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Title: Schnock: ein niederländisches Gemälde
Author: Hebbel, Friedrich
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Schnock: ein niederländisches Gemälde" ***


This Etext is in German.


mcicora@yahoo.com.



Schnock
Ein niederländisches Gemälde

Friedrich Hebbel



Erstes Kapitel


Zur Einleitung


In dem kleinen Marktflecken Y., wo sich jeder Reisende gern so lange
aufhält, als er muß, nämlich so lange als die Post ausbleibt, traf
ich in den Hundstagen des Jahres 1836 zum letztenmal ein.  Der Ort
ist einer von denen, wo man nur auf dem Leichenacker erfährt, daß
Menschen darin leben, weil eine Reihe ehrwürdiger Grabsteine, die man
nicht Lügen zu strafen wagt, versichern, daß Menschen darin sterben.
Diesmal kannte ich ihn nicht wieder, und ich würde geglaubt haben,
der Postillon sei fehlgefahren, wenn sich nicht der mir unvergeßliche
Postmeister, eine lange, dürre, windschiefe Figur, die sich scheu und
verlegen in jede Ecke drückt, als ob sie schon durch ihre bloße
Existenz zu beleidigen fürchte, aus der Tür geschoben, und so meine
Zweifel verscheucht hätte.  Alle Straßen nämlich, durch die ich kam,
waren gedrängt voll von Leuten; kein Fenster, aus dem nicht mehr
Köpfe hätten herausschauen wollen, als Platz fanden; auf dem
Kirchturm selbst konnt' ich deutlich Hauben und flatternde Schals
unterscheiden, und jedes Gesicht, von der alten, halberblindeten
Bettelfrau an, die sich mühsam mit der rechten Hand auf ihren Stab
stützte und mit der linken die Brille aufsetzte, bis zu dem kleinen
weiß gekleideten Mädchen mit seinen blonden Locken herunter, trug den
Ausdruck der gespanntesten Erwartung.  "Was gibt's denn," fragte ich
den Postmeister, "ist's Jahrmarkt heut?"--"Den 16. hujus gewesen.
"--"Feiert der Amtmann oder der Stadtpfarrer das
Dienstjubiläum?"--"Herr Pastor primarius Nothnagel hat's schon
gefeiert und ist an den Folgen des Schmauses gestorben, und unser
Herr Amtmann darf in den nächsten vierzig Jahren an die Ehre noch
nicht denken, dazu ist er, mit Erlaubnis zu sagen, noch viel zu jung.
"--"Gibt's denn Aufstand?  Rebellieren die Bürger?  Empört sich, was
Hosen trägt?"--"Bewahre uns Gott vor Rebellion!  Dazu haben wir auch
gar keine Zeit, man muß sich tummeln, ums liebe Brot zu verdienen und
die hohen Steuern zu erschwingen.  Nein, die Sache, es kurz zu
vermelden, ist die.  Ein höchst gefährlicher Verbrecher, ein
Bösewicht, der einen greulichen Diebstahl begangen hat und einer
Mordtat fähig gehalten wird, wurde gestern zur Haft gebracht und
heute, als ihm der Gefangenenwärter das Frühstück in den alten
verfallenen Turm bringen wollte, vermißt.  Da hat denn der Amtmann
die gesamte Bürgerschaft aufgeboten, um ihn wieder einzufangen, und
wie man vernimmt, so ist's, wunderbar genug! geglückt.  Nun ist man
natürlich begierig--" Der Postmeister unterbrach sich; denn er
bemerkte, daß ich schon längst nicht mehr auf ihn hörte, weil ich
sonst über die Explikation das Schauspiel versäumt hätte.  Ein Zug,
abenteuerlicher, als ich ihn je gesehen, kam die Straße herauf.
Zuerst, in grellroten Röcken mit messingnen Knöpfen, an der Seite
mächtige Säbel, die das Gehen erschwerten und den Mut gewiß nicht
vermehrten, zwei ehrenfeste Männer, voll edlen Selbstgefühls, in
denen sich ehemalige Unteroffiziere der Reichsarmee, die vielleicht
manche Schlacht mit hatten verlieren helfen, und jetzige
Gerichts--und Polizeidiener nicht verkennen ließen.  Dann, von zwei
lahmen Pferden gezogen, ein Leiterwagen, auf dem der Held des Tages,
der Triumphator, saß, dreifach gebunden, als ob er ein Herkules wäre
und noch etwas mehr.  Hinterher die ganze waffenfähige Mannschaft des
Fleckens, mit Mistgabeln, Äxten und Beilen, Stricken, genug mit allen
möglichen Dingen, die der Leser nicht erwartet, armiert und nicht
ohne Stolz zu Frauen und Töchtern aufblickend und sie mit leichtem
Kopfnicken, da die Zeit nichts weiteres erlaubte, begrüßend.  Der
Wagen hielt; zwei alte Weiber, wovon eine der andern ihren breiten
Rücken, der ihr das Sehen unmöglich mache, vorwarf, fingen an, sich
zu prügeln, der Amtmann trat vor mit einem Gesicht, welches halb
Fragezeichen war, halb aber auch, der Würde des Amts gemäß,
Gedankenstrich.  Die Gerichtsdiener machten Front und statteten beide
zugleich, also so unverständlich wie möglich, Rapport ab, der Amtmann
warf auf den Triumphator einen vernichtenden Blick, den dieser mit
seinem ungezogensten Gähnen erwiderte, dann rief er finster aus: "Wo
bleibt denn aber Schnock, der Schreiner, daß man ihn beloben, ihm
seine Zufriedenheit bezeigen kann?"--"Heda, Meister Schnock,
aufgepaßt!" schrien die Gerichtsdiener, das verdrießliche Gesicht des
Amtmanns und den mürrischen Ton seiner Stimme möglichst getreu
kopierend.  Jetzt merkt' ich auf; wer noch nie einen Glücklichen
gesehen hat, der betrachte sich einen deutschen Bürger, dem bei
irgendeinem Anlaß von Gerichts wegen die Versicherung erteilt wird,
daß er ein ganzer Kerl sei.  Nicht so schnell, als ich erwartet hatte,
aber doch schnell genug, um die Stirnfalten des Amtmanns nicht durch
sein Zögern zu verdoppeln, trat aus dem Haufen ein Mann heraus,
breitschultrig, von gewaltigem Knochenbau, aber mit einem Gesicht,
worauf das erste Kindergreinen über empfangene Rutenstreiche
versteinert zu sein schien; ein Bär mit einer Kaninchenphysiognomie.
Der Amtmann erteilte ihm ein sparsames Lob wegen seiner bewiesenen
Herzhaftigkeit, Schnock senkte wehmütig den Kopf und schickte einen
ängstlichen Blick zu dem Gefangenen hinüber, der auf seinem Wagen in
sanften Schlummer gefallen war oder sich doch stellte, als ob er es
wäre.  Der Amtmann zog sich in das Heiligtum der Amtsstube zurück,
die Gerichtsdiener rissen den Gefangenen von seinem Sitz herunter und
schwuren, er soll ihnen nicht zum zweitenmal entkommen, und wenn er
auch die Kunst besäße, sich in eine Fledermaus zu verwandeln.  Die
Menge zerstreute sich, nur Schnock blieb, als hätt' er einen
Basilisken gesehen, regungslos auf dem Platze stehn.  Der Mann
interessierte mich, ich trat zu ihm heran.  "Mein Freund," begann ich,
"Ihr seid sehr in Gedanken vertieft!"--"Weil ich ein geschlagener
Mann bin", gab er zur Antwort.  Ich stutzte und fragte weiter:
"Wieso?  Wie kommt's, daß Ihr dies eben heut, wo Ihr Euch in so hohem
Grade die Zufriedenheit Eurer Obrigkeit erworben zu haben scheint, so
lebhaft fühlt?"--"Eben darum," versetzte er heftig, "wer bürgt mir,
daß der sich im Gefängnis erdrosselt, oder sich mit Glasscherben die
Pulsader aufreißt?  Gibt's der Herr," er meinte mich, "mir etwa
schwarz auf weiß, daß diesen heillosen Sünder in der Einsamkeit die
Verzweiflung packt?  Und darf ich hoffen, daß er außer dem Diebstahl,
wegen dessen ihn der strengste Richter nicht zum Tode verurteilen, ja
nicht einmal auf zeitlebens einstecken kann, noch eine Mordtat oder
ein anderes Halsverbrechen begangen hat?"--"Von wem sprecht Ihr denn
eigentlich?" unterbrach ich ihn.  "Nun, von wem anders, als von dem
Bösewicht, den ich das Unglück gehabt habe zu arretieren.  Hätt' ich
doch lieber zuvor ein Bein gebrochen!  Aber niemand entgeht seinem
schlimmen Stern, am wenigsten ich."--"Ich begreife Euch bei Gott
nicht!" versetzte ich.  "Für jeden ordentlichen Bürger pflegt es ein
Fest zu sein, wenn ein dem öffentlichen Wohl gefährlicher Mensch zur
Haft gebracht wird."--"O freilich, wenn er nur nicht selbst die Falle
war, in der der Fuchs sich erwischen ließ!"--"Ich dächte, das wäre
gleichgültig!"--"Wahrlich nicht für einen Mann, der ein Haus hat, das
man ihm zur Nachtzeit überm Kopf anzünden kann, und der sich gestehen
muß, daß sich in sein Fleisch so gut ein Loch bohren läßt, wie in
andres.  Meint Ihr, ein Kerl, der--Ihr könnt's nicht übersehen
haben--auf'm Wagen einschläft, während ihn tausend Kehlen mit den
greulichsten Verwünschungen überhäufen, werde sich für die endlose
Langeweile, der er im Kerker, und für die Quälereien, denen er in den
Verhören entgegengeht, nicht gegen mich Unglückseligen, dem er das
alles verdankt, auf seine Weise erkenntlich bezeigen?  Was wird diese
Kröte zwischen den finstern Mauern des Gefängnisses aushecken, als
giftige Rachepläne?  Und wann hat man noch gehört, daß einem
Bösewicht mißglückt ist, was er sich vornahm?  Höchstens kommt man
ihm hintendrein auf die Spur; das weckt aber keinen wieder auf, der
einmal mit einer acht Zoll tiefen Wunde auf'm Kirchhof oder sonstwo
verscharrt liegt.  Dem Schlachtopfer ist's gleichgültig, ob man den
Schlächter zu ihm in die Erde steckt."--"Mir scheint, ein Mann, wie
Ihr, kann sich seiner Haut schon wehren; Euch geht, deucht mir, zu
einem Riesen nicht viel ab, geschweige zu einem tüchtigen Schläger.
"--"Oh," versetzte Schnock mit einem Seufzer, "wie oft soll ich diese
vermaledeiten breiten Schultern, diese lügenhafte, großprahlerische
Leibesgestalt, womit irgendein schadenfroher Teufel mich begabt hat,
noch verfluchen!  Jeder, der mich nicht kennt, glaubt, daß ich Berge
versetzen kann.  Warum bin ich unglücklich?  Weil ich nicht einen
Kopf kürzer bin.  Wozu trieb mich meine Neigung in der Jugend, was
war der Wunsch meiner Wünsche?  Schneider wollt' ich werden, darum
bat ich meinen Vater; die führen ein friedsames, geruhiges Leben,
sprichwörtlich ist's, daß sie keine Courage haben, man erwartet von
ihnen nicht das Unglaubliche.  Drang ich mit all meinen Bitten bei
dem Vater durch?  Junge, sagte er, nicht scherzhaft, sondern in
grimmigem Ton, bist du verrückt?  Du könntest bei deinen Knochen und
Kräften einen Ackergaul ersetzen, und wolltest gleich einem Affen,
mit gekreuzten Beinen und löschpapiernem Gesicht hinter dem Fenster
auf'm Schneidertisch hocken und Zwirn in die Nadel fädeln?  Das ist
was für Krüppel, für Lahme und Verwachsene, damit komme mir nicht; du
wirst mir, so Gott will! ein braver Schreiner!  Natürlich, er war ja
selbst ein Schreiner, und das edle Handwerk wär' zugrunde gegangen,
hätt' ich ein andres ergriffen.  Gott vergeb's ihm, meinetwegen; ich
vergeb's ihm nicht, höchstens auf'm Totenbett, wo man alles vergibt!"
Schnock ballte die Hand.  "Aber, lieber Meister," fragt' ich weiter,
"warum ließt Ihr den Dieb nicht entschlüpfen, wenn es Euch so
bedenklich schien, ihn festzuhalten?  Das stand ja doch bei
Euch?"--"Keineswegs," erwiderte Schnock; "man ist selten oder nie
Herr seines Willens.  Ich war den übrigen vorgelaufen, nicht etwa, um
mir ein Ansehen zu geben, sondern um ihnen möglichst bald aus den
Augen zu kommen und bei der Hetze gegen brutale Aufforderungen zum
Hilfeleisten gesichert zu sein.  Plötzlich, da ich eben den Sprung um
ein Gebüsch mache, fährt mir das Teufelswildbret, ich meine meinen
Arrestanten, entgegen.  Ich schaudre zusammen; denn das laute Hurra,
das aus hundert Kehlen hinter mir erschallt, sagt mir's gleich, daß
mein niederträchtiges Jagdglück nicht unbemerkt geblieben ist.
Dennoch hätt' ich, ohne Rücksicht auf spätere Foppereien und
Anzüglichkeiten, dem Kerl gern den Vorsprung gelassen und zu hinken
angefangen; aber der war wie unsinnig, statt zu entspringen, blieb er
stehen, rollte die Augen, ballte die Faust gegen mich und fuhr
endlich damit, als wollt' er ein Messer oder gar eine Pistole
hervorziehen, in die Tasche.  Da ergriff mich Angst und Grausen;
nicht aus Tollkühnheit, wie die herbeieilenden Esel, die mir schon
aus der Ferne ein Bravo über das andere zuschrien, glauben mochten,
sondern aus Furcht macht' ich mich über ihn her, rang mit ihm und
warf ihn zu Boden.  Daß seine Taschen leer waren, wie sich's bei der
Visitation fand, konnt' ich nicht wissen, und gegen Schuß und Stich
mußt' ich mich sichern."  Ein Bursch kam in diesem Augenblicke eilig
auf uns zu.  "Ich komme schon!" rief Schnock ihm entgegen und machte
mir zugleich eine Abschiedsverbeugung.  "Ihr irrt Euch, Meister,"
sagte der Bursch mit unterdrücktem Lachen, "ich suche diesmal nicht
Euch, ich geh' auf die Apotheke, um Hoffmannstropfen zu holen, Eure
Frau hat Kopfweh und liegt zu Bett."--"So sagst du nicht," versetzte
Schnock, "daß du mich gesehen hast.--Wenn die Kopfweh hat," fuhr er,
sich wieder zu mir wendend, fort, "ist's goldne Zeit für mich; dann
fühl' auch ich einmal, daß ich noch auf der Welt bin.  Ihr muß
wirklich zuvor das Schlimmste begegnet sein, ehe mir was Gutes
begegnen kann; als sie jüngst wegen Zahnschmerz und Backengeschwulst
vierzehn Tage lang das Maul nicht öffnen konnte, hatt' ich den Himmel
auf Erden."  Ich lud Schnock ein, mich ins Posthaus zu begleiten und
dort eine Flasche Wein mit mir auszustechen.  "Ich weiß mich", sagte
ich, als er bedenklich zu zögern schien, "vor Langeweile nicht zu
lassen, und wo find' ich Gesellschaft?"  Er willigte ein, und nicht
lange dauerte es, so saßen wir uns auf meinem Zimmer mit gefüllten
Gläsern gegenüber.  Es gibt untrügliche Kennzeichen, wodurch sich der
geübte Trinker von dem angehenden unterscheidet; wenn dieser, während
er das süße, flüssige Feuer hinuntergießt, die Augen wollüstig
zukneift, und in innigem Behagen noch mit dem letzten Tropfen die
Zunge erquickt, so spritzt jener bloß ein wenig den Mund, trinkt mit
offnen Augen und ignoriert den Tropfen, da er die Erfahrung gemacht
hat, daß dieser Nachzügler den Durst, statt ihn zu löschen, nur aufs
neue weckt.  Schnock, das sah ich gleich, war kein angehender Trinker;
er trank das erste Glas nur, um recht bald zum zweiten zu kommen,
und an eine Entsiegelung seines inneren Menschen, auf die ich mich
freute und derentwegen ich ihn eingeladen hatte, war von Entsiegelung
der dritten Flasche nicht zu denken.  Ich gab mich gegen ihn für
einen geschiedenen Ehemann aus und sagte, ich hätte bloß darum mein
Vaterland verlassen, weil mein rachsüchtiges Weib mir ihre sämtlichen
Liebhaber, einen nach dem andern, mit Herausforderungen auf den Hals
schicke, was mir über kurz oder lang das Leben kosten könne.  Diese
Eröffnung machte ihn treuherzig, aber eine Unvorsichtigkeit, die ich
gleich hernach beging, hätte das günstige Vorurteil, das er für mich
zu fassen begann, fast im Keim wieder zerstört.  Ich zog nämlich,
weil sie mir unbequem waren, meine Taschenpistolen hervor und legte
sie neben mich auf den Tisch.  Plötzlich--er war schon in recht
lebhaften Mitteilungen über sein Märtyrertum begriffen
gewesen--stockte der Fluß seiner Rede, er entfärbte sich und sah mich
an.  Ich bemerkte die Veränderung, die mit ihm vorgegangen war,
früher, als ich sie begriff, und bemühte mich, ihrer Ursache auf die
Spur zu kommen, aber schneller als all mein Nachsinnen verhalf mir
eine zufällige Bewegung meiner Hand zur Aufklärung über den
zweifelhaften Punkt.  In der Zerstreuung ergriff ich eine der
Pistolen, die ungeladen waren, und spannte spielend den Hahn; da
sprang Schnock von seinem Stuhle auf und versicherte mir mit einem
Gesicht, welches gegen den Mund die bündigste Protestation einlegte,
er halte sich in meiner Gesellschaft für sicher.  "Ihr seid's
vollkommen, lieber Meister," versetzte ich; "die Dinger da drückten
mich, ich führe sie zu meiner Verteidigung auf Reisen bei mir, aber
um mich nicht selbst zu schädigen, lade ich sie nicht, außer wenn ich
bei Nebel und Nacht durch dicke Waldungen komme."  Zum Zeugnis der
Wahrheit meiner Relation drückte ich die Pistole, welche ich eben in
der Hand hielt, ab.  "Ich", entgegnete Schnock, indem er sich wieder
mit alter Behaglichkeit niederließ, "würde doch Pistolen und
dergleichen niemals mit mir führen; denn davon bin ich überzeugt,
wenn die Gefahr wirklich an den Mann herantritt, so vergißt man's
entweder, daß man sie hat, oder man schießt beim Abfeuern fehl und
reizt so den Menschen, der es vielleicht nur auf einfache Räuberei
abgesehen hatte, zu Mord und Blutvergießen."--"Ihr habt nicht unrecht,"
erwiderte ich, mein Lachen verbeißend, was mir, wenn's mir nur
einmal gelingt, immer gelingt, "und da wär's gar möglich, daß man,
nachdem man durch die erste Pistole den Mordgedanken erweckte, durch
die zweite niedergestreckt würde; ich setze den Fall, daß der Räuber
keine Waffe bei sich führt und sich ihrer bemächtigt."--"Freilich,
freilich!" versetzte Schnock und trank, sichtlich erfreut, zwei
Gläser hintereinander.  Die dritte Flasche war halb geleert, da stand
er plötzlich auf, trat mit pfiffigwichtiger Miene vor mich hin und
fragte mich: "Sagt mir doch, bin ich eigentlich feig?"--"Es scheint
wohl nur so!" antwortete ich, einigermaßen verdutzt.  "Gewiß!"
versetzte er und nahm wieder Platz, "daß ich's nicht bin, davon,
glaub' ich, hab' ich Euch heute den Beweis gegeben.  Ich traue Euch
nichts Böses zu, bei Gott nicht! sonst wär' ich keine fünf Minuten
geblieben; aber, dies könnt' Ihr nicht leugnen, Ihr seid mir
wildfremd.  Ihr ladet mich ein, Euch auf Euer Zimmer zu begleiten und
Wein mit Euch zu trinken, jeder andere hätte, und mit Recht, aus
Eurer Splendidität Argwohn geschöpft und die sonderbare Einladung mit
Abscheu abgelehnt; ich unterdrücke meinen Verdacht und gehe mit Euch.
Ich denke, ich bin nicht feig!"--"Ei, Meister Schnock," erwiderte
ich, "wie kommt Euch denn der Einfall, daß Ihr feig wäret?"--"Weil,"
versetzte er hastig und schenkte sich ein, "weil sie mich alle für
feig halten, ja, weil ich, Stunden, wie diese, ausgenommen, selbst
das ganze Jahr hindurch, Gott weiß, woran es liegt! glaube, daß ich's
bin."  Jetzt verschwand bei ihm die letzte Spur von Zurückhaltung, um
so mehr, als er erfuhr, daß ich nicht im Orte bleibe, sondern gleich
den nächsten Tag wieder abreise, er machte mich zum vollständigsten
Vertrauten seiner Lebens-, das heißt Märtyrergeschichte, und ich
erhielt Gelegenheit, in die Mikrologien seines Daseins
hineinzuschauen, das mir so putzig vorkam, als ob es gar nicht seiner
selbst wegen, sondern zur Belustigung eines größeren geführt würde.
Ich darf nun freilich nicht vergessen, daß meine Leser nicht, wie ich,
gezwungen sind, in dem Marktflecken Y. einen ganzen Tag auf die Post
zu warten und muß darum den größten Teil von Schnocks Mitteilungen
für mich behalten; denn bei mir hatten sie nur mit einem alten
Kalender, den ich durchblättern, mit den Fensterscheiben, die ich
hätte zählen können, zu rivalisieren, was hoffentlich bei keinem
meiner Leser der Fall ist.  Ich glaube jedoch, daß einiges daraus sie
auch in einer weniger verzweifelten Situation ergötzen kann, und
bitte sie, wenn ich mich hierin täusche, den Grund nicht in dem Mann
und seinen Erlebnissen zu suchen, sondern in meiner Unfähigkeit, ihn
treu, bis in das Haargewebe seiner Bestimmungsgründe hinein, zu
zeichnen.  Um dieser Unfähigkeit möglichst zu Hilfe zu kommen, lasse
ich ihn selbst reden.



