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Title: Sämmtliche Werke 1-2: Mein Leben / Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802 - Vierte rechtmäßige Gesammtausgabe in acht Bänden
Author: Seume, Johann Gottfried, Clodius, Christian August Heinrich
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Sämmtliche Werke 1-2: Mein Leben / Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802 - Vierte rechtmäßige Gesammtausgabe in acht Bänden" ***


                            J. G. Seume's
                          sämmtliche Werke.


                  Vierte rechtmäßige Gesammtausgabe
                           in acht Bänden.

                             Erster Band.

                       Mit dem Bildniß Seume's.

                               Leipzig,
                       Joh. Friedr. Hartknoch.
                                1839.



                      Inhalt des ersten Bandes.

   Mein Leben                                                          1
   Fortsetzung von Seume's Leben, mitgetheilt von C. A. H. Clodius    99
   Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Erster Theil              153

                      Inhalt des zweiten Bandes.

   Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Zweiter Theil               1
   Anmerkungen zum Spaziergang nach Syrakus von V. H. Schnorr v. K.  205



                             Mein Leben.


                    ^Veritatem sequi et colere, tueri justitiam
                    omnibus aeque bene velle ac facere,
                    nil extimescere.^

Das Mißliche einer Selbstbiographie kenne ich so gut als sonst irgend
Jemand; und ich halte mich für nicht wichtig genug, daß überhaupt mein
Leben beschrieben werde. Wenigstens wäre es nach vierzig Jahren noch
Zeit genug. Ein angesehener Buchhändler bot mir vor einigen Jahren, als
die Aspekten am litterarischen Himmel noch besser standen, eine
beträchtliche Summe, wenn ich ihm die psychologische Geschichte meiner
Bildung schreiben wollte. Ich gebe mich aber nicht gern zu dergleichen
Spekulationen her; und es geht etwas wider mein Wesen, auf meine Kosten,
vielleicht etwas eigenthümlich, einige allgemeine Wahrheiten zu sagen,
die die eine Hälfte längst weiß und die andere Hälfte nicht wissen will.
Folgendes hat mich indessen bestimmt, etwas über mich selbst zu sagen.
Schon Herder, Gleim, Schiller und Weiße und mehrere noch Lebende haben
mich aufgemuntert, nach meiner Weise die Umstände meines Lebens, das sie
wohl für wichtiger hielten, als es war, schriftlich niederzulegen. Ich
glaubte, das wäre im achtzigsten Jahre noch frühe genug; aber meine
jetzigen Gesundheitsumstände erinnern mich, es nicht zu verschieben,
wenn es geschehen soll. Mehrere meiner Freunde drohen mir,
wahrscheinlich genug, daß ich auf alle Fälle einem Biographen doch nicht
entgehen würde: und da fürchte ich denn, einem Sudler, oder
Hyperkritiker, oder gar einem schalen geschmacklosen Lobpreiser in die
Hände zu fallen. Niemand kann doch besser wissen, was an und in ihm ist,
als der Mann selbst, wenn er nur redliche Unbefangenheit und Kraft genug
hat, sich zu zeigen, wie er ist. Ich überlasse es jedem, der etwas von
mir weiß, zu urtheilen, ob das, was er von mir weiß, das Gepräge dieser
Unbefangenheit und dieser Kraft trägt. Ich erzähle also ehrlich offen,
ohne mich zu schonen, und nicht selten mit dem Selbstgefühl inneren
Werths, und ohne den Vorwurf der Anmaßlichkeit, oder die Krittler weiter
zu fürchten, die vielleicht sodann über mich nur Todtengericht halten.
Thorheiten werde ich wohl nicht wenige und nicht geringe zu beichten
haben; aber, so viel ich mir bewußt bin, keine Schlechtheit. Wenn die
Erzählung unterhält und vielleicht hier und da die Jugend belehrt und in
guten Grundsätzen befestiget, so habe ich nicht umsonst gelebt und
geschrieben.

Mein Vater Andreas war ein ehrlicher, ziemlich wohlhabender Landmann,
der, wie ich, die Krankheit hatte, keine Ungerechtigkeit sehen zu
können, ohne sich mit Unwillen und nicht selten mit Bitterkeit darüber
zu äußern. Seine Bekannten nannten ihn also einen hitzigen Kopf, und
einige Edelleute einen unruhigen Kopf, den man unterdrücken müsse; das
war natürlich und mußte auch gelingen. Nur ein einziges Beispiel seiner
Heftigkeit! Ich habe keines von meinen Großältern gekannt, wohl aber
einen Großgroßvater, von Seiten des Vaters, einen Mann von mehr als
neunzig Jahren, den man nur den alten Jobst nannte, und der mir, als
kleinem Urenkel, fast eine Stunde Weges immer einen Kober voll
Frühkirschen brachte. Dieser war etwas im Geruch der Ketzerei, weil er
nicht das ganze Bonzenwesen des Pfarrers mit gehöriger Gefangennehmung
seiner Vernunft gläubig aufnahm, besonders einige Zweifel über die
Richtigkeit einiger Decemforderungen hegte. Der alte Jobst stand bei der
Gemeine für den Riß in Kollisionsfällen. Als er starb, überließ die
Familie mit Bescheidenheit dem Pfarrer die Anordnung des
Leichenbegängnisses, ohne Text und Lieder selbst zu wählen. Der Pfarrer
ließ lauter Straflieder singen, unter welchen auch das bekannte »O
Ewigkeit du Donnerwort« war, und hielt zur Erbauung und Abschreckung
eine wahre Galgenpredigt. Mein Vater unter den Leidtragenden nahm in der
ersten Wirkung des Sermons einem alten Verwandten das spanische Rohr
weg, eilte damit vor die Sakristei, und hätte gewiß dem Strafredner eine
sehr fühlbare Replik beigebracht, wenn man ihm nicht in die Arme
gefallen wäre. »Herr, sagte er mit starker Stimme, wenn nur Sie und Ihre
Familie so ehrliche gute Leute sind, wie der Verstorbene und seine
Familie, so können Sie zufrieden sein. Er konnte und wollte Ihre weiten
unersättlichen Aermel nicht füllen; das war seine ganze Gottlosigkeit.«
Es entstand daraus ein Konsistorialprozeß, der meinem Vater viel Geld
kostete. Der Verweis, den der Pfarrer erhielt, war leicht eingesteckt;
aber das Geld, das es meinem Vater kostete, war nicht so leicht
ausgezahlt. Der handfeste Köhlerglaube scheint also die Sache meiner
Familie väterlicher Seite nicht gewesen zu sein; weßwegen der ehrwürdige
Herr zu Frankfurt am Mayn unseres Namens, der einen gelehrten ^tractatum
de SS trinitate^ zu Anfange des vorigen Jahrhunderts geschrieben hat,
wohl schwerlich zu uns gehört. Daß meine Mutter mich gern als einen Mann
Gottes auf der Kanzel gesehen hätte, ist eine gewöhnliche Schwachheit
des Geschlechts: sie kam aber bald davon zurück, als sie meine
entschiedene Abneigung und verschiedene schlechte Geistliche in der
Nachbarschaft sah. Ich habe oft gehört, daß meine Mutter Regine Liebich,
in ihrer Jugend für ein schönes Mädchen gehalten worden ist. Mein
Geburtsort ist Posern, ein Dörfchen eine Viertelstunde von Rippach, wo
die Poststation war, wo die Vorfahren meiner Mutter seit dem
dreißigjährigen Kriege ein Grundstück mit Brauerei, Brennerei und
Schenkrecht besaßen, das sie, laut Documenten, als Appertinenz vom
Rittergut damals mit neunzig Thalern an sich gekauft hatten, und für das
man 1803 zwölfhundert bot. Mein Geburtstag fiel, laut der alten
Familienbibel, die durch eingebundenes weißes Papier zugleich die
Familienchronik war, den 29. Januar 1763, in einer, entsetzlich kalten,
Periode, woraus die Gevattern und Basen nach ihrer Weise allerlei
prophezeiten. Ohne eben mit Sterne weitläufig gelehrt über den Einfluß
äußerer Umstände bei dem ersten Eintritt in die Existenz zu spintisiren,
habe ich doch oft gedacht, daß ich, nach der gewöhnlichen Rechnung, ein
Produkt der Walpurgisnacht, und als Erzeugniß zweier schönen sehr
lebendigen Menschenwesen, weit freundlicherer Natur und weit
merkurialischer sein sollte. Vielleicht hat folgender Umstand Einfluß.
Da meine Mutter durch eine gewöhnliche Vernachläßigung nach meiner
Geburt an der Brust litt, und eine Amme damals in der Gegend etwas
ungewöhnliches war, wurde ich mit Kuhmilch aufgezogen. Ich kam mit dem
Hubertsburger Frieden an; man nannte mich also Gottfried, und Johann
wurde vorgesetzt, weil es ein alter Vetter, auf den man in der Familie
etwas hielt, durchaus haben wollte. Meine Erinnerung geht nicht so weit
zurück, daß ich mich besinnen könnte, wie ich lesen und schreiben
gelernt habe. Der alte Schulmeister Held, dessen Tochter meine Pathe
war, und der mich daher mit viel Vorliebe und Strenge ächt
altpädagogisch behandelte, brachte mir diese Fertigkeiten bei, so früh,
daß sich die Zeit aus dem Gedächtnisse gewischt hat. Ich genoß manches
kleine Privilegium zur Zeit der Erdbeeren und Johannisbeeren und
Pflaumen, und wenn der Honig geschnitten wurde; aber übrigens wurde mir
der Bakel sehr reichlich zu Theil: nicht wegen der Lektion, denn diese
ging immer leidlich genug, sondern wegen mancher Unordnungen, die ich
nach meinem damaligen Bedünken für gar kluge Streiche hielt. Meine
früheste deutliche Erinnerung ist folgende: Ich hatte einen Vetter von
gleichen Jahren, mit dem ich mich oft wacker raufte, weil wir die besten
Freunde waren. Er ist nachher, wie ich höre, als Dragoner gestorben. Die
Schule lag auf einer kleinen Anhöhe und vor derselben unten war ein
grüner Rasenplatz, über den der Abfluß einer herrlichen Quelle, die
Heilige, nach dem dortigen Dialekt die Heleke genannt, sich schlängelte.
Ein herrlicher Platz zum Balgen und Raufen, wenn er nur nicht unter dem
Fenster des Schulmeisters gewesen wäre! Wir zwei jungen Streithähne
hatten schon in der Schule Zwist gehabt, den der Bakel beschwichtigt,
aber nicht geschlichtet hatte. Nun waren wir nicht länger zu halten; die
Erörterung fuhr in die Finger, die Bücher wurden weggeschleudert und das
Knuffen und Beinstellen und Raufen ging an. Die Größeren schlossen
theilnehmend einen Kreis und lachten, wie rüstig die kleinen Kämpfer
sich tummelten. Der Herr Pathe Schulmeister rief und drohte mit dem
Haselstock aus dem Fenster vom Berge herab. Niemand sah und hörte; das
Boxen ging fort und bald lag Jakob oben, bald Gottfried, und die kleinen
Finger waren voll Gras und Haare. Plötzlich trennte sich der Kreis und
der alte Herr Pathe Held bearbeitete jugendlich rasch mit dem
Haselinstrument unsere Beinkleider und Schulterblätter. Das versöhnte
schnell wie der Blitz die Streitenden; wir sprangen auf, rafften die
Bücher zusammen: der Kreis zog fort, und wir gegeißelt hinter her. Der
Kreis lachte, die Pferdebändiger vor der Schmiede und Schenke lachten
laut, wir stimmten ein; und lächelnd zog der alte Schulmonarch, den
Friedensstifter des Haselbusches drohend noch in der Hand schwingend,
nach seinem Berge zurück. Die Sache machte Lärm im Dorfe und alles vom
Schulzen bis zum Nachtwächter lachte noch laut nach: nur mein Vater that
es verstohlen, um den Buben nicht in seinen Streichen zu bestärken. Noch
einige Jahre früher, und früher als meine Erinnerung reicht, hätte ein
Zufall fast meiner Existenz ein Ende gemacht. Hinter dem Garten meines
Vaters floß der kleine Bach Rippach, der ungefähr eine Stunde von Posern
in die Saale fällt. Der Garten war mein Lieblingstummelplatz; nur
fürchtete man für den kleinen Buben das Wasser. Es wurden eben alte
Bäume ausgerottet und junge gesetzt; ich wurde also dem alten Jakob, der
mit einigen andern arbeitete, zur Aufsicht übergeben, damit ich mich
nicht dem Bache nähern sollte. Das hielt man gewissenhaft, beachtete
aber nicht so sehr die Nähe. Ich springe und jage dort herum und
plötzlich fällt der alte Aepfelbaum, an dem man arbeitete, faßt mich und
schlägt mich zu Boden. Die erschrockenen Alten wenden und kehren mich
nach allen Seiten; ich bin augenblicklich todt; Jakob nimmt mich auf den
Arm und trägt die vermeintliche Leiche hinein in den Hof, wo mein Vater
eben mit der Mutter an der Wäsche über Hausangelegenheiten sprach. Man
stelle sich die Botschaft vor; meine Aeltern liebten uns ohne
lächerliche Schwachheit mit wahrem tiefem Gefühl. »Herr, hier bringe ich
den Jungen,« sagte der Alte, indem er mich auf den Wäschtisch legte, »er
ist todt. Gott im Himmel weiß, ich bin unschuldig; ich wollte, der Stamm
hätte mich getroffen.« Unter lautem Wehklagen suchte und schickte man
nach Hülfe. Der Barbier wandte alle seine Weisheit an, der Arzt kam;
alle Mittel waren umsonst; kein Zeichen des Lebens erschien. Zwölf
Stunden und darüber war man so traurig vergeblich beschäftigt und eben
im Begriff zu enden und an die Beerdigungsanstalten zu denken, als ich
das linke sehr verletzte Auge aufschlug. Man fing die Versuche wieder an
und brachte mich ins Leben zurück. Es hatte mich nicht der Stamm,
sondern nur einige starke Aeste mit den Zweigen getroffen und die tiefe
Betäubung bewirkt. Damals mochte ich ungefähr drei Jahre alt sein. Von
den Quetschungen blieb wenig zu sehen, außer dem Flecken im erwähnten
linken Auge, den man im zwanzigsten Jahre noch wahrnehmen konnte. Ein
etwas späterer Vorfall hätte mich auch bald in jene Welt getragen. Mein
Vater war damals schon in einer Pachtung als Gastwirth bei Leipzig. Das
größte Vergnügen für mich war die Pferde in die Schwemme und auf die
Weide zu reiten, wozu ich jedoch nur selten die Erlaubniß bekam. Reiten
hieß bei mir jagen, daß die Mähnen flogen und die Haare sausten. So ritt
ich einmal gegen die Ordonnanz mit in die Schwemme. Das Thier liebte den
Strom eben so sehr, als ich das Reiten, scharrte, stampfte und brauste:
meine Hand war zu schwach es zu halten: es legte und wälzte sich mit
gewaltigen Wohlbehagen. Ich kam unter das Pferd, verlor die Besinnung
und der Strom führte mich weit weit mit sich fort. Indessen hier erholte
ich mich, als ich herausgezogen wurde, nach einigen Minuten Versuchen
sogleich wieder: und lange Zeit blieb dem jungen Centauren die Reiterei
untersagt. Endlich kam mein Vater einmal von der Messe und hatte Pferde
gekauft. »Junge, ich habe auch eins für dich mitgebracht,« sagte er,
indem er sich zu mir wendete, und es wurde ein kleiner dürrer
Rothschimmel hervorgeführt, der nur vierthalb Füße hatte. Die Bestie
hinkte und wieherte komisch, und alle lachten über meinen Vater, mich
und den Schimmel. »Wir haben wohl recht viel Geld wegzuwerfen,« sagte
meine Mutter halb ärgerlich, »daß du noch dergleichen Fresser ins Haus
bringst.« »Frau, verdirb mir den Spas nicht!« sagte er launig
selbstzufrieden. »Ich habe es zur Zugabe, habe wahrscheinlich dem armen
Thiere das Leben gerettet: denn der Roßtauscher sprach vom Schinder und
Todtstechen. Wir haben heuer viel Heu, die Weide ist hoch: es kann doch
wohl noch etwas thun: und da der Junge mit des Teufels Gewalt zu Pferde
will, so mag er reiten.« Ich kratzte mich mürrisch hinter den Ohren und
bekümmerte mich wenig darum, was man mit meinem stattlichen Reitpferde
machte. Aber der Schimmel machte sich gut und gewann durch seine
Streiche Celebrität in der ganzen Gegend. Zuerst wurden wir aufmerksam,
als wir ihn galloppiren sahen, womit er jedermann in Erstaunen setzte.
Er hatte, wie gesagt, drei gesunde Hufe: der vierte war eine Art von
krummem Klumpfuß, so daß vorn statt des Eisens nur eine Platte von der
Größe eines Guldens lag. Der Schritt ging also jämmerlich und der Trott
jämmerlicher; aber Gallop und Karriere wie bei dem besten Renner; da
brauchte der kranke Fuß kaum den Boden zu berühren, und wurde von den
übrigen mit durchgetragen, welches im Schritt und Trott nicht möglich
war, weil da jeder Fuß gleichmäßig seine Dienste thun mußte. Da ich mich
um Schritt und Trott wenig kümmerte, war mir der Schimmel schon recht,
und ich gewann nicht selten die Wette über die flüchtigsten Rosinanten.
Er ward rund wie ein Apfel, und war klug, wie die Rosse des Peliden. Von
seinem Stammbaum habe ich nichts erfahren; aber es war ein satyrischer
origineller Gaul, der eine Menge Eigenthümlichkeiten besaß. Zu Wagen und
Pfluge konnte er nicht gehen; aber eine leichte Egge auf leichten Boden
zog er possirlich genug. Er schwamm vorzüglich gern durch die Flüsse und
decimirte den Klee auf fremden Wiesen: und dann waren Dutzende von
handfesten flinken Kerlen nicht im Stande, ihn zu fangen, oder
einzutreiben. Er setzte ächt strategisch auf dem besten Punkte allemal
durch und erreichte seine eigene Krippe. Nach dem Tode meines Vaters
verkaufte ihn meine Mutter in die Nachbarschaft für eilf Thaler, wo er
hart mitgenommen wurde. Einige Zeit nachher sahe ich ihn fast wieder in
seinem ursprünglichen Elend, wie ihn mein Vater nach Hause brachte, auf
einer fremden mageren Weide, einen Sack um den Kopf, damit das arme
Thier nicht von seinen Wanderungstalenten Gebrauch machen könnte. Als er
meine Stimme hörte, kam er auf mich zu, und ich glaubte in seinem
Wiehern Liebkosen und Wehmuth zu finden. Auch meine Mutter war bei
meiner Erzählung, welche von andern bestätigt wurde so gerührt, daß sie
fast die Schwachheit gehabt hätte, die heimische Kreatur wieder ins Haus
zu nehmen.

Mein Vater war zwar ein heftiger moralisch-strenger, aber kein harter
Mann. Im Gegentheil seine Heftigkeit kam meistens aus schneller tiefer
moralischer Empfindung her. Das Zuchtmeisteramt im Hause überließ er
fast immer meiner Mutter; und diese hatte bei ernsthaften Gelegenheiten
mit einigen Worten nur nöthig, den Namen des Vaters zu nennen, um alles
in gutem Gleise zu erhalten. Der Vater wurde dadurch nicht als Popanz
gebraucht, sondern sein strenger Ernst in ernsthaften Dingen zum
gehörigen Zwecke ins gehörige Licht gestellt. Meine Geschwister haben
vielleicht nie von meinem Vater einen Schlag bekommen; nur ich erinnere
mich, daß ich von ihm einmal thätig gezüchtigt worden bin auf eine
schreckliche Weise, die ihn gewiß noch mehr angriff, als mich; und zwar
waren beide, er und ich, im Ganzen unschuldig. Er war mit meiner Mutter
weg, ich glaube nach Weißenfels, gefahren und hatte uns mit einer Magd
und unsern Spielgesellen allein im Hause gelassen. Unterwegs besinnt er
sich, daß er den Schlüssel an einer Oberstube hat stecken lassen, auf
welcher ein Tisch mit gezähltem Gelde stand, meistens in groben harten
Münzsorten. Es war zu spät umzukehren; er eilte aber desto eher nach
Hause. Unterdessen waren wir in dem ganzen Hause herum gepoltert, ich
mit einem halben Dutzend meiner Spießgesellen, und auch in das Zimmer,
wo der Tisch mit dem Gelde stand. So viel Besinnung hatte ich doch schon
als ein Bube von sechs Jahren, daß ich sagte, es sei hier für uns kein
Spielplatz, auf Entfernung drang, den Schlüssel abzog und in die Tasche
steckte. Ich glaubte der erste und letzte im Zimmer gewesen zu sein und
hatte niemand in der Nähe des Tisches gesehen. Mein Vater kam, ging
hinauf, fand den Schlüssel nicht, kam herab: »Junge, wo ist der
Schlüssel zur Oberstube?« Ich zog ihn hervor; er ging wieder hinauf und
zählte nach: es fehlte an der Ecke ein Guldenstück. Mit sichtbarer
Verwirrung und Angst kam er wieder herunter: »Junge, wer ist im Zimmer
gewesen?« »Wir alle, Vater, Jacob, Christian und die andern: da ich aber
sahe, daß Geld aufgezählt war, gingen wir sogleich wieder heraus und ich
nahm den Schlüssel.« »Wer ist an den Tisch gekommen?« »Niemand als ich,
um die andern abzuhalten.« »Du hast ihn also genommen!« fing er an
schwach zu sprechen und zu zittern. »Ich habe nichts genommen,«
antwortete ich zitternd, halbweinend. Der Worte waren wenig; er ward
heftiger, ich läugnete fest und laut weinend. Er faßte mich
konvulsivisch mit den Fäusten und mißhandelte mich bis zur Grausamkeit,
daß auf das Geschrei meiner Mutter die Hausleute und Nachbarn herbei
stürzten und mich aus seinen Händen retteten. »Andres, lieber Andres,«
sagte der alte sanfte Gevatter Schulmeister Held, »Ihr seid ja außer
Euch; Ihr tödtet ja den Knaben; kommt doch zu Euch selbst!« »Ach Gott!«
seufzte mein Vater halb weinend, warf sich in den großen Stuhl und
verhüllte das Gesicht, ohne weiter ein Wort zu sagen. Die Scene ist oft
nachher wieder erzählt worden und mir deßwegen so lebendig geblieben.
Das Fürchterliche seiner Lage in diesem Momente habe ich aus meinem
eigenen Gefühl seitdem mir oft vorgestellt. Er liebte seine Kinder mit
der ganzen Zärtlichkeit eines Vaters und der ganzen Heftigkeit seiner
Natur; ich war sein Erstgeborner: die Nachbarschaft hielt etwas auf
mich, vom Schulmeister bis zum Nachtwächter; man wird ihm also
verzeihen, daß er es auch that. Nun denke man sich einen Vater, ein
ehrlichen, fein fühlenden, heftigen Mann, der seinen Liebling in einer
solchen Enormität ergriffen glaubt, vor dem die schönen Hoffnungen, an
denen sein besseres Wesen hängt, auf einmal verschwinden! Man nahm mich
nun gütlich vor, und ermahnte mich, ich sollte nur bekennen; ich hatte
nichts zu bekennen. Es ist mir noch jetzt rührend, wie urväterlich der
alte Schulmeister um uns besorgt war. »Lieber Pathe« sagte er, »du hast
dich geirrt, du willst nur mit dem Gulden spielen. Sage es nur, so ist
es gut: du wirst schon einsehen lernen, was das zu bedeuten hat.« »Das
sehe ich schon jetzt ein,« sprach ich, »und habe nichts gethan.« Dabei
blieb es. Mein Vater war von dem Tage an still in sich gekehrt, berührte
die Sache nicht mehr, sah mich zuweilen halb zornig, halb wehmüthig an
und verbat sich alles Einreden; sprach nichts Ermahnendes, nichts
Abschreckendes, sagte keines seiner Sprichwörter und war wie ein Wesen,
dessen beste Kraft gelähmt ist, so daß auch meine Mutter sichtbar dabei
litt: die Unruhe saß in beider Seelen. Ungefähr nach drei Wochen klärte
sichs auf. Nachbars Samuelchen -- ich habe seitdem den Namen weder in
der Bibel, noch außer der Bibel recht leiden können -- wurde von seinem
Vater zum Krämer geschickt, um eine Dose voll Schnupftabak zu holen. Er
erhielt einen Gulden, um ihn wechseln zu lassen. Der Krämer hatte von
ungefähr nicht so viel kleines Geld, und sagte, er wolle anschreiben, er
möchte den Gulden nur wieder mitnehmen und es dem Vater sagen. Sei es
nun unwillkürlicher Irrthum, oder lachte der neue Gulden den Buben
besser an, als der vergriffene gestohlene; er gab den falschen Gulden
zurück. »Hollunke,« fuhr ihn der Vater an, »das ist gewiß der Gulden,
der dort drüben so viel Unheil angerichtet hat.« Samuelchen bekannte und
leugnete nicht, und erhielt in bester Ordnung von seinem etwas härteren
Vater die Peitsche in zehnfachem Maaße. Meinem Vater fiel bei der
Aufklärung der Sache ein schwerer Stein vom Herzen. Wer lügt, der
stiehlt, war sein Sprichwort, und wer stiehlt gehört an den Galgen. Er
ward zusehends wieder heiter und suchte durch mancherlei versteckte
Liebkosungen wieder Ersatz zu geben; denn öffentlich durfte das Ansehen
nicht leiden.

Viele Neckereien bewogen meinen Vater, seine Grundstücke dort zu
verkaufen und eine Pachtung eines Wirthshauses mit beträchtlicher
Oekonomie in Knautkleeberg nicht weit von Leipzig einzugehen. Da spielte
ihm denn das heiße Blut hier und dort schlimme Streiche. Der
Justitiarius von Posern hatte bei einer Rügensache, wo sich mein Vater
fast, wie Weißens Kunze mit dem Dintenfasse, benommen hatte, gedroht, er
müsse kein Advokat und sein Principal kein Edelmann sein, wenn nicht die
Sache so weit gedeihen sollte, daß der Andreas Seume noch ins Hundeloch
käme für seine Ungebührlichkeiten. Ungebührlichkeiten nennt man aber
alles, was irgend einen alten Unfug antastet; und schon das feine Wort
für Gefängniß zeigt hinlänglich die Natur der damaligen
Patrimonialjustiz. »Ich will doch dem Teufel und seiner Hölle
entlaufen,« sagte mein Vater, »und sollte ich in einer Kneipe
Schuhzwecken schnitzen und Schwefelhölzchen machen mein Leben lang;« und
so packte er seine Familie auf einige Wagen und pilgerte fürbaß an die
Elster in der Gegend von Leipzig. Er hatte in seiner Jugend das
Böttcherhandwerk gelernt, war auch mit dem Felleisen über Naumburg nach
Gera und Saalfeld gewandert; da ergriff ihn aber, wie man ihm scherzhaft
vorwarf, die Sehnsucht nach der Geliebten, und er eilte über Altenburg
und Luckau nach Hause an der Rippach, ward Meister in der Innung und
heirathete in seinem zwei und zwanzigsten Jahre stracks ohne weiteres
Bedenken. Hätte er nicht etwas Vermögen gehabt, und wäre genöthigt
gewesen, sich in der Fremde etwas umzusehen, so hätten vielleicht einige
Jahre Umschauen den Feuerkopf etwas kühler gemacht; doch vielleicht
hätte sich das Gefühl auch noch tiefer gesetzt und wäre nur desto
bitterer geworden, wie es bei etwas mehr Bildung mir selbst gegangen
ist. Der Antritt der Pachtung fiel in eine sehr unglückliche Periode, in
die Hungerjahre 70 und 71. Der Besitzer des Gutes Lauer, zu dem das Dorf
Knautkleeberg gehört, war der damalige Leipziger Stadtrichter, ^Dr.^
Teller, ein Bruder der bekannten Teller in Zeitz und Berlin, ein harter,
unerbittlicher Mann, der von dem Buchstaben nichts nachließ und alles
Unglück sehr klug dem Pachter zugestellt hatte. Vielleicht machte ihn
auch das Mißliche seiner eigenen Geschäfte und sein excentrischer
Ideengang noch mißmüthiger und bitterer. Man sagte damals, er sei an der
Ministerkrankheit gestorben, weil ihn die Hoffnung täuschte, die Stelle
als Prinzenhofmeister zu erhalten, durch welche der wackere,
rechtschaffene Gutschmidt für sich und das Land eine so rühmliche
Laufbahn machte. Die Eigenheiten der Brüder sind bekannt genug: der
Berliner, als der vorzüglichste von ihnen, hatte am wenigsten. Mein
Vater, anstatt hundert Scheffel Korn in der neuen Pachtung jährlich zu
verkaufen, mußte zur Unterhaltung der weitläufigen Wirthschaft über
funfzig dazu kaufen: und ich kann mich noch recht wohl erinnern, daß er
den letzten Scheffel mit funfzehn Thaler bezahlte. Die Hungersnoth der
damaligen zwei Jahre ist in Sachsen als Landeselend bekannt. Hunger
haben wir nicht gelitten, aber meines Vaters Vermögen zusammen so
ziemlich verzehrt. »So lange ich noch eine Metze Korn mit dem letzten
Thaler kaufen kann,« sagte der wackere Mann, »muß niemand in meinem
Hause ungesättigt vom Tische aufstehen.« Es war, als ob die furchtbare
Theuerung doppelten Hunger erzeugt hätte; denn jedermann aß, wie man
bemerken wollte, fast noch einmal so viel, als gewöhnlich. Ich galt
damals im Dorfe für einen sehr glücklichen Prinzen, daß ich, so viel ich
wollte, herrliches Butterbrot hatte, da mancher arme Teufel hungrig
halbneidisch vorüber schlich. Da gab ich denn manchen Schnitt weg und
tauschte irgend ein Spielwerk oder einen Vogel dafür ein. »Junge, wirst
du ewig nicht satt?« sagte einmal meine Mutter halb froh halb traurig,
als sie mir ein frisches Butterbrot schneiden mußte; »es ist doch, als
ob der Himmel seinen Segen genommen hätte auch von dem, was noch da
ist.« Da es sich aber ergab, daß ich meine vorige ziemlich starke
Portion für einen Hänfling weggegeben hatte, fing sie an eine strenge
Zuchtmeistermiene anzunehmen, und ich glaube wirklich, sie würde zu
Birkengottfriedchen gegriffen haben, wäre nicht mein Vater dazu
gekommen. Der meinte nun, es sei wohl ganz gut, daß ich mein Butterbrot
vertheile, nur nicht, daß ich Hänflinge, Peitschen und Platzbüchsen
dafür nähme und dann komme und mir ein anderes erlüge: er könne übrigens
jetzt nicht alle Hungrigen speisen, und sei froh, wenn er nur seinen
Haushalt leidlich gesättigt habe. »Wenn du nun selbst traurig, hungrig
nach dem Butterbrot der andern sehen müßtest? Junge, wer zu dir kommt,
den weise an mich oder die Mutter! Hunger thut weh, Junge, sagt man: das
haben wir noch nicht erfahren; weiß der Himmel, ob es nicht noch kommt!
hörst du, Junge, Hunger thut weh.« Dabei wischte er sich heimlich einige
Tropfen aus den Augenwinkeln, und ging und schnitt tief in ein großes
Brot, um einige Zeit Sonnenschein auf finstere niedergeschlagene
Gesichter zu bringen. »Helfe euch Gott!« sagte er mit Rührung; »bald
können wir nicht mehr helfen.«

Bei meinem Herrn Pathen, dem Schulmeister Held in Posern, hatte ich für
einen Phönix im Lernen gegolten; hier bei dem Herrn Weyhrauch in
Knauthayn galt ich für einen ausgemachten Dummkopf. Weiß der Himmel,
woher es kam: ob mir das Umsetzen wie einem jungen Baume nicht bekommen
wollte, oder was sonst die Ursache war, ich hieß nur der dumme Junge von
Thüringen einige Jahre lang. Herr Weyhrauch nahm es mit der Geographie
nicht sehr genau; denn Posern liegt noch zwei Stunden diesseits der
Saale: ich aber habe mich seit der Zeit oft alles Ernstes für einen
Thüringer gehalten, zumal da ich jenseit des Stroms verschiedene
Verwandte hatte und hier nie so recht einmeißnern konnte. Ich schrieb
von Posern aus in meinem sechsten Jahre schon eine ziemlich leserliche
Hand; aber Herr Weyhrauch fand darin weder ^ductum^, noch ^fructum^, und
ich mußte durchaus ganz von neuem seine Hopfenstangen von Buchstaben
nachmalen, worin ich sehr unglücklich war, da ich zum Zeichnen fast gar
kein Talent besitze. Herr Adam Weyhrauch war ein ehrlicher,
wohlmeinender, braver Mann, der eine gewaltige Zeit in Halle und Leipzig
hatte studieren helfen, weil ihn sein Vater Weyhrauch, ^ludimagister
ejusdem loci, quo postea filius^, mit aller Gewalt wenigstens zum
Kirchenrath machen wollte. Der Tod überraschte ihn aber im sechsten
Universitätsjahre des Herrn Sohnes, und er hatte noch eben Kredit beim
Patron genug, da er der höheren Klerisei nicht recht trauen wollte, sich
denselben zum Nachfolger auszumitteln. Der Musensohn versorgte sich
stracks in Leipzig mit einem hübschen Bürgermädchen zu Tisch und Bette,
und fing nun an mit allem Fleiß am Weinberge Zions zu arbeiten. Schade,
daß er keine Kinder hatte, um das Geschlecht der Weyhrauche in der
Schulmeisterei zu Knauthayn rühmlichst fortzupflanzen. Die Bauern
meinten, sein Mangel an Produktivität dieser Art rühre von seinem großen
Fleiße in Leipzig und Halle her; doch sagten sie dieses nur ganz leise,
damit sein Ansehen bei der lieben Jugend nicht in Zweifel gerieth. Er
hatte seine liebe Noth mit mir, und ich mit ihm. Ich glaubte zwar seiner
Aburtheilung über meine Dummheit nicht ganz; war aber doch ganz
verblüfft, daß ich dem Manne durchaus gar nichts zu Danke machen konnte.
Lange Zeit war ich so im vermeintlichem moralischem Hinbrüten, bis sich
endlich, ich weiß nicht wodurch, der Knoten löste, und täglich irgend
etwas Besseres zum Vorschein kam. Niemand war darüber froher, als mein
Vater, der schon einige Mal traurig das Verdammungsurtheil über meinen
Geist gehört hatte. Wer zuerst etwas Aetherisches in mir entdeckte, war
der Pfarrer, Magister Schmidt, ein rechtlicher, jovialer, ziemlich
gebildeter und ziemlich orthodoxer Mann, in dessen Charakter aber der
Grundzug freundliches Wohlwollen und Güte des Herzens war. Er schloß aus
meinen oft sonderbaren Antworten in den öffentlichen Kirchenprüfungen
auf meinen eigenen, zuweilen sehr barocken Ideengang, unterhielt sich
viel mit mir und berichtigte meine Gedanken. Er besaß darin so viel
Geschicklichkeit, als ob er in dem sokratischen geistigen
Hebammeninstitut zur Lehre gegangen wäre. Nun sprach er mit dem
Schulmeister, Herrn Weyhrauch, über die Methode des Unterrichts bei
einem solchen Kopfe; die Einwendungen des Schulmeisters wurden gehoben;
der Pfarrer zeigte ihm, daß ich kein Mechaniker und kein Schönschreiber
werden und mich schwerlich mit Nachbeten begnügen würde. Man beschränkte
sich nun auf die Negative und überließ die Positive mir selbst. Von nun
an nahm man wenig Notiz mehr von meinen krummen und schiefen Linien auf
dem Papier und meinen Stelzfüßen und Buchstaben, sondern nur von meinen
Ideen, womit ich den Schulmeister und auch wohl zuweilen den Pfarrer in
einige Verlegenheit setzte. In kurzer Zeit übersprang ich alle
Matadorjungen des Dorfs in der Schule, und ward bald der Erste und
Statthalter des Herrn Weyhrauch bei dessen Abwesenheit als Bienenvater
und Spargelgärtner. Die Umstände und die Gesundheit meines Vaters waren
unterdessen sehr gesunken, so daß man meine bessere Anstelligkeit nicht
den Gratialen und der Gunst von Hause aus zuschreiben konnte. Ich mochte
ungefähr zehn Jahr alt seyn, als ich schon an der Spitze der
Dorfschuljugend stand, unter denen doch wohl einige ihr vierzehntes
geschlossen hatten. Mein Regiment galt für sehr strenge, aber nie für
ungerecht; und ich war damals der Dorfklerisei erster Minister bei
Einführung der neuen Schulordnung, die zu derselben Zeit etwas strenge
gehandhabt wurde. Ich erinnere mich aus dieser Periode bei eben dieser
Gelegenheit eines Vorfalls, wie ich ein Märtyrer meiner Ueberzeugung
ward. Es war befohlen, die Kinder sollten ordentlich nach Rang und Alter
in der Schule paarweise nach Hause gehen, um das wilde Herumschwärmen zu
verhüten. Ich gehörte zu dem Nebendorfe Knautkleeberg und hatte die
Aufsicht über meine Kolonne. Die meiste Noth machte mir ein fast
funfzehnjähriges großgewachsenes Mädchen, das sich in der Schule durch
Langsamkeit im Lernen und außer derselben durch vorschnelle laute
Unbändigkeit auszeichnete. Beständig war sie bald rechts, bald links aus
der Reihe, bald im Grase, bald im Schotenfelde, und schien des kleinen
ohnmächtigen Wichtes von Führer nur zu spotten. Es dem Herrn Weyhrauch
zu klagen, schien mir unter meiner Würde, zumal da er ihrer Aeltern
wegen viele Nachsicht gegen sie zu zeigen schien: denn sie war die
Tochter des Müllers. Als ich ihr eines Tages einige Mal ohne Erfolg
Ordnung geboten hatte, ergriff mich mächtig schnell der Amtseifer, daß
ich hinsprang, um sie aus einem Haferfelde in Reihe und Glied zu
bringen. Sie lachte und verließ sich auf ihre Gewalt; aber der Himmel
weiß, wo in dem Augenblick meine Stärke herkam, ich fasse das Weibsstück
beim Kragen, um sie in die Ordnung zu ziehen, schleudere sie aber aus
dem Haferfelde unglücklicher Weise den Berg hinab in die Sandgrube, wo
sie denn gar unsanfte Purzelbäume schoß und sich wenigstens Hände und
Gesicht empfindlich an den Steinen zerstieß, so daß reichliches Blut
quoll. Nun ging alles schüchtern nach Hause. Den Nachmittag war die
liebe Mama schon klagbar eingekommen; Herr Weyhrauch mit dem Haselzepter
citirte den jungen Primus vor zum Verhör und Standrecht. Ich erzählte
die Sache und bestand auf meinem Recht; nur bedauerte ich den Sturz in
die Sandgrube, der nicht in meiner Absicht gelegen hatte. Der
Schulmeister wollte seinem Vikar doch so viel ausübende Justizgewalt
nicht zugestanden wissen, und meinte Weisung und Meldung sei sein Amt.
Ich behauptete im Gegentheil, daß ich damit nicht auskommen könnte. Herr
Weyhrauch glühte auf und ich war eben nicht sehr nachgiebig; er brachte
mir im Amtseifer gehörigen Orts einen tüchtigen Schilling bei. Diese
Schillingsmethode war bei ihm folgende: der pädagogische Vollstrecker
faßte Delinquenten mit der linken Hand beim Haarschopf und brachte den
Kopf zwischen die Schenkel des Orbilius, wo er ihn an Nacken und Ohren
festklemmte und mit eben dieser linken Hand schnell den Hosengurt des
kleinen Sünders ergriff, woraus eine Art von Schweben entstand: sodann
bearbeitete er mit der rechten, in welcher der Haselstock war, das
Oertchen, auf welchem man sonst ruhig sitzen soll, ^quantum satis^, und
wohl auch ein wenig mehr. Dieser Prozeß wurde auch an mir vollzogen, und
ich hatte meine Abfertigung. Beim Abmarsch nach meinem Sitze verwahrte
ich mich noch mit dem Protest, ich habe doch recht gethan. »Hast du?«
rief Herr Weyhrauch, und fing mit neuem Eifer die Exekution von vorn an.
Nun schritt ich rasch an meine Tafel, hielt die Hand, wo die Kallipyge
die Augen hindreht, und stieß trotzig durch die Zähne: »ich habe doch
recht gethan.« Die Nachbarn lachten und der Schulmonarch fragte
despotisch, was da wäre. »Er habe doch recht gethan, meint er«, sagten
sie; und die Citation begann peremptorisch von frischem. Ohne weitere
Erörterung fing die Bearbeitung noch exemplarischer zum dritten Male an:
und nun erst überlegten beide Parteien, Exekutor und Inkulpat, ernsthaft
still, ob sie recht gethan hätten. Man kann wohl denken, daß die drei
Schillinge mir eine ewig frische denkwürdige Münze sind, da sie zumal in
einer Lebensperiode ausgezahlt wurden, wo jede Art Gefühl sehr lebhaft
in dem treuen Gedächtnisse bleibt. Mein Vater, der den Vorfall hörte,
sagte weiter nichts als, sein bedenkliches Hm, und ich habe nie seine
Meinung über den streitigen Punkt erfahren. Daß man, wenn man recht
habe, dennoch demüthig vor dem Ansehen schweigen müsse, gehörte, wie ich
wußte, nicht unter seine Glaubensartikel; aber noch weniger gehörte es
darunter, das nöthige Ansehen des Lehrers wegen einiger Schwielen zu
kompromittiren. Herr Weyhrauch mochte das Harte seiner Züchtigung meiner
kleinen Hartnäckigkeit fühlen: denn er suchte es durch allerhand
freundliche Aufträge, wofür mir gewöhnlich eine Belohnung von herrlichem
Brot mit dem besten Honig ward, wieder in das alte Gleis zu setzen.

Um diese Periode, ich glaube, es war 1775 im Sommer, starb mein Vater.
Die Geschichte seiner Krankheit und seines Todes ist mir zu wichtig, als
daß ich nicht einiges darüber sagen sollte. Seine Pachtung war, wie
erwähnt, sehr unglücklich, und der größte Theil seines Vermögens war
darauf gegangen. Das lähmte aber nicht sein Kraftgefühl, und störte
seinen guten Muth nicht. Einst hatte er seine letzten hundert Thaler
nach Leipzig getragen zu ^Dr.^ Teller, um den letzten Termin zu
entrichten. Das Wetter war schneidend kalt; das Geschäft mochte nicht
angenehm gewesen seyn. Gegen die Kälte und den Verdruß hatte er wider
seine Gewohnheit, ein Glas Wein getrunken und hatte sich so aufs Pferd
gesetzt, kam aber bis zur Erstarrung gefroren zu Hause an, so daß ihm
der Knecht vom Pferde helfen mußte, da er sonst der behendeste Mann war.
Nun bestellte er sich Koffee, den meine Mutter selbst in der Küche
besorgte. Als sie damit ins Zimmer tritt, findet sie, daß er seinen
großen Stuhl verlassen und sich auf ein Bette geworfen hat, wo er tief
in Federn liegt und schläft. Sie denkt, Schlaf ist besser als alle
Arznei und läßt ihn liegen. Den Tag darauf klagt er über Schwere in den
Gliedern, und den folgenden Tag über Schmerzen im Unterleibe. Es
scheint, die Bettwärme hatte die Kälte, die sich nicht wieder mit dem
übrigen Körper in Temperatur setzen konnte, zurück getrieben, und es
entstand daraus eine Blasenkrankheit, die ihn einige Jahre mit
unsäglichen Schmerzen quälte und ihn am Ende des dritten durch eine
Apoplexie tödtete. Man kann denken, wie sehr seine Haushaltung bei
dieser traurigen Existenz leiden mußte; und doch verlor er bis an sein
Ende niemals einen gewissen Grund von Heiterkeit und Frohsinn: nur
hatten ihn seine Erfahrungen etwas bitter gemacht, so daß sich seine
wahre Meinung oft sprichwörtlich ziemlich sarkastisch äußerte. Das
Minimum von allem Guten, wodurch die Welt regiert wird, war einer seiner
gewöhnlichen Gedanken; nur konnte er ihn nicht so dichterisch schön
einkleiden, wie wir hier und da in Wielands Schriften finden. »Junge,«
pflegte er mir oft mit skoptischem Gesicht zu sagen, »wenn man dir von
oben her zuruft, das Wasser läuft den Berg hinauf, so mußt du gleich
antworten: Gnädiger Herr, so eben ist es oben.« Aerzte wurden angenommen
und gewechselt ohne Erfolg, und ich erinnere mich gehört zu haben, man
habe mehr als zweihundert Thaler umsonst verdoktert. Als er in seinem
37sten Jahre starb, ließ er seine Geschäfte in der mißlichsten Lage und
meine Mutter als Wittwe mit ungefähr fünf Kindern, wovon ich als der
älteste ungefähr zwölf Jahr war. Es entstand eine Art von Konkurs, wobei
aber durchaus niemand einen Heller verlor: nur blieb meiner Mutter
nichts, als die winzige Summe von zwei hundert Thalern, wofür ihr ein
kleines Häuschen gekauft wurde. Alle nahmen sich unser mit Rath und That
sehr freundlich an, und es fehlte uns wenigstens nie an dem
Nothdürftigsten. Der brave Justitiarius Laurentius der Hohenthalischen
Güter vorzüglich suchte die unglückliche Familie so sicher als möglich
zu stellen, und nahm für seine vielen Bemühungen in unserer Sache nicht
allein nichts, sondern ließ uns auf eine feine humane Weise noch manchen
kleinen Vortheil zufließen. Mein Vater hatte kurz vor seinem Tode am
Ende der Pachtung eine kleine Oekonomie mit etwa sechzehn Ackern Feld
gekauft. Das Drückendste für ihn an Körper und Geist war die Frohne, die
er selbst verrichten mußte, wenn nicht sogleich alles zu Grunde gehen
sollte. Die Sense war seinem jetzt schwachen Arme zu schwer, er mußte
einige Male die große Wiese verlassen. Ich erinnere mich, daß einige
entmenschte Seelen, wie es deren überall giebt, unter andern der zeitige
Vogt, ihre bitter groben Bemerkungen darüber machten, als sie ihn vor
seiner Hausthüre mit einem kleinem Knaben, meinem jüngsten Bruder
spielen sahen. Der gute Mann wischte sich die Augenwinkel und legte sich
lange einsam in den entlegentsten Theil des Gartens. Nach drei Tagen lag
er auf der Bahre. Ob wohl diese rohen Seelen dabei einige bessere
Gefühle in sich empfunden haben? Dieser Vorfall vorzüglich ist mit
Ursache meiner folgenden tief koncentrirten, nicht selten finster
mürrischen Sinnesweise. Ich habe die Katastrophe nie los werden können,
ob ich gleich selten oder nie davon gesprochen habe.

Der Graf von Hohenthal Knauthayn, der das Gut Lauer gekauft und mich
zuweilen in der Schule und bei Kirchenprüfungen mit einigem Wohlgefallen
gesehen hatte, hatte bei meines Vaters Tode erklärt, er wolle für mich
sorgen und mich etwas lernen lassen. Was dabei seine Gedanken waren,
weiß ich nicht. Meine Mutter und ich deuteten auf irgend ein Handwerk;
wenigstens verstrich eine ziemliche Zeit, fast von zwei Jahren, ohne daß
wieder etwas darüber gesprochen wurde. Unterdessen nahmen sich der
Pfarrer, ^M.^ Schmidt, und der Schulmeister Weyhrauch meiner wirklich
sehr väterlich an. In meinen Kenntnissen kam ich zwar diese beiden Jahre
nicht merklich vorwärts, da ich den Uebrigen schon sehr voraus war und
man sich höchst selten mit mir beschäftigte: aber es fing doch durch den
Umgang schon an sich der bessere Charakter der Humanität zu entwickeln.
Mein Studium war biblische Geschichte aus Hübners biblischen Historien
und Luthers Bibel selbst, nebst einigen alten ascetischen Schriften, die
mir der Schulmeister gab. Damals gewann ich eine solche Festigkeit und
Gewandheit in der Bibel, daß ich nur selten einen Spruch nicht hersagen
und angeben konnte, der verlangt wurde. Ich wußte sehr viele Psalmen und
fast alle Evangelien auswendig, sagte ziemlich genau, wie viel jedes
Buch Kapitel und sogar, wie viel jedes Kapitel Verse hatte, und wo und
in welcher Verbindung die sogenannten Beweisstellen standen; so daß mir
von dieser Zeit an die Gewohnheit geblieben ist, bei manchen
Gelegenheiten eine Reihe Bibelstellen anzuführen, worüber zuweilen
selbst Theologen sich etwas wundern. Ob sie wirklich bewiesen, was sie
beweisen sollen, darnach fragte ich damals noch nicht: es war nur Sache
des Gedächtnisses und eines lebendigen Ideenspiels ohne weitere
Untersuchung. Im Examen wurde ich nur dann gefragt, wenn irgend ein
Knoten zu lösen war, oder die übrigen verstummten, und dann setzte meine
Belesenheit und der Strom meiner Beweisstellen nicht selten sogar den
Pfarrer in Erstaunen. Nicht selten geschah aber auch ganz natürlich, daß
die Sache anfing mir Langeweile zu machen, und da war ich denn, wenn ich
gefragt wurde, nicht gegenwärtig, sondern mit meinen Gedanken auf dem
Thurme bei den Sperlingen, oder im Busche bei den Sprenkeln, die ich
gestellt hatte. Das gab denn harte Verweise, die mich aber
verhältnißmäßig weniger rührten, weil ich anfing etwas mehr zu ahnden,
als bloßes kaltes Spiel des Kopfs, wie ich endlich hier fand. Doch war
das nicht immer der Fall: denn der Pfarrer, ein wahrhaft guter warmer
Mann, hatte nicht ganz gewöhnliche Rednertalente, und es machte jedes
Mal einen tiefen Eindruck auf meine Seele, dessen ich mir noch jetzt
lebendig bewußt bleibe, wenn er irgend einen wichtigen moralischen Satz
mit eignen, oder, wie ich nachher fand, erborgten Worten feuervoll
vortrug. Dem Menschen ist sehr bald das Reinmenschliche heilig; so wie
er bald gleichgültig gegen das wird, was sein Kopf nicht begreift und
was sein Herz in keine Bewegung setzt.

Ich konnte lange zu keiner Wahl einer Lebensart kommen, so unbestimmt
waren noch meine Ideen vom Leben überhaupt. So lange mein Vater lebte,
wurde ich halb und halb zum Kaufmann bestimmt, da er einige
Bekanntschaft dieser Art in Leipzig hatte; und ich hatte damals geradezu
nichts dagegen. Allein das zerschlug sich mit seinem Tode, und ein
Handwerk sollte wahrscheinlich der Gipfel meiner Bestrebungen werden.
Aus einer angebornen Neigung zum Soliden entschloß ich mich endlich ein
Grobschmidt zu werden. Meine Mutter erschrak und ^M.^ Schmidt lachte,
als ich mit dem Resultat meiner Ueberlegungen herausrückte, und beide
hatten viele Mühe mir die Sache auszureden. »Junge, Du bist ja nur ein
Zwerg und sinkst mit Hammer und Zange vor dem Amboß zusammen wie ein
Taschenmesser,« sagte der gutmüthige Pfarrer; »dazu gehört ein Cyclope
und kein Liliputer, wie Du bist.« Ich verstand das letzte nur halb, gab
aber doch dem Einreden meiner Mutter nach und den vulkanischen Vorsatz
auf: doch gehe ich noch jetzt selten vor einer Schmiede vorbei, wo nicht
der alte Hang zur Solidität merklich zurückkehrte. Nun bestimmte ich
mich zum Dorfschulmeister, wollte etwas Latein und Musik erlernen und
dachte mit dem übrigen nach einiger Vorbereitung schon nicht übel
durchzukommen: denn ich galt für einen gewaltigen Katecheten. Noch bei
Lebzeiten meines Vaters hatte ich einmal gelegentlich von ungefähr
gesagt, es müßte nicht gut seyn, wenn ich nicht über einen Satz hundert
Fragen bilden wollte, ohne eben am Ende zu seyn. »Das traue ich ihm zu,«
sagte der Schulmeister, dem es gesagt wurde; »und die Fragen würden toll
genug seyn.« Der letzte Zusatz war mir eben nicht sehr willkommen und
machte mich aufmerksam. Seit der Zeit habe ich mich geflissentlich vor
vielen voreiligen Fragen gehütet, habe die Sache wahrscheinlich zu weit
getrieben und dadurch manches nicht erfahren, was ich hätte erfahren
können und sollen. Ein Narr fragt mehr, fiel mir immer ein, als ein
Weiser beantworten kann. In der Bestimmung zum Dorfschulmeister mochte
wohl ganz leise der Blick auf Herrn Weyhrauch, sein herrliches
Bienenhaus, seine vortrefflichen Spargelbeete und seine schönen Rosen
und Nelken auch mitwirken: denn es schwebte mir vielleicht dunkel vor,
daß bei gehöriger Einleitung und Ausdauer das alles mein werden könnte.
Jede sitzende Lebensart war mir verhaßt, und obgleich ein Schulmeister
auch sitzen muß, so begriff ich doch schon damals, daß sich viel
Wesentliches in seinem Amte sehr vortheilhaft peripatetisch abmachen
ließe. »Junge, was du für Einfälle hast!« sagte ^M.^ Schmidt bei dieser
neuen Entdeckung: »werde doch lieber Leinweber: ein Dorfschulmeister ist
ein jämmerliches Thier. Denkst Du denn, sie haben es alle wie unser
Weyhrauch?« Und nun fing er an, mir ein gar schreckliches Gemälde der
armen Dorfschulmeisterlein in Thüringen und Meißen zu zeichnen. Ich ließ
mich aber nicht abhalten, und meinte, jeder Stand habe seine Plage und
seinen Frieden. »Nun wir wollen sehen, wie weit es geht,« sagte er, und
that Meldung an den Grafen.

Einige Zeit darauf wurde Anstalt gemacht, mich zum Rektor Korbinsky nach
Borna zu bringen. Hier kam ich denn wie ein halber Hurone, moralisch gut
gebildet, wenigstens ganz unverdorben, aber wissenschaftlich ganz roh
und wild an. Der alte Herr nahm mich freundlich väterlich auf, und ist
von allen meinen Lehrern derjenige, dem ich am meisten verdanke. Er
hatte mehrere Pensionärs, unter denen ich der älteste und unwissendste
war; ausgenommen meine Bibelweisheit, in welcher mir es auch dort
niemand zuvor that. Das Haus war patriarchalisch gut, und seine Frau war
mehr als meine zweite Mutter. Er gab mir kurze, gemessene, deutliche,
sehr gründliche Anleitung; das Bedürfniß drängte, der Ehrgeiz spornte,
und binnen einem Jahre stand ich so ziemlich mit den übrigen auf
gleichem Fuße, die schon vier und fünf Jahre hier gewesen waren: und am
Ende des zweiten war ich fast entschieden der erste an Kenntnissen. Der
erste an der Tafel konnte ich mit Salomons Weisheit nicht werden: denn
da waren zuerst Rücksichten, die ich schwer begriff und noch schwerer
billigte. Das schien mir die einzige schwache Seite des guten Mannes:
doch war sie bei ihm sehr unschädlich; denn es ging deutlich aus der
Behandlung hervor, daß er etwas anders rangirte, als man in der Klasse
saß; und ich war nun schon so weit, daß immer die schweren Stellen an
mich kamen. Der Rektor überließ mich mir selbst; und da war ich denn
zuweilen entsetzlich fleißig und zuweilen entsetzlich faul. Das zweite
übersah er zuweilen des ersten wegen: und ein Hm hm mit Kopfschütteln
oder ein »Du kommst jetzt nicht vorwärts, mein Sohn!« waren hinlänglich
mich in den Gang zu bringen. Wie ich im Lateinischen und Griechischen
dekliniren und konjugiren gelernt habe, weiß ich selbst kaum. Ich las
und las, bis es fest blieb; dann las ich Stellen und analysirte und
setzte wieder zusammen, da denn die logische Nothwendigkeit sich meiner
Seele aufdrang, daß es so seyn müsse und auf diese Weise nicht anders
seyn könne. Die Ausnahmen, wenn man sie nur einige Mal gelesen hatte,
fielen deutlich genug in die Augen.

Hier ließ mein Bibelstudium ziemlich nach und an dessen Stelle trat die
Beschäftigung mit lateinischen Sprichwörtern, welche Weisheit des Lebens
lehren. Der Rektor Korbinsky selbst hatte eine Sammlung solcher
Sprichwörter in Altenburg drucken lassen; ein sehr nützliches Buch für
junge Anfänger, das aber wenig bekannt zu sein scheint. Da ich im Leben
schon etwas Gewandtheit besaß und mein Vater gern in Sprichwörtern
redete, machte sich der Rektor ein Vergnügen, mich die Uebersetzung auch
sprichwörtlich versuchen zu lassen, da denn zuweilen barockes Zeug zum
Vorschein kam. So kam einmal das horazische ^Quidquid delirant reges,
plectuntur Achivi^ vor; der Rektor forderte es sprichwörtlich. Wenn sich
die Könige raufen, müssen die Bauern Haare lassen, sagte ich. »Recht
gut, recht gut!« versetzte der Rektor; »nur etwas zu sehr vom Dorfe,
etwas zu -- zu --« ich verstand, er wollte sagen zu grob. Ich
entgegnete, daß das lateinische ^delirant^ und ^plectuntur^ eben auch
nicht sanft sei, und daß man eine solche Sache recht handgreiflich sagen
dürfe. »Nun gut, es mag gehen,« sagte er, da er selbst nicht gleich ein
feineres Sprichwort finden konnte. Die Frau Rektorin gab sich alle
ersinnliche Mühe mich fein und artig zu machen, so wie der Herr sich
bestrebte, mich zur Tugend und Weisheit zu bilden. In wie fern es dem
Rektor gelang, kommt mir nicht zu zu bestimmen; aber ihr gelang es sehr
schlecht. Mein Anzug war immer sehr nachlässig, meine Haare grotesk
struppig und meine Schuhe schmutzig. Vor allem hatte sie ihren Krieg mit
meiner Stirne, die ich nach ihrer Meinung unerträglich runzelte. Ehe ich
mirs versahe, versuchte sie eine Glättung mit der Hand oder auch wohl
mit der Bürste und drohte sogar mit der Striegel: aber alles umsonst.
Sobald ich in Gedanken gerieth und etwas eigenes oder fremdes
ruminierte, traten die Runzeln wie Furchen auf die Stirne und die
Augenbraunen zogen sich finster zusammen. Das ist geblieben und man hat
mich oft für melancholisch mißmuthig gehalten, wenn ich meine seligsten
Gedanken hatte. Der Rektor nahm davon keine Notiz, da er selbst etwas
von der nämlichen Unart besaß und es wahrscheinlich für ein Adiaphoron
hielt. Er gab mir selbst das Zeugniß, daß ich bei ihm in zwei Jahren so
viel gethan habe, als andere in sechs Jahren, und drang bei meinen
Gönnern auf meine Entfernung, weil ich nunmehr meine Zeit besser
anwenden könne und müsse. Ich hätte bei ihm noch lange, noch sehr viel
lernen können: allein seine Zeit erlaubte ihm nicht, sich mit mir
besonders zu beschäftigen. Doch gab er mir noch einige hebräische
Stunden, so daß ich auch hierin ihm den ersten Grund dankte. Ich kam so
zu sagen ohne die geringste Kenntniß zu ihm, und las doch meinen Cicero
und ein leichtes griechisches Buch ziemlich geläufig, als ich nach zwei
Jahren sein Haus verließ; nicht zu erwähnen, daß ich ihm den besten
Grund in der Geschichte und Geographie und andern ernsthaften
Wissenschaften verdanke. So habe ich bei niemand wieder die
Reformationsgeschichte so deutlich, gründlich und pragmatisch gehört,
als bei ihm. Er war überhaupt in der Kirchengeschichte sehr stark,
studirte unermüdlich und ließ nichts Gutes in jedem Fache ungelesen.
Auch Fischer, der mehrere Reisen mit Beifall geschrieben hat, und
Mahlmann sind seine Schüler, und ich zweifle nicht, sie werden gern das
Wesentliche unterschreiben, was ich hier von ihm gesagt habe. Das Haus
dieses Mannes nebst meines Vaters Hause sind der Grund alles Guten, was
ich vielleicht in meinem Charakter habe. Ich habe erst nachher durch
Vergleichung recht gefunden, wie rein die Sitten und wie fein zugleich
in meines Vaters Hause waren. Ich höre jetzt oft in den besten
Gesellschaften und in sonst sehr guten Häusern Gesinnungen und
Ausdrücke, für die uns der Vater aus dem Hause in den Viehhof würde
geschickt haben. »Dergleichen Reden schicken sich wohl bei Tische,«
sagte er oft fürchterlich skoptisch, wenn jemand etwas Ungesittetes
äußerte, »nur nicht beim Mistladen.« Wenn das Gesinde nicht gesittet
sprechen konnte, mußte es schweigen; das war mit die erste Bedingung bei
der Annahme. Ohne je ein Wort Latein gelernt zu haben, übte niemand
strenger als er das ^sit reverentia pueris^! Er wußte, ich weiß nicht
wie, die meisten Stellen unserer damals neuesten Dichter, und Bürgers
Weiber von Weinsberg erinnere ich mich zuerst von ihm gehört zu haben,
mit Varianten bei mißlichen Stellen, deren sich vielleicht kein Kritiker
hätte schämen dürfen. Woher er das alles hatte, weiß ich nicht, da er
wenig las, und wenig Zeit dazu hatte. Bei Korbinsky wurde dieses feinere
moralische Gefühl sorgsam genährt. Niemand verstand die unschuldige
Eutrapelie des Lebens besser, als der alte Mann. Er nannte z. E. den
Schwager nie anders als Herr Bruder, die Schwägerin Frau Schwester u. s.
w.; und das mit viel wahrer Herzlichkeit. Alle seine Zöglinge waren wie
seine Kinder, und er nahm auch nachher den wärmsten Antheil an ihren
Schicksalen. Es war ein Unglück im Hause, wenn einer seiner ehemaligen
Schüler etwas gethan hatte, das einem schlechten Streiche ähnlich sah.
»Du lieber Gott, was soll aus dem Menschen werden? das macht mich sehr
unruhig.« Und das verderbte ihm wirklich Schlaf und Mahlzeit. Ueber mich
soll er in der Folge oft abwechselnd getrauert und gejubelt haben, bis
er sich endlich fest überzeugt habe, ich werde auf keine Weise seiner
Erziehung Schande machen, glücklich oder unglücklich: dann sei er ruhig
geworden. Nur das Laster hielt er mit den Alten für beweinenswerthes
Unglück. Der Aufenthalt bei ihm ist mir immer die schönste reinste
Erinnerung gewesen und wird es immer bleiben. Segen seiner Asche!

Zuletzt wurde es aber hohe Zeit, daß ich wegkam, da ich die übrigen sehr
übersahe und zuweilen übermüthig und üppig, zuweilen verdrießlich allein
stand. Das war denn die Zeit der Streiche, die oft etwas mehr als
lustig, die jugendlich verkehrt und unbesonnen waren. So nähten wir,
^dux gregis ego^, wenn er zuweilen eine kleine Erholungsreise machte,
alle alte Fußdecken zu Zelten zusammen und hielten unser
Scheibenschießen mit dem Blaserohre darunter. Das ging an. Aber oben
lagen ein Paar alte Reiterpistolen. Feuergewehr war von meinen ersten
Jahren meine Lieblingssache. Die Pistolen wurden in den Dienststand
gesetzt, geputzt, geschmiert, und wieder geputzt und mit scharfen
Steinen versehen. Sodann wurde Pulver geholt bei dem Krämer, der kein
Bedenken trug es uns zu geben, da wir draußen in der Freiheit zuweilen
Schwärmer machten, die nichts schadeten. Nun ward das Scheibenschießen
und zwar in des Rektors Hofe, da wir nicht heraus durften, ernsthaft.
Eine große Scheibe wurde mit den gehörigen Abtheilungen an die
Privetthüre gemalt, und es war eine Lust, wie die Kugel durch das Bret
fuhr und der Knall inwendig an der Stadtmauer hindonnerte. Das Herz
zitterte allen im Leibe vor Freude. Ungefähr vier Schüsse waren
gefallen, da erschien der Superintendent, Herr Richter, und der
Stadtwachmeister, Herr Herrmann, mit gar finstern Amtsgesichtern. Wir
standen nun selbst wie angedonnert da. »Lassen Sie Sich nicht stören,
meine Herren,« sagte Herr Herrmann, »wir wollen bloß ein bißchen
zusehen, wie hier kanonirt wird.« Der Superintendent, Herr Richter, im
großen weitwogenden Schlafrock, sagte kein Wort, und so gingen sie fort.
Schnell wurden die Gewehre wieder in die alte Rüstkammer gebracht und es
war ein ängstliches Harren der Dinge, die da kommen sollten. Einige
ehrliche Spießbürger, die vorbei gingen und den Vorfall gehört hatten,
hielten nun schreckbare Galgenpredigten über das Verbrechen des
Schießens innerhalb der Stadtmauer. Der Abend kam und mit ihm der
Rektor; finster und stumm war sein Antlitz: denn wahrscheinlich schon am
Thore war ihm die Kanonade berichtet worden. Der Morgen kam und keine
Sylbe, weder freundlich noch ernst: nur fing man an sich ins Ohr zu
raunen, ich als der unbefugte Feldzeugmeister werde mit gewaffneter
Polizei ins Stadtgefängniß abgeholt werden. Schon dachte ich auf die
Flucht, als der Rektor mich, den ersten Inkulpaten, zu sich ins Kabinet
citirte, und mir Namens des Magistrats, des Ministeriums und der Schule
eine Strafpredigt hielt, die ernst genug war. »Ihr seid doch tolle
Menschen,« schloß er endlich freundlicher mit entwölkter Stirne; »man
darf euch keine Stunde allein lassen, so macht ihr sogleich ein Dutzend
wilde Streiche.« Nun kamen die andern daran; mit denen ging es bald
härter, bald glimpflicher. Am schlimmsten kam ein Dummkopf weg; denn der
hatte nichts, womit er wieder gut machen konnte. »Nur hier bleibst du
nicht zurück, da bist du mit der erste,« hieß es. Allein ein solcher
Kopf kann auch mehr vertragen.

Ein andermal waren wir einem Vogelsteller in den Dohnstrich gerathen,
hatten die Krammetsvögel ausgenommen und Frösche dafür eingehängt. Der
Schnellfuß überraschte uns; der Spott verdroß ihn mehr als der Schaden:
ich war weit voraus: die andern kamen mit einigen Kopfnüssen durch; ich,
als der ^auctor facinorum^ sollte eine exemplarische Züchtigung haben.
Aber durch viele Umschweife und große Anstrengung entwischte ich
glücklich nach der Stadt. Die Krammetsvögel durften wir nicht nach Hause
bringen; bloß der Schwank belustigte, und mit vieler Mühe stellten wir
ihm sein Eigenthum wieder zu und beschwichtigten ihn durch Bitten, nicht
klagbar bei dem Rektor gegen uns einzukommen.

Ein andermal hatten wir ein Vergnügen das dürre Laub von den Bäumen
anzuzünden und ein Freudenfeuer zu machen. Einmal versahen wir es, die
Flamme schlug um sich und es drohete ein gewaltiger Waldbrand zu werden,
als zu unserm Glücke der Wind sich noch wendete. Der Rektor meinte, ich
würde ein Taugenichts werden, wenn ich nicht bald weiter käme, und hatte
Recht. Aber ich hätte es auch in der Länge nicht mehr ausgehalten,
sondern wäre ganz gewiß auf und davon gelaufen. Keine Lage ist
peinlicher, als wenn der Geist Bedürfnisse hat, die nicht erfüllt
werden, und doch erfüllt werden könnten und sollten. Was vorkam, waren
mir abgedroschene Sachen, und nur selten hatte der Rektor Zeit, sich mit
mir besonders zu beschäftigen.

Einmal war ich diese Zeit über zu Hause zum Besuche gewesen. Es war
nöthig: denn man hatte mir einige Male so unschonend von der traurigen
Lage meiner Mutter und Geschwister gesprochen, daß ich ziemlich
entschlossen war, den Cicero und Paläphatus im Stiche zu lassen und nach
Hause zu gehen, um ihr durch meine Arbeit zu helfen. Ich fand zum Glück,
daß man, wie gewöhnlich, übertrieben hatte. ^M.^ Schmidt, der gute Mann,
mochte so etwas aus einzelnen Aeußerungen schließen und aus meinem
Gesichte lesen, und sprach mit Theilnahme und Wärme. »Wir können deine
Mutter nicht wohlhabend machen,« sagte er, »wir können ihr kein
gemächliches Leben verschaffen; aber so arm und so entmenscht sind wir
doch nicht, daß wir sie und die Ihrigen an den ersten Bedürfnissen Noth
leiden ließen. Sei darüber ganz ruhig, mein Sohn, und thue deine Pflicht
von deiner Seite!« Als ich hier zugleich dem Grafen Hohenthal, meinem
Wohlthäter und Erzieher, meine Aufwartung machte, war, nach meinen
damaligen Begriffen, eine sehr glänzende Gesellschaft von allerhand
Ständen zugegen, wo mich denn einer nach dem andern nach Lust und
Belieben ins Examen nahm. Es war dabei ein gewisser Herr Leithier, eine
pedantisch hofmeisterliche parasitische Seele, den ^M.^ Schmidt, ich
weiß nicht, aus welcher Antipathie, gewöhnlich ins Neutrum setzte:
dieser machte auch, und zwar vorzüglich den Examinator. Weiß der Himmel,
was er für eine barocke Frage aus der babylonischen Geschichte that; ich
stand stumm und verblüfft da. Er fragte weiter und sahe gerade aus, als
ob er aus dem Aristarch ein Orbilius werden wollte, wenns erlaubt wäre.
Ich war noch verblüffter und verwirrter. Da nahm sich ein alter
Legationsrath Kauterbach, der damals in Leipzig privatisirte, ein Mann
von stattlichen Kenntnissen, ansehnlicher Leibesstärke und tüchtiger
Stimme, meiner an, nahm den Schulmeister mit einer Derbheit in die
Schule, die diesen weit verblüffter machte, als ich armer Schächer
vorher war. »Wer zum Teufel,« sagte er, »wird einem jungen Menschen so
blitzhagelsdumme Fragen vorlegen? Da müßte Leibnitz verstummen, wenn er
nicht disputiren sollte. Lassen Sie mich examiniren.« Der alte Herr trat
sein Amt an, fragte dieses und jenes aus der Geschichte, und ich bestand
so gut, als ein Mensch bestehen kann, der nur erst den Kornelius Nepos
ein Jahr bei den Ohren hat. Sogar das Latein ging ^ex tempore^
schnakisch genug, ohne daß eben Priscian viel Ohrfeigen bekommen hätte.

Endlich holte man mich von Borna ab, und brachte mich zum Antiquar
Martini nach Leipzig auf die Nikolaischule. Reiske wäre freilich besser
gewesen: der war aber kurz vorher gestorben und Martini hatte als sein
Nachfolger großen Kredit gewonnen. Er mochte ihn auch als eklektischer
Gelehrter und Alterthumsforscher verdienen; aber Schulmann war er in
einem kaum erträglichen Grade. Gleich im Examen fragte er mich
Quisquilien, von denen ich ihm halb verdrießlich bemerkte, daß Herr
Korbinsky mich dergleichen Dinge nicht mehr gefragt habe. Lieber wäre
ich nach Pforte gewandelt, weil Klopstock dort gewesen war und einige
meiner alten Kameraden sich dort befanden. Ich kam nach Sekunde, und
hatte nun freilich wieder zu thun, um mit den andern gleichen Fuß zu
fassen, zumal da die erste und zweite Klasse gewöhnlich zusammen waren.
Auch ging das Studieren die erste Zeit, wenigstens nach meinem Sinne,
recht gut: dem Rektor wollte meine Weise nicht behagen, so wenig mir die
seinige: und doch sollte ich mich darnach richten. Er hielt viel auf
Vorbereitung, und das mit Recht: nur drang er auf sogenannte
Präparirzettel, die mir sehr zuwider waren. Denn unnöthiges Schreiben
war gar nicht meine Sache, da ich auf einige Tage ein musterhaftes
Gedächtniß hatte. »Wo haben wir unsere Präparation?« fragte er mich
einmal: Hier antwortete ich, und zeigte auf die Stirne. »Wir sind etwas
keck; wir werden ja sehen.« Sie war wirklich da, und etwas Brummen von
Eigendünkel beschloß den Sermon. Ich konnte aber drei Seiten lesen,
während ich einige Wörter niederklexte, die nun doch in meinem
Gedächtnisse lagen. Er hatte die Marotte der alten Schulmonarchen, die
nicht höflich sind und doch nicht grob sein wollen, immer nur mit Man
und Wir zu reden. Daraus entstand dann manches lächerliche ^Quidproquo^.
So sagte er einmal im hitzigen Eifer, ich glaube zum jetzigen
Buchhändler Sommer: »Wir sind ein Esel.« Ich meinerseits protestire,
antwortete dieser ganz lakonisch; und die Klasse wußte nicht, wo sie mit
dem Lachen hinsollte. Es saßen damals Haubold und Blümner und einige
andere jetzt nicht unbekannte Männer mit in der Klasse, so daß schon
Wetteifer des Fleißes Statt fand. Auch gab uns der Konrektor Forbiger
durch seine ernsthafte gründliche Methode, vorzüglich im Griechischen,
reichlich Ersatz. Die weitausgebreiteten Kenntnisse des Mannes in vielen
Fächern sind bekannt genug. Nur mußte er sich zu uns sehr herablassen,
welches ihn zuweilen verdrießlich zu machen schien. Hübschmann, der
Tertius, der uns auch einige Stunden gab, zeichnete sich durch einen
großen Bierbaß aus, den er sich auf den Kirmissen erworben hatte. Wenn
wir, wie wohl verzeihlich war, bei ihm über Cicero's Pflichten die
Aufmerksamkeit verloren und Allotria treiben, nahm er die Sache ^en
gros^, und donnerte uns ^in corpore^ an: »^Lumina mundi^ wollt ihr
werden; ja, ihr Hollunken, ^lumpenhundi^ werdet ihr seyn;« und damit
bearbeitete er im Eifer mit Hand und Fuß und Buch das morsche Katheder.

Ich war bei dem Rektor in Wohnung und Kost und Holz verdungen; erhielt
aber meinen Speisetheil durch die Magd auf mein Zimmer. Das wollte mir
schon nicht behagen und schien mir illiberal: denn bei Herrn Korbinsky
in Borna war ich wie ein Kind vom Hause mit allen Uebrigen gehalten
worden. Indessen das mochte noch gehen; denn des alten Rektors Würde
würde mit mir allein ein barockes ^tête à tête^ gemacht haben. Der alte
Herr besuchte mich zuweilen auf meinem Zimmer; wahrscheinlich um zu
sehen, wie viel ich Holz verbrannte; denn um meine Studien bekümmerte er
sich weiter nicht. Nur ein einziges Mal guckte er in meinen Ovid und
fand statt der Metamorphose die Amores aufgeschlagen; worüber ich denn
einen stattlichen Leviten erhielt. Aber warum stand auch alles in einem
Bande beisammen? Ich fand das ^caetera quis nescit^ viel leichter und
erbaulicher, als das ^in nova vert animus^. Das Holz war der große
Gegenstand des Zwistes, ohne daß es eben zur deutlichen Erörterung
gekommen wäre. Mein Stubengeselle und Quasihofmeister war Herr
Korbinsky, der älteste Sohn des Rektors in Borna, der mir noch einigen
Unterricht im Hebräischen gab. Neben uns wohnten noch zwei veterane
Studenten, der jetzige Professor Dindorf und der Archidiakonus in Borna,
Brunnemann. Auch diese hatten sich ins Holz verdungen; und es ging ihnen
wie uns. Da man uns spärlich hinlegte, langten wir selbst zu und bargen
den Vorrath im Zimmer. Herr Martini entblödete sich nicht, ihn selbst
wieder herauszuholen und das Holz zu verschließen. Es war ein
Lattengitter davor; wir zwängten so lange, bis eine Latte losging, und
meine kleinere Personalität, die andern waren große, dicke, stattliche
Kerle, hineinschlüpfen konnte. Nun bargen wir das Holz im Koffer unter
Verschluß. Nun ließ man es in eine festverschlossene Kammer des alten
Gebäudes bringen. Zum Glück oder Unglück schloß aber einer der vielen
Schlüssel an den leeren offenen Kammern und die Gaunerei ging von beiden
Seiten fort. Zuletzt ließ er den Vorrath hinunter bringen, und das arme
Mädchen mußte alles drei Treppen herauf tragen. Auch von unten aus holte
ich keck genug von Zeit zu Zeit einen Schlafrock voll; und es muß potzig
anzusehen gewesen seyn, wie der dicke Hebräer Dindorf und der nicht
minder hebräische Korbinsky auf Schildwache standen, ich unten im
Holzverschlag lauschte und mich vor dem herabrauschenden Rektor in den
Keller versteckte und endlich mit einem Schlafrock voll Scheitholz die
Flucht in die Höhe nahm, als der Alte schon wieder über das Tabulat
herpolterte. Es wurde eine erkleckliche Summe für Heizung bezahlt, nach
der damaligen Zeit, und man ließ uns vor Frost in den Dachstuben
zittern: und das Ganze war doch nur Ueberschuß vom Schuldeputat. Bei
dieser Einrichtung waren die Klassen auch nicht überwarm: indessen das
dauerte eine kurze Zeit des Tages und eine Menge junger Leute können die
Zimmer schon heiß machen.

Ich kann nicht umhin, hier, trotz der Ehrlichkeit meines Wesens, die
Diebsneigung meiner Natur in solchen Kleinigkeiten anzuklagen. Meine
Jugend ist voll davon. Man hätte mich unter Goldhaufen sicher lassen
können, ich hätte nichts angerührt: aber in dem Garten war trotz aller
Verbote doch selten ein Apfelbaum, den ich nicht verstohlen decimirte.
Wenn wir Geschwister Borstorferäpfel zum Braten in der Röhre hatten und
sie nun vollendet gut waren, verzehrte ich sehr bald die meinigen und
wußte dann die übrigen mit dem Federmesser so zu öffnen, daß der
genießbare Inhalt mir zu Theil ward. Griff man sie sodann an, so ging
die eingeschlossene Luft ins Weite und die Schale war leer. Wenn ich in
die Wurstkammer kommen konnte, wo alles hübsch an Stangen hing, schnitt
ich wohl in der Mitte der Wurst etwas heraus und spiekerte sie mit einem
Hölzchen wieder ganz. Einmal jagte mich ein Bauer aus einem Schotenfelde
von Knauthayn fast bis Lützen, ohne den Flüchtling erwischen zu können.
Wegen dergleichen Streichen gab es viel strenge Moralen, und auch wohl
thätliche Züchtigungen. Nur erst, nachdem ich die Begriffe ernster
sichten lernte und das Unstatthafte der Unart einsah, gewöhnte ich mir
diese othaheitische Sitte ab. Wenn jeder sich diese Kleinigkeit erlauben
wollte, würde dem Eigenthümer bald wenigstens nicht der beste Theil
zurückbleiben. Bei gewissen Gelegenheiten ist eine furchtbare Strenge
hierin keine Ungerechtigkeit. Wenn z. E. jeder Soldat eines
marschirenden Corps eine Handvoll Kohlrüben mitnehmen wollte, wie würde
man das Feld finden? Man hat also mit Recht hier und da Todesstrafe auf
dergleichen Unordnungen gesetzt. Freilich ist das in unsern Tagen nicht
mehr, wo die Undisciplin wieder bis zur Barbarei herabgesunken ist.
Martini war bekanntlich ein guter Alterthumsforscher und hatte
vortreffliche Werke in diesem Fache. Die Schüler bekamen selten eins
davon zu sehen, und ich lugte und guckte umsonst nach den schönen
Bücherschränken, wenn ich zuweilen von ungefähr Zutritt zu dem Adyton
seines Museums hatte. Ob mir gleich der Tacitus lieber war, als die
Prachtantiquitäten von Pompeji, so verdroß es mich doch, mich so ganz
nachlässig wegwerfend als einen Laien behandelt zu sehen. Gegen mein
Wesen im Ganzen hatte nun der Rektor nicht viel, aber desto mehr im
Einzelnen gegen Kleinigkeiten, die ich sehr ungeschmeidig nach meinem
und nicht nach seinem Sinne that. »Wir sind nun wohl ziemlich fleißig,«
sagte er dann und wann, »und es fehlt uns nicht an Talenten, die uns der
Himmel gegeben; aber wir sind doch entsetzlich eigensinnig und
hartnäckig und wollen immer mit dem Kopfe durch die Wand. Wir werden
doch die Welt und ihre Formen nicht anders machen; das wollen wir nur
glauben.« Da hatte nun der alte Herr ganz Recht, und sprach sich und mir
und der Welt zugleich das Urtheil: denn er richtete sich so sehr nach
der Form, daß fast das Wesen darüber verloren ging. Hier wurde denn auch
gedichtert oder vielmehr nur geverselt. Seine Methode war folgende. Er
versetzte ein Pensum eigener oder fremder Verse in Prose, doch so, daß
kein Oedipus dazu gehörte, zu sehen, was es gewesen war und wieder
werden sollte. Dieses diktirte er und verlangte es in Versen zurück. Das
Spielwerk war zu leicht und unterhaltend. Ich pflegte da oft einen
Sprung zu machen und die Verse anders aufzubauen, als sie wohl mochten
gewesen seyn: darüber mußte meine voreilige Weisheit manchmal leiden.
Zuweilen mochte ich auch wohl die Verse verdorben haben; das liegt nun
so in der Natur: man stolpert einmal lieber über Felsen, als daß man
immer auf gleichem Wege fortschleicht.

Meine erste Poeterei war in Borna, wo wir zuweilen aus Gellert und
Hagedorn so ^vel quasi^ deklamiren mußten. Das hatte mich beschäftigt,
da ich sonst eben nichts zu thun hatte; ich setzte mich also hin und
machte eine satyrische Fabel: _der Hasenschwanz_. Man pflegte sich
nämlich zum Abwischen der schwarzen Tafeln der Hasenpfoten, oder auch
wohl der kurzen Hasenschwänze zu bedienen. Nun war einer der Alumnen,
der sich eben nicht durch Talente und Fleiß auszeichnete, beständig
damit beschäftiget, allerhand possirliche Spielwerke mit dem Hasenpörzel
zu machen. Dabei blieb der Junge ein Geck, ein Dummkopf und ein
Hasenschwanz. Das war die sehr sinnreiche Erfindung, und sie erhielt
ungeheuern Beifall, weil denn doch wohl seit der Schwedenzeit in der
Klasse von einem Zögling nichts ähnliches war ans Licht gestellt worden.
Es liefen Kopien herum; ich hoffe zu Gott, es ist keine mehr vorhanden.
Die Erfindung sieht man; der Vortrag wird wohl toll genug gewesen seyn,
und über der Sprache, die bei mir überhaupt nicht sehr glatt ist, hätte
man füglich die Schienbeine brechen können, so viel ich mich noch aus
einigen Ausdrücken erinnere. Wenn ich mit Martini's Versen fertig war,
fing ich nun zuweilen wohl auch noch an eigene zu zimmern: sie fielen
aber alle sehr hart und holperig aus, und ich war wohl etwas ärgerlich
und neidisch, daß einer meiner Nachbarn, der das Handwerk nicht
fortgesetzt hat, sie so fließend und rieselnd hervorbrachte. Der Rektor
Martini kam einmal dazu, als ich eben einmal einige zu einer
Feierlichkeit hatte drucken lassen, und war Anfangs höchlich aufgebracht
über die Keckheit, wie er es billig nannte: indessen verlängerte er den
Strafsermon doch nicht weiter, nachdem er sie gelesen hatte; woraus ich
schloß, daß sie doch nicht so ganz hundelose in seinen Augen mochten
gewesen seyn. »Man sollte so etwas doch nicht unternehmen,« sagte er;
»man hat noch nicht Gewandtheit und Routine genug.« Mir kam der
ästhetische Urtheilspruch sehr sonderbar vor, nach dem, was ich schon
hier und da bei den Alten und Neuern über die Sache gelesen hatte. Ich
machte sogar griechische Verse, Gott sei bei uns, die nicht in der
Schulordonnanz lagen: denn es wurde nur deutsch und lateinisch
geverselt; in dem Deutschen meistens Alexandriner, die ich seit der Zeit
nicht recht habe leiden können; und im Lateinischen verstieg man sich
nicht über den Hexameter und das Distichon. Ich hatte zwar nicht das
Herz meine griechischen Verse geradezu dem Rektor zu übergeben, legte
sie ihm aber doch so in den Weg, daß er sie füglich sehen konnte; er
nahm aber keine Notiz davon. Seit der Zeit habe ich nur einige Male im
philologischen Uebermuth einige gedrechselt; aber zum Glück ist keiner
übrig geblieben: ob ich gleich mit einigen damals nicht übel zufrieden
war, und sie mit großem Wohlgefallen wohl zehnmal durchskandirte.
Martini pflegte mich selten in meiner Dachstube zu besuchen; und allemal
war er Aristarch, der in den Orbilius überzugehen drohte. Ich hatte,
wenn ich nicht Lust hatte zu arbeiten, ein gutes Talent zu schlafen: und
that mir etwas gütliches im Morgenschlaf, da mich vor Mitternacht die
Wanzen in dem alten verdammten Baue nicht ruhen ließen. Das sagte ich
ihm geradezu; und er brummte. Einmal fand ich, als ich etwas spät
aufstand, von seiner Hand mit Kreide an die Stubenthüre geschrieben:
^Sex septemve horas dormisse sat est iuvenique senique.^ Ich veränderte
das ve in que; und nun lautete es: ^Sex septemque^ (sechs _und_ sieben,
also dreizehn) ^horas^. -- So blieb es stehen, bis er wieder kam. »Ei
seht doch die Variante,« rief er halb komisch, halb strafend; »nicht
übel, gar nicht übel für Faulenzer, wie wir sind.« Hätte er den
Hexameter nicht ungebührlich zum Heptameter verlängert, so hätte die
Schnurre nicht Statt finden können.

                   *       *       *       *       *

Hier las ich in meinem sechzehnten Jahre den ersten Roman, und zwar den
Siegwart, den mir mein Vetter Hahn, ein weißenfelser Gymnasiast,
semmelwarm aus der dortigen Presse zuschickte, und zwar alle drei Bände
auf einmal. Diese fertigte ich in einer Nacht ab mit ungeheuerm
Heißhunger. Die erste Wirkung war auf die Phantasie gewaltig; als ich
aber prüfte, fand ich schon damals alles zu sehr Spielwerk und Tändelei
der Einbildungskraft, die des Menschen bessere Zeit ohne Nutzen in
Beschlag nimmt. Nur das Wirkliche fing an mich zu interessiren. Warum
sollen wir mit solchen leeren Dichtungen ins Blaue hinaus greifen? Ohne
mich auf den Werth dieser Dichtungsart einzulassen, kehrte ich von der
Konfektnäscherei immer sogleich zu der ächt nährenden gediegenen Diät
der Geschichte zurück. Auch Werther, der damals erschien, fiel mir
sogleich in die Hände; und ich muß bekennen, er spielte dem jungen Kopfe
gewaltig mit; desto mehr, da alles dort der Geschichte so gleich ist,
und vielleicht meistens Geschichte ist. Da aber meine Seele noch ohne
Leidenschaft aller Art war, außer dem allgemeinen Enthusiasmus für das
Große, Gute und hohe Schöne, so verflog die Wirkung bald wieder, da ich
die Katastrophe nicht in den Annalen der Geschichte verknüpft
wiederfinden konnte. Nun hätte man glauben sollen, ich habe mit vieler
Anstrengung Geschichte studirt. Das war aber auch nicht der Fall. Das
Studiren war mir Bedürfniß, und war dieses gestillt, so pflegte ich fast
unwillkührlich lange Zeit das Gelesene zu ruminiren, bis ich wohl
zuweilen in das sogenannte selige ^far niente^, den behaglichen, halb
dunkeln, ziemlich reinen, bloßen Existenzgenuß zurück sank, der
vorzüglich der Kindheit eigen ist. Lange hielt ich natürlich diesen
nicht aus, und der Geist schritt zu etwas anderem.

Meine Seele hat von der frühen Kindheit an unbestimmt sehr an der Natur
gehangen; dieß ward nun zur Neigung. Das Einfachste war mir immer das
Liebste; ein gutes Butterbrot und reines Wasser mein bester Genuß. Ich
erinnere mich darüber eines drolligen Auftritts. Mein Vater nahm mich
einmal mit nach Leipzig; ich mochte ungefähr ein Bube von sieben Jahren
seyn. Er traf einen alten Bekannten, und beide wurden einig ein
Frühstück in einem Italiänerkeller zu nehmen. Da ich nicht Lust hatte
mitzugehen und er mich nicht nöthigen wollte, wies er mir eine
Peripherie an, aus welcher ich nicht kommen sollte, und den Eckstein, an
welchem man nach einer Viertelstunde mich wieder treffen würde, und gab
mir einige Groschen, sie auf dem Markte nach meinem Belieben zu
verzehren. Als er zurückkam, hatte sich noch ein Bekannter
angeschlossen. »Nun, hast du auch ordentlich gefrühstückt, Junge?«
fragte er mich. »Ja, Vater.« »Wie hast du denn dein Geld angewendet?«
»Ich habe mir eine Semmel gekauft, und Rüben dazu.« »Was für Rüben?«
fragten sie neugierig. »Solche weiße Rüben, wie sie hier haben;«
antwortete ich, indem ich hin auf die Gärtner zeigte. Alle lachten laut.
Für wie viel denn? »Für zwei Groschen.« »Junge, bist du toll? Für zwei
Groschen weiße Rüben? Für einen Dreier bekommst du ja draußen auf dem
Dorfe so viel, daß sich sechs Fuhrknechte satt essen können.« »Wo denn?«
»Draußen überall.« »Ich habe nichts gesehen.« »Kannst du nicht warten,
bis sie groß sind?« »Warten, ja warten;« sagte ich und kratzte mich
hinter dem Ohre. Es war noch früh im Jahr; ich hätte wenigstens noch
einige Monate auf mein Lieblingsgericht warten müssen. Man lachte immer
fort über den Dreier für die Semmel und die zwei Groschen für weiße
Rüben dazu. »Ei so laßt doch den Jungen zufrieden,« sagte der alte
Verwandte; »es ist doch wohl besser, als wenn er Pfeffernüßchen und
Zuckerbrot gekauft hätte.« Ich war bloß dem Instinkt und der Neigung
gefolgt; aber als man vernünftig darüber nachdachte, trat man denn doch
auf meine Seite. Der nämliche Alte war auch mein Advokat gegen den
Kaffee, der mir sehr zuwider war. Die ganze Familie trank ihn zum
Frühstück; ich sollte also auch. »Wir werden dem jungen Herrn ein
Süppchen apart kochen,« sagte meine Mutter, und wollte mich zur
allgemeinen Kaffeepartie nöthigen. »Ei so laßt ihn doch zufrieden,«
sagte der Alte; »es wird ihm vielleicht einmal recht lieb seyn, wenn er
sich nicht an die verdammte Lorke gewöhnt hat.« Meine Mutter glaubte,
Butterbrot und kaltes Wasser zum Frühstück ohne etwas Warmes würde mir
übel bekommen; da sie aber das Gegentheil sah, ließ sie mich ruhig
meinen Weg gehen. An dem Brunnen waschen und trinken war also die
nämliche Partie: übrigens lief ich meistens allein in allen Dickichten
herum, und kein Aelsternest war mir zu hoch, ich mußte hinauf. Das
setzte ich denn etwas verändert in Borna und Leipzig fort. Ich trank
durchaus weder Wein noch Bier, bekümmerte mich nichts um Backwerk und
feinere Gerichte; aber die schönsten Kirschen und Pflaumen wurden immer
reichlich gekauft, sie mochten noch so theuer seyn: und mein Aufwand
darin ging für meine Umstände zuweilen fast bis zur Verschwendung. Jetzt
verband ich meine Streifereien mit meinen Studien. Man sahe mich
seltener auf öffentlichen Promenaden; sondern ich lag in irgend einem
Dickicht oder dem versteckten Winkel einer Wiese, und las ohne weitere
Wahl, was mir in die Hände gefallen war; selten Romane, fast eben so
selten Gedichte im Deutschen; aber desto mehr ausgesuchte Stellen aus
den Römern und Griechen. Es freute mich besonders nun bei den letzten
die Schwierigkeiten überwunden zu haben und mit Leichtigkeit vorwärts zu
gehen. Die eklektischen Sprüche der Alten verdrängten immer mehr die
biblischen: doch hinderte das nicht die Wirkung, die auch hier und da
ein tief aus der Seele gegriffenes und in die Seele gesprochenes Wort
eines Hagiographen that.

In dieser Periode gab ich dem jetzigen Professor Höpfner in den
Anfangsgründen der hebräischen Sprache Stunde: und wir haben nachher
manchmal darüber gelacht, nachdem mir der Schüler als Herausgeber des
Golius so gewaltig zu Kopfe gewachsen war. Zuweilen setzt mirs wohl der
Eitelkeitsteufel in den Sinn, daß er meiner guten Unterrichtsmethode im
Anfange den schnellen Fortgang nachher verdanke.

Die gegenseitige Unzufriedenheit zwischen mir und dem Rektor stieg immer
höher. Ich ging durchaus nicht seinen Weg; und er wollte mich den
meinigen nicht gehen lassen. Moralische Fehler, außer etwas Geiz, habe
ich an dem Manne nicht wahrgenommen; aber desto mehr Grillen und
psychologisch-pädagogische Irrthümer und Schwachheiten. Ueberdieß machte
mir mein Stubenfreund, Herr Korbinsky, ein Schüler Fischers, und ein
gewaltiger Purist, dessen lateinischen Styl verdächtig: und man weiß,
was eine Sünde hierin bei einem Schulrektor für ein Piakulum ist. Herr
Korbinsky hätte wohl besser gethan, mir darüber keine Sylbe zu sagen:
zumal da die Sache ihre Richtigkeit hatte. Man weiß, daß Quisquilien die
Welt mehr hudeln, als Sachen vom größten Belang.

Um diese Zeit war ein sächsisches Lager bei Schönau, an der Straße nach
Weißenfels. Nichts kitzelt einen jungen Menschen mehr, als militärische
Unternehmungen, wenn auch nur im Schattenriß, zu sehen, wo der
menschliche Erfindungsgeist und die menschliche Kraft vereint mit
furchtbarer Anstrengung für moralische, politische oder physische
Existenz kämpfen. Einen Nachmittag hatte ich Erlaubniß erhalten hinaus
zu gehen, zu schauen. Ich hatte einen Verwandten im Lager, steckte
meinen Julius Cäsar zu mir, um doch auch etwas Militärisches an mir zu
haben, und wandelte auf und davon. Im Lager traf ich, ich weiß nicht wo,
den Grafen Hohenthal, der mir seinen Beifall über meine Neugierde zeigte
und nichts gegen meinen Wunsch hatte, die Nacht hier zu bleiben, und das
Manöver des folgenden Tags zu sehen. Diese Erlaubniß, oder
Quasierlaubniß, denn eigentlich mußte sie vom Rektor kommen, dehnte ich
auf zwei Nächte aus, und war in einer ganz neuen Welt, an die bisher
meine Phantasie nur wenig gedacht hatte. Ich hatte damals schon
mathematischen Sinn genug, mich um den glänzenden blitzenden
Donnereinbruch der Reiterei weniger zu bekümmern, obgleich mein Vetter
Dragoner war, und meine ganze Aufmerksamkeit auf die Behandlung
und Bewegung des Geschützes und den Marsch, vorzüglich der
Grenadierbataillone, zu richten. Das ^mucrone res agitur, ubi ad
triarios rediit^ schwebte mir bei jeder Gelegenheit aus den Alten vor:
und so verschieden auch unser Kriegssystem von dem ihrigen ist, hierin
kommt es ganz gewiß mit demselben überein, wie die ganze Geschichte
aller Feldzüge lehrt. Ohne eben Neigung zum Soldatenstande zu haben, las
und studirte ich doch schon unwillkührlich solche Bücher, wo der
Riesenkampf der menschlichen Natur hell und lebhaft geschildert war: und
das fand ich mehr bei den Alten, als bei den Neuern, und finde es noch.
Als ich nach Hause kam, runzelte der Rektor die Stirne und beutelte das
Maul mehr als gewöhnlich, sagte aber sehr wenig, und es schien, als ob
er mich als einen Refraktarium aufgegeben hätte. Da ich mein Unrecht
fühlte, suchte ich durch Fleiß gut zu machen; da aber dieser Fleiß doch
nicht über seinen Stock geschlagen war, konnte ich damit nichts
gewinnen. Ich erhielt um die nämliche Zeit ein Schulstipendium von zehen
Thalern. »Wir haben zwar Talente und sind nicht müssig,« sagte er mir
beim Aufzahlen; »aber unsere Sitten haben diese Belohnung kaum
verdient.« Nun machte er Miene, das Sümmchen wieder einzustreichen und
es mir zu vier und vier Groschen gelegentlich für die kleinen
Bedürfnisse zuzustellen, als ich ihm sagte, der Graf, mein Wohlthäter,
wolle mir dieses Geld als Aufmunterung zur eigenen Verwendung
überlassen, und für das Uebrige Sorge tragen. Das schien er nicht zu
billigen, wollte aber doch nichts dagegen haben. Ich erhielt das Geld;
und da das für mich eine ungeheuere Summe war, dünkte ich mir damit
wenigstens ein Krösus zu sein. Vor allen Dingen wurde Obst gekauft, dann
Bücher, hier und da einem Armen reichlicher mitgetheilt; dann ging es
zum ersten Male in die Komödie. Man kann denken, wie lange und wie weit
ich reichte. Meine Mutter brauchte damals nichts und wollte durchaus
nichts als eine Kleinigkeit nehmen, um meine Gutmüthigkeit nicht zu
beleidigen, wie sie sich ausdrückte. Da sie von meinen Bedürfnissen
wenig verstand, so konnte sie über meine Verwendung bestimmt weder
Billigung noch Mißbilligung äußern. Man denke, wie ich kaufte, ich
glaube vom jetzigen Professor Schäfer, der mein Schulnachbar war, eine
Geschichte oder Geographie, in neunzehn Bänden, ich weiß nicht von
welchem alten Knaster, für einen Speciesthaler. Schäfer war froh, daß er
das Schweinsleder los wurde, um Platz zu bekommen; und doch studirte ich
in den Schwarten so ungeheuer, um die Lücken auszufüllen, daß ich
wirklich glaube, ich habe daraus mehr gelernt, als aus manchem langen
Kollegio von viel Zeit und für viel Geld. Als ich anfing das Buch
taxiren zu lernen, schaffte ich es mit wenig Verlust und viel Gewinn
wieder fort.

Das erste Theaterstück, das ich sahe, war Ariadne auf Naxos von Benda,
die damals neu war. Der bekannte mythologische Text rührte mich wenig;
aber desto mehr die allgewaltige Magie der Musik, verbunden mit der
schönen Darstellung und der mir ganz neuen zauberähnlichen Maschinerie.
Das letzte verschwand bald; aber die Wirkung der Musik blieb und ist
geblieben: und noch jetzt kenne ich in der ganzen Peripherie meiner
musikalischen Literatur nichts Lieblicheres als Benda's Morgenröthe und
nichts Malerischeres als seinen Sonnenaufgang in diesem Stücke. Noch
jetzt, wenn es mir bei musikalischen Freunden recht heimisch gemüthlich
ist, pflege ich zum höchsten Genuß eines seligen Viertelstündchens mit
dem Notenbuche in der Hand zu kommen: »Kinder, bringt mir die
Morgenröthe und laßt mir die Sonne aufgehen!« und nach dem Vortrage und
der Aufnahme dieser Stellen die Seelen zu beurtheilen. Die
Theaterneigung bemächtigte sich bald meiner bis zur Epidemie; vorzüglich
als ich zur Akademie überging.

Der letzte Vorfall, der wahrscheinlich meine Entfernung von der Schule
bestimmte, war folgender. Wir lasen Xenophons Denkwürdigkeiten, ich
mochte wohl etwas zerstreut gewesen seyn, der Rektor war wegen einer
andern Veranlassung schon aufgebracht und heftig; er wendete sich
unversehens und kurz zu mir und verlangte die grammatische Auflösung
eines schweren Wortes: ich machte sie; er schien schon in der
Uebereilung zu seyn und fuhr mich hart epanorthotisch an: »Man ist nie,
wo man seyn soll; es ist der Infinitiv in diesem und diesem Tempus.« Es
war freilich augenscheinlich der Infinitiv; über das Tempus war
Differenz. Er fuhr im Hermeneutisiren fort, ich setzte mich, brummte
ungläubig und suchte meine alte Grammatik aus dem Winkel hervor, wo ich
denn fand, daß ich Recht hatte. Das zeigte ich höchst wahrscheinlich
selbstgefällig genug meinem Nachbar: »Was hat man schon wieder?« stürzte
der Rektor auf mich zu. »Herr Rektor,« erwiederte ich ganz gelassen,
»ich wollte mich bloß überzeugen, daß ich Recht hatte.« Das brachte den
Mann ganz aus seiner Fassung, er stürmte und wüthete und wollte mich ins
Carcer führen lassen. »Herr Rektor, bedenken Sie,« sagte ich ganz ruhig,
»es könnte einige Folgen haben.« Er überlas die Periode noch einmal,
besann sich, und ließ mich ohne Antwort sitzen. Die ganze Klasse war
stutzig. Ich wollte heut noch die Stelle im Buche wieder finden. Nach
der Stunde ließ er mich rufen, stellte mir etwas gelinde meine
widerspenstige Sinnesart vor und gab mit einigen philosophischen
Apophthegmen seinen Irrthum zu. Die Neckerei und das halbe
Subordinationswesen war mir höchlich zuwider; ich kam förmlich mit der
Bitte beim Grafen ein, mich noch einige Zeit nach Grimma oder Pforte zu
schicken: hier würde ich nunmehr meine Zeit ohne großen Nutzen
zubringen. Man war Anfangs mit meiner Unzufriedenheit eher unzufrieden,
mochte aber doch bei näherer Nachfrage finden, daß ich so ganz Unrecht
nicht hatte, und beschloß eine Aenderung zu machen. Auch wenn ich nicht
Recht gehabt hätte, wie das vielleicht hier und da der Fall war,
forderte es die richtige, psychologische Pädagogik, meinen Wünschen
nachzugeben und es auf eine andere Weise mit mir zu versuchen. Außer
etwas Chorgesang in den öffentlichen Stunden hatte man mich weiter keine
Musik treiben lassen, und ich sahe daraus, daß man es mit mir nicht auf
die Schulmeisterei anlegte. Ohne eben damit unzufrieden zu sein,
bedauerte ich doch im Stillen, daß ich eine so ganz unmusikalische Seele
bleiben sollte; zumal da ich glaubte und noch glaube, daß in meinem
Geiste sehr viel sehr schöne eigenthümliche Musik zu wecken gewesen
wäre. Ich selbst konnte den zweckmäßigen Unterricht nicht erschwingen.
Ich gerathe bei lebendigen tief gegriffenen und tief eindringenden
einfach großen Stellen in die größte Rührung, wie das bei Mozart und
Haydn und Händel und Bach und einigen andern oft der Fall ist; und eine
lange bloß künstliche Tonverstrickung läßt mich unbeschäftigt und leer.

Man schickte mich zu Morus und Wolf in die Prüfung. Der erste ist
nachher immer mein guter väterlicher Lehrer geblieben, und ward sodann
mein Freund bis an seinen Tod; es wäre unnöthig, hier seinen moralischen
und wissenschaftlichen Werth zu preisen. Von dem zweiten der ein
vortrefflicher Lateiner als Ernesti's Schüler war, hielt mich die
strenge ascetische Orthodoxie des Mannes mehr entfernt. Was sie meinen
Kenntnissen für ein Zeugniß gaben, weiß ich nicht, ich erhielt es
versiegelt; es kann aber nicht ungünstig gewesen seyn: denn statt mich
noch auf eine Schule zu schicken, wurde ich sogleich auf die Universität
gethan. Und so war ich denn in einer Zeit von ungefähr drei Jahren ein
wilder unwissender Landjunge, ein gänzlicher Analphabete, und Leipziger
Student; das ging freilich ein wenig rasch. »Alles recht gut,« sagte mir
der wackere Forbiger, als ich Abschied nahm, »nur etwas zu früh!« ein
Urtheil, das ich selbst gern unterschrieb. Martini entließ mich mit
Kälte und Würde, ohne jetzt weitere Empfindlichkeit zu äußern. Korbinsky
blieb mein Stubenkamerad und Studienleiter, ohne weitere Verbindlichkeit
auf beiden Seiten. Ich danke der Gesellschaft dieses Mannes manche
bessere Einsichten in die Alten und manchen guten Wink, den ich nachher
benutzte. Er starb zu früh als Prediger in Waldheim, ich fürchte als
Opfer des unmäßigen Tabakrauchens bei seiner schwachen Brust: er wäre
gewiß ein ausgezeichneter Orientalist geworden.

Nun tummelte ich mich in der Freiheit herum, und brauchte sie zwar nicht
ganz weise, aber doch so, daß man es eben nicht Mißbrauch nennen konnte.
Ich hatte nachzuholen, das fühlte ich, und that es redlich und
gewissenhaft: nicht eben durch viele Kollegien, sondern durch eigenen
sehr hartnäckigen Fleiß. Vorher hatte ich die Alten nur fragmentarisch
gelesen; jetzt fing ich an, sie strenge ganz durchzugehen. Da ich nicht
Philolog zu werden gedachte, bekümmerte ich mich weniger um das
Partikelwesen und die Sprachnüancen: das kommt nach und nach unmerklich
von selbst; sondern es beschäftigten mich die Sachen und die Sprache
nur, insofern sie zur Sache gehörte und recht schön war. Ueber die
Griechen hörte ich weniger; und doch that ich in denselben mehr und war
lebendiger in ihnen als in den Lateinern, weil mich ihr Geist besser
ansprach. Oft pflegte ich und pflege noch jetzt halb im Scherz halb im
Ernste zu sagen: Was ich Gutes an und in mir habe, verdanke ich meiner
Mutter und dem Griechischen. Die dicken Ausgaben mit einem Sumpfe von
Noten waren mir als Zeitverderber verhaßt: und meine Meinung, wer mit
gehörigen Sprachkenntnissen noch eine große Erklärung einer Horazischen
Ode braucht, für den hat Horaz gar nicht geschrieben. Die schönsten
Stellen sind immer die einfachsten; und es ward mein ästhetisches
Glaubensbekenntniß: Wer nicht in wenig Worten ein rührendes Gedicht, in
wenig Strichen eine schöne Zeichnung und in wenig Takten eine
vielwirkende Musik hervorbringe, sei nie der Liebling der Musen gewesen.
So fiel mir damals das dickbeleibte Buch, Fischers Anakreon, in die
Hände, wo des Dichters Grazien in einem Oceane von Notenkrämerei zu
Grunde zu gehen in Gefahr sind. Man findet nichts; und doch lockt die
Neugier alle Augenblicke nachzusehen. Könnte ich Anakreon nicht besser
genießen, als durch Fischer, ich ließe sie beide, den alten und den
neuen Griechen, bei den Käseweibern liegen. Deßwegen verkenne ich
Fischers große Verdienste um Literatur und Pädagogik gar nicht. Ich
genieße vielleicht, ohne es zu wissen, manches, was die Frucht seiner
trockenen schweren Arbeit war.

Von den Kollegien, deren ich mich aus dieser Periode mit vorzüglichem
Vergnügen erinnere, waren Morus Vorlesungen über die Annalen des Tacitus
unstreitig das erste. Er war ein Muster von Exegeten in jeder Rücksicht,
ausgenommen vielleicht in der Theologie, wo er mit ängstlicher
Ehrlichkeit zu sehr an der vorgeschriebenen Formel hing: und so wacker
der Mann als Theologe war, hat nach meiner Ueberzeugung die Theologie an
ihm doch nicht so viel gewonnen als die Philologie verloren. Ein sehr
gewöhnlicher Mißgriff auf den meisten Universitäten, der auf der
Einrichtung beruht! Morus überschüttete uns nicht mit einer Sündfluth
philologischer Quisquilien, sondern machte seine Bemerkungen kurz,
bündig und gediegen, wie sein Autor den Text; er las nicht für Knaben,
und war nicht Schuld, wenn er nicht verstanden wurde. Seine Uebersetzung
war ein durchdachtes Meisterstück; ich habe nie eine bessere gelesen:
dazu wurde sie noch durch einen selbst tiefgefühlten Vortrag und einen
Ausdruck großer Herzlichkeit gehoben.

Das Griechische des neuen Testaments wollte mir nach dem Honig der
attischen Biene nicht schmecken. Die Barbarismen, Solöcismen und das
halb morgenländische Wesen, wovon es voll ist, stießen mich immer
zurück: und es gehörte der schöne begeisterte Enthusiasmus Jesu und die
liebenswürdige Moral seiner Lehre durch seine Schüler dazu, um mir es
wieder in die Hände zu geben. Des Hebräischen hörte ich bei Dathe sehr
viel und sehr fleißig; und ich erinnere mich, daß ich damals Dutzende
Psalmen und ganze Kapitel aus den andern Büchern auswendig wußte. Es war
bloß Bedürfniß des Wissens, und um nicht hinter den andern
zurückzubleiben. Und doch hätte mir das Hebräisch bald einen übeln
Handel zugezogen. Ich wohnte bei einem Bäcker, wo Mutter und Tochter,
ganz angenehme Stückchen Erbsünde fast immer in ihren offenen Laden
Gesellschaft von jungen Leuten, bei sich sahen, die bei ihnen ihr
Frühstück hielten. Ich war bis in mein vier und zwanzigstes Jahr
ziemlich düster und grämelnd und bekümmerte mich wenig um das
Geschlecht. Mein Aufzug war meinen Umständen angemessen und wohl weder
glänzend noch zierlich; ich hatte damals einen großen schweren
hebräischen Kodex, ich glaube von van der Hoogt, an dem ich hin und her
schwitzte. Ein Edelmann aus Thüringen, der wohl auch einmal vor einer
hebräischen Schule vorbei gelaufen sein mochte, glaubte, er habe das
Privilegium, den jungen Theologaster zu hänseln, und rief mir beim
Durchgehen Mosheh veh Kalephedan (eine Regel aus der Grammatik) zu.
Einmal und zweimal litt ich das ruhig, das dritte Mal kehrte ich mich um
und sagte ihm, was zu sagen war. Er antwortete nicht artig, ich
erwiederte nicht sanft, und meinte, die Sache sei ohne Worte gehörig zu
schlichten; er mußte zufrieden seyn, und ich war im Begriff den Degen zu
holen, um ihm zu folgen: da stürzten die Damen, Mutter und Tochter, als
Vermittlerinnen herbei, und ließen nicht eher nach, bis sie die
hebräischen Streithähne mit gehörigen Gründen aus einander gebracht
hatten. Von nun an ließ mich der Baron ruhig fürbaß ziehen; das hätte er
auch vorher thun können und sollen.

Jedermann, der mich so Hebräisch treiben sah, mußte glauben, ich würde
wenigstens der zweite Michaelis werden, oder gar ein neues eigenes
morgenländisches Licht; es dauerte aber nicht lange: und seit der Zeit
habe ich diesen Artikel so ganz vergessen, daß ich kaum mehr weiß, was
Schwa und Mappik und Kal und Hithpael ist: denn ich glaube, ich habe
seit 1780 kaum wieder eine hebräische Zeile gelesen.

Ich hatte zur Unterhaltung meines Leibes monatlich fünf Thaler. Es war
damals zwar beträchtlich wohlfeiler als jetzt; doch kann man bedenken,
daß ich mit dieser Summe nicht sehr ins weite greifen oder sybaritisiren
konnte. Aber ich hatte auch keine Bedürffnisse, die ich damit nicht
hätte befriedigen können, außer der verdammten Theaterepidemie, die sich
meiner damals in einem hohen Grade bemächtigt hatte. Ich weiß, daß ich
damals monatlich gegen vier Thaler ins Theater getragen habe: man denke
sich nun dabei meine Kost. Mehrere Tage aß ich trockene Dreilinge, um
nur einige Lieblingsstücke zu hören und vorzüglich Reineke's Vortrag zu
genießen. Als ich diesen Mann das erste Mal sahe, gab er die
unbedeutendste Rolle von der Welt, einen Bedienten, der einen Brief zu
bringen und kaum sechs Worte zu sprechen hatte. Seine ersten Schritte
zeigten, wer er war und jedes Wort gab ihm seinen Rang. Ich, obgleich
damals noch ziemlich Idiot, ärgerte mich über den Mißgriff der Direktion
und setzte ihn sogleich bei mir als den ersten Mann der Gesellschaft
nieder. Er hatte bloß einmal gemächlich ausruhen wollen, und ich sahe
ihn einige Tage nachher in seiner bessern Sphäre. Es gewährt mir noch
immer einen hohen Genuß in der Erinnerung, diesen Liebling der Natur und
der Muse gesehen zu haben. Es konnte von ihm gelten, was Hamlet von
seinem Vater sagte: das ist ein Mann! Die deutsche Bühne hat allerdings
Künstler von größerem Verdienst, aber wohl schwerlich von größerem
Werth. Seine letzte Rolle schwebt noch lebendig vor meiner Seele. Er gab
Hamlets Geist, und sein »Schwört, Schwört auf sein Schwert!« war ein
ganzes Stück werth. Seit der Zeit habe ich immer und überall kaum
Hamlets Gespenst, nie seinen Geist wieder gesehen.

Um diese Zeit fielen mir die Engländer Shaftsbury und Bolingbroke in die
Hände, oder vielmehr ich ihnen; man kann sich die Wirkung denken. Die
Kirchenformel und meine ehemalige ächt orthodoxe Exegese hielten mich
nur noch an sehr schwachen Fäden. Mein Stubengeselle Korbinsky hatte
einige Freunde, mit denen er dann und wann etwas freimüthig über die
Wolfenbüttler Fragmente sprach. Einige Artikel aus dem Bayle hatte ich
auch schon gelesen. Alles dieses half meinen eigenen skeptischen
Ideengang ordnen, oder mich verderben, wie meine orthodoxen Freunde
meinten. Es war zum Durchbruch gekommen; nur wagte ich nicht, etwas laut
werden zu lassen. Ich glaubte nur, was ich begriff; und ich begriff von
den Kirchendogmen nur sehr wenige. Magister Schmidt, der Mittelsmann
zwischen mir und dem Grafen und mein wirklich väterlicher Freund, aber
ein heftiger Kirchenorthodox, hatte, ich weiß nicht wie, doch etwas
erfahren, und nahm mich nach seiner Weise sehr warm vor. Der Klagepunkte
waren viele, vorzüglich folgende, so viel ich mich erinnere: Ich wäre
nicht ordentlich in die Kirche gegangen, und meistens nur zu Zollikofer;
ich hätte mich oft gebadet; ich hätte über einige Dogmen frei und profan
gesprochen. Wegen dieser Ruchlosigkeiten sahe mich nun der gute Mann
schon leibhaft in der Hölle brennen. Das Theater wurde nicht berührt;
und das wäre doch wohl das schlimmste gewesen weil es mich so viel Geld
kostete, das ich nicht hatte. Ich läugnete nicht und vertheidigte mich
nicht; denn die Vertheidigung hätte zu Erörterungen geführt, die noch
schlimmer gewesen wären. Er goß eine bitter epanorthotische Lauge über
mich aus, die ich zwar ärgerlich, aber doch geduldig abtriefen ließ.
Vorzüglich drohete er mit dem Grafen, der bei dieser meiner verkehrten
Sinnesart seine Hand von mir abziehen würde. Diese letzte Bemerkung war
unpsychologisch, und wirkte gerade das Gegentheil von dem was sie wirken
sollte. Sie machte mich stolz, statt mich demüthig zu machen. Ich nahm
das alles mit Stillschweigen hin, ohne Besserung zu versprechen, an die
ich gar nicht denken konnte. Meine Mutter wurde gar nicht erwähnt; und
doch wäre diese das wirksamste Argument gewesen. Worin hätte ich mich
ändern können ohne den bessern Sinn zu verläugnen? Wen von unsern
theuern Kirchenlehrern hätte ich statt Zollikofers hören sollen? Das Bad
im Flusse hielt ich für diätetisch gut, und, mit Bescheidenheit
gebraucht, nicht für unanständig. Daß ich frei über kirchliche Artikel
sollte gesprochen haben, ist wohl möglich; aber gewiß nicht profan,
ausgenommen in so fern frei und profan eins ist: denn mir ist jeder
Volksglaube heilig, der einem ehrlichen Manne Beruhigung gewährt, und
sollte er der Philosophie noch so empfindliche Nasenstüber geben. Wer
einem leidenden Wanderer seinen alten Mantel nimmt, unter dem Vorwande,
er sei übel gemacht und durchlöchert, ist ein Unmensch auf alle Weise.
Ich fordere alle auf, mit denen ich jemals in nähere Berührung gekommen
bin, ob ich irgend über etwas gespottet habe, das einem andern ehrwürdig
und heilig war.

Kurz darauf besänftigte ich den zelotischen Mann ohne Mühe durch die
Bitte mir eine Predigt zu erlauben, indem ich ihm zugleich das
Manuscript zur Durchsicht überreichte. Er blätterte nur wenig darin und
gab es mir mit der Gewährung der Bitte und der Bemerkung vertraulich
zurück, schon das Motto gebe ihm die Versicherung, er dürfe sich auf
meine Bescheidenheit verlassen. Es stand darüber, glaube ich, aus dem
Quinctilian: »^Pectus est quod facit disertos.^« Ich hielt den Vortrag
in Rehbach und Knauthayn mit Beifall, und meine Ketzerei schien
vergessen zu seyn. Desto tiefer und fester saß sie aber bei mir. Es
versteht sich, daß man in der Predigt nicht die leiseste Spur davon
fand. Ich weiß nicht mehr, wovon ich sprach; aber es war ein reines
Thema der reinen allgemeinen Moral, wo der Mensch mit seiner bessern
Natur durch sich selbst in Anspruch genommen wird. Man konnte ihr, wie
Zollikofers Vorträgen, nur den Vorwurf machen, daß sie auch für Juden,
Türken und Heiden passe. Uebrigens maße ich mir nicht an, daß die Rede
viel von den Vorzügen der Zollikoferschen gehabt habe.

Es fing nun an furchtbar in mir zu gähren. Ich begriff, daß ich als
ehrlicher Mann nicht auf dem Wege fortwandeln konnte. Mit jeder neuen
Forschung entstand ein neuer Zweifel, und die Mystik fing an mir verhaßt
zu werden, da ich sie so oft Hand in Hand mit weltlicher Klugheit gehen
sahe. Ich verehrte die Bibel und versagte dem moralischen Theil
derselben den Eingang in meine Seele nicht. Ich verehrte Moses,
Christum, aber nach meiner Weise und nicht nach dem System. Heuchelei
war mir unerträglich; ich sagte immer nur, was ich dachte, ob ich gleich
nicht alles sagte, was ich dachte. Das heilige Palladium der
Menschennatur sind die Gedanken unter der Aegide der Vernunft, und es
wird hoffentlich niemals jemand gelingen es zu zerreißen.

Meine Lage war sehr prekär und hing von der zufälligen Ueberzeugung
Anderer ab. Es war natürlich, daß endlich der Graf alles erfahren mußte;
und das schlimmste war, nicht so lebendig, wie es in meinem Innern lag.
Ohne seine Unterstützung konnte ich nicht in den Wissenschaften fort
leben. Ich wollte der Katastrophe zuvor kommen, zog mich in mich selbst
zurück und faßte den Entschluß, auf allen Fall meine eigene Kraft zu
versuchen. Das konnte in Leipzig und überhaupt im Vaterlande nicht
geschehen. Nach vielen Kämpfen, die mir allerdings wohl das Ansehen
eines Melancholischen geben mochten, ging ich auf und davon, ohne einen
fest bestimmten Vorsatz, wohin und wozu. Ich nahm mein Monatsgeld,
verkaufte einige Bücher, die etwas Werth hatten, und nach Abzahlung
meiner kleinen Schulden, die ich nothwendig haben mußte, blieben mir
ungefähr neun Thaler. Mit diesen dachte ich schon nach Paris zu kommen
und mich umzusehen, was da für mich zu thun sei. Von dort aus -- wer
sieht nicht gern zuvor Paris? -- dachte ich nach Metz in die
Artillerieschule, da ich eben damals angefangen hatte, etwas ernsthaft
Französisch und Mathematik zu treiben. Das Uebrige überließ ich billig
dem Schicksal.

Das Traurigste war der qualvolle Gedanke an meine Mutter; und ich muß
bekennen, daß ich mir alle obwohl vergebliche Mühe gab ihn zu
unterdrücken, da ich die Unmöglichkeit sahe meine Sinnesart zu ändern
und die Unmöglichkeit bei dieser Sinnesart als ehrlicher Mann hier zu
bleiben. Sie war zwar keine Zelotin und würde mich nicht sogleich
verdammt haben; doch würde ihr ruhiges Wesen es widersprechend gefunden
haben, daß Ein Kopf sich nicht bei dem beruhigen könne, wobei sich so
viele Hunderttausende ehrsam beruhigen. Auf alle Fälle würde ihr meine
Lage, wenn ich geblieben wäre, fast eben so schmerzlich gewesen seyn als
meine Entfernung. Ich ging also nach Berichtigung meiner Schulden fort,
ohne irgend jemand eine Sylbe gesagt zu haben. Den Degen an der Seite,
einige Hemden auf dem Leibe und im Reisesacke und einige Klassiker in
der Tasche, marschirte ich zwar ganz rüstig und leicht, aber nichts
weniger als ruhig durch die Dörfer nach Dürrenberg, setzte dort über die
Saale, ging über das Schlachtfeld bei Roßbach und blieb die erste Nacht
in einem kleinen Dorfe bei Freyburg, das, glaube ich, Zeugefeld hieß.
Hier schrieb ich in meiner Verlassenheit und mit schwerem Gefühl Abends
eine gar rührende Elegie über meinen Zustand. Sie gehört zu den
Heiligthümern meiner Seele; Niemand hat sie gesehen und sie hat sich
bald aus meinem Taschenbuche verloren, so wie meine Stimmung sich
erheiterte und einen etwas stoischen Takt erhielt. Den zweiten Abend
blieb ich in einem Dorfe vor Erfurt, wo man mich mit vieler Theilnahme
sehr gut, sehr wohlfeil bewirthete, und mich schonend merken ließ, ich
hätte wohl jemand mit dem Instrumente da, man wies auf den Degen, etwas
übel behandelt und müsse das Weite suchen. Ich widersprach zwar; aber
man schien doch so etwas zu glauben. In Erörterungen mochte ich mich
nicht einlassen, und ihre Meinung that mir weiter keinen Schaden. Den
dritten Abend übernachtete ich in Bach, und hier übernahm trotz allem
Protest der Landgraf von Kassel, der damalige große Menschenmäkler,
durch seine Werber die Besorgung meiner ferneren Nachtquartiere nach
Ziegenhayn, Kassel, und weiter nach der neuen Welt.

Ich erfuhr nachher, daß meine Entfernung in Leipzig einiges Aufsehen
gemacht hatte, ob ich gleich fast immer für mich und eingezogen wie ein
Klosterbruder gelebt hatte. Man hatte ungefähr vierzehn Tage vorher eine
ungewöhnliche Stille und Schwermüthigkeit an mir bemerkt; sehr
natürlich: man machte also den voreiligen Schluß, ich habe mich ganz aus
dem Leben hinaus begeben. Vorzüglich war ein alter Graf Ysenburg, der
gewöhnlich bei dem Grafen Hohenthal lebte und mich mit vieler Güte immer
mit Zwieback gefüttert hatte, sehr beschäftigt, den eigentlichen
Zusammenhang der Sache ausfindig zu machen. Der alte Herr ließ sich
keine Mühe verdrießen und stieg Treppe auf und Treppe ab, wo er
Nachricht von mir zu haben hoffte. Man erfuhr nichts von einem Duell,
konnte sonst nichts Ungebührliches gegen mich aufbringen; meine kleinen
Schulden waren, und zwar den Tag vorher, alle bezahlt. Es war natürlich,
an eine Mädchengeschichte zu denken, und man nannte die Tochter eines
ehrsamen Handwerkers, mit welcher ich in Vertraulichkeit sollte gelebt
haben. Es war bestimmt eine Lüge; denn die Anmuthung zum Geschlecht ist
bei mir sehr späte gekommen. Der alte Graf ging wirklich zu dem
Handwerksmanne, dessen Namen ich gar nicht erfahren habe, und trug seine
Gedanken so schonend als möglich vor: aber der alte heißköpfige
Spießbürger nahm die Eröffnung sehr übel auf und gerieth in Versuchung,
den unbefugten Nachforscher zur Ehre seiner Tochter handgreiflich die
Treppe hinab zu befördern. Es blieb also den guten Leuten nichts übrig
als zu glauben, der Melancholikus habe sich ein Leid angethan. In dieser
Vermuthung ließ man mich sogar in die Zeitung setzen; ich habe das Blatt
viele Jahre nachher selbst gesehen. Daß ich meine Schulden vorher
bezahlt hatte, schien mit ein starkes Argument gegen meinen Verstand zu
seyn: ein gräßlicher Gedanke über die Immoralität unserer Jugend!

Als der Graf durch meine Briefe aus Hessen die Geschichte, aber freilich
nicht den Grund derselben erfuhr, schien er es für eine gewöhnliche
Albernheit zu halten und mich für einen Menschen zu nehmen, den man
seinem guten oder bösen Genius überlassen müsse. Ich hatte im
Allgemeinen nur Drang die Welt zu sehen vorgeschützt, und nur wenige
Hindeutungen auf mein inneres Ich angegeben. Wozu sollten Erörterungen
und Auseinandersetzungen führen, die Niemanden frommen konnten? Die
Herren würden gedacht haben: ^contra principia negantem non est
disputandum^. Also war ich eine Prise des Schicksals, und mußte nun
werden, wozu ich an der Hand desselben mich selbst machte.

Man brachte mich als Halbarrestanten nach der Festung Ziegenhayn, wo der
Jammergefährten aus allen Gegenden schon viele lagen, um mit dem
nächsten Frühjahr nach Fawcets Besichtigung nach Amerika zu gehen. Ich
ergab mich in mein Schicksal, und suchte das Beste daraus zu machen, so
schlecht es auch war. Wir lagen lange in Ziegenhayn, ehe die gehörige
Anzahl der Rekruten vom Pfluge und dem Heerwege und aus den Werbestädten
zusammen gebracht wurde. Die Geschichte und Periode ist bekannt genug:
niemand war damals vor den Handlangern des Seelenverkäufers sicher;
Ueberredung, List, Betrug, Gewalt, alles galt. Man fragte nicht nach den
Mitteln zu dem verdammlichen Zwecke. Fremde aller Art wurden angehalten,
eingesteckt, fortgeschickt. Mir zerriß man meine akademische
Inscription, als das einzige Instrument meiner Legitimirung. Am Ende
ärgerte ich mich weiter nicht; leben muß man überall: wo so viele
durchkommen, wirst du auch: über den Ocean zu schwimmen war für einen
jungen Kerl einladend genug; und zu sehen gab es jenseits auch etwas. So
dachte ich. Während unsers Aufenthalts in Ziegenhayn brauchte mich der
alte General Gore zum Schreiben und behandelte mich mit vieler
Freundlichkeit. Hier war denn ein wahres Quodlibet von Menschenseelen
zusammengeschichtet, gute und schlechte, und andere die abwechselnd
beides waren. Meine Kameraden waren noch ein verlaufener Musensohn aus
Jena, ein banquerotter Kaufmann aus Wien, ein Posamentierer aus
Hannover, ein abgesetzter Postschreiber aus Gotha, ein Mönch aus
Würzburg, ein Oberamtmann aus Meinungen, ein Preußischer
Husarenwachmeister, ein kassirter Hessischer Major von der Festung und
andere von ähnlichem Stempel. Man kann denken, daß es an Unterhaltung
nicht fehlen konnte; und nur eine Skizze von dem Leben der Herren müßte
eine unterhaltende lehrreiche Lektüre seyn. Da es den meisten gegangen
war wie mir, oder noch schlimmer, entspann sich bald ein großes Komplott
zu unser aller Befreiung. Man hatte so viel gutes Zutrauen zu meinen
Einsichten und meinen Muth, daß man mir Leitung und Kommando mit
uneingeschränkter Vollmacht übertrug; und ich ging bei mir zu Rathe und
war nicht übel Willens, den Ehrenposten anzunehmen und die
funfzehnhundert Mann auf die Freiheit zu führen und sie dann in Ehren zu
entlassen, einen jeden seinen Weg. Außer dem glänzenden Antrage kitzelte
mich vorzüglich, dem Ehrenmanne von Landgrafen für seine
Seelenschacherei einen Streich zu spielen, an den er denken würde, weil
er verteufelt viel kostete. Als ich so ziemlich entschlossen war, kam
ein alter Preußischer Feldwebel zu mir sehr vertraulich. »Junger
Mensch,« sagte er, »Sie eilen in Ihr Verderben unvermeidlich, wenn Sie
den Antrag annehmen. Selten geht eine solche Unternehmung glücklich
durch; der Zufälle sie scheitern zu machen sind zu viele. Glauben sie
mir altem Manne; ich bin leider bei dergleichen Gelegenheiten schon mehr
gewesen. Sie scheinen gut und rechtschaffen; und ich liebe Sie, wie ein
Vater. Lassen Sie meinen Rath etwas gelten! Wenn die Sache glücklich
durchgeht, werden wir nicht die letzten seyn, davon Vortheil zu ziehen.«
Ich überlegte, was mir der alte Kriegsmann gesagt hatte, und
unterdrückte den kleinen Ehrgeiz, entschuldigte mich mit meiner Jugend
und Unerfahrenheit und ließ die Sache vorwärts gehen. Der
Kanonier-Feldwebel hatte Recht; es wurde alles verrathen: ein Schneider
aus Göttingen, der ein Stimmchen sang, wie eine Nachtigall, erkaufte
sich durch die Schurkerei eine Unteroffizierstelle bei der Garde, und da
man ihn dort gehörig würdigte und er des Lebens nicht mehr sicher war,
die Freiheit und eine Hand voll Dukaten. Ich erinnere mich der Sache
noch recht lebhaft. Alle Anstalten zum Ausbruch waren getroffen. Wir
lagen in verschiedenen Quartiren, in den Kasernen, dem Schlosse und
einem alten Rittersaale. Man wollte um Mitternacht auf ein Zeichen
ausziehen, der Wache stürmend die Gewehre wegnehmen, was sich
widersetzte niederstechen, das Zeughaus erbrechen, die Kanonen
vernageln, das Gouvernementshaus verriegeln und zum Thore hinaus
marschiren. In drei Stunden wären wir in Freiheit gewesen; Leute, die
Weg wußten, waren genug dabei. Als wir aber den Tag vorher
abtheilungsweise auf den Exercirplatz kamen, fanden wir statt der
gewöhnlichen zwanzig Mann deren über hundert, Kanonen auf den Flügeln
mit Kanonieren, die brennende Lunten hatten, und Kartetschen in der
Ferne liegend. Jeder merkte was die Glocke geschlagen hatte. Der General
kam und hielt eine wahre Galgenpredigt. »Am Thore sind mehr Kanonen,«
rief er, »wollt Ihr nicht gehen?« Die Adjutanten kamen und verlasen zum
Arrest, Hans, Peter, Michel, Görge, Kunz. Meine Personalität war eine
der ersten: denn daß der verlaufene Student nicht dabei seyn sollte, kam
den Herren gar nicht wahrscheinlich vor. Da aber niemand etwas auf mich
bringen konnte, wurde ich, und vermuthlich noch mehr der Menge wegen,
bald los gelassen. Der Prozeß ging an; zwei wurden zum Galgen
verurtheilt, worunter ich unfehlbar gewesen seyn würde, hätte mich nicht
der alte Preußische Feldwebel gerettet. Die übrigen mußten in großer
Anzahl Gassen laufen, von sechs und dreißig Malen herab bis zu zwölfen.
Es war eine grelle Fleischerei. Die Galgenkandidaten erhielten zwar nach
der Todesangst unter dem Instrument Gnade, mußten aber sechs und dreißig
Mal Gassen laufen und kamen auf Gnade des Fürsten nach Kassel in die
Eisen. Auf unbestimmte Zeit und auf Gnade in die Eisen, waren damals
gleichbedeutende Ausdrücke und hießen so viel, als _ewig ohne Erlösung_.
Wenigstens war die Gnade des Fürsten ein Fall, von dem Niemand etwas
wissen wollte. Mehr als dreißig wurden auf diese Weise grausam
gezüchtiget; und Viele, unter denen auch ich war, kamen bloß deßwegen
durch, weil der Mitwisser eine zu große Menge hätten bestraft werden
müssen. Einige kamen bei dem Abmarsch wieder los, aus Gründen, die sich
leicht errathen lassen: denn ein Kerl, der in Kassel in den Eisen geht,
wird von den Engländern nicht bezahlt.

Endlich ging es von Ziegenhayn nach Kassel, wo uns der alte Betelkauer
in höchst eigenen Augenschein nahm, keine Sylbe sagte und uns über die
Schiffbrücke der Fulda, die steinerne war damals noch nicht gebauet,
nach Hannöverisch-Minden spedirte. Unser Zug glich so ziemlich
Gefangenen: denn wir waren unbewaffnet, und die bewehrten
Stiefletten-Dragoner und Gardisten und Jäger hielten mit fertiger Ladung
Reihe und Glied fein hübsch in Ordnung. Ich genoß, trotz der allgemeinen
Mißstimmung, doch die schöne Gegend zwischen den Bergen am Zusammenfluß
der Werra und der Fulda, die dort die Weser bilden, mit zunehmender
Heiterkeit. Das Reisen macht froher, und unsere Gesellschaft war so
bunt, daß das lebendige Quodlibet alle Augenblicke neue Unterhaltung
gab. So ging es denn auf sogenannten Bremer Böcken den Strom hinab.
Nicht weit von Hameln, glaube ich, machte man eine Absonderung der
Preußen, die man nicht durch Preußisch-Minden bringen durfte, und ließ
sie einen Marsch zu Lande machen, um das Preußische zu vermeiden. Da mir
das zusammengedrückte eingepökelte Wesen auf den kleinen langen
Fahrzeugen nicht sonderlich behagen wollte, meldete ich mich als Preußen
beim Verlesen. Der Officier sahe in die Liste und sagte, »hier steht ja
ein Sachse.« »So?« sagte ich; »nun so will ich ein Sachse bleiben.« Er
schwieg, ließ mich aber, nachdem alle verlesen waren, mit den Preußen
aussteigen. Man stellte sich und es ging zu Lande weiter. Ich hatte
damals die Gewohnheit, ein Buch zwischen Weste und Beinkleider unter den
Gürtel zu stecken. Das Buch mochte diesmal etwas zu stark seyn und den
Leib unförmlich machen. »Was Teufel, ist der Kerl schwanger?« sagte ein
Hauptmann Lesthen, der eben vor mir stand, und hob die Weste beim Flügel
auf, und es wurde der Julius Cäsar zu Tage gefördert. »Was Henker, macht
er denn mit dem Buche?« fuhr er fort. »Ich lese darin;« war meine
Antwort. »Wo hat Er denn das Latein gelernt?« »Das Latein pflegt man
gewöhnlich in der Schule zu lernen.« Er schüttelte den Kopf. Ich hatte
in dem Buche eine Menge Randnoten aus dem Vegez, Frontin und andern
Alten und Neuen, auch wohl von mir selbst niedergeschrieben. »Von wem
sind denn die Bemerkungen hier?« »Von mir; und vor mir von den
angegebenen Herren.« Er sah mich fest an und endigte mit dem spöttischen
Abschied: »Er wird wohl einmal ein recht großer Mann werden.«
»Schwerlich,« sagte ich; »das ist unter den Deutschen gar nicht
wahrscheinlich: aber wenigstens will ich nicht Schuld seyn, daß es nicht
wird.« Nun ging es fort; und ich las, ohne eben weiter einen Zweck zu
denken, in den Ruhestunden zuweilen nach meiner Weise einige Kapitel,
aus bloßem Bedürfniß, mich besser zu beschäftigen, als ich in meinen
Umgebungen sonst wohl konnte. Hier entspann sich in einem Nachtquartiere
wieder ein Komplott und sollte der Kürze wegen, und da unsere Bedeckung
nicht sehr stark war, sogleich ausgeführt werden: ich habe aber die
Beschaffenheit desselben nicht recht erfahren können. Diese
Rekrutenabtheilung bestand aus lauter Preußischen Landeskindern und
Preußischen Deserteuren, die beständig vom alten Fritz und Seidlitz und
Schwerin sprachen und sich nichts Kleines dünkten. Aber weiß der Himmel,
wie es war laut geworden: der kommandirende Officier requirirte sogleich
die ganze bewaffnete Bürgerschaft und die Bauern aus der Gegend, machte
ächt militärisch Miene, uns in der alten Kirche, wo wir lagen, zusammen
zu schießen; und es ging alles wieder ganz ruhig bis an die Weser auf
die Bremer Böcke. Hier half mir meine stoische Genügsamkeit und meine
Humanität einen Streich machen, der mir in meiner Sphäre zu keiner
kleinen Ehre gereichte. Gewinnsucht und Leidenschaft regirt, wie
bekannt, die Welt. Damit wir nicht verhungerten, hatte ein Entrepreneur,
ein Marketender im Großen, für keine kleine Summe sich anheischig
gemacht uns zu beköstigen. Man weiß, wie es geht. Wir wollten eben so
viel als möglich essen, und er wollte so viel als möglich gewinnen,
welches sich zusammen nicht wohl vertrug. Fast unsere ganze Löhnung ging
auf die Menage; und der Klagen liefen bei dem Obersten von Hatzfeld, der
den Transport kommandirte, viele ein. Der Mann hatte ein Gefühl für
Recht und that was er konnte, den Speisewirth zur guten Behandlung zu
nöthigen. Da Ermahnungen bei Gewinnsüchtigen gewöhnlich vergeblich sind,
wurden wechselsweise von dem Transport nach den Schiffen Deputirte
gewählt, die auf dem Kochschiffe nach dem Recht sehen sollten. Indeß es
ging mit den Deputirten wie im englischen Parlament. Dort besticht man
mit Guineen, Stellen und Pensionen; hier bestach man mit Wein, Schnaps
und Kuchen: und so ging es denn, hier wie dort, nicht viel besser als
vorher. Als die Reihe mein Schiff traf, wurde ich von der Rekrutenschaft
einstimmig zum Deputirten erwählt. Auf dem Kochschiffe wollte man mich,
wie gewöhnlich höflich mit dem Weinglase empfangen und mit Konfect in
der Kajüte halten. Ich habe gefrühstückt, war mein Bescheid, und blieb
bei den Kesseln stehen, um zu sehen, daß die gehörige Quantität Fleisch
und Gemüse hinein kam. Als die Kähne kamen, um zu holen, drang ich
darauf, daß die Menagekessel voll gegeben wurden. Wir werden nicht
auskommen, sagte man. Wir werden wahrscheinlich auskommen, sagte ich,
auf meine Gefahr: denn so viel hatte ich noch rechnen gelernt. Es blieb
viel übrig, ich ließ zum zweitenmal holen und alle erhielten eine sehr
gute Mahlzeit. Noch blieb viel übrig; doch nicht so viel, daß man noch
einmal von vorn hätte anfangen können. Da kamen unsere Zwangswächter,
die Dragoner, vom Ufer mit ihren Töpfen. Eine vorlaute schnippische
Köchin wollte austheilen und von den armen Teufeln Weißpfennige dafür
einnehmen. »Was soll das?« rief ich: »das Essen ist unser, wir haben es
bezahlt; die Leute müssen den Rest unentgeltlich haben.« Das Liebchen
ward böse, und ich ergriff im Amtseifer den Schöpflöffel und theilte aus
bis auf den Boden, ohne einen Heller zu nehmen oder nehmen zu lassen.
Die alten Kerle drückten mir freundlich die Hand. »Wir sehen leider
deutlich genug,« raunte mir einer zu, »wie Ihr betrogen werdet; können
aber nicht helfen.« Als die belobte Kesselprinzessin es noch einmal
wagte, mich zu stören, schlug ich sie im Aerger so heftig mit der
Schöpfkelle auf die Hand, daß sie laut schreiend und drohend zum
Prinzipal in die Kajüte sprang. Da man mich aber so fest entschlossen
sahe, unterstand man sich nicht mich weiter anzutasten. Ich bekam vom
Ufer und von den Böcken eine Menge Dankadressen, mit der Versicherung,
daß man noch nicht so gut und so reichlich gespeist habe: und diese
Dankadressen hatten wohl wenigstens einen eben so guten Grund, als die
im Parlamente. Man nehme es, wie man will, ich halte diesen Tag für
einen der schönsten meines Lebens: und das Bewußtseyn macht mich stolz,
daß ich als erster Volksdeputirter, trotz jeder Versuchung, Schmeichelei
oder Drohung, mit eben der beharrlichen Entschlossenheit würde gehandelt
haben. Die Sache lief unter den Officieren herum, und ein jeder machte
seine Glossen darüber nach seiner Sinnesweise. Die Reihe Deputirter zu
seyn kam nicht wieder an unsern Bock, also auch nicht wieder an mich.

So fuhren wir denn den ganzen Strom hinab von Minden bis zu Bremerlee,
wo uns die englischen Transportschiffe erwarteten. In Minden auf der
Wiese besichtigte uns der Mäkler Fawcet, und es gab von den
Dragonerunterofficieren und Gardisten einige freundliche Rippenstöße,
weil wir nicht laut und voll und sonorisch genug: Es lebe der König!
schrien. Da ich als ein kleiner Kerl im Ranzengliede, das heißt im
mittelsten, stand, entging ich den Puffen, ohne eine Sylbe zu sagen
genöthigt zu seyn. Aber den Hut mußte ich wenigstens mit schwingen.

Es würde mir ein hoher Genuß gewesen seyn, an der Hand eines Freundes
und Geschichtskenners die Partien der Weser von Korvey bis Bremen zu
besehen, wo die Schönheiten der Natur durch den Gedanken der alten jetzt
verlorenen Nationalehre magisch beleuchtet werden: aber damals war
unsere Reise ein sklavisches dumpfes Hinstarren auf die Gegenden, wo
ehemals Männer für ein besseres nicht so üppiges Vaterland kämpften. Von
Varus bis zu Bonifaz herab schwebten mir dunkel die Scenen vor; Bonifaz,
der mit heiliger Einfalt die heroische Tugend vertrieb und die
feinergewebte Sklaverei spann, die uns zum Spielwerk Anderer gemacht
hat. Von Bremen bis Bremerlee fuhren wir in andern Fahrzeugen, die schon
See halten können, aber sich nicht weit von den Küsten entfernen.
Unbekümmert legte ich mich Abends hin und schlief mitten auf dem Strome
und war sehr verblüfft, als unsere ganz kleine Flotte des Morgens am
Ufer ganz trocken da saß, und wartete bis die Fluth sie wieder empor
hob: doch waren wir alle nicht halb so verblüfft, als bei der ähnlichen
Erscheinung Alexanders Soldaten auf dem Indus.

In den englischen Transportschiffen wurden wir gedrückt, geschichtet und
gepöckelt wie die Heringe. Den Platz zu sparen, hatte man keine
Hangematten, sondern Verschläge in der Tabulatur des Verdecks, das schon
niedrig genug war: und nun lagen noch zwei Schichten übereinander. Im
Verdeck konnte ein ausgewachsener Mann nicht gerade stehen, und im
Bettverschlage nicht gerade sitzen. Die Bettkasten waren für sechs und
sechs Mann; man denke die Menage. Wenn viere darin lagen, waren sie
voll; und die beiden letzten mußten hineingezwängt werden. Das war bei
warmem Wetter nicht kalt: es war für einen Einzelnen gänzlich unmöglich
sich umzuwenden und eben so unmöglich auf dem Rücken zu liegen. Die
geradeste Richtung mit der schärfsten Kante war nöthig. Wenn wir so auf
einer Seite gehörig geschwitzt und gebratet hatten, rief der rechte
Flügelmann: »Umgewendet!« und es wurde umgeschichtet: hatten wir nun auf
der andern Seite ^quantum satis^ ausgehalten, rief das Nämliche der
linke Flügelmann; und wir zwängten uns wieder in die vorherige Quetsche.
Das war eine erbauliche vertrauliche Lage, ungefähr wie im hohen
Paradiese, wenn auf der Bühne des Volks Lieblingsstück gegeben wurde.

Ich habe vor vielen vielen Jahren diese liebliche Fahrt als Ouvertüre
meines Schriftstellerwesens in Archenholzen's nun fast vergessenem
Journal »Literatur- und Völkerkunde« mitdrucken lassen, will aber hier,
um den Faden nicht zu unterbrechen, das Wesentlichste wieder hersetzen.
Daß das obengenannte Menschenragout die Unterhaltung unterhielt, wird
man nicht zweifeln. Die Seele derselben war ein dort vergessener
ehemaliger französischer Officier aus dem siebenjährigen Kriege, mit
Namen Dechar, der seit der Zeit abwechselnd gemeiner Preußischer
Dragoner und Füselir-Unterofficier und Sprachmeister und Fechtmeister,
Unterofficier und polnischer Revolutions-Hauptmann gewesen war,
abwechselnd Gassen gelaufen, unter dem Galgen gestanden und im Felde
Kanonen genommen hatte, der in Frankfurt am Main und Kassel, Berlin und
Warschau, Breslau und Jauer alle Winkel kannte, alles Gute und Schlechte
wußte, wie ein Achill focht und wie Heliogabal fraß und soff, wie
Aristarchus sprach und wie Epikurs Küchenjunge lebte. Das Leben dieses
Abenteurers allein würde Stoff zu einem großen Gemälde geben. Der
schlechteste, gelehrteste und traurigste Gesellschafter war der gute
Exmönch aus Würzburg, von dessen entsetzlichem Ende ich hernach noch
Einiges sagen will.

Es war mir doch ein sonderbares Gefühl, als ich den andern Morgen auf
das Verdeck trat, und zum ersten Mal nichts als Himmel und Wasser um
mich sah. Der Ocean wogte majestätisch, und die Schiffe tanzten magisch
wie kleine Spielwerke auf der unbegränzten, ungeheuren Fläche: der
Himmel war bewölkt und theilte dem Wasser seine tiefe ernsthafte Farbe
mit. Ich war wirklich in einer andern Welt und fühlte mich abwechselnd
größer und kleiner, nachdem eine erhabene oder bange Empfindung eben in
der Seele herrschte. So war es, als unter meinem Fuße Gewitter rollten
und furchtbar schöne Zauberwelten bildeten, neben mir die schwarzrothen
Wolkensäulen des Aetna stürmten, und über mir die milden Sonnenstrahlen
Wärme umhergossen und weithin die ganze große Insel mit ihrer Fabelwelt
magisch färbten. Bald kam Sturm und mit ihm die Seekrankheit. Beide
waren weiter nicht gefährlich, aber doch den Neulingen furchtbar genug.
Fünfe von der sechsmännischen Menage waren krank; ich blieb leider
allein gesund. Die Seekrankheit ist nichts als die Wirkung der
ungewöhnlich heftigen Bewegung, der man nicht Einhalt thun kann. Man hat
ähnliche Erscheinungen genug auf dem Lande. Reiten und Fahren,
vorzüglich rücklings, Schaukeln, Karousseldrehen und ähnliche
gymnastische Uebungen sind die besten Vorbereitungen zu Seereisen. Die
nächsten Vorkehrungen sind, wenig essen und hart und kalt, und wenig
trinken und kalt und säuerlich: also ist Wurst, Schinken und dergleichen
und Limonade und Wein vielleicht die gemessenste Diät die ersten Tage
zur See. Ich sage, ich blieb leider gesund; auch für mich leider! Die
Seeluft giebt gewaltigen Appetit; die Schiffsportionen waren klein. Da
Niemand aus der Menage essen konnte, hatte ich die Fülle zur Sättigung
und konnte Vorrath von Zwieback sammeln, so daß ich wirklich eine ganze
große Nachtmütze voll hatte. Bald kam einer und forderte seine Portion,
dann der andere, dann der dritte, und so fort; in kurzer Zeit war ich
auf mein eigenes kleines Kontingent gesetzt. Die Genesenen waren durch
die Krankheit und das Fasten gehörig auf die beschränkte Portion
vorbereitet; die Gesunden hingegen hatten eine sehr unangenehme
Speisekapacität gewonnen. Bald war mein kleiner Vorrath aufgezehrt, und
mein Magen war bei der ganzen Portion auf ein sehr unbehagliches
Halbfasten reducirt. Hier sorgte denn zufällig die Muse für ihren
Zögling. Ich saß auf dem Quarterdeck und las eben Horazens »^Angustam,
amici, pauperiem^,« als der dicke Steuermann mich sehr unfreundlich von
der Bank schleudern wollte. Ich brummte meine Unzufriedenheit in meinem
Bißchen Englisch, das ich von Rogler gelernt hatte, so gut ich konnte,
und wollte hinunter in meinen Kasten schleichen, wo ich mich von Niemand
hudeln ließ. Der Kapitän kam dazu, guckte mir in das Buch und hieß mich
sitzen bleiben. Als er einige Anordnungen gemacht hatte, kam er zurück
und fing eine Art von Unterhaltung mit mir an: »^You read latin, my
boy?^« -- »^Yes, Sir.^« -- »^And you understand it?^« -- »^I believe, I
do.^« -- »^Very well; it is a very good diversion in the situation, you
are in.^« -- »^So I find, Sir; indeed a gread consolation^[1].« So ging
es denn freundlich und theilnehmend weiter. Er nahm mich mit in seine
Kajüte und zeigte mir seine Reisebibliothek, die aus guten Engländern
und einigen Klassikern bestand, und versprach mir, wenn ich die Bücher
gut halten würde, mir zuweilen eins daraus zu leihen. Durch seine
Freundschaft erhielt ich etwas mehr Freiheit auf dem Schiffe, zumal da
ich etwas Vergnügen am Seewesen zeigte und in wenigen Tagen mir die
Nomenklatur der Taue und Segel merkte und sehr flink und sicher oben in
dem Mastwerke mit herum lief. Es war wieder das Bedürfniß der
Thätigkeit, die mir allerhand kleine Vortheile schaffte und mich
vorzüglich gesund erhielt. Da der Kapitän wohl merkte, daß die
Schiffsportion meinem exemplarischen Appetit nicht zureichend war, ließ
er mir großmüthig heimlich zuweilen eine Nachtmütze voll Zwieback und
Rindfleisch zukommen, welches in der That im eigentlichsten Verstande
ein sehr wohlthätiges Stipendium war.

[Fußnote 1: »Du liesest Latein, mein Sohn?« -- »Ja, Herr!« -- »Und
verstehst es?« -- »Ich glaube.« -- »Sehr gut: das ist eine sehr gute
Zerstreuung in Deiner Lage.« -- »Das finde ich auch, mein Herr! Es ist
in der That ein großer Trost für mich.«]

Die Kost war übrigens nicht sehr fein, so wie sie nicht sehr reichlich
war. Heute Speck und Erbsen und morgen Erbsen und Speck; übermorgen
^pease and pork^ und sodann ^pork and pease^: das war fast die ganze
Runde. Zuweilen Grütze und Graupen, und zum Schmause Pudding, den wir
aus muffigem Mehl halb mit Seewasser, halb mit süßem Wasser, und altem
Schöpsenfett machen mußten. Der Speck mochte wohl vier oder fünf Jahr
alt seyn, war von beiden Seiten am Rande schwarzstriefig, weiter hinein
gelb, und hatte nur in der Mitte noch einen kleinen weißen Gang. Eben so
war es mit dem gesalzenen Rindfleische, das wir in beliebter Kürze oft
roh als Schinken aßen. In dem Schiffsbrote waren oft viele Würmer, die
wir als Schmalz mitessen mußten, wenn wir nicht die schon kleine Portion
noch mehr reduciren wollten: dabei war es so hart, daß wir nicht selten
Kanonenkugeln brauchten, es nur aus dem gröbsten zu zerbrechen; und doch
erlaubte uns der Hunger selten es einzuweichen; auch fehlte es oft an
Wasser. Man sagte uns, und nicht ganz unwahrscheinlich, der Zwieback sei
französisch; die Engländer haben ihn im siebenjährigen Kriege den
Franzosen abgenommen, seit der Zeit habe er in Portsmouth im Magazine
gelegen, und nun füttere man die Deutschen damit, um wieder die
Franzosen unter Rochambeau und Lafayette, so Gott wolle, todt zu
schlagen. Gott muß aber doch nicht recht gewollt haben. Das
schwergeschwefelte Wasser lag in tiefer Verderbniß. Wenn ein Faß
heraufgeschroten und aufgeschlagen wurde, roch es auf dem Verdeck wie
Styx, Pflegethon und Kocytus zusammen: große fingerlange Fasern machten
es fast konsistent; ohne es durch ein Tuch zu seigen war es nicht wohl
trinkbar: und dann mußte man immer noch die Nase zuhalten, und dann
schlug man sich doch noch, um nur die Jauche zu bekommen. An Filtriren
war für die Menge nicht zu denken. Guten ehrlichen Landmenschen kommt
dieses ohne Zweifel schrecklich vor: aber wer Feldzüge und Seefahrten
mitgemacht hat, findet darin nichts ungewöhnliches. Rum wurde gegeben
und zuweilen etwas Bier, welches dem Porter ähnlich war und bei den
Matrosen ^strong beer^ hieß. Da ich den ersten nicht genießen konnte,
tauschte ich ihn gegen das letzte aus, welches mir Wohlthat war.
Zuweilen wurde mir auch eine Flasche Porter zugesteckt, da ich am Wein
durchaus keinen Geschmack fand.

Stürme hatten wir oft, und einmal so stark, daß uns der Aufsatz des
Vordermastes und die große Raa zerbrach. Die Thürmung der Wogen, das
Heulen der Winde durch die Segel, das Schlagen und Klirren der Taue, das
Donnern der Wellen an die Borde, das Geschrei und Lärmen des
Schiffsvolks, der ganze furchtbar empörte Ocean, alles ist in dem
Neuling schrecklich: aber bald wird man es gewohnt und schläft ruhig
unter dem Kampfe der Elemente. Der sybaritische Amtmann am Rheine, der
die Nachtigallen wegschießen ließ, weil sie ihn im Schlafe störten,
könnte keine bessere Kur brauchen, als eine Reise über den Ocean --
zumal in einem englischen Transportschiffe. Nichts giebt aber auch dem
Sinn ein größeres Bild von der Kraft des menschlichen Geistes als das
Regiment eines großen Schiffes. Man nehme eines aus der Linie. Man gebe
ihm neunzig Kanonen; es ist noch keines von den ersten. Sie sind alle
von dem größten Kaliber. Für jedes Stück habe man zweihundert Schüsse an
Pulver und Kugeln: welcher Vorrath! Segel und Taue und Stangenwerk;
vieles doppelt: eine Besatzung von tausend Mann, welche ungeheure Masse
für ein Auge, das sie zusammen auf dem Lande sieht! Für diese Mannschaft
Lebensmittel an Essen und Trinken für viele Monate. Dieses alles in
einer einzigen Maschine beisammen, mit welcher die Wogen wie mit einem
Federballe spielen: und dieses ungeheure Ganze führt der menschliche
Geist stolz und ruhig durch empörte Elemente hin und her nach seiner
Wahl. Kurio's Theater, die sich mit halb Rom auf einem Schwerpunkt
drehten, als ob sie der Weltbeherrscher spotteten, waren kaum eine
größere Erscheinung.

