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Title: Der Weltkrieg - Deutsche Träume
Author: Niemann, August
Language: German
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Der Weltkrieg



  Druck von
  W. Vobach & Co.
  Berlin N. 4.

[Illustration]



                             Der Weltkrieg

                            Deutsche Träume

                                 Roman

                                  von

                            August Niemann

                            [Illustration]

                            Berlin-Leipzig

                      Verlag von W. Vobach & Co.


  Alle Rechte,
  insbesondere das Recht der Uebersetzung in
  andere Sprachen, vorbehalten.

  Nachdruck wird gerichtlich verfolgt.

  ~Copyright 1904 by W. Vobach & Co.~



[Illustration]


In meiner Erinnerung taucht der britische Oberst auf, der mir in
Kalkutta sagte: Dreimal bin ich hierher nach Indien kommandiert worden.
Vor fünfundzwanzig Jahren als Leutnant: -- damals standen die Russen
fünfzehnhundert Meilen von der indischen Grenze entfernt. Dann als
Kapitän vor zehn Jahren: -- und damals standen die Russen nur noch
fünfhundert Meilen entfernt. Vor einem Jahre als Oberstleutnant: -- die
Russen stehen unmittelbar vor den Pässen, die nach Indien führen.

Die Weltkarte entfaltet sich vor meinen Blicken.

Alle Meere durchpflügt von den Kielen britischer Kriegsschiffe, alle
Küsten besetzt mit Kohlenstationen und Festungen der britischen
Weltmacht. Die Herrschaft über den Erdkreis ist bei England, und
England will sie behalten, es kann nicht dulden, daß der russische
Koloß Leben und Bewegung aus dem Meere trinkt.

„Ohne Englands Erlaubnis darf keine Kanone auf dem Meere abgefeuert
werden,“ sagte einst William Pitt, Englands größter Staatsmann.

Seit langen Jahren wächst England empor durch den Zwiespalt der
kontinentalen Mächte unter sich. Fast alle Kriege seit Jahrhunderten
sind zum Vorteil Englands geführt, fast alle von England angestiftet
worden. Nur als der Genius Bismarcks über Deutschland wachte, besann
der deutsche Michel sich auf seine Kraft und kriegte für sich selbst.

Soll es dahin kommen, daß Deutschland Luft und Licht und das tägliche
Brot nur noch der Gnade Englands verdankt? Oder lebt noch die alte
Kraft in Michels Armen?

Werden die drei Mächte, die im Vertrage von Schimonoseki nach dem Siege
Japans über China zusammenstanden, um Englands Pläne zu vereiteln,
werden Deutschland, Frankreich und Rußland noch länger müßig bleiben,
oder werden sie sich zu gemeinsamem Handeln die Hände reichen?

Im Geiste sehe ich die Heere und Flotten Deutschlands, Frankreichs
und Rußlands sich in Bewegung setzen gegen den allgemeinen Feind,
der mit Polypenarmen die Weltkugel umklammert. Befreiung aus seinen
erstickenden Schlingen bringt für ganz Europa der eherne Ansturm der
alliierten drei Mächte. Die Zukunft trägt den großen Krieg in ihrem
Schoße.

Es ist keine Geschichte aus der Vergangenheit, die ich in den folgenden
Blättern schildere. Es ist das Bild, wie es sich klar vor meiner Seele
entrollte, als mir der Inhalt der ersten Depesche des Statthalters
Alexejew an den Zaren bekannt wurde. Und gleichzeitig tauchte wie ein
Blitz in mir die Erinnerung an das Telegramm auf, das Kaiser Wilhelm
II. nach Jamesons Einfall an die Buren sandte, jenes Telegramm, das im
Herzen der ganzen deutschen Nation ein so nachhaltiges Echo gefunden
hat. Ich schaue in die Zukunft und erinnere mich der Pflichten und
Aufgaben unsers deutschen Volkes. Meine Träume, die Träume eines
Deutschen, zeigen mir den Krieg und Sieg der drei verbündeten großen
Nationen, Deutschland, Frankreich, Rußland, und eine neue Verteilung
des Besitzes der Erde als Endziel dieses gewaltigen Weltkrieges.

                                                          Der Verfasser.



[Illustration]



I.


Eine glänzende Versammlung hoher Würdenträger und Militärs war es, die
sich im kaiserlichen Winterpalast zu St. Petersburg zusammenfand. Von
den einflußreichen Persönlichkeiten, die durch ihre amtliche Stellung
oder durch ihre persönlichen Beziehungen zum Herrscherhause berufen
waren, beratend und bestimmend auf die Geschicke des Zarenreiches
einzuwirken, fehlte kaum eine einzige. Aber es konnte kein festlicher
Anlaß sein, der sie hier zusammen führte; denn in allen Mienen war
der Ausdruck tiefen Ernstes, der sich hier und da bis zu banger Sorge
steigerte. Und die in leisem Flüsterton geführten Gespräche bewegten
sich um sehr bedeutsame Dinge.

Die breiten Flügeltüren gegenüber dem lebensgroßen Bilde des
regierenden Zaren wurden weit geöffnet, und unter lautloser Stille der
Versammelten betrat der greise Präsident des Reichsrats, der Großoheim
des Zaren, Großfürst Michael, den Saal. Zwei andere Mitglieder des
Kaiserhauses, die Großfürsten Wladimir Alexandrowitsch und Alexis
Alexandrowitsch, die Brüder des verstorbenen Herrschers, befanden sich
in seiner Begleitung.

Huldvoll erwiderten die Prinzen die tiefen Verbeugungen der Anwesenden.
Auf einen Wink des Großfürsten Michael gruppierte man sich um den
langen, mit grünem Tuch überzogenen Konferenztisch inmitten des
säulengetragenen Saales. Noch herrschte tiefe, ehrfurchtsvolle
Stille; aber auf ein Zeichen des Präsidenten erhob sich nunmehr der
Staatssekretär Witte, Vorsitzender des Minister-Komitees, um, gegen die
Großfürsten gewendet, zu beginnen:

„Kaiserliche Hoheiten und verehrte Herren! Eure Kaiserliche Hoheit
haben zu einer dringenden Beratung befohlen und mich mit dem Auftrage
betraut, deren Ursachen und Zweck darzulegen. Wir alle wissen, daß
Seine Majestät, der Kaiser, unser erhabener Herr und Gebieter, die
Erhaltung des Weltfriedens als das höchste Ziel seiner Politik
bezeichnet hat. Die christliche Idee, daß die Menschheit _eine_ Herde
unter _einem_ Hirten sein soll, hat in unserm erlauchten Herrscher
ihren ersten und vornehmsten Vertreter auf Erden gefunden. Die Liga
für den Weltfrieden ist das eigenste Werk Seiner Majestät, und wenn
wir berufen worden sind, um unsere untertänigsten Vorschläge zur
Beseitigung der dem Vaterlande in diesem Augenblick drohenden Gefahr
dem Allerhöchsten Herrn zu unterbreiten, so dürfen unsere Beratungen
immer nur von jenem Geiste erfüllt sein, der dem christlichen Gebot der
Menschenliebe entspricht.“

Unterbrechend erhob Großfürst Michael die Hand.

„Alexander Nikolajewitsch,“ wandte er sich an den Protokollführer,
„vergiß nicht, diesen Satz wörtlich niederzuschreiben.“

Der Staatssekretär machte eine kurze Pause, um dann mit etwas erhobener
Stimme und nachdrücklicherem Ton fortzufahren:

„Es bedarf keiner besonderen Beteuerung, daß bei solcher hochsinnigen
Denkungsart unseres höchsten Herrn ein Bruch des Weltfriedens niemals
von uns ausgehen konnte. Ein heiliges Besitztum aber, das wir von
niemandem antasten lassen dürfen, ist die nationale Ehre, und der
Angriff, den Japan im fernen Osten auf uns unternommen hat, zwang uns
zu ihrer Verteidigung das Schwert in die Hand. In der ganzen Welt kann
es keinen gerecht und billig denkenden Menschen geben, der um dieses
uns aufgezwungenen Krieges willen einen Vorwurf gegen uns erheben
dürfte. Aber es ist in der gegenwärtigen Gefahr für uns ein Gebot der
Selbsterhaltung, zu erwägen, ob Japan in Wahrheit der einzige und
der eigentliche Feind ist, gegen den wir uns zu verteidigen haben.
Und es liegen triftige Gründe vor, die uns dahin führen müssen, diese
Frage zu verneinen. Die Regierung Seiner Majestät ist überzeugt,
daß wir den japanischen Angriff lediglich der lange währenden und
in ihrer heimlichen Wühlarbeit nimmer ruhenden Feindschaft Englands
zu danken haben. Unablässig ist England von jeher darauf bedacht
gewesen, uns zur Erlangung eigenen Vorteils zu schaden. Bei allen
unseren Bestrebungen, das Wohl des Reiches zu fördern und die Völker
glücklich zu machen, sind wir von jeher auf den Widerstand Englands
gestoßen. Vom chinesischen Meere aus durch ganz Asien hindurch bis
zur baltischen See legt England uns Schwierigkeiten in den Weg, um
uns der Früchte unserer Kulturarbeit zu berauben. Niemand von uns ist
darüber im Zweifel, daß Japan in Wahrheit die Sache Englands führt.
Aber auch überall, wo sonst auf dem Erdball unsere Interessen in Frage
stehen, stoßen wir auf die offenen oder versteckten Feindseligkeiten
Englands. Die von ihm erregten und mit den verwerflichsten Mitteln
begünstigten Wirren in den Balkanländern und in der Türkei haben
einzig den Zweck, uns mit Oesterreich und Deutschland zu verfeinden.
Und nirgends treten die eigentlichen Ziele Britanniens deutlicher zu
Tage, als in Mittelasien. Mit unsäglichen Mühen und den größten Opfern
an Gut und Blut haben weise Regenten die öden, von halbwilden Völkern
bewohnten Landstrecken zwischen dem Schwarzen und Kaspischen Meere und
östlich von diesem bis zur chinesischen Grenze und an den Himalaja der
russischen Kultur zugänglich gemacht. Nie aber haben wir einen Schritt
nach Osten oder Süden tun können, ohne englischem Widerspruch oder
englischen Intriguen zu begegnen. Jetzt stehen wir nahe der Grenze
des britischen Ostindien und unmittelbar an der Grenze Persiens und
Afghanistans. Wir haben freundschaftliche Beziehungen zu den Herrschern
dieser beiden Reiche geschaffen, pflegen einen eifrigen Handelsverkehr
mit ihren Völkern, unterstützen ihre industriellen Unternehmungen und
sind vor keinen Opfern zurückgeschreckt, um diese Länder den Segnungen
der Kultur zugänglich zu machen. Aber auf Schritt und Tritt sucht
England unsere Tätigkeit zu hemmen. Britisches Gold und britische
Hetzereien waren es, die in Afghanistan zeitweilig eine kriegerische
Stellung gegen uns hervorzurufen vermochten. Einmal endlich müssen
wir uns die Frage vorlegen, wie lange wir solchem Beginnen untätig
zusehen dürfen. Rußland muß sich den Weg zum Meere frei machen. Viele
Millionen rüstiger Arme bebauen die heilige Erde unseres Vaterlandes.
Wir verfügen über unermeßliche Schätze an Getreide, Holz und an
allen Produkten der Landwirtschaft. Aber wir können nur mit einem
geringfügigen Bruchteil dieses uns vom Himmel beschiedenen Segens auf
den Weltmarkt gelangen, weil wir von allen Seiten eingeschlossen und
eingeengt sind, solange uns der Weg zum Meere versperrt bleibt. Unsere
mittelasiatischen Provinzen ersticken aus Mangel an Seeluft. Das weiß
England sehr gut, und darum ist all sein Verlangen darauf gerichtet,
uns das Meer zu verschließen. Mit einer durch nichts berechtigten
Anmaßung erklärt es den persischen Golf für seine Domäne und möchte das
ganze indische Meer, gleich Indien selbst, für sein Eigentum gehalten
wissen. Diesem Uebermut sollte endlich ein gebieterisches ‚Halt‘
zugerufen werden, wenn unser geliebtes Vaterland nicht in die Gefahr
geraten soll, unübersehbaren Schaden zu erleiden. Nicht wir sind es,
die den Kampf suchen, sondern man zwingt ihn uns auf. Ueber die Mittel
aber, mit denen er zu führen wäre, wenn England sich aus freien Stücken
zu einer Erfüllung unserer berechtigten Forderungen nicht versteht,
würde uns am besten Seine Exzellenz der Herr Kriegsminister Auskunft zu
geben vermögen.“

Er verbeugte sich abermals gegen die Großfürsten und ließ sich in
seinen Sessel nieder; die hohe stattliche Gestalt des Kriegsministers
Kuropatkin war es, die sich jetzt auf einen Wink des Präsidenten erhob
und Antwort gab.

„Zwanzig Jahre habe ich in Mittelasien gedient, und ich beurteile
unsere Lage an der Südgrenze aus eigener Anschauung. Für einen Krieg
gegen England ist Afghanistan zunächst der entscheidende Schauplatz.
Drei wichtige Pässe führen aus Afghanistan nach Indien hinein: der
Kaiberpaß, der Bolanpaß und das Kuramtal. Als die Engländer im November
des Jahres 1878 in Afghanistan einmarschierten, gingen sie in drei
Kolonnen von Peschawar, von Kohat und von Quetta aus auf Kabul,
Gasna und Kandahar. Diese drei Wege sind auch uns vorgezeichnet. Die
öffentliche Meinung hält sie für die allein möglichen. Es würde zu
weit führen, wenn ich meine strategische Ansicht über die Richtigkeit
oder Unrichtigkeit dieser Annahme hier entwickeln wollte. Genug:
wir werden den Weg nach Indien finden. Habib Ullah Khan würde sein
sechzigtausend Mann starkes Afghanenheer zu uns stoßen lassen, sobald
wir in sein Land einrückten. Allerdings ist er ein Bundesgenosse
von zweifelhafter Zuverlässigkeit; denn er würde wahrscheinlich
ebenso bereitwillig mit den Engländern gehen, wenn diese zuerst
mit einer Macht, die ihm hinlänglich imponierte, in seinem Lande
erschienen. Aber es hindert uns nichts, die ersten zu sein. Unsere
Eisenbahn führt bis Merw, 120 Kilometer von Herat, und von dieser
Zentralstelle bis zur Grenze Afghanistans. Mit unserer transkaspischen
Bahn können wir die kaukasischen Armeekorps und die Truppen des
Generalgouvernements Turkestan an die afghanische Grenze bringen. Ich
mache mich anheischig, innerhalb vier Wochen nach der Kriegserklärung
eine ausreichende Feldarmee in Afghanistan um Herat herum konzentriert
zu haben. Unserer ersten Armee aber kann ein unablässiger Strom von
Regimentern und Batterien folgen. Die Reserven des russischen Heeres
sind unerschöpflich, und wir stellen, wenn es sein muß, vier Millionen
Soldaten und mehr als eine halbe Million Pferde ins Feld. Ich möchte
aber bezweifeln, daß England uns in Afghanistan entgegentreten wird.
Die englischen Generäle würden jedenfalls nicht sehr klug daran tun,
Indien zu verlassen. Würden sie in Afghanistan geschlagen, so kämen
sicherlich nur schwache Trümmer ihres Heeres nach Indien zurück.
Die Afghanen würden eine fliehende englische Armee erbarmungslos
vernichten, wie sie es schon einmal getan haben. Wir aber, wenn sich,
was Gott verhüten möge, das Kriegsglück anfänglich gegen uns wendete,
hätten immer noch einen Rückweg nach Turkestan offen, auf dem man
uns schwerlich folgen würde, und wir könnten den Angriff jederzeit
erneuern. Wird die englische Armee geschlagen, so ist Indien für
Großbritannien verloren. Denn die Engländer stehen in Indien wie in
Feindesland; sie finden als Unterliegende keinen Rückhalt im indischen
Volke. Von den eingeborenen Fürsten, deren Selbständigkeit sie
brutal vernichtet haben, würden sie in dem Augenblick, da ihre Macht
zusammenbricht, auf allen Seiten angegriffen werden. Uns aber würde man
als Befreier von einem unerträglichen Joch mit offenen Armen empfangen.
Die anglo-indische Armee sieht auf dem Papier viel gefährlicher aus,
als in der Wirklichkeit, sie zählt angeblich 200000 Mann; aber nur
ein Drittel davon sind englische Soldaten, während sich der Rest aus
Eingeborenen zusammensetzt. Und diese Armee besteht überdies aus
vier Korps, die über das ganze große Gebiet Indiens verteilt sind.
Eine Feldarmee, die an der Grenze oder jenseits der Grenze verwendet
werden sollte, müßte erst aus diesen vier Korps herausgezogen und neu
organisiert werden. Sie könnte höchstens 60000 Mann stark sein, weil
das Land um der Unzuverlässigkeit der Bevölkerung willen nicht von
Garnisonen entblößt werden darf. Ich möchte nach all diesem meiner
Ueberzeugung dahin Ausdruck geben, daß der Krieg in Indien selbst
geführt werden muß und daß Gott uns den Sieg verleihen wird.“

Die in energischem und zuversichtlichem Ton vorgebrachten Ausführungen
des Generals hatten ersichtlich einen tiefen Eindruck auf die Hörer
gemacht. Aber die Rücksicht auf die Anwesenheit der Großfürsten
verhinderte jede laute Kundgebung. Der greise Präsident reichte dem
Kriegsminister die Hand. Dann erteilte er dem Minister der auswärtigen
Angelegenheiten das Wort.

„Es unterliegt für mich keinem Zweifel,“ sagte der Diplomat, „daß die
soeben von Seiner Exzellenz dem Herrn Kriegsminister entwickelten
strategischen Ansichten einer eingehenden Sachkenntnis und richtigen
Würdigung der Verhältnisse entsprungen sind, und ich bin gewiß, daß
die sieggewohnten Truppen Seiner Majestät des Zaren im Falle eines
Krieges bald in der Ebene des Indus stehen werden. Auch ist es durchaus
meine Ueberzeugung, daß Rußland am besten tun würde, die Offensive
zu ergreifen, sobald sich einmal die Unhaltbarkeit des gegenwärtigen
Verhältnisses zu England erwiesen hat. Aber wer mit Großbritannien
Krieg führt, darf nicht mit einem Kriegsschauplatz rechnen. Wir müßten
im Gegenteil auf Angriffe der verschiedensten Art gefaßt sein, zunächst
wohl auf einen Angriff auf unsere Finanzen, unsern Kredit, worüber
Exzellenz Witte uns bessere Aufschlüsse geben könnte als ich. Die
englische Bank und die mit ihr verbündeten großen Bankhäuser würden
diesen Finanzkrieg ungesäumt eröffnen. Weiter würde sich schwerlich
noch ein unter russischer Flagge segelndes Schiff auf offenem Meere
zeigen dürfen, und unser internationaler Handel würde bis zur
Niederwerfung des Gegners völlig unterbunden sein. Bedeutsamer aber
als Erwägungen dieser Art muß für uns die Frage nach dem Verhalten
der anderen Großmächte sein. Wer wird für uns und wer wird gegen uns
sein? Englands politische Kunst hat sich seit der Zeit Oliver Cromwells
hauptsächlich in der geschickten Ausnutzung der kontinentalen Mächte
offenbart. Es ist keine Uebertreibung, zu sagen, daß Englands Kriege
vornehmlich mit kontinentalen Heeren geführt worden sind. Das ist keine
Herabsetzung der Kriegstüchtigkeit Englands. Wo immer die englische
Flotte und englische Armeen auf dem Kriegsschauplatze erschienen sind,
hat sich die Energie, die Zähigkeit und Tapferkeit ihrer Offiziere,
ihrer Seeleute und Soldaten stets im glänzendsten Lichte gezeigt. Die
Tradition der englischen Truppen, die einst Frankreich unter Führung
des Schwarzen Prinzen und Heinrichs V. siegreich durchzogen, ist in
den Kriegen gegen Frankreich im 18. Jahrhundert und gegen Napoleon
lebendig geblieben. Ungleich größere Erfolge aber als durch diese
eigenen Waffentaten hat England dadurch errungen, daß es fremde Völker
für sich kämpfen ließ und auf dem Kontinent die Truppen Oesterreichs,
Frankreichs, Deutschlands und Rußlands gegeneinander führte. Seit
zweihundert Jahren sind überhaupt sehr wenig Kriege ohne Englands Zutun
und ohne Nutzen für England geführt worden. Diese wenigen Ausnahmen
sind die nur zum Vorteile und zum Ruhme des eigenen Volkes geführten
Kriege Bismarcks, der darum auch der bestgehaßte Mann der Engländer
war. Während das europäische Festland von inneren Kriegen zerrissen
wurde, die Englands Staatskunst angeschürt, hat Großbritannien
seinen ungeheuren Kolonialbesitz erworben. Uns selbst hat England
in Feldzüge verwickelt, die lediglich seinen Vorteil bildeten. Ich
erinnere nur an den blutigen, opfervollen Krieg von 1877/78 und an den
verhängnisvollen Frieden von San Stefano, wo Englands Intriguen uns
um den Lohn unserer Siege über den Halbmond brachten. Ich erinnere
weiter an den Krimkrieg, wo eine kleine englische und eine große
französische Armee uns zum Vorteil Englands bekriegten. Daß jetzt
hinter unseren japanischen Angreifern wiederum nur England steht, ist
von den Vorrednern bereits betont worden. Unsere Gegner haben eben
nicht die mindeste Veranlassung, von ihrer so gut bewährten Politik
abzugehen, und die Aufgabe der unsrigen mußte es deshalb sein, uns der
Bundesgenossenschaft oder wo dies durch die Umstände ausgeschlossen
war, wenigstens der wohlwollenden Neutralität der übrigen kontinentalen
Großmächte für den Fall eines Krieges gegen England zu versichern. Was
zunächst unseren Alliierten, die französische Republik, betrifft, so
war eine befriedigende Lösung der Aufgabe schon durch die bestehenden
Verträge gesichert. Immerhin verpflichten dieselben die französische
Regierung nicht, uns für den Fall eines Krieges, der in den Augen
kurzsichtiger Beobachter vielleicht als ein von uns heraufbeschworener
Angriffskrieg erscheinen wird, seine militärische Unterstützung zu
gewähren. Wir haben deshalb durch unsern Botschafter Verhandlungen
mit Mr. Delcassé, dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten
Frankreichs, und mit dem Präsidenten selbst führen lassen. Es gereicht
mir zur besonderen Genugtuung, Ihnen das Ergebnis dieser Verhandlungen
in folgender, heute eingetroffener Depesche unseres Botschafters
vorlegen zu dürfen. Dieselbe lautet in der Hauptsache wie folgt:
„Ich beeile mich, Eurer Exzellenz mitzuteilen, daß mir von seiten
des Herrn Delcassé namens der französischen Regierung die bindende
Zusage erteilt worden ist, Frankreich werde England sofort den Krieg
erklären, wenn Seine Majestät der Zar seine Armeen gegen Indien
marschieren ließe.“ Ueber die Erwägungen, von denen die französische
Regierung zu diesem Beschlusse geführt worden sei, sprach sich Mr.
Delcassé in unserer heutigen Unterredung ungefähr dahin aus: „Schon
Napoleon hat vor mehr als 100 Jahren mit genialem Scharfblick erkannt,
daß England der eigentliche Feind aller kontinentalen Völker ist
und daß der europäische Kontinent keine andere Politik verfolgen
sollte, als die der gemeinsamen Abwehr dieses großen Seeräubers.
Der grandiose Plan Napoleons war die Vereinigung Frankreichs mit
Spanien, Italien, Oesterreich, Deutschland und Rußland, um dem System
der Ausbeutung von seiten Englands entgegenzutreten. Und er würde
diesen Plan wahrscheinlich durchgeführt haben, wenn nicht Rücksichten
der inneren Politik den Zaren Alexander I. trotz seiner Verehrung
für das Genie Napoleons zum Widerstande gegen seine Absichten
bestimmt hätten. Die Folgen der Niederlage Napoleons haben sich in
dem gewaltigen Anwachsen der englischen Macht während der letzten
100 Jahre deutlich genug gezeigt. Darum sollte man die gegenwärtige
politische Konstellation, die der vom Jahre 1804 in vielen Stücken
sehr ähnlich ist, dazu benützen, den Plan Napoleons wieder zu
beleben. Rußland hat an einer Niederwerfung Englands allerdings das
nächste und dringendste Interesse; denn es gleicht einem Riesen, dem
Hände und Füße gebunden sind, so lange Großbritannien alle Meere und
alle wichtigen Küstenstriche beherrscht. Aber auch Frankreich ist in
seiner natürlichen Entwickelung gehemmt. Seine blühenden Kolonien
in Amerika und im Atlantischen Ozean wurden ihm im 18. Jahrhundert
durch England entrissen. Aus seinen Niederlassungen in Ostindien
wurde es durch diesen übermächtigen Gegner verdrängt, und -- was vom
französischen Volke vielleicht am schmerzlichsten empfunden wird --
Aegypten, das der große Napoleon mit dem Blute seiner Soldaten für
Frankreich erkaufte, wurde ihm durch englisches Gold und englische
Intriguen genommen. Der von dem Franzosen Lesseps erbaute Suezkanal ist
im Besitz der Engländer. Er erleichtert ihnen den Verkehr mit Indien
und sichert ihnen die Weltherrschaft. Frankreich wird also für seine
Bundesgenossenschaft gewisse Forderungen stellen -- Bedingungen, die
so loyal und billig sind, daß ihre Annahme von seiten des alliierten
Rußland von vornherein keinem Zweifel unterliegen kann. Frankreich
verlangt, daß ihm seine Erwerbungen in Tonking, Kochinchina,
Kambodscha, Annam und Laos garantiert werden, daß Rußland ihm
behilflich sei, Aegypten zu erwerben, und daß es sich verpflichte, die
französische Politik in Tunis und im übrigen Afrika zu unterstützen.“
Nach den mir gewordenen Instruktionen glaubte ich, Monsieur Delcassé
die Annahme dieser Bedingungen zusichern zu dürfen. Auf meine Frage,
ob ein Krieg gegen England in Frankreich populär sein würde, erhielt
ich die Antwort: ‚Das französische Volk wird zu jedem Opfer bereit
sein, wenn wir Faschoda zu unserer Parole machen.‘ Niemals hat sich der
britische Uebermut brutaler und beleidigender geoffenbart als in diesem
Falle. Unser braver Marchand war mit einer überlegenen Mannschaft
am Platze, und Frankreich befand sich in seinem guten Recht. Aber
die bloße Aufforderung eines englischen Offiziers, dem keine andere
Macht als die moralische der englischen Fahne zur Seite stand, zwang
uns unter den damaligen politischen Verhältnissen, unsere begründeten
Ansprüche aufzugeben und den tapferen Führer zurückzurufen. Wie das
Volk diese Niederlage aufnahm, haben wir deutlich genug gesehen. Die
Pariser begrüßten Marchand jubelnd, wie einen Nationalhelden, und die
französische Regierung rechnete allen Ernstes mit der Möglichkeit einer
Revolution. Jetzt könnten wir Revanche nehmen für die Demütigung,
die wir damals aus vielleicht allzugroßer Vorsicht über uns ergehen
ließen. Schreiben wir den Namen Faschoda auf die Trikolore, und es
wird keinen waffenfähigen Mann in ganz Frankreich geben, der uns nicht
mit Begeisterung folgte. Es schien mir ratsam, mich zu vergewissern,
ob die Regierung oder die von ihr inspirierte Presse dem Volke
vielleicht auch die Wiedererwerbung Elsaß-Lothringens als Preis eines
siegreichen Krieges verheißen würde. Aber der Minister verneinte mit
aller Entschiedenheit. ‚Die Frage Elsaß-Lothringen muß gänzlich aus
dem Spiele bleiben, sobald wir uns anschicken, Realpolitik zu treiben,‘
erklärte er. ‚Nichts könnte verhängnisvoller sein, als die Erregung
einer Mißstimmung in Deutschland. Denn der deutsche Kaiser ist das
Zünglein an der Wage, auf der die Geschicke der Welt gewogen werden.‘
Daß England von ihm, den es nicht als einen Deutschen, sondern als
einen Engländer ansieht, keine Feindseligkeiten zu befürchten habe, ist
eine feststehende Ueberzeugung bei unsern Nachbarn jenseits des Kanals.
Und diese Zuversicht ist eine der stärksten Stützen des britischen
Uebermuts. Die immer wiederholten Versicherungen des deutschen Kaisers,
daß er den Frieden und nichts als den Frieden wolle, scheinen ja die
Richtigkeit dieser Auffassung zu bestätigen. Aber ich bin gewiß, daß
Kaiser Wilhelms Friedensliebe da eine Grenze hat, wo das Wohl und
die Sicherheit Deutschlands ernstlich in Frage stehen. Er ist trotz
seines impulsiven Temperaments nicht der Herrscher, der sich von jeder
Aeußerung der Volksstimme beeinflussen und von jeder aufrauschenden
Strömung zu entscheidenden Handlungen treiben ließe. Aber er ist
weitblickend genug, eine wirkliche Gefahr rechtzeitig zu erkennen und
ihr mit der ganzen Wucht seiner Persönlichkeit entgegenzutreten. Ich
halte darum die Hoffnung, ihn als Alliierten zu gewinnen, nicht für
eine Utopie, und ich hoffe, daß die russische Diplomatie sich mit der
unsrigen vereinigen werde, dieses Bündnis zustande zu bringen. Ein
Krieg gegen England ohne die Unterstützung Deutschlands würde immerhin
ein bedenkliches Unternehmen bleiben. Wir sind ja bereit, uns um
unserer Freundschaft für Rußland und um unserer nationalen Ehre willen
darauf einzulassen, aber wir würden uns einen sicheren Erfolg nur
von einem geschlossenen Zusammengehen aller kontinentalen Großmächte
versprechen können.“

Mochte auch die Tatsache des mit Frankreich für den Fall eines Krieges
gegen England abgeschlossenen Schutz- und Trutzbündnisses den meisten
der hier Versammelten nicht mehr unbekannt gewesen sein, so war die
Vorlesung der Depesche, der man in atemloser Spannung gefolgt war, doch
unverkennbar von tiefer Wirkung. Ihre Bekanntgabe ließ keinen Zweifel
mehr, daß man an höchster Stelle zu diesem Kriege entschlossen sei, und
wenn auch keine laute Kundgebung des Beifalls erfolgte, ging es doch
wie ein Aufatmen der Erleichterung durch die illustre Versammlung, und
deutlich war auf fast allen Gesichtern die freudigste Genugtuung zu
lesen.

Einer nur blickte mit finster zusammengezogenen Brauen wie in ernster
Mißbilligung drein -- und dieser Eine galt seit Jahrzehnten für den
einflußreichsten Mann in Rußland -- für eine Macht, die schon oft
alle Pläne der leitenden Staatsmänner durchkreuzt und mit unbeugsamer
Energie ihren Willen durchgesetzt hatte.

Das war der vielgehaßte und noch mehr gefürchtete greise Pobjedonoszew,
der Oberprokurator des heiligen Synod.

Seine düstere Miene und sein Kopfschütteln waren dem präsidierenden
Großfürsten nicht entgangen. Und er hielt es offenbar für seine
Pflicht, dem durch die Gunst dreier Zaren fast allmächtig gewordenen
Manne Gelegenheit zur Aeußerung seiner abweichenden Meinung zu geben.

Auf seinen Wink erhob sich der Oberprokurator und sagte unter lautloser
Stille der Versammelten:

„Es kann nicht meine Aufgabe sein, mich über die Möglichkeit oder
die Aussichten eines Bündnisses mit Deutschland zu äußern. Denn ich
kenne ebensowenig wie einer der hier Anwesenden die Absichten und
Pläne des deutschen Kaisers. Wilhelm II. ist die große Sphinx unserer
Zeit. Er spricht viel, und seine Reden machen den Eindruck vollster
Offenherzigkeit. Wer aber mag erraten, was sich hinter ihnen verbirgt?
Daß er sich ein bestimmtes Programm für sein Lebenswerk gesetzt
hat, und daß er der Mann ist, es durchzuführen, gleichviel, ob die
öffentliche Meinung für ihn oder gegen ihn sei, scheint mir gewiß.
Bildet die Niederwerfung Englands einen Teil dieses Programms, so
dürfte die Hoffnung des französischen Ministers ja in der Tat keine
Utopie sein, vorausgesetzt, daß Kaiser Wilhelm den gegenwärtigen
Zeitpunkt für den geeigneten hält, der Welt seine letzten Ziele zu
offenbaren. Die Aufgabe unseres diplomatischen Vertreters am Berliner
Hofe würde es sein, sich darüber zu informieren. Aber eine andere
Frage wäre es, ob Rußland eines Bündnisses mit Deutschland oder mit
der westlichen Macht, die vorhin hier genannt worden ist, überhaupt
bedarf. Und meine Anschauung der Dinge führt mich dahin, diese Frage
zu verneinen. Rußland ist zur Zeit in Europa der letzte und einzige
Hort des absolutistischen Prinzips. Und wenn ein von Gottes Gnade zu
dem höchsten und verantwortlichsten aller irdischen Aemter berufener
Herrscher stark genug bleiben soll, den Geist der Unbotmäßigkeit und
der Unmoral niederzuwerfen, der sich hier und da unter dem Einfluß
fremder staatsfeindlicher Elemente in unserem geliebten Vaterlande
regen will, so müssen wir vor allem darauf bedacht sein, das Gift
der sogenannten liberalen Ideen, des Unglaubens und des Atheismus,
mit dem es von Westen her verseucht werden soll, von unserem Volke
fernzuhalten. Wie wir vor einem Jahrhundert den mächtigen Heerführer
der Revolution niedergeworfen haben, so werden wir auch heute über
unsern Feind triumphieren -- wir ganz allein! Laßt unsere Heere in
Persien, Afghanistan und Indien einmarschieren und durch ganz Asien
die Herrschaft des wahren Glaubens zum Siege führen. Aber hütet unser
heiliges Rußland vor der Ansteckung durch das Gift jenes ketzerischen
Geistes, der ihm ein schlimmerer Feind werden würde, als es ihm je eine
auswärtige Macht sein kann.“

Er setzte sich, und sekundenlang herrschte eine tiefe Stille. Der
Großfürst machte ein ernstes Gesicht und wechselte ein paar geflüsterte
Worte mit seinen beiden Neffen.

Dann sagte er: „Von all den Herren, die uns hier ihre Ansichten
vorgetragen haben, ist die Kriegserklärung an England als eine zwar
tief beklagenswerte aber den Umständen nach unabweisbare Notwendigkeit
bezeichnet worden. Ehe ich aber Seiner Majestät, unserem erhabenen
Herrn, diese Anschauung als die der hier Versammelten unterbreite,
richte ich an Sie, meine Herren, die Frage, ob unter Ihnen jemand ist,
der eine abweichende Meinung vertritt. Ich würde ihn bitten, sich zum
Worte zu melden.“

Er wartete eine kleine Weile, aber niemand leistete der Aufforderung
Folge. Da erhob er sich aus seinem Sessel und gab durch ein kurzes
Wort des Dankes und durch eine leichte Verneigung gegen die ebenfalls
aufgestandenen Würdenträger kund, daß er die Sitzung, die für die
Geschicke der Welt von entscheidender Bedeutung gewesen war, als
geschlossen betrachte.



[Illustration]



II.


Es war zu Chanidigot im britischen Ostindien. -- Der blendenden
Helligkeit des heißen Tages war unvermittelt, fast ohne
Dämmerungsübergang, die abendliche Dunkelheit gefolgt und mit ihr eine
erquickende Kühle, die alles Lebendige aufatmen ließ.

In dem weiten Camp, das dem englischen Lancerregiment als Lagerplatz
diente, war es mit dem Sinken der Sonne lebendig geworden. Die
Soldaten, frei von der Last des Dienstes, vergnügten sich je nach
Laune und Temperament mit Spiel, Gesang und fröhlichem Zechen. Auch
in dem großen Zelt, das als Offiziersmesse benutzt wurde, ging es
lebhaft her. Das gemeinsame Mahl war vorüber, und ein Teil der Herren
hatte sich nach täglicher Gewohnheit zum Kartenspiel niedergesetzt.
Aber die Unterhaltung war hier weniger harmlos als draußen bei den
gemeinen Soldaten. Denn man begnügte sich nicht mit einem unschuldigen
Whist, sondern spielte bei ziemlich hohen Einsätzen das in Amerika und
teilweise auch in England beliebte Poker, bei dem lediglich der Zufall
und eine gewisse schauspielerische Geschicklichkeit der Teilnehmer
den Ausschlag gibt. Zumeist allerdings waren es die jüngeren Herren,
die diesen abendlichen Nervenkitzel in dem eintönigen Lagerleben als
unentbehrlich betrachteten. Die älteren saßen mit ihren kurzen Pfeifen
und ihrem Whisky und Sodawasser plaudernd an den abseits stehenden
Tischen. Auch ein Herr in bürgerlicher Kleidung war unter ihnen. Die
zuvorkommende Höflichkeit, mit der man ihn behandelte, ließ vermuten,
daß er nicht dem Offizierkorps des Regiments angehörte, sondern nur
dessen Gast war. Der Klang seines Namens -- man redete ihn mit Mr.
Heideck an -- würde seine deutsche Abstammung verraten haben, auch wenn
sie sich nicht schon in seiner äußeren Erscheinung kundgegeben hätte.
Er war von nur mittelgroßer Gestalt, aber von athletischem Körperbau.
Seine straffe, soldatische Haltung und die elastische Leichtigkeit
seiner Bewegungen waren unzweideutige Kennzeichen einer vortrefflichen
Gesundheit und einer nicht geringen körperlichen Kraft. Für den
Engländer aber kann der Fremde kaum eine bessere Empfehlung mitbringen
als diese. Und vielleicht war es vor allem seine imponierende
Erscheinung gewesen, die im Verein mit seinem liebenswürdigen, durchaus
gentlemanmäßigen Auftreten diesem blondbärtigen jungen Deutschen mit
dem scharf geschnittenen, energischen Gesicht und den treuherzig
blickenden, blauen Augen so schnell Zutritt in die sonst sehr
exklusiven Offizierskreise verschafft hatte.

Seinem Stande nach mochte er ja nach der Auffassung einiger dieser
Herren nicht gerade in ihre Gesellschaft gehören. Denn man wußte, daß
er zu geschäftlichen Zwecken für ein großes Hamburger Handelshaus
reiste. Sein Oheim, der Chef dieses Hauses, befaßte sich mit dem Import
von Indigo. Und da der Maharadjah von Chanidigot sehr ausgedehnte
Indigo-Plantagen besaß, hielt die geschäftliche Verhandlung mit dem
Fürsten den jungen Heideck nun schon seit vierzehn Tagen hier fest.
Es war ihm gelungen, während dieser Zeit die lebhaften Sympathien
namentlich der älteren britischen Offiziere zu gewinnen. In den
indischen Garnisonen ist jeder Europäer willkommen, man zog Heideck
auch zu denjenigen geselligen Veranstaltungen hinzu, an denen die Damen
des Regiments teilnahmen.

Die Einladung zum Spiel hatte er indessen jedesmal mit höflicher
Bestimmtheit abgelehnt, und auch heute machte er dabei nur den
unbeteiligten, wenig interessierten Zuschauer.

Jetzt öffnete sich die Tür des Zeltes, und sporenklirrend, in sehr
selbstbewußter, fast hochmütiger Haltung trat ein hochgewachsener,
aber auffallend hagerer Offizier in den Kreis der Kameraden. Er war im
Dienstanzuge und sprach zu einem der Herren, der ihn als Kapitän Irwin
begrüßt hatte, davon, daß er einen zur Inspizierung eines Außenpostens
unternommenen anstrengenden Ritt hinter sich habe. Von einer der
aufwartenden Ordonnanzen ließ er sich einen erfrischenden Trunk, das
beliebte Gemisch aus Whisky und Sodawasser, bringen. Dann näherte er
sich dem Tische der Spieler.

„Ist hier noch Raum für einen kleinen Kerl?“ fragte er. Und
bereitwillig machte man ihm Platz.

Eine Weile ging es bei der Pokerpartie in der bisherigen ruhigen
Weise fort. Plötzlich aber mußte etwas Außergewöhnliches eingetreten
sein. Denn man sah, daß die Herren bis auf Kapitän Irwin und einen
der Mitspieler ihre Karten niederlegten, und man hörte die unangenehm
scharfklingende Stimme Irwins.

„Sie sind ein alter Fuchs, Kapitän Mc. Gregor! Aber ich kenne
Ihre Tricks und falle nicht mehr darauf hinein. Noch einmal also:
sechshundert Rupien!“

Wer die Gesetze des Poker kennt, weiß, daß es bei diesem Spiel, worin
gewissen Kartenkombinationen der Gewinn zufällt, nicht für unehrenhaft,
sondern im Gegenteil für eine besondere Feinheit gilt, die Mitspieler
durch kleine, komödiantische Kniffe über den Wert der beim Austeilen
erhaltenen Karten zu täuschen. Der Name ‚Bluff‘, den man diesem
Hazardspiel beigelegt hat, verrät ja schon, daß jeder nach Kräften
versuchen muß, seinen Gegner zu verblüffen.

Dem Kameraden Mc. Gregor gegenüber aber schien es Irwin diesmal nicht
recht zu gelingen. Denn der Kapitän erwiderte mit großer Ruhe:

„Sechshundertfünfzig. Aber ich rate Ihnen, Irwin, sie nicht zu halten.“

„Siebenhundert.“

„Siebenhundertfünfzig!“

„Tausend!“ rief Irwin mit dröhnender Stimme und lehnte sich mit einem
siegesgewissen Lächeln in seinen Stuhl zurück.

„Ueberlegen Sie, was Sie tun,“ sagte Mc. Gregor. „Ich habe Sie gewarnt.“

„Eine bequeme Manier, siebenhundertfünfzig Rupien einzustreichen. Ich
wiederhole: Tausend Rupien.“

„Tausendundfünfzig!“

„Zweitausend!“

Alle im Zelt anwesenden Herren hatten sich erhoben und umstanden die
beiden Spieler, die, ihre Karten verdeckt in der Hand haltend, einander
mit scharfen Blicken betrachteten. Hermann Heideck, der hinter Irwin
getreten war, sah an der Rechten des Kapitäns einen wundervollen
Brillanten funkeln. Aber an dem Tanzen der bunten Strahlen, die von
diesem Stein ausgingen, sah er auch, wie die Finger des Spielers bebten.

Kapitän Mc. Gregor wandte sich an seine Umgebung.

„Ich rufe die Herren zu Zeugen an, daß ich den Kameraden schon bei
sechshundert gewarnt habe.“

„Wozu bedarf es da einer Warnung?“ fiel Irwin fast heftig ein. „Bin ich
denn ein Knabe? Halten Sie die zweitausend, Mc. Gregor, oder halten Sie
sie nicht?“

„Nun denn, da Sie es nicht anders wollen: dreitausend.“

„Fünftausend!“

„Fünftausendfünfhundert.“

„Zehntausend.“

Jetzt legte einer der höheren Offiziere, der Major Robertson, seine
Hand leicht auf die Schulter des tollkühnen Spielers.

„Das ist zuviel, Irwin! Ich mische mich nicht gern in solche Dinge,
und da Sie nicht von meinem Regiment sind, kann ich nicht dienstlich,
sondern nur kameradschaftlich mit Ihnen reden. Aber mir scheint, daß
Sie sich in Verlegenheit befinden würden, wenn Sie verlören.“

Unwillig fuhr der Angeredete auf.

„Was wollen Sie damit sagen, Herr Major? Wenn Ihre Worte einen Zweifel
an meiner Zahlungsfähigkeit ausdrücken sollen, -- --“

„Nun, nun -- ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Sie müssen ja
schließlich am besten wissen, was Sie verantworten können.“

Und mit trotziger Miene wiederholte Irwin:

„Zehntausend also! Ich erwarte Ihre Antwort, Mc. Gregor.“

Der Gegner blieb unverändert ruhig.

„Zehntausendfünfhundert.“

„Zwanzigtausend!“

„Sind Sie denn betrunken, Irwin?“ flüsterte von der anderen Seite her
der junge Leutnant Temple dem Kapitän ins Ohr. Der aber streifte ihn
mit einem zornfunkelnden Blick.

„Nicht mehr als Sie. Lassen Sie mich gefälligst in Ruhe!“

„Einundzwanzigtausend,“ klang es gelassen von der gegenüberliegenden
Seite des Tisches.

Eine kurze, erwartungsvolle Pause folgte. Kapitän Irwin kaute nervös an
seinem kleinen, dunklen Schnurrbart. Dann aber reckte er seine hagere
Gestalt und rief:

„Fünfzigtausend.“

Noch einmal glaubte der Major, Halt gebieten zu müssen.

„Ich erhebe Einspruch!“ sagte er. „Es ist bisher Regel bei uns gewesen,
daß der Pool nicht um mehr als tausend Rupien auf einmal erhöht werden
darf. Diese Regel ist längst überschritten.“

Ein häßliches, rauhes Lachen kam von Irwins Lippen.

„Es scheint, daß Sie die Absicht haben, mich zu retten, Herr Major!
Aber ich brauche durchaus keinen Retter. Wenn ich verliere, werde ich
zahlen. Und ich begreife nicht, weshalb sich die Herren in meinem
Interesse die Köpfe zerbrechen.“

Der Major, der einsehen mußte, daß er hier mit allem guten Willen
nichts auszurichten vermochte, zuckte die Achseln. Leutnant Temple
aber vermeinte, einen guten Einfall zu haben. Mit einer anscheinend
unbeabsichtigten, ungestümen Bewegung stieß er gegen den leichten
Feldtisch, daß Aschenbecher, Flaschen, Gläser und Karten zu Boden
fielen. Aber es war nichts damit gewonnen, denn die beiden hielten ihr
Spiel fest in der Hand und ließen sich durch den Zwischenfall nicht
einen Augenblick aus der Fassung bringen.

„Einundfünfzig,“ sagte Mc. Gregor.

„Sechzig.“

„Einundsechzig.“

„Siebzig.“

„Einundsiebzig.“

„Achtzig.“

„Einundachtzig.“

„Ein Lakh!“ schrie Irwin, der jetzt vor Aufregung kreidebleich geworden
war.

„Wirklich?“ fragte Mc. Gregor gleichmütig. „Das ist ein schönes Gebot.
Ein Lakh also -- nach dem heutigen Kurse sechstausendfünfhundert Pfund
Sterling. Sie werden ein reicher Mann sein, Irwin, wenn Sie gewinnen.
Zeigen Sie doch, was Sie in der Hand haben.“

Mit zitternden Fingern, doch mit triumphierender Miene deckte der
Kapitän seine Karten auf.

„~Straight flush!~“ sagte er heiser.

„Ja, das ist ein starkes Spiel,“ erwiderte der andere lächelnd. „Aber
sagen Sie doch, welches ist Ihre höchste Karte?“

„Der König, wie Sie sehen.“

„Schade! Ich habe nämlich auch ~straight flush~. Aber bei mir steht das
Aß an der Spitze.“

Langsam, eine nach der anderen, legte er seine Karten auf den Tisch:
Coeuraß, Coeurkönig, Coeurdame, Coeurbube, Coeurzehn. Wie ein einziger
Ausruf der Verwunderung kam es von den Lippen der Umstehenden. Keiner
hatte je das Zusammentreffen einer so merkwürdigen Kartenkombination
erlebt.

Kapitän Irwin saß für einen Moment regungslos, die flackernden Augen
starr auf die Karten seines Gegners geheftet. Dann plötzlich sprang er
mit einem wilden Lachen auf und verließ mit klirrenden Schritten das
Zelt.

„Dieser Verlust bedeutet für Irwin eine Katastrophe,“ sagte der Major
sehr ernst. „Er ist außer stande, eine solche Summe zu zahlen.“

„Mit Hülfe seiner Frau könnte er es wohl,“ meinte ein anderer, „aber es
würde sie so ziemlich den ganzen Rest ihres Vermögens kosten.“

„Ich nehme die Herren zu Zeugen, daß es nicht meine Schuld ist,“
erklärte Mc. Gregor, der einen gewissen Vorwurf in den Mienen seiner
Umgebung zu lesen glaubte. Man stimmte ihm zu. Aber Leutnant Temple,
der einzige unter allen Anwesenden, den eine gewisse oberflächliche
Freundschaft mit Irwin verband, bemerkte:

„Irgend jemand wird ihm nachgehen müssen, damit er in der ersten
Aufregung nicht eine Torheit begeht.“

Er wandte sich schon zum Gehen, aber ein Zuruf Mc. Gregors hielt ihn
zurück.

„Es würde keinen Zweck haben, Temple, wenn Sie ihm nicht zugleich etwas
Beruhigendes sagen können. Und es gibt meines Erachtens da nur einen
einzigen Ausweg. Man müßte ihm einreden, die Sache hätte nur ein Spaß
sein sollen und die Karten wären vorher geordnet gewesen.“

Der Leutnant kehrte zum Tische zurück.

„Die Erfindung dieses Auskunftsmittels gereicht Ihnen zur Ehre, Herr
Kapitän! Aber ich zweifle, daß jemand von uns den Mut haben würde, ihm
mit solcher Lüge zu kommen.“

Das Schweigen der anderen schien diesen Zweifel zu bestätigen. Da
ertönte die markige Stimme des deutschen Gastes:

„Wollen Sie mich mit dieser Mission betrauen, meine Herren? Ich kenne
den Kapitän Irwin zwar nur flüchtig, und ich hätte keinen Anlaß, mich
in seine Angelegenheiten zu mischen; aber ich höre, daß es das Vermögen
seiner Gattin ist, das hier auf dem Spiel steht. Und da ich Mrs. Irwin
für eine sehr verehrungswürdige Dame halte, würde ich gern das meinige
dazu beitragen, sie vor einem so schweren Verlust zu bewahren.“

Mc. Gregor reichte ihm die Hand.

„Sie würden mich zu Dank verpflichten, Mr. Heideck, wenn es Ihnen
gelänge. Aber ich rate Ihnen, keine Zeit zu verlieren.“

Rasch verließ Heideck das Zelt. Und als er in die köstliche, mondhelle
Nacht hinaustrat, sah er in der Entfernung von zwanzig Schritten
Kapitän Irwin neben seinem Pferde. Der Bursche hielt das Tier am Zügel,
Kapitän Irwin aber machte sich am Sattel zu schaffen. Während Heideck
näher kam, sah er den Soldaten sich entfernen und gewahrte, daß Irwin
einen Revolver in der Hand hielt.

Mit raschem Griff hatte er das Handgelenk des Offiziers erfaßt.

„Einen Augenblick, Kapitän Irwin.“

Dieser schrak zusammen, drehte sich um und blickte wütend auf Heideck.

„Ich bitte um Entschuldigung,“ sagte der Deutsche. „Aber Sie befinden
sich im Irrtum, Herr Kapitän. Das Spiel gilt nicht. Man hat sich einen
Scherz mit Ihnen erlaubt. Die Karten sind vorher arrangiert worden.“

Irwin erwiderte nichts, aber er pfiff nach seinem Burschen und ging,
noch immer ohne mit Heideck zu sprechen, in das Zelt zurück, den
Revolver in der Hand. Heideck folgte ihm.

Beide Herren traten an den Spieltisch, und Irwin wandte sich an Mc.
Gregor. „Also das Spiel ist arrangiert gewesen?“ fragte er.

„Zur Lehre für Sie, Irwin, der Sie immer wie toll und töricht darauf
losgehen und sich einbilden, ein guter Spieler zu sein, während Sie gar
nicht das kalte Blut dazu haben.“

„Nun,“ sagte Irwin, „das ist eine Geschichte, die ich als Beispiel
kameradschaftlicher Gesinnung in allen Garnisonen Indiens herumbringen
werde, damit ein jeder sich hütet, der einmal hierherkommt und verführt
werden sollte, ein Spiel zu machen. Eine solche niederträchtige
Geschichte habe ich noch nicht erlebt, aber es ist mir allerdings eine
Lehre, daß man nur mit ehrlichen Leuten -- --“

„Ah, Kapitän Irwin,“ sagte Mc. Gregor, sich hoch aufrichtend, indem er
den Beleidiger mit einem vernichtenden Blick seiner großen blauen Augen
fixierte, „an Ihre junge Frau sollten Sie lieber denken, die Sie in
Armut gestürzt hätten, wenn dies Spiel kein Scherz war.“

Irwin taumelte zurück, der Revolver entfiel seiner Hand.

„Was?“ kreischte er, „was ist das? So ist es kein Scherz gewesen? So
habe ich das Geld wirklich verloren? O, ihr -- ihr -- Aber für wen
haltet ihr mich? Seid gewiß, ich werde bezahlen!“ „Aber,“ rief er, sich
besinnend, „ich möchte doch wohl wissen, was nun Wahrheit ist. Euch
alle frage ich und nenne euch Schurken und Lügner, wenn ihr nicht die
Wahrheit sagt: hat man wirklich einen Spaß mit mir getrieben oder ist
das Spiel ein ehrliches Spiel gewesen?“

„Kapitän Irwin,“ entgegnete der Major, ihm entgegentretend, „ich
sage Ihnen als Aeltester im Namen der Kameraden, daß Ihr Benehmen
unverzeihlich wäre, wenn nicht eine Art von Tollheit Sie beherrschte.
Dies ist ein ehrliches Spiel gewesen, und nur die Großmut des Kapitän
Mc. Gregor war es, die -- -- --“

Irwin hörte den Schluß seiner Rede nicht mehr, denn mit einem wilden
Fluch hatte er abermals das Zelt verlassen.



[Illustration]



III.


Hermann Heideck wohnte in einem Dak Bungalo, einem jener von der
Regierung unterhaltenen Gasthäuser, die dem Reisenden zwar Unterkunft
aber weder Betten noch Verpflegung bieten. Als er aus dem Camp dahin
zurückkehrte, stand sein indischer Diener Morar Gopal in der Tür, um
den Herrn zu empfangen und teilte ihm mit, daß ein neuer Gast mit
zwei Dienern angekommen wäre. Da dieses Dak Bungalo geräumiger war
als die meisten anderen, so hatten die Neuangekommenen Platz, und
Heideck brauchte nicht, wie sonst üblich, als älterer Gast dem später
eingetroffenen zu weichen.

„Was für ein Landsmann ist der Herr?“ fragte er.

„Ein Engländer, Sahib!“

Heideck trat in sein Zimmer und ließ sich am Tische nieder, auf
dem neben den beiden mattleuchtenden Kerzen eine Whiskyflasche,
einige Flaschen Sodawasser und das Zigarettenkistchen standen. Er
war nachdenklich und übel gelaunt. Die aufregende Szene in der
Offiziersmesse war ihm persönlich nahe gegangen. Nicht um des Kapitän
Irwin willen, der ihm seit dem ersten Augenblick ihrer Bekanntschaft
in hohem Maße unsympathisch gewesen war, sondern einzig wegen der
schönen jungen Frau des leichtsinnigen Offiziers, an die er sich
von ihren wiederholten gesellschaftlichen Begegnungen her gut genug
erinnerte. Keine der anderen Offiziersdamen -- und es waren sehr
hübsche und liebenswürdige unter ihnen -- hatte einen so tiefen und
nachhaltigen Eindruck auf ihn gemacht, wie Mrs. Edith Irwin, deren
persönlicher Liebreiz ihn in ebenso hohem Maße gefesselt hatte, wie
ihre ungewöhnliche Klugheit ihn in Erstaunen setzte. Die Vorstellung,
daß dieses anmutige Wesen mit unzerreißbaren Ketten an einen brutalen
und ausschweifenden Menschen vom Schlage Irwins gefesselt war, und
daß ihr Mann sie vielleicht eines Tages mit sich hinabriß in sein
unausbleibliches Verderben, bereitete ihm eine schmerzhafte Empfindung.
Er hätte so gern irgend etwas für die unglückliche junge Frau getan.
Aber er mußte sich sagen, daß es dazu für ihn, den Fremden, der ihr
nichts als eine oberflächliche Bekanntschaft war, keine Möglichkeit
gab. Der Kapitän wäre vollkommen berechtigt gewesen, jede unberufene
Einmischung als eine unerhörte Dreistigkeit zurückzuweisen. Und auf
welche Art hätte er hier helfend eingreifen können?

Ein Lärm, der sich plötzlich im Nebenzimmer erhob, riß Heideck aus
seinen unerfreulichen Grübeleien. Er hörte lautes Schelten und ein
klatschendes Geräusch, wie wenn Peitschenhiebe auf einen nackten
menschlichen Körper fallen. Eine Minute später wurde die Verbindungstür
aufgerissen und ein nur mit Hüftschurz und Turban bekleideter Inder
stürzte in das Zimmer, als ob er hier Schutz vor seinem Peiniger suchen
wollte. Ein lang gewachsener, ganz in weißen Flanell gekleideter
Europäer war ihm auf den Fersen und ließ unbarmherzig seine Reitgerte
auf den bloßen Rücken des wehklagenden Mannes niedersausen. Die
Anwesenheit Heidecks genierte ihn dabei offenbar nicht im mindesten.

Auf den ersten Blick hatte der junge Deutsche erkannt, daß sein Nachbar
nicht, wie der Diener ihm gesagt hatte, ein Engländer sein konnte. Sein
auffallend schmales, fein geschnittenes Gesicht, seine eigentümlich
geschlitzten schwarzen Augen und sein weicher dunkler Bart hatten viel
mehr von dem sarmatischen als von dem charakteristisch angelsächsischen
Typus.

Der Mann gefiel ihm seinem Aeußeren nach nicht übel, sein Betragen
aber konnte er unmöglich ruhig hinnehmen. Indem er zwischen ihn und
den Mißhandelten trat, fragte er sehr energisch, was dieser Auftritt
bedeuten solle.

Lachend ließ der andere den eben wieder zum Schlage erhobenen Arm
sinken.

„Ich bitte um Entschuldigung, mein Herr,“ sagte er in fremdartig
klingendem Englisch, „ein sehr guter Boy, aber er stiehlt wie ein Rabe
und muß von Zeit zu Zeit seine Prügel haben. Ich weiß, daß er irgendwo
an seinem Leibe die fünf Rupien versteckt haben muß, die mir heute
wieder fehlen.“

Damit packte er, als hielte er die gegebene Auskunft für vollkommen
ausreichend, seine Handlungsweise zu erklären, den braunen Burschen
von neuem und riß ihm mit raschem Griffe den Turban vom Kopfe. Aus dem
weißen, rotgesäumten Tuche rollten klirrend ein paar Silberstücke über
die Steinplatten hin. Zugleich aber war auch ein größerer Gegenstand
vor Heidecks Füße niedergefallen. Er hob ihn auf und hielt ein goldenes
Zigarettenetui in der Hand, auf dessen Deckel ein Wappen mit einer
Fürstenkrone eingraviert war. Als er es dem Fremden überreichte,
verbeugte sich dieser dankend und entschuldigte sich wie ein Mann von
der besten Gesellschaft. Der Inder aber nahm die Gelegenheit wahr, sich
mit einigen affenartigen Sprüngen aus dem Staube zu machen.

Der Anblick des Wappens auf dem Zigarettenetui hatte in Heideck das
Verlangen geweckt, diesen gewalttätigen Nachbar näher kennen zu lernen.
Als hätte er die sonderbare Art seines Eintritts ganz vergessen, fragte
er artig, ob er den ihm vom Zufall bescherten Hausgenossen zu einer
Zigarre und einem Abendtrunk einladen dürfe.

Mit liebenswürdigster Bereitwilligkeit nahm der andere die Aufforderung
an.

„Sie reisen auch in Geschäften, mein Herr?“ fragte Heideck. Und da er
eine bejahende Antwort erhielt, fügte er hinzu:

„Wir wären also Kollegen. Sind Sie mit Ihren hiesigen Erfolgen
zufrieden?“

„O, es könnte besser gehen. Man hat zuviel Konkurrenz!“

„Baumwolle?“

„Nein. Bronzewaren und Seide. Habe von Delhi auch wunderbare Goldarbeit
mitgebracht.“

„Dann stammt Ihr Zigarettenetui vermutlich auch aus Delhi?“

Die geschlitzten Augen des anderen streiften ihn mit einem forschenden
Blick.

„Mein Zigarettenetui? Nein! -- Arbeiten Sie vielleicht in Fellen, Herr
Kollege? Haben Sie Kaschmirziegen?“

„Ich habe alles. Mein Haus arbeitet in allem.“

„Sie kommen nicht von Kalkutta?“

„Nein, nicht von Kalkutta.“

„Schlechtes Wetter da. All mein Leder ist verdorben.“

„Ist es so feucht dort?“

„Dampfbad, sage ich Ihnen, veritables Dampfbad.“

Heideck war längst überzeugt, einen Russen vor sich zu haben. Aber um
seiner Sache ganz sicher zu sein, machte er eine scherzhafte Bemerkung
in russischer Sprache. Verwundert blickte sein neuer Bekannter auf.

„Sie sprechen russisch, mein Herr?“

„Ein wenig.“

„Sie sind aber kein Russe?“

„Nein, ich bin ein Deutscher, der sich während eines vorübergehenden
Aufenthaltes in Rußland einige Sprachkenntnisse angeeignet hat. Wir
Kaufleute kommen ja weit herum.“

Der Herr, der seiner Angabe nach in Seide und Bronzewaren reiste, war
sichtlich erfreut, hier, wo er es gewiß am wenigsten erwartet hatte,
die anheimelnden Laute seiner Muttersprache zu vernehmen. Und Heideck
bemühte sich mit einem fast befremdlichen Eifer, ihn bei guter Laune
zu erhalten. Er rief seinen Diener und befahl ihm, heißes Wasser zu
bereiten.

„Es ist sehr kühl diese Nacht,“ wandte er sich an seinen Gast. „Ein
Brandy mit heißem Wasser ist da nicht zu verachten.“

„Ah,“ sagte der Russe, „warten Sie einen Augenblick. Es ist besser, das
Wasser wegzulassen und es durch etwas Schmackhafteres zu ersetzen.“

Er ging in sein Zimmer und kehrte alsbald mit einer Flasche Sherry und
zwei Flaschen Champagner zurück.

„Ich werde mit Ihrer Erlaubnis hier in diesem Kessel einmal eine Bowle
nach russischem Geschmack mischen. Zucker muß auch hinein. Dieser für
englische Zungen berechnete Champagner ist so trocken, daß er gesüßt
werden muß, um für unsereinen genießbar zu werden.“

Er goß die Flasche Kognak, die der Diener gebracht hatte, ebenso wie
den Sherry zu dem Champagner und füllte die Gläser.

Nach deutscher Sitte stießen die beiden Herren mit einander an. Noch
einmal betrachtete Heideck dabei aufmerksam seinen neuen Bekannten. Der
lauernde Ausdruck, mit dem er die Augen des anderen auf sich gerichtet
fühlte, machte ihn einen Moment stutzig. Sollte der Russe etwa die
gleiche Absicht haben, wie er selbst, und ihm mit dem Sekt nur die
Zunge lösen wollen? Jedenfalls war er jetzt auf seiner Hut.

„Darf ich Sie bitten, eine meiner Havannazigarren zu versuchen?“ fragte
der Russe, indem er ihm sein Etui darreichte. „Die indischen Zigarren
sind nicht schlecht und sehr billig. Die Beaconsfield ist meine
Lieblingssorte. Hier und da muß man aber zur Abwechslung doch etwas
anderes rauchen.“

Heideck nahm dankend an und es begann jetzt ein ziemlich scharfes
Zechen, zu welchem der Russe das Tempo angab. Aber er war der Wirkung
des ebenso wohlschmeckenden wie starken Getränkes offenbar viel weniger
gewachsen, als der Deutsche. Von Minute zu Minute gesprächiger werdend,
fing er bald an, seinen neuen Freund Brüderchen zu nennen und allerlei
mehr oder weniger verfängliche Geschichten zu erzählen. Auch auf seine
heimischen Familienverhältnisse kam er, durch einige geschickte Fragen
Heidecks veranlaßt, zu sprechen. Er lachte über eine alte Tante, die
ihr Haar mit Rosen zu schmücken pflege, um kahle Stellen zu verdecken,
und fügte hinzu, daß diese Tante wegen ihrer unvergleichlichen
Klatschgeschichten am Zarenhofe ganz besonders beliebt sei. Daß solche
Familienbeziehungen bei einem Geschäftsreisenden etwas verwunderlich
wären, kam ihm augenscheinlich nicht in den Sinn.

Im Verlauf der Unterhaltung erwähnte er auch, daß er vor nicht langer
Zeit in China gewesen wäre.

„Wir sind zu langsam, Brüderchen, viel zu langsam,“ versicherte er,
„mit fünfzigtausend Mann konnten wir uns alles nehmen, was wir haben
wollten, und die Japaner hätten wir unsererseits schon längst angreifen
sollen.“

„Sagen Sie doch,“ fragte Heideck anscheinend gleichgiltig, „wie stark
ist denn eigentlich die Armee des General-Gouvernements Turkestan?“

Der Russe blickte auf, aber es geschah nicht, weil er sich auf die
verlangte Antwort besann. Denn nachdem er langsam ein Glas Sodawasser
ausgetrunken hatte, sagte er:

„Wenn du gut leben willst, Brüderchen, mußt du in die Mandschurei
gehen. Lachse, sage ich dir -- ah! Und kosten beinahe nichts. -- Und
hübsche Mädchen in Menge! Pelze aber kannst du kaufen -- so gut wie
umsonst. Was in Petersburg zehntausend Rubel kostet, hast du in China,
da oben im Norden, für hundert.“

„Da haben Sie wohl schöne Pelze mitgebracht?“

„Pelze in Indien? Da würden sie im Handumdrehen von den Ameisen
aufgefressen werden. Für meinen Gebrauch allerdings habe ich einen
mitgebracht, der in Petersburg unter Brüdern fünftausend Rubel wert
sein würde. Werde ihn später im Gebirge gut genug brauchen können. Er
riecht eine Werst weit, so gut habe ich ihn eingepfeffert!“

Wieder gab es eine kleine Pause. Dann, indem er sein Gegenüber scharf
ansah, sagte Heideck plötzlich:

„Sie sind Offizier!“

Ganz fassungslos starrte ihm der Russe ins Gesicht.

„Offenheit gegen Offenheit!“ erwiderte er nach längerem Besinnen. „Auch
Sie sind Soldat, mein Herr?“

„Einem Kameraden brauche ich es nicht zu verschweigen. Hermann Heideck,
Hauptmann vom preußischen Generalstabe.“

Der Russe erhob sich und machte eine sehr korrekte Verbeugung.

„Fürst Fedor Andrejewitsch Tschadschawadse, Hauptmann im Garderegiment
Preobraschensky.“

Dann klangen aufs neue die Gläser zusammen.

„Auf gute Kameradschaft!“ hieß es hüben und drüben.

„Kamerad, ich will Ihnen etwas verraten,“ sagte der Russe. „General
Iwanow ist im Anmarsch gegen die indische Grenze. Der Zar beschäftigt
sich nicht mehr mit Theosophie, er will England den Krieg erklären.“

Heideck hätte gern noch mehr erfahren, doch der Fürst hatte der
berauschenden Mischung wohl schon über seine Kräfte zugesprochen.
Er fing an, leichtfertige französische Chansons zu singen, um dann
plötzlich auf schwermütige russische Volkslieder überzugehen. An ein
halbwegs vernünftiges Gespräch war in seiner gegenwärtigen Verfassung
nicht mehr zu denken.

Heideck befand sich bereits in einiger Verlegenheit, was er mit seinem
bezechten Gaste anfangen solle. Da wurde ihm eine neue Ueberraschung zu
Teil. Die Tür zum Nebenzimmer öffnete sich und ein schöner, schlanker
Bursche von höchstens achtzehn Jahren erschien auf der Schwelle.

Er war in eine Art phantastischer Pagentracht gekleidet, die in einem
anderen Lande als dem farbenreichen, malerischen Indien wie eine
Maskerade gewirkt haben würde. Der blaue, goldgestickte Kittel war mit
einer rotseidenen Schärpe umgürtet und die weiten roten Beinkleider
verschwanden an den Knieen in hohen, glänzenden Lackstiefeln, deren
elegante Form die auffallende Kleinheit der schmalen Füße erkennen
ließ. Ueppiges, goldschimmerndes Blondhaar fiel wellig fast bis auf
die Schultern des knabenhaften Jünglings herab. Das schöne, längliche
Gesicht war von rosigstem Incarnat. Aus den großen, blauen Augen aber
blitzte die Energie eines starken Temperaments.

Sowie er des Eintretenden ansichtig geworden war, hatte der Fürst
aufgehört zu singen.

„Ah, Georgij --“ stammelte er.

Ohne ein Wort zu sprechen, war der Page auf ihn zugetreten und
hatte den plötzlich ganz Willenlosen vom Stuhle emporgezogen. Fürst
Tschadschawadse schlang den Arm um seine Schultern und ließ sich
hinausführen, ohne seinem deutschen Kameraden eine ‚Gute Nacht‘ zu
wünschen.

Heideck zweifelte nicht einen Augenblick daran, daß dieser schlanke
Page ein verkleidetes Mädchen wäre. Der schöne Wuchs und der seltsame
Ausdruck ungebändigter Naturkraft in den wunderbar regelmäßigen Zügen
waren unverkennbar Eigentümlichkeiten des cirkassischen Typus. Dieser
angebliche Georgij war sicherlich eine Tochter der kaukasischen
Berge, das Kind eines Bauern oder vielleicht eines Räubers, wie auch
Tschadschawadse seinem Namen nach einem jener alten kaukasischen
Fürstengeschlechter angehörte, die einst als echte Raubritter in dem
von Rußland so schwer und so langsam unterworfenen Gebirgslande gehaust
hatten.



[Illustration]



IV.


Die Angabe des Hauptmanns Heideck, daß er für ein Hamburger Handelshaus
reise, war nicht eigentlich eine Unwahrheit gewesen. In der Tat betrieb
er die kaufmännischen Geschäfte, die ihm als Maske für den wirklichen
Zweck seiner Reise dienten, mit größtem Ernst.

Er hatte von dem Chef des Großen Generalstabes den Auftrag erhalten,
die militärischen Verhältnisse in Indien und die strategische Bedeutung
der Nordwestgrenze zu studieren, und hierzu war ihm ein unbegrenzter
Urlaub bewilligt worden.

Aber der General hatte ihm ausdrücklich erklärt:

„Sie reisen als Privatmann, und wenn Sie in irgend einen Konflikt
mit den Engländern geraten sollten, würden wir in keiner Weise die
Verantwortung für Ihre Taten und Erlebnisse übernehmen können. Sie
erhalten einen Paß auf Ihren richtigen Namen, aber natürlich ohne
Erwähnung Ihrer militärischen Eigenschaft. Daß wir Sie bei einer
etwaigen Nachfrage nicht verleugnen werden, ist selbstverständlich. In
einem gewissen Sinne aber reisen Sie auf eigene Gefahr. Ihr eigener
Takt muß Ihnen Führer sein.“

Darauf hin hatte Heideck sich mit seinem Oheim in Verbindung gesetzt
und von ihm die erforderlichen Briefe und Empfehlungen an indische
Geschäftsfreunde erhalten. Er war von Bombay aus über Allahabad in die
nördlichen Provinzen gereist und hatte die wichtigsten Garnisonen,
Cawnpore, Lucknow, Delhi und Lahore besucht. Nach Erledigung seiner
Geschäfte in Chanidigot gedachte er sich weiter nach Norden zu wenden
und durch den Kaiberpaß nach Afghanistan zu gehen. Lediglich mit
Rücksicht auf diesen Plan hatte er die nähere Bekanntschaft mit dem
Russen gesucht. Er wurde sich klar darüber, daß dieser von seiner
Regierung einen ähnlichen Auftrag erhalten hatte wie er selbst, und
gewisse Andeutungen des Fürsten hatten ihn in der Vermutung bestärkt,
daß er die nämliche Reiseroute zu wählen gedenke. So konnte es für den
deutschen Offizier nur von Vorteil sein, wenn er sich dem russischen
Kameraden anschloß, der ihm auf russischem Gebiet sicherlich wertvolle
Empfehlungen zu verschaffen vermochte. --

Die gehaltvolle Bowle des Fürsten machte sich noch in einigen
unangenehmen Nachwirkungen bemerkbar, als Heideck in der Frühe des
nächsten Morgens erwachte. Aber das kalte Bad, das ihm Morar Gopal
bereitet hatte, und eine Tasse Tee stellten ihn bald wieder her.

Es war ein indischer Frühlingsmorgen von strahlender Schönheit, in
den er tiefaufatmend hinaustrat. Der Februar hatte hier im Tale
des Indus unter dem 29° nördlicher Breite etwa die Temperatur des
römischen Mai. In den Mittagsstunden pflegte die Quecksilbersäule des
Fahrenheit-Thermometers auf hundert Grad zu steigen. Die Abende aber
waren erquickend kühl und die Nächte mit ihren feuchten Nebeln zuweilen
sogar empfindlich kalt.

Heideck hatte an diesem Morgen mit besonderer Sorgfalt Toilette
gemacht, denn er war zu einer Besprechung mit dem Minister des
Maharadjah geladen, um über das beabsichtigte Indigogeschäft mit ihm zu
verhandeln.

Der Minister bewohnte ein Haus an der Weichbildgrenze der Stadt. Es
war ein inmitten eines großen Gartens gelegenes einstöckiges Gebäude
mit breiten, luftigen Veranden. Als Heideck eintraf, war die Treppe
der Eingangshalle bereits von einer bunten Menge besetzt, die auf
Audienz wartete. Ihm aber, als einem Vertreter der weißen Rasse,
blieb diese lästige Unbequemlichkeit erspart. Der in weißen Musselin
gekleidete und zum Zeichen seiner Würde mit einer breiten roten Schärpe
umgürtete Pförtner führte ihn vielmehr gleich in das ganz europäisch
ausgestattete Arbeitszimmer des Ministers.

Auch in seiner äußeren Erscheinung verriet der Würdenträger nur durch
seine Hautfarbe und seinen Gesichtsschnitt den Inder. Kleidung und
Manieren waren ganz die eines abendländischen Diplomaten. Er reichte
Heideck die Hand und teilte ihm mit, daß Seine Hoheit selbst mit ihm
über den Indigo verhandeln wolle.

„Der Preis, den Sie zahlen wollen, ist ungewöhnlich niedrig,“ fügte er
in einem Tone leiser Mißbilligung hinzu.

Heideck aber war auf diesen Einwand offenbar vorbereitet gewesen.

„Exzellenz mögen darin recht haben, daß der gebotene Preis niedriger
ist als in früheren Jahren. Aber er ist noch immer sehr hoch, wenn man
die inzwischen eingetretenen Veränderungen des Marktes berücksichtigt.
In Deutschland wird jetzt durch Anilin ein Ersatz geschaffen, der so
billig ist, daß in absehbarer Zeit vermutlich überhaupt kein Indigo
mehr gekauft werden wird. Wenn es mir gestattet ist, Seiner Hoheit
einen Rat zu geben, so wäre es der, statt des Indigobaus künftig eine
Industrie zu wählen.“

„Und welche hätten Sie dabei im Auge?“

„Am vorteilhaftesten würden mir ~oil-mills~ und ~cotton-mills~
erscheinen. Sie könnten der europäischen und japanischen Konkurrenz
damit wirksam begegnen.“

Ein indischer Diener erstattete eine Meldung, und der Minister lud
Heideck ein, sogleich mit ihm zum Maharadjah zu fahren. Sie bestiegen
einen mit zwei schnellen turkestanischen Pferden bespannten offenen
Wagen. Der gelb gekleidete Kutscher, der merkwürdige Aehnlichkeit
mit einem geputzten Affen hatte, schnalzte mit der Zunge, und im
Galopp ging es durch weit ausgedehnte Parkanlagen zum Schlosse,
dessen weiße Marmorwände bald aus dem Grün der Palmen und Tamarinden
hervorleuchteten.

Heideck mußte während der kurzen Fahrt an die zahllosen Kriegsstürme
denken, die über diesen Boden dahingebraust waren, ehe die englische
Herrschaft alle religiösen Kämpfe, alle blutigen Aufstände und alle
Einfälle fremder Eroberer für immer unmöglich gemacht zu haben
schien. Jetzt konnten hier, wo Alexander des Großen sieggewohnte
Krieger gekämpft hatten, wo sich Mohammedaner und Hindus, Afghanen
und Sonnenanbeter blutige Schlachten geliefert, Werke des Friedens
geschaffen werden, die auf eine Dauer von Jahrhunderten berechnet
waren. Es war ein Triumph der Zivilisation, dessen imponierendem
Eindruck sich ein Kenner von Indiens geschichtlicher Vergangenheit kaum
entziehen konnte.

Der Maharadjah von Chanidigot bekannte sich gleich dem größten Teil
seiner Untertanen zum Islam, und schon die äußere Anlage seines
Palastes ließ den mohammedanischen Fürsten erkennen. Abseits von dem
Hauptgebäude, aber durch eine gedeckte Galerie mit ihm verbunden,
lag der kleine Haremsflügel, dessen Inneres hinlänglich vor jedem
fremden Blicke geschützt war. Hier wie dort offenbarte sich in der
Ausschmückung des Palastes die verschwenderischste Pracht. Und Heideck
dachte mitleidig an die armen Untertanen des Maharadjah, deren
Sklavenarbeit die Mittel für diesen üppigen Luxus hatte liefern müssen.

Der Minister und sein Begleiter wurden nicht in die große Audienzhalle
geführt, die nur für besondere feierliche Empfänge bestimmt war,
sondern in eine Loggia des ersten Stockwerkes. Die von zierlichen
Marmorsäulen getragene offene Seite derselben ging nach einem inneren
Hofe hinaus, der mit seinem tropischen Pflanzenreichtum einen wahrhaft
paradiesischen Anblick gewährte. Eine leise plätschernde Fontäne, die
aus dem Marmorbassin in seiner Mitte emporstieg, warf ihren feinen
Sprühregen bis zu der Loggia hinauf und verbreitete angenehme Kühle.

Eine gute Weile ließ ihn der Minister warten. Dann kehrte er zurück
und forderte ihn durch ein stummes Zeichen auf, ihn zum Fürsten zu
begleiten.

Das Gemach, in welchem der Maharadjah sie empfing, war in seiner
Ausstattung ein sonderbares, für die Augen eines Europäers nicht
gerade anmutiges Gemisch von orientalischem Luxus und englischem
Modegeschmack. Zwischen herrlichen Teppichen und kostbaren Waffen,
mit denen die Wände geschmückt waren, hingen grellbunte Gemälde von
wahrhaft barbarischem Geschmack, wie man sie in Deutschland kaum
im Hause eines mäßig begüterten Bürgers angetroffen haben würde.
Und ähnliche Widersprüche zeigten sich mehrfach. Am auffallendsten
vielleicht traten sie in der Erscheinung des Fürsten selbst zu Tage.
Denn dieser hochgewachsene Mann mit dem weichen schwarzen Vollbart
und den brennenden Augen, der in seiner malerischen Landestracht
ohne Zweifel schön und imponierend ausgesehen hätte, machte in dem
grauen englischen Anzug und dem roten Turban auf dem Kopfe einen
unharmonischen Eindruck.

Er saß in einem mit rotem Juchtenleder überzogenen englischen
Klubsessel und neigte auf Heidecks tiefe Verbeugung zu leichtem
Gegengruße den Kopf.

Es entging dem deutschen Offizier nicht, daß der Maharadjah äußerst
verdrießlich aussah. Und er vermutete, daß es der für den Indigo
gebotene niedrige Preis sei, der ihn verstimmt hätte.

Aber schon die ersten Worte des Fürsten belehrten ihn eines anderen.

„Wie ich höre,“ sagte er in ziemlich mangelhaftem Englisch, „sind
Sie zwar Europäer, aber nicht Engländer. Darum hoffe ich, von Ihnen
die Wahrheit zu hören. Ich bin gern bereit, Sie für Ihre Auskunft zu
belohnen.“

„Ich pflege auch ohne Belohnung die Wahrheit zu sagen, Hoheit!“

Der Maharadjah maß ihn mit einem mißtrauischen Blick.

„Ich bin ein treuer Freund Englands,“ sagte er nach kurzem Zaudern,
„und ich befinde mich im besten Einvernehmen mit dem Vizekönig. Aber
es geschehen jetzt Dinge, für die mir jede Erklärung fehlt. An diesem
Morgen erhielt ich eine Botschaft aus Kalkutta, die mich in Erstaunen
setzt. Die indische Regierung beabsichtigt bei Quetta ein Truppenkorps
zusammenzuziehen und fordert mich auf, tausend Mann Infanterie und
fünfhundert Reiter sowie eine Batterie und zweitausend Kamele dorthin
zu senden. Können Sie mir sagen, mein Herr, was England veranlaßt, eine
so bedeutende Truppenmacht bei Quetta zusammenzuziehen?“

„Es dürfte sich lediglich um eine Vorsichtsmaßregel handeln, Hoheit!
Vielleicht sind in Afghanistan neuerdings Unruhen ausgebrochen.“

„Unruhen in Afghanistan? Dabei könnte nur Rußland seine Hand im Spiele
haben. Wissen Sie vielleicht etwas Bestimmteres?“

Heideck mußte verneinen. Und der Maharadjah, der seine üble Laune nicht
verbarg, fing an, in einer etwas unvorsichtigen Weise seinem Herzen
Luft zu machen.

„Ich bin ein treuer Freund der Engländer, aber der Druck, den sie auf
uns ausüben, wird täglich schwerer. Wenn England einen Krieg führen
will, weshalb sollen wir unser Blut und unser Geld dafür hergeben?
Wissen wir doch nicht einmal, wie mächtig die Feinde der Engländer
sind. Sie gehören dieser Nation nicht an, wie mir mein Minister
mitteilte. Deshalb könnten Sie mich recht wohl darüber unterrichten.
Ich bin ja selbst in Europa gewesen. Aber man hat mich nicht über
London hinaus gelangen lassen, wohin ich gereist war, um die nunmehr
verstorbene Königin zu ihrem Geburtstage zu beglückwünschen. Ich habe
nichts gesehen als viele Schiffe und eine riesengroße, schmutzige
Stadt. Gibt es nicht in Europa starke und mächtige Staaten, die England
feindlich gesinnt sind?“

Derartige Fragen waren für Heideck unbequem. Er zog deshalb vor, einer
bestimmten Antwort auszuweichen.

„Ich bin seit fast einem Jahre in Indien, erwiderte er, und ich
weiß von den politischen Ereignissen nur, was die ‚India Times‘ und
andere englische Zeitungen darüber berichten. Eine gewisse Rivalität
besteht zwischen den europäischen Großmächten selbstverständlich
immer. Und England ist in den letzten Jahrzehnten so groß geworden,
daß es naturgemäß viele Feinde haben muß. Darüber aber, wie sich die
politischen Verhältnisse in diesem Augenblick gestaltet haben mögen,
wage ich nicht ein Urteil zu äußern.“

Unmutig schüttelte der Maharadjah den Kopf.

„Machen Sie die Geschäfte mit dem Manne nach Ihrem Ermessen ab,“ wandte
er sich kurz an den Minister, während zugleich eine verabschiedende
Handbewegung dem jungen Deutschen kund gab, daß er entlassen sei.

Als Heideck wieder in die Loggia hinaustrat, sah er den Kapitän
Irwin in Begleitung eines Hofbeamten am Eingange derselben
erscheinen. Der britische Offizier stutzte, als er des vermeintlichen
Geschäftsreisenden ansichtig wurde. Er streifte ihn mit einem
lauernden Blick, und eine fast feindselige Zurückhaltung lag in der
Art, wie er den Gruß Heidecks erwiderte. Dieser kümmerte sich wenig
darum, langsam schlenderte er durch den weitläufigen Park, auf dessen
prachtvollen alten Bäumen viele Affen ihr munteres Wesen trieben. Die
Mitteilung des Maharadjah von dem an ihn ergangenen englischen Befehl
in Verbindung mit der Nachricht vom Vormarsch des Generals Iwanow
gab ihm viel zu denken. Es konnte danach nicht zweifelhaft sein, daß
sich in Afghanistan ernste kriegerische Ereignisse vorbereiteten oder
vielleicht schon im vollen Gange waren. Quetta in Beludschistan,
unmittelbar an der afghanischen Grenze gelegen, war das Ausfallstor
gegen Kandahar. Und wenn England die Hilfe indischer Fürsten in
Anspruch nahm, mußte es die Situation als kritisch erkannt haben. Noch
war ja der Krieg nicht erklärt, aber Heidecks Mission konnte unter
diesen Umständen plötzlich eine ganz besondere Bedeutung gewinnen,
und es war jedenfalls unmöglich, in diesem Augenblick bestimmte
Entschlüsse für die nächste Zukunft zu fassen.

Der Spaziergang nach seinem in unmittelbarer Nähe des englischen Camp
gelegenen Bungalo mochte etwa eine Stunde in Anspruch genommen haben,
Zeit genug, einen gesunden Appetit wach zu rufen. Es war ihm deshalb
durchaus nicht unangenehm, daß er seinen russischen Kameraden an einem
schattigen Platze vor der Tür des Gasthauses beim Frühstück sitzen sah,
und mit einem herzlich erwiderten Gruß nahm er ohne viel Umstände an
dem Tische Platz. Fürst Tschadschawadse sah recht blaß aus und hielt
sich lediglich an Sodawasser, das er gegen allen Landesbrauch sogar
ohne jede Beimischung von Whisky trank. Die appetitlich duftenden
gebackenen Eier mit Schinken standen unberührt vor ihm, und er lächelte
etwas wehmütig, als er sah, wie gut der andere sie sich auf seine
Einladung munden ließ.

Sie hatten erst ein paar gleichgiltige Worte gewechselt, als zwei
indische Mädchen auftauchten, die ihnen allerlei Tand zum Kauf anboten.
Die jüngere, deren nackter Oberkörper wie Bronze glänzte, war von
großer Schönheit. Selbst die Bemalung ihres Gesichts vermochte die
natürliche Anmut der feinen Züge nicht zu zerstören. Aber so hübsch sie
war, so kokett war sie auch. Und sie hatte es offenbar auf den Russen
abgesehen. Hinter seinen Stuhl tretend, hielt sie ihm ihre glitzernden
Nichtigkeiten vor das Gesicht. Und ihr Benehmen wurde dabei immer
vertraulicher. Zuletzt streifte sie ein goldglänzendes Armband über
das zierliche, braune Handgelenk und neigte sich, damit er es besser
betrachten könne, so weit über seine Schulter, daß ihre lebenswarme,
junge Brust seine Wange streifte.

Fürst Tschadschawadse war von zu heißblütigem Temperament, um solcher
Versuchung lange zu widerstehen. In seinen Augen leuchtete es auf, und
mit einer raschen Bewegung drehte er sich nach dem Mädchen um, ihren
biegsamen Leib mit seinem Arme umschlingend.

Zu weiteren Zärtlichkeiten aber kam es nicht, denn das kleine
Abenteuer, das Heideck unangenehm berührte, erfuhr eine jähe
Unterbrechung.

Ohne von den am Tische Sitzenden bemerkt zu werden, war der schöne,
blonde Page des Fürsten aus der Tür des Bungalo getreten, einen Teller
mit Bananen und Mangos in der Hand. Ein paar Sekunden lang hatte er mit
funkelnden Augen den Vorgang betrachtet. Dann aber war er mit einigen
lautlosen Schritten herangeglitten und warf nun, ohne ein Wort zu
sprechen, den Teller mit den Früchten so geschickt und kräftig nach der
bronzefarbigen Verführerin, daß das Mädchen mit einem lauten Aufschrei
nach der getroffenen Schulter griff, während das Geschirr zerbrochen am
Boden klirrte.

In der nächsten Minute schon war sie mit ihrer Begleiterin in eiliger
Flucht verschwunden. Das Gesicht des Fürsten aber war rot vor Zorn, und
er griff aufspringend nach der neben ihm liegenden Reitpeitsche.

Schon machte sich Heideck bereit, das verkleidete Mädchen vor einem
ähnlichen Strafgericht zu bewahren, wie sein neuer Freund es gestern
an seinem indischen Boy vollzogen hatte. Aber er sah, daß es seiner
Intervention hier nicht bedurfte.

Hochaufgerichtet und mit einem beinahe verächtlichen Zucken der schönen
Lippen war der junge Page dicht vor den Fürsten hingetreten. Ein
halblautes, zischendes Wort, dessen Sinn Heideck nicht verstand, mußte
den Zorn des Russen plötzlich beschwichtigt haben. Denn er ließ den
schon zum Schlage erhobenen Arm sinken und warf die Peitsche auf den
Tisch.

„Geh und hole uns einen anderen Nachtisch, Georgij!“ sagte er so
gleichmütig, als wäre gar nichts geschehen. „Es ist eine wahre Plage,
daß man vor diesem indischen Gesindel nicht eine Stunde lang Ruhe hat.“

Ueber das Gesicht der Cirkassierin huschte es wie ein triumphierendes
Lächeln. Sie warf einen freundlichen Blick auf Heideck und wandte
sich schweigend dem Bungalo zu. Voll Bewunderung und nicht ohne eine
leise Regung des Neides gegen den glücklichen Besitzer von soviel
berückender weiblicher Schönheit sah ihr Heideck nach, wie sie anmutig,
sich leicht in den Hüften wiegend, dahin ging. Er hatte schon eine
Bemerkung auf den Lippen, die dem Fürsten verraten sollte, daß er
hinter das allerdings sehr durchsichtige Geheimnis seiner maskierten
Reisebegleiterin gekommen sei. Aber er wurde durch einen neuen
Zwischenfall daran gehindert.

Ein englischer Soldat im Ordonnanzanzuge trat an den Tisch und
überreichte Heideck, der ihm dem Ansehen nach bekannt sein mußte, mit
militärischem Gruße ein Billet.

„Von dem Herrn Obersten,“ sagte er. „Und ich soll melden, daß es sehr
dringlich sei.“

Mit Verwunderung griff Heideck nach dem Brief. Er enthielt in zwar
höflicher, doch immerhin ziemlich bestimmter Form die Bitte um einen
möglichst baldigen Besuch des Herrn Hermann Heideck. Das bedeutete bei
der Machtstellung, die Oberst Baird hier in Chanidigot inne hatte,
einen Befehl, dem er ohne Zögern und Widerspruch gehorchen mußte.

Baird war der Höchstkommandierende des hier stationierten Detachements,
das aus einem Infanterieregiment von etwa sechshundert Mann, einem
zweihundertvierzig Pferde starken Ulanenregiment und einer Feldbatterie
bestand. Wie in allen anderen Residenzen der großen indischen Fürsten,
hatte die britische Regierung auch in Chanidigot eine Streitmacht
stationiert, die stark genug war, um den Maharadjah in Respekt zu
halten und alle Rebellionsgelüste im Keime zu ersticken. Da Oberst
Baird zugleich den Posten eines Residenten am Hofe des Fürsten
bekleidete und somit alle diplomatische und militärische Gewalt in
seiner Hand vereinigte, war er als der eigentliche Herr und Gebieter in
Chanidigot anzusehen.

Sein Bungalo lag inmitten des auf einer weiten, grünen Ebene
aufgeschlagenen Lagers. Es war eine Gruppe von Gebäuden, die einen mit
Pflanzen und einem plätschernden Brunnen geschmückten viereckigen Hof
umschlossen.

Wie es schien, hatte er Befehl gegeben, Heideck sofort vorzulassen.
Denn der Adjutant, bei dem sich Heideck gemeldet hatte, führte ihn ohne
weiteres in das Arbeitszimmer seines Vorgesetzten.

Höflich, doch mit einer Gemessenheit, die sich merklich von seinem
bisherigen Benehmen gegen den beliebten Gast des Offizierkorps
unterschied, dankte ihm der stattliche, martialisch aussehende Mann für
sein rasches Erscheinen.

„Bitte nehmen Sie Platz, Mr. Heideck,“ fügte er hinzu, „ich habe mich
ungern entschlossen, Sie zu bemühen, aber ich konnte es Ihnen nicht
ersparen. Es ist mir gemeldet worden, daß Sie heute Morgen bei dem
Maharadjah waren.“

„Allerdings. Ich hatte in Geschäften mit ihm zu reden. Denn ich stehe
im Begriff, für mein Hamburger Haus einen großen Posten Indigo von ihm
zu kaufen.“

„In Ihre Geschäfte habe ich mich selbstverständlich nicht einzumischen.
Aber ich muß Ihnen sagen, daß wir einen direkten Verkehr von Europäern
mit den eingeborenen Fürsten nicht gern sehen. Sie werden deshalb gut
tun, mir in künftigen Fällen vorher Mitteilung davon zu machen, wenn
Sie zu dem Maharadjah berufen werden, damit wir uns über das, was Sie
ihm sagen oder nicht sagen dürfen, verständigen können. Wir dürfen
leider nicht allen indischen Fürsten trauen, und dieser hier ist
vielleicht einer der unzuverlässigsten unter ihnen. Sie dürfen das, was
ich Ihnen da sage, nicht als einen Ausdruck des Mißtrauens gegen Sie
ansehen. Die Verantwortlichkeit meiner Stellung aber gebietet mir die
allergrößte Vorsicht.“

„Ich begreife das vollkommen, Herr Oberst!“

„Gerade in diesem Augenblick scheint sich die Lage besonders schwierig
zu gestalten. Ich müßte mich sehr täuschen, wenn wir nicht recht
unruhigen Zeiten entgegen gingen. Der Generalgouverneur von Turkestan
ist auf dem Marsche, und seine Avantgarde ist bereits über die Grenze
von Afghanistan vorgedrungen.“

Heideck hatte Mühe, die Erregung zu verbergen, in welche diese
Bestätigung der Mitteilung Tschadschawadses ihn versetzte.

„Ist das gewiß, Herr Oberst? Was wollen die Russen in Afghanistan?“

„Was sie da wollen? Nun, mein lieber Mr. Heideck, ich denke, das ist
ziemlich klar. Ihr Vorgehen bedeutet den Krieg gegen uns. Rußland will
das natürlich vorläufig noch nicht offen zugeben. Man behandelt den
Vormarsch als eine Angelegenheit, die nur den Emir anginge und um die
wir uns nicht zu kümmern hätten. Aber man müßte sehr befangen sein, um
die wahre Absicht nicht zu durchschauen.“

„Und darf ich fragen, was der Herr Oberst zu tun gedenkt?“

Oberst Baird mußte den jungen Deutschen in der Tat für eine sehr
vertrauenswürdige oder für eine sehr ungefährliche Persönlichkeit
halten, da er ihm bereitwillig Antwort gab.

„Die russische Avantgarde hat den Amu darja überschritten und zieht
das Murgabtal herauf nach Herat. Danach werden wir unsere Maßregeln
treffen. Die Moskowiter sollen sich in uns getäuscht haben. So geduldig
und langmütig sind wir doch nicht, daß wir unsere lieben Nachbarn
einfach in offene Tore einziehen lassen. Ich denke, es wird bei den
russischen Generalen einige lange Gesichter geben, wenn sie sich in
Afghanistan plötzlich unseren Bataillonen, unseren Sikhs und Gurkhas,
gegenüber sehen.“

Der Adjutant erschien mit einer offenbar sehr wichtigen Meldung, und
da Heideck wahrnahm, daß der Oberst mit seinem Ordonnanzoffizier
unter vier Augen zu sprechen wünsche, hielt er es für ein Gebot der
Höflichkeit, sich zu empfehlen.

Die Worte des Obersten: ‚Das Vorgehen der Russen in Afghanistan
bedeutet den Krieg‘, klangen ihm unablässig in den Ohren wieder. Er
pries in seinem Herzen den glücklichen Zufall, der ihn zur rechten
Zeit auf den Schauplatz großer weltgeschichtlicher Ereignisse geführt
hatte. Und alle seine Gedanken waren einzig darauf gerichtet, wie er es
anfangen könne, beim Ausbruch der Feindseligkeiten als Zuschauer und
Beobachter zugegen zu sein.

Daß sein russischer Freund von demselben Wunsche erfüllt sein würde,
durfte er um so eher voraussetzen, als Fürst Tschadschawadse ja einer
der beiden unmittelbar beteiligten Nationen angehörte. Er beeilte sich
deshalb, ihn von dem Inhalt seiner Unterredung mit dem Obersten Baird
in Kenntnis zu setzen. Und die Wirkung seiner Mitteilungen auf den
Fürsten war ganz so, wie er es erwartet hatte.

„Also wirklich! Die Avantgarde ist schon über den Amu darja! Und es
wird also an der rechten Stelle der Krieg ausbrechen!“ rief der Russe
in hellem Jubel aus. „In unserer Armee herrschte die Befürchtung,
daß der Zar sich vielleicht niemals zu dem Entschlusse aufraffen
würde, einen Krieg zu führen. Es müssen mächtige und unwiderstehliche
Einflüsse gewesen sein, die zuletzt doch über seine Friedensliebe
gesiegt haben.“

„Sie wollen natürlich so schnell als möglich zur Armee?“ fragte
Heideck. Und da der Fürst bejahte, fügte er hinzu:

„Ich würde Ihnen dankbar sein, wenn Sie mir erlauben wollten, mich
Ihnen anzuschließen. Wie aber kommen wir über die Grenze? Hoffentlich
läßt man uns als unverdächtige Kaufleute unbehelligt passieren.“

„Das ist nicht so ganz sicher. Wahrscheinlich werden wir nicht so
leicht aus Indien hinauskommen, wie wir hereingekommen sind. Immerhin
aber müssen wir's versuchen. Wir können mit der Bahn in zwölf Stunden
in Peschawar und in fünfzehn in Quetta sein. Beide Bahnlinien dürften
augenblicklich noch nicht durch Truppensendungen beansprucht sein.
Aber wir werden gut tun, unsern Aufbruch zu beschleunigen. Vermutlich
würden wir sowohl von Peschawar wie von Quetta aus bald auf russische
Truppen stoßen. Denn ich zweifle nicht, daß auch gegen Kabul hin ein
russisches Korps im Vormarsch ist, obwohl der Oberst, wie Sie sagen,
nur von einer Avantgarde sprach, die auf Herat marschiere.“

„Ich würde vorschlagen, über Peschawar und durch den Kaiberpaß zu
gehen, weil wir so am schnellsten und sichersten nach Kabul gelangen.“

„Wir werden das nachher noch des näheren besprechen, Herr Kamerad!
Jedenfalls ist es ausgemacht, daß wir zusammen bleiben. Hoffe ich doch,
daß auch auf der großen Weltbühne in diesem Augenblick Ihre Nation
Schulter an Schulter mit der meinigen gegen England steht.“



[Illustration]



V.


Als verheirateter Offizier bewohnte Kapitän Irwin nicht eine der
hölzernen Baracken im englischen Camp, sondern ein Bungalo in der
Vorstadt.

Es war ein einstöckiges, von einem großen, gut gehaltenen Garten
umgebenes Haus mit breiten Veranden, das früher einem hohen Hofbeamten
des Maharadjah als Wohnung gedient hatte. Abseits lagen zwei kleinere,
für die Dienerschaft bestimmte Gebäude, von denen gegenwärtig nur eines
benutzt wurde.

Die Sonne desselben Tages, der ihm so wichtige und für die Gestaltung
seiner nächsten Zukunft entscheidende Entschlüsse nahe gelegt hatte,
neigte sich bereits dem Untergange zu, als Hermann Heideck die
Kaktushecke und das Bambusgebüsch des zum Irwinschen Bungalo gehörenden
Gartens durchschritt.

Er war in einen Gesellschaftsanzug aus leichtestem schwarzen Tuch
gekleidet, wie es englische Sitte für einen um die abendliche Dinerzeit
abgestatteten Besuch unter jenem Himmelsstrich vorschreibt.

Er kam heute nicht aus eigenem Antrieb, und der Morgengruß Irwins
hatte nichts Einladendes gehabt. Ein Billet von Mrs. Irwin hatte
ihn zu seiner Ueberraschung um sein Erscheinen zu dieser Stunde
gebeten. Er hatte der Fassung des Briefes entnommen, daß es sich um
etwas Dringliches handeln müsse, und es lag nicht fern, zu vermuten,
daß die unglückliche Pokerpartie des Kapitäns die Ursache wäre. Was
Mrs. Edith veranlaßt haben konnte, sich gerade an ihn zu wenden, war
ihm allerdings vorläufig ein Rätsel. Denn seine Beziehungen zu der
schönen jungen Frau hatten bis zu diesem Augenblick ganz und gar nichts
Vertrauliches gehabt. Er war ihr einigemal in größerer Gesellschaft,
beim Polospiel der Offiziere und ähnlichen Anlässen begegnet. Und wenn
er, durch ihre Anmut und ihren Geist gefesselt, sich der Gattin des
Kapitäns vielleicht auch lebhafter gewidmet hatte, als irgend einer
der anderen anwesenden Damen, so hatte sich ihr Verkehr doch durchaus
in den konventionellen Grenzen bewegt. Und niemals würde es ihm
eingefallen sein, sich einer besonderen Bevorzugung durch Mrs. Irwin zu
rühmen.

Die zierliche indische Zofe der Hausfrau empfing den Besucher
und führte ihn zu der Veranda. Mrs. Irwin, die in einem Kleide
von roher Seide auf einem Schaukelstuhl gesessen hatte, ging ihm
einige Schritte entgegen. Aufs neue fühlte sich Heideck entzückt
durch den Liebreiz ihrer Erscheinung. Sie war eine echt englische
Schönheit von hoher, wundervoll ebenmäßiger Gestalt, feinen Zügen und
jener weißen, durchsichtigen Haut, die den Töchtern Albions einen
ihrer eigenartigsten Reize verleiht. Reiches, dunkelblondes Haar
schmiegte sich in dichten, natürlichen Wellen um die breite Stirn,
und ihre blauen Augen hatten den klaren, ruhigen Blick einer ebenso
intelligenten wie willensstarken Persönlichkeit.

In diesem Moment allerdings schien die junge Frau, die Heideck bisher
nur als die gelassene und beherrschte Dame der großen Welt kennen
gelernt hatte, sich in einer Erregung zu befinden, die sie nur
unvollkommen zu verbergen vermochte. Etwas eigentümlich Befangenes war
in der Art, wie sie den Besucher begrüßte.

