritte und lauert auf die Wühlmäuse, die am Ufer
hin und her huschen. Tag für Tag saust der Sperber um die Büsche
herum, um zu versuchen, ob es ihm nicht gelingt, eine Bachstelze,
einen Schmätzer oder einen Ammer zu fangen; meistens muß er aber leer
abziehen, weil die Schwalben, die über der Furt ganz besonders gern
jagen, ihn früh genug melden und mit schrillem Geschrei von dannen
treiben. Genau so machen sie es mit dem Lerchenfalken, der sich
ebenfalls ab und zu hier sehen läßt. Rüttelt aber der Turmfalke, der
großen, grünen Heuschrecken wegen, die in dem Gesträuche zirpen, dort,
so bleibt er unbelästigt von den wachsamen Vögeln, denn sie wissen, er
tut ihnen nichts.

Am meisten machen sich die Krähen bei der Durchfahrt zu schaffen.
Entweder gehen sie in der Wiese umher und fangen Grashüpfer und Käfer,
oder sie waten in das niedrige Wasser hinein und sehen zu, was es dort
für ihre Schnäbel gibt, oder sitzen eine neben der anderen auf dem
Geländer, glätten ihr Gefieder und geben scharf acht, ob sich nicht
etwas Verdächtiges nähert. Kommt ein Bauer an, oder ein Gespann, so
fliegen sie stumm ein Endchen weiter und kehren bald zurück. Läßt sich
aber der Förster sehen, so erheben sie einen gewaltigen Lärm, streichen
zum Waldrande, fußen dort auf den Bäumen und warten, bis der Grünrock
verschwunden ist. Läßt es sich der Habicht einmal einfallen, bei der
Furt zu jagen, so fallen sie mit gellendem Geplärre über ihn her und
treiben ihn von dannen. Um den Bussard und um die Kornweihe, die hier
jeden Tag vorbeigaukelt, kümmern sie sich aber kein bißchen.

Allerlei Vögel tränken sich an dieser bequemen Stelle, Spatzen, Finken,
Hänflinge, Grünlinge, Ammer, die wilden Tauben und manchmal auch der
Häher. Auf der Eiche nimmt die Elster, die im Dorfe brütet, gern Platz,
und zu Zeiten auch der Raubwürger, der in dem alten Birnbaume im
Felde sein Nest hat, denn er findet dort immer reichliche Beute, weil
die dicken Bremsen gern über der Furt in der Luft stehen und auf die
Gespanne warten. Haben sie sich dumm und faul gesogen, so setzen sie
sich an das Geländer und sind leicht zu erwischen. Obgleich der Würger
selbst ein Räuber ist und gern eine Maus oder einen Jungvogel faßt, so
kann er es nicht leiden, wenn andere Räuber ihm in die Quere kommen. Er
warnt vor dem Habicht und dem Sperber, sobald er sie gewahrt, und stößt
auf sie, kommen sie näher, und wenn eine Dorfkatze an die Durchfahrt
kommt, um einen Fisch zu erbeuten, so belästigt er sie so lange, bis
sie wieder davonschleicht. Ebenso macht er es, wenn das Großwiesel,
das in dem hohlen Ufer wohnt, sich blicken läßt, um zu dem Neste des
Sumpfrohrsängers oder der Zwergmaus, die in dem Weidenstrauche stehen,
zu gelangen.

Ab und zu sucht der Storch auch die Ufer der Furt ab, teils der
Ukleis wegen, die an den Ausbuchtungen laichen und dann ganz dumm und
unvorsichtig sind, oder der großen, grünen Frösche halber, die dort auf
Fliegen, Bremsen und besonders auf die blauen, grünen, gelben, braunen
und roten Wasserjungfern lauern, die massenhaft um die Schilfhorste
flattern oder kreuz und quer über den Wasserspiegel flirren. Sobald
sich aber die Ringelnatter blicken läßt, plumpsen die Frösche eilig in
das Wasser und verbergen sich im dichtesten Gekräute, doch erwischt die
Schlange dann und wann einen von ihnen, macht aber auch auf die Fische
Jagd. Hat sie einen erbeutet, so schlängelt sie sich mit hochgehaltenem
Kopfe, den Fisch im Maule, durch das Wasser nach dem Ufer, wo sie
ihren Raub hinunterwürgt. Unter den mit blauen und weißen Glöckchen
geschmückten Beinwellstauden sonnt sie sich dann auf dem warmen Sande.
Wenn sich aber ein Wagen oder ein Mensch naht, so schlüpft sie in das
lange Gras.

Der schönste von allen Besuchern der Durchfahrt ist der Eisvogel, der
fast jeden Tag auf der Bohle oder dem Geländer sitzt und auf Beute
wartet. Streicht er den Bach aufwärts seinem Neste zu, das er an der
steilen Wand des Mühlenkolkes unter den alten Ellern hat, dann sieht
es aus, als flöge ein großer Kolibri dahin, so blitzt und funkelt das
Gefieder des kleinen Fischers. Der lustigste Vogel aber, der an der
Furt sein Wesen treibt, ist die Bergbachstelze, die ebenfalls bei der
Mühle brütet. Sie hat sich erst vor einigen Jahren hier angesiedelt,
und wenn sie auch fast so aussieht wie die Kuhstelze, so ist sie
doch viel fröhlicher als diese und dient dem Plätzchen ebenso zum
Schmucke, wie die weiße Bachstelze, die sich gleichfalls hier jeden Tag
einstellt, hurtig auf dem Stege umhertrippelt und nach Fliegen springt.

Im Spätherbste und Winter, wenn die Wiesen unter Wasser stehen und der
Wagenverkehr bei der Durchfahrt bis zum Vorfrühling aufhört, schweben
oft durchreisende Möwen dort hin und her und suchen nach Futter, und
mancherlei nordische Enten und Taucher lassen sich da nieder, weil sie
von da aus weiten Blick haben und deshalb vor dem Jäger sicher sind.

Nur wenn starker Frost die Wasserfläche zum Zufrieren bringt, ist es
still und öde da, und einzig und allein die Krähen sitzen trübselig auf
dem Geländer oder hacken an einem eingefrorenen Fische auf dem Eise
herum.

Kommt aber der Frühling in das Land, taut das Eis, schmilzt der Schnee,
läuft das Wasser ab, sprießt das Gras und blühen die gelben Kuhblumen
an dem Flüßchen, dann beginnt bei der Durchfahrt wieder das bunte,
lustige Leben.



Die Böschung.


Quer durch die Heide zieht sich der Kanal, der die Wasser des Moores
dem Flusse zuführt.

Er ist so tief in das Gelände eingelassen, daß seine Böschungen
hoch und steil sind. Deshalb ist es dort meist überwindig und darum
herrscht selbst dann, wenn die Luft rauh über das übrige Land geht,
noch allerlei Leben, zumal der Rand der Böschung mit Föhren, Birken,
Eichen und allerlei Gebüsch bedeckt ist und ihre Flanken an den meisten
Stellen ausgedehntes Sandrohrgestrüpp trägt.