Wir fuhren nicht durch den Kanal und die spanische See, weil damals noch
die Franzosen und Spanier dort mit Flotten kreuzten und auf uns
lauerten; sondern segelten um die Inseln nördlich an den Orkaden weg.
Der Sturm trieb uns weit weit nordwärts: und der Sicherheit wegen gab
man vielleicht mehr nach als nöthig war. Wir konnten muthmaßlich nicht
weit von Grönland sein; wir froren tief im Sommer, daß wir zitterten Tag
und Nacht. Alles ging schlecht genug: wir brachten über einer Fahrt, die
sonst gewöhnlich nur vier Wochen dauert, zwei und zwanzig zu. Die
Portionen wurden noch knapper an Brot und Fleisch und Wasser; und meine
Bekanntschaft mit dem Kapitän war mir noch wohlthätiger. Krankheiten
nahmen sehr überhand; doch starben von ungefähr fünfhundert Mann nur
sieben und zwanzig, wenn ich nicht irre. Einige meiner nähern Bekannten
waren darunter, und unter andern der Exmönch aus Würzburg. Er hatte für
einen Mönch recht artige Kenntnisse, wußte viel Geschichte und
Mathematik und sprach besser als gewöhnlich Latein. Er war vom Anfange
an meine Zuflucht gewesen, wenn die Langeweile sich meiner zuweilen zu
bemächtigen drohte: aber vom Anfange an zeigte er einen Mißmuth und eine
Gleichgültigkeit gegen das Leben, die ich für nichts weniger als
philosophisch hielt. ^Perfer et obdura^ war schon damals eines meiner
Schibolete, und ich hielt es billig für entehrend, mich von gewöhnlichen
Streichen des Schicksals niederschlagen zu lassen. In Ziegenhayn und auf
dem Marsche hatte ich alle Mühe, den Kleinmüthigen aufrecht zu halten.
Auf dem Flusse waren wir getrennt, und als wir auf dem Schiffe wieder
zusammen kamen, hatte er so völlig Verzicht auf das Leben gethan, daß
keine Kraft mehr zu wecken war. Das Kloster ist freilich keine
Vorbereitung zum Felde. Es fehlte ihm nichts als Lebensmuth; aber
Faulheit und Indolenz, die er wohl Resignation und Apathie nannte,
hatten sich seiner in einem solchen Grade bemächtigt, daß er sich fast
nicht mehr von der Stelle bewegte. Ein Faulthier war die Thätigkeit
selbst gegen ihn. »Wenn ich auch über den Ocean komme,« sagte er, »so
geht dort drüben das Elend erst recht an. Noth und Mangel und
Mühseligkeit ist die ganze Aussicht, bis uns ein Rifleman durch die
Lunge schießt, oder ein Mohak skalpirt.« Da hatte die Klosterseele
freilich nicht ganz Unrecht; aber ein braver Kerl hält aus bis zuletzt:
und es ist doch wohl der schändlichste Tod, aus reiner absoluter
Faulheit zu sterben. Nur im Kloster kann eine solche Gedankenmißgeburt
entstehen. Er blieb entschlossen, dem Elend nicht entgegen zu leben: und
mir war es eine neue Erscheinung, von welcher mir keine
Erfahrungsseelenkunde etwas gesagt hatte, daß man ohne alle weitere
Krankheit und Veranlassung aus bloßer Indolenz sterben könne. Kein Arzt
konnte die geringste Krankheitsanzeige finden, und er klagte über
nichts, als über das jämmerliche Leben und die noch jämmerlichere
Aussicht. Man prügelte ihn zur Bewegung, zum Luftschöpfen, zum Waschen,
zum Essen sogar; ohne Prügel that er von allen dem nichts: nur Rum trank
er noch ein wenig ungeprügelt. Endlich ward man das Prügeln überdrüssig
und ließ ihn liegen: von dem Augenblicke an wurde nichts mehr gewaschen,
gekämmt und gebürstet, und fast nichts mehr gegessen. Er lag in den
Hinbrüten des Todes. So lange ich konnte, besuchte ich ihn in seinem
Kasten neben den Aufgegebenen und versuchte noch, was Vernunft
vermochte; endlich machte es mir die Selbsterhaltung zur Pflicht, mich
zu entfernen. Nach dem Tode wollte das Klosterkadaver Niemand anrühren,
welches sehr zu entschuldigen war. Man suchte die schmutzigsten Gesellen
aus und gab ihnen zur Belohnung Rum, daß sie den Todten über Bord
warfen. Ich hatte doch noch so viel Theilnahme oder Neugierde, man nenne
es, wie man will, mich zu nähern und die Erscheinung zu sehen. Es war
ein gräßliches Bild menschlichen Elends und menschlicher Verworfenheit,
das ich, Gott sei Dank, bei aller meiner Erfahrung nie wieder gesehen
habe. Einige Monate hatte sich der Mensch nicht rasirt und in seinem
Unrath gelegen. Das Hemde, dessen Farbe man nicht mehr erkennen konnte,
das Kopfhaar, der Bart und die Augenbraunen und Wimpern wimmelten von
Insekten, als ob er an der Phthiriase gestorben wäre, welches doch
bestimmt der Fall nicht war: denn vorher hielt er sich leidlich
reinlich.

Einige Monate ist das Herumschwimmen auf dem Ocean, bei gehörigen
Veränderungen, so lange die Erscheinungen neu sind, keine üble Parthie;
zumal wenn man so in zahlreicher Gesellschaft segelt, wie wir. Unsere
Flotte von Transportschiffen aller Art, begleitenden Kriegsschiffen und
Kaufmannsfahrzeugen, die die Gelegenheit der Sicherheit benutzten,
mochte sich wohl auf siebzig Segel belaufen: und der Abend und Morgen
einer solchen schwimmenden Kolonie hat sein Angenehmes, wenn die See
nicht zu hoch und zu still ist. Besonders hat das Geläute etwas traulich
Heimisches und doch etwas sehr Feierliches auf der unermeßlichen Fläche,
daß ich nicht selten zu einem sehr innigen Gebet gestimmt wurde. Was
weder Vernunft noch Gefahr bewirken, bewirkt oft die magische
Psychagogie der Töne durch das Gefühl.

Wenn ich nicht mit den Matrosen arbeitete, lag ich bei schönem Wetter
mit dem Virgil oben im Mastkorbe und verglich unsern überstandenen Sturm
mit dem seinigen, und fand ihn nie so lebendig wahr, als eben jetzt, wo
ich an den vorigen dachte und den kommenden erwartete. Sein »^Insequitur
clamorque virum, stridorque rudentum^« ist einfach malerisch schön, daß
es den ganzen Auftritt giebt. Das hat er selbst gefühlt, weil es mit
wenigen Veränderungen in allen seinen Beschreibungen eines Seesturms
wieder kommt. Wenn wir auch nicht wüßten, daß er zur See war, aus diesen
Stellen würden wir es fast untrüglich schließen können; so wie ich aus
seiner Beschreibung des Atlas schließe, daß er nie auf einem Berge
erster Höhe war. Ob ich gleich viele Hülfsmittel der Beschäftigung in
und außer mir hatte, die den Andern fehlten, so fing das Einerlei der
Scenen doch endlich an mir lästig zu werden. Das Kabeliauangeln und das
Einsalzen zu Laberdan auf einigen Bänken in der Nähe von Amerika gab
einige Tage wieder gutes Essen und gute Unterhaltung. Ich erinnere mich,
daß wir einmal so reichlich fingen, daß außer der Vertheilung eilf
Tonnen in einem Nachmittage eingesalzen wurden. Keine Leber von irgend
einem Thier zu Wasser und zu Lande ist mir feiner und schmackhafter
vorgekommen, als die Leber vom Kabeliau; so wie der Fisch selbst, frisch
zubereitet und genossen, einer der köstlichsten ist. Ich würde ihn
gleich nach dem Sterled und Thunfisch setzen, und ihn dem Lachse
vorziehen; zumal da er auch viel zarter und gesunder ist.

Endlich bekamen wir das Ufer von Akadien zu Gesichte und liefen unter
ungemeinem Freudengeschrei in der Bucht von Hallifax ein. Hallifax ist
unstreitig einer der besten Hafen am Ocean, vielleicht der beste, für
eine unzählige Menge Schiffe; sicher gegen alle Stürme. Die Insel und
das Fort St. George nebst einigen starken Landbatterien vertheidigen den
Eingang: und es gehört schon eine ziemliche Menge dazu, ihn zu forciren.
Seine Lage ist so, daß er mit Fleiß und Aufwand unbezwinglich gemacht
werden kann, wenn man nur die Landseite zu vertheidigen im Stande ist.

Man brachte uns wahrscheinlich nach Hallifax, weil es in Neuyork und den
andern Provinzen schon höchst mißlich mit den Royalisten stand, und man
das Ausschiffen kaum wagen durfte. Der Tag der Ausschiffung war einer
der schönsten und einer der schlimmsten. Zwei und zwanzig Wochen waren
wir herumgeschwommen, ohne das geringste Land gesehen zu haben. Da wir
keine brittischen Amphibienseelen waren, sehnte sich Alles ohne Ausnahme
nach festem Fuße; zumal da der Scharbock empfindlich zu werden anfing.
Es war ein Hungertag, da uns die Schiffe an das Land wiesen, und das
Landkommissariat, zumal da das Ausschiffen sich sehr spät verzögerte,
noch nicht geliefert hatte. Doch vergaß Jeder in der Freude gern die
Forderung des Magens, wenn er nur den Boden begrüßen konnte. Ich
erinnere mich dabei eines sehr wehmüthigen Auftritts. Ich war einer der
Ersten am Lande, und hatte nebst einigen Andern eine kleine Quelle
herrlichen Wassers am Ufer im Sande entdeckt. Lange hatten wir diese
köstliche Erquickung entbehrt; wir tranken mit Wollust und großen Zügen.
Schnell erscholl die Entdeckung und die Hungrigen und Durstigen stürzten
in Haufen nach dem kleinen spiegelhellen Wasserschatze, drängten sich,
stießen sich, Jeder wollte gierig der erste Theilnehmer sein: in dem
Getümmel gerieth der Sand des abschüssigen Ufers in Unordnung, gab nach,
und in einem Augenblicke war die ganze kleine herrliche Quelle
versandet. Sie brauchte Stunden, um sich wieder zu läutern, und die
Menge stand traurig um sie herum und betrachtete lechzend den Verlust.

Als ich vom Schiffskapitän Abschied nahm, drückte er mir mit herzlicher
Freundlichkeit die Hand. »^It is a pity, my boy^,« sagte er, »^you do
not stay with us; you would soon become a very^ ^good sailor^.«
»^Heartily I would^,« sagte ich, »^but you see, it is impossible^.« »^So
it is^,« rief er, »^god speed you well^[2]!« Mit einem dankbaren Wunsche
für den menschenfreundlichen Mann stieg ich die Leiter hinab ins Boot
und ruderte dem Ufer zu. Das Ufer um Hallifax her ist unfreundlich,
ziemlich öde und unfruchtbar. Der Ort, der uns zum Lager angewiesen
wurde, war abhängiger Felsenboden. Wir kamen spät ans Land, und ehe die
Bedürfnisse herbeigeschafft wurden, ward es fast Nacht. Die Zelte kamen
an und sollten aufgeschlagen werden. Man hatte mich zum Unterofficir
ernannt; ich sollte also für das Aufschlagen sorgen. Nun hatte ich in
meinem Leben nur ein einziges Lager ganz nahe gesehen und wußte von der
Maschinerie eines Zeltes nicht einen Pfifferling. »Schlippe,« sagte ich
zu einem alten Preußischen Grenadir, der mir zugetheilt war, »Latein und
Griechisch verstehe ich so ziemlich, aber wenig vom praktischem Militär;
helfe Er mir durch, vielleicht kann ich wieder durchhelfen.« Der alte
Satyr lächelte, ergriff das Beil, nahm einige mit sich, that als ob er
meine weisen Befehle ausführte und in einer Stunde stand unser Zelt,
trotz den übrigen so gut da, als es der harte Boden erlauben wollte. Die
Schwierigkeit war nicht klein, da die Zeltstangen und Zeltpflöcke erst
aus dem Walde geholt und gehauen werden mußten. Die Nacht kam ein Sturm,
wie ein Orkan, der unsrer Architektur weidlich spottete. Den folgenden
Morgen standen vom ganzen Lager nicht zehn Zelte mehr fest; das unsrige
stand nur halb; viele hatte der Wind in den Morast hinabgetrieben. Nun
fingen wir an, etwas solider zu bauen, wozu uns auch die Kälte trieb;
denn es war schon spät im Jahr und ein cimmerisches Wetter auf der
verdammten Landzunge.

[Fußnote 2: »Es thut mir leid, mein Sohn, daß Du nicht bei uns bleibst.
Du würdest bald ein guter Seemann geworden seyn?« -- »Herzlich gern
wollt' ich's; aber Sie sehen, das es unmöglich ist.« -- »Das ist es,
Gott sei mit Dir!«]

Da man den Transport nicht zu den Regimentern bringen konnte, wurden wir
in ein Bataillon von fünf Kompagnieen formirt und sollten für uns
Dienste thun. Das ging toll genug; der Oberste Hatzfeld that sein
Möglichstes, das Gesindel in Ordnung zu bringen. Fast die Hälfte waren
gediente Leute; das machte die Sache etwas leichter: nur waren, wie
natürlich, die besten Soldaten fast immer die liederlichsten Kerle. Ich
als Unterofficir sollte nun den Exercirmeister machen und wußte selbst
noch blutwenig. »Schlippe,« sagte ich wieder, »Er sieht wohl, daß es mit
mir noch etwas hapert. Wir wollen täglich eine Stunde in den Wald gehen,
als obs zur Jagd wäre: da ist Er wohl so gut, mir einige Handgriffe
gründlicher zu zeigen, als ich sie bis jetzt gefaßt habe.« Der alte
Satyr lächelte, und meinte: »es würde schon gehen; zur Noth auch ohne
ihn.« Es ging; gerade wie bei einem Professor, ^qui docendo discit^,
ward es täglich mit mir besser; und bald galt ich für einen Kerl, der
sein Gewehr meisterhaft zu handhaben verstand und sich in die kleinen
Evolutionen geschickt genug zu finden wußte. Es gehört nur einige
Kenntniß mathematischer Figuren und etwas Geistesgegenwart zu dem
Letzten.

Das Leben im Lager im Spätjahr war schlecht genug; keine gute Kost, und
Kälte bis zum Heulen und Zähnklappern. Unser Bataillon sah aus
buntschäckig, wie eine Harlekinsjacke, da es aus den Uniformen aller
Regimenter bestand. Wir hatten weder Fahnen noch Kanonen, da es täglich
hieß, wir sollten zu unsern Regimentern stoßen. Ich nebst ungefähr
zwanzig andern war dem Regiment Erbprinz zugefallen, habe aber das
Regiment nie gesehen.

In dieser Zeit machte ich Münchhausens, oder er vielmehr meine
Bekanntschaft. Ich saß im Zelte und wärmte mich gegen die nasse Kälte
etwas an Flakkus Odenfeuer, da schlug ein Officir den Zeltflügel zurück
und fragte, ob ich der Sergeant Seume wäre. Da ich denn der war, hieß er
mich herauskommen. Ich warf mich in die Ordonnanz und trat hervor; er
belugte mich etwas neugierig, faßte mich am Arm, und fort gings durch
mehrere Kompagniegassen dem Ende des Lagers zu, wo sein Zelt stand. Ich
wartete der Dinge, die da kommen sollten, da der Herr unterwegs ziemlich
einsylbig war. In seinem Zelte lagen auf dem Tische einige Verse, die er
mir hingab, und mich fragte, ob sie von mir wären. Ich besahe sie und
sagte ja. Es war eine tragisch-komische Elegie über unser Leben im
Lager, die, wie der Gegenstand selbst, lächerlich-weinerlich genug seyn
mochte. »Wir müssen bekannter werden,« sagte er; »sehr gern,« sagte ich.
Er bat mich auf ein Stückchen Wildbraten, denn er ist bekanntlich ein
trefflicher Weidmann, den Abend zu Tische; und da in meinem Zelte
Schmalhans Küchenmeister war, so kam mir die Einladung sehr willkommen.
Seitdem waren wir fast überall zusammen, wenn uns der Dienst nicht
trennte; welches leider denn oft genug geschah. Münchhausen war damals,
wie Johnson sich ausdrückt, ^a man of sound strong unletter'd sense^,
ein Mann von gesundem, gediegenem, ungelehrtem Verstande, welches ihm
und mir sehr zu Statten kam: denn ich hatte verdammt viel Schulstaub und
nicht wenig Schuldünkel an mir; obgleich meine klassischen Kenntnisse
noch sehr seicht waren. Sein Beifall war nun meine beste Belohnung und
seine Kritik meine beste Belehrung. Ich begriff, daß bloße Schule nicht
alles sei; und er fand, daß die Schule doch Vieles sei und desto mehr,
wenn sie durchaus Zögling und Folgerin der bessern Natur ist.

Es hat sich ein freundschaftlicher Zirkel von Officiren gebildet, in den
man mich unvermerkt fast unzertrennlich hinein zog, und mit vieler
Herzlichkeit behandelte. Münchhausen war stillschweigend durch seine
Mischung von Ernst, Bonhommie und heiterer Laune darin die Hauptperson.
Jeder trug das Seinige dazu bei, die Unterhaltung und die Menage zu
würzen. Die meisten jungen Herrn waren tüchtige Nimrode; und so fehlte
es uns selten an etwas frischem Wild auf den Tisch: denn die
Lieferungsartikel, ausgenommen das Brot, welches vortrefflich war, waren
nicht viel besser, als auf dem Schiffe. Die Lieblingsneigung eines
jungen Mannes, welcher Buttlar hieß, zur Konditorei, machte besonders
unsere Deserte sehr reich und köstlich, da es uns an Ingredienzen nicht
fehlte; und ich erinnere mich selten besseres Backwerk genossen zu
haben, als aus seiner Officin. Es war keine uninteressante Gruppe, wenn
einer eine wilde Ente spickte, der andere Madeira brachte, der dritte
das Gewehr putzte, der vierte Dienstaudienz gab, der fünfte mit Schürze
und Geschirr vor dem Kamine Pastetchen schuf, der sechste den
possirlichen Ansteher machte, und der siebente im Julius Cäsar las, aber
mehr auf die Ente und die Pasteten, als auf den Text sahe. Der Dominus
Konditor hatte eine paradiesische Freude und ein ganz verklärtes
Antlitz, wenn wir seinem Machwerk durch heroisches Essen und kräftige
Lobsprüche Ehre erwiesen; denn er genoß selten etwas davon. Nun gab es
aber undankbare Schäker, die zuweilen nach dem Genuß eine bittere Kritik
darüber anfingen: und dann gerieth nicht selten der junge Künstler in so
heftiges Feuer, daß er Pfannen, Kasserolle, Kuchenformen und alle
Geräthschaften zornentflammt durch einander warf und dreimal heilig
schwur, er wolle für uns undankbare Gesellen keine Schürze mehr
umbinden; welches er dann nach ächter Dilettantenart gewöhnlich drei
Tage hielt, wo ihn die Naturschwachheit und Gutmüthigkeit wieder
besiegte. Es gelang den Herren nicht, mich zum Jäger zu machen, ob ich
gleich zuweilen aus Gefälligkeit mitzog, oder auch wohl allein mit dem
Gewehr am Wasser herumstreifte: woran vorzüglich mein kurzes Auge Schuld
haben mochte. Denn von Jugend auf konnte ich nur auf eine kleine
Entfernung bestimmt sehen, ob ich gleich in der Nähe sehr scharf sahe
und die kleinste Schrift bei Mondschein las; welches noch jetzt ziemlich
unverändert eben so ist. In der alten Welt habe ich nie gefischt, außer
zuweilen als Knabe mit meinem Vater in der Gippach, welche herrliche
Schmerlen enthielt: in Amerika verführte mich der Reichthum des
Fischzugs nicht selten zu diesem Vergnügen, wo ich in einer Stunde
manchmal mehr Hummer und ^black salmon^, eine Art kleinere,
schwarzbraune Lachse fing, als ich nach Hause zu bringen im Stande war.
Da beide Arten nicht zu meinem Geschmack gehörten, schenkte ich sie
gewöhnlich dem ersten, der sie haben wollte. Für Hummer wählte ich
kleinere zartere Krebse; und von den Fischen waren Aale, Makrelen,
Kabeliaus und einige Schollenarten meine Lieblinge, die alle sehr
reichlich und sehr wohlfeil dort zu haben waren: denn für einen
englischen Stüber wurde ein Kabeliau gekauft, der mit dem Kopf auf der
Schulter lag und mit dem Schwanze nicht selten die Erde berührte. Die
Fische waren zwar im Lager als Fieber erzeugend verboten; aber ich ließ
mich nicht abhalten meiner Liebhaberei zu folgen, und mußte selbst
einmal dafür auf der Brandwache sitzen. Sie haben mir nie geschadet;
vielleicht weil ich sie sehr einfach und meistens gebraten aß. Das war
besonders der Fall mit einer sehr großen Sorte Häringe, die zum
Einsalzen, wenigstens für die dortige Kunst, zu mächtig waren, aber
einen herrlichen Bratfisch gaben. Ich bin nicht Naturhistoriker; aber es
macht mir oft ein eigenes Vergnügen das Geschlecht der Häringe nach
meiner Meinung durchzugehen, von dem großen ellenlangen, Amerikanischen
Häringe herab bis zu der athenischen Aphye, die nur das Feuer zu riechen
brauchte, um gekocht zu seyn, und die auch mit zu den Häringen zu
gehören scheint. Dazwischen liegen der englische, der holländische, der
schwedische, der dänische Häring; die Strömlinge und Killoströmlinge,
vorzüglich aus der Peipussee; die Sprotten, die Anchovie, die Sardelle,
die mit der Aphye fast eins zu seyn scheint: und weiß der Himmel, wie
viele Arten noch in den indischen Meeren leben, mit denen ich unbekannt
bin.

Münchhausen munterte mich beständig auf zur Arbeit, das hieß zum
Dichten, wozu ich aber weder viel Zeit noch Lust hatte. Auch kann ich
mich nur weniger Kleinigkeiten erinnern, die ich damals geschrieben
hätte, und keiner einzigen, die verdient hätte aufbewahrt zu werden,
wäre es auch nur als Beleg der Bildungsgeschichte; Alles war höchst
mittelmäßig. Dafür lief ich, wenn ich Zeit hatte, mit Horaz oder Virgil
in der Hand, oder auch wohl mit einem Homer, in den Wäldern herum,
lagerte mich in einer Grotte oder alten Baumgruppe und vergaß nicht
selten über meinen Lieblingsstellen den Sonnenuntergang, so daß ich sehr
spät in das Lager oder die Kasernen zurückkam. Daneben war ein alter
Hagedorn und ein Exemplar von Hölty, die ich irgendwo aufgetrieben
hatte, meine Begleiter. Das Beste von Hölty wußte ich damals auswendig,
wozu noch jetzt bei mir seine berühmten Traumbilder nicht gehören. Die
Elegie am Grabe eines Dorfmädchens und am Grabe seines Vaters sind für
mich noch jetzt die lieblichste Wehmuth, die ich in der Literatur kenne.
Ich zeigte Münchhausen die Schönheiten und ihre Gründe, welches mir bei
ihm sehr leicht ward; denn ich habe selten eine Seele für wahre
Schönheit empfänglicher und enthusiastischer gefunden, als die seinige.
Er bedauerte, daß er mir in den Klassikern nicht folgen konnte: aber was
ich ihm daraus übersetzte, so wenig meisterhaft auch die Uebersetzung
sein mochte, bewies ihm doch, daß meine Vorliebe für sie kein Vorurtheil
war, und weckte ganz leise die Neigung, die bald Entschluß und
Ausführung ward, selbst bekannt zu werden mit diesen reichen Schätzen
ächter Kunst. Er überraschte mich einige Jahre nachher mit einer
Kenntniß, die in Erstaunen setzte. In manchem Alten, vorzüglich im
Flakkus, den er etwas hyperbolisch verehrte, hatte er mich
zurückgelassen.

Der Dienst war, zumal für mich als Unterofficier, beschwerlich genug und
ließ nicht viel Zeit übrig. Ueberdieß spannte mich noch dazu der Oberste
Hatzfeld in das Joch als Schreibersknecht, so daß ich die noch übrigen
Musestunden beim Adjutanten als Adjuvant saß, mir fast die Finger krumm
schmierte und weiter nichts erntete, als ein freundliches »Wir bleiben
euch in Gnaden gewogen;« wovon doch am Ende selbst Taubmanns Katze ihr
Bischen Geist aufgab. Ich hatte bei dieser Veranlassung einen sehr
tragikomischen Auftritt auf meine Unkosten. Niemand bemerkte die Runzeln
und den Murrsinn auf meiner Stirne; das hieß Tag aus, Tag ein, schreib,
Teufel, schreib; bis ich in meinem verkehrten Sinn auf ein verzweifeltes
Mittel gerieth, mich zu befreien. So wie ich von der Wache kam, nahm ich
mein Gewehr und ging in den Wald, um nicht zugegen zu sein, wenn, wie
ich vermuthete, die Bothschaft zu Schreiberei kommen sollte. Das
geschah: meine Entfernung wurde sogleich auch als absichtlich mit
ziemlich boshaften Zusätzen durch die gehörigen Instanzen rapportirt.
»Du wirst den Teufel auf den Hals bekommen,« riefen mir meine Kameraden
zu, als ich zurückkam; »der Oberste hat zweimal geschickt; du sollst
schreiben.« »So,« sagte ich; »es ist gut.« »Ich glaube vielmehr, es ist
nicht gut,« meinte der Feldwebel: »auch kommen Sie morgen wieder auf die
Wache; es sind zwei auf Kommando gegangen.« Den andern Morgen stand ich
in der Front der Wachtparade, als der Oberste ziemlich grimmig auf mich
zu kam und mir im Eifer einen Knopf vom Rocke drehete. Der Oberste war
ein kolossalischer Mann, der auftrat, wie ein Herkules, mit dem Blicke
Funken sprühte und eine Stimme sprach, wie eine Quartposaune, übrigens
aber noch ziemlich human und wohlwollend war. Er soll zu seiner Zeit,
wie man sagte, zu Rinteln mächtig renomirt haben. »Wo ist der Herr
gestern gewesen?« donnerte er mich an. »Auf der Jagd.« Jedermann wußte,
daß ich sonst eben kein Jäger war. »Ich will den Sakrementer jagen,«
fing er an und hielt eine kurze Art von energischer Galgenpredigt, deren
Finale war, daß ich aus der Front ohne Säbel sogleich in die Wache
befördert wurde. Nach der Parole wurde Exekution mit dem kalten Eisen
gehalten, immer unter Fortsetzung des obigen erbaulichen Sermons von
Distinktion und Unerkenntlichkeit und Halsstarrigkeit, mit einigen
starken Donnerwettern durchschossen, die sein furchtbarer Baß ziemlich
gut nachmachte. Sodann ging es wieder in die Wache. Den andern Morgen,
als ich freigelassen wurde, oder vielmehr, als man die Kette etwas
länger ließ, meldete ich mich ordonnanzmäßig bei den Instanzen, und also
auch bei dem Obersten. »Sind wir nicht ein Paar recht dumme deutsche
Dorfteufel,« kam er mir komisch polternd entgegen, »daß wir uns nicht
friedlich vertragen können und uns da so zanken und streiten müssen!«
»Ich darf nicht widersprechen, Herr Oberster,« brummte ich halblaut
mürrisch, skoptisch durch den Bart. »Zum Teufel, Herr, sei Er nicht
impertinent!« rief er. Nun fing ich an zu exponiren in aller Ordnung mit
Bestimmtheit: daß der Dienst hart und strenge sei, daß ich von Wachen,
Visitiren, Kommando's wenig Nächte frei habe, daß, wenn meine Kameraden
ausruheten, ich halb schlaftrunken mich am Schreibetische quälen müsse,
daß ich das nicht aushalten könne u. s. w. Der Oberste rieb die Stirne,
meinte, dem Dinge könne wohl abgeholfen werden; nur habe ich eine sehr
schlechte Methode ergriffen. Da hatte er Recht. Nun frühstückten wir
zusammen; er befahl, mich vom gewöhnlichen Dienst zu befreien, außer
wenn das Bataillon manövrirte, um nur schreiben zu helfen; und dazu gab
er mir monatlich einige spanische Thaler Zulage. Die Ausgleichung war
besser, als der Prozeß. Die größte Freude über meinen Unfall hatte wohl
das Zöfchen, dem ich auf der Weser auf dem Speiseschiffe im Amtseifer so
strenge mitgespielt hatte, und das jetzt recht stattlich bei dem Major,
wie man sagte, eine Art von haushälterischer Liebschaft machte. Sie
lächelte mich so schadenfreundlich an, als ich mich vom Arrest meldete,
als ob sie mir den ganzen Auftritt bei Bremen zurückgeben wollte.

Nun ging es gut: ich schrieb eine lange Zeit viel Regimentslisten, und
that übrigens sehr wenig. Die Arbeit war zwar trocken und langweilig
genug; da oft wegen eines alten morschen Pfanndeckels, der nicht zwei
Pfennige werth war, einige Bogen umkopirt werden mußten: dafür fing aber
eben auch damals dort das papierne Jahrhundert recht praktisch an, und
hat seit der Zeit gehörige reichliche Früchte getragen. Bei Münchhausen
konnte ich nun nicht so oft seyn, als ich wünschte und er zu wünschen
schien: und die guten Leute hoben mir manchmal mein Stück wilde Ente und
einige Pastetchen auf, bis ich erst spät zur Partie kommen konnte. Ich
that abwechselnd Dienste, nach dem Behuf, als Korporal, Sergeant,
Fourier und Feldwebel, so daß ich alle Süßigkeiten des kleinen
Soldatenlebens recht auskosten konnte. Als Fourier war ich ein reicher
Mann, weil bei den Lieferungen immer etwas an Brot, Butter, Fleisch, Rum
u. s. w. übrig blieb; nur ein einziges Mal mußte ich über zehen
spanische Thaler zusetzen: da hieß es denn: »thut der Herr nicht die
Augen auf, so thue er den Beutel auf.«

An eigene Arbeit wurde jetzt wenig gedacht, so sehr mich auch
Münchhausen antrieb: einige Kleinigkeiten verdienen nicht Erwähnung. Nur
ein einziges Stück, das eine Art von Jagdstück war, wäre vielleicht
nicht ganz unwerth als Bildungsanfang mit aufbehalten zu werden, wenn
nur noch irgendwo etwas davon zu finden wäre, als in den Winkeln meines
Gedächtnisses, wo nicht viel davon übrig ist. Einiger Verse erinnere ich
mich; sie lauteten, glaube ich, so:

      Laß uns ruhen, Freund, in dieser Höhle,
   Auf dem grauen Steine da,
   Den vielleicht noch keine Menschenseele
   Seit dem ersten Tag der Erde sah.

      Ha, wie schauervoll und furchtbar siehet
   Hier das Antlitz unsrer Mutter aus!
   Wie die Allmacht sie dem Nichts entziehet,
   Liegt sie hier, Natur, in Schreck und Graus.

      Felsen, seit der Fluth noch unbestiegen,
   Heben schwer ihr schwarzes Haupt empor,
   Und um ihre dunkeln Schädel fliegen
   Ungewitter aus der Kluft hervor.

      Kreuzend liegen tausendjähr'ge Eichen
   Durch einander, die das Alter fraß;
   Morsche eingeborstne Stämme zeigen,
   Daß den Wald hier nie ein Förster maß.

      Kein gesellig Thier besucht die Klüfte,
   Wohin nie der Fuß des Wandrers dringt,
   Wo kein Vogel durch die leeren Lüfte
   Eine Melodie der Freude singt.

      Nur zuweilen brummt mit tiefem Grimme
   Ein bejahrter Bär aus seiner Gruft
   Durch die Felsen, wo mit heisrer Stimme
   Nur ein alter grauer Adler ruft.

      Doch vielleicht kann noch ein Wilder lauschen,
   Der zum Mord sein krummes Messer schleift,
   Und sodann in blitzgeschwindem Rauschen
   Uns den Schädel von dem Hirne streift u. s. w.

Das Uebrige ist verwischt und wohl schwerlich irgendwo wieder zu finden,
oder des Aufsuchens werth. Das Skalpiren der Wilden ist bekannt genug:
und man erzählt davon fürchterliche Beispiele. Mir selbst ist keines
bekannt geworden. Sie skalpiren sehr ehrlich nur ihre Feinde; und unsere
Wilden waren durchaus nur freundschaftliche Leute. Ich kann wenig von
ihnen sagen, was nicht schon bekannt wäre. Sie kamen sehr häufig in
großer Anzahl in die Stadt, um ihre Jagdbeute zu verkaufen, die meistens
aus Moosthieren, Geflügel und zuweilen Fischen, vorzüglich Aalen,
bestand. Dafür bekamen sie Rum, europäische Bedürfnisse und spanische
Thaler. Sie wußten den Werth des Geldes schon sehr gut zu schätzen, und
betrogen eben so oft, als sie betrogen wurden. Das Moosthier, oder das
Elent, ist ein majestätisches Geschöpf, das an Größe dem größten
Holsteiner Pferde nichts nachgiebt, Schaufelgeweihe wie der Dammhirsch
hat, die prächtig und furchtbar ausgreifen und ihm ein schreckbares
Ansehen geben. Das Fleisch ist nicht immer gut; von einem jungen kann
man es zu den Leckerbissen zählen, wenn es gut zubereitet wird. Man kann
sich die Menge dieser Thiere denken, die dort müssen gewesen sein, da
ganze englische Regimenter Tornister von Elentsfellen hatten. Die
sogenannten Wilden waren nicht viel schlechter gekleidet, als ich die
Letten, Esthen und Finnen gefunden habe. Ein grobes, graues Tuch,
künstlich genug um den Körper gewickelt, machte das Hauptkleidungsstück.
Sie kamen gewöhnlich zur See, in ihren bekannten Booten von Birkenrinde,
die meisterhaft gebaut waren und die sie mit ihren kleinen Rudern
meisterhaft zu führen verstanden. Die englischen Matrosen, die es ihnen
nachthun wollten, verloren sehr oft das Gleichgewicht und fielen in die
See, worüber denn die Indier und über das europäische schwerfällige
Schwimmen recht herzlich lachten. Sie machen mit diesen Booten große
Küstenreisen und stechen damit außerordentlich weit in die See. Ich
erinnere mich eines Falles, der uns wenigstens ziemlich unterhaltend
war. Ich hatte auf einer kleinen Außenbatterie die Wache, saß auf einer
Kanone und schaute behaglich in die See hinaus, die eben ziemlich hoch
und hohl ging. Da entdeckten wir in großer Ferne etwas, worüber jeder
seine eigenen Muthmaßungen hatte, was es wohl seyn könnte. Keiner rieth
die Wahrheit. Als es näher kam, sahen wir, es war ein indisches
Birkenboot, das der Wind grade zu uns ans Ufer trieb. Wir eilten hinab
und es lag ein ziemlich alter Uramerikaner darin, der in Sturm und
Wogenbruch recht ruhig schlief. Neben ihm lag eine leere und eine
halbleere Rumflasche, die seinem Schlummer sehr behülflich gewesen seyn
mochten. Er war nicht zu ermuntern; denn sein Zustand ist leicht zu
errathen. Wir führten ihn hinauf ins Wachthaus, legten ihn auf dem
ruhigsten Ort der Britsche nieder, wo er lethargisch fortschlief. Das
Boot zogen wir ans Land, die Flaschen bargen wir; den Beutel, den er am
Gürtel trug, und in dem vierzig spanische Thaler waren, schloß ich aus
Vorsicht in den Schrank. Als er ernüchtert erwachte, blickte er wild
verwundert um sich, daß er sich auf einer europäischen Wache befand. Da
wir ihm aber die gefährliche Lage bedeuteten, in welcher er sich
befunden hatte, ward er heiter und schien im Begriff zu seyn, uns danken
zu wollen: da er aber auf den Gürtel blickte und seinen Beutel vermißte,
ward sein Gesicht länger und breiter, und ein Gemisch von Gefühlen
schien in seiner Seele zu arbeiten, die alle besagten: Ha, ha! so ists?
du bist unter die weißen Leute gerathen: als ich ihm aber den Beutel aus
dem Schranke darreichte und er schnell am Anblick merkte, daß wohl
nichts fehlen würde, er wohl auch eilig den Schluß machen mochte, daß
man nicht einen Theil behalten würde, wo man des Ganzen Meister war,
ward seine Freude urpatriarchalische Ausgelassenheit. Er umarmte einen
nach dem andern, und man sahe ihm an, daß ihm das Geld nicht so lieb
war, als die Gesellschaft ehrlicher Leute; und als er die Summe endlich
vollzählig fand, bestand er durchaus darauf, die Wache sollte eine
Handvoll Thaler nehmen. Ich hatte gute Gründe das zu verweigern; aber
einige mußten wir behalten. Nun bugsirten wir ihn wieder in sein Boot,
mit guten Erinnerungen und Warnungen vor der Rumflasche. Er schien ganz
Dankbarkeit; das Wetter war besser und er ruderte gutes Muthes durch die
Bucht in den Ocean hinaus. Ein andermal hatte ich auf dem nämlichen
Platze den grauenvoll großen Anblick, daß ein schönes herrliches Schiff
aus Unkunde des Weges bei starkem widrigen Winde auf einen verborgenen
Felsen lief. Ich hatte lange mit ängstlicher Theilnahme zugesehen, wie
es mit Mühe und Schwierigkeit herein lavirte. Meine Augen waren mit
gespannter Aufmerksamkeit dahin geheftet; meine Seele war ganz auf dem
Schiffe, da setzte es in keiner großen Entfernung mit einem furchtbar
krachenden Stoß auf das versteckte Riff, so daß die Maste zusammen
brachen und die ganze Maschine in Trümmer zu zerbersten drohte. Das
Geschrei der Leute war herzschneidend. Sogleich fielen einige
Nothschüsse und sogleich eilten einige größere Schiffe, an ihrer Spitze
eine Fregatte, und eine Menge kleinere Fahrzeuge, zur Hülfe heraus. Von
der Mannschaft wurde Alles gerettet; aber von der Ladung fast nichts, da
sie aus lauter Artikeln bestand, die nicht das Wasser vertragen konnten.
Das schöne fast ganz neue Schiff saß fest auf der Spitze, die ein
ungeheures Leck gerade unten mitten am Kiel eingebrochen hatte, und
weder menschliche Kraft noch Kunst war es herabzubringen im Stande, bis
endlich eine sehr einfache Maschinerie es mit der großen Springfluth
herunter hob. Man legte nämlich bei der niedrigsten Ebbe auf beiden
Seiten eine Menge großer leerer Rumfässer, befestigte sie
korrespondirend unter dem Kiel weg mit Tauen, und auf diese Weise hoben
die vielen leeren Gefäße mit Hülfe der hohen Fluth das Schiff aus dem
Riff heraus und brachten es glücklich hinein auf den Werft. Ich war
durch einen glücklichen Zufall eben wieder gegenwärtig, als es
herabgehoben und hinein bugsirt wurde.

Die Wilden benahmen sich, so viel ich habe beobachten können, immer
anständig; doch soll das nicht stets der Fall gewesen seyn, und der
Gouverneur soll sie militärisch haben einstecken lassen müssen, um ihren
Natürlichkeiten in Hinsicht des Geschlechts Einhalt zu thun. Wenn sie
des Rums etwas voll und lustig wurden, führten sie drollig genug
sogleich am Ufer den Ball auf und tanzten nach einer Art von brummendem
Gesang, wozu einige mit Kieselsteinen aus dem Stegreife den Takt
schlugen. Wir kamen nicht selten auf unsern größern Streifereien in ihre
Hütten an Felsen und Bächen, die meisten hatten sich tiefer
zurückgezogen; ich habe aber nie gehört, daß sie einem von den Unsrigen
etwas zu Leide gethan hätten: und dann wäre es wahrscheinlich bloß die
Schuld des Europäers gewesen. Einige hielten es mit uns, einige mit den
Republikanern, nachdem ihre Stimmung und Lage war: und es wäre wohl
schwer zu entscheiden, ob sie hier oder dort mehr betrogen wurden. Mit
dem Feuergewehr wußten sie schon seit langer Zeit sehr geschickt
umzugehen, und hatten gemeiniglich alte große lange holländische
Schießprügel, mit welchen sie mehrere hundert Schritte vortrefflich das
Ziel trafen und manchen Posten im Gebüsche wegschossen, ohne daß man
gewahr werden konnte, woher die Kugel kam. Als die Franzosen noch Herren
von Kanada waren, ließen sie sichs angelegen seyn, durch ihre
Missionarien die Amerikaner ins Christenthum einzupferchen: daher noch
mancher Alte unter ihnen, wenn er die Glocken hört, sein Kreuz schlägt
und »^au nom de dieu, du père, du fils et du saint esprit^« dazu sagt.
Das schien indessen auch der ganze Ueberrest von Kenntniß in Sprache und
Religion zu seyn. Die Engländer kümmern sich um das Bekehrungsgeschäft
wenig oder gar nicht: das hätte nichts zu sagen, da man die Neubekehrten
nur gar zu gern in die Verhältnisse der Letten und Esthen treten läßt;
wenn man die armen Urbewohner nur nicht ächt europäisch-christlich von
allen Seiten so zurück zwänge, daß ihnen im Kurzen nichts als der Hals
von Kalifornien oder die unbekannten Eisländer übrig bleiben werden. Die
ich gesehen habe, waren alle ein großer, schöner, nerviger
Menschenschlag, mit länglich regelmäßigen Gesichtern, ungefähr wie die
alten ächten Brandenburger. Ich erinnere mich nicht einen unter ihnen
gesehen zu haben, der über fünf Fuß neun Zoll oder unter fünf Fuß drei
Zoll gewesen wäre; also sehr selten war einer so klein, wie meine eigene
Personalität, die doch unter uns noch nicht zwerghaft ist. Die
kupferbraune Farbe kleidete die Männer sehr anständig ernsthaft;
ungefähr wie bei uns ein Grenadier, der ein halbes Dutzend Feldzüge
mitgemacht hat, eine Farbe bekommt, die von seinem Feldkessel nicht sehr
verschieden ist. Aber die nämlichen Züge und die nämliche Farbe sind den
weiblichen Reizen nichts weniger als günstig; und ich habe keine
Indianerin gesehen, die durch ihre Erscheinung den geringsten gefälligen
Eindruck auf meinen europäischen Sinn gemacht hätte, ob ich gleich eine
Menge junger Mädchen gesehen habe und damals selbst ein junger rüstiger
Kerl war. Die meisten sprechen jetzt etwas Englisch, da sie vom höchsten
Norden bis an die spanische Gränze hinab von lauter ursprünglich
englischen Kolonien umgeben sind. Kriegerische Vorfälle haben wir außer
einigen Märschen nicht gehabt: ein einziges Mal schien es zu etwas
Ernsthaftem kommen zu wollen, da die Franzosen den Ort anzugreifen
drohten. Aber außer einigen Schüssen von den äußersten Batterien fiel
nichts vor: es blieb bei den Drohungen, vermuthlich da sie die Engländer
stärker und in besserer Bereitschaft fanden, als sie vermutheten. Mich
ärgerte das; denn ich sahe der Landung und dem blutigen Handel mit aller
Neugier eines jungen Menschen entgegen, bei dem Kraftgefühl und
Thätigkeitstrieb die natürliche Furchtsamkeit überwand. Wenn ich
zuweilen von einigen Kriegsvorfällen gesprochen habe, als ob ich dort
gegenwärtig dabei gewesen wäre, so ist das weniger jugendliche Eitelkeit
gewesen, als vielmehr, weil mich die Leute durch ihr ungestümes Fragen
hineinzwangen, und ich manchmal aus Aerger Ja sagte, weil ich beständig
Nein gesagt hatte. Auch habe ich keine einzige Unwahrheit gesprochen, so
viel ich mich erinnere: nur geschah nicht Alles unter meinen Augen. Es
that mir nachher manchmal leid, da es doch gegen den Charakter der
Wahrhaftigkeit ist, der immer mein Ziel war: aber ich wollte nicht gern
zurücknehmen, und habe mich seit der Zeit gehütet, eine Sylbe über die
strengste Wahrheit zu sagen: gegen dieselbe sprach ich nie.

So kam denn endlich die Nachricht vom Frieden uns eben nicht erwünscht:
denn junge thatendurstige Leute sehen nicht gern ihrer Bahn ein Ziel
gesteckt. Man hatte mir geschmeichelt, ich könnte Officier werden und
mir eine Laufbahn eröffnen. Mit dem Frieden war Alles geschlossen: denn
nach unserer Ordnung konnte kein Bürgerlicher in der Regel weiter
aspiriren, als bis zum Feldwebel; ein Ehrenposten, dessen
lebenslängliche Dauer ich eben nicht sehr beneidete. Bei uns mußte man
Edelmann seyn, oder viel Geld haben, um im Staate ein Mann zu werden;
zwei Verdienste, deren Gültigkeit jedem Vernünftigen sogleich in die
Augen springt. Zuweilen that Verbindung und Empfehlung auch etwas; und
noch seltener wurde zufälligerweise auch wohl wirkliches Talent bemerkt.
Im Kriege, wo oft ^periculum in mora^ ist, wo man Männer für Aemter und
nicht Aemter für Männlein sucht, sind die Ausnahmen häufiger und es
tritt da, dem Kastengeist zum schweren Aerger, nicht selten das alte
primitive impertinente Menschenrecht wieder ein, daß jeder nur das gilt,
was er werth ist. Doch hat es bei uns noch lange Zeit, ehe es dahin im
Allgemeinen kommt: der Mensch gilt durchaus nur das, wozu ihn der Staat
stempelt, und es ist keine Gefahr, daß Vernunft die Stempelordnung
machen und halten werde.

Ich hatte in Amerika einen Freund, von dem ich nicht weiß, wo ihn das
Schicksal hingeschlagen hat, der zu den besten gehört, die ich je gehabt
habe: einen gewissen Serre aus Halberstadt, von der französischen
Kolonie, der einige Zeit bei seinem Anverwandten Lavater in der Schweiz
gewesen war, und dessen besseren vernünftigern Enthusiasmus glühend heiß
besaß. Dieser war Unterofficier, wie ich, ein junger, muthvoller,
leichtsinniger Kerl. Das Leben englischer Söldlinge war uns eben nicht
angenehm, und wir beide hatten uns mit dem Gedanken getröstet, wir
würden uns gelegentlich den Republikanern anschließen können; ein sehr
natürlicher, verzeihlicher Gedanke für junge Leute, die mehr mit
Plutarch, als mit Hobbes lebten. Die Gelegenheit wollte nicht kommen;
Serre suchte sie also herbei zu führen; und er hatte eben den Entwurf
gemacht, durch die großen Waldungen über die Buchten von Hallifax nach
Boston zu gehen; freilich eine Unternehmung auf Tod und Leben. Er hatte
sich schon über die englischen Posten unterrichtet, für Munition und
nothwendige Bedürfnisse gesorgt; und die Ausführung war beschlossen, als
eben der Friedensbote kam. Mich hatte nichts so sehr zurückgehalten, als
der Gedanke, Münchhausen zu verlassen, der mit so redlicher Freundschaft
an mir hing; und die Sache war von der Beschaffenheit, daß sie durchaus
keine Mittheilung litt. Die einzige Bedenklichkeit in unsrer
Freundschaft war, daß Münchhausen ein Edelmann war, der den Kopf voll
alten Ritterwesens hatte, welches ich auf alle Fälle für halbe Barbarei
hielt und noch halte. Freiheit und Gerechtigkeit hat bei Edelleuten
einen ganz andern Sinn, als uns Philosophie und Staatswissenschaft
lehrt: und das »^verba valent sicut nummi^« ist nirgends mehr anwendbar,
als in unserm sogenannten öffentlichen Rechte. Unserer Freundschaft
stand also der Mangel endlicher Uebereinstimmung entgegen, welches der
Fall bei Serre nicht war, der übrigens weder Münchhausens moralischen
Werth, noch feinen Lebenstakt hatte. Der Friede zerschlug unsere
Unternehmung, da wir nur nach Thätigkeit junger Leute geizten und nicht
gesonnen waren, neben und unter Huronen und neuen Republikanern unser
Leben fort zu vegetiren. Auf dem Schiffe wurde ich von Münchhausen
getrennt; er kam auf ein anderes Fahrzeug. Der Guignon des Lebens
wollte, daß ich ihn seit der Zeit nur zweimal wieder sahe; einmal, als
sich auf dem Meere unsere Schiffe so näherten, daß wir mit der größten
Anstrengung uns einige Worte zurufen konnten; das anderemal, als ich aus
Italien und Frankreich kam, und ihn in Schmalkalden besuchte.

Unser Leben in Hallifax bestand in einem Drittel deutscher
Gewöhnlichkeit, einem Drittel huronischer Wildheit und einem Drittel
englischer Verfeinerung; und nach dem verschiedenen Charakter der
Individuen stach eins von diesen Dritteln hervor. Bei mir blieb wohl
meistens der Deutsche sitzen, obgleich Britten und Huronen mein Studium
waren, und bald diese, bald jene den Vorzug behielten. Ich habe schon
oben gesagt, daß Hallifax vielleicht einer der besten Häfen des
Erdbodens ist. Diese Insel und das Fort St. George am Eingange ist eben
stark genug, mit gehöriger Besatzung jeder beträchtlichen Flotte die
Annäherung zu verwehren. Die Stadt selbst, am Ufer hin, tief in die
Bucht hinein, hat ungefähr zehntausend Einwohner. Der englische Preis
aller Artikel ist immer etwas höher, als in andern Ländern, und im
Kriege war er es dort ungewöhnlich. Ich erinnere mich, daß ich manchmal
zum Abend nach unserm Gelde fast für acht Groschen Brot, für acht
Groschen Butter und für acht Groschen Kartoffeln gegessen, und einmal
für ein Stückchen Kälberbraten und einen Gurkensalat eine halbe Guinee
bezahlt habe. Während eines ganzen Winters bestand mein Abendbrot fast
immer aus geröstetem Butterbrot mit geräuchertem Lachs, dem wohlfeilsten
Artikel der Gegend. Das Pfund frisches Fleisch kostete nicht selten nach
unserm Gelde einen halben Thaler; frisches Gemüse war kaum zu bezahlen.
Dafür konnte aber auch ein Handarbeiter am Hafen täglich drei spanische
Thaler verdienen: Alles kam ins Gleiche. Verschiedene sparsame Kerle
haben auf diese Weise mehrere hundert spanische Thaler gesammelt, und,
wenn sie der Zufall verschonte, sie mit in die Heimath gebracht. Ich
selbst hatte von dem Ertrag der Arbeitskommandos, welche von der Krone
bezahlt wurden, einige schwere Goldstücke zurückgelegt. Einige ächt
soldatische Kameraden, in deren Taschen sich kein blindes Kupferstück
hielt, hänselten mich aber so lange und droheten mir, mir bei meinem
seligen Ende mit meinem eigenen Golde tüchtig das Maul zu zerschlagen,
daß ich sie sehr bald wieder in Umlauf gesetzt hatte. Wenn Münchhausen
nichts Wildes lieferte, und ich den schwarzstriefigen Kommißspeck und
auch den Rauchlachs zum Ueberdruß gegessen hatte, schoß uns Serre in den
Außengegenden auch wohl einen fetten Hund, oder einen feisten Kater,
deren frisches Fleisch und Fett uns nicht selten leckere Mahlzeiten
gaben.

Unsere Hinfahrt dauerte, wie ich oben sagte, zwei und zwanzig Wochen,
eine ungeheure Länge; den nämlichen Weg machten wir rückwärts in drei
und zwanzig Tagen; also machte ich eine der besten und eine der
schlimmsten Fahrten mit. Heimwärts segelten wir, als flögen wir davon;
und es gewährte ein eigenes großes, kühnes Vergnügen auf den ungeheuern
Maschinen im Sturm daher geschleudert zu werden. Es hatten sich eine
große Menge Schiffe aller Arten und aller Nationen zuerst nach dem
Frieden gesammelt, und wir liefen wohl über zweihundert zusammen in dem
Kanal ein, unter denen sich auch zwei amerikanische Fregatten mit der
neuen freien Staatenflagge befanden, für einen Alt-Engländer wohl das
größte Herzeleid, seitdem die brittischen Flotten die Meere besegelten.
Die letzte Nacht gehört zu den schönsten, die ich auf dem Wasser erlebt
habe. Es war ein gewaltiger Gewittersturm auf dem Kanale in der Gegend
von Portsmouth. Die zusammengeengte Flotte, das Heulen des Sturms, das
Schlagen des Tauwerks, das Rollen des Donners, das Leuchten der Blitze,
das grelle Aufhellen der glühenden Wogen und das augenblickliche
Schließen zur schwärzesten Nacht, das Rufen und Schreien der Matrosen,
das Geläute der Glocken, der ferne dumpfe Hall der Signalschüsse, das
Dröhnen und Krachen der Schiffsfugen, und die Angst, daß wir vielleicht
über Klippen stürzten -- man denke sich die Wirkung des Ganzen auf die
entzündete Einbildungskraft! Und mit dem sich heiternden Morgenhimmel
waren wir wirklich in der Nähe der Kreideberge, die dem Lande den Namen
Albion geben. Es war still und frisch und freundlich, wie nach einer
Gewitternacht, und die Schiffe schaukelten nur noch unwillkührlich
heftig auf der empörten See. Bei diesen und ähnlichen Gelegenheiten war
es mein gewöhnliches Vergnügen, mich im Raum unter die Oeffnung zu
setzen und in die Höhe an den Horizont hinaus zu sehen; da sah ich denn
die Schiffe rechts und links oben auf den Wellen tanzen. Man denke die
Winkel, welche die Schiffe auf der Woge machen mußten, damit dieses
möglich war. Oft war die Täuschung so groß, daß man minutenlang glaubte,
ein Schiff sei von den Wellen verschlungen, das plötzlich mit
Blitzesschnelle wieder auftauchte und eben so wieder verschwand. Bei
Deal lagen wir einige Zeit in den Dünen vor Anker, und da wurde uns denn
wohl einzeln erlaubt, an das Land zu gehen; das ist also das Ganze
meines Aufenthaltes in Alt-England und kaum der Erwähnung werth. Die
Fahrt über die Nordsee war dießmal sehr stürmisch und langweilig,
welches desto verdrießlicher war, da die Reise über den Ocean so schnell
ging und wir das Uebrige nur noch für einen Katzensprung hielten. Auf
einmal befanden wir uns bei Cuxhaven und Ritzebüttel, vermuthlich weil
wir nicht in die Weser einlaufen konnten. Ich erinnere mich hier eines
Vorfalls, der die außerordentliche Gewalt der Fluth beweist. Ein Mensch
saß auf dem Verschlage, der als Bequemlichkeit diente. Die Fluth war im
Ablaufen; er mochte sichs bequem machen, und sein ganzes Gewicht ruhte
auf dem Seitenstücke; das Stück brach, er fiel hinunter, und obgleich
zwei der besten Schwimmer sogleich nachsprangen, so war er doch
augenblicklich verschwunden und wurde nicht wieder gesehen. Mit vieler
Mühe rettete das ausgesetzte Boot nur die beiden Matrosen und hatten
einige Stunden zu arbeiten, ehe es wieder an das Schiff kam. Nach
einigen Tagen segelten wir wieder nach Bremerlee, wo wir Fahrzeuge
wechselten und eben so wieder heraufbugsirt wurden, wie wir hinunter
fuhren.

Hier schreckte uns die Besorgniß, daß wir bei Minden würden an die
Preußen verkauft werden. Es wurde laut gesprochen, und der bekannte
gewissenlose Seelenschacher des alten Landgrafen machte die Sache nicht
unwahrscheinlich. Serre also, ein gewisser Wurzner aus Gotha und meine
Personalität hatten bei Elsfleth den löblichen Entschluß gefaßt, uns den
Fesseln der schändlichen Dienstbarkeit zu entziehen. Einige Nächte
lauerten wir ohne Erfolg auf Gelegenheit; denn die Büchsenschützen
hatten ihre geladenen Läufe überall hin gerichtet. Aus Verdruß und
Müdigkeit war ich auf meinem Habersack eingeschlafen, und als ich den
Morgen erwachte, waren die beiden Hechte fort und hatten mich
vermuthlich mit Sicherheit nicht wecken können. Ich kratzte mich hinter
den Ohren und sahe ärgerlich nach dem Kahne, der sie in die Freiheit
geführt hatte. In Bremen versuchte ichs indessen allein auf meine eigene
Hand, und es gelang mir am hellen lichten Tage unter ziemlicher Gefahr.
Die nächste Veranlassung war ein Gezänk mit dem Feldwebel über
Brotlieferung, in welches sich der kommandirende Officir etwas
diktatorisch handgreiflich mischte. Das Gespenst der Preußen saß mir
fest im Gehirn; ich hatte ganz gegen meine Gewohnheit ohne alle Absicht
in einigen Gläsern Wein mich etwas warm getrunken, und machte kurz und
gut auf und davon, am Ufer hin, über die Brücke weg, in die Altstadt
hinein. Ein guter, alter, ehrlicher Spießbürger mochte mir doch wohl
einige Verwirrung ansehen; er kam freundlich zu mir und fragte: »Freund!
Ihr seid wohl ein Hessischer Deserteur?« »Und wenn ich denn einer wäre?«
sagte ich. »Da muß ich Euch sagen, unser Magistrat hat Kartel mit dem
Landgrafen.« Und nun --



                             Fortsetzung
                                 von
                            Seume's Leben,
                             mitgetheilt
                                 von
                          C. A. H. Clodius.


»Und nun« -- das sind die letzten Worte, welche Seume geschrieben hat;
das Folgende ist leider nur Erzählung aus den Erinnerungen einiger
Freunde des Verewigten. Ihnen, welche ihn genau gekannt und innig
geliebt haben, ist das Bild, welches er selbst gezeichnet hat, ein
Vermächtniß, in welchem er bei ihnen fortlebt. Sie glauben ihn noch vor
sich zu sehen und reden zu hören, weil sein Leben sich eben so
anspruchslos und wahr, eben so heiter und gleichmüthig in Worten und
Handlungen darstellte, als er es, während einer schmerzhaften Krankheit,
beschrieben hat. Seine Selbstbiographie zeigt uns seine Jugend, seine
übrigen Schriften zeigen den Mann, und folgende Züge von einer Hand,
welche mit Treue zeignet, werden die Schilderung seines edlen und
liebenswürdigen Charakters vollenden. Große Sorgfalt für sein Inneres,
wenige für sein Aeußeres; ernstes Denken, ruhiges Erwägen und Tiefe des
Gemüths; Mangel an Nachgiebigkeit und Reichthum an Nachsicht; Bewußtsein
seines Werthes und Bescheidenheit eines gebildeten Menschen;
Freundlichkeit und Liebe im Herzen, oft finster um Stirn und Auge;
empfänglich für das Schöne und Erhabene; flammender Eifer für die
Gerechtigkeit und eine gesetzmäßige Freiheit; selbstständig ohne Furcht;
bitter gegen schlechte Menschen aus Liebe zur Menschheit; -- so war
Seume.

Wieland nannte Seumen, wegen seiner Tugenden und wenigen Bedürfnissen,
den edlen Cyniker, einen Menschen von großem Werth. Dieses Lob des
berühmten und liebenswürdigen Mannes hat ihn sehr glücklich gemacht und
wird ihn ehren bei Allen, welche den Beifall der Besten unter den
Menschen für den höchsten Ruhm halten, den ein Sterblicher gewinnen
kann. Einer seiner Freunde, der allen seinen entfernten Geliebten ein
Sternbild widmete, wobei er ihrer in stillen Nächten gedachte, wurde von
Seume gefragt: wohin er denn ihn einmal künftig einquartiren würde? und
als er darauf im scherzenden Ton antwortete: »Sie haben schon lange
Ihren Platz in dem hellen, nicht untergehenden Gestirn des großen
Bären;« sagte Seume mit Lächeln: »So, so! Meinetwegen!« -- Die
Begebenheiten, welche hier angeknüpft werden, sind Beweise zu dem Lobe,
welches eine unpartheiische Freundschaft ausgesprochen hat und können
als Belege dienen, daß ein widriges Schicksal der Hebel edler Naturen
wird.

                   *       *       *       *       *

Das gutmüthige Volk der guten Stadt Bremen drängte sich als eine
Schutzwehr um Seume herum und schob gewissermaßen den Fremdling
hülfreich zum nächsten Thore hinaus. Seume, ein trefflicher Läufer, flog
wie ein Pfeil. Demungeachtet waren seine Verfolger, die Hessischen
Jäger, ihm immer ganz nahe und trieben ihn endlich in den Sack zwischen
den beiden Flüssen der Hunte und der Weser. Hier, glaubten sie, könnte
er ihnen nicht entspringen, und er hielt sich verloren: denn wollte er
sich ins Wasser stürzen, so tödtete ihn, den durch und durch Erhitzten,
der Schlag; blieb er stehen, so war er das Opfer seiner Flucht. Zum
Glück sah er in einem Weidenbusch am Ufer der Hunte einen Fischerkahn
und sprang hinein. Der mitleidige Fischer, welcher der Menschenjagd
zugesehen hatte, hieß ihn sich gleich auf dem Boden niederlegen, und
stieß augenblicklich vom Lande ab. Nun kamen auch die Jäger und
schossen; aber die Kugeln flogen über das Schiff, und der gleichmüthige
Schiffer arbeitete ruhig durch die Gefahr, bis er glücklich das
jenseitige Ufer erreichte. »Hier Freund,« sagte der Mann, »seid Ihr
frei, und auf Oldenburgischen Grund und Boden. Gott helf Euch weiter!«
Das Leben war gerettet, die Kette zerbrochen, und der Landgraf litt
einen Verlust von einer Handvoll Thaler, die er aus Seume's Verkauf zum
zweitenmal hätte lösen können.

Den folgenden Tag kamen Hessische Officiere mit freundlichen Worten,
brachten Pardon, boten Geld, versprachen Beförderung; aber Seume ließ
sich nicht verleiten, empfahl sich höflich und ging aus ihrer
Gesellschaft weg nach der Stadt Oldenburg. Der damalige, jetzt noch in
Rußland lebende Herzog dieses Landes, ein gebildeter, edler Fürst,
unterstützte den einnehmenden, interessanten jungen Deserteur, und that
Vorschläge zu künftigen Lebensplänen; als aber Seume die Sehnsucht nach
der geliebten Mutter und dem Vaterlande äußerte, entließ er ihn mit
einem ansehnlichen Geschenk. Durch diese Großmuth konnte der so lange
Geplagte und Verkaufte nun bequem frei und froh die Rückkehr zur lieben
Heimath antreten und der gerettete Sohn konnte wieder in die Arme der
Mutter eilen. Schon hatte er wohlgemuth die Oldenburgische Gränze
überschritten, als das unglückliche Vergessen, die Hessische Uniform mit
einem Civilrock zu vertauschen, ihn gerade in den verhaßten Dienst
brachte, dem er durch seine Flucht hatte entgehen wollen, und ihm in
einem Augenblick wieder Freiheit, Hoffnung und kaum genossenes Glück
raubte. Preußische Werber hielten ihn an und schleppten ihn, als
Deserteur, ohne Umstände nach Emden, wo er gemeiner Soldat werden mußte.
Den Käfig, in welchen man ihn, wie alle unfreiwillig genommenen
Soldaten, eingesperrt hatte, zu zerbrechen, dem ehemals strengen
Preußischen Dienst und der verächtlichen Behandlung der Soldaten wieder
zu entgehen, das war die einzige tröstliche Aussicht, welche ihm hier in
der Garnison übrig blieb, und die ihn reizte, so bald als möglich zu
entfliehen. Einst in einer sternenhellen Nacht führte er seinen
Entschluß wirklich aus. Er mochte ungefähr eine Stunde gelaufen seyn,
als die Lärmkanone seine Flucht ankündigte und die ganze Gegend zum
Verfolgen aufrief. Seume ließ sich dadurch nicht schrecken; aber ein
dicker Nebel verhüllte ihm den Weg, machte ihn irre und führte ihn
wieder gerade nach Emden in die Hände derer, welchen er zu entgehen
glaubte. In seinem Arrest schrieb er mit Kreide einen lateinischen Vers
an die Thüre der Wachstube, welcher die traurige Stimmung seiner Seele
ausdrückte. Der wachhabende Officir fragte, wer den Vers geschrieben
habe? »Vermuthlich der kleine schwarze Arrestant;« antwortete die Wache.
Das Kriegsverhör begann mit der Untersuchung über den Hexameter und ein
Kapitän behauptete: er sei nicht richtig. Seume bewies aus der Prosodie,
daß er vollkommen schön sei und lehrte die Richter, was zu einem guten
Hexameter erfordert werde. Als aber demungeachtet der Kapitän seine
Kritik noch zu behaupten suchte, brachte Seume einen Beweis vor, der
entscheiden mußte: er zog seinen Virgil aus der Tasche und zeigte, daß
jener Vers aus dem größten Künstler der lateinischen Poesie genommen
war. Die Untersuchung über eine Stelle aus dem Virgil führte zu der
Frage, wie er in den Dienst gekommen sei? und als Seume hierauf finster
antwortete: »durch Gewalt von den Preußen, wie von den Hessen;« ließ man
Gnade für Recht ergehen und befreite ihn von dem Arrest. Der brave
General Courbiere, welchen die Preußen, nach der Schlacht bei Jena, mit
Achtung öffentlich genannt haben, nahm sich seiner an, erleichterte ihm
den Dienst, trug ihm auf, seine Kinder zu unterrichten und empfahl ihn
mehreren Familien. Jetzt hatte Seume keine Noth. Aber, weil er nicht
hoffen durfte, wieder los zu kommen, und keine Aussicht hatte, befördert
zu werden bei der Einrichtung Friedrichs II., nach welcher nur die
Adeligen Officirstellen erhalten konnten, dachte er an einen neuen
Versuch, zu entfliehen, ungeachtet der erste so wenig gelungen war. Es
war Winter; die grundlosen Wege und Felder in Ostfriesland mochten eben
hart und die weiten, tiefen Gräben eben zugefroren seyn, als Seume
seinen Posten verließ und, in Dunkelheit der Nacht, das Weite suchte.
Noch in eben der Nacht fing es an zu thauen; der Regen strömte vom
Himmel und machte die Felder, worauf Seume seinen Weg in der Entfernung
von der Landstraße und den Dörfern suchen mußte, zu tiefen Morästen.
Länger als 24 Stunden war er, durchnäßt und erhitzt, fortgewadet, durch
das Eis in tiefe Gräben gesunken, und hatte mit fast übermenschlicher
Anstrengung sich bis nahe an die Gränze gearbeitet, als er sich
erschöpft fühlte und der Ohnmacht nahe in ein Dorf ging. Die Leute
halfen ihm; aus seinen Stiefeln floß das Blut; man legte ihn in ein
Bett. Der freundliche Amtmann des Orts besuchte ihn, gab ihm
Erquickungen, und sandte ihn den andern Tag auf einem Wagen, sorgfältig
in Stroh gepackt, unter einer handfesten Bedeckung, wieder nach Emden in
die Ketten zurück. Wer vermochte jetzt den Unglücklichen, welchen
Jedermann schon froh in Sicherheit glaubte, den seine Officire selbst
mit Jammer wieder eingeliefert sahen, zu retten? Zum Unglück war der
General, sein Gönner, mit dem Obersten des Regiments gespannt; Keiner
traute dem Andern, um etwas für den Arrestanten gegen die fürchterlichen
Kriegsgesetze zu wagen. Die angesehensten Männer in Emden verwandten
sich für Seumen mit allen Kräften, doch ohne glücklichen Erfolg;
vergeblich bat fast die ganze Stadt. Endlich kam die Jugend, an ihrer
Spitze die eigenen Kinder des Generals, und baten mit Thränen und
Händeringen für ihren geliebten Lehrer um Gnade. »Kinder,« sagte der
General, konnte aber vor Wehmuth kaum sprechen, »Kinder, ich kann nicht,
so gern ich wollte.« -- Man nahm Seumen die Ketten ab und stellte ihn
vor das Kriegsgericht, welches ihn zu zwölfmal Spießruthen verurtheilte.
Finster und schweigend trat er ab, als der Oberste »Halt!« rief. Seume
trat wieder vor. Der Oberste sprach weiter: »In Rücksicht des sonstigen
guten Betragens des Arrestanten, seines moralischen Lebenswandels und
des guten Gebrauchs, welchen er von seinen Talenten macht, auch wegen
der Art und Weise, wie er in den Dienst gekommen ist, verwandelt das
Kriegsgericht die bestimmte Strafe in sechswöchentliches Gefängniß bei
Wasser und Brod.« -- Der General setzte halb laut hinzu: »Arrestant wird
es wohl auch nicht übel nehmen, wenn ihm die Bürger zuweilen ein Stück
Braten senden.« Dieser Wink wurde gut verstanden. Seume schmausete
während der sechs Wochen seines Arrestes, durch die Gutmüthigkeit der
Bürger in Emden, besser als der General, und konnte noch von seinem
Ueberfluß den Kameraden reichlich mittheilen.

Diese letzte Flucht, die blutige Strafe, welche die preußische Disciplin
für eine zweite Desertion bestimmte, und die unerwartete glückliche
Wendung, mußten Seumen noch bekannter machen, als er schon vorher war,
und ihm allgemeine Theilnahme erwecken. Die Sache hatte durchaus keine
nachtheiligen Folgen für ihn; der Dienst wurde ihm nicht schwerer
gemacht, seine Freiheit nicht beschränkter, als sie vor seiner
Entfernung war; er konnte seine Lehrstunden wieder fortsetzen, und es
fehlte ihm an nichts, als an Unabhängigkeit von dem preußischen
Dienstzwange. Einst fragte ihn ein begüterter, braver Mann, ein Bürger
der Stadt: »Warum, Seume, suchen Sie nicht Urlaub, um einmal nach
Sachsen zu reisen?« -- »Ich würde ihn nicht erhalten.« -- »Sie werden
ihn gewiß erhalten; bieten Sie nur eine Kaution.« -- »Das kann ich
nicht: denn ich habe nicht so viel Geld.« -- »Dann habe ich. Bieten Sie
achtzig Thaler; sprechen Sie morgen mit dem General!« -- »Ich komme
nicht wieder.« -- »Was geht das mich an? machen Sie das, wie Sie wollen;
achtzig Thaler stehen parat.« -- Seume bat um den Urlaub, erhielt ihn,
und kam glücklich bei seiner glücklichen Mutter in Poserne an.

Jetzt faßte er den Plan, sich in Leipzig ganz den Wissenschaften zu
widmen, und während er seinem Körper, nach so vieler Anstrengung,
Erholung gewährte, den Geist in größere Thätigkeit zu setzen. Wovon aber
sollten die achtzig Thaler Kaution, die ihm so edelmüthig gegeben waren,
wieder erstattet werden? Die gute Mutter hätte gewiß den letzten Heller
für den geliebten Sohn und das wiedergefundene Glück hergegeben; aber
der gute Sohn verschwieg die Schuld sorgfältig, weil er wollte, daß die
liebende Mutter sich um seinetwillen nichts versagen, und in keine
Verlegenheit kommen sollte. Der Kreissteuereinnehmer Weiße, der
liebenswürdigste Mensch, den ich in einem Zeitraum von einem halben
Jahrhundert habe kennen lernen, und dessen Gleichen ich auf meinen
Reisen nirgends gefunden habe, schaffte Rath und half Seumen auch aus
der Noth, die ihm jetzt noch auf dem Herzen lag. Weiße gab Seumen einen
englischen Roman: Honorie Warren, zum Uebersetzen; als dieser mit der
Arbeit fertig war, ging jener damit zu dem Buchhändler Goeschen, sagte
ihm den Zweck derselben und erzählte ihm die Geschichte des
Uebersetzers. Dieser Roman ist 1788 gedruckt erschienen. Das Honorar
dafür wurde nach Emden an den Mann gesandt, welcher durch seine Großmuth
Seume's Befreier geworden war, und auf die Wiedererstattung
wahrscheinlich gar nicht gerechnet hatte.

Vielleicht haben wenige Schriftsteller ihre Laufbahn aus so edlen
Absichten, als Seume, begonnen; denn sein erstes Werk ist ein rührendes
Denkmal des Edelmuths eines Bürgers (in Emden), der Dankbarkeit,
Redlichkeit und kindliche Liebe des Verfassers, wodurch dieses Buch
jedem fühlenden Herzen interessant werden muß.

Jetzt widmete sich Seume, nach einer langen und prüfungsvollen
Unterbrechung, ganz den Wissenschaften mit aller der Freiheit, die er
sich ehemals gewünscht hatte und mit angeborner Liebe und Ausdauer, an
dem Orte, den er ehemals aus freiem Entschluß verließ. Der Abweg,
welchen er damals von seiner akademischen Laufbahn einschlug, hatte ihn
durch scharfe Dornen, durch ein zwar schmerzliches, doch läuterndes
Fegefeuer geführt. Die wirkliche Welt, der Umgang mit edlen und
niedrigen Naturen, die sonderbaren Verhältnisse wilder, roher und
disciplinirter Menschen im Kampf unter einander und mit den Elementen
hatten ihm Lektionen gegeben, welche eine herrliche Vorbereitung zu den
Studien der Wissenschaften wurden, und ihn vor Pedanterie, Schulstaub,
Gehaltlosigkeit und Uebertreibung sicherten. Um den Aufwand für die
geistigen und leiblichen Bedürfnisse auf der Universität zu gewinnen,
gab er Unterricht in lebenden Sprachen. Seine Methode war erleichternd
für das Gedächtniß, bildend für den Geist, erweckend für das Gemüth; sie
und die große Anhänglichkeit der Schüler an ihren Lehrer sind ein
Beweis, daß ein vorzüglicher Mensch auf jedem Standpunkt das Rechte
trifft und Achtung und Liebe einflößt.

1792 wurde Seume Magister. Der Küster Rothe an der Thomaskirche gab ihm
dazu das Geld, zutrauensvoll, ohne Eigennutz, aus reiner Achtung und
Zuneigung; ihm ist das Gedicht in den Obolen: An meinen Freund Rothe,
gewidmet.

Zum Beweise hinlänglicher Geschicklichkeit zu einem Magister gehörte
damals auch die Ausarbeitung einer Chrie nach hergebrachter Form. Das
Formwesen war niemals Seume's Sache gewesen und war es noch weniger
jetzt. Da gab es denn beim Examen, statt der Fragen und Antworten,
Diskussionen über das Wesentliche in der Meisterschaft der Kunst und in
dem Gebiete der Wissenschaft, welche dem Examinator sehr bedenklich und
anmaßend vorkommen mußten. Als aber Seume seine Disputation: _Die Waffen
der Alten, verglichen mit den Waffen der Neuen_, vertheidigte, war man
zufrieden, und hielt ihn des Rechts, Vorlesungen zu halten, vollkommen
würdig. Der Soldat war in einen Magister verwandelt, oder, welches die
Eitelkeit lieber hört, in einen Doktor der Philosophie. Man kann nicht
mit Gewißheit entscheiden, ob die Natur Seumen mehr Anlage zum
Militärstande, oder für die Wissenschaften gegeben habe. Sein Körper war
stark, wie seine Seele. Aber es schien, als ob er zur Mathematik, die
einem Anführer in Feldzügen unentbehrlich ist, weniger Talent und
Neigung hätte, als zu den schönen Wissenschaften, der Philosophie und
Philologie. Damals scheint Seume's Absicht gewesen zu seyn, sich für
eine akademische Lehrstelle zu bilden. Er hatte vermuthlich deshalb, als
Vorbereitung, die Stelle eines Instruktors und Erziehers gesucht, und
eine solche gefunden in dem Hause der Gräfin Igelströhm, durch seinen
Gönner Weiße, welcher, durch seine Kinderschriften, das Zutrauen
begüterter Eltern in halb Europa erworben hatte und ganz Deutschland mit
Hofmeistern versorgte. Jene Dame hielt sich in Leipzig auf, so lange ihr
Sohn, der Seume zum Führer erhielt, dort studirte. Der Eleve war wild
und sein Erzieher nicht wenig muthig und rasch. Einst, als die jetzt
verewigte edle Fürstin, Luise Henr. Wilh. von Dessau, bei der Gräfin von
Igelströhm zum Besuch war und bei ihr in einer stillen Laube des Gartens
saß, jagten die beiden Herren, wie ein Paar feurige junge Rosse, so
gewaltsam vor den nervenschwachen Freundinnen vorüber, daß die Fürstin
gar sehr erschrak. »Wer ist der finstre, wilde, junge Mann?« fragte sie.
»Der Führer meines Sohnes,« antwortete die Gräfin mit Lächeln. »Führer?«
wiederholte die Fürstin und schüttelte den Kopf. »Ja,« sagte die Gräfin,
»und ein sehr guter, wohl unterrichteter Führer! ein sehr redlicher,
interessanter Mann.«

Als der junge Graf seine akademischen Studien geschlossen hatte, holte
ihn sein Vater von Leipzig ab. Dieser nahm auch Seume mit und führte ihn
zu seinem Bruder, dem russischen bevollmächtigten Minister und General
^en chef^. Er wurde Sekretär des Generals, kam mit demselben 1793 in
Warschau an, gewann die Achtung desselben und erhielt von ihm eine
Officirstelle bei den Grenadieren, damit er Gelegenheit zum Emporsteigen
bekommen möchte. Im Besitze des unbeschränkten Vertrauens, mußte er alle
wichtige diplomatische Papiere in jener kritischen Periode, welche der
Theilungsgeschichte Polens folgte, für die große Kaiserin Catharina die
Zweite ausarbeiten. Der General hat nicht unterlassen, den Verfasser
dieser Aufsätze der Kaiserin zu nennen, und diese hatte ihm die
Beförderung seines Grenadierlieutenants empfohlen.

Igelströhm und Seume! Das war eine Verbindung eigener Art. Der alte Hof-
und Staatsmann war üppig, prachtliebend, sinnlich, verständig und klug;
aus Diensteifer ein tüchtiger politischer Despot, übrigens ein braver
Soldat, großmüthig und gutmüthig. Man hat ihn vieles Bösen beschuldigt:
aber Seume hat ihn mit Unparteilichkeit gerechtfertigt in einer Schrift,
welche er über die damalige Lage der Dinge in Polen geschrieben hat, und
welche gleich erwähnt werden wird. Diesem Manne stand Seume zur Seite,
wie wir ihn kennen; Seume, der immer die Wahrheit unverholen sagte und
von den polnischen Angelegenheiten ganz andere Ansichten hatte, als der
General und die Kaiserin. Demohngeachtet bewies Igelströhm seinem
Sekretair privatim und öffentlich die größte Achtung und ein
aufrichtiges Wohlwollen. Der polnische General Kosciusko hatte die
Russen geschlagen; diese nannten ihn einen Meuter und Bösewicht; Seume
sagte, er sei der edelste und bravste Pole, und Igelströhm erwiederte
nichts weiter darauf, als: »^Mon cher^, Sie sind ein sonderbarer
Mensch.« Wenn Seume in seinem schlechten Oberrock manchmal von seinem
Schreibetisch aufsprang, um den General über etwas zu fragen, und ohne
Toilette durch das Vorzimmer eilte, worin die vornehmen Polen und Russen
vom Militär- und Civilstande auf Audienz warteten, so hielten ihn diese
für einen Domestiken des Generals und behandelten ihn herablassend; er
sie dagegen ohne Komplimente, wie seines Gleichen. Der Mensch kam ihnen
noch sonderbarer vor, wenn sie ihn hernach an der Tafel mitten unter
sich sitzen sahen, wenn der General ihn nicht anders, als ^mon cher^,
nannte, und ihm auch wohl eine seltene Schüssel sandte, wenn er wußte,
daß Seume sie gern aß. Die Erscheinung war ihnen ein Räthsel, das sie
manchmal aus dem Takt brachte und dessen Auflösung oft komisch genug
war. Der Ton an des Generals Tafel war ungezwungen, heiter, interessant
und witzig. Nicht selten fochten die dort anwesenden Kriegsmänner mit
Epigrammen gegen einander, und unter ihnen waren mehrere, welche,
unbeschadet ihrer militärischen Verdienste, mit den Musen so vertraut
waren, daß sie während dem Essen, sehr schöne Verse aus dem Stegereif
machen konnten. Der junge, schöne Major von Igelströhm, eben so muthig,
als geistreich und gut, ein naher Verwandter des Generals und ein
glänzender Stern in jener Gesellschaft, war vorzüglich Seume's Freund.

Nach und nach wurde es in Warschau bekannt, daß der Sekretär bei seinem
Chef viel galt; da versuchte man denn eine Zeit lang, ihn zu allerhand
vortheilhaften Spekulationen zu benutzen, bis seine Uneigennützigkeit
und Redlichkeit eben so bekannt wurden, als die Gunst des Generals, und
bis die Bestecher sich einander in's Ohr flüsterten: »mit dem Menschen
ist nichts anzufangen.« Unter andern bat ein Jude um seine Protektion
bei Gelegenheit eines Magazinverkaufs. Er meinte, »es sei doch besser,
daß ein so verdienstvoller Mann, wie der Sekretär und ein so ehrlicher
Mann, als er, der Kauflustige, bei der Sache gewönnen, als ganz fremde
und habsüchtige Menschen.« »Was wollen Sie denn geben?« fragte Seume;
der Jude nannte eine Summe. »So viel,« sagte Seume, »ist die Sache nicht
werth; es scheint, Sie haben sich sehr verrechnet. Sie werden Ihre
Verbindlichkeiten nicht erfüllen können. Bleiben Sie davon!« »Was?«
erwiederte der Jude empfindlich, »ich mich verrechnen? Ich versichere
Ihnen, daß noch eine hübsche Summe schöner Dukaten für Sie, und für mich
ein ganz honettes Profitchen übrig bleibt.« Seume wies den Mann zum
General und fertigte ihn mit der Versicherung ab, daß er sich in ihm
sehr geirrt habe und auf ihn gar nicht rechnen dürfe. So muß man es
anfangen, wenn man arm, aber ruhig leben und sterben will.

Der General Igelströhm versuchte, den Stoiker ein wenig zu
sybaritisiren; aber auch er sagte sehr oft in guter Laune: »an dem
Menschen ist Hopfen und Malz verloren.«

Auf heiteres Wohlleben folgten nun wieder Schrecken des Todes. Die
Kaiserin verlangte eine Reduktion der polnischen Nationaltruppen; die
Polen widersetzten sich, und es brach die Revolution, welche schon lange
unter der Asche glimmte, endlich in vollen Flammen aus. Ueber 100,000
Polen hatten sich verschworen, und, was unglaublich scheint, diese aus
Menschen aller Art zusammengesetzte Verschwörung blieb zwei Jahre lang
verschwiegen. Die interessante Begebenheit, ihre Veranlassung und Folge,
erzählt Seume in einer Schrift unter dem bescheidenen Titel: Einige
Nachrichten über die Vorfälle in Polen im Jahre 1794, Leipzig 1796,
welche er dem Herrn Grafen von Hohenthal auf Knauthayn aus Dankbarkeit
zugeeignet hat. Er sagt in der Vorrede:

»Es war einer der schönsten Tage meines Lebens als ein rechtschaffner
Mann mich Ihnen, verehrungswürdiger Wohlthäter, einst mit den Worten
empfahl: Er ist ein Knabe guter Art; der Segen seines Vaters ruht auf
ihm. Seine Empfehlung galt, und noch jetzt thut dem Kriegsmanne die
Erinnerung so wohl, als sie dem Jüngling am Grabe des Vaters that.« --
-- --

Nachdem er die Verbindlichkeit, welche der Graf ihm aufgelegt,
öffentlich erkannt hat, fährt er fort:

»Wenn irgend eine gute Seele bei einer gutgedachten und gutgesprochenen
Stelle mir mit einer leisen Empfindung des Dankes lohnen sollte, so
übergebe ich Ihnen den Zoll, den ich durch Ihre Güte zu empfangen in den
Stand gesetzt wurde.«

Die Darstellung jener fürchterlichen Tage in der genannten Schrift, als
ein wichtiges Stück aus Seume's Leben, und von ihm selbst geschrieben,
muß hier mit seinen eigenen Worten eingeschaltet werden.

»Nachdem die Russen von den Polen geschlagen waren, fingen die Unruhen
auch in Warschau an. Der General Igelströhm nahm dagegen Maßregeln und
nun brach das Blutbad am grünen Donnerstag aus. Die Polen glaubten das
Prävenire wählen zu müssen. Ungefähr 4000 polnisches Militär befand sich
in Warschau, für welches ihre Chefs mit ihren Köpfen zu bürgen
versprachen; aber ihre Bürgschaft half den Russen nichts. Das
Verständniß war nur unter einigen kleinen Officiren von der Krongarde zu
Fuße und zu Pferde und von der Artillerie, kaum einigen Hunderten
Gemeinen und einigen Hunderten der unternehmendsten Köpfe von der
Populace. Sehr wenige Staabsofficire entschlossen sich, Partei zu
nehmen. Die Subalternen führten ihre Kompagnien, als ob es zum
Exercirplatz ginge, und Alles gewann bald ein ziemlich wohlgeordnetes
Ganze. Um Mitternacht brachten die Kosaken schon Rapport von häufigen
Bewegungen. Die Mirsche Kavallerie that früh ungefähr um fünf Uhr den
ersten Angriff auf einen russischen Posten von zwei Kanonen, nicht weit
vom eisernen Thore hinter dem sächsischen Palaste, war glücklich in
schneller Ueberraschung, hieb den größten Theil der Leute nieder,
vernagelte die Kanonen und bald lief das Feuer durch die ganze Stadt.
Die Russen waren sogleich auf ihren bestimmten Posten, aber Alles war
noch wie in einer fremden Welt und wußte so wenig von der Absicht der
Andern bei dem Lärm, daß russisches und polnisches Militär noch mit
Honneurs vor einander vorüberzogen. Mit vieler Geschicklichkeit hatten
die Polen, welche natürlich die russischen Posten wußten, die
verschiedenen Kommandos abgeschnitten. Nun gab es erst Erklärungen, und
im Kurzen war Alles in Feuer. Die Polen öffneten das Zeughaus und
führten ihre zahlreiche, ziemlich wohlbediente Artillerie heraus, und
fingen an, aus allen Kräften mit derselben zu arbeiten. Bis ungefähr um
zehn Uhr war das Gefecht noch sehr furchtsam von Seiten der Polen, indem
die Populace sich noch scheute, sogleich thätig Parthei zu nehmen. Aber
um diese Stunde hatte man schon einige Officire gefangen, einige Posten
und einige Kanonen genommen, und Alles strömte nun nach dem Zeughause,
um Waffen und Munition zu holen, welche man denn auch an Alle und Jede
mit Vergnügen austheilte. Auch war schon an verschiedenen Orten Munition
aufgeführt. Man stelle sich vor, daß von den Russen nicht mehr als 5500
Mann unter dem Gewehr standen, daß fast eine gleiche Anzahl polnischer
Soldaten und gewiß über 20,000 Bewaffnete aller Art gegen dieselben
fochten, daß die Polen eine Ueberlegenheit in der Menge ihrer guten und
wohlbedienten Artillerie hatten, daß sie überall den Vortheil der
Position in den engen Gassen und allen Plätzen durch genauere Kenntniß
der Lokalität sich zu erwerben wußten, daß sie nicht von Enthusiasmus,
sondern von Wuth hingerissen blind auf den Tod liefen; nehme man dieses
Alles, und man kann fast nach mathematischer Berechnung den Ausgang der
Aktion bestimmen. Einige Bataillons der Unsrigen gingen unstreitig etwas
zu frühe unter dem Kommando des General Novitzky, aus der Stadt, und das
Ganze konnte also deswegen noch weniger einen Vereinigungspunkt
gewinnen. Hätte der General Igelströhm am Donnerstage das ganze
Unternehmen der Polen, alle ihre Vortheile und die ganze augenblickliche
Lage der Seinigen gekannt, ich bin versichert, er würde nicht mit
Hartnäckigkeit die Stadt haben behaupten wollen, da ihm der Rückzug noch
frei stand. Aber Mangel an Kommunikation ließ selbst den kommandirenden
General nur einen Theil der Geschichte übersehen, und diese
Kommunikation war unter den Umständen gar nicht so leicht, als Mancher
wohl glauben dürfte. Es wurden viele Kuriere erschossen oder gefangen,
die von einem Posten zum andern geschickt wurden. Das Gefecht dauerte
mit abwechselndem Glücke, den ganzen Donnerstag fort. Eine offene
Feldschlacht ist, nach dem Zeugniß aller alten Officiere, ein Spielwerk
gegen eine solche Mönchsklepperei, wo der ehrliche Kerl aus dem Winkel
niedergeschossen wird, ohne einen Feind zu sehen. Die Schüsse flogen von
den Ecken, aus den Kellern, aus den Fenstern, über die Mauern, von den
Dächern, und von unten und oben und von allen Seiten und überall war
Tod, und Niemand zeigte sich. Ungefähr siebenzig Kanonen von
verschiedenem Kaliber arbeiteten ohne Aufhören durch die Plätze und
Gassen der Stadt; bald drängten die Russen, bald die Polen. Das
Rikoschet der Kartätschen rasselte grell von einer Mauer zur andern, und
schlug nieder, was die geraden Kugeln nicht fassen konnten. Schon waren
die Straßen mit Leichen gestreut. Man konnte schon deutlich sehen, daß
wir uns unmöglich würden halten können. Die Nacht brach ein, das
Postengefecht dauerte fort. An allen Ecken und Plätzen der Stadt
arbeitete das Geschütz, und das kleine Gewehr machte von allen Quartiren
eine grelle Musik während der Pausen. Die Nacht war furchtbar schön. Der
Himmel schien sie gemacht zu haben, um den Menschen Spielraum zu ihrer
Thorheit zu geben; mit glänzender Ruhe blickte der Mond auf den Wahnsinn
der Elenden herab. Die beiden Abende werden lange, vielleicht immer, ihr
Bild in meiner Seele lassen; es ist groß und schrecklich. Der ferne und
nahe Donner der Stücke, der sich fürchterlich dumpf durch die Straßen
brach, das Gekletter der kleinen Gewehre, der hohle Ton der
Lärmtrommeln, der Todtenlaut der Sturmglocken, das Pfeifen der Kugeln,
das Heulen der Hunde, das Hurrahgeschrei der Revolutionäre, das Klirren
ihrer Säbel, das matte Aechzen der Verwundeten und Sterbenden; nehmen
Sie dieses Alles in der tiefen, hellen, herrlichen Mitternacht, und
vollenden Sie das Gemälde nach Ihrem eigenen Gefühl! Ich vergaß unter
der Größe des meinigen der Gefahr und freute mich einige Augenblicke,
bei der schaurigen Scene gegenwärtig zu seyn. Schon den Donnerstag
Nachmittag waren die Polen in das Hintertheil des Igelströhmischen
Palastes, wo der Ingenieurgeneral von Suchteln stand, einmal
eingedrungen, und hatten aus demselben alle Hofzimmer, unter denen die
Gesandtschaftskanzlei war, mit ihren Kugelbüchsen zerschossen; wurden
aber nach einer Stunde wieder daraus vertrieben. Von allen Seiten wurde
der Palast gedrängt, und schon gegen fünf Uhr Abends das hintere Thor,
welches die Polen mit Gewalt zu erbrechen suchten, verrammelt, und der
Thorweg mit todten Pferden gesperrt. Zu verwundern war es, daß nichts
Feuer fing, indem das Schießen von beiden Seiten so heftig war, daß man
vor Dampfe keine Hand breit im Hofe sehen konnte. In der Nacht selbst
gab der General die Hoffnung auf, sich länger halten zu können. Die Zeit
eines glücklichen Rückzugs war verstrichen, und nun dachte man blos auf
Rettung. Der General schickte verschiedene Officiere als Kuriere zu dem
damaligen Brigadier Mokronowsky, der an der Spitze der Revolutionäre
stand, um wegen des Auszugs zu verhandeln; aber keiner kam zurück; und
wenn man auch dieses Verfahren der Polen mit der allgemeinen Verwirrung
entschuldigen wollte, da man ihnen durch die Wuth des Pöbels keinen
sichern Rückweg schaffen konnte, so ist doch das folgende Benehmen der
Herren, die durchaus mit ihren Kanonen Gerechtigkeit predigen wollten,
sonderbar genug, indem man alle diese Officiere, unter welchen selbst
der Brigadier Bauer sich befand, hernach als Kriegsgefangene behielt, da
sie doch auf Treu und Glauben mit Trompetern gekommen waren; eine von
den vielen Inkonsequenzen, die man in der Geschichte findet! Der General
Igelströhm schaffte sich endlich mit ungefähr vierhundert Mann, nachdem
er sich im engsten Gedränge noch bis den Freitag Nachmittag geschlagen
hatte, mit Gewalt nach der Seite von Povonsk einen Ausweg. Hätten die
Polen Disposition und Entschlossenheit genug gehabt, so wären wenige
Russen durchgekommen, gestehen selbst einige wackere Officiere von den
Unsrigen, die bei der Retirade waren; aber die Russen fochten wie
Russen. Die Grenadiere wiesen jeden Vorschlag und Zuruf, sich zu
ergeben, mit Verachtung zurück, und sagten: »ihre Bajonette würden ihnen
schon Durchgang verschaffen.« Auch schleppten sich wirklich schwer
Verwundete unter dem heftigsten Feuer von allen Seiten bis vor die Stadt
hinaus, wo sodann die herbeieilenden Preußen ihren Rückzug deckten. Ich
hatte das Unglück, da ich eben einen schwerverwundeten Kameraden, den
ich schon einigemal besucht hatte, auf noch einige Augenblicke sehen
wollte, in der Eile zurückgelassen, abgeschnitten, von einem Orte zum
andern getrieben und endlich gefangen zu werden. Was seit der Zeit im
Felde vorgegangen ist, kann ich nicht als Augenzeuge, sondern nur durch
Nachrichten und aus der Wirkung wissen, die es auf Warschau hatte; und
auch dieses nur unzulänglich, da unsere Gefangenschaft so enge war, daß
wir Kriminalverbrechern ziemlich ähnlich sahen.

»Den Freitag Nachmittag hatte sich also der General Igelströhm mit den
einigen Hunderten, die er noch zusammenziehen konnte, durchgeschlagen
und sich mit den Preußen vereinigt. Die Zurückgebliebenen wurden
meistens niedergemacht, wenn sie nicht so glücklich waren, einem
vernünftigen Militär oder sonst menschlichen Menschen in die Hände zu
fallen. Ich verbarg mich im Hotel des Grafen Borch, wo mein verwundeter
Freund lag, in welches ich, als ich zu den Unsrigen retiriren wollte,
von einer Partei zurückgetrieben wurde. Das Gemetzel fing nun erst an
recht wüthend und grausam zu werden, da die Polen nun entschieden
überall das Uebergewicht hatten, und der bewaffnete Pöbel selten Gefühl
für Menschlichkeit hat; und das Schießen dauerte, wiewohl nicht so stark
als gestern und heute Vormittag, durch die ganze Stadt fort, bis
ohngefähr um Mitternacht, wo sodann nur unterbrochen aus kleinem Gewehr
gefeuert wurde. Den Sonnabend früh fing es in einzelnen Parteien, wo
sich noch die Feinde trafen, zuweilen hartnäckig wieder an, indem sich
einige Rotten Russen wie Verzweifelte wehrten; hörte aber gegen den
Mittag ganz auf. Denn jetzt wurde zur Ruhe geschlagen und geblasen; und
hier muß ich gestehen, so groß vorher das Geschrei, der Lärm, das wilde
Geschieße und verworrene Geheul bei Morden und Plündern gewesen war, so
schnell war nun alles stille; es fiel kein Schuß, kein Schlag mehr. Ich
war so glücklich gewesen, vor der Wuth der besoffenen Parteien mich
verborgen zu halten, indem ich wirklich in den Todesstunden, wo keiner
der Unsrigen, als nur Erschlagene und Halbtodte, mehr zu sehen war,
meine Retirade hinter ein großes Bollwerk alter Fässer auf einem der
obersten Böden nahm. Unzählige Parteien zogen zu Mord und Raube unter
und neben mir hin, rekognoscirten glücklich umsonst alle Schlupfwinkel
um mich her, und zogen mit dem tröstlichen Fluche fürbaß: »Verdammt,
hier sind keine Russen.« Sie sehen, lieber Freund, daß ich sehr
offenherzig erzähle, da Niemand um die Geschichte weiß, als ich selbst;
denn daß ich die Nacht vom Charfreitag zum heiligen Sonnabend hinter
einer Batterie Tonnen auf einem der höchsten Böden Warschaus über Welt
und Menschen und ihre und meine Narrheit philosophirte, wird man wohl
schwerlich unter die Heldenthaten rechnen.

»Nachdem ich einmal das Unglück gehabt hatte, zurück zu bleiben; und wer
damals zurückblieb, den konnte man eben nicht geradezu der Poltronerie
zeihen; nachdem ich mich ferner ziemlich mathematisch überzeugt hatte,
daß ich allein wohl schwerlich Warschau behaupten würde, so fing ich
^omnibus modis^ an darauf zu denken, wie ich nun meinen Hirnschädel
endlich sichern wollte; und der Himmel war so gnädig mich zu schützen.
Der fürchterlichste Augenblick meines Lebens war den Sonnabend Morgens,
als das Gefecht in einzelnen kleinen Partien wieder anfing. Es hatten
sich nämlich noch einige von unsern Soldaten, mit mehreren Bedienten,
Weibern und Kindern von der Ambassade auf einen Boden des andern Flügels
retirirt, den von mir nur eine dünne Bretterwand schied. Eine starke
Partei vermuthlich von gestern, oder schon wieder heute besoffener
Polen, drangen auf den Boden, und die russischen Soldaten wollten den
Angriff zurücktreiben. Das Gefecht fing also oben an. Stellen Sie sich
vor, auf einem Obergebäude das Krachen der Schüsse, das Geklirr der
Gewehre, das wüthende unartikulirte Gebrülle der Polen, das Geschrei der
Russen, das Kreischen der Weiber und Kinder in der Todesangst; es ist
doch etwas ganz anders, als wenn man dergleichen nachgemacht auf dem
Theater sieht und hört. Ich selbst war für mich in diesem Momente in
Sicherheit: aber mein Gefühl ergriff mich mächtig; ich bebte, ich fühlte
Kälte durch meine Glieder fahren, die Haare starrten unter dem Hute; ich
glaube, es war selbst Todesangst: es war eine unnennbare schreckliche
Empfindung, die ich in meinem Leben weder vorher noch nachher gehabt
habe. Mir war diese Erfahrung Bestätigung einer Meinung, die ich immer
gehabt habe: um das Gefühl eines Mannes zu seiner Höhe zu treiben,
gehört nothwendig die ganze Macht der Sympathie: Zufälle seiner eigenen
abgesonderten Individualität reißen ihn nie so sehr außer sich, daß er
sein Gleichgewicht verlöre, oder er verdient nicht mehr, daß man ihn
Mann nenne. Ich hatte während der ganzen Zeit meiner Kryptomilitärschaft
hinter den Tonnen meinen Degen in der Faust, um ihn an vernünftige Leute
mit Anstand abzugeben, oder ehrlich in der Arbeit zu sterben, wenn mich
eine Rotte Bedlamisten entdeckte; ein ^Tertium^ war schwerlich denkbar.
Ich hatte seit Mittwoch Abend nichts als einige Bissen Konfekt gegessen,
die mir ein Soldat vom Raube reichte, und einigemal einen Trunk Wasser
getrunken; Sie können also leicht denken, daß mich den Sonnabend früh
Hunger und Durst plagte. Ich rekognoscire von oben herab die Straße, als
sich der Lärm etwas zu legen anfing; aber alles war noch voll Verwüstung
und Verwirrung. In dem Hofe des Palastes waren zum wenigsten noch einige
Hunderte bunten Gesindels aller Art, mit Waffen aller Art, schrieen
Sprachen aller Art durch einander: und nur zuweilen brach mit
unaufhaltbarer Gewalt der Jubel: »Freiheit und Kosciusko!« durch den
Haufen. Ganz matt warf ich mich auf den Boden und schlief recht ruhig
ungefähr eine Stunde, als mich der hohle Lärm von Fußtritten und das
Stampfen der Gewehrkolben weckte: ich fuhr auf, und setzte mich wieder
in meine alte Positur; aber auch diese Gesellschaft ging fluchend
vorüber, ohne mich zu wittern. Ich wartete noch eine Weile; Hunger und
Durst fingen von neuem an gewaltig zu werden; ich häsitirte noch etwas,
denn wer häsitirt nicht ein wenig, ehe er den Fuß rückt, wenn der
Schritt den Kopf gilt? auch wenn er ziemlich hungrig und durstig ist.
Nach kurzer Ueberlegung ließ ich den Degen liegen, riß die Kordons vom
Hute, warf Feldzeichen und Feder weg, und marschirte so entschlossenen
Muthes, da ich zum Glück nur einen blauen Ueberrock an hatte, durch das
Getümmel. Zwei Schildwachen standen am Eingange des Hauses, vier am
Thore; Niemand bemerkte mich, unter der Verwirrung. Alle Strassen lagen
voll todter Pferde, Sättel, Mäntel, Monturen, Kasken und Exuvien aller
Art; die Kadaver der Gebliebenen hatte man gleich des Morgens gesammelt,
und in den verschiedenen Gegenden der Stadt in Haufen gestapelt, um sie
zu zählen, und von da sie zu begraben, oder in die Weichsel zu werfen.
Mich däucht, in der Geschichte mehr Beispiele gelesen zu haben, daß man
bei Warschau die Todten in die Weichsel warf. So philosophisch man auch
denken mag, empört ein solches Verfahren doch immer das Menschengefühl.
Ehemals sah man es als etwas Charakteristisches der alten Barbarei an,
und jetzt kann es ein Beispiel seyn, daß unser Jahrhundert sich von
derselben bei weitem noch nicht völlig losgemacht hat. Alles fand ich
auf der Straße: die Revolutionären mit noch blutigen Waffen unter
Hurrahrufen, die andern als Neugierige und nicht wenige zeigten sich, zu
ihrer eigenen Sicherheit; indem niemand sicher war, der nicht wenigstens
an der Freude äußerlich Theil nahm. Pistolen und bloße Säbel waren in
Aller Händen; und ich habe selbst Männer wandeln gesehen, die zwei Paar
Pistolen im Gürtel trugen, in der einen Hand den Säbel hatten, und am
andern Arm eine Dame führten. Sie können sich leicht vorstellen, daß
meine Promenade keine der angenehmsten war; ich durchwandelte, ohne
geflissentlich viel Notiz zu nehmen, einige Gassen. Das Haus des General
Igelströhms war ganz zerstört, es stand nur das Gerippe davon da; in
denjenigen einiger andern Russen hatte man nicht viel glimpflicher
gehaußt. Mein erster bestimmter Gang war zu dem sächsischen Major Herrn
von Geßnitz, bei dem ich als einem Landsmanne mir die erste Nachricht
von dem Ausgange und der Lage der Sachen holen wollte, da ich selbst
weiter nichts wissen konnte, als daß die Unsrigen fort waren. Der Major
kam mir mit weit größerer Angst entgegen, als ich selbst hatte, und bat
mich um Gotteswillen, nicht in sein Haus zu kommen. Dem Vater einer
Familie mußte dieses Gefühl natürlich seyn; ich versicherte ihn, daß ich
durchaus nicht meine Sicherheit auf Kosten der seinigen erkaufen wollte,
auch wenn man mich vor seiner Schwelle niederhauen sollte. Er konnte
oder wollte nicht viel sprechen, und schien meine augenblickliche
Entfernung zu wünschen. Auf seinen Rath sollte ich nach dem Rathhause in
der Altstadt zu dem erwählten Präsidenten Sakreczewsky gehen, und mich
zum Arrest melden. Unwillkührlich marschirte ich von ihm fort durch den
Sächsischen Hof, um einen andern Freund, den Doktor Blauberg,
aufzusuchen, der als Arzt doch nicht mit bei der Schlächterei gewesen
seyn konnte. Hier erschien ich als ein Gespenst: denn ich sollte mit
Gewalt den vorigen Tag nicht weit von dem Hause gefallen seyn, und die
Bedienten hatten noch die Identität meines Kadavers nach genauer
Besichtigung behauptet. Kaum wollte man mir glauben, daß ich selbst das
Gegentheil versicherte. Den Doktor selbst hatte man eine halbe Stunde
vorher als den Russen anhängig abgeholt, und sein alter Schwiegervater
bat mich inständig, ihn nicht in Gefahr zu setzen. Er bot mir Säbel und
Pistolen an, damit ich unter der Maske eines Revolutionärs sicher in das
Arsenal kommen könnte. Ich liebe nie die Maske; ich dankte ihm, und
wandelte voll Verdruß einige Gassen auf und ab. Der Mann meinte es gut;
er war selbst Pole, und konnte nichts anders thun, wir waren beide in
Verlegenheit. Ich kam unvermerkt wieder in den sächsischen Garten, und
hielt hier, auf dem besten Spaziergange in Warschau, mit mir selbst
Kriegsrath, was ich wohl mit meinem Kopfe anfangen sollte. Alle Ausgänge
waren besetzt, die Gegend wimmelte von Truppen und wilden
Revolutionären; und vor der Stadt, sagte man mir im Hause des Doktors,
wird alles niedergehauen, was man auffängt. Noch unentschlossen was ich
thun sollte, war ich in Gedanken in die Krakauer Vorstadt gekommen, und
hier hielt das Schalinskische Regiment mit seinen Kanonen. Einige
Officiere sprachen französisch, und plötzlich fiel mir ein, es wäre am
besten, ich bliebe hier; und sogleich war ich bei ihnen. »Meine Herren,«
sagte ich, »ich bin ein russischer Officir, bei Ihnen kann ich
hoffentlich sicher seyn.« Sie sahen mich voll Verwunderung an, und
mir selbst war es nun unbegreiflich, wie ich, da ich doch
Uniform-Unterkleider trug, und der Hut mit Knopf und Litze noch ganz
militärisch aussah, durch das wüthige Gewimmel gekommen war. Meine erste
Bitte war um etwas Trinken, und sie ließen sogleich aus der nahen
Apotheke etwas Zimmetwasser holen, welches, mir mit einem Stücke
Kommißbrot auf der Kanone recht köstlich schmeckte. Die Officiere waren
sehr höflich und artig, und fragten und sagten manches über die
Begebenheit; einige davon erinnerten sich nun, mich in der Uniform
gesehen zu haben. Sogleich versammelten sich um uns her einige Dutzend
von der Populace, und fragten mit grimmigen Blicken, ob ich kein Russe
wäre? da ihnen aber ein Officier sagte, ich sei ein Franzose, und sie
mich französisch sprechen hörten, gingen sie halb mißtrauisch weiter.
»Sie haben uns viel, sehr viel zu schaffen gemacht,« sagte mir sodann
ein Officir, welcher deutsch sprach; »unser Regiment hat 250 Mann
Verlust; aber wie konnte Ihr General die Stadt gegen unser Militär,
unsere starke Artillerie, unsere ganze bewaffnete Bürgerschaft, gegen
alle unsere Vortheile, die uns Lokalkenntniß gab, behaupten wollen?
Wahrlich die Idee war gigantisch.« Ich sagte ihm, daß man Vorfälle nicht
immer vorher sehen könne, und daß keiner gewinnen würde, wenn sich der
Andere nicht verrechnete. Alle waren sehr artig; und zwei von ihnen
begleiteten mich nach dem königlichen Schloß, wo mich Mokronowsky, der
eben dort war, auf die Hauptwache bringen ließ. -- -- --

Als ich den Sonnabend Nachmittag im Schlosse anlangte, hatte man eben
vor dem Schloßthore noch einige Russen niedergehauen, die die Wache
nicht retten konnte. Nun fing die Ungezähmtheit und Gesetzlosigkeit an,
ihre Kräfte zu zeigen. Alles trug Waffen; und nur sehr wenige hatten
Vernunft genug, um zu sehen, was weiter geschehen würde. Es führte zu
blos Haß, Wuth und Wahnsinn; und um die Grausamkeiten zu beschönigen,
erdichtete man die lächerlichsten Beschuldigungen. Leicht ist es, die
Rache des Pöbels zu reizen, aber sehr schwer, sie zu besänftigen. Man
sprach von Freiheit, und Niemand hatte davon einen Begriff; alles war
zügellos, und bei der geringsten Veranlassung drohete man, alle
Gefangene ohne Unterschied zu morden. Die einstweilige Regierung wandte
zwar alles an, um wieder Ordnung herzustellen; aber folgendes Beispiel
zeigt, wie schwach das Ruder gegen den Sturm war. Bei einer kleinen
nichtswürdigen Veranlassung wurden den ersten Osterfeiertag achtzig
russische Gefangene niedergemetzelt. Ich habe die Geschichte mit den
Umständen von einem Polen, der Augenzeuge des schändlichen Schauspiels
gewesen ist, der zuvor nichts weniger als russischer Partisan war, aber
nach und nach, durch wilde Unordnung und dergleichen Unmenschkeiten
getrieben, selbst in der größten Gefahr fast immer für uns war. Obige
Anzahl Gefangener sollte von einem Orte zum andern gebracht werden.
Alles geht, natürlich voll Neugierde, bewaffnet vor, neben und hinter
ihnen her, um recht nach Herzenslust spotten und schimpfen zu können,
welches jederzeit das Vergnügen des Pöbels jeder Art ist. Ein kleiner
giftiger Junge, dem vermuthlich die Physiognomie eines der Gefangenen
zuwider war, oder der von ihm auf seine Spottfragen eine nicht genug
demüthige Antwort erhalten hatte, schießt mit der Pistole nach ihm,
trifft aber zum Unglück einen dabei kommandirten Officir durch den Arm,
und hatte die listige Bosheit, die Pistole dem Gefangenen unter die Füße
zu werfen, und zu sagen: dieser habe sie ihm aus dem Gürtel gerissen,
und nach dem Officir geschossen. Alles ward wüthend, schrie Halt! und
wollte sogleich über die Gefangenen herfallen. Die Menge wuchs, man
führte schon Kanonen mit Kartätschen herbei, und kein Ansehen einiger
herbeigeeilten Magistratspersonen half etwas. Die Gefangenen fielen auf
die Knie, baten flehend und mit gefalteten Händen, man möchte
untersuchen, und den Schuldigen tödten; nichts, man drohete, alle
Gefangene in allen Gefängnissen zu ermorden, wenn man ihnen nicht diese
Preis geben wollte. Die Krise war schrecklich: das Militärkommando nicht
stark genug, den bewaffneten Pöbel zu zähmen; er fiel mit dem Säbel über
die armen Elenden her, und metzelte sie mehr als schlächtermäßig alle
nieder. Leute, die zugegen gewesen sind, können das Gräßliche des
Anblicks nicht genug beschreiben, wie die noch zuckenden rauchenden
Glieder der Zerstümmelten in einem kleinen Raum auf der Methstraße umher
gelegen haben. Das ist Volkswuth. Gesetzt auch, welches doch selbst
Polen als nicht wahr eingestehen, daß der Gefangene die Pistole im Grimm
ergriffen habe, so konnten doch nur Unmenschen deswegen so viele
Unschuldige niederhauen. Dieses war einer der kritischen Augenblicke für
die Gefangenen; und der Major Wengersky, der durch seinen Volkston viel
Ansehen und Gewalt über die bewaffnete Menge hatte, sagte nachher zu
uns: »Kinder, dieser Sturm war gestillt; gebe Gott, daß er nicht von
neuem ausbreche. Seyn Sie um Gottes Willen ruhig und vorsichtig; denn in
dieser Lage kann man für nichts stehen.« In der Schloßwache waren
ohngefähr sechzehn gefangene Officiere von den Unsrigen, die meisten
verwundet, und einige sehr schwer. Hier wurden wir aus des Königs Küche
gespeist, und man begegnete uns mit vieler Artigkeit. Nach vierzehn
Tagen wurden die Kranken in das Spital, und wir übrigen in das
Kommissionshaus gebracht, wo wir mehrere unserer Kameraden vorfanden.
Hier trat die neuerwählte Kommission ihre Funktion förmlich an, und wir
gewannen täglich mehr das Ansehen von Kriminalisten. Kaum hatten wir
Stroh zum Schlafen; zum Essen nicht Messer und Gabel; und erst nach
einigen Wochen ließ man sich bedeuten, daß wohl schwerlich ein Officier
über Tische mit einer Gabel sich oder seine Wache tödten würde. Man fing
an uns Messer und Gabel, jedoch nur bei Tische, zu erlauben, und
jedesmal standen bei dem Essen doppelte Posten mit bloßem Säbel, oder
gespanntem Hahn. Bier wollte man anfangs nicht zulassen, aber an
Branntewein fehlte es nie, welches mir gewaltig inkonsequent däuchte.
Bücher sollten gar nicht, und noch weniger Schreibmaterialien erlaubt
werden, so daß sogar ein Arzt sein anatomisches Kompendium verstecken
mußte, das er noch durch Zufall gerettet hatte. Hernach wurde man
humaner, und endlich hatte Herr Sablotzky von der Kommission sogar
selbst die Güte, mir einen beträchtlichen Vorrath Papiere zuzustellen,
weil er wußte, daß ich ein Poetaster war, und die Poeten sich um
politische Intriguen sehr selten bekümmern. Die zweite Krise war vor dem
Tage der Hinrichtung der Herren Ozarowsky, Ankewicz, Kossakowsky und
Sabiello. Ankewicz, gewesener Präsident des Conseil permanent, hatte,
sagt man, einen falschen Lärm veranstalten lassen, als ob die Russen und
Preußen zurückkämen, um die Stadt anzugreifen; bei dieser Gelegenheit
sollte dann seine Partei die Gefangenen befreien und so vereinigt
versuchen, ob für ihn und sie nicht Rettung möglich wäre. Alles stürmte
nach dem Arsenale; es wurden Kanonen vorgefahren, es fielen hin und
wieder Schüsse, und kein Gefangener durfte es wagen, sich am Fenster zu
zeigen, so drohete man abzudrücken. Man fand den Lärm bald falsch; aber
alles war deswegen in der entsetzlichsten Gährung. Dieses war ein
Donnerstag; den Freitag wurden schnell die Dekrete für die Obenbenannten
abgefaßt, und sie wurden hingerichtet. Noch immer droheten unvernünftige
und wahnsinnige Schwärmer den Gefangenen den Untergang, und die Strenge
gegen sie ließ nicht nach. Man erlaubte kein Licht und keine Bücher,
aber wohl Brantewein und Karten; eine Maßregel, die mir ganz abderitisch
vorkam; denn wirklich waren unter einer Menge junger Leute, die auch
nicht alle die feinste Bildung hatten, über dem Spiele Rausch und
heftiger lärmender Zank nicht selten. Einige Tage nachher hatten einige
Officiere von Distinktion für mich die Erlaubniß erhalten, daß ich in
den sogenannten Brühlschen Palast gebracht wurde, wo ehemals Repnin und
Stakelberg gewohnt hatten, und wo alle Ausgezeichnete unter den
Russischen Gefangenen und das ganze ^Corps diplomatique^ saßen. Alle
waren bis auf das letzte Hemde ausgeplündert; eine Methode, die sich
doch wahrlich nicht mit der gepriesenen Menschlichkeit der Revolutionäre
vertrug! Noch einige Monate nach der Periode machte der Graf Moschinsky
dem General Suchteln ein Geschenk mit einem Hute, weil er beständig
hatte müssen mit bloßem Kopfe gehen. Man erlaubte selbst keinem
Officiere, das Geld zu empfangen, das ihm von seinen Verwandten von
außen her zur Erleichterung ihres Zustandes zugeschickt wurde, sondern
zählte es ihnen nach und nach in Dukaten zu, daß sie sich kaum einzelne
Kleidungsstücke machen lassen konnten. Dieses ist zu entschuldigen, da
die traurigen Verhältnisse es nothwendig machten; daß man aber die
Officiere wie Missethäter auf der Erde liegen ließ, daß man ihnen nicht
einmal eine breterne Bettstelle, lange Zeit nicht einmal einen groben
Strohsack, und nur höchst wenig erbärmliches Stroh zum Lager gab, ist
wohl unter gesitteten Völkern ohne Beispiel. Man ließ uns nicht in die
Stadt gehen aus Besorgniß vor der Wuth des Pöbels, und daß die
Besorgnisse nicht ungegründet waren, beweist der fürchterliche Aufstand,
in welchem der Fürst-Bischof Massalsky, der Fürst Czetwertinsky, der
Geheimerath Boskamp, der Kriminalgerichtsassessor Wulfers und mehre
andere ihre Opfer wurden. Zwar muß ich selbst hier der Populace die
Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie, als sie die Thore mit Gewalt
gesprengt hatten, gegen die Kriegsgefangenen nicht das Geringste weder
sprachen noch thaten, sondern einigen Erschrockenen und Weibern vielmehr
Muth einredeten, und, wie sie sagten, nur die Verräther, ihre
Landsleute, zum Galgen schleppen wollten. Allein wer kann einer
wüthenden Menge trauen? Nur ein Funke ist genug, ein ganz neues Feuer
anzublasen.

»Der Feind rückte heran; die polnischen Truppen unter Kosciusko waren
auf ihrer Retirade nicht weit mehr von Warschau. Die Gefängnisse waren
voll Staatsgefangener, welches eine starke Wache forderte. Der Dienst in
den Schanzen war natürlich sehr strenge und lästig; die Arbeit
beschwerlich. Sogleich machen einige Hitzköpfe das Projekt, die
gefangenen Polen, die alle den Tod verdient hätten, oder doch die
Vornehmsten de facto hinrichten zu lassen. Man richtete des Nachts an
zwölf verschiedenen Orten Galgen auf und auch vor dem Thore des
Brühlschen Palastes ward unter einer Menge Fackeln und dem lautesten
Vivatrufen so ein Instrument des Volksgerichts aufgepflanzt. Die
Kommission ließ mit Anbruch des Tages manche niederreißen, und auch den
vor unserer Pforte; aber kaum erfuhr es die erbitterte Menge, so kam sie
mit großer Verstärkung unter den Waffen, und richtete ihn unter dem
gräßlichsten Lärm wieder auf. Einige Delinquenten hatten wirklich
Sentenz, und sollten diesen Tag gehangen werden; aber man stürmte alle
Gefängnisse und führte mit Gewalt heraus, wen man bestimmt hatte. Der
Fürst Bischof wurde unter unserm Fenster dicht an dem Thore in
Pontifikalibus gehangen, die übrigen schleppte man an verschiedene Orte,
und oft von einem Galgen zum andern, wenn der eine schon besetzt war.
Verschiedene von den polnischen Officieren, die bei diesem Tumulte
Ordnung schaffen wollten, wurden verwundet. Die Krise ließ das
Schlimmste befürchten. Zum Glück rückte Kosciusko nach dem Verlust des
Treffens bei Cezechoczin mit der Armee immer näher nach der Stadt, und
schickte sogleich einige tausend Mann Kavallerie herein, welche die
Ordnung wieder herstellen half. Auf den offenen Plätzen wurden Piquets
mit Kanonen aufgestellt, und gegen die Ruhestörer mit Strenge verfahren;
so daß einige Tage nachher einige Tausend müßige Taugenichtse als
Rekruten zur Armee geschickt wurden.

»Die Belagerung der Stadt von den Preußen fing an; und während der
ganzen Zeit war die Stadt selbst in der größten Ruhe. Man begegnete nun
den Gefangenen, so viel als man in der Lage erwarten konnte, mit Achtung
und Anstand, ob man gleich natürlich von der Strenge nichts nachlassen
konnte.« -- --

Die Preußen hatten Warschau zwar belagert, aber nicht genommen. Suwarow
verstand das Ding besser, erschien, nahm, zog siegend in die Stadt ein
und befreite die russischen Gefangenen.

Seume's Freunde in Leipzig hielten ihn als ein Opfer der revolutionären
Wuth für verloren; aber wie wurden sie überrascht, und nicht wenig
erfreut, als er gerettet und wohlbehalten wieder vor ihnen stand! Er kam
auf Befehl der russischen Kaiserin nach Sachsen, als Begleiter und
Beistand des jungen Majors Muromzow, Sohn des Obersten, der bei
Katharina viel gegolten hatte, und auf dem Schlachtfelde schwer
verwundet liegend in polnische Gefangenschaft gerathen war. Der
Jüngling, welcher durch die Brust geschossen war, suchte Heilung und
wurde durch den vortrefflichen Eckhold in Leipzig völlig hergestellt.
Diese Sendung war ehrenvoll für Seume, und er konnte nun mit Sicherheit
darauf rechnen, im russischen Dienst bald einen bedeutenden Posten zu
erhalten, als am 27sten November 1796 der Tod die große Monarchin von
der Erde wegnahm und Seume's schöne Hoffnungen auf einmal wieder
vernichtete. In einer gehaltvollen Schrift: »Ueber das Leben und den
Charakter der Kaiserin von Rußland Katharina II.,« die im Anfange des
Jahres 1797 in Leipzig erschien, hat Seume den Charakter und die Thaten
seiner Gönnerin kurz, unparteiisch, würdig und meisterhaft geschildert.
Wer ihn für einen unruhigen, mit den Maßregeln aller monarchischen
Regierung unzufriedenen Menschen gehalten hat, der wird nach Lesung
jener Schrift eine andere Meinung von ihm bekommen, und die Gründe wie
den Zusammenhang seiner politischen Meinungen erst recht beurtheilen
können.

Paul I. bestieg nun den russischen Thron. Seine Maximen und Beschlüsse
haben Vielen wehe gethan, auch Seume litt darunter. Alle russische
Officiere im Auslande wurden strenge zurück berufen, und die nicht
gleich kamen, wurden auf der Liste ausgestrichen. Seume war auf Befehl
Katharinens in Leipzig; sein Geschäft war ohne seine Schuld noch nicht
vollendet; denn Eckholds Kunst und die Heilung der Natur richtete sich
nicht nach einem kaiserlichen Ukas; demohngeachtet strich man auch ihn
aus. Aber Seume war nicht weniger ein harter Kopf als Paul I. Er schrieb
und protestirte so lange und so nachdrücklich, bis man ihn einen
ehrenvollen Abschied sandte, und zugleich die Erlaubniß ertheilte,
wieder zum Dienst zurückkommen zu können. Auf diese Erlaubniß leistete
aber der Lieutenant Verzicht, wohl einsehend, daß seine Art und Weise
mit Pauls I. Art und Weise gar nicht verträglich war, und blieb frei und
unabhängig in Sachsen. Der Charakter des Kaisers ist übertrieben
getadelt; Seume hat ihn in mancher Rücksicht gerechtfertigt und
richtiger beurtheilt in einer Schrift, die unter dem Titel: »Zwei Briefe
über die neuesten Veränderungen in Rußland,« 1797 herausgekommen ist,
und manche noch jetzt interessante Nachrichten über die Organisation und
die treffliche Kleidung des russischen Militärs enthalten, wodurch man
geneigt werden kann zu glauben, daß andere Nationen manches davon
nachgeahmt haben. Er lebte jetzt wieder in Leipzig von der
Schulmeisterei -- wie er zu sagen pflegt -- von dem Unterricht im
Englischen und Französischen. Seine Leiden und Freuden waren die
nämlichen, welche überhaupt dem Menschen zu Theil werden, wenn er ein
stark fühlendes Herz und einen gebildeten Geist, wenn er eine Bildung
hat, die kein Gepräge fremder Gewalt ist, sondern aus dem eignen Geiste
durch die von Gott mitgetheilte Kunst entstand.

Ich würde gesagt haben, er habe von jetzt an das Privatleben erwählt,
wenn man also ein Leben nennen könnte, welches angewendet wird, für das
Beste der ganzen Menschheit zu wirken. Er suchte keine Militärstelle,
weil nach seiner Meinung das deutsche Militär nicht für das stritt, was
er für das Beste hielt, und weil er auswärtigen Kriegern nicht helfen
wollte, Deutschland einst, wie er voraussah, den Folgen des Krieges
auszusetzen. Er suchte kein Amt -- in einem Amte durfte er das nicht
öffentlich sagen, was er mündlich und schriftlich sagen wollte -- und er
brauchte kein Amt; denn der Unterhalt für ihn, der so wenig bedurfte,
war leicht zu gewinnen, und an Erheiterung konnte es ihm nicht fehlen,
weil ihm jedes gute Haus, jedes edle Herz offen stand, und er den
feinsten Sinn für wahre Geselligkeit hatte.

Der Buchhändler Göschen, welcher damals einige schöne Ausgaben deutscher
klassischer Schriftsteller druckte, bat Seume zu ihm nach Grimma zu
kommen, und die Revision der Handschriften des Drucks zu übernehmen. Er
nahm die Einladung an, arbeitete mit Liebe und Treue, und lebte hier in
der reizenden Natur, in den Bergen und Schluchten, an den lieblichen
Ufern der Mulde. Im Jahre 1780 gab er bei einem andern Buchhändler seine
Gedichte heraus. Sein Umgang waren einige gebildete Familien jener
Gegend, und einige Jünglinge, welche er durch Lehren und Beispiele
bildete, zur Entbehrung und Ertragung gewöhnte. War der Winterabend
recht unangenehm, so stand er bei anbrechender Nacht von seiner Arbeit
auf, ging noch zu diesem oder jenem Freunde auf dem Lande, und gebot dem
Zögling, in einer Stunde ganz allein nachzukommen. Hatten sie dann
wieder ausgeruhet, so wandelten sie in dicker Finsterniß durch
Schneegestöber und Sturm, durch Hügel, Berge und Hohlwege nach Grimma
zurück. Es wurde auch wohl zu Mittage beim allerschlechtesten Wetter des
Monats December ein Spaziergang von sechs tüchtigen Stunden nach Leipzig
beschlossen, um dort in das Schauspiel zu gehen, welches um sechs Uhr
Abends anfängt. War das Stück geendigt und eine warme Suppe gegessen, so
ging die Reise unaufhaltsam gleich zurück, und der Mentor und sein
Zögling kamen bald nach Mitternacht wieder in ihrer Wohnung an. Nicht
allein die Härte des Winters, sondern auch die Hitze und die Gefahr des
Sommers sollte die Jugend ertragen lernen. Ein Freund lebte allein auf
dem Lande und litt viel von dem Einfluß der Gewitter auf seinen Körper.
In einer schrecklichen Mitternacht flogen Blitze auf Blitze vom Himmel
und ein Donnerschlag unterbrach den andern; da dachte Seume an seinen
Freund, machte sich stracks mit seinem Zögling auf, und erschien bei dem
Leidenden als ein freundlicher Engel in der gefährlichen Nacht. Einer
dieser Zöglinge, welcher jetzt in Wien ein geschickter Tonkünstler ist,
hatte eine sehr zarte weichliche Natur; demohngeachtet wurde diese
vermittelst jener Uebungen so gestärkt, daß er den letzten Feldzug der
Oesterreicher gegen die Franzosen, ohne sich zu schonen, tapfer
mitgemacht und die größten Fatiguen glücklich ausgehalten hat. Die
Jünglinge wurden durch diese strenge Erziehungsart zwar hart, aber nicht
rauh, stark, aber nicht wild; sie blieben in ihrem Innern sanft, und
fähig des schönen Genusses der stillen häuslichen Freuden, welche auch
ihr Lehrer so gern und so innig genoß. Wenn seine Freunde ein
Familienfest feierten, so durfte Seume nicht fehlen und sie haben ihn da
recht herzlich froh gesehen. Es sind noch viele Gedichte vorhanden,
worin er jenen glücklichen Stunden ein Monument gesetzt hat, die jetzt
von den Besitzern als heilige Pfänder seiner Freundschaft angesehen
werden. Eins bei dem Wiegenfeste eines kleinen Mädchens soll hier
abgedruckt werden, weil es so leicht und ungezwungen ist.

                  Für Lottchen zu ihrem neuen Jahre.

   Der Tag
   Mag
   So schauerlich
   Novemberlich sehn,
   Er ist doch nicht traurig;
   Ist schön.
   Das Jahr
   War
   Dem feinen Geschöpfchen
   Mit niedlichen Köpfchen
   Ein Blumenaltar:
   So werde
   Die Erde
   Dem lieblichen Mädchen von Jahr zu Jahr
   Nun Lottchen,
   Du drolliges Bild,
   Du bist ja so wild,
   Lauf bald nun ein drolliges Trottchen
   Kosakisch,
   So schnakisch,
   Wie kaum es der liebe Papa
   In artiger Gruppe
   Der lärmenden Truppe
   Der häuslichen Polterer sah.

Seume's einfache, klare und treuherzige Sprache mit dem Landvolke bewog
Göschen, auf einem ländlichen Spaziergang, ihn aufzumuntern, ein
Sittenbuch für den Stand zu schreiben, den er so gut kannte und den er
liebte. Er schenkte die Handschrift seinem Freunde, dem würdigen Pastor
Schieck in Pomsen, und sie ist, nach dem Tode ihres Verfassers, unter
dem Titel: »Nachlaß moralisch religiösen Inhalts,« gedruckt worden. Für
das Honorar derselben hat ihr ehemaliger Besitzer der Gemeine des Dorfs
Groß-Steinberg eine neue Altar- und Kanzelbekleidung besorgt, zum
Andenken an den edlen Mann, welcher eines Bauern Sohn war.

Es haben sich hier und dort einige Vers- und Reimmeister, welche in der
reinen Kunstform viel geleistet zu haben glauben, mit der Frage
vernehmen lassen: ob Seume auch ein Dichter sey? Besteht das Wesentliche
der Poesie in hohen Gedanken, in tiefem Gefühl des Großen und Schönen,
in Gebilden, welche in der Seele entstehen, und welche die Seele wahr,
lebendig, ergreifend, wohlklingend und melodisch ausspricht, so ist
Seume ein Dichter, ohngeachtet er kein romantisches Gedicht gemacht hat,
sondern nur das poetische Talent zur Unterstützung jener Ideen benutzte,
für welche er seine Nation empfänglich machen wollte. Alle seine für das
Publikum bestimmten Gedichte sind nur Vorübungen und Vorläufer zu einem
großen Lehrgedichte: »Asträa,« welches er nicht ausführen konnte, weil
ihn der Tod zu früh überraschte. Durch Schillers Thalia wurde das
Gedicht an Münchhausen allgemein bekannt. Schnorr las dasselbe und es
riß ihn so hin, daß er nicht eher ruhte, bis er die Bekanntschaft des
Dichters gemacht hatte. Aus dieser Bekanntschaft von den Musen geknüpft
entstand ein Bund der Freundschaft, den zu lösen die Zeit nicht
vermochte. Bei Schnorr, diesem ächten Künstler, wenn, wie Lessing meint,
der Kunstsinn den Künstler macht, bei Schnorr, diesem braven Hausvater,
der eine zahlreiche Familie durch unermüdeten Fleiß und Entsagung aller
erkünstelten Bedürfnisse erhält und trefflich erzieht, bei dem heitern,
durch und durch guten Schnorr aß Seume gewöhnlich des Abends sein
Butterbrod und seine Kartoffeln, trank Wasser, wiegte die Kleinen eins
nach dem andern auf seinem Schooß, und lebte und webte hier in der
Kunst, und in der wahren lieblichen Natur.

Seume hatte Empfänglichkeit für die Reize des schönen Geschlechts: er
war mehrere Mal wirklich verliebt mit der ganzen Stärke und Heftigkeit
seines Gemüths. Ich würde dieses als etwas ganz Gewöhnliches, das den
mehrsten Geschöpfen zu begegnen pflegt, gar nicht erwähnen, noch weniger
bemerken, daß er, wie alle ätherische und kräftige Menschen, den Kopf
dabei ein wenig verloren habe, wenn es nicht auffallend gewesen wäre,
daß die beiden letzten Gegenstände seiner Liebe reiche Mädchen waren. Er
suchte ihren Reichthum nicht, aber da sie reich waren, ließ er sich hier
gehen, und strebte nach einer ehelichen Verbindung mit dem Gegenstand
seiner Liebe, weil, wenn er ein Opfer seiner Ueberzeugung und deren
lauter Verkündigung werden sollte, welches gar nichts Unmögliches war,
die Gattin nicht verlassen von Familie und Vermögen sein möchte. Gewiß
haben mehrere Mädchen Eindruck auf ihn gemacht; aber wenn sie arm waren,
so suchte er gleich Anfangs Herr über ein solche Liebe zu werden, und
ihrer Macht zu entgehen.

Es war überhaupt Plan in seinem Privatleben, wiewohl dieser Plan nicht
in die Augen fiel. Als Göschen ihm die Aufsicht über seine damaligen
typographischen Unternehmungen antrug, antwortete Seume: »Zwei Jahre
will ich bei Ihnen sitzen, dann muß ich mich aber wieder ein wenig
auslaufen. Ich will nach Syrakus.« Mit dem letzten Tage der zwei Jahre,
im Anfange des Decembers 1801, reisete er ab, und nach neun Monaten trat
er an demselben Tage, den er als Ziel seiner Abwesenheit bestimmt hatte,
auch wieder in Göschens ländliche Hütte, zum frohen Erstaunen der ganzen
Familie. Wenige Wochen vor seiner Abreise, am Geburtstage der Mutter
dieser Familie, seiner Freundin, sang er im Garten bei einer sternhellen
Nacht, verkleidet als Einsiedler, folgendes Lied:

   Der Abend gießt, wie Dämmrungstraum,
   Sich friedlich durch den Apfelbaum,
   Und haucht dem Greis am Lebensziel
   Noch Jugendgeist ins Saitenspiel.

   Ich bin dem Sturm der Welt entflohn,
   Und Ruh ist meiner Seele Ton;
   Hoch wogt' ich einst von Pol zu Pol,
   Nun bin ich einsam, still und wohl.

   Ein Silberhaupt, das weise war,
   Sieht tief zurück durch manches Jahr,
   Und sieht aus der Vergangenheit
   Prophetisch den Erfolg der Zeit.

   Es weht mich von der Sternenbahn
   Jetzt himmlische Begeist'rung an:
   Hört, Kinder, hört mit stiller Ruh
   Dem Lied des alten Klausners zu!

      Engelharfen tönen laut
      Durch der Geister Reihn,
      Wo die Tugend Hütten baut,
      Gut und froh zu seyn.
      Gott der Vater schuf die Erde,
      Daß sie uns zum Himmel werde.

      Freundschaft giebt und Liebe nur
      Menschenmajestät;
      Jede Freude der Natur
      Wird durch sie erhöht:
      Ohne diese mag der armen
      Traurigen sich Gott erbarmen.

      Wenn die Mutter zu dem Fest
      Ihre Kinder nimmt,
      Und die Freude jubeln läßt,
      Die im Auge glimmt:
      Welche Zunge könnte sagen,
      Was beredt die Herzen schlagen!

      Schöner als es gestern war,
      Schöner ist es heut;
      Und so bringet jedes Jahr
      Seine Seligkeit.
      Mag die Zeit vorüberfließen,
      Wisse, weise zu genießen.

      Engelharfen tönen laut
      Durch der Geister Reihn,
      Wo die Tugend Hütten baut,
      Gut und froh zu seyn.
      Gott der Vater schuf die Erde,
      Daß sie uns zum Himmel werde.

Während einer Handvoll Tage hatte er die Reise durch Oesterreich,
Italien, Sicilien, die Schweiz, von da einen Abstecher nach Paris, und
von Paris nach Sachsen zu Fuße vollendet. Die Veranlassung zu dieser
Reise war keine andere, als der Wunsch, den klassischen Boden zu
durchwandeln, und in den großen Begebenheiten, in dem herrlichen Reiche
der Kunst des Alterthums, und in der schönen Natur Italiens anschaulich
zu leben. Er hat geschwelgt in diesen Genüssen; aber er hat darüber
nicht, wie Andere, den Geschmack des Guten und Schönen verloren, welches
die vaterländische Erde und der Himmel unserer Heimath reichlich giebt.
Das beweiset folgendes kleine Gedicht:

                       Den 20. September 1802.

      Lieben Leute,
      Bringet heute
      Jeder seiner Gaben beste
      Zu der Freundin Jahresfeste!
      Freude bringt und frohen Sinn!
      Wo man freundlich sich begegnet,
      Seele sich durch Seele segnet,
      Wohnt des Lebens Königin.

      Ihre Kinder
      Fliehn geschwinder,
      Doppelt froh sie zu begrüßen
      Mit der Freude Feuerküssen,
      Heute zu der Mutter Schooß;
      Und der Mann des Herzens eilet
      Ihnen in den Arm und theilet
      Ihres Lebens schönes Loos.

      Aus den Blicken
      Strahlt Entzücken
      Und es leuchtet in der Ferne
      Mit der Hoffnung Flammensterne
      Schön und mild die Zukunft schon.
      Mögen, Freundin, Dir auf Erden
      Oft noch solche Stunden werden,
      Und die Zeit ist nicht entflohn.

   Am Aetna wächst die Frucht der Hesperiden
      Und Oel und goldner Wein;
   Allein man wohnt am Aetna nicht zufrieden
      Und kann nicht ruhig sein.

   Der Feuerberg stürzt aus dem Höllenschlunde
      Oft seine Fluth herab,
   Und wälzt die Stadt mit Oel und Frucht zu Grund
      Und macht ein großes Grab.

   Am Hügel hier blühn jetzt noch schöne Rosen, --
      Und wächst auch etwas Wein:
   Auch können wir beim Lied vertraulich kosen
      Und immer ruhig sein.

   Zwar nickt uns nicht von einem hohen Baume
      Die Ambrafeige zu,
   Doch pflücken wir vom Ast die Mohrenpflaume,
      Und essen sie in Ruh.

   Die Mandel fehlt, wir haben aber Kirschen,
      Und haben dran Gewinn;
   Und gäben wir wohl unsre Purpurpfirschen
      Für die Granate hin?

   Der Aetna ist ein häßlicher Herr Vetter
      Mit seiner Feerei:
   Hier kommt wohl auch ein kleines Donnerwetter;
      Doch ist es bald vorbei.

   Drum wollen wir genießen, singen, kosen,
      Und froh sein wollen wir.
   Singt, Freunde, singt: Es leben unsre Rosen
      Auf unserm Berge hier!

Nach Vollendung dieser großen Wanderung ruhte er wieder in Leipzig aus,
und schrieb seinen »Spaziergang nach Syrakus.« Dieses Werk verschaffte
ihm als Schriftsteller und als Mensch eine große Achtung bei allen Edeln
von der Newa bis an den Rhein. Jetzt, da die öffentliche Meinung für ihn
war, tadelte er mit Kühnheit alles, was er als Fehler und Mißbräuche in
den gesellschaftlichen Verhältnissen erkannte, und sagte ohne Schonung
der Personen das Gute und Böse einer jeden Verfassung gerade heraus. In
der Vorrede zu seiner Uebersetzung von Percivals Beschreibung des
Vorgebirges der guten Hoffnung (Leipzig 1805) macht er den Engländern
wie den andern Eroberern, über ihr politisches Verfahren starke Vorwürfe
und sagt ihnen seine Meinung ohne Zurückhaltung. »Der Verfasser,« sagte
Seume, »hat die Feinde seiner Nation so schlecht gemacht, als sich's mit
Ehre und einem Anschein von Wahrheit thun ließ; aber dadurch wird die
Sache für seine Landsleute nicht besser; denn wo sie die Meister
spielten und noch spielen, da geht es mit eben so wenig Mäßigung und
Humanität zu, als überall -- -- -- Andere wissen doch ihren Erpressungen
und Malversationen noch einen Anstrich von Wohlwollen zu geben, wodurch
sich freilich kein Sehender blenden läßt. Percival sagt ohne Scheu
geradezu: wenn wir das Vorgebirge haben, beherrschen wir den Handel
Indiens, folglich den Handel der Welt, folglich -- die Folgen sind alle
klar. Das ist ächt britisch. Britannia, Beherrscherin des Meeres! durch
die Wogen mache den Erdball zinsbar! -- Der jetzige politische Horizont
kommt mir vor, wie die Lage vor der Schlacht von Zama; siegt die eine
Partie, so haben wir wahrscheinlich eine Römerei, vielleicht etwas
sanfter und glimpflicher, nach dem Geiste der Zeit, im Uebrigen aber
ganz ähnlich. Wenn England im Streite nicht erliegt, ist dadurch nichts
gewonnen, als Dauer des Kampfes, wozu die andern die Kräfte liefern. Die
Energie der Engländer ist nicht zu verkennen, so wenig als ihr
Freiheitssinn zu Hause; daß sie sich aber durch Gerechtigkeit, Humanität
und reines Wohlwollen vor Nationen in andern Welttheilen auszeichnen
sollten, wird ihnen Niemand glauben. -- Wo der Begriff Sklave noch im
Recht gilt, darf man durchaus nicht behaupten, daß man die erste Stufe
reiner menschlicher Bildung erstiegen. Der Himmel bewahre uns auch vor
römischer und griechischer Freiheit, wenn für das allgemeine Heil der
Menschheit Hoffnung seyn soll. Freiheit ist durchaus nichts als
Gerechtigkeit, und diese nichts, als gleiche Befugniß mit gleichen
Pflichten im Staate. Und so lange man sich ein Haar breit von dieser
Basis entfernt, so mag man Konstitutionen bauen, wie man will; es werden
blitzende Meteore seyn, aber nicht halten. Nur die Natur mit ihren
Gesetzen ist beständig.« --

Wahrscheinlich hat er auch damals seine Anmerkungen zum Plutarch in
lateinischer Sprache geschrieben, mit einer Vorrede, welche so kühn war,
daß sie kein Buchhändler drucken konnte und kein Censor die Erlaubniß
dazu gab. Wo die Handschrift hingerathen ist, weiß man nicht.

Der russische Konsul in Leipzig, Herr Hofrath Schwarz, suchte für einen
jungen angesehenen Mann einen Begleiter bis Dorpat. Seume ergriff diese
Gelegenheit um den längst gefaßten Vorsatz auszuführen, seine Freunde
und ehemaligen Kriegsgefährten in Petersburg zu überraschen. Diese
merkwürdige Reise durch Rußland, Finnland und Schweden hat er in dem
Werke: »Mein Sommer,« beschrieben, und er hat auch dieses Werk benutzt,
um das Leben seiner Seele ohne Schleier darzustellen. Die Vorrede zu
diesem Werke ist meisterhaft und gehört in dieser Rücksicht zu dem
Besten, was die alte und neue Literatur in diesem Fache aufgestellt hat.

Die oft genug wiederholten Behauptungen Seume's waren jetzt
eingetroffen: die Franzosen wurden Beherrscher des Kontinents, und er
sah den Folgen in der Stille und Abgezogenheit zu. Er hatte einige Bogen
Papier zusammengeheftet und den Titel: »Schmieralien« darauf
geschrieben. Die verhängnißvolle Zeit brachte gewissermaßen in jedem
Menschen, nach seiner Individualität, Schmieralien hervor, Zunder,
welchen die Begebenheiten entzündet hatten, und der bei andern bald
erlosch, dem aber Seume in seiner Seele Nahrung gab, und dann in sein
Magazin trug, welches, nach seinem Tode, unter dem Titel: »Apokryphen«
1811 erschien. Im Jahre 1808 erschien sein »Miltiades.« Dieses Werk ist
kein Spiel bestimmt gesehen zu werden, und weichen Seelen zu Thränen zu
verhelfen; es ist ein Bild für die Seele des Jünglings und des Mannes,
der in Flammen für das Vaterland ausbrechen soll.

Gegen Johannis des eben genannten Jahres litt der Vielgewanderte an
einer Schwäche des Fußes, welche er seit den amerikanischen Feldzügen,
wiewohl ohne große Beschwerde, schon zuweilen empfunden hatte, die aber
jetzt so groß war, daß er einige Wochen das Bett hüten mußte. Das war
ein Vorbote der größeren Leiden, die bald über ihn ausbrachen. Am Ende
des Augusts begann eine Krankheit des Unterleibes, der Blasenkatarrh,
eine Krankheit, die mit den qualvollsten Schmerzen verknüpft ist, ihm
fast allen Schlaf raubte, und, was noch grausamer für ihn war, ihm weder
das Lesen, noch das Schreiben, ja nicht einmal das Sprechen verstattete.
Während dieser Pein hat er seine Trauer und seinen Trost in dem
rührenden Gedichte: »Kampf gegen Morbona« ausgedrückt. Möge es Niemand
ungelesen lassen! Sein edler Freund, der treffliche Doktor Braun, that,
was er vermochte; er linderte die Schmerzen, hob die gesunkenen Kräfte
immer wieder empor, und stellte ihn so weit wieder her, als es möglich
war. Mit Anfang des Jahres konnte er wieder ausgehen und seine Freunde
besuchen; jedoch blieb er immer schwach, weil der Same des Todes im
Wachsthume zwar geschwächt, aber nicht erstickt werden konnte. Die
treueste Freundschaft hat für ihn während dieser Krankheit gesorgt und
ihn gepflegt. Der Kaufmann Haußner ließ sich ehemals von Seume in der
englischen Sprache unterrichten, und nahm ihn hernach, um seinen Umgang
zu genießen, in seine Wohnung auf. Mehr kann kein Bruder für den Bruder,
kein Sohn für den Vater thun, als dieser Mann für seinen Freund, während
der ganzen Krankheit, mit Delikatesse, mit Aufopferung, mit einer Art
von Eifersucht gegen die Freundschaftsbezeugungen Anderer gethan hat.

Im Frühlinge 1810 wagte Seume, ungeachtet seiner Schwäche, eine Reise
nach Weimar zu seinem verehrten Freunde Wieland. Dieser, erschüttert
durch die Hinfälligkeit des ehemals so kräftigen Mannes, und besorgt
wegen einer vielleicht hülflosen Zukunft, ging zu seiner Gönnerin, der
Erbprinzessin von Weimar, einer der seltenen Fürstinnen, die alle gute
und edle Menschen liebt und von allen geliebt wird, erzählte ihr Seume's
Geschichte und führte den edlen Mann selbst bei ihr ein. Sie nahm sich
desselben an, und verlangte von ihm, daß er an ihren Bruder, den Kaiser
Alexander, nach Petersburg schreiben sollte. Seume schrieb nach seiner
Art wahr und würdig. Wieland fürchtete, der Ton des Briefes möchte hier
und da dem Kaiser auffallend seyn, die Großfürstin fand es nicht, nahm
den Brief und sandte ihn selbst an ihren erhabenen Bruder ab. Der gütige
Monarch bestimmte für Seume eine Pension; aber leider bedurfte er
derselben nicht mehr, er hatte das Ende seiner irdischen Wanderschaft
und das Ende aller Sorgen erreicht.

Nach seiner Zurückkunft von Weimar fand er seine Wohlthäterin und
Freundin, die Frau Elisa von der Recke, und den Dichter Tiedge, der ihn
unbeschreiblich achtete und liebte, im Begriff, nach Töplitz in das Bad
zu reisen. Er wurde dadurch zu dem Entschlusse bewogen, ihnen zu folgen
und in ihrer Gesellschaft zu versuchen, ob auch er an jener Quelle
Heilung und die Kraft seines Lebens wieder gewinnen könnte. Bei seinem
Abschiede übergab er dem ^D.^ Braun, als ein Pfand seiner Liebe, die
Handschrift des von ihm selbst niedergeschriebenen Lebens. Wir sehen aus
diesem und aus dem Gedichte »Morbona,« daß bis jetzt die Krankheit
seinen Geist nicht überwältigt hatte. Ließen die Schmerzen nur etwas
nach, so war sein Gespräch heiter, freundlich, lehrreich und oft witzig.
Er war immer herzlich gegen die Freunde, zuweilen sanfter, als
gewöhnlich, aber eben so stark und bitter, als sonst, gegen alle Feinde
der Vernunft, des Lichtes und der Humanität.

Gegen das Ende des Monats Mai 1810 traf Seume in Töplitz ein, wo er im
goldnen Schiffe, oder der sogenannten Töpferschenke, eine Stube bezog,
welche ihm die heiterste Aussicht auf die Stadt und das Bad, von dem er
noch entscheidende Hülfe hoffte, auf ein paradiesisch grünendes Thal,
mit hohen, im Frühlingsdufte schwimmenden Bergen, aber auch auf die
Stelle seines künftigen Grabes gewährte. Ganz nahe war er hier dem
Fürstenhause, wo die Frau von der Recke und Tiedge wohnten, deren
Umgang ihn den vorhergehenden Winter so oft zu einer wahrhaft
menschenfreundlichen Heiterkeit gestimmt hatte, und ihm auch nun seine
letzten trüben Stunden erhellte. Auch konnte so am leichtesten, aus der
Küche der Frau von Recke, für seine, nach einer strengen Diät
angeordneten Speisen gesorgt werden, und dieses diente ihm zu keiner
geringen Beruhigung, da er selbst über diese Diät, wenigstens anfangs,
sehr gewissenhaft hielt. Unterzeichneter, der ihn seit zwanzig Jahren
kannte und schätzte, hatte seine Wohnung eine Treppe höher über ihm;
bald sammelten sich auch einige andere Freunde und Bekannte um ihn her,
und waren daher ebenfalls im Stande, durch kleinere Dienste für ihn zu
sorgen, die Seume mit williger Dankbarkeit und anfangs unter
freundlichen Scherzen annahm. Ungeachtet Seume dieses Mal natürlich
Pferd und Wagen bei seiner Reise zu Hülfe genommen hatte, so ward es
doch bald bei Menschen aller Art in Töplitz bekannt, daß der berühmte
_Fußwanderer_ angekommen sei, um hier das Bad zu gebrauchen, und seine
Ankunft sowohl, als der mögliche Erfolg seiner Kur, erregte allgemeine
Theilnahme. Er selbst wünschte diese Kur möglichst beschleunigt. Denn
die mitgebrachte, nicht unbedeutende Menge von Dukaten seiner
Baarschaft, über welche er mit der Genauigkeit eines Financiers häufige
Revision hielt, wie auch die in seinem Taschenbuche aufgezeichneten
Reiserouten und Städtenamen, wiesen auf einen Lieblingsplan hin, den
Rhein oder wohl gar die Schweiz zu besuchen. Leider schlugen aber bald
die Aeußerungen des würdigen Töplitzer Brunnenarztes, ^D.^ Ambrozy, den
er wegen seines Zustandes um Rath fragte, seine und mit noch deutlichern
Ausdrücken die Hoffnungen seiner Freunde nieder. Der Gebrauch des
freilich weit wirksamern Stadtbades ward Seumen ganz untersagt, und nur
die Steinbäder, in dem eine Viertelstunde Weges entfernten Dorfe
Schönau, wurden gestattet, welche _bei günstiger Witterung_ gebraucht,
wenn auch den Grund seiner Krankheit nicht ganz heben, aber ihm doch
etwas Stärke geben, wenigstens nichts schaden würden. Die größte
Schwierigkeit lag für Seume und seine Freunde darin, ihm ein medicinisch
zweckmäßiges Getränk zu verschaffen. Das laue Trinkwasser in Töplitz ist
bekanntermaßen, selbst nach seiner Erkältung ohne Kraft und kaum
trinkbar, weshalb man sich an die Biere und österreichischen Landweine,
oder einen selbst mitgebrachten Weinkeller halten muß. Alle diese
Getränke waren Seumen gerade, aus medicinisch bekannten Gründen, bei
seiner Krankheit verboten. Seume versuchte vom mineralischen Wasser der
benachbarten Brunnenstadt _Bilin_ zu trinken. Aber das Wasser dieses
Sauerbrunnens war ihm zu schwer, und vermehrte seine Uebel. Am Kloster
_Mariaschein_, eine Stunde von Töplitz, fließt das _Mariabrünnlein_,
eine erfrischende, mit zierlicher Kuppel überdeckte Quelle, von der ich
Seumen eine Flasche zur Probe mitbrachte. Allein auch diese Gabe der
Heiligen wollte unserm Kranken nicht zusagen, und überdem war die Quelle
zu entfernt. Seume war einmal an das Selterwasser gewöhnt, welches man
aber anfangs in Töplitz vergebens suchte. Schon bemeisterte sich der
Unmuth unseres Freundes, und aus einer sehr gewöhnlichen Täuschung schob
er alle Schuld seiner Schmerzen nicht auf seinen unheilbaren Zustand,
sondern auf den Mangel des Selterwassers, an das er gewöhnt sei. Es ist
eine eben so bewährte, als rührende Erfahrung, daß die Hoffnung den
Menschen selbst am Rande des Grabes nicht verläßt, um ihm, wenigstens
durch ihren lieblichen Schein, die finstere Wahrheit der letzten Stunden
zu verschleiern. Auch Seume war davon ein Beispiel. Sein Muth fand sich
nicht wenig aufgerichtet, und sein Hang zur Selbstständigkeit vorzüglich
geschmeichelt, als ihm selbst gelang, was keinem seiner Freunde gelungen
war, bei einem Krämer in Töplitz noch einige Flaschen Selterwasser
aufzutreiben. Aber bald sah er ein, daß auch diese seine Panacee das
verlorne Gleichgewicht seiner Natur wieder herzustellen nicht mehr im
Stande war. Nichtsdestoweniger brauchte er, anfangs mit aller Vorsicht,
einige Steinbäder, und spürte auch deren gute Wirkung. Ja selbst der
Gang nach Schönau und zurück, den er bei guter Witterung zu Fuß, in dem
alten Reisecostüm, das wir an ihm kannten, wacker unternahm, ermattete
ihn so wenig, daß er gewöhnlich seinen Mittag noch bei seiner Freundin
Elise zubringen, und mit ihr und Tiedge, nach alter Weise, über die Welt
und sein Zeitalter philosophiren konnte. Zuweilen äußerte er zwar hier
im Schooße vertrauter Freundschaft den in seiner Lage wohl erlaubten
Wunsch, durch den Tod bald von seinen Schmerzen befreit zu werden. Ja er
gab wohl nicht undeutlich zu verstehen, daß ihn blos um der Schwachen
und Thoren willen die Pflicht des Beispiels abhielte, seinem für sich,
und, wie er meinte, für seine Freunde beschwerlichen Zustande ein Ende
zu machen. Indessen wechselte diese trübe Stimmung mit andern der
Lebensliebe und Lebenshoffnung wieder ab. Gewöhnlich wird die viele
Sorge, welche ein Kranker an seine Heilung zu verschwenden pflegt, ein
neuer Grund der Lebensliebe. Denn wer wünschte wohl vergebens gesorgt zu
haben? Dies war auch bei Seumen der Fall, so wenig er sonst, in gesunden
Tagen selbst, das Gute des Lebens zu preisen gewohnt schien. Diese
abwechselnden Stimmungen brachten nun freilich einige Widersprüche in
seinem Betragen, zuweilen ängstliche, übertriebene Folgsamkeit gegen die
diätetischen Regeln, zuweilen auch halsstarrige Unfolgsamkeit, bald
stoische Geduld, bald minder stoische Wunderlichkeit hervor, weswegen er
denn manche moralische, wohlmeinende Vorhaltung von seinen Freunden
anhören mußte, die er mit seinen gewöhnlichen Sarkasmen, oder mit einem
lakonischen: »_Schon gut!_« hinnahm. Leider war er aber keinesweges, bei
der rauheren Witterung, die dem ersten Scheinfrühlinge folgte, dahin zu
bestimmen, das Baden ganz auszusetzen. Ja an einem mit Regen drohenden
Tage erwachte der alte militärische Geist in ihm so sehr, daß er die für
Kranke freilich mit mancherlei Beschwerlichkeit und Unkosten verknüpfte,
einzige Transportanstalt verschmähte und seinen Weg zu Fuß antrat,
welcher denn mit einem von mir nachgebrachten Regenschirme rückwärts
vollendet werden mußte. »Ich bin hierher gekommen, um zu baden,« sprach
er, »folglich muß ich baden und kann nicht auf die Witterung warten.«
Diese traurige Konsequenz, verbunden mit der kleinen Inkonsequenz,
einmal nach dem Bade, der Einladung des gastfreien Prälaten von Ossegg
zufolge, sich umzuziehen, und, trotz aller Erinnerung, bei Tische selbst
seine diätetischen Regeln alle zu vergessen -- war entscheidend. Nur ein
paarmal saß er noch gebückt, in seinen Mantel gehüllt und mit aschgrauer
Gesichtsfarbe, in dem gewohnten Kreise, und mußte seinen Sitz bald mit
dem Sopha, endlich mit dem Bette vertauschen. Er konnte nun nicht mehr
aufdauern, und alles, was ihm sonst lieb gewesen war, widerstand ihm.