„Ich danke Ihnen für Ihr Erscheinen, Mr. Heideck! Meine Einladung wird
Sie befremdet haben, aber ich wußte mir nicht anders zu helfen. Bitte,
lassen Sie uns in das Parlour gehen, es wird hier draußen empfindlich
kühl.“

Von solcher Kühle konnte Heideck zwar noch nichts bemerken, aber er
glaubte zu verstehen, daß es nur die Furcht vor einem Lauscher sei,
die den Wunsch der jungen Frau bestimmte. In der Tat schloß sie hinter
ihm die Glastür und lud ihn ein, ihr gegenüber auf einem der breiten
Rohrstühle Platz zu nehmen.

„Kapitän Irwin ist nicht anwesend,“ eröffnete sie, noch immer
ersichtlich mit einer starken Verlegenheit kämpfend, das Gespräch. „Er
ist fortgeritten, um seine Schwadron zu inspizieren und wird, wie er
mir sagte, nicht vor Tagesanbruch zurückkehren.“

Heideck begriff nicht recht, weshalb sie ihm diese Mitteilung machte.
Wäre er ein von seiner Unwiderstehlichkeit überzeugter Frauenjäger
gewesen, so würde er darin vielleicht eine sehr durchsichtige
Ermutigung erblickt haben. Aber er war weit entfernt, Ediths Worten
eine derartige Deutung zu geben. Die Verehrung, die er dieser schönen
Frau seit dem ersten Augenblick ihrer Bekanntschaft entgegengebracht
hatte, schützte sie hinlänglich vor jedem unlauteren Verdacht. Wenn sie
ihn zu einer Zeit hierher beschieden hatte, wo sie sicher sein konnte,
daß ihr Gespräch nicht durch das Erscheinen ihres Gatten gestört werden
konnte, so hatte sie dafür sicherlich andere Gründe gehabt, als den
Wunsch nach einem Abenteuer.

Und wie er sie da vor sich sitzen sah, mit einem Zug herben Kummers,
regte sich in seinem Herzen kein anderes Verlangen als der lautere
Wunsch, diesem ohne Zweifel tief unglücklichen Wesen irgend einen
ritterlichen Dienst erweisen zu dürfen.

Aber er hatte nicht den Mut, ihr etwas derartiges zu sagen, bevor sie
ihm nicht in unzweideutiger Weise ein Recht dazu gegeben hätte. Darum
wartete er schweigend auf das, was sie ihm weiter mitzuteilen wünsche.
Und es gab eine ziemlich lange, etwas peinliche Pause, bevor Mrs.
Irwin, ersichtlich all ihren Mut zusammennehmend, fortfuhr:

„Sie waren ein Zeuge des Auftritts, der sich gestern abend in der
Offiziersmesse zwischen meinem Mann und dem Kapitän Mc. Gregor
abgespielt hat. Wenn ich recht unterrichtet bin, habe ich es sogar
lediglich Ihnen zu verdanken, daß mein Mann nicht in der ersten
Erregung Hand an sich gelegt hat.“

Bescheiden wehrte Heideck ab.

„Ich habe durchaus nichts getan, was mir einen Anspruch auf Ihre
Dankbarkeit gäbe, Mrs. Irwin, und ich glaube auch nicht, daß Ihr Gatte
sich wirklich zu einer solchen unsinnigen Verzweiflungstat hätte
hinreißen lassen. Im entscheidenden Augenblick würde der Gedanke an Sie
ihn sicherlich vor dem Aeußersten bewahrt haben.“

Er war überrascht von dem Ausdruck der Verachtung, den das schöne
Gesicht der jungen Frau bei seinen letzten Worten angenommen hatte, und
von dem harten Klang ihrer Stimme, da sie erwiderte:

„Der Gedanke an mich? Ah, wie wenig Sie meinen Mann kennen! Er ist
nicht gewöhnt, um meinetwillen irgend welche Opfer zu bringen. Und
vielleicht wäre sein freiwilliger Tod nicht einmal das Schlimmste, was
er mir hätte antun können.“

Sie sah wohl die Bestürzung in seinen Zügen, und deshalb fügte sie
rasch hinzu:

„Sie werden mich gewiß für das herzloseste Geschöpf halten, weil ich so
zu einem Fremden sprechen kann. Aber gilt nicht auch in Ihrem Lande der
Verlust der Ehre für schlimmer als der Tod?“

„Unter gewissen Umständen -- ja. Aber so tragisch ist die Lage Ihres
Gatten hoffentlich nicht zu nehmen. Nach dem Eindruck, den ich bisher
von der Persönlichkeit des Kapitäns Mc. Gregor empfangen habe, ist
er nicht der Mann, der Mr. Irwin um einer leichtsinnig eingegangenen
Spielschuld willen zum Aeußersten treiben wird.“

„O nein, Sie beurteilen diesen Ehrenmann vollkommen richtig. Er würde
am liebsten ganz auf die Zahlung verzichten. Und in der Absicht, ein
derartiges Arrangement herbeizuführen, war er heute nachmittag hier.
Aber der törichte Stolz, die maßlose Eitelkeit Irwins machten alle
seine guten Absichten zu schanden. Das Ergebnis von Mc. Gregors gut
gemeinten Bemühungen war einzig eine heftige Szene, durch die die Sache
nur noch mehr verschlimmert wurde. Mein Mann ist entschlossen, seine
Schuld um jeden Preis zu bezahlen.“

„Und -- verzeihen Sie die indiskrete Frage -- ist er dazu imstande?“

„Wenn er sich meines Vermögens bedient -- gewiß! Und ich habe es ihm
ohne weiteres zur Verfügung gestellt. Ich habe ihm gesagt, daß er alles
bis auf den letzten Penny nehmen möge, wenn dieses Opfer ausreichend
sei, mich für immer von ihm zu befreien.“

Heideck wußte kaum, ob er seinen Ohren trauen dürfe. Auf nichts in
der Welt war er weniger vorbereitet gewesen, als darauf, solche
Geständnisse zu empfangen. Er fing an, irre zu werden an dieser Frau,
die ihm bisher der Inbegriff aller weiblichen Vollkommenheit gewesen
war. Und er suchte nach einer Gelegenheit, weiteren Enthüllungen
vorzubeugen, die sie seiner Ueberzeugung nach schon in der nächsten
Stunde bereut haben würde.

„Niemand kann von Ihnen verlangen, Mrs. Irwin, daß Sie für eine
sträfliche Leichtfertigkeit, für eine vielleicht im halben Rausch
begangene Uebereilung Ihres Gatten ein so ungeheures Opfer bringen.
Aber da Sie mich einmal der Ehre gewürdigt haben, mit mir über diese
Dinge zu sprechen, so ist es vielleicht nicht unbescheiden, wenn ich
Ihnen sage, daß es meiner Ansicht nach das richtigste wäre, Ihren
Mann die Folgen seiner Handlungsweise tragen zu lassen. Sie brauchen
wohl kaum zu fürchten, daß diese Folgen allzu schlimm sein werden.
Mc. Gregor wird ihn gewiß nicht drängen. Und da wir unmittelbar vor
dem Ausbruch eines Krieges zu stehen scheinen, gehen auch seine
Vorgesetzten in diesem Augenblick wegen dieser Angelegenheit wohl nicht
allzu streng mit ihm ins Gericht. Er wird vielleicht Gelegenheit haben,
sein erschüttertes Ansehen durch soldatische Verdienste wieder gut zu
machen oder den Tod auf dem Schlachtfelde zu suchen. In einigen Wochen
oder Monaten werden alle diese Dinge, die Ihnen jetzt so viel Sorge
verursachen, ein ganz anderes Gesicht zeigen.“

„Sie meinen es sehr gut, Mr. Heideck, und ich danke Ihnen für
Ihre freundliche Absicht. Aber ich würde Sie nicht zu einer so
ungewöhnlichen Zeit hierher gebeten haben, wenn es mir nur darum zu tun
wäre, durch liebenswürdigen Zuspruch getröstet zu werden. Ich befinde
mich in einer wahrhaft entsetzlichen Lage -- entsetzlich besonders
deshalb, weil es hier niemanden gibt, dem ich mich anvertrauen, bei dem
ich mir Rat und Beistand holen könnte. Daß ich in meiner Verzweiflung
darauf verfiel, mich an Sie zu wenden, muß Sie gewiß in Erstaunen
setzen. Und jetzt will es mir selber fast unbegreiflich erscheinen, wie
ich Sie mit einer solchen Zumutung behelligen konnte.“

„Wenn Sie mir eine Möglichkeit zeigen können, Mrs. Irwin, Ihnen in
irgend einer Weise dienlich zu sein, so bitte ich Sie, unbedingt über
mich zu verfügen. Ich bin mit allem, was ich vermag, zu Ihren Diensten.
Und Ihr Vertrauen würde mich sehr glücklich machen.“

„Als Gentleman dürfen Sie mir natürlich nicht anders antworten.
In Ihrem Herzen aber halten Sie mein Benehmen doch vielleicht für
unweiblich und unschicklich. Denn es ist ja richtig, daß wir einander
kaum kennen. Drüben in England und gewiß nicht weniger in Ihrer
deutschen Heimat würden so flüchtige Begegnungen, wie es die unsrigen
waren, mir sicherlich kein Recht geben, Sie wie einen Freund zu
behandeln. Und ich kann nicht wissen, inwieweit Sie unter dem Einfluß
dieser europäischen Anschauungen stehen.“

„Auch in Deutschland würde jede schutzlose und unglückliche Frau
unbedingten Anspruch auf meinen Beistand haben,“ erwiderte er ernst.
„Wenn Sie mir vor Ihren hiesigen Freunden den Vorzug geben wollen, so
habe ich das nur dankbar anzuerkennen und über Ihre Beweggründe nicht
weiter nachzudenken.“

„Aber Sie sollen sie selbstverständlich erfahren. Meine hiesigen
Freunde sind natürlich die Kameraden meines Mannes, und an sie kann
ich mich nicht wenden, wenn ich damit nicht zugleich das Todesurteil
über Irwin sprechen will. Keiner von ihnen dürfte es geschehen lassen,
daß ein Mann vom Schlage meines Gatten nur eine Stunde länger dem
Offizierkorps des britischen Heeres angehört.“

„Ich verstehe nicht recht, Mrs. Irwin. Die Spielaffäre des Kapitäns ist
seinen Kameraden doch ohnedies kein Geheimnis mehr.“

„Es handelt sich auch nicht darum. Wie aber würden Sie über den
Charakter eines Mannes urteilen, der seine Frau verkaufen will, um
seine Schulden zu bezahlen?“

Das Wort hatte den Hauptmann getroffen wie ein Schlag. Mit großen Augen
starrte er auf die junge Frau, die eine so ungeheuerliche Anklage
gegen ihren Gatten erhob. Nie war sie ihm lieblicher erschienen, als
in diesem Augenblick, wo eine Empfindung weiblicher Scham ihre eben
noch so bleichen Wangen mit dunkler Glut bedeckt hatte. Nie hatte er
mit gleicher Deutlichkeit gefühlt, ein wie köstlicher, unschätzbarer
Besitz dies anmutige Wesen dem Manne sein müsse, dem es sich liebend zu
eigen gegeben. Und je weniger er daran zweifelte, daß sie soeben die
volle Wahrheit gesprochen, desto heißer wallte in seinem Herzen ein
leidenschaftlicher Zorn gegen den Elenden auf, der verworfen genug sein
konnte, das herrliche Kleinod in den Schmutz zu zerren.

„Ich wage nicht, Ihre Frage auf den Kapitän Irwin zu beziehen,“ sagte
Heideck mit merklich bebender Stimme. „Denn wenn er dazu in Wahrheit
fähig gewesen wäre -- -- --“

Ihn unterbrechend, deutete Edith auf ein kleines Etui, das auf dem
neben ihr stehenden Tischchen lag.

„Möchten Sie sich nicht einmal diesen Ring ansehen, Mr. Heideck?“

Er leistete ihrem Verlangen Folge und glaubte in dem Schmuckstück
denselben prachtvollen Brillanten zu erkennen, den er gestern an
Irwins Finger hatte funkeln sehen. Er gab dieser Vermutung Ausdruck,
und die junge Frau nickte bestätigend.

„Ich habe ihn meinem Manne an unserem Hochzeitstage geschenkt. Der Ring
ist ein altes Erbstück in meiner Familie. Juweliere schätzen seinen
Wert auf mehr als tausend Pfund.“

„Und weshalb trägt Ihr Gatte ihn nicht mehr?“

„Weil er die Absicht hat, ihn zu verkaufen. Natürlich ist der
Maharadjah hier der einzige, der sich den Luxus solcher Erwerbungen
gestatten darf. Und mein Gatte wünscht, daß ich den Handel mit dem
Fürsten abschließe.“

„Sie, Mrs. Irwin? Und warum tut er es nicht selbst?“

„Weil der Maharadjah ihm den Preis nicht zahlen will, den er fordert.
Mein Mann will den Ring nicht unter zwei Lakh hergeben.“

„Aber das ist ja ungeheuerlich! Damit wäre er mehr als zwölffach
überzahlt!“

„Mein Mann ist trotzdem sicher, daß das Geschäft ohne Schwierigkeiten
zustande kommen würde, wenn ich die persönliche Vermittelung übernähme.“

Es war unmöglich, den Sinn ihrer Worte mißzuverstehen. Und so groß war
die Erregung, in welche sie den Hauptmann versetzten, daß er ungestüm
von seinem Stuhle aufsprang.

„Nein, das ist unmöglich -- undenkbar! -- Das konnte er Ihnen
nicht zumuten! Sie müssen ihn mißverstanden haben. Einer solchen
Nichtswürdigkeit kann ein Mann, kann ein Offizier, kann ein Gentleman
niemals fähig sein!“

„Sie würden weniger erstaunt sein, wenn Sie Gelegenheit gehabt hätten,
ihn kennen zu lernen, wie ich ihn in der kurzen Zeit unserer Ehe kennen
gelernt habe. Es gibt schon beinahe nichts mehr, das mich in seiner
Handlungsweise überraschen könnte. Er hat eben längst aufgehört, mich
zu lieben. Und eine Frau, deren Person ihm gleichgiltig geworden ist,
hat für ihn nur noch den Wert eines Handelsobjekts. Vielleicht gibt
es für seine Denkungsart sogar eine gewisse Entschuldigung. Es ist
möglicherweise ein atavistischer Rückfall in die Anschauungen seiner
Vorfahren, die ihre Weiber, wenn sie ihrer überdrüssig geworden waren,
mit einem Strick um den Hals auf den Marktplatz führten, um sie an den
Meistbietenden zu verkaufen. Es soll noch nicht gar zu lange her sein,
daß sich diese schöne Sitte verloren hat.“

„Nicht weiter, Mrs. Irwin!“ fiel ihr Heideck ins Wort. „Ich kann es
nicht ertragen, Sie so sprechen zu hören. Und noch immer bin ich der
Meinung, daß der Kapitän unzurechnungsfähig gewesen sein muß, als er
Ihnen das zumuten konnte.“

Die junge Frau schüttelte mit einem herben Zucken der Lippen den Kopf.

„O nein, er war weder betrunken, noch sonderlich aufgeregt, als er mich
um diese ‚kleine‘ Gefälligkeit ersuchte. Am Ende sollte ich mich seiner
Meinung nach noch dadurch geschmeichelt fühlen, daß Seine indische
Hoheit meiner unbedeutenden Person einen so großen Wert beimißt. Daß
ich ohne mein Zutun das Wohlgefallen des Maharadjah erregt habe,
war mir allerdings schon seit einiger Zeit zum Bewußtsein gekommen.
Nach der ersten Begegnung schon hat er angefangen, mich mit seinen
Aufmerksamkeiten zu belästigen. Ich habe davon keine Notiz genommen und
nicht einen Augenblick an die Möglichkeit gedacht, daß sich seine --
nun, nennen wir es: seine Zuneigung -- bis zu verbrecherischen Wünschen
versteigen könnte. Nach allem, was ich heute erfahren, muß ich es indes
wohl glauben.“

„Aber diese Abscheulichkeit, Mrs. Irwin, war doch für Sie in demselben
Augenblick erledigt, wo Sie das Ansinnen Ihres ehrvergessenen Gatten
zurückwiesen?“

„Zwischen ihm und mir -- ja. Aber ich bin nicht ganz sicher, ob damit
die Wünsche des Maharadjah wirklich schon ganz vergessen sind. Meine
indische Zofe ist von einem ihrer Landsleute aufgefordert worden, mich
vor einer Gefahr zu warnen, die mich bedroht. Der Mann hat ihr nicht
gesagt, worin diese Gefahr besteht; aber ich wüßte nicht, woher sie
kommen sollte, wenn nicht von dem Maharadjah.“

Ungläubig schüttelte Heideck den Kopf.

„Von ihm haben Sie sicherlich nichts zu fürchten. Er weiß sehr wohl,
daß er die ganze britische Macht gegen sich herausfordern würde, wenn
er die Gattin eines englischen Offiziers auch nur mit einem Wort zu
verletzen wagte. Er müßte geradezu wahnwitzig sein, wenn er es darauf
ankommen ließe.“

„Nun, etwas Despotenwahnsinn mag schon noch in ihm stecken. Wir dürfen
doch nicht vergessen, daß die Zeit nicht allzuweit zurückliegt, wo
alle diese Tyrannen unumschränkt über Leben und Tod, über Leib und
Seele ihrer Untertanen geboten. Und wer weiß, was mein Gatte -- -- --
Aber Sie mögen ja recht haben. Es ist vielleicht eine ganz törichte
Vermutung, von der ich mich da beunruhigen lasse. Und eben deshalb
wollte ich auch zu keinem von meines Mannes Kameraden davon sprechen.
Ihnen allein habe ich mich offenbart. Ich weiß, daß Sie ein Ehrenmann
sind und daß niemand aus Ihrem Munde erfahren wird, was in dieser
Stunde zwischen uns gesprochen wurde.“

„Ich danke Ihnen noch einmal für Ihr Vertrauen, Mrs. Irwin, aber ich
möchte so gerne etwas tun, Sie aus Ihrer Unruhe zu befreien. Sie
fürchten sich vor einer unbekannten Gefahr, und Sie sind in dieser
Nacht bei der Abwesenheit Ihres Gatten ohne einen anderen Schutz als
den Ihrer indischen Dienerschaft. Wollen Sie mir gestatten, bis zum
Tagesanbruch in Ihrer Nähe zu bleiben?“

Mit einem Erröten, das sein Herz schneller schlagen machte, schüttelte
Edith Irwin den Kopf.

„Nein -- nein! -- Das ist unmöglich. Und ich glaube ja auch nicht, daß
mir hier im Schutze meines Hauses und inmitten meiner Leute ein Leid
geschehen könnte. Nur für den Fall, daß mir zu einer anderen Zeit und
an einem anderen Orte etwas zustoßen sollte, würde ich Sie bitten, den
Obersten Baird von dem Inhalt unserer heutigen Unterredung in Kenntnis
zu setzen. Man wird den Zusammenhang der Dinge dann vielleicht besser
begreifen.“

Wohl verstand Heideck jetzt, weshalb sie gerade ihn, den Fremden, zu
ihrem Vertrauten gemacht hatte. Und er glaubte auch zu erraten, daß es
viel weniger die Besorgnis vor einem Anschlage des Maharadjah, als vor
einer Schurkerei ihres eigenen Gatten sei, von der die unglückliche
junge Frau geängstigt wurde. Aber sein Zartgefühl hielt ihn ab, mit
dürren Worten auszusprechen, daß er sie begriffen habe. Es war ja auch
genug, wenn sie wußte, daß sie unbedingt auf ihn zählen dürfe. Und
davon mußte sie hinlänglich überzeugt sein, obgleich es nur der Blick
seiner Augen war, der sie dessen versicherte, und der lange, heiße Kuß,
den seine Lippen auf die zum Abschied gereichte eiskalte, kleine Hand
des armen jungen Weibes drückten.

„Sie werden mir erlauben, Ihnen morgen noch einmal meine Aufwartung zu
machen, nicht wahr?“

„Ich werde Ihnen Nachricht geben, wann ich Sie erwarte; ich möchte
nicht, daß Sie meinem Mann begegnen. Vielleicht ahnt er, daß Sie mir
freundlich gesinnt sind. Und das genügt, um ihn mit Mißtrauen und
Abneigung gegen Sie zu erfüllen.“

Sie klatschte in die Hände, und da jetzt die indische Zofe eintrat, um
den Besucher hinaus zu geleiten, mußte Heideck ihre letzte Bemerkung
unbeantwortet lassen. Als er sich auf der Schwelle aber noch einmal zu
einer letzten Verbeugung umwandte, suchten seine Augen die ihrigen,
und wenn auch ihre Lippen stumm blieben, hatten sie einander doch
vielleicht in dieser einzigen Sekunde mehr gesagt, als während ihres
ganzen, langen Beisammenseins.



[Illustration]



VI.


Als Heideck in den Garten hinaustrat, vermochte er sich zunächst kaum
zu orientieren, aber nach einigen Schritten hatten seine Augen sich
hinlänglich an die nächtliche Dunkelheit gewöhnt, und das schwache
Licht der Sterne zeigte ihm den Weg.

Eine undurchdringliche Hecke von Kaktuspflanzen, die indessen niedrig
genug war, um einen hochgewachsenen Mann darüber hinwegsehen zu
lassen, bildete die Umfassung des Gartens. Als er die hölzerne Pforte
hinter sich geschlossen, blieb Heideck jenseits dieser Hecke stehen
und blickte nach den hell erleuchteten Fenstern des Hauses zurück.
Solange er der schönen Frau gegenübergestanden, hatte er sich mannhaft
beherrscht. Kein rasches Wort hatte ihr den Sturm von Gefühlen
verraten, den diese nächtliche Unterredung in seiner Brust entfesselt
hatte. Nicht eine Sekunde lang hatte er vergessen, daß sie das Weib
eines anderen sei und daß er eine Ehrlosigkeit beging, sie zu seinem
Weibe zu begehren, solange sie an diesen anderen gefesselt war. Darüber
aber, daß sein Blut mit ungestümer Leidenschaft nach ihr verlangte,
konnte er sich selbst nicht länger täuschen. Heute zum ersten Male war
ihm mit fast erschreckender Deutlichkeit zum Bewußtsein gekommen, daß
er diese Frau liebte, wie er noch nie ein weibliches Wesen geliebt
hatte. Doch es war für ihn nichts berauschendes oder beglückendes in
dieser Erkenntnis. Viel eher erfüllte sie ihn mit einer Empfindung
der Furcht vor den Wirren und Kämpfen, in die seine Liebe zu dieser
schönen Frau ihn verwickeln konnte. Wäre sie nicht seines Schutzes
bedürftig gewesen und hätte er nicht sein Wort gegeben, zu ihrem
Beistande hier zu bleiben, er würde sich dem schweren Herzenskonflikt
durch eine rasche Flucht entzogen haben. Aber davon konnte unter diesen
Umständen nicht mehr die Rede sein. Er selbst hatte ihr heute ein Recht
gegeben, auf seine Freundschaft zu zählen; und es war ein Gebot der
Ritterlichkeit, ihr Vertrauen auch zu verdienen.

Unfähig, sich von der Stelle loszureißen, wo er das geliebte Weib
wußte, verharrte Heideck wohl schon eine Viertelstunde lang auf seinem
Platze, und als er endlich -- das törichte seines Beginnens erkennend
-- den Entschluß gefaßt hatte, sich zur Heimkehr zu wenden, machte er
eine Wahrnehmung, die befremdlich genug war, um ihn zu längerem Weilen
zu veranlassen.

Er sah, daß die Haustür, die vorhin die indische Zofe hinter ihm
geschlossen hatte, sich öffnete, und bei dem Lichtschein, der aus dem
erhellten Flur in die Dunkelheit hinausfiel, bemerkte er, wie mehrere
in helle Gewänder gekleidete Männer dicht hintereinander die Stufen
hinaufeilten.

Er erinnerte sich an Mrs. Irwins rätselhafte Aeußerungen von
einem Unglück, das ihr möglicherweise bevorstände, und von einer
beängstigenden Ahnung erfaßt, stieß er die Gartenpforte wieder auf und
eilte dem Hause zu.

Noch hatte er es nicht erreicht, als der gellende Hilferuf einer
weiblichen Stimme an sein Ohr schlug. Heideck riß den Revolver, den er
stets bei sich führte, aus der Tasche und sprang mit einigen Sätzen die
Treppe empor. Die Tür des Salons, wo er vorhin noch mit der Gattin des
Kapitäns gesprochen hatte, war weit geöffnet, und von dort her ertönten
die Hilferufe, deren verzweifelter Klang dem Hauptmann die Gewißheit
gab, daß es eine furchtbare Gefahr sein müsse, von der Edith Irwin
bedroht war. Nur wenige Schritte noch, und er sah die junge Engländerin
mit wahrem Todesmut gegen drei weißgekleidete, eingeborene Männer sich
wehren, die offenbar willens waren, sie mit sich fortzuschleppen. Ihr
leichtes Seidenkleid war bei diesem ungleichen Kampfe bereits in Fetzen
gegangen, und so groß war Heidecks Empörung über die ungeheuerliche
Brutalität der Angreifer, daß er keinen Augenblick zögerte, seine Waffe
gegen den baumlangen, wild aussehenden Burschen abzudrücken, dessen
braune Hände eben mit rohem Griff die entblößten Arme der jungen Frau
umklammerten.

Der Schuß krachte, und mit einem kurzen, dumpfen Aufschrei taumelte
der Getroffene zurück. Entsetzt ließen die beiden anderen von ihrem
Opfer ab. Einer von ihnen riß seinen Säbel aus der Scheide und drang
auf den Deutschen ein. Heideck konnte nicht zum zweiten Male schießen,
weil er fürchten mußte, Edith zu treffen. Darum warf er ohne Besinnen
den Revolver zu Boden und packte mit einer Gewandtheit, auf die der
Angreifer nicht vorbereitet war, den schon zum Schlage erhobenen Arm
des Inders. Er war ihm an Körperkraft weit überlegen und hatte ihm mit
einem raschen Griff den Säbel entwunden. Da gab der waffenlos gewordene
den Kampf auf und suchte gleich seinem dritten Gefährten, der bereits
mit lautlosen, katzenartigen Sprüngen entwischt war, sein Heil in der
Flucht.

Heideck verfolgte ihn nicht. Er dachte nur an Edith und daran, daß
ihr von den Banditen vielleicht schon ein Leid geschehen war. Sie war
in demselben Augenblick, da die gewalttätigen Hände der Inder von
ihr abließen, auf den Teppich niedergesunken, und ihr marmorbleiches
Antlitz erschien Heideck wie das einer Toten.

Während seltsamerweise weder Ediths gellende Hilferufe, noch der
Knall des Schusses einen von den Dienstboten herbeizurufen vermocht
hatten, tauchten jetzt, da die Gefahr vorüber war, plötzlich ein paar
verstörte braune Gesichter in der Türöffnung auf. Und die energische
Aufforderung, die Heideck in englischer Sprache an die noch ängstlich
zaudernde Zofe richtete, brachte sie zum Bewußtsein ihrer Pflicht
zurück.

Mit ihrer Hilfe trug Heideck die Ohnmächtige zu einer Chaiselongue, und
da er auf dem Tischchen eines der grünen Fläschchen mit Lavendelwasser
liegen sah, die in keinem englischen Hause fehlen, bediente er sich des
starkduftenden Reizmittels, so gut er es verstand, während die Inderin
die Fußsohlen ihrer jungen Herrin rieb und allerlei andere, unter den
Eingeborenen gebräuchliche Handgriffe anwendete, um die Bewußtlose ins
Leben zurückzurufen.

Nach kurzer Zeit schon schlug Edith unter diesen vereinten Bemühungen
die Augen auf, und nachdem sie mit wirrem, verständnislosen Blick
umhergesehen, kehrte ihr in dem Augenblick, wo sie den auf dem Boden
ausgestreckten Körper des von Heideck erschossenen Inders erblickte,
mit voller Klarheit die Erinnerung an das Geschehene zurück.

Den letzten Rest der lähmenden Schwäche mit der Energie eines festen
Willens abschüttelnd, sprang sie auf.

„Sie waren es, der mich gerettet hat, Mr. Heideck -- Sie haben Ihr
Leben für mich eingesetzt -- wie soll ich Ihnen danken!“

„Allein damit, gnädige Frau, daß Sie mir erlauben, Sie unverzüglich
in das Haus des Obersten zu geleiten, unter dessen Schutz Sie sich
notwendig bis zur Rückkehr Ihres Gatten stellen müssen. Von wem auch
immer dieser verbrecherische Anschlag ausgegangen sein mag, -- ob diese
Halunken gemeine Diebe waren oder ob sie in irgend jemandes Auftrage
gehandelt, jedenfalls fühle ich mich als einzelner Mann nicht stark
genug, die Verantwortung für Ihre Sicherheit zu übernehmen.“

„Sie haben recht,“ erwiderte Edith fügsam. „Ich werde mich sogleich
bereit machen, mit Ihnen zu gehen. -- Aber dieser Mann da --“ fügte sie
erschauernd hinzu, -- „ist er tot? Oder kann man noch etwas für ihn
tun?“

Heideck neigte sich über den Regungslosen herab, und ein einziger Blick
in das fahlbraune, verzerrte Antlitz mit den weitoffenen, stieren,
verglasten Augen ersparte ihm jede weitere Untersuchung.

„Er hat empfangen, was ihm gebührte,“ sagte er, „und für Ihr
hochherziges Mitleid gibt es hier nichts mehr zu tun. Ist denn aber gar
kein männliches Wesen hier im Hause, das mir behilflich sein könnte,
den Mann beiseite zu schaffen?“

„Alle sind fort,“ sagte die Zofe. „Der Haushofmeister hat sie
aufgefordert, sich mit ihm in der Stadt einen vergnügten Abend zu
machen.“

Heideck und Edith wechselten einen bedeutsamen Blick. Keines von ihnen
hegte jetzt auch nur noch den geringsten Zweifel, daß es sich bei dem
tollkühnen Ueberfall um ein Komplott gehandelt hatte, an welchem auch
die indische Dienerschaft beteiligt war. Und deutlich genug erriet
jedes von ihnen die Vermutungen des anderen hinsichtlich der Urheber
des schändlichen Anschlags.

Aber sie sprachen sich nicht darüber aus. Gerade weil sie sich durch
die Erlebnisse dieser Nacht so nahe gekommen waren, wie das Schicksal
zwei junge Menschenkinder verschiedenen Geschlechts nur immer
zueinander führen kann, hegten sie beide dieselbe, fast instinktive
Scheu vor dem ersten Wort, das vielleicht auch die letzte trennende
Schranke zwischen ihnen niedergerissen hätte. Und Kapitän Irwins Name
wurde nicht zwischen ihnen genannt.



[Illustration]



VII.


Es war um die Mittagszeit, als Kapitän Irwin aus dem Bungalo des
Obersten trat und sich seinem Hause zuwandte. Die Unterhaltung mit
seinem Vorgesetzten mußte für ihn sehr bedeutungsvoll und wenig
erfreulich gewesen sein. Denn er war sehr bleich. Auf seinen Wangen
brannten rote Flecken und seine tiefliegenden Augen blickten finster,
wie in mühsam beherrschtem Zorn.

Kurze Zeit darauf wurde das Pferd des Obersten vorgeführt und
gleichzeitig ritt ein Zug Lancers unter dem Kommando eines
Wachtmeisters in den Hof ein. Der Kommandierende erschien in großer
Uniform und setzte sich an die Spitze des Zuges, der im Galopp dem
Schlosse des Maharadjah zusprengte.

Unmittelbar vor dem Palast machten die Reiter Halt, und in befehlendem
Ton rief Oberst Baird den am Eingangstor lungernden Dienern zu, daß er
den Maharadjah zu sprechen wünsche.

Ein paar Minuten vergingen, ehe ein prächtig gekleideter Palastbeamter
mit der Meldung zurückkam, daß Seine Hoheit augenblicklich niemanden
empfangen könne. Der Herr Oberst würde Nachricht erhalten, sobald die
erbetene Audienz bewilligt werden würde.

Jetzt schwang sich der Befehlshaber aus dem Sattel und ging festen,
sporenklirrenden Schrittes in das Schloß, seinen Säbel mit lautem
Gerassel hinter sich her über die Marmorfliesen schleifend.

„Melden Sie dem Fürsten, daß ich auf der Stelle mit ihm zu reden habe!“
rief er mit drohender Stimme den Palastbeamten und Dienern zu, die ihm
in sichtlicher Bestürzung folgten.

Einer so kategorischen Erklärung wagte man offenbar keinen Widerstand
mehr entgegenzusetzen. Alle Tore öffneten sich vor dem Engländer, und
auch im Vorzimmer brauchte er kaum eine Minute lang zu warten, ehe sich
der Fürst bereitfinden ließ, ihn zu empfangen.

Auf einer kleinen, hochgelegenen Terrasse des Erdgeschosses saß der
Maharadjah beim Luncheon. Er veränderte seine absichtlich lässige
Haltung nicht, als der englische Resident auf ihn zutrat. Und der
sprühende Blick, mit dem seine dunklen Augen sich auf den Eindringling
richteten, sollte den Fremden offenbar einschüchtern.

Den Helm auf dem Kopf, die Faust auf den Säbel gestützt blieb der
Oberst hart vor dem Fürsten stehen.

„Ich habe mit Ihnen zu sprechen, Maharadjah!“

„Und ich habe Ihnen durch meine Diener sagen lassen, daß ich jetzt
nicht zu sprechen bin. Sie sehen, ich bin bei der Mahlzeit!“

„Das darf für Sie kein Hindernis sein, den Vertreter Seiner britischen
Majestät zu empfangen. Der Bescheid, den Sie mir erteilen ließen, war
eine Beleidigung, die bei einer Wiederholung nicht ungesühnt bleiben
würde.“

In aufloderndem Zorn fuhr der Fürst von seinem Sessel empor. Er
schleuderte dem Obersten ein Schmähwort ins Gesicht, und seine Rechte
fuhr gleichzeitig nach dem Dolche in seinem Leibgurt. Erschrocken
prallte der Diener zurück, der eben im Begriff gewesen war, ihm auf
silberner Schale eine rotschimmernde Languste zu präsentieren. Der
Oberst aber setzte, ohne sich auch nur um Haaresbreite von seinem
Platze zu rühren, das silberne Jagdpfeifchen an den Mund, das an
seiner Schulter hing. Zwei gellende Pfiffe ertönten, und unmittelbar
darauf wurde das Trappeln von Pferdehufen und das Klirren von Waffen
vernehmlich. Die hohen, blaugestreiften Turbane der Reiter und die
Fähnchen ihrer Lanzen tauchten neben der Terrasse auf.

„Man rufe meine Leibgarde!“ schrie der Fürst mit vor Wut heiserer
Stimme.

Aber mit eisiger Ruhe klang es von den Lippen des Obersten:

„Wenn Sie Ihre Leibgarde kommen lassen, Maharadjah, sind Sie ein toter
Mann. Das wäre Rebellion. Und mit Rebellen pflegen wir keine Umstände
zu machen.“

Der Fürst preßte die Lippen zusammen. Die mit ungeheurer Anstrengung
beherrschte Wut ließ seinen Körper wie im Fieber erzittern. Aber er
mußte einsehen, daß er hier der schwächere sei, denn ohne ein weiteres
Wort ließ er sich wieder in seinen Sessel fallen.

Der Oberst trat an die Brüstung der Terrasse.

„Wachtmeister Thomson!“ rief er in den Park hinaus.

Auf den Marmorstufen erklangen schwere Schritte, und der Gerufene, dem
zwei Soldaten folgten, trat in dienstlicher Haltung seinem Vorgesetzten
gegenüber.

„Wissen Sie, Wachtmeister, wer der Herr dort am Tische ist?“

„Zu Befehl, Herr Oberst! Das ist Seine Hoheit der Maharadjah.“

„Wenn ich Ihnen Befehl erteilte, den Herrn zu verhaften und zum Camp zu
führen, -- würden Sie Bedenken tragen, zu gehorchen?“

Der Wachtmeister sah den Fragenden an, als ob der Zweifel an seinem
bedingungslosen, militärischen Gehorsam ihn in Erstaunen setzte. Dann
machte er eine Kopfbewegung gegen die beiden Soldaten hin und trat, als
wollte er den Auftrag sofort zur Ausführung bringen, um einen weiteren
Schritt auf den Fürsten zu.

„Halt, Wachtmeister!“ rief der Oberst. „Ich hoffe, Seine Hoheit wird es
nicht zum äußersten kommen lassen. Sie sind doch bereit, Maharadjah,
mir jetzt Rede zu stehen?“

Schweigend deutete der Inder auf den vergoldeten Sessel an der anderen
Seite des Tisches. Auf einen Wink des Obersten traten der Wachtmeister
und die beiden Soldaten wieder ab.

„Ich habe eine sehr ernste Frage an Sie zu richten, Maharadjah!“

„Sprechen Sie!“

„In der letzten Nacht, während der Kapitän Irwin abwesend war, sind
einige verbrecherische Leute in sein Haus eingedrungen in der Absicht,
sich tätlich an der Gemahlin des Kapitäns zu vergreifen. Was wissen Sie
von dieser Sache, Maharadjah?“

„Ich verstehe Sie nicht, Oberst! Was sollte ich davon wissen?“

„Vielleicht täten Sie doch gut, sich zu besinnen. Sie hören von dieser
Affäre zum ersten Mal?“

„Gewiß. Ich habe bisher nicht das geringste davon gewußt.“

„Auch das hat man Ihnen also nicht gemeldet, daß derjenige von den
Einbrechern, der tot auf dem Platze geblieben ist, einer Ihrer Diener
war?“

„Nein. Ich habe sehr viele Diener, und ich bin nicht verantwortlich für
das, was sie tun, wenn es nicht in meinem Auftrage geschah.“

„Gerade das aber ist es, was ich vermute. Sie werden mir schwerlich
zumuten zu glauben, daß einer Ihrer Diener einen derartigen Ueberfall
auf eigene Hand gewagt haben sollte. Die anderen Schurken sind zwar
entkommen, aber einer von ihnen hat einen Säbel zurücklassen müssen,
der einem Manne Ihrer Leibgarde angehörte.“

Der Maharadjah kämpfte augenscheinlich einen schweren Kampf, seine
Fassung zu bewahren. Indem er seine Wut hinter einem verächtlichen
Lächeln zu verbergen suchte, sagte er:

„Es ist unter meiner Würde, Oberst, Ihnen darauf zu antworten.“

„Von irgend einer Würde, die Sie berechtigte, eine von dem britischen
Residenten verlangte Auskunft zu verweigern, kann nicht die Rede sein.
Sie haben es nicht mit einem einfachen englischen Offizier, sondern mit
dem Vertreter Seiner Majestät des indischen Kaisers zu tun. Wie es
meine Pflicht ist, Sie zu fragen, so ist es die Ihre, mir zu antworten.
Eine Weigerung könnte leicht die schwersten Folgen für Eure Hoheit
haben. Denn die Regierungskommissare, die man auf meinen Bericht hin
von Kalkutta nach Chanidigot entsenden würde, dürften sich von Ihrer
Würde sehr wenig imponieren lassen.“

Wieder biß der Inder die Zähne zusammen, und ein wilder,
leidenschaftlicher Haß glänzte in seinen Augen. Aber er mochte zu
gleicher Zeit daran denken, daß er nicht der erste unter den indischen
Fürsten gewesen wäre, den man wegen eines geringfügigen Uebergriffes
auch um den letzten Rest seiner Scheinherrschaft gebracht hätte. Darum
zwang er sich zu einer äußerlich ruhigen Entgegnung.

„Wenn Sie es für nötig halten, nach Kalkutta zu berichten, so kann
ich Sie daran nicht hindern. Aber ich denke, der Vizekönig wird sich
besinnen, einen treuen Alliierten Englands gerade in dem Augenblick zu
beleidigen, wo er ihn um die Entsendung einer Hilfstruppe angeht.“

„Da Sie dieses Umstandes einmal erwähnen -- wer ist zum Kommandeur der
Truppe bestimmt?“

„Mein Vetter Tasatat Radjah.“

„Und wann wird er marschieren?“

„In etwa vier Wochen, wie ich hoffe.“

Der Offizier schüttelte den Kopf.

„Das wäre viel mehr Zeit, als wir Ihnen geben können. Ihre Truppe
soll sich meinem Detachement anschließen, und ich werde spätestens in
vierzehn Tagen ausrücken.“

„Sie verlangen Unmögliches. Es fehlt vorläufig noch an Pferden,
und ich weiß nicht, woher ich in so kurzer Zeit zweitausend Kamele
nehmen sollte. Auch habe ich bei weitem nicht genug Munition für die
Infanterie.“

„Die fehlende Munition kann für Rechnung Eurer Hoheit aus dem Arsenal
zu Mooltan geliefert werden. Was aber die Pferde und Kamele betrifft,
so werden Sie bei einiger Anstrengung die nötige Anzahl ohne Zweifel
zu rechter Zeit stellen können. Ich wiederhole, daß in vierzehn
Tagen alles bereit sein muß. Vergessen Sie nicht, daß die pünktliche
Ausführung des Ihnen erteilten Befehls gewissermaßen eine Probe auf
Ihre Treue und Ihren Eifer darstellt. Jedes unnötige Zaudern und jede
Zweideutigkeit in Ihrer Haltung müßten Ihnen verhängnisvoll werden.“

Der Nachdruck, mit dem diese Worte gesprochen waren, verriet
hinlänglich, wie ernst sie gemeint seien. Und der Maharadjah, dessen
gelbliche Haut sich für einen Moment dunkler gefärbt hatte, neigte
schweigend den Kopf.

Oberst Baird erhob sich von seinem Sitz.

„Was die Angelegenheit der Mrs. Irwin betrifft, so erwarte ich
die sofortige Einleitung einer gründlichen Untersuchung. Und ich
verlange, daß sie mit schonungsloser Strenge, ohne alle Winkelzüge
und Heimlichkeiten geführt werde. Die Beleidigung, die von einigen
Ihrer Untertanen einem Offizier Seiner Majestät und einer britischen
Dame zugefügt wurde, ist eine so ungeheuerliche, daß nicht nur die
Verbrecher selbst, sondern auch der Anstifter dieser Tat der verdienten
Strafe überliefert werden müssen. Ich gebe Ihnen vierundzwanzig Stunden
Zeit. Wenn ich nicht vor Ablauf dieser Frist einen befriedigenden
Bericht von Ihnen erhalten habe, so werde ich selbst die Untersuchung
führen. Und Sie dürfen gewiß sein, daß die gewünschte Aufklärung dann
binnen kürzester Frist erfolgt sein wird.“

Er legte militärisch grüßend die Hand an den Helm und schritt, diesmal
den kürzesten Weg wählend, die Stufen der Terrasse hinab. Klirrend und
rasselnd sprengte der Reiterzug davon.

Mit düster funkelnden Augen blickte ihm der Maharadjah nach. Dann
befahl er dem Diener, Mohammed Bhawon, seinen Leibarzt, zu rufen.
Und als wenige Minuten später das ganz in weißen Musselin gekleidete
magere, verhutzelte Männchen mit dem faltigen braunen Gesicht und den
stechenden schwarzen Augen zu ihm trat, winkte er ihm gnädig zu, sich
auf dem goldgestickten Polster an seiner Seite niederzulassen.

Eine zweite gebieterische Handbewegung wies den Diener hinaus. Und
indem er seinen Arm vertraulich um den Nacken des Arztes legte, sprach
der Maharadjah lange und angelegentlich mit behutsam gedämpfter Stimme
auf ihn ein -- freundlich und schmeichelnd, wie man zu jemandem redet,
von dem man außerordentliches verlangt -- aber noch immer mit dem
Glitzern einer leidenschaftlichen Wut und eines tödlichen Hasses in den
Augen.



[Illustration]



VIII.


Vergebens wartete Heideck am Tage nach dem nächtlichen Ueberfall auf
eine Botschaft von Edith, die ihm die Möglichkeit gewährt hätte, sie
wiederzusehen. Er war darauf gefaßt, von Irwin wegen seines abendlichen
Besuchs in der Villa zur Rede gestellt zu werden. Aber der Kapitän ließ
sich nicht bei ihm blicken.

Am frühen Morgen schon war Heideck zu dem Obersten beschieden worden,
um über den Hergang des nächtlichen Ereignisses Bericht zu erstatten.
Die Vernehmung war sehr kurz gewesen, und Heideck hatte den Eindruck,
daß der Oberst in seinen Fragen eine eigentümliche Zurückhaltung
beobachtete. Offenbar wünschte er in dem Deutschen die Vorstellung
zu erwecken, daß er selbst fest überzeugt sei, man habe es nur mit
verwegenen Einbrechern zu tun, die auf ihre eigene Faust gehandelt
hätten. Ganz beiläufig nur erwähnte er, daß der Tote als ein Mann von
der Leibwache des Maharadjah rekognosziert worden sei. Als Heideck
fragte, ob ihm aus der Tötung des Mannes von seiten der Zivilbehörden
noch Weiterungen erwachsen könnten, beruhigte ihn der Oberst durch ein
entschiedenes Nein.

„Sie haben in berechtigter Abwehr gehandelt, als Sie den Burschen
niederschossen, und ich verbürge mich dafür, daß Sie weder von den
englischen Behörden noch von dem Maharadjah deshalb behelligt werden
sollen.“

Auf seine Erkundigung nach Mrs. Irwins Befinden wurde ihm ebenfalls
eine beruhigende Antwort gegeben.

„Die Dame erfreut sich glücklicherweise des besten Wohlseins,“
sagte der Oberst. „Sie ist eben eine Frau von bewundernswürdiger
Seelenstärke.“

Auch bis zum nächsten Morgen hatte Kapitän Irwin noch nichts von sich
hören lassen. Heideck und Fürst Tschadschawadse saßen in ihrem Bungalo
beim Frühstück und plauderten über die wichtigen Nachrichten, welche
die eben eingetroffenen Zeitungen gebracht hatten.

Die ‚India Times‘ schrieb, daß Rußland durch seinen Einmarsch in
Afghanistan die Londoner Verträge verletzt habe und daß England
dadurch ebenfalls berechtigt und genötigt würde, eine Armee
nach Afghanistan zu senden. Es sei zu hoffen, daß friedliche
Verhandlungen den drohenden Konflikt lösen würden. Wenn aber die
russische Armee nicht nach Turkestan zurückkehre, würde England sich
ebenfalls zu energischen Maßregeln veranlaßt sehen. Eine englische
Truppenmacht würde Afghanistan besetzen und den Emir zwingen, seinen
Bündnisverpflichtungen gegen die indische Regierung nachzukommen. Auf
alle Fälle würde eine starke Flotte in den Häfen von Plymouth und
Portsmouth ausgerüstet, um im gegebenen Moment in die Ostsee zu gehen.

„Bezeichnender als das,“ sagte Heideck, „ist die Tatsache, daß die
zweieinhalbprozentigen Konsols an der Londoner Börse gestern einen Kurs
von neunzig notierten, während sie vor acht Tagen auf sechsundneunzig
standen. Die Engländer scheuen sich, offen auszusprechen, daß der Krieg
tatsächlich begonnen hat.“

„Ein Krieg ohne Kriegserklärung,“ stimmte der Fürst zu. „Jedenfalls
müssen wir uns beeilen, über die Grenze zu kommen. Ich möchte nicht
gern den Augenblick versäumen, wo man in Afghanistan losschlägt.“

„Das kann ich Ihnen nachfühlen. Aber es dürfte alsdann in der Tat keine
Zeit zu verlieren sein.“

„Wenn Sie damit einverstanden sind, reisen wir noch heute ab. Dann
sind wir um Mitternacht in Mooltan und morgen Mittag in Attock.
Morgen Abend können wir in Peschawar eintreffen. Dort lassen wir uns
die Erlaubnisscheine zum Ueberschreiten des Kaiberpasses geben. Je
früher wir durch den Paß kommen, desto besser, denn später dürfte es
Schwierigkeiten haben, die Erlaubnis zu erlangen.“

„Sie führen doch nichts Verdächtiges bei sich -- Karten, Zeichnungen
oder dergleichen?“

Der Russe schüttelte lächelnd den Kopf, „Nichts als Murrays Handbuch,
den unentbehrlichen Begleiter jedes Reisenden. Ich würde mich wohl
hüten, etwas anderes mitzunehmen. Für Sie liegt die Sache ja weniger
ängstlich.“

„Weshalb für mich?“

„Weil Sie ein Deutscher sind. Mit Deutschland ist man nicht im Kriege.
Ich aber würde sofort in Gefahr sein, für einen Spion gehalten zu
werden.“

„Uebrigens glaube ich, daß wir beide nichts zu fürchten hätten, selbst
wenn man uns als Offiziere erkennen würde. Es dürften in diesem
Augenblick mindestens ebensoviele englische Offiziere auf russischem
Gebiet als russische hier in Indien sein.“

„Solange der Krieg noch nicht erklärt ist, pflegt man mit den
Offizieren fremder Mächte allerdings höflich zu verfahren. Aber unter
den obwaltenden Umständen möchte ich es doch nicht gern darauf ankommen
lassen. Die Möglichkeit, standrechtlich erschossen zu werden, läge
nicht allzu fern. Besser schon, ich suche die Maske eines harmlosen
Kaufmanns festzuhalten und beeile mich, aus dem Machtbereich unserer
Gegner zu kommen. Was ich an Aufzeichnungen, Karten und Festungsplänen
in meinem Gedächtnis bewahre, könnte man ja glücklicherweise selbst mit
Röntgenstrahlen nicht entdecken. Aber Sie haben sich noch gar nicht
geäußert, Herr Kamerad -- sind Sie bereit, mich heute zu begleiten?“

„Ich bitte Sie, nicht auf mich zu rechnen. Ich möchte vorläufig noch
bleiben.“

Und da er das Erstaunen des Russen bemerkte, fuhr er fort:

„Sie sagten selbst, daß ich mich als Deutscher in einer weniger
gefährlichen Lage befinde. Selbst wenn man mich als Offizier erkennt,
kann man mir kaum ernstliche Unannehmlichkeiten bereiten. Am wenigsten
hier, wo nichts auszuspionieren wäre.“

Daß es lediglich der Gedanke an Mrs. Irwin war, der die plötzliche
Aenderung seiner Entschlüsse herbeigeführt hatte, verriet er nicht.
Und der Russe zerbrach sich über seine Beweggründe allem Anschein nach
nicht weiter den Kopf.

„Wissen Sie, was mir in diesem Augenblick allein Sorge macht?“ fragte
er. „Ich fürchte, daß Deutschland die gute Gelegenheit benutzen könnte,
uns in den Rücken zu fallen. Ihr Volk liebt uns nicht, darüber wollen
wir uns nicht täuschen. Es gab ja eine Zeit, wo das Deutschtum bei uns
eine entscheidende Rolle spielte. Aber seit den Tagen Alexanders III.
ist das anders geworden. Auch wir können nicht so leicht vergessen, daß
Ihr großer Bismarck uns auf dem Berliner Kongreß um den Preis unseres
Sieges über die Türken gebracht hat.“

„Verzeihen Sie, mein Fürst, wenn ich Ihnen da widerspreche. Die Schuld
lag einzig bei Ihrem Kanzler Gortschakow, der seinen Vorteil nicht zu
verfolgen verstand. Die Engländer haben das benutzt. Bismarck selbst
würde ohne Zweifel jeder russischen Forderung zugestimmt haben. Im
übrigen kann ich Ihnen versichern, daß von einer nationalen Feindschaft
gegen Rußland bei uns, namentlich in den gebildeten Kreisen, nicht die
Rede ist.“

„Es mag ja sein, aber in Rußland wird diese Abneigung jedenfalls
als ein Faktor betrachtet, mit dem man in kritischen Augenblicken
rechnen müsse. Der Vertrag mit Frankreich würde sonst wahrscheinlich
niemals zu stande gekommen sein. Und ich könnte Ihrer Nation gewisse
Feindseligkeiten gegen uns nicht im mindesten verübeln. Wir besitzen
nun einmal verschiedene Landesgebiete, die geographisch viel
natürlicher zu Deutschland gehören würden. Wenn Ihr Vaterland von
seinem Ueberfluß an Menschen acht Millionen Bauern in Polen ansiedeln
könnte, wäre ihm in mancher Hinsicht geholfen. Stände ich an der
Spitze Ihrer Regierung, so würde ich mich zunächst mit Oesterreichs
Zustimmung des russischen Polen bemächtigen, dann aber Oesterreich
zerschlagen, Böhmen, Mähren, Kärnthen, Steiermark, Tirol als deutsches
Land annektieren und die österreichische Dynastie auf Transleithanien
beschränken.“

Heideck konnte nicht umhin, zu lächeln.

„Das sind kühne Phantasien, Fürst! Und Sie dürfen versichert sein, daß
bei uns niemand im Ernst an solche Pläne denkt.“

„Seltsam genug, wenn es so wäre. Denn mich dünkt, es müßte Ihnen als
das Natürlichste erscheinen. Was bedeutet denn euer deutsches Reich,
wenn euch gerade die deutschesten Länder fehlen? Sollte euch nicht die
Bevölkerung der deutschen Provinzen Oesterreichs näher stehen als die
des nordöstlichen Preußen? Aber es ist ja möglich, daß man bei euch zu
gewissenhaft und zu vertragstreu ist, um eine so großzügige Politik zu
treiben.“

Heideck lenkte das Gespräch nicht ohne Absicht wieder auf das
ursprüngliche Thema zurück.

„Welche Route gedenken Sie zu nehmen? Haben Sie sich bestimmt für
Peschawar entschieden oder ziehen Sie auch Quetta in Betracht?“

„Darüber bin ich mit mir noch nicht ganz im Reinen. Jedenfalls möchte
ich denjenigen Weg wählen, auf dem ich am schnellsten zu unserer Armee
gelange.“

„Dann würde ich Ihnen die Route über Quetta vorschlagen. Denn es ist
wohl das wahrscheinlichste, daß die russische Hauptarmee sich nach
Süden wendet. Herat dürfte ihr nächster Angriffspunkt sein. Dorthin
führen die besten Straßen, von Norden und Nordwesten her. Es ist der
Kreuzungspunkt der Karawanenwege aus Indien, Persien und Turkestan.
In Herat kann eine große Armee konzentriert werden, weil es inmitten
fruchtbaren Landes liegt. Wenn Ihre Vorhut da festen Fuß faßt, lassen
sich mit der transkaspischen Bahn in verhältnismäßig kurzer Zeit
sechzigtausend Mann dorthin schaffen. Rücken die Engländer bis Kandahar
vor, so wird dort der Zusammenstoß erfolgen. Aber die russische Armee
wird so überlegen sein, daß der Gegner schwerlich den Marsch auf
Kandahar wagen wird. Durch die afghanischen Truppen verstärkt, kann
General Iwanow mit hunderttausend Mann ungehindert bis zum Bolanpaß
kommen.“

„Wenn ihm das gelänge,“ meinte der Fürst, „so stände ihm der Weg in
das Tal des Indus offen. Denn gegen eine solche Streitmacht vermöchte
England den Paß nicht zu halten.“

„Ist der Bolanpaß wirklich so schwer zu passieren, wie man sagt?“
fragte Heideck.

„Der Paß ist etwa fünfzig Werst lang. Im Jahre 1839 ging das
bengalische Korps der Indusarmee durch den Paß zum Angriff auf das
afghanische Heer und brachte vierundzwanzigpfündige Haubitzen, sowie
achtzehnpfündige Kanonen ohne Schwierigkeiten hindurch.“

„Wenn ich mich recht besinne, kamen sie ohne nennenswerten Kampf bis
nach Kandahar und besetzten ganz Afghanistan. Aber der endliche Ausgang
war doch eine fürchterliche Niederlage. Von ihren fünfzehntausend Mann
sind nur viertausendfünfhundert in eiliger Flucht durch den Kaiberpaß
nach Indien zurückgekehrt.“

Fürst Tschadschawadse lachte spöttisch auf.

„Fünfzehntausend? Ja, wenn man den englischen Quellen Glauben schenken
wollte! Aber ich kann Ihnen nach besseren Informationen versichern, daß
die Engländer im Jahre 1839 mit nicht weniger als einundzwanzigtausend
Soldaten nebst einem Train von siebzigtausend Mann und sechzigtausend
Kamelen gegen Afghanistan ausgezogen sind. Sie marschierten durch
den Bolanpaß, nahmen Kandahar und Gasna, rückten in Kabul ein und
setzten Schah Tschudscha auf den Thron. Eine entscheidende Niederlage
erlitten sie eigentlich nicht, aber ein allgemeiner Aufstand der
Afghanen vertrieb sie aus ihrer Position und rieb ihren Truppenbestand
vollständig auf.“

„Ich bewundere Ihr Gedächtnis, mein Fürst!“

„O, das alles müssen wir auf Generalstabsschule am Schnürchen haben,
wenn wir nicht jämmerlich durchs Examen rasseln wollen. Im November
1878, als wir den Krieg gegen die Türken mit allen Mitteln zu Ende
führen mußten und deshalb in Zentralasien ziemlich schwach waren, sind
die Engländer abermals in Afghanistan eingerückt. Sie gedachten, sich
unsere Verlegenheit zu nutze zu machen und das Land ganz unter ihre
Herrschaft zu bringen. In drei Kolonnen gingen sie durch den Bolanpaß,
das Kuramtal und den Kaiberpaß. Aber auch diesmal konnten sie sich
nicht behaupten und mußten unter großen Verlusten den Rückzug antreten.
Wer nicht die eingeborene Bevölkerung für sich hat, wird in Afghanistan
niemals festen Fuß fassen. Und die Sympathieen der Afghanen sind auf
unserer Seite. Wir verstehen es, mit diesen Leuten umzugehen; die
Engländer dagegen gelten ihnen für unreine Ungläubige.“

„Glauben Sie, daß Rußland es jetzt nur auf den Besitz des Pufferstaates
Afghanistan abgesehen hat? Oder sollten seine Absichten noch weiter
gehen?“

„O, mein bester Kamerad, jetzt geht es um Indien. Seit mehr als hundert
Jahren schon haben wir unsere Blicke auf dieses reiche Land gerichtet.
Alle unsere Eroberungen in Zentralasien haben Indien zum letzten Ziel.
Schon Kaiser Paul befahl 1801 dem Ataman des donischen Heeres, Orlow,
mit 22000 Kosaken bis zum Ganges vorzudringen. Man stellte sich damals
den Feldzug allerdings viel zu leicht vor. Der Kaiser starb, und sein
tollkühner Plan kam nicht zur Ausführung. Während des Krimkrieges erbot
sich General Kauffmann, mit 25000 Mann Indien zu erobern. Es kam nicht
dazu. Seitdem haben sich die Ansichten geändert. Wir haben eingesehen,
daß nur ein schrittweises Vorgehen zum Ziele führen kann. Und wir haben
unsere Zeit nicht verloren. Im Westen sind wir bis auf 100 Kilometer an
Herat herangerückt, und im Osten, im Pamirgebiet, sind wir Indien noch
viel näher gekommen.“

„Es ist mir interessant, das zu hören. Ich selbst habe mir bisher
trotz alles Bemühens keine recht klare Vorstellung von der Grenze am
Pamirgebiet machen können.“

„Und Sie sind wahrhaftig nicht der Einzige, dem es so ergeht.
Niemand, der nicht an Ort und Stelle war, kann die dortige Lage
verstehen. Und wer dagewesen ist, kennt die Grenze auch nicht, weil
es gar keine bestimmte Grenze gibt. Das Pamirplateau liegt nördlich
von Peschawar und wird im Süden vom Hindukuschgebirge begrenzt. Die
Besitzverhältnisse aber sind außerordentlich verwickelt. Der Emir des
benachbarten Afghanistan beansprucht die Herrschaft über die Chanate
Schugnan und Roschan, die den Hauptteil des Pamirgebietes ausmachen.
Weiter erhebt er ja auch Anspruch auf die Provinz Seistan, die außerdem
noch von Persien reklamiert wird. Gerade diese Provinz ist von
besonderer Wichtigkeit, denn die Engländer würden, wenn sie sich ihrer
bemächtigten, was von Beludschistan aus ohne große Schwierigkeiten
geschehen könnte, eine starke Flankenstellung im Süden unserer
Marschlinie Merw-Herat durch Kandahar-Quetta gewinnen.“

„Das sind allerdings recht unklare Verhältnisse.“

„So unklar, daß wir mit den Engländern seit langen Jahren über die
Grenzfrage streiten. Unsere britischen Freunde haben den Emir von
Afghanistan schon wiederholt veranlaßt, Truppen dorthin zu senden. Und
englische Expeditionen zum Zwecke der Grenzfeststellung sind oft genug
in den Bergen von Pamir herumgeklettert. Natürlich stehen wir in dieser
Hinsicht nicht hinter ihnen zurück. Ich selbst habe seinerzeit an einer
solchen wissenschaftlichen Expedition teilgenommen.“

„Und es handelte sich wirklich um ein wissenschaftliches Unternehmen?“

„Sagen wir: um ein kriegswissenschaftliches!“ erwiderte der Fürst
lächelnd. „Wir hatten zweitausend Kosaken bei uns und kamen bis auf den
Hindukusch, zum Baragilpaß und einem andern, der keinen Namen hatte,
und den wir unserem Obersten zu Ehren Jonowpaß nannten. Da stießen wir
auf afghanische Truppen und schlugen sie bei Somatsch. Der Emir Abdur
Rahman mußte das auf Geheiß der Engländer, die ihm Subsidien zahlten,
übelnehmen und sie um Beistand bitten. Ein englischer Gesandter
erschien in Kabul, und es kam zu Verhandlungen, die wir recht geschickt
in die Länge zogen, um Zeit für die Erbauung kleiner Forts auf dem
Pamirgebiet zu gewinnen. In London wurde schließlich vereinbart, daß
der Pentsch die Grenze zwischen Rußland und Afghanistan im Pamirgebiet
sein solle. Und ein paar Monate später trafen wir am Ssary-Kul mit
einer englischen Expedition zusammen, die im Verein mit uns die genaue
Grenzlinie feststellen sollte. Es gab eine höchst ergötzliche Komödie;
denn die englischen Kameraden wollten uns durchaus nicht merken lassen,
daß sie Befehl hatten, nachgiebig zu sein. Wir aber waren sehr rasch
dahintergekommen und zogen die Grenze, wie es uns gefiel. Das Ende
war, daß nur noch ein ganz schmaler Streifen zwischen Buchara und der
indischen Grenze dem Emir verblieb, der sich außerdem verpflichten
mußte, dort weder Truppen zu halten, noch Befestigungen anzulegen. Also
unser Gebiet war auf 20 Kilometer an das englische herangerückt. Dort
sind wir Indien am nächsten, und wenn wir wollen, können wir jederzeit
von den Pässen des Hindukusch nach dem unter englischem Einfluß
stehenden Tschitratal hinabsteigen.“

Die Unterhaltung wurde durch das Erscheinen eines Dieners unterbrochen,
der Heideck eine Einladung von Mrs. Baird zum Diner am Abend dieses
Tages brachte. Der Hauptmann vermochte seine Freude kaum zu verbergen;
denn er zweifelte nicht, daß es Edith war, der er diese Einladung
verdankte, und er war glücklich in der Hoffnung, sie endlich
wiederzusehen.

„Sie stehen sich gut mit dem Obersten,“ sagte der Fürst, als der Diener
mit Heidecks zusagendem Bescheide gegangen war. „Das kann Ihnen unter
den gegenwärtigen Verhältnissen von großem Vorteil sein. Lassen Sie
sich doch einen Passierschein ausstellen und reisen Sie mit mir!“

„Es tut mir leid, mein Fürst! Ich würde gewiß sehr gern in so
angenehmer Gesellschaft reisen, aber meine Geschäfte halten mich
einstweilen noch hier zurück.“

„Nun -- wie Sie wollen, -- ich darf Ihnen nicht weiter zureden. Aber
ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß wir einander nochmals begegnen
werden, und es ist überflüssig, zu versichern, daß Sie in jeder Lage
auf mich zählen dürfen.“



[Illustration]



IX.


Der deutsche Kaiser weilte, wie alljährlich, im Wildpark von
Springe. Aber für das edle Weidwerk, bei dem der Monarch sonst in
der nervenstählenden Waldeinsamkeit Erholung und neue Kräfte suchte,
blieb diesmal nur selten eine Stunde übrig. Der Telegraph war in
ununterbrochener Tätigkeit, und täglich erschienen in dem Jagdschlosse
Staatsmänner, Diplomaten und hohe Offiziere, mit denen der Kaiser lange
Besprechungen hatte. Die Fenster seines Arbeitszimmers blieben bis tief
in die Nacht hinein erleuchtet, und gewöhnlich fand schon der frühe
Morgen den Herrscher wieder an seinem Schreibtisch.

Heute aber hatte nach halbdurchwachter Nacht die Sehnsucht nach einem
Atemzug frischer Gottesluft den Kaiser beim Morgengrauen hinausgeführt
in den schweigenden Tannenwald.

Ein leichter Rauhreif, der über Nacht gefallen war, bedeckte die Zweige
und den Boden mit feinen, weißschimmernden Eiskristallen. Zwischen den
Stämmen lagen noch die Schatten der Dämmerung. Im Osten aber flammte
glühendes Rot über den fahlen, graublauen Himmel hin.

Dorthin richteten sich die Blicke des Kaisers. Unter einer hohen, alten
Fichte hemmte der Monarch seinen Schritt, und seine Lippen bewegten
sich zu einem leisen Gebet. Von dem Lenker der Geschicke aller Völker
erflehte er in dieser ernsten Zeit Rat und Kraft für seinen schweren
Entschluß.

Da schlug der Ton menschlicher Stimmen an sein Ohr. Er sah zwei Männer,
die seine Nähe nicht ahnten, in lebhaftem Gespräch auf dem unfern
vorüberführenden schmalen Pirschpfade daherkommen. Des Kaisers scharfes
Jägerauge erkannte in dem einen der beiden hochgewachsenen Herren
seinen Oberstallmeister, den Grafen Wedel. Der andere aber war ihm
fremd.

Und dieser Unbekannte war es, der jetzt sagte:

„Es ist mir eine Freude, daß wir uns endlich einmal Auge in Auge
aussprechen können. Ich habe den tiefen Riß in unserer alten
Freundschaft und Kameradschaft sehr beklagt. Aber auf meiner Seite ist
die Mißstimmung längst vorüber. Ich hatte damals nicht in preußische
Dienste treten wollen, weil ich den Gedanken nicht ertragen konnte, daß
unsere alte tapfere hannoversche Armee aufgehört hatte, zu existieren,
und ich zürnte dir, mein lieber Ernst, weil du, ein hannoverscher Garde
du Corps, vergessen zu haben schienst, was du der Ehre deines engeren
Vaterlandes schuldig warst. Aber du hast weiter gesehen als ich. Der
hochherzige Entschluß des Kaisers, die Traditionen der Hannoveraner
wieder zu beleben, unserem alten Offizierkorps eine Heimstätte in den
neuen preußischen Regimentern zu eröffnen und unsere ruhmvollen Devisen
auf die Fahnen und Standarten dieser neuen Regimenter zu schreiben,
hat alles wieder gut gemacht. Ich hoffe, die Zeit ist nicht mehr fern,
wo auch diejenigen Hannoveraner, die jetzt noch grollend beiseite
stehen, einsehen werden, daß ein Kriegsherr, der so hochsinnig denkt,
der berufene Sammler und Führer aller Kräfte des großen, gemeinsamen
Vaterlandes ist.“

„Nun, ich habe dich und deinen Eisenkopf nie verkannt. Du hast dich ja
inzwischen tüchtig in der Welt umgesehen, und da du jetzt ein Hamburger
Großkaufmann bist, wirst du wohl ein großes Vermögen haben.“

„Mein Leben ist interessant und erfolgreich gewesen, aber mir fehlt
doch das beste. Ich sehne mich nach einer Tätigkeit, die meiner Natur
entspricht. Ich bin nun einmal Soldat, wie meine Vorfahren es seit
Jahrhunderten gewesen sind. Wäre ich 1866 in die preußische Armee
eingetreten, so könnte ich heute Kommandierender sein, und vielleicht
hätte ich binnen kurzem die Ehre, mein Korps unter den Augen unseres
Kaisers ins Feld zu führen.“

„Du glaubst, daß Deutschland in den Krieg verwickelt werden könnte?
Gegen wen sollten wir fechten?“

„Wenn unser Kaiser der scharfblickende und energische Geist ist, für
den ich ihn halte, -- -- --“

Es widerstrebte dem Monarchen, die Sprechenden noch länger in
Unkenntnis seiner Anwesenheit zu lassen.

„Heda, ihr Herren!“ rief er jovial hinüber. „Verratet eure Geheimnisse
nicht, ohne zu wissen, wer sie hört!“

„Seine Majestät!“ sagte der Graf halblaut, indem er mit tiefer
Verbeugung seinen Hut zog. Der Begleiter folgte seinem Beispiel, und da
ihn der Kaiser fragend ansah, sagte er:

„Untertänigst zu melden: Grubenhagen aus Hamburg.“

Der Monarch ließ seinen Blick über die hohe, breitschultrige Gestalt
des stattlichen Mannes hingleiten und fragte lächelnd:

„Sie haben gedient?“

„Zu Befehl, Majestät -- als Leutnant beim Königlich hannoverschen
Regiment Garde du Corps.“

„Haben denn auch bürgerliche Offiziere bei dem Regiment gestanden?“

„Majestät halten zu Gnaden: Mein Name ist Freiherr von Grubenhagen.
Aber der Freiherr war dem Kaufmann im Wege.“

Das bei aller schuldigen Ehrerbietung freimütige und mannhafte Wesen
des Freiherrn schien dem Kaiser zu gefallen. Lange blickte er in das
scharfgeschnittene, energische Gesicht, aus dem ein Paar kühne und
intelligente Augen leuchteten.

„Sie haben viel von der Welt gesehen?“

„Majestät, ich war in Amerika und viele Jahre in England, bevor ich
mein Geschäft in Hamburg errichtete.“

„Ein guter Kaufmann sieht oft mehr als ein Diplomat, denn sein Blick
ist unbefangener und freier. Ich liebe Ihr Hamburg; es ist eine loyale
Stadt voll Einsicht und Unternehmungsgeist.“

„Man würde an der Alster glücklich sein, Eure Majestät so sprechen zu
hören.“

„Fürchtet man in Hamburg nicht große Verluste durch den Krieg?“

„In Hamburg, Majestät, denken viele Leute so wie ich.“

„Und wie denken Sie?“

„Daß unter Eurer Majestät glorreicher Regierung alle Deutschen
des Kontinents sich zu einem einzigen und einigen großen Volk
zusammenschließen werden, dem alle germanischen Stämme des Nordens,
Dänen, Schweden und Norweger, kraft des Gravitationsgesetzes, sich
ankristallisieren müssen.“

„O! -- Sie haben Mut!“

„Majestät, wir leben in einem Zeitalter, dessen charakteristisches
Zeichen die Bildung großer Staatswesen ist.“

Mit einer freundlichen Handbewegung unterbrach ihn der Monarch:

„Lassen Sie uns zum Frühstück gehen, meine Herren! Freiherr von
Grubenhagen, Sie sind mein Gast. Es wird mich interessieren, noch
einiges von Ihren kühnen Ideen zu hören.“

       *       *       *       *       *

Unmittelbar nachdem der Kaiser das Jagdschloß betreten hatte, war
ihm der mit dem Nachtzuge von Berlin herübergekommene Reichskanzler
gemeldet worden. Auch er nahm mit dem Gefolge des Monarchen an der
Frühstückstafel teil, und er mochte nicht wenig erstaunt sein über den
fremden Gast, den er da in der Umgebung des Kaisers fand und der von
dem Herrscher mit offenkundigem Wohlwollen ausgezeichnet wurde.

Als man sich nach aufgehobener Tafel um den runden Tisch im
Rauchzimmer gruppiert und auf einen Wink des Kaisers der diensttuende
Flügeladjutant für die Entfernung der Dienerschaft Sorge getragen
hatte, wandte sich Kaiser Wilhelm mit ernster Miene an den Freiherrn
von Grubenhagen.

„Und nun lassen Sie uns einmal ganz frei und unumwunden hören, wie
nach Ihren Beobachtungen das deutsche Volk über die Möglichkeit eines
Krieges denkt.“

Der Freiherr erhob den schönen, charaktervollen Kopf, und indem er dem
Kaiser frei und unbefangen in die Augen sah, erwiderte er:

„Niemand, Majestät, ist darüber im Ungewissen, daß es ein
verhängnisvoller Schritt sein würde, den Krieg zu erklären. Vielen
Tausenden wird damit ein frühes Grab geöffnet, verwüstete Länder,
ein vielleicht auf lange Zeit hinaus zerstörter Handel und unzählige
Tränen sind die unvermeidlichen Begleiter des Kriegs. Aber es gibt ein
höchstes Gesetz, vor dem alle andern zurücktreten müssen: das Gebot,
die Ehre zu erhalten. Und ein Volk hat seine Ehre, wie der einzelne.
Wo diese Ehre auf dem Spiele steht, soll es den Krieg nicht scheuen.
Denn von der Bewahrung der nationalen Ehre hängt schließlich doch die
Bewahrung aller andern nationalen Güter ab, und wo der Friede um jeden
Preis, selbst um den Preis der Ehre erhalten bleiben soll, müssen
allmählich alle Güter des Friedens verloren gehen, und das Volk muß
zur Beute seiner stärkeren Nachbarn werden. Eisen ist wertvoller als
Gold, denn dem Eisen verdanken wir all' unsern Besitz. Wozu wären
denn auch Armee und Marine? Sie sind der Ausdruck der politischen
Wahrheit, daß nur Mut und Kraft die Bürgschaft für das Bestehen und
Gedeihen eines Volkes bilden. Rußland und Frankreich stehen zusammen,
um England zu bekämpfen. Und das deutsche Volk hat das Gefühl, daß
es an der Zeit sei, in diesen Kämpfen Partei zu ergreifen. Darüber
aber, auf welche Seite es sich zu stellen habe, besteht nirgends eine
Ungewißheit. Unser Volk ist seit langem erbittert durch Englands
Intriguen und Uebergriffe. Tiefer und mächtiger als irgend ein anderes
Gefühl in der Menschenbrust ist die Liebe zur Gerechtigkeit, und dieses
Gerechtigkeitsgefühl ist beständig durch Englands Politik verletzt
worden. Es bedarf nur eines Kaiserwortes, um die deutsche Volksseele
bis in ihre tiefsten Tiefen aufzuregen und eine Flamme der Begeisterung
emporschlagen zu lassen, die alle innere Uneinigkeit, allen Hader der
Parteien verzehren wird. Wir sollten nicht fragen, was kommen könnte;
wir sollten tun, was die Stunde gebietet. Wo Deutschland mit Einsetzung
seiner ganzen Kraft um den Sieg ringt, da wird er ihm zufallen. Der
Sieg aber hat seine eigene Weisheit.“



[Illustration]



X.


Um die Mittagszeit war Fürst Tschadschawadse mit seinem Pagen Georgij
und seinem indischen Diener nach dem Norden abgereist. Heideck hatte
während der wenigen Tage ihrer Bekanntschaft der schönen Cirkassierin
gegenüber die größte Zurückhaltung beobachtet und hatte nicht zu
erkennen gegeben, daß er das Geheimnis ihrer Verkleidung durchschaut
habe. Und es war, als ob sie ihm dafür Dank wisse. Zwar hatte er
nicht ein einziges Mal mit ihr gesprochen, aber ihr Lächeln und die
freundlichen Blicke, die sie ihm bei zufälligen Begegnungen zuwarf,
waren hinlänglich deutliche Beweise für die Art ihrer Gesinnung. Ueber
die Natur der Beziehungen, die zwischen dem schönen Pagen und seinem
Herrn bestanden, konnte Heideck nicht im Zweifel sein. Wäre seine
Seele nicht so ganz ausgefüllt gewesen von dem Gedanken an Edith, so
hätte er sich leicht versucht fühlen können, den Russen um das Glück
dieser holden Reisegesellschaft zu beneiden; denn er erinnerte sich
kaum je ein reizvolleres weibliches Wesen gesehen zu haben, als es
die Cirkassierin in ihrer malerischen Kleidung war. Vor den Augen
Fremder wußte sie ihre Dienerrolle meisterlich durchzuführen, aber
es war unverkennbar, daß sie in Wahrheit die Gebieterin war. Ein
einziger Blick ihrer feurigen Augen reichte hin, die gelegentlichen
brutalen Aufwallungen des Fürsten niederzuhalten, und er wagte in
ihrer Gegenwart keinen der etwas freien Scherze, zu denen er sonst,
namentlich unter dem Einfluß geistiger Getränke, leicht geneigt war.

Heideck empfand eine Neigung aufrichtigen Bedauerns, als er den bei
all seinen kleinen Schwächen sehr liebenswürdigen Kameraden scheiden
sah. Er hegte wenig Hoffnung, daß die Erwartung des Fürsten, ihm noch
einmal zu begegnen, sich erfüllen würde; aber er zählte ihn unter
die erfreulichsten und interessantesten Bekanntschaften seiner an
wechselvollen Erlebnissen schon so reichen Reise.

       *       *       *       *       *

Pünktlich um 7 Uhr betrat Heideck in dem vorschriftsmäßigen
Gesellschaftsanzuge den Empfangssalon des Obersten. Ein Gefühl heißer
Freude wallte in seinem Herzen auf, als er sah, daß niemand außer Edith
Irwin darin anwesend war. Sie sah schöner aus denn je. Einzig eine
leichte Blässe mochte an die Wirkung der Schrecknisse erinnern, die sie
erlebt. Lächelnd ging sie ihm um einige Schritte entgegen und reichte
ihm die Hand, die er bewegt an seine Lippen zog.

„Ich bin beauftragt, Mrs. Baird und den Obersten noch für eine
Viertelstunde bei Ihnen zu entschuldigen,“ sagte sie. „Die
Vorbereitungen für die Mobilmachung nehmen den Obersten völlig in
Anspruch, und seine Gattin war vorhin durch einen kleinen Migräneanfall
genötigt, sich auf kurze Zeit zurückzuziehen.“

Wie gern Heideck seinen Gastgebern den kleinen Verstoß gegen die
Pflichten der Höflichkeit verzieh, stand deutlich genug auf seinem
Gesicht geschrieben. Er nahm auf Ediths Einladung ihr gegenüber Platz
und sagte:

„Ich hoffe, Mrs. Irwin, daß Sie von seiten Ihres Gatten keine
Unannehmlichkeiten wegen meines späten Besuchs gehabt haben. Während
des ganzen gestrigen Tages hat mich diese Sorge unablässig verfolgt.“

Mit einem etwas herben Lächeln schüttelte die junge Frau den Kopf:

„O nein. Mein Mann hat mir im Gegenteil aufgetragen, ihn zu
entschuldigen, daß er die persönliche Abstattung seines Dankes
für Ihre heldenmütige Tat auf später verschieben müßte. Er wurde
in dienstlicher Angelegenheit auf unbestimmte Zeit nach Lahore
abkommandiert, und sein Aufbruch erfolgte in solcher Hast, daß ihm
nicht die Zeit blieb, Ihnen seinen Dank auszusprechen.“

Heideck glaubte zu verstehen, was dieses Kommando zu bedeuten habe.
Aber er fragte nur:

„Und Sie werden während der Abwesenheit des Kapitäns unter dem Schutz
des Obersten bleiben?“

„Es ist noch nichts bestimmtes darüber beschlossen worden. Weiß doch
augenblicklich hier niemand, was uns die nächsten Tage bringen werden.
Es ist gewiß, daß sich außerordentliche Ereignisse vorbereiten, und wir
armen Frauen müssen im Falle eines Krieges geduldig über uns ergehen
lassen, was man über unser Schicksal beschlossen hat.“

„Und der Maharadjah? Sie haben noch nichts von ihm gehört?“

„Oberst Baird hat gestern eine amtliche Unterredung mit dem Fürsten
gehabt; aber ich kenne ihren Inhalt nicht, da ich nicht den Mut
hatte, danach zu fragen. Daß der Maharadjah sich augenblicklich in
feindseliger Stimmung gegen den Obersten befindet, scheint mir indessen
leider nur zu gewiß. Ich müßte mich sehr schlecht auf die Eigenart
dieser indischen Despoten verstehen, wenn das Ereignis, das sich heute
hier zugetragen, nicht unmittelbar auf den Maharadjah zurückzuführen
wäre.“

„Ist es unbescheiden, nach der Natur dieses Ereignisses zu fragen?“

„Man hat versucht, den Obersten an seinem eigenen Tische zu vergiften.“

„Wie?“ fragte Heideck erstaunt. „Zu vergiften?“

„Ja. Mr. Baird hat die Gewohnheit, vor jeder Mahlzeit ein Glas
Eiswasser zu trinken, und bei dem heutigen Tiffin wurde es ihm,
wie immer, von seinem indischen Tafeldecker dargereicht. Aber
eine eigentümliche Trübung des Wassers fiel dem Obersten auf. Er
leerte das Glas nicht sofort, sondern ließ es ein paar Minuten lang
stehen, und nun wurde deutlich ein feiner, weißer Niederschlag auf
dem Boden des Gefäßes sichtbar. Die Vermutung, daß es sich um einen
Vergiftungsversuch handle, lag um so näher, als der Tafeldecker,
den man wegen der Beimischung befragen wollte, plötzlich spurlos
verschwunden und auch bis zur Stunde noch nicht wieder aufzufinden ist.
Man schüttete einen kleinen Teil der Flüssigkeit in das Futtergefäß
der Hunde und stellte es in eine Rattenfalle, die fünf oder sechs
dieser gefräßigen Nager enthielt. Zehn Minuten später war nicht eines
der Tiere mehr am Leben. Der Rest des Wassers wurde dem Regimentsarzt
Doktor Hopkins, einem eifrigen Chemiker, zur Untersuchung übergeben,
und er hat versprochen, uns beim Diner über das Ergebnis zu berichten.“

Noch ehe Heideck Gelegenheit gefunden hatte, das Gespräch auf Ediths
persönliche Angelegenheiten zurückzuführen, erschien Mrs. Baird in
Gesellschaft ihres Gatten und seines Adjutanten. Der Gast wurde mit
gewinnender Liebenswürdigkeit begrüßt, und als wenige Minuten später
auch der kleine, bewegliche Doktor Hopkins eingetroffen war, setzte man
sich zu Tisch.

Vielleicht wäre es dem Obersten lieber gewesen, wenn von der
Vergiftungsaffaire in Heidecks Gegenwart nicht die Rede gewesen wäre.
Aber die Ungeduld seiner durch den Vorfall in begreifliche Aufregung
versetzten Gemahlin ließ sich nicht zügeln.

„Nun, Herr Doktor,“ fragte sie, „was haben Sie gefunden?“

Der Regimentsarzt hatte offenbar nur auf diese Frage gewartet.

„Eines der gefährlichsten aller bekannten indischen Gifte,“ erklärte
er mit ernster Miene, „das sogenannte Diamantpulver, gegen das es kein
Gegengift gibt und das sich im Körper des Vergifteten nicht nachweisen
läßt, weil es pflanzlicher Natur ist und von den Geweben aufgesogen
wird.“

Mrs. Baird stieß einen Schrei des Entsetzens aus und legte für einen
Moment die Hand über die Augen.

Mr. Hopkins aber fuhr fort: „Ich habe das Diamantpulver noch niemals
unter den Händen gehabt, obwohl es gar nicht so selten zur Anwendung
gelangen soll. Die Zubereitung ist für uns Europäer bis jetzt noch ein
undurchdringliches Geheimnis, das von den indischen Aerzten sorgfältig
gehütet wird. An den indischen Fürstenhöfen soll es früher dieselbe
Rolle gespielt haben, wie im Mittelalter die berühmte ~acqua toffana~
bei den italienischen Despoten.“

Die Ausführungen des Arztes waren unter dem frischen Eindruck des nur
durch einen Zufall vereitelten abscheulichen Attentats natürlich nicht
danach angetan, die gedrückte Stimmung der kleinen Tischgesellschaft
zu heben. Und der Oberst, dem die gelehrten Auseinandersetzungen des
Regimentsarztes ersichtlich besonders unbehaglich waren, machte seiner
Gattin früher, als es sonst zu geschehen pflegte, ein Zeichen, die
Tafel aufzuheben.

Man begab sich auf die von einer Hängelampe beleuchtete Veranda, wo Tee
und eisgekühlte Getränke gereicht wurden. Obwohl Heideck während des
ganzen Abends nur Augen für Edith Irwin gehabt, hatte er doch beinahe
ängstlich alles vermieden, was den Anwesenden seine Empfindungen für
die junge Frau verraten konnte. Und auch jetzt, nachdem Edith sich in
den äußersten, halbdunklen Winkel der Veranda zurückgezogen, würde er
sicherlich nicht gewagt haben, sich in dem Korbsessel niederzulassen,
der an ihrer Seite freigeblieben war, wenn sie selbst ihn nicht in
vollkommen unbefangenem Tone dazu aufgefordert hätte.

„Sie haben keinen Platz, Herr Heideck -- bitte -- hier ist noch ein
Stuhl frei.“

Und mit einer graziösen Bewegung raffte sie die Falten ihres
Foulardkleides zusammen, um ihn vorüber zu lassen. Wieder begegneten
sich, von den anderen unbemerkt, für einen Moment ihre Augen. Und
wenn er es nicht gewußt hätte, daß er sich rettungslos im Banne dieses
schönen jungen Weibes befand, so würde der stürmische Schlag seines
Herzens ihn darüber belehrt haben.

Der Abend war ziemlich hell, und als jetzt plötzlich unter dem üblichen
Lärmen und Schreien der indischen Kutscher zwischen den Zelten des
Lagers ein sonderbarer Wagenzug auftauchte, verstummte die kaum in
Fluß gekommene Unterhaltung auf der Veranda, weil alle Blicke sich dem
unerwarteten Schauspiel zuwandten, für das -- den Obersten vielleicht
ausgenommen -- zunächst wohl noch niemand eine Erklärung hatte.

Man sah, daß es fünf, von reich geschmückten weißen Buckelochsen
gezogene Wagen waren, die ein Reitertrupp in der Kleidung der Leibgarde
des Maharadjah eskortierte.

Ihr Anführer ritt bis hart an die Stufen der beleuchteten Veranda,
schwang sich hier aus dem Sattel und stieg in vornehmer, würdevoller
Haltung zu der in begreiflicher Spannung harrenden Gesellschaft des
Obersten empor.

Er war ein schöner junger Mann mit griechisch geschnittenem Gesicht und
großen, schwermütigen Augen. Sein Anzug bestand aus einer gelbseidenen
Bluse, die mit einem Schal aus violetter Seide umgürtet war, englischen
Reithosen und hohen gelben Stiefeln. Sein violett gestreifter seidener
Turban war mit einer Perlenschnur durchflochten, und an seiner Brust
sandten haselnußgroße Brillanten im Licht der Lampe ihre buntfarbigen
Strahlen aus.

„Es ist Tasatat Radjah, der Vetter und der besondere Liebling des
Fürsten,“ flüsterte Edith Heideck zu, in dessen Gesicht sie etwas
wie eine Frage gelesen haben mochte. „Ohne Zweifel schickt ihn der
Maharadjah in einer besonderen Mission.“

Der Oberst hatte sich erhoben und war dem Besucher um einige Schritte
entgegengegangen. Aber er reichte ihm nicht die Hand und lud ihn auch
nicht zum Niedersitzen ein.

„Ich grüße dich, Sahib, im Namen Seiner Hoheit,“ sagte der Prinz
mit jenem edlen Anstand, der dem vornehmen Inder angeboren ist, „und
ich wünsche dir Glück und langes Leben. Seine Hoheit übersendet dir
als Zeichen seines Wohlwollens wie seiner hohen Achtung vor deinem
Amte und deinen Verdiensten ein geringes Geschenk. Er bittet dich,
es anzunehmen, zum Beweise, daß auch du vergessen hast, was gestern
infolge eines beklagenswerten Mißverständnisses zwischen dir und Seiner
Hoheit gesprochen wurde.“

„Seine Hoheit ist sehr gütig,“ sagte der Oberst kühl und gemessen.
„Darf ich fragen, worin das mir zugedachte Geschenk besteht?“

Mit einer lässigen Handbewegung wies der Prinz auf die unten haltenden
Gefährte.

„Jeder dieser fünf Wagen, Sahib, enthält hunderttausend Rupien.“

„Das wären also fünf Lakh?“

„So ist es. Und ich bitte dich noch einmal, Seine Hoheit durch eine
günstige Antwort zu erfreuen.“

Der Oberst überlegte ruhig und kühl seine Antwort, dann sagte er in
derselben ruhigen Haltung und mit demselben undurchdringlichen Gesicht,
wie zuvor:

„Ich danke dir, Prinz! Laß den Inhalt dieser Wagen in die Vorhalle
meines Hauses schaffen. Ueber das, was weiter damit geschehen soll,
werde ich die Entscheidung des Vizekönigs abwarten.“

Auf dem Gesicht des Prinzen zeigte sich deutlich ein Ausdruck der
Enttäuschung. Eine Weile verharrte er wie in unentschlossenem
Nachdenken. Dann, da er aus der Haltung des Obersten erkennen mußte,
daß der Engländer die Unterhaltung als beendet ansah, berührte er mit
der Rechten leicht die Mitte der Stirn, verbeugte sich und stieg die
Stufen der Veranda wieder hinab. Viele kleine Tonnen wurden auf sein
Geheiß von den niedrigen Karren herabgehoben und unter dem Beistande
englischer Soldaten in den Flur des Hauses geschafft. Dann setzte sich
der Zug unter demselben Lärm und Geschrei, wie er gekommen war, wieder
in Bewegung und verschwand in der Ferne.

Ein Lächeln lag auf dem eben noch so kalten Gesicht des Obersten, als
er sich jetzt seinen Gästen zuwandte; wohl von der Empfindung geleitet,
daß er ihnen gewissermaßen eine Erklärung für sein Benehmen schuldig
sei.

„Ich betrachte diese halbe Million als einen sehr erwünschten Beitrag
zu den Kriegskosten meines Detachements. Diese Orientalen können
sich eben niemals in unsere Denkweise hineinversetzen, und unsere
Ehrbegriffe werden ihnen immer ein unlösliches Rätsel bleiben. Mit
einem Geschenk, das er natürlich mir persönlich zugedacht hat,
glaubt dieser Despot alles aus der Welt geschafft zu haben, was ihm
möglicherweise Ungelegenheiten bereiten könnte -- sowohl den Anschlag
gegen Mrs. Irwin, wie die Geschichte mit dem Diamantpulver. Denn er
ist durch den verschwundenen Tafeldecker natürlich bereits über den
Mißerfolg unterrichtet, und er weiß recht gut, was für ihn auf dem
Spiele stehen würde, wenn ich diese skandalöse Geschichte nach Kalkutta
berichtete.“

Zum ersten Male sprach der Oberst hier vor andern offen aus, daß er den
Maharadjah für den Urheber der beiden Anschläge hielt. Er mußte einen
besonderen Grund hierzu haben, und Heideck glaubte ihn zu erraten,
als der Oberst auf die Frage des Regimentsarztes, ob er denn nicht
gesonnen sei, einen solchen Bericht an den Vizekönig abgehen zu lassen,
erwiderte:

„Ich weiß es nicht -- ich weiß es wirklich noch nicht. Nach dem
Grundsatze: „~fiat justitia, pereat mundus~“ müßte ich es ja
unzweifelhaft tun. Aber mit dem „~pereat mundus~“ ist es doch so ein
eigen Ding. Wir stehen wahrscheinlich unmittelbar vor dem Kriege, und
der Vizekönig würde mir, wie ich vermute, wenig Dank wissen, wenn ich
ihm zu seinen mancherlei anderen Sorgen noch neue aufbürden wollte.
Wir brauchen diese indischen Fürsten jetzt sehr notwendig. Sie müssen
uns ihre Truppen zur Verfügung stellen, und wir dürfen keine Feinde
im Rücken haben, wenn unsere Armee in Afghanistan engagiert ist. Ein
schroffes Vorgehen gegen einen von ihnen aber könnte uns alle diese
Fürsten rebellisch machen. Und es wäre ganz unabsehbar, welche Folgen
eine einzige Niederlage oder auch nur das falsche Gerücht von einer
solchen haben würde.“

Doktor Hopkins stimmte ihm ohne weiteres zu, und auch die anwesenden
Offiziere waren der Meinung ihres Vorgesetzten. Wie immer in diesen
letzten Tagen, entspann sich ein lebhaftes Gespräch über die
Kriegsgefahr und über den wahrscheinlichen Verlauf der bevorstehenden
Ereignisse. Heideck aber, der sicher war, aus dem Munde dieser
siegesgewissen Herren nichts neues mehr zu vernehmen, benutzte das
laute Durcheinander, um Edith leise zu fragen:

„Es geschieht nicht bloß aus politischen Rücksichten, sondern auch auf
Ihren Wunsch, wenn der Oberst nichts von dem nächtlichen Ueberfall nach
Kalkutta berichtet -- nicht wahr?“

„Ich habe ihn allerdings darum gebeten,“ gab sie in demselben
vorsichtigen Flüsterton zurück. „Heute aber, nach dem mißlungenen
Anschlag auf sein Leben, habe ich ihm gesagt, daß ich für meine Person
und für -- für die Person meines Gatten keinerlei Rücksicht mehr
verlange.“

„Sie halten es also im Ernst für möglich, daß Kapitän Irwin bei jenem
Ueberfall -- --“

„Lassen Sie uns nicht jetzt davon sprechen, Mr. Heideck -- nicht jetzt
und nicht hier,“ bat sie, indem sich ihre Augen mit einem flehenden
Blick zu ihm erhoben. „Sie können nicht ahnen, wie furchtbar ich unter
diesen schrecklichen Dingen leide. Es ist mir, als wäre vor mir nur
finstere, undurchdringliche Nacht. Und wenn ich daran denke, daß ich
eines Tages wieder gezwungen sein könnte -- --“

Sie beendete den angefangenen Satz nicht, aber Heideck wußte gut genug,
wie sein Schluß hatte lauten sollen. Und ein unwiderstehlicher Impuls
trieb ihn, ihr zu antworten:

„Sie dürfen sich zu nichts zwingen lassen, Mrs. Irwin, gegen das Ihr
Herz sich auflehnt. Wer könnte denn auch versuchen, solchen Zwang auf
Sie zu üben?“

„O, Sie wissen nicht, Mr. Heideck, was für uns Engländer die Rücksicht
auf die sogenannte gute Sitte bedeutet. Nur keinen Skandal -- nur um
des Himmels willen keinen Skandal! Das ist das erste und vornehmste
Gesetz in unserer Gesellschaft. So liebenswürdig der Oberst und seine
Gattin bis jetzt gegen mich gewesen sind -- ich fürchte sehr, daß sie
mich ohne Rücksicht auf meine Schuld oder Unschuld sofort fallen lassen
würden, wenn ich es zu dem kommen ließe, was ihnen als ein Skandal
erscheint.“

„Und doch sollen Sie nur Ihrem eigenen Empfinden -- nur Ihrem Herzen
und Ihrem Gewissen folgen, Mrs. Irwin -- nicht den engherzigen
Ansichten des Obersten oder irgend eines anderen Menschen. Sie dürfen
nicht die Märtyrerin eines Vorurteils werden -- ich kann diese
Vorstellung einfach nicht ertragen. Und Sie müssen mir versprechen --
--“

Er kam nicht weiter. Eine plötzlich eingetretene Pause im Gespräch der
anderen zwang auch ihn, zu verstummen. Und es war ihm, als sähe er die
klugen, durchdringenden Augen der Mrs. Baird mit einem Ausdruck des
Mißtrauens auf sich gerichtet. Er war unzufrieden mit sich selbst, daß
die berauschende Nähe des geliebten Weibes und seine fast schon bis zu
leidenschaftlichem Haß gesteigerte Abneigung gegen ihren unwürdigen
Gatten ihn in die Gefahr gebracht hatten, sie zu kompromittieren. Aber
als er sich bald nachher gleichzeitig mit den anderen Gästen empfahl,
bewies ihm ein warmer, beglückender Druck von Ediths Hand, daß sie weit
davon entfernt war, ihm zu zürnen.



[Illustration]



XI.


Jeder neue Tag brachte jetzt weitere Nachrichten, die das drohende
Gespenst des Krieges in immer größere Nähe rückten. Die Mobilmachung
wurde befohlen. Die Feldtruppen wurden von dem Depot gesondert, das
in Chanidigot zurückbleiben sollte. Die Infanterie wurde mit Munition
ausgerüstet und täglich mit Schieß- und Gefechtsübungen beschäftigt.
Pferde wurden eingekauft und ein Train gebildet, zu dem namentlich
eine ungeheure Menge von Kamelen gehörte. Die Vorräte an Lebensmitteln
wurden vervollständigt, und die Offiziere studierten eifrigst die
Karten von Afghanistan.

Für Heidecks Begriffe von einer Mobilmachung ging das alles freilich
sehr langsam von statten, und der Maharadjah schien es mit der
Ausrüstung seiner Hilfstruppen noch viel weniger eilig zu haben.

Von Süden her kamen beständig Militärzüge durch Chanidigot, um Truppen
und Pferde weiter nach dem Norden zu befördern. Ihr Ziel war zunächst
Peschawar, wo Generalleutnant Sir Bindon Blood, der Oberkommandierende
des Korps von Pendschab, eine große Feldarmee zusammenzog. Mit einiger
Verwunderung nahm Heideck wahr, daß die durchziehenden Regimenter den
verschiedensten Korps entnommen waren, so daß der taktische Verband
dieser Korps und ihre Organisation zerrissen worden waren. Es unterlag
keinem Zweifel, daß die Regierung um jeden Preis so schnell als möglich
starke Truppenkörper an der Grenze aufstellen wollte und darüber die
Rücksicht auf spätere Ereignisse gänzlich außer Acht ließ. Sowohl
Viscount Kitchener, der Oberbefehlshaber in Indien, wie der Vizekönig
und die Minister in London schienen es für ausgemacht zu halten, daß
die englische Armee von vornherein siegreich sein würde und nicht
genötigt werden könnte, sich auf die Festungen der Nordwestprovinzen
zurückzuziehen. Die Geringschätzung, mit der die Offiziere in
Chanidigot von der russischen Armee und von den Afghanen sprachen,
bestätigte diese allgemeine Auffassung zur Genüge.

Endlich wurde es klar, daß der Krieg zur Tatsache geworden war. Am
zehnten Tage nach der Meldung vom Einmarsch der Russen in Afghanistan
fiel die Entscheidung.

Das Londoner Kabinett hatte in St. Petersburg angefragt, was jener
Einmarsch zu bedeuten habe. Und es hatte die Antwort erhalten,
daß Rußland sich genötigt sähe, dem Emir auf seine Bitte zu Hilfe
zu kommen; denn der Afghanenherrscher wäre den Maßnahmen Englands
gegenüber um seine Selbständigkeit besorgt. Nichts läge der russischen
Regierung ferner, als eine Herausforderung Englands, aber sie könne die
Bedrängnis des Emirs nicht gleichgiltig ansehen und sei entschlossen,
für die Unabhängigkeit Afghanistans einzutreten.

Daraufhin erklärte England den Krieg, und Generalleutnant
Blood erhielt den Befehl, unverzüglich durch den Kaiberpaß in
Afghanistan einzurücken. Weiter sollte Generalleutnant Hunter, der
Oberkommandierende des Korps von Bombay, mit einer Armee von Quetta aus
gegen Kandahar marschieren.

Gleichzeitig, -- so hieß es, -- sollte von Portsmouth aus eine
englische Flotte abgehen.

Obwohl die in Indien erscheinenden englischen Zeitungen offenbar dahin
instruiert waren, alles zu verschweigen, was die Lage Englands in
einem ungünstigen Lichte erscheinen lassen könnte, brachten sie doch
mancherlei Meldungen, die dem kundigen Leser allerlei Schlüsse auf die
gegenwärtige Kriegslage nahe legten. Man konnte daraus entnehmen, daß
England auch gegen Frankreich rüste. Nur über die Haltung Deutschlands
in dem drohenden Weltkriege fehlte jede Mutmaßung.

Die anfängliche Absicht, die Familien der in Chanidigot stationierten
Offiziere und Beamten südwärts nach Bombay oder nach dem östlich
gelegenen Kalkutta zu bringen, war bald aufgegeben worden. Die
Verbreitung der Pest in beiden Städten und die Schwierigkeiten der
Reise sprachen dagegen; denn die Eisenbahnen waren zur Zeit vollständig
durch Truppentransporte in Anspruch genommen. So wurde beschlossen,
daß die Frauen und Kinder zunächst bei dem Depot in Chanidigot bleiben
sollten. Kapitän Irwin, der aus Lahore zurückgekehrt war, und der
außerhalb des Dienstes, bei dem er einen fast fieberhaften Eifer
entwickelte, ein völlig einsiedlerisches Leben führte, sollte dieses
Depot kommandieren. Seine Gattin aber, der er seit seiner Ankunft
noch nicht ein einziges Mal begegnet war, sollte seinem Schutze nicht
unterstellt werden. Oberst Baird, der seiner Frau auf ihre dringenden
Bitten zugesagt hatte, daß sie ihn mit den Kindern nach Quetta
begleiten dürfte, wollte auch Edith Irwin dorthin mitnehmen.

Es war bestimmt worden, daß das Detachement im Verein mit den Truppen
des Maharadjah von Chanidigot aufbrechen sollte. Heideck hatte die
Erlaubnis erhalten, es zu begleiten. Der Oberst wollte ihm wohl, und
es war ihm offenbar angenehm, einen so ritterlichen Mann, auf den man
sich in jeder Lage unbedingt verlassen konnte, als Beschützer bei den
Damen zu wissen, wenn er selbst durch seine militärischen Pflichten
verhindert sein würde, sich um sie zu kümmern. Am Tage vor dem Abmarsch
war Heideck zum Tiffin bei dem Obersten, und man besprach in ernster
Stimmung die bevorstehenden Ereignisse, als draußen das dumpf klingende
Warnungszeichen eines Automobils vernehmlich wurde. Zwei Minuten später
trat, ganz mit Staub bedeckt und mit dunkelgerötetem Gesicht ein
Offizier auf die Veranda, der sich als Kapitän Elliot, Adjutanten des
Generals Blood, vorstellte.