Neulich, als es zum ersten Male über Nacht hart gefroren hatte, das
Heidkraut von Reif starrte und das meiste von den Faltern, Fliegen,
Bienen und Käfern, das tags zuvor noch lustig sein kleines Leben
geführt hatte, tot dalag oder sich verborgen hielt, sah es an der
Böschung gar nicht danach aus, als ob der Winter sich schon angemeldet
habe.

Die Birken waren zwar binnen zwölf Stunden gelb geworden, die
Eichenblätter hatten sich auf einmal gebräunt und die Espen hatten
kohlschwarzes Laub bekommen. Die Silberrispen des Sandhalmes
schimmerten aber noch in alter Pracht, die Moorhalmbüsche leuchteten
wie goldenes Glas, an den Brombeeren waren nur wenige fahle Blätter
zu sehen und hier und da fristete noch eine Blume das Leben, hier die
rubinrote Karthäusernelke, da das goldene Mauseohr, dort die blaue
Knaule und daneben die weiße Sumpfschafgarbe.

Als die Sonne dann den Reif abgetaut hatte und den Boden anwärmte,
schwirrte und flirrte es da, wie zur sommerlichen Zeit. Mordwespen
suchten Raupen und Spinnen, um sie mit ihren Giftstacheln zu lähmen
und in ihre Bruthöhlen zu schleppen. Spinnen huschten zwischen den
borstigen Grasbüscheln über den feinen, weißen Sand, hier schlich ein
Rüsselkäfer, da rannte ein Sandläufer, Schlammfliegen sonnten sich
auf den Föhrenwurzeln, Bienen und Hummeln naschten an den letzten
Blumen, große dicke Raupen in samtenen, mit Gold verbrämten Pelzen
krochen langsam über das silbergraue Renntiermoos, dickköpfige Grillen
wagten sich aus ihren Löchern hervor, kleine Heuschrecken zirpten zum
letzten Male, viele Sandfüchse flatterten an den nackten Stellen,
ein Zitronenfalter taumelte an den Büschen entlang. Köcherhafte
und Florfliegen rafften sich zu einem kurzen Fluge auf und sogar
Wasserjungfern schwirrten hin und her. Auch auf dem Ameisenhaufen
krimmelte und wimmelte es noch, ein Eidechschen lag breit und
behaglich in der Sonne, ein junges Kreuzkrötchen kroch hurtig über die
Moospolster und jagte auf Mücken, und ein Grasfrosch schnappte nach
Schmeißfliegen.

Alles dieses kleine feine Leben nahm aber nach und nach ein Ende,
als Nacht für Nacht der Frost über die Heide fuhr und als dann der
schwere kalte Regenguß kam, da war es ganz aus damit. Was sich nicht
zu bergen wußte, wie die Käfer, Eulenfalter, Florfliegen und Ameisen,
das brachte die Kälte um oder tötete der Regen. Gegen Mittag, wenn die
Sonne heiß gegen die Böschung scheint, schwirrt wohl noch einmal eine
Fliege, kriecht ein Käferchen dahin, und die Wintermücken spielen dann
in hellen Haufen über dem Sande und steigen auf und ab; all das andere
kleine Getier wird aber erst wieder sichtbar, wenn der Winter aus ist
und die Frühlingssonne die Böschung bescheint. Dagegen mangelt es dort
nie an anderem Getier. Vor allem sind es die Vögel, die die Büsche
mit Leben erfüllen. Ein Meisentrupp nach dem andern, meist von einem
Spechte geführt und von Goldhähnchen begleitet, rispelt und krispelt in
den Föhren, Birken und Eichen umher, Dompfaffen suchen das Gebüsch nach
Beeren und Knospen ab, Krammetsvögel halten dort Rast, und so ist es da
fast nie still und leer.

Geht die Sonne zur Rüste, ziehen die Krähen laut quarrend unter dem
goldenen Himmel ihrem Schlafwalde zu, fallen die Goldammern in die
Eichenbüsche ein und rascheln lange in dem dürren Laube, ehe sie die
Augen zumachen, fällt die Amsel zeternd in die Schlehdornen, dann
tritt ein heimliches Leben an die Stelle des offenbaren. Aus ihren
Bauen schlüpfen die Kaninchen heraus, sichern lange an dem Eingange
der Fahrten und rücken zu Felde. Ihnen nach folgt der Hase, der sich
den Tag über in dem Sandrohre geborgen hielt. Dann erscheint die Eule
und streicht die Böschung auf und ab, der vielen Mäuse wegen, denen
die Sandrohrkörner reiche Nahrung bieten. Enten kommen angeklingelt,
fallen am Ufer ein und schnattern es nach Fraß ab. Feldhühner rennen
den Fußsteig entlang und huschen bei der Brücke über den Fahrweg.
Gern treten die Rehe dort herum, um die Brombeeren zu verbeißen. Das
Hermelin sucht die Kaninchenbaue ab und würgt, was es greifen kann,
desgleichen der Iltis, der unter der Brücke wohnt, und der Fuchs, der
in den Heidbergen sein Gebäude hat, schleicht allnächtlich hier umher,
weil er jedesmal gute Beute macht, und alle paar Tage spürt sich der
Otter auf dem Sandwege, und die Reste von Döbel und Hecht zeigen an,
daß er nicht umsonst gefischt hat.

Wenn die Sonne dann wieder über den Berg kommt, wenn der Nebel von dem
Kanale weicht, die Goldammern ihre Schlummerbüsche verlassen und zu
Felde fallen, geht das laute Leben wieder los. Dann lacht der grüne
Specht, der einen Stollen in den Ameisenhaufen getrieben hat und sich
darin vollfrißt, der Häher kreischt, der Zaunkönig schmettert sein
Liedchen, Hänflinge, Grünfinken und Stieglitzen machen halt, wenn sie
hier vorbeigestrichen kommen, die Elster nimmt für einen Augenblick
Platz, ehe sie nach der Abdeckerei fliegt, der Bussard lauert, ob er
nicht das Wiesel betölpeln kann, das unter dem Durchlasse haust, und
allerlei Meisenvolk tummelt sich im Buschwerke.

So geht es in der rauhen Zeit tagein, tagaus. Ist aber der Winter
zu Ende, werden die silbernen Kätzchen an den Weiden zu goldenen
Flämmchen, entfalten die Kohmolken am Ufer ihre großen gelben Blumen,
wandern die Pieper aus Nordland auf der Rückreise am Kanal entlang
ihrer Heimat zu, dann wacht auch das kleine und feine Leben wieder
auf und es blitzt und flitzt und schwirrt und flirrt und flittert und
flattert und summt und brummt von früh bis spät an der Böschung.



Die Kiesgrube.


Mitten in der Feldmark, weithin sich bemerkbar machend, ist ein heller
Fleck. Das ist die große Kiesgrube, aus der das Städtchen seinen
Bausand gewinnt.