Zweites Kapitel


Schnock erzählt:

Fragt man mich, warum ich ein Weib genommen habe, das ich jetzt
selbst fürchten muß, so kann ich auf diese Frage vernünftiger
antworten als Tausende von Ehemännern, die mein Schicksal teilen.
Sie pflegen schmachvollerweise für sich anzuführen, daß ihre Drachen
ihnen in Engelsgestalt entgegengetreten seien, als ob dies nicht eben
die Natur des Weibes wäre, und als ob es, Adam ausgenommen, der das
freilich nicht wissen konnte, da kein anderer ihm seine Erfahrungen
vermacht hatte, irgend jemandem zur Entschuldigung gereichen könnte!
Solche Toren darf ich verachten; denn ich habe mich niemals über
meinen Hausteufel und das Geschlecht, dem es angehört, getäuscht, und
wenn ich dennoch sein Gespons geworden bin, so ist das wenigstens
nicht meiner Verblendung beizumessen.  Nie wär's mir eingefallen,
mich aus eigener Bewegung nach einem Weibe umzusehen, und wer das zu
ruhmredig findet, der lasse sich sagen, was ich schon in meinem
zehnten Jahre erlebte, dann wird er's begreifen.  Ich stand dabei,
als meine Mutter meinem Vater die Oberlippe abbiß, weil er nach einem
heftigen Zank zu früh auf den Versöhnungskuß drang, ich sah sein Blut
stromweis in den Bart rinnen und den Hemdkragen färben.  Wer an
meiner Stelle hätte nicht schaudern, wie ich, das Gelübde getan,
niemals wieder einen Menschen an dem Ort, wo er Zähne hat, zu küssen,
und wer könnte dies Gelübde halten und zugleich doch beweiben wollen?
Aber meine jähzornige Mutter bestand, als ich in die Jahre kam, mit
Ungestüm darauf, daß ich mich verheiraten solle, sie fragte mich, ob
ich ein sonstiges Mittel wüßte, ihr Enkel zu verschaffen, oder ob sie
andern alten Frauen in ihren Ansprüchen auf die großmütterlichen
Würden und Freuden nachstünde, und darauf ließ sich nicht viel
erwidern.  Ich mußte mich also in den Gedanken ergeben, daß ich
ihretwegen mit irgendeiner Person weiblichen Geschlechts früher oder
später eine eheliche Verbindung würde eingehen müssen, wenn sie nicht
wieder Erwarten und Verhoffen früh wegstürbe, und da das letztere
nicht geschah, so irrte ich mich hierin auch keineswegs.  Zwar zog
ich die Entscheidung noch lange hinaus und feierte noch manchen
Geburtstag als Junggesell, worin für mich zu der Zeit, von der ich
spreche, der Hauptreiz dieses Festes lag.  Aber als unsre alte
Familienkatze verreckte und bald darauf unser Mops an einem Kloß, den
er zu heiß hineinfraß, erstickte, da wurde meiner Mutter die Stille,
die nun in unserm Hause eintrat, so unerträglich, daß mir alle meine
Ausflüchte nichts mehr halfen, und daß sie die entstandene Lücke um
jeden Preis mit einer Schwiegertochter ausgefüllt sehen wollte.  Auch
begünstigte der Zufall sie; denn Jungfer Magdalena Kotzschneuzel, die
Stickerin, mietete sich eben damals in unsrer Nachbarschaft ein und
wußte sie durch einige wohlangebrachte Aufmerksamkeiten, die sie ihr
erwies, namentlich dadurch, daß sie bei einer gewissen Gelegenheit
ihren Rat einzog und ihn auch treu befolgte, so sehr für sich
einzunehmen, daß ich bald beim Frühstück, beim Mittags- und
Abendessen nur noch von ihren Vorzügen reden hörte.  "Weißt du, daß
Lene keinen Faden am Leibe trägt, den sie nicht selbst gesponnen
hat?" wurde ich des Morgens regelmäßig befragt, und die dritte Tasse
Kaffee wurde mir gewiß nicht eingeschenkt, wenn ich diesen
schlagenden Beweis der Altmütterlichkeit nicht mit vollen Backen
pries.  Des Mittags ward mir gewöhnlich mitgeteilt, daß sie einmal
einige hundert Gulden aus der Lotterie gewonnen habe, und als ich
darauf das erstemal spitzig bemerkte: sie spiele also! ward ich mit
einem hastigen: "Nein! sie hat das Los auf der Straße gefunden!"
zurechtgewiesen.  Des Abends mußte ich mir die Auseinandersetzung
gefallen lassen, daß sie sich im Gegensatz zu andern Älter mache als
sie sei, weil sie's für eine größere Ehre halte, mit zu den ehrbaren
Matronen gerechnet zu werden, als zu den leichtsinnigen, jungen
Mädchen, deren Klasse sie bei ihren fünfundzwanzig Jahren doch noch
angehöre, und daß ein Mann, der das wisse und nicht um sie würbe, ein
Narr sein müsse.  Da dies alles bei mir nicht anschlug, nahm sie sie
plötzlich, ohne mir vorher auch nur ein Wort zu sagen, auf einige
Tage zu sich ins Haus, eines Kleides wegen, das geändert werden mußte,
wie sie vorgab, das sie aber niemals wieder trug.  Ich wußte recht
gut, was dahinter steckte und suchte mich dem Frauenzimmer von meiner
unangenehmsten Seite darzustellen, rasierte mich nicht, trug immer
meinen schlechtesten Rock, legte mein Schurzfell niemals ab, war
stets mürrisch, als ob ich mit gerunzelter Stirn auf die Welt
gekommen wäre und erwies ihr nicht die kleinste Gefälligkeit, nicht
einmal die, ihr den Nähring wieder aufzuheben, wenn sie ihn fallen
ließ.  Dabei ließ ich es nicht bewenden, ich machte meinen Gesellen,
der von Person nicht unansehnlich und im Handwerk geschickt war, auf
das Mädchen aufmerksam, ich strich sie gegen ihn heraus, wie sie
gegen mich herausgestrichen wurde, ich redete ihm sogar ein, daß sie
jedesmal erröte, wenn sie ihn erblicke.  Aber beides schlug mir zum
Unheil aus; denn Lene stieß sich nicht im geringsten an meinem
Benehmen, sie entschuldigte mich gegen meine Mutter, wenn diese mir
meine Nachlässigkeit verwies, aufs eifrigste und meinte, wer mit
ganzer Seele beim Gewerbe sei, wer darüber nachsänne, wie er hier
einen neuen Kunden gewinnen, dort einen abtrünnig gewordenen wieder
heranbringen wolle, der könne freilich nicht nebenbei geschniegelt
und gestriegelt gehen wie ein Ladendiener und sich auf Höflichkeiten
verlegen wie ein Barbiergehilfe; mein Gesell dagegen fing Feuer und
rächte sich natürlich später, als ich ihm notgedrungen in die Quere
kam, auf empfindliche Weise für meine anscheinende Falschheit.  Als
Lene unser Haus wieder verließ, war meine Mutter womöglich noch mehr
für sie eingenommen wie früher; sie besuchte sie täglich und auch
zwischen ihr und mir entspann sich, so sehr ich auf meiner Hut war,
bald eine Art von Verhältnis.  Ich konnte nicht aus der Tür treten,
ohne sie an ihrem Fenster hinter den Blumen bei der Arbeit sitzen zu
sehen, da wurden denn gegenseitige Grüße ausgetauscht, und was läßt
sich nicht an Grüßen anknüpfen; haben sich doch gewiß noch niemals
Leute gestritten und totgeschlagen, die nicht im Anfang Guten Tag!
zueinander gesagt hätten!  Eines Abends ging ich aus; es war schon
gegen zehn Uhr, ich hatte einen Sarg gemacht, was für einen Tischler
eine so dringende Arbeit ist, wie ein Bräutigamsrock für einen
Schneider, und wollte vorm Niederlegen noch ein wenig im Freien
verschnaufen.  Ich schlenderte, die Pfeife im Munde, an Lenes Fenster
vorüber und glaubte mich unbemerkt, da öffnete sie und fragte mich,
warum ich denn so eile.  Ich blieb stehen und erwiderte, daß ich das
selbst nicht wisse.  Dann, versetzte sie, möge ich auf einen
Augenblick zu ihr hereinkommen, ich habe sie noch nicht ein einziges
Mal besucht, und sie könne doch am Ende verlangen, daß das geschehe.
Ich konnte hiegegen nichts einwenden und ging auf die Tür zu, fand
sie aber verschlossen.  "Ei," rief sie aus, als sie das bemerkte,
"ist meine alte Hausfrau schon zu Bette?  Nun, steigt ins Fenster,
was macht's unter uns?"  Der Antrag machte mich stutzig, aber nicht
lange, ich dachte: deine Mutter sitzt drüben im Zimmer und sieht's,
sie hält dich, kurzsichtig, wie sie ist, für irgendeinen Hans
Liederlich und die da für--Schnell, wie der hitzigste Liebhaber,
stieg oder sprang ich vielmehr hinein.  Wie hatte ich mich verrechnet!
Lene suchte noch den Schwefelfaden, womit sie ihr Licht anzünden
wollte, als mir schon wütend nachgeschimpft wurde.  Ich erkannte die
Stimme meines Gesellen, der hinter mir hergeschlichen sein mochte.
Gewiß war in den letzten hundert Jahren kein Schimpfwort erfunden
worden, das mir nicht an den Kopf flog, und diejenigen, die des
Geschlechts wegen nicht auf mich paßten, sprudelte er gegen Lene aus.
Ich schwieg still, Lene dagegen zündete ihr Licht an und fragte ihn
darauf ruhig, ob er ihr Vater oder ihr Bruder sei.  Als er dies
verneinte, erwiderte sie, dann hätte er auch nichts drein zu reden,
wenn er ihren Bräutigam bei ihr fände; denn das sei ich.  Dabei
umarmte sie mich und sagte: "Nicht wahr, Christoph?  Es wäre dir ja
nie eingefallen, zu einem unbescholtenen Mädchen bei Nacht ins
Fenster zu steigen, wenn du nicht die ernsthaftesten Absichten
hegtest? mir wäre es wenigstens nie in den Sinn gekommen, dich dazu
einzuladen, wenn ich diese nach den Eröffnungen deiner Mutter nicht
hätte voraussetzen dürfen!"  Ich schwieg noch immer und schwieg so
lange, bis ich fühlte, daß mein Schweigen schon alles entschieden
hatte, und daß es lächerlich sei, nicht darin zu verharren.  Mein
Gesell zog sich hohnlachend zurück.  Lene entließ mich aus der
Umarmung, die mir wie eine Falle vorkam, ich näherte mich wieder dem
Fenster.  Sie aber bemerkte das kaum, als sie mich bei den
Rockschößen ergriff und mich fragte, wann wir Hochzeit machen wollten;
ob es mir recht sei, wenn es zu Michaelis geschehe, wie die Mutter
vorschlage, oder ob ich auf einem andern Tag bestünde.  "Vor
Allerheiligen laß ich mich auf nichts ein!" versetzte ich fest und
bestimmt und sprang, ohne die Gegenrede abzuwarten, mit einem Satz
hinaus.  Draußen empfing mich mein Gesell mit geballten Fäusten und
fiel über mich her.  Ich hielt es für meine Schuldigkeit, mich von
ihm durchprügeln zu lassen, und ließ ihn gewähren, versuchte jedoch
zugleich, ihn über das Ereignis aufzuklären, was freilich nur dazu
führte, daß er mich, wenn er seinen Armen ein wenig Ruhe gönnte,
einen doppelten und dreifachen Windbeutel nannte und dann wieder mit
erneuter Wut auf mich losschlug.  Endlich packte er mich gar bei der
Kehle und gab sich alle Mühe, mich niederzuwerfen; es hatte den
ganzen Tag geregnet, die Erde war kotig, und wer seinen besten Rock
trug, wie ich, mußte jede Berührung mit ihr, ausgenommen diejenige,
der man nicht ausweichen kann, scheuen.  Ich konnte daher nicht
länger umhin, dem unsinnigen Menschen, dem ich an Leibesstärke
überlegen war, einen Schlag zu versetzen, und gab ihm einen ins
Gesicht, hatte es aber kaum getan, als ich's auch schon bereute: denn
ich hatte ihn gerade auf die Nase getroffen, und er stürzte lautlos,
wie ein Ochs von der Axt des Metzgers, zu Boden.  Ich glaubte, ein
unfreiwilliger Mörder geworden zu sein und verfluchte mein Schicksal;
denn ich erinnerte mich von meiner Wanderschaft her eines Falls, wo
ein Schmied im Streite einen Schneider durch einen einzigen Schlag
getötet hatte, und ich wußte, was meine Faust vermochte, wenn ich
ordentlich damit ausholte.  Ich schwur dem Himmel, noch denselben
Abend, falls es verlangt würde, mit Lene Hochzeit zu machen, wenn er
den Menschen wieder auferwecke; ich schwur dem Menschen, das Mädchen
mit keinem Auge mehr anzusehen, wenn er von selbst wieder aufstehe,
und ich wurde mir des Widerspruchs zwischen beiden Schwüren gar nicht
bewußt.  Ich fing an, mich nach Dingen zu sehnen, wonach sich wohl
noch niemand gesehnt hat: nach einem Lümmel aus dem Munde meines
Feindes, nach einem Hungerleider, ja nach einer Ohrfeige und einem
Fußtritt.  Zuletzt trat ich, um zu erproben, ob noch Leben in ihm sei,
ihm derb auf die ausgestreckt daliegende Hand.  Da richtete er sich
schnell etwas empor und biß mich, um mir den Beweis gründlich zu
geben, ins Bein.  Es tat sehr weh, und ich stieß einen lauten Schrei
aus, doch innerlich freute ich mich über diesen Biß.  Nun nieste er,
sprang auf und drang wieder auf mich ein.  Um ihn nicht doch noch
totzuschlagen, macht' ich mich auf die Füße und langte, verstörter
wie jemals, bei meiner Mutter an.  Sie kam mir auf der Flur mit
brennender Lampe entgegen und empfing mich mit ärgerlich-freundlichem
Gesicht.  "Wo bist du gewesen?" rief sie mir zu, konnte aber ein
dumm-kluges Lächeln nicht unterdrücken, voraus und sah, daß ich die
Frage nicht zu beantworten brauchte.  Ich zeigte auf mein blutendes
Bein und sagte: "Gott vergebe dir, was du an mir getan hast!"  Dann
ging ich, ohne ihr weiter Rede zu stehen, in meine Schlafkammer,
riegelte mich ein und öffnete ihr nicht einmal die Tür, als sie mir
altes Leinen zum Verband der Wunde brachte, sondern zerriß zu diesem
Zweck in meiner Erbitterung ein ganz neues Hemd.  Übrigens schlief
ich in der auf diesen Abend folgenden Nacht besser, als man
vielleicht erwartet, was ich dem Umstand beimesse, daß es bis
Allerheiligen noch ein volles Vierteljahr hin war.  Wer es, wie ich,
so lange Zeit vorher weiß, wann er in den Ehestand eintreten muß, der
wird, wenn er nicht ganz und gar auf den Kopf gefallen ist, nicht
blindlings hineinrennen, wie der Fuchs in die Falle, er wird mit
Umsicht und Bedächtigkeit zu Werke gehen und jede Vorsichtsmaßregel
ergreifen, die dem Menschen in solcher Lage zu Gebote steht.  Mein
erstes gleich nach dem schauerlichen Verlobungsabend war, meiner
Braut die Überzeugung beizubringen, daß es mir an körperlichen
Kräften nicht mangle.  Ich trug, wenn ich sie bei meiner Mutter oder
sonst in der Nähe wußte, dicke Balken, rammte ohne Beihilfe des
Gesellen mit großer Mühe Pfähle ein, ja, eines Nachmittags schleppte
ich die ganz schwere Hobelbank von Eichenholz auf dem Rücken fort,
was eine Pferdearbeit war.  Ebenso stellt' ich mich bei schicklichen
Gelegenheiten, als ob ich sehr hitzigen auffahrenden Temperaments
wäre; als mich einmal eine Mücke ins Gesicht stach, fluchte ich
barbarisch und versetzte mir, anscheinend der Mücke wegen, einen so
grimmigen Schlag auf die Nase, daß Blut floß; auf eine Maus, die
eines Morgens in der Küche, wo Lene meiner Mutter beim Gänserupfen
half, zum Vorschein kam, fuhr ich mit einem Lärm los, daß beide
Frauenzimmer laut aufschrien, und gleich darauf dreht' ich einem
schreienden jungen Kätzchen, das ich getreten hatte, den Hals um,
wobei es mich stark kratzte.  Mehrere Male stieß ich einen alten
Bettler, nachdem ich ihm zuvor heimlich einen Schilling zusteckte,
damit er es sich gefallen lasse, zur Tür hinaus; meinen Lehrjungen
schalt ich einst, noch vor dem Frühstück, einen Ochsenkopf und drohte
ihm, ich wollte ihn hinterm Schornstein aufhenken, worüber der kleine
Knirps so erschrak, daß er mir selbst leid tat.  "Bist du so voll
Galle?" fragte mich Lene, mir die Hand drückend, als ob's ihr sehr
gefiele.  "Wie man's nehmen will!" versetzte ich kurz und ließ ihre
Hand los.  "Du bist ja ein ganz anderer auf der Wanderschaft geworden,"
sagte meine Mutter, "früher warst du fromm und sinnig, wie ein Lamm!
"--"Jedem Menschen wachsen die Zähne!" erwiderte ich und pfiff einen
Galoppwalzer.  Ich kam zuletzt ordentlich in die Gewohnheit hinein,
der Ton meiner Stimme nahm etwas Rauhes an und meine Gebärden wurden
verwegen.  Ich glaube auch noch immer steif und fest, daß ein Mensch
an Herzhaftigkeit und Geistesgegenwart gewöhnt werden kann, wie z.  B.
an Reiten, Springen und Schwimmen, nur muß man ihn von früh auf dazu
anhalten; angeboren ist's keinem, jeder hat sein Leben lieb.  In
meiner Jugend geschah das nicht; ich durfte nicht an den Bach gehen,
denn meine Mutter fürchtete, ich möchte ertrinken; wenn ich mit
andern Knaben spielte und etwas schnell lief, so rief sie mir zu:
"Stoffelchen," sie nannte mich bis in mein sechzehntes Jahr, wo ich's
mir ernstlich verbat, immer Stoffelchen, "nimm dich in acht, daß du
nicht fällst und dir den Kopf zerschlägst;" als ich einmal auf unsern
kleinen Kirschbaum zu klettern versuchte, riß sie mich bei den Haaren
wieder herunter.  Ja, hätt' ich nur noch in meinem zweiundzwanzigsten
Jahr, wie so viele meiner Kameraden, Soldat werden müssen!  Dieser
beständige Umgang mit geladenen Gewehren, diese Handhabe scharfer
Bajonette, diese Furcht vor dem Unteroffizier, diese Angst vor
Foppereien, die nicht ausbleiben, wenn man nichts Männliches an sich
hat: dies alles hätt' aus mir einen Kerl gemacht, der so gut wie
jeder andere sich in Wirtshäusern den Knebelbart gestrichen, grimmige
Blicke wie Kugeln verschossen und ohne Anlaß mit geballten Fäusten
auf den Tisch geschlagen hätte.  Nun, es hat nicht so sein sollen,
und hat Gott mir bis hierher geholfen, so wird er mir auch bis an
mein seliges Ende helfen.