Gern hatte er vordem in dem Zirkel der Frau von der Recke von deren
Begleiterinnen die Lieder Elisens und Tiedgens zur Guitarre, oder
Schillers Ideale, nach Naumanns tief ins Herz dringender Composition,
zum Fortepiano singen hören, und den Sängerinnen durch manche
Herzlichkeit, ja selbst durch manche feinere Galanterie gedankt. Einst
brachte er den beiden Begleiterinnen Elisens _Eine_ Rose. -- »Ich habe
nicht mehr, als die Eine Rose,« sagte er zu ihnen, »und ich glaube Sie
damit zu ehren, daß ich Ihnen beiden nur _Eine_ gebe.« Noch in Töplitz,
wo die Anwesenheit der liebenswürdigen und talentvollen Wittwe Naumanns
manche Veranlassung zu musikalischen Unterhaltungen gab, war Seume ein
aufmerksamer Zuhörer. Ja selbst in den letzten Tagen ehe er sich legte,
ward er einst durch die Stelle in einem von Elisens Liedern:

   »Hinter jenen Sternen
   Hält die Liebe Wort.«

wunderbar ergriffen. Dieser Gedanke, welchen in einem spätern Liede
Schiller auf eine ähnliche Weise ausdrückt, rührte unsern, düster und in
sich gekehrt dasitzenden Seume so sehr, daß er mitten unter dem Gesange
mit Thränen in den Augen aufstand; Elisen die Hand drückte und sagte;
»Elisa, das ist ein herrlicher Gedanke!« Dieses war aber auch die letzte
Aeußerung unseres Freundes, die von Gefühl für die Außenwelt und für das
höhere Schöne zeugte, wiewohl sie hinreichend seine Ueberzeugung von der
Fortdauer des edleren Daseyns in uns beurkundet. Man bot ihm an, als er
sich schon ganz in sein Krankenzimmer zurückgezogen und verschlossen
hatte, ihn wenigstens noch von ferne Musik hören zu lassen; aber er
verbat es, wie auch die Besuche selbst aller Freunde, die nicht, so zu
sagen, zu seiner medicinischen Wartung angestellt waren, aber ihm dabei
durch Handreichungen nützlich seyn konnten. Ganz schien von nun an der
kräftige Geist in sich selbst zusammen gerollt, hatte das äußerliche
Wesen den körperlichen Leiden, ja selbst den wehmüthigsten Aeußerungen
derselben, überlassen, und verkündete sich nur noch durch den starren,
aber durchdringenden, prüfenden Blick, mit dem er die Umstehenden ansah.
Selbst auf meine mit möglichster Schonung und Vorsicht an ihn gerichtete
Frage, ob er noch einem abwesenden oder gegenwärtigen Freunde etwas zu
entdecken und aufzutragen habe, antwortete er nicht mehr verständlich,
wiewohl er seinen Leipziger Arzt und vertrauten Freund, ^D.^ Braune, mit
Namen nannte. Den Trost einer höhern Welt, der in den herrlichsten
Sprüchen der Weisen des Alterthums ausgedrückt, und in einem vor seinem
Sterbelager aufgeschlagenen Bande der Reisen des jüngern Anacharsis
gesammelt, mehr seine trauernden Freunde erhob, als sein Ohr erreichte,
schien er nicht mehr zu bedürfen. Ueber Seume's religiöse
Ueberzeugungen, über welche auch sein bei Göschen 1811 erschienener
_Nachlaß moralisch-religiösen Inhalts_ befriedigenden Aufschluß giebt,
habe ich, so wie von einigen andern Zügen seines Charakters, bei
Gelegenheit einer frühern Handschrift seiner Gedichte in der _Minerva_
1812 einige Worte gesprochen. Es sei mir erlaubt, die hierher gehörige
Stelle zu wiederholen:

»Freilich hatte wohl die Ansicht seines Zeitalters Seumen in den spätern
Jahren seines Lebens manches Symbol geraubt, das zu einer andern Zeit
ihm in dem letzten Kampfe seiner Natur eine heitere, minder bittere,
versöhnte Stimmung hätte geben können. Freilich sprach er wohl zuweilen
in eben dem rauhen Tone mit dem Himmel, wie mit seinen nächsten
Freunden, und glaubte vielleicht den Himmel, den er mit seinen Bitten
nicht bestürmen zu wollen erklärte, eben so dadurch zu ehren, wie seine
Freunde. Allein der Mann, der unter dem Sturme von Warschau, in einer
Stunde, wo achtzehntausend Menschen um einer politischen Maxime willen
hingeschlachtet wurden, zu Gott betete, -- betete auch zu Gott, als
einem Ewigseyenden, in seiner Todesstunde, und trat mit dem letzten
Seufzer über das so grausende Gemälde des niedern Leben an die Schwelle
einer richtenden, aber auch versöhnenden Ewigkeit. Eine Sterbenacht ist
schon an sich feierlich, und die Nacht, wo unser Freund seinen letzten
Kampf zu kämpfen begann, ward es noch mehr durch die Umgebungen, durch
das tief unter dem matt erhellten Krankenzimmer im Schatten liegende
Töplitzer Frühlingsthal, umringt und durchschnitten von grotesk
gestalteten Bergen, deren Rücken sich bis an die Fenster zog, durch das
fernher vom Begräbnißplatze leuchtende, ahnungsvolle Licht einer
Kapelle, wo schon ein Leichnam bewacht wurde, der unserm Seume am
folgenden Tage weichen mußte. Unmöglich konnte man in solcher Stunde die
andächtigen Seufzer des sich verlassen fühlenden Sterbenden, der nur von
einem Freunde und einem jungen Feldscheer (auch einem Bewunderer des
berühmten Fußwanderers) bewacht wurde, für blos zufällige Wirkungen des
Schmerzes, sein Aufstöhnen zu dem, namentlich von ihm genannten Gotte
(wie der ungläubige Lamettrie auf seinem Krankenlager selbst gesagt
haben soll) für eine bloße _Redensart_ erklären.« -- Minerva 1812. S.
290.

Ein Umstand, der weniger den Sterbenden, als seine um ihn versammelten
Freunde in den letzten Stunden beunruhigte, trug dazu bei, dem schaurig
romantischen Bilde seines Lebens eine ästhetische Vollendung zu geben,
es gerade so wunderlich und flüchtig schließen zu lassen, als es
begonnen hatte, um eine poetische Weissagung unsres Diogenes zu
erfüllen, die sich in der frühern Sammlung seiner unvollkommenen
Gedichte (s. Minerva am angef. Orte S. 304) befindet.

   Und weigerte man mir auch Sarg und Decke,
      Was liegt mir dran?
   Flaum oder Stein ist Eins; an welchem Flecke,
      Geht mich nichts an.

In einem Badeorte müssen die Wirthe, welche Kranke einnehmen, eigentlich
auf Todesfälle gefaßt seyn. Indessen kann man es eines Theils doch
niemanden zumuthen, schon Sterbende einzunehmen, andern Theils einen
Kontrakt auf längere Zeit gelten zu lassen, als man ihn eingegangen war.
Seume's Logis war weiter vermiethet, und diese sehr vortheilhafte
Vermiethung konnte durch seinen Todesfall gehindert werden. Die
Inhumanität lag also mehr in dem wunderlichen Spiele des Schicksals, als
in den Menschen, daß Seume in dem Augenblicke, da sein Engel (um einen
Seumischen, militärischen Ausdruck zu gebrauchen) _abgelöst!_ rief,
juristisch genommen, eigentlich ohne Quartier war; und doch hätte dieser
Umstand, wenn Seume anders in dem Zustand gewesen wäre, ihn noch zu
beachten, seine Bitterkeit gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse
gewissermaßen rechtfertigen können. Alles war mit Seume's Bewilligung --
denn Sterbende verändern bekanntlich den Ort gern -- schon eingepackt,
um ihn hinüber in seine Wohnung zu schaffen, als die Sänftenträger, bei
der unerwarteten Beschleunigung seiner Auflösung, eben so wenig Lust
bezeigten, einen schon halb zur Leiche gewordenen Menschen fort zu
tragen, wie der neue Wirth, ihn aufzunehmen. Mit vieler Mühe und nur
durch die Dazwischenkunft der angesehensten Männer von Töplitz, ja der
Polizei selbst, gelang es unseren Vorstellungen, die bisherigen
Wirthsleute zu bewegen, ihm die Stätte, wo er krank gelegen hatte, auch
zum Sterben zu lassen. Während man indeß noch über diesen irdischen
Wohnungswechsel stritt, -- löste Seume selbst den Knoten, brach seine
morsche Hütte ab, und vertauschte die irdische Wohnung mit der
friedlichen und seligen im Schooße seines Schöpfers. Dieses geschah in
den Vormittagsstunden des 13ten Juni 1810. Seine schon zusammengepackte,
für einen vorübereilenden Wanderer nicht unbeträchtliche
Verlassenschaft, indem außer dem baaren Gelde seine Krankengarderobe
sehr gut ausgestattet war, wurde nun dem Magistrat übergeben, und
Anstalt zu seiner Beerdigung getroffen.

Hier darf nun der Edelmuth der katholischen Geistlichkeit von Töplitz
nicht ungerühmt bleiben, die manchem frühern Herkommen zuwider, jedoch
mit sichtbarer Zufriedenheit aller Einwohner, unserm, in verschiedenem
Glauben gebornen Freunde nicht nur das ehrenvollste Begräbniß, ganz nach
unsern deshalb geäußerten Wünschen, sondern auch auf ihrer eben so durch
die Natur, als durch die Kirche geweihten Erde eine freundliche
Ruhestätte gewährte. Und so ward Seume's, des unruhigen Wanderers, der
über manchen menschlichen Mißbrauch im Leben geeifert hatte, Grabstein
zugleich ein schönes Denkmal friedlicher Gesinnungen zweier getrennter
Religionsparteien.

Am Morgen des 15ten Juni versammelten sich die in Töplitz anwesenden
Freunde Seume's in der Wohnung der Frau von der Recke, dem sogenannten
Fürstenhause, um in Begleitung einiger anderen angesehenen Einwohner und
Badegäste von Töplitz, die auch von fern den Namen des merkwürdigen
Menschen geehrt hatten, und unter Vortritt des würdigen Geistlichen,
Seume's Reste der Erde zu übergeben. Außer der Frau von der Recke und
ihrer nächsten Umgebung, befanden sich unter der Begleitung Herr
Professor Fichte und seine Gattin, die Gattin des Herrn Hofrath Böttiger
von Dresden, die Wittwe Naumanns, Herr ^D.^ Weigel, der Seumen ebenfalls
in den letzten Stunden mit medicinischer Hülfe beigestanden hatte, und
späterhin die Besorgung seines Grabsteines übernahm, Herr Hofrath
Tittmann von Dresden, der Herr Graf Schönfeld der jüngere aus Wien, der
sich Seume's bildenden Umgangs von Leipzig her dankbar erinnerte, und
andere mehr, welche die in ganz Deutschland verbreiteten Freunde des
Verstorbenen in dieser ernsten Stunde würdig vertreten konnten. Das
Begräbnißlied, das von den Schülern beim Eintritte in den kleinen,
ländlich berasten Kirchhof aus ihren Notenbüchern gesungen ward, war
zufälliger Weise ganz in Seume's Sinne, und als wenn er es selber
gedichtet hätte; zumal der letzte Vers, von dem ich mich erinnere, daß
er den stolzen Sieger mit dem Erobererschwerte so gut wie jeden andern
Adamssohn, der dazu geboren ist, der Erde Früchte zu verzehren, und sich
-- erobern zu lassen, vor das Todtengericht und die Schaufel des
Todtengräbers lud. -- Hierauf empfing die Leiche in der kleinen Kapelle
den priesterlichen Segen als Mitgabe zu ihrer letzten Wanderung. -- Der
Sarg sank mit den Ueberresten unsers Geliebten in die schwarze,
räthselvolle Tiefe hinab, und unter dem Klange der Sterbeglocken, welche
das sichtbare Bild des Freundes hinabriefen, sprach der
Endesunterzeichnete vor dem Kreise der stilltrauernden umstehenden
Freunde folgende Worte:

»Hier also, auf diesem Hügel kalter Erde, legt unser Seume seinen
Wanderstab für immer ... nieder. Wohl Ihm, und uns, seinen Freunden, daß
wir es sagen können von Grunde des Herzens! Nicht ziellos war seine
Reise, nicht vergebens sein wundervoll reiches Leben, so oft er diesem
Leben am Abend seiner Tage auch wohl zürnen mochte, überwältigt von
Schmerzen der Seele und ihrer irdischen Hülle! ...

»Was _Seume_ war, ward er durch sich selbst. Nicht aus rohem Triebe
durchwanderte unser geliebter Wanderer von Syrakus die Erde. Er suchte
die Spuren der allwaltenden Ordnung in Schönheiten und Schrecknissen der
Natur, in den Trümmern gesunkener Völker, in den Mordscenen seiner Zeit
... in den Gesinnungen der Menschen, seiner Brüder. Ach, der rauhe Sohn
der Natur, mit gradem Blick, mit dem tiefsten, brennendsten Gefühle des
Rechts im Herzen, und dieses Herz auf der Zunge tragend, konnte seine
Menschen nur zürnend, nur murrend lieben. Dennoch liebte er sie, und die
edelsten seines Volks entgegneten dankbar seine Liebe. Itzt empfängt ein
fremdes Land, in dessen heilenden Quellen er Milderung seiner Qualen
suchte ... seine Asche, und endet diese Qualen mit ewiger Ruhe. Segnet,
Freunde, diesen heiligen Boden, der sein Grab ward! Unser Freund ward
hier nicht getäuscht mit leeren Hoffnungen. Er wähnte hier von Schmerzen
zu ruhen, die unheilbar waren, und fand hier das höchste Leben, das
keiner Heilung bedarf. Friede seiner Asche! Die Erde deckt die Bösen,
und die Guten drückt sie nicht.« --

Dieselben Freunde, welche hierauf mit Thränen Erde auf seinen Sarg
warfen, unterzeichneten sich mit noch mehreren theilnehmenden Menschen
zu einem kleinen Denkmal auf dem Grabe nahe an den Mauern der
schützenden Kapelle. Unser Seume hat nun in fremder Erde, fern von den
Seinigen, einen _Stein_, schwerer, fester und in die Augen fallender,
als wohl jemals der unruhige Erdenpilger sich es hätte träumen lassen.
Aber selbst der Todtengräber hat dieses Denkmal des wunderbaren,
menschenfreundlichen und menschenfeindlichen Weltbürgers lieb, und durch
eine harmonische Veranstaltung des Schicksals, besuchen und bekränzen an
diesem von Fremden aller Völker wimmelnden Orte, jährlich viele
wandernde Fremdlinge das Grab desjenigen, der auf dieser Erde selbst
immer ein pilgernder Fremdling blieb.

                                                   _C. A. H. Clodius_.



                       Spaziergang nach Syrakus
                            im Jahre 1802.
                            Erster Theil.



                            Lieber Leser!


Voriges Jahr machte ich den Gang, den ich hier erzähle; und ich thue
das, weil einige Männer von Beurtheilung glaubten, es werde vielleicht
Vielen nicht unangenehm, und Manchen sogar nützlich seyn. Vielleicht
waren diese Männer der Meinung, ich würde es anders und besser machen;
darüber kann ich, in der Sache, nur an meine eigene individuelle
Ueberzeugung appelliren; so gern ich auch eingestehen will, daß sie hier
und da Recht haben mögen, was die Form betrifft.

Ich hoffe, Du bist mein Freund oder wirst es werden; und ist nicht das
eine und wird nicht das andere, so bin ich so eigensinnig zu glauben,
daß die Schuld nicht an mir liegt. Vielleicht erfährst Du hier wenig,
oder nichts neues. Die Vernünftigen wissen das alles längst. Aber es
wird meistens entweder gar nicht, oder nur sehr leise gesagt: und mir
däucht, es ist doch nothwendig, daß es nun nach und nach laut und fest
und deutlich gesagt werde, wenn wir nicht in Ewigkeit Milch trinken
wollen. Bei dieser Kindernahrung möchte man uns gar zu gern beständig
erhalten. Ohne starke Speise wird aber kein Mann im Einzelnen, werden
keine Männer im Allgemeinen: das hält im Moralischen wie im Physischen.
Es thut mir leid, wenn ich in den Ton der Anmaßlichkeit gefallen seyn
sollte. Aber es ist schwer, es ist sogar ohne Verrath der Sache
unmöglich, bei gewissen Gegenständen die schöne Bescheidenheit zu
halten. Ich überlasse das Gesagte der Prüfung und seiner Wirkung, und
bin zufrieden, daß ich das Wahre und Gute wollte.

Es ist eine sehr alte Bemerkung, daß fast jeder Schriftsteller in seinen
Büchern nur sein Ich schreibt. Das kann nicht anders seyn, und soll wohl
nicht anders seyn; wenn sich nur jeder vorher in gutes Licht und reine
Stimmung setzt. Ich bin mir bewußt, daß ich lieber das Gute sehe und
mich darüber freue, als das Böse finde und darüber zürne: aber die
Freude bleibt still, und der Zorn wird laut.[3]

In Romanen hat man uns nun lange genug alte, nicht mehr geläugnete
Wahrheiten dichterisch eingekleidet, dargestellt und tausendmal
wiederholt. Ich tadle dieses nicht, es ist der Anfang: aber immer nur
Milchspeise für Kinder. Wir sollten doch endlich auch Männer werden, und
beginnen die Sachen ernsthaft geschichtsmäßig zu nehmen, ohne Vorurtheil
und Groll, ohne Leidenschaft und Selbstsucht. Oerter, Personen, Namen,
Umstände sollten immer bei den Thatsachen als Belege seyn, damit alles
so viel als möglich aktenmäßig würde. Die Geschichte ist am Ende doch
ganz allein das Magazin unsers Guten und Schlimmen.

Die Sache hat allerdings ihre Schwierigkeit. Wagt man sich an ein altes
Vorurtheil des Kultus, so ist man noch jetzt ein Gottloser; sondirt man
etwas näher ein politisches und spricht über Malversation, so wird man
stracks unter die unruhigen Köpfe gesetzt: und beides weiß man sodann
sehr leicht mit Bösewicht synonym zu machen. Wer den Stempel hat,
schlägt die Münze. Wer für sich noch etwas hofft und fürchtet, darf die
Fühlhörner nicht aus seiner Schale hervorbringen. Man sollte nie sagen,
die Fürsten oder ihre Minister sind schlecht, wie man es oft hört und
liest; sondern hier handelt _dieser_ Fürst ungerecht, widersprechend,
grausam; und hier handelt _dieser_ Minister als isolirter Plusmacher und
Volkspeiniger. Dergleichen Personalitäten sind nothwendige heilsame
Wagstücke für die Menschheit, und wenn sie von allen Regierungen als
Pasquille gebrandmarkt würden. Das Ganze besteht nur aus Personalitäten,
guten und schlechten. Die Sklaven haben Tyrannen gemacht, der Blödsinn
und der Eigennutz haben die Privilegien erschaffen, und Schwachheit und
Leidenschaft verewigen beides. Sobald die Könige den Muth haben werden
sich zur allgemeinen Gerechtigkeit zu erheben, werden sie ihre eigene
Sicherheit gründen und das Glück ihrer Völker durch Freiheit nothwendig
machen. _Aber_ dazu gehört mehr, als Schlachten gewinnen. Bis dahin wird
und muß es jedem rechtschaffenen Manne von Sinn und Entschlossenheit
erlaubt seyn zu glauben und zu sagen, daß alter Sauerteig alter
Sauerteig sey.

Man findet es vielleicht sonderbar, daß ein Mann, der zweimal gegen die
Freiheit zu Felde zog, einen solchen Ton führt. Die Enträthselung wäre
nicht schwer. Das Schicksal hat mich gestoßen. Ich bin nicht hartnäckig
genug, meine eigene Meinung stürmisch gegen Millionen durchsetzen zu
wollen: aber ich habe Selbstständigkeit genug, sie vor Millionen und
ihren Ersten und Letzten nicht zu verläugnen.

Einige Männer, deren Namen die Nation mit Achtung nennt, haben mich
aufgefordert, etwas öffentlich über mein Leben und meine successive
Bildung zu sagen: ich kann mich aber nicht dazu entschließen. In meiner
Jugend war es der Kampf eines jungen Menschen mit seinen Umständen und
seinen Inkonsequenzen; als ich Mann ward, waren meine Verflechtungen
zuweilen so sonderbarer Art, daß ich nicht immer ihre Erinnerung mit
Vergnügen zurückrufe. Wer sagt gern, ich war ein Thor, um durch ein
Beispiel einige längst bekannte Wahrheiten vielleicht etwas
eindringlicher zu machen? Da ich als ein junger Mensch von achtzehn
Jahren, als theologischer Pflegling, von der Akademie in der Welt hinein
lief, fand man bei Untersuchung, daß ich keinen Schulfreund erstochen,
kein Mädchen in den Klagestand gesetzt und keine Schulden hinterlassen,
daß ich sogar die wenigen Thaler Schulden den Tag vor der Verschwindung
bezahlt hatte; und man konnte nun den Grund der Entfernung durchaus
nicht entdecken und hielt mich für melancholisch verirrt, und ließ mich
sogar in dieser Voraussetzung so schonend als möglich zur Nachsuchung in
öffentliche Blätter setzen. Daß ein Student den Tag vorher ehe er
durchgeht, seine Schulden bezahlt, schien ein starker Beweis des
Wahnsinns. Ich überlasse den Philanthropen die Betrachtung über diesen
Schluß, der eine sehr schlimme Meinung von der Sittlichkeit unserer
Jugend verräth. Dem Psychologen wird das Räthsel erklärt seyn, wenn ich
ihm sage, daß die Gesinnungen, die ich seitdem hier und da und in
folgender Erzählung geäußert habe, schon damals alle lebendig in meiner
Seele lagen, als ich mit neun Thalern und dem Tacitus in der Tasche auf
und davon ging. Was sollte ein Dorfpfarrer mit diesen Gährungen? Bei
einem Kosmopoliten können sie, auf einem festen Grunde von Moralität,
wohl noch etwas Gutes wirken. Der Sturm wird bei mir nie so hoch, daß er
mich von der Base, auf welcher ich als vernünftiger rechtlicher Mann
stehen muß, herunterwürfe. Meine meisten Schicksale lagen in den
Verhältnissen meines Lebens; und der letzte Gang nach Sicilien war
vielleicht der erste ganz freie Entschluß von einiger Bedeutung.

Man hat mich getadelt, daß ich unstät und flüchtig sei: man that mir
Unrecht. Die Umstände trieben mich, und es hielt mich keine höhere
Pflicht. Daß ich einige Jahre über dem Druck von Klopstocks Oden und der
Messiade saß, ist wohl nicht eines Flüchtlings Sache. Man wirft mir vor,
daß ich kein Amt suche.[4] Zu vielen Aemtern fühle ich mich untauglich,
und es gehört zu meinen Grundsätzen, die sich nicht auf lächerlichen
Stolz gründen, daß ich glaube, der Staat müsse Männer suchen für seine
Aemter. Es ist mir also lieb, daß ich Ursache habe zu denken, es müssen
in meinem Vaterlande dreißigtausend Geschicktere und Bessere seyn, als
ich. Wäre ich Minister, ich würde höchst wahrscheinlich selten einem
Manne ein Amt geben, der es suchte. Das werden Viele für Grille halten;
ich nicht. Wenn ich Isolirter nicht strenge nach meinen Grundsätzen
handeln will, wer soll es sonst?

Man hat es gemißbilligt, daß ich den russischen Dienst verlassen habe.
Ich kam durch Zufall hin, und durch Zufall weg. Ich bin schlecht belohnt
worden; das ist wahrscheinlich auch Zufall: und ich bin noch zu gesund
an Leib und Seele, um mir darüber eine Suppe verderben zu lassen. In der
wichtigsten Periode, der Krise mit Polen, habe ich in Grodno und
Warschau die deutsche und französische diplomatische Korrespondenz
zwischen dem General Igelström, Pototzky, Möllendorf und den andern
preußischen und russischen Generalen besorgt, weil eben kein anderer
Officier im Hauptquartier war, der so viel mit der Feder arbeiten
konnte. -- »Sie sind noch nicht verpflichtet,« sagte Igelström zu mir,
als er mir den ersten Brief von Möllendorf gab. »Sie haben nicht
geschworen.« -- »Der ehrliche Mann,« antwortete ich, »kennt und thut
seine Pflicht ohne Eid, und der Schurke wird dadurch nicht gehalten.« --
Man hat den alten Stabsofficieren Dinge von großer Bedeutung abgenommen
und sie mir übergeben, als Möllendorf noch die Piliza zur Grenze
forderte, und als man nachher russisch die Dietienen in Polen nach ganz
eigenen Regeln ordnete und leitete.[5] Igelström, Friesel und ich waren
einige Zeit die Einzigen, die von dem ganzen Plane unterrichtet waren.
Ich habe gearbeitet Tag und Nacht, bis zur letzten Stunde, als der erste
Kanonenschuß unter meinem Fenster fiel: und mir däucht, daß ich denn
auch als Soldat meine Schuldigkeit nicht versäumte, wenn ich gleich
während des langen Feuers kartätschensicher zuweilen in einer
Mauernische neben den Grenadieren saß und in meinem Taschenhomer
blätterte. Zu den russischen Arbeiten hatte der General Dutzende; zu den
deutschen und französischen, die der Lage der Sachen nach nicht
unwichtig seyn konnten, niemand als mich: das wird Igelström selbst,
Apraxin, Pistor, Bauer und andere bezeugen. Als der Franzose Sion ankam,
waren die wichtigsten Geschäfte schon gethan. Dafür wurde mir dann und
wann ein Geiger vorgezogen, der einem der Subows etwas vorgespielt
hatte. Das ist auch wohl anderwärts nicht ungewöhnlich. Ich hatte das
Schicksal, gefangen zu werden. Der General Igelström schickt mich nach
Beendigung der ganzen Geschichte mit einem schwer verwundeten jungen
Manne, der mein Freund und dessen Vater der seinige war, nach Italien,
damit der Kranke dort die Bäder in Pisa brauchen sollte. Wir konnten
nicht hin, weil die Franzosen alles besetzt hatten. Die Kaiserin starb;
ich konnte unmöglich an dem Tage zurück auf meinem Posten seyn, den Paul
in seiner Ukase bestimmt hatte, und wurde aus dem Dienst geschlossen.
Man hat in Rußland wenig schöne Humanität bei dem Anblick auf das flache
Land. Schon vorher war ich bald entschlossen nicht zurückzugehen, und
ward es nun ganz. Der Kaiser gab mir auf meine sehr freimüthige
Vorstellung an ihn selbst, da ich durchaus keinen Dienstfehler gemacht
hatte, endlich den förmlichen ehrenvollen Abschied, den mir der General
Pahlen zuschickte. Es ist sonst Gewohnheit in Rußland, Officieren, die
einige Dienste geleistet haben, ihren Gehalt zu lassen; ich erhielt
nichts. Das war vielleicht so Geist der Periode, und es würde
Schwachheit von mir seyn, mich darüber zu ärgern. Wenn ich jetzt etwas
in Anregung bringen wollte, würde man die Sache für längst antiquirt
halten und der Sinn des Resultats wird heißen: Wir Löwen haben gejagt.
-- Ich will mir den Nachsatz ersparen. Wenn ich nicht einige Kenntnisse,
etwas Lebensphilosophie und viel Genügsamkeit hätte, könnte ich den Rock
des Kaisers um ein Stückchen Brot im deutschen Vaterlande umher tragen.

Ich habe mich in meinem Leben nie erniedriget um etwas zu bitten, was
ich nicht verdient hatte; und ich will auch nicht einmal immer bitten,
was ich verdiente. Es sind in der Welt viele Mittel ehrlich zu leben:
und wenn keines mehr ist, finden sich doch einige, nicht mehr zu leben.
Wer nach reiner Ueberzeugung seine Pflicht gethan hat, darf sich am
Ende, wenn ihn die Kräfte verlassen, nicht schämen abzutreten. Auf
Billigung der Menschen muß man nicht rechnen. Sie errichten heute
Ehrensäulen und brauchen morgen den Ostracismus für den nämlichen Mann
und für die nämliche That.

Wenn ich vielleicht noch vierzig Jahre gelebt habe und dann nichts mehr
zu thun finde, kann es wohl noch eine kleine Ausflucht werden, die
Winkel meines Gedächtnisses aufzustäuben, und meine Geschichte zur
Epanorthose der Jüngern hervor zu suchen. Jetzt will ich leben, und gut
und ruhig leben, so gut und ruhig man ohne einen Pfennig Vorrath leben
kann. Es wird gewiß gehen, wie es bisher gegangen ist: denn ich habe
keine Ansprüche, keine Furcht und keine Hoffnung.

Was ich hier in meiner Reiseerzählung gebe, wirst Du, lieber Leser,
schon zu sichten wissen. Ich stehe für Alles, was ich gesehen habe, in
so fern ich meinen Ansichten und Einsichten trauen darf: und ich habe
nichts vorgetragen, was ich nicht von ziemlich glaubwürdigen Männern
wiederholt gehört hätte. Wenn ich über politische Dinge etwas freimüthig
und warm gewesen bin, so glaube ich, daß diese Freimüthigkeit und Wärme
dem Manne ziemt, sie mag nun Einigen gefallen oder nicht. Ich bin
übrigens ein so ruhiger Bürger, als man vielleicht in dem ganzen
meißnischen Kreise kaum einen Thorschreiber hat. Manches ist jetzt
weiter gediehen und gekommen, wie es wohl zu sehen war, ohne eben besser
geworden zu seyn. Machte ich die Ronde jetzt, ich würde wahrscheinlich
mehr zu erzählen haben, und Belege zu meinen vorigen Meinungen geben
können.

Freilich möchte ich gern ein Buch gemacht haben, das auch ästhetischen
Werth zeigte; aber Charakteristik und Wahrheit würde durch ängstliche
Glättung zu sehr leiden. Niemand kann die Sache und sich selbst besser
geben, als beide sind. Ich fühle sehr wohl, daß diese Bogen keine
Lektüre für Toiletten seyn können. Dazu müßte vieles heraus und vieles
müßte anders seyn. Wenn aber hier und da ein guter, unbefangener,
rechtlicher, entschlossener Mann einige Gedanken für sich und Andere
brauchen kann, so soll mir die Erinnerung Freude machen.

Leipzig, 1803.

                                                              _Seume._



Nach gewissenhafter Ueberlegung habe ich im Wesentlichen nichts
verändern können. Faktisch waren die Dinge so, wie ich sie erzähle; und
in dem Uebrigen ist meine Ueberzeugung nicht von gestern und ehegestern.
Wahrheit und Gerechtigkeit werden immer mein einziges Heiligthum seyn.
Warum sollte ich zu entstellen suchen? Zu hoffen habe ich nichts, und
fürchten will ich nichts. Ueber Vortrag und Styl werden freilich wohl
die Kritiker noch manche Ausstellung zu machen haben, gegen deren
Richtigkeit ich nicht hartnäckig streiten will. Aber es war mir
unmöglich das Ganze mehr umzuschmelzen, und die lebendigere
Individualität möchte auch bei dem Guß mehr verloren als gewonnen haben.
Ich lege dieses zwar nicht als ein vollständiges Gemälde, aber doch als
einen ehrlichen Beitrag zur Charakteristik unserer Periode bei den
Zeitgenossen nieder, und bin zufrieden, wenn ich damit nur den Stempel
eines wahrheitliebenden, offenen, unbefangenen, selbstständigen,
rechtschaffenen Mannes behaupte. Gegen den Strom der Zeit kann zwar der
Einzelne nicht schwimmen: aber wer Kraft hat, hält fest und läßt sich
von demselben nicht mit fortreißen. Noch gebe ich die Hoffnung nicht
auf, daß einst ursprüngliche Gerechtigkeit seyn werde, obgleich die
unglücklichen Versuche noch viele platonische Jahre dauern mögen. Nur
wirke Jeder mit Muth, weil sein Tag währt.



                                          _Dresden_, den 9. Dec. 1801.


Ich schnallte in Grimma meinen Tornister, und wir gingen. Eine Karavane
guter gemüthlicher Leutchen gab uns das Geleite bis über die Berge des
Muldenthals, und Freund Großmann sprach mit Freund Schnorr sehr viel aus
dem Heiligthume ihrer Göttin, wovon ich Profaner sehr wenig verstand.
Unbemerkt suchte ich einige Minuten für mich, setzte mich oben Sankt
Georgens großem Lindwurm gegenüber und betete mein Reisegebet, daß der
Himmel mir geben möchte billige, freundliche Wirthe und höfliche
Thorschreiber von Leipzig bis nach Syrakus, und zurück auf dem andern
Wege wieder in mein Land; daß er mich behüten möchte vor den Händen der
monarchischen und demagogischen Völkerbeglücker, die mit gleicher
Despotie uns schlichten Menschen ihr System in die Nase heften, wie der
Samojede seinen Thieren den Ring.

Nun sah ich zurück auf die schöne Gegend, die schon Melanchthon so
lieblich fand, daß er dort zu leben wünschte; und überlief in Gedanken
schnell alle glücklichen Tage, die ich in derselben genossen hatte: Mühe
und Verdruß sind leicht vergessen. Dort stand Hohenstädt mit seinen
schönen Gruppen, und am Abhange zeigte sich Göschens herrliche Siedelei,
wo wir so oft gruben und pflanzten und jäteten und plauderten und
ernteten und Kartoffeln aßen und Pfirschen: an den Bergen lagen die
freundlichen Dörfer umher, und der Fluß wand sich gekrümmt durch die
Bergschluchten hinab, in denen kein Pfad und kein Eichbaum mir unbekannt
waren.

Die Sonne blickte warm wie im Frühling, und wir nahmen dankbar und mit
der heitersten Hoffnung der Rückkehr von unsern Begleitern Abschied.
Noch einmal sah ich links nach der neuen Mühle auf die größte Höhe hin,
die uns im Gartenhause zu Hohenstädt so oft zur Gränze unserer Aussicht
über die Thäler gedient hatte, und wir wandelten ruhig die Straße nach
Hubertsburg hinab. In Altmügeln empfing man uns mit patriarchalischer
Herzlichkeit, bewirthete uns mit der Freundschaft der Jugend und
schickte uns den folgenden Morgen mit einer schönen Melodie von Göthens
Liede -- »Kennst du das Land?« -- unter den wärmsten Wünschen weiter
nach Meißen, wo wir eben so traulich willkommen waren. Wenn wir uns doch
die freundlichen Bekannten an die südliche Küste von Sicilien hin
bestellen könnten! Die Elbe rollte majestätisch zwischen den Bergen von
Dresden hinab. Die Höhen glänzten, als ob eben die Knospen wieder
hervorbrechen wollten, und der Rauch stieg von dem Flusse an den alten
Scharfenberg hinauf. Das Wetter war den achten December so schwül, daß
es unserm Gefühl sehr wohlthätig war, als wir aus der Sonne in den
Schatten des Waldes kamen.

Seit zwölf Jahren hatte ich Dresden nicht gesehen, wo ich damals von
Leipzig herauf wandelte, um einige Stellen in ^Guichards mémoires
militaires^ nachzusuchen, die ich dort nicht finden konnte. Auch in
Dresden fand ich sie nicht, weil man sie einem General in die Lausitz
geschickt hatte. Nach meiner Rückkehr traf ich den Freibeuter Quintus
Icilius bei dem Theologen Morus, und fand in demselben nichts, was in
meinen Kram getaucht hätte. So macht man manchen Marsch in der Welt, wie
im Kriege, umsonst. Es wehte mich oft eine kalte, dicke, sehr
unfreundliche Luft an, wenn ich einer Residenz nahe kam; und ich kann
nicht sagen, daß Dresden dießmal eine Ausnahme gemacht hätte, so
freundlich auch das Wetter bei Meißen gewesen war. Man trifft so viele
trübselige, unglückliche, entmenschte Gesichter, daß man alle fünf
Minuten auf eines stößt, das öffentliche Züchtigung verdient zu haben,
oder sie eben zu geben bereit scheint: Du kannst denken, daß weder
dieser noch jener Anblick wohlthut[6]. Viele scheinen auf irgend eine
Weise zum Hofe zu gehören oder die kleinen Offizianten der Kollegien zu
seyn, die an dem Stricke der Armseligkeit fortziehen, und mit Grobheit
grollend das Endchen Tau nach dem hauen, der ihrer Jämmerlichkeit zu
nahe tritt. Ungezogenheit und Impertinenz ist bekanntlich am meisten
unter dem Hofgesinde der Großen zu Hause, das sich oft dadurch für die
Mißhandlungen schadlos zu halten sucht, die es von der eben nicht feinen
Willkühr der Herren erfahren muß. Höflichkeit sollte vom Hofe kommen;
aber das Wort scheint, wie viele andere im Leben, die Antiphrase des
Sinnes zu seyn, und Hof heißt oft nur ein Ort, wo man keine Höflichkeit
mehr findet, so wie Gesetz oft der Gegensatz von Gerechtigkeit ist. Wehe
dem Menschen, der zur Antichambre verdammt ist! Es ist ein großes Glück,
wenn sein Geist nicht knechtisch oder despotisch wird! und es gehört
mehr als gewöhnliche Männerkraft dazu, sich auf dem gehörigen
Standpunkte der Menschenwürde zu erhalten.

Eben komme ich aus dem Theater, wo man Großmanns alte »Sechs Schüsseln«
gab. Du kennst die Gesellschaft. Sie arbeitete im Ganzen gar nicht übel.
Das Stück selbst war beschnitten worden, und ich erwartete nach der
Gewohnheit eine förmliche Kombabusirung, fand aber bei genauer
Vergleichung, daß man dem Verfasser eine Menge Leerheiten und
Plattheiten ausgemerzt hatte, deren Wegschaffung Gewinn war.
Verschiedene zu grelle Züge, die bei der ersten Erscheinung vor fünf und
zwanzig Jahren es vielleicht noch nicht waren, waren gestrichen. Aber es
war auch mit der gewöhnlichen Dresdener Engbrüstigkeit Manches
weggelassen worden, was zu Ehre der liberalen Duldung besser geblieben
wäre. Ich sehe nicht ein, warum man den Fürsten in einen König
verwandelt hatte. Das Ganze bekam durch die eigenmächtige Krönung eine
so steife Gezwungenheit, daß es bei verschiedenen Scenen sehr auffallend
war. Wenn man in Königsstädten die Könige zu bloßen Fürsten machen
wollte, würde dadurch etwas gebessert? Sind nicht beide Fehlern
unterworfen? Die Furcht war sehr unnöthig; und der Charakter des
wirklich vortrefflichen Churfürsten muß eher durch solche Winkelzüge
beleidiget werden. Man hat ihm in seinem ganzen Leben vielleicht nur
eine oder zwei Uebereilungen zur Last gelegt, und davon ist keine in dem
Stücke berührt. Daß man die Grobheiten der verflossenen zwanzig Jahre
wegwischt, hat moralischen und ästhetischen Grund: aber ich sehe nicht
ein, warum die noch immer auffallenden Thorheiten und Gebrechen der
Adelskaste nicht mit Freimüthigkeit gesagt, gerügt und mit der Geißel
des Spottes zur Besserung gezüchtiget werden sollen. Wenn es nicht mehr
trifft, ist es nicht mehr nöthig; daß es aber noch nöthig ist, zeigt die
ängstliche Behutsamkeit, mit der man die Lächerlichkeit des jüngsten
Kammerjunkers zu berühren vermeidet.

_Christ_, als Hofrath, sprach durchaus bestimmt und richtig, und seine
Aktion war genau, gemessen, ohne es zu scheinen. Du kennst seinen feinen
Takt. Madam _Hartwig_ spielte seine Tochter mit ihrer gewöhnlichen
Theatergrazie und an einigen Stellen mit ungewöhnlicher, sehr
glücklicher Kunst. Madam _Ochsenheimer_ fängt an eine ziemlich gute
Soubrette zu werden, und verspricht in der Schule ihres Mannes viel
Gutes in ihrem Fache. _Ochsenheimer_ war nicht zu seinem Vortheile in
der Rolle des Herrn von Wilsdorf. _Thering_ und _Bösenberg_ kennst Du:
beide hatten, der erste als Philipp, der zweite als Wunderlich, ein
ziemlich dankbares Feld. Thering spielte mit seiner gewöhnlichen
barocken Laune und mußte gefallen; aber Bösenberg that einen
beleidigenden Mißgriff, der ihm vielleicht nur halb zur Last gelegt
werden kann. Wunderlich wollte für den gelieferten Wagen ^stante bene^
bezahlt seyn: und nun denke Dir Bösenbergs obersächsische Aussprache
hinzu, die so gern das Weiche hart und das Harte weich macht, und die
dazu hier sehr markirt zu seyn schien. Der halblateinische Theil des
Publikums lachte heillos, und mir kam es als eine Ungezogenheit der
ersten Größe vor. Die übrigen Rollen waren leidlich besetzt. Auch
_Drewitz_ machte den Fritz nicht übel, weil er ihn schlecht machte. Aber
_Henke_ war ein Major, wie ein Stallknecht, und arbeitete oder vielmehr
pfuschte zur großen Belustigung aller Militaire, die um mich her im
Parket saßen. Der Fehler war nicht sowohl sein eigen, als des
Direktoriums, das ihn zum Major gemacht hatte. ^Non omnia possumus
omnes^; er macht den Bäcker Ehlers in einem Ifflandischen Stücke recht
gut.

Man hatte uns bange gemacht, wir würden Schwierigkeiten wegen
Oesterreichischer Pässe haben; aber ich muß die Humanität der
Gesandtschaft rühmen. Herr von Büel, als Sekretär, nahm uns sehr gütig
auf und fertigte, da er unsere Wünsche bald abzureisen vernahm, mit
großer Freundlichkeit sogleich selbst aus; und in einigen Stunden
erhielten wir die Papiere, von dem Grafen Metternich unterschrieben,
durch alle kaiserliche Länder.

Du kennst meine Saumseligkeit und Sorglosigkeit in gelehrten Dingen und
Sachen der Kunst. Was soll ich Laie im Heiligthum? Die Gallerie sah ich
nicht, weil ich dazu noch einmal hätte Schuhe anziehen müssen; den
Antikensaal sah ich nicht, weil ich den Inspektor das erstemal nicht
traf; und das Uebrige nicht, weil ich zu indolent war. Du verlierst
nichts; ein Anderer wird Dir Alles besser erzählen und beschreiben.

Herrn _Grassi_ besuchte ich, mehr in Schnorrs Gesellschaft und weil ich
ihn ehedem schon in Warschau gesehen hatte, als weil ich mich sehr
gedrängt gefühlt hätte, seine Arbeiten zu sehen; und doch halte ich ihn
für den besten Maler, den ich bis jetzt kenne. Er hat ein glühendes und
doch sehr zartes Kolorit, mit einer richtigen und interessanten
Zeichnung. Mich däucht, er hat von dem strengen Ernst der alten ächten
Schule etwas nachgelassen und seine eigene blühende, unaussprechlich
reizende Grazie dafür ausgegossen. Er hat mit besserm Glücke gethan, was
Oeser in seiner letzten Manier thun wollte, durch welche er, wie die
Kritiker der Kunst sehr gut wissen, unter die Nebulisten gerieth. Beide
schmeicheln; aber Grassi schmeichelt nur dem Kenner, und Oeser
schmeichelte nur dem Liebhaber. Grassi erzählte mir noch manches von
Warschau, wo wir beide in der großen Krise der letzten Revolution
Berührungspunkte fanden. Er hatte durch Teppers Fall einen Verlust von
fünftausend Dukaten erlitten, und mußte während der Belagerung bei dem
Bürgercorps als Korporal zehn Mann kommandiren. Stelle Dir den sanften
Künstler auf einer Batterie mit einer Korporalschaft wilder Polen vor,
wo die kommenden Kugeln durchaus keine Weisung annahmen. Kosciusko's
Freundschaft und Kunstsinn brachten den guten Mann endlich in
Sicherheit, indem der General ihm Pässe zur Entfernung von dem
schrecklichen Schauplatze auswirkte und ihm selbst hinlängliche
Begleitung gab, bis er nichts mehr zu befürchten hatte. Du kannst
denken, daß unser Freund Schnorr sich mit Enthusiasmus an den Mann
anschloß; und die Herzlichkeit, mit der sich beide einander öffneten,
machte beiden Ehre.

Heute früh wurde ich durch den Donner der Kanonen geweckt und erfuhr
beim Aufstehen, daß dem Hause ein Prinz geboren war. Vielleicht macht
der Herr in seinem Leben nicht wieder so viel Lärm, als bei seiner
Ankunft auf unsern Planeten. Die Fürsten dieses Hauses sind zum Glück
ihrer Länder seit mehr als einem Jahrhundert meistens Kinder des
Friedens. Dadurch werden die Verdienste gewiß erhöht, und ihr Muth wird
doch nicht mehr problematisch, als ob sie Schlachten gewännen.



                                                              _Budin._


Du weißt, daß Schreibseligkeit eben nicht meine Erbsünde ist, und wirst
mir auch Deiner selbst wegen sehr gern verzeihen, wenn ich Dir eher zu
wenig, als zu viel erzähle. Wenn ich recht viel hätte schreiben wollen,
hätte ich eben so gut in meinem Polstersessel bleiben können. Nimm also
mit Fragmenten vorlieb, aus denen am Ende doch unser ganzes Leben
besteht. In Dresden mißfiel mir noch zuletzt gar sehr, daß man zur
Bequemlichkeit der Ankömmlinge und Fremden noch nicht die Straßen und
Gassen an den Ecken bezeichnet hat; ein Polizeiartikel, an den man schon
vor zehn Jahren in kleinen Provinzialstädten sogar in Polen gedacht hat,
und der die Topographie außerordentlich erleichtert: und Topographie
erleichtert wieder die Geschäfte.

Den letzten Nachmittag sah ich dort noch die Mengsische Sammlung der
Gypsabgüsse. Schnorr wird Dir besser erzählen, von welchem Werthe sie
ist, und Küttner hat es, meines Wissens, schon sehr gut gethan. Du
weißt, daß ich hier ziemlich Idiot bin und mich nicht in das Heiligthum
der Göttin wage; ob ich gleich über manche Kunstwerke, zum Beispiel über
die Mediceerin, meine ganz eigenen Gedanken habe, die mir wohl
schwerlich ein Antiquar mit seiner Aesthetik austreiben wird. Schon
freue ich mich auf den Augenblick, wo ich das Original in Palermo sehen
werde, wo es, wie ich denke, jetzt steht. Hier interessirten mich eine
Menge Köpfe am meisten, die ich größtentheils für römische hielt.
Küttners Wunsch fiel mir dabei ein, daß der Churfürst diese Sammlung,
zur Wohlthat für die Kunst, mehr kompletiren möchte. Auch ist die
Periode des Beschauens zu beschränkt, da sie den Sommer wöchentlich nur
zwei Tage und den Winter öffentlich gar nicht zu sehen ist. Einige
Verordnungen, die Kunst betreffend, sind mir barock genug vorgekommen.
Kein Künstler, zum Beispiel, darf auf der Gallerie ein Stück ganz fertig
kopiren, wie man mich versichert hat. Dieß zeigt eine sehr kleinliche
Eifersucht. Es wäre für die Schule in Dresden keine kleine Ehre, wenn
Kopien großer Meister von dort kämen, die man mit den Originalen
verwechseln könnte. Auch darf kein Maler länger als die bestimmten zwei
Stunden, oben arbeiten, welches für die Kopisten in Oel eine Zeit ist,
in welcher fast nichts gemacht werden kann. Aber das Künstlervolk mag
seinen Muthwillen auch zuweilen bis zur Ungezogenheit treiben; und es
soll vor Kurzem ein nahmhafter Maler unsers deutschen Vaterlandes seine
Pinsel auf einem der schönsten Originale abgewischt haben, um die Farben
zu versuchen. Da würde mir Laien unwillkürlich der Knotenstock sich in
der Faust geregt haben.

Den letzten Abend sah ich noch eine Oper, die mit ziemlich vieler Pracht
gegeben wurde. Mein Gedächtniß ist wie ein Sieb, aber mich däucht, es
war die Gräfin von Amalfi. Die Musik ist, wenn ich nicht irre, sehr
eklektisch. Es war bei der Vorstellung kein einziger schlechter Sänger
und Akteur; aber, nach meiner Meinung, auch kein einziger
vortrefflicher, so sehr man auch in Dresden dieses behauptete. Die
Schuld mag wohl mein gewesen seyn, da ich mich fast in jedem Fache eines
bessern Subjektes unwillkürlich erinnerte.

In Pirna sahen wir ein Stündchen Herrn _Siegfried_, den Du als den
Verfasser von Siama und Galmori kennest und der uns mit einigen
Bekannten an die Grenze brachte. Nun ging es in die Höhe; und so mild es
unten am Flusse gewesen war, so rauh war es oben, und in einigen Stunden
hatten wir schon Schnee. Dieser vermehrte sich bis einige Stunden hinter
Peterswalde, nahm sodann allmälig wieder ab und hörte bei Außig wieder
ganz auf.

Man hatte mir gar sonderbare Begriffe von den auffallenden Erscheinungen
der böhmischen Katholicität gemacht. Ich habe nichts bemerkt. Im
Gegentheil muß ich sagen, es gefiel mir Alles außerordentlich wohl.
Unser Wirthshaus in Peterswalde war so gut, als man mit gehöriger
Genüglichkeit es sich nur immer wünschen kann. Der Zollbeamte, der den
Paß bescheinigte, war freundlich. Die Mahlzeit war nicht übel und die
Aufwärterin gar allerliebst niedlich und artig. Lache nur über diese
Bemerkung von mir Griesgram! Man müßte eine sehr verstimmte und
unästhetische Seele haben, wenn man nicht lieber ein junges, hübsches,
freundliches Gesicht sähe, als ein altes, häßliches, murrsinniges. Das
Mädchen setzte in unserm Zimmer ihr Silbermützchen vor einem Spiegel,
der zwischen zwei Marienbildern hing, so reizend unbefangen in Ordnung,
als ob sie sich in Ehren eine kleine Unordnung recht gern wollte
vergeben lassen. Der Ketzer Schnorr sah dem rechtgläubigen Geschöpf so
enthusiastisch in die Augen, als ob er sich eben zu ihr bekehren, oder
sie wenigstens zum Modell nehmen wollte. Ueberdieß ist der
böhmisch-deutsche Dialekt bis Lowositz ziemlich angenehm und gurgelt die
Worte nicht halb so dick und widrig hervor, wie der gebirgische in
Sachsen.

Der Weg von Peterswalde[7] nach Außig ist rauh, aber schön; von Außig,
wo man wieder an die Elbe kommt, romantisch wild, links und rechts an
dem Flusse hohe Berge mit Schluchten, Felsenwänden und Spitzen. Hier
tönte mir die Klage über die Undisciplin unserer sächsischen Landsleute
ins Ohr, die in dem baierischen Erbfolgekriege zur Feuerung hier alle
Weinpfähle verbrannten. Sie durften nur einige hundert Schritte höher
steigen, so hatten sie ganze Wälder. Das schmerzt mich in die Seele
Anderer. Wenn die Oestreicher es eben so schlimm machen, so werden wir
dadurch nicht besser. Wann wird unsere Humanität wenigstens diese
Schandflecken wegwischen? Bei Lowositz endigen allmälig die Berge, und
von da bis Eger hinauf und Leutmeritz hinab ist schönes, herrliches,
fruchtbares Land, das zwei Stunden hinter Budin nun ganz Ebene wird. In
Budin, einem Orte, wo allgemeine Verlassenheit zu seyn scheint, traf ich
bei dem Juden Lasar Tausig eine kleine Sammlung guter Bücher an, und
ließ mir von ihm, da er Lessings Nathan einem Freunde geliehen hatte,
auf den Abend Kants Beweisgrund zur einzig möglichen Demonstration über
das Daseyn Gottes geben.



                                                               _Prag._


Von Budin bis hierher stehen im Kalender sieben Meilen, und diese
tornisterten wir von halb acht Uhr früh bis halb sechs Uhr Abends sehr
bequem ab, und saßen doch noch über eine Stunde zu Mittage in einem
Wirthshause, wo wir bei einem Eierkuchen durchaus mitfasten und dafür
funfzig Kreuzer bezahlen mußten; welches ich für einen Eierkuchen in
Böhmen eine stattliche Handvoll Geld finde. Da war es in Peterswalde
verhältnißmäßig billiger und besser. Der Wirth zur Rose in Budin hatte
ein gutes Haus von außen und ein schlechtes von innen. Eine Suppe von
Kaldaunen, altes dürres Rindfleisch und ein zäher, lederner Braten von
einer Gans, die noch eine Retterin des Kapitols gewesen seyn mochte;
noch schlechter waren die Betten: aber am schlechtesten war der Preis.
Die schlechten Sachen waren ungeheuer theuer, wovon ich schon vorher
unterrichtet war. Aber Muß ist ein Bretnagel, heißt das Sprichwort.
Dieser Wirth ist der Einzige in Budin und mich däucht, schon Küttner hat
gehörig sein Lob gesungen. Uebrigens lasse ich die Qualität der
Wirthshäuser mich wenig anfechten. Das beste ist mir nicht zu gut, und
mit dem schlechtesten weiß ich noch fertig zu werden. Ich denke, es ist
noch lange nicht so schlimm, als auf einem englischen Transportschiffe,
wo man uns wie die schwedischen Häringe einpökelte, oder im Zelte, oder
auf der Brandwache, wo ich einen Stein zum Kopfkissen nahm, sanft
schlief und das Donnerwetter ruhig über mir wegziehen ließ.

In der Budiner Wirthsstube war ein Quodlibet von Menschen, die einander
ihre Schicksale erzählten und hier und da, zur Verschönerung
wahrscheinlich, etwas dazu logen. Einige östreichische Soldaten,
Stallleute und ehemalige Stückknechte, die alle in der französischen
Gefangenschaft gewesen waren, und einige Sachsen von dem Kontingent
machten eine erbauliche Gruppe, und unterhielten die Nachbarn lang und
breit von ihren ausgestandenen Leiden. Besonders machte einer der
Soldaten eine so greuliche Beschreibung von den Läusen im Felde und in
der Gefangenschaft, daß wir Andern fast die Phthiriase davon hätten
bekommen mögen. Mir war es nunmehr nur eine drollige Reminiscenz meiner
ersten Seefahrt nach Amerika, wo die Engländer uns gar erbärmlich
säuberlich hielten, und wo wir, vom Kapitän bis zum Trommelschläger, der
Thierchen auch eine solche Menge bekamen, daß sie das Tauwerk zu
zerfressen drohten. Ein Fuhrknecht erzählte dann unter andern toll
genug, wie er und seine Kameraden in Iglau neulich einige Soldaten, in
einem Streit wegen der Mädchen, gar furchtbar zusammengeprügelt hätten.
^Where there is a quarrel, there is always a lady in the case^, dachte
ich, gilt auch bei der östreichischen Bagage. Ein Soldat meinte, daß die
Fuhrknechte denn doch etwas sehr Mißliches und Ungebührliches
unternommen hätten, sich an den Vertheidigern des Vaterlandes zu
vergreifen; die Geschichte würde ihnen am Ende bitter bekommen seyn. »Ei
was,« versetzte der Fuhrknecht, »es waren ja nur Legioner.« »Das ist
etwas anderes,« erwiederte der Soldat beruhigt, »das waren also nur
Studenten und Kaufmannsjungen, die den dritten Marsch um das Butterbrot
weinten, wie die Hellerhuren; die kann man schon mit einer tüchtigen
Tracht Schläge einweihen, um ihnen den Kitzel zu vertreiben.«

In Prag registrirte uns eine Art von Thorschreiber gehörig ein, gab uns
Quartierzettel und schickte unsere Pässe zur Visirung auf das
Polizeidirektorium. Die Herren der Polizei waren, gegen alle Gewohnheit
der Klasse in andern Ländern, die Höflichkeit selbst; den andern Morgen
war in zehn Minuten Alles abgethan, und wir hatten unsern Bescheid bis
Wien. Unsere Bekannten wunderten sich sehr über unser Glück, da man noch
kurz vorher Fremden mit Gesandtschaftspässen viele Schwierigkeiten
gemacht hatte.

Das Theater hier ist polizeimäßig richtig und nicht ohne Geschmack
gebaut. Das Stück, das man gab, war schlecht, die Gesellschaft arbeitete
nicht gut, und das Ballet ging nicht viel besser, als das Stück. Der
Gegenstand des letztern, das wilde Mädchen, war von dem Komponisten sehr
gut ausgeführt; und es war Schade, daß in der Vorstellung weder
Charakter, noch Takt richtig gehalten wurde. Guardasoni ist Unternehmer
der beiden Abtheilungen des Theaters, sowohl der deutschen, als der
italienischen. Die deutsche habe ich höchst mittelmäßig gefunden, und
die italienische soll noch einige Grade schlechter seyn, die wir doch
sonst in Leipzig bei ihm sehr gut besetzt und wohl geordnet fanden.
Heute wurde Hamlet gegeben, und Du kannst Dir vorstellen, daß ich nicht
Lust hatte, einen meiner Lieblinge gemißhandelt zu sehen.

Die Bibliothek war geschlossen, weil sie in Feuersgefahr gewesen war und
man den Schaden ausbauet; und das wird länger dauern, als ich zu warten
gesonnen bin. Der Bibliothekar, Rath _Unger_, der um Literatur und
Aufklärung viel Verdienste und gegen Fremde große Gefälligkeit hat,
würde indessen unstreitig die Güte gehabt haben, uns die gelehrten
Schätze zu zeigen, wenn wir ihn zu Hause getroffen hätten. Es ist
bekannt, wie sehr sie im dreißigjährigen Kriege von den Schweden
geplündert wurde, die, durch Einverständniß mit ihrer Partei, sogar die
unterirdischen Gewölbe ausfindig zu machen wußten, um die versteckten
Reichthümer hervorzuziehen. Durch die Aufhebung der Klöster unter Joseph
dem Zweiten hat die Bibliothek zwar wieder außerordentlich gewonnen;
aber die aufgehäuften Bücher und Schriften sind eben dadurch für die
Literatur größerer Gefahr ausgesetzt, weil sie an einem einzigen Orte
beisammen liegen. Der letzte Vorfall hat die Besorgniß bestätigt und
erhöht. Ein Glück war es, daß eben damals mehr als vierzig Menschen oben
lasen, als durch die Nachlässigkeit eines Künstlers, der über derselben
in Feuer arbeitete, die Gluth durchbrach. So ward selbst die liberale
Benutzung des Instituts, dessen Einrichtung zu den musterhaftesten
gehört, ihre Rettung.

Auf Grodschin war das Wetter unfreundlich und finster, und ich blickte
durch die Schneegestöber nach der Gegend hinaus, wo Friedrich schlug und
Schwerin fiel. Die Kathedrale hat für die Liebhaber der Geschichte
manches Merkwürdige. Die Begräbnisse der alten Herzoge von Böhmen
gewähren, wenn man Muße hat, eine eigene Art von Genuß; und das silberne
Monument eines Erzbischofs ist vielleicht auch für den Künstler nicht
ohne Interesse. Während Schnorr es betrachtete, stand ich vor den
Gräbern der Kaiser Wenzel und Karls des Vierten, und fand, daß die
Zeiten der goldenen Bulle doch wohl nur für wenige Fürsten golden und
für die ganze übrige Menschheit sehr bleiern waren. Schlicks, des
Ministers Grabmal, gleich hinter dem Steine des Kaisers, ist ein
verdorbener gothischer Bombast ohne Geschmack und Würde. Eine Pyramide
in der Kirche kommt mir vor, als ob man den Blocksberg in eine
Nachtmütze stecken wollte.

Der gute Nepomuck auf der Brücke, mit seiner ehrwürdigen Gesellschaft,
gewährt den frommen Seelen noch viel Trost. Es scheint überhaupt in
Prag, sowohl unter Katholiken, als unter Protestanten, noch eine große
Anzahl Zeloten zu geben: nur nicht unter den höheren Ständen, die in
dieser Rücksicht die Toleranz selbst sind.

Ich freute mich, als ich hinter Lowositz in Böhmen auf die Ebenen kam,
und hoffte nun, einen beträchtlichen Grad von Wohlstand und Kultur zu
finden, da der Boden rund umher außerordentlich fruchtbar zu seyn
schien. Aber meine Erwartung wurde traurig getäuscht. Die Dörfer lagen
dünn, und waren arm: noch mehr, als in dem Gebirge. Man drasch in den
Herrenhöfen auf vielen Tennen und die Bauernhäuser waren leer und
verfallen; die Einwohner schlichen so niedergedrückt herum, als ob sie
noch an dem härtesten Joche der Sklaverei zögen. Mich deucht, sie sind
durch Josephs wohlthätige Absichten wenig gebessert worden, und höchst
wahrscheinlich sind sie hier noch schwerer durch die Frohnen gedrückt,
als irgendwo. Wo die Sklaverei systematisch ist, machen die Städte oft
den Anhang des großen und kleinen Adels und theilen den Raub. Das schien
hier der Fall. Alles war in Furcht, als sich die Franzosen nahten; nur
die Bauern jubelten laut und sagten, sie würden sie mit Freuden erwarten
und alsdann schon ihre Unterdrücker bezahlen. Ob der Landmann in
Rücksicht der Franzosen Recht hatte, ist eine andere Frage: aber in
seiner Freude bei der furchtbaren Krise des Vaterlandes lag ein großer
Sinn, der wohl beherzigt zu werden verdiente, und der auch vielleicht
den Frieden mehr beschleunigt hat, als die verlornen Schlachten.

Unsere guten Freunde jagen uns hier Angst ein, daß rund umher in der
Gegend Räuber und Mörder streifen. Das könnten unsere guten Freunde nun
wohl bleiben lassen; denn fort müssen wir. In Leutmeritz sollen über
Hundert sitzen, und in Prag nicht viel weniger. Die Auflösung der
militärischen Corps ist immer von solchen Uebeln begleitet, so wie bei
uns die Einrichtungen gewöhnlich sind. Ich gehe getrost vorwärts und
verlasse mich etwas auf einen guten, schwerbezwingten Knotenstock, mit
dem ich tüchtig schlagen und noch einige Zoll in die Rippen nachstoßen
kann. Freund Schnorr wird auch das Seinige thun; und so müssen es schon
drei gut bewaffnete, entschlossene Kerle seyn, die uns anfallen wollen.
Wir sehen nicht aus, als wenn wir viel bei uns trügen, und auch wohl
nicht, als ob wir das Wenige, das wir tragen, so leicht hergeben würden.



                                                              _Znaym._


Wir nahmen den Segen unsrer Freunde mit uns und pilgerten von Prag aus
weiter. Wo ich nichts gesehen habe, kann ich Dir natürlicher Weise
nichts erzählen. Nachtlager sind Nachtlager; und ob wir Schinken oder
Wurst oder beides zugleich aßen, kann Dir ziemlich gleichgültig seyn.

Es war ein schöner, herrlicher, frischer Morgen, als wir durch Kolin und
durch die Gegend des Schlachtfeldes gingen. Daun wußte alle seine
Schlachten mit vieler Kunst zu Postengefechten zu machen, und Friedrich
erfuhr mehr als einmal das gewaltige Genie dieses Kunktators. Wäre er
bei Torgau nicht verwundet worden, es wäre wahrscheinlich eine zweite
Auflage von Kolin gewesen. Die Gegend von Kolin bis Czaßlau kam mir sehr
angenehm vor; vorzüglich geben die Dörfer rechts im Thale einen schönen
Anblick. Die vorletzte Anhöhe von Czaßlau gewährt eine herrliche
Aussicht rechts und links, vorwärts und rückwärts, über eine fruchtbare,
mit Dörfern und Städten besäete Fläche. Mich däucht, es wäre hier einer
der besten militärischen Posten, so leicht und richtig kann man nach
allen Gegenden hinabstreichen: und mich sollte es sehr wundern, wenn der
Fleck nicht irgendwo in der Kriegsgeschichte steht. Nicht weit von Kolin
aß ich zu Mittage in einem Wirthshause an der Straße, ohne mich eben
viel um die Mahlzeit zu bekümmern. Meine Seele war in einer eigenen,
sehr gemischten Stimmung; nicht ohne einige Wehmuth, unter den
furchtbaren Scenen der Vorzeit; da tönte mir aus der Ecke des großen,
finstern Zimmers eine schwache, zitternde, einfach magische Musik zu.
Ich gestehe Dir meine Schwachheit: ein Ton kann zuweilen meine Seele
schmelzen und mich wie einen Knaben gängeln. Eine alte Böhmin saß an
einem helleren Fenster uns gegenüber und trocknete sich die Augen, und
ein junges, schönes Mädchen, wahrscheinlich ihre Tochter, schien ihr mit
Mienen und Worten sanft zuzureden. Ich verstand hier und da in der
Entfernung nur Einiges aus der Aehnlichkeit mit dem Russischen, das ich,
wie Du weißt, ehemals etwas zu lernen genöthigt war. Die Empfindung
bricht bei mir selten hervor, wenn mich nicht die Humanität allmächtig
hinreißt. Ich helfe, wo ich kann; wenn ich es nur öfter könnte. Der Ton
des alten Instruments, welches ein goldhaariger junger Kerl in dem
andern dunkeln Winkel spielte, mochte auf die Weiberseelen stärker
wirken, und ihre eigenthümliche Stimmung lebendiger machen. Es war nicht
Harfe, nicht Laute, nicht Zither; man konnte mir den eigentlichen Namen
nicht nennen; am ähnlichsten war es der russischen ^Balalaika^.

Mich däucht, schon Andere haben angemerkt, daß die Straße von Prag nach
Wien vielleicht die befahrenste in ganz Europa ist. Uns begegneten eine
unendliche Menge Wagen mit ungarischen Weinen, Wolle und Baumwolle: aber
die Meisten brachten Mehl in die Magazine bei Czaßlau und weiter hin
nach der Grenze.

Die böhmischen Wirthshäuser sind eben nicht als die besten in Kredit,
und wir hatten schon zwischen Dresden und Prag einmal etwas cynisch
essen, trinken und liegen müssen. Man tröstete uns, daß wir in
Deutschbrot ein sehr gutes Haus finden würden; aber nie wurde eine so
gute Hoffnung so schlecht erfüllt. Wir gingen in zwei, die eben keine
sonderliche Miene machten, und konnten keine Stube erhalten; die
Officiere, hieß es, haben auf dem Durchmarsche Alles besetzt. Das mochte
vielleicht auch der Fall seyn, denn Alles ging von der Armee nach Hause:
deßwegen die unsichern Wege. Im dritten legte ich mißmuthig sogleich
meinen Tornister auf den Tisch, und quartirte mich ein, ohne ein Wort zu
sagen. Der Wirth war ein Kleckser und nannte sich einen Maler, und seine
Mutter ein Muster von einem alten, häßlichen, keifischen Weibe, das
schon seit vierzig Jahren aus der sechsten Bitte in die siebente
getreten war. Es erschienen nach uns eine Menge Juden, Glashändler,
Tabuletkrämer und Kastenträger aller Art, von denen einer bis nach
Sibirien an den Jenisey zu handeln vorgab. Die Gesellschaft trank, sang
und zankte sehr hoch, ohne sich um meine Aesthetik einen Pfifferling zu
bekümmern; und zur Nacht schichtete man uns mit den Hebräern so enge auf
das Stroh, daß ich auf dem britischen Transport nach Kolumbia kaum
gedrückter eingelegt war. Solche Abende und Nächte mußten schon mit
eingerechnet werden, als wir den Reisesack schnallten.

In Iglau habe ich bei meinem Durchmarsche nichts gesehen, als den
großen, schönen, hellen Markt, dessen Häuser aber in der Ferne sich weit
besser machen, als in der Nähe, wie fast Alles in der Welt, das ins
Prächtige fallen soll, ohne Kraft zu haben. Ziemlich in der Mitte des
Marktes steht ein herrliches Dreifaltigkeitsstück, von Leopold dem
Ersten und Joseph dem Ersten, so christgläubig als möglich, aber traurig
wie die Barberei. Einige feine Artikel waren zerspalten und bekleckst,
aber die ^conceptio immaculata^ und die ^sponsa spiritus sancti^ standen
unter dem Ave Maria zum Troste der Gläubigen noch fest und wohl
erhalten. Es soll bei Iglau schon ein recht guter Wein wachsen; er muß
aber nicht in Menge kommen; denn ich habe in der Gegend nicht viel
Weingärten gesehen. Eine halbe Stunde diesseits Iglau stehen an der
Gränze zwei Pyramiden nicht weit von einander, welche im Jahr 1750 unter
Maria Theresia von den böhmischen und mährischen Ständen errichtet
worden sind. Die Inschriften sind ächtes neudiplomatisches Latein und
schon ziemlich verloschen, so daß man in hundert Jahren wohl schwerlich
etwas mehr davon wird lesen können: und doch sind sie, wie gewöhnlich,
zum ewigen Gedächtniß gesetzt. In Mähren scheint mir durchaus noch mehr
Liberalität und Bonhommie zu herrschen, als in Böhmen.

Im Städtchen Stannen müssen beträchtliche Wollmanufakturen seyn; denn
alle Fenster sind mit diesen Artikeln behangen, und man trägt sehr viel
Mützen, Strümpfe, Handschuhe und dergleichen zu außerordentlich
niedrigen Preisen zum Verkauf herum. Ein gutes, bequemes Wirthshaus, das
erste, das wir, seitdem wir aus Prag sind, trafen, hatte den Ort gleich
etwas in Kredit bei uns gesetzt. Wenn man nicht mit Extrapost fährt,
sondern zu Fuße trotzig vor sich hinstapelt, muß man sich sehr oft
huronisch behelfen. Meine größte Furcht ist indessen vor der etwas ekeln
Einquartirung gewisser weißer, schwarzbesattelter Thierchen, die in
Polen vorzüglich gedeihen und auch in Italien nicht selten seyn sollen.
Uebrigens ist es mir ziemlich einerlei, ob ich mich auf Eiderdunen oder
Bohnenstroh wälze. ^Sed quam misere ista animalcula excruciare possint,
apud nautas expertus sum^; darum haben ihnen auch vermuthlich die
Griechen den verderblichen Namen gegeben.

Hier in Znaym mußte ich zum erstenmal Wein trinken, weil der Göttertrank
der Germanen in Walhalla nicht mehr zu finden war. Der Wein war, das Maß
für vier und zwanzig Kreuzer, sehr gut, wie mich Schnorr versicherte;
denn ich verstehe nichts davon, und trinke den besten Burgunder mit
Wasser, wie den schlechtesten Potsdamer. Hier möchte ich wohl wohnen, so
lieblich und freundlich ist die ganze Gegend, selbst unter dem Schnee.
An der einen Seite stößt die Stadt an ziemliche Anhöhen, und auf der
andern, vorzüglich nach Oestreich, wird die Nachbarschaft sehr malerisch
durch die Menge von Weingärten, die alle an sanften Abhängen
hingepflanzt sind. Die beiden Klöster an den beiden Enden der Stadt
sind, wie die meisten Mönchssitze, treffliche Plätze. Das eine, nach der
Oestreichischen Seite, hat Joseph der Zweite unter andern mit
eingezogen. Die Gebäude derselben sind so stattlich, daß man sie für die
Wohnung keines kleinen Fürsten halten sollte. Im Kriege dienten sie zu
verschiedenen Behufen; bald zum Magazin, bald zum Aufenthalte für
Gefangene: jetzt steht Alles leer.

Die römische Ruine, die hier zu sehen ist, steht zwei Stunden vor der
Stadt, rechts hinab in einer schönen Gegend. Da ich aber in Mähren keine
römischen Ruinen studiren will, wandelte ich meines Weges weiter. Ein
hiesiger Domherr hat sie, wie ich höre, erklärt, auf den ich Dich mit
Deiner Neugier verweise. Wenn ich nach den vielen schönen Weinfeldern
rund in der Gegend urtheile, und nun höre, daß die Ruine von einem
Domherrn erklärt worden ist, so sollte ich fast blindlings glauben, sie
müsse sich auf die Dionysien bezogen haben. Der Boden mit den großen
weitläufigen Weinfeldern könnte, da er überall sehr gut zu seyn scheint,
doch wohl besser angewendet werden, als zu Weinbau. Die Armen müssen
billig eher Brot haben, als die Reichen Wein; und Aebte und Domherren
können in diesem Punkte weder Sinn noch Stimme haben.

Auf der Grenze von Mähren nach Oestreich habe ich kein Zeichen gefunden;
nur sind sogleich die Wege merklich schlechter als in Böhmen und Mähren,
und mit den Weingärten scheint mir entsetzlich viel guter Boden
verdorben zu seyn. Ich nehme die Sache als Philanthrop und nicht als
Trinker und Procentist. Schlechtes Pflaster, das seit langer Zeit nicht
ausgebauet seyn muß, gilt für Chaussee.

Wie häufig gute Münze und vorzüglich Gold hier ist, davon will ich Dir
zwei Beispielchen erzählen. Ich bezahlte gestern meine Mittagsmahlzeit
in guten Zehnern, die in Sachsen eben noch nicht sonderlich gut sind;
das sah ein Tabuletkrämer, machte mich aufmerksam, wie viel ich verlöre,
und nahm hastig, da ich ihn versicherte, ich könne es nicht ändern und
achte den kleinen Verlust nicht, die guten Zehner weg, und legte dem
Wirth, der eben nicht zugegen war, neue schlechte Zwölfer dafür hin. Ein
andermal fragte ich in einem Wirthshause, wo Reinlichkeit, Wohlhabenheit
und sogar Ueberfluß herrschte, und wo man uns gut beköstigt hatte, wie
hoch die Dukaten ständen? Mir fehlte kleines Geld. Der Wirth antwortete
sehr ehrlich: »Das kann ich Ihnen wirklich durchaus nicht sagen; denn
ich habe seit vielen Jahren kein Gold gesehen: nichts als schlechtes
Geld und Papier; und ich will Sie nicht betrügen mit der alten Taxe.«
Der Mann befand sich übrigens mit schlechtem Gelde und Papier sehr wohl
und war zufrieden, ohne sich um Dukaten zu bekümmern.



                                                               _Wien._


Den zweiten Weihnachtsfeiertag kamen wir hier in Wien an, nachdem wir
die Nacht vorher in Stockerau schon ächt wienerisch gegessen und
geschlafen hatten. An der Barriere wurden wir durch eine Instanz
angehalten und an die andere zur Visitation gewiesen. Ich armer Teufel
wurde hier in bester Form für einen Hebräer angesehen, der wohl Juwelen
oder Brabanter Spitzen einpaschen könnte. Ueber die Physiognomie! Aber
man mußte doch den ^casum in terminis^ gehabt haben. Mein ganzer
Tornister wurde ausgepackt, meine weiße und schwarze Wäsche durchwühlt,
mein Homer beguckt, mein Theokrit herumgeworfen und mein Virgil
beschaut, ob nicht vielleicht etwas französischer Kontrebant darin
stecke; meine Taschen wurden betastet und selbst meine Beinkleider fast
bis an das heilige Bein durchsucht: alles sehr höflich; so viel nämlich
Höflichkeit bei einem solchen Processe Statt finden kann. ^I must needs
have the face of a smuggler.^ Meine Briefe wurden mir aus dem
Taschenbuche genommen, und dazu mußte ich einen goldnen Dukaten
eventuelle Strafe niederlegen, weil ich gegen ein Gesetz gesündigt
hatte, dessen Existens ich gar nicht wußte und zu wissen gar nicht
gehalten bin: »Du sollst kein versiegeltes Blättchen in deinem
Taschenbuche tragen.« Der Henker kann so ein Gebot im Dekalogus, oder in
den Pandekten suchen. Aus besonderer Güte, und da man doch am Ende wohl
einsah, daß ich weder mit Brüßler Kanten handelte, noch die Post
betrügen wollte, erhielt ich die Briefe nach drei Tagen wieder zurück,
ohne weitere Strafe, als daß man mir für den schönen vollwichtigen
Dukaten, nach der Kaisertaxe, von welcher kein Kaufmann in der Residenz
mehr etwas weiß, neue blecherne Zwölfkreuzerstücke gab. Uebrigens ging
alles freundlich und höflich her, an der Barriere, auf der Post, und auf
der Polizei. Wider alles Vermuthen bekümmerte man sich um uns mit keiner
Sylbe weiter, als daß man unsere Pässe dort behielt und sagte, bei der
Abreise möchten wir sie wieder abholen. Sobald ich meine
Empfehlungsbriefe von der Post wieder erhalten hatte, wandelte ich herum
sie zu überliefern und meine Personalität vorzustellen. Die Herren waren
alle sehr freundschaftlich, und honorirten die Zettelchen mit wahrer
Theilnahme. Ich könnte Dir hier mehrere brave Männer unserer Nation
nennen, denen ich nicht unwillkommen war, und die ich hier zum ersten
Male sah; aber Du bist mit ihrem Werth und ihrer Humanität schon mehr
bekannt als ich.

Gestern war ich bei Füger und hatte eine schöne Stunde wahren
Genusses.[8] Der Mann hat mich mit seinen Gesinnungen und seiner
Handelsweise sehr interessirt. Er hatte eben Geschäfte, und ich konnte
daher seine offene Ungezwungenheit desto besser bemerken: denn er
besorgte sie so leicht, als ob er allein gewesen wäre, ohne uns dabei zu
vernachlässigen. Wer in den Zimmern eines solchen Mannes lange Weile
hat, für den ist keine Rettung. Er hat eben so einen Achilles bei dem
Leichname des Patroklus vollendet, der auch nun gezeichnet und in Kupfer
gestochen werden soll. Ich hatte die Stelle nur noch einige Tage vorher
in meinem Homer gelesen; Du kannst also denken, mit welcher Begierde ich
an dem Stücke hing. Es ist ein bezauberndes Bild. Der junge Held in
Lebensgröße bei dem Todten, der bis an die Brust neben ihm sichtbar ist,
scheint sich so eben von seinem tiefsten Schmerz zu erholen und Rache zu
beschließen. Die Figur ist ganz nackt, und scheint mir ein Meisterstück
der Zeichnung und Färbung; aber der Kopf ist göttlich. Du weißt, ich bin
nicht Enthusiast; aber ich konnte mich kaum im Anschauen sättigen. Wenn
meine Stimme etwas gelten könnte, würde ich mit der himmlisch
jugendlichen Schönheit des Gesichts nicht ganz zufrieden seyn. Der Held,
der hier vorgestellt werden sollte, ist nicht mehr der Jüngling, den
Ulysses unter den Töchtern Lykomeds hervorsuchte; es ist der Pelide, der
schon gefochten und gezürnt hat, der schon das Schrecken der Trojaner
war. Um dieses zu seyn, scheint mir der Kopf noch zu viel aus dem
Gynäceum zu haben. Mich däucht, der _Mann_ sollte schon etwas
vollendeter seyn: die Periode ist selbst nur sehr kurze Zeit vor seinem
eigenen Tode. Ich bescheide mich gern, und überlasse dieses den
Eingeweihten der Kunst. Ein Sklave steht hinter ihm, auf dessen Gesichte
man Erstaunen und Furcht liest.

Mehr als alles war mir wichtig sein Zimmer der Messiade. Hier hängt fast
zu jedem Gesange eine Meisterzeichnung, an der sein Geist mit Liebe und
Eifer gearbeitet hat. Er sagte mir, daß er vor Angst einige Wochen nicht
zum Entschlusse habe kommen können, was er mit dem Gedicht anfangen
solle, bis auf einmal die ganze Reihe der Scenen sich ihm dargestellt
habe. Es sind zwanzig, und nur von vieren hat Göschen die Kupfer zu
seiner schönen Ausgabe erhalten. Es wäre werth, daß Göschen mit seinem
gewöhnlichen Enthusiasmus für Wahrheit und Schönheit in der Kunst mit
wackern Künstlern sich entschlösse, sie dem Publikum alle mitzutheilen:
aber die Unternehmung würde keinen kleinen Aufwand erfordern, wenn Füger
auf keine Weise leiden sollte. Figuren und Gruppen sind vortrefflich,
die apostolischen Gesichter bezaubernd, und Judas mit dem Satan gräßlich
charakteristisch, ohne Karikatur. Vorzüglich hat mich das Blatt gerührt,
wo der Apostel nach dem Tode des geliebten Lehrers den Weibern die
Dornenkrone bringt. Die Stelle ist ein Meisterwerk des Pathos im
Gedicht; das hat der Künstler gefühlt und sein Gefühl mit voller Seele
der Gruppe eingehaucht. Der Eifer des Kaifas ist ein Feuerstrom und der
Hauptmann der Römer gleicht einem, der in seinem Schrecken es noch
zeigt, daß er zu dem alten Kapitol gehört. Porcia ist ein göttliches
Weib. Am wenigsten hat mich das erste und letzte Blatt befriedigen
wollen, weil ich mich mit der Personificirung der Gottheit nicht
vertragen kann. Man nehme das Ideal noch so hoch, es kommt immer nur ein
Jupiter Olympius: und diesen will ich nicht haben; es ist mir nicht
genug. Christus ist das erhabenste Ideal der christlichen Kunst. Er ist
selbst nach der orthodoxesten Lehre noch unser Bruder. Bis zu ihm kann
sich unsere Sinnlichkeit erheben, aber weiter nicht. Unsere Apostel und
Heiligen sind die Götter und Heroen des alten Mythus. Bis zu Platos
einzig wirklichem Wesen hat sich auch kein griechischer Künstler
emporgewagt. Der olympische Jupiter ist der homerische. Ich wünschte
Klopstock und Wieland nur eine Stunde hier in diesem Zimmer: sie würden
Lohn für ihre Arbeit finden, und Füger für die seinige.

Ich muß Dir noch über zwei Stücke von Füger etwas sagen, die ich in den
Zimmern des Grafen Fries antraf und die Du vielleicht noch nicht kennst.
Der Graf erinnerte sich meiner mit Güte von der Akademie her, und seine
Freundlichkeit und Gefälligkeit gegen Fremde, so wie sein Enthusiasmus
für Kunst und Wissenschaft, in denen er seinen besten Genuß hat, sind
allgemein bekannt. Die beiden Gemälde sind ziemlich neu; denn das erste
ist nur zwei Jahre alt und das zweite noch jünger. Das erste ist Brutus
der Alte, wie er seine Söhne verdammt; und der Moment ist das
furchtbare: ^Expedi secures!^ Man muß das Ganze mit einem Blicke
umfassen können, um die Größe der Wirkung zu haben, die der Künstler
hervorgebracht hat. Jede Beschreibung, die auseinandersetzt, schwächt.
Das Stück ist reich an Figuren; aber es ist keine müssig: sie gehören
alle zur Katastrophe, oder nehmen Antheil daran. Alles ist richtiger,
eigenthümlicher Charakter, vom Konsul bis zum Liktor. Alles ist ächt
römisch, und schön und groß. Ich darf nicht wagen zu beschreiben; es muß
gesehen werden. Vorzüglich rührend für mich war eine sehr glückliche
Episode, die, so viel ich mich erinnere, der alte Geschichtschreiber
nicht hat, oder wenn er sie hat, wirkt sie hier im Bilde mächtiger als
bei ihm in der Erzählung. Ein ziemlich alter Mann steht mit seinen zwei
Knaben in der Entfernung und deutet mit dem ganzen Ausdruck eines
flammenden Patriotismus auf den Richter und das Gericht hin, als ob er
sagen wollte: Bei den Göttern, so müßte ich gegen euch seyn, wenn ihr
würdet wie diese! Vater und Söhne sind für mich unbeschreiblich schön.

Das zweite Stück ist Virginius, der so eben seine Tochter geopfert hat,
das Messer dem Volke und dem Decemvir zeigt, und als ein furchtbarer
Prophet der künftigen Momente nur einen Augenblick dasteht. Dieser
Augenblick war einzig für den Geist des Künstlers. Die beiden
Hauptfiguren, Virginius und Appius Klaudius sind in ihrer Art
vortrefflich: aber unbeschreiblich schön, rührend und von den Grazien
selbst hingehaucht ist die Gruppe der Weiber, die das sterbende Mädchen
halten. Diese bekümmern sich nicht um den Vater, nicht um den
tyrannischen Richter, nicht um das Volk, um nichts was um sie her
geschieht; sie sind ganz allein mit dem geliebten Leichname
beschäftiget. Eine so reizende Verschlingung schwebte selten der Seele
eines Dichters vor: nimm nun noch die Vollendung und Zartheit der
Figuren und das Pathos des Augenblicks dazu! Es ist eine der schönsten
Kompositionen aus der Seele eines Künstlers, den der Genius der hohen
und schönen Humanität belebte. Ich würde niederknieen und anbeten, wenn
ich die Römer nicht besser kennte. Du weißt aber schon hierüber meine
etwas ketzerische Denkungsart. Als Philantrop betrachtet, möchte ich
lieber in Rußland leben, an der Kette der dortigen Knechtschaft, als
unter dem Palladium der römischen Freiheit. Beschuldige mich nicht zu
schnell eines Paradoxons! Wehe den neuen Galliern, wenn sie die
altrömische Freiheit ihrer Nation, oder gar ihren Nachbarn aufdringen,
oder, wie Klopstock spricht, aufjochen wollen! Aber wo gerathe ich hin?

Fügers neuestes Werk, an dem er jetzt, wie ich höre, für den Herzog
Albert von Sachsen-Teschen arbeitet, ist ein Jupiter, der dem Phidias
erscheint, um ihn zu seinem Bilde vom Olympus zu begeistern. Da es in
die Höhe kommen soll, ist die Anlage etwas kolossalisch. Der Gedanke ist
kühn, sehr kühn: aber Füger ist vielleicht gemacht, solche Gedanken
auszuführen. Mit einer liebenswürdigen Offenheit gesteht der große
Künstler, daß er einige seiner herrlichsten Kompositionen aus Vater
Wielands Aristipp genommen hat. Nun wünschte ich auch David einige
Stunden so nahe zu seyn, wie ich es Füger war; und ich hoffe, es soll
mir gelingen. --

Während der vierzehn Tage, die ich hier hausete, war nur einigemal ein
Stündchen reines, helles Wetter, aber nie einen ganzen Tag; und die
Wiener klagen, daß dieses fast beständig so ist. Da ging ich denn so
finster allein für mich auf dem Walle und etymologisirte »^Vindobona,
quia dat vinum bonum; Danubius, quia dat nubes^;« wer weiß, ob die Römer
bei ihrer Nomenklatur nicht an so etwas gedacht haben. Wenn Harrach,
Füger, Retzer, Ratschky, Möller und einige Andere nicht gewesen wären,
die mir zuweilen ein Viertelstündchen schenkten, ich hätte den dritten
Tag vor Angst meinen Tornister wieder packen müssen.

Von dem Wiener Theaterwesen kann ich Dir nicht viel Erbauliches sagen.
Die Gesellschaft des Nationaltheaters ist abwechselnd in der Burg und am
Kärnthner Thore, und spielt so gut sie kann. Das männliche Personale ist
nicht so arm, als das weibliche; aber Brockmann steht doch so isolirt
dort und ragt über die Andern so sehr empor, daß er durch seine
Ueberlegenheit die Harmonie merklich stört. Die Andern, unter denen zwar
einige gute sind, können ihm nicht nacharbeiten, und so geht er oft zu
ihnen zurück; zumal da auch seine schöne Periode nun vorbei ist. Man gab
eben das Trauerspiel »Regulus.« Ich gestehe Dir, daß es mir ungewöhnlich
viel Vergnügen gemacht hat; vielleicht schon deßwegen, weil es einen
meiner Lieblingsgegenstände aus der Geschichte behandelte. Ich halte das
Stück für recht gut gearbeitet, so viel ich aus einer einzigen
Vorstellung urtheilen kann, wo ich mich aber unwillkührlich mehr zum
Genuß hingab, als vielleicht zur Kritik nöthig war. Es sind allerdings
mehrere kleine Verzeichnungen in den Charaktern; aber das Ganze hat doch
durchaus einen festen, ernsthaften, nicht unrömischen Gang: die Sprache
ist meistens rein und edel, und ich war zufrieden. Zum Meisterwerke
fehlt ihm freilich noch Manches; aber Apollo gebe uns nur mehrere solche
Stücke, so haben wir Hoffnung auch jene zu erhalten. Es wird mir noch
lange einen großen Genuß gewähren, Brockmann in der Rolle des Regulus
gesehen zu haben. Der weibliche Theil der Gesellschaft, der auf den
meisten Theatern etwas arm zu seyn pflegt, ist es hier vorzüglich; und
man ist genöthigt die Rolle der ersten Liebhaberin einer Person zu
geben, die mit Aller Ehre Aebtissin in Quedlinburg oder Gandersheim
werden könnte. Die Dame ist gut, auch gute Schauspielerin; aber nicht
mehr für dieses Fach.

Die Italiener sind verhältnißmäßig nicht besser. Man trillerte sehr
viel, und singt sehr wenig. Der Kastrat Marchesi kombabusirt einen
Helden so unbarmherzig in seine eigene verstümmelte Natur hinein, daß es
für die Ohren eines Mannes ein Jammer ist; und ich begreife nicht, wie
man mit solcher Unmenschlichkeit so traurige Mißgriffe in die Aesthetik
hat thun können. Das mögen die Italiener, wie vielen andern Unsinn, bei
der gesunden Vernunft verantworten, wenn sie können.

      Ich, meines Theils, will keine Helden,
   Die uns, entmannt und kaum noch mädchenhaft,
   Sogleich den Mangel ihrer Kraft,
   Im ersten Tone quiekend melden,
   Und ihre lächerliche Wuth
   Im Schwindel durch die Fistelhöhen
   Von ihrem Bret herunter krähen,
   Wie Meister Hahns gekappte Brut.
   Wenn ich des Hämmlings Singsang nicht
   Wie die Taranteltänze hasse,
   So setze mich des Himmels Strafgericht
   Mit ihm in eine Klasse!

Schikaneder treibt sein Wesen in der Vorstadt an der Wien, wo er sich
ein gar stattliches Haus gebaut hat, dessen Einrichtung mancher
Schauspieldirektor mit Nutzen besuchen könnte und sollte. Der Mann kennt
sein Publikum und weiß ihm zu geben, was ihm schmeckt. Sein großer
Vorzug ist Lokalität, deren er sich oft mit einer Freimüthigkeit
bedient, die ihm selbst und der Wiener Duldsamkeit Ehre macht. Ich habe
auf seinem Theater über die Nationalnarrheiten der Wiener Reichen und
Höflinge Dinge gehört, die man in Dresden nicht dürfte laut werden
lassen, ohne sich von höherem Orte eine strenge Weisung über
Vermessenheit zuzuziehen. Mehrere seiner Stücke scheint er im
eigentlichsten Sinne nur für sich selbst gemacht zu haben; und ich muß
bekennen, daß mir seine barocke Personalität als Tyroler Wastel
ungemeines Vergnügen gemacht hat. Es ist den Wienern von feinem Ton und
Geschmack gar nicht übel zu nehmen, daß sie zuweilen zu ihm und Kasperle
herausfahren und das Nationaltheater und die Italiener leer lassen.
Seine Leute singen für die Vorstadt verhältnißmäßig weit besser, als
jene für die Burg. Die Kleidung ist an der Wien meistens ordentlicher
und geschmackvoller als die verunglückte Pracht dort am Hofe, wo die
Stiefletten des Heldengefolges noch manchmal einen sehr ärmlichen Aufzug
machen. So lange Schikaneder Possen, Schnurren und seine eigenen tollen
Operetten giebt, wo der Wiener Dialekt und der Ton des Orts nicht
unangenehm mitwirkt, kann er auch Leute von gebildetem Geschmack
einigemal vergnügen; aber wenn er sich an ernsthafte Stücke wagt, die
höheres Studium und durchaus einen höheren Grad von Bildung erfordern,
muß der Versuch allerdings immer schlecht ausfallen, aber hier wird er
vielleicht sagen: ich arbeite für mein Haus; dawider ist denn nichts
einzuwenden. Nur möchte ich dann nicht zu seinem Hause gehören. Er will
aber höchst wahrscheinlich für nichts weiter gelten, als für das Mittel
zwischen Kasperle und der Vollendung der mimischen Kunst im
Nationaltheater. Die Herren Kasperle und Schikaneder mögen ihre
subordinirten Zwecke so ziemlich erreicht haben; aber das
Nationaltheater ist, so wie ich es sah, noch weit entfernt, dem ersten
Ort unsers Vaterlandes und der Residenz eines großen Monarchen durch
seinen Gehalt Ehre zu machen.

Den Herrn Kasperle aus der Leopoldstadt hat, wie ich höre, der Kaiser
zum Baron gemacht; und mich däucht, der Herr hat seine Würde so gut
verdient, als die meisten, die dazu erhoben worden. Er soll überdieß das
wesentliche Verdienst besitzen, ein sehr guter Haushalter zu seyn.

Ueber die öffentlichen Angelegenheiten wird in Wien fast nichts
geäußert, und Du kannst vielleicht Monate lang auf öffentliche Häuser
gehen, ehe Du ein einziges Wort hörst, das auf Politik Bezug hätte; so
sehr hält man mit alter Strenge eben so wohl auf Orthodoxie im Staate,
wie in der Kirche. Es ist überall eine so andächtige Stille in den
Kaffeehäusern, als ob das Hochamt gehalten würde, wo jeder kaum zu
athmen wagt. Da ich gewohnt bin, zwar nicht laut zu enragiren, aber doch
gemächlich unbefangen für mich hin zu sprechen, erhielt ich einigemal
eine freundliche Weisung von Bekannten, die mich vor den Unsichtbaren
warnten. In wie fern sie Recht hatten, weiß ich nicht; aber so viel
behaupte ich, daß die Herren sehr Unrecht haben, welche die Unsichtbaren
brauchen. Einmal spielte mir meine unbefangene Sorglosigkeit fast einen
Streich. Du weist, daß ich durchaus kein Revolutionär bin, weil man
dadurch meistens das Schlechte nur schlimmer macht: ich habe aber die
Gewohnheit, die Wirkung dessen, was ich für gut halte, zuweilen etwas
lauter werden zu lassen, als es vielleicht gut ist. So hat mir der
Marseiller Marsch als ein gutes musikalisches Stück gefallen, und es
begegnete mir wohl, daß ich, ohne irgend etwas Bestimmtes zu denken,
eben so wie aus irgend einem andern Musikstücke, einige Takte
unwillkührlich durch die Zähne brumme. Dieß geschah auch einmal,
freilich sehr am unrechten Orte, in Wien, und wirkte natürlich wie ein
Dämpfer auf die Anwesenden. Mir war mehr bange für die guten Leute, als
für mich: denn ich hatte weiter keinen Gedanken, als daß mir die Musik
der Takte gefiel, und selbst diesen jetzt nur sehr dunkel.

Ich erinnerte mich eines drolligen, halb ernsthaften, halb komischen
Auftritts in einem Wirthshause, der auf die übergroße Aengstlichkeit in
der Residenz Bezug hatte. Ein alter, ehrlicher, eben nicht sehr
politischer Oberstlieutenant hatte während des Krieges bei der Armee in
Italien gestanden und sich dort gewöhnt, recht jovialisch lustig zu
seyn. Seine Geschäfte hatten ihn in die Residenz gerufen, und er fand da
an öffentlichen Orten überall eine Klosterstille. Das war ihm sehr
mißbehaglich. Einige Tage hielt er es aus, dann brach er bei einem Glase
Wein ächt soldatisch laut hervor und sagte mit recht drolliger
Unbefangenheit: »Was, zum Teufel, ist denn das hier für ein verdammt
frommes Wesen in Wien? Kann man denn hier nicht sprechen? Oder ist die
ganze Residenz eine große Karthause? Man kommt ja hier in Gefahr das
Reden zu verlernen. Oder darf man hier nicht reden? Ich habe so etwas
gehört, daß man überall lauern läßt: ist das wahr? Hole der Henker die
Mummerei! Ich kann das nicht aushalten und ich will laut reden und
lustig seyn.« Du hättest die Gesichter der Gesellschaft bei dieser
Ouvertüre sehen sollen! Einige waren ernst, die andern erschrocken;
andere lächelten, andere nickten gefällig und bedeutend über den Spaß:
aber Niemand schloß sich an den alten Haudegen an. »Ich werde machen,«
sagte dieser, »daß ich wieder zur Armee komme: das todte Wesen gefällt
mir nicht.«

Als die Franzosen bis in die Nähe von Wien vorgedrungen waren, soll
sich, die Magnaten und ihre Kreaturen etwa ausgenommen, Niemand vor dem
Feinde gefürchtet haben: aber desto größer war die allgemeine Besorgniß
vor den Unordnungen der zurückgeworfenen Armee. Damals fing Bonaparte
eben an, etwas bestimmter auf seine individuellen Aussichten
loszuarbeiten, und hat dadurch zufälliger Weise den Oestreichern große
Angst und große Verwirrung erspart.

Doktor Gall hat eben einen Kabinetsbefehl erhalten, sich es nicht mehr
beigehen zu lassen, den Leuten gleich am Schädel anzusehen, was sie
darin haben. Die Ursache soll seyn, weil diese Wissenschaft auf
Materialismus führe.

Man sieht auch hier in der Residenz nichts als Papier und schlechtes
Geld. Das Lenkseil mit schlechtem Gelde ist bekannt; man führt daran, so
lange es geht. Das Kassenpapier ist noch das unschuldigste Mittel, die
Armuth zu decken, so lange der Kredit hält. Aber nach meiner Meinung ist
für den Staat nichts verderblicher, und in dem Staat nichts ungerechter,
als eigentliche Staatspapiere, so wie unsere Staaten jetzt eingerichtet
sind. Eingerechnet unsere Privilegien und Immunitäten, die freilich ein
Widerspruch des öffentlichen Rechts sind, zahlen die Aermeren fast
durchaus fünf Sechstheile der Staatsbedürfnisse. Die Inhaber der
Staatspapiere, sie mögen Namen haben wie sie wollen, gehören aber
meistens zu den Reichen, oder wohl gar zu den Privilegiaten. Die
Interessen werden wieder aus den Staatseinkünften bezahlt, die meistens
von den Aermeren bestritten werden. Ein beliebter Schriftsteller wollte
vor kurzem die Wohlthätigkeit der Staatsschulden in Sachsen dadurch
beweisen, weil man durch dieses Mittel sehr gut seine Gelder
unterbringen könne. Nach diesem Schlusse sind die Krankheiten ein großes
Gut für die Menschheit, weil sich Aerzte, Chirurgen und Apotheker davon
nähren. Ein eigener Ideengang, den freilich Leute nehmen können, die
ohne Gemeinsinn gern viel Geld sicher unterbringen wollen. Das Resultat
ist aber, ohne vieles Nachdenken, daß durch die Staatsschulden die
Aermern gezwungen sind, außer der alten Last, auch noch den Reichen
Interessen zu bezahlen, sie mögen wollen oder nicht. Bei einem
Steuerkataster, auf allgemeine Gerechtigkeit gegründet, wäre es freilich
anders. Aber jetzt haben die Reichen die Steuerscheine, und die Armen
zahlen die Steuern. Man kann diese Logik nur bei einem Kasten voll
Steuerobligationen bündig finden. Wo hätte der Staat die
Verbindlichkeit, den Reichen auf Kosten der Armen ihre Kapitale zu
verzinsen? Und das ist doch am Ende das Facit jeder Staatsschuld. Jede
Staatsschuld ist eine Krücke und Krücken sind nur für Lahme. Die Sache
ist zu wichtig, sie hier weiter zu erörtern. Ich weise Dich vorzüglich
auf Hume's Buch, als das beste, was mir über diesen Gegenstand bekannt
ist.

Sonderbar war es, daß man in dem letzten Jahre des Krieges bei der
höchsten Krise, Wien zum Waffenplatz machen wollte; das Schlimmste, was
die Regierung für ihre Sache thun konnte! Wenn damals die Franzosen den
Frieden nicht eben so nöthig hatten, wie die Deutschen, oder wenn
Bonaparte andere Absichten hatte als er nachher zeigte, so war das
Unglück für die östreichischen Staaten entsetzlich. Was konnte man von
den Vorspiegelungen erwarten? Es war bekannt, Wien hätte sich nicht acht
Tage halten können; und welche Folgen hätte es gehabt, wenn es auf dem
Wege der Gewalt in die Hände der Feinde gekommen wäre? Die Wiener waren
zwar sicher, daß es nicht dahin kommen würde; aber eben deßwegen waren
die Vorkehrungen ziemlich verkehrt. Man hätte gleich mit
Entschlossenheit der Maxime des Ministers folgen können, dessen übrige
Verfahrungsart ich aber nicht vertheidigen möchte. Hier hatte er ganz
Recht, wenn nur sonst die Kräfte gewogen gewesen wären: »Die Residenz
ist nicht die Monarchie; und es ist manchem Staate nichts weniger als
wohlthätig, daß die Hauptstadt so viel Einfluß auf das Ganze hat.«

Für Kunstsachen und gelehrtes Wesen habe ich, wie Dir bekannt ist, nur
selten eine glückliche Stimmung; ich will Dir also, zumal da das Feld
hier zu groß ist, darüber nichts weiter sagen: Du magst Dir von Schnorr
erzählen lassen, der vermuthlich eher zurückkommt, als ich.

Ich darf rühmen, daß ich in Wien überall mit einer Bonhommie und
Gefälligkeit behandelt worden bin, die man vielleicht in Residenzen
nicht so gewöhnlich findet. Selbst die schnakische Visitation an der
Barriere wurde, was die Art betrifft, mit Höflichkeit gemacht. Den
einzigen böotischen, aber auch ächt böotischen Auftritt hatte ich auf
der italienischen Kanzlei. Hier wurde ich mit meinem alten Passe von der
Polizei um einen neuen gewiesen. Im Vorzimmer war man artig genug und
meldete mich, da ich Eile zeigte, sogleich dem Präsidenten, der eine Art
von Minister ist, den ich weiter nicht kenne. Er hatte meinen Paß von
Dresden schon vor sich in der Hand, als ich eintrat.

»Währ üß Aehr?« fragte er mich mit einem stierglotzenden
Molochsgesichte, in dem dicksten Wiener Bratwurstdialekt. Ich ehre das
Idiom jeder Provinz, so lange es das Organ der Humanität ist; und die
braven Wiener mit ihrer Gutmüthigkeit haben in mir nur selten das Gefühl
rege gemacht, daß ihre Aussprache etwas besser seyn sollte. Ich that ein
kurzes Stoßgebetchen an die heilige Humanität, daß sie mir etwas Geduld
gäbe, und sagte meinen Namen, indem ich auf den Paß zeigte.

»Wu will Aehr hün?«

»Steht im Passe: nach Italien.«

»Italien üß gruhß.«

»Vor der Hand nach Venedig, und sodann weiter.«

»Slähftr holtr sähr füehl sulch lüederlüchches Gesüendel härümmer.«

Nun, Freund, was war hier zu thun? was war hier zu thun? Dem Menschen zu
antworten, wie er es verdiente? Er hätte leicht Mittel und Wege
gefunden, mich wenigstens acht Tage aufzuhalten, wenn er mich nicht gar
zurückgeschickt hätte; denn er war ja ein Stück von Minister. Ich suchte
also eine alte militärische Aufwallung mit Gewalt zu unterdrücken. »Der
Graf Metternich in Dresden muß wohl wissen, was er thut, und wem er
seine Pässe giebt: er ist verantwortlich dafür!« sagte ich so bestimmt,
als mir der Ton folgte. Der Mensch belugte mich von dem verschnittenen
Haarschädel den polnischen Rock herab bis auf die Schariwari, die um ein
Paar derbe rindslederne Stiefeln geknüpft waren.

»Wu wüll Aehr weiter hünn?«

»Vorzüglich nach Sicilien.«

Er glotzte von neuem, und fragte:

»Was wüll Aehr da machchen?«

Hätte ich ihm nun die reine, platte Wahrheit gesagt, daß ich blos
spazieren gehen wollte, um mir das Zwergfell auseinander zu wandeln, das
ich mir über dem Druck von Klopstocks Oden etwas zusammen gesessen
hatte, so hätte der Mann höchst wahrscheinlich gar keinen Begriff davon
gehabt, und geglaubt, ich sei irgend einem Bedlam entlaufen.

»Ich will den Theokrit dort studiren,« sagte ich.

Weiß der Himmel, was er denken mochte; er fuhr mich an, und sah auf den
Paß und sah mich wieder an, und schrieb sodann etwas auf den Paß,
welches, wie ich nachher sah, der Befehl zur Ausfertigung eines andern
war.

»Abber Aehr dörf süchch nücht ünn Venedig uffhalten.«

»Ich bin es nicht Willens,« antwortete ich mit dem ganzen Murrsinn der
düstern Laune, »und bekomme hier auch nicht Lust dazu.« Er beglotzte
mich noch einmal, gab mir den Paß und ich ging.

Man hat mir den Namen des Mannes genannt und gesagt, daß dieses durchaus
sein Charakter sey, und daß er bei dem Kaiser in gar großem Vertrauen
und hoch in Gnaden stehe. Desto schlimmer für den Kaiser und für ihn und
die Wiener und Alle, die mit ihm zu thun haben! Sein Gesicht hatte das
Gepräge seiner Seele, das konnte ich beim ersten Anblick sehen, ohne
jemals eine Stunde bei Gall gehört zu haben. Seinen Namen habe ich
geflissentlich vergessen, erinnere mich aber noch so viel, daß er, eben
nicht zur Ehre unserer Nation, ein Deutscher, obgleich Präsident der
italienischen Kanzlei war. Ist das der Vorschmack von Italien? dachte
ich; das fängt erbaulich an.

Von hier ging ich mit dem Passe hinüber in die Kanzleistube, wo
ausgefertigt wurde; und hier war der Revers des Stücks, ein ganz anderer
Ton. Ich wurde so viel »_Euer Gnohden_« gescholten, daß meine
Bescheidenheit weder ein noch aus wußte, und erhielt sogleich einen
großen Realbogen voll Latein, in ziemlich gutem Stil, worin ich allen
Ober- und Unterofficianten des Kaisers, im Namen des Kaisers, gar
nachdrücklich empfohlen wurde. Wenn es nur der Präsident etwas höflicher
gemacht hätte; es hätte mit der nämlichen oder weit weniger Mühe für ihn
und mich angenehmer werden können. Auf dem neuen Passe stand ^gratis^,
und man forderte mir zwei Gulden ab, die ich auch, trotz der sonderbaren
Hermenevtik des Wörtchens, sehr gern sogleich zahlte und froh war, daß
ich dem Uebermaß der Grobheit und Höflichkeit zugleich entging.



                                                         _Schottwien._


Nun nahm ich von meinen alten und neuen Bekannten in der Kaiserstadt
Abschied, packte meine Siebensachen zusammen und wandelte mit meinem
neuen kaiserlichen Dokumente Tages darauf fröhlichen Muthes die Straße
nach Steiermark. Schnorr hatte, als Hausvater, billig Bedenken getragen,
den Gang nach Hesperien weiter mit mir zu machen.[9] Man hatte die
Gefahr, die auch wohl ziemlich groß war, von allen Seiten noch mehr
vergrößert; und was ich, als einzelnes isolirtes Menschenkind, ganz
ruhig wagen konnte, wäre für einen Familienvater Tollkühnheit gewesen.
Komme ich um, so ist die Rechnung geschlossen und es ist Feierabend:
aber bei ihm wäre die Sache nicht so leicht abgethan. Er begleitete mich
den zehnten Januar, an einem schönen, hellen, kalten Morgen, eine Stunde
weit heraus, bis an ein altes, gothisches Monument, und übergab mich
meinen guten Genius. Unsere Trennung war nicht ohne Schmerz, aber rasch
und hoffnungsvoll, uns in Paris wieder zu finden.

Ich zog nun an den Bergen hin, die rechts immer größer wurden, dachte so
wenig, als möglich -- denn viel Denken ist, zumal in einer solchen
Stimmung und bei einer solchen Unternehmung, sehr unbequem -- und setzte
gemächlich einen Fuß vor den andern immer weiter fort. Als die Nacht
einbrach, blieb ich in einem Dorfe zwischen Günselsdorf und Neustadt. So
wie ich in die große Wirthsstube trat, fand ich sie voll Soldaten, die
ihre Bacchanalien hielten. Die Reminiscenzen der Wachstuben, wo ich
ehemals Amts wegen eine Zeit lang jede dritte Nacht unter Tabacksdampf
und Kleinbierwitz leben mußte, hielten mich, daß ich nicht sogleich
zurückfuhr. Ich pflanzte mich in einen Winkel am Ofen, und ließ ungefähr
dreißig Wildlinge ihr Unwesen so toll um mich her treiben, daß mir die
Ohren gellten. Einige spielten Karten, Andere sangen, Andere disputirten
in allen Sprachen der Pfingstepistel mit Mund und Hand und Fuß. Bald
entstand Streit im Ernst, und die Handfesten schienen schon im Begriff,
sich einander die ^argumenta ad hominem^ mit den Fäusten zu appliciren;
da fing ein alter Kerl an in der Ecke der großen gewölbten Stube auf
einer Art von Sackpfeife zu blasen, und Alles ward auf einmal friedlich
und lachte. Bei dem dritten und vierten Takte ward es still, bei dem
sechsten faßten ein Paar Grenadire einander unter die Arme und fingen an
zu walzen. Der Ball vermehrte sich, als ob Hüons Horn geblasen würde;
man ergriff die Mädchen und sogar die alte, dicke Wirthin, und aller
Zank war vergessen. Dann traten Solotänzer auf und tanzten steierisch,
dann kosakisch, und dann den ausgelassensten, ungezogensten Kordax, daß
die Mädchen davon liefen und selbst der Sackpfeifer aufhörte. Dann ging
die Scene von vorn an. Man spielte und trank, und fluchte und zankte und
drohte mit Schlägen, bis der Sackpfeifer wieder anfing. Der Mann war
hier mehr als Friedensrichter, er war ein wahrer Orpheus. Der Wein, den
man aus großen Glaskrügen trank, that endlich seine Wirkung; Alles ward
ein volles, großes, furchtbar bacchantisches Chor. Hier nahm ich den
Riemen meines Tornisters auf die linke Schulter, meinen Knotenstock in
die rechte Hand und zog mich auf mein Schlafzimmer, wo ich ein
herrliches Thronbette fand und gewiß wie ein Fuhrknecht geschlafen
hätte, wäre ich nicht von den Grenadiren durch eine förmliche Bataille
geweckt worden. Der ehrliche Wirth machte den Leidenden, überall das
sicherste bei militärischer Regierung, und hätte seinen kriegerischen
Gästen wohl gern ihre Kreuzer geschenkt, wenn sie ihn nur in Ruhe
gelassen hätten. Ein Officier, wie ich aus dem Tone vermuthete, mit dem
er sprach, machte endlich um zwei Uhr Schicht, und es ward ruhig.

Den andern Morgen fand ich einen ehrsamen, alten Mann bei seinem Weine
sitzen, der den Kopf über die nächtliche Geschichte der Kriegsmänner
schüttelte. Dieser erzählte mir denn einiges über die Einquartirung und
klagte ganz leise, daß sie der Gegend sehr zur Last wäre. Die Soldaten
waren auf Arbeit an dem Kanale, über den ich gestern gegangen war, und
der, wie mir der Alte bedeutend zweifelhaft sagte, bis nach Triest
geführt werden solle. Vor der Hand wird er nur die Steinkohlen von
Neustadt nach Wien bringen. Das Wasser aus den Bergen bei Neustadt und
Neukirchen war so schön und hell, daß ich mich im Januar hätte hinein
werfen mögen. Schönes Wasser ist eine meiner besten Liebschaften, und
überall, wo nur Gelegenheit war, ging ich hin und schöpfte und trank. Du
mußt wissen, daß ich noch nicht ganz diogenisch einfach bin, aus der
hohlen Hand zu trinken, sondern dazu auf meiner Wanderschaft eine
Flasche von Resina gebrauche, die reinlich ist, fest hält und sich
gefällig in alle Formen fügt. Eine Stunde von Schottwien fängt die
Gegend an herrlich zu werden; vorzüglich macht ein Kloster rechts auf
der Anhöhe eine sehr romantische Partie. Das Ganze hat Aehnlichkeiten
mit den Schluchten zwischen Außig und Lowositz; nur ist das Thal enger
und der Fluß kleiner; doch sind die Berghöhen nicht unbeträchtlich und
sehr malerisch gruppirt. Das Städtchen Schottwien liegt an dem kleinen
Flüßchen Wien zwischen furchtbar hohen Bergen, und macht nur eine
einzige Gasse. Vorzüglich schön sind die Felsenmassen am Eingange und
Ausgange.

Es hatte zwei Tage ziemlich stark gefroren und fing heute zu Mittage
merklich an zu thauen; und jetzt schlagen Regengüsse an meine Fenster
und das Wasser schießt von den Bergen und der kleine Fluß rauscht
mächtig durch die Gasse hinab. Mir schmeckt Horaz und die gute Mahlzeit
hinter dem warmen Ofen meines kleinen Zimmers vortrefflich. Horaz
schmeckt mir, das heißt, viele seiner Verse; denn der Mensch selbst mit
seiner Kriecherei ist mir ziemlich zuwider. Da ist Juvenal ein ganz
anderer Mann, neben dem der Oktavianer wie ein Knabe steht. Es ist
vielleicht schwer zu entscheiden, wer von den beiden den Anstand und die
guten Sitten mehr ins Auge schlägt, ob Horazens Kanidia oder Juvenals
Fulvia; es ist aber ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden zum
Vortheil des letztern. Wo Horaz zweideutig witzelt, oder gar ekelhaft
schmutzig wird, sieht man überall, daß es ihm gemüthlich ist, so etwas
zu sagen; er gefällt sich darin: bei Juvenal aber ist es reiner, tiefer,
moralischer Ingrimm. Er beleidigt mehr die Sitten als jener; aber bei
ihm ist mehr Sittlichkeit. Horaz nennt die Sache noch feiner und kitzelt
sich; Juvenal nennt sie, wie sie ist; aber Zorn und Unwille hat den Vers
gemacht.

Ein Felsenstück hängt drohend über das Haus her, in welchem ich
übernachte. Hier fängt die Gegend an, die, wie ich mich erinnere, schon
andere mit den schönsten in der Schweiz verglichen haben. Wie wird es
aber auf den steiermärkischen Wegen werden, vor denen mir schon in Wien
selbst Eingeborne bange machen wollten? Es kann nun nichts helfen; nur
Muth! damit kommt man auch in der Hölle durch. Zwischen Neustadt und
Neukirchen, einer langen, langen Ebene zwischen den Bergen, die sich
hinter dem letzten Orte mehr und mehr zusammenschließen, begegnete mir
ein starkes Kommando mit Gefangenen. Der letztern waren wohl einige
Dutzend; eben keine sehr gute Aussicht! Einige waren schwer geschlossen
und klirrten trotzig mit den Ketten. Die Meisten waren Leute, welche die
Straßen unsicher gemacht hatten. Aber desto besser, dachte ich; nun sind
der Schurken weniger da; und diese werden gewiß nicht so bald wieder
losgelassen. In Wien und hier auf dem Wege überall wurde erzählt, daß
man die Preßburger Post angefallen, ausgeplündert und den Postillon und
den Schaffner erschlagen habe. Auch bei _Pegau_, nicht weit von Grätz,
war das nämliche geschehen. Das waren aber gewiß Leute, die vorher
gehörig rekognoscirt hatten, daß die Post beträchtliche Summen führte,
die sich auch wirklich zusammen über hundert und dreißig tausend Gulden
belaufen haben sollen. Bei mir ist nicht viel zu rekognosciren; mein
Homer und meine Gummiflasche werden wenig Räuber in Versuchung bringen.



                                                          _Mürzhofen._


Von Schottwien bis hierher war heute in der Mitte des Januars eine
tüchtige Wandlung. Der Sömmering ist kein Maulwurfshügel; es hatte die
zweite Hälfte der Nacht entsetzlich geschneit, der Schnee ging mir bis
hoch an die Waden; ich wußte keinen Schritt Weg, und es war durchaus
keine Bahn. Einige Mal lief ich den Morgen noch im Finstern unten im
Thal zu weit links, und mußte durch Verschläge in dem tiefen Schnee die
große Straße wiedersuchen. Nun ging es bergan zwei Stunden, und nach und
nach kamen einige Fuhrleute den Sömmering herab, und zeigten mir
wenigstens, daß ich dorthin mußte, wo sie herkamen. Links und rechts
waren hohe Berge, mit Schwarzwald bewachsen, der mit Schnee behangen
war; und man konnte vor dem Gestöber kaum zwanzig Schritte sehen. Oben
auf den Bergabsätzen begegneten mir einige Reisewagen, die in dem
schlechten Wege nicht fort konnten. Der Frost hielt noch nicht, und
überdieß waren die Gleise entsetzlich ausgeleiert. Herren und Bedienten
waren abgestiegen und halfen fluchend dem Postillon das leere Fuhrwerk
Schritt vor Schritt weiter hinauf winden. Ich wechselte die Schluchten
bergauf, bergab, und trabte zum großen Neide der dick bepelzten Herren
an dem englischen Wagen fürbaß. Ein andermal rollten sie vor mir vorbei,
wenn ich langsam fortzog. So gehts in der Welt; sie gingen schneller,
ich ging sicherer. Auf dieser Seite des Sömmerings kommt aus
verschiedenen Schluchten die Wien herab; und auf der zweiten Hälfte der
Station, nach Mürzzuschlag, nachdem man den Gipfel des Berges erstiegen
hat, kommt eben so die Mürz hervor, und ist in einer Stunde schon ein
recht schöner Bach. Bei Mürzzuschlag treibt sie fast alle hundert
Schritte Mühlen und Hammerwerke bis herab nach Krieglach, wo sie größer
wird, nun schon einen ansehnlichen Fluß bildet, und nur mit Kosten
gebraucht werden kann. Es ist angenehm, die Industrie zu sehen, mit
welcher man das kleine Wässerchen zu seinem Behufe zu leiten und zu
gebrauchen weiß; und die kleinen Thäler an dem Flusse herunter sind
außerordentlich lieblich, und machen auch unter dem Schnee mit ihren
fleißigen Gruppen ein schönes Winterbild.

Die Wörter Mürzzuschlag und Krieglach klangen mir nach den Wiener
Mordgeschichten gar sehr wie ^nomina male ominata^, deren Etymologie ich
mir gern hätte erklären lassen, wenn ich nicht zu faul gewesen wäre,
irgend einen Pastor aufzusuchen: und ich war herzlich froh, als ich
gegen Abend so ziemlich aus der abentheuerlichen Gegend heraus war. Es
ist etwas sehr gewöhnliches, daß man einem Gaste, wenn er die Zeche
bezahlt und abzieht, glückliche Reise wünscht, und man denkt weiter
nicht viel dabei: aber Du kannst nicht glauben, wie angenehm es ist,
wenn es in einer solchen Lage, im Januar, wenn der Sturm den Schnee
gegen die Felsen jagt, mit Theilnahme von einem artigen, hübschen
Mädchen geschieht, zumal wenn man den Kopf voll Räuber und Strauchdiebe
hat.



                                                              _Grätz._


Hier will ich einige Tage bleiben und ruhen: die Stadt und die Leute
gefallen mir. Du weißt, daß der Ort auf beiden Seiten der Murr sehr
angenehm liegt; und das Ganze hat hier einen Anblick von Bonhommie und
Wohlhabenheit, der sehr behaglich ist. Von Schottwien aus machte ich den
ersten Tag mit vieler Anstrengung nur fünf Meilen; und den zweiten mit
vieler Leichtigkeit sieben: aber den ersten stieg ich in dem
entsetzlichsten Schneegestöber an der Wien bergauf; und den zweiten ging
ich bei ziemlich gutem Wetter an der Mürz bergab. Es ist ein eigenes
Vergnügen, die Bäche an ihren Quellen zu sehen und ihnen zu folgen, bis
sie Flüsse werden. Die Mürz ist ein herrliches Wasser, und muß die erste
Meile schöne Forellen haben. Man hat mich zwar gewarnt, nicht in der
Nacht zu gehen, und mich däucht, ich habe es versprochen: aber ich habe
bis jetzt doch schon zwei Mal dagegen gesündigt, und bin über eine
Stunde die Nacht gelaufen. Indessen wer wird gern in einer schlechten
Kneipe übernachten, wenn man ihm sagt, daß er eine Meile davon ein gutes
Wirthshaus findet?

An einem dieser Tage wurde ich zu Mittage in einem kleinen Städtchen gar
köstlich bewirthet, und bezahlte nicht mehr, als achtzehn Kreuzer. Das
that meiner Philantropie sehr wohl; denn Du weißt, daß ich mir aus den
Kreuzern so wenig mache, wie aus den Kreuzen. Mein Ideengang kam dadurch
natürlich auf die schöne Tugend der Billigkeit und auf die unbillige
Forderung, daß alle Richter, als Richter, sie haben sollen. Billigkeit
ist die Nachlassung von seinem eigenen Rechte; und nun frage ich Dich,
ob ein Richter dabei etwas zu thun hat? Nur die Parteien können und
sollen billig sein. Bei billigen Richtern wäre es um die Gerechtigkeit
geschehen. Mit diesen Gedanken setzte ich mich in dem nächsten
Wirthshause nieder, und legte das Resultat derselben in mein Taschenbuch
über die Billigkeit.

      Verdammt den Richter nicht! er darf nicht billig seyn
   Für ihn ist das Gesetz von Eisen,
   Und seine Pflichten sind von Stein,
   Ihn taub und kalt nur auf das Recht zu weisen.

      Nur das, was mir gehört, geb' ich mit Bruderhand
   Dem Bruder für die kleine Spende,
   Und schlinge freundlicher das Band,
   Das beide knüpft, und schüttle froh die Hände.

      Hier ist der Uebergang zu der Erhabenheit
   Der göttergleichen Heldentugend,
   Die sich der Welt zum Opfer weiht;
   Der erste Blick von unsrer Geistesjugend.

      Die strenge Pflicht, die der Vertrag erzwingt,
   Bleibt ewig Grund zu dem Gebäude;
   Doch Milde nur und Güte bringt
   Ins leere Haus den Harrenden die Freude.

      Mit seinem Eisenstaab befriedige das Recht
   Den großen Trost gemeiner Seelen;
   Mit dem olympischen Geschlecht
   Soll uns schon hier die Göttliche vermählen.

Jeder _soll_ billig seyn für sich; das ist menschlich, das ist schön:
aber alle _müssen_ gerecht seyn gegen alle; das ist nothwendig, sonst
kann das Ganze nicht bestehen. Der billige Richter ist ein schlechter
Richter, oder seine Gesetze sind mehr als mangelhaft. Die Billigkeit des
Richters wäre ein Eingriff in die Gerechtigkeit. Zur Gerechtigkeit kann,
muß der Mensch gezwungen werden; zur Billigkeit nicht: das ist in der
Natur der Sache gegründet. Wo die Parteien billig seyn wollen, handelt
der Richter nicht als Richter, sondern als Schiedsmann. Die
Gerechtigkeit ist die erste, große, göttliche Kardinaltugend, welche die
Menschheit weiter bringen kann. Nicht die Gerechtigkeit, die in den
zwölf Tafeln steht und die nachher Justinian lehren ließ. Jeder
unbefangene Geschichtsforscher weiß, was die Zehnmänner waren, was sie
für Zwecke hatten und verfolgten und wie sie zu Werke gingen, und wie
viel Unsinn Papinian von dem Putztische der heiligen Theodora annehmen
mußte. Nicht die Gerechtigkeit unserer Fürsten, die oft einige tausend
Bauern mit Peitschen vom Pfluge hauen, damit sie ihnen ein Schwein
jagen, das ein Jägerbursche zum Probeschusse tödten könnte. An der Seine
erschien vor einigen Jahren eine Morgenröthe, die sie hervorzuführen
versprach. Aber die Morgenröthe verschwand, es folgten Ungewitter, dann
dicke Wolken und endlich Nebeltage. Es war ein Phantom. Wenn Du
Gerechtigkeit in den Gesetzen suchst, irrest Du sehr; die Gesetze sollen
erst aus der Gerechtigkeit hervorgehen, sind aber oft der Gegensatz
derselben. Du kannst hier, wie in manchem unserer Institute, schließen:
jemehr Gesetze, desto weniger Gerechtigkeit; jemehr Theologie, desto
weniger Religion; je längere Predigten, desto weniger vernünftige Moral.
Mit unserer bürgerlichen Gerechtigkeit geht es noch so ziemlich; denn
die Gewalthaber begreifen wohl, daß ohne diese durchaus nichts bestehen
kann, daß sie sich ohne dieselbe selbst auflösen: aber desto schlimmer
sieht es mit der _öffentlichen_ aus; und mich däucht, wir werden wohl
noch einige platonische Jahre warten müssen, ehe es sich damit in der
That _bessert_, so oft es sich auch _ändern_ mag. Dazu ist die Erziehung
des Menschengeschlechtes noch zu wenig gemacht, und diejenigen, die sie
machen sollen, haben zu viel Interesse, sie nicht zu machen, oder sie
verkehrt zu machen. Sobald Gerechtigkeit seyn wird, wird Friede seyn und
Glück: sie ist die einzige Tugend, die uns fehlt. Wir haben Billigkeit,
Großmuth, Menschenliebe, Gnade und Erbarmung genug im Einzelnen, bloß
weil wir im Allgemeinen keine Gerechtigkeit haben. Die Gnade verderbt
alles, im Staate und in der Kirche. Wir wollen keine Gnade, wir wollen
Gerechtigkeit; Gnade gehört bloß für Verbrecher; und meistens sind die
Könige ungerecht, wo sie gnädig sind. Wer den Begriff der Gnade zuerst
ins bürgerliche Leben und an die Stühle der Fürsten getragen hat, soll
verdammt seyn, von bloßer Gnade zu leben: vermuthlich war er ein Mensch,
der mit Gerechtigkeit nichts fordern konnte. Aus Gnaden wird selbst kein
guter, rechtlicher, vernünftiger Mann selig werden wollen, und wenn es
auch ein Dutzend Evangelisten sagten. Es ist ein Widerspruch, man
lästert die Gottheit, wenn man ihr solche Dinge aufbürden will. Aber,
lieber Freund, wo gerathe ich hin mit meinem Eifer in Grätz?

Mit diesen und ähnlichen Gedanken, die ich Dir hier nicht alle
herschreiben kann, lief ich immer an der Mürz hinunter, kam in Brüg an
die Murr und pilgerte an dem Flusse hinab. Schon zu Neukirchen waren mir
eine Menge Wagen begegnet, die leer zu seyn schienen und doch
außerordentlich schwer gingen. Auf dem Sömmering traf ich noch mehr, und
entdeckte nun, daß sie Kanonen führten, die sie höchst wahrscheinlich
von Grätz und noch weiter von der italienischen Armee brachten und deren
Lavetten vermuthlich verbraucht waren. Vor einem Wagen zogen oft
sechszehn Pferde, und der Wagen waren mehr als hundert. Für mich hatten
sie den Vortheil, daß sie Bahn machten. Hier und da war auch Bedeckung;
und Soldaten mit Gewehr sehe ich als Reisender jetzt immer gern: denn im
Allgemeinen darf man annehmen, diese sind ehrliche Leute; die schlechten
behält man in den Garnisonen und läßt sie nicht mit Gewehr im Lande
herumziehen.

Den zehnten um neun Uhr aus Wien, und den vierzehnten zu Mittage in
Grätz, heißt im Januar immer ehrlich zu Fuße gegangen. Die Thäler am
Flusse herunter sind fast alle romantisch schön, die Berge von
beträchtlicher Höhe. Noch eine Meile von Brüg, gleich an dem Ufer der
Mürz, steht ein schönes Landhaus; auf der einen Seite desselben siehst
Du auf der Gartenmauer Pomona mit ihrem ganzen Gefolge in sehr grotesken
Statüen abgebildet, und auf der andern die Musik mit den meisten
Instrumenten nach der Reihe, noch grotesker und fast an Karikatur
gränzend. Das Ganze ist schnakisch genug, und thut eine possirliche
angenehme Wirkung. Der Trägerin des Füllhorns fehlte der Kopf, und da
die ganze Gesellschaft ziemlich beschneit war, konnte man nicht
entdecken, ob er abgeschlagen war, oder, ob man sie absichtlich ohne
Kopf hingestellt hatte. Die Oerter in der Gegend haben alle das Ansehen
der Wohlhabenheit.

Bei Röthelstein beschwerte sich ein Landmann, mit dem ich eine Meile
ging, über den Schaden, den die Wölfe und Luchse anrichteten, die aus
den Bergen herab kämen. Der Schnee ward hoch und die Kälte schneidend,
und ich eilte nach Pegau, bloß weil der Ort für mich einen
vaterländischen Namen hatte. Aber das Quartier war so traurig, als ich
es kaum auf der ganzen Reise angetroffen hatte. Man sperrte mich mit
einem Kandidaten der Rechte zusammen, der aus der Provinz nach Grätz zum
Examen ging, und der mich durch seine drolligen Schilderungen der
öffentlichen Verhältnisse in Steiermark für das schlechte Wirthshaus
entschädigte. Er hatte viel Vorliebe für die Tyroler, ob er gleich ein
Steiermärker war, und lobte Klagenfurth nach allen Prädikamenten. Mit
ihm ging ich vollends hierher.

Grätz ist eine der schönsten großen Gegenden, die ich bis jetzt gesehen
habe; die Berge rund umher geben die herrlichsten Aussichten, und müssen
in der schönen Jahreszeit eine vortreffliche Wirkung thun. Das Schloß,
auf einem ziemlich hohen Berge, sieht man sehr weit; und von demselben
hat man rund umher den Anblick der schön bebauten Landschaft, die durch
Flüsse und Berge und eine Menge Dörfer herrlich gruppirt ist. Als ich
oben in das Schloßthor trat, stand ein Korporal dort und pfiff mit
großer Andacht eines der besten Stücke aus der Oper: »_die Krakauer_,«
welche die letzte Veranlassung zum Ausbruch der Revolution in Warschau
war. Da ich die Oper dort genossen und das darauf folgende Trauerspiel
selbst mitgemacht hatte, so kannst Du denken, daß diese Musik hier in
Grätz ganz eigen auf mich wirkte. Eben diese Melodie hatte mich oft so
sehr beschäftigt, daß ich manchmal in Versuchung gewesen war, für mich
selbst einen eigenen Text darauf zu machen, da ich das Polnische nicht
sonderlich verstehe. Die Gefängnisse des Schlosses sind jetzt voll
Verbrecher, die mir mit ihren Ketten entgegen klirrten. Das Spital,
gleich unten am Schloßberge, ein stattliches Gebäude, ist von Joseph dem
Zweiten; und das neue, sehr geschmackvolle Schauspielhaus, mit einer
kurzen, ächt lateinischen Inschrift, von den Ständen. Herr Küttner
spricht schon ziemlich gut von dem hiesigen Theater, und ich habe sein
Urtheil völlig richtig gefunden. Man gab eine neue Bearbeitung des alten
Stücks: »_der Teufel ist los_.« Der Text hält freilich, wie in den
meisten Opern, keine Kritik aus. Schade, daß man nicht in dem Tone
fortgefahren ist, den _Weisse_ angeschlagen hatte. Es hätten eine Menge
zu niedriger Redensarten ausgemerzt werden sollen. Die Musik war
eklektisch und gab Reminiscenzen; war aber sehr gefällig, und schon mehr
italienisch als deutsch. Der Gesang war besser, als ich ihn seit
Guardasonis schöner Periode irgendwo gehört habe. Das Personale ist
ziemlich gut besetzt, und vorzüglich das weibliche nicht so ärmlich, als
in Dresden und Wien. Das einzige, was mir mißfiel, waren die Furien und
Teufel, welche durchaus aussahen, wie die Kohlenbrenner vom Blocksberge.

In einer Prolepse muß ich Dir, nicht ganz zur Ehre unserer Mitbürger,
sagen, daß ich auf meiner ganzen Wanderschaft kein so schlechtes
Schauspielhaus gesehen habe, als bei uns in Leipzig. Hier in Oestreich
und durch ganz Italien und auch in Frankreich sind überall gehörige,
bequeme Vorzimmer am Eingange, und die meisten haben Kaffeehäuser von
mehrern Piecen, wo man Erfrischungen aller Art und gut haben kann. Bei
uns wird das Publikum in einem schlechten Winkel ziemlich schlecht
bedient, und für Bequemlichkeit und Vergnügen derjenigen, die nun gerade
diese Scene oder diesen Akt nicht sehen wollen, ist gar nicht gesorgt.
An Feuersgefahr scheint man eben so wenig gedacht zu haben, und sperrt
das Publikum auf Gnade und Ungnade ohne Rettung und Ausflucht zusammen.

Die Grätzer sind ein gutes, geselliges, jovialisches Völkchen; sie
sprechen im Durchschnitt etwas besser deutsch, als die Wiener. Der Adel
soll viel alten Stolz haben. Das ist nun überall so sein Geist, etwas
gröber oder feiner; ausgenommen vielleicht in großen Städten und größern
Residenzen, wo sich die Menschen etwas mehr an einander schleifen und
abglätten. Längs der Mürz und der Murr herunter giebt es links und
rechts noch manche alte Schlösser, die aber, dem Himmel sei Dank, immer
mehr und mehr in Ruinen sinken. Ihr Anblick erhöht nur noch das
Romantische. Von Iffland, der voriges Jahr auch hier war, spricht man
sowohl hier als in Wien noch mit Enthusiasmus. An der Wirthstafel
erzählten einige Gäste vom Lande viel von der Bärenjagd und den
Abenteuern, die es dabei gäbe. Ich glaubte immer, diese Art von Pelzwerk
wäre jetzt nur noch in Polen und jenseits zu Hause; aber voriges Jahr
wurden hier in der Gegend zwölfe geschossen, und auch diesen Jahrgang
wieder mehrere. Vor einigen Jahren ward eine Bärin, die Junge hatte,
erlegt und auf einen Hof geschafft. Kurze Zeit nachher folgten die
Jungen der Fährte der todten Mutter und setzten sich vor dem Hofe auf
einen alten Lindenbaum, wo sie sich endlich ruhig fangen ließen. Die
Gärten und der Lindenberg waren verschneit, so daß ich diese
Vergnügungsörter nur von weitem sah.



                                                            _Laybach._


Hier mache ich, wenn Du erlaubst, wieder eine Pause und lasse meine
Hemden waschen, und meine Stiefeln besohlen.

Von Grätz aus war es sehr kalt und ward immer kälter. Die erste Nacht
blieb ich in Ehrenhausen, einem ganz hübschen Städtchen, das seinem
Namen Ehre macht, wo ich von meiner lieben Murr Abschied nahm. Der Ofen
glühte, aber das Zimmer ward nicht warm. Der Weg von Ehrenhausen nach
Mahrburg ist ein wahrer Garten, rechts und links mit Obstpflanzungen und
Weinbergen. Auch Mahrburg ist ein ganz hübscher Ort an der Drawa, und
die Berge an dem Flusse hinauf und hinab sind voll der schönsten
Weingärten. Eine herrliche ökonomische Musik war es für mich, daß die
Leute hier überall links und rechts auf Bohlentennen draschen. Man kann
sich keinen traulichern Lärm denken. Das Deutsche hörte nunmehr unter
den gemeinen Leuten auf, und das Italienische fing nicht an: dafür hörte
ich das krainische Rothwelsch, von dem ich nur hier und da etwas aus der
Analogie mit dem Russischen verstand. Die Russen thun sich etwas darauf
zu gute, daß man sie so weit herab in ihrer Muttersprache versteht, und
nennen sich deswegen die Slawen, die Berühmten, ungefähr so wie die
heutigen Gallier sich eine große Nation nennen. Bis nach Triest und Görz
wurden sie hier überall verstanden. Die Polen sprechen sogleich leicht
und verständlich mit ihnen, und die Böhmen finden keine große
Schwierigkeit. Ich selbst erinnere mich, als ich vor mehreren Jahren aus
Rußland zurückkam und einen alten russischen Grenadier als Bedienten mit
mir hatte, daß er mir in der Lausitz in der Gegend von Lübben sagte:
»Aber, mein Gott, wir sind ja hier noch ganz in Rußland; hier spricht
man ja noch gut russisch.« So viel Aehnlichkeit haben die slawischen
Dialekte unter sich, von dem russischen bis zum wendischen und
krainischen.

Von Gannewitz aus ist ein hoher, furchtbar steiler Berg, weit steiler
als der Sömmering; so daß vier und dreißig Ochsen und sechs Pferde an
einem Frachtwagen zogen, den die sechs Pferde auf gewöhnlichen Wegen
allein fortbrachten. Die Berge sind hier meistens mit schönen Buchen
bewachsen, da sie an der Murr fast durchaus mit Schwarzwald bedeckt
sind.

In Cilly kam ich ziemlich spät an, und that mir gütlich in sehr gutem
Bier, das nun ziemlich selten zu werden anfängt. Aus Verzweiflung muß
ich Wein trinken, und zwar viel; denn sonst würde man mich ohne
Barmherzigkeit auf ein Strohlager weisen, und wenn ich auch noch so sehr
mit dem Gelde klingelte. Es wurde hier bei meiner späten Ankunft so
stark geschossen und geschrien, daß ich glaubte, es wäre Revolution im
Lande. Wie ich näher kam, hörte ich, daß es Schlittenfahrten waren. In
Cilly hätte ich auch bald meine irdische Laufbahn geschlossen: das ging
so zu. Ich aß gut und viel, wie gewöhnlich, in der Wirthsstube, und
hatte bestellt, mir ein gutes Zimmer recht warm zu machen, weil es
fürchterlich kalt war: denn die steiermärkischen und krainischen Winter
halten sich in gutem Kredit, und der jetzige ist vorzüglich strenge.
Nach der Mahlzeit ging ich auf das Zimmer, zog mich aus, stellte mich
einige Minuten an den Ofen, und legte mich zu Bette. Du weißt, daß ich
ein gar gesunder Kerl bin, und jeden Tag gut esse, und jede Nacht gut
schlafe. So auch hier. Aber es mochte vielleicht gegen vier Uhr des
Morgens seyn, als ich durch eine furchtbare Angst geweckt wurde und den
Kopf kaum heben konnte. So viel hatte ich noch Besinnung, daß ich
errieth, ich schlief in einem neu geweißten Zimmer, das man auf mein
Verlangen gewaltig geheizt hatte. Als ich mich aufzurichten versuchte,
um das Fenster zu öffnen, fiel ich kraftlos und dumpf auf den Pfühl
zurück und verlor das Bewußtseyn. Als es helle ward, erwachte ich
wieder, sammelte nun so viel Kraft, das Fenster zu öffnen, mich
anzuziehen, in der Eile das Zimmer zu verlassen, hinunter zu taumeln und
unten etwas Wein und Brot zu bestellen. Hier kam der zweite Paroxysmus;
ich sank am Tische hin in einen namenlosen Zustand, wie in einen
lichtleeren Abgrund wo Finsterniß hinter mir zuschloß. So viel erinnere
ich mich noch; ich dachte, das ist der Tod und war ruhig: sie werden
mich schon gehörig begraben. Kurze Zeit darauf erwachte ich wieder unter
dem entsetzlichsten Schweiße, der mich aber mit jedem Augenblicke
leichter ins Leben zurückbrachte. Der ganze Körper war naß, die Haare
waren wie getaucht, und auf den Händen standen große Tropfen bis vorn an
die Nägel. Niemand war in dem Zimmer; der Schweiß brachte mir nach der
Schwere des Todes ein Gefühl unaussprechlicher Behaglichkeit. Etwas
Schwindel kam zurück; nun suchte ich mich zu ermannen und nahm etwas
Wein und Brot. Die Luft, dachte ich, ist die beste Arznei, und auf alle
Fälle stirbt man besser in dem freien Elemente, als in der engen Kajüte.
So nahm ich meinen Tornister mit großer Anstrengung auf die Schulter und
ging oder wankte vielmehr fort; aber mit jedem Schritte ward ich
leichter und stärker, und in einer halben Stunde fühlte ich nichts mehr,
ob mir gleich Kleid, Hut, Haar und Bart und das ganze Gesicht schwer
bereift war und der ganze Kerl wie schlecht verschossene Silberarbeit
aussah; denn es fiel ein entsetzlich kalter Nebel. Nach zwei Stunden
frühstückte ich wieder mit so gutem Appetit, als ich je gethan hatte.
Siehst Du, lieber Freund, so hätte mich der verdammte Kalk beinahe etwas
früher, als nöthig ist in jene Welt gefördert. Doch vielleicht kam mir
dieses auch nur so gefährlich vor, weil ich keiner solchen Phänomene von
Krankheit, Ohnmacht und so weiter, gewohnt bin. Etwas gewitziget wurde
ich indeß für die Zukunft, und ich visitirte nun allemal erst die Wände
eines geheizten Zimmers, ehe ich mich ruhig einquartirte.

Zwischen Franz und Sankt Oswald steht rechts am Berge eine Pyramide mit
einem Postament von schwarzem Marmor, auf dem die Unterwerfungsakte der
Krainer an Karl den Sechsten eingegraben ist: ^Se substraverunt^, heißt
es mit klassisch diplomatischer Demuth. Eine Viertelstunde weiterhin ist
links ein anderes neueres Monument, wie es mir schien, zur Ehre eines
Ministers, der den Weg hatte machen lassen. Es war sehr kalt; die
Schrift war schon ganz unleserlich und der Weg war auch wieder in übeln
Umständen, obgleich beides höchstens nur von Karl dem Sechsten.

Abends kam ich mit vieler Anstrengung in Sankt Oswald an, ob ich gleich
recht gut zu Mittag gegessen hatte; denn der Zufall mochte mich doch
etwas geschwächt haben. Der Wirth, zu dem man mich hier wies, war ein
Muster von Grobheit und hat die Ehre, der Einzige seiner Art auf meiner
ganzen Reise zu seyn; denn alle übrigen waren leidlich artig. Ich trat
ein und legte meinen Tornister ab. Es war Zweidunkel, zwischen Hund und
Wolf. »Was will der Herr?« fragte mich ein ziemlich dicker, handfester
Kerl, der bei dem Präsidenten der italienischen Kanzlei in Wien
Kammerdiener gewesen zu seyn schien, so ganz sprach er seine Sprache und
seinen Dialekt. Du weißt, daß sehr oft ein Minister das Talent hat,
durch sein wirksames Beispiel die Grobheit durch die ganze Provinz zu
verbreiten. »Was will der Herr?« Ich trat ihm etwas näher und sagte:
»Essen, trinken und schlafen.« -- »Das erste kann er, das zweite nicht.«
-- »Warum nicht? Ist hier nicht ein Wirthshaus?« -- »Nicht für Ihn.« --
»Für wen denn sonst?« -- »Für andere ehrliche Leute.« -- »Ich bin
hoffentlich doch auch ein ehrlicher Mann.« -- »Geht mich nichts an.« --
»Aber es ist Abend, ich kann nicht weiter und werde also wohl hier
bleiben müssen,« sagte ich etwas bestimmt, hier gerieth der dicke Mann
in Zorn, ballte seine beiden Fäuste mit einer solchen Heftigkeit, als ob
er mit jeder auf einmal ein halbes Dutzend solcher Knotenstöcke
zerbrechen wollte, wie ich trug. »Mach der Herr nur kein Federlesens,
und pack Er sich, oder ich rufe meine Knechte, da soll die Geschichte
bald zu Ende seyn.« Er deutete grimmig auf die Thür und ging selbst
hinaus. Ich wandte mich, als er hinaus war, an einen jungen Menschen,
welcher der Sohn vom Hause zu seyn schien, und fragte ihn ganz sanft um
die Ursache einer solchen Behandlung. Er antwortete mir nicht. Ich
sagte, wenn man mir nicht trauete, so möchte man meine Sachen in
Verwahrung nehmen, und Börse und Uhr und Paß und Taschenbuch dazu. Nun
sagte er mir ängstlich, der Herr wäre aufgebracht, und es würde wohl bei
dem bleiben, was er gesagt hätte. Hier kam der dicke Herr selbst wieder.
»Ist der Herr noch nicht fort?« -- »Aber, Lieber, es ist ja ganz Nacht;
ich bin sehr müde und es ist sehr kalt.« -- »Geht mich nichts an.« --
»Es ist kein anderes Wirthshaus in der Nähe.« -- »Wird schon eins
finden.« -- »Auch wieder ein solches?« -- »Nur nicht räsonnirt und
Marsch fort!« -- »Hier ist mein Paß aus der Wiener Staatskanzlei.« --
»Ei, was!« rief er grimmig wüthend, und ohne mit Respekt zu sagen, »ich
sch.... auf den Quark!« Was war zu thun? Zur Bataille durfte ich es
nicht wohl kommen lassen; denn da hätte ich, trotz meinem
schwerbezwingten Knotenstock, Schläge bekommen für die Humanität,
^quantum satis^, und noch etwas mehr. Der Mensch schien Kaiser und Papst
in Sankt Oswald in einer Person zu seyn. Ich nahm ganz leise meinen
Reisesack und ging zur Thür hinaus. War das nicht ein erbaulicher,
ästhetischer Dialog?

Nun ist in ganz Sankt Oswald, so viel ich sah, weiter nichts, als dieses
ziemlich ansehnliche Wirthshaus, die Post, ich glaube die Pfarre und
einige kleine Tagelöhnerhütten. Zu der Postnation habe ich durch ganz
Deutschland nicht das beste Zutrauen in Rücksicht der Humanität und
Höflichkeit: das ist ein Resultat meiner Erfahrung, als ich mit
Extrapost reis'te; nun denke Dir, wenn ein Kerl mit dem Habersack käme!
Er möchte noch so viel Dukaten in der Tasche haben, und zehren wie ein
reicher Erbe -- das wäre wider Polizei und die Ehre des Hauses. Zu dem
Pfarrer hätte ich wohl gehen sollen, wie ich nachher überlegte, um meine
Schuldigkeit ganz gethan zu haben. Aber das Unwesen wurmte mich zu sehr;
ich gab dem Heiligen im Geiste drei tüchtige Nasenstüber, daß er seine
Leute so schlecht in der Zucht hielt, und schritt ganz trotzig an dem
Berge durch die Schlucht hinunter in die Nacht hinein. Die tiefe
Dämmerung, wo man aber doch im Zimmer noch nicht Licht hatte, und mein
halb polnischer Anzug mochten mir auch wohl einen Streich gespielt
haben: denn ich glaube fast, wenn wir einander hätten hell ins Gesicht
sehen können, es wäre etwas glimpflicher gegangen. Die Gegend war nun
voll Räuber und Wölfe, wie man mir erzählt hatte, ich marschirte also
auf gutes Glück geradezu. Ungefähr eine halbe Stunde von dem Heiligen
der schlechten Gastfreundschaft traf ich wieder ein Wirthshaus das klein
und erbärmlich genug im Mondschein dort stand. Sehr ermüdet und etwas
durchfroren trat ich wieder ein, und legte wieder ab. Da saßen drei
Mädchen, von denen aber keine eine Sylbe deutsch sprach, und sangen, bei
einem kleinen Lichtchen, ihrer kleinen Schwester ein gar liebliches
krainisches Wiegentrio vor, um sie einzuschläfern. Endlich kam der
Wirth, der etwas deutsch radbrechte: dieser gab mir freundlich Brot,
Wurst und Wein, und ein Kopfkissen auf das Stroh. Ich war sehr froh, daß
man mir kein Bett anbot; denn mein Lager war unstreitig das beste im
ganzen Hause. Es war mir lieb bei dieser Gelegenheit eine gewöhnliche
krainische Wirthschaft zu sehen, die dem Ansehen nach noch nicht die
schlechteste war, und die doch nicht viel besser schien, als man sie bei
den Letten und Esthen in Kurland und Liefland findet. Gleiche Ursachen
bringen gleiche Wirkungen.

Bei Popetsch steht rechts von der Post, oben auf der Anhöhe, ein
stattliches Haus, und hinter demselben zieht sich am Berge eine
herrliche Partie von Eichbäumen hin. Es waren die ersten schönen Bäume
dieser Art, die ich seit meinem letzten Spaziergange in dem Leipziger
Rosenthale sah. Im Prater in Wien sind sie nicht zahlreich; dort in der
Donaugegend sind die Pappeln und Weiden vorzüglich.

Nicht weit von Laybach fallen die Save und Laybach zusammen; und über
die Save ist eine große hölzerne Brücke. Die Lage des Laybacher
Schlosses hat von fern viel Aehnlichkeit mit dem Grätzer; und auch die
Stadt liegt hier ziemlich angenehm an beiden Seiten des Flusses, eben so
wie Grätz an der Murr. Die Brücken machen hier, wie in Grätz, die besten
Marktplätze, da sie sehr bequem auf beiden Seiten mit Kaufmannsläden
besetzt sind; eine große Annehmlichkeit für Fremde! Das Komödienhaus ist
zwar nicht so gut, als in Grätz, aber doch immer sehr anständig; und
auch hier sind am Eingange links und rechts Kaffee- und Billardzimmer.

Schantroch, der hiesige Entrepreneur, der abwechselnd hier, in Görz, in
Klagenfurt, und auch zuweilen in Triest ist, gab Kotzebues Bayard. Er
selbst spielte in einem ziemlich schlechten Dialekt, und seine ganze
Gesellschaft hält keine Vergleichung mit der Domaratiussischen in Grätz
aus. Man sprach hier von einem Stück in Knittelversen, das Alles, was
Schiller und Lessing geschrieben haben, hinter sich lassen soll. Herr
Schantroch, der mit mir an der nämlichen Wirthstafel speis'te, schien
ein eben so seichter Kritiker zu seyn, als er ein mittelmäßiger
Schauspieler ist. Doch ist seine Gesellschaft nicht ganz ohne Verdienst
und hat einige Subjekte, die auch ihren Dialekt ziemlich überwunden
haben: und Schantroch soll als Principal Alles thun, was in seinen
Kräften ist, sie gut zu halten. Die Tagesordnung des Stadtgesprächs
waren Balltrakasserien, wo sich vorzüglich ein Officier durch sein
unanständiges, brüskes Betragen ausgezeichnet haben sollte: und dieser
war, nach seinem Familiennamen zu urtheilen, leider unser Landsmann. Die
Kaffeehäuser sind in Grätz und hier weit besser als in Wien; und das
hiesige Schweizerkaffeehaus ist weit artiger und verhältnißmäßig
anständiger, als das berühmte Milanosche in der Residenz, wo man sitzt,
als ob man zur Finsterniß verdammt wäre. Du siehst, daß man für das
letzte Zipfelchen unsers deutschen Vaterlandes hier ganz komfortabel
lebt und uns noch Ehre genug macht.

Einige Barone aus der Provinz, die in meinem Gasthofe speis'ten,
sprachen von den hiesigen Rechtsverhältnissen zwischen Obrigkeiten und
Unterthanen; oder vielmehr zwischen Erbherren und Leibeigenen; denn das
erstere ist nur ein Euphemismus: und da ergab sich denn für mich, den
stillen Zuhörer, daß Alles noch ein großes, grobes, verworrenes Chaos
ist, eine Mischung von rechtlicher Unterdrückung und alter Sklaverei.

Was Küttner von dem bösen Betragen der Franzosen in einigen andern
Grenzgegenden gesagt hat, muß wohl hier nicht der Fall gewesen seyn.
Alle Eingeborne, mit denen ich gesprochen habe, reden mit Achtung von
ihnen, und sagen, sie haben weit von ihren eigenen Leuten gelitten. Aber
auch diese verdienen mehr Entschuldigung, als man ihnen vielleicht
gönnen will. Die Armee war gesprengt. Stelle Dir die fürchterliche Lage
solcher Leute vor, wenn sie zumal in kleine Parteien geworfen werden.
Der Feind sitzt im Rücken oder auch schon in den Seiten; sie wissen
nicht, wo ihre Oberanführer sind, haben keine Kasse, keinen Mundvorrath
mehr: nun kämpfen sie ums Leben überall, wo sie Vorrath treffen.
Gutwillig giebt man ihnen nichts oder wenig: und die Bedürfnisse vieler
sind groß. Natürlich sind die Halbgebildeten nicht immer im Stande, sich
in den Grenzen der Besonnenheit zu halten. Die Einen wollen nichts
geben, die Andern nehmen mehr, als sie brauchen. Daß dieses so ziemlich
der Fall war, beweist der Erfolg. Es wurden hier einige Hunderte
eingefangen und auf das Schloß zu Laybach gesetzt. Nun waren sie
ordentlich und ruhig und sagten: »Wir wollen weiter nichts, als Essen;
wir konnten doch nicht verhungern.«

Das Erdbeben, von dem man in Gräz fürchterliche Dinge erzählte, und
sagte, es habe Laybach ganz zu Grunde gerichtet, ist nicht sehr merklich
gewesen und hat nur einige alte Mauern eingestürzt. In Fiume, Triest und
Görz soll man es stärker gespürt haben: doch hat es auch dort sehr wenig
Schaden gethan. Der Verkehr ist hier ziemlich lebhaft; die Transporte
kommen auf der Save von Ungern herauf in die Gegend der Stadt und werden
zu Lande weiter geschafft. Vorzüglich gehen die Bedürfnisse jetzt ins
Venetianische, für die dort stehenden Truppen, und auch nach Tyrol, das
sich von dem Kriege noch nicht wieder erholt hat.

Zwischen der Save und der Laybach, wo beide Flüsse sich vereinigen, soll
in den Berggegenden ein großer Strich Marschland liegen, an den die
Regierung schon große Summen ohne Erfolg gewendet hat. Eine Anzahl
Holländer denen man in Unternehmungen dieser Art wohl am meisten trauen
darf, hat sich erboten, das Wasser zu bändigen und die Gegend brauchbar
zu machen, mit der Bedingung, eine gewisse Zeit frei von Abgaben zu
bleiben. Aber die Regierung ist bis jetzt nicht zu bewegen; aus welchen
Gründen, kann man nicht wohl begreifen: und so bleibt der Landstrich öde
und leer, und das Wasser thut immer mehr Schaden.



                                                            _Prewald._


Von Laybach aus geht es nun allmälich immer aufwärts, und man hat die
hohe Bergspitze des Loibels rechts hinter sich. Bei Oberlaybach, einem
ziemlich kleinen Städtchen, kommt die Laybach aus den Bergen und trägt,
gleich einige hundert Schritte von dem Orte des Ausgangs, Fahrzeuge von
sechzig Zentnern. Von hier geht es immer höher bis nach Loitsch und so
fort bis nach Planina, das, wie der Name zeigt, in einer kleinen Ebene,
ziemlich tief zwischen den rund umher emporsteigenden Bergen liegt. Der
Weg von Laybach bis Oberlaybach hat noch ziemlich viel Kultur; aber von
da ist er wild und rauh, und man trifft außer den Stationen bis nach
Adlersberg wenig Häuser an. Hier in Planina hatte das Wasser wieder
Unfug angerichtet. Es dringt überall aus den Bergen hervor, und hat das
ganze schöne Thal zu einer außerordentlichen Höhe überschwemmt, so daß
die Eichen desselben bis an die Aeste im Wasser stehen. Dieses war noch
nicht ganz fest gefroren, und man setzte auf mehrern Fahrzeugen
beständig über nach Planina. Der Fall ist nicht selten in dieser
Jahreszeit; aber diesesmal war die Fluth außerordentlich hoch. Die
Hälfte von Planina, auf der andern Seite des Thals, stand unter Wasser.
Vorzüglich soll die Fluth auch mit vermehrt werden durch den Bach von
Adlersberg, der dort bei der Schloßhöhle sich in die Felsen stürzt, so
einige Meilen unter der Erde fortschießt und hier in einer Schlucht
wieder zum Vorschein kommt.