Jetzt, zur späten Zeit im Jahre, herrscht nicht die bunte Pracht
in ihr, wie an sommerlichen Tagen. Hier und da hat sich noch
eine goldgelbe Rainfarnblüte vor dem Nachtfroste gerettet, eine
schneeweiße Schafgarbe, eine himmelblaue Glockenblume, eine blutrote
Karthäusernelke.

Dennoch aber fehlt es der Grube nicht an Farben. Über der gelben
Steilwand, die von den Bruthöhlen der Uferschwalben wie ein Sieb
durchlocht ist, prahlen die Schlehen mit hellblauen und die
Weißdornbüsche mit feuerroten Beeren, und die junge Birke unter der
Wand ist über und über mit goldenen Flittern behängt. Die Brombeeren
vor ihr leuchten scharlachfarbig, die hohen Beifußstauden sind
blutigrot, stumpfgrün starren die hohen Binsen und wie Rubinen strahlen
die Blättchen des Zwergampfers.

Auch an anderem Leben mangelt es nicht. Eben rüttelte der Turmfalke
über der Stelle, wo eine Waldmaus aus dem bunten Steinhaufen rutschte
und über die goldigschimmernden Moospolster hinweghüpfte. Er stieß
herunter und strich mit der Maus in den Griffen ab. Dann schnurrte ein
Flug von Feldspatzen heran, fiel in den Schlehdornen ein, lärmte ein
Weilchen und stob feldeinwärts. Jetzt hüpfen ein paar Grünfinken unter
den Klettenstauden umher und suchen nach Grassamen, auf der Spitze der
Birke sitzt ein Hänfling und lockt halb lustig, halb wehmütig, und an
den weißwolligen Schöpfen der hohen Haferdistel hängen zwei knallbunte
Stieglitze, zwitschern fröhlich und picken die Samenkörner heraus.

Plötzlich fliegen sie ab, denn in den hohen, brauntrockenen Brennesseln
hinter dem Haufen kopfgroßer Steinknollen raschelte es. Ein plattes
Köpfchen mit schwarzen Augen taucht auf, verschwindet, ist wieder
da, und nun sitzt oben auf dem Steinhaufen ein Wieselchen, schlüpft
durch die fahle Mausegerste, kommt unter den Kletten zum Vorschein
und verschwindet zwischen dem braunen Gestrüpp der Flockblumen, wohin
das Geschrille der Spitzmäuse es lockt. Ein Goldammerhahn kommt
angeschnurrt, läßt sich auf einem Pfahle nieder, lockt, wippt mit dem
Schwanze, sträubt die Holle und burrt weiter. Dann ist auf einmal eine
Haubenlerche da, die hurtig auf dem Sande umherrennt, ein Spinnchen
fängt, einige Körnchen aufliest und mit weichem Geflöte von dannen
fliegt, so daß der Sperber, der hinter der Birke hergeschwenkt kommt,
mit leeren Fängen abziehen muß.

Dünne Vogelstimmen kommen näher; vier Pieper aus Nordland lassen sich
vor den grauwolligen Mausekleebüscheln nieder, trippeln hin und her,
putzen sich ihr Gefieder, lesen Körnchen auf, tränken sich an der
Regenpfütze und wandern weiter nach Süden. Über der Steilwand erscheint
ein hellgefärbter Bussard, rüttelt eine Weile über der Stelle, wo er
zwischen den braunen Johanniskrautstengeln eine Bewegung erspähte,
und streicht dann fort, weil er das, was sich da rührte, als die
Löffel des Hasen erkannte, der dort im Lager sitzt, und er weiß, daß
er nicht stark genug ist, um den zu bezwingen. Über die silbernen
Gänsefingerkrautblätter humpelt steifbeinig ein frostlahmer brauner
Frosch; er will sich einen Unterschlupf suchen, wo er die harte Zeit
verschlafen kann. Dasselbe hat eine winzige Kreuzkröte vor, die den
dürren Ochsenzungenstauden zukriecht.

Laut schwatzend braust ein Flug Stadtsperlinge über die Grube hin.
Dann läßt sich eine Nebelkrähe in ihr nieder, schreitet würdevoll
auf und ab und sucht so lange, bis sie eine Käserinde findet,
die die Sandfuhrleute fortwarfen, und mit der sie abfliegt. Ein
Dompfaffenpärchen nimmt auf den Schlehen Platz, lockt zärtlich,
verbeißt einige Knospen und strebt dem nahen Friedhof zu. Vor der
Steilwand flattert ein alter Hausrotschwanz umher, schlüpft in eine der
Uferschwalbenhöhlen, kommt wieder heraus, rüttelt vor einem anderen
Loche, fängt dort eine Schnake weg, rennt an der Sandkante entlang,
fliegt nach den Brombeeren, zerpflückt die letzte reife Beere, trippelt
über die seidigschimmernden Moospolster, hascht eine Spinne und eine
Fliege, und fort ist er.

Die Sonne ist hinter dem Hügelkopfe untergegangen; ihr Abglanz färbt
den weißen Sand wärmer und die bunten Kiesel darauf glühen und
sprühen. Dann verliert sich das Leuchten am Himmel; die Luft wird
grauer. Bleiche Eulenfalter flattern dahin; von der Steilwand ruft
das Käuzchen. Quarrend fliegen die Krähen vorüber. Der Hase erhebt
sich aus seiner Sasse, putzt sich das Fell, hoppelt unter dem Abhange
entlang, sichert eine Weile und rückt dann zu Felde. Die Haubenlerchen
sind wieder da, locken und schlüpfen zum Schlafe in das Gekräut. Unter
den Kletten zwitschern die Spitzmäuse, in den Brombeeren rascheln die
Waldmäuse. Es burrt laut und ein Feldhuhnpaar fällt in der Grube ein,
rennt über den Fahrweg und verschwindet in dem fahlen Gestrüpp. Jetzt
lockt der Hahn und stiebt mit seiner Henne wieder ab; eine stromernde
Katze trieb ihn fort.

Immer trüber wird es. Nach einer Stunde ist es Abend. Dann jagt die
Schleiereule, die im Kirchturme wohnt, hier auf Mäuse, der Iltis
stöbert hier umher und ganz gewiß läßt sich auf seinem Wege nach
dem Seeufer, wo er die Enten beschleichen will, auch der Fuchs es
einfallen, der Kiesgrube einen kurzen Besuch abzustatten, um zuzusehen,
ob er nicht einen Hasen oder ein Feldhuhn erwischen könne, oder sei es
auch nur eine Maus, denn daran mangelt es hier nicht, weil das viele
Gekräut den Mäusen durch seine Samenkörner reiche Nahrung bietet und
die Grube trocken und warm gelegen ist, so daß sich es wintertags dort
leben läßt.