„Der General läßt Ihnen melden, Herr Oberst,“ sagte er in dienstlicher
Haltung, „daß alle Dispositionen geändert worden sind. Sie marschieren
nicht nach Quetta, sondern unter tunlichster Beschleunigung des
Aufbruchs nach Mooltan.“

„Und was ist die Ursache dieses veränderten Befehls?“ fragte der Oberst.

„Die Russen kommen vom Hindukusch herunter. Sie ziehen das Tal des
Indus herab, unserer Armee in den Rücken. General Blood ist auf dem
Marsche südwärts, um nicht abgeschnitten zu werden. Ich befinde mich
unterwegs, um alle Truppenteile nach Mooltan zu dirigieren.“

„Aber ist das denn möglich? Kann hier nicht doch ein Irrtum vorliegen?
Wie sollten die Russen über den Hindukusch kommen?“

„Ich selbst habe russische Infanterie in den Schluchten des Industals
gesehen, Herr Oberst. Der Marsch auf Herat und die Besetzung von Kabul
unter General Iwanow sind hauptsächlich Demonstration gewesen. Iwanow
kommt mit zwanzigtausend Mann, verstärkt durch zwanzigtausend Afghanen,
von Kabul her gegen den Kaiberpaß heran. Aber der Hauptangriff erfolgt
vom Pamir aus in der Richtung auf Raval-Pindi und Lahore.“

„Raval-Pindi?“ rief der Oberst. „Wenn die Russen den Indus herabkommen,
treffen sie zunächst auf Attock, und dieses starke Fort wird sie lange
genug aufhalten.“

„Hoffentlich! Aber wir dürfen nicht unbedingt damit rechnen. Die Stärke
der russischen Armee ist uns zur Zeit noch nicht bekannt. Ihr Vormarsch
aber ist offenbar trefflich vorbereitet gewesen. Die Pioniere müssen in
den schwierigen Pässen des Hindukusch wahrer Wunder verrichtet haben,
und diese russischen Soldaten scheinen von Eisen.“

„Nun,“ sagte der Oberst kurz, „so werden wir ihnen zeigen, daß wir von
Stahl sind.“

Der Adjutant überreichte ihm die schriftlichen Dispositionen, und
nachdem er sie durchgesehen, erklärte der Oberst:

„Ich werde morgen früh nach Mooltan aufbrechen und denke, mein
Detachement morgen abend dort vereinigt zu haben. Der Train mit der
Proviantkolonne und der Munitionskolonne freilich kann erst einige
Tage später eintreffen, und auch nur zum Teil. Was in aller Welt mag
den General bestimmt haben, sich dem Feinde nicht in Raval-Pindi
entgegenzustellen? Die Stadt ist befestigt und von starken Forts
umgeben; sie ist eine der größten Militärstationen Indiens. Weshalb
mußte der General da so weit, bis nach Mooltan, zurückgehen?“

„Der General erwartet eine Entscheidungsschlacht und möchte sich dazu
mit der Armee des Generals Hunter vereinigen. Beide Armeen aber sind
zur Zeit ungefähr gleich weit von Mooltan entfernt, auch würden die
Russen, wie der General meint, Bedenken tragen, soweit vorzugehen, daß
sie von Lahore aus in der linken Flanke angegriffen werden könnten.
Dort stehen schon jetzt zehntausend Mann, die täglich von Delhi aus
verstärkt werden.“

Mit der Verabschiedung des Adjutanten, der den angebotenen Imbiß mit
dem Hinweis auf die Dringlichkeit seines Auftrages abgelehnt hatte,
wurde auch die Tafel aufgehoben, und der Oberst entschuldigte sich bei
seinem Gaste, dem er sich unter den obwaltenden Umständen nicht länger
widmen konnte. Seine Offiziere begleiteten ihn, und bald nachher wurde
auch Mrs. Baird abgerufen. Unerwartet sahen sich Heideck und Edith
Irwin allein.

Ein paar Sekunden lang schwiegen sie beide, wie wenn keines von ihnen
den Empfindungen Ausdruck zu geben wagte, die sie erfüllten. Dann aber
sagte die junge Frau:

„Sie wollten mit uns ins Feld ziehen, Mr. Heideck, und ich weiß, daß
Sie dabei von dem Wunsche geleitet wurden, uns Frauen durch Ihren
männlichen Schutz nützlich zu sein. Aber nun ist ja alles anders
geworden, und ich bitte Sie, auf Ihren Plan zu verzichten.“

Ueberrascht sah er sie an: „Wie, Mrs. Irwin, Sie wollen mir die Freude
versagen, Sie begleiten und schützen zu dürfen? Und weshalb?“

„Sie haben soeben selbst gehört, daß alle Dispositionen geändert worden
sind. Wären wir nach Quetta gegangen, so hätten Sie, sobald unsere
Armee über die Grenze ging, leicht irgend einen anderen Platz aufsuchen
können; wenn es aber auf indischem Boden zum Kampfe kommt, so befänden
Sie sich in beständiger Gefahr.“

„In meiner Eigenschaft als Ausländer? Gewiß. Ich würde unter Umständen
manchen Unbequemlichkeiten ausgesetzt sein. Aber ehe ich meine
Entschließungen ändere, möchte ich von Ihnen hören, ob Sie auch unter
diesen neuen Verhältnissen bei der Truppe bleiben werden?“

„Da Mrs. Baird mir die Erlaubnis dazu gegeben hat -- ja.“

„Und Sie glauben, daß ich weniger Mut zeigen werde, als Sie, die Sie
sich damit ohne Zweifel ebenfalls ernsten Gefahren aussetzen?“

„Wie dürfte ich an Ihrem Mute zweifeln, Mr. Heideck! Aber das ist
doch etwas ganz anderes. Wir Soldatenfrauen gehören nun einmal zu den
Männern, denen wir nach Indien gefolgt sind. Und überdies sind wir
vielleicht nirgends sicherer, als bei der Armee. Sie aber haben mit
diesem Kriege und mit unserem Heere nichts zu tun. Wenn Sie jetzt
von hier abreisen und in weiter Entfernung vom Kriegsschauplatze,
vielleicht in einer der Hillstations, wo Sie auch von der Pest nichts
zu fürchten haben, Wohnung nehmen, so wird man Sie als deutschen
Kaufmann gewiß unbehelligt lassen.“

„Und warum gehen Sie selbst nicht in eine solche Hillstation,
Mrs. Irwin? Ich würde Ihnen Simla vorschlagen, wenn es nicht dem
Kriegsschauplatz nahe läge. Aber gehen Sie doch nach Poona oder in
sonst einen der südlichen Gebirgsorte.“

Die junge Frau schüttelte den Kopf.

„Ich vermute, daß ich damit in mein sicheres Verderben gehen würde.“

„Und was bringt Sie auf solche Vermutung?“

„Ich sagte Ihnen schon, daß im Falle eines Krieges englische Frauen
hier in Indien nur noch in unmittelbarer Nähe der Truppen einigermaßen
sicher sind. Sollten wir eine Niederlage erleiden, so wird die
Rache des Volkes an seinen Unterdrückern furchtbar sein. Kennen Sie
die grausamen Instinkte, die in diesen scheinbar so höflichen und
unterwürfigen Menschen schlummern? Die wehrlosen Frauen und Kinder
würden ohne Zweifel ihre ersten Opfer sein. So war es bei dem Aufstande
vom Jahre 1857, und genau so wird es sich unter ähnlichen Verhältnissen
wiederholen. Nana Sahib und seine Gefolgschaft haben sich damals an den
unmenschlichsten Martern weißer Frauen und Kinder ergötzt und Ströme
unschuldigen Blutes vergossen. Der Kulturzustand des niederen Volkes
aber ist seitdem gewiß nicht besser geworden.“

„Sie sprechen, als ob Sie eine Niederlage Ihrer Armee für
wahrscheinlich hielten?“ --

„Ich kann meine düsteren Ahnungen nicht los werden. Und Sie selbst, Mr.
Heideck? -- Seien wir doch ehrlich! Als vorhin der Adjutant dort stand,
und als jedes seiner Worte die mangelnde Voraussicht unserer Generale
offenbarte, habe ich Ihr Gesicht beobachtet, und ich habe mehr daraus
gelesen, als Sie ahnen mögen. Ich will mich nicht in Ihre Geheimnisse
drängen, aber ich würde Ihnen dankbar sein, wenn Sie ganz aufrichtig
gegen mich wären. Sie sind nicht der, für den Sie sich hier ausgeben.“

Nicht einen Augenblick zögerte er, ihr die Wahrheit zu bekennen.

„Nein, ich bin deutscher Offizier und von meinen Vorgesetzten zum
Studium der angloindischen Armee hierher entsandt.“

Ediths Ueberraschung war ersichtlich nicht allzu groß.

„Ich ahnte es. Und nun gestehen Sie mir ebenso offenherzig die Frage:
Glauben Sie an einen Sieg der britischen Waffen?“

„Ich darf mir darüber kein Urteil erlauben, Mrs. Irwin.“

„Aber Sie müssen doch eine Meinung haben. Und es läge mir unendlich
viel daran, sie zu erfahren.“

„Nun denn -- ich glaube an die englische Tapferkeit, aber nicht an
einen englischen Sieg.“

Sie seufzte tief auf, aber sie neigte zustimmend den Kopf, wie wenn
er damit nur ihrer eigenen Ueberzeugung Ausdruck gegeben hätte. Dann
reichte sie ihm die Hand und sagte leise:

„Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen, und es ist selbstverständlich, daß
von mir niemand erfahren wird, wer Sie sind. Aber nun bestehe ich erst
recht darauf, daß Sie uns um Ihrer eigenen Sicherheit willen verlassen.“

„Und wenn ich mich weigerte? Wenn ich es gerade in meiner Eigenschaft
als Soldat für meine Ehrenpflicht hielte, Sie jetzt nicht im Stich
zu lassen? Würden Sie mir darum zürnen? Würden Sie mir nicht mehr
gestatten, das Glück Ihrer Gesellschaft zu genießen?“

Ihre Brust hob sich, aber sie senkte den Kopf und schwieg. Deutlich sah
Heideck die glitzernde Träne, die sich unter ihren Wimpern hervorstahl
und langsam über ihre zarte Wange herabrollte.

Das war ihm Antwort genug. Er beugte sich herab, und indem er ihre
beiden Hände küßte, flüsterte er:

„Ich wußte, daß Sie nicht die Grausamkeit haben würden, mich
zurückzustoßen. Wohin auch immer das Schicksal Sie führen mag, es wird
mich an Ihrer Seite finden, solange Sie noch meines Schutzes bedürfen.“

Ein paar Sekunden lang hatte sie ihm ihre Hand überlassen. Dann entzog
sie sie sanft dem Druck der seinen.

„Ich weiß, daß ich Ihnen um Ihrer eigenen Sicherheit willen verbieten
sollte, mir zu folgen. Aber ich habe nicht die Kraft dazu. Der Himmel
gebe, daß Sie mir niemals einen Vorwurf daraus machen.“



[Illustration]



XII.


Ein ungewöhnlich schöner und trockener Frühling begünstigte den
Vormarsch der russischen Armee durch die Gebirgsländer. Im Norden
Indiens hielt sich die Temperatur auf durchschnittlich 20° C., und
Tag für Tag strahlte die Sonne von einem wolkenlos blauen Himmel
auf die weiten Ebenen des Pendschab herab, durch deren helles Grün
sich wie lange Silberstreifen die russischen Truppen in ihren weißen
Sommeruniformen vorwärts schoben.

Es schien, als sollte das Kriegsglück ihnen günstig sein; denn sie
hatten den schwierigen und gefürchteten Uebergangspunkt Attock mit
unerwarteter Leichtigkeit überwunden.

Der Kommandant dieser hochgelegenen Festung hatte Befehl, die Brücke
über den Indus erst dann abzubrechen, wenn General Bloods Armee, die
Peschawar und den Kaiberpaß hatte halten sollen, völlig zurückgegangen
wäre und bis auf den letzten Mann den Uebergang passiert hätte.

Die Brücke bei Attock, die sehr hoch über den hier in schmalem Bette
mit reißender Schnelligkeit dahinbrausenden Indus erbaut ist, gilt
als ein Wunderwerk der Ingenieurkunst. Sie ist in zwei Etagen erbaut,
deren obere die Eisenbahn, und deren untere eine Straße für Wagen,
Lasttiere und Fußgänger bildet. Auf jedem Ufer liegt ein befestigtes
Tor. Der englische Kommandant von Attock vertraute auf die Stärke der
800 Fuß hoch über dem Flusse liegenden Forts und wähnte die Russen noch
weit entfernt. Die russische Vorhut war oberhalb Attocks über den Fluß
Kabul, der sich bei Attock mit dem Indus vereinigt, gegangen und kam
zugleich mit den Truppen des Generals Blood in die Nähe der Festung.

Die Truppen Bloods passierten in endlos langen Marschkolonnen die
Brücke. Diese Bewegungen wurden oftmals infolge von Stockungen, die
durch fehlerhaftes Ansetzen der einzelnen Truppenkörper entstanden,
unterbrochen, und so kam es, daß in den ersten Morgenstunden eine
größere russische Truppenabteilung, von den Engländern unbemerkt,
in einer solchen Lücke der englischen Marschkolonne den nördlichen
Brückenkopf erreichte: der morgendliche dichte Nebel hatte der
englischen Aufklärung das Herannahen der Russen verborgen. Die Russen
besetzten sofort die Brücke und schnitten so den Rest der noch auf dem
nördlichen Ufer befindlichen Engländer von dem Gros ihres Korps, das
in der Hauptsache die Brücke schon passiert hatte, vollständig ab.
Der Kommandeur der russischen Avantgarde war selbst über den ihm vom
Kriegsglück in den Schoß gelegten Erfolg am meisten erstaunt: hätte der
Nebel nicht die beiderseitige Aufklärung illusorisch gemacht und der
Zufall ihn nicht gerade auf eine Lücke der englischen Marschordnung
stoßen lassen, so hätten die Chancen bei der Enge seiner Marschstraße
für die Engländer wesentlich günstiger gestanden, als für ihn, und der
Kampf würde wahrscheinlich mit einer Niederlage seiner Truppe geendet
haben. So stieß General Iwanow, der über den Kaiberpaß kam, auf die
englische Nachhut, und die fünftausend Mann angloindischer Truppen
derselben mußten sich nach kurzem Kampfe gefangen geben. Zweitausend
Engländer und dreitausend Mohammedaner fielen den Russen hier in die
Hände. Als die Sieger den mohammedanischen Indern versicherten, daß sie
gegen die Ungläubigen für den wahren Glauben kämpften, traten diese
ohne weiteres zur russischen Armee über.

Der Kommandant von Attock verweigerte die Uebergabe der Festung und
ließ seine Geschütze auf die russischen Marschkolonnen spielen, aber
die Batterien fügten infolge des Nebels den Russen nicht viel Schaden
zu, und diese setzten, da sie im Besitz der Brücke waren, den Vormarsch
nach Süden fort.

Ehe dann jedoch der so erfolgreich begonnene Einmarsch fortgesetzt
wurde, sammelte der Kommandierende unweit Attocks alle die in kleinen
Abteilungen den Hindukusch übersteigenden russischen Truppen und
vereinigte sie mit dem aus Afghanistan kommenden Korps, so daß er über
eine Armee von siebzigtausend Mann verfügte.

Eine blutgetränkte Bahn war es, auf der dieses Heer hinter der
weichenden englischen Armee dahinzog. Auf dieser Straße war auch
Alexander der Große einst in Indien eingezogen. Hier hatte zu Anfang
des sechzehnten Jahrhunderts der Afghanenherrscher Ibrahim Lodi mit dem
Großmogul Babar gekämpft; hier wurde wenige Jahrzehnte später Himu,
der Feldherr des Afghanensultans Mohammed Schah Adil an der Spitze von
fünfzigtausend Reitern, fünfhundert Elefanten und unzähligem Fußvolk
von dem jugendlichen Großmogul Akbar besiegt. Blutiger noch war die
Schlacht gewesen, die um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts der
Afghanensultan Ahmed Schah Durani den großen Mahrattenfürsten Holkar
Sindia, Gaekwar und den Peschwas lieferte; und noch einmal hatten hier
alle Schrecknisse des Krieges gewütet, als im Jahre 1857 die englischen
Generale Havelock, Sir James Outram, Sir Colin Campbell, Sir Hugh Rose,
Sir John Lawrence und Sir Robert Napier mit erbarmungsloser Härte den
gefährlichen Aufstand der Sepoys erstickten. Abendland und Morgenland
hatten in gewaltigem Ringen hier an dieser von Sagen umwobenen Stätte,
der Wiege der Menschheit, schon gestritten. Hunderttausende von
Menschenleben waren auf diesem blutdurchtränkten Boden schon geopfert
worden, und abermals stand hier eine Entscheidungsschlacht bevor, die
mit eisernem Griffel in die Tafeln der Weltgeschichte geschrieben
werden sollte.

       *       *       *       *       *

Die Bewegungen der russischen Armee hatten den Plan der englischen
Heerführer umgestoßen. Die in Mooltan vereinigten englischen Korps
wurden schleunigst nach Lahore in Bewegung gesetzt, als die Absicht
der Russen, nach Südosten zu gehen, klar zu Tage trat. Die Zeit, die
General Iwanow brauchte, bei Attock seine Truppen zu vereinigen,
ermöglichte den Engländern, Lahore zu erreichen. Hier wurden ihre
Streitkräfte durch die starke Garnison erheblich vermehrt, und täglich
kamen neue Regimenter von Delhi und Lucknow an, die den Bestand der
von Sir Bindon Blood befehligten Armee auf die Zahl von hunderttausend
Kombattanten brachte.

Die Engländer bereiteten sich zu einer entscheidenden Schlacht vor,
denn schon erschien die Spitze der russischen Kolonnen zehn englische
Meilen nördlich vom Grabe des Kaisers Jehangir bei Schah Dara,
einer kaum acht englische Meilen nordwestlich von Lahore liegenden
Bahnstation.

Die englischen Truppen waren in Versammlungsformation in einer
Linie aufmarschiert, deren linker Flügel an dem dicht bei Lahore
vorbeifließenden Ravifluß die Schah Dara-Pflanzungen und die daneben
befindliche Schiffsbrücke besetzt hielt. Sie dehnte sich von dort fünf
englische Meilen weit östlich bis zu einem Kanal aus, der sich am
Shalimar-Park hin nach Süden zieht. Dieser Park und der an demselben
liegende Ort Bhogiwal bildeten den rechten Flügel. Vor der Front
hin zog sich ein Nebenarm des vielgewundenen Ravi mit größtenteils
sumpfigen Ufern. Im Rücken der Stellung lag das befestigte Lahore
mit seiner fünfzehn Fuß hohen, von dreizehn Toren durchbrochenen
Backsteinmauer.

Der Ravi, ein Nebenfluß des Indus, führte zur Zeit nur wenig Wasser.
Das Flußbett lag zum großen Teil trocken und war nur von lebhaft
fließenden, unregelmäßigen Rinnsalen durchzogen, die hier und da
größere und kleinere, zumeist sumpfige Inseln zwischen sich frei
ließen. Dieses Flußbett bildete das wesentlichste Hindernis für den
russischen Angriff, denn es mußte passiert werden, ehe die englische
Front und die Stadt Lahore erreicht werden konnte.

Heideck wohnte in einem kleinen Zelte, das er von Chanidigot
mitgebracht hatte. Morar Gopals Pferd hatte es während des Marsches
von Mooltan nach Lahore auf dem Rücken getragen, denn die Lancers, zu
denen Heideck sich hielt, da er ja mit ihren Offizieren befreundet
war, hatten den Weg nicht auf der Eisenbahn gemacht. Sie kampierten
jetzt im Shalimar-Park, einer großen, von einer Mauer umgebenen Anlage
voll der prächtigsten Mangobäume, mit vielen kleinen Springbrunnen und
zierlichen Pavillons. Da Heideck einen Khaki-Anzug und einen Korkhelm
trug, glich er trotz des Fehlens der militärischen Abzeichen ganz einem
englischen Offizier, umsomehr, als seine Haltung und seine Gestalt
durchaus soldatisch waren.

Er hatte während des Marsches und in der Lagerzeit Gelegenheit gehabt,
allerlei Betrachtungen über die britische Kriegsführung anzustellen.
Aber er hütete sich wohl, darüber mit den englischen Offizieren zu
sprechen, denn es waren nicht eben günstige Schlüsse, zu denen er
gelangt war. Er hatte den Eindruck, daß die Truppen weder kriegsmäßig
geführt wurden, noch eine besondere Feldtüchtigkeit an den Tag legten.
Die Leute wußten sich im Biwak und im Lager oft nicht zu helfen und
litten häufig empfindliche Entbehrungen, weil das nötige Material nicht
immer rechtzeitig zur Stelle war und die Lebensmittel nicht regelmäßig
geliefert wurden: auf den Proviantämtern herrschte die größte
Verwirrung.

Und nicht dort allein, sondern auch in den taktischen Verbänden machte
sich infolge der unpraktischen Zusammenstellung der Truppenkörper
überall eine bedenkliche Unordnung fühlbar. Zunächst waren die
Regimenter zur Bildung der Korps in Peschawar und Quetta durcheinander
gewürfelt worden, weil sie, je nachdem sie marschbereit zu sein
schienen, einzeln aus ihren Garnisonen weggeführt und auf die
Eisenbahn gesetzt worden waren. Die Konzentrierung in Mooltan und
der überstürzte Abmarsch nach Lahore aber hatten vollends ein schier
unentwirrbares Durcheinander geschaffen.

Heideck sah sich inmitten einer Armee, die den großen Krieg und
wohl überhaupt den Krieg gegen reguläre Truppen nicht kannte. Des
Kämpfens zwar waren die Engländer gewohnt, denn sie hatten sich ja
beständig mit wilden und halbwilden Völkern herumschlagen müssen. Sie
hatten kostspielige Expeditionen gemacht und teuer erkaufte Siege
davongetragen. Aber immer waren es regellose braune und schwarze
Haufen gewesen, mit denen sie es zu tun gehabt hatten. Die Erfahrungen
des Burenkrieges waren noch nicht in Fleisch und Blut der Truppe
übergegangen. Die persönliche Tapferkeit jedes einzelnen war beinahe
immer das allein entscheidende Moment gewesen, und so mochte sich's
auch erklären, daß alle Offiziere von einem gewaltigen Selbstgefühl
erfüllt waren. Mit Geringschätzung sahen sie auf jeden Fremden herab,
weil sie in ihren Siegen ja tatsächlich fast immer über eine numerische
Uebermacht gesiegt hatten.

Mit Erstaunen bemerkte Heideck, daß die Durchführung der taktischen
Regeln und Instruktionen in der britischen Armee häufig noch im
Widerspruch mit der modernen Bewaffnung stand. Namentlich wurde bei
der Infanterie immer noch das Salvenfeuer gewohnheitsmäßig als die
Hauptfeuerart angewandt. Die Mannschaften waren einmal darauf gedrillt,
daß sie auf Kommando ein ruhiges, gleichmäßiges Feuer abzugeben
und dann fest zusammengeschlossen mit dem Bajonett auf den Feind
loszustürmen hätten. Dies mächtige Volk war eben zu bequem gewesen,
die neuesten Erfahrungen der Gefechtstechnik sofort zur Durchführung
zu bringen; das hochmütige Albion hatte kritiklos alles für gut
beibehalten, was englisch war und alles Neue und Fremde von vornherein
verachtet. Oder vermieden die Engländer die aufgelöste Gefechtsordnung
etwa deshalb, weil sie fürchteten ihre indischen Soldaten alsdann nicht
mehr lenken zu können?

Die Breitengliederung der taktischen Verbände im Verhältnis zur Stärke
der Armee erschien Heideck zu gering, um eine Aussetzung des Gefechts
kraft derselben zu sichern.

Die Umgebung Lahores, besonders im Norden der Stadt, zwischen der Mauer
und dem Feldlager, machte einen sehr bunten und bewegten Eindruck.
Eine ganz eigenartige Staffage bildeten die unzähligen Kamele, die als
Transportmittel gedient hatten und den Hauptteil des Trains ausmachten.
Sie lagen in dicht gedrängten Haufen am Boden oder schritten
gravitätisch ihres Wegs, während das laute Geschrei der Treiber grell
die Luft erfüllte. Außerdem gab es noch eine ungeheure Menge von
Menschen, die auf die eine oder andere Art zum Heere gehörten, ohne
Kombattanten zu sein. Ein für malerische Eindrücke empfängliches Auge
konnte also wohl seine Freude haben an den stetig wechselnden, farbigen
Bildern der weiten Ebene. War doch schon die landschaftliche Szenerie
interessant. Zwischen den weit verstreuten Dörfern und Vororten der
etwa 180000 Einwohner zählenden Stadt schimmerten in frischem Grün
prächtige Park- und Gartenanlagen, zumeist als Umgebung der Grabstätte
eines Sultans oder eines berühmten mohammedanischen Heiligen. Nach
Südosten hin erstreckten sich die großen Kantonnements der Kavallerie
und der Artillerie, zu der auch mehrere Elefanten-Batterien gehörten.

Die Stadt selbst war gedrängt voll von Militär und den Familien der
Offiziere. Fast alle Frauen und Kinder der nordwestlich von Lahore
liegenden Garnisonen hatten sich beim Anmarsch der Truppen hierher
geflüchtet. Auch Mrs. Baird mit ihren beiden kleinen Töchtern und
Mrs. Irwin befanden sich in der Stadt, wo sie im Charing-Croß-Hotel
Unterkunft gesucht hatten. Obwohl die Stadt in fast beängstigender
Weise überfüllt und die Kriegslage keineswegs unbedenklich war, nahm
Heideck doch nirgends eine besondere Aufregung wahr. Die Engländer
bewahrten die ihnen eigentümliche ruhige Haltung, und die Eingeborenen
schwiegen aus Furcht. Auf sie mochte das völlig Unerwartete und
Unfaßliche der veränderten Situation wohl auch eine gewisse lähmende
Wirkung ausüben.

Als Heideck kurz vor Sonnenuntergang vom Lager nach der Stadt ging,
um die Damen aufzusuchen, kam es ihm, während er das bunte Gewühl
außerhalb der Ringmauer durchschritt, immer mehr zum Bewußtsein, daß
die Stellung der Armee sehr schlecht gewählt war. Eine viel zu große
Anzahl von Menschen und Tieren war in dem verhältnismäßig engen Raum
zusammengedrängt. Wenn etwa russische Schrapnells in diese Menge
fielen, mußte ein schrecklicher Wirrwarr entstehen. Die Nähe der
befestigten Stadt mußte die Kämpfenden zur Flucht hinter die Mauern
verlocken. Heideck hatte bisher nicht den Eindruck empfangen, daß man
auf ausdauernden Mut bei den eingeborenen Soldaten rechnen könnte.

Auf der Straße, die vom Shalimar-Park zur Eisenbahnstation in der
Vorstadt Naulakha führte, mußte Heideck beständig den Batterien, den
langen Zügen hochbepackter Kamele und beladener Ochsenwagen ausweichen,
die ihm entgegen kamen, und er brauchte darum beinahe zwei Stunden, bis
er sein Ziel erreichte. Das Charing-Croß-Hotel war bis unter das Dach
hinauf gefüllt, und die beiden Damen mußten sich mit den Kindern in
einem einzigen Zimmer des dritten Stockwerks behelfen, das man ihnen
für einen enormen Preis überlassen hatte.

Mrs. Baird, eine Dame von kleiner, zierlicher Gestalt, aber von
energischem Geist und echt englischem Stolz, erschien vollkommen ruhig
und zuversichtlich. Sie sprach mit keinem Wort von ihrer eigenen,
sicherlich höchst unbequemen Lage und von den Entbehrungen, die unter
den obwaltenden Umständen ihren Kindern auferlegt waren, sondern einzig
von dem nach ihrer Ueberzeugung unmittelbar bevorstehenden Siege
der britischen Armee. Der Marsch von Mooltan nach Lahore war ja ein
Vorrücken, und es unterlag für sie nicht dem mindesten Zweifel, daß der
Uebermut der Russen binnen kürzester Zeit furchtbar bestraft werden
würde.

„Es ist schrecklich, zu denken,“ sagte sie zu Heideck, „daß eine
Nation, die sich eine christliche nennt, uns in Indien anzugreifen
wagt. Was war dies unglückliche Land, ehe wir uns seiner annahmen!
England hat es von der Tyrannei barbarischer Despoten befreit und ihm
Wohlstand und Glück gegeben! Die indischen Städte sind aufgeblüht,
weil unsere Gesetze die freie Entwicklung von Handel und Verkehr
ermöglichten. Es war im höchsten Sinne des Wortes eine Kulturmission,
die unsere Nation hier erfüllt hat. Gäbe der Himmel den Russen den
Sieg, so würde dieses jetzt so glückliche Land wieder in die finsterste
Barbarei zurückgeschleudert werden.“

Sie schien ein Wort der Zustimmung von Mrs. Irwin zu erwarten; diese
aber saß ernst und schweigend da.

„Sie sollten nicht so still sein, liebste Edith, und nicht ein so
schwermütiges Gesicht machen,“ wandte sich die Gattin des Obersten mit
sanftem Vorwurf an sie. „Ich begreife vollkommen, daß die traurigen
Ereignisse in Ihrem Privatleben Sie bedrücken. Aber jedes persönliche
Leid sollte jetzt in der allgemeinen Sorge aufgehen. Was ist das
Schicksal des Einzelnen in dieser Gefahr des Vaterlandes? Ich weiß, daß
Sie eine so gute Patriotin sind, wie nur irgend eine Engländerin, aber
mir scheint, daß es notwendig ist, das auch in diesen ernsten Stunden
zu zeigen. Sorge und Niedergeschlagenheit wirken in solchen Zeiten auf
unsere Umgebung wie eine ansteckende Krankheit.“

„Vielleicht bin ich in Wahrheit gar nicht die gute Patriotin, für die
Sie mich halten.“

„Ah! -- Wie soll ich das verstehen?“

„Ich kann die Kriege nicht von Ihrem Standpunkt ansehen, meine liebe
Mrs. Baird! Es will mir vorkommen, als unterschieden wir Menschen uns
gar nicht so sehr von den Tieren, die aus Hunger oder aus Eifersucht
oder aus allerlei anderen niederen Instinkten miteinander kämpfen!“

„O, welch ein Vergleich!“

„Nun, wir verstehen uns ja allerdings besser auf die Kriegführung; denn
wir erfinden komplizierte Instrumente, um unsere Mitmenschen haufenweis
zu töten, während die Tiere auf ihre natürlichen Waffen beschränkt
bleiben. Aber wissen wir darum besser als die Tiere, was wir tun? Wenn
die Heere der Ameisen, der Bienen, der Wiesel oder der Fische im Meer
ausziehen, um andere Geschöpfe ihrer Art zu vernichten, werden sie
da nicht vielleicht von denselben Instinkten geleitet, die auch uns
beherrschen?“

„Ich kann Ihnen da nicht folgen, Mrs. Irwin,“ sagte die kleine Dame
etwas gereizt. „Wir Menschen sind doch vernunftbegabte Wesen, die nach
bewußten Zielen streben!“

„Ist es wirklich so vernünftig, wenn die Bauern und Arbeiter als
Soldaten in den Krieg ziehen? Streben sie da wirklich nach einem klar
bewußten Ziel? Keiner von ihnen hat etwas zu gewinnen. Man zwingt
sie, sich verstümmeln und totschießen zu lassen und ihre Mitmenschen
zu töten. Die Ueberlebenden aber haben es nach erfochtenem Siege um
nichts besser als vorher. Und die Führer selbst? Ehren und Orden und
Dotationen sind doch nur Tand im Sinne des Christentums. Seien wir
ehrlich, Mrs. Baird! Hat England etwa des Christentums wegen Indien
erobert? Nein! Wir haben Ströme von Blut vergossen, nur um unsern
Handel zu erweitern und das Vermögen einiger Weniger, die noch dazu dem
Kampfe ferngeblieben sind, ins Ungemessene zu steigern.“

„Es ist traurig, das aus dem Munde einer Engländerin zu hören.“

Die Unterhaltung drohte eine bedenkliche Wendung zu nehmen, da die
Gattin des Obersten sich durch Ediths Aeußerungen in ihren Empfindungen
ernstlich verletzt fühlte. Aber Heideck wußte sofort dem Gespräch
einen weniger verfänglichen Charakter zu geben. Bald darauf erschien
der Oberst, der ein Zelt draußen im Lager bewohnte und nur selten
Gelegenheit fand, nach seinen Angehörigen zu sehen.

Er bemühte sich, heiter und gelassen zu erscheinen, aber er war doch
ein zu schlechter Schauspieler, um seine wahre Stimmung, die nichts
weniger als fröhlich war, zu verbergen.

„Ich kann leider nur kurze Zeit bleiben,“ sagte er, nachdem er die
kleinen Mädchen, an denen er mit großer Zärtlichkeit hing, noch
herzlicher als sonst geliebkost hatte. „Ich bin hauptsächlich deshalb
gekommen, um dich, liebe Ellen, über das zu verständigen, was du im
Falle eines Rückzuges zu tun hast.“

„Eines Rückzuges? -- Um Gottes willen -- davon kann doch keine Rede
sein!“

Der Oberst lächelte etwas gezwungen.

„Natürlich rechnen wir mit Sicherheit auf den Sieg. Aber das wäre ein
schlechter Feldherr, der nicht auch an die Möglichkeit eines Rückzugs
dächte. Während der letzten Stunden sind alle Dispositionen geändert
worden. Wir brechen auf, um die Russen anzugreifen.“

„So ist es recht!“ rief Mrs. Baird mit leuchtenden Augen. „Eine
britische Armee darf den Feind nicht erwarten, sondern sie muß ihm
entgegen gehen!“

„Wir werden in der ersten Morgenfrühe aufbrechen, um den Russen den
Uebergang über den Ravi zu verwehren. Die Pioniere gehen schon in der
Nacht voraus, um die Brücken zu zerstören, -- sofern es nicht bereits
zu spät dazu ist. Um die richtige Front zu bekommen, muß die Armee
beim Aufmarsch eine große Linksschwenkung machen. Hierbei soll auch
die Front nach rechts verlängert werden. Der linke Flügel bleibt bei
Schah-Dara und der Schiffsbrücke stehen.“

„Wäre es nicht möglich, mit hinauszugehen und der Schlacht zuzusehen?“
fragte Mrs. Baird. Aber ihr Gatte schüttelte in entschiedener Ablehnung
den Kopf.

„Für euch, liebe Ellen, hält unser zuverlässiger Smith einen Wagen
mit zwei tüchtigen Ochsen hier im Hotel bereit. Es ist für alle Fälle.
Erhaltet ihr, was Gott verhüten möge, die Nachricht, daß die Armee
sich auf Lahore zurückzieht, so dürft ihr keine Minute mehr verlieren,
sondern müßt so schnell als möglich, bevor das Gedränge an den Toren
und in den Straßen beginnt, zum Akbaritore hinaus über die Kanalbrücke
fahren, die zum Sadar-Bazar führt und dann nach Amritsar, wo ihr
vielleicht die Eisenbahn nach Goordas benutzen könnt. Alle übrigen
Bahnen sind für andere als militärische Zwecke gesperrt. Dorthin
aber wird der Strom nicht gehen, und dort werdet ihr in irgend einer
Ortschaft des Gebirges vorläufig sichere Zuflucht finden. -- Darf ich
Sie mit einer großen Bitte behelligen, Mr. Heideck?“

„Ich bin ganz zu Ihrer Verfügung, Herr Oberst!“

„Bleiben Sie hier im Hotel -- suchen Sie sich über die Vorgänge auf
dem Laufenden zu erhalten und seien Sie den Damen und Kindern ein
Beschützer, bis sie sich in Sicherheit befinden. Wenn ich mir erlauben
darf, Ihnen für die Bestreitung der Kosten diesen Check -- -- --“

„Lassen Sie das einstweilen, Herr Oberst!“ wehrte Heideck ab. „Ich bin
mit Geld ausreichend versehen, und ich werde später Rechnung ablegen.
Ich verspreche Ihnen, Ihre Angehörigen und Mrs. Irwin zu schützen,
so gut ich kann. Aber ich glaube, daß es besser sein wird, wenn ich
nicht in der Stadt bleibe, sondern die Truppe begleite. Sollte eine
ungünstige Wendung eintreten, so kehre ich eben eiligst zurück. Die
Aufregung der Damen würde sich unnötig vermehren, und ich selbst würde
in Verlegenheit wegen unserer Maßregeln geraten, wenn wir hier im Hotel
unzuverlässige Nachrichten vom Stand der Dinge erhielten.“

„Das ist richtig,“ sagte der Oberst nach kurzem Bedenken. „Schon
jetzt schwirren die abenteuerlichsten Gerüchte umher. Unter unseren
mohammedanischen Truppen sind Flugblätter verbreitet worden, die sie
unter den tollsten Vorspiegelungen zum Abfall von der englischen
Armee auffordern. Einige Leute, die sich mit der Verteilung solcher
Flugblätter befaßten, sind schon kurzerhand erschossen worden. -- Ich
überlasse alles Ihrer Umsicht und Entschlossenheit. Jedenfalls tun Sie
am besten, sich möglichst in der Nähe des Höchstkommandierenden zu
halten. Mein Passierschein wird Ihnen überall den Weg frei machen. Von
meiner Dankbarkeit werde ich später reden.“

Er drückte Heideck kräftig die Hand, umarmte noch einmal seine Frau und
seine Kinder, und die beiden Männer wandten sich zum Gehen. Schwer und
beklemmend lag auf allen die dumpfe Vorahnung, daß es ein Abschied für
immer gewesen sein könne.



[Illustration]



XIII.


Der rote Schein zahlloser Feuer beleuchtete Heidecks Weg, als er in
das Lager zurückkehrte. Ueberall auf der weiten Ebene zwischen der
Stadt und dem Flusse wurde mit fieberhafter Geschäftigkeit gearbeitet.
Lange Züge von Lasttieren waren in Bewegung, Lebensmittel und Munition
wurden verteilt. Viele tausend Hände arbeiteten daran, den Uebergang
der Armee über den flachen Nebenfluß des Ravi zu erleichtern. Man
suchte den sumpfigen Stellen durch Bedeckung mit Palmenzweigen und
Blättern größere Festigkeit zu geben, und für die Artillerie wurden in
aller Eile Knütteldämme hergestellt. Heideck legte sich unwillkürlich
die Frage vor, warum die Armee nicht gleich an der Stelle versammelt
worden war, an der die Schlacht stattfinden sollte. Der Aufmarsch
durch die schwierigen Gelände in Verbindung mit der beabsichtigten
Linksschwenkung stellte an die Leistungsfähigkeit der Truppen
Anforderungen, die ohne Zweifel die nachteiligsten Folgen für das
Gefecht selbst haben mußten!

Vor seinem Zelte traf Heideck auf seinen indischen Boy, der sich
ersichtlich in großer Aufregung befand.

„Wenn wir morgen früh aufbrechen, lassen wir das Zelt mit allem, was
darin ist, stehen,“ sagte Heideck. „Du wirst meinen Hengst reiten,
während ich dein Pferd nehme.“

Morar Gopal war ein Hindu aus dem Süden, fast so schwarz wie ein Neger,
ein winziges, behendes Männchen, das kaum fünfzig Kilo wog. Deshalb
wollte Heideck ihn auch zunächst sein Pferd reiten lassen, um dessen
Kräfte für die späteren Anstrengungen des Tages möglichst zu schonen.

Jetzt erst gewahrte er, daß der Diener sich gegen seine Gewohnheit
bewaffnet hatte. Er war mit einem Säbel umgürtet, und als er ihn nach
dem Grunde fragte, erwiderte der Inder mit einem gewissen Pathos:

„Alle Hindus werden morgen sterben, aber ich will mich wenigstens
tapfer verteidigen.“

„Und wie kommst du auf die Vermutung, daß alle Hindus morgen sterben
müssen?“

„O, Sahib, wir wissen es wohl. Die Mohammedaner hassen die Hindus, und
sie werden uns morgen alle töten.“

„Das ist ja Unsinn! Mohammedaner und Hindus werden morgen vereint gegen
die Russen kämpfen.“

Aber der Inder schüttelte den Kopf.

„Nein, Sahib, die Russen sind auch Mohammedaner.“

„Der dir das sagte, hat dich belogen. Die Russen sind Christen, wie die
Engländer.“

So großes Vertrauen Morar Gopal sonst auch zu seinem Herrn haben
mochte, diesmal schenkte er seinen Versicherungen offenbar keinen
rechten Glauben.

„Wenn sie Christen wären, warum sollten sie dann Krieg gegen andere
Christen führen?“

Heideck sah ein, daß es unmöglich sein würde, den dunkelhäutigen
Burschen über die ihm unverständlichen Dinge aufzuklären. Und da nur
noch wenige Stunden für die Nachtruhe blieben, schickte er ihn auf
seine Lagerstätte.

Der erste Sonnenstrahl zuckte noch kaum über die weite Ebene hin, als
der Vormarsch begann. Heideck war bereits vor Tagesanbruch im Sattel
gewesen, und er fand noch vor dem Aufbruch die Zeit, einige Worte mit
dem Obersten Baird zu wechseln.

Dieser war heute auf einen sehr wichtigen und verantwortungsvollen
Führerposten gestellt. Er kommandierte eine Brigade, die aus zwei
englischen und einem Sepoy-Regiment, den Lancers und einer Batterie
bestand. Dazu befehligte er das vom Maharadjah von Chanidigot
gestellte und von dem Prinzen Tasatat geführte Hilfskorps, das aus
tausend Mann Fußvolk, fünfhundert Reitern und einer Batterie bestand.
Der Prinz selbst war auf das prächtigste gekleidet und bewaffnet;
Griff und Scheide seines Säbels funkelten von Edelsteinen, und an
seinem Turban blitzte eine Agraffe aus kostbaren Diamanten. Er ritt
einen prächtigen Fuchs, dessen Zäumung allein ein kleines Vermögen
darstellte. -- Auch seine Truppen waren schön gekleidet und trugen
ein sehr zuversichtliches Wesen zur Schau. Die Reiter waren ähnlich
den englischen Lancers mit langen Lanzen ausgerüstet und trugen rote,
blaugestreifte Turbane. Viele von ihnen waren aber trotz ihrer schweren
Stiefel genötigt gewesen, in die Reihen der Infanterie einzutreten,
da sowohl bei den mohammedanischen Truppen, wie bei der englischen
Kavallerie infolge schlechter Verpflegung und übergroßer Anstrengung
zahlreiche Pferde eingegangen waren.

Die Bewegung der britischen Armee war ziemlich verwickelt. Die
englischen Streitkräfte standen noch in zwei Treffen versammelt
zwischen Schah Dara und dem Park von Shalimar. Das erste bildeten
die von englischen Offizieren kommandierten indischen Truppen, das
zweite die englischen Regimenter. So sollte verhindert werden, daß
die zirka fünfundsiebzigtausend Inder die Flucht ergreifen könnten;
sollte das erste Treffen aber zum Rückzug gezwungen werden, dann konnte
es durch die fünfundzwanzigtausend Engländer Aufnahme finden und so
die Schlacht wieder zum Stehen gebracht werden. Der Vormarsch wurde
nun so angetreten, daß die rechte Hälfte der Aufstellung weit nach
rechts ausholend die Linksschwenkung ausführte und dadurch die Front
um etwa ein Drittel verlängerte; zur Füllung der hierdurch im Zentrum
entstehenden Lücke wurde das zweite Treffen in das erste vorgezogen
und bildete nunmehr die Mitte der Schlachtlinie. Gleichzeitig wurde ein
neues zweites Treffen gebildet, das durch Zurücklassen entsprechender
Truppen aller vorgehenden Abteilungen gebildet und hinter dem linken
Flügel der gesamten Aufstellung zusammengezogen wurde: die Engländer
hielten ihren linken Flügel für den am meisten bedrohten. Oberst Baird
befand sich mit seiner Brigade in der Mitte der ganzen Aufstellung in
vorderster Linie.

Heideck sah viele indische Regimenter an sich vorüber ziehen, und es
entging ihm nicht, wie verschieden die Stimmung und Haltung der Leute
war, je nachdem sie zu den Mohammedanern oder zu den Hindus gehörten.
Während jene sehr unternehmend und viele sogar fröhlich aussahen,
ließen die Hindus zum Zeichen ihrer Verzweiflung die Enden ihrer
Turbane lose herabhängen und marschierten, Kopf und Gesicht mit Asche
bestreut, trübselig dahin. Die Auffassung Morar Gopals von dem allen
Hindus bevorstehenden Schicksale war also offenbar ganz allgemein.

So weit das Auge reichte, war die weite Ebene mit marschierenden
Infanterie-Kolonnen, Reiterscharen und dumpf rasselnden Geschützen
bedeckt. Während das englische Fußvolk in seinen gelbbraunen
Khakianzügen sich kaum von der Farbe des Bodens abhob, glichen die
Reiterregimenter und die Truppen der indischen Fürsten buntfarbigen
Inseln in dem bewegten und unabsehbaren Meere des in zwei Treffen
vorrückenden Heeres.

Dem Wunsche des Obersten entsprechend, hielt sich Heideck in der Nähe
des Höchstkommandierenden, dessen zahlreicher Stab und großes Gefolge
von Dienern, Pferden und Wagen ihm gestattete, sich unauffällig in
das Gedränge zu mischen. Aber nicht lange blieb der General bei dem
Zentrum. Um einen besseren Ueberblick über die ganze Schwenkung zu
gewinnen und die Annäherung der Russen beobachten zu können, ritt er
mit seinem Stabe und einer starken Reitereskorte gegen den Ravifluß
vor. Heideck schloß sich, von seinem treuen Diener begleitet, ihnen an
und war auf solche Art der Brigade des Obersten Baird bald weit voraus.

Von den Russen war vorläufig nichts zu sehen, und es mochten wohl
schon drei Stunden seit dem Beginn des Vormarsches verflossen sein,
als der dumpfe Donner der ersten Kanonenschüsse über das weite Feld
dahinrollte. Der Feldherr hielt an und richtete seinen Krimstecher
nach dem linken Flügel, wo die Kanonade mit jeder Minute an Heftigkeit
zunahm. Eine weitere halbe Stunde noch, und das helle Knattern des
Infanteriefeuers mischte sich in das Dröhnen der schweren Geschütze.
Es war kein Zweifel mehr: am linken Flügel bei Schah Dara hatte die
Schlacht begonnen. Gegen das rechte Raviufer vorgehend, machten
die Russen Miene Lahore anzugreifen. Der Feldherr entsandte zwei
Ordonnanzoffiziere nach dem rechten Flügel und dem Zentrum, mit dem
Befehl, den Marsch zu beschleunigen. Dann kehrte er selbst mit seinem
Gefolge an den früheren Standort zurück.

Heideck aber konnte sich nicht sogleich entschließen, ihm zu folgen.
Seit dem Augenblick, da der erste Schuß gefallen war, hatte ihn das
Schlachtenfieber ergriffen; er war jetzt nur noch Soldat.

Ein Gebäude, das er in geringer Entfernung bemerkt hatte und von
dessen schlankem Minaret aus er einen besseren Ueberblick zu gewinnen
hoffte, zog ihn unwiderstehlich an. Es war das halb verfallene
Grabdenkmal irgend eines Heiligen, und es kostete Heideck einige Mühe,
die Spitze des etwa sechs Meter hohen Minarets zu erklimmen, während
sein Diener unten mit den Pferden wartete. Aber die Anstrengung
wurde reichlich belohnt. Weithin übersah Heideck das flache Gefilde.
Der vielfach gekrümmte Ravifluß war kaum eine halbe englische Meile
entfernt. Seine Ufer waren mit hohem Grase und dichtem Dschungelgebüsch
bestanden; jenseits des Stromes aber zeigten sich ungeheure, dicht
zusammengeballte Truppenmassen: die vorrückende russische Armee.

Beide Heere mußten sehr bald am Flusse aufeinanderstoßen, denn
einzelne Reiterregimenter und reitende Batterien der Engländer, die in
langer Linie vorrückten, befanden sich bereits in dessen unmittelbarer
Nähe.

Heideck hatte genug gesehen, um den Stand der Schlacht beurteilen
zu können. Er kletterte wieder von seinem Minaret herab und bestieg
jetzt den noch völlig frischen Hengst, während Morar Gopal sich in den
Sattel seines Pferdes schwang. So gelangten sie sehr bald unter die
britischen Reiter, die dem Gros vorausschwärmten. Der Anmarsch geschah
jetzt mit äußerster Schnelligkeit. In der raschesten Gangart, die der
weiche Boden nur immer gestattete, fuhren die englischen Batterien auf,
protzten ab und eröffneten das Feuer. Geschlossene Infanteriemassen
marschierten auf das Dschungel los. Von der anderen Seite des Flusses
her aber wurde das lebhafte englische Feuer nur schwach erwidert. Nur
aus der Gegend des linken englischen Flügels her, der von hier aus
nicht zu erblicken war, dauerte das Geschütz- und Salvenfeuer mit
unverminderter Heftigkeit fort.

Die Folge davon war, daß beträchtliche Verstärkungen nach dem
anscheinend hart bedrängten linken Flügel entsandt wurden, wodurch
eine erhebliche Schwächung des Zentrums herbeigeführt wurde, ohne
daß wirkliche Klarheit über die Absichten der Russen vorhanden war.
Gerade das aber mochte nach Heidecks Ueberzeugung die russische Taktik
gewesen sein. Er war der Ansicht, daß sie den großen Schlachtenlärm bei
Schah Dara wahrscheinlich nur verursachten, um die Aufmerksamkeit der
Engländer dorthin abzulenken und dann den Hauptstoß in das Zentrum zu
führen. Heidecks Urteil war richtig: die russische Hauptmacht stand dem
Oberst Baird gegenüber.

Ein anderer Umstand, der sein Befremden erregte, war die Wahrnehmung,
daß sowohl die englischen als auch die indischen Infanterieregimenter
vor dem Dschungel Halt machten, statt bis zum Ravifluß durchzustoßen.
Es wurden nicht einmal Schützen hineingeschickt, obwohl das Buschwerk
keineswegs so dicht war, daß sich nicht eine Schützenkette darin hätte
einnisten können. Die stachlichen Sträucher am Ufer standen vielmehr
weit genug von einander entfernt, und das hohe Gras, das den Leuten
wohl bis an die Schultern ging, hätte sogar ein vortreffliches Versteck
geboten.

Nach und nach hatte die englische Armee die Linksschwenkung ausgeführt
und stand der russischen Front nun gegenüber, und fortwährend wurden
neue Regimenter aus dem zweiten Treffen in den vermeintlich gefährdeten
linken Flügel vorgezogen. Unablässig donnerten die englischen
Geschütze, aber ihre Aufstellung ließ manches zu wünschen übrig,
viele von ihnen schossen, ohne durch das Dschungel hindurch den Feind
überhaupt sehen zu können, und vergeudeten so nutzlos und vorzeitig
ihre Munition.

Hell schien die Sonne vom wolkenlosen Himmel herab. Ein leichter
Nordwest, den das ferne Gebirge herabsandte, trieb den schwachen
Pulverdampf in dünnen Wolken zur englischen Armee zurück.

Die Infanterie stand jetzt bewegungslos, da der Feind für sie
völlig unsichtbar war. Erwartungsvolle Schwüle lag über den
gewaltigen Kriegermassen, die die Gefahr fühlten und doch zu
qualvoller Untätigkeit verurteilt waren. -- Da mit einem Male erhob
sich vom Flusse her wildes Geschrei, und gleich einem ungeheuren
Heuschreckenschwarm durchbrachen Scharen von Reitern die Dschungeln,
die vorher sogar die englische Infanterie hatten aufhalten können.
Tausende der wilden Afghanen und der Krieger aus Buchara, Samarkand,
Chiva und Semiretschensk, die zu den turkestanischen Divisionen
vereinigt waren, hatten den Uebergang über den Fluß bewerkstelligt und
stürzten sich nun unter dem gellenden Geschrei: ‚Allah! Allah!‘ auf die
englischen Bataillone und Batterien. Im Schießen vom Pferde vorzüglich
geübt, waren sie ein schrecklicher Gegner.

Obwohl die Engländer den unvermuteten Angriff mit knatterndem
Salvenfeuer erwiderten und nicht um eines Haares Breite aus ihrer
Position wichen, erlitten die russischen Reihen infolge ihrer
aufgelösten Ordnung nur wenig Verluste. Immer neue Schwärme brachen aus
dem Dschungel hervor, und wie ein Heer von Teufeln ritten sie gegen die
Batterien an. Einige von diesen wurden wirklich zum Schweigen gebracht:
die Bedienungsmannschaften waren niedergeschlagen worden, ehe sie die
Geschütze gegen ihre Angreifer hatten wenden können, so rasend schnell
und überraschend waren die kühnen Reiter vorgestürmt.

Zu spät kam die in glänzender Attacke vorgehende englische Kavallerie
heran, die Wucht des Stoßes verpuffte, da die feindlichen Reiter
schon wieder nach allen Seiten auseinandergestoben waren. Diese Leute
hatten ihre kleinen, flinken Pferde auf eine geradezu wunderbare Weise
in der Gewalt. Sie schienen völlig mit ihnen verwachsen, und die
Schnelligkeit, mit der sie ihre Schwärme auflösten um sich sogleich
wieder an anderer Stelle zu dichten Haufen zusammenzuschließen, machte
sie für die kompakten Schwadronen des Gegners fast unangreifbar.

Einmal war auch Heideck mit einem Teil des Stabes, dem er sich
angeschlossen hatte, in das Kampfgedränge geraten. Er hatte
einen Afghanen, der ihn angriff, vom Pferde schießen müssen, und
wahrscheinlich hätte ihn im nächsten Augenblick der Säbelhieb
eines andern getroffen, wenn nicht der treue Morar Gopal, der eine
erstaunliche Tapferkeit an den Tag legte, den Reiter rechtzeitig
mit einem Stoß seines Säbels unschädlich gemacht hätte. Noch wogte
das Kavalleriegefecht hin und her, als plötzlich eine große Anzahl
heller Punkte in dem Grase vor dem Dschungel auftauchte. Scharf und
hell knallte es von dort herüber, und die verderbliche Wirkung der
Schüsse bewies, wie trefflich die russischen Schützen, die sich
dort langsam gegen die britische Armee zu vorschoben, ihre Gewehre
zu handhaben wußten. Die englische Infanterie gab unermüdlich ihre
Salven ab, aber ein nennenswerter Effekt dieser Munitionsverschwendung
war nicht wahrzunehmen. Die Zielpunkte waren zu winzig und zu weit
verstreut, als daß das auf Kommando mechanisch abgegebene Salvenfeuer
die gewünschte Wirkung hätte ausüben können. Außerdem hatten die
Russen an dem farbigen Hintergrund des Dschungels eine vortreffliche
Deckung, während die Engländer sich wie eine aufgestellte Scheibe
gegen den hellen Horizont abhoben. Planmäßig nahmen die Russen zuerst
die Bedienungsmannschaften der englischen Batterien unter Feuer. Die
englische Artillerie wurde durch die wohlgezielten Schüsse der Russen
auf eine fürchterliche Weise dezimiert, so daß schon nach Verlauf
von kaum zehn Minuten der Befehl erteilt wurde, mit den Kanonen
zurückzugehen. Soweit es möglich war, protzten die Engländer auf und
jagten zurück, um zwischen den Infanterie-Bataillonen Aufstellung zu
nehmen und von dort aus das Feuer wieder zu eröffnen. So rächte sich
das reglementswidrige Vorgehen der englischen Artillerie, das eine
Folge des übereilten Vordringens war, aufs schwerste.

Eine viel stärkere und verhängnisvollere Wirkung jedoch als der
Angriff selbst schien das unaufhörliche Allahgeschrei der Afghanen
und turkestanischen Reiter auf die in den britischen Linien stehenden
Mohammedaner hervorzubringen. Heideck sah ganz deutlich, daß die
indischen Soldaten hier und dort wie auf Kommando aufhörten zu feuern,
und er gewahrte, wie erregte englische Offiziere mit dem flachen Säbel
auf die Leute losschlugen und sie mit dem Revolver bedrohten. Offenbar
aber hatten die Anführer ihren Einfluß auf die ihnen unterstellten
fremden Elemente verloren. Ganz in der Nähe des Höchstkommandierenden
wurde ein englischer Kapitän von einem indischen Soldaten mit dem
Bajonett niedergestochen, und es war kaum zu bezweifeln, daß ähnliche
Handlungen offener Rebellion sich auch bei den übrigen indischen
Truppen wiederholten.

Die Leute, die nur mit dem heftigsten inneren Widerwillen dem Befehl
der fremden Tyrannen gehorcht hatten, glaubten augenscheinlich schon
jetzt den rechten Zeitpunkt gekommen, das verhaßte Joch abzuschütteln,
und zugleich loderte die alte Feindschaft zwischen Mohammedanern
und Hindus, der Gegensatz der beiden Religionen, der sich auch in
friedlichen Zeiten sehr oft in blutigen Schlägereien kundgegeben
hatte, in hellen Flammen auf. Inmitten des britischen Heeres kam es zu
erbitterten Einzelkämpfen zwischen den unversöhnlichen Gegnern. Und
es war unvermeidlich, daß dadurch die ganze Disziplin verhängnisvoll
erschüttert und aufgelöst wurde.

Das Schlachtfeld machte einen entsetzlichen Eindruck. Vor der Front
lagen zahllose Verwundete, die um Hilfe schrieen und denen doch keine
Pflege gebracht werden konnte, da das Zurückgehen der englischen
Artillerie ohne Rücksicht auf die Zurückbleibenden hatte vor sich
gehen müssen: verwundete Pferde, die wild um sich schlugen, um aus
den Geschirren zu kommen, erhöhten noch den grausigen Eindruck der
schrecklichen Szenerie; dazwischen sprengten vereinzelte Abteilungen
der englischen Kavallerie, auf die die eigene Infanterie aus Furcht vor
dem Vorgehen der russischen Schützen rücksichtslos schoß. Wenn auch im
Kriege die Schlachtfronten an sich ein so grauenvolles Bild bieten,
daß nur die Erregung des Augenblickes dem Menschen das Ertragen dieses
Eindrucks ermöglicht, so überstieg das sich hier durch den Vorkampf
abspielende Bild doch alle Vorstellungen. Die Disziplinlosigkeit in den
englischen Linien nahm immer mehr zu, so daß die englischen Offiziere
ihre ganze Aufmerksamkeit auf die eigene Truppe, statt auf die
Bewegungen des Gegners richten mußten. Wie nötig das war, zeigte sich
sehr bald.

Prinz Tasatat war der erste, der mit seiner ganzen Mannschaft die
Brigade des Obersten Baird verließ und offen zum Feind überging. Sein
Beispiel wirkte entscheidend auf die bisher noch zaudernden Inder ein,
und so wuchs die Zahl der Ueberläufer mit jeder Minute.

Eine einheitliche Leitung der Schlachtlinie war längst unmöglich
geworden. Oberst Baird ließ seine Geschütze auf die Abteilung
des Prinzen Tasatat richten, und gleich ihm führten viele andere
Befehlshaber nach eigenem Ermessen ihren besonderen Kampf. Einzelne
indische Regimenter zerstreuten sich nach allen Richtungen hin, weil
es den Leuten weniger um einen Kampf zu tun war, als darum, Beute
bei den Gefangenen und Verwundeten zu machen. An vielen Stellen
des Schlachtfeldes kam es zum Handgemenge, das bei der fanatischen
Erbitterung der Kämpfenden jedesmal zu einem grauenhaften Gemetzel
wurde. Am schlimmsten ging es denen, die in die Hände der Afghanen
fielen. Denn diese Teufel in Menschengestalt schnitten allen Gefangenen
und Verwundeten, gleichviel, ob es Mohammedaner, Hindus oder Engländer
waren, kurzerhand die Köpfe ab, und in ihrer Raubgier rissen sie den
Verwundeten und Toten die Wertgegenstände vom Körper.

Ein ungeheurer Strom von Flüchtlingen zog an den noch in geschlossener
Aufstellung verharrenden englischen Regimentern vorbei durch die Ebene
nach Lahore, um hinter den Mauern der befestigten Stadt Schutz zu
suchen.

Heideck hielt die britische Sache schon jetzt für verloren, und er
war darauf gefaßt, zusammen mit den tapferen Männern seiner Umgebung
hier den Schlachtentod zu sterben. Aber mit einem Gefühl aufrichtiger
Bewunderung mußte er erkennen, wieviel Tapferkeit und musterhafte
Disziplin den rein englischen Truppen innewohnte. Diejenigen Regimenter
und Batterien, denen keine einheimischen Elemente beigemischt waren,
blieben in all dem fürchterlichen Wirrwarr ruhig und unerschüttert, und
dank ihrer Tapferkeit begann die anfangs so regellose Schlacht sich
allgemach zu klären, wie wenn die starren Spitzen eines Gebirges aus
dem sich senkenden Nebel hervortreten.

Statt der halbwilden Reiterei, die den Angriff eröffnet hatte, standen
den englischen Truppen jetzt russische Batterien und gewaltige
Infanteriemassen mit dichten Schützenschwärmen, sowie mehrere
Dragonerregimenter gegenüber.

In dem allerdings sehr zusammengeschmolzenen zweiten Treffen der
Engländer befand sich der Oberbefehlshaber mit etwa sechstausend Mann
und zwei Batterien. Er hatte offenbar die Absicht, einen geordneten
Rückzug nach Lahore anzutreten und denselben mit seinen Kerntruppen zu
decken.

Es gelang ihm auch noch, vom rechten und linken Flügel zwei Abteilungen
durch ausgesandte Ordonnanzoffiziere heranzuziehen. Das erste Treffen
aber war so stark im Gefecht mit russischer Infanterie, daß ein
geordneter Rückzug fast undenkbar war.

Trotzdem wollte der Feldherr den Versuch machen, auch das erste Treffen
seiner Armee zurückzuziehen. Er entsandte einen seiner Adjutanten,
um dem Obersten Baird, der noch etwa zweitausend Mann um sich haben
mochte, den Befehl zum Abbrechen des Gefechts und zum Rückzug zu
überbringen. Der junge Offizier salutierte mit tiefernstem Gesicht,
zog seinen Säbel und sprengte davon. Aber er legte nur einen kleinen
Teil seines etwa eineinhalb Kilometer langen todumdrohten Weges zurück.
Umherschwärmende Kosaken auf kleinen, struppigen aber blitzschnellen
Pferden griffen ihn an und warfen das Opfer soldatischer Pflicht aus
dem Sattel.

Der General schien unschlüssig, ob er noch ein anderes junges Leben an
die aussichtslose Aufgabe setzen solle. Da ritt Heideck auf ihn zu und
legte die Hand an seinen Helm.

„Wollen Exzellenz mich reiten lassen! Ich bin mit dem Obersten Baird
befreundet und würde gern die Gelegenheit wahrnehmen, ihm meinen Dank
für erwiesene Güte abzustatten!“

Der Feldherr musterte den ihm unbekannten Herrn, der wie ein Offizier
aussah aber keine vorschriftsmäßige Uniform trug, mit scharfem Blick.
Doch er ließ sich nicht Zeit, Fragen zu stellen.

„Reiten Sie!“ sagte er kurz. „Der Oberst soll nicht länger Stand
halten; er soll rechts ausbiegend auf Lahore zurückgehen -- wenn er
irgend kann.“

Heideck salutierte und warf seinen Hengst herum. Er hatte den Revolver
in den Gürtel und den Säbel in die Scheide gesteckt. Denn nicht durch
den Gebrauch der Waffen, sondern einzig durch die Schnelligkeit seines
Pferdes durfte er hoffen, hier zum Ziel zu gelangen. Er ließ dem Tiere
die Zügel und ermunterte es durch Zuruf. Und der Hengst machte die
auf ihn gesetzten Hoffnungen nicht zu schanden. Er schien über den
zerstampften Boden mehr dahinzufliegen als zu laufen. Die Kosaken, die
auch diesen einzelnen Reiter zu erwischen versuchten, vermochten ihn
nicht zu erreichen. Und von den Schüssen, die dem Verwegenen galten,
traf keiner sein Ziel.

Unversehrt erreichte der freiwillige Meldereiter die Brigade. Aber er
kam zu spät; denn fast im nämlichen Moment erfolgte der Zusammenstoß
mit der trotz ihrer Verluste unaufhaltsam vorrückenden russischen
Infanterie. Um sein und seiner wackern Krieger Leben so teuer als
möglich zu verkaufen, hatte Oberst Baird ein Karree formieren lassen,
in dessen Mitte sich die Reiter und die Geschütze befanden. Viele der
Offiziere waren indessen aus dem Sattel gestiegen, hatten sich mit
den Gewehren und Patrontaschen von Gefallenen versehen und waren mit
aufgepflanztem Bajonett in das erste Glied des Vierecks getreten.
Schweratmend und schweißbedeckt hielt Heideck vor dem Obersten und
erstattete ihm seine Meldung.

Aber der tapfere Engländer wies mit einer Handbewegung auf die
russischen Linien.

„Unmöglich!“ sagte er. „Es ist uns bestimmt, auf diesem Fleck zu
sterben.“

Damit stieg auch er ab und nahm ein Gewehr. Aus tausend britischen
Kehlen ertönte ein helles: ‚Hurrah!‘ denn die Russen hatten das Karree
erreicht und man begann Mann gegen Mann zu kämpfen.

Unverwischlich prägten sich dem jungen Deutschen die furchtbaren
Schrecknisse dieses Handgemenges ein, bei dem die Engländer mit dem
Mute der Verzweiflung gegen den vielfach überlegenen Feind rangen. Auch
er hatte den Säbel gezogen, doch seine politischen Sympathieen waren
trotz aller persönlichen Beziehungen nicht bei der Sache der Engländer.

Da plötzlich hörte er einen heiseren Aufschrei der Wut dicht an
seiner Seite, und als er sich umwandte, sah er zu seiner grenzenlosen
Ueberraschung in das von Haß und Ingrimm schrecklich verzerrte Gesicht
des Kapitäns Irwin. Er hatte ihn bei dem Depot in Chanidigot vermutet,
aber Irwin mußte wohl eine Möglichkeit gefunden haben, sich diesem
Kommando, das unter den obwaltenden Umständen ja einer beschämenden
Zurücksetzung gleichgekommen war, zu entziehen und sich der ins
Feld rückenden Truppe anzuschließen. Auch er kämpfte hier in diesem
Todesringen mit dem Gewehr in der Hand, wie ein gemeiner Soldat. Und
das rote Blut, das die Spitze seines Bajonetts färbte, gab beredtes
Zeugnis für seine Tapferkeit. In diesem Moment aber war es keiner der
russischen Angreifer, dem sein zornfunkelnder Blick galt, sondern der
Mann, den er als seinen Todfeind haßte, seitdem durch sein mutvolles
Eingreifen der schurkische Anschlag gegen Edith vereitelt worden war.
Hier war der Ort und der Augenblick, dem heißen Racheverlangen, das ihn
verzehrte, Genüge zu tun. Was bedeutete inmitten dieses großen Sterbens
das Sterben eines Einzelnen!

Noch ehe Heideck die Absicht des Unseligen erraten konnte, drang
Irwin mit gefälltem Bajonett auf ihn ein. Einzig ein Aufbäumen des
erschreckten Hengstes rettete dem Hauptmann das Leben; denn der
Bajonettstoß, der seiner Brust zugedacht war, streifte den Hals des
Tieres. In demselben Augenblick traf der furchtbare Säbelhieb eines
Russen den durch keinen Helm mehr geschützten Hinterkopf Irwins mit
solcher Wucht, daß er mit einem dumpfen Aufschrei vornüber auf das
Gesicht fiel.

„Was tun Sie noch hier?“ klang die merkwürdig veränderte heisere Stimme
des Obersten plötzlich an Heidecks Ohr. „Reiten Sie -- um des Himmels
willen! Reiten Sie schnell! Wenn Sie sie wiedersehen, so bringen Sie
meinem Weibe und meinen armen Kindern meine letzten Grüße! Stehen Sie
ihnen bei!“

Aus einer tiefen Stirnwunde rann ihm das Blut über das Gesicht, und
Heideck sah, daß er sich nur noch mit gewaltiger Willensanstrengung
aufrecht erhielt. Er wollte etwas erwidern, aber schon hatte der
Oberst sich wieder in einen Knäuel von Kämpfenden gestürzt, und wenige
Sekunden später war er unter den Kolbenstößen und Säbelhieben der
Russen zusammengebrochen.

Da warf Hermann Heideck sein Pferd herum und sprengte davon.



[Illustration]



XIV.


Von tausendfältigem Tode umdroht, wie sein Ritt zu der Brigade des
Obersten Baird, war auch Heidecks Rückweg. Wenngleich er allen
geschlossenen Truppenkörpern auf seinem Wege über das blutgetränkte
Schlachtfeld erfolgreich und glücklich auswich, so kamen vereinzelt
russische Reiter doch in seine Nähe, und mehr als einmal hörte er den
feinen, pfeifenden Ton der dicht an seinem Haupte vorbeisausenden
Gewehrkugeln. Aber in dem Schlachtenfieber, das ihn ergriffen hatte,
dachte er kaum einen Augenblick an die Gefahr, denn alle seine Gedanken
beschäftigten sich einzig mit der Lösung der Frage, wie er nach Lahore
gelangen sollte, um die letzte Bitte des Obersten zu erfüllen.

Aus mehreren Wunden blutend, setzte sein wackerer Hengst die letzten
Kräfte ein, um seinen Reiter glücklich aus dem Schlachtgetümmel zu
bringen. Eine bedeutende Strecke noch vermochte das verwundete Tier im
langen Galopp zurückzulegen. Dann jedoch fing es plötzlich an, seinen
Gang zu verlangsamen und zu straucheln, so daß Heideck merken mußte,
es ging mit seinen Kräften zu Ende. Er schwang sich aus dem Sattel,
um die Verletzung des Hengstes zu untersuchen, und erkannte, daß er
dem Pferde weitere Anstrengungen nicht mehr zumuten dürfe. Es hatte
außer dem Bajonettstich am Halse auch noch ein Kugelloch im linken
Hinterschenkel, und namentlich aus dieser Wunde ergoß sich das Blut.
Aengstlich schnaubend rieb das arme Tier den Kopf an der Schulter
seines Herrn, und Heideck kraute ihm liebkosend die Stirn.

‚Armer Bursche -- du hast deine Schuldigkeit getan. Ich muß dich hier
zurücklassen.‘ Erst jetzt überkam ihn die bange Befürchtung, daß auch
er von diesem Schlachtfelde nicht lebend entkommen werde.

Da sah er einen Reiter in indischer Kleidung mit hochgeschwungenem
Säbel auf sich zukommen. Heideck riß seinen Revolver aus dem Gürtel,
um sich gegen den Angreifer zu verteidigen. Plötzlich aber erkannte
er in dem vermeintlichen Gegner seinen getreuen Boy, Morar Gopal, der
vor Freude strahlte, seinen totgeglaubten Herrn durch einen Zufall
wieder gefunden zu haben. Er wollte Heideck ohne weiteres sein Pferd
überlassen und sich zu Fuß weiterzuhelfen suchen. Aber der deutsche
Offizier nahm das uneigennützige Opfer seines Dieners nicht an. Und
er wurde der Notwendigkeit, sich abermals von seinem treuen Diener zu
trennen, dadurch überhoben, daß eben jetzt ein reiterloses englisches
Offizierpferd in Sicht kam. Das Tier, ein schöner Brauner, war
unverletzt und ließ sich ohne sonderliche Mühe einfangen. Nun konnten
sie ihre Flucht gemeinsam fortsetzen, und Heideck faßte den Entschluß,
sich dem linken englischen Flügel zuzuwenden, weil, wie es ihm schien,
dort noch mit weniger Unglück gekämpft wurde, als bei den übrigen
Teilen der schon völlig zersprengten britischen Armee. Der kürzeste
Weg, um nach Lahore zu gelangen, war dies freilich nicht. Aber es wäre
ein tollkühnes Unternehmen gewesen, sich in das wilde Getümmel von
Fliehenden und Verfolgern zu mischen, das sich jetzt nach Lahore ergoß.

Die an beiden Ufern des Ravi liegenden, langgestreckten Plantagen von
Schah Dara und die sie verbindende Schiffsbrücke waren in der Tat
noch von englischen Truppen besetzt, die ihre Stellung bisher ohne
allzuschwere Verluste behauptet hatten. Allerdings hatten sie sich den
Russen gegenüber in der Mehrzahl befunden. Denn der Angriff auf Schah
Dara, mit dem die Schlacht begonnen hatte, war in der Hauptsache ja nur
ein Scheinmanöver gewesen, dazu bestimmt, das Zentrum der englischen
Armee, gegen das der Hauptstoß geführt werden sollte, zur Entsendung
von Verstärkungen zu veranlassen und dadurch in verhängnisvoller Weise
zu schwächen. Heideck hatte mit eigenen Augen gesehen, wie vollständig
dieser Plan geglückt war. Nun freilich, da durch den erfochtenen Sieg
ihre Streitkräfte an anderen Stellen entbehrlich wurden, fingen die
Russen an, auch hier mit größeren Massen anzugreifen. Aus der Reserve
rückten russische Bataillone im Sturmschritt heran, und neue Batterien
erschienen, um das Feuer auf Schah Dara und das südlich davon gelegene
Grabmal Schah Jehangirs zu eröffnen.

Und die Engländer waren verständig genug, es nicht auf einen
hoffnungslosen Verzweiflungskampf ankommen zu lassen, sondern sie
begannen ihren Rückzug, so lange er sich noch in leidlicher Ordnung
vollziehen konnte.

Als Heideck das südliche Ende der Pflanzungen erreichte, kam eben ein
Regiment bengalischer Reiter über die Schiffsbrücke, und Heideck schloß
sich ihm an. Eine russische Granate, die mitten in den Trupp einschlug,
ohne indessen trotz ihrer zahlreichen Opfer die Marschdisziplin zu
zerstören, war ein recht deutlicher Beweis, daß die Situation auch hier
in der Tat unhaltbar war.

Mit verhältnismäßig geringen Verlusten und ohne noch einmal in einen
Kampf verwickelt worden zu sein, gelangte das Regiment bis unter die
Zitadelle, die im Norden von Lahore innerhalb der Umfassungsmauer liegt.

Mit Entsetzen aber mußten die unglücklichen Lanzenreiter wahrnehmen,
daß ihnen auch von dort her mörderische Kugeln entgegengesandt wurden.
Sie galten freilich nicht ihnen, sondern den verräterischen indischen
Truppen und den irregulären russischen Reitern, die sich in wildem
Getümmel gegen die Mauern wälzten. Aber ihre Wirkung war darum nicht
minder verderblich. Die zurückgebliebene englische Besatzung hatte
alle Tore der Stadt geschlossen und schien gesonnen, niemand mehr
einzulassen, weder Freund noch Feind. Trotzdem ließ der Führer des
bengalischen Regiments seine Leute dicht aufschließen und bahnte
sich mit unwiderstehlichem Druck einen Weg durch den Wirrwarr der
unmittelbar unter den Mauern in grauenhaftem Handgemenge Kämpfenden. Er
hatte seine Richtung auf eines der Tore zu genommen. Und drinnen kam
man glücklicherweise seiner Absicht entgegen: in der Zuversicht, daß
die wuchtigen Hiebe und Stöße der Reiter den Feind verhindern würden,
gleichzeitig mit ihnen einzudringen, öffnete man im entscheidenden
Augenblick das Tor, und inmitten des Regiments gelangte auch Heideck
mit seinem treuen Gefährten glücklich in die Stadt.

Die Lancers rückten in die Zitadelle ein, und Heideck wandte sich mit
Morar Gopal, der ihm wie sein Schatten folgte, dem Charing-Croß-Hotel
zu.

Aber es war nicht leicht, dahin zu gelangen. Denn die Straßen
waren mit einer schier undurchdringlichen Menge laut schreiender
und gestikulierender Eingebornen gefüllt, die sich ersichtlich in
größter Aufregung befanden. Die Nachrichten von der für die Engländer
verlorenen Schlacht hatten längst ihren Weg in die Stadt gefunden,
und die lang gehegte Befürchtung, daß eine solche Nachricht eine
verhängnisvoll aufreizende Wirkung auf die indische Bevölkerung üben
würde, zeigte sich überraschend schnell als berechtigt. In all' den
braunen Gesichtern, die er da auf sich gerichtet sah, glaubte Heideck
deutlich eine haßerfüllte Drohung zu lesen. Man hielt ihn natürlich
für einen Engländer, und nur seine entschlossene Miene und der blanke
Säbel in seiner Faust mochten die Leute abhalten, ihrem Groll gegen
den Angehörigen der verhaßten Unterdrücker-Rasse durch Tätlichkeiten
Ausdruck zu geben.

Das Tor des Hotels war verschlossen, vielleicht, weil man einen Angriff
von Seiten der Eingebornen fürchtete. Aber als ein weißer Mann, den
man obendrein für einen englischen Offizier hielt, Einlaß begehrte,
wurde es aufgetan. Heideck fand einen großen Teil der in dem Hotel
untergebrachten Offiziersdamen und Kinder im Vestibül und dem daran
anstoßenden Speisesaal versammelt. Die Ahnung eines schrecklichen
Unglücks und die durch den Straßenlärm beständig gesteigerte Angst
vor den kommenden Ereignissen hatten die Bedauernswerten nicht länger
in ihrem Zimmer geduldet. Mrs. Baird und Edith Irwin aber befanden
sich nicht unter denen, die Heideck umdrängten, und die in hundert
durcheinanderschwirrenden Fragen von dem staubbedeckten Manne, der
sicherlich vom Schlachtfelde herkam, Auskunft über den Stand der Dinge
zu erhalten hofften.

Heideck sagte nichts weiter, als daß die Armee sich tapfer kämpfend
zurückzöge. Es wäre eine nutzlose Grausamkeit gewesen, den Schrecken
und die Verzweiflung dieser Unglücklichen durch eine Mitteilung der
ganzen Wahrheit ins Ungemessene zu steigern. Fast gewaltsam mußte er
sich aus dem dichten Knäuel befreien, um sich in das Zimmer der Mrs.
Baird hinaufbegeben zu können. Es war die erste freudige Empfindung
während dieses verhängnisvollen Tages, die seine Seele durchzitterte,
als er in dem freundlichen Zuruf, der sein Klopfen beantwortete,
Edith Irwins Stimme erkannte. Die Befürchtung, daß ihr während seiner
Abwesenheit etwas zugestoßen sein könnte, hatte ihn während der letzten
Stunden unablässig gepeinigt, und er vergaß für einen Augenblick all
das Grauen, das sie umgab, über dem Entzücken, in das ihn bei seinem
Eintritt der Anblick ihrer unvergleichlichen Schönheit versetzte.

Sie hatte sich aus dem Sessel inmitten des Zimmers erhoben, mit
tiefernstem, aber vollkommen ruhigem Gesicht und klarblickenden
Augen, die bereit schienen, auch der furchtbarsten Gefahr fest
entgegenzusehen. Mrs. Baird lag mit ihren beiden kleinen Mädchen in
einer Ecke auf den Knieen. So ganz war sie in ihre inbrünstige Andacht
versunken, daß sie den Eintritt Heidecks völlig überhört hatte. Erst
als Edith sagte: „Da ist Mr. Heideck, liebe Freundin! Ich wußte wohl,
daß er kommen würde --“ sprang sie in großer Erregung auf.

„Dem Himmel sei Dank! Sie kommen von meinem Gatten? Wie haben Sie ihn
verlassen? Ist er noch am Leben?“

„Ich verließ den Obersten, als er sich inmitten seiner tapferen Leute
gegen den Feind verteidigte. Er trug mir auf, Ihnen seine Grüße zu
bringen.“

Er hatte sich bemüht, seiner Stimme einen festen Klang zu geben. Aber
der scharfe weibliche Instinkt der bedauernswerten Frau erriet, was
sich hinter seinen tröstlich klingenden Worten verbarg.

„Warum sagen Sie mir nicht die Wahrheit? Mein Mann ist tot!“

„Er war verwundet, aber Sie brauchen die Hoffnung nicht aufzugeben, ihn
lebend wiederzusehen.“

„Wenn er verwundet ist, will ich zu ihm. Sie werden mich führen, Mr.
Heideck! Es muß doch eine Möglichkeit geben, zu ihm zu gelangen.“

„Ich bitte Sie dringend, sich zu beruhigen, verehrte Mrs. Baird! Es
ist gewiß begreiflich, daß Ihr Herz Sie jetzt zu Ihrem Gatten zieht.
Aber die Ausführung Ihrer Absicht ist ganz unmöglich. Die Nacht bricht
herein, und wenn es auch heller Tag wäre, würde niemand durch das
Getümmel der zurückgehenden Armee dahin gelangen können, wo wir den
Obersten suchen müßten.“

„Die Schlacht ist also verloren? Unser Heer ist auf der Flucht?“

„Der Verrat der indischen Truppen trägt die Schuld daran. Ihre
Landsleute, Mrs. Baird, haben gekämpft wie Helden, und da eine
verlorene Schlacht noch nicht einen verlorenen Feldzug bedeutet, werden
sie die Scharte von heute vielleicht bald ausgewetzt haben.“

„Was aber soll nun aus uns werden? Man wird doch die Verwundeten
hierher bringen, nicht wahr? Darum werde ich unter keinen Umständen
fortgehen, ehe ich meinen Gatten wiedersehe.“

Ihr Entschluß, in der aufgeregten Stadt auszuharren, wäre sicherlich
durch keine Kunst der Ueberredung zu erschüttern gewesen. Aber
Heideck dachte auch gar nicht daran, Mrs. Baird von diesem Entschluß
abzubringen. Denn es war seine feste Ueberzeugung, daß die von dem
Obersten für den Fall einer Niederlage empfohlene Flucht nach Amritsar
in der gegenwärtigen Lage ganz unausführbar war. In der Tat gab es kaum
eine andere Möglichkeit, als hier im Hotel auszuharren und geduldig den
weiteren Verlauf der Ereignisse abzuwarten.

In die aufgeregte Volksmenge draußen auf den Straßen durften sich weiße
Frauen und Kinder jetzt unmöglich hinauswagen. Im Hause aber glaubte
sie Heideck einstweilen noch vollkommen sicher, denn er hielt es für
unmöglich, daß der Fanatismus der Eingebornen sich bis zu einem Angriff
auf das Hotel steigern könnte, während sich noch beträchtliche Mengen
englischen Militärs in der Stadt befanden.

Nur zu bald aber sollte er erfahren, daß auch er den Ernst der
Situation unterschätzt hatte. Ein roter, zuckender Flammenschein, der
das eben noch von der sinkenden Dämmerung erfüllte Gemach plötzlich
erhellte, ließ ihn bestürzt an das Fenster eilen, und er sah zu seinem
Schrecken, daß eines der Häuser auf der gegenüberliegenden Seite der
Straße in Brand geraten war. Auch in dem anstoßenden Gebäude züngelten
die Flammen bereits an den hölzernen Säulen der Veranda empor. Es war
kein Zweifel, daß das Hotel in kurzer Zeit von Flammen umringt sein
würde.

Unter diesen Umständen war an ein Verweilen im Hotel nicht mehr zu
denken. Dem Feuer zwar konnten seine massiven Mauern vielleicht eine
Zeitlang Widerstand bieten, aber der beißende Qualm, der Heideck schon
jetzt den Atem benahm, als er für einen Moment das Fenster öffnete,
hätte menschlichen Wesen den Aufenthalt in dieser Glut bald unmöglich
gemacht. Nun wurde auch mit heftigen Schlägen an die Tür des Zimmers
geklopft, und Morar Gopal, der Heideck überall im Hotel gesucht hatte,
beschwor seinen Herrn, auf der Stelle zu entfliehen.

Der deutsche Offizier war sich vollkommen klar darüber, daß es jetzt
galt, die eine Gefahr mit einer andern, vielleicht noch größeren, zu
vertauschen. Aber es gab trotzdem kein Zaudern und Ueberlegen.

„Wir befinden uns inmitten einer Feuersbrunst, Mrs. Baird,“ sagte er
dringend. „Niemand wird in dieser allgemeinen Aufregung einen Versuch
machen, dem rasenden Element Einhalt zu gebieten. Und wenn Sie nicht
hier mit Ihren Kindern ersticken wollen, müssen Sie mir folgen.
Ich hoffe, Sie unversehrt in die Zitadelle oder an einen anderen
geschützten Ort zu bringen.“

Edith Irwin hatte bereits eines der kleinen Mädchen in ihren Arm
genommen, und als die Gattin des Obersten mit wirren Blicken suchend
umhersah, als hätte sie den Wunsch, noch irgend welche teuren
Besitztümer zu retten, drängte sie sie nachdrücklich zur Eile.

„Es gibt jetzt nichts wertvolleres, als das Leben Ihrer Kinder. Alles
andere mag in Gottes Namen verloren gehen.“

Und die arme Frau, deren Sinne sich in dem Uebermaß des Schrecklichen
zu verwirren begannen, fügte sich gehorsam der kaltblütigen
Ueberlegenheit ihrer jungen Freundin. Von den Bewohnern des Hotels war
schon beinahe alles geflüchtet. Nur ein paar unglückliche Frauen, die
völlig den Kopf verloren hatten, irrten noch in den unteren Räumen
umher, allerlei wertlose Dinge, von denen sie sich nicht trennen
wollten, in den Händen haltend. Heideck rief ihnen zu, sich ihm
anzuschließen. Aber sie verstanden ihn kaum, und er hatte nicht Zeit,
sich weiter um die Bedauernswerten zu kümmern.

Den bloßen Säbel in der Faust, suchte der treue Hindu dem Gebieter
und dessen Schützlingen einen Weg durch die zwischen den brennenden
Häusern hin- und herwogende Menge zu bahnen. Es war jetzt völlig
dunkel geworden, und nur die roten Flammen beleuchteten unheimlich die
grausige nächtliche Szene. Der wütende Fanatismus der Menge schien sich
während der letzten halben Stunde noch gewaltig gesteigert zu haben.
Diese sonst so bescheidenen, unterwürfigen und liebenswürdigen Menschen
waren plötzlich in eine Horde von Wilden verwandelt. Ueberall sah man
geschwungene Dolche und Säbel, während ein betäubendes Geschrei die
Luft zerriß. Nie zuvor hatte Heideck menschliche Wesen in solchem
Aufruhr gesehen. In tollen Gestikulationen warfen diese braunen
Burschen ihre Arme und Beine umher. Wie wilde Tiere fletschten sie die
Zähne und brachten sich selbst mit ihren Waffen Verletzungen an Brust
und Gliedern bei, um durch den Anblick des fließenden Blutes ihre
Mordgier zu erhöhen.

Schritt für Schritt bahnten sich die beiden Männer durch gebieterische
Zurufe und durch kräftige Schläge mit der flachen Klinge ihren Weg.
Aber nach Verlauf von zehn Minuten hatten sie wenig mehr als hundert
Meter zurückgelegt. Das Getümmel um sie her wurde immer enger und
bedrohlicher, und Heideck sah ein, daß es unmöglich sein würde, die
Zitadelle zu erreichen.

In banger Sorge um die seinem Schutze anvertrauten Menschenleben hielt
er Umschau nach einem anderen rettenden Zufluchtsort. Aber die Europäer
hatten ihre Häuser fest verschlossen und verrammelt, und keiner von
ihnen würde den Hilfeflehenden aufgetan haben. Plötzlich wuchs das
wüste Geschrei, das die weinenden Kinder schon jetzt fast zu Tode
geängstigt hatte, zu einem markdurchdringenden Kreischen und Toben an,
und eine Rotte von ihrer fanatischen Leidenschaft bis zum Wahnsinn
gestachelter Dämonen stürmte aus einer Seitenstraße gerade auf Heideck
zu.

Sie hatten irgendwo auf ihrem Wege schon eine Anzahl anderer weiblicher
Flüchtlinge aufgefangen. Und der Anblick dieser Unglücklichen ließ
dem deutschen Offizier das Blut in den Adern erstarren. Man hatte
den Frauen, unter denen sich auch zwei fast noch an der Grenze des
Kindesalters stehende Mädchen befanden, die Kleidungsstücke vom Leibe
gerissen und stieß sie jetzt unter beständigen grausamen Mißhandlungen
vorwärts, so daß sie aus zahlreichen Wunden bluteten.

Unfähig, seinen heiß aufwallenden Zorn über diese Bestialität
niederzuhalten, riß Heideck den Revolver aus dem Gürtel und streckte
eines der fanatisch heulenden Scheusale durch einen wohlgezielten Schuß
zu Boden.

Aber es war nicht klug gewesen, was er da getan hatte. Wenn sein
soldatisches Aussehen die im Grunde feige Gesellschaft bis dahin noch
von Gewalttätigkeiten gegen ihn und seine Begleitung zurückgehalten
hatte, so riß die aufkochende Wut jetzt alle Dämme nieder.

In der nächsten Sekunde schon war das kleine Häuflein in einen Knäuel
tobender brauner Teufel eingeschlossen, und Heideck gab sich keiner
Täuschung mehr darüber hin, daß es sich nur noch darum handeln könne,
tapfer kämpfend zu sterben. Die ersten und ungestümsten der Angreifer
vermochte er sich damit vom Leibe zu halten, daß er die fünf noch
in seinem Revolver befindlichen Schüsse gegen sie abfeuerte. Der
letzte von ihnen blies einem schwarzbärtigen Burschen gerade in dem
Augenblick das Lebenslicht aus, als er mit brutalen Fäusten nach Edith
Irwin gegriffen hatte. Jetzt warf Heideck den nutzlos gewordenen
Revolver, den er nicht mehr von neuem zu laden vermochte, einem der
zähnefletschenden Unholde ins Gesicht, schlang seinen freigewordenen
linken Arm um Edith und setzte, sie fest an sich drückend, seinen
verzweifelten Verteidigungskampf mit dem Säbel fort.

Für Mrs. Baird und ihre Kinder konnte er nichts mehr tun. Seitdem er
den treuen Morar Gopal unter den Hieben einiger Mohammedaner hatte
fallen sehen, wußte er, daß sie rettungslos verloren seien. Er gewahrte
noch, wie man der Gattin des Obersten ebenfalls die Kleider in Fetzen
vom Leibe riß; er hörte das herzzerreißende Wehgeschrei, mit dem sie
unter den Schlägen und Stößen der entmenschten Peiniger nach ihren
Kindern rief. Aber es blieb ihm wenigstens erspart, auch das Ende der
unschuldigen kleinen Mädchen mit eigenen Augen sehen zu müssen. Sie
waren seinem Blick in dem schrecklichen Gedränge entschwunden, und da
sie ohnedies vor Entsetzen schon halb bewußtlos gewesen waren, mochte
der Himmel wenigstens die Barmherzigkeit gehabt haben, sie die Qualen
des Todes, den ihre fühllosen Schlächter ihnen bereiteten, nicht mehr
empfinden zu lassen.

Und Edith?

Sie war nicht ohnmächtig. Nichts von jenen Schauern des Entsetzens,
die selbst den Mutigsten im Angesicht des Todes überkommen, war in
ihren Zügen zu lesen. Man hätte glauben können, daß die Vorgänge um sie
her alle Schrecken für sie verloren hätten, seitdem Heidecks Arm sie
umschlang.

Aber der Moment war nicht dazu angetan, Heideck die Seligkeit der
Gewißheit ihrer Liebe empfinden zu lassen. Er war mit seinen Kräften
zu Ende, und obwohl er bis auf eine geringfügige Verletzung an der
Schulter noch unverwundet war, wurde es ihm doch schon unsäglich
schwer, den Säbel zu führen, dessen wuchtige Hiebe die Angreifer bis
auf einige Tollkühne, die ihren Vorwitz teuer genug bezahlt hatten,
bisher noch immer in einer gewissen respektvollen Entfernung gehalten.
In demselben Augenblick, wo ihn die Ermattung nötigte die Waffe sinken
zu lassen, waren Edith und er hilflos der dämonischen Grausamkeit
dieser Horde menschlicher Bestien preisgegeben. Das wußte er, und darum
setzte er, obwohl es vor seinen Augen schon wie ein blutroter Nebel
wogte, den letzten Rest seiner Kraft daran, diesen fürchterlichen
Augenblick noch um ein Geringes hinauszuschieben. --

Und plötzlich geschah etwas Unerwartetes, Wunderbares, -- etwas, das
er in seinem gegenwärtigen Zustande überhaupt nicht zu begreifen
vermochte. Zahlreiche Ausrufe der Angst und des Schreckens mischten
sich in das Wut- und Triumphgeheul der rachetrunkenen Inder. Mit der
unwiderstehlichen Wucht einer Flutwelle drängte der ganze, dicht
zusammengedrängte Menschenschwarm vorwärts und gegen die Häuser an
beiden Seiten der Straße. Pferdegetrappel, Kommandorufe, das Geräusch
klatschender Schläge wurden vernehmlich, und die Oberkörper bärtiger
Reiter tauchten über den Köpfen der Menge auf.

Es war eine Schwadron Kosaken, die sich da rücksichtslos ihren Weg
durch das Getümmel bahnte. Die Stadt mußte sich also in den Händen
der Russen befinden, und es war jedenfalls der Befehl ergangen, zur
Verhinderung weiterer Massakres und Brandstiftungen die Straße von dem
fanatischen Gesindel zu säubern.

So trieben denn die grimmig dreinschauenden Reiter alles, was
ihnen in den Weg kam, vor sich her. Und sie machten ihre Sache
gut; denn den Hieben der an ihren Enden mit dünnen, harten Stöcken
versehenen Peitschen, die in ihren Fäusten zu einem fürchterlichen
Züchtigungsinstrument wurden, widerstand nichts.

Heideck sah sich plötzlich von seinen Angreifern befreit, und da
er sich mit Edith hart an die Mauer eines Hauses drückte, blieb er
auch von den Fußtritten der Pferde, wie von den wahllos ausgeteilten
Knutenhieben glücklich verschont.

Aber das scharfe Auge eines Kosakenoffiziers hatte die kleine Gruppe
inmitten eines ganzen Haufens von Toten und Verwundeten erspäht.
Er ritt zu den beiden heran, und da er in Heidecks Khakianzug eine
englische Uniform zu erkennen glaubte, erteilte er seinen Leuten einen
Befehl, über dessen Bedeutung die Geretteten nicht lange im Zweifel
blieben, denn sie wurden alsbald von zweien der Kosaken zwischen ihre
Pferde genommen, und ohne zu wissen, wohin man sie bringen würde,
durchschritten sie die hier und da von den Flammen der brennenden
Häuser glutrot beleuchteten Straßen.



[Illustration]



XV.


Das Grabmal Anar Kalis, ein großes, achteckiges Gebäude in den
südlichen Anlagen, war es, das die Gefangenen aufnahm. Heideck und
Edith Irwin waren die ersten nicht mehr, die man hier unterbrachte.
Denn außer etwa hundert Offizieren befanden sich darin zahlreiche
englische Damen und Kinder, denen die Befreier früh genug erschienen
waren, um sie vor dem grauenhaften Schicksal der Mrs. Baird und ihrer
Kinder zu bewahren.

An der offenen Tür des den Frauen angewiesenen Raumes mußte sich
Heideck von Edith Irwin trennen. Zu langem Abschiednehmen ließ man
ihnen nicht Zeit. Aber selbst wenn sie ganz allein mit einander gewesen
wären, würden sie in diesem Augenblick kaum fähig gewesen sein, viele
Worte zu machen. Nach all den vorausgegangenen, schier übermenschlichen
Anstrengungen und Aufregungen dieses fürchterlichen Tages war jetzt
eine so tiefe Abgespanntheit und Erschlaffung über sie gekommen, daß
sie sich nur noch ganz mechanisch ihrer Glieder bedienten und daß statt
der Leidenschaften, Hoffnungen und Befürchtungen, von denen sie noch
vor kurzer Zeit bewegt worden waren, nur dumpfe Leere in ihrem Hirn wie
in ihrem Herzen war.

„Auf Wiedersehen morgen!“ das war alles, was noch zwischen ihnen
gesprochen wurde. Dann, sobald man ihn in den ihm zugewiesenen Raum
geführt hatte, warf sich Heideck da, wo er stand, auf die Fliesen
des Steinbodens nieder und fiel fast augenblicklich in einen tiefen,
traumlosen Schlaf. --

Die leuchtende indische Sonne, die durch eine runde Fensteröffnung in
der Decke auf sein Gesicht schien, weckte ihn am nächsten Morgen.

Wohl waren seine Glieder von dem unbequemen Lager steif geworden, aber
der kurze Schlaf hatte ihn doch gestärkt, und seine Nerven hatten die
alte Frische und Widerstandsfähigkeit vollständig zurückgewonnen.

Seine Schlafgenossen mußten schon früher an einen anderen Ort gebracht
worden sein; denn er sah sich in dem hohen, nur durch die Oeffnung in
der Decke beleuchteten Raume ganz allein. Die Sonnenstrahlen fielen
ihm gegenüber auf ein Denkmal aus reinstem, glänzendstem Marmor, das
ganz mit für ihn unleserlichen Schriftzeichen bedeckt war. Noch in die
Betrachtung des anscheinend schon sehr alten Denksteins versunken,
hörte er plötzlich hinter sich das leise Rauschen eines Frauengewandes,
und als er sich umwandte, sah er mit freudigster Ueberraschung in Edith
Irwins bleiches, schönes Gesicht.

„Wie glücklich bin ich, Sie noch zu finden,“ sagte sie mit
aufleuchtendem Blick. „Ich fürchtete schon, daß man Sie mit den andern
Gefangenen fortgeführt hätte.“

„Augenscheinlich war man zu rücksichtsvoll, meinen wohlverdienten
Schlummer zu stören,“ erwiderte er mit einem kleinen Anflug von Humor.
Dann aber, sich des furchtbaren Ernstes der Situation erinnernd, fuhr
er in verändertem, herzlichen Tone fort:

„Wie haben Sie diese Nacht überstanden, Mrs. Irwin? Mir ist, als könnte
alles, was ich seit meiner Rückkehr nach Lahore erlebt habe, nur ein
Traum gewesen sein.“

Mit einem schmerzlichen Zucken der Lippen schüttelte sie den Kopf.

„Wir dürfen leider nicht daran zweifeln, daß es grausame Wirklichkeit
gewesen ist. Die arme, arme Mrs. Baird! Fast sollte man es für ein
Glück halten, daß ihr Gatte das fürchterliche Schicksal seiner
Angehörigen nicht mehr erlebt hat.“

„Sie haben Nachrichten vom Schlachtfelde erhalten? Sie wissen, daß der
Oberst tot ist?“

Edith nickte.

„Der Oberst ist tot, mein Gatte ist tot, Kapitän Mac Gregor und viele
andere unserer Freunde aus Chanidigot sind auf dem Schlachtfelde
geblieben.“

Sie sagte es ruhig; doch er las in ihren Augen die tiefe Trauer ihrer
Seele.

Ergriffen von soviel heroischer Charakterstärke, beugte er sich herab
und küßte ihre Hand. Sie ließ sie ihm einen Augenblick, dann zog sie
die schmalen, kühlen Finger mit einem bittenden Blick, dessen Bedeutung
er recht wohl verstand, zurück.

„Der Höchstkommandierende und sein Stab haben den Bahnhof erreicht,“
fuhr sie fort, „und sind mit dem letzten Zuge, der Lahore verlassen
hat, nach Delhi gefahren. Es war die höchste Zeit; denn gleich nachher
rückten die Russen ein. Die Trümmer der Armee marschieren jetzt nach
Delhi, aber die Verfolger sind dicht hinter ihnen. Gott allein weiß,
welches das Schicksal unserer armen, geschlagenen Armee sein wird.“

Er fragte sie nicht, woher sie alle diese Nachrichten habe. Davon, daß
sie zutreffend seien, war er ja nach seinen eigenen Erlebnissen fest
überzeugt. Er wußte auch nicht, was er ihr Ermutigendes sagen sollte,
ihr, der er nimmermehr mit leeren Phrasen hätte kommen mögen. Eine
kleine Weile blieben sie schweigend, und ihre Blicke richteten sich
dabei gleichzeitig auf das sonnenbeschienene Marmordenkmal vor ihnen.

„Kannten Sie dies Coenotaphium schon?“ fragte zu Heidecks Ueberraschung
die junge Frau plötzlich. Und als er verneinte, sagte sie erklärend:

„Es ist das berühmte Grabmal der Anar Kali, der Geliebten des Sultans
Akbar, der man um ihrer Schönheit willen den Namen der ‚Granatblüte‘
gegeben hat. Sie mag wohl auf ähnliche Weise dahingegangen sein,
wie wir dahingegangen wären, wenn die Dolche der Mörder uns gestern
getroffen hätten. Sie kam vielleicht ebensowenig zum Bewußtsein dessen,
was mit ihr geschah, wie wir uns dessen in dieser Nacht bewußt geworden
wären.“

„Können Sie die Schriftzeichen lesen?“ fragte Heideck.

„Nein, aber man hat mir ihren Inhalt mitgeteilt; denn es ist eine der
berühmtesten Inschriften Indiens. Die schöne Anar Kali beging einst
die Unklugheit, verführerisch zu lächeln, als der Sohn ihres Herrn
und Gemahls den Harem betrat. Und noch in derselben Stunde ließ der
eifersüchtige Sultan die Unglückliche hinrichten. Aber er muß sie doch
wohl sehr geliebt haben, da er ihr dann ein so schönes Grabmal erbaute,
das auch den kommenden Jahrhunderten den Namen Anar Kalis überliefern
sollte. So voll unlöslicher Widersprüche ist die arme, törichte
Menschenseele.“

Klirrende Schritte wurden draußen auf den Steinfliesen laut, und im
nächsten Augenblick erschien ein Offizier mit mehreren Soldaten im
Eingange des Raumes. In kurzem, befehlenden Tone forderte er Heideck
auf, ihm zu folgen.

Jetzt zum ersten Mal sah der Hauptmann in Edith Irwins Zügen etwas wie
einen Ausdruck der Angst.