Von Planina aus windet sich der Weg in einer langen Schneckenlinie den
großen Berg hinan, und giebt in mehreren Punkten rückwärts sehr schöne
Partien, wie auch schon, wenn ich nicht irre, Herr Küttner bemerkt hat.
Mich däucht, daß man ohne großen Aufwand die Straße in ziemlich gerader
Linie hinauf hätte ziehen können, die auch, mit gehörigen Absätzen, eben
nicht beschwerlich seyn würde. Ehrliche Krainer hatten es hier und da
schon mit ihren kleinen Wagen gethan, und zu Fuße konnte man schon
überall mit Bequemlichkeit durchschneiden. Die Herrschaft Adlersberg
liegt oben auf der größten Höhe und ist nur von noch höheren Bergspitzen
umgeben. Der Schloßberg ist bei weitem nicht der höchste, sondern nur
der höchste in der Ebene, welche die Herrschaft ausmacht. Von allen
Seiten sammelt sich das Wasser und bildet einen ziemlichen Fluß, der bei
der Grotte am Schloßberge, nahe bei der Mühle, wie oben erwähnt worden
ist, in die Felsen stürzt. Ich wollte, wie Du denken kannst, die Höhle
sehen, und es ward mir schwer einen Menschen zu finden, der mich
begleiten wollte. Endlich ging ein Mensch von der Mauth mit mir, kaufte
Fackel und Licht, und führte mich weit, weit vor den Ort hinaus, durch
den tiefsten Schnee, immer waldeinwärts. Das ging eine starke halbe
Stunde ohne Bahn so fort, und der Mensch wußte sodann nicht mehr, wo er
war, und suchte sich an den Felsenspitzen und Schluchten zu orientiren.
Wir arbeiteten noch eine halbe Stunde durch den hohen Schnee, in dem
dicksten Fichtenwalde, und -- keine Grotte! Du begreifst, daß es mir
etwas bedenklich ward, mit einem wildfremden, baumstarken Kerl so allein
in den Schluchten herumzukriechen und in Krain eine Höhle zu suchen:
mich beruhigte aber, daß ich von dem öffentlichen Kaffeehause in der
Stadt vor Aller Augen mit ihm abgegangen war. Ich sagte ihm, die Höhle
müsse, wie ich gehört habe, doch nahe an der Stadt, am Schloßberge seyn,
und er antwortete, jene in der Nähe der Stadt solle ich auf dem Rückwege
sehen; aber diese entfernte sei die merkwürdigere. Endlich kamen wir
nach vielem Irren und Suchen, nach einer halben Stunde, am Eingange der
Höhle an. Dieser ist wirklich romantisch, wild und schauerlich, in einem
tiefen Kessel, rund umher mit großen Felsenstücken umgeben und mit dem
dichtesten Schwarzwalde bewachsen. Hier zündeten wir in dem Gewölbe,
halb am Tage die Fackel an und gingen in die Höhle hinein, ungefähr eine
Viertelstunde über verschiedene Felsenfälle, sehr abschüssig, immer
bergab. Beim Hinabsteigen hörte ich links in einer ungeheuren Tiefe
einen Strom rauschen, welches vermuthlich das Wasser ist, das bei der
Stadt in den Felsen fällt und bei Planina wieder herausdringt. Wir
stiegen nicht ohne Gefahr noch einige hundert Schritte weiter über
ungeheure eingestürzte Felsenstücke immer bergab, und mein Führer sagte
mir, weiter würde er nicht gehen, er wisse nun keinen Weg mehr und die
Fackel würde sonst nicht den Rückweg dauern. Er mochte wohl nicht der
beste Wegweiser seyn. Aber die Fackel brannte wirklich in der großen
Tiefe und vermuthlich in der Nähe von Dünsten nur mit Mühe; wir stiegen
also wieder heraus und förderten uns bald zu Tage. Nun fand mein
Begleiter den Weg rückwärts nach der Stadt sehr leicht. Unterwegs
erzählte er mir von allen den vornehmen und großen Personagen, welche
die Höhlen gesehen hätten. Diese entferntere sähen nur Wenige; und unter
diesen Wenigen nannte er vorzüglich den Prinzen Konstantin von Rußland.
Mein Führer hatte den kürzesten Weg nehmen wollen und hatte mich
unbemerkt auf den hohen Felsen über der Höhle am Schlosse gebracht, wo
wir nun wie die Gemsen hingen und mit Gefahr hinunter klettern mußten,
wenn wir nicht einen Umweg von einer halben Stunde machen wollten.
Einige Untenstehende riefen uns und zeigten uns die Pfade, auf denen es
möglich war hinunter zu kommen. Nun standen wir am Eingange der andern
Grotte, wo sich der Fluß in den Felsen hinein stürzt. Der Fluß nimmt
sodann die Richtung ein wenig links; der Weg in der Grotte geht ziemlich
gerade fort rechts. In einiger Entfernung vom Eingange erweitert sich
das Gewölbe; es wird sehr hoch und breit, man hört links den Fluß wieder
herrauschen, und bald kommt man auf einer natürlichen Felsenbrücke über
demselben, mitten unter dem Gewölbe. Hier thut die Flamme der Fackeln
eine furchtbare schöne Wirkung. Man hört das Wasser unter sich, und
sieht über sich und rund um sich die Nacht des hohen, breiten Gewölbes.
Hier haben die Führer die Gewohnheit, einige Bund Stroh auf den
Felsenwänden der Brücke anzuzünden, und hatten diesmal sehr reichlich
zugetragen. Die magische Beleuchtung der ganzen unterirdischen
Brückenregion mit ihrem schauerlichen Felsengewölbe, den grotesken
Felsenwänden und dem unten im Abgrunde rauschenden Strome, macht einen
der schönsten Anblicke, deren ich mir bewußt bin. Wenn der Strohhaufen
fast verzehrt ist, stürzt man ihn von der Brücke hinab in den Strom, und
so sieht man ihn unten in der Tiefe auf dem Wasserbett noch einige
Augenblicke fortglühen. Die plötzlich aufsteigende weite Flammenhelle
und die schnell zurückkehrende Finsterniß, wo man bei dem schwachen
Fackellichte nur einige Schritte sieht, macht einen überraschenden
Kontrast. Es hatten sich einige gemeine Krainer zu uns gesellet, die
gern die Gelegenheit mitnehmen, das schöne Schauspiel in der Grotte
wieder zu sehen, dabei ihre Geschichten auszukramen und noch einige
Groschen zu verdienen. »Bis hierher sind die Franzosen gekommen,« sagten
sie, als wir auf der Brücke standen; »aber weiter wagten sie sich
nicht.« -- »Warum nicht?« fragte ich. Die Kerle zogen ein wichtiges
Gesicht beim Fackelschein, und suchten den Muth der Franzmänner
verdächtig zu machen. Die Franzmänner mochten wohl andere Ursachen
haben. Sie waren höchst wahrscheinlich nicht zahlreich genug, hatten
draußen nicht gehörige Maßregeln genommen und besorgten in der großen
Tiefe der Höhle irgend ein unterirdisches Abenteuer kriegerischer Natur.
Außerdem ist nichts zu fürchten. Ich ging nun links am Flusse jenseit
der Brücke ungefähr noch einige hundert Schritte weiter fort; dann aber
mußten wir anfangen mit Lebensgefahr über die Felsen am Wasser
hinzuklettern. Mein Führer sagte, es sei unmöglich weiter zu kommen. Das
glaubte ich nun eben nicht: aber es war Schwierigkeit und Gefahr; ich
wollte noch heute den Weg im Sonnenlichte weiter, und wir krochen und
wandelten zurück. Die Bielshöhle bei Elbingerode hat mehr
Verschiedenheit und die benachbarte Baumannshöhle einige vielleicht eben
so große Partien aufzuweisen; aber sie haben nichts ähnliches, wie die
furchtbare Höllenfahrt in der ersten und der Fluß und die Brücke in der
letztern sind. Die Tropfsteine sind in den Harzhöhlen häufiger,
grotesker und schöner als hier. Zum Beweis, daß dieser Fluß das bei
Planina wieder herausströmende Wasser sei, erzählte man mir, man habe
vor einiger Zeit hier bei dem Einsturz ungefähr eine Metze Korke hinein
geworfen, und diese seien dort in der Bergschlucht wieder zum Vorschein
gekommen.

Hier sitze ich nun in Prewald, einer sehr hohen Bergspitze gegenüber,
und zittere vor Frost, bis man mein Zimmer heizt. Die Höhle zu Lueg,
einem Gute des Grafen Kobenzl, habe ich nicht gesehen. Mein Wirth in
Adlersberg erzählte mir abenteuerliche Dinge davon. Sie soll ehemals von
dort vier Stunden bis nach Wippach gegangen, aber jetzt durch ein
Erdbeben sehr verschüttet seyn. Küttner hat sie gesehen und den Eingang
abgebildet. Das Land ist rund umher voll von dergleichen Höhlen, und
wäre wohl der Bereisung eines Geologen werth. Vor einigen Jahren bauete
ein Landmann Weizen auf einem schönen Feldstriche am Abhange eines
Berges und erntete sehr reichlich; als er für das künftige Jahr
bestellen wollte, schoß der ganze Acker gegen zehn Klafter tief herab,
und es fand sich, daß ein unterirdischer Fluß unter demselben hin
gegangen war, und den Grund so ausgewaschen hatte, daß er einstürzen
mußte. Auch soll in einem See unweit Adlersberg eine noch ganz
unbekannte Art von Eidechsen hausen, von der man erst seit kurzem den
Naturkundigen einige Exemplare eingeschickt habe. Vor einigen Jahren
soll sogar ein Bauer ein Krokodil geschossen haben. Das alles lasse ich
indessen auf der Erzählung des Herrn Merk in Laybach beruhen, der mir
jedoch ein sehr wahrhafter, unterrichteter Mann zu seyn scheint.



                                                             _Triest._


Da ich nicht Kaufmann bin und nach den Bemerkungen meiner Freunde
durchaus keine merkantilische Seele habe, wirst Du von mir über Triest
wohl nicht viel hören können, wo alles merkantilisch ist. In Prewald
wohnte ich bei den drei Schwestern, die, wenn ich mich nicht irre, Herr
Küttner schon nennt. Die Mädchen treiben eine gar drollige Wirthschaft,
und ich befand mich bei ihnen leidlich genug. Zuerst waren sie etwas
barsch und behandelten mich, wie man einen gewöhnlichen Tornistermann zu
behandeln pflegt. Da sie aber eine goldene Uhr sahen und mit hartem
Gelde klimpern hörten, wurden sie ziemlich höflich und sogar sehr
freundlich. Zum Abendgesellschafter traf ich einen katholischen
Feldprediger, der von Triest war, bei den Oestreichern einige Zeit in
Udine gestanden hatte und nun hier ganz allein bei den Mädchen gar
gemächlich in Kantonnirung zu liegen schien. Eine von den Schwestern war
ein noch ganz hübsches Stückchen Erbsünde, und hätte wohl einen
ehrlichen Kerl etwas an die sechste Bitte erinnern können. Die erste
Bekanntschaft mit den drei Personagen -- ich nennte sie gerne Grazien,
wenn ich nicht historisch zu gewissenhaft wäre -- machte ich drollig
genug in der Küche, wo sie sich alle drei auf Stühlen oben auf dem
großen Heerde um ein ziemlich starkes Feuer hergepflanzt und im Fond des
hintern Winkels an der Wand den Mann Gottes hatten, der ihnen
Hanswurstiaden so possirlich vormachte, daß alle drei aus vollem Halse
lachten. Das war nun ein Jargon, Deutsch, Italienisch und Krainisch, von
jeder dieser Sprachen die ästhetische Quintessenz, wie Du denken kannst,
und ich verstand blutwenig davon. Indessen stellte ich mich so nahe als
möglich, um von dem Feuer, wenn auch nicht der Unterhaltung, doch des
Heerds, meinen Antheil zu haben. Man nahm zuerst keine Notiz von mir,
belugte mich sodann etwas neugierig und fuhr fort. Der geistliche Herr
gewann mir bald Rede ab und sprach erst rein italienisch, radbrechte
dann deutsch und plauderte endlich das beste Mönchslatein. Da es hier
darauf ankam, so kannst Du glauben, daß ich mit meiner Gelehrsamkeit
eben nicht den Filz machte, und der Mann faßte bald eine gar gewaltige
Affection zu mir, als ich glücklich genug einige Dinge aus dem
Griechischen anführte, die er nur halb verstand. Nun empfahl er mich den
schönen Wirthinnen sehr nachdrücklich, und ich hatte die Ehre ihn zum
Tischgesellschafter zu erhalten. Die Mädchen staunten über unsere
Gelehrsamkeit und hätten leicht zuviel Respekt bekommen können, wenn
nicht der Mann zuweilen mit vieler Wendung eine tüchtige Schnurre mit
eingeworfen hätte. Natürlich erhielt er durch das Lob, das er mir
zukommen ließ, selbst im Hause ein neues Relief: wer den andern so laut
und gründlich beurtheilt, muß ihn durchaus übersehen können.

Wenn ich nicht aus der trophonischen Höhle gekommen, nicht sehr müde
gewesen wäre und nicht den folgenden Morgen ziemlich früh fort gewollt
hätte, wäre mir die lustige Unterhaltung des geistlichen Harlekins noch
länger vielleicht nicht unlieb gewesen. Aber ich eilte zur Ruhe und ließ
die Leutchen lärmen. Als ich den andern Morgen aufstand und fort wollte,
fand ich in dem ganzen, großen, nicht übel eingerichteten Hause noch
keine Seele lebendig. Die Thüren waren nur von innen verriegelt und also
für mich offen: aber wenn ich auch Schuft genug wäre, so schlechte
Sottisen zu begehen, so könnte ich doch das Vertrauen so gutherziger
Leutchen nicht mißbrauchen. Ich trabte mit meinen schweren Stiefeln
einige Mal über den Saal weg: niemand kam, nirgends eine Bewegung. Ich
klopfte an einige Zimmer; keine Antwort. Endlich kam ich an ein Zimmer,
das nicht verschlossen war. Ich trat hinein, und siehe, das hübsche
Stückchen Erbsünde hob sich so eben aus dem Bette und entschuldigte sich
freundlich, daß noch Niemand wach sey. Weiß der Himmel, ob ich armes
Menschenkind nicht in große Verlegenheit würde gerathen seyn, wenn sie
nicht eben um ihre Schultern den Mantel geworfen hätte, den gestern
Abend der geistliche Herr um die seinigen hatte. Der Mantel gab mir
sogleich eine gehörige Dose Stoicismus; ich bezahlte meine Rechnung und
trollte zum Tempel hinaus.

Du mußt wissen, daß ich entweder gar nicht frühstücke, oder erst wenn
ich zuvor einige Stunden gegangen bin, versteht sich, wenn ich etwas
finde. Seit diesem Tage machte ich mirs nun durchaus zum Gesetz, meine
Rechnung allemal den Abend vorher zu bezahlen, damit ich den Morgen auf
keine Weise aufgehalten werde. In Prewald gab man mir zuerst Görzer
Wein, der hier in der Gegend in besonders gutem Kredit steht und es
verdient. Er gehört unter die wenigen Weine, die ich ohne Wasser trank,
welche Ehre, zum Beispiel, nicht einmal dem Burgunder wiederfährt. Doch
kann ein Idiot, wie ich, hierin eben keine kompetente Stimme haben. Von
Prewald bis nach Triest sind fünf Meilen. Ich hatte den Morgen nichts
gegessen, fand unterwegs kein einladendes Haus; und, mein Freund, ich
machte nüchtern im Januar die fünf Meilen recht stattlich ab. In Sessana
hatte mir das erste Wirthshaus gar keine gute Miene und es hielten eine
gewaltige Menge Fuhrleute davor. Der Ort ist nicht ganz klein, dachte
ich, es wird sich schon noch ein anderes besseres finden. Es fand sich
keins, ich war zu faul zu dem ersten zurückzugehen, ging also vorwärts;
und nun war von Sessana bis an die Duane von Triest nichts zu haben. Es
ist lauter steinigter Bergrücken und es war kein Tropfen gutes Wasser zu
finden: das war für einen durstigen Fußgänger das verdrießlichste. Wenn
ich nicht noch zuweilen ein Stückchen Eis gefunden hätte, das mir den
Durst löschte, so wäre ich übel daran gewesen. Die Bergspitze von
Prewald sah ich bis nach Triest, und sie schien immer so nahe, als ob
man eine Falkonetkugel hätte hinüber schießen können. Von Schottwien bis
Prewald hatte ich abwechselnd sehr viel Schnee: bei Sessana hörte er
allmählich auf, und hier liegt er nur noch in einigen finstern Gängen
und Schluchten. In Prewald zitterte ich noch vor Frost am Ofen, und hier
diesseits des Berges am Meere schwitzt man schon. Es ist heute, am drei
und zwanzigsten Januar, so warm, daß überall Thüren und Fenster offen
stehen.

Der erste Anblick der Stadt Triest von oben herab ist überraschend, der
Weg herunter ist angenehm genug, der Aufenthalt auf einige Zeit muß viel
Vergnügen gewähren; aber in die Länge möchte ich nicht hier wohnen. Die
Lage des Orts ist bekannt, und fängt nun an ein Amphitheater am
Meerbusen zu bilden. Die Berge sind zu hoch und zu kahl, um angenehm zu
seyn; und zu Lande ist Triest von aller angenehmen Verbindung
abgeschnitten. Desto leichter geht alles zu Wasser. Der Hafen ist
ziemlich flach, und nur für kleine Fahrzeuge: die größern und alle
Kriegsschiffe müssen in ziemlicher Entfernung auf der Rhede bleiben, die
nicht ganz sicher zu seyn scheint. Die See ist hier geduldig, und man
kann ihr noch sehr viel abtrotzen, wenn man von den Bergen herab in sie
hinein arbeitet, und so nach und nach den Hafen vielleicht auch für
große Schiffe anfahrbar macht.

An den Bergen rund herum hat man hinauf und herab terrassirt und dadurch
ziemlich schöne Weingärten angelegt. Die Triester halten viel auf ihren
Wein; ich kann darüber nicht urtheilen, und in meinem Gasthause giebt
man gewöhnlich nur fremden. Die etwas höhere Altstadt am Kastell ist eng
und finster. Die neue Stadt ist schon fast ganz der See abgewonnen. Ob
hier das alte Tergeste wirklich gestanden hat, mögen die Antiquare
ausmachen. Ich wohne in dem sogenannten großen Gasthofe, einem Hause von
gewaltigem Umfange und dem nämlichen, worin Winkelmann von seinem
meuchlerischen Bedienten ermordet wurde. Meine Aussicht ist sehr schön
nach dem Hafen, und vielleicht ist es das nämliche Zimmer, in welchem
das Unglück geschah. Die Geschichte ist hier schon ziemlich vergessen.

Ich fand hier den Philologen Abraham Penzel, der in Triest den
Sprachmeister für die Italiener deutsch und für die Deutschen
italienisch macht. Die Schicksale dieses sonderbaren Mannes würden eine
lehrreiche, angenehme Unterhaltung gewähren, wenn sie gut erzählt
würden. Von Leipzig und Halle nach Polen, von Polen nach Wien, von Wien
nach Laibach, von Laibach nach Triest, überall in genialischen
Verbindungen. Der unglückliche Hang zum Wein hat ihm manchen Streich
gespielt und ihn noch zuletzt genöthigt, seine Stelle in Laibach
aufzugeben, wo er Professor der Dichtkunst am Gymnasium war. Er hat
durch seine mannigfaltigen, verflochtenen Schicksale ein gewisses
barockes Unterhaltungstalent gewonnen, das den Mann nicht ohne
Theilnahme läßt. ^Per varios casus, per tot discrimina rerum tendimus
Tergestum^, sagte er mir mit vieler Drolerie, damit uns hier, wie
Winkelmann, der Teufel hole. Wir gingen zusammen aus, konnten aber
Winkelmanns Grab nicht finden. Niemand wußte etwas davon.

Das Haus eines Griechen -- wenn ich mich nicht irre, ist sein Name
Garciatti -- ist das beste in der Stadt und wirklich prächtig, ganz neu
und in einem guten Style gebaut. Eine ganz eigene recht traurige Klage
der Triester ist über den Frieden. Mit christlicher Humanität bekümmern
sie sich um die übrige Welt und ihre Drangsale kein Jota und wünschen
nur, daß ihnen der Himmel noch zehn Jahre einen so gedeihlichen Krieg
bescheren möchte, dann sollte ihr Triest eine Stadt werden, die mit den
besten in Reihe und Glied treten könnte. Dabei haben die guten
kaufmännischen Seelen gar nichts Arges; schlagt euch todt, nur bezahlt
vorher unsere Sardellen und türkischen Tücher! Das neue Schauspielhaus
ist das beste, das ich bis jetzt auf meinem Wege gesehen habe. Gestern
gab man auf demselben ^Teodoro Re di Corsica^, welches ein
Lieblingsstück der Triester zu seyn scheint. Die Dekoration, vorzüglich
die Partie Rialto in Venedig, war sehr brav. Es wäre aber auch
unverzeihlich, wenn die reichen Nachbarn, die es noch dazu auf Unkosten
der Herren von Sankt Markus sind, so etwas nicht ausgezeichnet haben
wollten. Man sang recht gut, und durchaus besser, als in Wien.
Vorzüglich zeichneten sich durch Gesang und Spiel aus die Tochter des
Wirths und der Kammerherr des Theodor. Die Logen sind alle schon durch
Aktien von den Kaufleuten genommen und ein Fremder muß sich auf ihre
Höflichkeit verlassen, welches nicht immer angenehm seyn mag. Die Herren
haben die Logen gekauft, bezahlen aber noch jederzeit den Eingang; eine
eigene Art des Geldstolzes! Der Patriotismus könnte wohl eine etwas
humanere Art finden, die Kunst zu unterstützen. Der Fremde, der doch
wohl zuweilen Ursache haben kann im Publikum isolirt zu seyn, ist sehr
wenig dabei berücksichtigt worden. Hier hörte ich zuerst den betäubenden
Lärm in den italienischen Theatern. Man bedient sich des Schauspiels zu
Rendesvous, zu Konversationen, zur Börse, und wer weiß wozu sonst noch?
Nur die Lieblingsarien werden still angehört; übrigens kann ein
Andächtiger Thaliens nicht viel Genuß haben; und die Schauspieler rächen
oft durch ihre Nachlässigkeit die Vernachlässigung. Etwas eigenes war
mir im Hause, daß das Parterre überall entsetzlich nach Stockfisch roch,
ich mochte mich hinwenden, wo ich wollte.



                                                            _Venedig._


Die Leute meinten hier wieder, ich sey nicht gescheidt, als sie hörten,
ich wollte zu Fuße von Triest über die Berge nach Venedig gehen, und
sagten, da würde ich nun wohl ein Bischen todt geschlagen werden: aber
ich ließ mich nicht irre machen und wandelte wieder den Berg herauf;
zwar nicht den nämlichen großen Fahrweg, kam aber doch, nach ungefähr
zweistündigem Herumkreuzen am Ufer und durch die Weinberge, wieder auf
die Heerstraße. Ich besuchte die Höhlen von Korneale nicht, weil die
ganze Gegend verdammt verdächtig aussah, und ich mich in der Wildniß
doch nicht so ganz allein und wildfremd den Leuten in die Hände geben
wollte. Die Berge, welche von Natur sehr rauh und etwas öde sind, waren
sonst deßwegen so unsicher, weil sie, wie die Genuesischen, der
Zufluchtsort alles Gesindels der benachbarten Staaten waren. Da ganz
Venedig aber jetzt in österreichischen Händen ist, wird es nun der
wachsamen Polizei leichter, Ordnung und Sicherheit zu erhalten. Man
spürt in dieser Rücksicht schon den Vortheil der Veränderungen. An dem
Zwickel der Berge kommt hier ein schöner Fluß aus der Erde hervor, der
vermuthlich auch Höhlen bildet. Hier sind, nach aller Lokalität, gewiß
Virgils Felsen des Timavus; und ich sah stolz umher, daß ich nun
ausgemacht den klassischen Boden betrat. Der Einschnitt zwischen den
Bergen, oder das Thal zwischen Santa Croce und Montefalcone macht noch
jetzt der Beschreibung der Alten Ehre. Unten rechts am Meere stand
vermuthlich der Heroentempel im Haine, und links etwas weiter herauf am
Ausflusse des Timavus war der Hafen. Ich schlug mich hier rechts von der
geraden Straße nach Venedig ab über die Berge hinüber nach Görz, welches
sechs ziemlich starke Meilen von Triest liegt. Wenn man einmal über die
Berge hinüber ist, welche freilich etwas kahl sind, hat man die
schönsten Weinthäler. Der Wein wird schon nach italienischer Weise
behandelt, hängt an Ulmen oder Weiden, und macht, wo die Gegend etwas
nachhilft, schöne Gruppirungen.

Von Görz nach Gradisca sind die Berge links ziemlich sanft und man hat
die großen Höhen in beträchtlicher Entfernung rechts: und wenn man über
Gradisca nach Palma Nuova herauskommt, ist man ganz in der schönen
Fläche des ehemaligen venetianischen Friaul, hat links fast lauter Ebene
bis zur See und nur rechts die ziemlich hohen Friauler Alpen. Von Görtz
nach Udine stehen im Kalender fünf Meilen; aber östreichische Officiere
versicherten mich, es seien gute sieben Meilen, und ich fand Ursache der
Versicherung zu glauben. Palma Nuova war eine venetianische
Grenzfestung, und nun hausen die Kaiserlichen hier. Sie exercirten eben
auf dem großen Platze vor dem Thore. Der Ort ist militärisch nicht ganz
zu verachten, wenn er gut vertheidigt wird. Man kann nach allen Seiten
vortrefflich rasiren, und er kann von keiner nahen Anhöhe bestrichen
werden.

In Udine feierte ich den neun und zwanzigsten Januar meinen Geburtstag;
und höre, wie! Ich hatte mir natürlich den Tag vorher schon vorgenommen,
ihn recht stattlich zu begehen, und also vor allen Dingen hier Ruhetag
zu halten. Der Name Udine klang mir so schön, war mir aus der
Künstlergeschichte bekannt, und war überdies der Geburtsort unserer
braven Grassi in Dresden und Wien. Die große feierlich tönende
Abendglocke verkündete mir in der dunkeln Ferne -- denn es war schon
Nacht, als ich ankam -- eine ansehnliche Stadt. Vor Campo Formio war ich
im Dunkeln vorbeigegangen. Am Thore zu Udine stand eine östreichische
Wache, die mich examinirte. Ich bat um einen Grenadier, der mich in ein
gutes Wirthshaus bringen sollte. Gewährt. Aber ein gutes Wirthshaus war
nicht zu finden. Ueberall wo ich hineintrat, saßen, standen und lagen
eine Menge gemeiner Kerle bacchantisch vor ungeheuer großen Weinfässern,
als ob sie mit _Bürger_ bei Ja und Nein vor dem Zapfen sterben wollten.
Es kam mir vor, als ob _Bürger_ hier seine Uebersetzung gemacht haben
müsse; denn der lateinische Text des alten englischen Bischofs hat
dieses Bild nicht. In dem ersten und zweiten dieser Häuser hatte ich
nicht Lust zu bleiben; im dritten wollte man mich nicht behalten.
»Ruhig!« dachte ich; »du gehst auf die Wache: morgen wird sichs schon
finden.« Der Sergeant gestand mir gern Quartier zu, da ich der Wache für
ihre Höflichkeit ein gutes Trinkgeld geben wollte. Nun holte man Brot
und Wein für mich. Kaum war dieses da, so kam eine fremde Patrouille,
einige Meilen weit her, welche ihr Quartier auch in der Wachstube nahm.
Nun sagte der Sergeant ganz höflich, es sei kein Platz mehr da. Das sah
ich auch selbst ein. Er machte auch Dienstschwierigkeiten, die ich als
alter Kriegsknecht sehr bald begriff. Ich überließ Brot und Wein dem
Ueberbringer und verlangte, man solle mich auf die Hauptwache bringen
lassen. Das geschah. Dort fand ich mehrere Officiere. Ich erzählte dem
Wachhabenden meinen Fall und schloß mit der Meinung, daß ich doch
Quartier haben müsse, und sollte es auch auf der Hauptwache seyn. Die
Herren lärmten, fluchten und lachten und sagten, es gehe ihnen eben so;
die Welschen schlügen die Deutschen todt nach Noten, wo sie könnten. Man
schickte mich zum Platzmajor. Gut! Dieser forderte meinen Paß, fand ihn
richtig, revidirte ihn, befahl, ich sollte mich den folgenden Morgen bei
der Polizei melden, die ihn auch unterschreiben müsse, und machte einige
Knasterbemerkungen über die Nothwendigkeit der guten Ordnung, an der ich
gar nicht zweifelte. »Das ist alles recht gut;« sagte ich; »aber ich
kann kein Quartier finden.« Ach das wird nicht fehlen, meinte er; »aber
es fehlt,« meinte ich. Der alte Herr setzte sein Glas bedächtlich
nieder, sah seine Donna an, rieb sich die Augenbrauen und schickte den
Gefreiten mit mir und meinem Tornister ^alla nave^. Der Gefreite wies
mich ins Schiff und ging. Als ich eintrat, sagte man mir, es sei
durchaus kein Zimmer mehr leer; es sei alles besetzt. Ich that groß und
bot viel Geld; aber es half nichts. »Sie sollten es für den vierten
Theil haben,« antwortete mir eine alte ziemlich gedeihliche Frau; »aber
es ist kein Platz.« -- »Ich kann nicht fort, es ist spät; ich bin müde
und es ist draußen kalt.« Die Italienerin machte es wie der Mann von
Sankt Oswald, nur ganz höflich. »Ich gehe nicht,« sagte ich, »wenn man
mir nicht einen Menschen mitgiebt, der mich wieder auf die Hauptwache
bringt.« Den gab man. Nun war ich wieder auf der Hauptwache und erzählte
und forderte Quartier. Man lärmte und fluchte und lachte von neuem. Ich
versicherte nun bestimmt, ich würde hier bleiben. Wort gab Wort. Einer
der Herren sagte lachend: »Warten Sie, vielleicht bin ich noch so
glücklich, Ihnen Quartier zu verschaffen. Es ist eine verfluchte
Geschichte; es geht uns oft auch so, wenn wir nicht mit Heereszug
kommen: aber ich habe hier einige Bekanntschaft.« Der Officier ging
einige hundert Schritte weit davon mit mir in ein Haus, hielt Vortrag,
und ich erhielt sehr höflich Quartier. Zimmer und Bett waren herrlich.
Nun wollte ich essen; da war nichts zu haben. »^Ma Signore,^« sagte die
Wirthin, »^questa casa non è locanda; non si mangia qui.^« Ich hatte
sieben Meilen im Januar gemacht, und war auf dem Pflaster noch eine
Stunde herum trottirt; ich konnte mich also nicht entschließen, spät in
der Finsterniß noch einmal auszugehen. Der Officier war fort. Ich sah
grämlich aus, und man wünschte mir ohne Abendessen freundlich
»^Felicissima notte^:« ich ging ärgerlich zu Bett und schlief herrlich.
Den andern Morgen, an meinem Geburtstage, sollte ich auf die Polizei
gehen. Der Sitz derselben war in vierzehn Tagen wohl vier Mal verändert
worden; man wies mich hierhin und dorthin, und ich fand sie nirgends.

   Der Henker hol' Euch mit der Polizei!
   Es ist doch lauter Hudelei.

So dachte ich in meinem Aerger, kaufte mir eine Semmel und einige Aepfel
in die Tasche, ging nach Hause, bezahlte den sehr billigen Preis für
mein Quartier, steckte meinen Paß ohne die Polizei wieder in die
Brieftasche und reis'te zum Thore hinaus. Das war mein Geburtstag zum
Morgen. Den Abend aber -- denn zu Mittage konnte ich kein schickliches
Haus finden und fastete -- erholte ich mich wieder zu Codroipo. Eine
niedliche Piemonteserin, deren Mann ein Deutscher und Feldwebel bei
einem kaiserlichen Regimente war, kam zu Fuße mit ihrem kleinen Jungen
von ungefähr zwei Jahren von Livorno und ging nach Gräz. Du weißt, ich
liebe schöne reinliche Kinder in diesem Alter ungewöhnlich, und der
Knabe fing so eben an, etwas von der Sprache seines Vaters und etwas von
der Sprache seiner Mutter zu stammeln und hatte sein großes Wesen mit
und auf meinem Tornister. Der Wirth brachte uns Polenta, Eierkuchen und
zweierlei Fische aus dem Tagliamento, gesotten und gebraten. Du siehst,
dabei war kein Fleisch: das war also an meinem Geburtstage gefastet und
nach den besten Regeln der Kirche.

Der Weg zwischen Triest und Venedig ist außerordentlich wasserreich;
sehr viele große und kleine Flüsse kommen rechts von den Bergen herab,
unter denen der Tagliamento und die Piave die vorzüglichsten sind.
Zwischen Codroipo und Valvasone ging ich über den Tagliamento in vier
Stationen, auf dem Rücken eines großen, ehrenfesten Charons, der seine
langen Fischerstiefeln bis an die Taille hinaufzog. Der Fluß war jetzt
ziemlich klein; und dieses ist zu solcher Zeit die Methode Fußgänger
überzusetzen. Sein Bett ist über eine Viertelstunde breit und zeigt, wie
wild er seyn muß, wenn er das Bergwasser herabwälzt. Wenn die Bäche groß
sind, mag die Reise hier immer bedenklich seyn; denn man kann durchaus
an den Betten sehen, welche ungeheuere Wassermenge dann überall
herabströmt. Jetzt sind alle Wasser so schön und hell, daß ich überall
trinke: denn für mich geht nichts über schönes Wasser.[10] Die Wohlthat
und den Werth davon zu empfinden, mußt Du Dich von den Engländern einmal
nach Amerika transportiren lassen, wo man in dem stinkenden Wasser
fingerlange Fasern von Unrath findet, die Nase zuhalten muß, wenn man es
durch ein Tuch geschlagen trinken will, und doch noch froh ist, wenn man
die kocytische Tunke zur Stillung des brennenden Durstes nur noch
erhält. So ging es uns, als wir in den amerikanischen Krieg zogen, wo
ich die Ehre hatte, dem Könige die dreizehn Provinzen mit verlieren zu
helfen.

In Pordenone traf ich das erste Mal eine öffentliche Mummerei von
Gassenmaskerade, mußte bei gar jämmerlichen Fischen wieder fasten, und
wäre übel gefahren, wenn mich ein kleines, niedliches Mädchen vom Hause
nicht noch mitleidig mit Kastanien gefüttert hätte. Hier sind in der
Markuskirche einige hübsche Votivgemälde, mit denen man sich wohl eine
halbe Stunde angenehm beschäftigen kann. Von Udine bis Pordenone ist
viel dürres Land; doch findet man mitunter auch sehr schöne
Weinpflanzungen. Die Deutschen stehen, wie Du aus der Geschichte von
Udine gesehen hast, eben nicht in dem besten Kredit hier in der Gegend,
und es ist kein Unglück für mich, daß man mich meistens für einen
Franzosen hält, weil in meine Sprache sich oft ein französischer
Ausdruck einschleicht. Wenn ich gleich sage und wiederhole, ich sei ein
Deutscher, so will man es doch nicht glauben. In der Vermuthung, ich
müsse ein französischer Officier seyn, der das Land umher durchzieht,
werde ich oft recht gut bewirthet. Dergleichen Promenaden der Franzosen
müssen also doch so ungewöhnlich nicht seyn. ^Signore è Francese, ma non
volete dirlo. Fate bene, fate bene^: sagte man mir mit sehr freundlichem
Gesichte. Alles kommt freilich auf dem Parteigeist an, der hier eben so
mächtig ist, als irgendwo. Viele klagen über die Franzosen; aber die
meisten scheinen es doch nicht gern zu sehen, daß sie nicht mehr hier
sind.

In Conegliano fand ich einige junge Kaufleute, die von Venedig kamen und
den Weg nach Triest zu Fuße machen wollten, den ich eben gekommen war.
Das Herz ward ihnen sehr leicht, als ich sagte, es gehe recht gut und es
sei mir keine Gefahr aufgestoßen: denn man hatte auch diesen Herren von
der andern Seite das Gehirn mit Schreckbildern angefüllt. Sodann war
auch dort, wie er sich selbst in der Gesellschaft einführte, ein großer
Philosoph, ungarischer Husarenunterofficier, der hier den politischen
Spion zu machen schien. Er donnerte gewaltig über die Revolution und
brachte Anspielungen und indirekte Drohungen gegen meine Person, als
dieses Verbrechens verdächtig. »Der Wirth hat das Recht, nach meinem
Passe zu fragen, mein Herr,« versetzte ich, als mir die Worte zu stark
und zu deutsch wurden: »wenn sie aber glauben, daß es nöthig ist, so
führen Sie mich vor die Behörde zur Untersuchung. Uebrigens erbitte ich
mir von Ihrer Philosophie etwas Humanität.« Das wirkte: der Mann fing
nun an, ein halbes Dutzend Sprachen zu sprechen, und vorzüglich das
Italienische und Ungarische mit einer horrenden Volubilität. Sobald wir
nur lateinisch zusammenkamen, waren wir Freunde, und er war sogleich von
meiner politischen Orthodoxie überzeugt: und als ich ihn vollends zu
meinem Weine mit Pastetchen ehrenvoll einlud, gehörten wir durchaus zu
einer Sekte. Er hielt sich an den Wein, ich mich an die Pastetchen, und
alle Coneglianer, Trevisaner und Venetianer staunten den Strom von
Gelehrsamkeit an, den der Mann aus seinem Schatze hervorgoß.

Von Conegliano bis Treviso hatte ich mir auf einem eingefallenen
Steinchen die Ferse blutig getreten, und gab daher zum ersten Mal den
Zudringlichkeiten eines Vetturino nach, der mich für sechs Liren nach
Mestre bringen wollte. Mit der Bedingung, daß ich gleich abginge, ließ
ich mir die Sache gefallen: denn ich wollte noch gern diesen Abend in
Mestre seyn, um den folgenden Morgen zeitig nach Venedig überzusetzen.
Sechs Liren war mir ein unbegreiflich niedriger Preis für einen vollen
Wagen mit zwei guten Pferden, den er mir vor dem Wirthshause als mein
Fuhrwerk zeigte: so daß ich nicht wußte, was ich denken sollte. Aber vor
der Stadt hielt er an und packte noch einen venetianischen Kaufmann und
eine Tyrolerin ein, die als Kammerjungfer ihrer Gräfin nachreis'te; und
nun begriff ich freilich. Von Conegliano aus ist der Weg schon sehr
frequent, und die Landhäuser werden häufiger und schöner; und von
Treviso ist es fast lauter schöner, mit Villen besetzter Garten. Die
Tyrolerin sentimentalisirte darüber ununterbrochen deutsch und
italienisch; der Italiener war ein gar artiger Kerl, und da kamen denn
die beiden Leutchen bald in einen Ton allerliebster Zweideutigkeiten, zu
dem die deutsche Sprache, wenigstens die meinige, gar nicht geeignet
ist: und doch kann ich nicht sagen, daß sie geradezu in Unanständigkeit
ausgeartet wären. Blos der unreine Nasenton der Tyrolerin mißfiel mir;
und da ich bei einer zufälligen Lüftung des Halstuches in der untern
Gegend des Kinnbackens einige beträchtliche Narben erblickte, war ich
sehr froh, daß ich mit excessiver Artigkeit dem Venetianer die
Ehrenstelle neben ihr im Fond überlassen hatte. Ich erhielt meinen Theil
Witz von ihnen für meine überstoische Laune und Taciturnität, und
rettete mich von dem Prädikat eines Gimpels vermuthlich nur durch meine
Unkunde in der italienischen Sprache und einige Sarkasmen, die ich ganz
trocken hinwarf. In Mestre wollte mich die Dame aus Artigkeit mit in ihr
Hotel nehmen und meinte, ich könnte morgen mit der Gräfin und ihr
zusammen die Ueberfahrt nach dem schönen Venedig machen: aber ich fand
eine Gesellschaft von Venetianern, die noch diesen Abend übersetzen
wollte, und schloß mich an. Wir ruderten den Kanal hinunter. Die Andern
waren alle Einheimische, und hatten weiter nichts nöthig, als dieses zu
sagen; aber ich Fremdling mußte einige Zeit auf der Wache warten, bis
der Offiziant meinen Paß gehörig registrirt hatte. Er behielt ihn, und
gab mir einen Passirzettel, nach östreichischer Sitte, mit der Weisung,
mich damit in Venedig auf der Polizei zu melden. Das forderte etwas
Zeit, da der Herr etwas Myops und kein Tachygraph war; und meine
Gesellschafter waren über den Aufenthalt etwas übellaunig. Doch das gab
sich bald. Man fragte mich, als ich zurückkam, mit vieler Artigkeit und
Theilnahme, wer ich sei? wohin ich wolle? und dergleichen; und wunderte
sich höchlich, als man hörte, daß ich zu Fuße allein einen Spaziergang
von Leipzig nach Syrakus machen wollte. Der Abend war schön, und ehe wir
es uns versahen, kamen wir am Rialto an, wovon ich aber jetzt natürlich
weiter nichts als die magische Erscheinung sah. Ein junger Mann von
Conegliano, mit dem ich während der ganzen Ueberfahrt viel geplaudert
hatte, begleitete mich durch eine große Menge enger Gäßchen in den
Gasthof ^The Queen of England^ und, da hier alles besetzt war, zum
goldnen Stern, nicht weit vom Markusplatze, wo ich für billige Bezahlung
ziemlich gutes Quartir und artige Bewirthung fand.

Den dritten Februar, wenn ich mich nicht irre, kam ich in Venedig an,
und lief sogleich den Morgen darauf mit einem alten, abgedankten
Bootsmanne, der von Lissabon bis Konstantinopel und auf der
afrikanischen Seite zurück die ganze Küste kannte, und jetzt den
Lohnbedienten machen mußte, in der Stadt herum; sah mehr als zwanzig
Kirchen in einigen Stunden, von der Kathedrale des heiligen Markus herab
bis auf das kleinste Kapellchen der ehemaligen Beherrscherin des Adria.
Wenn ich Künstler oder nur Kenner wäre, könnte ich Dir viel erzählen von
dem, was da ist und was da war. Aber das Alles ist Dir wahrscheinlich
schon aus Büchern bekannt; und ich würde mir vielleicht weder mit der
Aufzählung noch mit dem Urtheile große Ehre erwerben. Der Palast der
Republik sieht jetzt sehr öde aus, und der Rialto ist mit Kanonen
besetzt. Auch am Ende des Markusplatzes, nach dem Hafen zu, haben die
Oestreicher sechs Kanonen stehen, und gegenüber auf Sankt George hatten
schon die Franzosen eine Batterie angelegt, welche die Kaiserlichen
natürlich unterhalten und erweitern. Die Partie des Rialto hat meine
Erwartung nicht befriedigt; aber der Markusplatz hat sie, auch so wie er
noch jetzt ist, übertroffen.

Es mögen jetzt ungefähr drei Regimenter hier liegen; eine sehr kleine
Anzahl für ernsthafte Vorfälle! So wie die Stimmung jetzt ist, nähme und
behauptete man mit zehntausend Mann Venedig; wenn man nämlich im Anfange
energisch und sodann klug und human zu Werke ginge. Das Militär und
überhaupt die Bevölkerung zeigt sich meistens nur auf dem Markusplatze,
am Hafen, am Rialto und am Zeughause; die übrigen Gegenden der Stadt
sind ziemlich leer. Wenn man diese Partien gesehen hat und einigemal den
großen Kanal auf und abgefahren ist, hat Venedig vielleicht auch nicht
viel Merkwürdiges mehr; man müßte denn gern Kirchen besuchen, die hier
wirklich sehr schön sind.

Das Traurigste ist in Venedig die Armuth und Bettelei. Man kann nicht
zehn Schritte gehen, ohne in den schneidendsten Ausdrücken um Mitleid
angefleht zu werden; und der Anblick des Elends unterstützt das
Nothgeschrei des Jammers. Um Alles in der Welt möchte ich jetzt nicht
Beherrscher von Venedig seyn; ich würde unter der Last meiner Gefühle
erliegen. Schon Küttner hat viele Beispiele erzählt, und ich habe die
Bestätigung davon stündlich gesehen. Die niederschlagendste Empfindung
ist mir gewesen, Frauen von guter Familie in tiefen, schwarzen,
undurchdringlichen Schleiern knieend vor den Kirchthüren zu finden, wie
sie, die Hände gefaltet auf die Brust gelegt, ein kleines hölzernes
Gefäß vor sich stehen haben, in welches die Vorübergehenden einige Soldi
werfen. Wenn ich länger in Venedig bliebe, müßte ich nothwendig mit
meiner Börse, oder mit meiner Empfindung Bankerott machen.

Drollig genug sind die gewöhnlichen Improvisatoren und Deklamatoren auf
dem Markusplatze und am Hafen, die einen Kreis um sich her schließen
lassen und für eine Kleinigkeit über irgend eine berühmte Stelle
sprechen, oder auch aus dem Stegreife über ein gegebenes Thema theils in
Prosa, theils in Versen sogleich mit solchem Feuer reden, daß man sie
wirklich einigemal mit großem Vergnügen hört. Du kannst Dir vorstellen,
wie geringe die Summe und wie erniedrigend das Handwerk seyn muß. Eine
Menge Leute von allen Kalibern, Lumpige und Wohlgekleidete, saßen auf
Stühlen und auf der Erde rund herum und warteten auf den Anfang, und
eine Art von buntscheckigem Bedienten, der seinem Prinzipal das Geld
sammelte, rief und wiederholte mit lauter Stimme: »^Mancan ancora cinque
soldi; ancora cinque soldi!^« Jeder warf seinen Soldo hin, und man
machte gewaltige Augen, als ich einigemal mit einem schlechten
Zwölfkreuzerstück der Forderung ein Ende machte und die Arbeit
beschleunigte. Welch ein Abstand von diesen Improvisatoren bis zu den
römischen, von denen wir zuweilen in unsern deutschen Blättern lesen!

Auf der Giudecca ist es, wo möglich, noch ärmlicher, als in der Stadt;
aber eben deswegen sind dort nicht so viele Bettler, weil vielleicht
Niemand hoffen darf, dort nur eine leidliche Ernte zu halten. Die
Erlöserskirche ist daselbst die beste, und ihre Kapuziner sind die
Einzigen, die in Venedig noch etwas schöne Natur genießen. Die Kirche
ist mit Orangerie besetzt, und sie haben bei ihrem Kloster, nach der See
hinaus, einen sehr schönen Weingarten. Diese, nebst einigen Oleastern in
der Gegend des Zeughauses, sind die einzigen Bäume, die ich in Venedig
gesehen habe. Die Insel Sankt George hält bekanntlich die Kirche und das
Kapitel, wo der jetzige Papst gewählt wurde, und wo auch noch sein
Bildniß ist, das bei den Venetianern von gemeinem Schlage in
außerordentlicher Verehrung steht. Der Maler hat sein Mögliches gethan,
die Draperie recht schön zu machen. Die Kirche selbst ist ein gar
stattliches Gebäude und, wie ich schon oben gesagt habe, mit Batterien
umgeben.

Die Venetianer sind übrigens im Allgemeinen höfliche, billige,
freundschaftliche Leute, und ich habe von Vielen derselben Artigkeiten
genossen die ich in meinem Vaterlande nicht herzlicher hätte erwarten
können. Einen etwas schnurrigen Auftritt hatte ich vor einigen Tagen auf
dem Markusplatze. Man hatte mich beständig in dem nämlichen Reiserocke
(die Ursache war, weil ich keinen andern hatte, da ich keinen andern im
Tornister tragen wollte) an den öffentlichen Orten der Stadt herumlaufen
sehen und doch gesehen, daß ich mit einem Lohnbedienten lief und Liren
verzehrte. Ich zahlte dem Bedienten jeden Abend sein Geld, wenn ich ihn
nicht mehr brauchte; dieses geschah diesen Abend, da es noch ganz hell
war, auf dem Markusplatze. Einige Mädchen der Aphrodite Pandemos mochten
bemerkt haben, daß ich bei der Abzahlung des Menschen eine ziemliche
Handvoll silberner Liren aus der Tasche gezogen hatte, und hingen sich,
als der Bediente fort war, und ich allein gemächlich nach Hause
schlenderte, ganz freundlich und gefällig an meinen Arm. Ich blieb
stehen und sie thaten das nämliche. Man gruppirte sich um uns herum und
ich bat sie höflich, sich nicht die Mühe zu geben, mich zu inkommodiren.
Sie fuhren mit ihrer artigen Vertraulichkeit fort, und ich ward ernst.
Sie waren beide ganz hübsche Sünderinnen, und trugen sich ganz niedlich
und anständig, mit der feineren Klasse. Ich demonstrirte in meinem
gebrochenen Italienisch, so gut ich konnte, sie möchten mich in Ruhe
lassen. Es half nichts; die Gesellschaft in einiger Entfernung lächelte,
und Einige lachten sogar. Die Gruppe mochte allerdings possirlich genug
seyn. Eine von den beiden Nymphchen schmiegte sich endlich so
schmeichelnd als möglich an mich an. Da wurde ich heiß und fing an in
meinem stärksten Baßtone auf gut Russisch zu fluchen, mischte so etwas
von ^Impudenza^ und ^senza vergogna^ dazu, und stampfte mit meinem
Knotenstocke so emphatisch auf das Pflaster, daß die Gesellschaft sich
schüchtern zerstreute und die erschrockenen Geschöpfchen ihren Weg
gingen.

Ein anderer, etwas ernsthafterer Vorfall beschäftigte mich fast eine
halbe Stunde. Ich verschließe den Abend mein Zimmer und lege mich zu
Bett. Als ich den Morgen aufstehe, finde ich meine Kleider, die neben
mir auf einem andern Bette lagen, ziemlich in Unordnung und meinen Hut
herabgeworfen. Ich wußte ganz gewiß, in welche Ordnung ich sie gelegt
hatte. Das Schloß war unberührt und mir fehlte übrigens nichts. Ich
dachte hin und her und konnte nichts herausgrübeln, und mir schwebten
schon mancherlei sonderbare Gedanken von der alten venetianischen
Polizei vor dem Gehirne, so daß ich sogleich, als ich mich angezogen
hatte, zu dem Kellner ging und ihm den Vorfall erzählte. Das Haus war
groß und voll. Da erhielt ich denn zu meiner Beruhigung den Aufschluß,
es seyen die Nacht noch Fremde angekommen, und man habe noch eine
Matratze gebraucht, und sie aus dem Bette neben mir mit dem
Hauptschlüssel abgeholt. Hätte ich nun die Sache nicht gründlich
erfahren, wer weiß, was ich mir noch für Einbildungen gemacht hätte.

Jetzt ist meine Seele voll von einem einzigen Gegenstande, von Canova's
Hebe. Ich weiß nicht, ob Du die liebenswürdige Göttin dieses Künstlers
schon kennst; mich wird sie lange, vielleicht immer beherrschen. Fast
glaube ich nun, daß die Neuen die Alten erreicht haben. Sie soll eins
der jüngsten Werke des Mannes seyn, die ewige Jugend. Sie steht in dem
Hause Albrizzi, und der Besitzer scheint den ganzen Werth des Schatzes
zu fühlen. Er hat der Göttin einen der besten Plätze, ein schönes,
helles Zimmer nach dem großen Kanal angewiesen. Ich will, ich darf keine
Beschreibung wagen; aber ich möchte weissagen, daß sie die Angebetete
der Künstler und ihre Wallfahrt werden wird. Noch habe ich die
Mediceerin nicht gesehen; aber nach allen guten Abgüssen von ihr zu
urtheilen, ist hier für mich mehr, als alle ^Veneres Cupidinesque^.

      Ich stand vom süßen Rausche trunken,
   Wie in ein Meer von Seligkeit versunken,
   Mit Ehrfurcht vor der Göttin da,
   Die hold auf mich herunter sah,
   Und meine Seele war in Funken:
   Hier thronte mehr als Amathusia.
   Ich war der Sterblichkeit entflogen,
   Und meine Feuerblicke sogen
   Aus ihrem Blick Ambrosia
   Und Nektar in dem Göttersaale;
   Ich wußte nicht, wie mir geschah:
   Und stände Zevs mit seinem Blitze nah,
   Vermessen griff ich nach der Schale,
   Mit welcher sie die Gottheit reicht,
   Und wagte taumelnd jetzt vielleicht
   Selbst dem Alciden Hohn zu sagen,
   Und mit dem Gott um seinen Lohn zu schlagen. --

Du denkst wohl, daß ich bei dem marmornen Mädchen etwas außer mir bin;
und so mag es allerdings seyn. Der Italiener betrachtete meine Andacht
eben so aufmerksam, wie ich seine Göttin. Diese einzige Viertelstunde
hat mir meine Reise bezahlt; so ein sonderbar enthusiastischer Mensch
bin ich nun zuweilen. Es ist die reinste Schönheit, die ich bis jetzt in
der Natur und in der Kunst gesehen habe, und ich verzweifle selbst mit
meinem Ideale höher steigen zu können. Ich muß Canova's Hände küssen,
wenn ich nach Rom komme, wo er, wie ich höre, jetzt lebt. Das goldene
Gefäß, die goldene Schale und das goldene Stirnband haben mich gewiß
nicht bestochen; ich habe bloß die Göttin angebetet, auf deren Antlitz
Alles, was der weibliche Himmel Liebenswürdiges hat, ausgegossen ist. In
das Lob der Gestalt und des Gewandes will ich nicht eingehen; das mögen
die Geweiheten thun. Alles scheint mir des Ganzen würdig.

In dem nämlichen Hause steht auch noch ein schöner Gypsabguß von des
Künstlers Psyche. Sie ist auch ein schönes Werk; aber meine Seele ist zu
voll von Hebe, um sich zu diesem Seelchen zu wenden. In dem Zimmer, wo
der Abguß der Psyche steht, sind rund an den Wänden Reliefs in Gyps von
Canova's übrigen Arbeiten: eine Grablegung des Sokrates durch seine
Freunde; die Scene, wo der Verurtheilte den Becher nimmt; der Abschied
von seiner Familie; der Tod des Priamus nach Virgil; der Tanz der
Phäacier in Gegenwart des Ulysses, wo die beiden tanzenden Figuren
vortrefflich sind; und die opfernden Trojanerinnen vor der Minerva,
unter Anführung der Hekuba. Alles ist eines großen und weisen Künstlers
würdig; aber Hebe hat sich nun einmal meines Geistes bemächtiget und für
das Uebrige nichts mehr übrig gelassen. Wenn der Künstler, wie man
glaubt nach einem Modell gearbeitet hat, so möchte ich für meine Ruhe
das Original nicht sehen. Doch, wenn dieses auch ist, so würde seine
Seele gewiß es erst zu diesem Ideal erhoben haben, das jetzt alle
Anschauer begeistert.

Da meine Wohnung hier nahe am Markusplatz ist, habe ich fast stündlich
Gelegenheit die Stellen zu sehen, auf welchen die berühmten Pferde
standen, die nun, wie ich höre, den konsularischen Pallast der Gallier
bewachen sollen. Sonderbar! wenn ich nicht irre, erbeuteten die
Venetianer, in Gesellschaft mit den Franzosen, diese Pferde nebst vielen
andern gewöhnlichen Schätzen. Die Venetianer ließen ihren Verbündeten
die Schätze und behielten die Pferde; und jetzt kommen die Herren und
holen die Pferde noch. Wo ist der Bräutigam der Braut, der jährlich sein
Fest auf dem adriatischen Meere feierte? Die Briten gingen seit ziemlich
langer Zeit schon etwas willkührlich und ungebührlich mit seiner
geliebten Schönen um; und nun ist er selbst an der Apoplexie gestorben,
und ein Fremder nimmt sich kaum mehr Mühe, seinen Bucentaur zu besehen.
Venedig wird nun nach und nach von der Kapitale eines eigenen Staats zur
Gouvernementsstadt eines fremden Reichs sich modificiren müssen; und
desto besser für den Ort, wenn dieses sanft, von der einen Seite mit
Schonung und von der andern mit gehöriger Resignation, geschieht.

Gestern ging ich nach meinem Passe, der auf der Polizei gelegen hatte
und dort unterschrieben werden mußte. Ich bin überhaupt kein großer
Wälscher, und der zischende Dialekt der Venetianer ist mir gar nicht
geläufig. Ich konnte also in der Kanzlei mit dem Ausfertiger nicht gut
fertig werden, und man wies mich in ein anderes Zimmer an einen andern
Herrn, der fremde Zungen reden sollte. In der Meinung, er würde unter
einem deutschen Monarchen auch wohl deutsch sprechen, sprach ich
Deutscher deutsch. »^Non son asino ferino^,« antwortete der feine Mann,
»^per ruggire tedesco^.« Das waren, glaube ich, seine Worte, die
freilich eine grelle Ausnahme von der venetianischen Höflichkeit
machten. Die Anwesenden lachten über den Witz, und ich, um zu zeigen,
daß ich wider sein Vermuthen wenigstens seine Galanterie verstanden
hatte, sagte ziemlich mürrisch: »^Mais pourtant, Monsieur, il est à
croire qu'il y a quelqu' un ici, qui sache la langue de votre
Souverain^.« Das machte den Herrn etwas verblüfft; er fuhr ganz höflich
französisch fort sich zu erkundigen, sagte mir, daß mein Paß
ausgefertigt sei, und in drei Minuten war ich fort. Ich erzähle Dir
dieses nur als noch einen neuen Beweis, wie man hier gegen unsere Nation
gestimmt ist. Diese Stimmung ist ziemlich allgemein, und die Oestreicher
scheinen sich keine sonderliche Mühe zu geben, sie durch ihr Betragen zu
verbessern.

Morgen will ich über Padua am Adria hinabwandeln, und mich, so viel als
möglich dem Meere nahe halten, bis ich hinunter an den Absatz des
Stiefels komme und mich an den Aetna hinüber bugsiren lassen kann. Die
Sache ist nicht ganz leicht. Denn unter Ancona bei Loretto endigt die
Poststraße; ^sed non sine dis animosus infans^. Ich weiß, daß mich Deine
freundschaftlichen Wünsche begleiten, so wie Du überzeugt seyn wirst,
daß meine Seele oft bei meinen Freunden und also auch bei Dir ist.



                                                            _Bologna._


Neun Tage war ich in Venedig herumgelaufen. Die Nacht war ich
angekommen, die Nacht fuhr ich mit der Corriere wieder ab. Die
Gesellschaft war ziemlich zahlreich, und wir waren wie im trojanischen
Pferde zusammengeschichtet. Das Wetter war nicht sehr günstig; wir
fuhren also von Venedig nach Padua von acht Uhr des Abends bis den
andern Mittag. Der Weg an der Brenta herauf soll sehr angenehm seyn;
aber das Wasser hatte bekanntlich die Straßen durch ganz Oberitalien so
fürchterlich zugerichtet, daß es ein trauriger Anblick war; und ich
grämte mich nicht sehr, daß ich auf meiner Fahrt und wegen des
stürmischen Wetters wenig davon sehen konnte. So wie wir in Padua
ankamen, ward das Wetter leidlich. Die Unterredung im Schiffe war bunt
und kraus, wie die Gesellschaft: aber es wurde durchaus nichts
gesprochen, was Bezug auf Politik gehabt hätte. Die einzige Bemerkung
nehme ich aus, welche ein alter ziemlich ernsthafter Mann machte: es
wäre nun zu hoffen, daß wir in dreißig oder vierzig Jahren zu Fuße nach
Venedig würden gehen können. Er deutete bloß kurz an, die alte Regierung
habe ein Interesse gehabt, die Stadt als Insel zu erhalten und habe sich
die Räumung der Lagunen viel Geld kosten lassen; die neue Regierung
werde ein entgegengesetztes Interesse haben, und brauchte dann nicht
viel Kosten darauf zu wenden, die Straße von Mestre nach Venedig fest zu
machen. Ich lasse die Hypothese dahin gestellt seyn.

Als ich in Padua meine Mahlzeit genommen hatte, nahm ich meinen
Tornister und machte vor meinem Abzuge dem heiligen Antonius einen
Besuch. Sogleich war ein Cicerone da, der mich führte, und meinte, ich
könne ganz füglich, so betornistert wie ich wäre, überall herumlaufen.
Das nahm ich sehr gerne an, und wandelte in diesem etwas grotesken
Aufzuge, mit aller Devotion, die man dem alten Volksglauben schuldig
ist, in der gothischen Kathedrale herum. In der Kirche drängten sich mit
Gewalt noch zwei andere Ciceronen mit zu mir und ließen sich mit Gewalt
nicht abweisen; sie waren weit besser, als ich, gekleidet und zeigten
mir alle ihre Wunder mit vieler Salbung; und ich hatte die Ehre drei zu
bezahlen. Sodann ging ich das Monument des Livius aufzusuchen, von
welchem alle meine drei Führer nichts wußten. Er muß in seiner
Vaterstadt jetzt so außerordentlich berühmt nicht seyn: denn drei
stattlich gekleidete Männer, die ich nach der Reihe anredete, konnten
mir weder vom Livius, noch von seinem Monumente erzählen; und doch
sprachen zwei davon geläufig genug französisch. Endlich wies mich ein
alter Graukopf nach dem Stadthause, wo es sich befinde. Ich wandelte in
dem ungeheuren Saale des Stadthauses neugierig herum, und redete einen
Mann mit einem ziemlich literarischen Antlitz lateinisch an. Er
antwortete mir italienisch, er habe zwar ehemals etwas Latein gelernt,
aber es nun wieder ziemlich vergessen; und das meinige sey ihm zu alt,
das könne er gar nicht verstehen. Er wies mich hierauf an einen Andern,
der mit einem Buche in einer Ecke saß. Dieser stand auf und zeigte mir
mit vieler Humanität den alten Stein über dem Eingange der Expedition.
Du kennst ihn unstreitig mit seiner Inschrift, welche weiter nichts
sagt, als daß die Paduaner ihrem Mitbürger Livius hier dieses Andenken
errichtet haben. Das neue, prächtige Monument, das der ehemalige
venetianische Senat und das paduanische Volk ihm gesetzt haben, sah ich
nicht, weil es zu entfernt war und ich diesen Abend nach Battaglia
patrouilliren wollte. Als ich ging, sagte mir der Paduaner sehr artig:
»^Gratias tibi habemus pro tua in nostrum popularem observantia. Eris
nobis cum multis aliis testimonio, quantopere noster Livius apud exteros
merito colatur. Valeas nostrumque civem ames ac nobis faveas!^« Der Mann
sagte dieses mit einer Herzlichkeit und mit einer gewissen klassischen
Wichtigkeit, die ihm sehr wohl anstand.

Vom Livius weg ging ich mit dem Livius im Kopfe gerades Weges durch
seine alte trojanische Vaterstadt in das klassische Land hinein, das
ehemals so große Männer gab. Du weißt, daß ich sehr wenig Literator bin;
weißt aber auch, daß ich von der Schule aus noch viel Vergnügen habe,
dann und wann einen alten Knaster in seiner eigenen Sprache zu lesen.
Livius war immer einer meiner Lieblinge, ob ich gleich Thucidydes noch
lieber habe. Ich wiederhole also wahrscheinlich zum tausendsten Male die
Klage, daß wir ihn nicht mehr ganz besitzen, und finde den übereilten,
etwas rodomontadischen Lärm, den man vor einiger Zeit hier und da über
seine Wiederfindung gemacht hat, sehr verzeihlich. Ein Gedanke knüpfte
sich an den andern; und da fand ich denn in meinem Sinn, daß wir wohl
schwerlich den ganzen Livius wieder haben werden. Freilich ist das zu
bedauern: denn gerade die wichtigsten Epochen der römischen Geschichte
für öffentliches Recht und Menschenkunde, und wo sich unstreitig das
Genie und die Freimüthigkeit des Livius in ihrem ganzen Glanze gezeigt
haben, der Sklavenkrieg und die Triumvirate, sind verloren: aber was
kann Klage helfen? Den Verlust erkläre ich mir so. Ich glaube durchaus
nicht, daß er aus Zufall oder Vernachlässigung gekommen sei. Livius war
ein freimüthiger, kühner, entschlossener Mann, ein warmer Patriot und
Verehrer der Freiheit, wie alle seine Mitbürger, die es bei den letzten
Unruhen in Rom unter dem Triumvirate thätig genug gezeigt hatten; er war
ein erklärter Feind der Despotie. August selbst, dem die römische
Schmeichelei schändlicher Weise einen so schönen Namen gab, nannte ihn
mit einer feinen Tyrannenmäßigung nur einen Pompejaner. Die Familie der
Cäsarn war nun Meister; man kennt die Folgen der erbaulichen Subjekte
derselben, die schon schlimm genug waren, wenn sie auch nur halb so
schlecht waren, als sie in der Geschichte stehen. Du findest doch wohl
begreiflich, daß die Cäsarn nicht absichtlich ein Werk, wie die
Geschichte des Livius war, zu Lichte werden gefördert haben. Es wird mir
sogar aus einigen Stellen des Tacitus sehr wahrscheinlich, daß man Alles
gethan hat, sie zu unterdrücken, wenigstens die Stellen, wo der
aristokratisch römische Geist und die Tyrannei der Cäsarischen Familie
insbesondere mit sehr grellen Farben gezeichnet seyn mußte. Dieses waren
vorzüglich der Sklavenkrieg und das Ende der Bürgerkriege. Es war
überhaupt ein weitläuftiges Werk, und nicht Jeder war im Stande sich
dasselbe abschreiben zu lassen. Alle fanden es also wahrscheinlich genug
ihrer Sicherheit und ihrem Interesse gemäß, die Stellen nicht bei sich
zu haben, die ihnen von dem Argwohn und der Grausamkeit ihrer Herrscher
leicht die blutigste Ahndung zuziehen konnten. Auf diese Weise ist das
Schätzbarste von Livius im eigentlichen Sinne nicht sowohl verloren
gegangen, als vernichtet worden: und als man anfing ihn ins Arabische zu
übersetzen, war er vermuthlich schon so verstümmelt, wie wir ihn jetzt
haben. So stelle ich mir die Sache vor. Und gesetzt, die wichtigsten
Bruchstücke fänden sich noch irgendwo in einem seltenen Exemplar unter
einem Aschenhaufen des Vulkans, so kannst Du, aus der Analogie der neuen
Herrscher mit den alten, ziemlich sicher darauf rechnen, daß wir die
Schätze doch nicht erhalten werden; zumal bei dem erneuerten und
vergrößerten Argwohn, der seit einigen Jahrzehenden zwischen den
Machthabern Statt hat. Wenn ich mich irre, soll es mir lieb seyn: denn
ich wollte drei Fußreisen von der Elbe an den Liris machen, um dort von
dem Livius den Spartakus zu lesen, den ich für einen der größten und
besten römischen Feldherren zu halten in Gefahr bin.

Unter diesen Ueberlegungen, deren Consequenz ich Dir überlasse, wandelte
ich die Straße nach Rovigo fort. Diese Seite von Venedig ist nicht halb
so schön, als die andere von Treviso nach Mestre: die Ueberschwemmungen
mit dem neuen Regenwasser hatten die Wege traurig zerrüttet, und ich zog
sehr schwer durch den fetten Boden Italiens weiter. Ueberall war der
Segen des Himmels mit Verschwendung über die Gegend ausgeschüttet, und
überall war in den Hütten die jämmerlichste Armuth. Vermuthlich war dieß
noch mit Folge des Kriegs. Nicht weit von Montselice kehrte ich zu
Mittage an der Straße in einem Wirthshause ein, das nicht die schlimmste
Miene hatte, und fand nichts, durchaus nichts, als etwas Wein. Ich
wartete eine halbe Stunde und wollte viel zahlen, wenn man mir aus den
benachbarten Häusern nur etwas Brot schaffen könnte. Aber das war
unmöglich; man gab mir aus Gutmüthigkeit noch einige Bissen schlechte
Polenta, und ich mußte damit und mit meinem Schluck Weins weiter gehen.

Vor Rovigo setzte ich über die Etsch und trat in das Cisalpinische. Der
kaiserliche Officier jenseit des Flusses, der meinen Paß mit aller
Schwerfälligkeit der alten Bocksbeutelei sehr lange revidirte, machte
mir bange, daß ich diesseits bei dem französischen Kommandanten wohl
Schwierigkeiten finden würde. Als ich zu diesem kam, war Alles gerade
das Gegentheil. Er war ein freundlicher, jovialischer Mann, der mir den
Paß, nach einem flüchtigen Blick auf mich und auf den Paß, ohne ihn zu
unterschreiben, zurückgab. Ich machte ihm darüber meine Bemerkung, daß
er nicht unterschriebe. »^Vous n'en avez pas besoin;^« sagte er: »^Vous
venez de l'autre coté?^« -- »^Je viens de Vienne et je m'en vais par
Ferrare à Ancone.^« -- »^N'importe:^« versetzte er; »^allez toujours.
Bon voyage!^« Die Höflichkeit des Franzosen, die ich gegen die
Nichthöflichkeit des Präsidenten in Wien und des Polizeiherrn in Venedig
hielt, that mir sehr wohl. Rovigo war die erste eigentlich italienische
Stadt für mich; denn Triest und Venedig und die übrigen Oerter hatten
alle noch so etwas Nordisches in ihrer Erscheinung, daß es mir kaum
einfiel, ich sei schon in Italien. Weder hier, noch in Lagoscuro, noch
in Ferrara fragte man mich weiter nach Pässen, ob ich gleich überall
starke französische Besatzungen fand. Vor meinem Fenster in Rovigo stand
auf dem Platze der große Freiheitsbaum mit der Mütze auf der Spitze, und
gegenüber in dem großen Kaffeehause war ein starkes Gewimmel von
Italienern und Franzosen, die sich der jovialen Laune der Ungebundenheit
überließen. Aber Alles war sehr anständig und ohne Lärm.

Ich muß Dir bekennen, daß mir dieses heitere, kühne Wesen gegen die
stille, bange Furchtsamkeit in Wien und Venedig sehr wohl gefiel, und
daß ich selber etwas freier zu athmen anfing; so wenig ich auch eben
diese Freiheit für mich behalten und sie überhaupt den Menschenkindern
wünschen möchte. Das Wasser hatte hier außerordentlichen Schaden gethan,
wie Du gewiß schon aus öffentlichen Blättern wirst gehört haben;
vorzüglich hatte der sogenannte ^canale bianco^ seine Dämme durchbrochen
und links und rechts große Verwüstungen angerichtet. Es arbeiteten oft
mehrere hundert Mann an den Dämmen und werden Jahre arbeiten müssen, ehe
sie Alles wieder in den Stand setzen. Hier sah man empörende
Erscheinungen der Armuth in einem ziemlich gesegneten Landstriche; und
ich schreibe dieses auch mit dem Unheil zu, das die Flüsse und großen
Kanäle hier sehr oft anrichten müssen. Da eine Straße ganz abscheulich
war, ließ ich mich bis Ponte di Lagoscuro auf den Po hinauf rudern, und
zahlte fünf Ruderknechten für eine Strecke von drei Stunden die kleine
Summe von zehn Liren. Der Po ist hier ein großes, schönes,
majestätisches Wasser, und die heitere, helle Abendsonne vergoldete
seine Wellen, und links und rechts die Ufer in weiter, weiter Ferne. Es
war, als ob ein Ozean herabrollte, und die Griechen haben ihn mit vollem
Recht Eridanus, den Gabenbringer oder den Wogenwälzer, genannt, nachdem
Du nun die Erklärung machen willst. Eridanus und Rhodanus scheinen mir
ganz die nämlichen Namen zu seyn; und die beiden Flüsse haben unstreitig
große Aehnlichkeit mit einander.

Wenn man an einem hellen, kalten Abende zu Anfange des Februars einige
Stunden auf dem Wasser gefahren ist, so ist ein gutes, warmes Zimmer,
eine Suppe und ein frisch gebratener Kapaun ein sehr angenehmer
Willkommen. Diesen fand ich in Ponte di Lagoscuro, und wandelte den
Morgen darauf in dem fürchterlichsten Regen auf einem ziemlich guten
Wege die kleine Strecke nach Ferrara. Hier blieb ich und schlenderte den
Nachmittag in der Stadt herum. Die architektonische Anlage des Orts ist
sehr gut, die Straßen sind lang und breit und hell. Es fehlt der ganzen
Stadt nur eine Kleinigkeit, nämlich Menschen. Französische Soldaten sah
man überall genug, aber Einwohner desto weniger. Die öffentlichen
Gebäude und Gärten und Plätze sind nicht ohne Schönheit. Mehrere Stunden
war ich in der Kathedrale und dem Universitätsgebäude. Am Eingange sind
hier, wie in Wien an der Bibliothek, sehr viele alte lateinische
Inschriften eingemauert, die meistens Leichensteine sind und für mich
wenig Interesse haben. Die Bibliothek aber ist ziemlich ansehnlich und
man wiederholte mir mit Nachdruck einigemal, daß durchaus kein Fürst
etwas dazu gegeben habe, sondern daß Alles durch die Beiträge des
Publikums und von Privatleuten nur seit ungefähr funfzig Jahren
angeschafft worden sei. Auf der Bibliothek findet sich jetzt auch das
Grab und das Monument Ariosts, das sonst bei den Benediktinern stand:
das sagt die neue lateinische Inschrift. Man zeigte mir mehrere
Originalbriefe von Tasso, eine Originalhandschrift von Ariost und sein
metallenes, sehr schön gearbeitetes Dintenfaß, an dem noch eine Feder
war. Ohne eben die Authenticität sehr kritisch zu untersuchen, würde ich
zu Oden und Dithyramben begeistert worden seyn, wenn ich etwas
inspirationsfähiger wäre. So viel muß ich sagen, die Bibliothek beschämt
an Ordnung die meisten, die ich gesehen habe.

Im Gasthofe fütterte man mich den Abend sehr gut mit Suppe, Rindfleisch,
Wurst, Fritters, Kapaun, Obst, Weintrauben und Käse von Parma. Du siehst
daraus, daß ich gewöhnlich nicht faste, wie an meinem Geburtstage zu
Udine, und daß die Leipziger Aubergisten vielleicht sich noch hier ein
kleines Exempel von den oberitalienischen nehmen könnten. Das Wetter war
fürchterlich. Ich hatte gelesen von den großen gefährlichen Morästen
zwischen Ferrara und Bologna, und die Erzählungen bestätigten es, und
sagten weislich noch mehr; so daß ich nicht ungern mit einem Vetturino
handelte, der sich mir nach Handwerksweise sehr höflich aufdrang. Der
Wagen war gut, die Pferde waren schlecht und der Weg war noch
schlechter. Schon in Padua konnte ich eine kleine Ahnung davon haben;
denn eine Menge Kabrioletiers wollten mich nach Verona und Mantua
bringen; da ich aber sagte, daß ich nach Bologna wollte, verlor kein
Einziger ein Wort weiter, als daß sie Alle etwas von Teufelsweg durch
die Zähne murmelten. Meine Kutschengefährten waren ein cissalpinischer
Kriegskommissär, und eine Dame von Cento, die ihren Mann in der
Revolution verloren hatte. Wir zahlten gut und fuhren schlecht, und
wären noch schlechter gefahren, wenn wir nicht zuweilen eine der
schlechten Strecken zu Fuße gegangen wären. Einige Stunden von Ferrara
aus ging es leidlich, dann sank aber der Wagen ein bis an die Achse. Der
Vetturino wollte Ochsenvorspannung nehmen; die billigen Bauern forderten
aber für zwei Stunden nicht mehr, als acht und zwanzig Liren für zwei
Ochsen, ungefähr sechs Gulden Reichsgeld. Der arme Teufel von Fuhrmann
jammerte mich, und ich rieth ihm selbst, gar kein Gebot auf die
unverschämte Forderung zu thun. Die Gaule arbeiteten mit der
furchtbarsten Anstrengung absatzweise eine halbe Stunde weiter; dann
ging es nicht mehr. Wir stiegen aus und arbeiteten uns zu Fuße durch,
und es ward mit dem leeren Wagen immer schlimmer. Erst fiel _ein_ Pferd,
und als sich dieses wieder erhoben hatte, das andere, und einige hundert
Schritte weiter fielen alle beide und wälzten sich ermattet in dem
schlammigen, thonigen Boden. Da hatten wir denn in Italien das ganze
deutsche salzmannische menschliche Elend ^in concreto^. Die Pferde
halfen sich endlich wieder auf; aber der Wagen saß fest. Nun stelle Dir
die ganz bekothete Personalität Deines Freundes vor, wie ich mit der
ganzen Kraft meines physischen Wesens meine Schulter unter die
Hinterachse des Wagens setzte und heben und schieben half, daß die Dame
und der Kriegskommissär und der Vetturino erstaunten. Es ging, und nach
drei Versuchen machte ich den Fuhrmann wieder flott. Aber ans Einsetzen
war nicht zu denken. Nun hatte ich das Amt, die Dame und den Kommissär
durch die engen, schweren Passagen zu bugsiren, und that es mit solchem
Nachdruck und so geschicktem Gleichgewicht auf den schmalen Stegen und
Verschlägen und an den Gräben, daß ich ihnen von meiner Kraft und
Gewandtheit eine gar große Meinung gab. Schon hatten wir uns, als wir zu
Fuße voraus über den italienischen Rhein, einen ziemlich ansehnlichen
Fluß, gesetzt hatten, in einem ganz artigen Wirthshause zu Malabergo
einquartirt und uns in die Pantoffeln des Wirths geworfen, als unser
Fuhrmann ankam und uns durchaus noch acht italienische Meilen weiter
bringen wollte. Ich hatte nichts dagegen, und die andern wurden
überstimmt. Von hier aus sollte nun der Weg besser seyn. Wir schroteten
uns also wieder in den Wagen und ließen uns weiter ziehen. Jetzt trat
eine andere Furcht ein: der Dame und dem Kriegskommissär -- drollig
genug an Italienern! -- ward bange vor Gespenstern. Der Kriegskommissär
schien überhaupt mit seinem Muthe nicht viel zur Befreiung seines
Vaterlandes beigetragen zu haben. Mir ward zwar auch etwas unheimlich,
nicht aber vor Geistern, sondern vor Straßenräubern, für welche diese
Straße zwischen tiefen, breiten Kanälen ordentlich geeignet schien:
indessen sammle ich in dergleichen Fällen als ein guter Prädestinatianer
meinen Muth und gehe getrost vorwärts. Gegen Mitternacht kamen wir
endlich glücklich auf unsere Station, einem isolirten, ziemlich großen
und guten Gasthof, an; der, wenn ich nicht irre, Althee hieß und von dem
ich Dir weiter nichts zu sagen weiß, als daß man mir einen Wein gab, der
dem Champagner ähnlich war und also meinen Beifall hatte. Bei diesem
Weine und der guten Mahlzeit vergaß der Kommissär alle Mühseligkeiten
des Tages und des Abends, und schien ganz eigentlich in seinem rechten
Elemente zu seyn: das ist ihm nun freilich nicht übel zu nehmen; denn
ich befand mich nach einer solchen Fahrt dabei auch ganz behaglich.

Den andern Mittag langten wir hier in der alten päpstlichen Stadt
Bologna an, wo man zuerst wieder nach meinem Passe fragte. Mit mir
Fremden nahm man es nicht so strenge, als mit meinem Kameraden, der aus
der Gegend von Parma war, und der ein förmliches Kandidatenexamen
aushalten mußte. Auf der Polizei, wo ich den Paß signiren lassen mußte,
war man eben so artig und höflich, als an dem Grenzflusse. Hier in
Bologna fand ich überall eine exemplarische Unreinlichkeit, die an
Schweinerei gränzt; und wenn man der häuslichen Nettigkeit der Italiener
überhaupt kein großes Lob geben kann, so haben die Leute in Bologna den
größten Schmutz aufzuweisen. Außer dem Stolz auf ihr altes Felsine,
behaupten die Bologneser noch, daß ihre Stadt so groß sei, wie Rom.
Daran thun sie nun freilich etwas zuviel; wenn man aber auf den Thurm
steigt und sich rings umher umschaut, so wird man den Raum doch groß
genug finden, um in eine solche Versuchung zu gerathen, zumal wenn man
etwas patriotisch ist. Der Hauptplatz mit der daran stoßenden
Kathedrale, und dem Gemeinehause rechts, und den großen, schönen
Kaufmannshallen links, macht keine üble Wirkung. Der Neptun mitten auf
demselben, von Jean de Bologna, hat als Statüe wohl seine Verdienste;
nur Schade, daß der arme Gott hier so wenig von seinem Element hat, daß
er wohl kaum den Nachbarn auf hundert Schritte in die Runde zu trinken
geben kann. Der Eingang des Gemeinehauses ist von Franzosen besetzt, und
die Bürgerwache steht gar demüthig in einem sehr spießbürgerlichen
Aufzuge daneben. Ueber dem Portal hängt ein nicht unfeines Bild der
Freiheit mit der Umschrift in großen Buchstaben: »^Republica Italiana^;«
welches erst vor einigen Wochen hingesetzt war, da man die Cisalpiner in
diese Nomenklatur metamorphosirt hatte.

Vor dem Nationaltheater wurde ich gewarnt, weil man daselbst durchaus
immer die niedrigsten Hanswurstiaden gebe und zum Intermezzo Hunde nach
Katzenmusik tanzen lasse. Hätte ich mehr Zeit gehabt, so hätte ich doch
wohl die Schnurrpfeifereien mit angesehen. Dafür ging ich aber auf das
kleine Theater ^Da Ruffi^, und fand es für eine so kleine Unternehmung
allerliebst. Ich kann nicht begreifen, wie die Leute bei einem so
geringen Eintrittsgelde und dem kleinen Raum des Schauspielhauses den
Aufwand bestreiten können. Man gab ein Stück aus der alten französischen
Geschichte, den »Sklaven aus Syrien«, wo natürlich viel über Freiheit
und Patriotismus deklamirt wurde; aber schon wieder mit vieler Beziehung
auf Fürstenwürde und Fürstenrechte, welches man vielleicht voriges Jahr
noch nicht hätte thun dürfen. Die Donna und der Held waren gut. Der
Dialekt war für mich deutlich und angenehm; die meisten Schauspieler
waren, wie man sagte, Römer, und nur ein Einziger zischte venetianisch.
Nach dem Stück gab man das beliebte Spiel Tombola, wovon ich vorher gar
keinen Begriff hatte und auch jetzt noch keinen sehr deutlichen bekommen
habe, da es mir an jeder Art Spielgeist fehlt. Es ist eine Art Lotterie
aus dem Stegreif, die für das Publikum auf dem Theater nach dem Stücke
mit allgemeiner Theilnahme enthusiastisch gespielt wird. Die Anstalten
waren sehr feierlich; es waren Munizipalbeamten mit Wache auf dem
Theater, die Loose wurden vorher ausgerufen, alle gezeigt, und einem
Knaben in den Sack geworfen. Ob man gleich nur um einige Scudi spielte,
hätte man doch glauben sollen, es ginge um die Schätze Golkondas, so ein
Feuereifer belebte alle Theilnehmer. Mir hätte das Spiel herzlich lange
Weile gemacht, wie alle dergleichen Hazardspiele, wenn nicht die
Physiognomien der Spielenden einiges Vergnügen gewährt hätten. Mein
Cicerone war ein gewaltig gelehrter Kerl, und sprach und räsonnirte von
Schulen und Meistern und Gemälden so strömend, als ob er die Dialektik
studirt hätte und Professor der Aesthetik wäre; und er konnte es gar
nicht zusammen reimen, daß ich nicht wenigstens vierzehn Tage hier
bleiben wollte, die Reichthümer der Kunst zu bewundern. Er hielt mich
halb für einen Barbaren und halb für einen armen Teufel; und ich
überlasse Dirs, in wie weit er in beiden Recht hat. Ich ging trotz
seinen Demonstrationen und Remonstrationen den andern Morgen zum Thore
hinaus.



                                                             _Ancona._


Von Bologna geht es auf dem alten Emilischen Wege in der Niederung durch
eine sehr wasserreiche Gegend immer nach Rimini herunter. Blos von
Bologna bis nach Imola geht man über fünf oder sechs Flüsse. Rechts
hatte ich die Apenninen, die noch beschneit waren; der Boden ist überall
sehr fett und reich. In Imola machte ich einen etwas barocken Einzug.
Ich kam gerade zu den Harlekinaden der Faschingsmasken, wovon ich in
Pordenone schon einen Prodrom gesehen hatte. Die ganze Stadt war in
Mummerei und zog in bunten Gruppen in den Straßen herum. Nur hier und da
standen unmaskirt einige ernsthafte Männer und Matronen und sahen dem
tollen Wesen zu. Meine Erscheinung mochte für die Leute freilich etwas
hyperboreisch seyn; eine solide polnische Kleidung, ein
Seehundstornister mit einem Dachsgesicht auf dem Rücken, ein großer,
schwerer Knotenstock in der Hand. Die Maskerade hielt alle Charaktere
des Lebens, ins Groteske übersetzt. Auf einmal war ich von einer Gruppe
umgeben, die allerhand lächerliche Bockssprünge um mich herum machte.
Die ernsthaften Leute ohne Maske lachten, und ich lachte mit; einen
genialischen Aufzug dieser Art kann man freilich nicht auf der Leipziger
Messe haben. Plötzlich trat mit den possirlichsten Stellungen eine tolle
Maskenfratze vor mir hin und hielt mir ein Barbierbecken unter die Nase,
das Don Quixotte sehr gut als Helm hätte brauchen können; und ein
anderes Bocksgesicht setzte sich hinter mich, um von seinem Attribute,
der Klystirspritze, Gebrauch zu machen. Stelle Dir das donnernde
Gelächter von halb Imola vor, als ich den Klystirspritzenkerl mit einer
Schwenkung vollends umrannte, meinen Knotenstock komisch nach ihm
hinschwang und meine Personalität etwas aus dem Gedränge zu Tage
förderte. Zum Unglück muß ich Dir sagen, daß mein Bart wirklich über
drei Tage lang war und daß ich von den dortigen rothen Weinen, an die
ich nicht gewöhnt war, mich in einer Art von Hartleibigkeit befand. Die
Menge zerstreute sich lachend, und ein ziemlich wohlgekleideter Mann
ohne Maske, den ich nach einem Gasthof fragte, brachte mich durch einige
Straßen in die Hölle, Nummer Fünfe. Das war nun freilich kein
erbaulicher Name; indessen ich war ziemlich müde und wollte in meinen
Pontifikalibus nicht noch einmal durch das Getümmel laufen, um ein
besseres Wirthshaus zu suchen; also blieb ich Nummer Fünfe in der Hölle.
Nachdem ich meinen Sack abgelegt hatte, wandelte ich wieder vor zu dem
Haufen; und nun muß ich den Farcenspielern die Gerechtigkeit widerfahren
lassen, daß sie sich, so weit es ihr Charakter erlaubte, ganz ordentlich
und anständig betrugen. Ein entsetzlich zudringlicher Cicerone, der mich
in drei verschiedenen Sprachen, in der deutschen, französischen und
italienischen, anredete, verließ mich mit seiner Dienstfertigkeit nicht
eher, als bis einige französische Officiere mich von ihm retteten und
mit mir in ein nahes Kaffeehaus gingen. Vor diesem Hause war der beste
Tummelplatz der Maskirten, die in hundert lächerlichen Aufzügen und
Gruppirungen mit und ohne Musik auf und niederliefen. Ein siedend heißer
politischer Imolait schloß sich an mich an und führte das Gespräch durch
verschiedene Gegenstände sehr bald auf die Politik und erkundigte sich,
wie es in Wien aussähe. Ich antwortete ganz natürlich der Wahrheit
gemäß: »Ganz ruhig.« »^On les a bien forcé à coups de bayonnettes à ètre
en repos^;« sagte er. »^Apparemment^,« sagte ich. -- »^C'est toujours la
meilleure manière de disposer les gens à se conformer à la raison.^« --
»^Mais oui^,« entgegnete ich, »^après en avoir essayé les autres; pourvû
toute fois, qu'il y ait de la raison et de la justice au fond de
l'affaire.^« -- »^Est-ce que vous en doutez pour la nòtre?^« -- »^On ne
peut pas répondre à cela en deux mots.^« Nun wollte er eine Diskussion
anfangen und ward ziemlich heftig. Ich entschuldigte mich mit meiner
alten Formel; »^Quand on commence, il faut toujours commencer par le
commencement^;« da würde sich denn ergeben das alte ^Iliacos intra muros
peccatur et extra^. Der Abend rief mich zum Essen und zur Ruhe, und wir
schieden recht freundschaftlich, indem er meinte: »Wenn es auf uns beide
angekommen wäre, würde wohl kein Krieg entstanden seyn.« Das glaubte ich
wenigstens für mich auf meiner Seite, und ging ganz andächtig in die
Hölle Nummer Fünfe, wo ich bis zum Sonnenaufgang recht sanft schlief.
Ist Imola nicht ein Ort, wo ein Bischof sich zum Papst bilden kann?

In Faenza sah ich die erste französische Wachparade, und in Forli
nichts. Nicht eben, als ob da nichts zu sehen wäre: Antiquare und
Künstler finden daselbst reichliche Unterhaltung für ihre
Lieblingsfächer. Aber ich dachte weder an alte noch neue Kriege und zog
gerades Weges ins Wirthshaus, das ^Hôtel de Naples^. Auf mein
Italienisch war man nicht außerordentlich höflich, vermuthlich, weil es
nicht sonderlich gut war. »^Ne pourrais-je pas parler au maitre de la
maison?^« fragte ich etwas trotzig, indem ich meinen Tornister abwarf.
Auf einmal war alles freundlich, und alles war zu haben. Sonderbar, wie
zuweilen einige Worte so oder so wirken können, nachdem man sie hier
oder da sagt. In Ferrara mochte ich wohl mit meinem Reisesacke einigen
Herren etwas drollig vorkommen, und sie schienen sich hinter mir über
mich mit lautem Gelächter etwas zu erlustigen. »^Qu'est ce qui'l y a là,
Messieurs?^« fragte ich mit einer enrhumirten rauhen Stimme. »^Niente,
Signore^,« war die Antwort; und alles trat still in eine bescheidene
Entfernung. In Spoleto hätte mir die Frage ein Stilet gelten können. Ich
fand in dem ^Hôtel de Naples^ zwei Kaufleute und drei Schiffer; der
Kellner war ein jovialischer Mensch; man begrüßte mich in einer Minute
zehn Mal mit dem Prädikate ^cittadino^, gab mir den Ehrenplatz und
fütterte mich ^à qui mieux^ mit den besten Gerichten. Es machte keinen
Unterschied, als man nun erfuhr, ich sei ein Deutscher; so sehr bestimmt
der erste Augenblick die künftige Behandlung! Wir pflanzten uns, da der
Abend sehr rauh und stürmisch war, um den Kamin her, machten einen
traulichen, freundlichen Familienzirkel und tändelten mit einem kleinen
allerliebsten Jungen, der, wie ein Toast der Gesellschaft, von den
Knieen des Einen zu den Knieen des Andern ging.

Zwischen Forli und Cesena sind die Reste des alten ^Forum Pompilii^, und
die Trümmer einer Brücke, welche auch alt zu seyn scheint. Ich sah von
allem sehr wenig wegen des entsetzlichen Wetters. Die Brücke gleich vor
Cesena über den Savio ist ein Werk, das bei den Italienern für etwas
sehr Schönes gilt; das kann aber nur in dieser Gegend seyn. Das
fürchterlich schlechte Wetter hielt mich in Cesena, da ich doch nur von
Forli gekommen war, und also nicht mehr als vier Stunden gemacht hatte.
Hier wurde ich von dem Wirthe mit einer gewissen kalten Förmlichkeit
aufgenommen, die sehr merklich war, und in ein ziemlich ärmliches Zimmer
hinten hinaus geführt. Ich hatte weiter nichts dawider. Nachdem wir aber
eine Stunde geplaudert hatten, ich in einem Intermezzo des Regens etwas
ausgegangen war, um die Stadt zu sehen und ein Kaffeehaus zu besuchen,
und wieder zurückkam, fand ich meine Sachen umquartirt und mich in ein
recht schönes Zimmer vorn heraus versetzt. Die Wirthin machte die
Erklärung: man habe mich für einen Franzosen gehalten, der von der
Munizipalität logirt würde: nun pflegte die Munizipalität seit langer
Zeit für die zugeschickten Gäste gar nichts mehr zu bezahlen: man könnte
es also nicht übel deuten, daß sie auf diese Weise so wohlfeil, als
möglich durchzukommen suche. Aber ein Galantuomo, wie ich, müsse mit
Anstand bedient werden. Das fand ich auch wirklich. Die Mädchen vom
Hause waren recht hübsch und so höflich und freundlich, als man in Ehren
nur verlangen kann. Es kam noch ein Schiffskapitän, der mir Gesellschaft
leistete und mir von seinen Fahrten im mittelländischen Meere eine Menge
Geschichten erzählte. Er bedauerte, daß es Friede sei und der
Schleichhandel nun nicht mehr so viel eintrage: das sagte er nämlich,
ohne sich sehr verblümt auszudrücken. Die Rechnung war für die sehr gute
Bewirthung außerordentlich billig. Cesena ist übrigens eine alte, sehr
verfallene Stadt, und der aufgepflanzte Freiheitsbaum machte unter den
halbverschütteten Häusern des fast leeren Marktes eine traurige Figur.
Pius der Sechste muß für seine Vaterstadt nicht viel gethan haben: es
würde ihm weit rühmlicher seyn, als der verunglückte Palast für seinen
verdienstlosen Nepoten.

Vor Savignano ging ich, nicht, wie Cäsar, über den Rubikon.
Wahrscheinlich hat der kahlköpfige Weltbeherrscher hier oder etwas
weiter unten am Meere den ersten entscheidenden Schritt gethan, die
sonderbare Freiheit seines Vaterlandes zu zertrümmern, da er als Despot
des neu eroberten Galliens zurückkehrte. Ein eigener Charakter, der
Julius Cäsar! Es ist von gewissen Leuten schwer zu bestimmen, ob sie
mehr Liebe oder Haß verdienen. Ich erinnere mich, daß es mir in einem
solchen moralischen Kampfe einmal entfuhr, Cäsar sei der
liebenswürdigste Schurke, den die Geschichte aufstelle. Die Aeußerung
hätte mir fast die Beschuldigung der verletzten Majestät aller Monarchen
zugezogen. Dagegen wollte man mir neulich beweisen, Brutus sei
eigentlich der Schurke gewesen, und Cäsar ganz Liebenswürdigkeit. So,
so? ^bien vous fasse^! Ihr seid es werth, Cäsarn mit seiner ganzen
Sippschaft und liebenswürdigen Nachkommenschaft zu Herrschern zu haben;
ob ich es gleich nicht über mich nehmen wollte, den Junius Brutus
durchaus zu vertheidigen. Also hier gingen wir beide über den Rubikon,
Cäsar und ich; haben aber übrigens beide nichts mit einander gemein, als
daß wir -- nach Rimini gingen.

In Savignano war Markt; der Platz wimmelte von Leuten, die zur Ehre der
neuen Kokarde weidlich zu zechen schienen. Ich fragte einen
wohlgekleideten Mann nach einem Speisehause. Er besah mich ganz
mißtrauisch, schaute nach meinem Hute und da er rund herum keine Kokarde
entdeckte, ward sein Ansehen etwas grimmig und er schickte mich mit der
höflichen Formel weiter: ^Andate al diavolo!^ Das war die Kehrseite von
Cesena. So gehts zu Revolutionszeiten: für das nämliche wirst Du hier
gepflegt, dort beschimpft; glücklich, wenns nicht weiter geht.

In Rimini schlief ich gewiß ruhiger, als der mächtige Julius nach seinem
Uebergange und dem geworfenen Würfel geschlafen haben mag. Vor der Stadt
sind einige herrliche Aussichten. Auf dem Platze ^della Fontana^ steht
der heilige Gaudentius von Bronze, der eine gar stattliche Figur macht.
Auch ein Papst Paul, ich weiß nicht welcher, hat hier ein Monument für
eine Wasserleitung, die er den Bürgern von Rimini bauen ließ. Eine
Wasserleitung halte ich überall für eins der wichtigsten Werke und für
eine der größten Wohlthaten; und hier in Italien ist es doppelt so. Wenn
ein Papst eine recht schöne wohlthätige Wasserleitung bauet, kann man
ihm fast vergeben, daß er Papst ist. Auf dem andern Platze stand der
Baum mit der Mütze und der Inschrift: ^L'union des François et des
Cisalpins.^ Aber welche Union! Das mag der heilige Bartholomäus in
Mailand sagen.

Wenn ich nun ein ordentlicher, systematischer Reisender wäre, so hätte
ich von Rimini rechts hinauf, auf die Berge gehen sollen, um die selige
Republik Sankt Marino zu besuchen; zumal, da ich eine kleine Liebschaft
gegen die Republiken habe, wenn sie auch nur leidlich vernünftig sind.
Aber ich ging nun gerade fort nach Cattolica und Pesaro. Die Arianer
hatten, wie man sagt, auf dem Koncilium zu Rimini den Meister gespielt:
deshalb gingen die rechtgläubigen Bischöfe mit Protest herüber nach
Cattolica und verewigten ihre muthige Flucht durch den Namen des Orts.
Auch steht, wie ich selbst gelesen habe, die ganze Geschichte auf einer
großen Marmorplatte über dem Portal der Kirche zu Cattolica: ich nehme
mir aber selten die Mühe etwas abzuschreiben, am wenigsten dergleichen
Orthodoxistereien. In Pesaro, wo ich beiläufig die erste Handvoll
päpstlicher Soldaten antraf, fragte ich, weil ich müde war, den ersten
besten, der mir begegnete, wo ich logiren könnte? »Bei mir,« antwortete
er. Sehr wohl! sagte ich und folgte. Der Mann hatte ein Schurzfell und
schien, mit Shakespear zu reden, ein Wundarzt für alte Schuhe zu seyn.
Nun fragte er mich, was ich essen wollte? Das stellte ich denn ganz
seiner Weisheit anheim, und er that sein Möglichstes mich zufrieden zu
stellen, ging aus und brachte Viktualien, machte selbst den Koch und
holte zweierlei Wein. Das war von nun an oft der Fall, daß der Wirth
sich hinstellte und mir die patriarchalische Mahlzeit bereitete und ich
ihm hülfreiche Hand leistete. Er klagte mir ganz leise, daß die
gottlosen Franzosen vier der schönsten Gemälde von hier mit weggenommen
haben. Als ich den andern Morgen im Kaffeehause saß und mein Frühstück
verzehrte, ließen mir eine Menge Vetturini nicht eher Ruhe, bis ich
einen von ihnen nach Fano genommen hatte. Dieser mein Vetturino war nun
ein ächter Orthodox, der vor jedem Kreuz sein Kreuz machte, sein
Stoßgebetchen sagte, seine Messe brummte und übrigens fluchte wie ein
Lanzenknecht. Vor allen Dingen war sein Gesang charakteristisch. Ich
habe nie einen so entsetzlichen Ausdruck von dummer Hinbrütung in
vernunftlosem Glauben gehört. Wenn ich länger verdammt wäre solche
Melodien zu hören, würde ich bald Materialismus und Vernichtung für das
Konsequenteste halten: denn solche Seelen können nicht fortleben.

Vor Pesaro und noch mehr bei Fano wird die Gegend ziemlich gebirgig, ist
voll Schluchten und Defileen in den Höhen, und es wird leicht
begreiflich, wie die fremden Karthager sich hier verirrten und den
Römern leichtes Spiel machten. Der Metaurus ist, wie fast alle Flüsse,
welche aus den Apenninen kommen, ein gar schmutziger Fluß, und hat eben
so wenig wie der Rubikon ein klassisches Ansehen. Man wollte mir
zwischen Fano und Sinigaglia den Berg zeigen, wo Hasdrubal geschlagen
worden sein soll. Ich kann darüber nichts bestimmen, da mir die
Geschichte der Schlacht aus den alten Schriftstellern nicht gegenwärtig
war. So viel ist gewiß, daß sie hier in der Gegend und am Flusse
vorfiel; und mit dem Polybius und Livius in der Hand dürfte es
vielleicht nicht schwer seyn, den Platz genau aufzusuchen. Da ich aber
wahrscheinlich nicht in Italien kommandiren werde, war ich um den Posten
nicht sehr bekümmert. Der Himmel habe den Hasdrubal und die römischen
Konsuln selig!

Sinigaglia ist ein angenehmer Ort durch seine Lage: vorzüglich geben die
üppig vegetirenden Gärten der Landseite der Stadt ein heiteres Ansehen.
Ich hatte zum ersten Mal das Vergnügen ein italienisches Stiergefecht zu
sehen, wo die Hunde ziemlich hoch geworfen wurden und ziemlich blutig
wegkamen, und woran halb Sinigaglia sich sehr zu ergötzen schien. Das
Prototyp der Dummheit, mein Vetturino, führte mich weiter bis Ancona, da
ich einmal in die Bequemlichkeit des Sitzens gekommen war. Die See ging
hoch und die Brandung war schön; rechts hatte ich herrliche Anhöhen, mit
jungem Weitzen und Oelbäumen geschmückt. Vor Ancona blühten den
neunzehnten Februar Bohnen und Erbsen. Die Thäler und Berge rechts geben
abwechselnd mit Wein und Obst und Oel und Getreide eine herrliche
Aussicht. Der Hafen von Ancona mag für die Alten außerordentlich gut
gewesen seyn; für die Neuern ist er es nicht mehr in demselben Grade:
und wenn nicht der Molo viel weiter hinaus geführt worden wäre, würde er
wenig mehr brauchbar seyn. Es können nur wenig große Schiffe sicher
darin liegen. Am Anfange des alten Molo steht der sogenannte
Triumphbogen Trajans von weißem Marmor, der aus den Antiquitätenbüchern
hinlänglich bekannt ist. Die Schrift fängt nun an ziemlich zu
verwittern, und man muß schon sehr ziffern, wenn man den Sinn heraus
haben will. Es müßte denn nur mir so gegangen seyn, der ich im Lesen der
Steinschriften nicht geübt bin. Der neue Bogen des Vanvitelli, weiter
hinaus, steht gegen den alten sehr demüthig da. Ganz am Ende des Molo
steht ein Wachthurm, und vor demselben standen einige Piecen Artillerie
auf dem Molo hereinwärts, die den Hafen bestreichen. Die übrigen Stücke
decken oder wehren blos den Eingang von der Seite von Loretto. Am Thurme
stand eine französische Wache, deren man in der ganzen Stadt sonst nicht
viele fand, obgleich die Besatzung ziemlich stark ist. »^Est-ce qu'il
est permis de monter la tour pour voir la contrée?^« fragte ich.
»^Non^,« war die Antwort: ich mußte also zurückgehen und die Berge rund
umher besteigen, wenn ich die Aussicht theilweise haben wollte, die ich
hier hätte ganz haben können. Es mag freilich wohl der beste
militärische Augenpunkt seyn, so daß man billig Bedenken trägt,
Jedermann sich auf demselben umsehen zu lassen. Das Seelazareth an dem
andern Ende des Hafens, gleich am Wege von Loretto und Sinigaglia, der
sich dort trennt, ist ein sehr schönes Gebäude ganz im Meere, so daß
eine Brücke hinüber führt. Es hat rund herum eine Menge schöner,
bequemer Gemächer, eine Kapelle mitten im Hofe, frisches Wasser durch
Röhren vom Berge, und ein ziemlich großes Waarenhaus. Auch das
Militärspital auf dem Lande ist ein schönes, weitläufiges Gebäude. Die
Schiffe sind meistens fremde, und die Handlung hebt sich nur sehr
langsam durch die Maßregel des römischen Hofes, daß man Ancona zu einem
Freihafen erklärt hat. Auf der südlichen Höhe der Stadt steht die alte
Kathedralkirche, wo außer dem unverweslichen heiligen Cyriakus noch
einige andere Kapitalheilige begraben liegen, deren Namen mir entfallen
sind. Man findet dort eine schöne, prächtige, funkelnagelneue
Inscription, daß Pius der Sechste auf seiner Rückkehr aus Deutschland,
wo er die Wiener gesegnet hatte, daselbst die Unverweslichkeit des
Heiligen in Augenschein genommen, bewundert und von neuem dokumentirt
habe. Dieses Monument des Wunderglaubens ist dem Papst auf Kosten des
Volks und der Stände der Mark Ancona in der glänzenden marmornen Krypte
der Heiligen errichtet worden. ^O sancta!^

Die Börse ist ein großer, schöner, gewölbter Saal mitten in der Stadt,
mit interessanten, gut gearbeiteten Gemälden und Statüen, welche
moralische und bürgerliche Tugenden vorstellen. Die erstern sollen von
Perugino seyn, wie man mir sagte; ich hätte sie nicht für so alt
gehalten.

Im Theater gab man die alte Posse, _der lustige Schuster_, gar nicht
übel, und das italienische Talent zur Burleske mit dem feinen Takt für
Schicklichkeit und Anstand zeigte sich hier sehr vortheilhaft. Ich
konnte nicht umhin, Dir hier einige Worte über unsere deutschen
Landsleute auf der Bühne zu sagen. Es wäre wohl zu wünschen, daß sie
etwas von der Delikatesse der Wälschen hierin hätten oder lernten. Das
ist bei uns ein ewiges Küssen und sogar Schmatzen auf den Bretern bei
jeder Gelegenheit. Wenn man glaubt, daß dieses eine schöne ästhetische
Wirkung thun müsse, so irrt man sich vermuthlich; wenigstens für mich
muß ich bekennen, daß mir nichts langweiliger und peinlicher wird, als
eine solche Zärtlichkeitsscene. Ein Kuß ist alles, und ein Kuß ist
nichts; und hier ist er weniger als nichts, wenn er so seine Bedeutung
verliert. Er gehört durchaus zu den Heimlichkeiten der Zärtlichkeit, in
der Freundschaft wie in der Liebe, und wird hier entweiht, wenn er vor
die Augen der Profanen getragen wird. Ich weiß die Einwürfe; aber ich
kann hier keine Abhandlung schreiben, sie alle zu beantworten. Der
Italiener weiß durch die feinen Nüanzen der Umarmung mehr zu wirken, als
wir durch unsere Küsse. Es versteht sich, daß seltene Ausnahmen Statt
finden. Ein anderer Artikel, den wir etwas zu materiell behandeln, ist
das Essen und Trinken und Tabaksrauchen auf dem Theater. Das alles ist
von sehr geringer ästhetischer Bedeutung, und sollte füglich wegfallen.
Es ist als ob wir unsere Stärke zeigen wollten, um die Präeminenz unsers
Magens zu beweisen: und der Gebrauch der Theemaschine und der Serviette
gehört bei mir durchaus nicht zu den guten Theaterkünsten; zumal wenn
man eine Theekanne auf das Theater bringt, die man in der letzten
Dorfschenke kaum unförmlicher und unreinlicher finden würde. Auch sieht
man zuweilen einen Korb, der doch Eleganz bezeichnen sollte, als ob eben
ein Bauer Hühnermist darin auf das Pflanzenbeet getragen hätte. Nimm mir
es nicht übel, daß ich da in dramaturgischen Eifer gerathe! Es wirkt
nicht angenehm, wenn man Schicklichkeit und Anstand vernachlässigt.

Von Leipzig bis hierher habe ich keinen Ort gefunden, wo es so theuer
wäre wie in Ancona; selbst nicht das theure Triest. Ich habe hier
täglich im Wirthshause einen Kaiserdukaten bezahlen müssen, und war für
dieses Geld schlecht genug bewirthet. Man schiebt noch alles auf den
Krieg und auf die Belagerung; das mag den Aubergisten sehr gut zu
Statten kommen. Alles war voll Impertinenz. Dem Lohnbedienten zahlte ich
täglich sechs Paoli; dafür wollte er früh um neun Uhr kommen und den
Abend mit Sonnenuntergang fortgehen; und machte gewaltige
Extraforderungen, als er bis nach der Komödie bleiben sollte, da ich in
der winkligen Stadt meine Auberge in der Nacht nicht leicht
wiederzufinden glaubte. Er pflanzte sich im Parterre neben mich und
unterhielt mich mit seinen Impertinenzen; und dafür mußte ich ihm die
Entrée bezahlen und zwei Paoli Nachschuß für die Nachtstunden. Die
Barbiere bringen jederzeit einen Bedienten mit, eine Art von Lehrling,
der das Becken trägt und die Kunst des Bartscherens von dem großen
Meister lernen soll. Nun ist das Becken zwar in der That so geräumig,
daß man bequem einige Ferkel darin abbrühen könnte, und man wundert sich
nicht mehr so sehr, daß die erhitzte Phantasie Don Quixotte's so etwas
für einen Helm ansah. Hast Du den Herrn recht gut bezahlt, so kommt der
Junge, der die Serviette und den Seifenlappen in Ordnung gelegt hat und
fordert etwas ^della buona mano, della buona grazia^, und macht zu einer
Kleinigkeit eben kein sehr freundliches Gesicht. Mein Bart hat mich bei
den Leuten schon verzweifelt viel gekostet, und wenn ich länger hier
bleibe, würde ich mich an die Bequemlichkeit der Kapuziner halten.

Die Leute klagten über Noth und hielten bei hellem Tage durch die ganze
Stadt Faschingsmummereien, daß die Franzosen die Polizeiwache verdoppeln
mußten, damit das Volk einander nur nicht todt trat; so voll waren die
Gassen gepfropft. Da gab es denn possirliche Auftritte, wie in Imola.
Vorzüglich schnakisch sah es aus, wenn eine sehr feine Gesellschaft in
dem höchsten Maskeradenputz vorbeizog, ein wirklicher Ochsenbauer mit
seinen weitgehörnten Thieren, die Weinfässer fuhren, sich eingeschoben
hatte und eine Gruppe zierlicher Abbaten hinter den Fässern hertrollte,
nicht vorbei konnte, mit Ungeduld ihre Blicke nach den Damen schickten,
endlich durchwischten und mit den handfesten Fuhrleuten in ernsthafte
Ellbogenkollision kamen. Das gab dann Leben und Lärm unter den
dichtgedrängten Zuschauern links und rechts. Die armen Leute, welche
über Hunger klagten, warfen doch einander mit Bonbons aller Art; aber
vorzüglich gingen freundschaftliche, zärtliche Kanonaden mit einer
ungeheuren Menge Maizs, den man in Körben als Ammunition zu dieser
Neckerei dort zum Verkauf trug. Mich däucht, man hätte nachher wohl zehn
Scheffel sammeln können. Freilich lesen den andern Tag die Armen auf,
was nicht im Koth zertreten und zerfahren ist; und damit entschuldigt
man das Unwesen. Es ist eine sonderbare, sehr närrisch lustige Art
Almosen auszutheilen.

Die Kaffeehäuser sind hier sehr gut eingerichtet und man trifft daselbst
immer sehr angenehme, unterhaltende Gesellschaft von Fremden und
Einheimischen. Eine sonderbare Erscheinung muß die Belagerung der Stadt
im vorigen Kriege gemacht haben, wo fast alle Nationen von Europa,
Oestreicher, Engländer, Russen, Italiener und Türken gegen die neuen
Gallier schlugen, die sich trotz allen Anstrengungen der Herren doch
darin behaupteten, und die nun bloß durch die gewaltige Frömmigkeit
ihres Machthabers daraus vertrieben werden. Ancona ist gewiß in jeder
Rücksicht einer der interessantesten militärischen Posten an dieser
Seite, und nächst Tarent der wichtigste am ganzen adriatischen Meere.
Bis nach Ancona lautete mein Paß von Wien aus, weil der höfliche
Präsident der italienischen Kanzlei ihn durchaus nicht weiter schreiben
wollte. Aber hier machte man mir gar keine Schwierigkeit mir einen Paß
zu geben, wohin ich nur verlangte. Man war nur meinetwegen besorgt ich
möchte dem Tode entgegengehen. Dawider ließ sich nun freilich kein
mathematischer Beweis führen: ich machte den guten, freundschaftlichen
Leuten aber deutlich, daß meine Art zu reisen am Ende doch wohl noch die
sicherste sey. Wer würde Reichthümer in meinem Reisesacke suchen? Mein
Aufzug war nicht versprechend; und um nichts schlägt man doch nirgends
die Leute todt.



                                                 _Rom_, den 2ten März.


Wider meine Absicht bin ich nun hier. Die Leutchen in Ancona legten es
mir so nahe ans Gewissen, daß es Tollkühnheit gewesen wäre, von dort aus
an dem Adria hinunter durch Abruzzo und Kalabrien zu gehen, wie mein
Vorsatz war. Ihre Beschreibungen waren fürchterlich, und im Wirthshause
betete man schon im voraus bei meiner anscheinenden Hartnäckigkeit für
meine arme erschlagene Seele. ^Vous avez bien l'air d'être un peu
François; et tout François est perdu san ressource en Abruzzo. Ce sont
des sauvages sans entrailles^; sagte man mir. Das klang nun freilich
nicht erbaulich, denn ich denke noch manches ehrliche Kartoffelngericht
in meinem Vaterlande zu essen. »^On Vous prendra pour François, et on
Vous coupera la gorge sans pitié^,« hieß es. »^Fort bien^,« sagte ich,
»^ou plutôt bien fort^.« Was war zu thun? Ich machte der traurigen Dame
zu Loretto meinen Besuch, ließ auch meinen Knotenstock von dem Sakristan
mit zur Weihe durch das Allerheiligste tragen, beguckte etwas die
Votiven und die gewaltig vielen Beichtstühle, ließ mir für einige Paoli
ein halbes Dutzend hoch geweihte Rosenkränze anhängen, um einige
gläubige Sünderinnen in meinem Vaterlande damit zu beglückseligen, und
wandelte durch die Apenninen getrost der Tiber zu. Freilich gab es auch
hier keinen Mangel an Mordgeschichten, und in einigen Schluchten der
Berge waren die Arme und Beine der Hingerichteten häufig genug hier und
da zum Denkmal und zur schrecklichsten Warnung an den Ulmen aufgehängt:
aber ich habe die Gabe, zuweilen etwas dümmer und ärmer zu scheinen, als
ich doch wirklich bin; und so bin ich dann glücklich auf dem Kapitol
angelangt.

Die Gegend von Ancona nach Loretto ist herrlich, abwechselnd durch
Thäler und auf Höhen, die alle mit schönem Getreide und Obst und
Oelbäumen besetzt sind; desto schlechter ist der Weg. Es hatte noch
etwas stark Eis gefroren, eine Erscheinung, die mir in der Mitte des
Februars bei Ancona ziemlich auffiel; und als die Sonne kam, vermehrte
die Wärme die Beschwerlichkeit des Weges unerträglich.

Ich war seit Venedig überall so sehr von Bettlern geplagt gewesen, daß
ich auf der Straße den dritten Menschen immer für einen Bettler ansah.
Desto überraschender war mir ein kleiner Irrthum vor Loretto, wo es
vorzüglich von Armen wimmelt. Ein ältlicher, ärmlich gekleideter Mann
stand an einem Brückensteine des Weges vor der Stadt, nahm mit vieler
Deferenz seinen alten Hut ab, sprach etwas ganz leise, das ich, daran
gewöhnt, für eine gewöhnliche Bitte hielt. Ich sah ihn flüchtig an, fand
an seinem Kleide und an seiner Miene, daß er wohl bessere Tage gesehen
haben müsse, und reichte ihm ein kleines Silberstück. Das setzte ihn in
die größte Verlegenheit; sein Gesicht fing an zu glühen, seine Zunge zu
stammeln: er hatte mir nur einen guten Morgen und glückliche Reise
gewünscht. Nun sah ich dem Mann erst etwas näher ins Auge und fand so
viel Bonhommie in seinem ganzen Wesen, daß ich mich über meine
Uebereilung ärgerte. Wahrscheinlich hielten wir beide einander für etwas
ärmer, als wir waren. Du wirst mir zugeben, daß solche Erscheinungen,
die kleine Unannehmlichkeit des augenblicklichen Gefühls abgerechnet,
unserer Humanität sehr wohl thun müssen. Die Gegend um Loretto ist ein
Paradies von Fruchtbarkeit und die Engel müssen ganz gescheidte Leute
gewesen seyn, da sie nun einmal das Häuschen im gelobten Lande nicht
behaupten konnten, daß sie es durch die Luft aus Dalmatien hierher
bugsirt haben. Es steht hier doch wohl etwas besser, als es dort
gestanden haben würde, wo es auch den Ungläubigen, so zu sagen, noch in
den Klauen war. Zwar hatte es den Anschein, als ob der Unglaube auch
hier etwas überhand nehmen wollte und einen dritten Transport nöthig
machen würde; denn die entsetzlichen Franzosen, die doch sonst die
allerchristlichste Nation waren, hatten sich nicht entblödet, der
heiligen Jungfrau offenbar Gewalt anzuthun, worüber die hiesigen Frommen
große Klagelieder und Verwünschungen anstimmen: aber die neue Salbung
des großen Demagogen giebt auf einmal der Sache für die Gottseligkeit
eine andere Wendung. Die Mummerei nimmt wieder ihren Anfang, man macht
Spektakel aller Art, wie ich denn selbst das Idol des Bacchus auf einer
ungeheuern Tonne zum Fasching vor dem heiligen Hause in Pomp auf- und
abführen sah; und man verkauft wieder Indulgenzen nach Noten für alle
Arten von Schurkereien. Es ist überhaupt nicht viel Vernunft in der
Vergebung der Sünden; aber wer diese Art derselben erfunden hat, bleibt
ein Fluch der Menschheit, bis die Spur seiner Lehre getilget ist.

Mit diesen und ähnlichen Gedanken wandelte ich die lange Gasse von
Loretto den Berg hinauf und hinab, durch die schönen Thäler weiter und
immer nach Macerata zu. Links haben die Leute eine herrliche
Wasserleitung angelegt, die das Wasser von Recanati nach Loretto bringt.
Wenn ich überall eine solche Kultur fände, wie von Ancona bis Macerata
und Tolentino, so wollte ich fast den Mönchen ihre Möncherei verzeihen.
In Macerata bewillkommte mich im Thor ein päpstlicher Korporal und nahm
sich polizeimäßig die Freiheit, meinen Paß zu beschauen. Der Mann war
übrigens recht höflich und artig, und schickte mich in ein Wirthshaus
nicht weit vom Thore, wo ich so freundlich und billig behandelt wurde,
daß mir die Leutchen mit ihrem gewaltig starken Glauben durch ihre
Gutmüthigkeit außerordentlich werth wurden. Ich machte mir ein gutes
Feuer von Ulmenreisig und Weinreben, las eine Rhapsodie aus dem Homer
und schlief so ruhig wie in der Nachbarschaft des Leipziger Paulinums.
Es war meine Gewohnheit, des Morgens aus dem Quartier auf gut Glück zum
Frühstück auszugehen, und mich an das erste beste Wirthshaus an der
Straße zu halten. Die Gegend war paradiesisch links und rechts; aber zu
essen fand sich nichts. Hinter Macerata geht der Weg links nach Abruzzo
ab, und ich gerieth in große Versuchung, mich dort hinunter nach Fermo
und Bari zu schlagen. Bloß mein Versprechen in Ancona hielt mich zurück.
Ich bat die guten Bruttier um Verzeihung für mein Mißtrauen und meinen
Unglauben, und wanderte fürbaß. Der Hunger fing an mir ziemlich unbequem
zu werden, als ich rechts am Wege ein ziemlich schmutziges Schild
erblickte und nach einem Frühstück fragte. Da war nichts als Klage über
Brotmangel. Endlich fand sich, da ich viel bat und viel bot, doch noch
Wein und Brot. Das Brot war schlecht, aber der Wein desto besser. Ich
war nüchtern, hatte schon viel Weg gemacht, war warm und trank in großen
Zügen das Rebengeschenk, das wie die Gabe aus Galliens Kampanien perlte
und wie Nektar herunterglitt. Ich trank reichlich, denn ich war durstig,
und als ich die Kaupone verließ, war es, als schwebte ich davon, und als
wäre mir der Geist des Gottes sogar in die Fersen gefahren. So viel
erinnere ich mich, ich machte Verse, die mir in meiner Seligkeit ganz
gut vorkamen. Schade, daß ich nicht Zeit und Stimmung hatte, sie
aufzuschreiben; so würdest Du doch wenigstens sehen, wie mir Lyäus
dichten hilft; denn meine übrige Arbeit ist sehr nüchtern. Die
Feldarbeiter betrachteten mich aufmerksam, wie ich den Weg dahin
schaukelte; und ich glaubte, ich tanzte die Verse ab. Da fragte mich
ganz traulich-pathetisch ein Eseltreiber: »^Volete andare a cavallo,
Signore?^« Ich sah seine Kavallerie an, rieb mir zweifelnd die Augen und
dachte: Sonst macht wohl der Wein die Esel zu Pferden: hat er denn hier
die Pferde zu Eseln gemacht? Aber ich mochte reiben und gucken, so viel
ich wollte, und meine Nase komisch mit dem Hofmannischen Glase
bebrillen, die Erscheinungen blieben Esel; und ich gab auf den
wiederholten Ehrenantrag des Mannes den diktatorischen Bescheid: »^Io
sono pedone e non voglio andare a cavallo sull' asino.^« Die Leute sahen
mich an und der Eseltreiber mit, und lächelten über meinen Gang und
meine Sprache; aber waren so gutartig und lachten nicht. Das waren
urbane Menschenkinder; ich glaube fast, daß im gleichen Falle die
Deutschen gelacht hätten.

In Tolentino gings gut, und ich ließ mich überreden, von hier aus durch
die Apenninen, denen man nichts Gutes zutraut, ein Fuhrwerk zu nehmen,
um nur nicht ganz allein zu seyn. Hier kommt der Chiente den Berg
herunter und ist für Italien ein ganz hübscher Fluß, hat auch etwas
besseres Wasser als die übrigen. Man geht nun einige Tagereisen zwischen
den Bergen immer an dem Flusse hinauf, bis zu seinem Ursprunge bei
Colfiorito, wo er aus einem See kommt, in welchem sich das Wasser rund
umher aus den höchsten Spitzen der Apenninen sammelt. Ich hatte einen
Wagen gemiethet, aber der Wirth als Vermiether kam mit der
Entschuldigung, es sei jetzt eben keiner zu finden; ich müsse zwei
Stunden warten. Das war nun nicht erbaulich. Aergerniß hätte mich aber
nur mehr aufgehalten; ich faßte also Geduld und ließ mich mit meinem
Tornister auf einen Maulesel schroten; mein Führer setzte sich, als wir
zur Stadt hinaus waren, auf die Kruppe, und so trabten wir italienisch
immer in den Schluchten hinauf. Diese wurden bald ziemlich enge und
wild, und hier und da aufgehangene Menschenknochen machten eben nicht
die beste Idylle. Ich blieb auf einer Station, deren Namen ich vergessen
habe, nicht weit von dem alten Kamerinum, dessen Livius im punischen
Kriege sehr ehrenvoll erwähnt. Hier pflegte man mich sehr gastfreundlich
und ich erhielt den bedungenen Wagen nach Foligno. Serravalle ist ein
großes langes Dorf, in einer engen, furchtbaren Bergschlucht am Fluß,
nicht weit von der größten Höhe des Apennins; und ich wunderte mich, daß
man hier so gut und so wohlfeil zu essen fand. Von dem See bei
Colfiorito, einem Kessel in den höchsten Bergwänden, geht es bald auf
der andern Seite aufwärts, und der Weg windet sich sehr wildromantisch
in einer Felsenschnecke hinunter. Case Nuove ist ein armes Oertchen am
Abhange des Berges, fast eben so zwischen Felsen wie Serravalle auf der
andern Seite. Die Leute hier verstehen sich sehr gut zu nähren, indem
sie die Sympathie der Reisenden in Anspruch nehmen. Sie übertheuern den
Fremden nicht, sondern wenden sich bei der Bezahlung mit rührender
Ergebung an seine Großmuth. Wenn man nun einen Blick auf die hohen,
furchtbaren nackten Felsen rund um sich her wirft -- man müßte keine
Seele haben, wenn man nicht etwas tiefer in die Tasche griffe und den
gutmüthigen Menschen leben hälfe.

Von Case Nuove nach Foligno ist eine Partie, wie es vielleicht in ganz
Italien nur wenige giebt, so schön und romantisch ist sie. Man erhebt
sich wieder auf eine ansehnliche Höhe des Apennins, und hat über eine
sehr reiche Gegend eine der größten Aussichten. Unten rechts, tief in
der Schlucht, sind in einem sich nach und nach erweiternden Thale die
Papiermühlen des Papstes angelegt, die zu den besten in Italien gehören
sollen. Oben sind die Berge kahl, zeigen dann nach und nach Gesträuche,
geben dann Oelbäume und haben am Fuße üppige Weingärten. Hier sah ich,
glaube ich, zuerst die perennirende Eiche, die in Rom eine der ersten
Zierden des Borghesischen Gartens ist. Auf der Höhe des Weges soll man
hier, wenn das Wetter rein und hell ist, bis nach Assisi und Perugia an
dem alten Thrasymen sehen können. Ich war nicht so glücklich; es war
ziemlich umwölkt: aber es war auch so schon ein herrlicher Anblick. Wer
nur ein Kerl wäre, der etwas Ordentliches gelernt hätte! Hier komme ich
nun schon in das Land, wo kein Stein ohne Namen ist. Mit magischen
Wolken überzogen liegt das alte, finstere Foligno unten im Thale, wo der
Segen Hesperiens ruht. Rechts und links liegen Anhöhen mit Gebäuden, die
gewiß in der Vorzeit alle merkwürdig waren. Links hinunter weideten
ehemals die vom Klitumnus weiß gefärbten Stiere, welche die
Weltbeherrscher zu ihren Opfern in die Hauptstadt holten; und tief, tief
weiter hinab liegt in einer Bergschlucht das alte Spoleto, vor dessen
Thoren das vom Thrasymen siegreich herabstürzende Heer Hannibals zum
ersten Mal von einer Munizipalstadt fürchterlich zurückgeschlagen wurde.
In und bei Foligno ist artistisch nicht viel zu sehen, nachdem die neuen
Gallier das schöne Madonnenbild mitgenommen haben. Die Kathedralkirche
wird jetzt ausgebessert und mich däucht, mit Geschmack. Man hatte mich
in die Post einquartirt, wo man mich zwar ziemlich gut bewirthete, aber
ungeheuer bezahlen ließ. Eine Bewirthung, für die ich den vorigen Abend
auch auf der Post oben in den Apenninen sieben Paoli gezahlt hatte,
mußte ich hier in dem Lande des Segens mit sechszehn bezahlen. Man
wollte mich überdieß mit Gewalt zu Wagen weiter spediren, und da
ich dieß durchaus nicht einging, sollte ich wenigstens ein
Empfehlungsschreiben meines freundlichen Bewirthers nach Spoleto an
einen seiner guten Freunde haben. Natürlich, daß ich auch dafür dankte;
denn er hatte mir vorher durch sich selbst seine guten Freunde nicht
sonderlich empfohlen. Sobald als der Morgen graute nahm ich also mein
Bündel und wandelte immer wieder im Thale hinauf nach Hannibals
Kopfstoß. Hier kam ich bei den berühmten Quellen des Klitumnus vorbei,
die jetzt von den Eselstreibern und Waschweibern gewissenlos entweiht
werden, ob sie gleich noch eben so schön sind als vormals, als Plinius
so enthusiastisch davon sprach. Große Haine und viele Tempel giebt es
freilich nicht mehr hier; aber die Gegend ist allerliebst und ich stieg
emsig hinab und trank durstig mit groben Zügen aus der stärksten Quelle,
als ob es Hippokrene gewesen wäre. Hier und da standen noch ziemlich
hohe Cypressen, die ehemals in der Gegend berühmt gewesen seyn sollen.
Vorzüglich sah es aus, als ob Athene und Lyäus ihre Geschenke hier in
ihrem Heiligthume niedergelegt hätten. Es sollen in den Weinbergen noch
einige Trümmer alter Tempel seyn; ich suchte sie aber nicht auf. Als ich
so dort mich auf den jungen Rasen sonnte, setzte sich ein stattlich
gekleideter Jäger zu mir, lenkte das Gespräch sehr bald auf Politik, zog
einige Zeitungsblätter aus der Tasche und wollte nun von mir wissen, wie
man nach dem Frieden die endliche Ausgleichung machen würde, und wie
besonders der heilige Sitz und die geistlichen Churfürsten dabei bedacht
werden sollten. Daran hatte ich nun mit keiner Sylbe gedacht, und sagte
ihm ganz offenherzig, das überließe ich denen, ^quorum interesset^.

Ich bin nicht gern bei solchen Ausgleichungsprojekten; denn es ist fast
immer etwas Empörendes dabei. Ein Beispielchen will ich Dir davon
erzählen. Du kannst Dir nichts Anmaßlicheres, Verwegneres,
Hohnsprechenderes, Impertinenteres denken, als den russischen
Nationalgeist; nicht den des Volks, sondern der hoffnungsvollen
Sprößlinge der großen Familien, die die nächste Anwartschaft auf Aemter
im Civil und bei der Armee haben. Einer dieser Herren, der nur wenig
seinen Kameraden vorging, äußerte in Warschau öffentlich im Vorzimmer,
er hoffe wohl noch russischer Gouverneur in Dresden zu werden und zu
bleiben. Die Frage war eben, wie man Oestreich über die zweite Theilung
in Polen zufrieden stellen wolle? Der Neffe des Gesandten, der doch
Major bei der Armee und also kein Troßbube war, meinte ganz naiv und
unbefangen, da gäbe es noch Churfürsten und Fürsten genug zu spoliiren.
Dein Freund stand bei den Excellenzen, deren einige durchaus die
moralische Antiphrase ihres Titels waren, und kehrte sich trocken weg
und sagte: »Das ist wenigstens der richtige Ausdruck: So geht es hier
und da.«

Der Jäger verließ mich nach einem halben Stündchen Kosen, und ich
verließ den Klitumnus. In Spoleto ging ich ohne Schwierigkeit gerade
durch das Thor hinein, durch welches Hannibal, laut der Nachrichten,
nicht gehen konnte. Fast hätte ich nun Ursache gehabt zu bedauern, daß
ich das Empfehlungsschreiben des billigen Mannes in Foligno nicht
angenommen hatte; denn ich lief in dem Neste wohl eine halbe Stunde
herum, ehe ich ein leidliches Gasthaus finden konnte. Endlich führte man
mich doch in eins, wo man für den dritten Theil der gestrigen Zeche eben
so gut bewirthete. Es ist ein großes, altes, dunkles, häßliches,
jämmerliches Loch, das Spoleto; ich möchte lieber Küster Klimm zu Bergen
in Norwegen seyn, als Erzbischof zu Spoleto. Die Leute hier, denen ich
ins Auge guckte, sahen alle aus wie das böse Gewissen; und nur mein
Wirth mit seiner Familie schien eine Ausnahme zu machen. Deßwegen habe
ich mich auch keinen Deut um ihre Alterthümer bekümmert, deren hier noch
eine ziemliche Menge seyn sollen. Aber alles ist Trümmer; und Trümmern
überhaupt, und zumal in Spoleto, und überdieß in so entsetzlichem
Nebelwetter, geben eben keine schöne Unterhaltung. Ueber dem Thore, das
man Hannibals Thor nennt, stehen die Worte in Marmor:

^_HANNIBAL_ CAESIS AD THRASYMENUM ROMANIS INFESTO AGMINE URBEM ROMAM
PETENS AD SPOLETUM MAGNA STRAGE SUORUM REPULSUS INSIGNE PORTAE NOMEN
FECIT.^

So ist die Ueberschrift. Ich weiß nicht, ob es die Worte des Livius
sind; mich däucht, bei diesem lautet es etwas anders. Die Sache hat
indeß nach den alten Schriftstellern ihre Richtigkeit; nur weiß ich
nicht, ob es eben dieses Thor seyn möchte: denn wie vielen Veränderungen
ist die Stadt nicht seit den punischen Kriegen unterworfen gewesen! Doch
ist es eben das Thor, durch das der Weg von Perugia geht. Der Marmor
scheint ziemlich neu zu seyn. Jetzt dürfte sich wohl schwerlich ein
französisches Bataillon zurückwerfen lassen.

Ich Idiot glaubte, als ich in Foligno angekommen war, ich sei nun den
Apennin durchwandelt: aber das ganze Thal von Klitumnus mit den Städten
Foligno und Spoleto liegt in den Bergen. Von Spoleto bis Terni ist der
furchtbarste Theil desselben: und hier war ich wieder zu Fuße ganz
allein. Den Morgen als ich Spoleto verließ, sah ich links an dem Felsen
noch das alte gothische Schloß, wo sich wackere Kerle vielleicht noch
einige Stunden um die Stadt schlagen können, ging vor den sonderbaren
Anachoreten vorbei und immer die wilde Bergschlucht hinauf. Wo ich
einkehrte, unterhielt man mich überall mit Räubergeschichten und
Mordthaten, um mir einen Maulesel mit seinem Führer aufzuschwatzen: aber
ich war nun einmal hartnäckig und lief trotzig allein meinen Weg immer
vorwärts. Oben auf dem Berge soll der ^Jupiter Summanus^ einen Tempel
gehabt haben. Es ist wohl nur von Rom aus nach Umbrien der höchste Berg;
denn sonst giebt es in der Kette viel höhere Partien. Der Weg aufwärts
von Spoleto ist noch nicht so wild und furchtbar, als der Weg abwärts
und weiter nach Terni. Das Thal abwärts ist zuweilen kaum hundert
Schritte breit; rechts und links sind hohe Felsenberge, zwischen welche
den ganzen Tag nur wenig Sonne kommt, mit Schluchten und Waldströmen
durchbrochen. Dörfer trifft man auf dem ganzen Wege nicht, als auf der
Spitze des Berges nur einige Häuser und ein halbes Dutzend in Strettura,
dessen Name schon einen engen Paß anzeigt. Hier und da sind noch einige
isolirte Wohnungen, die eben nicht freundlich aussehen, und viele alte,
verlassene Gebäude, die ziemlich den Anblick von Räuberhöhlen tragen.
Fast nichts ist bebaut. Die meisten Berge sind bis zu einer großen Höhe
mit finstern, wilden Lorbeerbüschen bewachsen, die vielleicht eine
Bravobande zu ihren Siegeszeichen brauchen könnte. Ich gestehe Dir, es
war mir sehr wohl, als sich einige italienische Meilen vor Terni das
Thal wieder weiterte und ich mich wieder etwas zu Tage gefördert sah und
unter mir schöne, friedliche Oelwälder erblickte, unter denen der junge
Weitzen grünte. Das Thal der Nera öffnete sich und es lag wieder ein
Paradies vor mir. Hohe Cypressen ragten hier und da in den Gärten an den
Felsenklüften empor, und der Frühling schien in den ersten Gewächsen des
Jahres mit wohlthätiger Gewalt zu arbeiten.

Vorgestern kam ich auf meiner Reise hierher in Terni an. Mein Wirth, ein
Tyroler, und stolz auf die Ehre, ein Deutscher zu seyn, fütterte mich
auf gut österreichisch recht stattlich, und setzte mir zuletzt ein
Gericht Sepien vor, die mir zum Anfange viel besser geschmeckt hätten.
Er mochte mich für einen Maler halten und glauben, daß dieses zur Weihe
gehöre. Zum Desert und zur Delikatesse kann ich den Dintenfisch, nach
dem Urtheil meines Gaumens, nicht empfehlen; schon seine schwarzbraune
Farbe ist in der Schüssel eben nicht ästhetisch. Nachdem ich gespeist,
Interamner Wein getrunken und meinen Reisesack gehörig in Ordnung gelegt
hatte, trollte ich fort nach dem Sonnentempel, nämlich der jetzigen
Diminutivkirche des heiligen Erlösers. Sie war verschlossen, ich ließ
mich aber nicht abweisen und ging zum Sakristan, der weiter keine Notiz
von mir nahm, bei seiner Schüssel und seinem Buche unbeweglich sitzen
blieb und mich durch eine alte Sara in die Kirche weisen ließ. Der Mann
hatte in seinem Sinne recht; denn er dachte ohne Zweifel: Der da kommt
weder mir noch meiner Kirche zu Ehren, sondern bloß der heidnischen
Sonne sein Kompliment zu machen. Richtig. Die Leute haben bekanntlich
das Tempelchen wie wahre Obskuranten behandelt und dafür gesorgt, daß in
dem Sonnentempel keine Sonne mehr scheinen kann. Alle Eingänge sind
vermauert und zu Nischen gemacht, in deren jeder ein Heiliger für
Italien schlecht genug gepinselt ist; und über dem Altare steht ein
Sankt Salvator, der seinen Verfertiger auch nicht aus dem Fegefeuer
erlösen wird.

Nun stieg ich, ob ich gleich diesen Tag schon durch vier Meilen
Appenninen von Spoleto herüber gekommen war, noch eine deutsche Meile
lang den hohen Steinweg zu dem Falle des Velino hinauf. Das war
Belohnung. Der Tag war herrlich; kein Wölkchen, und es wehte ein lauer
Wind, der nur in der Gegend des Sturzes etwas kühl ward. Die Sonne stand
schon etwas tief und bildete aus der furchtbaren Schlucht der Nera hoch
in der Atmosphäre einen ganzen hellen, herrlich glühenden und einen
größern dunklen Bogen im Staube des Falles. Ich saß gegenüber auf dem
Felsen, und vergaß einige Minuten alles, was die Welt sonst Großes und
Schönes haben mag. Etwas Größeres und Schöneres von Menschenhänden hat
sie schwerlich aufzuweisen. Folgendes war halb Gedanke, halb Gefühl, als
ich wieder bei mir selbst war.

      Hier hat vielleicht der große Mann gesessen,
   Und dem Entwurfe nachgedacht,
   Der seinen Namen ewig macht;
   Hat hier das Riesenwerk gemessen,
   Das größte, welches je des Menschen Geist vollbracht,
   Es war ein göttlicher Gedanke,
   Und staunend steht die kleine Nachwelt da
   An ihres Wirkens enger Schranke,
   Und glaubet kaum, daß es geschah.
   Wie schwebte mit dem Regenbogen,
   Als durch die tiefe Marmorkluft
   Hinab die ersten Donnerwogen
   Wild schäumend in den Abgrund flogen,
   Des Mannes Seele durch die Luft!
   So eine selige Minute
   Wiegt einen ganzen Lebenslauf
   Alltäglichen Genusses auf;
   Sie knüpft das Große an das Gute.
   Es schlachte nun der zürnende Pelide
   Die Opfer um des Freundes Grab;
   Es zehre sich der Philippide,
   Sein Afterbild, vor Schelsucht ab!
   Es weine Cäsar, stolz und eitel,
   Nach einem Lorbeerkranz um seine kahle Scheitel;
   Es mache sich Oktavian,
   Das Muster schleichender Tyrannen,
   Die je für Sklaverei auf schöne Namen sannen,
   Mit Schlangenlist den Erdball unterthan;
   Die Motten zehren an dem Rufe,
   Den ihre Ohnmacht sich erwarb,
   Und jedes Säkulum verdarb
   An ihrem Tempel eine Stufe.
   Hier steigt die Glorie im Streit der Elemente,
   Und segnend färbt der Sonnenstrahl
   Des Mannes Monument im Thal,
   Wo sanft der Oelbaum nickt, und hoch am Firmamente,
   Das Feuer glüht mir durch das Rückenmark,
   Und hoch schlägt's links mir in der Seite stark;
   Wer so ein Schöpfer werden könnte!

Oben am Sturz rund um das Felsenbette ist zwischen den hohen Bergen
ungefähr eine kleine Stunde im Umkreise eine schöne Ebene, die voll
umgehauener Oelbäume und Weinstöcke steht. Ich wollte schon den
Päpstlern über das Sakrilegium an der Natur fluchen, als ich hörte,
dieses sei im letzten Kriege eine Lagerstätte der Neapolitaner gewesen.
Sie schlugen hier Anfangs die Franzosen durch den alten Felsenberg
hinunter, und ich begreife nicht, wie sie mit gewöhnlicher Besinnung es
wagen konnten, sie weiter zu verfolgen. Sie gingen in das Manöver und
bezahlten für ihre Kurzsichtigkeit unten sehr theuer. Es ist traurig für
die Humanität, daß man sich mit Tigerwuth sogar unter den Zweigen des
friedlichen Oelbaums schlägt. So sehr ich zuweilen der Härte
beschuldiget werde, ein Oelbaum und ein Weizenfeld würde mir immer ein
Heiligthum seyn; und ich könnte mich gleich zur Kartätsche gegen
denjenigen stellen, der beides zerstört. Die Sonne ging unter, als ich
den schönen Olivenwald herabkam, und kaum konnte ich unter den
Weinstöcken noch einige Veilchen und Hyacinthen pflücken, die dort ohne
Pflege blühen.

Es war zu spät, noch die Reste des Theaters in dem Garten des Bischofs
zu sehen, und den andern Morgen wanderte ich nach Narni. Die Gegend von
Narni aus an der Nera hinunter ist furchtbar schön. Die Brücke bei
Borghetto über die Tiber ist zwar ein sehr braves Stück Arbeit, aber als
Monument für drei Päpste immer sehr kleinlich, wenn man sie nur gegen
die Reste des alten ^ponte rotto^ bei Narni über die Nera hält. Das sind
doch noch Triumphbogen, die Sinn haben, diese Brücke und der Trajanische
bei Ancona. Der schönste ist wohl der Wasserfall des Velino, der oben
für die ganze Gegend von Rieti schon über zweitausend Jahre eine
Wohlthat ist, weil er sie vor Ueberschwemmung schützt. Ich bekenne, daß
ich für zwecklose Pracht, wenn es auch Riesenwerke wären, keine
sonderliche Stimmung habe.

Eine halbe Stunde von Narni läßt man die Nera rechts und der Weg geht
links auf der Anhöhe fort, immer noch wild genug, aber doch nicht so
grauenvoll, wie zwischen Spoleto und Terni. Das Interamner Thal, das man
hier bei Narni zuletzt in seiner ganzen Ausdehnung an der Nera hinauf
übersieht, stand bei den Alten billig in großem Ansehen, und ist noch
jetzt bei aller Vernachlässigung der Kultur ein sehr schöner Strich
zwischen dem Ciminus und dem Apennin. In Otricoli, einem alten
schmutzigen Orte nicht sehr weit von der Tiber, wo ich gegen Abend
ankam, lud man mich gleich vor dem Thore höflich in ein Wirthshaus, und
ich trug kein Bedenken meinen Sack abzuwerfen und mich zu den Leutchen
an das Feuer zu pflanzen. Es hatte freilich keine sonderlich gute Miene;
aber ich hätte vielleicht Gefahr gelaufen, im Städtchen selbst ein
schlechteres oder gar keins zu finden und den Weg zurück zu machen, wo
ich dann nicht so willkommen gewesen wäre. Kaum hatte ich einige Minuten
ziemlich stumm dort gesessen, als ein ganz gut gekleideter Mann sich
neben mich setzte und mir mit einigen allgemeinen theilnehmenden
Erkundigungen Rede abzugewinnen suchte. Er war ein starker, heißer
Politiker, und, wie sehr natürlich, mit der Lage der Dinge und
vorzüglich mit den allerneuesten Veränderungen nicht sonderlich
zufrieden, und meinte weislich, die Sachen könnten so keinen Bestand
haben. Sein Ansehen versprach eben keinen ausgezeichneten Stand, und
doch war er einer der gescheidtesten, bewandertsten Männer, die ich noch
auf meiner Wanderung in Italien von seiner Nation gesehen habe.
Orthodoxie in Kirche und Staat schien seine Sache nicht zu seyn; und er
mußte etwas Zutrauen zu meinem Gesichtsentwurf gewonnen haben, daß er
mich ohne Zurückhaltung so tief in seine Seele sehen ließ. Er kannte die
heutigen Staatsverhältnisse ungewöhnlich gut und war in der alten
Geschichte ziemlich zu Hause. Der alte Römerstolz schien noch tief in
seinem Innern zu sitzen. Er sprach skoptisch vom Papste und schlecht von
den Franzosen; besonders hatte sein Haß den General Murat recht herzlich
gefaßt, von dessen schaamlosen Erpressungen er zähneknirschend sprach,
und der schon durch seinen Mameluckennamen allen Kredit bei ihm verloren
hatte. Dieser Otricolaner war seit langer Zeit der erste Mann, der
meinen Spaziergang richtig begriff, und meinte, daß sein Vaterland auch
jetzt noch ihn verdiene, so tief es auch gesunken sei. Wir schüttelten
einander freundschaftlich die Hände, und ich ging mit der folgenden
Morgendämmerung den Berg hinunter, neben den Ruinen der alten Stadt
vorbei, auf die Tiber zu.

Bis jetzt war es Vergnügen gewesen auch im Kirchenstaate zu reisen.
Jenseits der Berge vor und hinter Ancona, bei Foligno und Spoleto und
Terni und Narni war die Kultur doch noch reich und schön, und in den
Bergen waren die Scenen romantisch groß und zuweilen erhaben und
furchtbar. Man vergaß leicht die Gefahr, die sich finden konnte. Von der
Tiber und Borghetto an wird Alles wüst und öde. Die Bevölkerung wird
immer dünner und die Kultur mit jedem Schritte nachlässiger. Civita
Castellana gilt für das alte Falerii der Falisker, wo der Schurke von
Schulmeister seine Zöglinge ins feindliche Lager spazieren führte und
vom Kamill so brav unter den Ruthenstreichen der Jungen zurückgeschickt
wurde. Es ist angenehm genug, nach einer eingebildeten, militärischen
Topographie sich hier den wirklich schönen Zug als gegenwärtig
vorzustellen. Die Lage entspricht ganz der Idee, welche die Geschichte
davon giebt. Der Ort ist rund umher mit Felsen umgeben, die von Natur
unzugänglich sind. Der Anblick flößte mir gleich Respekt ein, und ohne
an Cluver zu denken, der, wie ich glaube, es ziemlich sicher erwiesen
hat, setzte ich sogleich eigenmächtig die alte Festung hierher. Von
Borghetto her führt eine alte Brücke über eine wilde, romantische
Felsenschlucht, und nach Nepi und Rom zu hat Pius der Sechste eine neue
Brücke gebaut, welche das Beste ist, was ich noch von ihm gesehen habe.
Es ist übrigens gar erbaulich, in welchem pompösen Styl diese Dinge in
Aufschriften erzählt werden: solche ^ampullae et sesquipedalia verba^
scheinen recht in der Seele der heutigen Römlinge zu liegen. Die alten
Römer thaten und ließen reden, und diese reden und lassen thun. Ich habe
auf meinem Wege von Ancona hierher viele erhabene Ehrenbogen gefunden,
welche in einer angeschwollenen Sprache weiter nichts sagten, als daß
Pius der Sechste hier gewesen war und vielleicht ein Frühstück
eingenommen hatte. Diese Bogenspanner verdienten einen solchen
Herrscher. Von Civita Castellana aus trennt sich die Straße; die alte
flaminische geht über Rignano, Malborghetto und Primaporta nach der
Stadt, und die neue von Pius dem Sechsten über Nepi und Monterosi, wo
sie in die Straße von Florenz fällt. Ich dachte mit dem alten
Sprichwort: »Nun gehen alle Straßen nach Rom;« und hielt mich halb
unwillkührlich rechts zu dem neuen Papst. Der alte Weg kann wohl nicht
viel schlimmer seyn, als ich den neuen fand. Doch von Wegen darf ich mit
meinen Landsleuten nicht sprechen; die sind wohl selten in einem andern
Lande schlimmer und gewissenloser vernachlässigt, als bei uns in
Sachsen.

Erlaube mir über die Straßen im Allgemeinen eine kleine vielleicht nicht
überflüssige Expektoration! Es ist empörend, wenn dem Reisenden Geleite
und Wegegeld abgefordert wird und er sich kaum aus dem Koth herauswinden
kann, um dieses Geld zu bezahlen. Die Straßen sind einer der ersten
Polizeiartikel, an den man fast überall zuletzt denkt. Geleite und
Wegegeld und Postregal haben durchaus keinen Sinn, wenn daraus nicht für
den Fürsten die Verbindlichkeit entspringt, für die Straßen zu sorgen;
und die Unterthanen sind nur dann zum Zuschuß verpflichtet, wenn jene
Einkünfte nicht hinreichen. Denn der Staat hat unbezweifelt die
Befugniß, die Natur und Zweckmäßigkeit und den gesetzlichen Gebrauch
aller Regalien zu untersuchen, wenn es nothwendig ist, und auf
rechtliche Verwendung derselben zu dringen. Das ergiebt sich aus dem
Begriff der bürgerlichen Gesellschaft, wenn gleich nichts davon im
Justinianischen Rechte steht, welches überhaupt als ^jus publicum^ das
traurigste ist, das die Vernunft ersinnen konnte, so sehr es auch ein
Meisterwerk des bürgerlichen seyn mag. Bei den Straßen tritt noch eine
Hauptvernachlässigung ein, ohne deren Abstellung man durchaus auch mit
großen Summen und anhaltender Arbeit nicht glücklich seyn wird. Ich
meine, man sucht nicht mit Strenge das schädliche Spurfahren zu
verhüten. Es ist so gut, als ob keine Verfügungen deswegen vorhanden
wären, so wenig wird darauf gesehen. Es ist mathematisch zu beweisen,
daß die Gewohnheit des Spurfahrens, zumal der schweren Wagen, die beste,
festeste Chaussee in kurzer Zeit durchaus verderben muß. Ist einmal der
Einschnitt gemacht, so mag man schlagen und ausfüllen und klopfen und
rammeln, so viel man will, man gewinnt nie wieder die vorige Festigkeit;
die ersten Wagen fahren das Gleis wieder aus, und machen das Uebel
ärger. Fängt man an ein zweites Gleis zu machen, so ist dieses bald eben
so ausgeleiert; und so geht es nach und nach mit mehrern, bis die ganze
Straße ohne Hülfe zu Grunde gerichtet ist. Wenn aber der Weg nur
einigermaßen in Ordnung ist und durchaus kein Wagen die Spur des
vorhergehenden hält, so kann kein Gleis und kein Einschnitt entstehen;
sondern jedes Rad versieht, so zu sagen, die Stelle eines Rammels und
hilft durch die beständige Veränderung des Drucks die Straße bessern.
Man würde eben so sehr endlich den Weg verderben, wenn man ohne Unterlaß
mit dem Rammel beständig auf die nämliche Stelle schlagen wollte. Durch
das Nichtspurfahren verändern auch die Pferde beständig ihre Tritte, und
das Nämliche gilt sodann von den Hufen der Thiere, was von den Rädern
des Fuhrwerks gilt. Fast durchaus habe ich den Schaden dieser bösen
Gewohnheit gesehen, und nur im Hannöverischen hat man, so viel ich mich
erinnere, strengere Maßregeln genommen, ihn zu verhüten. Aber ich muß
machen, daß ich nach Rom komme.

Die Italiener müssen denn doch auch zuweilen ein sehr richtiges Auge
haben. Zwei etwas stattlichere Spaziergänger, als ich, begegneten mir
mit ihren großen Knotenstöcken bei Nepi, vermuthlich um ihre Felder zu
besehen, auf denen nicht viel gearbeitet wurde. »^Signore è Tedesco e va
a Roma!^« sagte mir einer der Herren sehr freundlich. Die Deutschen
müssen häufig diese Straße machen; denn ich hatte noch keine Sylbe
gesprochen, um mich durch den Accent zu verrathen. Sie riethen mir, ja
nicht in Nepi zu bleiben, sondern noch nach Monterosi zu gehen, wo ich
es gut haben würde. Ich dankte und versprach es. Es ist sehr angenehm,
wenn man sich bei dem ersten Anblick so ziemlich gewiß in einer fremden
Gegend orientiren kann. Nach meiner Rechnung mußte der mir links
liegende Berg durchaus der ^Soracte^ seyn, obgleich kein Schnee darauf
lag; und es fand sich so. Jetzt gehört er dem heiligen Sylvester, dessen
Namen er auch trägt; doch hat sich die alte Benennung noch nicht
verloren, denn man nennt ihn noch hier und da Soratte. Nun ärgerte es
mich, daß ich nicht links die alte flaminische Straße gehalten hatte;
dann hätte ich den Herrn Soratte, der sich schon von weitem ganz artig
macht, etwas näher gesehen, und wäre immer längs der Tiber hinunter
gewandelt. Der Berg steht von dieser Seite ganz isolirt; das wußte ich
aus Anmerkungen über den Horaz, und deßwegen erkannte ich ihn sogleich,
da mir seine Entfernung von Rom bekannt war. Hinten schließt er sich
durch eine Kette von Hügeln an den Apennin. Der Berg ist zwar ziemlich
hoch, aber gegen die Apenninen selbst hinter ihm doch nur ein Zwerg. Ich
will mir doch einmal ein recht schulmeisterlich hermenevtisches Ansehen
geben, und Dir hierbei eine pragmatische Bemerkung machen. Vielleicht
weißt Du sie schon: thut nichts; eine gute Sache kann man zweimal hören.
Du darfst von dem hohen Schnee des Horaz nicht eben auf die Höhe des
Berges schließen. Der Sorakte hat, weil er mit der großen Bergkette der
Apenninen verglichen, doch nicht außerordentlich hoch ist und tiefer
herab in der Ebene liegt, nur selten Schnee; und Herr Horaz wollte durch
seinen Schnee den ziemlich starken Winter anzeigen, wo man wohl thäte,
Kastanien zu braten und sich zum Kamin und Becher zu halten. Das finde
ich denn ganz vernünftig. Vielleicht war er eben damals in Tibur, wo er
von Mäcens Landgute bloß die Spitze des beschneiten Sorakte sehr
malerisch gruppirt vor sich hatte. Uebrigens thue ich dem Horaz keine
kleine Ehre, daß ich mich mit einem seiner Verse so lange beschäftige;
denn er ist durch seine Sinnesart mein Mann gar nicht, und es ist
schade, daß die Musen gerade an ihn so viel verschwendet haben.

Nepi könnte ein herrlicher Ort seyn, wenn die Leute hier etwas fleißiger
seyn wollten: aber je näher man Rom kommt, desto deutlicher spürt man
die Folgen des päpstlichen Segens, die durchaus wie Fluch aussehen.
Hinter Monterosi packte mich ein Vetturino, der von Viterbo kam und nach
Rom ging, mit solchem Ungestüm an, daß ich mich nothwendig in seinen
Wagen setzen mußte, wo ich einen stattlich gekleideten Herrn fand, der
eine todte Ziege und einen Korb voll anderer Viktualien neben sich
hatte. Die Ziege wurde eingepackt und der Korb beiseite gesetzt; ich
legte meinen Tornister zu meinen Füßen gehörig in Ordnung, und pflanzte
mich Barbaren neben den zierlichen Römer. Er belugte mich stark und ich
ihn nur obenhin; nach einigen Minuten fing das Gespräch an; und ich
schwatzte so gut ich in der neuen römischen Zunge konnte. Das ewige
Thema waren leider wieder Mordgeschichten, und der Herr guckte jede
Minute zum Schlage hinaus, ob er keine Pistolenholfter sähe. Ganz
spaßhaft ist es freilich nicht, wie ich nachher erfahren habe: aber eine
solche Furcht ist doch sehr possirlich und lächerlich. Diese Angst hielt
bei dem Mann an, bis wir an die Geierbrücke von Rom kamen, wo er sich
nach und nach wieder erholte. Am Volksthore, denn durch dieses fuhren
wir ein, fragten die päpstlichen Patrontaschen nach meinem Passe und
brachten ihn sogleich zurück mit der Bitte: »^Qualche cosa della grazia
pella guardia!^« So so; das fängt gut an: ich mußte wohl einige Paoli
herausrücken. Da hielten wir nun vor dem großen Obelisken und ich
überlegte, nach welcher von den drei großen Straßen ich auf gut Glück
hinunter gehen sollte. Eben hatte ich meinen Gesichtspunkt in die Mitte
hinab durch den Corso genommen und wollte aussteigen, als mein Kamerad
mich fragte, wo ich wohnen würde? »Das weiß ich nicht,« sagte ich; »ich
muß ein Wirthshaus suchen.« Er bot mir an, mich mit in sein Haus zu
nehmen. Er habe zwar kein Wirthshaus, ich solle es aber bei ihm so gut
finden, als es Gefälligkeit machen könne. Ich sah dem Manne näher ins
Auge und las wenigstens keine Schurkerei darin, dachte, hier oder da ist
einerlei, setzte mich wieder nieder und ließ mich mit fortziehen. Man
brachte mich, dem heiligen Franziskus mit den Stigmen gegenüber, in den
Palast Strozzi, wo mein Wirth eine Art von Haushofmeister zu seyn
scheint.



