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Title: Italienische Reise — Band 2
Author: Goethe, Johann Wolfgang von
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Italienische Reise — Band 2" ***


Italienische Reise
Johann Wolfgang Goethe



Zweiter Römischer Aufenthalt vom Juni 1787 bis April 1788

  Juni 1787

    Korrespondenz
    Nachtrag: Päpstliche Teppiche

  Juli 1787

    Korrespondenz
    Bericht
    Störende Naturbetrachtungen

  August 1787

    Korrespondenz
    Bericht

  September 1787

    Korrespondenz
    Bericht

  Oktober 1787

    Korrespondenz
    Bericht

  November 1787

    Korrespondenz
    Bericht

  Dezember 1787

    Korrespondenz
    Bericht
    Moritz als Etymologe

  Philipp Neri,der humoristische Heilige
  Januar 1788

    Korrespondenz
    Bericht
    Aufnahme in die Gesellschaft der Arkadier

  Das Römische Karneval
  Februar 1788

    Korrespondenz
    Bericht

  März 1788

    Korrespondenz
    Bericht

  über die bildende Nachahmungdes Schönen. Von Karl Philipp Moritz
  April 1788

    Korrespondenz
    Bericht



Zweiter Römischer Aufenthalt

vom Juni 1787 bis April 1788

"Longa sit huic aetas dominaeque potentia terrae,
Sitque sub hac oriens occiduusque dies."



Juni

Korrespondenz

Rom, den 8. Juni 1787

Vorgestern bin ich glücklich wieder hier angelangt, und gestern hat
der feierliche Fronleichnamstag mich sogleich wieder zum Römer
eingeweiht.  Gern will ich gestehen, meine Abreise von Neapel machte
mir einige Pein; nicht sowohl die herrliche Gegend als eine gewaltige
Lava hinter mir lassend, die von dem Gipfel aus ihren Weg nach dem
Meere zu nahm, die ich wohl hätte in der Nähe betrachten, deren Art
und Weise, von der man so viel gelesen und erzählt hat, ich in meine
Erfahrungen hätte mit aufnehmen sollen.



Goethe auf zurückgelehntem Stuhl.  Zeichnung von Tischbein

Heute jedoch ist meine Sehnsucht nach dieser großen Naturszene schon
wieder ins gleiche gebracht; nicht sowohl das fromme Festgewirre, das
bei einem imposanten Ganzen doch hie und da durch abgeschmacktes
Einzelne den innern Sinn verletzt, sondern die Anschauung der Teppiche
nach Raffaels Kartonen hat mich wieder in den Kreis höherer
Betrachtungen zurückgeführt.  Die vorzüglichsten, die ihm am
gewissesten ihren Ursprung verdanken, sind zusammen ausgebreitet,
andere, wahrscheinlich von Schülern, Zeit--und Kunstgenossen erfundene,
schließen sich nicht unwürdig an und bedecken die grenzenlosen Räume.


Rom, den 16. Juni.

Laßt mich auch wieder, meine Lieben, ein Wort zu euch reden.  Mir geht
es sehr wohl, ich finde mich immer mehr in mich zurück und lerne
unterscheiden, was mir eigen und was mir fremd ist.  Ich bin fleißig
und nehme von allen Seiten ein und wachse von innen heraus.  Diese
Tage war ich in Tivoli und habe eins der ersten Naturschauspiele
gesehen.  Es gehören die Wasserfälle dort mit den Ruinen und dem
ganzen Komplex der Landschaft zu denen Gegenständen, deren
Bekanntschaft uns im tiefsten Grunde reicher macht.

Am letzten Posttage habe ich versäumt zu schreiben.  In Tivoli war ich
sehr müde vom Spazierengehen und vom Zeichnen in der Hitze.  Ich war
mit Herrn Hackert draußen, der eine unglaubliche Meisterschaft hat,
die Natur abzuschreiben und der Zeichnung gleich eine Gestalt zu geben.
Ich habe in diesen wenigen Tagen viel von ihm gelernt.



Die Maecenasvilla in Tivoli.  Zeichnung von Hackert

Weiter mag ich gar nichts sagen.  Das ist wieder ein Gipfel irdischer
Dinge.  Ein sehr komplizierter Fall in der Gegend bringt die
herrlichsten Wirkungen hervor.

Herr Hackert hat mich gelobt und getadelt und mir weiter geholfen.  Er
tat mir halb im Scherz, halb im Ernst den Vorschlag, achtzehn Monate
in Italien zu bleiben und mich nach guten Grundsätzen zu üben; nach
dieser Zeit, versprach er mir, sollte ich Freude an meinen Arbeiten
haben.  Ich sehe auch wohl, was und wie man studieren muß, um über
gewisse Schwierigkeiten hinauszukommen, unter deren Last man sonst
sein ganzes Leben hinkriecht.

Noch eine Bemerkung.  Jetzt fangen erst die Bäume, die Felsen, ja Rom
selbst an, mir lieb zu werden; bisher hab' ich sie immer nur als fremd
gefühlt; dagegen freuten mich geringe Gegenstände, die mit denen
ähnlichkeit hatten, die ich in der Jugend sah.  Nun muß ich auch erst
hier zu Hause werden, und doch kann ich's nie so innig sein als mit
jenen ersten Gegenständen des Lebens.  Ich habe verschiednes bezüglich
auf Kunst und Nachahmung bei dieser Gelegenheit gedacht.

Während meiner Abwesenheit hatte Tischbein ein Gemälde von Daniel von
Volterra im Kloster an der Porta del Popolo entdeckt; die Geistlichen
wollten es für tausend Skudi hergeben, welche Tischbein als Künstler
nicht aufzutreiben wußte.  Er machte daher an Madame Angelika durch
Meyer den Vorschlag, in den sie willigte, gedachte Summe auszahlte,
das Bild zu sich nahm und später Tischbein die ihm kontraktmäßige
Hälfte um ein Namhaftes abkaufte.  Es war ein vortreffliches Bild, die
Grablegung vorstellend, mit vielen Figuren.  Eine von Meyer darnach
sorgfältig hergestellte Zeichnung ist noch vorhanden.


Rom, den 20. Juni.

Nun hab' ich hier schon wieder treffliche Kunstwerke gesehen, und mein
Geist reinigt und bestimmt sich.  Doch brauchte ich wenigstens noch
ein Jahr allein in Rom, um nach meiner Art den Aufenthalt nutzen zu
können, und ihr wißt, ich kann nichts auf andre Art.  Jetzt, wenn ich
scheide, werde ich nur wissen, welcher Sinn mir noch nicht aufgegangen
ist, und so sei es denn eine Weile genug.

Der Herkules Farnese ist fort, ich hab' ihn noch auf seinen echten
Beinen gesehen, die man ihm nach so langer Zeit wiedergab.  Nun
begreift man nicht, wie man die ersten, von Porta, hat so lange gut
finden können.  Es ist nun eins der vollkommensten Werke alter Zeit.
In Neapel wird der König ein Museum bauen lassen, wo alles, was er von
Kunstsachen besitzt, das Herkulanische Museum, die Gemälde von Pompeji,
die Gemälde von Capo di Monte, die ganze farnesische Erbschaft,
vereinigt aufgestellt werden sollen.  Es ist ein großes und schönes
Unternehmen.  Unser Landsmann Hackert ist die erste Triebfeder dieses
Werks.  Sogar der Toro Farnese soll nach Neapel wandern und dort auf
der Promenade aufgestellt werden.  Könnten sie die Carraccische
Galerie aus dem Palaste mitnehmen, sie täten's auch.


Rom, den 27. Juni.

Ich war mit Hackert in der Galerie Colonna, wo Poussins, Claudes,
Salvator Rosas Arbeiten zusammen hängen.  Er sagte mir viel Gutes und
gründlich Gedachtes über diese Bilder, er hat einige davon kopiert und
die andern recht aus dem Fundament studiert.  Es freute mich, daß ich
im allgemeinen bei den ersten Besuchen in der Galerie eben dieselbe
Vorstellung gehabt hatte.  Alles, was er mir sagte, hat meine Begriffe
nicht geändert, sondern nur erweitert und bestimmt.  Wenn man nun
gleich wieder die Natur ansehn und wieder finden und lesen kann, was
jene gefunden und mehr oder weniger nachgeahmt haben, das muß die
Seele erweitern, reinigen und ihr zuletzt den höchsten anschauenden
Begriff von Natur und Kunst geben.  Ich will auch nicht mehr ruhen,
bis mir nichts mehr Wort und Tradition, sondern lebendiger Begriff ist.
Von Jugend auf war mit dieses mein Trieb und meine Plage, jetzt, da
das Alter kommt, will ich wenigstens das Erreichbare erreichen und das
Tunliche tun, da ich so lange verdient und unverdient das Schicksal
des Sisyphus und Tantalus erduldet habe.

Bleibt in der Liebe und Glauben an mich.  Mit den Menschen hab' ich
jetzt ein leidlich Leben und eine gute Art Offenheit, ich bin wohl und
freue mich meiner Tage.

Tischbein ist sehr brav, doch fürchte ich, er wird nie in einen
solchen Zustand kommen, in welchem er mit Freude und Freiheit arbeiten
kann.  Mündlich mehr von diesem auch wunderbaren Menschen.  Mein
Porträt wird glücklich, es gleicht sehr, und der Gedanke gefällt
jedermann; Angelika malt mich auch, daraus wird aber nichts.  Es
verdrießt sie sehr, daß es nicht gleichen und werden will.  Es ist
immer ein hübscher Bursche, aber keine Spur von mir.


Rom, den 30. Juni.

Das große Fest St. Peter und Paul ist endlich auch herangekommen;
gestern haben wir die Erleuchtung der Kuppel und das Feuerwerk vom
Kastell gesehn.  Die Erleuchtung ist ein Anblick wie ein ungeheures
Märchen, man traut seinen Augen nicht.  Da ich neuerdings nur die
Sachen und nicht wie sonst bei und mit den Sachen sehe, was nicht da
ist, so müssen mir so große Schauspiele kommen, wenn ich mich freuen
soll.  Ich habe auf meiner Reise etwa ein halb Dutzend gezählt, und
dieses darf allerdings unter den ersten stehn.  Die schöne Form der
Kolonnade, der Kirche und besonders der Kuppel erst in einem feurigen
Umrisse und, wenn die Stunde vorbei ist, in einer glühenden Masse zu
sehn, ist einzig und herrlich.  Wenn man bedenkt, daß das ungeheure
Gebäude in diesem Augenblick nur zum Gerüste dient, so wird man wohl
begreifen, daß etwas ähnliches in der Welt nicht sein kann.  Der
Himmel war rein und hell, der Mond schien und dämpfte das Feuer der
Lampen zum angenehmen Schein, zuletzt aber, wie alles durch die zweite
Erleuchtung in Glut gesetzt wurde, ward das Licht des Mondes
ausgelöscht.  Das Feuerwerk ist wegen des Ortes schön, doch lange
nicht verhältnismäßig zur Erleuchtung.  Heute abend sehen wir beides
noch einmal.



Auch das ist vorüber.  Es war ein schöner klarer Himmel und der Mond
voll, dadurch ward die Erleuchtung sanfter, und es sah ganz aus wie
ein Märchen.  Die schöne Form der Kirche und der Kuppel gleichsam in
einem feurigen Aufriß zu sehen, ist ein großer und reizender Anblick.


Rom, Ende Juni.

Ich habe mich in eine zu große Schule begeben, als daß ich geschwind
wieder aus der Lehre gehen dürfte.  Meine Kunstkenntnisse, meine
kleinen Talente müssen hier ganz durchgearbeitet, ganz reif werden,
sonst bring' ich wieder euch einen halben Freund zurück, und das
Sehnen, Bemühen, Krabbeln und Schleichen geht von neuem an.  Ich würde
nicht fertig werden, wenn ich euch erzählen sollte, wie mir auch
wieder alles diesen Monat hier geglückt ist, ja, wie mir alles auf
einem Teller ist präsentiert worden, was ich nur gewünscht habe.  Ich
habe ein schönes Quartier, gute Hausleute.  Tischbein geht nach Neapel,
und ich beziehe sein Studium, einen großen kühlen Saal.  Wenn ihr
mein gedenkt, so denkt an mich als an einen Glücklichen; ich will oft
schreiben, und so sind und bleiben wir zusammen.

Auch neue Gedanken und Einfälle hab' ich genug, ich finde meine erste
Jugend bis auf Kleinigkeiten wieder, indem ich mir selbst überlassen
bin, und dann trägt mich die Höhe und Würde der Gegenstände wieder so
hoch und weit, als meine letzte Existenz nur reicht.  Mein Auge bildet
sich unglaublich, und meine Hand soll nicht ganz zurückbleiben.  Es
ist nur ein Rom in der Welt, und ich befinde mich hier wie der Fisch
im Wasser und schwimme oben wie eine Stückkugel im Quecksilber, die in
jedem andern Fluidum untergeht.  Nichts trübt die Atmosphäre meiner
Gedanken, als daß ich mein Glück nicht mit meinen Geliebten teilen
kann.  Der Himmel ist jetzt herrlich heiter, so daß Rom nur morgens
und abends einigen Nebel hat.  Auf den Gebirgen aber, Albano, Castello,
Frascati, wo ich vergangene Woche drei Tage zubrachte, ist eine immer
heitre reine Luft.  Da ist eine Natur zu studieren.



Blick vom Pincio in Rom.  Zeichnung von Goethe



Bemerkung

Indem ich nun meine Mitteilungen den damaligen Zuständen, Eindrücken
und Gefühlen gemäß einrichten möchte und daher aus eigenen Briefen,
welche freilich mehr als irgendeine spätere Erzählung das
Eigentümliche des Augenblicks darstellen, die allgemein interessanten
Stellen auszuziehen anfange, so find' ich auch Freundesbriefe mir
unter der Hand, welche hiezu noch vorzüglicher dienen möchten.
Deshalb ich denn solche briefliche Dokumente hie und da einzuschalten
mich entschließe und hier sogleich damit beginne, von dem aus Rom
scheidenden, in Neapel anlangenden Tischbein die lebhaftesten
Erzählungen einzuführen.  Sie gewähren den Vorteil, den Leser sogleich
in jene Gegenden und in die unmittelbarsten Verhältnisse der Personen
zu versetzen, besonders auch den Charakter des Künstlers aufzuklären,
der so lange bedeutend gewirkt, und, wenn er auch mitunter gar
wunderlich erscheinen mochte, doch immer so in seinem Bestreben als in
seinem Leisten ein dankbares Erinnern verdient.

Tischbein an Goethe

Neapel, den 10. Juli 1787.

Unsere Reise von Rom bis Capua war sehr glücklich und angenehm.  In
Albano kam Hackert zu uns; in Velletri speisten wir bei Kardinal
Borgia und besahen dessen Museum, zu meinem besondern Vergnügen, weil
ich manches bemerkte, das ich im ersten Mal übergangen hatte.  Um drei
Uhr nachmittags reisten wir wieder ab, durch die pontinischen Sümpfe,
die mir dieses Mal auch viel besser gefielen als im Winter, weil die
grünen Bäume und Hecken diesen großen Ebenen eine anmutige
Verschiedenheit geben.  Wir fanden uns kurz vor der Abenddämmerung in
Mitte der Sümpfe, wo die Post wechselt.  Während der Zeit aber, als
die Postillons alle Beredsamkeit anwendeten, uns Geld abzunötigen,
fand ein mutiger Schimmelhengst Gelegenheit, sich loszureißen und
fortzurennen; das gab ein Schauspiel, welches uns viel Vergnügen
machte.  Es war ein schneeweißes schönes Pferd von prächtiger Gestalt;
er zerriß die Zügel, womit er angebunden war, hackte mit den
Vorderfüßen nach dem, der ihn aufhalten wollte, schlug hinten aus und
machte ein solches Geschrei mit Wiehern, daß alles aus Furcht
beiseitetrat.  Nun sprang er übern Graben und galoppierte über das
Feld, beständig schnaubend und wiehernd.  Schweif und Mähnen
flatterten hoch in die Luft auf, und seine Gestalt in freier Bewegung
war so schön, daß alles ausrief: "O che bellezze! che bellezze!"  Dann
lief er nah an einem andern Graben hin und wider und suchte eine
schmale Stelle, um überzuspringen und zu den Fohlen und Stuten zu
kommen, deren viele hundert jenseits weideten.  Endlich gelang es ihm,
hinüberzuspringen, und nun setzte er unter die Stuten, die ruhig
graseten.  Die erschraken vor seiner Wildheit und seinem Geschrei,
liefen in langer Reihe und flohen über das flache Feld vor ihm hin; er
aber immer hintendrein, indem er aufzuspringen versuchte.

Endlich trieb er eine Stute abseits; die eilte nun auf ein ander Feld
zu einer andern zahlreichen Versammlung von Stuten.  Auch diese, von
Schrecken ergriffen, schlugen hinüber zu dem ersten Haufen.  Nun war
das Feld schwarz von Pferden, wo der weiße Hengst immer drunter
herumsprang, alles in Schrecken und Wildheit.  Die Herde lief in
langen Reihen auf dem Felde hin und her, es sauste die Luft und
donnerte die Erde, wo die Kraft der schweren Pferde überhinflog.  Wir
sahen lange mit Vergnügen zu, wie der Trupp von so vielen Hunderten
auf dem Feld herumgaloppierte, bald in einem Klump, bald geteilt,
jetzt zerstreut einzeln umherlaufend, bald in langen Reihen über den
Boden hinrennend.

Endlich beraubte uns die Dunkelheit der einbrechenden Nacht dieses
einzigen Schauspiels, und als der klarste Mond hinter den Bergen
aufstieg, verlosch das Licht unsrer angezündeten Laternen.  Doch da
ich mich lange an seinem sanften Schein vergnügt hatte, konnte ich
mich des Schlafs nicht mehr erwehren, und mit aller Furcht vor der
ungesunden Luft schlief ich länger als eine Stunde und erwachte nicht
eher, bis wir zu Terracina ankamen, wo wir die Pferde wechselten.

Hier waren die Postillons sehr artig, wegen der Furcht, welche ihnen
der Marchese Lucchesini eingejagt hatte; sie gaben uns die besten
Pferde und Führer, weil der Weg zwischen den großen Klippen und dem
Meer gefährlich ist.  Hier sind schon manche Unglücke geschehen,
besonders nachts, wo die Pferde leicht scheu werden.  Während des
Anspannens und indessen man den Paß an die letzte römische Wache
vorzeigte, ging ich zwischen den hohen Felsen und dem Meer spazieren
und erblickte den größten Effekt: der dunkle Fels vom Mond glänzend
erleuchtet, der eine lebhaft flimmernde Säule in das blaue Meer warf
und bis auf die am Ufer schwankenden Wellen heranflimmerte.

Da oben auf der Zinne des Berges im dämmernden Blau lagen die Trümmer
von Genserichs zerfallener Burg; sie machte mich an vergangene Zeiten
denken, ich fühlte des unglücklichen Konradins Sehnsucht, sich zu
retten, wie des Cicero und des Marius, die sich alle in dieser Gegend
geängstigt hatten.

Schön war es nun fernerhin an dem Berg, zwischen den großen
herabgerollten Felsenklumpen am Saume des Meers im Mondenlicht
herzufahren.  Deutlich beleuchtet waren die Gruppen der Olivenbäume,
Palmen und Pinien bei Fondi; aber die Vorzüge der Zitronenwälder
vermißte man, sie stehen nur in ihrer ganzen Pracht, wenn die Sonne
auf die goldglänzenden Früchte scheint.  Nun ging es über den Berg, wo
die vielen Oliven--und Johannisbrotbäume stehen, und es war schon Tag
geworden, als wir bei den Ruinen der antiken Stadt, wo die vielen
überbleibsel von Grabmälern sind, ankamen.  Das größte darunter soll
dem Cicero errichtet worden sein, eben an dem Ort, wo er ermordet
worden.  Es war schon einige Stunden Tag, als wir an den erfreulichen
Meerbusen zu Mola di Gaeta ankamen.  Die Fischer mit ihrer Beute
kehrten schon wieder zurück, das machte den Strand sehr lebhaft.
Einige trugen die Fische und Meerfrüchte in Körben weg, die andern
bereiteten die Garne schon wieder auf einen künftigen Fang.  Von da
fuhren wir nach Garigliano, wo Cavaliere Venuti graben läßt.  Hier
verließ uns Hackert, denn er eilte nach Caserta, und wir gingen
abwärts von der Straße herunter an das Meer, wo ein Frühstück für uns
bereitet war, welches wohl für ein Mittagessen gelten konnte.  Hier
waren die ausgegrabenen Antiken aufgehoben, die aber jämmerlich
zerschlagen sind.  Unter andern schönen Sachen findet sich ein Bein
von einer Statue, die dem Apoll von Belvedere nicht viel nachgeben mag.
Es wär' ein Glück, wenn man das übrige dazu fände.

Wir hatten uns aus Müdigkeit etwas schlafen gelegt, und da wir wieder
erwachten, fanden wir uns in Gesellschaft einer angenehmen Familie,
die in dieser Gegend wohnt und hierher gekommen war, um uns ein
Mittagsmahl zu geben; welche Aufmerksamkeit wir freilich Herrn Hackert
schuldig sein mochten, der sich aber schon entfernt hatte.  Es stand
also wieder aufs neue ein Tisch bereitet; ich aber konnte nicht essen
noch sitzenbleiben, so gut auch die Gesellschaft war, sondern ging am
Meer spazieren zwischen den Steinen, worunter sich sehr wunderliche
befanden, besonders vieles durch Meerinsekten durchlöchert, deren
einige aussahen wie ein Schwamm.

Hier begegnete mir auch etwas recht Vergnügliches: ein Ziegenhirt
trieb an den Strand des Meeres; die Ziegen kamen in das Wasser und
kühlten sich ab.  Nun kam auch der Schweinehirt dazu, und unter der
Zeit, daß die beiden Herden sich in den Wellen erfrischten, setzten
sich beide Hirten in den Schatten und machten Musik; der Schweinehirt
auf einer Flöte, der Ziegenhirt auf dem Dudelsack.  Endlich ritt ein
erwachsener Knabe nackend heran und ging so tief in das Wasser, so
tief, daß das Pferd mit ihm schwamm.  Das sah nun gar schön aus, wenn
der wohlgewachsene Junge so nah ans Ufer kam, daß man seine ganze
Gestalt sah, und er sodann wieder in das tiefe Meer zurückkehrte, wo
man nichts weiter sah als den Kopf des schwimmenden Pferdes, ihn aber
bis an die Schultern.

Um drei Uhr nachmittags fuhren wir weiter, und als wir Capua drei
Meilen hinter uns gelassen hatten, es war schon eine Stunde in der
Nacht, zerbrachen wir das Hinterrad unsres Wagens.  Das hielt uns
einige Stunden auf, um ein andres an die Stelle zu nehmen.  Da aber
dieses geschehen war und wir abermals einige Meilen zurückgelegt
hatten, brach die Achse.  Hierüber wurden wir sehr verdrießlich; wir
waren so nah bei Neapel und konnten doch unsre Freunde nicht sprechen.
Endlich langten wir einige Stunden nach Mitternacht daselbst an, wo
wir noch so viele Menschen auf der Straße fanden, als man in einer
andern Stadt kaum um Mittag findet.

Hier hab' ich nun alle unsre Freunde gesund und wohl angetroffen, die
sich alle freuten, dasselbe von Ihnen zu hören.  Ich wohne bei Herrn
Hackert im Hause; vorgestern war ich mit Ritter Hamilton zu Pausilipo
auf seinem Lusthause.  Da kann man denn freilich nichts Herrlicheres
auf Gottes Erdboden schauen.  Nach Tische schwammen ein Dutzend Jungen
in dem Meere, das war schön anzusehen.  Die vielen Gruppen und
Stellungen, welche sie in ihren Spielen machten!  Er bezahlt sie dafür,
damit er jeden Nachmittag diese Lust habe.  Hamilton gefällt mir
außerordentlich wohl; ich sprach vieles mit ihm, sowohl hier im Haus,
als auch da wir auf dem Meer spazierenfuhren.  Es freute mich
außerordentlich, so viel von ihm zu erfahren, und hoffe noch viel
Gutes von diesem Manne.  Schreiben Sie mir doch die Namen Ihrer
übrigen hiesigen Freunde, damit ich auch sie kennen lernen und grüßen
kann.  Bald sollen Sie mehreres von hier vernehmen.  Grüßen Sie alle
Freunde, besonders Angelika und Reiffenstein.

N. S. Ich finde es in Neapel sehr viel heißer als in Rom, nur mit dem
Unterschied, daß die Luft gesünder ist und auch beständig etwas
frischer Wind weht, aber die Sonne hat viel mehr Kraft; die ersten
Tage war es mir fast unerträglich.  Ich habe bloß von Eis--und
Schneewasser gelebt.


Später, ohne Datum.

Gestern hätt' ich Sie in Neapel gewünscht: einen solchen Lärmen, eine
solche Volksmenge, die nur da war, um Eßwaren einzukaufen, hab' ich in
meinem Leben nicht gesehen; aber auch so viele dieser Eßwaren sieht
man nie wieder beisammen.  Von allen Sorten war die große Straße
Toledo fast bedeckt.  Hier bekommt man erst eine Idee von einem Volk,
das in einer so glücklichen Gegend wohnt, wo die Jahreszeit täglich
Früchte wachsen läßt.  Denken Sie sich, daß heute 500 000 Menschen im
Schmausen begriffen sind und das auf Neapolitaner Art.  Gestern und
heute war ich an einer Tafel, wo gefressen ist worden, daß ich
erstaunt bin; ein sündiger überfluß war da.  Kniep saß auch dabei und
übernahm sich so, von allen den leckern Speisen zu essen, daß ich
fürchtete, er platze; aber ihn rührte es nicht, und er erzählte dabei
immer von dem Appetit, den er auf dem Schiff und in Sizilien gehabt
habe, indessen Sie für Ihr gutes Geld, teils aus übelbefinden, teils
aus Vorsatz, gefastet und so gut als gehungert.

Heute ist schon alles aufgefressen worden, was gestern verkauft wurde,
und man sagt, morgen sei die Straße wieder so voll, als sie gestern
war.  Toledo scheint ein Theater, wo man den überfluß zeigen will.
Die Butiken sind alle ausgeziert mit Eßwaren, die sogar über die
Straße in Girlanden hinüberhängen, die Würstchen zum Teil vergoldet
und mit roten Bändern gebunden; die welschen Hahnen haben alle eine
rote Fahne im Hintern stecken, deren sind gestern dreißigtausend
verkauft worden, dazu rechne man die, welche die Leute im Hause fett
machen.  Die Zahl der Esel mit Kapaunen beladen sowie der andern mit
kleinen Pomeranzen belastet, die großen auf dem Pflaster
aufgeschütteten Haufen solcher Goldfrüchte erschreckten einen.  Aber
am schönsten möchten doch die Butiken sein, wo grüne Sachen verkauft
werden, und die, wo Rosinentrauben, Feigen und Melonen ausgesetzt sind:
alles so zierlich zur Schau geordnet, daß es Auge und Herz erfreut.
Neapel ist ein Ort, wo Gott häufig seinen Segen gibt für alle Sinne.


Später, ohne Datum.

Hier haben Sie eine Zeichnung von den Türken, die hier gefangen liegen.
Der "Herkules", wie es erst hieß, hat sie nicht genommen, sondern
ein Schiff, welches die Korallenfischer begleitete.  Die Türken sahen
dieses christliche Fahrzeug und machten sich dran, um es wegzunehmen,
aber sie fanden sich betrogen; denn die Christen waren stärker, und so
wurden sie überwältigt und gefangen hierher geführt.  Es waren dreißig
Mann auf dem christlichen Schiffe, vierundzwanzig auf dem türkischen;
sechs Türken blieben im Gefechte, einer ist verwundet.  Von den
Christen ist kein einziger geblieben, die Madonna hat sie beschützt.

Der Schiffer hat eine große Beute gemacht; er fand sehr viel Geld und
Waren, Seidenzeug und Kaffee, auch einen reichen Schmuck, welcher
einer jungen Mohrin gehörte.

Es war merkwürdig, die vielen tausend Menschen zu sehen, welche Kahn
an Kahn dahinfuhren, um die Gefangenen zu beschauen, besonders die
Mohrin.  Es fanden sich verschiedene Liebhaber, die sie kaufen wollten
und viel Geld boten, aber der Kapitän will sie nicht weggeben.

Ich fuhr alle Tage hin und fand einmal den Ritter Hamilton und Miß
Hart, die sehr gerührt war und weinte.  Da das die Mohrin sah, fing
sie auch an zu weinen; die Miß wollte sie kaufen, der Kapitän aber
hartnäckig sie nicht hergeben.  Jetzo sind sie nicht mehr hier; die
Zeichnung besagt das Weitere.



Nachtrag

Päpstliche Teppiche

Die große Aufopferung, zu der ich mich entschloß, eine von dem Gipfel
des Bergs bis beinahe ans Meer herabströmende Lava hinter mir zu
lassen, ward mir durch den erreichten Zweck reichlich vergolten, durch
den Anblick der Teppiche, welche, am Fronleichnamstag aufgehängt, uns
an Raffael, seine Schüler, seine Zeit auf das glänzendste erinnerten.

In den Niederlanden hatte das Teppichwirken mit stehendem Zettel,
Hautelisse genannt, sich schon auf den höchsten Grad erhoben.  Es ist
mir nicht bekannt geworden, wie sich nach und nach die Fertigung der
Teppiche entwickelt und gesteigert hat.  In dem zwölften Jahrhundert
mag man noch die einzelnen Figuren durch Stickerei oder auf sonst eine
Weise fertig gemacht und sodann durch besonders gearbeitete
Zwischenstücke zusammengesetzt haben.  Dergleichen finden wir noch
über den Chorstühlen alter Domkirchen, und hat die Arbeit etwas
ähnliches mit den bunten Fensterscheiben, welche auch zuerst aus ganz
kleinen farbigen Glasstückchen ihre Bilder zusammengesetzt haben.  Bei
den Teppichen vertrat Nadel und Faden das Lot und die Zinnstäbchen.
Alle frühen Anfänge der Kunst und Technik sind von dieser Art; wir
haben kostbare chinesische Teppiche, auf gleiche Weise gefertigt, vor
Augen gehabt.

Wahrscheinlich durch orientalische Muster veranlaßt, hatte man in den
handels--und prachtreichen Niederlanden zu Anfang des sechzehnten
Jahrhunderts diese kunstreiche Technik schon aufs Höchste getrieben;
dergleichen Arbeiten gingen schon wieder nach dem Orient zurück und
waren gewiß auch in Rom bekannt, wahrscheinlich nach unvollkommenen,
in byzantinischem Sinne gemodelten Mustern und Zeichnungen.  Der große
und in manchem, besonders auch ästhetischem Sinn freie Geist Leo X.
mochte nun auch, was er auf Wänden abgebildet sah, gleichmäßig frei
und groß in seiner Umgebung auf Teppichen erblicken, und auf seine
Veranlassung fertigte Raffael die Kartone: glücklicherweise solche
Gegenstände, welche Christi Bezug zu seinen Aposteln, sodann aber die
Wirkungen solcher begabten Männer nach dem Heimgange des Meisters
vorstellten.

Am Fronleichnamstage nun lernte man erst die wahre Bestimmung der
Teppiche kennen, hier machten sie Kolonnaden und offene Räume zu
prächtigen Sälen und Wandelgängen, und zwar indem sie das Vermögen des
begabtesten Mannes uns entschieden vor Augen stellen und uns das
glücklichste Beispiel geben, wo Kunst und Handwerk in beiderseitiger
Vollendung sich auf ihrem höchsten Punkte lebendig begegnen.

Die Raffaelischen Kartone, wie sie bis jetzt in England verwahrt sind,
bleiben noch immer die Bewunderung der Welt; einige rühren gewiß von
dem Meister allein her, andere mögen nach seinen Zeichnungen, seiner
Angabe, andere sogar erst nachdem er abgeschieden war, gefertigt sein.
Alles bezeugte große übereintreffende Kunstbestimmung, und die
Künstler aller Nationen strömten hier zusammen, um ihren Geist zu
erheben und ihre Fähigkeiten zu steigern.

Dies gibt uns Veranlassung, über die Tendenz der deutschen Künstler zu
denken, welche Hochschätzung und Neigung gegen seine ersten Werke
hinzog und wovon schon damals leise Spuren sich bemerken ließen.

Mit einem talentreichen zarten Jüngling, der im Sanften, Anmutigen,
Natürlichen verweilt, fühlt man sich in jeder Kunst näher verwandt,
man wagt es zwar nicht, sich mit ihm zu vergleichen, doch im stillen
mit ihm zu wetteifern, von sich zu hoffen, was er geleistet hat.

Nicht mit gleichem Behagen wenden wir uns an den vollendeten Mann;
denn wir ahnen die furchtbaren Bedingungen, unter welchen allein sich
selbst das entschiedenste Naturell zum Letztmöglichen des Gelingens
erheben kann, und wollen wir nicht verzweifeln, so müssen wir uns
zurückwenden und uns mit dem Strebenden, dem Werdenden vergleichen.

Dies ist die Ursache, warum die deutschen Künstler Neigung, Verehrung,
Zutrauen zu dem älteren, Unvollkommenen wendeten, weil sie sich
daneben auch für etwas halten konnten und sich mit der Hoffnung
schmeicheln durften, das in ihrer Person zu leisten, wozu dennoch eine
Folge von Jahrhunderten erforderlich gewesen.

Kehren wir zu Raffaels Kartonen zurück und sprechen aus, daß sie alle
männlich gedacht sind; sittlicher Ernst, ahnungsvolle Größe walten
überall, und obgleich hie und da geheimnisvoll, werden sie doch
denjenigen durchaus klar, welche von dem Abschiede des Erlösers und
den wundervollen Gaben, die er seinen Jüngern hinterließ, aus den
heiligen Schriften genugsam unterrichtet sind.

Nehmen wir vor allen die Beschämung und Bestrafung des Ananias vor
Augen, da uns denn jederzeit der kleine, dem Mark Anton nicht unbillig
zugeschriebene Kupferstich, nach einer ausführlichen Zeichnung
Raffaels, die Nachbildung der Kartone von Dorigny und die Vergleichung
beider hinlänglichen Dienst leisten.

Wenig Kompositionen wird man dieser an die Seite setzen können; hier
ist ein großer Begriff, eine in ihrer Eigentümlichkeit höchst wichtige
Handlung in ihrer vollkommensten Mannigfaltigkeit auf das klarste
dargestellt.

Die Apostel als fromme Gabe das Eigentum eines jeden, in den
allgemeinen Besitz dargebracht, erwartend; die heranbringenden
Gläubigen auf der einen, die empfangenden Dürftigen auf der andern
Seite, und in der Mitte der Defraudierende gräßlich bestraft: eine
Anordnung, deren Symmetrie aus dem Gegebenen hervorgeht und welche
wieder durch die Erfordernisse des Darzustellenden nicht sowohl
verborgen als belebt wird; wie ja die unerläßliche symmetrische
Proportion des menschlichen Körpers erst durch mannigfaltige
Lebensbewegung eindringliches Interesse gewinnt.

Wenn nun bei Anschauung dieses Kunstwerkes der Bemerkungen kein Ende
sein würde, so wollen wir hier nur noch ein wichtiges Verdienst dieser
Darstellung auszeichnen.  Zwei männliche Personen, welche herankommend
zusammengepackte Kleidungsstücke tragen, gehören notwendig zu Ananias;
aber wie will man hieraus erkennen, daß ein Teil davon zurückgeblieben
und dem Gemeingut unterschlagen worden?  Hier werden wir aber auf eine
junge hübsche Weibsperson aufmerksam gemacht, welche mit einem heitern
Gesichte aus der rechten Hand Geld in die linke zählt; und sogleich
erinnern wir uns an das edle Wort: "Die Linke soll nicht wissen, was
die Rechte gibt", und zweifeln nicht, daß hier Saphira gemeint sei,
welche das den Aposteln einzureichende Geld abzählt, um noch einiges
zurückzubehalten, welches ihre heiter listige Miene anzudeuten scheint.
Dieser Gedanke ist erstaunenswürdig und furchtbar, wenn man sich ihm
hingibt.  Vor uns der Gatte, schon verrenkt und bestraft am Boden in
gräßlicher Zuckung sich windend; wenig hinterwärts, das Vorgehende
nicht gewahr werdend, die Gattin, sicher arglistig sinnend, die
Göttlichen zu bevorteilen, ohne Ahnung, welchem Schicksal sie
entgegengeht.  Überhaupt steht dieses Bild als ein ewiges Problem vor
uns da, welches wir immer mehr bewundern, je mehr uns dessen Auflösung
möglich und klar wird.  Die Vergleichung des Mark-Antonischen Kupfers,
nach einer gleich großen Zeichnung Raffaels, und des größeren von
Dorigny, nach dem Karton, führt uns abermals in die Tiefe der
Betrachtung, mit welcher Weisheit ein solches Talent bei einer zweiten
Behandlung derselben Komposition Veränderungen und Steigerungen zu
bewirken gewußt hat.  Bekennen wir gern, daß ein solches Studium uns
zu den schönsten Freuden eines langen Lebens gedient hat.



Juli

Korrespondenz

Rom, den 5. Juli 1787

Mein jetziges Leben sieht einem Jugendtraume völlig ähnlich, wir
wollen sehen, ob ich bestimmt bin, ihn zu genießen, oder zu erfahren,
daß auch dieses, wie so vieles andre, nur eitel ist.  Tischbein ist
fort, sein Studium aufgeräumt, ausgestäubt und ausgewaschen, so daß
ich nun gerne drin sein mag.  Wie nötig ist's, in der jetzigen Zeit
ein angenehmes Zuhause zu haben.  Die Hitze ist gewaltig.  Morgens mit
Sonnenaufgang steh' ich auf und gehe nach der Acqua acetosa, einem
Sauerbrunnen, ungefähr eine halbe Stunde von dem Tor, an dem ich wohne,
trinke das Wasser, das wie ein schwacher Schwalbacher schmeckt, in
diesem Klima aber schon sehr wirksam ist.  Gegen acht Uhr bin ich
wieder zu Hause und bin fleißig auf alle Weise, wie es die Stimmung
nur geben will.  Ich bin recht wohl.  Die Hitze schafft alles
Flußartige weg und treibt, was Schärfe im Körper ist, nach der Haut,
und es ist besser, daß ein übel jückt, als daß es reißt und zieht.  Im
Zeichnen fahr' ich fort, Geschmack und Hand zu bilden, ich habe
Architektur angefangen ernstlicher zu treiben, es wird mir alles
erstaunend leicht (das heißt der Begriff, denn die Ausübung erfordert
ein Leben).  Was das Beste war: ich hatte keinen Eigendünkel und keine
Prätension, ich hatte nichts zu verlangen, als ich herkam.  Und nun
dringe ich nur drauf, daß mir nichts Name, nichts Wort bleibe.  Was
schön, groß, ehrwürdig gehalten wird, will ich mit eignen Augen sehn
und erkennen.  Ohne Nachahmung ist dies nicht möglich.  Nun muß ich
mich an die Gipsköpfe setzen.  (Die rechte Methode wird mir von
Künstlern angedeutet.  Ich halte mich zusammen, was möglich ist.) Am
Anfang der Woche konnt' ich's nicht absagen, hier und da zu essen.
Nun wollen sie mich hier--und dahin haben; ich lasse es vorübergehn
und bleibe in meiner Stille.  Moritz, einige Landsleute im Hause, ein
wackerer Schweizer sind mein gewöhnlicher Umgang.  Zu Angelika und Rat
Reiffenstein geh' ich auch; überall mit meiner nachdenklichen Art, und
niemand ist, dem ich mich eröffnete.  Lucchesini ist wieder hier, der
alle Welt sieht und den man sieht wie alle Welt.  Ein Mann, der sein
Metier recht macht, wenn ich mich nicht sehr irre.  Nächstens schreib'
ich dir von einigen Personen, die ich bald zu kennen hoffe.

"Egmont" ist in der Arbeit, und ich hoffe, er wird geraten.
Wenigstens hab' ich immer unter dem Machen Symptome gehabt, die mich
nicht betrogen haben.  Es ist recht sonderbar, daß ich so oft bin
abgehalten worden, das Stück zu endigen, und daß es nun in Rom fertig
werden soll.  Der erste Akt ist ins Reine und zur Reife, es sind ganze
Szenen im Stücke, an die ich nicht zu rühren brauche.

Ich habe über allerlei Kunst so viel Gelegenheit zu denken, daß mein
"Wilhelm Meister" recht anschwillt.  Nun sollen aber die alten Sachen
voraus weg; ich bin alt genug, und wenn ich noch etwas machen will,
darf ich mich nicht säumen.  Wie du dir leicht denken kannst, hab' ich
hundert neue Dinge im Kopfe, und es kommt nicht aufs Denken, es kommt
aufs Machen an; das ist ein verwünschtes Ding, die Gegenstände
hinzusetzen, daß sie nun einmal so und nicht anders dastehen.  Ich
möchte nun recht viel von der Kunst sprechen, doch ohne die Kunstwerke
was will man sagen?  Ich hoffe, über manche Kleinheit wegzurücken,
drum gönnt mit meine Zeit, die ich hier so wunderbar und sonderbar
zubringe, gönnt mir sie durch den Beifall eurer Liebe.

Ich muß diesmal schließen und wider Willen eine leere Seite schicken.
Die Hitze des Tages war groß, und gegen Abend bin ich eingeschlafen.


Rom, den 9. Juli.

Ich will künftig einiges die Woche über schreiben, daß nicht die Hitze
des Posttags oder ein andrer Zufall mich hindre, euch ein vernünftiges
Wort zu sagen.  Gestern hab' ich vieles gesehen und wieder gesehen,
ich bin vielleicht in zwölf Kirchen gewesen, wo die schönsten
Altarblätter sind.

Dann war ich mit Angelika bei dem Engländer Moore, einem
Landschaftsmaler, dessen Bilder meist trefflich gedacht sind.  Unter
andern hat er eine Sündflut gemalt, das etwas Einziges ist.  Anstatt
daß andere ein offnes Meer genommen haben, das immer nur die Idee von
einem weiten, aber nicht hohen Wasser gibt, hat er ein geschlossenes
hohes Bergtal vorgestellt, in welches die immer steigenden Wasser
endlich auch hereinstürzen.  Man sieht an der Form der Felsen, daß der
Wasserstand sich dem Gipfel nähert, und dadurch, daß es hinten quervor
zugeschlossen ist, die Klippen alle steil sind, macht es einen
fürchterlichen Effekt.  Es ist gleichsam nur grau in grau gemalt, das
schmutzige aufgewühlte Wasser, der triefende Regen verbinden sich aufs
innigste, das Wasser stürzt und trieft von den Felsen, als wenn die
ungeheuren Massen sich auch in dem allgemeinen Elemente auflösen
wollten, und die Sonne blickt wie ein trüber Mond durch den Wasserflor
durch, ohne zu erleuchten, und doch ist es nicht Nacht.  In der Mitte
des Vordergrundes ist eine flache isolierte Felsenplatte, auf die sich
einige hülflose Menschen retten in dem Augenblick, daß die Flut
heranschwillt und sie bedecken will.  Das Ganze ist unglaublich gut
gedacht.  Das Bild ist groß.  Es kann 7-8 Fuß lang und 5-6 Fuß hoch
sein.  Von den andern Bildern, einem herrlich schönen Morgen, einer
trefflichen Nacht, sag' ich gar nichts.

Drei volle Tage war Fest auf Ara coeli wegen der Beatifikation zweier
Heiligen aus dem Orden des heiligen Franziskus.  Die Dekoration der
Kirche, Musik, Illumination und Feuerwerk des Nachts zog eine große
Menge Volks dahin.  Das nah gelegene Kapitol war mit erleuchtet und
die Feuerwerke auf dem Platz des Kapitols abgebrannt.  Das Ganze
zusammen machte sich sehr schön, obgleich es nur ein Nachspiel von St.
Peter war.  Die Römerinnen zeigen sich bei dieser Gelegenheit, von
ihren Männern oder Freunden begleitet, des Nachts weiß gekleidet mit
einem schwarzen Gürtel und sind schön und artig.  Auch ist im Korso
jetzt des Nachts häufiger Spaziergang und Fahrt, da man des Tags nicht
aus dem Hause geht.  Die Hitze ist sehr leidlich und diese Tage her
immer ein kühles Windchen wehend.  Ich halte mich in meinem kühlen
Saale und bin still und vergnügt.

Ich bin fleißig, mein "Egmont" rückt sehr vor.  Sonderbar ist's, daß
sie eben jetzt in Brüssel die Szene spielen, wie ich sie vor zwölf
Jahren aufschrieb, man wird vieles jetzt für Pasquill halten.


Rom, den 16. Juli.

Es ist schon weit in der Nacht, und man merkt es nicht, denn die
Straße ist voll Menschen, die singend, auf Zithern und Violinen
spielend, miteinander wechselnd, auf und ab gehn.  Die Nächte sind
kühl und erquickend, die Tage nicht unleidlich heiß.

Gestern war ich mit Angelika in der Farnesina, wo die Fabel der Psyche
gemalt ist.  Wie oft und unter wie manchen Situationen hab' ich die
bunten Kopien dieser Bilder in meinen Zimmern mit euch angesehn!  Es
fiel mir recht auf, da ich sie eben durch jene Kopien fast auswendig
weiß.  Dieser Saal oder vielmehr Galerie ist das Schönste, was ich von
Dekoration kenne, so viel auch jetzt dran verdorben und restauriert
ist.

Heute war Tierhetze in dem Grabmal des August.  Dieses große, inwendig
leere, oben offene, ganz runde Gebäude ist jetzt zu einem Kampfplatz,
zu einer Ochsenhetze eingerichtet wie eine Art Amphitheater.  Es wird
vier--bis fünftausend Menschen fassen können.  Das Schauspiel selbst
hat mich nicht sehr erbaut.

Dienstag, den 17. Juli, war ich abends bei Albacini, dem Restaurator
antiker Statuen, um einen Torso zu sehen, den sie unter den
farnesinischen Besitzungen, die nach Neapel gehen, gefunden haben.  Es
ist ein Torso eines sitzenden Apolls und hat an Schönheit vielleicht
nicht seinesgleichen, wenigstens kann er unter die ersten Sachen
gesetzt werden, die vom Altertum übrig sind.

Ich speiste bei Graf Fries; Abbate Casti, der mit ihm reist,
rezitierte eine seiner Novellen, "Der Erzbischof von Prag", die nicht
sehr ehrbar, aber außerordentlich schön, in Ottave rime, geschrieben
ist.  Ich schätzte ihn schon als den Verfasser meines beliebten "Re
Teodoro in Venezia".  Er hat nun einen "Re Teodoro in Corsica"
geschrieben, wovon ich den ersten Akt gelesen habe, auch ein ganz
allerliebstes Werk.

Graf Fries kauft viel und hat unter andern eine Madonna von Andrea del
Sarto für 600 Zechinen gekauft.  Im vergangenen März hatte Angelika
schon 450 drauf geboten, hätte auch das Ganze dafür gegeben, wenn ihr
attenter Gemahl nicht etwas einzuwenden gehabt hätte.  Nun reut sie's
beide.  Es ist ein unglaublich schön Bild, man hat keine Idee von so
etwas, ohne es gesehn zu haben.

Und so kommt tagtäglich etwas Neues zum Vorschein, was, zu dem Alten
und Bleibenden gesellt, ein großes Vergnügen gewährt.  Mein Auge
bildet sich gut aus, mit der Zeit könnte ich Kenner werden.

Tischbein beschwert sich in einem Briefe über die entsetzliche Hitze
in Neapel.  Hier ist sie auch stark genug.  Am Dienstag soll es so
heiß gewesen sein, als Fremde es nicht in Spanien und Portugal
empfunden.

"Egmont" ist schon bis in den vierten Akt gediehen, ich hoffe, er soll
euch Freude machen.  In drei Wochen denke ich fertig zu sein, und ich
schicke ihn gleich an Herdern ab.

Gezeichnet und illuminiert wird auch fleißig.  Man kann s nicht aus
dem Hause gehn, nicht die kleinste Promenade machen, ohne die
würdigsten Gegenstände zutreffen.  Meine Vorstellung, mein Gedächtnis
füllt sich voll unendlich schöner Gegenstände.



Rom, den 20. Juli. 20

Ich habe recht diese Zeit her zwei meiner Kapitalfehler, die mich mein
ganzes Leben verfolgt und gepeinigt haben, entdecken können.  Einer
ist, daß ich nie das Handwerk einer Sache, die ich treiben wollte oder
sollte, lernen mochte.  Daher ist gekommen, daß ich mit so viel
natürlicher Anlage so wenig gemacht und getan habe.  Entweder es war
durch die Kraft des Geistes gezwungen, gelang oder mißlang, wie Glück
und Zufall es wollten, oder wenn ich eine Sache gut und mit überlegung
machen wollte, war ich furchtsam und konnte nicht fertig werden.  Der
andere, nah verwandte Fehler ist, daß ich nie so viel Zeit auf eine
Arbeit oder Geschäft wenden mochte, als dazu erfordert wird.  Da ich
die Glückseligkeit genieße, sehr viel in kurzer Zeit denken und
kombinieren zu können, so ist mir eine schrittweise Ausführung nojos
und unerträglich.  Nun, dächt' ich, wäre Zeit und Stunde da, sich zu
korrigieren.  Ich bin im Land der Künste, laßt uns das Fach
durcharbeiten, damit wir für unser übriges Leben Ruh' und Freude haben
und an was anders gehen können.

Rom ist ein herrlicher Ort dazu.  Nicht allein die Gegenstände aller
Art sind hier, sondern auch Menschen aller Art, denen es Ernst ist,
die auf den rechten Wegen gehen, mit denen man sich unterhaltend gar
bequem und schleunig weiter bringen kann.  Gott sei Dank, ich fange an,
von andern lernen und annehmen zu können.

Und so befinde ich mich an Leib und Seele wohler als jemals!  Möchtet
ihr es an meinen Produktionen sehen und meine Abwesenheit preisen.
Durch das, was ich mache und denke, häng' ich mit euch zusammen,
übrigens bin ich freilich sehr allein und muß meine Gespräche
modifizieren.  Doch das ist hier leichter als irgendwo, weil man mit
jedem etwas Interessantes zu reden hat.

Mengs sagt irgendwo vom Apoll von Belvedere, daß eine Statue, die zu
gleich großem Stil mehr Wahrheit des Fleisches gesellte, das Größte
wäre, was der Mensch sich denken könnte.  Und durch jenen Torso eines
Apolls oder Bacchus, dessen ich schon gedacht, scheint sein Wunsch,
seine Prophezeiung erfüllt zu sein.  Mein Auge ist nicht genug
gebildet, um in einer so delikaten Materie zu entscheiden; aber ich
bin selbst geneigt, diesen Rest für das Schönste zu halten, was ich je
gesehn habe.  Leider ist es nicht allein nur Torso, sondern auch die
Epiderm ist an vielen Orten weggewaschen, er muß unter einer Traufe
gestanden haben.


Sonntags, den 22. Juli,

aß ich bei Angelika; es ist nun schon hergebracht, daß ich ihr
Sonntagsgast bin.  Vorher fuhren wir nach dem Palast Barberini, den
trefflichen Leonard da Vinci und die Geliebte des Raffaels, von ihm
selbst gemalt, zu sehen.  Mit Angelika ist es gar angenehm, Gemälde zu
betrachten, da ihr Auge sehr gebildet und ihre mechanische
Kunstkenntnis so groß ist.  Dabei ist sie sehr für alles Schöne, Wahre,
Zarte empfindlich und unglaublich bescheiden.



Angelika Kauffmann, Selbstbildnis.  Zeichnung

Nachmittags war ich beim Chevalier d'Agincourt, einem reichen
Franzosen, der seine Zeit und sein Geld anwendet, eine Geschichte der
Kunst von ihrem Verfall bis zur Auflebung zu schreiben.  Die
Sammlungen, die er gemacht hat, sind höchst interessant.  Man sieht,
wie der Menschengeist während der trüben und dunkeln Zeit immer
geschäftig war.  Wenn das Werk zusammenkommt, wird es sehr merkwürdig
sein.

Jetzt habe ich etwas vor, daran ich viel lerne; ich habe eine
Landschaft erfunden und gezeichnet, die ein geschickter Künstler, Dies,
in meiner Gegenwart koloriert; dadurch gewöhnt sich Auge und Geist
immer mehr an Farbe und Harmonie.  Überhaupt geht es gut.  Fort, ich
treibe nur, wie immer, zuviel.  Meine größte Freude ist, daß mein Auge
sich an sichern Formen bildet und sich an Gestalt und Verhältnis
leicht gewöhnt und dabei mein alt Gefühl für Haltung und Ganzes recht
lebhaft wiederkehrt.  Auf übung käme nun alles an.


Montag, den 23. Juli,

bestieg ich abends die Trajanische Säule, um des unschätzbaren
Anblicks zu genießen.  Von dort oben herab, bei untergehender Sonne,
nimmt sich das Koliseum ganz herrlich aus, das Kapitol ganz nahe, der
Palatin dahinter, die Stadt, die sich anschließt.  Ich ging erst spät
und langsam durch die Straßen zurück.  Ein merkwürdiger Gegenstand ist
der Platz von Monte Cavallo mit dem Obelisk.


Dienstag, den 24. Juli

Nach der Villa Patrizzi, um die Sonne untergehen zu sehen, der
frischen Luft zu genießen, meinen Geist recht mit dem Bilde der großen
Stadt anzufüllen, durch die langen Linien meinen Gesichtskreis
auszuweiten und zu vereinfachen, durch die vielen schönen und
mannigfaltigen Gegenstände zu bereichern.  Diesen Abend sah ich den
Platz der Antoninischen Säule, den Palast Chigi vom Mond erleuchtet,
und die Säule, von Alter schwarz, vor dem helleren Nachthimmel, mit
einem weißen glänzenden Piedestal.  Und wie viel andere unzählige
schöne einzelne Gegenstände trifft man auf so einer Promenade an.
Aber wie viel dazu gehört, sich nur einen geringen Teil von allem
diesem zuzueignen!  Es gehört ein Menschenleben dazu, ja das Leben
vieler Menschen, die immer stufenweis voneinander lernen.



Eingang zur Villa Chigi in Ariccia.  Zeichnung von Goethe


Mittwoch, den 25. Juli

Ich war mit dem Grafen Fries, die Gemmensammlung des Prinzen von
Piombino zu sehen.


Freitag, den 27sten.

Übrigens helfen mir alle Künstler, alt und jung, um mein Talentchen
zuzustutzen und zu erweitern.  In der Perspektiv und Baukunst bin ich
vorgerückt, auch in der Komposition der Landschaft.  An den lebendigen
Kreaturen hängt's noch, da ist ein Abgrund, doch wäre mit Ernst und
Applikation hier auch weiterzukommen.

Ich weiß nicht, ob ich ein Wort von dem Konzert sagte, das ich zu Ende
voriger Woche gab.  Ich lud diejenigen Personen dazu, die mir hier
manches Vergnügen verschafft haben, und ließ durch die Sänger der
komischen Oper die besten Stücke der letzten Intermezzen aufführen.
Jedermann war vergnügt und zufrieden.

Nun ist mein Saal schön aufgeräumt und aufgeputzt; es lebt sich bei
der großen Wärme aufs angenehmste darin.  Wir haben einen trüben,
einen Regentag, ein Donnerwetter, nun einige heitere, nicht sehr heiße
Tage gehabt.


Sonntag, den 29. Juli 1787,

war ich mit Angelika in dem Palast Rondanini.  Ihr werdet euch aus
meinen ersten römischen Briefen einer Meduse erinnern, die mir damals
schon so sehr einleuchtete, jetzt nun aber mir die größte Freude gibt.
Nur einen Begriff zu haben, daß so etwas in der Welt ist, daß so
etwas zu machen möglich war, macht einen zum doppelten Menschen.  Wie
gern sagt' ich etwas drüber, wenn nicht alles, was man über so ein
Werk sagen kann, leerer Windhauch wäre.  Die Kunst ist deshalb da, daß
man sie sehe, nicht davon spreche, als höchstens in ihrer Gegenwart.
Wie schäme ich mich alles Kunstgeschwätzes, in das ich ehmals
einstimmte.  Wenn es möglich ist, einen guten Gipsabguß von dieser
Meduse zu haben, so bring' ich ihn mit, doch sie müßte neu geformt
werden.  Es sind einige hier zu Kaufe, die ich nicht möchte; denn sie
verderben mehr die Idee, als daß sie uns den Begriff gäben und
erhielten.  Besonders ist der Mund unaussprechlich und unnachahmlich
groß.


Montag, den 30sten,

blieb ich den ganzen Tag zu Hause und war fleißig.  "Egmont" rückt zum
Ende, der vierte Akt ist so gut wie fertig.  Sobald er abgeschrieben
ist, schick' ich ihn mit der reitenden Post.  Welche Freude wird mir's
sein, von euch zu hören, daß ihr dieser Produktion einigen Beifall
gebt!  Ich fühle mich recht jung wieder, da ich das Stück schreibe;
möchte es auch auf den Leser einen frischen Eindruck machen.  Abends
war ein kleiner Ball in dem Garten hinter dem Hause, wozu wir auch
eingeladen wurden.  Ungeachtet jetzt keine Jahrszeit des Tanzes ist,
so war man doch ganz lustig.  Die italienischen Mäuschen haben ihre
Eigentümlichkeiten, vor zehn Jahren hätten einige passieren können,
nun ist diese Ader vertrocknet, und es gab mir diese kleine
Feierlichkeit kaum so viel Interesse, um sie bis ans Ende auszuhalten.
Die Mondnächte sind ganz unglaublich schön; der Aufgang, eh' sich der
Mond durch die Dünste heraufgearbeitet hat, ganz gelb und warm, come
il sole d'Inghilterra, die übrige Nacht klar und freundlich.  Ein
kühler Wind, und alles fängt an zu leben.  Bis gegen Morgen sind immer
Partien auf der Straße, die singen und spielen, man hört mancherlei
Duette, so schön und schöner als in einer Oper oder Konzert.


Dienstag, den 31. Juli,

wurden einige Mondscheine aufs Papier gebracht, dann sonst allerlei
gute Kunst getrieben.  Abends ging ich mit einem Landsmann spazieren,
und wir stritten über den Vorzug von Michelangelo und Raffael; ich
hielt die Partie des ersten, er des andern, und wir schlossen zuletzt
mit einem gemeinschaftlichen Lob auf Leonard da Vinci.  Wie glücklich
bin ich, daß nun alle diese Namen aufhören, Namen zu sein, und
lebendige Begriffe des Wertes dieser trefflichen Menschen nach und
nach vollständig werden.

Nachts in die komische Oper.  Ein neues Intermezz, "L'Impresario in
angustie", ist ganz vortrefflich und wird uns manche Nacht unterhalten,
so heiß es auch im Schauspiele sein mag.  Ein Quintett, da der Poeta
sein Stück vorliest, der Impresar und die prima donna auf der einen
Seite ihm Beifall geben, der Komponist und die seconda donna auf der
andern ihn tadeln, worüber sie zuletzt in einen allgemeinen Streit
geraten, ist gar glücklich.  Die als Frauenzimmer verkleideten
Kastraten machen ihre Rollen immer besser und gefallen immer mehr.
Wirklich für eine kleine Sommertruppe, die sich nur so
zusammengefunden hat, ist sie recht artig.  Sie spielen mit einer
großen Natürlichkeit und gutem Humor.  Von der Hitze stehen die armen
Teufel erbärmlich aus.



Bericht

Juli

Um Nachstehendes, welches ich nunmehr einzuführen gedenke,
schicklicherweise vorzubereiten, halte für nötig, einige Stellen aus
dem vorigen Bande, welche dort, im Lauf der Ereignisse, der
Aufmerksamkeit möchten entgangen sein, hier einzuschalten und die mir
so wichtige Angelegenheit den Freunden der Naturwissenschaft dadurch
abermals zu empfehlen.


Palermo, Dienstag, den 17. April 1787.

Es ist ein wahres Unglück, wenn man von vielerlei Geistern verfolgt
und versucht wird!  Heute früh ging ich mit dem festen, ruhigen
Vorsatz, meine dichterischen Träume fortzusetzen, nach dem
öffentlichen Garten, allein eh' ich mich's versah, erhaschte mich ein
anderes Gespenst, das mir schon diese Tage nachgeschlichen.  Die
vielen Pflanzen, die ich sonst nur in Kübeln und Töpfen, ja die größte
Zeit des Jahres nur hinter Glasfenstern zu sehen gewohnt war, stehen
hier froh und frisch unter freiem Himmel, und indem sie ihre
Bestimmung vollkommen erfüllen, werden sie uns deutlicher.  Im
Angesicht so vielerlei neuen und erneuten Gebildes fiel mir die alte
Grille wieder ein, ob ich nicht unter dieser Schar die Urpflanze
entdecken könnte.  Eine solche muß es denn doch geben!  Woran würde
ich sonst erkennen, daß dieses oder jenes Gebilde eine Pflanze sei,
wenn sie nicht alle nach einem Muster gebildet wären?