Auf Lene machte dies freilich Eindruck, aber er war anderer Art, als
ich beabsichtigt hatte.  Statt vor mir, wir vor einer gefüllten
Pulvertonne, zurückzuschaudern, schien sie immer mehr Geschmack an
mir zu finden: ich glaube, ich hätte der Teufel selbst sein können,
ihr wär's recht gewesen, sie mochte sich's zutrauen, selbst den
Teufel zu bändigen.  So war mir's denn ziemlich gleichgültig, als der
Plan, den ich eines Sonntagsmittags--Sonntags mußt' ich sie spazieren
führen--auf einen großen, uns begegnenden Pudel baute, zu Wasser ging.
Sie hatte mir nach ihrer Unart eben ins Ohr gesagt: "Ich hab' dich
doch recht lieb, Christoph!"--"Der Pudel da," dacht' ich, "soll dich
von der verdammten Liebe etwas kurieren und dir einigen Respekt vor
deinem künftigen Man einflößen; ich will dir's zeigen, daß ich's
nicht bloß mit Mäusen und Kätzchen aufnehme, sondern, seines giftigen
Gebisses ungeachtet, auch mit einem Hund."  Also schritt ich, ohne
ihm, wie sonst, auszuweichen, frisch auf den Pudel zu.  Es war eine
drückende Hitze; der Pudel, halsstarrig bis zur Faulheit, verfolgte,
zwar noch nicht knurrend, aber doch schon frech und unverschämt zu
mir aufblickend, in gerader Linie seinen Weg. Lene wollte ausbiegen.
"Ei was!" rief ich, sie festhaltend, "du wirst doch den
niederträchtigen Köter nicht fürchten?"  Ich holte wie vom Teufel
besessen mit dem Spazierstöckchen aus zum Schlag.  Der Pudel zieht
sich nicht zurück, herausfordernd die Zähne fletschend sieht er mich
an.  Gereizt schlage ich wirklich zu.  Sollte man's glauben?  Die
aufsätzige Bestie schnappt mir nach den Waden, statt sich auf die
Flucht zu begeben.  Da überwältigt mich meine Natur, ich reiße mich
von meiner Braut los und springe über den Graben.  Scham ergreift
mich, als ich mir des unwillkürlichen Ausreißens bewußt werde, ich
wage kaum, mich umzusehen.  "Die Gefahr ist vorüber!" ruft laut
lachend Lene mir zu; zu meinem großen Ärger bemerke ich, daß sie den
Hund richtig mit Steinwürfen vertrieben hat und ihm, mir zum
offenbaren Hohn, noch einige nachsenden will.  "Liebes Kind," sag'
ich, "nimm dich in acht, bedenkst du denn nicht, daß wir in den
Hundstagen sind?  Er ist ja toll!"--"Was?" ruft sie, plötzlich
erschreckend, aus und läßt ihre Steine zu Boden fallen.  "Allerdings,"
versetze ich und kehre wieder an ihre Seite und; "bemerktest du
nicht, wie ihm der Schaum vorm Maul stand, wie er den Schwanz
zwischen die Beine klemmte, wie häßlich rot seine Augen waren, welch
unnatürlich Gelüst er zum Menschenfleisch trug?"  In diesem
Augenblick ging der abscheuliche Pudel, heiß, wie er vom Rennen sein
mochte, zu Wasser, mich in seiner tierischen Dummheit Lügen strafend.
Doch Lene ward es nicht gewahr; sie schoß einen wütenden Blick auf
mich, den ersten, wenn mir recht ist, und rief mit vor Zorn und
Schreck fast erstickter Stimme: "Und das sagtest du mir nicht
gleich?"  Wunderbar ist meine Gabe, die Lüge spitz zu kriegen, wenn's
darauf ankommt, mich herauszulügen.  "Kind," antwort' ich und pflücke
für sie, um mich ihren, gleich zwei geladenen Pistolen, auf mich
gerichteten Augen zu entziehen, am Rand des Grabens ein
Vergißmeinnicht, "konnt' ich's denn wissen, daß du's nicht gelesen
hast, was im Kalender über tolle Hunde steht?"--"Nun," erwidert wie
mit der ihr eigenen, unweiblichen Gefaßtheit und steckt die Blume,
die ich ihr galant überreiche, an die Brust,"den Hals hat's ja nicht
gekostet.  Hoffentlich hast du bei dem kühnen Sprung die Knochen
nicht verrenkt?"  Dies war Spott, ich merkt' es gleich und antwortete
nichts.

"Im Wein ist Wahrheit!" sagt das Sprichwort.  Es gilt aber nur von
der einen Hälfte des menschlichen Geschlechts, von der männlichen;
die Weiber beichten niemals, auch nicht dem Wein.  Das hab' ich noch
an demselben Sonntag erfahren.  Mit List bracht' ich Lene in den
Hinckeldeyschen Garten.  "Wir können dort Kaffee oder Tee trinken",
sagt' ich, ich wußte aber wohl, daß außer Wein, Rum und ähnlichen
Mauerbrechern nichts zu haben war.  Als der herbeigerufene Kellner
dies erklärte, stellt' ich mich verwundert und sah Lene mit einem
verdrießlichen Gesicht an.  "Nun," sagte sie, "so lass' Wein bringen,
aber für mich Wasser dabei."--"Herrlich geht's", dacht' ich und rieb
mir vergnügt die Hände; dann bestellt' ich Vierundachtziger, der, wie
ich wußte, stark und schnell zu Kopfe stieg, auch eine reichliche
Portion Zucker; denn durch den verführt man die Weiber am leichtesten
zum Trinken.  "Deine Gesundheit!" rief ich, ihr das volle Glas, in
das ich viel Wein und wenig Wasser gegossen hatte, hinreichend.  Sie
wollte es nur halb austrinken, ich ließ das aber nicht gelten, und
weil die letzte Hälfte wegen des Bodensatzes von Zucker süßer war,
als die erste, so ließ sie nicht gar zu lange in sich dringen.
Höflich, ich hatt' es erwartet, sagte sie dann: "Jetzt aber auch
deine!"  Rasch schenkte ich die Gläser wieder voll.  "Unmöglich,"
rief sie, "kann ich's ganz leeren, mir wird schon so wunderlich!
"--"Dann", versetzte ich, "hast du mich auch nicht lieb."  Einen
Augenblick sah sie vor sich nieder in den Schoß; dann trank sie
langsam, mir die Hand über den Tisch gebend,--ich saß nicht an ihrer
Seite, sondern ihr gegenüber--und mich fest ansehend, das Glas aus.
Es ward ihr schwer, das sah ich.  "Nun wird sie bald übersprudeln,"
dacht' ich, "saubere Dinge werd' ich erfahren, aber gut ist's, wenn
man's weiß, woher der Wind weht, man kann sich danach richten."  Ich
trat ihr, wie aus Versehen, auf den Fuß und hoffte, sie sollte's
übelnehmen; sie hielt's, angetrunken, wie sie war, für ein
Liebeszeichen. "'s tut nichts," dacht' ich, "die Bosheit wird wohl
zum Vorschein kommen, wenn die Besinnung noch mehr schwindet; schon
tritt ihr ein verdächtiges Rot auf die Wangen, ihre Augen schwimmen.
"--"Aber meine Mutter!" sagt' ich und schenkte noch einmal die Gläser
voll.  "Ja, deine Mutter," erwiderte sie lebhaft, "aber ich nippe nur
ein wenig!"--"Besser etwas, als gar nichts!" dacht' ich und ließ es
dabei bewenden.  Jetzt sah sie fast gar nicht mehr auf, sondern
lächelte in einem fort still vor sich hin.  Aufmerksam paßt' ich auf
jede ihrer Bewegungen.  Recht zur glücklichsten Stunde stellte sich,
schnüffelnd im Garten herumkreuzend, ein Pudel ein.  "Der wird die
Mühle in Gang bringen", dacht' ich und pfiff dem Hund.  Nicht ganz
hatte ich mich verrechnet.  "Nimm dich doch in acht, mein Schatz,"
rief sie, sowie sie bemerkte, daß ich den Hund lockte, "er kann toll
sein, oder es werden."  Dabei lachte sie, daß ihr Tränen in die Augen
traten.  Aber es erfolgte weiter nichts.  Aus Unvorsichtigkeit stieß
ich die Wasserflasche um, das Wasser, an allen Seiten vom Tisch
herabströmend, näßte, bevor sie ausweichen konnte, ihr Kleid ein.
"Ach, Herr Jesus!" rief sie und flog von ihrem Sitz auf.  "Nun
kommt's!" dacht' ich und spitzte die Ohren; doch der Herr Jesus war
der bloße Vorläufer eines gutmütigen "Es tut nichts, es ist ja kein
Wein!"  Ärgerlich mich in die Lippen beißend, begann ich, auf mich
selbst zu schimpfen und mich herabzusetzen.  "Ungeschickt", fing ich
an, "bin ich, wie ein Schulkind.  Als ich--dies war nicht
erlogen--das letztemal zum Abendmahl ging, plumpte ich, solltest du's
glauben, vor dem Altar, da ich eben aus dem Kelch nippen sollte,
nieder, wie ein zu schwer beladener Mülleresel."--"Pfui!" unterbrach
sie mich und rümpfte die Nase.  "Ja," fuhr ich mit Lebhaftigkeit fort,
"als ich das Kind meines Vetters zur Taufe hielt, ließ ich den armen
Wurm aus den Kissen gleiten und auf den Taufstein fallen, wo er sich
an einer Ecke jämmerlich den Kopf zerstieß."--"Wie? was sagst du?"
fragte sie, als ich ihr, verächtliche Blicke, Kopf schüttelnd u. dgl.
mehr erwartend, keck und mit Lüsternheit in die Augen sah.  Mit
Übertreibungen wiederholte ich die ohnehin nur halbwahre
Taufgeschichte.  "Ach," seufzte sie, "ich hab' so viel Kopfweh, hätt'
ich doch den Wein nicht getrunken!"  Ich ward immer hitziger, wie ein
Jäger, wenn er oft abdrückt und niemals trifft, und warf mich nun
ganz in die Lüge.  "In Bremen", erzählt' ich, "stieß ich einem
Bäckergesellen, mit dem ich zusammenschlief, nachts beim Umwenden im
Schlaf mit dem Ellbogen das Auge aus."--"Das ist ja fürchterlich!"
fuhr sie auf.  "Du könnt'st ja wohl, wenn du schläfst und träumst,
das Haus in Brand stecken!"--"Gewiß!" fuhr ich heuchlerisch-ruhig
fort, "nachtwandelnd hab' ich mich in Frankfurt a.  M. ohne
irgendeinen vernünftigen Grund einmal erhenkt.  Der Strick war mürbe
und zerriß; sonst säß' ich hier wohl nicht und tränke auf deine
Gesundheit."--"Du treibst Possen!" sagte sie, laut auflachend, und
hielt mir die Hand vor den Mund.  "Es ist die reine Wahrheit,"
versetzt' ich mit einem Ernst, dem sie Glauben schenken mußte, ich
bin nun einmal solche in Unglücksmensch; was mir passiert, passiert
so leicht keinem zweiten."  Ich seufzte kläglich, dann fragt' ich
schlau: "Nicht wahr, Lene, wenn du gewußt hättest, wie's eigentlich
um mich stünde, du würdest dich für einen solchen Mann bedankt
haben?"--"So etwas ist freilich schlimm," gab sie zur Antwort, "doch
das wollen wir schon kriegen!"--"Wieso? wie meinst du?" fragt' ich
schnell und lauernd.  "Ach was!" sagte sie, stand auf und gab mir,
worum es mir am wenigsten zu tun war, einen Kuß.  Und zu Loch war die
Schlange und ließ sich nicht wieder heraustreiben.  Nichts erfuhr ich
von ihren Tücken und Ränken, nichts von den Plagen und Quälereien,
die sie mir in so reichlichem Maße zugedacht; ja, gefallen mußt' ich
mir's lassen, daß sie mir, als ob sie so nüchtern gewesen wäre, wie
sonst, gleich nach dem Kuß ins Ohr flüsterte: "Ich hab' dich
dessenungeachtet doch lieb!"  Ich hatte ihr Herz, wie einen
Wetterkalender, aufzuschlagen gehofft und wurde abgespeist mit dem
schönen Einband.

