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Title: Romanzero Author: Heine, Heinrich Language: German As this book started as an ASCII text book there are no pictures available. *** Start of this LibraryBlog Digital Book "Romanzero" *** Heinrich Heine ROMANZERO Gedichte (Erstdruck 1851) Erstes Buch Historien Wenn man an dir Verrat geübt, Sei du um so treuer; Und ist deine Seele zu Tode betrübt, So greife zur Leier. Die Saiten klingen! Ein Heldenlied, Voll Flammen und Gluten! Da schmilzt der Zorn, und dein Gemüt Wird süß verbluten. Rhampsenit Als der König Rhampsenit Eintrat in die goldne Halle Seiner Tochter, lachte diese, Lachten ihre Zofen alle. Auch die Schwarzen, die Eunuchen, Stimmten lachend ein, es lachten Selbst die Mumien, selbst die Sphinxe, Daß sie schier zu bersten dachten. Die Prinzessin sprach: Ich glaubte Schon den Schatzdieb zu erfassen, Der hat aber einen toten Arm in meiner Hand gelassen. Jetzt begreif ich, wie der Schatzdieb Dringt in deine Schatzhauskammern Und die Schätze dir entwendet, Trotz den Schlössern, Riegeln, Klammern. Einen Zauberschlüssel hat er, Der erschließet allerorten Jede Türe, widerstehen Können nicht die stärksten Pforten. Ich bin keine starke Pforte Und ich hab nicht widerstanden, Schätzehütend diese Nacht Kam ein Schätzlein mir abhanden. So sprach lachend die Prinzessin Und sie tänzelt im Gemache, Und die Zofen und Eunuchen Hoben wieder ihre Lache. An demselben Tag ganz Memphis Lachte, selbst die Krokodile Reckten lachend ihre Häupter Aus dem schlammig gelben Nile, Als sie Trommelschlag vernahmen Und sie hörten an dem Ufer Folgendes Reskript verlesen Von dem Kanzelei-Ausrufer: Rhampsenit von Gottes Gnaden König zu und in Ägypten, Wir entbieten Gruß und Freundschaft Unsern Vielgetreun und Liebden. In der Nacht vom dritten zu dem Vierten Junius des Jahres Dreizehnhundertvierundzwanzig Vor Christi Geburt, da war es, Daß ein Dieb aus unserm Schatzhaus Eine Menge von Juwelen Uns entwendet; es gelang ihm Uns auch später zu bestehlen. Zur Ermittelung des Täters Ließen schlafen wir die Tochter Bei den Schätzen - doch auch jene Zu bestehlen schlau vermocht er. Um zu steuern solchem Diebstahl Und zu gleicher Zeit dem Diebe Unsre Sympathie zu zeigen, Unsre Ehrfurcht, unsre Liebe, Wollen wir ihm zur Gemahlin Unsre einzge Tochter geben Und ihn auch als Thronnachfolger In den Fürstenstand erheben. Sintemal uns die Adresse Unsres Eidams noch zur Stunde Unbekannt, soll dies Reskript ihm Bringen Unsrer Gnade Kunde. So geschehn den dritten Jenner Dreizehnhundert zwanzig sechs Vor Christi Geburt. - Signieret Von Uns: Rhampsenitus Rex. Rhampsenit hat Wort gehalten, Nahm den Dieb zum Schwiegersohne, Und nach seinem Tode erbte Auch der Dieb Ägyptens Krone. Er regierte wie die Andern, Schützte Handel und Talente; Wenig, heißt es, ward gestohlen Unter seinem Regimente. Der weiße Elefant Der König von Siam, Mahawasant, Beherrscht das halbe Indienland, Zwölf Könge, der große Mogul sogar, Sind seinem Szepter tributar. Alljährlich mit Trommeln,"Posauneo und Falnen Ziehen nach Siam die Zinskarawanen; Viel tausend Kamele, hochberuckte, Schleppen die kostbarsten Landesprodukte. Sieht er die schwerbepackten Kamele, So schmunzelt heimlich des Königs Seele; Öffentlich freilich pflegt er zu jammern, Es fehle an Raum in seinen Schatzkammern. Doch diese Schatzkammern sind so weit, So groß und voller Herrlichkeit; Hier überflügelt der Wirklichkeit Pracht Die Märchen von Tausend und Eine Nacht. »Die Burg des Indra« heißt die Halle, Wo aufgestellt die Götter alle, Bildsäulen von Gold, fein ziselieret, Mit Edelsteinen inkrustieret. Sind an der Zahl wohl dreißig Tausend, Figuren abenteuerlich grausend, Mischlinge von Menschen- und Tiergeschöpfen, Mit vielen Händen und vielen Köpfen. Im »Purpursaale« sieht man verwundert Korallenbäume dreizehnhundert, Wie Palmen groß, seltsamer Gestalt, Geschnörkelt die Äste, ein roter Wald. Das Estrich ist vom reinsten Kristalle Und widerspiegelt die Bäume alle. Fasanen vom buntesten Glanzgefieder Gehn gravitätisch dort auf und nieder. Der Lieblingsaffe des Mahawasant Trägt an dem Hals ein seidenes Band, Dran hängt der Schlüssel, welcher erschleußt Die Halle, die man den Schlafsaal heißt. Die Edelsteine vom höchsten Wert Die liegen wie Erbsen hier auf der Erd Hochaufgeschüttet; man findet dabei Diamanten so groß wie ein Hühnerei. Auf grauen, mit Perlen gefüllten Säcken Pflegt hier der König sich hinzustrecken; Der Affe legt sich zum Monarchen, Und beide schlafen ein und schnarchen. Das Kostbarste aber von allen Schätzen Des Königs, sein Glück, sein Seelenergötzen, Die Lust und der Stolz von Mahawasant, Das ist sein weißer Elefant. Als Wohnung für diesen erhabenen Gast Ließ bauen der König den schönsten Palast; Es wird das Dach, mit Goldblech beschlagen, Von lotosknäufigen Säulen getragen. Am Tore stehen dreihundert Trabanten Als Ehrenwache des Elefanten, Und knieend, mit gekrümmtem Rucken, Bedienen ihn hundert schwarze Eunucken. Man bringt auf einer güldnen Schüssel Die leckersten Bissen für seinen Rüssel; Er schlürft aus silbernen Eimern den Wein, Gewürzt mit den süßesten Spezerein. Man salbt ihn mit Ambra und Rosenessenzen, Man schmückt sein Haupt mit Blumenkränzen; Als Fußdecke dienen dem edlen Tier Die kostbarsten Schals aus Kaschimir. Das glücklichste Leben ist ihm beschieden, Doch Niemand auf Erden ist zufrieden. Das edle Tier, man weiß nicht wie, Versinkt in tiefe Melancholie. Der weiße Melancholikus Steht traurig mitten im Überfluß. Man will ihn ermuntern, man will ihn erheitern, Jedoch die klügsten Versuche scheitern. Vergebens kommen mit Springen und Singen Die Bajaderen; vergebens erklingen Die Zinken und Pauken der Musikanten, Doch nichts erlustigt den Elefanten. Da täglich sich der Zustand verschlimmert, Wird Mahawasantes Herz bekümmert; Er läßt vor seines Thrones Stufen Den klügsten Astrologen rufen. »Sterngucker, ich laß dir das Haupt abschlagen«, Herrscht er ihn an, »kannst du mir nicht sagen, Was meinem Elefanten fehle, Warum so verdüstert seine Seele?« Doch jener wirft sich dreimal zur Erde, Und endlich spricht er mit ernster Gebärde: »O König, ich will dir die Wahrheit verkünden, Du kannst dann handeln nach Gutbefinden. »Es lebt im Norden ein schönes Weib Von hohem Wuchs und weißem Leib, Dein Elefant ist herrlich, unleugbar, Doch ist er nicht mit ihr vergleichbar. »Mit ihr verglichen, erscheint er nur Ein weißes Mäuschen. Es mahnt die Statur An Bimha, die Riesin, im Ramajana, Und an der Epheser große Diana. »Wie sich die Gliedermassen wölben Zum schönsten Bau! Es tragen dieselben Anmutig und stolz zwei hohe Pilaster Von blendend weißem Alabaster. »Das ist Gott Amors kolossale Domkirche, der Liebe Kathedrale; Als Lampe brennt im Tabernakel Ein Herz, das ohne Falsch und Makel. »Die Dichter jagen vergebens nach Bildern, Um ihre weiße Haut zu schildern; Selbst Gautier ist dessen nicht kapabel, - O diese Weiße ist implacable! »Des Himalaya Gipfelschnee Erscheint aschgrau in ihrer Näh; Die Lilje, die ihre Hand erfaßt, Vergilbt durch Eifersucht oder Kontrast. »Gräfin Bianka ist der Name Von dieser großen weißen Dame; Sie wohnt zu Paris im Frankenland, Und diese liebt der Elefant. »Durch wunderbare Wahlverwandtschaft, Im Traume machte er ihre Bekanntschaft, Und träumend in sein Herze stahl Sich dieses hohe Ideal. »Sehnsucht verzehrt ihn seit jener Stund, Und er, der vormals so froh und gesund, Er ist ein vierfüßiger Werther geworden, Und träumt von einer Lotte im Norden. »Geheimnisvolle Sympathie! Er sah sie nie und denkt an sie. Er trampelt oft im Mondschein umher Und seufzet: wenn ich ein Vöglein wär! »In Siam ist nur der Leib, die Gedanken Sind bei Bianka im Lande der Franken; Doch diese Trennung von Leib und Seele Schwächt sehr den Magen, vertrocknet die Kehle. »Die leckersten Braten widern ihn an, Er liebt nur Dampfnudeln und Ossian, Er hüstelt schon, er magert ab, Die Sehnsucht schaufelt sein frühes Grab. »Willst du ihn retten, erhalten sein Leben, Der Säugetierwelt ihn wiedergeben, O König, so schicke den hohen Kranken Direkt nach Paris, der Hauptstadt der Franken. »Wenn ihn alldort in der Wirklichkeit Der Anblick der schönen Frau erfreut, Die seiner Träume Urbild gewesen, Dann wird er von seinem Trübsinn genesen. »Wo seiner Schönen Augen strahlen, Da schwinden seiner Seele Qualen; Ihr Lächeln verscheucht die letzten Schatten, Die hier sich eingenistet hatten; »Und ihre Stimme, wie'n Zauberlied, Löst sie den Zwiespalt in seinem Gemüt; Froh hebt er wieder die Lappen der Ohren, Er fühlt sich verjüngt, wie neugeboren. »Es lebt sich so lieblich, es lebt sich so süß Am Seinestrand, in der Stadt Paris! Wie wird sich dorten zivilisieren Dein Elefant und amüsieren! »Vor allem aber, o König, lasse Ihm reichlich füllen die Reisekasse, Und gib ihm einen Kreditbrief mit Auf Rothschild frères in der rue Lafitte. »Ja, einen Kreditbrief von einer Million Dukaten etwa; - der Herr Baron Von Rothschild sagt von ihm alsdann: Der Elefant ist ein braver Mann!« So sprach der Astrolog, und wieder Warf er sich dreimal zur Erde nieder. Der König entließ ihn mit reichen Geschenken, Und streckte sich aus, um nachzudenken. Er dachte hin, er dachte her; Das Denken wird den Königen schwer. Sein Affe sich zu ihm niedersetzt, Und beide schlafen ein zuletzt. Was er beschlossen, das kann ich erzählen Erst später; die indischen Mall'posten fehlen. Die letzte, welche uns zugekommen, Die hat den Weg über Suez genommen. Schelm von Bergen Im Schloß zu Düsseldorf am Rhein wird Mummenschanz gehalten; Da flimmern die Kerzen, da rauscht die Musik, Da tanzen die bunten Gestalten. Da tanzt die schöne Herzogin, Sie lacht laut auf beständig; Ihr Tänzer ist ein schlanker Fant, Gar höfisch und behendig. Er trägt eine Maske von schwarzem Samt, Daraus gar freudig blicket Ein Auge, wie ein blanker Dolch, Halb aus der Scheide gezücket. Es jubelt die Fastnachtsgeckenschar, Wenn jene vorüberwalzen. Der Drickes und die Marizzebill Grüßen mit Schnarren und Schnalzen. Und die Trompeten schmettern drein, Der närrische Brummbaß brummet, Bis endlich der Tanz ein Ende nimmt Und die Musik verstummet. »Durchlauchtigste Frau, gebt Urlaub mir, Ich muß nach Hause gehen -« Die Herzogin lacht: Ich laß dich nicht fort, Bevor ich dein Antlitz gesehen. »Durchlauchtigste Frau, gebt Urlaub mir, Mein Anblick bringt Schrecken und Grauen -« Die Herzogin lacht: Ich fürchte mich nicht, Ich will dein Antlitz schauen. »Durchlauchtigste Frau, gebt Urlaub mir, Der Nacht und dem Tode gehör ich -« Die Herzogin lacht: Ich lasse dich nicht, Dein Antlitz zu schauen begehr ich. Wohl sträubt sich der Mann mit finsterm Wort, Das Weib nicht zähmen kunnt er; Sie riß zuletzt ihm mit Gewalt Die Maske vom Antlitz herunter. Das ist der Scharfrichter von Bergen! so schreit Entsetzt die Menge im Saale Und weichet scheusam - die Herzogin Stürzt fort zu ihrem Gemahle. Der Herzog ist klug, er tilgte die Schmach Der Gattin auf der Stelle. Er zog sein blankes Schwert und sprach: Knie vor mir nieder, Geselle! Mit diesem Schwertschlag mach ich dich Jetzt ehrlich und ritterzünftig, Und weil du ein Schelm, so nenne dich Herr Schelm von Bergen künftig. So ward der Henker ein Edelmann Und Ahnherr der Schelme von Bergen. Ein stolzes Geschlecht! es blühte am Rhein. Jetzt schläft es in steinernen Särgen. Valkyren Unten Schlacht. Doch oben schossen Durch die Luft auf Wolkenrossen Drei Valkyren, und es klang Schilderklirrend ihr Gesang: Fürsten hadern, Völker streiten, Jeder will die Macht erbeuten; Herrschaft ist das höchste Gut, Höchste Tugend ist der Mut. Heisa! vor dem Tod beschützen Keine stolzen Eisenmützen, Und das Heldenblut zerrinnt Und der schlechtre Mann gewinnt. Lorbeerkränze, Siegesbogen! Morgen kommt er eingezogen, Der den Bessern überwand Und gewonnen Leut und Land. Bürgermeister und Senator Holen ein den Triumphator, Tragen ihm die Schlüssel vor, Und der Zug geht durch das Tor. Hei! da böllerts von den Wällen, Zinken und Trompeten gellen, Glockenklang erfüllt die Luft, Und der Pöbel Vivat! ruft. Lächelnd stehen auf Balkonen Schöne Fraun, und Blumenkronen Werfen sie dem Sieger zu. Dieser grüßt mit stolzer Ruh. Schlachtfeld bei Hastings Der Abt von Waltham seufzte tief, Als er die Kunde vernommen, Daß König Harold elendiglich Bei Hastings umgekommen. Zwei Mönche, Asgod und Ailrik genannt, Die schickt' er aus als Boten, Sie sollten suchen die Leiche Harolds Bei Hastings unter den Toten. Die Mönche gingen traurig fort Und kehrten traurig zurücke: »Hochwürdiger Vater, die Welt ist uns gram, Wir sind verlassen vom Glücke. »Gefallen ist der beßre Mann, Es siegte der Bankert, der schlechte, Gewappnete Diebe verteilen das Land Und machen den Freiling zum Knechte. »Der lausigste Lump aus der Normandie Wird Lord auf der Insel der Britten; Ich sah einen Schneider aus Bayeux, er kam Mit goldnen Sporen geritten. »Weh dem, der jetzt ein Sachse ist! Ihr Sachsenheilige droben Im Himmelreich, nehmt euch in Acht, Ihr seid der Schmach nicht enthoben. »Jetzt wissen wir, was bedeutet hat Der große Komet, der heuer Blutrot am nächtlichen Himmel ritt Auf einem Besen von Feuer. »Bei Hastings in Erfüllung ging Des Unsterns böses Zeichen, Wir waren auf dem Schlachtfeld dort Und suchten unter den Leichen. »Wir suchten hin, wir suchten her, Bis alle Hoffnung verschwunden Den Leichnam des toten Königs Harold, Wir haben ihn nicht gefunden.« Asgod und Ailrik sprachen also; Der Abt rang jammernd die Hände, Versank in tiefe Nachdenklichkeit Und sprach mit Seufzen am Ende: »Zu Grendelfield am Bardenstein, Just in des Waldes Mitte, Da wohnet Edith Schwanenhals In einer dürftgen Hütte. »Man hieß sie Edith Schwanenhals, Weil wie der Hals der Schwäne Ihr Nacken war; der König Harold, Er liebte die junge Schöne. »Er hat sie geliebt, geküßt und geherzt, Und endlich verlassen, vergessen. Die Zeit verfließt; wohl sechzehn Jahr Verflossen unterdessen. »Begebt euch, Brüder, zu diesem Weib Und laßt sie mit euch gehen Zurück nach Hastings, der Blick des Weibs Wird dort den König erspähen. »Nach Waltham-Abtei hierher alsdann Sollt ihr die Leiche bringen, Damit wir christlich bestatten den Leib Und für die Seele singen.« Um Mitternacht gelangten schon Die Boten zur Hütte im Walde: »Erwache, Edith Schwanenhals, Und folge uns alsbalde. »Der Herzog der Normannen hat Den Sieg davongetragen, Und auf dem Feld bei Hastings liegt Der König Harold erschlagen. »Kommt mit nach Hastings, wir suchen dort Den Leichnam unter den Toten, Und bringen ihn nach Waltham-Abtei, Wie uns der Abt geboten.« Kein Wort sprach Edith Schwanenhals, Sie schürzte sich geschwinde Und folgte den Mönchen; ihr greisendes Haar Das flatterte wild im Winde. Es folgte barfuß das arme Weib Durch Sümpfe und Baumgestrüppe. Bei Tagesanbruch gewahrten sie schon Zu Hastings die kreidige Klippe. Der Nebel, der das Schlachtfeld bedeckt Als wie ein weißes Lailich, Zerfloß allmählig; es flatterten auf Die Dohlen und krächzten abscheulich. Viel tausend Leichen lagen dort Erbärmlich auf blutiger Erde, Nackt ausgeplündert, verstümmelt, zerfleischt, Daneben die Äser der Pferde. Es wadete Edith Schwanenhals Im Blute mit nackten Füßen; Wie Pfeile aus ihrem stieren Aug Die forschenden Blicke schießen. Sie suchte hin, sie suchte her, Oft mußte sie mühsam verscheuchen Die fraßbegierige Rabenschar; Die Mönche hinter ihr keuchen. Sie suchte schon den ganzen Tag, Es ward schon Abend - plötzlich Bricht aus der Brust des armen Weibs Ein geller Schrei, entsetzlich. Gefunden hat Edith Schwanenhals Des toten Königs Leiche. Sie sprach kein Wort, sie weinte nicht, Sie küßte das Antlitz, das bleiche. Sie küßte die Stirne, sie küßte den Mund, Sie hielt ihn fest umschlossen; Sie küßte auf des Königs Brust Die Wunde blutumflossen. Auf seiner Schulter erblickt sie auch - Und sie bedeckt sie mit Küssen - Drei kleine Narben, Denkmäler der Lust, Die sie einst hinein gebissen. Die Mönche konnten mittlerweil Baumstämme zusammenfugen; Das war die Bahre, worauf sie alsdann Den toten König trugen. Sie trugen ihn nach Waltham-Abtei, Daß man ihn dort begrübe; Es folgte Edith Schwanenhals Der Leiche ihrer Liebe. Sie sang die Totenlitanein In kindisch frommer Weise; Das klang so schauerlich in der Nacht - Die Mönche beteten leise. - Karl I. Im Wald, in der Köhlerhütte, sitzt Trübsinnig allein der König; Er sitzt an der Wiege des Köhlerkinds Und wiegt und singt eintönig: Eiapopeia, was raschelt im Stroh? Es blöken im Stalle die Schafe - Du trägst das Zeichen an der Stirn Und lächelst so furchtbar im Schlafe. Eiapopeia, das Kätzchen ist tot - Du trägst auf der Stirne das Zeichen - Du wirst ein Mann und schwingst das Beil, Schon zittern im Walde die Eichen. Der alte Köhlerglaube verschwand, Es glauben die Köhlerkinder - Eiapopeia - nicht mehr an Gott, Und an den König noch minder. Das Kätzchen ist tot, die Mäuschen sind froh - Wir müssen zu Schanden werden - Eiapopeia - im Himmel der Gott Und ich, der König auf Erden. Mein Mut erlischt, mein Herz ist krank, Und täglich wird es kränker - Eiapopeia - du Köhlerkind, Ich weiß es, du bist mein Henker. Mein Todesgesang ist dein Wiegenlied - Eiapopeia - die greisen Haarlocken schneidest du ab zuvor - Im Nacken klirrt mir das Eisen. Eiapopeia, was raschelt im Stroh? Du hast das Reich erworben, Und schlägst mir das Haupt vom Rumpf herab - Das Kätzchen ist gestorben. Eiapopeia, was raschelt im Stroh? Es blöken im Stalle die Schafe. Das Kätzchen ist tot, die Mäuschen sind froh - Schlafe, mein Henkerchen, schlafe! Maria Antoinette Wie heiter im Tuilerienschloß Blinken die Spiegelfenster, Und dennoch dort am hellen Tag Gehn um die alten Gespenster. Es spukt im Pavillon de Flor' Maria Antoinette; Sie hält dort Morgens ihr Lever Mit strenger Etikette. Geputzte Hofdamen. Die meisten stehn, Auf Tabourets andre sitzen; Die Kleider von Atlas und Goldbrokat, Behängt mit Juwelen und Spitzen. Die Taille ist schmal, der Reifrock bauscht, Darunter lauschen die netten Hochhackigen Füßchen so klug hervor - Ach, wenn sie nur Köpfe hätten! Sie haben alle keinen Kopf, Der Königin selbst manquieret Der Kopf, und Ihro Majestät Ist deshalb nicht frisieret. Ja, Sie, die mit turmhohem Toupet So stolz sich konnte gebaren, Die Tochter Maria Theresias, Die Enkelin deutscher Cäsaren, Sie muß jetzt spuken ohne Frisur Und ohne Kopf, im Kreise Von unfrisierten Edelfraun, Die kopflos gleicherweise. Das sind die Folgen der Revolution Und ihrer fatalen Doktrine; An Allem ist Schuld Jean Jacques Rousseau, Voltaire und die Guillotine. Doch sonderbar! es dünkt mich schier, Als hätten die armen Geschöpfe Gar nicht bemerkt, wie tot sie sind Und daß sie verloren die Köpfe. Ein leeres Gespreize, ganz wie sonst, Ein abgeschmacktes Scherwenzen - Possierlich sind und schauderhaft Die kopflosen Reverenzen. Es knixt die erste Dame d'atour Und bringt ein Hemd von Linnen; Die zweite reicht es der Königin, Und beide knixen von hinnen. Die dritte Dam und die vierte Dam Knixen und niederknieen Vor Ihrer Majestät, um Ihr Die Strümpfe anzuziehen. Ein Ehrenfräulein kommt und knixt Und bringt das Morgenjäckchen; Ein andres Fräulein knixt und bringt Der Königin Unterröckchen. Die Oberhofmeisterin steht dabei, Sie fächert die Brust, die weiße, Und in Ermanglung eines Kopfs Lächelt sie mit dem Steiße. Wohl durch die verhängten Fenster wirft Die Sonne neugierige Blicke, Doch wie sie gewahrt den alten Spuk, Prallt sie erschrocken zurücke. Pomare I Alle Liebesgötter jauchzen Mir im Herzen, und Fanfare Blasen sie und rufen: Heil! Heil der Königin Pomare! Jene nicht von Otahaiti - Missionärisiert ist jene - Die ich meine, die ist wild, Eine ungezähmte Schöne. Zweimal in der Woche zeigt sie Öffentlich sich ihrem Volke In dem Garten Mabill, tanzt Dort den Cancan, auch die Polke. Majestät in jedem Schritte, Jede Beugung Huld und Gnade, Eine Fürstin jeder Zoll Von der Hüfte bis zur Wade - Also tanzt sie - und es blasen Liebesgötter die Fanfare Mir im Herzen, rufen: Heil! Heil der Königin Pomare! II Sie tanzt. Wie sie das Leibchen wiegt! Wie jedes Glied sich zierlich biegt! Das ist ein Flattern und ein Schwingen, Um wahrlich aus der Haut zu springen. Sie tanzt. Wenn sie sich wirbelnd dreht Auf einem Fuß, und stille steht Am End mit ausgestreckten Armen, Mag Gott sich meiner Vernunft erbarmen! Sie tanzt. Derselbe Tanz ist das, Den einst die Tochter Herodias' Getanzt vor dem Judenkönig Herodes. Ihr Auge sprüht wie Blitze des Todes. Sie tanzt mich rasend - ich werde toll - Sprich, Weib, was ich dir schenken soll? Du lächelst? Heda! Trabanten! Läufer! Man schlage ab das Haupt dem Täufer! III Gestern noch fürs liebe Brot Wälzte sie sich tief im Kot, Aber heute schon mit Vieren Fährt das stolze Weib spazieren. In die seidnen Kissen drückt Sie das Lockenhaupt, und blickt Vornehm auf den großen Haufen Derer, die zu Fuße laufen. Wenn ich dich so fahren seh, Tut es mir im Herzen weh! Ach, es wird dich dieser Wagen Nach dem Hospitale tragen, Wo der grausenhafte Tod Endlich endigt deine Not, Und der Carabin mit schmierig Plumper Hand und lernbegierig Deinen schönen Leib zerfetzt, Anatomisch ihn zersetzt - Deine Rosse trifft nicht minder Einst zu Montfaucon der Schinder. IV Besser hat es sich gewendet, Das Geschick, das dich bedroht' - Gott sei Dank, du hast geendet, Gott sei Dank, und du bist tot. In der Dachstub deiner armen Alten Mutter starbest du, Und sie schloß dir mit Erbarmen Deine schönen Augen zu. Kaufte dir ein gutes Lailich, Einen Sarg, ein Grab sogar. Die Begräbnisfeier freilich Etwas kahl und ärmlich war. Keinen Pfaffen hört' man singen, Keine Glocke klagte schwer; Hinter deiner Bahre gingen Nur dein Hund und dein Friseur. »Ach, ich habe der Pomare«, Seufzte dieser, »oft gekämmt Ihr langen schwarzen Haare, Wenn sie vor mir saß im Hemd.