So fehlt es selbst dann, wenn der Schnee festliegt, der Kiesgrube
nicht an lustigem Leben, denn Tag für Tag stellen sich die Grünfinken,
Stieglitze, Goldammern und Feldspatzen in ihr ein und suchen
Sämereien. Am schönsten und lustigsten aber ist es zur Sommerszeit,
wenn die Uferschwalben vor ihren Bruthöhlen auf und ab fliegen,
der Steinschmätzer über das Geröll rennt, die Hänflinge schwatzen
und die Grasmücke plaudert, und über dem bunten Gewirr von Distel,
Färberkamille, Rittersporn, Löwenmaul, Johanniskraut, Minze,
Klatschmohn und Fetthenne die Falter flattern und die Bienen summen.
Dann ist das Sandloch unter dem Hügelkopfe so voll von Blumen, so laut
und lebhaft von allerlei Getier, daß der, wer alles das schildern
wollte, ein ganzes Buch darüber schreiben müßte.



Die Dornhecke.


Es gab einmal eine Zeit, da sah die Feldmark so bunt und kraus aus, wie
eine Federzeichnung von Albrecht Dürer.

Jeder Grabenbord hatte sein Dorngestrüpp, jede Böschung ihr Gestrüpp,
alle Teiche und Tümpel waren von Weiden und Erlen eingefaßt, und an
Wildbirnbäumen, Kopfweiden und Pappeln war kein Mangel.

Dann kam die Verkoppelung und aus war es mit der ganzen Herrlichkeit.
Die Büsche und Bäume fielen überall unter der Axt, selbst da, wo sie
niemand im Wege standen und keinen Schatten auf den Acker oder in
die Wiese warfen. Kahl und langweilig wurde das Gelände und arm an
Vogelsang und Falterflug, und alle die schönen bunten Blumen, die in
dem Gebüsche wuchsen, verschwanden.

Eine einzige Hecke ist in der ganzen weiten, breiten Feldmark noch
übriggeblieben. An der Wetterseite des Hohlweges zieht sie sich entlang
und schützt ihn vor Erdrutsch und Schneeverwehung. Die Schlehe und
der Weißdorn bilden mit Kreuzdorn und Heckenrose ein dichtes Gewirre,
dessen Grund von Brombeeren, Himbeeren und Stachelbeeren besäumt wird,
und dazwischen verschränken sich Nesseln, Disteln, Kletten und andere
Stauden zu einem engen Verhau.

Wie ein mürrisches braunblaues Bollwerk steht jetzt die Hecke im
überschneiten Felde. Man sieht es ihr nicht an, wie schön sie im
Vorfrühling ist, wenn die Schlehen sich mit weißen Blüten bedecken,
oder später, wenn der Weißdorn seine schimmernden, starkduftenden
Dolden entfaltet, oder hinterher, brechen an den Rosenbüschen die
reizenden Knospen auf. Aber auch wenn die Büsche selber nicht mehr
blühen, bleibt es bis in den Herbst hinein noch bunt von blauen
Glocken, roten Lichtnelken, weißem Labkraut und gelber Goldrute; wenn
diese verwelken, schmücken sich die Zweige mit scharlachrotem und
goldgelbem Laube, und fällt das ab, so funkeln, blitzen und leuchten
die schwarzen, blauen und roten Beeren am kahlen Gezweige.

Mit dieser Pracht ist es nun auch fast zu Ende. Die Brombeeren sind
abgefallen bis auf einige, die nicht mehr zur Reife kamen und nun
verdorrt an den Stielen zwischen den eingeschrumpften Blättern hängen.
Die Rosen haben zwar noch viele von den Hagebutten, doch sind sie von
dem Nachtfroste verschrumpft und leuchten nicht mehr so herrlich, wie
im Spätherbste, und auch die Mehlfäßchen an dem Weißdorne verloren
ihr prächtiges Aussehen und fangen an, sich zu bräunen. Einzig und
allein die Schlehen haben noch die meisten ihrer blaubereiften Früchte
bewahrt, doch werden es von Tag zu Tag weniger, da Sturm und Regen sie
nach und nach von den Zweigen reißen und zu Boden werfen. Dennoch ist
die Hecke immer noch schön. Sie war es eben, wo sie als braunblaues
Bollwerk von dem Schnee abstach, und ist es jetzt erst recht, denn
die Sonne ist durchgekommen, und das verworrene Gezweige blitzt und
schimmert und leuchtet, als bestände es aus Erz.

Auch fehlt es nicht an allerlei Leben. Zwar die Grasmücken und
Braunellen, die sommertags hier umherschlüpfen und fleißig singen,
sind verzogen, die Falter starben ab oder sitzen in Todesstarre in
ihren Winterverstecken, wie auch der Laubfrosch, der in der schönen
Zeit hier so oft lustig meckert, in seiner Erdhöhle die bitteren Tage
verschläft, und die Eidechse, die im Sommersonnenscheine hin und her
huscht, desgleichen tut; aber alle Augenblicke schwirrt oder burrt es
heran, denn alles kleine Vogelvolk, das über die Feldmark dahinfliegt,
macht hier gern Rast. Feld- und Haussperlinge fallen in ganzen Flügen
ein, Buchfinken und Grünlinge, Stieglitze und Hänflinge, desgleichen
die Goldammern und die plumpen Grauammern, die mit trockenem Geklapper
fortfliegen, wenn ein Mensch den Weg entlangkommt.

Ab und zu stellt sich auch anderer Besuch ein. Da sind die
wunderschönen Dompfaffen, die hier immer haltmachen, wenn sie den Wald
mit den Obstgärten des Dorfes vertauschen wollen, oder die Kramtsvögel,
die von den höchsten Zweigen der Schlehdornbüsche Umschau halten, ehe
sie zu Felde fallen. Dann und wann nimmt hier auch der Raubwürger aus
Nordland Platz oder eine der Elstern, die in den hohen Pappeln des
Gutes ihr Dornennest haben, oder einige Meisen suchen ein Weilchen in
dem Gezweige nach Raupeneiern und wandern dann lustig lockend dem
Walde oder dem Dorfe zu, und manchmal stöbert auch ein Eichelhäher da
herum und tut sich an den Beeren gütlich, oder eine Krähe lauert am
Boden auf eine Maus.

Die wohnen auch um diese Zeit in der Hecke, sowohl die braunen
Waldmäuse wie die schön schwarzgestreiften Brandmäuse und auch die
zierlichen Zwergmäuschen, denn sie finden im Laube allerlei Körner und
Samen und dazu noch die abgefallenen dürren Beeren sowie manchen Käfer
und allerlei anderes kleine Getier, das in dem trockenen Laube den
Winter verschläft. Auch Feld- und Rötelmäuse gibt es dort sowie die
dicke Wühlmaus, und deswegen läßt sich das Wiesel und das Hermelin oft
da blicken, um auf sie zu jagen.