„Was bedeutet das?“ wandte sie sich hastig an den Russen. „Dieser Herr
ist kein Engländer.“

Der Russe verstand die englische Frage nicht. Aber als Heideck ihn auf
russisch fragte, was man mit ihm vorhabe, erwiderte er achselzuckend:

„Ich weiß es nicht. Kommen Sie mit!“

„Man wird Aufklärung über meine Person haben wollen,“ sagte Heideck
gelassen, um die junge Frau zu beruhigen. „Ich hoffe, daß man mich auf
Grund meiner Legitimation freiläßt.“

„Gewiß, man muß Sie freilassen!“ rief sie fast leidenschaftlich aus.
„Es wäre ja gegen alles Völkerrecht, wenn man Ihnen ein Leid zufügte.
Aber wie soll ich die Ungewißheit über Ihr Schicksal ertragen!“

„Ich werde unverzüglich hierher zurückkehren, sobald mir die
Möglichkeit dazu gegeben ist.“

„Ja, ja, ich beschwöre Sie, mich nicht eine Sekunde länger warten zu
lassen, als es durch die Situation geboten ist. Ich bin ja noch nicht
einmal dazu gekommen, Ihnen zu danken.“

Der russische Offizier gab so deutliche Zeichen von Ungeduld, daß
Heideck nicht länger zögerte, ihm zu folgen.

Der Weg, den er zurückzulegen hatte, war nicht weit. Man führte ihn
zu einem nahegelegenen Hause, über dessen Portal die Worte ‚~School
of arts~‘ in Stein gehauen zu lesen waren. In einer Vorhalle mußte
er kurze Zeit warten; dann öffnete sich vor ihm die Tür eines im
Erdgeschoß gelegenen, mit Skulpturen geschmückten Zimmers, in welchem
eine Anzahl von Offizieren an einem langen Tische saß. Heideck war sich
sofort darüber klar, daß er vor ein Kriegsgericht gestellt wurde. Ein
paar sehr niedergeschlagen aussehende Männer wurden eben hinausgeführt.
Der Offizier, der den Vorsitz führte, blätterte in den vor ihm
liegenden Papieren und wechselte dann, nachdem er einen scharfen Blick
auf Heideck geworfen, einige Worte mit seinen Kameraden.

„Wer sind Sie?“ fragte er in einem schwer verständlichen Englisch von
sehr russischer Klangfärbung.

Heideck, der sich ebenfalls der englischen Sprache bediente, gab kurz
und klar Auskunft und legte dem Obersten seinen Paß vor, den er als
augenblicklich wertvollstes Besitztum stets in der Brusttasche trug.

Sobald er ihn gelesen, sagte der Vorsitzende in tadellosem Deutsch:

„Sie sind also kein Engländer, sondern ein Deutscher? Was haben Sie
hier in Indien zu tun?“

„Ich bereise das Land in Geschäften für das Haus Heideck in Hamburg.“

„In Geschäften? So? Und gehört es auch zu Ihrem Geschäft, gegen Rußland
zu kämpfen?“

„Nein! Ich habe das auch nicht getan.“

„Sie leugnen also, gestern an der Schlacht teilgenommen zu haben?“

„Nicht als Mitkämpfer. Es waren andere Gründe, die mich auf das
Schlachtfeld führten.“

„Sie wollten nur den Zuschauer machen? Kam Ihnen nicht zum Bewußtsein,
daß dies unter Umständen recht gefährlich für Sie werden könnte?“

„Ich habe persönliche Beziehungen zu einigen Herren der englischen
Armee, und diese Beziehungen veranlaßten mich, sie während des
Gefechtes aufzusuchen.“

Der Oberst wandte sich an einen abseits stehenden jungen Offizier:

„Leutnant Osarow, ist es richtig, daß Sie in diesem Mann, als er
während der letzten Nacht hier eingebracht wurde, eine Persönlichkeit
wiedererkannten, die Sie während der Schlacht in einem englischen
Karree gesehen haben?“

„Jawohl, Herr Oberst!“ lautete die entschiedene Antwort. „Ich erkenne
ihn auch jetzt mit voller Bestimmtheit. Er ritt ein schwarzes Pferd und
jagte davon, als wir in das Karree einbrachen.“

Heideck sah ein, daß es nutzlos gewesen wäre, dieser bestimmten Aussage
gegenüber die Tatsache in Abrede zu stellen, und sein soldatisches
Ehrgefühl würde ihm auch nicht gestattet haben, es zu tun.

„Was der Herr Leutnant da bekundet, ist richtig,“ erklärte er, einer
Frage des Obersten zuvorkommend. „Aber ich habe mich nicht an dem
Kampfe beteiligt. Als ein Freund des gefallenen Obersten Baird hielt
ich mich so lange als möglich in seiner Nähe, um seinen hier in Lahore
zurückgebliebenen Angehörigen Nachricht über sein Schicksal und über
den Ausgang der Schlacht bringen zu können.“

„Sie waren als Ausländer bewaffnet in einem englischen Karree. Da
Sie das zugeben, brauchen wir uns nicht mit weiteren Verhandlungen
aufzuhalten. Die Herren werden damit einverstanden sein, daß wir Sie
nach Kriegsrecht als Verräter behandeln?“

Die letzten Worte waren an die Beisitzer gerichtet, und mit stummer
Verbeugung gaben sie ihre Zustimmung zu erkennen.

„Da Sie als Angehöriger einer nicht im Kriege mit uns befindlichen
Nation in den Reihen unserer Feinde gekämpft haben, muß das
Kriegsgericht Sie zum Tode verurteilen. Das Urteil wird sofort
vollstreckt werden. Haben Sie noch etwas zu sagen?“

Heideck war wie betäubt. Es war ihm, als zöge sich plötzlich ein
schwarzer Schleier über die Welt. Und ein schneidendes Weh zerriß sein
Herz bei der Vorstellung, daß er Edith nie mehr wiedersehen, daß sie
bis in alle Ewigkeit vergebens auf ihn warten würde.

Dann aber erwachte sein Stolz. Niemand sollte ihn schwach und zaghaft
sehen.

„Es gibt keine Möglichkeit der Berufung gegen das Urteil dieses
Kriegsgerichts?“ fragte er, dem Obersten fest in die Augen sehend.

„Nein!“

„Dann muß ich mich ja dem Spruch unterwerfen; aber ich protestiere
gegen die Art des Verfahrens wie gegen das Urteil.“

Sein Protest machte offenbar nicht den geringsten Eindruck.

„Haben Sie den Exekutionsbefehl ausgefertigt?“ wandte sich der
Oberst an den Protokollführer. Dann setzte er seinen Namen unter das
Schriftstück und händigte es einem der bereitstehenden Kosaken ein.

„Der Verurteilte ist abzuführen.“

Zwei der Soldaten nahmen Heideck zwischen sich, und er folgte ihnen
in stolzer, aufrechter Haltung, ohne weiter ein Wort zu sprechen. Im
Kugelregen der Schlacht hatte er nicht die leiseste Anwandlung der
Furcht empfunden; aber der Gedanke, wie ein Tier zur Schlachtbank
geführt zu werden, erfüllte ihn mit Grauen. Dennoch hielt ihn eine
Kraft aufrecht, die er noch nicht an sich entdeckt hatte. Die neue
Gefahr erweckte in ihm neue Kräfte der Seele und des Geistes.

Die Kosaken führten ihn auf der Straße, die von Anar Kali nach dem
Meean Meer Cantonment führt, einen weiten Weg. Heideck sah um sich und
betrachtete die Veränderungen, die mit Lahore vorgegangen waren, gleich
einem Reisenden, der im Geiste schon in der neuen Welt lebt, die er
aufsuchen will, und der auf bekannte Gegenstände wie auf etwas Fremdes
sieht. Ueberall erblickte er kleine Abteilungen Kavallerie, die für
Ordnung sorgten. Und an den Brand in der Stadt, der augenscheinlich
gelöscht worden war, erinnerten nur noch schwache Rauchwolken. Die
prächtigen Anlagen der Donald-Stadt, durch die der Weg führte, die
landwirtschaftlichen Pflanzungen, der Lawrence-Park, lagen wie im
tiefsten Frieden da.

Heideck war nicht gefesselt, aber die Kosaken neben ihm trugen
ihre Karabiner im Arme, bereit, auf ihn zu schießen, wenn er etwa
davonlaufen wollte. Aber wie hätte er entlaufen können? Ringsum zeigten
sich die Patrouillen der russischen Kavallerie. Hinter ihm führten
berittene Kosaken einen ganzen Trupp von Indern. Wahrscheinlich waren
es Brandstifter und Plünderer, die gleich ihm hingerichtet werden
sollten. Und es konnte seine Stimmung wahrlich nicht verbessern, daß er
sich auf seinem letzten Gange in solcher Gesellschaft sehen mußte.

Nach langem Marsche erreichte man endlich das von den Engländern
verlassene Kantonnement, dessen Baracken und Zelte jetzt die russischen
Truppen füllten. Mit Mühe nur konnten sich seine Begleiter hier einen
Weg durch das Gedränge bahnen; das Gerücht, daß man eine Anzahl von
Delinquenten in das Lager bringe, mußte wohl dem Transport vorausgeeilt
sein, denn Soldaten der verschiedensten Waffengattungen drängten von
allen Seiten neugierig herzu, um die armen Sünder aus der Nähe zu
betrachten.

Und plötzlich fühlte Heideck eine kleine, aber eisenfeste Hand an
seinem Arme.

„O Herr, was ist das? -- Weshalb führt man dich hier wie einen
Gefangenen?“

Beim ersten Wort schon hatte Heideck die weiche Stimme erkannt, die
in der Erregung ganz ihren natürlichen weiblichen Klang angenommen
hatte. In demselben phantastischen Pagenkostüm, darin er ihn zuletzt
in Chanidigot gesehen, stand der angebliche Diener seines Freundes
des Fürsten Tschadschawadse hier, wo er ihn gewiß am allerwenigsten
vermutet hätte, wie aus der Erde gewachsen vor ihm, und in seinem
schönen, ausdrucksvollen Gesicht spiegelte sich die lebhafteste
Bestürzung.

„Du bist es, Georgij?“ rief Heideck, in dessen verdüsterte Seele der
Anblick der Cirkassierin einen schwachen Hoffnungsschimmer warf, „und
dein Herr -- der Fürst? -- Befindet er sich ebenfalls in der Nähe?“

Aber die Kosaken schienen nicht geneigt, ihrem Gefangenen lange
Privatunterhaltungen zu gestatten.

„Mach, daß du weiterkommst, Bursche!“ schrie einer von ihnen den
vermeintlichen Pagen an, „das ist ein Spion, der sogleich füsiliert
werden wird. Und niemand darf mit ihm reden.“

Er machte Miene, die schlanke, zierliche Gestalt mit einer kleinen
Bewegung seiner mächtigen Faust bei Seite zu schieben. Aber Georgij
stieß furchtlos seinen Arm zurück und maß ihn mit einem sprühenden
Blick.

„Hüte deine lästerliche Zunge, du Lügner! Tausendmal eher bist du
selber ein Spion, als dieser Herr. Wenn ihr ihn nicht auf der Stelle
freilaßt, wird man euch knuten, daß ihr bis an das Ende eures Lebens
daran denkt!“

Die Kosaken sahen sich an und lachten. Es war wohl nur die Schönheit
und halb instinktiv von ihnen empfundene Vornehmheit des dreisten
jungen Burschen, die sie verhinderte, handgreiflich zu werden.

„Nimm dich in Acht, Kleiner, daß man nicht dir zuerst die Rute gibt,“
sagte gutmütig der eine, „und geh deiner Wege, damit wir dich nicht aus
Versehen zwischen unseren Fingern zerbrechen.“

„Geh, Georgij,“ mahnte nun auch Heideck, da er sah, daß die
Cirkassierin durchaus nicht willens schien, dem Befehl zu gehorchen.
„Wenn dein Herr in der Nähe ist, so sage ihm, daß man im Begriff sei,
mich gegen alles Völkerrecht zu erschießen. Aber er müsse eilen, falls
er mich noch einmal lebend sehen wolle; denn es hat ganz den Anschein,
als ob seine Kameraden kurzen Prozeß mit mir zu machen gedächten.“

Er hegte einigen Zweifel, ob die schöne, heißblütige Tochter der
Berge ihn vollkommen begriffen habe. Jedenfalls aber sah er, daß sie
sich plötzlich blitzschnell umwandte und sich mit der geschmeidigen
Behendigkeit einer schlanken Eidechse einen Weg durch das Gedränge
rauher Kriegsmänner suchte.

Eine neue Hoffnung war in Heidecks Herzen erwacht, und er fühlte sich
mit einem Mal wieder durch tausend Bande an das Leben gefesselt, mit
dem er noch soeben völlig abgeschlossen zu haben glaubte. Er wollte
seinen Schritt verlangsamen, um dadurch Zeit zu gewinnen. Aber die
Kosaken, die ihn bis dahin mit einer gewissen Rücksicht behandelt
hatten, schienen durch den Zwischenfall mit dem Pagen gereizt worden zu
sein, denn einer von ihnen trieb den Gefangenen mit herrischem Zuruf
zur Eile an, und der andere erhob sogar mit drohender Geberde die Faust.

Vielleicht würde er zugeschlagen haben, doch der deutsche Offizier sah
ihm mit einem so stolzen, gebieterischen Blick in die Augen, daß er den
erhobenen Arm sinken ließ. Der finster blickende Bursche fühlte wohl,
daß er es hier unmöglich mit einem gewöhnlichen Spion zu tun haben
könne. Und von diesem Augenblick an kam kein Fluch und kein Schimpfwort
mehr über seine Lippen.

Das Knattern einer Gewehrsalve schlug an Heidecks Ohr. Und es ging ihm,
der doch an den Knall von Schüssen hinlänglich gewöhnt war, durch Mark
und Bein. Die Kugeln, die dort abgefeuert waren -- er wußte es, ohne
daß es ihm jemand zu sagen brauchte -- hatten irgend einem armen Teufel
gegolten, der sich in derselben Lage befunden wie er selbst. Das war
es, was diesen Schüssen für ihn eine so besondere Bedeutung gab, eine
ganz andere jedenfalls, als sie gestern all das Knattern und Krachen
der ihn umtobenden Schlacht gehabt. Wahrhaftig, man braucht nicht feige
zu sein, um bei dem Gedanken an zehn oder zwanzig auf die eigene Brust
gerichtete Gewehrläufe etwas wie ein eisiges Erschauern zu verspüren. --

Und nun war der verhängnisvolle Platz erreicht, der auch das Endziel
seiner irdischen Wanderung bedeuten sollte. Man hatte das Exerzierfeld
hinter der Barackenstadt für die Exekution ausersehen, und man ging
sehr summarisch zu Werke, da man sich nicht einmal Zeit ließ, die
Leichen der Erschossenen einzeln fortzuschaffen. Man ließ sie einfach
in dem Graben liegen, vor dem die Delinquenten aufgestellt worden
waren, wahrscheinlich, weil die Bestattung in einem Massengrabe dadurch
bequemer wurde.

Ein Offizier nahm den von dem Vorsitzenden des Kriegsgerichts
ausgefertigten Exekutionsbefehl in Empfang und übergab den Verurteilten
einem Unteroffizier, der ihn mit einem Ausdruck des Bedauerns musterte
und ihn in beinahe verbindlichem Tone aufforderte, ihm zu folgen.

Wenige Minuten nach seiner Ankunft auf dem Exerzierplatze stand Heideck
ebenfalls vor dem verhängnisvollen Graben und sah einen Zug Infanterie,
Gewehr bei Fuß, vor sich aufmarschiert.

Jetzt hegte er keine Hoffnung mehr. Seit dem Augenblick, da man das
Urteil über ihn gesprochen, hätte ja nur noch ein Wunder ihn retten
können. Und dies Wunder war nicht geschehen. Für eine kurze Spanne
Zeit war er töricht genug gewesen, aus der zufälligen Begegnung mit
der Cirkassierin neuen Lebensmut zu schöpfen; nun aber war auch das
vorüber. Selbst wenn sie von dem eifrigsten Willen beseelt gewesen
wäre, ihn zu retten, was hätte sie schließlich tun können, um das
Unmögliche zu vollbringen? Er bedauerte jetzt, daß er sich nicht darauf
beschränkt hatte, den Fürsten durch sie um ein ehrliches Begräbnis
und um die Entsendung einer Nachricht an den deutschen Generalstab
bitten zu lassen. Diese Wünsche wären doch vielleicht nicht unerfüllbar
gewesen, und er zweifelte nicht, daß sein liebenswürdiger russischer
Bekannter ihm gern den letzten kleinen Liebesdienst erwiesen hätte.

Ein Kommando ertönte, und die Soldaten ihm gegenüber nahmen unter
Geklapper und Gerassel ihre Gewehre auf. Gleichzeitig aber schlug von
der anderen Seite her ein lautes, gebieterisches Rufen an Heidecks Ohr,
und er sah einen Reiter in russischer Dragoneruniform heransprengen,
dessen vor Aufregung dunkel gerötetes Gesicht er auf den ersten Blick
als das des Fürsten Tschadschawadse erkannte.

Hart vor Heideck parierte er sein schweißbedecktes Pferd und schwang
sich aus dem Sattel.

„Brüderchen! -- Brüderchen!“ rief er, noch ganz atemlos von dem wilden
Ritt, und schloß mit echt russischem Ungestüm den unter so seltsamen
Umständen Wiedergefundenen in die Arme. „Bei allen Heiligen -- ich
glaube, es war die höchste Zeit, daß ich kam!“

Dann wandte er sich an den verblüfft dreinschauenden Offizier des
Pelotons:

„Hier muß ein Irrtum vorliegen. Diesem Herrn darf kein Leid zugefügt
werden, denn er ist nicht nur mein persönlicher Freund, sondern auch
ein Kamerad, ein Offizier der mit uns verbündeten deutschen Armee.“

Der Leutnant zuckte die Achseln:

„Ich habe zu tun, was mir befohlen wird, Herr Oberst! Für etwaige
Irrtümer meiner Vorgesetzten oder des Kriegsgerichts trage ich keine
Verantwortung.“

„Dafür aber, daß ich Sie an der Ausführung des Ihnen erteilten Befehls
verhindere, nehme ich die Verantwortung auf mich, Herr Leutnant! Dieser
Herr wird mich begleiten, und ich bürge für ihn.“

Er übergab einem Soldaten sein Pferd, schob seinen Arm in den Heidecks
und führte ihn hinweg bis zu dem von ihm bewohnten Zelte in der
Barackenstadt, fortwährend in den lebhaftesten Worten seiner Freude
über das Wiedersehen Ausdruck gebend. Das Frühstück, von dem die
Botschaft Georgijs ihn aufgescheucht hatte, stand noch auf dem Tische,
und Heideck ließ sich nicht lange zum Zugreifen nötigen; denn er merkte
eigentlich erst jetzt, wie lange er gefastet hatte und wie dringend
er einer leiblichen Erquickung bedurfte. Von seinen Dankesäußerungen
wollte Fürst Tschadschawadse nichts wissen; aber als Heideck ihn
fragte, ob er vorhin denn wirklich recht gehört habe, als der Fürst
von einem Bündnis zwischen der russischen und der deutschen Armee
gesprochen, gab er bereitwillig Auskunft.

„Ja -- es ist so! Das Deutsche Reich geht mit uns. Die erste
Freudenbotschaft, die mich empfing, als ich die Armee erreichte, war
die Kunde, daß Kaiser Wilhelm II. England den Krieg erklärt habe. Die
Welt steht in Flammen. Nur Oesterreich und Italien halten sich neutral.“

„Und davon hatte ich keine Ahnung! Doch das erklärt sich freilich
leicht genug. Alle Telegraphenkabel befinden sich in englischen Händen,
und man hatte es leicht, jede mißliebige Depesche zurückzuhalten.
Die in Indien erscheinenden Zeitungen aber durften natürlich nur
veröffentlichen, was der Regierung angenehm war. Aber ich brenne
darauf, mehr zu erfahren. Wissen Sie vielleicht auch, wie sich die
Dinge bisher entwickelt haben und auf welche Art Deutschland den Krieg
zu führen gedenkt?“

„Es scheint, daß man einen Einfall in England beabsichtigt. Deutschland
hat die Hälfte seiner Armee mobil gemacht und die Niederlande besetzt.
Die französischen Truppen dagegen sind in Belgien eingerückt, so daß
den beiden Mächten die ganze Küste England gegenüber zur Verfügung
steht.“

„Und ist zur See schon etwas geschehen?“

„Nein, wenigstens ist bis zur Stunde noch keine Nachricht über eine
Seeschlacht hierher gelangt. Man befindet sich offenbar noch im Stadium
der Rüstungen, und über die Bewegungen der deutschen und französischen
Flotten verlautet nichts. Uebrigens sind meine neuesten Nachrichten
auch schon ziemlich alt. Wir erfahren bei der Armee nur, was die
Kosaken überbringen.“

Heideck griff sich an die Stirn.

„Ich bin wie betäubt. -- Das alles mit einem Mal zu fassen und
zu verarbeiten geht fast über die Fähigkeiten eines gewöhnlichen
Menschenhirnes hinaus. -- Aber verzeihen Sie, mein Fürst, wenn ich
Ihnen, der Sie heute schon so viel für mich getan, noch mit einem
weiteren Anliegen komme. Ich befinde mich in großer Sorge um eine
Dame, die Witwe eines gestern gefallenen englischen Offiziers, die
sich meinem Schutze anvertraut hat. Ich verließ sie heute früh, als
man mich verhaftete, um mich vor das Kriegsgericht zu stellen, an dem
Grabdenkmal der Anar Kali, wo sie mit anderen Gefangenen untergebracht
war. Raten Sie mir, was ich tun soll, um der Dame, deren Wohl mir
sehr am Herzen liegt, eine beruhigende Nachricht über mein Schicksal
zukommen zu lassen und um zugleich sie selbst vor Belästigungen und
Ungemach zu schützen.“

„Das ist sehr einfach. Haben Sie ein Bedenken, mir den Namen der Dame
zu nennen?“

„Durchaus nicht. Es ist Mrs. Edith Irwin, die Witwe des Kapitän Irwin,
der auch Ihnen in Chanidigot vielleicht begegnet ist.“

„Ich glaube mich zu erinnern. Es wurde da von einer Spielaffäre
erzählt, in der er eine nicht gerade rühmliche Rolle gespielt haben
soll -- nicht wahr? Nun wohl, während Sie hier in meinem Zelte
tüchtig ausschlafen, werde ich nach Anar Kali hinüberreiten, um die
Dame aufzusuchen und mich über ihre Lage zu unterrichten. Seien Sie
versichert, daß ihr nichts Unangenehmes widerfahren wird, sofern es mir
nur gelingt, sie zu finden.“

„Sie beschämen mich wirklich, mein Fürst -- ich -- --“

„Sie würden genau dasselbe tun, wenn das Schicksal uns zufällig mit
vertauschten Rollen agieren ließe. Weshalb also viele Worte darüber
machen! Ich kann Ihnen leider keine bequemere Lagerstätte anbieten als
mein Feldbett da. Aber Sie sind ja Soldat und ich denke, wir beide
haben schon schlechter gelegen. Also angenehme Ruhe, mein Freund! Ich
werde Sorge tragen, daß Sie während der nächsten zwei Stunden von
niemand gestört werden.“

Und eilig, um sich allen etwa beabsichtigten weiteren Dankesäußerungen
zu entziehen, verließ der Fürst das Zelt.



[Illustration]



XVI.


So fest auch Heidecks Schlummer gewesen war, der wüste Lärm, der
plötzlich durch die dünnen Wände des Zeltes drang, hätte selbst einen
Bewußtlosen ins Leben zurückrufen können. Verwirrt und schlafbefangen
eilte er hinaus, gerade rechtzeitig, um zu verhindern, daß ein wild
aussehender, kaffeebrauner Inder mit dem dicken Knüttel, den er in
seiner Rechten schwang, einen wuchtigen Schlag gegen den mageren,
schwarzgekleideten Herrn führte, den ein ganzer Trupp von Eingeborenen
umringte. Der Europäer hatte mit seinem schmalen, bartlosen Gesicht das
Aussehen eines Geistlichen, und es mußte Heideck umsomehr in Erstaunen
setzen, daß keiner von den russischen Soldaten und Unteroffizieren, die
dem Schauspiel zusahen, die Hand zu seinem Schutze rührte. Gewiß war
er nicht berufen, hier den Befehlenden zu spielen; aber die Gefahr, in
der er da einen völlig wehrlosen Menschen sah, ließ ihn alle Bedenken
vergessen. Mit drohendem Zuruf scheuchte er die aufgeregten Inder
hinweg und nahm den Arm des Fremden, um ihn in das Zelt zu führen.

Keiner von den russischen Kriegern hinderte ihn daran. Man hatte ihn
vorhin in vertrautem Gespräch mit dem Obersten gesehen, und seine
Eigenschaft als Freund des Fürsten verschaffte ihm Respekt.

Der vor Schrecken halb ohnmächtige Fremde nahm dankbar das Glas Wein,
das Heideck ihm eingegossen hatte, und als er sich einigermaßen erholt
hatte, dankte er seinem Retter mit schlichten aber herzlichen Worten.
Er stellte sich ihm als Professor Proctor vom Aitchison-College
vor und erzählte, daß er ins Lager gekommen sei, um nach einem
wahrscheinlich schwer verwundeten Verwandten zu sehen. Plötzlich habe
er sich von einer Rotte aufgeregter Inder bedroht gesehen, die ihn
seiner Kleidung nach wohl für einen Geistlichen gehalten hätten.

„Auch Sie sind kein Russe, mein Herr. Ihrer Aussprache des Englischen
nach halte ich Sie für einen Deutschen.“

Heideck bestätigte die Vermutung und erzählte ihm mit wenig Worten
seine eigene Geschichte. Dann aber konnte er nicht umhin, seiner
Verwunderung über den Angriff Ausdruck zu geben, dem der Professor
ausgesetzt gewesen war.

„Von einem besonderen Haß der Inder gegen die englischen Geistlichen
hatte ich während meines bisherigen Aufenthalts im Lande nie etwas
bemerkt,“ sagte er, und der Professor erwiderte:

„Vor wenig Tagen noch hätte auch wohl keiner von ihnen etwas zu
fürchten gehabt. Bei so traurigen Umwälzungen aber, wie sie sich jetzt
vollzogen haben, verwirren sich alle Begriffe. Alle schlummernden
Leidenschaften werden entfesselt. Ich wage nicht auszudenken, welche
Greuel in dem weiten Indien geschehen werden, nachdem der Zügel
gerissen ist, der das Volk lenkte. Und das schlimmste ist, daß wir
selbst uns die Schuld daran beizumessen haben.“

„Sie meinen durch die Lässigkeit, mit der man die Verteidigung des
Landes vorbereitet hat?“

„Ich meine nicht allein das. Unsere Schuld ist, daß wir eine ewige
Wahrheit ignoriert haben, die Wahrheit nämlich, daß alle politischen
Fragen nur der äußerliche Ausdruck, gleichsam das Kleid religiöser
Fragen sind.“

„Verzeihen Sie, aber der Sinn Ihrer Worte ist mir nicht klar.“

„Betrachten Sie das langsame, stetige Vordringen der Russen in
Asien. Alles, was sie unter ihre Herrschaft gebracht haben, alle
die ungeheuren Landstrecken Zentralasiens, sind zu ihrem sicheren,
unbestrittenen Besitz geworden. Warum? Weil die Russen sich auch
die Seelen der Völker zu erwerben und ihren religiösen Anschauungen
Rechnung zu tragen wissen. Deshalb gehen Besiegte und Sieger leicht
ineinander auf. Wir Engländer dagegen haben nur eine rein politische
Herrschaft über Indien geführt. Die Seelen der Völker sind uns fremd
und feindlich geblieben.“

„Es mag etwas Wahres in Ihren Worten sein. Aber Sie werden zugeben
müssen, daß die Engländer dafür eine neue Kultur nach Indien gebracht
haben. Damit war die Gewißheit geistigen Fortschritts gegeben, und
ich meine, daß kein Volk auf die Dauer blind bleiben kann gegenüber
der Erscheinung höherer Ideen. Die ganze Weltgeschichte bildet eine
fortlaufende Kette von Beweisen für die Richtigkeit dieser Tatsache.“

„Das Wort ‚Kultur‘ hat einen vielseitigen Sinn. Handelt es sich
nur darum, zu untersuchen, ob die Regierung und Verwaltung des
Landes besser geworden ist, so bedeutet ja die von uns nach Indien
gebrachte Kultur unzweifelhaft einen ungeheuren Fortschritt gegenüber
den Zuständen früherer Jahrhunderte. Wir haben die Despotie der
eingebornen Fürsten gebrochen und haben den unaufhörlichen blutigen
Kriegen, die sie untereinander und mit den asiatischen Nachbardespoten
führten, ein Ende gemacht. Wir haben Straßen und Eisenbahnen gebaut,
Sümpfe und Dschungeln beseitigt, Häfen eingerichtet, dem Meere große
Landstrecken entrissen und schützende Kais gebaut. Die erschreckende
Sterblichkeitsziffer der Großstädte ist unter der englischen Verwaltung
erheblich zurückgegangen. Wir haben Gesetze gegeben, die die
persönliche Sicherheit schützen und dem Handel neue Bahnen eröffnen.
Aber das Streben unserer Regierung ist ein rein utilitaristisches
gewesen, und was den tieferen Strom der Entwicklung betrifft, so ist
nirgends ein wichtiger Fortschritt zu erkennen.“

„Und was ist es, was Sie darunter verstehen?“

„Unsere Ansichten in dieser Beziehung gehen vielleicht weit
auseinander. Ich sehe in den meisten derartigen Errungenschaften nur
eine neue Erscheinungsform jenes Materialismus, der von jeher das
schlimmste Hindernis aller wahren Entwickelung gewesen ist.“

„Mir scheint, Mr. Proctor,“ warf Heideck lächelnd ein, „daß Sie hier in
Indien Buddhist geworden sind!“

„Vielleicht, mein Herr, und ich würde mich dessen nicht schämen. Schon
mancher, der Indien zuerst mit den Augen des Christentums betrachtete,
ist hier, -- vielleicht ohne es selbst zu wissen, -- zum Buddhisten
geworden. Griechische Weise haben einst gewünscht, daß man die Könige
unter den Philosophen auswähle. Das mag ein unausführbarer Gedanke
sein, aber ich glaube nicht, daß ein Herrscher, der die Philosophie
verachtet, seine hohe Aufgabe jemals in vollem Maße erfüllen wird.
Eine Politik ohne Philosophie ist ebenso wie eine unphilosophische
Religion nicht fester gegründet, als jene Häuser dort am Raviflusse,
deren Existenz nicht für einen einzigen Tag gesichert ist, weil es dem
Strome gelegentlich einfällt, seinen Lauf zu ändern. Eine Regierung,
die den religiösen Empfindungen des Volkes nicht Rechnung zu tragen
weiß, steht nicht fester da als diese Hütten. Das Schicksal, das sich
jetzt an uns Engländern vollzieht, ist der beste Beweis dafür. Wir
sind die erste Macht in Asien gewesen, die eine politische Herrschaft
nicht auf die Religion des Volkes gegründet hat. Unklug haben wir die
gewohnte Einfachheit eines Volkes zerstört, das bis dahin nur geringe
Bedürfnisse hatte, weil es sich Jahrtausende hindurch mehr um das Leben
nach dem Tode, als um das irdische Dasein gekümmert hatte. Wir haben
die schlummernde Leidenschaft dieses Volkes aufgestachelt und durch
den Anblick von europäischem Luxus und europäischer Ueberkultur bis
dahin ungekannte Wünsche in ihm geweckt. Unser System des öffentlichen
Unterrichts ist darauf gerichtet worden, in allen Klassen des indischen
Volkes die geringwertige materialistische Volksbildung unserer eigenen
Nation zu verbreiten. Unter allen Gouverneuren und Schulinspektoren,
die von England hierherkamen, hat sich keiner bemüht, die Oberfläche
indischen Volkslebens zu durchdringen und die Seele dieses religiösen
und transcendental angelegten Volkes zu ergründen. Welche Gegensätze
sind dadurch geschaffen worden! Hier ein heiliger Strom, Priester,
Asketen, Jôgins, Fakire, Tempel, Heiligenschreine, geheimnisvolle
Lehren, ein vielfältiges Ritual -- daneben aber ganz unvermittelt
Schulen, darin ein hausbackener englischer Elementar-Unterricht
getrieben wird, ein Staatskolleg mit einer Medizinalanstalt und
christliche Kirchen der verschiedensten Konfessionen.“

„Wie wäre es aber auch möglich gewesen, moderne wissenschaftliche
Bildung mit dem Fanatismus der Inder pädagogisch zu vereinen?“

Ueber das geistvolle Gesicht des Professors glitt ein überlegenes
Lächeln.

„Vergleichen Sie bitte die ermüdenden Trivialitäten der englischen
Missionsschriften mit den unsterblichen Meisterschriften der indischen
Literatur! Dann werden Sie begreifen, daß der Inder, selbst wenn
er das Christentum als Moralsystem gutheißt, eine tiefere und
umfassendere Begründung dieser Moral verlangt und auch dem Ursprunge
der christlichen Lehre nachforscht. Und da findet sich dann gar bald,
daß alles Licht, das nach Europa gekommen ist, von Asien ausging. ~Ex
oriente lux.~“

„Ich bin zu ungelehrt, um Ihnen da zu widersprechen. Es mag sein,
daß selbst das Christentum nicht allein aus dem Judentum, sondern
auch aus dem Buddhismus herausgewachsen ist. Es mag auch sein, daß
die Lehren unserer heutigen Missionare den Indern zu nüchtern sind.
Aber die metaphysischen Bedürfnisse eines Volkes haben mit gesunder
Politik und guter Rechtspflege doch wohl wenig zu schaffen. Denken
Sie an Rom! Der römische Staat hatte eine vorzügliche Rechtspflege,
und eine gewaltige politische Kraft, die ihn viele Jahrhunderte
hindurch in seiner weltbeherrschenden Stellung erhielt. Wie aber
war es mit der Religion und der Philosophie in Rom bestellt? Eine
Staatsreligion gab es überhaupt nicht. Es gab keine priesterliche
Hierarchie, keinen strengen theologischen Kodex, sondern nur eine
Mythologie und eine Götterverehrung, die wesentlich praktischer Natur
war, und eben durch ihren praktischen Sinn oder -- wie Sie es nennen
würden -- durch ihren krassen Materialismus wurden die Römer befähigt,
eine nationale Gesellschaft auf einfach menschliche Bedürfnisse und
Ansprüche zu gründen. Was aber ihnen gelang, warum sollte es nicht
auch jenen Nationen möglich sein, von denen sie in der Weltherrschaft
abgelöst wurden? Der Geist der Zeiten ändert sich, aber es ist nur
eine regelmäßig wechselnde Wiederkehr derselben Strömungen, so wie die
Gestirne in ihrem Kreislauf immer wieder auf ihren Platz zurückkehren.“

„Und wenn der Zeitgeist gleich manchen Gestirnen nicht im Kreise,
sondern in einer Spirale ginge? Die britische Weltherrschaft hat wohl
schon einen höheren Schwung genommen als die römische. Hätte nicht
dieses britische Weltreich, indem es weise Staatskunst mit den tiefen
Ideen indischer Philosophie durchtränkte, zu einer großen Reformation
des ganzen Menschengeschlechts gelangen können? Es wäre ein herrlicher
Gedanke gewesen, aber ich habe hier gelernt, zu erkennen, wie weit man
von seiner Verwirklichung entfernt geblieben ist.“

„Gleichwohl denke ich, daß die englische Armee nicht von den Russen
geschlagen worden wäre, wenn sie nicht nach den Regeln einer veralteten
Taktik gekämpft hätte.“

„O, mein Herr, wenn die indischen Truppen mit ganzer Seele für England
gefochten hätten, so hätten wir diese Niederlage nimmermehr erlitten.“

„Als Soldat möchte ich das bestreiten. Die Inder werden einer
militärisch geschulten europäischen Armee niemals gewachsen sein.
Das Volk entbehrt dazu in viel zu hohem Maße der kriegerischen
Eigenschaften.“

„Es ist wahr, das indische Volk ist von Natur sanft und gutherzig. Man
mußte es in seinen heiligsten Empfindungen verletzen, um es wild und
blutgierig zu machen.“

„Vielleicht beurteilen Sie es doch etwas zu milde. Es steckt noch ein
gut Teil Barbarei in dieser Rasse, selbst bis in die höchsten Kreise
hinauf. Hat doch, -- wie ich Ihnen aus eigener Wahrnehmung berichten
kann, -- ein indischer Fürst vor Ausbruch des Krieges den Versuch
gemacht, durch seine Diener eine englische Dame aus ihrer Wohnung zu
rauben und den englischen Residenten, der ihn deshalb zur Rede stellte,
durch einen gedungenen Meuchelmörder zu vergiften.“

Der Professor war im höchsten Grade erstaunt.

„Ist es möglich? Konnten sich solche Dinge ereignen? Sollten Sie nicht
doch vielleicht durch einen übertreibenden Bericht getäuscht worden
sein?“

„Ich habe die Vorgänge selbst aus nächster Nähe beobachtet, und ich
kann Ihnen die Namen nennen. Die Dame, gegen die man den schändlichen
Anschlag versuchte, ist Mrs. Edith Irwin, die ihrem Gatten, einem
Kapitän bei den Lancers, in das Lager von Chanidigot gefolgt war.“

Die Verwunderung des Professors wuchs ersichtlich immer mehr.

„Mrs. Edith Irwin? Ist es möglich? Die Tochter meines alten Freundes,
des trefflichen Rektors Graham? Gewiß, sie muß es sein, denn sie war
mit einem Kapitän von den Lancers verheiratet.“

„Seit gestern ist sie die Witwe dieses Offiziers. Er fiel in der
Schlacht bei Lahore, und sie selbst befindet sich unter den Gefangenen
in Anar Kali.“

„Dann muß ich versuchen, sie zu finden; denn sie hat schon um ihres
Vaters willen Anspruch auf meinen Beistand. Vorläufig freilich,“ fügte
er mit einem etwas wehmütigen Lächeln hinzu, „bin ich selbst ja noch
recht sehr des Schutzes bedürftig.“

„Ich glaube, Sie wegen dieser Dame beruhigen zu können. Mein Freund,
der russische Oberst Fürst Tschadschawadse, ist eben jetzt nach Anar
Kali hinübergeritten, um auf meine Bitte für sie zu sorgen.“

Er hatte noch nicht ausgesprochen, als die schlanke Gestalt des Fürsten
im Eingang des Zeltes erschien. Seine niedergeschlagene Miene weissagte
nichts gutes. Er trat auf Heideck zu und schüttelte ihm die Hand.

„Ich kann Ihnen leider nichts Erfreuliches melden, lieber Kamerad! Ich
habe Ihre Schutzbefohlene nicht mehr vorgefunden.“

„Wie? Sie war fort? Und konnten Sie nicht erfahren, wohin sie sich
begeben hat?“

„Alles, was ich zu ermitteln vermochte, war, daß sie in Begleitung
mehrerer Inder in einem eleganten Wagen davongefahren sei. Eine
englische Dame, die den Vorgang beobachtete, hat es mir erzählt.“

Eine furchtbare Ahnung schnürte Heidecks Herz zusammen.

„In Begleitung von Indern? Und ohne daß man weiß, wohin sie geführt
wurde? Hat sie denn keine Nachricht für mich oder sonst jemand
hinterlassen?“

„Die Dame hatte keine Gelegenheit mehr gehabt, mit ihr zu sprechen. Sie
hat die Abfahrt nur aus der Ferne gesehen.“

„Aber sie muß doch wahrgenommen haben, ob Mrs. Irwin das Grabmal
freiwillig oder gezwungen verließ?“

Der Fürst zuckte die Achseln.

„Ich kann darüber leider nichts sagen. Meine Erkundigung blieb ohne
jedes Ergebnis. Weder von den englischen Gefangenen noch von den
russischen Wachen konnte mir irgend jemand nähere Auskunft geben.“



[Illustration]



XVII.


Im Foreign Office zu London versammelte sich der Ministerrat. Mit
düsteren Mienen hatten sich die Lords eingefunden. Wie eine finstere
Wolke lagerte die Ahnung einer Katastrophe über England, allerhand
schlimme Gerüchte waren im Lande verbreitet, und mit dumpfer Beklemmung
sah man den kommenden Ereignissen entgegen.

„Eine Depesche des kommandierenden Generals,“ sagte der
Ministerpräsident, indem er das Papier in seiner Hand entfaltete. Und
es wurde totenstill im Gemach:

  ‚Schmerzlich bewegt sende ich der Regierung Seiner Majestät die
  Nachricht von einer großen Niederlage, die ich vorgestern bei
  Lahore erlitten habe. Erst heute habe ich Delhi mit den Trümmern
  meiner Armee erreicht, die von der russischen Avantgarde verfolgt
  wurde. Wir hatten eine sehr günstige Aufstellung am linken Ufer
  des Ravi eingenommen und waren im Begriff, der russischen Armee
  den Uebergang über den Fluß zu verwehren, als ein überraschend
  starker Angriff auf unsern linken Flügel bei Schah Dara uns nötigte,
  diesen Flügel zu verstärken und dadurch das Zentrum zu schwächen.
  Gedeckt vom Dschungel am Flußufer, gelang es russischer Kavallerie
  und mohammedanischen Hilfstruppen der russischen Armee den Fluß zu
  überschreiten und unsere Sepoy-Regimenter in Unordnung zu bringen.
  Die Truppen des Maharadjah von Chanidigot gingen in verräterischer
  Weise zum Feinde über, und das war entscheidend. Wären nicht
  sämtliche Sepoy-Regimenter abgefallen, so hätte ich die Schlacht
  halten können, aber die englischen Regimenter unter meinem Befehl
  waren zu schwach, um der Uebermacht des Feindes lange Widerstand
  zu leisten. Die Tapferkeit dieser Regimenter verdient das höchste
  Lob, aber nach mehrstündigem Kampfe mußte ich den Befehl zum Rückzug
  geben. Wir zogen uns auf die Stadt Lahore zurück, und es gelang mir,
  einen Teil der Truppen mit der Eisenbahn nach Delhi zu bringen. Diese
  Stadt werde ich aufs äußerste verteidigen. Verstärkungen sind aus
  allen Militärstationen des Landes unterwegs. Wie groß unsere Verluste
  sind, kann ich noch nicht angeben. An intakten Truppen habe ich
  fünftausend Mann nach Delhi zurückbringen können.‘

Eisiges Schweigen lag auf dem Kreise der Lords nach Verlesung der
Unglücksbotschaft. Dann nahm der Kriegsminister das Wort:

„Diese Depesche ist freilich wie ein Keulenschlag. Unser bester
Feldherr, die aus den besten Truppen Indiens gebildete Armee sind
völlig besiegt. Mit Recht könnten wir ja sagen, daß Englands Größe noch
fest auf beiden Füßen steht, so lange England, diese meerumgürtete
Insel, vor dem Feinde gesichert ist. Keine Niederlage in Indien oder in
einer der Kolonieen kann uns tödlich treffen. Was wir in einem Erdteil
verlieren, nehmen wir doppelt in einem andern zurück, so lange wir
im Haupte selbst und im Herzen, auf unserer Insel, stark und gesund
sind. Aber das ist es gerade, was mich besorgt macht. Die Sicherheit
Großbritanniens ist bedroht, wo fast die ganze Welt die Waffen gegen
uns erhebt. Eine starke französische Armee steht zur Invasion bereit,
Dover gegenüber, eine starke deutsche Armee in den Niederlanden,
ebenfalls bereit, an unsere Küsten überzusetzen. Ich frage, welche
Maßregeln sind getroffen worden, um einen Angriff auf unser Mutterland
abzuwehren?“

„Die britische Flotte,“ entgegnete der erste Lord der Admiralität, „ist
stark genug, die Flotten unserer Feinde zu zerschmettern, wenn sie
wagen sollten, sich auf offenem Meere zu zeigen. Aber die russische,
französische und deutsche Flotte sind so klug, sich unter dem Schutze
der Festungen in den Häfen zu halten. Wir haben zwei Flotten im
Kanal, die eine, von zehn Linienschiffen nebst achtzehn Kreuzern und
den nötigen kleinen Fahrzeugen, dazu bestimmt, die deutsche Flotte
anzugreifen, die andere, stärkere, von vierzehn Linienschiffen und
vierundzwanzig Kreuzern, dazu bestimmt, die französische Flotte zu
vernichten. Eine dritte Flotte ist im Hafen von Kopenhagen, um die
russische Flotte an ihrer Vereinigung mit der deutschen zu verhindern.
Der Plan, nach Kronstadt zu fahren, ist aufgegeben worden, da die
Erfahrungen des Krimkrieges warnen und wir unsere Seestreitkräfte nicht
zu weit auseinanderziehen wollen. Unsere Admirale und Kapitäne werden
durch die Nachricht von den Erfolgen der Russen davon überzeugt werden,
daß es sich jetzt um Englands Ehre und Englands Bestand handelt. Als
wir im achtzehnten Jahrhundert Frankreichs Seemacht von allen Meeren
vertrieben, und als wir die Flotte des großen Napoleon besiegten,
da galt die Regel, daß jeder besiegte Admiral und Kapitän unserer
Marine standrechtlich erschossen wurde und daß schon bei jedem nicht
völlig ausgenutzten Erfolg unserer Kriegsschiffe das Kriegsgericht den
Befehlshaber absetzte. Jetzt ist die Zeit gekommen, wo jene alten,
strengen Gesetze wieder in Wirkung treten müssen.“

„Nach dem letzten Bericht der Admiralität,“ sagte der Lord Großkanzler,
„hatte die Flotte siebenundzwanzig neue Panzerschlachtschiffe,
deren ältestes von 1895 ist. Die Panzer von 1902: Albemarle,
Cornwallis, Duncan, Exmouth, Montagu und Russell, sowie die Panzer
von 1899: Bulwark, Formidable, Implacable, Irresistible, London und
Venerable sind, wie ich aus dem Bericht ersehe, nach den neuesten
technischen Grundsätzen konstruiert und armiert. Sind alle modernen
siebenundzwanzig Panzer bei der Kanalflotte?“

„Nein, der Albion, der Ozean und die Glory sind auswärts. Die
zwölf neuesten Panzer, die Eure Herrlichkeit nannte, sind beiden
Kanalflotten eingereiht. Aber auch mehrere ältere Schlachtschiffe,
wie Centurion, Royal Sovereign, Empreß of India, sind im Kanal. Ich
darf wohl sagen, daß die beiden Kanalflotten völlig geeignet für
ihre Aufgaben sind. Wir haben vierundzwanzig ältere Panzer, die aber
sämtlich von ausgezeichnetem Werte für das Gefecht sind.“

„Von diesen älteren Panzern sind viele noch mit Vorderladern
ausgerüstet.“

„Allerdings. Aber ob die allgemeine Annahme, Hinterlader seien
gefechtstüchtiger, durchaus richtig ist, kann erst eine Seeschlacht
erweisen. Bei Schnellfeuergeschützen ist es ja gewiß, daß der
Hinterlader die allein richtige Konstruktion ist, aber bei unseren
schwersten Geschützen, die ein Kaliber von 30,5 Zentimeter haben und
eine Zeit von drei bis vier Minuten beanspruchen, um geladen zu werden,
kommen die Vorteile des Schnellfeuers überhaupt nicht in Frage, sondern
hier kommt es auf das genaue Zielen an, damit das wuchtige Geschoß an
die richtige Stelle schlägt. Und hierzu ist ein geschicktes Manövrieren
von der größten Wichtigkeit. Außerdem zeigen uns die Kämpfe vor Port
Arthur die große Bedeutung des Torpedos und der Mine. Die russische
Flotte hat ihre schwersten Verluste durch das gewandte Manövrieren und
den überlegenen Torpedogebrauch der Japaner erlitten. Es scheint, als
ob überhaupt in modernen Seeschlachten der Artilleriekampf gegen den
Minenkrieg zurücktreten sollte, und da wird sich unsere Ueberlegenheit
an Unterseebooten beim Angriff auf die in den Häfen liegenden Flotten
Deutschlands und Frankreichs zeigen. Erst eine Seeschlacht zwischen
unseren Geschwadern und denen der Franzosen und Deutschen kann eine
Lehre für den richtigen Gebrauch moderner Kriegsschiffe sein. Und
es wird eine Lehre werden, eine Lehre für die Unbesonnenen, die es
wagen werden, sich dem Feuer einer britischen Breitseite und dem
Angriff unserer Torpedoboote und Unterseeboote auszusetzen. Mögen die
Panzerungen sein, wie sie wollen: der beste Panzer Großbritanniens ist
die feste, treue Brust der Briten.“

„Ich kann, wenn ich solche Erklärungen höre,“ warf der Kolonialminister
ein, „mich des Verdachtes nicht erwehren, daß der ganze Plan der
Flottenverwendung falsch ist.“

„Ich bitte um Begründung dieses Verdachtes,“ erwiderte der Lord der
Admiralität etwas gereizt.

„Von jeher ist gesagt worden, daß England die Oberherrschaft zur See
hätte. Nun währt der Krieg schon eine ganze Zeit, und ich merke nichts
von unserer Oberherrschaft.“

„Wie können Sie das sagen? Der Handel unserer Feinde ist vollständig
lahmgelegt worden, und unsere Schiffe verkehren überall frei wie sonst.“

„Das mag sein, aber unter der Oberherrschaft zur See verstehe ich etwas
anderes. Kein Seesieg ist bis jetzt erfochten worden. Die feindlichen
Flotten sind noch intakt. So lange diese nicht vernichtet sind, liegt
immer noch die Gefahr nahe, daß der Krieg eine für uns nachteilige
Wendung nehmen kann. Erst der Kampf auf offener See entscheidet.
Die englische Flotte sollte, wenn sie wirklich die herrschende ist,
die feindlichen Schiffe zur entscheidenden Schlacht zwingen. Warum
blockieren wir nicht die französische und die deutsche Flotte in den
Häfen und zwingen sie, sich uns zu stellen? Unsere Geschütze tragen
drei Meilen weit, wir können die Feinde im Hafen erreichen. Was soll
diese Trennung in drei Teile? Die Flotte sollte im Kanal zu einem
zerschmetternden Schlage vereinigt werden.“

„Der sehr ehrenwerte Herr vergißt, daß eine Vereinigung unserer Flotte
auch die Vereinigung der feindlichen Flotte zur Folge haben würde.
Verlassen wir unsere Stellung bei Kopenhagen, so kommt die starke
russische Flotte von Kronstadt hervor und vereinigt sich mit den
deutschen Kriegsschiffen in der Ostsee. Diese vereinigte Flotte könnte
durch den Kaiser Wilhelm-Kanal in die Nordsee gelangen. England hat
immer bei seinen Seerüstungen den ~two powers standard~ eingenommen,
und obwohl wir den ~three powers standard~ angestrebt haben, sind die
Mittel an Geld und Menschenmaterial doch nicht ausreichend gewesen,
eine Seemacht aufzustellen, die den Flotten der drei jetzt vereinigten
Mächte überlegen wäre. Gleichwohl hält unser altes Prestige alle drei
Mächte in Schach, so daß sie nicht wagen, uns zur See anzugreifen.
Setzen wir dies Prestige nicht dadurch aufs Spiel, daß wir ohne
eine bestimmte Aussicht auf Erfolg eine Seeschlacht provozieren!
Diese Seeschlacht wird kommen, aber der günstige Augenblick muß
sorgfältig abgewartet werden. Beim jetzigen Stande des Krieges wäre
es leichtsinnig, alles auf eine Karte zu setzen. Das tun wir aber,
wenn wir eine Seeschlacht erzwingen wollen. Gelingt der Angriff nicht,
erleidet unsere Flotte eine Niederlage, so ist England der Landung
einer kontinentalen Armee ausgesetzt. Es ist wahr, daß unsere Flotte
durch Teilung geschwächt wird, aber dasselbe gilt von den feindlichen
Flotten, so daß dieser scheinbare Nachteil ausgeglichen wird. Wir
müssen den Augenblick erspähen, wo eine Verschiebung der gegenwärtigen
Lage uns erlaubt, eine der feindlichen Flotten mit überlegenen Kräften
anzugreifen.“

„Es möchte wohl ein Mittel geben, die deutsche Flotte hervorzulocken,“
beharrte der Kolonialminister. „Laßt uns ein Panzergeschwader
nach Helgoland schicken und den Felsen mit seinen Befestigungen
zusammenschießen, daß er zerbröckelt ins Meer sinkt. Die Erwerbung
Helgolands war eine Lieblingsidee Kaiser Wilhelms II., und dieser
Monarch wird schon dafür sorgen, daß Helgoland nicht vom Erdboden
verschwindet. Kommen aber die Deutschen trotz einer Beschießung
Helgolands auch dann noch nicht heraus, so laßt das Geschwader in
die Mündung der Elbe fahren und Hamburg in Brand schießen. Laßt auch
die Panzer von Kopenhagen vorgehen und den Kieler Hafen, wie die
Küstenstädte an der Ostsee zerstören. Dann würde sich die deutsche
Flotte schon zeigen!“

„Dieser Plan ist erwogen worden und kommt vielleicht zur Ausführung. Es
stehen ihm jedoch zwei Bedenken entgegen: erstens würden wir durch die
Zerstörung offener Städte ein Odium auf uns laden, das ....“

„Pah! Für den Sieger gibt es kein Odium! England wäre niemals zu
seiner jetzigen Größe und Macht gelangt, wenn es sich von praktischen
Maßregeln durch allzu ängstliche Rücksichten auf Humanität und
Völkerrecht hätte abschrecken lassen.“

„Nun, dann bleibt jedenfalls noch das andere Bedenken.“

„Und das wäre, Mylord?“

„Der Kampf von Schiffen, selbst wenn sie die stärksten Panzer tragen,
gegen Landbefestigungen ist immer eine gefährliche Taktik, zumal, wenn
die Küsten durch zahlreiche Minen und Torpedoboote verteidigt werden.
Dazu kommt, daß Panzerschiffe eine sehr teure und in gewissem Sinne
zerbrechliche Ware sind.“

„Eine zerbrechliche Ware?“

„Die Deutschen haben alle Leuchtschiffe, alle Feuerschiffe, alle
Seezeichen außer Dienst gesetzt, und gerade so, wie die französischen
Häfen, sind auch die deutschen durch Minen verteidigt. Ein Panzerschiff
ist stark bei ruhigem Wasser gegenüber einem anderen Schiff, aber die
Natur seiner Bauart macht es schwach beim Sturm und in unsicherem
Fahrwasser. Ein Panzerschiff kentert vermöge seiner enorm schweren
Belastung ungemein leicht, sobald es nach einer Seite hin das
Uebergewicht bekommt. Es darf auch wegen seiner ungeheuren Wucht
nirgends anstoßen, weil es sonst zerbricht; heftet sich ein Torpedo
an seine Panzerhaut oder fährt es auf eine Mine, so geht es durch die
Explosion leichter unter als ein Holzschiff des vorigen Jahrhunderts.
Und wenn es irgendwo in einer Untiefe oder an einem Felsen aufläuft, so
bringt man es nicht wieder los. Außerdem bedarf es häufiger Erneuerung
seines Kohlenvorrats, so daß man es nicht auf langdauernde Expeditionen
schicken kann. Unsere Panzer haben ihren ganz besonderen Zweck: sie
sind für die Seeschlacht. Aber sie gleichen Riesen, die durch das
eigene Gewicht schwerfällig gemacht und zu Boden gezogen werden,
und der Verlust eines Panzer-Schlachtschiffes bedeutet, von seiner
sonstigen Bedeutung für den Krieg abgesehen, den Verlust von mehr als
einer Million Pfund. Auch die Kreuzer würde ich nicht ohne dringende
Not den Stahlgeschossen einer Kruppschen Küstenbatterie aussetzen.
Hüten wir uns auch vor dem kleinsten Mißerfolge zur See! Er würde für
unser Prestige und damit für unsere Machtstellung so gefährlich werden
wie eine Stahlgranate für die Wasserlinie eines unserer Kriegsschiffe.“

Der Kolonialminister schwieg. Er hatte diesen Einwendungen nichts mehr
entgegenzusetzen.

„Unsere indischen Truppen werden dringend der Verstärkung bedürfen,“
nahm der Ministerpräsident wieder das Wort. „Wir müssen englische
Männer ins Feld stellen, da man sich auf die Sepoys nicht mehr
verlassen kann.“

„Allerdings,“ bestätigte der Kriegsminister, „und es gehen ja noch
immer Truppentransporte nach Bombay. Vierzigtausend Mann sind
eingeschifft worden; von diesen sind mehr als zwanzigtausend in
Indien gelandet, die anderen sind noch auf der See. Eine große
Flotte ist unterwegs, und acht Panzer sind in Aden stationiert, um
jedem feindlichen Angriff auf unsere Transporte zu wehren. Aber es
ist die Frage, ob wir gut daran tun, noch mehr Truppen nach Indien
zu schicken. Mylords, so schwer es mir wird, es auszusprechen: wir
müssen vorsichtig sein. Man würde mich mit Recht der Unbesonnenheit
zeihen, wenn ich hier mehr täte, als die äußerste Vorsicht erlaubt.
Großbritannien ist von Truppen entblößt. Nun bin ich gewiß, und ganz
England ist sich dessen bewußt, daß niemals ein feindlicher Fuß diesen
Boden betreten wird, da unsere Flotte die Unberührtheit unserer Insel
verbürgt, aber wir wären unseres verantwortlichen Amtes nicht würdig,
wenn wir irgend eine Maßregel zur Sicherheit des Landes versäumten.
Laßt uns Feiglinge sein, Mylords, vor dem Kampfe, Helden erst in der
Schlacht selbst! Laßt uns annehmen, wir besäßen keine Flotte, sondern
müßten Englands Boden auf dem Lande verteidigen. Wir müssen eine
schlagfertige Armee auf englischem Boden aufstellen oder wir machen
uns des Verrats am Vaterlande schuldig. Die Mobilmachung unserer
Reserve muß noch weiter ausgedehnt werden. Zehntausende von Yeomen
sind noch imstande das Gewehr zu tragen und den Säbel zu schwingen,
ohne daß wir sie eingezogen hätten. Jetzt müssen alle kräftigen Männer
heran. Das Gesetz erlaubt, jeden Mann, der nicht der regulären Armee
oder einem Freiwilligenkorps angehört, zur Armee heranzuziehen, vom
18. bis zum 50. Jahre, und dergestalt eine Miliz aller waffenfähigen
Männer zu bilden. Wenn Seine Majestät es genehmigt, werde ich ein
Milizheer von hundertundfünfzigtausend Mann bilden. Ich rechne auf
Indien hundertundzwanzigtausend Mann, auf Malta zehntausend, auf
Hongkong dreitausendfünfhundert, auf Südafrika zehntausend, auf
die Antillen dreitausend, auf Gibraltar sechstausend, auf Aegypten
zehntausend Mann, abgesehen von den kleineren Garnisonen, die alle an
ihren Plätzen bleiben müssen, und hoffe dann noch mit Aufbietung aller
Freiwilligenkorps und Reserven eine Armee von vierhunderttausend Mann
zur Verteidigung des Mutterlandes aufstellen zu können.“

Der Lord Großkanzler schüttelte den Kopf: „Lassen wir uns nicht durch
solche Zahlen zu einem falschen Optimismus verführen! Große Haufen ohne
militärische Schulung, ohne Uebung in den Waffen, mit neu ernannten und
von den Mannschaften gewählten Offizieren, die ohne jede praktische
Einsicht, ohne jedes Verständnis für die Anforderungen moderner
Kriegsführung sind, wollen wir wohlgeschulten Truppen entgegenstellen,
solchen ausgezeichneten Truppen, wie es die französischen und die
deutschen sind? Woher denn nur die Artillerie nehmen? Wir haben
1871 gesehen, wohin es führt, wenn man Herden von Bewaffneten den
geschulten regulären Truppen gegenüberstellt. Bourbaki führte ein
Heer, das monatelang geübt worden war, und doch hatten seine Scharen,
obwohl sie mit Kavallerie und Artillerie ins Feld zogen, ungeheure
Verluste beim Zusammenstoß mit einer an Zahl weit schwächeren,
aber wohlgegliederten, kriegsgeübten und von erfahrenen Offizieren
befehligten Armee. Sie wurden über die Grenze nach der Schweiz
gedrängt, wie wenn eine große Schafherde von einem Rudel Wölfe gejagt
wird.“

„Das waren Franzosen, wir aber sind Engländer!“

„Ein Engländer wird von einer Kugel niedergestreckt wie ein Franzose.
Die Zeiten des Schwarzen Prinzen sind vorbei, kein Heinrich V. siegt
mehr bei Agincourt, wir haben das Feuergefecht mit Magazingewehren.“

„Die Buren, Mylord, haben uns gezeigt, was eine tapfere Miliz noch
immer gegen reguläre Truppen vermag.“

„Ja, im Gebirge. So haben auch die Tiroler eine Zeitlang dem großen
Napoleon Widerstand geleistet. England aber ist flach, und in der Ebene
zeigt sich die Ueberlegenheit der taktischen Kunst. Nein, nur auf der
Flotte beruht Englands Heil.“

Eine Depesche des Vizekönigs von Indien wurde dem Präsidenten
überbracht:

  ‚Der Vizekönig meldet der Regierung Seiner Majestät, daß der
  Oberbefehlshaber in Delhi ein Heer von dreißigtausend Mann
  zusammengezogen hat und die Stadt verteidigen wird. Die Sepoys
  bei seiner Armee gehorchen, da sie innerhalb der Befestigungen
  eingeschlossen sind und nicht fliehen können. Der Vizekönig wird
  Sorge tragen, daß die mohammedanischen Sepoys möglichst alle nach
  dem Süden kommen und daß nur Hindutruppen gegen die Russen ins
  Gefecht geführt werden. Es ist Befehl gegeben worden, den abtrünnigen
  Maharadjah von Chanidigot, dessen Truppen in der Schlacht bei Lahore
  das Signal zur Fahnenflucht gaben, standrechtlich zu erschießen. Der
  Vizekönig ist der Ansicht, daß die russische Armee vor Delhi Halt
  machen wird, um die Verstärkungen heranzuziehen, die immerfort, aber
  nur in dünnem Flusse, durch Afghanistan herankommen. Er zweifelt
  nicht daran, daß die englische Armee, deren Zahl täglich durch die
  neu ankommenden Regimenter wächst, in den Nordprovinzen vereinigt,
  den Russen eine entscheidende Niederlage beibringen wird. Der
  Oberbefehlshaber wird dem General Egerton die Verteidigung Delhis
  übertragen und eine neue Feldarmee bei Cawnpore zusammenziehen, mit
  der er nach Delhi vorzurücken beabsichtigt. Auf allen Bahnlinien
  werden unausgesetzt alle verfügbaren Truppen nach Cawnpore befördert.‘

„Diese Nachrichten sind allerdings geeignet, uns mit neuem Mut zu
erfüllen,“ sagte der Ministerpräsident, nachdem er das Telegramm
vorgelesen. „Und wir wollen uns doch nicht verhehlen, Mylords, daß
wir mehr als je des Mutes bedürfen. Dieser neue Mann in Deutschland,
den der Kaiser zum Kanzler gemacht hat, regt die Gemüter der
Deutschen schrecklich gegen uns auf. Er scheint ein Mann nach des
Fürsten Bismarck Art zu sein, ein Mann kühner Rücksichtslosigkeit und
überraschender Schläge. Wir stehen ganz allein. Rußland, Frankreich und
Deutschland haben sich zu einem Bündnis gegen uns zusammengeschlossen.
Oesterreich kann und will uns nicht zu Hilfe kommen, Italien dreht sich
in gewundenen Antworten auf unsere Anträge, sagt weder ja noch nein und
lauert auf den Augenblick, wo es im Bündnis mit Frankreich die letzten
italienischen Landstriche von Oesterreich losreißen und sich an unseren
Kolonien bereichern kann. Nun wohl denn, wo England allein stand, da
stand es noch immer in Glanz und Macht. Vertrauen wir auf uns selbst
und die Treue unserer Kolonien, die uns mit Geld und mit Mannschaften
beispringen und die wir nach dem Siege mit allen Gaben belohnen wollen,
die Seiner Majestät Regierung auszuteilen hat.“

„Unsere Kolonien!“ mischte sich jetzt auch der Handelsminister in die
Debatte. „Jawohl, sie sind opferwillig. Ich fürchte nur, daß die Opfer,
die der sehr ehrenwerte Kolonialminister von ihnen fordert, ihnen zu
viel werden können, und daß sie bei der Richtung, die der moderne
Imperialismus unserer Regierung einschlägt, nicht an die Belohnungen
glauben werden, die ihnen in Aussicht gestellt werden.“

„Mylord,“ entgegnete der Angegriffene. „Man nennt mich einen Agitator,
und man wirft mir vor, daß ich die jetzige gefährliche Lage Englands
verschuldet hätte. Gut, ich will sie verschuldet haben. Aber niemals
hat ein Staatsmann große Pläne verfolgt, ohne sein Land einer gewissen
Gefahr auszusetzen. Ich erinnere nur daran, daß Bismarck nach dem
glücklich beendeten Kriege von 1866 sagte, daß ihn die alten Weiber
mit Knütteln totgeschlagen haben würden, wenn die preußische Armee
besiegt worden wäre. Aber sie wurde nicht besiegt, und er stand da als
ein Mann, der Deutschland geeinigt und Preußen groß gemacht hatte.
Er setzte Preußen der allergrößten Gefahr aus, indem er durch seine
Agitation fast die ganze Welt zum Feinde Preußens machte, Oesterreich
und das ganze Süddeutschland angriff und es schließlich auch zum
Kriege gegen Frankreich brachte. England hat damals eine unglückselige
Politik des Zusehens und Abwartens befolgt, weil kein Agitator seine
Politik leitete. Hätte England 1866 Preußen den Krieg erklärt, so wäre
Deutschland jetzt nicht so mächtig, daß es uns bekriegt. Seit jener
Zeit haben sich tiefgehende Veränderungen in England selbst vollzogen,
gerade durch das Wachstum der deutschen Macht. Wir haben uns seit
Napoleons Sturz nicht mehr genug um die Ereignisse auf dem Kontinent
gekümmert, sondern in stolzem Selbstgefühl uns selbst für so mächtig
gehalten, daß wir die Entschließungen der fremden Regierungen nur zu
beeinflussen brauchten, um unsere eigene Politik zu verfolgen. Aber
dieses Selbstgefühl ist erschüttert worden durch die Ereignisse von
1866 und 1870, und England ist mit Recht nervös geworden. Der Engländer
hat bis zu jenem Zeitpunkt die Uebergriffe der kontinentalen Mächte
verachtet. Das tut er nicht mehr, sondern es sind sogar patriotische
Strömungen in England selbst entstanden, die der schwachsinnige
Friedensfreund als chauvinistische brandmarkt. Nun wohl, ich nenne mich
mit Stolz einen Chauvinisten in dem Sinne, daß ich nicht den Frieden um
jeden Preis, sondern Englands Größe will. Die patriotischen Strömungen
unseres Volkes sind von meinem Vorgänger Chamberlain in das rechte
Bett geleitet worden. Und hat nicht die Regierung seit dreißig Jahren
eben demselben patriotischen Gefühl Folge geleistet, indem sie, mochte
sie von Disraeli oder Gladstone geleitet werden, eine ganz enorme
Verstärkung unserer Wehrmacht zu Lande wie zur See ins Werk setzte?
Diese militärischen Rüstungen haben dem Mutterlande allein die Lasten
aufgebürdet, während sie nicht nur dem Mutterlande, sondern auch den
Kolonieen zugute gekommen sind und noch zugute kommen sollen. Wie aber
sollen solche Kosten, wie sie der Krieg jetzt verursacht, weiterhin
aufgebracht werden? Wie soll der Handel des englischen Weltreiches
fernerhin gehoben und vor jeder Konkurrenz geschützt werden, wenn
die Kolonieen sich nicht an den Kosten beteiligen? Ich will nur, daß
eine gerechte Verteilung der Lasten eintritt und daß demnach nicht
England allein, sondern auch die Kolonieen die Lasten tragen. Der
Plan der Imperial Federation, den wir verfolgen, ist das Heilmittel
unserer chronischen Krankheit und soll die Kolonieen wie das Mutterland
wirtschaftlich wie politisch und militärisch stärken. Gewiß scheinen
solche Reden verwegen, Mylords, im Augenblicke, wo eine russische Armee
in Indien eingebrochen ist und wo unsere Armee eine schwere Niederlage
erlitten hat, aber ich möchte daran erinnern, daß noch jeder Krieg
Englands mit Niederlagen begonnen hat. Andere als siegreiche Kriege
aber hat England niemals geführt, seitdem Wilhelm der Eroberer das
romanische Blut in Englands Staatskörper eingeführt und ihm damit eine
Konstitution von solcher Zähigkeit und Härte verliehen hat, daß kein
anderer Staatskörper jemals auf die Dauer England hat widerstehen
können. So werden wir auch die Russen wieder aus Indien hinauspeitschen
und werden die Flotten Frankreichs, Deutschlands und Rußlands, die
sich vor uns in ihren Häfen verstecken, schließlich hervorzwingen,
vernichten und damit alle übermütigen Pläne unserer Feinde zerstören,
den Union Jack aber zur Standarte einer Weltherrschaft erheben, der
niemand mehr feindlich zu nahen wagt.“



[Illustration]



XVIII.


Die Kunde von Ediths Entführung -- denn nur darum konnte es sich
Heidecks Ueberzeugung nach handeln, weil sie sonst irgend eine
Nachricht für ihn hinterlassen haben würde, -- wirkte auf Heideck mit
niederschmetternder Gewalt.

Er erinnerte sich der furchtbaren Grausamkeiten, von denen man aus den
Zeiten des Sepoy-Aufstandes erzählte. Und er brauchte sich nur seine
eigenen Erlebnisse in Lahore ins Gedächtnis zurückzurufen, um überzeugt
zu sein, daß alle jene entsetzlichen Geschichten keine Uebertreibung
waren, sondern wohl eher noch hinter der Wirklichkeit zurückblieben.

War es aber nicht dieses Schicksal, dem Edith Irwin entgegenging, so
wartete ihrer vielleicht ein anderes schmachvolles Los, das dem Manne,
der sie liebte, noch fürchterlicher erscheinen mußte als der Tod.

Sein Erschrecken und seine tiefe Niedergeschlagenheit hatten dem
Fürsten nicht entgehen können. Teilnehmend legte er die Hand auf
Heidecks Schulter und sagte:

„Ich bin wirklich untröstlich, Herr Kamerad! Denn ich sehe wohl, wie es
mit Ihnen und der Dame steht. Aber vielleicht beunruhigen Sie sich ohne
Not. Diese Abreise kann doch immerhin noch eine ganz unverfängliche
Aufklärung finden.“

Heideck schüttelte den Kopf.

„Ich hege in dieser Hinsicht keine Hoffnungen mehr, denn alle Umstände
sprechen dafür, daß es der Maharadjah von Chanidigot war, der die Dame
in seine Gewalt gebracht hat. Dieser wollüstige Despot hat ja schon
seit Monaten danach getrachtet, sie zu besitzen. Was, um des Himmels
willen, kann man tun, die Unglückliche aus seinen Händen zu befreien?“

„Ich werde den General in Kenntnis setzen und zweifle nicht, daß er
eine Untersuchung anordnen wird. Wenn Ihre Vermutung zutrifft, wird
der Maharadjah selbstverständlich gezwungen werden, die Dame wieder
freizugeben. Aber ich möchte fast daran zweifeln. Der Despot von
Chanidigot ist augenblicklich weit von hier entfernt.“

„Das würde nicht ausschließen, daß andere in seinem Auftrage gehandelt
haben. Und glauben Sie wirklich, Ihr General würde es um einer
englischen Dame willen mit einem einflußreichen indischen Fürsten
verderben, auf dessen Bundesgenossenschaft Rußland in diesem Augenblick
doch vielleicht noch recht sehr angewiesen ist?“

„O, lieber Freund, wir sind nicht die Barbaren, für die man uns
im westlichen Europa leider noch immer hält. Wir wünschen an
Ritterlichkeit hinter niemandem zurückzustehen, und wir werden unser
Regiment in Indien sicherlich nicht damit beginnen, daß wir unter
unseren Augen verabscheuungswürdige Gewalttaten geschehen lassen. Ich
bin überzeugt, daß der General in diesem Punkte nicht anders denkt als
ich.“

„Sie wissen nicht, wie tröstlich und beruhigend es für mich ist, das zu
hören. Denn ich selbst werde ja nichts mehr für Mrs. Irwin tun können.
Seitdem ich weiß, daß Deutschland sich im Kriege befindet, darf ich ja
kein anderes Interesse mehr haben als das, so schnell als möglich zu
meiner Armee zu gelangen.“

„Allerdings! Die Soldatenpflicht über alles. Wie aber wollen Sie es
anfangen, jetzt nach Deutschland zu kommen? Es dürfte eine verteufelt
schwierige Aufgabe sein.“

„Ich muß es dennoch versuchen. Unter keinen Umständen darf ich hier
müßig verharren.“

„Nun, so lassen Sie uns überlegen. Das Nächstliegende wäre ja, daß Sie
von Bombay oder einer anderen Hafenstadt, wie Kalkutta, Madras oder
Carachi aus zur See nach Europa zurückkehrten. Carachi liegt uns am
nächsten. Man hat ihm ja den Namen des Eingangstores von Zentralasien
gegeben. Und von Lahore, Quetta oder Mooltan aus ist Carachi mit der
Eisenbahn am schnellsten zu erreichen. Aber eine Dampferverbindung
zwischen Carachi und Europa besteht nur auf dem Wege über Bombay. Es
gibt von dort aus keine andere direkte Schiffslinie als die nach dem
Persischen Golf. Sie müßten also auf einen der englischen Dampfer der
Peninsular- und Oriental-Linie gehen, die zweimal wöchentlich fahren.
Denn die französischen Messageries Maritimes, die sonst zwischen
Carachi und Marseille verkehrten, werden selbstverständlich ihre
Fahrten längst eingestellt haben. Sie könnten also ebensogut mit der
Eisenbahn bis Bombay fahren. Ueber Kalkutta oder Madras wäre es ein
gewaltiger Umweg!“

„Und ich sollte einzig auf die Benutzung der englischen Dampferlinie
angewiesen sein?“

„Daß die Schiffe des Norddeutschen Lloyd oder des Oesterreichischen
Lloyd noch verkehren sollten, halte ich für gänzlich ausgeschlossen.“

„Dann werde ich den Gedanken an diesen Reiseweg überhaupt aufgeben
müssen. Wenn ich mich nicht geradezu gefälschter Legitimationspapiere
bedienen will, die überdies kaum zu erlangen sein dürften, wird mich
kein englischer Dampfer als Passagier aufnehmen.“

„Das ist allerdings sehr wahrscheinlich,“ stimmte der Fürst nach
einigem Nachdenken zu. „Und dann -- wie sollten Sie nach Bombay
gelangen? Die Engländer zerstören auf ihrem Rückzuge ja alle
Eisenbahnen.“

„Nun, was das betrifft -- ich könnte ja zu Pferde reisen.“

„Mitten durch die englische Armee hindurch? Und auf die Gefahr hin, als
Spion aufgegriffen zu werden? Wissen Sie nicht, daß die Besiegten mit
dem Füsilieren vermeintlicher Spione gewöhnlich noch schneller bei der
Hand sind als die Sieger?“

Heideck mußte lächeln.

„In dieser Beziehung dürfte die Promptheit des russischen Verfahrens
doch kaum zu übertreffen sein. Aber ich gebe zu, daß Ihre Bedenken
sehr berechtigt sind. Danach verbliebe mir also nur noch der Weg nach
Norden.“

„Ja, Sie müßten mit einem leerfahrenden Zuge oder mit einem Transport
englischer Gefangener bis zum Kaiberpaß fahren, dann zu Pferd durch
Afghanistan bis an die Grenze, und von dort wiederum mit der Bahn bis
Krasnowodsk reisen. Weiter würde die Route über das Kaspische Meer nach
Baku oder mit der Eisenbahn über Tiflis nach Poti am Schwarzen Meer und
dann zu Schiff nach Konstantinopel gehen. Aber, mein lieber Kamerad,
das ist eine sehr lange, beschwerliche Reise.“

„Ich muß es dennoch versuchen. Es handelt sich um ein Gebot der Ehre,
und Sie sagen ja selbst, daß es keinen anderen Weg als den von Ihnen
bezeichneten gibt.“

„Gut! -- So werde ich für einen Paß sorgen und von dem General eine
Vollmacht für Sie erbitten, die Sie in den Stand setzt, auf unserer
Etappenstraße durch Afghanistan jederzeit Kosaken zu Ihrer Begleitung
zu erhalten. -- Aber --“ und das Aufleuchten in seinem Gesicht verriet,
daß ihm eine nach seinem Dafürhalten sehr glückliche Idee gekommen
sei -- „ließe sich nicht doch vielleicht ein Ausweg finden, der Ihnen
all' diese ungeheuren Strapazen erspart? Die Deutschen und Russen sind
Alliierte. Auch in den Reihen unserer Armee würden Sie Ihrem Vaterlande
dienen. Und ein Offizier, der Indien so gut kennt, wie Sie, wäre für
uns in diesem Augenblicke von großem Wert. Wenn Sie wollen, spreche ich
noch in dieser Stunde mit dem General. Und ich bin gewiß, daß er keinen
Augenblick zögern wird, Sie mit dem Range, den Sie in der deutschen
Armee bekleiden, seinem Stabe zu attachieren.“

Gerührt schüttelte Heideck dem Freunde die Hand.

„Sie machen es mir schwer, Ihnen nach Verdienst zu danken. Ohne Ihr
Eingreifen hätte mein Dasein einen sehr ruhmlosen Abschluß gefunden,
und was Sie mir da vorschlagen, ist mir ein neuer Beweis Ihrer
liebenswürdigen Teilnahme an meinem Geschick. Aber Sie zürnen mir
nicht, wenn ich ablehne -- nicht wahr? Gewiß würde es mir eine Ehre
sein, in Ihrer ausgezeichneten Armee zu dienen. Aber Sie sehen ein, daß
ich nicht nach Belieben über mich verfügen darf, sondern als Soldat
auf meinen Posten zurückkehren muß, gleichviel, welche Schwierigkeiten
dabei zu überwinden sind. Ich bitte Sie -- -- aber, mein Gott, was ist
denn das? Können in diesem Lande der Wunder selbst die Toten wieder
lebendig werden?“

Das Erstaunen, das ihm diese Frage eingegeben, war sehr natürlich, denn
das magere, schwarzbraune Männchen, das soeben im Eingang des Zeltes
erschien, war niemand anders als sein totgeglaubter treuer Diener Morar
Gopal. Um seine Stirn trug er einen frischen Verband. Einen Augenblick
blieb er wie gebannt in der Zelttür stehen, und in seinen dunklen
Augen spiegelte sich die Freude darüber, seinen Herrn unverletzt
wiedergefunden zu haben.

In tiefster Erregung stürzte Morar Gopal auf Heideck zu, warf sich
zur Erde, um nach Hindusitte den Boden mit der Stirn zu berühren, und
sprang dann mit allen Anzeichen der größten Freude wieder auf die Füße.

Heideck aber war kaum weniger bewegt als er und drückte dem treuen
Burschen kräftig die braune Hand.

„Diese Wahnwitzigen haben dich also nicht umgebracht? Aber ich sah dich
doch unter ihren Hieben fallen?“

Morar Gopal grinste verschmitzt.

„Ich warf mich zu Boden, als ich sah, daß doch alle Verteidigung
umsonst war. Und weil ich aus einer Wunde am Kopfe blutete, meinten sie
wohl, ich hätte genug. Gleich nachher kamen die Kosaken, und vor ihren
Pferden, die mich sonst zertreten hätten, machte ich mich schleunigst
wieder auf die Beine.“

„Du besitzt eine große Geistesgegenwart! Wie aber bist du zu dem
schönen Anzuge gekommen?“

„Ich lief ins Hotel zurück -- durch den hinteren Eingang, wo der Rauch
nicht so arg war, -- weil ich dachte, daß Sahib sich vielleicht dahin
gerettet hätte. Sahib habe ich allerdings nicht gefunden, wohl aber
diese Kleider. Und weil ich dachte, es sei besser, sie anzuziehen als
sie verbrennen zu lassen -- --“

„Schon gut, mein Braver! -- Man wird dich wegen dieses kleinen
Eigentumsvergehens schwerlich zur Rechenschaft ziehen.“

„Ich suchte Sahib an allen Orten, wo sich englische Gefangene befinden.
Und als ich in Anar Kali gerade dazukam, wie Mrs. Irwin in einem Wagen
weggeführt wurde, da wußte ich, daß ich nun auch die Spur meines Sahib
gefunden hatte.“

Mit Ungestüm erfaßte Heideck seinen Arm.

„Du hast es gesehen? Und du weißt auch, wer sie entführte?“

„Ja, Herr, es war der Siwalik, der Stallmeister des Prinzen Tasatat.
Und die Lady ist mit ihm auf dem Wege nach Simla.“

„Nach Simla? Woher kannst du das wissen?“

„Ich stand nahe genug, um jedes Wort zu verstehen, das die Inder
miteinander sprachen, und es war zwischen ihnen davon die Rede, daß sie
nach Simla gingen.“

„Und Mrs. Irwin? Sie sträubte sich nicht? Sie rief nicht um Hilfe? --
Sie ließ sich ruhig fortführen?“

„Die Lady war sehr stolz. Sie sprach kein Wort.“

Ein Ordonnanzoffizier trat ins Zelt und überbrachte dem Fürsten den
Befehl, sich sogleich bei dem Kommandierenden einzufinden.

„Wissen Sie, in welcher Angelegenheit?“ fragte der Oberst.

„Soviel ich weiß, handelt es sich um eine Beschwerde des Hauptmanns
Obrutschew, der die Exekutionsmannschaften befehligt. Er hat gemeldet,
der Herr Oberst habe einen Spion weggeführt, der auf Befehl des
Kriegsgerichts füsiliert werden sollte.“

Heideck war bestürzt.

„So werden Ihnen nun aus Ihrer Rettungstat noch ernste Ungelegenheiten
erwachsen,“ sagte er. „Aber da ich jetzt aus meiner Eigenschaft als
deutscher Offizier kein Hehl mehr zu machen brauche, kann ja, falls der
Feldtelegraph schon eingerichtet sein sollte, durch eine Anfrage beim
Generalstab meine Legitimation erwirkt werden.“

„Gewiß! Und ich bitte Sie, sich meinetwegen nicht zu beunruhigen. Ich
werde schon verantworten, was ich getan habe.“

Er entfernte sich in Begleitung des Ordonnanzoffiziers. Und Heideck
bestürmte den braven Morar Gopal aufs neue mit Fragen über die näheren
Umstände von Ediths Entführung.

Aber der Hindu konnte ihm nichts weiter sagen, da er nicht gewagt
hatte, sich Edith zu nähern. Ihm war es ja auch nur um die Auffindung
seines Herrn zu tun gewesen. Er hatte in Erfahrung gebracht, daß
Heideck von Kosaken fortgeführt worden sei, und war nicht müde
geworden, weitere Nachforschungen anzustellen, bis er endlich mit dem
angebornen Scharfsinn seiner Rasse alles herausgebracht hatte. Daß er
von nun an das Los seines vergötterten Sahib wieder teilen würde, galt
ihm als selbstverständlich. Und Heideck hatte nicht das Herz, schon in
dieser Stunde des Wiedersehens seine Illusionen zu zerstören.

Nach Verlauf einer halben Stunde kehrte Fürst Tschadschawadse zurück.
Seine heitere Miene bewies, daß er gute Nachrichten bringe.

„Es ist alles in Ordnung. Mein Wort war für den General Bürgschaft
genug, und eine Anfrage in Berlin erschien ihm als überflüssig.“

„Wahrhaftig, ihr Russen treibt doch alles im großen Stil!“
rief Heideck. „Ein großes Reich, eine große Armee, eine große,
weitausschauende Politik und eine große Auffassung aller Dinge.“

„Auch wegen meiner Idee, Sie in die Reihen unseres Heeres
einzustellen, habe ich mit dem General gesprochen. Und er ist
vollkommen damit einverstanden. Auch er hält die Schwierigkeiten
einer Reise nach Deutschland unter den obwaltenden Umständen für fast
unüberwindlich. Und er macht Ihnen das Anerbieten, mit dem Range eines
Rittmeisters in seinen Stab einzutreten. Nach Berlin würden Sie ja
selbst im günstigsten Fall wahrscheinlich erst kommen, wenn der Krieg
längst beendet ist.“

„Ich glaube nicht, daß dieser Krieg so schnell beendigt sein wird.
Bedenken Sie, daß der halbe Erdball in Flammen steht!“

„Gleichviel! Sie sollten das Anerbieten nicht zurückweisen. Wir können
ja zu Ihrer Beruhigung in Berlin dieserhalb anfragen, der Feldtelegraph
reicht bis Peschawar zurück, die Verbindung mit Moskau, Petersburg und
Berlin ist also hergestellt.“

„Das nehme ich ohne weiteres an. Ich würde glücklich sein, wenn mir die
Erlaubnis erteilt würde, in Ihren Reihen zu kämpfen.“

„Daran ist gewiß nicht zu zweifeln. Ich werde Ihnen sofort die weiße
Sommer-Uniform und die eines Dragoner-Rittmeisters besorgen. Diesen
Säbel aber, Herr Kamerad, werden Sie, wie ich hoffe, als ein kleines
Gastgeschenk von mir annehmen.“

„Ich danke Ihnen von Herzen, Herr Oberst!“

„Ich begrüße Sie als den Unsrigen. Ich wäre sogar in der Lage, Ihnen
sogleich einen dienstlichen Auftrag zu erteilen.“

„Nicht ohne die Genehmigung aus Berlin, mein Fürst!“

„Nun wohl, warten wir sie ab. Aber es wäre sehr schade, wenn sie sich
wider unsere Erwartung verzögern würde. Der Auftrag, den ich Ihnen da
verschaffen wollte, würde Sie gewiß sehr interessiert haben.“

„Und darf ich fragen -- --“

„Der General beabsichtigt, ein Detachement nach Simla zu entsenden.“

„Noch Simla, der Sommerresidenz des Vizekönigs?“

„Ja.“

„Aber diese Gebirgsstadt ist doch jetzt ohne alle Bedeutung, der
Vizekönig ist doch in Kalkutta geblieben?“

„Ganz recht, das schließt indessen nicht aus, daß die Nachricht von der
Besetzung Simlas draußen in der Welt einigen Effekt machen würde. Und
überdies könnten sich in den dortigen Regierungsbureaus möglicherweise
interessante Aktenstücke befinden, von denen Kenntnis zu nehmen schon
der Mühe wert sein würde.“

„Und Sie halten es für möglich, daß Seine Exzellenz mich dahin schicken
könnte?“

„Da das Detachement, bei dem übrigens auch meine Dragoner, sowie
Infanterie und zwei Maschinengewehre sein werden, meiner Führung
anvertraut werden würde, habe ich den General gebeten, Sie der
Expedition zuzuteilen.“

Heideck verstand die hochsinnige Absicht des Fürsten, und fast
stürmisch schüttelte er ihm beide Hände.

„So möge der Himmel geben, daß die Erlaubnis aus Berlin rechtzeitig
eintrifft. Nichts in der Welt wünsche ich so sehnlich, als mit Ihnen
nach Simla gehen zu dürfen.“



[Illustration]



XIX.


Schneller fast, als es bei der starken Beschäftigung des Telegraphen
zu erhoffen gewesen war, traf aus Berlin die Weisung ein, daß der
Hauptmann Heideck einstweilen in der russischen Armee Dienste tun dürfe
und daß es seinem Ermessen anheimgestellt werde, die erste günstige
Gelegenheit zur Rückkehr nach Deutschland zu benutzen.

Er stellte sich nunmehr dem kommandierenden General vor, wurde von ihm
mit Wort und Handschlag verpflichtet, und in aller Form dem nach Simla
bestimmten Detachement als Rittmeister zugeteilt.

Am nächsten Morgen schon setzte sich die Truppe unter Führung des
Fürsten Tschadschawadse in Bewegung.

Der Marsch führte über den östlich von Lahore gelegenen Teil des
Schlachtfeldes, auf dem sich vornehmlich die Kämpfe zwischen den Sepoys
und den verfolgenden russischen Reitern abgespielt hatten.

Der Anblick, den diese zerstampfte, blutgetränkte Ebene gewährte, war
traurig erschütternd. Obwohl zahlreiche Inder und russische Soldaten
unter der Leitung von Armee-Gendarmen mit dem Aufsuchen der Leichen
beschäftigt waren, lagen doch noch überall die teilweise schrecklich
entstellten Leiber der Gefallenen in denselben Stellungen, in denen sie
von dem mehr oder weniger qualvollen Tode ereilt worden waren. Ein fast
unerträglicher Verwesungsgeruch erfüllte die Luft und mischte sich mit
dem beizenden, atemraubenden Qualm der Scheiterhaufen, auf denen man
die Leichen verbrannte.

Das Gros der russischen Armee befand sich im Lager und in der Stadt.
Nur die Avantgarde, von der Verfolgung der fliehenden Engländer
zurückgekehrt, war südlich der Stadt vorgeschoben. Die von Peschawar
abgegangenen Verstärkungen, die mit einiger Ungeduld erwartet wurden,
waren noch nicht eingetroffen.

Heideck hörte, daß etwa viertausend englische Soldaten und mehr als
hundert Offiziere tot oder verwundet seien, während sich dreitausend
Mann und fünfundachtzig Offiziere gefangen in den Händen der Russen
befanden. Die Verluste der Sepoy-Regimenter ließen sich vorläufig nicht
einmal annähernd schätzen, da sich die Kämpfe über ein zu weites Gebiet
hingezogen hatten.

Fürst Tschadschawadse, der jetzt bei aller Herzlichkeit gegen Heideck
doch mehr die Haltung eines militärischen Vorgesetzten angenommen
hatte, erzählte während des Rittes, daß die russische Armee den Weg
durch die Westprovinzen nehmen, das Industal und die dem Indus zunächst
liegenden Länderstrecken aber unberührt lassen würde.

„Wir werden auf Delhi marschieren,“ äußerte er, „und dann
wahrscheinlich auf Cawnpore und Lucknow vorgehen.“

Das Detachement konnte die Eisenbahn, die über Amritsar und Ambala nach
Simla führt, nicht benutzen, da sie zum großen Teil von den Engländern
zerstört worden war. Die Schnelligkeit des Marsches war natürlich ganz
von der Leistungsfähigkeit der Infanterie abhängig. Und so sehr Heideck
die Frische und Ausdauer dieser abgehärteten Soldaten bewundern mußte,
kam man doch für seine Wünsche viel zu langsam vorwärts.

Wie glücklich wäre er gewesen, wenn er mit seiner Schwadron im
Geschwindmarsch auf dem Wege hätte vordringen dürfen, den die
unglückliche Edith hatte einschlagen müssen!

Schon am zweiten Tage zeigten sich in der Ferne deutlich schön
umrissene blaue und violette Gebirgszüge: -- das dem Himalaja
vorgelagerte Hügelland, dessen niedrige Sommertemperatur den Vizekönig
und die hohen Beamten der indischen Regierung alljährlich bestimmte,
sich aus dem unerträglich heißen und dunstigen Kalkutta in das kühle
und gesunde Simla zu flüchten. Auch die Familien der im Pendschab und
in den westlichen Provinzen wohnenden reichen englischen Kaufleute und
Beamten pflegten während der heißen Jahreszeit hier ihren Aufenthalt zu
nehmen.

Die Vegetation wurde immer reicher und üppiger. Man kam durch prächtige
Dschungeln, die stellenweise ganz den Eindruck künstlich angelegter
Parks hervorbrachten. Scharen von Affen tummelten sich in den Banianen
und Palmen und machten die waghalsigsten Sätze von einer Luftwurzel zur
anderen. Die Annäherung der Soldaten schien diesen munteren Geschöpfen
sehr wenig Furcht einzuflößen; denn sie blieben oft unmittelbar über
ihren Köpfen sitzen und betrachteten mit ebensoviel Neugier als
augenfälligem Wohlgefallen das ungewohnte militärische Schauspiel.
Buntgefiederte Papageien erfüllten die Luft mit ihrem durchdringenden
Gekreisch, und hier und da wurde ein Rudel Antilopen sichtbar, die
indessen stets in rascher Flucht davongingen, wobei ihre merkwürdige
Art, mit allen vier Beinen zugleich vom Boden empor zu springen, den
wunderlichsten und ergötzlichsten Anblick gewährte.

Am dritten Tage kreuzte ein farbenbunter Reiterzug den Weg des
Detachements. Es waren augenscheinlich vornehme Inder in halb
einheimischer, halb englischer Kleidung auf vortrefflichen Hengsten,
wie sie aus der Kreuzung von arabischem und Guzerat-Blut hervorgehen.
An ihrer Spitze ritt ein prachtvoll gekleideter, dunkelbärtiger Mann
auf einem Schimmel von besonderer Schönheit.

Er hielt an, um einige Worte höflicher Begrüßung mit dem russischen
Obersten auszutauschen. Als er sich dann mit seinen lanzenbewehrten
Reitern wieder in Bewegung gesetzt hatte, um den Blicken der
Nachschauenden gar bald im dichten Dschungel zu entschwinden, winkte
der Fürst Heideck an seine Seite.

„Eine Neuigkeit für Sie, Herr Kamerad! -- Der vornehme Inder, mit dem
ich soeben sprach, war der Maharadjah von Sabathu, und er ist eben im
Begriff, seinen auf einem Jagdausfluge begriffenen Gast und Freund, den
Maharadjah von Chanidigot, zu suchen.“

„Den Maharadjah von Chanidigot?“ rief Heideck mit funkelnden Augen.
„Der Elende wäre also wirklich in unserer unmittelbaren Nähe?“

„Das von den beiden Fürsten aufgeschlagene Jagdlager befindet sich in
unserer Marschrichtung, und der Maharadjah hat mich eingeladen, mit
meinen Leuten diese Nacht dort zu kampieren. Ich hätte in der Tat nicht
übel Lust, diese freundliche Einladung anzunehmen.“

„Und haben Sie ihn nicht nach Mrs. Irwin gefragt, mein Fürst?“

Das Gesicht des Obersten hatte bei dieser Frage Heidecks einen
befremdlich ernsten, beinahe abweisenden Ausdruck angenommen.

„Nein.“

„Aber es ist doch mehr als wahrscheinlich, daß sie sich ebenfalls in
seinem Lager befindet.“

„Wohl möglich, obwohl einstweilen noch jeder Beweis dafür fehlt.“

„Sie werden Nachforschungen nach ihr anstellen, nicht wahr? Werden den
Maharadjah zwingen, uns Aufklärung über ihren Verbleib zu geben?“

„Ich dürfte ihn höchstens in höflicher Form um eine Aufklärung
ersuchen. Aber auch das kann ich Ihnen noch nicht mit Sicherheit
versprechen.“

Heideck war auf das Aeußerste überrascht. Er konnte sich die Wandlung
in dem Benehmen des Fürsten durchaus nicht erklären. Und er wäre
geneigt gewesen, seine sonderbaren Antworten für einen, freilich nicht
sehr zarten Scherz zu nehmen, wenn nicht der eisige, undurchdringliche
Ausdruck seines Gesichts jede derartige Vermutung von vornherein
ausgeschlossen hätte.

„Aber ich verstehe nicht, mein Fürst --“ sagte er betroffen. „Sie
hatten doch noch vor wenig Tagen die Güte, mir Ihren tatkräftigen
Beistand in dieser Angelegenheit zu versprechen.“

„Ich bin zu meinem Bedauern genötigt, die Zusage zurückzunehmen. Denn
ich habe strikte Weisung von Seiner Exzellenz, alles zu vermeiden,
was zu einer Reibung mit den eingeborenen Fürsten führen könnte. Daß
man gerade auf die Person des Maharadjah von Chanidigot einen ganz
besonderen Wert legt, war mir zur Zeit unserer Unterredung nicht
bekannt. Er ist der Erste gewesen, der sich offen für Rußland erklärt
hat und dessen Truppen zu uns übergingen. Der glückliche Ausgang
der Schlacht bei Lahore ist vielleicht zum nicht geringen Teil ihm
zu verdanken. Sie begreifen, Herr Rittmeister, daß es den übelsten
Eindruck hervorrufen würde, wenn wir mit einem für uns so wichtigen
Mann aus geringfügiger Ursache in Zwistigkeiten gerieten.“

„Aus geringfügiger Ursache?“ fragte Heideck ernst, und seine Augen
funkelten hell auf vor Erregung.

„Nun ja, was Ihnen von so großer Bedeutung erscheint, ist doch von
einem höheren politischen Standpunkte aus betrachtet sehr klein
und unwichtig. Sie können unmöglich erwarten, daß die politischen
Interessen eines Weltreiches den Interessen einer einzigen Dame
geopfert werden, die noch dazu ihrer Nationalität nach zu unsern
Gegnern gehört.“

„Sie sollte also hilflos der Bestialität dieses Wüstlings preisgegeben
sein?“

Fürst Tschadschawadse zuckte die Achseln; aber er streifte zugleich
den neben ihm reitenden Heideck mit einem sonderbaren Seitenblick, der
ungefähr zu sagen schien:

‚Wie schwerfällig bist du doch, mein Lieber! Und wie langsam von
Begriffen!‘

Der andere aber verstand diese stumme Augensprache nicht. Und nach
einem kleinen Schweigen konnte er sich nicht enthalten, im Tone
schmerzlichen Vorwurfs zu äußern:

„Weshalb, mein Fürst, erwirkten Sie mir so großmütig die Teilnahme an
dieser Expedition, wenn ich doch zugleich zur Untätigkeit gezwungen
werden sollte, in einer Sache, die mir, wie Sie wußten, augenblicklich
mehr als alles andere am Herzen liegt!“

„Ich erinnere mich nicht, Ihnen einen solchen Zwang auferlegt zu haben,
Herr Rittmeister! Es war lediglich meine Stellungnahme zu der Sache,
die ich Ihnen klar zu machen wünschte. Und ich hoffe, Sie haben mich
vollkommen verstanden. Ich will und darf mit der Angelegenheit der Mrs.
Irwin offiziell nichts zu schaffen haben, und ich wünsche, nichts davon
zu hören. Daß ich mich andererseits nicht in Ihre Privatverhältnisse
einmischen und mich nicht darum kümmern werde, ist selbstverständlich.
Es genügt mir vollständig, wenn Sie mich nicht in irgend welche
Verlegenheit und Zwangslage bringen.“

Das war ja allerdings viel weniger, als Heideck nach den feurigen
Versprechungen seines Freundes erhofft hatte. Aber er mußte sich
bei ruhiger Ueberlegung sagen, daß der Fürst in der Tat kaum anders
handeln durfte und daß er bis an die äußerste Grenze des Möglichen
ging, wenn er ihm nicht geradezu verbot, irgend etwas zu Gunsten der
unglücklichen Edith zu unternehmen. Heidecks Entschluß, das Aeußerste
für die Befreiung des geliebten Weibes zu wagen, wurde dadurch ja
keinen Augenblick erschüttert; aber er wußte nun, daß er mit äußerster
Vorsicht zu Werke gehen müßte und daß er auf niemandes Beistand zu
rechnen habe -- eine Erkenntnis, die nicht gerade geeignet war, ihn mit
freudigen Hoffnungen zu erfüllen.

Nach kurzem Marsche erreichte das Detachement den unmittelbar am Fuße
der ersten Hügel gelegenen weiten, von mächtigen Bäumen beschatteten
Platz, auf dem der Maharadjah sein improvisiertes Jagdlager
aufgeschlagen hatte. Eine große Anzahl von Zelten war unter den Bäumen
aufgerichtet worden. Ein buntes Menschengewimmel bewegte sich zwischen
ihnen.

Daß er selber nicht das Lager nach Edith Irwin durchsuchen konnte,
ohne die Aufmerksamkeit der Inder zu erregen und damit den Erfolg
seines Vorhabens von vornherein zu vereiteln, war Heideck vollkommen
klar. Und er hatte niemanden, den er mit der bedeutsamen Aufgabe
betrauen konnte, als den treuen Morar Gopal, der ihm trotz aller
drohenden Kriegsschrecknisse auch auf diesem Marsche nach Simla
gefolgt war, obgleich ihm Heideck seine Entlassung unter Zahlung eines
mehrmonatlichen Lohnes angeboten hatte.

So nahm er ihn denn, nachdem das Signal zum Halten und Absitzen gegeben
worden war, beiseite und erteilte ihm seine Instruktionen, indem er
ihm zugleich eine Handvoll Rupien für die etwa nötigen Bestechungen
einhändigte.

Mit gespannter Aufmerksamkeit lauschte der Hindu seinen Worten, und das
Mienenspiel seines klugen, dunklen Gesichts verriet, ein wie lebhaftes
persönliches Interesse diese Angelegenheit seines Herrn für ihn hatte.

„Es wird alles geschehen, wie du es wünschest, Sahib!“ sagte er, und
war bald nachher scheinbar spurlos in dem bunten Gewühl der schier
zahllosen Dienerschaft der beiden indischen Fürsten verschwunden.



[Illustration]



XX.


Während die Russen etwas abseits von dem Feldlager ihre Kochlöcher
gruben und alle sonstigen Vorbereitungen für das Biwak trafen, hatte
Heideck Gelegenheit, die Großartigkeit zu bewundern, mit der diese
indischen Fürsten ihre Jagdvergnügungen in Szene setzten.

Die Zelte der beiden Maharadjahs hatten fast die Größe von einstöckigen
Bungalos, und als er durch den offenen Eingang des einen in das Innere
blickte, sah Heideck, daß es verschwenderisch mit roter, blauer
und gelber Seide ausgeschlagen und mit den kostbarsten Teppichen
ausgestattet war.