« Was den Hund betrifft, so rannt er Schon am Kirchhofstor davon, Und ein Unterkommen fand er Späterhin bei Ros' Pompon, Ros' Pompon, der Provenzalin, Die den Namen Königin Dir mißgönnt und als Rivalin Dich verklatscht mit niederm Sinn. Arme Königin des Spottes, Mit dem Diadem von Kot, Bist gerettet jetzt durch Gottes Ewge Güte, du bist tot. Wie die Mutter, so der Vater Hat Barmherzigkeit geübt, Und ich glaube, dieses tat er, Weil auch du so viel geliebt. Der Apollogott I Das Kloster ist hoch auf Felsen gebaut, Der Rhein vorüberrauschet; Wohl durch das Gitterfenster schaut Die junge Nonne und lauschet. Da fährt ein Schifflein, märchenhaft Vom Abendrot beglänzet; Es ist bewimpelt von buntem Taft, Von Lorbeern und Blumen bekränzet. Ein schöner blondgelockter Fant Steht in des Schiffes Mitte; Sein goldgesticktes Purpurgewand Ist von antikem Schnitte. Zu seinen Füßen liegen da Neun marmorschöne Weiber; Die hochgeschürzte Tunika Umschließt die schlanken Leiber. Der Goldgelockte lieblich singt Und spielt dazu die Leier; Ins Herz der armen Nonne dringt Das Lied und brennt wie Feuer. Sie schlägt ein Kreuz, und noch einmal Schlägt sie ein Kreuz, die Nonne; Nicht scheucht das Kreuz die süße Qual, Nicht bannt es die bittre Wonne. II Ich bin der Gott der Musika, Verehrt in allen Landen; Mein Tempel hat in Gräcia, Auf Mont-Parnaß gestanden. Auf Mont-Parnaß in Gräcia, Da hab ich oft gesessen Am holden Quell Kastalia, Im Schatten der Zypressen. Vokalisierend saßen da Um mich herum die Töchter, Das sang und klang la-la, la-la! Geplauder und Gelächter. Mitunter rief tra-ra, tra-ra! Ein Waldhorn aus dem Holze; Dort jagte Artemisia, Mein Schwesterlein, die Stolze. Ich weiß es nicht, wie mir geschah: Ich brauchte nur zu nippen Vom Wasser der Kastalia, Da tönten meine Lippen. Ich sang - und wie von selbst beinah Die Leier klang, berauschend; Mir war, als ob ich Daphne sah, Aus Lorbeerbüschen lauschend. Ich sang - und wie Ambrosia Wohlrüche sich ergossen, Es war von einer Gloria Die ganze Welt umflossen. Wohl tausend Jahr aus Gräcia Bin ich verbannt, vertrieben Doch ist mein Herz in Gräcia, In Gräcia geblieben. III In der Tracht der Beguinen, In dem Mantel mit der Kappe Von der gröbsten schwarzen Sersche, Ist vermummt die junge Nonne. Hastig längs des Rheines Ufern Schreitet sie hinab die Landstraß, Die nach Holland fährt, und hastig Fragt sie jeden, der vorbeikommt: »Habt ihr nicht gesehn Apollo? Einen roten Mantel trägt er, Lieblich singt er, spielt die Leier, Und er ist mein holder Abgott.« Keiner will ihr Rede stehen, Mancher dreht ihr stumm den Rücken, Mancher glotzt sie an und lächelt, Mancher seufzet: Armes Kind! Doch des Wegs herangetrottelt Kommt ein schlottrig alter Mensch, Fingert in der Luft, wie rechnend, Näselnd singt er vor sich hin. Einen schlappen Quersack trägt er, Auch ein klein dreieckig Hütchen; Und mit schmunzelnd klugen Äuglein Hört er an den Spruch der Nonne: »Habt ihr nicht gesehn Apollo? Einen roten Mantel trägt er, Lieblich singt er, spielt die Leier, Und er ist mein holder Abgott.« Jener aber gab zur Antwort, Während er sein Köpfchen wiegte Hin und her, und gar possierlich Zupfte an dem spitzen Bärtchen: Ob ich ihn gesehen habe? Ja, ich habe ihn gesehen Oft genug zu Amsterdam, In der deutschen Synagoge. Denn er war Vorsänger dorten, Und da hieß er Rabbi Faibisch, Was auf Hochdeutsch heißt Apollo - Doch mein Abgott ist er nicht. Roter Mantel? Auch den roten Mantel kenn ich. Echter Scharlach, Kostet acht Florin die Elle, Und ist noch nicht ganz bezahlt. Seinen Vater Moses Jitscher Kenn ich gut. Vorhautabschneider Ist er bei den Portugiesen. Er beschnitt auch Souveräne. Seine Mutter ist Cousine Meines Schwagers, und sie handelt Auf der Gracht mit sauern Gurken Und mit abgelebten Hosen. Haben kein Pläsier am Sohne. Dieser spielt sehr gut die Leier, Aber leider noch viel besser Spielt er oft Tarock und L'hombre. Auch ein Freigeist ist er, aß Schweinefleisch, verlor sein Amt, Und er zog herum im Lande Mit geschminkten Komödianten. In den Buden, auf den Märkten, Spielte er den Pickelhering, Holofernes, König David, Diesen mit dem besten Beifall. Denn des Königs eigne Lieder Sang er in des Königs eigner Muttersprache, tremulierend In des Nigens alter Weise. Aus dem Amsterdamer Spielhuis Zog er jüngst etwelche Dirnen, Und mit diesen Musen zieht er Jetzt herum als ein Apollo. Eine dicke ist darunter, Die vorzüglich quiekt und grünzelt; Ob dem großen Lorbeerkopfputz Nennt man sie die grüne Sau. Kleines Volk In einem Pißpott kam er geschwommen, Hochzeitlich geputzt, hinab den Rhein. Und als er nach Rotterdam gekommen, Da sprach er: »Juffräuken, willst du mich frein? »Ich führe dich, geliebte Schöne, Nach meinem Schloß, ins Brautgemach; Die Wände sind eitel Hobelspäne, Aus Häckerling besteht das Dach. »Da ist es so puppenniedlich und nette, Da lebst du wie eine Königin! Die Schale der Walnuß ist unser Bette, Von Spinnweb sind die Laken drin. »Ameiseneier, gebraten in Butter, Essen wir täglich, auch Würmchengemüs, Und später erb ich von meiner Frau Mutter Drei Nonnenfürzchen, die schmecken so süß. »Ich habe Speck, ich habe Schwarten, Ich habe Fingerhüte voll Wein, Auch wächst eine Rübe in meinem Garten, Du wirst wahrhaftig glücklich sein!« Das war ein Locken und ein Werben! Wohl seufzte die Braut: ach Gott! ach Gott! Sie war wehmütig, wie zum Sterben - Doch endlich stieg sie hinab in den Pott. * Sind Christenleute oder Mäuse Die Helden des Lieds? Ich weiß es nicht mehr. Im Beverland hört ich die schnurrige Weise, Es sind nun dreißig Jahre her. Zwei Ritter Crapülinski und Waschlapski, Polen aus der Polackei, Fochten für die Freiheit, gegen Moskowiter-Tyrannei. Fochten tapfer und entkamen Endlich glücklich nach Paris - Leben bleiben, wie das Sterben Für das Vaterland, ist süß. Wie Achilles und Patroklus, David und sein Jonathan, Liebten sich die beiden Polen, Küßten sich: »Kochan! Kochan!« Keiner je verriet den Andern, Blieben Freunde, ehrlich, treu, Ob sie gleich zwei edle Polen, Polen aus der Polackei. Wohnten in derselben Stube, Schliefen in demselben Bette; Eine Laus und eine Seele, Kratzten sie sich um die Wette. Speisten in derselben Kneipe, Und da keiner wollte leiden, Daß der Andre für ihn zahle, Zahlte keiner von den Beiden. Auch dieselbe Henriette Wäscht für beide edle Polen; Trällernd kommt sie jeden Monat, Um die Wäsche abzuholen. Ja, sie haben wirklich Wäsche, Jeder hat der Hemden zwei, Ob sie gleich zwei edle Polen, Polen aus der Polackei. Sitzen heute am Kamine, Wo die Flammen traulich flackern; Draußen Nacht und Schneegestöber Und das Rollen von Fiakern. Eine große Bowle Punsch (Es versteht sich, unverzückert, Unversäuert, unverwässert) Haben sie bereits geschlückert. Und von Wehmut wird beschlichen Ihr Gemüte; ihr Gesicht Wird befeuchtet schon von Zähren, Und der Crapülinski spricht: »Hätt ich doch hier in Paris Meinen Bärenpelz, den lieben Schlafrock und die Katzfell-Nachtmütz, Die im Vaterland geblieben!« Ihm erwiderte Waschlapski: »O du bist ein treuer Schlachzitz, Denkest immer an der Heimat Bärenpelz und Katzfell-Nachtmütz. »Polen ist noch nicht verloren, Unsre Weiber, sie gebären, Unsre Jungfraun tun dasselbe, Werden Helden uns bescheren, »Helden, wie der Held Sobieski, Wie Schelmufski und Uminski, Eskrokewitsch, Schubiakski, Und der große Eselinski.« Das goldne Kalb Doppelflöten, Hörner, Geigen Spielen auf zum Götzenreigen, Und es tanzen Jakobs Töchter Um das goldne Kalb herum - Brum - brum - brum - Paukenschläge und Gelächter! Hochgeschürzt bis zu den Lenden Und sich fassend an den Händen, Jungfraun edelster Geschlechter Kreisen wie ein Wirbelwind Um das Rind - Paukenschläge und Gelächter! Aron selbst wird fortgezogen Von des Tanzes Wahnsinnwogen, Und er selbst, der Glaubenswächter, Tanzt im Hohenpriesterrock, Wie ein Bock - Paukenschläge und Gelächter! König David Lächelnd scheidet der Despot, Denn er weiß, nach seinem Tod Wechselt Willkür nur die Hände, Und die Knechtschaft hat kein Ende. Armes Volk! wie Pferd und Farrn Bleibt es angeschirrt am Karrn, Und der Nacken wird gebrochen, Der sich nicht bequemt den Jochen. Sterbend spricht zu Salomo König David: Apropos, Daß ich Joab dir empfehle, Einen meiner Generäle. Dieser tapfre General Ist seit Jahren mir fatal, Doch ich wagte den Verhaßten Niemals ernstlich anzutasten. Du, mein Sohn, bist fromm und klug, Gottesfürchtig, stark genug, Und es wird dir leicht gelingen, Jenen Joab umzubringen. König Richard Wohl durch der Wälder einödige Pracht Jagt ungestüm ein Reiter; Er bläst ins Horn, er singt und lacht Gar seelenvergnügt und heiter. Sein Harnisch ist von starkem Erz, Noch stärker ist sein Gemüte, Das ist Herr Richard Löwenherz, Der christlichen Ritterschaft Blüte. Willkommen in England! rufen ihm zu Die Bäume mit grünen Zungen Wir freuen uns, o König, daß du Östreichischer Haft entsprungen. Dem König ist wohl in der freien Luft, Er fühlt sich wie neugeboren, Er denkt an Östreichs Festungsduft - Und gibt seinem Pferde die Sporen. Der Asra Täglich ging die wunderschöne Sultanstochter auf und nieder Um die Abendzeit am Springbrunn, Wo die weißen Wasser plätschern. Täglich stand der junge Sklave Um die Abendzeit am Springbrunn, Wo die weißen Wasser plätschern; Täglich ward er bleich und bleicher. Eines Abends trat die Fürstin Auf ihn zu mit raschen Worten: Deinen Namen will ich wissen, Deine Heimat, deine Sippschaft! Und der Sklave sprach: Ich heiße Mohamet, ich bin aus Yemmen, Und mein Stamm sind jene Asra, Welche sterben, wenn sie lieben. Himmelsbräute Wer dem Kloster geht vorbei Mitternächtlich, sieht die Fenster Hell erleuchtet. Ihren Umgang Halten dorten die Gespenster. Eine düstre Prozession Toter Ursulinerinnen; Junge, hübsche Angesichter Lauschen aus Kapuz und Linnen. Tragen Kerzen in der Hand, Die unheimlich blutrot schimmern; Seltsam widerhallt im Kreuzgang Ein Gewisper und ein Wimmern. Nach der Kirche geht der Zug, Und sie setzen dort sich nieder Auf des Chores Buchsbaumstühle Und beginnen ihre Lieder. Litaneienfromme Weisen, Aber wahnsinnswüste Worte; Arme Seelen sind es, welche Pochen an des Himmels Pforte. »Bräute Christi waren wir, Doch die Weltlust uns betörte, Und da gaben wir dem Cäsar, Was dem lieben Gott gehörte. »Reizend ist die Uniform Und des Schnurrbarts Glanz und Glätte; Doch verlockend sind am meisten Cäsars goldne Epaulette. »Ach, der Stirne, welche trug Eine Dornenkrone weiland, Gaben wir ein Hirschgeweihe Wir betrogen unsern Heiland. »Jesus, der die Güte selbst, Weinte sanft ob unsrer Fehle, Und er sprach: Vermaledeit Und verdammt sei eure Seele! »Grabentstiegner Spuk der Nacht, Müssen büßend wir nunmehre Irre gehn in diesen Mauern Miserere! Miserere! »Ach, im Grabe ist es gut, Ob es gleich viel besser wäre In dem warmen Himmelreiche - Miserere! Miserere!« »Süßer Jesus, o vergib Endlich uns die Schuld, die schwere, Schließ uns auf den warmen Himmel - Miserere! Miserere!« Also singt die Nonnenschar, Und ein längst verstorbner Küster Spielt die Orgel. Schattenhände Stürmen toll durch die Register. Pfalzgräfin Jutta Pfalzgräfin Jutta fuhr über den Rhein, Im leichten Kahn, bei Mondenschein. Die Zofe rudert, die Gräfin spricht: »Siehst du die sieben Leichen nicht, Die hinter uns kommen Einhergeschwommen - So traurig schwimmen die Toten! »Das waren Ritter voll Jugendlust - Sie sanken zärtlich an meine Brust Und schwuren mir Treue - Zur Sicherheit, Daß sie nicht brächen ihren Eid, Ließ ich sie ergreifen Sogleich und ersäufen - So traurig schwimmen die Toten!« Die Zofe rudert, die Gräfin lacht. Das hallt so höhnisch durch die Nacht! Bis an die Hüfte tauchen hervor Die Leichen und strecken die Finger empor, Wie schwörend - Sie nicken Mit gläsernen Blicken - So traurig schwimmen die Toten! Der Mohrenkönig Ins Exil der Alpuxarren Zog der junge Mohrenkönig; Schweigsam und das Herz voll Kummer Ritt er an des Zuges Spitze. Hinter ihm auf hohen Zeltern Oder auch in güldnen Sänften Saßen seines Hauses Frauen; Schwarze Mägde trägt das Maultier. Hundert treue Diener folgen Auf arabisch edlen Rappen; Stolze Gäule, doch die Reiter Hängen schlottrig in den Sätteln. Keine Zymbel, keine Pauke, Kein Gesangeslaut ertönte; Nur des Maultiers Silberglöckchen Wimmern schmerzlich in der Stille. Auf der Höhe, wo der Blick Ins Duero-Tal hinabschweift, Und die Zinnen von Granada Sichtbar sind zum letzten Male: Dorten stieg vom Pferd der König Und betrachtete die Stadt, Die im Abendlichte glänzte, Wie geschmückt mit Gold und Purpur. Aber, Allah! Welch ein Anblick! Statt des vielgeliebten Halbmonds, Prangen Spaniens Kreuz und Fahnen Auf den Türmen der Alhambra. Ach, bei diesem Anblick brachen Aus des Königs Brust die Seufzer, Tränen überströmten plötzlich Wie ein Sturzbach seine Wangen. Düster von dem hohen Zelter Schaut' herab des Königs Mutter, Schaut' auf ihres Sohnes Jammer, Und sie schalt ihn stolz und bitter. »Boabdil el Chico«, sprach sie, »Wie ein Weib beweinst du jetzo Jene Stadt, die du nicht wußtest Zu verteidgen wie ein Mann.« Als des Königs liebste Kebsin Solche harte Rede hörte, Stürzte sie aus ihrer Sänfte Und umhalste den Gebieter. »Boabdil el Chico,« sprach sie, »Tröste dich, mein Heißgeliebter, Aus dem Abgrund deines Elends Blüht hervor ein schöner Lorbeer. »Nicht allein der Triumphator, Nicht allein der sieggekrönte Günstling jener blinden Göttin, Auch der blutge Sohn des Unglücks, »Auch der heldenmütge Kämpfer, Der dem ungeheuren Schicksal Unterlag, wird ewig leben In der Menschen Angedenken.« »Berg des letzten Mohrenseufzers« Heißt bis auf den heutgen Tag Jene Höhe, wo der König Sah zum letzten Mal Granada. Lieblich hat die Zeit erfüllet Seiner Liebsten Prophezeiung, Und des Mohrenkönigs Name Ward verherrlicht und gefeiert. Nimmer wird sein Ruhm verhallen, Ehe nicht die letzte Saite Schnarrend losspringt von der letzten Andalusischen Gitarre. Geoffroy Rudèl und Melisande von Tripoli In dem Schlosse Blay erblickt man Die Tapete an den Wänden, So die Gräfin Tripolis Einst gestickt mit klugen Händen. Ihre ganze Seele stickte Sie hinein, und Liebesträne Hat gefeit das seidne Bildwerk, Welches darstellt jene Szene: Wie die Gräfin den Rudèl Sterbend sah am Strande liegen, Und das Urbild ihrer Sehnsucht Gleich erkannt' in seinen Zügen. Auch Rudèl hat hier zum ersten Und zum letzten Mal erblicket In der Wirklichkeit die Dame, Die ihn oft im Traum entzücket. Über ihn beugt sich die Gräfin, Hält ihn liebevoll umschlungen, Küßt den todesbleichen Mund, Der so schön ihr Lob gesungen! Ach! der Kuß des Willkomms wurde Auch zugleich der Kuß des Scheidens, Und so leerten sie den Kelch Höchster Lust und tiefsten Leidens. In dem Schlosse Blay allnächtlich Gibts ein Rauschen, Knistern, Beben, Die Figuren der Tapete Fangen plötzlich an zu leben. Troubadour und Dame schütteln Die verschlafnen Schattenglieder, Treten aus der Wand und wandeln Durch die Säle auf und nieder. Trautes Flüstern, sanftes Tändeln, Wehmutsüße Heimlichkeiten, Und posthume Galantrie Aus des Minnesanges Zeiten: »Geoffroy! Mein totes Herz Wird erwärmt von deiner Stimme, In den längst erloschnen Kohlen Fühl ich wieder ein Geglimme!« »Melisande! Glück und Blume! Wenn ich dir ins Auge sehe, Leb ich auf - gestorben ist Nur mein Erdenleid und -Wehe.« »Geoffroy! Wir liebten uns Einst im Traume, und jetzunder Lieben wir uns gar im Tode Gott Amour tat dieses Wunder!« »Melisande! Was ist Traum? Was ist Tod? Nur eitel Töne. In der Liebe nur ist Wahrheit, Und dich lieb ich, ewig Schöne.« »Geoffroy! Wie traulich ist es Hier im stillen Mondscheinsaale, Möchte nicht mehr draußen wandeln In des Tages Sonnenstrahle.« »Melisande! teure Närrin, Du bist selber Licht und Sonne, Wo du wandelst, blüht der Frühling, Sprossen Lieb und Maienwonne!« Also kosen, also wandeln Jene zärtlichen Gespenster Auf und ab, derweil das Mondlicht Lauschet durch die Bogenfenster. Doch den holden Spuk vertreibend, Kommt am End die Morgenröte - Jene huschen scheu zurück In die Wand, in die Tapete. Der Dichter Firdusi I Goldne Menschen, Silbermenschen! Spricht ein Lump von einem Thoman, Ist die Rede nur von Silber, Ist gemeint ein Silberthoman. Doch im Munde eines Fürsten, Eines Schaches, ist ein Thoman Gülden stets; ein Schach empfängt Und er gibt nur goldne Thoman. Also denken brave Leute, Also dachte auch Firdusi, Der Verfasser des berühmten Und vergötterten Schach Nameh. Dieses große Heldenlied Schrieb er auf Geheiß des Schaches, Der für jeden seiner Verse Einen Thoman ihm versprochen. Siebzehnmal die Rose blühte, Siebzehnmal ist sie verwelket, Und die Nachtigall besang sie Und verstummte siebzehnmal - Unterdessen saß der Dichter An dem Webstuhl des Gedankens, Tag und Nacht, und webte emsig Seines Liedes Riesenteppich - Riesenteppich, wo der Dichter Wunderbar hineingewebt Seiner Heimat Fabelchronik, Farsistans uralte Könge, Lieblingshelden seines Volkes, Rittertaten, Aventüren, Zauberwesen und Dämonen, Keck umrankt von Märchenblumen - Alles blühend und lebendig, Farbenglänzend, glühend, brennend, Und wie himmlisch angestrahlt Von dem heilgen Lichte Irans, Von dem göttlich reinen Urlicht, Dessen letzter Feuertempel, Trotz dem Koran und dem Mufti, In des Dichters Herzen flammte. Als vollendet war das Lied, Überschickte seinem Gönner Der Poet das Manuskript, Zweimalhunderttausend Verse. In der Badestube war es, In der Badestub zu Gasna, Wo des Schaches schwarze Boten Den Firdusi angetroffen - Jeder schleppte einen Geldsack, Den er zu des Dichters Füßen Knieend legte, als den hohen Ehrensold für seine Dichtung. Der Poet riß auf die Säcke Hastig, um am lang entbehrten Goldesanblick sich zu laben - Da gewahrt er mit Bestürzung, Daß der Inhalt dieser Säcke Bleiches Silber, Silberthomans, Zweimalhunderttausend etwa - Und der Dichter lachte bitter. Bitter lachend hat er jene Summe abgeteilt in drei Gleiche Teile, und jedwedem Von den beiden schwarzen Boten Schenkte er als Botenlohn Solch ein Drittel, und das dritte Gab er einem Badeknechte, Der sein Bad besorgt, als Trinkgeld. Seinen Wanderstab ergriff er Jetzo und verließ die Hauptstadt; Vor dem Tor hat er den Staub Abgefegt von seinen Schuhen. II »Hätt er menschlich ordinär Nicht gehalten, was versprochen, Hätt er nur sein Wort gebrochen, Zürnen wollt ich nimmermehr. »Aber unverzeihlich ist, Daß er mich getäuscht so schnöde Durch den Doppelsinn der Rede Und des Schweigens größte List. »Stattlich war er, würdevoll Von Gestalt und von Gebärden, Wen'ge glichen ihm auf Erden, War ein König jeder Zoll. »Wie die Sonn am Himmelsbogen, Feuerblicks, sah er mich an, Er, der Wahrheit stolzer Mann - Und er hat mich doch belogen.