Die Sonne ist wieder fortgegangen, der Himmel wird grau, ein Wind macht
sich auf und es beginnt zu dämmern. Da kommt es mit lauten Locktönen
herangeflattert. Die Goldammern sind es. Sie fallen auf den Zweigen
ein, sträuben die gelben Schöpfchen, zucken mit den Schwänzen, zanken
und zergen sich ein wenig und schlüpfen dann tief in das Gebüsch
hinein, wo sie noch ein Weilchen herumrascheln, um dann einzuschlafen.
Unter ihnen her schlüpft das Hermelin und wittert nach ihnen empor,
traut sich aber wegen der scharfen Dornen nicht hinauf und huscht
deshalb nach der Strohdieme, um dort auf die Mausejagd zu gehen. Es
beginnt verloren zu schneien. Allmählich fallen die Flocken dichter,
bedecken die Saat und den Sturzacker und bleiben in den Zweigen der
Hecke und auf dem Dürrlaube der Brombeeren hängen, alles verhüllend,
was darunter schläft und atmet.

Morgen früh aber, wenn die Sonne kommt, beginnt es da wieder zu leben.
Die Ammern erwachen, putzen ihr Gefieder und fliegen zu Felde. Die
Spatzen kommen an und die Finken, die im Walde geschlafen haben, und
so vergeht keine Stunde, daß auf der Dornhecke nicht irgend welches
fröhliche Leben ist, während ringsum im Felde alles weiß und tot ist.



Der Fichtenwald.


Die Morgensonne steigt rund und rot über die verschneiten Kuppen; der
Bergwald erwacht.

Lärmend fliegen die Krähen zu Tale, Häher flattern kreischend von
Baum zu Baum, Goldfinken flöten im Unterholze, Zeisige zwitschern
dahin, überall ertönt das Geklingel der Meise und das Gewisper der
Goldhähnchen, zwischendurch auch das schneidende Gezeter der Amsel, die
den zu seinem Bau schleichenden Fuchs erspäht hat.

Die Frostnebel weichen von der Bergwand, goldig erglänzen die
Schneehänge, rosig färben sich die bereiften Fichten, silbern blitzt
unter der Felswand der Wildbach. Da leidet es den Zaunkönig nicht, der
im Ufergebüsche umherschlüpft; keck schmettert er sein Liedchen, und
auch die Wasseramsel, die mitten im Bache auf einem gischtumrauschten
Blocke sitzt, singt fröhlich die Sonne an.

Auf einmal singt es lustig hier aus dem Wipfel, und da und dort, hüben
und drüben, nah und fern, laute und leise Locktöne erschallen, helle
und tiefe, spitze und runde, und von Fichte zu Fichte fliegen rote und
grünlichgelbe Vögel, hängen sich an die Äste, klettern an den Zweigen
umher, schlüpfen dahinter, tauchen wieder auf, machen sich an den
schimmernden Zapfen zu schaffen, zerklauben die größeren, kneifen die
kleineren ab, sind emsig beim Fressen, putzen dazwischen ihr Gefieder,
schnäbeln sich ein bißchen, zanken sich ein wenig und haben sich, als
wäre es Mai.

Kreuzschnäbel sind es, die seltsamen Vögel, die hier zwischen Eis und
Schnee ihre Brut aufziehen. Über hundert Paare haben sich die Wand hier
als Brutstätte gewählt. Unstet waren sie in kleineren Trupps seit dem
Frühsommer umhergestrichen, hatten bald oben in den Bergen, bald unten
im Lande gelebt, bis um die Weihnachtszeit ein Flug die reichtragenden
Fichten an dem sonnigen Abhange entdeckte und sich dort ansiedelte.
Andere Rotten, die vorüberstrichen, fanden sich dazu, und wenn es auch
anfangs ein großes Gezanke um die Weibchen und ein bitteres Gezerre um
die Neststände gab, mit der Zeit vertrug man sich hierum und darum.

Schneidend pfiff oft der Wind an dem Hang entlang, wild wirbelte der
Schnee und hüllte die Fichten ein; die Kreuzschnäbel kümmerte es wenig.
So fest und dick blieb er auf den Zweigen nicht liegen, daß er die
Samenzapfen verdeckte, und sobald die Sonne ein wenig schien, sangen
die purpurroten Männchen den grünlichgelben Weibchen lustig ihre Lieder
vor, und beide brachen dann fleißig dürre Reiserchen, Heidkrautzweige
und Grasblätter für die Außenwand des Nestes, das sie dann mit Moos und
Flechten auspolsterten, daß es so dick und so fest und so weich und
so warm wurde, wie es nötig ist, daß der Frost nicht bis zu den Eiern
gelangen konnte.

Gut versteckt waren die Nester auch in den dichten Zweigen, und fest
genug hineingebaut. Mochte der Schnee auch noch so hart treiben, er kam
höchstens mit einigen feinen Stäubchen bis zu den brütenden Weibchen
hin. Und damit die Eier nicht kalt wurden, fütterte jedes Männchen sein
Weibchen, so daß es das Nest nicht zu verlassen brauchte, als höchstens
dann, wenn die Mittagssonne ganz warm schien und es sich sein Gefieder
zurechtzupfte, es vom Harze reinigte und sich ein bißchen Bewegung
machte. Während nun rundumher das Land im Schnee begraben lag und außer
dem Gebimmel der Meisen und dem Gezirpse der Goldhähnchen oder einem
Krähenschrei und einem Häherruf kein Laut zu hören war, entstand in den
hundert und mehr verborgenen Nestern neues Leben.

Nun, wo der Winter nachts noch mit voller Macht hier am Berge
herrscht, die Sonne aber schon größere Kraft hat und oft genug den
Schnee über Mittag zum Tauen und Tröpfeln bringt, verlassen die jungen
Kreuzschnäbel die Nester und wagen sich auf die Zweige hinaus, wo sie
eng aneinandergedrängt sitzen, bis einer der alten Vögel herannaht und
sie gierend und mit den Flügeln zitternd sich ihm entgegendrängen,
um sich den Schlund mit angequollenem Fichtensamen vollstopfen zu
lassen. Der Frost macht hungrig, und so haben die alten Vögel von
Sonnenaufgang bis zum Abend hin genug zu tun, um die drei oder vier
immer freßlustigen Jungen sattzumachen.

Jeder von ihnen hat einen Fichtenzapfen vor und zerspellt mit dem
sonderbaren Schnabel die harten, festanliegenden Schuppen, löst mit der
Zunge das winzige Samenkorn heraus und läßt es in den Kropf rutschen.
Hier hängt ein altes Weibchen kopfüber an einem Zapfen und bearbeitet
ihn, daß es in einemfort leise knistert und immerzu winzige Teile der
Schuppen, wie Goldstaub blitzend, auf den Schnee am Boden wirbeln,
der davon und von den abgestreiften Nadeln und Flechten schon ganz
buntgefärbt ist. Dort kneift ein purpurrotes Männchen einen kleinen
Zapfen ab, trägt ihn mit dem Schnabel nach einem bequemen Ast und
leert ihn da aus. Überall gieren die hungrigen Jungen, hier und da und
dort zittern sie mit den Flügeln, in einemfort rieseln Nadeln herab,
stäubt Schnee herunter, rundumher ertönt das seltsame Locken der alten
Vögel und ab und zu das lustige Gezwitscher eines Hahnes, der auf
einem Wipfeltriebe sitzt, daß sein rotes Gefieder in der Sonne nur so
leuchtet.