An dem Abend jenes nämlichen Tags hab' ich zum ersten--und letztenmal
in meinem Leben einen Geist gesehen.  Ich sage das nicht, weil ich
mir was drauf einbilde, sondern nur, weil es doch immer eine
Merkwürdigkeit ist.  Es war gegen elf Uhr, da ging ich über den
Magdalenenkirchhof, um für meine Mutter, die von einem leichten
Fieber befallen war, Kamillen zu holen.  Man muß nämlich über diesen
Kirchhof gehen, wenn man zur Apotheke will.  Ich dachte--ich kann's
beschwören--nicht an Geister und Gespenster, sondern nur daran, wie
angenehm es sein würde, wenn ich erst wieder zu Hause wäre; ich lief,
als ob meine Mutter zu Tod daniederläge, und sah nicht links noch
rechts.  Dennoch erblickt' ich plötzlich etwas Weißes, was lang und
sonderbar in die Höhe ragte; ich wurde zu Eis, und doch--so ist der
Mensch--blieb ich stehen; hätte der Geist mir gewinkt, ich wäre--das
glaub' ich--gehorsam, wie ein Hund, zu ihm herangekommen.  Aber, er
bekümmerte sich nicht um mich, sondern schwebte, ohne nach Art der
Geister ein Zeichen oder einen gräßlichen Ton von sich zu geben,
langsam, langsam über die Gräber fort.  Wird man's begreifen?  Erst,
wie er verschwunden war, kam mir die eigentliche Angst, da erst fiel
mir's ein, wieviel Unheil er mir bei bösartigerer
Gemütsbeschaffenheit hätte zufügen können.  Kalter Schweiß brach mir
aus, nun ich ihn nirgends mehr sah, glaubte ich ihn allenthalben zu
sehen, wenn der Westwind mir in den Nacken blies, hielt ich's für
einen Hauch von ihm und erwartete ärgere Mißhandlungen.  Als ich das
greuliche Ereignis am andern Morgen erzählte, fand sich gleich, wie
das denn nie ausbleibt, ein Mann, der den Schlüssel dazu hatte.  Der
Prahlhans, der versoffene Barbier, der zuletzt im Hospital verreckt
ist, wollte nämlich auf dem Magdalenenkirchhof--er nannte ihn seinen
Garten, weil er daran wohnte--der Abendkühle wegen im Schlafrock und
in der Nachtmütze spazieren gegangen sein.  Es war dem Kerl bloß um
die Ehre, er wollte sich rühmen können, für einen Geist angesehen
worden zu sein; man wird's mir aber wohl glauben, daß ich auch im
Dämmerlicht einen Barbier von einem Geist zu unterscheiden weiß; denn
das ist keine Kunst!  Übrigens war selbst diese Geistererscheinung
noch nicht das letzte Abenteuer jenes merkwürdigen Tages.  Wie ich
von der Apotheke zurückkehrte, vermied ich natürlich den mir doppelt
unheimlich gewordenen Kirchhof und machte einen Umweg, der mich an
einem tiefen Teich vorbeiführte.  Wie ich mich dem Teich näherte, kam
auf einmal ein Mensch dahergerannt, der, soweit ich beim schwachen
Mondlicht darüber klar werden konnte, mit nichts als seinem Hemde
bekleidet war und sich höchst sonderbar gebärdete.  Bald starrte er
ins Wasser hinein, dann sah er zum Himmel empor, endlich brach er in
ein wildes Gelächter aus und sprang, wie unsinnig, in den Teich.
"Was soll das?" rief ich ihm in einer wahren Todesangst zu oder
vielmehr nach, "nehmt Euch in acht, niemand ist in der Nähe, der Euch
wieder herauszieht!"  Keine Antwort.  Ich schritt bis an den Rand des
Teichs vor, das Wasser bewegte sich in großen Kreisen, der Wind
flüsterte im Schilf, von dem Menschen war nichts mehr zu sehen.  "Ist
das Spaß oder Ernst?" rief ich, die Zähne klapperten mir, ich
vermochte kaum noch zu stehen.  "Heda!  Ihr dort unten, steigt herauf!"
Stille, wie vorher!  "Gott im Himmel! es ist richtig ein
Selbstmörder!" brach ich jetzt aus, als ob ich den Menschen bisher
für einen Taucher gehalten hätte, "wer ein Christ ist, springt ihm
nach und holt ihn mit Gewalt wieder herauf!"  Wenig fehlte und ich
hätt' es getan! man hat in solchen Augenblicken ein Gefühl, als ob
man's nicht lassen dürfte.  Ich nahm auch wirklich einen Anlauf, da
aber fiel mir ein, daß er ja jedenfalls schon tot sei, und daß nur
ein Narr sein Leben eines Kadavers wegen aussetze.  Gedanken anderer
Art drängten sich mir auf.  "Wer ist's?" fragt' ich mich.  Antwort:
"Vielleicht dein Gesell!"  Das kam mir bald äußerst wahrscheinlich
vor, und was knüpfte sich nicht alles daran!  "Wird man nicht glauben,"
dacht' ich, "du hast ihn hineingestürzt?  Wird man nicht wenigstens
behaupten, daß du, der du ihm fast zur Seite standest, aus
absichtlicher Bosheit nichts für seine Rettung getan hast?  Und hat
das eine nicht Grund, wie das andere?"  Ich sah mich nach allen
Seiten um, ob noch außer mir jemand Zeuge dieses Selbstmordes gewesen
sei, und beschloß, als ich mich des Gegenteils versichert hatte, den
Vorfall zu verschweigen, um allen Verfänglichkeiten zu entgehen.  Nun
entfernte ich mich rasch, ward aber gleich, sowie ich am ersten
Wirtshaus vorüberkam, von der schwersten meiner Befürchtungen befreit;
denn mein Gesell saß drinnen bei einer Kanne Bier und schwur eben
mit lauter Stimme, daß er sich an meinem Hochzeitstage schon vor
Sonnenaufgang betrinken und mir jeden Schabernack spielen wolle, der
ihm während des Rausches in den Sinn käme.  Den nächsten Morgen
klärte sich das Ereignis auf.  Der kranke Müller war seinem Wärter,
dem man schuld gab, daß er fahrlässig gewesen und eingeschlafen sei,
entkommen und hatte seinem Leben in einem Anfall von Verzweiflung ein
Ende gemacht.  Man sagte, er habe vom Krankenbett aus Dinge von
seiner Frau gesehen, die er nicht wieder hätte vergessen können.  Ich
zweifle nicht daran.

Am auffallendsten war mir's, daß Lene jene Heuchelei und Verstellung
noch monatelang im Ehestand fortsetzte; geradeso, als hätte sie sich
einen Reiter zum Vorbild genommen, der sein Roß, das er hinterher
durch Sporn und Peitsche genugsam plagt, beim Besteigen klatscht und
streichelt.  Nichts konnte im Haushalt geschehen, Schnock mußte erst
befragt werden.  "Meinst du nicht, Christopher," hieß es, "daß der
Spiegel an jener Wand besser hinge?  Ist's dir recht, wenn der rote
Koffer seinen Platz verändert?  Kann der Lehrbursch wohl einmal flink
zum Krämer springen und mir etwas Seide holen, oder siehst du's nicht
gern?  Liebst du die Pfannkuchen braun gebraten, oder nicht?"
Anfangs lacht' ich, wenn sie mit dem spitzbübisch-unschuldigsten
Gesicht von der Welt Fragen der Art an mich richtete, und sagte: "Geh
mir!"  Zuletzt aber ging ich auf den Spaß ein, erklärte gravitätisch,
wie Könige im Puppenspiel, meinen Willen und ergötzte mich nicht
wenig, wenn die Suppe mittags wirklich so auf den Tisch kam, wie ich
sie morgens beim Frühstück, wo ich, würdevoll den Großvaterstuhl
ausfüllend, meine lächerlichen Instruktionen erteilte, bestellt hatte.
Genau weiß ich mich noch des Tags zu erinnern, an dem die
Herrlichkeit ein Ende nahm und mein Drache seine eigentliche Natur
zum ersten Male hervorkehrte.  Es war Mittwoch und Markttag, und ich
hatte einem Gesellen die Arbeit aufgekündigt, als Streit mit ihm
bekommen, d. h. gelinden, wo man sich bloß gegenseitig die
Versicherung gibt, daß man einer ohne den andern leben könne.  Ich
glaube, alles ist in Ordnung, und freue mich, als mit einem Male der
Gesell, da ich eben mein Lieblingsstück: "Wer nur den lieben Gott
läßt walten usw." zu pfeifen anfange, vor mich hinspringt, mit
geballter Faust auf die Hobelbank schlägt, daß etliches Gerät
herunterfliegt, und mit Ungestüm verlangt, ich sollte sagen, was ich
an ihm auszusetzen habe, er sei nicht von gestern und kenne die Welt.
"Der glaubt am Ende," besorg' ich, "du hast ihn im Verdacht der
Dieberei;" um ihn zu begütigen, sag' ich: "Die Fensterrahmen dort,
die Ihr gemacht habt, können mir unmöglich gefallen, sie sind krumm
und schief."--"Ich habe in Hamburg in einer der ersten Werkstätten
gearbeitet!" fällt er mir trotzig ins Wort.  "Drei Tage!" versetz'
ich gedankenlos, aber dem Inhalt seines Wanderbuchs gemäß.  "Was?
Foppen wollt Ihr mich?" fährt er auf, "da soll Euch denn doch--" er
unterbricht sich selbst, doch nur um den Rock abzuwerfen, dann dringt
er auf mich ein.  Ich kenne das Ende einer Prügelei zu gut, um den
Anfang abzuwarten, und ziehe mich zurück, erst bis auf den Flur, dann,
da er mich fluchend und schimpfend verfolgt, bis in die Küche, wo
meine Frau gerade Rüben schabt.  Die wirft auf mich einen Blick, daß
ich denke, sie wird sich mit dem unsinnigen Menschen vereinigen, um
meine Niederlage vollständig zu machen; aber, weit gefehlt, sie
ergreift die Feuerzange und wirft sie dem Gesellen, der sich dessen
wohl so wenig versah, wie ich, an den Kopf; er will nicht weichen, da
fliegt ihm die Fleischgabel ans Schienbein, daß er laut aufschreit:
"Ein Weib wie der Teufel!" und sich wendet, so daß er der
Aschenschaufel, die gleich hinterdrein fährt, glücklich entgeht.
Jetzt kehrt sich die Lene, zufällig war ich hinter ihr zu stehen
gekommen, zu mir um und sieht mich an.  "Das war recht," stottre ich,
"der Lump, der Hundsfott"--"Oh," unterbricht sie mich, "bist du auch
ein Mann!" und rot wie ein gesottener Krebs, setzt sie sich wieder zu
den Rüben nieder, ich schleiche mich fort.  Wenige Minuten darauf
rief sie: "Hans!"  So hieß mein Lehrjunge.  "Er ist draußen im
Garten", antwortete ich ihr.  "So ruf ihn," herrschte sie mir zu,
"aber schnell, er soll für mich aus!"--"Jetzt fängt's an!" sagt' ich,
als ich ging, ihren Befehl auszurichten.  Ich irrte mich keineswegs;
seit jenem Tage hab' ich aus ihrem Munde selten ein freundlich Wort
gehört, dafür traktiert sie mich fast stündlich mit Bonbons, wie
diese sind: "Ich will's so!" oder "Du sollst nicht!" oder "Untersteh'
dich's noch einmal!" u. dergl. mehr.  Nun, das ist nicht so unbequem,
als es scheint; was ich seitdem tue, ist, als ob sie's getan hat, sie
hat von meinem Tun und Lassen mehr Plage, als ich selbst, ich bin
fett geworden, sie ist mager und dürr geblieben.  Ein Spaßvogel sagte,
sie könnte für mich zur Beichte gehen; gewissermaßen hat er recht.