                                                                _Rom._


So bin ich denn unwidersprechlich hier an der gelben Tiber, und zwar in
keinem der letzten Häuser. Man hat hier im Hause viel Höflichkeit für
mich, und mehr Aufmerksamkeit, als mir lieb ist: denn ich merke, daß ich
viel theurer leben werde, als in irgend einem Wirthshause; wie mir meine
Landsleute, die den römischen Rommel etwas verstehen, auch schon erklärt
haben. Ich habe meine Addressen aufgesucht. Uhden und Fernow empfingen
mich mit Humanität und freundschaftlicher Wärme. Du kennst die Männer
aus ihren Arbeiten, welche gut sind; aber sie selbst sind noch besser,
welches nicht immer der Fall bei literärischen Männern ist. Ich bin also
schon kein Fremdling mehr am Kapitole. Auch den selbstständigen,
originellen und etwas barocken Reinhart sah ich gleich den zweiten Tag,
und mehrere andere deutsche Künstler. Gmelin ist ein lebhafter,
jovialischer Mann, der nicht umsonst die Welt gesehn hat, und der eine
eigene Gabe besitzt, im Deutschen und Französischen mit der lebendigsten
Mimik zu erzählen.

Der Kardinal Borgia, an den ich einen Brief hatte, nahm mich mit vieler
Freundlichkeit auf. Ein Anderer würde in seinem Stil Herablassung sagen;
nach meinem Begriff läßt sich kein Mensch herab, wenn er mit Menschen
spricht: und wenn irgend ein sogenannter Großer in seinem Charakter noch
Herablassung nöthig hat, so steht er noch lange nicht auf dem rechten
Punkte. Ich war genöthigt meine Anrede französisch zu machen, da ich mir
im Italienischen nicht Wendung genug zutraute, mit einem solchen Manne
eine zusammenhängende Unterredung zu halten. Er antwortete mir in der
nämlichen Sprache; aber kaum hörte er, daß ich Latein wußte, so fuhr er,
für einen Kardinal drollig genug, lateinisch fort, dieser Sprache das
Lob zu reden, durch welche die Nationen so fest zusammenhangen. ^Haec
est illa lingua^, setzte er hinzu, ^quae nobis peperit Livios atque
Virgilios^. ^Et Tiberios et Nerones^, hätte ich fast durch die Zähne
gemurmelt. Ein Wort gab das andere, ich mußte ihm einiges von meiner
Kriegswanderung nach Amerika erzählen und von meinem Wesen in Polen, und
der alte Herr fiel mir mit vieler Gutmüthigkeit um den Hals, und faßte
mich im Ausbruch der Jovialität nicht allein beim Kopf, sondern sogar
bei den Ohren. Ein alter militärischer General Sr. Heiligkeit stand
dabei, und es wurde ein herzliches Trio gelacht, in das ich so
bescheiden als möglich mit einstimmte. Du wirst schon wissen, daß man in
Rom mehr Mönchsgenerale, als Kriegsgenerale antrifft. Beide spielen mit
Kanonen, und es wäre nicht schwer zu entscheiden, welche die ihrigen am
besten zu gebrauchen wissen. Ich erhielt die Erlaubniß ohne
Einschränkung immer zu dem Kardinal zu kommen, welches für einen Pilger,
wie ich bin, keine Kleinigkeit ist. Er stutzte gewaltig, als er hörte,
ich wolle übermorgen mein Bündel nehmen und des Weges weiter wandeln,
billigte aber meine Gründe lachend, als ich ihm sagte, ich wollte vor
der heißen Jahreszeit meinen Spaziergang nach Syrakus endigen und auf
meiner Rückkehr mich länger hier aufhalten. Er bot mir keine Empfehlung
nach Veletri an, um dort freieren Eintritt in das Familienkabinet zu
haben, worüber ich mich einigermaßen wunderte. Aber man hat
Schwierigkeiten mit den Franzosen gehabt, und Einige fürchteten sogar,
die Franzosen würden die ganze Sammlung wegschaffen lassen. Das
geschieht nun zwar, wie ich höre, nicht: aber es ist doch begreiflich,
daß dadurch etwas Furchtsamkeit und Unordnung entstanden seyn mag.
Uebrigens bin ich nicht nach Italien gegangen, um vorzüglich Kabinette
und Gallerien zu sehen und tröste mich leicht mit meiner
Laienphilosophie.

Eben habe ich Canova gesehen und unsere Freunde, Reinhart und Fernow. Es
ist überall wohlthätig, wenn sich verwandte Menschen treffen; aber wenn
sie sich auf so klassischem Boden finden, gewinnt das Gefühl eine eigne
Magie schöner Humanität. Canova hat eine zweite Hebe für die Pariser
gearbeitet, die mir aber mit den Veränderungen, die er gemacht hat und
die er doch für Verbesserungen halten muß, bei weitem nicht so wohl
gefällt, wie die venetianische. Du kennst meinen Enthusiasmus für diese.
Er hat, däucht mir, dem Urtheil und dem Geschmacke der Franzosen
geschmeichelt, denen ich aber in der Anlage einer Batterie eher folgen
wollte, als in der Kritik über reine Weiblichkeit. Es bleibt an allen
ihren schönen Weibern immer noch etwas von dem Charakter aus dem alten
Palais Royal zurück. Er hat auch zwei Fechter nach dem Pausanias
gemacht, die nach langer Ermüdung zur Entscheidung einander freien Stoß
geben. Der Eine hat so eben den furchtbarsten Schlag vor die Stirne
erhalten, -- dieses ist der Moment -- und reißt sodann mit entsetzlichem
Grimm seinem Gegner mit der Faust auf einen Griff das Eingeweide aus.
Sie gelten für Muster der Anatomie und des Ausdrucks. Da sie keine
Beziehung auf reine, schöne Humanität haben, konnten sie mich nicht so
sehr beschäftigen: denn Furcht und Grimm sind Leidenschaften, von denen
ich gerne mich wegwende. Die Stelle aus dem Pausanias ist mir nicht
gegenwärtig; ich weise Dich auf ihn. Demoxenus heißt, glaube ich, der
eine Fechter.

In einigen Tagen werde ich durch die Pontinen nach Terracina und sodann
weiter nach Süden gehen, damit ich vor der ganz heißen Jahrszeit, wenn's
glückt, wieder zurückkomme. Mißglückt es -- denn man spricht gar
wunderlich -- so mögen die Barbaren mich auf ihrer Seite haben. Ich will
mich nicht durch Furcht ängstigen, die auf alle Fälle kein guter
Hausgenosse in der Seele ist. Zu Ende des Jahres hoffe ich ^post varios
casus^ Dich wieder zu sehen.



                                                          _Terracina._


Du siehst, daß ich aus den Sümpfen heraus bin. Die Prophezeiung meiner
Freunde in Rom ist eingetroffen. Der Herr Haushofmeister in dem Palaste
Strozzi, dem heiligen Franz mit den Stigmen gegenüber, überließ es
meiner Großmuth, die seinige zu belohnen. Das heißt nun die Leute
meistens am unrechten Flecke angefaßt. Ich griff mich indessen an, so
viel ich konnte, und gab für drei Tage Wohnung und drei Mahlzeiten --
die übrigen hatte ich auswärts gehalten -- zwei Kaiserdukaten, welches
ich für ziemlich honett hielt. Der Mann machte in Rom ein flämisches
Gesicht, aber doch weiter keine Bemerkung, sondern begleitete mich noch
gefällig bis Sankt Johann von Lateran, wo er mir am Thore seine Adresse
gab, damit ich ihn bei meiner Rückkehr finden möchte. Er mochte doch die
Rechnung gezogen und überlegt haben, daß einen ganzen Monat
verhältnißmäßig das Geldchen noch mitzunehmen wäre. Das war nun aber mir
nicht gelegen; meine Börse wollte sich in die Länge nicht so großmüthig
behandeln lassen. Man hat der Ausgaben mehrere. Ich ging nun durch die
weitläufigen, halb verfallenen Gärten der Stadt und durch die ganze
wüste Gegend vor derselben nach Albano hinüber.

Einige Millien vor der Stadt wandelte links unter den Ruinen der alten
Wasserleitung, die vom Berge herabkamen, ein Mann mit einem Buch einsam
hin, suchte sich rund umher zu orientiren, und schloß sich, als ich
näher kam, an mich an. Es war ein Franzose, der sich in Velletri schon
lange häuslich niedergelassen hatte, in der Stadt gewesen war und jetzt
heimging. Seine Gesellschaft war mir hier höchst angenehm, da er mit der
Geschichte der Zeit und den Vorfällen des Kriegs bekannt war und rund
umher mir alle Auftritte erklärte. Links hinauf nach den Hügeln des
Albanerbergs hatten sich die Franzosen und Insurgenten hartnäckig
geschlagen. Die Insurgenten hatten zuerst einigen Vortheil und hatten
deßwegen nach der Weise der Revolutionäre angefangen, höchst grausam zu
verfahren: aber die Franzosen trieben sie mit ihrer gewöhnlichen Energie
bald in die Enge, und nun fehlte es wieder nicht an Gewaltthätigkeiten
aller Art. Einige Millien von Albano ist rechts am Wege eine Gegend,
welche Schwefelquellen halten muß; denn der Geruch ist entsetzlich und
muß in der heißen Sommerperiode kaum erträglich seyn. In einer
Peripherie von mehrern hundert Schritten keimt deßwegen kein Gräschen,
obgleich übrigens der Strich nicht unfruchtbar ist.

Die Albaner bilden sich ein, daß ihre Stadt das alte Alba Longa sei, und
sagen es noch bis jetzt auf Treu und Glauben jedem Fremden, der es hören
will. Die Antiquare haben zwar gezeigt, daß das nicht seyn könne, und
daß die alte Stadt, laut der Geschichte, an der andern Seite des Sees am
Fuße des Berges müsse gelegen haben: aber drei oder vier Millien, denken
die Albaner, machen keinen großen Unterschied; und es ist wenigstens
Niemand in der Gegend, der ein näheres Recht auf Alba Longa hätte, als
sie. Wir wollen sie also in dem ruhigen Besitz lassen. Die jetzige Stadt
scheint zur Zeit der ersten Cäsaren aus einigen Villen entstanden zu
seyn, von denen die des Pompejus die vorzüglichste war. Dadurch sieht es
nun freilich um das Monument der Kuriatier mißlich aus, das auf dem Wege
nach Aricia steht, und welches mir überhaupt ein ziemlich gothisches
Ansehen hat. Nach der Geschichte sind alle, die drei Kuriatier wie die
beiden Horatier, unten vor der Stadt Rom begraben, wo der Kampf geschah
und wo auch ihre Monumente standen; indessen läßt sich wohl denken, daß
die neuen Albaner aus altem Patriotismus ihren braven Landsleuten hier
ein neues Denkmal errichteten, als unten die alten verfallen waren.
Wenigstens ist nicht einzusehen, wozu das Ding mit den drei Spitzen
sonst sollte aufgeführt worden seyn. Ein Kastell zur Vertheidigung des
Weges wäre das Einzige, wozu man es machen könnte; aber dazu hat es
nicht die Gestalt.

In Albano fand mein Franzose Bekannte, bei denen er einkehrte, und ich
ließ mich auf die Post bringen, welche das beste Wirthshaus ist. Sobald
ich abgelegt hatte, trat ein artiger, junger Mann zu mir ins Zimmer, der
aus der Gegend war und mit vieler Gutmüthigkeit mir die Unterhaltung
machte. Mit ihm wandelte ich noch etwas in der schönen Gegend hin und
her, und namentlich an das Monument, von dessen Alterthum er indessen
auch nicht sonderlich überzeugt war. Antiquitäten schienen zwar seine
Sache nicht zu seyn; aber dafür war er desto bekannter mit der neuen
Welt. Er sprach Französisch und Englisch mit vieler Geläufigkeit, weil
er in beiden Ländern einige Zeit gewesen war; eine nicht gewöhnliche
Erscheinung unter den Italienern! »^Je m'appelle Prince^,« sagte er,
»^mais je ne le suis pas^;« indessen hatten ihn die Franzosen nach
seiner Angabe prinzlich genug behandelt, alle seine Oelbäume umgehauen,
und ihm auf lange Zeit einen jährlichen Verlust von zweitausend Piastern
verursacht. Die Wahrheit davon lasse ich auf seiner Erzählung beruhen.
Der junge Mann zeigte viel Offenheit, Gewandtheit und Humanität in
seinem Charakter. Sodann führte er mich einige hundert Schritte weiter
zu einer alten Eiche an dem Wege nach Aricia, nicht weit von dem
Eingange in den Park und die Gärten des Fürsten Chigi. Die Eiche sollte
von seltener Schönheit seyn, und sie ist auch wirklich sehr ansehnlich
und malerisch: aber wir haben bei uns in Deutschland an vielen Orten
größere und schönere.

Den Herren Fürsten Chigi kannte ich aus Charakteristiken von Rom, und
hätte wohl Lust gehabt seine Besitzungen näher zu besehen. Er selbst ist
als Dichter und Deklamator in der Stadt bekannt, und soll wirklich unter
diesen beiden Rubriken viel Verdienst haben. Er muß indeß ein
sonderbarer Bukoliker und Idyllendichter seyn; denn in seinem Park hat
er den schönsten und herrlichsten Eichenhain niederhauen lassen, und in
dem Ueberreste läßt er die Schweine so wild herumlaufen, als ob er sich
ganz allein von ihrer Mastung nähren wolle. Darüber sind nun besonders
die Maler und Zeichner so entrüstet, daß sie den Mann förmlich in
Verdammniß gesetzt haben, und ich weiß nicht, wie er sich daraus erlösen
will. Die Gegend ist dessen ungeachtet noch eine der schönsten in
Italien, und das romantische Gemisch von Wildheit und Kultur, die hier
zu kämpfen scheinen, macht, wenn man aus der Oede Roms kommt, einen
sonderbaren wohlthätigen Eindruck. Die Leute in dieser Gegend haben den
Ruhm, vorzüglich gute Banditen zu seyn.

Von Albano ging ich den andern Morgen über eben dieses Aricia, dessen
Horaz in seiner Reiseepistel von Rom nach Brindisi gedenkt, nach Gensano
und Velletri und immer in die Pontinen hinein. Die Leute von Gensano
sind mir als die fleißigsten und sittigsten im ganzen Kirchenstaate
vorgekommen, und sie haben wirklich ihre Fleckchen Land so gut
bearbeitet, daß sie den Wohlthaten der Natur Ehre machen. Die Lage ist
sehr schön; Berge und Thäler liegen in dem lieblichsten Gemische rund
umher, und der kleine See von Nemi, unter dem Namen der Dianenspiegel,
giebt der Gegend noch das Interesse der mythologischen Geschichte.

Vor Velletri holte mich ein Franzose ein; nicht mein gestriger, sondern
ein anderer, der bei der Condeischen Armee den Krieg mitgemacht hatte,
jetzt von Rom kam und mit Empfehlungen von dem alten General Suworow
nach Neapel zu Akton ging, von dem er Anstellung hoffte. In zwei Minuten
waren wir bekannt und musterten die Armeen durch ganz Europa. Nach
seinen Briefen mußte er ein sehr braver Officier gewesen seyn, der
selbst bei Perugia ein Detachement kommandirte; und ich habe ihn als
einen ehrlichen Mann kennen lernen. Wir aßen zusammen in Velletri und
schlenderten sodann ganz vergnügt die Berge hinab in die Sümpfe hinein,
die einige Stunden hinter der Stadt ihren Anfang nehmen. In Cisterne
wollten wir übernachten: aber das Wirthshaus hatte die schlechteste
Miene von der Welt, und die päpstlichen Dragoner trieben ein gewaltig
lärmendes Wesen. Uebrigens fiel mir ein, daß dieses vermuthlich der Ort
war, wo Horaz so sehr von den Flöhen gebissen wurde und noch andere
traurige Abenteuer hatte; daß auch der Apostel Paulus hier geschlafen
haben soll, ehe man ihn nach Rom in die Kerker des Kapitols einsperrte.
Das war nun lauter böses Omen. Wir beschlossen also, zumal da es noch
hoch am Tage war, noch eine Station weiter zu wandeln, bis ^Torre di tre
ponti^. Hier kamen wir aus dem Regen in die Traufe. Es war ein großes,
leeres Haus; der Wirth war nach Paris gereist, um, wenn es möglich wäre,
seine Habe wieder zu erhalten, die man ihm in die Wette geraubt hatte.
Erst plünderten die Neapolitaner, dann die Franzosen, dann wieder die
Neapolitaner, und die Streiter des heiligen Vaters zur Gesellschaft: das
ist nun so römische Wirthschaft. Es war im ganzen Hause kein Bett, und
die Leute sahen nicht außerordentlich freundlich aus. Der Wirth war
abwesend; es waren viele Fremde da, die in den pontinischen Sümpfen,
wohin sogar der Auswurf aus Rom flüchtet, kein großes Zutrauen einflößen
können. Die alte gutmüthige Haushälterin gab uns indessen eine große
Decke; wir verrammelten unsere Thüre mit Tisch und Stühlen, damit man
wenigstens nicht ohne Lärm hinein kommen könnte, legten uns beide, der
französische Oberstlieutnant und ich, in die breite mit Heu gefüllte
Bettstelle, stellten unsere Stöcke daneben, deckten uns zu und
schliefen, so gut uns die Kälte, die Flöhe und die quakenden Frösche
schlafen ließen. Den Morgen darauf war das Wetter fürchterlich und
machte den nicht angenehmen Weg noch verdrießlicher: vorzüglich fluchte
der Franzose nach altem Stil ^tous les diables^ mit allem Nachdrucke
durch alle Instanzen, die Yorick gegeben hat. Es konnte indessen nichts
helfen; ich Hyperboreer zog bärenmäßig immer weiter; der Franzmann aber
versteckte sich in ein altes leeres Brückenhaus über dem Kanal und
wollte den Sturm vorbeigehen lassen. Wenn man naß ist, muß man laufen,
ich ließ ihn ruhen, und versprach, hier in Terracina im Gasthofe auf ihn
zu warten.

Die letzte Station vor Terracina war für mich die abenteuerlichste. Die
alte appische Straße geht links etwas oben an den Bergen hin und macht
dadurch einen ziemlichen Umweg; aber die Neuen wollten dem Elemente zum
Trotz klüger seyn, und zogen sie unüberlegt genug gerade fort. Sie sieht
recht schön aus, wenn sie nur gut wäre. Das Wasser war groß; ich hatte
den Abweg links über eine alte Brücke nicht gemerkt, und ging die große
gerade Linie immer weiter. In einer halben Stunde stand ich vor Wasser,
das rechts aus der See hineingetreten war und links durch die Gebüsche
weit hinauf ging. Durch den ersten Absatz schritt ich rasch; aber es kam
ein zweiter und ein dritter noch größerer. Es war dabei ein furchtbarer
Regensturm und ich konnte nicht zwanzig Schritte sehen. Ich ging fast
eine Viertelstunde auf der Straße bis über dem Gürtel im Wasser, und
wußte nicht, was vor mir seyn würde. Einige Mal waren leere Plätze links
und rechts; und da stand ich in den Einschnitten wie im Meere. Nur die
Bäume, die ich dunkel durch den Regensturm sah, machten mir Muth
vorwärts. Endlich war ich glücklich durch die päpstliche Stelle, und zog
eine parallele zwischen den Alten und Neuen, die eben nicht zum
Vortheile meiner Zeitgenossen ausfiel. Wie ich heraus war, ward der
Himmel hell, und ich sah den Berg der göttlichen Circe in der Abendsonne
zu meiner Rechten und zu meiner Linken die Felsen von Terracina glänzen.
Es war wirklich als wenn die alte Generalhexe eben einen Hauptproceß
machte, und ich konnte froh seyn, daß ich noch so gut mit einem Bißchen
Schmutz davon gekommen war. Nachdem ich in der ^Locanda Reale^, einem
großen stattlichen Hause an dem Heerwege vor der Stadt, Quartier gemacht
hatte, recognoscirte ich oben den Ort auf dem weißen Felsen, wie ihn
Horaz nennt, wo man rechts und links von dem Circeischen Vorgebirge bis
an das Kajetanische und über die Inseln eine herrliche Aussicht hat. Ich
bekümmerte mich wenig um die Ruinen des alten Jupitertempels und um den
neuen Palast des Papstes, sondern weidete mich an der unter mir
liegenden Gegend, den herrlichen Orangegärten, die ich hier zuerst ganz
im Freien ausgezeichnet schön fand, und der üppigen Vegetation aller
Art. Auch mehrere Palmbäume fand ich hier schon, da in Rom nur ein
einziger als eine Seltenheit nicht weit vom Kolosseum gezeigt wird. Von
der letzten Station führt eine herrliche Allee der schönsten und größten
Aprikosenbäume in die Stadt.

Mein Franzose kam, und es fand sich, daß der arme Teufel mit seiner
Börse auf den Hefen war. Ich mußte ihn also doch nach Neapel hinüber
transportiren helfen. Zu Abend traf ich im Wirthshause ein Paar ziemlich
reiche Mailänder, die mit schöner Equipage von Neapel kamen, und wir
aßen zusammen. Die Herren waren ganz verblüfft zu hören, daß ich von
Leipzig nach Agrigent tornistern wollte, bloß um an dem südlichen Ufer
Siciliens etwas herumzuschlendern und etwa junge Mandeln und ganz
frische Apfelsinen dort zu essen. Die Unterhaltung war sehr lebhaft und
angenehm, und die Norditaliener schienen die schöne Neapel ^quovis
modo^, literärisch, ästhetisch und physisch genossen zu haben. Morgen
gehts ins Reich hinüber; denn so nennt man hier das Neapolitanische.



                                                             _Neapel._


Der Morgen war frisch und schön, als wir Anxur verließen, der Wind stark
und die Brandung hochstürmend, so daß ich am Strande eingenetzt war, ehe
ich daran dachte. Die Wogen schlugen majestätisch an den steilen Felsen
herauf. Am Eingange des Reichs hatte mein französischer Reisekamerad
Zwist mit der Wache, die ihn nicht recht gern wollte passiren lassen.
Meinen Paß vom Kardinal Ruffo besah man bloß, schrieb meinen Namen aus,
und ich war abgefertigt. Der Franzose packte seine ganze Brieftasche
aus, sprach hoch, erwähnte Suwarow, appellirte an den Minister und zwang
die Wache durch etwas Impertinenz in Respekt, die von ihrer Seite auch
wohl etwas über die Instruction gegangen seyn mochte. In Fondi, wo wir
zu Mittag aßen, trafen wir ziemlich viel Militär, unter dem mehrere
Deutsche waren. Die Stadt selbst liegt, wie es der Name zeigt, in einem
der angenehmsten Thäler, nicht sehr weit vom Meere. Der Weg von
Terracina dahin ist abwechselnd fruchtbar und lachend, durch hohe Felsen
und fruchtbare Felder. Nicht weit von Fondi sollen, glaube ich, links an
den Bergen noch die Ueberreste von der Villa des Nerva zu sehen seyn;
ich hielt mich aber an die Orangegärten, und vergaß darüber den Kaiser,
die alten Stadtmauern, den See, den heiligen Thomas und alle andere
Merkwürdigkeiten. Noch einige Millien nach Itri hinaus ist die Gegend
zwischen den Bergen ein wahres Paradies. Auf der Hälfte des Weges stand
in einem engen Felsenpasse eine Batterie aus dem vorigen Kriege, wo die
Franzosen tüchtig zurückgeschlagen wurden. Sie suchten sich aber einen
andern Weg über die hohen Berge; ein Einfall, von dem die Neapolitaner
sich gar nichts hatten träumen lassen! Das war eine etwas zu gutmüthige
Zuversicht; man thut besser zu glauben, daß die Feinde alle Gemsenjäger
sind, und in einer Entfernung von sechs deutschen Meilen ist es nie
unmöglich, daß sie die Nacht noch kommen werden. Die Neapolitaner sahen
den Feind im Rücken und liefen über Hals und Kopf nach Kajeta.

Itri war von den Franzosen häßlich mitgenommen worden. Man hatte die
Kirchen verwüstet und Pferdeställe daraus gemacht. Das ist nun freilich
nicht sehr human; von Religiosität nichts zu sagen. Der Ort liegt in
einer Bergschlucht tief begraben. Es standen hier nur wenige Soldaten
zur Polizei, deren Kommandant ein ehemaliger östreichischer Sergeant,
jetzt neapolitanischer Fähnrich war, der uns die Ehre that, mit uns
einige Stunden Wein zu trinken. Mein Franzose hatte keine Schuhe mehr;
ich mußte ihm also doch Schuhe machen lassen. Den Morgen darauf konnte
er nicht fort, weil seine Füße nicht mehr im baulichen Wesen waren, und
ich wollte nicht bleiben, er suchte mich überdieß zu überreden, ich
möchte mit ihm von Kajeta aus zur See gehen, weil er den Landweg nicht
aushalten würde. Das ging für mich nun nicht, denn ich wollte über den
Liris hinunter nach Kapua und Kaserta. Ich gab ihm also zu dem
Ausgelegten noch einen Kaiserdukaten, quittirte in Gedanken schon,
übergab ihn und mich dem Himmel, und wandelte allein ab. Fast hätte ich
vergessen, Dir eine etwas ernsthafte Geschichte von Itri zu erzählen,
nämlich ernsthaft für mich. Itri ist ein Nest; das Wirthshaus war
schlecht. Unsere Wirthin war eine ziemlich alte Maritorne, die ihren
Mann in der Revolution verloren und sich zur Haushaltung und den übrigen
Behufen einen jungen Kerl genommen hatte. Ich legte mich oben auf einem
Saale zu Bette, und mein Kamerad zechte unten noch eins mit dem Herrn
Fähnrich Kommandanten, der wiedergekommen war, und kam mir sodann nach.
Er war etwas über See und schlief sogleich ein; ich philosophirte noch
eins topsyturvy. Da hörte ich unten einen wilden Kerl nach dem andern
ankommen und sehr laut werden. Die Anzahl mochte wohl bis zehen oder
zwölf gestiegen seyn. Nun vernahm ich, daß es über unsere armen
Personalitäten geradezu herging und daß man über uns eine ziemlich
furchtbare Nachtinquisition hielt. »^Sono cattiva gente.^« hieß es in
einem hohen Ton einmal über das andere; und man that mehr als einmal den
Vorschlag, mit uns zu verfahren nach der Neapolitaner Revolutionsweise.
Mein Franzose schnarchte. Du kannst denken, daß mir nicht sonderlich
lieblich dabei zu Muthe ward. Man schlägt hier zum Anfang sogleich die
Leute todt, und macht sodann nachher -- eben weiter keinen Prozeß. Die
alte Dame, unsere Wirthin, nahm sich unser mit einem exemplarischen Muth
an, sprach und schrie was sie konnte, und behauptete, daß wir ehrliche
Leute wären; der Kommandant hätte unsere Pässe gesehen. Nun schien man
zum Unglück dem Kommandanten selbst in der Politik gerade nicht viel
Gutes zuzutrauen. Der Himmel weiß, wie es noch möchte geworden seyn. Ich
zog ganz stille Rock und Stiefeln an, nahm meine ganze Kontenanz und
mein ganzes Bißchen Italienisch zusammen, und machte Miene die Treppe
hinab unter sie zu gehen. »Meine Herren,« sagte ich so stark und
bestimmt als ich konnte, »ich bin ein fremder Reisender; ich dächte, im
Wirthshause, wo ich bezahle, dürfte ich zur Mitternacht Ruhe erwarten.
Ich höre, ich bin Ihnen verdächtig; führen Sie mich vor die Behörde,
wohin Sie wollen: aber machen Sie die Sache mit Ernst und Ruhe und als
ordentliche brave Leute ab!« Es ward stiller; die Wirthin und Einige von
ihnen baten mich oben zu bleiben, welches ich natürlich sehr gern that;
und nach und nach schlichen sie alle fort. Spaßhaft ist es nicht ganz;
denn dort geht man selten ohne Flinte und Messer, und jeder ist zur
Execution fertig.

Den andern Morgen wandelte ich also allein zwischen den Oelbergen nach
Mola di Gaeta hinüber. Die Amme ist durch dieses Etablissement ihres
Namens fast berühmter geworden, als ihr frommer Milchsohn. Warum war ich
nun nicht gestern noch bis hierher gegangen? Hier fand ich ein großes,
schönes, ziemlich billiges Gasthaus, wo ich bei frischen Eiern und bei
frischen Fischen, die nicht weit von mir aus dem Meere gezogen wurden,
und frischen herrlichen Früchten ein vortreffliches Frühstück hielt.
Unter mir stand ein Citronengarten in der schönsten Gluth der Früchte;
und links und rechts übersah ich die Bucht von der Spitze des
Vorgebirges rund herum bis hinüber nach Ischia und Procida. Es ist, in
der Entfernung von einigen hundert Meilen, das köstlichste Dessert, wenn
wir uns durch die Erinnerung irgend eines kleinen Vorfalles mit unsern
Freunden wieder in nähere Berührung setzen können. Hier auf der
nämlichen Stelle hatte vor mehrern Jahren _Friedrich Schulz_ gesessen
und Fische und Früchte gegessen, und mich aufgefordert, seiner zu
gedenken, wenn ich von Mola auf das klassische Land umher schauen würde.
Jetzt ist er nicht mehr, der Liebling seiner Freunde und der Grazien,
der die Freude bei den Fittigen zu halten verstand und sie rund umher
gab. Wo auch seine Asche ruht, ein Biederer müsse hingehen und sie
segnen! Keiner seiner Schwachheiten werde gedacht; er machte durch sein
Herz gut, was sein Kopf versah.

Nun ging ich vergnügt und froh die schöne magische Gegend hinauf und
hinab, bis hinunter, wo der Nachricht zufolge ehemals Cicero's Formiä
stand, bis an den Liris hinab. Langsam wallte ich dahin; mir däuchte,
ich sähe die Schatten des Redners und des Feldherrn, des Tullius und des
Marius, daher ziehen. Hier legte der Patriot den Kopf zur Sänfte heraus,
und ließ sich von dem Hauptmanne, dem er das Leben gerettet hatte,
entschlossen den Lohn für seine Philippiken zahlen. Es ist mir der
ehrwürdigste Moment in Cicero's Leben; der einzige vielleicht, wo er
wirklich ganz rein als selbstständiger Mann gehandelt hat. Als er gegen
Verres sprach, war es vielleicht Ruhmsucht, von der Rednerbühne zu
glänzen; Gefahr war nicht dabei; als er gegen Katilina donnerte, stand
seine Existenz auf dem Spiel und er hatte keine andere Wahl, als zu
handeln oder mit zu Grunde zu gehen; als er gegen Antonius wüthete,
trieben ihn wahrscheinlich Haß und Parteisucht. Im Glück prahlte er, im
Unglück jammerte er: er zeigte in seinem ganzen Leben oft viel
Ehrlichkeit und Wohlwollen, aber nur im Tode den Muth, der dem Manne
ziemt. Sein Tod hat mich in gewisser Rücksicht mit seinem Leben
ausgesöhnt; so wie es Männer in der Geschichte giebt, deren Tod fast das
Verdienst ihres Lebens auslöscht. Dort unten lag Minturnä; dort, stelle
ich mir vor, stand das Haus, wo der Cimbrer mit dem Schwerte kam, als
öffentlicher Henker den Ueberwinder seiner Nation zu tödten, und wo
dieser gefangene Ueberwinder ihn mit einigen Worten Todesschrecken in
die Glieder jagte. »Mensch, wagst du es, den Kajus Marius zu morden?«
Weiter hinab rechts ist die Sumpfgegend, wo nach der Flucht der erste
Mann der ersten Stadt der Welt sich im Schilfe verbarg, bis er sich
hinüber nach Afrika retten konnte. Ich setzte unter diesen Gedanken über
den Garigliano, und merkte kaum, daß ich diesseits von einer Menge
Mauleseltreiber umgeben war, die mir alle sich und ihre Thiere zum
Dienst anboten. Da half kein Demonstriren, sie machten die Kleinigkeit
der Forderung noch kleiner, und setzten mich halb mit Gewalt auf ein
lastbares Stück, schnallten meinen Reisesack in Ordnung, und so zog ich
mit der lieblichen Karavane weiter. Ein Kalabrese hatte mich in Mola
gebeten, ihm meine Gesellschaft zu erlauben, und ich konnte nichts
dawider haben. Ein Junge von ungefähr dreizehn Jahren hatte sich einige
Millien weiter herab angeschlossen, der in der Residenz sein Glück
versuchen wollte, weil seine Stiefmutter zu Hause den Kredit ihres
Namens etwas zu streng behauptete. Beide liefen nebenher. Es wurde bald
alles durchgefragt, und der Junge mußte etwas weitläuftig seine
Geschichte erzählen. Nun fing mein alter Eseltreiber an mit wahrhaft
väterlicher Wärme dem jungen Menschen die Gefahr vorzustellen, der er
entgegen liefe. Er that dieses mit einer Zärtlichkeit, einer Heftigkeit,
und zugleich mit einer Behutsamkeit im Vortrage, die mir den alten Mann
sehr werth machten. Wäre ich Sultan gewesen, ich hätte den Eselstreiber
zum Mufti gemacht, und es würde gewiß gut gegangen seyn. Diese schöne
bedachtsame Philanthropie wäre manchem unserer Moralisten zu wünschen.
Auch schien er über die ehrenvolle Gesellschaft durch seinen Verstand
und seinen heitern Ernst ein ziemliches Ansehen zu haben. Kurz vor Sessa
schieden wir; ich setzte mich von dem Esel wieder auf meine Füße. Er gab
dem jungen Menschen zu seinem Rathe noch etwas Geld; und ich griff
natürlich über dem Alten und dem Jungen auch etwas tiefer in die Tasche,
als wohl gewöhnlich. Mein Kalabrese begleitete mich, ich mochte wollen
oder nicht, auf die Post, als das beste Wirthshaus. Der Junge ging
weiter.

Da es noch hoher Tag war, spazirte ich hinauf nach Sessa, das, wie ich
hörte, viel alte Merkwürdigkeiten hat, und ehemals eine Hauptstadt der
Volsker war. Der Weg von der Post hinunter und in die Stadt hinauf ist
angenehm genug; und die Lage des Orts ist herrlich mit den schönsten
Aussichten, rechts nach Kajeta und links über die Niederung weg nach dem
Gaurus hinüber. Als ich in der Kathedralkirche stand und einen heiligen
Johannes, der enthauptet wird, betrachtete, und eben so sehr die Andacht
einiger jungen ganz hübschen Weiber beherzigte, die den schönen Mann auf
dem Bilde mit ihren Blicken festhielten, trat mein alter Eseltreiber,
der auf der andern Seite heraufgekommen war, zu mir, mich zu begrüßen.
Er hatte mich vielleicht wegen einiger Aeußerungen etwas lieb gewonnen,
und vermuthlich die Silberstücke gesehen, die ich dem Buben gegeben
hatte; und als wir aus der Kirche traten, führte er mich in den Zirkel
seiner Zunftleute und stellte mich wohl funfzig Eseltreibern aus Sessa
und der Gegend mit der freundschaftlichsten Theilnahme vor. Mir däucht,
wenn die Leute hier Wahltag gehabt hätten, sie hätten mich, dem Minister
zum Trotz, einstimmig zu ihrem Deputirten im Parlamente gemacht: so sehr
bezeigten sie mir alle ihr Wohlwollen; und ich kann Dir nicht läugnen,
es däuchte mir mit völligem Rechte wenigstens eben so wohl, als da mich
in Warschau die alte kommandirende Excellenz unter den Arm faßte, in dem
Zimmer herumführte und mir in vollem Kreise die Ausfertigung einer
Depesche ins Ohr flüsterte. Aus diesem Zirkel zogen mich einige sehr
artige junge Leute, die mich weiter herum begleiteten, und vorzüglich zu
den Augustinern führten, die hier für ihre Bäuche den behaglichsten
Ruheplatz mit der schönsten Aussicht nach allen Seiten ausgesucht
hatten. Der einzige Beweis, daß die Leute doch noch etwas klassischen
Geschmack haben müssen, ist, daß sie die Falerner Berge übersehen. Ihr
Gebäude ist für das Gelübde der Armuth eine Blasphemie. Doch daran bin
ich schon gewöhnt; man braucht eben nicht erst über den Liris zu gehen,
um so ausschweifende Pracht, so unsinnige Verschwendung zu sehen. An der
Ueberfahrt über den Garigliano oder Liris sieht man noch die
Substruktion einer alten Brücke, und nicht weit davon jenseits die Reste
einer Wasserleitung. Der Fluß selbst, der nicht sehr breit ist, muß,
trotz dem Prädikate der Stille, das ihm Horaz giebt, doch zuweilen
gefährlich zu passiren seyn: denn er ist ziemlich tief und jetzt im
Frühling sehr schnell; und man erzählte mir, daß, als die Franzosen
ungefähr zwei Stunden aufwärts mit der Reiterei durch denselben setzen
wollten, ihrer viele dabei umgekommen wären. An den Ufern desselben
weiden große Heerden Büffel.

Als ich wieder hinunter kam, setzte man mir auch Falerner Wein vor; für
die Aechtheit will ich indessen nicht stehen. Es ist bloß die klassische
Neugierde ihn getrunken zu haben; denn er hat schon längst seinen alten
Kredit verloren. Höchst wahrscheinlich ist die Ursache der Ausartung
Vernachlässigung, wie bei den meisten italienischen Weinen, die sich
besser halten würden, wenn man sie besser hielte. Als wir den Morgen
auswandelten, ward meinem Kalabresen entsetzlich bange; er behauptete,
das folgende große Dorf bestände aus lauter Räubern und Mördern, welche
die Passage von Montagne Spaccate zu ihrem Tummelplatz machten. Jeder
Windstoß durch das Gesträuch erschreckte ihn; und als wir vollends
einige bis auf die Zähne abgedorrte Köpfe in eisernen Käfichen an dem
Felsen befestigt sahen, war er der Auflösung seines Wesens nahe, ob er
gleich den Krieg als königlicher Kanonier mitgemacht hatte, und ein Kerl
wie ein Bär war. Er faselte von lauter ^mariuoli^, wie er sie nannte,
die gar fürchterliche Leute seyn sollten und von denen er erschreckliche
Dinge erzählte. Als ich mir eine Beschreibung der Kerle ausbat, sagte
er: man wüßte nicht, woher sie kämen und wohin sie gingen, sondern nur
was sie thäten; sie plünderten und raubten und schlügen todt, wo sie
könnten; gingen zu Dutzenden bewaffnet, und erschienen und verschwänden,
ohne sich um etwas zu bekümmern. Nach seiner Angabe kommen sie meistens
aus den Bergen von Abruzzo. Ich habe nun freilich zur Schande der
Regierung gefunden, daß der Mensch ziemlich Recht hat. Er pinselte mir
aber die Ohren so voll, daß ich ihm sagte, er möchte mich ungehudelt
lassen mit seinen erbärmlichen Litaneien; wenn ich todt geschlagen
werden sollte, so wollte ich mich doch wenigstens vorher nicht weiter
beunruhigen. Das kam dem Kerl sehr gottlos vor, und mir seine
Klagelieder sehr albern. Er trieb mich immer vorwärts, mich nur durch
die berüchtigte Felsenpassage zu bringen, und dankte allen Heiligen
inbrünstiglich, als wir aus der Gegend heraus waren. Er segnete meinen
Entschluß, als ich mich auf der Straße von einem Vetturino bereden ließ,
mich einzusetzen und mich mit ihm bis nach Kapua bringen zu lassen. Als
wir in Kapua ankamen, war der Gouverneur nach Kaserta gefahren, und man
wollte durchaus, ich sollte seine Rückkehr erwarten, damit er meinen Paß
ratificiren möchte. Endlich bestürmte ich den ^Capitaine du jour^ so
viel, daß er mir den Paß ohne Visirung zurück gab, und dem Officier an
dem Thore Befehl schickte, er solle mich gehen lassen; er selbst wolle
die Ausnahme verantworten.

Nun wollte ich über Altkapua nach Kaserta gehen; dazu war aber mein
Kalabrese durchaus nicht zu bringen; er meinte, das wäre der sichere
Tod; da wimmelte es von Mariuolen. Ich gab dem Schuft einige Karlin,
verstehe neapolitanische, ließ ihn rechts nach Aversa fortrollen, um
dort am rechten Orte seine attellanischen Fabeln zu erzählen, und schlug
mich links nach Altkapua. Einige ehrsame Bürger aus der Festung
Neukapua, die ich einholte und denen ich die lächerliche Furcht des
Menschen erzählte, meinten, es sei zwar etwas Gefahr, werde aber immer
übertrieben, und man habe nun doch schon seit einigen Wochen nichts
gehört. Die Herren schienen sich patriotisch ihrer vaterländischen
Gegend anzunehmen. Wo ehemals Kapua war, steht jetzt, glaube ich, der
Flecken Sankt Martin, ungefähr eine Stunde von der neuen Stadt, die
unten am Vulturnus in einer bessern militärischen Position angelegt ist.
Sankt Martin ist noch jetzt eine Lustpartie für die Bürger der neuen
Stadt, so sehr behauptet der alte Platz seinen Kredit. Es steht
bekanntlich noch der Rest eines alten Amphitheaters, das aus den Zeiten
der Römer und also verhältnißmäßig neu ist, welches die Antiquare
hinlänglich kennen, auf die ich Dich verweise. Ich ging durch die
Trümmern eines Thors, welches vermuthlich das nämliche ist, durch das
Hannibal seinen Ruhm hinein und nicht wieder heraus trug, ließ nach
kurzer Beschauung das Theater links liegen und pilgerte den Weg nach
Kaserta fort. Es stehen dort an der Straße links und rechts nicht weit
von einander ein Paar Monumente, die vermuthlich römische Begräbnisse
sind, und von denen eines wenigstens in sehr gutem Styl gearbeitet zu
seyn scheint.

Es wäre überflüssig, Dir eine Beschreibung des Schlosses in Kaserta
anzufangen, die Du hier und da gewiß weit genauer und besser finden
kannst. Der erste Anblick ist groß und wirklich imponirend. Die Garten
links, die schönen Pflanzungen rechts, der prächtige Schloßplatz und die
Gebäude rund umher, Alles beschäftigt. Vorzüglich wird das Auge
gefesselt von der Ansicht durch das große Thor, welche durch das ganze
Schloß und die Gärten bis weit hinaus auf die Berge geht, über welche
man die berühmte Wasserleitung herüber gebracht hat. Diese schöne,
reiche Kunstkaskade schließt den Grund der Partie. Man wird selten
irgendwo so etwas Magisches finden. Du weißt, daß auch hier die Franken
etwas willkührlich gehaus't haben: jetzt ist der Kronprinz und Seine
Sardinische Majestät hier.

Auf der Post empfing man mich, ob ich gleich Fußgänger war, mit vieler
Artigkeit, und ich hatte bald einen Trupp Neugieriger um mich her, die
mich von Adam bis Pontius Pilatus ausfragten; und Alle wunderten sich,
daß ich den Räubern noch nicht in die Hände gefallen wäre. Humane
Theilnahme und Billigkeit zeichnete das Haus vor vielen andern aus. Ich
hatte nur noch einige Stunden Zeit die Stadt zu besehen; dieß war aber
zur Auffassung eines richtigen Totaleindrucks genug. Den andern Morgen,
als ich abgehen wollte, arretirte mich wieder ein Vetturino an der Ecke
des Marktes: »^Volete audare in carozza, Signore?^« -- »^Ma si, si^,«
sagte ich, »^se partite presto presto^.« -- »^Questo momento; favorisca
montare.^« Ich stieg ein und setzte mich neben einen stattlichen dicken
Herrn; sogleich kamen noch zwei andere und wir rollten zum Thore hinaus.

Dieses ist als das schöne reiche, seelige Kampanien, das man, seit es so
bekannt ist, zum Paradiese erhoben hat, für das die römischen Soldaten
ihr Kapitol vergessen wollten! Es ist wahr, der Strich zwischen Aserva,
Kapua, Kaserta, Nola und Neapel, zwischen dem Vesuv, dem Gaurus und den
hohen Apenninen, oder das sogenannte Kampanerthal, ist von Allem, was
ich in der alten und neuen Welt bis jetzt noch gesehen habe, der
schönste Platz, wo die Natur alle ihre Gaben bis zur höchsten
Verschwendung ausgegossen hat. Jeder Fußtritt trieft von Segen. Du
pflanzest einen Baum, und er wächst in kurzer Zeit schwelgerisch breit
und hoch empor; Du hängst einen Weinstock daran und er wird stark, wie
ein Stamm, und seine Reben laufen weitausgreifend durch die Krone der
Ulme; der Oelbaum steht mit bescheidener Schönheit an dem Abhange der
schützenden Berge; die Feige schwillt üppig unter dem großen Blatte am
gesegneten Aste; gegenüber glüht im sonnigen Thale die Orange, und unter
dem Obstwalde wallt der Weizen, nickt die Bohne, in reichlicher
lieblicher Mischung. Der Arbeiter erntet dreifach auf dem nämlichen
Boden in Fülle, Obst und Weizen und Wein; und Alles ist üppige, ewig
jugendliche Kraft. Unter diesen magischen Abwechselungen kamen wir in
einigen Stunden in Parthenope an. Der stattliche dicke Herr, mein
Nachbar, schien die Deutschen etwas in Affektion genommen zu haben, war
ehemals einige Monate in Wien und Prag gewesen, wußte einige Dutzend
Wörter von unserer Sprache, und war die Gefälligkeit selbst. Er war aus
dem königlichen Hause, und mich wunderte deswegen seine Artigkeit etwas
mehr, da Höflichkeit in der Regel bei uns nicht mit zu den
ausgezeichneten Tugenden der Hausofficianten der Großen gehört. In
Neapel brachte er mich in einem eigenen Wagen in das Haus eines seiner
Bekannten an dem Ende des Toledo, bis ich den Herrn Heigelin aufgesucht
hatte, an den meine Empfehlung von Wien lautete. Es ist wirklich sehr
wohlthätig, wenn man, bei dem ersten Eintritt in so einen Ort, wie
Neapel ist, als Wildfremder eine so freundliche Hand zur Leitung findet,
bis man sich selbst etwas orientiren kann.



                                                             _Neapel._


Du mußt und wirst von mir nicht erwarten, daß ich Dir eine topische,
statistische, literarische oder vollständige kosmische Beschreibung von
den Städten gebe, wo ich mich einige Zeit aufhalte. Dazu ist mein
Aufenthalt zu kurz; die kannst Du von Reisenden von Profession, oder aus
den Fächern besonderer Wissenschaften gewiß besser bekommen. Ich erzähle
Dir nur freundschaftlich, was ich sehe, was mich vielleicht beschäftigt
und wie es mir geht. Meine Wohnung ist hier auf Monte Oliveto. Wie der
Ort zu dem Namen des Oelberges kommt, weiß ich nicht; er ist aber eine
der besten Straßen der Stadt, nicht weit vom Toledo, mit welchem er sich
oben vereiniget. Die Besitzerin des Hauses ist eine Französin, die sich
seit einigen Jahren der hiesigen Revolution wegen zu ihrer Sicherheit in
Marseille aufhält. Ich habe Ursache zufrieden zu seyn: es ist gut und
billig. Die Gesellschaft besteht meistens aus Fremden, Engländern,
Deutschen und Franzosen; die letzten machten jetzt hier die größte
Anzahl aus.

Seit einigen Tagen bin ich mit einem alten Genuesen, der halb Europa
kennt und hier den Lohnbedienten und ein Stück von Cicerone macht, in
der Stadt herumgelaufen. Der alte Kerl hat ziemlich viel Sinn und
richtigen Takt für das Gute und sogar für das Schöne. Er hielt mir einen
langen Sermon über die Landhäuser der Kaufleute rund in der Gegend
umher, und bemerkte mit censorischer Strenge, daß sie das Verderben
vieler Familien würden. Man wetteiferte gewöhnlich, wer das schönste
Landhaus und die schönste Equipage habe, wer auf seinem Casino die
ausgesuchtesten Vergnügen genieße und genießen lasse, und wetteiferte
sich oft zur Vergessenheit und endlich ins Unglück. Sitten und Ehre und
Vermögen würden vergeudet. Kaum habe der Kaufmann ein kleines
Etablissement in der Stadt, so denke er schon auf eines auf dem Lande;
und das zweite koste oft mehr, als das erste. Spiel und Weibergalanterie
und das verfluchte oft abwechselnde Cicisbeat seien die stärksten
Gegenstände des Aufwands; und doch sei das Cicisbeat hier noch nicht so
herrschend, als in Rom. Wenn Du mir einwendest, daß das ein
Lohnbedienter spricht; so antworte ich: »Jeder hat sein Wort in seinem
Fache, und hier ist der alte Kerl in dem seinigen. Seine Amtsbrüder in
Leipzig und Berlin können gewiß auch weit bessere Nachrichten über
gewisse Artikel geben, als man auf dem Rathhause finden würde. Jeder hat
seine Sphäre, der Finanzminister und der Thorschreiber.« Ich sah die
Kirche des heiligen Januar in der Stadt; Neapel sollte, däucht mir, eine
bessere Kathedrale haben. Das Vorzüglichste darin sind einige
merkwürdige Grabsteine und die Kapelle des Heiligen. Dieses ist aber
nicht der Ort, wo er gewöhnlich schwitzen muß; das geschieht vor der
Stadt in dem Hospital bei den Katakomben. In den Katakomben kroch ich
über eine Stunde herum, und beschaute das unterirdische Wesen, und hörte
die Gelehrsamkeit des Cicerone, der, wie ich vermuthete, Glöckner des
Hospitals war. Ueber den Grüften ist ein Theil des Gartens von Capo di
monte. Der Führer erzählte mir eine Menge Wunder, welche die Heiligen
Januarius und Severus hier ganz gewiß gethan haben, und ich war
unterdessen mit meinen Konjekturen bei der Entstehung dieser Grüfte.
Hier und da lagen in den Einschnitten der Zellen noch Skelette, und
zuweilen ganze große Haufen von Knochen, wie man sagte, von der Zeit der
großen Pest. Die römischen Katakomben habe ich nicht gesehen, weder nahe
an der Stadt noch in Rignano, weil mich verständige Männer und Kenner
versicherten, daß man dort sehr wenig zu sehen habe und es nun ganz
ausgemacht sei, daß das Ganze weiter nichts als Puzzolangruben gewesen,
die nach und nach zu dieser Tiefe und zu diesem Umfang gewachsen. Das
ist begreiflich und das Wahrscheinlichste.

Die heilige Klara hat das reichste Nonnenkloster in der Stadt und eine
wirklich sehr prächtige Kirche, wo auch die Kinder des königlichen
Hauses begraben werden. Die Nonnen sind alle aus den vornehmsten
Familien; und man hat ihre Thorheit und ihr Elend so glänzend, als
möglich zu machen gesucht. Mein alter Genuese, der ein großer Hermenevte
in der Kirchengeschichte ist, erzählte mir bei dieser Gelegenheit ein
Stückchen, das seinen Exegetentalenten keine Schande macht, und dessen
Würdigung ich den Kennern überlasse. Die heilige Klara war eine
Zeitgenossin des heiligen Franziskus und des heiligen Dominikus; und man
giebt ihr Schuld, sie habe beide insbesondere glauben lassen, sie sei
Jedem ausschließlich mit sehr feuriger christlicher Liebe zugethan.
Dieses thut ihr in ihrer Heiligkeit weiter keinen Schaden. Jeder der
beiden Heiligen glaubte es für sich und war selig, wie das zuweilen auch
ohne Heiligkeit zu gehen pflegt. Dominikus war ein großer, starker,
energischer Kerl, ungefähr wie der Moses des Michel Angelo in Rom, und
sein Nebenbuhler Franziskus mehr ein ätherischer, sentimentaler Stutzer,
der auch seine Talente zu gebrauchen wußte. Nun sollen auch die heiligen
Damen zu verschiedenen Zeiten verschiedene Qualitäten lieben. Der
handfeste Dominikus traf einmal den brünstigen Franziskus mit der
heiligen Klara in einer geistlichen Exstase, die seiner Eifersucht etwas
zu körperlich vorkam; er ergriff in der Wuth die nächste Waffe, welches
ein Bratspieß war, und stieß damit so grimmig auf den unbefugten
Himmelsführer los, daß er den armen schwachen Franz fast vor der Zeit
dahin geschickt hätte. Indeß der Patient kam davon, und aus dieser
schönen Züchtigung entstanden die Stigmen, die noch jetzt in der
christlichen Katholicität mit allgemeiner Andacht verehrt werden. Ich
habe, wie ich Dir erzählte, ihm in Rom gegenüber gewohnt, und sie dort
hinlänglich in Marmor dokumentirt gesehen. Mein Genuese sagte mir die
heilige Anekdote nur vertraulich ins Ohr, und wollte übrigens als ein
guter Orthodox weiter keine Glosse darüber machen, als daß ihm halb
unwillkührlich entfuhr: »^Quelles bêtises on nous donne à digérer!
Chacun les prend à sa façon.^«

Heute besuchte ich auch Virgils Grab. Die umständliche Beschreibung mag
Dir ein Anderer machen. Es ist ein romantisches, idyllisches Plätzchen;
und ich bin geneigt zu glauben, der Dichter sei hier begraben gewesen,
die Urne mag nun hingekommen seyn, wohin sie wolle. Das Gebäudchen ist
wohl nichts anderes, als ein Grab, nicht weit von dem Eingange der
Grotte Posilippo, und eine der schönsten Stellen in der schönen Gegend.
Ich weiß nicht, warum man sich nun mit allem Fleiß bemüht, den Mann auf
die andere Seite der Stadt zu begraben, wo er nicht halb so schön liegt,
wenn auch der Vesuv nicht sein Nachbar wäre. Ich bin nicht Antiquar;
aber die ganze Behauptung, daß er dort auf jener Seite liege, beruht
doch wohl nur auf der Nachricht, er sei am Berge Vesuv begraben worden.
Das ist er aber auch, wenn er hier liegt; denn der Berg ist gerade
gegenüber: in einigen Stunden war er dort, wenn er zu Lande ging; und
setzte er sich in ein Boot, so ging er noch schneller. Die Entfernung
eines solchen Nachbars, wie Vesuv ist, wird nicht eben so genau
genommen. Lag er dort, so hat ihn auf alle Fälle der Berg tiefer, halb
in den Tartarus gebracht. Aber alle übrigen Umstände sind mehr für diese
Seite der Stadt. Hier ist die reichste, schönste Gegend; hier waren die
vorzüglichsten Niederlassungen der römischen Großen, vornehmlich auf der
Spitze des Posilippo die Gärten des Pollio, der ein Freund war des
römischen Avtokrators und ein Freund des Dichters; nach dieser Gegend
lagen Puteoli und Bajä und Cumä, der Avernus und Misene, die
Lieblingsgegenstände seiner Dichtungen; diese Gegend war überhaupt der
Spielraum seiner liebsten Phantasie. Wahrscheinlich hat er hier gewohnt,
und wahrscheinlich ist er hier begraben. Donat, der es, wenn ich nicht
irre, zuerst erzählt, konnte wohl noch sichere Nachrichten haben, konnte
davon Augenzeuge gewesen seyn, daß das Monument noch ganz und wohl
erhalten war; hatte durchaus keine Ursache, diesem Fleckchen irgend
einen Vorzug vor den übrigen zu geben, und dieses ist der Ort seiner
Angabe: zwei Steine von der Stadt, an dem Wege nach Puteoli, nicht weit
von dem Eingange in die Grotte. Ich will nun auch einmal glauben -- man
hat für manchen Glauben weit schlechtere Gründe -- und also glaube ich,
daß dieses Maros Grab sei. Den Lorbeer suchst Du nun umsonst; die
verkehrten Afterverehrer haben ihn so lange bezupft, daß kein Blättchen
mehr davon zu sehen ist. Ich nahm mir die Mühe hinauf zu steigen, und
fand nichts, als einige wild verschlungene Kräuter. Der Gärtner beklagte
sich, daß die gottlosen vandalischen Franzosen ihm den allerletzten
Zweig des heiligen Lorbeers geraubt haben. Dichter müssen es nicht
gewesen seyn: denn davon wäre doch wohl etwas in die Welt erschollen,
daß der Lorbeer von dem Lateiner neuerdings auf einen Gallier
übergegangen sei. Vielleicht schlägt er für die Gläubigen am Grabe des
Mantuaners wieder aus. Man sollte wenigstens zur Fortsetzung der schönen
Fabel das Seinige beitragen; ich gab dem Gärtner geradezu den Rath.

Als ich hier und bei Sanazars Grabe nicht weit davon in der
Servitenkirche war, verfolgte mich ein trauriger Cicerone so
fürchterlich mit seiner Dienstfertigkeit, mir die Antiquitäten erklären
zu wollen, daß er durchaus nicht eher von meiner Seite ging, bis ich ihm
einige kleine Silberstücke gab, die er sehr höflich und dankbar annahm.
Ich habe mich nicht enthalten können, bei dieser Gelegenheit wahres
Mitleid mit dem großen Cicero zu haben, daß sein Name hier so erbärmlich
herumgetragen wird. Die Ciceronen sind die Plagen der Reisenden, und
immer ist einer unwissender und abenteuerlicher, als der andere. Den
vernünftigsten habe ich noch in Tivoli getroffen, der mir auf der
Eselspromenade zum wenigsten ein Dutzend von Horazens Oden rezitirte und
nach seiner Weise kommentirte.

Ich versuchte es an dem Fuße des Posilippo am Strande hinaus bis an die
Spitze zu wandeln: es war aber nicht möglich weiter als ungefähr eine
Stunde zu kommen: dann hörte jede Bahn auf, und das Ufer bestand hier
und da aus schroffen Felsen. Hier stehen in einer Entfernung von
ungefähr einer Viertelstunde zwei alte Gebäude, die man für Schlösser
der Königin Johanna hält, wo sie zuweilen auch ihr berüchtigtes Unwesen
getrieben haben soll. Sie sind ziemlich zu so etwas geeignet, gehen weit
ins Meer hinein, und es ließe sich sehr gut zeigen, wozu dieses und
jenes gedient haben könnte. Zwischen diesen beiden alten leeren Gebäuden
liegt das niedliche Casino des Ritters Hamilton, wo er beständig den
Vesuv vor Augen hatte; und man thut ihm vielleicht nicht ganz unrecht,
wenn man aus dem Orte seiner Vergnügungen auf etwas Aehnlichkeit mit dem
Geschmack der schönen Königin schließt, die von der bösen Geschichte
doch wohl etwas schlimmer gemacht worden ist, als sie war. Ich war
genöthigt wieder zurückzugehen, und nicht weit von der Villa Reale
nahmen mich eine Menge Bootsleute in Beschlag, die mich an die Spitze
hinausrudern wollten. Es schien mir für den Vormittag zu spät zu seyn;
deßwegen wollte ich nichts hören. Aber man griff mich auf der schwachen
Seite an; man blickte auf die See, welche sehr hoch ging, an den Himmel,
wo Sturm hing und auf mich mit einer Miene, als ob man sagen wollte: das
wird dich abhalten. Dieser Methode war nicht zu widerstehen, ich
bezahlte die Gefahr sogleich mit einem Piaster mehr, und setzte mich mit
meinem alten Genuesen in ein Boot, das ich erst selbst herunter ziehen
half. Der Genuese hatte auch mehrere Seereisen gemacht, und hatte Muth,
wie ein Delphin. Aber die Fahrt ward ihm doch etwas bedenklich; der
Sturm heulte von Sorrent und Capri gewaltig herüber, und die Wogen
machten rechts eine furchtbare Brandung, das Wasser füllte reichlich das
Boot, und der Genuese hatte in einem Stündchen die Seekrankheit bis zu
der letzten Wirkung. Ich wollte um das Inselchen Nisida herum gerudert
seyn; das war aber nicht möglich: wir mußten, als wir einige hundert
Schritte vor dem Einsiedler vorbei waren, umkehren und unsere Zuflucht
in ein einsames Haus nehmen, wohin man in der schönen Zeit von der Stadt
aus zuweilen Wasserpartien macht, wo es aber jetzt traurig genug aussah.
Indessen fütterte uns doch der Wirth mit Maccaroni und gutem Käse. Nicht
weit von hier, nahe an dem Inselchen Nisida, auf welchem auch Brutus vor
dem Tode der Republik sich einige Zeit aufgehalten hat, sind die
Trümmern eines alten Gebäudes, die aus dem Wasser hervorragen, und die
man gewöhnlich nur Virgils Schule nennt. Wenn man nun gleich den Ort
wohl sehr uneigentlich Virgils Schule nennt, so ist es doch sehr
wahrscheinlich, daß er hier oft gearbeitet haben mag. Es ist eine der
angenehmsten klassischen, mythologischen Stellen, welche die
Einbildungskraft sich nur schaffen kann. Vermuthlich gehörte der Platz
zu den Gärten des Pollio. Er hatte hier um sich her einen großen Theil
von dem Theater seiner Aeneide, alle Oerter, die an den Meerbusen von
Neapel und Bajä liegen, von den phlegräischen Feldern bis nach Sorrent.

Nicht weit von der Landspitze und von dem Wirthshause, wo ich einkehrte,
stand ehemals ein alter Tempel der Fortuna, von dem noch einige Säulen
und etwas Gemäuer zu sehen sind. Jetzt hat man an dem Orte ein
christliches Kirchlein gebauet und es der ^Madonna della fortuna^
geweiht. Man hat bekanntlich Manches aus dem Heidenthum in den
christlichen Ritus übergetragen, die Saturnalien, das Weihwasser und
vieles Andere; aber besser hätte man nicht umändern können: denn es ist
wohl auf der ganzen Erde, in der wahren Geschichte und in der Fabellehre
kein anderes Weib, das ein solches Glück gemacht hätte, als diese
Madonna. Ein wenig weiter landeinwärts sind in den Gärten noch die
gemauerten Tiefen, die man mit Wahrscheinlichkeit für die Fischhälter
des Pollio annimmt, und in dieser Meinung eine große marmorne Tafel an
der Thür angebracht hat, auf welcher lateinisch alle Gräuel abscheulich
genug beschrieben sind, die der Heide hier getrieben hat; wo denn
natürlich die Milde unserer Religion und unserer Regierungen ächt
kardinalisch gepriesen wird. Ich weiß nicht, ob man nicht vielleicht mit
dem britischen Klagemann sagen sollte: »^A bitter change, severer for
severe!^« Es ist jetzt kaum ein Sklave übrig, den Pollio in den Teich
werfen könnte.

Mein Genuese bat mich um alles in der Welt, ihn nicht wieder ins Boot zu
bringen. Auch ich war sehr zufrieden, auf einem andern Wege nach der
Stadt zurück zu kehren. Ich zahlte also die Bootsleute ab, und wir
gingen auf dem Rücken des Posilippo nach Neapel. Diese Promenade mußt Du
durchaus machen, wenn Du einmal hierher kommst; sie ist eine der
schönsten, die man in der herrlichen Gegend suchen kann. Lange Zeit hat
man die beiden Meerbusen von Neapel und Bajä rechts und links im
Gesicht, genießt sodann die schöne Uebersicht auf die Partie jenseits
des Berges nach Pozzuoli, welche die Neapolitaner mit ihrer verkehrten
Zunge nur ^chianura^ oder die Ebene nennen. Man kommt nach ungefähr vier
Millien des herrlichsten Weges in der Gegend von Virgils Grabe wieder
herunter auf die Straße. Der Spaziergang ist freilich etwas wild, aber
desto schöner.

Man sagte mir, die Regierung habe wollen eine Straße rund um den
Posilippo herum auf der andern Seite nach Pozzuoli führen, so daß man
nicht nöthig hätte, durch die Grotte und die etwas ungesunde Gegend
jenseits derselben zu fahren, sondern immer am Meere bliebe. Das wird in
der That einer der herrlichsten Wege werden; ungefähr eine halbe Stunde
ist gemacht: aber wenn doch die neapolitanische Regierung vorher das
Nöthige, Gerechtigkeit, Ordnung und Polizei, besorgte; das andere würde
sich dann so nach und nach schon machen.

Bekanntlich wird das Fort Sankt Elmo mit der darunter liegenden
Karthause für die schönste Partie gehalten; und sie ist es auch für
alle, die sich nicht weiter auf den Vesuv, oder zu den Kamaldulensern
bemühen wollen. Es ist ein ziemlicher Spaziergang auf die Karthause, den
unser schlesischer Landmann, Herr Benkowitz, schon für eine große
Unternehmung hält, auf welche er sich den Tag vorher vorbereitet. Ich
Tornisterträger steckte die Tasche voll Orangen und Kastanien und
wandelte damit zum Morgenbrote sehr leicht hinauf. In das Fort zu kommen
hat jetzt bei den Zeitumständen einige Schwierigkeit, und man muß vorher
dazu die Erlaubniß haben. Man sieht in der Karthause fast eben soviel,
nur hat man nicht das Vergnügen, zehen oder zwanzig Klaftern höher zu
stehen. Die Karthause hat der König ausgeräumt und sich die meisten
Schätze zugeeignet. Es ist jetzt nur noch ein einziger Mönch da, der den
Ort in Aufsicht hat. In der Kirche sind noch mehrere schöne Gemälde,
besonders von Lanfranc, und ein noch nicht ganz vollendetes Altarblatt
von Guido Reni; auch der Konventsaal hat noch Stücke von guten Meistern.

Um die schönste Aussicht zu haben, mußt Du zu den Kamaldulensern
steigen. Die Herren sind in der Revolution etwas decimirt worden, haben
aber den Verlust nicht schwer empfunden. Man geht durch die Vorstadt
Frascati und einige Dörfer immer bergauf und verliert sich in etwas
wilde Gegenden. Weil man nicht hinauf fahren kann, wird die Partie nicht
von sehr vielen gemacht. Wir verirrten uns, mein Genueser und ich, in
den Feigengärten und Kastanienwäldern, und ich mußte dem alten Kerl noch
mit meiner Topographie im Orientiren helfen. Das ärgerte mich gar nicht;
denn wir trafen in der wilden Gegend einige recht hübsche Partien nach
allen Seiten. Es gab Stellen, wo man bis nach Cajeta hinüber sehen
konnte. Da wir uns verspätet hatten, mußten wir in einem Dorfe am
Abhange des Berges zum Frühstück einkehren und einen zweiten Boten
mitnehmen. Dieser brachte uns auf einem der schönsten Wege an dem Berge
über dem Agnano hin in das Kloster. Es ist dort nichts zu genießen als
die Aussicht; die Kirche hat nichts Merkwürdiges. Ein Laienbruder führte
mich mit vieler Höflichkeit durch alle ihre Herrlichkeiten, und endlich
an eine ausspringende Felsenspitze des Gartens unter einige perennirende
Eichen, die vielleicht der schönste Punkt in ganz Italien ist. Von
Neapel sieht man zwar nicht viel, weil es fast ganz hinter dem Posilippo
liegt; nur der hohe Theil von Elmo, Belvedere und einige andere
Stückchen sind sichtbar. Aber rund umher liegt das ganze schöne magische
klassische Land unter Einem Blick. Portici, das auf der Lava der Stadt
des Herkules steht, der sich empor thürmende Vesuv mit dem Somma, Torre
del Greco, Pompeji, Stabiä, Sorrent, Massa, Capri, der ganze Posilippo,
Nisida, Ischia, Procida, der ganze Meerbusen von Bajä mit den Trümmern
der Gegend, Misene, die Thermen des Nero, der Lukriner See und hinter
ihm versteckt der Avernus, die Solfatara, bei heiterm Wetter die Berge
von Cumä, der Gaurus und weiter hin die beschneiten Apenninen, unten der
Agnano mit der Hundsgrotte, deren Eingang nur ein hervorspringender
Hügel bedeckt; der neue Berg hinter der Solfatara; alte und neue Berge,
ausgebrannte und brennende Vulkane, alte und neue Städte, Elysium und
die Hölle: -- alles dieses fassest Du mit Deinem Auge, ehe Du hier eine
Zeile liesest. Tief, tief in der Ferne sieht man noch Ponza und einige
kleinere Inseln. Da haben die Mönche wieder das Beste gewählt. Freund,
wenn Du einmal hörst, daß ich einmal unbegreiflich verschwunden bin, so
bringe mit unter Deine Muthmaßungen, daß ich vielleicht der schönsten
Natur zu Ehren die größte Sottise gemacht habe, und hier unter den
Anachoreten hause. Hier den Homer und Virgil, den Thucydides und etwas
von der attischen Biene, abwechselnd mit Aristophanes, Lucian und
Juvenal -- so könnte man wohl in den Kastanienwäldern leben und das
Bißchen Vernunft bei sich behalten: denn diese wird jetzt doch überall
wieder konterband. Also gehe zu den Kamaldulensern, wenn Du auch nicht
in Versuchung bist, bei ihnen oben zu bleiben!

Jetzt schließe ich und schreibe Dir vermuthlich noch einiges über
Neapel, wenn ich aus Trinakrien zurückkomme; denn eben muß ich zu
Schiffe nach Palermo.



                                                            _Palermo._


Wir hatten einige Tage auf leidlichen Wind zum Auslaufen gewartet:
endlich kam eine starke Tramontana und führte uns aus dem Zauberplatze
heraus. Es war gegen Abend, die sinkende Sonne vergoldete rund umher die
Gipfel der schönen Berge, der Somma glänzte, der Vesuv wirbelte
Rauchwölkchen, und die herrliche Königsstadt lag in einem großen, großen
Amphitheater hinter uns in den magischen Strahlen. Rechts war Ischia und
links Capri; die Nacht senkte sich nach und nach und verschleierte die
ferneren Gegenstände in tiefere Schatten. Ich konnte in dem
Abendschimmer nur noch deutlich genug die kleine Stadt auf Capri
unterscheiden. Die gemeinen Neapolitaner und Sicilianer nennen mit einer
ihnen sehr gewöhnlichen Metathesis die Insel nur Crap. Sie ist jetzt
ziemlich kahl. Ich hätte von Neapel aus gern eine Wasserfahrt dahin
gemacht, um einige Stunden auf dem Theater herum zu wandeln, von welchem
zur Schande des Menschenverstandes ein sybaritischer Wüstling einige
Jahre das Menschengeschlecht mißhandelte; aber ich konnte keine gute
Gesellschaft finden, und für mich allein wären nach meinen übrigen
Ausgaben die Kosten zu ansehnlich gewesen. Ueberdieß war es fast immer
schlechtes Wetter. Zur Ueberfahrt hierher hatte ich mich auf ein
Kauffahrteischiff verdungen, weil ich auf das Packetboot nicht warten
wollte. Der Wind ging stark und die See hoch, aber ich schlief gut: man
erkannte gleich daraus und aus meinem festen Schritt auf dem Verdeck,
daß ich schon ein alter Seemann seyn müsse. Da es Fasten war und die
Leute lauter Oel aßen, wollte sich der Kapitän mit dem Essen für mich
nicht befassen: ich hatte also auf acht Tage Wein, Orangen, Brot, Wurst
und Schinken für mich auf das Schiff bringen lassen. Den ganzen Tag ging
der Wind ziemlich stark und gut; aber gegen Abend legte er sich und die
See ward hohl. Doch hatten wir uns gegen Morgen, also in allem sechs und
dreißig Stunden, in den Hafen von Palermo hinein geleiert. Das war eine
ziemlich gute Fahrt. Auf der Höhe hatten wir immer die Kanonen scharf
geladen und ungefähr vierzig große Musketons fertig, um gegen die
Korsaren zu schlagen, wenn einer kommen sollte. Denn Du mußt wissen, der
Unfug ist jetzt so groß, und die neapolitanische Marine ist jetzt so
schlecht, daß sie zuweilen bis vor Capri und sogar bis vor die Stadt
kommen, um zu sehen, ob sie etwa Geschäfte machen können, wie sich auch
die Spielkaper in den deutschen Bädern ausdrücken. Das ist nun freilich
eine Schande für die Regierung, aber die Regierung hat dergleichen
Schandflecke mehr.

Wir kamen hier, ich weiß nicht zu welchem Feste an, wo in der Stadt so
viel geschossen wurde, daß ich die Garnison wenigstens für zehntausend
Mann stark hielt. Aber ich habe nachher die Methode des Feuerns gesehen.
Sie gehört zur einheimischen Frömmigkeit und ist drollig genug. Man hat
eine ungeheure Menge kleiner Mörser, die man in der Reihe nach einander
geladen hinstellt: absatzweise stehen etwas größere, die wie Artillerie
donnern. Sie sind alle so gestellt, daß, wenn am Flügel angezündet wird,
das Feuer regelmäßig schnell die ganze Fronte hinunter greift und am
Ende mit einigen großen Stücken schließt. Von weitem klingt es wie etwas
Großes; und am Ende besorgt es ein einziger alter, lahmer Konstabel.
Unser Hauptmann von der Aurora ließ sich mit seiner Artillerie stark
hören.

Ich wurde auf der Sanität, wohin ohne Unterschied alle Ankommende
müssen, mit vieler Artigkeit behandelt, und man ließ mich sogleich
gehen, wohin ich wollte, da die andern, meistens Neapolitaner, noch
warten mußten. Mein erster Gang, nachdem ich mich in einem ziemlich
guten Wirthshause untergebracht hatte, war zu dem königlichen
Bibliothekar, dem Pater Sterzinger, an den ich von dem Sekretär der
Königin aus Wien Briefe hatte. Der Güte dieses wirklich sehr ehrwürdigen
Mannes danke ich meine schönsten Tage durch ganz Sicilien. Er gab mir
durch die ganze Insel Empfehlungen an Männer von Wissenschaft und
Humanität, in Agrigent, Syrakus, Catanien und Messina. Der Saal der
Bibliothek ist unter seiner Leitung in herrliche Ordnung gebracht, und
mit allen sicilianischen Alterthümern sehr geschmackvoll ausgemalt
worden, so daß man hier mit einem Blick alles Vorzügliche übersehen
kann. Es finden sich in der hiesigen Bibliothek viele Ausgaben von
Werth, und mir ist sie im Fache der Klassiker reicher vorgekommen, als
Sankt Marcus in Venedig. Eine Seltenheit ist der chinesische Konfuzius
mit der lateinischen Interlinearversion, von den Jesuiten, deren
Missionsgeschäft in China damals glückliche Aussichten hatte. Hier habe
ich weiter noch nichts gethan, als Orangen gegessen, das Theater der
heiligen Cäcilia besehen, bin in der Flora und am Hafen herumgewandelt
und auf dem alten Erkte oder dem Monte Pellegrino gewesen.

Von hier aus, sagte man mir, ist es durchaus nicht möglich, ohne Führer
und Maulesel durch die Insel zu reisen. Selbst die Herren Bouge und
Caillot, an die ich von Wien aus wegen meiner fünf Dreier hier gewiesen
bin, sagen, es werde sich nicht thun lassen. Ich habe nicht Lust mich
jetzt noch hier länger aufzuhalten, lasse eben meine Stiefeln besohlen
und will morgen früh in die Insel hineinstechen. Da ich barfuß nicht
wohl ausgehen kann und doch etwas anderes zu schreiben eben nicht
aufgelegt bin, habe ich mich hingesetzt und in Sicilien einen Sicilier,
nämlich den Theokritus, gelesen. Der Cyklops kam mir eben hier so
drollig vor, daß ich die Feder ergriff und ihn unvermerkt niederschrieb.
Ich will Dir die Uebersetzung ohne Entschuldigung und Präambeln geben
und werde es sehr zufrieden seyn, wenn Du sie besser machst; denn ich
habe hier weder Apparat noch Geduld, und wäre mit ganzen Stiefelsohlen
wohl schwerlich daran gekommen. Also wie folgt:

   Nicias, gegen die Liebe, so däucht mich, giebt es nicht andres
   Pflaster und keine andere Salb', als Musengesänge.
   Lindernd und mild ist das Mittel, doch nicht so leicht es zu finden.
   Dieses weißt Du, glaub' ich, sehr wohl, als Arzt und als Liebling,
   Als vorzüglicher Liebling der helikonischen Schwestern.
   Also lebte bei uns einst leidlich der alte Cyklope
   Polyphemus, da heiß er in Galateen entbrannt war.
   Nicht mit Versen liebt' er und Aepfeln und zierlichen Locken,
   Sondern mit völliger Wuth, hielt alles andre für Tand nur.
   Oft, oft kamen die Schafe von selbst zurück von der Weide
   Zu der Hürd', und der Hirt saß einsam und sang Galateen
   Bis zum Abend vom Morgen schmelzend am Ufer im Riedgras,
   Mit der schmerzlichen, schmerzlichen Wunde tief in dem Herzen,
   Von der cyprischen Göttin, die ihm in die Leber den Pfeil warf.
   Aber er fand das Mittel; er setzte sich hoch auf den Felsen,
   Schaute hinaus in das Meer und hob zum Gesange die Stimme:
   Ach Galatea, Du Schöne, warum verwirfst Du mein Flehen?
   Weißer bist Du wie frischer Käs und zarter wie Lämmer,
   Stolzer wie Kälber und herber wie vor der Reife die Traube.
   Also erscheinest Du mir, wenn der süße Schlaf mich beschleichet;
   Also gehst Du von mir, wenn der süße Schlaf mich verläßt;
   Fliehest von mir wie ein Schaf, das den Wolf, den grauen, erblickte.
   Mädchen, die Liebe zu Dir schlich damals zuerst in das Herz mir,
   Als mit meiner Mutter Du kamst, Hyacinthen zu sammeln
   Auf dem Hügel, und ich die blumigen Pfade Dich führte.
   Seitdem schau ich immer Dich an, und kann es durchaus nun,
   Kann es nicht lassen; doch kümmert es Dich, beim Himmel auch gar
      nichts.
   Ach ich weiß wohl, liebliches Mädchen, warum Du mich fliehest:
   Weil sich über die ganze Stirne mir zottig die Braue,
   Von dem Ohre zum Ohre gespannt, die einzige, lang zieht,
   Nur ein Auge mir leuchtet, und breit mir die Nase zum Mund hängt.
   Aber doch so wie ich bin hab' ich tausend weidende Schafe,
   Und ich trinke von ihnen die süßeste Milch, die ich melke:
   Auch geht mir der Käse nicht aus im Sommer, im Herbst nicht,
   Nicht im spätesten Winter; die Körbe über den Rand voll.
   Auch kann pfeifen ich schön, wie keiner der andern Cyklopen,
   Wenn, Goldäpfelchen, Dich und mich den Getreuen, ich singe
   Oft in der Tiefe der Nacht. Ich füttr' elf Hirsche mit Jungen.
   Alle für Dich, und für Dich vier junge zierliche Bären.
   Komm, ach komm nur zu mir! viel findest der Schätze Du mehr noch.
   Laß Du die bläulichen Wogen nur rauschen am Felsengestade;
   Süßer schläfst Du bei mir gewiß die Nacht in der Grotte.
   Lorber hab' ich daselbst und schlanke, leichte Cypressen,
   Dunkeln Epheu zur Laub' und süß befruchteten Weinstock;
   Frisches Wasser, das mir der dicht bewaldete Aetna
   Von dem weißesten Schnee zum Göttertranke herabschickt.
   Sprich, wer wollte dagegen die Wogen des Meeres erwählen?
   Und bin ich ja für Dich, mein liebliches Mädchen, zu zottig,
   Ei, so haben wir eichenes Holz und glühende Kohlen:
   Und von Dir vertrag' ich, daß Du die Seele mir ausbrennst,
   Und, was am liebsten und werthsten mir ist, das einzige Auge.
   Ach, warum ward ich nicht ein Triton mit Flössen zum Schwimmen?
   Und ich tauchte hinab, Dir das schöne Händchen zu küssen,
   Wenn Du den Mund mir versagst, und brächte Dir Lilienkränze,
   Oder den weichesten Mohn mit glühenden, klatschenden Blättern.
   Aber jenes blühet im Sommer und dieses im Spätjahr,
   Daß ich Dir nicht alles zugleich zu bringen vermöchte.
   Aber ich lerne gewiß, ich lern', o Mädchen, noch schwimmen,
   Kommt nur ein fremder Schiffer zu uns hierher mit dem Fahrzeug,
   Daß ich doch sehe, wie lieblich sich dort bei euch unten es wohnet.
   Komm, Galatea, herauf, und bist Du bei mir, so vergiß dann,
   Wie ich hier sitzend am Felsen, zurück nach Hause zu kehren!
   Komm und wohne bei mir und hilf mit weiden und melken,
   Hilf mir mit bitterem Lab die neuen Käse bereiten!
   Ach, die Mutter nur ist mein Unglück, sie nur verklag' ich;
   Denn sie redet bei Dir für mich kein freundliches Wörtchen.
   Und sieht doch von Tage zu Tage mich magerer werden.
   Sagen will ich ihr nun, wie Kopf und Füße mir beben,
   Daß auch sie sich betrübe, da ich vor Schmerzen vergehe.
   O Cyklope, Cyklope, wo ist dein Verstand hingeflogen?
   Gingst Du doch hin und flöchtest Dir Körbe und mähetest Gras Dir,
   Deine Lämmer zu füttern; das wäre fürwahr doch gescheidter.
   Melke das Schäfchen, das da ist; warum verfolgst Du den Flüchtling?
   Und Du findst Galateen; auch wohl eine schönere Andre.
   Mädchen die Menge rufen mir zu zum Scherze die Nacht durch:
   Alle kichern mir nach. So will ich denn ihnen nur folgen:
   Denn ich bin auf der Welt doch wohl auch wahrlich ein Kerl noch.
   Also weidete Polyphemus und sang von der Liebe,
   Und es ward ihm leichter, als hätt' er Schätze vergeudet.

Ist es nicht Schade, daß wir das zärtliche Liebesbriefchen des
Polyphemus an seine geliebte Galatee von dem Tyrannen Dionysius nicht
mehr haben? Er wurde, glaube ich, durch einen Triton bestellt. Die
sicilischen Felsen machen alle eine eigene idyllische Erscheinung; und
wenn ich mir so einen verliebten Cyklopen Homers oder Virgils in
schmelzenden Klagen darauf sitzend vorstelle, so ist die Idee gewaltig
possirlich. Das giebt übrigens auch, ohne eben meine persönlichen
Verdienste mit den Realitäten des Polyphemus zu vergleichen, eigene,
nunmehr nicht unangenehme Reminiscenzen meiner übergroßen Seligkeit,
wenn ich ehemals meine theuer gekaufte Spätrose der kleinen Schwester
meiner Galatee geben konnte, und wenn ich drei hyperboreische Meilen auf
furchtbarem Wege in furchtbarem Wetter meinen letzten Gulden in das
Schauspiel trug, um aus dem dunkelsten Winkel der Loge nicht das
Schauspiel, sondern die Göttin zu sehen. Ich hatte mit meinem Cyklopen
gleiches Schicksal und brauchte mit ziemlichen Erfolg das nämliche
Mittel.

Eben hatte ich die letzten Verse geschrieben, als man mir meine Stiefeln
brachte; und diesem Umstande verdankst Du, daß ich Dir nicht auch noch
seine Hexe oder sein Erntefest bringe.



                                                           _Agrigent._


Siehst Du, so weit bin ich nun, und bald am Ende meines Spaziergangs,
der bei dem allen nicht Jedermanns Sache seyn mag. Von hier nach Syrakus
habe ich nichts zu thun, als an der südlichen Küste hinzustreichen; das
kann in einigen Tagen geschehen, wenn ich nun ein ächter Gelehrter oder
gar Antiquar wäre, so würde ich mich ärgern: denn ich habe viel
versehen. Ich wollte nämlich von Palermo über Trapani, Alcamo und
Sciacca gehen, um in Segeste und Selinunt die Alterthümer zu sehen, die
noch dort sind. Auch Barthels hat sie nicht gesehen, wenn ich mich recht
erinnere; und der Tempel von Segeste wäre doch wohl eine so kleine
Abschweifung werth. Ich wohnte in Palermo mit einem neapolitanischen
Officier, einem Herrn Canella aus Girgenti, zusammen, mit dem ich ein
langes und breites darüber sprach; und dieser hatte die Güte mir einen
Mauleseltreiber aus seiner Vaterstadt als Wegweiser zu besorgen. Nun
denke ich in meiner Sorglosigkeit weiter mit keiner Sylbe daran, und
glaube, der Kerl wird mich gerade an den Eryx bringen. Ich setze mich
auf und reite in der größten Andacht, in welcher ich meine Orangen nach
und nach aufzehre, wohl zwei Stunden fort, als mir einfällt, daß ich
doch zu weit links von der See abkomme. Der Eseltreiber versicherte mich
aber sehr ehrlich, das sei der rechte gewöhnliche Weg nach Agrigent. Ich
bin wieder einige Millien zufrieden. Endlich kommen wir bei Bei Frati
an, und ich finde mich zu sehr mitten in der Insel. Nun orientirte und
erklärte ich mich, und da kam denn zum Vorschein, daß sich der
Eseltreiber den Henker um meine Promenade bekümmert hatte, und mit mir
gerade den alten römischen Weg durch die Insel geritten war. Was war zu
thun? Rechts einlenken? Da war eine ganze Welt voll Berge zu
durchstechen, und Niemand wollte den Weg wissen: und das Menschenkind
verlangte nicht mehr als sechs goldene Unzen, um nach Palermo zurück und
den andern Weg zu machen. Das war meiner Börse zuviel: ich entschloß
mich endlich mit etwas Griesgrämlichkeit nun so fort zu reiten, und die
erycinische Göttin andern zu überlassen, die vielleicht ihren Werth
besser zu würdigen verstehen. Wir ritten von Palermo bis fast an die
Bagarie den Weg nach Termini, und stachen dann erst rechts ab. Die
Partien sind angenehm und könnten noch angenehmer seyn, wenn die Leute
etwas fleißiger wären. So wie man sich von der Hauptstadt entfernt, wird
es ziemlich wild. Wir kamen durch einige ziemlich unbeträchtliche
Oerter, und der Abfall der Kultur und des äußerlichen Wohlstandes war
ziemlich grell. Alles war weit theuerer, als in der Hauptstadt, nur
nicht die Apfelsinen, an denen ich mich erholte und von denen ich mein
Magazin nicht leer werden ließ. Nicht weit von Bei Frati blieb uns
rechts auf der Anhöhe ein altes Schloß liegen, das man Torre di Diana
nannte, und wo die Sarazenen ehemals mit den Christen viel Grausamkeit
getrieben haben sollen. Es war mir noch zu zeitig bei den schönen
Brüdern zu bleiben, zumal da das Wirthshaus geradezu der Revers des
Namens war; wir ritten also ungefähr fünf Millien weiter an ein anderes.
Hier war auch nicht einmal Maccaroni zu haben. Wir ritten also wieder
weiter; mein Eseltreiber und noch ein armer Teufel, der sich
angeschlossen hatte, fingen an sich vor Räubern zu fürchten, und ich war
es auch wohl zufrieden, als wir endlich ziemlich spät in Sankt Joseph,
nicht weit von einem Flusse, ankamen, dessen Namen ich vergessen habe.

Hier fanden wir eine ganze Menge Mauleseltreiber aus allen Theilen der
Insel und doch wenigstens Maccaroni. Aus Vorsicht hatte ich für mich in
Palermo Brot gekauft, das beste und schönste, das ich je gesehn und
gegessen habe. Hier war es mir eine Wohlthat, und ich selbst konnte
damit den Wohlthäter machen. Die Leutchen im Hause, unter denen ein
Kranker war, segneten die fremde Hülfe: denn das wenige Brot, das sie
selbst hatten, war sehr schlecht. Ist das nicht eine Blasphemie in
Sicilien, das ehemals eine Brotkammer für die Stadt Rom war? Ich konnte
meinen Unwillen kaum bergen.

Einen lustigen Streit gab es zum Dessert der Maccaroni. Die Eseltreiber
hatten mir abgelauert, daß ich wohl ihre Alterthümer mit besuchen
wollte, wie sich denn dieses in Sicilien einem Fremden sehr leicht
abmerken läßt. Da erhob sich ein Zwist unter den edelmüthigen
Hippophorben über die Vorzüge ihrer Vaterstädte in Rücksicht der
Alterthümer. Der Eseltreiber von Agrigent rechnete seine Tempel und die
Wunder und das Alter seiner Stadt her; der Eseltreiber von Syrakus sein
Theater, seine Steinbrüche und sein Ohr; der Eseltreiber von Alcamo sein
Segeste und der Eseltreiber von Palermo hörte königlich zu und sagte --
nichts. »Ihr könnt euch auch groß machen,« sagte der Treiber von
Catanien zu dem Treiber von Alcamo, »mit eurem Margarethentempelchen,
der nicht einmal euer ist,« und fing nun an auch die Alterthümer seiner
Vaterstadt, als der ältesten Universität der Erde, herauszustreichen,
wobei er den Alcibiades nicht vergaß, der in ihrem Theater geredet habe.
Du mußt wissen, Margarethe heißt bei den Siciliern durchaus ein
gefälliges, feiles Mädchen; das war für die Mutter des ehrsamen Mannes
der Aeneide kein sonderlicher Weihrauch. Ohne mein Erinnern siehst Du
hieraus, daß die sicilischen Mauleseltreiber sehr starke Antiquare sind,
ob sie die Sache gleich nicht immer außerordentlich genau nehmen; denn
der Agrigentiner rechnete den benachbarten Macaluba zu den Alterthümern
seiner Vaterstadt, ohne daß seine Gegner protestirten; und hätte der
Streit noch länger gedauert, so hätte der Catanier vielleicht den Aetna
auch mit aufgezählt.

Den Morgen darauf gingen wir durch die Jumarren, einen heillosen Weg,
unter sehr schlechtem Wetter. Nie habe ich eine solche Armuth gesehen,
und nie habe ich mir sie nur so entsetzlich denken können. Die Insel
sieht im Innern furchtbar aus. Hier und da sind einige Stellen bebaut;
aber das Ganze ist eine Wüste, die ich in Amerika kaum so schrecklich
gesehen habe. Zu Mittage war im Wirthshause durchaus kein Stückchen Brot
zu haben. Die Bettler kamen in den jämmerlichsten Erscheinungen, gegen
welche die römischen auf der Treppe des _spanischen_ Platzes noch
Wohlhabenheit sind; sie bettelten nicht, sondern standen mit der ganzen
Schau ihres Elends nur mit Blicken flehend in stummer Erwartung an der
Thüre. Erst küßte man das Brot, das ich gab, und dann meine Hand. Ich
blickte fluchend rund um mich her über den reichen Boden, und hätte in
diesem Augenblicke alle sicilische Barone und Aebte mit den Ministern an
ihrer Spitze ohne Barmherzigkeit vor die Kartätsche stellen können. Es
ist heillos. Den Abend blieb ich in Fontana Fredda, wo ich, nach dem
Namen zu urtheilen, recht schönes Wasser zu trinken hoffte. Aber die
Quelle ist so vernachlässiget, daß mir der Wein sehr willkommen war. Ich
mußte hier für ein Paar junge Tauben, das einzige, was man finden
konnte, acht Karlin, ungefähr einen Thaler nach unserm Gelde, bezahlen;
da ich doch mit dem ewigen Maccaroni mir den Magen nicht ganz
verkleistern wollte. Das Beste war hier ein großer, schöner, herrlicher
Orangengarten, wo ich aussuchen und pflücken konnte, so viel ich Lust
hatte, ohne daß es die Rechnung vermehrt hätte, und wo ich die
köstlichsten, hochglühenden Früchte, von der Größe einer kleinen Melone,
fand. Gegenüber hängt das alte Sutera traurig an einem Felsen, und Campo
Franco von der andern Seite. Das Thal ist ein wahrer Hesperidengarten
und die Segensgegend wimmelt von elenden Bettlern, vor denen ich keinen
Fuß vor die Thür setzen konnte; denn ich kann doch nicht helfen, wenn
ich auch alle Taschen leerte und mich ihnen gleich machte.

Der Fluß ohne Brücke über den ich in einem Strich von ungefähr drei
deutschen Meilen wohl funfzehn Mal hatte reiten müssen, weil der Weg
bald diesseits, bald jenseits gehet, ward diesen Morgen ziemlich groß;
und das letzte Mal kamen zwei starke cyklopische Kerle, die mich mit
Gewalt auf den Schultern hinüber trugen. Sie zogen sich aus bis aufs
Hemde, schürzten sich auf bis unter die Arme, trugen Stöcke wie des
Polyphemus ausgerissene Tannen, und suchten die gefährlichsten Stellen,
um ihr Verdienst recht groß zu machen: ich hätte gerade zu Fuße
durchgehen wollen, und wäre nicht schlimmer daran gewesen als am Ende
der pontinischen Sümpfe vor Terracina. Ihre Forderung war unverschämt,
und der Eseltreiber meinte ganz leise, ich möchte sie lieber willig
geben, damit sie nicht bösartig würden. Sie sollen sich sonst kein
Gewissen daraus machen, Jemand mit dem Messer, oder dem Gewehrlauf, oder
geradezu mit dem Knittel in eine andere Welt zu liefern. Die
Gerechtigkeit erkundigt sich nach solchen Kleinigkeiten nicht weiter.
Der Fluß geht nun rechts durch die Gebirge in den See. Ich habe seinen
eigentlichen Namen nicht gefaßt; man nannte ihn bald so, bald anders,
nach der Gegend; am häufigsten nannten ihn die Einwohner ^Fiume di San
Pietro^. Von nun an war die Gegend von hierher nach Agrigent abwechselnd
sehr schön und fruchtbar, und auch noch leidlich bearbeitet. Nur um den
Macaluba, den ich rechts von dem Wege ab aufsuchte, ist sie etwas mager.

Ich will Dir sagen, wie ich den Berg, oder vielmehr das Hügelchen fand.
Seine Höhe ist sehr unbeträchtlich und sein ganzer Umfang ungefähr eine
Viertelstunde. Rund umher sind in einer Entfernung von einigen Stunden
ziemlich hohe Berge, so daß ich die vulkanische Erscheinung Anfangs für
Quellwasser von den Höhen hielt. Diese mögen dazu beitragen; aber sie
sind wohl nicht die einzige Ursache. Die Höhe des Orts ist
verhältnißmäßig doch zu groß, und es giebt rund umher doch viel tiefere
Gegenden, die auch wirklich Wasser halten. Am wenigsten ließe sich seine
periodische Wuth erklären. Wo ich hinaufstieg, fand ich einen einzelnen,
drei Ellen hohen Kegel, aus einer Masse von Thon und Sand, dessen Spitze
oben eine Oeffnung hatte, aus welcher die Masse immer herausquoll und
herabfloß, und so den Kegel vergrößerte. Auf der Höhe des Hügels waren
sechs größere Oeffnungen, aus denen beständig eben dieselbe Masse
hervordrang; ihre Kegel waren nicht so hoch, weil die Masse flüssiger
war. Ich stieß in einige meinen Knotenstock gerade hinein, und fand
keinen Grund; so wie ich aber nur die Seiten berührte, war der Boden
hart. In der Mitte, und ziemlich auf der größten Höhe desselben, war die
größte Oeffnung, zu der ich aber nicht kommen konnte, weil der Boden
nicht trug, und ich befürchten mußte, zu versinken. Zuweilen, wenn es
anhaltend sehr warm und trocken ist, soll man auch zu diesem Trichter
sehr leicht kommen können. Ich sah der Oeffnungen rund umher größere und
kleinere, ungefähr dreißig. Einige waren so klein, daß sie nur ganz
kleine Bläschen in Ringelchen ausstießen, und ich konnte meinen Stock
nur mit Widerstand etwas hineinzwingen. Die Ausbrüche und die
Regenstürme ändern das Ansehen des Macaluba beständig; er ist daher noch
etwas wandelbarer, als seine größern Herren Vettern. Ihm gegenüber
liegt, in einer Entfernung von ungefähr zwei Stunden, auf einer
beträchtlichen Anhöhe eine Stadt, die von weitem ziemlich hübsch
aussieht, und, wenn ich nicht irre, Ravonna heißt. Die Einwohner dieses
Orts und einiger naheliegenden kleinen Dörfer wurden, wie man erzählte,
vor drei Wochen sehr in Schrecken gesetzt, weil der Zwergberg anfing
inwendig gewaltig zu brummen und zu lärmen. Es ist aber dießmal bei dem
Brummen geblieben. Von dem Diminutiv-Vulkan bis hierher sind ungefähr
noch acht Millien durch eine ziemlich rauhe Gegend über mehrere Berge.

Mein Eintritt in die Locanda hier war eine gewaltig starke
Ohrfeigenpartie. Das ging so zu. Als ich das Haus betrachtete, ob es mir
anstehen und ob ich hier bleiben würde, kam ein sehr dienstfertiger
Cicerone, der mich wahrscheinlich zu einem seiner Bekannten bringen
wollte. Ehe ich mir's versah, schoß ein junger starker Kerl aus einer
Art von Küche heraus, fuhr vor mir vorbei, und packte den höflichen
Menschen mit einer furchtbaren Gewalt bei der Gurgel, warf ihn nieder,
und fing an, ihn mit den Fäusten aus allen Kräften zu bearbeiten. Ich
sprach zum Frieden, so gut ich konnte, und er ließ den armen Teufel
endlich los, der auch sogleich abmarschirte. Ich sagte dem Fausthelden
so glimpflich als möglich, daß ich diese Art Willkommen etwas zu
handgreiflich fände; da trat er ganz friedlich und sanft vor mich und
demonstrirte mir, der Kerl habe seine Mutter geschimpft; das könne und
werde er aber nicht leiden. Nun machte man mir ein Zimmer bereit; und so
schlecht es auch war, so zeigten die Leute doch allen guten Willen; und
damit ist ein ehrlicher Kerl schon zufrieden. Nun suchte ich den Ritter
Canella, den Onkel meines militärischen Freundes in Palermo, und den
Kanonikus Raimondi auf. Beide waren sehr artig und freundschaftlich, und
der Ritter besuchte mich sogar in meinem Gasthause. Raimondi, welcher
Direktor der heiligen Schrift ist, führte mich in die alte gothische
Kathedrale, wo ich den antiken Taufstein sah und das akustische
Kunststück nicht hören konnte, da er den Schlüssel zu der verschlossenen
Stelle vergessen hatte, und es unbescheiden gewesen wäre, ihn wegen der
Kleinigkeit noch einmal zu bemühen. Man findet es in vielen Kirchen.
Wenn man an dem einen Ende ganz leise spricht, geht der Schall oben an
dem Bogen hin, und man hört ihn an der andern Seite ganz deutlich. Jetzt
hat man den Ort deßwegen verschlossen, weil man auf diese Weise die
Beichtenden belauschte. Der alte Taufstein, der die Geschichte des
Hippolytus enthält, ist aus den Reisenden und Antiquaren bekannt genug,
und ich fand bei Vergleichung auf der Stelle, daß Dorville, welcher bei
Raimondi lag, fast durchaus außerordentlich richtig gezeichnet hat.

Canella gab mir einen Brief an den Marchese Frangipani in Alicata. Mein
Mauleseltreiber kam beständig und machte den Bedienten und Cicerone. ^Io
saggio tutto, Signore, Io conosco tutte le maraviglie^, sagte er mit
einer apodiktischen Wichtigkeit, wider welche sich eben so wenig
einwenden ließ, als wider die Infallibilität des Papstes. Da ich das
meiste, was ich sehen wollte, schon ziemlich kannte, hatte ich weiter
nichts gegen die Gutherzigkeit des Kerls, der ein Bursche von ungefähr
neunzehn Jahren war. Ich hatte das ganze Wesen der alten Stadt schon aus
den Fenstern des Herrn Raimondi übersehen, steckte also den folgenden
Morgen mein Morgenbrot in die Tasche, und ging hinunter in die
ehemaligen Herrlichkeiten der alten Akragantiner. Was kann eine
Rhapsodie über die Vergänglichkeit aller weltlichen Größe helfen? Ich
sah da die Schutthaufen und Steinmassen des Jupiterstempels, und die
ungeheuern Blöcke von dem Tempel des Herkules, wie nämlich die Antiquare
glauben; denn ich wage nicht, etwas zu bestimmen. Die Trümmern waren mit
Oelbäumen und ungeheuren Karuben durchwachsen, die ich selten anderswo
so schön und groß gesehen habe. Sodann gingen wir weiter hinauf zu dem
fast ganzen Tempel der Concordia. Das Wetter war frisch und sehr windig.
Ich stieg durch die Celle hinauf, wo mir mein weiser Führer folgte, und
lief dann oben auf dem steinernen Gebälke durch den Wind mit einer
nordischen Festigkeit hin und her, daß der Agrigentiner, der doch ein
Mauleseltreiber war, vor Angst blaß ward, an der Celle blieb und sich
niedersetzte. Ich that das nämliche mitten auf dem Gesims, bot den
Winden Trotz, nahm Brot und Braten und Orangen aus der Tasche, und hielt
ein Frühstück, das gewiß Scipio auf den Trümmern von Karthago nicht
besser gehabt hat. Ich konnte mich doch einer schauerlichen Empfindung
nicht erwehren, als ich über die Stelle des alten, großen, reichen
Emporiums hinsah, wo einst nur ein einziger Bürger unvorbereitet
vierhundert Gäste bewirthete, und jedem die üppigste Bequemlichkeit gab.
Dort schlängelte sich der kleine Akragas, welcher der Stadt den Namen
gab, hinunter in die See; und dort oben am Berge, wo jetzt kaum noch
eine Trümmer steht, schlugen die Karthager, und das Schicksal der Stadt
wurde nur durch den Muth der Bürger und die Deisidämonie des feindlichen
Feldherrn aufgehalten. Wo jetzt die Stadt steht, war vermuthlich ehemals
ein Theil der Akropolis. Nun ging ich noch etwas weiter hinauf zu dem
Tempel der Juno Lucina und den übrigen Resten, unter denen man mehrere
Tage sehr epanorthotisch hin und her wandeln könnte. Die systematischen
Reisenden mögen Dir das Uebrige sagen; ich habe keine Entdeckungen
gemacht. Der jetzige König hat einige Stücke wieder hinauf auf den alten
Concordientempel schaffen lassen, und dafür die schöne alte Fronte mit
der pompösen Inschrift entstellt: »^Ferdinandus IV. Rex restaurauit.^«
Ich hätte den Giebel herunterwerfen mögen, wo die kleinliche Eitelkeit
stand.

Die beiden ziemlich gut erhaltenen Tempel stehen nicht weit von den
alten Mauern, in deren solidem Felsen eine Menge Aushöhlungen sind, aus
denen man nicht recht weiß, was man machen soll. Einige halten sie für
Gräber. Mir kommt es wahrscheinlicher vor, daß es Schlafstellen für die
Wache waren, eine Art von Kasernen; und sie sind vermuthlich nur aus der
neuern Zeit der Saracenen oder Gothen. Diese Mauern, so niedrig sie auch
gegen die hohen Berge umher liegen, sind doch als Felsen beträchtlich
genug, daß man von der See aus die Stadt das hohe Akragos nennen konnte;
und noch jetzt würden unsere Vierundzwanzig-Pfünder genug zu arbeiten
haben, eine Bresche hineinzuschlagen. Es ist wohl nicht ohne Grund
geschehen, daß man die schönsten Tempel der Mauer so nahe baute. Sie
waren das Heiligthum der Stadt; ihre Nähe beim Angriff mußte anfeuern,
wo die Bürger augenscheinlich ^pro aris et focis^ schlugen. Auch der
Tempel des Herkules muß unten nicht weit von der Mauer gestanden haben.
Dort sind aber die Mauern nicht so hoch und stark gewesen, weil die
Natur dort nicht so unterstützte; eben deßwegen setzte man dorthin den
Tempel des Herkules, um die Bürger an der schwachen Seite mehr an Kampf
und Gefahr zu erinnern; eben deßwegen liegen wahrscheinlich dort Tempel
und Mauer in Trümmern, weil vermuthlich daselbst die Stadt mehreremal
eingenommen wurde. Was ich aus dem sogenannten Grabmal Hierons machen
soll, weiß ich nicht; ich überlasse es mit dem Uebrigen ruhig den
Gelehrten. Ich habe nicht Zeit, gelehrt zu werden. Am kürzesten dürfte
ich nur meinem Maultiertreiber folgen; der sagt mir gläubig fest
bestimmt. »^Kischt' è il tempio di San Gregoli; Kischta Madonna è
antica^;« und wer es nicht glauben will, ^anathema sit^. Der gute Mensch
hat mich recht herzlich in Affektion genommen, und meint es recht gut;
vorzüglich zeigt er mir gewissenhaft alle Klöster, und sagt mir, wie
reich sie sind. Nun interessiren mich die Klöster und ihre Bewohner nur
[Griechisch: kat' antiphrasin tês kalokagathias]; ich sagte also diesen
Morgen zu einem solchen Rapport ganz unwillig murmelnd in meinem
Mutteridiom: »Ich wollte, es wären Schweinställe!« Weiß der Himmel, was
der fromme Kerl verstanden haben mochte: »^Si, si, Signore, dice bene^,«
sagte er treuherzig; »^kischt' è la cosa^.« Er rechnete es mir hoch an,
daß er Italienisch sprach, und nicht den Jargon seiner Landsleute, mit
denen ich gar nicht fortkommen würde: doch kam ich mit seinen
Landsleuten in ihrem Jargon noch so ziemlich ohne ihn fort. Auf der
heutigen Promenade erzählte er mir von einer kleinen Stadt, nicht weit
von Alcamo hinab in dem Gebirge, wo die Leute Griechisch sprächen, oder
gar Türkisch, so daß man sie gar nicht verstehen könnte, wie das oft der
Fall zu Girgenti auf dem Markte wäre. Hier führte er eine Menge ihrer
Wörter an, die ich, leider! wieder vergessen habe. »^Non sono cosi boni
latini, come noi autri^,« sagte er. Du siehst, der Mensch hat Ehre im
Leibe.

Den musikalischen Talenten und der musikalischen Neigung der Italiener
kann ich bis jetzt eben keine große Lobsprüche machen. Ich habe von
Triest bis hierher, auf dem Lande und in den Städten, auch noch keine
einzige Melodie gehört, die mich beschäftigt hätte, welches doch in
andern Ländern manchmal der Fall gewesen ist. Das Beste war noch von
eben diesem meinem ästhetischen Cicerone aus Agrigent, der eine Art
Liebesliedchen sang, und sehr emphatisch drollig genug immer
wiederholte: »^Kischta nutte, kischta nutte iu verrù, iu verrù.^«
(^Questa notte io verrò.^)

Eben bin ich unten am Hafen gewesen, der vier italienische Meilen von
der Stadt liegt. Der Weg dahin ist sehr angenehm durch lauter
Oelpflanzungen und Mandelgärten. Hier und da sind sie mit Zäunen von
Aloen besetzt, die in Sicilien zu einer außerordentlichen Größe wachsen;
noch häufiger aber mit indischen Feigen, die erst im September reif
werden, und von denen ich das Stück, so selten sind sie jetzt, in der
Stadt mit fast einem Gulden bezahlen mußte, da ich die Seltenheit doch
kosten wollte. Die Karuben, oder Johannisbrotbäume gewinnen hier einen
Umfang, von dem wir bei uns gar keine Begriffe haben. Sie sind so
häufig, daß in einigen Gegenden des südlichen Ufers das Vieh mit Karuben
gemästet wird. Der Hafen, wie er jetzt ist, ist vorzüglich von Karl dem
Fünften gebaut. Buonaparte lag einige Tage hier und auf der Rhede, als
er nach Aegypten ging: und damals kamen auch einige Franzosen hinauf in
die Stadt, wo gar keine Garnison liegt. Sie müssen sich aber nicht gut
empfohlen haben; denn der gemeine Mann und Bürger spricht mit Abscheu
von ihnen. Der Hafen ist ungefähr wie in Ancona, und keiner der besten.
Nicht weit davon sind eine Menge unterirdischer Getreidebehälter, weil
von Agrigent sehr viel ausgeführt wird. Die politische Stimmung durch
ganz Sicilien ist gar sonderbar, und ich behalte mir vor, Dir an einem
andern Orte noch einige Worte darüber zu sagen.



                                                            _Syrakus._


Dieß ist also das Ziel meines Spazierganges, und nun gehe ich mit
einigen kleinen Umschweifen wieder nach Hause.

Ich will Dir von meiner Wanderung hierher so kurz als möglich das
Umständliche berichten. Das Reisen zu Maulesel wird mir doch ziemlich
kostbar. Von Agrigent aus verlangte man für einen Maulesel nicht weniger
als eine Unze täglich, etwas mehr als einen Kaiserducaten; oder eine
Pezzo, wenn ich ihn selbst füttern und den Führer beköstigen wollte.
Dieß war nun sehr theuer; und mein eigener Unterhalt kostete, zumal auf
dem Lande, nicht wenig. Ich handelte also mit meinem Mauleseltreiber, er
sollte mich zu Fuße auf einer Ronde um die Insel begleiten; dafür sollte
er mit mir ordentlich leben, so gut man in Sicilien leben kann, und ich
wollte ihm täglich noch fünf Karlin, ungefähr einen deutschen Gulden,
geben: dabei könnte er doch zusammen während der kurzen Zeit drei
goldene Unzen Gewinn haben. Der Handel wurde gemacht; ich gab ihm zwei
Unzen voraus, um sich für die eine, eigene Bedürfnisse auf die Reise
anzuschaffen, und die zweite unterdessen seiner alten Mutter zu lassen.
Er kaufte mir einen Habersack, ungefähr wie man ihn den Mauleseln mit
dem Futter umhängt, that meine zwei Bücher, meine Hemden mit den übrigen
Quinquaillerien und etwas Proviant hinein, und trug ihn mir nach oder
vor. Meinen stattlichen Tornister hatte ich, um ganz leicht zu seyn, und
auch aus Klugheit, versiegelt in Palermo gelassen: denn er fand überall
so viel Beifall und Liebhaber, daß man mir einigemal sagte, man würde
mich bloß meines Tornisters wegen todtschlagen.

Noch muß ich hier eine Bekanntschaft nachholen, die ich in Agrigent
machte. Als ich in meinem Zimmer aß, trat ein stattlich gekleideter Mann
zu mir herein, und erkundigte sich theilnehmend nach allen gewöhnlichen
Dingen, nach meinem Befinden, und wie es mir in seinem Vaterlande
gefiel, und so weiter. Die Bekanntschaft war bald gemacht; er wohnte in
einem Zimmer mir gegenüber in dem nämlichen Wirthshause, bat um die
Erlaubniß, sein Essen zu mir bringen zu dürfen, und wir aßen zusammen.
Es fand sich, daß er eine Art Steuerrevisor von Palermo war, der in
königlichen Geschäften reiste. Die Sicilianer sind ein sehr gutmüthiges,
neugieriges Völkchen, die in der ersten Viertelstunde ganz treuherzig
dem Fremden Alles abzufragen verstehen. Ich fand nicht Ursache, den
Versteckten zu spielen; und so erfuhr denn der Herr Steuerrevisor über
Tische auf seine Frage, daß ich ein Ketzer war. Der dicke Herr legte vor
Schrecken Messer und Gabel nieder, und sah mich an, als ob ich schon in
der Hölle brennte; er fragte mich nun über unser Religionssystem, von
dem ich ihm so wenig als möglich, so schonend als möglich sagte. Der
Mensch war in der Residenz verheirathet, hatte zu Hause drei Kinder, und
mußte, nach seiner offenen Beichte, auf der Landreise jede Nacht zur
Bequemlichkeit, wo möglich, sein Mädchen haben; fluchte übrigens und
zotirte auf Lateinisch und Italienisch trotz einem Bootsknecht: aber er
konnte durchaus nicht begreifen, wie man nicht an den Papst glauben und
ohne Mönche leben könne. Dabei hatte er ziemliche Studien aus der
römischen Legende. Doch entschloß er sich, mit mir fortzuessen, fragte
aber immer weiter. Es fehlte ihm nicht an etwas Gutmüthigkeit und einem
Schein von Vernunft; aber er donnerte doch halb spaßhaft das
Verdammungsurtheil über uns Alle her: »^Siete tutti minchioni, siete
come le bestie.^« Das nenne ich mir Logik! indessen, lieber Freund, es
giebt dergleichen Logik noch viel in der Welt, ^in jure canonico, civili
et publico^, die uns für Sterling verkauft wird. Uebrigens trug der Mann
viel Sorge für mich, schloß sich brüderlich an mich an, und meinte, ich
ginge großen Gefahren entgegen. Das war nun nicht zu ändern. Als ich
abging, band er mich dem Eseltreiber auf die Seele, gab ihm für mich
seine Adresse in Palermo und ließ mich Ketzer doch unter dem Schutze
aller Heiligen ziehen.

So zog ich denn mit meinem neuen Achates den Berg hinunter, über den
kleinen Fluß hinweg nach dem Monte Chiaro hin, auf Palma zu, welches die
hiesigen Einwohner Parma nennen. Ein junger Mensch, der in Syrakus einen
Handel machen wollte, gesellte sich mit seinem Esel zu uns. Mir war das
nicht sehr lieb, weil ich immer die Ehre hatte für alle Eseltreiber der
ganzen Insel zu bezahlen. In Palma traf ich einige meiner Bekannten, die
Antiquare von Sankt Joseph, die sich über das Margarethentempelchen von
Segeste zankten. Diese Herren staunten über meine Verwegenheit, daß ich
zu Fuße reisen wollte. Hier hatte ich ein Unglück, daß mich auch den Weg
allein fortzusetzen zwang. Mein Begleiter von Agrigent war sehr fromm,
es war Fasten; er aß so viel Paste, daß ich über seine Capacität
erstaunte. Indeß ein Sicilianer dieser Art hat seine Talente, die unser
einer nicht immer beurtheilen kann. Ich mochte nichts sagen; er hätte
glauben können, es wäre wegen der Bezahlung. Wir gingen fort; aber kaum
waren wir eine halbe Stunde gegangen, so fing die Paste an zu schwellen,
und verursachte dem frommen Menschen fürchterliche Passionen. Ich fing
nun an ihm den Sermon zu halten, warum er so viel von dem Kleister und
nicht lieber etwas mit mir gegessen habe. Hier rührte ihn von neuem das
Gewissen, und er bekannte mir, er habe schon furchtbare Angst gehabt,
daß er mit mir in der Fasten zu Fontana Fredda eine halbe Taube
gegessen. Sein Beichtvater habe ihn hart darüber angelassen. Die Sache
ward nun schlimmer. Er fiel nieder, wälzte sich und schrie vor Schmerz
und konnte durchaus nicht weiter fort. Was sollte ich thun? Ich konnte
hier nicht bleiben. Nachdem ich ihm so derb und sanft als möglich den
Text über seinen unvernünftigen Fraß gelesen hatte, nahm ich ihm meinen
Sack ab, übergab ihn seinem Freunde und Landsmanne, überließ ihn seinen
Heiligen und ging allein weiter. Es war mir lieb, daß ich ihn so gut
versorgt sah; ich hätte ihm nicht helfen können; doch that es mir um den
armen dummen Teufel leid. Ich habe nachher erfahren, daß er sich erholt
hat. Wenn er gestorben wäre, wäre es gewiß zum Wunder bloß darum
gewesen, weil er in der Fasten mit einem Ketzer junge Tauben gegessen
hatte, und nicht wegen seines bestialischen Maccaronifraßes. Ich habe
vernünftige Aerzte in Italien darüber sprechen hören, daß jährlich in
der Fasten eine Menge Menschen an der verdammten Paste sich zu Tode
kleistern; denn der gemeine Mann hat die ganze lange Zeit über fast
nichts anderes als Makkaroni mit Oel.

Ich ging also nun allein auf gut Glück immer an der Küste hin, bald das
Meer im Auge, bald etwas weiter links in das Land hinein, nachdem mich
der Weg trug. Bei Palma ist wieder schöne, herrliche Gegend, mit
abwechselnden Hügeln und Thälern, die alle mit Oelbäumen und
Orangengärten besetzt sind. Die hier wachsenden Orangen sind etwas
kleiner, als die übrigen in der Insel, aber sie sind die feinsten und
wohlschmeckendsten, die ich gegessen habe; selbst die von Malta nicht
ausgenommen, deren man eine Menge in Neapel findet. Gegen Abend kam ich
in Alicata an, wo ich vor der Stadt zwei sehr wohlgekleidete
Spaziergänger antraf, die mich zu sich auf eine Rasenbank einluden und
in zehn Minuten mir meine ganze Geschichte abgefragt hatten. Wir gingen
zusammen in die Stadt; ich halte sie für die beste, die ich nach Palermo
bis jetzt noch auf der Insel gesehen habe. Das Wirthshaus, das ich fand,
war ziemlich gut, ich hatte also nicht Ursache, dem Marchese Frangipani,
an den ich empfohlen war, beschwerlich zu fallen. Indessen gab ich doch
meinen Brief ab, und er nahm mich mit vieler Artigkeit in seinem
ziemlich großen Hause auf, wo ich eine ansehnliche Gesellschaft fand.
Man nöthigte mich, mit den Damen etwas Französisch und mit den
geistlichen Herren, deren einige zugegen waren, Lateinisch zu sprechen.
Als man sich zum Spiele setzte -- ^c'est partout comme chez nous^ -- und
ich daran nicht Theil nehmen wollte, noch konnte, da ich nie ein
Kartenblatt anrühre, empfahl ich mich und befand mich in meinem
Wirthshause recht wohl. In der schönsten Abenddämmerung machte ich noch
einen Spaziergang an dem Strande und sah der Fischerei zu. Die hiesige
Rhede muß für die Schiffe nicht viel werth seyn, so viel ich von der
Lage mit einem Ueberblick urtheilen kann. Gleich vor Alicata, von Palma
her, liegt ein am Meere sich herziehender Berg, der von den Gelehrten
mit Grund für den Eknomos der Alten gehalten wird. Jenseits des
Salzflusses, oder des südlichen Himera -- denn der nördliche fließt bei
Termini -- ist ein anderer Berg, dessen Name, glaube ich, Phalarius
heißt: und diese beiden Berge paradiren in den karthagischen Kriegen.
Der Eknomos soll nach der Erklärung Einiger seinen Namen davon haben,
weil der agrigentinische Tyrann Phalaris den Perillischen Stier hier
aufgestellt haben soll. Dieses scheint aber mehr auf den Phalarius zu
passen. Wenn Du mir erlaubst eine Konjektur zu machen, so will ich
annehmen, daß der Eknomos deßwegen so genannt worden sei, weil er ganz
allein, isolirt, von der ganzen übrigen Bergkette rund herum abgesondert
liegt; die andern Berge hängen in einem großen Amphitheater alle
zusammen. Der griechische Name däucht mir, könne dieß bedeuten:
[Griechisch: ek tou nomou tôn allôn horôn keitai geôlophos]. Der Berg
ist jetzt ziemlich gut bebaut, mit schönen Oelgärten und mehreren
Landhäusern besetzt, und giebt der Gegend ein sehr freundliches Ansehen.
Links ist an dem Himera hinauf eine schöne große Ebene mit
Weitzenfeldern; eine der besten, die ich je gesehen habe. Alicata ist
der erste Ort, wo ich in Sicilien billig behandelt wurde.

Ueberall warnte man mich vor bösen Wegen und vorzüglich hier in Alicata,
wo man sagte, daß die achtzehn Millien von hier nach Terra Nuova die
schlimmsten in der ganzen Insel wären. ^Sono cattiva gente^, hieß es;
und ^cattivo^ war der ewige Euphemismus, wenn sie zu Ehre ihres Landes
nicht Räuber und Banditen sagen wollten. Hier hat mich wahrscheinlich
nur meine armselige Figur gerettet. Ich wandelte gutes Muthes am Strande
hin, las Muscheln und murmelte ein Liedchen von Anakreon, machte mit
meinen Gedanken tausend Circumherumschweife und blieb bei der schönen
Idee stehen, daß ich hier nun vermuthlich in die geloischen Felder käme:
da sah ich von weitem drei Reiter und zwar zu Pferde auf mich zu
trottiren. Die Erscheinung eines Maulesels oder Esels ist mir in
Sicilien immer lieber, als eines Pferdes. Mir war etwas unreimisch, und
ich nahm mir vor, so ernsthaft als möglich vor ihnen vorbeizugehen. Das
litten sie aber nicht, ob sie es gleich auch mit ziemlichem Ernst
thaten. Sie waren alle drei mit Flinten bewaffnet; der Dolch versteht
sich von selbst. Ich grüßte nicht ganz ohne Argwohn. Man rief mir Halt!
und da ich that, als ob ich es nicht gleich verstanden hätte, ritt einer
mit Vehemenz auf mich zu, faßte mich beim Kragen und riß mich so heftig
herum, daß das Schisma noch an meinem Rocke zu sehen ist. »Wer seid
Ihr?« -- Ein Reisender. -- »Wo wollt Ihr hin?« -- Nach Syrakus. --
»Warum reitet Ihr nicht?« -- Es ist mir zu theuer; ich habe nicht Geld
genug dazu. -- Einer meiner Freunde in Rom hatte mich in dem barocken
Aufzuge gezeichnet, den ich damals machte, damit ich, wie er mir sagte,
doch sagen könnte, ich habe mich in Rom malen lassen. Ich schicke Dir
die Zeichnung zur Erbauung, und Du wirst hier wenigstens meine Eitelkeit
nicht beschuldigen, daß sie sich ins beste Licht gesetzt hat. Man riß
meinen Sack auf und fand darin freilich keine Herrlichkeiten, ein Hemde,
zwei Bücher, ein Stück hartes Brot, ein Stückchen noch härteren Käse und
einige Orangen. Man besah mich aufmerksam von der Ferse bis zum
Scheitel. -- »Ihr habt also kein Geld zum Reiten?« -- Ich kann so viel
nicht bezahlen. -- Meine Figur und der Inhalt meines Sackes schienen
ihnen hierüber ein gleichlautendes Dokument zu seyn. Man nahm das weiße
Buch, in welches ich einige Bemerkungen geschrieben hatte, um die
Reminiscenzen zu erhalten: man fragte, was es wäre, und durchblätterte
es neugierig, und Einer, der etwas Ansehen über die beiden Andern zu
haben schien, machte Miene es einzustecken. Ich sagte etwas betroffen:
Aber das ist mein Tagebuch mit einigen Reisebemerkungen für meine
Freunde. Der Mensch betrachtete mich in meiner Verlegenheit, besann sich
einige Augenblicke, gab mir das Buch zurück und sagte zu dem Andern:
»Gieb ihm Wein!« Dieses hielt ich, und wohl mit Recht, für das Zeichen
der Hospitalität und der Sicherheit. Ob ich gleich nicht lange vorher
reichlich aus einem Felsenbache getrunken hatte, so machte ich doch
keine Umstände, der ehrenvollen Gesellschaft Bescheid zu thun, so gut
ich konnte, und trank aus der dargereichten engen Flasche. Diese
Flaschen mit sehr engen Mündungen sind, wie Du vielleicht schon weißt,
hier für das arme Klima sehr diätetisch eingerichtet. Man ist durchaus
genöthigt sehr langsam zu trinken, weil man doch nicht mehr schlucken
kann, als heraus läuft. Nun fragte man mich dieses und jenes, worauf ich
so unbefangen als möglich antwortete. -- »An wen seid Ihr in Syrakus
empfohlen?« -- An den Ritter Landolina. -- »Den kenne ich;« sagte Einer.
-- »Ihr seid also arm und wollt den Giro machen, und geht zu Fuße?« Ich
bejahte das. Nun fragte man mich: »Versteht Ihr das Spiel?« Ich hatte
die Frage nicht einmal recht verstanden: da ich aber, außer ein wenig
Schach, durchaus gar kein Spiel verstehe, konnte ich mit gutem Gewissen
Nein antworten. Diese Frage ist mir vorher und nachher in Sicilien oft
gethan worden, und die Erkundigung ist, ob man etwas vom Lotto verstehe,
welches auch hier, Dank sei es der schlechten Regierung, eine allgemeine
Seuche ist. Das gemeine Volk steht hier noch oft in dem Wahn, der Fremde
als ein gescheidter Kerl müsse sogleich ausrechnen, oder auszaubern
können, welche Nummern gewinnen werden. Man wünschte mir gute Reise und
ritt fort. Was war nun von den Leuten zu halten? Aus gewöhnlicher
Vorsicht hatte ich die Uhr tief gesteckt: sie war also nicht zu sehen:
mein Taschenbuch, in welchem ungefähr noch sieben und zwanzig Unzen in
Gold liegen mochten, war inwendig in einer Tasche hoch unter dem linken
Arm und wurde also nicht bemerkt. Die Leute hatten keine Uniform und
durchaus kein Zeichen als Polizeireiter: übrigens waren sie für Sicilien
sehr anständig gekleidet. Gewehr und Dolche trägt in Unteritalien zur
Schande der Justiz und Polizei jedermann. Wenn sie ehrlich waren, so
thaten sie wenigstens alles mögliche es nicht zu scheinen: und das ist
an der südlichen Küste von Sicilien fast eben so schlecht, als wenn bei
uns in feiner Gesellschaft ein abgefeimter Schurke gerade das Gegentheil
thut. Ich denke immer, meine anscheinende Armseligkeit hat mich
gerettet, und die Uhr und die Unzen hätten mir den Hals brechen können.

Vor Terra Nuova wurde ich wieder freundschaftlich angehalten. Die Leute
hoben Getreide aus ihren unterirdischen Magazinen, wahrscheinlich um es
einzuschiffen. Ich fragte nach einem Gasthause. Man lud mich ein, mich
dort ein wenig niederzusetzen und auszuruhen: ich war wirklich müde und
that es. Neugierigere Leute als in Sicilien habe ich nirgends gefunden;
aber im Ganzen fehlt es ihnen nicht an Gutherzigkeit. Was schlecht ist,
kommt alles auf Rechnung der Regierung und Religionsverfassung. Man
fragte mich sogar, ob ich eine Uhr trüge, und begriff wieder nicht, wie
ich es nur wagen könnte, so zu reisen. Und doch bin ich überzeugt, das
war immer noch die sicherste Art, da ich allein war.

In der Stadt im Wirthshause gab man mir ein Zimmer, worin kein Bett,
kein Tisch und kein Stuhl war, und sagte dabei, ich würde in der ganzen
Stadt kein besseres finden. Ich warf mich auf einen Haferspreu, die in
einem Winkel aufgeschüttet war, und schlief ein. Ein Stündchen mochte
ich vielleicht geschlafen haben und es war gegen Abend; da wurde ich
geweckt. Mein Zimmer, wenn man das Loch so nennen kann, war voll Leute
aller Art, einige stattlich gekleidet, andere in Lumpen. Vor mir stand
ein Mann im Matrosenhabit, der eine förmliche lange Inquisition mit mir
anhob. Er war ganz höflich, so viel Höflichkeit nämlich bei so einem
Benehmen Statt finden kann, fragte erst Italienisch, sprach dann etwas
Tyrolerdeutsch, da er hörte, daß ich ein Deutscher sei; dann
Französisch, dann Englisch und endlich Latein. Die Anwesenden machten
Ohren, Maul und Nase auf, um so viel als möglich zu kapiren. Man war
geneigt mich für einen Franzosen zu halten, fragte, ob ich der Republik
gedient habe, und so weiter: aber über die eigene Stimmung gegen die
Franzosen gaben sie selbst nicht das geringste Merkzeichen. Der Mann im
Matrosenkleide sagte, ich müßte Franzose seyn, weil ich das Französische
so gut spräche. Das konnte nur ihm so vorkommen, weil er es sehr
schlecht sprach. Das Examen ward mir endlich sehr widerlich und lästig,
so wie ein Bär am Pfahl zu stehen und mich auf diese Weise beschauen und
vernehmen zu lassen; ich sagte also bestimmt: »Wenn ich verdächtig bin,
mein Herr, so bringen Sie mich vor die Behörde, wo ich mich legitimiren
werde; oder wenn Sie selbst von der Polizei sind, so sprechen Sie offen,
damit ich mich darnach benehmen kann! Erlauben Sie mir übrigens etwas
Ruhe in einem öffentlichen Hause, wo ich bezahle; es ist warm und ich
bin müde.« Das sagte ich italienisch so laut und gut ich konnte, damit
es alle verstehen möchten; einer der Herren bat mich höflich um
Verzeihung, ohne weiter eine Erklärung zu geben; die Neugierigen
verloren sich; und nach einigen Minuten war ich wieder allein auf meiner
Haferspreu. Den Abend, nachdem ich bei einigen Seefischen sehr gut
gefastet hatte, brachte man mir Heu; und ein gutmüthiger Tabuletkrämer
aus Katanien gab mir zur Decke einen großen Schafpelz, welcher mir
lieber war als ein Bett, das man nicht haben konnte.

Den andern Morgen ging ich über den Fluß Gela und durch ein herrliches
Thal nach Santa Maria di Niscemi hinauf. Dieses Thal mit den Partien an
dem Flusse links und rechts hinauf machte vermuthlich die Hauptgruppe
der geloischen Felder aus. Wenn auch Gela nicht gerade da stand, wo
jetzt Terra Nuova steht, so lag es doch gewiß nicht weit davon, und
höchst wahrscheinlich nur etwas weiter bergabwärts nach dem Flusse hin,
wo noch jetzt einige alte Ueberreste von Gemäuern und Säulen zu sehen
seyn sollen. Das Thal ist auch noch jetzt in der äußersten
Vernachlässigung sehr schön, und es läßt sich begreifen, daß es ehemals
bei der Industrie der Griechen ein Zaubergarten mag gewesen seyn. Hier
in Niscemi ist es wahrscheinlich wo vor mehrern Jahren ein merkwürdiger
Erdfall geschehen ist, den Landolina beschrieben hat.

Von hier aus wollte ich nach Noto gehen, und von dort nach Syrakus. Aber
wenn man in Sicilien nicht bekannt ist und ohne Wegweiser reist, so
bleibt man, wenn man nicht todt geschlagen wird, zwar immer in der
Insel; aber man kommt nicht immer geraden Weges an den bestimmten Ort.
Einige Meilen in der Nachbarschaft der Hauptstadt ausgenommen, kann man
eigentlich gar nicht sagen, daß in Sicilien Wege sind. Es sind bloß
Mauleseltriften, die sich oft verlieren, daß man mit ganzer
Aufmerksamkeit den Hufen nachspüren muß. Der König selbst kann in seinem
Königreich nicht weiter als nach Montreal, Termini und einige Meilen
nach Agrigent zu im Wagen gehen: will er weiter, so muß Seine Majestät
sich gefallen lassen, einen Gaul, oder sicherer einen Maulesel zu
besteigen. Das läßt er denn wohl bleiben, und deßwegen geht es auch noch
etwas schlechter, als gewöhnlich anderwärts, wo es die Fürsten nur sehr
selten thun. Man rieth mir, von Santa Maria nach Caltagirone zu gehen;
das that ich als ein Wildfremder. Aber kaum war ich ein Stündchen
gegangen, als ich in einen ziemlich großen Wald perrennirender Eichen
kam, wo ich alle Spur verlor, einige Stunden in Felsen und
Bergschluchten herumlief, bis ich mich endlich nur mit Schwierigkeit
wieder links orientirte, indem ich den Gesichtspunkt nach einer hohen
Felsenspitze nahm. Hier fand ich vorzüglich schöne Weiden in den Thälern
und große zahlreiche Heerden. Um Caltagirone herum ist die Kultur am
leidlichsten; man kann sie noch nicht gut nennen. Die Stadt, welche auf
einer nicht unbeträchtlichen Höhe liegt, hat rund umher schöne
angrenzende Thäler, und es herrscht hier für Sicilien noch eine
ziemliche Wohlhabenheit. Ich war nun auf einmal wieder beinahe mitten in
der Insel. In der Stadt war auf dem Markte ein gewaltiger Lärm von
Menschen; man aß und trank, und handelte und zankte, und sprach überall
sehr hoch, als auf einmal das Allerheiligste vorbeigetragen wurde;
schnell war alles still und stürzte nieder, und der ganze Markt,
Schacherer und Fresser und Zänker, machte in dem Moment eine sonderbare
Gruppe. Ich konnte aus meinem Fenster bei einer Mahlzeit getrockneter
Oliven, die hier mein Lieblingsgericht sind, unbemerkt und bequem alles
sehen. Ein so gutes Wirthshaus hätte ich hier nicht gesucht; Zimmer,
Bett, Tisch, alles war sehr gut, und verhältnißmäßig sehr billig.

Von hier aus wollte ich nach Syrakus, ging aufmerksam den Weg fort, den
man mir bezeichnet hatte, und war, ehe ich mirs versah, durch eine sehr
abwechselnde bunte Gegend, in Palagonia, dem Stammhause des seligen
Patrons der Ungeheuer, barocken Andenkens. Wäre ich an seiner Stelle
gewesen, ich wäre hier geblieben; denn Palagonia gefällt mir viel
besser, als die Nachbarschaft von Palermo, wo er das Tabernakel seiner
ästhetischen Mißgeburten aufschlug. Wieland läßt den geächteten Diagoras
in der Gegend von Tempe, aus Aergerniß über Götter und Menschen, ein
ähnliches Spielwerk treiben; aber der Grieche thut es besser und
genialischer, als der Sicilianer. Palagonia liegt herrlich in einem
Bergwinkel des Thales Enna. Kommt man von Caltagirone herüber, so geht
man zuletzt durch furchtbare Felsenschluchten, und steigt einen Berg
herab, als ob es in die Hölle ginge: und es geht in ein Elisium. Schade,
daß die exemplarische sicilianische Faulheit es nicht besser benutzt und
genießt! Die Stadt ist traurig schmutzig. Ueber den Namen der Stadt habe
ich nichts gehört und gelesen; welches freilich nicht viel sagen will,
da ich sehr wenig höre und lese. Ich will annehmen, er sei entstanden
aus Paliconia, weil nicht weit davon rechts hinauf in den hohen Felsen
der Naphthasee der Paliker liegt, von dem die Fabel so viel zu erzählen
und die Naturgeschichte manches zu sagen hat. Wäre ich nicht allein
gewesen oder hätte mehr Zeit, oder stände mit meiner Börse nicht in so
genauer Rechnung, so hätte ich ihn aufgesucht.

Von hier aus wollte ich nun nach Syrakus. Einer der überraschendsten
Anblicke für mich war, als ich aus Palagonia heraustrat. Vor mir lag das
ganze große schöne Thal Enna, das den Fablern billig so werth ist.
Rechts und links griffen rund herum die hohen felsigen Bergketten die es
einschließen, und von Noto und Mazzara trennen; und in dem Grunde
gegenüber stand furchtbar der Aetna mit seinem beschneiten Haupte, von
dessen Schädel die ewige lichte Rauchsäule in der reinen Luft
emporstieg, und sich langsam nach Westen zog. Ich hatte den Altvater
wegen des dunkeln Wetters noch nicht gesehen, weder zu Lande noch auf
dem Wasser. Nur auf der südlichen Küste in Agrigent, vor dem Thore des
Schulgebäudes, zeigte man mir den Riesen in den fernen Wolken; aber mein
Auge war nicht scharf genug, ihn deutlich zu erkennen. Jetzt stand er
auf einmal ziemlich nahe in seiner ganzen furchtbaren Größe vor mir.
Katanien lag von seinen Hügeln gedeckt; sonst hätte man es auch sehen
können. Ich setzte mich unter einen alten Oelbaum, welcher der Athene
Polias Ehre gemacht haben würde, auf die jungen wilden Hyacinthen
nieder, und genoß eine Viertelstunde eine der schönsten und herrlichsten
Scenen der Natur. Das war wieder Belohnung, und ich dachte nicht weiter
an die Schnapphähne und das Examen von Terra Nuova. Ich würde rechts
hinaufgestiegen seyn in die Berge, wo viele Höhlen der alten sikanischen
Urbewohner in Felsen gehauen seyn sollen; aber ich konnte dem Orientiren
und der müßigen Neugierde in einer sehr wilden Gegend nicht so viel Zeit
opfern. Ich verirrte mich abermals, und kam, anstatt nach Syrakus, nach
Lentini. Es war mir indessen nicht unlieb, die alte Stadt zu sehen, die
zur Zeit der Griechen keine unbeträchtliche Rolle spielte. Sie ist in
dem Mißkredit der schlechten Luft, weßwegen auf einer größern Anhöhe
Karl der Fünfte, däucht mir, Carlentini anlegte. Ich spürte nichts von
der schlechten Luft; aber freilich kann man vom Ende des März keinen
Schluß auf das Ende des July machen. Der See giebt der Gegend ein
heiteres, lachendes Ansehen, und die Luft würde sich sehr bald sehr
gesund machen lassen, wenn man nur fleißiger wäre. Um die Stadt herum
ist alles ein wahrer Orangengarten; und Du kannst denken, daß ich mit
den schönen Hesperiden nicht ganz enthaltsam war, da ich doch nun nicht
hoffen durfte, Syrakusertrauben zu essen. Mir hat es gefallen in
Lentini; und wenn die Leute daselbst krank werden, so sind sie
wahrscheinlich selbst Schuld daran, nach allem, was ich davon sehe. Ich
war nun zwei Mal irre gegangen, und hielt es daher doch für besser,
einen Mauleselführer zu nehmen. Er erschien und wir machten bald den
Handel, da ich nicht viel merkantilisches Talent habe und gewöhnlich
gleich zuschlage. Nun wollte der Mensch die ganze Summe voraus haben:
das fand ich etwas sonderbar und meinte, wenn er mir nicht traute, so
müßten wir theilen. Damit war er durchaus nicht zufrieden; aber noch
drolliger war sein Grund. Er meinte, wenn ich geplündert, oder
erschlagen würde, wie sollte er sodann zu seinem Gelde kommen? Das war
mir zu toll; ich schickte ihn ärgerlich fort, und ging mit meinem
Schnappsack allein.

Von hier wollte ich endlich nach Syrakus; aber ich ging in den
Mauleseltriften der Bergschluchten und Höhen und Thäler abermals irre,
und kam, anstatt nach Syrakus, nach Augusta. Das erste Stündchen Weg war
schön und ziemlich gut bebaut: aber sodann war einige Stunden nichts als
Wildniß, wo rund umher Oleaster, fette Asphodelen und Kleebäume wuchsen.
Eine starke Stunde vor Augusta fing die Kultur wieder an, und hier ist
sie vielleicht am besten auf der ganzen Insel. Der Wein, den ich hier
sah, wird ganz dicht am Boden alle Jahre weggeschnitten, und die einzige
Rebe des Jahres giebt die Ernte. Das kann nun wohl nur hier in diesem
Boden und unter diesem Himmel geschehen. Es ist ein eigenes Vergnügen,
die Verschiedenheit des Weinbaues von Meißen bis nach Syrakus zu sehen;
und wenn ich ein weingelehrter Mann wäre, hätte ich viel lernen können.
Die Landzunge, auf welcher Augusta liegt, mit der Gegend einige Stunden
umher, gehört zu dem üppigsten Boden der Insel. Vor der Stadt machte man
Salz aus Seewasser, zu welcher Operation man einen großen Strich todtes
Erdreich brauchte. Nirgends habe ich so schwelgerische Vegetation
gesehen, als in dieser Gegend. Die Stadt ist ringsum vom Meere umgeben,
und es führt nur eine ziemlich feste Brücke hinüber. Von der Landseite
ist der Ort also gut genug vertheidigt, und es würde eine förmliche
Belagerung dazu gehören, ihn zu nehmen. Von der Seeseite scheint das
nicht zu seyn. Die wenigen Werke nach dem Wasser zu wollen nicht viel
sagen. Die Stadt selbst ist nicht viel kleiner, als die Insel Ortygia,
oder das heutige Syrakus. Ich wurde zum Stadthauptmann geführt, der
meinen Paß besah, und mir ihn sogleich ohne Umstände mit vieler
Höflichkeit zurückgab. Hier wurde ich, aus meinem Passe, Don Juan
getauft, welchen Namen ich sodann auf dem übrigen Wege durch die ganze
Insel bei allen Mauleseltreibern durch Ueberlieferung behielt. Der
Gouverneur, oder Stadthauptmann, was er seyn mochte -- denn ich habe
mich um seinen Posten weiter nicht bekümmert -- bewirthete mich mit dem
berühmten Syrakusischen Muskatensekt, den endlich dieser Herr wohl gut
haben muß, und mit englischem Ale und Biscuit. Das Ale war gut, und das
Biscuit besser; und über den Wein habe ich keine Stimme. Mir war er zu
stark und zu süß. Ein Perrukenmacher, der in dem Hause des
Stadthauptmanns war, führte mich gerades Weges in sein eigenes,
bewirthete mich ziemlich gut, und ließ mich noch besser bezahlen. Dafür
wurde ich aber so viel beexcelenzt, als ob ich der erste Ordensgeneral
wäre, der den großen päbstlichen Ablaß auf hundert Jahre herumtrüge. Man
erzählte mir, daß vor einigen Monaten ein Deutscher mit seiner Frau aus
Malta durch Sturm hier einzulaufen genöthigt worden sei, und, da er
keinen Paß gehabt, zwanzig Tage habe hier bleiben müssen, bis man Befehl
von Palermo eingeholt habe. Solche Guignons können eintreten!

Um nicht noch einmal in den Bergen herumzuirren, nahm ich nun endlich
einen Maulesel mit einem Führer hierher nach Syrakus. Ich hatte eine
große Strecke Weges an dem Meerbusen wieder zurückzumachen. So lange ich
mich in der Gegend von Augusta befand, war die Kultur ziemlich gut; aber
so wie wir Syrakus näher kamen, ward es immer wüster und leerer. Der
Aetna, der über die andern Berge hervorragte, rauchte in der schönen
Morgenluft. Der Mauleseltreiberpatron hatte mir zum Führer einen kleinen
Buben mitgegeben, der sich, sobald wir heraus waren, auf die Kruppe
schwang, mir einen kleinen eisernen Stachel zum Sporn gab, und so mit
mir und dem Maulesel über die Felsen hintrabte. Diese Thiere hören auf
nichts, als diesen Stachel, der ihnen, statt aller übrigen Treibmittel
am Halse applicirt wird. Wenn es nicht recht gehen wollte, rief der
kleine Mephistopheles hinter mir: »^Pungete, Don Juan, sempre pungete.^«
Siehst Du, so kurz und leicht ist die Weisheit der Mauleseltreiber und
der Politiker. Das scheint das Schiboletchen aller Minister zu seyn. Wie
der Hals des Staats sich bei dem Stachel befindet, was kümmert das die
Herren? Wenn es nur geht, oder wenigstens schleicht. Mein kleiner Führer
erzählte mir hier und da Geschichten von Todschlägen, so wie wir an den
Bergen hinritten. Rechts ließen wir die Stadt Melitta liegen, die auf
einer Anhöhe des Hybla noch eine ziemlich angenehme Erscheinung macht.
Sonst ist der Berg ziemlich kahl. Acht Millien von Syrakus frühstückte
ich an der Feigenquelle, wo der Feigen sehr wenig, aber viel sehr schöne
Oelbäume waren, fast der Halbinsel Thapsus gegenüber. Nun trifft man
schon hier und da Trümmern, die zwar noch nicht in dem Bezirk der alten
Stadt selbst, aber doch in ihrer Nähe liegen. Noch einige Millien weiter
hin ritt ich den alten Weg durch die Mauer des Dionysius herauf, und
befand mich nun in der ungeheuren Ruine, die jetzt eine Mischung von
magern Pflanzungen, kahlen Felsen, Steinhaufen und elenden Häusern ist.
Als ich in der Gegend der alten Neapolis zwischen den Felsengräbern war,
dankte ich meinen Führer ab, und spazierte nun zu Fuße weiter fort. Der
Bube war gescheidt genug, mir einen Gulden über den Akkord abzufordern.
In Syrakus ging ich durch alle drei Thore der Festung als Spaziergänger,
ohne daß man mir eine Sylbe sagte: auch bin ich nicht weiter gefragt
worden. Das war doch eine artige stillschweigende Anerkennung meiner
Qualität. Den Spaziergänger läßt man gehen.

                 Druck von B. G. Teubner in Leipzig.

                            J. G. Seume's
                          sämmtliche Werke.

                  Vierte rechtmäßige Gesammtausgabe
                           in acht Bänden.

                            Zweiter Band.

                               Leipzig,
                       Joh. Friedr. Hartknoch.
                                1839.



                       Spaziergang nach Syrakus
                            im Jahre 1802.
                            Zweiter Theil.



                                                            _Syrakus._


                    Heute will ich fröhlich, fröhlich seyn,
                    Keine Weise, keine Sitte hören,
                    Will mich wälzen und vor Freude schrein:
                    Und der König soll mir das nicht wehren.

So singt Asmus den ersten Mai in Wandsbeck; so kann ich doch wohl vier
Wochen früher, den ersten April, in Syrakus singen; so froh bin ich; ob
ich gleich vor einigen Stunden beinahe in dem Syrakasumpfe ersoffen oder
erstickt wäre. Wo fange ich an? Wo höre ich auf? Wenn man in Syrakus
nicht weit von der Arethuse sitzt und einem Freunde im Vaterlande
schreibt, so stürmen die Gegenstände auf den Geist: vergieb mir also ein
Bißchen Unordnung!

So wie ich zum Thore herein war und eine Straße herauf schlenderte, --
wohl zu merken, mein Sack hielt keine große Peripherie, und ich konnte
ihn mit seinem Inhalt leicht in den Taschen verbergen -- so rief mir ein
Mann aus einer Bude zu: »^Vous êtes étranger, Monsieur, et Vous cherchez
une auberge? -- Vous l'avez touché, Monsieur!^« sagte ich. »^Ayez la
bonté d'entrer un peu dans mont atelier: j'aurai l'honneur de Vous
servir.^« Ich trat ein. Der Mann war ein Hutmacher, Franzose von Geburt,
und schon seit vielen Jahren ansässig in Syrakus. Er begleitete mich in
ein ziemlich leidliches Wirthshaus, das auch Landolina nachher als das
beste nannte. Die Nahrung, wenigstens das Hutmachen ist in Syrakus so
schlecht, daß mein Franzose es gern zufrieden war, bei mir so ein
Mittelding von Haushofmeister und Cicerone zu machen. Ich traf Landolina
das erste Mal nicht; er war auf einem Landgute. In einer Festung kann
ich doch gutwillig nicht bleiben, wenn man mich nicht einsperrt; ich
lief also hinaus an den Hafen, nämlich an den großen, oder an den
Meerbusen; denn der kleinere auf der andern Seite nach den Steinbrüchen
zu hat jetzt nichts Merkwürdiges mehr, so viel auch Agathokles Marmor
daran verschwendet haben soll. Ich ging gerade fort über den Anapus,
weit hinüber über das Olympeum, und wäre vielleicht bis an die andere
Abtheilung des Berges hinunter gegangen, wenn der Tag nicht schon zu
tief gewesen wäre. Ich bin doch schon ziemlich weit gegen Süden
gewandelt; denn, wenn ich nicht irre, so segelte in den punischen
Kriegen der Römer Otacilius von hier aus nach Afrika, machte große Beute
in Utika, und war den dritten Abend wieder zurück. Ob Syrakus oder
Lilybäum der Ort war,[11] von dem er ausfuhr, darüber wird Dir Dein
Livius Bescheid geben: wer kann alles behalten? Du siehst doch, daß ich,
wenn ich sonst nur ein ächter Weidmann wäre, in einigen Tagen die
Jagdpartie des frommen Aeneas und der Frau Dido mitmachen könnte.

Plemnyrium liegt hier vor mir und sieht sehr wild aus, und hat jetzt
durchaus nichts mehr, das nur einen Spaziergang werth wäre. Eine zweite
Sumpfgegend hielt mich auf; sonst wäre ich doch wohl noch etwas weiter
gegangen. Auf dem Rückwege setzte ich mich ein Viertelstündchen an die
zwei Säulen, die für die Ueberreste von dem Tempel des Jupiter Olympius
gelten. Es versteht sich, daß die Tempel des Göttervaters meistens auch
eine schöne Aussicht gewähren; hier ist sie herrlich. Indem ich sie
genoß, setzte ich mich in die Zeit zurück, wo Dionysius eben so
willkührlich den Haushofmeister der Olympier, als den Zuchtmeister der
Sterblichen machte. Und die Geschichte des Mantels und Bartes ist eben
so charakteristisch als des Dichters, der seine Verse nicht loben
wollte. Als ich wieder über den Anapus herüber war, dachte ich gerade
nach Neapolis heraus zu schneiden und so einen etwas andern Weg zurück
zu nehmen. Die Sonne stand noch nicht ganz am Rande, ich sahe alles vor
mir und dachte den Gang noch recht bequem zu machen. Aber o Syraka!
Syraka! An solchen Orten sollte man durchaus mit der Charte in der Hand
gehen. Ehe ich mirs versah, war ich im Sumpfe; ich dachte es zu zwingen
und kam immer tiefer hinein: ich dachte nun rechts umzukehren, um keinen
zu großen Umweg zu machen: und da fiel ich denn einige Mal bis an den
Gürtel in noch etwas Schlimmeres als Wasser. Es ward Abend, und ich
fürchtete, man möchte das Thor schließen; wo man denn eben so
unerbittlich ist, als in Hamburg. Endlich arbeitete ich mich doch mit
vielem Schweiß in einem nicht gar erbaulichen Aufzug wieder auf den Weg,
und kam so eben vor Thorschluß herein. Mein Franzose, der auf mich in
meinem Wirthshause wartete, war schon meinetwegen in Angst, und erzählte
mir nun Wunderdinge von dem Sumpfe. Vor einiger Zeit, als die Franzosen
hier waren, hatten einige Offiziere gejagt. Einer der Herren verläuft
sich auf einem kleinen Abstecher in den Syraka, denkt wie ich, ist aber
nicht so glücklich, und sinkt bis fast unter die Arme hinein. Er kann
sich nicht herausbringen, ruft umsonst, und feuert mit seinem Gewehr um
Hülfe: darauf kommen seine Kameraden, und müssen ihn nach vielem
vergeblichen Rekognosciren von allen Seiten mit Stricken herausziehen.
Laß Dir es also nicht einfallen, wenn Du rechts am Anapus spazieren
gehest, gerade hinüber nach der schönen Anhöhe zu gehen: bleib hübsch
auf dem Wege; sonst kommst Du, wie wir in eine schmutzige Tiefe, in den
Syraka.

                   *       *       *       *       *

Eben komme ich von einem Spazierritte mit Landolina zurück. Der Mann
verdient ganz das enthusiastische Lob, das ihm mehrere Reisende geben:
ich habe es an mir erfahren. Er ist einige Mal mit wahrhaft
freundschaftlicher Theilnahme mit mir weit herum geritten und gegangen.
Du weißt, daß er Ritter ist, und er hatte versprochen, mich zu Pferde in
meinem Quartier abzuholen. Ich hatte mir also auch einen ordentlichen
Gaul bestellt, so stattlich als man ihn in Syrakus finden konnte, um dem
Manne durch meine zu barocke Kavalkade nicht Schande zu machen. Wir
ritten weit hinaus bis nach Epipolä, wo wir unsre Pferde ließen und nach
den äußersten Festungswerken der alten Stadt über viele Felsen zu Fuße
gingen. Hier besah ich mit dem besten Führer, den Du vermuthlich in ganz
Sicilien in jeder Rücksicht finden kannst, die Schlösser Labdalum und
Euryalus. Die ausführlichere Beschreibung mit dem Plan magst Du bei
Barthels sehen: alles würde doch bei mir, wie bei ihm, Landolina
gehören. Wir waren schon weit umher gestiegen, und setzten uns hier auf
eine der höchsten Stellen der alten Festung nieder, um rund um uns her
zu schauen. Ich halte dieses halbe Stündchen für eines der schönsten,
die ich genossen habe, wenn ich nur die Melancholie herauswischen
könnte, die für die Menschheit darin war. Von dieser Spitze übersah man
die ganze große ungeheure Fläche der ehemaligen Stadt, die nun halb als
Ruine und halb als Wildniß da liegt. Rechts hinunter zog sich die alte
Mauer nach Neapolis, dem Syraka und dem Hafen; links hinab ging bis ans
Meer die gegen vier Millien lange berühmte neuere Mauer, welche
Dionysius in so kurzer Zeit gegen die Karthager aufführen ließ. Von
beiden sieht man noch den Gang durch die Trümmern, und hier und da noch
mächtige Werkstücke aufgefügt. Tief hinunter nach der Insel, die jetzt
das Städtchen ausmacht, liegen die Scenen der Größe des ehemaligen
Syrakus, die nunmehr kaum das Auge auffindet. Rechts kommt der Anapus in
dem Thale zwischen den Bergen hervor, und weiter hin jenseits zieht sich
eine lange Kette des Hybla rund um die Erdspitze herum. Hinter uns lag
der ^mons crinitus^, wo die Athenienser bei der unglücklichen
Unternehmung gegen Sicilien standen. Dort unten rechts an der alten
Mauer, welche die Herren von Athen umsonst angriffen, stand das Haus des
Timoleon, wo man bei der kleinen Mühle noch die Trümmer zeigt. Links
hier unten brach Marcellus herein, drang dort hervor bis in die Gegend
des kleinen Hafens, wo der schöpferische Geist Archimeds mit dem Feuer
des Himmels seine Schiffe verzehrte; dort stand er im Lager und wagte es
lange nicht weiter zu gehen, weil er sich hier vor der starken Besatzung
der Außenwerke in Epipolä fürchtete. Dort weiter links hinunter auf der
Ebene liegt der Acker, den der Verräther erhielt, welcher die Römer
führte. Weiter hinab lag Thapsus, und in der Ferne Augusta, jenseit
eines andern Meerbusens. Hier hätte ich Tage lang sitzen mögen, mit dem
Thucydides und Diodor in der Hand. Diese Schlösser sind vielleicht das
Wichtigste, was wir aus dem Kriegswesen der Alten noch haben: und wenn
sich ein Militär von Kenntnissen und Genie Zeit nehmen wollte, sie zu
untersuchen, es würde eine angenehme, sehr lehrreiche Unterhaltung
werden. Die Werke sind von ziemlichem Umfang, und die Neuern haben an
Solidität und Größe schwerlich etwas Aehnliches aufzuweisen. Wenn sie
nicht etwas zu weit von der Stadt lägen, würden sie derselben von
unendlichem Nutzen gewesen seyn. Aber so waren es durch die Lage bloß
sehr feste Außenwerke, deren Wichtigkeit vorzüglich der peloponnesische
Krieg gezeigt hatte. Die Athenienser hatten die Mauer rechts von der
Seite des Anapus nicht zwingen können: ihre Anzahl war vermuthlich zu
geringe, und sie hatten keinen Alcibiades zum Führer mehr. Die Römer
drangen durch die große Linie links. Wäre diese Linie kürzer gewesen,
oder mit andern Worten, hätte die Hauptbefestigung nicht zu weit hinaus
gelegen; es wäre vielleicht dem Marcellus, trotz der Verrätherei, nicht
gelungen. Jede Dehnung schwächt, wo man sie nicht in der offenen
Schlacht zum Manöver benutzen kann.

Jetzt sitze ich hier und lese den Theokrit in seiner Vaterstadt. Ich
wollte, Du wärst bei mir und wir könnten das Vergnügen theilen, so würde
es größer werden. Mein eignes Exemplar hatte ich, um ganz leicht zu
seyn, aus Unachtsamkeit mit in Palermo gelassen, bat mir ihn also von
Landolina aus. Dieser gab mir mit vieler Artigkeit die Ausgabe eines
Deutschen, unseres Stroth: und dieses nämliche Exemplar war ein Geschenk
von Stroth an Münter, und von Münter an Landolina, und ich las nun darin
an der Arethuse. Der Ideengang hat etwas Magisches. -- Sei nur ruhig!
ich habe jetzt zu viel Vergnügen dabei und meine Stiefelsohlen sind noch
ganz; Du sollst hier mit keiner Uebersetzung geplagt werden.