Noch eine oder zwei Wochen wird das lustige Treiben und das bunte Leben
hier oben in den hohen Wipfeln anhalten. Dann aber, wenn die Sonne
den Schnee von der Bergwand vertreibt, wenn der Seidelbast sich mit
rosenroten Blütchen schmückt und der Nießwurz seine grünlichen Blumen
entfaltet, wenn die Meisen sich auf ihre Lieder besinnen und der Fink
zu schlagen beginnt, werden die jungen Kreuzschnäbel flügge sein und
mit den Alten von dannen ziehen, irgendwohin, wo die Fichten genügend
tragen. Heute werden sie da sein, morgen dort, und um die Zeit, wenn
alle anderen Vögel sich seßhaft machen und ihre Brut aufziehen, unstet
und flüchtig hin und her wandern, wie die Zigeuner.

Irgendwo werden sie zur Winterszeit sich einen Wald suchen, wo sie
Nahrung genug finden, entweder hier oben in den Bergen oder unten im
Lande, je nachdem hier oder dort der Fichtensamen gerät. Vielleicht
werden sie in eine Gegend verschlagen im flachen Lande, wo sie sonst
nicht leben, und wenn sie dort um die Weihnachtszeit einen Wald mit
unbekannten Farben und fremden Stimmen beleben, wird das Volk sie mit
besorgten Mienen betrachten und meinen, sie brächten Krieg, Seuche und
Teuerung.



Die Strohdieme.


Mitten im kahlen, verschneiten Felde steht die Dieme groß und breit
da, und so protzig, als sei sie stolz auf die weiße Haube, die ihr der
letzte Schneefall verehrt hat.

Hundert Schritte von ihr führt der Weg entlang, der von der Vorstadt
nach dem Walde führt, und auf dem tagtäglich viele Menschen hin und
her gehen. Kaum einer von ihnen sieht nach ihr hin. Was ist denn auch
weiter daran zu sehen? Es ist ja nur ein Haufen von gedroschenem Stroh.

Das ist wohl wahr. Aber sie ist doch mehr, als nichts und weiter nichts
denn ein Haufen toten Strohes. Sie ist eine Herberge und Schlafstätte
für vielerlei Getier, das da entweder sein heimliches Leben führt oder
ohne Besinnung die harte Zeit verträumt, bis im Frühling, wenn die
Dieme abgebaut wird, die Sonne das, was unter ihr schläft, aufweckt.

Schon im Vorherbste, als die Dieme eben gerichtet war, und die ersten
rauhen Winde und kalten Güsse über das Land gingen, rettete sich alles,
dem es auf dem Felde zu kalt und zu zugig wurde, zu ihr hin, große
und kleine Laufkäfer, Fliegen und Wespen, Kurzflügler und Ohrwürmer,
Raupen und Eulenfalter, Asseln und Tausendfüße, Spinnen und Milben,
Springschwänze und Erdflöhe. Sie alle krochen unter die unterste
Strohschicht, krabbelten dort noch eine Weile umher und fielen, als der
Frost einsetzte, in Schlaf.

Zu gleicher Zeit kamen die Mäuse angerückt, rötlichgraue, schlanke
Waldmäuse, die schönen zimtbraunen, auf dem Rücken mit einem schwarzen
Aalstrich geschmückten Brandmäuse, die zierlichen Zwergmäuse, die
plumpen, kurzschwänzigen Feldmäuse. Sogar Ackerspitzmäuse stellten sich
ein, denn Fraß für ihre spitzen Zähne boten die vielen schlafenden
Kerbtiere zur Genüge, auch wurde mehr als eine kranke und schwache Maus
ihre Beute.

Vor der Dieme liegt ein mächtiger Haufen Kaff, den die Dreschmaschine
unter sich ließ, und der zu einem guten Teil aus Unkrautsamen
besteht. Da war anfangs Tag für Tag ein lustiges Leben; Haus- und
Feldspatzen, Gold- und Grauammern, Hänflinge und Grünlinge, Buchfinken
und Haubenlerchen gaben sich dort ein Stelldichein. Das lockte dann
den Sperber, der alle paar Tage angestrichen kam, um die Dieme
herumschwenkte und mit einem Vogel in den Griffen dem Walde zuflog.
Späterhin löste ihn der Merlin, der Zwergfalke aus Lappland, ab. Wie
ein Blitz war er zwischen den Finken und Ammern, und gleich darauf
fußte er auf einem Grenzsteine und kröpfte seine Beute, ohne sich um
die Menschen zu kümmern, die hundert Schritte bei ihm vorübergingen.

Gestern, als der Nordostwind aus dem Holze herausheulte und
Schlackschnee über das Feld schmiß, war es still und öde bei der
Dieme. Ab und zu ließ sich eine Krähe auf dem Rande des Daches nieder,
spähte hinab, ob sich nicht eine Maus blicken ließ, und flog mißmutig
weiter. Heute, wo die Sonne hell am blauen Himmel steht und das
leichtverschneite Land bescheint, ist allerlei Leben bei der Strohburg.
Bald hier, bald da huscht eine Maus hervor, sonnt sich ein Weilchen
und schlüpft wieder in ihr Loch, wenn der Schatten einer Krähe auf den
Schnee fällt oder ein Trupp Spatzen herangebraust kommt. Eine dicke
Waldmaus, die von der Dieme nach dem Kaffhaufen will, paßt nicht auf,
und die graue Krähe, die schon eine Weile gelauert hat, packt zu, faßt
sie und streicht mit ihr fort, verfolgt von zwei Rabenkrähen, die ihr
hungrig quarrend den Raub abzujagen suchen.

In der dünnen Schneeschicht am Fuße der Dieme sind allerlei Spuren
sichtbar. Über Nacht ist der Fuchs, der in dem eine Meile weit
entfernten Forst seinen Bau hat, hier gewesen; deutlich zeigt der
Schnee seine Spur. Dann sind die zierlichen Eindrücke des Wieselchens
da zu sehen, ferner die Spuren von Katze und Hund. Sie alle sind
auf Mäusejagd gewesen. Sogar den Igel hat der Hunger aus seinem
Unterschlupf in der Dornenhecke herausgetrieben; seine Spur führt
rund um die Dieme hin. Die schöngeperlte Feder, die an einem dürren
Unkrautstengel hängengeblieben ist, stammt von der Schleiereule, die
nächtlicherweile vom Kirchturme aus der Dieme einen Besuch gemacht hat,
wo sie mit dem Kauze zusammentraf, der vom Walde herkam und der die
große Flügelfeder verlor, die dort im Schnee liegt. Auch ein paar Rehe
haben hier herumgetreten, den Schnee vor dem Kaffhaufen geplätzt und
das ausgewachsene Getreide abgeäst.