Wohl ein halbes Hundert kleinerer Zelte war für die Aufnahme des
Gefolges und der Dienerschaft bestimmt. Hinter ihnen aber lagerte
eine ganze Herde von Kamelen und Elefanten, die das Gepäck und das
Material für die Zelte getragen hatten. Das Blöken zahlloser Hammel
mischte sich in das hundertstimmige Lärmen der geschäftig hin- und
herlaufenden Inder, und Heideck schätzte die Zahl der Buckelochsen und
mit Kampierleinen gefesselten Pferde, die neben dem Lager weideten, auf
mehr als dreihundert.

Der Maharadjah von Sabathu betrachtete die Russen, die auf seine
Einladung hier Rast gemacht, als seine Gäste, und er übte die Pflichten
der Gastfreundschaft mit echt indischer Freigebigkeit. Er ließ den
Soldaten so viele Hammel und anderen Proviant zur Verfügung stellen,
daß sie sich daran für manche früher ausgestandene Entbehrung
überreich schadlos halten konnten. Die Offiziere aber wurden feierlich
zu dem in seinem Zelte veranstalteten Festmahl eingeladen.

Heidecks Erwartung, bei dieser Gelegenheit den Maharadjah von
Chanidigot wiederzusehen und vielleicht eine Möglichkeit zur Aussprache
mit ihm zu finden, wurde allerdings gründlich getäuscht.

Als er von seinem Rundgang durch das Zeltlager, bei dem er nirgends
eine Spur von Edith gefunden, in das russische Biwak zurückkehrte,
erfuhr Heideck aus dem Munde des Fürsten Tschadschawadse, daß der
Maharadjah von Chanidigot auf seinem heutigen Jagdausfluge einen
leichten Unfall erlitten habe und sich in seinem Zelte, wohin man ihn
eben gebracht, unter ärztlicher Behandlung befinde.

Es hieß, daß die Hauer eines Ebers, der seinem Pferde zwischen die
Beine gerannt war, ihn empfindlich am Fuße verwundet hätten, und es war
jedenfalls gewiß, daß er heute für niemanden mehr sichtbar werden würde.

Bei dieser Gelegenheit erfuhr Heideck auch, welchen Umständen man die
Begegnung mit den beiden indischen Fürsten zu danken habe.

Der Maharadjah von Chanidigot, dem es sehr wohl bekannt war, daß die
Engländer ihn wegen Hochverrats zum Tode verurteilt hatten, war aus
seiner Residenz geflohen. Mit hundert Reitern und vielen Kamelen,
die den wertvollsten Teil seiner beweglichen Schätze trugen, war
er im Rücken der vordringenden russischen Armee aus dem Bereiche
der britischen Macht nordwärts gezogen. Er hatte seinen Freund, den
ebenfalls mohammedanischen Maharadjah von Sabathu, besucht, und beide
Fürsten hatten sich zu ihrer größeren Sicherheit hierher an den Fuß des
Gebirges begeben, wo sie einstweilen trotz der aufgeregten Zeiten mit
der Sorglosigkeit echter Grandseigneurs den Jagdvergnügungen oblagen.

Wahrscheinlich würde der verräterische Despot von Chanidigot es
vorgezogen haben, direkt nach Simla zu gehen, und nur die auch den
Russen zugekommene Nachricht, daß in Ambala noch englische Truppen
ständen, mochte ihn veranlaßt haben, auf halbem Wege Halt zu machen.

War doch auch Fürst Tschadschawadse durch diese Kunde bestimmt worden,
die beabsichtigte Route über Ambala zu verlassen und in gerader Linie
durch das Dschungel vorzurücken. So konnte er aller Voraussicht nach
Simla ohne Kampf erreichen, konnte aber auch, wenn sich feststellen
ließ, daß die Besatzung von Ambala nicht sehr stark war, die Engländer
überraschend von Norden her angreifen. In Friedenszeiten bildete
Ambala ja eines der größeren Kantonnements, jetzt aber ließ sich wohl
vermuten, daß die Hauptmasse der dort stehenden Truppen nach Lahore
herangezogen worden war. --

Der ganze Luxus einer indischen Hofhaltung wurde bei dem Festmahle des
Maharadjah entfaltet. An der mit rotem Samt gedeckten, verschwenderisch
mit goldenen und silbernen Gefäßen bestellten Tafel saßen die
russischen Offiziere in bunter Reihe mit den vornehmen Begleitern der
beiden Fürsten. Man speiste vortrefflich, und der Champagner floß in
unerschöpflichen Mengen. Die Russen ließen sich nicht lange zum Trinken
nötigen, aber auch die mohammedanischen Inder standen in diesem Punkte
kaum hinter ihnen zurück. Allerdings war ihnen ja der Weingenuß durch
die Satzungen ihrer Religion verboten; aber man wußte dies Gebot in
Bezug auf den Champagner dadurch zu umgehen, daß man ihn auf den
harmlosen Namen ‚Brauselimonade‘ taufte, eine Umschreibung, die seiner
anfeuernden Wirkung natürlich nicht den geringsten Abbruch tat. Die
gegen den Alkohol weniger widerstandsfähigen Inder waren vielmehr
durchweg viel schneller berauscht als ihre neuen europäischen Freunde.
Und es konnte nicht ausbleiben, daß unter dem Einfluß des erheiternden
Trankes bald eine allgemeine Verbrüderung eintrat.

Der Maharadjah selbst hielt eine blumenreiche Rede zum Preise der
russischen Sieger, die als langersehnte Befreier Indiens vom
britischen Joche gekommen seien. Allerdings mußte er selbst sich
dabei der verhaßten englischen Sprache bedienen, der einzigen, deren
er außer seiner Muttersprache einigermaßen mächtig war, und Fürst
Tschadschawadse mußte seine Worte ins Russische übertragen, damit sie
allen Gefeierten verständlich wurden.

Trotz dieses etwas umständlichen Verfahrens aber weckten sie eine
flammende Begeisterung, und es kam bis zu Umarmungen und brüderlichen
Küssen.

Als die allgemeine Fröhlichkeit ihren Gipfel erreicht hatte, erschienen
zwei Bajaderen, die zum Hofhalt des Maharadjah von Sabathu gehörten,
indische Schönheiten, deren weibliche Reize wohl auch das Blut
verwöhnter Europäer in Wallung bringen konnten. In goldschimmernde
Röcke und Jäckchen gekleidet, die um die Taille eine Handbreit der
hellbraunen Haut frei ließen, mit Goldmünzen auf dem blauschwarzen
Haar, führten sie auf einem inmitten des Zeltes ausgebreiteten Teppich
zu dem eintönigen Klang seltsamer Musikinstrumente ihre Tänze aus. Die
bloßen Arme, die Knöchel und Zehen ihrer kleinen, nackten Füße waren
mit perlenbesetzten Goldreifen und juwelenfunkelnden Ringen geschmückt.
Und wenn auch ihre Bewegungen nichts von der bacchantischen Wildheit
anderer Nationaltänze hatten, so war das anmutige Spiel der schlanken,
geschmeidigen Glieder doch verführerisch genug, um das Entzücken der
Zuschauer zu erregen. Die Inder warfen den Tänzerinnen Silbermünzen zu,
die Russen aber klatschten nach heimischer Sitte Beifall und wurden
nicht müde, in stürmischen Zurufen eine Wiederholung zu verlangen.

Einer nur blieb verstimmt und sorgenvoll inmitten der allgemeinen
Ausgelassenheit. Und dieser eine war Heideck, der jüngste Rittmeister
der russischen Armee.

Er wußte, daß es der Schlauheit Morar Gopals ein leichtes sein würde,
ihn zu finden, falls er ihm etwas zu melden hatte. Und daß der Hindu
nicht erschien, war ihm ein entmutigender Beweis, daß es dem Diener
bisher nicht gelungen sei, Ediths Verbleib zu ermitteln oder sich
Gewißheit über ihr Schicksal zu verschaffen.

Was half es ihm, daß er sich in unablässigem Grübeln bereits einen Plan
zu ihrer Befreiung zurechtgelegt hatte, wenn es keine Möglichkeit gab,
sich mit ihr in Verbindung zu setzen!

In der Annahme, daß sie in einem Haremszelte gefangen gehalten
würde, hatte er beabsichtigt, Morar Gopal mit einem Briefe zu ihr zu
schicken, fest überzeugt, daß es dem verschlagenen Inder durch List und
Bestechung möglich werden würde, zu ihr zu gelangen. Er hatte schon
vor der Tafel mit einem der indischen Radjahs wegen des Ankaufs eines
Ochsenwagens verhandelt, und wenn sich Edith durch seinen Brief zu
einem Fluchtversuch bewegen ließ, dürfte es nach seinem Dafürhalten
nicht allzu schwierig sein, sie unter Morar Gopals Schutze nach Ambala
zu bringen, wo sie sich wieder bei englischen Landsleuten befand.

Aber dieser Plan blieb gegenstandslos, so lange er nicht einmal wußte,
wo Edith sich befand. Und unfähig, diesen martervollen Zustand der
Ungewißheit länger zu ertragen, war er eben im Begriff, das Zelt zu
verlassen, um auf jede Gefahr hin selbst nach dem geliebten Weibe zu
forschen, als ein russischer Dragoner hinter seinen Stuhl trat und ihm
in dienstlicher Haltung meldete, daß eine Dame den Herrn Rittmeister
draußen vor dem Zelte erwarte.

Von der beseligenden Hoffnung erfüllt, daß es Edith sein könnte, sprang
er auf und eilte hinaus. Aber sein sehnsüchtiger Blick suchte vergebens
nach Kapitän Irwins Witwe. Er gewahrte statt ihrer ein schlankes,
weibliches Wesen in dem kurzen Jäckchen und dem fußfreien, bunten Rock,
den er auf seinen Reisen bei den georgischen Bergbewohnerinnen gesehen
hatte. Haar und Gesicht des Mädchens waren fast ganz unter einem
verhüllenden Kopftuche verborgen. Und erst, als sie dasselbe bei seiner
Annäherung ein wenig zurückschob, erkannte er, wen er vor sich habe.

„Georgij -- du hier!“ rief er überrascht. „Und in solcher Kleidung?“

Er hatte wohl Ursache, erstaunt zu sein; denn er hatte den schönen,
blonden Pagen, dem er zu allermeist für die Rettung seines Lebens
verpflichtet war, seit jener Begegnung auf dem Wege zur Richtstätte
nicht mehr wiedergesehen.

Als er am Abend des für ihn so schicksalsreichen Tages den Fürsten
Tschadschawadse nach Georgij gefragt hatte, war ihm nur eine kurze,
ausweichende Antwort zu Teil geworden, und die Stirn des Fürsten
hatte sich so finster bewölkt, daß er wohl erkannte, es müsse sich
etwas Besonderes zwischen den beiden ereignet haben, so daß es ihm
zweckmäßiger erschienen war, den Namen der Cirkassierin nicht wieder zu
erwähnen.

Vergebens hatte er sich dann bei dem Aufbruch des Detachements nach dem
von seinem ‚Gebieter‘ sonst unzertrennlichen Pagen umgesehen, und nur
die seinem Herzen so viel näher liegende Sorge um Edith mochte Schuld
daran sein, daß er sich nicht allzu viele Gedanken über das rätselhafte
Verschwinden des verkleideten Mädchens gemacht hatte.

Sie hier, in so weiter Entfernung von der russischen Hauptarmee,
und in weiblicher Kleidung wiederzufinden, hatte er sicherlich am
allerwenigsten vermutet. Aber die Cirkassierin schien nicht geneigt,
ihm umständliche Aufklärungen zu geben.

„Ich habe dich gebeten, zu mir herauszukommen, Herr,“ sagte sie, „weil
ich nicht wollte, daß der Fürst mich erblickt. Ich bin deinem indischen
Diener begegnet. Und er hat mir von der englischen Dame erzählt, die
der Maharadjah von Chanidigot dir geraubt hat.“

„Nicht mir hat er sie geraubt, Georgij, denn ich habe keine Rechte auf
sie. Sie hat sich nur unter meinen Schutz gestellt, und deshalb ist es
meine Pflicht, zu ihrer Befreiung alles zu tun, was ich vermag.“

Das Mädchen sah ihn an, und es war wie ein Funkeln verhaltener
Leidenschaft in ihren schönen Augen.

„Warum sprichst du nicht die Wahrheit, Herr? Sage doch, daß du sie
liebst! Sage mir, daß du sie liebst, und ich will sie dir zurückbringen
-- noch an diesem Abend!“

„Du, Georgij? Wie, in aller Welt, wolltest du das anfangen? Weißt du
denn, wo die Dame sich befindet?“

„Ich weiß es von deinem Diener Morar Gopal, Herr! Sie ist dort, in
jenem Zelte des Maharadjah von Chanidigot, vor dessen Tür die beiden
Inder Wache halten. Hüte dich wohl, dort Einlaß zu begehren; denn die
Wächter werden dich eher in Stücke hauen, als daß sie dich auch nur
einen Schritt in das Zelt tun ließen.“

„Es mag wohl sein, daß du recht hast,“ sagte Heideck, dessen Brust
die endlich erlangte Gewißheit von der Nähe der angebeteten Frau mit
einem beseligenden Glücksgefühl erfüllte. „Wie aber wolltest du zu ihr
gelangen?“

„Ich bin ein Weib, und ich weiß, wie man diese armseligen, indischen
Tröpfe behandeln muß; der Maharadjah von Chanidigot ist krank, und er
mag in seinen Schmerzen wohl an alles andere eher denken, als an die
Freuden der Liebe. Diese Gunst des Zufalls mußt du benutzen, Herr! Und
noch in dieser Nacht muß geschehen, was überhaupt geschehen soll.“

„Gewiß! Jede verlorene Minute bedeutet ja vielleicht eine furchtbare
Gefahr für Mrs. Irwin. Aber wenn du einen Plan hast, sie zu retten, so
sage mir -- --“

Die Cirkassierin schüttelte den Kopf.

„Weshalb von Dingen sprechen, die erst noch getan werden sollen?
Kehre zurück zu deinem Feste, Herr, damit niemand einen Argwohn gegen
dich hegt. Um Mitternacht wirst du die englische Dame in deinem Zelte
finden. Oder du wirst auch mich niemals wiedersehen.“

Sie wandte sich zum Gehen; aber nachdem sie wenige Schritte getan
hatte, kehrte sie sich noch einmal nach ihm zurück.

„Du wirst dem Fürsten nicht sagen, daß ich hier bin, hörst du? -- Noch
ist es nicht an der Zeit, daß er es erfährt.“

Damit war sie verschwunden, ehe noch Heideck eine weitere Frage hatte
tun können. Und so wenig er sich auch nach dem eben Erlebten aufgelegt
fühlen mochte, in den nachgerade ziemlich wüst gewordenen Lärm des
Banketts zurückzukehren, sah er doch ein, daß ihm kaum etwas anderes
übrig blieb, da eine Einmischung in die ihm unbekannten Pläne der
Cirkassierin schwerlich von irgend welchem Nutzen für Edith gewesen
wäre.

Aber wenn ihm die Viertelstunden schon vorher schier endlos erschienen
waren, so schlichen sie jetzt vollends mit unerträglicher Langsamkeit
dahin. Er sah und hörte kaum noch etwas von dem, was um ihn her
geschah. Der neben ihm sitzende Radjah mühte sich vergebens, in seinem
gebrochenen Englisch eine Unterhaltung in Fluß zu bringen, und überließ
endlich kopfschüttelnd den schweigsamen Fremdling seinen Grübeleien,
die inmitten dieser hochgehenden Fröhlichkeit für ihn allerdings etwas
sehr Verwunderliches haben mußten.

Kurz vor Mitternacht, noch ehe Fürst Tschadschawadse und die übrigen
Kameraden an den Aufbruch dachten, verließ Heideck abermals das
Prunkzelt des Maharadjah und lenkte seine Schritte dem durch den
rötlichen Schein der Biwakfeuer weithin kenntlich gemachten russischen
Lager zu, in welchem ebenfalls noch die lauteste Lustigkeit herrschte.

Er hegte im Grunde sehr wenig Hoffnung, daß die Cirkassierin ihr kühnes
Versprechen eingelöst habe; denn was sie da auf sich genommen hatte,
mußte ihm ja so gut wie unausführbar erscheinen. Aber sein Herz klopfte
doch in ungestümen Schlägen, als er die Leinwand zurückschlug, die den
Eingang des ihm zugewiesenen Zeltes verschloß.

Auf dem Klapptisch inmitten des kleinen Raumes standen neben einer
brennenden Laterne zwei angezündete Kerzen. Und bei ihrem Schein
erblickte Heideck -- nicht Edith Irwin, wohl aber den schönsten jungen
Radjah, der ihm jemals unter Indiens strahlendem Himmel vor die Augen
gekommen war.

Eine Sekunde lang stand er ungewiß; denn der tannenschlanke Jüngling
in der von einer roten Schärpe umgürteten Seidenbluse, den englischen
Reithosen und den zierlichen kleinen Stiefelchen hatte ihm den
Rücken zugewandt, so daß er sein Gesicht nicht sehen konnte, und das
Haar war vollständig unter dem Turban von rosa und gelb gestreiftem
Seidenmusselin verborgen. Aber die glückselige Ahnung, die ihm
zuflüsterte, wer in dieser anmutigen Verkleidung steckte, konnte
unmöglich lügen. Mit zwei raschen Schritten war er an der Seite des
feingliedrigen, indischen Jünglings, und überwältigt von einem Sturm
leidenschaftlicher Empfindungen, schloß er ihn im nächsten Augenblick,
alle Rücksichten und trennenden Schranken vergessend, mit einem
jauchzenden Jubelruf in seine Arme.

„Edith! -- Meine Edith!“

„Mein geliebter Freund!“

Was weder in den Stunden traulichen Alleinseins noch in den
Augenblicken der gemeinsam bestandenen höchsten Gefahr über ihre Lippen
gekommen war, in der überschwenglichen Wonne dieses Wiedersehens
drängte es sich unaufhaltsam aus ihren Herzen: das Geständnis einer
Liebe, die für sie längst den ganzen Inhalt ihres Lebens ausmachte.



[Illustration]



XXI.


Es währte lange, bis die beiden Liebenden ruhig genug geworden waren,
sich gegenseitig die Erklärungen zu geben, die ihnen das volle
Verständnis der letzten, fast märchenhaften Ereignisse und Fügungen
erschlossen.

Heideck verlangte natürlich vor allem, zu wissen, wie es möglich
gewesen war, daß Edith sich hatte entführen lassen, ohne Lärm zu
schlagen und den Beistand ihrer Umgebung in Anspruch zu nehmen. Was
sie ihm erzählte, war der ergreifendste Beweis ihrer Liebe zu ihm.
Die Kreaturen des Maharadjah mußten auf irgend eine Weise Kenntnis
von Heidecks Verhaftung und Verurteilung erhalten haben, und sie
hatten nicht vergebens auf Ediths Anhänglichkeit an ihren Lebensretter
gerechnet.

Man erklärte ihr, daß ein einziges Wort des Maharadjah hinreichen
würde, den tollkühnen Deutschen zu vernichten, und daß sie nur dann
eine Hoffnung hegen dürfe, ihn vor dem Aeußersten zu bewahren, wenn
sie Seine Hoheit persönlich um Gnade für ihn bäte. Obwohl sie keinen
Zweifel darüber hegte, welche schändliche Absicht sich hinter allem
verbarg, hatte Edith in ihrer Herzensangst um das Leben des geliebten
Mannes nicht gezögert, den Leuten zu folgen, die sie zum Maharadjah
zu führen versprochen, und die sich in heuchlerischen Versicherungen
erschöpften, daß ihr kein Leid widerfahren würde. Sie hatte so viele
Beweise für die Rachsucht und Grausamkeit dieses indischen Despoten
erhalten, daß sie von seinem Haß das schlimmste für Heideck befürchtete
und daß sie entschlossen war, im schlimmsten Fall, wenn nicht ihre
weibliche Ehre, so doch ihr Leben für seine Errettung zu opfern.

Der Maharadjah hatte sie mit großer Zuvorkommenheit empfangen und ihr
versprochen, seinen Einfluß zu Gunsten des als Spion und Verräter von
den Russen gefangen genommenen Deutschen geltend zu machen. Aber er
hatte zugleich ziemlich deutlich durchblicken lassen, welchen Preis er
dafür verlangen würde, und er hatte sie von dem Augenblick an, wo sie
selbst sich in seine Hände geliefert, wie eine mit großem Respekt aber
zugleich mit noch größerer Wachsamkeit behandelte Gefangene gehalten.
Jeder Verkehr mit anderen Personen als der indischen Dienerschaft des
Maharadjah war ihr vollständig abgeschnitten worden, und sie hatte
sich keiner Täuschung darüber hingegeben, welches Los ihrer warte,
sobald der Fürst sich in irgend einem von den kriegerischen Ereignissen
unberührten Gebirgsnest wieder ganz sicher wußte.

Wohl hatte sie sich in dieser Gewißheit beständig mit dem Gedanken
an Flucht getragen; aber die Furcht, damit das Schicksal ihres
unglücklichen Freundes zu besiegeln, hatte sie noch mehr als das immer
rege Mißtrauen ihrer Wächter von der Ausführung zurückgehalten.

Um so überschwenglicher war die Freude gewesen, als an diesem Abend
Morar Gopal in Begleitung der Cirkassierin in dem Frauenzelte
erschienen war, um sie von den fast unerträglichen Qualen der
Ungewißheit über Heidecks Geschick zu erlösen.

Den Zutritt zu der sonst so sorgsam gehüteten Gefangenen hatte der
schlaue Hindu sich und seiner Begleiterin dadurch zu verschaffen
gewußt, daß er den wachehaltenden Indern vorlog, der Maharadjah habe
das in seiner Gesellschaft befindliche Mädchen zur Dienerin für die
englische Dame bestimmt. Mit wenigen geflüsterten Worten hatte er
Edith von allem unterrichtet, was ihr für den Augenblick zu wissen
not tat. Und nachdem er sich zurückgezogen, hatte niemand in ihrer
Umgebung etwas Auffälliges darin gefunden, daß sie eine Weile mit der
neuen Dienerin allein zu bleiben wünschte. Dies Alleinsein aber hatte
sie benutzt, um mit Hilfe der Cirkassierin die von ihr in einem Paket
mitgebrachten leichten indischen Männerkleider anzulegen. Die Wachen,
durch den Genuß von Spirituosen berauscht, hatten den schlanken, jungen
Radjah, in den sie sich verwandelt, unbehelligt fortgehen lassen, und
Morar Gopal, der sie an einem verabredeten Ort in der Nähe erwartete,
hatte sie zu dem Zelte Heidecks geführt, wo sie sich -- für den
Augenblick wenigstens -- als in Sicherheit betrachten durfte.

„Aber Georgij?“ fragte der Hauptmann nicht ohne Besorgnis. „Sie ist
in dem Frauenzelt des Maharadjah zurückgeblieben? Wie nun, wenn man
entdeckt, welchen Anteil sie an deiner Flucht gehabt?“

„Dieser Gedanke quälte auch mich. Aber das heldenmütige Mädchen
versicherte mir immer wieder, daß sie schon Gelegenheit finden würde,
sich aus dem Staube zu machen, und daß sie in keinem Fall etwas zu
fürchten hätte, sobald sie sich auf den Fürsten Tschadschawadse
beriefe.“

„Das dürfte allerdings zutreffen. Aber es stimmt schlecht zu ihrem
Verlangen, die Tatsache ihrer Anwesenheit im Lager vor dem Fürsten als
ein Geheimnis zu bewahren. Ueberhaupt ist mir das Benehmen des Mädchens
völlig rätselhaft. Ich begreife nicht, was sie veranlassen konnte, sich
mit so bewunderungswürdiger Selbstlosigkeit für uns zu opfern, die wir
für sie doch eigentlich nur gleichgültige Fremde sind. Die Aussicht
auf eine Belohnung war es sicherlich nicht, die sie dazu bestimmte.
Denn sie hat den ganzen Stolz ihres Stammes, und ich bin gewiß, daß sie
jedes derartige Anerbieten als eine Beleidigung empfinden würde.“

„So glaube auch ich. Aber ich bin vielleicht nicht so sehr weit davon
entfernt, ihre wahren Beweggründe zu erraten.“

„Und willst du mir nicht offenbaren, was du vermutest?“

Edith zauderte ein wenig; aber sie gehörte nicht zu den Frauen, die
eine kleinliche Regung die Oberhand gewinnen lassen in ihrem Herzen.

„Ich vermute, mein Freund, daß sie dich liebt,“ sagte sie mit einem
kleinen, reizenden Lächeln. „Einige unbedachte Aeußerungen und das
Feuer, das in ihren Augen aufleuchtete, sobald wir von dir sprachen,
haben es mir fast zur Gewißheit gemacht. Daß sie trotzdem ihre Hand
dazu bot, mich zu befreien, ist unter diesen Umständen gewiß ein um
so größerer Beweis ihres hochsinnigen Charakters. Aber ich begreife
es vollkommen. Ein liebendes Weib, wenn von Natur edel veranlagt, ist
jeder Selbstverleugnung fähig.“

Heideck schüttelte den Kopf.

„Ich glaube doch, daß dein Scharfblick dich diesmal im Stich gelassen
hat,“ widersprach er. „Sie ist meiner festen Ueberzeugung nach die
Geliebte des Fürsten Tschadschawadse, und nach allem, was ich von ihrem
Verkehr gesehen habe, halte ich es für ganz undenkbar, daß sie ihm um
eines Fremden willen, mit dem sie kaum hundert gleichgültige Worte
gewechselt, die Treue brechen sollte.“

„Nun, wir werden ja vielleicht noch Gelegenheit haben, festzustellen,
ob ich mich in einem Irrtum befinde oder nicht. Jetzt, mein Freund,
möchte ich vor allem wissen, was du weiter über mich beschlossen hast.“

Heideck war in einiger Verlegenheit, ihr darauf zu antworten, und er
sprach zögernd von seiner Absicht, sie mit Morar Gopal nach Ambala zu
schicken. Edith aber ließ ihn nicht ausreden. Mit einer entschieden
verneinenden Geberde fiel sie ihm in die Rede.

„Fordere von mir, was du willst -- nur nicht, daß ich dich noch einmal
verlasse! Was sollte ich in Ambala ohne dich? Ich habe so Unsägliches
gelitten, seit man dich in Anar Kali vor meinen Augen weggeführt, daß
ich tausendmal eher sterben will, ehe ich mich noch einmal der Folter
solcher Ungewißheit aussetze.“

Ein Geräusch hinter seinem Rücken veranlaßte Heideck, den Kopf zu
wenden. Er sah, daß sich der Türvorhang des Zeltes ein wenig lüftete
und daß es Morar Gopal gewesen war, der durch ein diskretes Räuspern
seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen versucht hatte.

Mit freundlichem Zuruf veranlaßte er den treuen Burschen, vollends
einzutreten, und der Dank, den er ihm aussprach, war nicht mehr die
herablassende Anerkennung, die der Herr seinem geschickten Diener
spendet, sondern der Dank eines Freundes.

Das Mienenspiel des Hindu verriet, wie glücklich ihn die Güte seines
abgöttisch von ihm verehrten Herrn machte; aber nicht für einen
einzigen Augenblick änderte er seine demütig bescheidene Haltung. Und
ehrerbietig wie immer sagte er:

„Ich bringe gute Neuigkeiten, Sahib! Einer vom Gefolge des Maharadjah,
den ich durch einige deiner Rupien gesprächig gemacht habe, hat mir
erzählt, daß der Maharadjah von Sabathu den Russen vierzig Reiter
mitgeben werde, die ihnen die besten Wege nach Simla zeigen sollen.
Dies Land hier steht ja unter seiner Herrschaft, und seine Leute kennen
bis hoch ins Gebirge hinauf jeden Winkel. Wenn die Lady sich morgen
in der Tracht eines Radjah diesen Reitern anschließt, wird sie gewiß
unbehelligt von hier entkommen.“

Die Trefflichkeit und Ausführbarkeit dieses Planes leuchtete ohne
Weiteres ein, und Heideck erkannte aufs neue, welchen Schatz ihm ein
gütiger Zufall mit diesem indischen Boy beschert hatte. Auch Edith
erklärte sich einverstanden, da sie sah, wie freudig Heideck dem
Vorschlage zustimmte, wenngleich die Aussicht, sich am hellen Tage
und vor aller Welt in dieser Männerkleidung zeigen zu müssen, ihr
weibliches Empfinden peinlich berührte.

Sie fragte Morar Gopal, ob er inzwischen etwas von Georgij gehört habe,
und der Hindu nickte.

„Ich sprach sie vor einer halben Stunde. Sie ist glücklich aus dem
Frauenzelt des Maharadjah entkommen und war eben im Begriff das Lager
zu verlassen.“

„Wie?“ rief Heideck verwundert. „Wohin in aller Welt wollte sie sich
denn wenden?“

„Ich weiß es nicht, Sahib. Sie war sehr traurig, aber als ich sie bat,
mich zu dem Sahib zu begleiten, sagte sie, daß sie ihn und die Lady
nicht wiedersehen wolle; sie entbietet dem Sahib ihren Gruß und bittet
ihn, seines Versprechens eingedenk zu bleiben, daß er dem Fürsten
Tschadschawadse nichts von ihrem Hiersein verraten wolle.“

Heideck und Edith wechselten einen bedeutsamen Blick. Das Benehmen
dieses seltsamen Mädchens gab ihnen Rätsel auf, die sie vorläufig nicht
zu lösen vermochten. Aber es war natürlich und menschlich, daß sie über
ihren eigenen Angelegenheiten die Cirkassierin sehr rasch vergaßen.

Edith mußte sich damit einverstanden erklären, daß Heideck ihr für
den Rest der Nacht sein Zelt überließ, während er selbst die wenigen
Stunden bis zum Tagesanbruch an einem der Biwakfeuer verbringen
wollte. Morar Gopal aber sollte sein Lager vor dem Eingang des Zeltes
aufschlagen, und Heideck war gewiß, daß er sein köstliches Kleinod
keinem treueren Hüter anvertrauen konnte.

       *       *       *       *       *

Das Schicksal, das die beiden Liebenden auf eine so wunderbare Weise
wieder vereinigt hatte, zeigte sich ihnen auch weiter günstig. In
aller Frühe des folgenden Tages hatte Heideck ohne große Schwierigkeit
einen fertig gezäumten zierlichen Braunen für Edith erstanden, und
als sich der Trupp der indischen Reiter, die den Russen als Führer
und Kundschafter dienen sollten, in Bewegung setzte, gesellte sich
der knabenhafte junge Radjah ihnen zu, ohne daß irgend jemand seine
befremdliche Erscheinung zum Anlaß zudringlicher Fragen genommen hätte.
Die Inder hielten ihn wahrscheinlich zunächst für einen blutjungen
russischen Offizier, den besondere Gründe bestimmt hatten, die Tracht
des Landes anzulegen, und bewahrten deshalb eine durchaus respektvolle
Haltung. Fürst Tschadschawadse aber, den vor dem Aufbruch einmal der
Zufall in Ediths unmittelbare Nähe geführt hatte, sagte kein Wort,
obgleich er sie wohl eine Minute lang scharf ins Auge faßte.

Daß von seiten des Maharadjah von Chanidigot nichts geschah, um den
schönen Flüchtling wieder in seine Gewalt zu bringen, erklärte sich
leicht genug aus den schlechten Nachrichten über sein Befinden, die im
Lager von Mund zu Mund gingen. Er wurde, wie es hieß, vom Wundfieber
und von heftigen Schmerzen gepeinigt, so daß ihm wohl in der Tat jedes
Interesse an der Außenwelt vergangen sein mochte. -- --

Das russische Detachement ging nach herzlicher Verabschiedung von
den indischen Gastfreunden weiter in das Hügelland hinein, und
schon am Nachmittage brachten ausgesandte Kundschafter dem Fürsten
Tschadschawadse die Meldung, daß die Engländer Ambala vollständig
geräumt und den Marsch nach Delhi angetreten hätten. Wahrscheinlich
hatte man die Stärke der russischen Abteilung, von deren Anmarsch man
gehört hatte, in Ambala weit überschätzt und es deshalb vorgezogen,
einem voraussichtlich aussichtslosen Kampfe aus dem Wege zu gehen.

Edith wußte sich mit frauenhafter Gewandtheit in unauffälliger Weise
in der Nähe Heidecks zu halten, so daß beide oft Gelegenheit fanden,
miteinander zu plaudern. Ihre zarte, weiße Farbe mußte wohl auffallen
unter den braunen Gesichtern, aber der Wille und die Launen russischer
Offiziere mußten respektiert werden, und so schien niemand zu wissen,
daß eine englische Dame im Kostüm eines Radjah bei der Truppe sei.
Uebrigens dauerte der Marsch nicht mehr lange. Das Jagdlager war nur
zweihundertfünfzig Kilometer von Simla entfernt, unterhalb des Ortes
Kalka gelegen. Noch einmal wurde übernachtet, und am andern Morgen traf
die Kolonne vor Simla ein und fand Jutogh, das hochgelegene britische
Kantonnement westlich der weitausgedehnten Hügelstadt, von den Truppen
geräumt.

Fürst Tschadschawadse legte seine Infanterie und Artillerie in
die englischen Baracken und marschierte mit den Reitern in den
halbmondförmigen, sogenannten Bazar ein, die eigentliche Stadt, die
von zahlreichen, auf den Hügeln und in Gartenanlagen verstreuten
Villen umgeben war. Er entsandte sogleich Offizierspatrouillen nach
dem Stadthause, den Bureaus der Regierung und des Oberbefehlshabers
und begab sich selbst zum Gouvernementshause, einem schönen Palast am
Observatoriumshügel.

Simla war trotz des Frühlings wie im Winterschlaf, verlassen von
der bewegten glänzenden Gesellschaft, die zur Sommerzeit, wenn die
unerträgliche feuchte Wärme den Vizekönig von Kalkutta vertrieb,
die prächtigen Täler und Höhen mit ihren Pferden und Wagen, mit
ihren Spielen, Gesellschaften und eleganten Toiletten belebte. Nur
Dienerschaft zur Bewachung und Instandhaltung der Gebäude und die
angesessene Bevölkerung waren anwesend, weil der Krieg die englische
Gesellschaft fern hielt. Etwa 2500 Meter über dem Spiegel des indischen
Ozeans steigen die Hügel an und häufige Regenschauer machten das Klima
hier oben so rauh, daß Heideck im Mantel ritt und auch Edith vorgezogen
hatte, sich einen Dragonermantel umzuhängen, um sich gegen die Kälte zu
schützen.

Die Offiziere hatten den Auftrag, in den Regierungsgebäuden nach
wichtigen Aktenstücken und sonstigen Papieren zu suchen, die von der
englischen Regierung in Simla zurückgelassen sein konnten und die für
die russische Regierung von Wichtigkeit waren.

Heideck sollte die in sieben eleganten Blocks befindlichen Bureaus der
Regierung durchsuchen, vor allem aber die für den Oberbefehlshaber, den
Generalquartiermeister und die Generaldirektion der Eisenbahn, Posten
und Telegraphen bestimmten Gebäude.

Er stieß überall nur auf untergeordnete Beamte, aber zuletzt im Bureau
des Judge Advocate General fand er einen bejahrten, würdevollen Herrn,
der so ruhig in seinem Lehnsessel saß, daß Heideck unwillkürlich an
Archimedes erinnert wurde, als ihn die römischen Krieger bei seinen
Berechnungen überraschten.

Der alte Herr richtete aus seinen großen, gelblich gefärbten Augen
einen durchdringenden Blick auf den eintretenden Offizier und die
ihm folgenden Soldaten. Aber er fragte nicht, was sie wollten, und
machte nicht einmal eine ablehnende Bewegung. Heideck bat unter
höflicher Verbeugung um Entschuldigung wegen seines ihm dienstlich
vorgeschriebenen Verhaltens. Dies artige Benehmen schien den alten
Herrn zu überraschen, er erwiderte den Gruß und sagte, es bliebe ihm
ja nichts übrig, als sich allen Maßregeln zu unterwerfen, die von der
Macht des Siegers verhängt würden.

„Da hier in diesen Räumen wohl nur juristische Bücher und Akten zu
finden sind,“ sagte Heideck, „so brauche ich keine Nachforschungen
anzustellen, denn es ist uns lediglich um militärische Dinge zu tun.
Es würde mich freuen, wenn ich persönliche Wünsche Ihrerseits erfüllen
könnte, denn ich glaube nicht zu irren, wenn ich annehme, daß ich die
Ehre habe, einen höheren Beamten vor mir zu sehen, den besondere Gründe
veranlaßt haben, hier in Simla znrückzubleiben.“

„In der Tat,“ entgegnete jener, „meine Aerzte waren der Meinung, daß
es meiner Gesundheit zuträglich sein würde, den Winter im Gebirge
zuzubringen. Sie können sich denken, wie sehr ich es bereue, dem
ärztlichen Rate gefolgt zu sein. Ich bin der Judge Advocate General
Kennedy.“

„Ist Ihre Familie auch in Simla?“ fragte Heideck.

„Meine Frau und meine Tochter sind hier.“

„Mein Herr, es ist eine englische Dame bei unserer Kolonne, die Witwe
eines Offiziers, der bei Lahore den Tod gefunden hat. Wären Sie
geneigt, die Dame in Ihrer Familie aufzunehmen?“

„Eine englische Dame?“

„Sie ist das Opfer einer ganzen Kette abenteuerlicher Ereignisse, über
die am besten sie selbst Ihnen berichten könnte. Sie heißt Mrs. Irwin.
Wären Sie geneigt, der Dame Ihren Schutz angedeihen zu lassen, so würde
ich ihr damit gewiß eine willkommene Freudenbotschaft überbringen.“

„Meinen Schutz?“ fragte der alte Herr verwundert. „Meine Familie
und ich bedürfen selbst des Schutzes, und wie können wir unter den
gegenwärtigen Verhältnissen eine solche Verantwortung übernehmen?“

„Sie und Ihre Familie haben von uns nichts zu fürchten, mein Herr. Wir
gedenken im Gegenteil für Ruhe und Ordnung zu sorgen.“

„Nun, mein Herr, Ihr Benehmen verrät den Gentleman, und wenn die Dame
zu uns kommen will, so steht dem von unserer Seite nichts entgegen.
Kann ich mit ihr sprechen, damit wir uns verständigen?“

„Ich werde mich beeilen, sie zu holen.“

Er zögerte in der Tat keinen Augenblick. Und wie er es erwartet hatte,
wußte ihm Edith lebhaften Dank für seinen freundschaftlichen Vorschlag.

Mr. Kennedy war höchst erstaunt, einen jungen Radjah eintreten zu
sehen, und schien durch diese Maskerade nicht gerade angenehm berührt
zu sein.

„Dies ist die Dame, von der Sie sprachen?“ fragte er befremdet. Aber
sein ernstes Antlitz hellte sich merklich auf, als Edith mit ihrer
schönen, weichen Stimme sagte:

„Eine Landsmännin, die diesem Herrn hier ihr Leben dankt, und die nur
mit Hilfe dieser Verkleidung vor Schmach und Tod bewahrt geblieben ist.“

„Mrs. Irwin, wenn Sie sich entschließen, zu Mrs. Kennedy zu gehen,“
sagte Heideck, „so werde ich Ihr Gepäck in Mr. Kennedys Wohnung
schaffen lassen. Ich entferne mich jetzt, um noch andere dienstliche
Obliegenheiten zu erfüllen und werde später wiederkommen.“

„Auf jeden Fall nehme ich meine Landsmännin gern bei mir auf,“
versicherte der alte Herr. „Hier vom Fenster aus sehen Sie das Haus,
das ich bewohne, und ich bitte Sie, mich zu besuchen, wenn Ihr Dienst
beendigt sein wird.“

Erst als die Sonne sank, kam Heideck dazu, seinen Besuch bei Mr.
Kennedy zu machen. Er stand einen Augenblick am Gartentor und sah die
schneebedeckten Höhen im Feuer des Abendrots glühen. Lange Reihen von
blauen Bergen türmten sich auf, höher und immer höher nach Norden hin,
bis zuletzt die höchste Kette am fernen Horizont, von ewigen Gletschern
umstarrt, in wunderbarem Glanze zum Himmel aufstieg.

Mr. Kennedy bewohnte eine sehr stattliche Villa. Heideck wurde von
dem Hausherrn und den Damen so überaus freundlich empfangen, daß er
Ediths warme Fürsprache nur zu deutlich herausfühlen mußte. Edith
mußte wohl auch erzählt haben, daß er ein Deutscher sei. Sie war
wieder in Frauentracht und hatte durch ihr offenes Wesen bereits alle
Herzen gewonnen. Mrs. Kennedy war eine Matrone mit feinen, angenehmen
Gesichtszügen und dem Benehmen einer Dame der großen Welt. Die mit
Edith etwa gleichaltrige Tochter aber schien sich besonders innig an
Edith angeschlossen zu haben.

Heideck saß mit der Familie am Kaminfeuer, und man bemühte sich, zu
vergessen, daß er die Uniform des Feindes trug.

„Wenn wir es nur einrichten könnten,“ sagte Mrs. Kennedy, „Indien zu
verlassen und nach England zurückzukehren. Mr. Kennedy wünscht in
Kalkutta zu bleiben, um seiner Pflicht nachzukommen, aber er kann
das Klima seines Leidens wegen nicht vertragen. Und wie könnten wir
auch nach Kalkutta gelangen? Die einzige Möglichkeit wäre doch, ein
russisches Dokument zu bekommen, das uns ungehinderte Reise verschafft.“

„O liebste Beatrice,“ widersprach ihr Mann, „ich weiß ja, daß du ebenso
gut wie ich nicht an unser eigenes Schicksal denkst, jetzt, wo ein
solches Unglück über unser Vaterland hereingebrochen ist. Was ist in
diesem allgemeinen Unglück an unserm Geschick gelegen?“

„Ich sollte meinen,“ mischte sich Heideck höflich ein, „daß der
Einzelne, selbst wenn er das Unglück der Allgemeinheit auch noch so
schmerzlich empfindet, sich doch nicht zur Verzweiflung hinreißen
lassen darf, sondern immer darauf bedacht sein muß, wie in ruhiger Zeit
für sich und seine Familie zu sorgen.“

„Nein!“ rief Mr. Kennedy. „Diese internationale Weisheit kann ein
Engländer nicht verstehen. Der Deutsche hat einen anderen Charakter, er
wechselt leichter sein Vaterland, der Engländer nicht. Doch ich bitte
um Entschuldigung,“ fuhr er sich besinnend fort. „Sie verletzten meine
nationale Ehre, und ich vergaß die Situation in der wir uns befinden.
Ich wollte Sie selbstverständlich nicht beleidigen.“

„Es ist etwas Wahres an dem, was Sie sagten,“ entgegnete Heideck ernst,
„aber erlauben Sie mir eine Erklärung. Unser deutsches Vaterland ist
in früheren Jahrhunderten immer der Schauplatz der Schlachten aller
Völker Europas gewesen. Die meisten deutschen Fürsten kannten in
jener Zeit kein deutsches Nationalgefühl und vertraten engherzige
dynastische Interessen. So wuchs unser deutscher Volksstamm ohne das
Bewußtsein eines großen gemeinsamen Vaterlandes heran. Unser deutsches
Selbstgefühl ist nicht älter als Bismarck. Aber dadurch, daß wir
fremde Völker und Sitten haben über uns ergehen lassen müssen, sind
wir weitherzig und großzügig geworden. Unser religiöses Empfinden und
unser Patriotismus umschließen einen weitern Kreis, als bei andern
Völkern. Deshalb glaube ich, daß wir jetzt, da wir uns nun seit einem
Menschenalter auch auf unsere materielle Kraft besinnen und uns
politisch zusammengeschlossen haben, vermöge unserer universellen
Bildung zur Weiterentwicklung der Kultur berufen sind, die den
Engländern und Franzosen bis jetzt am meisten verdankte.“

Der alte Herr antwortete nicht sogleich. Er saß in Gedanken verloren
da, und erst nach einer geraumen Weile sagte er:

„Man kann ja, wenn man will, den Standpunkt seiner Betrachtung immer
höher schrauben. Es ist, wie wenn man die Berge dort hinaufsteigt. Von
jeder höheren Bergkette aus wird der Rundblick umfassender, während die
Einzelheiten des Panoramas immer mehr verschwinden. Natürlich, wenn man
von einem so hohen Standpunkt herabsieht, schrumpfen alle politischen
Interessen zu bedeutungslosen Nichtigkeiten zusammen, und dann gibt
es keinen Patriotismus mehr. Aber ich meine, daß wir zunächst in dem
Kreise zu wirken verpflichtet sind, in den wir nun einmal gestellt
sind. Ein Mann, der seine Frau und seine Kinder vernachlässigt und
mit seinen Ideen die Welt beglücken will, vernachlässigt den engsten
Kreis seiner Pflichten. Sodann aber muß einem jeden Manne die Wohlfahrt
des eigenen Volkes, des eigenen Staates das höchste Ziel seiner
Bestrebungen sein, dann erst darf er, von der eigenen Nation ausgehend,
seine Wünsche noch höher richten. Ich kann niemand achten, der sich
vom Boden des Patriotismus entfernt, um auf politischem Gebiete
Phantastereien zu treiben, für Weltfrieden zu schwärmen und alle
Menschen Brüder zu nennen.“

„Und doch,“ sagte Edith, „ist dies die Lehre des Christentums.“

„Des theoretischen, nicht des praktischen,“ widersprach eifrig der
Engländer. „Ich achte den alten Römer Cato, der sich das Leben nahm,
als er die Freiheit des Vaterlandes schwinden sah. Und niemals wäre
England groß geworden, wenn es nicht viele solcher Catone geboren
hätte.“

„Mr. Kennedy, Sie proklamieren die Staatsidee der alten Griechen,“
sagte Heideck. „Aber ich glaube nicht, daß die alten Griechen wirklich
den Staat so aufgefaßt haben, wie die modernen Professoren behaupten,
und wie das alte Rom sie praktisch ausgeführt hat. Die Professoren
pflegen Platon anzuführen, aber Platon war ein zu hoher Geist, um
nicht einzusehen, daß der Staat doch aus lauter Menschen besteht.
Platon betrachtete den Staat nicht als ein Götzenbild, auf dessen Altar
der Bürger sich opfern müßte, sondern als eine Erziehungsanstalt.
Er sagt, daß wirklich tugendhafte Bürger nur durch einen vernünftig
eingerichteten Staat erzogen werden könnten, und deshalb sprach er so
viel von der Bedeutung des Staates. Ein Staat ist ursprünglich nur
die äußere Form, die sich das innere Leben der Nation auf natürliche
Weise selbst geschaffen hat, und an dieser Auffassung sollte nicht
gerüttelt werden. Der Staat soll die Massen erziehen, nicht nur zur
Verwirklichung des Rechts, sondern auch des äußeren und inneren
Wohls. Die Römer freilich scheinen nicht die Erziehung der tüchtigen
Persönlichkeit nach Platons Idee zum Zweck des Staates gemacht zu
haben, sondern sie waren modern wie die heutigen Großmächte, die das
Ziel verfolgen, möglichst reich und mächtig zu werden. Wir Deutschen
wollen das ja auch und führen deshalb jetzt Krieg, aber ich behaupte,
daß dem deutschen Nationalcharakter doch etwas höheres innewohnt; es
ist die Idee der Humanität! Mit unserer Nation gehen auch unsere Ideale
zu Grunde, und darum kämpfen wir für unsere Machtstellung, um mit
unserer nationalen Größe auch unsere Ideale zu schützen und zu sichern.“

Ein Diener trat ein und meldete, daß das Essen angerichtet wäre.

Das Gespräch verließ bei Tisch die Gebiete der Philosophie und Politik
und wandte sich der Kunst zu. Die Damen bestrebten sich, den alten
Herrn von seinen finstern Gedanken abzulenken und seine verzweifelte
Stimmung zu heben. Elisabeth erzählte von den Konzerten, die in Simla
und Kalkutta gegeben würden, und erwähnte dabei der großen technischen
Schwierigkeiten, die das Musizieren in Indien böte, weil durch den
Einfluß des Klimas die Instrumente so leicht verdürben. In der feuchten
Luft der Seestädte quoll das Holz, im trockenen Mittelindien dagegen
vertrocknete es, was namentlich den Violinen und Celli schadete, aber
auch den Klavieren nachteilig wäre. Man konstruierte für die Tropen
Klaviere, die nur Metall im Innern anstatt des Holzes hätten, aber
diese hätten einen scharfen Klang und litten ebenfalls durch schroffen
Temperaturwechsel.

Nach dem Diner setzte sich Elisabeth an den Flügel, und Heideck
berührte es wohltuend, daß Edith eine so angenehme Altstimme und eine
so gute Schulung hatte. Sie sang einige schwermütige englische und
schottische Lieder.

„Seitdem ich England verlassen habe, habe ich nicht mehr gesungen,“
sagte sie bewegt.

Heideck hatte mit Entzücken der Musik gelauscht. Nach den schrecklichen
Szenen der letzten Zeit gingen ihm die Melodieen um so tiefer zu
Herzen, so daß seine Augen sich mit Tränen füllten. Und nicht die Musik
allein war es, die ihn rührte, es war Ediths Seele, die durch die Macht
der Musik zu ihm sprach.

„Was gedenken Sie zu tun, Mr. Kennedy?“ fragte er den alten Herrn.
„Werden Sie in Simla bleiben und Mrs. Irwin bei sich behalten?“

„Ich habe es mir überlegt,“ entgegnete jener. „Ich werde nicht hier
bleiben. Ich werde nach Kalkutta reisen, wenn ich kann. Es ist meine
Pflicht, in Kalkutta auf meinem Posten zu sein.“

„Aber wie wollen Sie reisen? Wo die Eisenbahnen noch vorhanden sind, da
sind sie von der Armee ausschließlich in Anspruch genommen. Bedenken
Sie, daß Sie beide Armeen, die russische und die englische, passieren
müßten. Sie müßten von Kalka nach Ambala, von dort über Delhi.“

„Wenn ich einen Passierschein bekäme, würde ich mit Wagen und Pferden
nach Delhi reisen, und dort bin ich bei der englischen Armee. Können
Sie mir einen Passierschein verschaffen?“

„Ich werde es versuchen. Möglicherweise läßt sich Fürst Tschadschawadse
dazu bewegen. Ich werde ihn darauf aufmerksam machen, daß Sie
Zivilbeamter sind.“

       *       *       *       *       *

Fürst Tschadschawadse weigerte sich mit aller Entschiedenheit, den
von Heideck für Mr. Kennedy und seine Familie erbetenen Passierschein
auszustellen.

„Es tut mir leid, Herr Kamerad,“ sagte er, „aber es ist einfach
unmöglich. Der Judge Advocate General ist ein sehr hoher Beamter, dem
ich nicht gestatten kann, sich nach seinem Gefallen in das englische
Hauptquartier zu begeben und dort Bericht über die hiesigen Vorgänge zu
erstatten. Man würde mir eine so unangebrachte Liebenswürdigkeit höhern
Ortes mit Recht sehr übel auslegen. Und ich möchte den guten Eindruck,
den das Gelingen der Expedition nach Simla bei meinen Vorgesetzten
gemacht hat, nicht gern durch eine unverzeihliche Torheit wieder
verwischen.“

Heideck sah ein, daß gegen eine solche Entscheidung mit Zureden nichts
auszurichten sein würde, und setzte Mr. Kennedy unter der Versicherung
aufrichtigen Bedauerns von der Ergebnislosigkeit seiner Bemühungen in
Kenntnis.

„So werde ich denn in Gottes Namen versuchen nach England
zurückzukehren,“ sagte der alte Herr mit einem schmerzlichen Seufzer.
„Fragen Sie bitte den Fürsten, ob er etwas dagegen hat, daß ich abreise
und mich auf dem kürzesten Wege nach Carachi begebe? Vielleicht wird er
mir wenigstens für diese Route einen Passierschein ausstellen.“

Dazu war Fürst Tschadschawadse sofort bereit.

„Im Rücken der russischen Armee mögen die Herrschaften meinetwegen
reisen, wohin sie wollen,“ erklärte er. „Ich habe nicht den geringsten
Anlaß den würdigen alten Herrn als einen Gefangenen zu behandeln.“

An demselben Tage noch hatte Heideck mit Edith eine ernste Unterhaltung
über die Gestaltung ihrer nächsten Zukunft. Er fragte sie nach ihren
Wünschen und Plänen; sie aber schmiegte sich zärtlich an seine Schulter
und flüsterte:

„Ich habe keinen Wunsch als bei dir zu bleiben und keinen anderen Plan
als dich glücklich zu machen.“

Er küßte die weichen Lippen, die so beseligende Worte zu sprechen
wußten und sagte bewegt:

„Nun wohl, so schlage ich vor, daß wir zusammen nach Carachi reisen.
Ich bin entschlossen den russischen Dienst zu verlassen und die
Rückkehr nach Deutschland zu versuchen. Du aber, mein Lieb, würdest du
es über dich gewinnen können, mir in mein Vaterland, das Land deiner
jetzigen Feinde, zu folgen?“

„Meine Heimat ist bei dir. Sage, daß wir hier in Simla ein Heim gründen
wollen, und ich bin mit Freuden bereit, bis an das Ende meiner Tage
hier zu leben. Führe mich nach Deutschland oder nach Sibirien, und ich
folge dir -- mir gilt alles gleich, wenn ich nur dich nicht verlassen
muß.“

Daß sie so gar kein Wort der Anhänglichkeit an ihr Vaterland hatte,
mochte Heideck für einen Moment peinlich berühren; aber er hatte ja
bereits gelernt, sie mit anderem Maße zu messen als die Frauen, denen
er bisher auf seinem Lebenswege begegnet war; und ihm am wenigsten kam
es zu, ihr aus diesem Mangel an Patriotismus einen Vorwurf zu machen.

„Mr. Kennedy hat sich mir gegenüber bereit erklärt, dich auf der Reise
unter seinen Schutz zu nehmen,“ sagte er. „So werde ich denn noch heute
mit dem Fürsten sprechen. Und da er kein Recht hat mich zu halten, wird
es mir, wie ich zuversichtlich hoffe, möglich sein, zugleich mit euch
nach Carachi aufzubrechen.“

„Ich aber werde nur in deiner Begleitung das Anerbieten der Kennedys
annehmen,“ erklärte Edith mit einer Bestimmtheit, die keinen Zweifel
darüber zuließ, wie unerschütterlich ihre Entschlüsse seien.

Aber Fürst Tschadschawadse bereitete ihm in der Tat keine
Schwierigkeiten.

„Ich bedaure aufrichtig, Sie schon so bald wieder zu verlieren,“
erklärte er, „aber die Entscheidung darüber, ob Sie bleiben oder
gehen wollen, liegt einzig bei Ihnen, denn es war ja von vornherein
ausgemacht, daß Sie den russischen Dienst quittieren könnten, sobald es
die Umstände für Sie wünschenswert machten. -- Die Frauen sind ja nun
einmal die Schicksale unseres Lebens.“

Der Fürst wußte natürlich längst, daß es Edith Irwin war, die sich im
Hause der Kennedys befand, aber es geschah zum ersten Mal, daß er der
Herzensangelegenheit seines deutschen Freundes Erwähnung tat.

Und hastig, als müsse er sich gegen einen beschämenden Vorwurf
verteidigen, erwiderte Heideck:

„Sie mißverstehen meine Beweggründe! Vor allem ist es meine soldatische
Pflicht, die mich ruft. Bis jetzt gab es keine Aussicht für mich,
Passage auf einem englischen Dampfer zu erhalten. In der Begleitung des
Mr. Kennedy aber und auf seine Empfehlung hin wird man mir, wie ich
hoffen darf, die Ueberfahrt nicht verweigern.“

„Verzeihung! Ich zweifelte selbstverständlich keinen Augenblick
an Ihrem patriotischen Pflichtgefühl, und ich wünsche Ihnen von
Herzen eine glückliche Heimreise. Natürlich ist es trotz aller
Bundesgenossenschaft unserer Nationen für Sie nicht dasselbe, ob Sie
in den Reihen der russischen oder des deutschen Heeres fechten. Und
wenn die Aussicht, in so angenehmer Gesellschaft zu reisen, den letzten
Ausschlag für Ihre Entschließungen gegeben hat, so hätten Sie sich
dessen, wie ich meine, durchaus nicht zu schämen. -- Ich für meine
Person bin allerdings zu der Erkenntnis gekommen, daß ein Soldat besser
tut, dem weiblichen Element eine möglichst untergeordnete Rolle in
seinem Leben anzuweisen. Er müßte es denn so machen, wie die meisten
meiner Landsleute und sich eine ‚handliche‘ Frau zulegen, d. h. eine,
die es verträgt, mit oder ohne Anlaß geprügelt zu werden. Es mag sein,
daß ich es gerade in diesem einen Punkte versehen hatte. Und ich bin
denn auch recht empfindlich dafür gestraft worden.“

Sein Gesicht war plötzlich sehr ernst geworden, und da seine Anspielung
sich nur auf den verschwundenen Pagen beziehen konnte, glaubte Heideck
endlich eine Frage nach dem Verbleib der Cirkassierin wagen zu dürfen.

Aber der Fürst schüttelte abwehrend den Kopf.

„Fragen Sie mich nicht nach ihr! Das ist eine ärgerliche Geschichte, an
die ich nicht gern erinnert werde, weil sie mir eine der häßlichsten
Stunden meines Lebens ins Gedächtnis zurückruft. Schlimm genug, daß wir
armen, ohnmächtigen Kreaturen mit aller Reue nicht wieder gutmachen
können, was wir einmal in einem Augenblick gefehlt.“

Und dann, als wolle er damit kurzerhand alle weiteren, unbequemen
Erörterungen abschneiden, kehrte er zu dem Ausgangspunkt ihrer
Unterhaltung zurück:

„Von meinem Standpunkt aus muß ich es ja rein praktischer Gründe wegen
für einen Fehler halten, daß Sie Ihre unter den günstigsten Auspizien
begonnene Laufbahn in der russischen Armee schon so bald wieder
verlassen. Tüchtige Männer Ihres Schlages können bei uns eine glänzende
Karriere machen, denn in unserm Heere ist mehr Ellbogenraum als bei
Ihnen. Aber ich weiß wohl, daß es überflüssig ist, weiter darüber zu
reden. Nur eins noch! -- Sie brauchen die Uniform, der Sie alle Ehre
gemacht haben, nicht gleich hier in Simla auszuziehen. Ich trete morgen
den Rückmarsch nach Lahore an, und ich bitte Sie, während desselben
noch an der Spitze Ihrer Schwadron zu bleiben. Ihre englischen Freunde
reisen am sichersten mit unserer Kolonne. In Lahore können Sie dann ja
machen, was Sie wollen. Da der Feldzug sich nach Südosten wendet, ist
der Westen frei, und Sie können möglicherweise die Reise nach Carachi
zum großen Teil bereits wieder auf der Eisenbahn zurücklegen.“

Heideck erkannte in diesem Vorschlag einen neuen Beweis der
freundschaftlichen Gesinnung, die ihm der Fürst schon so oft an den Tag
gelegt hatte, und er unterließ es nicht, ihm auf das Wärmste hierfür zu
danken.

Für Mr. Kennedy war es allerdings ein nicht sehr erfreulicher Gedanke,
unter dem Schutz der Feinde reisen zu müssen; aber er mußte sich im
Interesse seiner weiblichen Angehörigen fügen, da es in der Tat keine
bessere Möglichkeit gab, schnell und sicher nach Carachi zu gelangen.

„Sie können sich nicht vorstellen, wie schwer es mir wird, dies teuer
erkaufte Indien zu verlassen,“ sagte er zu Heideck. „Zwanzig Jahre
meines Lebens habe ich ihm gewidmet, Jahre der härtesten, unermüdlichen
Arbeit. Und nun ist mein Werk gleich den Werken so vieler besserer
Männer mit einem einzigen Schlage verloren.“

„Sie sind ohne Unterbrechung zwei ganze Jahrzehnte hindurch in Indien
gewesen?“

„Ja, ich konnte mich nicht entschließen, meine Frau und meine Tochter
zu begleiten, wenn sie gelegentlich zu ihrer Erholung auf einige Monate
nach Europa gingen. Ich war eben geradezu verliebt in meine Arbeit, und
ich werde es kaum verwinden, daß nun alles, alles verloren sein soll.
Und es ist verloren -- darüber gebe ich mich keiner Täuschung hin.
Nachdem die Russen einmal hier Fuß gefaßt haben, werden sie auch das
Land niemals wieder aufgeben. Ihre Herrschaft wird eben schon deshalb
fester gegründet sein als die unsrige, weil sie dem indischen Volke
innerlich viel näher stehen als wir -- -- -- --“

Am nächsten Tage brachen sie auf.

Mr. Kennedy und seine Damen fuhren in einer mit vier australischen
Pferden bespannten Mail-Coach, die ursprünglich für den Besuch der
Rennen von Annandale bestimmt gewesen war. Er hatte seinen eigenen
englischen Kutscher, einen englischen Diener und eine englische
Kammerfrau mitgenommen, die zahlreiche, indische Dienerschaft aber
hatte er vor der Abreise abgelohnt und entlassen.

Der Marsch ging über Kalka, die Endstation der nach Simla führenden
Eisenbahn, ohne jeden Zwischenfall nach Lahore. Hier erfuhr Fürst
Tschadschawadse, daß die russische Armee tags zuvor nach Delhi
aufgebrochen war, und er mußte sich beeilen, ihr mit seinem Detachement
zu folgen.

Während des Eintritts in die Straßen von Lahore, deren Anblick in ihm
so viele trübe Erinnerungen weckte, wurde Heideck plötzlich aus seinen
Träumereien gerissen. Es war ihm, als hätte er hinter den Säulen, die
den Balkon eines Hauses trugen, eine weibliche Gestalt erspäht, die mit
großen Augen dem glänzenden, rasselnden, säbelklappernden Reiterzuge
folgte. Und obwohl ihr Gesicht fast ganz von einem weit herabgezogenen
Kopftuche verhüllt gewesen war, hatte ihn bei ihrem Anblick die halb
instinktive Empfindung durchzuckt, daß dies Weib keine andere, als
seine und Ediths Retterin, der Page Georgij, sei. Er hatte sein Pferd
gewandt und war auf das Haus zugeritten. Aber die Erscheinung war bei
seiner Annäherung verschwunden, wie wenn die Erde sie verschlungen
hätte. Und so mußte er wohl annehmen, daß es nur eine Täuschung seiner
Sinne war.

Seine Verabschiedung von dem Fürsten Tschadschawadse war so herzlich,
wie es ihrem bisherigen Verhältnis entsprach. Der Fürst umarmte
ihn wiederholt, und in seinen Augen schimmerte es feucht, als er
dem Kameraden noch einmal glückliche Reise und die Lorbeeren des
siegreichen Kriegers wünschte.

Auch Heideck schämte sich seiner Bewegung nicht, als er dem Fürsten zum
letzten Mal die Hand drückte.

„Wenn Sie Ihren Pagen wiedersehen, so bitte ich Sie, auch ihm meine und
Mrs. Irwins Abschiedsgrüße zu übermitteln.“

Ueber das Antlitz des Fürsten legte sich ein düsterer Schatten.

„Ich täte es wahrlich von Herzen gern, mein Freund! Aber ich werde
meinen Pagen niemals wiedersehen! Schweigen wir von ihm! Es gibt
Wunden, deren man sich nicht rühmen darf.“ --

Damit gingen sie auseinander.

Heideck, der wieder seine Zivilkleidung angelegt hatte, verbrachte
die Nacht im Hotel und nahm dann den ihm von Mr. Kennedy angebotenen
Platz in dessen Wagen ein. Er hatte in Erfahrung gebracht, daß die
Eisenbahn zwischen Lahore und Mooltan von der Station Montgomery aus
fahrbar wäre. Mit der ihnen eigenen Zähigkeit setzten die Engländer
in dem von dem Kriege nicht berührten Teile Indiens den regelmäßigen
Eisenbahnbetrieb fort. War doch bei der ungeheuren Größe des Landes
der Kampf der beiden Armeen in gewisser Hinsicht ein eng begrenzter.
Im Westen Indiens, im Zentrum wie im Osten war vom Kriege kaum etwas
wahrzunehmen. Nur die Truppentransporte auf den Bahnlinien zwischen
Bombay und Kalkutta verrieten den Kriegszustand.

Die Eisenbahn im Westen sah keine Truppen mehr, seitdem die englische
Armee von Lahore zurückgegangen war, und diese Strecke war deshalb für
den gewöhnlichen Verkehr wieder vollständig freigegeben.

Auch bei der indischen Bevölkerung dieser Gegend war durchaus nichts
von einer besonderen Erregung wahrzunehmen. Nur die unmittelbare
Gegenwart der russischen Truppen hatte das geduldige und friedfertige
Volk in Aufruhr versetzt. Selbst durch Chanidigot fuhren die Reisenden
ohne eine Störung des Betriebes oder einen unerwarteten Aufenthalt.

Das Wetter war nicht zu heiß, da die Zeit der Gewitter begonnen hatte,
und das Reisen in den höchst bequemen, geräumigen Eisenbahnwagen wäre
unter anderen Verhältnissen ein wahres Vergnügen gewesen.

Wohlbehalten langten die Reisenden in Carachi, dem Hafenplatz an den
vielverzweigten Mündungen des Indus, an, und Mr. Kennedys hohe Stellung
verschaffte ihnen Aufnahme in dem vornehmen Sind-Klub, wo Verpflegung
und Wohnung nicht das geringste zu wünschen übrig ließen. Der Klub war
von seinen regelmäßigen Besuchern fast ganz verlassen, da außer den
Offizieren auch alle irgend entbehrlichen Beamten zur Armee abgegangen
waren. Der Familie Kennedy aber stand ebensowenig wie Edith und Heideck
der Sinn nach interessanter Gesellschaft. Sie alle hatten jetzt keinen
anderen Wunsch mehr, als den, das Land so schnell als möglich zu
verlassen und den gegenwärtigen, peinlichen Zustand beendet zu sehen.
Auf Grund der bei der Schiffsagentur eingezogenen Erkundigungen hatten
sie beschlossen, mit einem Dampfer der British-India-Gesellschaft nach
Bombay zu fahren und von dort mit der ‚Caledonia‘, dem besten Schiffe
der Peninsular- und Oriental-Linie, nach Europa zu reisen.

Am Nachmittag vor der Einschiffung mietete Heideck einen bequemen
kleinen Einspänner und fuhr mit Edith zur Napier-Mole, wo man ihnen im
Bootshause des Sind-Klub bereitwillig ein mit vier Laskaris bemanntes,
elegantes Segelboot zur Verfügung stellte. Mit ihm fuhren sie in dem
durch drei mächtige Forts geschützten Hafen bis über Manora Point, die
äußerste Spitze der befestigten Mole, in die arabische See hinaus ....

„Wahrlich, es ist schwer, dies wunderbare Land zu verlassen,“ sagte
Heideck ernst. „Es ist schwer, für immer Abschied zu nehmen von dieser
strahlenden Sonne, diesem Glanz des Meeres, diesen mächtigen Werken der
Menschenhand, die in ein natürliches Paradies den Luxus und das Behagen
einer raffinierten Kultur gebracht haben. Nie habe ich den Schmerz
des Mr. Kennedy besser verstanden, als in diesem Augenblick! Und ich
kann ihm die Bitterkeit nachfühlen, mit der er sich in seinem Zimmer
verschließt, um nichts mehr von all dieser lockenden und prangenden
Herrlichkeit zu sehen.“

Edith hatte sich in seinen Arm geschmiegt, und indem sie ihren Blick
liebevoll zu ihm aufschlug, hatte sie keine andere Erwiderung als die:

„Ich sehe die Welt nur, wie sie sich in deinen Augen spiegelt. Und da
ist sie für mich immer von derselben Schönheit.“



[Illustration]



XXII.


Das von Carachi nach Bombay gehende Dampfschiff hatte gegen zwanzig
Offiziere und eine größere Anzahl von Unteroffizieren und Mannschaften
an Bord, die in den ersten Kämpfen an der Grenze verwundet worden
waren. Ihr Anblick war nicht danach angetan, die düstere Stimmung
der englischen Reisenden zu verbessern, trotzdem diese drei Tage
lang bei herrlichstem Wetter in der strahlend blauen See an der mit
Naturschönheiten so überreich ausgestatteten indischen Westküste
dahinfuhren.

Der Hafen von Bombay, einer der schönsten der Welt, bot denjenigen,
die ihn von früheren Besuchen her kannten, einen seltsam veränderten
Anblick. Die sonst stets in beträchtlicher Anzahl hier vor Anker
liegenden französischen, deutschen und russischen Handelsschiffe
fehlten vollständig, und außer englischen Dampfern waren nur einige
wenige italienische und österreichische Fahrzeuge auf der Reede.

Der Dampfer von Carachi warf unweit des österreichischen Lloyddampfers
‚Imperatrix‘, der von Triest gekommen war, die Anker aus, und mittels
kleiner Schiffe wurden die Passagiere nach dem Landungsplatze von
Apollo Bandar gebracht.

Zugleich mit seinen neuen englischen Freunden stieg Heideck im
Esplanade-Hotel ab. Das vortrefflich geleitete Haus war ihm
wohlbekannt, denn er hatte bei seiner Ankunft in Indien einige Tage
hier gewohnt. Aber die Physiognomie des Hotels hatte sich inzwischen
ebenso vollständig geändert, wie die des europäischen Viertels von
Bombay, aus welchem alles Leben verschwunden schien. Das verheerende
Auftreten der Pest mochte daran einen nicht geringen Anteil haben, in
der Hauptsache aber war es natürlich der Krieg, der sich in dem Fehlen
zahlreicher sonst am meisten in die Augen fallender Elemente bemerklich
machte.

Sonst ein Sammelpunkt der eleganten Gesellschaft, beherbergte das Haus
jetzt fast nur Militärs, die wenigen anwesenden Damen aber erschienen
nur in Trauer-Toiletten, und die gemeinsamen Mahlzeiten pflegten unter
gedrücktem Schweigen zu verlaufen.

Mr. Kennedy, der sich unmittelbar nach der Ankunft in Heidecks
Interesse zum Gouverneur begeben hatte, war mit guten Nachrichten
zurückgekehrt. Er hatte dem jungen Deutschen die Erlaubnis ausgewirkt,
Indien auf der ‚Caledonia‘ zu verlassen, die in zwei Tagen mit einer
größeren Anzahl verwundeter und kranker Offiziere abgehen sollte.
Die Route des Dampfers ging wie gewöhnlich über Aden und Port Said.
In Brindisi sollten diejenigen Passagiere abgesetzt werden, die mit
der Eisenbahn weiter reisen wollten, während der Bestimmungshafen der
‚Caledonia‘ Southampton war.

„Wir werden also bis Brindisi das Vergnügen Ihrer Gesellschaft haben,“
sagte Mr. Kennedy gegen Heideck gewendet. Dieser hatte durch eine
Verbeugung zu erkennen gegeben, daß der alte Herr seine Absichten
vollkommen richtig beurteilte.

Ueber Ediths Gesicht freilich war es wie ein Ausdruck heftigen
Erschreckens gegangen, als der Widerspruch, den sie mit Sicherheit
erwartet haben mochte, nicht erfolgt war. Sie hatte sich erhoben, um
auf ihr Zimmer zu gehen, aber im Vorüberstreifen hatte sie Gelegenheit
gefunden, dem Geliebten zuzuflüstern:

„Heute Abend auf dem Balkon! Ich muß dich sprechen.“

Nach dem Diner saßen Heideck und Mr. Kennedy rauchend auf der Terrasse
vor dem Speisesaal des Hotels. Ein lauer Seewind rauschte in den
Banianen, die ihr dichtes, glänzendes Laubdach unmittelbar vor ihnen
wölbten. Noch einmal sprach Heideck dem alten Herrn herzlichen Dank für
seine liebenswürdigen Bemühungen aus.

„Ich habe damit doch nur in sehr bescheidenem Maße vergolten, was
Sie für uns getan,“ erwiderte Mr. Kennedy. „Uebrigens hatte es gar
keine Schwierigkeiten. Ich habe dem Gouverneur gesagt, daß Sie ein
Deutscher und ein Freund meiner Familie seien, der einer englischen
Dame und mir selbst die wertvollsten Dienste erwiesen habe. Ihren
militärischen Charakter aber glaubte ich allerdings mit gutem Gewissen
verschweigen zu dürfen, denn aus ihm hätten sich doch leicht allerlei
Schwierigkeiten ergeben können. Ich für meine Person mache mir bei
allem Patriotismus keinen allzu großen Vorwurf aus diesem Verschweigen.
Denn welche militärischen Geheimnisse könnten Sie in Berlin verraten?
Unsere Mißerfolge liegen vor aller Augen klar erkennbar da. Und alle
Zeitungen sind mit Nachrichten und Vermutungen angefüllt.“

„Allerdings. Der eigentliche Zweck meiner Reise ist durch die
Ereignisse überholt und gegenstandslos geworden.“

„Dieser Zweck war -- um es ohne Beschönigung zu sagen -- Spionage.
Nicht wahr, Mr. Heideck?“

„Spionage in demselben Sinne, wie die Entsendung von Botschaftern,
bevollmächtigten Ministern und Militär- oder Marine-Attachés Spionage
ist,“ entgegnete Heideck sichtlich verdrossen.

„O, ich finde da doch einen kleinen Unterschied. Alle diese Herren
nennen von vornherein ihren Namen wie ihr Amt, und sie werden in ihrer
diplomatischen Eigenschaft ausdrücklich beglaubigt.“

„Es liegt mir fern, Mr. Kennedy, mich Ihnen gegenüber zu rechtfertigen,
denn ich habe nicht den geringsten Anlaß, mich meiner Mission zu
schämen. Jede Armeeleitung muß über die militärischen Zustände der
anderen Mächte unterrichtet sein, auch wenn kein bestimmter Krieg
erwartet oder geplant wird. Um für alle Eventualitäten gerüstet zu
sein, muß man die Kräfte und Hülfsquellen der anderen Mächte kennen,
gleichviel, ob sie im Kriegsfalle als Gegner oder als Bundesgenossen in
Betracht kämen.“

Mr. Kennedy antwortete scheinbar erbittert:

„Es scheint fast, als ob wir Engländer diese Vorsicht gröblich
vernachlässigt hätten. Die Russen würden uns schwerlich überrumpelt
haben, wenn wir verstanden hätten, mit deutscher Klugheit zu rechnen.“

„Nun, ich glaube kaum, daß man von englischer Seite wesentlich anders
verfahren ist als von der unsrigen. Ihre Regierung dürfte ebenso
wie die deutsche überallhin Offiziere entsandt haben, um sich zu
unterrichten. Wie der Generalstab in Berlin Nachrichten über alle
fremden Heere, Festungen und Grenzen sammelt, geschieht es ohne
Zweifel auch in London. Es ist das übrigens ein rein theoretisches
Verfahren, ebenso wie die Aufstellung von Kriegsplänen für alle Fälle.
In Wirklichkeit pflegt es dann immer wesentlich anders zu kommen. Der
gegenwärtige Krieg liefert dafür ja den besten Beweis. Ich bin hierher
entsandt worden, um die anglo-indische Armee und die russisch-indischen
Grenzverhältnisse zu studieren, ohne daß wir einen nahe bevorstehenden
Krieg ahnten und ohne daß wir etwa geplant hätten, Indien anzugreifen.
Das Unsinnige einer solchen Idee läge ja auch auf der Hand. Wenn Sie
mich übrigens für einen Spion halten, Mr. Kennedy, so bitte ich Sie
dringend, keinerlei Rücksicht zu nehmen und dem Gouverneur meinen
wahren Charakter zu nennen. Ich bin jederzeit bereit, mich vor den
englischen Behörden zu verantworten.“

Mr. Kennedy streckte ihm seine Hand entgegen.

„Sie haben mich mißverstanden, mein lieber Mr. Heideck! Ihre
persönliche Ehrenhaftigkeit ist für mich so hoch über jedem Zweifel
erhaben, daß es mir nicht einen Augenblick in den Sinn kommen konnte,
Sie auf eine Stufe zu stellen mit jenen Spionen, denen man den Prozeß
macht, wenn man sie erwischt.“

In diesem Augenblick kam einer der weißgekleideten, barfüßigen Kellner
gelaufen und schrie in den Saal hinein:

„Großer Sieg bei Delhi! Die russische Armee vollständig geschlagen!“

Und triumphierend schwenkte er ein bedrucktes Papier in seiner Rechten.

Mr. Kennedy fuhr in die Höhe, riß dem Burschen das Blatt aus der Hand
und las die von der ‚Bombay-Gazette‘ ausgegebene Nachricht.

„Wahrhaftig, es ist so!“ rief er mit freudestrahlendem Gesicht. „Ein
Sieg! Ein großer, entscheidender Sieg! Dem Himmel sei Dank -- das
Kriegsglück hat sich gewendet.“

Er beschenkte den Ueberbringer der Freudenbotschaft mit einem Goldstück
und eilte, den Damen die große Neuigkeit mitzuteilen. Heideck aber
blieb nachdenklich zurück. Im Hotel wurde es bald lebhaft. Die
Engländer liefen hin und her und riefen einander den Inhalt der
Depesche zu. Allmählich machte sich auch in den Straßen eine wachsende
Erregung bemerkbar. In dem sogenannten Fort, dem europäischen Teile
von Bombay, wurden Fackeln angezündet und Freudenschüsse abgefeuert.
Heideck nahm einen der vor dem Hotel haltenden Einspänner und befahl
dem Kutscher durch die Stadt zu fahren. Hier konnte er wahrnehmen, daß
der Jubel sich durchaus auf das Fort beschränkte. Sobald der Wagen
die eigentliche Stadt erreichte, bot sich ihm das gewohnte Bild, das
er schon von seinem ersten Aufenthalt her kannte und das ganz und gar
nichts von dem Eintritt außerordentlicher Ereignisse erkennen oder
vermuten ließ. In den engen Gassen herrschte trotz der vorgerückten
Stunde ein geschäftiges Treiben. Alle Häuser waren erleuchtet und alle
Türen geöffnet, so daß man in das Innere der primitiven Wohnungen
blicken, die Handwerker bei ihrer Arbeit, die Händler bei ihren
Geschäften und die Hausfrauen bei ihren oft sehr intimen häuslichen
Verrichtungen beobachten konnte. Um den Krieg kümmerte man sich hier
augenscheinlich ebenso wenig wie um die schreckliche Würgerin der
indischen Bevölkerung, die Pest, und die Siegesdepesche, die doch ohne
Zweifel auch in der Eingeborenenstadt bekannt geworden war, hatte
offenbar nicht den geringsten Eindruck gemacht.

Gegen elf Uhr kehrte Heideck in das Hotel zurück, wo er die Familie
Kennedy mit Edith noch in eifriger Unterhaltung auf der Terrasse
antraf. Der alte Herr schien plötzlich um ein Jahrzehnt verjüngt.

„Natürlich werden wir jetzt nicht abreisen,“ erklärte er. „Sobald die
Russen den Norden wieder geräumt haben, kehren wir nach Simla zurück.“

Heideck sagte nichts dazu, und als bereite ihm die so offen
kundgegebene Herzensfreude der Engländer eine peinliche Empfindung,
verabschiedete er sich sehr bald, um in sein Zimmer hinaufzugehen, das
ebenso wie dasjenige Ediths im zweiten Stockwerk gelegen war.

Nach der Sitte des Landes hatten sämtliche Räume Türen nach dem breiten
Balkon, der das ganze Stockwerk als Außengalerie umgab. Und da ihm ein
Blick Ediths wiederholt hatte, daß er sie dort erwarten möge, trat
Heideck auf diese Galerie hinaus. Seine Geduld wurde nicht allzu hart
auf die Probe gestellt. Auch sie mußte bald Gelegenheit gefunden haben,
sich aus der Gesellschaft der Kennedys loszumachen, denn früher noch
als er gehofft hatte, sah er ihre weiße Gestalt auf sich zukommen.

„Ich danke dir, daß du mich erwartet hast,“ sagte sie, „aber wir können
hier nicht bleiben, da wir keinen Augenblick vor Ueberraschung sicher
wären. Laß uns lieber in mein Zimmer gehen.“

Heideck folgte ihr zögernd. Aber er wußte, daß Edith es als eine
Beleidigung empfinden würde, wenn er gegen ihre Aufforderung ein
Bedenken äußern würde, denn im felsenfesten Vertrauen auf seine
ritterliche Ehrenhaftigkeit schien sie in der Tat keine Besorgnis zu
kennen. Nur der schwache Schein des Mondes erfüllte das Gemach mit
einer matten Helligkeit. Vom Turme der nahen Universität schlug es
zwölf.

„Das Schicksal treibt ein sonderbares Spiel mit uns,“ sagte Edith, die
sich in einen der kleinen Korbsessel niedergelassen hatte, während
Heideck in der Nähe der Tür stehen geblieben war, „ich gestehe dir,
daß ich seit dem Eintreffen der Siegesnachricht ein paar fürchterliche
Stunden verlebt habe, denn die Kennedys haben ja auf diese Nachricht
hin ihre Reiseabsichten aufgegeben, und sie scheinen es für ganz
selbstverständlich zu halten, daß ich mit ihnen hier in Indien bleibe.“

„Und würdest du nicht in der Tat vorerst dazu gezwungen sein, liebste
Edith?“

„Auch du also hast bereits mit dieser Möglichkeit gerechnet? Du würdest
dich nicht besinnen, ohne mich zu reisen? Vielleicht sogar mit einem
Gefühl der Erleichterung, von mir befreit zu sein?“

„Wie kannst du solche Gedanken aussprechen, Edith, an die du selbst
doch wohl nimmermehr glauben kannst?“

„O, wer weiß! Du bist ehrgeizig, und wir armen Frauen sind niemals
übler daran, als mit ehrgeizigen Männern.“

„Aber es ist wahrscheinlich überflüssig, daß wir uns jetzt mit der
Erörterung solcher Möglichkeiten quälen. Ich habe bis jetzt noch
nicht einen Augenblick an den Eintritt einer Aenderung in unseren
Reisedispositionen geglaubt.“

„Das heißt, du zweifelst an der Zuverlässigkeit der Siegesnachricht?“

„Ehrlich gesprochen: ja. Ich habe den alten Herrn nicht kränken und
ihm die kurze Freude nicht verderben wollen. Darum habe ich ihm
gegenüber meinem Mißtrauen nicht Ausdruck gegeben. Aber die Depesche
macht in Wahrheit einen sehr wenig glaubwürdigen Eindruck. Enthält
sie doch nicht einmal eine genauere Angabe des Ortes, wo die Schlacht
stattgefunden haben soll. Sie muß einem unbefangenen Beurteiler zum
mindesten sehr verdächtig vorkommen.“

„Und wer sollte sich das traurige Vergnügen bereitet haben, die Welt
für eine kurze Zeitspanne auf solche Art zu täuschen?“

„O, es gibt viele, die ein Interesse daran haben würden. Während jedes
Krieges flattern hier und da solche falschen Nachrichten auf, ohne
daß sich in den meisten Fällen feststellen läßt, woher sie kamen.
Vielleicht ist es ein Börsenmanöver.“

„Du hältst es also für ganz unmöglich, daß wir die Russen besiegen
können?“

„Nicht gerade für unmöglich, aber doch für sehr unwahrscheinlich.
Wenigstens bei der augenblicklichen Kriegslage. Und dann ist es das
Ausbleiben aller genaueren Nachrichten, das mich stutzig macht. Ein
siegreicher Feldherr findet immer Zeit zur Mitteilung von Einzelheiten,
mit denen der Besiegte gern auf sich warten läßt. Ich bin überzeugt,
daß der hinkende Bote sehr bald nachkommen und hinsichtlich unserer
Reisepläne alles beim Alten bleiben wird.“

Edith schwieg. Ihr Vertrauen zu Heideck war so unbegrenzt, daß seine
Worte sie vollständig überzeugt hatten. Aber sie hatten ihr die freudig
zuversichtliche Stimmung der letzten Tage dennoch nicht wiederzugeben
vermocht.

„Es wird alles beim Alten bleiben?“ sagte sie endlich. „Das heißt, du
wirst uns in Brindisi verlassen?“

„Allerdings. Es gibt ja für mich keinen anderen Weg, um zur Armee zu
gelangen.“

„Und wenn du nun überhaupt darauf verzichtest, zur Armee
zurückzukehren? Hast du denn noch gar nicht daran gedacht, daß wir
unser künftiges Glück recht wohl auf einer anderen Grundlage aufbauen
könnten?“

Verwundert sah Heideck sie an.

„Nein, liebste Edith, daran habe ich in der Tat noch nicht gedacht,
denn es wäre ein sehr überflüssiger und törichter Gedanke gewesen,
solange mir durch Pflicht und Ehre auf das Bestimmteste vorgeschrieben
ist, was ich zu tun habe.“

„Pflicht und Ehre! Natürlich, ich konnte mir wohl denken, daß du
sogleich wieder mit großen Worten bei der Hand sein würdest. Es ist
so bequem, sich hinter einen solchen unangreifbaren Schutzwall
zurückziehen zu dürfen, wenn damit zugleich den eigenen Wünschen Genüge
geschieht!“

„Edith! Wie ungerecht haben dich doch die traurigen Erlebnisse der
jüngsten Vergangenheit gemacht! Bei ruhiger Ueberlegung wirst du selbst
einsehen, daß meine persönlichen Wünsche und die Sehnsucht meines
Herzens hier gar nicht in Frage kommen. Und ich verstehe nicht einmal,
was ich deiner Meinung nach denn eigentlich tun sollte.“

„O, es gäbe mehr als eine Möglichkeit, die uns den Schmerz einer
Trennung ersparen würde. Aber ich will dir nur die nächstliegende
nennen. Könnten wir nicht sehr wohl zusammen in Indien bleiben? Wenn
es die Vermögensfrage ist, die dir Bedenken verursacht, so kann ich
dich darüber leicht beruhigen. Ich habe Geld genug für uns beide,
und was mir gehört, das ist auch dein. Wenn wir uns hier in eine
Gegend zurückziehen, in die der Krieg nicht kommen kann -- in eine
Hill-Station, nach Poona oder Mahabaleshwar, so wird niemand dich mit
Fragen behelligen oder gar daran denken, dich zu verfolgen. Und es wird
Gott wohlgefälliger sein, wenn du dort ganz deiner Liebe lebst, als
wenn du deine Brüder tötest.“

Trotz der Ernsthaftigkeit, mit der sie sprach, konnte Heideck sich
nicht enthalten, ihr lächelnd zu entgegnen:

„Wie wunderlich sich doch zuweilen in so einem hübschen Frauenköpfchen
die Welt und die Verhältnisse malen. Es ist wahrhaftig ein Glück,
daß wir nüchterne Männer unsern Verstand nicht ganz so leicht mit
dem Herzen durchgehen lassen. Wir würden sonst schlimm genug daran
sein, denn ihr selbst wäret sicherlich die ersten, die sich mit
Geringschätzung von uns abwenden würden, sobald wir uns das Glück eurer
Liebe um jeden Preis, selbst um den eurer und der eigenen Achtung,
erkaufen wollten.“

Edith Irwin gab es auf, ihm zu widersprechen. Mit schwermütiger Miene
blickte sie lange schweigend in die mondhelle indische Nacht hinaus.
Und dann, als Heideck auf sie zutrat, um sich mit einem zärtlichen
Wort zu verabschieden, sagte sie in einem Ton, der ihm ganz seltsam zu
Herzen ging:

„Ob wir uns nun verstehen oder nicht -- in einem wenigstens sollst du
dich keiner Täuschung hingeben: Wohin du auch immer gehen magst -- in
ein Paradies des Friedens oder die Hölle des Krieges -- ich werde dich
nicht verlassen.“

Sie warf sich mit leidenschaftlichem Ungestüm an seine Brust und preßte
ihre heißen Lippen auf seinen Mund. Dann aber, als fürchte sie sich vor
ihres eigenen Herzens Gluten, drängte sie ihn mit sanfter Gewalt zur
Tür.



[Illustration]



XXIII.


Auf die Siegesbotschaft folgte, wie Heideck vorausgesehen hatte, eine
für die Engländer niederschmetternde Nachricht. Am folgenden Tage,
sehr spät, nachdem Bombay den Morgen und Mittag hindurch vergebens auf
eine Bestätigung der Depesche von gestern und auf nähere Einzelheiten
gewartet hatte, und die Stimmung bereits eine recht gedrückte
geworden war, veröffentlichte der Gouverneur folgende Depesche des
Höchstkommandierenden:

  ‚Als am gestrigen Tage größere Truppenmassen des Feindes nördlich
  von Delhi gemeldet wurden, nahm die Armee eine für die Defensive
  günstige Stellung ein, und es kam zu einem für die britischen Waffen
  ehrenvollen Kampfe. Die Russen erlitten ungeheure Verluste. Bei
  Einbruch der Dunkelheit, die eine weitere Verfolgung der errungenen
  Vorteile nicht gestattete, beorderte ich das Gros der Armee zu einem
  strategisch wertvollen Marsche auf Lucknow, der sich größtenteils
  auf der Eisenbahn vollzog. Die Brigade Simpson ist zur Verteidigung
  Delhis zurückgeblieben. Die schweren Geschütze der Sha-Bastion und
  der Bastion von Kalkutta-Gate und North-Gate sind in erfolgreiche
  Tätigkeit getreten. Alle Truppenteile haben sich ausgezeichnet
  benommen und verdienen das höchste Lob. Die Brücke über den Jumna ist
  intakt und vermittelt den direkten Verkehr mit General Simpson.‘

Mr. Kennedy saß nachdenklich über dieser Depesche, als Heideck zu ihm
trat.

„Also eine entscheidende Niederlage, nicht wahr, Mr. Heideck?“ sagte
er. „Sie als Militär können ja noch mehr zwischen den Zeilen lesen
als ich. Ich kenne doch Delhi. Wenn die Batterien an der Jumnabrücke
feuern, so müssen die Russen im Begriff sein, sich dieses Uebergangs zu
bemächtigen. Die North-Gate-Bastion ist ja der Brückenkopf.“

Heideck mußte ihm recht geben; aber er hatte noch mehr aus der Depesche
gelesen und erblickte die schlimmsten Anzeichen in dem Rückzuge des
Generals auf Lucknow.

Weitere Depeschen vom Kriegsschauplatze wurden im Laufe des Tages nicht
veröffentlicht, weil der Gouverneur der Bevölkerung verheimlichen
wollte, wie traurig die Verhältnisse lagen. Mr. Kennedy aber, der im
Gouvernementsgebäude gewesen war, erfuhr mehr. Er erzählte Heideck, daß
die englische Armee in voller Auflösung geflohen wäre und 8000 Mann an
Toten und Verwundeten, 20 Geschütze nebst vielen Fahnen und Standarten
verloren hätte. Die Regierung gäbe Delhi bereits auf, denn General
Simpson könne die Stadt nicht halten.

„Indien ist uns verloren,“ schloß Mr. Kennedy in tiefem Schmerz. „Jetzt
habe ich auch meine letzte Hoffnung begraben.“ -- -- --

       *       *       *       *       *

Die ‚Caledonia‘ hatte im Victoria-Dock, einem Teil der großartigen
Hafenanlagen auf der Ostküste der Halbinsel, festgelegt, und die
Reisenden begaben sich inmitten eines dichten Menschengewühls an Bord.
Viele verwundete und kranke Offiziere und Soldaten sollten auf dem
schnellen Dampfer nach England zurückbefördert werden und nahmen die
sonst für die Passagiere bestimmten Plätze ein. Von Reisenden, die in
Geschäften oder zum Vergnügen nach Europa fuhren, war nichts zu sehen.
Alle Frauen, die an Bord kamen, gehörten Militärfamilien an. Die
allgemeine Stimmung war sehr trübe.

Heideck hatte vor der Einschiffung seinen treuen Diener entlassen. Wohl
hatte Morar Gopal mit Tränen in den Augen gebeten, ihn mitzunehmen,
aber Heideck mußte fürchten, daß der arme Kerl am europäischen Klima
zu Grunde gehen würde. Und beim Eintritt in die Armee hätte er sich
ja doch von ihm trennen müssen. So schenkte er ihm hundert Rupien und
machte ihn dadurch zum reichen Mann.

Langsam bewegte sich der große Dampfer aus dem Hafenbassin, vorbei
an englischen Handelsfahrzeugen und den weißen Kriegsschiffen, die
Soldaten und Kriegsmaterial hergeführt hatten.

Heideck sah, als die ‚Caledonia‘ nun in schnellerer Fahrt den
Außenhafen durchschnitt, wohl zwanzig Kriegsschiffe, darunter mehrere
große Panzer, auf der Reede. Von zwei Transportdampfern, deren Verdeck
von Waffen glänzte, wurden englische Truppen, die von Malta kamen, in
Booten gelandet.

Dann ging es immer schneller auf die hohe See hinaus. Die Stadt mit
ihren Leuchttürmen verschwand in der Ferne, die blauen Berge des
Festlandes und der Insel lösten sich in verschwimmenden Nebel auf. Eine
lange, weißschimmernde Furche folgte dem Dampfer.

Die Fahrt war wundervoll für jeden, den nicht schwere Sorgen
unempfindlich machten für die Erhabenheit der Natur. Heideck, der
glücklich war, sich endlich auf dem Heimwege zu befinden, genoß in
vollem Maße die Schönheit des Meeres und des Himmels. Die bangen
Zweifel, die ihn zuweilen wegen Ediths und seiner eigenen Zukunft
überkamen, wurden unterdrückt durch den Reiz ihrer Gegenwart. Wohl
hielten die Stürme ihres Charakters ihn beständig in unruhiger
Bewegung, aber er liebte Edith, die seit jener Stunde, da sie ihm
erklärt hatte, daß sie ihn niemals verlassen würde, ganz Hingebung und
Zärtlichkeit war, als wäre sie von einer beständigen Furcht gequält,
daß er sie dennoch eines Tages von sich stoßen könnte.

So saßen sie wieder einmal auf dem Promenadendeck beieinander. In
azurblauen Wogen rauschte das Meer um die Planken des Schiffes. Ein
wunderbares Flimmern und Leuchten ging von der unabsehbaren Fläche aus.
Die ganze Welt schien in Licht gebadet; aber das doppelte Sonnendach
über den Häuptern des jungen Paares wehrte der Glut der Sonne, und ein
erfrischender Lufthauch strich unter ihm dahin.

„Du würdest also in Brindisi mit mir an Land gehen?“ fragte Heideck.

„In Brindisi oder schon in Aden oder in Port Said -- wo du willst.“

„Ich denke, Brindisi wird der geeignetste Platz sein. Dann fahren wir
zusammen nach Berlin.“

Edith nickte zustimmend.

„Aber ich weiß nicht, wie lange ich in Berlin bleibe,“ fuhr Heideck
fort. „Ich hoffe, man schickt mich nicht sofort wieder zur Armee.“

„Dann gehe ich mit dir, wohin es auch sei,“ sagte sie so ruhig, als ob
es sich um etwas ganz Selbstverständliches handle.

„Das ist wohl nicht gut möglich,“ erwiderte er lächelnd. „Bei uns führt
man Krieg ohne Frauen.“

„Und ich werde doch mit dir gehen.“

Heideck sah sie verwundert an. „Aber begreifst du denn nicht, mein
Lieb, daß es etwas ganz Neues sein würde und Aufsehen erregen müßte,
wenn ein deutscher Offizier mit seiner Braut ins Feld zöge?“

„Ich fürchte das Urteil der Menschen nicht. Ich kümmere mich ja auch
nicht darum, was die Kennedys sagen werden, wenn ich in Brindisi das
Schiff verlasse und mit dir gehe. Es wird ja ein schlimmer Sturz für
mich werden; denn die Kennedys würden mich von Stund an als eine
Verlorene ansehen. Aber ich mache mir nichts daraus. Ich bin längst von
der Torheit geheilt, daß man sein Glück opfern müsse, nur dem Gerede
der Welt zuliebe.“

Er nahm natürlich ihre Absicht, ihn ins Feld zu begleiten, trotzdem
nicht ernst und benutzte die Gelegenheit, ihr einen Vorschlag zu
machen, den er bei sich selber schon reiflich erwogen hatte.

„Ich würde es für das Beste halten, liebe Edith, wenn du zu meinem
Onkel nach Hamburg gingest und dort das Ende des Krieges abwartest.
Dann -- sofern mir der Himmel das Leben gelassen, -- steht unserer
Vereinigung nichts mehr entgegen.“

Sie antwortete nicht, und Heideck, der ihr Zeit lassen wollte, mit
sich zu Rate zu gehen, beeilte sich, das Gespräch von diesem Thema
abzulenken.

„Sieh, wie schön das ist!“ sagte er, auf das Wasser deutend.

Eine lange Reihe weiß aufschäumender Wellen zog sich jetzt zu beiden
Seiten des Schiffes hin, so daß es aussah, als durchschnitte der Kiel
eine Menge kleiner Klippen, über die das Meer hinwegbrandete. Aber
bei näherer Beobachtung ließ sich erkennen, daß es keine Klippen
waren, sondern unzählige große Fische, die wie in langer Schlachtreihe
einherzogen und das Schiff begleiteten. In großen Sprüngen schnellten
sie aus dem Wasser empor, so daß man die hellen Leiber in der Luft
glitzern sah.

„Ich möchte wohl einer von diesen Delphinen sein,“ sagte Edith. „Sieh,
wie frei und lustig ihr Dasein ist.“

„Du glaubst ja an die Seelenwanderung,“ scherzte Heideck, „vielleicht
bist du einmal ein solcher Delphin gewesen.“

„Dann habe ich sicherlich keinen vorteilhaften Tausch gemacht. Mit
unserer höheren geistigen Entwicklung verlieren wir unzweifelhaft den
rechten Genuß des natürlichen Daseins. Die Schmerzen aber, an denen das
menschliche Leben so viel reicher ist, als an Freuden, lernen wir um so
tiefer empfinden.“ --

       *       *       *       *       *

Die Fahrt durch den indischen Ozean währte sechs Tage, und Heideck
hatte oft Gelegenheit, die Ansicht der englischen Offiziere und Beamten
über die politische Lage zu hören. Alle klagten sie die Unfähigkeit der
Regierung an, die England in eine so gefährliche Situation gebracht
hatte.

„Die guten alten Grundsätze der englischen Politik sind aufgegeben
worden,“ sagte eines Tages ein Oberst, der wegen einer schweren
Verwundung nach England zurückkehren mußte. „In früheren Zeiten hat
England seine Eroberungen gemacht, wenn die kontinentalen Mächte in
Kriege verwickelt waren, oder es hat auch selbst in Koalition mit
anderen Mächten Krieg geführt, um seinen Besitz zu erweitern. Nie aber
hat es sich so schimpflich überrumpeln lassen wie jetzt. Frankreich und
Deutschland werden wir natürlich besiegen; denn hier handelt es sich um
die Seemacht. Aber selbst wenn diese beiden Mächte geschlagen worden
sind, bleiben wir doch die Unterliegenden; denn der Verlust Indiens ist
für Englands Gesundheit und Leistungsfähigkeit so schlimm, wie für mich
die Amputation meines linken Beines. Ich kehre als Krüppel nach England
zurück, und auch mein armes Vaterland wird nach dem Verluste Indiens
nur noch ein Krüppel sein.“

„Ja, wahrhaftig,“ sagte Mr. Kennedy, „es wird schwer, ich fürchte,
es wird unmöglich sein, Indien wieder zu erobern. Den Franzosen, den
Holländern, den Portugiesen konnten wir ihre indischen Besitzungen
entreißen, weil sie auch nur durch ihre Seemacht mit Indien in
Verbindung standen, aber die Russen gliedern die Halbinsel an ihr Reich
an und könnten selbst im Falle einer Niederlage immer neue, ungezählte
Scharen dorthin zu Lande marschieren lassen. Ich sehe sie schon auf
Kalkutta, auf Bombay, auf Madras losgehen, die Häfen besetzen, die mit
unserm Gelde gebaut wurden, und in unsern Docks eine Kriegsflotte mit
den Hilfsmitteln Indiens bauen.“

„Es ist den kontinentalen Mächten ja nicht zu verdenken,“ fuhr
der Oberst fort, „wenn sie unsere Niederlagen benutzen, um sich zu
vergrößern. Da ist keine Macht, auf deren Kosten wir nicht groß
geworden wären. Alle unsere Besitzungen haben wir den Spaniern, den
Holländern, den Portugiesen, den Franzosen mit Gewalt der Waffen
entrissen, und Rußland haben wir bekämpft, seitdem es anfing seine
Macht zu entfalten. Wir haben die Türkei unterstützt, wir sind in die
Krim eingefallen und haben Sebastopol zerstört, wir haben die Flotte im
Schwarzen Meer erstickt. Aber jetzt haben wir uns verrechnet. Wir haben
den Japanern erlaubt, Rußland anzugreifen, aber wenn unsere Minister
geglaubt haben, die Japaner würden für jemand anders als sich selbst
kämpfen, so haben sie sich stark verrechnet. Rußland entschädigt sich
bei uns für seine Verluste in Ostasien.“

„Nicht Rußland ist unser schlimmster Feind, Deutschland ist es,“
widersprach Mr. Kennedy. „Rußland ist es erst geworden, seitdem
wir Deutschland so mächtig werden ließen. Ich erinnere mich noch,
wie unsere Minister triumphierten, als Preußen mit Oesterreich und
Frankreich Krieg führte. Denn wieder schien der europäische Kontinent
durch seine innere Zerrissenheit auf lange Zeit hinaus lahmgelegt.
Ein kurzer Triumph! Niemand hatte geahnt, daß Preußen sich so stark
erweisen würde. Und damals zeigten sich die ersten Schwächen unserer
Politik. Nach den ersten deutschen Siegen am Rhein hätte England eine
Allianz mit Frankreich schließen und Preußen den Krieg erklären müssen.
Große politische Umwälzungen erfordern eine lange Zeit, und eine kluge
Regierung muß weit voraussehen. Bismarck hat Englands Niederlage
langsam vorbereitet. Das lag vor dreißig Jahren wie eine Ahnung in
uns, gleich einer drohenden Gewitterwolke zog es herauf, aber unsere
Regierung hatte nicht den Mut, klar zu sehen und ermangelte der rechten
Energie.“

Ein General, der schweigend dagesessen hatte, ergriff das Wort. Er war
aus dem Geniekorps hervorgegangen und jetzt dazu bestimmt, das Kommando
von Gibraltar zu übernehmen.