« III Schach Mahomet hat gut gespeist, Und gut gelaunet ist sein Geist. Im dämmernden Garten, auf purpurnem Pfühl, Am Springbrunnen sitzt er. Das plätschert so kühl! Die Diener stehen mit Ehrfurchtsmienen; Sein Liebling Ansari ist unter ihnen. Aus Marmorvasen quillt hervor Ein üppig brennender Blumenflor. Gleich Odalisken anmutiglich Die schlanken Palmen fächern sich. Es stehen regungslos die Zypressen, Wie himmelträumend, wie weltvergessen. Doch plötzlich erklingt bei Lautenklang Ein sanft geheimnisvoller Gesang. Der Schach fährt auf, als wie behext - Von wem ist dieses Liedes Text? Ansari, an welchen die Frage gerichtet, Gab Antwort: Das hat Firdusi gedichtet. Firdusi? - rief der Fürst betreten - Wo ist er? Wie geht es dem großen Poeten? Ansari gab Antwort: In Dürftigkeit Und Elend lebt er seit langer Zeit Zu Thus, des Dichters Vaterstadt, Wo er ein kleines Gärtchen hat. Schach Mahomet schwieg, eine gute Weile, Dann sprach er: Ansari, mein Auftrag hat Eile - Geh nach meinen Ställen und erwähle Dort hundert Maultiere und funfzig Kamele. Die sollst du belasten mit allen Schätzen, Die eines Menschen Herz ergötzen, Mit Herrlichkeiten und Raritäten, Kostbaren Kleidern und Hausgeräten Von Sandelholz, von Elfenbein, Mit güldnen und silbernen Schnurrpfeiferein, Kannen und Kelchen, zierlich gehenkelt, Lepardenfellen, groß gesprenkelt, Mit Teppichen, Schals und reichen Brokaten, Die fabriziert in meinen Staaten - Vergiß nicht, auch hinzuzupacken Glänzende Waffen und Schabracken, Nicht minder Getränke jeder Art Und Speisen, die man in Töpfen bewahrt, Auch Konfitüren und Mandeltorten, Und Pfefferkuchen von allen Sorten. Füge hinzu ein Dutzend Gäule, Arabischer Zucht, geschwind wie Pfeile, Und schwarze Sklaven, gleichfalls ein Dutzend, Leiber von Erz, strapazentrutzend. Ansari, mit diesen schönen Sachen Sollst du dich gleich auf die Reise machen. Du sollst sie bringen nebst meinem Gruß Dem großen Dichter Firdusi zu Thus. Ansari erfüllte des Herrschers Befehle, Belud die Mäuler und Kamele Mit Ehrengeschenken, die wohl den Zins Gekostet von einer ganzen Provinz. Nach dreien Tagen verließ er schon Die Residenz, und in eigner Person, Mit einer roten Führerfahne, Ritt er voran der Karawane. Am achten Tage erreichten sie Thus; Die Stadt liegt an des Berges Fuß. Wohl durch das Westtor zog herein Die Karawane mit Lärmen und Schrein. Die Trommel scholl, das Kuhhorn klang, Und laut aufjubelt Triumphgesang. La Illa Il Allah! aus voller Kehle Jauchzten die Treiber der Kamele. Doch durch das Osttor, am andern End Von Thus, zog in demselben Moment Zur Stadt hinaus der Leichenzug, Der den toten Firdusi zu Grabe trug. Nächtliche Fahrt Es wogte das Meer, aus dem dunklen Gewölk Der Halbmond lugte scheu; Und als wir stiegen in den Kahn, Wir waren unsrer drei. Es plätschert' im Wasser des Ruderschlags Verdrossenes Einerlei; Weißschäumende Wellen rauschten heran, Bespritzten uns alle drei. Sie stand im Kahn so blaß, so schlank, Und unbeweglich dabei, Als wär sie ein welsches Marmorbild, Dianens Konterfei. Der Mond verbirgt sich ganz. Es pfeift Der Nachtwind kalt vorbei; Hoch über unsern Häuptern ertönt Plötzlich ein gellender Schrei. Die weiße, gespenstische Möwe wars, Und ob dem bösen Schrei, Der schauerlich klang wie Warnungsruf, Erschraken wir alle drei. Bin ich im Fieber? Ist das ein Spuk Der nächtlichen Phantasei? Äfft mich ein Traum? Es träumet mir Grausame Narretei. Grausame Narretei! Mir träumt, Daß ich ein Heiland sei, Und daß ich trüge das große Kreuz Geduldig und getreu. Die arme Schönheit ist schwer bedrängt, Ich aber mache sie frei Von Schmach und Sünde, von Qual und Not, Von der Welt Unfläterei. Du arme Schönheit, schaudre nicht Wohl ob der bittern Arznei; Ich selber kredenze dir den Tod, Bricht auch mein Herz entzwei. O Narretei, grausamer Traum, Wahnsinn und Raserei! Es gähnt die Nacht, es kreischt das Meer, O Gott! o steh mir bei! O steh mir bei, barmherziger Gott! Barmherziger Gott Schaddey! Da schollerts hinab ins Meer - O Weh - Schaddey! Schaddey! Adonay! - Die Sonne ging auf, wir fuhren ans Land, Da blühte und glühte der Mai! Und als wir stiegen aus dem Kahn, Da waren wir unsrer _zwei_. Vitzliputzli Präludium Dieses ist Amerika! Dieses ist die neue Welt! Nicht die heutige, die schon Europäisieret abwelkt. - Dieses ist die neue Welt! Wie sie Christoval Kolumbus Aus dem Ozean hervorzog. Glänzet noch in Flutenfrische, Träufelt noch von Wasserperlen, Die zerstieben, farbensprühend, Wenn sie küßt das Licht der Sonne. Wie gesund ist diese Welt! Ist kein Kirchhof der Romantik, Ist kein alter Scherbenberg Von verschimmelten Symbolen Und versteinerten Perucken. Aus gesundem Boden sprossen Auch gesunde Bäume - keiner Ist blasiert und keiner hat In dem Rückgratmark die Schwindsucht. Auf den Baumesästen schaukeln Große Vögel. Ihr Gefieder Farbenschillernd. Mit den ernsthaft Langen Schnäbeln und mit Augen, Brillenartig schwarz umrändert, Schaun sie auf dich nieder, schweigsam - Bis sie plötzlich schrillend aufschrein Und wie Kaffeeschwestern schnattern. Doch ich weiß nicht, was sie sagen, Ob ich gleich der Vögel Sprachen Kundig bin wie Salomo, Welcher tausend Weiber hatte Und die Vögelsprachen kannte, Die modernen nicht allein, Sondern auch die toten, alten, Ausgestopften Dialekte. Neuer Boden, neue Blumen! Neue Blumen, neue Düfte! Unerhörte, wilde Düfte, Die mir in die Nase dringen, Neckend, prickelnd, leidenschaftlich - Und mein grübelnder Geruchsinn Quält sich ab: Wo hab ich denn Je dergleichen schon gerochen? Wars vielleicht auf Regentstreet, In den sonnig gelben Armen Jener schlanken Javanesin, Die beständig Blumen kaute? Oder wars zu Rotterdam, Neben des Erasmi Bildsäul, In der weißen Waffelbude Mit geheimnisvollem Vorhang? Während ich die neue Welt Solcher Art verdutzt betrachte, Schein ich selbst ihr einzuflößen Noch viel größre Scheu - Ein Affe, Der erschreckt ins Buschwerk forthuscht, Schlägt ein Kreuz bei meinem Anblick, Angstvoll rufend: »Ein Gespenst! Ein Gespenst der alten Welt!« Affe! fürcht dich nicht, ich bin Kein Gespenst, ich bin kein Spuk; Leben kocht in meinen Adern, Bin des Lebens treuster Sohn. Doch durch jahrelangen Umgang Mit den Toten, nahm ich an Der Verstorbenen Manieren Und geheime Seltsamkeiten. Meine schönsten Lebensjahre, Die verbracht ich im Kyffhäuser, Auch im Venusberg und andern Katakomben der Romantik. Fürcht dich nicht vor mir, mein Affe! Bin dir hold, denn auf dem haarlos Ledern abgeschabten Hintern Trägst du Farben, die ich liebe. Teure Farben! Schwarz-rot-goldgelb! Diese Affensteißcouleuren Sie erinnern mich mit Wehmut An das Banner Barbarossas. I Auf dem Haupt trug er den Lorbeer, Und an seinen Stiefeln glänzten Goldne Sporen - dennoch war er Nicht ein Held und auch kein Ritter. Nur ein Räuberhauptmann war er, Der ins Buch des Ruhmes einschrieb, Mit der eignen frechen Faust, Seinen frechen Namen: Cortez. Unter des Kolumbus Namen Schrieb er ihn, ja dicht darunter, Und der Schulbub auf der Schulbank Lernt auswendig beide Namen - Nach dem Christoval Kolumbus, Nennt er jetzt Fernando Cortez Als den zweiten großen Mann In dem Pantheon der Neuwelt. Heldenschicksals letzte Tücke: Unser Name wird verkoppelt Mit dem Namen eines Schächers In der Menschen Angedenken. Wärs nicht besser, ganz verhallen Unbekannt, als mit sich schleppen Durch die langen Ewigkeiten Solche Namenskameradschaft? Messer Christoval Kolumbus War ein Held, und sein Gemüte, Das so lauter wie die Sonne, War freigebig auch wie diese. Mancher hat schon viel gegeben, Aber jener hat der Welt Eine ganze Welt geschenket, Und sie heißt Amerika. Nicht befreien konnt er uns Aus dem öden Erdenkerker, Doch er wußt ihn zu erweitern Und die Kette zu verlängern. Dankbar huldigt ihm die Menschheit, Die nicht bloß europamüde, Sondern Afrikas und Asiens Endlich gleichfalls müde worden - - Einer nur, ein einzger Held, Gab uns mehr und gab uns Beßres Als Kolumbus, das ist jener, Der uns einen Gott gegeben. Sein Herr Vater, der hieß Amram, Seine Mutter hieß Jochebeth, Und er selber, Moses heißt er, Und er ist mein bester Heros. Doch, mein Pegasus, du weilest Viel zu lang bei dem Kolumbus - Wisse, unser heutger Flugritt Gilt dem gringern Mann, dem Cortez. Breite aus den bunten Fittig, Flügelroß! und trage mich Nach der Neuwelt schönem Lande, Welches Mexiko geheißen. Trage mich nach jener Burg, Die der König Montezuma Gastlich seinen spanschen Gästen Angewiesen zur Behausung. Doch nicht Obdach bloß und Atzung, In verschwenderischer Fülle, Gab der Fürst den fremden Strolchen - Auch Geschenke reich und prächtig, Kostbarkeiten kluggedrechselt, Von massivem Gold, Juwelen, Zeugten glänzend von der Huld Und der Großmut des Monarchen. Dieser unzivilisierte, Abergläubisch blinde Heide Glaubte noch an Treu und Ehre Und an Heiligkeit des Gastrechts. Er willfahrte dem Gesuche, Beizuwohnen einem Feste, Das in ihrer Burg die Spanier Ihm zu Ehren geben wollten - Und mit seinem Hofgesinde, Arglos, huldreich, kam der König In das spanische Quartier, Wo Fanfaren ihn begrüßten. Wie das Festspiel war betitelt, Weiß ich nicht. Es hieß vielleicht: »Spansche Treue!« doch der Autor Nannt sich Don Fernando Cortez. Dieser gab das Stichwort - plötzlich Ward der König überfallen, Und man band ihn und behielt ihn In der Burg als eine Geisel. Aber Montezuma starb, Und da war der Damm gebrochen, Der die kecken Abenteurer Schützte vor dem Zorn des Volkes. Schrecklich jetzt begann die Brandung - Wie ein wild empörtes Meer Tosten, rasten immer näher Die erzürnten Menschenwellen. Tapfer schlugen zwar die Spanier Jeden Sturm zurück. Doch täglich Ward berennt die Burg aufs neue, Und ermüdend war das Kampfspiel. Nach dem Tod des Königs stockte Auch der Lebensmittel Zufuhr; Kürzer wurden die Rationen, Die Gesichter wurden länger. Und mit langen Angesichtern Sahn sich an Hispaniens Söhne, Und sie seufzten und sie dachten An die traute Christenheimat, An das teure Vaterland, Wo die frommen Glocken läuten Und am Herde friedlich brodelt Eine Ollea-Potrida, Dick verschmoret mit Garbanzos, Unter welchen, schalkhaft duftend, Auch wohl kichernd, sich verbergen Die geliebten Knoblauchwürstchen. Einen Kriegsrat hielt der Feldherr, Und der Rückzug ward beschlossen; In der nächsten Tagesfrühe Soll das Heer die Stadt verlassen. Leicht gelangs hineinzukommen Einst durch List dem klugen Cortez, Doch die Rückkehr nach dem Festland Bot fatale Schwierigkeiten. Mexiko, die Inselstadt, Liegt in einem großen See, Inder Mitte, flutumrauscht: Eine stolze Wasserfestung, Mit dem Uferland verkehrend Nur durch Schiffe, Flöße, Brücken, Die auf Riesenpfählen ruhen; Kleine Inseln bilden Furten. Noch bevor die Sonne aufging, Setzten sich in Marsch die Spanier; Keine Trommel ward gerühret, Kein Trompeter blies Reveille. Wollten ihre Wirte nicht Aus dem süßen Schlafe wecken - (Hunderttausend Indianer Lagerten in Mexiko). Doch der Spanier machte diesmal Ohne seinen Wirt die Rechnung; Noch frühzeitger aufgestanden Waren heut die Mexikaner. Auf den Brücken, auf den Flößen, Auf den Furten harrten sie, Um den Abschiedstrunk alldorten Ihren Gästen zu kredenzen. Auf den Brücken, Flößen, Furten, Hei! da gabs ein toll Gelage! Rot in Strömen floß das Blut, Und die kecken Zecher rangen - Rangen Leib an Leib gepreßt, Und wir sehn auf mancher nackten Indianerbrust den Abdruck Spanscher Rüstungsarabesken. Ein Erdrosseln wars, ein Würgen, Ein Gemetzel, das sich langsam, Schaurig langsam, weiter wälzte, Über Brücken, Flöße, Furten. Die Indianer sangen, brüllten, Doch die Spanier fochten schweigend; Mußten Schritt für Schritt erobern Einen Boden für die Flucht. In gedrängten Engpaßkämpfen Boten gringen Vorteil heute Alteuropas strenge Kriegskunst, Feuerschlünde, Harnisch, Pferde. Viele Spanier waren gleichfalls Schwer bepackt mit jenem Golde, Das sie jüngst erpreßt, erbeutet - Ach, die gelbe Sündenlast Lähmte, hemmte sie im Kampfe, Und das teuflische Metall Ward nicht bloß der armen Seele, Sondern auch dem Leib verderblich. Mittlerweile ward der See Ganz bedeckt von Kähnen, Barken; Schützen saßen drin und schossen Nach den Brücken, Flößen, Furten. Trafen freilich im Getümmel Viele ihrer eignen Brüder, Doch sie trafen auch gar manchen Hochvortrefflichen Hidalgo. Auf der dritten Brücke fiel Junker Gaston, der an jenem Tag die Fahne trug, worauf Konterfeit die heilge Jungfrau. Dieses Bildnis selber trafen Die Geschosse der Indianer; Sechs Geschosse blieben stecken Just im Herzen - blanke Pfeile, Ähnlich jenen güldnen Schwertern, Die der Mater dolorosa Schmerzenreiche Brust durchbohren Bei Karfreitagsprozessionen. Sterbend übergab Don Gaston Seine Fahne dem Gonzalvo, Der zu Tod getroffen gleichfalls Bald dahinsank. - Jetzt ergriff Cortez selbst das teure Banner, Er, der Feldherr, und er trug es Hoch zu Roß bis gegen Abend, Wo die Schlacht ein Ende nahm. Hundertsechzig Spanier fanden Ihren Tod an jenem Tage; Über achtzig fielen lebend In die Hände der Indianer. Schwer verwundet wurden viele, Die erst später unterlagen. Schier ein Dutzend Pferde wurde Teils getötet, teils erbeutet. Gegen Abend erst erreichten Cortez und sein Heer das sichre Uferland, ein Seegestade, Karg bepflanzt mit Trauerweiden. II Nach des Kampfes Schreckenstag Kommt die Spuknacht des Triumphes; Hunderttausend Freudenlampen Lodern auf in Mexiko. Hunderttausend Freudenlampen, Waldharzfackeln, Pechkranzfeuer Werfen grell ihr Tageslicht Auf Paläste, Götterhallen, Gildenhäuser und zumal Auf den Tempel Vitzliputzlis, Götzenburg von rotem Backstein, Seltsam mahnend an ägyptisch, Babylonisch und assyrisch Kolossalen Bauwerk-Monstren, Die wir schauen auf den Bildern Unsers Britten Henri Martin. Ja, das sind dieselben breiten Rampentreppen, also breit, Daß dort auf und nieder wallen Viele tausend Mexikaner, Während auf den Stufen lagern Rottenweis die wilden Krieger, Welche lustig bankettieren, Hochberauscht von Sieg und Palmwein. Diese Rampentreppen leiten, Wie ein Zickzack, nach der Plattform, Einem balustradenartgen Ungeheuern Tempeldach. Dort auf seinem Thronaltar Sitzt der große Vitzliputzli, Mexikos blutdürstger Kriegsgott. Ist ein böses Ungestüm, Doch sein Äußres ist so putzig, So verschnörkelt und so kindisch, Daß er trotz des innern Grausens Dennoch unsre Lachlust kitzelt - Und bei seinem Anblick denken Wir zu gleicher Zeit etwa An den blassen Tod von Basel Und an Brüssels Mannke-Piß. An des Gottes Seite stehen Rechts die Laien, links die Pfaffen; Im Ornat von bunten Federn Spreizt sich heut die Klerisei. Auf des Altars Marmorstufen Hockt ein hundertjährig Männlein, Ohne Haar an Kinn und Schädel; Trägt ein scharlach Kamisölchen. Dieses ist der Opferpriester, Und er wetzet seine Messer, Wetzt sie lächelnd, und er schielet Manchmal nach dem Gott hinauf. Vitzliputzli scheint den Blick Seines Dieners zu verstehen, Zwinkert mit den Augenwimpern Und bewegt sogar die Lippen. Auf des Altars Stufen kauern Auch die Tempelmusici, Paukenschläger, Kuhhornbläser - Ein Gerassel und Getute - Ein Gerassel und Getute, Und es stimmet ein des Chores Mexikanisches Tedeum - Ein Miaulen wie von Katzen - Ein Miaulen wie von Katzen, Doch von jener großen Sorte, Welche Tigerkatzen heißen Und statt Mäuse Menschen fressen! Wenn der Nachtwind diese Töne Hinwirft nach dem Seegestade, Wird den Spaniern, die dort lagern, Katzenjämmerlich zu Mute. Traurig unter Trauerweiden, Stehen diese dort noch immer Und sie starren nach der Stadt, Die im dunkeln Seegewässer Widerspiegelt, schier verhöhnend, Alle Flammen ihrer Freude - Stehen dort wie im Parterre Eines großen Schauspielhauses, Und des Vitzliputzli-Tempels Helle Plattform ist die Bühne, Wo zur Siegesfeier jetzt Ein Mysterium tragiert wird. »Menschenopfer« heißt das Stück. Uralt ist der Stoff, die Fabel; In der christlichen Behandlung Ist das Schauspiel nicht so gräßlich. Denn dem Blute wurde Rotwein, Und dem Leichnam, welcher vorkam, Wurde eine harmlos dünne Mehlbreispeis transsubstituieret - Diesmal aber, bei den Wilden, War der Spaß sehr roh und ernsthaft Aufgefaßt: man speiste Fleisch, Und das Blut war Menschenblut. Diesmal war es gar das Vollblut Von Altchristen, das sich nie, Nie vermischt hat mit dem Blute Der Moresken und der Juden. Freu dich, Vitzliputzli, freu dich, Heute gibt es Spanierblut, Und am warmen Dufte wirst du Gierig laben deine Nase. Heute werden dir geschlachtet Achtzig Spanier, stolze Braten Für die Tafel deiner Priester, Die sich an dem Fleisch erquicken. Denn der Priester ist ein Mensch, Und der Mensch, der arme Fresser, Kann nicht bloß vom Riechen leben Und vom Dufte, wie die Götter. Horch! die Todespauke dröhnt schon, Und es kreischt das böse Kuhhorn! Sie verkünden, daß heraufsteigt Jetzt der Zug der Sterbemänner. Achtzig Spanier, schmählich nackend, Ihre Hände auf dem Rücken Festgebunden, schleppt und schleift man Hoch hinauf die Tempeltreppe. Vor dem Vitzliputzli-Bilde Zwingt man sie das Knie zu beugen Und zu tanzen Possentänze, Und man zwingt sie durch Torturen, Die so grausam und entsetzlich, Daß der Angstschrei der Gequälten Überheulet das gesamte Kannibalen-Charivari. - Armes Publikum am See! Cortez und die Kriegsgefährten Sie vernahmen und erkannten Ihrer Freunde Angstrufstimmen - Auf der Bühne, grellbeleuchtet, Sahen sie auch ganz genau Die Gestalten und die Mienen - Sahn das Messer, sahn das Blut - Und sie nahmen ab die Helme Von den Häuptern, knieten nieder, Stimmten an den Psalm der Toten, Und sie sangen: De profundis! Unter jenen, welche starben, War auch Raimond de Mendoza, Sohn der schönen Abbatissin, Cortez' erste Jugendliebe. Als er auf der Brust des Jünglings Jenes Medaillon gewahrte, Das der Mutter Bildnis einschloß, Weinte Cortez helle Tränen - Doch er wischt' sie ab vom Auge Mit dem harten Büffelhandschuh, Seufzte tief und sang im Chore Mit den Andern: miserere! III Blasser schimmern schon die Sterne, Und die Morgennebel steigen Aus der Seeflut, wie Gespenster, Mit hinschleppend weißen Laken. Fest und Lichter sind erloschen Auf dem Dach des Götzentempels, Wo am blutgetränkten Estrich Schnarchend liegen Pfaff und Laie. Nur die rote Jacke wacht. Bei dem Schein der letzten Lampe, Süßlich grinsend, grimmig schäkernd, Spricht der Priester zu dem Gotte: »Vitzliputzli, Putzlivitzli, Liebstes Göttchen Vitzliputzli! Hast dich heute amüsieret, Hast gerochen Wohlgerüche! »Heute gab es Spanierblut - O, das dampfte so apptitlich, Und dein feines Leckernäschen Sog den Duft ein, wollustglänzend. »Morgen opfern wir die Pferde, Wiehernd edle Ungetüme, Die des Windes Geister zeugten, Buhlschaft treibend mit der Seekuh. »Willst du artig sein, so schlacht ich Dir auch meine beiden Enkel, Hübsche Bübchen, süßes Blut, Meines Alters einzge Freude. »Aber artig mußt du sein, Mußt uns neue Siege schenken - Laß uns siegen, liebes Göttchen, Putzlivitzli, Vitzliputzli! »O verderbe unsre Feinde, Diese Fremden, die aus fernen Und noch unentdeckten Ländern Zu uns kamen übers Weltmeer - »Warum ließen sie die Heimat? Trieb sie Hunger oder Blutschuld? Bleib im Land und nähr dich redlich, Ist ein sinnig altes Sprüchwort. »Was ist ihr Begehr? Sie stecken Unser Gold in ihre Taschen, Und sie wollen, daß wir droben Einst im Himmel glücklich werden! »Anfangs glaubten wir, sie wären Wesen von der höchsten Gattung, Sonnensöhne, die unsterblich Und bewehrt mit Blitz und Donner. »Aber Menschen sind sie, tötbar Wie wir Andre, und mein Messer Hat erprobet heute Nacht Ihre Menschensterblichkeit. »Menschen sind sie und nicht schöner Als wir Andre, manche drunter Sind so häßlich wie die Affen; Wie bei diesen sind behaart »Die Gesichter, und es heißt, Manche trügen in den Hosen Auch verborgne Affenschwänze - Wer kein Aff, braucht keine Hosen. »Auch moralisch häßlich sind sie, Wissen nichts von Pietät, Und es heißt, daß sie sogar Ihre eignen Götter fräßen! »O vertilge diese ruchlos Böse Brut, die Götterfresser - Vitzliputzli, Putzlivitzli, Laß uns siegen, Vitzliputzli!« - Also sprach zum Gott der Priester, Und des Gottes Antwort tönt Seufzend, röchelnd, wie der Nachtwind, Welcher koset mit dem Seeschilf: Rotjack, Rotjack, blutger Schlächter, Hast geschlachtet viele Tausend, Bohre jetzt das Opfermesser In den eignen alten Leib. Aus dem aufgeschlitzten Leib Schlüpft alsdann hervor die Seele; Über Kiesel, über Wurzel Trippelt sie zum Laubfroschteiche. Dorten hocket meine Muhme Rattenkönigin - sie wird sagen: »Guten Morgen, nackte Seele, Wie ergeht es meinem Neffen? »Vitzliputzlelt er vergnügt In dem honigsüßen Goldlicht? Wedelt ihm das Glück die Fliegen Und die Sorgen von der Stirne? »Oder kratzt ihn Katzlagara, Die verhaßte Unheilsgöttin Mit den schwarzen Eisenpfoten, Die in Otterngift getränket?