Ich bemühte mich, zu untersuchen, worin denn die vielen abweichenden
Gestalten voneinander unterschieden seien.  Und ich fand sie immer
mehr ähnlich als verschieden, und wollte ich meine botanische
Terminologie anbringen, so ging das wohl, aber es fruchtete nicht, es
machte mich unruhig, ohne daß es mir weiterhalf.  Gestört war mein
guter poetischer Vorsatz, der Garten des Alcinous war verschwunden,
ein Weltgarten hatte sich aufgetan.  Warum sind wir Neueren doch so
zerstreut, warum gereizt zu Forderungen, die wir nicht erreichen noch
erfüllen können!


Neapel, den 17. Mai 1787.

Ferner muß ich dir vertrauen, daß ich dem Geheimnis der
Pflanzenzeugung und -organisation ganz nahe bin, und daß es das
Einfachste ist, was nur gedacht werden kann.  Unter diesem Himmel kann
man die schönsten Beobachtungen machen.  Den Hauptpunkt, wo der Keim
steckt, habe ich ganz klar und zweifellos gefunden, alles übrige seh'
ich auch schon im ganzen, und nur noch einige Punkte müssen bestimmter
werden.  Die Urpflanze wird das wunderlichste Geschöpf von der Welt,
um welches mich die Natur selbst beneiden soll.  Mit diesem Modell und
dem Schlüssel dazu kann man alsdann noch Pflanzen ins Unendliche
erfinden, die konsequent sein müssen, das heißt: die, wenn sie auch
nicht existieren, doch existieren könnten und nicht etwa malerische
oder dichterische Schatten und Scheine sind, sondern eine innerliche
Wahrheit und Notwendigkeit haben.  Dasselbe Gesetz wird sich auf alles
übrige Lebendige anwenden lassen.



So viel aber sei hier, ferneres Verständnis vorzubereiten, kürzlich
ausgesprochen: Es war mir nämlich aufgegangen, daß in demjenigen Organ
der Pflanze, welches wir als Blatt gewöhnlich anzusprechen pflegen,
der wahre Proteus verborgen liege, der sich in allen Gestaltungen
verstecken und offenbaren könne.  Vorwärts und rückwärts ist die
Pflanze immer nur Blatt, mit dem künftigen Keime so unzertrennlich
vereint, daß man eins ohne das andere nicht denken darf.  Einen
solchen Begriff zu fassen, zu ertragen, ihn in der Natur aufzufinden,
ist eine Aufgabe, die uns in einen peinlich süßen Zustand versetzt.



Störende Naturbetrachtungen

Wer an sich erfahren hat, was ein reichhaltiger Gedanke heißen will,
er sei nun aus uns selbst entsprungen oder von andern mitgeteilt und
eingeimpft, wird gestehen, was dadurch für eine leidenschaftliche
Bewegung in unserm Geiste hervorgebracht werde, wie wir uns begeistert
fühlen, indem wir alles dasjenige in Gesamtheit vorausahnen, was in
der Folge sich mehr und mehr entwickeln, wozu das Entwickelte weiter
führen soll.  Dieses bedenkend, wird man mir zugestehen, daß ich von
einem solchen Gewahrwerden wie von einer Leidenschaft eingenommen und
getrieben worden, und, wo nicht ausschließlich, doch durch alles
übrige Leben hindurch mich damit beschäftigen müssen.

So sehr nun auch diese Neigung mich innerlichst ergriffen hatte, so
war doch an kein geregeltes Studium nach meiner Rückkehr in Rom zu
denken; Poesie, Kunst und Altertum, jedes forderte mich gewissermaßen
ganz, und ich habe in meinem Leben nicht leicht operosere, mühsamer
beschäftigte Tage zugebracht.  Männern vom Fach wird es vielleicht gar
zu naiv vorkommen, wenn ich erzähle, wie ich tagtäglich in einem jeden
Garten, auf Spaziergängen, kleinen Lustfahrten mich der neben mir
bemerkten Pflanzen bemächtigte.  Besonders bei der eintretenden
Samenreife war es mir wichtig, zu beobachten, wie manche davon an das
Tageslicht hervortraten.  So wendete ich meine Aufmerksamkeit auf das
Keimen des während seines Wachstums unförmlichen Cactus opuntia und
sah mit Vergnügen, daß er ganz unschuldig dikotyledonisch sich in zwei
zarten Blättchen enthüllte, sodann aber bei fernerem Wuchse sich die
künftige Unform entwickelte.

Auch mit Samenkapseln begegnete mir etwas Auffallendes; ich hatte
derselben mehrere von Acanthus mollis nach Hause getragen und in einem
offenen Kästchen niedergelegt; nun geschah es in einer Nacht, daß ich
ein Knistern hörte und bald darauf das Umherspringen an Decke und
Wände, wie von kleinen Körpern.  Ich erklärte mir's nicht gleich, fand
aber nachher meine Schoten aufgesprungen und die Samen umher zerstreut.
Die Trockne des Zimmers hatte die Reife bis zu solcher Elastizität
in wenigen Tagen vollendet.

Unter den vielen Samen, die ich auf diese Weise beobachtete, muß ich
einiger noch erwähnen, weil sie zu meinem Andenken kürzer oder länger
in dem alten Rom fortwuchsen.  Pinienkerne gingen gar merkwürdig auf,
sie huben sich wie in einem Ei eingeschlossen empor, warfen aber diese
Haube bald ab und zeigten in einem Kranze von grünen Nadeln schon die
Anfänge ihrer künftigen Bestimmung.

Galt das Bisherige der Fortpflanzung durch Samen, so ward ich auf die
Fortpflanzung durch Augen nicht weniger aufmerksam gemacht, und zwar
durch Rat Reiffenstein, der auf allen Spaziergängen, hier und dort
einen Zweig abreißend, bis zur Pedanterie behauptete, in die Erde
gesteckt, müsse jeder sogleich fortwachsen.  Zum entscheidenden Beweis
zeigte er dergleichen Stecklinge gar wohl angeschlagen in seinem
Garten.  Und wie bedeutend ist nicht in der Folgezeit eine solche
allgemein versuchte Vermehrung für die botanische Gärtnerei geworden,
die ich ihm wohl zu erleben gewünscht hätte.

Am auffallendsten war mir jedoch ein strauchartig in die Höhe
gewachsener Nelkenstock.  Man kennt die gewaltige Lebens--und
Vermehrungskraft dieser Pflanze; Auge ist über Auge an ihren Zweigen
gedrängt, Knoten in Knoten hineingetrichtert; dieses wird nun hier
durch Dauer gesteigert und die Augen aus unerforschlicher Enge zur
höchstmöglichen Entwickelung getrieben, so daß selbst die vollendete
Blume wieder vier vollendete Blumen aus ihrem Busen hervorbrachte.

Zur Aufbewahrung dieser Wundergestalt kein Mittel vor mir sehend,
unternahm ich es, sie genau zu zeichnen, wobei ich immer zu mehrerer
Einsicht in den Grundbegriff der Metamorphose gelangte.  Allein die
Zerstreuung durch so vielerlei Obliegenheiten ward nur desto
zudringlicher, und mein Aufenthalt in Rom, dessen Ende ich voraussah,
immer peinlicher und belasteter.



Nachdem ich mich nun so geraume Zeit ganz im stillen gehalten und von
aller höheren zerstreuenden Gesellschaft fern geblieben, begingen wir
einen Fehler, der die Aufmerksamkeit des ganzen Quartiers, nicht
weniger der nach neuen und seltsamen Vorfällen sich umschauenden
Sozietät auf uns richtete.  Die Sache verhielt sich aber also:
Angelika kam nie ins Theater, wir untersuchten nicht, aus welcher
Ursache; aber da wir als leidenschaftliche Bühnenfreunde in ihrer
Gegenwart die Anmut und Gewandtheit der Sänger sowie die Wirksamkeit
der Musik unseres Cimarosa nicht genugsam zu rühmen wußten und nichts
sehnlicher wünschten, als sie solcher Genüsse teilhaftig zu machen, so
ergab sich eins aus dem andern, daß nämlich unsere jungen Leute,
besonders Bury, der mit den Sängern und Musikverwandten in dem besten
Vernehmen stand, es dahin brachte, daß diese sich in heiterer
Gesinnung erboten, auch vor uns, ihren leidenschaftlichen Freunden und
entschieden Beifall Gebenden, gelegentlich einmal in unserm Saale
Musik machen und singen zu wollen.  Dergleichen Vorhaben, öfters
besprochen, vorgeschlagen und verzögert, gelangte doch endlich nach
dem Wunsche der jüngern Teilnehmer zur fröhlichen Wirklichkeit.
Konzertmeister Kranz, ein geübter Violinist, in herzogl. weimarischen
Diensten, der sich in Italien auszubilden Urlaub hatte, gab zuletzt
durch seine unvermutete Ankunft eine baldige Entscheidung.  Sein
Talent legte sich auf die Waage der Musiklustigen, und wir sahen uns
in den Fall versetzt, Madam Angelika, ihren Gemahl, Hofrat
Reiffenstein, die Herren Jenkins, Volpato und wem wir sonst eine
Artigkeit schuldig waren, zu einem anständigen Feste einladen zu
können.  Juden und Tapezier hatten den Saal geschmückt, der nächste
Kaffeewirt die Erfrischungen übernommen, und so ward ein glänzendes
Konzert aufgeführt in der schönsten Sommernacht, wo sich große Massen
von Menschen unter den Fenstern versammelten und, als wären sie im
Theater gegenwärtig, die Gesänge gehörig beklatschten.

Ja, was das Auffallendste war, ein großer mit einem Orchester von
Musikfreunden besetzter Gesellschaftswagen, der soeben durch die
nächtliche Stadt seine Lustrunde zu machen beliebte, hielt unter
unsern Fenstern stille, und nachdem er den obern Bemühungen lebhaften
Beifall geschenkt hatte, ließ sich eine wackre Baßstimme vernehmen,
die eine der beliebtesten Arien eben der Oper, welche wir stückweise
vortrugen, von allen Instrumenten begleitet, hinzugesellte.  Wir
erwiderten den vollsten Beifall, das Volk klatschte mit drein, und
jedermann versicherte, an so mancher Nachtlust, niemals aber an einer
so vollkommenen, zufällig gelungenen teilgenommen zu haben.

Auf einmal nun zog unsere zwar anständige, aber doch stille Wohnung
dem Palast Rondanini gegenüber die Aufmerksamkeit des Korso auf sich.
Ein reicher Mylordo, hieß es, müsse da eingezogen sein, niemand aber
wußte ihn unter den bekannten Persönlichkeiten zu finden und zu
entziffern.  Freilich, hätte ein dergleichen Fest sollen mit barem
Gelde geleistet werden, so würde dasjenige, was hier von Künstlern
Künstlern zuliebe geschah und mit mäßigem Aufwand zur Ausführung zu
bringen war, bedeutende Kosten verursacht haben.  Wir setzten nun zwar
unser voriges stilles Leben fort, konnten aber das Vorurteil von
Reichtum und vornehmer Geburt nicht mehr von uns ablehnen.



Zu einer lebhaftern Geselligkeit gab die Ankunft des Grafen Fries
jedoch neuen Anlaß.  Er hatte den Abbate Casti bei sich, welcher durch
Vorlesung seiner damals noch ungedruckten galanten Erzählungen große
Lust erregte; sein heiterer freier Vortrag schien jene geistreichen,
übermäßig genialen Darstellungen vollkommen ins Leben zu bringen.  Wir
bedauerten nur, daß ein so gutgesinnter reicher Kunstliebhaber nicht
immer von den zuverlässigsten Menschen bedient werde.  Der Ankauf
eines untergeschobenen geschnittenen Steines machte viel Reden und
Verdruß.  Er konnte sich indessen über den Ankauf einer schönen Statue
gar wohl erfreuen, die einen Paris, nach der Auslegung anderer einen
Mithras, vorstellte.  Das Gegenbild steht jetzt im Museo
Pio-Clementino, beide waren zusammen in einer Sandgrube gefunden
worden.  Doch waren es nicht die Unterhändler in Kunstgeschäften
allein, die ihm auflauerten, er hatte manches Abenteuer zu bestehen;
und da er sich überhaupt in der heißen Jahrszeit nicht zu schonen
wußte, so konnt' es nicht fehlen, daß er von mancherlei übeln
angefallen wurde, welche die letzten Tage seines Aufenthalts
verbitterten.  Mir aber war es um so schmerzlicher, als ich seiner
Gefälligkeit gar manches schuldig geworden; wie ich denn auch die
treffliche Gemmensammlung des Prinzen von Piombino mit ihm zu
betrachten günstige Gelegenheit fand.



Beim Grafen Fries fanden sich außer den Kunsthändlern auch wohl derart
Literatoren, wie sie hier in Abbétracht herumwandern.  Mit diesen war
kein angenehmes Gespräch.  Kaum hatte man von nationaler Dichtung zu
sprechen angefangen und sich über ein und andern Punkt zu belehren
gesucht, so mußte man unmittelbar und ohne weiteres die Frage
vernehmen, ob man Ariost oder Tasso, welchen von beiden man für den
größten Dichter halte.  Antwortete man: Gott und der Natur sei zu
danken, daß sie zwei solche vorzügliche Männer einer Nation gegönnt,
deren jeder uns nach Zeit und Umständen, nach Lagen und Empfindungen
die herrlichsten Augenblicke verliehen, uns beruhigt und
entzückt--dies vernünftige Wort ließ niemand gelten.  Nun wurde
derjenige, für den man sich entschieden hatte, hoch und höher gehoben,
der andere tief und tiefer dagegen herabgesetzt.  Die ersten Male
sucht' ich die Verteidigung des Herabgesetzten zu übernehmen und seine
Vorzüge geltend zu machen; dies aber verfing nicht, man hatte Partei
ergriffen und blieb auf seinem Sinne.  Da nun ebendasselbe immerfort
und fort sich wiederholte und es mir zu ernst war, um dialektisch über
dergleichen Gegenstände zu kontroversieren, so vermied ich ein solches
Gespräch, besonders da ich merkte, daß es nur Phrasen waren, die man,
ohne eigentliches Interesse an dem Gegenstande zu finden, aussprach
und behauptete.

Viel schlimmer aber war es, wenn Dante zur Sprache kam.  Ein junger
Mann von Stande und Geist und wirklichem Anteil an jenem
außerordentlichen Manne nahm meinen Beifall und Billigung nicht zum
besten auf, indem er ganz unbewunden versicherte, jeder Ausländer
müsse Verzicht tun auf das Verständnis eines so außerordentlichen
Geistes, dem ja selbst die Italiener nicht in allem folgen könnten.
Nach einigen Hin--und Widerreden verdroß es mich denn doch zuletzt,
und ich sagte, ich müsse bekennen, daß ich geneigt sei, seinen
äußerungen Beifall zu geben; denn ich habe nie begreifen können, wie
man sich mit diesen Gedichten beschäftigen möge.  Mir komme die
"Hölle" ganz abscheulich vor, das "Fegefeuer" zweideutig und das
"Paradies" langweilig; womit er sehr zufrieden war, indem er daraus
ein Argument für seine Behauptung zog: dies eben beweise, daß ich
nicht die Tiefe und Höhe dieser Gedichte zum Verständnis bringen könne.
Wir schieden als die besten Freunde; er versprach mit sogar einige
schwere Stellen, über die er lange nachgedacht und über deren Sinn er
endlich mit sich einig geworden sei, mitzuteilen und zu erklären.

Leider war die Unterhaltung mit Künstlern und Kunstfreunden nicht
erbaulicher.  Man verzieh jedoch endlich andern den Fehler, den man an
sich bekennen mußte.  Bald war es Raffael, bald Michelangelo, dem man
den Vorzug gab, woraus denn am Schluß nur hervorging, der Mensch sei
ein so beschränktes Wesen, daß, wenn sein Geist sich auch dem Großen
geöffnet habe, er doch niemals die Großheiten verschiedener Art
ebenmäßig zu würdigen und anzuerkennen Fähigkeit erlange.



Wenn wir Tischbeins Gegenwart und Einfluß vermißten, so hielt er uns
dagegen durch sehr lebendige Briefe möglichst schadlos.  Außer manchen
geistreich aufgefaßten wunderlichen Vorfällen und genialen Ansichten
erfuhren wir das Nähere durch Zeichnung und Skizze von einem Gemälde
mit welchem er sich daselbst hervortat.  In halben Figuren sah man
darauf Oresten, wie er am Opferaltar von Iphigenien erkannt wird und
die ihn bisher verfolgenden Furien soeben entweichen.  Iphigenie war
das wohlgetroffene Bildnis der Lady Hamilton, welche damals auf dem
höchsten Gipfel der Schönheit und des Ansehens glänzte.  Auch eine der
Furien war durch die ähnlichkeit mit ihr veredelt, wie sie denn
überhaupt als Typus für alle Heroinen, Musen und Halbgöttinnen gelten
mußte.  Ein Künstler, der dergleichen vermochte, war in dem
bedeutenden geselligen Kreise eines Ritter Hamilton sehr wohl
aufgenommen.



August

Korrespondenz

Den 1. August 1787.

Den ganzen Tag fleißig und still wegen der Hitze.  Meine beste Freude
bei der großen Wärme ist die überzeugung, daß ihr auch einen guten
Sommer in Deutschland haben werdet.  Hier das Heu einführen zu sehen,
ist die größte Lust, da es in dieser Zeit gar nicht regnet und so der
Feldbau nach Willkür behandelt werden kann, wenn sie nur Feldbau
hätten.

Abends ward in der Tiber gebadet, in wohlangelegten sichern
Badhäuschen; dann auf Trinità de' Monti spaziert und frische Luft im
Mondschein genossen.  Die Mondscheine sind hier, wie man sie sich
denkt oder fabelt.

Der vierte Akt von "Egmont" ist fertig, im nächsten Brief hoff' ich
dir den Schluß des Stückes anzukündigen.


Den 11. August.

Ich bleibe noch bis künftige Ostern in Italien.  Ich kann jetzt nicht
aus der Lehre laufen.  Wenn ich aushalte, komme ich gewiß so weit, daß
ich meinen Freunden mit mir Freude machen kann.  Ihr sollt immer
Briefe von mir haben, meine Schriften kommen nach und nach, so habt
ihr den Begriff von mir als eines abwesend Lebenden, da ihr mich so
oft als einen gegenwärtig Toten bedauert habt.

"Egmont" ist fertig und wird zu Ende dieses Monats abgehen können.
Alsdann erwarte ich mit Schmerzen euer Urteil.

Kein Tag vergeht, daß ich nicht in Kenntnis und Ausübung der Kunst
zunehme.  Wie eine Flasche sich leicht füllt, die man oben offen unter
das Wasser stößt, so kann man hier leicht sich ausfüllen, wenn man
empfänglich und bereitet ist; es drängt das Kunstelement von allen
Seiten zu.

Den guten Sommer, den ihr habt, konnte ich hier voraussagen.  Wir
haben ganz gleichen reinen Himmel und am hohen Tag entsetzliche Hitze,
der ich in meinem kühlen Saale ziemlich entgehe.  September und
Oktober will ich auf dem Lande zubringen und nach der Natur zeichnen.
Vielleicht geh' ich wieder nach Neapel, um Hackerts Unterricht zu
genießen.  Er hat mich in vierzehn Tagen, die ich mit ihm auf dem
Lande war, weiter gebracht, als ich in Jahren für mich würde
vorgerückt sein.  Noch schicke ich dir nichts und halte ein Dutzend
kleine Skizzchen zurück, um dir auf mal etwas Gutes zu senden.

Diese Woche ist still und fleißig hingegangen.  Besonders hab' ich in
der Perspektiv manches gelernt.  Verschaffelt, ein Sohn des Mannheimer
Direktors, hat diese Lehre recht durchgedacht und teilt mir seine
Kunststücke mit.  Auch sind einige Mondscheine aufs Brett gekommen und
ausgetuscht worden, nebst einigen andern Ideen, die fast zu toll sind,
als daß man sie mitteilen sollte.


Rom, den 11. August 1787.

Ich habe der Herzogin einen langen Brief geschrieben und ihr geraten,
die Reise nach Italien noch ein Jahr zu verschieben.  Geht sie im
Oktober, so kommt sie gerade zur Zeit in dies schöne Land, wenn sich
das Wetter umkehrt, und sie hat einen bösen Spaß.  Folgt sie mir in
diesem und andrem, so kann sie Freude haben, wenn das Glück gut ist.
Ich gönne ihr herzlich diese Reise.

Es ist sowohl für mich als für andere gesorgt, und die Zukunft wollen
wir geruhig erwarten.  Niemand kann sich umprägen und niemand seinem
Schicksale entgehn.  Aus eben diesem Briefe wirst du meinen Plan sehn
und ihn hoffentlich billigen.  Ich wiederhole hier nichts.

Ich werde oft schreiben und den Winter durch immer im Geiste unter
euch sein.  Tasso kommt nach dem neuen Jahre.  Faust soll auf seinem
Mantel als Kurier meine Ankunft melden.  Ich habe alsdann eine
Hauptepoche zurückgelegt, rein geendigt, und kann wieder anfangen und
eingreifen, wo es nötig ist.  Ich fühle mir einen leichtern Sinn und
bin fast ein andrer Mensch als vorm Jahr.

Ich lebe in Reichtum und überfluß alles dessen, was mir eigens lieb
und wert ist, und habe erst diese paar Monate meine Zeit hier recht
genossen.  Denn es legt sich nun auseinander, und die Kunst wird mir
wie eine zweite Natur, die gleich der Minerva aus dem Haupte Jupiters,
so aus dem Haupte der größten Menschen geboren worden.  Davon sollt
ihr in der Folge tagelang, wohl jahrelang unterhalten werden.

Ich wünsche euch allen einen guten September.  Am Ende Augusts, wo
alle unsre Geburtstage zusammentreffen, will ich eurer fleißig
gedenken.  Wie die Hitze abnimmt, geh' ich aufs Land, dort zu zeichnen,
indes tu' ich, was in der Stube zu tun ist, und muß oft pausieren.
Abends besonders muß man sich vor Verkältung in acht nehmen.


Rom, den 18. August 1787.

Diese Woche hab' ich einigermaßen von meiner nordischen Geschäftigkeit
nachlassen müssen, die ersten Tage waren gar zu heiß.  Ich habe also
nicht so viel getan, als ich wünschte.  Nun haben wir seit zwei Tagen
die schönste Tramontane und eine gar freie Luft.  September und
Oktober müssen ein paar himmlische Monate werden.

Gestern fuhr ich vor Sonnenaufgang nach Acqua acetosa; es ist wirklich
zum Närrischwerden, wenn man die Klarheit, die Mannigfaltigkeit,
duftige Durchsichtigkeit und himmlische Färbung der Landschaft,
besonders der Fernen ansieht.

Moritz studiert jetzt die Antiquitäten und wird sie zum Gebrauch der
Jugend und zum Gebrauch eines jeden Denkenden vermenschlichen und von
allem Büchermoder und Schulstaub reinigen.  Er hat eine gar glückliche
richtige Art, die Sachen anzusehn, ich hoffe, daß er sich auch Zeit
nehmen wird, gründlich zu sein.  Wir gehen des Abends spazieren, und
er erzählt mir, welchen Teil er des Tags durchgedacht, was er in den
Autoren gelesen, und so füllt sich auch diese Lücke aus, die ich bei
meinen übrigen Beschäftigungen lassen mußte und nur spät und mit Mühe
nachholen könnte.  Ich sehe indes Gebäude, Straßen, Gegend, Monumente
an, und wenn ich abends nach Hause komme, wird ein Bild, das mir
besonders aufgefallen, unterm Plaudern aufs Papier gescherzt.  Ich
lege dir eine solche Skizze von gestern abend bei.  Es ist die
ungefähre Idee, wenn man von hinten das Kapitol heraufkommt.

Mit der guten Angelika war ich Sonntags die Gemälde des Prinzen
Aldobrandini, besonders einen trefflichen Leonard da Vinci zu sehen.
Sie ist nicht glücklich, wie sie es zu sein verdiente bei dem wirklich
großen Talent und bei dem Vermögen, das sich täglich mehrt.  Sie ist
müde, auf den Kauf zu malen, und doch findet ihr alter Gatte es gar zu
schön, daß so schweres Geld für oft leichte Arbeit einkommt.  Sie
möchte nun sich selbst zur Freude, mit mehr Muße, Sorgfalt und Studium
arbeiten und könnte es.  Sie haben keine Kinder, können ihre
Interessen nicht verzehren, und sie verdient täglich auch mit mäßiger
Arbeit noch genug hinzu.  Das ist nun aber nicht und wird nicht.  Sie
spricht sehr aufrichtig mit mir, ich hab' ihr meine Meinung gesagt,
hab' ihr meinen Rat gegeben und muntre sie auf, wenn ich bei ihr bin.
Man rede von Mangel und Unglück, wenn die, welche genug besitzen, es
nicht brauchen und genießen können!  Sie hat ein unglaubliches und als
Weib wirklich ungeheures Talent.  Man muß sehen und schätzen, was sie
macht, nicht das, was sie zurückläßt.  Wie vieler Künstler Arbeiten
halten Stich, wenn man rechnen will, was fehlt!

Und so, meine Lieben, wird mir Rom, das römische Wesen, Kunst und
Künstler immer bekannter, und ich sehe die Verhältnisse ein, sie
werden mir nah und natürlich, durchs Mitleben und Hin--und Herwandeln.
Jeder bloße Besuch gibt falsche Begriffe.  Sie möchten mich auch hier
aus meiner Stille und Ordnung bringen und in die Welt ziehen, ich
wahre mich, so gut ich kann.  Verspreche, verzögre, weiche aus,
versprach wieder und spiele den Italiener mit den Italienern.  Der
Kardinal Staatssekretär, Buoncompagni, hat mir es gar zu nahe legen
lassen, ich werde aber ausweichen, bis ich halb September aufs Land
gehe.  Ich scheue mich vor den Herren und Damen wie vor einer bösen
Krankheit, es wird mir schon weh, wenn ich sie fahren sehe.


Rom, den 23. August 1787

Euren lieben Brief Nr. 24 erhielt ich vorgestern, eben als ich nach
dem Vatikan ging, und habe ihn unterwegs und in der Sixtinischen
Kapelle aber--und abermals gelesen, sooft ich ausruhte von dem Sehen
und Aufmerken.  Ich kann euch nicht ausdrücken, wie sehr ich euch zu
mir gewünscht habe, damit ihr nur einen Begriff hättet, was ein
einziger und ganzer Mensch machen und ausrichten kann; ohne die
Sixtinische Kapelle gesehen zu haben, kann man sich keinen
anschauenden Begriff machen, was ein Mensch vermag.  Man hört und
liest von viel großen und braven Leuten, aber hier hat man es noch
ganz lebendig über dem Haupte, vor den Augen.  Ich habe mich viel mit
euch unterhalten und wollte, es stünde alles auf dem Blatte.  Ihr
wollt von mir wissen!  Wie vieles könnt' ich sagen!  Denn ich bin
wirklich umgeboren und erneuert und ausgefüllt.  Ich fühle, daß sich
die Summe meiner Kräfte zusammenschließt, und hoffe noch etwas zu tun.
Über Landschaft und Architektur habe ich diese Zeit her ernstlich
nachgedacht, auch einiges versucht und sehe nun, wo es damit hinaus
will, auch wie weit es zu bringen wäre.

Nun hat mich zuletzt das A und O aller uns bekannten Dinge, die
menschliche Figur, angefaßt, und ich sie, und ich sage: "Herr, ich
lasse dich nicht, du segnest mich denn, und sollt' ich mich lahm
ringen."  Mit dem Zeichnen geht es gar nicht, und ich habe also mich
zum Modellieren entschlossen, und das scheint rücken zu wollen.
Wenigstens bin ich auf einen Gedanken gekommen, der mir vieles
erleichtert.  Es wäre zu weitläufig, es zu detaillieren, und es ist
besser zu tun als zu reden.  Genug, es läuft darauf hinaus, daß mich
nun mein hartnäckig Studium der Natur, meine Sorgfalt, mit der ich in
der komparierenden Anatomie zu Werke gegangen bin, nunmehr in den
Stand setzen, in der Natur und den Antiken manches im ganzen zu sehen,
was den Künstlern im einzelnen aufzusuchen schwer wird, und das sie,
wenn sie es endlich erlangen, nur für sich besitzen und andern nicht
mitteilen können.

Ich habe alle meine physiognomischen Kunststückchen, die ich aus Pik
auf den Propheten in den Winkel geworfen, wieder hervorgesucht, und
sie kommen mir gut zu passe.  Ein Herkuleskopf ist angefangen; wenn
dieser glückt, wollen wir weitergehen.

So entfernt bin ich jetzt von der Welt und allen weltlichen Dingen, es
kommt mir recht wunderbar vor, wenn ich eine Zeitung lese.  Die
Gestalt dieser Welt vergeht, ich möchte mich nur mit dem beschäftigen,
was bleibende Verhältnisse sind, und so nach der Lehre des *** meinem
Geiste erst die Ewigkeit verschaffen.

Gestern sah ich bei Ch. v.  Worthley, der eine Reise nach Griechenland,
ägypten etc. gemacht hat, viele Zeichnungen.  Was mich am meisten
interessierte, waren Zeichnungen nach Basreliefs, welche im Fries des
Tempels der Minerva zu Athen sind, Arbeiten des Phidias.  Man kann
sich nichts Schöneres denken als die wenigen einfachen Figuren.
Übrigens war wenig Reizendes an den vielen gezeichneten Gegenständen;
die Gegenden waren nicht glücklich, die Architektur besser.

Lebe wohl für heute.  Es wird meine Büste gemacht, und das hat mir
drei Morgen dieser Woche gekostet.


Den 28. August 1787.

Mir ist diese Tage manches Gute begegnet, und heute zum Feste kam mir
Herders Büchlein voll würdiger Gottesgedanken.  Es war mir tröstlich
und erquicklich, sie in diesem Babel, der Mutter so vieles Betrugs und
Irrtums, so rein und schön zu lesen, und zu denken, daß doch jetzt die
Zeit ist, wo sich solche Gesinnungen, solche Denkarten verbreiten
können und dürfen.  Ich werde das Büchlein in meiner Einsamkeit noch
oft lesen und beherzigen, auch Anmerkungen dazu machen, welche Anlaß
zu künftigen Unterredungen geben können.

Ich habe diese Tage immer weiter um mich gegriffen in Betrachtung der
Kunst, und übersehe nun fast das ganze Pensum, das mir zu absolvieren
bleibt; und wenn es absolviert ist, ist noch nichts getan.  Vielleicht
gibt's andern Anlaß, dasjenige leichter und besser zu tun, wozu Talent
und Geschick bestimmt.

Die französische Akademie hat ihre Arbeiten ausgestellt; es sind
interessante Sachen drunter.  Pindar, der die Götter um ein
glückliches Ende bittet, fällt in die Arme eines Knaben, den er sehr
liebt, und stirbt.  Es ist viel Verdienst in dem Bilde.  Ein Architekt
hat eine gar artige Idee ausgeführt, er hat das jetzige Rom von einer
Seite gezeichnet, wo es sich mit allen seinen Teilen gut ausnimmt.
Dann hat er auf einem andern Blatte das alte Rom vorgestellt, als wenn
man es aus demselben Standpunkt sähe.  Die Orte, wo die alten
Monumente gestanden, weiß man, ihre Form auch meistens, von vielen
stehen noch die Ruinen.  Nun hat er alles Neue weggetan und das Alte
wiederhergestellt, wie es etwa zu Zeiten Diokletians ausgesehen haben
mag, und mit ebensoviel Geschmack als Studium, und allerliebst gefärbt.


Was ich tun kann, tu' ich, und häufe so viel von allen diesen
Begriffen und Talenten auf mich, als ich schleppen kann, und bringe
auf diese Weise doch das Reellste mit.

Hab' ich dir schon gesagt, daß Trippel meine Büste arbeitet?  Der
Fürst von Waldeck hat sie bei ihm bestellt.  Er ist schon meist fertig,
und es macht ein gutes Ganze.  Sie ist in einem sehr soliden Stil
gearbeitet.  Wenn das Modell fertig ist, wird er eine Gipsform darüber
machen und dann gleich den Marmor anfangen, welchen er dann zuletzt
nach dem Leben auszuarbeiten wünscht; denn was sich in dieser Materie
tun läßt, kann man in keiner andern erreichen.

Angelika malt jetzt ein Bild, das sehr glücken wird: die Mutter der
Gracchen, wie sie einer Freundin, welche ihre Juwelen auskramte, ihre
Kinder als die besten Schätze zeigt.  Es ist eine natürliche und sehr
glückliche Komposition.

Wie schön ist es, zu säen, damit geerntet werde!  Ich habe hier
durchaus verschwiegen, daß heute mein Geburtstag sei, und dachte beim
Aufstehen: sollte mir denn von Hause nichts zur Feier kommen?  Und
siehe, da wird mir euer Paket gebracht, das mich unsäglich erfreut.
Gleich setzte ich mich hin, es zu lesen, und bin nun zu Ende und
schreibe gleich meinen herzlichsten Dank nieder.

Nun möchte ich denn erst bei euch sein, da sollte es an ein Gespräch
gehen, zu Ausführung einiger angedeuteten Punkte.  Genug, das wird uns
auch werden, und ich danke herzlich, daß eine Säule gesetzt ist, von
welcher an wir nun unsre Meilen zählen können.  Ich wandle starken
Schrittes in den Gefilden der Natur und Kunst herum und werde dir mit
Freuden von da aus entgegenkommen.

Ich habe es heute nach Empfang deines Briefes noch einmal durchgedacht
und muß darauf beharren: mein Kunststudium, mein Autorwesen, alles
fordert noch diese Zeit.  In der Kunst muß ich es so weit bringen, daß
alles anschauende Kenntnis werde, nichts Tradition und Name bleibe,
und ich zwinge es in diesem halben Jahre, auch ist es nirgends als in
Rom zu zwingen.  Meine Sächelchen (denn sie kommen mir sehr im
Diminutiv vor) muß ich wenigstens mit Sammlung und Freudigkeit enden.

Dann zieht mich alles nach dem Vaterlande zurück.  Und wenn ich auch
ein isoliertes, privates Leben führen sollte, habe ich so viel
nachzuholen und zu vereinigen, daß ich für zehn Jahre keine Ruhe sehe.

In der Naturgeschichte bring' ich dir Sachen mit, die du nicht
erwartest.  Ich glaube dem Wie der Organisation sehr nahe zu rücken.
Du sollst diese Manifestationen (nicht Fulgurationen) unsres Gottes
mit Freuden beschauen und mich belehren, wer in der alten und neuen
Zeit dasselbe gefunden, gedacht, es von eben der Seite oder aus einem
wenig abweichenden Standpunkte betrachtet.



Bericht

August

Zu Anfang dieses Monats reifte bei mir der Vorsatz, noch den nächsten
Winter in Rom zu bleiben; Gefühl und Einsicht, daß ich aus diesem
Zustande noch völlig unreif mich entfernen, auch daß ich nirgends
solchen Raum und solche Ruhe für den Abschluß meiner Werke finden
würde, bestimmten mich endlich; und nun, als ich solches nach Hause
gemeldet hatte, begann ein Zeitraum neuer Art.

Die große Hitze, welche sich nach und nach steigerte und einer allzu
raschen Tätigkeit Ziel und Maß gab, machte solche Räume angenehm und
wünschenswert, wo man seine Zeit nützlich in Ruh' und Kühlung
zubringen konnte.  Die Sixtinische Kapelle gab hiezu die schönste
Gelegenheit.  Gerade zu dieser Zeit hatte Michelangelo aufs neue die
Verehrung der Künstler gewonnen; neben seinen übrigen großen
Eigenschaften sollt' er sogar auch im Kolorit nicht übertroffen worden
sein, und es wurde Mode, zu streiten, ob er oder Raffael mehr Genie
gehabt.  Die Transfiguration des letzteren wurde mitunter sehr strenge
getadelt und die Disputa das beste seiner Werke genannt; wodurch sich
denn schon die später aufgekommene Vorliebe für Werke der alten Schule
ankündigte, welche der stille Beobachter nur für ein Symptom halber
und unfreier Talente betrachten und sich niemals damit befreunden
konnte.

Es ist so schwer, ein großes Talent zu fassen, geschweige denn zwei
zugleich.  Wir erleichtern uns dieses durch Parteilichkeit; deshalb
denn die Schätzung von Künstlern und Schriftstellern immer schwankt
und einer oder der andere immer ausschließlich den Tag beherrscht.
Mich konnten dergleichen Streitigkeiten nicht irremachen, da ich sie
auf sich beruhen ließ und mich mit unmittelbarer Betrachtung alles
Werten und Würdigen beschäftigte.  Diese Vorliebe für den großen
Florentiner teilte sich von den Künstlern gar bald auch den Liebhabern
mit, da denn auch gerade zu jener Zeit Bury und Lips Aquarellkopien in
der Sixtinischen Kapelle für Grafen Fries zu fertigen hatten.  Der
Kustode ward gut bezahlt, er ließ uns durch die Hintertür neben dem
Altar hinein, und wir hauseten darin nach Belieben.  Es fehlte nicht
an einiger Nahrung, und ich erinnere mich, ermüdet von großer
Tageshitze, auf dem päpstlichen Stuhle einem Mittagsschlaf nachgegeben
zu haben.

Sorgfältige Durchzeichnungen der unteren Köpfe und Figuren des
Altarbildes, die man mit der Leiter erreichen konnte, wurden gefertigt,
erst mit weißer Kreide auf schwarze Florrahmen, dann mit Rötel auf
große Papierbogen durchgezeichnet.

Ebnermaßen ward denn auch, indem man sich nach dem Altern hinwendete,
Leonard da Vinci berühmt, dessen hochgeschätztes Bild, Christus unter
den Pharisäern, in der Galerie Aldobrandini ich mit Angelika besuchte.
Es war herkömmlich geworden, daß sie Sonntag um Mittag mit ihrem
Gemahl und Rat Reiffenstein bei mir vorfuhr und wir sodann mit
möglichster Gemütsruhe uns durch eine Backofenhitze in irgendeine
Sammlung begaben, dort einige Stunden verweilten und sodann zu einer
wohlbesetzten Mittagstafel bei ihr einkehrten.  Es war vorzüglich
belehrend, mit diesen drei Personen, deren eine jede in ihrer Art
theoretisch, praktisch, ästhetisch und technisch gebildet war, sich in
Gegenwart so bedeutender Kunstwerke zu besprechen.

Ritter Worthley, der aus Griechenland zurückgekommen war, ließ uns
wohlwollend seine mitgebrachten Zeichnungen sehen, unter welchen die
Nachbildungen der Arbeiten des Phidias im Fronton der Akropolis einen
entschiedenen und unauslöschlichen Eindruck in mir zurückließen, der
um desto stärker war, als ich, durch die mächtigen Gestalten des
Michelangelo veranlaßt, dem menschlichen Körper mehr als bisher
Aufmerksamkeit und Studium zugewendet hatte.

Eine bedeutende Epoche jedoch in dem regsamen Kunstleben machte die
Ausstellung der französischen Akademie zu Ende des Monats.  Durch
Davids "Horatier" hatte sich das übergewicht auf die Seite der
Franzosen hingeneigt.  Tischbein wurde dadurch veranlaßt, seinen
"Hektor, der den Paris in Gegenwart der Helena auffordert", lebensgroß
anzufangen.  Durch Drouais, Gagneraux, Desmarais, Gauffier, St. Ours
erhält sich nunmehr der Ruhm der Franzosen, und Boquet erwirbt als
Landschaftsmaler im Sinne Poussins einen guten Namen.

Indessen hatte Moritz sich um die alte Mythologie bemüht; er war nach
Rom gekommen, um nach früherer Art durch eine Reisebeschreibung sich
die Mittel einer Reise zu verschaffen.  Ein Buchhändler hatte ihm
Vorschuß geleistet; aber bei seinem Aufenthalt in Rom wurde er bald
gewahr, daß ein leichtes loses Tagebuch nicht ungestraft verfaßt
werden könne.  Durch tagtägliche Gespräche, durch Anschauen so vieler
wichtiger Kunstwerke regte sich in ihm der Gedanke, eine Götterlehre
der Alten in rein menschlichem Sinne zu schreiben und solche mit
belehrenden Umrissen nach geschnittenen Steinen künftig herauszugeben
Er arbeitete fleißig daran, und unser Verein ermangelte nicht, sich
mit demselben einwirkend darüber zu unterhalten.

Eine höchst angenehme, belehrende Unterhaltung, mit meinen Wünschen
und Zwecken unmittelbar zusammentreffend, knüpfte ich mit dem
Bildhauer Trippel in seiner Werkstatt an, als er meine Büste
modellierte, welche er für den Fürsten von Waldeck in Marmor
ausarbeiten sollte.  Gerade zum Studium der menschlichen Gestalt, und
um über ihre Proportionen als Kanon und als abweichender Charakter
aufgeklärt zu werden, war nicht wohl unter andern Bedingungen zu
kommen.  Dieser Augenblick ward auch doppelt interessant dadurch, daß
Trippel von einem Apollokopf Kenntnis erhielt, der sich in der
Sammlung des Palasts Giustiniani bisher unbeachtet befunden hatte.  Er
hielt denselben für eins der edelsten Kunstwerke und hegte Hoffnung,
ihn zu kaufen, welches jedoch nicht gelang.  Diese Antike ist seitdem
berühmt geworden und später an Herrn von Pourtalès nach Neufchatel
gekommen.

Aber wie derjenige, der sich einmal zur See wagt, durch Wind und
Wetter bestimmt wird, seinen Lauf bald dahin, bald dorthin zu nehmen,
so erging es auch mir.  Verschaffelt eröffnete einen Kurs der
Perspektive, wo wir uns des Abends versammelten und eine zahlreiche
Gesellschaft auf seine Lehren horchte und sie unmittelbar ausübte.
Das Vorzüglichste war dabei, daß man gerade das Hinreichende und nicht
zuviel lernte.

Aus dieser kontemplativ tätigen, geschäftigen Ruhe hätte man mich
gerne herausgerissen.  Das unglückliche Konzert war in Rom, wo das
Hin--und Widerreden des Tags wie an kleinen Orten herkömmlich ist,
vielfach besprochen; man war auf mich und meine schriftstellerischen
Arbeiten aufmerksam geworden; ich hatte die "Iphigenie" und sonstiges
unter Freunden vorgelesen, worüber man sich gleichfalls besprach.
Kardinal Buoncompagni verlangte, mich zu sehen, ich aber hielt fest in
meiner wohlbekannten Einsiedelei, und ich konnte dies um so eher, als
Rat Reiffenstein fest und eigensinnig behauptete, da ich mich durch
ihn nicht habe präsentieren lassen, so könne es kein anderer tun.
Dies gereichte mir sehr zum Vorteil, und ich benutzte immer sein
Ansehn, um mich in einmal gewählter und ausgesprochener
Abgeschiedenheit zu erhalten.



September

Korrespondenz

Den 1. September 1787

Heute, kann ich sagen, ist "Egmont" fertig geworden; ich habe diese
Zeit her immer noch hier und da daran gearbeitet.  Ich schicke ihn
über Zürich, denn ich wünsche, daß Kayser Zwischenakte dazu und was
sonst von Musik nötig ist, komponieren möge.  Dann wünsch' ich euch
Freude daran.

Meine Kunststudien gehen sehr vorwärts, mein Prinzip paßt überall und
schließt mir alles auf.  Alles, was Künstler nur einzeln mühsam
zusammensuchen müssen, liegt nun zusammen offen und frei vor mir.  Ich
sehe jetzt, wie viel ich nicht weiß, und der Weg ist offen, alles zu
wissen und zu begreifen.

Moritzen hat Herders Gotteslehre sehr wohl getan, er zählt gewiß
Epoche seines Lebens davon, er hat sein Gemüt dahin geneigt und war
durch meinen Umgang vorbereitet, er schlug gleich wie wohl getrocknet
Holz in lichte Flammen.


Rom, den 3. September.

Heute ist es jährig, daß ich mich aus Karlsbad entfernte.  Welch ein
Jahr! und welch eine sonderbare Epoche für mich dieser Tag, des
Herzogs Geburtstag und ein Geburtstag für mich zu einem neuen Leben.
Wie ich dieses Jahr genutzt, kann ich jetzt weder mir noch andern
berechnen; ich hoffe, es wird die Zeit kommen, die schöne Stunde, da
ich mit euch alles werde summieren können.

Jetzt gehn hier erst meine Studien an, und ich hätte Rom gar nicht
gesehen, wenn ich früher weggegangen wäre.  Man denkt sich gar nicht,
was hier zu sehen und zu lernen ist; auswärts kann man keinen Begriff
davon haben.

Ich bin wieder in die ägyptischen Sachen gekommen.  Diese Tage war ich
einigemal bei dem großen Obelisk, der noch zerbrochen zwischen Schutt
und Kot in einem Hofe liegt.  Es war der Obelisk des Sesostris, in Rom
zu Ehren des Augusts aufgerichtet, und stand als Zeiger der großen
Sonnenuhr, die auf dem Boden des Campus Martius gezeichnet war.
Dieses älteste und herrlichste vieler Monumente liegt nun da
zerbrochen, einige Seiten (wahrscheinlich durchs Feuer) verunstaltet.
Und doch liegt es noch da, und die unzerstörten Seiten sind noch
frisch, wie gestern gemacht und von der schönsten Arbeit (in ihrer
Art).  Ich lasse jetzt eine Sphinx der Spitze und die Gesichter von
Sphinxen, Menschen, Vögeln abformen und in Gips gießen.  Diese
unschätzbaren Sachen muß man besitzen, besonders da man sagt, der
Papst wolle ihn aufrichten lassen, da man denn die Meroglyphen nicht
mehr erreichen kann.  So will ich es auch mit den besten hetrurischen
Sachen tun u. s. w.  Nun modelliere ich nach diesen Bildungen in Ton,
um mir alles recht eigen zu machen.


Den 5. September.

Ich muß an einem Morgen schreiben, der ein festlicher Morgen für mich
wird.  Denn heute ist "Egmont" eigentlich recht völlig fertig geworden.
Der Titel und die Personen sind geschrieben und einige Lücken, die
ich gelassen hatte, ausgefüllt worden; nun freu' ich mich schon zum
voraus auf die Stunde, in welcher ihr ihn erhalten und lesen werdet.
Es sollen auch einige Zeichnungen beigelegt werden.


Den 6. September.

Ich hatte mir vorgenommen, euch recht viel zu schreiben und auf den
letzten Brief allerlei zu sagen, nun bin ich unterbrochen worden, und
morgen geh' ich nach Frascati.  Dieser Brief muß Sonnabends fort, und
nun sag' ich nur noch zum Abschied wenige Worte.  Wahrscheinlich habt
ihr jetzt auch schönes Wetter, wie wir es unter diesem freieren Himmel
genießen.  Ich habe immer neue Gedanken, und da die Gegenstände um
mich tausendfach sind, so wecken sie mich bald zu dieser, bald zu
jener Idee.  Von vielen Wegen rückt alles gleichsam auf einen Punkt
zusammen, ja, ich kann sagen, daß ich nun Licht sehe, wo es mit mir
und meinen Fähigkeiten hinaus will; so alt muß man werden, um nur
einen leidlichen Begriff von seinem Zustande zu haben.  Es sind also
die Schwaben nicht allein, die vierzig Jahre brauchen, um klug zu
werden.

Ich höre, daß Herder nicht wohl ist, und bin darüber in Sorge, ich
hoffe bald bessere Nachrichten zu vernehmen.

Mir geht es immer an Leib und Seele gut, und fast kann ich hoffen,
radikaliter kuriert zu werden; alles geht mir leicht von der Hand, und
manchmal kommt ein Hauch der Jugendzeit, mich anzuwehen.  "Egmont"
geht mit diesem Brief ab, wird aber später kommen, weil ich ihn auf
die fahrende Post gebe.  Recht neugierig und verlangend bin ich, was
ihr dazu sagen werdet.

Vielleicht wäre gut, mit dem Druck bald anzufangen.  Es würde mich
freuen, wenn das Stück so frisch ins Publikum käme.  Seht, wie ihr das
einrichtet, ich will mit dem Rest des Bandes nicht zurückbleiben.

Der "Gott" leistet mir die beste Gesellschaft.  Moritz ist dadurch
wirklich aufgebaut worden, es fehlte gleichsam nur an diesem Werke,
das nun als Schlußstein seine Gedanken schließt, die immer auseinander
fallen wollten.  Es wird recht brav.  Mich hat er aufgemuntert, in
natürlichen Dingen weiter vorzudringen, wo ich denn, besonders in der
Botanik, auf ein en kai pan gekommen bin, das mich in Erstaunen setzt;
wie weit es um sich greift, kann ich selbst noch nicht sehn.

Mein Prinzip, die Kunstwerke zu erklären und das auf einmal
aufzuschließen, woran Künstler und Kenner sich schon seit der
Wiederherstellung der Kunst zersuchen und zerstudieren, find' ich bei
jeder Anwendung richtiger.  Eigentlich ist's auch ein Kolumbisches Ei.
Ohne zu sagen, daß ich einen solchen Kapitalschlüssel besitze,
sprech' ich nun die Teile zweckmäßig mit den Künstlern durch und sehe,
wie weit sie gekommen sind, was sie haben und wo es widerstößt.  Die
Türe hab' ich offen und stehe auf der Schwelle und werde leider mich
von da aus nur im Tempel umsehen können und wieder scheiden.

So viel ist gewiß, die alten Künstler haben ebenso große Kenntnis der
Natur und einen ebenso sichern Begriff von dem, was sich vorstellen
läßt und wie es vorgestellt werden muß, gehabt als Homer.  Leider ist
die Anzahl der Kunstwerke der ersten Klasse gar zu klein.  Wenn man
aber auch diese sieht, so hat man nichts zu wünschen, als sie recht zu
erkennen und dann in Friede hinzufahren.  Diese hohen Kunstwerke sind
zugleich als die höchsten Naturwerke von Menschen nach wahren und
natürlichen Gesetzen hervorgebracht worden.  Alles Willkürliche,
Eingebildete fällt zusammen, da ist die Notwendigkeit, da ist Gott.

In einigen Tagen werde ich die Arbeiten eines geschickten Architekten
sehen, der selbst in Palmyra war und die Gegenstände mit großem
Verstand und Geschmack gezeichnet hat.  Ich gebe gleich Nachricht
davon und erwarte mit Verlangen eure Gedanken über diese wichtigen
Ruinen.

Freut euch mit mir, daß ich glücklich bin, ja, ich kann wohl sagen,
ich war es nie in dem Maße: mit der größten Ruhe und Reinheit eine
eingeborne Leidenschaft befriedigen zu können und von einem
anhaltenden Vergnügen einen dauernden Nutzen sich versprechen zu
dürfen, ist wohl nichts Geringes.  Könnte ich meinen Geliebten nur
etwas von meinem Genuß und meiner Empfindung mitteilen.

Ich hoffe, die trüben Wolken am politischen Himmel sollen sich
zerstreuen.  Unsre modernen Kriege machen viele unglücklich, indessen
sie dauern, und niemand glücklich, wenn sie vorbei sind.


Den 17. September 1787

Es bleibt wohl dabei, meine Lieben, daß ich ein Mensch bin, der von
der Mühe lebt.  Diese Tage her habe ich wieder mehr gearbeitet als
genossen.  Nun geht die Woche zu Ende und ihr sollt ein Blatt haben.

Es ist ein Leid, daß die Aloe in Belvedere eben das Jahr meiner
Abwesenheit wählt, um zu blühen.  In Sizilien war ich zu früh, hier
blüht dies Jahr nur eine, nicht groß, und sie steht so hoch, daß man
nicht dazu kann.  Es ist allerdings ein indianisch Gewächs auch in
diesen Gegenden nicht recht zu Hause.

Des Engländers Beschreibungen machen mir wenig Freude.  Die
Geistlichen müssen sich in England sehr in acht nehmen, dagegen haben
sie auch das übrige Publikum in der Flucht.  Der freie Engländer muß
in sittlichen Schriften sehr eingeschränkt einhergehn.

Die Schwanzmenschen wundern mich nicht, nach der Beschreibung ist es
etwas sehr Natürliches.  Es stehen weit wunderbarere Sachen täglich
vor unsern Augen, die wir nicht achten, weil sie nicht so nah mit uns
verwandt sind.

Daß B. wie mehr Menschen, die kein Gefühl echter Gottesverehrung
während ihres Lebens gehabt haben, in ihrem Alter fromm werden, wie
man's heißt, ist auch recht gut, wenn man nur sich nicht mit ihnen
erbauen soll.

Einige Tage war ich in Frascati mit Rat Reiffenstein, Angelika kam
Sonntags, uns abzuholen.  Es ist ein Paradies.

"Erwin und Elmire" ist zur Hälfte schon umgeschrieben.  Ich habe
gesucht dem Stückchen mehr Interesse und Leben zu verschaffen und habe
den äußerst platten Dialog ganz weggeschmissen.  Es ist Schülerarbeit
oder vielmehr Sudelei.  Die artigen Gesänge, worauf sich alles dreht,
bleiben alle, wie natürlich.

Die Künste werden auch fortgetrieben, daß es saust und braust.

Meine Büste ist sehr gut geraten; jedermann ist damit zufrieden.
Gewiß ist sie in einem schönen und edlen Stil gearbeitet, und ich habe
nichts dagegen, daß die Idee, als hätte ich so ausgesehen, in der Welt
bleibt.  Sie wird nun gleich in Marmor angefangen und zuletzt auch in
den Marmor nach der Natur gearbeitet.  Der Transport ist so lästig,
sonst schickte ich gleich einen Abguß; vielleicht einmal mit einem
Schiffstransport, denn einige Kisten werd' ich doch zuletzt
zusammenpacken.

Ist denn Kranz noch nicht angekommen, dem ich eine Schachtel für die
Kinder mitgab?

Sie haben jetzt wieder eine gar graziose Operette auf dem Theater in
Valle, nachdem zwei jämmerlich verunglückt waren.  Die Leute spielen
mit viel Lust, und es harmoniert alles zusammen.  Nun wird es bald
aufs Land gehen.  Es hat einigemal geregnet, das Wetter ist abgekühlt,
und die Gegend macht sich wieder grün.

Von der großen Eruption des ätna werden euch die Zeitungen gesagt
haben oder sagen.


Den 15. September.

Nun hab' ich auch Trencks Leben gelesen.  Es ist interessant genug,
und lassen sich Reflexionen genug darüber machen.

Mein nächster Brief wird meine Bekanntschaft mit einem merkwürdigen
Reisenden erzählen, die ich morgen machen soll.

Freuet euch übrigens meines hiesigen Aufenthalts!  Rom ist mir nun
ganz familiär, und ich habe fast nichts mehr drin, was mich
überspannte.  Die Gegenstände haben mich nach und nach zu sich
hinaufgehoben.  Ich genieße immer reiner, immer mit mehr Kenntnis, das
gute Glück wird immer weiter helfen.

Hier liegt ein Blatt bei, das ich, abgeschrieben, den Freunden
mitzuteilen bitte.  Auch darum ist der Aufenthalt in Rom so
interessant, weil es ein Mittelpunkt ist, nach dem sich so vieles
hinzieht.  Die Sachen des Cassas sind außerordentlich schön.  Ich habe
ihm manches in Gedanken gestohlen, das ich euch mitbringen will.

Ich bin immer fleißig.  Nun hab' ich ein Köpfchen nach Gips gezeichnet,
um zu sehen, ob mein Prinzipium Stich hält.  Ich finde, es paßt
vollkommen und erleichtert erstaunend das Machen.  Man wollte nicht
glauben, daß ich's gemacht habe, und doch ist es noch nichts.  Ich
sehe nun wohl, wie weit sich's mit Applikation bringen ließe.

Montag geht es wieder nach Frascati.  Ich will sorgen, daß doch heute
über acht Tage ein Brief abgehen kann.  Dann werd' ich wohl nach
Albano gehen.  Es wird recht fleißig nach der Natur gezeichnet werden.
Ich mag nun von gar nichts mehr wissen, als etwas hervorzubringen und
meinen Sinn recht zu üben.  Ich liege an dieser Krankheit von Jugend
auf krank, und gebe Gott, daß sie sich einmal auflöse.


Den 22. September.

Gestern war eine Prozession, wo sie das Blut des heiligen Franziskus
herumtrugen; ich spekulierte auf Köpfe und Gesichter, indes die Reihen
von Ordensgeistlichen vorbeizogen.

Ich habe mir eine Sammlung von zweihundert der besten
Antikengemmen-Abdrücke angeschafft.  Es ist das Schönste, was man von
alter Arbeit hat, und zum Teil sind sie auch wegen der artigen
Gedanken gewählt.  Man kann von Rom nichts Kostbareres mitnehmen,
besonders da die Abdrücke so außerordentlich schön und scharf sind.

Wie manches Gute werd' ich mitbringen, wenn ich mit meinem Schiffchen
zurückkehre, doch vor allem ein fröhliches Herz, fähiger, das Glück,
was mir Liebe und Freundschaft zudenkt, zu genießen.  Nur muß ich
nichts wieder unternehmen, was außer dem Kreise meiner Fähigkeit liegt,
wo ich mich nur abarbeite und nichts fruchte.


Den 22. September.

Noch ein Blatt, meine Lieben, muß ich euch mit dieser Post eilig
schicken.  Heute war mir ein sehr merkwürdiger Tag.  Briefe von vielen
Freunden, von der Herzogin-Mutter, Nachricht von meinem gefeierten
Geburtsfeste und endlich meine Schriften.

Es ist mir wirklich sonderbar zumute, daß diese vier zarten Bändchen,
die Resultate eines halben Lebens, mich in Rom aufsuchen.  Ich kann
wohl sagen: es ist kein Buchstabe drin, der nicht gelebt, empfunden,
genossen, gelitten, gedacht wäre, und sie sprechen mich nun alle desto
lebhafter an.  Meine Sorge und Hoffnung ist, daß die vier folgenden
nicht hinter diesen bleiben.  Ich danke euch für alles, was ihr an
diesen Blättern getan habt, und wünsche euch auch Freude bringen zu
können.  Sorgt auch für die folgenden mit treuen Herzen!

Ihr vexiert mich über die Provinzen, und ich gestehe, der Ausdruck ist
sehr uneigentlich.  Da kann man aber sehen, wie man sich in Rom
angewöhnt, alles grandios zu denken.  Wirklich schein' ich mich zu
nationalisieren, denn man gibt den Römern schuld, daß sie nur von cose
grosse wissen und reden mögen.

Ich bin immer fleißig und halte mich nun an die menschliche Figur.  O
wie weit und lang ist die Kunst, und wie unendlich wird die Welt, wenn
man sich nur einmal recht ans Endliche halten mag.

Dienstag, den 25., geh' ich nach Frascati und werde auch dort mühen
und arbeiten.  Es fängt nun an zu gehen.  Wenn es nur einmal recht
ginge.

Mir ist aufgefallen, daß in einer großen Stadt, in einem weiten Kreis
auch der ärmste, der Geringste sich empfindet, und an einem kleinen
Orte der Beste, der Reichste sich nicht fühlen, nicht Atem schöpfen
kann.


Frascati, den 28. September 1787.

Ich bin hier sehr glücklich, es wird den ganzen Tag bis in die Nacht
gezeichnet, gemalt, getuscht, geklebt, Handwerk und Kunst recht ex
professo getrieben.  Rat Reiffenstein, mein Wirt, leistet Gesellschaft,
und wir sind munter und lustig.  Abends werden die Villen im
Mondschein besucht, und sogar im Dunkeln die frappantesten Motive
nachgezeichnet.  Einige haben wir aufgejagt, die ich nur einmal
auszuführen wünsche.  Nun hoff' ich, daß auch die Zeit des Vollendens
kommen wird.  Die Vollendung liegt nur zu weit, wenn man weit sieht.

Gestern fuhren wir nach Albano und wieder zurück; auch auf diesem Wege
sind viele Vögel im Fluge geschossen worden.  Hier, wo man recht in
der Fülle sitzt, kann man sich was zugute tun, auch brenne ich recht
vor Leidenschaft, mir alles zuzueignen, und ich fühle, daß sich mein
Geschmack reinigt, nach dem Maße, wie meine Seele mehr Gegenstände
faßt.  Wenn ich nur statt all des Redens einmal etwas Gutes schicken
könnte!  Einige Kleinigkeiten gehen mit einem Landsmann an euch ab.

Wahrscheinlich hab' ich die Freude, Kaysern in Rom zu sehen.  So wird
sich denn auch noch die Musik zu mir gesellen, um den Reihen zu
schließen, den die Künste um mich ziehen, gleichsam als wollten sie
mich verhindern, nach meinen Freunden zu sehen.  Und doch darf ich
kaum das Kapitel berühren, wie sehr allein ich mich oft fühle, und
welche Sehnsucht mich ergreift, bei euch zu sein.  Ich lebe doch nur
im Grunde im Taumel weg, will und kann nicht weiter denken.

Mit Moritz hab' ich recht gute Stunden, und habe angefangen, ihm mein
Pflanzensystem zu erklären, und jedesmal in seiner Gegenwart
aufzuschreiben, wie weit wir gekommen sind.  Auf diese Art konnt' ich
allein etwas von meinen Gedanken zu Papier bringen.  Wie faßlich aber
das Abstrakteste von dieser Vorstellungsart wird, wenn es mit der
rechten Methode vorgetragen wird und eine vorbereitete Seele findet,
seh' ich an meinem neuen Schüler.  Er hat eine große Freude daran und
ruckt immer selbst mit Schlüssen vorwärts.  Doch auf alle Fälle ist's
schwer zu schreiben und unmöglich aus dem bloßen Lesen zu begreifen,
wenn auch alles noch so eigentlich und scharf geschrieben wäre.