„Wir sprechen von dem Verluste Indiens,“ sagte er, „aber wer weiß, ob
nicht England selbst eine Invasion im Mutterlande zu befürchten hat!“

„Unmöglich!“ entgegneten alle anwesenden Herren, „niemals werden
Englands Kriegsschiffe sich aus dem Kanal verdrängen lassen.“

„So hoffe auch ich, aber ich weiß nicht, ob die Herren sich noch
erinnern, wie nahe einst die Gefahr war, daß eine napoleonische Armee
Englands Boden betrat.“

„Und wenn sie erschienen wäre, so wäre sie von Britenfäusten
zerschmettert worden!“ rief Mr. Kennedy.

„Vielleicht! Aber warum haben wir niemals zugegeben, daß ein Tunnel
unter dem Kanal von Calais nach Dover gebaut würde? Alle militärischen
Autoritäten, namentlich Wolseley, haben es unter keiner Bedingung
erlauben wollen, daß dem Verkehr und dem Handel dieser bequeme Weg
eröffnet werde. Sie haben es immer für notwendig erklärt, daß England
eine Insel bliebe, die nur übers Meer zu erreichen wäre. Ganz gewiß ist
dies die erste und wichtigste Bedingung für Englands Macht.“

„Nun also,“ sagte Mr. Kennedy. „Da England doch eine Insel ist und wir
stets den Grundsatz aufrecht erhalten haben, unsere Flotte der Seemacht
zweier Seemächte, und zwar der stärksten, überlegen zu erhalten -- wo
wäre da eine Gefahr?“

„Eine Gefahr? Eine Gefahr besteht immer, wenn man Feinde hat,“
erwiderte der General. „Und ich behaupte: es hing zu Anfang des 19.
Jahrhunderts an einem Haar, daß Napoleon herüberkam, und ich glaube
nicht, daß wir diesem großen Gegner gewachsen gewesen wären, wenn er
einmal festen Fuß an unserer Küste gefaßt hätte.“

„Sein Plan war phantastisch und darum unausführbar,“ sagte Mr. Kennedy.

„Sein Plan scheiterte nur daran, daß er zu kompliziert war. Hätte
Napoleon aber telegraphische Verbindungen zur Verfügung gehabt, wie sie
heute bestehen, so wäre sein Plan nicht zu kompliziert gewesen. Mit den
Kabeln von heutzutage hätte er seine Flotten dirigieren können. Wäre
der Admiral Villeneuve nicht nach Kadix, sondern, wie ihm befohlen war,
nach Brest gesegelt, um sich dort mit Admiral Ganteaume zu vereinigen,
so hätte er, an der Spitze von sechsundfünfzig Linienschiffen, den
Uebergang Napoleons von Boulogne nach der englischen Küste decken
können. Nein, meine Herren, denken Sie sich die strategische Lage
Englands nicht als unangreifbar. Ich vertraue so fest wie Sie auf die
Ueberlegenheit unserer Seestreitkräfte, aber zur Zeit des Dampfes und
der Elektrizität ist England nicht mehr so sicher, wie damals, als
die Bewegung der Schiffe vom Winde abhängig war und die Befehle durch
reitende Boten und Signale übermittelt werden mußten.“

„So glauben Sie wirklich, daß Napoleons Plan ausführbar gewesen wäre,
General?“

„Ganz gewiß. Napoleon hatte bei diesem Unternehmen kein Glück. Zunächst
war sein größtes Mißgeschick der Tod des Admirals Latouche-Tréville.
Dieser Mann hätte an Villeneuves Stelle die Flotte wahrscheinlich
richtig geführt. Es war der einzige französische Seeoffizier, der
unserm Nelson hätte entgegentreten können. Aber er starb für Frankreich
zu früh, und sein Nachfolger Villeneuve war ihm geistig nicht
ebenbürtig. Aber es gibt noch besondere Verhältnisse, die heutzutage
günstiger für eine Landung in England sind als zu Napoleons Zeit. Dazu
gehört, abgesehen von Kabel und Dampf, zum Beispiel noch der Umstand,
daß die modernen Transportschiffe ungleich viel mehr Truppen fassen
können, wie damals. Napoleon hatte zweitausendzweihundertdreiundneunzig
Fahrzeuge zum Transport seiner Armee von einhundertfünfzigtausend Mann
und zur Bedeckung der Transportschiffe ausrüsten müssen, verfügte über
eintausendzweihundertvier Kanonenboote und einhundertfünfunddreißig
andere bewaffnete Fahrzeuge, außer den eigentlichen Transportschiffen.
Fast alle seine Fahrzeuge waren so gebaut, daß sie ohne Boote auf
flachem Sandstrande Mannschaften und Pferde mit Geschütz landen
konnten. Sie bedurften also auch der Windstille, um über den Kanal
zu kommen. Etwa zehn Stunden ruhiger See hätten sie nötig gehabt, um
zwischen Dover und Hastings anzukommen. Jetzt aber ist dies anders. Die
großen Dampfer der Schiffsgesellschaften Deutschlands und Frankreichs
stehen zur Verfügung der Marineleitung.“

„Dennoch bleibt alles beim alten,“ sagte Mr. Kennedy. „Der Sieg auf
hoher See gibt den Ausschlag. Keine feindliche Flotte wird sich im
Kanal zeigen können, ohne von der unsrigen zerstört zu werden.“

„Hoffen wir es!“ sprach der General.

Auf der Fahrt nach Aden begegneten der ‚Caledonia‘ nur wenige,
ausschließlich englische Schiffe. Mehrere Transportdampfer mit Truppen
an Bord, passierten auch einige Kriegsschiffe. Ueberholt wurde der
Dampfer von keinem Fahrzeuge, denn er machte durchschnittlich 22
Seemeilen Fahrt in der Stunde. Am Morgen des sechsten Tages erschienen
die rotbraunen Felsen von Aden, und die ‚Caledonia‘ warf auf der Reede
Anker. Eine Menge von kleinen Fahrzeugen schoß heran. Nackte schwarze
Araberknaben schrieen nach Geld und zeigten ihre Taucherkünste, indem
sie Silberstücke, die vom Bord geworfen wurden, auffischten. Da
Kohlen eingenommen werden sollten, gingen die Passagiere, soweit sie
bewegungsfähig waren, in von Arabern geruderten Fahrzeugen an Land.

Heideck schloß sich der Familie Kennedy an.

Als das Boot den tief eingeschnittenen Hafen erreichte, der in mehreren
Biegungen zwischen befestigten Höhen eine sichere Unterkunft für eine
ganze Flotte bot, sah Heideck wohl zwanzig englische Kriegsschiffe,
aber mindestens die dreifache Zahl deutscher und französischer sowie
einige russische Kauffahrer. Es waren Fahrzeuge, die von englischen
Kriegsschiffen erbeutet waren. Auch mehrere Kreuzer der drei mit
England in Fehde befindlichen Mächte lagen hier im Hafen. Sie waren
nach Ausbruch des Krieges im Indischen Ozean von überlegenen englischen
Schiffen genommen worden.

Da der ganze Tag bis zum Abend zur Verfügung stand, nahm Mr. Kennedy
einen Wagen, und Heideck fuhr mit der Familie zur Stadt, die, von der
Reede aus nicht sichtbar, zwischen hohen, spitzen Bergen eingebettet
lag. Die Fahrt ging an einem großen, freien Platze vorüber, auf dem
Tausende von Kamelen und Eseln zum Verkauf standen, und Heideck
konnte nun in der Nähe die mächtigen Festungswerke bewundern, die die
Engländer seit dem 9. Januar 1839, wo sie Aden den Türken abgenommen
hatten, auf der wichtigen, meerbeherrschenden Gebirgsecke Arabiens
erbaut hatten. Auch die merkwürdigen Tanks wurden besichtigt, jene
berühmten Zisternen, die Aden mit Wasser versorgen, etwa fünfzig
Becken, die dreißig Millionen Gallonen Wasser enthalten sollen,
Anlagen, deren Ursprung in das graueste Altertum zurückreicht und den
Persern zugeschrieben wird.

Um sieben Uhr abends waren die Reisenden wieder an Bord und vertieften
sich, während die ‚Caledonia‘ ihre Reise fortsetzte, in die Lektüre
der englischen, französischen und deutschen Zeitungen, die sie in Aden
gekauft hatten. Diese Blätter waren freilich zehn Tage alt, enthielten
aber trotzdem vieles, was den Reisenden neu war.

Im Roten Meere war es sehr heiß, und die Gesellschaft der ersten Kajüte
schlief zum größten Teile nachts auf dem Verdeck, wie sie es schon die
letzten Tage vor Aden getan hatte. Für die Damen ward ein besonderer
Teil des Decks durch ein ausgespanntes Segel abgeteilt.

In Port Said, wo viele englische Kriegsschiffe lagen, wurden wiederum
Kohlen eingenommen; dann ging die Fahrt bei ungünstigem Wetter und
etwas bewegter See in das Mittelländische Meer hinein. Die ‚Caledonia‘
fuhr an der Südküste Kretas hin. Dann nahm der Dampfer den Kurs
nordwestlich auf Brindisi, das am achten Tage nach der Abfahrt von
Aden erreicht werden sollte. In der Frühe des siebenten Tages aber
wurde ein Schiff, von der Nordseite Kretas kommend, bemerkt, dessen
Erscheinen den Kapitän der ‚Caledonia‘ in lebhafte Unruhe versetzte.
Bald teilte sich diese Unruhe auch den Passagieren mit. Alle Fernrohre
und Feldstecher richteten sich nach jenem Fahrzeuge, dessen Kurs den
der ‚Caledonia‘ durchschneiden mußte.

Bald war der Dampfer so nahe gekommen, daß man ihn erkennen konnte.
Es war der kleine französische Kreuzer ‚Forbin‘, und er mußte mit der
‚Caledonia‘ zusammentreffen, wenn diese ihren Kurs fortsetzte.

Der ‚Forbin‘ war ein Kreuzer dritter Klasse; er war nicht so schnell
wie die ‚Caledonia‘, die Offiziere schätzten seine Geschwindigkeit
auf 21 Seemeilen, und wenn es einen Wettlauf gegolten hätte, so wäre
der ‚Forbin‘ unterlegen; aber wenn die ‚Caledonia‘ nach Brindisi
fuhr, mußte sie dem Franzosen begegnen und ihrer Wegnahme gewärtig
sein. Infolgedessen änderte der Kapitän seinen Kurs und fuhr westlich
in der Richtung auf Malta, ohne auf das Signal zum Stoppen und die
nachfolgenden Schüsse zu achten, von denen nur einer durch die Takelage
ging, ohne jedoch nennenswerte Havarie anzurichten.

‚Jetzt ist es Mittag,‘ sagte sich Heideck. ‚Wir sollten morgen in
Brindisi sein. Statt dessen werden wir wohl morgen in La Valetta sein,
wenn nicht etwa der Kapitän wiederum den Kurs ändert und auf die
Schnelligkeit der ‚Caledonia‘ vertraut, um trotz des ‚Forbin‘ Brindisi
zu erreichen.‘

Da erscholl ein Ruf. Der Posten hatte ein Schiff an Backbord voraus
gemeldet.

Aber neben jenem einen tauchten innerhalb der nächsten Minuten noch
weitere zwei Fahrzeuge auf.

Das eine davon war, wie sich nachher herausstellte, der französische
Kreuzer zweiter Klasse ‚Aréthuse‘, die beiden anderen der geschützte
Kreuzer ‚Chanzy‘ und ein Torpedojäger.

Unmöglich konnte die ‚Caledonia‘ an den Franzosen vorbei nach Malta
kommen, denn der Torpedojäger, viel schneller als sie, ging gewiß bei
Volldampf mit 27 Seemeilen Fahrt in der Stunde. So blieb dem Kapitän
nichts anderes übrig; er drehte und fuhr zurück in der Richtung auf
Alexandria.

Während der große Dampfer aber noch seine Drehung machte, wurde schon
an Bord wahrgenommen, daß auch die Franzosen ihn gesehen hatten und auf
ihn Jagd machten.

Inzwischen war auch der ‚Forbin‘ wieder bedeutend näher gekommen und
versuchte die ‚Caledonia‘ abzuschneiden. Infolgedessen ließ der Kapitän
noch weiter südlich steuern.

Heideck stand mit Edith auf dem Promenadendeck und verfolgte die
Bewegung der Schiffe.

„Was könnte uns denn geschehen,“ fragte Edith, „wenn die Franzosen uns
einholten? Sie werden doch nicht auf ein unbewaffnetes Schiff schießen!“

„Gewiß nicht. Aber sie würden uns auffordern, unsere Fahrt zu
unterbrechen, und dann würden sie die ‚Caledonia‘ nach dem nächsten
französischen Hafen bringen.“

„Ist denn dies Seekriegsrecht, und ist das allgemeine Völkerrecht so
unvollkommen, daß ein Passagierdampfer weggenommen werden kann? Die
‚Caledonia‘ führt doch nicht Krieg. Sie bringt Verwundete und harmlose
Reisende nach Hause.“

„Unser Kapitän scheint kein großes Vertrauen zum Seekriegsrecht und
zum Völkerrecht in dieser Beziehung zu haben,“ sagte Heideck. „Und in
der Tat gibt es nichts Ungewisseres, als diese Bestimmungen. Genau
genommen gibt es gar kein Völkerrecht, sondern der Stärkere macht
mit dem Schwächeren, was er will, und die einzige Schranke, die der
Willkür des Siegers entgegengesetzt werden kann, ist die Scheu vor
der öffentlichen Meinung. Aber diese Scheu ist bei dem Mächtigen auch
nicht allzu stark, zumal er weiß, daß die öffentliche Meinung bestochen
werden kann.“

„Das Völkerrecht,“ sagte Edith mit schwermütigem Lächeln, „scheint also
dem Recht sehr ähnlich zu sein, das überhaupt auf Erden zwischen den
Menschenkindern geübt wird.“

„Die Franzosen würden übrigens keine schlechte Beute machen, wenn sie
die ‚Caledonia‘ aufbrächten,“ fuhr Heideck fort. „Unter den achthundert
Passagieren sind gegen dreihundert Militärs, und ich habe gehört, daß
sich große Summen Geldes an Bord befinden.“

Das Promenadendeck war angefüllt mit den Passagieren der ersten Kajüte,
die gespannt und angstvoll die Bewegung der Schiffe verfolgten. Auch im
Zwischendeck, wie unter den Passagieren der zweiten Kajüte herrschte
große Unruhe. Im günstigsten Falle, wenn die ‚Caledonia‘ den Verfolgern
entkam, mußte die Reise ja eine beträchtliche Verzögerung erfahren.
Aber es war kaum anzunehmen, daß die ‚Caledonia‘ bis nach Alexandria
gelangen würde. Denn wenn auch der ‚Chanzy‘, der 22 Knoten Fahrt haben
mochte, merklich zurückblieb, kam doch der Torpedojäger immer weiter
herauf, und auch der ‚Forbin‘ rückte in bedrohliche Nähe.

Da kam eine neue, überraschende Meldung. Zwei Dampfer fuhren der
‚Caledonia‘ entgegen. Alle Gläser wandten sich dorthin, wo die winzigen
Rauchsäulen über dem Wasserspiegel erschienen, und bald war mit
Sicherheit die britische Flagge zu erkennen.

Der zweite Offizier teilte den Passagieren mit, daß der Kreuzer erster
Klasse ‚Royal Arthur‘ und das Kanonenboot ‚O'Hara‘ herankämen. Und er
sprach die Hoffnung aus, die ‚Caledonia‘ würde in den Schutz dieser
Kriegsschiffe kommen, ehe die Franzosen sie erreichten.

Die See war nur schwach bewegt. Das Leuchten und Flimmern von Himmel
und Meer hatte aufgehört, seitdem die ‚Caledonia‘ aus dem Suezkanal
herausgekommen war und sich im Mittelländischen Meer befand. Die den
europäischen Breiten eigentümliche graue Färbung war an seine Stelle
getreten, und streifige Wolken zogen am mattblauen Himmel hin. Die
Bewegung der Schiffe ließ sich in dieser Beleuchtung genau verfolgen.

Die englischen Fahrzeuge näherten sich rasch. Und als die Entfernung
zwischen dem ‚Royal Arthur‘ und dem französischen Torpedojäger
etwa noch zwei und eine halbe Seemeile betrug, begann er aus
seinen Buggeschützen auf das wenig über die Oberfläche des Wassers
emporragende Fahrzeug zu feuern. Eines der schweren Geschosse sauste
so nahe an der ‚Caledonia‘ vorüber, die sich jetzt mitten zwischen den
beiden Schiffen befand, daß die Passagiere deutlich den heulenden Ton
der die Luft durchschneidenden Granate hören konnten.

Der Franzose erwiderte das Feuer nicht. Er mäßigte seine
Geschwindigkeit, um das Herankommen des ‚Chanzy‘ zu erwarten. Von
Norden her aber kam inzwischen der ‚Forbin‘ heran und eröffnete aus
seinen Buggeschützen das Feuer auf das britische Kanonenboot. Kurze
Zeit darauf fiel auch aus den Geschützen des ‚Chanzy‘ der erste Schuß,
und jetzt war die Stellung der Schiffe derart, daß das Kanonenboot
mit der Breitseite dem ‚Forbin‘ gegenüberlag, die beiden Kreuzer mit
den Buggeschützen aufeinander feuerten und der Torpedojäger sich im
Hintergrund zurückhielt. Die ‚Caledonia‘ aber war inzwischen so weit
vorgerückt, daß sie sich vollständig im Schutze der britischen Kanonen
befand.

Hätte der Kapitän jetzt seine Fahrt fortgesetzt, so wäre er
wahrscheinlich ungefährdet nach Alexandria gelangt. Aber er wünschte
eine so bedeutende Verzögerung seiner Reise zu vermeiden, und die
drängenden Bitten der Reisenden, die ihn aufgeregt bestürmten, in der
Nähe des Kampfplatzes zu bleiben, kamen seinen Wünschen entgegen.

Die ‚Caledonia‘ mäßigte deshalb ihre Fahrt und hielt sich südöstlich
des Gefechtsfeldes, so daß sie ebensowohl nach Brindisi wie nach
Alexandria steuern konnte, sobald eine Entscheidung gefallen war.

Eine Weile stand der Kampf gleich. Sowohl der ‚Chanzy‘ wie der ‚Royal
Arthur‘ hatten gewendet, kehrten einander jetzt die Breitseiten zu
und feuerten, ohne daß jedoch von der ‚Caledonia‘ aus die Wirkung der
Geschosse beobachtet werden konnte.

Plötzlich setzte sich der ‚Royal Arthur‘ nordwärts in Bewegung und
schoß aus den Heckgeschützen auf seine Gegner.

„Es scheint fast, als wolle er dem ‚O'Hara‘ zu Hilfe kommen,“ sagte
Heideck zu der mit dem Feldstecher neben ihm stehenden Edith. „Das
Kanonenboot ist dem ‚Forbin‘ offenbar nicht gewachsen, und es hat
möglicherweise einen verhängnisvollen Treffer erhalten.“

In der Tat blieb der ‚Royal Arthur‘ in der begonnenen Bewegung nach
Norden und steuerte unter beständigem Feuern gegen den ‚Chanzy‘ und den
noch immer im Hintergrunde lauernden Torpedojäger dem ‚Forbin‘ zu, auf
den er alsbald mit seinen Buggeschützen Feuer zu geben begann.

So entfernte sich das Gefecht immer mehr nordwärts, und der Kapitän
der ‚Caledonia‘ beschloß, seinen Kurs wieder westlich zu nehmen. Malta
anzulaufen, erschien nicht ratsam, dagegen durfte man in der Annahme,
daß der ‚Royal Arthur‘ die französischen Schiffe noch eine geraume
Weile festhalten würde, wohl hoffen, Brindisi, das ursprüngliche
Reiseziel, zu erreichen.

Aber die Ereignisse machten dem englischen Passagierdampfer einen
Strich durch die Rechnung. Es wurde ein Schiff voraus gemeldet, und man
sah die ‚Aréthuse‘ herankommen, mit einem Kurs, der sie geradenwegs
der ‚Caledonia‘ entgegenführte. Um der Begegnung auszuweichen, ließ
der Kapitän sofort nordwärts steuern, und die ‚Caledonia‘ kam dadurch
näher, als es beabsichtigt gewesen war am Kampfplatz vorüber, so nahe,
daß eine auf den östlich liegenden Torpedojäger gezielte britische
Granate, über das niedrige französische Schiff hinwegfliegend,
dicht vor ihrem Bug ins Wasser fiel, einen gewaltigen Springquell
emporschleudernd.

Wenige Sekunden später setzte sich der französische Torpedojäger
in schnelle Fahrt gegen den ‚Royal Arthur‘. Und nun bot sich den
Passagieren der ‚Caledonia‘, sowie allen auf dem enger gewordenen
Gefechtsfeld befindlichen Seeleuten ein furchtbarer Anblick. Der
Torpedojäger hatte endlich den rechten Augenblick zum Angriff erspäht,
und sein Lanzierrohr hatte einen meisterhaft gezielten Torpedo gegen
den Feind entsandt. Man sah in der Mitte des ‚Royal Arthur‘, dicht über
dem Wasserspiegel, erst eine kleine Rauchwolke und dann eine gewaltige
Wassersäule emporsteigen. Gleichzeitig ertönte ein dumpfer, die Luft
in weitem Umkreise erschütternder Knall, der selbst den Donner der
Geschütze übertönte.

Und nun war es, als ob der Kreuzer von Riesenhänden mitten auseinander
gerissen würde. Der ungeheure Schiffskörper teilte sich in zwei
Hälften. Langsam neigte sich das Vorderteil nach vorn, das Hinterteil
nach hinten. Gleich darauf richteten sich beide Teile wieder
auf, als wollten sie sich über der klaffenden Bresche aufs neue
zusammenschließen. Aber nur wenige Sekunden dauerte diese Bewegung.
Dann zog das Gewicht des einströmenden Wassers den Riesenkörper in die
Tiefe. Der ‚Royal Arthur‘ sank mit grauenerregender Schnelligkeit.
Jetzt ragten nur noch die drei Schornsteine über dem Wasserspiegel
empor, wenige Augenblicke später sah man nichts mehr als die Spitzen
der Masten mit den für das Gefecht gehißten Toppsflaggen. Dann stieg
eine mächtige, schäumende Welle empor, und nur das Branden der Wogen
zeigte die Stelle an, wo der stolze Kreuzer gesunken war.

Die Kanonen waren verstummt, und auf allen Schiffen herrschte tiefes
Schweigen. Die Passagiere waren wie gelähmt von dem Uebermaß des
Entsetzens. Der Kapitän aber befahl, sämtliche Boote auszusetzen, um
der Bemannung des ‚Royal Arthur‘ zu Hilfe zu kommen. Man sah, daß auch
der ‚Chanzy‘ Boote zu Wasser ließ. Der ‚O'Hara‘ entfloh, um nicht eine
Beute der jetzt weit überlegenen französischen Streitkräfte zu werden,
und entfernte sich vom Kampfplatz in östlicher Richtung, verfolgt von
dem ‚Forbin‘, der ihm Schuß auf Schuß nachsandte.

Wenn der Kapitän der ‚Caledonia‘ auf jeden Fluchtversuch verzichtet
hatte, so folgte er damit nicht nur einer Regung der Menschlichkeit,
sondern er gehorchte auch den Signalen des Torpedojägers, die ihm
befahlen, beizudrehen. Er wußte, daß es für den ihm anvertrauten
Dampfer kein Entrinnen mehr gab, seitdem die Granaten des ‚Royal
Arthur‘ aufgehört hatten, den Feind zu bedrohen.

Der Kampf der Unglücklichen, denen es gelungen war, sich aus der
dunklen Tiefe emporzuarbeiten, und die nun verzweifelt um ihr Leben
rangen, gewährte einen erschütternden Anblick. Die des Schwimmens
Unkundigen gingen sehr bald unter, wenn es ihnen nicht gelungen war,
sich eines treibenden Gegenstandes zu bemächtigen. Von den zahlreichen
Köpfen, die man unmittelbar nach dem Untergang des Kreuzers über dem
Wasser gesehen hatte, verschwanden mit jeder Sekunde mehr, und es
unterlag keinem Zweifel, daß die heldenmütig arbeitende Besatzung der
Schiffsboote nur einen sehr kleinen Teil der Mannschaft würde retten
können.

An der Fallreepstreppe der ‚Caledonia‘ legte unterdessen die Gig des
Kommandanten des ‚Chanzy‘ an. Der erste Offizier dieses Schiffes stieg
in Begleitung von vier Seesoldaten und einem Deckoffizier an Bord und
begrüßte den Kapitän der ‚Caledonia‘ mit seemännischer Höflichkeit.

„Ich bedaure sehr, mein Herr, daß ich genötigt bin, Ihnen und Ihren
Passagieren Unbequemlichkeiten zu verursachen. Aber ich handle nach dem
mir erteilten Befehl, wenn ich Sie bitte, mir die Schiffspapiere zu
zeigen und eine Durchsuchung Ihres Schiffes zu gestatten.“

„Nach Lage der Dinge haben Sie zu befehlen,“ erwiderte der Engländer
finster.

Dann stieg er mit dem Franzosen in die Kajüte hinab, während
der Deckoffizier mit den Soldaten am Fallreep stehen blieb. Die
Verhandlungen währten fast zwei Stunden. Währenddessen wurden
die Rettungsarbeiten unermüdlich fortgesetzt. Es war gelungen,
hundertundzwanzig Matrosen und Soldaten, fünf Offiziere, sowie den
Kommandanten des ‚Royal Arthur‘ den Wellen zu entreißen. Die Mehrzahl
der Offiziere und Mannschaften aber war verloren.

Für die Sicherung der Prise, die man mit der Wegnahme der ‚Caledonia‘
gemacht hatte, wurden ungewöhnliche Maßregeln getroffen. Der Kapitän,
der erste und zweite Offizier wurden an Bord des ‚Chanzy‘ gebracht.
Dafür übernahm der erste Offizier des ‚Chanzy‘ den Befehl über das
Schiff, und zwei Leutnants mit fünfzig Mann wurden zur ‚Caledonia‘
hinübergerudert. Diese Vorkehrungen erklärten sich zur Genüge aus
dem hohen Wert der Ladung, die der Passagierdampfer an Bord hatte.
Er führte nach Ausweis der Schiffspapiere nicht weniger als zwanzig
Millionen Rupien, teils gemünzt, teils in Silberbarren, die von
Kalkutta hätten nach England geschafft werden sollen. Eine so kostbare
Ladung sicher nach Toulon zu bringen, mußte dem französischen
Kommandanten natürlich sehr am Herzen liegen.

Und noch ein weiterer Triumph war den französischen Waffen beschieden.
Der ‚Forbin‘ brachte das britische Kanonenboot, das statt des
‚Union-Jack‘ nun die Trikolore gehißt hatte, auf den Kampfplatz zurück.
Alle vier französischen Schiffe begleiteten die beiden genommenen
Fahrzeuge auf der mit Volldampf angetretenen Fahrt nach Toulon.



[Illustration]



XXIV.


Verzweifelte Niedergeschlagenheit und heftigste Erbitterung hatten
sich der Passagiere der ‚Caledonia‘ bemächtigt. Man suchte die Schuld
für das Unglück nicht so sehr in einem unberechenbaren Zufall, als
in einer unverzeihlichen Nachlässigkeit der maßgebenden englischen
Militärbehörde.

„Da haben wir wieder einmal ein schlagendes Beispiel englischer
Unvorsichtigkeit,“ sagte Mr. Kennedy. „Wie durfte man die ‚Caledonia‘
unbeschützt fahren lassen! So viel Kriegsschiffe lagen müßig in Bombay,
in Aden, in Port Said, und doch sah man sich nicht veranlaßt, diesem
prachtvollen Schiff mit fast tausend Engländern an Bord und mit einer
Ladung im Werte von mehr als einer Million Pfund eines oder mehrere von
ihnen zur Begleitung mitzugeben. Hatten denn unsere Flottenkommandanten
keine Ahnung von der Nähe französischer Schiffe?“

„Unsere Kommandanten,“ meinte der General, „werden sich darauf
verlassen haben, daß genug englische Schiffe im Mittelländischen Meere
verkehrten, um derartige Unternehmungen zu verhindern.“

Aber man ließ die Entschuldigung nicht gelten, und viele bittere
Worte fielen gegen die englische Kriegsleitung. Als dann die Nacht
hereinbrach, zogen sich die meisten Passagiere, von den ausgestandenen
Aufregungen aufs äußerste erschöpft, in ihre Kabinen zurück. Heideck
aber stand noch lange auf Deck und ließ sich den köstlichen Nachtwind
um die heißen Schläfen wehen. Ruhig zog das Geschwader seines Weges
durch die leise rauschenden Wogen, und die Positionslaternen zeigten
deutlich den Stand der einzelnen Schiffe an. Rechts fuhr der ‚Chanzy‘,
links die ‚Aréthuse‘, rückwärts der ‚Forbin‘ und der mit französischer
Mannschaft besetzte ‚O'Hara‘. Nur von dem Torpedojäger war nichts zu
sehen.

Endlich ging auch Heideck, müde gemacht durch die gleichmäßigen
Schritte der auf dem Verdeck auf- und niedergehenden französischen
Schildwache, in seine Kajüte hinab. Rasch senkte sich der Schlaf auf
seine Lider, aber es waren unruhige Träume, die ihn verfolgten. Noch
einmal durchlebte er den Kampf, dessen Zeuge er gewesen war. Und die
Traumbilder mußten sehr lebhaft gewesen sein, da er unausgesetzt den
dumpfen Knall der Schüsse zu hören vermeinte. Er rieb sich die Augen
und setzte sich auf dem schmalen Lager auf. War das denn Wirklichkeit
oder nur eine Täuschung seiner erregten Sinne? Der dumpfe Donner schlug
ja noch immer an sein Ohr; und nachdem er minutenlang mit gespannter
Aufmerksamkeit gehorcht hatte, sprang er auf, um in seine Kleider
zu schlüpfen und auf Deck zu eilen. Schon auf dem Gange traf er mit
mehreren Herren zusammen, die ebenfalls durch den Knall der Schüsse aus
dem Schlummer geweckt worden waren. Und sobald er das Verdeck erreicht
hatte, sah er, daß man sich in der Tat wieder inmitten eines heftigen
Seegefechtes befand.

Die Nacht war ziemlich dunkel; aber wenn schon das Aufblitzen der
Schüsse die Stellung des Feindes ungefähr erkennen ließ, so wurde
dieselbe mit völliger Deutlichkeit gerade jetzt sichtbar, als von der
‚Aréthuse‘ ein Scheinwerfer aufleuchtete und seinen breiten, blendend
hellen Lichtkegel über die Wasserfläche spielen ließ. Die riesigen
Massen zweier Linienschiffe tauchten weißglänzend aus der Dunkelheit
auf. Außer ihnen ließen sich noch fünf andere, kleinere Kiegsschiffe
und mehrere winzige, niedrige Fahrzeuge erkennen, die Torpedoboote des
britischen Geschwaders, das dem französischen entgegenkam. Hell wie
eine kleine Sonne ging jetzt auch von englischer Seite ein elektrischer
Scheinwerfer auf. Es war ein interessantes Schauspiel, zu beobachten,
wie diese beiden elektrischen Lichter, sich langsam drehend, die
einzelnen Schiffe gleichsam aus der Dunkelheit hervorzerrten, den
Geschützen sichere Zielpunkte zeigend.

In dem französischen Geschwader, dessen Kommandant hinsichtlich der
Ueberlegenheit des Feindes nicht im Ungewissen sein mochte, entstand
eine lebhafte Bewegung. Alle Fahrzeuge, auch die ‚Caledonia‘, drehten
und gingen mit Volldampf zurück. Aber die schweren englischen Granaten
aus den 30,5 Zentimeter-Kanonen der Linienschiffe fielen bereits
zwischen ihnen nieder, obwohl die Entfernung noch etwa drei Seemeilen
betragen mochte. Und plötzlich, als die ‚Caledonia‘ während des
Wendungsmanövers dem britischen Geschützfeuer eine Breitseite zeigte,
ließ sich ein scharfer, erschütternder Schlag im Schiffe spüren, dem
der Knall einer heftigen Explosion folgte. Die Bewegung des Dampfers
stockte, und lautes Wehgeschrei erscholl aus dem Maschinenraum. Zu
Tode erschreckt liefen die Passagiere umher. Man durfte ihnen nicht
verhehlen, daß eine Granate eingeschlagen hatte und explodiert war.

Aber es stellte sich heraus, daß die ‚Caledonia‘ zwar stark beschädigt,
doch nicht unmittelbar gefährdet war. Nur die Manövrierfähigkeit und
Schnelligkeit des Schiffes hatten dadurch erheblich gelitten, daß ein
Dampfrohr getroffen war.

Die französischen Kriegsschiffe entfernten sich eiligst und überließen
die ‚Caledonia‘ und die eingeschiffte Prisenmannschaft ihrem Schicksal,
da es nicht möglich war, sie mitzunehmen. Sie mußten auf die gute
Prise verzichten und sich mit dem großen Erfolge begnügen, den sie
mit der Zerstörung des ‚Royal Arthur‘ und der Wegnahme des ‚O'Hara‘
errungen hatten. Die ‚Caledonia‘ aber, vom Scheinwerfer beleuchtet und
von den britischen Kommandanten erkannt, hatte keinen ferneren Schuß
zu befürchten. Sie bewegte sich langsam in nördlicher Richtung und
wurde, als der Morgen dämmerte, von zwei britischen Kreuzern erreicht.
Ein Offizier kam an Bord, erklärte die französische Prisenmannschaft
für kriegsgefangen und erfuhr von dem dritten Offizier, der sie jetzt
führte, die Ereignisse der letzten vierundzwanzig Stunden.

Das britische Geschwader folgte den französischen Schiffen, die
‚Caledonia‘ aber nahm, nur noch mit acht Knoten Geschwindigkeit, den
Kurs auf Neapel, das ohne weitere Zwischenfälle erreicht wurde. Die
Passagiere wurden ausgeschifft, die große Geldsumme wurde in der Bank
von Neapel für Rechnung der englischen Regierung deponiert und nur die
Ladung an Baumwolle, Teppichen und gestickten Seidenstoffen blieb an
Bord.

Die Familie Kennedy nebst Mrs. Irwin gingen in das Hotel de la Riviera,
und Heideck schloß sich ihnen an. Er wollte nur einen einzigen Tag in
Neapel bleiben und dann mit dem durchgehenden Zuge nach Berlin fahren.

Edith ahnte seinen Plan, obwohl er nicht mit ihr über seine Reise nach
Berlin gesprochen hatte, und sie redete ihn wenige Stunden nach der
Ankunft im Lesezimmer an, wo er eifrig die Zeitungen studierte.

„Wichtige Neuigkeiten?“

„Alles ist mir neu. Wir haben bis jetzt doch immer nur einen kleinen
Ausschnitt aus dem Kreise der Ereignisse übersehen können, und erst
aus diesen Zeitungen vermochte ich einen umfassenden Ueberblick zu
gewinnen.“

„Und jetzt hast du natürlich kein anderes Verlangen, als die Sehnsucht,
deine Fahnen wiederzusehen? Ich weiß wohl, daß es einzig der Ehrgeiz
ist, der dich leitet.“

„Kannst du einem Offizier einen Vorwurf daraus machen?“

„Ja, wenn er darüber die Menschlichkeit vergißt. Aber sei ganz ruhig,
ich werde dich nicht daran verhindern. Ich will deinem Ehrgeiz nicht
in den Weg treten, aber ich will ihm auch nicht zum Opfer fallen.“

„Das sollst du gewiß nicht. Wir werden glücklich werden, wenn dieser
Krieg beendigt ist. Ich werde dir so wenig untreu werden, wie meiner
Pflicht. Kehre ich lebend aus dem Felde zurück, so wird mein Dasein
einzig deinem Glücke geweiht sein.“

„Die Liebe ist ein Vogel, dem man nicht zu viel Freiheit lassen darf.
Du erinnerst dich, daß ich dir immer gesagt habe, ich würde dich nie
verlassen.“

„Aber, meine geliebte Edith, das ist doch ganz unmöglich! Hast du denn
gar keine Vorstellung davon, wie es im Kriege zugeht?“

„Ich dächte, daß ich genug davon gesehen hätte.“

„Ja, in Indien und auf dem Meere. Aber in Europa wird der Krieg doch
etwas anders geführt. Jeder Platz in den Eisenbahnzügen ist genau
berechnet, und in den Quartieren, in den Kantonnements und im Biwak ist
es ebenso. Für eine Dame ist da nicht Raum. Was würden die Kameraden
von mir sagen, wenn ich in deiner Gesellschaft erschiene?“

„Du kannst ja sagen, ich sei deine Frau.“

„Aber Edith, über so etwas ist gar nicht ernsthaft zu reden. Als
preußischer Offizier bedarf ich des Konsenses, um heiraten zu können.
Wie kann ich jetzt in Begleitung einer Dame zur Armee kommen? Oder wie
könnte ich gerade jetzt einen Heiratskonsens verlangen?“

„Das kannst du recht gut. Viele Offiziere heiraten zu Beginn des
Krieges.“

„Nun gut, aber selbst, wenn ich den Konsens jetzt verlangte, so müßten
doch nach dem Gesetz noch Monate vergehen, ehe wir heiraten könnten.
Ich machte dir schon einmal den Vorschlag, zu meinen Verwandten nach
Hamburg zu gehen und dort das Ende des Krieges abzuwarten. Und ich
halte das noch jetzt für den einzig richtigen Weg.“

„Aber ich will nicht nach Hamburg zu deinen Verwandten.“

„Und warum nicht?“

„Ich soll in einer deutschen Familie sitzen, ich als Engländerin, und
ich soll mich angaffen lassen? Ich soll in den deutschen Zeitungen alle
die Lügen über England lesen?“

„Mein Onkel und meine Tante sind sehr taktvolle Leute, und meine
Cousinen werden es nicht an der gebotenen Rücksicht fehlen lassen.“

„Auch noch Cousinen! Nein, ich danke! In das Familienglück fremder
Leute passe ich nicht hinein.“

„Wenn du das nicht willst, so kannst du in Berlin in eine Pension
gehen.“

„Nein, das will ich auch nicht. Ich will bei dir bleiben.“

„Aber liebste Edith, wie denkst du dir das nur?“

„Ich will ganz außerhalb aller konventionellen Formen stehen, sonst
ertrage ich das Leben in Deutschland nicht. Ich soll wohl vor
Bangigkeit sterben in einer Pension, während ich jeden Augenblick an
die Gefahren denke, denen du ausgesetzt bist. Nein, das ertrage ich
nicht. Ich habe zuviel erlebt, ich habe zuviel Schreckliches gesehen.
Meine Nerven halten das nicht aus, jetzt in einer Familie oder in
einer Berliner Pension in der Trivialität des Alltaglebens dahin zu
vegetieren. Habe Mitleid mit mir und verlaß mich nicht! Deine Gegenwart
ist die einzige wirksame Arznei für meine Seele.“

„Ach, liebste Edith, mein ganzes Herz ist ja von dir erfüllt, und
gern tue ich, was du willst. Aber zweckmäßig und praktisch muß doch
jeder Schritt sein, den wir tun. Wenn du sagst, daß du bei mir bleiben
willst, so muß sich deiner Vorstellung doch irgend ein Bild, irgend
eine bestimmte Form der Ausführung zeigen. Wie denkst du dir denn die
Art und Weise unseres Beisammenseins? Bedenke, daß ich nach meiner
Rückkehr Offizier im Dienst bin und die Befehle ausführen muß, die ich
erhalte.“

„O ja, ich wüßte schon einen Weg. Wir haben doch gesehen, daß Fürst
Tschadschawadse einen Pagen bei sich hatte. Ich will dein Page sein.“

„Welche Phantasie! -- Preußische Offiziere haben keine Pagen im
Feldzuge!“

„Nun, auf das Wort kommt es nicht an. Ihr müßt doch Diener haben, wie
die englischen Offiziere auch; ich will dein Boy sein.“

„Zu solchen Dienstleistungen werden bei uns Soldaten kommandiert,
liebste Edith.“

„Dann werde ich als Soldat mitgehen. Bin ich doch auch schon als Radjah
gegangen!“

Eine Falte der Ungeduld erschien auf Heidecks Stirn, und sie war den
scharfen Augen des jungen Weibes nicht entgangen.

„Ja,“ sagte sie heftig, „wenn es auch so scheint, als hättest du mich
satt, ich lasse nicht von dir! Die Entfernung ist der Liebe schlimmster
Feind, und du bist das einzige Band, das mich an das Leben fesselt.“

Heideck schlug die Augen nieder, um seine Gedanken nicht zu verraten.
Seitdem er die Zeitungen gelesen hatte, die ihm eine deutlichere
Vorstellung der Weltlage gaben, war sein Geist noch mehr als auf
der bisherigen Reise mit kriegerischen Bildern erfüllt. Er liebte
Edith, aber die Liebe füllte sein Leben nicht aus wie das ihre.
Die Nachrichten der italienischen und französischen Blätter hatten
ihn, der so lange von Europa entfernt gewesen war, in ein wahres
Fieber versetzt. Die Auflösung des Dreibundes und die neue Allianz
Deutschlands mit Frankreich und Rußland hatte eine völlige Veränderung
des politischen Horizonts herbeigeführt. Er hörte das Stampfen der
Rosse, das Klirren der Waffen, den Donner der Geschütze. Unermeßlich
und bedeutungsvoll war der Krieg.

Es handelte sich um Deutschlands Existenz! Auf mehr als drei Milliarden
wurden die Verluste geschätzt, die Deutschland bis jetzt erlitten
hatte. Alle deutschen Kolonieen waren von den Engländern in Beschlag
genommen worden, hunderte von deutschen Handelsschiffen waren
verloren, der deutsche Handel mit dem Auslande war vollständig lahm
gelegt, der deutsche Kredit war erschüttert. Wenn Deutschland nicht
schließlich den Sieg errang, so bedeutete dieser Krieg das Ende seiner
Großmachtstellung.

Er sprang auf.

„Es muß sein, teuerste Edith, wir müssen uns zunächst trennen!“

Sie erbleichte. Mit angstvollem Blicke haschte sie nach seiner Hand und
hielt sie fest.

„Verlaß mich nicht!“

„Ich muß völlige Freiheit haben! Für jetzt! Nach dem Kriege gehöre ich
ganz dir.“

„Nein, nein, du kannst nicht so grausam sein! Du darfst mich nicht
verlassen!“

„Wir werden uns wiedersehen! Ich liebe dich und ich bleibe dir treu.
Aber jetzt verlange ich ein Opfer von dir. Ich bin ein deutscher
Offizier, mein Leben gehört jetzt meinem Vaterlande.“

Sie glitt von ihrem Stuhl nieder auf die Erde und umklammerte seine
Kniee.

„Ich kann nicht von dir gehen! Es wird dir keinen Segen bringen, wenn
du mich vernichtest!“

„Sei stark, Edith. Ich bewunderte immer deinen großen, festen Willen.
Hast du denn mit einem Mal alle Besinnung, alle Vernunft verloren?“

„Alles habe ich verloren!“ schrie sie jammernd, „alles, bis auf dich!
Und nun will ich nicht auch dich noch hergeben!“

„Mrs. Irwin!“ rief in diesem Augenblick eine entsetzte Stimme, „wie ist
es möglich?“

Edith fuhr empor.

Mrs. Kennedy und ihre Tochter waren unbemerkt eingetreten. Sie hatten
mit grenzenlosem Erstaunen die seltsame Situation wahrgenommen und
Ediths letzte Worte gehört.

„Mein Gott -- mein Gott -- wie ist es nur möglich!“ wiederholte
die würdige Dame mit bebender Stimme, und dann, gegen ihre Tochter
gewendet, fügte sie hinzu: „Geh, mein Kind! --“

Edith Irwin hatte ihre Fassung sehr schnell wiedergewonnen. Aufrecht
und mit stolz erhobenem Haupte stand sie der entrüsteten Dame gegenüber.

„Ich bitte Sie, nicht zu vergessen, Mrs. Kennedy, daß man niemals ein
Urteil abgeben soll, ohne den Zusammenhang der Dinge zu kennen.“

„O, ich denke, was ich gesehen habe, wäre deutlich genug gewesen.“

„Wenn darin etwas Tadelnswertes zu finden ist, so fällt alle Schuld
lediglich auf mich,“ nahm jetzt Heideck das Wort. „Gönnen Sie mir
einige Minuten unter vier Augen, Mrs. Kennedy, und ich werde Sie
überzeugen, daß Mrs. Irwin keinen Vorwurf verdient.“

„Ich bedarf keines Fürsprechers und keines Verteidigers!“ rief Edith in
leidenschaftlicher Erregung. „Weshalb sollen wir unsere Liebe länger
verbergen? Dieser Mann, Mrs. Kennedy, hat mir mehr als einmal Leben und
Ehre gerettet, und es bedeutet für mich keine Demütigung, vor ihm auf
den Knieen zu liegen.“

In ihrem Gesicht und in dem Ton ihrer Worte mochte etwas sein, das der
Engländerin trotz ihres empörten Schicklichkeitsgefühls ans Herz ging.
Der strenge Ausdruck verschwand aus ihren Zügen, und mit freundlicher,
fast mütterlicher Sanftmut sagte sie:

„Kommen Sie, mein armes Kind! Ich habe gewiß kein Recht, mich zur
Richterin aufzuwerfen über Ihr Tun und Lassen. Aber ich bin wohl alt
genug, daß Sie Vertrauen zu mir haben dürfen.“

Edith lehnte, überwältigt von dieser plötzlichen Güte, den Kopf an ihre
Schulter. Heideck aber fühlte, daß es gut sei, die beiden Damen jetzt
sich selbst zu überlassen.

„Sie erlauben mir, meine Damen, mich vorläufig zu entfernen.“

Mit einer raschen Bewegung legte Edith ihre Hand auf seinen Arm.

„Sie geben mir Ihr Wort, Kapitän Heideck, daß Sie nicht abreisen
werden, ohne mir Lebewohl zu sagen?“

„Ich gebe Ihnen mein Wort.“

In schmerzlichster Gemütsverfassung verließ er das Zimmer. Es war ihm,
als ob er über die Leiche des teuersten Wesens hinwegschreiten müsse,
um seine Pflicht zu erfüllen.

Am Abend brachte ihm die Zofe der Mrs. Kennedy ein Billet von Edith,
worin sie ihn mit wenig Worten ersuchte, sogleich zu ihr zu kommen. Er
fand sie in ihrem dämmerigen Zimmer auf dem Ruhebett; aber bei seinem
Eintritt stand sie auf und ging ihm anscheinend ruhig entgegen.

„Du hast recht, mein Freund, ich bin inzwischen zur Vernunft gekommen.
Es gibt keine andere Möglichkeit -- wir müssen uns trennen.“

„Ich schwöre dir, Edith -- --“

„Schwöre mir nichts! -- Die Zukunft liegt allein in Gottes Hand.“

Sie streifte vom Goldfinger ihrer linken Hand den Reif mit dem
kostbaren Brillanten, der den Anlaß zu ihrer ersten bedeutsamen
Unterredung gegeben hatte.

„Nimm diesen Ring, mein Freund, und denke an mich, so oft dein Blick
auf ihn fällt.“ Die Tränen erstickten jetzt ihre Stimme. „Sei ohne
Sorge um mich und meine Zukunft. -- Ich gehe mit der Familie Kennedy
nach England.“



[Illustration]



XXV.


Ein rauher Nordwind fegte über die Insel Walcheren und die Mündung
der Wester Schelde hin. Zu leichten Wellen kräuselte er das Wasser
des breiten Stromes, der in der Abenddämmerung wie ein uferloses Meer
erschien. Nur der Kundige wußte, daß die Leuchtfeuer bei Vlissingen zur
Rechten und bei Fort Frederik Hendrik zur Linken mit ihren blitzenden
Lichtern die Grenzen jener weiten Einfahrt bezeichneten, die im Jahre
1809, als Holland unter der Regierung Ludwig Bonapartes stand, eine
große englische Flotte zum Angriff auf Vlissingen und zur Einnahme
dieser Festung in die Schelde eingelassen hatte.

In der Mitte zwischen den beiden leuchtenden Punkten, die etwa fünf
Kilometer von einander entfernt waren, schaukelte sich der hier vor
Anker liegende deutsche Kreuzer ‚Gefion‘, und auf seinem Verdeck stand
Heideck, der nach seiner Rückkehr unter Beförderung zum Major mit dem
Nachrichtendienst für das holländische Küstengebiet betraut worden war.

Er hatte am Nachmittage ein Fahrzeug in die Schelde einlaufen sehen,
das ihm vom Lootsen als eine der Fischersmacks bezeichnet worden war,
die zwischen den Shetlandinseln und den holländischen Häfen verkehren.
Und er hatte dem Kapitän der ‚Gefion‘ seinen Verdacht mitgeteilt,
daß diese Smack noch eine andere Bestimmung, als die des Handels mit
Heringen haben könnte. Das kleine Schiff hatte drüben am linken
Ufer zwischen den Dörfern Breskens und Cadzand angelegt, und Heideck
beschloß, sich zu ihm hinüber rudern zu lassen.

Sechs Seesoldaten und vier Matrosen, unter Führung eines Maaten,
bemannten ein Boot der ‚Gefion‘, und die Fahrt ging durch das bewegte
Wasser nach dem linken Ufer, dem verdächtigen Schiffe zu. Im Kampfe mit
der Strömung und dem Winde, der heulend vom Meere kam, bedurfte es für
die Ruderer wohl fast einer halben Stunde harter Arbeit, ehe der dunkle
Rumpf des Fischerbootes in deutlichen Umrissen vor ihnen auftauchte.
Vom Bord herab fragte eine rauhe Stimme nach ihrem Begehr.

„Dienst Seiner Majestät!“ rief Heideck zurück, und als das Boot
angelegt hatte, warf er seinen Mantel ab, um sich behende auf das Deck
hinauf zu schwingen. Drei Männer in der dunklen Wollentracht und mit
den geteerten Hüten der Küstenfischer traten auf ihn zu und antworteten
auf seine Frage nach dem Patron in einem schwerverständlichen Gemisch
von holländisch und deutsch, daß der Patron an Land gegangen wäre.

„Sein Name?“

„Maaning Brandelaar.“

„Und wie heißt dies Fahrzeug?“

„Bressay.“

Die Antworten wurden zögernd und mürrisch gegeben, und die Leute legten
ein so verdrossenes Wesen an den Tag, daß Heideck das Gefühl hatte,
sie würden ihn gern über Bord geworfen haben, wenn nicht seine Uniform
ihnen Respekt eingeflößt hätte.

„Woher kommt ihr?“ fragte er.

„Wir kommen von Lerwick.“

„Und wohin ist das Schiff bestimmt?“

„Wir wollen unsere Heringe verkaufen. Wir sind ehrliche Leute, Herr
Major.“

„Wo wollt ihr eure Heringe verkaufen?“

„Wo wir können. Der Schiffer ist nach Breskens gegangen. Er wollte bald
wieder zurückkommen.“

Heideck sah sich um. Die Smack hatte in einer kleinen Bucht angelegt,
wo das Wasser ruhig war. Das Dorf Breskens und das kleine Seebad
Kadzand lagen beide so nahe, daß man die erleuchteten Fenster sehen
konnte. Es war neun Uhr abends. Etwas spät für die Handelsgeschäfte,
die Maaning Brandelaar in Breskens zu machen gedachte.

Heideck ließ die Seesoldaten auf Deck steigen und stellte sie als Wache
auf, damit niemand das Schiff verließe, bevor der Kapitän zurück kam.
Dann befahl er eine Laterne anzuzünden, mit der er den Raum unter Deck
besichtigen wollte. Es dauerte recht lange, bis die Laterne bereit
war, und sie brannte so trübe, daß Heideck vorzog, die elektrische
Lampe spielen zu lassen, die er ebenso wie den Revolver stets bei sich
führte. Er kletterte die Treppe in den Schiffsraum hinab und fand,
daß der Geruch von Pökelheringen, den er schon auf Deck wahrgenommen
hatte, in der vorhandenen Ladung seine genügende Ursache hatte. In der
kleinen Kajüte saßen zwei Männer beim Grog und rauchten aus kleinen
Tonpfeifen. Heideck begrüßte sie freundlich und setzte sich zu ihnen.
Sie sprachen englisch mit breitem schottischen Akzent und mit vielen
Dialektausdrücken, die Heideck nicht verstand. Sie erklärten von der
Insel Bressay zu stammen. Aus ihrer Unterhaltung entnahm Heideck, daß
die Smack einem Reeder in Rotterdam gehörte, dessen Namen sie aber
nicht zu kennen schienen oder nicht aussprechen konnten. Ueberhaupt
waren die Leute sehr vorsichtig und zurückhaltend in ihren Angaben.
Heideck wartete eine halbe, eine ganze Stunde. Der Kapitän kam immer
noch nicht wieder. Er verspürte Hunger, und indem er ein Geldstück auf
den Tisch warf, fragte er, ob man ihm nicht etwas zu essen geben könne.

Die Fischer öffneten den Schrank an der Kajütenwand und holten ein
großes Stück Schinken, ein halbes Schwarzbrot sowie Messer und Gabel
hervor. Heideck sah, daß in dem Schrank neben Gläsern und Flaschen
noch zwei kleine Brote von hellerer Farbe lagen. „Gebt mir von dem
Weizenbrot,“ sagte er. Aber der Mann, der die Speisen hervorgeholt
hatte, murmelte etwas, das Heideck nicht verstand, und verschloß
den Schrank wieder, ohne den Wunsch des Offiziers zu erfüllen. Sein
Benehmen mußte Heideck auffällig erscheinen. Er hatte wirklich nur
deshalb von dem hellen Brot verlangt, weil das Schwarzbrot alt, trocken
und ungemein grob war, nun aber drängte sich ihm der Verdacht auf,
daß sich hinter der unhöflichen Mißachtung seiner Bitte irgend eine
besondere Absicht verberge.

„Ihr habt mich, wie es scheint, nicht verstanden,“ sagte er, „ich
möchte das Weizenbrot haben.“

„Das Weizenbrot gehört dem Schiffer,“ wurde ihm erwidert, „das dürfen
wir nicht nehmen.“

„Ich werde es bezahlen. Euer Kapitän wird sicherlich nichts dagegen
einzuwenden haben.“

Die Männer taten als hörten sie nicht.

Jetzt aber wiederholte Heideck in strengem und gebieterischem Tone
sein Verlangen. Die Männer sahen einander an, dann ging der eine zum
Schrank und legte das eine helle Brot auf den Tisch. Heideck schnitt
es an und fand, daß es recht gut war. Er aß mit Appetit davon und sann
darüber nach, warum die Leute zuerst so ungefällig gewesen wären.
Als er das Brot noch einmal zur Hand nahm, um sich ein zweites Stück
abzuschneiden, fiel ihm auf, daß es ungewöhnlich schwer war. Er schnitt
in die Mitte hinein und als er merkte, daß die Messerklinge auf etwas
hartes stieß, brach er das Brot auseinander. -- Da schimmerte ihm Gold
entgegen. Er untersuchte weiter und zog nacheinander dreißig goldene
Münzen mit dem Bildnis der Königin von England hervor. Dreißig Pfund
Sterling waren in dem Brot versteckt gewesen.

„Ihr habt da ein recht nahrhaftes Brot,“ sagte er, die Leute mit
scharfem Blick ansehend.

Die aber zuckten die Achseln.

„Was geht es uns an,“ sagte der eine, „wie der Kapitän sein Geld
aufbewahrt!“

„Da habt ihr recht, was geht es euch an? Warten wir, bis der Patron
kommt! Da, legt das Brot und das Geld wieder in den Schrank, und dann
macht einen hübschen Topf voll Grog für meine Leute. Die armen Kerle
werden frieren, hier habt ihr noch drei Mark.“

Die Leute gehorchten, und einer von ihnen ging mit dem dampfenden Topfe
die Treppe hinauf, brachte auch nach einiger Zeit den leeren Topf
zurück und bestellte, daß des Herrn Majors Mannschaften sich bedankten.

Wenige Minuten später zeigte sich einer der Soldaten in der Kajütentür
und meldete, daß zwei Männer vom Land herkämen. „Es ist gut,“ sagte
Heideck, „haltet euch ruhig, bis sie an Deck sind und dann laßt sie
nicht wieder hinunter, sondern sagt ihnen, sie sollten hierher kommen.“

Gleich darauf waren Schritte und Stimmen von oben zu vernehmen,
und nach wenig Minuten traten zwei Männer in die Kajüte. Der
erste, der die Kleidung eines Schiffers trug, war von ungewöhnlich
kräftigem Körperbau, breitschultrig, mit einem Stiernacken und einem
wetterharten, viereckigen Gesicht, aus dem kleine verschmitzte Augen
hervorblitzten. Der andere, erheblich jüngere, war ziemlich stutzerhaft
gekleidet und trug den Bart nach modernstem Schnitt.

„Mynheer Brandelaar?“ fragte Heideck.

„Jawohl, der bin ich,“ erwiderte der Breitschultrige in brüskem, fast
drohendem Tone.

„Sehr erfreut, Sie zu sehen, Mynheer. Ich habe mit Ihnen geschäftlich
zu reden, und ich erwarte Sie schon seit mehr als einer Stunde. Darf
ich Sie bitten, mich auch mit diesem Herrn bekannt zu machen?“

Der Holländer zauderte mit der Antwort. Es war klar, daß er in der
übelsten Laune war und nicht recht wußte, wie er sich benehmen sollte.
Der ruhige, etwas spöttische Ton des Offiziers brachte ihn offenbar aus
der Fassung.

Er gab den beiden Seeleuten einen Wink, sich zu entfernen. Dann wandte
er sich an Heideck.

„Dieser Herr ist ein Geschäftsfreund. Und ich möchte wohl wissen, was
er und meine Angelegenheiten überhaupt den Herrn Offizier angehen.
Ich bin hier, um meine Heringe zu verkaufen, das ist doch wohl nicht
verboten?“

„Gewiß nicht! Aber nicht nur Sie haben Ihre Geschäfte, Mynheer, sondern
auch ich habe die meinigen. Und ich denke, es wäre für uns beide das
angenehmste, wenn wir sie gleich hier abmachen könnten und nicht erst
zur ‚Gefion‘ hinüberzurudern brauchten.“

„Zur ‚Gefion‘? -- Was soll das heißen? -- Mit welchem Recht wollten Sie
mich dazu zwingen? -- Meine Papiere sind in Ordnung, ich kann sie Ihnen
vorlegen.“

„Ich bitte darum. -- Aber wollen Sie nicht endlich auch die
Freundlichkeit haben, mir den Namen dieses Herrn zu nennen? Es ist
wirklich von Interesse für mich, Ihren Geschäftsfreund kennen zu
lernen.“

Jetzt hielt es der andere für angemessen, sich selbst vorzustellen.

„Ich heiße Camille Pénurot,“ sagte er, „und bin Materialwarenhändler in
Breskens. Maaning Brandelaar hat mir seine Ladung zum Kauf angeboten,
und ich bin mit ihm gekommen, um mir die Ware anzusehen.“

„Was ohne Zweifel am besten bei Nacht geschieht,“ erwiderte Heideck in
sarkastischem Ton, aber mit unerschütterlich ernster Miene. „Lassen Sie
mich also Ihre Papiere sehen, Mynheer Brandelaar.“

Wie er es nicht anders erwartet hatte, befanden sich diese Papiere
in bester Ordnung. Die dem Reeder Maximilian van Spranekhuizen
in Rotterdam gehörige Fischersmack ‚Bressay‘ kam mit einer Ladung
von gesalzenen Heringen von Lerwick. Kapitän Maaning Brandelaar
-- Bestätigung der englischen Hafenbehörde in Lerwick -- alles in
vollkommener Richtigkeit.

„Sehr schön!“ sagte Heideck. „Zwar hat Kontre-Admiral Sir Frederik
Hollway in Dover sein Visum nicht darauf gesetzt. Aber das war ja auch
gar nicht notwendig.“

Die Wirkung dieser gleichmütig hingeworfenen Worte auf die beiden
Männer war ganz erstaunlich. Pénurots gelbes Gesicht nahm eine fast
grünliche Färbung an; die harten Züge des andern verzerrten sich in
geradezu erschreckender Weise zu einer Grimasse der Wut. Er würgte, als
ob er einen ingrimmigen Fluch hinunterschlucken müßte, und dann, nach
einem schweren Atemzuge, sagte er:

„Einen Admiral Hollway kenne ich nicht, und in Dover bin ich überhaupt
nicht gewesen.“

„Gut! Gut! -- Reden wir von Ihren Geschäften! Oder auch von den
Ihrigen, Herr Pénurot! Die Schiffsladung Heringe, die Sie da kaufen
wollen, ist natürlich nicht für den Absatz in Breskens bestimmt,
sondern für irgend einen Geschäftsfreund in Antwerpen, nicht wahr?“

Er erhielt keine Antwort. Und ruhig, als handelte sich's bei seinem
Reden und Tun um die selbstverständlichsten Dinge von der Welt, wandte
er sich zu dem Schrank, nahm, ehe die Anderen seine Absicht noch recht
begriffen hatten, das zweite Weizenbrot heraus und brach es rasch
mitten durch. Diesmal war es ein zusammengefaltetes Papier, das dabei
zum Vorschein kam. Heideck breitete es auseinander und sah, daß es mit
einer langen Reihe von Fragen in englischer Sprache beschrieben war.

„Sieh da,“ sagte er, „es muß ja ein verwünscht neugieriger Herr
sein, der dies Papier in Ihr Frühstücksbrot hat hineinbacken lassen.
‚Wie stark ist die Besatzung von Antwerpen? Welche Regimenter?
Welche Batterien? Wer sind die Kommandanten der Außenforts? Wie
ist der genaue Plan des Ueberschwemmungsgebiets? Wie verhält
sich die Bevölkerung gegenüber den deutschen Truppen? Wieviel
deutsche Kriegsschiffe liegen im Hafen und in der Schelde? Wie sind
sie verteilt? Genaue Angaben über die Bestückung und Bemannung
aller Kriegsschiffe. Wieviele und welche Schiffe der deutschen
Schiffahrtsgesellschaften sind der deutschen Flotte zugeteilt?
Wieviele Truppen stehen auf der Insel Walcheren? Wieviele in der
Umgebung Antwerpens? Wie sind die Truppen an beiden Ufern der Schelde
verteilt? Sind Truppen bereit gestellt, um auf den Kriegsschiffen
und Transportfahrzeugen eingeschifft zu werden? Ist ein Zeitpunkt
dafür festgesetzt worden? Besteht ein Plan für die Verwendung der
deutschen Flotte? Was verlautet über die Vereinigung der deutschen
Flotte mit der französischen?‘ -- -- Das ist nur ein kleiner Teil
des langen Registers; aber er genügt schon, um die Natur der übrigen
Fragen erraten zu lassen. Was der Tausend möchte Admiral Hollway für
seine armseligen dreißig Pfund alles erfahren? Oder war das nur eine
kleine Anzahlung? Es scheint mir undenkbar, Herr Pénurot, daß Ihr
Korrespondent in Antwerpen für dreißig Pfund so viel sollte liefern
können.“

Die beiden Männer waren von der Wucht des unerwarteten Schlages
offenbar ganz niedergeschmettert. Für einen Augenblick, als Heideck
das Papier aus dem Brot zog, hatte es den Anschein gehabt, als ob
Brandelaar sich auf ihn stürzen und es ihm mit Gewalt entreißen wolle.
Aber der Gedanke an die Soldaten mochte ihn noch zur rechten Zeit von
einer törichten Handlung zurückgehalten haben.

Nun stand er mit zusammengekniffenen Lippen und tückisch glitzernden
Augen da.

„Ich verstehe Sie nicht, Herr Major,“ brachte Pénurot mit sichtlicher
Anstrengung heraus. „Ich weiß nicht das mindeste von diesem Papier, ich
bin ein rechtschaffener Geschäftsmann.“

„Und auch Sie hatten natürlich keine Ahnung von der bedeutsamen Füllung
Ihrer Weizenbrote, Herr Brandelaar? -- Nun, ich bin ja nicht berufen,
das weiter zu untersuchen. Das ist Sache des Kriegsgerichts, und da
wird schon Klarheit in die Angelegenheit kommen.“

Der Materialwarenhändler war leichenfahl geworden. Flehend erhob er die
Hände.

„Gnade, Herr Major, Gnade! So wahr ich lebe -- ich bin unschuldig.“

Heideck tat, als hätte er diese Versicherung gar nicht gehört.

„Uebrigens muß ich euch doch sagen, meine Herren, daß ihr verwünscht
schlechte Geschäftsleute seid. Für jämmerliche dreißig Pfund riskiert
ihr euer Leben? Das war eine unverantwortliche Dummheit. Und wenn
ihr schon einmal auf solche Art Geld verdienen wolltet, hättet ihr
wahrhaftig lieber für uns arbeiten sollen. Wir würden einem Mann,
der uns über die englische Flotte und die englische Armee wirklich
zuverlässige Auskünfte von dieser Art verschafft hätte, ohne Handeln
und Feilschen das fünffache gezahlt haben.“

In den Mienen der beiden Männer schien es bei diesen in beinahe
jovialem Ton gesprochenen Worten wie ein Hoffnungsschimmer
aufzuleuchten. Aber als der Materialwarenhändler eben die Lippen zu
einer Erwiderung öffnen wollte, winkte ihm Heideck, zu schweigen.

„Gehen Sie mal gefälligst für ein Weilchen an Deck, Pénurot,“ sagte
er. „Ich werde Sie rufen, sobald ich die Unterhaltung mit Ihnen
fortzusetzen wünsche. Sie aber, Brandelaar, werden mir vorerst noch
Gesellschaft leisten. Ich möchte ein paar Worte unter vier Augen mit
Ihnen reden.“

Der Mann mit dem modischen Spitzbärtchen gehorchte. Und Heideck wandte
sich an den zurückgebliebenen Holländer:

„Dieser Pénurot ist an allem schuld, nicht wahr? Als Schiffer haben
Sie sich ja wahrscheinlich Ihr Leben lang nicht viel um Politik
gekümmert. Und Sie hatten wohl kaum einen rechten Begriff von der
Gefahr, in die Sie sich begaben. Wenn das Kriegsgericht Sie verurteilt,
haben Sie sich einzig bei Ihrem Freunde Pénurot dafür zu bedanken.“

„Wahrhaftig, Herr, es ist, wie Sie sagen,“ erwiderte der Schiffer mit
gut gespielter Treuherzigkeit. „Ich habe meine Ladung, die ich für die
Firma van Spranekhuizen verkaufen soll, und ich kümmere mich den Teufel
um Krieg oder Spionage. Ich bitte den Herrn Major, ein gutes Wort für
mich einzulegen. Ich hatte keine Ahnung von dem, was in den Broten
enthalten war.“

„Dieser Pénurot hat Sie also ohne Ihr Vorwissen in die Geschichte
hineingezogen. Wollte er denn mit Ihnen nach Antwerpen fahren?“

„Ich will Ihnen alles der Wahrheit gemäß erzählen, Herr Major! Admiral
Hollway in Dover, der doch das ganze Nachrichtenwesen für den Kanal und
die Küstenstrecke von Cuxhafen bis Brest unter sich hat, gab mir die
beiden Brote für Camille Pénurot; das ist alles, was ich von der Sache
weiß.“

„War es denn das erste Mal, daß Sie solche Aufträge für den Admiral
Hollway auszuführen hatten?“

„So wahr mir Gott helfe: das erste Mal!“

„Aber Herr Pénurot sollte die eigenartigen Brote wohl nicht für sich
behalten? Er ist doch ebenfalls nur eine Mittelsperson? Wenn Sie sich
Hoffnung auf meine Fürsprache machen wollen, müssen Sie mir ohne jeden
Rückhalt alles sagen, was Sie darüber wissen!“

„Pénurot hat einen Geschäftsfreund in Antwerpen, wie der Herr Major
ganz richtig vermutet haben.“

„Sein Name?“

„Eberhard Amelungen.“

„Was ist der Mann?“

„Ein Großkaufmann. Meine Schiffsladung ist für ihn bestimmt.“

„Und in welcher Verbindung steht Pénurot mit ihm?“

„Das weiß ich nicht; Pénurot ist ein Agent, der die
verschiedenartigsten Geschäfte betreibt.“

„So? -- Und was sagt der Reeder, Mynheer van Spranekhuizen, dazu,
daß Sie sich auf solche Dinge, wie die Uebermittelung dieser Brote,
einlassen?“

„Mynheer van Spranekhuizen und Mynheer Amelungen sind nahe Verwandte.“

„Mit andern Worten: die beiden Herren haben sich darüber verständigt,
die ‚Bressay‘ von den Shetlandinseln nach Dover und von da nach
Antwerpen zu schicken?“

„Davon weiß ich nichts, Herr Major! -- Ich habe Ihnen alles gesagt, was
ich weiß. Weiter als bis nach Terneuzen darf ja doch kein Schiff in die
Schelde hinein. Und da kann ich in Breskens ebensogut löschen wie in
Terneuzen und die Ware mit der Bahn nach Antwerpen gehen lassen.“

„Nun, Brandelaar, gehen Sie noch einmal hinauf und schicken Sie mir
Herrn Pénurot herunter.“

Schweren Schrittes stapfte der Schiffer die schmale Kajütentreppe
hinauf, und gleich darauf trat Pénurot ein. Heideck lud ihn durch eine
Handbewegung ein, ihm gegenüber Platz zu nehmen und sagte:

„Ich habe mich aus der Vernehmung des Brandelaar davon überzeugt, daß
er ein abgefeimter Spitzbube ist. Es war sehr unvorsichtig von Ihnen
gehandelt, sich mit einem solchen Manne einzulassen. Wenn Sie jetzt
vor ein Kriegsgericht gestellt werden, haben Sie sich bei ihm dafür zu
bedanken.“

„Um Gottes willen, Herr Major -- es soll mir doch nicht ans Leben
gehen? -- Ich beschwöre Sie, haben Sie Mitleid mit mir!“

„Darauf, ob ich persönlich Mitleid mit Ihnen habe oder nicht, wird sehr
wenig ankommen. Sie werden mit mir zur ‚Gefion‘ fahren und dann in
Vlissingen vor ein Kriegsgericht gestellt werden. Denn die Tatsache,
daß Sie Brandelaars Mitschuldiger geworden sind, läßt sich nicht aus
der Welt schaffen. Er hat soeben mit aller Bestimmtheit behauptet, die
beiden Brote seien für Sie bestimmt gewesen.“

„Für mich? -- Das ist eine nichtswürdige Lüge. Noch nicht einen Penny
habe ich von den Engländern erhalten.“

„Na, so ganz ohne besonderen Grund machen Sie sich doch wohl nicht das
Vergnügen, zu nächtlicher Stunde ein Heringsschiff zu besuchen? Die
Ladung konnte doch wohl auch ohne Ihre Besichtigung an Herrn Eberhard
Amelungen abgeliefert werden?“

„An Eberhard Amelungen?“

„Stellen Sie sich doch nicht so unwissend! Brandelaar hat schon so viel
gestanden, daß Sie ruhig alles zugeben können. Die Herren Amelungen
und van Spranekhuizen sind im Komplott miteinander, um eine ganz
regelrechte Spionage im Interesse Englands zu betreiben. Sie werden als
Mittelsperson benutzt, und Maaning Brandelaar versucht, sich heraus zu
winden, indem er Sie opfert.“

„Wahrhaftig, so scheint es. -- Aber ich bin ganz unschuldig, Herr Major
-- ich habe von all dem nichts gewußt. Als Brandelaar das letzte Mal
aus der Schelde hinausfuhr, besuchte er mich hier in Breskens, und da
sagte er mir, daß er bald wiederkehre und daß es ein gutes Geschäft für
mich werden würde.“

„Wann ist das gewesen?“

„Vor drei Wochen. Ich hatte keinen Grund Brandelaar zu mißtrauen, weil
er schon öfter für Eberhard Amelungen geliefert hatte.“

„Und heute? Weshalb sind Sie an Bord gekommen?“

„Brandelaar verlangte es. Er sagte, ich solle mir die Ladung ansehen
und mit ihm besprechen, ob hier oder in Terneuzen gelöscht werden
solle.“

„Nun wohl, Herr Pénurot, ich will Ihnen etwas sagen. Sie werden mit mir
nach Antwerpen fahren, und ich werde mich dort bei Herrn Amelungen
davon überzeugen, ob Sie wirklich so unschuldig sind, wie Sie sagen,
und wie ich Ihnen einstweilen gern glauben will.“

Der Materialwarenhändler schien noch immer einigermaßen beunruhigt.

„Aber der Herr Major werden mich doch nicht vor das Kriegsgericht
bringen?“

„Das wird sich finden. Ich verspreche Ihnen nichts. Alles wird von der
Auskunft abhängen, die ich von Herrn Amelungen über Sie erhalte, und
davon, wie Sie sich fernerhin benehmen. Ich werde jetzt Brandelaar
wieder herunterkommen lassen, und Sie werden schweigen, während ich mit
ihm rede.“

„Ich werde selbstverständlich alles tun, was der Herr Major befehlen.“

Brandelaar wurde in die Kajüte gerufen, und Heideck sagte:

„Hören Sie, Maaning Brandelaar, ich weiß alles, und ich brauche Ihnen
wohl nicht erst zu sagen, daß es mehr als genug ist, um Ihnen nach
Kriegsrecht den Hals zu brechen. Aber ich will Ihnen einen Weg zeigen,
wie Sie sich retten können: Fahren Sie morgen nach Terneuzen und warten
Sie dort auf Nachricht von mir. Ich werde Ihnen die Ausführung Ihres
Auftrages bequem machen, indem ich selbst Ihnen die Antworten auf die
Fragen des Admirals Hollway aufschreibe. Die mögen Sie dann Ihrem
Auftraggeber nach Dover bringen. Aber ich werde Ihnen gleichzeitig eine
Reihe von Fragen mitgeben, auf die Sie Ihrerseits mir zuverlässige
Antworten nach Vlissingen zu bringen haben. Führen Sie diese Mission
zu meiner Zufriedenheit aus, so zahle ich Ihnen bei Ihrer Rückkehr
dreitausend Mark. Da Sie außerdem Ihre Belohnung von dem Admiral
erhalten, machen Sie also ein recht gutes Geschäft. Aber hüten Sie sich
vor jedem Versuch, mich zu betrügen, er würde herzlich schlecht für
Sie ablaufen. Ich weiß ja nun, wo ich Sie fassen kann, und Sie würden
verhaftet werden, sobald Sie sich wieder irgendwo an der holländischen
Küste zeigten. Also gehen Sie weislich mit sich zu Rate!“

Das breite Gesicht des Schiffers hatte sich immer mehr aufgehellt, und
jetzt verzog er die Lippen zu einem pfiffigen Grinsen.

„Dreitausend Mark! Wenn das ein Wort ist, Herr Major, so können Sie
sich darauf verlassen, daß ich Sie ehrlich bediene.“

„Es kommt vielleicht nicht so sehr auf Ihre Ehrlichkeit als auf Ihre
Geschicklichkeit an. Entspricht die Auskunft, die Sie mir bringen,
meinen Erwartungen nicht, so wird selbstverständlich auch die Zahlung
demgemäß ausfallen. Wie die Ware, so der Preis.“

„O, der Herr Major sollen mit mir zufrieden sein. Ich habe drüben meine
Verbindungen, und wenn der Herr Major sonst noch einen Wunsch haben --
Sie sollen sehen, was Brandelaar leisten kann.“

„Gut -- es wird nur in Ihrem eigensten Interesse liegen, mich gut und
zuverlässig zu bedienen.“

Die Mienen des Schiffers wurden plötzlich wieder nachdenklich.

„Eine Besorgnis hätte ich doch noch, Herr Major.“

„Nun -- und was für eine Besorgnis?“

„Meine Leute haben gesehen, daß ein Offizier mit Soldaten auf mein
Fahrzeug gekommen ist. Wenn sie nun drüben in England davon erzählen
und der Admiral daraufhin Argwohn gegen mich schöpft?“

„Er wird keinen Anlaß dazu haben, wenn er sich überzeugt, daß die
Nachrichten zutreffend sind, die Sie ihm bringen. Er wird ja noch
andere Quellen haben als Sie, und wenn er Ihre Nachrichten bestätigt
findet, wird er Ihnen in jeder Hinsicht vertrauen.“

Maaning Brandelaar war durch diese Antwort nicht beruhigt.

„Ja, aber -- -- der Herr Major wollen mir doch wohl keine zutreffenden
Auskünfte geben?“

„Gewiß! Alles, was ich Ihnen aufschreibe, wird vollkommen richtig
sein.“

Diese Antwort ging offenbar über das Verständnis des Schiffers hinaus.
In wortloser Verwunderung starrte er Heideck an.

Dieser aber fuhr ruhig fort:

„Der Admiral will die Stärke der deutschen Armee bei Antwerpen
wissen, und ich will Ihnen sagen, wie es damit steht. Wir haben
hundertzwanzigtausend Mann in Holland und dem kleinen Stück von
Belgien, das wir rund um Antwerpen besetzt halten. In der Festung
selbst liegen dreißigtausend Mann; auf der Insel Walcheren sind nur
fünftausend Mann, die Vlissingen und andere wichtige Punkte besetzt
halten. Das sind ganz zuverlässige Daten.“

Der Kapitän schüttelte den Kopf.

„Wenn nicht der Respekt verböte, es zu vermuten, so würde ich annehmen,
daß der Herr Major mich zum besten halte.“

„Nein, mein Freund, dazu habe ich gar keinen Anlaß; Sie können für
alles einstehen, was ich Ihnen aufschreiben werde, und Ihre Belohnung
wird rechtschaffen verdient sein. Etwas anderes wäre es mit den
Nachrichten, die Sie etwa auf eigene Hand dem Admiral nebenher
überbringen.“

Brandelaar nickte.

„Ich verstehe, Herr Major, und ich werde mich danach richten. Aber neue
Matrosen muß ich doch wohl anmustern. Es ist nicht gut, daß diese hier
so viel wissen. Sie könnten mir doch Unannehmlichkeiten bereiten.“

„Nein, nein, das wäre ganz verkehrt. Behalten Sie ruhig Ihre Leute.
Wenn ich nach Terneuzen komme, werde ich Sie und die Bemannung des
Fahrzeugs in Haft nehmen lassen. Sie werden von mir verhört und nach
einigen Tagen wieder in Freiheit gesetzt werden.“

Diese Aussicht schien dem Schiffer einigermaßen unbehaglich.

„Und wenn der Herr Major inzwischen anderen Sinnes werden und mich doch
vor das Kriegsgericht bringen?“

„Verlassen Sie sich getrost auf mein Wort. Es wird sich nur um ein
Scheinverhör handeln, damit Ihre Leute sich nicht unnütze Gedanken
machen und nichts verraten könnten, was drüben Verdacht erregen möchte.
Es wird im Gegenteil so aussehen, als hätten Sie allerlei Gefahren und
Widerwärtigkeiten zu bestehen gehabt; und wie ich Sie taxiere, mein
werter Herr Brandelaar, werden Sie sich die Gelegenheit nicht entgehen
lassen, dem Herrn Admiral als Entschädigung für die ausgestandene Angst
noch einen Extralohn aus der Tasche zu locken.“



[Illustration]



XXVI.


Als Heideck mit seinem Gefangenen, dem Herrn Camille Pénurot, wieder
auf der ‚Gefion‘ anlangte, fand er den Kommandanten trotz der
vorgerückten Stunde auf Deck. Er meldete sich bei ihm und bat, Pénurot
als Gast zu behandeln.

„Ich war schon in einiger Sorge um Sie,“ sagte der Kapitän, „und nahe
daran, die Dampfpinasse nachzuschicken. Haben Sie etwas Wichtiges in
Erfahrung gebracht?“

„Ich denke wohl. Die beiden Halunken, die ich da abgefaßt habe,
scheinen nicht zu der Gattung der gewöhnlichen Spione zu gehören. Es
sind der Schiffer Brandelaar und der Mann, den ich Ihnen mitgebracht
habe.“

„Haben Sie den Schiffer nicht auch in Haft genommen?“

„Ich habe die Absicht, mich der Leute in unserem Interesse zu bedienen
und hoffe, daß Admiral Hollway sich in seinem eigenen Netze fangen
wird.“

„Ist das nicht ein etwas gewagtes Spiel? Wenn die Kerle den Admiral
Hollway verraten haben, so ist ihnen dasselbe doch wohl mit Sicherheit
auch uns gegenüber zuzutrauen.“

„Ich rechne auch weniger auf ihre Ehrlichkeit, als auf ihren Eigennutz
und ihre Furcht. Um den Engländern Nachrichten über uns zu bringen,
müssen sie wieder zu uns kommen, und ich habe sie also in der Hand.“

„Umgekehrt aber trifft dasselbe zu. Ich gestehe, daß ich zu solchen
Doppelspionen herzlich wenig Vertrauen habe.“

„Mir geht es selbstverständlich ebenso; aber ich glaube endlich den
Weg zu der Zentralstelle für das Spioniersystem der Engländer gefunden
zu haben. Ich kann, um der Sache ganz auf den Grund zu kommen, den
Beistand der beiden Kundschafter nicht entbehren.“

„Eine Zentralstelle?“

„Ja. Die Handlanger, die ihr Leben riskieren, sind doch immer von
untergeordneter Bedeutung, und es gilt vor allem, die höher stehenden
Persönlichkeiten zu ermitteln, die sich weislich im Hintergrunde zu
halten wissen.“

„Ich wünsche Ihnen guten Erfolg.“

„Bevor ich nach Antwerpen gehe, wohin mich Herr Pénurot morgen
begleiten soll, möchte ich dem Reichskanzler Bericht erstatten. Darf
ich bitten, mir morgen früh ein Boot zur Verfügung zu stellen, mit dem
ich nach Vlissingen fahren kann?“

„Gewiß, Sie können jedes Boot erhalten, das Sie zu haben wünschen.“

„Dann bitte ich um die Dampfpinasse.“

„Ist es Ihnen vielleicht bekannt, ob der Kanzler noch lange in
Vlissingen bleiben wird?“

„Das entzieht sich meiner Kenntnis. Antwerpen wäre freilich in mancher
Hinsicht ein besserer Plan; aber er ist nach Vlissingen gegangen, um zu
demonstrieren.“

„Um zu demonstrieren?“ wiederholte der Kommandant verwundert.

„Die Engländer erfahren natürlich, daß er sich dort befindet, und seine
Anwesenheit in Vlissingen muß sie in dem Glauben bestärken, daß unsere
Hauptaktion hier von der Mündung der Schelde aus erfolgen wird.“

„Ist es nicht bewunderungswürdig, daß unser Kanzler im Mittelpunkt
aller Operationen steht, obwohl er weder General noch Admiral ist?“

„Wir haben ähnliches doch schon bei Bismarck gesehen. Wenn wir die
Geschichte der Kriege von 1864, 66 und 1870/71 verfolgen, so stehen wir
unter dem Eindruck, daß Bismarck gleichsam die Seele aller Operationen
war, obwohl er seinen militärischen Titel nur als Dekoration trug.“

„Das ist richtig, aber die Verhältnisse lagen doch wesentlich anders.
Bismarck war ein geschulter Beamter, Diplomat, Botschafter, ehe er
Kanzler wurde. Er hatte selbst den Heerführern gegenüber eine gewaltige
Autorität für sich. Unser neuer Reichskanzler entstammt doch aber einer
ganz anderen Sphäre.“

„Aber auch er hat die Macht einer starken Persönlichkeit für sich, und
diese ist es, die in allen großen Dingen den Ausschlag gibt. Der feine
Instinkt des Volkes fühlt, daß der Kaiser die rechte Wahl getroffen
hat, und die allgemeine Beliebtheit des Kanzlers gewährt ihm auch
den Heerführern gegenüber einen mächtigen Rückhalt. Zudem müssen wir
alle ja immer wieder seinen praktischen Verstand und seinen weiten
Gesichtskreis bewundern. Ist nicht die Besetzung Antwerpens dafür ein
neues Beispiel? Belgien ist sonst von der französischen Armee besetzt,
aber der Kanzler hat bei der französischen Regierung durchgesetzt, daß
wir Antwerpen halten, weil unsere Flotte in der Schelde liegt. Und ich
bin sicher, daß wir es niemals wieder herausgeben werden.“

Der Kommandant schüttelte zweifelnd den Kopf.

„Sie glauben wirklich, daß wir Antwerpen so ohne weiteres werden
behalten können?“

„Wir müssen und werden Antwerpen haben. Die Niederlande und Belgien
mögen bestehen bleiben; denn wir können gerechterweise diese Länder
nicht annektieren. Aber die Niederlande und Antwerpen werden zum
Schutze ihrer eigenen Interessen zum Deutschen Reich in ein engeres
politisches Verhältnis treten. Ihre Regierungen sind auf die Dauer
zu schwach, um der revolutionären Bewegungen in ihren Ländern Herr
zu werden. Wir steuern ja unaufhaltsam auf die Bildung größerer
Staatswesen hin. Die Grausamkeit der Kriege erscheint mir dadurch
etwas gemildert, daß der Krieg in seinen Begleiterscheinungen ein
Einigungsmittel der Völker ist.“

„Das klingt sehr schwärmerisch, Herr Major,“ sagte der Kapitän
verwundert, und dem Gespräch eine andere Wendung gebend fuhr er fort:
„Was für Nachrichten denken Sie durch Ihre Mittelspersonen nach Dover
gelangen zu lassen?“

„Ich denke den Admiral in der Meinung zu bestärken, daß wir
mit der Flotte und zahlreichen Dampfern unserer privaten
Schiffahrtsgesellschaften aus der Schelde herauskommen und mit
Unterstützung der französischen Flotte eine Armee nach Dover
hinüberwerfen wollen.“

„Mich wundert, daß die Engländer so gar keinen Versuch machen, unsere
Stellungen zu forcieren. Man ist fast versucht zu glauben, daß die
englische Marine ebensowenig kriegstüchtig sei, wie die englische
Armee. Wenn unsere Gegner sich stark fühlten, würden sie doch wohl
schon längst vor Brest, Cherbourg, Vlissingen, Wilhelmshaven oder Kiel
erschienen sein. Helgoland könnte eine Panzerflotte doch eigentlich
nicht hindern, in die Elbe einzudringen, es müßte der englischen Flotte
vielmehr ein willkommenes Angriffsobjekt sein. Wenn ich über die
englische Flotte zu gebieten hätte, führe ich mit den älteren Panzern
‚Albion‘, ‚Glory‘, ‚Canopus‘, ‚Goliath‘, ‚Ocean‘ und ‚Vengeance‘
gegen Helgoland. Die kleine Insel würde diesen sechs Linienschiffen
schwerlich lange Stand halten, und die deutsche Nordseeflotte --
vorausgesetzt, es wäre eine vorhanden -- würde ehrenhalber aus
Wilhelmshaven hervorkommen müssen.“

„Daß nichts derartiges geschieht, erklärt sich wohl weniger aus dem
englischen Bewußtsein der eigenen Schwäche, als daraus, daß die
Engländer niemanden haben, dessen Genie der Situation gewachsen wäre.
Gewiß fehlt es ihnen nicht an tüchtigen Admiralen, aber es ist kein
Nelson darunter. Auch unser Krieg wäre ja vielleicht unterblieben,
wenn der Kaiser nicht in dem neuen Kanzler das Genie entdeckt hätte,
dessen unsere Zeit bedarf. Die Kriege gegen Dänemark, Oesterreich
und Frankreich wären ohne Bismarcks Initiative schwerlich gekommen.
Große Staaten können auch bei der elendesten Regierung und bei
den größten Fehlern noch lange bestehen, aber ein Aufschwung, ein
wirklicher Fortschritt ist nur durch das Eingreifen einer gewaltigen
Persönlichkeit möglich.“

„Ich bin darin nicht ganz Ihrer Meinung, denn meiner Ueberzeugung nach
sind es die wirtschaftlichen Verhältnisse, die von Zeit zu Zeit zu
großen Umwälzungen drängen. Glauben Sie, daß den Russen beispielsweise
die Eroberung Indiens gelungen wäre, wenn die dortigen wirtschaftlichen
Verhältnisse innerhalb der eingebornen Bevölkerung besser gewesen
wären?“

„Gewiß nicht. Auch ein großer Mann muß den Boden vorbereitet finden,
auf dem seine Kraft sich betätigen soll. Und ich meine, daß unser
Kanzler eben zur rechten Zeit auf dem Plane erschienen ist.“

Heideck beurlaubte sich von dem Kommandanten und zog sich in seine
Kabine zurück, um einen Bericht aufzusetzen und dann die wohlverdiente
Ruhe zu suchen.

Als er sich am nächsten Morgen Herrn Camille Pénurot kommen ließ,
fand er ihn auffallend verändert. Der stutzerhafte Herr zeigte nicht
mehr die niedergeschlagene Miene von gestern, seine dunklen Augen
leuchteten wie in heller Zuversicht. Jetzt am Tage sah Heideck, daß
sein Gefangener ein recht hübscher Mann von etwa 30 Jahren war, der
mehr einem Spanier, als einem Niederländer glich.

Mit höflicher Verbeugung begrüßte er Heideck, und dann, -- mit einer
gewissen Vertraulichkeit, -- fragte er:

„Verzeihen Sie, Herr Major, -- wenn ich mich um das deutsche Reich
verdient mache, werde ich dann auf eine entsprechende Belohnung rechnen
dürfen?“

„Ich sagte Ihnen schon, Herr Pénurot, daß wir bereit sind, mehr zu
zahlen, als die Engländer.“

„O, es war nicht das, was ich meinte. Sie dürfen mich nicht mit Maaning
Brandelaar und derartigen Leuten auf dieselbe Stufe stellen.“

Heideck lächelte.

„Wollen Sie mir denn gefälligst sagen, Herr Pénurot, auf welchen Platz
ich Sie stellen soll?“

„Ich bin willens, von nun an der Sache der Alliierten alle meine Kräfte
zu widmen.“

„Angenommen! Aber welcher Art sind denn die Wünsche, die Sie
hinsichtlich einer Belohnung hegen?“

„Ich möchte Sie um Ihre Verwendung bitten, Herr Major, daß ich einen
Orden erhalte.“

Heideck konnte sein Erstaunen über diese sonderbare Bitte nicht
verbergen.

„Solche Auszeichnungen werden bei uns in der Regel nur für Handlungen
der Tapferkeit oder für Verdienste gegeben, die durch klingenden Lohn
nicht entsprechend vergolten werden könnten.“

„Auch zu dem, was ich tun will, bedarf es der Tapferkeit.“

„Sie sollen mir doch nur helfen, die Spione in Antwerpen aufzuspüren.“

„Aber es sind gefährliche Leute, deren Feindschaft ich mir zuziehe --
Leute, deren Werkzeuge zu allem fähig sein würden.“

„Seien Sie versichert, Herr Pénurot, daß Ihre Belohnung den geleisteten
Diensten entsprechen wird. Sie wissen doch wohl, daß ich selbst keine
Orden zu verleihen habe, und überdies verstehe ich nicht recht, was
Ihnen gerade an einer Dekoration gelegen sein kann.“

„Sie schätzen meine Gesinnung zu niedrig, Herr Major! Aber damit Sie
mich verstehen, will ich Ihnen ein Geheimnis anvertrauen. Ich liebe
eine Dame aus sehr guter Familie, und ihre Angehörigen würden sich
entgegenkommender gegen mich zeigen, wenn ich einen Orden hätte.“

„Sie sind also mit Ihren Herzenswünschen vermutlich sehr hoch
hinaufgestiegen?“

„Wie man es nehmen will. Ich befinde mich hinsichtlich meiner
Herkunft in jener peinlichen Lage, die das Erbteil aller aus einem
freien Liebesbunde hervorgegangenen Kinder ist. Meine Mutter war eine
spanische Tänzerin, mein Vater aber ist der reiche Herr Amelungen. Er
liebt mich und sorgt für mich. Auch das Geschäft in Breskens hat er
für mich gekauft. Aber seine Frau, eine Engländerin, ist mir wenig
freundlich gesinnt.“

„Ich verstehe Sie jetzt noch weniger wie zuvor! Denn wenn Sie über so
reiche Hilfsquellen verfügen, weshalb, in aller Welt, lassen Sie sich
dann auf derartige gefährliche Unternehmungen ein?“

„Herr Amelungen wünschte es, Herr Major.“

„In Herrn Amelungen also hätten wir den eigentlichen Schuldigen zu
erblicken?“

„Um Gottes willen, Herr Major, Sie werden mein Vertrauen doch nicht
mißbrauchen? Ich wäre trostlos, wenn ich durch meine Aeußerungen das
Unglück des Herrn Amelungen verursachte.“

„Machen Sie sich keine unnötigen Sorgen. Herrn Amelungen wird
ebensowenig etwas geschehen, wie Ihnen, wenn Sie ihn bestimmen können,
die Partei zu wechseln und fortan zu uns statt zu den Engländern zu
halten.“

Pénurot senkte den Kopf und schwieg.

„Wie ist es denn mit dem Herrn van Spranekhuizen in Rotterdam?“ fuhr
Heideck fort. „Auch er ist natürlich mit im Bunde?“

„Er ist der Schwager meines Vaters. Seine Frau ist eine geborene
Amelungen.“

„Und was hat eigentlich diese beiden Herren, die doch, wie ich höre,
reiche Kaufleute sind, dazu bewogen, für England Spionage zu treiben?“

„O, Herr Major, das ist doch nicht so wunderbar! Frankreich hat Belgien
besetzt, Deutschland die Niederlande. Darüber herrscht im Lande
natürlich große Erbitterung.“

„Mag sein. Aber wohlhabende Kaufleute pflegen sich trotzdem nicht aus
bloßem Patriotismus in Gefahr für Leib und Leben zu stürzen. Das tun in
der Regel nur solche Leute, die nicht viel zu verlieren haben.“

„Ich sagte Ihnen bereits, daß meines Vaters Frau eine Engländerin ist.
Ihr zuliebe tut er vieles, wozu ihn sonst gewiß nichts veranlassen
würde. --“

Heideck erhielt die Meldung, daß die Dampfpinasse bereit sei, und er
forderte Pénurot auf, mit ihm das Fahrzeug zu besteigen. Im Hafen von
Vlissingen verabschiedete er sich für eine Weile von ihm, mit der
Weisung, ihn in einer Stunde auf seinem Bureau aufzusuchen, dessen Lage
er ihm genau bezeichnete. Er hegte keine Besorgnis, daß Pénurot die
Flucht ergreifen würde. Dieses Herrn war er unbedingt sicher.



[Illustration]



XXVII.


Auf seinem Bureau, das in der Nähe des Hotels zum ‚Herzog von
Wellington‘ lag, fand Heideck seine Untergebenen in eifrigster
Tätigkeit. Ein Leutnant war damit beschäftigt, die französischen und
deutschen Zeitungen auf bemerkenswerte Mitteilungen hin durchzusehen,
während ein anderer die russischen und die englischen Blätter
studierte. Von den letzteren gab es freilich nicht viele und nicht die
neuesten Nummern. Denn man war ausschließlich auf diejenige Lektüre
angewiesen, die waghalsige Schiffer und Fischer heimlich von den
britischen Inseln herüberschmuggelten.

Aus Petersburg lagen mehrere Depeschen vor, die neue Siegesnachrichten
aus Indien brachten.

Die russische Armee war bis nach Lucknow vorgedrungen, ohne daß
seit der Schlacht bei Delhi ein nennenswerter weiterer Zusammenstoß
stattgefunden hatte. Es schien, als ob die Engländer vorläufig dem
Feinde ihre Armee nicht mehr im offenen Felde entgegenstellen wollten,
sondern darauf rechneten, daß die Russen bei der nunmehr herrschenden
Sommerhitze und bei der enormen Länge ihrer Etappenstraßen nicht in
genügender Stärke bis zu den südlichen Provinzen gelangen würden,
um einen dort zu leistenden energischen Widerstand zu brechen.
Aber Heideck glaubte nicht mehr an die Möglichkeit eines solchen
Widerstandes und schloß aus den Nachrichten über beständige Nachschübe
durch den Kaiberpaß, daß alle Verluste der Russen rasch genug ersetzt
würden. Den Engländern würde seiner Meinung nach kaum etwas anderes
übrig bleiben, als die Trümmer ihrer Armee in den Häfen von Kalkutta,
Madras und Bombay einzuschiffen und so wenigstens einen Teil der
geschlagenen Streitkräfte aus Indien zu retten.

Während seines Verweilens in dem Bureau kamen unausgesetzt Depeschen
aus Wilhelmshaven, Kiel, Brest und Cherbourg. Der Nachrichtendienst an
der ganzen nördlichen Küste stand unter Heidecks Leitung.

Die strategische Lage war im großen und ganzen, von einzelnen
Seegefechten abgesehen, seit Monaten unverändert. Auf englischer Seite
sowohl wie auf Seite der Alliierten trug man Bedenken, sich auf eine
entscheidende Schlacht einzulassen. Die englischen Flotten wagten so
wenig einen Angriff auf die feindlichen Häfen, als die Geschwader der
vereinigten Festlandsmächte geneigt erschienen, ihr Glück auf hoher
See zu versuchen. Beide Parteien suchten Fühlung mit dem Feinde zu
gewinnen, auf den günstigen Augenblick wartend, wo eine Schwäche des
Gegners Aussicht auf ein erfolgreiches Vorgehen bieten würde.

„Es ist erstaunlich,“ sagte einer der Offiziere aus Heidecks Umgebung,
„was diese Küstenbewohner riskieren. In ihren Fischerbooten fahren sie
über den Kanal und schlüpfen an den Kriegsschiffen vorbei. Der Mann,
der die neuesten englischen Zeitungen gebracht hat, sagte mir, daß
er dicht in der Nähe der Kriegsschiffe hinführe, um den Eindruck der
Harmlosigkeit zu erwecken. Und es bedarf fürwahr nicht geringen Mutes,
um das zu wagen.“

„Aber die Spione unserer Gegner stehen ihnen darin nicht nach. Ich habe
gestern mehr zufällig als durch eigenes Verdienst in der Scheldemündung
einen in englischem Solde stehenden Heringsfischer ertappt, und ich bin
dabei auf eine anscheinend wichtige Spur gestoßen, die ich in Antwerpen
weiter zu verfolgen gedenke. Zuvor aber will ich mich bei dem Kanzler
melden.“

„Sie finden ihn nicht mehr in Vlissingen. Er ist mit dem Kriegsminister
und dem Chef des Generalstabs nach Antwerpen gefahren, wie ich
höre, zum Zwecke wichtiger Verhandlungen mit dem französischen
Generalstabschef.“

„Haben Sie vielleicht auch etwas näheres über die Natur dieser
Verhandlungen in Erfahrung bringen können?“

„Nur soviel, daß die Frage weiterer Mobilmachungen erörtert werden
soll. Es scheint jedoch, als hielte man die sechs Armeekorps, die wir
bis jetzt auf Kriegsfuß haben, für unsererseits ausreichend. Wir führen
keinen Landkrieg, weshalb also sollte man den Völkern ohne zwingende
Not die Lasten einer weiteren Mobilmachung auferlegen?“

„Freilich, die Opfer, die dieser Krieg fordert, gehen ja ohnedies ins
Ungemessene, da Industrie und Handel völlig darniederliegen.“

„Niemand gewinnt bei diesem Weltenbrande als Amerika. Die Vereinigten
Staaten liefern seit Ausbruch des Krieges den Engländern alles, was sie
bisher von dem europäischen Kontinent bezogen.“

„Nun, nach der Entscheidung wird sich ja alles wieder ausgleichen.
Jetzt aber, da es hier nichts Dringendes mehr für mich zu tun gibt, ist
es wohl an der Zeit, daß ich mich nach Antwerpen begebe.“

       *       *       *       *       *

Eberhard Amelungen vermochte seine Betroffenheit nicht zu verbergen,
als er einen Offizier in der Uniform des preußischen Generalstabs über
die Schwelle seines Privatkontors treten sah.

Er war ein Mann von etwa sechzig Jahren und der typischen Erscheinung
des soliden, ehrenhaften Kaufmanns.

„Ich bin einigermaßen überrascht, mein Herr,“ sagte er gemessen. „Womit
kann ich Ihnen dienen?“

Heideck stellte sich vor und nannte ihm ohne Umschweife die Ursache
seines Erscheinens.

„Ich habe Grund, zu vermuten, Herr Amelungen, daß Sie, wenn nicht alle,
so doch einige Hauptfäden eines weitverzweigten Spionagenetzes in Ihren
Händen halten. Und ich glaube, daß es in Ihrem Interesse liegen würde,
mir aus freien Stücken die volle Wahrheit zu sagen. Wir wissen schon so
viel, daß es Ihnen voraussichtlich wenig nützen wird, sich aufs Leugnen
zu verlegen.“

Amelungen spielte mit dem Federhalter, aber seine Hände zitterten
merklich, und er suchte vergebens nach Worten. Sein Gesicht war
aschfahl geworden, und Heideck konnte sich einer Regung des Mitleids
nicht erwehren.

„Es tut mir leid, durch mein Amt zum Vorgehen gegen Sie gezwungen
zu werden,“ fuhr er fort. „Ich kann ja Ihre Beweggründe sehr wohl
verstehen. Sie sind Niederländer und Patriot, und da Sie die politische
Lage vielleicht nicht vollkommen verstehen, stellt sich Ihnen die
Okkupation Ihres Vaterlandes durch eine fremde Macht als ein Gewaltakt
dar, der Sie mit Haß und Zorn gegen uns erfüllt. Darum glaube ich,
Ihnen versprechen zu dürfen, daß man Sie mit aller nur möglichen
Milde behandeln wird, sofern Sie mir meine Aufgabe durch ein offenes
Geständnis erleichtern.“

Eberhard Amelungen schüttelte den Kopf.

„Ich weiß nichts von dem, dessen Sie mich da beschuldigen,“ sagte er
tonlos. „Sie haben die Gewalt in Händen und können daher über mich
verfügen. Aber ich habe nichts zu gestehen.“

„Auch dann nicht, wenn ich Ihnen sage, daß ich meine Wissenschaft aus
dem Munde Ihres eigenen Sohnes habe?“

Der Kaufmann starrte den Sprechenden mit großen, angstvollen Augen an.