« Nackte Seele, gib zur Antwort: Vitzliputzli läßt dich grüßen, Und er wünscht dir Pestilenz In den Bauch, Vermaledeite! Denn du rietest ihm zum Kriege, Und dein Rat, es war ein Abgrund - In Erfüllung geht die böse, Uralt böse Prophezeiung Von des Reiches Untergang Durch die furchtbar bärtgen Männer, Die auf hölzernem Gevögel Hergeflogen aus dem Osten. Auch ein altes Sprüchwort gibt es: Weiberwille, Gotteswille - Doppelt ist der Gotteswille, Wenn das Weib die Mutter Gottes. Diese ist es, die mir zürnet, Sie, die stolze Himmelsfürstin, Eine Jungfrau sonder Makel, Zauberkundig, wundertätig. Sie beschützt das Spaniervolk, Und wir müssen untergehen, Ich, der ärmste aller Götter, Und mein armes Mexiko. Nach vollbrachtem Auftrag, Rotjack, Krieche deine nackte Seele In ein Sandloch - Schlafe wohl! Daß du nicht mein Unglück schauest! Dieser Tempel stürzt zusammen, Und ich selber, ich versinke In dem Qualm - nur Rauch und Trümmer - Keiner wird mich wiedersehen. Doch ich sterbe nicht; wir Götter Werden alt wie Papageien, Und wir mausern nur und wechseln Auch wie diese das Gefieder. Nach der Heimat meiner Feinde, Die Europa ist geheißen, Will ich flüchten, dort beginn ich Eine neue Karriere. Ich verteufle mich, der Gott Wird jetzund ein Gottseibeiuns; Als der Feinde böser Feind, Kann ich dorten wirken, schaffen. Quälen will ich dort die Feinde, Mit Phantomen sie erschrecken - Vorgeschmack der Hölle, Schwefel Sollen sie beständig riechen. Ihre Weisen, ihre Narren Will ich ködern und verlocken; Ihre Tugend will ich kitzeln, Bis sie lacht wie eine Metze. Ja, ein Teufel will ich werden, Und als Kameraden grüß ich Satanas und Belial, Astaroth und Belzebub. Dich zumal begrüß ich, Lilis, Sündenmutter, glatte Schlange! Lehr mich deine Grausamkeiten Und die schöne Kunst der Lüge! Mein geliebtes Mexiko, Nimmermehr kann ich es retten, Aber rächen will ich furchtbar Mein geliebtes Mexiko. Zweites Buch Lamentationen Das Glück ist eine leichte Dirne, Und weilt nicht gern am selben Ort; Sie streicht das Haar dir von der Stirne Und küßt dich rasch und flattert fort. Frau Unglück hat im Gegenteile Dich liebefest ans Herz gedrückt; Sie sagt, sie habe keine Eile, Setzt sich zu dir ans Bett und strickt. Waldeinsamkeit Ich hab in meinen Jugendtagen Wohl auf dem Haupt einen Kranz getragen; Die Blumen glänzten wunderbar, Ein Zauber in dem Kranze war. Der schöne Kranz gefiel wohl Allen, Doch der ihn trug hat Manchem mißfallen; Ich floh den gelben Menschenneid, Ich floh in die grüne Waldeinsamkeit. Im Wald, im Wald! da konnt ich führen Ein freies Leben mit Geistern und Tieren; Feen und Hochwild von stolzem Geweih, Sie nahten sich mir ganz ohne Scheu. Sie nahten sich mir ganz ohne Zagnis, Sie wußten, das sei kein schreckliches Wagnis; Daß ich kein Jäger, wußte das Reh, Daß ich kein Vernunftmensch, wußte die Fee. Von Feenbegünstigung plaudern nur Toren - Doch wie die übrigen Honoratioren Des Waldes mir huldreich gewesen, fürwahr Ich darf es bekennen offenbar. Wie haben mich lieblich die Elfen umflattert! Ein luftiges Völkchen! das plaudert und schnattert! Ein bißchen stechend ist der Blick, Verheißend ein süßes, doch tödliches Glück. Ergötzten mich mit Maitanz und Maispiel, Erzählten mir Hofgeschichten, zum Beispiel: Die skandalose Chronika Der Königin Titania. Saß ich am Bache, so tauchten und sprangen Hervor aus der Flut, mit ihrem langen Silberschleier und flatterndem Haar, Die Wasserbacchanten, die Nixenschar. Sie schlugen die Zither, sie spielten auf Geigen, Das war der famose Nixenreigen; Die Posituren, die Melodei, War klingende, springende Raserei. Jedoch zu Zeiten waren sie minder Tobsüchtig gelaunt, die schönen Kinder; Zu meinen Füßen lagerten sie, Das Köpfchen gestützt auf meinem Knie. Trällerten, trillerten welsche Romanzen, Zum Beispiel das Lied von den drei Pomeranzen, Sangen auch wohl ein Lobgedicht Auf mich und mein nobeles Menschengesicht. Sie unterbrachen manchmal das Gesinge Lautlachend, und frugen bedenkliche Dinge, Zum Beispiel: »Sag uns, zu welchem Behuf Der liebe Gott den Menschen schuf? »Hat eine unsterbliche Seele ein Jeder Von euch? Ist diese Seele von Leder Oder von steifer Leinwand? Warum Sind eure Leute meistens so dumm?« Was ich zur Antwort gab, verhehle Ich hier, doch meine unsterbliche Seele, Glaubt mirs, ward nie davon verletzt, Was eine kleine Nixe geschwätzt. Anmutig und schalkhaft sind Nixen und Elfen; Nicht so die Erdgeister, sie dienen und helfen Treuherzig den Menschen. Ich liebte zumeist Die, welche man Wichtelmännchen heißt. Sie tragen Rotmäntelchen, lang und bauschig, Die Miene ist ehrlich, doch bang und lauschig; Ich ließ nicht merken, daß ich entdeckt, Warum sie so ängstlich die Füße versteckt. Sie haben nämlich Entenfüße Und bilden sich ein, daß Niemand es wisse. Das ist eine tiefgeheime Wund, Worüber ich nimmermehr spötteln kunnt. Ach Himmel! wir Alle, gleich jenen Zwergen, Wir haben ja Alle etwas zu verbergen; Kein Christenmensch, wähnen wir, hätte entdeckt, Wo unser Entenfüßchen steckt. Niemals verkehrt ich mit Salamandern, Und über ihr Treiben erfuhr ich von andern Waldgeistern sehr wenig. Sie huschten mir scheu Des Nachts wie leuchtende Schatten vorbei. Sind spindeldürre, von Kindeslänge, Höschen und Wämschen anliegend enge, Von Scharlachfarbe, goldgestickt; Das Antlitz kränklich, vergilbt und bedrückt. Ein güldnes Krönlein, gespickt mit Rubinen, Trägt auf dem Köpfchen ein jeder von ihnen; Ein jeder von ihnen bildet sich ein, Ein absoluter König zu sein. Daß sie im Feuer nicht verbrennen, Ist freilich ein Kunststück, ich will es bekennen; Jedoch der unentzündbare Wicht, Ein wahrer Feuergeist ist er nicht. Die klügsten Waldgeister sind die Alräunchen, Langbärtige Männlein mit kurzen Beinchen, Ein fingerlanges Greisengeschlecht; Woher sie stammen, man weiß es nicht recht. Wenn sie im Mondschein kopfüber purzeln, Das mahnt bedenklich an Pissewurzeln; Doch da sie mir nur Gutes getan, So geht mich nichts ihr Ursprung an. Sie lehrten mir kleine Hexereien, Feuer besprechen, Vögel beschreien, Auch pflücken in der Johannisnacht Das Kräutlein, das unsichtbar macht. Sie lehrten mich Sterne und Zeichen deuten, Sattellos auf dem Winde reiten, Auch Runensprüche, womit man ruft Die Toten hervor aus ihrer Gruft. Sie haben mir auch den Pfiff gelehrt, Wie man den Vogel Specht betört Und ihm die Springwurz abgewinnt, Die anzeigt, wo Schätze verborgen sind. Die Worte, die man beim Schätzegraben Hinmurmelt, lehrten sie mich, sie haben Mir alles expliziert - umsunst! Hab nie begriffen die Schatzgräberkunst. Wohl hatt ich derselben nicht nötig dermalen, Ich brauchte wenig, und konnt es bezahlen, Besaß auch in Spanien manch luftiges Schloß, Wovon ich die Revenüen genoß. O, schöne Zeit! wo voller Geigen Der Himmel hing, wo Elfenreigen Und Nixentanz und Koboldscherz Umgaukelt mein märchentrunkenes Herz! O, schöne Zeit! wo sich zu grünen Triumphespforten zu wölben schienen Die Bäume des Waldes - ich ging einher, Bekränzt, als ob ich der Sieger wär! Die schöne Zeit, sie ist verschlendert, Und Alles hat sich seitdem verändert, Und ach! mir ist der Kranz geraubt, Den ich getragen auf meinem Haupt. Der Kranz ist mir vom Haupt genommen, Ich weiß es nicht, wie es gekommen; Doch seit der schöne Kranz mir fehlt, Ist meine Seele wie entseelt. Es glotzen mich an unheimlich blöde Die Larven der Welt! Der Himmel ist öde, Ein blauer Kirchhof, entgöttert und stumm. Ich gehe gebückt im Wald herum. Im Walde sind die Elfen verschwunden, Jagdhörner hör ich, Gekläffe von Hunden; Im Dickicht ist das Reh versteckt, Das tränend seine Wunden leckt. Wo sind die Alräunchen? Ich glaube, sie halten Sich ängstlich verborgen in Felsenspalten. Ihr kleinen Freunde, ich komme zurück, Doch ohne Kranz und ohne Glück. Wo ist die Fee mit dem langen Goldhaar, Die erste Schönheit, die mir hold war? Der Eichenbaum, worin sie gehaust, Steht traurig entlaubt, vom Winde zerzaust. Der Bach rauscht trostlos gleich dem Styxe; Am einsamen Ufer sitzt eine Nixe, Todblaß und stumm, wie 'n Bild von Stein, Scheint tief in Kummer versunken zu sein. Mitleidig tret ich zu ihr heran - Da fährt sie auf und schaut mich an, Und sie entflieht mit entsetzten Mienen, Als sei ihr ein Gespenst erschienen. Spanische Atriden Am Hubertustag des Jahres Dreizehnhundert drei und achtzig Gab der König uns ein Gastmahl Zu Segovia im Schlosse. Hofgastmähler sind dieselben Überall, es gähnt dieselbe Souveräne Langeweile An der Tafel aller Fürsten. Prunkgeschirr von Gold und Silber, Leckerbissen aller Zonen, Und derselbe Bleigeschmack, Mahnend an Lokustes Küche. Auch derselbe seidne Pöbel, Buntgeputzt und vornehm nickend, Wie ein Beet von Tulipanen; Nur die Saucen sind verschieden. Und das ist ein Wispern, Sumsen, Das wie Mohn den Sinn einschläfert, Bis Trompetenstöße wecken Aus der kauenden Betäubnis. Neben mir, zum Glücke, saß Don Diego Albuquerque, Dem die Rede unterhaltsam Von den klugen Lippen floß. Ganz vorzüglich gut erzählte Er die blutgen Hofgeschichten Aus den Tagen des Don Pedro, Den man »König Grausam« nannte. Als ich frug, warum Don Pedro Seinen Bruder Don Fredrego Insgeheim enthaupten ließ, Sprach mein Tischgenosse seufzend: Sennor! glaubt nicht was sie klimpern Auf den schlottrigen Gitarren, Bänkelsänger, Maultiertreiber, In Posaden, Kneipen, Schenken. Glaubet nimmer, was sie faseln Von der Liebe Don Fredregos Und Don Pedros schöner Gattin, Donna Blanka von Bourbon. Nicht der Eifersucht des Gatten, Nur der Mißgunst eines Neidharts Fiel als Opfer Don Fredrego, Calatravas Ordensmeister. Das Verbrechen, das Don Pedro Nicht verzieh, das war sein Ruhm, Jener Ruhm, den Donna Fama Mit Entzücken ausposaunte. Auch verzieh ihm nicht Don Pedro Seiner Seele Hochgefühle Und die Wohlgestalt des Leibes, Die ein Abbild solcher Seele. Blühend blieb mir im Gedächtnis Diese schlanke Heldenblume; Nie vergeß ich dieses schöne Träumerische Jünglingsantlitz. Das war eben jene Sorte, Die geliebt wird von den Feen, Und ein märchenhaft Geheimnis Sprach aus allen diesen Zügen. Blaue Augen, deren Schmelz Blendend wie ein Edelstein, - Aber auch der stieren Härte Eines Edelsteins teilhaftig. Seine Haare waren schwarz, Bläulichschwarz, von seltnem Glanze, Und in üppig schönen Locken Auf die Schulter niederfallend. In der schönen Stadt Coimbra, Die er abgewann den Mohren, Sah ich ihn zum letzten Male Lebend - unglückselger Prinz! Eben kam er vom Alkanzor, Durch die engen Straßen reitend; Manche junge Mohrin lauschte Hinterm Gitter ihres Fensters. Seines Hauptes Helmbusch wehte Frei galant, jedoch des Mantels Strenges Calatrava-Kreuz Scheuchte jeden Buhlgedanken. Ihm zur Seite, freudewedelnd, Sprang sein Liebling, Allan hieß er, Eine Bestie stolzer Rasse, Deren Heimat die Sierra. Trotz der ungeheuern Größe War er wie ein Reh gelenkig, Nobel war des Kopfes Bildung, Ob sie gleich dem Fuchse ähnlich. Schneeweiß und so weich wie Seide Flockten lang herab die Haare; Mit Rubinen inkrustieret War das breite goldne Halsband. Dieses Halsband, sagt man, barg Einen Talisman der Treue; Niemals wich er von der Seite Seines Herrn, der treue Hund. O der schauerlichen Treue! Mir erbebet das Gemüte, Denk ich dran, wie sie sich hier Offenbart vor unsern Augen. O des schreckenvollen Tages! Hier in diesem Saale war es, Und wie heute saß ich hier An der königlichen Tafel. An dem obern Tafelende, Dort, wo heute Don Henrico Fröhlich bechert mit der Blume Kastilianscher Ritterschaft - Jenes Tags saß dort Don Pedro Finster stumm, und neben ihm, Strahlend stolz wie eine Göttin, Saß Maria de Padilla. Hier am untern End der Tafel, Wo wir heut die Dame sehen, Deren große Linnenkrause Wie ein weißer Teller aussieht - Während ihr vergilbt Gesichtchen Mit dem säuerlichen Lächeln Der Zitrone gleichet, welche Auf besagtem Teller ruht: Hier am untern End der Tafel War ein leerer Platz geblieben; Eines Gasts von hohem Range Schien der goldne Stuhl zu harren. Don Fredrego war der Gast, Dem der goldne Stuhl bestimmt war - Doch er kam nicht -ach, wir wissen Jetzt den Grund der Zögerung. Ach, zur selben Stunde wurde Sie vollbracht, die dunkle Untat, Und der arglos junge Held Wurde von Don Pedros Schergen Hinterlistig überfallen Und gebunden fortgeschleppt In ein ödes Schloßgewölbe, Nur von Fackelschein beleuchtet. Dorten standen Henkersknechte, Dorten stand der rote Meister, Der, gestützt auf seinem Richtbeil, Mit schwermütger Miene sprach: Jetzt, Großmeister von San Jago, Müßt Ihr Euch zum Tod bereiten, Eine Viertelstunde sei Euch bewilligt zum Gebete. Don Fredrego kniete nieder, Betete mit frommer Ruhe, Sprach sodann: ich hab vollendet, Und empfing den Todesstreich. In demselben Augenblicke, Als der Kopf zu Boden rollte, Sprang drauf zu der treue Allan, Welcher unbemerkt gefolgt war. Er erfaßte, mit den Zähnen, Bei dem Lockenhaar das Haupt, Und mit dieser teuern Beute Schoß er zauberschnell von dannen. Jammer und Geschrei erscholl Überall auf seinem Wege, Durch die Gänge und Gemächer, Treppen auf und Treppen ab. Seit dem Gastmahl des Belsazar Gab es keine Tischgesellschaft, Welche so verstöret aussah Wie die unsre in dem Saale, Als das Ungetüm hereinsprang Mit dem Haupte Don Fredregos, Das er mit den Zähnen schleppte An den träufend blutgen Haaren. Auf den leer gebliebnen Stuhl, Welcher seinem Herrn bestimmt war, Sprang der Hund und, wie ein Kläger, Hielt er uns das Haupt entgegen. Ach, es war das wohlbekannte Heldenantlitz, aber blässer, Aber ernster, durch den Tod, Und umringelt gar entsetzlich Von der Fülle schwarzer Locken, Die sich bäumten wie der wilde Schlangenkopfputz der Meduse, Auch wie dieser schreckversteinernd. Ja, wir waren wie versteinert, Sahn uns an mit starrer Miene, Und gelähmt war jede Zunge Von der Angst und Etikette. Nur Maria de Padilla Brach das allgemeine Schweigen; Händeringend, laut aufschluchzend, Jammerte sie ahndungsvoll: »Heißen wird es jetzt, ich hätte Angestiftet solche Mordtat, Und der Groll trifft meine Kinder, Meine schuldlos armen Kinder!« Don Diego unterbrach hier Seine Rede, denn wir sahen, Daß die Tafel aufgehoben Und der Hof den Saal verlassen. Höfisch fein von Sitten, gab Mir der Ritter das Geleite, Und wir wandelten selbander Durch das alte Gotenschloß. Indem Kreuzgang, welcher leitet Nach des Königs Hundeställen, Die durch Knurren und Gekläffe Schon von fernher sich verkündgen, Dorten sah ich, in der Wand Eingemauert und nach außen Fest mit Eisenwerk vergattert, Eine Zelle wie ein Käfig. Menschliche Gestalten zwo Saßen drin, zwei junge Knaben; Angefesselt bei den Beinen, Hockten sie auf fauler Streu. Kaum zwölfjährig schien der Eine, Wenig älter war der Andre; Die Gesichter schön und edel, Aber fahl und welk von Siechtum. Waren ganz zerlumpt, fast nackend, Und die magern Leibchen trugen Wunde Spuren der Mißhandlung; Beide schüttelte das Fieber. Aus der Tiefe ihres Elends Schauten sie zu mir empor, Wie mit weißen Geisteraugen, Daß ich schier darob erschrocken. Wer sind diese Jammerbilder? Rief ich aus, indem ich hastig Don Diegos Hand ergriff, Die gezittert, wie ich fühlte. Don Diego schien verlegen, Sah sich um, ob Niemand lausche, Seufzte tief und sprach am Ende, Heitern Weltmannston erkünstelnd: Dieses sind zwei Königskinder, Früh verwaiset, König Pedro Hieß der Vater, und die Mutter War Maria de Padilla. Nach der großen Schlacht bei Narvas, Wo Henrico Transtamare Seinen Bruder, König Pedro, Von der großen Last der Krone Und zugleich von jener größern Last, die Leben heißt, befreite: Da traf auch die Bruderskinder Don Henricos Siegergroßmut. Hat sich ihrer angenommen, Wie es einem Oheim ziemet, Und im eignen Schlosse gab er Ihnen freie Kost und Wohnung. Enge freilich ist das Stübchen, Das er ihnen angewiesen, Doch im Sommer ist es kühlig, Und nicht gar zu kalt im Winter. Ihre Speis ist Roggenbrot, Das so schmackhaft ist, als hätt es Göttin Ceres selbst gebacken Für ihr liebes Proserpinchen. Manchmal schickt er ihnen auch Eine Kumpe mit Garbanzos, Und die Jungen merken dann, Daß es Sonntag ist in Spanien. Doch nicht immer ist es Sonntag, Und nicht immer gibts Garbanzos, Und der Oberkoppelmeister Regaliert sie mit der Peitsche. Denn der Oberkoppelmeister, Der die Ställe mit der Meute Sowie auch den Neffenkäfig Unter seiner Aufsicht hat, Ist der unglückselge Gatte Jener sauren Zitronella Mit der weißen Tellerkrause, Die wir heut bei Tisch bewundert, Und sie keift so frech, daß oft Ihr Gemahl zur Peitsche greift - Und hierher eilt und die Hunde Und die armen Knaben züchtigt. Doch der König hat mißbilligt Solch Verfahren und befahl, Daß man künftig seine Neffen Nicht behandle wie die Hunde. Keiner fremden Mietlingsfaust Wird er ferner anvertrauen Ihre Zucht, die er hinfüro Eigenhändig leiten will. Don Diego stockte plötzlich, Denn der Seneschall des Schlosses Kam zu uns und frug uns Höflich: ob wir wohlgespeist? - - Der Ex-Lebendige Brutus, wo ist dein Cassius, Der Wächter, der nächtliche Rufer, Der einst mit dir, im Seelenerguß, Gewandelt am Seineufer? Ihr schautet manchmal in die Höh, Wo die dunklen Wolken jagen - Viel dunklere Wolke war die Idee, Die Ihr im Herzen getragen. Brutus, wo ist dein Cassius? Er denkt nicht mehr ans Morden! Es heißt, er sei am Neckarfluß Tyrannenvorleser geworden. Doch Brutus erwidert: Du bist ein Tor, Kurzsichtig wie alle Poeten - Mein Cassius liest dem Tyrannen vor, Jedoch um ihn zu töten. Er liest ihm Gedichte von Matzerath - Ein Dolch ist jede Zeile! Der arme Tyrann, früh oder spat Stirbt er vor Langeweile. Der Ex-Nachtwächter Mißgelaunt, sagt man, verließ er Stuttgart an dem Neckarstrand, Und zu München an der Isar Ward er Schauspielintendant. Das ist eine schöne Gegend Ebenfalls, es schäumet hier, Geist- und phantasieerregend, Holder Bock, das beste Bier. Doch der arme Intendante, Heißt es, gehet dort herum Melancholisch wie ein Dante, Wie Lord Byron gloomy, stumm. Ihn ergötzen nicht Komödien, Nicht das schlechteste Gedicht, Selbst die traurigsten Tragödien Liest er - doch er lächelt nicht. Manche Schöne möcht erheitern Dieses gramumflorte Herz, Doch die Liebesblicke scheitern An dem Panzer, der von Erz. Nannerl mit dem Riegelhäubchen Girrt ihn an so muntern Sinns - Geh ins Kloster, armes Täubchen, Spricht er wie ein Dänenprinz. Seine Freunde sind vergebens Zu erlustgen ihn bemüht, Singen: Freue dich des Lebens, Weil dir noch dein Lämpchen glüht! Kann dich nichts zum Frohsinn reizen Hier in dieser hübschen Stadt, Die an amüsanten Käuzen Wahrlich keinen Mangel hat? Zwar hat sie in jüngsten Tagen Eingebüßt so manchen Mann, Manchen trefflichen Choragen, Den man schwer entbehren kann. Wär der Maßmann nur geblieben! Dieser hätte wohl am End Jeden Trübsinn dir vertrieben Durch sein Burzelbaumtalent. Schelling, der ist unersetzlich! Ein Verlust vom höchsten Wert! War als Philosoph ergötzlich Und als Mime hochgeehrt. Daß der Gründer der Walhalla Fortging und zurücke ließ Seine Manuskripte alle, Gleichfalls ein Verlust war dies! Mit Corneljus ging verloren Auch des Meisters Jüngerschaft; Hat das Haar sich abgeschoren, Und im Haar war ihre Kraft. Denn der kluge Meister legte Einen Zauber in das Haar, Drin sich sichtbar oft bewegte Etwas das lebendig war. Tot ist Görres, die Hyäne. Ob des heiligen Offiz Umsturz quoll ihm einst die Träne Aus des Auges rotem Schlitz. Dieses Raubtier hat ein Sühnchen Hinterlassen, doch es ist Nur ein giftiges Kaninchen, Welches Nonnenfürzchen frißt. Apropos! Der erzinfame Pfaffe Dollingerius - Das ist ungefähr sein Name - Lebt er noch am Isarfluß? Dieser bleibt mir unvergeßlich! Bei dem reinen Sonnenlicht! Niemals schaut ich solch ein häßlich Armesünderangesicht. Wie es heißt, ist er gekommen Auf die Welt gar wundersam, Hat den Afterweg genommen, Zu der Mutter Schreck und Scham. Sah ihn am Karfreitag wallen In dem Zug der Prozession, Von den dunkeln Männern allen Wohl die dunkelste Person. Ja, Monacho Monachorum Ist in unsrer Zeit der Sitz Der Virorum obscurorum, Die verherrlicht Huttens Witz. Wie du zuckst beim Namen Hutten! Ex-Nachtwächter, wache auf! Hier die Pritsche, dort die Kutten, Und wie ehmals schlage drauf!. Geißle ihre Rücken blutig, Wie einst tat der Ullerich; Dieser schlug so rittermutig, Jene heulten fürchterlich. Der Erasmus mußte lachen So gewaltig ob dem Spaß, Daß ihm platzte in dem Rachen Sein Geschwür und er genas. Auf der Ebersburg desgleichen Lachte Sickingen wie toll, Und in allen deutschen Reichen Das Gelächter widerscholl. Alte lachten wie die Jungen - Eine einzge Lache nur War ganz Wittenberg, sie sungen Gaudeamus igitur! Freilich, klopft man faule Kutten, Fängt man Flöh im Überfluß, Und es mußte sich der Hutten Manchmal kratzen vor Verdruß. Aber alea est jacta! War des Ritters Schlachtgeschrei, Und er knickte und er knackte Pulices und Klerisei. Ex-Nachtwächter, Stundenrufer, Fühlst du nicht dein Herz erglühn? Rege dich am Isarufer, Schüttle ab den kranken Spleen. Deine langen Fortschrittsbeine, Heb sie auf zu neuem Lauf - Kutten grobe, Kutten feine, Sind es Kutten, schlage drauf! Jener aber seufzt, und seine Hände ringend er versetzt: Meine langen Fortschrittsbeine Sind europamüde jetzt. Meine Hühneraugen jücken, Habe deutsche enge Schuh, Und wo mich die Schuhe drücken, Weiß ich wohl - laß mich in Ruh! Plateniden Iliaden, Odysseen Kündigst du uns prahlend an, Und wir wollen in dir sehen Deutscher Zukunft größten Mann. Eine große Tat in Worten, Die du einst zu tun gedenkst! - O, ich kenne solche Sorten Geistger Schuldenmacher längst. Hier ist Rhodus, komm und zeige Deine Kunst, hier wird getanzt! Oder trolle dich und schweige, Wenn du heut nicht tanzen kannst. Wahre Prinzen aus Genieland Zahlen bar was sie verzehrt, Schiller, Goethe, Lessing, Wieland Haben nie Kredit begehrt. Wollten keine Ovationen Von dem Publiko auf Pump, Keine Vorschuß-Lorbeerkronen, Rühmten sich nicht keck und plump. Tot ist längst der alte Junker, Doch sein Same lebt noch heut - O, ich kenne das Geflunker Künftiger Unsterblichkeit. Das sind Platens echte Kinder, Echtes Platenidenblut - Meine teuern Hallermünder, O, ich kenn euch gar zu gut! Mythologie Ja, Europa ist erlegen - Wer kann Ochsen widerstehen? Wir verzeihen auch Danäen - Sie erlag dem goldnen Regen! Semele ließ sich verführen - Denn sie dachte: eine Wolke, Ideale Himmelswolke, Kann uns nicht kompromittieren. Aber tief muß uns empören Was wir von der Leda lesen - Welche Gans bist du gewesen, Daß ein Schwan dich konnt betören! In Mathildens Stammbuch Hier, auf gewalzten Lumpen, soll ich Mit einer Spule von der Gans Hinkritzeln ernsthaft halb, halb drollig, Versifizierten Firlefanz - Ich, der gewohnt mich auszusprechen Auf deinem schönen Rosenmund, Mit Küssen, die wie Flammen brechen Hervor aus tiefstem Herzensgrund! O Modewut! Ist man ein Dichter, Quält uns die eigne Frau zuletzt, Bis man, wie andre Sangeslichter, Ihr einen Reim ins Album setzt. An die Jungen Laß dich nicht kirren, laß dich nicht wirren Durch goldne Äpfel in deinem Lauf! Die Schwerter klirren, die Pfeile schwirren, Doch halten sie nicht den Helden auf. Ein kühnes Beginnen ist halbes Gewinnen, Ein Alexander erbeutet die Welt! Kein langes Besinnen! Die Königinnen Erwarten schon knieend den Sieger im Zelt. Wir wagen, wir werben! besteigen als Erben Des alten Darius Bett und Thron. O süßes Verderben! o blühendes Sterben! Berauschter Triumphtod zu Babylon! Der Ungläubige Du wirst in meinen Armen ruhn! Von Wonnen sonder Schranken Erbebt und schwillt mein ganzes Herz Bei diesem Zaubergedanken. Du wirst in meinen Armen ruhn! Ich spiele mit den schönen Goldlocken! Dein holdes Köpfchen wird An meine Schulter lehnen. Du wirst in meinen Armen ruhn! Der Traum will Wahrheit werden, Ich soll des Himmels höchste Lust Hier schon genießen auf Erden. O, heilger Thomas! Ich glaub es kaum! Ich zweifle bis zur Stunde, Wo ich den Finger legen kann In meines Glückes Wunde. K.