Die Goldammern, die eben auf dem Kaffhaufen herumsuchten, wo ein Hund
oder der Fuchs nach Mäusen gescharrt hat, stieben plötzlich empor
und hasten davon, und auch das Haubenlerchenpaar, das vor der Dieme
umhertrippelte, flattert von dannen, denn von der Hecke her kommt ein
schlankes, schneeweißes Tier mit blanken, schwarzen Augen angehüpft,
das Hermelin. Nach fünf bis sechs Sprüngen macht es jedesmal halt,
richtet sich auf, äugt umher und rennt dann weiter.

Jetzt ist es bei der Dieme angelangt, findet mit seinen Spürborsten
sogleich heraus, wo es bequem einschleichen kann, und fort ist es.
Nun wird Todesschrecken unter den vielen Mäusen herrschen, die in
der Dieme wohnen. Das wird ein banges Geflitze und Gekrabbel sein
und ein ängstliches Gerenne und Gerutsche. Schon ist das weiße
Mörderchen wieder da; hochaufgerichtet sitzt es und hält eine noch mit
den Hinterfüßen zappelnde Brandmaus zwischen den scharfen Zähnchen.
Einen Augenblick sieht es sich um, dann hüpft es mit seiner Beute der
Dornhecke am Feldgraben zu, wo es gerade noch rechtzeitig anlangt,
um der Krähe zu entgehen, die danach aus der Luft herunterstößt. Vor
Schreck hat es aber die Maus fallen lassen, mit der die Krähe nun
abfliegt. Kaum hat sie die Maus hinabgewürgt, da streicht sie mit
wütendem Geplärre der Dieme zu, auf der sich ein heller Raufußbussard
niedergelassen hat; es paßt ihr nicht, daß er dort auf Mäuse lauert.
Schnell sind noch drei andere Krähen da und schnarren den gutmütigen
Fremdling so an, daß er es für besser hält, sich von dannen zu begeben.

Im Frühling, wenn der Bauer Strohmangel hat und die Dieme abbaut,
werden die Mäuse nach allen Ecken und Enden auseinanderflüchten. Viele
von ihnen werden die Hunde greifen, andere die Knechte totschlagen; die
meisten aber werden entkommen. Dann wird die Dieme auch ihr schlimmstes
Geheimnis offenbaren. Anderthalbhundert schrecklich abgemagerte Frösche
und Kröten werden die Leute dann vorfinden, die der Iltis, der sich an
der einen Seite des Strohberges eins seiner Winterlager gewühlt hat, im
Herbste zusammenschleppte und hier aufspeicherte für schlechte Zeiten,
nachdem er jedes Stück durch einen Biß in das Kreuz gelähmt hatte.
Nur wenn tagelanger kalter Regen ihn festhält, frißt er davon, und so
quälen sich die unglücklichen Tiere viele Monate zwischen Leben und Tod
hin.

Einige hundert Menschen gehen täglich an der Dieme vorbei. Kaum einer
von ihnen wirft einen Blick danach hin und keiner weiß, wie vielerlei
Leben sich in ihr und um sie abspielt, stilles, friedliches Leben,
bittere Not und schreckliches Elend.



Die Ebereschen.


Über Nacht hat es schwer geschneit und in der Frühe fror es hart; nun
aber scheint die Sonne was sie nur kann.

Ihrer freuen sich die Gäste von Davos, die gesunden sowohl, die in
ihren Sportkleidern auf und ab wandeln, als auch die, die hier Genesung
von dem bösen Leiden suchen und sich in ihren Liegestühlen braten
lassen, und nicht minder die Spatzen. Sie sitzen haufenweise in den
Ebereschenbäumen und schwatzen und zwitschern, als wollten sie die
Musik der Kurkapelle überschreien.

Unten im Lande haben die Ebereschen ihre Früchte schon fallen lassen;
hier behalten sie sie noch lange. Das ist auch sehr notwendig. Was wäre
die Hauptstraße von Davos, hätte sie die Ebereschenbäume nicht. Wohl
sehen die vielen verschiedenartigen Nadelhölzer in den Gärten herrlich
aus, auch wirken die Espen mit ihrem hellen Gezweige und den dicken
blanken Blütenknospen daran prächtig; aber die Ebereschen schlagen doch
alles, was da Äste und Zweige hat, mit ihren knallroten Beeren tot.

Wie Flammen glühen die roten Dolden in der Vormittagssonne; sie
funkeln und sprühen und blitzen wie geschliffene Korallen, und selbst
die Stiele, an denen sie hängen, haben einen metallenen Schimmer.
Nirgendswo sehen die Ebereschentrauben so schön aus wie hier, und
nirgendswo halten sie sich so lange, ohne einzuschrumpfen, mißfarbig zu
werden und abzufallen.

Das muß auch so sein. Was sollten die Spatzen von Davos machen, fielen
hier, wie anderswo, die roten Beeren schon im Vorwinter zu Boden? Der
Schnee würde sie hinnehmen und erst nach vier Monaten wieder hergeben.
Dann wären die Sperlinge ganz auf die Gnade der Schlittenrösser
angewiesen und der Speisezettel würde recht mager und langweilig
ausfallen.

Anfangs, als die ersten Spatzen, die irgend ein Kurgast in Davos
aussetzte, in ihren ersten Winter kamen, mögen sie schön dumme
Augen gemacht haben, als es nirgendswo ein Feld gab oder einen
Getreideschober, wo sie ihre Nahrung finden konnten. Über Nacht war ein
Schnee gefallen, hatte alle Kehrichtplätze zugedeckt und desgleichen
das, was die Rösser unterwegs verloren hatten. Hungrig und verfroren
flogen die Sperlinge hin und her, fanden aber nichts für ihre Schnäbel,
denn überall lag Schnee.

Da beschien die Sonne die Ebereschenbeeren, daß sie funkelten und
strahlten. Aber Ebereschenbeeren sind kein Spatzenfutter; das ist ein
Fraß für Kramtsvögel, Dompfaffen und Bergfinken. Doch wenn der Teufel
in der Not Fliegen frißt, warum soll der Spatz, geht es nicht anders,
nicht an Ebereschen gehen? Zwar schmecken sie bitter und sauer zugleich
und ziehen den Schlund in arger Weise zusammen. Aber ehe die Rösser
für die genügende Menge von Futter gesorgt haben, ist man vielleicht
schon verhungert. Da hilft eben nichts, als in die sauern Beeren
hineinzubeißen. Schmeckt es auch nicht, so macht es doch satt.

Bald hatten sich die Spatzen daran gewöhnt, denn alle paar Nächte gab
es einen schweren Schneefall; dann fand sich bis gegen Mittag nichts
anderes und so blieb eben nichts übrig, als sich mit dieser Tatsache
solange abzufinden. Da nun die Ebereschenbäume in Davos fast alle
hart an der Straße stehen, so wurden die Sperlinge hier mit der Zeit
viel vertrauter als anderswo, und mag es noch so laut und so lebhaft
unter ihnen hergehen, das scheert sie wenig; sie bleiben sitzen und
zerklauben die roten Beeren, ohne sich stören zu lassen.