Einmal--ich hüpfe in der Dornenhecke meines Lebens von Busch zu
Busch--hatt' ich, wie man denn im Trunk so leicht Narrheiten begeht,
versprochen, ich wolle meine Frau an einem ausdrücklich dazu
festgesetzten Abend tüchtig ausschmälen, so daß man's draußen unter
den Fenstern hören solle.  "Wirst du's dir gefallen lassen?" fragt'
ich sie beim Zuhausekommen, im Vertrauen auf die gute Wirkung eines
offenen Geständnisses und ihren Geiz, "sonst kostet's mir drei
Flaschen Wein; denn ich habe gewettet."--"Oh, gerne, gerne!"
erwiderte sie; sie war nämlich--ich wußt' es--weichmütig, weil ihr
nachmittags ein Brief die Nachricht gebracht hatte, daß ihr Bruder
gestorben sei.  Der Abend kam heran, mich befiel ein Zittern, ich
verfluchte mich selbst und mein Saufen.  Den ganzen Tag hatte in
ihrem Gesicht etwas Versteckt-Heimtückisches gelegen; jetzt--sie saß
hinter dem Ofen im Großvaterstuhl, aus dem ich natürlich längst
vertrieben war--entlud sich's in einem spöttischen Gelächter und in
der höhnischen Frage: "Wird's bald?"  Deutliches Husten und Flüstern
verkündete mir, daß man draußen schon mit Ungeduld harre; dennoch
sagt' ich: "Kind, es hat ja keine Eil'!"--"Wie lange soll ich denn
warten?" fuhr sie auf.  "Pst, pst, Engel!" wisperte ich, "man muß
sich ja doch erst besinnen."--"Hätt' ich nur 'nen Hund", dacht' ich,
"oder 'ne Katz' zur Hand, auf die würd' ich losfahren, und die da
unter der Wand glaubten, es gelte ihr."  Lautes Räuspern und
In-die-Hände-Klatschen der Saufbrüder bringt mich zur Verzweiflung.
Nichts fällt mir bei, über mein Zögern erbost, sieht Lene mich giftig
an.  "Schlag' der Teufel drein!" fluch ich und hoffe, dabei in den
Gang zu kommen.  "Was fehlt dir, lieber Mann?" fragt sie spottend.
"Kind," versetz' ich drängend, "schmälen und schimpfieren soll ich
und weiß nicht, worüber."  Ich wußt' es wohl, aber wer bürgte mir für
ihre Gelassenheit, darum sucht' ich alles in einen Scherz zu
verwandeln; denn gegen Scherz war sie nicht völlig abgehärtet.  "Gib
mir einige Gründe an die Hand und dann schlag die Augen nieder, sonst
gelingt's mir nimmer."--"Gut," erwiderte sie, "so sprich mir nach,
was ich dir vorsage, aber grimmig, im Ton eines Bären:
Ungetreue--"--"Der Teufel sprech's dir nach," unterbrech' ich sie,
"schändlich würd' ich ja wohl lügen!"--"Oder," fährt sie fort,
"zänkische, boshafte--"--"Mäßige dich, Kind!" fall' ich ihr ins Wort.
"Willst du bald?" fährt sie auf, und wiederholt: "Zänkische,
boshafte Wetterhexe, alter, vermaledeiter Brummkater!"  Angst
ergreift mich; denn das sind Redensarten, deren ich mich zuweilen im
Traum gegen sie bediente.  In diesem Augenblick klopfen die da
draußen ans Fenster.  In der Verwirrung reiß' ich, mich stellend, als
ob ich meine besten Freunde für Straßenbuben halte, das Fenster auf,
und schimpfe wütend hinaus: "Hundezeug! verfluchtes Gesindel! was
gibt's hier zu horchen?"--"Bravo, bravo, Schnock!" geben sie zur
Antwort, Lene schlägt ein Gelächter auf, ich bin wie tot.

Ärger noch--das nicht--aber ebenso arg ging's mir, als ich--unter
dreien hatte gerade mich das Los getroffen--den Pfarrer wegen einer
anzüglichen Predigt, die so sichtlich auf uns gemünzt war, daß man in
der Kirche mit Fingern auf uns zeigte, zur Rede stellen mußte.
Gleich nach der Frühstückszeit--frühstücken konnt' ich nicht--macht'
ich mich auf den Weg, die Konsorten, die mir in solchen Dingen wenig
trauten, lauerten mir nach.  "Hinein mußt du," sagt' ich, mir
gewissermaßen selbst den Weg vertretend, ich empfand nämlich ein
Gelüst, an der Pfarre vorbeizuschleichen, "sonst kommen die Hinteren
dir auf den Hals."--"Er ist wohl zu irgendeinem Kranken geholt oder
zu einer Taufe!" denk' ich und öffne die Tür.  Statt der
Magd--während des Anmeldens verstreicht doch immer, wenn man zu
solchen Herren geht, einige Zeit, die man zur Vorbereitung verwenden
kann--tritt mir der Pfarrer selbst, eben mit brennender Pfeife aus
der Küche kommend, auf dem Flur entgegen.  Er sieht mich an, ich ihn.
"Schönes Hündlein", sag' ich endlich, mich zu dem Schoßhund seiner
Frau, der munter dahergesprungen kam, niederbeugend und ihn
streichelnd.  "Wollt Ihr nicht eintreten, Meister Schnock?" sagt der
Pfarrer und öffnet die Tür seines Studierzimmers.  Ich trete ein.
"Wollt Ihr Euch nicht niedersetzen?"  Ich setze mich.  "Und Euer
Begehren ist?" fragt er endlich, verwundert und ungeduldig.
"Ich--ich komme!" versetz' ich noch ziemlich deutlich und hörbar,
aber da befällt mich plötzlich das niederträchtigste Stammeln und
Stottern, und ich mag mich abarbeiten, wie ich will, ich bring' es
nicht weiter als bis zum: "Ich komme--ich wollte--ich
sollte--"--"Lieber Mann," fährt der Pfarrer zuletzt, meinen Zustand
mißdeutend, auf, "Ihr habt wohl schon getrunken, kommt wieder, wenn
Ihr nüchtern seid."  Erwünschteres hätte mir in meiner Lage nicht
kommen können, als diese Grobheit des Pfarrers, ich nehme schnell
meinen Hut und eile fort, froh, daß die Höllenvisite abgetan ist, und
mich über ihren Ausfall gegen die anderen nur dunkel, und so, daß sie
mich mißverstehen müssen, auslassend.

Dennoch hab' ich trotz der Friedfertigkeit meiner Natur zweimal in
meinem Leben Ohrfeigen ausgeteilt, die eine im Finstern, die zweite
im Licht, und beide an meinen leiblichen Vetter, den Stellmacher
Vinckel.  Auf Vinckel war ich nämlich im höchsten Grade erbost, und
dazu hatte ich guten Grund.  Wer einmal eine lächerliche Geschichte
von mir erzählt, dem reich' ich vielleicht noch, sowie er mir wieder
begegnet, die Hand zum Gruß, wenn ich sie ihm auch nicht mehr drücke.
Niernhäutl, der Wesselbur'ner Pächter, wird mir's bezeugen.  War
er's nicht, der's ausschwatzte, daß ich einst vor seinem kalekutschen
Hahn ausgerissen bin, der es aber verschwieg, daß ich's nur der roten
Weste wegen tat, die ich gerade anhatte?  Doch es geschah beim Bier,
es geschah eine halbe Stunde nach Mitternacht, und er kam nie wieder
auf die Dummheit zurück.  Wer es zweimal tut, dem nick' ich zwar noch
zu, wenn er mir in den Weg kommt, aber ich huste dabei, um ihm nicht
in klaren deutlichen Worten einen guten Tag wünschen zu müssen; wer
sagt denn auch zur Brennessel: Wachse und gedeihe!  Wer aber gar
nicht aufhört, wer, sowie er zu einer Kindtaufe oder einer Hochzeit
geladen ist, entweder stumm und dumm dasitzt, wie die Wand, an die er
sich mit seinem Rücken lehnt, oder seinen albernen Witz auf meine
Kosten Bocksprünge machen läßt, der wird mir am Ende so verhaßt, daß
sich in mir das Oberste zu unterst kehrt und ich mir Luft machen muß,
zumal, da es in der Natur des Menschen liegt, sich so lange zuzurufen:
Du traust dir nicht genug, bis er übermütig wird und sich zuviel
zuzutrauen anfängt.  Das war aber mit Vinckel der Fall, und es kam
noch hinzu, daß wir als Verwandte uns überall trafen, daß wir uns gar
nicht vermeiden konnten.  Er wurde nicht müde, auf den Besuch zu
sticheln, den wir beide auf der Wanderschaft in der Tierbude zu
Bremen abgelegt und bei dem wir uns allerdings sehr verschieden
benommen hatten; er wie ein unwissender Flegel, der zwischen den
lebendigen Ungeheuern drinnen und den gemalten auf der Wachsleinwand
am Eingang nicht zu unterscheiden wußte, ich wie ein vernünftiger
Mensch, der sich auf diesen Unterschied verstand.  Ich muß den Besuch
erzählen, damit man sieht, daß ich bei Gelegenheit desselben nichts
tat, als was jeder andre, der nicht eben ein Vinckel war, auch getan
hätte, und daß ich höchstens wegen meines Fürwitzes, denn ich hätte
ja auch fortbleiben können, einen Vorwurf verdiene.

Es war ein heitrer Sonntagnachmittag, und ich ging mit Vinckel über
den Marktplatz, wo die Bude stand.  Der niederträchtige Tierführer
trat eben heraus und verkündigte mit lauter Stimme, die Bestien
sollten gefüttert werden, wer es sehen wolle, möge eintreten.  Nun
hatt' ich unglücklicherweise am Tage zuvor mit meinem Begleiter über
jene Tiere gesprochen und ihm, um ihm von meiner Herzhaftigkeit eine
gute Meinung beizubringen, gesagt, ich gedächte sie nächstens in
Augenschein zu nehmen.  "Hörst du," rief er mir zu, "die Tiere werden
gefüttert, laß uns hineingehen, es kostet ja nur einen Groschen.
"--"Ei, was," versetzte ich, "morgen ist auch ein Tag, und ob ich sie
fressen sehe oder nicht, das ist mir ganz einerlei.  Ohnehin hat man
sie hier alle ausgestopft auf dem Museum!"  Leider hatte der
Tierführer, wie denn ein solches Gesindel immer mäusescharf hört,
unser Gespräch belauscht; er trat auf uns zu und sagte: "Meine Herren,
morgen mit dem frühsten reis' ich ab, wollen Sie also dies wirklich
sehenswürdige Kabinett mit Ihrer Gegenwart beehren, so schieben Sie
es nicht auf."  Komm, komm, drängte mein Begleiter und zeigte auf das
Aushängeschild, es sind, wie du siehst, zwei Tiger darin, ein
Löwe--"--"Die Riesenschlange, das seltene Exemplar eines weißen Bären,
die Hyäne und die köstlichen Affenarten nicht zu vergessen!"
unterbrach ihn der Tierführer.  Der dumme Schlingel glaubte, mich
durch Aufzählung all der Scheusale, die in der Höllenbude ihr Unwesen
trieben, zum Eintritt reizen zu können, während ich an den beiden
Tigern und dem Löwen, deren mein Gefährte erwähnte, schon mehr als
genug hatte.  "Die Tiger sind wohl noch jung?" fragte ich.  "Den
Teufel auch," antwortete der Esel, "völlig ausgewachsen, und feurig,
wie in Afrika."  Mich schauderte.  "Jedenfalls ist diese Boaschlange
klein wie ein Regenwurm und wird hinter dreifachem Eisengitter
verwahrt?"--"Umgekehrt, lang wie ein Schiffsankertau", versetzte
jener.  "Sie ist in Europa noch niemals größer gesehen worden, und
die Kunst besteht gerade darin, daß ich sie mit den Händen aus ihrem
Kasten herausnehme und frei hinlege.  Treten Sie nur ein, es wird Sie
nicht gereuen."  Mir war, als ständ' ich vor meinem Grabe.  Ganz
kleinlaut fragt' ich: "Wie steht's denn mit der Hyäne?  Auch so groß,
wie ein Pferd?"  Dummstolz lächelnd erwiderte der Kerl: "Sehen Sie
jenen alten, grauen, lahmen Hund, der die Straße heraufwatschelt?
Größer ist die Hyäne nie und sieht so unbeholfen aus wie der."--"Was
fragst du lange," sagte mein Begleiter, "wir können das alles ja
sehen."  Ich ließ mich nicht stören.  "Es sind doch wohl oft schon
Unglücksfälle in Ihrer Bude passiert?" fuhr ich fort, "der Löwe hat
sich losgerissen, die Schlange hat Menschen erdrückt?  Es kann nicht
anders sein.  Ich habe im Wochenblatt davon gelesen!"--"Sie sind sehr
furchtsam!" versetzte der Tierführer frech.  "Gar nicht furchtsam,
durchaus nicht furchtsam," fuhr ich hitzig auf, "aber bekannt genug
ist's, daß--Löwen und Schlangen nach Menschenfleisch lüstern sind,"
hatt' ich sagen wollen, doch der Tierführer unterbrach mich.  "Kommen
Sie herein, meine Herren," sagte er, "ich darf mit der Fütterung
nicht länger zögern, die Tiere sind hungrig."--"Hungrig!" rief ich
entsetzt; dann flüsterte ich meinem Begleiter ins Ohr: "Hörtest du
das?  Die Beester sind hungrig!"--"Um so interessanter wird's sein,"
gab der unverständige Mensch zur Antwort, "komm nur!"  Er zog mich
mit sich fort, und wenn ich keinen Skandal machen wollte, mußt' ich
folgen.  Ein widriges Geräusch der unangenehmsten Stimmen drang uns
entgegen, ein Gebrüll, Gequäke, Geschnatter, Gepiepse zum Umfallen.
Anfänglich macht' ich die Augen zu, bloß um mich an die Ungeheuer zu
gewöhnen.  Doch bald bedachte ich, daß ich mich gerade dadurch den
größten Gefahren aussetzen und in die Nähe der schauderhaften
Schlange, die ich am meisten fürchtete, geraten könne, und öffnete
sie wieder.  Mein erster Blick fiel auf die greuliche Kropfgans, die
in wenigen Sekunden einen halben Kessel voll Fisch verschluckte und
dann in ihren Käfig zurückkehrte.  Hu!  Solchen Tiere sollten billig
erst vierundzwanzig Stunden vor dem Jüngsten Tag geschaffen worden
sein!  Wer würde sich dann aus dem Untergang der Welt noch was
gemacht haben!  Jetzt wurde ich den Löwen gewahr, der entsetzlich
brüllte; schnell wandte ich den Blick, allein nun sah ich die beiden
blutdürstigen Tiger, die in ewiger Unruhe in ihren Käfigen auf und
nieder rannten und mit den Schweifen an die Stäbe schlugen, daß sie
erbebten.  Die bunten Farbenringe, die diesen Scheusalen um den Leib
laufen, kamen mir, besonders wenn ich blinzelte, wie aufgerollte
Schlangen vor, die auch wohl herunterspringen können; dabei macht'
ich die wenig beruhigende Entdeckung, daß sämtliche Käfige aus Holz
gezimmert waren.  Auf einmal entstand hinter mir ein grausiger
Spektakel; als ich mich umsah, erblickte ich die hohläugige,
grinsende Hyäne, die sich vergebens anstrengte, ein Stück Fleisch,
welches der Wärter ihr vorhielt, zu erhaschen.  Ich beschwor den
Menschen, das Tier um Gottes willen nicht zu necken; in frevelhaftem
Mutwillen versetzte er aber: "Nur unbesorgt, ich und Bunku verstehen
uns!"  Zugleich hielt er seinen Mund an das Gitter und rief: "Bunku,
einen Kuß!"  Schnell wandt' ich das Gesicht ab und erwartete, im
Augenblick Jammertöne und Geschrei, des zerfleischten Menschen
nämlich, zu vernehmen.  Ich vernahm nichts; statt dessen hörte ich
ein sonderbares Geplapper und Geplärr gerade über meinem Kopf, und
als ich emporschaute, sah ich eine Menge häßlicher Affen mit
ungestalteten Gliedmaßen und weiten Mäulern, die die Zähne fletschten
und mich mit Unrat bewarfen.  Diese vergnügten mich einigermaßen, da
sie klein waren und possierliche Grimassen schnitten; sie wurden mit
Äpfeln gefüttert, und ich mußte lachen, so wenig ich auch sonst zum
Lachen aufgelegt war, als ich bemerkte, daß einige sich in ihrer
Gefräßigkeit das Maul so voll stopften, als ob es eine Vorratskammer
wäre.  Wie ward mir aber zumut, als ich mich zufällig umkehrte und
auf einer Kiste, an die ich mich mit dem Rücken gelehnt hatte, die
entsetzliche Boaschlange, keine zehn Zoll von mir entfernt, erblickte.
Da lag sie, lang hingestreckt, die greuliche, blutsaugende
Bewohnerin der Waldungen eines fremden Weltteils--ein Sprung, und sie
umwand mich, sie zermalmte meine Knochen, sie mästete sich von meinem
Mark.  Sie zog sich zusammen, ich tat einen lauten Schrei und sprang
zur Tür.  Langhalsige Vögel, Strauße nannte sie der Tierführer,
reckten mir hier, als hätten sie's auf meine Augen abgesehen, aus
einem Käfig, über den ihre Köpfe hoch hinausragten, die spitzigen
Schnäbel entgegen.  Ich gab nicht viel um die Nachbarschaft dieser
Riesenvögel und näherte mich der Schlange wieder um einen Schritt;
kaum aber stand ich still, als mich ein Geklapper ängstigte, welches
sich über mir vernehmen ließ.  Himmel, gerade über meinem Haupte hing
ein Käfig mit einer Klapperschlange.  Ich kann es gar nicht
beschreiben, wie furchtbar mir dies zwei Fuß lange Tier mit seiner
ekelhaft-bunten Haut und mit den abscheulichen Tönen, die es von sich
gab, vorkam.  Starr blickt' ich zu ihr auf; plötzlich klopfte mein
Begleiter mich auf die Schulter und sagte: "Was ist denn an dem
kleinen bunten Ding zu sehen?  Gib nun acht, die große Schlange wird
nun sogleich ein Kaninchen verzehren, der Wärter bringt es schon."
Obwohl mich ohne Unterlaß kalte Schauder überliefen, konnt' ich mich
doch bei diesen Worten eines leichten Lächelns nicht erwehren; der
Mensch glaubte, ich betrachtete die Klapperschlange, während ich doch
bloß ihren Käfig untersuchte, um mich zu vergewissern, daß sie
nirgends durchschlüpfen könne.  Als ich mich hiermit noch
beschäftigte, gab die Klapperschlange, wie es mir--ich kann mich
irren--wenigstens vorkam, ein feines Gezisch von sich; eine weiße
Masse fiel mir auf den Rock, und da ich glauben mußte, diese weiße
Masse rühre von ihr her, schrie ich laut auf: "Hilfe!  Gift!  Gift!"
Erschreckt sprangen mehrere der Anwesenden auf mich zu; ich, keines
Wortes mächtig, zeigte auf den weißen Fleck auf meinem Rock, alle
standen mit offenem Munde.  Der Tierführer kam gleichfalls herbei;
kaum aber hatte dieser meinen Rock angesehen, als er laut auflachte
und sagte: "Das Gift kommt von dem unartigen Papagei, der dort oben
hängt!"  Jetzt wurde das Gelächter allgemein; ich besichtigte die
weiße Masse näher und lachte dann selbst von ganzem Herzen mit.  "Du
bist ja ein wahres Kind," rief mein Begleiter mir zu, "da will ich
dir was anderes zeigen."  Der Waghals trat zur Boaschlange heran, die
eben mit entsetzlicher Wollust, welche ihr sichtlich durch den langen
häßlichen Körper zuckte, dem armen Kaninchen das Blut aussog, und
berührte sie mit der Hand.  Doch sie fuhr zusammen, als würde sie mit
Nadeln gestochen, und Vinckel, der Held, flog so schnell zur Tür wie
ich; ich nahm Übrigens diese Gelegenheit wahr, ihn, bevor er wieder
zur Besinnung kommen konnte, mit herauszuziehen.  Als ich mich wieder
in der freien Luft sah, verdroß mich's doch, daß ich den Bären gar
nicht gesehen hatte; ich hätt's um denselben Preis gehabt.