-Jammer Diese graue Wolkenschar Stieg aus einem Meer von Freuden; Heute muß ich dafür leiden, Daß ich gestern glücklich war. Ach, in Wermut hat verkehrt Sich der Nektar! Ach, wie quälend Katzenjammer, Hundeelend Herz und Magen mir beschwert! Zum Hausfrieden Viele Weiber, viele Flöhe, Viele Flöhe, vieles Jucken - Tun sie heimlich dir ein Wehe, Darfst du dennoch dich nicht mucken. Denn sie rächen, schelmisch lächelnd, Sich zur Nachtzeit - Willst du drücken Sie ans Herze, lieberöchelnd, Ach, da drehn sie dir den Rücken. Jetzt wohin? Jetzt wohin? Der dumme Fuß Will mich gern nach Deutschland tragen; Doch es schüttelt klug das Haupt Mein Verstand und scheint zu sagen: Zwar beendigt ist der Krieg, Doch die Kriegsgerichte blieben, Und es heißt, du habest einst Viel Erschießliches geschrieben. Das ist wahr, unangenehm Wär mir das Erschossenwerden. Bin kein Held, es fehlen mir Die pathetischen Gebärden. Gern würd ich nach England gehn, Wären dort nicht Kohlendämpfe Und Engländer - schon ihr Duft Gibt Erbrechen mir und Krämpfe. Manchmal kommt mir in den Sinn Nach Amerika zu segeln, Nach dem großen Freiheitstall, Der bewohnt von Gleichheitsflegeln - Doch es ängstet mich ein Land, Wo die Menschen Tabak käuen, Wo sie ohne König kegeln, Wo sie ohne Spucknapf speien. Rußland, dieses schöne Reich, Würde mir vielleicht behagen, Doch im Winter könnte ich Dort die Knute nicht ertragen. Traurig schau ich in die Höh, Wo viel tausend Sterne nicken - Aber meinen eignen Stern Kann ich nirgends dort erblicken. Hat im güldnen Labyrinth Sich vielleicht verirrt am Himmel, Wie ich selber mich verirrt In dem irdischen Getümmel. - Altes Lied Du bist gestorben und weißt es nicht, Erloschen ist dein Augenlicht, Erblichen ist dein rotes Mündchen, Und du bist tot, mein totes Kindchen. In einer schaurigen Sommernacht Hab ich dich selber zu Grabe gebracht; Klaglieder die Nachtigallen sangen, Die Sterne sind mit zur Leiche gegangen. Der Zug, der zog den Wald vorbei, Dort widerhallt die Litanei; Die Tannen, in Trauermänteln vermummt, Sie haben Totengebete gebrummt. Am Weidensee vorüber gings, Die Elfen tanzten inmitten des Rings; Sie blieben plötzlich stehn und schienen Uns anzuschaun mit Beileidsmienen. Und als wir kamen zu deinem Grab, Da stieg der Mond vom Himmel herab. Er hielt eine Rede. Ein Schluchzen und Stöhnen, Und in der Ferne die Glocken tönen. Solidität Liebe sprach zum Gott der Lieder, Sie verlange Sicherheiten, Ehe sie sich ganz ergebe, Denn es wären schlechte Zeiten. Lachend gab der Gott zur Antwort: Ja, die Zeiten sich verändern, Und du sprichst jetzt wie ein alter Wuchrer, welcher leiht auf Pfändern. Ach, ich hab nur eine Leier, Doch sie ist von gutem Golde. Wieviel Küsse willst du borgen Mir darauf, o meine Holde? Alte Rose Eine Rosenknospe war Sie, für die mein Herze glühte; Doch sie wuchs, und wunderbar Schoß sie auf in voller Blüte. Ward die schönste Ros im Land, Und ich wollt die Rose brechen, Doch sie wußte mich pikant Mit den Dornen fortzustechen. Jetzt, wo sie verwelkt, zerfetzt Und verklatscht von Wind und Regen - Liebster Heinrich bin ich jetzt, Liebend kommt sie mir entgegen. Heinrich hinten, Heinrich vorn, Klingt es jetzt mit süßen Tönen; Sticht mich jetzt etwa ein Dorn, Ist es an dem Kinn der Schönen. Allzu hart die Borsten sind, Die des Kinnes Wärzchen zieren - Geh ins Kloster, liebes Kind, Oder lasse dich rasieren. Auto-da-fé Welke Veilchen, stäubge Locken, ein verblichen blaues Band, Halb zerrissene Billette, Längst vergeßner Herzenstand - In die Flammen des Kamines Werf ich sie verdroßnen Blicks; Ängstlich knistern diese Trümmer Meines Glücks und Mißgeschicks. Liebeschwüre, flatterhafte Falsche Eide, in den Schlot Fliegen sie hinauf - es kichert Unsichtbar der kleine Gott. Bei den Flammen des Kamines Sitz ich träumend, und ich seh, Wie die Fünkchen in der Asche Still verglühn - Gut Nacht - Ade! Lazarus I. Weltlauf Hat man viel, so wird man bald Noch viel mehr dazu bekommen. Wer nur wenig hat, dem wird Auch das Wenige genommen. Wenn du aber gar nichts hast, Ach, so lasse dich begraben - Denn ein Recht zum Leben, Lump, Haben nur die etwas haben. II. Rückschau Ich habe gerochen alle Gerüche In dieser holden Erdenküche; Was man genießen kann in der Welt, Das hab ich genossen wie je ein Held! Hab Kaffee getrunken, hab Kuchen gegessen. Hab manche schöne Puppe besessen; Trug seidne Westen, den feinsten Frack, Mir klingelten auch Dukaten im Sack. Wie Gellert ritt ich auf hohem Roß; Ich hatte ein Haus, ich hatte ein Schloß. Ich lag auf der grünen Wiese des Glücks, Die Sonne grüßte goldigsten Blicks; Ein Lorbeerkranz umschloß die Stirn, Er duftete Träume mir ins Gehirn, Träume von Rosen und ewigem Mai - Es ward mir so selig zu Sinne dabei, So dämmersüchtig, so sterbefaul - Mir flogen gebratne Tauben ins Maul, Und Englein kamen, und aus den Taschen Sie zogen hervor Champagnerflaschen - Das waren Visionen, Seifenblasen - Sie platzten - Jetzt lieg ich auf feuchtem Rasen, Die Glieder sind mir rheumatisch gelähmt, Und meine Seele ist tief beschämt. Ach, jede Lust, ach, jeden Genuß Hab ich erkauft durch herben Verdruß; Ich ward getränkt mit Bitternissen Und grausam von den Wanzen gebissen; Ich ward bedrängt von schwarzen Sorgen, Ich mußte lügen, ich mußte borgen Bei reichen Buben und alten Vetteln - Ich glaube sogar, ich mußte betteln. Jetzt bin ich müd vom Rennen und Laufen, Jetzt will ich mich im Grabe verschnaufen. Lebt wohl! Dort oben, ihr christlichen Brüder, Ja, das versteht sich, dort sehn wir uns wieder. III. Auferstehung Posaunenruf erfüllt die Luft, Und furchtbar schallt es wider; Die Toten steigen aus der Gruft, Und schütteln und rütteln die Glieder. Was Beine hat, das trollt sich fort, Es wallen die weißen Gestalten Nach Josaphat, dem Sammelort, Dort wird Gericht gehalten. Als Freigraf sitzet Christus dort In seiner Apostel Kreise. Sie sind die Schöppen, ihr Spruch und Wort Ist minniglich und weise. Sie urteln nicht vermummten Gesichts; Die Maske läßt jeder fallen Am hellen Tage des jüngsten Gerichts, Wenn die Posaunen schallen. Das ist zu Josaphat im Tal, Da stehn die geladenen Scharen, Und weil zu groß der Beklagten Zahl, Wird hier summarisch verfahren. Das Böcklein zur Linken, zur Rechten das Schaf, Geschieden sind sie schnelle; Der Himmel dem Schäfchen fromm und brav, Dem geilen Bock die Hölle! IV. Sterbende Flogest aus nach Sonn und Glück, Nackt und schlecht kommst du zurück. Deutsche Treue, deutsche Hemde, Die verschleißt man in der Fremde. Siehst sehr sterbebläßlich aus, Doch getrost, du bist zu Haus. Warm wie an dem Flackerherde Liegt man in der deutschen Erde. Mancher leider wurde lahm Und nicht mehr nach Hause kam - Streckt verlangend aus die Arme, Daß der Herr sich sein erbarme! V. Lumpentum Die reichen Leute, die gewinnt Man nur durch platte Schmeichelein - Das Geld ist platt, mein liebes Kind, Und will auch platt geschmeichelt sein. Das Weihrauchfaß, das schwinge keck Vor jedem göttlich goldnen Kalb; Bet an im Staub, bet an im Dreck, Vor allem aber lob nicht halb. Das Brot ist teuer dieses Jahr, Jedoch die schönsten Worte hat Man noch umsonst - Besinge gar Mäcenas' Hund, und friß dich satt! VI. Erinnerung Dem Einen die Perle, dem Andern die Truhe, O Wilhelm Wisetzki, du starbest so fruhe - Doch die Katze, die Katz ist gerettet. Der Balken brach, worauf er gekommen, Da ist er im Wasser umgekommen - Doch die Katze, die Katz ist gerettet. Wir folgten der Leiche, dem lieblichen Knaben, Sie haben ihn unter Maiblumen begraben, - Doch die Katze, die Katz ist gerettet. Bist klug gewesen, du bist entronnen Den Stürmen, hast früh ein Obdach gewonnen - Doch die Katze, die Katz ist gerettet. Bist früh entronnen, bist klug gewesen, Noch eh du erkranktest, bist du genesen - Doch die Katze, die Katz ist gerettet. Seit langen Jahren, wie oft, o Kleiner, Mit Neid und Wehmut gedenk ich deiner - Doch die Katze, die Katz ist gerettet. VII. Unvollkommenheit Nichts ist vollkommen hier auf dieser Welt. Der Rose ist der Stachel beigesellt; Ich glaube gar, die lieben holden Engel Im Himmel droben sind nicht ohne Mängel. Der Tulpe fehlt der Duft. Es heißt am Rhein: Auch Ehrlich stahl einmal ein Ferkelschwein. Hätte Lucretia sich nicht erstochen, Sie wär vielleicht gekommen in die Wochen. Häßliche Füße hat der stolze Pfau. Uns kann die amüsant geistreichste Frau Manchmal langweilen wie die Henriade Voltaires, sogar wie Klopstocks Messiade. Die bravste, klügste Kuh kein Spanisch weiß, Wie Maßmann kein Latein - Der Marmorsteiß Der Venus von Canova ist zu glatte, Wie Maßmanns Nase viel zu ärschig platte. Im süßen Lied ist oft ein saurer Reim, Wie Bienenstachel steckt im Honigseim. Am Fuß verwundbar war der Sohn der Thetis, Und Alexander Dumas ist ein Metis. Der strahlenreinste Stern am Himmelzelt Wenn er den Schnupfen kriegt, herunterfällt. Der beste Äpfelwein schmeckt nach der Tonne, Und schwarze Flecken sieht man in der Sonne. Du bist, verehrte Frau, du selbst sogar Nicht fehlerfrei, nicht aller Mängel bar. Du schaust mich an - du fragst mich, was dir fehle? Ein Busen, und im Busen eine Seele. VIII. Fromme Warnung Unsterbliche Seele, nimm dich in Acht, Daß du nicht Schaden leidest, Wenn du aus dem Irdischen scheidest; Es geht der Weg durch Tod und Nacht. Am goldnen Tore der Hauptstadt des Lichts, Da stehen die Gottessoldaten; Sie fragen nach Werken und Taten, Nach Namen und Amt fragt man hier nichts. Am Eingang läßt der Pilger zurück Die staubigen, drückenden Schuhe - Kehr ein, hier findest du Ruhe, Und weiche Pantoffeln und schöne Musik. IX. Der Abgekühlte Und ist man tot, so muß man lang Im Grabe liegen; ich bin bang, Ja, ich bin bang, das Auferstehen Wird nicht so schnell von Statten gehen. Noch einmal, eh mein Lebenslicht Erlöschet, eh mein Herze bricht - Noch einmal möcht ich vor dem Sterben Um Frauenhuld beseligt werben. Und eine Blonde müßt es sein, Mit Augen sanft wie Mondenschein - Denn schlecht bekommen mir am Ende Die wild brünetten Sonnenbrände. Das junge Volk, voll Lebenskraft Will den Tumult der Leidenschaft, Das ist ein Rasen, Schwören, Poltern Und wechselseitges Seelenfoltern! Unjung und nicht mehr ganz gesund, Wie ich es bin zu dieser Stund, Mögt ich noch einmal lieben, schwärmen Und glücklich sein - doch ohne Lärmen. X. Salomo Verstummt sind Pauken, Posaunen und Zinken. An Salomos Lager Wache halten Die schwertgegürteten Engelgestalten, Sechstausend zur Rechten, sechstausend zur Linken. Sie schützen den König vor träumendem Leide, Und zieht er finster die Brauen zusammen, Da fahren sogleich die stählernen Flammen, Zwölftausend Schwerter, hervor aus der Scheide. Doch wieder zurück in die Scheide fallen Die Schwerter der Engel. Das nächtliche Grauen Verschwindet, es glätten sich wieder die Brauen Des Schläfers, und seine Lippen lallen: O Sulamith! das Reich ist mein Erbe, Die Lande sind mir untertänig, Bin über Juda und Israel König - Doch liebst du mich nicht, so welk ich und sterbe. XI. Verlorene Wünsche Von der Gleichheit der Gemütsart Wechselseitig angezogen, Waren wir einander immer Mehr als uns bewußt gewogen. Beide ehrlich und bescheiden, Konnten wir uns leicht verstehen; Worte waren überflüssig, Brauchten uns nur anzusehen. O wie sehnlich wünscht ich immer, Daß ich bei dir bleiben könnte Als der tapfre Waffenbruder Eines dolce far niente. Ja, mein liebster Wunsch war immer, Daß ich immer bei dir bliebe! Alles was dir wohlgefiele, Alles tät ich dir zu Liebe. Würde essen was dir schmeckte Und die Schüssel gleich entfernen, Die dir nicht behagt. Ich würde Auch Zigarren rauchen lernen. Manche polnische Geschichte, Die dein Lachen immer weckte, Wollt ich wieder dir erzählen In Judäas Dialekte. Ja, ich wollte zu dir kommen, Nicht mehr in der Fremde schwärmen - An dem Herde deines Glückes Wollt ich meine Kniee wärmen. - - Goldne Wünsche! Seifenblasen! Sie zerrinnen wie mein Leben - Ach, ich liege jetzt am Boden, Kann mich nimmermehr erheben. Und Ade! sie sind zerronnen, Goldne Wünsche, süßes Hoffen! Ach, zu tödlich war der Faustschlag, Der mich just ins Herz getroffen. XII. Gedächtnisfeier Keine Messe wird man singen, Keinen Kadosch wird man sagen, Nichts gesagt und nichts gesungen Wird an meinen Sterbetagen. Doch vielleicht an solchem Tage, Wenn das Wetter schön und milde, Geht spazieren auf Montmartre Mit Paulinen Frau Mathilde. Mit dem Kranz von Immortellen Kommt sie mir das Grab zu schmücken, Und sie seufzet: Pauvre homme! Feuchte Wehmut in den Blicken. Leider wohn ich viel zu hoch, Und ich habe meiner Süßen Keinen Stuhl hier anzubieten; Ach! sie schwankt mit müden Füßen. Süßes, dickes Kind, du darfst Nicht zu Fuß nach Hause gehen; An dem Barrieregitter Siehst du die Fiaker stehen. XIII. Wiedersehen Die Geißblattlaube - Ein Sommerabend - Wir saßen wieder wie ehmals am Fenster - Der Mond ging auf, belebend und labend - Wir aber waren wie zwei Gespenster. Zwölf Jahre schwanden, seitdem wir beisammen Zum letzten Male hier gesessen; Die zärtlichen Gluten, die großen Flammen, Sie waren erloschen unterdessen. Einsilbig saß ich. Die Plaudertasche, Das Weib hingegen schürte beständig Herum in der alten Liebesasche. Jedoch kein Fünkchen ward wieder lebendig. Und sie erzählte: wie sie die bösen Gedanken bekämpft, eine lange Geschichte, Wie wackelig schon ihre Tugend gewesen - Ich machte dazu ein dummes Gesichte. Als ich nach Hause ritt, da liefen Die Bäume vorbei in der Mondenhelle, Wie Geister. Wehmütige Stimmen riefen - Doch ich und die Toten, wir ritten schnelle. XIV. Frau Sorge In meines Glückes Sonnenglanz, Da gaukelte fröhlich der Mückentanz. Die lieben Freunde liebten mich Und teilten mit mir brüderlich Wohl meinen besten Braten Und meinen letzten Dukaten. Das Glück ist fort, der Beutel leer, Und hab auch keine Freunde mehr; Erloschen ist der Sonnenglanz, Zerstoben ist der Mückentanz, Die Freunde, so wie die Mücke, Verschwinden mit dem Glücke. An meinem Bett in der Winternacht Als Wärterin die Sorge wacht. Sie trägt eine weiße Unterjack, Ein schwarzes Mützchen, und schnupft Tabak. Die Dose knarrt so gräßlich, Die Alte nickt so häßlich. Mir träumt manchmal, gekommen sei Zurück das Glück und der junge Mai Und die Freundschaft und der Mückenschwarm - Da knarrt die Dose - daß Gott erbarm, Es platzt die Seifenblase - Die Alte schneuzt die Nase. XV. An die Engel Das ist der böse Thanatos, Er kommt auf einem fahlen Roß, Ich hör den Hufschlag, hör den Trab, Der dunkle Reiter holt mich ab - Er reißt mich fort, Mathilden soll ich lassen, O, den Gedanken kann mein Herz nicht fassen! Sie war mir Weib und Kind zugleich, Und geh ich in das Schattenreich, Wird Witwe sie und Waise sein! Ich laß in dieser Welt allein Das Weib, das Kind, das, trauend meinem Mute, Sorglos und treu an meinem Herzen ruhte. Ihr Engel in den Himmelshöhn, Vernehmt mein Schluchzen und mein Flehn: Beschützt, wenn ich im öden Grab, Das Weib, das ich geliebet hab; Seid Schild und Vögte eurem Ebenbilde, Beschützt, beschirmt mein armes Kind, Mathilde. Bei allen Tränen, die ihr je Geweint um unser Menschenweh, Beim Wort, das nur der Priester kennt Und niemals ohne Schauder nennt, Bei eurer eignen Schönheit, Huld und Milde, Beschwör ich euch, ihr Engel, schützt Mathilde. XVI. Im Oktober 1849 Gelegt hat sich der starke Wind, Und wieder stille wirds daheime; Germania, das große Kind, Erfreut sich wieder seiner Weihnachtsbäume. Wir treiben jetzt Familienglück - Was höher lockt, das ist vom Übel - Die Friedensschwalbe kehrt zurück, Die einst genistet in des Hauses Giebel. Gemütlich ruhen Wald und Fluß, Von sanftem Mondlicht übergossen; Nur manchmal knallts - Ist das ein Schuß? - Es ist vielleicht ein Freund, den man erschossen. Vielleicht mit Waffen in der Hand Hat man den Tollkopf angetroffen (Nicht jeder hat so viel Verstand Wie Flaccus, der so kühn davongeloffen). Es knallt. Es ist ein Fest vielleicht, Ein Feuerwerk zur Goethefeier! - Die Sontag, die dem Grab entsteigt, Begrüßt Raketenlärm - die alte Leier. Auch Liszt taucht wieder auf, der Franz, Er lebt, er liegt nicht blutgerötet Auf einem Schlachtfeld Ungarlands; Kein Russe, noch Kroat hat ihn getötet. Es fiel der Freiheit letzte Schanz, Und Ungarn blutet sich zu Tode - Doch unversehrt blieb Ritter Franz, Sein Säbel auch - er liegt in der Kommode. Er lebt, der Franz, und wird als Greis Vom Ungarkriege Wunderdinge Erzählen in der Enkel Kreis - »So lag ich und so führt ich meine Klinge!