So lebe ich denn glücklich, weil ich in dem bin, was meines Vaters ist.
Grüßt alle, die mir's gönnen und mir direkt oder indirekt helfen,
mich fördern und erhalten!



Bericht

September

Der dritte September war mir heute doppelt und dreifach merkwürdig, um
ihn zu feiern.  Es war der Geburtstag meines Fürsten, welcher eine
treue Neigung mit so mannigfaltigem Guten zu erwidern wußte; es war
der Jahrestag meiner Hegire von Karlsbad, und noch durfte ich nicht
zurückschauen, was ein so bedeutend durchlebter, völlig fremder
Zustand auf mich gewirkt, mir gebracht und verliehen; wie mir auch
nicht Raum zu vielem Nachdenken übrigblieb.

Rom hat den eignen großen Vorzug, daß es als Mittelpunkt
künstlerischer Tätigkeit anzusehen ist.  Gebildete Reisende sprechen
ein, sie sind ihrem kürzeren oder längeren Aufenthalte hier gar vieles
schuldig; sie ziehen weiter, wirken und sammeln, und wenn sie
bereichert nach Hause kommen, so rechnen sie sich's zur Ehre und
Freude, das Erworbene auszulegen und ein Opfer der Dankbarkeit ihren
entfernten und gegenwärtigen Lehrern darzubringen.

Ein französischer Architekt mit Namen Cassas kam von seiner Reise in
den Orient zurück; er hatte die wichtigsten alten Monumente, besonders
die noch nicht herausgegebenen, gemessen, auch die Gegenden, wie sie
anzuschauen sind, gezeichnet, nicht weniger alte zerfallene und
zerstörte Zustände bildlich wiederhergestellt und einen Teil seiner
Zeichnungen, von großer Präzision und Geschmack, mit der Feder
umrissen und mit Aquarellfarben belebt dem Auge dargestellt.

1. Das Serail von Konstantinopel von der Seeseite mit einem Teil der
Stadt und der Sophienmoschee.  Auf der reizendsten Spitze von Europa
ist der Wohnort des Großherrn so lustig angebaut, als man es nur
denken kann.  Hohe und immer respektierte Bäume stehen in großen,
meist verbundenen Gruppen hintereinander, darunter sieht man nicht
etwa große Mauern und Paläste, sondern Häuschen, Gitterwerke, Gänge,
Kiosken, ausgespannte Teppiche, so häuslich, klein und freundlich
durcheinander gemischt, daß es eine Lust ist.  Da die Zeichnung mit
Farben ausgeführt ist, macht es einen gar freundlichen Effekt.  Eine
schöne Strecke Meer bespült die so bebaute Küste.  Gegenüber liegt
Asien, und man sieht in die Meerenge, die nach den Dardanellen führt.
Die Zeichnung ist bei sieben Fuß lang und drei bis vier hoch.

2. Generalaussicht der Ruinen von Palmyra, in derselben Größe.

Er zeigte uns vorher einen Grundriß der Stadt, wie er ihn aus den
Trümmern herausgesucht.

Eine Kolonnade, auf eine italienische Meile lang, ging vorn Tore durch
die Stadt bis zum Sonnentempel, nicht in ganz gerader Linie, sie macht
in der Mitte ein sanftes Knie.  Die Kolonnade war von vier
Säulenreihen, die Säule zehn Diameter hoch.  Man sieht nicht, daß sie
oben bedeckt gewesen; er glaubt, es sei durch Teppiche geschehen.  Auf
der großen Zeichnung erscheint ein Teil der Kolonnade noch aufrecht
stehend im Vordergrunde.  Eine Karawane, die eben quer durchzieht, ist
mit vielem Glück angebracht.  Im Hintergrunde steht der Sonnentempel,
und auf der rechten Seite zieht sich eine große Fläche hin, auf
welcher einige Janitscharen in Karriere forteilen.  Das sonderbarste
Phänomen ist: eine blaue Linie wie eine Meereslinie schließt das Bild.
Er erklärte es uns, daß der Horizont der Wüste, der in der Ferne blau
werden muß, so völlig wie das Meer den Gesichtskreis schließt, daß es
ebenso in der Natur das Auge trügt, wie es uns im Bilde anfangs
getrogen, da wir doch wußten, daß Palmyra vom Meer entfernt genug sei.

3. Gräber von Palmyra.

4. Restauration des Sonnentempels zu Balbeck, auch eine Landschaft mit
den Ruinen, wie sie stehen.

5. Die große Moschee zu Jerusalem, auf den Grund des Salomonischen
Tempels gebaut.

6. Ruinen eines kleinen Tempels in Phönizien.

7. Gegend am Fuße des Bergs Libanon, anmutig, wie man sich denken mag.
Ein Pinienwäldchen, ein Wasser, daran Hängeweiden und Gräber drunter,
der Berg in der Entfernung.

8. Türkische Gräber.  Jeder Grabstein trägt den Hauptschmuck des
Verstorbenen, und da sich die Türken durch den Kopfschmuck
unterscheiden, so sieht man gleich die Würde des Begrabenen.  Auf den
Gräbern der Jungfrauen werden Blumen mit großer Sorgfalt erzogen.

9. Ägyptische Pyramide mit dem großen Sphinxkopfe.  Er sei, sagt
Cassas, in einen Kalkfelsen gehauen, und weil derselbe Sprünge gehabt
und Ungleichheiten, habe man den Koloß mit Stuck überzogen und gemalt,
wie man noch in den Falten des Kopfschmuckes bemerke.  Eine
Gesichtspartie ist etwa zehn Schuh hoch.  Auf der Unterlippe hat er
bequem spazieren können.

10. Eine Pyramide, nach einigen Urkunden, Anlässen und Mutmaßungen
restauriert.  Sie hat von vier Seiten vorspringende Hallen mit
danebenstehenden Obelisken; nach den Hallen gehen Gänge hin, mit
Sphinxen besetzt, wie sich solche noch in Oberägypten befinden.  Es
ist diese Zeichnung die ungeheuerste Architekturidee, die ich
zeitlebens gesehen, und ich glaube nicht, daß man weiter kann.

Abends, nachdem wir alle diese schönen Sachen mit behaglicher Muße
betrachtet, gingen wir in die Gärten auf dem Palatin, wodurch die
Räume zwischen den Ruinen der Kaiserpaläste urbar und anmutig gemacht
worden.  Dort auf einem freien Gesellschaftsplatze, wo man unter
herrlichen Bäumen die Fragmente verzierter Kapitäler, glatter und
kannelierter Säulen, zerstückte Basreliefe und was noch der Art im
weiten Kreise umhergelegt hatte, wie man sonsten Tische, Stühle und
Bänke zu heiterer Versammlung im Freien anzubringen pflegt--dort
genossen wir der reizenden Zeit nach Herzenslust, und als wir die
mannigfaltigste Aussicht mit frisch gewaschenen und gebildeten Augen
bei Sonnenuntergang überschauten, mußten wir gestehen, daß dieses Bild
auf alle die andern, die man uns heute gezeigt, noch recht gut
anzusehen sei.  In demselbigen Geschmack von Cassas gezeichnet und
gefärbt, würde es überall Entzücken erregen.  Und so wird uns durch
künstlerische Arbeiten nach und nach das Auge so gestimmt, daß wir für
die Gegenwart der Natur immer empfänglicher und für die Schönheiten,
die sie darbietet, immer offener werden.



Der Palatin.  Zeichnung von Goethe

Nun aber mußte des nächsten Tages uns zu scherzhaften Unterhaltungen
dienen, daß gerade das, was wir bei dem Künstler Großes und
Grenzenloses gesehen, uns in eine niedrige, unwürdige Enge zu begeben
veranlassen sollte.  Die herrlichen ägyptischen Denkmale erinnerten
uns an den mächtigen Obelisk, der auf dem Marsfelde, durch August
errichtet, als Sonnenweiser diente, nunmehr aber in Stücken, umzäunt
von einem Bretterverschlag, in einem schmutzigen Winkel auf den kühnen
Architekten wartete, der ihn aufzuerstehen berufen möchte.  (NB. Jetzt
ist er auf dem Platz Monte Citorio wieder aufgerichtet und dient wie
zur Römerzeit abermals als Sonnenweiser.) Er ist aus dem echtesten
ägyptischen Granit gehauen, überall mit zierlichen naiven Figuren,
obgleich in dem bekannten Stil, übersäet.  Merkwürdig war es, als wir
neben der sonst in die Luft gerichteten Spitze standen, auf den
Zuschärfungen derselben Sphinx nach Sphinxen auf das zierlichste
abgebildet zu sehen, früher keinem menschlichen Auge, sondern nur den
Strahlen der Sonne erreichbar.  Hier tritt der Fall ein, daß das
Gottesdienstliche der Kunst nicht auf einen Effekt berechnet ist, den
es auf den menschlichen Anblick machen soll.  Wir machten Anstalt,
diese heiligen Bilder abgießen zu lassen, um das bequem nah vor Augen
zu sehen, was sonst gegen die Wolkenregion hinaufgerichtet war.

In dem widerwärtigen Raume, worin wir uns mit dem würdigsten Werke
befanden, konnten wir uns nicht entbrechen, Rom als ein Quodlibet
anzusehen, aber als ein einziges in seiner Art: denn auch in diesem
Sinne hat diese ungeheure Lokalität die größten Vorzüge.  Hier brachte
der Zufall nichts hervor, er zerstörte nur; alles auf den Füßen
Stehende ist herrlich, alles Zertrümmerte ist ehrwürdig, die Unform
der Ruinen deutet auf uralte Regelmäßigkeit, welche sich in neuen
großen Formen der Kirchen und Paläste wieder hervortat.

Jene bald gefertigten Abgüsse brachten in Erinnerung, daß in der
großen Dehnischen Pastensammlung, wovon die Abdrücke im ganzen und
teilweise verkäuflich waren, auch einiges ägyptische zu sehen sei; und
wie sich denn eins aus dem andern ergibt, so wählte ich aus gedachter
Sammlung die vorzüglichsten und bestellte solche bei den Inhabern.
Solche Abdrücke sind der größte Schatz und ein Fundament, das der in
seinen Mitteln beschränkte Liebhaber zu künftigem großen
mannigfaltigen Vorteil bei sich niederlegen kann.

Die vier ersten Bände meiner Schriften bei Göschen waren angekommen
und das Prachtexemplar sogleich in die Hände Angelikas gegeben, die
daran ihre Muttersprache aufs neue zu beloben Ursach' zu finden
glaubte.

Ich aber durfte den Betrachtungen nicht nachhängen, die sich mir bei
dem Rückblick auf meine früheren Tätigkeiten lebhaft aufdrängen.  Ich
wußte nicht, wie weit der eingeschlagene Weg mich führen würde, ich
konnte nicht einsehen, inwiefern jenes frühere Bestreben gelingen und
wiefern der Erfolg dieses Sehnens und Wandelns die aufgewendete Mühe
belohnen würde.

Aber es blieb mir auch weder Zeit noch Raum, rückwärts zu schauen und
zu denken.  Die über organische Natur, deren Bilden und Umbilden mir
gleichsam eingeimpften Ideen erlaubten keinen Stillstand, und indem
mir Nachdenkendem eine Folge nach der andern sich entwickelte, so
bedurfte ich zu eigner Ausbildung täglich und stündlich irgendeiner
Art von Mitteilung.  Ich versuchte es mit Moritz und trug ihm, soviel
ich vermochte, die Metamorphose der Pflanzen vor; und er, ein
seltsames Gefäß, das, immer leer und inhaltsbedürftig, nach
Gegenständen lechzte, die er sich aneignen könnte, griff redlich mit
ein, dergestalt wenigstens, daß ich meine Vorträge fortzusetzen Mut
behielt.

Hier aber kam uns ein merkwürdiges Buch, ich will nicht fragen, ob
zustatten, aber doch zu bedeutender Anregung: Herders Werk, das, unter
einem lakonischen Titel, über Gott und göttliche Dinge die
verschiedenen Ansichten in Gesprächsform vorzutragen bemüht war.  Mich
versetzte diese Mitteilung in jene Zeiten, wo ich an der Seite des
trefflichen Freundes über diese Angelegenheiten mich mündlich zu
unterhalten oft veranlaßt war.  Wundersam jedoch kontrastierte dieser
in den höchsten frommen Betrachtungen versierende Band mit der
Verehrung, zu der uns das Fest eines besondern Heiligen aufrief.

Am 21. September ward das Andenken des heiligen Franziskus gefeiert
und sein Blut in langgedehnter Prozession von Mönchen und Gläubigen in
der Stadt umhergetragen.  Aufmerksam ward ich bei dem Vorbeiziehen so
vieler Mönche, deren einfache Kleidung das Auge nur auf die
Betrachtung des Kopfes hinzog.  Es war mir auffallend, daß eigentlich
Haar und Bart dazu gehören, um sich von dem männlichen Individuum
einen Begriff zu machen.  Erst mit Aufmerksamkeit, dann mit Erstaunen
musterte ich die vor mir vorüberziehende Reihe und war wirklich
entzückt, zu sehen, daß ein Gesicht, von Haar und Bart in einen Rahmen
eingefaßt, sich ganz anders ausnahm, als das bartlose Volk umher.  Und
ich konnte nun wohl finden, daß dergleichen Gesichter, in Gemälden
dargestellt, einen ganz unnennbaren Reiz auf den Beschauer ausüben
mußten.

Hofrat Reiffenstein, welcher sein Amt, Fremde zu führen und zu
unterhalten, gehörig ausstudiert hatte, konnte freilich im Laufe
seines Geschäfts nur allzubald gewahr werden, daß Personen, welche
wenig mehr nach Rom bringen als Lust zu sehen und sich zu zerstreuen,
mitunter an der grimmigsten Langweile zu leiden haben, indem ihnen die
gewohnte Ausfüllung müßiger Stunden in einem fremden Lande durchaus zu
fehlen pflegt.  Auch war dem praktischen Menschenkenner gar wohl
bekannt, wie sehr ein bloßes Beschauen ermüde, und wie nötig es sei,
seine Freunde durch irgendeine Selbsttätigkeit zu unterhalten und zu
beruhigen.  Zwei Gegenstände hatte er sich deshalb ausersehn, worauf
er ihre Geschäftigkeit zu richten pflegte: die Wachsmalerei und die
Pastenfabrikation.  Jene Kunst, eine Wachsseife zum Bindemittel der
Farben anzuwenden, war erst vor kurzem wieder in den Gang gekommen,
und da es in der Kunstwelt hauptsächlich darum zu tun ist, die
Künstler auf irgendeine Weise zu beschäftigen, so gibt eine neue Art,
das Gewohnte zu tun, immer wieder frische Aufmerksamkeit und lebhaften
Anlaß, etwas, was man auf die alte Weise zu unternehmen nicht Lust
hätte, in einer neuen zu versuchen.

Das kühne Unternehmen, für die Kaiserin Katharine die Raffaelschen
Logen in einer Kopie zu verwirklichen und die Wiederholung sämtlicher
Architektur mit der Fülle ihrer Zieraten in Petersburg möglich zu
machen, ward durch diese neue Technik begünstigt, ja, wäre vielleicht
ohne dieselbe nicht auszuführen gewesen.  Man ließ dieselben Felder,
Wandteile, Sockel, Pilaster, Kapitäler, Gesimse aus den stärksten
Bohlen und Klötzen eines dauerhaften Kastanienholzes verfertigen,
überzog sie mit Leinwand, welche grundiert sodann der Enkaustik zur
sichern Unterlage diente.  Dieses Werk, womit sich besonders
Unterberger nach Anleitung Reiffensteins mehrere Jahre beschäftigt
hatte, mit großer Gewissenhaftigkeit ausgeführt, war schon abgegangen,
als ich ankam, und es konnte mir nur, was von jenem großen Unternehmen
übrigblieb, bekannt und anschaulich werden.

Nun aber war durch eine solche Ausführung die Enkaustik zu hohen Ehren
gelangt; Fremde von einigem Talent sollten praktisch damit bekannt
werden; zugerichtete Farbengarnituren waren um leichten Preis zu haben;
man kochte die Seife selbst, genug, man hatte immer etwas zu tun und
zu kramen, wo sich nur ein müßiger loser Augenblick zeigte.  Auch
mittlere Künstler wurden als Lehrende und Nachhelfende beschäftigt,
und ich habe wohl einigemal Fremde gesehen, welche ihre römischen
enkaustischen Arbeiten höchst behaglich als selbstverfertigt
einpackten und mit zurück ins Vaterland nahmen.

Die andere Beschäftigung, Pasten zu fabrizieren, war mehr für Männer
geeignet.  Ein großes altes Küchengewölbe im Reiffensteinischen
Quartier gab dazu die beste Gelegenheit.  Hier hatte man mehr als
nötigen Raum zu einem solchen Geschäft.  Die refraktäre, in Feuer
unschmelzbare Masse wurde aufs zarteste pulverisiert und durchgesiebt,
der daraus geknetete Teig in Pasten eingedruckt, sorgfältig getrocknet
und sodann, mit einem eisernen Ring umgeben, in die Glut gebracht,
ferner die geschmolzene Glasmasse darauf gedruckt, wodurch doch immer
ein kleines Kunstwerk zum Vorschein kam, das einen jeden freuen mußte,
der es seinen eignen Fingern zu verdanken hatte.

Hofrat Reiffenstein, welcher mich zwar willig und geschäftig in diese
Tätigkeiten eingeführt hatte, merkte gar bald, daß mir eine
fortgesetzte Beschäftigung der Art nicht zusagte, daß mein
eigentlicher Trieb war, durch Nachbildung von Natur--und
Kunstgegenständen Hand und Augen möglichst zu steigern.  Auch war die
große Hitze kaum vorübergegangen, als er mich schon in Gesellschaft
von einigen Künstlern nach Frascati führte, wo man in einem
wohleingerichteten Privathause Unterkommen und das nächste Bedürfnis
fand und nun, den ganzen Tag im Freien, sich abends gern um einen
großen Ahorntisch versammelte.  Georg Schütz, ein Frankfurter,
geschickt, ohne eminentes Talent, eher einem gewissen anständigen
Behagen als anhaltender künstlerischer Tätigkeit ergeben, weswegen ihn
die Römer auch il Barone nannten, begleitete mich auf meinen
Wanderungen und ward mir vielfach nützlich.  Wenn man bedenkt, daß
Jahrhunderte hier im höchsten Sinne architektonisch gewartet, daß auf
übriggebliebenen mächtigen Substruktionen die künstlerischen Gedanken
vorzüglicher Geister sich hervorgehoben und den Augen dargestellt, so
wird man begreifen, wie sich Geist und Aug' entzücken müssen, wenn man
unter jeder Beleuchtung diese vielfachen horizontalen und tausend
vertikalen Linien unterbrochen und geschmückt wie eine stumme Musik
mit den Augen auffaßt, und wie alles, was klein und beschränkt in uns
ist, nicht ohne Schmerz erregt und ausgetrieben wird.  Besonders ist
die Fülle der Mondscheinbilder über alle Begriffe, wo das einzeln
Unterhaltende, vielleicht störend zu Nennende durchaus zurücktritt und
nur die großen Massen von Licht und Schatten ungeheuer anmutige,
symmetrisch harmonische Riesenkörper dem Auge entgegentragen.  Dagegen
fehlte es denn auch abends nicht an unterrichtender, oft aber auch
neckischer Unterhaltung.

So darf man nicht verschweigen, daß junge Künstler, die Eigenheiten
des wackern Reiffensteins, die man Schwachheiten zu nennen pflegt,
kennend und bemerkend, darüber sich oft im stillen scherzhaft und
spottend unterhielten.  Nun war eines Abends der Apoll von Belvedere
als eine unversiegbare Quelle künstlerischer Unterhaltung wieder zum
Gespräch gelangt, und bei der Bemerkung, daß die Ohren an diesem
trefflichen Kopfe doch nicht sonderlich gearbeitet seien, kam die Rede
ganz natürlich auf die Würde und Schönheit dieses Organs, die
Schwierigkeit, ein schönes in der Natur zu finden und es künstlerisch
ebenmäßig nachzubilden.  Da nun Schütz wegen seiner hübschen Ohren
bekannt war, ersuchte ich ihn, mir bei der Lampe zu sitzen, bis ich
das vorzüglich gut gebildete, es war ohne Frage das rechte, sorgfältig
abgezeichnet hätte.  Nun kam er mit seiner starren Modellstellung
gerade dem Rat Reiffenstein gegenüber zu sitzen, von welchem er die
Augen nicht abwenden konnte noch durfte.  Jener fing nun an, seine
wiederholt angepriesenen Lehren vorzutragen: man müßte sich nämlich
nicht gleich unmittelbar an das Beste wenden, sondern erst bei den
Carraccis anfangen, und zwar in der Farnesischen Galerie, dann zum
Raffael übergehen und zuletzt den Apoll von Belvedere so oft zeichnen,
bis man ihn auswendig kenne, da denn nicht viel Weiteres zu wünschen
und zu hoffen sein würde.

Der gute Schütz ward von einem solchen innerlichen Anfall von Lachen
ergriffen, den er äußerlich kaum zu bergen wußte, welche Pein sich
immer vermehrte, je länger ich ihn in ruhiger Stellung zu halten
trachtete.  So kann sich der Lehrer, der Wohltäter immer wegen seines
individuellen, unbillig aufgenommenen Zustandes einer spöttischen
Undankbarkeit erwarten.

Eine herrliche, obgleich nicht unerwartete Aussicht ward uns aus den
Fenstern der Villa des Fürsten Aldobrandini, der, gerade auf dem Lande
gegenwärtig, uns freundlich einlud und uns in Gesellschaft seiner
geistlichen und weltlichen Hausgenossen an einer gut besetzten Tafel
festlich bewirtete.  Es läßt sich denken, daß man das Schloß
dergestalt angelegt hat, die Herrlichkeit der Hügel und des flachen
Landes mit einem Blick übersehen zu können.  Man spricht viel von
Lusthäusern; aber man müßte von hier aus umherblicken, um sich zu
überzeugen, daß nicht leicht ein Haus lustiger gelegen sein könne.



Hier aber finde ich mich gedrängt, eine Betrachtung einzufügen, deren
ernste Bedeutung ich wohl empfehlen darf.  Sie gibt Licht über das
Vorgetragene und verbreitet's über das Folgende; auch wird mancher
gute, sich heranbildende Geist Anlaß daher zur Selbstprüfung gewinnen.

Lebhaft vordringende Geister begnügen sich nicht mit dem Genusse, sie
verlangen Kenntnis.  Diese treibt sie zur Selbsttätigkeit, und wie es
ihr nun auch gelingen möge, so fühlt man zuletzt, daß man nichts
richtig beurteilt, als was man selbst hervorbringen kann.  Doch
hierüber kommt der Mensch nicht leicht ins klare, und daraus entstehen
gewisse falsche Bestrebungen, welche um desto ängstlicher werden, je
redlicher und reiner die Absicht ist.  Indes fingen mir in dieser Zeit
an Zweifel und Vermutungen aufzusteigen, die mich mitten in diesen
angenehmen Zuständen beunruhigten; denn ich mußte bald empfinden, daß
der eigentliche Wunsch und die Absicht meines Hierseins schwerlich
erfüllt werden dürfte.



Nunmehr aber, nach Verlauf einiger vergnügter Tage, kehrten wir nach
Rom zurück, wo wir durch eine neue, höchst anmutige Oper im hellen,
vollgedrängten Saal für die vermißte Himmelsfreiheit entschädigt
werden sollten.  Die deutsche Künstlerbank, eine der vordersten im
Parterre, war wie sonst dicht besetzt, und auch diesmal fehlte es
nicht an Beifallklatschen und Rufen, um sowohl wegen der gegenwärtigen
als vergangenen Genüsse unsre Schuldigkeit abzutragen.  Ja, wir hatten
es erreicht, daß wir durch ein künstliches, erst leiseres, dann
stärkeres, zuletzt gebietendes Zitti-Rufen jederzeit mit dem Ritornell
einer eintretenden beliebten Arie oder sonst gefälligen Partie das
ganze laut schwätzende Publikum zum Schweigen brachten, weshalb uns
denn unsere Freunde von oben die Artigkeit erwiesen, die
interessantesten Exhibitionen nach unsrer Seite zu richten.



Oktober

Korrespondenz

Frascati, den 2. Oktober.

Ich muß beizeiten ein Blättchen anfangen, wenn ihr es zur rechten Zeit
erhalten sollt.  Eigentlich hab' ich viel und nicht viel zu sagen.  Es
wird immerfort gezeichnet, und ich denke dabei im stillen an meine
Freunde.  Diese Tage empfand ich wieder viel Sehnsucht nach Hause,
vielleicht eben, weil es mir hier so wohl geht und ich doch fühle, daß
mir mein Liebstes fehlt.

Ich bin in einer recht wunderlichen Lage und will mich eben
zusammennehmen, jeden Tag nutzen, tun, was zu tun ist, und so diesen
Winter durch arbeiten.

Ihr glaubt nicht, wie nützlich, aber auch wie schwer es mir war,
dieses ganze Jahr absolut unter fremden Menschen zu leben, besonders
da Tischbein--dies sei unter uns gesagt--nicht so einschlug, wie ich
hoffte.  Es ist ein wirklich guter Mensch, aber er ist nicht so rein,
so natürlich, so offen wie seine Briefe.  Seinen Charakter kann ich
nur mündlich schildern, um ihm nicht unrecht zu tun, und was will eine
Schilderung heißen, die man so macht!  Das Leben eines Menschen ist
sein Charakter.  Nun hab' ich Hoffnung, Kaysern zu besitzen, dieser
wird mir zu großer Freude sein.  Gebe der Himmel, daß sich nichts
dazwischen stelle!

Meine erste Angelegenheit ist und bleibt, daß ich es im Zeichnen zu
einem gewissen Grade bringe, wo man mit Leichtigkeit etwas macht und
nicht wieder zurücklernt, noch so lange still steht, wie ich wohl
leider die schönste Zeit des Lebens versäumt habe.  Doch muß man sich
selbst entschuldigen.  Zeichnen, um zu zeichnen, wäre wie reden, um zu
reden.  Wenn ich nichts auszudrücken habe, wenn mich nichts anreizt,
wenn ich würdige Gegenstände erst mühsam aufsuchen muß, ja, mit allem
Suchen sie kaum finde, wo soll da der Nachahmungstrieb herkommen?  In
diesen Gegenden muß man zum Künstler werden, so dringt sich alles auf,
man wird voller und voller und gezwungen, etwas zu machen.  Nach
meiner Anlage und meiner Kenntnis des Weges bin ich überzeugt, daß ich
hier in einigen Jahren sehr weit kommen müßte.

Ihr verlangt, meine Lieben, daß ich von mir selbst schreibe, und seht,
wie ich's tue; wenn wir wieder zusammenkommen, sollt ihr gar manches
hören.  Ich habe Gelegenheit gehabt, über mich selbst und andre, über
Welt und Geschichte viel nachzudenken, wovon ich manches Gute,
wenngleich nicht Neue, auf meine Art mitteilen werde.  Zuletzt wird
alles im "Wilhelm" gefaßt und geschlossen.

Moritz ist bisher mein liebster Gesellschafter geblieben, ob ich
gleich bei ihm fürchtete und fast noch fürchte, er möchte aus meinem
Umgange nur klüger und weder richtiger, besser noch glücklicher werden,
eine Sorge, die mich immer zurückhält, ganz offen zu sein.

Auch im allgemeinen mit mehreren Menschen zu leben, geht mir ganz gut.
Ich sehe eines jeden Gemütsart und Handelsweise.  Der eine spielt
sein Spiel, der andre nicht, dieser wird vorwärts kommen, jener
schwerlich.  Einer sammelt, einer zerstreut.  Einem genügt alles, dem
andern nichts.  Der hat Talent und übt's nicht, jener hat keins und
ist fleißig etc. etc. Das alles sehe ich und mich mitten drin; es
vergnügt mich und gibt mir, da ich keinen Teil an den Menschen, nichts
an ihnen zu verantworten habe, keinen bösen Humor.  Nur alsdann, meine
Lieben, wenn jeder nach seiner Weise handelt und zuletzt noch
prätendiert, daß ein Ganzes werden, sein und bleiben solle, es
zunächst von mir prätendiert, dann bleibt einem nichts übrig, als zu
scheiden oder toll zu werden.


Albano, den 5. Oktober 1787.

Ich will sehen, daß ich diesen Brief noch zur morgenden Post nach Rom
schaffe, daß ich auf diesem Blatt nur den tausendsten Teil sage von
dem, was ich zu sagen habe.

Eure Blätter hab' ich zu gleicher Zeit mit den "Zerstreuten", besser
"gesammelten Blättern", den "Ideen" und den vier Saffianbänden
erhalten, gestern, als ich im Begriff war, von Frascati abzufahren.
Es ist mir nun ein Schatz auf die ganze Villeggiatur.

"Persepolis" habe ich gestern nacht gelesen.  Es freut mich unendlich,
und ich kann nichts dazusetzen, indem jene Art und Kunst nicht
herübergekommen ist.  Ich will nun die angeführten Bücher auf
irgendeiner Bibliothek sehen und euch aufs neue danken.  Fahret fort,
ich bitte euch, oder fahret fort, weil ihr müßt, beleuchtet alles mit
eurem Lichte!

Die "Ideen", die Gedichte sind noch nicht berührt.  Meine Schriften
mögen nun gehen, ich will treulich fortfahren.  Die vier Kupfer zu den
letzten Bänden sollen hier werden.

Mit den Genannten war unser Verhältnis nur ein gutmütiger
Waffenstillstand von beiden Seiten, ich habe das wohl gewußt, nur was
werden kann, kann werden.  Es wird immer weitere Entfernung und
endlich, wenn's recht gut geht, leise, lose Trennung werden.  Der eine
ist ein Narr, der voller Einfaltsprätensionen steckt.  "Meine Mutter
hat Gänse" singt sich mit bequemerer Naivetät als ein: "Allein Gott in
der Höh' sei Ehr."  Er ist einmal auch ein--: "Sie lassen sich das Heu
und Stroh, das Heu und Stroh nicht irren" etc. etc. Bleibt von diesem
Volke! der erste Undank ist besser als der letzte.  Der andere denkt,
er komme aus einem fremden Lande zu den Seinigen, und er kommt zu
Menschen, die sich selbst suchen, ohne es gestehn zu wollen.  Er wird
sich fremd finden und vielleicht nicht wissen warum.  Ich müßte mich
sehr irren, oder die Großmut des Alcibiades ist ein
Taschenspielerstreich des Züricher Propheten, der klug genug und
gewandt genug ist, große und kleine Kugeln mit unglaublicher
Behendigkeit einander zu substituieren, durcheinander zu mischen, um
das Wahre und Falsche nach seinem theologischen Dichtergemüt gelten
und verschwinden zu machen.  Hole oder erhalte ihn der Teufel, der ein
Freund der Lügen, Dämonologie, Ahnungen, Sehnsuchten etc. Ist von
Anfang!

Und ich muß ein neues Blatt nehmen und bitten, daß ihr lest, wie ich
schreibe, mit dem Geiste mehr als den Augen, wie ich mit der Seele
mehr als den Händen.

Fahre du fort, lieber Bruder, zu finden, zu vereinigen, zu dichten, zu
schreiben, ohne dich um andre zu bekümmern.  Man muß schreiben, wie
man lebt, erst um sein selbst willen, und dann existiert man auch für
verwandte Wesen.

Plato wollte keinen agewmetrhton in seiner Schule leiden; wäre ich
imstande, eine zu machen, ich litte keinen, der sich nicht irgendein
Naturstudium ernst und eigentlich gewählt.  Neulich fand ich in einer
leidig apostolisch-kapuzinermäßigen Deklamation des Zürcher Propheten
die unsinnigen Worte: "Alles, was Leben hat, lebt durch etwas außer
sich."  Oder so ungefähr klang's.  Das kann nun so ein Heidenbekehrer
hinschreiben, und bei der Revision zupft ihn der Genius nicht beim
ärmel.  Nicht die ersten, simpelsten Naturwahrheiten haben sie gefaßt
und möchten doch gar zu gern auf den Stühlen um den Thron sitzen, wo
andre Leute hingehören oder keiner hingehört.  Laßt das alles gut sein,
wie ich auch tue, der ich es freilich jetzt leichter habe!

Ich möchte von meinem Leben keine Beschreibung machen, es sieht gar zu
lustig aus.  Vor allem beschäftigt mich das Landschaftszeichnen, wozu
dieser Himmel und diese Erde vorzüglich einlädt.  Sogar hab' ich
einige Idyllen gefunden.  Was werd' ich nicht noch alles machen!  Das
seh' ich wohl, unsereiner muß nur immer neue Gegenstände um sich haben,
dann ist er geborgen.

Lebt wohl und vergnügt, und wenn es euch weh werden will, so fühlt nur
recht, daß ihr beisammen seid und was ihr einander seid, indes ich,
durch eignen Willen exiliert, mit Vorsatz irrend, zweckmäßig unklug,
überall fremd und überall zu Hause, mein Leben mehr laufen lasse als
führe und auf alle Fälle nicht weiß, wo es hinaus will.

Lebt wohl, empfehlt mich der Frau Herzogin.  Ich habe mit Rat
Reiffenstein in Frascati ihren ganzen Aufenthalt projektiert.  Wenn
alles gelingt, so ist's ein Meisterstück.  Wir sind jetzt in
Negotiation wegen einer Villa begriffen, welche gewissermaßen
sequestriert ist und also vermietet wird, anstatt daß die andern
entweder besetzt sind oder von den großen Familien nur aus
Gefälligkeit abgetreten würden, dagegen man in Obligationen und
Relationen gerät.  Ich schreibe, sobald nur etwas Gewisseres zu sagen
ist.  In Rom ist auch ein schönes freiliegendes Quartier mit einem
Garten für sie bereit.  Und so wünscht' ich, daß sie sich überall zu
Hause fände, denn sonst genießt sie nichts; die Zeit verstreicht, das
Geld ist ausgegeben, und man sieht sich um wie nach einem Vogel, der
einem aus der Hand entwischt ist.  Wenn ich ihr alles einrichten kann,
daß ihr Fuß an keinen Stein stoße, so will ich es tun.

Nun kann ich nicht weiter, wenngleich noch Raum da ist.  Lebt wohl und
verzeiht die Eilfertigkeit dieser Zeilen.


Castel Gandolfo, den 8. Oktober, eigentlich den 12ten,

denn diese Woche ist hingegangen, ohne daß ich zum Schreiben kommen
konnte.  Also geht dieses Blättchen nur eilig nach Rom, daß es noch zu
euch gelange.

Wir leben hier, wie man in Bädern lebt, nur mache ich mich des Morgens
beiseite, um zu zeichnen, dann muß man den ganzen Tag der Gesellschaft
sein, welches mir denn auch ganz recht ist für diese kurze Zeit; ich
sehe doch auch einmal Menschen ohne großen Zeitverlust und viele auf
einmal.



Castel Gandolfo.  Radierung von Mechau

Angelika ist auch hier und wohnt in der Nähe, dann sind einige muntere
Mädchen, einige Frauen, Herr von Maron, Schwager von Mengs, mit der
seinigen, teils im Hause, teils in der Nachbarschaft; die Gesellschaft
ist lustig, und es gibt immer was zu lachen.  Abends geht man in die
Komödie, wo Pulcinell die Hauptperson ist, und trägt sich dann einen
Tag mit den bonmots des vergangnen Abends.  Tout comme chez nous--nur
unter einem heitern, köstlichen Himmel.  Heute hat sich ein Wind
erhoben, der mich zu Hause hält.  Wenn man mich außer mir selbst
herausbringen könnte, müßten es diese Tage tun, aber ich falle immer
wieder in mich zurück, und meine ganze Neigung ist auf die Kunst
gerichtet.  Jeden Tag geht mir ein neues Licht auf, und es scheint,
als wenn ich wenigstens würde sehen lernen.

"Erwin und Elmire" ist so gut als fertig; es kommt auf ein paar
schreibselige Morgen an; gedacht ist alles.

Herder hat mich aufgefordert, Forstern auf seine Reise um die Welt
auch Fragen und Mutmaßungen mitzugeben.  Ich weiß nicht, wo ich Zeit
und Sammlung hernehmen soll, wenn ich es auch von Herzen gerne täte.
Wir wollen sehen.

Ihr habt wohl schon kalte, trübe Tage, wir hoffen noch einen ganzen
Monat zum Spazierengehn.  Wie sehr mich Herders "Ideen" freuen, kann
ich nicht sagen.  Da ich keinen Messias zu erwarten habe, so ist mir
dies das liebste Evangelium.  Grüßt alles, ich bin in Gedanken immer
mit euch, und liebt mich.



Den letzten Posttag, meine Lieben, habt ihr keinen Brief erhalten, die
Bewegung in Castello war zuletzt gar zu arg, und ich wollte doch auch
zeichnen.  Es war wie bei uns im Bade, und da ich in einem Hause
wohnte, das immer Zuspruch hat, so mußte ich mich drein geben.  Bei
dieser Gelegenheit habe ich mehr Italiener gesehen als bisher in einem
Jahre, und bin auch mit dieser Erfahrung zufrieden.

Eine Mailänderin interessierte mich die acht Tage ihres Bleibens, sie
zeichnete sich durch ihre Natürlichkeit, ihren Gemeinsinn, ihre gute
Art sehr vorteilhaft vor den Römerinnen aus.  Angelika war, wie sie
immer ist, verständig, gut, gefällig, zuvorkommend.  Man muß ihr
Freund sein, man kann viel von ihr lernen, besonders arbeiten, denn es
ist unglaublich, was sie alles endigt.

Diese letzten Tage war das Wetter kühl, und ich bin recht vergnügt,
wieder in Rom zu sein.

Gestern abend, als ich zu Bette ging, fühlt' ich recht das Vergnügen,
hier zu sein.  Es war mir, als wenn ich mich auf einen recht breiten,
sichern Grund niederlegte.

über seinen "Gott" möcht' ich gern mit Herdern sprechen.  Zu bemerken
ist mir ein Hauptpunkt: man nimmt dieses Büchlein, wie andre, für
Speise, da es eigentlich die Schüssel ist.  Wer nichts hineinzulegen
hat, findet sie leer.  Laßt mich ein wenig weiter allegorisieren, und
Herder wird meine Allegorie am besten erklären.  Mit Hebel und Walzen
kann man schon ziemliche Lasten fortbringen; die Stücke des Obelisks
zu bewegen, brauchen sie Erdwinden, Flaschenzüge und so weiter.  Je
größer die Last oder je feiner der Zweck (wie z.  E. bei einer Uhr),
desto zusammengesetzter, desto künstlicher wird der Mechanismus sein
und doch im Innern die größte Einheit haben.  So sind alle Hypothesen
oder vielmehr alle Prinzipien.--Wer nicht viel zu bewegen hat, greift
zum Hebel und verschmäht meinen Flaschenzug, was will der Steinhauer
mit einer Schraube ohne Ende?  Wenn L. seine ganze Kraft anwendet, um
ein Märchen wahr zu machen, wenn J. sich abarbeitet, eine hohle
Kindergehirnempfindung zu vergöttern, wenn C. aus einem Fußboten ein
Evangelist werden möchte, so ist offenbar, daß sie alles, was die
Tiefen der Natur näher aufschließt, verabscheuen müssen.  Würde der
eine ungestraft sagen: Alles, was lebt, lebt durch etwas außer sich?
Würde der andere sich der Verwirrung der Begriffe, der Verwechslung
der Worte von Wissen und Glauben, von überlieferung und Erfahrung
nicht schämen?  Würde der dritte nicht um ein paar Bänke tiefer
hinunter müssen, wenn sie nicht mit aller Gewalt die Stühle um den
Thron des Lamms aufzustellen bemüht wären; wenn sie nicht sich
sorgfältig hüteten, den festen Boden der Natur zu betreten, wo jeder
nur ist, was er ist, wo wir alle gleiche Ansprüche haben?

Halte man dagegen ein Buch wie den dritten Teil der "Ideen", sehe erst,
was es ist, und frage sodann, ob der Autor es hätte schreiben können,
ohne jenen Begriff von Gott zu haben?  Nimmermehr; denn eben das Echte,
Große, Innerliche, was es hat, hat es in, aus und durch jenen Begriff
von Gott und der Welt.

Wenn es also irgendwo fehlt, so mangelt's nicht an der Ware, sondern
an Käufern, nicht an der Maschine, sondern an denen, die sie zu
brauchen wissen.  Ich habe immer mit stillem Lächeln zugesehen, wenn
sie mich in metaphysischen Gesprächen nicht für voll ansahen; da ich
aber ein Künstler bin, so kann mir's gleich sein.  Mir könnte vielmehr
dran gelegen sein, daß das Prinzipium verborgen bliebe, aus dem und
durch das ich arbeite.  Ich lasse einem jeden seinen Hebel und bediene
mich der Schraube ohne Ende schon lange, und nun mit noch mehr Freude
und Bequemlichkeit.



Castel Gandolfo, den 12. Oktober 1787.

An Herder

Nur ein flüchtig Wort, und zuerst den lebhaftesten Dank für die
"Ideen"!  Sie sind mir als das liebenswerteste Evangelium gekommen,
und die interessantesten Studien meines Lebens laufen alle da zusammen.
Woran man sich so lange geplackt hat, wird einem nun so vollständig
vorgeführt.  Wie viel Lust zu allem Guten hast du mir durch dieses
Buch gegeben und erneut!  Noch bin ich erst in der Hälfte.  Ich bitte
dich, laß mir so bald als möglich die Stelle aus Camper, die du pag.
159 anführst, ganz ausschreiben, damit ich sehe welche Regeln des
griechischen Künstlerideals er ausgefunden hat.  Ich erinnere mich nur
an den Gang seiner Demonstration des Profils aus dem Kupfer.  Schreibe
mir dazu und exzerpiere mir sonst, was du mir nützlich dünkst, daß ich
das Ultimum wisse, wie weit man in dieser Spekulation gekommen ist;
denn ich bin immer das neugeborne Kind.  Hat Lavaters "Physiognomik"
etwas Kluges darüber?  Deinem Aufruf wegen Forsters will ich gerne
gehorchen, wenn ich gleich noch nicht recht sehe, wie es möglich ist;
denn ich kann keine einzelnen Fragen tun, ich muß meine Hypothesen
völlig auseinandersetzen und vortragen.  Du weißt, wie sauer mir das
schriftlich wird.  Schreibe mir nur den letzten Termin, wann es fertig
sein, und wohin es geschickt werden soll.  Ich sitze jetzt im Rohre
und kann vor Pfeifenschneiden nicht zum Pfeifen kommen.  Wenn ich es
unternehme, muß ich zum Diktieren mich wenden; denn eigentlich seh'
ich es als einen Wink an.  Es scheint, ich soll von allen Seiten mein
Haus bestellen und meine Bücher schließen.

Was mir am schwersten sein wird, ist: daß ich absolut alles aus dem
Kopfe nehmen muß, ich habe doch kein Blättchen meiner Kollektaneen,
keine Zeichnung, nichts hab' ich bei mir, und alle neusten Bücher
fehlen hier ganz und gar.

Noch vierzehn Tage bleib' ich wohl in Castello und treibe ein
Badeleben.  Morgens zeichne ich, dann gibt's Menschen auf Menschen.
Es ist mir lieb, daß ich sie beisammen sehe, einzeln wäre es eine
große Sekkatur.  Angelika ist hier und hilft alles übertragen.

Der Papst soll Nachricht haben, Amsterdam sei von den Preußen
eingenommen.  Die nächsten Zeitungen werden uns Gewißheit bringen.
Das wäre die erste Expedition, wo sich unser Jahrhundert in seiner
ganzen Größe zeigt.  Das heiß' ich eine sodezza!  Ohne Schwertstreich,
mit ein paar Bomben, und niemand, der sich der Sache weiter annimmt!
Lebt wohl.  Ich bin ein Kind des Friedens und will Friede halten für
und für, mit der ganzen Welt, da ich ihn einmal mit mir selbst
geschlossen habe.


Rom, den 27. Oktober 1787.

Ich bin in diesem Zauberkreise wieder angelangt und befinde mich
gleich wieder wie bezaubert, zufrieden, stille hinarbeitend,
vergessend alles, was außer mir ist, und die Gestalten meiner Freunde
besuchen mich friedlich und freundlich.  Diese ersten Tage hab' ich
mit Briefschreiben zugebracht, habe die Zeichnungen, die ich auf dem
Lande gemacht, ein wenig gemustert, die nächste Woche soll es an neue
Arbeit gehn.  Es ist zu schmeichelhaft, als daß ich es sagen dürfte,
was mir Angelika für Hoffnungen über mein Landschaftszeichnen unter
gewissen Bedingungen gibt.  Ich will wenigstens fortfahren, um mich
dem zu nähern, was ich wohl nie erreiche.

Ich erwarte mit Verlangen Nachricht, daß "Egmont" angelangt und wie
ihr ihn aufgenommen.  Ich habe doch schon geschrieben, daß Kayser
herkommt?  Ich erwarte ihn in einigen Tagen, mit der nun vollendeten
Partitur unsrer Scapinereien.  Du kannst denken, was das für ein Fest
sein wird!  Sogleich wird Hand an eine neue Oper gelegt, und
"Claudine" mit "Erwin" in seiner Gegenwart, mit seinem Beirat
verbessert.

Herders "Ideen" hab' ich nun durchgelesen und habe mich des Buches
außerordentlich gefreut.  Der Schluß ist herrlich, wahr und
erquicklich, und er wird, wie das Buch selbst, erst mit der Zeit und
vielleicht unter fremdem Namen den Menschen wohltun.  Je mehr diese
Vorstellungsart gewinnt, je glücklicher wird der nachdenkliche Mensch
werden.  Auch habe ich dieses Jahr unter fremden Menschen achtgegeben
und gefunden, daß alle wirklich kluge Menschen mehr oder weniger,
zärter oder gröber, darauf kommen und bestehen: daß der Moment alles
ist, und daß nur der Vorzug eines vernünftigen Menschen darin bestehe:
sich so zu betragen, daß sein Leben, insofern es von ihm abhängt, die
möglichste Masse von vernünftigen, glücklichen Momenten enthalte.

Ich müßte wieder ein Buch schreiben, wenn ich sagen sollte, was ich
bei dem und jenem Buch gedacht habe.  Ich lese jetzt wieder Stellen,
so wie ich sie aufschlage, um mich an jeder Seite zu ergötzen, denn es
ist durchaus köstlich gedacht und geschrieben.

Besonders schön find' ich das griechische Zeitalter; daß ich am
römischen, wenn ich mich so ausdrücken darf, etwas Körperlichkeit
vermisse, kann man vielleicht denken, ohne daß ich es sage.  Es ist
auch natürlich.  Gegenwärtig ruht in meinem Gemüt die Masse des, was
der Staat war, an und für sich; mir ist er wie Vaterland etwas
Ausschließendes.  Und ihr müßtet im Verhältnis mit dem ungeheuern
Weltganzen den Wert dieser einzelnen Existenz bestimmen, wo denn
freilich vieles zusammenschrumpfte und in Rauch aufgehn mag.

So bleibt mir das Coliseo immer imposant, wenn ich gleich denke, zu
welcher Zeit es gebaut worden, und daß das Volk, welches diesen
ungeheuren Kreis ausfüllte, nicht mehr das altrömische Volk war.

Ein Buch über Malerei und Bildhauerkunst in Rom ist auch zu uns
gekommen.  Es ist ein deutsches Produkt und, was schlimmer ist, eines
deutschen Kavaliers.  Es scheint ein junger Mann zu sein, der Energie
hat, aber voller Prätension steckt, der sich Mühe gegeben hat,
herumzulaufen, zu notieren, zu hören, zu horchen, zu lesen.  Er hat
gewußt, dem Werke einen Anschein von Ganzheit zu geben, es ist darin
viel Wahres und Gutes, gleich darneben Falsches und Albernes,
Gedachtes und Nachgeschwätztes, Longueurs und Echappaden.  Wer es auch
in der Entfernung durchsieht, wird bald merken, welch monstroses
Mittelding zwischen Kompilation und eigen gedachtem Werk dieses
voluminose Opus geworden sei.

Die Ankunft "Egmonts" erfreut und beruhigt mich, und ich verlange auf
ein Wort darüber, das nun wohl unterwegs ist.  Das Saffianexemplar ist
angelangt, ich hab' es der Angelika gegeben.  Mit Kaysers Oper wollen
wir es klüger machen, als man uns geraten hat; euer Vorschlag ist sehr
gut, wenn Kayser kommt, sollt ihr mehr hören.

Die Rezension ist recht im Stil des Alten, zuviel und zu wenig.  Mir
ist jetzt nur dran gelegen, zu machen, seitdem ich sehe, wie sich am
Gemachten, wenn es auch nicht das Vollkommenste ist, Jahrtausende
rezensieren, das heißt, etwas von seinem Dasein hererzählen läßt.

Jedermann verwundert sich, wie ich ohne Tribut durchgekommen bin; man
weiß aber auch nicht, wie ich mich betragen habe.  Unser Oktober war
nicht der schönste, ob wir gleich himmlische Tage gehabt haben.

Es geht mit mir jetzt eine neue Epoche an.  Mein Gemüt ist nun durch
das viele Sehen und Erkennen so ausgeweitet, daß ich mich auf
irgendeine Arbeit beschränken muß.  Die Individualität eines Menschen
ist ein wunderlich Ding, die meine hab' ich jetzt recht kennen lernen,
da ich einerseits dieses Jahr bloß von mir selbst abgehangen habe und
von der andern Seite mit völlig fremden Menschen umzugehen hatte.



Bericht

Oktober

Zu Anfang dieses Monats bei mildem, durchaus heiterem, herrlichem
Wetter genossen wir eine förmliche Villeggiatur in Castel Gandolfo,
wodurch wir uns denn in die Mitte dieser unvergleichlichen Gegend
eingeweiht und eingebürgert sahen.  Herr Jenkins, der wohlhabende
englische Kunsthändler, bewohnte daselbst ein sehr stattliches Gebäude,
den ehemaligen Wohnsitz des Jesuitergenerals, wo es einer Anzahl von
Freunden weder an Zimmern zu bequemer Wohnung, noch an Sälen zu
heiterem Beisammensein, noch an Bogengängen zu munterem Lustwandel
fehlte.

Man kann sich von einem solchen Herbstaufenthalte den besten Begriff
machen, wenn man sich ihn wie den Aufenthalt an einem Badorte gedenkt.
Personen ohne den mindesten Bezug aufeinander werden durch Zufall
augenblicklich in die unmittelbarste Nähe versetzt.  Frühstück und
Mittagessen, Spaziergänge, Lustpartien, ernst--und scherzhafte
Unterhaltung bewirken schnell Bekanntschaft und Vertraulichkeit; da es
denn ein Wunder wäre, wenn, besonders hier, wo nicht einmal Krankheit
und Kur eine Art von Diversion macht, hier im vollkommensten
Müßiggange, sich nicht die entschiedensten Wahlverwandtschaften
zunächst hervortun sollten.  Hofrat Reiffenstein hatte für gut
befunden, und zwar mit Recht, daß wir zeitig hinausgehen sollten, um
zu unseren Spaziergängen und sonstigen artistischen Wanderungen ins
Gebirg die nötige Zeit zu finden, ehe noch der Schwall der
Gesellschaft sich herandrängte und uns zur Teilnahme an
gemeinschaftlicher Unterhaltung aufforderte.  Wir waren die ersten und
versäumten nicht, uns in der Gegend, nach Anleitung des erfahrenen
Führers, zweckmäßig umzusehen, und ernteten davon die schönsten
Genüsse und Belehrungen.

Nach einiger Zeit sah ich eine gar hübsche römische Nachbarin, nicht
weit von uns im Korso wohnend, mit ihrer Mutter heraufkommen.  Sie
hatten beide seit meiner Mylordschaft meine Begrüßungen freundlicher
als sonst erwidert, doch hatte ich sie nicht angesprochen, ob ich
gleich an ihnen, wenn sie abends vor der Tür saßen, öfters nah genug
vorbeiging; denn ich war dem Gelübde, mich durch dergleichen
Verhältnisse von meinem Hauptzwecke nicht abhalten zu lassen,
vollkommen treu geblieben.  Nun aber fanden wir uns auf einmal wie
völlig alte Bekannte; jenes Konzert gab Stoff genug zur ersten
Unterhaltung, und es ist wohl nichts angenehmer als eine Römerin der
Art, die sich in natürlichem Gespräch heiter gehen läßt und ein
lebhaftes, auf die reine Wirklichkeit gerichtetes Aufmerken, eine
Teilnahme mit anmutigem Bezug auf sich selbst in der wohlklingenden
römischen Sprache schnell, doch deutlich vorträgt; und zwar in einer
edlen Mundart, die auch die mittlere Klasse über sich selbst erhebt
und dem Allernatürlichsten, ja dem Gemeinen einen gewissen Adel
verleiht.  Diese Eigenschaften und Eigenheiten waren mir zwar bekannt,
aber ich hatte sie noch nie in einer so einschmeichelnden Folge
vernommen.

Zu gleicher Zeit stellten sie mich einer jungen Mailänderin vor, die
sie mitgebracht hatten, der Schwester eines Kommis von Herrn Jenkins,
eines jungen Mannes, der wegen Fertigkeit und Redlichkeit bei seinem
Prinzipal in großer Gunst stand.  Sie schienen genau miteinander
verbunden und Freundinnen zu sein.

Diese beiden Schönen, denn schön durfte man sie wirklich nennen,
standen in einem nicht schroffen, aber doch entschiedenen Gegensatz;
dunkelbraune Haare die Römerin, hellbraune die Mailänderin; jene braun
von Gesichtsfarbe, diese klar, von zarter Haut; diese zugleich mit
fast blauen Augen, jene mit braunen; die Römerin einigermaßen ernst,
zurückhaltend, die Mailänderin von einem offnen, nicht sowohl
ansprechenden, als gleichsam anfragenden Wesen.  Ich saß bei einer Art
Lottospiel zwischen beiden Frauenzimmern und hatte mit der Römerin
Kasse zusammen gemacht; im Laufe des Spiels fügte es sich nun, daß ich
auch mit der Mailänderin mein Glück versuchte durch Wetten oder sonst.
Genug, es entstand auch auf dieser Seite eine Art von Partnerschaft,
wobei ich in meiner Unschuld nicht gleich bemerkte, daß ein solches
geteiltes Interesse nicht gefiel, bis endlich nach aufgehobener Partie
die Mutter, mich abseits findend, zwar höflich, aber mit wahrhaftem
Matronenernst dem werten Fremden versicherte, daß, da er einmal mit
ihrer Tochter in solche Teilnahme gekommen sei, es sich nicht wohl
zieme, mit einer andern gleiche Verbindlichkeiten einzugehen; man
halte es in einer Villeggiatur für Sitte, daß Personen, die sich
einmal auf einen gewissen Grad verbunden, dabei in der Gesellschaft
verharrten und eine unschuldig anmutige Wechselgefälligkeit
durchführten.  Ich entschuldigte mich aufs beste, jedoch mit der
Wendung, daß es einem Fremden nicht wohl möglich sei, dergleichen
Verpflichtungen anzuerkennen, indem es in unsern Landen herkömmlich
sei, daß man den sämtlichen Damen der Gesellschaft, einer wie der
andern, mit und nach der andern, sich dienstlich und höflich erweise,
und daß dieses hier um desto mehr gelten werde, da von zwei so eng
verbundenen Freundinnen die Rede sei.

Aber leider! indessen ich mich so auszureden suchte, empfand ich auf
die wundersamste Weise, daß meine Neigung für die Mailänderin sich
schon entschieden hatte, blitzschnell und eindringlich genug, wie es
einem müßigen Herzen zu gehen pflegt, das in selbstgefälligem ruhigem
Zutrauen nichts befürchtet, nichts wünscht, und das nun auf einmal dem
Wünschenswertesten unmittelbar nahe kommt.  Übersieht man doch in
solchem Augenblicke die Gefahr nicht, die uns unter diesen
schmeichelhaften Zügen bedroht.

Den nächsten Morgen fanden wir uns drei allein, und da vermehrte sich
denn das übergewicht auf die Seite der Mailänderin.  Sie hatte den
großen Vorzug vor ihrer Freundin, daß in ihren äußerungen etwas
Strebsames zu bemerken war.  Sie beklagte sich nicht über
vernachlässigte, aber allzu ängstliche Erziehung: "Man lehrt uns nicht
schreiben", sagte sie, "weil man fürchtet, wir würden die Feder zu
Liebesbriefen benutzen; man würde uns nicht lesen lassen, wenn wir uns
nicht mit dem Gebetbuch beschäftigen müßten; uns in fremden Sprachen
zu unterrichten, daran wird niemand denken; ich gäbe alles darum,
Englisch zu können.  Herrn Jenkins mit meinem Bruder, Mad.  Angelika,
Herrn Zucchi, die Herren Volpato und Camuccini hör' ich oft sich
untereinander englisch unterhalten mit einem Gefühl, das dem Neid
ähnlich ist: und die ellenlangen Zeitungen da liegen vor mir auf dem
Tische, es stehen Nachrichten darin aus der ganzen Welt, wie ich sehe,
und ich weiß nicht, was sie bringen."

"Es ist desto mehr schade", versetzte ich, "da das Englische sich so
leicht lernen läßt; Sie müßten es in kurzer Zeit fassen und begreifen.
Machen wir gleich einen Versuch", fuhr ich fort, indem ich eins der
grenzenlosen englischen Blätter aufhob, die häufig umherlagen.

Ich blickte schnell hinein und fand einen Artikel, daß ein
Frauenzimmer ins Wasser gefallen, glücklich aber gerettet und den
Ihrigen wiedergegeben worden.  Es fanden sich Umstände bei dem Falle,
die ihn verwickelt und interessant machten, es blieb zweifelhaft, ob
sie sich ins Wasser gestürzt, um den Tod zu suchen, sowie auch,
welcher von ihren Verehrern, der Begünstigte oder Verschmähte, sich zu
ihrer Rettung gewagt.  Ich wies ihr die Stelle hin und bat sie,
aufmerksam darauf zu schauen.  Darauf übersetzt' ich ihr erst alle
Substantiva und examinierte sie, ob sie auch ihre Bedeutung wohl
behalten.  Gar bald überschaute sie die Stellung dieser Haupt--und
Grundworte und machte sich mit dem Platz bekannt, den sie im Perioden
eingenommen hatten.  Ich ging darauf zu den einwirkenden, bewegenden,
bestimmenden Worten über und machte nunmehr, wie diese das Ganze
belebten, auf das heiterste bemerklich und katechisierte sie so lange,
bis sie mir endlich unaufgefordert die ganze Stelle, als stünde sie
italienisch auf dem Papiere, vorlas, welches sie nicht ohne Bewegung
ihres zierlichen Wesens leisten konnte.  Ich habe nicht leicht eine so
herzlichgeistige Freude gesehen, als sie ausdrückte, indem sie mir für
den Einblick in dieses neue Feld einen allerliebsten Dank aussprach.
Sie konnte sich kaum fassen, indem sie die Möglichkeit gewahrte, die
Erfüllung ihres sehnlichsten Wunsches so nahe und schon versuchsweise
erreicht zu sehen.

Die Gesellschaft hatte sich vermehrt, auch Angelika war angekommen; an
einer großen gedeckten Tafel hatte man ihr mich rechter Hand gesetzt,
meine Schülerin stand an der entgegengesetzten Seite des Tisches und
besann sich keinen Augenblick, als die übrigen sich um die Tafelplätze
komplimentierten, um den Tisch herumzugehen und sich neben mir
niederzulassen.  Meine ernste Nachbarin schien dies mit einiger
Verwunderung zu bemerken, und es bedurfte nicht des Blicks einer
klugen Frau, um zu gewahren, daß hier was vorgegangen sein müsse und
daß ein zeither bis zur trockenen Unhöflichkeit von den Frauen sich
entfernender Freund wohl selbst sich endlich zahm und gefangen
überrascht gesehen habe.

Ich hielt zwar äußerlich noch ziemlich gut stand, eine innere Bewegung
aber gab sich wohl eher kund durch eine gewisse Verlegenheit, in der
ich mein Gespräch zwischen den Nachbarinnen teilte, indem ich die
ältere zarte, diesmal schweigsame Freundin belebend zu unterhalten und
jene, die sich immer noch in der fremden Sprache zu ergehen schien und
sich in dem Zustande befand desjenigen, der mit einem Mal, von dem
erwünscht aufgehenden Lichte geblendet, sich nicht gleich in der
Umgebung zu finden weiß, durch eine freundlich ruhige, eher ablehnende
Teilnahme zu beschwichtigen suchte.

Dieser aufgeregte Zustand jedoch hatte sogleich die Epoche einer
merkwürdigen Umwälzung zu erleben.  Gegen Abend die jungen
Frauenzimmer aufsuchend, fand ich die älteren Frauen in einem Pavillon,
wo die herrlichste der Aussichten sich darbot; ich schweifte mit
meinem Blick in die Runde, aber es ging vor meinen Augen etwas anders
vor als das Landschaftlich-Malerische; es hatte sich ein Ton über die
Gegend gezogen, der weder dem Untergang der Sonne noch den Lüften des
Abends allein zuzuschreiben war.  Die glühende Beleuchtung der hohen
Stellen, die kühlende blaue Beschattung der Tiefe schien herrlicher
als jemals in öl oder Aquarell; ich konnte nicht genug hinsehen, doch
fühlte ich, daß ich den Platz zu verlassen Lust hatte, um in
teilnehmender kleiner Gesellschaft dem letzten Blick der Sonne zu
huldigen.