Das war der Besuch.  Es war keine Kunst, ihn im Zimmer hinter dem
Ofen, wenn man von brüllenden Löwen und zähnefletschenden Tigern so
weit, wie von Afrika und Amerika, entfernt war, zu verdrehen und
dabei zum Beweis der eigenen Herzhaftigkeit dem unter dem Tisch auf
den Knochenabfall harrenden armen Haushund einen Tritt zu versetzen.
Es war noch weniger ein Wunder, daß mich das verdroß.  Als Vinckel es
eines Abends wieder getan hatte und ich im Finstern mit ihm und
einigen anderen zu Hause ging, gab ich ihm endlich einmal, wie ein
gärender Bierkrug, den Pfropfen abstoßend, einen Derben hinter die
Ohren.  So wenig hielt er mich trotz der mir zugefügten Beleidigung
der Rache fähig, daß er ausrief: "Schnock, man schlug mich, wer
war's?"  Als ich kurz antwortete: "Kann ich's wissen, wenn du's
selbst nicht weißt!?" versetzte er: "Nun gut, so tritt du nur
beiseite, denn du hast's gewiß nicht getan!"  Ich folgte, heimlich
lachend, seiner Weisung, dann rief er: "Wenn einer was erhält, der's
nicht verdient hat, so bitt' ich im Voraus um Verzeihung!"  Nun
drosch er auf die übrigen, die verdutzt stehengeblieben waren, wie
ein Unsinniger los und bekam natürlich, was er austeilte, mit Zinsen
zurück, so daß ich, der ich gelassen, wie die Unschuld selbst, dabei
stand, die vollkommenste Satisfaktion erhielt.  Aber die Sache blieb
bei alledem wie sie war; denn wenn ihm den nächsten Tag auch ein Zahn
fehlte: er ahnte nicht, daß er ihn noch haben würde, wenn er seine
Zunge im Zaum gehalten hätte, und ich mußte mich entschließen, das im
Dunkeln begonnene Werk bei Licht zu Ende zu bringen, da seine Späße,
was ich freilich voraus hätte wissen sollen, auch jetzt noch nicht
aufhörten.  Ich schleppte ihn daher eines Sonntagabends ins Wirtshaus,
machte ihn betrunken--ich selbst war's schon vorher--stellte eine
Menge Gläser vor ihn hin, von denen ich glaubte, daß sie ihn am
schnellen Hervorkommen hinter dem Tisch hindern würden, schloß ihn
zum Überfluß auch noch mit Stühlen ein und sagte dann zum Pächter
Niernhäutl: "Es wird hier noch etwas geben!"  Er sah mich an und
antwortete: "Mit wem denn?"--"Mit dem da!" sagt' ich und warf einen
vernichtenden Blick auf Vinckel.  "Wer hat denn was mit dem Knirps?"
fragte der Pächter, der die Menschen, wie ein Werbeoffizier, nach
ihrer Leibeslänge abzuschätzen pflegte, und lachte.  "Ratet einmal!"
versetzt' ich.  Er riet hin und her, es verdroß mich, daß er immer so
greulich vorbeischoß, und ich kehrte ihm unwillig den Rücken.  Er gab
mir einen Klaps an einer unanständigen Stelle; ich zeigte ihm meine
geballte Faust und rief: "Meint Ihr, daß in der allein keine
Kopfnüsse wachsen?  Wieviel verwettet Ihr auf eine, die in einer
Viertelstunde reif sein muß?"  Durch Wetten hab' ich mich nämlich oft
in die Courage hineingehetzt, aber Niernhäutl ließ sich auf nichts
ein, sondern sagte bloß: "Wir werden sehen!"--"Gewiß!" versetzt' ich
und trat an den Schenktisch.  Ich forderte mir ein Glas Punsch, ich
ließ noch ein zweites einschenken, und trat damit zu meinem
Widersacher, der den Kopf ermüdet auf den Tisch lehnte, heran.  Er
lag völlig schlaggerecht und ich ging mit mir zu Rate, was ich tun,
ob ich die Gelegenheit benutzen, oder noch einige Minuten
verstreichen lassen solle.  "Des Grimms", dacht' ich, "kannst du heut
abend nicht genug entwickeln, laß dir Zeit und denk an alles, was er
dir getan hat!"  Da sah ich, daß Niernhäutl verächtlich die Achseln
zuckte und seinen Hut suchte.  Der mußte Zeuge sein, ich stürzte das
zweite Glas Punsch herunter, die Knie schlotterten mir, aber mit
lauter, donnerähnlicher Stimme rief ich, während ich zugleich mit
geballter Faust auf den Tisch schlug: "Heda!"  Vinckel hatte einen
Totenschlaf, er merkte nichts von Ruf und Schlag, und zu meinem
Verdruß kam ein einfältiger Aufwärter herbei und fragte, was ich
befehle.  Der Flegel hatte meine Herausforderung zum Kampfe für ein
Zeichen, das ihm gelte, angesehen.  Dies alles brachte meine Wut aufs
höchste; ich nahm alle meine Kraft zusammen, schlug noch einmal,
indem ich zugleich die beiden leeren Punschgläser beiseite schob, auf
den Tisch und rief: "Heda!"  Jetzt erwachte Vinckel, gähnte
unanständig und fragte mich: "Ist's Zeit zu Hause?"  Ich suchte ihm
durch Blicke verständlich zu machen, wie er mit mir daran sei, als
dies aber nichts half, und er Miene machte, wieder einzunicken,
schrie ich ihm laut entgegen: "Wie steht's mit der Klapperschlange?"
Ich meinte jene in der Bierbude.  Niernhäutl versicherte mir
hinterher, ich sei hiebei zur Leiche erblaßt, ich glaub's ihm
herzlich gern, mir war, als läg ich im Fieber!  Vinckel glotzte mich
merkwürdig verdutzt an; ich aber, noch kühner werdend, wiederholte
meine Frage: "Wie steht's mit der Klapperschlange?"--"Sie ist längst
verreckt und ausgestopft, sei ohne Sorgen!" war die Antwort, die mich,
da ich nun einmal so weit gegangen war, nicht begütigen konnte.
Sowie nun Vinckel die auf mich gerichteten Augen nur wieder abgewandt
hatte, versetzte ich ihm, mich über den Tisch lehnend, die ihm
zugedachte Ohrfeige; dann zog ich mich eilends zurück, griff nach
meinem vor dem Fenster stehenden Hut und lief, so schnell es
ging--daß ich angetrunken war, sagt' ich schon--der Tür zu.  Er aber
schrie überlaut: "Was? was ist das?" und ohne sich an das Zerbrechen
der Gläser im geringsten zu kehren, warf er den Tisch um und stürzte
mir nach.  Ich gestehe, das lag außer meiner Erwartung und Berechnung,
ich stand starr und machte keine Anstalten, dem Verfolger zu
entfliehen.  Er faßte mich bei den Haaren und warf mich zu Boden;
einige Fußtritte, die ich erhielt, schienen mir ein bloßes Vorspiel
des Hauptangriffs.  Ich blieb ruhig liegen, und wenn ich an etwas
dachte, so war's meine Frau, der das Unglück ja nicht verborgen
bleiben konnte.  Endlich wollten der Wirt und der Pächter Niernhäutl
mich aufrichten, ich sträubte mich aber aus Leibeskräften dagegen,
und gar nicht, wie sie glaubten mochten, aus Eigensinn, sondern nur,
um Vinckel, dessen Toben und Fluchen nachzulassen schien, vielleicht,
weil er mich für tot hielt, nicht durch Aufstehen zu reizen.  Doch
ihre vereinten Kräfte überstiegen die meinigen, und ich befand mich
früher wieder auf den Beinen, als ich befürchtet hatte.  Mein erster
Blick fiel in einen mir gerade gegenüber hängenden Spiegel.  Ich sah,
daß ich stark blutete, ich war nämlich beim Niederschlagen auf eine
scharfe Kante des Tischfußes gefallen und hatte mich verletzt;
schnell wischte ich mir das Blut übers ganze Gesicht und erhielt
dadurch ein herzbrechendes Ansehen.  In diesem Augenblick wurde
Vinckel mich gewahr, und ich ihn; er kam auf mich zu, mich übermannte
die Furcht und ich eilte in schnellen Sprüngen aus der Tür.  Hier
aber glitschte ich aus und fiel abermals zu Boden; das Weinen war mir
nahe, doch Vinckel rief mir zu: "Ei, warum läufst du so vor mir, ich
komme ja bloß, um mich wieder mit dir zu vertragen; denn wenn ich's
näher bedenke, so hast du so großes Unrecht nicht gehabt, und mich
freut's, daß du's endlich fühlst!"  Dabei gab er mir die Hand, und
richtete mich auf, ich konnte kein Wort hervorbringen, er aber zog
mich an den Schenktisch, und wir tranken Vertrag miteinander, was ich
gerne tat, ob ich gleich dem Frieden wenig traute.  "Es tut mir leid,"
sagte er, "daß du dir das schändliche Loch in den Kopf gefallen
hast!"--"Das heilt schon wieder!" versetzte ich höflich und nahm
meinen Hut, um mich in der Stille davonzuschleichen.  Schon war ich
glücklich bis an die Haustür gekommen, als er mir nachrief: "Willst
du zu Haus?  Wart, ich begleite dich!"  Die Begleitung eines wilden
Tieres, eines Freundes aus der Bremer Bude, wär' mir ebenso lieb
gewesen; aber, was war da zu machen?  In wenigen Sekunden stand er
bei mir und nahm meinen Arm.  Ich konnte mir nicht viel Gutes
versprechen, zu meinem Glück schien der Mond recht hell, auch blies
der Nachtwächter schon in den Straßen.  Ich faßte Mut, besonders, als
es mir gelang, Vinckeln meinen Arm wieder auf sanfte Weise zu
entwinden.  Ich war meinem Hause bereits nah, da fragt' er mich: "Wie
kam dir die Rachsucht aber so plötzlich?"  Konnt' ich was darauf
antworten?  Ich schwieg still und erwartete das Weitere.  Er aber--so
unausstehlich der Mensch ist, so liegt doch mehr Gutmütigkeit, als
man denken sollte, in seiner Natur--er sagte: "Nu, nu, wir wollen
nicht weiter davon sprechen", gab mir die Hand und schied von mir vor
meiner Haustür.  Nun galt's.  Ich zögerte die Tür aufzumachen, und
ließ langsam mein Wasser.  Der Stellmacher kam die Straße wieder
herunter; er hatte vielleicht im Wirtshaus etwas vergessen, mir
konnt' es aber nicht wünschenswert erscheinen, nochmals mit ihm
zusammenzutreffen, und ich trat schnell in mein Haus.  "Ist's geraten,"
dacht' ich, "sogleich auszuglitschen, etwa über eine Kartoffel, die
dort liegt, und dich zu stellen, als ob du in deinem eigenen Hause
den Kopf zerschlagen hast, oder--" Doch, meine Frau, die das Klingeln
der Haustür nie überhört, trat schon aus der Stube, und ich mußte auf
etwas Haltbareres sinnen.  "Mein Gott, wie siehst du aus?" rief sie
mir überlaut entgegen und fügte noch manches hinzu, was ich vergessen
haben will.  "Wer dich beschimpft, der hat's mit mir zu tun,"
versetzt' ich trotzig, "hast du eine Tasse Tee für mich?  Ich bin
stark angegriffen!"  Damit wollt' ich in die Stube treten, meine Frau
gab's aber nicht zu.  "Es ist jemand darin," erwiderte sie, "und
du--" Sie trieb mich in die Küche, wo ich mich waschen und abtrocknen
und ihr erzählen mußte, was sich zugetragen habe.  Ich log
entsetzlich; denn es galt eine ruhige Nacht.  "Eine Sau", sagt' ich,
"hat er dich genannt!"--"Wer? wer denn?" unterbrach sie mich heftig.
"Hast du's nicht gehört?" versetzte ich, "wer anders, als der da am
Markt, der Stellmacher."--"Der Schelm, der schieläugige Hund, der
Nichtsnutz!" schrie sie so laut, daß es mich erschreckte; konnt' ich
doch gewiß sein, daß die Nachbarn das alles auf mich beziehen würden,
obgleich ich keineswegs schiele.  Dann ballte sie die Hand und rief:
"Wart! sein Weib ist drinnen, und er wird sie abholen; kommt er, so
soll ihn--" In diesem Augenblick ging die Haustür, und an den raschen
Fußtritten erkannte ich Vinckel auf der Stelle.  "Da ist er schon!"
kreischte sie und wollte ihm entgegenstürzen.  Ich vertrat ihr den
Weg und sagte: "Lene, soll's Straßenlärm geben?  Bedenke, daß es spät
ist, und daß sich morgen auch etwas abmachen läßt!"--"Laß mich los,
laß mich los, oder--" Sie ergänzte ihre Rede durch einen Stoß auf die
Brust, den sie mir beibrachte.  Ich aber, ich hatt' ihre Hand gefaßt,
hielt sie, kaum wissend, was ich tat, fest.  "Ich hab' dich ja schon
gerächt," stotterte ich, "er hat Abbitte getan, und ich hab' ihm
vergeben."--"Was?  Was hat du getan?  Ihm vergeben?"  Sie vergaß sich
so weit, mir einen Schlag ins Gesicht zu versetzen; ich verfluchte
meine Lüge, und doch konnt' ich mich nicht überwinden, sie zu
widerrufen.  "Ich bitte dich, Weib, tu mir zum erstenmal einen
Gefallen--" Meine Bitten halfen nichts, sie riß sich los und stürzte
in die Stube hinein.  Ich stieg zu Boden und stellte mich hinter den
Schornstein.  Droben konnt' ich denn alles deutlich hören.  Erst ein
mörderisches Schimpfen; dann kam's zur Balgerei, und Vinckel--wer an
meiner Stelle hätt' einige Schadenfreude unterdrückt?--schrie mehr
als einmal: "Kratzt mir nur kein Auge aus, ich hab' nur zwei!"
Endlich flogen fast zugleich Stuben--und Haustüre auf, und Vinckel,
samt seiner Frau, die sich unkluger--obgleich natürlicherweise mit in
den Handel gemischt hatte, hinaus.  Ich hatte alle Ursache, mit
meiner Lene zufrieden zu sein; denn in der Wut hatte sie Vinckels
Frage, was er ihr getan, zu meiner unsäglichsten Freude mit einem
spöttischen "er wiss' es wohl selbst" beantwortet.  "Der glaubt
sicher," dacht' ich, als ich wieder vom Boden herunterstieg, "es ist
aus purer ehelicher Liebe, wegen deiner Kopfwunde, geschehen; das
schadet nicht!"  Übrigens hat Vinckel die Tierbuden-Geschichte seit
jenem Abend wirklich niemals wieder aufgerührt, und es ist schwer zu
sagen, ob er das aus Respekt vor meiner Lene oder vor mir selbst
unterläßt.  Freilich kam dabei für mich nicht viel heraus; denn die
Schulkinder wußten sie schon auswendig, aber, das muß ich doch zu
seiner Ehre anführen, wenn man ihn jetzt zum Zeugen aufruft, so
antwortet er mit einem Schlag!