« Wenn ich den Namen Ungarn hör, Wird mir das deutsche Wams zu enge, Es braust darunter wie ein Meer, Mir ist als grüßten mich Trompetenklänge! Es klirrt mir wieder im Gemüt Die Heldensage, längst verklungen, Das eisern wilde Kämpenlied - Das Lied vom Untergang der Nibelungen. Es ist dasselbe Heldenlos, Es sind dieselben alten Mären, Die Namen sind verändert bloß, Doch sinds dieselben »Helden lobebären«. Es ist dasselbe Schicksal auch - Wie stolz und frei die Fahnen fliegen, Es muß der Held, nach altem Brauch, Den tierisch rohen Mächten unterliegen. Und diesmal hat der Ochse gar Mit Bären einen Bund geschlossen - Du fällst; doch tröste dich, Magyar, Wir Andre haben schlimmre Schmach genossen. Anständige Bestien sind es doch, Die ganz honett dich überwunden; Doch wir geraten in das Joch Von Wölfen, Schweinen und gemeinen Hunden. Das heult und bellt und grunzt -ich kann Ertragen kaum den Duft der Sieger. Doch still, Poet, das greift dich an - Du bist so krank, und schweigen wäre klüger. XVII. Böses Geträume Im Traume war ich wieder jung und munter - Es war das Landhaus hoch am Bergesrand, Wettlaufend lief ich dort den Pfad hinunter, Wettlaufend mit Ottiljen Hand in Hand. Wie das Persönchen fein formiert! Die süßen Meergrünen Augen zwinkern nixenhaft. Sie steht so fest auf ihren kleinen Füßen, Ein Bild von Zierlichkeit, vereint mit Kraft. Der Ton der Stimme ist so treu und innig, Man glaubt zu schaun bis in der Seele Grund; Und alles was sie spricht ist klug und sinnig; Wie eine Rosenknospe ist der Mund. Es ist nicht Liebesweh, was mich beschleichet, Ich schwärme nicht, ich bleibe bei Verstand; - Doch wunderbar ihr Wesen mich erweichet, Und heimlich bebend küß ich ihre Hand. Ich glaub, am Ende brach ich eine Lilje, Die gab ich ihr und sprach ganz laut dabei: Heirate mich und sei mein Weib, Ottilje, Damit ich fromm wie du und glücklich sei. Was sie zur Antwort gab, das weiß ich nimmer, Denn ich erwachte jählings - und ich war Wieder ein Kranker, der im Krankenzimmer Trostlos daniederliegt seit manchem Jahr. - - XVIII. Sie erlischt Der Vorhang fällt, das Stück ist aus, Und Herrn und Damen gehn nach Haus. Ob ihnen auch das Stück gefallen? Ich glaub, ich hörte Beifall schallen. Ein hochverehrtes Publikum Beklatschte dankbar seinen Dichter. Jetzt aber ist das Haus so stumm, Und sind verschwunden Lust und Lichter. Doch horch! ein schollernd schnöder Klang Ertönt unfern der öden Bühne; - Vielleicht daß eine Saite sprang An einer alten Violine. Verdrießlich rascheln im Parterr Etwelche Ratten hin und her, Und Alles riecht nach ranzgem Öle. Die letzte Lampe ächzt und zischt Verzweiflungsvoll, und sie erlischt. Das arme Licht war meine Seele. XIX. Vermächtnis Nun mein Leben geht zu End, Mach ich auch mein Testament; Christlich will ich drin bedenken Meine Feinde mit Geschenken. Diese würdgen, tugendfesten Widersacher sollen erben All mein Siechtum und Verderben, Meine sämtlichen Gebresten. Ich vermach euch die Koliken, Die den Bauch wie Zangen zwicken, Harnbeschwerden, die perfiden Preußischen Hämorrhoiden. Meine Krämpfe sollt ihr haben, Speichelfluß und Gliederzucken, Knochendarre in dem Rucken, Lauter schöne Gottesgaben. Kodizill zu dem Vermächtnis: In Vergessenheit versenken Soll der Herr eur Angedenken, Er vertilge eur Gedächtnis. XX. Enfant perdu Verlorener Posten in dem Freiheitskriege, Hielt ich seit dreißig Jahren treulich aus. Ich kämpfe ohne Hoffnung, daß ich siege, Ich wußte, nie komm ich gesund nach Haus. Ich wachte Tag und Nacht - Ich konnt nicht schlafen, Wie in dem Lagerzelt der Freunde Schar (Auch hielt das laute Schnarchen dieser Braven Mich wach, wenn ich ein bißchen schlummrig war). In jenen Nächten hat Langweil ergriffen Mich oft, auch Furcht - (nur Narren fürchten nichts) - Sie zu verscheuchen, hab ich dann gepfiffen Die frechen Reime eines Spottgedichts. Ja, wachsam stand ich, das Gewehr im Arme, Und nahte irgend ein verdächtger Gauch, So schoß ich gut und jagt ihm eine warme, Brühwarme Kugel in den schnöden Bauch. Mitunter freilich mocht es sich ereignen, Daß solch ein schlechter Gauch gleichfalls sehr gut Zu schießen wußte - ach, ich kanns nicht leugnen - Die Wunden klaffen - es verströmt mein Blut. Ein Posten ist vakant! - Die Wunden klaffen - Der Eine fällt, die Andern rücken nach - Doch fall ich unbesiegt, und meine Waffen Sind nicht gebrochen - Nur mein Herze brach. Drittes Buch Hebräische Melodien O laß nicht ohne Lebensgenuß Dein Leben verfließen! Und bist du sicher vor dem Schuß, So laß sie nur schießen. Fliegt dir das Glück vorbei einmal, So faß es am Zipfel. Auch rat ich dir, baue dein Hüttchen im Tal Und nicht auf dem Gipfel. Prinzessin Sabbath In Arabiens Märchenbuche Sehen wir verwünschte Prinzen, Die zu Zeiten ihre schöne Urgestalt zurückgewinnen: Das behaarte Ungeheuer Ist ein Königsohn geworden; Schmuckreich glänzend angekleidet, Auch verliebt die Flöte blasend. Doch die Zauberfrist zerrinnt, Und wir schauen plötzlich wieder Seine königliche Hoheit In ein Ungetüm verzottelt. Einen Prinzen solchen Schicksals Singt mein Lied. Er ist geheißen Israel. Ihn hat verwandelt Hexenspruch in einen Hund. Hund mit hündischen Gedanken, Kötert er die ganze Woche Durch des Lebens Kot und Kehricht, Gassenbuben zum Gespötte. Aber jeden Freitag Abend, In der Dämmrungstunde, plötzlich Weicht der Zauber, und der Hund Wird aufs Neu ein menschlich Wesen. Mensch mit menschlichen Gefühlen, Mit erhobnem Haupt und Herzen, Festlich, reinlich schier gekleidet, Tritt er in des Vaters Halle. »Sei gegrüßt, geliebte Halle Meines königlichen Vaters! Zelte Jakobs, eure heilgen Eingangspfosten küßt mein Mund!« Durch das Haus geheimnisvoll Zieht ein Wispern und ein Weben, Und der unsichtbare Hausherr Atmet schaurig in der Stille. Stille! Nur der Seneschall (Vulgo Synagogendiener) Springt geschäftig auf und nieder, Um die Lampen anzuzünden. Trostverheißend goldne Lichter, Wie sie glänzen, wie sie glimmern! Stolz aufflackern auch die Kerzen Auf der Brüstung des Almemors. Vor dem Schreine, der die Thora Aufbewahret und verhängt ist Mit der kostbar seidnen Decke, Die von Edelsteinen funkelt - Dort an seinem Betpultständer Steht schon der Gemeindesänger; Schmuckes Männchen, das sein schwarzes Mäntelchen kokett geachselt. Um die weiße Hand zu zeigen, Haspelt er am Halse, seltsam An die Schläf den Zeigefinger, An die Kehl den Daumen drückend. Trällert vor sich hin ganz leise, Bis er endlich lautaufjubelnd Seine Stimm erhebt und singt: Lecho Daudi likras Kalle! Lecho Daudi likras Kalle - Komm, Geliebter, deiner harret Schon die Braut, die dir entschleiert Ihr verschämtes Angesicht! Dieses hübsche Hochzeitkarmen Ist gedichtet von dem großen, Hochberühmten Minnesinger Don Jehuda ben Halevy. In dem Liede wird gefeiert Die Vermählung Israels Mit der Frau Prinzessin Sabbath, Die man nennt die stille Fürstin. Perl und Blume aller Schönheit Ist die Fürstin. Schöner war Nicht die Königin von Saba, Salomonis Busenfreundin, Die, ein Blaustrumpf Äthiopiens, Durch Esprit brillieren wollte, Und mit ihren klugen Rätseln Auf die Länge fatigant ward. Die Prinzessin Sabbath, welche Ja die personifizierte Ruhe ist, verabscheut alle Geisteskämpfe und Debatten. Gleich fatal ist ihr die trampelnd Deklamierende Passion, Jenes Pathos, das mit flatternd Aufgelöstem Haar einherstürmt. Sittsam birgt die stille Fürstin In der Haube ihre Zöpfe; Blickt so sanft wie die Gazelle, Blüht so schlank wie eine Addas. Sie erlaubt dem Liebsten alles, Ausgenommen Tabakrauchen - »Liebster! Rauchen ist verboten, Weil es heute Sabbath ist. »Dafür aber heute Mittag Soll dir dampfen, zum Ersatz, Ein Gericht, das wahrhaft göttlich - Heute sollst du Schalet essen!« Schalet, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium! Also klänge Schillers Hochlied, Hätt er Schalet je gekostet. Schalet ist die Himmelspeise, Die der liebe Herrgott selber Einst den Moses kochen lehrte Auf dem Berge Sinai, Wo der Allerhöchste gleichfalls All die guten Glaubenslehren Und die heilgen zehn Gebote Wetterleuchtend offenbarte. Schalet ist des wahren Gottes Koscheres Ambrosia, Wonnebrot des Paradieses, Und mit solcher Kost verglichen Ist nur eitel Teufelsdreck Das Ambrosia der falschen Heidengötter Griechenlands, Die verkappte Teufel waren. Speist der Prinz von solcher Speise, Glänzt sein Auge wie verkläret, Und er knöpfet auf die Weste, Und er spricht mit selgem Lächeln: »Hör ich nicht den Jordan rauschen? Sind das nicht die Brüßelbrunnen In dem Palmental von Beth-El, Wo gelagert die Kamele? »Hör ich nicht die Herdenglöckchen? Sind das nicht die fetten Hämmel, Die vom Gileathgebirge Abendlich der Hirt herabtreibt?« Doch der schöne Tag verflittert; Wie mit langen Schattenbeinen Kommt geschritten der Verwünschung Böse Stund - Es seufzt der Prinz. Ist ihm doch als griffen eiskalt Hexenfinger in sein Herze. Schon durchrieseln ihn die Schauer Hündischer Metamorphose. Die Prinzessin reicht dem Prinzen Ihre güldne Nardenbüchse. Langsam riecht er - Will sich laben Noch einmal an Wohlgerüchen. Es kredenzet die Prinzessin Auch den Abschiedstrunk dem Prinzen - Hastig trinkt er, und im Becher Bleiben wen'ge Tropfen nur. Er besprengt damit den Tisch, Nimmt alsdann ein kleines Wachslicht, Und er tunkt es in die Nässe, Daß es knistert und erlischt. Jehuda ben Halevy I Lechzend klebe mir die Zunge An dem Gaumen, und es welke Meine rechte Hand, vergäß ich Jemals dein, Jerusalem -« Wort und Weise, unaufhörlich Schwirren sie mir heut im Kopfe, Und mir ist als hört ich Stimmen, Psalmodierend, Männerstimmen - Manchmal kommen auch zum Vorschein Bärte, schattig lange Bärte - Traumgestalten, wer von euch Ist Jehuda ben Halevy? Doch sie huschen rasch vorüber; Die Gespenster scheuen furchtsam Der Lebendgen plumpen Zuspruch - Aber ihn hab ich erkannt - Ich erkannt ihn an der bleichen Und gedankenstolzen Stirne, An der Augen süßer Starrheit - Sahn mich an so schmerzlich forschend - Doch zumeist erkannt ich ihn An dem rätselhaften Lächeln Jener schön gereimten Lippen, Die man nur bei Dichtern findet. Jahre kommen und verfließen. Seit Jehuda ben Halevy Ward geboren, sind verflossen Siebenhundert funfzig Jahre - Hat zuerst das Licht erblickt Zu Toledo in Kastilien, Und es hat der goldne Tajo Ihm sein Wiegenlied gelullet. Für Entwicklung seines Geistes Sorgte früh der strenge Vater, Der den Unterricht begann Mit dem Gottesbuch, der Thora. Diese las er mit dem Sohne In dem Urtext, dessen schöne, Hieroglyphisch pittoreske, Altchaldäische Quadratschrift Herstammt aus dem Kindesalter Unsrer Welt, und auch deswegen Jedem kindlichen Gemüte So vertraut entgegenlacht. Diesen echten alten Text Rezitierte auch der Knabe In der uralt hergebrachten Singsangweise, Tropp geheißen - Und er gurgelte gar lieblich Jene fetten Gutturalen, Und er schlug dabei den Triller, Den Schalscheleth, wie ein Vogel. Auch den Targum Onkelos, Der geschrieben ist in jenem Plattjudäischen Idiom, Das wir Aramäisch nennen Und zur Sprache der Propheten Sich verhalten mag etwa Wie das Schwäbische zum Deutschen - Dieses Gelbveiglein-Hebräisch Lernte gleichfalls früh der Knabe, Und es kam ihm solche Kenntnis Bald darauf sehr gut zu Statten Bei dem Studium des Talmuds. Ja, frühzeitig hat der Vater Ihn geleitet zu dem Talmud, Und da hat er ihm erschlossen Die Halacha, diese große Fechterschule, wo die besten Dialektischen Athleten Babylons und Pumpedithas Ihre Kämpferspiele trieben. Lernen konnte hier der Knabe Alle Künste der Polemik; Seine Meisterschaft bezeugte Späterhin das Buch Cosari. Doch der Himmel gießt herunter Zwei verschiedne Sorten Lichtes: Grelles Tageslicht der Sonne Und das mildre Mondlicht - Also, Also leuchtet auch der Talmud Zwiefach, und man teilt ihn ein In Halacha und Hagada. Erstre nannt ich eine Fechtschul - Letztre aber, die Hagada, Will ich einen Garten nennen, Einen Garten, hochphantastisch Und vergleichbar jenem andern, Welcher ebenfalls dem Boden Babylons entsprossen weiland - Garten der Semiramis, Achtes Wunderwerk der Welt. Königin Semiramis, Die als Kind erzogen worden Von den Vögeln, und gar manche Vögeltümlichkeit bewahrte, Wollte nicht auf platter Erde Promenieren wie wir andern Säugetiere, und sie pflanzte Einen Garten in der Luft - Hoch auf kolossalen Säulen Prangten Palmen und Zypressen, Goldorangen, Blumenbeete, Marmorbilder, auch Springbrunnen, Alles klug und fest verbunden Durch unzählge Hängebrücken, Die wie Schlingepflanzen aussahn Und worauf sich Vögel wiegten - Große, bunte, ernste Vögel, Tiefe Denker, die nicht singen, Während sie umflattert kleines Zeisigvolk, das lustig trillert - Alle atmen ein, beseligt, Einen reinen Balsamduft, Welcher unvermischt mit schnödem Erdendunst und Mißgeruche. Die Hagada ist ein Garten Solcher Luftkindgrillenart, Und der junge Talmudschüler, Wenn sein Herze war bestäubet Und betäubet vom Gezänke Der Halacha, vom Dispute Über das fatale Ei, Das ein Huhn gelegt am Festtag, Oder über eine Frage Gleicher Importanz - der Knabe Floh alsdann sich zu erfrischen In die blühende Hagada, Wo die schönen alten Sagen, Engelmärchen und Legenden, Stille Märtyrerhistorien, Festgesänge, Weisheitsprüche, Auch Hyperbeln, gar possierlich, Alles aber glaubenskräftig, Glaubensglühend - O, das glänzte, Quoll und sproß so überschwenglich - Und des Knaben edles Herze Ward ergriffen von der wilden, Abenteuerlichen Süße, Von der wundersamen Schmerzlust Und den fabelhaften Schauern Jener seligen Geheimwelt, Jener großen Offenbarung, Die wir nennen Poesie. Auch die Kunst der Poesie, Heitres Wissen, holdes Können, Welches wir die Dichtkunst heißen, Tat sich auf dem Sinn des Knaben. Und Jehuda ben Halevy Ward nicht bloß ein Schriftgelehrter, Sondern auch der Dichtkunst Meister, Sondern auch ein großer Dichter. Ja, er ward ein großer Dichter, Stern und Fackel seiner Zeit, Seines Volkes Licht und Leuchte, Eine wunderbare, große Feuersäule des Gesanges, Die der Schmerzenskarawane Israels vorangezogen In der Wüste des Exils. Rein und wahrhaft, sonder Makel War sein Lied, wie seine Seele - Als der Schöpfer sie erschaffen, Diese Seele, selbstzufrieden Küßte er die schöne Seele, Und des Kusses holder Nachklang Bebt in jedem Lied des Dichters, Das geweiht durch diese Gnade. Wie im Leben, so im Dichten Ist das höchste Gut die Gnade - Wer sie hat, der kann nicht sündgen Nicht in Versen, noch in Prosa. Solchen Dichter von der Gnade Gottes nennen wir Genie: Unverantwortlicher König Des Gedankenreiches ist er. Nur dem Gotte steht er Rede, Nicht dem Volke - In der Kunst, Wie im Leben, kann das Volk Töten uns, doch niemals richten. - II Bei den Wassern Babels saßen Wir und weinten, unsre Harfen Lehnten an den Trauerweiden - Kennst du noch das alte Lied? Kennst du noch die alte Weise, Die im Anfang so elegisch Greint und sumset, wie ein Kessel, Welcher auf dem Herde kocht? Lange schon, jahrtausendlange Kochts in mir. Ein dunkles Wehe! Und die Zeit leckt meine Wunde, Wie der Hund die Schwären Hiobs. Dank dir, Hund, für deinen Speichel - Doch das kann nur kühlend lindern - Heilen kann mich nur der Tod, Aber, ach, ich bin unsterblich! Jahre kommen und vergehen - In dem Webstuhl läuft geschäftig Schnurrend hin und her die Spule - Was er webt, das weiß kein Weber. Jahre kommen und vergehen, Menschentränen träufeln, rinnen Auf die Erde, und die Erde Saugt sie ein mit stiller Gier - Tolle Sud! Der Deckel springt - Heil dem Manne, dessen Hand Deine junge Brut ergreifet Und zerschmettert an der Felswand. Gott sei Dank! die Sud verdampfet In dem Kessel, der allmählig Ganz verstummt. Es weicht mein Spleen, Mein westöstlich dunkler Spleen - Auch mein Flügelrößlein wiehert Wieder heiter, scheint den bösen Nachtalp von sich abzuschütteln, Und die klugen Augen fragen: Reiten wir zurück nach Spanien Zu dem kleinen Talmudisten, Der ein großer Dichter worden, Zu Jehuda ben Halevy? Ja, er ward ein großer Dichter, Absoluter Traumweltsherrscher Mit der Geisterkönigskrone, Ein Poet von Gottes Gnade, Der in heiligen Sirventen, Madrigalen und Terzinen, Kanzonetten und Ghaselen Ausgegossen alle Flammen Seiner gottgeküßten Seele! Wahrlich ebenbürtig war Dieser Troubadour den besten Lautenschlägern der Provence, Poitous und der Guienne, Roussillons und aller andern Süßen Pomeranzenlande Der galanten Christenheit. Der galanten Christenheit Süße Pomeranzenlande! Wie sie duften, glänzen, klingen In dem Zwielicht der Erinnrung! Schöne Nachtigallenwelt! Wo man statt des wahren Gottes Nur den falschen Gott der Liebe Und der Musen angebeten. Clerici mit Rosenkränzen Auf der Glatze sangen Psalmen In der heitern Sprache d'oc; Und die Laien, edle Ritter, Stolz auf hohen Rossen trabend, Spintisierten Vers und Reime Zur Verherrlichung der Dame, Der ihr Herze fröhlich diente. Ohne Dame keine Minne, Und es war dem Minnesänger Unentbehrlich eine Dame, Wie dem Butterbrot die Butter. Auch der Held, den wir besingen, Auch Jehuda ben Halevy Hatte seine Herzensdame; Doch sie war besondrer Art. Sie war keine Laura, deren Augen, sterbliche Gestirne, In dem Dome am Karfreitag Den berühmten Brand gestiftet - Sie war keine Chatelaine, Die im Blütenschmuck der Jugend Bei Turnieren präsidierte Und den Lorbeerkranz erteilte - Keine Kußrechtskasuistin War sie, keine Doktrinärrin, Die im Spruchkollegium Eines Minnehofs dozierte - Jene, die der Rabbi liebte, War ein traurig armes Liebchen, Der Zerstörung Jammerbildnis, Und sie hieß Jerusalem. Schon in frühen Kindestagen War sie seine ganze Liebe; Sein Gemüte machte beben Schon das Wort Jerusalem. Purpurflamme auf der Wange, Stand der Knabe, und er horchte, Wenn ein Pilger nach Toledo Kam aus fernem Morgenlande Und erzählte: wie verödet Und verunreint jetzt die Stätte, Wo am Boden noch die Lichtspur Von dem Fuße der Propheten - Wo die Luft noch balsamieret Von dem ewgen Odem Gottes - O des Jammeranblicks! rief Einst ein Pilger, dessen Bart Silberweiß hinabfloß, während Sich das Barthaar an der Spitze Wieder schwärzte und es aussah, Als ob sich der Bart verjünge - Ein gar wunderlicher Pilger Mocht es sein, die Augen lugten Wie aus tausendjährgem Trübsinn, Und er seufzt': »Jerusalem! »Sie, die volkreich heilge Stadt Ist zur Wüstenei geworden, Wo Waldteufel, Werwolf, Schakal Ihr verruchtes Wesen treiben - »Schlangen, Nachtgevögel nisten Im verwitterten Gemäuer; Aus des Fensters luftgem Bogen Schaut der Fuchs mit Wohlbehagen. »Hier und da taucht auf zuweilen Ein zerlumpter Knecht der Wüste, Der sein höckriges Kamel In dem hohen Grase weidet. »Auf der edlen Höhe Zions, Wo die goldne Feste ragte, Deren Herrlichkeiten zeugten Von der Pracht des großen Königs: »Dort, von Unkraut überwuchert, Liegen nur noch graue Trümmer, Die uns ansehn schmerzhaft traurig, Daß man glauben muß, sie weinten. »Und es heißt, sie weinten wirklich Einmal in dem Jahr, an jenem Neunten Tag des Monats Ab - Und mit tränend eignen Augen »Schaute ich die dicken Tropfen Aus den großen Steinen sickern, Und ich hörte weheklagen Die gebrochnen Tempelsäulen.« - - Solche fromme Pilgersagen Weckten in der jungen Brust Des Jehuda ben Halevy Sehnsucht nach Jerusalem. Dichtersehnsucht! ahnend, träumend Und fatal war sie, wie jene, Die auf seinem Schloß zu Blaye Einst empfand der alte Vidam, Messer Geoffroi Rudello, Als die Ritter, die zurück Aus dem Morgenlande kehrten, Laut beim Becherklang beteuert: Ausbund aller Huld und Züchten, Perl und Blume aller Frauen, Sei die schöne Melisande, Markgräfin von Tripolis. Jeder weiß, für diese Dame Schwärmte jetzt der Troubadour; Er besang sie, und es wurde Ihm zu eng im Schlosse Blaye. Und es trieb ihn fort. Zu Cette Schiffte er sich ein, erkrankte Aber auf dem Meer, und sterbend Kam er an zu Tripolis. Hier erblickt er Melisanden Endlich auch mit Leibesaugen, Die jedoch des Todes Schatten In derselben Stunde deckten. Seinen letzten Liebessang Singend, starb er zu den Füßen Seiner Dame Melisande, Markgräfin von Tripolis. Wunderbare Ähnlichkeit In dem Schicksal beider Dichter! Nur daß jener erst im Alter Seine große Wallfahrt antrat. Auch Jehuda ben Halevy Starb zu Füßen seiner Liebsten, Und sein sterbend Haupt, es ruhte Auf den Knien Jerusalems. III Nach der Schlacht bei Arabella Hat der große Alexander Land und Leute des Darius, Hof und Harem, Pferde, Weiber, Elefanten und Dariken, Kron und Szepter, goldnen Plunder, Eingesteckt in seine weiten Mazedonschen Pluderhosen. In dem Zelt des großen Königs, Der entflohn, um nicht höchstselbst Gleichfalls eingesteckt zu werden, Fand der junge Held ein Kästchen, Eine kleine güldne Truhe, Mit Miniaturbildwerken Und mit inkrustierten Steinen Und Kameen reich geschmückt - Dieses Kästchen, selbst ein Kleinod Unschätzbaren Wertes, diente Zur Bewahrung von Kleinodien, Des Monarchen Leibjuwelen. Letztre schenkte Alexander An die Tapfern seines Heeres Darob lächelnd, daß sich Männer Kindisch freun an bunten Steinchen. Eine kostbar schönste Gemme Schickte er der lieben Mutter; War der Siegelring des Cyrus, Wurde jetzt zu einer Brosche. Seinem alten Weltarschpauker Aristoteles, dem sandt er Einen Onyx für sein großes Naturalienkabinett. In dem Kästchen waren Perlen, Eine wunderbare Schnur, Die der Königin Atossa Einst geschenkt der falsche Smerdis - Doch die Perlen waren echt - Und der heitre Sieger gab sie Einer schönen Tänzerin Aus Korinth, mit Namen Thais. Diese trug sie in den Haaren, Die bacchantisch aufgelöst, In der Brandnacht, als sie tanzte Zu Persepolis und frech In die Königsburg geschleudert Ihre Fackel, daß laut prasselnd Bald die Flammenlohe aufschlug, Wie ein Feuerwerk zum Feste. Nach dem Tod der schönen Thais, Die an einer babylonschen Krankheit starb zu Babylon, Wurden ihre Perlen dort Auf dem Börsensaal vergantert. Sie erstand ein Pfaff aus Memphis, Der sie nach Ägypten brachte, Wo sie später auf dem Putztisch Der Kleopatra erschienen, Die die schönste Perl zerstampft Und mit Wein vermischt verschluckte, Um Antonius zu foppen. Mit dem letzten Omayaden Kam die Perlenschnur nach Spanien, Und sie schlängelte am Turban Des Chalifen zu Corduba. Abderam der Dritte trug sie Als Brustschleife beim Turnier, Wo er dreißig goldne Ringe Und das Herz Zuleimas stach. Nach dem Fall der Mohrenherrschaft Gingen zu den Christen über Auch die Perlen, und gerieten In den Kronschatz von Kastilien. Die katholischen Majestäten Spanscher Königinnen schmückten Sich damit bei Hoffestspielen, Stiergefechten, Prozessionen, So wie auch Autodafés, Wo sie, auf Balkonen sitzend, Sich erquickten am Geruche Von gebratnen alten Juden. Späterhin gab Mendizabel, Satansenkel, diese Perlen In Versatz, um der Finanzen Defizit damit zu decken. An dem Hof der Tuilerien Kam die Schnur zuletzt zum Vorschein, Und