Doch hatte ich leider der Einladung der Mutter und Nachbarinnen nicht
absagen können, mich bei ihnen niederzulassen, besonders da sie mir an
dem Fenster der schönsten Aussicht Raum gemacht hatten.  Als ich auf
ihre Reden merkte, konnt' ich vernehmen, daß von Ausstattung die Rede
sei, einem immer wiederkehrenden und nie zu erschöpfenden Gegenstande.
Die Erfordernisse aller Art wurden gemustert, Zahl und Beschaffenheit
der verschiedenen Gaben, Grundgeschenke der Familie, vielfache
Beiträge von Freunden und Freundinnen, teilweise noch ein Geheimnis,
und was nicht alles in genauer Hererzählung die schöne Zeit hinnahm,
mußte von mir geduldig angehört werden, weil die Damen mich zu einem
späteren Spaziergang festgenommen hatten.



Endlich gelangte denn das Gespräch zu den Verdiensten des Bräutigams,
man schilderte ihn günstig genug, wollte sich aber seine Mängel nicht
verbergen, in getroster Hoffnung, daß diese zu mildern und zu bessern
die Anmut, der Verstand, die Liebenswürdigkeit seiner Braut im
künftigen Ehstande hinreichen werde.

Ungeduldig zuletzt, als eben die Sonne sich in das entfernte Meer
niedersenkte und einen unschätzbaren Blick durch die langen Schatten
und die zwar gedämpften, doch mächtigen Streiflichter gewährte, fragt'
ich auf das bescheidenste, wer denn aber die Braut sei.  Mit
Verwunderung erwiderte man mir, ob ich denn das allgemein Bekannte
nicht wisse; und nun erst fiel es ihnen ein, daß ich kein Hausgenosse,
sondern ein Fremder sei.

Hier ist es freilich nun nicht nötig auszusprechen, welch Entsetzen
mich ergriff, als ich vernahm, es sei eben die kurz erst so
liebgewonnene Schülerin.  Die Sonne ging unter, und ich wußte mich
unter irgendeinem Vorwand von der Gesellschaft loszumachen, die, ohne
es zu wissen, mich auf eine so grausame Weise belehrt hatte.

Daß Neigungen, denen man eine Zeitlang unvorsichtig nachgegeben,
endlich aus dem Traume geweckt, in die schmerzlichsten Zustände sich
umwandeln, ist herkömmlich und bekannt, aber vielleicht interessiert
dieser Fall durch das Seltsame, daß ein lebhaftes wechselseitiges
Wohlwollen in dem Augenblicke des Keimens zerstört wird und damit die
Vorahnung alles des Glücks, das ein solches Gefühl sich in künftiger
Entwickelung unbegrenzt vorspiegelt.  Ich kam spät nach Hause, und des
andern Morgens früh machte ich, meine Mappe unter dem Arm, einen
weiteren Weg mit der Entschuldigung, nicht zur Tafel zu kommen.

Ich hatte Jahre und Erfahrungen hinreichend, um mich, obwohl
schmerzhaft, doch auf der Stelle zusammenzunehmen.  "Es wäre wunderbar
genug", rief ich aus, "wenn ein wertherähnliches Schicksal dich in Rom
aufgesucht hätte, um dir so bedeutende, bisher wohlbewahrte Zustände
zu verderben."

Ich wendete mich abermals rasch zu der inzwischen vernachlässigten
landschaftlichen Natur und suchte sie so treu als möglich nachzubilden,
mehr aber gelang mir, sie besser zu sehen.  Das wenige Technische,
was ich besaß, reichte kaum zu dem unscheinbarsten Umriß hin, aber die
Fülle der Körperlichkeit, die uns jene Gegend in Felsen und Bäumen,
Aufund Abstiegen, stillen Seen, belebten Bächen entgegenbringt, war
meinem Auge beinahe fühlbarer als sonst, und ich konnte dem Schmerz
nicht feind werden, der mir den innern und äußern Sinn in dem Grade zu
schärfen geeignet war.

Von nun an aber hab' ich mich kurz zu fassen; die Menge von
Besuchenden füllte das Haus und die Häuser der Nachbarschaft, man
konnte sich ohne Affektation vermeiden, und eine wohlempfundene
Höflichkeit, zu der uns eine solche Neigung stimmt, ist in der
Gesellschaft überall gut aufgenommen.  Mein Betragen gefiel, und ich
hatte keine Unannehmlichkeiten, keinen Zwist außer ein einziges Mal
mit dem Wirt, Herrn Jenkins.  Ich hatte nämlich von einer weiten
Berg--und Waldtour die appetitlichsten Pilze mitgebracht und sie dem
Koch übergeben, der, über eine zwar seltene, aber in jenen Gegenden
sehr berühmte Speise höchst vergnügt, sie aufs schmackhafteste
zubereitet auf die Tafel gab.  Sie schmeckten jedermann ganz herrlich,
nur als zu meinen Ehren verraten wurde, daß ich sie aus der Wildnis
mitgebracht, ergrimmte unser englischer Wirt, obgleich nur im
verborgenen, darüber, daß ein Fremder eine Speise zum Gastmahl
beigetragen habe, von welcher der Hausherr nichts wisse, die er nicht
befohlen und angeordnet; es zieme sich nicht wohl, jemanden an seiner
eignen Tafel zu überraschen, Speisen aufzusetzen, von denen er nicht
Rechenschaft geben könne.  Dies alles mußte mir Rat Reiffenstein nach
Tafel diplomatisch eröffnen, wogegen ich, der ich an ganz anderm Weh,
als das sich von Schwämmen herleiten kann, innerlichst zu dulden hatte,
bescheidentlich erwiderte, ich hätte vorausgesetzt, der Koch würde
das dem Herrn melden, und versicherte, wenn mir wieder dergleichen
Edulien unterwegs in die Hände kämen, solche unserm trefflichen Wirte
selbst zur Prüfung und Genehmigung vorzulegen.  Denn wenn man billig
sein will, muß man gestehen, sein Verdruß entsprang daher, daß diese
überhaupt zweideutige Speise ohne gehörige Untersuchung auf die Tafel
gekommen war.  Der Koch freilich hatte mir versichert und brachte auch
dem Herrn ins Gedächtnis, daß dergleichen zwar nicht oft, aber doch
immer, als besondere Rarität, mit großem Beifall in dieser Jahrszeit
vorgesetzt worden.

Dieses kulinarische Abenteuer gab mir Anlaß, in stillem Humor zu
bedenken, daß ich selbst, von einem ganz eignen Gifte angesteckt, in
Verdacht gekommen sei, durch gleiche Unvorsichtigkeit eine ganze
Gesellschaft zu vergiften.

Es war leicht, meinen gefaßten Vorsatz fortzuführen.  Ich suchte
sogleich den englischen Studien auszuweichen, indem ich mich morgens
entfernte und meiner heimlich geliebten Schülerin niemals anders als
im Zusammentritt von mehrern Personen zu nähern wußte.

Gar bald legte sich auch dieses Verhältnis in meinem so viel
beschäftigten Gemüte wieder zurechte, und zwar auf eine sehr anmutige
Weise; denn indem ich sie als Braut, als künftige Gattin ansah, erhob
sie sich vor meinen Augen aus dem trivialen Mädchenzustande, und indem
ich ihr nun eben dieselbe Neigung, aber in einem höhern
uneigennützigen Begriff zuwendete, so war ich als einer, der ohnehin
nicht mehr einem leichtsinnigen Jüngling glich, gar bald gegen sie in
dem freundlichsten Behagen.  Mein Dienst, wenn man eine freie
Aufmerksamkeit so nennen darf, bezeichnete sich durchaus ohne
Zudringlichkeit und beim Begegnen eher mit einer Art von Ehrfurcht.
Sie aber, welche nun auch wohl wußte, daß ihr Verhältnis mir bekannt
geworden, konnte mit meinem Benehmen vollkommen zufrieden sein.  Die
übrige Welt aber, weil ich mich mit jedermann unterhielt, merkte
nichts oder hatte kein Arges daran, und so gingen Tage und Stunden
einen ruhigen behaglichen Gang.

Von der mannigfaltigsten Unterhaltung wäre viel zu sagen.  Genug, es
war auch ein Theater daselbst, wo der von uns so oft im Karneval
beklatschte Pulcinell, welcher die übrige Zeit sein Schusterhandwerk
trieb und auch übrigens hier als ein anständiger kleiner Bürger
erschien, uns mit seinen pantomimisch-mimisch-lakonischen Absurditäten
aufs beste zu vergnügen und uns in die so höchst behagliche Nullität
des Daseins zu versetzen wußte.

Briefe von Haus hatten mich indessen bemerken lassen, daß meine nach
Italien so lang projektierte, immer verschobene und endlich so rasch
unternommene Reise bei den Zurückgelassenen einige Unruhe und Ungeduld
erregt, ja sogar den Wunsch, mir nachzufolgen und das gleiche Glück zu
genießen, von dem meine heitern, auch wohl unterrichtenden Briefe den
günstigsten Begriff gaben.  Freilich in dem geistreichen und
kunstliebenden Kreise unserer Herzogin Amalie war es herkömmlich, daß
Italien jederzeit als das neue Jerusalem wahrer Gebildeten betrachtet
wurde und ein lebhaftes Streben dahin, wie es nur Mignon ausdrücken
konnte, sich immer in Herz und Sinn erhielt.  Der Damm war endlich
gebrochen, und es ergab sich nach und nach ganz deutlich, daß Herzogin
Amalie mit ihrer Umgebung von einer, Herder und der jüngere Dalberg
von der andern Seite über die Alpen zu gehen ernstliche Anstalt
machten.  Mein Rat war, sie möchten den Winter vorübergehen lassen, in
der mittleren Jahreszeit bis Rom gelangen und sodann weiter nach und
nach alles des Guten genießen, was die Umgegend der alten Weltstadt u.
s. w., der untere Teil von Italien darbieten könnte.

Dieser mein Rat, redlich und sachgemäß, wie er war, bezog sich denn
doch auch auf meinen eigenen Vorteil.  Merkwürdige Tage meines Lebens
hatte ich bisher in dem fremdesten Zustande mit ganz fremden Menschen
gelebt und mich eigentlich wieder frisch des humanen Zustands erfreut,
dessen ich in zwar zufälligen, aber doch natürlichen Bezügen seit
langer Zeit erst wieder gewahr wurde, da ein geschlossener
heimatlicher Kreis, ein Leben unter völlig bekannten und verwandten
Personen uns am Ende in die wunderlichste Lage versetzt.  Hier ist es,
wo durch ein wechselseitiges Dulden und Tragen, Teilnehmen und
Entbehren ein gewisses Mittelgefühl von Resignation entsteht, daß
Schmerz und Freude, Verdruß und Behagen sich in herkömmlicher
Gewohnheit wechselseitig vernichten.  Es erzeugt sich gleichsam eine
Mittelzahl, die den Charakter der einzelnen Ergebnisse durchaus
aufhebt, so daß man zuletzt im Streben nach Bequemlichkeit weder dem
Schmerz noch der Freude sich mit freier Seele hingeben kann.

Ergriffen von diesen Gefühlen und Ahnungen, fühlte ich mich ganz
entschieden, die Ankunft der Freunde in Italien nicht abzuwarten.
Denn daß meine Art, die Dinge zu sehen, nicht sogleich die ihrige sein
würde, konnte ich um so deutlicher wissen, als ich mich selbst seit
einem Jahre jenen kimmerischen Vorstellungen und Denkweisen des
Nordens zu entziehen gesucht und unter einem himmelblauen Gewölbe mich
freier umzuschauen und zu atmen gewöhnt hatte.  In der mittlern Zeit
waren mir aus Deutschland kommende Reisende immerfort höchst
beschwerlich; sie suchten das auf, was sie vergessen sollten, und
konnten das, was sie schon lange gewünscht hatten, nicht erkennen,
wenn es ihnen vor Augen lag.  Ich selbst fand es noch immer mühsam
genug, durch Denken und Tun mich auf dem Wege zu erhalten, den ich als
den rechten anzuerkennen mich entschieden hatte.

Fremde Deutsche konnt' ich vermeiden, so nah verbundene, verehrte,
geliebte Personen aber hätten mich durch eignes Irren und
Halbgewahrwerden, ja, selbst durch Eingehen in meine Denkweise gestört
und gehindert.  Der nordische Reisende glaubt, er komme nach Rom, um
ein Supplement seines Daseins zu finden, auszufüllen, was ihm fehlt;
allein er wird erst nach und nach mit großer Unbehaglichkeit gewahr,
daß er ganz den Sinn ändern und von vorn anfangen müsse.

So deutlich nun auch ein solches Verhältnis mir erschien, so erhielt
ich mich doch über Tag und Stunde weislich im ungewissen und fuhr
unablässig fort in der sorgfältigsten Benutzung der Zeit.
Unabhängiges Nachdenken, Anhören von andern, Beschauen künstlerischen
Bestrebens, eigene praktische Versuche wechselten unaufhörlich oder
griffen vielmehr wechselseitig ineinander ein.

Hiebei förderte mich besonders die Teilnahme Heinrich Meyers von
Zürich, dessen Unterhaltung mir, obgleich seltener, günstig zustatten
kam, indem er als ein fleißiger und gegen sich selbst strenger
Künstler die Zeit besser anzuwenden wußte als der Kreis von jüngeren,
die einen ernsten Fortschritt in Begriffen und Technik mit einem
raschen lustigen Leben leichtmütig zu verbinden glaubten.



November

Korrespondenz

Rom, den 3. November 1787.

Kayser ist angekommen, und ich habe drüber die ganze Woche nicht
geschrieben.  Er ist erst am Klavierstimmen, und nach und nach wird
die Oper vorgetragen werden.  Es macht seine Gegenwart wieder eine
sonderbare anschließende Epoche, und ich sehe, man soll seinen Weg nur
ruhig fortgehn, die Tage bringen das Beste wie das Schlimmste.

Die Aufnahme meines "Egmont" macht mich glücklich; und ich hoffe, er
soll beim Wiederlesen nicht verlieren, denn ich weiß, was ich
hineingearbeitet habe, und daß sich das nicht auf einmal herauslesen
läßt.  Das, was ihr daran lobt, habe ich machen wollen; wenn ihr sagt,
daß es gemacht ist, so habe ich meinen Endzweck erreicht.  Es war eine
unsäglich schwere Aufgabe, die ich ohne eine ungemessene Freiheit des
Lebens und des Gemüts nie zustande gebracht hätte.  Man denke, was das
sagen will: ein Werk vornehmen, was zwölf Jahre früher geschrieben ist,
es vollenden, ohne es umzuschreiben.  Die besondern Umstände der Zeit
haben mir die Arbeit erschwert und erleichtert.  Nun liegen noch so
zwei Steine vor mir: "Faust" und "Tasso".  Da die barmherzigen Götter
mir die Strafe des Sisyphus auf die Zukunft erlassen zu haben scheinen,
hoffe ich, auch diese Klumpen den Berg hinauf zu bringen.  Bin ich
einmal damit oben, dann soll es aufs neue angehn, und ich will mein
möglichstes tun, euren Beifall zu verdienen, da ihr mir eure Liebe
ohne mein Verdienst schenkt und erhaltet.

Was du von Klärchen sagst, verstehe ich nicht ganz und erwarte deinen
nächsten Brief.  Ich sehe wohl, daß dir eine Nuance zwischen der Dirne
und der Göttin zu fehlen scheint.  Da ich aber ihr Verhältnis zu
Egmont so ausschließlich gehalten habe; da ich ihre Liebe mehr in den
Begriff der Vollkommenheit des Geliebten, ihr Entzücken mehr in den
Genuß des Unbegreiflichen, daß dieser Mann ihr gehört, als in die
Sinnlichkeit setze; da ich sie als Heldin auftreten lasse; da sie im
innigsten Gefühl der Ewigkeit der Liebe ihrem Geliebten nachgeht und
endlich vor seiner Seele durch einen verklärenden Traum verherrlicht
wird: so weiß ich nicht, wo ich die Zwischennuance hinsetzen soll, ob
ich gleich gestehe, daß aus Notdurft des dramatischen Pappen--und
Lattenwerks die Schattierungen, die ich oben hererzähle, vielleicht zu
abgesetzt und unverbunden, oder vielmehr durch zu leise Andeutungen
verbunden sind; vielleicht hilft ein zweites Lesen, vielleicht sagt
mir dein folgender Brief etwas Näheres.

Angelika hat ein Titelkupfer zum "Egmont" gezeichnet, Lips gestochen,
das wenigstens in Deutschland nicht gezeichnet, nicht gestochen worden
wäre.


Rom, den 3. November.

Leider muß ich jetzt die bildende Kunst ganz zurücksetzen, denn sonst
werde ich mit meinen dramatischen Sachen nicht fertig, die auch eine
eigne Sammlung und ruhige Bearbeitung fordern, wenn etwas daraus
werden soll.  "Claudine" ist nun in der Arbeit, wird sozusagen ganz
neu ausgeführt und die alte Spreu meiner Existenz herausgeschwungen.


Rom, den 10. November.

Kayser ist nun da, und es ist ein dreifach Leben, da die Musik sich
anschließt.  Es ist ein trefflich guter Mann und paßt zu uns, die wir
wirklich ein Naturleben führen, wie es nur irgend auf dem Erdboden
möglich ist.  Tischbein kommt von Neapel zurück, und da muß leider
Quartier und alles verändert werden, doch bei unsern guten Naturen
wird alles in acht Tagen wieder im Gleis sein.

Ich habe der Herzogin-Mutter den Vorschlag getan, sie soll mir
erlauben, die Summe von zweihundert Zechinen nach und nach für sie in
verschiedenen kleinen Kunstwerken auszugeben.  Unterstütze diesen
Vorschlag, wie du ihn in meinem Briefe findest, ich brauche das Geld
nicht gleich, nicht auf einmal.  Es ist dieses ein wichtiger Punkt,
dessen ganzen Umfang du ohne große Entwicklung empfinden wirst, und du
würdest die Notwendigkeit und Nützlichkeit meines Rats und Erbietens
noch mehr erkennen, wenn du die Verhältnisse hier wüßtest, die vor mir
liegen wie meine Hand.  Ich bereite ihr durch Kleinigkeiten großes
Vergnügen, und wenn sie die Sachen, die ich nach und nach machen lasse,
hier findet, so stille ich die Begierde zu besitzen, die bei jedem
Ankömmling, er sei, wer er wolle, entsteht, und welche sie nur mit
einer schmerzlichen Resignation unterdrücken oder mit Kosten und
Schaden befriedigen könnte.  Es ließen sich davon noch Blätter
vollschreiben.


Rom, den 10. November.

Daß mein "Egmont" Beifall erhält, freut mich herzlich.  Kein Stück
hab' ich mit mehr Freiheit des Gemüts und mit mehr Gewissenhaftigkeit
vollbracht als dieses; doch fällt es schwer, wenn man schon anderes
gemacht hat, dem Leser genugzutun; er verlangt immer etwas, wie das
vorige war.


Rom, den 24. November.

Du fragst in deinem letzten Brief wegen der Farbe der Landschaft
dieser Gegenden.  Darauf kann ich dir sagen, daß sie bei heitern Tagen,
besonders des Herbstes, so farbig ist, daß sie in jeder Nachbildung
bunt scheinen muß.  Ich hoffe, dir in einiger Zeit einige Zeichnungen
zu schicken, die ein Deutscher macht, der jetzt in Neapel ist; die
Wasserfarben bleiben so weit unter dem Glanz der Natur, und doch
werdet ihr glauben, es sei unmöglich.  Das Schönste dabei ist, daß die
lebhaften Farben in geringer Entfernung schon durch den Luftton
gemildert werden, und daß die Gegensätze von kalten und warmen Tönen
(wie man sie nennt) so sichtbar dastehn.  Die blauen klaren Schatten
stechen so reizend von allem erleuchteten Grünen, Gelblichen,
Rötlichen, Bräunlichen ab und verbinden sich mit der bläulich duftigen
Ferne.  Es ist ein Glanz und zugleich eine Harmonie, eine Abstufung im
ganzen, wovon man nordwärts gar keinen Begriff hat.  Bei euch ist
alles entweder hart oder trüb, bunt oder eintönig.  Wenigstens
erinnere ich mich selten, einzelne Effekte gesehen zu haben, die mir
einen Vorschmack von dem gaben, was jetzt täglich und stündlich vor
mir steht.  Vielleicht fände ich jetzt, da mein Auge geübter ist, auch
nordwärts mehr Schönheiten.

Übrigens kann ich wohl sagen, daß ich nun fast die rechten geraden
Wege zu allen bildenden Künsten vor mir sehe und erkenne, aber auch
nun ihre Weiten und Fernen desto klarer ermesse.  Ich bin schon zu alt,
um von jetzt an mehr zu tun als zu pfuschen; wie es andre treiben,
seh' ich auch, finde manchen auf dem guten Pfade, keinen mit großen
Schritten.  Es ist also auch damit wie mit Glück und Weisheit, davon
uns die Urbilder nur vorschweben, deren Kleidsaum wir höchstens
berühren.

Kaysers Ankunft, und bis wir uns ein wenig mit ihm in häusliche
Ordnung setzten, hatte mich einigermaßen zurückgebracht, meine
Arbeiten stockten.  Jetzt geht es wieder, und meine Opern sind nahe,
fertig zu sein.  Er ist sehr brav, verständig, ordentlich, gesetzt, in
seiner Kunst so fest und sicher, als man sein kann, einer von denen
Menschen, durch deren Nähe man gesunder wird.  Dabei hat er eine
Herzensgüte, einen richtigen Lebens--und Gesellschaftsblick, wodurch
sein übrigens strenger Charakter biegsamer wird und sein Umgang eine
eigene Grazie gewinnt.



Bericht November

Nun aber bei dem stillen Gedanken an ein allmähliches Loslösen ward
ein neues Anknüpfen durch die Ankunft eines wackeren früheren Freundes
vorbereitet, des Christoph Kayser, eines gebornen Frankfurters, der zu
gleicher Zeit mit Klingern und uns andern herangekommen war.  Dieser,
von Natur mit eigentümlichem musikalischem Talente begabt, hatte schon
vor Jahren, indem er "Scherz, List und Rache" zu komponieren unternahm,
auch eine zu "Egmont" passende Musik zu liefern begonnen.  Ich hatte
ihm von Rom aus gemeldet, das Stück sei abgegangen und eine Kopie in
meinen Händen geblieben.  Statt weitläufiger Korrespondenz darüber
ward tätlich gefunden, er solle selbst unverzüglich herankommen; da er
denn auch nicht säumend mit dem Kurier durch Italien hindurchflog,
sehr bald bei uns eintraf und in den Künstlerkreis, der sein
Hauptquartier im Korso, Rondanini gegenüber, aufgeschlagen hatte, sich
freundlich aufgenommen sah.

Hier aber zeigte sich gar bald statt des so nötigen Sammelns und
Einens neue Zerstreuung und Zersplitterung.

Vorerst gingen mehrere Tage hin, bis ein Klavier beigeschafft,
probiert, gestimmt und nach des eigensinnigen Künstlers Willen und
Wollen zurechtgerückt war, wobei denn immer noch etwas zu wünschen und
zu fordern übrigblieb.  Indessen belohnte sich baldigst der Aufwand
von Mühe und Versäumnis durch die Leistungen eines sehr gewandten,
seiner Zeit völlig gemäßen, die damaligen schwierigsten Werke leicht
vortragenden Talentes.  Und damit der musikalische Geschichtskenner
sogleich wisse, wovon die Rede sei, bemerke ich, daß zu jener Zeit
Schubart für unerreichbar gehalten, sodann auch, daß als Probe eines
geübten Klavierspielers die Ausführungen von Variationen geachtet
wurde, wo ein einfaches Thema, auf die künstlichste Weise durchgeführt,
endlich durch sein natürliches Wiedererscheinen den Hörer zu Atem
kommen ließ.

Die Symphonie zu "Egmont" brachte er mit, und so belebte sich von
dieser Seite mein ferneres Bestreben, welches gegenwärtig mehr als
jemals aus Notwendigkeit und Liebhaberei gegen das musikalische
Theater gerichtet war.

"Erwin und Elmire" sowie "Claudine von Villa Bella" sollten nun auch
nach Deutschland abgesendet werden; ich hatte mich aber durch die
Bearbeitung "Egmonts" in meinen Forderungen gegen mich selbst
dergestalt gesteigert, daß ich nicht über mich gewinnen konnte, sie in
ihrer ersten Form dahinzugeben.  Gar manches Lyrische, das sie
enthalten, war mir lieb und wert; es zeugte von vielen zwar töricht,
aber doch glücklich verlebten Stunden, wie von Schmerz und Kummer,
welchen die Jugend in ihrer unberatenen Lebhaftigkeit ausgesetzt
bleibt.  Der prosaische Dialog dagegen erinnerte zu sehr an jene
französischen Operetten, denen wir zwar ein freundliches Andenken zu
gönnen haben, indem sie zuerst ein heiteres singbares Wesen auf unser
Theater herüberbrachten, die mir aber jetzt nicht mehr genügen wollten
als einem eingebürgerten Italiener, der den melodischen Gesang durch
einen rezitierenden und deklamatorischen wenigstens wollte verknüpft
sehen.

In diesem Sinne wird man nunmehr beide Opern bearbeitet finden; ihre
Kompositionen haben hie und da Freude gemacht, und so sind sie auf dem
dramatischen Strom auch zu ihrer Zeit mit vorübergeschwommen.

Gewöhnlich schilt man auf die italienischen Texte, und das zwar in
solchen Phrasen, wie einer dem andern nachsagen kann, ohne was dabei
zu denken; sie sind freilich leicht und heiter, aber sie machen nicht
mehr Forderungen an den Komponisten und an den Sänger, als inwieweit
beide sich hinzugeben Lust haben.  Ohne hierüber weitläufig zu sein,
erinnere ich an den Text der "Heimlichen Heirat"; man kennt den
Verfasser nicht, aber es war einer der geschicktesten, die in diesem
Fache gearbeitet haben, wer er auch mag gewesen sein.  In diesem Sinne
zu handeln, in gleicher Freiheit nach bestimmten Zwecken zu wirken,
war meine Absicht, und ich wußte selbst nicht zu sagen, inwiefern ich
mich meinem Ziel genähert habe.

Leider aber war ich mit Freund Kayser seit geraumer Zeit schon in
einem Unternehmen befangen, das nach und nach immer bedenklicher und
weniger ausführbar schien.  Man vergegenwärtige sich jene sehr
unschuldige Zeit des deutschen Opernwesens, wo noch ein einfaches
Intermezzo, wie die "Serva Padrona" von Pergolese, Eingang und Beifall
fand.  Damals nun produzierte sich ein deutscher Buffo namens Berger,
mit einer hübschen, stattlichen, gewandten Frau, welche in deutschen
Städten und Ortschaften mit geringer Verkleidung und schwacher Musik
im Zimmer mancherlei heitere aufregende Vorstellungen gaben, die denn
freilich immer auf Betrug und Beschämung eines alten verliebten Gecken
auslaufen mochten.

Ich hatte mir zu ihnen eine dritte mittlere, leicht zu besetzende
Stimme gedacht, und so war denn schon vor Jahren das Singspiel "Scherz,
List und Rache" entstanden, das ich an Kaysern nach Zürich schickte,
welcher aber als ein ernster, gewissenhafter Mann das Werk zu redlich
angriff und zu ausführlich behandelte.  Ich selbst war ja schon über
das Maß des Intermezzo hinausgegangen, und das kleinlich scheinende
Sujet hatte sich in so viel Singstücke entfaltet, daß selbst bei einer
vorübergehenden sparsamen Musik drei Personen kaum mit der Darstellung
wären zu Ende gekommen.  Nun hatte Kayser die Arien ausführlich nach
altem Schnitt behandelt, und man darf sagen, stellenweise glücklich
genug, wie nicht ohne Anmut des Ganzen.

Allein wie und wo sollte das zur Erscheinung kommen?
Unglücklicherweise litt es nach frühern Mäßigkeitsprinzipien an einer
Stimmenmagerkeit; es stieg nicht weiter als bis zum Terzett, und man
hätte zuletzt die Theriaksbüchsen des Doktors gern beleben mögen, um
ein Chor zu gewinnen.  Alles unser Bemühen daher, uns im Einfachen und
Beschränkten abzuschließen, ging verloren, als Mozart auftrat.  Die
"Entführung aus dem Serail" schlug alles nieder, und es ist auf dem
Theater von unserm so sorgsam gearbeiteten Stück niemals die Rede
gewesen.



Die Gegenwart unseres Kaysers erhöhete und erweiterte nun die Liebe
zur Musik, die sich bisher nur auf theatralische Exhibitionen
eingeschränkt hatte.  Er war sorgfältig, die Kirchenfeste zu bemerken,
und wir fanden uns dadurch veranlaßt, auch die an solchen Tagen
aufgeführten solennen Musiken mit anzuhören.  Wir fanden sie freilich
schon sehr weltlich mit vollständigstem Orchester, obgleich der Gesang
noch immer vorwaltete.  Ich erinnere mich, an einem Cäcilientage zum
ersten Male eine Bravourarie mit eingreifendem Chor gehört zu haben;
sie tat auf mich eine außerordentliche Wirkung, wie sie solche auch
noch immer, wenn dergleichen in den Opern vorkommt, auf das Publikum
ausübt.

Nächst diesem hatte Kayser noch eine Tugend, daß er nämlich, weil ihm
sehr um alte Musik zu tun war, ihm auch die Geschichte der Tonkunst
ernstlich zu erforschen oblag, sich in Bibliotheken umsah; wie denn
sein treuer Fleiß besonders in der Minerva gute Aufnahme und Fördernis
gefunden hatte.  Dabei aber hatte sein Bücherforschen den Erfolg, daß
er uns auf die ältern Kupferwerke des sechzehnten Jahrhunderts
aufmerksam machte und z.  B. das "Speculum romanae magnificentiae",
die "Architekturen" von Lomazzo, nicht weniger die späteren "Admiranda
Romae" und was sonst noch dergleichen sein mochte, in Erinnerung zu
bringen nicht unterließ.  Diese Bücher--und Blättersammlungen, zu
denen wir andere denn auch wallfahrteten, haben besonders einen großen
Wert, wenn man sie in guten Abdrücken vor sich sieht: sie
vergegenwärtigen jene frühere Zeit, wo das Altertum mit Ernst und
Scheu betrachtet und die überbleibsel in tüchtigem Charakter
ausgedrückt wurden.  So näherte man sich z.  B. den Kolossen, wie sie
noch auf dem alten Fleck im Garten Colonna standen; die Halbruine des
Septizoniums Severi gab noch den ungefähren Begriff von diesem
verschwundenen Gebäude; die Peterskirche ohne Fassade, das große
Mittel ohne Kuppel, der alte Vatikan, in dessen Hof noch Turniere
gehalten werden konnten, alles zog in die alte Zeit zurück und ließ
zugleich aufs deutlichste bemerken, was die zwei folgenden
Jahrhunderte für Veränderungen hervorgerufen und ungeachtet
bedeutender Hindernisse das Zerstörte herzustellen, das Versäumte
nachzuholen getrachtet.



Heinrich Meyer von Zürich, dessen ich schon oft zu gedenken Ursach
hatte, so zurückgezogen er lebte, so fleißig er war, fehlte doch nicht
leicht, wo etwas Bedeutendes zu schauen, zu erfahren, zu lernen war;
denn auch die übrigen suchten und wünschten ihn, indem er sich in
Gesellschaft so bescheiden als lehrreich erwies.  Er ging den sichern,
von Winckelmann und Mengs eröffneten Pfad ruhig fort, und weil er in
der Seidelmannischen Manier antike Büsten mit Sepia gar löblich
darzustellen wußte, so fand niemand mehr Gelegenheit als er, die
zarten Abstufungen der frühern und spätern Kunst zu prüfen und kennen
zu lernen.

Als wir nun einen von allen Fremden, Künstlern, Kennern und Laien
gleich gewünschten Besuch bei Fackelschein dem Museum sowohl des
Vatikans als auch des Kapitols abzustatten Anstalt machten, so
gesellte er sich uns zu; und ich finde unter meinen Papieren einen
seiner Aufsätze, wodurch ein solcher genußreicher Umgang durch die
herrlichsten Reste der Kunst, welcher meistenteils wie ein
entzückender, nach und nach verlöschender Traum vor der Seele schwebt,
auch in seinen vorteilhaften Einwirkungen auf Kenntnis und Einsicht
eine bleibende Bedeutung erhält.



"Der Gebrauch, die großen römischen Museen, z.  B. das Museo
Pio-Clementino im Vatikan, das Kapitolinische etc., beim Licht von
Wachsfackeln zu besehen, scheinet in den Achtziger Jahren des vorigen
Jahrhunderts noch ziemlich neu gewesen zu sein, indessen ist mir nicht
bekannt, wann er eigentlich seinen Anfang genommen.

Vorteile der Fackelbeleuchtung: jedes Stück wird nur einzeln,
abgeschlossen von allen übrigen betrachtet, und die Aufmerksamkeit des
Beschauers bleibt lediglich auf dasselbe gerichtet; dann erscheinen in
dem gewaltigen wirksamen Fackellicht alle zarten Nuancen der Arbeit
weit deutlicher, alle störenden Widerscheine (zumal bei glänzend
polierten Statuen beschwerlich) hören auf, die Schatten werden
entschiedener, die beleuchteten Teile treten heller hervor.  Ein
Hauptvorteil aber ist unstreitig der, daß ungünstig aufgestellte
Stücke hierdurch das ihnen gebührende Recht erhalten.  So konnte man z.
B. den Laokoon in der Nische, wo er stand, nur bei Fackellicht recht
sehen, weil kein unmittelbares Licht auf ihn fiel, sondern bloß ein
Widerschein aus dem kleinen runden, mit einer Säulenhalle umgebenen
Hof des Belvedere; dasselbe war der Fall mit dem Apollo und dem
sogenannten Antinous (Merkur).  Noch nötiger war Fackelbeleuchtung, um
den Nil wie auch den Meleager zu sehen und ihre Verdienste schätzen zu
können.  Keiner andern Antike ist Fackelbeleuchtung so vorteilhaft als
bei dem sogenannten Phocion, weil man nur dann, nicht aber bei
gewöhnlichem Licht, indem er ungünstig aufgestellt ist, die wundersam
zart durch das einfache Gewand durchscheinenden Teile des Körpers
wahrnehmen kann.  Schön nimmt sich auch der vortreffliche Sturz eines
sitzenden Bacchus aus, ebenso das obere Teil einer Bacchusstatue mit
schönem Kopf und die Halbfigur eines Triton, vor allen aber das Wunder
der Kunst, der nie genug zu preisende berühmte Torso.



Eingang zum Museo Pio-Clementino im Vatican.  Kupferstich

Die Denkmale im Kapitolinischen Museum sind zwar überhaupt weniger
wichtig als die im Museo Pio-Clementino, doch gibt es einige von
großer Bedeutung, und man tut wohl, um sich von ihren Verdiensten
gehörig zu unterrichten, solche bei Fackelbeleuchtung zu sehen.  Der
sogenannte Pyrrhus, vortrefflich gearbeitet, steht auf der Treppe und
erhält gar kein Tageslicht; auf der Galerie vor den Säulen steht eine
schöne halbe Figur, die für eine bekleidete Venus gehalten wird,
welche von drei Seiten schwaches Licht erhält.  Die nackte Venus, die
schönste Statue dieser Art in Rom, erscheint bei Tageslicht nicht zu
ihrem Vorteil, da sie in einem Eckzimmer aufgestellt ist, und die
sogenannte schön bekleidete Juno steht an der Wand zwischen Fenstern,
wo sie bloß ein wenig Streiflicht erhält; auch der so berühmte
Ariadnekopf im Miszellaneenzimmer wird außer bei Fackellicht nicht in
seiner ganzen Herrlichkeit gesehen.  Und so sind noch mehrere Stücke
dieses Museums ungünstig aufgestellt, so daß Fackelbeleuchtung
durchaus notwendig wird, wenn man solche recht sehen und nach
Verdiensten schätzen soll.

Wie übrigens so vieles, was geschieht, um die Mode mitzumachen, zum
Mißbrauch wird, so ist es auch mit der Fackelbeleuchtung.  Sie kann
nur in dem Falle Gewinn bringen, wenn verstanden wird, wozu sie nütze
ist.  Monumente zu sehen, die, wie vorhin von einigen berichtet worden,
bloß verkümmertes Tageslicht erhalten, ist sie notwendig, indem
alsdann Höhen und Tiefen und übergang der Teile ineinander richtiger
erkannt werden.  Vornehmlich aber wird sie Werken aus der allerbesten
Zeit der Kunst günstig sein (wenn nämlich der, welcher die Fackel
führt, und der Beschauer wissen, worauf es ankömmt); sie wird die
Massen derselben besser zeigen und die zartesten Nuancen der Arbeit
hervorheben.  Werke des alten Kunststils hingegen, die vom mächtigen,
und selbst die vom hohen, haben nicht viel zu gewinnen, wenn sie
anders sonst in hellem Lichte stehen.  Denn da die Künstler damals
noch des Lichts und Schattens nicht kundig waren, wie sollten sie für
ihre Arbeiten auf Licht und Schatten gerechnet haben?  So ist es auch
mit spät gearbeiteten Werken, als die Künstler anfingen, nachlässiger
zu werden, der Geschmack schon so weit gesunken war, daß auf Licht und
Schatten in plastischen Werken nicht weiter geachtet, die Lehre von
den Massen vergessen war.  Wozu sollte Fackelbeleuchtung an Monumenten
dieser Art dienen?"



Bei einer so feierlichen Gelegenheit ist es der Erinnerung gemäß, auch
Herrn Hirts zu gedenken, der unserem Verein auf mehr als eine Weise
nützlich und förderlich gewesen.  Im Fürstenbergischen 1759 geboren,
fand er nach zurückgelegten Studien der alten Schriftsteller einen
unwiderstehlichen Trieb, sich nach Rom zu verfügen.  Er war einige
Jahre früher daselbst angekommen als ich und hatte sich auf die
ernstlichste Weise mit alten und neuern Bau--und Bildwerken jeder Art
bekannt gemacht und sich zu einem unterrichtenden Führer von
wißbegierigen Fremden geeignet.  Auch mir erwies er diese Gefälligkeit
mit aufopfernder Teilnahme.

Sein Hauptstudium war die Baukunst, ohne daß er den klassischen
Lokalitäten und so viel andern Merkwürdigkeiten seine Beachtung
entzogen hätte.  Seine theoretischen Ansichten über Kunst gaben in dem
streit--und parteisüchtigen Rom vielfältige Gelegenheit zu lebhaften
Diskussionen.  Aus der Verschiedenheit der Ansichten kommen besonders
dort, wo immer und überall von Kunst die Rede ist, gar mannigfaltig
Hin--und Widerreden, wodurch der Geist in der Nähe so bedeutender
Gegenstände lebhaftest angeregt und gefördert wird.  Unsres Hirts
Maxime ruhte auf Ableitungen griechischer und römischer Architektur
von der ältesten notwendigsten Holzkonstruktion, worauf er denn Lob
und Tadel der neuern Ausführung gründete und sich dabei der Geschichte
und Beispiele geschickt zu bedienen wußte.  Andere behaupteten dagegen,
daß in der Baukunst wie in jeder andern geschmackvolle Fiktionen
stattfänden, auf welche der Baukünstler niemals Verzicht tun dürfe,
indem er sich in den mannigfaltigsten Fällen, die ihm vorkommen, bald
auf diese, bald auf jene Weise zu helfen habe und von der strengen
Regel abzuweichen genötigt sei.

In Absicht auf Schönheit geriet er auch oft mit andern Künstlern in
Diskrepanz, indem er den Grund derselben ins Charakteristische legte,
da ihm denn insofern diejenigen beipflichteten, welche sich überzeugt
hielten, daß freilich der Charakter jedem Kunstwerk zum Grunde liegen
müsse, die Behandlung aber dem Schönheitssinne und dem Geschmack
anempfohlen sei, welche einen jeden Charakter in seiner Angemessenheit
sowohl als in seiner Anmut darzustellen haben.

Weil aber die Kunst im Tun und nicht im Reden besteht, man aber
dennoch immerfort mehr reden als tun wird, so begreift man leicht, daß
dergleichen Unterhaltungen damals grenzenlos waren, wie sie es bis in
die neusten Zeiten geblieben sind.



Wenn die differierenden Meinungen der Künstler zu gar mancherlei
Unannehmlichkeiten, ja Entfernungen untereinander Gelegenheit gaben,
so traf es sich auch wohl, obgleich selten, daß heitere Vorfälle sich
bei solcher Gelegenheit ereigneten.  Nachstehendes mag davon ein
Beispiel sein.

Eine Anzahl Künstler hatten den Nachmittag im Vatikan zugebracht und
gingen spät, um nicht den langen Weg durch die Stadt zu ihrem Quartier
zu nehmen, zu dem Tor an der Kolonnade hinaus, an den Weinbergen her
bis an die Tiber.  Sie hatten sich unterwegs gestritten, kamen
streitend ans Ufer und setzten auf der überfahrt die Unterhaltung
lebhaft fort.  Nun wären sie, bei Ripetta aussteigend, in den Fall
gekommen, sich zu trennen und die von beiden Seiten noch überflüssig
vorhandenen Argumente in der Geburt erstickt zu sehen.  Sie wurden
also einig, beisammen zu bleiben und wieder hinüber und herüber zu
fahren und auf der schwankenden Fähre ihrer Dialektik den ferneren
Lauf zu lassen.  Einmal aber fand sich diese Bewegung nicht
hinreichend; sie waren einmal im Zuge und verlangten von dem Fährmann
mehrmalige Wiederholung.  Dieser auch ließ es sich wohl gefallen,
indem ein jedesmaliges Herüber und Hinüber ihm von der Person einen
Bajocco eintrug, einen ansehnlichen Gewinn, den er so spät nicht mehr
zu erwarten hatte.  Deshalb erfüllte er ganz stillschweigend ihr
Verlangen; und da ihn sein Söhnchen mit Verwunderung fragte: "Was
wollen sie denn damit?", antwortet' er ganz ruhig: "Ich weiß nicht,
aber sie sind toll."



Ungefähr in dieser Zeit erhielt ich in einem Paket von Hause
nachstehenden Brief:



"Monsieur, je ne suis pas étonné que vous ayez de mauvais lecteurs;
tant de gens aiment mieux parler que sentir, mais il faut les plaindre
et se fé1iciter de ne pas leur ressembler.--Oui, Monsieur, je vous
dois la meilleure action de ma vie, par conséquent la racine de
plusieurs autres, et pour moi votre livre est bon.  Si j'avois le
bonheur d'habiter le même pays que vous, j'irois vous embrasser et
vous dire mon secret, mais malheureusement j'en habite un où personne
ne croiroit au motif qui vient de me déterminer à cette démarche.
Soyez satisfait, Monsieur, d'avoir pu, à 300 lieues de votre demeure,
ramener le coeur d'un jeune homme à l'honnêteté et à la vertu, toute
une famille va être tranquille, et mon coeur jouit d'une bonne action.
Si j'avais des talens, des lumières ou un rang qui me fit influer sur
le sort des hommes, je vous dirois mon nom, mais je ne suis rien et je
sais ce que je ne voudrois être.  Je souhaite, Monsieur, que vous
soyez jeune, que vous ayez le goût d'écrire, que vous soyez l'époux
d'une Charlotte qui n'avait point vu de Werther, et vous serez le plus
heureux des hommes, car je crois que vous aimez la vertu."



Dezember

Korrespondenz

Rom, den 1. Dezember.

So viel versichre ich dir: ich bin über die wichtigsten Punkte mehr
als gewiß, und obgleich die Erkenntnis sich ins Unendliche erweitern
könnte, so hab' ich doch vom Endlich-Unendlichen einen sichern, ja
klaren und mitteilbaren Begriff.

Ich habe noch die wunderlichsten Sachen vor und halte mein
Erkenntnisvermögen zurück, daß nur meine tätige Kraft einigermaßen
fortkomme.  Denn da sind herrliche Sachen und so begreiflich wie die
Flachhand, wenn man sie nur gefaßt hat.


Rom, den 7. Dezember 1787.

Diese Woche ist mit Zeichnen zugebracht worden, da es mit der Dichtung
nicht fort wollte; man muß sehen und suchen, alle Epochen zu nutzen.
Unsere Hausakademie geht immer fort, und wir sind bemüht, den alten
Aganthyr aus dem Schlafe zu wecken; die Perspektiv beschäftigt uns des
Abends, und ich suche immer dabei einige Teile des menschlichen
Körpers besser und sichrer zeichnen zu lernen.  Es ist nur alles
Gründliche gar zu schwer und verlangt große Applikation in der
Ausübung.

Angelika ist gar lieb und gut, sie macht mich auf alle Weise zu ihrem
Schuldner.  Den Sonntag bringen wir zusammen zu, und in der Woche sehe
ich sie abends einmal.  Sie arbeitet so viel und so gut, daß man gar
keinen Begriff hat, wie's möglich ist, und glaubt doch immer, sie
mache nichts.


Rom, den 8. Dezember.

Wie sehr es mich ergötzt, daß dir mein Liedchen gefallen hat, glaubst
du nicht, wie sehr es mich freut, einen Laut hervorzubringen, der in
deine Stimmung trifft.  Eben das wünscht' ich "Egmonten", von dem du
so wenig sagst und eher, daß dir daran etwas weh als wohl tut.  O, wir
wissen genug, daß wir eine so große Komposition schwer ganz rein
stimmen können, es hat doch im Grunde niemand einen rechten Begriff
von der Schwierigkeit der Kunst als der Künstler selbst.

Es ist weit mehr Positives, das heißt Lehrbares und überlieferbares in
der Kunst, als man gewöhnlich glaubt; und der mechanischen Vorteile,
wodurch man die geistigsten Effekte (versteht sich immer mit Geist)
hervorbringen kann, sind sehr viele.  Wenn man diese kleinen
Kunstgriffe weiß, ist vieles ein Spiel, was nach wunder was aussieht,
und nirgends glaub' ich, daß man mehr lernen kann in Hohem und Niedrem
als in Rom.


Rom, den 15. Dezember.

Ich schreibe dir späte, um nur etwas zu schreiben.  Diese Woche hab'
ich sehr vergnügt zugebracht.  Es wollte die vorige Woche nicht gehen,
weder mit einer noch andrer Arbeit, und da es am Montage so schön
Wetter war und meine Kenntnis des Himmels mich gute Tage hoffen ließ,
machte ich mich mit Kaysern und meinem zweiten Fritz auf die Beine und
durchging von Dienstag bis heute abend die Plätze, die ich schon
kannte, und verschiedene Seiten, die ich noch nicht kannte.

Dienstag abend erreichten wir Frascati, Mittwoch besuchten wir die
schönsten Villen und besonders den köstlichen Antinous auf Monte
Dragone.  Donnerstag gingen wir von Frascati auf Monte Cavo über Rocca
di Papa, wovon du einmal Zeichnungen haben sollst, denn Worte und
Beschreibungen sind nichts; dann nach Albano herunter.  Freitag schied
Kayser von uns, dem es nicht ganz wohl war, und ich ging mit Fritz dem
zweiten auf Aricia, Genzano, am See von Nemi her wieder auf Albano
zurück.  Heute sind wir auf Castel Gandolfo und Marino gegangen und
von da nach Rom zurück.  Das Wetter hat uns unglaublich begünstigt, es
war fast das schönste Wetter des ganzen Jahrs.  Außer den immergrünen
Bäumen haben noch einige Eichen ihr Laub, auch junge Kastanien noch
das Laub, wenngleich gelb.  Es sind Töne in der Landschaft von der
größten Schönheit, und die herrlichen großen Formen im nächtlichen
Dunkel!  Ich habe große Freude gehabt, die ich dir in der Ferne
mitteile.  Ich war sehr vergnügt und wohl.


Rom, den 21. Dezember.

Daß ich zeichne und die Kunst studiere, hilft dem Dichtungsvermögen
auf, statt es zu hindern; denn schreiben muß man nur wenig, zeichnen
viel.  Dir wünsche ich nur den Begriff der bildenden Kunst mitteilen
zu können, den ich jetzt habe; so subordiniert er auch noch ist, so
erfreulich, weil er wahr ist und immer weiter deutet.  Der Verstand
und die Konsequenz der großen Meister ist unglaublich.  Wenn ich bei
meiner Ankunft in Italien wie neu geboren war, so fange ich jetzt an,
wie neu erzogen zu sein.

Was ich bisher geschickt habe, sind nur leichtsinnige Versuche.  Mit
Thurneisen schicke ich eine Rolle, worauf das Beste fremde Sachen sind,
die dich erfreuen werden.


Rom, den 25. Dezember.

Diesmal ist Christus unter Donner und Blitzen geboren worden, wir
hatten gerade um Mitternacht ein starkes Wetter.

Der Glanz der größten Kunstwerke blendet mich nicht mehr, ich wandle
nun im Anschauen, in der wahren unterscheidenden Erkenntnis.  Wieviel
ich hierin einem stillen, einsam fleißigen Schweizer, namens Meyer,
schuldig bin, kann ich nicht sagen.  Er hat mir zuerst die Augen über
das Detail, über die Eigenschaften der einzelnen Formen aufgeschlossen,
hat mich in das eigentliche Machen initiiert.  Er ist in wenigem
genügsam und bescheiden.  Er genießt die Kunstwerke eigentlich mehr
als die großen Besitzer, die sie nicht verstehen, mehr als andere
Künstler, die zu ängstlich von der Nachahmungsbegierde des
Unerreichbaren getrieben werden.  Er hat eine himmlische Klarheit der
Begriffe und eine englische Güte des Herzens.  Er spricht niemals mit
mir, ohne daß ich alles aufschreiben möchte, was er sagt, so bestimmt,
richtig, die einzige wahre Linie beschreibend sind seine Worte.  Sein
Unterricht gibt mir, was mir kein Mensch geben konnte, und seine
Entfernung wird mir unersetzlich bleiben.  In seiner Nähe, in einer
Reihe von Zeit hoffe ich noch auf einen Grad im Zeichnen zu kommen,
den ich mir jetzt selbst kaum denken darf.  Alles, was ich in
Deutschland lernte, vornahm, dachte, verhält sich zu seiner Leitung
wie Baumrinde zum Kern der Frucht.  Ich habe keine Worte, die stille,
wache Seligkeit auszudrücken, mit der ich nun die Kunstwerke zu
betrachten anfange; mein Geist ist erweitert genug, um sie zu fassen,
und bildet sich immer mehr aus, um sie eigentlich schätzen zu können.

Es sind wieder Fremde hier, mit denen ich manchmal eine Galerie sehe;
sie kommen mir wie Wespen in meinem Zimmer vor, die gegen die Fenster
fahren und die helle Scheibe für Luft halten, dann wieder abprallen
und an den Wänden summen.

In den schweigenden zurücktretenden Zustand mag ich einen Feind nicht
wünschen.  Und wie sonst für krank und borniert gehalten zu werden,
geziemt mir weniger als jemals.  Denke also, mein Lieber, tue, wirke
das Beste für mich und erhalte mir mein Leben, das sonst, ohne
jemanden zu nutzen, zugrunde geht.  Ja, ich muß sagen, ich bin dieses
Jahr moralisch sehr verwöhnt worden.  Ganz abgeschnitten von aller
Welt, hab' ich eine Zeitlang allein gestanden.  Nun hat sich wieder
ein enger Kreis um mich gezogen, die alle gut sind, alle auf dem
rechten Wege, und das ist nur das Kennzeichen, daß sie es bei mir
aushalten können, mich mögen, Freude in meiner Gegenwart finden, je
mehr sie denkend und handelnd auf dem rechten Wege sind.  Denn ich bin
unbarmherzig, unduldsam gegen alle, die auf ihrem Wege schlendern oder
irren und doch für Boten und Reisende gehalten werden wollen.  Mit
Scherz und Spott treib' ich's so lang, bis sie ihr Leben ändern oder
sich von mir scheiden.  Hier, versteht sich, ist nur von guten, graden
Menschen die Rede, Halb--und Schiefköpfe werden gleich ohne Umstände
mit der Wanne gesondert.  Zwei Menschen danken mir schon ihre
Sinnes--und Lebensänderung, ja dreie, und werden sie mir zeitlebens
danken.  Da, auf dem Punkte der Wirkung meines Wesens, fühl' ich die
Gesundheit meiner Natur und ihre Ausbreitung; meine Füße werden nur
krank in engen Schuhen, und ich sehe nichts, wenn man mich vor eine
Mauer stellt.



Bericht

Dezember

Der Monat Dezember war mit heiterem, ziemlich gleichem Wetter
eingetreten, wodurch ein Gedanke rege ward, der einer guten frohen
Gesellschaft viel angenehme Tage verschaffen sollte.  Man sagte
nämlich: Stellen wir uns vor, wir kämen soeben in Rom an und müßten
als eilige Fremde geschwind von den vorzüglichsten Gegenständen uns
unterrichten.  Beginnen wir einen Umgang in diesem Sinne, damit das
schon Bekannte möchte in Geist und Sinn wieder neu werden.

Die Ausführung des Gedankens ward alsobald begonnen und mit einiger
Stetigkeit so ziemlich durchgesetzt; leider daß von manchem Guten,
welches bei dieser Gelegenheit bemerkt und gedacht worden, nur wenig
übriggeblieben.  Briefe, Notizen, Zeichnungen und Entwürfe mangeln von
dieser Epoche fast gänzlich, einiges werde jedoch hievon kürzlich
mitgeteilt.

Unterhalb Roms, eine Strecke nicht weit von der Tiber, liegt eine
mäßig große Kirche, "Zu den drei Brünnlein" genannt; diese sind, so
erzählt man, bei Enthauptung des heiligen Paulus durch sein Blut
hervorgerufen worden und quellen noch bis auf den heutigen Tag.

Ohnehin ist die Kirche niedrig gelegen, und da vermehren denn freilich
die in ihrem Innern hervordringenden Röhrbrunnen eine dunstige
Feuchtigkeit.  Das Innere steht wenig geschmückt und beinahe verlassen,
nur für einen seltenen Gottesdienst, reinlich, wenngleich moderhaft,
gehegt und besorgt.  Was ihr aber zur größten Zierde dient, sind
Christus und seine Apostel, die Reihe her an den Pfeilern des Schiffs,
nach Zeichnungen Raffaels farbig in Lebensgröße gemalt.  Dieser
außerordentliche Geist hat jene frommen Männer, die er sonst am
rechten Orte in versammelter Schar als übereinstimmend gekleidet
vorgeführt, hier, da jeder Einzelne abgesondert auftritt, jeden auch
mit besonderer Auszeichnung abgebildet, nicht als wenn er im Gefolge
des Herrn sich befände, sondern als wenn er nach der Heimfahrt
desselben, auf seine eignen Füße gestellt, nunmehr seinem Charakter
gemäß das Leben durchzuwirken und auszudulden habe.

Um uns aber von den Vorzügen dieser Bilder auch in der Ferne zu
belehren, sind uns Nachbildungen der Originalzeichnungen von der
treuen Hand Mark Antons übriggeblieben, welche uns öfters Gelegenheit
und Anlaß gaben, unser Gedächtnis aufzufrischen und unsere Bemerkungen
niederzuschreiben.  Wir fügen den Auszug eines Aufsatzes bei, der in
dem Jahre 1791 in den "Deutschen Merkur" aufgenommen worden.



"Die Aufgabe, einen verklärten Lehrer mit seinen zwölf ersten und
vornehmsten Schülern, welche ganz an seinen Worten und an seinem
Dasein hingen und größtenteils ihren einfachen Wandel mit einem
Märtyrertode krönten, gebührend vorzustellen, hat er mit einer solchen
Einfalt, Mannigfaltigkeit, Herzlichkeit und mit so einem reichen
Kunstverständnis gelöst, daß wir diese Blätter für eins der schönsten
Monumente seines glücklichen Daseins halten können.

Was uns von ihrem Charakter, Stande, Beschäftigung, Wandel und Tode in
Schriften oder durch Traditionen übriggeblieben, hat er auf das
zarteste benutzt und dadurch eine Reihe von Gestalten hervorgebracht,
welche, ohne einander zu gleichen, eine innere Beziehung aufeinander
haben.  Wir wollen sie einzeln durchgehen, um unsre Leser auf die
interessante Sammlung aufmerksam zu machen.

Petrus.  Er hat ihn gerad von vorne gestellt und ihm eine feste
gedrungene Gestalt gegeben.  Die Extremitäten sind bei dieser wie bei
einigen andern Figuren ein wenig groß gehalten, wodurch die Figur
etwas kürzer scheint.  Der Hals ist kurz, und die kurzen Haare sind
unter allen dreizehn Figuren am stärksten gekraust.  Die Hauptfalten
des Gewandes laufen in der Mitte des Körpers zusammen, das Gesicht
sieht man wie die übrige Gestalt ganz von vorn.  Die Figur ist in sich
fest zusammengenommen und steht da wie ein Pfeiler, der eine Last zu
tragen imstande ist.

Paulus ist auch stehend abgebildet, aber abgewendet, wie einer, der
gehen will und nochmals zurücksieht; der Mantel ist aufgezogen und
über den Arm, in welchem er das Buch hält, geschlagen; die Füße sind
frei, es hindert sie nichts am Fortschreiten; Haare und Bart bewegen
sich wie Flammen, und ein schwärmerischer Geist glüht auf dem Gesichte.


Johannes.  Ein edler Jüngling mit langen, angenehmen, nur am Ende
krausen Haaren.  Er scheint zufrieden, ruhig, die Zeugnisse der
Religion, das Buch und den Kelch, zu besitzen und vorzuzeigen.  Es ist
ein sehr glücklicher Kunstgriff, daß der Adler, indem er die Flügel
hebt, das Gewand sogleich mit in die Höhe nimmt, und durch dieses
Mittel die schön angelegten Falten in die vollkommenste Lage gesetzt
werden.

Matthäus.  Ein wohlhabender, behaglicher, auf seinem Dasein beruhender
Mann.  Die allzugroße Ruhe und Bequemlichkeit ist durch einen
ernsthaften, beinahe scheuen Blick ins Gleichgewicht gebracht; die
Falten, die über den Leib geschlagen sind, und der Geldbeutel geben
einen unbeschreiblichen Begriff von behaglicher Harmonie.

Thomas ist eine der schönsten, in der größten Einfalt ausdruckvollsten
Figuren.  Er steht in seinen Mantel zusammengenommen, der auf beiden
Seiten fast symmetrische Falten wirft, die aber durch ganz leise
Veränderungen einander völlig unähnlich gemacht worden sind.  Stiller,
ruhiger, bescheidner kann wohl kaum eine Gestalt gebildet werden.  Die
Wendung des Kopfes, der Ernst, der beinahe traurige Blick, die
Feinheit des Mundes harmonieren auf das schönste mit dem ruhigen
Ganzen.  Die Haare allein sind in Bewegung, ein unter einer sanften
Außenseite bewegtes Gemüt anzuzeigen.

Jakobus major.  Eine sanfte, eingehüllte, vorbeiwandelnde
Pilgrimsgestalt.

Philippus.  Man lege diesen zwischen die beiden vorhergehenden und
betrachte den Faltenwurf aller drei nebeneinander, und es wird
auffallen, wie reich, groß, breit die Falten dieser Gestalt gegen jene
gehalten sind.  So reich und vornehm sein Gewand ist, so sicher steht
er, so fest hält er das Kreuz, so scharf sieht er darauf, und das
Ganze scheint eine innere Größe, Ruhe und Festigkeit anzudeuten.

Andreas umarmt und liebkoset sein Kreuz mehr, als er es trägt; die
einfachen Falten des Mantels sind mit großem Verstande geworfen.

Thaddäus.  Ein Jüngling, der, wie es die Mönche auf der Reise zu tun
pflegen, sein langes überkleid in die Höhe nimmt, daß es ihn nicht im
Gehen hindere.  Aus dieser einfachen Handlung entstehen sehr schöne
Falten.  Er trägt die Partisane, das Zeichen seines Märtyrertodes, als
einen Wanderstab in der Hand.

Matthias.  Ein munterer Alter in einem durch höchst verstandene Falten
vermannigfaltigten einfachen Kleide lehnt sich auf einen Spieß, sein
Mantel fällt hinterwärts herunter.

Simon.  Die Falten des Mantels sowohl als des übrigen Gewandes, womit
diese mehr von hinten als von der Seite zu sehende Figur bekleidet ist,
gehören mit unter die schönsten der ganzen Sammlung, wie überhaupt in
der Stellung, in der Miene, in dem Haarwuchse eine unbeschreibliche
Harmonie zu bewundern ist.

Bartholomäus steht in seinen Mantel wild und mit großer Kunst kunstlos
eingewickelt; seine Stellung, seine Haare, die Art, wie er das Messer
hält, möchte uns fast auf die Gedanken bringen, er sei eher bereit,
jemanden die Haut abzuziehen, als eine solche Operation zu dulden.