„Aus dem Munde meines Sohnes? -- Aber ich -- ich habe ja gar keinen
Sohn.“

„So hat Herr Camille Pénurot also gelogen, als er Sie seinen Vater
nannte?“

„Um Gottes willen, seien Sie barmherzig! Spannen Sie mich nicht auf die
Folter! Was ist's mit Camille? Wo befindet er sich? --“

„Er ist bei der Ausübung der Spionage betroffen worden. Und was weiter
mit ihm geschieht, wird zum großen Teil von Ihrem eigenen Verhalten
abhängen.“

Eberhard Amelungen fiel wie gebrochen in seinen Schreibsessel.

„Mein Gott -- mein Gott! -- Sie haben doch nicht die Absicht, ihn ins
Gefängnis zu werfen -- ihn vielleicht gar zu erschießen?“

„Sein Schicksal liegt, wie Sie sich denken können, nicht allein in
meiner Hand. Aber mein Einfluß ist vielleicht gerade in diesem Fall
ziemlich bedeutend, und es würde jedenfalls von Wert sein, wenn ich
ihn zu Ihren und zu seinen Gunsten in die Wagschale werfen würde.
Darum gebe ich Ihnen noch einmal zu bedenken, ob Sie nicht nach Lage
der Dinge am besten tun würden, ganz offen gegen mich zu sein. Ihre
Hintermänner können Sie nicht mehr schützen, und Sie dürfen Ihre
Hoffnungen nur noch auf die Milde der deutschen Behörden setzen. Weisen
Sie darum die Möglichkeit nicht zurück, sich diese Milde zu sichern.“

Der Handelsherr kämpfte ersichtlich einen schweren Kampf. Aber nach
Verlauf einiger Augenblicke hob er den Kopf und erwiderte in einem
veränderten, trotzig klingenden Tone:

„Machen Sie mit mir, was Sie wollen -- ich habe nichts zu gestehen.“

Nun nahm auch Heideck eine strengere, dienstliche Haltung an.

„Dann werden Sie sich nicht beklagen dürfen, wenn ich jetzt damit
beginne, eine Haussuchung bei Ihnen vorzunehmen.“

„Verfahren Sie, wie Sie es für gut halten. Der Eroberer darf sich ja
alles herausnehmen.“

Heideck öffnete die Tür und ließ zwei der Berliner Kriminal-Polizisten
eintreten, die mit einer großen Anzahl von Schutzleuten nach Antwerpen
kommandiert worden waren, und die er sich für diesen Gang ausgebeten
hatte. Er war allerdings von vornherein überzeugt, daß sie nichts
finden würden; denn Eberhard Amelungen wäre sehr ungeschickt gewesen,
wenn er sich nicht längst auf die Möglichkeit eines solchen Besuches
vorbereitet und danach seine Maßnahmen getroffen hätte. Es war dem
Major, als er sie mitgebracht hatte, viel mehr um den moralischen
Eindruck der ganzen Prozedur zu tun gewesen. Und er war Menschenkenner
genug, um zu sehen, daß dieser in der Tat nicht ausblieb.

„Noch eins, Herr Amelungen,“ sagte er. „Ungefähr in demselben
Augenblick, wo wir hier mit der Nachsuchung beginnen, wird eine solche
auch in Ihrer Privatwohnung erfolgen. Ich erwarte in jeder Minute den
Bericht der damit betrauten Beamten.“

Amelungen atmete schwer. Sein scheuer Blick suchte in Heidecks Gesicht
zu lesen. Dann, nach einem letzten inneren Kampfe, flüsterte er:

„Schicken Sie diese Leute hinaus, Herr Major! -- Ich möchte unter vier
Augen mit Ihnen reden.“

Als Heideck seinem Verlangen Folge geleistet hatte, fuhr er in
hastigen, wie in schwerer Anstrengung hervorgestoßenen Worten fort:

„Sie sehen in mir einen Bedauernswerten, der ganz gegen seinen
Wunsch und Willen in Verhältnisse verwickelt worden ist, die ihn
kompromittieren. Wenn es hier einen Schuldigen gibt, so sind es mein
Schwager van Spranekhuizen und die Dame in Brüssel, die mit meiner Frau
korrespondiert. Ich habe hier und da die Mittelsperson gemacht, wenn es
sich um die Beförderung der Korrespondenzen oder um die Ueberweisung
von Geldbeträgen an die Gräfin -- an die Dame handelte; aber ich habe
persönlich niemals irgend welchen Anteil genommen an den Dingen, die
dabei in Frage standen.“

„Das ist eine Auskunft, die mir nicht genügen kann. Ich setze keinen
Zweifel in die Wahrheit Ihrer Worte, aber ich müßte über alle
Einzelheiten unterrichtet sein, ehe ich von weiteren Maßnahmen gegen
Sie abstehen könnte. Wer ist die Dame, von der Sie sprachen?“

„Eine frühere Hofdame der verstorbenen Königin.“

„Und ihr Name?“

„Gräfin Clementine Arselaarts.“

„Wie sind Sie zu ihrer Bekanntschaft gekommen?“

„Sie ist eine Freundin meiner Frau, die sie im vorigen Jahre
gelegentlich eines Aufenthalts in Brüssel kennen lernte.“

„Und Ihre Frau ist eine Engländerin?“

„Ja -- eine geborene Irwin.“

Eine Flut wehmütiger Erinnerungen stürmte beim Klang dieses Namens auf
Heideck ein.

„Irwin?“ wiederholte er. „Hat diese Dame vielleicht auch Verwandte in
der britischen Armee?“

„Ich hatte einen Schwager, der als Kapitän bei den indischen Lancers
diente. Aber er ist nach den uns zugegangenen Nachrichten in der
Schlacht bei Lahore gefallen.“

Der Major hatte Mühe, seine Erregung zu meistern, doch als hätte er
sich schon zu lange von seiner Pflicht ablenken lassen, kehrte er
hastig zu dem eigentlichen Gegenstand seines Verhörs zurück.

„Sie sagten, daß Sie der Gräfin Arselaarts Geldbeträge überwiesen
haben. In wessen Auftrage? -- Und für wessen Rechnung geschah dies?“

„Für Rechnung der englischen Regierung und auf die Ordre eines
englischen Bankhauses hin, mit dem ich seit vielen Jahren in
geschäftlicher Verbindung stehe.“

„Waren die Beträge bedeutend?“

„Sie beliefen sich während der letzten Zeit auf durchschnittlich
zehntausend Francs im Monat.“

„Und in welcher Form erfolgte die Ueberweisung?“

„Ich sandte die Summen zuweilen in bar, manchmal auch in einem Scheck
auf Brüsseler Bankhäuser.“

„Besitzen Sie irgend welche Ausweise darüber -- vielleicht eine
Quittung von der Hand der Gräfin?“

Amelungen zauderte.

„Ich empfehle Ihnen dringend, mir nichts vorzuenthalten. Für Sie wie
für Ihre in diese Angelegenheit verwickelten Angehörigen steht so viel
auf dem Spiel, daß Ihnen alles daran gelegen sein muß, sich durch
freimütiges Bekennen eine milde Behandlung zu erwirken.“

„Nun denn -- ich besitze solche Quittungen.“

„Wollen Sie sie mir aushändigen?“

Amelungen zog eine Schublade aus seinem Schreibtisch und ließ durch
Federdruck ein dahinter verborgenes Geheimfach aufspringen.

„Da sind sie!“ sagte er, indem er Heideck ein Päckchen von
Briefblättern überreichte. Das scharfe Auge des Majors aber hatte
mit raschem Blick erspäht, daß sich noch andere Papiere in dem Fache
befanden, und mit höflicher Bestimmtheit bestand er auch auf deren
Auslieferung.

„Es sind belanglose Privatbriefe,“ wollte Amelungen einwenden,
„Korrespondenzen meiner Frau, die sie zufällig hier in meinem Kontor
zurückgelassen und von deren Inhalt ich selbst keine Kenntnis habe.“

„Seien Sie versichert, daß wir mit harmlosen Privatkorrespondenzen
keinen Mißbrauch treiben. Aber ich muß unbedingt das Recht in Anspruch
nehmen, mich zuvor durch eigene Prüfung von der Richtigkeit Ihrer
Aussagen zu überzeugen.“

Der Kaufherr mochte wohl einsehen, daß es kein Ausweichen mehr gab, und
überreichte sichtbar erregt Heideck das kleine Konvolut.

Der Major nahm es an sich, ohne den Inhalt sogleich einer genaueren
Prüfung zu unterziehen.

„Und Sie versichern mir bestimmt, Herr Amelungen, daß sich sonst nichts
auf diese Angelegenheit Bezügliches in Ihren Händen befindet?“

„Nichts! Ich versichere es Ihnen bestimmt, Herr Major!“

Heideck stand auf.

„So lege ich Ihnen hiermit die Verpflichtung auf, daß Sie keinen
Versuch machen, die Stadt zu verlassen oder sich sonstwie den deutschen
Behörden zu entziehen. Sie werden diese Verpflichtung nicht nur für
Ihre eigene Person, sondern auch für die Ihrer Gattin übernehmen; und
Sie werden mir außerdem versprechen, sofort alle Beziehungen zu den in
diese Spionage-Angelegenheit verwickelten Persönlichkeiten abzubrechen
-- es sei denn, daß Sie auf unsere Veranlassung und im Einvernehmen mit
uns handelten.“

Eberhard Amelungen, dessen Widerstandskraft in dieser qualvollen Stunde
gänzlich gebrochen schien, nickte zustimmend.

„Ich verspreche Ihnen das eine wie das andere, Herr Major!“

Heideck ließ einen Kriminalbeamten, nachdem er ihm Instruktionen
erteilt hatte, zur Beobachtung zurück und begab sich unverzüglich
in das Bureau des Oberstleutnants von Nollenberg, der dem
Nachrichtendienst für Antwerpen vorstand. Er berichtete ihm von
dem Ergebnis seiner Unterredung und prüfte in seiner Gegenwart die
konfiszierten Papiere.

Es waren zum guten Teil Briefe der Gräfin Clementine Arselaarts an
Frau Beatrix Amelungen, und, abgesehen von einigen Wendungen, die zu
Wachsamkeit und Schnelligkeit mahnten, von unverfänglichem Inhalt.

Daneben aber befand sich in einem besonderen, mehrfach versiegelten
Umschlage ein auf allen vier Seiten engbeschriebenes Briefblatt, das
nicht ohne weiteres leserlich war, weil die Buchstaben scheinbar ganz
regellos und willkürlich durcheinander geworfen waren.

„Chiffreschrift!“ sagte Heideck. „Aber wir werden schon dahinter
kommen, was sie verbirgt. Sie haben ja einige tüchtige Dechiffreure zu
Ihrer Verfügung, Herr Oberstleutnant, und es dürfte gut sein, wenn sie
sich sofort an die Arbeit machten.“

Er setzte die Prüfung fort, und plötzlich schlug es wie eine Blutwelle
in sein Gesicht, denn in seinen Händen hielt er jetzt einen Brief,
dessen Handschrift er auf den ersten Blick als diejenige Ediths erkannt
hatte.

Er lautete:

  ‚Liebe Beatrix! Wie Du siehst, bin ich wieder in England angekommen.
  Du weißt, daß ich als Witwe zurückgekehrt bin, und Du darfst mir
  glauben, daß es schreckliche Dinge waren, die ich erleben mußte.
  Dein Bruder ist bei Lahore auf dem Felde der Ehre gefallen; mir aber
  ist es nach unsäglichen Schwierigkeiten gelungen, unter dem Schutze
  des Generalanwalts Kennedy und seiner Familie Indien zu verlassen.
  Ich müßte ein Buch füllen, um Dir alle Schrecknisse unserer Reise zu
  schildern. Doch es ist wohl jetzt nicht der rechte Zeitpunkt, über
  ein trauriges Einzelschicksal zu klagen. Wir alle sind Fremdlinge und
  Pilger auf Erden, die ihr Kreuz tragen müssen, so wie es ihnen eben
  auferlegt wurde.

  Der unmittelbare Anlaß meines heutigen Schreibens ist eine
  Angelegenheit, in der ich Deiner Meinungsäußerung bedarf. Als ich
  hier bei meinen Eltern ankam, erfuhr ich, daß Onkel Godfrey am
  16. April gestorben ist. Ich weiß nicht, ob Du bereits Kenntnis
  davon hast, da ja jede regelmäßige Verbindung mit dem Kontinent
  unterbrochen ist. Onkel Godfrey hat ein Testament hinterlassen,
  in dem er sein ganzes Vermögen Dir als seiner Nichte und meinem
  verstorbenen Mann zu gleichen Teilen vermacht. Sein Besitz ist
  größer gewesen, als mein Mann ihn geschätzt hatte. Nach der Teilung
  würde meinem Mann ebenso wie Dir eine jährliche Rente von 5000 Pfund
  zugefallen sein. Nun ist Dein Bruder aus dem Leben geschieden, ohne
  eine letztwillige Verfügung zu hinterlassen. Aber mein Rechtsanwalt
  sagt mir, daß ich als seine alleinige Erbin Anspruch auf den ihm
  zugefallenen Teil des Nachlasses habe. Um mich darüber mit Dir
  verständigen zu können, habe ich mich hierher nach Dover begeben;
  denn ich habe erfahren, daß es nur mit Hilfe des Admiral Hollway,
  der den Sicherheitsdienst unserer Küste leitet, möglich sein würde,
  den Brief nach Antwerpen gelangen zu lassen. Zu meiner Ueberraschung
  teilte mir der Admiral mit, daß ihm Dein Name bekannt sei, und er
  übernahm es bereitwilligst, diesen Brief an Dich zu befördern. So
  bitte ich Dich denn um Deine Zustimmung zu einer Teilung von Onkel
  Godfreys Erbschaft zwischen Dir und mir. Ich glaube ja nicht, daß Du
  irgend welche Bedenken haben wirst, aber ich halte es für geboten,
  Deine ausdrückliche Einwilligung einzuholen. Ich werde mich freuen,
  von Dir zu hören, daß es Dir wohl geht.

  Getreulich die Deinige!                     Edith Irwin.

  ~P. S.~ In Indien habe ich die Bekanntschaft eines deutschen
  Offiziers gemacht, der mir während der Schreckenszeit des Krieges
  große Dienste leistete und mir wiederholt das Leben gerettet hat.
  Er ist mit der Familie Kennedy und mir auf der ‚Caledonia‘ bis nach
  Neapel gefahren und von dort nach Berlin weitergereist, während wir
  unsere Reise auf einem Kriegsschiff durch die Straße von Gibraltar
  nach Southampton fortsetzten. Dieser Offizier ist ein Hauptmann
  Heideck vom preußischen Generalstab. Ich würde Dir dankbar sein, wenn
  Du Dich erkundigen wolltest, wo er sich gegenwärtig befindet. Es
  liegt mir daran, seine Adresse zu erfahren. Ich bleibe vorläufig in
  Dover, und Briefe erreichen mich unter der Adresse der Mrs. Jones, 7
  St. Pauls Street.‘

Eine Welt peinigender Erinnerungen lebte beim Lesen dieses Briefes
in Heidecks Herzen auf. Er zweifelte keinen Augenblick, daß die
Nachschrift, in der sein Name vorkam, der eigentliche Zweck des
Schreibens war. Alles andere war sicherlich nichts als ein Vorwand;
denn er wußte, mit welcher Gleichgiltigkeit Edith alle ihre
Geldangelegenheiten behandelte, und war überzeugt, daß es ihr mit der
Regelung dieser Erbschaft durchaus nicht so eilig war, als es nach
ihrem Brief den Anschein haben mußte.

Der Oberstleutnant trat auf ihn zu und sagte:

„Die Entzifferung des Schriftstücks ist schneller gelungen, als ich
zu hoffen gewagt. Und ich habe sofort an das Polizeiamt in Schleswig
telegraphiert, daß der Verfasser, ein gewisser Brodersen, unverzüglich
verhaftet werde. Bitte überzeugen Sie sich selbst, was für Freunde wir
dort unter den Dänen haben.“

Heideck las:

  ‚Im Kieler Hafen liegen von größeren Kriegsschiffen nur die
  Schlachtschiffe ‚Oldenburg‘, ‚Baden‘, ‚Württemberg‘, ‚Bayern‘,
  ‚Sachsen‘, die großen Kreuzer ‚Kaiser‘, ‚Deutschland‘, ‚König
  Wilhelm‘, die kleinen Kreuzer ‚Gazelle‘, ‚Prinzeß Wilhelm‘, ‚Irene‘,
  ‚Komet‘ und ‚Meteor‘, sowie die Torpedodivisionsboote ‚D 5‘ und ‚D
  6‘ mit ihren Divisionen. Außerdem ca. 100 große und kleine Dampfer
  des Norddeutschen Lloyd, der Hamburg-Amerika-Linie, der Stettiner
  Gesellschaft u. a. Alle großen Dampfer sind mit Schnellfeuerkanonen
  und Maschinengewehren, die kleinen nur mit Maschinengewehren
  ausgerüstet. Aus Hannover, Mecklenburg, Pommern und der Provinz
  Sachsen sind 50000 Mann Infanterie und Artillerie mit nur zwei
  Regimentern Husaren in der Nähe von Kiel zusammengezogen worden.
  Ueber die Pläne der deutschen Regierung gehen die Ansichten
  meiner Freunde auseinander. Möglicherweise ist ein Heranziehen
  von Linienschiffen durch den Kaiser Wilhelm-Kanal und ein mit der
  russischen Flotte kombinierter Angriff auf die britische Flotte bei
  Kopenhagen beabsichtigt.

  Am wahrscheinlichsten ist, daß die Transportflotte die bei Kiel
  zusammengezogene Armee aufnehmen und durch den Kaiser Wilhelm-Kanal
  in die Nordsee bringen soll, wo dann eine Vereinigung mit der bei
  Antwerpen liegenden deutschen Schlachtflotte und den von Cherbourg
  herüberkommenden französischen Geschwadern stattfinden würde. Unter
  dem Schutze der Schlachtflotte würde man versuchen, die deutsche
  Armee und die von Boulogne kommenden französischen Truppen bei
  Dover oder sonst einem nahen Punkte der englischen Küste an Land zu
  bringen.

  Ich bestätige Herrn van Spranekhuizen den Empfang von 10000 Frs,
  bitte aber um weitere Uebersendung des doppelten Betrages. Meine
  Agenten setzen ihr Leben ein und wollen nicht billiger arbeiten.‘

„Auch du, mein lieber Brodersen, hast dein Leben eingesetzt,“ sagte
der Oberstleutnant ernst, „und ich möchte in diesem Augenblick nicht
allzuviel dafür geben.“

„Diese Notizen sind für uns recht lehrreich,“ bemerkte Heideck.
„Wenn wir den Admiral Hollway in dem Glauben bestärken, daß wir
nicht von Kiel, sondern von Antwerpen aus eine Landung der deutschen
Truppen in England beabsichtigen, so wird unsere in Kiel vereinigte
Transportflotte mit um so größerer Sicherheit die Nordsee passieren und
die Landung in Schottland bewerkstelligen können.“



[Illustration]



XXVIII.


Aus Brüssel meldete der Oberst Mercier-Milon, daß er die Gräfin
Arselaarts verhaftet habe und einen guten Fang gemacht zu haben
glaube. Die Gräfin sei stark verschuldet und treibe großen Aufwand.
Bis vor kurzem hätte sie sich des finanziellen Beistandes einer hohen
Persönlichkeit zu erfreuen gehabt, seitdem diese sich aber im Auslande
befinde, seien ihre Hilfsquellen versiegt, und sie habe seither den
Engländern vermutlich gegen hohe Belohnung Spionendienste geleistet. Er
sei im Begriffe, ein weit verzweigtes Netz von Kundschaftern in Belgien
und Frankreich aufzudecken.

Auch Herr van Spranekhuizen und Hinnerk Brodersen in Schleswig waren im
Laufe desselben Vormittags verhaftet worden.

„Hätten wir nur sichere Auskunft über die Stärke der britischen
Flotte,“ sagte der Oberstleutnant, der Heideck diese Mitteilungen
gemacht hatte. „Zuweilen bin ich wirklich geneigt, zu glauben, daß
diese Flotte durchaus nicht so gefechtstüchtig ist, wie bisher von
aller Welt angenommen wurde. Es ist eben für den Außenstehenden so
gut wie unmöglich, in die Zustände der englischen Marine einen klaren
Einblick zu gewinnen. Ganz methodisch werden, soweit ich zurückdenken
kann, falsche Berichte über die Flotte offiziell, offiziös und privatim
verbreitet. Von Zeit zu Zeit tritt dann im Parlament irgend ein von
der Regierung dazu bestimmter Redner auf, der die Marineverwaltung in
der heftigsten Weise angreift. Dieser wird von einem Vertreter der
Admiralität widerlegt, und der Welt ist wieder einmal Sand in die Augen
gestreut worden. An einem der letzten Geburtstage der Königin Viktoria
war, wie es hieß, ein gewaltiges Geschwader auf der Reede von Spithead
zur Revue vereinigt. Aber es wurde keinem Ausländer ermöglicht, diese
imposante Flotte näher zu betrachten, und ich bin sehr geneigt, zu
glauben, daß es mit ihr ganz ähnlich bestellt war, wie mit jenen
berühmten Kulissendörfern, die Potemkin der russischen Kaiserin bei
ihrer Reise nach der Krim zeigte. Die offiziellen Angaben gehen dahin,
daß England über 400 Kriegsschiffe hat, wobei die Torpedoboote nicht
eingerechnet sind. Darunter sind aber recht viel veraltete und wenig
kriegstüchtige Fahrzeuge.“

Heideck nickte.

„Wäre die englische Flotte wirklich so kriegstüchtig, wie man glaubt,
so wäre es ja in der Tat schwer zu verstehen, daß sie noch nichts
Entscheidendes unternommen hat.“

„Das ist auch meine Ansicht. Die Flotte von Kopenhagen hätte längst
einen Angriff auf den Kieler Hafen ins Werk setzen können. Es hieß
ja, sie solle die russische Flotte in Schach halten. Aber das war ja
doch anfänglich überflüssig, so lange der Bottnische und der Finnische
Meerbusen vom Eise blockiert waren und die russischen Geschwader sich
gar nicht bewegen konnten. Diese Kriegführung erinnert lebhaft an die
Zustände im Krimkriege, wo eine gewaltige englische Flotte unter allen
Posaunenstößen der Reklame gegen Kronstadt und Petersburg auszog,
aber nichts anderes ausrichtete, als das Bombardement des obskuren
Bomarsund, so daß die englische Presse nur mit Mühe das große Fiasko
ihrer weltberühmten Flotte bemänteln konnte.“

„Ich denke,“ sagte Heideck, zu dem Ausgangspunkt ihrer Unterhaltung
zurückkehrend, „daß wir uns um die Verbindungen der Gräfin Arselaarts
und der Herren Amelungen und Konsorten nicht weiter zu kümmern
brauchen. Mit diesen Leuten mögen sich jetzt die Kriegsgerichte
beschäftigen. Ungleich wichtiger ist mir der Schiffer Brandelaar, den
ich in der Hand habe, und durch den, vielleicht im Verein mit Camille
Pénurot, ich noch Nachrichten über die britische Flotte und deren
beabsichtigte Verwendung zu erhalten hoffe. Brandelaars Schiff dürfte
jetzt vor Terneuzen liegen. Ich möchte Sie bitten, Herr Oberstleutnant,
den Mann und seine Leute noch heute verhaften zu lassen.“

„Wie stimmt das zu Ihrer Absicht, ihn als Spion in unserem Interesse zu
benutzen?“

„Ich vergaß, Ihnen zu sagen, daß es sich dabei um eine zwischen
Brandelaar und mir getroffene Verabredung handelt. Er selbst hielt es
zu seiner eigenen Sicherheit der Mannschaft gegenüber für geboten.
Natürlich darf es sich nur um ein Scheinverhör handeln, und der Mann
muß wegen Mangels an Beweisen sobald als möglich wieder freigelassen
werden, damit er schon morgen nach England zurückkehren kann.“

Der Oberstleutnant versprach, nach dem Wunsche des Majors zu verfahren.

Am Abend desselben Tages traf Heideck in einer verabredeten Weinstube
mit Pénurot zusammen.

„Unser Geschäft ist etwas verwickelt,“ sagte Heideck. „Es muß doch noch
mehr Leute geben, die für Ihren Vater arbeiten, und die wir bisher
nicht kennen.“

„Woraus schließen Sie das, Herr Major?“

„Ihr Vater besaß Briefe, die vom Admiral Hollway bestellt worden waren,
aber nicht durch Brandelaar befördert worden sind.“

„Ja, ja, ich weiß. Ich kann mir's denken.“

„Wissen Sie, wer die Ueberbringer waren?“

„Ich kenne sie nicht genau, aber ich habe meine Vermutungen.“

„Können Sie mir keine sicheren Auskünfte verschaffen?“

„Ich will es versuchen.“

„Wie wollen Sie das anfangen?“

„Es gibt hier Matrosenkneipen, in denen ich die Leute aufzuspüren
hoffe. Aber es sind verzweifelte Burschen, und es ist nicht
ungefährlich, sich mit ihnen einzulassen.“

„Wenn Sie mir jene Kneipen näher bezeichnen wollen, werde ich noch
heute Abend die ganze Gesellschaft, die dort verkehrt, festnehmen
lassen.“

„Um des Himmels willen nicht, Herr Major! Damit würden wir alles
verderben. Diese Menschen würden sich eher in Stücke schneiden lassen,
als daß sie Ihnen etwas verrieten. Wenn jemand sie zum Reden bringen
kann, so bin ich es.“

„Sollten Sie sich da nicht zuviel zutrauen?“

„Nein, nein. Ich verstehe mich darauf, mit ihnen umzugehen, und ich
weiß manches, was ihnen den Mund öffnen wird.“

„Nun wohl, so tun Sie, was Sie können. Die Sache ist wichtig. Mir liegt
sehr viel an einem Mann, der zuverlässige Auskunft über die britische
Flotte beschaffen könnte, und Sie wissen, daß wir mit Geld nicht
sparen.“

Pénurot war auf der Stelle bereit, das schwierige Unternehmen zu
versuchen, und er verabschiedete sich von Heideck mit dem Versprechen,
bald nach Mitternacht hier in der nämlichen Weinstube wieder mit ihm
zusammenzutreffen.

Bald nach ihm verließ Heideck das Restaurant und ging, seine heiße
Stirn zu kühlen, den Quai Van Dyck entlang.

Die Stadt hatte in dieser Kriegszeit ein eigentümlich verändertes
Aussehen angenommen. In den Straßen wimmelte es von deutschen Soldaten,
der sonstige lebhafte Verkehr am Hafen hatte vollständig aufgehört.
Es gab ja keinen Handel mehr, seitdem die deutschen Kriegsschiffe
gleich schwimmenden Zitadellen in der Schelde lagen. Und doch war es
beinahe unbegreiflich, wie das alles so schnell hatte kommen können.
Antwerpen war eine fast uneinnehmbare Festung, wenn die Ueberschwemmung
des umliegenden Landes rechtzeitig ins Werk gesetzt wurde. Aber die
belgische Regierung hatte nicht einmal einen Versuch der Verteidigung
gemacht, als die Spitzen des siebenten und achten Armeekorps in
der Nähe der Stadt erschienen waren. Ohne weiteres hatte sie die
Festung mit all ihren starken Außenforts der deutschen Heeresleitung
ausgeliefert und ihre eigene Armee zurückgezogen. Der Reichskanzler
hatte wohl recht, wenn er die Bedeutung Antwerpens für das Deutsche
Reich so hoch bewertete. Die Bevölkerung war fast ausschließlich
vlämisch, und Antwerpen war somit der Nationalität nach eine deutsche
Stadt.

Aber von der allgemeinen Weltlage kehrten Heidecks Gedanken an diesem
Abend immer wieder zu Edith und ihrem Briefe zurück, so daß er sich
endlich dazu entschloß, ihr noch heute zu schreiben.

Um seinen Plan auszuführen, ging er in das Restaurant zurück, in dem
seine Zusammenkunft mit Pénurot stattgefunden hatte, und ließ sich
Papier und Tinte geben. Als er den Brief beendet hatte, überflog
er noch einmal die Zeilen, in denen er, ganz gegen seine sonstige
Gewohnheit, sein Herz hatte sprechen lassen:

  ‚Meine liebe Edith! Durch einen Zufall gelangte ich bei Ausübung
  meines Dienstes in den Besitz des Briefes, den Du an Frau Amelungen
  geschrieben. Es geschah, als ich nach ganz anderen Dingen suchte,
  und Du kannst Dir wohl denken, wie groß meine Ueberraschung bei der
  unverhofften Entdeckung war.

  Seit der Stunde, da wir uns trennen mußten und Du mir vielleicht
  nicht ohne Groll und Vorwurf die Hand zum Abschied reichtest, fühle
  ich immer mehr, wie unentbehrlich Du mir bist. Ich bewahre jedes
  Wort, das Du zu mir gesprochen, jeden Blick, den Du mir geschenkt, in
  meiner Erinnerung, und immer schöner, immer leuchtender steht Dein
  Bild vor meiner Seele.

  Nie habe ich bei einer Frau einen so schönen, feinen und scharfen
  Geist gefunden wie bei Dir. Ich darf nicht verschweigen, daß Deine
  Gedanken mich anfangs zuweilen erschreckt haben: Deine Anschauungen
  entfernen sich oft so weit von dem Alltäglichen und erheben sich
  so hoch über das Gewöhnliche, daß man Zeit braucht, um sie recht
  zu würdigen. Wenn ich jetzt zurückdenke an das, was mich einst
  befremdete, so geschieht es nur mit Empfindungen der Bewunderung. Von
  Tag zu Tag hat sich der Eindruck vertieft, den ich bei unserer ersten
  Unterredung von Dir empfing, und immer unerschütterlicher ist in mir
  die beglückende Gewißheit geworden, daß die Liebe zu Dir der Inhalt
  meines ganzen künftigen Lebens sein wird.

  Trotzdem darf ich es nicht beklagen, daß ich die Kraft hatte, mich in
  Neapel von Dir zu trennen. Der schöne Traum unseres Zusammenlebens
  wäre von der rauhen Wirklichkeit ja doch bald genug zerstört worden.
  Mein Dienst führt mich bald hierher, bald dorthin, und so lange
  dieser Krieg währt, bin ich nicht eine Stunde lang Herr über mich
  selbst. Wir müssen Geduld haben, Edith! -- Auch dieser Feldzug kann
  nicht ewig währen, und wenn es der Himmel beschlossen hat, mich
  lebend aus ihm hervorgehen zu lassen, werden wir uns wiedersehen, um
  uns nie mehr zu trennen.

  Du wirst mir auf diesen Brief vielleicht nicht antworten können. Denn
  die Verbindung mit Frau Amelungen ist unterbrochen. Aber ich weiß,
  daß Du mir antworten wirst, wenn es Dir möglich ist, und ich bin
  glücklich in der Vorstellung, Dir durch dieses Lebenszeichen eine
  Freude bereitet zu haben, der, wie ich hoffe, bald die noch schönere
  des Wiedersehens folgen wird.

  Laß uns mit Geduld und mit Zuversicht dieser Stunde entgegenharren!‘

Er verschloß den Brief und steckte ihn zu sich, um ihn am folgenden
Tage Brandelaar zu übergeben. Dann wartete er auf das Wiedererscheinen
Pénurots, der ihm versprochen hatte, bis Mitternacht zurück zu sein.
Aber obwohl Heideck noch fast eine Stunde über diese Zeit in der
Weinstube verblieb, wartete er doch vergebens. Die Aeußerungen, die
der natürliche Sohn des Herrn Amelungen über die Beschaffenheit der
an diesem Abend von ihm aufgesuchten Gesellschaft getan, machten den
Major um das Schicksal Pénurots besorgt, und ehe er in sein Quartier
zurückkehrte, ging er zur städtischen Polizei, um zu ersuchen, daß man
in den weniger gut beleumundeten Matrosenkneipen der Hafengegend nach
Herrn Camille Pénurot forsche, von dessen Persönlichkeit er eine genaue
Beschreibung gab.

Auch am nächsten Morgen war noch keine Nachricht von ihm da, und
jetzt zweifelte Heideck kaum noch daran, daß die Angelegenheit einen
für Pénurot unglücklichen Ausgang genommen habe. Aber er durfte sich
in diesem Augenblick nicht mit Nachforschungen nach dem Verbleib des
jungen Mannes aufhalten.

Von dem Oberstleutnant erfuhr er, daß Brandelaar, dessen Schiff in der
Tat vor Terneuzen lag, mit seinen Leuten noch in der Nacht verhaftet,
verhört und wieder entlassen worden war, ganz wie es zwischen den
beiden Offizieren verabredet wurde.

Nun fuhr Heideck ebenfalls nach Terneuzen, um Brandelaar das auf seinem
Bureau zusammengestellte Auskunftsmaterial für den Admiral Hollway
nebst den für ihn so wichtigen privaten Informationen zu überbringen.

Zuletzt, als er ihm auf die versprochene Belohnung eine Anzahlung von
tausend Francs geleistet, händigte er ihm mit genauen Anweisungen für
die Art der Bestellung auch den Brief an Edith ein. Und der Schiffer,
dessen Diensteifer für die deutsche Sache jetzt ohne Zweifel ehrlich
war, versprach wiederholt, alles gewissenhaft und nach bestem Vermögen
zu besorgen.

Als Heideck am Nachmittag nach Antwerpen zurückkehrte, fand er auf
seinem Bureau die polizeiliche Benachrichtigung, daß man Camille
Pénurots Leiche mit mehreren Messerstichen in Hals und Brust in einem
der Hafenbassins gefunden habe. Die Nachforschungen nach den Tätern
seien sofort aufgenommen worden. Bis jetzt aber fehle von ihnen noch
jede Spur.



[Illustration]



XXIX.


Nach der mit Heideck getroffenen Verabredung sollte Brandelaar bei
seiner Rückkehr von Dover in Vlissingen anlegen, und der Major hatte
die Wachtschiffe in der Mündung der Westerschelde angewiesen, die Smack
unbehelligt und ohne Aufenthalt passieren zu lassen. Aber er wartete
von Tag zu Tag vergeblich auf den Schiffer. Das Wetter konnte nicht
an der Verzögerung schuld sein; denn für einen Mann von Brandelaars
Wagemut war es gewiß nicht zu schlecht gewesen. Fast während der ganzen
Zeit hatte ein mäßiger Nordwind geweht, so daß ein geschickter Schiffer
die Fahrt von Dover nach Vlissingen recht wohl in einem Tage hätte
zurücklegen können.

Es mußten also andere Ursachen sein, die den Mann noch immer drüben
zurückhielten. Und Heideck fing schon an zu fürchten, daß entweder
seine oft bewährte Menschenkenntnis ihn diesmal doch im Stiche
gelassen habe, oder daß Brandelaar in England das Opfer irgend einer
Unvorsichtigkeit geworden sei.

Für heute -- es war eine volle Woche seit der Abfahrt des Schiffers
vergangen -- hoffte er am allerwenigsten auf seine Wiederkehr. Denn
der Nordwind hatte sich gegen Abend fast bis zum Sturm gesteigert und
rüttelte ungeberdig an den Fenstern des Hotelzimmers, in dem Heideck
noch um Mitternacht am Schreibtisch saß.

Ein leises Klopfen veranlaßte ihn von seiner Arbeit aufzusehen. Wer
konnte noch in dieser späten Stunde zu ihm kommen? Eine Ordonnanz aus
seinem Tag und Nacht geöffneten Bureau war es sicherlich nicht, denn
Soldatenfinger pflegen kräftiger zu klopfen.

Auf sein ‚Herein‘ öffnete sich zögernd die Tür, und Heideck sah
in dem matt erleuchteten Korridor eine schlanke Gestalt in langem
Wachstuchmantel mit großem Schifferhute, dessen Krempe tief in die
Stirne gedrückt war.

Von einer tollen Vermutung durchzuckt, sprang Heideck auf. Noch in
demselben Augenblick aber riß der vermeintliche Jüngling den Hut herab
und breitete mit einem Jubelschrei die Arme aus:

„Mein teurer -- mein geliebter Freund!“

„Edith!“

In diesem Augenblick verstummten in Heidecks Innern alle andern
Gedanken und Gefühle vor der übermächtigen Freude des Wiedersehens. Er
stürzte auf Edith zu und riß sie an seine Brust. Lange sprachen beide
kein Wort. Aber sie wurden nicht müde, sich zu küssen und einander
lachend wie übermütige Kinder in die Augen zu sehen.

Dann endlich, sich langsam aus seinen Armen befreiend, sagte Edith:

„Du zürnst mir also nicht, daß ich trotz deines Verbots gekommen bin?
Du wirst mich nicht wieder von dir weisen?“

Ihre Stimme drang ihm ins Ohr wie süße, schmeichelnde Musik. Wo wäre
der Mann gewesen, der dieser bestrickenden Stimme hätte widerstehen
können?

„Ich möchte dir wohl zürnen, mein Lieb, aber ich kann nicht -- bei
Gott, ich kann es nicht!“

Und wieder begegneten sich ihre Lippen in einem langen, glühenden Kusse.

„Ich hätte nicht länger leben können ohne dich,“ flüsterte das junge
Weib. „Ich mußte dich wiedersehen, oder ich wäre an meiner Sehnsucht
gestorben.“

„Du Süße, Einzige! -- Aber diese Verkleidung? -- Und wie hast du es nur
angefangen, über den Kanal zu kommen?“

„Ich habe den Weg eingeschlagen, den du mir gezeigt hast. -- Und meine
Verkleidung -- mißfällt sie dir gar so sehr?“

Sie hatte den häßlichen, entstellenden Mantel abgeworfen und stand in
einem dunkelblauen Matrosenanzug vor ihm. Selbst in der malerischen
Kleidung eines indischen Radjah war sie ihm nicht reizender erschienen.

„Was mir daran mißfällt ist nur, daß auch andere Augen als die meinigen
dich darin sehen durften. Aber du bist mir noch immer die Erklärung
schuldig geblieben, wie du hierher gelangen konntest.“

„Mit deinem Liebesboten, deinem Postillon d'amour, der freilich etwas
ungeschlacht und unbeholfen war für eine so zarte Mission.“

„Wie? Mit Brandelaar kamst du?“ rief Heideck überrascht.

„Ja! Schon in dem Augenblick, da ich deinen Brief aus seiner groben
Seemannsfaust empfing, war mein Entschluß gefaßt. Ich fragte ihn, ob
er nach Vlissingen zurückkehre, und als er es bejahte, erklärte ich,
daß er mich mitnehmen müsse, es koste was es wolle. Ich würde ihm
unbedenklich mein ganzes Vermögen für die Ueberfahrt bezahlt haben.
Aber der Gute hat es sehr viel billiger getan.“

„Du Unbesonnene!“ schalt Heideck. Aber der Stolz auf sein schönes,
unerschrockenes Lieb leuchtete ihm dabei hell aus den Augen. „Ich werde
diesem Brandelaar ernsthafte Vorwürfe machen müssen, daß er seine Hand
zu einem so gefährlichen Spiel bieten konnte. Warum aber hat er so
lange mit der Rückkehr gezögert?“

„Ich glaube, er hatte allerlei Geschäfte geheimnisvoller Art. Und nicht
er allein. Auch ich hatte meine Geschäfte. Denn ich wollte nicht mit
leeren Händen zu dir kommen, mein Freund!“

„Nicht mit leeren Händen? Wie soll ich das verstehen?“

„Ich zerbrach mir den Kopf, womit ich dir wohl eine recht große Freude
machen und deinen Zorn über mein plötzliches Erscheinen beschwichtigen
könnte -- diesen schrecklichen Zorn, vor dem ich eine solche Angst
hatte. Und da ich von Brandelaar hörte, daß es deine Aufgabe sei,
militärische Geheimnisse auszukundschaften --“

„Der gute Brandelaar ist ein Schwätzer. Es scheint ja, daß deine
schönen Augen ihn verleitet haben, dir sein ganzes Herz auszuschütten.“

„Und wenn es so gewesen wäre?“ fragte sie mit schelmischem Lächeln.
„Hättest du dann nicht alle Ursache, dich bei ihm wie bei mir dafür zu
bedanken? -- Aber freilich -- du weißt ja noch nicht einmal, was ich
dir mitgebracht habe. Bist du denn gar nicht neugierig?“

„Doch nicht etwa ein militärisches Geheimnis?“

Er sagte es in scherzendem Tone. Sie aber nickte mit wichtiger Miene.

„Jawohl -- ein großes Geheimnis. Der Zufall war mein Bundesgenosse,
sonst wäre ich schwerlich dazu gekommen. Da ist es! -- Aber sei gewiß,
daß ich eine entsprechende Belohnung dafür verlangen werde.“

Sie hatte ihm einen verschlossenen Umschlag gereicht, den sie so lange
unter ihrer Kleidung verborgen gehalten hatte. Und als Heideck in
wachsender Spannung das darin befindliche Blatt entfaltete, erkannte er
auf den ersten Blick das blaue Stempelpapier der englischen Admiralität.

Sobald er die ersten Zeilen gelesen, fuhr er in heftigster Erregung
auf. Sein Gesicht war dunkelrot geworden, und zwischen seinen
Augenbrauen lag plötzlich eine scharfe, tiefeingeschnittene Falte.

„Was ist das?“ stieß er hervor. „Um Gottes willen, Edith, wie kamst du
zu diesem Papier?“

„Wie ich dazu kam? -- Ach, das ist doch ganz nebensächlich. Die
Hauptsache ist doch, ob es für dich einen Wert hat oder nicht. Aber
freust du dich denn nicht darüber?“

Wie hypnotisiert starrte Heideck noch immer auf das mit den
gleichmäßigen Zügen einer geübten Kanzlistenhand beschriebene Blatt.

„Unfaßbar!“ murmelte er. Und dann, indem er seine Augen plötzlich mit
einem beinahe drohenden Blick auf Edith richtete, wiederholte er:

„Wie bist du dazu gekommen?“

„Du fragst wie ein Untersuchungsrichter. Aber du magst es in Gottes
Namen wissen. Der Bruder der Frau, bei der ich in Dover wohnte, ist
als Geheimsekretär bei der Admiralität angestellt -- ein armer,
brustkranker Mensch, der keinen sehnlicheren Wunsch hatte, als den,
sich auf Madeira oder in Aegypten von seinem Leiden zu kurieren.
Ich habe durch die Gewährung der hierzu erforderlichen Mittel ein
menschenfreundliches Werk getan. Ich bat ihn, mir gegen ein weiteres
Geldgeschenk die Kopie eines wichtigen Schriftstückes seines Ressorts
zu geben.“

Sie brach plötzlich ab, denn ein kurzes, schneidendes Auflachen
Heidecks hatte sie mit Schrecken und Bestürzung erfüllt.

„Ein menschenfreundliches Werk!“ wiederholte er im Tone unsäglicher
Bitterkeit. „Ja, wußtest du denn auch, was dieser Mensch dir da
verkaufte?“

„Er sagte, es sei der Plan des englischen Flottenangriffs, und ich
dachte, das würde dich interessieren.“

„Aber du warst dir der Tragweite deiner Handlung nicht bewußt, nicht
wahr? du ahntest nicht, daß deinem Vaterlande ein unberechenbarer
Schaden erwachsen könnte, wenn dieser Plan zur Kenntnis seiner Feinde
gelangte?“

Etwas wie eine furchtbare Angst zitterte aus seiner Stimme. Edith aber
schien seine Aufregung nicht zu begreifen.

„Ich verstehe dich immer weniger,“ sagte sie ungeduldig. „Hier gibt
es doch nur zweierlei: Entweder hat dies Papier Bedeutung für dich,
und dann solltest du mir umsomehr Dank wissen, je wichtiger es dir
erscheint. Oder der Schreiber hat mich hinsichtlich seines Wertes
getäuscht. Und dann verlohnt es nicht der Mühe, noch ein Wort weiter
darüber zu verlieren.“

„Siehst du es so an, Edith?“ fragte er traurig. „Nur so? Dachtest du
nur an dich und an mich, als du mit deinem Golde einen Unglücklichen
bestachst, das schimpflichste aller Verbrechen zu begehen?“

„O, du hast starke Ausdrücke, Liebster! Ich war, bei Gott, auf
derartige Vorwürfe nicht gefaßt. Gewiß dachte ich nur an dich und an
mich, und ich schäme mich nicht im geringsten, es einzugestehen. Denn
für mich gibt es eben auf der Welt nichts Wichtigeres als unsere Liebe.“

„Und dein Vaterland, Edith? -- Gilt es dir nichts?“

„Mein Vaterland -- was ist das? Ein Stück Erde mit Steinen, Bäumen,
Tieren und Menschen, die mir gleichgültig sind, denen ich nichts
verdanke und nichts schuldig bin. Warum sollte ich sie mehr lieben,
als die Bewohner irgend eines anderen Himmelstriches, unter denen es
ebensoviele Gute und Schlechte gibt wie unter ihnen? Ich bin eine
Engländerin -- nun gut: -- Aber ich bin auch eine Christin. Und wer
dürfte mich verdammen, wenn mir die Gebote des Christentums heiliger
wären als alle engherzigen, nationalen Rücksichten? Wenn der Besitz
dieses Papieres euch wirklich zu den Stärkeren machte -- wenn England
statt des erhofften Sieges, der den Krieg ins Endlose verlängern würde,
auch hier eine Niederlage davontrüge -- was wäre für die Menschheit
damit verloren? Man würde vielleicht um so eher Frieden schließen, und
in gerechtem Stolz auf meine Tat würde ich mich dann vor aller Welt zu
ihr bekennen.“

Heideck hatte sie nicht unterbrochen, aber sie sah, daß ihre Worte
keinen Weg gefunden hatten zu seinem Herzen. Mit düsterer Miene stand
er vor ihr, schwer atmend, wie einer, dem eine schwere Last die Brust
beengt.

„Vergib -- aber ich vermag deinem Gedankengang nicht zu folgen,“ sagte
er mit einem traurigen Kopfschütteln. „Es gibt Dinge, die sich nicht
beschönigen lassen, welches Mäntelchen auch immer man ihnen umhängen
mag.“

„Nun denn, wenn es deiner Meinung nach etwas so Ungeheuerliches war,
was ich getan habe -- was hindert uns dann, es ungeschehen zu machen?
Gib mir das Papier zurück, ich werde es vernichten. Dann wird niemand
durch meinen Verrat einen Schaden erleiden.“

Sie streckte ihren Arm nach dem Schriftstück aus, das Heideck noch
immer in den Händen hielt. Aber er gab es ihr nicht, sondern barg es in
der Brusttasche seines Uniformrocks.

„Dazu ist es zu spät. Jetzt, da ich weiß, was dieses Blatt enthält,
gebietet mir mein Pflichtgefühl als Offizier, mich seiner auch zu
bedienen. Du hast mich hier in einen furchtbaren Zwiespalt mit mir
selbst gebracht.“

„Ah, ist das deine Logik? Dein Ehrgefühl verbietet dir nicht, die
Früchte meines Verrats zu ernten; die Verräterin aber strafst du mit
dem ganzen Gewicht deiner Verachtung.“

Er vermied es, ihrem flammenden Blick zu begegnen.

„Ich sagte nicht, daß ich dich verachte, aber -- --“

„Nun, was willst du anderes sagen?“

„Nochmals -- ich verachte dich nicht, aber es entsetzt mich, zu sehen,
wessen du fähig bist.“

„Ist das nicht mit anderen Worten dasselbe? Man kann das Weib nicht
lieben, vor dessen Handlungsweise man sich entsetzt. Sage mir's doch
frei heraus, daß du mich nicht mehr lieben kannst!“

„Es wäre eine Lüge, Edith, wenn ich es sagte. Unser Glück hast du
getötet, nicht aber meine Liebe.“

Sie hörte von seiner Erwiderung nichts als die letzten Worte, und mit
hell aufleuchtendem Blick warf sie sich an seine Brust.

„So schilt mich nach Gefallen, du strenger Mann! Ich will geduldig
alles hinnehmen, wenn ich nur weiß, daß du mich noch liebst und daß
du mein sein wirst, ganz mein, sobald dieser entsetzliche Krieg sich
nicht mehr wie ein Schreckgespenst immer aufs neue zwischen uns drängt.“

Er hatte ihre Liebkosungen nicht erwidert, und nun drängte er sie mit
sanfter Gewalt von sich.

„Verzeih, wenn ich dich jetzt verlassen muß,“ sagte er mit seltsam
gepreßter Stimme, „aber ich muß mit Tagesanbruch in Antwerpen sein.“

„Ist es wirklich so dringend? Darf ich dich denn nicht begleiten?“

„Nein, das ist nicht möglich, denn ich werde auf einer Lokomotive
fahren müssen.“

„Und wann kehrst du hierher zurück?“

Heideck wandte sein Gesicht ab.

„Ich weiß es nicht. Vielleicht entsendet man mich weit fort von
hier, so daß ich keine Möglichkeit finde, mich vorher von dir zu
verabschieden.“

„Mit anderen Worten -- du willst mich nicht wiedersehen? -- Du
schweigst? -- Du hast nicht das Herz, mich zu belügen! Muß ich dich
daran erinnern, daß du geschworen hast, mir zu gehören, wenn du in
diesem Kriege das Leben behieltest?“

„Wenn ich das Leben behielte -- ja!“

Der Ton seiner Erwiderung hatte sie getroffen wie ein Schlag. Und sie
brauchte ihm nicht einmal mehr ins Gesicht zu sehen, um zu wissen,
was in seinem Inneren vorging. Jetzt erst hatte sie begriffen, daß es
keine Hoffnung mehr für sie gab. Heideck hatte nicht gelogen, als er
sagte, daß er sie noch immer liebte, und der Abscheu, den er vor ihrer
Handlungsweise empfand, entband ihn vor dem eigenen Gewissen nicht
von seinem Wort. Aber da er es doch zugleich als eine unumstößliche
Gewißheit empfand, daß er die Verräterin ihres Vaterlandes nimmermehr
zu seinem Weibe machen könnte, drängte seine Auffassung von der Ehre
des Mannes und des Offiziers ihn auf den einzigen Weg, der ihn aus
diesem furchtbaren Widerstreit der Pflichten hinausführte.

Er hatte geschworen, sie zu heiraten, wenn er lebend aus diesem Krieg
hervorginge. Und weil er seinen Schwur so wenig brechen wollte, als
er ihn halten konnte, war er in diesem Augenblick entschlossen, den
Zwiespalt dadurch zu lösen, daß er den Tod suchte, den zu finden sein
Beruf ihm so leicht machte. Mit dem Scharfblick des liebenden Weibes
las Edith in seiner Seele wie in einem offenen Buche. Und sie kannte
ihn so gut, daß sie sich keinen Augenblick der Illusion hingab, durch
Bitten oder durch Tränen seinen Sinn zu ändern. Sie wußte, daß dieser
Mann im stande war, alles für sie zu opfern -- nur nicht seine Ehre.
Und nie war ihre Seele mehr erfüllt gewesen von demütiger Bewunderung,
als in dem Augenblick, da die Erkenntnis, ihn für immer verloren zu
haben, einen dunklen Schleier über all ihre sonnigen Zukunftshoffnungen
breitete.

Sie sprach kein Wort. Und nun, da ihr Schweigen ihn veranlaßte, ihr
sein Gesicht wieder zuzuwenden, sah sie den Ausdruck namenloser Qual
in seinen sonst so beherrschten Zügen. Da erwuchs auch in ihr die
Kraft des großen, befreienden, opfermutigen Entschlusses. Und aus den
Niederungen egoistischer Leidenschaft erhob sich ihre Seele zu der Höhe
selbstlosen Entsagens. Nie aber war es ihre Art gewesen, nur halb zu
tun, was zu vollbringen sie sich einmal vorgenommen hatte. Was hier
geschehen mußte, durfte nicht feige hinausgezögert werden, und kein
weichmütiger Abschied durfte Heideck erraten lassen, daß ein Erkennen
seiner Absichten ihre Handlungsweise bestimmt hatte.

Mit jener heroischen Selbstüberwindung, deren in solcher Lage
vielleicht nur ein Weib fähig ist, zwang sie sich zu äußerer
Gelassenheit und Ruhe.

„Dann hege ich keine Besorgnisse mehr wegen unserer Zukunft, mein
Freund,“ sagte sie mit einem schmerzlichen Lächeln nach langem
Schweigen. „Und ich will dich jetzt nicht länger zurückhalten; denn
ich weiß ja, daß deine soldatischen Pflichten dir über alles andere
gehen müssen. Ich bin glücklich, daß es mir vergönnt war, dich
wiederzusehen. Um der Erfüllung deiner Pflicht in dieser ernsten,
kriegerischen Zeit nicht hinderlich im Wege zustehen, gebe ich dich
frei. Vielleicht führt deine Liebe dich einst freiwillig zu mir zurück.
Doch nun lebe wohl.“

Ihr plötzlicher Entschluß und die Ruhe, mit der sie sich in die
abermalige Trennung fügte, mußten ihm nach dem Vorhergegangenen fast
unbegreiflich erscheinen. Aber ihr schönes Gesicht verriet so wenig von
der verzweifelten Hoffnungslosigkeit ihres Herzens, daß er nach kurzer
Ungewißheit auch diese seltsame Wandlung hinnahm, wie so viele andere
Ueberraschungen, die ihre rätselhafte Natur ihm schon bereitet hatte.

Sie hatte mit so ruhiger Festigkeit gesprochen, daß er ihren Entschluß
unmöglich länger für die Eingebung einer trotzigen oder zornigen Laune
halten konnte.

„Um Gottes willen! Was hast du vor, Edith?“

„Ich werde eine Gelegenheit suchen, morgen nach Dover zurückzukehren.
Hier würde ich dir doch nur im Wege sein.“

„Wir würden uns dann also vor deiner Abreise nicht mehr sehen?“

„Du selbst, mein Freund, sagtest ja, daß wenig Aussicht darauf
vorhanden wäre.“

„Ich bin nicht Herr über mich selbst -- und diese Nachricht --“

„Es bedarf keiner Entschuldigung, und die Rücksicht auf mich soll dich
nicht in der Ausübung deiner dienstlichen Pflichten behindern. Noch
einmal denn: Lebe wohl, mein Teurer, mein geliebter Freund! Der Himmel
schütze dich!“

Sie warf sich an seine Brust und küßte ihn; doch nur für wenige
Sekunden umschlang ihr weicher Arm seinen Nacken. Sie wollte nicht
schwach werden, und doch fühlte sie, daß sie nicht lange mehr die
Kraft haben würde, sich zu beherrschen. Hastig raffte sie ihren
Wachstuchmantel vom Boden auf und griff nach dem Schifferhute.
Wohl hatte Heideck das heiße Verlangen, ihr noch etwas Liebes und
Zärtliches zu sagen, aber es war, als ob ihm von einer unsichtbaren
Faust die Kehle zusammengepreßt würde, und er brachte nichts anderes
über die Lippen, als ein merkwürdig trocken klingendes:

„Lebe wohl, mein Lieb! -- Lebe wohl!“

Als er die Tür hinter ihr zufallen hörte, machte er eine ungestüme
Bewegung, wie wenn er ihr nachstürzen und sie zurückhalten wollte.
Aber nach dem ersten Schritt blieb er stehen und preßte die zur Faust
geballte Linke fest auf das stürmisch pochende Herz. Ein Ausdruck
unbeugsamer Entschlossenheit war auf seinem gleichsam versteinerten
Gesicht, und um seine Mundwinkel hatten sich zwei tiefe, scharfe Linien
eingegraben, als wäre er innerhalb dieser einzigen Stunde um ein
Jahrzehnt gealtert.



[Illustration]



XXX.


Der Schiffer Brandelaar hatte Edith den Namen des am Hafen gelegenen
Gasthofes genannt, in dem ihn eine Nachricht Heidecks noch während der
Nacht erreichen würde, denn er mußte voraussehen, daß der Major den
Wunsch haben würde, ihn so bald als möglich zu sprechen.

Nun war er nicht wenig überrascht, als er statt des erwarteten Boten
seinen schönen, verkleideten Passagier in das niedere, verräucherte
Schänkzimmer eintreten sah, und er ging Edith mit einer gewissen
unbeholfenen Ritterlichkeit entgegen, um sie vor der Neugier und
den Zudringlichkeiten der Männer zu schützen, die mit ihm am Tische
gesessen hatten, und deren verwitterte Gesichter ebensowenig
vertrauenerweckend aussahen, als ihre teerduftende, von Wind und Wetter
arg mitgenommene Kleidung.

Er wollte eine verwunderte Frage an sie richten, aber Edith kam ihm
zuvor.

„Ich muß noch in dieser Nacht nach Dover zurück,“ sagte sie leise und
hastig. „Wollen Sie mich hinüber bringen? -- Ich zahle Ihnen dafür, was
Sie verlangen.“

Bedächtig, aber mit aller Entschiedenheit schüttelte der Schiffer den
Kopf.

„Unmöglich! -- Auch wenn ich schon wieder von hier fortkönnte, bei
diesem Wetter würde es doch nicht gehen.“

„Es muß gehen. Das Wetter ist nicht so schlecht. Und ich weiß, daß Sie
nicht der Mann sind, der sich vor einem Sturm fürchtet.“

„Fürchten -- nein! -- Und es mag wohl sein, daß ich mit meiner Smack
schon schlimmere überstanden habe als diesen. Aber es ist etwas anderes
um die Gefahr, mit der man fertig werden muß, weil man ihr nicht
entrinnen kann, und um die, der man sich leichtsinnig aussetzt. Wenn
ich auf der Fahrt bin, mag kommen, was Gott gefällt; aber so -- --“

„Keine Worte, Brandelaar,“ fiel Edith ihm ungeduldig in die Rede. „Wenn
Sie selber nicht fortkönnen oder nicht fahren wollen, unter Ihren
Bekannten hier wird es doch sicher einen geben, der mutig und gescheit
genug ist, sich auf leichte Art ein paar hundert Pfund zu verdienen.“

In den kleinen Augen des Schiffers leuchtete es auf.

„Ein paar hundert Pfund? Liegt Ihnen wirklich so viel daran, noch heute
von Vlissingen fortzukommen? Wir sind ja doch kaum gelandet!“

„Ja, es liegt mir sehr viel daran. Und ich sagte Ihnen schon, daß es
mir ganz gleichgültig ist, wieviel es kostet.“

Der Schiffer, der offenbar schwankend geworden war, rieb sich
nachdenklich das Kinn.

„Hm! -- Ich selber könnte es allerdings nicht machen. Ich habe wichtige
Nachrichten für den Herrn Major, und er würde es mir mit Recht
verübeln, wenn ich auf und davon ginge, ohne ihn auch nur gesprochen
zu haben. Aber vielleicht -- vielleicht könnte ich einen Schiffer
ausfindig machen, der sich auf das Wagestück einließe, vorausgesetzt,
daß auch für mich etwas dabei abfiele.“

„Gewiß -- gewiß! Ich begehre Ihre Gefälligkeit nicht umsonst. Fünfzig
Pfund für Sie in dem Augenblick, wo ich meinen Fuß in das Boot setze.“

„Wohl! -- Und zweihundert für den Schiffer und seine Leute -- nicht
wahr? Die Männer setzen ihr Leben aufs Spiel -- das dürfen Sie nicht
vergessen. Und sie müssen es außerdem verteufelt geschickt anstellen,
wenn sie unbemerkt an den deutschen Wachtschiffen vorbeikommen sollen.“

„Ja doch -- ja! Weshalb verlieren wir so viel Zeit mit dieser
überflüssigen Verhandlung! Hier ist das Geld -- nun schaffen Sie mir
ein Boot!“

„Gehen Sie dort hinein,“ sagte Brandelaar, auf die Tür eines kleinen,
dunklen Nebenzimmers deutend. „Ich will versuchen, ob es mein Freund
van dem Bosch tut.“

Edith warf, ehe sie seiner Aufforderung Folge leistete, einen Blick zu
dem Manne hinüber, auf den er mit einer Bewegung des Kopfes hingewiesen
hatte. Von gewinnender äußerer Erscheinung war dieser vierschrötige
Seebär sicherlich nicht, aber sein abschreckendes Aussehen vermochte
Edith nicht eine Sekunde lang in ihrem Entschluß zu beirren.

„Gut -- reden Sie mit Ihrem Freunde, Brandelaar! Aber sorgen Sie, daß,
ich nicht zu lange auf seine Zusage warten muß.“

       *       *       *       *       *

Und der wackere Brandelaar mußte in der Tat ein sehr wirksames Mittel
der Ueberredung gefunden haben, denn es waren noch kaum zehn Minuten
vergangen, als er Edith melden konnte, daß van dem Bosch bereit
sei, unter den angebotenen Bedingungen die Fahrt zu wagen. Von der
Gefährlichkeit des Unternehmens sprach er jetzt nicht mehr, als fürchte
er, die junge Engländerin damit von ihrem für ihn so gewinnbringenden
Vorhaben abzuschrecken. Und es wurde von diesem Augenblick an überhaupt
nicht mehr viel von der Sache geredet. Der Weg bis zu der Stelle, wo
der Fischerkutter vor Anker lag, war nicht lang, und wacker kämpfte
sich Edith zwischen den beiden Männern, die schweigend an ihrer Seite
dahinstapften, gegen den in unregelmäßigen Stößen vom Meere her
brausenden Nordsturm vorwärts. In einer Jolle ruderten sie zu dem
Fahrzeug hinüber, und Brandelaar hatte, als er zum Quai zurückkehrte,
seine fünfzig Pfund richtig in der Tasche.

„Wenn Sie der Herr Major nach mir fragt, dürfen Sie ihm getrost die
volle Wahrheit mitteilen,“ hatte Edith ihm gesagt. „Und auch einen Gruß
von mir sollen Sie ihm ausrichten -- einen herzlichen Gruß. Vergessen
Sie das nicht, Brandelaar!“

       *       *       *       *       *

Die beiden Leute des Schiffers, die unten im Kutter schon im
tiefsten Schlafe gelegen hatten, mochten nicht wenig erstaunt und
sicherlich noch weniger erfreut sein über die Zumutung dieser
nächtlichen Fahrt. Aber ein paar Worte, die der Schiffer in seiner
für Edith unverständlichen Sprache zu ihnen gesprochen, hatten ihre
Unzufriedenheit sehr schnell verscheucht. Willig griffen sie jetzt zu,
um die Segel zu setzen und Anker zu lichten. Die mächtigen Fäuste des
Schiffers erfaßten das Steuer; das kleine, fest gebaute Fahrzeug machte
eine kurze Drehung und schoß dann, weit nach einer Seite überliegend,
in die Dunkelheit hinaus.

Nahe genug kam es an der ‚Gefion‘ vorüber, und wenn es zufällig von
dem Lichtkegel des Scheinwerfers getroffen worden wäre, der von Zeit
zu Zeit suchend über die bewegte Wasserfläche hinhuschte, so hätte
die nächtliche Fahrt jedenfalls eine sehr unliebsame Unterbrechung
erfahren. Aber der Zufall war dem tollkühnen Unternehmen günstig. Kein
Zuruf oder Signal von Bord des Wachtschiffes hielt sie auf, und bald
waren die Lichter von Vlissingen im Dunkel verschwunden.

Edith hatte seit der Abfahrt am Mast des Fahrzeuges gestanden, den
Blick unverwandt rückwärts gewendet -- dahin, wo sie alles ließ, was
ihrem Leben bis zu dieser Stunde Wert und Inhalt gegeben hatte. Der
Schiffer und seine beiden Leute, die bei dem ungleichmäßigen Winde
genug mit ihren Segeln zu tun hatten, schienen sich nicht um sie zu
kümmern, und erst als plötzlich eine heftige Regenbö einsetzte, rief
ihr van dem Bosch zu, ob sie nicht lieber hinunter gehen wolle, wo sie
doch wenigstens gegen Wind und Wetter geschützt sei.

Aber Edith rührte sich nicht von der Stelle. Für ihre von allen
Qualen einer grenzenlosen Verzweiflung durchwühlte Seele waren das
Toben des Sturmes, das Klatschen des niederprasselnden Regens und das
zischende Aufspritzen der an den Planken des Bootes zerschellenden
Wellen gerade die rechte Musik. Der nächtliche Aufruhr um sie her
stimmte so ganz zu dem Aufruhr in ihrem Innern, daß sie ihn fast wie
eine Befreiung empfand. Die Kerkerenge einer niedrigen Kajüte wäre
ihr jetzt unerträglich gewesen. Nur daß sie die von dem Salzduft des
nahen Meeres geschwängerte Luft in vollen Zügen atmen, daß sie ihr
Gesicht dem Sturm, dem Regen und dem Wogengischt preisgeben konnte,
hielt ihre Kraft aufrecht. Es war wie ein physischer Kampf, den sie
gegen die brutalen Gewalten der Natur zu bestehen hatte, und seine
nervenaufstachelnde Wirkung half ihr wohltätig über den Jammer ihrer
zerrissenen Seele hinweg.

Sie hatte keinen Maßstab für Zeit und Raum. Nur an dem orkanartigen
Anschwellen des Sturmes, an dem immer wuchtiger werdenden Anprall
der Wellen und dem wilderen Tanz des Bootes nahm sie wahr, daß es
das offene Meer sein mußte, auf dem sie sich befand. Sie war trotz
des Wachstuchmantels völlig durchnäßt, und ein Kältegefühl, das von
den Füßen herauf allmählich ihren ganzen Körper erfaßte, ließ ihre
Glieder erstarren. Aber sie kam trotz alledem nicht einen Augenblick
in Versuchung, sich nach unten in den Kielraum zurückzuziehen. Und der
Gedanke an eine Gefahr blieb ihr fern. Sie hörte die Matrosen fluchen,
und zweimal schlug ein Zuruf des Schiffers an ihr Ohr, der irgend eine
gebieterische Aufforderung zu enthalten schien. Aber um das alles
kümmerte sie sich nicht. Wie wenn sie bereits von allem Irdischen
losgelöst wäre, verhielt sie sich vollständig gleichgültig gegen das,
was um sie her geschah. Je unempfindlicher ihr von der durchdringenden
feuchten Kälte gelähmter Körper wurde, desto unbestimmter, traumhafter
wurden alle auf sie einwirkenden Sinneseindrücke. Es war ihr, als
hätte sie jeden festen Boden unter den Füßen verloren, als flöge sie
auf Sturmesschwingen, frei von allen Hemmungen körperlicher Schwere,
durch den unbegrenzten Raum. Und all das Brausen, Heulen, Prasseln
und Plätschern der entfesselten Elemente floß ihr in ein eintöniges,
majestätisches Rauschen zusammen, das nichts Erschreckendes, sondern
nur noch etwas wundersam Beruhigendes für sie hatte. Ihren langsam
entschwindenden Sinnen wurde der Aufruhr zur erhabenen Harmonie, und so
ganz fühlte sie sich eins mit der großen, allgewaltigen Natur, daß das
letzte Gefühl, dessen sie sich bewußt wurde, ein heißes, inbrünstiges
Sehnen war, in dieser großen Natur aufzugehen, wie eine der ungezählten
Wogen, deren Schaum im Vergehen ihre Füße netzte.

       *       *       *       *       *

Ein Knall, der scharf wie ein Schuß das Chaos von Geräuschen übertönte
-- ein lautes Knattern -- und ein paar wilde Flüche aus rauhen
Seemannskehlen! Wie ein Korkstückchen tanzte und schwankte plötzlich
das Boot auf den Wellen, während das große Segel im Sturm flatterte,
als ob es in der nächsten Sekunde zu tausend Fetzen zerrissen werden
müßte.

Das Pikfall war gebrochen, und die ihres Haltes beraubte Gaffel
schlug mit furchtbarer Gewalt nach unten. Mit der ganzen Kraft
seiner riesenstarken Arme legte sich der Schiffer in das Steuer, um
das Fahrzeug an den Wind zu bringen. Die beiden anderen Männer aber
arbeiteten wie Verzweifelte, um das Segel festzumachen.

An die verkleidete Frau im Wachstuchmantel, die so lange regungslos wie
eine Statue am Mast gestanden, dachte in diesen Augenblicken höchster
Gefahr keiner von den dreien. Erst als das schwierige Werk glücklich
vollbracht war, bemerkten sie ihr Verschwinden. Mit verstörten
Gesichtern sahen sie sich an. Und der Schiffer am Steuer sagte:

„Sie ist über Bord gegangen. Die Gaffel hat sie wohl an den Kopf
getroffen. Da ist nichts mehr zu machen. Warum wollte sie auch an Deck
bleiben!“

Er räusperte sich und spuckte nach Seemannsart ins Meer.

Die beiden anderen sprachen kein Wort. Schweigend gehorchten sie den
Befehlen des Schiffers, der wieder auf die Scheldemündung zuhalten
wollte.

Einen Rettungsversuch machten sie nicht. Es wäre ja auch ein völlig
zweckloses Beginnen gewesen. -- --



[Illustration]



XXXI.


Der letzte fahrplanmäßige Zug nach Antwerpen war längst abgegangen,
als Heideck auf dem Bahnhof ankam. Aber es bedurfte nur einer
kurzen Verhandlung mit dem Eisenbahnlinien-Kommissar, um den Wunsch
des Majors, ihm eine Lokomotive zur Verfügung zu stellen, sofort
zu erfüllen. Als er den Heizerstand bestiegen hatte, legte der
Stationsvorsteher salutierend die Hand an die Mütze und gab dem
Lokomotivführer das Zeichen zur Abfahrt. Wie ein schneidender,
körperlicher Schmerz fuhr es für einen Moment durch Heidecks Brust,
als die Maschine sich stampfend in Bewegung setzte. Was er bei
dieser Abreise für immer hinter sich ließ, war das Glück seines
Lebens. Eine dumpfe, lähmende Traurigkeit lag auf seinem Herzen. Er
erschien sich selber wie ein seelenloser Mechanismus, der gleich
dieser keuchenden, rastlos vorwärts strebenden Lokomotive in blindem
Gehorsam einem fremden Willen untertan war. War doch all sein
Handeln jetzt nicht mehr durch eigene Entschließungen bestimmt,
sondern durch ein unerbittliches, höheres Gesetz -- durch das eherne
Gesetz der Pflicht. Er hatte keine persönliche Freiheit und keine
persönliche Verantwortlichkeit mehr. Sein Weg war ihm so klar und
scharf vorgezeichnet, wie ihn die eisernen Schienengeleise auch diesem
Dampfwagen vorschrieben. Mit fest zusammengepreßten Lippen blickte er
unverwandt vor sich hinaus. Was hinter ihm lag, mußte ja für immer für
ihn abgetan sein. Nur ein gebieterisches ‚Vorwärts‘ durfte fortan noch
seine Losung sein. -- -- --

Um sechs Uhr morgens stand er vor dem königlichen Schlosse an der Place
de Meir, wo der Prinz-Admiral sein Quartier aufgeschlagen hatte. König
Leopold hatte ihm das Schloß als Wohnung angeboten.

Trotz der frühen Stunde wurde Heideck sofort in das Arbeitskabinett des
Prinzen geführt.

„Königliche Hoheit,“ sagte Heideck, „ich bringe eine Meldung von
größter Wichtigkeit. Diese Ordre der englischen Admiralität ist in
meine Hände gefallen.“

Der Prinz wies ihm einen Platz neben seinem Schreibtisch an.

„Lesen Sie mir bitte die Ordre vor, Herr Major!“

Heideck verlas das bedeutungsvolle Schriftstück:

  ‚Den Lords der Admiralität erscheint es wünschenswert, die deutsche
  Flotte als die schwächere zuerst anzugreifen. Dieser Angriff auf die
  deutsche Flotte muß ausgeführt werden, bevor die russische im stande
  ist, ihr im Hafen von Kiel zu Hilfe zu kommen. Daher ist am 15. Juli
  ein gleichzeitiger Angriff auf die beiden Stellungen der deutschen
  Flotte zu richten.‘

„Am 15. Juli?“ wiederholte der Prinz, der sich in großer Erregung
erhoben hatte. „Und heute haben wir den elften! Wie sind Sie in den
Besitz dieser Ordre gekommen, Herr Major? Welche Beweise haben Sie für
die Echtheit dieses Schriftstückes?“

„Ich habe die triftigsten Gründe, Königliche Hoheit, es für echt zu
halten. Königliche Hoheit wollen sich überzeugen, daß diese Ordre auf
dem blauen Stempelpapier der englischen Admiralität geschrieben ist.“

„Sehr wohl, Herr Major! -- Aber das würde eine Fälschung doch nicht
ausschließen. Wie kamen Sie in den Besitz des Papiers?“

„Königliche Hoheit wollen mir gnädigst eine Erklärung darüber erlassen.“

„Dann lesen Sie weiter!“

Heideck folgte diesem Befehl:

  ‚Am genannten Tage hat die Flotte von Kopenhagen den Kieler
  Hafen anzugreifen. Zwei Linienschiffe legen sich vor die Festung
  Friedrichsort und das Fort Falkenstein auf der westlichen Seite, zwei
  andere Linienschiffe vor die Festungswerke bei Labö und Möltenort
  auf der östlichen Seite der Kieler Förde und unterhalten ein so
  intensives Feuer auf die Festungswerke, daß die übrige Flotte hinter
  ihnen und in ihrem Schutze in den Hafen einfahren kann.

  Im Kieler Hafen liegen etwa hundert Transportschiffe und einige
  ältere Panzerschiffe und Kreuzer, die dem Angriff unserer Flotte
  keinen ernstlichen Widerstand entgegensetzen können. Alle diese
  Schiffe müssen mit äußerster Schnelligkeit und Wucht angegriffen
  werden. Es ist das Hauptaugenmerk darauf zu richten, daß ein
  Linienschiff sogleich bis zum Eingang des Kaiser-Wilhelm-Kanals
  vordringt, um den deutschen Schiffen den Rückzug durch diesen Kanal
  abzuschneiden. Sämtliche im Hafen liegenden deutschen Schiffe sind
  zu zerstören. Der Angriff ist dadurch einzuleiten, daß einige
  Kreuzer der übrigen Flotte voran in die Kieler Förde einlaufen, ohne
  Rücksicht darauf, daß sie durch Seeminen in die Luft gesprengt werden
  könnten. Diese Fahrzeuge sind eventuell zu opfern, um die Einfahrt
  frei zu machen.

  Zum Angriff auf die deutsche Flotte in der Schelde, der ebenfalls
  am 15. Juli erfolgen muß, hat Vizeadmiral Domvile aus den
  Kanalgeschwadern und der Kreuzerflotte eine Flotte von zwei
  Divisionen zu bilden.

  Die erste Division ist zu bilden aus den Linienschiffen: ‚Bulwark‘
  (Flaggschiff des Vizeadmirals Domvile), ‚Albemarle‘, ‚Duncan‘,
  ‚Montagu‘, ‚Formidable‘, ‚Renown‘, ‚Irresistible‘ und ‚Hannibal‘.
  Ferner aus den Kreuzern ‚Bacchante‘ (Kontreadmiral Walker),
  ‚Gladiator‘, ‚Najad‘, ‚Hermione‘, ‚Minerva‘, ‚Rainbow‘, ‚Pegasus‘,
  ‚Pandora‘, ‚Aboukir‘, ‚Vindictive‘ und ‚Diana‘.

  Ferner aus den Torpedobootzerstörern: ‚Dragon‘, ‚Griffon‘,
  ‚Panther‘, ‚Locust‘, ‚Boxer‘, ‚Mallard‘, ‚Coquette‘, ‚Cygnet‘ und
  ‚Zephyr‘.

  Ferner aus zwei Torpedobootflottillen.

  Zwei Munitionsschiffe, zwei Kohlenschiffe und ein Lazarettschiff
  werden der Division zugeteilt.

  Die zweite Division ist zu bilden aus den Linienschiffen: ‚Majestic‘
  (Vizeadmiral Lord Beresford), ‚Magnificent‘ (Kontreadmiral Lambton),
  ‚Cornwallis‘, ‚Exmouth‘, ‚Russell‘, ‚Mars‘, ‚Prince George‘,
  ‚Victorious‘ und ‚Caesar‘.

  Ferner aus den Kreuzern: ‚St. George‘ (Kommodore Winsloe), ‚Sutley‘,
  ‚Niobe‘, ‚Brillant‘, ‚Doris‘, ‚Furious‘, ‚Pactolus‘, ‚Prometheus‘,
  ‚Juno‘, ‚Pyramus‘ und ‚Pioneer‘.

  Ferner aus den Torpedobootzerstörern: ‚Myrmidon‘, ‚Chamois‘, ‚Flying
  Fish‘, ‚Kangaroo‘, ‚Desperate‘, ‚Fawn‘, ‚Ardent‘, ‚Ariel‘ und
  ‚Albatroß‘.

  Ferner aus zwei Torpedobootflottillen.

  Zwei Munitionsschiffe, zwei Kohlenschiffe und ein Lazarettschiff sind
  der Division zuzuteilen.

  Ein Geschwader unter dem Kommodore Prinz Louis von Battenberg
  (Flaggschiff: ‚Implacable‘) bleibt in Reserve, um die etwaige
  Annäherung einer französischen Flotte zu beobachten. Für den Fall,
  daß eine solche sich zeigt, hat die erste Division sich mit diesem
  Reservegeschwader unter dem Oberbefehl des Vizeadmirals Domvile zu
  vereinigen und die französische Flotte mit aller Energie anzugreifen,
  während es der zweiten Division überlassen bleibt, den Kampf mit
  der deutschen Flotte aufzunehmen. Die für den Angriff der ganzen
  Flotte gegebenen Befehle gelten alsdann allein für die zweite
  Division. Seiner Majestät Regierung erwartet, daß die Division im
  stande sein wird, auch ohne Hilfe der ersten Division den Feind zu
  besiegen. Sobald die Aufklärungsschiffe der zweiten Division die
  deutschen Wachtschiffe aus der Mündung der Westerschelde vertrieben
  haben, hat die linke Flügelgruppe der Schlachtschiffe das Feuer auf
  Vlissingen, die rechte auf die Landbefestigungen des südlichen Ufers
  zu eröffnen. Doch halten sich die Flügel nicht auf, sondern dampfen
  mit der übrigen Flotte weiter, und die ganze Division dringt bis
  gegen Antwerpen oder so weit vor, bis sie die deutsche Schlachtflotte
  trifft. Diese Flotte ist mit äußerster Energie anzugreifen.

  Die näheren Bestimmungen über die Art des Angriffs bleiben dem
  Vizeadmiral Domvile überlassen.

  Sollte sich wider Erwarten die deutsche Schlachtflotte beim Beginn
  des Angriffs in der Scheldemündung zu einem Vorgehen ihrerseits
  entschließen, so muß der kommandierende Admiral den Umständen
  gemäß nach eigenem Ermessen handeln, wobei in erster Linie zu
  berücksichtigen ist, daß mehr daran liegt, möglichst viele deutsche
  Schiffe wegzunehmen, als sie zu zerstören, um die genommenen Schiffe
  für den weiteren Verlauf des Krieges im eigenen Dienst zu verwenden.‘

Schweigend war der Prinz-Admiral dieser Vorlesung gefolgt. Deutlich
spiegelte sich auf seinem Antlitz die Erregung wieder, in die das
Gehörte ihn versetzt hatte.

„Eine starke innere Wahrscheinlichkeit spricht für die Echtheit dieser
Ordre,“ sagte er nachdenklich, „aber ich möchte dafür doch noch
andere und zuverlässigere Beweise haben; denn die Möglichkeit einer
absichtlichen Irreführung ist nicht ausgeschlossen. Woher stammt dieses
Schriftstück, Herr Major?“

„Königliche Hoheit haben bereits meine untertänigste Meldung darüber
erhalten, daß ich den Schiffer Brandelaar, den ich als englischen Spion
verhaftet hatte, bewogen habe, fortan in unserem Interesse tätig zu
sein. Brandelaars Boot hat diese Ordre gebracht.“

„Wo ist dieser Mann?“

„Sein Boot liegt im Hafen von Vlissingen.“

„Und auf welche Weise will Brandelaar in den Besitz dieses
Schriftstückes gelangt sein?“

„Nicht Brandelaar selbst hat mir die Ordre übergeben, sondern eine
Dame, eine Engländerin, die mit ihm von Dover herübergekommen ist.
Meine Ehre legt mir Schweigen auf. Ich darf den Namen dieser Dame
nicht nennen, aber ich hege die feste Ueberzeugung und glaube, mich
dafür verbürgen zu können, daß das Schriftstück im Bureau des Admirals
Hollway wortgetreu nach dem Original kopiert worden ist.“

„Man wird wohl bald Mittel und Wege finden, sich darüber zu
vergewissern, ob die britische Flotte Vorbereitungen zur Ausführung
dieser Ordre trifft. Jedenfalls wäre dann endlich der Zeitpunkt zu
energischem Handeln gekommen. Seine Majestät hat ein ähnliches Vorgehen
der britischen Flotte vorausgesehen, und wir haben nunmehr den Plan des
allerhöchsten Kriegsherrn auszuführen. -- Ich danke Ihnen, Herr Major!“

Heideck verneigte sich und wandte sich zum Gehen. Er fühlte, daß es
mit seinen Kräften beinahe zu Ende sei, und bewahrte nur noch mit Mühe
seine straffe, militärische Haltung.

Als er schon auf der Schwelle stand, kehrte der Prinz sich ihm noch
einmal zu:

„Ich glaube Ihnen eine Ehre damit zu erweisen, Herr Major, wenn ich
Ihnen Gelegenheit gebe, dem großen Ehrentage unserer jungen Flotte in
meiner unmittelbaren Umgebung als Augenzeuge beizuwohnen. Melden Sie
sich am Morgen des 15. Juli bei mir an Bord meines Flaggschiffes. Für
die Besetzung Ihres jetzigen Postens werde ich Sorge tragen.“

„Königliche Hoheit sind sehr gnädig!“

„Sie haben Anspruch auf meinen Dank. Auf Wiedersehen also, Herr Major!“

Ohne eine Minute zu verlieren, berief der Prinz den diensttuenden
Adjutanten und erteilte ihm den Befehl, sofort mehrere Kopieen des
englischen Flottenplanes anfertigen zu lassen.

Eine dieser Kopieen war für den kommandierenden Admiral der
französischen Flotte in Cherbourg bestimmt, und dem Feldjäger, der das
Papier überbringen sollte, gab der Prinz ein eigenhändiges Schreiben
mit, worin er den Admiral dringend ersuchte, alles daran zu setzen, um
mit einer möglichst starken Schlachtflotte am 15. früh vor Vlissingen
erscheinen zu können und der deutschen Flotte in ihrem Kampf gegen die
überlegene englische Flotte zu Hilfe zu kommen.



[Illustration]



XXXII.


  ‚Mein lieber Freund und Kamerad! Obwohl mir das Schreiben noch
  recht sauer fällt, kann ich es mir doch nicht versagen, der Erste
  zu sein, der Sie zur Verleihung des Ordens vom ‚Heiligen Wladimir‘
  beglückwünscht. Ein in unserem Kriegsministerium beschäftigter Freund
  benachrichtigt mich soeben von der heute erfolgten Unterzeichnung der
  Verleihungsurkunde, und ich hoffe, daß diese Dekoration, auf die Sie
  sich durch Ihre bei der Besetzung von Simla geleisteten Dienste einen
  so berechtigten Anspruch erworben haben, Ihnen einige Freude bereiten
  wird. Sie wissen ja, daß der ‚Wladimir‘ nur an Russen oder an Fremde,
  die in russischen Diensten stehen, verliehen werden darf, und Sie
  werden darum einer der wenigen deutschen Offiziere sein, deren Brust
  dieses hierzulande sehr hoch gehaltene Ehrenzeichen schmückt.

  Daß mein Glückwunsch aus St. Petersburg datiert ist, wird Sie
  Wunder nehmen; denn Sie vermuten mich ohne Zweifel noch unten im
  sonnigen Indien, dem Schauplatz unserer gemeinsam bestandenen
  Kriegsabenteuer. Sicherlich wäre ich auch bis zur Beendigung des
  Feldzuges dort geblieben, wenn nicht eine englische Kugel meiner
  militärischen Tätigkeit -- wie Sie sich denken können, allzufrüh für
  meinen Ehrgeiz -- vorläufig ein Ziel gesetzt hätte. Unversehrt aus
  zwei großen Schlachten und einer ganzen Anzahl kleiner Scharmützel
  hervorgegangen, mußte ich mich leider bei einem ganz unbedeutenden
  und ruhmlosen Zusammenstoß zum Invaliden schießen lassen. Und wenn
  nicht ein heldenmütiges Weib meine Retterin gewesen wäre, hätten Sie
  von Ihrem alten Freunde Tschadschawadse nichts anderes mehr gehört,
  als daß auch er unter den auf dem Felde der Ehre Gebliebenen gewesen
  sei.

  Erraten Sie den Namen dieses Weibes, Herr Kamerad? Ich denke wohl,
  daß mein angeblicher Page Georgij Ihrer Erinnerung nicht ganz
  entschwunden ist, und ich sage Ihnen wohl nichts neues, wenn ich
  heute den Schleier des Geheimnisses lüfte, mit dem ich in Indien aus
  naheliegenden Gründen seine Beziehungen zu mir umgeben mußte. Georgij
  war ein Mädchen, und sie hat mir jahrelang näher gestanden als irgend
  jemand. Sie war zwar einfacher Herkunft und besaß sehr wenig von
  dem, was wir Bildung nennen. Aber sie war mir trotzdem das liebste
  Geschöpf, dem ich auf meinen Fahrten durch die Länder zweier Erdteile
  begegnet bin; ein wunderbares Gemisch von Wildheit und Herzensgüte,
  von unbändigem Stolz und selbstloser, hingebender Zärtlichkeit; ein
  Kind und eine Heldin. Aus reiner Zuneigung, nicht um irgend eines
  Vorteiles willen, hatte sie sich mir zu eigen gegeben und war mir auf
  meinen Reisen gefolgt. Ihr eigener Wille war es gewesen, die Rolle
  eines Dieners zu spielen. Ich will indessen nicht damit sagen, daß
  sie niemals von der Macht, die sie über mich besaß, Gebrauch gemacht
  hätte, denn sie war stolz und wußte zu herrschen.

  Einmal -- es war im Beginn unserer indischen Reise -- hatte ich,
  aufs äußerste gereizt durch ihren trotzigen Stolz, meine Hand gegen
  sie erhoben. Ein einziger Blick des Mädchens brachte mich sofort
  zur Besinnung, noch ehe die Züchtigung erfolgt war. Und später, als
  mein Blut sich längst beruhigt hatte, sagte sie mir, den flammenden
  Zorn noch immer in den Augen: ‚Hättest du mich wirklich geschlagen,
  so wäre ich auf der Stelle von dir gegangen, und keine Bitte hätte
  mich je bestimmt, zu dir zurückzukehren.‘ Ich lachte über ihre
  Worte, aber ich beherrschte mich fortan mehr, und so lebten wir in
  vollkommener Eintracht bis zu dem Tage, da Georgij Ihnen, mein werter
  Herr Kamerad, in Lahore das Leben rettete. Sie war es, die mir die
  Schreckensnachricht brachte, man führe Sie zum Tode. Nie zuvor hatte
  ich das Mädchen in so furchtbarer Aufregung gesehen als in jenem
  Augenblick. Ihre Augen glühten und ihr ganzer Körper zitterte. Es
  war, als wollte sie mich mit Peitschenhieben vorwärts treiben, damit
  ich den rechten Moment nicht versäume. Ich war selber zu bestürzt,
  um mir über die seltsame Erregung des Mädchens lange den Kopf zu
  zerbrechen. Aber als Ihre Rettung dann geglückt war, als Sie sich
  geborgen in meinem Zelte befanden, und als ich Georgij aufsuchte,
  um ihr das Ergebnis meiner Intervention mitzuteilen, da geriet sie
  in einen solchen Paroxismus der Freude, daß mir wahrhaftig nicht
  das geringste hätte an ihr gelegen sein müssen, wenn ihr Jubel
  nicht einen bösen eifersüchtigen Verdacht in mir wachgerufen hätte.
  Hingerissen von der Erregung, schleuderte ich ihr ein heftiges Wort
  entgegen, und dann, da sie mir eine trotzig herausfordernde Antwort
  gab -- es war eben ihr und mein Unglück, daß ich die Reitpeitsche
  gerade in der Hand hatte -- dann war das Häßliche geschehen, das ich
  lieber als irgend eine andere meiner vielen Torheiten ungeschehen
  machen möchte. Sie hatte den Schlag hingenommen, ohne einen Laut von
  sich zugeben. Aber im nächsten Augenblick war sie verschwunden, und
  ich wartete vergebens auf ihre Wiederkehr. Bis zu unserem Aufbruch
  nach Simla ließ ich überall nach ihr suchen, ohne daß einer meiner
  Leute ihre Spur gefunden hätte. Ich selbst gab sie schon damals für
  immer verloren. Als wir dann nach Lahore zurückgekehrt waren und nach
  Delhi weitermarschierten, wurde mir hier und da von einem in indische
  Gewänder gekleideten Mädchen berichtet, das in der Nähe unserer
  Truppe aufgetaucht sei und meinem verschwundenen Pagen Georgij
  ähnlich gesehen habe. Aber sobald ich dann nach diesem Mädchen
  forschte, war es, als ob die Erde sie verschlungen hätte, und unter
  den rasch wechselnden Eindrücken des Krieges begann ihr Bild langsam
  in mir zu verblassen.

  Bei einem Rekognoszierungsritt, den ich eines Tages mit meinem
  Regimentsstab und einer geringen Bedeckung bei Lucknow unternahm,
  gerieten wir durch selbstverschuldete Sorglosigkeit in einen von
  den Engländern gelegten Hinterhalt, der dem größeren Teil meiner
  Begleiter das Leben kostete. Mich hatte gleich im Beginn des
  Gefechtes ein Schuß in den Rücken aus dem Sattel geworfen. Man hielt
  mich für tot, und die wenigen meiner Gefährten, die sich durch die
  Flucht zu retten vermochten, hatten nicht Zeit, die Gefallenen
  mitzunehmen. Als ich aus langer Bewußtlosigkeit wieder erwachte,
  sah ich, wie eine Anzahl bewaffneter Inder die auf dem Kampfplatz
  zurückgebliebenen Toten und Verwundeten ausplünderte. Einer der
  braunen Teufel näherte sich auch mir. Und als er sah, daß ich mich
  aufrichtete, um nach meinem Revolver zu tasten, stürzte er mit
  geschwungenem Säbel auf mich zu. Ich parierte den ersten nach meinem
  Kopf geführten Hieb mit dem rechten Arm. Wehrlos, wie ich war, machte
  ich mich schon auf das Schlimmste gefaßt. Aber im selben Augenblick,
  als der Halunke zum zweiten Hieb ausholte, taumelte er rückwärts
  und brach lautlos zusammen. Es war Georgij, die mir durch ihren
  wohlgezielten Schuß das Leben gerettet hatte.

  Mit den von unserem Lager aus zur Bergung der Toten und Verwundeten
  entsandten Dragonern war sie gekommen und den Reitern um ein gutes
  Stück voraus gewesen. So war es ihr möglich geworden, mich zu retten.

  Ich war zu sehr entkräftet, um viele Fragen an sie zu richten, und
  über den wenigen Augenblicken dieses Wiedersehens liegt es in meiner
  Erinnerung wie ein Schleier.

  Acht Tage lang lag ich zwischen Leben und Tod. Dann siegte meine
  unverwüstliche Natur. Wie groß meine Sehnsucht war, Georgij
  wiederzusehen, werden Sie begreifen, liebster Freund! Aber sie war
  nicht mehr im Lager, und niemand konnte mir über ihren Verbleib
  Auskunft geben. So wie sie an jenem Tage plötzlich aufgetaucht war,
  ebenso war sie wieder verschwunden. Und diesmal muß ich mich wohl mit
  der Ueberzeugung abfinden, daß ich sie für immer verloren habe. Noch
  auf dem Krankenlager erhielt ich neben einer sehr schmeichelhaften
  Beförderung die Ordre, mich nach St. Petersburg zu begeben, und
  sobald es mein Zustand gestattete, machte ich mich auf die Reise.

  Verzeihen Sie, lieber Freund, daß ich so lange bei einer persönlichen
  Angelegenheit verweilte, die für Sie ja am Ende nur wenig Interesse
  haben kann.

  Von den mannigfachen Wechselfällen dieses Krieges, der nun schon
  Werte von ungezählten Millionen vernichtet und Hunderttausende
  hoffnungsvoller Menschenleben gekostet hat, sind Sie ja ebenso gut
  unterrichtet wie ich. Ich möchte Sie fast darum beneiden, daß es
  Ihnen noch vergönnt ist persönlich Zeuge der großen Ereignisse zu
  sein, während ich zu der Rolle eines untätigen Zuschauers verurteilt
  bin. Aber ich glaube nicht mehr an eine lange Dauer des Kampfes. Die
  Opfer, die er den Völkern auferlegt, sind zu groß, um noch Monate
  hindurch getragen zu werden. Alles drängt einer raschen Entscheidung
  zu, und ich bin nicht im Zweifel, wie sie fallen wird. Denn wenn
  auch die bisherigen Niederlagen und Verluste der Engländer teilweise
  aufgewogen werden durch ihre hier und da errungenen Erfolge, so würde
  doch ein einziger großer Seesieg der verbündeten Mächte den Ausschlag
  zu Ungunsten Großbritanniens endgiltig geben. Man hat bisher auf
  beiden Seiten gezögert, diese Entscheidung herbeizuführen, aber man
  lebt hier der Ueberzeugung, daß schon die nächsten Wochen endlich
  die längst mit Spannung erwarteten großen Ereignisse auf dem Wasser
  bringen werden.

  Noch immer begegne ich zu meinem Befremden in der ausländischen
  Presse vielfach einer abfälligen Kritik unseres Friedensvertrages mit
  Japan. Allerdings hatte sich ja in der zweiten Phase des japanischen
  Feldzuges das Kriegsglück zu unseren Gunsten gewendet, doch der Kampf
  um Indien war für Rußland so wichtig, daß es seine Kräfte nicht
  länger zersplittern wollte. Deshalb konnten wir Japan goldene Brücken
  bauen, und so kam der Frieden von Nagasaki zu stande. Der deutsche
  Reichskanzler ist durch den Anteil, den er an dem Abschluß dieses
  Friedens gehabt hat, eine sehr populäre Persönlichkeit auch hier in
  Rußland geworden.

  Haben Sie vielleicht Gelegenheit gehabt, dem Reichskanzler persönlich
  nahe zu treten? Dieser Baron Grubenhagen muß eine gewaltige
  Persönlichkeit sein.

  Ich lasse diesen Brief auf dem Umwege über Berlin an Sie gelangen,
  denn ich weiß nicht, wo Sie sich augenblicklich befinden. Aber ich
  hoffe, daß er richtig in Ihre Hände kommt und daß Sie gelegentlich
  einmal Zeit finden, durch ein Lebenszeichen zu erfreuen

                        Ihren alten Freund

                                           Tschadschawadse.‘

Heideck hatte den in französischer Sprache geschriebenen Brief des
Fürsten, den er nach seiner Rückkehr aus Antwerpen vorgefunden, rasch
überflogen. Nicht einmal die Kunde von der ehrenvollen Auszeichnung,
die ihm durch die Verleihung des russischen Ordens zu teil geworden
war, hatte einen Schimmer der Freude auf seinem ernsten Antlitz
hervorzurufen vermocht. Der liebenswürdige russische Fürst und
sein schöner Page, sie waren ihm wie Gestalten aus einer fernen,
unendlich weit hinter ihm liegenden Zeit. Die Ereignisse der letzten
vierundzwanzig Stunden hatten ihn so tief erschüttert, daß ihm fremd
und gleichgültig geworden war, was vielleicht noch wenige Tage vorher
seine lebhafteste Anteilnahme erweckt haben würde.

Die Ordonnanz meldete einen Mann in Seemannstracht, und Heideck
wußte, daß es nur Brandelaar sein konnte. Die Auskunft, die er
von Dover mitgebracht, hatte der Schiffer bereits am Morgen dem
stellvertretenden, diensttuenden Offizier übergeben. Wenn es auch
nicht gerade militärische Geheimnisse waren, die damit zur Kenntnis
der deutschen Heeresleitung gelangten, so befanden sich unter den
mancherlei Nachrichten doch einige, die von Bedeutung für die
Dispositionen des Prinz-Admirals werden konnten.

Heideck nahm an, daß Brandelaar jetzt gekommen sei, um sich die
versprochene Belohnung zu holen. Als der Schiffer indes nach Empfang
des Geldes noch immer seinen Hut zwischen den Fingern drehte, wie
jemand, der mit einem peinlichen Auftrag oder Anliegen nicht recht
herauszukommen wagt, fragte Heideck verwundert:

„Wünschen Sie mir sonst noch etwas zu sagen, Brandelaar?“

Nur zögernd kam es über die Lippen des Mannes: „Jawohl, Herr Major!
-- Ich sollte noch einen Gruß bestellen. Der Herr Major werden wohl
wissen, von wem.“

„Ich glaube es zu erraten. Sie haben die Dame also seit dem gestrigen
Abend noch einmal gesehen?“

„Die Lady kam gestern noch zu später Stunde zu mir ins Gasthaus
und forderte von mir, ich sollte sie auf der Stelle nach Dover
zurückbringen. Aber ich dachte, der Herr Major würden es nicht
wünschen.“

„Sie weigerten sich also?“ --

Brandelaar starrte noch immer unablässig vor sich hin auf den Fußboden.

„Die Lady wollte durchaus fort -- trotz des schlechten Wetters. Und sie
ließ nicht eher nach, als bis ich meinen Freund van dem Bosch überredet
hatte, sie mit seinem Kutter nach Dover zu fahren.“

„Noch gestern Nacht?“

„Jawohl -- gestern Nacht.“

„Und dann, was weiter?“ drängte Heideck.

„Heute vormittag ist er zurückgekommen. Es -- es ist ihnen unterwegs
ein Unglück passiert.“

Heideck zuckte zusammen. Eine furchtbare Ahnung stieg in ihm auf. Er
mußte seine ganze Willenskraft aufbieten, um sich zu beherrschen.

„Und die Lady?“

„Herr Major! Es war ja eben die Lady, der das Unglück zustieß. -- Sie
ist unterwegs über Bord gegangen.“

Mit beiden Händen umklammerte Heideck die Lehne des vor ihm stehenden
Stuhles. Jeder Blutstropfen war aus seinem Gesicht gewichen.

„Ueber -- Bord? -- Gott im Himmel, Mann -- und sie ist nicht gerettet
worden?“

Brandelaar schüttelte den Kopf.

„Nein, Herr Major! Sie wollte trotz des Sturmes durchaus auf Deck
bleiben, obwohl van dem Bosch sie immer wieder aufforderte hinunter
zu gehen. Als dann bei einer heftigen Bö das Pikfall brach, wurde
sie von der heruntergeschleuderten Gaffel ins Meer geworfen. Bei der
hochgehenden See war an Rettung nicht zu denken.“

Heideck hatte die Augen mit der Hand bedeckt. Ein dumpfes Stöhnen rang
sich aus seiner heftig arbeitenden Brust und in seinem Inneren schrie
eine Stimme:

‚Du trägst die Schuld! Freiwillig hat sie den Tod gesucht, und du warst
es, der sie dazu getrieben!‘

Seine Stimme klang hart und spröde, als er sich zu dem Schiffer wandte
und sagte:

„Ich danke Ihnen für Ihre Mitteilung, Brandelaar, lassen Sie mich jetzt
allein.“ -- --



[Illustration]



XXXIII.


Das IX. und das X. Armeekorps waren an der Kieler Föhrde
zusammengezogen worden. Die Stadt Kiel und ihre Umgebung waren
erfüllt von dem Klirren der Waffen, dem Stampfen der Pferde und
von den fröhlichen Gesängen der Soldaten, die große Entscheidungen
hoffnungsfreudig erwarteten. Niemand aber wußte etwas Genaues über das
Ziel der bevorstehenden Expedition.

Seit den frühen Morgenstunden des 13. Juli ergoß sich ein
schier endloser Strom von Mannschaften, Pferden und Geschützen
über die Landungsbrücken, welche die Riesendampfer der großen
Schiffahrtsgesellschaften mit den Hafenquais verbanden. Andere
Truppenabteilungen wurden mit Booten an Bord befördert, und am Abend
des 14. war die Einschiffung der ganzen, aus 60000 Mann bestehenden
Feldarmee beendet.

Als letzter begab sich in einer Barkasse der kommandierende General
in Begleitung des deutschen Reichskanzlers an Bord des großen
Kreuzers ‚König Wilhelm‘, der in der Holtenauer Bucht vor Anker lag.
Unmittelbar darauf stiegen drei Raketen, die sich leuchtend von
dem dunkeln Nachthimmel abhoben, von Bord des Flaggschiffes empor.
Langsam setzte sich das ganze Geschwader auf dieses Signal gegen den
Kaiser-Wilhelm-Kanal hin in Bewegung.

Die Transportflotte bestand aus etwa 60 großen Dampfern, dem
Besitzstande des Norddeutschen Lloyd, der Hamburg-Amerika-Linie und
der Stettiner Gesellschaft entstammend. Zu ihrem Schutze wurden
sie von den Linienschiffen ‚Baden‘, ‚Württemberg‘, ‚Bayern‘ und
‚Sachsen‘, den großen Kreuzern ‚Kaiser‘ und ‚Deutschland‘, den
kleinen Kreuzern ‚Gazelle‘, ‚Prinzeß Wilhelm‘, ‚Irene‘, ‚Komet‘ und
‚Meteor‘, sowie den Torpedo-Divisionsbooten ‚D 5‘ und ‚D 6‘ mit ihren
Torpedoboot-Divisionen begleitet.

Als um die elfte Vormittagsstunde des 15. Juli der dumpfe Donner der
englischen Panzer vor den Befestigungen der Kieler Föhrde ertönte und
die deutschen Festungsgeschütze den britischen Kanonen antworteten,
hatte längst das letzte Torpedoboot den Hafen verlassen. --

Heller Sonnenschein brach durch das leichte Gewölk, als der ‚König
Wilhelm‘ bei Brunsbüttel in die Elbe einlief. Die vorauseilenden
Torpedo-Divisionsboote meldeten, daß die Mündung des Stromes frei sei
von englischen Kriegsschiffen, und von Helgoland kam ein auf drahtlosem
Wege übermitteltes Telegramm, das diese Meldung bestätigte.