Auch heute komme ich von einem Spaziergange mit Landolina zurück. Wir
waren nur in der Nähe, in der alten Neapolis, die aber wirklich das
Interessanteste der alten Ueberreste enthält. Die Antiquare sind dem
unermüdeten patriotischen Eifer Landolinas unendlich viel schuldig. Er
hat eine Menge Säulen des alten Forums wieder aufgefunden, welche die
Lage desselben genauer bestimmen. Es lag natürlich gleich an dem Hafen,
und besteht jetzt meistens aus Gärten und einem offenen Platze, gleich
vor dem jetzigen einzigen Landthore. Etwas rechts weiter hinauf hat
Landolina das römische Amphitheater besser aufgeräumt und hier und da
Korridore zu Tage gefördert, die jetzt zu Mauleseleien dienen. Die Römer
trugen ihre blutigen Schauspiele überall hin. Die Arena giebt jetzt
einen schönen Garten mit der üppigsten Vegetation. Weiter rechts hinauf
ist das alte große griechische Theater, fast rund herum in Felsen
gehauen. Rechts, wo der natürliche Felsen nicht weit genug hinaus
reichte, war etwas angebaut, und dort hat es natürlich am meisten
gelitten. Die Inschrift, über deren Aechtheit und Alter man sich zankt,
ist jetzt noch ziemlich deutlich zu lesen. Es läßt sich viel dawider
sagen, und sie beweist wohl weiter nichts als die Existens einer
Königin, Philistis, von welcher auch Münzen vorhanden sind, von der aber
die Geschichte weiter nichts sagt. Die Wasserleitung geht nahe am
Theater weg; vermuthlich brachte sie ehemals auch das Wasser hinein. Die
Leute waren etwas nachlässig gewesen, so daß ein Zug Wasser gerade auf
den Stein der Inschrift floß, die etwas mit Gesträuchen überwachsen war.
Landolina gerieth darüber billig in heftigen Unwillen, schalt den Müller
und ließ es auf der Stelle abändern. Gegenüber steht eine Kapelle an dem
Orte, wo Cicero das Grab des Archimedes gefunden haben will. Wir fanden
freilich nichts mehr: aber es ist doch schon ein eignes Gefühl, daß wir
es finden würden, wenn es noch da wäre, und daß vermuthlich in dieser
kleinen Peripherie der große Mann begraben liegt. Nun gingen wir durch
den Begräbnißweg hinauf und oben rechts herum, auf der Fläche von
Neapolis fort. Es würde zu weitläufig werden, wenn ich Dir alle die
verschiedenen Gestalten der kleinen und größern Begräbnißkammern
beschreiben wollte. Wir gingen zu den Latomien und zwar zu dem
berüchtigten Ohre des Dionysius. Akustisch genug ist es ausgehauen und
man hat ihm nicht ohne Grund diesen Namen gegeben. Ein Blättchen Papier,
das man am Eingange zerreißt, macht ein betäubendes Geräusch, und wenn
man stark in die Hand klatscht, giebt es einen Knall, wie einen
Büchsenschuß, nur etwas dumpfer. Wir wandelten durch die ganze Tiefe,
und darin hin und her. Landolina zeigte mir vorzüglich die Art, wie es
ausgehauen war, die ich Dir aber als Laie nicht mechanisch genau
beschreiben kann. Man hob sich von unten hinauf auf Gerüsten, wovon man
noch die Vertiefungen in dem Felsen sieht, und erhielt dadurch eine
Höhlung von einem etwas schneckenförmigen Gang, der ihm wohl vorzüglich
die lange Dauer gesichert hat. Bei Neapel habe ich, wenn ich nicht irre,
etwas Aehnliches in den Steingruben des Posilippo bemerkt. Nirgends ist
aber die Methode so vollendet ausgearbeitet, wie hier in diesem Ohre. Ob
Dionysius dasselbe habe hauen lassen, ließe sich noch bezweifeln,
obgleich Cicero der Meinung zu seyn scheint; aber daß er es zu einem
Gefängnisse habe einrichten lassen, hat wohl seine Richtigkeit. Cicero
nennt es einen schrecklichen Kerker. Hin und wieder sieht man noch Ringe
in dem Felsen, in der Höhe und an dem Boden, und auch einige
durchbrochene Höhlungen, in denen Ringe gewesen seyn mögen. Diese gelten
für Maschinen, die Gefangenen anzuschließen. Wer kann darüber etwas
bestimmen? Oben am Eingange ist das Kämmerchen, welches ehemals für das
Lauscheplätzchen des Dionysius galt. Es gehört jetzt viel Maschinerie
dazu, von unten hinauf, oder von oben herab dahin zu kommen. Ich bin
also nicht darin gewesen. Landolina erklärt das Ganze für eine Fabel,
die Tzezes zuerst erzählt habe. Dieses Behältniß hat durch Erdbeben sehr
gelitten; an der tiefen Höhle selbst aber, oder an dem eigentlichen
Ohre, ist kein Schade geschehen. Gleich am Eingange hat Landolina eine
eingestürzte Treppe entdeckt, die er mir zeigte. Die Stufen in den
zusammengestürzten Felsenstücken sind zu deutlich; und es läßt sich wohl
etwas Anderes nicht daraus machen, als eine Treppe. Man nimmt an, diese
habe durch einen verdeckten Gang in das Gefängniß geführt, durch welche
der Tyrann selbst Gefangene von Bedeutung hierher brachte. Mit dem
Dichter, der seine Verse nicht loben wollte, wird er wohl nicht so viel
Umstände gemacht haben. Landolina sagte mir, er habe sich vor einigen
Jahren durch Maschinen mit einigen Engländern in das obere kleine
Behältniß bringen lassen und eine Menge Experimente gemacht; man höre
aber nichts, als ein verworrenes dumpfes Geräusch.

Die Spießbürger von Syrakus lassen sich aber den hübschen Roman nicht so
leicht nehmen; und gestern Abend räsonnirte einer von ihnen gegen mich
bei einer Flasche Syrakuser verfänglich genug darüber ungefähr so: »Wozu
soll das Kämmerchen oben gewesen seyn?« Zum Anfange einer neuen
Steingrube, wozu man es gewöhnlich machen will, ist es an einem sehr
unschicklichen Orte, und rund umher sind weit bessere Stellen. Die
Treppe, welche Landolina selbst entdeckt hat, führt gerade dahin; kann
nach der Lage nirgends anders hinführen. Wenn man jetzt oben nichts
deutlich mehr hört, so ist das kein Beweis, daß man ehedem nichts
deutlich hörte, die Erdbeben haben an dem Eingange Vieles zertrümmert
und eingestürzt, also auch sehr leicht die Akustik verändern können. Man
sagt, Dionysius habe in dieser Gegend der Stadt keinen Palast gehabt.
Zugegeben, daß dieses wahr sei, so war dieses desto besser für ihn,
allen Argwohn seiner nahen Gegenwart zu entfernen. Er konnte deßwegen
bei wichtigen Vorfällen sich immer die Mühe geben von Epipolä hierher zu
kommen und zu hören; ein Tyrann ist durch seine Spione und Kreaturen
überall. Dionysius war keiner von den bequemen sybaritischen
Volksquälern. Damit läugne ich nicht, daß er draußen in Epipolä noch
mehrere Gefängnisse mag gehabt haben: »man hatte in Paris weit mehrere,
als wir hier in Syrakus.« Ich überlasse es den Gelehrten, die Gründe des
ehrlichen Mannes zu widerlegen; ich habe nichts von dem Meinigen hinzu
gethan. Mir däucht, für einen Bürger von Syrakus schließt er nicht ganz
übel.

In dem Vorhofe des sogenannten Ohres treiben jetzt die Seiler ihr Wesen,
und vor demselben sind die Intervallen der Felsenklüfte mit kleinen
Gärten, vorzüglich von Feigenbäumen, romantisch durchpflanzt. Weiter hin
ist ein anderer Steinbruch, der einer wahren Feerei gleicht. Er ist von
einer ziemlichen Tiefe, durchaus nicht zugänglich, als nur durch einen
einzigen Eingang nach der Stadtseite, den der Besitzer hat verschließen
lassen. Von oben kann man das ganze kleine magische Etablissement
übersehen, das aus den niedlichsten Partien von inländischen und
ausländischen Bäumen und Blumen bestehet. Die Pflaumen standen eben
jetzt in der schönsten Blüthe, und ich war überrascht, hier den
vaterländischen Baum zu finden, den ich fast in ganz Sicilien nicht
weiter gesehen habe. Er braucht hier in dem heißeren Himmelsstrich den
Schatten der Tiefe. Das Vorzüglichste, was ich mit Landolina auf diesem
Gange noch sah, war ein tief verschüttetes altes Haus, dessen Dach
vielleicht ursprünglich sich schon unter der Erde befand. Das Eigene
dieses Hauses sind die mit Kalk gefüllten irdenen Röhren in der
Bekleidung und Dachung, über deren Zweck die Gelehrten durchaus keine
sehr wahrscheinliche Konjektur machen können. Vielleicht war es ein Bad,
und der Eigenthümer hielt dieses für ein Mittel, es trocken zu halten,
da diese Röhren vermuthlich Luft von außen empfingen und die
Feuchtigkeit der Wände mit abzogen. Der enge Raum und die innere
Einrichtung sind für diese Vermuthung des Landolina. Nicht weit davon
ist eine alte Presse für Wein oder Oel in Felsen gehauen, die noch so
gut erhalten ist, daß, wenn man wollte, sie mit wenig Mühe in Gang
gesetzt werden könnte.

Bei den Kapuzinern am Meere, in der Gegend des kleinen Marmorhafens,
sind die großen Latomien, die vermuthlich die furchtbaren Gefängnisse
für die Athenienser im peloponnesischen Kriege waren. Ich bin einigemal
ziemlich lange darin herumgewandelt. Die Mönche haben jetzt ihre Gärten
darin angelegt, aus denen noch eben so wenig Erlösung seyn würde. Man
könnte sie noch heut zu Tage zu eben dem Behuf gebrauchen, und zehn Mann
könnten ohne Gefahr zehntausend ganz sicher bewachen. Der Gebrauch zu
Gefängnissen im Kriege mag sich auch nicht auf das damalige Beispiel
eingeschränkt haben; dieses war nur das größte, fürchterlichste und
gräßlichste. Die Mönche bewirtheten mich mit schönen Orangen, und
bedauerten, daß die Engländer schon die besten alle aufgegessen und
mitgenommen hätten, sagten aber nicht dabei, wie viel das Kloster
Geschenke dafür erhalten haben mag: denn man bezahlt gewöhnlich
dergleichen Höflichkeit ziemlich theuer. Hier hat man einen ähnlichen
Gang, wie das Ohr des Dionysius; er ist aber nicht ausgeführt worden,
weil man vermuthlich den Stein zu dem Behufe nicht tauglich fand. Man
kann stundenlang hier herum spaziren, und findet immer wieder irgend
etwas Groteskes und Abenteuerliches, das man noch nicht gesehen hat.
Wenn man nun die alte Geschichte zurückruft, so erhält das Ganze ein
sonderbares Interesse, das man vielleicht an keinem Platze des Erdbodens
in diesem Grade wieder findet. Besonders rührend war mir hier an Ort und
Stelle die bekannte Anekdote, daß viele Gefangene sich aus der
schrecklichen Lage bloß durch einige Verse des Euripides erlös'ten: und
mir däucht, ein schöneres Opfer ist nie einem Dichter gebracht worden.

In dem heutigen Syrakus, oder dem alten Inselchen Ortygia ist jetzt
nichts Merkwürdiges mehr, als der alte Minerventempel und die Arethuse.
Diese Quelle ist, wenn man auch mit keiner Sylbe an die alte Fabel
denkt, bis heute noch eine der schönsten und sonderbarsten, die es
vielleicht giebt. Wenn sie auch nicht vom Alpheus kommt, so kommt sie
doch gewiß von dem festen Boden der Insel; und schon dieser Gang ist
wundersam genug. Wo einmal etwas da ist, kommt es den Dichtern auf
einige Grade Erhöhung nicht an, zumal den Griechen. Ich habe bei
Landolina eine ganze ziemlich lange Abhandlung über die Arethuse
gesehen, die er mit vieler Gelehrsamkeit und vielem Scharfsinn aus der
ganzen Peripherie der griechischen und lateinischen Literatur von den
ältesten Zeiten bis auf den heutigen Tag zusammengetragen hat. In
Sicilien und Italien dankt ihm jetzt Niemand für diese Arbeit: es wäre
aber für die übrigen Länder von Europa zu wünschen, daß sie bekannter
würde. Vielleicht läßt er sie noch in Florenz drucken. Mehreres davon
ist durch seine Freunde schon im Auslande bekannt. Er hat eine Menge
sonderbarer Erscheinungen an der Quelle bemerkt, die mit dem Wasser des
Alpheus Analogie haben, und die vielleicht zu der Fabel Veranlassung
geben konnten. Sie quillt zuweilen roth, nimmt zuweilen ab und bleibt
zuweilen ganz weg, daß man trocken tief in die Höhle hineingehen kann;
und dieses zu einer Zeit, wo sie nach den gewöhnlichen physischen
Wetterberechnungen stärker quellen sollte: sie vertreibt Sommersprossen,
welches selbst Landolina zu glauben schien. Durch diese Gabe muß die
Nymphe nothwendig schon die Göttin der Damen werden. Aehnliche
Erscheinungen will man an dem Alpheus bemerkt haben. Nun kamen die
Griechen von dort herüber, und brachten ihre Mythen und ihre Liebe zu
denselben mit sich auf die Insel; so war die Fabel gemacht: das Andenken
des vaterländischen Flusses war ihnen willkommen. Die neueste
Veränderung mit der Quelle findet man, däucht mir, noch in Barthels zum
Nachtrage in einem Briefe, der höchst wahrscheinlich auch von Landolina
ist. Seitdem ist das Wasser süß geblieben, heißt es. Ich fand eine Menge
Wäscherinnen an der reichen, schönen Quelle. Das Wasser ist gewöhnlich
rein und hell, aber nicht mehr, wie ehemals, ungewöhnlich schön. Ich
stieg so tief als möglich hinunter und schöpfte mit der hohlen Hand: man
kann zwar das Wasser trinken, aber süß kann man es wohl kaum nennen; es
schmeckt noch immer etwas brackisch, wie das meiste Wasser der Brunnen
in Holland. Die Vermischung mit dem Meere muß also durch die neueste
Veränderung noch nicht gänzlich wieder gehoben seyn. Alles Wasser auf
der kleinen Insel hat die nämliche Beschaffenheit, und gehört
wahrscheinlich durchaus zu der nämlichen Quelle. In der Kirche Sankt
Philippi ist eine alte tiefe, tiefe Gruft mit einer ziemlich bequemen
Wendeltreppe hinab, wo unten Wasser von der nämlichen Beschaffenheit
ist; nur fand ich es noch etwas salziger; das mag vielleicht von der
großen Tiefe und dem beständig verschlossenen Raum herkommen. Landolina
hält es für das alte Lustralwasser, welches man oft in griechischen
Tempeln fand. Sehr möglich; es läßt sich gegen die Vermuthung nichts
sagen. Aber kann es nicht eben sowohl ein gewöhnlicher Brunnen zum
öffentlichen Gebrauche gewesen seyn? Er hatte unstreitig das nämliche
Schicksal mit der Arethuse in den verschiedenen Erderschütterungen. Man
weiß, die Insel machte bei den alten Tyrannen von Syrakus die
Hauptfestung aus. Man hatte außer der Arethuse wenig Wasser in den
Werken. Diese schöne Quelle liegt am Meere und war sehr bekannt. Der
Feind konnte Mittel finden, sie zu nehmen, oder zu verderben. War der
Gedanke, sich noch einen Wasserplatz auf diesen Fall zu verschaffen und
ihn vielleicht geheim zu halten, nicht sehr natürlich? Ich will die
Vermuthung nicht weiter verfolgen und eben so wenig hartnäckig
behaupten. Das Wasser als Lustralwasser konnte nebenher auch diese
politische Reservebestimmung haben.

Als ich hier in der Kirche saß, die eben ausgebessert wird, und den
Schlüssel zur erwähnten Gruft erwartete, gesellte sich ein
neapolitanischer Officier zu mir, der ein Franzose von Geburt und schon
über zwanzig Jahre in hiesigen Diensten war. Er sprach recht gut Deutsch
und hatte ehemals mehrere Reisen durch verschiedene Länder von Europa
gemacht. Wenn man diesen Mann von der Regierung und der Kirchendisciplin
sprechen hörte -- man hätte Feuer vom Himmel zur Vertilgung der Schande
flehen mögen. Alles bestätigte seine Erzählung, und bösartige
Unzufriedenheit und Murrsinn schien nicht in dem Charakter des Mannes zu
liegen. Vorzüglich war die Unzucht der römischen Kirche, nach seiner
Aussage, ein Gräuel, wie man ihn in dem weggeworfensten Heidenthume
nicht schlimmer finden konnte. Blutschande aller Art ist in der Gegend
gar nichts Ungewöhnliches und wird mit einem kleinen Ablaßgelde nicht
allein abgebüßt, sondern auch ungestraft fortgesetzt. Der Beichtstuhl
ist ein Kuppelplatz, wo sich der Klerus für eine gemessene, oft kleine
Belohnung sehr leicht zum Unterhändler hergiebt, wenn er nicht selbst
Theilnehmer ist. Wer profane Schwierigkeiten in seiner Liebschaft
findet, wendet sich an einen Mönch, oder sonstigen Geistlichen, und die
ehrsamste sprödeste Person wird bald gefällig gemacht. Der Mann sprach
davon dem Altare gegenüber, wie von gewöhnlichen Dingen, die Jedermann
wisse, und nannte mir mit großer Freimüthigkeit zu seinen Behauptungen
Namen und Beispiele, die ich gern wieder vergessen habe. Ich erzähle die
Thatsache, und überlasse Dir die Glossen.

Minerva hat, in ihrem Tempel, der heiligen Lucilie Platz machen müssen.
Man hat das Gebäude nach der gewöhnlichen Weise behandelt, und aus einem
sehr schönen Tempel eine ziemlich schlechte Kirche gemacht. Das Ganze
ist verbaut, so daß nur noch von innen und außen der griechische
Säulengang sichtbar ist. Das Frontispice ist nach dem neuen Styl schön
und groß, sticht aber gegen die alte griechische Einfachheit nicht sehr
vortheilhaft ab.

Bald wäre ich heute unschuldigerweise Veranlassung eines Unglücks
geworden. Ein Kastrat, der in der Kathedralkirche singt und nicht mehr,
als sechzig Piaster jährlich hat, war mein Gast in dem Wirthshause, weil
er sehr freundlich war und ein sehr gutmüthiger Kerl zu seyn schien. Ein
Geiger, sein Nebenbuhler, neckte ihn lange mit allerhand Sarkasmen über
seine Zuthulichkeit, und kam endlich auch auf einen eigenen eigentlichen
topischen Fehler seiner Natur, an dem der arme Teufel wohl ganz
unschuldig war, da ihn Andere vermuthlich ohne seine Beistimmung an ihm
gemacht hatten. Darüber gerieth das entmannte Bild plötzlich so in Wuth,
daß er mit dem Messer auf den Geiger zuschoß und ihn erstochen haben
würde, wäre dieser durch die Anwesenden nicht sogleich fortgeschafft
worden. Auch der Sänger konnte die Aergerniß durchaus nicht verdauen und
entfernte sich.

Eben sitze ich hier bei einem Gericht Aale aus dem Anapus, die hier für
eine Delikatesse der Domherren gelten, und die ich also wohl eben so
verdienstlos verzehren kann. Ich habe sie selbst auf dem Flusse gekauft
und halb mit gefischt. Ich fuhr nämlich heute Nachmittags mit meinem
Franzosen über den Hafen den Anapus hinauf, um das Papier zu suchen. Das
Papier fand ich auf der Cyane links bald in einer solchen Menge, daß wir
das Boot kaum durcharbeiten konnten: aber die schöne Quelle der Cyane
konnte ich nicht erreichen. Es war zu spät; wir mußten fürchten
verschlossen zu werden und kehrten zurück. Das ärgerte mich etwas; ich
hätte früher fahren müssen. Das Wasser ging hoch und wir kamen noch eben
wieder zum Schlusse an. Hier am Hafen wollten einige Köche der hiesigen
Schmecker mir durchaus meine Beute abhandeln und boten gewaltig viel für
meine Aale, machten auch Anstalt sich derselben provisorisch zu
bemächtigen, als ob das so Regel wäre: ich hielt aber den Fang fest und
sagte bestimmt, ich wollte hier in Syrakus meine Aale aus dem Anapus
essen, und würde sie weder dem Bischof, noch dem Statthalter, noch dem
König selbst geben, wenn er sie nicht durch Grenadire nehmen ließe. Die
Leute beguckten mich und ließen mich abziehen. Ueber das Papier selbst
und des Landolina Art es zuzubereiten habe ich nichts hinzuzufügen: ob
ich gleich glaube in den bisherigen Beschreibungen der Pflanze, zwar
keine Unrichtigkeiten, aber doch einige Unvollständigkeit entdeckt zu
haben. Die Sache ist indessen zu unwichtig. Unser schlechtestes
Lumpenpapier ist immer noch besser, als das beste Papier, das ich von
der Pflanze vom Nil und aus Sicilien gesehen habe. Wir können nun das
Sumpfgewächs und den Kommentar des Plinius darüber entbehren; es hat nur
noch das Interesse des Alterthums.

Eine drollige Anekdote darf ich Dir noch mittheilen, welche die
gelehrten Späher und Seher betrifft, und die mir der besten einer unter
ihnen, Landolina selbst, mit vieler Jovialität erzählte, als wir nach
einem Spaziergange in dem alten griechischen Theater saßen und
ausruhten. Landolina machte mit einer fremden Gesellschaft, von welcher
er einen unserer Landsleute, ich glaube den Baron von Hildesheim,
nannte, eine ähnliche Wanderung. Hier entstand nun ein Zwist über eine
Vertiefung in dem Felsen, die ein jeder nach seiner Weise interpretirte.
Einige hielten sie für das Grab eines Kindes irgend einer alten
vornehmen Familie, und brachten Beweise, die vielleicht eben so
problematisch waren, wie die Sache, welche sie beweisen sollten. Man
sprach und stritt her und hin. Das bemerkte ein alter Bauer nicht weit
davon, daß man über dieses Loch sprach. Er kam näher und erkundigte sich
und hörte, wovon die Rede war. »Das kann ich Ihnen leicht erklären,« hob
er an; »vor ungefähr zwanzig Jahren habe ich es selbst gehauen, um meine
Schweine daraus zu füttern: da ich nun seit mehrern Jahren keine
Schweine mehr habe, füttere ich keine mehr daraus.« Die Archäologen
lachten über die bündige Erklärung, ohne welche sie unstreitig noch
lange sehr gelehrt darüber gesprochen und vielleicht sogar geschrieben
hätten. »So geht es uns wohl noch manchmal,« setzte Landolina sehr
launig hinzu.

Die hiesigen Katakomben unterscheiden sich wesentlich von denen zu
Neapel. Was beide ursprünglich gewesen seyn mögen, ist wohl schwerlich
zu bestimmen; aber daß beide in der Folge zu Begräbnißplätzen gedient
haben, ist ausgemacht. Von den syrakusischen ließe sich vielleicht aus
dem Bau mehr behaupten, daß sie ursprünglich dazu gehauen wurden. Der
große Unterschied der neapolitanischen und syrakusischen besteht darin,
daß in den neapolitanischen die Leichenbehälter von dem Boden aufwärts,
und hier in die Tiefe der Wand hineingearbeitet sind. Dort sind unten
die größern und dann an der Wand herauf die kleinern Behälter; hier sind
vorn die größern und dann weiter in der Felsenwand hinein die kleinern:
so daß in Neapel das Dreieck der Lage an der Seite aufwärts, in Syrakus
mit der Spitze einwärts niedergelegt zu denken ist. Beschreibung ist
schwer und Zeichnung macht noch mehr Umstände; ich weiß nicht, ob ich
Dir deutlich geworden bin. Ein avtoptischer Anblick giebt es in einem
Moment. In Neapel lagen die Kadaver in kleineren Nischen an der Wand
hinauf, unten die größeren und aufwärts immer kleinere; in Syrakus in
den Felsen hinein, vorn größere und hinterwärts immer kleinere. Hier
habe ich den einzigen vernünftigen Mönch als Mönch in meinem Leben
gesehen. Wo man sonst auch noch zuweilen gute und vernünftige trifft,
sind sie es wenigstens nicht als Mönche. Der Eingang in die Grüfte ist
hier eine alte Kirche des heiligen Johannes, wo nur noch selten
Gottesdienst gehalten wird. Dieser Mönch ist der einzige Bewohner der
Kirche und der Katakomben, Glöckner und Sakristan, und Abt und Kellner
und Laienbruder zugleich. Das erstemal, als wir kamen, war er nicht zu
Hause, sondern in der Stadt nach Lebensmitteln. Als wir umkehrten,
begegneten wir ihn in den Feigengärten, und gingen wieder mit ihm zurück
nach Sankt Johannis. Er machte für einen Religiosen einen etwas
sonderbaren genialischen Aufzug. Seine Eselin hatte gesetzt, und doch
hatte er sie nöthig, um seine Viktualien aus der Stadt zu holen; er nahm
sie also mit dem jungen Esel von dreiundzwanzig Stunden zusammen. Der
kleine Novize des Lebens konnte natürlich die große Tour nicht
aushalten. Der Mönch mit seinem langen Talar nahm seinen Zögling auf die
Schultern und ging voran, und die Mutter folgte in angeborner Sanftmuth
und Geduld mit den Körben. So fanden wir den Gottesmann. Er ist übrigens
ein ehrlicher Schuster aus Syrakus, der drei Söhne erzogen und zur Armee
und auf die See geschickt hat. Nach dem Tode seiner Frau, da seine
abnehmenden Augen dem Ort und dem Draht nicht mehr recht gebieten
wollten, hat ihn der Bischof hierher gesetzt; vielleicht das
Gescheidteste, was seit langer Zeit ein Bischof von Syrakus gethan hat!
Die Krypte der Kirche, wo noch Gottesdienst gehalten wird, ist auch
schon tief und schauerlich genug. Von den Gemälden in den verschiedenen
Abtheilungen der Katakomben läßt sich wohl nicht viel sagen; denn sie
sind meistens neu. Aus einer griechischen Inschrift habe ich auch nichts
machen können: das ist indessen kein Beweis, daß es andere nicht besser
verstehen. Die Leute fabeln hier, daß diese Katakomben bis nach Catanien
gehen; vermuthlich weil man ehemals dort auch Katakomben gefunden haben
mag. Das ist eben so, als wenn zuweilen der Führer der Baumannshöhle
versichert, daß sie sich bis nach Goßlar erstrecke.

Der Sommer muß hier zuweilen schon fürchterlich seyn; denn Landolina
erzählte mir von einem gewissen Südwestwinde, den man ^il ponente^
nennt, welcher zuweilen in einem Nachmittage durch seinen Hauch alle
Pflanzen im eigentlichen Sinne verbrenne, die Bäume entlaube und den
Wein verderbe. Der Sirocco soll ein kühlendes Lüftchen gegen diesen
seyn: man finde nachher in einem solchen Grade alles verdorret, daß man
es sogleich zu Asche reiben könne. Zum Glück sei er nur sehr selten.
Auch der Hagel, der hier zuweilen falle, sei so groß und scharf, daß er
die Stengel der Pflanzen und die Aeste der Bäume nicht zerknicke,
sondern zerschneide. Dieses seien die zwei gefährlichsten Landplagen in
dem südlichen Sicilien. Die Winter sind gewöhnlich von keiner Bedeutung;
nur der vergangene ist etwas hart gewesen, und man hat seit zehn Jahren
wieder den ersten Schnee, aber auch nur auf einige Stunden, in Syrakus
gesehen. Ein solcher Tag ist dann ein Fest, besonders für die Jugend,
welcher so etwas eine sehr große Erscheinung ist. Sonst sieht man den
Schnee nur auf den Gipfeln ferner Berge.

Syrakus kommt immer mehr und mehr in Verfall: die Regierung scheint sich
durchaus um nichts zu bekümmern. Nur zuweilen schickt sie ihre
Steuerrevisoren, um die Abgaben mit Strenge einzutreiben. Es war mir
eine sehr melancholische Viertelstunde, als ich mit Landolina oben auf
der Felsenspitze von Euryalus saß, der würdige patriotisch eifernde Mann
über das große traurige Feld seiner Vaterstadt hinblickte, das kaum noch
Trümmer war, und sagte: »Das waren wir!« und mit einem Blick hinunter
auf das kleine Häufchen Häuser: »Das sind wir!« Ich habe während der
vier Tage Umgang mit ihm, in ihm einen der reinsten und
liebenswürdigsten Charaktere gefunden, und er sprach mit schönem
Enthusiasmus von seinen nordischen Freunden Münter und Barthels und
einigen andern, die ihn besucht hatten, und von Heyne, den er noch nicht
gesehen hatte. Syrakus allein hatte ehemals mehr Einwohner, als jetzt
die ganze Insel. Nur der dritte Theil der Insel ist bebaut, und dieses
ziemlich schlecht. Das habe ich auf meinen Zügen gefunden, und
Eingeborne, die zugleich Kenner sind, bestätigen es durchaus. Ehemals
schickte man bei der großen Bevölkerung Korn nach Rom, und die Insel
wurde für ein Magazin der Hauptstadt der Welt gehalten. Neulich ist man
genöthigt gewesen, Getreide aus der Levante kommen zu lassen, damit die
wenigen ärmlichen südlichen Küstenbewohner nicht Hunger litten. Kann man
eine bessere Philippika auf die Regierung und den Minister in Neapel
schreiben? Man giebt der physischen Verschlimmerung des Landes durch die
Erdrevolutionen viele Schuld: aber die Berge sind noch alle fruchtbar
bis fast an die Spitzen. Wenn man die Gipfel der Riesen, des Eryx, des
Taurus und einige Felsenpartien ausnimmt, könnte von allen gewonnen
werden, wenn man Arbeit daran wagen wollte. Die Jumarren, diese
verschrieenen Gegenden, geben reichlich, wenn man fleißig ist. Sicilien
ist ein Land des Fleißes, der Arbeit und der Ausdauer. Man will aber
jetzt nur da bauen, wo man fast nicht nöthig hat zu arbeiten. Es sind
freilich wenig große Striche hier, die so schwelgerisch fruchtbar wären,
wie das Kampanerthal: aber es könnte viel schönes Paradies geschaffen
werden.

Der Hafen ist fast leer, und ist vielleicht einer der schönsten auf dem
Erdboden. Wenn man ein Fort auf Plemnyrium und eines auf Ortygia hat, so
kann keine Felucke heraus und hinein. Jetzt kreuzen die Korsaren bis vor
die Kanonen. Als im vorigen Kriege die Franzosen Miene machten, sich der
Insel zu bemächtigen, war hier schon alles entschlossen sich recht
tapfer zu ergeben. Man erzählte mir eine Anekdote, die mir unglaublich
vorkam; aber sie wurde verschieden im Publikum hier und da wiederholt.
Der Gouverneur, um ja durchaus außer Stande zu seyn, schnell zu handeln,
läßt alle Kaliber der Kugeln durch einander werfen und die Munition in
Unordnung bringen. Die Franzosen nahmen ihren Weg nach Aegypten und es
war weder Gefecht noch Ergeben nöthig; die Excellenz zog sich durch ein
sanftes seliges Ende aus allem Verdruß. Hätten die Franzosen ihren
Vortheil besser verstanden, anstatt an den Nil zu gehen vorher die Insel
anzugreifen; mit zehntausend Mann hätten sie dieselbe mit ihrer
gewöhnlichen Energie genommen und mit gehöriger Klugheit behauptet.
Freilich wären dazu andere Maaßregeln nöthig gewesen, als ihre Generale
und Kommissäre zur Schande der Nation und ihrer Sache hier und da
ergriffen haben. Sicilien wäre auch in einem östlichen Kriege ein ganz
anderer Zwischenpunkt als Malta; das zeigt die ganze Geschichte und
schon ein einziger Blick auf die Insel. -- Es kommen jetzt selten
Schiffe aus Syrakus. Bloß im vorigen Kriege war es ein Zufluchtsort
gegen die Stürme: und dabei hat die Stadt wenigstens etwas gewonnen.
Jetzt nach dem Frieden vermindert sich die Anzahl der Ankommenden
beständig wieder.

Noch etwas Literarisches muß ich Dir doch aus dem südlichen Sicilien
melden, damit Du nicht glaubest, ich sei ganz unter die Analphabeten
getreten. Landolina läßt jetzt in Florenz eine Abhandlung drucken, in
welcher er beweist, daß der heutige berühmte Syrakuser Muskatenwein der
[Griechisch: oinos pollios] oder [Griechisch: polios] der Alten sei. Die
klassischen Hauptstellen darüber sind, glaube ich, die Gärten des
Alcinous im Homer, und Hesiodus in seinen Tagewerken im sechshundert und
zehnten Vers. Im Homer heißt es, daß an den Weinstöcken reife Trauben
und grünende Blüthen zugleich gewesen seien, worüber sich unsere
Ausleger zuweilen quälen, sagte Landolina. Sie dürften nur die Sache
wörtlich nehmen und zu uns nach Syrakus kommen, so könnten sie sich bei
der ersten Ernte des Muskatenweins zu Anfang des July leicht überzeugen.
Aber nur die Muskatentraube hat diese Eigenschaft des Orangenbaums, daß
sie reife und unreife Früchte und Blüthen zu gleicher Zeit zeigt.
Landolina behauptet, diese Traube sei zunächst aus Tarent nach Syrakus
gekommen; das mag er beweisen. Dieses alles wird Dir, als einem
weingelehrten Manne, weit wichtiger seyn, als mir Abacchevten. Er hat
mir manche nicht unangenehme philologische Bemerkung über manche
griechische Stelle gemacht, für die ihm sein Freund Heyne in Göttingen
Dank wissen wird, dem er sie wahrscheinlich auch alle mitgetheilt hat.
An der Arethuse kann man freilich manches etwas besser sehen, als an der
Leine. Uebrigens sagte er noch, daß Homer, der, nach der Genauigkeit
seiner Beschreibung zu urtheilen, durchaus in Sicilien gewesen seyn
müsse, vielleicht nicht sonderlich hier aufgenommen worden sei, weil er
bei jeder Gelegenheit einen etwas bösartigen Tik gegen die Insel äußere.



                                                           _Catanien._


Du siehst, ich bin nun auf der Rückkehr zu Dir. Syrakus, oder vielleicht
schon Agrigent, war das südlichste Ende meines Weges. Vor einigen Tagen
ritt ich zu Maulesel wieder mit einem ziemlich kleinen Führer hierher.
Man kann die Reise in einem Sommertage sehr bequem machen; und wenn man
recht gut beritten ist, recht früh aufbricht und sich nicht sehr
umsieht, kann man wohl Augusta noch mitnehmen. Die Maulesel machen einen
barbarisch starken Schritt, und das ^Pungete, Don Juan, pungete!^ wurde
auch nicht gespart. Es war ein herrlicher warmer Regenmorgen, als ich
Syrakus verließ; der Himmel hellte sich auf, als ich aus der Festung
war, und die Nachtigallen sangen wetteifernd in den Feigengärten und
Mandelbäumen so schön, wie ich ihnen in Sicilien gar nicht zugetraut
hätte, da sie sich noch nicht sonderlich hatten hören lassen. Ich ging
wieder vor der Feigenquelle vorbei und durch einen Strich der schönen,
herrlichen Gegend von Augusta. Aber vor derselben und nach derselben war
es wüste, ununterbrochen wüste, bis diesseits der Berge an die Ufer des
Simäthus. In einem Wirthshause am Fuße der Berge, ungefähr noch zehn
Millien von Catanien, wo ich essen wollte, und wenigstens Maccaroni
suchte, gab der Wirth skoptisch zur Antwort: »in Catanien sind
Maccaroni; hier ist nichts.« Der Mensch hatte die trotzige, murrsinnige
Physiognomie der gedrückten Armuth und des Mangels, der nicht seine
Schuld war, und gewann nicht eher eine etwas freundliche Miene, als bis
ich seinen Kindern von meinem schönen Brote aus Syrakus gab; dann holte
er mir mein Lieblingsgericht, getrocknete Oliven. In der Gegend des
Simäthus war das Wasser ziemlich groß, das man auf die Felder umher auf
den Reis leitete. Mein Maulesel, den ich nordischer Reiter wohl nicht
recht geschickt lenken mochte, fiel in eine morastige Lache des Flusses,
und bekam meine halbe Personalität unter sich. Mein linker Fuß, der
wegen einer alten Kontusion nicht viel vertragen kann, wurde gequetscht
und etwas verrenkt und ich kam lahm hier an. Sehr leicht hätte ich eines
sehr unidyllischen schmutzigen Todes in dem Schlamme des Simäthus
sterben können: doch zürne ich deßwegen dem Flusse nicht; denn er ist
doch der einzige Fluß, der diesen Namen auf der Insel verdient, und
durchaus der größte; wenn gleich einige den Salzfluß bei Alicata, oder
gar den Himera bei Termini größer machen. Der Simäthus ist ein
eigentlicher Fluß, die Zierde und der Segen des eigentlichen Thales
Enna, und die andern sind nur Waldströme, die sich freilich zuweilen mit
vieler Gewalt von den Bergen herabwälzen mögen, wie ich schon selbst die
Erfahrung gemacht habe. Das dauert aber gewöhnlich nur einige Tage; dann
kann man wieder zu Fuß durch ihre Betten gehen. Nicht weit diesseit des
Simäthus, über den hier eine ziemlich gute Fähre geht, führte mich mein
unkundiger Eseltreiber tief in Büsche und Moräste hinein, daß weder ich,
noch er, noch der Esel weiter wußten. Mein Schmutz und mein Schmerz am
Fuße hatten mich etwas grämlich gemacht, so daß ich im Aerger dem Jungen
mit der Ruthe einige Schläge über das Kollet gab. Darüber fing er an
jämmerlich zu schreien; wir erholten uns beide, und er sagte mir sodann
mit vieler Eseltreiberweisheit, das sei sehr unklug von mir gewesen, daß
ich so wenig Geduld gehabt habe; ich habe zwar von ihm nichts zu
fürchten, weil er ehrlich sei! aber ich sei doch immer in seiner Gewalt.
Avis dem Leser! der Junge hatte Recht, und ich schämte mich meiner
Uebereilung; wir versöhnten uns, und ritten philosophisch weiter. Die
fernere Nachbarschaft von Catanien ist, für Catanien, schlecht genug
bebaut, die ganze Gegend des Simäthus könnte und sollte besser
bearbeitet seyn. In der Nähe der Stadt fängt die Kultur schöner an. Ich
ließ an dem Stadtthore den Jungen mit der Bezahlung laufen, und
spazierte oder hinkte vielmehr, etwas gesäubert, die Straße hinab,
wendete mich an die erste Physiognomie, die mir gefiel, und die mich
auch in dem Elephanten sehr gut unterbrachte. Für den beschädigten Fuß
gab mir ein Arzt bei dem Professor Gambino Muskatennußöl, und es ward
sogleich besser, und jetzt marschire ich schon wieder ziemlich fest. Das
habe ich auch nöthig; denn ich will auf den Aetna, wo sich mancher schon
den Fuß vertreten hat.

Eben stehe ich von einer ächt klassischen Mahlzeit auf, mein Freund, und
ich glaube fast, es wäre die beste in meinem Leben gewesen, wenn nur
einige Freunde, wie Du, aus dem Vaterlande mit mir gewesen wären. Aber
mein Tischgeselle war ein hiesiger Geistlicher, eben die Physiognomie,
die ich auf der Straße zum Führer bekam. Der Mann ist indessen für einen
sicilischen Theologen vernünftig genug, und hat mir eben, ich weiß nicht
wie, klassisch bewiesen, daß Catanien das Vaterland der Flöhe sei. Meine
Mahlzeit, Freund, war ganz vom Aetna, bis auf die Fische, welche aus der
See an seinem Fuße waren. Die Orangen, der Wein, die Kastanien, die
Feigen und die Feigenschnepfen, alles ist vom Fuße und von der Seite des
Berges. Ich bin Willens, ihn auf alle Weise zu genießen; deßwegen bin
ich hergekommen; und wohl nicht absichtlich, um das Unwesen der
Regierung und der Möncherei zu sehen. In Catanien ist es wohl von ganz
Sicilien und vielleicht von ganz Italien noch vielleicht am hellsten und
vernünftigsten; das hat Biskaris und einige seiner Freunde gemacht,
durch welche etwas griechischer Geist wieder aufgelebt ist. Es ist hier
sogar eine Art von Wohlstand und Flor, der den schlechten Einrichtungen
in der Insel Hohn spricht. Hier würde ich leben, wenn ich mich nicht bei
den Kamaldulensern in Neapel einsiedelte. Hier fängt man wenigstens an,
das Unglück des Vaterlandes, die Unordnungen und Malversationen aller
Art, die schrecklichen Wirkungen der Unterdrückung und des dummen
Aberglaubens recht lebhaft zu fühlen. Die Mönche haben den dritten Theil
der Güter in den Händen; und wenn ihre Mast das einzige Uebel wäre, das
sie dem Staate verursachen, so könnte der gräßliche Druckfehler des
Menschenverstandes doch vielleicht noch Verzeihung finden. Aber -- mein
Gott, wer wird ein Wort über die Mönche verlieren! Bonaparte wird sich
zu seiner Zeit ihrer schon wieder eben so thätig annehmen, wie der
Uebrigen, da sie mit ihnen zu seinem Systeme gehören. Es entfuhr mir aus
kosmopolitischem Ingrimm hier in einer Gesellschaft, daß ich etwas
unfein sagte: »^Les moines avec leur cortège sont les morpions de
l'humanité.^« Die Sentenz wurde mit lautem Beifall aufgenommen, und auf
manchen vorübergehenden Kuttenträger angewendet. Du begreifst, daß man
schon ziemlich liberal seyn muß, um so etwas nur zu vertragen: freilich
verträgt man es nicht überall; aber die Stimmung ist doch sehr lebendig
gegen das Ungeziefer des Staats. Die Franzosen haben in der ganzen Insel
keine geringe Partei; und diese nimmt es Bonaparte sehr übel, daß er
nach Aegypten ging, und nicht vorher kam und sie nahm, welches nach
ihrer Meinung etwas Leichtes gewesen wäre. Muth, Klugheit, allgemeine
Gerechtigkeit und Humanität, von welchen Eigenschaften er wenigstens die
erste Hälfte besitzt, hätten mit zehen tausend Mann die Sache gemacht:
und es ist leicht zu berechnen, was Sicilien für den Krieg gewesen wäre;
wenn es auch jetzt nicht mehr so wichtig ist, als in den karthagischen
Kriegen, oder unter den Normännern. Alle vernünftige Insulaner sind
völlig überzeugt, daß sie bei dem nächsten Kriege, an dem Neapel nur
entfernt Antheil nimmt, die Beute der Engländer, oder Franzosen seyn
werden; und ich gab ihnen mit voller Ueberlegung den Trost, daß sie sich
im Ganzen auf keinen Fall verschlimmern könnten, so sehr auch einzelne
Städte leiden möchten. Sie schienen das leicht zu begreifen, und sich
also nicht zu fürchten.

Es würde zu weitläuftig werden, wenn ich anfangen wollte, Dir nur etwas
systematisch über Literatur und Antiquitäten zu schreiben. Andere haben
das besser vor mir gethan, als ich es könnte. Es hat sich wesentlich
nichts geändert. Der thätige Geist des alten Biskaris scheint nicht ganz
auf seinen Nachfolger übergegangen zu seyn: obgleich auch dieser noch
immer die nämliche Humanität zeigt. Das Kabinet ist wohl nicht ganz in
der besten Ordnung. Was mich im Antikensaale vorzüglich beschäftigt hat,
waren einige sehr schöne griechische und römische Köpfe, ein Torso fast
von der nämlichen Gestalt, wie der jetzige Pariser, und den Einige
diesem fast gleich schätzen, und eine Büste der Ceres, die beste, die
ich gesehen habe. Es sind mehrere Statüen der Venus da; aber keine
einzige, die mir gefallen hätte. Unter den kleinen Bronzen zeichneten
sich für mich aus, ein Atlas, der Himmelsträger, ein Mars, ein Merkur
und ein Herkules. Es sind auch noch einige andere von vortrefflicher
Arbeit. Die Lampensammlung ist sehr beträchtlich, vorzüglich die
Matrimoniallampen, unter denen viele sehr niedliche, leichtfertige,
aphrodisische Mysterien sind, die dem Charakter nach aus den Zeiten der
römischen Kaiser zu seyn scheinen. Manches gehört wohl auf keine Weise
in eine solche Sammlung; vorzüglich nicht die Gewehre, welche wenig
Interesse für Künstler und Kenner haben: einzelne Anekdoten müßten denn
die Stücke merkwürdig machen. Vorzüglich schön ist noch eine längliche
Vase, wo Ulyß und Diomed die Pferde des Rhesus bringen.

Das Uebrige findet man besser und geordneter bei dem Ritter Gioeni,
dessen Fach ausschließlich die Naturgeschichte ist, und vorzüglich die
Naturgeschichte Siciliens. Man findet bei ihm alle vulkanische Produkte
des Aetna, des Vesuv und der liparischen Inseln, und es ist ein
Vergnügen, die Resultate eines anhaltenden Fleißes hier zusammen zu
sehen. Hier sind alle sicilischen Steine, von denen die Marmorarten
vorzüglich schön sind. Bei Landolina und Biskaris und Gioeni sind
Tische, die aus allen sicilischen Marmorarten gearbeitet sind. Das Fach
der Muscheln findet man wohl selten so schön und so reich, als bei dem
Letzten. Was mich besonders aufhielt, waren die verschiedenen niedlichen
Sorten von Bernstein, alle aus Sicilien, die ich hier nicht gesucht
hätte. Ich wußte wohl, daß man in Sicilien Bernstein findet, aber ich
wußte nicht, daß er so schön und groß angetroffen wird: und ich habe aus
der Ostsee keine so schöne Farben und Schattirungen davon gesehen. Die
Arbeiten waren sehr niedlich und geschmackvoll. In der neuern Chemie und
Physik muß man indessen nicht sehr gewissenhaft mit fortgehen: denn es
wurde zufällig von der Platina gesprochen, die Gesellschaft war nicht
ganz klein und nicht ganz gewöhnlich, und man gestand sogar Deinem
idiotischen Freunde eine Stimme über die specifische Schwere des
Metalles zu. Endlich mußte unser Landsmann Bergmann den Zwist
entscheiden, und ich war wirklich seinem Ausspruche am nächsten
gekommen. Der Ritter und sein Bruder sind Männer von vieler Humanität
und unermüdetem Eifer für die Wissenschaft.

Ich hatte das Vergnügen in dem Universitätsgebäude einer theologischen
Doktorkreation beizuwohnen. Der Saal ist groß und schön und hell. Rund
herum sind einige große Männer des Alterthums nicht übel abgemalt, von
denen Einige Catanier waren, nämlich Charondas und Stesichorus; auch
Cicero hatte für seinen Eifer für die Insel die Ehre hier zu seyn;
sodann der Syrakusier Archimed und einige andere Sicilier. Theokrit war
den frommen Leuten vermuthlich zu frivol; er war nicht hier. Der
Candidat war ein Dominikaner, und machte in ziemlich gutem Latein die
Lobrede der Stadt und der Akademie Catanien. Der Promotor hielt sodann
der Theologie eine Lobrede, die sehr mönchisch war, und die ich ihm bloß
der guten Sprache wegen nur in Sicilien noch verzeihe. Nun, dachte ich,
wird die Disputation angehen; und vielleicht vergönnt man sogar, da die
Versammlung nicht zahlreich und ich von einem hiesigen Professor
eingeführt war, mir Hyperboreer auch ein Wörtchen zu sprechen. Aber das
war schon alles ^inter privatos parietes^ mit dem Examen abgemacht: man
gab dem Candidaten den Hut, die Trompeter bliesen, und wir gingen fort.
Die Universitätsbibliothek ist nicht zahlreich, aber gut gewählt und
geordnet, und der Bibliothekar ist ein freundlicher, verständiger Mann.
Er zeigte mir eine erste Ausgabe vom Horaz, die mit den Episteln anfing,
und die, wie er mir sagte, Fabricius sehr gelobt habe.

In den antiken Bädern unter der Kathedrale, durch welche eine Ader des
Amenanus geleitet ist, die noch fließt, war die Luft so übel, daß der
Professor Gambino es nur einige Minuten aushalten konnte. Meine Brust
war etwas stärker; aber ich machte doch, daß ich wieder herauskam. Sie
werden selten besucht. Auch in den dreifachen Korridoren des Theaters
etwas weiter hinauf kroch ich eine Viertelstunde herum: von hier hat der
Prinz Biskaris seine besten Schätze gezogen. Auch hier ist ein Aquaedukt
des Amenanus, aber sehr verschüttet. Nicht weit davon ist ein altes
Odeum, das jetzt zu Privatwohnungen verbauet ist. Die Kommission der
Alterthümer hat aber nun die Oberaufsicht; und kein Eigenthümer darf
ohne ihre Erlaubniß einen Stein regen.

Das Kloster und die Kirche der reichen Benediktiner sind so gut, als man
eine schlechte Sache machen kann. Die Kirche gilt für die größte in ganz
Sicilien und ist noch nicht ausgebauet; an der Facade fehlt noch viel.
Sie mag dessen ungeachtet wohl die schönste seyn. Die Gemälde in
derselben sind nicht ohne Werth, und die Stücke eines Eingebornen, des
Morealese, werden billig geschätzt. Am meisten thut man sich auf die
Orgel zu gute, die vor ungefähr zwanzig Jahren von Don Donato del Piano
gebauet worden ist. Er hat auch eine in Sankt Martin bei Palermo
gebauet; aber diese hier soll, wie die Catanier behaupten, weit
vorzüglicher seyn. Man hatte die wirklich ausgezeichnete Humanität, sie
für einige Freunde nach dem Gottesdienste noch lange spielen zu lassen;
und ich glaube selbst in Rom keine bessere gehört zu haben. Schwerlich
findet man eine größere Stärke, Reinheit und Verschiedenheit. Einige
kleine Spielwerke für die Mönche sind freilich dabei, die durchaus alle
Instrumente in einem einzigen haben wollen: aber das Echo ist wirklich
ein Meisterstück; ich habe es noch in keiner Musik so magisch gehört.
Die Abenddämmerung in der großen, schönen Kirche, und dann die feierlich
schaurige Beleuchtung wirkten mit. Die Bibliothek und das Kabinet der
Benediktiner sind ansehnlich genug, und könnten bei den Einkünften des
Klosters noch weit besser seyn. Im Museum finden sich einige hübsche
Stücke von Guido Reni und, wie man behauptet, von Raphael. Mehrere
griechische Inschriften sind an den Wänden umher. Eine auf einer
Marmortafel ist so gelehrt, daß sie, wie man sagte, auch die
gelehrtesten Antiquare in Italien nicht haben erklären können: auch
Visconti nicht. Ich hatte nicht Zeit; und was wollte ich Rekrut nach
diesem athletischen Triarier? Doch kam es mir vor, als ob sie in einem
späteren griechischen Stile das Märterthum der heiligen Agatha
enthielte. Wenn Du nach Catanien zu den Benediktinern kommst, magst Du
Dein Heil versuchen. In der Bibliothek bewirthete man mich, als einen
Leipziger, aus Höflichkeit mit den ^Actis eruditorum^, die in einer
Klosterbibliothek in Catanien auch wirklich eine Seltenheit seyn mögen.
Die Byzantiner waren alle mit ^Caute^ in Verwahrung gesetzt, und werden
nicht jedem gegeben. Als einen sehr großen seltenen Schatz zeigte man
mir eine außerordentlich schön geschriebene Vulgata. Ich las etwas
darin, und verschüttete die gute Meinung der Herren fast ganz durch die
voreilige Bemerkung, es wäre Schade, daß der Kopist gar kein Griechisch
verstanden hätte. Man sah mich an: ich war also genöthigt zu zeigen, daß
er aus dieser Unwissenheit vieles idiotisch und falsch geschrieben habe.
Die guten Leute waren verlegen und legten ihr Heiligthum wieder an
seinen Ort, und ihre Mienen sagten, daß solche Schätze nicht für Profane
wären. Der Pater Secretär, ein feiner, gebildeter Mann, der in seinem
Zimmer ein herrliches Instrument hatte, gab mir einen Brief an ihren
Bruder oben am Berge im Namen des Abts, da er hörte, daß ich auf den
Berg wollte. Er schüttelte indessen zweifelhaft den Kopf und erzählte
mir schreckliche Dinge von der Kälte in der obern Region des Riesen: es
würde unmöglich seyn, meinte er, schon jetzt in der frühen Jahreszeit
noch zu Anfange des Aprils hinaufzukommen. Er erzählte mir dabei von
einigen Westphalen, die es noch bei der nämlichen Jahreszeit gewagt
hätten, aber kaum zur Hälfte gekommen wären und doch Nasen und Ohren
erfroren hätten. Ich ließ mich aber nicht niederschlagen; denn ich wäre
ja nicht werth gewesen, nordamerikanischen und russischen Winter erlebt
zu haben.

Das Kloster hat achtzigtausend Scudi Einkünfte, und steht in Kredit, daß
es damit viel Gutes thut. Das heißt aber wohl weiter nichts, als funfzig
Faulenzer ernähren hundert Bettler; dadurch werden beide dem Staate
unnütz und verderblich. So jemand nicht will arbeiten, der soll auch
nicht essen, sagt unser alter Sirach; und ich finde den Ausspruch ganz
vernünftig, auch wenn er mir selbst das Todesurtheil schriebe.

Eine schöne Promenade ist der Garten dieses nämlichen Klosters der
hinter den Gebäuden auf lauter Lava angelegt ist, und wo man links und
rechts und geradeaus die schönste Aussicht auf den Berg und das Meer und
die bebaute Ebene hat. Die Lavafelder geben dem Garten das Ansehen einer
großen, mächtigen Zauberei. Gleich neben diesem Garten, neben dem
Klostergebäude nach der Stadt zu, hat ein Kanonikus einen kleinen
botanischen Garten, wo er schon die Papierstaude von Syrakus als eine
Seltenheit hält. Noch angenehmer ist der Gang in die Gärten des Prinzen
Biskaris in der nämlichen Gegend. Als er ihn anlegte, hielt man es für
eine Spielerei; aber er hat gezeigt, was Fleiß mit Anhaltsamkeit und
etwas Aufwand thun kann. Er hat die Lava gezwungen; die Pflanzung grünt
und blüht mit Wein und Feigen und Orangen und den schönsten Blumen aller
Art. Der Gärtner brachte mir die gewöhnliche Höflichkeit, und ich legte
mehrere Blumen in mein Taschenbuch für meine Freunde im Vaterlande.

Das Jesuitenkloster in der Stadt ist zum Etablissement für Manufakturen
gemacht; und ob dieses Etablissement gleich noch nicht weit gediehen
ist, so ist doch durch die Vernichtung des Klosters schon viel gewonnen.
In der Kathedrale hängt in einer Kapelle ein schrecklich treues Gemälde,
ungefähr sechs Fuß im Quadrat, von der letzten großen Eruption des
Berges 1669, die fast die Stadt zu Grunde richtete. Ein ächter Künstler
sollte es nehmen und ihm in einer neuen Bearbeitung zur Wahrheit des
Ganzen auch Kunstwerth geben. Es würde ein furchtbar schönes Stück
werden, und das ganze Gebiet der Kunst hätte dann vielleicht nichts
Aehnliches aufzuweisen. Hier hätte Raphael arbeiten sollen; da war mehr
als sein Brand.

Unten wo der zertheilte Amenanus wieder aus den Lavaschichten
herausfließt, steht noch etwas von der alten Mauer Cataniens, ungefähr
in gleicher Entfernung zwischen dem Molo links und dem Lavaberge rechts,
der dort weiter in die See hinein sich emporgethürmt hat. An dem Molo
hat man schon lange mit vielen Kosten gearbeitet; ich fürchte aber, die
See wird gewaltiger seyn, als die Arbeiter. Wenn links ein Felsenufer
etwas weiter hervorgriffe und den Wogensturz von Calabrien her etwas
dämmte, so wäre eher Hoffnung zur Haltbarkeit. Die Erfahrung, von der
ich nichts wußte, hat schon meine Meinung bestätigt, und einige
verständige Leute pflichteten mir bei. Catanien wird sich wohl müssen
mit einer leidlichen Rhede begnügen, wenn nicht vielleicht einmal der
Aetna, der große Bauer und Zerstörer, einen Hafen bauet. Er darf nur
links einen solchen Berg ins Meer schießen, wie er rechts gethan hat, so
ist er fertig. Es fragt sich, ob das zu wünschen wäre. Die Straße
Ferdinande, von dem prächtigen Thore von Syrakus her, ist die
Hauptstraße: eine andere, die ihr etwas aufwärts parallel läuft, ist
fast eben so schön. Wenn Catanien so fortarbeitet, macht es sich nach
einem großen Plane zu einer prächtigen Stadt. Fast alle öffentlichen
Monumente sind von der Kommune aus eigenen Kräften bestritten, und es
sind derselben nicht wenig; des Hofes geschieht nur Ehrenerwähnung. Es
ist der lieblichste Ort, den ich in Sicilien gesehen habe, und übrigens
sehr wenig mit der Regierung in Kollision; so daß viel Gutes zu erwarten
ist. Die Dazwischenkunft der Höfe verderbt wie ein Mehlthau meistens das
natürliche Gedeihen der freien Industrie.



                                                            _Messina._


Ich muß mich etwas fassen, daß ich Dich den Weg über den Berg und
Taormina hierher mit mir nicht gar zu unordentlich machen lasse; ob Du
gleich Geduld genug wirst haben müssen, denn ich bin ein gar schlechter
Systematiker. Der Wirth im Elephanten in Catanien, in dessen Buche ich
viele Bekannte fand und der sich als einen sehr guten Hodegeten
ankündigte, besorgte mir eben nicht wohlfeil einen Mann mit einem
Thiere, der mit mir die Fahrt bestehen sollte. Ich packte meinen Sack
voll Orangen und ritt nun bergan. Wie viel ich Dörfer und Flecken
durchritt, ehe ich am Sandkloster ankam, weiß ich nicht mehr. Dieses
Kloster gehört bekanntlich den reichen Benediktinern unten in der Stadt,
die hier nur einen Laienbruder haben, welcher die Oeconomie besorgt,
denn sie haben rund umher weite Distrikte von Weinbergen. Bei den
Mönchen gilt selten das Sprüchwort: im Weine ist Wahrheit, sondern: im
Weine ist Schlauheit. Ich kann mir nicht helfen, und wenn mich die
Mönche zum Abt machten, ich würde sagen: je größer das Kloster, desto
größer die Sottise. Die Mönche unten sind gar feine Kauze, die das
Inconsequente und Bedenkliche und Kritische ihrer jetzigen Lage sehr gut
fühlen und die Kutte durchzuschauen wissen: diese waren freundlich und
höflich. Der Laienbruder hier im Sande war etwas grämelnd und
murrsinnig. Er nahm meinen Empfehlungsbrief, betrachtete ihn und sagte
mir ganz trocken: »Der Abt, mein Vorgesetzter, hat ihn nicht
unterschrieben; er geht mich also nichts an.« »Das ist schlimm für
mich,« sagte ich: »Ja wohl!« sagte er. »Was soll ich nun thun?« fragte
ich: »Was Sie wollen;« antwortete er. Er besann sich indessen doch
etwas; man trug eben das Essen auf. Er fragte mich, ob ich mitessen
wollte; und ich machte natürlich gar keine Umstände, weil ich ziemlich
hungrig war. Wir setzten uns also, und über Tische ward mein Wirth etwas
freundlicher. Mein Maulesel mit dem Führer wurde nach dem nächsten Orte
Nicolosi geschickt und mir Quartier und Pflege gesichert. Man meldete,
daß eine fremde sehr vornehme Gesellschaft ankommen würde, die auch auf
den Berg steigen wollte; das war mir lieb. Wir aßen dreierlei Fische.
Denke Dir, ein Laienbruder der Benediktiner in der höchsten Wohnung am
Aetna zur Fasten dreierlei Fische! Denn über diesem Kloster sind nur
noch einige Häuser links hinüber, und weiter nichts in der Waldregion
bis hinauf an die alte Geißhöhle. Ich spreche von dieser Seite; die
andern Pfade kenne ich nicht. Es kam ein anderer Herr, der uns trinken
half. Dieser schien ein etwas besseres Stück von Geistlichem zu seyn.
Mein Wirth zog den Brief aus der Tasche und ließ ihn von dem andern
vorlesen; da ergab sich mir denn erst, daß der Herr Laienbruder wohl gar
nicht lesen konnte. Der Brief lautete ungefähr, daß der Pater Secretär
ihn im Namen und auf Befehl des Abtes schreibe, den deutschen reisenden
Herrn, der von dem Minister sehr empfohlen wäre, nach Würden bestens zu
bewirthen. Von meiner Entfernung war nun gar nicht mehr die Rede. Der
Bruder ward gesprächiger und erzählte mir seine Reisen und seine
Schicksale, und daß ihn der Papst kenne. Bald kam er auf meine Ketzerei
und segnete sich. Er ließ sich mein Seelenheil und meine Bekehrung noch
etwas angelegener seyn, als der palermitanische Steuerrevisor in
Agrigent, fand mich aber ganz refraktarisch: er mußte mich also mit
seinem besten Futter in die Hölle gehen lassen. Der vornehmste Grund,
den er brauchte, mich zum Christen zu machen, war: Ich hätte doch einen
sehr gefährlichen Weg vor mir, es seien auf dem Berge schon Viele
umgekommen; nun könnte ich, wenn ich auch todt gefunden würde, nicht
einmal christlich begraben werden. Das war nun freilich ein triftiges
Argument; denn bei diesen Herren ist kein Akatholikus ein Christ. Ich
sagte ihm so sanft als möglich die Anekdote des Diogenes, der sich im
ähnlichen Falle ausbat, man möchte ihm nach dem Tode nur einen Stock
hinlegen, damit er die Hunde wegjagen könnte. Der Mann schüttelte den
Kopf und -- trank sein Glas. Nun wurde mir ein Führer bestellt, der
theuer genug war, und auf alle Fälle Alles in Ordnung gesetzt, wenn auch
die Gesellschaft nicht kommen sollte. Eben als die Einrichtung getroffen
war, wurde gemeldet, daß die Engländer nicht kommen würden, sondern in
Nicolosi blieben. Darüber war der Mann Gottes sehr ergrimmt und betete
etwas unsanft, wie Elisa, der Bärenprophet, über einige seiner Feinde
unten in Catanien und oben in Nicolosi. Ich machte einen Ausflug
gegenüber auf die ^Monti rossi^, die sich bei der letzten großen
Eruption gebildet haben, vermuthlich von der Farbe den Namen tragen und
von ihren Gipfeln eine herrliche Aussicht geben. Man hatte eine starke
Viertelstunde nöthig sie zu ersteigen, und von ihnen sieht man noch
jetzt den ganzen ungeheuren Lavastrom, der hier ausbrach, alles umwälzte
und zernichtete, einen großen Theil der Stadt zerstörte und tief hinter
derselben sich als eine hohe Felsenwand in der See stemmte. Ich weiß
wohl, daß Stollberg anderer Meinung ist; aber ich habe es hier so von
vielen Einwohnern gehört, unter denen auch manche ziemlich unterrichtete
Männer waren. Als ich herunterstieg, begegnete ich zwei Engländern von
der Partie aus Nicolosi, die den nämlichen Spaziergang hierher gemacht
hatten. Ihrer waren fünfe, lauter Officiere von der Garnison aus Malta,
die von Neapel kamen und unterwegs den Berg mitsehen wollten; ein Major,
ein Hauptmann und drei Lieutenants. Sie freuten sich noch einen zur
Partie zu bekommen, und ich holte flugs meinen Sack vom Mönche und zog
herunter zu den Engländern ins Wirthshaus nach Nicolosi, wo schon vorher
mein Führer einquartirt war. Der Mönch machte ein finsteres Gesicht,
murrte etwas durch die Zähne, vermuthlich einige Flüche über uns Ketzer
alle; ich dankte und ging.

Hier trieben wir nun, die fünf Briten und Dein Freund, unser Wesen sehr
erbaulich. Die Engländer hatten den Wirth vom goldenen Löwen aus
Catanien mitgebracht; ich trat zur Gesellschaft, man schaffte mir ein
Bett so gut als möglich, und wir legten uns nieder und schliefen nicht
viel. Die Herren erzählten ihre Abenteuer, militärische und galante, von
der Themse und vom Nil: und bald traf die Kritik einen General, bald ein
Mädchen. Vorzüglich war der Gegenstand ihrer Reminiscenzen eine gewisse
originelle Trompetersfrau, die sie nach allen kernigen Prädikamenten zur
Königin ihres Lagers in Aegypten erhoben. Gegen Mitternacht kamen die
Führer, und nun setzte sich die ganze Karavane zu Maulesel: sechs
^Signori forestieri^, zwei Führer mit Laternen und ein Proviantträger.
Es war, wenn ich nicht irre, den sechsten April zu Mitternacht, oder den
siebenten des Morgens. Den vorigen Tag war es trübes Wetter gewesen,
hatte den Abend ziemlich stark geregnet, hellte sich aber auf, so wie
wir aus dem Wirthshause zogen. Wir gingen bei meinem Mönche in Sankt
^Nicola del bosco ovver della rena^ vorbei. Es war frisch und ward bald
kalt, und dann sehr kalt. Wir trottirten und lärmten uns warm. Dann
deklamirte der Major Grays Kirchhof, dann sangen wir »^God save the
King^,« nach Händel, und »^Britannia, rule the waves^,« und andere
englischpatriotische Sachen. Jeder gab seinen Schnak. »^We are already
pretty high^,« sagte der Eine: »^it is a bitter nipping cold^,« der
Andere, »^Methinks, I hear the dogstar bark, and Mars meets Venus in the
dark^;« fuhr ein Dritter fort. »^Is that not smoke there?^« fragte ein
subalterner Myops; »^I believe I see already old Nick smoking his
pipe.^« -- »^But my dear^,« sagte der Major, »^You are purblind upon
your starbord eye: it is an oaktree.^« So war es: das gab Gelächter und
wir gingen weiter. Bald kamen wir aus der bebauten Region in die waldige
und gingen nun unter den Eichen immer bergauf. Ungefähr um ein Uhr kamen
wir in der Gegend der Geißhöhle an, die aber bis jetzt außer Gebrauch
kommt. Der Fürst von Paterno hat dort ein Haus gebaut, wo die Fremden
eintreten und sich bei einem Feuer wärmen können. Das Haus ist schlecht
genug, und ein deutscher Dorfschulze würde sich schämen, es nicht besser
gemacht zu haben. Indessen ist es doch besser als nichts, und
vermuthlich bequemer als die Höhle. Hier blieben wir eine kleine halbe
Stunde, bestiegen wieder unsere Maulthiere und ritten nunmehr aus der
waldigen Region in den Schnee hinein. Ungefähr eine Viertelstunde über
dem Hause und der Höhle hörte die Vegetation ganz auf und der Schnee
fing an hoch zu werden, der schon um das Haus her und hier und da neu
und alt lag. Wir mußten nun absteigen und unsere Maulthiere hier lassen.
Der Schnee ward bald sehr hoch und das Steigen sehr beschwerlich. Unsere
Führer riethen uns nur langsam zu gehen, und sie hatten Recht: aber die
Herren ruhten zu oft absatzweise, und darin hatten diese nicht Recht.
»^Methinks, I smell the morning air^,« sagte der Major, und fuhr ganz
drollig fort, als ein junger Lieutenant durch den hohlen Schnee auf ein
Lavastück fiel und über den Fuß klagte: »^Alack, what dangers do environ
the man that meddles with cold iron!^« Die Kälte des Morgens ward
schneidend und die Engländer, die wohl in Aegypten und Malta eine solche
Partie nicht gemacht hatten, schüttelten sich wie die Matrosen. Endlich
erreichten wir den Steinhaufen des sogenannten Philosophenthurms, und
die Sonne tauchte eben glühend über die Berge von Kalabrien herauf und
vergoldete was wir von der Meerenge sehen konnten, die ganze See und den
Taurus zu unsern Füßen. Ganz rein war die Luft nicht, aber ohne Wolken;
desto magischer war die Scene. Hinter uns lag noch Alles in Nacht, und
vor uns tanzten hier und da Nebelgestalten auf dem Ocean. Wer kann hier
beschreiben? Nimm Deinen Benda, und laß auf silbernem Flügel dem Mädchen
auf Naxos die Sonne aufgehen: und wenn Du nicht etwas von unserm
Vergnügen hast, so kann Dir kein Gott helfen.[12] So ging uns Titan auf;
aber wir standen über einem werdenden Gewitter: es konnte uns nicht
erreichen. Einer der Herren lief wehklagend und hoch aufschreiend um die
Trümmern herum; denn er hatte die Finger erfroren. Wir halfen mit Schnee
und rieben und wuschen, und arbeiteten uns endlich zu dem Gipfel des
Berges hinauf. Mir däucht, man müßte bis zum Philosophenthurm reiten
können; bis dahin ist es nicht zu sehr jäh: aber die Kälte verbietet es;
wenigstens möchte ich eben deßwegen ohne große Verwahrung nicht von der
Kavalkade seyn. Von hier aus kann man nicht mehr gehen; man muß steigen,
und zuweilen klettern, und zuweilen klimmen. Es scheint nur noch eine
Viertelstunde bis zur höchsten Spitze zu seyn, aber es ist wohl noch ein
Stückchen Arbeit. Die Briten letzten sich mit Rum, und da ich von diesem
Nektar nichts genießen kann, aß ich von Zeit zu Zeit eine Apfelsine aus
der Tasche. Sie waren ziemlich gefroren; aber ich habe nie so etwas
Köstliches genossen. Als ich keine Apfelsinen mehr hatte -- denn der
Appetit war stark -- stillte ich den Durst mit Schnee, arbeitete immer
vorwärts, und war zur Ehre der deutschen Nation der Erste an dem
obersten Felsenrande der großen ungeheuern Schlucht, in welcher der
Krater liegt. Einer der Führer kam nach mir, dann der Major, dann der
zweite Führer, dann die ganze kleine Karavane bis auf den Herren mit den
erfrorenen Fingern. Hier standen und saßen und lagerten wir, halb in dem
Qualm des aufsteigenden Rauchdampfes eingehüllt, und keiner sprach ein
Wort, und jeder staunte in den furchtbaren Schlund hinab, aus welchem es
in dunklen und weißlichen Wolken dumpf und wüthend herauftobte. --
Endlich sagte der Major, indem er sich mit einem tiefen Athemzuge Luft
machte: »^Now it is indeed worth a young man's while to mount and see
it; for such a sight is not to be met with in the parks of old
England.^« Mehr kannst Du von einem ächten Briten nicht erwarten, dessen
patriotische Seele ihren Gefährten mit Rostbeef und Porter ambrosisch
bewirthet.

Die Schlucht, ungefähr eine kleine Stunde im Umfange, lag vor uns, wir
standen alle auf einer ziemlich schmalen Felsenwand, und bückten uns
über eine steile Kluft von vielleicht sechzig bis siebenzig Klaftern
hinaus und in dieselbe hinein. Einige legten sich nieder, um sich auf
der grausen Höhe vor Schwindel zu sichern. In dieser Schlucht lag tief
der Krater, der seine Stürme aus dem Abgrunde nach der entgegengesetzten
Seite hinüber warf. Der Wind kam von der Morgensonne und wir standen
noch ziemlich sicher vor dem Dampfe; nur daß hier und da etwas durch die
Felsenspalten heraufdrang. Rund herum ist keine Möglichkeit, vor den
ungeheuern senkrechten Lavablöcken, bis hinunter ganz nahe an den Rand
des eigentlichen Schlundes zu kommen. Bloß von der Seite von Taormina,
wo eine sehr große Vertiefung ausgeht, muß man hineinsteigen können,
wenn man Zeit und Muth genug hat, die Gefahr zu bestehen: denn eine
kleine Veränderung des Windes kann tödtlich werden, und man erstickt,
wie Plinius. Uebrigens würde man wohl unten am Rande weiter nichts sehen
können. Hätte ich drei Tage Zeit und einen entschlossenen, der Gegend
ganz kundigen Führer, so wollte ich mir wohl die Ehre erwerben, unten
gewesen zu seyn, wenn es der Wind erlaubte. Man müßte aber mit viel
größerer Schwierigkeit von Taormina hinaufsteigen.

Nachdem wir uns von unserm ersten Hinstaunen etwas erholt hatten, sahen
wir nun auch rund umher. Die Sonne stand nicht mehr so tief, und es war
auch auf der übrigen Insel schon ziemlich hell. Wir sahen das ganze
große, schöne herrliche Eiland unter uns, vor uns liegen, wenigstens den
schönsten Theil desselben. Alles was um den Berg herum liegt, das ganze
Thal Enna, bis nach Palagonia und Lentini, mit allen Städten und Flecken
und Flüssen, war wie in magischen Duft gewebt. Vorzüglich reizend zog
sich der Simäthus aus den Bergen durch die schöne Fläche lang hinab in
das Meer, und man übersah mit Einem Blick seinen ganzen Lauf. Tiefer hin
lag der See Lentini und glänzte wie ein Zauberspiegel durch die
elektrische Luft. Die Folge wird zeigen, daß die Luft nicht sehr rein,
aber vielleicht nur desto schöner für unsern Morgen war. Man sah
hinunter bis nach Augusta und in die Gegend von Syrakus. Aber die
Schwäche meiner Augen und die Dünste des Himmels, der doch fast
unbewölkt war, hinderten mich weiter zu sehen. Messina habe ich nicht
gesehen: und mir däucht, man kann es auch von hier nicht sehen: es liegt
zu tief landeinwärts an der Meerenge und die Berge müssen es decken.
Palermo kann man durchaus nicht sehen, sondern nur die Berge umher. Von
den Liparen sahen wir nur etwas durch die Wölkchen. Nachdem wir rund
umher genug hinabgeschaut hatten, und das erste Staunen sich etwas zur
Ruhe setzte, sagte der Major nach englischer Sitte: »^Now be sure, we
needs must give a shout at the top down the gulf^;« und so stimmten wir
denn drei Mal ein mächtiges Freudengeschrei an, daß die Höhlen der
furchtbaren Riesen wiederhallten, und die Führer uns warnten, wir
möchten durch unsere Ruchlosigkeit nicht die Teufel unten wecken. Sie
nannten den Schlund nur mit etwas veränderten Mythus: »^la casa del
diavolo^« und das Echo in den Klüften »^la sua risposta^.«

Der Umfang des kleinen tief unten liegenden Kessels mag ungefähr eine
kleine Viertelstunde seyn. Es kochte und brauste und wüthete und tobte
und stürmte unaufhörlich aus ihm herauf. Einen zweiten Krater habe ich
nicht gesehen; der dicke Rauch müßte vielleicht ganz seinen Eingang
decken, oder dieser zweite Schlund müßte auf der andern Seite der Felsen
liegen, zu der wir wegen des Windes der den Dampf dorthin trieb, nicht
kommen konnten. Auch hier waren wir nicht ganz von Rauche frei; die
rothe Uniform der Engländer mit den goldenen Achselbändern war ganz
schwarzgrau geworden; mein blauer Rock hatte seine Farbe nicht merklich
verändert.

Ich hatte mich bisher im Aufsteigen immer mit Schnee gelabt; aber hier
am Rande auf der Spitze war er bitter salzig und konnte nicht genossen
werden. Nicht weit vom Rande lag ein Auswurf von verschiedenen Farben,
den ich für todten Schwefel hielt. Er war heiß und wir konnten unsere
Füße darin wärmen. Wir setzten uns an eine Felsenwand, und sahen auf die
zauberische Gegend unter uns, vorzüglich nach Catanien und Paterno
hinab. Die ^Monti rossi^ bei Nicolosi glichen fast Maulwurfshügeln, und
die ganze große ausgestorbene Familie des alten lebendigen Vaters lag
rund umher, nur er selbst wirkte mit ewigem Feuer in furchtbarer
Jugendkraft. Welche ungeheure Werkstatt muß er haben! Der letzte große
Ausbruch war fast drei deutsche Meilen vom Gipfel hinab bei Nicolosi.
Wenn er wieder durchbrechen sollte, fürchte ich für die Seite von
Taormina, wo nun die Erdschicht am dünnsten zu seyn scheint. Die Luft
war, trotz dem Feuer des Vulkans und der Sonne, doch sehr kalt, und wir
stiegen wieder herab. Unser Herabsteigen war noch belohnender, als der
Aufenthalt auf dem obersten Gipfel. Bis zum Philosophenthurm war viel
Behutsamkeit nöthig. Hier war nun der Proviantträger angekommen, und wir
hielten unser Frühstück. Die Engländer griffen zu der Rumflasche, und
ich hielt mich zum gebratenen Huhn und dann zum Schnee. Brot und Braten
waren ziemlich hart gefroren, aber der heiße Hunger thaute es bald auf.
Indem wir aßen, genossen wir das schönste Schauspiel, das vielleicht das
Auge eines Menschen genießen kann. Der Himmel war fast ganz hell, und
nur hinter uns über dem Simäthus hingen einige kleine lichte Wölkchen.
Die Sonne stand schon ziemlich hoch an der Küste Kalabriens; die See war
glänzend. Da zeigten sich zuerst hier und da einige kleine Fleckchen auf
dem Meere links vor Taormina, die fast wie Inselchen aussahen. Unsere
Führer sagten uns sogleich, was folgen würde. Die Flecken wurden
zusehens größer, bildeten flockige Nebelwolken und breiteten sich aus
und flossen zusammen. Keine morganische Fee kann eine solche Farbengluth
und solchen Wechsel haben, als die Nebel von Moment zu Moment annahmen.
Es schoß in die Höhe und glich einem Walde mit den dichtesten Bäumen von
den sonderbarsten Gestalten, war hier gedrängter und dunkler, dort
dünner und heller, und die Sonne schien in einem noch ziemlich kleinen
Winkel auf das Gewebe hinab, das schnell die ganze nördliche Küste
deckte und das wir hier tief unter uns sahen. Der Gluthstrom fing an die
Schluchten der Berge zu füllen, und hinter uns lag das Thal Enna mit
seiner ganzen Schönheit in einem unnennbarem Halblichte, so daß wir nur
noch den See von Lentini als ein helles Fleckchen sahen. Dieses alles
und die Bildung des himmlischen Gemäldes an der Nordseite war das Werk
einer kleinen Viertelstunde. Ich werde eine so geschmückte Scene
wahrscheinlich in meinem Leben nicht wieder sehen. Sie ist nur hier zu
treffen; und auch hier sehr selten; die Führer priesen uns und sogar
sich selbst deßwegen glücklich. Wir brachen auf, um, wo möglich, unten
dem Regen zu entgehen: in einigen Minuten sahen wir nichts mehr von dem
Gipfel des Berges; alles war in undurchdringlichen Nebel gehüllt, und
wir selbst schossen auf der Bahn, die wir im Hinaufsteigen langsam
gemacht hatten, pfeilschnell herab. Ohne den Schnee hätten wir es nicht
so sicher gekonnt. Nach einer halben Stunde hatten wir die Blitze links,
immer noch unter uns. Der Nebel hellte sich wieder auf, oder vielmehr
wir traten aus demselben heraus, das Gewitter zog neben uns her nach
Catanien zu, und wir kamen in weniger, als der Hälfte Zeit wieder in das
Haus am Ende der Waldregion, wo wir uns an das Feuer setzten -- nämlich
diejenigen, die es wagen durften. Die Engländer hatten zu dieser
Bergreise eine eigene Vorkehrung getroffen. Weiß der Himmel, wer sie
ihnen mochte gerathen haben: die meinige war besser. Sie kamen in
Nicolosi in Stiefeln an, setzten sich aber dort in Schuhe, und über
diese Schuhe zogen sie die dicksten wollenen Strümpfe, die man sich
denken kann, und die sie sogar, wie sie mir sagten, schon in Holland zu
diesem Behufe gekauft hatten. Der Aufzug ließ sonderbar genug; sie sahen
mit den großen Aetnastöcken von unten auf alle ziemlich aus, wie
samojedische Bärenführer. Ich ging in meinem gewöhnlichen Reisezeug, mit
gewöhnlichen baumwollenen Strümpfen in meinen festen Stiefeln. Schon
hinaufwärts waren einige holländische Strümpfe zerrissen; herabwärts
ging es über die Schuhe und die Unterstrümpfe. Einige liefen auf den
Zehen, die sie denn natürlich erfroren hatten. Meine Warnung langsam und
fest, ohne abzusetzen, fortzugehen, hatte nichts geholfen. Mir fehlte
nicht das Geringste. Vorzüglich hatte einer der jungen Herren die
Unvorsichtigkeit gehabt, sich mit warmem Wasser zu waschen und an das
Feuer zu setzen. In einigen Minuten jauchzte er vor Schmerz, wie Homers
verwundeter Kriegsgott, und hat den Denkzettel mitgenommen. Vermuthlich
wird er in Catanien, oder noch in Malta zu kuriren haben. Du kannst
sehen, welcher auffallende Kontrast hier in einer kleinen Entfernung in
der Gegend ist; unten bei Catanien raufte man reifen Flachs, und die
Gerste stand hoch in Aehren; und hier oben erfror man Hände und Füße.
Nun ritten wir noch immer mit dem Gewitter durch die Waldregion nach
Nicolosi hinab, wo wir eine herrliche Mahlzeit fanden, die der Wirth aus
dem goldenen Löwen in Catanien kontraktmäßig angeschafft hatte. Wir
nahmen Abschied, die Engländer ritten zurück nach Catanien, und ich
meines Weges hierher nach Taormina.

Es ist vielleicht in ganz Europa keine Gegend mit so vielfältigen
Schönheiten, als die Umgebung dieses Berges. Seine Höhe kann ich nicht
bestimmen. In einem geographischen Verzeichnisse wurde er hier
beträchtlich höher angegeben, als die höchsten Alpen: das mögen die
Italiener mit den mathematischen Geographen ausmachen. Der Professor
Gambino aus Catanien will diesen August mit einer Gesellschaft hinauf
gehen, um oben noch mehrere Beobachtungen anzustellen. Man hat in der
Insel das Sprüchwort vom Aetna: »^On le voit toujours le chapeau blanc
et la pipe à la bouche.^« -- Der Schnee soll nie schmelzen: das ist in
einem so südlichen Klima viel. Man nennt ihn in Sicilien meistens, wie
bekannt, nur ^Monte Gibello^: aber man nennt ihn auch noch sehr oft
Aetna, oder den Berg von Sicilien, oder geradezu vorzugsweise den Berg.
Die letzte Benennung habe ich am häufigsten und zwar auch unten an der
Küste gefunden. Mir scheint es überhaupt, daß man jetzt anfängt, die
alten Namen wieder hervorzusuchen und zu gebrauchen. So habe ich auch
den Fluß unten nicht anders als Simäthus nennen hören.

Bis an das Bergkloster der Benediktiner ist der Aetna von dieser Seite
bebaut; weiter hinauf ist Wald und fast von lauter Eichen, die jetzt
noch alle kahl standen; und nicht weit von der Geißhöhle, oder dem
jetzigen Hause von Paterno hört die Vegetation ganz auf. Wir fanden von
dort an bis zum Gipfel Schnee. Die bebaute Region giebt eine
Abwechselung, die man vielleicht selten mehr auf dem Erdboden findet.
Unten reifen im lieblichsten Gemische die meisten Früchte des wärmern
Erdstrichs; alle Orangengeschlechter wachsen und blühen im goldenem
Glanze. Weiter hinauf gedeiht die Granate, dann der Oelbaum, dann die
Feige, dann nur der Weinstock, und die Kastanie; und dann nur noch die
ehrwürdige Eiche. Am Fuße triffst Du alles dieses zusammen in schönen
Gruppen, und zuweilen Palmen dazu.

Auf meinem Wege nach Taormina zeigte mir mein Führer, nur auf einem
Punkte, den alten, großen, berühmten Kastanienbaum in der Ferne. Kaum
kann ich sagen, daß ich ihn gesehen habe; ich wollte ihm aber nicht
einen Tag aufopfern. Die Nacht mußte ich in einem kleinen elenden
Dörfchen bleiben. Der Weg nach Taormina gehört zu den schönsten,
besonders einige Millien vor der Stadt. Dieser Ort, welcher ehemals
unten lag und nun auf einem hohen Vorsprunge des Taurus steht, hat die
herrlichste Aussicht nach allen Seiten, vorzüglich von dem alten
Theater, einem der kühnsten Werke der Alten. Rechts ist das ewige Feuer
des Aetna, links das fabelhafte Ufer der Insel, und gegenüber sieht man
weit, weit hinauf an den Küsten von Calabrien. Höchst wahrscheinlich ist
das Theater nur römisch; man hat es nach der Zerstörung durch die
Saracenen so gut als möglich wieder zusammengesetzt, scheint aber dabei
nach sehr willkührlichen Konjekturen verfahren zu seyn. Es ist
bekanntlich eines der erhaltensten, und Alles, was alt ist, ist sehr
anschaulich, aber für das neue Flickwerk möchte ich nicht stehen: und
doch hat eben der schönste, prächtigste Theil am meisten von den
Barbaren gelitten. Das alte Schloß, welches noch viel höher als die
Stadt liegt, muß schwer zu nehmen seyn. Die Patronin, die heilige Mutter
vom Felsen, müßte es also ziemlich leicht sehr gut vertheidigen, wenn
ihre Kinder verständige und brave Kriegsleute wären. Nach Taormina hatte
ich eine Empfehlung von Catanien an den Kommandanten, die einzige in
Sicilien, welche schlecht honorirt wurde. Man wies mich in ein
Wirthshaus unten am Fuße des Berges, welches aber eine Stunde hinunter
ist. Das konnte mir mein Mauleseltreiber auch sagen; und hätte ich oben
ein Wirthshaus finden können, so wäre ich dem Herrn gar nicht
beschwerlich gefallen. Bei den Kapuzinern sprach ich gar nicht ein; denn
ihre Ungefälligkeit und ihr Schmutz waren mir schon geschildert worden.
Ich schickte hier meinen Mauleseltreiber fort und wanderte wieder allein
zu Fuße weiter: denn an der See hinauf, dachte ich, kann ich nun Messina
nicht verfehlen. Ein alter Sergeant von Taormina, der mir sehr
freundlich den Cicerone machte, wollte mir eine Ordre an den
Kommandanten von Sankt Alexis, einen unter ihm stehenden Korporal,
mitgeben, daß er mir dort das Schloß auf der Felsenspitze zeigen sollte:
ich dankte ihm aber mit der Entschuldigung, daß ich nicht Zeit haben
würde. Der Weg hinauf und herab von Taormina ist etwas halsbrechend, hat
aber einige schöne, sehr gut bebaute Schluchten. Mein Aufenthalt oben
dauerte aus angeführten Ursachen nur zwei kleine Stunden, bis ich das
Theater gesehen, und Fische und Oliven mit dem Sergeanten gegessen
hatte. Der ehrliche alte Kerl wollte mich für die Kleinigkeit noch
einige Millien begleiten, damit ich den Weg nicht verlieren möchte.
Einen gar sonderbaren, langgezogenen, tiefen, nicht unsonorischen
Dialekt haben hier die Leute. Auf die Frage, wie weit ich noch zum
höchsten Orte habe, erhielt ich die Antwort: »^Saruhn incuhra cinquuh
migliah^:« welches Jeder ohne Noten verstehen wird.

Die Nacht blieb ich in einem kleinen Orte, der, glaube ich, Giumarrinese
hieß, und noch achtzehn Millien von Messina entfernt ist. Ein Seebad
nach einem ziemlich warmen Tage that mir recht wohl; und die frischen
Sardellen gleich aus der See waren nachher ein ganz gutes Gericht. Man
thut sich hier darauf etwas zu gute und behauptet mit Recht, daß man sie
in Palermo nicht so schön haben kann. Einige Millien von Messina fand
ich wieder Fuhrgleise, welches mir eine wahre Wohlthat war; denn seit
Agrigent hatte ich keinen Wagen gesehen. In Syrakus kann man nur eine
Viertelstunde an der See, bis an ein Kloster vor der Stadt und bis in
die Gegend des Anapus fahren: und eine geistliche Sänfte, von Mauleseln
getragen, die ich in den Bergschluchten zwischen Augusta antraf, war
Alles, was ich einem Fuhrwerk ähnliches gefunden hatte.



                                                            _Messina._


In der langen Vorstadt von Messina traf ich einige sehr gut gearbeitete
Brunnen, mit pompösen lateinischen Inschriften, worin ein Brunnen mit
Recht als eine große Wohlthat gepriesen wurde. Nur Schade, daß sie kein
Wasser hatten! Die Hafenseite ist noch eine furchtbare Trümmer, und doch
der einzige nahe Spaziergang für die Stadt. Noch der jetzige Anblick
zeigt, was das Ganze muß gewesen seyn; und ich glaube wirklich, die
Messinesen haben Recht gehabt, wenn sie sagten: es sei in der Welt nicht
so etwas Prächtiges mehr gewesen, als ihre Facade an dem Hafen, die sie
deßwegen nur vorzugsweise den Palast nannten, und ihn noch jetzt in den
Trümmern so nennen. Das Schicksal scheint hier eine schreckliche
Erinnerung an unsere Ohnmacht gegeben zu haben: »Das könnt ihr mit Macht
und angestrengtem Fleiß in Jahrhunderten; und das kann ich in einem
Momente!« Die Monumente stürzten, und die ganze Felsenküste jenseits und
diesseits wurde zerrüttet! -- Nur die Heiligennischen an den Enden
werden wieder aufgebauet und Bettelmönche hineingesetzt, den geistlichen
Tribut einzutreiben. Aufwärts in der Stadt wird sehr lebhaft und sehr
solid wieder aufgebauet. Die Häuser bekommen durchaus nicht mehr, als
zwei Stockwerke, um bei künftigen Erderschütterungen nicht zu sehr unter
ihrer Last zu leiden. Das unterste Stockwerk hat selbst in den
furchtbarsten Erdbeben überall nur wenig gelitten.

Messina ist reich an Statuen ihrer Könige, von denen einige nicht
schlecht sind. Ich habe stundenlang vor dem Bild Philipps des Zweiten
gestanden, und die Geschichte aus seinem Gesichte gesucht. Mir däucht,
er trägt sie darauf; und selbst Schiller scheint seinen Charakter
desselben von so einem Kopfe genommen zu haben. Die heilige Jungfrau ist
bekanntlich die vorzüglichste Patronin der Messinesen, und Du kannst
nicht glauben, wie fest und heilig sie noch auf ihren Schutzbrief
halten. Wenn sie hier nicht im Erdbeben hilft, so wie Agatha in Catanien
den Berg nicht zähmt, so müssen freilich die Sünder gestraft werden. Ich
hatte so eben Gelegenheit, eine große feierliche Ceremonie ihr zu Ehren
mit anzusehen. Die ganze Geistlichkeit mit einem ziemlich ansehnlichen
Gefolge vom weltlichen Arm hielt das Palmenfest. Mich wundert nicht, daß
die Palmen in Sicilien nicht besser fortkommen und immer seltener
werden, wenn man sie alle Jahre auf diese Art so gewissenlos plündert.
Alles trug Palmenzweige, und wer keinen von den Bäumen mehr haben
konnte, der hatte sich einen schnitzen und färben lassen. Der Aufzug
wäre possirlich gewesen, wenn er nicht zu ernsthaft gewesen wäre. Ein
Mönch predigte sodann in der Kathedralkirche eine halbe Stunde von der
heiligen Jungfrau und ihrem gewaltigen Kredit im Himmel und ihrer
besondern Gnade gegen die Stadt, und führte dafür Beweise an, über die
selbst der ächteste, gläubigste Katholik hätte ausrufen mögen: »^Credat
Judaeus Apella!^« Sodann kam der Erzbischof in einem ungeheuern, alten,
vergoldeten Staatswagen mit vier stattlichen Mauleseln, stieg aus und
segnete das Volk, und es ging selig nach Hause. Die Kathedrale hat in
ihrem Baue nichts Merkwürdiges, als die Säulen, die aus dem alten
Neptunustempel am Pharus sind. Der große, prächtige Altar war verhängt;
er gilt in ganz Sicilien für ein Wunder der Arbeit und des Reichthums.
Man machte mir Hoffnung, daß ich ihn würde sehen können, und nahm es
ziemlich übel, daß mir die Sache so gleichgültig schien.

Man sagt, die Hafenseite liegt deßwegen noch so ganz in Trümmern, weil
die Regierung sie durchaus eben so schön und ganz nach dem alten Plan
aufgebauet wissen wolle, die Bürger aber sie nur mit dem Uebrigen
gleich, zwei Stock hoch, aufzuführen gesonnen seien. Mir däucht, das
Ganze ob ich es gleich von sehr unterrichteten Leuten gehört habe, sei
doch nur ein Gerücht; und wenn es wahr ist, so zeigt es den guten
soliden Verstand der Bürger, und die Unkunde und Marotte der Regierung.
Die Statue des jetzigen Königs, Ferdinand des Vierten, hat man noch 1792
mitten unter die Trümmer gesetzt. Wenn hier der gute Herr nicht seinen
lethargischen Schnupfen verliert, so kann ihm kein Anticyra helfen. Was
die Leute bei der Aufstellung der Statue hier eben mögen gedacht haben,
ist mir unbegreiflich, da der König weder eine solche Ehre, noch eine
solche Verspottung verdient. Die Statue war auf alle Fälle hier das
Letzte, was man aufstellen sollte. In dem Hafen liegen eben jetzt vier
englische Fregatten, und es scheint, als ob die Briten über die Insel
Wache hielten; so bedenklich mag ihnen die Lage derselben vorkommen. Es
sind schöne, herrliche Schiffe, und so oft ich etwas von der englischen
Flotte gesehen habe, habe ich unwillkührlich den übermüthigen Insulanern
ihr stolzes »^Britania rule the waves^« verziehen; eben so wie dem
Pariser Didot sein »^Excudebam^,« wenn ich die Arbeit selbst
betrachtete.

Von der Wasserseite möchte es immer etwas kosten, Messina anzugreifen:
aber zu Lande von Scaletta würde man so ziemlich gleich gegen gleich
fechten, und der Ort würde sich nicht halten. Ich war hier an einem
Präpositus in einem Kloster empfohlen, der viel Güte und Freundlichkeit,
aber ziemlich wenig Sinn für Aufklärung hatte, welches man dem guten
Mann in seiner Lage so übel nicht nehmen muß. Er begleitete mich mit
vieler Gefälligkeit überall hin, und wollte mich in dem Kloster logiren;
aber ich hatte schon in der Stadt ein ziemlich gutes Wirthshaus. Die
Kirche des heiligen Gregorius auf einer ziemlichen Anhöhe ist reich an
Freskogemälden und Marmorarbeit: aber was mir wichtiger ist, als dieses,
sie giebt von ihrer Façade links und rechts die schönste Aussicht über
die Stadt und den Meerbusen; und mit einem guten Glase muß man hier
sehen können, was gegenüber am Ufer in Italien und in Reggio auf den
Gassen geschieht. In dem Hause des Herrn Marini, eines Patriciers der
Stadt, steht als neuestes Alterthum ein Stück von einer alten Säule mit
Inschrift, das vor einiger Zeit gefunden worden ist. Sie hat auf einem
Brunnen gestanden, und man behauptet, die Inschrift sei griechisch; aber
Niemand ist da, der sie erklären könnte. Ob ich gleich leidlich
griechisch lese, so konnte ich doch nicht einmal herausbringen, ob es
nur griechische Lettern wären. Vielleicht ist es altes phönizisches
Griechisch, und in diesem Falle vielleicht eins der ältesten Monumente.
Schrift und Marmor haben sehr gelitten, da sie lange unter der Erde
gelegen haben. Das Stück ist, so viel ich weiß, noch nicht bekannt, und
wird sorgfältig aufgehoben. Ich empfehle es Männern, die gelehrter sind,
als ich; da es doch vielleicht für irgend einen Punkt der Geschichte
nicht unwichtig ist.

Die Herren des Klosters luden mich ein, zum Fasttage bei ihnen zu essen.
Dieses ist die einzige Mahlzeit, die ich in Italien bei Italienern
genossen habe; und sie war stattlich. Von den übrigen Herren habe ich
viel Höflichkeit erhalten, aber nichts zu essen. Das ist nun so die
italienische Weise, die ich weder loben noch tadeln will. Das Kloster
bestand nur aus wenigen Geistlichen: der Laienbrüder, welche die
Bedienten machten, waren mehr. Man gab mir den Ehrenplatz und war sehr
artig und ich sollte daher wohl dankbar seyn; aber erst für Humanität --
^magis amica veritas^! Ich habe mir die Gerichte gemerkt, und muß sie
Dir nennen, damit Du siehst, wie man an einem sicilischen Klostertische
fastet. Zum Eingang kam eine Suppe mit jungen Erbsen und jungem
Kohlrabi; sodann kamen Maccaroni mit Käse; sodann eine Pastete von
Sardellen, Oliven, Kapern und starken aromatischen Kräutern; ferner ein
Kompott von Oliven, Limonen und Gewürz; ferner einige große herrliche,
goldgelbe Fische aus der See, die ich für die beste Art von Bärschen
hielt; weiter hochgewürzte, vortreffliche Artischocken; das Dessert
bestand aus Lattichsallat, den schönsten jungen Fenchelstauden, Käse,
Kastanien und Nüssen: Alles, und vorzüglich das Brot, war von der besten
Qualität, und schon einzeln ^quantum satis superque^. Vor allen habe ich
die Kastanien nirgends so schön und so delikat gebraten gefunden. Nun
frage ich Dich, heißt das nicht mit diesem Fasten einem ehrlichen Kerl
mit aller Gewalt die Erbsünde in den Leib jagen? Bei dieser Diät muß man
freilich orthodoxen Glauben gewinnen, der die Vernunft verachtet. Ich
ging hinaus und lief einige Meilen am Strande herum, bis zur Charybdis
hinunter; aber die frommen Gläubigen blieben zu Hause in der
Gottseligkeit. Das nenne ich einen Fasttag: nun denke Dir den Festtag!
Meine fußwandelnde Person war wohl nicht so wichtig, daß man deßwegen
eine Aenderung in der Klosterregel sollte gemacht haben. Nun führte man
mich oben in dem unausgebauten Kloster herum, und zeigte mir die Anlagen
und das Modell, das man dazu aus Rom hatte kommen lassen. Ich hoffe vom
Himmel zum Heile der Menschheit, die Sottise soll nicht fertig werden.
Ob so etwas auf meiner Nase mag gesessen, weiß ich nicht; die Herren
zeigten mir nichts mehr von ihren übrigen Herrlichkeiten. Hier las man
mir ein Manuscript von einem Abt Sacchio vor, das eine Beschreibung und
Geschichte der Stadt Messina enthielt und das man sehr hoch schätzte;
aber nach dem zu urtheilen, was davon gelesen wurde, brauchen wir es
nicht zu bedauern, daß der Schatz im Kloster liegt; die Abhandlung
scheint bloß für Mönche pragmatisch.

Die Festung zu sehen, muß man Erlaubniß haben, welches etwas schwer
hält. Ich bemühte mich nicht darum, da ich schon so viel aus der Anlage
sah, daß man mit zweitausend braven Grenadieren ohne Erlaubniß
hineingehen könnte. Alles ist nur auf einen Angriff zu Wasser berechnet.
Der Hafen hier und in Palermo sind noch die einzigen Oerter, wo ich in
Sicilien einige artige Weibergestalten gesehen habe. Anderwärts und
vorzüglich in Agrigent und Syrakus, war ich mit meinen griechischen
Idealen aus dem Theokrit traurig durchgefallen. Der Hafen ist auch hier
und in Palermo die einzige Promenade, und für den Menschen, der Menschen
studiren will, gewiß eine der wichtigsten; so bunt und kraus sind die
Gestalten vieler Nationen durch einander gruppirt! Schon in der Stadt
selbst wohnt eine große Verschiedenheit, und der Fremden sind eine
Menge. Einen der schönsten Augenblicke hatte ich gestern Abends, bei dem
ich als Mensch über die Menschen mich fast der Freudenthränen nicht
enthalten konnte. Ein fremdes Schiff kam aus dem mittelländischen Meer
die Meerenge herab. Ich weiß nicht, ob es durch Sturm oder irgend einen
andern Unfall gelitten hatte; es war in Gefahr und that Nothschüsse. Du
hättest sehen sollen, mit welchem göttlichen Enthusiasmus fast
übermenschliche Kraft zwanzig Boote von verschiedenen Völkern durch die
Wogen auf die Höhe hinausarbeitete, um die Leidenden zu retten.
Italiener, Franzosen, Engländer, Griechen und Türken wetteiferten in dem
schönsten Kampfe: sie waren glücklich und brachten Alles ohne Verlust in
den Hafen. In diesem Momente ärgerte ich mich fast, daß ich nicht reich
war, hier den Rettern ein menschliches Fest zu geben: aber ein zweiter
Augenblick gab mir Besinnung; das Fest war so schöner. Das brave bunte
Gewimmel war mehr belohnt durch die That; und ich war sehr glücklich,
daß ich sie gesehen hatte. Als ich zurückging, wurde ich an einer
Heiligennische ^per la santa vergine^ um ein Almosen gebeten; ich sah
den Mann forschend an und er fuhr fort: »^Date nella vostra idea, date
pure! sara bene impiegato.^« Der Mensch verstand wenigstens den
Menschen, wenn er ihn auch betrügen sollte: ich gab.



                                                            _Palermo._


Hier bin ich nun wieder von der Runde zurück. Der letzte Zug von Messina
hierher war der beschwerlichste, aber er hat auch viel Belohnendes. Die
Berge waren mir gar fürchterlich beschrieben worden; ich miethete mir
also einen Maulesel mit seinem Führer und setzte ruhig aus. Beschäftigt
mit den alten Messeniern, der eisernen Tyrannei der Spartaner, der
muthigen Flucht der braven Männer nach Zankle und allen ihren
Schicksalen, Unglücksfällen, Ausartungen und Erholungen, die Seele voll
von diesen Gedanken stieg ich neben meinem Maulesel den Berg hinauf und
blieb oft stehen, einen Rückblick auf zwei so schöne Länder zugleich zu
nehmen. Melazzo auf einer weitausgehenden Landzunge macht von fern einen
hübschen Anblick, und das Land umher scheint nicht übel gebauet zu seyn.
Auch diese Gegend hat viel im letzten Erdbeben gelitten. Unten am Pelor
sah ich zum erstenmal wieder grüne vaterländische Eichen und die
Nachtigallen schlugen wetteifernd aus den Schluchten. Mir war auf einmal
so heimisch wohl dabei, daß ich hier hätte bleiben mögen. Es geht doch
nichts über einen deutschen Eichenwald. Bei Barcellona, wie man mir den
Ort nannte, sah ich das schönste Thal in ganz Sicilien; und Andere sind,
däucht mir, schon vor mir dieser Meinung gewesen. Es ist ein reizendes
Gemische von Früchten aller Art, Orangen und Oel, Feigen und Wein,
Bohnen und Weizen; und die ausschließenden Berge sind nicht zu hoch und
zu rauh, sondern ihre Gipfel sind noch alle mit schöner Waldung bekrönt.
In Patti war kein Pferdestall zu finden: wir ritten also von einem Orte
zum andern immer weiter hin bis Mitternacht. Patti dankt, däucht mir,
seinen Ursprung, oder wenigstens seinen Namen, einem dort geschlossenen
Vergleiche in den punischen Kriegen. Den Ort meines Nachtlagers habe ich
vergessen, aber die Art nicht. Die See war furchtbar stürmisch, und es
hatte entsetzlich geregnet. Mit vieler Mühe konnten wir noch einige
Fische und Eier erhalten. Es hatten sich zwei Fremde zu mir gesellt, die
auch von Messina kamen und ins Land ritten. Wein war genug da, aber kein
Brot. Man gab mir aus Höflichkeit die beste Schlafstelle; diese war auf
einem steinernen Absatze neben der Krippe; die andern Herren legten sich
unten zu den Schweinen. Mein Mauleseltreiber trug zärtliche Sorge für
mich und gab mir seine Kaputze: und man begriff überhaupt nicht, wie ich
es habe wagen können, ohne Kaputze zu reisen. Diese sonderbare Art von
schwarzbraunem Mantel mit der spitzigen Kopfdecke ist in ganz Italien
und vorzüglich in Sicilien ein Hauptkleidungsstück. Ich hatte ganz
Geschmack daran gewonnen; und wenn ich von dieser Nacht urtheilen soll,
so habe ich Talent zum Kapuziner; denn ich schlief sehr gut. Den ersten
Tag machten wir fünfzig Millien.

In Sankt Agatha, einem Kloster von einer sehr angenehmen Lage, wollten
wir die zweite Nacht bleiben; und dort scheint kein übles Wirthshaus zu
seyn; aber es war noch zu früh und wir ritten mehrere Millien weiter bis
Aque Dolci, wo der schöne Name das beste war, wie vor Agrigent in
Fontana Fredda. Hier waren Leute, wie die sikanischen Urbewohner der
Insel, groß und stark und rauh und furchtbar; und hier, glaube ich, war
ich mit meiner Ketzerei wirklich in einer etwas unangenehmen Lage. Ein
Stück von Geistlichkeit hatte Lunte gerochen und nahm mich sehr in
Anspruch, und ich hielt ihn mir nur durch Latein vom Halse, vor dem er
sich zu fürchten schien. Anderwärts war der Bekehrungseifer gutmüthig
und wohlwollend sanft; hier hatte er etwas cyklopisches. Nicht weit von
dem Ort ist oben in dem Felsen eine Höhle, die man mir sehr rühmte und
in die man mich mit Gewalt führen wollte. Es war aber zu spät und ich
hatte auch nicht recht Lust, mit solchen Physiognomien allein in den
polyphemischen Felsenhöhlen herumzukriechen. Ich war hier nicht in
Adlersberg. Hier mußte ich für ein Bett sechs Karlin bezahlen, und als
ich bemerkte, daß ich für Bett und Zimmer zusammen in Palermo nur drei
bezahlte, sagte mir der Riese von Wirth ganz skoptisch: »Freilich; aber
dafür sind sie auch eben jetzt nicht in Palermo und bekommen doch ein
Bett.« Der Grund war in Sicilien so unrecht nicht.

Wir hatten schon, wie mir mein Führer sagte, mit Gefahr einige Flüsse
durchgesetzt. Nun kamen wir an einen, den sie Santa Maria nannten. Es
mußte oben fluthend geregnet haben; denn die Waldströme waren
fürchterlich angeschwollen. Dieses macht oft den Weg gefährlich, da
keine Brücken sind. Einer der Cyklopen, den man füglich für einen
Polyphem hätte nehmen können -- so riesenhaft war er selbst und so groß
und zackig der wilde Stamm, den er als Stock führte -- machte die Gefahr
noch größer. Die Gesellschaft hatte sich gesammelt; keiner wollte es
wagen zu reiten. Meinem Führer war für sich und noch mehr für seinen
Maulesel bange. Es war nichts. Die Insulaner sind an große Flüße nicht
gewöhnt. Man machte viele Kreuze und betete Stoßgebetchen zu allen
Heiligen, ehe man den Maulesel einen Fuß ins Wasser setzen ließ; und
dankte dann vorzüglich der heiligen Maria für die Errettung. An einem
solchen Strome, wo ich allein war, wollte mein Führer, ein Knabe von
funfzehn Jahren, durchaus umkehren und liegen bleiben, bis das Wasser
von den Bergen abgelaufen wäre. Das hätte mich Piaster gekostet und
stand mir nicht an. Ich erklärte ihm also rein heraus, ich würde reiten,
er möchte machen was er wollte. In der Angst für sein Thier und seine
Seele schloß er sich auf der Kruppe fest an mich an, zitterte und
betete; und ich leitete und schlug und spornte den Maulesel glücklich
hinüber. »Da haben uns die lieben Heiligen gerettet,« sagte er, als er
am andern Ufer wieder Luft schöpfte; »und mein Stock und der Maulesel,«
sagte ich. Der Bursche kreuzigte sich drei Mal über meine Gottlosigkeit,
faßte aber doch in Zukunft etwas mehr Muth zu dem meinigen. Sodann
blieben wir in einem einzigen isolirten Hause vor einem Orte, dessen
Namen ich auch wieder vergessen habe. Ich hätte gelehrter seyn sollen,
oder beständig einen Nomenklator bei mir haben. Das Donnerwetter hatte
mich diesen und den vorigen Tag verfolgt: und es schneite und graupelte
bis über einen Fuß hoch. Die Waldströme waren wirklich sehr hinderlich
und zuweilen vielleicht gar gefährlich für Leute, die nicht an das
Element gewöhnt sind und nicht Muth haben. Einmal verdankte ich aber dem
großen Wasser eine schöne Scene. Der Fluß war, nach der Meinung meines
Begleiters, unten durchaus nicht zu passiren, und er ritt mit mir immer
an demselben hinauf, wo er eine Brücke wußte. Der Weg war zwar lang und
ich ward etwas ungeduldig; aber ich kam in ein Thal, das einen so
schönen großen Orangenwald hielt, wie ich ihn auf der ganzen Insel noch
nicht gesehen hatte. Des Menschen Leidenschaft ist nun einmal seine
Leidenschaft. Für einige Kreutzer konnte mein Magen überall haben, so
viel er nur fassen konnte: aber meine Augen wollten noch zehren, und
diese brauchten mehr zur Sättigung, und ließen dann gern alles hängen
und liegen.

Endlich kamen wir in Cefalu an. Für große Schiffe ist hier wohl kein
Hafen zum Aufenthalt. Der Ort hat vermuthlich den Namen vom Berge, der
einer der sonderbarsten ist. Wir hatten bisher die liparischen Inseln
immer rechts gehabt; nun verschwanden sie nach und nach. Von Messina bis
Cefalu ist es sehr wild; von hier an fängt die Kultur wieder an etwas
besser zu werden. Es kommen nun viele Reißfelder. Bei Cefalu sah ich
eine schöne, lange, hohe, herrliche Rosenhecke, deren erste Knospen eben
zahlreich üppig aufbrachen. Diese Probe zeigte, was man hier schaffen
könnte. Ich hätte dem Pfleger die Hände küssen mögen; es waren die
ersten, die ich in ganz Unteritalien und Sicilien sah.[13] Die Leute
sind schändliche Verräther an der schönen Natur.

In Termini erholte ich mich; hier findet man wieder etwas Menschlichkeit
und Bequemlichkeit. Meine Wirthin war eine alte freundliche Frau, die
alles Mögliche that mich zufrieden zu stellen, welches bei mir sehr
leicht ist. Sie examinirte mich theilnehmend über alles; nur nicht über
meine Religion, ein seltener Fall in Sicilien; stellte mir vor, was
meine Mutter jetzt meinetwegen für Unruhe haben müßte, und rieth mir
ernstlich, nach Hause zu eilen; sie hätte auch einen Sohn auf dem festen
Lande, den sie zurück erwartete. Wenn ihre Theilnahme und Pflege auch
sehr mütterlich war, so war indessen doch ihre Rechnung etwas
stiefmütterlich.

Als ich in einer melancholisch ruhigen Stimmung über Vergangenheit und
Gegenwart hing und mit meinem Mäoniden in der Hand aus dem Garten auf
den Himerafluß hinabschaute, ward unwillkührlich eine Elegie in meiner
Seele lebendig. Es war mir, als ob ich die Göttin der Insel mit noch
mehr Schmerz, als über ihre geliebte Tochter am Anapus klagen hörte, und
ich gebe Dir ohne weitere Bemerkung, was aus ihrer Seele in die meinige
herüber hallte.

                          Trauer der Ceres.

   Meine Wiege, wie bist Du verödet, Du liebliches Eiland,
   Ach wie bist Du verödet, Du herrlicher Garten der Erde,
   Wo die Götter der Sterblichen einst den Olympus vergaßen!
   Zeus Kronion, Du Retter, o rette Trinakriens Schöne,
   Daß sie nicht endlich ganz mit der letzten Trümmer vergehe!
   Glühend rinnt mir die Thräne, wie sie Unsterblichen rinnet,
   Rinnt mir schmerzlich die Thräne vom Aug' beim Jammer des Anblicks.
   Wo, wo sind sie, die Kinder, die fröhlichen, seligen Kinder
   Meiner Liebe, die einst mit Tethrippen die Wege befuhren,
   Wo jetzt kaum ein ärmlicher Bastard des Langohrs hinzieht?
   Ach wo find ich die Männer von Akragas, von Syrakusä,
   Von Selinunt, die stolzen Söhne der stolzeren Väter,
   Welche die hohe Karthago bedrohten mit Macht und mit Reichthum
   Und die höhere Rom? Wo find' ich die Reihen der Jungfraun,
   Die die heiligen Züge mir führten in bräutlichem Glanze,
   Daß die Olympier selbst mit Scheelsucht neidisch herabsahn?
   Schaaren von Glücklichen drängten sich einst aus marmornen Thoren
   Durch die schattigen Haine der Götter, zu Traubengebirgen,
   Durch die reichen Gefilde, die ich bedeckte mit Garben.
   Eherne Krieger zogen zum Streit, dem Stolze des Fremdlings
   Furcht und Verderben; es hallte von Felsen zu Felsen das
      Schlachtwort,
   Für die Sache der Freiheit und für des Vaterlands Sache.
   Leben und Freude athmeten hoch vom Aetna zum Eryx,
   Vom Simäthus, dem Heerdenernährer, zum fetten Anapus.
   Zeus Kronion, wenn ich mit Stolz die Gesegneten sahe,
   War ich die reichste Mutter und fühlte doppelt die Gottheit.
   Ach wie bist Du gefallen, mein Liebling, wie bist Du gefallen
   Tief in Jammer und Armuth, Zerstörung und furchtbares Elend!
   Deine Städte, mein Stolz, sie liegen in Trümmern am Meere,
   Ihre Tempel verwüstet und ihre Odeen zerstöret,
   Ihre Mauern verschüttet und ihre Wege verschwunden.
   Im Gefühl des unendlichen Werths des Menschengeschlechtes
   Schritten erhabene Söhne der götterbefreundeten Hellas
   Mächtig durch die Gebirge und schufen den Felsen zum Tanzsaal
   Gegenüber des Aetna ewigen Feuerhaupte.
   Jetzt durchwandelt die Thale der Jammer des bettelnden Volkes.
   Einsam, scheu, mit Hunger im bleichen gesunkenen Auge,
   Nur mit schmutzigen Lumpen die zitternde Blöße behangen;
   Und im Antlitz furcht noch die Wuth des heiligen Unsinns.
   Hymnen ertöneten einst den Göttern in glücklichen Chören.
   Durch die Städte der Insel; melodisch pflügte der Landmann,
   Schnitt der Winzer und zog die Netze der freundliche Fischer.
   Finster lauscht jetzt Mißtraun tief in den Furchen der Stirne;
   Stumm und einsam schleicht es daher, und, tönet die Seele
   Unwillkührlich Gesang, so klingt er wie Aengste des Todes.
   Gastlich empfingen den Fremdling einst Siciliens Küsten,
   Und er wandelte froh, wie in den Fluren der Heimat;
   Wildniß starret nunmehr dem kühnen Pilger entgegen,
   Und mit der Miene der Mordlust ziehen die Räuber am Ufer.
   Wie einst vor den unwirthlichen Zeiten der alten Cyklopen
   Trägt das Land den Anblick der wildesten Höhlenbewohner,
   Als besäß es noch nicht mein herrliches Aehrengebinde,
   Nicht den friedlichen Oelbaum, nicht die erfreuliche Traube,
   Und noch nicht der Hesperiden goldene Früchte.
   Zeus Kronion, Du Retter, o rette Trinakriens Schöne,
   Daß sie nicht endlich ganz mit der letzten Trümmer vergehe!

Von Termini aus kann der König wieder fahren. Indessen hätte der
Minister, der den Weg gebauet hat, ihn mit weniger Kosten vermuthlich
besser und dauerhafter machen können. Die Wasserleitung ist nicht
sonderlich beachtet. In der Bagaria sah ich von außen noch einige
sublime Grotesken des sublim grotesken Fürsten von Palagonia, die nun
nach seinem Tode nach und nach alle weggeschafft werden. Ich hatte weder
Zeit noch Lust das innere Heiligthum der Ungeheuer zu sehen. Wenn
indessen seine drollige Durchlaucht nur etwas zur Verschönerung der
Gegend umher beigetragen hat, so will ich ihm die Mißhandlung der
Mythologie, der ich übrigens selbst nicht außerordentlich hold bin, sehr
gern verzeihen. Die ganze Gegend um die Stadt, vorzüglich nach Palermo
hin, ist die bebauteste und ordentlichste, die man in Sicilien sehen
kann, wenn es gleich keine der schönsten und reichsten ist.

Mir ward es wirklich recht wohl, als ich wieder in die Nachbarschaft von
Palermo kam, wo ich mich nun schon als etwas heimisch betrachtete. Mein
Einzug in die Residenz war, als ob ich ihn noch bei dem hochseligen
Fürsten von Palagonia bestellt hätte. Es holte uns eine Sänfte irgend
eines Bischofs ein, vermuthlich des Bischofs von Cefalu. Sie war sehr
charakteristisch überall mit Schellen behangen, und wurde, nach der
Gewohnheit des Landes, von zweien der stärksten Maulesel getragen, die
von einigen reitenden Bedienten geführt wurden. Die Sänfte war ziemlich
geräumig und mochte bequem Platz haben für den Bischof und seine Nichte;
denn ich habe es in Sicilien durchaus gemerkt, daß die vornehmen
Geistlichen viel auf Nichten halten. Ein alter, dicker, satirischer
Eseltreiber setzte sich gravitätisch hinein, und fing an barock daraus
zu diakoniren und mit großen Grimassen den Segen zu spenden. Die
Schellen klangen, er nickte und machte ein Bocksgesicht, und die
Karavane lachte über die Posse, bis die Nähe der Stadt der Profanation
ein Ende machte. Nun zog die ganze originelle Kavalkade hinter mir mit
Schellengeläute in Palermo zum Seethor ein. In Leipzig hätte ich damit
ein Schauspiel für ein Quartir der Stadt machen können; in Palermo
lachten bloß zwei Visitatoren.



                                        _Palermo_, auf dem Paketboote.


Mein alter Wirth hier schickte mich zu einem neuen, seinem Freunde, weil
sein Haus voll war. Ich war hier eben so gut wie dort, und noch etwas
billiger; und hatte überdieß die Aussicht auf den Hafen. Nun habe ich
wieder meinen Reisegefährten von Seehund, welcher den Maro mit einigen
andern Kameraden hält. Die Zeit wird mir aber so wenig lang, daß ich nur
selten die alten Knaster aus dem Felle nehme.

Vor einigen Tagen war hier Osterjahrmarkt am Hafen, auf welchen die
Palermitaner etwas zu halten scheinen, wo aber außer einigen
Quinquaillerien nicht viel zu haben ist. Man hat wenigstens dabei die
Gelegenheit, fast die ganze galante Welt von Palermo spazieren gehen und
fahren zu sehen. Man sieht hier mehr schöne Wagen als in Messina, ob
dort gleich im Allgemeinen mehr Wohlstand zu seyn scheint. Es herrscht
hier, wie fast an allen Höfen, Verschwendung und Armuth. In Messina ist
man in Gefahr, von den Wagen etwas gerädert zu werden; aber hier hat man
für die Fußgänger am Strande einige Wege gemacht, die für schön gelten.
Du magst darüber Herrn Hager lesen; ich kann Dir nicht alles erzählen.
Noch einmal habe ich die Promenade auf den Monte Pellegrino gemacht, als
ob ich auch ein heiliger Pilger wäre. Mich lockte bloß die Aussicht,
wiewohl auch die meisten andern Pilger bloß irgend eine Aussicht locken
mag. Das Wetter war mir wieder nicht günstig; ich ließ mich indessen
nicht abhalten, und stieg bis ziemlich auf den höchsten Gipfel des
Felsenbergs hinauf. Wo das Kloster steht, ist ein Absatz von etwas
fruchtbarem Erdreich, das noch sehr gutes Getreide hält. Ich ging hinaus
bis an die äußerste Spitze, wo eine Kapelle der heiligen Rosalia steht
mit ihrem Bilde, das füglich etwas besser seyn sollte. Die Fremden aller
Länder hatten sich hier verewigt und mir wenig Platz gelassen. Alles war
voll, und Stirne und Wange und Busen des heiligen Rosalienmädchens waren
beschrieben; es blieb mir also nichts übrig, als ihr meinen Namen auf
die Nasenspitze zu setzen. Vielleicht dachte Jeder durch Aufsetzung
seines Namens das Gemälde zu verbessern; die Nasenspitze ist wenigstens
durch den meinigen nicht verdorben worden: und dieses ist das einzige
Mal, daß ich auf der ganzen Wandlung meinen Namen geschrieben habe, wenn
mich nicht die Polizei dazu nöthigte.

Zwischen diesem isolirten Felsen und der höheren Bergkette liegt ein
herrliches kleines Thal, das sich von der Stadt immer enger bis an die
See vorzieht. Es ist von der Natur reichlich gesegnet, und der Fleiß
könnte noch mehr gewinnen. Hier muß nach der Topographie das Städtchen
Hykkara gelegen haben, aus welchem Nicias die schöne Lais holte und nach
Griechenland brachte. Weiter hinaus suchte ich mit meinen Hofmannischen
Augen den Eryx bei den Trapani, und knüpfte in vielen schnellen
Uebergängen Wieland, Aristipp und die erycinische Göttin zusammen. Weiß
der Himmel, wie ich in diesem Thema auf den Hudibras kam; die
Ideenverbindung mag wohl etwas schnell und gesetzlos gewesen seyn, und
ich halte es nicht für wichtig genug, sie wieder aufzusuchen. Ich guckte
also hin nach Trapani und sang oder murmelte vielmehr nach einer
beliebten Melodie aus Mozarts Zauberflöte die schönen harmonischen Verse
von Buttler, die ich immer für ein Meisterstück der Knittelrhythmik
gehalten habe. Sie paßten vortrefflich zur Melodie des Vogelfängers.
Also ich brummte:

   ^So learned Taliacotius from^
   ^The brawny part of porters bum^
   ^Cut supplemental noses, which^
   ^Would last as long as parent breech,^
   ^And as the date of Knock was out,^
   ^Off dropt the sympathetic snout.^

Ich hatte in meinem musicalischen Enthusiasmus nicht auf den Weg Achtung
gegeben; und kaum hatte ich die letzte Zeile gesungen und wollte die
erste wieder anfangen, so fiel ich auf die Nase, welches mir selbst auf
den Aetna nicht begegnet war, wo doch die Landsleute Buttlers in ihren
Strümpfen alle sehr oft zu Falle kamen. Hatte vielleicht die Göttin von
Amathunt und vom Eryx die Profanation rächen wollen? die Nase blutete
mir. Besser die Nase, als das Herz, dachte ich. Auch dieses war mir wohl
ehedem etwas enge gewesen; jetzt war ihm längst wieder leicht. Ich hatte
aus Gewohnheit noch ein kleines, niedliches Madonnenbildchen an einer
seidenen Schnur am Halse hangen, das mir oft das Prädikat der
Katholicität erworben hatte. Das Original hatte mich königlich
betrogen[14]. Jetzt nahm ich es unwillkührlich von der linken Seite,
nach welcher sich das Idolchen immer neigte, schloß unwillkührlich das
Glas auf, nahm das elfenbeinerne Täfelchen heraus und erschrak, als ich
es heftig unwillkührlich in zehn Stücke zersplittert zwischen dem Daumen
hielt. War das lauter Rache Rosaliens und der vom Eryx? Mögen sie sich
an niemand bitterer rächen! Ich hielt die Trümmerchen in der Hand;
Freund Schnorr mag verzeihen: er hatte mit Liebe an dem Bildchen
gepinselt. Einige Minuten hielt mich Phantasus noch mit Wehmuth am
Original; ich saß auf einem Felsenstücke des Erkta, und sah es im Geist
an der Spree im goldenen Wagen rollen. Rolle zu! und so flogen die
Stücke mit der goldenen Einfassung den Abgrund hinunter. Ehemals wäre
ich dem Bildchen nachgesprungen --; noch jetzt dem Original. Aber ich
stieg nun ruhiger den Schneckengang nach der Königsstadt hinab; die
röthlichen Wölkchen vom Aetna her flockten lieblich mir vor den Augen.
Ich vergaß das Gemälde: möge es dem Original wohl gehen!

Ich hatte mich bis tief in die Nacht verspätet, und wurde zu Hause
gräßlich bewillkommt. Aber da muß ich Dir noch Mehreres erzählen, ehe Du
dieses gehörig verstehst. Du erinnerst Dich des guten Steuerrevisors,
der sich in Agrigent meiner so freundschaftlich annahm, daß er mir fast
die Menschheit streitig machte. Kaum hatte ich in meinem Wirthshause die
erste Nacht ausgeschlafen, als mein Steuerrevisor zu mir hereintrat. Das
that mir nun recht wohl; denn wer freut sich nicht, daß sich jemand um
ihn bekümmert? Er erzählte mir, er sei meinetwegen in großem Schrecken
gewesen, als der Eseltreiber zurückgekommen, und habe geglaubt, ich
werde nun sicher umkommen, da ich allein ohne Waffen in der Insel
herumlaufe. Der Mauleseltreiberjunge, mein Begleiter, sagte er mir zum
Trost, sei völlig von der Paste wieder genesen, und er habe die zwei
Unzen, bis auf den Abzug einiger Kleinigkeiten, ihm wieder herausgeben
müssen. Gut, dachte ich; also wieder zwei Unzen gerettet; ich kann sie
brauchen. Sogleich nach seiner Ankunft in Palermo habe er sich nach
meinem Wirthshause erkundigt und es bald erfahren. Nun sei er seit acht
Tagen täglich da gewesen, um nachzufragen. Heute früh habe er meine
Ankunft erfahren und sei sogleich hierher zu mir geeilt. Nun lud er mich
ein, zu ihm in sein Haus zu ziehen. Das war mir indessen nicht ganz
recht; denn ich wäre lieber geblieben, wo ich war. Aber der Mann bat so
freundlich, war so besorgt gewesen; ich packte also ein, und ließ
hintragen. Er wohnte vor dem Thore nach Montreale. Wir aßen, und seine
Frau, eine heiße zelotische nicht unfeine Sicilianerin, fing nun meine
Bekehrung an. Das Examen ging über Tische und zum Dessert von Artikel zu
Artikel, von dem Papste und den Mönchen bis auf die unbefleckte
Empfängniß. Das Letzte war das Allerheiligste, von dem ich nichts wußte.
Die gute Frau hätte, wie es schien, lieber ihre eigene Keuschheit in
Gefahr gesetzt, als das geringste von der Jungferschaft Mariens
aufgegeben. Man sprach mit aller Wärme und Salbung, mich zu überzeugen;
aber vergebens. Man fing nun an mir Aussichten zu eröffnen: ja, lieber
Gott, wenn ich ein anderer Kerl wäre, als ich bin, könnte ich im
Vaterlande Aussichten haben, wo man sie doch am liebsten hat. ^Don Juan,
fatevi cristiano, e statevi in Sicilia. -- Ma lo sono. -- Ma non siete
cattolico. -- Io sono bene cosi; non si puo megliò.^ Die Frau aß im
Eifer Bonbons und trank Wein, und war heftig; und da ich denn trocken
halsstarrig fortblieb, rief sie in heiliger Wuth aus, indem sie den
Teller von sich stieß: »^Ma voi altri voi siete tutti baroni f-t-ti..^«
Ueber diese Naivetät erschrak ich, und wäre jetzt für zwei Unzen gern
zurück in meinem Wirthshause gewesen. Nach Tische ging ich zu Rosalien,
wie ich Dir erzählte. Ich glaubte das Haus meines neuen Wirths recht gut
gemerkt zu haben und irrte mich doch: ich kam in ein unrechtes. Nun
wollte ich eben fragen, ob hier Don Filippo wohne, als ein Kerl ^Ladro,
briccone, furfante^ herausschrie und wüthend mit dem Messer auf mich
zustürzte. Ich hob so schnell ich konnte die Eisenzwinge meines
Knotenstocks, flüchtete eben so schnell zum Hause hinaus und eilte die
finstere Gasse hinunter. Die Nachbarschaft gerieth in Lärm: eine schöne
Nachbarschaft; dachte ich, und ging in mein altes Gasthaus. Dort war ich
sehr willkommen. Ich hatte mich eben zu Bette gelegt, als der Herr
Steuerrevisor kam und mich aufsuchte. Er hatte den Lärm gehört und war
meinetwegen in Todesangst. Ich erzählte ihm mein Abenteuer und sagte,
daß ich in einer solchen Nachbarschaft nicht wohnen möchte; er ließ aber
nicht nach, bis ich ihm versprach, morgen wieder zu ihm zu kommen; denn
diesen Abend war ich nicht wieder aus dem Bette zu bringen. Den andern
Morgen war er wieder sehr früh da und holte mich ab. Nun lebten wir
leidlich ordentlich einige Tage, das Vorgefallene wurde bedauert und
meine Ketzerei weiter nicht mehr, als nur im Allgemeinen, in Anspruch
genommen. Aber wenn wir zuweilen zusammen ausgingen, welches der Herr
sehr gut zu veranstalten wußte, hatte er immer etwas zu kaufen und kein
Geld bei sich; ich war also ziemlich stark in Auslage und bezahlte jede
Mahlzeit dadurch sehr theuer. Ich mußte Geld haben von dem Kaufmann, und
er erbot sich sogar meine Geschäfte bei ihm zu machen, da ich doch der
Sprache nicht recht mächtig wäre. Aber dazu war ich bei aller meiner
indolenten Gutherzigkeit denn doch schon zu sehr gewitziget, dankte und
verbat seine Mühwaltung, und holte meine Baarschaft nicht eher, als bis
ich abreisen wollte. Er half mir zuletzt noch manches besorgen, und da
er sich meinetwegen bei Nacht etwas enrhümirt hatte, mußte ich bei dem
schlechten Wetter mit ihm doch wohl einen Wagen nehmen. Hier erzählte
mir der Mann sehr naiv etwas näher seine Amtsbeschäftigungen. Wir
müssen, sagte er, in der Insel herumreisen, die rückständigen Steuern
einzutreiben, und im Namen des Königs den Leuten Kleider, Betten und das
übrige Hausgeräthe wegnehmen, wenn sie nicht bezahlen können. Es packte
mich bei diesen trockenen Worten eine Kälte, daß ich im Wagen meine
Reisejacke dichter anzog und unwillkührlich nach meinem Halstuche griff.
Die zwei Unzen wurden vergessen, und ich erinnerte nicht; ob ich sie
gleich nun lieber dem Mauleseltreiber gelassen hätte, der so großen
unglücklichen Appetit an der Paste hatte. Ueberdieß war ich mit Vielem
in Auslage, und es war mir sehr lieb, als der Kapitän an Bord rufen
ließ. Er begleitete mich bis ans Wasser im Wagen mit seinen beiden
kleinen Mädchen, die in der That allerliebst niedliche Geschöpfchen
waren. Beim Abschied in meiner Kajüte bat er sich noch eine Unze zum
Geschenk für diese aus: ich ungalanter Kerl zog mürrisch die Börse und
gab ihm schweigend das Goldstück hin. Er hatte mir es sehr verübelt, daß
ich mir auf dem Packetboote ein Zimmer für mich genommen und mich an die
Tafel des Kapitäns verdungen hatte. Das war, nach seiner Meinung,
Verschwendung, und ich hätte für das Viertel der Summe mich lieber unter
die Takelage des Raums sollen werfen lassen. Ein erbaulicher Wirth, der
Herr Steuerrevisor! Der Wind blieb widrig; wir fuhren nicht ab, und ich
zog lieber wieder hinaus ins Wirthshaus: sogleich suchte er mich wieder
auf und wollte mich wieder zu sich haben. Der Mensch ward endlich
unerträglich zudringlich und weggeworfen unverschämt, und ich mußte noch
bei einigen Partien für ihn bezahlen. Um mich aber endlich recht
bestimmt, nach der schicklichsten Weise für ihn, zu benehmen, aß ich in
einem Speisehause unbefangen mit großem Appetit ein Gericht nach dem
andern, ohne ihn einzuladen, oder für ihn zu bestellen. Nun wünschte er
mir endlich gute Reise, und ich sah ihn nicht wieder, den Herrn
Steuerrevisor Don Filippo -- -- seinen Geschlechtsnamen will ich
vergessen. Sterzinger, mit dem ich nachher noch sprach, kannte ihn und
lachte. Er hatte in der Welt mehrere gelehrte und merkantilische
Metamorphosen gemacht, bis er zu seiner witzigen Würde gedieh. Der
Himmel lasse ihn meine Unzen zur Besserung bekommen!

Das Gebäude des botanischen Gartens hinter der Flora am Hafen ist nun
fertig. Der Franzose Julieu hat es gezeichnet und ein Palermitaner es
nach dem Riß aufgeführt. Die Sicilianer sind mit der Ausführung, aber
nicht mit der Idee zufrieden. Wo man rechts und links, auf der Insel und
dem festen Lande, noch so viele Monumente griechischer Kunst hat, ist
man freilich etwas schwierig. Die Säulen sind nicht rein und oben und
unten verziert. Der Saal ist nach der Anlage des Linneischen in
Schweden, und vielleicht einer der prächtigsten dieser Art. Rund umher
stehen die Büsten der großen Männer des Fachs in Nischen, von Theophrast
bis zu Büffon. Dem Zeichner des Gebäudes hat man die Ehre angethan, sein
Gesicht unter einem andern alten Namen mit darunter zu setzen; eine
eigene sonderbare Art von Belohnung!

Der alte Cassero oder Corso, in allen italienischen Städten von
Bedeutung die Hauptstraße, hat jetzt seinen Namen verändert und heißt
Toledo nach der Hauptstraße von Neapel; vermuthlich dem anwesenden Hofe
eine Schmeichelei zu machen. Uebrigens muß der Hof eben nicht
außerordentlich geliebt seyn; denn ich habe oft gehört, daß man nie so
schlechtes Wetter auf der Insel gehabt habe, als die vier Jahre, so
lange der Hof hier sei.

Die Polizei scheint hier nicht sehr genau zu seyn, oder berechnet Dinge
nicht, die es doch wohl verdienten. Vor einigen Tagen führte man auf
einer breiten Gasse öffentlich ein Banditendrama auf. Es war sogar
Militärwache dabei, um Ordnung zu halten, und die ganze Gasse war
gedrängt voll Zuschauer. Die Schauspieler arbeiteten gräßlich schön, und
der Held hätte dem Handwerk Ehre gemacht. Freilich wird er mit
poetischer Gerechtigkeit wohl im Stücke seine Strafe erhalten; aber
dergleichen Scenen, wo noch so viel natürliche heroische Kraft und
Deklamation ist, sind zu blendend, um in Unteritalien auf öffentlichen
Plätzen unter dem größten Zulauf gegeben zu werden. Man zahlt nichts;
jeder tritt hin und schaut und nimmt was und wie viel er will. Haben
doch sogar Schillers Räuber einmal Unfug bei uns angerichtet. Auf diese
Weise kommt man dem siedenden Blute nicht wenig entgegen. Auch ist das
Messer noch eben so sehr im Gebrauch und vielleicht noch mehr als vor
zwanzig Jahren. Ich hatte vor einigen Tagen ein Schauspiel davon. Ich
ging den Morgen aus; ein Kerl schoß blutig an mir vorbei und ein anderer
mit dem Dolche hinter ihm her. Es sammelte sich Volk, und in einigen
Minuten war einer erstochen, und der Mörder verwundet entlaufen. Die
Wache, welche nicht weit davon stand, that, als ob sie gar nichts dabei
zu thun hätte. Sie haben einen erschlagen, klingt in Sicilien und
Unteritalien nicht härter als bei uns, wenn man sagt, es ist einer
berauscht in den Graben gefallen. Nur gegen die Fremden scheinen sie,
aus einer alten religiösen Sitte, noch einige Ehrfurcht zu haben. Sie
erstechen sich unter einander bei der geringsten Veranlassung, hörte ich
einen kundigen wahrhaften Mann urtheilen; aber ein Fremder ist heilig.
Ich möchte mich freilich nicht zu sehr auf meine fremde Heiligkeit
verlassen, aber die Sache ist nicht ohne Grund. Ich blieb, zum Beispiel,
zwischen Messina und Palermo in einem einzelnen Hause, dessen zwei
handfeste Besitzer ich gleich beim ersten Anblick classificirt hatte.
Alles bestätigte meinen Argwohn und meine Besorgniß. Man speiste mich
indessen leidlich und machte mir sodann ein Lager auf einer Art von
Pritsche, so daß alle Schießgewehre und Dolche in einem Winkel zu meinem
Kopfe lagen. Man machte mich auch darauf aufmerksam, daß ich allein
bewaffnet wäre, und ich schlief nun ziemlich ruhig.

Nach Sankt Martin bin ich nicht gekommen, weil das Wetter beständig sehr
unfreundlich war, und ich mich die letzten Tage nicht entfernen durfte,
da man mit dem ersten guten Winde abfahren wollte. Die Mönche dort oben
sollen die prächtigste Mast in der ganzen Christenheit haben. Wenn das
Christenthum Schuld an allem Unheil wäre, das man bei seinen Priestern
und durch seine Priester sieht, so wäre der Stifter der hassenswürdigste
der Menschen. Das astronomische Observatorium auf dem Schlosse konnte
ich nicht füglich sehen, weil Piazzi nicht zugegen war. Uebrigens bin
ich auch ein Laie am Himmel. Vielleicht hat es eine wohlthätige Wirkung
auf die Insel, daß die Sicilianer nun ihre Göttin unter den Sternen
finden; bisher haben sie das Heiligthum der Ceres und ihre Geschenke
gewissenlos verachtet. Eine vaterländische Neuigkeit ist mir noch
aufgestoßen. Der Kaiser Karl der Fünfte hat um Sicilien große
Verdienste, und sein Andenken ist billig den Insulanern ehrwürdig.
Ueberall findet man noch Arbeiten von ihm, die seinen thätigen Geist
bezeichnen, und die jetzt vernachlässigt und vergessen werden. Die
Wachthürme rund umher, die er nach seiner afrikanischen Unternehmung
aufführen ließ, zeigen von seinem Muth und der damaligen Kraft der
Insel. Auch der Molo des Hafens von Agrigent ist von ihm. Seine
Bildsäule steht also in Palermo fast mitten in der Stadt am Toledo auf
einem freien Platze; aber mit einem Bombast, der nicht in der Natur des
Mannes lag. Er hat in der Inschrift eine lange Reihe Beinamen, und heißt
unter andern, vermuthlich wegen der Schlacht, auch der Sachse und Hesse.
Könnte man nun unsern Kurfürsten Moritz, dessen Enkomiast ich übrigens
nicht ganz unbedingt werden möchte, nicht wegen der Ehrenberger Klause
den Oestreicher und Spanier nennen? Sein Sieg war bedeutend genug, und
die Folge des Tages für die Protestanten auf immer wichtig.



                                                          _Bei Kapri._


Der Wind schaukelt uns ohne Fortkommen hin und her, und schon fast den
ganzen Tag tanzen wir hier vor Massa, Kapri und Ischia herum. Den ein
und zwanzigsten April Abends gab das Kriegsschiff, welches jetzt, glaube
ich, die ganze Flotte des Königs von Neapel ausmacht, das Signal, und
wir arbeiteten uns aus dem Hafen heraus. Den andern Morgen hatten wir
Sicilien und sogar Palermo noch ziemlich nahe im Gesichte; der
Rosalienberg und die Spitzen von Termini und Cefalu lagen ganz deutlich
vor uns: das andere war von dem trüben Wetter gedeckt. Mehrere Schiffe
mit Orangen und Oel hatten sich angeschlossen, um die sichere Fahrt mit
dem Kriegsschiffe und dem Packetboot zu machen. Das letztere hat auch
zwanzig Kanonen und ist zum Schlagen eingerichtet. Wir saßen lange
zwischen Ustika und den liparischen Inseln, und ich las, weiß der Himmel
wie ich eben hier auf diesen Artikel fiel, während der Windstille die
Georgika Virgils, die ich hier besser genoß, als jemals. Nur wollte mir
die Schlußfabel von dem Bienenvater nicht sonderlich gefallen: sie ist
schön, aber hierher gezwungen. Dann las ich, da der Wind noch nicht
kommen wollte, ob wir gleich in seinem mythologischen Vaterlande waren,
ein großes Stück in die Aeneis hinein. Hier wollte mir nun, unter vielen
Schönheiten im vierten Buche, die Beschreibung des Atlas wieder nicht
behagen, so herrlich sie auch klingt. Es ist dünkt mich, etwas Unordnung
darin, die man dem Herrn Maro nicht zutrauen sollte. Da ich eben nicht
viel zu thun habe, will ich Dir die Stelle ein wenig vorschulmeistern.
Merkur kommt von seinem Vater auf der Ambassade zu Frau Dido hierher.
Die Verse heißen, wie sie in meinem Buche stehen:

   ^-- jamque volans apicem et latera ardua cernit^
   ^Atlantis duri, coelum qui vertice fulcit;^
   ^Atlantis, cinctum assidue cui nubibus atris^
   ^Piniferum caput et vento pulfatur et imbre;^
   ^Nix humeros infusa tegit: tum flumina mento^
   ^Praecipitant senis, et glacie riget horrida barba.^

Die Verse sind unvergleichlich schön und malerisch: aber er bringt auf
dem obersten Scheitel Sturm und Regen, läßt den Schnee auf den Schultern
liegen, Flüsse aus dem Kinn strömen und weiter unten den Bart von Eis
starren. Das ist nun alles ziemlich umgekehrt, wenn ich meinem bißchen
Erfahrung glaube. Ich weiß nicht, was Heyne aus der Stelle gemacht hat.
So weit oben werden schwerlich noch Fichten wachsen. Ich überlasse es
Dir, Deinen Liebling zu vertheidigen: ich selbst bleibe hier in meiner
Hermenevtik etwas stecken. Wer in seinem Leben keine hohen Berge gesehen
und bestiegen hat, nimmt so etwas freilich nicht genau. Schade um die
schönen Verse!

Diese Nacht begegneten uns viele französische Schiffe, die ihre
Landsleute von Tarent holen wollen. Alles ist ungeduldig bald am Lande
zu seyn; aber Aeolus hat uns noch immer seinen Schlauch nicht gegeben,
und wir müssen aushalten. Das Essen ist recht gut und die Gesellschaft
noch besser; meine Geduld ist also weiter auf keiner sehr großen Probe;
und ich habe noch die ganze Odyssee zu lesen. Der russische und
englische Gesandte sind auf dem großen Schiffe; wir haben also noch die
Ehre, ihrentwillen recht langsam zu fahren, da das Kriegsschiff schwerer
segelt. Die Geschichte des Tages auf unserer Flotte sagt eben, daß der
Leibgaul der russischen Excellenz gefährlich krank geworden ist. Wie
viele von den Leuten seekrank sind, oder sterben, das ist eine
erbärmliche Kleinigkeit: aber bedenke nur, der Leibgaul des russischen
Gesandten! -- der ist ein Kerl von Gewicht. Man erzählt bei Tische dieß
und jenes: sogar die Geschichten der Hofleute aus ihrem eigenen Munde
bestätigen die schlechte Meinung, die ich durchaus von der
neapolitanischen Regierung habe. Es waren einige sybaritische Herren des
Hofes bei uns, die doch nicht lassen konnten, dann und wann etwas
vorzubringen und einzugestehen, was Stoff zu Aergerniß und Sarkasmen
gab. Meine Taciturnität nahm daraus die Quintessenz. -- Es ist wieder
tiefe Nacht im Golf geworden; der Wind bläst hoch und wirft uns
gewaltig. Ich habe auf allen meinen Fahrten, Dank sei es meiner guten
Erziehung, nie die Seekrankheit gehabt: ich lege mich also ruhig nieder
und schlafe.



                                                             _Neapel._


Ich erwachte im Hafen. Eine Mütze voll günstiger Wind und die
Geschicklichkeit des Kapitäns hatten uns hereingebracht. Nun machte ich
in drei Minuten meine Toilette, nahm den ersten besten Lazarone und
wandelte in mein altes Wirthshaus auf Montoliveto, wo ich sogar meine
alte Stube wieder leer fand. Das war mir sehr lieb; denn ich bin gar
kein Freund von Veränderung. Mein alter Genuese war bei einem andern
Fremden, und ich konnte den ersten Tag keinen Lohnbedienten erhalten,
weil man gehört hatte, daß ich sehr viel zu Fuße herumlief und laufen
wollte, ob ich mich gleich erbot einige Karlin mehr als gewöhnlich zu
zahlen. Das nenne ich kampanische Bequemlichkeit, von der man eine Menge
drollige Anekdoten hat. Den ersten Tag wollte mir keiner folgen; dann
wollte ich keinen haben.

Ich machte mich ganz allein mit der Morgenröthe auf nach Pozzuoli. Dort
fehlte es nicht an Wegweisern, und ich wurde gleich beim Eingange in
Beschlag genommen. Ich ließ mir gern gefallen, mich in dem Meerbusen von
Bajä herumzurudern und da die alten Herrlichkeiten zu sehen. Du kennst
sie aus andern Büchern; ich will Dich also mit ihrer Beschreibung
verschonen. Wenn ich Dir auch alle Säulen des Serapistempels anatomirte,
wir würden deßwegen in unsern Konjekturen nicht weiter kommen. Was ich
aus der sogenannten Brücke des Kaligula machen soll, weiß ich nicht: die
Meinung der Antiquare, daß es ein Molo gewesen seyn soll, will mir nicht
recht einleuchten. Es sind noch dreizehn Stücke davon übrig, die in
verschiedenen Distanzen aus dem Wasser hervorragen. Wenn es nicht zu
idiotisch klänge, würde ich sie wohl für die Reste der berüchtigten
Brücke halten. Die Entfernung von Pozzuoli nach Bajä ist nicht so groß,
daß es einem Menschen, wie das Stiefelchen, nicht hätte einfallen
können, so einen Streich zu machen. Damals war der Meerbusen
landeinwärts nach dem Monte Nuovo zu vielleicht noch etwas tiefer; der
Lukriner See hing mit dem Avernus zusammen und half den Julischen Hafen
bilden, der Umweg war also etwas größer als jetzt. Zum Molo für Pozzuoli
scheinen mir die Trümmern weder Gestalt, noch gehörige Richtung zu
haben. Meinetwegen sei es, wie man wolle! Ich stieg bei dem Lukriner See
aus, der durch die Erdrevolution sehr viel eingeengt worden ist. Jetzt
ist er nichts besser als ein großer Teich. Wir gingen, vermuthlich durch
den Einschnitt des Berges, hinein, durch welchen man ehemals die beiden
Seen, den Lukriner und den Averner, zusammen verbunden hatte, um den
Julischen Hafen zu bilden. Häufige Erdbeben und vulkanische Ausbrüche
haben alles geändert. Der Zugang zum Avernus ist noch jetzt romantisch
genug, und der Eintritt in die sogenannte Grotte der Sibylle wirklich
schön und schauerlich. Ich setzte mich am Eingange hin und sah rechts
gegenüber den alten Tempel, der für den Tempel des Apollo gilt. Es ist
ein Wunder, wie dieser Tempel bei der Erhebung des neuen Berges stehen
blieb, die doch ohne große Erschütterung der Nachbarschaft unmöglich
geschehen konnte. Man kann nichts Romaneskeres haben, als den kleinen
Gang von dem Averner See bis zum Eintritt in die Grotte, zumal wenn man
den Kopf voll Fabel hat. Hier zündeten wir die Fackel an und gingen nun
in dem Gewölbe hinter, bis man rechts tief hinunter in das Sakrarium
steigt. Vermuthlich hat Virgil seine Erzählung an diesem Orte
gearbeitet; denn das ^Facilis descensus Averni^ scheint wörtlich hier
weggenommen zu seyn. Es ging immer tiefer und tiefer, bis wir an ein
etwas weites Gemach kamen, welches ziemlich voll Wasser war. Hier mußte
ich mich auf den Rücken meines Führers setzen, und hinüber reiten.
Rechts und links fand ich jenseits einen langen Katalog von Neugierigen
aller Nationen. Mein Name steht oben auf dem Erkta, wo die Karthager so
brav und lange schlugen, der heiligen Rosalia auf der Nase; und damit
genug. So ganz allein mit einem Wildfremden in dieser Höhle
herumzuschleichen, mein Freund, macht doch etwas unheimisch.

   Ein Schauerchen fuhr mir beim Fackelschein
   Im Heiligthum durch das Gebein;
   Das Wasser ging mir in der Höhle
   Des Mütterchens bis an die Seele.
   Mir ward so ernst und feierlich
   Und voll von Eifersucht setzt' ich mich
   An einem dreifach dunkeln Flecke
   Auf einen Stein in einer Ecke.
   Mein Führer ließ mir eben etwas Zeit
   Mit seiner Stromgelehrsamkeit,
   Und machte sich zur Fahrt ins Licht bereit:
   Da hab' ich denn in aller Stille
   Die alte kumische Sibylle
   Für Dich und mich um Rath gefragt;
   Sie hat mir aber -- nichts gesagt.
   Mit Danke nahm ich ihr Orakel an,
   Und glaube, sie hat wohlgethan.

Kaum hatte ich diese Verschen kumisirt, als mein Leiter mich aus meiner
Andacht mit der Bemerkung drollig genug weckte: »^Era questa Sibilla
gran puttana; ed era questo qui un gabinetto segreto, dove fece -- --^«
Hier brauchte er einige Töne, die in allen Sprachen ziemlich
verständlich sind. Nun war meine Prophetin sogleich eine gemeine
Zigeunerin. Was doch die Phantasie nicht Alles macht, nachdem man nur
die Sache ein wenig höher oder tiefer nimmt! Die Leute fabeln hier, daß
aus der Höhle ein Gang nach Bajä und ein anderer nach Cumä gegangen sei,
wo die Hexe ein zweites Heiligthum hatte. Das ist sehr leicht möglich
und war vielleicht weiter nichts, als der jetzige große Gang, der nach
dem Avernus führt und also nach Cumä offen und nach dem Lucriner, oder
nach Bajä verschüttet ist. Auch hier könnte er sehr leicht wieder
geöffnet werden. Die ganze Anlage ist ein Werk der Kunst, vielleicht
durch die schöne romantische Lage der Berge und Seen und einige
Felsenspalten veranlaßt; aber vermuthlich von hohem Alter. Die
Wasservögel schwimmen recht lustig auf dem Avernus herum, und die Luft
war auch nicht leer von Geflügel: so daß der Ort nunmehr die Antiphrase
seines Namens ist.

Nun wandelte ich an den Meerbusen hinunter und sah die ehemaligen
Thermen des Nero. Solltest Du glauben, daß ich nicht im Stande war,
hinunter zu steigen? Ich hatte mich ausgezogen, und versuchte es
zweimal. Der Dampf trieb mir aber auf den vierzig Schritten, die ich
ungefähr vorwärts ging, einen so entsetzlichen Schweiß aus, daß ich
umkehrte. Ich ließ den Kerl allein seine Eier kochen. Meine vornehmen
Landsleute, die unten gewesen seyn sollen, müssen den Schwitzkasten
besser vertragen können, als ich: das Experiment war mir zu heiß. Ob die
alten Gebäude, die am Strande hin stehen, Tempel oder Bäder gewesen,
vermag ich nicht zu entscheiden. Sie gehören augenscheinlich zu Bajä,
und zu Bajä waren viele berühmte Bäder; doch findet man sie sonst wohl
nicht leicht von dieser Tempelform. Es sind zwei Rotunden, jetzt
ziemlich hoch mit Erde angefüllt, und das Echo darin ist furchtbar
stark. Das sogenannte Grab Agrippinens verdient wohl gesehen zu werden,
es mag gehören, wem es will. Die Arbeit ist gut und die Wandverzierungen
sind sehr niedlich und geschmackvoll. Ich fand darin ein Stückchen
Bernstein von der Gestalt eines Diskus, mit einem kleinen Loche in der
Mitte, durch welches ein Draht oder Ring gegangen zu seyn schien. Der
Himmel mag wissen, ob es alt ist, oder wie es sonst dahin gekommen seyn
mag. Von dem Tempel des Herkules, in dessen Nähe Agrippina umgekommen
seyn soll, werden, hart unter dem Vorgebirge Misene, noch einige Trümmer
gezeigt. Baulä ist jetzt ein kleines, armseliges Dörfchen. Was die
Piscine und die Felsengänge, oder die sogenannten Gefängnisse des Nero
mögen gewesen seyn, darüber zanken sich noch die Gelehrten. Ich begreife
nicht, warum sie nicht von Menschen, wie die römischen Censoren von der
schlechtesten Sorte waren, zu Kerkern sollen gebraucht worden seyn. Sie
sind gräßlich und die Gefängnisse in Syrakus sind Ballsäle dagegen: wie
denn alles Grausame bei den Römern schrecklicher und scheußlicher war,
als bei den Griechen, die Spartaner vielleicht ausgenommen, die mehr
einen römischen Stempel trugen. Bis fast hinaus auf die Spitze des
Vorgebirges und bis hinab an die elysäischen Felder und das todte Meer
sind schöne Pflanzungen von Wein und Feigen. Misene ist eine von dieser
Seite auslaufende Erdzunge, die sich mit dem hohen Felsen dieses Namens
schließt. Gegenüber liegt nicht weit davon sogleich Procida, und man
erzählte, daß die Engländer im vorigen Kriege von dort herüber nach
Baulä geschossen haben. Das ist aber doch nicht wohl möglich; es muß aus
den Schiffen auf dem Passe zwischen Procida und Misene geschehen seyn.
Im Vorbeigehen darf ich Dir noch sagen, daß ich neulich in Rom in den
deutschen Propyläen eine Recension von Gmelins Blättern von dieser
Gegend gesehen habe, wo man sich fast ausdrückt, als ob das Mare morto
und der Avernus eine und die nämliche See wären; eine Unbestimmtheit,
die man doch in den Propyläen nicht antreffen sollte!

Ich ließ mich von Misene gern über den Meerbusen hinüber nach Pozzuoli
rudern, wo ich zwar etwas spät, aber mit desto besserm Appetit eine
herrliche Mahlzeit nahm. Der Bajische Meerbusen ist wegen seiner
Schönheiten berühmt: aber überall, wohin man blickt, findet man nur
Trümmer, Zerstörungen der Zeit, der Barbarei und der Erdrevolutionen,
als ob sich Alles vereinigt hätte, diesen Sitz der schändlichsten
Despotie zu vernichten und nur die Reize der Natur übrig zu lassen. Der
neue Berg wird jetzt ziemlich bearbeitet und giebt guten Wein, wie man
sagt. Die Leute behaupten hier mit Gewalt, hier habe ehemals der
Falerner Berg gestanden und sei in verschiedenen Erdrevolutionen mit
verschüttet worden; geben auch noch eine Sorte Wein für Falerner, der
allerdings besser seyn soll, als der ächte Falerner bei Sessa auf der
andern Seite des Gaurus. Eine sonderbare Phantasie ist mir vorgekommen;
ich weiß nicht, ob ich der Erste bin, der sie gehabt hat. Capri sieht
von hier, und noch mehr von der Spitze des Posilippo und bei Nisida aus,
wie der Kopf eines ungeheuern Krokodils, das seinen Rachen nach Sorrent
dreht. Diese Einbildung kam mir immer wieder, so oft ich dahin sah; und
sie giebt der Tiberiade einen abscheulichen Stempel.

Der Weg von Pozzuoli nach Neapel zurück geht durch ein üppig reiches
Thal an dem Posilippo hin. Die Gegend ist aber als sehr ungesund
bekannt, wegen der Solfatara und des Agnano, die links in der Nähe
liegen. Der beträchtliche Berg Posilippo liegt rechts vor Dir; Alles ist
geschlossen und nirgends eine Schlucht zu sehen, und Dir wird vielleicht
etwas bange vor der Auffahrt und Abfahrt. Diese ersparst Du; denn Du
fährst, wie ein Erdgeist, gerade durch den Berg hin. Dieß ist die
berühmte Grotte. Vermuthlich war die Veranlassung dazu der Steinbruch,
den man tief hineinarbeitete. Man konnte dabei leicht auf den Gedanken
kommen durchzugehen, und so einen geraden Weg zu machen. Der Eingang von
Neapel ist schöner, als von Pozzuoli, und wenn man bei einer gewissen
Mischung der Atmosphäre aus der Mitte in die schöne Beleuchtung
hinaussieht, ist es ein unbeschreiblicher Anblick. Auch von dieser
Arbeit ist die Zeit der Entstehung unbekannt. Zur Zeit der Römer muß das
Werk nicht unternommen worden seyn; denn diese hätten wahrscheinlich
etwas davon gezeichnet, weil sie, als sie hierher in diese Gegend kamen,
schon ziemlich eitel waren. In der Mitte der Höhle ist, links von Neapel
aus, ein Behältniß eingehauen, welches jeder Vernünftige sogleich einer
Polizeiwache anweisen würde. Aber hier giebt man es der heiligen
Jungfrau zur Kapelle, und dann und wann sollen sich Räuber darin
aufhalten und daraus die Gegend unsicher machen!