sie schimmerte am Halse Der Baronin Salomon. So ergings den schönen Perlen. Minder abenteuerlich Gings dem Kästchen, dies behielt Alexander für sich selber. Er verschloß darin die Lieder Des ambrosischen Homeros, Seines Lieblings, und zu Häupten Seines Bettes in der Nacht Stand das Kästchen - Schlief der König, Stiegen draus hervor der Helden Lichte Bilder, und sie schlichen Gaukelnd sich in seine Träume. Andre Zeiten, andre Vögel - Ich, ich liebte weiland gleichfalls Die Gesänge von den Taten Des Peliden, des Odysseus. Damals war so sonnengoldig Und so purpurn mir zu Mute, Meine Stirn umkränzte Weinlaub, Und es tönten die Fanfaren - Still davon - gebrochen liegt Jetzt mein stolzer Siegeswagen, Und die Panther, die ihn zogen, Sind verreckt, so wie die Weiber, Die mit Pauk und Zimbelklängen Mich umtanzten, und ich selbst Wälze mich am Boden elend, Krüppelelend - still davon - Still davon - es ist die Rede Von dem Kästchen des Darius, Und ich dacht in meinem Sinne: Käm ich in Besitz des Kästchens, Und mich zwänge nicht Finanznot Gleich dasselbe zu versilbern, So verschlösse ich darin Die Gedichte unsres Rabbi - Des Jehuda ben Halevy Festgesänge, Klagelieder, Die Ghaselen, Reisebilder Seiner Wallfahrt - alles ließ ich Von dem besten Zophar schreiben Auf der reinsten Pergamenthaut, Und ich legte diese Handschrift In das kleine goldne Kästchen. Dieses stellt ich auf den Tisch Neben meinem Bett, und kämen Dann die Freunde und erstaunten Ob der Pracht der kleinen Truhe, Ob den seltnen Basrelieffen, Die so winzig, doch vollendet Sind zugleich, und ob den großen Inkrustierten Edelsteinen - Lächelnd würd ich ihnen sagen: Das ist nur die rohe Schale, Die den bessern Schatz verschließet - Hier in diesem Kästchen liegen Diamanten, deren Lichter Abglanz, Widerschein des Himmels, Herzblutglühende Rubinen, Fleckenlose Turkoasen, Auch Smaragde der Verheißung, Perlen, reiner noch als jene, Die der Königin Atossa Einst geschenkt der falsche Smerdis, Und die späterhin geschmücket Alle Notabilitäten Dieser mondumkreisten Erde, Thais und Kleopatra, Isispriester, Mohrenfürsten, Auch Hispaniens Königinnen, Und zuletzt die hochverehrte Frau Baronin Salomon - Diese weltberühmten Perlen, Sie sind nur der bleiche Schleim Eines armen Austertiers, Das im Meergrund blöde kränkelt: Doch die Perlen hier im Kästchen Sind entquollen einer schönen Menschenseele, die noch tiefer, Abgrundtiefer als das Weltmeer - Denn es sind die Tränenperlen Des Jehuda ben Halevy, Die er ob dem Untergang Von Jerusalem geweinet - Perlentränen, die verbunden Durch des Reimes goldnen Faden, Aus der Dichtkunst güldnen Schmiede Als ein Lied hervorgegangen. Dieses Perlentränenlied Ist die vielberühmte Klage, Die gesungen wird in allen Weltzerstreuten Zelten Jakobs An dem neunten Tag des Monats, Der geheißen Ab, dem Jahrstag Von Jerusalems Zerstörung Durch den Titus Vespasianus. Ja, das ist das Zionslied, Das Jehuda ben Halevy Sterbend auf den heilgen Trümmern Von Jerusalem gesungen - Barfuß und im Büßerkittel Saß er dorten auf dem Bruchstück Einer umgestürzten Säule; - Bis zur Brust herunter fiel Wie ein greiser Wald sein Haupthaar, Abenteuerlich beschattend Das bekümmert bleiche Antlitz Mit den geisterhaften Augen - Also saß er und er sang, Wie ein Seher aus der Vorzeit Anzuschaun - dem Grab entstiegen Schien Jeremias, der Alte - Das Gevögel der Ruinen Zähmte schier der wilde Schmerzlaut Des Gesanges, und die Geier Nahten horchend, fast mitleidig - Doch ein frecher Sarazene Kam desselben Wegs geritten, Hoch zu Roß, im Bug sich wiegend Und die blanke Lanze schwingend - In die Brust des armen Sängers Stieß er diesen Todesspeer, Und er jagte rasch von dannen, Wie ein Schattenbild beflügelt. Ruhig floß das Blut des Rabbi, Ruhig seinen Sang zu Ende Sang er, und sein sterbeletzter Seufzer war Jerusalem! - - Eine alte Sage meldet, Jener Sarazene sei Gar kein böser Mensch gewesen, Sondern ein verkappter Engel, Der vom Himmel ward gesendet, Gottes Liebling zu entrücken Dieser Erde und zu fördern Ohne Qual ins Reich der Selgen. Droben, heißt es, harrte seiner Ein Empfang, der schmeichelhaft Ganz besonders für den Dichter, Eine himmlische Sürprise. Festlich kam das Chor der Engel Ihm entgegen mit Musik, Und als Hymne grüßten ihn Seine eignen Verse, jenes Synagogen-Hochzeitkarmen, Jene Sabbathhymenäen, Mit den jauchzend wohlbekannten Melodieen - welche Töne! Englein bliesen auf Hoboen, Englein spielten Violine, Andre strichen auch die Bratsche Oder schlugen Pauk und Zimbel. Und das sang und klang so lieblich, Und so lieblich in den weiten Himmelsräumen widerhallt es: Lecho Daudi likras Kalle. IV Meine Frau ist nicht zufrieden Mit dem vorigen Kapitel, Ganz besonders in Bezug Auf das Kästchen des Darius. Fast mit Bitterkeit bemerkt sie: Daß ein Ehemann, der wahrhaft Religiöse sei, das Kästchen Gleich zu Gelde machen würde, Um damit für seine arme, Legitime Ehegattin Einen Kaschemir zu kaufen, Dessen sie so sehr bedürfe. Der Jehuda ben Halevy, Meinte sie, der sei hinlänglich Ehrenvoll bewahrt in einem Schönen Futteral von Pappe Mit chinesisch eleganten Arabesken, wie die hübschen Bonbonnieren von Marquis Im Passage Panorama. Sonderbar! - setzt sie hinzu - Daß ich niemals nennen hörte Diesen großen Dichternamen, Den Jehuda ben Halevy. Liebstes Kind, gab ich zur Antwort, Solche holde Ignoranz, Sie bekundet die Lakunen Der französischen Erziehung, Der Pariser Pensionate, Wo die Mädchen, diese künftgen Mütter eines freien Volkes, Ihren Unterricht genießen - Alte Mumien, ausgestopfte Pharaonen von Ägypten, Merovinger Schattenkönge, Ungepuderte Perücken, Auch die Zopfmonarchen Chinas, Porzellanpagodenkaiser - Alle lernen sie auswendig, Kluge Mädchen, aber Himmel - Fragt man sie nach großen Namen Aus dem großen Goldzeitalter Der arabisch-althispanisch Jüdischen Poetenschule, Fragt man nach dem Dreigestirn, Nach Jehuda ben Halevy, Nach dem Salomon Gabirol Und dem Moses Iben Esra - Fragt man nach dergleichen Namen, Dann mit großen Augen schaun Uns die Kleinen an - alsdann Stehn am Berge die Ochsinnen. Raten möcht ich dir, Geliebte, Nachzuholen das Versäumte Und Hebräisch zu erlernen - Laß Theater und Konzerte, Widme einge Jahre solchem Studium, du kannst alsdann Im Originale lesen Iben Esra und Gabirol Und versteht sich den Halevy, Das Triumvirat der Dichtkunst, Das dem Saitenspiel Davidis Einst entlockt die schönsten Laute. Alcharisi - der, ich wette, Dir nicht minder unbekannt ist, Ober gleich, französ'scher Witzbold, Den Hariri überwitzelt Im Gebiete der Makame, Und ein Voltairianer war Schon sechshundert Jahr vor Voltair' - Jener Alcharisi sagte: »Durch Gedanken glänzt Gabirol Und gefällt zumeist dem Denker, Iben Esra glänzt durch Kunst Und behagt weit mehr dem Künstler - »Aber Beider Eigenschaften Hat Jehuda ben Halevy, Und er ist ein großer Dichter Und ein Liebling aller Menschen.« Iben Esra war ein Freund Und, ich glaube, auch ein Vetter Des Jehuda ben Halevy, Der in seinem Wanderbuche Schmerzlich klagt, wie er vergebens In Granada aufgesucht hat Seinen Freund, und nur den Bruder Dorten fand, den Medikus, Rabbi Meyer, auch ein Dichter Und der Vater jener Schönen, Die mit hoffnungsloser Flamme Iben Esras Herz entzunden - Um das Mühmchen zu vergessen, Griff er nach dem Wanderstabe, Wie so mancher der Kollegen; Lebte unstet, heimatlos. Pilgernd nach Jerusalem, Überfielen ihn Tartaren, Die an einen Gaul gebunden Ihn nach ihren Steppen schleppten. Mußte Dienste dort verrichten, Die nicht würdig eines Rabbi Und noch wenger eines Dichters, Mußte nämlich Kühe melken. Einstens, als er unterm Bauche Einer Kuh gekauert saß, Ihre Euter hastig fingernd, Daß die Milch floß in den Zuber - Eine Position, unwürdig Eines Rabbis, eines Dichters - Da befiel ihn tiefe Wehmut, Und er fing zu singen an, Und er sang so schön und lieblich, Daß der Chan, der Fürst der Horde, Der vorbeiging, ward gerühret Und die Freiheit gab dem Sklaven. Auch Geschenke gab er ihm, Einen Fuchspelz, eine lange Sarazenenmandoline Und das Zehrgeld für die Heimkehr. Dichterschicksal! böser Unstern, Der die Söhne des Apollo Tödlich nergelt, und sogar Ihren Vater nicht verschont hat, Als er, hinter Daphnen laufend, Statt des weißen Nymphenleibes Nur den Lorbeerbaum erfaßte, Er. der göttliche Schlemihl! Ja, der hohe Delphier ist Ein Schlemihl, und gar der Lorbeer, Der so stolz die Stirne krönet, Ist ein Zeichen des Schlemihltums. Was das Wort Schlemihl bedeutet, Wissen wir. Hat doch Chamisso Ihm das Bürgerrecht in Deutschland Längst verschafft, dem Worte nämlich. Aber unbekannt geblieben, Wie des heilgen Niles Quellen, Ist sein Ursprung; hab darüber Nachgegrübelt manche Nacht. Zu Berlin vor vielen Jahren Wandt ich mich deshalb an unsern Freund Chamisso, suchte Auskunft Beim Dekane der Schlemihle. Doch er konnt mich nicht befriedgen Und verwies mich drob an Hitzig, Der ihm den Familiennamen Seines schattenlosen Peters Einst verraten. Alsbald nahm ich Eine Droschke und ich rollte Zu dem Kriminalrat Hitzig, Welcher ehmals Itzig hieß - Als er noch ein Itzig war, Träumte ihm, er säh geschrieben An dem Himmel seinen Namen Und davor den Buchstab H. »Was bedeutet dieses H?« Frug er sich - »etwa Herr Itzig Oder Heilger Itzig? Heilger Ist ein schöner Titel - aber »In Berlin nicht passend« - Endlich Grübelnsmüd nannt er sich Hitzig, Und nur die Getreuen wußten: In dem Hitzig steckt ein Heilger. Heilger Hitzig! sprach ich also, Als ich zu ihm kam, Sie sollen Mir die Etymologie Von dem Wort Schlemihl erklären. Viel Umschweife nahm der Heilge, Konnte sich nicht recht erinnern, Eine Ausflucht nach der andern, Immer christlich - Bis mir endlich, Endlich alle Knöpfe rissen An der Hose der Geduld, Und ich anfing so zu fluchen, So gottlästerlich zu fluchen, Daß der fromme Pietist, Leichenblaß und beineschlotternd, Unverzüglich mir willfahrte Und mir Folgendes erzählte: »In der Bibel ist zu lesen, Als zur Zeit der Wüstenwandrung Israel sich oft erlustigt Mit den Töchtern Kanaans, »Da geschah es, daß der Pinhas Sahe, wieder edle Simri Buhlschaft trieb mit einem Weibsbild Aus dem Stamm der Kananiter, »Und alsbald ergriff er zornig Seinen Speer und hat den Simri Auf der Stelle totgestochen - Also heißt es in der Bibel. »Aber mündlich überliefert Hat im Volke sich die Sage, Daß es nicht der Simri war, Den des Pinhas Speer getroffen, »Sondern daß der Blinderzürnte, Statt des Sünders, unversehens Einen ganz Unschuldgen traf, Den Schlemihl ben Zuri Schadday.« - Dieser nun, Schlemihl I., Ist der Ahnherr des Geschlechtes Derer von Schlemihl. Wir stammen Von Schlemihl ben Zuri Schadday. Freilich keine Heldentaten Meldet man von ihm, wir kennen Nur den Namen und wir wissen, Daß er ein Schlemihl gewesen. Doch geschätzet wird ein Stammbaum Nicht ob seinen guten Früchten, Sondern nur ob seinem Alter - Drei Jahrtausend zählt der unsre! Jahre kommen und vergehen - Drei Jahrtausende verflossen, Seit gestorben unser Ahnherr, Herr Schlemihl ben Zuri Schadday. Längst ist auch der Pinhas tot - Doch sein Speer hat sich erhalten, Und wir hören ihn beständig Über unsre Häupter schwirren. Und die besten Herzen trifft er - Wie Jehuda ben Halevy, Traf er Moses Iben Esra Und er traf auch den Gabirol - Den Gabirol, diesen treuen Gottgeweihten Minnesänger, Diese fromme Nachtigall, Deren Rose Gott gewesen - Diese Nachtigall, die zärtlich Ihre Liebeslieder sang In der Dunkelheit der gotisch Mittelalterlichen Nacht! Unerschrocken, unbekümmert Ob den Fratzen und Gespenstern, Ob dem Wust von Tod und Wahnsinn, Die gespukt in jener Nacht - Sie, die Nachtigall, sie dachte Nur an ihren göttlich Liebsten, Dem sie ihre Liebe schluchzte, Den ihr Lobgesang verherrlicht! - Dreißig Lenze sah Gabirol Hier auf Erden, aber Fama Ausposaunte seines Namens Herrlichkeit durch alle Lande. Zu Corduba, wo er wohnte, War ein Mohr sein nächster Nachbar, Welcher gleichfalls Verse machte Und des Dichters Ruhm beneidet'. Hörte er den Dichter singen, Schwoll dem Mohren gleich die Galle, Und der Lieder Süße wurde Bittre Wehmut für den Neidhart. Er verlockte den Verhaßten Nächtlich in sein Haus, erschlug ihn Dorten und vergrub den Leichnam Hinterm Hause in dem Garten. Aber siehe! aus dem Boden, Wo die Leiche eingescharrt war, Wuchs hervor ein Feigenbaum Von der wunderbarsten Schönheit. Seine Frucht war seltsam länglich Und von seltsam würzger Süße, Wer davon genoß, versank In ein träumerisch Entzücken. In dem Volke ging darüber Viel Gerede und Gemunkel, Das am End zu den erlauchten Ohren des Chalifen kam. Dieser prüfte eigenzüngig Jenes Feigenphänomen, Und ernannte eine strenge Untersuchungskommission. Man verfuhr summarisch. Sechzig Bambushiebe auf die Sohlen Gab man gleich dem Herrn des Baumes, Welcher eingestand die Untat. Darauf riß man auch den Baum Mit den Wurzeln aus dem Boden, Und zum Vorschein kam die Leiche Des erschlagenen Gabirol. Diese ward mit Pomp bestattet Und betrauert von den Brüdern; An demselben Tage henkte Man den Mohren zu Corduba. (Fragment) Disputation In der Aula zu Toledo Klingen schmetternd die Fanfaren; Zu dem geistlichen Turnei Wallt das Volk in bunten Scharen. Das ist nicht ein weltlich Stechen, Keine Eisenwaffe blitzet - Eine Lanze ist das Wort, Das scholastisch scharf gespitzet. Nicht galante Paladins Fechten hier, nicht Damendiener - Dieses Kampfes Ritter sind Kapuziner und Rabbiner. Statt des Helmes tragen sie Schabbesdeckel und Kapuzen; Skapulier und Arbekanfeß Sind der Harnisch, drob sie trutzen. Welches ist der wahre Gott? Ist es der Hebräer starrer Großer Eingott, dessen Kämpe Rabbi Juda. der Navarrer? Oder ist es der dreifaltge Liebegott der Christianer, Dessen Kämpe Frater Jose, Gardian der Franziskaner? Durch die Macht der Argumente, Durch der Logik Kettenschlüsse Und Zitate von Autoren, Die man anerkennen müsse, Will ein jeder Kämpe seinen Gegner ad absurdum führen Und die wahre Göttlichkeit Seines Gottes demonstrieren. Festgestellt ist: daß derjenge, Der im Streit ward überwunden, Seines Gegners Religion Anzunehmen sei verbunden, Daß der Jude sich der Taufe Heilgem Sakramente füge, Und im Gegenteil der Christ Der Beschneidung unterliege. Jedem von den beiden Kämpen Beigesellt sind elf Genossen, Die zu teilen sein Geschick Sind in Freud und Leid entschlossen. Glaubenssicher sind die Mönche Von des Gardians Geleitschaft, Halten schon Weihwasserkübel Für die Taufe in Bereitschaft, Schwingen schon die Sprengelbesen Und die blanken Räucherfässer - Ihre Gegner unterdessen Wetzen die Beschneidungsmesser. Beide Rotten stehn schlagfertig Vor den Schranken in dem Saale, Und das Volk mit Ungeduld Harret drängend der Signale. Unterm güldnen Baldachin Und umrauscht vom Hofgesinde Sitzt der König und die Köngin; Diese gleichet einem Kinde. Ein französisch stumpfes Näschen, Schalkheit kichert in den Mienen, Doch bezaubernd sind des Mundes Immer lächelnde Rubinen. Schöne, flatterhafte Blume - Daß sich ihrer Gott erbarme - Von dem heitern Seineufer Wurde sie verpflanzt, die arme, Hierher in den steifen Boden Der hispanischen Grandezza; Weiland hieß sie Blanch' de Bourbon, Donna Blanka heißt sie jetzo. Pedro wird genannt der König Mit dem Zusatz der Grausame; Aber heute, milden Sinnes, Ist er besser als sein Name. Unterhält sich gut gelaunt Mit des Hofes Edelleuten; Auch den Juden und den Mohren Sagt er viele Artigkeiten. Diese Ritter ohne Vorhaut Sind des Königs Lieblingsschranzen, Sie befehlgen seine Heere, Sie verwalten die Finanzen. Aber plötzlich Paukenschläge, Und es melden die Trompeten, Daß begonnen hat der Maulkampf, Der Disput der zwei Athleten. Der Gardian der Franziskaner Bricht hervor mit frommem Grimme; Polternd roh und widrig greinend Ist abwechselnd seine Stimme. In des Vaters und des Sohnes Und des heilgen Geistes Namen Exorzieret er den Rabbi, Jakobs maledeiten Samen. Denn bei solchen Kontroversen Sind oft Teufelchen verborgen In dem Juden, die mit Scharfsinn, Witz und Gründen ihn versorgen. Nun die Teufel ausgetrieben Durch die Macht des Exorzismus, Kommt der Mönch auch zur Dogmatik, Kugelt ab den Katechismus. Er erzählt, daß in der Gottheit Drei Personen sind enthalten, Die jedoch zu einer einzgen, Wenn es passend, sich gestalten - Ein Mysterium, das nur Von demjengen wird verstanden, Der entsprungen ist dem Kerker Der Vernunft und ihren Banden. Er erzählt: wie Gott der Herr Ward zu Bethlehem geboren Von der Jungfrau, welche niemals Ihre Jungferschaft verloren; Wie der Herr der Welt gelegen In der Krippe, und ein Kühlein Und ein Öchslein bei ihm stunden, Schier andächtig, zwei Rindviehlein. Er erzählte: wie der Herr Vor den Schergen des Herodes Nach Ägypten floh, und später Litt die herbe Pein des Todes Unter Pontio Pilato, Der das Urteil unterschrieben, Von den harten Pharisäern, Von den Juden angetrieben. Er erzählte: wie der Herr, Der entstiegen seinem Grabe Schon am dritten Tag, gen Himmel Seinen Flug genommen habe; Wie er aber, wenn es Zeit ist, Wiederkehren auf die Erde Und zu Josaphat die Toten Und Lebendgen richten werde. »Zittert, Juden!« rief der Mönch, »Vor dem Gott, den ihr mit Hieben Und mit Dornen habt gemartert, Den ihr in den Tod getrieben. »Seine Mörder, Volk der Rachsucht, Juden, das seid ihr gewesen - Immer meuchelt ihr den Heiland, Welcher kommt, euch zu erlösen. »Judenvolk, du bist ein Aas, Worin hausen die Dämonen; Eure Leiber sind Kasernen Für des Teufels Legionen. »Thomas von Aquino sagt es, Den man nennt den großen Ochsen Der Gelehrsamkeit, er ist Licht und Lust der Orthodoxen. »Judenvolk, ihr seid Hyänen, Wölfe, Schakals, die in Gräbern Wühlen, um der Toten Leichnam' Blutfraßgierig aufzustöbern. »Juden, Juden, ihr seid Säue, Paviane, Nashorntiere, Die man nennt Rhinozerosse, Krokodile und Vampire. »Ihr seid Raben, Eulen, Uhus, Fledermäuse, Wiedehöpfe, Leichenhühner, Basilisken, Galgenvögel, Nachtgeschöpfe. »Ihr seid Vipern und Blindschleichen, Klapperschlangen, giftge Kröten, Ottern, Nattern - Christus wird Eur verfluchtes Haupt zertreten. »Oder wollt ihr, Maledeiten, Eure armen Seelen retten? Aus der Bosheit Synagoge Flüchtet nach den frommen Stätten, »Nach der Liebe lichtem Dome, Wo im benedeiten Becken Euch der Quell der Gnade sprudelt - Drin sollt ihr die Köpfe stecken - »Wascht dort ab den alten Adam Und die Laster, die ihn schwärzen; Des verjährten Grolles Schimmel, Wascht ihn ab von euren Herzen! »Hört ihr nicht des Heilands Stimme? Euren neuen Namen rief er - Lauset euch an Christi Brust Von der Sünde Ungeziefer! »Unser Gott, der ist die Liebe, Und er gleichet einem Lamme; Um zu sühnen unsre Schuld, Starb er an des Kreuzes Stamme. »Unser Gott, der ist die Liebe, Jesus Christus ist sein Name; Seine Duldsamkeit und Demut Suchen wir stets nachzuahmen. »Deshalb sind wir auch so sanft, So leutselig, ruhig, milde, Hadern niemals, nach des Lammes, Des Versöhners, Musterbilde. »Einst im Himmel werden wir Ganz verklärt zu frommen Englein, Und wir wandeln dort gottselig, In den Händen Liljenstenglein. »Statt der groben Kutten tragen Wir die reinlichsten Gewänder Von Moußlin, Brokat und Seide, Goldne Troddeln, bunte Bänder. »Keine Glatze mehr! Goldlocken Flattern dort um unsre Köpfe; Allerliebste Jungfraun flechten Uns das Haar in hübsche Zöpfe. »Weinpokale wird es droben Von viel weiterm Umfang geben Als die Becher sind hier unten, Worin schäumt der Saft der Reben. »Doch im Gegenteil viel enger Als ein Weibermund hienieden, Wird das Frauenmündchen sein, Das dort oben uns beschieden. »Trinkend, küssend, lachend wollen Wir die Ewigkeit verbringen, Und verzückt Halleluja, Kyrie Eleison singen.