Christus zuletzt wird wohl niemanden befriedigen, der die
Wundergestalt eines Gottmenschen hier suchen möchte.  Er tritt einfach
und still hervor, um das Volk zu segnen.  Von dem Gewand, das von
unten herausgezogen ist, in schönen Falten das Knie sehen läßt und
wider dem Leibe ruht, wird man mit Recht behaupten, daß es sich keinen
Augenblick so erhalten könne, sondern gleich herunterfallen müsse.
Wahrscheinlich hat Raffael supponiert, die Figur habe mit der rechten
Hand das Gewand herausgezogen und angehalten und lasse es in dem
Augenblicke, indem sie den Arm zum Segnen aufhebt, los, so daß es eben
niederfallen muß.  Es wäre dieses ein Beispiel von dem schönen
Kunstmittel, die kurz vorhergegangene Handlung durch den
überbleibenden Zustand der Falten anzudeuten."



Von diesem kleinen bescheidenen Kirchlein ist jedoch nicht weit zu dem
größeren, dem hohen Apostel gewidmeten Denkmal: es ist die Kirche St.
Paul vor den Mauern genannt, ein aus alten herrlichen Resten groß und
kunstreich zusammengestelltes Monument.  Der Eintritt in diese Kirche
verleiht einen erhabenen Eindruck, die mächtigsten Säulenreihen tragen
hohe gemalte Wände, welche, oben durch das verschränkte Zimmerwerk des
Dachs geschlossen, zwar jetzt unserm verwöhnten Auge einen
scheunenartigen Anblick geben, obschon das Ganze, wäre die
Kontignation an festlichen Tagen mit Teppichen überspannt, von
unglaublicher Wirkung sein müßte.  Mancher wundersame Rest kolossaler
höchst verzierter Architektur an Kapitälen findet sich hier anständig
aufbewahrt, aus den Ruinen von dem ehmals nahe gelegenen, jetzo fast
ganz verschwundenen Palast des Caracalla entnommen und gerettet.

Die Rennbahn sodann, die von diesem Kaiser noch jetzt den Namen führt,
gibt uns, wennschon großenteils verfallen, doch noch einen Begriff
eines solchen immensen Raumes.  Stellte sich der Zeichner an den
linken Flügel der zum Wettlauf Ausfahrenden, so hätte er rechts in der
Höhe über den zertrümmerten Sitzen der Zuschauer das Grab der Cäcilia
Metella mit dessen neueren Umgebungen, von wo aus die Linie der
ehemaligen Sitze ins Grenzenlose hinausläuft und in der Ferne
bedeutende Villen und Lusthäuser sich sehen lassen.  Kehrt das Auge
zurück, so kann es gerade vor sich die Ruinen der Spina noch gar wohl
verfolgen, und derjenige, dem architektonische Phantasie gegeben ist,
kann sich den übermut jener Tage einigermaßen vergegenwärtigen.  Der
Gegenstand in Trümmern, wie er jetzt vor unsern Augen liegt, würde auf
jeden Fall, wenn ein geistreicher und kenntnisgewandter Künstler es
unternehmen wollte, immer noch ein angenehmes Bild geben, das freilich
um das Doppelte länger als hoch sein müßte.

Die Pyramide des Cestius ward für diesmal mit den Augen von außen
begrüßt, und die Trümmer der Antoninischen oder Caracallischen Bäder,
von denen uns Piranesi so manches Effektreiche vorgefabelt, konnten
auch dem malerisch gewöhnten Auge in der Gegenwart kaum einige
Zufriedenheit geben.  Doch sollte bei dieser Gelegenheit die
Erinnerung an Hermann von Schwanefeld lebendig werden, welcher mit
seiner zarten, das reinste Natur--und Kunstgefühl ausdrückenden Nadel
diese Vergangenheiten zu beleben, ja, sie zu den anmutigsten Trägern
des lebendig Gegenwärtigen umzuschauen wußte.

Auf dem Platze vor St. Peter in Montorio begrüßten wir den
Wasserschwall der Acqua Paola, welcher durch eines Triumphbogens
Pforten und Tore in fünf Strömen ein großes verhältnismäßiges Becken
bis an den Rand füllt.  Durch einen von Paul V. wiederhergestellten
Aquädukt macht diese Stromfülle einen Weg von fünfundzwanzig Miglien
hinter dem See Bracciano her durch ein wunderliches, von abwechselnden
Höhen gebotenes Zickzack bis an diesen Ort, versieht die Bedürfnisse
verschiedener Mühlen und Fabriken, um sich zugleich in Trastevere zu
verbreiten.

Hier nun rühmten Freunde der Baukunst den glücklichen Gedanken, diesen
Wassern einen offen schaubaren triumphierenden Eintritt verschafft zu
haben.  Man wird durch Säulen und Bogen, durch Gesims und Attiken an
jene Prachttore erinnert, wodurch ehmals kriegerische überwinder
einzutreten pflegten; hier tritt der friedlichste Ernährer mit
gleicher Kraft und Gewalt ein und empfängt für die Mühen seines weiten
Laufes sogleich Dank und Bewunderung.  Auch sagen uns die Inschriften,
daß Vorsehung und Wohltätigkeit eines Papstes aus dem Hause Borghese
hier gleichsam einen ewigen ununterbrochenen stattlichen Einzug halten.



Ein kurz vorher eingetroffener Ankömmling aus Norden fand jedoch, man
würde besser getan haben, rohe Felsen hier aufzutürmen, um diesen
Fluten einen natürlichen Eintritt ans Tageslicht zu verschaffen.  Man
entgegnete ihm, daß dies kein Natur-, sondern ein Kunstwasser sei,
dessen Ankunft man auf eine gleichartige Weise zu schmücken gar wohl
berechtigt gewesen wäre.



Raffael Transfiguration.  Kupferstich von Prestel

Doch hierüber vereinigte man sich ebensowenig als über das herrliche
Bild der Transfiguration, welches man in dem zunächst gelegenen
Kloster gleich darauf anzustaunen Gelegenheit fand.  Da war denn des
Redens viel; der stillere Teil jedoch ärgerte sich, den alten Tadel
von doppelter Handlung wiederholt zu sehen.  Es ist aber nicht anders
in der Welt, als daß eine wertlose Münze neben einer gehaltigen auch
immer eine gewisse Art von Kurs behält, besonders da, wo man in der
Kürze aus einem Handel zu scheiden und ohne viel überlegung und
Zaudern gewisse Differenzen auszugleichen gedenkt.  Wundersam bleibt
es indes immer, daß man an der großen Einheit einer solchen Konzeption
jemals hat mäkeln dürfen.  In Abwesenheit des Herren stellen trostlose
Eltern einen besessenen Knaben den Jüngern des Heiligen dar; sie mögen
schon Versuche gemacht haben, den Geist zu bannen; man hat sogar ein
Buch aufgeschlagen, um zu forschen, ob nicht etwa eine überlieferte
Formel gegen dieses übel wirksam könne gefunden werden; aber vergebens.
In diesem Augenblick erscheint der einzig Kräftige, und zwar
verklärt, anerkannt von seinen großen Vorfahren, eilig deutet man
hinauf nach solcher Vision als der einzigen Quelle des Heils.  Wie
will man nun das Obere und Untere trennen?  Beides ist eins: unten das
Leidende, Bedürftige, oben das Wirksame, Hülfreiche, beides
aufeinander sich beziehend, ineinander einwirkend.  Läßt sich denn, um
den Sinn auf eine andere Weise auszusprechen, ein ideeller Bezug aufs
Wirkliche von diesem lostrennen?

Die Gleichgesinnten bestärkten sich auch diesmal in ihrer überzeugung;
"Raffael", sagten sie zueinander, "zeichnete sich eben durch die
Richtigkeit des Denkens aus, und der gottbegabte Mann, den man eben
hieran durchaus erkennt, soll in der Blüte seines Lebens falsch
gedacht, falsch gehandelt haben?  Nein! er hat wie die Natur jederzeit
recht, und gerade da am gründlichsten, wo wir sie am wenigsten
begreifen."



Eine Verabredung wie die unsrige, einen flüchtigen überblick von Rom
sich in guter vereinigter Gesellschaft zu verschaffen, konnte nicht
ganz, wie es wohl der Vorsatz gewesen, in völliger Abgesondertheit
durchgeführt werden; ein und der andere fehlte, vielleicht zufällig
abgehalten, wieder andere schlossen sich an, auf ihrem Wege dieses
oder jenes Sehenswürdige zu betrachten.  Dabei hielt jedoch der Kern
zusammen und wußte bald aufzunehmen, bald abzusondern, bald
zurückzubleiben, bald vorzueilen.  Gelegentlich hatte man freilich gar
wunderliche äußerungen zu vernehmen.  Es gibt eine gewisse Art von
empirischem Urteil, welches seit längerer Zeit zumal durch englische
und französische Reisende besonders in den Gang gekommen; man spricht
sein augenblickliches unvorbereitetes Urteil aus, ohne nur irgend zu
bedenken, daß jeder Künstler auf gar vielfache Weise bedingt ist,
durch sein besonderes Talent, durch Vorgänger und Meister, durch Ort
und Zeit, durch Gönner und Besteller.  Nichts von allem dem, welches
freilich zu einer reinen Würderung nötig wäre, kommt in Betrachtung,
und so entsteht daraus ein gräßliches Gemisch von Lob und Tadel, von
Bejahen und Verneinen, wodurch jeder eigentümliche Wert der fraglichen
Gegenstände ganz eigentlich aufgehoben wird.

Unser guter Volkmann, sonst so aufmerksam und als Führer nützlich
genug, scheint sich durchaus an jene fremden Urteiler gehalten zu
haben, deswegen denn seine eigenen Schätzungen gar wunderlich
hervortreten.  Kann man sich z.  B. unglücklicher ausdrücken, als er
sich in der Kirche Maria della Pace vernehmen läßt?

"über der ersten Kapelle hat Raffael einige Sibyllen gemalt, die sehr
gelitten haben.  Die Zeichnung ist richtig, aber die Zusammensetzung
schwach, welches vermutlich dem unbequemen Platz beigemessen werden
muß.  Die zwote Kapelle ist nach des Michael Angelo Zeichnungen mit
Arabesken geziert, die hoch geschätzt werden, aber nicht simpel genug
sind.  Unter der Kuppel bemerkt man drei Gemälde, das erste stellt die
Heimsuchung der Maria von Karl Maratti vor, ist frostig gemalt, aber
gut angeordnet; das andere die Geburt der Maria vom Kavalier Vanni, in
der Manier des Peter von Cortona, und das dritte den Tod der Maria von
Maria Morandi.  Die Anordnung ist etwas verwirrt und fällt ins Rohe.
Am Gewölbe über dem Chor hat Albani mit einem schwachen Kolorit die
Himmelfahrt der Maria abgebildet.  Die von ihm herrührenden Malereien
an den Pfeilern unter der Kuppel sind besser geraten.  Den Hof des zu
dieser Kirche gehörigen Klosters hat Bramante angegeben."

Dergleichen unzulängliche, schwankende Urteile verwirren durchaus den
Beschauer, der ein solches Buch zum Leitfaden erwählt.  Manches ist
denn aber auch ganz falsch, z.  B. was hier von den Sibyllen gesagt
ist.  Raffael war niemals von dem Raume geniert, den ihm die
Architektur darbot, vielmehr gehört zu der Großheit und Eleganz seines
Genies, daß er jeden Raum auf das zierlichste zu füllen und zu
schmücken wußte, wie er augenfällig in der Farnesine dargetan hat.
Selbst die herrlichen Bilder der "Messe von Bolsena", der "Befreiung
des gefangenen Petrus", des "Parnasses" wären ohne die wunderliche
Beschränkung des Raumes nicht so unschätzbar geistreich zu denken.
Ebenso ist auch hier in den Sibyllen die verheimlichte Symmetrie,
worauf bei der Komposition alles ankommt, auf eine höchst geniale
Weise obwaltend; denn wie in dem Organismus der Natur, so tut sich
auch in der Kunst innerhalb der genausten Schranke die Vollkommenheit
der Lebensäußerung kund.



Wie dem aber auch sei, so mag einem jeden die Art und Weise,
Kunstwerke aufzunehmen, völlig überlassen bleiben.  Mir ward bei
diesem Umgang das Gefühl, der Begriff, die Anschauung dessen, was man
im höchsten Sinne die Gegenwart des klassischen Bodens nennen dürfte.
Ich nenne dies die sinnlich geistige überzeugung, daß hier das Große
war, ist und sein wird.  Daß das Größte und Herrlichste vergehe, liegt
in der Natur der Zeit und der gegeneinander unbedingt wirkenden
sittlichen und physischen Elemente.  Wir konnten in allgemeinster
Betrachtung nicht traurig an dem Zerstörten vorübergehen, vielmehr
hatten wir uns zu freuen, daß so viel erhalten, so viel
wiederhergestellt war, prächtiger und übermäßiger, als es je gestanden.



Innenansicht von St. Peter.  Gouache von Desprez

Die Peterskirche ist gewiß so groß gedacht und wohl größer und kühner
als einer der alten Tempel, und nicht allein was zweitausend Jahre
vernichten sollten, lag vor unsern Augen, sondern zugleich was eine
gesteigerte Bildung wieder hervorzubringen vermochte.

Selbst das Schwanken des Kunstgeschmackes, das Bestreben zum einfachen
Großen, das Wiederkehren zum vervielfachten Kleineren, alles deutete
auf Leben und Bewegung; Kunst--und Menschengeschichte standen
synchronistisch vor unseren Augen.

Es darf uns nicht niederschlagen, wenn sich uns die Bemerkung
aufdringt, das Große sei vergänglich; vielmehr wenn wir finden, das
Vergangene sei groß gewesen, muß es uns aufmuntern, selbst etwas von
Bedeutung zu leisten, das fortan unsre Nachfolger, und wär' es auch
schon in Trümmer zerfallen, zu edler Tätigkeit aufrege, woran es unsre
Vorvordern niemals haben ermangeln lassen.



Diese höchst belehrenden und geisterhebenden Anschauungen wurden, ich
darf nicht sagen gestört und unterbrochen, aber doch mit einem
schmerzlichen Gefühl durchflochten, das mich überallhin begleitete;
ich erfuhr nämlich, daß der Bräutigam jener artigen Mailänderin, unter
ich weiß nicht welchem Vorwande, sein Wort zurückgenommen und sich von
seiner Versprochenen losgesagt habe.  Wenn ich mich nun einerseits
glücklich pries, meiner Neigung nicht nachgehangen und mich sehr bald
von dem lieben Kinde zurückgezogen zu haben, wie denn auch nach
genauster Erkundigung unter den Vorwänden jener Villeggiatur auch
nicht im mindesten gedacht worden, so war es mir doch höchst
empfindlich, das artige Bild, das mich bisher so heiter und freundlich
begleitet hatte, nunmehr getrübt und entstellt zu sehen; denn ich
vernahm sogleich, das liebe Kind sei aus Schrecken und Entsetzen über
dieses Ereignis in ein gewaltsames Fieber verfallen, welches für ihr
Leben fürchten lasse.  Indem ich mich nun tagtäglich und die erste
Zeit zweimal erkundigen ließ, hatte ich die Pein, daß meine
Einbildungskraft sich etwas Unmögliches hervorzubringen bemüht war,
jene heitern, dem offnen, frohen Tag allein gehörigen Züge, diesen
Ausdruck unbefangenen, stillvorschreitenden Lebens nunmehr durch
Tränen getrübt, durch Krankheit entstellt und eine so frische Jugend
durch inneres und äußeres Leiden so frühzeitig blaß und schmächtig zu
denken.

In solcher Stimmung war freilich ein so großes Gegengewicht als eine
Reihenfolge des Bedeutendsten, das teils dem Auge durch sein Dasein,
teils der Einbildungskraft durch nie verschollene Würde genug zu tun
gab, höchst ersehnt und nichts natürlicher, als das meiste davon mit
inniger Trauer anzublicken.

Waren die alten Monumente nach so vielen Jahrhunderten meistens zu
unförmlichen Massen zerfallen, so mußte man bei neueren
aufrechtstehenden Prachtgebäuden gleichermaßen den Verfall so vieler
Familien in der späteren Zeit bedauern, ja, selbst das noch frisch im
Leben Erhaltene schien an einem heimlichen Wurm zu kranken; denn wie
wollte sich das Irdische ohne eigentlich physische Kraft durch
sittliche und religiöse Stützen allein in unsern Tagen aufrecht
erhalten?  Und wie einem heiteren Sinn auch die Ruine wieder zu
beleben, gleich einer frischen, unsterblichen Vegetation, verfallene
Mauern und zerstreute Blöcke wieder mit Leben auszustatten gelingt, so
entkleidet ein trauriger Sinn das lebendige Dasein von seinem
schönsten Schmuck und möchte es uns gern als ein nacktes Gerippe
aufdringen.

Auch zu einer Gebirgsreise, die wir noch vor Winters in heiterer
Gesellschaft zu vollbringen gedachten, konnt' ich mich nicht
entschließen, bis ich, einer erfolgten Besserung gewiß und durch
sorgfältige Anstalten gesichert, Nachricht von ihrer Genesung auch an
denen Orten erhalten sollte, wo ich sie so munter als liebenswürdig in
den schönsten Herbsttagen kennen gelernt hatte.



Schon die ersten Briefe aus Weimar über "Egmont" enthielten einige
Ausstellungen über dieses und jenes; hiebei erneute sich die alte
Bemerkung, daß der unpoetische, in seinem bürgerlichen Behagen bequeme
Kunstfreund gewöhnlich da einen Anstoß nimmt, wo der Dichter ein
Problem aufzulösen, zu beschönigen oder zu verstecken gesucht hat.
Alles soll, so will es der behagliche Leser, im natürlichen Gange
fortgehen; aber auch das Ungewöhnliche kann natürlich sein, scheint es
aber demjenigen nicht, der auf seinen eigenen Ansichten verharrt.  Ein
Brief dieses Inhalts war angekommen, ich nahm ihn und ging in die
Villa Borghese; da mußt' ich denn lesen, daß einige Szenen für zu lang
gehalten würden.  Ich dachte nach, hätte sie aber auch jetzt nicht zu
verkürzen gewußt, indem so wichtige Motive zu entwickeln waren.  Was
aber am meisten den Freundinnen tadelnswert schien, war das lakonische
Vermächtnis, womit Egmont sein Klärchen an Ferdinand empfiehlt.

Ein Auszug aus meinem damaligen Antwortschreiben wird über meine
Gesinnungen und Zustände den besten Aufschluß geben.

"Wie sehr wünscht' ich nun, auch euren Wunsch erfüllen und dem
Vermächtnis Egmonts einige Modifikation geben zu können!  Ich eilte an
einem herrlichen Morgen mit eurem Briefe gleich in die Villa Borghese,
dachte zwei Stunden den Gang des Stücks, die Charaktere, die
Verhältnisse durch und konnte nichts finden, das ich abzukürzen hätte.
Wie gern möcht' ich euch alle meine überlegungen, mein Pro und Contra
schreiben, sie würden ein Buch Papier füllen und eine Dissertation
über die ökonomie meines Stücks enthalten.  Sonntags kam ich zu
Angelika und legte ihr die Frage vor.  Sie hat das Stück studiert und
besitzt eine Abschrift davon.  Möchtest du doch gegenwärtig gewesen
sein, wie weiblich zart sie alles auseinander legte, und es darauf
hinausging: daß das, was ihr noch mündlich von dem Helden erklärt
wünschtet, in der Erscheinung implicite enthalten sei.  Angelika sagte:
da die Erscheinung nur vorstelle, was in dem Gemüte des schlafenden
Helden vorgehe, so könne er mit keinen Worten stärker ausdrücken, wie
sehr er sie liebe und schätze, als es dieser Traum tue, der das
liebenswürdige Geschöpf nicht zu ihm herauf, sondern über ihn hinauf
hebe.  Ja, es wolle ihr wohl gefallen, daß der, welcher durch sein
ganzes Leben gleichsam wachend geträumt, Leben und Liebe mehr als
geschätzt, oder vielmehr nur durch den Genuß geschätzt, daß dieser
zuletzt noch gleichsam träumend wache und uns still gesagt werde, wie
tief die Geliebte in seinem Herzen wohne und welche vornehme und hohe
Stelle sie darin einnehme.--Es kamen noch mehr Betrachtungen dazu, daß
in der Szene mit Ferdinand Klärchens nur auf eine subordinierte Weise
gedacht werden konnte, um das Interesse des Abschieds von dem jungen
Freunde nicht zu schmälern, der ohnehin in diesem Augenblicke nichts
zu hören noch zu erkennen imstande war."



Moritz als Etymolog

Schon längst hat ein weiser Mann das wahre Wort ausgesprochen: "Der
Mensch, dessen Kräfte zu dem Notwendigen und Nützlichen nicht
hinreichen, mag sich gern mit dem Unnötigen und Unnützen beschäftigen!"
Vielleicht möchte nachstehendes von manchem auf diese Weise
beurteilt werden.

Unser Geselle Moritz ließ nicht ab, jetzt, in dem Kreise der höchsten
Kunst und schönsten Natur, über die Innerlichkeiten des Menschen,
seine Anlagen und Entwickelungen fortwährend zu sinnen und zu spinnen;
deshalb er denn auch sich mit dem Allgemeinen der Sprache vorzüglich
beschäftigte.

Zu jener Zeit war in Gefolg der Herderischen Preisschrift "über den
Ursprung der Sprache" und in Gemäßheit der damaligen allgemeinen
Denkweise die Vorstellung herrschend: das Menschengeschlecht habe sich
nicht von einem Paare aus dem hohen Orient herab über die ganze Erde
verbreitet, sondern zu einer gewissen merkwürdig produktiven Zeit des
Erdballs sei, nachdem die Natur die verschiedenartigsten Tiere
stufenweis hervorzubringen versucht, da und dort, in mancher günstigen
Lage die Menschenart mehr oder weniger vollendet hervorgetreten.  Ganz
im innerlichsten Bezug auf seine Organe sowohl als seine
Geistesfähigkeiten sei nun dem Menschen die Sprache angeboren.  Hier
bedürfe es keiner natürlichen Anleitung, so wenig als einer
überlieferung.  Und in diesem Sinne gebe es eine allgemeine Sprache,
welche zu manifestieren ein jeder autochthonische Stamm versucht habe.
Die Verwandtschaft aller Sprachen liege in der übereinstimmung der
Idee, wonach die schaffende Kraft das menschliche Geschlecht und
seinen Organismus gebildet.  Daher komme denn, daß teils aus innerem
Grundtriebe, teils durch äußere Veranlassung die sehr beschränkte
Vokal--und Konsonantenzahl zum Ausdruck von Gefühlen und Vorstellungen
richtig oder unrichtig angewendet worden; da es denn natürlich, ja
notwendig sei, daß die verschiedensten Autochthonen teils
zusammengetroffen, teils voneinander abgewichen und sich diese oder
jene Sprache in der Folge entweder verschlimmert oder verbessert habe.
Was von den Stammworten gelte, gelte denn auch von den Ableitungen,
wodurch die Bezüge der einzelnen Begriffe und Vorstellungen
ausgedrückt und bestimmter bezeichnet werden.  Dies möchte denn gut
sein und als ein Unerforschliches, nie mit Gewißheit zu Bestimmendes
auf sich beruhen.

Hierüber find' ich in meinen Papieren folgendes Nähere:

"Mir ist es angenehm, daß sich Moritz aus seiner brütenden Trägheit,
aus dem Unmut und Zweifel an sich selbst zu einer Art von Tätigkeit
wendet, denn da wird er allerliebst.  Seine Grillenfängereien haben
alsdann eine wahre Unterlage und seine Träumereien Zweck und Sinn.
Jetzt beschäftigt ihn eine Idee, in welche ich auch eingegangen bin
und die uns sehr unterhält.  Es ist schwer, sie mitzuteilen, weil es
gleich toll klingt.  Doch will ich's versuchen:

Er hat ein Verstands--und Empfindungsalphabet erfunden, wodurch er
zeigt, daß die Buchstaben nicht willkürlich, sondern in der
menschlichen Natur gegründet sind und alle gewissen Regionen des
inneren Sinnes angehören, welchen sie denn auch, ausgesprochen,
ausdrücken.  Nun lassen sich nach diesem Alphabete die Sprachen
beurteilen, und da findet sich, daß alle Völker versucht haben, sich
dem innern Sinn gemäß auszudrücken, alle sind aber durch Willkür und
Zufall vom rechten Wege abgeleitet worden.  Demzufolge suchen wir in
den Sprachen die Worte auf, die am glücklichsten getroffen sind, bald
hat's die eine, bald die andre; dann verändern wir die Worte, bis sie
uns recht dünken, machen neue u. s. w.  Ja, wenn wir recht spielen
wollen, machen wir Namen für Menschen, untersuchen, ob diesem oder
jenem sein Name gehöre etc. etc.

Das etymologische Spiel beschäftigt schon so viele Menschen, und so
gibt es auch uns auf diese heitere Weise viel zu tun.  Sobald wir
zusammenkommen, wird es wie ein Schachspiel vorgenommen, und
hunderterlei Kombinationen werden versucht, so daß, wer uns zufällig
behorchte, uns für wahnsinnig halten müßte.  Auch möchte ich es nur
den allernächsten Freunden vertrauen.  Genug, es ist das witzigste
Spiel von der Welt und übt den Sprachsinn unglaublich."

Italienische Reise / 2. Röm.  Aufenthalt / Philipp Neri (1)



Philipp Neri, der humoristische Heilige

Philipp Neri, in Florenz geboren 1515, erscheint von Kindheit auf als
ein folgsamer, sittlicher Knabe von kräftigen Anlagen.  Sein Bildnis
als eines solchen ist glücklicherweise aufbewahrt in des Fidanza
"Teste Scelte", Tom.  V, Bl. 31. Man wüßte sich keinen tüchtigern,
gesündern, geradsinnigeren Knaben zu denken.  Als Abkömmling einer
edlen Familie wird er in allem Guten und Wissenswerten der Zeit gemäß
unterrichtet und endlich, um seine Studien zu vollenden, man meldet
nicht, in welchem Alter, nach Rom gesandt.  Hier entwickelt er sich
zum vollkommnen Jüngling; sein schönes Antlitz, seine reichen Locken
zeichnen ihn aus; er ist anziehend und ablehnend zugleich, Anmut und
Würde begleiten ihn überall.

Hier, zur traurigsten Zeit, wenige Jahre nach der grausamen Plünderung
der Stadt, ergibt er sich, nach Vorgang und Beispiel vieler Edlen,
ganz den übungen der Frömmigkeit, und sein Enthusiasmus steigert sich
mit den Kräften einer frischen Jugend.  Unablässiges Besuchen der
Kirchen, besonders der sieben Hauptkirchen, brünstiges Beten zu
Herannötigung der Hülfe, fleißiges Beichten und Genuß des Abendmahls,
Flehen und Ringen nach geistigen Gütern.

In solch einem enthusiastischen Momente wirft er sich einst auf die
Stufen des Altars und zerbricht ein paar Rippen, welche, schlecht
geheilt, ihm lebenslängliches Herzklopfen verursachen und die
Steigerung seiner Gefühle veranlassen.

Um ihn versammeln sich junge Männer zu tätiger Sittlichkeit und
Frömmigkeit, sie erweisen sich unermüdet, die Armen zu versorgen, die
Kranken zu pflegen, und scheinen ihre Studien hintanzusetzen.
Wahrscheinlich bedienen sie sich der Zuschüsse von Haus zu wohltätigen
Zwecken, genug, sie geben und helfen immer und behalten nichts für
sich, ja, er lehnt nachher ausdrücklich alle Beihülfe von den Seinigen
ab, um dasjenige, was Wohltätigkeit ihnen zuweiset, an Bedürftige zu
wenden und selbst zu darben.

Dergleichen fromme Handlungen waren jedoch zu herzlich und lebhaft,
als daß man nicht hätte suchen sollen, sich zugleich auf eine
geistliche und gefühlvolle Weise über die wichtigsten Gegenstände zu
unterhalten.  Die kleine Gesellschaft besaß noch kein eigenes Lokal,
sie erbat sich's bald in diesem, bald in jenem Kloster, wo dergleichen
leere Räume wohl zu finden sein mochten.  Nach einem kurzen stillen
Gebet ward ein Text der Heiligen Schrift verlesen, worüber ein und der
andere sich, auslegend oder anwendend, in einer kurzen Rede vernehmen
ließ.  Man besprach sich auch wohl hierüber, alles in bezug auf
unmittelbare Tätigkeit; dialektische und spitzfindige Behandlung war
durchaus verboten.  Die übrige Tageszeit ward immerfort einer
aufmerksamen Versorgung der Kranken, dem Dienst in Hospitälern, dem
Beistande der Armen und Notleidenden gewidmet.

Da bei diesen Verhältnissen keine Beschränkung vorwaltete und man
ebensogut kommen als gehen konnte, so vermehrte sich die Zahl der
Teilnehmenden ungemein, so wie sich denn auch jene Versammlung ernster
und umgreifender beschäftigte.  Auch aus den Leben der Heiligen ward
vorgelesen, Kirchenväter und Kirchengeschichte stellenweise zu Rate
gezogen, worauf denn vier der Teilnehmenden, jeder eine halbe Stunde,
zu sprechen das Recht und Pflicht hatten.

Diese fromme tagtägliche, ja familiär-praktische Behandlung der
höchsten Seelenangelegenheiten erregte immer mehr Aufmerksamkeit nicht
allein unter Einzelnen, sondern sogar unter ganzen Körperschaften.
Man verlegte die Versammlungen in die Kreuzgänge und Räume dieser und
jener Kirche, der Zudrang vermehrte sich, besonders zeigte sich der
Orden der Dominikaner dieser Art, sich zu erbauen, sehr geneigt und
schloß sich zahlreich an die sich immer mehr ausbildende Schar an,
welche durch die Kraft und den hohen Sinn ihres Anführers sich
durchaus gleich und, wenn auch geprüft durch mancherlei
Widerwärtigkeiten, auf demselben Pfade fortschreitend finden ließ.

Da nun aber nach dem hohen Sinne des trefflichen Vorgesetzten alle
Spekulation verbannt, jede geregelte Tätigkeit aber aufs Leben
gerichtet war, und das Leben sich ohne Heiterkeit nicht denken läßt,
so wußte der Mann auch hierin den unschuldigen Bedürfnissen und
Wünschen der Seinigen entgegenzukommen.  Bei eintretendem Frühling
führte er sie nach San Onofrio, welches, hoch und breit gelegen, in
solchen Tagen die angenehmste örtlichkeit anbot.  Hier, wo bei der
jungen Jahrszeit alles jung erscheinen sollte, trat nach stillen
Gebeten ein hübscher Knabe hervor, rezitierte eine auswendig gelernte
Predigt, Gebete folgten, und ein Chor besonders eingeladener Sänger
ließ sich erfreulich und eindringlich zum Schlusse hören, welches um
so bedeutender war, als die Musik damals weder ausgebreitet noch
ausgebildet gefunden ward und hier vielleicht zum erstenmal ein
religioser Gesang in freier Luft sich mitteilte.

Immer auf diese Weise fortwirkend, vermehrte sich die Kongregation und
wuchs, so wie an Personenzahl, so an Bedeutung.  Die Florentiner
nötigten gleichsam ihren Landsmann, das von ihnen abhängige Kloster
San Girolamo zu beziehen, wo denn die Anstalt sich immer mehr
ausdehnte und auf gleiche Weise fortwirkte, bis ihnen endlich der
Papst in der Nähe des Platzes Navona ein Kloster als eigentümlich
anwies, welches, von Grund aus neu gebaut, eine gute Anzahl frommer
Genossen aufnehmen konnte.  Hier blieb es jedoch bei der früheren
Einrichtung, Gotteswort, das will sagen heilig edle Gesinnungen dem
gemeinen Verstande sowie dem gemeinen Alltagsleben anzunähern und
eigen zu machen.  Man versammelte sich nach wie vor, betete, vernahm
einen Text, hörte darüber sprechen, betete und ward zuletzt durch
Musik ergötzt, und was damals öfter, ja täglich geschah, geschieht
jetzt noch Sonntags, und gewiß wird jeder Reisende, der nähere
Kenntnis von dem heiligen Stifter genommen, sich künftighin, diesen
unschuldigen Funktionen beiwohnend, vorzüglich erbauen, wenn er
dasjenige, was wir vorgetragen haben und zunächst mitteilen, in Gemüt
und Gedanke vorüberwalten läßt.

Hier sind wir nun in dem Falle, in Erinnerung zu bringen, daß diese
ganze Anstalt noch immer ans Weltliche grenzte.  Wie denn nur wenige
unter ihnen sich dem eigentlichen Priesterstande gewidmet hatten und
nur so viel geweihte Geistliche unter ihnen gefunden wurden, als nötig,
Beichte zu sitzen und das Meßopfer zu verrichten.  Und so war denn
auch Philipp Neri selbst sechsunddreißig Jahre alt geworden, ohne sich
zum Priestertum zu melden, denn er fand sich, wie es scheint, in
seinem gegenwärtigen Zustande frei und weit mehr sich selbst
überlassen, als er sich mit kirchlichen Banden gefesselt, als Glied
der großen Hierarchie zwar hochgeehrt, aber doch beschränkt gefühlt
hätte.

Allein von oben her ließ man es dabei nicht bewenden, sein Beichtvater
machte es ihm zur Gewissenssache, die Weihe zu nehmen und in den
Priesterstand zu treten.  Und so geschah es auch; nun hatte die Kirche
klüglich einen Mann in ihren Kreis eingeschlossen, der, unabhängigen
Geistes bisher, auf einen Zustand losging, worin das Heilige mit dem
Weltlichen, das Tugendsame mit dem Alltäglichen sich vereinigen und
vertragen sollte.  Diese Veränderung aber, der übergang zur
Priesterschaft, scheint auf sein äußeres Benehmen nicht im mindesten
eingewirkt zu haben.

Er übt nur noch strenger als bisher jede Entäußerung und lebt in einem
schlechten Klösterchen mit andern kümmerlich zusammen.  So gibt er die
bei großer Teurung ihm verehrten Brote einem andern Bedürftigern und
setzt seinen Dienst gegen Unglückliche immer fort.

Aber auf sein Inneres hat das Priestertum einen merkwürdig steigernden
Einfluß.  Die Verpflichtung zum Meßopfer versetzt ihn in einen
Enthusiasmus, in eine Ekstase, wo man den bisher so natürlichen Mann
gänzlich verliert.  Er weiß kaum, wohin er schreitet, er taumelt auf
dem Wege und vor dem Altare.  Hebt er die Hostie in die Höhe, so kann
er die Arme nicht wieder herunterbringen; es scheint, als zöge ihn
eine unsichtbare Kraft empor.  Beim Eingießen des Weins zittert und
schaudert er.  Und wenn er nach vollendeter Wandlung dieser
geheimnisvollen Gaben genießen soll, erzeigt er sich auf eine
wunderliche, nicht auszusprechende schwelgerische Weise.  Vor
Leidenschaft beißt er in den Kelch, indes er ahnungsvoll das Blut zu
schlürfen glaubt des kurz vorher gleichsam gierig verschlungenen
Leibes.  Ist aber dieser Taumel vorüber, so finden wir zwar immer
einen leidenschaftlich wundersamen, aber immer höchst verständig
praktischen Mann.

Ein solcher Jüngling, ein solcher Mann, so lebhaft und seltsam wirkend,
mußte den Menschen wunderlich und mitunter gerade durch seine
Tugenden beschwerlich und widerwärtig vorkommen.  Wahrscheinlich ist
ihm dieses in dem Laufe seines froherer Lebens oft begegnet; nachdem
er aber zum Priester geweiht ist und sich so eng und kümmerlich,
gleichsam als Gast in einem armseligen Kloster behilft, treten
Widersacher auf, die ihn mit Spott und Hohn unablässig verfolgen.

Doch wir gehen weiter und sagen, er sei ein höchst ausgezeichneter
Mensch gewesen, der aber das einem jeden dieser Art angeborne
Herrische zu beherrschen und in Entsagung, Entbehrung, Wohltätigkeit,
Demut und Schmach den Glanz seines Daseins zu verhüllen trachtete.
Der Gedanke, vor der Welt als töricht zu erscheinen und dadurch in
Gott und göttliche Dinge sich erst recht zu versenken und zu üben, war
sein andauerndes Bestreben, wodurch er sich und sodann auch seine
Schüler ausschließlich zu erziehen unternahm.  Die Maxime des heiligen
Bernhard:

"Spernere mundum,
Spernere neminem,
Spernere se ipsum,
Spernere se sperni."



schien ihn ganz durchdrungen zu haben, ja vielmehr aus ihm frisch
wieder entwickelt zu sein.

ähnliche Absichten, ähnliche Zustände nötigen den Menschen, in
gleichen Maximen sich aufzuerbauen.  Man kann gewiß sein, daß die
erhabensten, innerlich stolzesten Menschen sich zu jenen Grundsätzen
allein bequemen, indem sie das Widerwärtige einer dem Guten und Großen
immer widerstrebenden Welt vorauszukosten und den bittern Kelch der
Erfahrung, eh' er ihnen noch angeboten ist, bis auf den Grund zu
leeren sich entschließen.  Grenzenlos und in ununterbrochener Reihe
machen jene Geschichtchen, wie er seine Schüler geprüft, deren viele
bis auf uns gekommen sind, jeden lebenslustigen Menschen, der sie
vernimmt, wirklich ungeduldig, so wie diese Gebote demjenigen, der
ihnen gehorchen sollte, höchst schmerzlich und nahezu unerträglich
fallen mußten.  Deswegen denn auch nicht alle eine solche Feuerprobe
bestanden.

Eh' wir aber uns auf dergleichen wunderbare und dem Leser
gewissermaßen unwillkommne Erzählungen einlassen, wenden wir uns
lieber noch einmal zu jenen großen Vorzügen, welche die Zeitgenossen
ihm zugestehen und höchlich rühmen.  Er habe, sagen sie, Kenntnisse
und Bildung mehr von Natur als durch Unterricht und Erziehung erhalten;
alles, was andere mühsam erwerben, sei ihm gleichsam eingegossen
gewesen.  Ferner habe er die große Gabe zu eigen gehabt, Geister zu
unterscheiden, Eigenschaften und Fähigkeiten der Menschen zu würdigen
und zu schätzen; zugleich habe er mit dem größten Scharfsinn die
weltlichen Dinge durchdrungen, auf einen Grad, daß man ihm den Geist
der Wahrsagung zuschreiben müssen.  Auch ward ihm eine entschiedene
Anziehungsgabe, welche auszudrücken die Italiener sich des schönen
Wortes "attrattiva" bedienen, kräftig verliehen, die sich nicht allein
auf Menschen erstreckte, sondern auch auf Tiere.  Als Beispiel wird
erzählt, daß der Hund eines Freundes sich ihm angeschlossen und
durchaus gefolgt sei, auch bei dem ersten Besitzer, der ihn lebhaft
zurückgewünscht und durch mancherlei Mittel ihn wieder zu gewinnen
getrachtet, auf keine Weise verbleiben wollen, sondern sich immer zu
dem anziehenden Manne zurückbegeben, sich niemals von ihm getrennt,
vielmehr zuletzt nach mehreren Jahren in dem Schlafzimmer seines
erwählten Herrn das Leben geendet habe.  Dieses Geschöpf veranlaßt uns
nun, auf jene Prüfungen, zu denen es selbst Gelegenheit gegeben,
zurückzukommen.  Es ist bekannt, daß Hundeführen, Hundetragen im
Mittelalter überhaupt und wahrscheinlich auch in Rom höchst
schimpflich gewesen.  In dieser Rücksicht pflegte der fromme Mann
jenes Tier an einer Kette durch die Stadt zu führen, auch mußten seine
Schüler dasselbe auf den Armen durch die Straßen tragen und sich auf
diese Weise dem Gelächter und Spott der Menge preisgeben.

Auch mutete er seinen Schülern und Genossen andere unwürdige
äußerlichkeiten zu.  Einem jungen römischen Fürsten, welcher der Ehre,
für ein Ordensglied zu gelten, mitgenießen wollte, wurde angesonnen,
er solle mit einem hinten angehefteten Fuchsschwanze durch Rom
spazieren, und, als er dies zu leisten sich weigerte, die Aufnahme in
den Orden versagt.  Einen andern schickte er ohne überkleid und wieder
einen mit zerrißnen ärmeln durch die Stadt.  Dieses Letztern erbarmte
sich ein Edelmann und bot ihm ein Paar neue ärmel an, die der Jüngling
ausschlug, nachher aber auf Befehl des Meisters dankbar abholen und
tragen mußte.  Beim Bau der neuen Kirche nötigte er die Seinen, gleich
Taglöhnern die Materialien herbeizuschaffen und sie den Arbeitern zur
Hand zu langen.

Gleichermaßen wußte er auch jedes geistige Behagen, das der Mensch an
sich empfinden mochte, zu stören und zu vernichten.  Wenn die Predigt
eines jungen Mannes wohl zu gelingen und der Redner sich darin selbst
zu gefallen schien, unterbrach er ihn in der Mitte des Worts, um an
seiner Stelle weiterzusprechen, befahl auch wohl weniger fähigen
Schülern, ungesäumt hinaufzutreten und zu beginnen, welche denn, so
unerwartet angeregt, sich aus dem Stegreife besser als je zu erweisen
das Glück hatten.  Italienische Reise / 2. Röm.  Aufenthalt / Philipp
Neri (2)



Man versetze sich in die zweite Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts
und den wüsten Zustand, in welchem Rom unter verschiedenen Päpsten wie
ein aufgeregtes Element erschien, und man wird eher begreifen, daß ein
solches Verfahren wirksam und mächtig sein mußte, indem es durch
Neigung und Furcht, durch Ergebenheit und Gehorsam dem innersten
Wollen des Menschen die große Gewalt verlieh, trotz allem äußern sich
zu erhalten, um allem, was sich ereignen konnte, zu widerstehen, da es
befähigt, selbst dem Vernünftigen und Verständigen, dem Herkömmlichen
und Schicklichen unbedingt zu entsagen.

Eine merkwürdige, obgleich schon bekannte Prüfungsgeschichte wird man
hier wegen ihrer besondern Anmut nicht ungern wiederholt finden.  Dem
heiligen Vater war angekündigt, in einem Kloster auf dem Lande tue
sich eine wunderwirkende Nonne hervor.  Unser Mann erhält den Auftrag,
eine für die Kirche so wichtige Angelegenheit näher zu untersuchen; er
setzt sich auf sein Maultier, das Befohlene zu verrichten, kommt aber
schneller zurück, als der heilige Vater es erwartet.  Der Verwunderung
seines geistlichen Gebieters begegnet Neri mit folgenden Worten:
"Heiligster Vater, diese tut keine Wunder, denn es fehlt ihr an der
ersten christlichen Tugend, der Demut; ich komme durch schlimmen Weg
und Wetter übel zugerichtet im Kloster an, ich lasse sie in Eurem
Namen vor mich fordern, sie erscheint, und ich reiche ihr statt des
Grußes den Stiefel hin, mit der Andeutung, sie solle mir ihn ausziehen.
Entsetzt fährt sie zurück, und mit Schelten und Zorn erwidert sie
mein Ansinnen; für was ich sie halte! ruft sie aus, die Magd des Herrn
sei sie, aber nicht eines jeden, der daherkomme, um knechtische
Dienste von ihr zu verlangen.  Ich erhub mich gelassen, setzte mich
wieder auf mein Tier, stehe wieder vor Euch, und ich bin überzeugt,
Ihr werdet keine weitere Prüfung nötig finden."  Lächelnd beließ es
auch der Papst dabei, und wahrscheinlich ward ihr das fernere
Wundertun untersagt.

Wenn er aber sich dergleichen Prüfungen gegen andere erlaubte, so
mußte er solche von Männern erdulden, welche, gleichen Sinnes, den
nämlichen Weg der Selbstverleugnung einschlugen.  Ein Bettelmönch, der
aber auch schon im Geruch der Heiligkeit stand, begegnet ihm in der
gangbarsten Straße und bietet ihm einen Schluck aus der Weinflasche,
die er vorsorglich mit sich führt.  Philipp Neri bedenkt sich nicht
einen Augenblick und setzt die langhalsige Korbflasche, den Kopf
zurückbiegend, dreist an den Mund, indes das Volk laut lacht und
spottet, daß zwei fromme Männer sich dergestalt zutrinken.

Philipp Neri, den es ungeachtet seiner Frömmigkeit und Ergebung
einigermaßen durfte verdrossen haben, sagte darauf: "Ihr habt mich
geprüft, nun ist die Reihe an mir", und drückte zugleich sein
vierecktes Barett auf den Kahlkopf, welcher nun gleichfalls ausgelacht
wurde, ganz ruhig fortging und sagte: "Wenn mir's einer vom Kopf nimmt,
so mögt Ihr's haben."  Neri nahm es ihm ab, und sie schieden.

Freilich dergleichen zu wagen und dennoch die größten sittlichen
Wirkungen hervorzubringen, bedurfte es eines Mannes wie Philipp Neri,
dessen Handlungen gar oft als Wunder anzusehen waren.  Als Beichtiger
machte er sich furchtbar und daher des größten Zutrauens würdig; er
entdeckte seinen Beichtkindern Sünden, die sie verschwiegen, Mängel,
die sie nicht beachtet hatten; sein brünstiges ekstatisches Gebet
setzte seine Umgebungen als übernatürlich in Erstaunen, in einen
Zustand, in welchem die Menschen wohl auch durch ihre Sinne zu
erfahren glauben, was ihnen die Einbildungskraft, angeregt durchs
Gefühl, vorbilden mochte.  Wozu denn noch kommt, daß das Wunderbare,
ja das Unmögliche, erzählt und wieder erzählt, endlich vollkommen die
Stelle des Wirklichen, des Alltäglichen einnimmt.  Hierher gehört, daß
man ihn nicht allein verschiedentlich während des Meßopfers vor dem
Altare wollte emporgehoben gesehen haben, sondern daß sich auch
Zeugnisse fanden, man habe ihn, knieend um das Leben eines
gefährlichst Kranken betend, dergestalt von der Erde emporgehoben
erblickt, daß er mit dem Haupte beinahe die Decke des Zimmers berührt.

Bei einem solchen durchaus dem Gefühl und der Einbildungskraft
gewidmeten Zustande war es ganz natürlich, daß die Einmischung auch
widerwärtiger Dämonen nicht ganz auszubleiben schien.

Oben zwischen dem verfallenen Gemäuer der Antoninischen Bäder sieht
wohl einmal der fromme Mann in äffischer Ungestalt ein widerwärtiges
Wesen herumhupfen, das aber auf sein Geheiß alsogleich zwischen
Trümmern und Spalten verschwindet.  Bedeutender jedoch als diese
Einzelheit ist, wie er gegen seine Schüler verfährt, die ihn von
seligen Erscheinungen, womit sie von der Mutter Gottes und andern
Heiligen beglückt worden, mit Entzücken benachrichtigen.  Er, wohl
wissend, daß aus dergleichen Einbildungen ein geistlicher Dünkel, der
schlimmste und hartnäckigste von allen, gewöhnlich entspringe,
versichert sie deshalb, daß hinter dieser himmlischen Klarheit und
Schönheit gewiß eine teuflische, häßliche Finsternis verborgen liege.
Dieses zu erproben, gebietet er ihnen: bei der Wiederkehr einer so
holdseligen Jungfrau ihr gerade ins Gesicht zu speien; sie gehorchen,
und der Erfolg bewährt sich, indem auf der Stelle eine Teufelslarve
hervortritt.

Der große Mann mag dieses mit Bewußtsein oder, was wahrscheinlicher
ist, aus tiefem Instinkt geboten haben; genug, er war sicher, daß
jenes Bild, welches eine phantastische Liebe und Sehnsucht
hervorgerufen hatte, nun durch das entgegenwirkende Wagnis von Haß und
Verachtung unmittelbar in eine Fratze sich verwandeln würde.

Ihn berechtigten jedoch zu einer so seltsamen Pädagogik die
außerordentlichsten, zwischen den höchst geistigen und höchst
körperlichen schwebend erscheinenden Naturgaben: Gefühl einer sich
nahenden noch ungesehenen Person, Ahnung entfernter Begebenheiten,
Bewußtsein der Gedanken eines vor ihm Stehenden, Nötigung anderer zu
seinen Gedanken.

Diese und dergleichen Gaben sind unter mehreren Menschen ausgeteilt,
mancher kann sich derselben ein und das anderemal rühmen, aber die
ununterbrochene Gegenwart solcher Fähigkeiten, die in jedem Falle
bereite Ausübung einer so staunenswürdigen Wirksamkeit, dies ist
vielleicht nur in einem Jahrhundert zu denken, wo zusammengehaltene
unzersplitterte Geistes--und Körperkräfte sich mit erstaunenswürdiger
Energie hervortun konnten.

Betrachten wir aber eine solche nach unabhängigem grenzenlosen,
geistigen Wirken sich hinsehnende und hingetriebene Natur, wie sie
durch die streng umfassenden römisch-kirchlichen Bande sich wieder
zusammengehalten fühlen muß.

Die Wirkungen des heiligen Xaverius unter den abgöttischen Heiden
mögen freilich damals in Rom großes Aufsehen gemacht haben.  Dadurch
aufgeregt, fühlten Neri und einige seiner Freunde sich gleichfalls
nach dem sogenannten Indien gezogen und wünschten mit päpstlicher
Erlaubnis sich dorthin zu verfügen.  Allein der wahrscheinlich von
oben her wohl instruierte Beichtvater redete ihnen ab und gab zu
bedenken, daß für gottselige, auf Besserung des Nächsten, auf
Ausbreitung der Religion gerichtete Männer in Rom selbst ein
genugsames Indien zu finden und ein würdiger Schauplatz für deren
Tätigkeit offen sei.  Man verkündigte ihnen, daß der großen Stadt
selbst zunächst ein großes Unheil bevorstehen möchte, indem die drei
Brunnen vor dem Tore St. Sebastian trüb und blutig seit einiger Zeit
geflossen, welches als eine untrügliche Andeutung zu betrachten sei.

Mag also der würdige Neri und seine Gesellen, hiedurch beschwichtigt,
innerhalb Roms ein wohltätiges wunderwirkendes Leben fortgesetzt haben,
so viel ist gewiß, daß er von Jahr zu Jahr an Vertrauen und Achtung
bei Großen und Kleinen, Alten und Jungen zugenommen.

Bedenke man nun die wundersame Komplikation der menschlichen Natur, in
welcher sich die stärksten Gegensätze bereinigen, Materielles und
Geistiges, Gewöhnliches und Unmögliches, Widerwärtiges und
Entzückendes, Beschränktes und Grenzenloses, dergleichen aufzuführen
man noch ein langes Register fortsetzen könnte; bedenke man einen
solchen Widerstreit, wenn er in einem vorzüglichen Menschen sich
ereignet und zutage tritt, wie er durch das Unbegreifliche, was sich
aufdringt, den Verstand irre macht, die Einbildungskraft losbindet,
den Glauben überflügelt, den Aberglauben berechtigt und dadurch den
natürlichen Zustand mit dem unnatürlichsten in unmittelbare Berührung,
ja zur Vereinigung bringt; gehe man mit diesen Betrachtungen an das
weitläufig überlieferte Leben unseres Mannes, so wird es uns faßlich
scheinen, was ein solcher, der beinahe ein ganzes Jahrhundert auf
einem so großen Schauplatze in einem ungeheuern Elemente
ununterbrochen und unablässig gewirkt, für einen Einfluß müsse erlangt
haben.  Die hohe Meinung von ihm ging so weit, daß man nicht allein
von seinem gesunden, kräftigen Wirken Nutzen, Heil und seliges Gefühl
sich zueignete, sondern daß sogar seine Krankheiten das Vertrauen
vermehrten, indem man sie als Zeichen seines innigsten Verhältnisses
zu Gott und dem Göttlichsten anzusehen sich bewogen fand.  Hier
begreifen wir nun, wie er schon lebend der Würde eines Heiligen
entgegenging und sein Tod nur bekräftigen konnte, was ihm von den
Zeitgenossen zugedacht und zugestanden war.

Deshalb auch, als man bald nach seinem Verscheiden, welches von noch
mehr Wundern als sein Leben begleitet war, an Papst Clemens VIII. die
Frage brachte, ob man mit der Untersuchung, dem sogenannten Prozeß,
welcher einer Seligsprechung vorausgeht, den Anfang machen dürfe,
dieser die Antwort erteilte: "Ich habe ihn immer für einen Heiligen
gehalten und kann daher nichts dagegen einwenden, wenn ihn die Kirche
im allgemeinen den Gläubigen als solchen erklären und vorstellen wird."

Nun aber dürfte es auch der Aufmerksamkeit wert gehalten werden, daß
er in der langen Reihe von Jahren, die ihm zu wirken gegönnt wurden,
funfzehn Päpste erlebt, indem er, unter Leo X. geboren, unter Clemens
VIII. seine Tage beschloß; daher er denn auch eine unabhängige
Stellung gegen den Papst selbst zu behaupten sich anmaßte und als
Glied der Kirche sich zwar ihren allgemeinen Anordnungen durchaus
gleichstellte, aber im einzelnen sich nicht gebunden, ja sogar
gebieterisch gegen das Oberhaupt der Kirche bewies.  Nun läßt es sich
denn auch erklären, daß er die Kardinalswürde durchaus abschlug und in
seiner Chiesa nuova, gleich einem widerspenstigen Ritter in einer
alten Burg, sich gegen den obersten Schutzherrn unartig zu betragen
herausnahm.

Der Charakter jener Verhältnisse jedoch, wie sie sich am Ende des
sechzehnten Jahrhunderts aus den früheren, roheren Zeiten seltsam
genug gestaltet erhielten, kann durch nichts deutlicher vor Augen
gestellt, eindringlicher dem Geiste dargebracht werden als durch ein
Memorial, welches Neri kurz vor seinem Tode an den neuen Papst Clemens
VIII. ergehen ließ, worauf eine gleich wunderliche Resolution erfolgte.


Wir sehen hieraus das auf eine andere Weise nicht zu schildernde
Verhältnis eines bald achtzigjährigen, dem Rang eines Heiligen
entgegensehenden Mannes zu einem bedeutenden, tüchtigen, während
seiner mehrjährigen Regierung höchst achtbaren souveränen Oberhaupte
der römisch-katholischen Kirche.  Memorial des Philipp Neri an Clemens
VIII.

"Heiligster Vater!  Und was für eine Person bin ich denn, daß die
Kardinäle mich zu besuchen kommen, und besonders gestern abend die
Kardinäle von Florenz und Cusano?  Und weil ich ein bißchen Manna in
Blättern nötig hatte, so ließ mir gedachter Kardinal von Florenz zwei
Unzen von San Spirito holen, indem der Herr Kardinal in jenes Hospital
eine große Quantität geschickt hatte.  Er blieb auch bis zwei Stunden
in die Nacht und sagte so viel Gutes von Ew.  Heiligkeit, viel mehr,
als mir billig schien; denn da Sie Papst sind, so sollten Sie die
Demut selber sein.  Christus kam um sieben Uhr in der Nacht, sich mir
einzuverleiben, und Ew.  Heiligkeit könnte auch wohl einmal in unsre
Kirche kommen.  Christus ist Mensch und Gott und besucht mich gar
manchmal.  Ew.  Heiligkeit ist nur ein bloßer Mensch, geboren von
einem heiligen und rechtschaffenen Mann, jener aber von Gott Vater.
Die Mutter von Ew.  Heiligkeit ist Signora Agnesina, eine sehr
gottesfürchtige Dame; aber jenes die Jungfrau aller Jungfrauen.  Was
hätte ich nicht alles zu sagen, wenn ich meiner Galle freien Lauf
lassen wollte.  Ich befehle Ew.  Heiligkeit, daß Sie meinen Willen tun
wegen eines Mädchens, das ich nach Torre de' specchi schaffen will.
Sie ist die Tochter von Claudio Neri, dem Ew.  Heiligkeit versprochen
hat, daß Sie seine Kinder beschützen will; und da erinnere ich Sie,
daß es hübsch ist, wenn ein Papst sein Wort hält.  Deswegen übergeben
Sie mir gedachtes Geschäft, und so, daß ich mich im Notfall Ihres
Namens bedienen könne; um so mehr, da ich den Willen des Mädchens weiß
und gewiß bin, daß sie durch göttliche Eingebung bewegt wird, und mit
der größten Demut, die ich schuldig bin, küsse ich die heiligsten Füße."
Eigenhändige Resolution des Papsts, unter das Memorial geschrieben

"Der Papst sagt, daß dieser Aufsatz in seinem ersten Teil etwas vom
Geiste der Eitelkeit enthält, indem er dadurch erfahren soll, daß die
Kardinäle Dieselben so oft besuchen; wenn uns nicht etwa dadurch
angedeutet werden soll, daß diese Herren geistlich gesinnt sind;
welches man recht gut weiß.  Daß Er nicht gekommen ist, Dieselben zu
sehen, darauf sagt Er, daß es Ew.  Ehrwürden nicht verdienen, da Sie
das Kardinalat nicht haben annehmen wollen, das Ihnen so oft
angetragen worden.  Was den Befehl betrifft, so ist Er zufrieden, daß
Dieselben mit Ihrer gewöhnlichen Befehlshaberei denen guten Müttern
einen tüchtigen Filz geben, die es Denenselben nicht nach Ihrem Sinne
machen.  Nun befiehlt Er Denselben aber, daß Sie sich wahren und nicht
Beichte sitzen ohne seine Erlaubnis.  Kommt aber unser Herr Dieselben
besuchen, so bitten Sie für uns und für die dringendsten Notdurften
der Christenheit."



Januar Korrespondenz

Rom, den 5. Januar 1788.

Verzeiht, wenn ich heute nur wenig schreibe.  Dieses Jahr ist mit
Ernst und Fleiß angefangen worden, und ich kann mich kaum umsehen.

Nach einem Stillstand von einigen Wochen, in denen ich mich leidend
verhielt, habe ich wieder die schönsten, ich darf wohl sagen
Offenbarungen.  Es ist mir erlaubt, Blicke in das Wesen der Dinge und
ihre Verhältnisse zu werfen, die mir einen Abgrund von Reichtum
eröffnen.  Diese Wirkungen entstehen in meinem Gemüte, weil ich immer
lerne, und zwar von andern lerne.  Wenn man sich selbst lehrt, ist die
arbeitende und verarbeitende Kraft eins, und die Vorschritte müssen
kleiner und langsamer werden.

Das Studium des menschlichen Körpers hat mich nun ganz.  Alles andre
verschwindet dagegen.  Es ist mir damit durch mein ganzes Leben, auch
jetzt wieder, sonderbar gegangen.  Darüber ist nicht zu reden; was ich
noch machen werde, muß die Zeit lehren.

Die Opern unterhalten mich nicht, nur das innig und ewig Wahre kann
mich nun erfreuen.

Es spitzt sich bis gegen Ostern eine Epoche zu, das fühl' ich; was
werden wird, weiß ich nicht.


Rom, den 10. Januar.

"Erwin und Elmire" kommt mit diesem Brief, möge dir das Stückchen auch
Vergnügen machen!  Doch kann eine Operette, wenn sie gut ist, niemals
im Lesen genugtun; es muß die Musik erst dazu kommen, um den ganzen
Begriff auszudrücken, den der Dichter sich vorstellte.  "Claudine"
kommt bald nach.  Beide Stücke sind mehr gearbeitet, als man ihnen
ansieht, weil ich erst recht mit Kaysern die Gestalt des Singspiels
studiert habe.

Am menschlichen Körper wird fleißig fortgezeichnet, wie abends in der
Perspektivstunde.  Ich bereite mich zu meiner Auflösung, damit ich
mich ihr getrosten Mutes hingebe, wenn die Himmlischen sie auf Ostern
beschlossen haben.  Es geschehe, was gut ist.

Das Interesse an der menschlichen Gestalt hebt nun alles andre auf.
Ich fühle es wohl und wendete mich immer davon weg, wie man sich von
der blendenden Sonne wegwendet, auch ist alles vergebens, was man
außer Rom darüber studieren will.  Ohne einen Faden, den man nur hier
spinnen lernt, kann man sich aus diesem Labyrinthe nicht herausfinden.
Leider wird mein Faden nicht lang genug, indessen hilft er mir doch
durch die ersten Gänge.

Wenn es mit Fertigung meiner Schriften unter gleichen Konstellationen
fortgeht, so muß ich mich im Laufe dieses Jahres in eine Prinzessin
verlieben, um den "Tasso", ich muß mich dem Teufel ergeben, um den
"Faust" schreiben zu können, ob ich mir gleich zu beiden wenig Lust
fühle.  Denn bisher ist's so gegangen.  Um mir selbst meinen "Egmont"
interessant zu machen, fing der römische Kaiser mit den Brabantern
Händel an, und um meinen Opern einen Grad von Vollkommenheit zu geben,
kam der Züricher Kayser nach Rom.  Das heißt doch ein vornehmer Römer,
wie Herder sagt, und ich finde es recht lustig, eine Endursache der
Handlungen und Begebenheiten zu werden, welche gar nicht auf mich
gerichtet sind.  Das darf man Glück nennen.  Also die Prinzessin und
den Teufel wollen wir in Geduld abwarten.


Rom den 10. Januar.