Sollte sich's ein Christenmensch vorstellen, daß ich einmal nahe
daran war, aus Zaghaftigkeit, die mich abhielt, zur rechten Zeit mit
einer ablehnenden Erklärung einzuspringen, ein Mörder und schnöder
Giftmischer zu werden?  Ich sitze eines Abends im "Goldenen Schaf"
hinter dem Tisch und denk' an nichts Arges, an gar nichts nämlich; da
tritt ein Fremder, wunderlich, sonst gut gekleidet, herein, fordert
sich Wein und setzt sich zu mir.  Er begrüßt mich und sieht mich mit
einem Blick an, als ob er mich gut kenne.  "Das ist", denk' ich,
"wieder ein Bekannter und Herzensfreund, dessen Gesichtszüge und
Namen nichtswürdigerweise deinem Gedächtnisse entfallen sind; lächle
wenigstens und stell' dich erfreut übers glückliche Zusammentreffen."
Ich tu's, und wirklich ist bald zwischen uns ein Gespräch im Gange,
wie zwischen alten Bekannten, obwohl wir's, wie ich denn doch merke,
nicht sind.  Wir sprechen über allerlei Unglücksfälle, wie sie sich
zutragen; ich erzähl' ihm von einigen, die sich im letzten Jahr
erhenkten und sonst entleibten; dann kommen wir aufs Einschlagen des
Blitzes bei Gewittern und darauf, daß solch ein Feuer gar nicht zu
löschen ist.  "Ja," seufz' ich, "die Welt ist ein Jammertal, man muß
sich wundern, daß man bei all dem Elend doch über die Vierzig
hinauskommt."--"Leute wie Ihr," entgegnet er, "können's wohl
aushalten; denn, wie das Schäfchen auch sei, ist's nur ins Trockne
gebracht, so gibt's Milch und Wolle, aber unsereiner--" Nichts ist
mir verdrießlicher, als wenn man mich für einen Glückspilz hält, für
ein Sonntagskind, dem jeder Wind in die Segel weht; unmutig
unterbrech' ich den Fremden durch die Frage, wer und was er denn sei.
"Ich bin Kammerjäger," versetzt er mit unbeschreiblicher
Aufrichtigkeit, "und also in jetzigen Zeiten, wo das Ungeziefer so
schläfrig und langsam heckt, als ob sich's erst trauen lassen müßte,
wie verliebte Menschen, von Haus aus ein geschlagener Mann."  Auf
Kammerjäger hab' ich von jeher wenig gehalten, zumal auf solche, die,
wenn sie einem anständigen Bürger begegnen, statt die Augen demütig
niederzuschlagen, ihn frech anstieren und wohl gar grüßen, ja, einen
Diskurs anknüpfen, ich hab' sie eigentlich mehr verachtet, als
Bettelvögte; solch eine Antwort, die ein Prinz, der sich zu erkennen
gibt, nicht zuversichtlicher hätte vorbringen können, mußte mich also
billig befremden.  "Wagen sich Leute der Art ins "Goldenen Schaf?"
denk' ich und werfe auf den Fremden, der ruhig, als ob noch alles
zwischen uns beim alten wäre, seine Pfeife ausklopft, einen Blick,
wie etwa unser Amtmann auf mich, wenn er an mir vorbeireitet.  Doch
sag' ich zu mir selbst: "Laß den Menschen heut abend den
Standesunterschied nicht empfinden; morgen, wenn er die Rattenjagd
anstellt, weiß er sich ohnehin zu bescheiden."--"Nun, was sagt Ihr zu
meinem Metier?" fragt er dann.  "Beneidenswert ist's wohl nicht,"
erwidere ich, "aber vermutlich hat's Euch am Heiraten verhindert, und
das ist doch auch für etwas anzuschlagen."--"Drückt Euch der Schuh da,"
versetzt er höhnisch, "nun, das ist das Schicksal in Mausgestalt.
"--"Narr!" hätt' ich ihm gern grob geantwortet, "versuch's erst
einmal, wie ich, dreiundzwanzig Jahre, dann reiß' elende Witze!"
Doch unterlass' ich's; denn man muß sich gegen Fremde nie zu weit
herauswagen.  "Wenigstens denk' ich," fährt er fort, "ein Unglück,
das den Menschen zum Kapaun herausfüttert, kann so groß nicht sein."
Dabei streicht er mir mit unangenehmer Zudringlichkeit über den Bauch.
Gereizt versetz' ich: "Eben darin kann das Unglück liegen; meint
Ihr, daß ein Mann, der durch Schläge fett wird, sich über seine
niederträchtige Natur freut?  Zum Teufel! ist's denn unverschämt,
wenn man für ewiges Plagen, für Ärger und Verdruß ohn' Ende, ein
sieches, Mitleid erregendes Gesicht und einen baufälligen Körper
verlangt, der einen nicht durch hämische Dicke Lügen straft, sobald
man einmal das Herz ausschütten will?  Ich frage noch einmal, ist's
unverschämt?"--"Ist Euch das Weib zuwider," gibt er zur Antwort, "so
schafft's ab.  Pa!"  Dabei jagt er den Dampf durch die Pfeife, daß er
bald mit seinen gelben Katzenaugen dasitzt, wie ein Hexenmeister,
wenn er den Bösen beschwört.  Ich entgegnete: "Wenn Euer Hund
da"--ich zeigte auf seinen großen, schwarzen, mit langen Zottelhaaren,
der sich mir mit einer Frechheit, als ob er auch Kammerjäger wäre,
gerade vor die Füße gelegt hatte--"bissig ist, so könnt ihr ihn
fortjagen, aufhängen, ersäufen; so ist's aber in Christenlanden nicht
mit Ehefrauen."--"Hört, lieber Mann," sagt er mit geheimnisvollem
Gesicht und greift nach meiner Hand, die ich unglücklicherweise aus
der Tasche gezogen, "Euch ist zu helfen, nämlich, wenn Ihr Mut habt."
Der Teufel hat Mut genug, einzugestehen, daß er keinen hat.  Ich
bejah' es nicht direkt, aber ich werfe mich in die Brust, trommle auf
den Tisch und zwinge mir einige verwegene Blicke ab.  "An gewissen
grauen Pulvern, die ich bei mir führe," flüstert er mir nun mit
schrecklicher Stimme ins Ohr, "verrecken nicht bloß Ratten."  Er
nickt mir zu und drückt mir, als ob sich jetzt alles andere von
selbst verstände, die Hand; weniger aus Verwirrung, als aus Angst vor
dem furchtbaren Menschen, nick' ich auch und erwidere den Druck.
"Wir sind also einig," sagte er dann, "nun aber auch keine Silbe mehr,
Meister Schnock!" leider hatt' ich ihm meinen Namen vorher schon
verraten; "solche Geschäfte", entsetzlich klang mir das Wort, und der
greuliche Mensch lachte dabei, als hätte er nicht einen
Vergiftungsplan, sondern einen Spaß gemacht, "lassen sich nicht in
Wirtshäusern weitläufig besprechen, morgen in der Frühe komm' ich zu
Euch.  Gute Nacht!"  Er steht auf und taumelt.  "Gott im Himmel!"
denk' ich, "besoffen ist der Kerl auch--" allerdings war's kein
Wunder; denn solange er neben mir saß, hatte er ununterbrochen
getrunken--"noch ein Glas--" eben bemerk' ich, daß er sich's
einschenken läßt--"so läuft's über, dann hat er, im Rausch geht's
nicht anders, gerade so viel Freunde um sich, als Menschen, und das
erste, was er ausschwatzt, ist der Vergiftungsplan."  Richtig gerät
er gleich mit dem Wirt in ein Gespräch; mich schaudert.  Er läßt was
fallen von Krepieren; eiskalt überläuft's mich.  Der Wirt schiebt
sich die Nachtmütze weiter ins Gesicht und spricht von Gefahr; "nun
ist's heraus!" denk' ich und spüre schon was von Kopfabschlagen im
Nacken.  Plötzlich klingen Himmelstöne durch von Ratten und von
Speisekammer; da wird's mir klar, daß bis jetzt nicht von meiner Lene,
sondern vom Ungeziefer des "Goldenen Schafs" die Rede gewesen ist;
unwillkürlich falt' ich die Hände, aber gleich darauf fordre ich
gebieterisch ein Glas Wein, um die verfänglichen Konferenzen zwischen
dem Wirt und dem Fremden durch einen Gewaltstreich abzubrechen.  Der
Wirt bringt mir hurtig den Wein: tierisch voll taumelt der Fremde,
ungeschickt mit dem Arm gegen den Türpfosten rennend, fort, ohne sich,
als ob er mich schon völlig vergessen hätte, nach mir umzusehen.  Er
hatte mich vergessen; denn am andern Morgen kam er nicht, und schon
am Mittag ward er zu meiner Satisfaktion wegen seiner miserablen
Hantierung und wegen Mangels an Paß und aller sonstigen Legitimation,
die unsere Polizei mit Recht von Kammerjägern fordert, aus dem Ort
gebracht.  Übrigens hätt' ich, wenn er auch nicht ausgeblieben wäre,
meiner stillschweigenden Zusage ungeachtet, nimmermehr zur Mordtat
die Hand geboten, und ihm das zu verstehen gegeben; wer wird denn
auch seine Frau umbringen, bloß, weil er es einem Rattenfänger
versprochen hat!

Ich habe es nicht gesagt, weil es sich von selbst versteht, daß die
Sparsamkeit meines Weibes mit den Jahren zunahm, so daß sie zuletzt
in jenen Geiz, der sich sein eigenes Fett nicht gönnt, ausartete.
Der Wendepunkt trat ein, als sie, die immer gern geputzt ging, mir
zum erstenmal das Anschaffen eines neuen Oberrocks, den ich ihr sonst
regelmäßig zu Weihnachten verehren mußte, verbot.  "Du kannst mir
eine andere Weihnachtsfreude machen," sagte sie heimtückisch,
"dadurch nämlich, daß du mir die kleine Pfeife schenkst, deren du
dich in der Werkstatt bedienst."  Will sie zu rauchen anfangen?
dachte ich zuerst, und freute mich schon, in ihr einen Konsorten zu
gewinnen; konnte sie doch mein Rauchvergnügen nicht mehr unnütze
Verschwendung schelten, wenn sie selbst es teilte.  Doch kam mir dies
bald unwahrscheinlich vor, da mir ihre durch Keifen und Schmälen
ruinierten Lungen einfielen, sie auch niemals, ausgenommen bei
Zahnweh, mit Pfeife und Tabak in Verbindung getreten war.  "Was kann
sie denn mit der alten, halb zerbrochnen Pfeife wollen?" fragte ich
mich, "wär's noch die mit dem Meerschaumkopf und dem Silberbeschlag,
die du Sonntags trägst, aber dies elende Ding--" Ich schäme mich, zu
gestehen, welch törichter Einfall jetzt plötzlich meine Gedanken
unterbrach.  "Ei, ei," dachte ich, "sie ist doch wahrhaftig nicht so
ganz übel, deine Frau; wer hätte ihr solche Aufmerksamkeit zugetraut!"
Ich glaubte allen Ernstes--wie war's möglich? frag' ich mich
selbst, indem ich's erzähle, und schabe mir Rübchen--daß sie mir auch
einmal eine Freude machen und mich am Weihnachtsabend mit einer
Pfeife anbinden wolle.  Der heilige Abend kam heran, die beiden
feierlichen Wachskerzen, die wir dem Erlöser zu Ehren zu verbrennen
pflegten, wurden angesteckt, der Rosinenpudding, nebst dem mit
Lorbeerblättern aufgeputzten Schweinekopf, ward auf den Tisch
gestellt; im Hintergrund drohte schon die große, unhöfliche, dick mit
Eisen und Messing beschlagene Postille, die mir einmal, als ich noch
ein Kind war, fast den Kopf zerschmettert hätte, indem das Ungetüm
ungeschlacht vom Schrank herunterplumpte, und aus der Lene mir jetzt
an hohen Festtagen gerne vorlas, teils um mich am Ausgehen zu
verhindern, mehr aber noch, um Gelegenheit zu haben, mir unter dem
Deckmantel eines längst vermoderten geistlichen Herrn allerlei
Beleidigungen und Gehässigkeiten, die keineswegs im Buche standen, zu
sagen.  Bevor wir uns zum Essen niedersetzten, nahm ich meine Pfeife,
legte sie, einen Bogen weißes Papier unterbreitend, auf einen Teller
und überreichte sie mit einigen scherzhaften Redensarten meiner Frau.
"Gut!" sagte sie, zerbrach die Pfeife und ward die Stücke gelassen
aus dem Fenster.  Statt aber mit dem erwarteten Gegengeschenk
herauszurücken, machte sie mich darauf aufmerksam, daß ich von jetzt
an wöchentlich zwanzig Kreuzer an Tabak ersparen werde.  "Und was
sollen denn die zwanzig Kreuzer?" fragte ich giftig.  "Was sie
sollen?" versetzte sie, "dadurch, daß sie da sind, erfüllen sie ihren
Zweck, und um so besser tun sie das, je länger sie bleiben!"--"Ich
sollte also nicht mehr rauchen?" fuhr ich auf.  "Nein," erwiderte sie,
"das heißt, du sollst dir nicht mutwillig die Schwindsucht zuziehen,
und für den Fall, daß du sie schon hättest, wird uns über kurz oder
lang deine Ersparnis trefflich zustatten kommen, dich davon heilen zu
lassen.  Glaubst du etwa, daß der Doktor dir die mit Dampf
zerblasenen Lungen umsonst flickt?"  Ich sagte nichts weiter, aber
mein Entschluß war gefaßt; und hätte ebenso leicht aufs Atemholen,
als aufs Rauchen Verzicht leisten können; denn für den Raucher ist
die leidige frische Luft ungenießbar, er muß sich das flaue,
nüchterne Element erst mit Dampf würzen, wenn es ihn nicht anekeln
soll.  Ich trug daher am Morgen stillschweigend meine Sonntagspfeife,
die prunkend unter dem Spiegel hing, in die Werkstatt hinunter und
erklärte meinem erstaunten Weibe, daß ich diese solange mit der
höchsten Unbarmherzigkeit strapazieren werde, bis sie mir eine
weniger kostbare Stellvertreterin anschaffe.  Mitleid mit dem
Silberbeschlag und den Bernsteintroddeln des Prachtstücks bewogen sie
zur Nachgiebigkeit, doch gewann sie durch ihre List so viel, daß ich
versprach, mich an den Wochentagen mit einer billigeren Sorte Tabak
begnügen zu wollen.  So war sie denn in allen Dingen.  Wollte ich zum
Beispiel einen Lehrjungen einstehen lassen, so ward er vorher bei uns
zu Tisch gebeten, nicht, wie es schien, aus Generosität, sondern nur,
um seinen Appetit auf die Probe zu stellen.  Fand der junge Mensch
unglücklicherweise sein Leibgericht vor, oder hatte er etwa einen
Marsch gemacht und konnte für zwei Personen essen, so durfte ich ihn
gewiß nicht annehmen; "wer setzt sich denn," sagte Lene, "selbst den
Krebs in sein Fleisch?"  Bei solchen Gelegenheiten trug sie ihr
Bestes auf und legte eifrig vor; ich dagegen, der das schlaue Manöver
kannte, spielte das Mitglied eines Mäßigkeitsvereins, machte auf das
Schädliche dieser oder jener Speise aufmerksam und warnte vor
Überladung, so daß die Uneingeweihten sie für die Gastfreiheit selbst,
mich für den Neidhard halten mußten.  Das Lächerlichste aber war
wohl, daß sie sogar ihre Freundschaft und Liebe streng nach dem Grade
der Eßlust und des Verdauungsvermögens ihrer Freunde und Verwandten
abmaß.  Klagte jemand über seinen schwachen Magen, wies er alles
zurück, ausgenommen ein Glas Wasser und den Fidibus, so wußte sie
nicht zutulich genug zu tun; "ach," hieß es dann, "welch ein
honoriger Mensch, wie wird er doch liebenswürdiger mit jedem Tage!"
War das Gegenteil der Fall, glaubte einer ein Gericht nicht besser
loben zu können, als indem er zweimal davon nahm, so war er ein
Subjekt ohne Lebensart, ein Kerl, der aus Schlund und Magen
zusammengesetzt sei, wie andere aus Leib und Seele.  Mit ihrer
einzigen Jugendfreundin, einer Gärtnersfrau, die uns alle Sonntage
besuchte, stand sie im Begriff, auf immer zu brechen, bloß, weil
diese an der Auszehrung litt, und schüchtern, so wie ihre Krankheit
zunahm, von drei Tassen Kaffee und einem Zwieback, womit sie sich
anfangs begnügte, bis zu sechs Tassen Kaffee und drei Zwiebäcken
aufstieg; um einen Grund zu bekommen, stellte sie sich eifersüchtig
auf die lederndürre Todesbraut, eifersüchtig nämlich--ich muß dies
wohl hinzufügen--wegen meiner.  Die Person starb noch zur rechten
Zeit, kurz vor Ausbruch des Ungewitters, das sie bedrohte, sonst
würde sie's erlebt haben, daß man ihre Todesseufzer für verliebte und
ihre Schwindsucht für ein Sehnsuchtsfieber ausgegeben hätte.
Natürlich hatte von diesem Geiz niemand mehr zu leiden als ich, und
was mich am meisten verdroß, war, daß er mit unserer Wohlhabenheit
zunahm, daß das Essen, je mehr ich verdiente, um so schlechter wurde.
"Wir haben nicht Kind noch Rind," sagte ich einst, durch eine
Wassersuppe aufgebracht, zu ihr, "was wir hinterlassen, kommt an
wildfremde Menschen, ich begreife dein Knickern, dein Schinden und
Schaben nicht."--"Was?" versetzte sie lebhaft, "ist's denn keine Ehre
für uns, wenn die Herren vom Gericht nach unserem Tode mit
Verwunderung und Respekt in ihr Inventarienbuch schreiben: Der
Silberschrank war so wohl versehen, daß auch kein Löffelstiel mehr
hineinging, an Leinenzeug fand sich mehr vor, als die seligen
Eheleute Christopher und Magdalena Schnock in dreißig Jahren hätten
auftragen können, der Schornstein wollte bersten, so voll hing er von
Würsten und Schinken?  Ist das nicht eine Nachrede, die uns noch im
Himmel freuen, ja, in der Hölle trösten muß?  Oder möchtest du, daß
es von dir hieße: Man kann den Hungerleider noch im Grabe pfänden,
wenn man will; denn der Sarg ist nicht bezahlt, er hat sich aus der
Welt gestohlen, wie ein Dieb aus dem Gefängnis, niemand kommt zu dem
Seinigen, als etwa der Kirchhofwurm, wenn er sein
Bankrottiererfleisch nicht verschmäht!"  Sie beklagte es, daß wir
nicht katholisch waren, bloß der vielen Fasttage wegen; "in dem
Glauben", sagte sie, "können Leute doch was vor sich bringen, die
Religion selbst bringt das Sparen mit sich, und naseweise Gesellen
dürfen sich nicht mokieren, wenn der Tisch nicht immer unter Fleisch
brechen will."  Ja, sie ging zuletzt soweit, daß sie ihre
ökonomischen Rücksichten auf meinen eigenen Körper ausdehnte und mir
die unnütze Anstrengung desselben, wie sie sich ausdrückte, verbot,
mir zum Beispiel die Erfüllung der ehelichen Pflichten nur selten
verstattete; vermutlich, weil sie die Kosten einer Umarmung nach
Heller und Pfennig abzuschätzen verstand und weil sie nun kalkulierte,
daß ich meine Kräfte nützlicher und fruchtbringender im Handwerk
anlegen könne, als in der Liebe.  Es war daher gewiß kein Wunder,
wenn ich sie auf alle Art zu betrügen und zu hintergehen suchte, doch
glückte mir dies meistens nur bis zu dem Punkt, wo ich die Absicht
nicht mehr leugnen konnte, wo mir die Frucht meiner List aber dennoch
schmählich entging.  Ich betrachte jedes Unglück, wovon ich höre, als
einen näheren oder entfernteren Verwandten, als einen Vetter von mir,
der über kurz oder lang bei mir einsprechen wird; ich habe Stunden,
wo ich ordentlich darüber erstaune, daß ich noch keine greuliche
Missetat begangen habe, die mich dem Halsgericht überantwortet; hat
man doch Exempel, daß einer morgens unschuldig wie ein Kind aufsteht,
und abends blutbespritzt wie ein bayrischer Hiesel zu Bette geht.
Was hilft alle Vorsicht!  Vorsicht ist der Ball, womit das Schicksal
spielt.  Der Teufel ist allenthalben, nur da nicht, wo man ihn sucht.
Wer sollte glauben, daß ich das Ärgste, was mir bis jetzt begegnet
ist, in meiner eigenen Speisekammer erleben mußte?  Doch war es der
Fall!