« Also schloß der Christ. Die Mönchlein Glaubten schon, Erleuchtung träte In die Herzen, und sie schleppten Flink herbei das Taufgeräte. Doch die wasserscheuen Juden Schütteln sich und grinsen schnöde. Rabbi Juda, der Navarrer, Hub jetzt an die Gegenrede: »Um für deine Saat zu düngen Meines Geistes dürren Acker, Mit Mistkarren voll Schimpfwörter Hast du mich beschmissen wacker. »So folgt jeder der Methode, Dran er nun einmal gewöhnet, Und anstatt dich drob zu schelten, Sag ich Dank dir, wohlversöhnet. »Die Dreieinigkeitsdoktrin Kann für unsre Leut nicht passen, Die mit Regula-de-tri Sich von Jugend aufbefassen. »Daß in deinem Gotte drei, Drei Personen sind enthalten, Ist bescheiden noch, sechstausend Götter gab es bei den Alten. »Unbekannt ist mir der Gott, Den ihr Christum pflegt zu nennen; Seine Jungfer Mutter gleichfalls Hab ich nicht die Ehr zu kennen. »Ich bedaure, daß er einst, Vor etwa zwölfhundert Jahren, Einge Unannehmlichkeiten Zu Jerusalem erfahren. »Ob die Juden ihn getötet, Das ist schwer jetzt zu erkunden, Da ja das Corpus Delicti Schon am dritten Tag verschwunden. »Daß er ein Verwandter sei Unsres Gottes, ist nicht minder Zweifelhaft; so viel wir wissen, Hat der letztre keine Kinder. »Unser Gott ist nicht gestorben Als ein armes Lämmerschwänzchen Für die Menschheit, ist kein süßes Philantröpfchen, Faselhänschen. »Unser Gott ist nicht die Liebe; Schnäbeln ist nicht seine Sache, Denn er ist ein Donnergott Und er ist ein Gott der Rache. »Seines Zornes Blitze treffen Unerbittlich jeden Sünder, Und des Vaters Schulden büßen Oft die späten Enkelkinder. »Unser Gott, der ist lebendig, Und in seiner Himmelshalle Existieret er drauf los Durch die Ewigkeiten alle. »Unser Gott, und der ist auch Ein gesunder Gott, kein Mythos Bleich und dünne wie Oblaten Oder Schatten am Cocytos. »Unser Gott ist stark. In Händen Trägt er Sonne, Mond, Gestirne; Throne brechen, Völker schwinden, Wenn er runzelt seine Stirne. »Und er ist ein großer Gott. David singt: Ermessen ließe Sich die Größe nicht, die Erde Sei der Schemel seiner Füße. »Unser Gott liebt die Musik, Saitenspiel und Festgesänge; Doch wie Ferkelgrunzen sind Ihm zuwider Glockenklänge. »Leviathan heißt der Fisch, Welcher haust im Meeresgrunde; Mit ihm spielet Gott der Herr Alle Tage eine Stunde - »Ausgenommen an dem neunten Tag des Monats Ab, wo nämlich Eingeäschert ward sein Tempel; An dem Tag ist er zu grämlich. »Des Leviathans Länge ist Hundert Meilen, hat Floßfedern Groß wie König Ok von Basan, Und sein Schwanz ist wie ein Zedern. »Doch sein Fleisch ist delikat, Delikater als Schildkröten, Und am Tag der Auferstehung Wird der Herr zu Tische beten. »Alle frommen Auserwählten, Die Gerechten und die Weisen - Unsres Herrgotts Lieblingsfisch Werden sie alsdann verspeisen, »Teils mit weißer Knoblauchbrühe, Teils auch braun in Wein gesotten, Mit Gewürzen und Rosinen, Ungefähr wie Matelotten. »In der weißen Knoblauchbrühe Schwimmen kleine Schäbchen Rettich - So bereitet, Frater Jose, Mundet dir das Fischlein, wett ich! »Auch die braune ist so lecker, Nämlich die Rosinensauce, Sie wird himmlisch wohl behagen Deinem Bäuchlein, Frater Jose. »Was Gott kocht, ist gut gekocht! Mönchlein, nimm jetzt meinen Rat an, Opfre hin die alte Vorhaut Und erquick dich am Leviathan.« Also lockend sprach der Rabbi, Lockend, ködernd, heimlich schmunzelnd, Und die Juden schwangen schon Ihre Messer wonnegrunzelnd, Um als Sieger zu skalpieren Die verfallenen Vorhäute, Wahre spolia opima In dem wunderlichen Streite. Doch die Mönche hielten fest An dem väterlichen Glauben Und an ihrer Vorhaut, ließen Sich derselben nicht berauben. Nach dem Juden sprach aufs neue Der katholische Bekehrer; Wieder schimpft er, jedes Wort Ist ein Nachttopf, und kein leerer. Darauf repliziert der Rabbi Mit zurückgehaltnem Eifer; Wie sein Herz auch überkocht, Doch verschluckt er seinen Geifer. Er beruft sich auf die Mischna, Kommentare und Traktate; Bringt auch aus dem Tausves-Jontof Viel beweisende Zitate. Aber welche Blasphemie Mußt er von dem Mönche hören! Dieser sprach: der Tausves-Jontof Möge sich zum Teufel scheren. »Da hört alles auf, o Gott!« Kreischt der Rabbi jetzt entsetzlich; Und es reißt ihm die Geduld, Rappelköpfig wird er plötzlich. »Gilt nichts mehr der Tausves-Jontof, Was soll gelten? Zeter! Zeter! Räche, Herr, die Missetat, Strafe, Herr, den Übeltäter! »Denn der Tausves-Jontof, Gott, Das bist du! Und an dem frechen Tausvesjontof-Leugner mußt du Deines Namens Ehre rächen. »Laß den Abgrund ihn verschlingen, Wie des Korah böse Rotte, Die sich wider dich empört Durch Emeute und Komplotte. »Donnre deinen besten Donner! Strafe, o mein Gott, den Frevel - Hattest du doch zu Sodoma Und Gomorrha Pech und Schwefel! »Treffe, Herr, die Kapuziner, Wie du Pharaon getroffen, Der uns nachgesetzt, als wir Wohl bepackt davongeloffen. »Hunderttausend Ritter folgten Diesem König von Mizrayim, Stahlbepanzert, blanke Schwerter In den schrecklichen Jadayim. »Gott! da hast du ausgestreckt Deine Jad, und samt dem Heere Ward ertränkt, wie junge Katzen, Pharao im roten Meere. »Treffe, Herr, die Kapuziner, Zeige den infamen Schuften, Daß die Blitze deines Zorns Nicht verrauchten und verpufften. »Deines Sieges Ruhm und Preis Will ich singen dann und sagen, Und dabei, wie Mirjam tat, Tanzen und die Pauke schlagen.« In die Rede grimmig fiel Jetzt der Mönch dem Zornentflammten: »Mag dich selbst der Herr verderben, Dich Verfluchten und Verdammten! »Trotzen kann ich deinen Teufeln, Deinem schmutzgen Fliegengotte, Luzifer und Belzebube, Belial und Astarothe. »Trotzen kann ich deinen Geistern, Deinen dunkeln Höllenpossen, Denn in mir ist Jesus Christus, Habe seinen Leib genossen. »Christus ist mein Leibgericht, Schmeckt viel besser als Leviathan Mit der weißen Knoblauchsauce, Die vielleicht gekocht der Satan. »Ach! anstatt zu disputieren, Lieber möcht ich schmoren, braten Auf dem wärmsten Scheiterhaufen Dich und deine Kameraden.« Also tost in Schimpf und Ernst Das Turnei für Gott und Glauben, Doch die Kämpen ganz vergeblich Kreischen, schelten, wüten, schnauben. Schon zwölf Stunden währt der Kampf, Dem kein End ist abzuschauen; Müde wird das Publikum, Und es schwitzen stark die Frauen. Auch der Hof wird ungeduldig, Manche Zofe gähnt ein wenig. Zu der schönen Königin Wendet fragend sich der König: »Sagt mir, was ist Eure Meinung? Wer hat Recht von diesen beiden? Wollt Ihr für den Rabbi Euch Oder für den Mönch entscheiden?« Donna Blanka schaut ihn an, Und wie sinnend ihre Hände Mit verschränkten Fingern drückt sie An die Stirn und spricht am Ende: »Welcher Recht hat, weiß ich nicht - Doch es will mich schier bedünken, Daß der Rabbi und der Mönch, Daß sie alle beide stinken.« Nachwort zum »Romanzero« Ich habe dieses Buch Romanzero genannt, weil der Romanzenton vorherrschend in den Gedichten, die hier gesammelt. Mit wenigen Ausnahmen schrieb ich sie während der letzten drei Jahre, unter mancherlei körperlichen Hindernissen und Qualen. Gleichzeitig mit dem Romanzero lasse ich in derselben Verlagshandlung ein Büchlein erscheinen, welches »Der Doktor Faust, ein Tanzpoem, nebst kuriosen Berichten über Teufel, Hexen und Dichtkunst« betitelt ist. Ich empfehle solches einem verehrungswürdigen Publiko, das sich gern ohne Kopfanstrengung über dergleichen Dinge belehren lassen möchte; es ist eine leichte Goldarbeit, worüber gewiß mancher Grobschmied den Kopf schütteln wird. Ich hegte ursprünglich die Absicht, dieses Produkt dem Romanzero einzuverleiben, was ich aber unterließ, um nicht die Einheit der Stimmung, die in letzterem waltet und gleichsam sein Kolorit bildet, zu stören. Jenes Tanzpoem schrieb ich nämlich im Jahre 1847, zu einer Zeit, wo mein böses Siechtum bereits bedenklich vorgeschritten war, aber doch noch nicht seine grämlichen Schatten über mein Gemüt warf. Ich hatte damals noch etwas Fleisch und Heidentum an mir, und ich war noch nicht zu dem spiritualistischen Skelette abgemagert, das jetzt seiner gänzlichen Auflösung entgegenharrt. Aber existiere ich wirklich noch? Mein Leib ist so sehr in die Krümpe gegangen, daß schier nichts übrig geblieben als die Stimme, und mein Bett mahnt mich an das tönende Grab des Zauberers Merlinus, welches sich im Walde Brozeliand in der Bretagne befindet, unter hohen Eichen, deren Wipfel wie grüne Flammen gen Himmel lodern. Ach, um diese Bäume und ihr frisches Wehen beneide ich dich, Kollege Merlinus, denn kein grünes Blatt rauscht herein in meine Matratzengruft zu Paris, wo ich früh und spat nur Wagengerassel, Gehämmer, Gekeife und Klaviergeklimper vernehme. Ein Grab ohne Ruhe, der Tod ohne die Privilegien der Verstorbenen, die kein Geld auszugeben und keine Briefe oder gar Bücher zu schreiben brauchen - das ist ein trauriger Zustand. Man hat mir längst das Maß genommen zum Sarg, auch zum Nekrolog, aber ich sterbe so langsam, daß solches nachgerade langweilig wird für mich, wie für meine Freunde. Doch Geduld, alles hat sein Ende. Ihr werdet eines Morgens die Bude geschlossen finden, wo euch die Puppenspiele meines Humors so oft ergötzten. Was soll aber, wenn ich tot bin, aus den armen Hauswürsten werden, die ich seit Jahren bei jenen Darstellungen employiert hatte? Was soll z. B. aus Maßmann werden? Ungern verlaß ich ihn, und es erfaßt mich schier eine tiefe Wehmut, wenn ich denke an die Verse: Ich sehe die kurzen Beinchen nicht mehr, Nicht mehr die platte Nase; Er schlug wie ein Pudel frisch, fromm, fröhlich, frei, Die Purzelbäume im Grase. Und er versteht Latein. Ich habe freilich in meinen Schriften so oft das Gegenteil behauptet, daß Niemand mehr meine Behauptung bezweifelte, und der Ärmste ein Stichblatt der allgemeinen Verhöhnung ward. Die Schulbuben frugen ihn, in welcher Sprache der Don Quixote geschrieben sei? und wenn mein armer Maßmann antwortete: in spanischer Sprache - erwiderten sie, er irre sich, derselbe sei lateinisch geschrieben und das käme ihm so spanisch vor. Sogar die eigene Gattin war grausam genug, bei häuslichen Mißverständnissen auszurufen, sie wundere sich, daß ihr Mann sie nicht verstehe, da sie doch Deutsch und kein Latein gesprochen habe. Die Maßmännische Großmutter, eine Wäscherin von unbescholtener Sittlichkeit und die einst für Friedrich den Großen gewaschen, hat sich über die Schmach ihres Enkels zu Tode gegrämt; der Onkel, ein wackerer altpreußischer Schuhflicker, bildete sich ein, die ganze Familie sei schimpfiert, und vor Verdruß ergab er sich dem Trunk. Ich bedaure, daß meine jugendliche Unbesonnenheit solches Unheil angerichtet. Die würdige Waschfrau kann ich leider nicht wieder ins Leben zurückrufen, und den zartfühlenden Oheim, der jetzt zu Berlin in der Gosse liegt, kann ich nicht mehr des Schnapses entwöhnen; aber ihn selbst, meinen armen Hanswurst Maßmann, will ich in der öffentlichen Meinung wieder rehabilitieren, indem ich alles was ich über seine Lateinlosigkeit, seine lateinische Impotenz, seine magna linguae romanae ignorantia jemals geäußert habe, feierlich widerrufe. So hätte ich denn mein Gewissen erleichtert. Wenn man auf dem Sterbebette liegt, wird man sehr empfindsam und weichselig, und möchte Frieden machen mit Gott und der Welt. Ich gestehe es, ich habe Manchen gekratzt, Manchen gebissen, und war kein Lamm. Aber glaubt mir, jene gepriesenen Lämmer der Sanftmut würden sich minder frömmig gebärden, besäßen sie die Zähne und die Tatzen des Tigers. Ich kann mich rühmen, daß ich mich solcher angebornen Waffen nur selten bedient habe. Seit ich selbst der Barmherzigkeit Gottes bedürftig, habe ich allen meinen Feinden Amnestie erteilt; manche schöne Gedichte, die gegen sehr hohe und sehr niedrige Personen gerichtet waren, wurden deshalb in vorliegender Sammlung nicht aufgenommen. Gedichte, die nur halbweg Anzüglichkeiten gegen den lieben Gott selbst enthielten, habe ich mit ängstlichstem Eifer den Flammen überliefert. Es ist besser, daß die Verse brennen als der Versifex. Ja, wie mit der Kreatur, habe ich auch mit dem Schöpfer Frieden gemacht, zum größten Ärgernis meiner aufgeklärten Freunde, die mir Vorwürfe machten über dieses Zurückfallen in den alten Aberglauben, wie sie meine Heimkehr zu Gott zu nennen beliebten. Andere, in ihrer Intoleranz, äußerten sich noch herber. Der gesamte hohe Klerus des Atheismus hat sein Anathema über mich ausgesprochen, und es gibt fanatische Pfaffen des Unglaubens, die mich gerne auf die Folter spannten, damit ich meine Ketzereien bekenne. Zum Glück stehen ihnen keine andern Folterinstrumente zu Gebote als ihre Schriften. Aber ich will auch ohne Tortur alles bekennen. Ja, ich bin zurückgekehrt zu Gott, wie der verlorene Sohn, nachdem ich lange Zeit bei den Hegelianern die Schweine gehütet. War es die Misère, die mich zurücktrieb? Vielleicht ein minder miserabler Grund. Das himmlische Heimweh überfiel mich und trieb mich fort durch Wälder und Schluchten, über die schwindlichsten Bergpfade der Dialektik. Auf meinem Wege fand ich den Gott der Pantheisten, aber ich konnte ihn nicht gebrauchen. Dies arme träumerische Wesen ist mit der Welt verwebt und verwachsen, gleichsam in ihr eingekerkert, und gähnt dich an, willenlos und ohnmächtig. Um einen Willen zu haben, muß man eine Person sein, und, um ihn zu manifestieren, muß man die Ellbogen frei haben. Wenn man nun einen Gott begehrt, der zu helfen vermag - und das ist doch die Hauptsache - so muß man auch seine Persönlichkeit, seine Außerweltlichkeit und seine heiligen Attribute, die Allgüte, die Allweisheit, die Allgerechtigkeit u.s.w. annehmen. Die Unsterblichkeit der Seele, unsre Fortdauer nach dem Tode, wird uns alsdann gleichsam mit in den Kauf gegeben, wie der schöne Markknochen, den der Fleischer, wenn er mit seinen Kunden zufrieden ist, ihnen unentgeltlich in den Korb schiebt. Ein solcher schöner Markknochen wird in der französischen Küchensprache la réjouissance genannt, und man kocht damit ganz vorzügliche Kraftbrühen, die für einen armen schmachtenden Kranken sehr stärkend und labend sind. Daß ich eine solche réjouissance nicht ablehnte und sie mir vielmehr mit Behagen zu Gemüte führte, wird jeder fühlende Mensch billigen. Ich habe vom Gott der Pantheisten geredet, aber ich kann nicht umhin zu bemerken, daß er im Grunde gar kein Gott ist, so wie überhaupt die Pantheisten eigentlich nur verschämte Atheisten sind, die sich weniger vor der Sache als vor dem Schatten, den sie an die Wand wirft, vor dem Namen, fürchten. Auch haben die meisten in Deutschland während der Restaurationszeit mit dem lieben Gotte dieselbe funfzehnjährige Komödie gespielt, welche hier in Frankreich die konstitutionellen Royalisten, die größtenteils im Herzen Republikaner waren, mit dem Königtume spielten. Nach der Juliusrevolution ließ man jenseits wie diesseits des Rheines die Maske fallen. Seitdem, besonders aber nach dem Sturz Ludwig Philipps, des besten Monarchen, der jemals die konstitutionelle Dornenkrone trug, bildete sich hier in Frankreich die Meinung: daß nur zwei Regierungsformen, das absolute Königtum und die Republik, die Kritik der Vernunft oder der Erfahrung aushielten, daß man Eins von Beiden wählen müsse, daß alles dazwischen liegende Mischwerk unwahr, unhaltbar und verderblich sei. In derselben Weise tauchte in Deutschland die Ansicht auf, daß man wählen müsse zwischen der Religion und der Philosophie, zwischen dem geoffenbarten Dogma des Glaubens und der letzten Konsequenz des Denkens, zwischen dem absoluten Bibelgott und dem Atheismus. Je entschiedener die Gemüter, desto leichter werden sie das Opfer solcher Dilemmen. Was mich betrifft, so kann ich mich in der Politik keines sonderlichen Fortschritts rühmen; ich verharrte bei denselben demokratischen Prinzipien, denen meine früheste Jugend huldigte und für die ich seitdem immer flammender erglühte. In der Theologie hingegen muß ich mich des Rückschreitens beschuldigen, indem ich, was ich bereits oben gestanden, zu dem alten Aberglauben, zu einem persönlichen Gotte, zurückkehrte. Das läßt sich nun einmal nicht vertuschen, wie es mancher aufgeklärte und wohlmeinende Freund versuchte. Ausdrücklich widersprechen muß ich jedoch dem Gerüchte, als hätten mich meine Rückschritte bis zur Schwelle irgend einer Kirche oder gar in ihren Schoß geführt. Nein, meine religiösen Überzeugungen und Ansichten sind frei geblieben von jeder Kirchlichkeit; kein Glockenklang hat mich verlockt, keine Altarkerze hat mich geblendet. Ich habe mit keiner Symbolik gespielt und meiner Vernunft nicht ganz entsagt. Ich habe nichts abgeschworen, nicht einmal meine alten Heidengötter, von denen ich mich zwar abgewendet, aber scheidend in Liebe und Freundschaft. Es war im Mai 1848, an dem Tage, wo ich zum letzten Male ausging, als ich Abschied nahm von den holden Idolen, die ich angebetet in den Zeiten meines Glücks. Nur mit Mühe schleppte ich mich bis zum Louvre, und ich brach fast zusammen, als ich in den erhabenen Saal trat, wo die hochgebenedeite Göttin der Schönheit, Unsere liebe Frau von Milo, auf ihrem Postamente steht. Zu ihren Füßen lag ich lange, und ich weinte so heftig, daß sich dessen ein Stein erbarmen mußte. Auch schaute die Göttin mitleidig auf mich herab, doch zugleich so trostlos, als wollte sie sagen: siehst du denn nicht, daß ich keine Arme habe und also nicht helfen kann? Ich breche hier ab, denn ich gerate in einen larmoyanten Ton, der vielleicht überhandnehmen kann, wenn ich bedenke, daß ich jetzt auch von Dir, teurer Leser, Abschied nehmen soll. Eine gewisse Rührung beschleicht mich bei diesem Gedanken; denn ungern trenne ich mich von Dir. Der Autor gewöhnt sich am Ende an sein Publikum, als wäre es ein vernünftiges Wesen. Auch dich scheint es zu betrüben, daß ich Dir Valet sagen muß; du bist gerührt, mein teurer Leser, und kostbare Perlen fallen aus deinen Tränensäckchen. Doch beruhige Dich, wir werden uns wiedersehen in einer besseren Welt, wo ich dir auch bessere Bücher zu schreiben gedenke. Ich setze voraus, daß sich dort auch meine Gesundheit bessert und daß mich Swedenborg nicht belogen hat. Dieser erzählt nämlich mit großer Zuversicht, daß wir in der andern Welt das alte Treiben, ganz wie wir es in dieser Welt getrieben, ruhig fortsetzen, daß wir dort unsere Individualität unverändert bewahren und daß der Tod in unserer organischen Entwickelung gar keine sonderliche Störung hervorbringe. Swedenborg ist eine grundehrliche Haut, und glaubwürdig sind seine Berichte über die andere Welt, wo er mit eigenen Augen die Personen sah, die auf unserer Erde eine Rolle gespielt. Die meisten, sagt er, blieben unverändert und beschäftigen sich mit denselben Dingen, mit denen sie sich auch vormals beschäftigt; sie blieben stationär, waren veraltet, rokoko, was sich mitunter sehr lächerlich ausnahm. So z. B. unser teurer Doktor Martinus Luther war stehen geblieben bei seiner Lehre von der Gnade, über die er während dreihundert Jahren tagtäglich dieselben verschimmelten Argumente niederschrieb - ganz in derselben Weise wie der verstorbene Baron Eckstein, der während zwanzig Jahren in der Allgemeinen Zeitung einen und denselben Artikel drucken ließ, den alten jesuitischen Sauerteig beständig wiederkäuend. Aber, wie gesagt, nicht alle Personen, die hienieden eine Rolle gespielt, fand Swedenborg in solcher fossilen Erstarrung; sie hatten im Guten wie im Bösen ihren Charakter weidlich ausgebildet in der anderen Welt, und da gab es sehr wunderliche Erscheinungen. Helden und Heilige dieser Erde waren dort zu Lumpen und Taugenichtsen herabgesunken, während auch das Gegenteil stattfand. So z. B. stieg dem heiligen Antonius der Hochmut in den Kopf, als er erfuhr, welche ungeheure Verehrung und Anbetung ihm die ganze Christenheit zollt, und er, der hienieden den furchtbarsten Versuchungen widerstanden, ward jetzt ein ganz impertinenter Schlingel und liederlicher Galgenstrick, der sich mit seinem Schweine um die Wette in den Kot wälzt. Die keusche Susanne brachte der Dünkel ihrer Sittlichkeit, die sie unbesiegbar glaubte, gar schmählich zu Falle, und sie, die einst den Greisen so glorreich widerstanden, erlag der Verlockung des jungen Absalon, Sohn Davids. Die Töchter Lots hingegen hatten sich im Verlauf der Zeit sehr vertugendhaftet und gelten in der andern Welt für Muster der Anständigkeit; der Alte verharrte leider bei der Weinflasche. So närrisch sie auch klingen, so sind doch diese Nachrichten eben so bedeutsam wie scharfsinnig. Der große skandinavische Seher begriff die Einheit und Unteilbarkeit unserer Existenz, so wie er auch die unveräußerlichen Individualitätsrechte des Menschen ganz richtig erkannte und anerkannte. Die Fortdauer nach dem Tode ist bei ihm kein idealer Mummenschanz, wo wir neue Jacken und einen neuen Menschen anziehen; Mensch und Kostüm bleiben bei ihm unverändert. In der anderen Welt des Swedenborg werden sich auch die armen Grönländer behaglich fühlen, die einst, als die dänischen Missionäre sie bekehren wollten, an diese die Frage richteten: ob es im christlichen Himmel auch Seehunde gäbe? Auf die verneinende Antwort erwiderten sie betrübt: der christliche Himmel passe alsdann nicht für Grönländer, die nicht ohne Seehunde existieren könnten. Wie sträubt sich unsere Seele gegen den Gedanken des Aufhörens unserer Persönlichkeit, der ewigen Vernichtung! Der horror vacui, den man der Natur zuschreibt, ist vielmehr dem menschlichen Gemüte angeboren. Sei getrost, teurer Leser, es gibt eine Fortdauer nach dem Tode, und in der anderen Welt werden wir auch unsere Seehunde wiederfinden. Und nun, lebe wohl, und wenn ich Dir etwas schuldig bin, so schicke mir Deine Rechnung. - Geschrieben zu Paris, den 30. September 1851. Heinrich Heine. *** End of this LibraryBlog Digital Book "Romanzero" *** Copyright 2023 LibraryBlog. All rights reserved.