Das Geschwader fuhr nun mit Volldampf Nordwest. Die Torpedodivision ‚D
5‘ ging zur Aufklärung voraus, und diesen kleinen, schnellen Fahrzeugen
folgten die Kreuzer ‚Prinzeß Wilhelm‘ und ‚Irene‘, die wegen ihrer
hohen Takelage zu Aufklärungsschiffen besonders geeignet waren und die
die erforderlichen Einrichtungen für drahtlose Telegraphie an Bord
hatten. Die übrige Flotte, die ihre Fahrgeschwindigkeit nach der des
‚König Wilhelm‘ richten mußte, folgte in den vorgeschriebenen Abständen.

Als die roten Felsen Helgolands scharf umrissen aus dem Meere
auftauchten, kam der deutsche Kreuzer ‚Seeadler‘ von der Insel her dem
Geschwader entgegen und meldete, daß die Küstenpanzerschiffe ‚Aegir‘
und ‚Odin‘, die Kreuzer ‚Hansa‘, ‚Vineta‘, ‚Freya‘ und ‚Hertha‘, sowie
die Torpedoboote in der Nacht von Wilhelmshaven ausgefahren waren
und nichts vom Feinde gesehen hatten. Das Meer schien frei. Alle
verfügbaren englischen Kriegsschiffe des Nordseegeschwaders waren zum
Angriff auf Antwerpen herangezogen worden.

Die Flotte von Wilhelmshaven blieb nun, weil eine Verstärkung der
Transportflotte nicht nötig schien, bei Helgoland liegen. Die
Transportflotte mit den begleitenden Kriegsschiffen aber setzte ihre
Fahrt mit West-Nordwest-Kurs fort.

Wohin aber ging diese Fahrt?

Wenige nur waren unter diesen vielen Tausenden, die darauf hätten
Antwort geben können, und diese Wenigen schwiegen. Der rote Felsen
von Helgoland war längst in der Ferne verschwunden, und Stunde auf
Stunde verrann, ohne daß sich den Blicken der gespannt ausschauenden
Krieger etwas anderes gezeigt hätte als das unendliche, leicht bewegte
Meer und das kristallklare blaue Himmelsgewölbe, das es gleich einer
Riesenglocke überspannte. Die Nacht sank hernieder und der junge Tag
brach an, aber noch immer war nichts von einer Küste zu sehen, und
immer häufiger wurde unter den Offizieren und Mannschaften die Frage
wiederholt:

„Wohin geht die Fahrt?“

Das Gestade Englands konnte ihr Ziel nicht sein, denn man würde es
inzwischen längst erreicht haben. Wo aber sollte die Landung vor sich
gehen, wenn nicht dort? Welchem fernen Ufer führte man die deutsche
Armee entgegen, die größte, deren Schicksal jemals den trügerischen
Fluten des Meeres anvertraut war?

Als bei Tagesanbruch von den aufklärenden Schiffen wieder einmal
die Meldung kam, daß von feindlichen Schiffen nichts zu sehen sei,
konnte der Oberbefehlshaber der Landarmee nicht umhin, dem Admiral
gegenüber seiner Verwunderung Ausdruck zu geben, daß die Engländer den
Aufklärungsdienst in der Nordsee scheinbar so ganz außer Acht ließen,
und daß auch Handelsschiffe nicht zu Gesicht kämen.

„Die Erklärung für diese anscheinend befremdliche Tatsache liegt nicht
allzu fern, Exzellenz,“ erwiderte der Admiral. „Kauffahrteischiffe
werden uns schwerlich in Sicht kommen, weil jetzt, bei der Unsicherheit
der Meere, der Seehandel fast gänzlich stockt. Einer Fischerflottille
sind wir nicht begegnet, weil dieser Teil der Nordsee keine Fischgründe
hat. Feindliche Schiffe aber sehen wir nicht, weil die Engländer wohl
mit jeder andern Möglichkeit eher gerechnet haben mögen, als damit, daß
wir hier oben in Schottland eine Landung versuchen könnten.“

„Ihre Erklärung, Herr Admiral, leuchtet mir ein, aber trotzdem will es
mir scheinen, daß unsere Gegner es bei ihrem Beobachtungsdienst an der
nötigen Umsicht fehlen lassen.“

„Exzellenz dürfen nicht ohne weiteres einen Vergleich zwischen
den Operationen zu Lande und denen auf dem Wasser ziehen. Die
Voraussetzungen sind hier doch wesentlich andere. Ich zweifle keinen
Augenblick, daß eine genügende Anzahl englischer Aufklärungsschiffe
in der Nordsee kreuzt; und wenn wir ihrer Aufmerksamkeit wirklich
entgangen sind, so ist uns das Kriegsglück eben günstig gewesen.
Wenn ich Eurer Exzellenz sage, daß selbst bei unsern Manövern in der
Ostsee, wo wir doch das Fahrwasser ebenso genau kennen wie die Stärke
und Geschwindigkeit des markierten Feindes, diesem der Durchbruch
zuweilen gelungen ist, ohne daß unsere Aufklärungsschiffe ihn gesehen
haben, so werden Sie zu einer milderen Beurteilung der hier scheinbar
vorliegenden englischen Unvorsichtigkeit gelangen.“ --

Endlich, am Abend des 16. Juli, wurde vom ‚König Wilhelm‘ Land
gemeldet. Das Ziel der Fahrt zeigte sich den Blicken, und von Mund zu
Munde ging die Kunde, daß es die Küste von Schottland sei, die sich da
aus den Fluten hob.

„Wir werden in die Mündung des Firth of Forth einlaufen!“ hieß es
auf allen Schiffen; und auch die braven Soldaten, die diesen Namen
vielleicht zum ersten Male in ihrem Leben hörten, wiederholten das
Wort mit so wichtiger Miene, wie wenn ihnen nun mit einem Male alle
Geheimnisse der obersten Heeresleitung offenbar geworden wären.

Im roten Schein der untergehenden Sonne zeichneten sich beide Küsten
violett vom tiefblauen Himmel und dem graublauen Meere ab, doch war
die nördliche Küste weiter entfernt als die südliche. Von ruhiger
See begünstigt, steuerte das Geschwader gut geschlossen in einer
Längenausdehnung von etwa fünf Seemeilen in den Firth of Forth hinein.

Erwartungsvoll sah das Landungskorps das große, kühne Unternehmen vor
seinen Augen sich entwickeln. Seit 900 Jahren war keine feindliche
Armee an Englands Küste gelandet. Wohl hatte Britannien in alten
Zeiten gegen eindringende Feinde kämpfen müssen: Julius Cäsar war als
Sieger eingezogen, Knut der Große, König von Dänemark, hatte sich
das Land unterworfen. Die Angeln und Sachsen waren von Deutschland
herübergekommen, um sich zu Herren des Landes zu machen. Harald
Schönhaar, der König von Norwegen, war in England gelandet. Aber seit
Wilhelm von der Normandie, der die Sachsen bei Hastings schlug und die
Herrschaft der Normannen in England aufrichtete, war es auch nicht den
mächtigsten Feinden, weder Philipp II. von Spanien, noch dem großen
Napoleon gelungen, ihre Truppen auf dem meerumgürteten Boden Englands
Fuß fassen zu lassen.

Würde es jetzt einem deutschen Heere gelingen? --

Immer deutlicher traten die Umrisse des Landes hervor, und einige
glaubten sogar, das hochgelegene Edinburgh-Castle am Horizont zu
erkennen. Bald aber verschleierte sich die Ferne, und die Dämmerung
brach langsam herein.

Bis dahin hatte man kein einziges feindliches Schiff zu Gesicht
bekommen. Nun aber, als der größere Teil des Geschwaders bereits in die
Bucht eingefahren war, fiel das Licht der mit Einbruch der Dunkelheit
in Tätigkeit getretenen Scheinwerfer auf zwei englische Kreuzer, deren
Anwesenheit von den vorausgeeilten Torpedo-Divisionsbooten bereits
gemeldet worden war.

Angesichts der gewaltigen Uebermacht ließen sich diese Kreuzer indessen
nicht auf einen Kampf ein, sondern gaben durch Niederholen der Flagge
alsbald zu erkennen, daß sie bereit seien, sich zu ergeben. Nun standen
einer Landung der deutschen Truppen Hindernisse von der See her nicht
mehr entgegen. Die Transportschiffe näherten sich dem südlichen Ufer
der Bucht, an welchem Edinburgh und die Hafenstadt Leith liegen und
schickten nach dem Ankern beim Scheine der elektrischen Lichter ihre
Boote mit Mannschaften an Land. Die Infanterie faßte dort alsbald
festen Fuß und besetzte die günstig gelegenen Punkte, um einem etwa
noch erfolgenden Angriff zu begegnen. Aber es geschah nichts, was die
Landung hätte hindern können. Die schottische Bevölkerung verhielt sich
vollkommen ruhig, so daß sich die Ausschiffung des Landungskorps ohne
Störung vollzog.

Die Bevölkerung von Leith und die neugierig herbeigeeilten Einwohner
von Edinburgh sahen in grenzenlosem Staunen dem ihnen fast
unbegreiflichen Schauspiel zu, das sich im hellen Lichte der von
den deutschen Schiffen strahlenden elektrischen Scheinwerfer mit
bewunderungswürdiger Präzision vollzog.

An dem großen Kriege, den England gegen die verbündeten Mächte
Deutschland, Frankreich, Rußland führte, hatte das Volk gewiß
lebhaftesten Anteil genommen, aber wohl mit dem Gefühl, daß es sich
um Ereignisse handle, die vornehmlich die Regierung, die Armee und
die Flotte angingen. Man empfand es schmerzlich, daß der Gang der
Geschäfte immer schlechter wurde, aber man war überzeugt, daß die
Regierung den Feind sehr bald niederwerfen würde. Es war jedermann
bekannt, daß die Russen in Indien eingedrungen waren, aber die große
Masse des Volkes gab sich darüber keiner Sorge hin. Das konnte ja nur
ein vorübergehendes Mißgeschick sein, und der jetzt darniederliegende
Handel würde sicher bald nur umso mächtiger wieder aufblühen. Die
Vorstellung, daß ein Feind, eine kontinentale Armee, an den Küsten
Großbritanniens landen, daß deutsche oder französische Krieger jemals
britischen Boden betreten könnten, hatte den Schotten bisher so fern
gelegen, daß sie jetzt von der Macht der Tatsachen völlig überwältigt
zu sein schienen.

Gegen Mittag des folgenden Tages standen die beiden Armeekorps schon
südlich von Leith. Eine Brigade war nach Süden vorgeschoben worden, die
übrigen Truppen aber hatten Biwaks bezogen. Die Leute sollten sich von
der zweitägigen Seefahrt erholen.

Die Fouriere hatten in der Stadt, in den kleinen Ortschaften, in
den verstreut liegenden Pachthöfen gegen bare Zahlung Lebensmittel
eingekauft. Die Kriegsschiffe füllten ihre Bunker aus den in reichem
Maße vorhandenen englischen Kohlenvorräten auf, wobei die zur Sicherung
des Geschwaders ausgesandten Wachtschiffe sich ablösten. Der Admiral
hatte Befehl gegeben, daß nach Beendigung der Kohlenübernahme die
Kriegsschiffe am Eingang zur Bucht Station nehmen, während die
Transportschiffe im Hafen verbleiben sollten. Bei der etwaigen
Annäherung eines überlegenen englischen Geschwaders sollte die ganze
Flotte eiligst den Firth of Forth verlassen und sich in alle Winde
zerstreuen. Freilich wurde alsdann die Armee des Mittels der Rückkehr
beraubt, aber die Heeresleitung war überzeugt, daß das Erscheinen einer
Armee von 60000 Mann deutscher Truppen auf britischem Boden tatsächlich
das Ende des Krieges bedeuten würde, zumal da ein gleich starkes
französisches Korps im Süden Englands landen sollte. Die Heeresleitung
glaubte also wegen der Möglichkeit der Zurückführung der Truppen sich
keiner Sorge hingeben zu müssen.

Die Garnison von Edinburgh hatte sich ohne jeden Widerstand ergeben,
da sie in der Tat viel zu schwach gewesen wäre, um der Invasionsarmee
irgend welche Hindernisse zu bereiten. Die deutschen Offiziere und
Soldaten konnten deshalb ganz ungehindert in der Stadt verkehren. Man
fand eine Anzahl von Depeschen und neuen Kriegsberichten, die einiges
Licht über die strategische Lage verbreiteten, obwohl sie teils unklar
waren, teils offenkundige Lügen enthielten.

Es sollte danach am 15. Juli eine große Seeschlacht bei Vlissingen
stattgefunden haben, die mit einem Rückzuge der deutschen und
französischen Flotte unter schweren Verlusten geendet hätte. Ferner
hieß es, daß die britische Flotte Vlissingen zerstört und mehrere Forts
von Antwerpen bombardiert habe. Endlich war in den Zeitungen zu lesen,
daß die vor Kopenhagen stationiert gewesene englische Flotte, nachdem
sie allerdings im Eingang der Kieler Föhrde zwei Linienschiffe verloren
hätte, bis in den Hafen von Kiel vorgedrungen wäre und alle dort
liegenden deutschen Schiffe weggenommen hätte. Die deutschen Offiziere
waren überzeugt, daß davon lediglich die Nachricht von dem Untergang
der beiden Linienschiffe Glauben verdiene, da die Engländer eine solche
Hiobspost schwerlich erfunden hätten. Alles übrige trug nach Lage der
Dinge den Stempel der Unwahrscheinlichkeit an der Stirn.

Die Trompeten bliesen, die Mannschaften ergriffen ihre Gewehre, und
die Bataillone setzten sich in Marsch. Dumpfdröhnend rasselten die
Batterien daher. In vier Kolonnen, auf vier Wegen nebeneinander her,
zogen die vier Divisionen gen Süden.



[Illustration]



XXXIV.


Die Strategie vom grünen Tische aus, durch die dem militärischen
Oberkommandierenden die Hände gebunden waren, sollte sich, wie schon in
so manchen früheren Feldzügen, auch diesmal für die Engländer als ein
verhängnisvoller Fehler erweisen.

Mit stillem Ingrimm hatte Sir Percy Domvile, der britische Admiral,
die ihm von London aus erteilte ~Ordre de bataille~ -- dieselbe, die
auch den Deutschen in die Hände gefallen war -- empfangen. Mehr als
einmal schon hatte er den Lords zu beweisen versucht, welchen Schaden
das Gebundensein an strikte schriftliche Ordres bei oft unberechenbaren
Verhältnissen anrichten konnte, aber er hielt jetzt den Beweis in
Händen, wie wenig die von dem Bewußtsein ihrer Bedeutung und ihrer
überlegenen Klugheit durchdrungenen Würdenträger geneigt waren, sich
belehren zu lassen. Doch er war viel zu sehr Soldat, um sich nicht dem
Befehl der vorgesetzten Instanz in widerspruchslosem, militärischem
Gehorsam zu fügen. Freilich, wenn er die Tragweite des hier begangenen
Fehlers im voraus hätte übersehen können, würde er als Patriot
wahrscheinlich lieber seine Person geopfert haben, als daß er sich
zum ausführenden Werkzeug der schweren taktischen Irrtümer hergegeben
hätte, die dem ihm übermittelten Schlachtplan zu Grunde lagen. Denn was
hier auf dem Spiele stand, war mehr, als die stolze britische Nation je
zuvor bei einem Seegefecht eingesetzt hatte. Es handelte sich um das
Prestige Englands als weltbeherrschende Seemacht und vielleicht um
die endgiltige Entscheidung dieses für Großbritannien so unglücklich
verlaufenen Feldzuges. Das allgewaltige Albion, die gefürchtete
Beherrscherin der Meere, kämpfte heute um Ehre und Existenz. Eine große
verlorene Schlacht mochte da leicht genug einen Schlag bedeuten, von
dem sich der todwunde britische Löwe nie wieder erholen konnte.

       *       *       *       *       *

Zu derselben Stunde, in der der ‚König Wilhelm‘ an der Spitze der
deutschen Transportflotte in den Kaiser Wilhelm-Kanal einlief, führte
der Prinz-Admiral, der seine Admiralsflagge auf der ‚Wittelsbach‘
gehißt hatte, die deutsche Schlachtflotte aus dem Hafen von Antwerpen
in den Zuid-Bevelanden-Kanal, der die Wester-Schelde mit der
Ooster-Schelde verbindet und die Insel Walcheren von Zuid-Bevelanden
trennt, und ging dort zu Anker.

Sein Geschwader bestand aus den der ‚Wittelsbach‘-Klasse angehörigen
Linienschiffen ‚Mecklenburg‘, ‚Schwaben‘, ‚Zähringen‘, ‚Wettin‘
und ‚Wittelsbach‘, dem Flaggschiff des Prinz-Admirals, sowie den
Linienschiffen der Kaiserklasse: ‚Kaiser Wilhelm der Große‘,
‚Barbarossa‘, ‚Karl der Große‘, ‚Wilhelm II.‘ und ‚Friedrich III.‘

Diesen Panzerschiffen gesellten sich die großen Kreuzer ‚Friedrich
Karl‘, ‚Prinz Adalbert‘, ‚Prinz Heinrich‘, ‚Fürst Bismarck‘, ‚Viktoria
Luise‘ und ‚Kaiserin Augusta‘ zu, sowie die kleinen Kreuzer ‚Berlin‘,
‚Hamburg‘, ‚Bremen‘, ‚Undine‘, ‚Arcona‘, ‚Frauenlob‘, ‚Medusa‘.

Die dem Prinzen zur Verfügung stehende Torpedobootflottille bestand aus
den Torpedobooten ‚S 102 bis 107‘, ‚G 108 bis 113‘, ‚S 114 bis 125‘ mit
den in der Größe von Torpedobootzerstörern gebauten Divisionsbooten ‚D
10‘, ‚D 9‘, ‚D 7‘ und ‚D 8‘.

Als Aufklärungsschiffe waren schon vorher die drei schnellen Kreuzer:
‚Friedrich Karl‘, ‚Prinz Adalbert‘ und ‚Kaiserin Augusta‘ mit den
Torpedobooten ‚S 114 bis 120‘ in See geschickt worden, um die
Annäherung des Feindes rechtzeitig zu melden. Die Kreuzer hatten
Befehl erhalten, sich dreißig Seemeilen W. N. W. von Vlissingen auf
je fünf Seemeilen Abstand zu legen, während die Torpedoboote auf
Sichtweite nach jeder Seite patrouillieren sollten. Nachdem die
englische Flotte dem Hauptgeschwader durch drahtlose Telegraphie
gemeldet, sollten sich diese Aufklärungsschiffe außer Schußweite
vor dem Feinde her in die Wester-Schelde zurückziehen und dabei ein
solches Kesselfeuer unterhalten, daß möglichst viel und dicker Rauch
entwickelt wurde, um den Feind über die Anzahl und die Größe der sich
zurückziehenden Schiffe zu täuschen. Nachdem sie den Engländern außer
Sicht gekommen, sollten sie wieder Kehrt machen, um sich zu zeigen, und
wenn die Verhältnisse es gestatteten, sollten sie die vorher befohlenen
Plätze einnehmen, anderenfalls hatten sie den Umständen gemäß zu
handeln.

Der Zweck dieses auf die Irreführung des Feindes berechneten Manövers
wurde denn auch vollkommen erreicht.

Ein Funkentelegramm meldete dem Prinz-Admiral das Insichtkommen der
Engländer, und ein von dem Aufklärungsgeschwader abgeschwenktes
Torpedoboot brachte genauere Mitteilungen über Zahl und Formation der
feindlichen Schiffe, Mitteilungen, die den in der ~Ordre de bataille~
gegebenen Anweisungen durchaus entsprachen und demnach als ein neuer
Beweis gelten konnten, daß es bei diesem Schlachtplan bleiben sollte.

Nun war eine sichere Grundlage für die taktischen Operationen der
deutschen Flotte gegeben. Es konnte bei dem, was tags zuvor im
Kriegsrate beschlossen worden war, sein Bewenden behalten und den
Kommandanten der einzelnen Schiffe brauchten daher neue Instruktionen
nicht gegeben zu werden.

Die in diesem Kriegsrat festgesetzte ~Ordre de bataille~ lautete in
ihren Hauptzügen:

  ‚Das Geschwader liegt bei Zuid-Beveland vor Anker, kurzstag gehievt,
  Feuer aufgebänkt, so daß in fünfzehn Minuten Dampf auf sein kann.

  Die Linienschiffe ankern in Doppelkiellinie ihren taktischen Nummern
  nach, Flaggschiff in der Peilung Insel Nordland N.N.O. Beeren Kirche
  S.S.W. mißweisend.

  Die Kreuzer zwischen Nord-Beveland und Zuid-Beveland.

  Die Torpedoboote mit ihren Divisionsbooten dahinter.

  Auf Signal ‚Anker lichten‘ gehen die Schiffe ihren taktischen Nummern
  nach Anker auf; die Schlachtschiffe durch das Roompot; die Kreuzer
  gehen wieder durch den Kanal in die Wester-Schelde und legen sich in
  Höhe von Vlissingen in Dwarslinie.

  Die beiden andern Torpedobootsdivisionen gehen mit dem Geschwader.‘

Genau nach diesen Dispositionen entwickelte sich nun der Gang der
Ereignisse.

Auf die Meldung von der Annäherung feindlicher Schiffe kamen vom
Flaggschiff des Prinz-Admirals die Signale:

‚Anker lichten! Toppsflaggen hissen! Klar Schiff zum Gefecht! Dem
Kielwasser des Admirals folgen! Kreuzerdivision und Torpedoboote
Befehle ausführen!‘

Sich dicht unter der Küste von Walcheren haltend, fuhr das deutsche
Geschwader mit Volldampf dem Feind entgegen.

Inzwischen hatten die herangekommenen Engländer, nachdem sie ihre
Lazarett-, Munitions- und Kohlenschiffe unter dem Schutz der Kreuzer
in See gelassen und die befohlene Formation eingenommen hatten, auf
sechstausend Meter das Feuer auf Vlissingen und das Fort Frederik
Hendrik eröffnet.

So strikte hielt sich der englische kommandierende Admiral an
die ihm erteilten Anweisungen, daß er es in schwer begreiflicher
Sorglosigkeit unterließ, die Ooster-Schelde durch das zweite Geschwader
oder wenigstens durch Aufklärungsschiffe untersuchen zu lassen.
Das Einlaufen der aus See zurückgesandten deutschen Schiffe, deren
gewaltiger Qualm eine Schätzung ihrer Stärke fast unmöglich gemacht
hatte, in die Wester-Schelde war Sir Domvile offenbar als eine
hinlängliche Bestätigung für die Annahme erschienen, daß die gesamte
deutsche Flotte in diesem Mündungsarm liege.

Dadurch wurde es dem Geschwader des Prinz-Admirals möglich, sich dem
Feinde soweit unbemerkt zu nähern, daß es die britische Flotte in der
Flanke fassen konnte, als diese die westliche Spitze von Walcheren
erreicht hatte.

Auf Signal: ‚Dwarslinie formieren! -- Alle Kraft! -- Ran an den Feind!‘
dampften die deutschen Schiffe den überraschten Engländern entgegen und
eröffneten aus ihren Buggeschützen das Feuer.

Natürlich ließ der englische Admiral sofort das erste Geschwader
sich hinter das zweite setzen, machte mit beiden linksum und ging in
Doppelkiellinie auf den Gegner zu.

Dies war der im Schlachtplan des Prinzen vorausgesehene geeignete
Moment für das Vorgehen der in der Wester-Schelde liegenden Kreuzer.
Mit den Torpedobooten, die jetzt abermals einen dicken Qualm
entwickelten, um den Feind über ihre Anzahl zu täuschen, näherten sie
sich in schneller Fahrt und nötigten den durch den Doppelangriff völlig
überrumpelten englischen Admiral, seine Aufmerksamkeit nach zwei Seiten
hin zu verteilen.

Ein tollkühnes Unternehmen freilich blieb dieser Torpedo-Angriff unter
den obwaltenden Verhältnissen noch immer. Die Engländer schossen gut,
und zwei der deutschen Boote wurden durch feindliche Granaten zum
Sinken gebracht. Drei anderen aber gelang der Schuß, und jeder dieser
Treffer beschädigte eines der englischen Schiffe so schwer, daß es
manövrierunfähig wurde.

Besonders nachteilig für die Engländer war es, daß auch ihre
Torpedoboote durch die nicht vorhergesehene veränderte Formation
der Linienschiffe die nötige Deckung verloren hatten. Die deutschen
Torpedobootzerstörer versäumten nicht, diese günstige Situation
auszunützen und fingen an, sie zu jagen. Ohne daß die Verfolger bei
diesem Kampfe, der bei der Schnelligkeit der kleinen Fahrzeuge etwas
besonders Spannendes und Aufregendes für die Beteiligten hatte,
nennenswerte Havarie erlitten hätten, gelang es ihnen, vier englische
Torpedoboote zu vernichten. Die anderen liefen aus Sicht und kamen für
das Gefecht vorläufig nicht mehr in Betracht.

Auf die Frontveränderung des Gegners hin hatte der Prinz-Admiral
rechtsum machen lassen, so daß er mit allen Geschützen einer Seite
in Aktion treten konnte. Auch der englische Admiral ließ nun
eindoublieren, aber das Manöver wurde für ihn die Ursache eines
verhängnisvollen Mißgeschicks. Sei es, daß die Störung der taktischen
Einheit durch das Ausscheiden der drei von den deutschen Torpedos
getroffenen Schiffe die Schuld daran trug, oder daß die 1. und
2. Division zu wenig gewohnt waren, mit einander zu manövrieren,
jedenfalls gehorchte der Panzer ‚Formidable‘ dem gegebenen Befehl so
schwerfällig und ungeschickt, daß er von der ihm zunächst befindlichen
‚Renown‘ mittschiffs gerammt wurde und sich sofort auf die Seite
legte, um innerhalb weniger Minuten zu sinken, Hunderte von tapferen
englischen Seeleuten mit sich in die Tiefe ziehend.

Aber auch die ‚Renown‘, deren Sporn das furchtbare Unglück angerichtet,
war bei dem Zusammenstoß, der das mächtige schwimmende Kastell in allen
Fugen erschüttert hatte, nicht ohne schweren Schaden davongekommen.
Die ersten beiden vorderen Kompartiments waren, da die Schotten nicht
dicht hielten, voll Wasser gelaufen. Das Schiff lag infolgedessen ganz
auf der Nase und hatte damit an Gefechtswert sehr empfindliche Einbuße
erlitten.

Daß diese erste große Katastrophe der Schlacht nicht durch feindliche
Gewalt, sondern durch das ungeschickte Manöver eines befreundeten
Schiffes herbeigeführt worden war, mochte in manchem der vom Untergang
des prächtigen Schiffes und seiner wackern Besatzung in tiefster Seele
erschütterten Zuschauer die Frage wachgerufen haben, ob die gewaltigen
Vervollkommnungen im Bau der modernen Kriegsschiffe nicht zu einem
guten Teile wieder aufgewogen würden durch die mit der zunehmenden
Größe und Gefechtsstärke dieser riesigen Panzer verbundenen Mängel.
Kein Linienschiff, keine Fregatte, nicht einmal das kleine Kanonenboot
früherer Zeiten hätte so schnell und spurlos aus der Schlachtlinie
verschwinden können, wie die in gewaltigen Dimensionen erbaute und
mit allen Errungenschaften maritimer Kriegstechnik ausgerüstete
‚Formidable‘. Wohl hätten ihre Panzerhaut und ihre stählernen Türme
einem Hagel wuchtigster Geschosse erfolgreichen Widerstand leisten
können, aber ein falsch verstandenes Steuerkommando war hinreichend
gewesen, ihr den Untergang zu bereiten. Weder die doppelten Böden noch
die Schottenteilung, die dem Eindringen einer zu großen Wassermenge
vorbeugen sollten, hatten das Schicksal abzuwenden vermocht, das
jeden modernen Panzer bei einer größeren Beschädigung unter der
Wasserlinie bedroht. Das Holzschiff vergangener Zeiten konnte wie ein
Sieb durchlöchert sein, ohne zu sinken. Die Stabilität eines modernen
Panzerschiffes aber konnte schon durch ein einziges Leck, sei es durch
ein Torpedogeschoß oder die Ramme, derart überschritten werden, daß
die gigantische Eisenmasse innerhalb weniger Minuten durch ihr eigenes
Gewicht in die Tiefe gezogen wurde. --

Es entwickelte sich nun ein laufendes Gefechtsfeuer auf circa 2000
Meter Entfernung, bei dem die Ueberlegenheit der Kruppschen Geschütze
ebenso deutlich in die Erscheinung trat, wie die vorzügliche
Schießausbildung der deutschen Geschützführer, hinter der die der
Engländer zweifellos weit zurückstand. Allerdings erlitten auch die
deutschen Schiffe mancherlei Schaden, doch waren erhebliche Havarien
bis jetzt nicht vorgekommen.

Die drei von Torpedos getroffenen englischen Kriegsschiffe hatten
in ihrer Hilflosigkeit den deutschen Kreuzern besonders günstige
Zielobjekte dargeboten. Sich auf und in passende Entfernung legend,
hatten diese die kaum noch bewegungsfähigen Fahrzeuge so lange
beschossen, bis sie die Flagge streichen mußten. Aber ehe sie sich dazu
entschlossen, leisteten die Engländer heldenmütigen Widerstand, und
auch ihre Geschütze hatten manchen wirksamen Treffer zu verzeichnen.
So wurde der Kommandoturm des ‚Friedrich Karl‘ von einer Granate
durchschlagen, und der tapfere Kommandant fand mit seiner Umgebung
einen rühmlichen Soldatentod. Auch sonst fehlte es nicht an mehr oder
minder erheblichen Beschädigungen, und es war fast ein Wunder zu
nennen, daß noch nirgends vitale Teile oder Schiffskörper verletzt
worden waren.

Nachdem die drei englischen Schiffe kampfunfähig geworden, war ein
längeres Verweilen der Kreuzerdivision auf diesem Teil des Kampfplatzes
nicht mehr erforderlich, deshalb gingen die deutschen Kreuzer mit
äußerster Kraft dahin, wo der Prinz-Admiral mit den Linienschiffen das
Hauptgefecht führte.

Und hier war Hilfe in der Tat nötig gewesen. Denn wenn auch vier
feindliche Schiffe verloren gegangen waren, so war die Uebermacht
doch noch immer bei den Engländern, umsomehr, da einer der deutschen
Panzer, die ‚Mecklenburg‘, jetzt hatte ausscheren müssen, nachdem ihre
Rudervorrichtung zerschossen war.

Als der englische Admiral die Kreuzer herankommen sah, die in
Staffelkiellinie Steuerbord achteraus liefen und somit sämtlich ihre
Buggeschütze zum Feuern bringen konnten, erkannte er, daß jetzt der
entscheidende Moment sich vorbereite.

Die Geschütze der Kreuzer fügten den Engländern schweren Schaden zu,
denn sie hatten sich rasch auf die gleichmäßig geringer werdende
Entfernung eingeschossen. Die hohen Deckaufbauten der Linienschiffe
boten ihnen vortreffliche Zielobjekte, so daß bei der lang ausgezogenen
Schlachtlinie der Engländer fast jeder Schuß ein Treffer war.

Jetzt wurde für Sir Percy Domvile rasches und energisches Handeln
ein zwingendes Gebot der Selbsterhaltung. An die nach der erhaltenen
~Ordre de bataille~ anzustrebende Wegnahme der deutschen Flotte war den
Umständen nach nicht mehr zu denken, und es konnte sich daher für den
Admiral nur noch darum handeln, möglichst viele der feindlichen Schiffe
zu vernichten. Auf dem britischen Flaggschiff erschien das Signal
‚rechts um‘, und die Kommandanten wußten, daß es gleichbedeutend war
mit dem Befehl, die deutschen Panzer zu rammen.

Aber dieses Manöver, durch welches Sir Domvile der durch den
zweiseitigen Angriff veranlaßten drohenden Gefahr allein begegnen
konnte, traf den Prinz-Admiral nicht unvorbereitet. Schon in dem
gestern abgehaltenen Kriegsrate war damit gerechnet worden, und jeder
Kommandant hatte seine Instruktion hinsichtlich der in diesem Falle
zu beobachtenden Taktik erhalten. Es war dafür ein besonderes Signal
vereinbart worden, und sobald man die Schwenkung der englischen Panzer
bemerkte, flog es an der Signalleine des Admiralschiffes in die
Höhe. Sofort nahm jedes der deutschen Linienschiffe die ihm nach dem
Schlachtplan vorgeschriebene Position ein. Das Geschwader teilte sich
in zwei Hälften, von denen die erste Division, hinter das Flaggschiff
einschwenkend, mit diesem zusammen ‚links um!‘ machte, während
die andere Division, auch links um machend, sich hinter das linke
Flügelschiff setzte.

Dies ihm gänzlich unbekannte Manöver kam dem englischen Admiral
völlig unerwartet. Seine Absicht war durch das rasche und geschickte
Ausweichen der deutschen Schiffe vollständig vereitelt, der geplante
Vernichtungsstoß versagte, und seine eigenen Panzer hatten nun,
während sie in Dwarslinie weiterfuhren, von rechts und links ein
furchtbares Feuer auszuhalten, das namentlich den beiden Flügelschiffen
verhängnisvoll wurde. Mit einem Hagel schwerer und leichter Geschosse
überschüttet und überdies von wohlgezielten Torpedos getroffen, waren
sie innerhalb weniger Minuten gefechtsunfähig geworden, und das
eine von ihnen, die ‚Victorious‘, das Schicksal der unglücklichen
‚Formidable‘ teilend, versank mit ihrer über 700 Mann starken Besatzung
in den Fluten.

Aber auch die junge deutsche Flotte hatte in diesem Entscheidungskampfe
ihre Feuertaufe empfangen.

Alles, was die moderne Kriegstechnik an Vernichtungsmitteln kennt,
wurde von jedem der beiden Gegner aufgeboten, um dem anderen den Sieg
zu entreißen. Zu den Granaten der schweren Geschütze gesellten sich
die Geschosse der leichteren Armierung und der in den Gefechtsmarsen
postierten Maschinengewehre, so daß es im eigentlichsten Sinne des
Wortes ein ‚Geschoßregen‘ war, der beim Passieren auf die in Rauch und
Dampf gehüllten Schiffe niederging.

Hermann Heideck hatte in Indien die Schrecken des Landkrieges in
ihren mancherlei Gestalten so gründlich kennen gelernt, daß er seine
Nerven vollkommen gestählt glaubte gegen den grauenhaften Anblick von
Tod und Verwüstung. Die Szenen aber, die sich während dieses Kampfes
rings um ihn her auf dem verhältnismäßig engen Raum des prächtigen
Flaggschiffes abspielten, ließen in ihrer Furchtbarkeit alles hinter
sich zurück, was er bisher erlebt hatte. Heideck war voller Bewunderung
über den Heldenmut und die todverachtende Disziplin der Offiziere und
Mannschaften, von denen keiner auch nur einen Fuß breit von dem ihm
zugewiesenen Posten wich.

Da er bei dem jetzt auf seinem Höhepunkt angelangten Drama nur die
Rolle eines untätigen Zuschauers spielte, konnte er sich frei in allen
Teilen des Admiralschiffes bewegen. Und wohin er auch kam, überall
bot sich seinem Auge dasselbe Schauspiel grauenhafter Zerstörung und
heldenmütiger Pflichterfüllung.

Der Aufenthalt in den Geschütztürmen und Kasematten war für die
Bedienungsmannschaften zu einer geradezu höllischen Pein geworden. Es
herrschte in den niederen, eisengepanzerten Räumen eine Gluthitze, die
selbst das Atmen erschwerte. Der ungeheure Lärm und die übermenschliche
Erregung der Nerven schienen derart abstumpfend auf die Sinne der Leute
gewirkt zu haben, daß sie überhaupt keine klare Vorstellung mehr hatten
von dem, was um sie her vorging. Auf ihren Gesichtern lag nicht jener
Ausdruck von Erbitterung und Wut, den Heideck in der Landschlacht bei
Lahore in den Physiognomieen so vieler Soldaten gesehen hatte, vielmehr
beobachtete er eine gewisse stumpfe Gleichgültigkeit, die durch das
Gräßliche der Situation nicht mehr erschüttert werden konnte.

Eine Granate schlug vor Heidecks Augen in eine Batterie ein, krepierte
und riß mit ihren umherfliegenden Sprengstücken fast die ganze
Bedienungsmannschaft nieder. Glücklich die, welche dabei sofort den
Tod gefunden hatten. Denn die Verletzungen derer, die sich verwundet
am Boden krümmten, waren entsetzlicher Natur. Die glühendheißen
Eisenstücke, die den Unglücklichen das Fleisch zerrissen und die
Knochen zerschmetterten, fügten ihnen auch gleichzeitig schreckliche
Brandwunden zu. Heideck würde es für eine Tat der Menschlichkeit
gehalten haben, wenn er mit einem wohlgezielten Revolverschuß die
Leiden dieses oder jenes Unglücklichen hätte enden dürfen, dem Haut und
Fleisch in Fetzen vom Leibe hingen oder dessen Glieder zu formlosen
blutigen Massen verwandelt waren.

Aber die unverletzt Gebliebenen erfüllten nach wenigen Augenblicken
der Betäubung wieder ihre Pflicht mit derselben mechanischen Präzision
wie zuvor. Zwischen ihren toten und sterbenden Kameraden, um die sich
für den Augenblick niemand kümmern konnte, standen sie in dem warmen
Menschenblute, das den Boden schlüpfrig machte, und bedienten das nur
unerheblich beschädigte Geschütz ruhig weiter.

Ein blutjunger Seekadett, der aus dem Kommandoturme des Prinz-Admirals
mit einem Befehl in den Maschinenraum hinuntergeschickt worden war,
kam Heideck auf dem schmalen, erstickend heißen Gange entgegen. Es war
ein schlanker, hübscher Jüngling mit zartem Knabengesicht. Aus einer
Stirnwunde lief ihm das Blut über Auge und Wange. Er mußte mit beiden
Händen an der Wand eine Stütze suchen, während er in übermenschlicher
Willenskraft seine wankenden Kniee zwang, ihn vorwärts zu tragen, denn
er war nur von dem einzigen Gedanken erfüllt, daß er aufrecht bleiben
müsse, bis er sich seines Auftrages entledigt habe. Als Heideck ihn in
mitleidiger Teilnahme nach der Art seiner Verwundung fragte, versuchte
er die bleichen, schmerzzuckenden Lippen sogar noch zu einem Lächeln zu
verziehen, denn trotz seiner siebzehn Jahre fühlte er sich in diesem
Augenblick ja ganz als Mann und als Soldat, dem es süß und ehrenvoll
war, für das Vaterland zu sterben. Aber sein heldenmütiger Wille war
doch stärker gewesen, als sein zum Tode verwundeter Körper. Bei dem
Versuch, vor dem Major eine straffe, dienstliche Haltung anzunehmen,
brach er plötzlich zusammen. Er hatte gerade noch Kraft genug, Heideck
den Befehl des Admirals zu übermitteln und ihn zu bitten, den Befehl
weiterzugeben. Dann verließen ihn seine Sinne.

In einer anderen Batterie war durch eine einschlagende Granate die
bereit gehaltene Munition zum Explodieren gebracht worden. Hier kam
auch nicht ein Mann mit dem Leben davon. Heideck selbst, obwohl er sich
seit Beginn der Schlacht stets rücksichtslos allen Gefahren ausgesetzt
hatte, war wie durch ein Wunder bisher dem ihn in hundert verschiedenen
Gestalten umdrohenden Tode entgangen. Es war ihm vergönnt gewesen,
auf den ausdrücklichen Befehl des Prinzen längere Zeit in dem oberen
Kommandoturm zu verweilen, von wo aus der fürstliche Admiral die
Schlacht leitete, und die zielbewußte, überlegene Ruhe des höchsten
Befehlshabers hatte ihn trotz der Uebermacht der Engländer mit der
unerschütterlichen Zuversicht eines für die deutsche Flotte glücklichen
Ausganges erfüllt.

Seitdem Heideck aus Brandelaars Munde die Nachricht von Edith Irwins
Tode erhalten hatte, war in seinem Innern alles erstorben, was ihn
mit rein menschlichen Gefühlen und Empfindungen an das Leben noch
geknüpft hatte. Er war nichts mehr als der Soldat, dessen Denken und
Trachten ausschließlich erfüllt war von der Sorge um den Sieg der
vaterländischen Waffen. Alle persönlichen Schicksale waren seinem
Erinnern vollständig entrückt, als lägen sie um Jahrzehnte hinter ihm.
Und so bedeutungslos war ihm in diesen Augenblicken, wo um das Sein und
Nichtsein von Nationen gerungen wurde, das eigene Leben, daß er sich
nicht einmal der tollkühnen Unerschrockenheit bewußt wurde, mit der er
es bei jedem seiner Schritte aufs Spiel setzte. --

Majestätisch und gewaltig, todbringende Blitze aus ihren Türmen und
Geschützluken sprühend, hatte die ‚Wittelsbach‘ bisher ihren Weg
gemacht, der Wunden nicht achtend, die feindliche Geschosse ihrem
Körper geschlagen. Und eine fast dankbare Empfindung für das herrliche
Schiff, das ihn trug, regte sich in Heidecks Herzen.

‚Du machst fürwahr dem großen Namen Ehre, den man dir gegeben‘, dachte
er. Seine Augen suchten durch Rauch und Qualm den Kommandoturm, in dem
er den Prinz-Admiral wußte. Aber er fand ihn nicht mehr, denn plötzlich
legte sich's wie ein dichter schwarzer Nebel vor seine Augen. Er hatte
nur einen leichten Schlag gegen seine Brust gefühlt, keinen Schmerz.
Seine Hand wollte sich zu der getroffenen Stelle erheben, aber kraftlos
sank sie wieder herab. Es war ihm, als würde er von einer unsichtbaren
Faust im Kreise gedreht. Tausende von leuchtenden Feuergarben schossen
plötzlich aus dem schwarzen Nebel auf -- dann wurde es vollends Nacht
um ihn her -- tiefe, undurchdringliche Nacht und feierliches, lautloses
Schweigen.

Der Major Hermann Heideck hatte den Heldentod gefunden.

       *       *       *       *       *

Ein durch Signale herbeigerufenes Torpedoboot näherte sich in
schnellster Fahrt dem auf der Seite liegenden Flaggschiff des
Prinz-Admirals. Ein Breitseittorpedo hatte die ‚Wittelsbach‘ getroffen.
Und wenn auch das Sinken des Panzers nicht zu befürchten stand,
war doch eine weitere Leitung der Schlacht vom Bord des bisherigen
Flaggschiffes aus unmöglich geworden.

Der damit verbundenen Gefahr nicht achtend, ließ sich der
Prinz-Admiral mit seinem Stabe von dem Torpedoboot an Bord des
Linienschiffes ‚Zähringen‘ bringen, auf dem alsbald seine Flagge
emporstieg.

       *       *       *       *       *

Wohl war der Verlauf der Schlacht bisher ein für die deutsche Flotte
überraschend günstiger gewesen. Ihre Verluste waren beträchtlich
geringer als die des an Zahl weit überlegenen Feindes, und ihre
Schiffe befanden sich mit wenigen Ausnahmen noch in gefechtstüchtigem
und manövrierfähigem Zustande. Von einer Entscheidung zu Gunsten der
deutschen Flotte aber konnte bei der Stärke der noch verfügbaren
gegnerischen Kräfte bisher nicht die Rede sein. Und wenn auch das
geschickte Manöver des deutschen Geschwaders den beabsichtigten Vorstoß
der Engländer vereitelt und ihnen sehr empfindlichen Schaden zugefügt
hatte, so war Sir Domvile doch noch immer die Möglichkeit geboten, die
Scharte auszuwetzen und das launische Schlachtenglück an seine Flagge
zu fesseln.

Hatten sich doch auf den anderen deutschen Linienschiffen und Kreuzern
dieselben furchtbaren Szenen abgespielt, wie die, deren Zeuge Major
Heideck an Bord der ‚Wittelsbach‘ gewesen war. Ueberall war das Blut in
Strömen geflossen, und bei einer weiteren Fortdauer des mörderischen
Gefechts konnte der Augenblick nicht fern sein, wo die Lücken, die der
Tod in die Reihen der wackeren Schiffsbesatzungen gerissen, nicht mehr
auszufüllen waren. Ein paar glückliche Torpedoschüsse der Engländer
-- und keine Genialität der obersten Leitung, kein Heldenmut der
Kommandanten, Offiziere und Mannschaften hätte noch einen für die
deutschen Waffen ungünstigen Ausgang abzuwenden vermocht.

Da plötzlich, von Süd-Westen her kam ein neues, anscheinend sehr
starkes Geschwader in Sicht, das, wenn es eine britische Reserveflotte
war, den Sieg sofort zu Gunsten der Engländer entscheiden mußte.

Minuten höchster Spannung und Erregung waren es, die man bis zu dem
Augenblick der erlösenden Gewißheit an Bord der deutschen Schiffe
durchlebte. Um so beglückender aber wirkte nun die Erkenntnis, daß
man es nicht mit neuen Streitkräften des Feindes, sondern mit dem in
schnellster Fahrt herankommenden französischen Geschwader des Admirals
Courthille zu tun habe, das gerade im rechten Moment die Entscheidung
bringen sollte.

Nun war mit einem Schlage das Bild so völlig zu Ungunsten der Engländer
verwandelt, daß ein Sieg der britischen Flotte zur Unmöglichkeit
geworden war. Das Eingreifen des noch völlig intakten, aus zehn
Linienschiffen, zehn großen und einer entsprechenden Anzahl kleiner
Kreuzer bestehenden französischen Geschwaders in den Kampf mußte
notwendig die Vernichtung der englischen Flotte herbeiführen.
Der englische Admiral war einsichtig genug, die Sachlage richtig
zu beurteilen, sobald auch er die herannahenden Schiffe als die
französische Flotte erkannt und sich Gewißheit über die Stärke des
Gegners verschafft hatte. Den eben gegebenen Befehlen zu einer
abermaligen Angriffsformation folgten jetzt an Bord des englischen
Flaggschiffes neue Signale, die nichts anderes bedeuteten als
die Ordre zum schleunigen Rückzug. Der englische Admiral gab die
Schlacht endgültig verloren und hielt es für seine Pflicht, von den
ihm anvertrauten Schiffen zu retten, was sich noch retten ließ. Ehe
die Franzosen wirksam in den Kampf eingreifen konnten, dampfte die
englische Flotte mit aller Kraft nach Nord-West ab.

Donnernde Hurras auf allen deutschen Schiffen feierten den mit diesem
Rückzuge proklamierten Sieg. Die Torpedo-Divisionsboote und ein paar
schnelle Kreuzer erhielten Befehl, sich in Kontakt mit dem fliehenden
Feinde zu halten.

Der kommandierende französische Admiral war an Bord des Flaggschiffes
‚Zähringen‘ gegangen, um sich und sein Geschwader unter den Oberbefehl
des Prinz-Admirals zu stellen und über die weiteren gemeinsamen
Operationen der beiden vereinigten Flotten ein Einverständnis
herzustellen. Denn es unterlag keinem Zweifel, daß dieser Sieg sofort
bis aufs äußerste ausgenutzt werden mußte, wenn er ein wirklich
entscheidender sein sollte.

In tiefer Bewegung schloß der Prinz den Admiral Courthille in seine
Arme und dankte ihm für sein Erscheinen in der entscheidenden Stunde.
Der französische Admiral aber entschuldigte sich wegen seines späten
Eingreifens in die Schlacht. „Ich mußte die Nacht abwarten und weit
in See gehen mit südwestlichem Kurs, bevor ich den nördlichen Kurs
nehmen konnte, um unter dem Schutze der Nacht ungesehen von dem
uns blockierenden englischen Geschwader des Prinzen Battenberg den
Durchbruch bewerkstelligen zu können.“

Inzwischen waren die hinter dem Feinde hergesandten Aufklärungsschiffe
mit der Meldung zurückgekommen, daß die englische Flotte ihren Kurs
geändert hätte und auf die Themse zuzuhalten schiene. Ein weiteres
Verfolgen des Feindes war nicht möglich gewesen, da der englische
Admiral einige Schiffe detachiert hatte, denen die nachfolgenden
deutschen Kreuzer nicht gewachsen waren.

Es waren Vorbereitungen getroffen worden, die Verwundeten und Toten
an Bord der durch ein Signal dazu bestimmten Schiffe zu geben, was
sich auch bei der nun ruhiger gewordenen See mit nicht allzugroßen
Schwierigkeiten bewerkstelligen ließ. Jetzt, wo der furchtbare Kampf
ausgetobt hatte, kamen die Besatzungsmannschaften erst zum vollen
Bewußtsein der durchlebten Schrecknisse. Die Bergung der Verwundeten
zeigte, welche grausamen Opfer die Schlacht gefordert hatte. Es war
eine schwere und traurige Aufgabe, die manches starke Seemannsherz
in Schmerz und Mitleid erbeben ließ. Die Gefallenen waren durch die
Sprenggeschosse, die ihnen den Tod gebracht hatten, zumeist entsetzlich
zugerichtet, und auch die Verletzungen der Verwundeten, denen die an
Bord befindlichen Aerzte im Getümmel der Schlacht nur notdürftig die
erste Hilfe hatten angedeihen lassen können, waren fast durchweg so
schwerer Art, daß der Transport nur langsam vor sich gehen konnte.

Nachdem die deutschen Schiffe durch Signale gemeldet hatten, daß sie
wieder gefechtsfähig wären, erhielten die anderen, welche die Toten
und Verwundeten an Bord hatten, sowie die nicht mehr gefechtsfähigen
deutschen und die genommenen englischen Schiffe den Befehl nach
Antwerpen zu gehen. Das vereinigte deutsch-französische Geschwader aber
setzte sich unter dem Oberbefehl des Prinz-Admirals, den Kurs auf die
Themsemündung nehmend, in Bewegung.



[Illustration]



XXXV.


Die langen Fensterreihen von Hampton Court Palace bei London waren
trotz der vorgerückten Nachtstunde noch hell erleuchtet. Der vom
Regiment der Königs-Ulanen gestellte Doppelposten vor dem Portal
kam nicht zur Ruhe, denn ein unausgesetztes Kommen und Gehen hoher
Offiziere von den Armeen der drei verbündeten Nationen verlangte
die militärischen Honneurs. Unmittelbar nach der für England so
unglücklich verlaufenen Seeschlacht bei Vlissingen waren eine große
französische Armee und einige Garde-Regimenter des Zaren bei Hastings
an der englischen Küste gelandet worden und lagen nun im besten
freundnachbarlichen Einvernehmen mit den französischen und den von
Schottland her anmarschierten deutschen Truppen im Lager von Aldershot.
Das Hauptquartier des Prinz-Admirals war nach Hampton Court verlegt
worden, dessen stilles, altehrwürdiges und altberühmtes Schloß damit
plötzlich zum Mittelpunkt eines regen militärischen und diplomatischen
Lebens wurde.

Ernsthafte kriegerische Operationen kamen zwar kaum noch in Frage, denn
die Voraussetzung, daß die Landung großer feindlicher Heere tatsächlich
das Ende des Feldzuges bedeuten würde, hatte sich als zutreffend
erwiesen.

Bei dem Widerstand, den englische Truppenkörper den Franzosen auf
ihrem Vormarsche gegen London zu leisten versucht, hatten zwar die
englischen Freiwilligen ihre Tapferkeit und ihren patriotischen
Opfermut im hellsten Lichte gezeigt, aber sie hatten den Siegeslauf
des besser geleiteten Gegners nicht mehr aufhalten können. So war der
Abschluß eines Waffenstillstandes zum Zwecke von Verhandlungen über den
von England angebotenen Frieden erfolgt, noch ehe die von Schottland
her vorrückenden deutschen Truppen Gelegenheit gehabt hatten, in die
kriegerischen Ereignisse zu Lande einzugreifen.

Der Friedensschluß, von allen Kulturnationen des Erdballs
herbeigesehnt, konnte als gesichert gelten, wenn auch kein Zweifel
darüber bestand, daß seiner endgültigen Unterzeichnung noch lange
und schwierige Verhandlungen würden vorausgehen müssen. Der von dem
deutschen Reichskanzler angeregte Gedanke, einen allgemeinen Kongreß
nach dem Haag einzuberufen, auf dem nicht nur die kriegführenden
Parteien sondern alle Regierungen vertreten sein sollten, hatte
allgemeine Zustimmung gefunden, da alle Staaten an der Neugestaltung
der Machtverhältnisse interessiert waren. Die Erledigung der
Friedenspräliminarien aber mußte zunächst Sache der kriegführenden
Mächte sein, und es waren zu diesem Zwecke außer dem deutschen
Reichskanzler, Freiherrn von Grubenhagen, der französische Minister
des Auswärtigen, Delcassé, und der russische Staatssekretär Witte, in
Begleitung des Grafen Lambsdorff, mit einem ganzen Stabe von Beamten
und diplomatischen Hilfsarbeitern in Schloß Hampton Court eingetroffen.

Die Vorverhandlungen zwischen diesen Staatsmännern und den englischen
Bevollmächtigten, dem Premierminister und ersten Lord des Schatzes
Balfour und dem Lordpräsidenten des Geheimen Rates, Marquis von
Londonderry, wurden mit rastlosem Eifer betrieben. Ueber ihr bisheriges
Ergebnis aber wurde von allen Beteiligten das strengste Stillschweigen
bewahrt.

Dafür, daß die Heerführer sich trotz der beginnenden
Friedensverhandlungen nicht der Untätigkeit hingaben, war das
Verhalten des Prinz-Admirals ein augenfälliger Beweis. Obwohl er
sich der diplomatischen Aktion ganz fernhielt und sich lediglich mit
den militärischen Angelegenheiten befaßte, war für ihn nicht nur
jede Minute des Tages, sondern auch ein guter Teil der Nachtstunden
ausgefüllt durch Arbeiten und Besprechungen mit den Herren seines
Stabes, mit den leitenden Offizieren der Landarmee, sowie mit den
Oberkommandos der verbündeten französischen und russischen Armee.
Jedermann war voll Bewunderung für die nie versagende Frische und
die unermüdliche Arbeitskraft des Prinzen, dessen hohe, schlanke
Germanengestalt und dessen blondbärtiges Antlitz mit den ruhigen klaren
Seemannsaugen auf niemanden, der ihm nahetrat, ihre imponierende
Wirkung verfehlten. Nur sein kaiserlicher Bruder, der alle Fäden
der politischen Aktion in der Hand hielt, mochte den Prinzen in der
traditionellen Hohenzollern-Arbeitskraft in dieser großen Zeit noch
übertreffen.

Es war nahe an Mitternacht, als nach einer langen, mit großer
Lebhaftigkeit geführten Beratung der französische General Jeannerod das
Arbeitskabinett des Prinzen verließ. Die Tür hatte sich kaum hinter
ihm geschlossen, als der diensttuende Adjutant des Prinzen mit einem
merklichen Ausdruck des Erstaunens im Klang der Stimme meldete:

„Seine Exzellenz der Herr Reichskanzler, Freiherr von Grubenhagen!“

Bis in die Mitte des Zimmers ging der Prinz dem Eintretenden entgegen
und schüttelte ihm kräftig die Hand.

„Ich danke Ihnen, Exzellenz, daß Sie trotz der späten Stunde und trotz
der Arbeitsüberhäufung meiner Bitte um eine Unterredung noch heute
Folge geleistet haben. Ich hatte zu dieser Konferenz einen besonderen
Grund, den Sie verstehen werden, wenn ich Ihnen sage, daß allerlei
Gerüchte von übertriebenen Forderungen unserer Verbündeten zu mir
gedrungen sind. Mein bisheriges Verhalten wird Ihnen ein Beweis dafür
sein, daß ich nicht die Absicht habe, mich in die diplomatischen
Verhandlungen einzumischen oder gar einen Einfluß in dem einen oder
andern Sinne auszuüben. Ich fühle mich hier nicht als Staatsmann,
sondern nur als Soldat, und gerade deshalb, meine ich, können Sie um so
offener zu mir sprechen. Man sagte mir, es sei bei der Feststellung
der Friedensbedingungen auf eine völlige Vernichtung Englands
abgesehen.“

Der Kanzler, dessen männlich-charaktervollem Gesicht trotz der fast
übermenschlichen Arbeitsleistungen nichts von Erschlaffung anzumerken
war, sah dem Prinzen freimütig ins Auge und bewegte verneinend den Kopf.

„Königliche Hoheit sind nicht zutreffend unterrichtet worden. Eine
Absicht, England zu vernichten, besteht weder bei uns, noch bei einem
unserer Verbündeten. Allerdings herrscht darüber volle Einigkeit, daß
dieser furchtbare Krieg nicht vergebens geführt sein darf und daß der
Preis auch der Größe der Opfer entsprechen muß, mit denen er erkauft
wurde.“

„Und wem soll dieser Preis zufallen?“

„Allen Nationen, Königliche Hoheit! Denn es wäre ein Frevel gewesen,
diesen Weltenbrand zu entzünden, wenn es nicht in der sicheren
Voraussetzung geschehen wäre, daß seine läuternden Flammen den
Boden vorbereiten würden für das Glück und den Frieden der Völker.
Jahrhundertelang hat Britannien seine Machtmittel dazu mißbraucht, die
eigenen Reichtümer auf fremde Kosten zu vermehren. Skrupellos wußte es
alles an sich zu raffen, was ihm erreichbar war, und damit, daß es bei
jedem Schritt wichtige Lebensinteressen anderer Nationen verletzte,
forderte es jenen Widerstand heraus, der jetzt die Zertrümmerung seiner
Weltmacht-Stellung herbeigeführt hat. Das Glück der Völker erblüht
nur aus einem auf lange Zeit hinaus gesicherten Frieden, und nur
eine gerechte Verteilung des Besitzes der Erde kann den Weltfrieden
gewährleisten. Darum wird England notwendig einen wesentlichen Teil
seines überseeischen Besitzes ausliefern müssen. Rußland will den Weg
zum indischen Ozean freihaben, denn nur wenn es eine genügende Anzahl
von Häfen hat, die das ganze Jahr hindurch offen bleiben, werden die
ungeheuren Reichtümer seines Bodens aufhören ein toter Besitz zu sein.
Und Frankreich -- --“

„Bleiben wir zunächst bei Rußland, Exzellenz! Hat die russische
Regierung ihre Forderungen bereits formuliert?“

„Diese Forderungen ergeben sich im wesentlichen schon aus der
Kriegslage, denn sie gipfeln in der Abtretung von Britisch-Indien an
Rußland. Was unser östlicher Nachbar darüber hinaus anstreben wird,
soll weniger zu seiner Bereicherung, als zur Sicherung des europäischen
Friedens dienen. Die ständige Gefahr, die der Ruhe Europas aus dem
Wetterwinkel der alten Welt, der Balkanhalbinsel, droht, muß endlich
beseitigt werden. Unter den beteiligten Mächten ist ein grundsätzliches
Einverständnis darüber erreicht worden, daß die Interessen-Sphären
Rußlands und Oesterreichs auf dem Balkan in einer Weise abzugrenzen
sind, die eine definitive Regelung der Verhältnisse in den
Balkanstaaten zur Folge hat. Es ist die Rede von einem selbständigen
Königreich Macedonien unter der Herrschaft eines österreichischen
Erzherzogs. Das Aequivalent für diesen Zuwachs der österreichischen
Macht gegenüber dem russischen Reiche wird allerdings erst auf dem
Haager Kongreß endgültig gefunden werden müssen. Jedenfalls aber soll
den Gefahren, die dem europäischen Frieden von Bulgarien, Serbien und
Montenegro her drohen, für die Zukunft wirksam vorgebeugt werden.“

„Aber fürchten Sie denn nicht, daß sich der Sultan einem solchen
Ausgleich, der doch im wesentlichen auf Kosten der Türkei erfolgt,
widersetzen wird?“

„Der Sultan wird sich der Macht der Verhältnisse beugen müssen.
Wir dürfen nicht vergessen, Königliche Hoheit, daß der europäische
Besitzstand der Türkei bisher viel weniger durch geheiligte Anrechte
der Pforte als durch die Uneinigkeit der Großmächte aufrecht erhalten
wurde. Die unaufhörlichen macedonischen Wirren haben gezeigt, daß
der Sultan ebensowenig die Kraft als den guten Willen hat, den unter
seiner Herrschaft stehenden Balkanländern eine den Forderungen moderner
Kultur entsprechende Verwaltung zu geben. Wenn die Pforte den Rückhalt
verliert, den sie bisher an England hatte, entfällt für den Sultan
zugleich jede Möglichkeit eines ernsthaften Widerstandes.“

„Und was ist hinsichtlich Aegyptens geplant?“

„Aegypten bedeutet den Siegespreis für Frankreich, dem damit ja nur
das zurückgegeben wird, was es auf Grund einer glorreichen Geschichte
mit Recht beanspruchen darf. Die Souveränität des Sultans, die ja
lediglich eine Formsache ist, wird auch weiter bestehen bleiben. Aber
die Stellung, die jetzt England in Aegypten einnimmt, wird -- mit einer
Einschränkung allerdings -- von nun an Frankreich zufallen.“

„Mit welcher Einschränkung?“

„Nicht Frankreich allein wird die Verwaltung führen, sondern eine
internationale Kommission, von allen Mächten eingesetzt, wird unter
Frankreichs Vorsitz an Stelle der jetzigen englischen Verwaltung
treten. Die erste Bedingung hierzu ist, daß England alle seine
finanziellen Forderungen und seinen großen Besitz an Aktien des
Suezkanals den alliierten Mächten zediert. Diese Finanzopfer sollen
zugleich einen Teil der Kriegsentschädigung bilden, die England zur
Last fällt.“

„Weitergehende Ansprüche erhebt Frankreich nicht?“

„Frankreich ist mit den Erfolgen dieses Krieges um so mehr zufrieden,
als eine Angliederung Belgiens an die französische Republik sehr
wahrscheinlich ist. Deutschland beansprucht indessen für sich den Hafen
von Antwerpen, den wir gleich bei Beginn des Krieges besetzt haben.“

„Wenn ich recht unterrichtet bin, war davon die Rede, daß Aden an
Frankreich fallen oder neutralisiert werden solle?“

„Der Gedanke war allerdings angeregt worden, aber die verbündeten
Mächte sind zu dem Entschluß gekommen, Aden bei England zu lassen.
Dagegen wird sich England verpflichten müssen, keinerlei Ansprüche zu
erheben, die den Bau und Betrieb der Bagdadbahn illusorisch machen
würden. Der Hafen Koweit am persischen Meerbusen, der südöstliche
Endpunkt dieser Bahn, muß unangetastet der Türkei verbleiben.“

„Und Gibraltar? Es rief ja einen Sturm der Entrüstung in England
hervor, als plötzlich das Gerücht auftauchte, man würde die Abtretung
dieser Festung verlangen.“

„Und doch wird die englische Regierung sich darein finden müssen,
denn die Uebergabe Gibraltars ist eine unerläßliche Bedingung der
verbündeten Regierungen.“

„Es ist unmöglich, diese natürliche Felsenfestung zu schleifen!“

„Es würde genügen, daß die englische Besatzung zurückgezogen und
alle Befestigungen desarmiert würden. Gibraltar wird aufhören, als
Festung zu existieren und soll unter bestimmten Garantien an Spanien
zurückfallen. Da es indessen nicht in der Absicht der Verbündeten
liegt, den englischen Einfluß in der Levante völlig zu zerstören,
soll Malta dem britischen Reiche verbleiben. England behält damit im
Mittelländischen Meer den wichtigsten Stützpunkt seiner Flotte.“

„Es wird nicht leicht sein, die Annahme dieser Bedingungen bei der
englischen Regierung durchzusetzen. Doch Sie haben noch nicht von den
Forderungen Deutschlands gesprochen, -- Antwerpen berührt nicht direkt
die Interessen Englands.“

„Die Politik der deutschen Regierungen wird darin gipfeln, sich
gefestigte handelspolitische Beziehungen zu England und seinen
Kolonieen und eine Abrundung unseres kolonialen Besitzes zu sichern.
Für Deutsch-Südwestafrika verlangen wir deshalb die Walfischbai,
den einzigen guten Hafen, der als englisches Besitztum jetzt wie
wildes Fleisch mitten im Körper unserer jungen südwestafrikanischen
Kolonie sitzt. Außerdem aber müssen wir darauf bestehen, daß auch
die ostafrikanischen Gebiete, die wir im Austausch gegen Helgoland
aufgegeben haben, uns zurückgegeben werden. Dieser schwere Fehler der
deutschen Politik muß ausgeglichen werden, denn die Ueberlassung des
Protektorats über Zanzibar an England war ein Schlag, der nicht allein
den Eifer unserer besten Kolonialfreunde lähmte, sondern auch unsere
ostafrikanischen Kolonieen entwertete.“

„Wenn ich Sie recht verstehe, Exzellenz, ist Ihre Politik darauf
gerichtet, den kolonialen Bestrebungen Deutschlands eine festere Basis
zu geben.“

„Dies halte ich allerdings für eine der wichtigsten Forderungen unserer
Zeit. Wir müssen nachholen, was die Politik der letzten Jahrhunderte
verabsäumt hat. Zu derselben Zeit, da Eurer Königlichen Hoheit großer
Ahnherr um eine Handbreit Landes, um das kleine Schlesien, sieben Jahre
hindurch Krieg führte, gelang es der weitausschauenden englischen
Politik, sich mit geringen Opfern in den Besitz von unermeßlichen
Ländergebieten zu bringen, die in ihrer Gesamtheit den ganzen
europäischen Kontinent weit übertrafen.“

„England war eben seit Jahrhunderten eine Seemacht, die ihr Bestreben
auf den Erwerb überseeischer Kolonieen richten mußte.“

„Und was hätte Preußen gehindert, schon vor Jahrhunderten eine
achtunggebietende Seemacht zu werden? Unser Unglück war es, daß die
gewaltigen Ideen und weitblickenden Absichten des Großen Kurfürsten
an der Unzulänglichkeit seiner Mittel scheitern mußten. Hätten seine
Nachfolger fortgesetzt, was er begonnen, so hätte Großbritanniens Macht
sich niemals zu solcher Höhe emporheben können. Denn auch wir würden
uns dann schon in den früheren Jahrhunderten den uns gebührenden Anteil
in den außereuropäischen Erdteilen rechtzeitig gesichert haben.“

Der Prinz blickte sinnend vor sich hin. Nach einem kurzen Schweigen
fuhr der Reichskanzler fort:

„Königliche Hoheit werden darüber unterrichtet sein, daß in den
Niederlanden die feste Absicht besteht, sich im Interesse der
Selbsterhaltung dem Deutschen Reiche als ein Bundesstaat anzugliedern,
wie es nach dem deutsch-französischen Kriege Bayern, Sachsen,
Württemberg, Baden und die übrigen deutschen Staaten getan haben.
Damit würden dann auch die reichen und ausgedehnten niederländischen
Kolonieen zu deutschen Kolonieen werden, d. h. sie würden unter
Fortbestand der holländischen Verwaltung in den politischen Verband
der übrigen deutschen Kolonieen mit eintreten. Auf die niederländische
Bevölkerung hat es einen sehr guten Eindruck gemacht, daß wir
beabsichtigen, das Unrecht wieder gutzumachen, das England den Buren
zugefügt hat. Die Burenstaaten sollen unter Wiederherstellung ihrer
Selbständigkeit in dasselbe Verhältnis zu uns treten, in dem sie vor
dem Burenkriege zu England standen.“

„Das heißt also: Selbstverwaltung unter Anerkennung der deutschen
Oberhoheit. Nun ja, sie sind der Niederländer Stammverwandte. Aber,
mein bester Baron, wird das deutsche Volk nicht erschrecken vor den
Konsequenzen einer Erweiterung unseres überseeischen Besitzes? Ein
größerer Kolonialbesitz erfordert auch eine größere Flotte. Denken Sie
doch an die Kämpfe, die die verbündeten Regierungen zu führen hatten,
um im Parlament eine Vergrößerung der deutschen Flotte selbst im
bescheidenen Umfange durchzusetzen!“

„Diese Schwierigkeit fürchte ich nicht so sehr, denn das deutsche Volk
hat den Wert der Flotte schätzen gelernt. Wir sind über das Stadium der
tastenden Versuche hinausgekommen und haben Lehrgeld genug bezahlt. Wir
müssen festhalten, was wir besitzen und zurücknehmen, was uns durch den
leider so wenig kaufmännischen Geist unserer auswärtigen Politik in
früheren Jahrzehnten verloren gegangen ist. Dann wird das deutsche Volk
auch wieder Vertrauen zu unserer Kolonialpolitik fassen.“

„Wie aber wollen Sie die Lasten aufbringen, die notwendig sind, um
unsere Flotte stark und mächtig zu machen?“

„Unsere Verhandlungen mit den befreundeten Regierungen von Frankreich
und Rußland zeigen, daß in diesen Staaten ebensosehr wie im deutschen
Volke der Wunsch nach einer Verminderung des Landheeres besteht. Und
in Oesterreich und Italien regt sich machtvoll dasselbe Bestreben,
die Landmacht zu verringern. Die Völker würden unter der Last
zusammenbrechen, wenn die Ausgaben für die Armee noch weiter stiegen.
Verringern wir unsere Landarmee, so gewinnen wir die Mittel zur
Vermehrung unserer Marine. Jetzt, nach dem siegreichen Kriege, ist der
Augenblick gekommen, wo wir auf dem ganzen Kontinent die ungeheuren
stehenden Heere auf einen der finanziellen Leistungsfähigkeit der
Völker entsprechenden Stand zurückführen können. Der äußere Feind ist
besiegt; wir dürfen nicht daran denken, den inneren Feind durch eine
übermäßige Belastung aller Stände heraufzubeschwören.“

„Sie sprachen vorhin von einem wenig kaufmännischen Geist in unserer
auswärtigen Politik. Wie ist dieser Vorwurf zu verstehen?“

„Ganz buchstäblich, Königliche Hoheit! Der Vertrag, der Zanzibar
aufgab, um Helgoland zu gewinnen, wäre niemals möglich gewesen, wenn
unsere Diplomatie es der englischen an jenem Weitblick und jenem
Verständnis für wirtschaftliche Fragen gleich täte, die ich eben
nicht anders bezeichnen kann, als mit dem Ehrentitel ‚kaufmännischen
Geistes‘. Dieser kaufmännische Geist ist die Triebfeder in Industrie
und Landwirtschaft, in Handel und Handwerk, wie überhaupt in dem
gesamten Erwerbsleben, und es ist notwendig, daß dieser kaufmännische
Geist auch in unseren Ministerien als eine notwendige Voraussetzung
für die Qualifikation zur Beurteilung der wirtschaftlichen Interessen
des Volkes anerkannt wird. In keiner anderen Hinsicht können unsere
Staatsmänner und Beamten und unsere erwerbenden Stände von unserem
besiegten Gegner mehr lernen, als gerade in dieser. Daß es eine
Nation von Kaufleuten ist, hat England groß gemacht, während unsere
wirtschaftliche Entwicklung und unsere Geltung nach außen hin
vielleicht durch nichts anderes so sehr behindert worden sind, als
durch die Geringschätzung, mit der bei uns die erwerbenden Stände bis
in die jüngste Zeit hinein behandelt wurden. In England stand auf der
gesellschaftlichen Stufenleiter der Kaufmann stets über dem Offizier
und dem Beamten. Bei uns bedeutet er neben diesen beiden Kategorieen
fast einen Staatsbürger zweiter Klasse. Was in England nur als Mittel
zum Zweck Geltung hat, das wird bei uns als Selbstzweck angesehen. Der
Geist jener starren Bureaukratie, über die schon Fürst Bismarck geklagt
hat, ist in unserem Deutschen Reiche von den niedrigsten bis zu den
höchsten Stellen hinauf, leider mit nur geringen Ausnahmen, noch immer
der herrschende, und aus dem mangelnden Verständnis für die Bedeutung
des wirtschaftlichen Lebens resultiert dann die niedrige Wertschätzung
der erwerbenden Stände. Der gesunde kaufmännische Geist, der durch das
ganze englische Staatsleben geht, entzieht auch der Sozialdemokratie
in England den Boden, während sie bei uns von Jahr zu Jahr an Boden
gewinnt. Ich habe die Ueberzeugung, daß unser deutsches Volk die
Sozialdemokratie nicht zu fürchten braucht, denn es kommt bei der
Bekämpfung wirtschaftlicher Schäden weniger auf die Regierten an als
auf die Regierenden.“

„Es mag manches Wahre sein in dem, was Sie da sagen, Herr
Reichskanzler! Aber die Vergrößerung unseres Kolonialbesitzes wird ja
in erster Linie dem Handel zu Gute kommen, und damit wird naturgemäß
auch bei uns der Kaufmann zu größerer Bedeutung gelangen. Man hört ja
schon jetzt von großen Plantagengesellschaften, die mit enormem Kapital
ins Leben gerufen werden sollen.“

„Gerade gegen die Bildung dieser Gesellschaften denke ich meinen ganzen
Einfluß geltend zu machen, Königliche Hoheit! Könnten wir doch keinen
verhängnisvolleren Fehler begehen, als den, daß wir die Land- und
Bodenspekulation, die in den alten Kulturstaaten so unheilvolle Früchte
gezeitigt hat, auch in unseren Kolonieen staatlich privilegierten.
Grund und Boden dürfen kein Spekulationsobjekt sein, sondern müssen
Staatseigentum bleiben. Zu den Ständen, die heute wirtschaftlich am
meisten leiden, gehört die Landwirtschaft. Nur eine Erhöhung der
Schutzzölle kann die ackerbautreibende Bevölkerung vor der dringenden
Gefahr des wirtschaftlichen Ruins bewahren. Mit dem erhöhten
Schutzzoll wird die gesteigerte Rentabilität des Bodens eintreten, doch
im Zusammenhange damit auch eine weitere Preissteigerung des Bodens,
da er eben auch ein Handelsartikel ist. Mit dem Steigen der Bodenwerte
wachsen dann aber gleichzeitig auch die Zinsen, die aus Grund und Boden
herauszuwirtschaften sind, und ich muß aus diesem Grunde fürchten, daß
trotz einer Erhöhung der Schutzzölle die Landwirtschaft schon in der
nächsten Generation unter der weiteren Steigerung der Bodenpreise und
den sich daraus ergebenden erhöhten Zinsanforderungen zu leiden haben
wird.

Wir dürfen in unseren Kolonieen nicht in den gleichen Fehler verfallen,
der in den heutigen Kulturstaaten die soziale Frage geboren hat. Nach
einem höheren Gesetz, als es menschliche Unvollkommenheit geschaffen
hat, gehört die Erde den Geschöpfen, die auf ihr und durch sie leben.
Darum darf der Boden unserer Erde kein Handelsobjekt sein. Er ist
untrennbar mit dem Staatskörper verwachsen. Ich wage nicht zu hoffen,
daß es mir oder einem meiner Zeitgenossen beschieden sein wird, die
soziale Frage zu lösen, doch ich werde nicht müde werden, meinen ganzen
Einfluß dafür einzusetzen, eine falsche Bodenpolitik wenigstens in
unseren jungen Kolonieen zu verhindern. Das Unrecht stirbt an seinen
Folgen, denn mit dem Unrecht wächst zugleich sein Rächer auf. Ein
verhängnisvolles Unrecht aber war es, daß die Menschheit den Boden,
der sie ernährt, zum Spekulationsobjekt werden ließ. Diese unheilvolle
Saat zeitigt unheilvolle Früchte. Es muß die höchste Aufgabe aller
Regierungen sein, die Bodenreform, diese große, das Schicksal einer
Welt entscheidende Frage, mit allen gesetzgeberischen Machtmitteln
durchzuführen. Jetzt, wo nach menschlicher Voraussicht der Friede
gesichert ist, wo äußere Gefahren den Bestand unseres Reiches nicht
mehr bedrohen, jetzt enthebt uns nichts mehr der ernsten und heiligen
Verpflichtung, mit dem größten und gewaltigsten Reformwerke der
Menschheit zu beginnen. Dann führt uns unser Weg -- vom Weltkrieg zum
Weltfrieden.“

In demselben Augenblick öffnete sich die Tür des Gemaches, und aus
den Händen eines von dem diensttuenden Adjutanten eingeführten
Feldjägers nahm der Prinz einen mit der Kaiserkrone und dem Initial des
kaiserlichen Namens geschmückten Brief entgegen.

Der erste Schimmer des anbrechenden Morgens fiel in die geöffneten
Fenster, und durch die Wipfel der uralten Parkbäume von Hampton Court
ging ein geheimnisvolles Rauschen und Raunen, wie wenn sie Zwiesprache
hielten über den wunderbaren Wechsel der Geschicke, deren stumme Zeugen
sie seit den fernen Tagen ihrer Jugend gewesen.

Die blauen Augen des Hohenzollernprinzen aber leuchteten in freudigem
Stolze auf, während sie das kaiserliche Handschreiben überflogen. Ein
paar Sekunden lang herrschte tiefe Stille. Dann wandte sich der Prinz
dem Reichskanzler zu:

„Wir gehen einem großen Tage entgegen, Exzellenz! An der Spitze der
verbündeten Armeen wird Seine Majestät der Kaiser in London einziehen.
Der Friede ist gesichert. Gebe Gott, daß es der letzte Krieg sein möge,
den wir für das Glück und die Zukunft der deutschen Nation führen
mußten!“


                                _Ende._



In demselben $Verlage von W. Vobach & Co., Berlin und Leipzig$, ist
erschienen:


  ~Regiments-Indiskretionen.~

  Ein Offiziers-Roman
  von
  ~Teo von Torn~.

  Preis 3 Mark geheftet, 4 Mark gebunden.

Wo viel Licht, da ist auch viel Schatten. Verfasser hat versucht,
beides gleichmäßig zu verteilen. Er schildert äußerst spannend und
wahrheitsgetreu das dienstliche und gesellschaftliche Leben in kleinen
Garnisonen, unter besonderer Berücksichtigung der Lebensgewohnheiten
der Offiziersdamen. Teo von Torn ist es meisterhaft gelungen, den
richtigen Ton zu treffen, ohne der Uebertreibung anheim zu fallen. Ein
Buch, das allenthalben Aufsehen erregt.


  ~Venus als Siegerin.~

  Ein Offiziers-Roman
  von
  ~Caesar Magnus~.

  Preis 3 Mark geheftet, 4 Mark gebunden.

Unter dem Pseudonym Caesar Magnus hat ein höherer preußischer
Generalstabs-Offizier diesen hochinteressanten Roman geschrieben,
welcher den Gegensatz der Forderungen der Konvenienz zu dem sich ungern
an Gesetze bindenden Genie zum Vorwurf hat und gleichzeitig zeigt,
daß auch der erweckte Mann den Lockungen der Liebe, noch dazu der
verbotenen, zu der Frau eines anderen Mannes nicht widersteht und daran
zu Grunde geht. Sehr ansprechend ist der Fürst eines kleinen deutschen
Landes geschildert, der über kleinlichen Vorurteilen erhaben, den als
Offizier Geächteten doch als Dichter zu würdigen und zu ehren weiß.

  In allen Buchhandlungen zu haben.


  Verlag von W. Vobach & Co., Berlin und Leipzig.


  ~Gegen den Strom.~

  Ein Zeitroman
  von
  ~Ludwig Rohmann~.

  Preis 90 Pf. geheftet, 1 Mark gebunden.

Der Verfasser entwirft ein überaus fesselndes Kulturbild aus
Pomerellen, dem alten Kassubenlande, dessen polnisch sprechende
Bewohner noch heute die Herrlichkeit des Polenreichs nicht vergessen
können und den deutschen Usurpatoren mit glühendem Haß begegnen.
Zugleich geißelt er scharf den geltenden Ehren- und Duell-Kodex,
dessen verderbliche Folgen durch die Schicksale eines hoffnungsvollen,
aus seiner Bahn gedrängten Juristen illustriert werden. Eine innige
Liebesgeschichte ist mit dem Grundthema geschickt verwoben.


  ~Sinkende Sonnen.~

  Ein Künstler-Roman
  von
  ~Georges Ohnet~.

  Preis 3 Mark geheftet, 4 Mark gebunden.

Ein Künstler-Roman, in welchem der Verfasser des „Hüttenbesitzers“ in
einer gewissen wehmütigen Beleuchtung uns das untergehende Gestirn
eines gefeierten Malers zeigt, der seinen Ruhm überlebt hat, an der
Grenze seiner Schaffenskraft angekommen ist, um so mehr, als er auch
seine Herzenswünsche aufgeben muß. Das Mädchen, das er liebt, das
er einst als Modell von der Straße aufgelesen und das er wie eine
Pflegetochter zur Künstlerin herangebildet, schenkt ihr Herz einem
jüngeren genialen Maler. Der Künstler endet durch Selbstmord. Der
Roman ist ein fein ausgeführtes Seelengemälde; das Milieu des Ateliers
ist besonders gut getroffen, ebenso einzelne Charakterköpfe, wie die
Schriftstellerin Zélie Bazin und der Journalist Teneran.

_Professor G. Schönleber_ schrieb uns: „Ich habe „Sinkende Sonnen“ mit
großem Interesse gelesen. Das Buch enthält nur Wahres, der Verfasser
versteht Künstler, wie sie in der Tat fühlen, seine Personen sind
typisch, auch ohne Pariser Atmosphäre.“

  In allen Buchhandlungen zu haben.


  ~Verlag von W. Vobach & Co., Berlin und Leipzig.~


  ~Pflug und Schwert.~

  Historischer Roman
  von
  ~Heinrich Vollrat Schumacher~.

  2 Bände. Preis 6 Mark geheftet, 7 Mark gebunden.

$Seine Exzellenz der Reichskanzler Graf Bülow$ schrieb uns: „Die
Verlagsbuchhandlung W. Vobach & Co. hat mir durch Uebersendung des
Romans „Pflug und Schwert“ von Heinrich Vollrat Schumacher, wie nicht
minder durch die Ausführung des gefl. Schreibens eine besondere Freude
gemacht. Ich wünsche dem Roman einen Platz auf vielen deutschen Tischen
und seinem Verfasser Schaffenslust und gutes Gelingen seinen weiteren
Arbeiten.“

Die großen Leidenschaften, wie sie die ungeheuren Umwälzungen der
napoleonischen Kriege entfacht, die glühende Vaterlandsliebe, der bis
zur Selbstentäußerung sich erhebende ideale Sinn der Freiheitskrieger
und dem gegenüber die finstere Selbstsucht, die vor nichts
zurückschreckende Habgier, die in der Not des Vaterlandes und den
Bedrängnissen ihrer Nachbarn den eigenen Vorteil sucht, sie geben auf
einem mit realistischer Kraft gemalten Hintergrund ein jeden Leser
ergreifendes Bild. Die Sprache des Romans ist edel und erhebt sich
stellenweise zu wunderbarer Schönheit.


  ~Prinzessin Fee.~

  Eine Hofgeschichte
  von
  ~Paul Oskar Höcker~.

  2 Bände. Preis 2 Mark geheftet, 2,50 Mark gebunden.

Dieser Roman ist wie kaum ein zweites Werk des beliebten Autors
geeignet, das Interesse der weitesten Kreise zu erregen. Die
Erzherzogin Fedora und ihre Schicksale, die in dramatisch bewegter
Handlung sich vor uns abspielen, sind keine bloßen Phantasiegebilde
des Dichters, sondern lehnen sich an tatsächliche Vorgänge in einem
Fürstenhause an. Es handelt sich um die Schöpfung eines Dichters, der
mit offenen Augen durchs Leben geht, um das, was er dort sieht, frei,
allein dem künstlerischen Gesetze folgend, zu gestalten. Neben den
ernsten und ergreifenden Szenen, die die inneren Kämpfe und Leiden
der Heldin schildern, bricht immer wieder, die Härten des Lebens
vergoldend, der liebenswürdige Humor des Dichters durch und entzückt
mit seiner tiefen Innerlichkeit.

  In allen Buchhandlungen zu haben.


  ~Verlag von W. Vobach & Co., Berlin und Leipzig.~


  ~Berenice.~

  Kulturgeschichtlicher Roman aus der Zeit der Judenverfolgungen
  von
  ~Heinrich Vollrat Schumacher~.

  2 Bände. Preis 2 Mark geheftet, 2,50 Mark elegant gebunden.

Eine treffliche Arbeit, in welcher sich Wissenschaft und Kunst zu einem
höchst anziehenden Werke verbinden. Einzelne Scenen desselben sind
mit markerschütternder Kraft geschrieben. Die Zerstörung der heiligen
Stadt, der Brand des Tempels, die Preisgebung der gefangenen Judäer
in der Arena an die wilden Bestien, die Anteilnahme des Volkes an dem
ihm willkommenen, blutigen Schauspiele sind prachtvoll, wenngleich
schrecklich, und erinnern in der Plastik ihrer Furchtbarkeit an die
Zerstörung Jerusalems von Kaulbach in der Pinakothek. Doch kommen auch
Stellen von rührender Zartheit in „Berenice“ vor, in denen der Leser
ausruht, so das Gespräch der beiden blutsverwandten Judäerinnen, der
stolzen Salome und der lieblichen Thamar, der Tochter Johannes von
Gischala, welche keine sklavische Nachahmung der „Schwestern“ von Georg
Ebers sind, allein doch durch einen Familienzug an dieselben erinnern;
die Flucht Debora-Berenices mit Reguel nach Beth-Iden, und die Liebe
Gabbas, des Zwerges, zu seiner Jugendgefährtin, der Germanin Wunnehild,
und die poetischen alten Sagen, welche in dem Roman geschickt verwebt
sind, und unter welchen die von der Liebe Hadad-Rimmons und der Göttin
Derketo, aus welcher sich die Adonissage entwickelt haben soll, als
eine der schönsten bezeichnet werden muß.


  ~Familie von Ellernbruck.~

  Humoristischer Roman
  von
  ~Käthe van Beeker~.

  Preis 3 Mark geheftet, 4 Mark gebunden.

Die Verfasserin führt den Leser in das gut beobachtete und mit
liebenswürdigem Humor geschilderte Milieu einer hocharistokratischen
Offizierfamilie, welcher von all dem Glanze einer ruhmvollen
Vergangenheit nichts geblieben ist, als der unbefleckte Ehrenschild
ihres gräflichen Wappens. Wie nun in diese unsichtbare Mauer von
Standesbewußtsein und -- Standesvorurteil aus dem Kreise der eigenen
Familie heraus nach und nach Bresche gelegt wird, wie der Sohn und
die jüngste Tochter, die so tapfer als Selektanerin und angehende
Lehrerin den Kampf ums Dasein aufnimmt, ihre moderne Anschauung von
den Pflichten des Adels gegenüber den Aufgaben und den Anforderungen
ihrer Zeit zur Geltung bringen, das hat die Verfasserin mit frischer,
überzeugender Anschaulichkeit geschildert.

  In allen Buchhandlungen zu haben.


  ~Verlag von W. Vobach & Co., Berlin und Leipzig.~


  ~Vobachs
  illustrierte Roman-Bibliothek~

  ~Jeder Band kostet 1 Mark gebunden.~


~Der Verdacht.~ -- Roman von ~Teo von Torn~.

Mit unerbittlicher Folgerichtigkeit ziehen sich die Fäden der Handlung
zu dem unheilvollen Konflikt über dem Haupte der Schuldigen zusammen.
Es ist ein äußerst fesselnder Roman, der nur wenige seinesgleichen hat.


~Zum Frieden.~ -- Roman von ~Hilde von Selkow~.

Die tief ergreifende Geschichte einer Ehe, wie sie in den Kreisen der
oberen Zehntausend so oft geschlossen wird, ist diesem gemütvollen
Roman zu Grunde gelegt. Mit immer wachsender Anteilnahme folgen wir
den inneren Kämpfen des treuen Frauenherzens, das sich langsam zur
Entsagung durchringt, um endlich zum Frieden zu gelangen.


~Durch Kampf zur Krone.~ -- Roman von ~Ada von Gersdorff~.

Ein hohes Lied von der siegenden Macht der Liebe verdient dieser Roman
genannt zu werden. Wie die Liebe im Weibe alle Zweifel, die von fremder
Hand in ihre Seele gesät werden, siegreich überwindet, wie die Liebe,
die anfangs in blindem Vertrauen dem Manne ihrer Wahl folgt, sich im
Kampfe des Lebens zum bewußten Glauben an den Geliebten durchringt, wie
sie für beide Gatten zur Krone des Lebens wird, das ist mit packender
Darstellungskunst in diesem Roman der berühmten Schriftstellerin
geschildert.


~Um einen Königsthron.~ -- Roman von ~Emilia Pardo-Bazan~.

Mitten hinein in den schweren Kampf zwischen der Pflicht, die den Mann
an die ihm gestellten Aufgaben ruft, und der Liebe, die stürmisch
ihr Recht begehrt, wird der Held dieses Romans geführt. Vor die
Entscheidung gestellt, folgt er dem Rufe der Pflicht und fällt als Held
im Kampfe zwischen Pflicht und Neigung.


~Bis in den Tod.~ -- Roman von ~W. Granath~.

Eine düstere Episode der Weltgeschichte, das Sterben und Irren eines
unglücklichen Königs schildert dieser ungewöhnlich spannende Roman.
Die gewaltige Tragik der Ereignisse wird gemildert durch ein zartes
Liebesidyll, das sich wirkungsvoll auf dem geschichtlichen Hintergrunde
aufbaut.


~Der Berghaldnerhof.~ -- Roman von ~F. Kaltenhauser~.

Ein packendes Stück Leben, das zum Hintergrund die großartige Szenerie
der Alpenwelt hat. Die Glut der Darstellung, die Wucht der Handlung
erinnern an die besten Werke eines Ganghofer.


~Treue.~ -- Roman von ~B. Corony~.

Ein Seelendrama, das mit seltenem psychologischen Scharfsinn gezeichnet
ist. Das Schicksal eines Weibes, dem wir mit innerster Anteilnahme
folgen müssen, ein Stück Leben, über das wir als Motto schreiben
müßten: „Liebe ist stark wie der Tod.“


~Stolze Herzen.~ -- Roman von ~Ada von Gersdorff~.

Wohl eines der besten Werke aus der Feder der vielgelesenen
Schriftstellerin. Die tiefsten Klänge, die die Menschenseele bewegen,
werden hier von Meisterhand angeschlagen. Niemand kann das Buch ohne
tiefe Ergriffenheit aus der Hand legen.

  In allen Buchhandlungen zu haben.


  ~Verlag von W. Vobach & Co., Berlin und Leipzig.~

  ~Vobachs
  illustrierte Roman-Bibliothek~

  ~Jeder Band kostet 1 Mark gebunden.~


~Der Goldmacher.~ -- Roman von ~C. Falkenhorst~.

Ein fesselndes Kulturbild aus der Zeit der Alchimisten, die den
Stein der Weisen suchten. Auf diesem Hintergrunde spielt ein zartes
Liebesidyll, dessen Zauber sich kein Leser entziehen wird.


~Unter dem Dornenkranz.~ -- Roman von ~Frieda H. Kraze~.

Wie unter dem milden Hauch echter Weibesliebe auch aus dem Dornenkranz,
der das Haupt eines in seiner einsamen Höhe wandelnden Dichters
umschlingt, endlich nach qualvollen inneren Kämpfen die lachenden Rosen
des inneren Glückes erblühen, ist von Meisterhand tief ergreifend in
diesem einzig schönen Roman geschildert.


~Hexenkünste.~ -- Roman von ~Gustav Johannes Krauss~.

Zwischen Furcht und Hoffnung schwankt der Leser bei der Lektüre dieses
Romans, der uns durch die Irrpfade von Leidenschaft und Verbrechen zu
den lichten Höhen reinen Liebesglückes emporführt.


  ~Von folgenden Romanen der $II. Serie$ kostet jeder Band
  $1 Mark$ geheftet und $1,25 Mark$ hochelegant gebunden.~


~Weltuntergang.~ -- Roman von ~Max Dunckel~.

Eine hochdramatische Schilderung der französischen Schreckensherrschaft
unter Robespierre. Die sich unter dem Schafott abspielenden
verzweifelten Scenen und die leidenschaftlichen Gefühlsausbrüche vor
der Hinrichtung im Kerker sind von eminent packender Wirkung.


~Klippen.~ -- Roman von ~Anton von Perfall~.

In formvollendeter Darstellung gibt der bekannte Autor hier die
Schicksale eines Abenteurers wieder, der bei der Jagd nach dem Glück
zwar strauchelt, aber in ernster Arbeit und tiefer Reue einen Fehltritt
büßt. Gerade zu meisterhaft sind die seelischen Konflikte gelöst, und
bewundernd steht der Leser vor der Hoheit der Seele des Weibes.


~Du bist der Mann.~ -- Roman von~ M. E. Braddon~.

Ein äußerst spannender Roman der beliebten Verfasserin, der vor dem
Auge des Lesers die fein ersonnenen und geschickt durchgeführten
Intriguen entrollt, die angewendet wurden, um eine edle Frau einem
unaufrichtigen Manne zuzuführen. Die Handlung ist packend von der
ersten bis zur letzten Zeile.


~Die Rainhoferin.~ -- Roman von ~F. Kaltenhauser~.

Aufrichtiges Mitleid empfindet der Leser dieses Hochland-Romans mit
der Heldin, die in einer ihr aufgezwungenen Ehe alle Qualen des
geknechteten Herzens durchkosten muß. Mit seinem psychologischen
Verständnis schildert die einem Anzengruber ebenbürtige Verfasserin
jene Volkskreise, in denen jahrhundertalte Traditionen noch heute
lähmend auf ganzen Familien lasten.


~Der Liebe Gebot.~ -- Roman von ~Elsbeth Borchart~. -- 2 Bände.

Der Fehltritt eines deutschen Fürsten in seinen Jugendjahren und
dessen Konsequenzen hat diese Arbeit zum Vorwurf. Die Seelenstimmung
des alternden kinderlosen Witwers, dessen natürlicher Sohn durch
Zufall als Leibarzt an den Hof gelangt, ist so fein durchgearbeitet,
daß niemand dem Fürsten seine Teilnahme versagen wird. Für jeden, der
Hofgeschichten mit ihren tausenderlei Intriguen liebt, wird dieser
Roman eine äußerst fesselnde Lektüre sein. Der Liebe Gebot wurde des
packenden Inhalts wegen bereits dramatisiert.

  In allen Buchhandlungen zu haben.



+--------------------------------------------------------------+
| Anmerkungen zur Transkription                                |
|                                                              |
| Idiomatische Schreibweisen des Autors wurden beibehalten,    |
| wie: Knieen, Kopieen, Melodieen, Physiognomieen, schrieen,   |
| umsomehr, Diner.                                             |
|                                                              |
| Die folgenden Inkonsistenzen wurden beibehalten, da beide    |
| Schreibweisen gebräuchlich waren:                            |
|                                                              |
| anderen -- andern                                            |
| anglo-indisch -- angloindisch                                |
| Aufenthaltes -- Aufenthalts                                  |
| benutzen -- benützen                                         |
| Cantonment -- Kantonnement                                   |
| dunkeln -- dunklen                                           |
| Eingeborenen -- Eingebornen                                  |
| Entwickelung -- Entwicklung                                  |
| Fahrzeuges -- Fahrzeugs                                      |
| Garde-Regiment -- Garderegiment                              |
| General-Gouvernement -- Generalgouvernement                  |
| Generale -- Generäle                                         |
| Generalstabes -- Generalstabs                                |
| gewohnt -- gewöhnt                                           |
| gleichgiltig -- gleichgültig                                 |
| Hilfe -- Hülfe                                               |
| Hill-Station -- Hillstation                                  |
| höheren -- höhern                                            |
| hundertundzwanzigtausend -- hundertzwanzigtausend            |
| im stande -- imstande                                        |
| Kaiser Wilhelm-Kanal -- Kaiser-Wilhelm-Kanal                 |
| Khaki-Anzug -- Khakianzug                                    |
| Kieler Föhrde -- Kieler Förde                                |
| Kolonieen -- Kolonien                                        |
| Kontre-Admiral -- Kontreadmiral                              |
| Mac Gregor -- Mc. Gregor                                     |
| Panzer-Schlachtschiff -- Panzerschlachtschiff                |
| Papieres -- Papiers                                          |
| Sommer-Uniform -- Sommeruniform                              |
| Stockwerkes -- Stockwerks                                    |
| Sympathieen -- Sympathien                                    |
| Torpedo-Divisionsboote -- Torpedodivisionsboote              |
| Union Jack -- Union-Jack                                     |
| unseren -- unsern                                            |
| wackeren -- wackern                                          |
| weiteren -- weitern                                          |
| Wester-Schelde -- Westerschelde                              |
|                                                              |
| Die Umwandlung von -ss in -ß an Wortende bei englischen      |
| Begriffen (Empreß, Croß) wurde beibehalten.                  |
|                                                              |
| Folgende Änderungen wurden vorgenommen:                      |
|                                                              |
| S. 6 "Schimonosaki" in "Schimonoseki" geändert.              |
| S. 15 “ eingefügt.                                           |
| S. 17 ‘ verschoben.                                          |
| S. 17 "ans" in "aus" geändert.                               |
| S. 18 "unserigen" in "unsrigen" geändert.                    |
| S. 23 "außergewöhnliches" in "Außergewöhnliches" geändert.   |
| S. 23 "austeilen" in "Austeilen" geändert.                   |
| S. 24 "Siebenhuudertfünfzig" in "Siebenhundertfünfzig"       |
|       geändert.                                              |
| S. 28 "sie" in "Sie" geändert.                               |
| S. 29 “ eingefügt.                                           |
| S. 35 „ eingefügt.                                           |
| S. 39 "hätte" in "hatte" geändert.                           |
| S. 43 “ eingefügt.                                           |
| S. 43 „ eingefügt.                                           |
| S. 49 "Gurkas" in "Gurkhas" geändert.                        |
| S. 64 . eingefügt.                                           |
| S. 70 "Rnhe" in "Ruhe" geändert.                             |
| S. 73 "Madharadjah" in "Maharadjah" geändert.                |
| S. 76 "gegeben" eingefügt.                                   |
| S. 97 "hunterttausend" in "hunderttausend" geändert.         |
| S. 104 „ eingefügt.                                          |
| S. 112 "Blindon Blood" in "Bindon Blood" geändert.           |
| S. 118 "Sie" in "sie" geändert.                              |
| S. 120 "nnd" in "und" geändert.                              |
| S. 128 "Lenten" in "Leuten" geändert.                        |
| S. 131 "Eiudrucks" in "Eindrucks" geändert.                  |
| S. 132 "Wirrwar" in "Wirrwarr" geändert.                     |
| S. 140 "verlornen" in "verlorenen" geändert.                 |
| S. 141 , eingefügt.                                          |
| S. 143 "beizende" in "beißende" geändert.                    |
| S. 149 "voraufgegangenen" in "vorausgegangenen" geändert.    |
| S. 151 "Cönotaphium" in "Coenotaphium" geändert.             |
| S. 154 "zurück gebliebeneu" in "zurückgebliebenen" geändert. |
| S. 155 "Erkenntnis" in "Urteil" geändert.                    |
| S. 156 "Mean Meer Cantonment" in "Meean Meer Cantonment"     |
|        geändert.                                             |
| S. 159 "er felbst" in "er selbst" geändert.                  |
| S. 165 "Atchison-College" in "Aitchison-College" geändert.   |
| S. 166 "nnserer" in "unserer" geändert.                      |
| S. 167 „ eingefügt.                                          |
| S. 167 "vor" in "von" geändert.                              |
| S. 174 "Ermouth" in "Exmouth" geändert.                      |
| S. 174 "Russel" in "Russell" geändert.                       |
| S. 181 "Tyroler" in "Tiroler" geändert.                      |
| S. 182 "nnd" in "und" geändert.                              |
| S. 192 "wir" in "Wir" geändert.                              |
| S. 194 "Armee-Gensdarmen" in "Armee-Gendarmen" geändert.     |
| S. 197 "Majaradjah" in "Maharadjah" geändert.                |
| S. 224 "Tschatschawadse" in "Tschadschawadse" geändert.      |
| S. 229 "Anandale" in "Annandale" geändert.                   |
| S. 232 Ellipse ".." in "...." geändert.                      |
| S. 232 "Manore Point" in "Manora Point" geändert.            |
| S. 233 "Apollo Bander" in "Apollo Bandar" geändert.          |
| S. 240 “ eingefügt.                                          |
| S. 251 "Admiral Gantaume" in "Admiral Ganteaume" geändert.   |
| S. 251 "Latouche-Treville" in "Latouche-Tréville" geändert.  |
| S. 254 "Takellage" in "Takelage" geändert.                   |
| S. 259 "Topsflaggen" in "Toppsflaggen" geändert.             |
| S. 263 "Dentlichkeit" in "Deutlichkeit" geändert.            |
| S. 266 , eingefügt.                                          |
| S. 273 "Kadzand" in "Cadzand" geändert.                      |
| S. 278 "Batterieen" in "Batterien" geändert.                 |
| S. 281 "Mittelspersou" in "Mittelsperson" geändert.          |
| S. 282 "uehmen" in "nehmen" geändert.                        |
| S. 288 "Hallunken" in "Halunken" geändert.                   |
| S. 336 "Abukir" in "Aboukir" geändert.                       |
| S. 337 "Desparate" in "Desperate" geändert.                  |
| S. 341 ‚ eingefügt.                                          |
| S. 358 , eingefügt.                                          |
| S. 358 "Torpedobootflotille" in "Torpedobootflottille"       |
|        geändert.                                             |
| S. 361 "Verhälnissen" in "Verhältnissen" geändert.           |
| S. 363 "Havarieen" in "Havarien" geändert.                   |
| S. 364 "Krenzerdivision" in "Kreuzerdivision" geändert.      |
| S. 368 "explodieren" in "Explodieren" geändert.              |
| S. 375 "Lamsdorff" in "Lambsdorff" geändert.                 |
| S. 380 "Garantieen" in "Garantien" geändert.                 |
|                                                              |
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