Hier kommt aus Rom abermals ein Pröbchen deutscher Art und Kunst,
"Erwin und Elmire".  Es ward eher fertig als "Claudine", doch wünsch'
ich nicht, daß es zuerst gedruckt werde.

Du wirst bald sehen, daß alles aufs Bedürfnis der lyrischen Bühne
gerechnet ist, das ich erst hier zu studieren Gelegenheit hatte: alle
Personen in einer gewissen Folge, in einem gewissen Maß zu
beschäftigen, daß jeder Sänger Ruhpunkte genug habe etc. Es sind
hundert Dinge zu beobachten, welchen der Italiener allen Sinn des
Gedichts aufopfert, ich wünsche, daß es mir gelungen sein möge, jene
musikalisch-theatralischen Erfordernisse durch ein Stückchen zu
befriedigen, das nicht ganz unsinnig ist.  Ich hatte noch die
Rücksicht, daß sich beide Operetten doch auch müssen lesen lassen, daß
sie ihrem Nachbar "Egmont" keine Schande machten.  Ein italienisch
Opernbüchelchen liest kein Mensch, als am Abend der Vorstellung, und
es in einen Band mit einem Trauerspiel zu bringen, würde hierzulande
für ebenso unmöglich gehalten werden, als daß man deutsch singen könne.


Bei "Erwin" muß ich noch bemerken, daß du das trochäische Silbenmaß,
besonders im zweiten Akt, öfter finden wirst; es ist nicht Zufall oder
Gewohnheit, sondern aus italienischen Beispielen genommen.  Dieses
Silbenmaß ist zur Musik vorzüglich glücklich, und der Komponist kann
es durch mehrere Takt--und Bewegungsarten dergestalt variieren, daß es
der Zuhörer nie wiedererkennt.  Wie überhaupt die Italiener auf glatte,
einfache Silbenmaße und Rhythmen ausschließlich halten.

Der junge Camper ist ein Strudelkopf, der viel weiß, leicht begreift
und über die Sachen hinfährt.

Glück zum vierten Teil der "Ideen"!  Der dritte ist uns ein heilig
Buch, das ich verschlossen halte; erst jetzt hat es Moritz zu lesen
gekriegt, der sich glücklich preist, daß er in dieser Epoche der
Erziehung des Menschengeschlechts lebt.  Er hat das Buch recht gut
gefühlt und war über das Ende ganz außer sich.

Wenn ich dich nur einmal für alle das Gute auf dem Kapitol bewirten
könntet Es ist einer meiner angelegensten Wünsche.

Meine titanischen Ideen waren nur Luftgestalten, die einer ernsteren
Epoche vorspukten.  Ich bin nun recht im Studio der Menschengestalt,
welche das non plus ultra alles menschlichen Wissens und Tuns ist.
Meine fleißige Vorbereitung im Studio der ganzen Natur, besonders die
Osteologie, hilft mir starke Schritte machen.  Jetzt seh' ich, jetzt
genieß' ich erst das Höchste, was uns vom Altertum übrigblieb: die
Statuen.  Ja, ich sehe wohl ein, daß man ein ganzes Leben studieren
kann und am Ende doch noch ausrufen möchte: "Jetzt seh' ich, jetzt
genieß' ich erst."

Ich raffe alles mögliche zusammen, um Ostern eine gewisse Epoche,
wohin mein Auge nun reicht, zu schließen, damit ich Rom nicht mit
entschiedenem Widerwillen verlasse, und hoffe, in Deutschland einige
Studien bequem und gründlich fortsetzen zu können, obgleich langsam
genug.  Hier trägt einen der Strom fort, sobald man nur das Schifflein
bestiegen hat.



Bericht

Januar


Cupido, loser, eigensinniger Knabe, Du batst mich um Quartier auf
einige Stunden!  Wie viele Tag' und Nächte bist du geblieben, Und bist
nun herrisch und Meister im Hause geworden.

Von meinem breiten Lager bin ich vertrieben, Nun sitz' ich an der Erde
Nächte, gequälet, Dein Mutwill' schüret Flamm' auf Flamme des Herdes,
Verbrennet den Vorrat des Winters und senget mich Armen.

Du hast mir mein Gerät verstellt und verschoben, Ich such' und bin wie
blind und irre geworden.  Du lärmst so ungeschickt, ich fürchte, das
Seelchen Entflieht, um dir zu entfliehn, und räumet die Hütte.



Wenn man vorstehendes Liedchen nicht in buchstäblichem Sinne nehmen,
nicht jenen Dämon, den man gewöhnlich Amor nennt, dabei denken,
sondern eine Versammlung tätiger Geister sich vorstellen will, die das
Innerste des Menschen ansprechen, auffordern, hin und wider ziehen und
durch geteiltes Interesse verwirren, so wird man auf eine symbolische
Weise an dem Zustande teilnehmen, in dem ich mich befand, und welchen
die Auszüge aus Briefen und die bisherigen Erzählungen genugsam
darstellen.  Man wird zugestehen, daß eine große Anstrengung gefordert
ward, sich gegen so vieles aufrechtzuerhalten, in Tätigkeit nicht zu
ermüden und im Aufnehmen nicht lässig zu werden.



Aufnahme in die Gesellschaft der Arkadier

Schon zu Ende des vorigen Jahrs ward ich mit einem Antrage bestürmt,
den ich auch als Folge jenes unseligen Konzertes ansah, durch welches
wir unser Inkognito leichtsinnigerweise enthüllt hatten.  Es konnte
jedoch andere Anlässe haben, daß man von mehreren Seiten her mich zu
bestimmen suchte, mich in die "Arcadia" als einen namhaften Schäfer
aufnehmen zu lassen.  Lange widerstand ich, mußte jedoch zuletzt den
Freunden, die hierein etwas Besonderes zu setzen schienen, endlich
nachgeben.

Im allgemeinen ist bekannt, was unter dieser Arkadischen Gesellschaft
verstanden wird; doch ist es wohl nicht unangenehm, etwas darüber zu
vernehmen.

Während dem Laufe des siebzehnten Jahrhunderts mag die italienische
Poesie sich auf mancherlei Weise verschlimmert haben; denn gegen Ende
dieses Zeitraums werfen ihr gebildete, wohlgesinnte Männer vor, sie
habe den Gehalt, was man damals innere Schönheit nannte, völlig
versäumt; auch sei sie in Absicht auf die Form, die äußere Schönheit,
durchaus zu tadeln, denn sie habe mit barbarischen Ausdrücken,
unleidlich harten Versen, fehlerhaften Figuren und Tropen, besonders
mit fortlaufenden und ungemessenen Hyperbeln, Metonymien und Metaphern,
auch ganz und gar das Anmutige und Süße verscherzt, welches man am
äußern zu schätzen sich erfreue.

Jene auf solchen Irrwegen Befangenen jedoch schalten, wie es zu gehen
pflegt, das Echte und Fürtreffliche, damit ihre Mißbräuche fernerhin
unangetastet gelten möchten.  Welches denn doch zuletzt von gebildeten
und verständigen Menschen nicht mehr erduldet werden konnte,
dergestalt, daß im Jahr 1690 eine Anzahl umsichtiger und kräftiger
Männer zusammentraf und einen andern Weg einzuschlagen sich beredete.

Damit aber ihre Zusammenkünfte nicht Aufsehen machen und Gegenwirkung
veranlassen möchten, so wendeten sie sich ins Freie, in ländliche
Gartenumgebungen, deren ja Rom selbst in seinen Mauern genugsame
bezirkt und einschließt.  Hiedurch ward ihnen zugleich der Gewinn,
sich der Natur zu nähern und in frischer Luft den uranfänglichen Geist
der Dichtkunst zu ahnen.  Dort, an zufälligen Plätzen, lagerten sie
sich auf dem Rasen, setzten sich auf architektonische Trümmer und
Steinblöcke, wo sogar anwesende Kardinäle nur durch ein weicheres
Kissen geehrt werden konnten.  Hier besprachen sie sich untereinander
von ihren überzeugungen, Grundsätzen, Vorhaben; hier lasen sie
Gedichte, in welchen man den Sinn des höheren Altertums, der edlen
toskanischen Schule wieder ins Leben zu führen trachtete.  Da rief
denn einer in Entzücken aus: "Hier ist unser Arkadien!"  Dies
veranlaßte den Namen der Gesellschaft sowie das Idyllische ihrer
Einrichtung.  Keine Protektion eines großen und einflußreichen Mannes
sollte sie schützen; sie wollten kein Oberhaupt, keinen Präsidenten
zugeben.  Ein Kustos sollte die arkadischen Räume öffnen und schließen
und in den notwendigsten Fällen ihm ein Rat von zu wählenden ältesten
zur Seite stehn.



"Et in Arcadia ego".  Aquarell von Reinhart

Hier ist der Name Crescimbeni ehrwürdig, welcher gar wohl als
Mitstifter angesehen werden kann und als erster Kustos sein Amt
mehrere Jahre treulich verrichtet, indem er über einen bessern,
reinern Geschmack Wache hält und das Barbarische immer mehr zu
verdrängen weiß.

Seine Dialogen über die Poesia volgare, welches nicht etwa Volkspoesie
zu übersetzen ist, sondern Poesie, wie sie einer Nation wohl ansteht,
wenn sie durch entschiedene wahre Talente ausgeübt, nicht aber durch
Grillen und Eigenheiten einzelner Wirrköpfe entstellt wird, seine
Dialogen, worin er die bessere Lehre vorträgt, sind offenbar eine
Frucht arkadischer Unterhaltungen und höchst wichtig in Vergleich mit
unserm neuen ästhetischen Bestreben.  Auch die von ihm herausgegebenen
Gedichte der "Arkadia" verdienen in diesem Sinne alle Aufmerksamkeit;
wir erlauben uns dabei nur folgende Bemerkung.

Zwar hatten die werten Schäfer, im Freien auf grünem Rasen sich
lagernd, der Natur hiedurch näherzukommen gedacht, in welchem Falle
wohl Liebe und Leidenschaft ein menschlich Herz zu überschleichen
pflegt; nun aber bestand die Gesellschaft aus geistlichen Herren und
sonstigen würdigen Personen, die sich mit dem Amor jener römischen
Triumvirn nicht einlassen durften, den sie deshalb ausdrücklich
beseitigten.  Hier also blieb nichts übrig, da dem Dichter die Liebe
ganz unentbehrlich ist, als sich zu jener überirdischen und
gewissermaßen platonischen Sehnsucht hinzuwenden, nicht weniger ins
Allegorische sich einzulassen, wodurch denn ihre Gedichte einen ganz
ehrsamen, eigentümlichen Charakter erhalten, da sie ohnehin ihren
großen Vorgängern Dante und Petrarch hierin auf dem Fuße folgen
konnten.

Diese Gesellschaft bestand, wie ich nach Rom gelangte, soeben hundert
Jahr, und hatte sich ihrer äußern Form nach durch mancherlei Orts--und
Gesinnungswechsel immer mit Anstand, wenn auch nicht in großem Ansehn
erhalten; und man ließ nicht leicht einigermaßen bedeutende Fremde in
Rom verweilen, ohne dieselben zur Aufnahme anzulocken, um so mehr, als
der Hüter dieser poetischen Ländereien bloß dadurch sich bei einem
mäßigen Einkommen erhalten konnte.

Die Funktion selbst aber ging folgendermaßen vor sich: In den
Vorzimmern eines anständigen Gebäudes ward ich einem bedeutenden
geistlichen Herrn vorgestellt, und er mir bekannt gemacht als
derjenige, der mich einführen, meinen Bürgen gleichsam oder Paten
vorstellen sollte.  Wir traten in einen großen, bereits ziemlich
belebten Saal und setzten uns in die erste Reihe von Stühlen, gerade
in die Mitte einem aufgerichteten Katheder gegenüber.  Es traten immer
mehr Zuhörer heran; an meine leergebliebene Rechte fand sich ein
stattlicher ältlicher Mann, den ich nach seiner Bekleidung und der
Ehrfurcht, die man ihm erwies, für einen Kardinal zu halten hatte.

Der Kustode, vom Katheder herab, hielt eine allgemein einleitende Rede,
rief mehrere Personen auf, welche sich teils in Versen, teils in
Prosa hören ließen.  Nachdem dieses eine gute Zeit gewährt, begann
jener eine Rede, deren Inhalt und Ausführung ich übergehe, indem sie
im ganzen mit dem Diplom zusammentraf, welches ich erhielt und hier
nachzubringen gedenke.  Hierauf wurde ich denn förmlich für einen der
Ihrigen erklärt und unter großem Händeklatschen aufgenommen und
anerkannt.

Mein sogenannter Pate und ich waren indessen aufgestanden und hatten
uns mit vielen Verbeugungen bedankt.  Er aber hielt eine wohlgedachte,
nicht allzulange, sehr schickliche Rede, worauf abermals ein
allgemeiner Beifall sich hören ließ, nach dessen Verschallen ich
Gelegenheit hatte, den einzelnen zu danken und mich ihnen zu empfehlen.
Das Diplom, welches ich den andern Tag erhielt, folgt hier im
Original und ist, da es in jeder andern Sprache seine Eigentümlichkeit
verlöre, nicht übersetzt worden.  Indessen suchte ich den Kustode mit
seinem neuen Hutgenossen auf das beste zufriedenzustellen.

C. U. C.

Nivildo Amarinzio

Custode generale d'Arcadia

Trovandosi per avventura a beare le sponde del Tebbro uno di quei Genj
di prim' Ordine, ch' oggi fioriscono nella Germania qual' è l'Inclito
ed Erudito Signor DE GOETHE Consigliere attuale di Stato di Sua
Altezza Serenissima il Duca di Sassonia Weimar, ed avendo celato fra
noi con filosofica moderazione la chiarezza della sua Nascità, de'
suoi Ministerj, e della virtù sua, non ha potuto ascondere la luce,
che hanno sparso le sue dottissime produzioni tanto in Prosa ch' in
Poesia per cui si è reso celebre a tutto il Mondo Letterario.  Quindi
essendosi compiaciuto il suddetto rinomato Signor DE GOETHE
d'intervenire in una delle pubbliche nostre Accademie, appena Egli
comparve, come un nuovo astro di cielo straniero tra le nostre selve,
ed in una delle nostre Geniali Adunanze, che gli Arcadi in gran numero
convocati co' segni del più sincero giubilo ed applauso vollero
distinguerlo come Autore di tante celebrate opere, con annoverarlo a
viva voce tra i più illustri membri della loro Pastoral Società sotto
il Nome di Megalio, e vollero altresi assegnare al Medesimo il
possesso delle Campagne Melpomenie sacre alla Tragica Musa
dichiarandolo con ciò Pastore Arcade di Numero.  Nel tempo stesso il
Ceto Universale commise al Custode Generale di registrare l'Atto
pubblico e solenne di si applaudita annoverazione tra i fasti
d'Arcadia, e di presentare al Chiarissimo Novello Compastore Megalio
Melpomenio il presente Diploma in segno dell' altissima stima, che fa
la nostra Pastorale Letteraria Repubblica de' chiari e nobili ingegni
a perpetua memoria.  Dato dalla Capanna del Serbatojo dentro il Bosco
Parrasio alla Neomenia di Possideone Olimpiade DCXLI. Anno II. dalla
Ristorazione d'Arcadia Olimpiade XXIV. Anno IV. Giorno lieto per
General Chiamata.

Nivildo Amarinzio Custode Generale.



Das Siegel hat in einem Kranze, halb Lorbeer, halb Pinien,
 in der Mitte eine Pansflöte,
 darunter
 Gli Arcadi.



Corimbo,
 Melicronio,
 Florimonte,
 Egiréo,
Sotto-Custodi.



Das Römische Karneval

Indem wir eine Beschreibung des Römischen Karnevals unternehmen,
müssen wir den Einwurf befürchten, daß eine solche Feierlichkeit
eigentlich nicht beschrieben werden könne.  Eine so große lebendige
Masse sinnlicher Gegenstände sollte sich unmittelbar vor dem Auge
bewegen und von einem jeden nach seiner Art angeschaut und gefaßt
werden.

Noch bedenklicher wird diese Einwendung, wenn wir selbst gestehen
müssen, daß das Römische Karneval einem fremden Zuschauer, der es zum
erstenmal sieht und nur sehen will und kann, weder einen ganzen noch
einen erfreulichen Eindruck gebe, weder das Auge sonderlich ergötze,
noch das Gemüt befriedige.

Die lange und schmale Straße, in welcher sich unzählige Menschen hin
und wider wälzen, ist nicht zu übersehen; kaum unterscheidet man etwas
in dem Bezirk des Getümmels, den das Auge fassen kann.  Die Bewegung
ist einförmig, der Lärm betäubend, das Ende der Tage unbefriedigend.
Allein diese Bedenklichkeiten sind bald gehoben, wenn wir uns näher
erklären; und vorzüglich wird die Frage sein, ob uns die Beschreibung
selbst rechtfertigt.

Das Römische Karneval ist ein Fest, das dem Volke eigentlich nicht
gegeben wird, sondern das sich das Volk selbst gibt.

Der Staat macht wenig Anstalten, wenig Aufwand dazu.  Der Kreis der
Freuden bewegt sich von selbst, und die Polizei regiert ihn nur mit
gelinder Hand.

Hier ist nicht ein Fest, das wie die vielen geistlichen Feste Roms die
Augen der Zuschauer blendete; hier ist kein Feuerwerk, das von dem
Kastell Sankt Angelo einen einzigen überraschenden Anblick gewährte;
hier ist keine Erleuchtung der Peterskirche und Kuppel, welche so viel
Fremde aus allen Landen herbeilockt und befriedigt; hier ist keine
glänzende Prozession, bei deren Annäherung das Volk beten und staunen
soll; hier wird vielmehr nur ein Zeichen gegeben, daß jeder so töricht
und toll sein dürfe, als er wolle, und daß außer Schlägen und
Messerstichen fast alles erlaubt sei.

Der Unterschied zwischen Hohen und Niedern scheint einen Augenblick
aufgehoben: alles nähert sich einander, jeder nimmt, was ihm begegnet,
leicht auf, und die wechselseitige Frechheit und Freiheit wird durch
eine allgemeine gute Laune im Gleichgewicht erhalten.

In diesen Tagen freuet sich der Römer noch zu unsern Zeiten, daß die
Geburt Christi das Fest der Saturnalien und seiner Privilegien wohl um
einige Wochen verschieben, aber nicht aufheben konnte.

Wir werden uns bemühen, die Freuden und den Taumel dieser Tage vor die
Einbildungskraft unserer Leser zu bringen.  Auch schmeicheln wir uns,
solchen Personen zu dienen, welche dem Römischen Karneval selbst
einmal beigewohnt und sich nun mit einer lebhaften Erinnerung jener
Zeiten vergnügen mögen; nicht weniger solchen, welchen jene Reise noch
bevorsteht und denen diese wenigen Blätter übersicht und Genuß einer
überdrängten und vorbeirauschenden Freude verschaffen können.  Der
Korso

Das Römische Karneval versammelt sich in dem Korso.  Diese Straße
beschränkt und bestimmt die öffentliche Feierlichkeit dieser Tage.  An
jedem andern Platz würde es ein ander Fest sein; und wir haben daher
vor allen Dingen den Korso selbst zu beschreiben.

Er führt den Namen wie mehrere lange Straßen italienischer Städte von
dem Wettrennen der Pferde, womit zu Rom sich jeder Karnevalsabend
schließt und womit an andern Orten andere Feierlichkeiten, als das
Fest eines Schutzpatrons, ein Kirchweihfest, geendigt werden.

Die Straße geht von der Piazza del Popolo schnurgerade bis an den
venezianischen Palast.  Sie ist ungefähr viertehalbtausend Schritte
lang und von hohen, meistenteils prächtigen Gebäuden eingefaßt.  Ihre
Breite ist gegen ihre Länge und gegen die Höhe der Gebäude nicht
verhältnismäßig.  An beiden Seiten nehmen Pflastererhöhungen für die
Fußgänger ungefähr sechs bis acht Fuß weg. In der Mitte bleibt für die
Wagen an den meisten Orten nur der Raum von zwölf bis vierzehn
Schritten, und man sieht also leicht, daß höchstens drei Fuhrwerke
sich in dieser Breite nebeneinander bewegen können.

Der Obelisk auf der Piazza del Popolo ist im Karneval die unterste
Grenze dieser Straße; der venezianische Palast die obere.
Spazierfahrt im Korso

Schon alle Sonn--und Festtage eines Jahres ist der römische Korso
belebt.  Die vornehmern und reichern Römer fahren hier eine oder
anderthalb Stunden vor Nacht in einer sehr zahlreichen Reihe spazieren;
die Wagen kommen vom venezianischen Palast herunter, halten sich an
der linken Seite, fahren, wenn es schön Wetter ist, an dem Obelisk
vorbei, zum Tore hinaus und auf den Flaminischen Weg, manchmal bis
Ponte molle.

Die früher oder später Umkehrenden halten sich an die andere Seite; so
ziehen die beiden Wagenreihen in der besten Ordnung aneinander hin.

Die Gesandten haben das Recht, zwischen beiden Reihen auf und nieder
zu fahren.  Dem Prätendenten, der sich unter dem Namen eines Herzogs
von Albanien in Rom aufhielt, war es gleichfalls zugestanden.

Sobald die Nacht eingeläutet wird, ist diese Ordnung unterbrochen;
jeder wendet, wo es ihm beliebt, und sucht seinen nächsten Weg, oft
zur Unbequemlichkeit vieler andern Equipagen, welche in dem engen Raum
dadurch gehindert und aufgehalten werden.

Diese Abendspazierfahrt, welche in allen großen italienischen Städten
brillant ist und in jeder kleinen Stadt, wäre es auch nur mit einigen
Kutschen, nachgeahmt wird, lockt viele Fußgänger in den Korso;
jedermann kommt, um zu sehen oder gesehen zu werden.

Das Karneval ist, wie wir bald bemerken können, eigentlich nur eine
Fortsetzung oder vielmehr der Gipfel jener gewöhnlichen sonn--und
festtägigen Freuden; es ist nichts Neues, nichts Fremdes, nichts
Einziges, sondern es schließt sich nur an die römische Lebensweise
ganz natürlich an.  Klima, geistliche Kleidungen

Ebensowenig fremd wird es uns scheinen, wenn wir nun bald eine Menge
Masken in freier Luft sehen, da wir so manche Lebensszene unter dem
heitern frohen Himmel das ganze Jahr durch zu erblicken gewohnt sind.

Bei einem jeden Feste bilden ausgehängte Teppiche, gestreute Blumen,
übergespannte Tücher die Straßen gleichsam zu großen Sälen und
Galerien um.

Keine Leiche wird ohne vermummte Begleitung der Brüderschaften zu
Grabe gebracht; die vielen Mönchskleidungen gewöhnen das Auge an
fremde und sonderbare Gestalten; es scheint das ganze Jahr Karneval zu
sein, und die Abbaten in schwarzer Kleidung scheinen unter den übrigen
geistlichen Masken die edlern Tabarros vorzustellen.  Erste Zeit

Schon von dem neuen Jahre an sind die Schauspielhäuser eröffnet, und
das Karneval hat seinen Anfang genommen.  Man sieht hie und da in den
Logen eine Schöne, welche als Offizier ihre Epauletten mit größter
Selbstzufriedenheit dem Volke zeigt.  Die Spazierfahrt im Korso wird
zahlreicher; doch die allgemeine Erwartung ist auf die letzten acht
Tage gerichtet.  Vorbereitungen auf die letzten Tage

Mancherlei Vorbereitungen verkündigen dem Publikum diese
paradiesischen Stunden.

Der Korso, eine von den wenigen Straßen in Rom, welche das ganze Jahr
rein gehalten werden, wird nun sorgfältiger gekehrt und gereinigt.
Man ist beschäftigt, das schöne, aus kleinen, viereckig zugehauenen,
ziemlich gleichen Basaltstücken zusammengesetzte Pflaster, wo es nur
einigermaßen abzuweichen scheint, auszuheben und die Basaltkeile
wieder neu instand zu setzen.

Außer diesem zeigen sich auch lebendige Vorboten.  Jeder
Karnevalsabend schließt sich, wie wir schon erwähnt haben, mit einem
Wettrennen.  Die Pferde, welche man zu diesem Endzweck unterhält, sind
meistenteils klein und werden wegen fremder Herkunft der besten unter
ihnen Barberi genennt.

Ein solches Pferdchen wird mit einer Decke von weißer Leinwand, welche
am Kopf, Hals und Leib genau anschließt und auf den Nähten mit bunten
Bändern besetzt ist, vor dem Obelisk an die Stelle gebracht, wo es in
der Folge auslaufen soll.  Man gewöhnt es, den Kopf gegen den Korso
gerichtet, eine Zeitlang stillzustehen, führt es alsdann sachte die
Straße hin und gibt ihm oben am venezianischen Palast ein wenig Hafer,
damit es ein Interesse empfinde, seine Bahn desto geschwinder zu
durchlaufen.

Da diese übung mit den meisten Pferden, deren oft funfzehn bis zwanzig
an der Zahl sind, wiederholt und eine solche Promenade immer von einer
Anzahl lustig schreiender Knaben begleitet wird, so gibt es schon
einen Vorschmack von einem größern Lärm und Jubel, der bald folgen
soll.

Ehemals nährten die ersten römischen Häuser dergleichen Pferde in
ihren Marställen; man schätzte sich es zur Ehre, wenn ein solches den
Preis davontragen konnte.  Es wurden Wetten angestellt und der Sieg
durch ein Gastmahl verherrlicht.

In den letzten Zeiten hingegen hat diese Liebhaberei sehr abgenommen,
und der Wunsch, durch seine Pferde Ruhm zu erlangen, ist in die
mittlere, ja in die unterste Klasse des Volks herabgestiegen.

Aus jenen Zeiten mag sich noch die Gewohnheit herschreiben, daß der
Trupp Reiter, welcher, von Trompetern begleitet, in diesen Tagen die
Preise in ganz Rom herumzeigt, in die Häuser der Vornehmen
hineinreitet und nach einem geblasenen Trompeterstückchen ein
Trinkgeld empfängt.

Der Preis bestehet aus einem etwa drittehalb Ellen langen und nicht
gar eine Elle breiten Stück Gold--oder Silberstoff, das an einer
bunten Stange wie eine Flagge befestigt schwebt und an dessen unterm
Ende das Bild einiger rennender Pferde quer eingewirkt ist.

Es wird dieser Preis Palio genannt, und soviel Tage das Karneval
dauert, so viele solcher Quasi-Standarten werden von dem erst
erwähnten Zug durch die Straßen von Rom aufgezeigt.

Inzwischen fängt auch der Korso an, seine Gestalt zu verändern; der
Obelisk wird nun die Grenze der Straße.  Vor demselben wird ein
Gerüste mit vielen Sitzreihen übereinander aufgeschlagen, welches
gerade in den Korso hineinsieht.  Vor dem Gerüste werden die Schranken
errichtet, zwischen welche man künftig die Pferde zum Ablaufen bringen
soll.

An beiden Seiten werden ferner große Gerüste gebaut, welche sich an
die ersten Häuser des Korso anschließen und auf diese Weise die Straße
in den Platz herein verlängern.  An beiden Seiten der Schranken stehen
kleine, erhöhte und bedeckte Bogen für die Personen, welche das
Ablaufen der Pferde regulieren sollen.

Den Korso hinauf sieht man vor manchen Häusern ebenfalls Gerüste
aufgerichtet.  Die Plätze von Sankt Carlo und der Antoninischen Säule
werden durch Schranken von der Straße abgesondert, und alles
bezeichnet genug, daß die ganze Feierlichkeit sich in dem langen und
schmalen Korso einschränken solle und werde.

Zuletzt wird die Straße in der Mitte mit Puzzolane bestreut, damit die
wettrennenden Pferde auf dem glatten Pflaster nicht so leicht
ausgleiten mögen.  Signal der vollkommnen Karnevalsfreiheit

So findet die Erwartung sich jeden Tag genährt und beschäftigt, bis
endlich eine Glocke vom Kapitol bald nach Mittage das Zeichen gibt, es
sei erlaubt, unter freiem Himmel töricht zu sein.

In diesem Augenblick legt der ernsthafte Römer, der sich das ganze
Jahr sorgfältig vor jedem Fehltritt hütet, seinen Ernst und seine
Bedächtigkeit auf einmal ab.

Die Pflasterer, die bis zum letzten Augenblicke gekläppert haben,
packen ihr Werkzeug auf und machen der Arbeit scherzend ein Ende.
Alle Balkone, alle Fenster werden nach und nach mit Teppichen behängt,
auf den Pflastererhöhungen zu beiden Seiten der Straße werden Stühle
herausgesetzt, die geringern Hausbewohner, alle Kinder sind auf der
Straße, die nun aufhört, eine Straße zu sein; sie gleicht vielmehr
einem großen Festsaal, einer ungeheuren ausgeschmückten Galerie.

Denn wie alle Fenster mit Teppichen behängt sind, so stehen auch alle
Gerüste mit alten gewirkten Tapeten beschlagen; die vielen Stühle
vermehren den Begriff von Zimmer, und der freundliche Himmel erinnert
selten, daß man ohne Dach sei.

So scheint die Straße nach und nach immer wohnbarer.  Indem man aus
dem Hause tritt, glaubt man nicht im Freien und unter Fremden, sondern
in einem Saale unter Bekannten zu sein.



Wache

Indessen daß der Korso immer belebter wird und unter den vielen
Personen, die in ihren gewöhnlichen Kleidern spazieren, sich hier und
da ein Pulcinell zeigt, hat sich das Militär vor der Porta del Popolo
versammelt.  Es zieht, angeführt von dem General zu Pferde, in guter
Ordnung und neuer Montur mit klingendem Spiel den Korso herauf und
besetzt sogleich alle Eingänge in denselben, errichtet ein paar Wachen
auf den Hauptplätzen und übernimmt die Sorge für die Ordnung der
ganzen Anstalt.

Die Verleiher der Stühle und Gerüste rufen nun emsig den
Vorbeigehenden an: "Luoghi!  Luoghi, Padroni!  Luoghi!"  Masken

Nun fangen die Masken an, sich zu vermehren.  Junge Männer, geputzt in
Festtagskleidern der Weiber aus der untersten Klasse, mit entblößtem
Busen und frecher Selbstgenügsamkeit, lassen sich meist zuerst sehen.
Sie liebkosen die ihnen begegnenden Männer, tun gemein und vertraut
mit den Weibern als mit ihresgleichen, treiben sonst, was ihnen Laune,
Witz oder Unart eingeben.

Wir erinnern uns unter andern eines jungen Menschen, der die Rolle
einer leidenschaftlichen, zanksüchtigen und auf keine Weise zu
beruhigenden Frau vortrefflich spielte und so sich den ganzen Korso
hinab zankte, jedem etwas anhängte, indes seine Begleiter sich alle
Mühe zu geben schienen, ihn zu besänftigen.

Hier kommt ein Pulcinell gelaufen, dem ein großes Horn an bunten
Schnüren um die Hüften gaukelt.  Durch eine geringe Bewegung, indem er
sich mit den Weibern unterhält, weiß er die Gestalt des alten Gottes
der Gärten in dem heiligen Rom kecklich nachzuahmen, und seine
Leichtfertigkeit erregt mehr Lust als Unwillen.  Hier kommt ein
anderer seinesgleichen, der, bescheidner und zufriedner, seine schöne
Hälfte mit sich bringt.



Römische Masken.  Radierung von Schütz

Da die Frauen ebensoviel Lust haben, sich in Mannskleidern zu zeigen,
als die Männer, sich in Frauenskleidern sehen zu lassen, so haben sie
die beliebte Tracht des Pulcinells sich anzupassen nicht verfehlt, und
man muß bekennen, daß es ihnen gelingt, in dieser Zwittergestalt oft
höchst reizend zu sein.

Mit schnellen Schritten, deklamierend, wie vor Gericht, drängt sich
ein Advokat durch die Menge; er schreit an die Fenster hinauf, packt
maskierte und unmaskierte Spaziergänger an, droht einem jeden mit
einem Prozeß, macht bald jenem eine lange Geschichtserzählung von
lächerlichen Verbrechen, die er begangen haben soll, bald diesem eine
genaue Spezifikation seiner Schulden.  Die Frauen schilt er wegen
ihrer Cicisbeen, die Mädchen wegen ihrer Liebhaber; er beruft sich auf
ein Buch, das er bei sich führt, produziert Dokumente, und das alles
mit einer durchdringenden Stimme und geläufigen Zunge.  Er sucht
jedermann zu beschämen und konfus zu machen.  Wenn man denkt, er höre
auf, so fängt er erst recht an; denkt man, er gehe weg, so kehrt er um;
auf den einen geht er gerade los und spricht ihn nicht an, er packt
einen andern, der schon vorbei ist; kommt nun gar ein Mitbruder ihm
entgegen, so erreicht die Tollheit ihren höchsten Grad.

Aber lange können sie die Aufmerksamkeit des Publikums nicht auf sich
ziehen; der tollste Eindruck wird gleich von Menge und
Mannigfaltigkeit wieder verschlungen.

Besonders machen die Quacqueri zwar nicht so viel Lärm, doch
ebensoviel Aufsehen als die Advokaten.  Die Maske der Quacqueri
scheint so allgemein geworden zu sein durch die Leichtigkeit, auf dem
Trödel altfränkische Kleidungsstücke finden zu können.

Die Haupterfordernisse dieser Maske sind, daß die Kleidung zwar
altfränkisch, aber wohlerhalten und von edlem Stoff sei.  Man sieht
sie selten anders als mit Samt oder Seide bekleidet, sie tragen
brokatene oder gestickte Westen, und der Statur nach muß der Quacquero
dickleibig sein; seine Gesichtsmaske ist ganz, mit Pausbacken und
kleinen Augen; seine Perücke hat wunderliche Zöpfchen; sein Hut ist
klein und meistens bordiert.

Man siehet, daß sich diese Figur sehr dem Buffo caricato der komischen
Oper nähert, und wie dieser meistenteils einen läppischen, verliebten,
betrogenen Toren vorstellt, so zeigen sich auch diese als
abgeschmackte Stutzer.  Sie hüpfen mit großer Leichtigkeit auf den
Zehen hin und her, führen große schwarze Ringe ohne Glas statt der
Lorgnetten, womit sie in alle Wagen hineingucken, nach allen Fenstern
hinaufblicken.  Sie machen gewöhnlich einen steifen, tiefen Bückling,
und ihre Freude, besonders wenn sie sich einander begegnen, geben sie
dadurch zu erkennen, daß sie mit gleichen Füßen mehrmals gerade in die
Höhe hüpfen und einen hellen, durchdringenden, unartikulierten Laut
von sich geben, der mit den Konsonanten brr verbunden ist.

Oft geben sie sich durch diesen Ton das Zeichen, und die nächsten
erwidern das Signal, so daß in kurzer Zeit, dieses Geschrille den
ganzen Korso hin und wider läuft.

Mutwillige Knaben blasen indes in große gewundne Muscheln und
beleidigen das Ohr mit unerträglichen Tönen.

Man sieht bald, daß bei der Enge des Raums, bei der ähnlichkeit so
vieler Maskenkleidungen (denn es mögen immer einige hundert Pulcinelle
und gegen hundert Quacqueri im Korso auf und nieder laufen) wenige die
Absicht haben können, Aufsehn zu erregen oder bemerkt zu werden.  Auch
müssen diese früh genug im Korso erscheinen.  Vielmehr geht ein jeder
nur aus, sich zu vergnügen, seine Tollheit auszulassen und der
Freiheit dieser Tage auf das beste zu genießen.

Besonders suchen und wissen die Mädchen und Frauen sich in dieser Zeit
nach ihrer Art lustig zu machen.  Jede sucht nur aus dem Hause zu
kommen, sich, auf welche Art es sei, zu vermummen, und weil die
wenigsten in dem Fall sind, viel Geld aufwenden zu können, so sind sie
erfinderisch genug, allerlei Arten auszudenken, wie sie sich mehr
verstecken als zieren.

Sehr leicht sind die Masken von Bettlern und Bettlerinnen zu schaffen;
schöne Haare werden vorzüglich erfordert, dann eine ganz weiße
Gesichtsmaske, ein irdenes Töpfchen an einem farbigen Bande, ein Stab
und ein Hut in der Hand.  Sie treten mit demütiger Gebärde unter die
Fenster und vor jeden hin und empfangen statt Almosen Zuckerwerk,
Nüsse und was man ihnen sonst Artiges geben mag.

Andere machen sich es noch bequemer, hüllen sich in Pelze oder
erscheinen in einer artigen Haustracht nur mit Gesichtsmasken.  Sie
gehen meistenteils ohne Männer und führen als Offund Defensivwaffe ein
Besenchen, aus der Blüte eines Rohrs gebunden, womit sie teils die
überlästigen abwehren, teils auch, mutwillig genug, Bekannten und
Unbekannten, die ihnen ohne Masken entgegenkommen, im Gesicht
herumfahren.

Wenn einer, auf den sie es gemünzt haben, zwischen vier oder fünf
solcher Mädchen hineinkommt, weiß er sich nicht zu retten.  Das
Gedränge hindert ihn zu fliehen, und wo er sich hinwendet, fühlt er
die Besenchen unter der Nase.  Sich ernstlich gegen diese oder andere
Neckereien zu wehren würde sehr gefährlich sein, weil die Masken
unverletzlich sind und jede Wache ihnen beizustehen beordert ist.

Ebenso müssen die gewöhnlichen Kleidungen aller Stände als Masken
dienen.  Stallknechte mit ihren großen Bürsten kommen, einem jeden,
wenn es ihnen beliebt, den Rücken auszukehren.  Vetturine bieten ihre
Dienste mit ihrer gewöhnlichen Zudringlichkeit an.  Zierlicher sind
die Masken der Landmädchen, Fraskatanerinnen, Fischer, Neapolitaner
Schiffer, neapolitanischer Sbirren und Griechen.

Manchmal wird eine Maske vom Theatern nachgeahmt.  Einige machen
sich's sehr bequem, indem sie sich in Teppiche oder Leintücher hüllen,
die sie über dem Kopfe zusammenbinden.

Die weiße Gestalt pflegt gewöhnlich andern in den Weg zu treten und
vor ihnen zu hüpfen und glaubt auf diese Weise ein Gespenst
vorzustellen.  Einige zeichnen sich durch sonderbare Zusammensetzungen
aus, und der Tabarro wird immer für die edelste Maske gehalten, weil
sie sich gar nicht auszeichnet.

Witzige und satirische Masken sind sehr selten, weil diese schon
Endzweck haben und bemerkt sein wollen.  Doch sah man einen Pulcinell
als Hahnrei.  Die Hörner waren beweglich, er konnte sie wie eine
Schnecke heraus--und hineinziehen.  Wenn er unter ein Fenster vor neu
Verheiratete trat und ein Horn nur ein wenig sehen ließ, oder vor
einem andern beide Hörner recht lang streckte und die an den obern
Spitzen befestigten Schellen recht wacker klingelten, entstand auf
Augenblicke eine heitere Aufmerksamkeit des Publikums und manchmal ein
großes Gelächter.

Ein Zauberer mischt sich unter die Menge, läßt das Volk ein Buch mit
Zahlen sehn und erinnert es an seine Leidenschaft zum Lottospiel.

Mit zwei Gesichtern steckt einer im Gedränge: man weiß nicht, welches
sein Vorderteil, welches sein Hinterteil ist, ob er kommt, ob er geht.

Der Fremde muß sich auch gefallen lassen, in diesen Tagen verspottet
zu werden.  Die langen Kleider der Nordländer, die großen Knöpfe, die
wunderlichen runden Hüte fallen den Römern auf, und so wird ihnen der
Fremde eine Maske.

Weil die fremden Maler, besonders die, welche Landschaften und Gebäude
studieren, in Rom überall öffentlich sitzen und zeichnen, so werden
sie auch unter der Karnevalsmenge emsig vorgestellt und zeigen sich
mit großen Portefeuillen, langen Surtouts und kolossalischen
Reißfedern sehr geschäftig.

Die deutschen Bäckerknechte zeichnen sich in Rom gar oft betrunken aus,
und sie werden auch mit einer Flasche Wein in ihrer eigentlichen oder
auch etwas verzierten Tracht taumelnd vorgestellt.

Wir erinnern uns einer einzigen anzüglichen Maske.  Es sollte ein
Obelisk vor der Kirche Trinità de' Monti aufgerichtet werden.  Das
Publikum war nicht sehr damit zufrieden, teils weil der Platz eng ist,
teils weil man dem kleinen Obelisk, um ihn in eine gewisse Höhe zu
bringen, ein sehr hohes Piedestal unterbauen mußte.  Es nahm daher
einer den Anlaß, ein großes weißes Piedestal als Mütze zu tragen, auf
welchem oben ein ganz kleiner rötlicher Obelisk befestigt war.  An dem
Piedestal standen große Buchstaben, deren Sinn vielleicht nur wenige
errieten.  Kutschen

Indessen die Masken sich vermehren, fahren die Kutschen nach und nach
in den Korso hinein, in derselben Ordnung, wie wir sie oben
beschrieben haben, als von der sonn--und festtägigen Spazierfahrt die
Rede war, nur mit dem Unterschied, daß gegenwärtig die Fuhrwerke,
welche vom venezianischen Palast an der linken Seite herunterfahren,
da, wo die Straße des Korso aufhört, wenden und sogleich an der andern
Seite wieder herauffahren.

Wir haben schon oben angezeigt, daß die Straße, wenn man die
Erhöhungen für die Fußgänger abrechnet, an den meisten Orten wenig
über drei Wagenbreiten hat.

Die Seitenerhöhungen sind alle mit Gerüsten versperrt, mit Stühlen
besetzt, und viele Zuschauer haben schon ihre Plätze eingenommen.  An
Gerüsten und Stühlen geht ganz nahe eine Wagenreihe hinunter und an
der andern Seite hinauf.  Die Fußgänger sind in eine Breite von
höchstens acht Fuß zwischen den beiden Reihen eingeschlossen; jeder
drängt sich hin--und herwärts, so gut er kann, und von allen Fenstern
und Balkonen sieht wieder eine gedrängte Menge auf das Gedränge
herunter.

In den ersten Tagen sieht man meist nur die gewöhnlichen Equipagen;
denn jeder verspart auf die folgenden, was er Zierliches oder
Prächtiges allenfalls aufführen will.  Gegen Ende des Karnevals kommen
mehr offene Wagen zum Vorschein, deren einige sechs Sitze haben: zwei
Damen sitzen erhöht gegeneinander über, so daß man ihre ganze Gestalt
sehen kann, vier Herren nehmen die vier übrigen Sitze der Winkel ein,
Kutscher und Bediente sind maskiert, die Pferde mit Flor und Blumen
geputzt.

Oft steht ein schöner, weißer, mit rosenfarbnen Bändern gezierter
Pudel dem Kutscher zwischen den Füßen, an dem Geschirre klingen
Schellen, und die Aufmerksamkeit des Publikums wird einige Augenblicke
auf diesen Aufzug geheftet.

Man kann leicht denken, daß nur schöne Frauen sich so vor dem ganzen
Volke zu erhöhen wagen, und daß nur die Schönste ohne Gesichtsmaske
sich sehen läßt.  Wo sich denn aber auch der Wagen nähert, der
gewöhnlich langsam genug fahren muß, sind alle Augen darauf gerichtet,
und sie hat die Freude, von manchen Seiten zu hören: "O quanto è bella!"

Ehemals sollen diese Prachtwagen weit häufiger und kostbarer, auch
durch mythologische und allegorische Vorstellungen interessanter
gewesen sein; neuerdings aber scheinen die Vornehmern, es sei nun aus
welchem Grunde es wolle, verloren in dem Ganzen, das Vergnügen, das
sie noch bei dieser Feierlichkeit finden, mehr genießen, als sich vor
andern auszeichnen zu wollen.

Je weiter das Karneval vorrückt, desto lustiger sehen die Equipagen
aus.

Selbst ernsthafte Personen, welche unmaskiert in den Wagen sitzen,
erlauben ihren Kutschern und Bedienten, sich zu maskieren.  Die
Kutscher wählen meistenteils die Frauentracht, und in den letzten
Tagen scheinen nur Weiber die Pferde zu regieren.  Sie sind oft
anständig, ja reizend gekleidet; dagegen macht denn auch ein breiter,
häßlicher Kerl in völlig neumodischem Putz mit hoher Frisur und Federn
eine große Karikatur; und wie jene Schönheiten ihr Lob zu hören hatten,
so muß er sich gefallen lassen, daß ihm einer unter die Nase tritt
und ihm zuruft: "O fratello mio, che brutta puttana sei!"

Gewöhnlich erzeigt der Kutscher einer oder einem paar seiner
Freundinnen den Dienst, wenn er sie im Gedränge antrifft, sie auf den
Bock zu heben.  Diese sitzen denn gewöhnlich in Mannstracht an seiner
Seite, und oft gaukeln dann die niedlichen Pulcinellbeinchen mit
kleinen Füßchen und hohen Absätzen den Vorübergehenden um die Köpfe.

Ebenso machen es die Bedienten und nehmen ihre Freunde und Freundinnen
hinten auf den Wagen, und es fehlt nichts, als daß sie sich noch wie
auf die englischen Landkutschen oben auf den Kasten setzten.

Die Herrschaften selbst scheinen es gerne zu sehen, wenn ihre Wagen
recht bepackt sind; alles ist in diesen Tagen vergönnt und schicklich.



Gedränge

Man werfe nun einen Blick über die lange und schmale Straße, wo von
allen Balkonen und aus allen Fenstern über lang herabhängende bunte
Teppiche gedrängte Zuschauer auf die mit Zuschauern angefüllten
Gerüste, auf die langen Reihen besetzter Stühle an beiden Seiten der
Straße herunterschauen.  Zwei Reihen Kutschen bewegen sich langsam in
dem mittlern Raum, und der Platz, den allenfalls eine dritte Kutsche
einnehmen könnte, ist ganz mit Menschen ausgefüllt, welche nicht hin
und wider gehen, sondern sich hin und wider schieben.  Da die Kutschen,
so lang als es nur möglich ist, sich immer ein wenig voneinander
abhalten, um nicht bei jeder Stockung gleich aufeinander zu fahren, so
wagen sich viele Fußgänger, um nur einigermaßen Luft zu schöpfen, aus
dem Gedränge der Mitte zwischen die Räder des vorausfahrenden und die
Deichsel und Pferde des nachfahrenden Wagens, und je größer die Gefahr
und Beschwerlichkeit der Fußgänger wird, desto mehr scheint ihre Laune
und Kühnheit zu steigen.

Da die meisten Fußgänger, welche zwischen den beiden Kutschenreihen
sich bewegen, um ihre Glieder und Kleidungen zu schonen, die Räder und
Achsen sorgfältig vermeiden, so lassen sie gewöhnlich mehr Platz
zwischen sich und den Wagen, als nötig ist; wer nun mit der langsamen
Masse sich fortzubewegen nicht länger ausstehen mag und Mut hat,
zwischen den Rädern und Fußgängern, zwischen der Gefahr und dem, der
sich davor fürchtet, durchzuschlüpfen, der kann in kurzer Zeit einen
großen Weg zurücklegen, bis er sich wieder durch ein anderes Hindernis
aufgehalten sieht.

Schon gegenwärtig scheint unsere Erzählung außer den Grenzen des
Glaubwürdigen zu schreiten, und wir würden kaum wagen fortzufahren,
wenn nicht so viele, die dem Römischen Karneval beigewohnt, bezeugen
könnten, daß wir uns genau an der Wahrheit gehalten, und wenn es nicht
ein Fest wäre, das sich jährlich wiederholt und das von manchem mit
diesem Buche in der Hand künftig betrachtet werden wird.

Denn was werden unsere Leser sagen, wenn wir ihnen erklären, alles
bisher Erzählte sei nur gleichsam der erste Grad des Gedränges, des
Getümmels, des Lärmens und der Ausgelassenheit?  Zug des Gouverneurs
und Senators

Indem die Kutschen sachte vorwärts rücken und, wenn es eine Stockung
gibt, stille halten, werden die Fußgänger auf mancherlei Weise geplagt.


Einzeln reitet die Garde des Papstes durch das Gedränge hin und wider,
um die zufälligen Unordnungen und Stockungen der Wagen ins Geleis zu
bringen, und indem einer den Kutschpferden ausweicht, fühlt er, ehe er
sich's versieht, den Kopf eines Reitpferdes im Nacken; allein es folgt
eine größere Unbequemlichkeit.

Der Gouverneur fährt in einem großen Staatswagen mit einem Gefolge von
mehreren Kutschen durch die Mitte zwischen den beiden Reihen der
übrigen Wagen durch.  Die Garde des Papstes und die vorausgehenden
Bedienten warnen und machen Platz, und dieser Zug nimmt für den
Augenblick die ganze Breite ein, die kurz vorher den Fußgängern noch
übrigblieb.  Sie drängen sich, so gut sie können, zwischen die übrigen
Wagen hinein und auf eine oder die andere Weise beiseite.  Und wie das
Wasser, wenn ein Schiff durchfährt, sich nur einen Augenblick trennt
und hinter dem Steuerruder gleich wieder zusammenstürzt, so strömt
auch die Masse der Masken und der übrigen Fußgänger hinter dem Zuge
gleich wieder in eins zusammen.  Nicht lange, so stört eine neue
Bewegung die gedrängte Gesellschaft.

Der Senator rückt mit einem ähnlichen Zuge heran; sein großer
Staatswagen und die Wagen seines Gefolges schwimmen wie auf den Köpfen
der erdrückten Menge, und wenn jeder Einheimische und Fremde von der
Liebenswürdigkeit des gegenwärtigen Senators, des Prinzen Rezzonico,
eingenommen und bezaubert wird, so ist vielleicht dieses der einzige
Fall, wo eine Masse von Menschen sich glücklich preist, wenn er sich
entfernt.

Wenn diese beiden Züge der ersten Gerichts--und Polizeiherren von Rom,
nur um das Karneval feierlich zu eröffnen, den ersten Tag durch den
Korso gedrungen waren, fuhr der Herzog von Albanien täglich zu großer
Unbequemlichkeit der Menge gleichfalls diesen Weg und erinnerte zur
Zeit der allgemeinen Mummerei die alte Beherrscherin der Könige an das
Fastnachtsspiel seiner königlichen Prätensionen.

Die Gesandten, welche das gleiche Recht haben, bedienen sich dessen
sparsam und mit einer humanen Diskretion.  Schöne Welt am Palast
Ruspoli

Aber nicht allein durch diese Züge wird die Zirkulation des Korso
unterbrochen und gehindert; am Palast Ruspoli und in dessen Nähe, wo
die Straße um nichts breiter wird, sind die Pflasterwege an beiden
Seiten mehr erhöht.  Dort nimmt die schöne Welt ihren Platz, und alle
Stühle sind bald besetzt oder besprochen.  Die schönsten Frauenzimmer
der Mittelklasse, reizend maskiert, umgeben von ihren Freunden, zeigen
sich dort dem vorübergehenden neugierigen Auge.  Jeder, der in die
Gegend kommt, verweilt, um die angenehmen Reihen zu durchschauen;
jeder ist neugierig, unter den vielen männlichen Gestalten, die dort
zu sitzen scheinen, die weiblichen herauszusuchen und vielleicht in
einem niedlichen Offizier den Gegenstand seiner Sehnsucht zu entdecken.
Hier an diesem Flecke stockt die Bewegung zuerst, denn die Kutschen
verweilen, so lange sie können, in dieser Gegend, und wenn man zuletzt
halten soll, will man doch lieber in dieser angenehmen Gesellschaft
bleiben.  Konfetti

Wenn unsere Beschreibung bisher nur den Begriff von einem engen, ja
beinahe ängstlichen Zustande gegeben hat, so wird sie einen noch
sonderbarern Eindruck machen, wenn wir ferner erzählen, wie diese
gedrängte Lustbarkeit durch eine Art von kleinem, meist scherzhaftem,
oft aber nur allzu ernstlichem Kriege in Bewegung gesetzt wird.

Wahrscheinlich hat einmal zufällig eine Schöne ihren vorbeigehenden
guten Freund, um sich ihm unter der Menge und Maske bemerklich zu
machen, mit verzuckerten Körnern angeworfen, da denn nichts
natürlicher ist, als daß der Getroffene sich umkehre und die lose
Freundin entdecke; dieses ist nun ein allgemeiner Gebrauch, und man
sieht oft nach einem Wurfe ein Paar freundliche Gesichter sich
einander begegnen.  Allein man ist teils zu haushälterisch, um
wirkliches Zuckerwerk zu verschwenden, teils hat der Mißbrauch
desselben einen größern und wohlfeilern Vorrat nötig gemacht.

Es ist nun ein eignes Gewerbe, Gipszeltlein, durch den Trichter
gemacht, die den Schein von Drageen haben, in großen Körben zum
Verkauf mitten durch die Menge zu tragen.

Niemand ist vor einem Angriff sicher; jedermann ist im
Verteidigungszustande, und so entsteht aus Mutwillen oder
Notwendigkeit bald hier, bald da ein Zweikampf, ein Scharmützel oder
eine Schlacht.  Fußgänger, Kutschenfahrer, Zuschauer aus Fenstern, von
Gerüsten oder Stühlen greifen einander wechselsweise an und
verteidigen sich wechselsweise.

Die Damen haben vergoldete und versilberte Körbchen voll dieser Körner,
und die Begleiter wissen ihre Schönen sehr wacker zu verteidigen.
Mit niedergelassenen Kutschenfenstern erwartet man den Angriff, man
scherzt mit seinen Freunden und wehrt sich hartnäckig gegen Unbekannte.


Nirgends aber wird dieser Streit ernstlicher und allgemeiner als in
der Gegend des Palasts Ruspoli.  Alle Masken, die sich dort
niedergelassen haben, sind mit Körbchen, Säckchen, zusammengebundnen
Schnupftüchern versehen.  Sie greifen öfter an, als sie angegriffen
werden; keine Kutsche fährt ungestraft vorbei, ohne daß ihr nicht
wenigstens einige Masken etwas anhängen.  Kein Fußgänger ist vor ihnen
sicher, besonders wenn sich ein Abbate im schwarzen Rocke sehen läßt,
werfen alle von allen Seiten auf ihn, und weil Gips und Kreide, wohin
sie treffen, abfärben, so sieht ein solcher bald über und über weiß
und grau punktiert aus.  Oft aber werden die Händel sehr ernsthaft und
allgemein, und man sieht mit Erstaunen, wie Eifersucht und
persönlicher Haß sich freien Lauf lassen.

Unbemerkt schleicht sich eine vermummte Figur heran und trifft mit
einer Hand voll Konfetti eine der ersten Schönheiten so heftig und so
gerade, daß die Gesichtsmaske widerschallt und ihr schöner Hals
verletzt wird.  Ihre Begleiter zu beiden Seiten werden heftig
aufgereizt, aus ihren Körbchen und Säckchen stürmen sie gewaltig auf
den Angreifenden los; er ist aber so gut vermummt, zu stark
geharnischt, als daß er ihre wiederholten Würfe empfinden sollte.  Je
sicherer er ist, desto heftiger setzt er seinen Angriff fort; die
Verteidiger decken das Frauenzimmer mit den Tabarros zu, und weil der
Angreifende in der Heftigkeit des Streits auch die Nachbarn verletzt
und überhaupt durch seine Grobheit und Ungestüm jedermann beleidigt,
so nehmen die Umhersitzenden teil an diesem Streit, sparen ihre
Gipskörner nicht und haben meistenteils auf solche Fälle eine etwas
größere Munition, ungefähr wie verzuckerte Mandeln, in Reserve,
wodurch der Angreifende zuletzt so zugedeckt und von allen Seiten her
überfallen wird, daß ihm nichts als die Retraite übrigbleibt,
besonders wenn er sich verschossen haben sollte.

Gewöhnlich hat einer, der auf ein solches Abenteuer ausgeht, einen
Sekundanten bei sich, der ihm Munition zusteckt, inzwischen daß die
Männer, welche mit solchen Gipskonfetti handeln, während des Streits
mit ihren Körben geschäftig sind und einem jeden, soviel Pfund er
verlangt, eilig zuwiegen.

Wir haben selbst einen solchen Streit in der Nähe gesehn, wo zuletzt
die Streitenden aus Mangel an Munition sich die vergoldeten Körbchen
an die Köpfe warfen und sich durch die Warnungen der Wachen, welche
selbst heftig mit getroffen wurden, nicht abhalten ließen.

Gewiß würde mancher solche Handel mit Messerstichen sich endigen, wenn
nicht die an mehreren Ecken aufgezogenen Corden, die bekannten
Strafwerkzeuge italienischer Polizei, jeden mitten in der Lustbarkeit
erinnerten, daß es in diesem Augenblicke sehr gefährlich sei, sich
gefährlicher Waffen zu bedienen.

Unzählig sind diese Händel und die meisten mehr lustig als ernsthaft.

So kommt z.  E. ein offner Wagen voll Pulcinellen gegen Ruspoli heran.
Er nimmt sich vor, indem er bei den Zuschauern vorbeifährt, alle
nacheinander zu treffen; allein unglücklicherweise ist das Gedränge zu
groß, und er bleibt in der Mitte stecken.  Die ganze Gesellschaft wird
auf einmal eines Sinnes, und von allen Seiten hagelt es auf den Wagen
los.  Die Pulcinelle verschießen ihre Munition und bleiben eine gute
Weile dem kreuzenden Feuer von allen Seiten ausgesetzt, so daß der
Wagen am Ende ganz wie mit Schnee und Schloßen bedeckt, unter einem
allgemeinen Gelächter und von Tönen des Mißbilligens begleitet, sich
langsam entfernt.  Dialog am obern Ende des Korso

Indessen in dem Mittelpunkte des Korso diese lebhaften und heftigen
Spiele einen großen Teil der schönen Welt beschäftigen, findet ein
anderer Teil des Publikums an dem obern Ende des Korso eine andere Art
von Unterhaltung.

Unweit der französischen Akademie tritt in spanischer Tracht mit
Federhut, Degen und großen Handschuhen unversehens mitten aus den von
einem Gerüste zuschauenden Masken der sogenannte Capitano des
italienischen Theaters auf und fängt an, seine großen Taten zu Land
und Wasser in emphatischem Ton zu erzählen.  Es währt nicht lange, so
erhebt sich gegen ihm über ein Pulcinell, bringt Zweifel und
Einwendungen vor, und indem er ihm alles zuzugeben scheint, macht er
die Großsprecherei jenes Helden durch Wortspiele und eingeschobene
Plattheiten lächerlich.

Auch hier bleibt jeder Vorbeigehende stehen und hört dem lebhaften
Wortwechsel zu.  Pulcinellenkönig

Ein neuer Aufzug vermehret oft das Gedränge.  Ein Dutzend Pulcinelle
tun sich zusammen, erwählen einen König, krönen ihn, geben ihm ein
Zepter in die Hand, begleiten ihn mit Musik und führen ihn unter
lautem Geschrei auf einem verzierten Wägelchen den Korso herauf.  Alle
Pulcinelle springen herbei, wie der Zug vorwärts geht, vermehren das
Gefolge und machen sich mit Geschrei und Schwenken der Hüte Platz.

Alsdann bemerkt man erst, wie jeder diese allgemeine Maske zu
vermannigfaltigen sucht.

Der eine trägt eine Perücke, der andere eine Weiberhaube zu seinem
schwarzen Gesicht, der dritte hat statt der Mütze einen Käfig auf dem
Kopfe, in welchem ein Paar Vögel, als Abbate und Dame gekleidet, auf
den Stängelchen hin und wider hüpfen.



Nebenstraßen

Das entsetzliche Gedränge, das wir unsern Lesern soviel als möglich zu
vergegenwärtigen gesucht haben, zwingt natürlicherweise eine Menge
Masken aus dem Korso hinaus in die benachbarten Straßen.  Da gehen
verliebte Paare ruhiger und vertrauter zusammen, da finden lustige
Gesellen Platz, allerlei tolle Schauspiele vorzustellen.

Eine Gesellschaft Männer in der Sonntagstracht des gemeinen Volkes, in
kurzen Wämsern mit goldbesetzten Westen darunter, die Haare in ein
lang herunterhängendes Netz gebunden, gehen mit jungen Leuten, die
sich als Weiber verkleidet haben, hin und wider spazieren.  Eine von
den Frauen scheint hochschwanger zu sein, sie gehen friedlich auf und
nieder.  Auf einmal entzweien sich die Männer, es entstehet ein
lebhafter Wortwechsel, die Frauen mischen sich hinein, der Handel wird
immer ärger, endlich ziehen die Streitenden große Messer von
versilberter Pappe und fallen einander an.  Die Weiber halten sie mit
gräßlichem Geschrei auseinander, man zieht den einen da-, den andern
dorthin, die Umstehenden nehmen teil, als wenn es Ernst wäre, man
sucht jede Partei zu besänftigen.

Indessen befindet sich die hochschwangere Frau durch den Schrecken
übel; es wird ein Stuhl herbeigebracht, die übrigen Weiber stehen ihr
bei, sie gebärdet sich jämmerlich, und ehe man sich's versieht, bringt
sie zu großer Erlustigung der Umstehenden irgendeine unförmliche
Gestalt zur Welt.  Das Stück ist aus, und die Truppe zieht weiter, um
dasselbe oder ein ähnliches Stück an einem andern Platze vorzustellen.