Eben komme ich vom Vesuv. Aber da ich auch von Pästum komme, muß ich vom
Anfange anfangen, wenn Du nur einigermaßen promeniren sollst. Meine
Absicht war, so ganz gemächlich über Salerno in einigen Tagen allein
hinunter nach Pästum zu gehen: aber ohne alle Kunde möchte es doch etwas
bedenklich gewesen seyn. Ueberdieß drückte mich die Hitze auf dem
staubigen Wege nach Pompeji unerträglich, meine Fußsohlen hatten durch
langen Gebrauch einige Hühneraugen gewonnen, die den Marsch in der Hitze
eben nicht befördern. Ich ließ mich also in Terre del Greco, wo jetzt
der beste Wein wächst, überreden, eine Karriole zu nehmen. Eine der
schönsten Partien, vielleicht in ganz Italien, ist der Weg von Pompeji
nach Salerno, vorzüglich um Cava herum. Ohne mich um die Alterthümer zu
bekümmern, ergötzte ich mich an dem, was da war; ob ich gleich nicht
läugnen kann, daß Fleiß und Anhaltsamkeit es hier und da noch schöner
hätten machen können.

In Salerno, wo ich sehr zeitig ankam, wollte ich die Nacht bleiben, und
den folgenden Morgen weiter fahren. Ich wandelte also in der Stadt
herum, und bald faßte mich ein Geistlicher bei der Krause, der mir alle
Herrlichkeiten seiner Vaterstadt zeigte. Die Kathedrale mit ihren
Wundern war das erste. Das Bassin am Eingange, von einem einzigen Stücke
gearbeitet, ließe sich wirklich auch in Rom noch sehen. Man zeigte mir
eine Menge Gräber von alten Erzbischöfen und Salernitaner Advokaten, die
den Leuten gewaltig wichtig waren. Einige schöne alte Basreliefs aus
Pästum hat man hier und da mit zur Verzierung neuer Monumente gebraucht.
Das Merkwürdigste sind mehrere sehr schöne antike Säulen, die man auch
aus Pästum geholt hat. Man führte mich in das Adyton der Krypte des
Schutzpatrons, welches Matthäus ist. Hier stand die ^statua biformis^
des Heiligen, die einem Janus ziemlich ähnlich sieht. Bei dieser
Gelegenheit wurden mir denn alle Wunder erzählt, die der Apostel zum
Heile der Stadt gegen die Saracenen gethan hatte. Es läßt sich wohl
begreifen, wie das zuging, und wie irgend ein Spruch von ihm und der
Enthusiasmus für ihn so viel wirkten, daß die Ungläubigen abziehen
mußten. Und nach der alten Rechtsregel, ^quod quis per alium^ -- kommt
ihm dann die Ehre billig zu. Das wissen die Spitzköpfe unter den Herren
gar trefflich zu amalgamiren: die Plattköpfe haben es gar nicht nöthig,
die nehmen es starkgläubig geradezu. Im Hintergrunde der Krypte stehen
noch ein Paar weibliche Heiligkeiten, deren Namen ich vergessen habe,
deren Blut aber noch beständig fließt. Ich hörte es selbst rauschen und
kann es also bezeugen; ich wagte gläubig keine Erklärung des
Gaukelspiels. Unter den vielen Narren war auch ein Vernünftiger, der mir
vorzüglich die Säulen aus Pästum alle und von allen Seiten in den
schönsten Beleuchtungen zeigte: er drückte mir stillschweigend die Hand,
als ich fortging. Nun brachte man mich noch mit Gewalt in eine andere
Kirche, wo eine schöne Kreuzigung, weder gemalt, noch gehauen, noch
gegossen, sondern ins Holz gewachsen war. Mit Hülfe einiger Phantasie
konnte man wohl so etwas heraus- oder vielmehr hineinbringen; und die
Wunder überlasse ich den Gläubigen. Einige wunderten sich, daß ich doch
gar nichts aufschriebe, wie andere Reisende, und einer der jungen
Herren, die mich begleiteten, sagte zu meinem Lobe, ich wäre von Allem
hinlänglich unterrichtet und überzeugt. Da sagte er denn in beidem eine
große Lüge. Als ich wegging, bat sich mein Hauptführer, der sich, glaube
ich, einen Kastellan des Erzbischofs nannte, etwas für die Armen aus;
das gab ich: sodann etwas zu einer Seelenmesse für mich; das gab ich
auch. Schadet Niemand und hilft wohl! Man muß die Gläubigen stärken,
lautet das Schibolet, das Göthens Reinecke der Fuchs von seiner Mutter
bekommt. Dann bat er sich auch etwas für seine Mühe aus. Dazu machte ich
endlich ein grämliches Gesicht und zog noch zwei Karlin hervor. Als ich
sie hinreichte, schnappte sie ein Profaner weg, der sich einen Korporal
nannte, und von dem ich eben so wenig wußte, wie er zur Gesellschaft,
noch wie er in den Dienst der Kirche gekommen war. Darüber entstand
Streit zwischen dem Klerikus und dem Laien. Der geistliche Herr sagte
mir ins rechte Ohr, daß der Korporal ein liederlicher Säufer wäre;
dieser zischelte mir ins linke, das Mönchsgesicht sei ein Gauner und
lebe vom Betruge: ich antwortete beiden ganz leise, daß ich das nämliche
glaube und es wohl gemerkt habe. Es ist ein heilloses Leben.

   Mein Freund, Du suchest in Salerne
   Den Menschensinn umsonst mit der Laterne
   Denn, zeigt er sich auch nur von Ferne,
   So eilen Kutten und Kaputzen,
   Der heiligen Verfinsterung zum Nutzen,
   Zum dümmsten Glauben ihn zu stutzen.
   Da löscht man des Verstandes Zunder,
   Und mischt mit Pfaffenwitz des Widersinnes Plunder,
   Zum Trost der Schurkerei, zum Wunder:
   Und jeder Schuft, der fromm dem Himmel schmeichelt,
   Und wirklich dumm ist, oder Dummheit heuchelt,
   Kniet hin und betet, geht und meuchelt,
   Gewiß, Vergebung seiner Sünden
   Beim nächsten Plattkopf lästerlich zu finden.

Ich kann mir nicht helfen, Lieber, ich muß es Dir nur gestehen, daß ich
den Artikel von der Vergebung der Sünden für einen der verderblichsten
halte, den die Halbbildung der Vernunft zum angeblichen Troste der
Schwachköpfe nur hat erfinden können. Es ist der schlimmste
Anthropomorphismus, den man der Gottheit andichten kann. Es ist kein
Gedanke, daß Sünde vergeben werde: Jeder wird wohl mit allen seinen
bösen und guten Werken hingehen müssen, wohin ihn seine Natur führt.
Eine mißverstandene Humanität hat den Irrthum zum Unglück des
Menschengeschlechts aufgestellt und fortgepflanzt: und nun wickeln sich
die Theologen so fein als möglich in Distinktionen herum, welche die
Sache durchaus nicht besser machen. Was ein Mensch gefehlt hat, bleibt
in Ewigkeit gefehlt; es läßt sich keine einzelne That aus der Kette der
Dinge herausreißen. Die Schwachheiten der Natur sind durch die Natur
selbst gegeben, und die Herrscherin Vernunft soll sie durch ihre Stärke
zu leiten und zu vermindern suchen. Der Begriff von Verzeihung hindert
meistens das Besserwerden. Gehe nur in die Welt, um Dich davon zu
überzeugen! Soll vielleicht dieser Trost großen Bösewichtern zu Statten
kommen? Alle Schurken, die sich nicht bessern können, die von Beichte zu
Beichte täglich schlechter, weggeworfener und niederträchtiger werden,
diese sollen, zum Heile der Menschheit, verzweifeln. Jeder soll haben,
was ihm zukommt. Die Verzweiflung der Bösewichter ist Wohlthat für die
Welt; sie ist das Opfer, das der Tugend und der Göttlichkeit unserer
Natur gebracht wird. Verzweifle, wer sich nicht bessern, sich nicht
vernünftig beruhigen kann! Die Vergebung der Sünden kann ich nicht
begreifen: sie ist ein Widerspruch, gehört zu den Gängelbändern der
geistlichen Empirik, damit ja Niemand allein gehen lerne. Man darf nur
die Länder recht beschauen, wo diese entsetzliche Gnade im größten
Umfange und Unfuge regiert. Kein rechtlicher Mann ist dort seiner
Existenz sicher. Die Geschichte belegt.

Hier in Salerno erhielt ich einen neuen Führer, der mir sehr
problematisch aussah. Er machte mich darauf aufmerksam, daß ich bei ihm
außerordentlich sicher sei, weil er alles schlechte Gesindel als
freundliche Bekannte grüßte, und meinte, in seiner Gesellschaft könne
mir nichts geschehen. Das begriff ich und war ziemlich ruhig, obgleich
nicht wegen seiner Ehrlichkeit. Er hatte mich öffentlich in der Stadt
übernommen; es galt also seine eigene Sicherheit, mich dahin wieder
zurückliefern: weiter hätte ich ihm dann nicht trauen mögen. Wir fuhren
noch diesen Abend ab, und blieben die Nacht an der Straße in einem
einzelnen Wirthshause, wo sich der Weg nach Pästum rechts von der
Landstraße nach Eboli und Calabrien trennt. Diese Landstraße geht von
hier aus nur ungefähr noch vierzig Millien; dann fängt sie an
Sicilianisch zu werden, und ist nur für Maulesel gangbar. Es war
herrliches Wetter; der Himmel schien mir an dem schönen Morgen
vorzüglich wohl zu wollen: meine Seele ward lebendiger, als gewöhnlich.

   Ich eilte fort und Nachtigallen schlugen
   Mir links und rechts in einem Zauberchor
   Den Vorgeschmack des Himmels vor,
   Und laue, leise Weste trugen
   Mich im Genuß für Aug' und Ohr
   Durch Gras wie Korn, und Korn, wie Rohr.
   Balsamisch schickte jede Blume
   Mir üppig ihren Wohlgeruch,
   Der Göttin um uns her zum Ruhme,
   Aus Florens großem Heiligthume;
   Und rund umher las ich das schöne Buch
   Der Schöpfung, jauchzend, Spruch vor Spruch
   Die goldnen Hesperiden schwollen
   Am Wege hin in freundlicher Magie,
   Und Mandeln, Wein und Feigen quollen
   Am Lebensstrahl des Segensvollen
   In stillversteckter Eurhythmie,
   Und Klee, wie Wald, begränzte sie.
   Ich eilte fort, hochglühend ward die Sonne,
   Und fühlte schon voraus die Wonne,
   Mit Pästums Rosen in der Hand,
   An eines Tempels hohen Stufen,
   Wo Maro einst begeistert stand,
   Die Muse Maros anzurufen.
   Die Tempel stiegen, groß und her,
   Mir aus der Ferne schon entgegen,
   Da ward die Gegend menschenleer
   Und öd' und öder um mich her,
   Und Wein wuchs wild auf meinen Wegen.
   Da stand ich einsam an dem Thore
   Und an dem hohen Säulengang,
   Wo ehmals dem entzückten Ohre
   Ein voller Zug im vollen Chore
   Das hohe Lob der Gottheit sang.
   Verwüstung herrscht jetzt um die Mauer,
   Wo einst die Glücklichen gewohnt,
   Und mit geheimem tiefem Schauer
   Sah ich umher und sahe nichts verschont;
   Und meine Freude ward nun Trauer.
   Umsonst blickt Titan hier so milde,
   Umsonst bekrönet er im Jahr
   Zwei Mal mit Ernte die Gefilde --
   Du suchst von allem, was einst war,
   Umsonst die Spur; ein zottiger Barbar
   Schleicht mit der Dummheit Ebenbilde,
   Ein Troglodyt, erbärmlicher als Wilde,
   Um den verschütteten Altar.
   Nur hie und da im hohen Grase wallt,
   Den Menschensinn noch greller anzustoßen,
   Dumpf murmelnd eine Mönchsgestalt.
   Freund, denke Dir die Seelenlosen!
   In Pästum blühen keine Rosen.

Ich gebe Dir zu, daß in diesen Versen wenig Poesie ist; aber desto mehr
ist darin lautere Wahrheit. Ich hielt mich hier nur zwei Stunden auf,
umging die Area der Stadt, in welcher nichts, als die drei bekannten
großen, alten Gebäude, die Wohnung des Monsignore, eines Bischofs, wie
ich höre, ein elendes Wirthshaus und noch ein anderes jämmerliches Haus
stehen. Das ist jetzt ganz Pästum. Hier dachte ich mir _Schillers_
Mädchen aus der Fremde; aber weder die Geberin, noch die Gaben waren in
dem zerstörten Paradiese. Ich suchte, jetzt in der Rosenzeit, Rosen in
Pästum für Dich, um Dir ein klassisch sentimentales Geschenk
mitzubringen; aber da kann ein Seher keine Rose finden. In der ganzen
Gegend rund umher, versicherte mich einer von den Leuten des Monsignore,
ist kein Rosenstock mehr. Ich durchschaute und durchsuchte selbst alles,
auch den Garten des gnädigen Herrn; aber die Barbaren hatten keine
einzige Rose. Darüber gerieth ich in hohen Eifer und donnerte über das
Piakulum an der heiligen Natur. Der Wirth, mein Führer, sagte mir, vor
sechs Jahren wären noch einige da gewesen; aber die Fremden hätten sie
vollends alle weggerissen. Das war nun eine erbärmliche Entschuldigung.
Ich machte ihm begreiflich, daß die Rosen von Pästum ehedem als die
schönsten der Erde berühmt gewesen, daß er sie nicht mußte abreißen
lassen, daß er nachpflanzen sollte, daß es sein Vortheil seyn würde, daß
jeder Fremde gern etwas für eine pästische Rose bezahlte; daß ich, zum
Beispiel, selbst jetzt wohl einen Piaster gäbe, wenn ich nur eine
einzige erhalten könnte. Das Letzte besonders leuchtete dem Manne ein;
um die schöne Natur schien er sich nicht zu bekümmern: dazu ist die
dortige Menschheit zu tief gesunken. Er versprach darauf zu denken, und
ich habe vielleicht das Verdienst, daß man künftig in Pästum wieder
Rosen findet: wenigstens will ich hiermit alle bitten, die nämlichen
Erinnerungen eindringlich zu wiederholen, bis es fruchtet.

Eine Abhandlung über die Tempel erwarte nicht. Ich setzte mich an einem
Rest von Altar hin, der in einem derselben noch zu finden ist, und ruhte
eine Viertelstunde unter meinen Freunden, den Griechen. Wenn einer ihrer
Geister zurückkäme und mich Hyperboreer unter den letzten Trümmern,
seiner Vaterstadt sähe! Hier ist mehr, als in Agrigent. Ich bin nicht
der Erste, welcher es anmerkt, was die Leute für gewaltig hohe Stufen
gemacht haben, hier und in Agrigent. Man muß sehr elastisch steigen,
oder man ist in Gefahr sich einen Bruch zu schreiten. Daß einer von den
Tempeln dem Neptun gehöre, beruht wahrscheinlich nur auf dem Umstand,
daß Neptun der vorzüglichste Schutzgott der Stadt war: so wie man eines
der Gebäude für eine Palästra hält, weil es anders, als die gewöhnlichen
Tempel, mit zwei Reihen Säulen über einander gebauet ist. Sollte dieses
nicht vielmehr ein Bulevterion gewesen seyn? Denn es läßt sich nicht
wohl begreifen, wozu die obere Säulenreihe in einer Palästra dienen
sollte. Vielleicht war es auch Bulevterion und Palästra zugleich; unten
dieses, oben jenes. Nicht weit von den Gebäuden zeigte man mir noch als
eine Seltenheit einen Stein, der nur vor kurzem gefunden seyn muß, weil
ich ihn noch von niemand angeführt gefunden habe. Es ist aber nur ein
gewöhnlicher Leichenstein, und zwar ziemlich neu aus der lateinischen
Zeit. Das Quadrat der Stadt ist noch überall sehr deutlich zu
unterscheiden durch die Trümmer der Mauern. Das Thor nach Salerno hin
hat noch etwas hohes Gemäuer, und das Bergthor ist noch ziemlich ganz
und wohl erhalten. Die beiden übrigen, die man mir als das Seethor und
Justizthor nannte, zeigen nur noch ihre Spuren. Die Hauptursache, warum
dieser Ort vor allen übrigen so gänzlich in Verfall gerathen ist,
scheint mir das schlechte Wasser zu seyn. Ich versuchte zwei Mal zu
trinken, und fand beide Mal Salzwasser: das Meer ist nicht fern, die
Gegend ist tief, und auch aus den nahen Bergen kommt Salzwasser. Das
süße Wasser mußte weit und mit vielen Kosten hergeleitet werden. Die
Vegetation rechtfertigt noch jetzt Virgils Angabe. Der Anblick ist einer
der schönsten und traurigsten. Als ich auf dem Rückwege zu Fuße etwas
vorausging, lag auf den Aesten eines Feigenbaumes eine Schlange
geringelt, die mich ruhig ansah. Sie war wohl stärker als ein Mannarm,
ganz schwarz von Farbe und ihr Blick war furchtbar. Sie schien sich gar
nicht um mich zu bekümmern, und ich hatte eben nicht Lust, ihre
Bekanntschaft zu machen. Es fiel mir ein, daß Virgil ^atros colubros^
anführt, die er eben nicht als gutartig beschreibt: diese schien von der
Sorte zu seyn.

Auf meiner Rückkehr hatte ich Gelegenheit, zwei sehr ungleichartige
Herrn von dem neapolitanischen Militär kennen zu lernen. Ich wurde
einige Millien von Salerno an der Straße angehalten, und ein Officier
nicht mit der besten Physiognomie setzte sich geradezu zu mir in die
Karriole, ohne eine Sylbe Apologie über ein solches Betragen zu machen,
und wir fuhren weiter. Ich hörte, daß mein Fuhrmann vorher
entschuldigend sagte: »^E un signore Inglese^:« das half aber nichts;
der Kriegsmann pflanzte sich ein. Als er Posto gefaßt hatte, wollte er
mir durch allerhand Wendungen Rede abgewinnen: seine Grobheit hatte mich
aber so verblüfft, daß ich keine Sylbe vorbrachte. Vor der Stadt stieg
er aus und ging fort ohne ein Wörtchen Höflichkeit. Das ist noch etwas
stärker, als die Impertinenz der deutschen Militäre hier und da gegen
die sogenannten Philister, die doch auch zuweilen systematisch ungezogen
ist. Als ich gegen Abend in der Stadt spaziren ging, redete mich ein
Zweiter an: »Sie sind ein Engländer?« -- Nein. -- »Aber ein Russe?« --
Nein. -- »Doch ein Pole?« -- Auch nicht. -- »Was sind Sie denn für ein
Landsmann?« -- Ich bin ein Deutscher. -- »Thut nichts; Sie sind ein
Fremder und erlauben mir, daß ich Sie etwas begleite.« -- »Sehr gern; es
wird mir angenehm seyn.« Ich sah mich um, als ob ich etwas suchte. Er
fragte mich, »ob ich in ein Kaffeehaus gehen wollte.« Wenn man Eis dort
hat: war meine Antwort. Das war zu haben: er führte mich und ich aß
tüchtig, in der Voraussetzung, ich würde für mich und ihn tüchtig
bezahlen müssen. Das pflegte so manchmal der Fall zu seyn. Aber als ich
bezahlen wollte, sagte die Wirthin, es sei alles schon berichtigt. Das
war ein schöner Gegensatz zu der Ungezogenheit vor zwei Stunden. Er
begleitete mich noch in verschiedene Partien der Stadt, besonders hinauf
zu den Kapuzinern, wo man eine der schönsten Aussichten über den ganzen
Meerbusen von Salerno hat. Ich konnte mich nicht enthalten, dem jungen,
artigen Manne das schlimme Betragen seines Kameraden zu erzählen. »Ich
bin nicht gesonnen,« sagte ich, »mich in der Fremde in Händel
einzulassen; aber wenn ich den Namen des Officiers wüßte und einige Tage
hier bliebe, würde ich doch vielleicht seinen Chef fragen, ob dieses
hier in der Disciplin gut heiße.« Der junge Mann fing nun eine große,
lange Klage über viele Dinge an, die ich ihm sehr gern glaubte. Wir
gingen eben vor einem Gefängnisse vorbei, aus dessen Gittern ein Kerl
sah und uns anredete. »Dieser Mensch hat vierzig umgebracht,« sagte der
Officier, als wir weiter gingen. Ich sah ihn an. »Hoffentlich kann es
ihm nicht bewiesen werden;« erwiederte ich. -- »Doch, doch; für
wenigstens die Hälfte könnte der Beweis völlig geführt werden.« Mich
überlief ein kalter Schauder: »und die Regierung?« fragte ich. »Ach
Gott, die Regierung,« sagte er ganz leise, -- »braucht ihn.« Hier faßte
es mich wie die Hölle. Ich hatte dergleichen Dinge oft gehört; jetzt
sollte ich es sogar sehen. Freund, wenn ich ein Neapolitaner wäre, ich
wäre in Versuchung, aus ergrimmter Ehrlichkeit ein Bandit zu werden und
mit dem Minister anzufangen. Welche Regierung ist das, die so
entsetzlich mit dem Leben ihrer Bürger umgeht! Kann man sich eine
größere Summe von Abscheulichkeit und Niederträchtigkeit denken? »Jetzt
wird er doch nun hoffentlich seine Strafe bekommen;« sagte ich zu meinem
unbekannten Freunde. »Ach nein,« antwortete er; »jetzt sitzt er wegen
eines kleinen Subordinationsfehlers, und morgen früh kommt er los.« --
Wieder ein hübsches Stückchen von der Vergebung der Sünde! Die Amnestie
des Königs hat die Armee und die Provinzen mit rechtlichen Räubern
angefüllt. Er nahm die Banditen auf, sie waren brav, wie ihr Name sagt;
er belohnte sie königlich, gab ihnen Aemter und Ehrenstellen, und jetzt
treiben sie ihr Handwerk als Hauptleute der Provinzen gesetzlich. Dieses
wird in der Residenz erzählt, auf den Straßen und in Provinzialstädten,
und es werden mit Abscheu Personen und Ort und Umstände dabei genannt.

Ich lief eine Stunde in Pompeji herum, und sah, was die andern auch
gesehen hatten, und lief in den aufgegrabenen Gassen und den zu Tage
geförderten Häusern hin und her. Die Alten wohnten doch ziemlich enge.
Die Stadt muß aber bei dem allen prächtig genug gewesen seyn, und man
kann sich nichts netter und geschmackvoller denken, als das kleine
Theater, wo fast alles von schönem Marmor ist; und die Inskription mit
eingelegter Bronze vor dem Proscenium ist, als ob sie nur vor wenigen
Jahren gemacht wäre. Die Franzosen haben wieder einen beträchtlichen
Theil ans Licht gefördert und sollen viel gefunden haben, wovon aber
sehr wenig nach Paris ins Museum kommt. Jeder Kommissär scheint zu
nehmen, was ihm am nächsten liegt, und die Regierung schweigt,
wahrscheinlich mit berechneter Klugheit. Es ist etwas mehr als unartig,
daß die alten schönen Wände so durchaus mit Namen bekleckst sind. Ich
habe viele darunter gefunden, die diese kleine Eitelkeit wohl nicht
sollten gehabt haben. Vorzüglich waren dabei einige französische
Generale, von denen man dieses hier nicht hätte erwarten sollen: bei der
Sibylle ist es etwas anders.

Von Salerno aus war ich mit einer Dame aus Caserta und ihrem Vater
zurückgefahren. Als diese hörten, daß ich von Portici noch auf den Berg
wollte, thaten sie den Vorschlag Partie zu machen. Ich hatte nichts
dagegen; wir mietheten Esel und ritten. Was vorherzusehen war, geschah:
die Dame konnte, als wir absteigen mußten, zu Fuße nicht weit fort und
blieb zurück; und ich war so ungalant, mich nicht darum zu bekümmern.
Der Herr Vetter strengte sich an, und arbeitete mir nach. Als wir an die
Oeffnung gekommen waren, aus welcher der letzte Strom über Torre del
Greco hinunter gebrochen war, wollte der Führer nicht weiter und sagte,
weiter ginge sein Akkord nicht. Ich wollte mich weiter nicht über die
Unverschämtheit des Betrügers ärgern und erklärte ihm ganz kurz und
laut, er möchte machen was er wollte; ich würde hinaufsteigen. »Doch
nicht allein?« meinte er. »Ganz allein,« sagte ich, »wenn Niemand mit
mir geht;« und ich stapelte immer rasch den Sandberg hinauf. Er besann
sich doch und folgte. Es ist eine Arbeit, die schwerer ist, als auf den
Aetna zu gehen; wenigstens über den Schnee, wie ich es fand. Der Sand
und die Asche machen das Steigen entsetzlich beschwerlich: man sinkt
fast so viel rückwärts, als man vorwärts geht. Es war übrigens
Gewitterluft und drückend heiß. Endlich kam ich oben an dem Rande an.
Der Krater ist jetzt, wie Du schon weißt, eingestürzt, der Berg dadurch
beträchtlich niedriger, und es ist gar keine eigentliche größere
Oeffnung mehr da. Nur an einigen Stellen dringt etwas Rauch durch die
felsigen Lavaritzen hervor. Man kann also hinuntergehen. Die Franzosen,
welche es zuerst thaten -- wenigstens so viel man weiß -- haben viele
Rotomontade von der Unternehmung gemacht: jetzt ist es von der Seite von
Pompeji ziemlich leicht. Fast jeder, der heraufsteigt, steigt hinab in
den Schlund; und es sind von meinen Bekannten viele unten gewesen. Ich
selbst hatte den rechten Weg nicht gefaßt, weil ich eine andere kleine
Oeffnung untersuchen wollte, aus welcher noch etwas Dampf kam und
zuweilen auch Flamme kommen soll. Die Zeit war mir nun zu kurz; sonst
wäre ich von der andern Seite noch ganz hinunter gestiegen. Gefahr kann
weiter nicht dabei seyn, als die gewöhnliche. Während mein Führer und
der Kasertaner ruhten und schwatzten, sah ich mich um. Die Aussicht ist
fast die nämliche, wie bei den Kamaldulensern: ich würde aber jene noch
vorziehen, obgleich diese größer ist. Nur die Stadt und die ganze Partie
vom Posilippo diesseits der Grotte hat man hier besser. Nie hatte ich
noch so furchtbare Hitze ausgestanden, als im Heraufsteigen. Jetzt
schwebten über Sorrent einige Wölkchen und über dem Avernus ein
Donnerwetter: es ward Abend und ich eilte hinab. Hinunter geht es sehr
schnell. Ich hatte schon Durst, als die Reise aufwärts ging; und nun
suchte ich lechzend überall Wasser. Ein artiges liebliches Mädchen
brachte uns endlich aus einem der obersten Weinberge ein großes, volles
Gefäß. So durstig ich auch war, war mir doch das Mädchen fast
willkommener, als das Wasser: und wenn ich länger hier blieb, ich glaube
fast, ich würde den Vulkan gerade auf diesem Wege vielleicht ohne Führer
noch oft besuchen. In einem großen Sommerhause, nicht weit von der
heiligen Maria, erwartete uns die Dame und hatte unterdessen Thränen
Christi bringen lassen. Aber das Wasser war mir oben lieber, als hier
die köstlichen Thränen, und die Hebe des ersten wohl auch etwas lieber,
als die Hebe der zweiten.

Es war schon ziemlich dunkel, als wir in Portici ankamen, und wir
rollten noch in der letzten Abenddämmerung nach Neapel. Mit dem Museum
in Portici war ich ziemlich unglücklich. Jetzt war es zu spät, es zu
sehen. Das erste Mal war es nicht offen und ich sah bloß das Schloß und
die Zimmer, die, wenn man die Arbeit aus Pompeji, einige schöne
Lavatische und die Statuen zu Pferde aus dem Herkulanum wegnimmt, nichts
Merkwürdiges enthalten. In dem Hofe des Museums liegen noch einige
bronzene Pferdeköpfe aus dem Theater von Herkulanum: die Statuen selbst
sind in der Lava zusammengeschmolzen. So viel ich von den Köpfen
urtheilen kann, möchte ich wohl diese Pferde haben, und ich gäbe die
Pariser von Venedig sogleich dafür hin. In dem Theater von Herkulanum
bin ich eine ganze Stunde herumgewandelt, und habe den Ort gesehen, wo
die Marmorpferde gestanden hatten, und den Ort, wo die bronzenen
geschmolzen waren. Bekanntlich ist es hier viel schwerer zu graben, als
in Pompeji: denn diese Lava ist Stein, jene nur Aschenregen. Dort sind
nur Weinberge und Feigengärten auf der Oberfläche; hier steht die Stadt
darauf: denn Portici steht gerade über dem alten Herkulanum; und fast
gerade über dem Theater steht jetzt oben eine Kirche. Die Dame von
Caserta gab mir beim Abschied am Toledo ihre Adresse: ich hatte aber
nicht Zeit, mich weiter um sie zu bekümmern.

Obgleich der Vesuv gegen den Aetna nur ein Maulwurfshügel ist, so hat er
doch durch seine klassische Nachbarschaft vielleicht ein größeres
Interesse, als irgend ein anderer Vulkan der Erde. Ich war den ganzen
Abend noch voll von der Aussicht oben, die ich noch nicht so ganz nach
meinem Genius hatte genießen können. Ich setzte mich im Geist wieder
hinauf und überschaute rund umher das schöne blühende magische Land. Die
wichtigsten Scenen der Einbildungskraft der Alten lagen im Kreise da;
unvermerkt gerieth ich ins Aufnehmen der Gegenstände um den Vulkan.

   Vom Schedel des Verderbers sieht
   Mein Auge weit hinab durch Flächen,
   Auf welchen er in Feuerbächen
   Verwüstend sich durch das Gebiet
   Der reichgeschmückten Schöpfung zieht.
   Wo steht der Nachbar ohne Grausen,
   Wenn zur Zerstörung angefacht
   Aus seinem Schlund der Mitternacht
   Ihm hoch die Eingeweide brausen?
   Wenn donnernd er die Felsen schmelzt,
   Und sie im Streit der Elemente,
   Als ob des Erdballs Asche brennte,
   Hinab ins Meer hoch über Städte wälzt?
   Der Riese macht mit seinem Hauche
   Die schönste Hesperidenflur
   Zur dürrsten Wüste der Natur,
   Wenn er aus seinem Flammenbauche
   Mit rother Glut und schwarzem Rauche
   Die Brandung durch die Wolken hebt,
   Und meilenweit was Leben trinket,
   Wo die Zerstörung niedersinket,
   In eine Lavanacht begräbt.
   Parthenope und Pausilype bebt,
   Wenn tief in des Verwüsters Adern
   Die Feuerfluthen furchtbar hadern;
   Und was im Meer und an der Sonne lebt,
   Eilt weit hinweg mit blassem Schrecken,
   Sich vor den Zorn des Tödtenden zu decken.
   Es kocht am Meere links und rechts,
   Bis nach Sorrent und bis zu Baja's Tannen,
   Wo er die Bäder des Tyrannen
   Aus der Verwandtschaft des Geschlechts,
   Indem er weit umher verheeret,
   Mit seinem tiefsten Feuer nähret.
   Er macht die Berge schnell zu Seen,
   Die Thäler schnell zu Felsenhöhen,
   Und rauschend zeigen seine Bahn,
   So weit die schärfsten Augen gehen,
   Die Inseln in dem Ocean.
   Wer bürget uns, wenn ihn der Sturm zerrüttet,
   Daß er nicht einst in allgemeiner Wuth
   Noch fürchterlich mit seiner Fluth
   Den ganzen Golf zusammen schüttet?
   Nicht alles noch, wo jetzt sein Feuer quillt,
   Aus seiner Werkstatt tiefstem Grunde,
   Von Stabiä bis zu dem Schwefelschlunde,
   Mit seinen Lavaschichten füllt?
   Hier brach schon oft aus seinem Heerde
   Herauf, hinab des Todes Flammenmeer,
   Und machte siedend rund umher
   Das Land zum größten Grab der Erde.

Unter diesen Phantasien schlief ich ruhig ein. Ob ich gleich gern das
furchtbare Schauspiel eines solchen Vulkans in seiner ganzen
entsetzlichen Kraft sehen möchte, so bin ich doch nicht hart genug es zu
wünschen. Ich will mich mit dem begnügen, was mir der Aetna gegeben hat.
Der Vesuv kräuselt zuweilen einige Rauchwölkchen; aber ich fürchte, sein
Schlaf und sein Verschütten sind von schlimmer Vorbedeutung. Der Aetna
war auch verschüttet, ehe er Catanien überströmte, und in dem Krater des
Vesuvs waren zuweilen große Bäume gewachsen. Bei seinem künftigen
Ausbruche dürfte die Gegend von Portici, eben da, wo oben der heilige
Januar steht, um den Feind abzuhalten, am meisten der Gefahr ausgesetzt
seyn; denn dort ist, nach dem äußern Anschein, jetzt die Erdschale am
dünnsten. Man scheint so etwas gefühlt zu haben, als man den heiligen
Flammenbändiger eben hierher setzte.

Die Russen in Neapel machen eine sonderbare Erscheinung. Sie sind des
Königs Leibwache, weil man ganz laut sagt, daß er sich auf seine eigenen
Soldaten nicht verlassen kann. Wenn dieses so ist, so ist es ganz gewiß
seine eigene Schuld; denn ich halte die Neapolitaner für eine der
bravsten und besten Nationen, so wie überhaupt die Italiener. Was ich
hier und da Schlimmes sagen muß, betrifft nur die Regierung, ihre
schlechte Verfassung oder Verwaltung und das Religionsunwesen. Die
Russen haben sich sehr metamorphosirt und ich würde sie kaum wieder
erkannt haben. Du weißt, daß ich die Schulmeisterei in keinem Dinge
verachte, wenn sie das Gründliche bezweckt: aber ich glaube, sie haben
sich durch Pauls Veränderungen durchaus nicht gebessert. Brav werden sie
immer bleiben; das ist im Charakter der Nation: aber Paul hätte das Gute
behalten und das Bessere geben sollen. Ich habe nicht gesehen, daß sie
Linie und besser den Schwenkpunkt hielten, und fertiger die Waffen
handhabten: aber desto schlechter waren sie gekleidet, ästhetisch und
militärisch. Die steifen Zöpfe, die Potemkin mit vielen andern
Bocksbeuteleien abgeschafft hatte, geben den Kerlen ein Ansehen von ganz
possirlicher Unbehülflichkeit. Potemkin hatte freilich wohl manches
gethan, was nichts werth war; aber diese Ordonnanz bei der Armee war
sicher gut. Paul war in seiner Empfindlichkeit zu einseitig. Uebrigens
werden hier die russischen Officiere, wie ich höre, zuweilen nicht wegen
ihrer Artigkeit gelobt, und man erzählte sehr auffallende Beispiele vom
Gegentheil. Das sind hoffentlich nur unangenehme Ausnahmen; denn man
läßt im Ganzen der Ordnung und der Strenge des Generals Gerechtigkeit
widerfahren.

Der heilige Januarius wird als Jakobiner gewaltig gemißhandelt und von
den Lazaronen auf alle Weise beschimpft: es fehlt wenig, daß er nicht
des Patronats völlig entsetzt wird. Dafür wird der heilige Antonius sehr
auf seine Kosten gehoben; und es wird diesem sogar durch Manifeste vom
Hofe gehuldigt. Doch ist die Januariusfarce wieder glücklich von Statten
gegangen, und er hat endlich wieder ordentlich geblutet. Ich habe für
dergleichen Dinge wenig Takt, bin also nicht dabei gewesen, ob die
Schnurre gleich fast unter meinen Augen vorging. Einer meiner Freunde
erzählte mir von den furchtbaren Aengstigungen einiger jungen Weiber und
ihrer heißen Andacht, ehe das Mirakel kam, und von ihrer ausgelassenen
heiligen ekstatischen Freude, als es glücklich vollendet war. Womit kann
man den Menschen nicht noch hinhalten, wenn man ihm einmal seine
Unbefugnisse genommen hat?



                                                                _Rom._


Nun bin ich wieder hier in dem Sitz der heiligen Kirche, aber nicht in
ihrem Schooße. Wie Schade das ist! Ich habe so viel Ansatz und Neigung
zur Katholicität, würde mich so gern auch an ein Oberhaupt in
geistlichen Dingen halten, wenn nur die Leute etwas leidlicher,
ordentlich und vernünftig wären. Meiner ist der Katholicismus der
Vernunft, der allgemeinen Gerechtigkeit, der Freiheit und der Humanität;
und der ihrige ist die Nebelkappe der Vorurtheile, der Privilegien, des
eisernen Gewissenszwanges. Ich hoffte, wir würden einst zusammen kommen;
aber seit Bonapartes Bekehrung habe ich für mich die Hoffnung sinken
lassen. Dank sei es der Frömmelei und dem Mamelukengeist des großen
französischen Bannerherrn, die Römer haben nun wieder Ueberfluß an
Kirchen, Mönchen und Banditen. Er hat uns zum wenigsten wieder einige
hundert Jahre zurückgeworfen. ^Homo sum^ -- sagt Terenz; sonst könntest
Du leicht fragen, was mich das Zeug anginge. Aber ich will den Faden
meiner Wanderschaft wieder aufnehmen.

Den letzten Tag in Neapel besuchte ich noch den Agnano und die
Hundsgrotte. Schon Függer in Wien hatte mich gewarnt, ich möchte mich
dort in Acht nehmen; allein im Mai, dachte ich, hat so ein Spaziergang
wohl nichts zu sagen. Der Morgen war drückend und schwül, und über der
Solfatara und dem Kamaldulenser Berge hingen Gewitterwolken. Alles ist
bekannt genug; ich wollte nur aus Neugier das Lokale sehen und weiter
keinen Hund auf die Folter setzen. Nachdem ich aber ungefähr ein
Stündchen am See herumgewandelt war und mir die Lage besehen hatte, ward
mir der Kopf auf einmal sonderbar dumpf und schwer, und ich eilte, daß
ich durch die Bergschlucht wieder heraus kam. Es war ein eigenes
furchtbares Gefühl, als ob sich alle flüssigen Theile mischten und die
festen sich auflösen wollten. So wie ich mich von der Gegend entfernte,
kehrte mein heller Sinn zurück, und es blieb mir nur eine gewisse
Schwere und Müdigkeit von der Wärme. Eine eigene Erscheinung in meinem
Physischen war es mir indessen, als ich gleich nachher in einem
Wirthshause nicht weit von Posilippo aß, daß ich mir an einer eben nicht
harten Kastanie auf einmal drei Zähne bis fast zum Ausfallen locker biß.
Der Agnano und die Hundsgrotte kosten dich ein wenig zu viel, dachte
ich, und that schon Verzicht auf meine drei Vorderzähne. Aber
Veränderung der Luft und etwas Schonung haben sie bis auf einen wieder
ziemlich festgemacht; und dieser wird sich hoffentlich auch wieder
erholen. Will er nicht, nun so will ich ihn der Hundsgrotte opfern.

Von Rom nach Neapel war ich zu Fuße gegangen: von Neapel nach Rom fuhr
ich der Schnelligkeit wegen mit dem neapolitanischen Courrier. Noch die
Nacht fuhren wir über Aversa nach Kapua, und den Tag von Kapua nach
Terracina. Anstatt einer attellanischen Fabel erzählte man uns in Aversa
als wahre Geschichte, daß eben die Räuber vom Berge herunter gekommen
wären und einen armen Teufel um sechzig Piaster erschlagen. In Fondi
stahl ich mich mit etwas bösem Gewissen voraus, weil ich dem Herrn
Zolleinnehmer nicht gern in die Hände fallen wollte. Dieser Herr hatte
nämlich auf meiner Hinreise einen sehr großen Gefallen an meinem
Seehundstornister bekommen, wollte ihn durchaus haben, und bot mir bis
zu drei goldenen Unzen darauf. Ich wollte ihn nicht missen, hatte seiner
Zudringlichkeit aber doch einige Hoffnung gemacht, wenn ich zurückkäme:
und jetzt wollte ich ihn eben so wenig missen. Wer bringt nicht gern
Haut und Fell und alles wieder heil mit sich zurück? Durch die Pontinen
ging es dießmal die Nacht, welches ich sehr wohl zufrieden war. Der
Morgen graute, als wir in Velletri eintrafen. Nun kam aber eine ächt
italienische Stelle, über der ich leicht hätte den Hals brechen können.

Ich habe die Gewohnheit, beständig vorauszulaufen, wo ich kann. Zwischen
Gensano und Aricia ist eine schöne Waldgegend, durch welche die Straße
geht. Oben am Berge bat der Postillon, wir möchten aussteigen, weil er
vermuthlich den Hemmschuh einlegen wollte, und am Wagen etwas zu hämmern
hatte. Der Oficier blieb bei seinen Depeschen am Wagen, und ich
schlenderte leicht und unbefangen den Berg hinunter in den Wald hinein,
und dachte, wie ich Freund Reinhart in Aricia überraschen würde, der
jetzt daselbst seyn wollte. Ungefähr sieben Minuten mochte ich so
fortgewandelt seyn, da stürzten links aus dem Gebüsche vier Kerle auf
mich zu. Ihre Bothschaft erklärte sich sogleich. Einer faßte mich bei
der Krause, und setzte mir den Dolch an die Kehle; der andere am Arm,
und setzte mir den Dolch auf die Brust; die beiden übrigen blieben
dispositionsmäßig in einer kleinen Entfernung mit aufgezogenen
Karabinern. In der Bestürzung sagte ich halb unwillkührlich auf Deutsch
zu ihnen: »Ei so nehmt denn ins Teufels Namen alles, was ich habe!« Da
machte einer eine doppelt gräßliche Pantomime mit Gesicht und Dolch, um
mir zu verstehen zu geben, man würde stoßen und schießen, sobald ich
noch eine Sylbe spräche. Ich schwieg also. In Eile nahmen sie mir nun
die Börse und etwas kleines Geld aus den Westentaschen, welches beides
zusammen sich vielleicht auf sieben Piaster belief. Nun zogen sie mich
mit der vehementesten Gewalt nach dem Gebüsche, und die Karabiner
suchten mir durch richtige Schwenkung Willigkeit einzuflößen. Ich machte
mich bloß so schwer als möglich, da weiter thätigen Widerstand zu thun
der gewisse Tod gewesen wäre: man zerriß mir in der Anstrengung Weste
und Hemd. Vermuthlich wollte man mich dort im Busche gemächlich
durchsuchen und ausziehen, und dann mit mir thun, was man für gut finden
würde. Sind die Herren sicher, so lassen sie das Opfer laufen; sind sie
das nicht, so geben sie einen Schuß oder Stich, und die Todten sprechen
nicht. In diesem kritischen Momente -- denn das Ganze dauerte vielleicht
kaum eine Minute -- hörte man den Wagen von oben herabrollen und auch
Stimmen von unten: sie ließen mich also los, und nahmen die Flucht in
den Wald. Ich ging etwas verblüfft meinen Weg fort, ohne jemand zu
erwarten. Die Uhr saß, wie in Sicilien, tief, und das Taschenbuch stak
unter dem Arme in einem Rocksacke: beides wurde also in der
Geschwindigkeit nicht gefunden. Die Kerle sahen gräßlich aus, wie ihr
Handwerk; keiner war, nach meiner Taxe, unter zwanzig, und keiner über
dreißig. Sie hatten sich gemalt, und trugen falsche Bärte; ein Beweis,
daß sie aus der Gegend waren, und Entdeckung fürchteten. Reinhart traf
ich in Aricia nicht; er war noch in Rom. So hätte ich wohl noch leicht
in der schönen klassischen Gegend bleiben können. Dort spielt ein Theil
der Aeneide, und nach aller Topographie bezahlten daselbst Nisus und
Euryalus ihre jugendliche Unbesonnenheit; nicht eben, daß sie gingen,
sondern daß sie unterwegs so alberne Streiche machten, die kein
preußischer Rekrut machen würde. Wer wird einen schön polirten,
glänzenden Helm bei Mondschein aufsetzen, um versteckt zu bleiben? Herr
Virgil hat sie, vermuthlich bloß der schönen Episode wegen, so ganz
unüberlegt handeln lassen.

Hier in Rom brachte man mir die tröstliche Nachricht, daß zwei von den
Schurken, die mich in dem Walde geplündert hätten, erwischt wären, und
daß ich vielleicht noch das Vergnügen haben würde sie hängen zu sehen.
Dawider habe ich weiter nichts, als daß es bei der jetzigen Unordnung
der Dinge sehr wenig helfen wird. Ich habe hier etwas von einem
Manuscripte gesehen, das in kurzem in Deutschland, wenn ich nicht irre,
bei Perthes gedruckt werden soll, und das ein Gemälde vom jetzigen Rom
enthält. Du wirst Dich wundern, wenn ich Dir sage, daß fast alles darin
noch sehr sanft gezeichnet ist. Der Mann kann auf alle Fälle kompetenter
Beurtheiler seyn; denn er ist lange hier, ist ein freier, unbefangener,
kenntnißvoller Mann, bei dem Herz und Kopf gehörig im Gleichgewicht
stehen. Die Hierarchie wird wieder in ihrer größten Ausdehnung
eingeführt; und was das Volk eben jetzt darunter leiden müsse, kannst Du
berechnen. Die Klöster nehmen alle ihre Güter mit Strenge wieder in
Besitz, die Kirchen werden wieder geheiligt und alle Prälaten behaupten
fürs allererste wieder ihren alten Glanz. Da mästen sich wieder die
Mönche; und wer kümmert sich darum, daß das Volk hungert? Die Strassen
sind nicht allein mit Bettlern bedeckt, sondern diese Bettler sterben
wirklich daselbst vor Hunger und Elend. Ich weiß, daß bei meinem
Hierseyn an einem Tage fünf bis sechs Personen vor Hunger gestorben
sind. Ich selbst habe Einige niederfallen und sterben sehen. Rührt
dieses das geistliche Mastheer? Der Ausdruck ist empörend, aber nicht
mehr als die Wahrheit. Jedes Wort ist an seiner Stelle gut, denke und
sage ich mit dem Alten. Als die Leiche Pius des Sechsten prächtig
eingebracht wurde, damit die Exequien noch prächtiger gehalten werden
könnten, erhob sich aus dem gläubigen Gedränge ein Fünkchen Vernunft in
dem dumpfen Gemurmel, daß man so viel Lärm und Kosten mit einem Todten
mache, und die Lebendigen im Elende verhungern lasse. Rom ist oft die
Kloake der Menschheit gewesen, aber vielleicht nie mehr, als jetzt. Es
ist keine Ordnung, keine Justiz, keine Polizei; auf dem Lande noch
weniger als in der Stadt; und wenn die Menschheit noch nicht tiefer
gesunken ist, als sie wirklich liegt, so kommt es bloß daher, weil man
das Göttliche in der Natur durch die größte Unvernunft nicht ganz
ausrotten kann. Du kannst denken, mit welcher Stimmung ein vernünftiger
Philanthrop sich hier umsieht. Ich hatte mich mit einer bittern
Philippika gerüstet, als ich wieder zu Borgia gehen wollte. ^Nil valent
apud vos leges, nil justitia, nil boni mores; sagittantur sacerdotes,
perit plebs, caecutit populus; vilipenditur quodcunque est homini
sanctum, honestas, modestia, omnis virtus. Infimus et improbissimus
quisque cum armis per oppida et agros praedabundus incedit, furatur,
rapit, trucidat, jugulat, incendia miscet. Haec est illa religio
scilicet, auctoris ignominia, rationis opprobrium, qua vos homines
liberos et viros fortes ad servitia et latrones detrudere conamini.^ So
gohr es, und ich versichere Dich, Freund, es ist keine Sylbe Redekunst
dabei. Aber gesetzt auch, ein Kardinal hätte das hingenommen, warum
sollte ich dem alten, guten, ehrlichen Manne Herzklopfen machen? Es
hilft nichts; das liegt schon im System. Man wird schon Palliativen
finden: aber an Heilung ist nicht zu denken. Die Herren sind immer klug
wie die Schlangen; weiter gehen sie im Evangelium nicht. Die neuesten
Beweise davon kannst Du in Florenz und Paris sehen. Ich ging gar nicht
zu Borgia, weil ich meiner eigenen Klugheit nicht traute. Ueberdieß
hielt mich vielleicht noch eine andere Kleinigkeit zurück. Die römischen
Vornehmen haben einen ganzen Haufen Bedienten im Hause und geben nur
schlechten Sold. Jeder Fremde, der nur die geringste Höflichkeit vom
Herrn empfängt, wird dafür von der Valetaille in Anspruch genommen. Das
hatte ich erfahren. Nun kann man einem ganzen Hausetat doch schicklich
nicht weniger als einen Piaster geben; und so viel wollte ich für den
Papst und sein ganzes Kollegium nicht mehr in Auslage seyn.

Ich will das Betragen der Franzosen hier und in ganz Unteritalien nicht
rechtfertigen: aber dadurch, daß sie die Sache wieder aufgegeben haben,
ist die Menschheit in unsägliches Elend zurückgefallen. Ich weiß, was
darüber gesagt werden kann, und von wie vielen Seiten alles betrachtet
werden muß: aber wenn man schlecht angefangen hat, so hat man noch
schlechter geendiget; das Zeugniß wird mit Zähneknirschen jeder
rechtliche Römer und Neapolitaner geben. Geschichte kann ich hier nicht
schreiben. Durch ihren unbedingten, nicht nothwendigen Abzug ist die
schrecklichste Anarchie entstanden. Die Heerstraßen sind voll Räuber;
die niederträchtigsten Bösewichter ziehen im Lande herum. Blos während
meiner kurzen Anwesenheit in Rom sind drei Courriere geplündert und fünf
Dragoner von der Begleitung erschossen worden. Niemand wagt es mehr,
etwas mit der Post zu geben. Der französische General ließ wegen vieler
Ungebühr ein altes Gesetz schärfen, das den Dolchträgern den Tod
bestimmt, und ließ eine Anzahl Verbrecher vor dem Volksthore wirklich
erschießen. Die Härte war Wohlthat; nun war Sicherheit. Jetzt trägt
jedermann wieder seinen Dolch und braucht ihn. Die Kardinäle sind immer
noch in dem schändlichsten Kredit, als Beschützer der Verbrecher. Man
erzählt jetzt noch Beispiele mit allen Namen und Umständen, daß sie
Mörder in ihren Wagen aus der Stadt in Sicherheit bringen lassen. --
Ueber öffentliche Armenanstalten bei den Katholiken ist schon viel
gesagt. Rom war auch in dieser Rücksicht die Metropolis. Jetzt sind
durch die Revolution fast alle öffentliche Armenfonds wie ausgeplündert,
und die Noth ist vor der Ernte unter der ganz armen Klasse schrecklich.
In ganz Marino und Albano ist keine öffentliche Schule, also keine Sorge
für Erziehung; in Rom ist sie schlecht. Der Kirchenstaat ist eine Oede
rund um Rom herum, deßwegen erlaubt aber kein Güterbesitzer, daß man auf
seinem Grunde arbeite. Das Feudalrecht könnte in Gefahr gerathen. Wenn
er nicht geradezu hungert, was gehn ihn die Hefen des Romulus an? Die
Möncherei kommt wieder in ihren crassesten Flor, und man erzählt sich
wieder ganz neue Bubenstücke der Kuttenträger, die der Schande der
finstersten Zeiten gleichkommen. Man sagt wohl, Italien sei ein
Paradies, von Teufeln bewohnt; das heißt der menschlichen Natur Hohn
gesprochen. Der Italiener ist ein edler, herrlicher Mensch; aber seine
Regenten sind Mönche, oder Mönchsknechte; die meisten sind Väter ohne
Kinder; das ist Erklärung genug. Ueberdies ist es der Sitz der Vergebung
der Sünde.

Ich will nur machen, daß ich hinauskomme, sonst denkst Du, daß ich
beißig und bösartig geworden bin. Die Partien rund herum sind ohne mich
bekannt genug: ich habe die meisten, allein und in Gesellschaft, in der
schönsten Jahreszeit genossen. Man kann hier seyn und sich wohl
befinden, nur muß man die Humanität zu Hause lassen. Mit Uhden habe ich
die Partien von Marino, Grottaferrata, Fraskati und den Albaner See
gesehen. Eines der ältesten Monumente ist am See der Felsenkanal, der
das Wasser aus demselben durch den Berg in die Ebene hinabläßt; und der,
wenn ich nicht irre, noch aus den Zeiten des Kamillus ist. Die
Geschichte seiner Entstehung ist bekannt. Man wirkt noch heute eben so
durch den Aberglauben, wie damals. Wenn der Gott von Delphi den
Ausspruch der Mathematiker nicht bestätigt hätte, wären die Römer
schwerlich an die Arbeit gegangen. Das ganze Werk steht noch jetzt in
seiner alten, herrlichen ursprünglichen Größe da und erfüllt den Zweck.
Uhden wunderte sich, daß Cluver, ein sonst so genauer und gewissenhafter
Beobachter, sagt, es seien noch Spuren da, da doch der ganze Kanal noch
eben so gangbar ist, wie vor zwei tausend Jahren. Mir däucht, zu Cluvers
Rechtfertigung kann man annehmen, daß der Eingang eben damals
verschüttet war, welches sich periodenweise leicht denken läßt: und der
Antiquar untersuchte nicht näher. Der Eingang ist ein sehr romantischer
Platz und der Gegenstand der Zeichner: vorzüglich wirkt die alte
perennirende Eiche an demselben. Das Schloß Gandolfo oben auf dem Berge
ist eine der schönsten Aussichten in der ganzen schönen Gegend. Hier
zeigte man mir im Promeniren einen Priester, der in einem Gefechte mit
den Franzosen allein achtzehn niedergeschossen hatte. Das nenne ich
einen Mann von der streitenden Kirche! Wehe der Humanität, wenn sie die
triumphirende wird! Wer auf Hadrian eine Lobrede schreiben will, muß
nicht hierher gehen, und die Ueberreste seiner Villa sehen: man sieht
noch ganz den Pomp eines morgenländischen Herrschers, und die Furcht
einer engbrüstigen tyrannischen Seele. Auch sogar sein Grabmahl hat die
päpstliche Zwittertyrannei zu ihrem Ergastel gemacht. Trajan hat
Monumente besserer Bedeutung hinterlassen. Wo bei Frascati
wahrscheinlich des großen Tullius Tuskulum gestanden hat, sieht man
jetzt sehr analog -- eine Papiermühle. Das Plätzchen ist sehr
philosophisch; nur würde Thucydides hier schwerlich die tuskulanischen
Quästionen oder gar ^de natura deorum^ geschrieben haben. Der schönste
Ort von allen antiken Gebäuden, die ich noch gesehen habe, ist
unstreitig die Villa des Mäcen in Tivoli. Man kann annehmen, daß der
Schmeichler Horaz hier mehrere seiner liebsten Oden gedichtet habe, für
den gewaltigen Mann, neben und unter den er hier haus'te. Man wollte
mich unten am Flusse jenseits nicht weit von den Ställen des Varus in
ein Haus führen, wo noch Horazens Bad zu sehen seyn soll; aber ich hatte
nicht Lust: es fiel mir seine Canidia ein. Virgil war ein feinerer Mann
und ein besserer Mensch. Kein Stein ist hier oben ohne Namen, und um die
Kaskade und die Grotte und um die Kaskadellen. Wenn ich Dir die
Kaskadellen von unserm Reinhart mitbringen könnte, das würde für Dich
noch Beute aus Hesperien seyn: ich bin nur Laie.

Von den Kunstschätzen in Rom darf ich nicht anfangen. Die Franzosen
haben allerdings Vieles fortgeschafft; aber der Abgang wird bei dem
großen Reichthume doch nicht sehr vermißt. Ueberdieß haben sie mit
wahrem Ehrgefühl kein Privateigenthum angetastet. Einigen ihrer
vehementesten Gegner haben sie zwar gedroht; doch ist es bei den
Drohungen geblieben: und die Privatsammlungen sind bekanntlich zahlreich
und sehr ansehnlich. Nur einige sind durch die Zeitumstände von ihren
Besitzern zersplittert worden; vorzüglich die Sammlung des Hauses
Colonna. Aus den Gärten Borghese ist kein einziges Stück entfernt. Bloß
der Fechter und der Silen haben einen klassischen Werth, wie ihn mehrere
der nach Paris geschafften Stücke nicht haben. Die größte Sottise, die
vielleicht je die Antiquare gemacht haben, ist, daß sie diesen Silen mit
dem lieblichen jungen Bacchus für einen Saturnus hielten, der eben auch
diese Geburt fressen wollte. Der erste, der diese Erklärung auskramte,
muß vor Hypochondrie Konvulsionen gehabt haben. Vorzüglich beschäftigte
mich noch eine Knabenstatue mit der Bulle, die man für einen jungen
Britanicus hält. Sei es wer es wolle, es ist ein römischer Knabe, der
sich der männlichen Toga nähert, mit einer unbeschreiblichen Zartheit
und Anmuth dargestellt. Ich habe nichts Aehnliches in dieser Art mehr
gefunden.

In der Gallerie Doria zog meine Aufmerksamkeit vornämlich ein weibliches
Gemälde von Leonardo da Vinci auf sich, das man für die Königin Johanna
von Neapel ausgab. Das kann Johanna nicht seyn, sagte ich, unmöglich;
ich wäre für das Original von Leukade gesprungen: das kann die
Neapolitanerin nicht seyn. Wenn sie es ist, hat die Geschichte gelogen,
oder die Natur selbst ist eine Falschspielerin. Man behauptete, es wär
ihr Bild und ich genoß in der Träumerei über den Kopf den schönen
Salvator Rosa im andern Flügel nur halb. Als ich nach Hause kam, fragte
ich Fernow; und dieser sagte mir, ich habe Recht; es sei nun ausgemacht,
daß es eine gewisse Gräfin aus Oberitalien sei. Ich freute mich, als ob
ich eine Kriminalinquisition los wäre.

Auf dem Kapitol vermißte ich den schönen Brutus. Dieser ist nach Paris
gewandelt, hies es. Was soll Brutus in Paris? Vor funfzig Jahren wäre es
eine Posse gewesen, und jetzt ist es eine Blasphemie. Dort wachsen die
Cäsarn, wie die Fliegenschwämme. Noch sah ich die alte hetrurische
Wölfin, die bei Cäsars Tode vom Blitz beschädigt worden seyn soll. Die
Seltenheit ist wenigstens sehenswerth. Von dem Thurme des Kapitols
übersah ich mit Einem Blick das ganze, große Ruinenfeld unter mir. Einer
meiner Freunde machte mir ein Geschenk mit einer Rhapsodie über die
Peterskirche; ich gab ihm dafür eine über das Kapitol zurück. Ich
schicke sie Dir hier, weil ich glauben darf, daß Dir vielleicht die
Aussicht einiges Vergnügen machen kann.

   Du zürnst, daß dort mit breitem Angesichte
   Das Dunstphantom des Aberglaubens glotzt
   Und jedem Feuereifer trotzt,
   Der aus der Finsterniß zum Lichte
   Uns führen will; Du zürnst den Bübereien,
   Dem Frevel und dem frechen Spott,
   Mit dem der Plattkopf stiert, der Tugend uns und Gott
   Zum Unsinn macht; den feilen Schurkereien,
   Und der Harpye der Mönchereien,
   Dem häßlichsten Gespenst, das dem Cocyt entkroch,
   Das aus dem Schlamm der Dummheit noch
   Am Leitseil der Betrügereien
   Zehntausend hier, zehntausend dort ins Joch,
   Dem willig sich die Opferthiere weihen,
   Zum Grabe der Vernunft berückt,
   Und dann mit Hohn und Litaneien
   Aus seiner Mastung niederblickt:
   Du zürnst, daß man noch jetzt die Götzen meißelt,
   Und mit dem Geist der Mitternacht
   Zu ihrem Dienst die Menschheit niedergeißelt,
   Und die Moral zur feilen Dirne macht
   Bei der man sich zum Sybariten kräuselt
   Und Recht und Menschenwerth verlacht.

      Dein Eifer, Freund, ist edel. Zürne!
   Oft giebt der Zorn der Seele hohen Schwung
   Und Kraft und Muth zur Besserung;
   Indessen lau mit seichtem Hirne
   Der Schachmaschinenmensch nach den Figuren schielt
   Und von dem Busen seiner Dirne
   Verächtlich nur die Puppen weiter spielt.

      Geh hin und lies, fast ist es unsre Schande,
   Es scheint, es war das Schicksal Roms,
   In Geierflug zu ziehn von Land zu Lande;
   Es schlug die Erde rund in Bande,
   Und wechselt nur den Sitz des Doms.
   Was einst der Halbbarbar ins Joch mit Eisen sandte
   Beherrschet nun der Hierofante
   Mit dem Betruge des Diploms.
   Jetzt thürmet sich am alten Vatikane
   Des Aberglaubens Burg empor,
   In deren dumpfigen Arkane
   Sich längst schon die Vernunft verlor,
   Und wo man mit geweihtem Ohr
   Und Nebelhirn zur neuen Fahne
   Des alten Unsinns gläubig schwor.
   Dort steht der Dom, den Blick voll hohen Spottes
   Mit dem er Menschensinn verhöhnt;
   Und mächtig stand, am Hügel hingedehnt,
   Einst hier die Burg des Donnergottes,
   Wo noch des Tempels Trümmer gähnt;
   Und wer bestimmt aus welchem Schlunde
   Des Wahnsinns stygischer Betrug
   Der armen Welt die größte Wunde
   Zur ewigen Erinnrung schlug?

      Hier herrschten eisern die Katonen
   Mit einem Ungeheur von Recht,
   Und stempelten das menschliche Geschlecht
   Despotisch nur zu ihren Frohnen;
   Als wäre von Natur vor ihnen Jeder Knecht,
   Den Zevs von seinem Kapitole
   Mit dem Gefolge der Idole
   Sich nicht zum Lieblingssohn erkohr;
   Und desto mehr, je mehr er kühn empor
   Mit seines Wesens Urkraft strebte
   Und sklavisch nicht, wie vor dem Sturm das Rohr
   Beim Zorn der Herr'n der Erde bebte.
   Nur wer von einem Räuber stammte,
   Dem Fluch der Nachbarn, wessen Heldenherz,
   Bepanzert mit dem dicksten Erz,
   Zum Hohn der Menschheit lodernd flammte,
   Wer alle Andern, wie Verdammte,
   Zur tiefsten Knechtschaft von sich stieß
   Und den Beweis in seinem Schwerte wies --
   Nur der gelangte zu der Ehre,
   Ein Mann zu seyn im großen Würgerheere.
   Oft treibt Verzweiflung zu dem Berge,
   Dem Heiligen, dem Retter in der Noth,
   Wenn blutig des Bedrückers Scherge
   Mit Fesseln, Beil und Ruthen droht:
   Und, was erstaunt jetzt kaum die Nachwelt glaubet,
   Dem größten Theil der Nation,
   Dem ganzen Sklavenhaufen, raubet
   Der Blutgeist selbst die Rechte der Person,
   Und setzt ihn mit dem Vieh der Erde
   Zum Spott der Macht in eine Heerde.
   Der Wüstling warf dann in der Wuth,
   Für ein zerbrochnes Glas, mit wahrer Römerseele
   Den Knecht in die Muränenhöhle,
   Und fütterte mit dessen Blut
   Für seine schwelgerischen Tische
   Die seltenen, weitgereis'ten Fische;
   Und für die Kleinigkeit der Sklavenstrafe ließ
   Mit Zorn der schlauste der Tyrannen,
   Den seine Welt Augustus hieß,
   Zehn Tage lang den Herrn von sich verbannen.
   Nimm die zwölf Tafeln, Freund, und lies,
   Was zum Gesetz die Blutigen ersannen;
   Was ihre Zehner kühn gewannen,
   Durch die man frech die Menschheit von sich stieß.

      Wer zählet die Proskriptionen,
   Die der Triumvir niederschrieb,
   In denen er durch Henker ohne Schonen
   Die Bande von einander hieb,
   Die, das Palladium der Menschlichkeit zu retten,
   Uns brüderlich zusammenketten.
   Durch sie wird Latium in allen Hainen roth
   Bis in die Grotten der Najaden,
   Und mit dem Grimm des Schrecklichen beladen,
   Des Fluchs der Erde, gingen in den Tod
   An Einem Tage Myriaden:
   Und gegen Sullas Henkergeist
   Ist, zu der neuen Zeiten Ehre,
   Der Aftergallier, der Blutmensch Robespierre,
   Ein Genius, der mild und menschlich heißt.

      Man würgte stolz, und hatte man
   Mit Spott und Hohn die Unthat frech gethan,
   So stieg man hier auf diesen Hügel
   Und heiligte den Schreckenstag,
   Der unter seiner Schande Siegel
   Nun in der Weltgeschichte lag.
   Man schickte, ohne zu erröthen,
   Den Liktor mit dem Beil und ließ
   Im Kerker den Gefangnen tödten,
   Der in der Schlacht als Held sich wies,
   Vor dessen Tugend man selbst in der Raubburg zagte
   Und nicht sie zu bekämpfen wagte.

      Dort gegenüber setzten sich
   Die Cäsarn auf dem Palatine,
   Wo noch die Trümmer fürchterlich
   Herüber gähnt, und jetzt mit Herrschermiene
   Auch aus dem Schutte der Ruine,
   Wie in der Vorwelt Eisenzeit,
   Mit Ohnmacht nur Gehorsam noch gebeut.
   Dort herrschten, hebt man kühn den Schleier,
   Im Wechsel nur Tyrann und Ungeheuer;
   Dort grub der Schmeichler freche Zunft
   Mit Schlangenwitz am Grabe der Vernunft:
   Dort starben Recht und Zucht und Ehre;
   Dort betete man einst Sejan,
   Narciß und sein Gelichter an,
   Wenn die Neronen und Tibere
   Nur scheel auf ihre Sclaven sahn --
   Sie selbst der Schändlichkeit Heloten,
   Die Qual und Tod mit einem Wink geboten,

      Dort ragt der Schandfleck hoch empor.
   Wo, wenn des Scheusals Wille heischte,
   Des Tigers Zahn ein Menschenherz zerfleischte,
   Und wo der Sklaven grelles Chor,
   Dem Blutspektakel Beifall kreischte,
   Und keinen Zug des Sterbenden verlor;
   Wo zu des Römerpöbels Freude
   Nur der im Sand den höchsten Ruhm erwarb,
   Der mit dem Dolch im Eingeweide
   Und Grimm im Antlitz starb.

      Von außen Raub und Sklaverei von innen,
   Bei Cato, wie bei Seneka.
   Stehst Du noch jetzt entzückt vor Deinen Römern da,
   Und stellst sie auf des Ruhmes Zinnen?
   Vergleiche, was durch sie geschah,
   Von dem Sabiner bis zum Gothen,
   Die Kapitolier bedrohten
   Die Menschheit mehr als Attila,
   Trotz allen preisenden Zeloten.
   Betrachtest Du die Stolzen nur mit Ruh.
   Für einen Titus schreibest Du
   Stets zehn Domitiane nieder.
   Behüte Gott nur uns und unsre Brüder
   Vor diesem blutigen Geschlecht,
   Vor Römerfreiheit und vor Römerrecht!
   Wenn Peter stirbt, erwache Zevs nicht wieder!

In dem Palast Spada besuchte ich einige Augenblicke die Statue des
Pompejus, die man bekanntlich für die nämliche ausgiebt, unter welcher
Cäsar erstochen wurde. Dieses kann aber vielleicht so wahrscheinlich
gemacht werden, als solche Sachen es leiden. Die Statue hat sonst nichts
Merkwürdiges und ist artistisch von keinem großen Werth. Unter dieser
Statue sollten alle Revolutionäre mit wahren, hellen, gemäßigten
Philanthropen zwölf Mitternächte Rath halten, ehe sie einen Schritt
wagten. Was rein, gut oder schlecht in dem Einzelnen ist, ist es nicht
immer in der Gesammtheit; auf der Stufe der Bildung, auf welcher die
Menschheit jetzt stehet.

Die Peterskirche gehört eigentlich der ganzen Christenheit, und die
Hierarchie würde vielleicht gern das enorme Werk vernichtet sehen, wenn
sie das unselige Schisma wieder heben könnte, das über ihrem Bau in der
christlichen Welt entstanden ist. Etwas mehr gesunde Moral und Mäßigung
hätte damals die Päpste mit Hülfe des abergläubischen Enthusiasmus zu
Herren derselben gemacht: diese Gelegenheit kommt nie wieder. Ob die
Menschheit dadurch gewonnen, oder verloren hätte, ist eine schwere
Frage. Es ist, als ob man der stillen Größe der alten Kunst mit diesem
herkulischen Bau habe Hohn sprechen wollen. Du kennst das Pantheon, als
den schönsten Tempel des Alterthums. Stelle Dir vor, einen
verhältnißmäßigen ungeheuern Raum, als die Area des Heiligentempel, zu
einer großen Höhe aufgeführt, und oben das ganze Pantheon als Kuppel
darauf gesetzt, so hast Du die Peterskirche. Das Riesenmäßige hat man
erreicht. Wir saßen in dem Knopfe der Kuppel unser drei, und übersahen
die gefallene Roma. Diese Kirche wird einst mit ihrer Kolonnade die
größte Ruine von Rom, so wie Rom vielleicht die größte Ruine der Welt
ist.

In dem benachbarten Vatikan beschäftigten mich nur Raphaels Logen und
Stanzen und die Sixtinische Kapelle. Beide sind so bekannt, daß ich es
kaum wage, Dir ein Wort davon zu sagen. Ein Engländer soll jetzt das
jüngste Gericht von Michel Angelo in zwölf Blättern stechen. Das erste
Blatt ist fertig und hat den Beifall der Kenner. Er sollte dann
fortfahren und die ganze Kapelle nach und nach geben. Die Sibyllen haben
eben so herrliche Gruppirungen und sind eben so voll Kraft und Seele.

Vor der Schule Raphaels habe ich stundenlang gestanden und mich immer
wieder hingewendet. Nach diesem Sokrates will mir kein anderer mehr
genug thun. So muß Sokrates gewesen seyn, wie dieser hier ist; und so
Diogenes, wie dieser da liegt. Pythagoras hielt mich nicht so lange
fest, als Archimedes mit seiner Knabengruppe. In dieser hat vielleicht
der Künstler das vollendetste Ideal von Anmuth und Würde dargestellt.
Ich sah den Brand und im Vorzimmer die Schlacht: aber ich ging immer
wieder zu seiner Schule. Ich würde vor dem erhabenen Geiste des
Künstlers voll drückender Ehrfurcht zurückbeben, wenn ich nicht an der
andern Wand seinen Parnaß sähe, auf welchen er als den Apoll den
Kammerdiener des Papstes mit der Kremoneser Geige gesetzt hat. Aber ich
möchte doch lieber etwas angebetet haben, als eine solche
Vermenschlichung sehen -- den Apollo mit einer Kremoneser Geige! Die
Logen fangen an, an der Luftseite stark zu leiden. Sie sind ein würdiger
Vorhof des Heiligthums und vielleicht reicher, als das Adyton selbst.
Hier konnten die Gallier nichts antasten; sie hätten denn als Vandalen
zerstören müssen: und das sind sie doch nicht, ihre Feinde mögen sagen,
was sie wollen. Ich müßte Dir von Rom allein ein Buch schreiben, wenn
ich länger bliebe und länger schriebe: und ich würde doch nur wenig
erschöpfen.

Zum Schluß schicke ich Dir eine ganz funkelnagelneue Art von Centauren,
von der Schöpfung eines unserer Landsleute. Aber ich muß Dir die
Schöpfungsgeschichte erzählen, damit Du das Werk verstehst.

Es hält sich seit einigen Jahren hier ein reicher Britte auf, dessen
grilliger Charakter, gelinde gesprochen, durch ganz Europa ziemlich
bekannt ist, und der weder als Lord eine Ehre der Nation, noch als
Bischof eine Zierde der Kirche von England genannt werden kann. Dieser
Herr hat bei der Impertinenz des Reichthums die Marotte, den Kenner und
Gönner in der Kunst zu machen und den Geschmack zu leiten, und zwar so
unglücklich, daß seine Urtheile in Italien hier und da bei Verständigen
fast schon allein für Verdammung gelten. Vorzüglich haßt er Raphael und
zieht bei jeder Gelegenheit seine ^deos minorum gentium^ auf dessen
Unkosten hervor. Indessen er bezahlt reich, und es geben sich ihm, zur
Erniedrigung des Genius, vielleicht manche gute Köpfe hin, die er dann
ewig zur Mittelmäßigkeit stempelt. Viele lassen sich Vieles von dem
reichen Britten gefallen, der selten in den Grenzen der feinern
Humanität bleiben soll. Für einen solchen hielt er nun auch unsern
Landsmann; dieser aber war nicht geschmeidig genug sein Klient zu
werden. Er lief und ritt und fuhr mit ihm, und lud ihn oft in sein Haus.
Der Lord fing seine gewöhnlichen Ungezogenheiten gegen ihn an; fand aber
nicht gehörigen Knechtsgeist. Einmal bat er ihn zu Tische. Der Künstler
fand eine angesehene Gesellschaft von Fremden und Römern, welcher er von
dem Lord mit vielem Bombast als ein Universalgenie, ein Erzkosmopolit,
ein Hauptjakobiner vorgestellt wurde. Jakobiner pflegt man dort, wie
fast überall, Jeden zu nennen, der nicht ganz unterthänig geduldig der
Meinung der gnädigen Herren ist, und sichs wohl gar beigehen läßt,
Unbefugnisse in dem Menschen zu finden, die er behaupten muß, wenn er
Menschenwerth haben will. Dem Künstler mußte dieser Ton mißfallen, und
ein Fremder, der es merkte, suchte ihn durch Höflichkeit aus der
peinlichen Lage zu ziehen, indem er ihn nach seinem Vaterlande fragte.
»Ei was?« fiel der Lord polternd ein; »es ist ein Mensch, der kein
Vaterland hat, ein Universalmensch der überall zu Hause ist.« »Doch,
doch, Mylord,« versetzte der Künstler, »ich habe ein Vaterland, dessen
ich mich gar nicht schäme; und ich hoffe, mein Vaterland soll sich
meiner nicht schämen: ^Sono Prussiano.^« Man sprach Italienisch.
»^Prussiano? Prussiano?^« sagte der Wirth; »^Ma mi pare che siete
ruffiano.^« Das war doch Artigkeit gegen einen Mann, den man zu Tische
gebeten hatte! Der ehrliche brave Künstler machte der Gesellschaft seine
Verbeugung, würdigte den Lord keines Blicks und verließ das Zimmer und
das Haus. Nach seiner Zurückkunft in sein eigenes Zimmer schrieb er in
gerechter Empfindlichkeit ihm ungefähr folgenden Brief.

»Mylord.

»Ganz Europa weiß, daß Sie ein alter Geck sind, an dem nichts mehr zu
bessern ist. Hätten Sie nur dreißig weniger, so würde ich von Ihnen für
Ihre ungezogene Grobheit eine Genugthuung fordern, wie sie Leute von
Ehre zu fordern berechtigt sind. Aber davor sind Sie nun gesichert. Ich
schätze Jedermann, wo ich ihn finde, ohne Rücksicht auf Stand und
Vermögen, nach dem was er selbst werth ist; und Sie sind nichts werth.
Sie haben alles was sie verdienen -- meine Verachtung.«

Der Lord hielt sich den Bauch vor Lachen über die Schnurre; er mag an
solche Auftritte gewöhnt seyn. Aber der Zeichner setzte sich hin und
fertigte das Blatt, das ich Dir gebe. Das langgestreckte Schwein, die
vollen Flaschen auf dem Sattel, die leeren zerbrochenen Flaschen unten,
das Glas, der Finger, der Krummstab, der große antike Weinkrug, der an
dem Stocke lehnt, Alles charakterisirt bitter, auch ohne Kopf und Ohren
und ohne den Vers; aber Alles ist Wahrheit. Der alte fünf und
siebenzigjährige Pfaffe läßt noch kein Mädchen ruhig.

   Auch seines Lebens letzten Rest
   Beschäftigt noch Lucinde;
   Wenn Ihn die Sünde schon verläßt,
   Verläßt er nicht die Sünde.

Der Lord erhielt Nachricht von der Zeichnung, deren Notiz in den guten
Gesellschaften in Rom herumlief, und knirschte doch mit den Zähnen. Für
so verwegen hatte er einen Menschen nicht gehalten, der weder Bänder,
noch Geld hatte. Endlich sagte er doch, nach der gewöhnlichen Regel, wo
man zu bösem Spiele gute Miene macht: »^Il s'est vengé en homme de
génie.^« Die Zeichnung bekam ich und ich trage kein Bedenken sie Dir
mitzutheilen. Für solche Delinquenten ist keine Strafe, als die
öffentliche Meinung: und warum soll die öffentliche Meinung nicht --
öffentlich seyn und öffentlich dokumentirt werden? Die Parteien sind der
Maler Reinhart und Lord Bristol. Von Bristol ist nun wohl keine
Besserung zu erwarten; aber Andere sollen nicht so werden, wie er ist:
deßwegen wird es erzählt.



                                                            _Mailand._


Von Rom hierher ging ich halb im Wagen, halb zu Fuße: im Wagen, so weit
ich mußte, zu Fuße, so weit ich konnte. Man hatte während meines
Aufenthalts in Rom auf der Straße von Florenz Courriere geplündert,
Soldaten erschossen und große Summen geraubt. Es wäre Tollkühnheit
gewesen, allein zu wallfahrten, wenn man nicht geradezu ein Bettler war,
und sich durch das ^cantabit vacuus^ sichern konnte. Ich fuhr also mit
einer Gesellschaft nach Florenz. Von Ronciglione nach Viterbo gehts am
See hinauf über den Ciminus. Auf dem Berge empfehle ich Dir die Aussicht
rechts hinüber nach dem Soratte; sie ist herrlich. Man sieht hinüber
nach Nepi und Civitacastellana, bis fast nach Otricoli, und weiter hin,
in die noch beschneiten Apenninen. Die Nebelwölkchen kräuselten sich
herrlich und bezeichneten den Lauf der Tiber. Trotz der gedrohten Gefahr
konnte ich doch nicht im Wagen bleiben, und trollte meistens zu Fuße
voraus und hinterher. Nicht weit von Viterbo begegnete uns eine
Gesellschaft, die, nach aller Beschreibung, die ich schon in Rom von
ihnen hatte, eine Karavane deutscher Künstler war, welche von Paris nach
Rom gingen. Der Wagen fuhr eben bergab sehr schnell, und ich konnte mich
nicht erkundigen.

Du kannst denken, daß ich auf Thümmels Empfehlung in Montefiascone den
Estest nicht vergaß. Er ist für mich der erste Wein der Erde; und doch
hatte ich nicht bischöfliches Blut: zwei Flaschen trank ich den Manen
unsers Landsmannes. Ich brauchte mich nicht hineinzubemühen in die
Stadt, deren Anblick auch sehr wenig einladendes hatte: der Wirth
erzählte unaufgefordert die Geschichte des seligen Herrn, und machte mir
mit der Landsmannschaft ein Kompliment. Es war gut, daß ich nicht hier
bleiben konnte; ich glaube, ich wäre Küster bei dem Bischofe geworden,
und hätte hier lernen Wein trinken. Aus dem Munde des Wirths lautete die
Grabschrift; »^Est, est, est, et propter nimium est dominus Fuggerus hic
mortuus est.^« Ob nun der Herr Bischof, der sich hier an den herrlichen
Wein in die selige Ewigkeit hinübertrank, wirklich aus unserm edeln
Geschlecht dieses Namens war, das überlasse ich den geistlichen
Diplomatikern. Ich lief rüstig vor dem Wagen her, nach Bolsena zu, am
See hin, nach Sankt Lorenz, dem Lieblingsorte Pius des Sechsten. Die
ganze Gegend um Bolsena ist romantisch. Daß unten Altlorenzo so
außerordentlich ungesund seyn soll, kann ich nicht begreifen. Daran
scheint nur die Indolenz der Einwohner Schuld zu seyn, die die
Schluchten nicht genug aushauen und bearbeiten.

Als eine Neuigkeit des Tages erzählte man hier die Geschichte von einem
Komplott in Neapel. Murat, den ich selbst noch in Neapel gesehen habe,
soll die Rädelsführer durch seine Versprechungen zur Entdeckung der
ganzen Unternehmung sehr fein überredet und sodann die ganze Liste dem
Minister überreicht haben. Weiß der Himmel, wie viel daran ist! Ganz
ohne Grund ist das Gerücht nicht. Denn schon in Rom wurde davon
gesprochen, und der König von Sardinien war aus Caserta daselbst
angelangt, wie man laut sagte, aus Furcht vor Unruhen in Neapel, und
wohnte im Palast Colonna. Die neapolitanische Regierung hatte dabei in
ihrem Ingrimm ihre gewöhnliche alte, unüberlegte Strenge gebraucht. In
Montefiascone traf ich einen Franzosen, der zwei und zwanzig Jahre in
Livorno gehandelt hatte und ein gewaltiger Royalist war. »Ich wollte
schon vor zwölf Jahren zurückgehen,« sagte er mir, »aber mein Vaterland
ist diese ganze Zeit über eine Mördergrube und ein verfluchtes Land
gewesen. Die Republikaner und Demokraten sind alle Bösewichter. Nun, da
Bonaparte wieder König ist, werde ich nach Hause gehen und mein Alter in
Ruhe genießen.« Der Mann sagte dieses alles mit den nämlichen Worten;
ich bin nur Uebersetzer.

Acquapendente an dem Flusse macht eine schöne Partie und ist für den
Kirchenstaat eine nicht unbeträchtliche Stadt. »Was das für eine
närrische Benennung der Oerter ist,« sagte ein Engländer, »Acquapendente
und Acquafiascone.« Vor Radikofani an der Grenze bei Torricelli hatte
man auch den Courrier geplündert, und ein toskanischer Dragoner war
dabei umgekommen. Siena ist ziemlich leer. Der heilige Geruch des
Erzbischofs benahm mir alle Lust, nur aus dem Wirthshause zu gehen. Es
ist der nämliche Herr, der zur Zeit Josephs des Zweiten päpstlicher
Legat in den Niederlanden war, und daselbst allem Guten sehr thätig
widerstrebte. Neuerlich in der Revolution hat er sich durch seine
heroische Unvernunft ausgezeichnet. Die Juden mochten bei Ankunft der
Franzosen den Glauben gewonnen haben, daß sie auch Menschen seien, und
sich also bürgerlich einige Menschlichkeiten erlaubt haben. Nach Abzug
der Franken hielt der christgläubige Pöbel zu Siena im Sturm über die
verruchten Israeliten Volksgericht, und führte dreizehn der Elenden
lebendig zum Scheiterhaufen. Einige muthige vernünftige Männer baten den
Erzbischof, sein Ansehn zu interponiren, damit die Abscheulichkeit nicht
ausgeführt würde. Die Energie des Glaubens aber weigerte sich standhaft
gegen die Zumuthungen der Menschlichkeit, und die Unglücklichen wurden
zum frommen Schauspiel der Christenheit lebendig gebraten. Als die
Volksexecution nach Hause zog, gab der geistliche Vater den Kindern mit
Wohlgefallen seinen Segen. Doch dieses ist in Italien noch Humanität.

Von Siena nach Florenz ist ein schöner, herrlicher Weg; und so wie man
Florenz näher kommt, wird die Kultur immer besser und endlich
vortrefflich. Von Monte Cassino, dem letzten Ort vor Florenz, ist die
schönste Abwechselung von Berg und Thal bis in die Hauptstadt. Was
Leopold für Toskana gethan hat, wird nun eilig alles wieder zerstört,
und die Mönche fangen hier ihr Regiment eben so wieder an, wie in Rom.
Der allgemeine große Wohlstand, der durch die östreichische, hier sehr
liberale, Regierung erzeugt worden war, wird indeß nicht sogleich
vertilgt. Hier sind Segen und Fleiß zusammen. Der neue König wird nicht
geachtet; jedermann sieht ihn als nicht existirend an: bloß der römische
Hof gewinnt durch seine Schwachheit Stärke. Dieser Leopold, sagt der
Nuntius, hat vieles gethan als ein ungehorsamer Sohn, das durch den
Willen des heiligen Vaters und das Ansehen der Kirche ^ipso jure^ null
ist. Du kannst denken, wie stark man sich am Vatikan fühlen und wie
schwach man die am Arno halten muß, daß man eine solche Sprache wagt.
Aber sie wissen, daß sie mit dem Herrn in Paris zusammengehen; das
erklärt und rechtfertigt vielleicht ihre Kühnheit. Die größte Anzahl
seufzt hier nach der alten Regierung; Neuerungssüchtige hoffen auf
Verbindung mit den Herren jenseits des Berges, oder gar mit den
Franzosen; die jetzige Regierung hat den kleinsten Anhang. Der König ist
nicht gemacht, ihn zu vergrößern: das hat man sehr wohl gewußt, sonst
hätte man ihn nicht zum Schattenspiel brauchen können. In der Stadt
läuft die Anekdote sehr laut herum, daß er in seinem Privattheater den
Balordo vortrefflich macht, und niemand wundert sich darüber.

Es wurde hier über Meyers Nachrichten von Bonapartes Privatleben
gesprochen; und Leclerc, der ihn doch wohl etwas näher kennen muß, soll
darüber ganz eigene Berichtigungen gemacht haben. Die Feinheit der
Kardinäle zeigte sich vorzüglich in der Papstwahl. Pius der Siebente
war, als Bischof von Imola, Bonapartes Gastfreund gewesen; auf diesen
Umstand und den individuellen Charakter des korsischen Beherrschers der
Franzosen ließ sich schon etwas bauen. Du siehst, es ist gegangen.
Vielleicht halfen die Rothhüte dem Korsen erst deutlich sein System
entwickeln. In Imola kann man gut Maskerade spielen. Der Papst und seine
Gesellen vergessen das Gebot des heiligen Anchises noch nicht, das er
seinem frommen Sohne beim Abschied aus der Hölle gab; und wo ein Mittel
nicht hilft, hilft das andere. In eine eigene Verlegenheit kamen
indessen die Herren mit der Madonna von Loretto, welche bekanntlich die
Franzosen mit sich genommen hatten. Ein Mönch kommt nach ihrer
Entfernung und sagt: Das habe ich gefürchtet, daß sie das heilige
Wunderbild wegführen würden: deßwegen habe ichs verborgen und ein
anderes dafür hingestellt: hier ist das ächte. Dieses wird nun den
Gläubigen zur Verehrung hingesetzt, ohne daß man in Rom sogleich etwas
davon erfährt. -- Ich habe es in Loretto selbst gesehen, mich aber um
die Aechtheit des einen und des andern wenig bekümmert. -- Nun
unterhandelt man in Rom über das Pariser, und die Franzosen schicken es
mit Reue zurück. Es kommt in Rom an, wo es noch stehen soll. Nun fragt
sich, welches ist das ächte? Eins ist so schlecht wie das andere, und
beide thun natürlich Wunder in die Wette!

Von den hiesigen Merkwürdigkeiten ist das Beste in Palermo: die
Mediceerin, die Familie der Niobe und die besten Bilder; wenigstens hat
man mich in dem leeren Saale so berichtet: doch hat die Gallerie immer
noch sehr interessante Sachen, vorzüglich für die Deutschen. Mit der
Mediceischen Venus ist es mir sonderbar genug gegangen. Ich wünschte
vorzüglich auf meiner Pilgerschaft das Wunderbild zu sehen, und es ist
mir nicht gelungen. In Palermo habe ich mit Sterzinger in dem nämlichen
Hause gegessen, wo oben die Schätze unter Schloß und Siegel und Wache
standen. Sie waren durchaus nicht zu sehen. Der Inspektor von Florenz,
der mit in Palermo war, hatte Hoffnung gemacht, ehe alles wieder
zurückginge, würde er die Stücke zeigen. In Rom und Neapel wußte man
öffentlich gar nicht recht, wo sie waren: denn man hatte absichtlich
ausgesprengt, das Schiff, welches alles aus Livorno nach Portici und
weiter nach Palermo schaffen sollte, sei zu Grunde gegangen, um die
Aufmerksamkeit der Franzosen abzuziehen. Es steht aber zu befürchten,
sie werden eine gute Nase haben, und sich die Dame mit ihrer
Gesellschaft nachholen. So viel ich Abgüsse davon gesehen habe, keiner
hat mich befriedigt. Sie ist, nach meiner Meinung, wohl keine himmlische
Venus, sondern ein gewöhnliches Menschenwesen, das die Begierden
vielleicht mehr reizen, als beschwichtigen kann. Mir kommt es vor, ein
Künstler hat seine schöne Geliebte zu einer Anadyomene gemacht; das Werk
ist ihm ungewöhnlich gelungen: das ist das Ganze. Ueber die Stellung
sind alle Künstler, welche Erfahrung haben, einig, daß es die
gewöhnlichste ist, in welche sich die Weiblichkeit setzt, sobald das
letzte Stückchen Gewand fällt, ohne je etwas von der Kunst gehört zu
haben. Ich selbst hatte einst ein eigenes ganz naives Beispiel davon,
das ich Dir ganz schlicht erzählen will. Der russische Hauptmann Graf
Desessarts -- Gott tröste seine Seele! er ist, wie ich höre, an dem
Versuche in Quiberon gestorben, den ich ihm nicht gerathen habe -- er
und ich, wir gingen einst in Warschau in ein Bad an der Weichsel. Dort
fanden sich, wie es zu gehen pflegt, gefällige Mädchen ein, und eine
junge, allerliebste, niedliche Sünderin von ungefähr sechszehn Jahren
brachte uns den Thee, um wahrscheinlich auch gelegentlich zu sehen, ob
Geschäfte zu machen wären. Wir waren beide etwas zu ernsthaft. »Das arme
artige Geschöpfchen dauert mich,« sagte der Graf; aber der Franzose
konnte doch seinen Charakter nicht ganz verläugnen. »^Je voudrois
pourtant la voir tout entière^,« sagte er, und machte ihr den Vorschlag
und bot viel dafür. Das Mädchen war verlegen und bekannte, daß sie für
einen Dukaten in der letzten Instanz gefällig seyn würde; aber zur Schau
wollte sie sich nicht verstehen. Mein Kamerad verstand seine Logik,
brachte mit feiner Schmeichelei ihre Eitelkeit ins Spiel, und sie gab
endlich für die doppelte Summe mit einigem Widerwillen ihr Modell.
Sobald die letzte Falte fiel, warf sie sich in die nämliche Stellung.
»^Voilà la coquine de Medicis!^« sagte der Graf. Es war ein gemeines
polnisches Mädchen mit den Geschenken der Natur, die für ihren
Hetärensold sich nur etwas reizend gekleidet hatte; eine Wissenschaft,
in der die Polinnen vielleicht den Pariserinnen noch Unterricht geben
könnten! Allemal ist mir bei einem Bilde der Aphrodite Medicis die Polin
eingefallen und meine Konjektur kam zurück: und mancher Künstler war
nicht übel Willens meiner Meinung beizutreten. Urania könnte in der
Glorie ihrer hohen siegenden Unschuld keinen Gedanken an die bedeckten
Kleinigkeiten haben, die nur ein Satyr bemerken könnte. Ihr Postament
war jetzt hier leer.

Es ist vielleicht doch auch jetzt noch keine unnütze Frage, ob Moralität
und reiner Geschmack nicht leiden durch die Aufstellung des ganz Nackten
an öffentlichen Orten. Der Künstler mag es zu seiner Vollendung
brauchen, muß es brauchen: aber mir däucht, daß Sokrates sodann seine
Grazien mit Recht bekleidete. Kabinette und Museen sind in dieser
Rücksicht keine öffentlichen Orte; denn es geht nur hin, wer Beruf hat
und wer sich schon etwas über das Gewöhnliche hebt. Sonst bin ich dem
Nackten in Gärten und auf Spaziergängen eben nicht hold, ob mir gleich
die Feigenblätter noch weniger gefallen. Empörend aber ist es für
Geschmack und Feinheit des Gefühls, wenn man in unserm Vaterlande in der
schönsten Gegend das häßlichste Bild der Aphrodite Pandemos mit den
häßlichsten Attributen zuweilen aufgestellt sieht. Das heißt die
Sittenlosigkeit auf der Straße predigen; und bloß ein tiefes Gefühl für
Freiheit und Gerechtigkeit hat mich gehindert, die schändlichen
Ausgeburten zu zertrümmern, oder in die Tiefe des nahen Flusses zu
stürzen.

Auf der Ambrosischen Bibliothek zu studiren hatte ich nicht Zeit. Die
Philologen müssen in die Bibliothek des Grafen Riccardi gehen, wo sie
für ihr Fach die besten Schätze finden. Mir war es jetzt wichtiger, in
der Kirche Santa Croce die Monumente einiger großen Männer aufzusuchen,
die sich zu Bürgern des ganzen Menschengeschlechts gemacht haben. Rechts
ist vorn das Grabmal Buonarottis, und weiter hinunter auf der nämlichen
Seite Machiavellis, und links der Denkstein Galileis. Es verwahrt wohl
kaum ein Plätzchen der Erde die Asche so vortrefflicher Männer nahe
beisammen.

Für den Antiquar und den Gelehrten ist von unserer Nation jetzt in
Florenz noch ein wichtiger Mann, der preußische Geheimerath, Baron von
Schellersheim, ein Mann von offenem, rechtlichem Charakter und vielen
feinen Kenntnissen, dem sein Vermögen erlaubt, seiner Neigung für Kunst
und Wissenschaft mehr zu opfern, als ein anderer. Er besitzt vielleicht
mehr antike Schätze, als irgend ein anderer Privatmann. Was ich bei ihm
gesehen habe, war vorzüglich eine komplette alte, römische Toilette von
Silber; ein großes, altes, silbernes, ziemlich kubisches Gefäß, welches
ein Hochzeitsgeschenk gewesen zu seyn und Hochzeitsgeschenke enthalten
zu haben scheint. Auf den vier Seiten sind von der ersten Bewerbung bis
zur Nachhauseführung die Scenen der römischen Hochzeitgebräuche
abgebildet. Dieses ist vielleicht das größte silberne Monument der alten
Kunst, das man noch hat. Ferner hat er vier silberne Sinnbilder der vier
Hauptstädte des römischen Reichs, Rom, Byzanz, Antiochia und Alexandria,
welche die Konsuln, oder vielleicht auch die andern kurulischen
Magistraturen, an den Enden der Stangen ihrer Tragsessel führten. Diese
müssen, der Geschichte nach, etwas neuer seyn. Weiter besitzt er einige
alte komplette silberne Pferdegeschirre mit Stirnstücken und
Bruststücken. Aber das Wichtigste sind seine geschnittenen Steine, unter
welchen sich mehrere von seltenem Werth finden, und seine römischen
Goldmünzen; mehrere konsularische von Pompejus an, und fast die ganze
Folge der Kaisermünzen von Julius Cäsar bis Augustulus. Hier fehlen nur
wenige wichtige Stücke. Du siehst, daß dieses eine Liebhaberei nicht für
Jedermann ist. Ich schreibe Dir dieses etwas umständlicher, weil es Dich
vielleicht interessirt und Du es noch nicht in den Büchern findest: denn
seine Sammlung ist noch nicht alt, und sie konnte nur in den
Verhältnissen des Besitzers so bald, so reich gemacht werden.

Die schönen Gegenden um Florenz zwischen den Bergen an dem Flusse auf
und ab sind bekannt genug, und Du erwartest gewiß nicht, daß ich als
Spaziergänger Dir alle die andern Merkwürdigkeiten aufführe. Das hiesige
Militär kam mir traurig vor; schöne Leute, aber ohne Wendung und
Geschicklichkeit! Zum Abschiede sah ich den Morgen noch die amalfischen
Pandekten; und die Franzosen haben sich etwas bei mir in Kredit gesetzt,
daß sie diesen Kodex nicht genommen haben; und gegen Abend wohnte ich
auf dem alten Schlosse noch einer Akademie der Georgophilen bei. Hier
hielt man eine Vorlesung über die vortheilhafteste Mischung der Erdarten
zur besten Vegetation, und sodann las einer der Herren eine Einleitung
zu einem chemisch physischen System. Zum Ende zeigte man einige seltene
neue Naturprodukte. Neben meinem Zimmer im Bären wohnte eine
französische Familie, nur durch eine dünne Wand getrennt; diese betete
den Abend über eine ganze Stunde ununterbrochen so inbrünstig und laut,
daß mir über der Andacht bange ward. Seit Ostern ist, wie ich höre,
überall das Religionswesen wieder Mode; und in Frankreich scheint Alles
durchaus nur als Mode behandelt zu werden.

Nach Bologna hatte ich mich über den Berg wieder an einen Vetturino
verdungen, und fand im Wagen einen französischen Chirurgus, der von der
Armee aus Unteritalien kam, und eine italienische Dame mit ihrem kleinen
Sohn auf dem Schooße; und endlich kam noch ein schweizerischer
Kriegskommissär mit einem furchtbar großen Säbel, der in
Handelsgeschäften seines Hauses gereis't war. Die Dame, eine Frau von
Rosenthal, deren Mann östreichischer Officier war, ging allein mit ihrem
Kinde, einem schönen sehr lieblichen Knaben von ungefähr anderthalb
Jahr, nach Venedig, um dort ihren Mann zu erwarten, der in Livorno und
anderwärts noch Dienstgeschäfte hatte. Da der Junge ein überkomplettes
Persönchen im Wagen und doch so allerliebst war, machte er die Ronde von
der Mutter zu uns allen. Die Gesellschaft lachte über meine grämliche
Personalität mit dem Kleinen auf dem Arm, und ich kam mir wirklich
selbst vor, wie der Silen im Kabinet Borghese mit dem jungen Bacchus. Du
siehst, daß ich mir gehörige Ehre wiederfahren zu lassen weiß. Die
Leutchen mußten das Nämliche meinen; denn die Gruppirung fand Beifall,
und der Junge war gern bei mir.

Der Berg von Florenz aus ist ein wahrer Garten bis fast auf die größte
Höhe. Du kannst denken, daß ich viel zu Fuße ging; der Franzose leistete
mir dann zuweilen Gesellschaft. Der Schweizer mit dem großen Säbel kam
selten aus dem Wagen. Etwas unheimisch machen es oben auf dem Bergrücken
die vielen Kreuze, welche bedeuten, daß man hier jemand todt geschlagen
hat, weil man gewöhnlich auf die Gräber Kreuze setzt. Die Römer sind in
diesem Falle etwas weniger fromm und politischer, und setzen nichts
darauf; denn sonst würde der ganze Weg bei ihnen eine Allee von Kreuzen
seyn. Ich muß Dir bekennen, daß ich von dem Kreuze gar nicht viel halte.
Warum nimmt man nicht etwas Besseres aus der Bibel? Das Emblem scheint
von der geistlichen und weltlichen Despotie in Gemeinschaft erfunden zu
seyn, und alles kühne Emporstreben der Menschennatur zur knechtischen
Geduld niederzudrücken, und diese subalterne Tugend zur höchsten
Vollkommenheit der Moral zu erheben. Wozu braucht man Gerechtigkeit,
Großmuth und Standhaftigkeit? Man predigt Geduld und Demuth. Demuth ist
nach der Etymologie Muth zu dienen, und die zweideutigste aller
Tugenden. In der alten griechischen und römischen Moral findet man diese
Tugenden nicht; und die Einführung ist eben kein Vorzug der
christlichen. Sie kann nur im Evangelium der Despoten stehen, welche sie
aber für sich selbst doch sehr entbehrlich finden. Es ist freilich auch
philosophisch besser, Unrecht leiden, als Unrecht thun; aber es gibt ein
Drittes, das vernünftiger und edler ist als beides: mit Muth und Kraft
verhindern, daß durchaus kein Unrecht geschehe. In unserm lieben
Vaterlande hat man das Kreuz zwar meistens weggenommen, aber dafür den
Galgen hingesetzt. So schlecht auch dieser ist, kommt er mir doch etwas
besser vor. Das Kreuz verhält sich zum Galgen, wie die Mönche zu den
Soldaten: die ersten sind die Instrumente und die zweiten die Handlanger
der geistlichen und weltlichen Despotie; die permanente Guillotine der
Vernunft. Christus hat gewiß seiner Religion keinen so jämmerlichen
Anstrich geben wollen, als sie nachher durch ihre unglücklichen Bonzen
bekommen hat. Freilich, wenn man den Gekreuzigten nicht an allen
Feldwegen zeigte, könnte es doch wohl der Menge einfallen, ihre
Unbefugnisse etwas näher zu untersuchen, und zu finden, daß keine
Konsequenz darin ist, sich durch den Druck des Feudalsystems und durch
das Privilegienwesen ohne Aufhören kreuzigen zu lassen. Berechnet ist es
ziemlich gut, wenn es nur gut wäre.

Bei Pietramala sah ich oben den zweideutigen Vulkan nicht, weil er zu
weit rechts hinüber in den Felsen lag, und der Wagen nicht anhalten
wollte. Nun hatten wir von den Oelbäumen Abschied genommen; auf dieser
Seite des Apennins sind sie nicht mehr zu finden. Auf der Südseite sind
Oelbäume, auf der Nordseite nach Bologna herüber Kastanien. Man kommt
nun wieder dem lieben Vaterlande näher; alles gewinnt diesseits des
Berges schon eine etwas mehr nördliche Gestalt. Mein alter gelehrter
Cicerone in Bologna hatte eine große Freude, mich glücklich wieder zu
sehen; und ich lief mit ihm so viel herum, als man in zwei Tagen laufen
konnte. Aber der Schweizer Kriegskommissär führte mich mehr in die
Kaffeehäuser, als in die Museen. Ein polnischer Hauptmann von der
Legion, der, wie ich in Mailand fand, eigentlich nur Fähnrich war, und
sich selbst einige Grade avancirt und hier geheirathet hatte, schloß
sich geflissentlich an uns an, und freute sich, mit Deutschen deutsch zu
plaudern: denn er war lange kaiserlicher Unterofficier gewesen. Der
Mensch sagte, er sei in seinem Leben kein Republikaner gewesen -- das
ließ sich von einem polnischen Edelmanne sehr leicht denken -- und er
sei nun froh, daß die H--e von Freiheit nach und nach wieder abgeschafft
werde. Man hatte eben das Wappen über dem Generalzollhause geändert, und
anstatt der Freiheit die Gerechtigkeit hingesetzt, welches eigentlich
Eins ist. Die wahre Freiheit ist nichts anders als Gerechtigkeit: nur
behüte uns der Himmel vor Freiheiten und Gerechtigkeiten! Sodann erhob
er die Tapferkeit und die Kriegszucht der Polen, von der ich selbst
Beweise hatte, und an welcher ich also nicht zweifelte.

Von allen Merkwürdigkeiten, die ich in Bologna noch zu sehen genöthigt
war, will ich Dir nur die Gallerie Sampieri erwähnen. Sie ist nicht
groß, aber köstlich. Die Plafonds sind von den drei Caracci, Hannibal,
Ludwig und August, und könnten mit Ehren in Rom unter den besten stehen.
Das schönste Stück der Sammlung, und nach Einigen die beste Arbeit von
Guido Reni, ist der reuige Petrus. Die Kunst mag allerdings dieses
Urtheil der Kenner rechtfertigen; aber mich hat weit mehr beschäftigt
die Hagar von Guercino. Dieser Künstler hat den Mythus gefaßt, wie
Rechtlichkeit und Humanität es fordern, nicht wie die leichtgläubige
Frömmigkeit ihn herbetet. Hagar ist ein schönes, herrliches, Ehrfurcht
gebietendes Weib, das in dem Gefühl seines Werths dasteht; der Vater der
Gläubigen ist ein jämmerlicher Sünder unter dem Scepter seiner
Ehehälfte, und diese kann halb versteckt ihre kleine, boshafte,
neidische Seele kaum verbergen. Nur dem Knaben Ismael wäre vielleicht
jetzt schon etwas mehr von dem kühnen Trotze zu wünschen, der ihn in der
Folge so vortheilhaft auszeichnete. Es kann mit der Volksbildung nicht
wohl weiter gedeihen, so lange man noch dieses Buch als göttliche Norm
der Moral aufdringt, und jedes Jota desselben mit Theopnevstie stempelt.
Es enthält so vielen schiefen Sinn, so viele Unsittlichkeiten in
Beispielen und Vorschriften, daß ich oft mit vieler Ueberlegung zu sagen
pflege, der Himmel möge mich vor Davids Frömmigkeit und Salomons
Weisheit behüten. Man windet sich aus Betrachtungen hierüber eben so
schlecht, wie bei der Vergebung der Sünden. Wenn man das Ganze als ein
Gewebe menschlicher Thorheiten und Tugenden, als einen Kampf der
erwachenden Vernunft mit den despotischen und hierarchischen Kniffen
nähme, so wäre das Gemälde unterhaltend genug, und als das älteste
Dokument der Menschenkunde heilig: aber wozu dieses dem Volke, das davon
nichts brauchen kann? Das Papstthum hat vielleicht keinen glücklichern
Einfall gehabt, als dem Volke dieses Buch zu entziehen; wenn man ihm nur
etwas reineres und besseres dafür gegeben hätte. Die Legenden der
Heiligen aber und die Ausgeburten des Aberglaubens aus dem Mittelalter
sind freilich noch viel schlimmer. Was den ersten heiligen Geboten der
Vernunft widerspricht, das kann kein heiliger Geist als Wahrheit
stempeln.

Von Bologna aus nahm ich meinen Tornister wieder auf die Schulter und
pilgerte durch die große schöne Ebene herüber nach Mailand. In Modena
gefiel mir's sehr wohl, ohne daß ich den erbeuteten Eimer sah. Die Stadt
ist reinlich und lebendig und lachend; die Wirthshäuser und Kaffeehäuser
sind gut und billig. Ein ganzes Dutzend Tambours schlugen den
Zapfenstreich durch die ganze Stadt, ohne daß ein einziges Bajonett
dabei gewesen wäre. In der neuen Republik ist man wenigstens überall
sicher; die Polizei ist ordentlich und wachsam, und alles bekommt ein
rechtliches Ansehen. Massena, der hier kommandirte, ergriff eine
herrliche Methode Sicherheit zu schaffen. Einige Schweizer Kaufleute
waren in der Gegend geplündert worden; der General hieß sie arretiren
und die Sache strenge untersuchen; die Angabe war richtig. Nun wurden
die Gemeinheiten, in deren Bezirke die Schurkerei geschehen war,
gezwungen das Geld zu ersetzen, und man ließ die Fremden ziehen. Ich
finde darin, wenn es durchaus mit Strenge und Genauigkeit geschieht,
keine Ungerechtigkeit. Wenn man die Räuber hübsch ordentlich henkte und
eine Kasse zur Wiedererstattung, wie die Brandkasse, anlegte, das würde
die öffentliche Sicherheit recht sehr befördern.

In Reggio lag ein polnisches Bataillon, und ein Unterofficier desselben,
der am Thore die Wache hatte und ein Anspacher war, freute sich höchlich
wieder einen preußischen Paß zu sehen, den ich mir von dem preußischen
Residenten in Rom hatte geben lassen, weil ich ihn mit Recht zu meiner
Absicht für den besten hielt.

Nun wollte ich den Abend in Parma bleiben und einen oder zwei Tage dort
ausruhen und Bodoni sehen, an den ich Briefe von Rom hatte. Aber höre,
wie schnurrig ich um das Vergnügen gebracht wurde! Am Thore wurde ich
den achten Juni mit vieler Aengstlichkeit examinirt und sodann mit einem
Gefreiten nach der Hauptwache geschickt. Ich kannte die Bocksbeutelei,
ob sie mir gleich auf meiner Wanderung hier zum ersten Mal begegnete.
Unterwegs freuete ich mich über die gutaussehenden Kaffeehäuser und saß
schon im Geist bei einer Schaale Eis: denn ich hatte einen warmen Marsch
gehabt. Die Parmesaner saßen gemüthlich dort und schienen viel Bonhommie
zu präsentiren; nur hier und da zeigte sich ein breites aufgedunsenes
Gesicht, wie ihr Käse. Auf der Hauptwache las der Officier meinen Paß,
rief einen andern Gefreiten und befahl ihm, mit mir zu gehen. Ich
glaubte, ich sollte zu dem Kommandanten gebracht werden, und hoffte
schon auf eine ähnliche Bewirthung, wie in Augusta in Sicilien. Aber der
Zug dauerte mir sehr lange; ich fragte und erfuhr nun, ich müßte zum
Thore hinaus: ich dürfte nicht in der Stadt wohnen. Es war mir gleich
aufs Herz gefallen, als ich auf dem Markte die Grenadire so schön
gepudert sah. Die Kerle trugen hinten Haarwülste, so groß wie das
Kattegat. Ich forderte, man sollte mich zum Kommandanten bringen. »^Ma,
mio caro, non posso mica^;« sagte mein Begleiter. Ich drang darauf.
»^Ma, mio caro, non sapete il servizio; questo non posso mica.^« Ich
alter Kriegsknecht mußte mir die Sottise gefallen lassen. Warum hatte
ich mich vergessen? Der Mensch hatte Recht. Wir kamen ans Thor, und ich
fragte den Officier, indem ich ihm meinen Paß wies, ob das eine humane
Art wäre, einen ehrlichen Mann zu behandeln. Er sah mich an, sagte mir
höfliche Worte und berief sich auf Befehl. Ich verlangte noch einmal,
zum Kommandanten gebracht zu werden; ich wollte hier bleiben, ich hätte
Geschäfte. Er zuckte die Schultern; ein alter Sergeant, der ein etwas
liberaleres Antlitz hatte, meinte, man könnte mich doch hinschicken; der
Officier war unschlüssig: »^Ma, mio caro, non possiamo mica^,« sagte der
Gefreite von der Hauptwache, der noch dabei stand. Der Officier sagte
mir, er könne mir jetzt nicht helfen; ich könne morgen wieder
hereinkommen und dann thun was ich wolle. Jetzt ging ich trotzig den Weg
zum Thore hinaus. Der Gefreite hätte keine bessere Charakteristik von
Parma und den Parmesanern geben können: »^Ma, mio caro, non possono
mica.^« Aergerlich und halb lachend ging ich in ein Wirthshaus eine gute
Strecke vor dem Thore. Das nenne ich mir eine aufmerksame, besorgliche
Polizei! Ich hatte mir in Reggio den Bart machen lassen, ein reines,
feines Hemd angezogen, mich geputzt und gebürstet. Ihre problematischen
Landsleute zwischen Alicate und Terra Nuova, und ihre nicht
problematischen Landsleute zwischen Gensano und Aricia hatten mir zwar
bei ihrer braven Visitation einige Schismen in Rock und Weste gebracht;
aber dessen ungeachtet hatte man noch in Bologna in guter Gesellschaft
meinen Aufzug für sehr polito erklärt. Ich zog bei dem Officier einige
Mal meine goldne Uhr und erbot mich zehn Louisd'or Kaution zu machen,
und im Passe war ich stattlich mit Signor betitelt: nichts, man
gestattete mir kein Quartir in der Stadt. Und nun denkst Du, daß ich den
andern Morgen hineinging und mich des fernen erkundigte? Das ließ ich
hübsch bleiben. Wenn ich im Himmel abgewiesen werde, komme ich nicht
wieder: diese Ehre erhalten die Parmesaner nicht. Ich aß gut und schlief
gut, und schlug den andern Morgen den Weg nach Piacenza ein. Man merkte
sogleich, daß die Leute hier in Parma noch orthodox und nicht von der
Ketzerei ihrer Nachbarn angesteckt sind; denn ich sah hier weder viele
Dolche und Schießgewehre, wie bei den Italienern jenseits der Berge. Die
Nachtigallen sangen folgenden Morgen so herrlich und so schmetternd, und
ich wunderte mich, wie sie in der Nähe eines so konfiscirten Orts noch
einen Ton anschlagen könnten. Aber sie schlugen fort, und endlich vergaß
ich das Eis, den Käse, Bodoni und Mica, und wandelte auf den Po zu. Ich
hatte in Rom ein herrliches Gemälde von dem Uebergange über den Fluß aus
dem letzten Kriege gesehen: der Künstler war hier gewesen und hatte nach
der Natur gearbeitet und ein Meisterstück der Perspektive gemacht. Jetzt
suchte ich mich zu orientiren. Der Ort ist sehr leer und öde, aber der
Fluß macht schöne Partien.

In Lodi aß ich wohl ruhiger zu Mittage, als Bonaparte, wenn ich mir
gleich nicht so viel Ruf erwarb, und konnte gemächlich den Posten
besehen, wo man geschlagen hatte. Unter andern guten Sachen traf ich
hier die schönsten Kirschen, die ich vielleicht je gegessen habe. Wenn
gleich das alte Laus Pompeji nicht gerade hier lag, so ist doch wohl der
Name daraus gemacht und der Ort daraus entstanden: wenigstens wird das
hier auf einem Marmor am Rathhause behauptet. Die Männer von Lodi müssen
ein sinnreiches Geschlecht seyn; das sah man an ihren Schildern. Unter
andern hatte ein Schuhmacher auf dem seinigen einen Genius, der sehr
geistreich das Maaß nahm.

Hier in Mailand verlasse ich nun Hesperien ganz, und bin schon längst
nicht mehr im Lande, wo die Zitronen blühn. In Rom sagte man, daß das
Erdbeben vorigen Monat den Dom von Mailand sehr beschädigt habe; es ist
aber kein Stein heruntergeworfen worden. Dieses gothische Gebäude
streitet vielleicht mit dem Münster in Straßburg um den Vorzug, ob es
gleich nicht vollendet ist, und es nun vielleicht auch nie werden wird.
In der Kapitale der italischen Republik geht alles nach gallischen
Gesetzen; und hier und dort, wie Du weißt, alles nach dem Willen des
korsischen Avtokrators. Wenn es nur gut ginge, wäre vielleicht nicht
viel dawider zu sagen. Man scheint hier der goldenen Freiheit nicht
durchaus außerordentlich hold zu seyn. Einer meiner Bekannten begleitete
mich etwas durch die Stadt und unter andern auch in die Kathedrale.
Hinter der kunstreichen Krypte des heiligen Borromeo steht in einer
Nische der geschundene heilige Bartolomeo, mit der Haut auf den
Schultern hangend. Er gilt für eine gräßlich schöne Anatomie. Der
Italiener stand und betrachtete ihn einige Minuten: »das sind _wir_,«
sagte er endlich; »die Augen hat man uns gelassen, damit wir unser Elend
sehen können.« Die Franzosen machen eine schöne Parade vor dem Pallast
der Republik; nur wird es mir schwer, die allgewaltigen Sieger in ihnen
zu erkennen, vor denen Europa gezittert hat. Das alte weitläuftige
Schloß vor der Stadt wird sehr verengt und vor demselben der Platz
Bonaparte gemacht: jetzt ist dort noch alles wüste und leer.

Vor allen Dingen besuchte ich noch das berühmte Abendmahlsgemälde von
Leonardo da Vinci in dem Kloster der heiligen Maria. Das Kloster ist
jetzt leer, und das Refektorium, wo das Gemälde an der Wand ist, war
während der Revolution, wie man sagt, einige Zeit sogar ein Pferdestall.
Das Stück ist einige Mal restaurirt. Volpato hat es zuletzt gezeichnet
und Morghen gestochen, und wahrscheinlich ist der Stich, der für ein
Meisterstück der Kunst gilt, auch bei euch schon zu haben: Du magst ihn
also sehen und urtheilen. Ich sah ihn in Rom zum ersten Mal. Auch in dem
verfallenen Zustande ist mir das Original noch weit lieber, als der
Stich, so schön auch dieser ist. Volpato ist vielleicht etwas
willkührlich bei der Kopirung zu Werke gegangen, da das Stück dem
gänzlichen Verfalle sehr nahe ist. Wir sind indessen dem Künstler Dank
schuldig für die Rettung. Ich sage nichts von dem schönen Charakter der
übrigen Jünger; mit vorzüglich feinem Urtheil hat der Maler den
Säckelmeister Judas Ischariot behandelt, damit er die ehrwürdige
Gesellschaft nicht durch zu grellen Kontrast schände. Auch der Geist des
Mannes ist nicht verfehlt. Er sitzt da, wie ein kühner, tiefsinniger,
mit sich selbst nicht ganz unzufriedener Finanzminister, der einen
großen Streich wagt; er rechnete für die Gesellschaft, nicht für sich.
Auch psychologisch ist Ischariot noch kein Bösewicht; nur ein
Unbesonnener. Ein Bösewicht hätte sich nachher nicht getödtet. Er
glaubte, der Prophet würde sich mit Ehre retten. Ich möchte freilich
nicht Judas seyn und meinen Freund auf diese Weise in Gefahr setzen;
aber vielleicht eben nur darum nicht, weil ich nicht so viel Glauben
habe, als er. -- Jetzt muß man auf einer Leiter hinuntersteigen in den
Saal, der untere Eingang ist vermauert: und nun leidet das Stück durch
feuchte, dumpfe Luft vielleicht eben so sehr, als vorher durch andere
üble Behandlung.

Hier sah ich seit der heiligen Cecilie in Palermo wieder das erste
Theater. In Neapel brachte mich Januar darum, weil acht Tage vor und
acht Tage nach seinem Feste kein Theater geöffnet wird. Ohne Spiel
wollte ich auch das Karlstheater nicht sehen. In Rom machten mir meine
Freunde eine so schlimme Schilderung von dem dortigen Theaterwesen, daß
ich gar nicht Lust bekam, eins zu suchen. Man sagt, das Haus sei hier
eben so groß, als das große in Neapel. Der Gesang war nicht
ausgezeichnet, und für das große Haus zu schwach. Man erzählte mir hier
eine Anekdote von Demoiselle Strinasacchi, die jetzt in Paris ist. Ich
gebe sie Dir, wie ich sie hörte: sie ist mir wahrscheinlich, weil uns
etwas Aehnliches mit ihr in Leipzig begegnete, nur daß weder unser
Mißfallen, noch unser Enthusiasmus so weit ging, als die italienische
Lebhaftigkeit. Die Natur hat ihr nicht die Annehmlichkeiten der Person
auf dem Theater gegeben. Bei ihrer ersten Erscheinung erschrak hier das
ganze Haus so sehr vor ihrer Gestalt und gerieth so in Unwillen, daß man
sie durchaus nicht wollte singen lassen. Der Direktor mußte erscheinen
und es sich als eine große Gefälligkeit für sich selbst erbitten, daß
man ihr nur eine einzige Scene erlaubte, dann möchte man verurtheilen,
wenn man wollte. Die Wirkung war vorauszusehen; man war beschämt und
ging nun in einen rauschenden Enthusiasmus über: und nach Endigung des
Stücks spannte man die Pferde vom Wagen und fuhr die Sängerin durch
einen großen Theil der Stadt nach Hause. Es wäre eine psychologisch
nicht unwichtige Frage, das aufrichtige Bekenntniß der Weiber zu hören,
ob sie das Zweite für das Erste erkaufen wollten. Die Heldin selbst hat
keine Stimme mehr über die Sache.

Das Ballet war schottisch und sehr militärisch. Man arbeitete mit einer
großen Menge Gewehr und sogar mit Kanonen: und das Ganze machte sich auf
dem großen Raume sehr gut. Der Charaktertanz war aber mangelhaft,
vorzüglich bei der Mutter. Man hatte gute Springer, aber keine Tänzer;
ein gewöhnlicher Fehler, wo das Ganze nicht mit Einer Seele arbeitet!
Ich habe nie wieder so gute Pantomime gesehen, als in Warschau aus der
Schule des Königs Poniatowsky. An ihm ist ein großer Balletmeister
verloren gegangen und ein schlechter König gewonnen worden.

In Rom hatte ich einige Höflichkeitsaufträge an den General Dombrowsky
erhalten, und er nahm mich mit vieler Freundlichkeit auf und lud mich
mit nordischer Gastfreiheit auf die ganze Zeit meines Hierseyns an
seinen Tisch. Hier fand ich mit ihm und andern von Polen aus Berührung.
Ich hatte ihn einige Mal in Suwarows Hauptquartire gesehen; und er hatte
von seinem ersten Dienst unser Vaterland Sachsen noch sehr lieb. Er ist
einer von den heutigen Generalen, die die meiste Wissenschaft ihres
Faches haben; und Du findest bei ihm Bücher und Charten, die Du
vielleicht an vielen andern Orten vergebens suchst. Er ist ein sehr
freier, strenger Beurtheiler militärischer Zeichnungen, fordert das
Wesentliche und bekümmert sich nicht um zierliche Kleinigkeiten. Er hat
eine schöne Sammlung guter Kupferstiche von den Köpfen großer Männer;
besonders ist darunter ein Gustav Adolph, der sehr alt und
charakteristisch ist, und auf den er viel hält. Eine Anekdote aus diesem
nur geendigten Kriege wird Dir vielleicht nicht unangenehm seyn.
Dombrowsky liebte Schillers dreißigjährigen Krieg und trug ihn in seinen
Feldzügen in der Tasche. Bei Trebbia oder Novi schlug eine Kugel gerade
auf den Ort, wo unten das Buch lag, und dadurch wurde ihm wahrscheinlich
das Leben gerettet. Ich habe das durchschlagene Exemplar selbst in Rom
gesehen, wo er es einem Freunde zum Andenken geschenkt hat, und die
Erzählung aus dem eigenen Munde des Generals. Er sagte mir lachend:
»Schiller hat mich gerettet, aber er ist vielleicht auch Schuld an der
Gefahr: denn die Kugel hat eine Unwahrheit herausgeschlagen. Es stand
dort: die Polen haben bei Lützen gefochten; das ist nicht wahr; es waren
Kroaten. Die Polen haben nie für Geld geschlagen; selbst jetzt schlugen
wir noch für unser Vaterland; ob es gleich nunmehr unwiderbringlich
verloren ist.« Das gab etwas Sichtung der vergangenen Politik. Ich
meinte, es wäre vorauszusehen gewesen, daß für Polen keine Rettung mehr
war. Die Franzosen würden sich in ihrer noch kritischen Lage nicht der
ganzen Wirkung der furchtbaren Tripleallianz bloßstellen, um ein
Zwitterding von Republik wieder zu etabliren, an deren Existenz sie nun
gar kein Interesse mehr hatten. Eifersucht zwischen den großen,
mächtigen Nachbarn ist wahrscheinlich und ihnen vortheilhaft. Wenn die
Polen noch unter einem einzigen Herrn wären, so ließe sich durch eben
diese Eifersucht noch Rettung denken. Das schienen sie vorher selbst zu
fühlen, und thaten, da die Katastrophe nun einmal herbeigeführt war,
hier und da etwas, um nur unter Einen Herrn zu kommen. Ich weiß selbst,
daß ich als russischer Officier in Posen vor der Hauptwache vor den
preußischen Kanonen von einem Dutzend junger Polen belagert wurde, die
mir's nahe an's Herz legten, daß doch die Kaiserin sie alle nehmen
möchte; sie sollte ihnen nur einige Bataillone Hülfe schicken, so
wollten sie die Preußen zurückschlagen. Sie brachten eine Menge
scheinbare Gründe, warum sie lieber russische Unterthanen zu seyn
wünschten; aber die wahren verbargen sie gewiß. Sie dachten unstreitig:
bleiben wir nur beisammen, so können wir durch irgend eine Konjunktur
bald wieder politische Existenz gewinnen. -- Der General fand die
Schlußfolge ziemlich bündig, sagte aber, ein Patriot dürfe und müsse
auch die letzte schwache Hoffnung für sein Vaterland versuchen. Das ist
brav und edel.

Die Polen haben hier noch ganz ihre alte Organisation und tragen ihre
alten Abzeichen, so daß man die alten Officiere noch für Sachsen halten
könnte. Der Mangel im Kriege muß in Italien zuweilen hoch gestiegen
seyn; denn es wurde erzählt, daß einmal die Portion des Soldaten auf
acht Kastanien und vier Frösche reducirt gewesen sei. Die Zufriedenheit
wird gegenseitig mit einer ganz eigenen Art militärisch drolliger
Vertraulichkeit geäußert. So sagten die Franzosen von den Polen: »^Ah,
ce sont de braves coquins; ils mangent comme les loups, boivent
diablement, et se battent comme les lions.^« Die polnischen Officiere
konnten den französischen Soldaten nicht Lob genug ertheilen über ihren
Muth, ihre Unverdrossenheit und ihren pünktlichen Gehorsam. Wo die
Franzosen nicht durchdrangen: waren gewiß alle Mal ihre Anführer Schuld
daran. Es wurde behauptet, daß das polnische Corps bei der letzten
Musterung noch 15000 Mann stark gewesen sei; und jetzt wird eben in
Livorno ein Theil davon nach Sankt Domingo eingeschifft. Es hat das
Ansehen, als ob Bonaparte alle Truppen, die ihm zu seinen Absichten in
Europa als etwas undienstlich vorkommen, auf diese gute kluge Weise
fortzuschaffen suche, welches man auch hier und da zu merken scheint.
Auch werden die Unruhen dort vielleicht geflissentlich nicht so schnell
gedämpft, als wohl sonst die französische Energie vermöchte.

Die freundliche Aufnahme des Generals hielt mich mehrere Tage länger
hier, als ich zu bleiben gesonnen war; und in den Mußestunden lese ich
mit viel Genuß Wielands Oberon, den mir ein Landsmann brachte. Die
ersten Tage hatte man mich im Wirthshause mit einem gewissen Mißtrauen
wie einen gewöhnlichen Tornisterträger behandelt; da ich aber täglich
zum General ging, feine Hemden in die Wäsche gab, artige Leute zum
Besuch auf meinem Zimmer empfing, und vorzüglich wohl, da ich einige
schwere Goldstücke wechseln ließ, ward das ganze Haus vom Prinzipal bis
zum letzten Stubenfeger ungewöhnlich artig. Noch muß ich Dir bemerken,
daß ich in Mailand von ganz Italien nach meinem Geschmack die schönsten
Weiber gefunden habe: auch den Corso in Rom nicht ausgenommen. Ich
urtheile nach den Promenaden, die hier sehr volkreich sind, und nach den
Schauspielen. Hier im Hause hatte ich nun vermuthlich, wie in Italien
oft, das Unglück, für einen reichen Sonderling zu gelten, den man nach
seiner Weise behandeln müsse. Ich mochte in Unteritalien und Sicilien
oft protestiren, so viel ich wollte, und meine Deutschheit behaupten, so
war ich ^Signor Inglese^ und ^Eccellenza^; und man machte die Rechnung
darnach. So etwas mochte man auch nach verjüngten Maßstabe in Mailand
denken. Die Industrie ist mancherlei. Ich saß an einem Sonntag Morgens
recht ruhig in meinem Zimmer, und las wirklich zufällig etwas in den
Libertinagen Katulls; da klopfte es und auf meinen Ruf trat ein Mädchen
ins Zimmer, das die sechste Bitte auch ohne Katull stark genug
dargestellt hätte. Die junge, schöne Sünderin schien ihre Erscheinung
mit den feinsten Hetärenkünsten berechnet zu haben. Ich will durch ihre
Beschreibung mein Verdienst weder als Stylist, noch als Philosoph zu
erhöhen suchen. »^Signore, comanda qualche cosa?^« fragte sie in
lieblich lispelndem Ton, indem sie die niedliche Hand an einem Körbchen
spielen ließ und Miene machte es zu öffnen. Ich sah sie etwas betroffen
an und brauchte einige Augenblicke, ehe ich etwas unschlüssig »^No^«
antwortete. »^Niente?^« fragte sie, und der Teufel muß ihr im Ton
Unterricht gegeben haben. Ich warf den Katull ins Fenster und war höchst
wahrscheinlich im Begriff, eine Sottise zu sagen, oder zu begehen, als
mir schnell die ernstere Philosophie still eine Ohrfeige gab.
»^Niente^,« brummte ich grämelnd, halb mit mir selbst im Zwist; und die
Versucherin nahm mit unbeschreiblicher Grazie Abschied. Wer weiß, ob ich
nicht das Körbchen etwas näher untersucht hätte, wenn die Teufelin zum
drittenmal mit der nämlichen Stimme gefragt hätte, ob gar nichts
gefiele. So war die Sache, mein Freund; und wäre sie anders gewesen, so
bin ich nicht so engbrüstig und könnte sie Dir anders, oder gar nicht
erzählt haben. Ich ging also nur leidlich mit mir selbst zufrieden zum
General.



                                                             _Zürich._


Nun bin ich bei den Helvetiern und fast wieder im deutschen Vaterlande,
und bereite mich, in einigen Tagen einen kleinen Abstecher zu den
Galliern zu machen. Viel Erbauliches wird nach allen Aspekten dort jetzt
füglich nicht zu sehen und zu hören seyn: indessen da ich einmal in
Bewegung bin, will ich doch an die Seine hinunterwandeln. Wenn ich
wieder fest sitze, möchte es etwas schwer halten.

Den vierzehnten Juni ging ich aus Mailand und ging diesen Tag herüber
nach Sesto am Ticino, den ich nicht für so beträchtlich gehalten hätte,
als ich ihn fand. In der Gegend von Mailand war schon eine Menge
Getreide geerntet und Alles war in voller Arbeit; und als ich über den
Berg herüberkam, fing das Korn nach Altdorf herunter eben erst an zu
schossen: das ist merklicher Kontrast. Die größte Wohlthat war mir nun
wieder das schöne Wasser, das ich überall fand. Von Mailand hatte ich
die beschneiten Alpen mit Vergnügen gesehen und nun nahte ich mich ihnen
mit jedem Schritte, und kam bald selbst hinein. Von Sesto aus fuhr ich
auf dem Tessino und dem Lago maggiore herauf, bloß um die schöne Gegend
zu genießen, die wirklich herrlich ist. Ich kam aus Unteritalien und
Sicilien, und gab mir also keine große Mühe, die Borromeischen Inseln in
der Nähe zu sehen, da mein Schiffer mir sagte, es würde mich einen Tag
mehr und also wohl zwei Dukaten mehr kosten. Ich sah also bei Varone
links an der Anhöhe den gigantischen heiligen Karl Borromeo aus der
Ferne, und fuhr dann sowohl bei der schönen Insel, als bei der
Mutterinsel vorbei. Man hätte mir höchst wahrscheinlich dort nur
Orangengärten gezeigt, die ich in Unteritalien besser gesehen habe, und
hätte mir gesagt, hier hat Joseph, hier Maria Theresia und hier
Bonaparte geschlafen. Das wäre mir denn zusammen kaum so wichtig
gewesen, als da mich der Kastellan von dem Schlosse zu Weißenfels
belehrte, hier in diesem Bette schlief Friedrich der Zweite nach der
Schlacht bei Roßbach. Die Fruchtbarkeit an dem See ist hier zuweilen
außerordentlich groß, und wo die Gegend von den rauheren Winden
geschützt wird, findet man hier Früchte, die man in der ganzen Lombardei
umsonst sucht. Man sieht noch recht schöne Oelbäume, die man diesseits
der Apenninen nur selten findet, und sogar indische Feigen in der freien
Luft. Ich schlief am Ende des Sees in Magadino, wo der obere Tessin
hineinfällt, in einem leidlichen Hause, schon zwischen rauhen Bergen.
Den andern Morgen trat ich den Gang an dem Flusse herauf über Belinzona
an, der mich nach einigen Tagen über den Gotthard herüber brachte. Zwei
Tage ging ich am Flusse immer bergauf. Die Hitze war unten in der
Schlucht ziemlich drückend, bis nach Sankt Veit, wo man, ich glaube zum
Frohnleichnamsfeste einen Jahrmarkt hielt, der mir besser gefiel, als
der Ostermarkt in Palermo, obgleich für mich weiter nichts da war, als
Kirschen. Den ersten Abend blieb ich in einem kleinen Orte, dessen Name
mir entfallen ist. Der Tessin stürzte unter meinem Fenster durch die
Felsen hinunter; gegenüber lag am Abhange ein Kloster, und hinter
demselben erhob sich eine furchtbar hohe Alpe in schroffen Felsenmassen,
deren Scheitel jetzt, fast zu Johannis, mit Schnee bedeckt war. Die
Bewirthung war besser, als ich sie in diesen Klüften erwartet hätte;
vorzüglich waren die Forellen aus dem Tessin köstlich. Die Leute
schienen viel ursprüngliche Güte zu haben. Mein größter Genuß waren
überall die Alpenquellen, vor denen ich selten vorbeiging, ohne zu ruhen
und zu trinken, wenn auch beides nicht nöthig war, und in den Schluchten
um mich her zu blicken, und vorwärts und rückwärts die Gegenstände fest
zu halten. Jetzt schmolz eben der Schnee auf den Höhen der Berge, und
oft hatte ich vier bis sechs Wasserfälle vor den Augen, die sich von den
nackten Häuptern der Alpen in hundert Brechungen herabstürzten, und von
denen der kleinste doch immer eine sehr starke Wassersäule gab. Der
Tessin macht auf dieser Seite schönere Partien, als die Reuß auf der
deutschen; und nichts muß überraschender seyn, als hier hinauf und dort
hinunter zu steigen. Ayrolles war mein zweites Nachtlager. Hier sprach
man im Hause Deutsch, Italienisch und Französisch fast gleich fertig,
und der Wirth machte mit seiner Familie einen sehr artigen Zirkel, in
dem ich sogleich heimisch war. Suworow hatte einige Zeit bei ihm
gestanden, und wir hatten beide sogleich einen Berührungspunkt. Er war
ganz voll Enthusiasmus für den alten General, und rühmte vorzüglich
seine Freundlichkeit und Humanität, welches vielleicht Vielen etwas
sonderbar und verdächtig vorkommen wird. Aber ich sehe nicht ein, was
den Wirth in Ayrolles oben am Gotthardt bestimmen sollte, eine Sache zu
sagen, die er nicht sah. Suworow war nicht der einzige General, der ihm
im Kriege die Ehre angethan hatte, bei ihm zu seyn: er zeichnete sie
alle, wie er sie gefunden hatte. Mehrere davon sind allgemein bekannt.
Ich habe das zweideutige Glück gehabt, für den Enkomiasten des alten
Suworow zu gelten, und ich suchte doch nur seinen wahren Charakter zu
retten und einige Phänomene zu erklären, die ihm zur Last gelegt werden.
In Prag hat er zu einem häßlichen Gemälde gesessen. Der Löwe ist todt
und nun wird zugeschlagen. Ich weiß sehr wohl, daß das ganze Leben
dieses Mannes eine Kette von Eigenheiten war; aber wenn man seine
Nichtfreunde in Prag und Wien hörte, wäre er ein ausgemachter alter,
mürrischer Geck von einem weggeworfenen Charakter gewesen; und der war
er doch gewiß nicht. Sonderbarkeit war überhaupt sein Stempel: und in
Prag war er in einer eigenen Stimmung gegen ihn. Die politischen
Verhältnisse lassen vermuthen, in welcher peinlichen Lage er damals von
allen Seiten sich befand. Weder sein eigener Monarch, noch der
östreichische Hof waren mit seinem Betragen zufrieden. Er hatte ohne
Schonung über Fehler aller Art und ohne Rücksicht der Personen
gesprochen. Er war alt und kränklich und sah dem Ende seines Lebens
entgegen. Seine Grillen konnten unter diesen Umständen sich nicht
vermindern. Die Ungezogenheiten einiger seiner Untergebenen wurden
wahrscheinlich ihm zur Last gelegt; und er selbst war freilich nicht der
Mann, der durch schöne Humanität und Grazie des Lebens immer seinen
Charakter hätte empfehlen können. Seines Werthes sich bewußt, fest
rechtlicher Mann, aber eisern consequenter Soldat, war er voll
Eigenheiten, von denen viele, wie Bizarrerien und Marotten aussahen; war
äußerst strenge gegen sich und sodann auch in seinen Forderungen gegen
Andere, und sprach skoptisch und sarkastisch über Alles. Seine
Bigotterie war sehr wohl berechnet, und unstreitig nicht so tadelhaft,
als sie an der Seine gewesen wäre; aber auch in diesem Stücke
verläugnete ihn sein eigener Charakter nicht und gab ihr ein Ansehen von
Possirlichkeit. Er soll in Prag eine schmutzige Filzerei gezeigt haben,
weggefahren seyn, ohne einen Kreuzer zu bezahlen, und nichts, als einen
alten Nachttopf zurückgelassen haben, den man als eine Reliquie ganz
eigener Art aufbewahrt. Dies ist nun gewiß wieder ein barockes
Quidproquo: denn Geiz war so wenig in seinem Charakter, als prahlerische
Verschwendung. Wenn ich diese Dinge nicht von wahrhaften Leuten hätte,
würde ich nur den Kopf schütteln und sie zu den lächerlichen Erfindungen
des Tages setzen. Aber man muß auch den Teufel nicht schwärzer machen,
als er ist; und ich bin fest überzeugt, daß Suworow durchaus ein
ehrlicher Mann und kein Wüthrich war, wenn er auch eine starke Dose
Excentricität hatte, und mit der Welt im Privatleben oft Komödie
spielte, so wie man seine Energie im öffentlichen zu lauter
Trauerspielen brauchte. Du weißt, daß ich dem Manne durchaus nichts zu
danken habe, und kannst also in meinen Aeußerungen nichts, als meine
ehrliche Meinung finden. Wenn wir einigen Engländern glauben wollen, die
durch ihren persönlichen Charakter ihre Glaubwürdigkeit nicht verwirkt
haben, so ist der Nordländer Suworow, wenn auch Alles wahr war, was von
ihm erzählt wird, immer noch ein Muster der Humanität gegen den Helden
des Tages, Bonaparte, der auf seinen morgenländischen Feldzügen die
Gefangenen zu Tausenden niederkartätschen ließ.

Hier oben behauptete man, wenn Suworow Zeit gehabt hätte, nur noch
sechstausend Mann über den Berg hinüber nach Zürich zu werfen, so wäre
die Schlacht eben so fürchterlich gegen die Franzosen ausgefallen, wie
nun gegen die Russen. Alle Franzosen, mit denen ich über die Geschichte
gesprochen habe, gestehen das Nämliche ein, und sagen, bloß die
Entfernung des Erzherzogs, der in die Falle des falschen Manövers am
Unterrhein ging, sei die Ursache ihres Glücks gewesen; und sie bekennen,
daß sie im ganzen Kriege meistens nur durch die Fehler der Gegner
gewonnen haben. Hier in Zürich habe ich rund umher mich nach dem
Betragen der Russen erkundigt, und man giebt ihnen überall das Zeugniß
einer guten Aufführung, die man doch anderwärts als abscheulich
geschildert hat. Man beklagt sich weit mehr über die Franzosen, deren
Art Krieg zu führen dem Lande entsetzlich drückend seyn muß, da sie
selten Magazine bei sich haben, und nur zusammentreiben was möglich ist.
Das geht einmal und zweimal, das drittemal muß es gefährlich werden,
welches die Schlauköpfe auch sehr wohl wissen. Sie berechnen nur klug;
Humanität ist ihnen sehr subalterner Zweck. Dieses ist einigen Generalen
und Kommissären, und nicht der ganzen Nation zuzurechnen.

Ayrolles ist der letzte italienische Ort, und diesseits des Berges in
Sankt Ursel ist man wieder bei den Deutschen. Zwei Tage war ich
beständig bergauf gegangen; Du kannst also denken, daß der Ort schon auf
einer beträchtlichen Höhe steht. Rund umher sind Schneegebirge, und der
Tessin bricht rauschend von den verschiedenen Abtheilungen des Berges
herab. Ich schlief unter einem Gewitter ein; ein majestätisches
Schauspiel hier in den Schluchten der höchsten Alpen. Der Donner brach
sich an den hohen Felsenschädeln, und rollte sodann furchtbar in das
Thal hinunter, durch das ich heraufgekommen war. Ein solches Echo hörst
Du freilich nicht auf der Ebene von Lützen.

In dem Wirthshause zu Ayrolles saß ein armer Teufel, der sich leise
beklagte, daß seine Börse ihm keine Suppe erlaubte. Du kannst denken,
daß ich ihm zur Suppe auch noch ein Stückchen Rindfleisch schaffte; denn
ich habe nun einmal die Schwachheit, daß es mir nicht schmeckt, wenn
Andere in meiner Nähe hungern. Er war ein ziemlich alter wandernder
Schneider aus Konstanz, der, wie er sagte, nach Genua gehen wollte,
einen Bruder aufzusuchen. Er hörte aber überall so viel von der
Theuerung und der Unsicherheit in Italien, daß er lieber wieder zurück
über die Alpen wollte, und erbot sich, mir meinen Reisesack zu tragen.
Ich sagte ihm, ich wollte auf seine Entschließung durchaus keinen
Einfluß haben, er müßte seine Umstände am besten wissen, ich wäre
gewohnt meinen Sack selbst zu tragen. Er wollte aber bestimmt wieder
zurück, und ich trug nun kein Bedenken, ihn meinen Tornister umhängen zu
lassen. Wir stiegen also den kommenden Morgen, den achtzehnten Juni,
rüstig den Gotthardt hinauf. Es war nach dem Gewitter sehr schlechtes
Wetter, kalt und windig, und in den obern Schluchten konnte man vor
Nebel, und noch weiter hinauf vor Schneegestöber, durchaus nichts sehen;
links und rechts blickten die beschneiten Gipfel aus der Dunkelheit des
Sturms drohend herunter. Nach zwei starken Stunden hatten wir uns auf
die obere Fläche hinaufgearbeitet, wo das Kloster und das Wirthshaus
steht, und wo man im vorigen Kriege geschlagen hat. Das erste liegt
jetzt noch wüst, und der Schnee ist von innen hoch an den Wänden
aufgeschichtet; das Wirthshaus ist ziemlich wieder hergestellt, und man
hat schon wieder leidliche Bequemlichkeit. Es muß eine herkulische
Arbeit gewesen seyn, hier nur kleine Artilleriestücke heraufzubringen,
und es war wohl nur in den wärmsten Sommermonaten möglich. Der Schnee
liegt noch jetzt auf dem Wege sehr hoch, und ich fiel einigemal bis an
die Brust durch. Den höchsten Gipfel des Berges zu ersteigen würde mir
zu nichts gefrommt haben, da man im Nebel kaum zwanzig Schritte sehen
konnte. Es ist vielleicht in den Annalen der Menschheit aus diesem
Kriege ein neues Phänomen, daß man ihn hier zuerst über Wolken und
Ungewitter herauftrug: ^coelum ipsum petimus stultitia^. Das Wasser auf
der obersten Fläche des Berges hat einen ziemlichen Umfang; denn es
gießt sich rund umher die Ausbeute des Regens und Schnees von den
höchsten Felsen in den See, aus dem sodann die Flüsse von mehreren
Seiten hinabrauschen. Es müßte das größte Vergnügen seyn, einige Jahre
nach einander Alpenwanderungen machen zu können. Welche Verschiedenheit
der Gemälde hat nicht allein der Gotthardt? Kornfelder wogen um seine
Füße, Heerden weiden um seine Kniee, Wälder umgürten seine Lenden, wo
das Wild durch die Schluchten stürzt; Ungewitter donnern um seine
Schultern, von denen die Flüsse nach allen Meeren herabstürmen, und das
Haupt des Adula schwimmt in Sonnenstrahlen. Das gestrige Gewitter mochte
vielleicht Ursache des heutigen schrecklichen Wetters seyn: doch war die
Veränderung so schnell, daß in einer Viertelstunde manchmal dicker
Nebel, Sturm, Schneegestöber, Regen und Sonnenschein war, und sich die
Wolken schon wieder von Neuem durch die Schluchten drängten. Als ich
oben gefrühstückt hatte, ging ich nun auf der deutschen Seite über Sankt
Ursel, durch das Ursler Loch und über die Teufelsbrücke herab. Denke Dir
das Teufelswetter zu der Teufelsbrücke, wo ich links und rechts kaum
einige Klaftern an den Felsen in die Höhe sehen konnte, und Du wirst
finden, daß es eine Teufelspartie war: ich möchte aber doch ihre
Reminiscenz nicht gern missen. Als wir weiter herabkamen ward das Wetter
heiter und freundlich, und nur einige Schluchten in den furchtbaren
Schwarzwäldern waren noch hoch mit Schnee gefüllt, und die Spitzen der
Berge weiß. Mein Schneider von Konstanz erzählte mir Manches aus seinem
Lebenslaufe, der eben nicht der beste war, wovon aber der Mensch gar
keine Ahnung zu haben schien. Sehr naiv machte er den Anfang mit dem
Bekenntniß, daß er in seinem ganzen Leben nicht gearbeitet habe, und nun
in seinem achtundvierzigsten Jahre nicht erst anfangen werde. -- »So,
so, das ist erbaulich; und was hat Er denn gethan?« -- »Ich habe
gedient.« -- »Besser ist arbeiten als dienen.« -- Nun erzählte er mir,
wo er überall gewesen war: da war denn meine Personalität eine Hausunke
gegen den Herrn Hipperling von Konstanz. Er kannte die Boulevards
besser, als seine Hölle, und hatte alle Weinhäuser von Neapel diesseits
und jenseits der Grotte versucht. Zuerst war er kaiserlicher Grenadier
gewesen, dann Reitknecht in Frankreich, dann Kanonir in Neapel und
zuletzt Mönch in Korsika. Er fluchte sehr orthodox gegen die Franzosen,
die ihm seine Klosterglückseligkeit geraubt hatten, weil sie die Nester
zerstörten. Jetzt machte er Miene, mit mir wieder nach Paris zu gehen.
Ich gab ihm meinen Beifall über seine ewige unstäte Landläuferei nicht
zu erkennen, und er selbst schien zu fühlen, er hätte doch wohl besser
gethan, sich treulich an Nadel und Fingerhut zu halten. Wir schlenderten
eine hübsche Partie ab, da wir in einem Tage von Ayrolles den Berg
herüber bis herab über Altorf nach Flüren am See gingen. Altorf, das vor
einigen Jahren durch den Blitz entzündet wurde und fast ganz abbrannte,
wird jetzt recht schön, aber eben so unordentlich wieder aufgebauet. Die
Berggegend sollte doch wohl etwas mehr Symetrie erlauben. Eine Stunde
jenseit Altorf war das Wasser sehr heftig aus den Bergen
heruntergeschossen und konnte nicht schnell genug den Weg in die Reuß
finden, so daß wir eine Viertelstunde ziemlich bis an den Gürtel auf der
Straße im Wasser waden mußten. Es war kein Ausweg. Den andern Morgen
nahm ich ein Boot herüber nach Luzern, ohne weiter den Ort besehen zu
haben, wo Tell den Apfel abgeschossen hatte. Nicht weit von der Abfahrt
stürzt rechts ein Wasserfall von sehr hohen Felsen herab, nicht weit von
Tells Kapelle, und man erzählte mir, daß oben in den Alpen ein
beträchtlicher See von dem Wasser der noch höhern Berge wäre, der hier
herabflösse. Schade, daß man nicht Zeit hat, hinaufzuklettern; die
Partie sieht von unten aus schon sehr romantisch, und oben muß man eine
der herrlichsten Aussichten nach der Reuß und dem Waldstädtersee haben.
Die Fahrt ist bekannt, und Du findest sie in den meisten
Schweizerreisen. In dem seligen Republikchen Gersau frühstückten wir,
und die Herren beklagten sich bitter, daß ihnen die Franzosen ihre
geliebte Autonomie genommen hatten. Die ganze Fahrt auf dem Wasser herab
bis nach Luzern ist eine der schönsten; links und rechts liegen die
kleinen Kantone, und höher die Schneealpen, in welche man zuweilen weit
weit hineinsieht. Der Pilatusberg vor Luzern ist nur ein Zwerg, der den
Vorhof der Riesen bewacht. In Luzern fand ich im Wirthshause unter der
guten Gesellschaft einige Freunde von Johannes Müller, die mit vieler
Wärme von ihm sprachen. Nachdem ich die Brücken und den Fluß beschaut
hatte, ging ich zum General Pfeiffer, um seine wächserne Schweiz zu
sehen. Die Sache ist bekannt genug, aber kein so unnützes Spielwerk, wie
wohl Einige glauben. Der Mann hat mit Liebe viele schöne Jahre seines
Lebens daran gearbeitet, und mit einer Genauigkeit, wie vielleicht nur
wenig militärische Charten gemacht werden. Die Franzosen haben das auch
gefühlt, und Lecourbe, gegen den der alte General zuerst eine
entschiedene Abneigung zeigte, wußte durch seine Geschmeidigkeit endlich
den guten Willen des Greises so zu gewinnen, daß er sich nun als seinen
Schüler ansehen konnte. Die Schule hat ihm genützt; und es wird
allgemein nicht ohne Grund behauptet, er würde den Krieg in den Bergen
nicht so vortheilhaft geführt haben, ohne des Alten Unterricht. Die
Wachsarbeit ist bekannt: es ist Schade, daß ihm die Jahre nicht
erlauben, das Uebrige zu vollenden. Dieser Krieg hat die Bergbewohner in
Erstaunen gesetzt: man hat sich in ihrem Lande in Gegenden geschlagen,
die man durchaus für unzugänglich hielt. Die Feinde haben Wege gemacht,
die nur ihre Gemsenjäger vorher machten; vorzüglich die Russen und die
Franzosen. Man hat sich auf einmal überzeugt, daß die Schweiz bisher nur
vorzüglich durch die Eifersucht der großen Nachbarn ihr politisches
Daseyn hatte. Die Russen und Franzosen kamen auf Pfaden in das Murter
Thal, die man nur für Steinböcke gangbar hielt. Die Katholicität scheint
hier sehr gemäßigt und freundlich zu seyn. Das Merkwürdigste für mich
war noch, daß mir der Kellner im Gasthofe erzählte, man habe in dem See
zweiunddreißig Sorten Forellen, so daß man also bei der kleinsten
Wendung der Windrose eine andere Sorte hat. Diejenigen, welche man mir
gab, hätten einen Apicius in Entzücken setzen können; und ich rathe Dir,
wenn Du hierher kommst, Dich an die Forellen zu halten, wenn Du gleich
nicht alle Sorten des Kellners finden solltest.

Von Luzern ließ ich mich auf dem Wasser wieder zurückrudern, durch die
Bucht links, ging über den kleinen Bergrücken herab an den Zuger See,
setzte mich wieder ein, und ließ mich nach Zug bringen. Wäre ich etwas
frömmer gewesen, so wäre ich rechts fort zur heiligen Mutter von
Einsiedel gegangen. Auf dem Bergrücken zwischen diesen beiden Seen steht
die bekannte andere Kapelle Tells mit der schönen Poesie. Alles ist sehr
gut und sehr patriotisch; aber ich fürchte, nicht sehr wahr: denn wenn
auch die Schweizer noch die Alten wären, würden sie sich doch in diesen
Konjunkturen schwerlich retten. Man nimmt die größeren fruchtbaren
Kantons und läßt die Alpenjäger jagen und hungern; sie werden schon
kommen und bitten. Bloß die Eifersucht gegen Oestreich gab der Schweiz
Existenz und Dauer.

Von Zug aus nahm ich meinen Tornister selbst wieder auf den Rücken. Der
Schneider sah einige Minuten verblüfft, brummte und bemerkte sodann ich
müsse doch sehr furchtsam seyn, daß ich ihm meinen Reisesack nicht
anvertrauen wolle. Ich machte ihm begreiflich, daß hier zwischen Zug und
Zürich gar nichts zu fürchten sei, daß mich allenfalls mein Knotenstock
gegen ihn schütze, daß ich ihm aber keine Verbindlichkeit weiter haben
wolle: seine Gesellschaft sei mir auch zu theuer, er sei unbescheiden
und fast unverschämt; ich wolle weiter nichts für ihn bezahlen. Dabei
erklärte ich ihm, daß ich in Luzern für meine eigne Rechnung
vierunddreißig Batzen, und für die seinige sechsunddreißig bezahlt habe;
das stehe mir nicht an. Er entschuldigte sich, er habe einen Landsmann
gefunden und mit ihm etwas getrunken, und der Wirth habe zu viel
angeschrieben. »Vielleicht ist beides,« sagte ich. »Er hat zu viel
getrunken, und Jener hat noch mehr angeschrieben, ob mir das gleich von
dem ehrlichen Luzerner nicht sehr wahrscheinlich vorkommt: aber, mein
Freund, Er hat vielleicht der Landsleute viele von Neapel bis Paris; ich
zahle gern eine Suppe und ein Stück Fleisch und einige Groschen, aber
ich lasse mich nur Einmal so grob mitnehmen.« Er verließ mich indessen
doch nicht; wir wandelten zusammen den Albis hinauf und herab, setzten
uns unten in ein Boot und ließen uns über den See herüber nach Zürich
fahren wo ich dem Sünder noch einige Lehren und etwas Geld gab, und ihn
laufen ließ. Er wird indessen beides schon oft bekommen haben.

Hier bin ich nun wieder unter vaterländischen Freunden, und könnte bald
bei Dir seyn, wenn ich nicht noch etwas links abgehen wollte. In Zürich
möchte ich wohl leben; das Oertliche hat mir selten anderwärts so wohl
gefallen. Ich trug einen Brief aus Rom zu Madame Geßner, der Wittwe des
liebenswürdigen Dichters, und ging von ihr hinaus an das Monument, das
die patriotische Freundschaft dem ersten Idyllensänger unserer Nation
errichtet hat, an dem Zusammenflusse der Siehl und der Limmat. Das
Plätzchen ist idyllisch schön, und ganz in dem Geiste des Mannes, den
man ehren wollte; und der Künstler, sein Landsmann, hat edle Einfalt
nicht verfehlt, welche hier erfordert wurde. Akazien, Platanen
Silberpappeln und Trauerweiden umgeben den heiligen Ort. Einige Zeit
verwendete ich darauf, die Schlachtgegend zu überschauen; und ich kann
nicht begreifen, wie die Oestreicher ihre Stellung verlassen konnten.
Ich verschone Dich mit Beschreibungen, die Du in vielen Büchern
vielleicht besser findest. Eine eigne Erscheinung war es mir hier, daß
bei Vidirung des Passes zwei Batzen bezahlt werden mußten. Ich möchte
wohl wissen, wie man dieses mit liberaler Humanität, oder nur mit
Rechtlichkeit in Uebereinstimmung bringen wollte.

Nun erlaube mir noch, Dir fragmentarisch etwas über meinen Gang durch
Italien im Allgemeinen zu sagen! Du hast aus meiner Erzählung gesehen,
daß es jetzt wirklich traurig dort aussieht; vielleicht trauriger, als
es je war. Ich bin gewissenhaft gewesen, und jedes Wort ist Wahrheit, so
weit man historische Wahrheit verbürgen kann. Daß Brüdone in Sicilien
gewesen ist, bezweifelt niemand; aber Viele haben Vieles gegen seine
schönen Erzählungen. So viel weiß ich, daß in Sicilien selbst, und
vorzüglich in Agrigent und Syrakus, man sehr übel mit ihm zufrieden ist;
aber Barthels ist doch vielleicht zu strenge gegen ihn verfahren.
Mehrere Rügen, die ich hier nicht aufzählen kann, haben ihre
Richtigkeit; und sein Hauptfehler ist, daß er seiner poetischen
Phantasie zu viel Spielraum gab. Die Besten über die Insel von den
Neuern sind wohl Barthels und Münter. Dorville habe ich fast durchaus
sehr genau gefunden, so viel ich auf dem Fluge habe bemerken können.