Auch die übrigen Vögel haben sich an den lebhaften Verkehr gewöhnt,
nicht nur die stolzen Amseln, denn die sind schon mehr als dreist,
nicht nur die schönen Dompfaffen, denn die sind überall zutraulich,
auch nicht die hübschen Grünlinge und die lustigen Buchfinken,
denn die haben ein harmloses Gemüt, und die bunten Bergfinken aus
Nordland kennen den Menschen so wenig, daß sie ihn nicht scheuen,
und so bleiben sie und die Grünlinge und die Dompfaffen ruhig bei
der Mahlzeit sitzen, wenn ein paar Menschen einen Schritt vor ihnen
stehen bleiben, mit den Händen nach ihnen deuten und laut sprechen.
Auch daß der dicke Flüëvogel nicht fortfliegt, wenn es vor seinem
Baume recht munter zugeht, ist weiter nicht merkwürdig, ebensowenig,
daß die schwarzkappige Alpenmeise sich so gut wie gar nicht um die
Menschen kümmert, und nicht minder, daß die Rabenkrähen, sind sie bei
dem Beerenfressen, wenig Scheu zeigen; aber daß sogar der prächtige
Grauspecht, der den einsamen Wald liebt, dicht an der Straße seinen
Kropf mit den roten Beeren füllt, das bekommt man einzig und allein in
Davos zu sehen.

Das ist aber alles noch gar nichts. Wenn es um die Mittagszeit auf der
Straße nur so lebt von Menschen, wenn die Schlitten hin und her klingen
und die Kurkapelle spielt, dann kommen rauhe, harte Schreie von den
Bergen, ganze Flüge von ziemlich großen Vögeln flattern heran, fallen
in den Ebereschenbäumen ein, reißen die Früchte ab und fressen sie,
und das sind Kramtsvögel, die scheuesten von allen Drosseln, und die
benehmen sich in Davos, als gäbe es keine Roßhaarschlingen, Schlaggarne
und Schießgewehre auf der Welt. Ganz dicht kann man an sie herantreten,
ihre rotgelben, schwarzgetüpfelten Brüste, ihre aschgrauen Nacken und
ihre blanken Augen besehen, ohne daß es ihnen einfällt, abzustieben.
Und doch lassen sie anderswo den Menschen noch nicht auf hundert
Schritte herankommen.

Eine Landschaft, die kein lustiges Vogelleben aufweist, wirkt tot und
kalt, mag sie sonst auch noch so prächtig sein. So würde es Davos
gehen, hätte es die vielen Ebereschenbäume an der Straße nicht, deren
rote Korallen ihren schönsten Schmuck bilden vom Herbste an bis zum
Frühling, wo sie zusammenschrumpfen und zu Boden fallen, sobald die
Espen ihre seidenen Kätzchen entfalten und an den sonnigen Hängen die
Schneeheide ihre Blümchen rosenrot färbt.

Sie haben ihren Zweck erfüllt und sind überflüssig, bis der Winter
wieder herannaht.



Inhaltsverzeichnis


                          Seite

    Der Feldrain              9

    Der Waldrand             16

    Das Genist               20

    Die Frühlingsblumen      25

    Der Porst                30

    Der Baumgarten           34

    Die Kirchhofsmauer       40

    Die Moorwiese            45

    Die Schlucht             49

    Die Heide                54

    Der Fluttümpel           59

    Der Windbruch            63

    Der Bergteich            67

    Die Marsch               71

    Der Haselbusch           76

    Das Bergmoor             80

    Der Bach                 87

    Der Überhälter           92

    Der Feldteich            97

    Der Bergwald            102

    Der Eisenbahndamm       108

    Das Brandmoor           114

    Der Quellbrink          121

    Die Durchfahrt          129

    Die Böschung            135

    Die Kiesgrube           140

    Die Dornhecke           145

    Der Fichtenwald         150

    Die Strohdieme          155

    Die Ebereschen          160



  Weitere Anmerkungen zur Transkription


  Offensichtlich fehlerhafte Zeichensetzung wurde stillschweigend
    korrigiert.

  Korrekturen (in geschweifte Klammern eingeschlossen):

    S. 11: Rauschschwalben → Rauchschwalben
      Der Wutschrei der {Rauchschwalben} warnte beide,

    S. 19: Bachen → Buchen
      auf der Weibchensuche um die {Buchen}

    S. 25: den → der
      {der} Knirps von Zaunkönig überstimmt sie doch alle

    S. 26: Er → Es
      {Es} raschelt im Grase;

    S. 28: da → das
      ein Bächlein ist da, {das} uns allerlei erzählt,

    S. 32: gelben → gelbem
      mit dichtem {gelbem} Puder verhüllt

    S. 32: gebt → gibt
      der Regen {gibt} ihm den Rest.

    S. 37: spreitzt → spreizt
      Dann {spreizt} er die Schwingen

    S. 39: schwinkt → schwingt
      {schwingt} sich über die Hecke

    S. 41: nnter → unter
      und {unter} den verbogenen Wurzeln der alten Linde

    S. 60: Jungale → Jungaale
      einige fadendünne {Jungaale} schlängeln sich

    S. 63: Buchen → Buchten
      In den sonnigen {Buchten}

    S. 71: ihr → ihm
      die sich in {ihm} spiegeln

    S. 74: vor → von
      dichten Wirrwarr {von} Rohr und Schilf

    S. 74: Dicke → dicke
      {dicke} Blasen steigen auf und zerplatzen seufzend;

    S. 78: Flüge → Flügel
      ritsch ratsch, sind die {Flügel} herunter,

    S. 84: frühere → früheren
      eine Raubritterburg in {früheren} Zeiten

    S. 89: sie es → sie sie
      Bis zu der Mühle treibt {sie sie} hin

    S. 90: erfreuen → erfreue
      den Menschen mit ihren lustigen Liedern {erfreue}

    S. 91: Kickschen → Knickschen
      Benehmen die paar Fischchen {Knickschen} wieder wett,

    S. 99: eulenhaften → eulenhaftem
      Mit lautlosem {eulenhaftem} Fluge

    S. 100: Rohrweie → Rohrweihe
      gut vor den scharfen Blicken der {Rohrweihe} verborgen,

    S. 101: unstät → unstet
      ziehen erst zusammen {unstet} von einem Röhricht zum anderen,

    S. 116: erstickte → erstickten
      Endlich {erstickten} Regen, Schnee und Frost den Brand

    S. 131: ihn → ihm
       wenn andere Räuber {ihm} in die Quere kommen.

    S. 136: Alle → Alles
      {Alles} dieses kleine feine Leben

    S. 151: Keuzschnäbel → Kreuzschnäbel
      {Kreuzschnäbel} sind es

    S. 151: Unstät → Unstet
      {Unstet} waren sie in kleineren Trupps





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