So spielt der Römer, dem die Mordgeschichten immer vor der Seele
schweben, gern bei jedem Anlaß mit den Ideen von Ammazzieren.  Sogar
die Kinder haben ein Spiel, das sie "Chiesa" nennen, welches mit
unserm "Frischauf in allen Ecken" übereinkommt, eigentlich aber einen
Mörder vorstellt, der sich auf die Stufe einer Kirche geflüchtet hat;
die übrigen stellen die Sbirren vor und suchen ihn auf allerlei Weise
zu fangen, ohne jedoch den Schutzort betreten zu dürfen.

So geht es denn in den Seitenstraßen, besonders der Strada Babuino und
auf dem Spanischen Platze, ganz lustig zu.

Auch kommen die Quacqueri zu Scharen, um ihre Galanterien freier
anzubringen.

Sie haben ein Manöver, welches jeden zu lachen macht.  Sie kommen zu
zwölf Mann hoch ganz strack auf den Zehen mit kleinen und schnellen
Schritten anmarschiert, formieren eine sehr gerade Fronte; auf einmal,
wenn sie auf einen Platz kommen, bilden sie mit Rechts--oder Linksum
eine Kolonne und trippeln nun hintereinander weg. Auf einmal wird mit
Rechtsum die Fronte wiederhergestellt, und so geht's eine Straße
hinein; dann, ehe man sich's versieht, wieder linksum: die Kolonne ist
wie an einem Spieß zu einer Haustüre hineingeschoben, und die Toren
sind verschwunden.  Abend

Nun geht es nach dem Abend zu, und alles drängt sich immer mehr in den
Korso hinein.  Die Bewegung der Kutschen stockt schon lange, ja, es
kann geschehen, daß zwei Stunden vor Nacht schon kein Wagen mehr von
der Stelle kann.

Die Garde des Papstes und die Wachen zu Fuß sind nun beschäftigt, alle
Wagen, soweit es möglich, von der Mitte ab und in eine ganz gerade
Reihe zu bringen, und es gibt bei der Menge hier mancherlei Unordnung
und Verdruß.  Da wird gehuft, geschoben, gehoben, und indem einer huft,
müssen alle hinter ihm auch zurückweichen, bis einer zuletzt so in
die Klemme kommt, daß er mit seinen Pferden in die Mitte hineinlenken
muß.  Alsdann geht das Schelten der Garde, das Fluchen und Drohen der
Wache an.

Vergebens, daß der unglückliche Kutscher die augenscheinliche
Unmöglichkeit dartut; es wird auf ihn hineingescholten und gedroht,
und entweder es muß sich wieder fügen, oder wenn ein Nebengäßchen in
der Nähe ist, muß er ohne Verschulden aus der Reihe hinaus.
Gewöhnlich sind die Nebengäßchen auch mit haltenden Kutschen besetzt,
die zu spät kamen und, weil der Umgang der Wagen schon ins Stocken
geraten war, nicht mehr einrücken konnten.  Vorbereitung zum
Wettrennen

Der Augenblick des Wettrennens der Pferde nähert sich nun immer mehr,
und auf diesen Augenblick ist das Interesse so vieler tausend Menschen
gespannt.

Die Verleiher der Stühle, die Unternehmer der Gerüste vermehren nun
ihr anbietendes Geschrei: "Luoghi!  Luoghi avanti!  Luoghi nobili!
Luoghi, Padroni!"  Es ist darum zu tun, daß ihnen wenigstens in diesen
letzten Augenblicken, auch gegen ein geringeres Geld, alle Plätze
besetzt werden.

Und glücklich, daß hier und da noch Platz zu finden ist; denn der
General reitet nunmehr mit einem Teil der Garde den Korso zwischen den
beiden Reihen Kutschen herunter und verdrängt die Fußgänger von dem
einzigen Raum, der ihnen noch übrigblieb.  Jeder sucht alsdann noch
einen Stuhl, einen Platz auf einem Gerüste, auf einer Kutsche,
zwischen den Wagen oder bei Bekannten an einem Fenster zu finden, die
denn nun alle von Zuschauern über und über strotzen.

Indessen ist der Platz vor dem Obelisk ganz vom Volke gereiniget
worden und gewährt vielleicht einen der schönsten Anblicke, welche in
der gegenwärtigen Welt gesehen werden können.

Die drei mit Teppichen behängten Fassaden der oben beschriebenen
Gerüste schließen den Platz ein.  Viele tausend Köpfe schauen
übereinander hervor und geben das Bild eines alten Amphitheaters oder
Zirkus.  Über dem mittelsten Gerüste steigt die ganze Länge des
Obelisken in die Luft; denn das Gerüste bedeckt nur sein Piedestal,
und man bemerkt nun erst seine ungeheure Höhe, da er der Maßstab einer
so großen Menschenmasse wird.

Der freie Platz läßt dem Auge eine schöne Ruhe, und man sieht die
leeren Schranken mit dem vorgespannten Seile voller Erwartung.

Nun kommt der General den Korso herab, zum Zeichen, daß er gereiniget
ist, und hinter ihm erlaubt die Wache niemanden, aus der Reihe der
Kutschen hervorzutreten.  Er nimmt auf einer der Logen Platz.
Abrennen

Nun werden die Pferde nach geloseter Ordnung von geputzten
Stallknechten in die Schranken hinter das Seil geführt.  Sie haben
kein Zeug noch sonst eine Bedeckung auf dem Leibe.  Man heftet ihnen
hier und da Stachelkugeln mit Schnüren an den Leib und bedeckt die
Stelle, wo sie spornen sollen, bis zum Augenblicke mit Leder, auch
klebt man ihnen große Blätter Rauschgold an.

Sie sind meist schon wild und ungeduldig, wenn sie in die Schranken
gebracht werden, und die Reitknechte brauchen alle Gewalt und
Geschicklichkeit, um sie zurückzuhalten.

Die Begierde, den Lauf anzufangen, macht sie unbändig, die Gegenwart
so vieler Menschen macht sie scheu.  Sie hauen oft in die benachbarte
Schranke hinüber, oft über das Seil, und diese Bewegung und Unordnung
vermehrt jeden Augenblick das Interesse der Erwartung.

Die Stallknechte sind im höchsten Grade gespannt und aufmerksam, weil
in dem Augenblicke des Abrennens die Geschicklichkeit des Loslassenden
sowie zufällige Umstände zum Vorteile des einen oder des andern
Pferdes entscheiden können.

Endlich fällt das Seil, und die Pferde rennen los.

Auf dem freien Platze suchen sie noch einander den Vorsprung
abzugewinnen, aber wenn sie einmal in den engen Raum zwischen die
beiden Reihen Kutschen hineinkommen, wird meist aller Wetteifer
vergebens.

Ein paar sind gewöhnlich voraus, die alle Kräfte anstrengen.
Ungeachtet der gestreuten Puzzolane gibt das Pflaster Feuer, die
Mähnen fliegen, das Rauschgold rauscht, und kaum daß man sie erblickt,
sind sie vorbei.  Die übrige Herde hindert sich untereinander, indem
sie sich drängt und treibt; spät kommt manchmal noch eins
nachgesprengt, und die zerrissenen Stücke Rauschgold flattern einzeln
auf der verlassenen Spur.  Bald sind die Pferde allem Nachschauen
verschwunden, das Volk drängt zu und füllt die Laufbahn wieder aus.

Schon warten andere Stallknechte am venezianischen Palaste auf die
Ankunft der Pferde.  Man weiß sie in einem eingeschlossenen Bezirk auf
gute Art zu fangen und festzuhalten.  Dem Sieger wird der Preis
zuerkannt.

So endigt sich diese Feierlichkeit mit einem gewaltsamen,
blitzschnellen, augenblicklichen Eindruck, auf den so viele tausend
Menschen eine ganze Weile gespannt waren, und wenige können sich
Rechenschaft geben, warum sie den Moment erwarteten, und warum sie
sich daran ergötzten.

Nach der Folge unserer Beschreibung sieht man leicht ein, daß dieses
Spiel den Tieren und Menschen gefährlich werden könne.  Wir wollen nur
einige Fälle anführen: Bei dem engen Raume zwischen den Wagen darf nur
ein Hinterrad ein wenig herauswärts stehen und zufälligerweise hinter
diesem Wagen ein etwas breiterer Raum sein.  Ein Pferd, das mit den
andern gedrängt herbeieilt, sucht den erweiterten Raum zu nutzen,
springt vor und trifft gerade auf das herausstehende Rad.

Wir haben selbst einen Fall gesehen, wo ein Pferd von einem solchen
Choc niederstürzte, drei der folgenden über das erste hinausfielen,
sich überschlugen und die letzten glücklich über die gefallenen
wegsprangen und ihre Reise fortsetzten.

Oft bleibt ein solches Pferd auf der Stelle tot, und mehrmals haben
Zuschauer unter solchen Umständen ihr Leben eingebüßt.  Ebenso kann
ein großes Unheil entstehen, wenn die Pferde umkehren.

Es ist vorgekommen, daß boshafte, neidische Menschen einem Pferde, das
einen großen Vorsprung hatte, mit dem Mantel in die Augen schlugen und
es dadurch umzukehren und an die Seite zu rennen zwangen.  Noch
schlimmer ist es, wenn die Pferde auf dem venezianischen Platze nicht
glücklich aufgefangen werden; sie kehren alsdann unaufhaltsam zurück,
und weil die Laufbahn vom Volke schon wieder ausgefüllt ist, richten
sie manches Unheil an, das man entweder nicht erfährt oder nicht
achtet.  Aufgehobne Ordnung

Gewöhnlich laufen die Pferde mit einbrechender Nacht erst ab.  Sobald
sie oben bei dem venezianischen Palast angelangt sind, werden kleine
Mörser gelöst; dieses Zeichen wird in der Mitte des Korso wiederholt
und in der Gegend des Obelisken das letzte Mal gegeben.

In diesem Augenblicke verläßt die Wache ihren Posten, die Ordnung der
Kutschenreihen wird nicht länger gehalten, und gewiß ist diese selbst
für den Zuschauer, der ruhig an seinem Fenster steht, ein ängstlicher
und verdrießlicher Zeitpunkt, und es ist wert, daß man einige
Bemerkungen darüber mache.

Wir haben schon oben gesehen, daß die Epoche der einbrechenden Nacht,
welche so vieles in Italien entscheidet, auch die gewöhnlichen
sonn--und festtägigen Spazierfahrten auflöset.  Dort sind keine Wachen
und keine Garden, es ist ein altes Herkommen, eine allgemeine
Konvention, daß man in gebührender Ordnung auf--und abfahre; aber
sobald Ave Maria geläutet wird, läßt sich niemand sein Recht nehmen,
umzukehren, wann und wie er will.  Da nun die Umfahrt im Karneval in
derselben Straße und nach ähnlichen Gesetzen geschieht, obgleich hier
die Menge und andere Umstände einen großen Unterschied machen, so will
sich doch niemand sein Recht nehmen lassen, mit einbrechender Nacht
aus der Ordnung zu lenken.

Wenn wir nun auf das ungeheure Gedränge in dem Korso zurückblicken und
die für einen Augenblick nur gereinigte Rennbahn gleich wieder mit
Volk überschwemmt sehen, so scheinet uns Vernunft und Billigkeit das
Gesetz einzugeben, daß eine jede Equipage nur suchen solle, in ihrer
Ordnung das nächste ihr bequeme Gäßchen zu erreichen und so nach Hause
zu eilen.

Allein es lenken gleich nach abgeschossenen Signalen einige Wagen in
die Mitte hinein, hemmen und verwirren das Fußvolk, und weil in dem
engen Mittelraume es einem einfällt, hinunter-, dem andern,
hinaufzufahren, so können beide nicht von der Stelle und hindern oft
die Vernünftigern, die in der Reihe geblieben sind, auch vom Platze zu
kommen.

Wenn nun gar ein zurückkehrendes Pferd auf einen solchen Knoten trifft,
so vermehrt sich Gefahr, Unheil und Verdruß von allen Seiten.



Nacht

Und doch entwickelt sich diese Verwirrung, zwar später, aber meistens
glücklich.  Die Nacht ist eingetreten, und ein jedes wünscht sich zu
einiger Ruhe Glück.  Theater

Alle Gesichtsmasken sind von dem Augenblick an abgelegt, und ein
großer Teil des Publikums eilt nach dem Theater.  Nur in den Logen
sieht man allenfalls noch Tabarros und Damen in Maskenkleidern; das
ganze Parterre zeigt sich wieder in bürgerlicher Tracht.

Die Theater Aliberti und Argentina geben ernsthafte Opern mit
eingeschobenen Balletten; Valle und Capranica Komödien und Tragödien
mit komischen Opern als Intermezzo; Pace ahmt ihnen, wiewohl
unvollkommen, nach, und so gibt es bis zum Puppenspiel und zur
Seiltänzerbude herunter noch manche subordinierte Schauspiele.

Das große Theater Tordenone, das einmal abbrannte, und, da man es
wieder aufgebauet hatte, gleich zusammenstürzte, unterhält nun leider
das Volk nicht mehr mit seinen Haupt--und Staatsaktionen und andern
wunderbaren Vorstellungen.

Die Leidenschaft der Römer für das Theater ist groß und war ehemals in
der Karnevalszeit noch heftiger, weil sie in dieser einzigen Epoche
befriedigt werden konnte.  Gegenwärtig ist wenigstens ein
Schauspielhaus auch im Sommer und Herbst offen, und das Publikum kann
seine Lust den größten Teil des Jahres durch einigermaßen befriedigen.

Es würde uns hier zu sehr von unserm Zwecke abführen, wenn wir uns in
eine umständliche Beschreibung der Theater, und was die römischen
allenfalls Besonderes haben möchten, hier einlassen wollten.  Unsre
Leser erinnern sich, daß an andern Orten von diesem Gegenstande
gehandelt worden.  Festine

Gleichfalls werden wir von den sogenannten Festinen wenig zu erzählen
haben; es sind dieses große maskierte Bälle, welche in dem schön
erleuchteten Theater Aliberti einigemal gegeben werden.

Auch hier werden Tabarros sowohl von den Herren als Damen für die
anständigste Maske gehalten, und der ganze Saal ist mit schwarzen
Figuren angefüllt; wenige bunte Charaktermasken mischen sich drunter.

Desto größer ist die Neugierde, wenn sich einige edle Gestalten zeigen,
die, wiewohl seltener, aus den verschiedenen Kunstepochen ihre Masken
erwählen und verschiedene Statuen, welche sich in Rom befinden,
meisterlich nachahmen.

So zeigen sich hier ägyptische Gottheiten, Priesterinnen, Bacchus und
Ariadne, die tragische Muse, die Muse der Geschichte, eine Stadt,
Vestalinnen, ein Konsul, mehr oder weniger gut und nach dem Kostüme
ausgeführt.  Tanz

Die Tänze bei diesen Festen werden gewöhnlich in langen Reihen nach
Art der englischen getanzt; nur unterscheiden sie sich dadurch, daß
sie in ihren wenigen Touren meistenteils etwas Charakteristisches
pantomimisch ausdrücken; zum Beispiel, es entzweien und versöhnen sich
zwei Liebende, sie scheiden und finden sich wieder.

Die Römer sind durch die pantomimischen Ballette an stark gezeichnete
Gestikulation gewöhnt; sie lieben auch in ihren gesellschaftlichen
Tänzen einen Ausdruck, der uns übertrieben und affektiert scheinen
würde.  Niemand wagt leicht zu tanzen, als wer es kunstmäßig gelernt
hat; besonders wird der Menuett ganz eigentlich als ein Kunstwerk
betrachtet und nur von wenigen Paaren gleichsam aufgeführt.  Ein
solches Paar wird dann von der übrigen Gesellschaft in einen Kreis
eingeschlossen, bewundert und am Ende applaudiert.  Morgen

Wenn die galante Welt sich auf diese Weise bis an den Morgen
erlustiget, so ist man bei anbrechendem Tage schon wieder in dem Korso
beschäftigst, denselben zu reinigen und in Ordnung zu bringen.
Besonders sorgt man, daß die Puzzolane in der Mitte der Straße gleich
und reinlich ausgebreitet werde.

Nicht lange, so bringen die Stallknechte das Rennpferd, das sich
gestern am schlechtesten gehalten, vor den Obelisk.  Man setzt einen
kleinen Knaben darauf, und ein anderer Reiter mit einer Peitsche
treibt es vor sich her, so daß es alle seine Kräfte anstrengt, um
seine Bahn so geschwind als möglich zurückzulegen.

Ungefähr zwei Uhr Nachmittag nach dem gegebenen Glockenzeichen beginnt
jeden Tag der schon beschriebene Zirkel des Festes.  Die Spaziergänger
finden sich ein, die Wache zieht auf, Balkone, Fenster, Gerüste werden
mit Teppichen behängt, die Masken vermehren sich und treiben ihre
Torheiten, die Kutschen fahren auf und nieder, und die Straße ist mehr
oder weniger gedrängt, je nachdem die Witterung oder andere Umstände
günstig oder ungünstig ihren Einfluß zeigen.  Gegen das Ende des
Karnevals vermehren sich, wie natürlich, die Zuschauer, die Masken,
die Wagen, der Putz und der Lärm.  Nichts aber reicht an das Gedränge,
an die Ausschweifungen des letzten Tages und Abends.  Letzter Tag

Meist halten die Kutschenreihen schon zwei Stunden vor Nacht stille,
kein Wagen kann mehr von der Stelle, keiner aus den Seitengassen mehr
hereinrücken.  Die Gerüste und Stühle sind früher besetzt, obgleich
die Plätze teuer gehalten werden; jeder sucht aufs baldigste
unterzukommen, und man erwartet das Ablaufen der Pferde mit mehrerer
Sehnsucht als jemals.

Endlich rauscht auch dieser Augenblick vorbei, die Zeichen werden
gegeben, daß das Fest geendigt sei; allein weder Wagen, noch Masken,
noch Zuschauer weichen aus der Stelle.

Alles ist ruhig, alles still, indem die Dämmerung sachte zunimmt.
Moccoli

Kaum wird es in der engen und hohen Straße düster, so siehet man hie
und da Lichter erscheinen, an den Fenstern, auf den Gerüsten sich
bewegen und in kurzer Zeit die Zirkulation des Feuers dergestalt sich
verbreiten, daß die ganze Straße von brennenden Wachskerzen erleuchtet
ist.

Die Balkone sind mit durchscheinenden Papierlaternen verziert, jeder
hält seine Kerze zum Fenster heraus, alle Gerüste sind erhellt, und es
sieht sich gar artig in die Kutschen hinein, an deren Decken oft
kleine kristallne Armleuchter die Gesellschaft erhellen; indessen in
einem andern Wagen die Damen mit bunten Kerzen in den Händen zur
Betrachtung ihrer Schönheit gleichsam einzuladen scheinen.

Die Bedienten bekleben den Rand des Kutschendeckels mit Kerzchen,
offne Wagen mit bunten Papierlaternen zeigen sich, unter den
Fußgängern erscheinen manche mit hohen Lichterpyramiden auf den Köpfen,
andere haben ihr Licht auf zusammengebundene Rohre gesteckt und
erreichen mit einer solchen Rute oft die Höhe von zwei, drei
Stockwerken.

Nun wird es für einen jeden Pflicht, ein angezündetes Kerzchen in der
Hand zu tragen, und die Favoritverwünschung der Römer "Sia ammazzato"
hört man von allen Ecken und Enden wiederholen.

"Sia ammazzato chi non porta moccolo!"  "Ermordet werde, der kein
Lichtstümpfchen trägt!" ruft einer dem andern zu, indem er ihm das
Licht auszublasen sucht.  Anzünden und ausblasen und ein unbändiges
Geschrei: "Sia ammazzato", bringt nun bald Leben und Bewegung und
wechselseitiges Interesse unter die ungeheure Menge.

Ohne Unterschied, ob man Bekannte oder Unbekannte vor sich habe, sucht
man nur immer das nächste Licht auszublasen oder das seinige wieder
anzuzünden und bei dieser Gelegenheit das Licht des Anzündenden
auszulöschen.  Und je stärker das Gebrüll "Sia ammazzato" von allen
Enden widerhallt, desto mehr verliert das Wort von seinem
fürchterlichen Sinn, desto mehr vergißt man, daß man in Rom sei, wo
diese Verwünschung um einer Kleinigkeit willen in kurzem an einem und
dem andern erfüllt werden kann.

Die Bedeutung des Ausdrucks verliert sich nach und nach gänzlich.  Und
wie wir in andern Sprachen oft Flüche und unanständige Worte zum
Zeichen der Bewunderung und Freude gebrauchen hören, so wird "Sia
ammazzato" diesen Abend zum Losungswort, zum Freudengeschrei, zum
Refrain aller Scherze, Neckereien und Komplimente.

So hören wir spotten: "Sia ammazzato il Signore Abbate che fa l'amore."
Oder einen vorbeigehenden guten Freund anrufen: "Sia ammazzato il
Signore Filippo."  Oder Schmeichelei und Kompliment damit verbinden:
"Sia ammazzata la bella Principessa!  Sia ammazzata la Signora
Angelica, la prima pittrice del secolo."

Alle diese Phrasen werden heftig und schnell mit einem langen
haltenden Ton auf der vorletzten oder drittletzten Silbe ausgerufen.
Unter diesem unaufhörlichen Geschrei geht das Ausblasen und Anzünden
der Kerzen immer fort.  Man begegne jemanden im Haus, auf der Treppe,
es sei eine Gesellschaft im Zimmer beisammen, aus einem Fenster ans
benachbarte, überall sucht man über den andern zu gewinnen und ihm das
Licht auszulöschen.

Alle Stände und Alter toben gegeneinander, man steigt auf die Tritte
der Kutschen, kein Hängeleuchter, kaum die Laternen sind sicher, der
Knabe löscht dem Vater das Licht aus und hört nicht auf zu schreien:
"Sia ammazzato il Signore Padre!"  Vergebens, daß ihm der Alte diese
Unanständigkeit verweist; der Knabe behauptet die Freiheit dieses
Abends und verwünscht nur seinen Vater desto ärger.  Wie nun an beiden
Enden des Korso sich bald das Getümmel verliert, desto unbändiger
häuft sich's nach der Mitte zu, und dort entsteht ein Gedränge, das
alle Begriffe übersteigt, ja, das selbst die lebhafteste
Erinnerungskraft sich nicht wieder vergegenwärtigen kann.

Niemand vermag sich mehr von dem Platze, wo er steht oder sitzt, zu
rühren; die Wärme so vieler Menschen, so vieler Lichter, der Dampf so
vieler immer wieder ausgeblasenen Kerzen, das Geschrei so vieler
Menschen, die nur um desto heftiger brüllen, je weniger sie ein Glied
rühren können, machen zuletzt selbst den gesundesten Sinn schwindeln;
es scheint unmöglich, daß nicht manches Unglück geschehen, daß die
Kutschpferde nicht wild, nicht manche gequetscht, gedrückt oder sonst
beschädigt werden sollten.

Und doch weil sich endlich jeder weniger oder mehr hinweg sehnt, jeder
ein Gäßchen, an das er gelangen kann, einschlägt oder auf dem nächsten
Platze freie Luft und Erholung sucht, löst sich diese Masse auch auf,
schmilzt von den Enden nach der Mitte zu, und dieses Fest allgemeiner
Freiheit und Losgebundenheit, dieses moderne Saturnal endigt sich mit
einer allgemeinen Betäubung.

Das Volk eilt nun, sich bei einem wohlbereiteten Schmause an dem bald
verbotenen Fleische bis Mitternacht zu ergötzen, die feinere Welt nach
den Schauspielhäusern, um dort von den sehr abgekürzten Theaterstücken
Abschied zu nehmen, und auch diesen Freuden macht die herannahende
Mitternachtsstunde ein Ende.  Aschermittwoch

So ist denn ein ausschweifendes Fest wie ein Traum, wie ein Märchen
vorüber, und es bleibt dem Teilnehmer vielleicht weniger davon in der
Seele zurück als unsern Lesern, vor deren Einbildungskraft und
Verstand wir das Ganze in seinem Zusammenhange gebracht haben.

Wenn uns während des Laufs dieser Torheiten der rohe Pulcinell
ungebührlich an die Freuden der Liebe erinnert, denen wir unser Dasein
zu danken haben, wenn eine Baubo auf öffentlichem Platze die
Geheimnisse der Gebärerin entweiht, wenn so viele nächtlich
angezündete Kerzen uns an die letzte Feierlichkeit erinnern, so werden
wir mitten unter dem Unsinne auf die wichtigsten Szenen unsers Lebens
aufmerksam gemacht.

Noch mehr erinnert uns die schmale, lange, gedrängt volle Straße an
die Wege des Weltlebens, wo jeder Zuschauer und Teilnehmer mit freiem
Gesicht oder unter der Maske vom Balkon oder vom Gerüste nur einen
geringen Raum vor und neben sich übersieht, in der Kutsche oder zu
Fuße nur Schritt vor Schritt vorwärts kommt, mehr geschoben wird als
geht, mehr aufgehalten wird als willig stille steht, nur eifriger
dahin zu gelangen sucht, wo es besser und froher zugeht, und dann auch
da wieder in die Enge kommt und zuletzt verdrängt wird.

Dürfen wir fortfahren, ernsthafter zu sprechen, als es der Gegenstand
zu erlauben scheint, so bemerken wir, daß die lebhaftesten und
höchsten Vergnügen, wie die vorbeifliegenden Pferde, nur einen
Augenblick uns erscheinen, uns rühren und kaum eine Spur in der Seele
zurücklassen, daß Freiheit und Gleichheit nur in dem Taumel des
Wahnsinns genossen werden können, und daß die größte Lust nur dann am
höchsten reizt, wenn sie sich ganz nahe an die Gefahr drängt und
lüstern ängstlich-süße Empfindungen in ihrer Nähe genießet.

Und so hätten wir, ohne selbst daran zu denken, auch unser Karneval
mit einer Aschermittwochsbetrachtung geschlossen, wodurch wir keinen
unsrer Leser traurig zu machen fürchten.  Vielmehr wünschen wir, daß
jeder mit uns, da das Leben im ganzen wie das Römische Karneval
unübersehlich, ungenießbar, ja bedenklich bleibt, durch diese
unbekümmerte Maskengesellschaft an die Wichtigkeit jedes
augenblicklichen, oft gering scheinenden Lebensgenusses erinnert
werden möge.



Februar

Korrespondenz

Rom, den 1. Februar.

Wie froh will ich sein, wenn die Narren künftigen Dienstag abend zur
Ruhe gebracht werden.  Es ist eine entsetzliche Sekkatur, andere toll
zu sehen, wenn man nicht selbst angesteckt ist.

Soviel als möglich war, habe ich meine Studien fortgesetzt, auch ist
"Claudine" gerückt, und wenn nicht alle Genii ihre Hülfe versagen, so
geht heute über acht Tage der dritte Akt an Herdern ab, und so wäre
ich den fünften Band los.  Dann geht eine neue Not an, worin mir
niemand raten noch helfen kann.  "Tasso" muß umgearbeitet werden, was
da steht, ist zu nichts zu brauchen, ich kann weder so endigen noch
alles wegwerfen.  Solche Mühe hat Gott den Menschen gegeben!

Der sechste Band enthält wahrscheinlich "Tasso", "Lila", "Jery und
Bätely", alles um--und ausgearbeitet, daß man es nicht mehr kennen
soll.

Zugleich habe ich meine kleinen Gedichte durchgesehen und an den
achten Band gedacht, den ich vielleicht vor dem siebenten herausgebe.
Es ist ein wunderlich Ding, so ein Summa Summarum seines Lebens zu
ziehen.  Wie wenig Spur bleibt doch von einer Existenz zurück!

Hier sekkieren sie mich mit den übersetzungen meines "Werthers" und
zeigen mir sie und fragen, welches die beste sei und ob auch alles
wahr sei!  Das ist nun ein Unheil, was mich bis nach Indien verfolgen
würde.


Rom, den 6. Februar.

Hier ist der dritte Akt" Claudinens"; ich wünsche, daß er dir nur die
Hälfte so wohl gefallen möge, als ich vergnügt bin, ihn geendigt zu
haben.  Da ich nun die Bedürfnisse des lyrischen Theaters genauer
kenne, habe ich gesucht, durch manche Aufopferungen dem Komponisten
und Akteur entgegenzuarbeiten.  Das Zeug, worauf gestickt werden soll,
muß weite Fäden haben, und zu einer komischen Oper muß es absolut wie
Marli gewoben sein.  Doch hab' ich bei dieser wie bei "Erwin" auch
fürs Lesen gesorgt.  Genug, ich habe getan, was ich konnte.

Ich bin recht still und rein und, wie ich euch schon versichert habe,
jedem Ruf bereit und ergeben.  Zur bildenden Kunst bin ich zu alt, ob
ich also ein bißchen mehr oder weniger pfusche, ist eins.  Mein Durst
ist gestillt, auf dem rechten Wege bin ich der Betrachtung und des
Studiums, mein Genuß ist friedlich und genügsam.  Zu dem allen gebt
mir euern Segen.  Ich habe nichts Näheres nun, als meine drei letzten
Teile zu endigen.  Dann soll's an "Wilhelm" u. s. w.


Rom, den 9. Februar.

Die Narren haben noch Montag und Dienstag was Rechts gelärmt.
Besonders Dienstag abends, wo die Raserei mit den Moccoli in völligem
Flor war.  Mittwochs dankte man Gott und der Kirche für die Fasten.
Auf kein Festin (so nennen sie die Redouten) bin ich gekommen, ich bin
fleißig, was nur mein Kopf halten will.  Da der fünfte Band absolviert
ist, will ich nur einige Kunststudien durcharbeiten, dann gleich an
den sechsten gehn.  Ich habe diese Tage das Buch Leonards da Vinci
über die Malerei gelesen und begreife jetzt, warum ich nie etwas darin
habe begreifen können.

O wie finde ich die Zuschauer so glücklich! die dünken sich so klug,
sie finden sich was Rechts.  So auch die Liebhaber, die Kenner.  Du
glaubst nicht, was das ein behägliches Volk, indes der gute Künstler
immer kleinlaut bleibt.  Ich habe aber auch neuerdings einen Ekel,
jemanden urteilen zu hören, der nicht selbst arbeitet, daß ich es
nicht ausdrücken kann.  Wie der Tabaksdampf macht mich eine solche
Rede auf der Stelle unbehaglich.

Angelika hat sich das Vergnügen gemacht und zwei Gemälde gekauft.
Eins von Tizian, das andere von Paris Bourdon.  Beide um einen hohen
Preis.  Da sie so reich ist, daß sie ihre Renten nicht verzehrt und
jährlich mehr dazu verdient, so ist es lobenswürdig, daß sie etwas
anschafft, das ihr Freude macht, und solche Sachen, die ihren
Kunsteifer erhöhen.  Gleich sobald sie die Bilder im Hause hatte, fing
sie an, in einer neuen Manier zu malen, um zu versuchen, wie man
gewisse Vorteile jener Meister sich eigen machen könne.  Sie ist
unermüdet, nicht allein zu arbeiten, sondern auch zu studieren.  Mit
ihr ist's eine große Freude, Kunstsachen zu sehen.

Kayser geht auch als ein wackrer Künstler zu Werke.  Seine Musik zu
"Egmont" avanciert stark.  Noch habe ich nicht alles gehört.  Mir
scheint jedes dem Endzweck sehr angemessen.

Er wird auch: "Cupido kleiner loser" etc. komponieren.  Ich schicke
dir's gleich, damit es oft zu meinem Andenken gesungen werde.  Es ist
auch mein Leibliedchen.

Der Kopf ist mir wüste vom vielen Schreiben, Treiben und Denken.  Ich
werde nicht klüger, fordere zuviel von mir und lege mir zuviel auf.


Rom, den 16. Februar.

Mit dem preußischen Kurier erhielt ich vor einiger Zeit einen Brief
von unserm Herzog, der so freundlich, lieb, gut und erfreulich war,
als ich nicht leicht einen erhalten.  Da er ohne Rückhalt schreiben
konnte, so beschrieb er mir die ganze politische Lage, die seinige und
so weiter.  Über mich selbst erklärte er sich auf das liebreichste.


Rom, den 22. Februar.

Wir haben diese Woche einen Fall gehabt, der das ganze Chor der
Künstler in Betrübnis setzt.  Ein Franzose namens Drouais, ein junger
Mensch von etwa 25 Jahren, einziger Sohn einer zärtlichen Mutter,
reich und schön gebildet, der unter allen studierenden Künstlern für
den hoffnungsvollsten gehalten ward, ist an den Blattern gestorben.
Es ist eine allgemeine Trauer und Bestürzung.  Ich habe in seinem
verlassenen Studio die lebensgroße Figur eines Philoktets gesehen,
welcher mit einem Flügel eines erlegten Raubvogels den Schmerz seiner
Wunde wehend kühlt.  Ein schön gedachtes Bild, das in der Ausführung
viel Verdienste hat, aber nicht fertig geworden.

Ich bin fleißig und vergnügt und erwarte so die Zukunft.  Täglich wird
mir's deutlicher, daß ich eigentlich zur Dichtkunst geboren bin, und
daß ich die nächsten zehen Jahre, die ich höchstens noch arbeiten darf,
dieses Talent exkolieren und noch etwas Gutes machen sollte, da mir
das Feuer der Jugend manches ohne großes Studium gelingen ließ.  Von
meinem längern Aufenthalt in Rom werde ich den Vorteil haben, daß ich
auf das Ausüben der bildenden Kunst Verzicht tue.

Angelika macht mir das Kompliment, daß sie wenige in Rom kenne, die
besser in der Kunst sähen als ich.  Ich weiß recht gut, wo und was ich
noch nicht sehe, und fühle wohl, daß ich immer zunehme, und was zu tun
wäre, um immer weiter zu sehn.  Genug, ich habe schon jetzt meinen
Wunsch erreicht: in einer Sache, zu der ich mich leidenschaftlich
getragen fühle, nicht mehr blind zu tappen.

Ein Gedicht, "Amor als Landschaftsmaler", schick' ich dir ehstens und
wünsche ihm gut Glück.  Meine kleinen Gedichte hab' ich gesucht in
eine gewisse Ordnung zu bringen, sie nehmen sich wunderlich aus.  Die
Gedichte auf Hans Sachs und auf Miedings Tod schließen den achten Band
und so meine Schriften für diesmal.  Wenn sie mich indessen bei der
Pyramide zur Ruhe bringen, so können diese beiden Gedichte statt
Personalien und Parentation gelten.

Morgen frühe ist päpstliche Kapelle, und die famosen alten Musiken
fangen an, die nachher in der Karwoche auf den höchsten Grad des
Interesse steigen.  Ich will nun jeden Sonntag frühe hin, um mit dem
Stil bekannt zu werden.  Kayser, der diese Sachen eigentlich studiert,
wird mir den Sinn wohl darüber aufschließen.  Wir erwarten mit jeder
Post ein gedrucktes Exemplar der Gründonnerstagsmusik von Zürich, wo
sie Kayser zurückließ.  Sie wird alsdann erst am Klavier gespielt und
dann in der Kapelle gehört.



Bericht

Februar

Wenn man einmal zum Künstler geboren ist und gar mancher Gegenstand
der Kunstanschauung zusagt, so kam diese mir auch mitten unter dem
Gewühl der Fastnachtstorheiten und Absurditäten zu Gunsten.  Es war
das zweite Mal, daß ich das Karneval sah, und es mußte mir bald
auffallen, daß dieses Volksfest wie ein anderes wiederkehrendes Leben
und Weben seinen entschiedenen Verlauf hatte.

Dadurch ward ich nun mit dem Getümmel versöhnt, ich sah es an als ein
anderes bedeutendes Naturerzeugnis und Nationalereignis; ich
interessierte mich dafür in diesem Sinne, bemerkte genau den Gang der
Torheiten und wie das alles doch in einer gewissen Form und
Schicklichkeit ablief.  Hierauf notierte ich mir die einzelnen
Vorkommnisse der Reihe nach, welche Vorarbeit ich später zu dem soeben
eingeschalteten Aufsatz benutzte, bat auch zugleich unsern
Hausgenossen, Georg Schütz, die einzelnen Masken flüchtig zu zeichnen
und zu kolorieren, welches er mit seiner gewohnten Gefälligkeit
durchführte.

Diese Zeichnungen wurden nachher durch Melchior Krause von Frankfurt
am Main, Direktor des freien Zeicheninstituts zu Weimar, in Quarto
radiert und nach den Originalen illuminiert zur ersten Ausgabe bei
Unger, welche sich selten macht.

Zu vorgemeldeten Zwecken mußte man sich denn mehr, als sonst geschehen
wären unter die verkappte Menge hinunter drängen, welche denn trotz
aller künstlerischen Ansicht oft einen widerwärtigen unheimlichen
Eindruck machte.  Der Geist, an die würdigen Gegenstände gewöhnt, mit
denen man das ganze Jahr in Rom sich beschäftigte, schien immer einmal
gewahr zu werden, daß er nicht recht an seinem Platze sei.



Aber für den innern bessern Sinn sollte doch das Erquicklichste
bereitet sein.  Auf dem venezianischen Platz, wo manche Kutschen, eh'
sie sich den bewegten Reihen wieder anschließen, die Vorbeiwallenden
sich zu beschauen pflegen, sah ich den Wagen der Mad.  Angelika und
trat an den Schlag, sie zu begrüßen.  Sie hatte sich kaum freundlich
zu mir herausgeneigt, als sie sich zurückbog, um die neben ihr
sitzende, wieder genesene Mailänderin mir sehen zulassen.  Ich fand
sie nicht verändert; denn wie sollte sich eine gesunde Jugend nicht
schnell wiederherstellen; ja, ihre Augen schienen frischer und
glänzender mich anzusehen, mit einer Freudigkeit, die mich bis ins
Innerste durchdrang.  So blieben wir eine Zeitlang ohne Sprache, als
Mad.  Angelika das Wort nahm und, indessen jene sich vorbog, zu mir
sagte: "Ich muß nur den Dolmetscher machen, denn ich sehe, meine junge
Freundin kommt nicht dazu, auszusprechen, was sie so lange gewünscht,
sich vorgesetzt und mir öfters wiederholt hat, wie sehr sie Ihnen
verpflichtet ist für den Anteil, den Sie an ihrer Krankheit, ihrem
Schicksal genommen.  Das erste, was ihr beim Wiedereintritt in das
Leben tröstlich geworden, heilsam und wiederherstellend auf sie
gewirkt, sei die Teilnahme ihrer Freunde und besonders die Ihrige
gewesen, sie habe sich auf einmal wieder aus der tiefsten Einsamkeit
unter so vielen guten Menschen in dem schönsten Kreise gefunden."

"Das ist alles wahr", sagte jene, indem sie über die Freundin her mir
die Hand reichte, die ich wohl mit der meinigen, aber nicht mit meinen
Lippen berühren konnte.

Mit stiller Zufriedenheit entfernt' ich mich wieder in das Gedräng der
Toren, mit dem zartesten Gefühl von Dankbarkeit gegen Angelika, die
sich des guten Mädchens gleich nach dem Unfalle tröstend anzunehmen
gewußt und, was in Rom selten ist, ein bisher fremdes Frauenzimmer in
ihren edlen Kreis aufgenommen hatte, welches mich um so mehr rührte,
als ich mir schmeicheln durfte, mein Anteil an dem guten Kinde habe
hierauf nicht wenig eingewirkt.



Der Senator von Rom, Graf Rezzonico, war schon früher, aus Deutschland
zurückkehrend, mich zu besuchen gekommen.  Er hatte eine innige
Freundschaft mit Herrn und Frau von Diede errichtet und brachte mir
angelegentliche Grüße von diesen werten Gönnern und Freunden; aber ich
lehnte, wie herkömmlich, ein näheres Verhältnis ab, sollte aber doch
endlich unausweichlich in diesen Kreis gezogen werden.

Jene genannten Freunde, Herr und Frau von Diede, machten ihrem werten
Lebensgenossen einen Gegenbesuch, und ich konnte mich um so weniger
entbrechen, mancherlei Art von Einladungen anzunehmen, als die Dame,
wegen des Flügelspiels berühmt, in einem Konzerte auf der
kapitolinischen Wohnung des Senators sich hören zu lassen willig war
und man unsern Genossen Kayser, dessen Geschicklichkeit ruchbar
geworden, zu einer Teilnahme an jenen Exhibitionen schmeichelhaft
eingeladen hatte.  Die unvergleichliche Aussicht bei Sonnenuntergang
aus den Zimmern des Senators nach dem Coliseo zu mit allem dem, was
sich von den andern Seiten anschließt, verlieh freilich unserm
Künstlerblick das herrlichste Schauspiel, dem man sich aber nicht
hingeben durfte, um es gegen die Gesellschaft an Achtung und Artigkeit
nicht fehlen zu lassen.  Frau von Diede spielte sodann, sehr große
Vorzüge entwickelnd, ein bedeutendes Konzert, und man bot bald darauf
unserm Freunde den Platz an, dessen er sich denn auch ganz würdig zu
machen schien, wenn man dem Lobe trauen darf, das er einerntete.
Abwechselnd ging es eine Weile fort, auch wurde von einer Dame eine
Lieblingsarie vorgetragen, endlich aber, als die Reihe wieder an
Kaysern kam, legte er ein anmutiges Thema zum Grunde und variierte
solches auf die mannigfaltigste Weise.

Alles war gut vonstatten gegangen, als der Senator mir im Gespräch
manches Freundliche sagte, doch aber nicht bergen konnte und mit jener
weichen venezianischen Art halb bedauernd versicherte, er sei
eigentlich von solchen Variationen kein Freund, werde hingegen von den
ausdrucksvollen Adagios seiner Dame jederzeit ganz entzückt.

Nun will ich gerade nicht behaupten, daß mir jene sehnsüchtigen Töne,
die man im Adagio und Largo hinzuziehen pflegt, jemals seien zuwider
gewesen, doch aber liebt' ich in der Musik immer mehr das Aufregende,
da unsere eigenen Gefühle, unser Nachdenken über Verlust und Mißlingen
uns nur allzuoft herabzuziehen und zu überwältigen drohen.

Unserm Senator dagegen konnt' ich keineswegs verargen, ja ich mußte
ihm aufs freundlichste gönnen, daß er solchen Tönen gern sein Ohr lieh,
die ihn vergewisserten, er bewirte in dem herrlichsten Aufenthalte
der Welt eine so sehr geliebte und hochverehrte Freundin.

Für uns andere, besonders deutsche Zuhörer blieb es ein unschätzbarer
Genuß, in dem Augenblicke, wo wir eine treffliche, längst gekannte
verehrte Dame, in den zartesten Tönen sich auf dem Flügel ergehend,
vernehmen, zugleich hinab vom Fenster in die einzigste Gegend von der
Welt zu schauen und in dem Abendglanz der Sonne mit weniger Wendung
des Hauptes das große Bild zu überblicken, das sich linker Hand vom
Bogen des Septimius Severus das Campo Vaccino entlang bis zum
Minerven--und Friedenstempel erstreckte, um dahinter das Koliseum
hervorschauen zu lassen, in dessen Gefolge man dann das Auge rechts
wendend, an den Bogen des Titus vorbeigleitend in dem Labyrinthe der
palatinischen Trümmer und ihrer durch Gartenkultur und wilde
Vegetation geschmückten Einöde sich zu verwirren und zu verweilen
hatte.

(Eine im Jahre 1824 von Fries und Thürmer gezeichnete und gestochene
nordwestliche übersicht von Rom, genommen von dem Turme des Kapitols,
bitten wir hiernächst zu überschauen; sie ist einige Stockwerke höher
und nach den neueren Ausgrabungen gefaßt, aber im Abendlichte und
Beschattung, wie wir sie damals gesehen, wobei denn freilich die
glühende Farbe mit ihren schattig-blauen Gegensätzen und allem dem
Zauber, der daraus entspringt, hinzuzudenken wäre.)

Sodann hatten wir in diesen Stunden als Glück zu schätzen, das
herrlichste Bild, welches Mengs vielleicht je gemalt hat, das Porträt
Clemens' XIII. Rezzonico, der unsern Gönner, den Senator, als Nepoten
an diesen Posten gesetzt, mit Ruhe zu beschauen, von dessen Wert ich
zum Schluß eine Stelle aus dem Tagebuch unseres Freundes anführe:

"Unter den von Mengs gemalten Bildnissen, da, wo seine Kunst sich am
tüchtigsten bewährte, ist das Bildnis des Papstes Rezzonico.  Der
Künstler hat in diesem Werk die Venezianer im Kolorit und in der
Behandlung nachgeahmt und sich eines glücklichen Erfolgs zu erfreuen;
der Ton des Kolorits ist wahr und warm und der Ausdruck des Gesichtes
belebt und geistreich; der Vorhang von Goldstoff, auf dem sich der
Kopf und das übrige der Figur schön abheben, gilt für ein gewagtes
Kunststück in der Malerei, gelang aber vortrefflich, indem das Bild
dadurch ein reiches harmonisches, unser Auge angenehm rührendes Ansehn
erhält."



März

Korrespondenz

Rom, den 1. März.

Sonntags gingen wir in die Sixtinische Kapelle, wo der Papst mit den
Kardinälen der Messe beiwohnte.  Da die letzteren wegen der Fastenzeit
nicht rot, sondern violett gekleidet waren, gab es ein neues
Schauspiel.  Einige Tage vorher hatte ich Gemälde von Albert Dürer
gesehen und freute mich nun, so etwas im Leben anzutreffen.  Das Ganze
zusammen war einzig groß und doch simpel, und ich wundere mich nicht,
wenn Fremde, die eben in der Karwoche, wo alles zusammentrifft,
hereinkommen, sich kaum fassen können.  Die Kapelle selbst kenne ich
recht gut, ich habe vorigen Sommer drin zu Mittag gegessen und auf des
Papstes Thron Mittagsruhe gehalten und kann die Gemälde fast auswendig,
und doch, wenn alles beisammen ist, was zur Funktion gehört, so ist
es wieder was anders, und man findet sich kaum wieder.

Es ward ein altes Motett, von einem Spanier Morales komponiert,
gesungen, und wir hatten den Vorschmack von dem, was nun kommen wird.
Kayser ist auch der Meinung, daß man diese Musik nur hier hören kann
und sollte, teils weil nirgends Sänger ohne Orgel und Instrument auf
einen solchen Gesang geübt sein könnten, teils weil er zum antiken
Inventario der päpstlichen Kapelle und zu dem Ensemble der
Michelangelos, des jüngsten Gerichts, der Propheten und biblischen
Geschichte einzig passe.  Kayser wird dereinst über alles dieses
bestimmte Rechnung ablegen.  Er ist ein großer Verehrer der alten
Musik und studiert sehr fleißig alles, was dazu gehört.

So haben wir eine merkwürdige Sammlung Psalmen im Hause; sie sind in
italienische Verse gebracht und von einem venezianischen Nobile,
Benedetto Marcello, zu Anfang dieses Jahrhunderts in Musik gesetzt.
Er hat bei vielen die Intonation der Juden, teils der spanischen,
teils der deutschen, als Motiv angenommen, zu andern hat er alte
griechische Melodien zugrunde gelegt und sie mit großem Verstand,
Kunstkenntnis und Mäßigkeit ausgeführt.  Sie sind teils als Solo,
Duett, Chor gesetzt und unglaublich original, ob man gleich sich erst
einen Sinn dazu machen muß.  Kayser schätzt sie sehr und wird einige
daraus abschreiben.  Vielleicht kann man einmal das ganze Werk haben,
das Venedig 1724 gedruckt ist und die ersten fünfzig Psalmen enthält.
Herder soll doch aufstellen, er sieht vielleicht in einem Katalogus
dies interessante Werk.

Ich habe den Mut gehabt, meine drei letzten Bände auf einmal zu
überdenken, und ich weiß nun genau, was ich machen will; gebe nun der
Himmel Stimmung und Glück, es zu machen.

Es war eine reichhaltige Woche, die mir in der Erinnerung wie ein
Monat vorkommt.

Zuerst ward der Plan zu "Faust" gemacht, und ich hoffe, diese
Operation soll mir geglückt sein.  Natürlich ist es ein ander Ding,
das Stück jetzt oder vor funfzehn Jahren ausschreiben, ich denke, es
soll nichts dabei verlieren, besonders da ich jetzt glaube, den Faden
wieder gefunden zu haben.  Auch was den Ton des Ganzen betrifft, bin
ich getröstet; ich habe schon eine neue Szene ausgeführt, und wenn ich
das Papier räuchre, so, dächt' ich, sollte sie mir niemand aus den
alten herausfinden.  Da ich durch die lange Ruhe und Abgeschiedenheit
ganz auf das Niveau meiner eignen Existenz zurückgebracht bin, so ist
es merkwürdig, wie sehr ich mir gleiche und wie wenig mein Innres
durch Jahre und Begebenheiten gelitten hat.  Das alte Manuskript macht
mir manchmal zu denken, wenn ich es vor mir sehe.  Es ist noch das
erste, ja in den Hauptszenen gleich so ohne Konzept hingeschrieben,
nun ist es so gelb von der Zeit, so vergriffen (die Lagen waren nie
geheftet), so mürbe und an den Rändern zerstoßen, daß es wirklich wie
das Fragment eines alten Kodex aussieht, so daß ich, wie ich damals in
eine frühere Welt mich mit Sinnen und Ahnden versetzte, ich mich jetzt
in eine selbst gelebte Vorzeit wieder versetzen muß.

Auch ist der Plan von "Tasso" in Ordnung und die vermischten Gedichte
zum letzten Bande meist ins Reine geschrieben.  "Des Künstlers
Erdewallen" soll neu ausgeführt und dessen "Apotheose" hinzugetan
werden.  Zu diesen Jugendeinfällen habe ich nun erst die Studien
gemacht, und alles Detail ist mir nun recht lebendig.  Ich freue mich
auch darauf und habe die beste Hoffnung zu den drei letzten Bänden,
ich sehe sie im ganzen schon vor mir stehen und wünsche mir nur Muße
und Gemütsruhe, um nun Schritt vor Schritt das Gedachte auszuführen.

Zur Stellung der verschiedenen kleinen Gedichte habe ich mir deine
Sammlungen der "Zerstreuten Blätter" zum Muster dienen lassen und
hoffe zur Verbindung so disparater Dinge gute Mittel gefunden zu haben,
wie auch eine Art, die allzu individuellen und momentanen Stücke
einigermaßen genießbar zu machen.

Nach diesen Betrachtungen ist die neue Ausgabe von Mengsens Schriften
ins Haus gekommen, ein Buch, das mir jetzt unendlich interessant ist,
weil ich die sinnlichen Begriffe besitze, die notwendig vorausgehen
müssen, um nur eine Zeile des Werks recht zu verstehen.  Es ist in
allem Sinne ein trefflich Buch, man liest keine Seite ohne
entschiedenen Nutzen.  Auch seinen "Fragmenten über die Schönheit",
welche manchem so dunkel scheinen, habe ich glückliche Erleuchtungen
zu danken.

Ferner habe ich allerlei Spekulationen über Farben gemacht, welche mir
sehr anliegen, weil das der Teil ist, von dem ich bisher am wenigsten
begriff.  Ich sehe, daß ich mit einiger übung und anhaltendem
Nachdenken auch diesen schönen Genuß der Weltoberfläche mir werde
zueignen können.

Ich war einen Morgen in der Galerie Borghese, welche ich in einem Jahr
nicht gesehen hatte, und fand zu meiner Freude, daß ich sie mit viel
verständigern Augen sah.  Es sind unsägliche Kunstschätze in dem
Besitz des Fürsten.


Rom, den 7. März.

Eine gute, reiche und stille Woche ist wieder vorbei.  Sonntags
versäumten wir die päpstliche Kapelle, dagegen sah' ich mit Angelika
ein sehr schönes Gemälde, das billig für Correggio gehalten wird.

Ich sah die Sammlung der Akademie St. Luca, wo Raffaels Schädel ist.
Diese Reliquie scheint mir ungezweifelt.  Ein trefflicher Knochenbau,
in welchem eine schöne Seele bequem spazieren konnte.  Der Herzog
verlangt einen Abguß davon, den ich wahrscheinlich werde verschaffen
können.  Das Bild, das von ihm gemalt ist und in gleichem Saale hängt,
ist seiner wert.



Aufgang zum Kapitol.  Zeichnung von Verschaffelt

Auch habe ich das Kapitol wieder gesehen und einige andere Sachen, die
mir zurückblieben, vorzüglich Cavaceppis Haus, das ich immer versäumt
hatte zu sehen.  Unter vielen köstlichen Sachen haben mich vorzüglich
ergötzt zwei Abgüsse der Köpfe von den Kolossalstatuen auf dem Monte
Cavallo.  Man kann sie bei Cavaceppi in der Nähe in ihrer ganzen Größe
und Schönheit sehn.  Leider daß der beste durch Zeit und Witterung
fast einen Strohhalm dick der glatten Oberfläche des Gesichts verloren
hat und in der Nähe wie von Pocken übel zugerichtet aussieht.

Heute waren die Exequien des Kardinal Visconti in der Kirche St. Carlo.
Da die päpstliche Kapelle zum Hochamt sang, gingen wir hin, die
Ohren auf morgen recht auszuwaschen.  Es ward ein Requiem gesungen zu
zwei Sopranen, das Seltsamste, was man hören kann.  NB. Auch dabei war
weder Orgel noch andere Musik.

Welch ein leidig Instrument die Orgel sei, ist mir gestern abend in
dem Chor von St. Peter recht aufgefallen, man begleitete damit den
Gesang bei der Vesper; es verbindet sich so gar nicht mit der
Menschenstimme und ist so gewaltig.  Wie reizend dagegen in der
Sixtinischen Kapelle, wo die Stimmen allein sind.

Das Wetter ist seit einigen Tagen trübe und gelind.  Der Mandelbaum
hat größtenteils verblüht und grünt jetzt, nur wenige Blüten sind auf
den Gipfeln noch zu sehen.  Nun folgt der Pfirsichbaum, der mit seiner
schönen Farbe die Gärten ziert.  Viburnum Tinus blüht auf allen Ruinen,
die Attichbüsche in den Hecken sind alle ausgeschlagen und andere,
die ich nicht kenne.  Die Mauern und Dächer werden nun grüner, auf
einigen zeigen sich Blumen.  In meinem neuen Kabinett, wohin ich zog,
weil wir Tischbein von Neapel erwarten, habe ich eine mannigfaltige
Aussicht in unzählige Gärtchen und auf die hinteren Galerien vieler
Häuser.  Es ist gar zu lustig.

Ich habe angefangen, ein wenig zu modellieren.  Was den
Erkenntnispunkt betrifft, gehe ich sehr rein und sicher fort, in
Anwendung der tätigen Kraft bin ich ein wenig konfus.  So geht es mir
wie allen meinen Brüdern.


Rom, den 14. März.

Die nächste Woche ist hier nichts zu denken noch zu tun, man muß dem
Schwall der Feierlichkeiten folgen.  Nach Ostern werde ich noch
einiges sehen, was mir zurückblieb, meinen Faden ablösen, meine
Rechnung machen, meinen Bündel packen und mit Kaysern davonziehn.
Wenn alles geht, wie ich wünsche und vorhabe, bin ich Ende Aprils in
Florenz.  Inzwischen hört ihr noch von mir.

Sonderbar war es, daß ich auf äußere Veranlassung verschiedene
Maßregeln nehmen mußte, welche mich in neue Verhältnisse setzten,
wodurch mein Aufenthalt in Rom immer schöner, nützlicher und
glücklicher ward.  Ja, ich kann sagen, daß ich die höchste
Zufriedenheit meines Lebens in diesen letzten acht Wochen genossen
habe und nun wenigstens einen äußersten Punkt kenne, nach welchem ich
das Thermometer meiner Existenz künftig abmessen kann.

Diese Woche hat sich ungeachtet des üblen Wetters gut gehalten.
Sonntags hörten wir in der Sixtinischen Kapelle ein Motett von
Palestrina.  Dienstag wollte uns das Glück, daß man zu Ehren einer
Fremden verschiedene Teile der Karwochsmusik in einem Saale sang.  Wir
hörten sie also mit größter Bequemlichkeit und konnten uns, da wir sie
so oft am Klavier durchsangen, einen vorläufigen Begriff davon machen.
Es ist ein unglaublich großes simples Kunstwerk, dessen immer
erneuerte Darstellung sich wohl nirgends als an diesem Orte und unter
diesen Umständen erhalten konnte.  Bei näherer Betrachtung fallen
freilich mancherlei Handwerksburschentraditionen, welche die Sache
wunderbar und unerhört machen, weg, mit allem dem bleibt es etwas
Außerordentliches und ist ein ganz neuer Begriff.  Kayser wird
dereinst Rechenschaft davon ablegen können.  Er wird die Vergünstigung
erhalten, eine Probe in der Kapelle anzuhören, wozu sonst niemand
gelassen wird.

Ferner habe ich diese Woche einen Fuß modelliert nach vorgängigem
Studio der Knochen und Muskeln und werde von meinem Meister gelobt.
Wer den ganzen Körper so durchgearbeitet hätte, wäre um ein gutes Teil
klüger; versteht sich in Rom, mit allen Hülfsmitteln und dem
mannigfaltigen Rat der Verständigen.  Ich habe einen Skelettfuß, eine
schöne auf die Natur gegossene Anatomie, ein halb Dutzend der
schönsten antiken Füße, einige schlechte, jene zur Nachahmung, diese
zur Warnung, und die Natur kann ich auch zu Rate ziehen, in jeder
Villa, in die ich trete, finde ich Gelegenheit, nach diesen Teilen zu
sehen, Gemälde zeigen mir, was Maler gedacht und gemacht haben.  Drei,
vier Künstler kommen täglich auf mein Zimmer, deren Rat und Anmerkung
ich nutze, unter welchen jedoch, genau besehen, Heinrich Meyers Rat
und Nachhülfe mich am meisten fördert.  Wenn mit diesem Winde auf
diesem Elemente ein Schiff nicht von der Stelle käme, so müßte es
keine Segel oder einen wahnsinnigen Steuermann haben.  Bei der
allgemeinen übersicht der Kunst, die ich mir gemacht habe, war es mir
sehr notwendig, nun mit Aufmerksamkeit und Fleiß an einzelne Teile zu
gehn.  Es ist angenehm, auch im Unendlichen vorwärts zu kommen.

Ich fahre fort, überall herumzugehen und vernachlässigte Gegenstände
zu betrachten.  So war ich gestern zum erstenmal in Raffaels Villa, wo
er an der Seite seiner Geliebten den Genuß des Lebens aller Kunst und
allem Ruhm vorzog.  Es ist ein heilig Monument.  Der Fürst Doria hat
sie akquiriert und scheint sie behandeln zu wollen, wie sie es
verdient.  Raffael hat seine Geliebte achtundzwanzigmal auf die Wand
porträtiert in allerlei Arten von Kleidern und Kostüme; selbst in den
historischen Kompositionen gleichen ihr die Weiber.  Die Lage des
Hauses ist sehr schön.  Es wird sich artiger davon erzählen lassen,
als sich's schreibt.  Man muß das ganze Detail bemerken.

Dann ging ich in die Villa Albani und sah mich nur im allgemeinen
darin um.  Es war ein herrlicher Tag.  Heute nacht hat es sehr
geregnet, jetzt scheint die Sonne wieder, und vor meinem Fenster ist
ein Paradies.  Der Mandelbaum ist ganz grün, die Pfirsichblüten fangen
schon an abzufallen, und die Zitronenblüten brechen auf dem Gipfel des
Baumes auf.

Mein Abschied von hier betrübt drei Personen innigst.  Sie werden nie
wieder finden, was sie an mir gehabt haben, ich verlasse sie mit
Schmerzen.  In Rom hab' ich mich selbst zuerst gefunden, ich bin
zuerst übereinstimmend mit mir selbst glücklich und vernünftig
geworden, und als einen solchen haben mich diese dreie in
verschiedenem Sinne und Grade gekannt, besessen und genossen.


Rom, den 22. März.

Heute geh' ich nicht nach St. Peter und will ein Blättchen schreiben.
Nun ist auch die heilige Woche mit ihren Wundern und Beschwerden
vorüber, morgen nehmen wir noch eine Benediktion auf uns, und dann
wendet sich das Gemüt ganz zu einem andern Leben.

Ich habe durch Gunst und Mühe guter Freunde alles gesehen und gehört,
besonders ist die Fußwaschung und die Speisung der Pilger nur durch
großes Drängen und Drücken zu erkaufen.

Die Kapellmusik ist undenkbar schön.  Besonders das "Miserere" von
Allegri und die sogenannten "Improperien", die Vorwürfe, welche der
gekreuzigte Gott seinem Volke macht.  Sie werden Karfreitags frühe
gesungen.  Der Augenblick, wenn der aller seiner Pracht entkleidete
Papst vom Thron steigt, um das Kreuz anzubeten, und alles übrige an
seiner Stelle bleibt, jedermann still ist, und das Chor anfängt:
"Populus meus, quid feci tibi?", ist eine der schönsten unter allen
merkwürdigen Funktionen.  Das soll nun alles mündlich ausgeführt
werden, und was von Musik transportabel ist, bringt Kayser mit.  Ich
habe nach meinem Wunsch alles, was an den Funktionen genießbar war,
genossen und über das übrige meine stillen Betrachtungen angestellt.
Effekt, wie man zu sagen pflegt, hat nichts auf mich gemacht, nichts
hat mir eigentlich imponiert, aber bewundert hab' ich alles, denn das
muß man ihnen nachsagen, daß sie die christlichen überlieferungen
vollkommen durchgearbeitet haben.  Bei den päpstlichen Funktionen,
besonders in der Sixtinischen Kapelle, geschieht alles, was am
katholischen Gottesdienste sonst unerfreulich erscheint, mit großem
Geschmack und vollkommner Würde.  Es kann aber auch nur da geschehen,
wo seit Jahrhunderten alle Künste zu Gebote standen.