Aus Leckerei entschloß ich mich eines Abends, mich selbst, meinen
eigenen Haushalt, zu bestehlen.  Wir hatten nämlich unser Schwein
eingeschlachtet, und es waren treffliche Würste gemacht worden.  Von
diesen Würsten erhielt ich so viel als nötig war, um in mir den
unbändigsten Wunsch noch mehr zu erregen; dann mußte ich selbst sie
in die Speisekammer tragen und sie dort so hoch aufhängen, als ob sie
niemals wieder heruntergenommen werden sollten.  Das Fenster der
Speisekammer ging auf die Straße hinaus, unvermerkt klinkte ich es
auf, ohne noch selbst zu wissen, weshalb.  Die Nacht brach herein,
und eine Pfanne voll magerer Kartoffeln, die mir vorgesetzt wurde,
als ich zum Essen in die Stube kam, machte mich vollends desperat.
"Der Teufel soll sie holen!" brauste ich auf, ich meinte die
Kartoffeln.  "Wen denn?" fragte Lene, ihren langen Gänsehals hinter
dem Ofen hervorstreckend.  "Die Zahnschmerzen!" versetzte ich, legte
meine Gabel nieder und drückte ein Tuch an die Backen.  Bald darauf
stahl ich mich aus der Tür und umschlich leise und behutsam mein Haus.
Es war finster genug, dicke Regenwolken verschluckten das sparsame
Licht des Mondes, der verdrießlich hin und wieder aufdämmerte.  Kaum
hörte ich das Spinnrad meines Weibes schwirren, da stieß ich das
Fenster der Speisekammer von außen auf und schwang mich mit einer
Geschicklichkeit, als ob ich seit dreißig Jahren praktizierender Dieb
gewesen wäre--Angst vor Ertappung gab sie mir--hinein.  "Guten Abend!"
ruft mir auf einmal mit hohler Stimme einer nach.  "Still, still,
um's Himmels will, still!" wisperte ich.  "Sei unbesorgt, Kamerad,"
wird mir geantwortet, "aber hilf mir, daß ich auch hineingelange, das
Fenster ist verdammt hoch."  Was sollte ich tun?  Sollte ich Lärm
machen und mich von Kindern und Erwachsenen als einen Menschen, der
bei sich selbst auf Diebereien ausgeht, verspotten lassen?  Oder
sollt' ich den Unbekannten, wie er's verlangte, zu mir hereinziehen,
um ihn dann im Finstern durch gütliche Vorstellungen zu bewegen,
wieder hinauszusteigen?  Ich weiß noch nicht, was ich hätte tun
sollen; meine Hand war eilfertiger als mein Kopf, sie ergriff, ohne
auf höhere Order zu warten, instinktmäßig die Faust, die sich ihr
entgegenstreckte, und zog den Kerl, dem dieselbe angehörte, herein.
"Merkwürdiges Zusammentreffen!" sagte dieser und tappte herum.
"Allerdings!" erwiderte ich mit einem Seufzer.  "Ich hatte dem dicken
Schnock auch einen Besuch zugedacht," fährt er fort, "und wollte nur
erst das Auslöschen des Lichts abwarten, da sah ich dich das Fenster
öffnen.  Wie konntest du dies nur bewerkstelligen, ohne vorher eine
Scheibe zu knicken?"--"Das ist ein Geheimnis!" versetzte ich
zähneklappernd.  "Was du mir mitteilen mußt," fällt er rasch ein,
"ich will dir dafür eine neue Art Handschellen zu zerbrechen lehren.
Wo hast du studiert?"--"Studiert?" frage ich.  "Ja, auf welcher
Ohnversität, in welchem Zuchthaus, meine ich?"--"Ich saß noch nicht
in Zuchthäusern!" antworte ich.  "Unglückseliger!" versetzt er, "so
bist du noch nicht ein einziges Mal absolviert, schleppst dich noch
mit allen deinen Sünden herum?  Mich hat die Justiz schon dreimal
rein gewaschen und neu frisiert.  Was hast du denn alles auf'm
Herzen?  Ist etwas von Erheblichkeit, ein Mord, oder so was,
darunter?  Oder hast du deine Tugend für nichts und wieder nichts
hingegeben?"--"Mensch, du sprichst, als ob du der Teufel selbst wärst!"
stoß' ich vor Entsetzen hervor.  "Wer sagt dir, daß ich's nicht
bin?" sagt er mit einem Ernst, der mich im ersten Augenblick
schaudern macht, "wahrlich, ich sage dir, ich bin der Teufel und ich
will dir etwas vertrauen.  Vor drei Monaten--" Mir wird bei diesen
lästerlichen Redensarten gräßlich zumut, in der Ferne höre ich den
Nachtwächter, auch klärt der Himmel sich auf, so daß der erste
Vorübergehende das Offenstehen des Fensters bemerken muß; rasch, ehe
der unheimliche Mensch sich dessen versieht, springe ich hinaus, beim
Sprung kommt mir aber die Zunge zwischen die Zähne und ich zerbeiße
sie dermaßen, daß Blut läuft und ich mich vor Schmerz nicht zu lassen
weiß.  Ich reiße die Tür auf und stürze mit dem lauten Geschrei:
"Diebe, Diebe in der Speisekammer!" in mein Haus.  Meine Frau, nebst
meinem Gesellen--es war der größte, den ich jemals hatte, ein Mensch,
der sich, wie er sagte, vor niemand fürchtete als vor sich selbst,
vor seiner eigenen Wut nämlich--eilen schlaftrunken mit einem Licht
auf die Speisekammer zu, ich--der Spitzbube, der sich für den Teufel
ausgab, konnte in mir unmöglich den Konsorten erkennen, weil wir ja
nur in der dicksten Finsternis Vertraute geworden waren--folgte ihnen
mit einem Besenstiel.  Wir finden nichts drinnen, keinen Dieb, aber
auch keine Würste; Lene taumelt mir ohnmächtig in die Arme--nur
Ohnmachten trieben sie noch zuweilen hinein--mein Gesell nimmt, dir
fürchterlichsten Flüche ausstoßend, die allgemeine Verwirrung wahr
und bringt ein Stück Speck auf die Seite, was mir freilich nicht
entging, was ich dem Riesen jedoch hingehen ließ.  Was geschieht am
andern Morgen?  Ein Knurren, Bellen und Beißen wie von zwanzig Hunden
treibt mich vor der Zeit aus dem Bett; ich öffne das Fenster und sehe,
daß sämtliche Würste, zu einer Art von Kranz ineinander verschränkt,
vor unserer Tür aufgehängt sind, und daß die durch den leckeren
Geruch herbeigelockten Köter, springend und einer den andern giftig
beim Schwanz zurückzerrend, sich umsonst bemühen, eine oder einige
davon zu erlangen.  Ein solcher Ausgang war nun zwar erfreulich, aber
noch mehr unbegreiflich.  Ein paar Tage später erfuhr ich indes, daß
ein Übeltäter aus unserem Ort wegen Wahnsinns aus dem Zuchthaus in
die Irrenanstalt abgeführt, seinen Wächtern unterwegs entsprungen und
erst nach längerer Zeit wieder eingefangen worden sei.  Ohne Zweifel
hatte ich die Bekanntschaft dieses Verrückten in meiner Speisekammer
gemacht.



Drittel Kapitel

Zum Schluß

Der Morgen war angebrochen, der Wagen stand vor der Tür, reisefertig
trat ich in das Gastzimmer, um von Schnock, der schon des Frühtrunks
wegen gekommen war, Abschied zu nehmen.  Schnock saß am Tisch und
hatte mehrere leere und noch mehr volle Flaschen, sowie ein derbes
Gabelfrühstück vor sich stehen; ihm gegenüber saß mein Wirt, der
lange, dürre Postmeister, sich auffallend beeifernd, seinen Gast
durch Anekdoten und muntere Geschichten zu ergötzen.  Da war kein
Jägerstückchen, kein Witzwort vom kleinen Korporal oder vom alten
Fritz, das nicht vorgebracht wurde, ja, der Postmeister begnügte sich
nicht, bloß sein Gedächtnis zu martern, er war unbarmherzig genug
gegen sich selbst, seine eigene Phantasie Peitsche und Sporen kosten
zu lassen, um ihr dies oder jenes Geistreiche abzujagen.  Aber
Schnock, der sonst so leicht und so gern lachte, verzog diesmal keine
Miene und gab keinen Laut von sich; er schüttelte nur zuweilen, wenn
der Postmeister recht ansetzte, verächtlich den Kopf, oder stieß
einen Seufzer aus, und wenn er den Mund auftat, so geschah es einzig
und allein, um ein Stück Fleisch oder etwas Ähnliches hineinzustecken.
"Trinkt doch, trinkt!" sagte der Postmeister hitzig, "und dann
knöpft die Ohren auf, jetzt will ich Euch eine Schnurre erzählen, die
noch von meinem Großvater herrührt.  Nicht darüber lachen, heißt den
seligen Mann noch im Grab beleidigen; ich möchte der Schlingel nicht
sein, der das täte; denn mein Großvater verdient Achtung, er war
Schulmeister, und wenn einer von uns rechnen und schreiben kann, so
hat er's von ihm gelernt."  Die Schnurre war wirklich lustig, dennoch
hielt Schnock an sich, obgleich sein Gesicht bersten wollte.  "Schämt
Ihr Euch nicht?" sagte der Postmeister; "für den Herrn Dr.", er
deutete auf mich, "war das Ding gut genug, um darüber zu lachen, und
Ihr sitzt wie ein Klotz?  Der Teufel soll mich holen, wo ich mit Euch
wieder eine Wette eingehe!"--"Worin besteht denn die Wette?" fragte
ich neugierig.  "Werdet Ihr so unhöflich sein, die Frage des Herrn Dr.
unbeantwortet zu lassen?" sagte der Postmeister lebhaft zu Schnock;
dieser aber sah mich an, legte den Finger auf den Mund und verharrte
in Stillschweigen.  "Nun," versetzte ich gleichgültig, "in
Geheimnisse will ich nicht eindringen, lebt wohl, Meister Schnock!"
Schnock stand auf und ergriff meine ihm dargebotene Hand, sie
herzhaft drückend; dann nahm er das Stück Kreide, dessen sich die
Billardspieler zu bedienen pflegten, und schrieb damit auf den Tisch,
daß er mir eine glückliche Reise wünsche.  "Ist der Mann stumm
geworden?" fragte ich, aus der Tür tretend, den mich begleitenden
Postmeister.  "Nichts weniger als das, purer Egoismus!" erwiderte der
Postmeister.  "Wieso?" fragte ich stutzend.  "Er will umsonst bei mir
essen und trinken," gab der Postmeister zur Antwort, "darum spielt er
den Stummen.  Ich muß ihm heute nämlich, so haben wir gestern zur
Nacht im Rausch gewettet, das beste aus Küche und Keller so lange
unentgeltlich aufsetzen, bis er sich zum Lachen oder Sprechen
hinreißen läßt.  Lacht er oder spricht er ein Wort, so muß er--hierin
liegt mein Vorteil--alles doppelt bezahlen; hält er an sich, nun
freilich, dann weiß ich, wer sich noch heut Abend Haare aus dem Kopf
reißt und mit dem Schädel gegen die Wand rennt.  Aber, er mag sich
hüten!  Ich erlaube mir gegen ihn, was mir einfällt, und an Kniffen
und Ränken fehlt's keinem aus meiner Familie.  Ich will ihn schimpfen,
bis er vor Ärger braun und blau wird, wie ein Kapaun; ich will
dritte Personen herbeirufen und Schandgeschichten von ihm erzählen,
denen er Widerspruch entgegensetzen muß, wenn er nicht will, daß alle
Welt sie glauben soll; ich will Pistolen hinter seinem Rücken
abfeuern; ich will seiner Frau, die wohl von der Wette nichts weiß,
anzeigen, daß er bei mir schlemmt, damit ihm diese über den Hals
komme, ich will mich stellen, als ob ich mich umbringen wollte; ich
will--"

Mein Wagen fuhr ab.



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