Das Einzelne davon würde jetzt nicht zu erzählen sein.  Hätte ich
nicht in der Zwischenzeit auf jene Veranlassung wieder stille gehalten
und an ein längeres Bleiben geglaubt, so könnt' ich nächste Woche fort.
Doch auch das gereicht mir zum besten.  Ich habe diese Zeit wieder
viel studiert, und die Epoche, auf die ich hoffte, hat sich
geschlossen und geründet.  Es ist zwar immer eine sonderbare
Empfindung, eine Bahn, auf der man mit starken Schritten fortgeht, auf
einmal zu verlassen, doch muß man sich darein finden und nicht viel
Wesens machen.  In jeder großen Trennung liegt ein Keim von Wahnsinn,
man muß sich hüten, ihn nachdenklich auszubrüten und zu pflegen.

Schöne Zeichnungen hab' ich von Neapel erhalten, von Kniep, dem Maler,
der mich nach Sizilien begleitet hat.  Es sind schöne liebliche
Früchte meiner Reise und für euch die angenehmsten; denn was man einem
vor die Augen bringen kann, gibt man ihm am sichersten.  Einige
drunter sind, dem Ton der Farbe nach, ganz köstlich geraten, und ihr
werdet kaum glauben, daß jene Welt so schön ist.

Soviel kann ich sagen, daß ich in Rom immer glücklicher geworden bin,
daß noch mit jedem Tage mein Vergnügen wächst; und wenn es traurig
scheinen möchte, daß ich eben scheiden soll, da ich am meisten
verdiente, zu bleiben, so ist es doch wieder eine große Beruhigung,
daß ich so lang habe bleiben können, um auf den Punkt zu gelangen.

Soeben steht der Herr Christus mit entsetzlichem Lärm auf.  Das
Kastell feuert ab, alle Glocken läuten, und an allen Ecken und Enden
hört man Petarden, Schwärmer und Lauffeuer.  Um eilf Uhr morgens.



Bericht März

Es ist uns erinnerlich, wie Philippus Neri den Besuch der sieben
Hauptkirchen Roms sich öfters zur Pflicht gemacht und dadurch von der
Inbrunst seiner Andacht einen deutlichen Beweis gegeben.  Hier nun
aber ist zu bemerken, daß eine Wallfahrt zu gedachten Kirchen von
jedem Pilger, der zum Jubiläum herankommt, notwendig gefordert wird
und wirklich wegen der weitentfernten Lage dieser Stationen, insofern
der Weg an einem Tage zurückgelegt werden soll, einer abermaligen
anstrengenden Reise wohl gleichzuachten ist.

Jene sieben Kirchen aber sind: St. Peter, Santa Maria Maggiore, San
Lorenzo außer den Mauern, San Sebastian, San Johann im Lateran, Santa
Croce in Jerusalem, San Paul vor den Mauern.

Einen solchen Umgang nun vollführen auch einheimische fromme Seelen in
der Karwoche, besonders am Karfreitag.  Da man aber zu dem geistlichen
Vorteil, welchen die Seelen durch den damit verknüpften Ablaß erwerben
und genießen, noch einen leiblichen Genuß hinzugetan, so wird in
solcher Hinsicht Ziel und Zweck noch reizender.

Wer nämlich nach vollbrachter Wallfahrt mit gehörigen Zeugnissen zum
Tore von San Paul endlich wieder hereintritt, erhält daselbst ein
Billet, um an einem frommen Volksfeste in der Villa Mattei an
bestimmten Tagen teilnehmen zu können.  Dort erhalten die
Eingelassenen eine Kollation von Brot, Wein, etwas Käse oder Eiern;
die Genießenden sind dabei im Garten umher gelagert, vornehmlich in
dem kleinen daselbst befindlichen Amphitheater.  Gegenüber in dem
Kasino der Villa findet sich die höhere Gesellschaft zusammen;
Kardinäle, Prälaten, Fürsten und Herren, um sich an dem Anblick zu
ergötzen und somit auch ihren Teil an der Spende, von der Familie
Mattei gestiftet, hinzunehmen.



Wir sahen eine Prozession von etwa zehn--bis zwölfjährigen Knaben
herankommen, nicht im geistlichen Gewand, sondern wie es etwa
Handwerkslehrlingen am Festtage zu erscheinen geziemen möchte, in
Kleidern gleicher Farbe, gleichen Schnitts, paarweise, es konnten
ihrer vierzig sein.  Sie sangen und sprachen ihre Litaneien fromm vor
sich hin und wandelten still und züchtig.

Ein alter Mann von kräftigem handwerksmäßigen Ansehn ging an ihnen her
und schien das Ganze zu ordnen und zu leiten.  Auffallend war es, die
vorüberziehende wohlgekleidete Reihe durch ein halb Dutzend
bettelhafte, barfuß und zerlumpt einhergehende Kinder geschlossen zu
sehen welche jedoch in gleicher Zucht und Sitte dahinwandelten.
Erkundigung deshalb gab uns zu vernehmen: Dieser Mann, ein Schuster
von Profession und kinderlos, habe sich früher bewogen gefühlt, einen
armen Knaben auf--und in die Lehre zu nehmen, mit Beistand von
Wohlwollenden ihn zu kleiden und weiterzubringen.  Durch ein solches
gegebenes Beispiel sei es ihm gelungen, andere Meister zu gleicher
Aufnahme von Kindern zu bewegen, die er ebenfalls zu befördern alsdann
besorgt gewesen.  Auf diese Weise habe sich ein kleines Häuflein
gesammelt, welches er zu gottesfürchtigen Handlungen, um den
schädlichen Müßiggang an Sonn--und Feiertagen zu verhüten,
ununterbrochen angehalten, ja sogar den Besuch der weit auseinander
liegenden Hauptkirchen an einem Tage von ihnen gefordert.  Auf diese
Weise nun sei diese fromme Anstalt immer gewachsen; er verrichte seine
verdienstlichen Wanderungen nach wie vor, und weil sich zu einer so
augenfällig nutzbaren Anstalt immer mehr hinzudrängen, als aufgenommen
werden könnten, so bediene er sich des Mittels, um die allgemeine
Wohltätigkeit zu erregen, daß er die noch zu versorgenden, zu
bekleidenden Kinder seinem Zuge anschließe, da es ihm denn jedesmal
gelinge, zur Versorgung eines und des andern hinreichende Spende zu
erhalten.

Während wir uns hievon unterrichteten, war einer der älteren und
bekleideten Knaben auch in unsere Nähe gekommen, bot uns einen Teller
und verlangte mit gutgesetzten Worten für die nackten und sohlenlosen
bescheiden eine Gabe.  Er empfing sie nicht nur von uns gerührten
Fremden reichlich, sondern auch von den anstehenden sonst
pfennigkargen Römern und Römerinnen, die einer mäßigen Spende mit viel
Worten segnender Anerkennung jenes Verdienstes noch ein frommes
Gewicht beizufügen nicht unterließen.

Man wollte wissen, daß der fromme Kindervater jedesmal seine Pupillen
an jener Spende teilnehmen lasse, nachdem sie sich durch
vorhergegangene Wanderung erbaut, wobei es denn niemals an leidlicher
Einnahme zu seinem edlen Zwecke fehlen kann.

Italienische Reise / 2. Röm.  Aufenthalt / Nachahmung des Schönen



über die bildende Nachahmung des Schönen

von Karl Philipp Moritz.  Braunschweig 1788.

Unter diesem Titel ward ein Heft von kaum vier Bogen gedruckt, wozu
Moritz das Manuskript nach Deutschland geschickt hatte, um seinen
Verleger über den Vorschuß einer Reisebeschreibung nach Italien
einigermaßen zu beschwichtigen.  Freilich war eine solche nicht so
leicht als die einer abenteuerlichen Fußwanderung durch England
niederzuschreiben.

Gedachtes Heft aber darf ich nicht unerwähnt lassen; es war aus unsern
Unterhaltungen hervorgegangen, welche Moritz nach seiner Art benutzt
und ausgebildet.  Wie es nun damit auch sei, so kann es geschichtlich
einiges Interesse haben, um daraus zu ersehen, was für Gedanken sich
in jener Zeit vor uns auftaten, welche, späterhin entwickelt, geprüft,
angewendet und verbreitet, mit der Denkweise des Jahrhunderts
glücklich zusammentrafen.

Einige Blätter aus der Mitte des Vortrags mögen hier eingeschaltet
stehen, vielleicht nimmt man hievon Veranlassung, das Ganze wieder
abzudrucken.



"Der Horizont der tätigen Kraft aber muß bei dem bildenden Genie so
weit wie die Natur selber sein: das heißt, die Organisation muß so
fein gewebt sein und so unendlich viele Berührungspunkte der
allumströmenden Natur darbieten, daß gleichsam die äußersten Enden von
allen Verhältnissen der Natur im großen, hier im kleinen sich
nebeneinander stellend, Raum genug haben, um sich einander nicht
verdrängen zu dürfen.

Wenn nun eine Organisation von diesem feinern Gewebe bei ihrer
völligen Entwicklung auf einmal in der dunklen Ahndung ihrer tätigen
Kraft ein Ganzes faßt, das weder in ihr Auge noch in ihr Ohr, weder in
ihre Einbildungskraft noch in ihre Gedanken kam, so muß notwendig eine
Unruhe, ein Mißverhältnis zwischen den sich wägenden Kräften so lange
entstehen, bis sie wieder in ihr Gleichgewicht kommen.

Bei einer Seele, deren bloß tätige Kraft schon das edle große Ganze
der Natur in dunkler Ahndung faßt, kann die deutlich erkennende
Denkkraft, die noch lebhafter darstellende Einbildungskraft und der am
hellsten spiegelnde äußre Sinn mit der Betrachtung des einzelnen im
Zusammenhange der Natur sich nicht mehr begnügen.

Alle die in der tätigen Kraft bloß dunkel geahndeten Verhältnisse
jenes großen Ganzen müssen notwendig auf irgendeine Weise entweder
sichtbar, hörbar oder doch der Einbildungskraft faßbar werden; und um
dies zu werden, muß die Tatkraft, worin sie schlummern, sie nach sich
selber, aus sich selber bilden.--Sie muß alle jene Verhältnisse des
großen Ganzen und in ihnen das höchste Schöne wie an den Spitzen
seiner Strahlen in einen Brennpunkt fassen.--Aus diesem Brennpunkte
muß sich nach des Auges gemessener Weite ein zartes und doch getreues
Bild des höchsten Schönen ründen, das die vollkommensten Verhältnisse
des großen Ganzen der Natur ebenso wahr und richtig wie sie selbst in
seinem kleinen Umfang faßt.

Weil nun aber dieser Abdruck des höchsten Schönen notwendig an etwas
haften muß, so wählt die bildende Kraft, durch ihre Individualität
bestimmt, irgendeinen sichtbaren, hörbaren oder doch der
Einbildungskraft faßbaren Gegenstand, auf den sie den Abglanz des
höchsten Schönen im verjüngenden Maßstabe überträgt.--Und weil dieser
Gegenstand wiederum, wenn er wirklich, was er darstellt, wäre, mit dem
Zusammenhange der Natur, die außer sich selber kein wirklich
eigenmächtiges Ganze duldet, nicht ferner bestehen könnte, so führet
uns dies auf den Punkt, wo wir schon einmal waren: daß jedesmal das
innre Wesen erst in die Erscheinung sich verwandeln müsse, ehe es
durch die Kunst zu einem für sich bestehenden Ganzen gebildet werden
und ungehindert die Verhältnisse des großen Ganzen der Natur in ihrem
völligen Umfange spiegeln kann.

Da nun aber jene großen Verhältnisse, in deren völligem Umfange eben
das Schöne liegt, nicht mehr unter das Gebiet der Denkkraft fallen, so
kann auch der lebendige Begriff von der bildenden Nachahmung des
Schönen nur im Gefühl der tätigen Kraft, die es hervorbringt, im
ersten Augenblick der Entstehung stattfinden, wo das Werk, als schon
vollendet, durch alle Grade seines allmählichen Werdens in dunkler
Ahndung auf einmal vor die Seele tritt und in diesem Moment der ersten
Erzeugung gleichsam vor seinem wirklichen Dasein da ist; wodurch
alsdann auch jener unnennbare Reiz entsteht, welcher das schaffende
Genie zur immerwährenden Bildung treibt.

Durch unser Nachdenken über die bildende Nachahmung des Schönen, mit
dem reinen Genuß der schönen Kunstwerke selbst vereint, kann zwar
etwas jenem lebendigen Begriff Näherkommendes in uns entstehen, das
den Genuß der schönen Kunstwerke uns erhöht.--Allein da unser höchster
Genuß des Schönen dennoch sein Werden auf unsrer eignen Kraft
unmöglich mit in sich fassen kann, so bleibt der einzige höchste Genuß
desselben immer dem schaffenden Genie, das es hervorbringt, selber,
und das Schöne hat daher seinen höchsten Zweck in seiner Entstehung,
in seinem Werden schon erreicht; unser Nachgenuß desselben ist nur
eine Folge seines Daseins--und das bildende Genie ist daher im großen
Plane der Natur zuerst um sein selbst, und dann erst um unsertwillen
da; weil es nun einmal außer ihm noch Wesen gibt, die selbst nicht
schaffen und bilden, aber doch das Gebildete, wenn es einmal
hervorgebracht ist, mit ihrer Einbildungskraft umfassen können.

Die Natur des Schönen besteht ja eben darin, daß sein innres Wesen
außer den Grenzen der Denkkraft, in seiner Entstehung, in seinem
eignen Werden liegt.  Eben darum, weil die Denkkraft beim Schönen
nicht mehr fragen kann, warum es schön sei, ist es schön.--Denn es
mangelt ja der Denkkraft völlig an einem Vergleichungspunkte, wornach
sie das Schöne beurteilen und betrachten könnte.  Was gibt es noch für
einen Vergleichungspunkt für das echte Schöne, als mit dem Inbegriff
aller harmonischen Verhältnisse des großen Ganzen der Natur, die keine
Denkkraft umfassen kann?  Alles einzelne, hin und her in der Natur
zerstreute Schöne ist ja nur insofern schön, als sich dieser Inbegriff
aller Verhältnisse jenes großen Ganzen mehr oder weniger darin
offenbart.  Es kann also nie zum Vergleichungspunkte für das Schöne
der bildenden Künste, ebensowenig als der wahren Nachahmung des
Schönen zum Vorbilde dienen; weil das höchste Schöne im Einzelnen der
Natur immer noch nicht schön genug für die stolze Nachahmung der
großen und majestätischen Verhältnisse des allumfassenden Ganzen der
Natur ist.  Das Schöne kann daher nicht erkannt, es muß
hervorgebracht--oder empfunden werden.

Denn weil in gänzlicher Ermangelung eines Vergleichungspunktes einmal
das Schöne kein Gegenstand der Denkkraft ist, so würden wir, insofern
wir es nicht selbst hervorbringen können, auch seines Genusses ganz
entbehren müssen, indem wir uns nie an etwas halten könnten, dem das
Schöne näher käme als das Minderschöne--wenn nicht etwas die Stelle
der hervorbringenden Kraft in uns ersetzte, das ihr so nahe wie
möglich kömmt, ohne doch sie selbst zu sein:--dies ist nun, was wir
Geschmack oder Empfindungsfähigkeit für das Schöne nennen, die, wenn
sie in ihren Grenzen bleibt, den Mangel des höhern Genusses bei der
Hervorbringung des Schönen durch die ungestörte Ruhe der stillen
Betrachtung ersetzen kann.

Wenn nämlich das Organ nicht fein genug gewebt ist, um dem
einströmenden Ganzen der Natur so viele Berührungspunkte darzubieten,
als nötig sind, um alle ihre großen Verhältnisse vollständig im
kleinen abzuspiegeln, und uns noch ein Punkt zum völligen Schluß des
Zirkels fehlt, so können wir statt der Bildungskraft nur
Empfindungsfähigkeit für das Schöne haben: jeder Versuch, es außer uns
wieder darzustellen, würde uns mißlingen und uns desto unzufriedner
mit uns selber machen, je näher unser Empfindungsvermögen für das
Schöne an das uns mangelnde Bildungsvermögen grenzt.

Weil nämlich das Wesen des Schönen eben in seiner Vollendung in sich
selbst besteht, so schadet ihm der letzte fehlende Punkt so viel als
tausend, denn er verrückt alle übrigen Punkte aus der Stelle, in
welche sie gehören.--Und ist dieser Vollendungspunkt einmal verfehlt,
so verlohnt ein Werk der Kunst nicht der Mühe des Anfangs und der Zeit
seines Werdens; es fällt unter das Schlechte bis zum Unnützen herab,
und sein Dasein muß notwendig durch die Vergessenheit, worin es sinkt,
sich wieder aufheben.

Ebenso schadet auch dem in das feinere Gewebe der Organisation
gepflanzten Bildungsvermögen der letzte zu seiner Vollständigkeit
fehlende Punkt so viel als tausend.  Der höchste Wert, den es als
Empfindungsvermögen haben könnte, kömmt bei ihm als Bildungskraft
ebensowenig wie der geringste in Betrachtung.  Auf dem Punkte, wo das
Empfindungsvermögen seine Grenzen überschreitet, muß es notwendig
unter sich selber sinken, sich aufheben und vernichten.

Je vollkommener das Empfindungsvermögen für eine gewisse Gattung des
Schönen ist, um desto mehr ist es in Gefahr, sich zu täuschen, sich
selbst für Bildungskraft zu nehmen und auf die Weise durch tausend
mißlungene Versuche seinen Frieden mit sich selbst zu stören.

Es blickt z.  B. beim Genuß des Schönen in irgendeinem Werke der Kunst
zugleich durch das Werden desselben in die bildende Kraft, die es
schuf, hindurch; und ahndet dunkel den höhern Grad des Genusses eben
dieses Schönen im Gefühl dieser Kraft, die mächtig genug war, es aus
sich selbst hervorzubringen.

Um sich nun diesen höhern Grad des Genusses, welchen sie an einem
Werke, das einmal schon da ist, unmöglich haben kann, auch zu
verschaffen, strebt die einmal zu lebhaft gerührte Empfindung
vergebens, etwas ähnliches aus sich selbst hervorzubringen, haßt ihr
eignes Werk, verwirft es und verleidet sich zugleich den Genuß alle
des Schönen, das außer ihr schon da ist, und woran sie nun eben
deswegen, weil es ohne ihr Zutun da ist, keine Freude findet.

Ihr einziger Wunsch und Streben ist, des ihr versagten höhern Genusses,
den sie nur dunkel ahndet, teilhaftig zu werden: in einem schönen
Werke, das ihr sein Dasein dankt, mit dem Bewußtsein von eigner
Bildungskraft sich selbst zu spiegeln.-Allein sie wird ihres Wunsches
ewig nicht gewährt, weil Eigennutz ihn erzeugte und das Schöne sich
nur um sein selbst willen von der Hand des Künstlers greifen und
willig und folgsam von ihm sich bilden läßt.

Wo sich nun in den schaffenwollenden Bildungstrieb sogleich die
Vorstellung vom Genuß des Schönen mischt, den es, wenn es vollendet
ist, gewähren soll; und wo diese Vorstellung der erste und stärkste
Antrieb unsrer Tatkraft wird, die sich zu dem, was sie beginnt, nicht
in und durch sich selbst gedrungen fühlt, da ist der Bildungstrieb
gewiß nicht rein: der Brennpunkt oder Vollendungspunkt des Schönen
fällt in die Wirkung über das Werk hinaus; die Strahlen gehen
auseinander; das Werk kann sich nicht in sich selber ründen.

Dem höchsten Genuß des aus sich selbst hervorgebrachten Schönen sich
so nah zu dünken und doch darauf Verzicht zu tun, scheint freilich ein
harter Kampf--der dennoch äußerst leicht wird, wenn wir aus diesem
Bildungstriebe, den wir uns einmal zu besitzen schmeicheln, um doch
sein Wesen zu veredeln, jede Spur des Eigennutzes, die wir noch finden,
tilgen und jede Vorstellung des Genusses, den uns das Schöne, das wir
hervorbringen wollen, wenn es nun da sein wird, durch das Gefühl
unsrer eignen Kraft gewähren soll, soviel wie möglich zu verbannen
suchen, so daß, wenn wir auch mit dem letzten Atemzuge es erst
vollenden könnten, es dennoch zu vollenden strebten.-Behält alsdann
das Schöne, das wir ahnden, bloß an und für sich selbst, in seiner
Hervorbringung, noch Reiz genug, unsre Tatkraft zu bewegen, so dürfen
wir getrost unserm Bildungstriebe folgen, weil er echt und rein ist.
-Verliert sich aber mit der gänzlichen Hinwegdenkung des Genusses und
der Wirkung auch der Reiz, so bedarf es ja keines Kampfes weiter, der
Frieden in uns ist hergestellt, und das nun wieder in seine Rechte
getretene Empfindungsvermögen eröffnet sich zum Lohne für sein
bescheidnes Zurücktreten in seine Grenzen dem reinsten Genuß des
Schönen, der mit der Natur seines Wesens bestehen kann.

Freilich kann nun der Punkt, wo Bildungs--und Empfindungskraft sich
scheidet, so äußerst leicht verfehlt und überschritten werden, daß es
gar nicht zu verwundern ist, wenn immer tausend falsche, angemaßte
Abdrücke des höchsten Schönen gegen einen echten durch den falschen
Bildungstrieb in den Werken der Kunst entstehen.

Denn da die echte Bildungskraft sogleich bei der ersten Entstehung
ihres Werks auch schon den ersten, höchsten Genuß desselben als ihren
sichern Lohn in sich selber trägt und sich nur dadurch von dem
falschen Bildungstriebe unterscheidet, daß sie den allerersten Moment
ihres Anstoßes durch sich selber und nicht durch die Ahndung des
Genusses von ihrem Werke erhält; und weil in diesem Moment der
Leidenschaft die Denkkraft selbst kein richtiges Urteil fällen kann,
so ist es fast unmöglich, ohne eine Anzahl mißlungner Versuche dieser
Selbsttäuschung zu entkommen.

Und selbst auch diese mißlungnen Versuche sind noch nicht immer ein
Beweis von Mangel an Bildungskraft, weil diese selbst da, wo sie echt
ist, oft eine ganz falsche Richtung nimmt, indem sie vor ihre
Einbildungskraft stellen will, was vor ihr Auge, oder vor ihr Auge,
was vor ihr Ohr gehört.

Eben weil die Natur die inwohnende Bildungskraft nicht immer zur
völligen Reife und Entwicklung kommen oder sie einen falschen Weg
einschlagen läßt, auf dem sie sich nie entwickeln kann, so bleibt das
echte Schöne selten.

Und weil sie auch aus dem angemaßten Bildungstriebe das Gemeine und
Schlechte ungehindert entstehen läßt, so unterscheidet sich eben
dadurch das echte Schöne und Edle durch seinen seltenen Wert vom
Schlechten und Gemeinen.

In dem Empfindungsvermögen bleibt also stets die Lücke, welche nur
durch das Resultat der Bildungskraft sich ausfüllt.--Bildungskraft und
Empfindungsfähigkeit verhalten sich zueinander wie Mann und Weib.
Denn auch die Bildungskraft ist bei der ersten Entstehung ihres Werks
im Moment des höchsten Genusses zugleich Empfindungsfähigkeit und
erzeugt wie die Natur den Abdruck ihres Wesens aus sich selber.

Empfindungsvermögen sowohl als Bildungskraft sind also in dem feinern
Gewebe der Organisation gegründet, insofern dieselbe in allen ihren
Berührungspunkten von den Verhältnissen des großen Ganzen der Natur
ein vollständiger oder doch fast vollständiger Abdruck ist.

Empfindungskraft sowohl als Bildungskraft umfassen mehr als Denkkraft,
und die tätige Kraft, worin sich beide gründen, faßt zugleich auch
alles, was die Denkkraft faßt, weil sie von allen Begriffen, die wir
je haben können, die ersten Anlässe, stets sie aus sich herausspinnend,
in sich trägt.

Insofern nun diese tätige Kraft alles, was nicht unter das Gebiet der
Denkkraft fällt, hervorbringend in sich faßt, heißet sie Bildungskraft:
und insofern sie das, was außer den Grenzen der Denkkraft liegt, der
Hervorbringung sich entgegenneigend, in sich begreift, heißt sie
Empfindungskraft.

Bildungskraft kann nicht ohne Empfindung und tätige Kraft, die bloß
tätige Kraft hingegen kann ohne eigentliche Empfindungs--und
Bildungskraft, wovon sie nur die Grundlage ist, für sich allein
stattfinden.

Insofern nun diese bloß tätige Kraft ebenfalls in dem feinern Gewebe
der Organisation sich gründet, darf das Organ nur überhaupt in allen
seinen Berührungspunkten ein Abdruck der Verhältnisse des großen
Ganzen sein, ohne daß eben der Grad der Vollständigkeit erfordert
würde, welche die Empfindungs--und Bildungskraft voraussetzt.

Von den Verhältnissen des großen Ganzen, das uns umgibt, treffen
nämlich immer so viele in allen Berührungspunkten unsres Organs
zusammen, daß wir dies große Ganze dunkel in uns fühlen, ohne es doch
selbst zu sein.  Die in unser Wesen hineingesponnenen Verhältnisse
jenes Ganzen streben, sich nach allen Seiten wieder auszudehnen; das
Organ wünscht sich nach allen Seiten bis ins Unendliche fortzusetzen.
Es will das umgebende Ganze nicht nur in sich spiegeln, sondern,
soweit es kann, selbst dies umgebende Ganze sein.

Daher ergreift jede höhere Organisation ihrer Natur nach die ihr
untergeordnete und trägt sie in ihr Wesen über.  Die Pflanze den
unorganisierten Stoff durch bloßes Werden und Wachsen; das Tier die
Pflanzen durch Werden, Wachsen und Genuß; der Mensch verwandelt nicht
nur Tier und Pflanze durch Werden, Wachsen und Genuß in sein innres
Wesen, sondern faßt zugleich alles, was seiner Organisation sich
unterordnet, durch die unter allen am hellsten geschliffne, spiegelnde
Oberfläche seines Wesens, in den Umfang seines Daseins auf und stellt
es, wenn sein Organ sich bildend in sich selbst vollendet, verschönert
außer sich wieder dar.

Wo nicht, so muß er das, was um ihn her ist, durch Zerstörung in den
Umfang seines wirklichen Daseins ziehn und verheerend um sich greifen,
so weit er kann, da einmal die reine unschuldige Beschauung seinen
Durst nach ausgedehntem wirklichem Dasein nicht ersetzen kann."



April

Korrespondenz

Rom, den 10. April.

Noch bin ich in Rom mit dem Leibe, nicht mit der Seele.  Sobald der
Entschluß fest war, abzugehen, hatte ich auch kein Interesse mehr, und
ich wäre lieber schon vierzehn Tage fort.  Eigentlich bleibe ich noch
um Kaysers willen und um Burys willen.  Ersterer muß noch einige
Studien absolvieren, die er nur hier in Rom machen kann, noch einige
Musikalien sammeln; der andere muß noch die Zeichnung zu einem Gemälde
nach meiner Erfindung ins reine bringen, dabei er meines Rats bedarf.

Doch hab' ich den 21. oder 22. April zur Abreise festgesetzt.


Rom den 11. April.

Die Tage vergehn, und ich kann nichts mehr tun.  Kaum mag ich noch
etwas sehen; mein ehrlicher Meyer steht mir noch bei, und ich genieße
noch zuletzt seines unterrichtenden Umgangs.  Hätte ich Kaysern nicht
bei mir, so hätte ich jenen mitgebracht.  Wenn wir ihn nur ein Jahr
gehabt hätten, so wären wir weit genug gekommen.  Besonders hätte er
bald über alle Skrupel im Köpfezeichnen hinausgeholfen.

Ich war mit meinem guten Meyer diesen Morgen in der französischen
Akademie, wo die Abgüsse der besten Statuen des Altertums
beisammenstehn.  Wie könnt' ich ausdrücken, was ich hier wie zum
Abschied empfand?  In solcher Gegenwart wird man mehr, als man ist;
man fühlt, das Würdigste, womit man sich beschäftigen sollte, sei die
menschliche Gestalt, die man hier in aller mannigfaltigen Herrlichkeit
gewahr wird.  Doch wer fühlt bei einem solchen Anblick nicht alsobald,
wie unzulänglich er sei; selbst vorbereitet steht man wie vernichtet.
Hatte ich doch Proportion, Anatomie, Regelmäßigkeit der Bewegung mir
einigermaßen zu verdeutlichen gesucht, hier aber fiel mir nur zu sehr
auf, daß die Form zuletzt alles einschließe, der Glieder
Zweckmäßigkeit, Verhältnis, Charakter und Schönheit.


Rom, den 14. April.

Die Verwirrung kann wohl nicht größer werden!  Indem ich nicht abließ,
an jenem Fuß fortzumodellieren, ging mir auf, daß ich nunmehr "Tasso"
unmittelbar angreifen müßte, zu dem sich denn auch meine Gedanken
hinwendeten, ein willkommener Gefährte zur bevorstehenden Reise.
Dazwischen wird eingepackt, und man sieht in solchem Augenblicke erst,
was man alles um sich versammelt und zusammengeschleppt hat.



Bericht

April

Meine Korrespondenz der letzten Wochen bietet wenig Bedeutendes; meine
Lage war zu verwickelt zwischen Kunst und Freundschaft, zwischen
Besitz und Bestreben, zwischen einer gewohnten Gegenwart und einer
wieder neu anzugewöhnenden Zukunft.  In diesen Zuständen konnten meine
Briefe wenig enthalten; die Freude, meine alten geprüften Freunde
wiederzusehen, war nur mäßig ausgesprochen, der Schmerz des Loslösens
dagegen kaum verheimlicht.  Ich fasse daher in gegenwärtigen
nachträglichen Bericht manches zusammen und nehme nur das auf, was aus
jener Zeit mir teils durch andere Papiere und Denkmale bewahrt, teils
in der Erinnerung wieder hervorzurufen ist.



Tischbein verweilte noch immer in Neapel, ob er schon seine
Zurückkunft im Frühling wiederholt angekündigt hatte.  Es war sonst
mit ihm gut leben, nur ein gewisser Tik ward auf die Länge
beschwerlich.  Er ließ nämlich alles, was er zu tun vorhatte, in einer
Art Unbestimmtheit, wodurch er oft ohne eigentlich bösen Willen andere
zu Schaden und Unlust brachte.  So erging es mir nun auch in diesem
Falle; ich mußte, wenn er zurückkehrte, um uns alle bequem logiert zu
sehen, das Quartier verändern, und da die obere Etage unsers Hauses
eben leer ward, säumte ich nicht, sie zu mieten und sie zu beziehen,
damit er bei seiner Ankunft in der untern alles bereit fände.

Die oberen Räume waren den unteren gleich, die hintere Seite jedoch
hatte den Vorteil einer allerliebsten Aussicht über den Hausgarten und
die Gärten der Nachbarschaft, welche, da unser Haus ein Eckhaus war,
sich nach allen Seiten ausdehnte.

Hier sah man nun die verschiedensten Gärten, regelmäßig durch Mauern
getrennt, in unendlicher Mannigfaltigkeit gehalten und bepflanzt;
dieses grünende und blühende Paradies zu verherrlichen, trat überall
die einfach edle Baukunst hervor: Gartensäle, Balkone, Terrassen, auch
auf den höhern Hinterhäuschen eine offne Loge, dazwischen alle
Baum--und Pflanzenarten der Gegend.

In unserm Hausgarten versorgte ein alter Weltgeistlicher eine Anzahl
wohlgehaltener Zitronenbäume von mäßiger Höhe in verzierten Vasen von
gebrannter Erde, welche im Sommer der freien Luft genossen, im Winter
jedoch im Gartensaale verwahrt standen.  Nach vollkommen geprüfter
Reife wurden die Früchte sorgfältig abgenommen, jede einzeln in
weiches Papier gewickelt, so zusammengepackt und versendet.  Sie sind
wegen besonderer Vorzüge im Handel beliebt.  Eine solche Orangerie
wird als ein kleines Kapital in bürgerlichen Familien betrachtet,
wovon man alle Jahre die gewissen Interessen zieht.

Dieselbigen Fenster, aus welchen man so viel Anmut beim klarsten
Himmel ungestört betrachtete, gaben auch ein vortreffliches Licht zu
Beschauung malerischer Kunstwerke.  Soeben hatte Kniep verschiedene
Aquarellzeichnungen, ausgeführt nach Umrissen, die er auf unsrer Reise
durch Sizilien sorgfältig zog, verabredetermaßen eingesendet, die
nunmehr bei dem günstigsten Licht allen Teilnehmenden zu Freude und
Bewunderung gereichten.  Klarheit und luftige Haltung ist vielleicht
in dieser Art keinem besser gelungen als ihm, der sich mit Neigung
gerade hierauf geworfen hatte.  Die Ansicht dieser Blätter bezauberte
wirklich, denn man glaubte, die Feuchte des Meers, die blauen Schatten
der Felsen, die gelbrötlichen Töne der Gebirge, das Verschweben der
Ferne in dem glanzreichsten Himmel wieder zu sehen, wieder zu
empfinden.  Aber nicht allein diese Blätter erschienen in solchem
Grade günstig, jedes Gemälde, auf dieselbe Staffelei, an denselben Ort
gestellt, erschien wirksamer und auffallender; ich erinnere mich, daß
einigemal, als ich ins Zimmer trat, mir ein solches Bild wie
zauberisch entgegenwirkte.

Das Geheimnis einer günstigen oder ungünstigen, direkten oder
indirekten atmosphärischen Beleuchtung war damals noch nicht entdeckt,
sie selbst aber durchaus gefühlt, angestaunt und als nur zufällig und
unerklärbar betrachtet.



Diese neue Wohnung gab nun Gelegenheit, eine Anzahl von Gipsabgüssen,
die sich nach und nach um uns gesammelt hatten, in freundlicher
Ordnung und gutem Lichte aufzustellen, und man genoß jetzt erst eines
höchst würdigen Besitzes.  Wenn man, wie in Rom der Fall ist, sich
immerfort in Gegenwart plastischer Kunstwerke der Alten befindet, so
fühlt man sich wie in Gegenwart der Natur vor einem Unendlichen,
Unerforschlichen.  Der Eindruck des Erhabenen, des Schönen, so
wohltätig er auch sein mag, beunruhigt uns, wir wünschen unsre Gefühle,
unsre Anschauung in Worte zu fassen: dazu müßten wir aber erst
erkennen, einsehen, begreifen; wir fangen an zu sondern, zu
unterscheiden, zu ordnen, und auch dieses finden wir, wo nicht
unmöglich, doch höchst schwierig, und so kehren wir endlich zu einer
schauenden und genießenden Bewunderung zurück.

überhaupt aber ist dies die entschiedenste Wirkung aller Kunstwerke,
daß sie uns in den Zustand der Zeit und der Individuen versetzen, die
sie hervorbrachten.  Umgeben von antiken Statuen, empfindet man sich
in einem bewegten Naturleben, man wird die Mannigfaltigkeit der
Menschengestaltung gewahr und durchaus auf den Menschen in seinem
reinsten Zustande zurückgeführt, wodurch denn der Beschauer selbst
lebendig und rein menschlich wird.  Selbst die Bekleidung, der Natur
angemessen, die Gestalt gewissermaßen noch hervorhebend, tut im
allgemeinen Sinne wohl.  Kann man dergleichen Umgebung in Rom
tagtäglich genießen, so wird man zugleich habsüchtig darnach; man
verlangt, solche Gebilde neben sich aufzustellen, und gute Gipsabgüsse
als die eigentlichsten Faksimiles geben hiezu die beste Gelegenheit.
Wenn man des Morgens die Augen aufschlägt, fühlt man sich von dem
Vortrefflichsten gerührt; alles unser Denken und Sinnen ist von
solchen Gestalten begleitet, und es wird dadurch unmöglich, in
Barbarei zurückzufallen.

Den ersten Platz bei uns behauptete Juno Ludovisi, um desto höher
geschätzt und verehrt, als man das Original nur selten, nur zufällig
zu sehen bekam und man es für ein Glück achten mußte, sie immerwährend
vor Augen zu haben; denn keiner unsrer Zeitgenossen, der zum erstenmal
vor sie hintritt, darf behaupten, diesem Anblick gewachsen zu sein.

Noch einige kleinere Junonen standen zur Vergleichung neben ihr,
vorzüglich Büsten Jupiters und, um anderes zu übergehen, ein guter
alter Abguß der Medusa Rondanini; ein wundersames Werk, das, den
Zwiespalt zwischen Tod und Leben, zwischen Schmerz und Wollust
ausdrückend, einen unnennbaren Reiz wie irgendein anderes Problem über
uns ausübt.

Doch erwähn' ich noch eines Herkules Anax, so kräftig und groß, als
verständig und mild; sodann eines allerliebsten Merkur, deren beider
Originale sich jetzt in England befinden.

Halberhobene Arbeiten, Abgüsse von manchen schönen Werken gebrannter
Erde, auch die ägyptischen, von dem Gipfel des großen Obelisk genommen,
und was nicht sonst an Fragmenten, worunter einige marmorne waren,
standen wohl eingereiht umher.

Ich spreche von diesen Schätzen, welche nur wenige Wochen in die neue
Wohnung gereiht standen, wie einer, der sein Testament überdenkt, den
ihn umgebenden Besitz mit Fassung, aber doch gerührt ansehen wird.
Die Umständlichkeit, die Bemühung und Kosten und eine gewisse
Unbehülflichkeit in solchen Dingen hielten mich ab, das Vorzüglichste
sogleich nach Deutschland zu bestimmen.  Juno Ludovisi war der edlen
Angelika zugedacht, weniges andere den nächsten Künstlern, manches
gehörte noch zu den Tischbeinischen Besitzungen, anderes sollte
unangetastet bleiben und von Bury, der das Quartier nach mir bezog,
nach seiner Weise benutzt werden.

Indem ich dieses niederschreibe, werden meine Gedanken in die frühsten
Zeiten hingeführt und die Gelegenheiten hervorgerufen, die mich
anfänglich mit solchen Gegenständen bekannt machten, meinen Anteil
erregten, bei einem völlig ungenügenden Denken einen überschwenglichen
Enthusiasmus hervorriefen und die grenzenlose Sehnsucht nach Italien
zur Folge hatten.

In meiner frühsten Jugend ward ich nichts Plastisches in meiner
Vaterstadt gewahr; in Leipzig machte zuerst der gleichsam tanzend
auftretende, die Zimbeln schlagende Faun einen tiefen Eindruck, so daß
ich mir den Abguß noch jetzt in seiner Individualität und Umgebung
denken kann.  Nach einer langen Pause ward ich auf einmal in das volle
Meer gestürzt, als ich mich von der Mannheimer Sammlung in dem von
oben wohlbeleuchteten Saale plötzlich umgeben sah.

Nachher fanden sich Gipsgießer in Frankfurt ein, sie hatten sich mit
manchen Originalabgüssen über die Alpen begeben, welche sie sodann
abformten und die Originale für einen leidlichen Preis abließen.  So
erhielt ich einen ziemlich guten Laokoons-Kopf, Niobes Töchter, ein
Köpfchen, später für eine Sappho angesprochen, und noch sonst einiges.
Diese edlen Gestalten waren eine Art von heimlichem Gegengift, wenn
das Schwache, Falsche, Manierierte über mich zu gewinnen drohte.
Eigentlich aber empfand ich immer innerliche Schmerzen eines
unbefriedigten, sich aufs Unbekannte beziehenden, oft gedämpften und
immer wieder auflebenden Verlangens.  Groß war der Schmerz daher, als
ich, aus Rom scheidend, von dem Besitz des endlich Erlangten,
sehnlichst Gehofften mich lostrennen sollte.



Die Gesetzlichkeit der Pflanzenorganisation, die ich in Sizilien
gewahr worden, beschäftigte mich zwischen allem durch, wie es
Neigungen zu tun pflegen, die sich unsres Innern bemächtigen und sich
zugleich unsern Fähigkeiten angemessen erzeigen.  Ich besuchte den
botanischen Garten, welcher, wenn man will, in seinem veralteten
Zustande geringen Reiz ausübte, auf mich aber doch, dem vieles, was er
dort vorfand, neu und unerwartet schien, einen günstigen Einfluß hatte.
Ich nahm daher Gelegenheit, manche seltenere Pflanzen um mich zu
versammeln und meine Betrachtungen darüber fortzusetzen, sowie die von
mir aus Samen und Kernen erzogenen fernerhin pflegend zu beobachten.

In diese letzten besonders wollten bei meiner Abreise mehrere Freunde
sich teilen.  Ich pflanzte den schon einigermaßen erwachsenen
Piniensprößling, Vorbildchen eines künftigen Baumes, bei Angelika in
den Hausgarten, wo er durch manche Jahre zu einer ansehnlichen Höhe
gedieh, wovon mir teilnehmende Reisende zu wechselseitigem Vergnügen,
wie auch von meinem Andenken an jenem Platze, gar manches zu erzählen
wußten.  Leider fand der nach dem Ableben jener unschätzbaren Freundin
eintretende neue Besitzer es unpassend, auf seinen Blumenbeeten ganz
unörtlich Pinien hervorwachsen zu sehen.  Späterhin fanden
wohlwollende, darnach forschende Reisende die Stelle leer und hier
wenigstens die Spur eines anmutigen Daseins ausgelöscht.

Glücklicher waren einige Dattelpflanzen, die ich aus Kernen gezogen
hatte.  Wie ich denn überhaupt die merkwürdige Entwicklung derselben
durch Aufopferung mehrerer Exemplare von Zeit zu Zeit beobachtete; die
überbliebenen, frisch aufgeschossenen übergab ich einem römischen
Freunde, der sie in einen Garten der Sixtinischen Straße pflanzte, wo
sie noch am Leben sind, und zwar bis zur Manneshöhe herangewachsen,
wie ein erhabener Reisende mir zu versichern die Gnade hatte.  Mögen
sie den Besitzern nicht unbequem werden und fernerhin zu meinem
Andenken grünen, wachsen und gedeihen!



Auf dem Verzeichnisse, was vor der Abreise von Rom allenfalls
nachzuholen sein möchte, fanden sich zuletzt sehr disparate
Gegenstände, die Cloaca Massima und die Katakomben bei St. Sebastian.
Die erste erhöhte wohl noch den kolossalen Begriff, wozu uns Piranesi
vorbereitet hatte; der Besuch des zweiten Lokals geriet jedoch nicht
zum besten, denn die ersten Schritte in diese dumpfigen Räume erregten
mir alsobald ein solches Mißbehagen, daß ich sogleich wieder ans
Tageslicht hervorstieg und dort im Freien in einer ohnehin unbekannten,
fernen Gegend der Stadt die Rückkunft der übrigen Gesellschaft
abwartete, welche, gefaßter als ich, die dortigen Zustände getrost
beschauen mochte.

In dem großen Werke "Roma sotterranea, di Antonio Bosio Romano"
belehrt' ich mich lange Zeit nachher umständlich von allem dem, was
ich dort gesehen oder auch wohl nicht gesehen hätte, und glaubte mich
dadurch hinlänglich entschädigt.

Eine andere Wallfahrt wurde dagegen mit mehr Nutzen und Folge
unternommen: es war zu der Akademie S. Luca, dem Schädel Raffaels
unsre Verehrung zu bezeigen, welcher dort als ein Heiligtum aufbewahrt
wird, seitdem er aus dem Grabe dieses außerordentlichen Mannes, das
man bei einer baulichen Angelegenheit eröffnet hatte, daselbst
entfernt und hierher gebracht worden.

Ein wahrhaft wundersamer Anblick!  Eine so schön als nur denkbar
zusammengefaßte und abgerundete Schale, ohne eine Spur von jenen
Erhöhungen, Beulen und Buckeln, welche, später an andern Schädeln
bemerkt, in der Gallischen Lehre zu so mannigfaltiger Bedeutung
geworden sind.  Ich konnte mich von dem Anblick nicht losreißen und
bemerkte beim Weggehen, wie bedeutend es für Natur--und Kunstfreunde
sein müßte, einen Abguß davon zu haben, wenn es irgend möglich wäre.
Hofrat Reiffenstein, dieser einflußreiche Freund, gab mir Hoffnung und
erfüllte sie nach einiger Zeit, indem er mir wirklich einen solchen
Abguß nach Deutschland sendete, dessen Anblick mich noch oft zu den
mannigfaltigsten Betrachtungen aufruft.

Das liebenswürdige Bild von des Künstlers Hand, St. Lucas, dem die
Mutter Gottes erscheint, damit er sie in ihrer vollen göttlichen
Hoheit und Anmut wahr und natürlich darstellen möge, gewährte den
heitersten Anblick.  Raffael selbst, noch jung, steht in einiger
Entfernung und sieht dem Evangelisten bei der Arbeit zu.  Anmutiger
kann man wohl nicht einen Beruf, zu dem man sich entschieden
hingezogen fühlt, ausdrücken und bekennen.

Peter von Cortona war ehmals der Besitzer dieses Werks und hat solches
der Akademie vermacht.  Es ist freilich an manchen Stellen beschädigt
und restauriert, aber doch immer ein Gemälde von bedeutendem Wert.



In diesen Tagen jedoch ward ich durch eine ganz eigene Versuchung
geprüft, die meine Reise zu verhindern und mich in Rom aufs neue zu
fesseln drohte.  Es kam nämlich von Neapel Herr Antonio Rega, Künstler
und ebenfalls Kunsthändler, zu Freund Meyer, ihm vertraulich
ankündigend, er sei mit einem Schiffe hier angekommen, welches draußen
an Ripa grande liege, wohin er ihn mitzugehen hiedurch einlade, denn
er habe auf demselben eine bedeutende antike Statue, jene Tänzerin
oder Muse, welche in Neapel im Hofe des Palasts Caraffa Colombrano
nebst andern in einer Nische seit undenklichen Jahren gestanden und
durchaus für ein gutes Werk gehalten worden sei.  Er wünsche diese zu
verkaufen, aber in der Stille, und frage deshalb an, ob nicht etwa
Herr Meyer selbst oder einer seiner vertrauten Freunde sich zu diesem
Handel entschließen könnte.  Er biete das edle Kunstwerk zu einem auf
alle Fälle höchst mäßigen Preise von dreihundert Zechinen, welche
Forderung sich ohne Frage erhöhen möchte, wenn man nicht in Betracht
der Verkäufer und des Käufers mit Vorsicht zu verfahren Ursache hätte.

Mir ward die Sache sogleich mitgeteilt, und wir eilten selbdritte zu
dem von unsrer Wohnung ziemlich entfernten Landungsplatz.  Rega hub
sogleich ein Brett von der Kiste, die auf dem Verdeck stand, und wir
sahen ein allerliebstes Köpfchen, das noch nie vom Rumpfe getrennt
gewesen, unter freien Haarlocken hervorblickend, und nach und nach
aufgedeckt eine lieblich bewegte Gestalt, im anständigsten Gewande,
übrigens wenig versehrt und die eine Hand vollkommen gut erhalten.

Sogleich erinnerten wir uns recht gut, sie an Ort und Stelle gesehen
zu haben, ohne zu ahnen, daß sie uns je so nah kommen könnte.

Hier nun fiel uns ein, und wem hätte es nicht einfallen sollen:
"Gewiß", sagten wir, "wenn man ein ganzes Jahr mit bedeutenden Kosten
gegraben hätte und zuletzt auf einen solchen Schatz gestoßen wäre, man
hätte sich höchst glücklich gefunden."  Wir konnten uns kaum von der
Betrachtung losreißen, denn ein so reines, wohlerhaltenes Altertum in
einem leicht zu restaurierenden Zustande kam uns wohl niemals zu
Gesicht.  Doch schieden wir zuletzt mit Vorsatz und Zusage, baldigste
Antwort vernehmen zu lassen.



Wir waren beiderseits in einem wahrhaften Kampf begriffen, es schien
uns in mancher Betrachtung unrätlich, diesen Ankauf zu machen; wir
entschlossen uns daher, den Fall der guten Frau Angelika zu melden,
als wohl vermögend zum Ankauf und durch ihre Verbindung zu
Restauration und sonstigen Vorkommenheiten hinlänglich geeignet.
Meyer übernahm die Meldung, wie früher die wegen des Bildes von Daniel
von Volterra, und wir hofften deshalb das beste Gelingen.  Allein die
umsichtige Frau, mehr aber noch der ökonomische Gemahl lehnten das
Geschäft ab, indem sie wohl auf Malereien bedeutende Summen
verwendeten, sich aber auf Statuen einzulassen keineswegs den
Entschluß fassen könnten.

Nach dieser ablehnenden Antwort wurden wir nun wieder zu neuer
überlegung aufgeregt; die Gunst des Glückes schien ganz eigen; Meyer
betrachtete den Schatz noch einmal und überzeugte sich, daß das
Bildwerk nach seinen Gesamtzeichen wohl als griechische Arbeit
anzuerkennen sei, und zwar geraume Zeit vor Augustus hinauf,
vielleicht bis an Hiero II. geordnet werden könnte.

Den Kredit hatte ich wohl, dieses bedeutende Kunstwerk anzuschaffen,
Rega schien sogar auf Stückzahlung eingehen zu wollen, und es war ein
Augenblick, wo wir uns schon im Besitz des Bildnisses und solches in
unserm großen Saal wohlbeleuchtet aufgestellt zu sehen glaubten.

Wie aber denn doch zwischen einer leidenschaftlichen Liebesneigung und
einem abzuschließenden Heiratskontrakt noch manche Gedanken sich
einzudringen pflegen, so war es auch hier, und wir durften ohne Rat
und Zustimmung unsrer edlen Kunstverwandten, des Herrn Zucchi und
seiner wohlmeinenden Gattin, eine solche Verbindung nicht unternehmen,
denn eine Verbindung war es im ideell-pygmalionischen Sinne, und ich
leugne nicht, daß der Gedanke, dieses Wesen zu besitzen, bei mir tiefe
Wurzel gefaßt hatte.  Ja, als ein Beweis, wie sehr ich mir hierin
schmeichelte, mag das Bekenntnis gelten, daß ich dieses Ereignis als
einen Wink höherer Dämonen ansah, die mich in Rom festzuhalten und
alle Gründe, die mich zum Entschluß der Abreise vermocht, auf das
tätigste niederzuschlagen gedächten.

Glücklicherweise waren wir schon in den Jahren, wo die Vernunft dem
Verstand in solchen Fällen zu Hülfe zu kommen pflegt, und so mußte
denn Kunstneigung, Besitzeslust und was ihnen sonst beistand,
Dialektik und Aberglaube, vor den guten Gesinnungen weichen, welche
die edle Freundin Angelika mit Sinn und Wohlwollen an uns zu wenden
die Geneigtheit hatte.  Bei ihren Vorstellungen traten daher aufs
klarste die sämtlichen Schwierigkeiten und Bedenklichkeiten an den Tag,
die sich einem solchen Unternehmen entgegenstellten.  Ruhige, bisher
den Kunst--und Altertumstudien sich widmende Männer griffen auf einmal
in den Kunsthandel ein und erregten die Eifersucht der zu solchem
Geschäft herkömmlich Berechtigten.  Die Schwierigkeiten der
Restauration seien mannigfaltig, und es frage sich, inwiefern man
dabei werde billig und redlich bedient werden.  Wenn ferner bei der
Absendung auch alles in möglichster Ordnung gehe, so könnten doch
wegen der Erlaubnis der Ausfuhr eines solchen Kunstwerkes am Schluß
noch Hindernisse entstehen, und was alsdann noch wegen der überfahrt
und des Anlandens und Ankommens zu Hause alles noch für
Widerwärtigkeiten zu befürchten seien.  Über solche Betrachtungen,
hieß es, gehe der Handelsmann hinaus, sowohl Mühe als Gefahr setze
sich in einem großen Ganzen ins Gleichgewicht, dagegen sei ein
einzelnes Unternehmen dieser Art auf jede Weise bedenklich.

Durch solche Vorstellungen wurde denn nach und nach Begierde, Wunsch
und Vorsatz gemildert, geschwächt, doch niemals ganz ausgelöscht,
besonders da sie endlich zu großen Ehren gelangte; denn sie steht
gegenwärtig im Museo Pio-Clementino in einem kleinen angebauten, aber
mit dem Museum in Verbindung stehenden Kabinett, wo im Fußboden die
wunderschönen Mosaiken von Masken und Laubgewinden eingesetzt sind.
Die übrige Gesellschaft von Statuen in jenem Kabinett besteht 1) aus
der auf der Ferse sitzenden Venus, an deren Base der Name des Bupalus
eingegraben steht; 2) ein sehr schöner kleiner Ganymedes; 3) die
schöne Statue eines Jünglings, dem, ich weiß nicht ob mit Recht, der
Name Adonis beigelegt wird; 4) ein Faun aus Rosso Antico; 5) der ruhig
stehende Discobolus.

Visconti hat im dritten, gedachtem Museum gewidmeten Bande dieses
Denkmal beschrieben, nach seiner Weise erklärt und auf der dreißigsten
Tafel abbilden lassen; da denn jeder Kunstfreund mit uns bedauern kann,
daß es uns nicht gelungen, sie nach Deutschland zu schaffen und sie
irgendeiner vaterländischen großen Sammlung hinzuzugesellen.



Man wird es natürlich finden, daß ich bei meinen Abschiedsbesuchen
jene anmutige Mailänderin nicht vergaß.  Ich hatte die Zeit her von
ihr manches Vergnügliche gehört: wie sie mit Angelika immer vertrauter
geworden und sich in der höhern Gesellschaft, wohin sie dadurch
gelangt, gar gut zu benehmen wisse.  Auch konnte ich die Vermutung
nähren und den Wunsch, daß ein wohlhabender junger Mann, welcher mit
Zucchis im besten Vernehmen stand, gegen ihre Anmut nicht
unempfindlich und ernstere Absichten durchzuführen nicht abgeneigt sei.


Nun fand ich sie im reinlichen Morgenkleide, wie ich sie zuerst in
Castel Gandolfo gesehen; sie empfing mich mit offner Anmut und drückte
mit natürlicher Zierlichkeit den wiederholten Dank für meine Teilnahme
gar liebenswürdig aus.  "Ich werd' es nie vergessen", sagte sie, "daß
ich, aus Verwirrung mich wieder erholend, unter den anfragenden
geliebten und verehrten Namen auch den Eurigen nennen hörte; ich
forschte mehrmals, ob es denn auch wahr sei.  Ihr setztet Eure
Erkundigungen durch mehrere Wochen fort, bis endlich mein Bruder Euch
besuchend für uns beide danken konnte.  Ich weiß nicht, ob er's
ausgerichtet hat, wie ich's ihm auftrug, ich wäre gern mitgegangen,
wenn sich's geziemte."  Sie fragte nach dem Weg, den ich nehmen wollte,
und als ich ihr meinen Reiseplan vorerzählte, versetzte sie: "Ihr
seid glücklich, so reich zu sein, daß Ihr Euch dies nicht zu versagen
braucht; wir andern müssen uns in die Stelle finden, welche Gott und
seine Heiligen uns angewiesen.  Schon lange seh' ich vor meinem
Fenster Schiffe kommen und abgehen, ausladen und einladen; das ist
unterhaltend, und ich denke manchmal, woher und wohin das alles?"  Die
Fenster gingen gerade auf die Treppen von Ripetta, die Bewegung war
eben sehr lebhaft.

Sie sprach von ihrem Bruder mit Zärtlichkeit, freute sich, seine
Haushaltung ordentlich zu führen, ihm möglich zu machen, daß er bei
mäßiger Besoldung noch immer etwas zurück in einem vorteilhaften
Handel anlegen könne; genug, sie ließ mich zunächst mit ihren
Zuständen durchaus vertraut werden.  Ich freute mich ihrer
Gesprächigkeit; denn eigentlich macht' ich eine gar wunderliche Figur,
indem ich schnell alle Momente unsres zarten Verhältnisses vom ersten
Augenblick an bis zum letzten mir wieder vorzurollen gedrängt war.
Nun trat der Bruder herein, und der Abschied schloß sich in
freundlicher, mäßiger Prosa.

Als ich vor die Türe kam, fand ich meinen Wagen ohne den Kutscher, den
ein geschäftiger Knabe zu holen lief.  Sie sah heraus zum Fenster des
Entresols, den sie in einem stattlichen Gebäude bewohnten; es war
nicht gar hoch, man hätte geglaubt, sich die Hand reichen zu können.

"Man will mich nicht von Euch wegführen, seht Ihr", rief ich aus, "man
weiß, so scheint es, daß ich ungern von Euch scheide."

Was sie darauf erwiderte, was ich versetzte, den Gang des anmutigsten
Gespräches, das, von allen Fesseln frei, das Innere zweier sich nur
halbbewußt Liebenden offenbarte, will ich nicht entweihen durch
Wiederholung und Erzählung; es war ein wunderbares, zufällig
eingeleitetes, durch innern Drang abgenötigtes lakonisches
Schlußbekenntnis der unschuldigsten und zartesten wechselseitigen
Gewogenheit, das mir auch deshalb nie aus Sinn und Seele gekommen ist.



Auf eine besonders feierliche Weise sollte jedoch mein Abschied aus
Rom vorbereitet werden; drei Nächte vorher stand der volle Mond am
klarsten Himmel, und ein Zauber, der sich dadurch über die ungeheure
Stadt verbreitet, so oft empfunden, ward nun aufs eindringlichste
fühlbar.  Die großen Lichtmassen, klar, wie von einem milden Tage
beleuchtet, mit ihren Gegensätzen von tiefen Schatten, durch Reflexe
manchmal erhellt, zur Ahnung des Einzelnen, setzen uns in einen
Zustand wie von einer andern, einfachern, größern Welt.

Nach zerstreuenden, mitunter peinlich zugebrachten Tagen macht' ich
den Umgang mit wenigen Freunden einmal ganz allein.  Nachdem ich den
langen Korso, wohl zum letztenmal, durchwandert hatte, bestieg ich das
Kapitol, das wie ein Feenpalast in der Wüste dastand.  Die Statue Mark
Aurels rief den Kommandeur in "Don Juan" zur Erinnerung und gab dem
Wanderer zu verstehen, daß er etwas Ungewöhnliches unternehme.
Dessenungeachtet ging ich die hintere Treppe hinab.  Ganz finster,
finstern Schatten werfend, stand mir der Triumphbogen des Septimius
Severus entgegen; in der Einsamkeit der Via Sacra erschienen die sonst
so bekannten Gegenstände fremdartig und geisterhaft.  Als ich aber den
erhabenen Resten des Koliseums mich näherte und in dessen
verschlossenes Innere durchs Gitter hineinsah, darf ich nicht leugnen,
daß mich ein Schauer überfiel und meine Rückkehr beschleunigte.

Alles Massenhafte macht einen eignen Eindruck zugleich als erhaben und
faßlich, und in solchen Umgängen zog ich gleichsam ein unübersehbares
Summa Summarum meines ganzen Aufenthaltes.  Dieses, in aufgeregter
Seele tief und groß empfunden, erregte eine Stimmung, die ich
heroisch-elegisch nennen darf, woraus sich in poetischer Form eine
Elegie zusammenbilden wollte.

Und wie sollte mir gerade in solchen Augenblicken Ovids Elegie nicht
ins Gedächtnis zurückkehren, der, auch verbannt, in einer Mondnacht
Rom verlassen sollte.  "Cum repeto noctem!" seine Rückerinnerung, weit
hinten am Schwarzen Meere, im trauer--und jammervollen Zustande, kam
mir nicht aus dem Sinn, ich wiederholte das Gedicht, das mir teilweise
genau im Gedächtnis hervorstieg, aber mich wirklich an eigner
Produktion irre werden ließ und hinderte; die auch, später unternommen,
niemals zustande kommen konnte.


Wandelt von jener Nacht mir das traurige Bild vor die Seele,
 Welche die letzte für mich ward in der römischen Stadt,
Wiederhol' ich die Nacht, wo des Teuren soviel mir zurückblieb,
 Gleitet vom Auge mir noch jetzt eine Träne herab.
Und schon ruhten bereits die Stimmen der Menschen und Hunde,
 Luna, sie lenkt' in der Höh' nächtliches Rossegespann.
Zu ihr schaut' ich hinan, sah dann kapitolische Tempel,
 Welchen umsonst so nah unsere Laren gegrenzt.--



Cum subit illius tristissima noctis imago,
 Quae mihi supremum tempus in Urbe fuit;
Cum repeto noctem, qua tot mihi cara reliqui;
 Labitur ex oculis nunc quoque gutta meis.
Iamque quiescebant voces hominumque canumque:
 Lunaque nocturnos alta regebat equos.
Hanc ego suspiciens, et ab hac Capitolia cernens,
 Quae nostro frustra iuncta fuere Lari.--



Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes "Italienische Reise-Teil 2" von
Johann Wolfgang von Goethe.




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