Das ganze Königreich Neapel ist in der traurigsten Verfassung. Ein
Courier, der von Messina über Rheggio nach Neapel gehen soll, hält den
Weg immer für gefährlicher als einen Feldzug. Der Officier, mit dem ich
nach Rom reis'te, war sechszehnmal geplündert worden, und dankte es nur
seiner völligen Resignation, daß er noch lebte. Ich könnte sprechen,
sagte er, aber dann dürfte ich keine Reise mehr machen, oder ich wäre
auf der ersten ein Mann des Todes. Alle Gräuel, die wir von Paris
während der Revolution gehört haben, sind noch Menschlichkeit gegen das,
was Neapel aufzuweisen hat. Was die Demokraten in Paris einfach thaten,
haben die royalistischen Lazaronen und Kalabresen in Neapel zehnfach
abscheulich sublimirt. Man hat im eigentlichen Sinne die Menschen
lebendig gebraten, Stücken abgeschnitten und ihre Freunde gezwungen
davon zu essen; der andern schändlichen Abscheulichkeiten nicht zu
erwähnen. Ein wahrhafter, durchaus rechtlicher Mann sagte mir, man sei
mit einer Tasche voll abgeschnittener einzelner Nasen und Ohren zu ihm
gekommen, habe aufgezählt, wer die Eigenthümer derselben gewesen, und er
habe seine ganze Standhaftigkeit und Klugheit nöthig gehabt, nicht zu
viel Mißbilligung zu zeigen, damit er nicht selbst unter die Opfer
geriethe. Das ist unter Ruffo geschehen, dessen Menschlichkeit sogar
noch hier und da gerühmt wird. Die Geschichte der Patrioten von Sankt
Elmo ist bekannt. Nelson und seine Dame, die Exgemahlin Hamiltons,
ließen im Namen der Regierung die Kapitulation kassiren, und die Henker
hatten volle Arbeit. Auf diese Weise kann man alles was heilig ist
niederreißen. Man nennt den Namen des Admirals und noch mehr den Namen
der Dame mit Abscheu und Verwünschung, und bringt Data zur Belegung. In
Kalabrien soll jetzt allgemeine Anarchie seyn. Das ist begreiflich.
Bildung ist nicht, und das Bißchen Christenthum ist, so wie es dort ist,
mehr ein Fluch der Menschheit. Die Franzosen kamen und setzten in
Revolution; die Halbwilden trauten und wurden verrathen. Ruffo kam im
Namen des Königs, und versprach: die Betrogenen folgten und wütheten nun
unter ihm bis zur Schande der menschlichen Natur in der Hauptstadt.
Jetzt sagen sie, der König habe sie noch ärger betrogen, als die
Franzosen. Wer kann bestimmen, wie weit sie Recht haben? Die Regierung
des Dey kann kaum grausamer seyn; schlechter ist sie nicht. Im ganzen
Königreich und auf der Insel zusammen sind jetzt kaum funfzehn tausend
Mann Truppen: diese haben einen schlechten Sold, und dieser schlechte
Sold wird noch schlechter bezahlt. Du kannst die Folgen denken.
Unzufriedenheit gilt für Jakobinismus, wie fast überall. Ich habe die
meisten Städte des Reichs gesehen, und nach meinem Ueberschlage ist die
Zahl der Truppen noch hoch angenommen. Die sogenannten Patrioten
schreien über Verrätherei der Franzosen und knirschen die Zähne über die
Regierung. Mäßigung und Gerechtigkeit ist in Neapel kein Gedanke. Mit
fünf tausend Franzosen will ich das ganze Reich wieder reformiren und
behaupten, sagte mir ein eben nicht zelotischer Parteigänger. Die
rechtlichsten Leute wurden gezwungen der Revolution beizutreten, um sich
zu retten, und wurden hernach wegen dieses Zwanges hingerichtet.
Vorzüglich traf dieses Schicksal die Aerzte. Es wurden Beispiele mit
Umständen erzählt, die Schauder erregen. Filangieri war zu seinem Glücke
vorher gestorben. Die Regierung nimmt bei ihrer gänzlichen
Vernachlässigung noch alle Maßregeln, die Gemüther noch mehr zu
erbittern; ist saumselig, wo rechtliche Strenge nöthig wäre, und
grausam, wo weise Mässigung frommen würde. In Sicilien treibt das
Feudalsystem in den gräßlichsten Gestalten das Unheil fort: und obgleich
mehr als die Hälfte der Insel wüste liegt, so würde doch kein Baron
einen Fuß Land anders, als nach den strengsten Lehnsgesetzen bearbeiten
lassen. Die Folgen sind klar. Wie geachtet die Regierung und geliebt der
Minister ist, davon habe ich selbst ein Beispielchen von den Lazaronen
in Neapel gehört. Es kam ein Schiff von Palermo an mit etwas Ladung aus
der Haushaltung des Königs. Unter andern wurde ein großer, schöner
Maulesel ausgeschifft; das neugierige Volk stand wie gewöhnlich gedrängt
umher. »^Kischt' è il primo minischtro^,« sagte ein Kerl aus dem Haufen,
und die ganze Menge brach in ein lautes Gelächter aus. Ohne Zweifel ist
der Minister nicht so schlecht, als ihn seine Feinde machen; aber er ist
doch genug, um ein schlechter Minister zu seyn. Das Facit liegt am Tage:
das Reich verarmt täglich mehr, und der Minister wird täglich reicher.
An Manufakturen wird gar nicht gedacht: die Engländer und Deutschen
versorgen alle Provinzen. In Neapel brauchte ich Strümpfe; die waren
englisch: in Syrakus war nichts Einheimisches zu finden. Ueberall sind
fremde Kaufleute, die mit fremden Artikeln handeln. Man sagt in Neapel
auf allen Straßen ganz laut, der Minister verkaufe als Halbbrite die
Nation an die Engländer. Man schreit über die öffentliche Armuth und die
öffentliche Verschwendung; man lebe von der Gnade der Franzosen und
halte drei Höfe, in Palermo und Kaserta und Wien. Einzeln erzählte
Vorfälle sind empörend. Der König ist ein Liebhaber von schönen Weibern.
Das mag er: andere sind es auch, ohne Könige zu seyn. In der Revolution
wurde eine Dame als Staatsverbrecherin mit ergriffen, und das Tribunal
verurtheilte sie zum Tode. Die vornehme interessante Frau appellirte an
den König, und ihre Freunde brachten es so weit, daß sie zur endlichen
Entscheidung ihres Schicksals nach Palermo geschickt wurde. Der König
lebte dort in ihrer Gesellschaft einige Zeit nach der Liebhaber Weise;
endlich drangen die strengen Strafprediger an sein Gewissen: die Frau
wurde nach Neapel zurückgeschickt und -- hingerichtet. Sie erzählte das
Ganze selbst vor ihrem Tode auf dem Blutgerüste. Das ist verhältnißmäßig
eben so schlimm, als die eingesalzenen Nasen und Ohren. Man hat mir
Namen und Umstände und den ganzen Prozeß wiederholt genannt.

Die Kassen sind leer, die Offizianten müssen warten, und dabei soll man
Jagdpartien geben, die über 50,000 neapolitanische Dukaten kosten. Der
General Murat erhielt Geschenke, deren Werth sich auf 200,000 Thaler
belief. Ich weiß nicht, wer mehr Unwillen erregt, ob der König, oder
Murat? Jener handelt nicht als König, und dieser schlecht, als
Republikaner. Anders that Fabricius. Die Räuber streifen aus einer
Provinz in die andere, und plündern und morden, ohne daß die Justiz
weiter darnach fragt. Man läßt die Leute so gut und so schlecht seyn,
als sie wollen; nun sind der Schlechten fast immer mehr als der Guten,
zumal bei solchen Vernachlässigungen: so ist die Unordnung leicht
erklärt. Die Beschaffenheit des Landes hilft dem Unfuge; die Berge
bergen in ihren Schluchten und Winkeln die Bösewichter, gegen welche die
Regierung keine Vorkehrungen trifft. Ich habe in dem ganzen Reiche keine
einzige militärische Patrouille gesehen, aber Haufen Bewaffnete bis zu
fünf und zwanzig. Diese sollen auch Polizei seyn: aber sie tragen kein
Abzeichen, sind von den Schurken nicht zu unterscheiden, und alle
ehrliche Leute fürchten sich vor ihnen.

Ueberhaupt habe ich in Neapel jetzt drei Parteien bemerkt, die Partei
des Königs und der jetzigen Regierung, zu welcher alle Anhänger des
Königs und des Ministers gehören; die Partei der Kronprinzen, von dem
man sich ohne vielen Grund etwas Besseres verspricht; und die Partei der
Malkontenten, die keine Hoffnung von Vater und Sohn haben, und glauben,
keine Veränderung könne schlimmer werden. Die letzte scheint die
stärkste zu seyn, weiß aber nun, da sie von den Franzosen gänzlich
verlassen worden ist, in der Angst selbst nicht, wohin sie den
Gesichtspunkt nehmen soll.

In Rom arbeitet man mit allen Kräften an der Wiederherstellung aller
Zweige der Hierarchie und des Feudalsystems: Gerechtigkeit und Polizei
werden schon folgen, so weit sie sich nämlich mit beiden vertragen
können. Die Mönche glänzen von Fett, und segnen ihren Heiland Bonaparte.
Das Volk hungert und stirbt, oder flucht und raubt, nachdem es mehr
Energie, oder mehr fromme Eselsgeduld hat. Es wird schon besser werden,
so viel es das System leidet.

In Hetrurien weiß man sich vor Erstaunen über alle die Veränderungen zu
Hause und auswärts noch nicht zu fassen. Die Meisten, da die Menschen
nun doch einmal beherrscht seyn müssen, wünschen sich wieder das sanfte
östreichische Joch, wie es unter Leopold war. Die Vernünftigern klagen
leise oder auch wohl laut über die Anmaßlichkeit des römischen Hofes und
die Schwachheit der Regierung; und die hitzigen Polypragmatiker hoffen
auf eine Veränderung diesseits der Berge.

Die italienische Republik windet sich, trotz den Eigenmächtigkeiten und
Malversationen der Franzosen, ihrer Herren Nachbarn, nach und nach aus
der tausendjährigen Lethargie. Hier war an einigen Orten viel
vorgearbeitet: aber auch das alte Päpstliche erholt sich und wird etwas
humaner. Das Päpstliche diesseits der Apenninen scheint indessen nie so
tief gesunken zu seyn, als in der Nähe des Heiligthums. Weit von dem
Segen war immer etwas besseres Gedeihen. Alles liegt hier noch im Werden
und in der Krise. Die großen Städte klagen zwar über Verlust, aber das
platte Land hebt sich doch merklich. Das läßt sich wieder sehr leicht
erklären. In Italien scheinen überhaupt die Städte das Land verzehrt zu
haben, welches wohl weder politisch, noch kosmisch gut ist.

Die Franzosen im Allgemeinen haben sich in Italien gut betragen, so wie
man ihnen das nämliche Zeugniß auch wohl in Deutschland nicht versagen
kann. Man erzählt Beispiele von Aufopferung und Edelmuth, die dem
humanen Zuhörer außerordentlich wohl thun, und seine sympathetische
Natur für den Gegensatz entschädigen, der sich zuweilen zeigt. Einzelne
Generale, Kommissäre und Officiere machen oft grelle Ausnahmen. Unter
den Generalen wird Murat als Erpresser und Plagegeist überall genannt;
und mir däucht, der Augenschein bestätigt die Beschuldigung: er wird bei
einem großen Aufwand reich. Ich habe eine ewige Regel, deren Richtigkeit
ich mir nicht abstreiten lasse: Wer in dem Dienst des Staats reich wird,
kann kein Mann von edelm Charakter seyn. Jeder Staat besoldet seine
Diener nur so, daß sie anständig leben und höchstens einen
Sicherheitspfennig sparen können: aber zum Reichthum kann es auf eine
ehrenvolle Weise keiner bringen. Es giebt nach meiner Meinung nur zwei
rechtliche Wege zum Reichthum, nämlich Handel und Oekonomie; einige
wenige Glücksfälle ausgenommen. Ist der Staatsdiener zugleich
Handelsmann, so hört er eben dadurch auf, einem wichtigen Posten gut
vorzustehen. Die Kommissäre haben einmal das unselige Privilegium, die
Nationen zu betrügen, weil man ihnen unmöglich alles genau durchschauen
kann; und die französischen sollen es sehr ausgedehnt gebraucht haben.
Empörend ist es für mich gewesen, wenn ich hörte, daß viele französische
Officiere frei durch alle Provinzen reis'ten, mit oder ohne Geschäft,
sich nach ihrem Range für sich und ihre Begleitung eine Menge Pferde
zahlen ließen und doch allein gingen und knickerisch nur zwei nahmen,
und das Geld für die übrigen einsäckelten. Manche arme Kommune, die kaum
noch Brot hatte, mußte bei dergleichen Gelegenheiten exekutorisch ihren
letzten Silberpfennig zusammenbringen, um den fremden, so genannten
republikanischen Wohlthäter zu bezahlen. Das nenne ich Völkerbeglückung!
Man muß bekennen, daß die Franzosen selbst über diese Schändlichkeit
fluchten; aber sie geschah doch oft. Wo Murat als General kommandirt,
fällt so etwas nicht auf; Moreau würde sich und seine Nation von solchen
Schandflecken zu retten wissen. So viel ich von den Franzosen in Italien
gemeine Soldaten und Unterofficiere gesehen habe, und ich bin manche
Meile in ihrer Gesellschaft gegangen, habe ich sie als gesittet, artig,
bescheiden und sehr unterrichtet gefunden. Sie urtheilten meistens mit
Bündigkeit und Bestimmtheit und äußerten durchaus ein so feines Gefühl,
daß es mir immer ein Vergnügen war, solche Gesellschaft zu treffen. Das
alte vornehme Zotenreißen und Fluchen ist sehr selten geworden, und sie
sprechen über militärische Dispositionen mit einer solchen Klugheit und
zugleich mit einem solchen Subordinationsgeist, daß sich nur ein
schlechter Officier andere Soldaten wünschen könnte.

In Ansehung des Physischen ist ein Gang von Triest nach Syrakus und
zurück an den Züricher See, wenn er auch nur flüchtig ist, mit vielen
angenehmen Erscheinungen verbunden. Auf der Insel ist das lieblichste
Gemisch des Reichthums aller Naturprodukte, so viel man ohne Anstrengung
gewinnen kann; Orangen aller Art, Palmen, Karuben, Oel, Feigen, indische
und gemeine, Kastanien, Wein, Weitzen, Reiß. Bei Neapel werden die
indischen Feigen, die Karuben und Palmen schon selten; diesseits der
Apenninen Oel und Feigen. Die südliche Seite des Berges, von Florenz
aus, hat noch die herrlichsten Oelpflanzungen; beim Herabsteigen nach
Bologna findet man sie nicht mehr: alles sind Kastanienwälder. In der
Lombardei ist der Trieb üppig an Wein und Getreide; aber alles ist schon
mehr nördlich. Ein einziger Weinstock macht noch eine große Laube, und
auf einem einzigen Maulbeerbaume hingen zuweilen sechs Mädchen, welche
Blätter pflückten: aber ein Oelbaum ist schon eine Seltenheit. Die
südlichen Seiten der Alpenberge geben durch ihre Lage hier und da noch
Früchte des wärmern Erdstrichs, und am Lago maggiore hat man noch
Orangengärten, Olivenpflanzungen und sogar, obgleich nur spärlich,
indische Feigen. Am Tessino herauf trifft man noch Kastanien die Menge
und sehr schöne und große Bäume, und bis Ayrolles wächst gutes Getreide.
Dann hört nach und nach die Vegetation auf. An der Reuß diesseits kann
man weit tiefer herabgehen, ehe sie wieder anfängt. Sankt Ursel liegt
vielleicht tiefer als Ayrolles und man hat dort nichts von Getreide.
Kastanien trifft man auf dieser Seite nicht mehr oder nur höchst selten,
und der Nußbaum nimmt ihre Stelle ein. Weiter herab ist alles
vaterländisch.



                                                              _Paris._


Von Zürich hierher ist ein hübsches Stück Weges, und ich schreibe Dir
davon so wenig, als möglich, weil alles ziemlich bekannt ist. Einige
Freunde begleiteten mich den 24sten Juni ein Stündchen von Zürich aus,
und schickten mich unter des Himmels Geleite weiter. Bei Eglisau
begrüßte ich das erste Mal den herrlichen Rhein und ging von da nach
Schafhausen, bloß um den Fall zu sehen. Er hat an Masse freilich weit
mehr, als der Velino; aber ich wäre sehr verlegen, welchem ich die
größte malerische Schönheit zugestehen sollte. Dort ist die Natur noch
größer als hier, und der Sturz noch weit furchtbarer. Mir däucht, ich
habe gehört, ein Engländer habe versucht, den Fall herunterzufahren: und
ich glaube, die Donquischotterie ist allerdings nicht unmöglich, wenn
der Fluß voll ist. Bei kleinem Wasser würde man unfehlbar zerschmettert.
Nur müßte die Seite von Laufen gewählt werden; denn die von Schafhausen
würde ziemlich gewisser Tod seyn. Ich sage nicht, daß man nicht auf der
Unternehmung umkommen könne: aber gesetzt, ich würde auf der Seite von
Laufen oben verfolgt und sähe keine Ausflucht, so würde ich kein
Bedenken tragen, mich in einem guten Boot den Fall hinabzuwagen und
würde meine Rettung nicht unwahrscheinlich finden. In der Krone in
Schafhausen war sehr gute Gesellschaft von Kaufleuten, Kommissären und
Engländern.

Den 25sten stach ich in den Breisgau herüber. Laufenburg, wo ich die
Nacht blieb, ist ein ärmlicher Ort, wo der Rhein einen zweiten kleinen
nicht so gefährlichen Fall bildet: doch ist auch dieser Schuß zwischen
den Felsen sehr malerisch. Weiter hin stehen in den Dörfern noch
Franzosen bis zum Austrag der Sache, und die Einwohner sind in
Verzweiflung über den Druck von allen Seiten. Bloß unsere geringe Anzahl
verhindert uns, sagte man mir laut, gewaltsame Mittel zu unserer
Befreiung zu versuchen. Die Franzosen müssen hier sehr schlechte,
abscheuliche Mannszucht halten: denn ich habe wiederholt erzählen hören,
daß sie durchreisende Weiber mit Gewalt hinauf in den Wald zur
Mißhandlung schleppen. An den Eingeborenen wagen sie sich nicht zu
vergreifen, weil sie unfehlbar todtgeschlagen würden, es entstände
daraus was wolle: diese Unordnung fürchten sie doch. Jeder Einquartierte
muß täglich zwei Pfund Brot, ein Pfund Fleisch und eine Flasche Wein
erhalten. Seit einiger Zeit müssen die Wirthe für den Wein zehn Kreuzer
täglich bezahlen: dafür werden den Soldaten Kittel angeschafft. Das ist
denn doch für die große Nation verächtlich klein. Dieses ist heute den
26sten Juni unseres Jahres 1802; und der Kommandant der Truppen mag
seine Ehre retten, wenn er kann: ich sage, was ich vielfältig gehört
habe.

Die Gegend am Rhein herunter ist fast durchaus schön, und besonders bei
Rheinfelden. In Basel am Thore lud man mich zum Kriegsdienste der
Spanier ein, die hier für junges Volk von allen Nationen freie Werbung
hatten, ausgenommen die Franzosen und Schweizer. Mir war das nicht
unlieb, ob ich gleich die Ehreneinladung bestimmt ausschlug: denn es
zeigt wenigstens, ich sehe noch aus, als ob ich eine Patrone beißen und
mit schlagen könne. Im wilden Manne war die Gesellschaft an der
Wirthstafel ziemlich zahlreich und sehr artig. Der französische
Kommandant, zu dem ich wegen meines Passes ging, war freundlich und
höflich. Der preußische Paß war in Mailand revidirt worden, und der
General Charpentier hatte daselbst bloß darauf geschrieben, daß er durch
die Schweiz nach Paris gültig sei. In Basel wies man mich an den ersten
Grenzposten, ungefähr noch eine Stunde vor der Stadt. Als ich dort
ankam, sah der Officier nur flüchtig hinein, gab ihn zurück und sagte:
»^Vous ètes bien en règle. Bon voyage!^« und seitdem bin ich nirgend
mehr darnach gefragt worden. So wie ich in das französische Gebiet trat,
war alles merklich wohlfeiler und man war durchaus höflicher und
artiger. In einem Dorfe nicht weit von Belfort hielt ich eine herrliche
Mittagsmahlzeit mit Suppe, Rindfleisch, Zwischengericht, Braten,
zweierlei Dessert und gutem Wein und zahlte dafür dreißig Sols. Dafür
hätte ich jenseits der Alpen wenigstens dreimal so viel bezahlen müssen.
Den nämlichen Abend, vier Meilen von Basel, zahlte ich für ein recht
gutes Quartier mit Zehrung nur sechsundvierzig Sols. So ging es
verhältnißmäßig immer fort; und auch nicht viel theurer ist es in Paris.
Mir thut die Humanität und das allgemeine Wohlbefinden besser, als der
wohlfeile Preis. Man spricht dort noch etwas deutsch und Leute von
Erziehung bemühen sich, beide Sprachen richtig und angenehm zu reden.
Das Dorf war ziemlich groß und als ich gegen Abend noch einen Gang an
den Gärten und Wiesen hin machte, hörte ich in der Ferne an einem
kleinen buschigen Abhange einen Gesang, der mich lockte. Das war mir in
ganz Italien nicht begegnet; und als ich näher kam, hörte ich eine
schöne einfache ländliche Melodie zu einem deutschen Texte, den ich für
ein Gedicht von Matthison hielt. Die Sängerinnen waren drei Mädchen, die
man wohl in der Abendröthe für Grazien hätte nehmen können. Die Zuhörer
mehrten sich und ich war so heimisch, als ob ich an den Ufern der Saale
gesessen hätte.

Nun ging ich über Besançon und Auxonne nach Dijon herunter. Es war ein
Vergnügen zu wandeln; überall sah man Fleiß und zuweilen auch Wohlstand.
Wenigstens war nirgends der drückende Mangel und die exorbitante
Theurung, die man jenseits der Alpen fand: und doch hatte hier die
Revolution gewüthet und der Krieg gezehrt. Besançon ist wohl mehr ein
Waffenplatz, als eine Festung. Der Ort ist seit Cäsars Zeiten immer ein
wichtiger Posten gewesen. Aber bei einer Belagerung würde jetzt die
Stadt bald zu Grunde gehen und der Ort sich kaum halten. In Auxonne
wurden alle Festungswerke niedergerissen, und jedermann ging und ritt
und fuhr ungehindert und ungefragt aus und ein. Das fand ich selbst
gegen die Schweiz sehr liberal. Einen Abend blieb ich in Genlis, dem
Gute der bekannten Schriftstellerin. Die Besitzung ist sehr nett, aber
sehr bescheiden; und die Dame wird, trotz allem, was ihre Feinde von ihr
sagen, hier sehr geliebt.

Dijon hat ungefähr eine Stunde im Umfange und rund um die Stadt einen
ziemlich angenehmen Spaziergang. Der Ort empfindet die Folgen der
Revolution vor allen übrigen, weil sie hier vorzüglich heftig war. Die
Leute wissen bis jetzt vor Angst noch nicht, wo sie mit ihrer Stimmung
hin sollen: die Meisten scheinen königisch zu seyn. Mein Wirth, der sehr
höflich mit mir herumlief, erzählte mir in langen Klagen den ganzen
Verlauf der Sachen in ihrer Stadt, und die schreckliche Periode unter
Robespierre, wo viele brave Leute theils guillottinirt wurden, theils in
den Gefängnissen vor Angst und Gram starben. Die Sache hat freilich
mehrere Seiten. Viele scheinen nur das Anhängsel der ehemaligen Reichen
vom Adel und der Geistlichkeit zu machen; diese können allerdings bei
keiner vernünftigen Einrichtung gewinnen. Alle große Städte, die nicht
auf Handel, Fabriken und Industrie beruhen, die Hauptstadt ausgenommen,
müssen durch die Veränderung nothwendig verlieren, da die
Parlamentsherren, der reiche Adel und die reiche Geistlichkeit nicht
mehr ihr Vermögen daselbst verzehren. Aber deßwegen ist dieses noch kein
wesentlicher Verlust für die Nation. Der Park des Prinzen Condé vor dem
Petersthore ist jetzt verkauft und ein öffentlicher Belustigungsort. Im
Ganzen ist die Stadt sehr todt.

Von Dijon fuhr ich, weil mir das Wetter zu heiß ward, mit dem Courrier
nach Auxerres und von dort mit der Diligence nach Paris. Auxerres ist
eine Mittelstadt, aber ziemlich lebhaft, wenigstens weit lebhafter, als
Dijon. Zum Friedensfeste hatte man an dem Boulevardkaffee der Hebe einen
Tempel aufgeführt, der der französischen Kunst eben keine Ehre macht.
Die Gesellschaft war aber angenehm und die Bewirthung gut und billig.
Die Wirthin, ein Prototyp der alten ächt französischen Höflichkeit und
Gutherzigkeit, setzte sich zu mir in die Gartenlaube, hielt mir bei
Gelegenheit der Bezahlung einen langen Unterricht über den Geldkurs, und
gab mir Warnungen, damit ich als Fremder mit der Münze nicht betrogen
würde; welches indessen, zur Ehre der Nation, nur sehr selten geschehen
ist. In Italien war der Fall häufiger, und auch in der Schweiz.

Die Gesellschaft in der Diligence war besser, als der einsylbige
Courrier von Dijon. Ein alter General von der alten Regierung, ein
fremder Edelmann aus der Schweiz, ein Landpfarrer, der zugleich
Mediciner war, ein Kaufmann, ehemals Adjutant des Generals Lecourbe, ein
Gelehrter von Auxerres, der vorzüglich in der Oekonomie stark zu seyn
schien und einige andere Unbekannte machten eine sehr bunte
Unterhaltung. Ich saß zwischen dem Geistlichen und dem Gelehrten im
Fond, und vor mir der General auf dem Mittelsitze. Der General hatte
ehemals in Domingo kommandirt, wäre fast bei seiner Rückkehr in Brest
guillotinirt worden, und nur die Intervention vieler angesehener
Kaufleute hatte ihn gerettet, die seiner politischen Orthodoxie in der
damaligen Zeit das beste Zeugniß gaben. Der Geistliche war ausgewandert
gewesen und hatte als Arzt einige Zeit auf der Gränze gelebt, war aber
mit vieler Klugheit zu rechter Zeit zurückgekommen und hatte seitdem
nach dem Winde lavirt. Jetzt zeigte er nun wieder mehr seinen
eigentlichen Geist. Er war ein Mann von vielen Kenntnissen und vielem
Scharfsinn und vieler Verbindung mit den ehemaligen Großen; also
allerdings kein Plattkopf, sondern ein Spitzkopf.

Er erzählte, als ob das so seyn müßte, eine Menge heilige Schnurren
seiner Jugend, die sogar in seinem eigenen Munde zwar unterhaltend, aber
eben nicht salbungsreich waren. So war er bei Sens einmal als falscher
Bischof gereist und hatte falsche Officialien gehalten, und man hatte
sich todt gelacht, als er den Spaß entdeckte. Ein andermal hatte er
einst als Chorschüler gesehen, daß ein Bauer seinem Beichtvater einen
großen, schönen Karpfen brachte und ihn unterdessen in den Weihkessel
setzte. Schnell stahl ihn der Hecht mit seinen Gesellen zum Frühstück,
und hatte seine große Freude, als der absolvirte Bauer kam und in und
unter dem Weihkessel umsonst den eingesetzten Karpfen suchte, um ihn nun
in die Küche des geistlichen Herrn abzuliefern. Dergleichen Schnurren
hatte er zu Dutzenden, und erzählte sie besser, als ich. Noch eine
Drolerie zeichnete sich aus, aus der alten französischen Geschichte. Es
lebte unweit Sens ein Kanzler von Frankreich auf seinen Gütern, und war
als sehr guter Haushalter bekannt. Einst kommt ein Bauer von seinem Gute
in die Beichte und beichtet, er habe dem Kanzler die Perrücke gekämmt.
»Nun, seid ihr denn ein Perrückenmacher?« fragte der Beichtvater. --
»Nein; ich habe sie ihm nur so gekämmt.« -- »Das sind Possen; die könnt
ihr künftig bleiben lassen: was gehn euch des Kanzlers Perrücken an?« --
Dieser geht mit der Absolution fort und ein anderer kommt und beichtet,
er habe dem Kanzler die Perrücke gekämmt. Die nämliche Sünde, der
nämliche Verweis, die nämliche Vergebung: da kommt ein dritter mit der
nämlichen Beichte. Da fällt dem geistlichen Herrn plötzlich auf, das
müsse eine ganz eigene Kämmerei seyn. Die Vorhergehenden hielten in der
Kirche noch etwas Andacht; »^Écoutez donc, Messieurs les perruquiers^,«
ruft er ihnen zu, »^venez encore en peu ici! il y a encore à peigner^.
Was hat das für ein Bewandtniß mit der Perrücke?« Nun erklärte denn das
beichtende Kleeblatt, der Kanzler habe sehr schöne Heuschober draußen
auf der Wiese stehen, und sie gingen zuweilen mit dem Rechen hinaus und
zögen rund herum bedächtig herunter, daß es niemand merkte: das nennten
sie des Kanzlers Perrücke kämmen. Die neue Manier die Perrücke zu
behandeln wurde also nun scharf gerügt, untersagt und schwer verpönt.

Nun fing der Herr an im Ernst sehr fromm zu erzählen, was die heiligen
Reliquien hier und da in der Nachbarschaft von Paris wieder für Wunder
thäten, und dem Himmel zu danken, daß man endlich wieder anfange an die
allerheiligste Religion zu denken und sie nun wieder wagen dürfe, ihr
Haupt empor zu heben. Er erzählte wenigstens ein halbes Dutzend ganz
nagelneue Wunder, von denen ich natürlich keins behalten habe. Er selbst
hatte mit heißem, heiligem Eifer ^Un abrégé précis sur la vérité de la
religion chrétienne^ geschrieben, so hieß, glaube ich, der Titel, und
das Buch dem Kardinal Caprara zugeschickt. Nach dem Tone zu urtheilen,
kann ich mir die Gründe denken. Der Kardinal habe ihm, wie er sagte, ein
schönes Belobungsschreiben gegeben und ihn aufgemuntert, in seinem Eifer
muthig fortzufahren. Einen komplettern Beweis für die Wahrheit in dem
Buche kann man nun füglich nicht verlangen, als das Urtheil und den
Stempel des Kardinals Caprara.

Nun wurde von den alten Zeiten gesprochen, die Ceremonien und
Feierlichkeiten des Hofs beschrieben und nicht ganz leise angedeutet,
daß man die glückliche Rückkehr derselben bald hoffe. Der geistliche
Herr, der den Sprecher machte und wirklich gut sprach, erhob nun
vorzüglich die Mätressen der Könige von Frankreich, von der schönen
Gabriele bis zur Pompadour und weiter herunter. Es wurde dabei das
Ehrengesetz der Galanterie nicht vergessen: ^Les rois ne font que des
princes^, ^les princes font des nobles et les nobles des roturiers.^ Er
behauptete aus gar nicht unscheinbaren Gründen, daß alle diese Damen
sehr gutmüthige Geschöpfe gewesen, und ich bin selbst der Meinung, daß
sie dem Reiche weit weniger Schaden zugefügt haben als die Minister und
die Könige selbst, deren Schwachheiten gegen beide oft unerhört waren.
Nur klang die Apologie aus dem Munde eines sehr orthodoxen Geistlichen
etwas drollig. Gegen Bonaparte hatte er weiter nichts, als daß er zu
schnell gehe, daß man aber von dem großen Manne noch nicht urtheilen
dürfe. Da hatte ich denn freilich gesündigt; denn ich hatte nun leider
einmal geurtheilt. Das Urtheil über öffentliche Männer, es mag nun wahr
oder falsch seyn, kommt nie zu früh, aber oft zu spät. Mit frommer
Andacht meinte er noch, ^que Bonaparte seroit le plus grand homme de
l'univers et de toute l'histoire^, ^s'il mettoit en se retirant le vrai
rejetton sur le tròne^. Schwerlich wird der Konsul den Pfarrer zu seinem
geheimen Rath machen. Das alles wurde ohne viele Vorsicht öffentlich in
der Diligence geäußert: Du siehst, daß sich die Fahne sehr gedreht hat.
Man sagte laut, daß die Mehrheit den König wünsche, und ihre
Zuchtmeister mögen ihnen wohl den Wunsch ausgepreßt haben. Die Generale
nannte man nur ^les mangeurs de la république^, und das ohne Zweifel mit
Recht.

Unter diesen und andern Ventilationen kamen wir den 6. July in Paris an,
wo man mich in das ^Hôtel du Nord^ in der Straße Quincampoi brachte, wo,
wie ich höre, der berüchtigte Law ehemals sein Wesen oder Unwesen trieb.
Das war mir zu entfernt von den Plätzen, die ich besuchen werde. Mein
erster Gang war Freund Schnorr aufzusuchen[15]. Ich fand mit der Adresse
sogleich sein Haus und hörte zu meinem großen Leidwesen, daß er vor
sieben Tagen schon abgereist war. Seine Stube war aber noch leer, der
Colonnade des Louvre gegenüber; ich zog also wenigstens in seine Stube;
und aus dieser schreibe ich Dir, in der Hoffnung Dich bald wieder zu
sehen; denn meine Börse wird mich bald genug erinnern, die väterlichen
Laren zu suchen.



                                                              _Paris._


Es würde anmaßlich seyn, wenn ich Dir eine große Abhandlung über Paris
schreiben wollte, da Du davon jeden Monat in allen Journalen ein Dutzend
lesen kannst. Mein Aufenthalt ist zu kurz; ich bin nur ungefähr vierzehn
Tage hier und mache mich schon wieder fertig abzusegeln.

Nach Paris kam ich ohne alle Empfehlung, ausgenommen ein Papierchen an
einen Kaufmann wegen meiner letzten sechs Dreier. Ich habe nicht das
Introductionstalent, und im Allgemeinen auch nicht viel Lust, mich
sogenannten großen Männern zu nahen. Man opfert seine Zeit, raubt ihnen
die ihrige und ist des Willkommens gewiß; trifft sie vielleicht selten
zur schönen Stunde, und hätte mehr von ihnen gehabt, wenn man das erste
beste ihrer Bücher, oder ihrer öffentlichen Verhandlungen vorgenommen
hätte. Das ist der Fall im Allgemeinen; es wäre schlimm, wenn es nicht
Ausnahmen gäbe. Mir däucht, man ist in dieser Rücksicht auch zuweilen
sehr unbillig. Man erwartet, oder verlangt vielleicht sogar von einem
berühmten Schriftsteller, er solle in seiner persönlichen Erscheinung
dem Geist und dem Witz in seinen Büchern gleich kommen, oder ihn noch
übertreffen; und man bedenkt nicht, daß das Buch die Quintessenz seiner
angestrengtesten Arbeiten ist, und daß die gesellschaftliche
Unterhaltung ein sonderbares Ansehen gewinnen würde, wenn der Mann
beständig so in Geburtsnoth seyn sollte. Die Zumuthung wäre grausam, und
doch ist sie nicht ungewöhnlich. Es giebt zuweilen glückliche Geister,
deren mündlicher extemporärer Vortrag besser ist, als ihre gesichtetste
Schrift; aber dieses kann nicht zur Regel dienen.

Ich ging zu Herrn Millin, weil ich dort Briefe zu finden hoffte. Diese
fand ich zwar nicht, aber man hatte ihm meinen Namen genannt, und er
nahm mich sehr freundlich auf; und ich bin, so wie ich ihn nun kenne,
versichert, ich würde auch ohne dieß freundlich aufgenommen worden seyn.
Millin ist für die Fremden, die in literärischer Absicht Paris besuchen,
eine wahre Wohlthat. Der Mann hat eine große Peripherie von Kenntnissen,
die ächte französische Heiterkeit, selbst eine schöne Büchersammlung in
vielen Fächern und aus vielen Sprachen, und eine seltene Humanität.
Mehrere junge Deutsche haben den Vortheil, in seinen Zimmern zu arbeiten
und sich seines Raths zu bedienen. Ich habe ihn oft und immer gleich
jovialisch und gefällig gesehen. Auf der Nationalbibliothek herrscht
eine musterhafte Ordnung und eine beispiellose Gefälligkeit gegen
Fremde. Daß in der öffentlichen Gerechtigkeit große Lücken sind, ist
bekannt, und daß ihre gepriesene Freiheit täglich preßhafter wird,
leidet eben so wenig Zweifel. Ich hatte selbst ein Beispielchen. Die
Kaiserin Katharina die Zweite hatte dem Papst Pius dem Sechsten ein
Geschenk mit allen russischen Goldmünzen gemacht; schon der Metallwerth
muß beträchtlich gewesen seyn. Diese lagen mit den übrigen Schätzen im
Vatikan. Die Franzosen nahmen sie weg, um sie nach Paris zu den übrigen
Schätzen zu bringen. In Rom sind sie nicht mehr; aber deßwegen sind sie
nicht in Paris. Man sprach davon; ich fragte darnach. -- »Sie sind nicht
da.« -- »Aber sie sollten da seyn.« -- »Freilich.« -- »Wer hat denn die
Besorgung gehabt?« -- Man schwieg. -- »Der Kommissär muß doch bekannt
seyn.« -- Man antwortete nicht. -- »Warum untersucht man die Sache
nicht?« -- Man zuckte die Schultern. -- »Aber das ist ja nichts mehr als
die allergewöhnlichste Gerechtigkeit und die Sache der Nation, über die
jeder zu sprechen und zu fragen befugt ist.« -- »Wenn die Herren an der
Spitze,« sagte man leise, »die doch nothwendig davon unterrichtet seyn
müssen, es nicht thun, und es mit Stillschweigen übergehen -- wer will
es wagen?« -- »Wagen, wagen!« brummte ich; »so so, das ist schöne
Gerechtigkeit, schöne Freiheit!« Meine Worte und mein Ton setzten die
Leutchen etwas in Verlegenheit; und es schien, ich war wirklich seit
langer Zeit der Erste, der nur so eine Aeußerung wagte. Wo keine
Gerechtigkeit ist, ist keine Freiheit; und wo keine Freiheit ist, ist
keine Gerechtigkeit; der Begriff ist eins; nur in der Anwendung verirrt
man sich, oder vielmehr man sucht andere zu verwirren.

In dem Saale der Manuscripte arbeiten viel Inländer und Ausländer, und
unter andern auch Doctor Hager an seinem chinesischen Werke. Ich ließ
mir den Plutarch von Sankt Markus in Venedig geben, um doch auch ein
gelehrtes Ansehen zu haben, bin aber nicht weit darin gekommen. Es wird
mir sauer, dieses zu lesen, und ich nehme lieber den Homer von Wolf,
oder den Anakreon von Brunk, wo mir leicht und deutlich alles vorgezogen
ist. In der Kupferstichsammlung hängt an den Fenstern herum eine
gezeichnete Kopie von Raphaels Psyche aus der Farnesina; aber sie
gewährt kein außerordentlich großes Vergnügen, wenn man das Original
noch in ganz frischem Andenken hat.

Mein erster Gang, als ich ins Museum im Louvre kam, war zum Laokoon. Ich
hatte in Dresden in der Mengsischen Sammlung der Abgüsse und in Florenz
bei der schönen Kopie des Bandinelli einen Zweifel aufgefangen, den man
mir dort nicht lösen konnte. Man sagte mir, es sei so im Original; und
das konnte ich nicht glauben, oder ich beschuldigte den alten großen
Künstler eines Fehlers. Die Sache war: das linke Bein, um welches sich
an der Wade mit großer Gewalt die Schlange windet, war im Abguß und in
der Marmorkopie durchaus gar nicht eingedrückt. Ich weiß wohl, daß die
große Anstrengung der Muskeln einen tiefen Eindruck verhindern muß: aber
eine solche Bestie, wie diese Schlange war, und auf dem Kunstwerk ist,
mußte mit ihrer ganzen Kraft der Schlingung den Eindruck doch ziemlich
merklich machen. Hier sah ich die Ursache der Irrung auf einen Blick.
Das Bein war an der Stelle gebrochen, und so auch die Schlange; man
hatte die Stücke zusammengesetzt: aber eine kleine Vertiefung der Wade
unter der Pressung war auch noch im Bruche sichtbar. Beim Abguß und der
Kopie scheint man darauf nicht geachtet zu haben, und hat die Wade im
Druck der Schlange so natürlich voll gemacht, als ob sie nur durch einen
seidenen Strumpf gezogen würde. Ich überlasse das Deiner Untersuchung
und Beurtheilung; mir kommt es vor, als ob die so verschönerte Wade
deßwegen nicht schöner wäre.

Den Apollo von Belvedere will man jetzt, wie ich höre, zum Nero, dem
Sieger machen. Klassische Stellen hat man wohl für sich, daß Nero in
dieser Gestalt existirt haben könne; es kommt nur darauf an, daß man
beweise, er sei es wirklich. Es wäre Schade um das schöne, hohe Ideal
der Künstler, wenn seine Schöpfung eine solche Veranlassung sollte
gehabt haben. Indessen bin ich fast in Gefahr, in der Miene und
besonders um den Mund des Gottes etwas Neronisches zu finden. Der
Musaget gefällt mir nicht, so wenig als einige seiner Mädchen: aber
dafür sind andere dabei, die hohen Werth haben. Unter der Gesellschaft
steht ein Sokrateskopf, nach welchem Raphael den seinigen in seiner
Schule gemacht haben soll. Wie könnte ich Dir den Reichthum beschreiben,
den die Franken hergebracht haben! Ich wollte nur, die Mediceerin wäre
auch da, damit ich doch das Wunderbild sehen könnte. Vorzüglich
beschäftigten mich einige Geschichtsstatüen und Geschichtsköpfe,
meistens Römer; und vor allen die beiden Brutus, die man links am
Fenster in ein ziemlich gutes Licht gesetzt hat, welches im Ganzen nicht
der Fall ist; denn die meisten Kunstwerke, selbst der Laokoon und der
Belvederische Apoll, stehen schlecht. Ich bin oft in dem Saale auf und
ab gewandelt, und habe links und rechts die Schätze betrachtet; aber ich
kam immer wieder zu den Köpfen und vorzüglich zu diesen Köpfen zurück.
Ich gestehe Dir meine Schwachheit, daß ich lieber Geschichtsköpfe sehe,
als Ideale: und auch unter den Idealen finde ich mehr Porträts und
Geschichte, als die Künstler vielleicht zugestehen wollen.

Die Gemäldesammlung oben ist verhältnißmäßig noch reicher und kostbarer,
als der Antikensaal unten; aber die Ordnung und Aufstellung ist
vielleicht noch fehlerhafter. Wenige Stücke, ausgenommen der große
Vordersaal, haben ein gutes Licht. Die Madonna von Foligno war bei
Madonna Bonaparte, und die Transfiguration war verschlossen unter den
Händen der Restauratoren: ich habe sie also nicht gesehen. Dafür war ich
so glücklich, den Saal der Zeichnungen offen zu treffen. Wie sehr
bedauerte ich, daß Schnorr nicht mehr hier war! er wäre hier in seinem
eigentlichen Element gewesen. Das Wichtigste darunter ist doch wohl auf
alle Fälle die völlig ausgearbeitete Skizze Raphaels von seiner Schule,
mir däucht, fast so groß, wie das Gemälde selbst. Er hat bekanntlich
nachher im Vatikan in der Arbeit einige wenige Veränderungen gemacht.
Ich genoß, und ließ die andern gelehrt vergleichen; nahm hier wieder den
Sokrates und Diogenes und Archimedes. Im nämlichen Saale sah ich auch
die Vasen und einige Tische. Die bekannte Mengsische Vase mit der
doppelten griechischen Aufschrift zeichnet sich durch Schönheit vor den
meisten übrigen aus. Daß die eine Inschrift [Griechisch: Depas] heißt,
ist die höchste Wahrscheinlichkeit: aber die Entzifferung der andern
beruht wohl nur auf Konjektur des Gegenstandes; denn man könnte aus den
Zügen eben so gut [Griechisch: Korakas], als [Griechisch: Êepauso]
machen. Die Vermuthung ist indessen sinnreich, wenn sie auch nicht
richtig seyn sollte. Vielleicht giebt irgend eine Stelle eines alten
Schriftstellers einigen Aufschluß darüber.

Ich hatte gewünscht, David zu sehen, hörte aber in Paris so viel
Problematisches über seinen Charakter, daß mir die Lust verging. Ich sah
ihn nur ein einziges Mal in seinem kleinen Garten am Louvre, und sein
Anblick lud mich nicht ein, ihm näher zu kommen. Das that mir leid, denn
ich finde in dem Manne sonst Vieles, was mich hingezogen hätte. Aber
reine Moralität ist das Erste, was ich von dem Manne fordere, den ich zu
sehen wünschen soll. Vielleicht thut man dem strengen, etwas finstern
Künstler auch etwas zuviel; desto besser für ihn und für uns Alle! Sein
Sohn hatte die Höflichkeit mich in das Atelier seines Vaters zu führen,
wo Brutus der Alte steht, ein herrliches Trauerstück. Man nennt es hier
nur die Reue des Brutus, und ich begreife nicht, wie man zu dieser Idee
gekommen ist. Die Leichen der jungen Menschen werden eben
vorbeigetragen, der weibliche Theil der Familie unterliegt dem Gewicht
des Schmerzes, die Mutter wird ohnmächtig gehalten. Diese Gruppirung ist
schön und pathetisch. Der alte Patriot sitzt entfernt in der Tiefe
seines Kummers; er fühlt ganz die Verwaisung seines Hauses. Dieß ist,
nach meiner Meinung die ganze Deutung des Stücks. Reue ist nicht auf
seinem Gesichte, und kann, so viel ich weiß, nach der Geschichte nicht
darauf seyn. Diese Arbeit hat mir besser gefallen als die Sabinerinnen,
welche in einem abgelegenen Saale für 36 Sols Entrée gezeigt werden. Ich
weiß nicht, ob David es nöthig hat, sich Geld zahlen zu lassen: aber die
Methode macht weder ihm, noch der Nation Ehre. Ich hatte nichts gezahlt,
weil mich sein Sohn führte. Es thut mir in seine und jedes guten
Franzosen Seele leid, daß die Kunst hier so sehr merkantilisch ist.
Ueber das Stück selbst schweige ich, da ich im Ganzen der Meinung der
andern deutschen Beurtheiler bin.

In Versailles war ich zweimal; einmal allein, um mich umzusehen; das
zweitemal in Gesellschaft mit Landsleuten, als die Wasser sprangen. In
Paris sah man Alles unentgeltlich, und überall war zuvorkommende
Geselligkeit: in Versailles war durchaus eine Begehrlichkeit, die gegen
die Pariser Humanität sehr unangenehm abstach. Ich zahlte einem
Lohnlakei für zwei Stunden einen kleinen Thaler; darüber murrte er und
verlangte mehr. Ich gab dem Mann in den ehemaligen Zimmern des Königs
dreißig Sols; dafür war er nicht höflich. Alles war theurer und
schlechter und alle Gesichter waren mürrischer. Das scheint mir nun so
die eingewurzelte Natur des alten Hofwesens zu seyn. Du wirst mir die
Beschreibung der Herrlichkeiten erlassen. Unten das Naturalienkabinet
ist sehr artig, und enthält mehrere Kuriositäten, muß aber freilich viel
verlieren, wenn man einige Tage vorher den botanischen Garten in Paris
gesehen hat. Eine eigene Erscheinung ist in dem hintersten Zimmer eine
Zusammenhäufung der Idole der verschiedenen Kulten des Erdbodens.
Darunter stand auch das Kreuz und mich wundert, daß man es nach
Abschließung des Konkordats noch nicht wieder von hier weggenommen hat,
da es doch sonst durchaus wieder in seine Würde gesetzt ist. Die Gemälde
auf den Sälen oben sind alle aus der französischen Schule, und es sind
viele Stücke darunter, die durch Kunst und noch mehr durch
Geschichtsbeziehung interessant sind. Der Garten und vorzüglich die
Orangerie wird in guter Ordnung gehalten. Sie ist schön, und es ist wohl
wahrscheinlich, was man sagt, daß Bäume dabei sind, die schon unter
Heinrich dem Vierten hier gestanden haben. Die Partien nach Trianon
hinüber sind noch eben so schön, als sie vor zwanzig Jahren waren. Die
Versailler, welche unstreitig von allen am meisten durch die Revolution
verloren haben, und bei denen das monarchische Wesen vielleicht noch am
festesten sitzt, schmeicheln sich, daß der Hof wieder hierher kommen
werde, damit sie doch nicht gänzlich zu Grunde gehen. Das ist geradezu
ihre Sprache und ihr Ausdruck; und sie haben wohl daran nicht Unrecht.
Wenn sie vom Großkonsul sprechen, nennen sie sein Gefolge seinen Hof;
und wenn man die Sache recht ohne Vorurtheil nimmt, ist er absoluter und
despotischer, als irgend ein König von Frankreich war, von Hugo Capet
bis zum letzten unglücklichen Ludwig. Jetzt wird St. Cloud für ihn
eingerichtet.

Gestern habe ich ihn auch endlich gesehen, den Korsen, der der großen
Nation mit zehnfachem Wucher zurückgiebt, was die große Nation seine
kleine seit langer Zeit hat empfinden lassen. Es war der vierzehnte Juli
und ein großes Volksfest, wo der ganze Pomp der seligen Republik hinter
ihm herzog. Früh hielt er große Parade auf dem Hofe der Tuilerien, wo
alles Militär in Paris und einige Regimenter in der Nachbarschaft die
Revue passirten. Ich hatte daher Gelegenheit, zugleich die schönsten
Truppen von Frankreich zu sehen. Die Konsulargarde ist unstreitig ein
Corps von den schönsten Männern, die man an einem Orte beisammen denken
kann: nur kann ich mir in den französischen Soldaten, ich mag sie
besehen, wie ich will, immer noch nicht die Sieger von Europa
vorstellen. Wir sind mehr durch den Geist ihrer Sache und ihren hohen
Enthusiasmus, als durch ihre Kriegskunst, geschlagen worden. Die
taktische Methode des Tiraillirens, die aber vielleicht nur der
Ueberlegene an Anzahl brauchen kann, hat das Ihrige auch gethan. Von
Bonaparte sollte ich wohl lieber schweigen, da ich nicht sein Verehrer
bin. Einen solchen Mann sieht man auf zweihundert Meilen vielleicht
besser, als auf zehn Schritte. Es scheint aber in meinem Charakter zu
liegen, Dir über ihn etwas zu sagen; und das will ich denn mit Offenheit
thun. Ich bin keines Menschen Feind, sondern nur der Freund der
Wahrheit, Freiheit und Gerechtigkeit. Neid und Herabsetzungssucht sind
meiner Seele fremd; ich nehme immer nur die Sache. Ich bin dem Manne von
seiner ersten Erscheinung an mit Aufmerksamkeit gefolgt, und habe seinen
Muth, seinen Scharfblick, seine militärische und politische Größe nie
verkannt. Problematisch ist er mir in seinem Charakter immer gewesen,
und ist es jetzt mehr, als jemals, wenn man ihn nicht geradezu verdammen
soll. Bis auf den Tag von Marengo, wo ihn Desaix's Tod aus den
republikanischen Grenzen heraushob, hat er als Republikaner im
Allgemeinen handeln müssen: seitdem hat er nichts mehr im Sinne eines
Republikaners gethan.

Als er aus Aegypten kam, trat er die Krise seines Charakters an. Wir
wollen sehen, was er in Paris thut, dachte ich, und dann urtheilen. Ich
tadle ihn nicht, daß er das Direktorium stürzte: es war keine Regierung,
die unter irgend einem Titel die Billigung der Vernünftigen und
Rechtschaffenen hätte erhalten können. Ich tadle ihn nicht, daß er so
viel als möglich in der wichtigen Periode das Ruder des Staats für sich
in die Hände zu bekommen suchte: es war in der Vehemenz der Faktionen
vielleicht das einzige Mittel, diese Faktionen zu stillen. Aber nun
fängt der Punkt an, wo sein eigenster Charakter hervorzutreten scheint.
Seitdem hat er durchaus nichts mehr für die Republik gethan, sondern
Alles für sich selbst -- eben da er aufhören sollte, irgend etwas mehr
für sich selbst zu thun, sondern Alles für die Republik. Jeder Schritt,
den er that, war mit herrlich berechneter Klugheit vorwärts für ihn, und
für die Republik rückwärts. Land gewinnen heißt nicht die Republik
befestigen. Die erste Konstitution zeigte zuerst den Geist, den er
athmen würde. Sie wurde mit dem Bajonett gemacht, wie fast alle
Konstitutionen. Es that mir an diesem Tage wehe für Frankreich und für
Bonaparte. Das Schicksal hatte ihm die Macht in die Hände gelegt, der
größte Mann der Weltgeschichte zu werden: er hatte aber dazu nicht
Erhabenheit genug und setzte sich herab, mit den übrigen Großen auf
gleichen Fuß. Er ist größer, als die Dionyse und Cromwelle; aber er ist
es doch in ihrer Art, und erwirbt sich ihren Ruhm. Daß er nicht sah, daß
seine Konstitution die neue Republik zertrümmern und dem vollen
Despotismus die Wege bahnen würde, das läßt sich von seinem tiefen Blick
nicht denken: und über seine Absichten mag ich nicht Richter seyn. Ich
habe wider das Konsulat nichts, nichts wider das erste Konsulat. Aber
seine Macht war sogleich zu exorbitant, und die Dauer war nicht mehr
republikanisch. Ich gebe zu, daß die Dauer der römischen Magistraturen
von einem Jahre zu kurz war, zumal bei der Unbestimmtheit und
Schlaffheit ihrer Gesetze ^de ambitu^; aber die Dauer der neuen
französischen von zehn Jahren war zu lang. Der letzte Stoß war, daß der
alte Konsul wieder gewählt werden konnte. Ein Mann, der fast zehn Jahre
lang eine fast grenzenlose Gewalt in den Händen gehabt hat, müßte ein
Blödsinniger, oder schon ein öffentlicher, verächtlicher Bösewicht seyn,
wenn er nicht Mittel finden sollte, sich wieder wählen zu lassen, und
sodann nicht Mittel, die Wahl zum Vortheil seiner Kreaturen zu
beherrschen. Kleine Bedienungen mögen und dürfen in einer Republik
lebenslänglich seyn; wenn es aber die großen sind, geht der Weg zur
Despotie. Das lehrt die Geschichte. Ich hätte nicht geglaubt, daß es so
schnell gehen würde; aber auch dieses zeigt den Charakter der Nation.
Fast sollte man glauben, die Franzosen seien zur bestimmten Despotie
gemacht, so kommen sie ihr überall entgegen. Sie haben während der
ganzen Revolution viel republikanische Aufwallung, oft republikanischen
Enthusiasmus, zuweilen republikanische Wuth gezeigt, aber selten
republikanische Vernunft. Nicht, als ob nicht hier und da einige Männer
gewesen wären, die das Letzte hatten; aber der Sturm verschlang sie. Es
sind durch diese Staatsveränderung freilich Ideen in Umlauf gekommen und
furchtbar bis zur Wuth gepredigt worden, die man sich vorher nur sehr
leise sagte, und die so leicht nicht wieder zu vertilgen seyn werden:
aber die halbe und falsche Aufklärung dieser Ideen und der Mißbrauch
derselben geben den etwas gewitzigten Gegnern die Waffen selbst wieder
in die Hände. Die Republik Frankreich trägt, so wie die römische, und
zwar weit näher, als jene, ihre Auflösung in sich, wenn man keine
haltbarere Konstitution bauet, als bis jetzt geschehen ist. Mir thut das
leid; ich habe vorher ganz ruhig dem Getümmel zugesehen und immer
geglaubt und gehofft, daß aus dem wildgährenden Chaos endlich noch etwas
Vernünftiges hervortauchen würde. Seitdem Bonaparte die Freiheit
entschieden wieder zu Grabe zu tragen droht, ist mir, als ob ich erst
Republikaner geworden wäre. Ich bin nicht der Meinung, daß eine große
Republik nicht dauern könne. Wir haben an der römischen das Gegentheil
gesehen, die doch, trotz ihrer gerühmten Weisheit, schlecht genug
organisirt war. Ich halte dafür, daß in einer wohlgeordneten Republik am
meisten Menschenwürde, Menschenwerth, allgemeine Gerechtigkeit und
allgemeine Glückseligkeit möglich ist. Beweis und Vergleichung weiter zu
führen, würde wenig frommen und hier nicht der Ort seyn. Wo nicht der
Knabe, der diesen Abend in der letzten Strohhütte geboren wurde, einst
rechtlich die erste Magistratur seines Vaterlandes verwalten kann, ist
es Unsinn von einer vernünftigen Republik zu sprechen. Privilegien aller
Art sind das Grab der Freiheit und Gerechtigkeit. Schon das Wort erklärt
sich. Eine Ausnahme vom Gesetz ist eine Ungerechtigkeit, oder das Gesetz
ist schlecht. In Deutschland hat man klüglich die Geistlichen und
Gelehrten in etwas Theil an manchen Privilegien nehmen lassen, damit der
Begriff nicht so leicht unbefangen auseinander gesetzt werde, und die
Beleuchtung Publicität gewinne. In Frankreich hat man zwar die
Privilegien mit einem einzigen Machtspruche zertrümmert und glaubt nun
genug gethan zu haben. Aber sie werden sich schon wieder einschleichen
und festsetzen; und man arbeitete schon selbst dadurch für sie, daß man
auf der Gegenseite ohne Schonung stürmte, und zu weit ging. »Die
Republik der Fische ist durch die freie Fischerei zerstört,« sagte der
geistliche Herr ganz skoptisch in dem Postwagen; »und die freie Jagd
giebt der Polizei genug zu thun; denn es macht allerhand Gesindel im
Lande allerhand Jagd.« Muß man denn bei Abstellung der Ungebühr durchaus
die Jagd frei geben? Oder ist dieses nur ein Rechtsbegriff? Sie kann
nicht frei seyn. In jedem wohlgeordneten Staate ist sie nur ein Recht
der Eigenthümer; und nur der Eigenthümer kann die Befugniß haben, das
Wild auf seinem Grundstücke zu tödten, und hat den Prozeß gegen den
Nachbar, der es zum Schaden seiner Nachbarn nicht thut. Das Lehnsystem
ist in Frankreich abgeschafft. Es wird sich aber von selbst wieder
machen; denn man hat keine Vorkehrungen dagegen getroffen. Nach meiner
Ueberzeugung ist die Grundlage der Freiheit und Gerechtigkeit in einem
Staate, daß der Staat durchaus nur reine Besitzungen giebt und sichert,
und dafür reine Pflichten fordert. Durch diesen Grundsatz allein werden
die Rechtsverhältnisse vereinfacht, und die Beeinträchtigung aller Art
aufgehoben. Es entsteht daraus zwar nothwendig ein Gesetz, das eine
Einschränkung des Eigenthumsrechts zu seyn scheint; dieses ist aber
nicht weiter, als insofern gar Niemand ein Eigenthumsrecht zum
Nachtheile des Staats haben kann und darf. Niemand darf nämlich die
Erlaubniß haben, seine Grundstücke mit Lasten zu verkaufen, oder auf
immer zu vergeben, sondern muß sie durchaus rein veräußern. Nur durch
dieses Gesetz wird der Rückkehr des Feudalsystems der Weg versperrt,
werden alle Frohnverhältnisse, alle Leistungen an Subordinirte,
Emphyteusen, alle Erbpachtungen aufgehoben. Denn alles dieses ist der
Weg zum Lehnsystem, und dieses ist der Weg zu Ungerechtigkeiten aller
Art und zur Sklaverei. Wo es noch erlaubt ist, mit Lastklauseln
Grundstücke umzutauschen, kann in die Länge keine wahre Freiheit und
Gerechtigkeit bestehen. Dagegen sind wohl schwerlich gültige
Einwendungen zu machen. Wenn jemand zu viele Grundstücke hat, daß er sie
nicht durch sich und seine Familie verwalten, oder durch Pächter
besorgen und bestellen lassen kann, so hat er eben deßwegen für den
Staat in jeder Rücksicht schon zu viel; er ist ihm zu reich. Er mag dann
verkaufen, aber rein verkaufen und ohne Bedingung, so theuer, als er
will. Intermediäre Lasten können nicht bleiben: der Bürger kann Niemand
Pflichten schuldig seyn, als dem Staate: und Bürger ist jeder, der nur
einen Fuß Landes besitzt. ^In detrimentum reipublicae^ finden keine
Besitzungen Statt. Es versteht sich von selbst, daß dann alle
Steuerkataster nach der Regel Detri gemacht werden: und die erste
Realimmunität ist der erste Schritt zur Despotie. So lange unsere
Staaten nicht nach diesen Grundsätzen gemacht werden, dürfen wir nicht
allgemeine Gerechtigkeit, nicht allgemeines Interesse, nicht Festigkeit
und Dauer erwarten. In Frankreich ist kein Gesetz, das den belasteten
Verkauf der Grundstücke untersagte; die Folge ist vorauszusehen.

Die Errichtung der Ehrenlegion mit Anweisung auf Nationalgüter ist der
erste beträchtliche Schritt zur Wiedereinführung des Lehnsystems; das
ward allgemein gefühlt: aber Niemand hat die Macht, dem Allmächtigen zu
widerstehen, der den Bajonetten befiehlt. Die Bajonette sind, wie
gewöhnlich, sehr fein mit ins Spiel gezogen, und die meisten Führer
derselben nehmen sich nicht die Mühe, bis auf übermorgen vorwärts zu
denken. Wo die Regierung militärisch wird, ist es um Freiheit und
Gerechtigkeit gethan. Rom fiel, sobald sie es ward. Die Geistlichkeit
spricht wieder hoch und laut. Freilich wird sie nicht so schnell wieder
zu der enormen Höhe steigen, wo sie vorher stand, so wenig, wie der
Adel. Aber das alte System wurde auch nicht in einem Tage gebauet. Ich
erinnere mich, daß vor einiger Zeit ein Emigrant in Deutschland, der
übrigens nicht Schuld daran war, daß die Esel keine Hörner haben, sich
höchlich freute, daß nun wenigstens ein Edelmann allein an der Spitze
stehe: das Uebrige werde sich schon machen. Der Mann muß in seiner
Unbefangenheit eine prophetische Seele gehabt haben. Es hat wirklich
alles Ansehen, sich zu machen. Man sagt, Caprara habe schon auf
Wiederherstellung der Klöster angetragen, sei aber von Bonaparte
zurückgewiesen worden. Bonaparte müßte nicht der kluge Mann seyn; der er
ist, wenn er ohne Noth solche Sprünge machen wollte, oder mehr gäbe, als
er zu seinem Behufe muß. Es ist das Glück des Adels und der
Geistlichkeit, daß sie mit Modificationen in seine Zwecke gehören. Wenns
Noth thut, wird sich schon Alles geben. Daß die Katholicität in
Frankreich noch vielen Anhang, theils aus Ueberzeugung, theils aus
Gemächlichkeit, theils aus Politik hat, beweist das Konkordat sehr
deutlich. Man hat wirklich den Katholicismus zur Staatsreligion, das
heißt zur herrschenden, gemacht, und ich stehe nicht dafür, wenn es so
fort geht, daß man in hundert Jahren das Bekehrungsgeschäft nicht wieder
mit Dragonern treibt. Ich selbst wurde durch die Rolle, die Bonaparte
dabei spielte, gar nicht überrascht; es war seine Konsequenz: er war bei
der Osterceremonie der nämliche, welcher er in Aegypten war, wo er sein
Manifest anfing: »Im Namen des einzigen Gottes, der keinen Sohn hat!« Er
dachte ^mundus vult -- ergo --^; aber das Sprichwort ist nicht wahr: und
es wäre zu wünschen gewesen, daß er nicht so gedacht hätte. »^Il est un
peu singe, mais il est comme il faut^;« sagte der geistliche Herr im
Postwagen. Wenn er Bonaparte dadurch richtig gezeichnet hat, so ist es
zugleich ein gräßliches Verdammungsurtheil für seine Nation. Nur die
Zeit kam erleuchtend. Der Mann ist von seiner Größe herabgestiegen. Es
wird erzählt, er habe die Fahnen weihen wollen, sei aber durch das
Gemurmel der alten Grenadiere davon abgehalten worden, die doch
anfingen, die Dose etwas zu stark zu finden. Ein Mann, der in Berlin und
Petersburg entschieden republikanische Maßregeln nimmt, gilt dort mit
Grund für widerrechtlich und die Regierung verfährt gegen ihn nach den
Gesetzen; das Gegentheil muß aus dem nämlichen Grunde seit zehn Jahren
in Frankreich gelten: man müßte denn in der Berechnung etwas höher
gehen; welches aber sodann jedem Revolutionär ^in utramque partem^ zu
Statten kommen würde.

Jetzt lebte er einsam und mißtrauisch, mehr, als je ein Morgenländer.
Friedrich versäumte selten eine Wachparade; der Konsul hält alle Monate
nur eine einzige. Er erscheint selten und immer nur mit einer starken
Wache, und soll im Schauspiel in seiner Loge sogar Reverberes nach allen
Seiten haben, die ihm Alles zeigen, ohne daß ihn Jemand sieht. Bei
andern liberalern Maßregeln könnte er als Fremdling, wie eine
wohlthätige Gottheit unter der Nation herumwandeln, und sein Name würde
in der Weltgeschichte die Größe aller andern niederstrahlen. Nun wird er
unter den Augusten, oder wenigstens unter den Dionysen glänzen; dafür
hat er auf den kleinlichen Ruhm eines Aristides Verzicht gethan. Ich
könnte weinen; es ist mir, als ob mir ein böser Geist meinen Himmel
verdorben hätte. Ich wollte so gern einmal einen wahrhaft großen Mann
rein verehren; das kann ich nun hier wieder nicht.

Man sagt sich hier still und leise mehrere Bonmots, die seinen Stempel
tragen. Von dem Tage des ägyptischen Manifestes an hat sich meine Seele
über seinen Charakter auf Schildwache gesetzt. Das Konkordat und die
Osterfeier sind das Nebenstück. Als ihn ein zelotischer Republikaner in
die ehemaligen Zimmer des Königs führte, die er nun selbst bewohnen
wollte, und ihm dabei bedeutend sagte: »^Citoyen, vous entrez ici dans
la chambre d'un tyran^;« antwortete er mit schnellem Scharfsinn: »^S'il
avoit été tyran, il le seroit encore.^« Eine furchtbare Wahrheit aus
seinem Munde! Als ihm vorgestellt wurde, das Volk murre bei einigen
seiner Schritte, er möchte bedenken, erwiederte er: »^Le peuple n'est
rien pour qui le sait mener.^« Dem Sieyes, den die Partei des Konsuls
bei jeder Gelegenheit als einen Flachen, sehr subalternen Kopf
darstellt, soll er auf eine Erinnerung sehr skoptisch gesagt haben: »^Si
j'avois été roi en 1790, je le serois encore; et si j'avois dit alors la
messe, j'en ferois encore de même.^« Ich sage Dir, was man hier und
bedächtlich an öffentlichen Orten spricht; denn laut zu reden wagt es
Niemand, weil seine ^lettres de cachet^ eben so sicher nach Bicetre
führen, als unter den Königen in die Bastille. Als das bekannte Buch
über das lebenslängliche Konsulat erschien und er es nicht mehr
unterdrücken konnte und doch den Verfasser, der ein angesehener und von
der Nation allgemein geachteter Mann war, willkührlich gewaltsam in der
Krise anzutasten nicht wagte, begnügte er sich zu sagen: »Es sei Alles
sehr gut, aber jetzt nur etwas zu früh.« Jedermann, der etwas weiter
blickte, behauptete, es sei leider etwas zu spät. Das gesetzgebende
Corps nennt man hier nur die Versammlung, durch welche er Gesetze giebt.
Als ein Kommissär mit dem feinen Vorschlag des lebenslänglichen
Konsulats nicht sogleich überall erwünschten Eingang fand, sondern
vielmehr Schwierigkeiten aller Art antraf, soll er bei dem schnellen
Rapport ungeduldig mit den Fingern geknackt und gesagt haben: »^Ah, je
saurai les attraper.^« Das hat er gehalten. Er schmiedete das Eisen
schnell, weil es warm war: nach vierzehntägigen Abkühlungen und
Ueberlegungen möchte die Sache anders gegangen seyn. Ueber die Stimmung
werden sonderbare Anekdoten erzählt; aber sie ist nun geschehen.

Man nennt ihn hier mit verschiedenen Namen, ^le premier consul^, ^le
grand consul^, ^le consul^ vorzugsweise. Die beiden andern, die auch nur
das Drittheil der Wache haben, sind neben ihm Figuranten und ihrer wird
weiter nicht gedacht, als in der Form der öffentlichen Verhandlungen.
Scherzweise nennt man ihn auch ^Sa Majesté^, und ich stehe nicht dafür,
daß es nicht Ernst wird. Auch heißt er ziemlich öffentlich ^empereur des
Gaules^; vielleicht die schicklichste Benennung für seinen Charakter,
welche die Franzosen auch zugleich an die mögliche Folge erinnert! Auf
Cäsar folgte August, und so weiter.

Die Feier des Tages des Bastillensturms beschloß ein Konzert in den
Tuilerien, wo in dem Gartenplatze vor dem Orchester am Schlosse eine
unzählige Menge Menschen zusammen gedrängt stand. Die ganze
Nationalmusik führte es aus, und that es mit Kunst und Fertigkeit und
Würde. Die Musik selbst gefiel mir nicht, ein Marsch ausgenommen, der
durch seinen feierlichen Gesang eine hohe Wirkung hervorbrachte. Ich
habe den Meister nicht erfahren. Das erste Orchester und vielleicht die
erste Versammlung der Erde hätte bessere Musik haben sollen. Auf dem
Balkon waren alle hohen Magistraturen der Republik, wie sie noch heißt,
in ihrem Staatsaufzuge, und von den fremden Diplomatikern diejenigen,
denen der Rang eine solche Ehre gab. Der erste Konsul ließ sich
einigemal sehen, ehe man Notiz von ihm nahm. Endlich fingen einige der
Vordern an zu klatschen; es folgte aber nur ein kleiner Theil der Menge.
Der Platz hielt vielleicht über Hunderttausend, und kaum der hundertste
Theil gab die Ehrenbezeigung. Der Enthusiasmus war also nicht so
allgemein, als man für ihn in seiner neuen Würde hätte erwarten sollen.
Auch die Illumination war nicht die Hälfte von dem, was sie voriges Jahr
gewesen seyn soll: und man sprach hier und da davon, daß die
republikanischen Feste nach und nach eingehen sollten. Das ist
begreiflich. Indessen werden sie doch etwas länger dauern, als die
Republik selbst; wie die meisten Zeichen länger währen, als die Sache
selbst.

Von den Merkwürdigkeiten in Paris darf ich nicht wieder anfangen wenn
ich kein Buch schreiben will; und dazu habe ich weder Lust, noch Zeit,
noch Kenntniß. Die bunte Scene wandelt sich alle Tage interessant. Bloß
der Garten der Tuilerien mit den elysäischen Feldern, welcher die
Hauptpromenade der Pariser in dieser Gegend ausmacht, gewährt täglich
eine unendliche Verschiedenheit. Die Preßfreiheit ist hier
verhältnißmäßig eingeschränkter, als in Wien, und ich bin fest
überzeugt, wenn der Tartüffe jetzt erschiene, man würde ihn eben sowohl
verdammen, als damals; und Moliere könnte wieder sagen: »^Monsieur le
président ne veut pas, qu'on le joue.^« Die Dekaden sind durch das
Konkordat und die Einführung der römischen Religion nothwendig geradezu
wieder abgeschafft; sie heben einander auf. Auch rechnet man in Paris
fast überall wieder nach dem alten Kalender und zählt nach Wochen. Die
öffentlichen Verhandlungen werden bald folgen. Die Fasten werden in den
Provinzen in Frankreich hier und da strenger gehalten, als selbst in
Italien. In Italien konnte ich fast überall essen nach Belieben; in
Dijon mußte ich einigemal, sogar an der Wirthstafel, zur Fasten mit der
Gesellschaft Froschragout essen: es war kein anderes Fleisch da. Mir war
es einerlei, ich esse gern Frösche; aber diese Mahlzeit ist doch sonst
nicht Jedermanns Sache. So ging mir es noch mehrere Mal auf der Reise.
In Paris nimmt man freilich noch keine Notiz davon; aber man that es
auch ehemals nicht. Die alten Namen der Oerter und Gassen treten nach
und nach alle wieder ein, und eine republikanische Charte von der Stadt
ist fast gar nicht mehr zu brauchen. Viele stellen sich, als ob sie die
neuen Namen gar nicht wüßten; so sah mich ein sehr wohlgekleideter Mann
glupisch an, als ich in die ^rue de loi^ wollte, wies mich aber sehr
höflich weiter, als ich sie ^rue de Richelieu^ nannte. Das Pantheon
heißt wieder die heilige Genoveve, und wird höchst wahrscheinlich nur
unter dieser Rubrik vollendet werden. Ob sich dieses alles so sanft
wieder machen wird, weiß der Himmel. Man scheint jetzt von allen Seiten
mit gehörigen Modificationen darauf hinzuarbeiten. Die wieder
eingewanderten und wieder eingesetzten Geistlichen treten schon überall
von neuem mit ihren Anmaßlichkeiten hervor, und finden Engbrüstigkeit
genug für ihre Lehre. Sie versagen, wie man erzählt, hier und da die
Absolution, wenn man die Güter der Emigranten nicht wieder herausgeben
will. Das kann in einzelnen Fällen sogar republikanische Gerechtigkeit
seyn: aber der Mißbrauch kann weit führen. Man erzählt viele Beispiele,
daß die französischen Roskolniks durchaus keine gemischten Ehen
gestatten. Laßt nur erst die Geistlichkeit in die Justiz greifen, so
seid ihr verloren! Vor einigen Tagen las ich eine ziemlich sonderbare
Abhandlung in einem öffentlichen Blatte, wo der Verfasser eine Parallele
zwischen dem französischen und englischen Nationalcharakter zog. Man
blieb ungewiß, ob das Ganze Ernst, oder Ironie war. Er ließ den Briten
wirklich den Vorzug des tiefern Denkens, und behauptete für seine Nation
durchaus nur die schöne Humanität und den Geschmack. Wenn sich das
Letzte nur ohne das Erste halten könnte. Die Ausführung war wirklich
drollig. Er sagt nicht undeutlich, die ganze Revolution sei eine Sache
des Geschmacks und der Mode gewesen; und wenn man die Geschichte
durchgeht, ist man fast geneigt, ihm Recht zu geben. Aber diese Mode hat
Ströme Blut gekostet; und wenn man so fortfährt, wird fast so wenig
dadurch gewonnen werden, als durch jede andere Mode der Herren von der
Seine.

Die Polizei ist im Allgemeinen außerordentlich liberal, wenn man sich
nur nicht beigehen läßt, sich mit Politik zu bemengen. Das ist man in
Wien auch. Der Diktator scheint das alte Schibolet zu brauchen: ^panem
et circenses^. Wenn ich in irgend einer großen Stadt zu leben mich
entschließen könnte, so würde ich Paris wählen. Die Franzosen haben
mehr, als eine andere Nation dafür gesorgt, daß man in der Hauptstadt
noch etwas schöne Natur findet. Die Tuilerien, die elysäischen Felder,
die Boulevards, Luxenburg, der botanische Garten, der Invalidenplatz,
Frascati und mehrere andere öffentliche Orte gewähren eine schöne
Ausflucht, die man durchaus in keiner andern großen Stadt so trifft.
Eine meiner sentimentalen Morgenpromenaden war, die Wachparade der
Invaliden zu sehen; in meinem Leben ist mir nichts rührender gewesen,
als diese ehrwürdige Versammlung. Kein einziger Mann, der nicht für sein
Vaterland eine ehrenvolle Wunde trug, die ihm die Dankbarkeit seiner
Mitbürger erwarb! Zur Ehre unserer Chirurgie und Mechanik wandelten
Leute ohne beide Füße so fest und trotzig auf Holz, als ob sie morgen
noch eine Batterie nehmen wollten. Die guten Getäuschten glauben
vielleicht immer noch für Freiheit und Gerechtigkeit gefochten zu haben
und verstümmelt zu seyn.

Morgen will ich zu Fuße fort, und bin eben bloß aus Vorsicht mit meinem
Passe auf der Polizei gewesen; denn man weiß doch nicht, welche
Schwierigkeiten man in der Provinz haben kann. Meine Landsleute und
Bekannten hatten mir gleich beim Eintritt in die Stadt gesagt, ich müßte
mich mit meinem Passe auf der Polizei melden, und redeten viel von der
Strenge. Ich fand keinen Beruf hinzugehen. Es ist die Sache der Polizei,
sich um mich zu bekümmern, wenn sie will; ich weiß nichts von ihrem
Wesen. Man hat von Basel aus bis hierher nicht nach meinem Passe
gefragt; auch nicht hier an der Barriere. Der Wirth schrieb meinen Namen
auf und sagte übrigens kein Wort, daß ich etwas zu thun hätte. »Wenn
mich die Polizei braucht,« sagte ich, »wird sie mich schon holen lassen;
man hätte mir das Nöthige an der Barriere im Wagen oder im Wirthshause
sagen sollen.« Es fragte auch niemand. Indessen, da ich fort will, ging
ich doch hin. Der Officier, der die fremden Pässe zu besorgen hatte,
hörte mich höflich an, besah mich und den Paß und sagte sehr freundlich,
ohne ihn zu unterschreiben: »Es ist weiter nichts nöthig; Sie reisen so
ab, wenn Sie wollen.« -- Der Paß war noch der Preußische von Rom aus. --
»Wenn Sie ihn allenfalls vom Grafen Lucchesini wollen vidiren lassen,
das können Sie thun; aber nöthig ist es nicht.« Ich dankte ihm und ging.
In dergleichen Fällen thue ich nicht gern mehr, als ich muß; ich ging
also nicht zu dem Gesandten.



                                                          _Frankfurt._


Dem Himmel sei Dank, nun bin ich wieder diesseits des Rheins im
Vaterlande. Ich werde Dir über meinen Gang von Paris hierher nur wenig
zu sagen haben, da er so oft gemacht wird, und bekannter ist, als eine
Poststraße in Deutschland.

Den ein und zwanzigsten ging ich aus Paris und schlief in Meaux. Der Weg
ist angenehm und volkreich, wenn gleich nicht malerisch; und die
Bewirthung ist überall ziemlich gut, freundlich und billig. Wenn ich
zwischen Rom und Paris eine Vergleichung ziehen soll, so fällt sie in
Rücksicht der Literatur und des Lebensgenusses allerdings für Paris,
aber in Rücksicht der Kunst immer noch für Rom aus. Du darfst nur das
neueste sehr treue Gemälde von Rom lesen, um zu sehen, wie viel für
Humanität und Umgang dort zu haben ist; für Wissenschaft ist fast nichts
mehr. Alte Geschichte und alles was sich darauf bezieht, ist das
einzige, was man dort an Ort und Stelle gründlich und geschmackvoll
studiren kann. In Paris sind die öffentlichen vortrefflichen
Büchersammlungen für Jedermann, und es gehört sogar zum guten Tone,
wenigstens zuweilen eine Promenade durch die Säle zu machen, die Fächer
zu besehen, die Raritätenkasten zu begucken und einige Kupferstiche zu
beschauen. Wer sie benutzen will, findet in allen Zweigen Reichthümer;
und alles wird mit Gefälligkeit gereicht. In Rom wurde die vatikanische
Bibliothek, so lange ich dort war, nicht geöffnet. Die Schätze schlafen
in Italien, und es ist vielleicht kein Unglück, daß sie etwas geweckt
und zu wandern gezwungen worden sind.

Mit der Kunst ist es anders. Wäre ich Künstler und hätte die Wahl
zwischen Rom und Paris, ich würde mich keine Minute besinnen und für das
erste entscheiden. Die Franzosen hatten allerdings vorher eine hübsche
Sammlung, und haben nun die Hauptwerke der Kunst herüber geschafft: aber
dadurch haben sie Rom den Vortheil noch nicht abgewonnen. In Gemälden
mag vielleicht kein Ort der Welt seyn, der reicher wäre, als Paris; aber
die ersten Meisterwerke der größten Künstler, die lauter Frescostücke
sind, konnten doch nicht weggeschafft werden. Die Logen, die Stanzen,
die Kapelle, die Farnesina, Grottaferrata und andere Orte, wo Michel
Angelo, Raphael, die Caracci, Domenichino und andere den ganzen
Reichthum ihres Geistes niedergelegt haben, mußten unangetastet bleiben,
wenn man nicht vandalisch zerstören wollte. Die Schule von Athen allein
gilt mehr, als eine ganze Gallerie. Die venezianischen Pferde, welche
vor dem Hofe der Tuilerien aufgestellt sind, mögen sehr schöne Arbeit
seyn; aber mir gefallen die meisten Statüen in Italien besser. Die Rasse
der Pferde ist nicht sehr edel. Ich zweifle, ob sie unter den
Pferdekennern so viel Lärm machen werden, als sie unter den Künstlern,
oder vielmehr unter den Antiquaren gemacht haben. Das Pferd des Mark
Aurel auf dem Kapitol ist mir weit mehr werth, und die beiden
Marmorpferde aus Herkulanum in Portici würde ich auch vorziehen. Der
einzige Vorzug, den sie haben, ist, daß sie vielleicht die einzigen
alten Tethrippen sind, die wir noch übrig haben: und auch dazu fehlt
ihnen noch viel. Schlecht sind sie nicht und man sieht sie immer mit
Vergnügen; aber für die schöne Arbeit sollten es schönere Pferde seyn.
Man hat ihnen die gallischen Hähne zu Wächtern gegeben. Gegen das
Kapitol haben diese nicht nöthig zu krähen, wie die Gänse gegen die
Gallier schrieen; wenn sie nur sonst die wichtigste Weckstunde nicht
vorbei lassen.

                   *       *       *       *       *

Die Franzosen haben übrigens nur öffentliche Sammlungen, die
vatikanische und kapitolinische, in Kontribution gesetzt. Es ist kein
Privateigenthum angegriffen worden. Die Privatsammlungen machen aber in
Rom vielleicht den größten Theil aus. In der Villa Borghese steht alles,
wie es war; und der Fechter und der Silen mit dem Bacchus sind Werke,
die an klassischem Werth in Paris ihres Gleichen suchen. Die schönsten
Basreliefs sind noch in Rom in dem Garten Borghese und auf dem Kapitol
und sonst hier und da. Sarkophage, freilich sehr untergeordnete
Kunstwerke und Badegefäße sind in Rom noch in großer Menge von
ausgesuchter Schönheit: in Paris sind von den letztern nur zwei ärmliche
Stücke, die man in Rom kaum aufstellen würde. Uebrigens ist die Gegend
um Rom selbst mehr eine Wiege der Kunst. Die Natur hat ihren Zauber
hingegossen, den man nicht wegtragen kann. Man hat zwar die Namen
Frascati und Tivoli nach Paris gebracht und alles schön genug
eingerichtet: aber Frascati und Tivoli selbst werden für den Maler dort
bleiben, wenn man auch alles umher zerstört. Der Fall, die Grotte, die
Kaskadellen und die magischen Berge können nicht verrückt werden, und
stehen noch jetzt, wie vor zweitausend Jahren, mit dem ganzen Zauber des
Alterthums. Das Haus des Mäcen verfällt, wie die Häuser des Flaccus und
Katullus: man zieht keine Musen mehr aus ihrem Schutt hervor: aber die
Gegend hat noch tausend Reizungen, ohne sie. Man hat in Paris keinen
Albaner-See, kein Subiaco, kein Terni in der Nähe. Der Gelehrte gehe
nach Paris; der Künstler wird zur Vollendung immer nach Rom gehen, wenn
er gleich für sein Fach auch hier an der Seine jetzt zehnmal mehr
findet, als vorher. Sobald die Franzosen Raphaele und Buonaroti haben
werden, sind sie die Koryphäen der Kunst, und man wird zu ihnen
wallfahrten, wie ins Vatikan.

Függer und David scheinen mir indessen die einzigen großen Figurenmaler
zu seyn. Die Italiener haben, so viel ich weiß, keinen Mann, den sie
diesen beiden an die Seite stellen können. Dafür haben die andern keinen
Canova. Ein großer Verlust für die Kunst ist Drouais Tod, und es giebt
nicht gemeine Kritiker, die seinen Marius allen Arbeiten seines Lehrers
vorziehen.

Den zweiten Tag trennte sich der Weg, und ohne weitern Unterricht schlug
ich die Straße rechts ein, war aber diesmal nicht dem besten Genius
gefolgt. Sie war sehr öde und unfruchtbar, die Dörfer waren dünn und
mager, und es ward nicht eher wieder konfortabel, bis die Straßen bei
Chalons wieder zusammenfielen. Ich verlor dadurch einen großen Strich
von Champagne, und die schönen Rebhühneraugen in Epernay, auf die ich
mich schon beim Estest in Montefiascone gefreut hatte. Das liebe Gut,
das man mir dort in den Wirthshäusern unter dem Namen Champagner gab,
kann ich nicht empfehlen. Einige Stunden von Chalons schlief ich die
Nacht an einem Ort, der Pogny heißt, und der seinem Namen nach
vielleicht der Ort seyn kann, wo Attilla sehr tragisch das Nonplusultra
seiner Züge machte. Dann übernachtete ich in Longchamp, dann in Ligne en
Barrois. In Nancy, wo ich Vormittags ankam, besah ich Nachmittags das
Schloß und die Gärten, welche jetzt einen angenehmen öffentlichen
Spaziergang gewähren und ziemlich gut unterhalten werden. Hier hatte ich
den 26sten Juli schon reife, ziemlich gute Weintrauben. Der Professor
Wilmet, den ich mit einem Briefe von Paris besuchte, macht seinem
holländischen Namen durch wahre Philanthropie Ehre, ob er gleich weder
Deutsch, noch Holländisch spricht. Er ist Millins Pflegevater und
spricht mit vieler Zärtlichkeit von ihm, so wie dieser oft mit
kindlicher Dankbarkeit in Paris den Professor nannte. Wilmet war mit der
deutschen Literatur und besonders mit dem Zustande der Chemie und
Naturgeschichte in Deutschland sehr gut bekannt und schätzte die
Genauigkeit und Gründlichkeit der deutschen Untersuchungen.

Von da ging ich über Toul immer nach Straßburg herauf. Von Nancy aus
pflegt man die Notiz auf den Wirthshausschildern in französischer und
deutscher Sprache zu setzen, wo denn das Deutsche zuweilen toll genug
aussieht. Bei Zabern ist die Gegend ungewöhnlich schön und es muß in den
Bergen hinauf romantische Partien geben. Da ich den letzten Abend noch
gern nach Straßburg wollte, nahm ich die letzte Station Extrapost und
ließ mich in die Stadt Lion bringen. Das Wetter ward mir wieder zu heiß
und ich wollte den andern Morgen mit der Diligence nach Mainz fahren:
aber des alten wackern Oberlins Höflichkeit und einige neue angenehme
Bekanntschaften hielten mich noch einige Tage länger bis zur nächsten
Abfahrt. Oberlin traf ich auf der Bibliothek und er hatte die Güte, mir
ihre Schätze selbst zu zeigen. Unter den bronzenen Stücken ist mir ein
kleiner weiblicher Satyr aufgefallen, der nicht übel gearbeitet war. Die
Seltenheit solcher Exemplare erhöht vielleicht den Werth. Der alte
verstorbene Hermann hatte auf der Bibliothek die Stücke der
verstümmelten Statüen vom Münster mit sarkastischen Inschriften auf die
vandalischen Zerstörer aufbewahrt, wo Rühl und einige andere sich nicht
über ihre Enkomien freuen würden. Das schöne Wetter lockte mich mit
einer Gesellschaft über den Rhein herüber, und ich betrat nach meiner
Pilgerschaft bei Kehl zuerst wieder den vaterländischen Boden, und sah
die Verschüttungen des Forts und die neuen Einrichtungen der Regierung
von Baden. Es ist schon sehr viel wieder aufgebaut. Daß ich mich etwas
auf dem Münster umsah, brauche ich Dir wohl nicht zu sagen. Man hat eine
herrliche Aussicht auf die ganze, große, schöne, reiche Gegend und den
majestätischen Fluß hinauf und hinab. Es wäre vielleicht schwer zu
bestimmen, ob der Dom in Mailand, oder diese Kathedrale den Vorzug
verdient. Diese beiden Gebäude sind wohl auf alle Fälle die größten
Monumente gothischer Baukunst. Als ich in der Thomaskirche das schlecht
gedachte und schön gearbeitete Monument des Marschall Moritz von Sachsen
betrachtete, kamen einige französische Soldaten zu mir, die sich
wunderten, wie hierher ein Kurfürst von Sachsen käme, und ich mußte
ihnen von der Geschichte des Helden so viel erzählen, als ich wußte, um
sie mit sich selbst in Einigkeit zu setzen. Auf der Polizei wunderte man
sich, daß mein Paß nirgends unterschrieben war und ich wunderte mich
mit, und erzählte meine ganze Promenade von Basel bis Paris und von
Paris bis Straßburg; da gab man auch hier das Papier ohne Unterschrift
zurück.

Nun fuhren wir über Weißenburg, Landau, Worms und so weiter nach Mainz.
Nach meiner alten Gewohnheit lief ich bei dem Wechsel der Pferde in
Landau voraus und hatte wohl eine Stunde Weges gemacht. Die Deutschen
der dortigen Gegend und tiefer jenseits des Rheins herauf haben einen
gar sonderbaren Dialekt, der dem Judenidiom in Polen nicht ganz
unähnlich ist. Ich glaube doch ziemlich rein und richtig Deutsch zu
sprechen: desto schnurriger mußte es mir vorkommen, daß ich dort wegen
eben dieser Aussprache für einen Juden gehalten wurde. Ich saß nämlich
unter einem Nußbaum und aß Obst, als sich ein Mann zu mir setzte, der
rechts hereinwanderte. Ich fragte, »ob ich nicht irren könnte und ob die
Diligence hier nothwendig vorbei müßte?« Er bejahte dieses. Ein Wort gab
das andere, und er fragte mich in seiner lieblichen Mundart; »Der Härr
sayn ain Jüd, unn rähsen nacher Mähnz?« -- »Ich reise nach Mainz; aber
ich bin kein Jude. Warum glaubt Er, daß ich ein Jude sei?« -- »Wähl der
Härr okkeroth sprücht wü ain Jüd.« Man hat mir zu Hause wohl manches
Kompliment über meine Sprache gemacht; aber ein solches war nicht
darunter.[16]

Von der Gegend von Weißenburg kann ich militärisch nichts sagen, da es
noch ziemlich finster war, als wir dort durchgingen. Landau ist weiter
nichts, als Festung, und alles was in der Stadt steht, scheint bloß auf
diesen einzigen Zweck Beziehung zu haben. Wir kamen in Mainz gegen
Morgen an und man schickte mich in den Mainzer Hof, welcher, wie ich
höre, für den besten Gasthof gilt. In Mainz sieht man noch mehr Spuren
von Revolutionsverwüstungen, als an irgend einem andern Orte. Der Krieg
hat verhältnißmäßig weniger geschadet. Ich hielt mich nur einen Tag auf,
um einige Männer zu sehen, an die ich von Oberlin Addressen hatte. Auch
unser Bergrath Werner von Freiberg war hier und geht, wie ich höre, nach
Paris. Sein Name ist in ganz Frankreich in hohem Ansehen.

Den andern Tag rollte ich mit der kaiserlichen Diligence durch einen der
schönsten Striche Deutschlands hierher.

Auf meinem Wege von Paris hierher fragte man mich oft mit ziemlicher
Neugierde nach Zeitungen aus der Hauptstadt, und nahm die Nachrichten
immer mit sehr verschiedener Stimmung auf. Sehr oft hörte ich vorzüglich
die Bemerkung über den Konsul wiederholen: »^Mais pourtant il n'est pas
aîmé^;« besonders von Militären. Das ist begreiflich. Es giebt
Regimenter und ganze Korps, die ihn nie gesehen haben und die doch auch
für die Republik brave Männer gewesen sind. Diese wünschen sich ihn
vielleicht sehr gern zum General, aber nicht zum Souverain, wie es ganz
das Ansehen gewinnt. »^Il faut diablement des choses, ce petit corporal
d'Italie; cela va loin!^« sagte man; und ein Wortspieler, der ein
katonischer Republikaner war, bezeichnete ihn mürrisch mit folgendem
Ausdruck: »^Bonaparte qui gloriam bene partam male perdit.^« In der
Gegend von Straßburg habe ich hier und da gehört, daß man bei seinem
Namen knirschte, und behauptete, er führe allen Unfug geradezu wieder
ein, den man auf immer vertrieben zu haben glaubte. Was ein einziger
Mann wieder einführen kann, ist wohl eigentlich nicht abgeschafft. »Man
wollte in der ersten Konstitution,« sagten sie, »dem König keine
ausländische Frau erlauben, und jetzt haben wir sogar einen fremden
Abenteurer zum König, der willkührlicher mit uns verfährt, als je ein
Bourbonide: wer ihm mißfällt, ist Verbrecher, und ihm mißfällt jeder,
der selbstständige Freiheit und Vernunft athmet. Er weiß sich
vortrefflich die ehemalige Wuth und den Haß der Parteien zu Nutze zu
machen.«

Weiter nach Mainz redete man nichts mehr von der Republik und den
öffentlichen Geschäften, sondern klagte nur über den Druck und die
Malversation der Kommissäre, und jammerte über die neue Freiheit. »Den
Zehnten geben wir nicht mehr, den behalten wir,« sagen die Bauern mit
Bitterkeit. Eine grausamere Aposiopese kann man sich kaum denken, wenn
auch die neun Zehntheile eine große Hyperbel sind. Ein Zeichen, daß die
Regierung wenig nach vernünftigen Grundsätzen verfährt, ist nach meiner
Meinung immer, wenn sie militärisch ist und wenn man anfängt,
ausschließlich den Bürger von dem Krieger zu trennen. In Frankreich
macht der Soldat wieder alles, und was ein General sagt, ist Gesetz in
seinem Distrikt. Die nächsten Militäre nach dem Konsul bezeichnen ihren
Charakter genug durch ihre Bereicherung. Der allgemeine Liebling der
Nation ist Moreau, und der Mann verdient ohne Zweifel die große, stille
Verehrung seines ganzen Zeitalters. Ich bin nirgends gewesen, in
Deutschland, Italien und Frankreich, wo man nebst seinen Kriegstalenten
nicht seine tadellose Rechtlichkeit, seine Mäßigung und Humanität
gepriesen hätte. Er soll es ausgeschlagen haben, Officier der
Ehrenlegion zu werden, die so eben errichtet werden soll, und die jeder
Republikaner für unrepublikanisch und für die Wiederauflebung des
Feudalwesens hält. Man thut ihm vielleicht keinen Dienst, ihn mit dem
öffentlichen System in Kollision zu setzen; aber seine Unzufriedenheit
wird überall ziemlich laut erzählt. Seine Parteigänger, die weniger
Mäßigung haben, als er selbst, wünschten ihn hier und da laut am Ruder,
und sagen bedeutend nur, ^Moreau grand consul^; zogen aber die Worte so
sonderbar, daß es klang wie ^Mort au grand consul^. Die Sprache
erleichtert viel solche Spiele, hinter welche sich die Parteisucht
versteckt.

Das System des Konsuls liegt nun wohl ziemlich am Tage, und leidet keine
Mißdeutung. Alles ist gekommen, wie vorherzusehen war, nur mit etwas
schnelleren Schritten. Das Buch _Napoleon Bonaparte und das französische
Volk_, giebt den Gang der Dinge ziemlich richtig an; wenn man nur die
Vehemenz gegen die Person und einige unwichtige Irrthümer und
gleichgültige Personalitäten abrechnet. Die Zeichnung der Nation ist in
demselben, trotz der klassischen Gelehrsamkeit, zu grell; und jedes
andere Volk würde in den nämlichen Umständen höchst wahrscheinlich das
nämliche seyn. Die Briten, als die entgegengesetzteste Nation, haben es
bei ihrer Revoluzion auch bewiesen. Bonaparte ist unstreitig der
vollendetste Mann seiner Art; die Geschichte hat bis jetzt keinen
größern. Er erschöpft ganz den griechischen Sinn des griechischen Worts.
Traurig ist es für den geläuterten Menschensinn, daß solche
Erscheinungen bei unserm gepriesenen Lichte noch möglich sind: aber
zermalmend für alle bessern Hoffnungen, daß man sie sogar als nothwendig
annehmen muß. Alles, was zur Grundlage einer vernünftigen Freiheit und
Gerechtigkeit dienen konnte, ist wieder zerstört. Die militärische
Regierung ist mit dem eisernsten Zwange wieder eingeführt; alle Wahlen
sind so gut, als aufgehoben, die Juries, als das letzte Palladium der
Freiheit, sind vernichtet: und damit die emporstrebende Vernunft der
Despotie keine Streiche spiele, ist durch eine gemessene Erziehung sehr
klug jeder liberale Forschergeist in Philosophie und Naturrecht
verbannt. Ob Bonaparte mit seinem Anhang dabei die menschliche Natur
ganz richtig berechnet habe, ist sehr zu bezweifeln. Mir selbst ist es
ziemlich klar, daß er auf diesem Wege das alte Herrschersystem mit
seinem ganzen Unwesen wieder gründen wird, oder eine neue Revoluzion
nothwendig macht. ^Tertium non datur.^ Die Folge für die Humanität ist
dabei leicht zu berechnen. Er hätte ein Heiland eines großen Theils der
Menschheit werden können, und begnügt sich, der erste wiedergeborne Sohn
der römischen Kirche zu seyn. Er läßt sich halten, wo er hätte stehen
können. Er hat eine lichtvolle Ewigkeit gegen das glänzende Meteor eines
Herbstabends, Ehre gegen Ruhm ausgetauscht. Noch ist er zwar nicht bis
zu Dionysens Nußschaale und Pferdehaar gekommen; aber die Umschanzung
von seinen Söldlingen und Trabanten zeigt hinlänglich von der unsichern
Angst, welche das System nothwendig macht.

Ob Moreau schuldig, oder unschuldig ist, ist ein Problem, dessen Lösung
das Publikum wohl schwerlich erfahren wird. Sind aber die
Beschuldigungen gegen ihn gegründet, so gehört seine Sache vor die
Aerzte, ehe sie vor die Richter kommt. Das Papier ist geduldig; und
Glauben verdient nichts, als was in sich konsequent und durch rechtliche
Zeugen faktisch erwiesen ist. Daß Moreau nicht des Konsuls Freund war,
und daß er für sein Vaterland anderes Heil sah und wünschte, ist leicht
zu begreifen: daß er sich aber zu einem solchen Complott mit den Feinden
der Nation wegwerfen sollte, konnte man nur von einem Bedlamiten
erwarten. Er hätte dadurch seinen tadellosen Charakter, seinen von der
Nation geliebten und von ganz Europa geachteten Namen in den Koth
geworfen, ohne den geringsten Gewinn für sich selbst, als ewige Schande,
und ohne einigen Anschein von Wohlthat für sein Volk. Wäre dieses
dennoch, so hätte allerdings der Franzos Recht, welcher von ihm sagte:
Moreau hat nur zwischen dem Rhein und der Donau Verstand.

Die beiden letzten Jahrzehende scheinen dazu geeignet zu seyn, dem
aufmerksamen Beobachter eine Synopse der Menschengeschichte zu geben; so
glänzend und so göttlich, und so unsinnig und verächtlich erscheint
unser Geschlecht in der nämlichen Periode! Die neapolitanischen Gräuel,
die Wassertaufen, und der Schandfleck bei Rastadt mit den letzten
Missionsniederträchtigkeiten sind Erscheinungen, die nur an Größe des
Umfangs hinter der Bartholomäusnacht und den Riesenverbrechen der
römischen Triumvirn zurückbleiben, und die einem rechtlichen Manne eine
momentane Scham abzwingen, daß er ein menschliches Gesicht trägt. Man
schwor ehedem sogar in Rußland bei Pichegrüs Namen: und welcher ehrliche
Mann wollte den letzten Theil seines Lebens gelebt haben, hätte auch der
erste noch zehn Mal mehr Glanz und Größe? Mir ist es allemal mehr um den
Charakter eines Mannes zu thun, als um sein Schicksal. Hat er diesen
verloren, so wird dieses höchst gleichgültig. Nemesis schlage jeden mit
ihrer Ruthe! Leider möchte man bei einem Blick über die Sache der
Menschheit halb phrenetisch ausrufen: heiliger Aristides, bitte für uns!
Ach der große Moment fand nur ein kleines Geschlecht.

In der Postkutsche von Mainz hierher war ein Gewimmel von Menschen, und
einige segneten sich wirklich ganz laut, daß sie aus der vermaledeiten
Freiheit einmal heraus wären, in der man sie blutig, so sklavisch
behandle. Dies waren ihre eigenen Ausdrücke. Und doch waren sie mit
ihrem ganzen Vermögen noch jenseits des Rheins in der Freiheit. Vor
Hochheim wandelte ich in Gesellschaft eines Spaziergängers der Gegend,
wie es schien, den Berg herauf. Der Mann nahm mit vielem Murrsinn von
der ersten muntern hübschen Erntearbeiterin im Felde Gelegenheit, eine
furchtbare Rhapsodie über die Weiber zu halten, hatte aber ganz das
Ansehen, als ob er der Misogyn nicht immer gewesen wäre und nicht immer
bleiben würde; denn alles Uebertriebene hält nicht lange. Er nahm seine
Beispiele nicht bloß von den Linden weg und aus dem Egalitätspalaste,
und mußte tiefer in die Verdorbenheit der Welt mit dem Geschlecht
verflochten seyn. Er machte mit lebhaftem Kolorit ein Gemälde, gegen
welches Juvenals ^lassata viris^ noch eine Vestalin war; und ich war
froh, als mich der Wagen auf der Ebene wieder einholte und ich wieder
einsteigen konnte. Du weißt, ich habe eben nicht Ursache, geflissentlich
den Enkomiasten der Damen zu machen; indessen muß man ihnen doch die
Gerechtigkeit wiederfahren lassen, daß sie -- nicht schlimmer sind, als
die Männer: und die meisten ihrer Sünden leiden vielleicht noch etwas
mehr Apologie, als die Sottisen unseres Geschlechts.

Frankfurt muß, dem Anscheine nach, durch den Krieg weit mehr gewonnen
als verloren haben. Der Verlust war öffentlich und momentan, der Gewinn
ging fast durch alle Klassen und war dauernd. Es ist überall Wohlstand
und Vorrath; man bauet und bessert und erweitert von allen Seiten, und
die ganze Gegend rund umher ist wie ein Paris; besonders nach Offenbach
hinüber. Man glaubt in Oberitalien zu seyn. Unser Leipzig kann sich
nicht wohl mit ihm messen, ob es gleich vielleicht im Ganzen netter ist.

Von hier kann Dir jeder Kaufmann Nachrichten genug von der Messe
mitbringen. Ich besuchte nur einige alte Bekannte und machte einige
neue. Wenn ich ein Kerl mit der Börse ^à mon aise^ wäre, würde ich
vermuthlich Frankfurt zu meinem Aufenthalt wählen. Es ist eine
Mittelstadt, die gerade genug Genuß des Lebens giebt für Leib und Seele,
um nicht zu fasten und sich nicht zu übersättigen. Im Fall eines Krieges
mit den Franzosen liegt es freilich schlimm: die Herren können alle
Nächte eine Promenade von Mainz herüber machen, den Morgen hier zum
Frühstück und zum Abendbrote wieder zu Hause seyn.

Bei der Frau von Laroche in Offenbach traf ich den alten Grafen
Metternich, wenn ich nicht irre, den Vater des kaiserlichen Gesandten in
Dresden. Er war ehemals Minister in den Niederlanden; und nie habe ich
einen Mann von öffentlichem Charakter gesehen, zu dem ich in so kurzer
Zeit ein so großes reines Zutrauen gefaßt hätte: so sehr trägt sein
Gesicht und sein Benehmen den Abdruck der festen Redlichkeit mit der
feinsten Humanität!



                                                            _Leipzig._


Meine Runde ist nun vollendet und ich bin wieder bei unsern väterlichen
Laren an der Pleiße. Von Frankfurt aus ging ich über Bergen in
Gesellschaft nach dem Oertchen Bischofsheim, wo man mir ein freundliches
Mahl zugedacht hatte. Bei Bergen und Kollin haben unsere Landsleute
gezeigt, daß sie nicht Schuld an den übeln Streichen bei Pirna waren.
Vor Hanau ging ich vorbei und hielt mich immer die Straße nach Fulda
herein. Die Hitze des vorzüglich heißen Sommers drückte mich zwar
ziemlich, aber ich nahm mir Zeit, ruhte oft unter einem Eichbaume und
war die Nacht mit den schlechten Wirthshäusern zufrieden. Auf meiner
ganzen Reise hatte ich sie nicht so schlecht gefunden, als hier einige
Mal in Hessen. Zwischen Fulda und Hühnefeld drückte mich die Hitze
furchtbar und der Durst war brennend; und auf meiner ganzen Wanderung
habe ich vielleicht keine so große Wohlthat genossen, als da ich sodann
links an der Straße eine schöne Quelle fand. Leute, welche einen guten
Flaschenkeller im englischen Wagen mit sich führen, haben von dieser
Erquickung keinen Begriff. Der Hitze haben sie im Wagen zwar nicht viel
weniger, aber die Erfrischung können sie nicht so fühlen. Du darfst mir
glauben, ich habe dieses und jenes versucht. In Hünefeld war Schießen,
die Gesellschaft der Honoratioren speiste in meinem Wirthshause, und ich
hatte das Vergnügen, die Musik so gut zu hören, als man sie
wahrscheinlich in der Gegend und aus Fulda hatte auftreiben können. Wenn
auch zuweilen eine Kakophonie mit unter läuft, thut nichts; sie können
das Gute doch nicht ganz verderben, eben so wenig als man es in der Welt
durch Verkehrtheit und Unvernunft ganz ausrotten kann.

In Vach hatten mich die Handlanger des alten Landgrafen in Beschlag
genommen und nach Ziegenhain und Kassel und von da nach Amerika
geliefert. Jetzt sollen dergleichen Gewaltthätigkeiten abgestellt seyn.
Doch möchte ich den fürstlichen Bekehrungen nicht zu viel trauen; sie
sind nicht sicherer, als die demagogischen. Es wäre unbegreiflich, wie
der Landgraf seit langer Zeit so unerhört willkührlich, zum Verderben
des Landes und einzig zum Vortheil seiner Kasse, mit seinen Leuten
geschaltet und förmlich den Seelenverkäufer gemacht hat, wenn es nicht
durch einen Blick ins Innere erklärt würde. Die Landstände wurden selten
gefragt, und konnten dann fast keine Stimme haben. Der Adel ist nicht
reich und unabhängig vom Hofe. Die Minister und Generale hatten ihren
Vortheil, dem Herrn zu Willen zu leben. Jeder hatte vom Hofe irgend
etwas, oder hoffte etwas, oder fürchtete etwas, für sich oder seine
Verwandten. Die großen Officiere gewannen Geld und Ehre, die kleinen
Unterstützung und Beförderung. Die Uebrigen litten den Schlag. Das Volk
selbst ist bis zum Uebermaaß treu und brav. Hier und da war
Verzweiflung; aber der alte Kriegsgeist half. Die Hessen glauben, wo
geschlagen wird, müssen sie dabei seyn. Das ist ihr Charakter aus dem
tiefsten Alterthum. Ich erinnere mich in einem Klassiker gelesen zu
haben, daß die Katten lange vor Christi Geburt als Hülfstruppen unter
den Römern in Afrika schlugen. Jetzt hat der Landgraf, wie versichert
wird, die fremden Verbindungen dieser Art aufgegeben.

Von Vach wollte ich Post nach Schmalkalden zu meinem Freunde Münchhausen
nehmen. Der Wirth verpflichtete sich, da nicht sogleich Postpferde zu
haben waren, mich hinüberzuschaffen, ließ sich die Posttaxe für zwei
Pferde und den Wagen bezahlen und gab mir einen alten Gaul zum Reiten.
Das nenne ich Industrie. Was wollte ich machen? Ich setzte mich auf,
weil ich fort wollte. Doch kam ich zu spät an. Es war schon tief Nacht,
als ich den Berg hinein ritt, und gegen zehn Uhr war ich erst in dem
Thale der Stadt. Die Meinungschen Oerter und Dörfer, durch die ich ging,
zeichneten sich immer sehr vortheilhaft aus. Das Einzige, was mir dort
nicht einleuchten wollte, war, daß man überall so viel herrliches Land
mit Tabakspflanzungen verdarb. Dieses Giftkraut, das sicher zum
Verderben der Menschen gehört, beweist vielleicht mehr, als irgend ein
anderes Beispiel, daß der Mensch ein Thier der Gewohnheit ist. In
Amerika, wo man noch auf fünfhundert Jahre Land genug hat, mag man die
Pflanze auf Kosten der Nachbarn immer pflegen, aber bei uns ist es
schlimm, wenn man durchaus die Oekonomie mehr merkantilisch, als
patriotisch berechnet.

Ich ließ mich den andern Morgen meinem Freunde ohne meinen Namen, als
einen Bekannten melden, der von Frankfurt käme. Wir hatten uns seit
neunzehn Jahren nicht gesehen und unser letztes Gespräch waren einige
Worte auf dem Ocean, als der Zufall unsere Schiffe so nahe zusammen
brachte. Die Zeit hatte aus Jünglingen Männer gemacht, im Gesichte
vielleicht manchen Zug verändert, verwischt und eingegraben. Ich wußte,
vor wem ich stand und konnte also nicht irren. Er schien schnell seinen
ganzen dortigen Zirkel durchzugehen, stand vor mir und kannte mich
nicht. Hier habe ich ein kleines Empfehlungsschreiben, sagte ich, indem
ich ihm meinen Finger hinhielt, an dem sein Bild von ihm selbst in einem
Ringe war. Es war, als ob ihn ein elektrischer Schlag rührte, er fiel
mir mit meinem Namen um den Hals und führte mich im Jubel zu seiner
Frau. Dieses war wieder eine der schönsten Minuten meines Lebens. Einige
Tage blieb ich bei ihm und seinen Freunden, und genoß, so weit mir meine
ernstere Stimmung erlaubte, der frohen Heiterkeit der Gesellschaft.

Mir ist es oft recht wohl gewesen, wenn ich durch das Gothaische und
Altenburgische ging. Man sieht fast nirgends einen höhern Grad von
Wohlstand. Es herrscht daselbst noch eine gewisse alte Bonhommie des
Charakters, daß ich viele Gesichter fand, denen ich ohne weitere
Bekanntschaft meine Börse hätte anvertrauen wollen, um sie an einen
bezeichneten Ort zu bringen, wo ich sie sicher wieder gefunden haben
würde. Ich habe in diesem Ländchen weniger Bekanntschaft, als sonst
irgendwo: Du kannst also glauben, daß ich nicht aus Gefälligkeit rede.
So oft ich darin war, habe ich immer die reinste Hochachtung und
Verehrung gegen den Herzog gefaßt. Um einen Fürsten zu sehen, braucht
man nicht eben seine Schlösser zu besuchen, oder gar die Gnade zu
genießen, ihm vorgestellt zu werden. Oft sieht man da am wenigsten von
ihm. Seine Städte und Dörfer und Wege und Brücken geben die beste
Bekanntschaft -- vorausgesetzt, er ist kein junger Mann, der die
Regierung erst antrat. In diesem Falle könnte ihm viel Gutes und
Schlimmes unverdienter Weise angerechnet werden. Wo das Bier schlecht
und theuer und das Brot theuer und schlecht ist, wo ich die Dörfer
verfallen und elend und doch die Visitatoren nach dem Sacke lugen sehe,
da gehe ich so schnell als möglich meines Weges. Nicht das Predigen der
Humanität, sondern das Thun hat Werth. Desto schlimmer, wenn man viel
spricht und wenig thut.

Schon in Paris hatte ich gehört, die Preußen wären in Erfurt, und
wunderte mich jetzt, da ich sie noch nicht hier fand. Diese
Saumseligkeit ist sonst ihre Sache nicht, wenn etwas zu besetzen ist.
Fast sollte man glauben, die langsame Bedächtlichkeit habe einen
pathologisch moralischen Grund. Hier erinnerte mich ein heimlicher
Aerger, daß ich ein Sachse bin. Ich hielt mir lange Betrachtungen über
die Großmuth und Uneigennützigkeit der königlichen Freundschaften; ich
verglich den Verlust des Königs mit seinem Gewinn; ich überdachte die
alten, rechtlichen Ansprüche, die Sachsen wirklich noch machen konnte
und machen mußte. Wenn Sachsen eine Macht von hundert tausend Mann wäre,
so würde die gewöhnliche Politik das Verfahren rechtfertigen. Jetzt mag
es alles seyn, was Du willst, nur ist es nicht freundschaftlich. Mir
däucht, daß man in Dresden doch wohl etwas lebendigere, wirksamere
Maßregeln hätte nehmen können und sollen. Es war alles voraus zu sehen.
Die Leipziger werden die Folgen spüren. Freilich wird man vielleicht die
ersten zehn Jahre nichts, oder wenig thun: aber man hat doch nun die
Kneipzange von beiden Seiten in den Händen, und kann sicher das ^festina
lente^ spielen. Politisch muß man immer das Schlimmste denken und
glauben; was geschehen kann, wird geschehen. Die Geschichte und das
Naturrecht rechtfertigen diese Maxime: in bürgerlichen Verhältnissen ist
man durch Gesetze geschützt; hier sichert nur Klugheit und Kraft, selten
Gerechtigkeit. Der gegenwärtige Schritt rechtfertigt die Furcht vor dem
künftigen. Zutrauen giebt das nicht. Ich hätte von Berlin in diesen
Verhältnissen zu Dresden solche Resultate nicht erwartet.

In Weimar freute ich mich, einige Männer wieder zu sehen, die das ganze
Vaterland ehrt[17]. Der Patriarch Wieland und der wackere Böttiger
empfingen mich mit freundschaftlicher Wärme zurück. Die Herzogin Mutter
hatte die Güte, mit vieler Theilnahme sich nach ihren Freunden diesseits
und jenseits der Pontinen zu erkundigen und den unbefangenen Pilger mit
Freundlichkeit zu sich zu laden. Jedermann kennt und schätzt sie als die
verehrungswürdigste Matrone, wenn sie auch nicht Fürstin wäre.

Als ich den andern Morgen durch das Hölzchen nach Naumburg herüber
wandelte, begegnete mir ein preußisches Bataillon, das nach Erfurt zog.
Wenn man in dem nämlichen Rocke, mit der nämlichen Chaussüre über Wien
und Rom nach Syrakus und über Paris zurückgegangen ist, mag der Aufzug
freilich etwas unscheinbar werden. Es ist die nicht löbliche Gewohnheit
unserer deutschen Landsleute, mit den Fremden zuweilen etwas unfein
Neckerei zu treiben. Die Soldaten waren ordonnanzmäßig artig genug; aber
einige Officiere geruhten sich mit meiner Personalität ein Späßchen zu
machen. Ich ging natürlich den Fußsteg am Busche hin, und der Heereszug
zog den Heerweg. Einer der Herren fragte seinen Kameraden in einem etwas
ausgezeichneten pommerischen Dialekte, den man auf dem Papier nicht so
angenehm nachmachen kann: »Was ist das für ein Kerl, der dort geht?« Der
andere antwortete zu meiner Bezeichnung: »Er wird wohl gehen und das
Handwerk begrüßen.« »Nein,« antwortete eine andere Stimme, »ich weiß
nicht, was es für ein närrischer Kerl seyn mag; ich habe ihn gestern bei
der Herzogin im Garten sitzen sehen.« Uebersetze das erst etwas ins
Pommerische, wenn Du finden willst, daß es mir ziemlich schnakisch
vorkam. Indessen glaube ich unmaßgeblich, die Herren hätten ihre
Untersuchung und Beurtheilung über mich etwas höflicher doch wohl einige
Minuten sparen können, bis ich sie nicht mehr hörte. Aber mit einem
Philister macht bekanntlich ein preußischer Officier nicht viel
Umstände[18]. Ob das recht und human ist, wäre freilich etwas näher zu
bestimmen.

Meiner alten guten Mutter in Posern bei Weißenfels war meine Erscheinung
überraschend. Man hatte ihr den Vorfall mit den Banditen schon erzählt,
und Du kannst glauben, daß sie meinetwegen etwas besorgt war, da sie als
orthodoxe Anhängerin Luthers überhaupt nicht die beste Meinung von dem
Papst und seinen Anordnungen hat. Sie erlaubte durchaus nicht, daß ich
zu Fuße weiter ging, sondern ließ mich bedächtlich in den Wagen packen
und hierher an die Pleißenburg bringen. Du kannst Dir vorstellen, daß
ich froh war meine hiesigen Freunde wieder zu sehen. Schnorr war der
erste, den ich aufsuchte, und das enthusiastische Menschenkind warf
komisch den Pinsel weg, zog das beste seiner drolligen Gesichter und
machte mit einem Sprung einen praktischen Kommentar auf Horazens Stelle,
daß man bei der Rückkehr eines Freundes von den Cyklopen wohl ein
Bischen närrisch seyn könne.

Morgen gehe ich nach Grimma und Hohenstädt, und da will ich ausruhen
trotz Epikurs Göttern. Mir däucht, daß ich nun einige Wochen ehrlich
lungern kann. Wer in neun Monaten meistens zu Fuße eine solche Wanderung
macht, schützt sich noch einige Jahre vor dem Podagra. Zum Lobe meines
Schuhmachers, des mannhaften, alten Heerdegen in Leipzig, muß ich Dir
noch sagen, daß ich in den nämlichen Stiefeln ausgegangen und
zurückgekommen bin, ohne neue Schuhe ansetzen zu lassen, und daß diese
noch das Ansehen haben, in baulichem Wesen noch eine solche Wanderung
mit zu machen.

Bald bin ich bei Dir, und dann wollen wir plaudern; von manchem mehr als
ich geschrieben habe, von manchem weniger.



                             Anmerkungen
                                 zum
                       Spaziergang nach Syrakus
                                 von
                         V. H. Schnorr v. K.



                            Vorerinnerung.


Seume war mein Freund und ich der Seinige im wahren Sinne des Wortes:
unsere Freundschaft war auf gegenseitiges tiefes Gefühl für Redlichkeit
und Rechtlichkeit gegründet.

Ich war sein Begleiter bis Wien, wo ich dem Rath einiger Männer von
Bedeutung zufolge, denen ich empfohlen war, zurückbleiben mußte. Man
erlaube mir also, Seume'n im Geiste weiter zu folgen, und hier und da
ein Wort für die Leser einzuschalten, die er interessirt.

Meine Anmerkungen betreffen bloß die Individualität des Reisenden, und
daß ich _dazu_ einigen Beruf fühle, möge der Umstand rechtfertigen, daß
Seume neun Jahre lang mein Tischgenosse und täglich in meinem Hause war.

Er ist nicht mehr, und ich und die Meinigen -- haben Einen redlichen
Freund verloren.



[Fußnote 3: Ich bin mir bewußt &c.

Das wird Niemand läugnen, der S. näher gekannt hat; und er befand sich
nicht wohler, als in dem häuslichen Kreis einer rechtlichen Familie. Er
war auch bei weitem nicht so grießgrämig, als Manche vielleicht
glaubten, und nahm, wenn er aufgefordert wurde, selbst Antheil an der
Ausführung kleiner Possen, zuweilen als Dichter, zuweilen als
mitspielende Person.

So übernahm er einmal die Rolle des Heroldes, als wir in der herrlichen,
romantischen Gegend bei Grimma, in Pölen, auf freiem Felde den Don
Quixote im abenteuerlichsten Kostüm aufführten, und die Kleopatra machte
er selbst in seinem Schnurrbarte, als wir die Posse von Kotzebue in
Hohenstädt gaben, um Freund G. eine heitere Stunde zu machen.

So finster sein Blick und so ernsthaft er überhaupt war, so näherten
sich ihm doch bald selbst die kleinen Kinder, die er mit innigem, tiefem
Gefühl in seine Arme schloß.

Sein größter Kummer war, nicht selbst Weib und Kind zu haben. Das
Schicksal war ihm nicht günstig gewesen, und er hatte in dieser Hinsicht
bittere Erfahrungen gemacht. Dieses zeigt schon sein früheres Gedicht:
»der Abschied an Münchhausen.« In seinen spätern Gedichten und besonders
im gegenwärtigen Buche hat er sich darüber hier und da deutlicher
ausgesprochen.

So sagt er einmal zu mir: »_Wenn es nicht wider meine Grundsätze wäre_,
so möchte ich wohl von einem gesunden Bauermädchen einen Jungen haben.«

S. war durchaus streng sittlicher Mensch. Hörte er von einer Handlung
schöner Humanität sprechen, so war seine Aeußerung kurz: »_Nun, das ist
vernünftig! das ist human, das ist brav!_« Aber sein Herz wurde
wohlthätig erwärmt.

Ein solches herzerhebendes Freudenfest gab ihm auch jenes Ereigniß, das
er in diesem Buche aus Messina selbst erzählt.

Er pflegte immer zu sagen: »das Gute lobt und belohnt sich selbst.«

Ueber Niederträchtigkeiten aber, über Herabwürdigung und Entehrung der
Menschenwürde ergrimmte er zähneknirschend in seinem Innersten, so
tolerant er auch immer menschliche Schwachheiten beurtheilte.

Das Wohl der Menschen, auf allgemeine Gerechtigkeit und Freiheit -- für
seine Ansichten eigentlich nur Synonyma -- gegründet, lag ihm zu sehr am
Herzen. Indessen war er besonnen. Mit den Individuen aus dem Volke ließ
er sich nie, weder in politische, noch in religiöse Gespräche ein. »Das
kann da nichts helfen,« pflegte er zu sagen: »das Vernünftige muß von
oben herabkommen und allgemein gemacht werden.« Und so gab er auch nicht
einmal seiner Mutter und seinen Verwandten seine Schriften. »Ihr
versteht das nicht,« sagte er. »Gehorcht ihr den Gesetzen und geht in
eure Kirche.«

Er war nie mit den _schnellen, sogenannten_ Aufklärern zufrieden, störte
Niemand in seinem Glauben, und schätzte wackere, gewissenhafte Prediger
sehr.

Unter seiner Mutter Bildniß, das ich einmal vor ohngefähr 15 Jahren für
ihn zum Andenken gezeichnet und radirt hatte, ließ er Folgendes stechen:

_Regina Christina Seumin._

_Liebe und Hochachtung den Aeltern, Treue den Freunden, Ehrfurcht der
Religion, Gehorsam den Gesetzen, Muth dem Vaterlande, Gerechtigkeit und
Menschlichkeit Allen._]

[Fußnote 4: Man wirft mir vor, daß ich kein Amt suche &c.

Oft hörte ich ihn sagen: »was soll ich mit dem Amte, da -- dort -- oder
gar am Hofe?«

»Das dauert vier Wochen und -- ihr sehet mich wieder.« Rücksichten zu
nehmen, war ihm in öffentlichen Angelegenheiten unmöglich, darum vermied
er lieber die Kollisionen. So wurde er einmal aufgefordert, ein
politisch-literarisches Zeitungsblatt zu schreiben; er dankte aber sehr
dafür, so groß der Gewinn geschildert ward, so glänzend ihm auch die
Aussichten eröffnet wurden. -- S. würde das Naturrecht vortrefflich
gelesen haben -- er hatte große Lust dazu -- allein, es würde ihm bald
untersagt, und ein geschriebenes konfiscirt worden seyn.

Am passendsten würde für ihn eine Inspektion über den allgemeinen
Straßenbau gewesen seyn; und ich bin überzeugt, wir würden im
Vaterlande, wenn auch keine spanischen Chausseen, doch bessere Wege
haben; denn daß diese mitunter recht schlecht sind, darüber ist unter
allen Reisenden nur eine Stimme.

Allgemeines Menschenglück beschäftigte ihn vor Allem. Sein Herz war voll
von dem Gedanken einer allgemeinen Gerechtigkeit. Es belebten ihn
zuweilen große Hoffnungen, so weit er auch den Zeitpunkt besserer Zeiten
hinaussetzte.

Er war indeß nicht müssig und hat manches Gute gewirkt, mehrere junge
Leute von Herz und Kopf, die er unterrichtete und die sehr redliche,
achtungswürdige Menschen geworden sind, haben gestanden, daß sie Seume's
rechtlichen, festen Grundsätzen unendlich viel zu verdanken haben.
Selbst viele junge, studirende Adelige, denen er wahrlich um keinen
Preis schmeichelte, kamen doch immer wieder, aus wahrer Achtung gegen
den Mann und seine Grundsätze. Mit einem Worte, S. genoß als allgemein
anerkannt redlicher Mann eine allgemeine Achtung, und ich hoffe mit
Zuversicht, sie wird ihm ewig bleiben.]

[Fußnote 5: Man hat alten Stabsofficieren Dinge von großer Wichtigkeit
abgenommen und sie mir übergeben &c.

Als der General von Schwerin, Neffe des bekannten großen Schwerin, vor
ungefähr 10 Jahren in Leipzig war und mir zum Malen saß, fragte er nach
S. Ich zeigte ihm einige Briefe von ihm; »ja, ja! das ist seine Hand,«
sagte er, »ich kenne sie.«

Von der unfreundlichen Behandlung, die er auf dem Rückwege aus Rußland
von dem alten Igelström erfuhr, erzählt er in seinem Sommer (seiner
letzten Reise nach Rußland) selbst. So fallen -- nicht eben sehr selten
-- die Belohnungen für geleistete, redliche Dienste aus!]

[Fußnote 6: Man trifft so viele trübselige Gesichter &c.

Das war in seinem moralischen Ingrimme gesprochen, wo seine Phantasie
und die Rückerinnerung an so manche Herabwürdigung der Menschenwürde,
besonders in den Residenzen, auf ihn einstürmte. Er empfand dieses
damals tief und giebt dieses Gefühl hier zu erkennen. Er wollte aber
keinesweges dadurch eine ganze Stadt beleidigen, wie sich von selbst
versteht.]

[Fußnote 7: S. hatte einige griechische und lateinische Autoren und ich
etwas Italienisches in den Tornister gepackt. In Peterswalde fing er an
zu lesen, -- ich glaube den Florus -- und riß, mit mancher drolligen und
sarkastischen Bemerkung, ein gelesenes Blatt nach dem andern heraus und
warf zuletzt die Schale in den Ofen. Diese Prozedur machte er planmäßig
mit mehreren Büchern, die ihn weniger interessirten, um nach und nach
den Tornister wieder leichter zu machen. Den Homer, Virgil und Horaz
brachte er wieder zurück und verschenkte sie an seine Freunde.]

[Fußnote 8: Gestern war ich bei Füger &c.

Die damaligen Momente sind mir noch ganz gegenwärtig, und mich dünkt,
Seume zeigt hier, daß er nicht so sehr Profaner war, als er auf der
ersten Seite selbst sagt. Er hatte für Kunstwerke, besonders nach seiner
Zurückkunft aus Italien, einen sehr richtigen Takt, vorzüglich was den
Charakter und Ausdruck betrifft. Ich habe seinem Umgange auch in dieser
Hinsicht Vieles zu danken. Seine Aeußerungen waren fast immer treffend.]

[Fußnote 9: Schnorr hatte als Hausvater billig Bedenken getragen.

Es sei mir hier vergönnt, mit wenig Worten die Gründe anzuführen, durch
welche ich bewogen wurde, den Gang nach Italien und Sicilien aufzugeben,
und zwar um so mehr, da man hier und da an meinem Muthe gezweifelt haben
mochte.

Ich verließ Leipzig mit frohem Gemüthe, mit wahrem Vertrauen auf die
Vorsehung. Es kam mir kein Gedanke von Furcht in die Seele, wie es wohl
bei Menschen, beseelt von Enthusiasmus für irgend etwas Gutes und bei
reiner Absicht, der Fall zu seyn pflegt. Als ich aber in Wien meine
Empfehlungsbriefe, besonders die von Weiße (dem Verfasser des
Kinderfreundes) an Männer abgab, denen ich besonders als Familienvater
an das Herz gelegt worden war, so rieth man mir einstimmig, nicht weiter
zu gehen, da so häufig jetzt Straßenräubereien vorgefallen seien. »Wenn
wir nun auch nicht annehmen wollen,« sagte Füger, »daß Sie
todtgeschlagen werden; zur Vereitelung Ihres ganzen Endzweckes ist es
schon genug, wenn Sie einige Male Ihres Geldes beraubt werden. Mit einem
Worte, er rathe mir, dieses Mal meinen Enthusiasmus, Italien und
Sicilien zu sehen, zu bekämpfen und als Familienvater ohne alles
Vermögen, meine sauer ersparten einige hundert Thaler nicht zu wagen.«

Füger's Sprache war so herzlich, daß ich, tief gerührt, an Weib und
Kinder dachte, und zu bleiben beschloß. Seume konnte dieses selbst nicht
mißbilligen; er war zu sehr redlicher Mann und Freund, und völlig
bekannt mit meinen Verhältnissen, als daß er egoistisch mir hätte
zureden sollen. Die Trennung that uns Beiden weh!!]

[Fußnote 10: Jetzt sind alle Wasser so schön und hell &c.

Reines, schönes Wasser war für S. wirklich ein großer Genuß, und wo wir
dergleichen trafen, wurde mit Frohsinn geschöpft.

Aus Wein machte er sich in der That nichts, Champagner war noch der
einzige Wein, den er liebte.

Wasser war für ihn ein universelles Mittel für Alles: er kurirte selbst
den verdorbenen Magen damit, wie er mir in Mähren zu meiner Verwunderung
durch folgenden Vorfall bewies.

Wir waren mit vielem Appetit und durchfroren zur Abendmahlzeit im
Wirthshause angelangt. Sehr fetter, kalter Schweinsbraten und
säuerliches Bier, statt des schlechten Wassers machte unsere ganze
Mahlzeit aus. Wir begaben uns darauf in eiskalte Betten zur Ruhe.

Mitten in der Nacht wurde ich plötzlich durch ein ängstliches, lautes
Stöhnen und Röcheln aus meinem Schlafe geweckt. Blitzschnell aus dem
Bette springen, mit dem Gedanken an Mord meinen Stock ergreifen und nach
meines Freundes Bette fliegen, war das Werk eines Augenblicks.
Entschlossen auf Tod und Leben erfaßte ich in der tiefsten Finsterniß
gewaltsam ein menschliches Wesen und war eben im Begriff zu kämpfen, als
sich auf einmal das Räthsel löste -- und ich bemerkte, daß ich Seume'n
selbst gefaßt hatte. Die ganze Mordgeschichte endigte sich mit Lachen.

So wie wir des Morgens das Haus verließen, griff S., trotz meinen
Vorstellungen, nach reinem Schnee, bis wir Wasser fanden, hungerte und
genas.

S. war bis in sein vierundvierzigstes Jahr, bis nach seiner letzten
Zurückkunft aus Rußland, ohngeachtet der vielen Strapazen, in seinem
Leben nie krank gewesen, als sich nachher bei ihm ein Uebel nach dem
andern entwickelte, welche besonders durch Mangel an Bewegung befördert
wurden. Dem Letzteren wurde er durch das häufige Vertreten seines durch
eine frühere Kontusion geschwächten linken Fußes ausgesetzt, wohin sich
nach und nach eine stärkere Geschwulst zog.

Auch glaube ich, daß ihm die häufigen Einladungen an reichbesetzte
Tafeln im Kontrast seiner gewohnten, einfachen Lebensweise Schaden
gethan haben.]

[Fußnote 11: ^Lilybaeum^. ^Liv.^ 23, 41. (_Clodius._)]

[Fußnote 12: Wer kann hier beschreiben? &c.

S. hatte in seinem Leben viel Musik gehört, liebte sie -- besonders die
Vokalmusik, und sein Urtheil darüber war voll richtiger Empfindung.

Aber keine Musik ergriff ihn so gewaltig, als die Ouverture aus Benda's
»Ariadne auf Naxos.« Und war er auch durch Weltereignisse und zuletzt
durch seine Krankheit noch so mißgestimmt, und er hörte diese Musik gut
vortragen, so gerieth sein Innerstes in frohen Aufruhr, und sein Geist
erhob sich über alles Irdische und Kleinliche dieser Erde. Sein Auge
strahlte hohe Freude und sein Ausdruck sprach eine hohe Ahnung eines
unsterblichen, ewigen Wesens aus.

Er hatte diese Musik unter ganz eigenen Umständen, in einer eigenen
Situation seines Lebens zum ersten Male und zwar gut gehört. So eröffnet
zuweilen ein Moment eine unversiegbare Quelle der wohlthätigsten
Empfindungen durch die Erinnerung in unserm Herzen.]

[Fußnote 13: Ich hätte dem Pfleger die Hände küssen mögen &c.

S. liebte die Blumen sehr, vorzüglich die Rosen. Ein Rosengarten war ihm
der erfreulichste Anblick und er bezahlte zuweilen die Erlaubniß, die
Rosen selbst abschneiden zu dürfen -- ein wahres Fest für ihn --
ziemlich theuer. Handeln war überhaupt seine Sache nicht: hatte er auf
die Forderung etwas weniger geboten und man war nicht sogleich
zufrieden, so gab er das Geforderte, ohne weiter ein Wort zu verlieren;
oder machte militärisch links um und ging. Es war zuweilen possirlich,
ihn kaufen zu sehen; auch fühlte er sehr gut, daß ihm das Handelstalent
abging, und wir mußten daher so manches für ihn besorgen. Hier einige
seiner Aufträge in schnurrigen Knittelversen:

   Mein lieber Herr Gevatter Schnorr,
   Wohl unsern freundlichen Gruß zuvor.
   Ihr wißt, daß wir mit jedem Wind
   Wohl Euer treuer Gevatter sind,
   Als bitten wir, Ihr wollet dann
   Auch einen Dienst uns lobesann
   Aus lauter Gunst und guten Willen
   Uns thun und hübsch mit Fleiß erfüllen:
   Ihr wollet nämlich unsre Sachen
   Bei Meister Brohm zusammenmachen
   Und nach und nach für die Gebühren
   Zu uns herüber expediren.
   Da sich's auf eins nicht tragen läßt,
   So könnt Ihr wohl den Ueberrest
   Bei Euch behalten, bis man ihn
   Gemächlich kann herüber ziehn.
   Sodann behändigt diesen Brief,
   Der, wie Ihr seht, ein wenig schief
   An Göschen, der wird Euch sofort
   Für mich zu weiterem Transport
   Wohl achtzig Thaler zahlen lassen;
   Ihr kennt Herr Rothen an der Ecke,
   Der half mir rüstig aus dem D....e;
   Nun diesem zahlet zwanzig Thaler,
   Dabei entschuldigt den Bezahler,
   Daß er nicht selbst von Angesicht
   Mit seinem alten Freunde spricht:
   Es thut mir selber herzlich leid;
   Allein jetzt hab' ich keine Zeit.
   Und zwanzig laßt Ihr bei Euch liegen,
   Die will ich bald in's Kleine kriegen;
   Und vierzig schickt Ihr mir herüber:
   Das ist die Summe bis zum Stüber.
   Sodann noch eins; allein verzeiht
   Die Schererei, mein lieber Veit:
   Kauft mir doch ein halb Dutzend Paar
   Von Strümpfen wie im vor'gen Jahr.
   Sodann noch eins: Es ist uns fast
   Das Leben ohne Ton zur Last;
   Drum schafft uns doch in unsern Nöthen
   Nur eine von den alten Flöten,
   Damit, wenn uns die Grillen hudeln,
   Wir doch ein Stückchen können nudeln.
   Und das vor Allem, hört ihr, Veit!
   Denn mit den Strümpfen hat es Zeit.
   Wir hoffen übrigens, daß Ihr
   Euch immer werdet, so wie wir,
   In Eurer lieben Stadt der Linden
   Mit Euren Leuten baß befinden,
   Und wünschen, daß Ihr mich recht bald
   In meinem _Grimm'gen_ Aufenthalt
   Besuchen werdet. -- Meinen Gruß!
   Ich büffle jetzt mit Kopf und Fuß.

                                                              _Seume._

Er hatte überhaupt manche Eigenheiten. Dahin gehört, daß er nicht gern
allein aß, daher genoß er selten etwas zu Hause. Zur Gurkenzeit pflegte
er des Morgens zu kommen und Gurken mitzubringen. Meine Kinder, die
seine Gewohnheit kannten, holten dann schwarzes Brot, Pfeffer und Salz,
und so genoß er die Gurken mit vielem Appetit. Fand er in einem Garten
Zwiebelbeete, so war er ganz Spanier; und mit seinen Freunden Früchte
abzunehmen war ihm ein großes Fest.]

[Fußnote 14: Das Original hatte mich königlich betrogen &c.

Ich schalte hier Seume's eigene Expektorationen an sein Idolchen, wie er
es selbst nennt, ein.

                         Erster Brief an M...

Eben will ich mich schlafen legen, liebes Mädchen, und es ist recht
spät, und ich bin recht müde, weil ich viel Zeugs gearbeitet habe, was
mir kein Vergnügen macht: aber Dir muß ich doch vorher schreiben. Das
gehört zu meinem Dessert des Abends. Wenn Du die Briefe und Briefchen
alle zusammenzählst, Mädchen, die ich Dir schon geschrieben habe; ich
glaube, man könnte das Augsburger Archiv damit anfüllen. Und was mag ich
Dir wohl immer Alles geschrieben haben? Was kann das seyn? Und wenn ich
tausend Foliobände an Dich schriebe, so würde Alles nur Liebe seyn.
Wenigstens mußt Du jede Zeile aus meinem Briefe streichen, die nicht
etwas von Liebe athmet.

   Und wenn ich hundert Jahre schriebe,
   Ich schriebe Dir doch nichts als Liebe.
   Der Puls, der Dir nicht Liebe schlägt,
   Der Wunsch, der mich zu Dir nicht trägt,
   Gehöret nicht zu meinem Wesen,
   Ist meiner Seele fremd gewesen.
   Die Liebe nur belebt mein Herz
   Und hebet froh es himmelwärts;
   Die Liebe, die Du mir zum Leben
   Und für die Ewigkeit gegeben.
   Ich sah und sog mit tiefem Geiz
   Von Deinem Antlitz jeden Reiz,
   Ich kam und nahm aus Deinen Blicken
   Der Seele süßestes Entzücken
   Ich sah Dich und ein neuer Schmerz
   Zog wonnevoll mir in das Herz.
   Du sprachst mir, und von Deiner Lippe
   Floß sanft der Strom der Aganippe.
   Du sahst mich an, und denkend stand
   Ich wie gefesselt hingebannt.
   Ach, einsam bin ich oft gelaufen,
   Um mir mit Weisheit Ruh' zu kaufen;
   Die Weisheit schlug vor meiner Ruh',
   Wenn ich erschien, die Laden zu.
   Ich kam mit Deinem holden Bilde
   Zurück vom herbstlichen Gefilde,
   Mit jedem Tritte folgtst Du mir,
   Und selig war ich stets mit Dir.
   Da wagt' ich endlich nah' zu treten
   Und meine Seele vorzubeten.
   Die Angst, die mich gefoltert hat,
   Hast Du in Deinen bängsten Stunden
   Gewiß im Leben nicht empfunden;
   Die Freude, die mich schnell durchlief,
   Als ich den ersten lieben Brief
   Mit Beben las, den Du geschrieben,
   Ist mir noch heute so geblieben,
   Wie damals sie mein Herz empfand,
   Als ich wie neu geschaffen stand,
   Vergieb mir, Mädchen meiner Seele,
   Wenn ich Dir mein Geschwätz erzähle;
   Ich denk' an jeden Augenblick,
   Wo ich Dich einst nur sah, zurück,
   Und jauchze bei der Göttergabe,
   Daß ich Dich, Mädchen, Dich nun habe.
   Nun bin ich Gottes liebster Sohn;
   Ich singe mit dem schönen Lohn
   Trotz jedem König hohe Psalmen,
   Und ihre Scepter sind nur Halmen.
   Was kümmert mich ihr Flittergold;
   Du, liebes Mädchen, bist mir hold;
   Ich lege mich zu Deinen Füßen,
   Und Du bückst Dich herab zu Küssen.
   Von nun an soll mir ganz allein
   Nur Deine Liebe Weisheit seyn;
   Aus Deinen seelenvollen Blicken
   Soll sie mich nur allein beglücken;
   Und dann von diesem Glücke warm,
   Studir' ich nur in Deinem Arm,
   Und was ich Dir am Herzen lerne,
   Ist schöner als die Morgensterne.
   Ach wäre nur die Zeit erst da,
   Die ich schon oft im Traume sah!
   Wo Du Dich lieblich an mich schmiegest
   Und Dich in meinem Arme wiegest,
   Wo Du mir Deinen Feuerkuß
   Zum Morgen- und zum Abendgruß
   Mit froher, froher Liebe bringest,
   Und mir ein Lied der Freude singest;
   Dann kann ich meinen besten Kuß
   Zum Morgen- und zum Abendgruß
   Dir mit der frohsten Liebe bringen,
   Und dir ein Lied der Freude singen.

Die Verse sehen wohl etwas schläfrig aus? Es ist Mitternacht, Mädchen!
da ist es ganz natürlich. Du mußt mit mir Schwätzer recht viel Geduld
haben. Wenn Du mich einmal ganz hast, so magst Du mich nach Deiner Weise
ziehen; wenn Du nämlich noch etwas Taugliches an mir findest. Folgsam
will ich wohl seyn, wenn Du mir das Gute ordentlich vordemonstrirst. Was
machst Du Liebe? Werde ja gesund! Werden Papa und Mama nicht bald wieder
irgend einen Schmaus haben? Ich wünsche den Leuten recht viel
Geselligkeit. Grüße Schwesterchen; und werde ja gesund; das ist sehr
wichtig, durchaus, hörst Du? Schreib mir bald, daß Du besser bist.

   Ich küsse Dir mit Zärtlichkeit Hand und Mund.
   Ewig Dein Treuer; werd' ja bald gesund!

                                                                    S.

                      Zweiter Brief an Dieselbe.

Auch heute mußt Du mit mir Geduld haben, liebes Mädchen; ich bin
beständig wie auf der Post. Heute kam Igelström zu mir und zeigte mir
seine Ordre, sich sogleich bei dem Kommando zu stellen. -- Sei ruhig,
Liebe, ich reise nicht. -- Sein Befehl war, sogleich bei Empfang
abzugehen. Die Ursache weiß ich sehr wohl. Auch einige andere Officiere
haben schnell zu ihren Corps gehen müssen. Nun mußte ich ihm eine Menge
Geschäfte besorgen helfen, die ich einem Freunde schuldig bin. Man muß
mir nicht den Vorwurf machen, daß ich meine ernsthafteren Pflichten
nicht willig und pünktlich erfülle. Man sagte uns, es seien auch Briefe
an uns auf der Post: Du kannst denken, Liebe, daß mir das Herz schlug,
ob wir nicht auch vielleicht Befehl erhalten würden. Die Briefe kamen,
und waren zwar vom General, aber sie enthielten bloß freundschaftliche
Allotria. Eigentlich wäre es nun wohl besser gewesen, ich wäre jetzt
gereist; denn je eher ich hinkomme, desto eher bin ich wieder zurück.
Aber Dich jetzt so krank zu verlassen, Dich vielleicht nicht einmal
sehen zu können, das würde mein Herz nicht ausgehalten haben, so hart es
auch seyn mag. Ich bitte Dich, liebes, theures Mädchen, werde ja nicht
krank, nicht schlimm krank, oder ich kann nicht dafür bürgen, daß ich
nicht gerade zu Deinem Vater gehe. Liebe, schreib' mir, daß es besser
mit Dir ist; schreib' nicht viel, wenn es Dir schwer wird; nur einige
Zeilen zu meiner Beruhigung. Wenn ich Dich nur wohl weiß, so bin ich
glücklich genug. Täglich fühle ich mehr, wie sehr Liebe unser ganzes
Wesen stimmen kann. Mein Vater starb, und ich fühlte Schmerz und weinte
Thränen; aber welcher Unterschied zwischen jenem Gefühle und dem
zärtlichen Kummer, den mir nur Dein Uebelbefinden macht. Mädchen, ich
liebe Dich unaussprechlich: das habe ich so oft gesagt; aber ich sage es
eben so oft, weil ich meine Liebe nicht aussprechen kann. Deine
Gesundheit beschäftigt mich jede Stunde. Oft breche ich mitten in der
Periode meiner Schreiberei ab, lege die Feder seitwärts, und sehe
minutenlang, viertelstundenlang auf das leere Blatt. Meine theure,
einzig innig geliebte M., ich bitte Dich bei der Glückseligkeit, die Du
mir gegeben hast und geben willst, bei der ganzen innigen Zärtlichkeit,
mit der ich Dich ewig lieben werde, sei sorgsam und aufmerksam auf Deine
Gesundheit. Es macht mir unaussprechlich viel Unruhe, wenn ich Dich
krank denken muß; um so mehr, da ich nicht hin kann, um Dich von Deinem
Zustande zu überzeugen. Ein einziger Blick ist mehr, als eine lange
Erzählung. Es hat mich recht geschmerzt, daß Du fandst, ich sei
unordentlich; denn ich kann es nicht ganz für Scherz nehmen. Habe nur
Geduld, ich halte viele Dinge zu sehr für Kleinigkeiten: im Wesentlichen
hat mir noch Niemand Unordnung vorgeworfen. Du sollst finden, daß Du
nicht vergebens zu mir gesprochen hast. Habe nur Muth, mit mir kannst Du
alles Gute machen. Ich fühle, Mädchen, daß bei jedem Deiner Küsse meine
Seele sich immer noch zärtlicher an dich schließt. Nie habe ich Begriffe
von der Liebe eines Mädchens gehabt, jetzt ist mein ganzes Herz voll
davon. Ich lasse Dir Gerechtigkeit, liebes Mädchen, ohne Erröthen
Gerechtigkeit wiederfahren, Du bist zärtlicher als ich. Diesen Vorzug
giebt Dir Deine Weibernatur, die lauter Grazie und Sanftmuth ist; denn
bei Gott! in der Stärke der Liebe will ich mich auch von Dir nicht
übertreffen lassen. Wenn ich Dich nicht glücklich mache, ich fühle den
Werth meines Herzens, so glaube ich, es kann kein Sterblicher Dir Glück
und Zufriedenheit geben. Ich habe Dir meinen ganzen alten Stolz
geopfert, und unendlich gewonnen; ich würde Dir den Feldherrnstab und
alle Ordensbänder opfern und immer gewinnen. Wenn doch die Menschen
immer richtig nach Kopf und Herz mäßen, so würde nicht so viel
Mißverstand seyn. Wenn wird die glückliche Zeit kommen, Liebe, wo ich
Dir wenigstens täglich eine gute Nacht sagen darf? Aber würde der Geiz
damit zufrieden seyn? Ich bin so glücklich, so glücklich, wie ein
sterblicher Erdenbewohner seyn kann; lehre mich Genügsamkeit, Liebe. Nur
für Deine Gesundheit will ich beten. Glaube mir, ich bin förmlich fromm
geworden, seit ich Dich liebe.

Die Gottlosen sollten lieben, und sie würden sogleich aufhören zu
lästern: die Abgötterei, welche Liebende begehen, ist mehr ein Lob des
Schöpfers, als eine Blasphemie. Ein unnennbar süßes Gefühl bebt durch
mein ganzes Wesen, hebt meine ganze Seele von der Erde empor, wenn Du
mit frommer Vertraulichkeit mit einem Kusse Dich zu mir neigst. Ich bin
vielleicht ein Kind; aber der Himmel erhalte mir und Dir diesen
Kindersinn. Grüße Schwester F.......... Nimm den Kuß der Zärtlichkeit,
und daß Dir der Himmel Gesundheit gebe.

                                                    Ewig Dein _Seume_.

                      Dritter Brief an Dieselbe.

Da soll ich arbeiten, liebes Mädchen, und meine ganze Seele ist bei Dir.
Dein Briefchen hat mich nicht so sehr getröstet, als mich Sch.'s
Nachrichten beunruhigt haben. Du bist sehr krank, wie ich höre, und ich
soll ruhig seyn! Dein Arzt ist nicht zu Hause, zu dem Du noch das meiste
Zutrauen hast; Du kannst nicht sprechen, Du leidest die empfindlichsten
Schmerzen; und ich soll ruhig seyn! Da liegt der Bogen, den ich in die
Druckerei liefern soll; ich habe ihn weggeworfen. Ich weiß in meinem
Zustand mit nichts zu vergleichen, er ist mir ganz fremd: ich bin sehr
traurig und möchte doch um Alles in der Welt nicht fröhlich seyn, wenn
mir Jemand meine Traurigkeit nehmen wollte. Liebes, krankes Mädchen, und
Du leidest sicher meinetwegen; meinetwegen hast Du Dich nicht geschont;
wie werde ich, wie kann ich Dir alle Zärtlichkeiten vergelten, die Du
mir schon gezeigt hast. Ich fühle, ich muß von Dir die Liebe lernen;
ach, Theuerste, werde nur gesund, Du sollst ganz mit Deinem Schüler
zufrieden seyn. Es ergreift mich beständig unwillkürlich eine Wehmuth,
von welcher ich mich nicht losreißen will. Die Saiten, die ich Stümper
auf dem Klaviere anschlage, beben alle melancholische Akkorde, und alle
kleinen Stücke, die ich von der Laute greife, sind ungewöhnlich
elegisch. Einige Töne, welche den Ton der Seele treffen, können einen
Laien tiefer rühren, als den Meister die Kunstharmonien ihrer Zauberer.
Ich bekenne Dir, Liebe, ich gäbe ganze Konzerte von Haydn für zwei Töne
auf der Laute hin, wenn sie die Stimmung der Seele zurückbeben.

Es ist schon sehr hart, in einer solchen Entfernung von seiner Geliebten
zu leben, wie ich: in einem so eigenen traurigen Verhältnisse zu stehen,
wie ich; solche schöne Hoffnungen und so eigene Schwierigkeiten zu
haben, wie ich; aber jetzt, da Du krank bist, da ich herumschleiche, wie
ein Verirrter, da ich Dir so nahe bin und so fern, hat meine Lage keine
ähnliche an qualvoller Angst. Ich spreche nicht, weil ich meine
Empfindung lieber behalte als ausgebe; ich würde Dir auch nicht
schreiben, wenn ich Dir verbergen könnte, wie es in meiner Seele
aussieht. Selbst meine Gedanken sind so irrsam durcheinander, daß Du es
vielleicht sogar meinem Briefe ansiehst. Es ist, als ob ich mich
hinsetzen sollte zu sterben. Vergieb mir, bestes, theuerstes, ewig
geliebtes Mädchen; ich sollte nicht klagen; denn ich bin ein Mann, und
ein Mann soll stark seyn. Ein König mit seiner Macht könnte meinen Augen
sicher keine Thräne auszwingen; meine eigenen Empfindungen haben oft
schon die glühenden Tropfen bis an die Wimper getrieben. Ich weine wohl
nicht, aber meine Augen brennen und eine hohe Gluth fährt elektrisch
durch meinen Nacken. In welchem Lichte mag ich Dir erscheinen, Liebe?
Man klagt mich so sehr der Härte, der Unempfindlichkeit, der Rohheit an:
und in meinem Charakter, der meistens der eisernen Vernunft folgt, liegt
etwas, das jener Beschuldigung einigen Anschein von Wahrheit giebt. Aber
ich versichere Dich, bei allem, was einem ehrlichen Mann heilig seyn
kann, es ist nur Schein, und wer in den Charakter nicht tiefer
eindringt, bleibt bei dem Schein stehen. Du machst mir vielleicht einst
den nämlichen Vorwurf, wenn meine Liebe sich in das Kleid des
Vernunftmäßigen schickt, meine Seele sich vielleicht in die alte
stoische Ruhe setzt, und Du dann glaubst, das Feuer meiner Empfindungen
sei ausgestorben. Das würde mir schrecklich werden; denn ich versichere
Dich, bei meiner anscheinenden Ruhe kocht es oft in der Tiefe wie ein
Vulkan. Thue mir nie das Unrecht, Liebe, je an meinem Herzen zu
zweifeln; setze es auf die Probe, wie Du willst, und es wird Probe
halten. Meine Empfindungen sind ewig, denn sie sind wahr. Wenn ich nur
einmal so glücklich wäre, näher um Dich zu seyn, mit Dir in innigern
Verhältnissen zu stehen, damit Du mich ganz kennen lerntest, und sähest,
daß ich ein Herz wie das Deinige ganz verdiene. Siehst Du, bestes,
trautes Mädchen, meine Verse könnten Schminke tragen, meine Moral könnte
Wortgepränge seyn, meine Briefe könnten lügen, meine Reden könnten Brast
seyn, meine Küsse könnten Dir heucheln; denn wer würde nicht ein
schönes, liebenswürdiges Mädchen feurig küssen, wenn er ihr Herz
bestricken wollte: Alles an mir könnte Dich betrügen; aber nicht meine
Handlungen, welche Dokumente bleiben, für oder gegen mich, nicht die
herzliche, innige, zärtliche Aufmerksamkeit, mit der ich ununterbrochen
mein ganzes Leben für Deine Glückseligkeit wachen würde. Meine heißeste
Liebe zu Dir macht mich nicht blind, M..... ich kann Dich bei dem Glück,
das ich von dieser Liebe hoffe, versichern, ich würde Dir es mit
zärtlicher Schonung sogleich entdecken, wenn ich etwas an Dir fehlerhaft
fände; aber Alles, Alles hat an Dir, so viel ich jetzt gesehen habe,
meine Billigung, Manches hat mich entzückt, und selbst der kältere
Beobachter würde nichts zu tadeln finden. Der Himmel hat mich in Deinem
Herzen sehr gesegnet; ich habe so viele Glückseligkeit durch meine
undankbar kalte Philosophie nicht verdient. Aber ganz kalt bin ich nie
gewesen, ich hatte wenigstens die Empfänglichkeit der Wärme mir
erhalten, sonst hätte ich Dich nicht geliebt, sonst hättest Du mir nicht
geantwortet. Die Welt wird Dich sehr tadeln, wenn sie Deine Wahl
erfährt; aber ich will Dich rechtfertigen dadurch, daß ich ihr zeige,
ein Weib könne an meiner Seite wohl so glücklich seyn, als in einem
goldnen Wagen. Mädchen, ich darf Dir bekennen, ich freue mich auf die
Zeit wie ein Knabe, der noch zehn Jahre zu warten hat, bis ihm der Bart
keimt. Gewiß, ich bin ein guter Mensch durchaus, und ein solcher wird
nie ein schlechter Mann. Werde nur, werde nur gesund; ich bitte Dich,
meine Theure, sorge für Dich; befolge jetzt die Vorschriften, die Dir
der Arzt giebt, sei ruhig und habe Geduld. Wenn ich nur selbst ruhig
seyn könnte, ich wollte Dir recht gute Predigten über die Ruhe halten.
Mir ist alle Tage, als ob ich in euer Haus stürmen müßte, so zieht mich
eine unaufhaltbare Gewalt immer in Deine Gegend. Mädchen, wenn Du
wüßtest, wie oft ich in meinen Mantel gehüllt Abends dort in der Straße
auf und abwandle; ich blicke nicht hinauf, weil ich nichts sehen würde,
aber es thut mir doch etwas wohl, Dir so nahe zu seyn, bis mich meine
Ungeduld fort nach Hause treibt. Ich habe mit Dir und bloß durch Dich
schon manche schöne, herrliche Stunde genossen; aber eben dieser volle
Genuß zeigt mir nun die Leerheit aller übrigen. Es ist, als ob ich nicht
lebte, wenn ich nicht wenigstens in Gedanken bei Dir bin, so sehr bist
Du Alleinherrscherin meines ganzen Wesens geworden. Ich kann, ich will
nicht ruhig seyn, so lange Du nicht wohl bist, so lange Du nicht sicher
in meinen Armen ruhest. M...., liebes, krankes, theures Mädchen, gewiß,
es soll Dir noch recht wohl gehen, und Du sollst gesund seyn, und des
Arztes nicht bedürfen. Denn blos eure verkehrte Lebensweise ist Schuld
an euerm beständigen Uebelbefinden. Wenn ich doch so glücklich wäre, als
ein sehr gleichgültiger Bekannter in euerm Hause zu seyn, nur dieses:
nur um mich zu überzeugen, was ihr Leutchen für eine Menage führt, daß
ihr immer nicht wohl seid. Aber was sage ich Unbesonnener? An Deiner
Krankheit bin ich Schuld, blos ich; und sonst ist wohl Alles in der
Familie wohl. Ich werde mir die Strafe auflegen, Dich nie wieder so zu
sehen. Aber wenn werde ich Unglücklicher Dich nun wieder sehen? Das
Schicksal bietet Alles auf, mich für meine ehemalige Härte recht weich
zu machen. Ich kann Dir nun versichern, M....., ich bin nun so demüthig,
als es nur die christliche Moral immer haben will. Werde nur wieder
gesund, und rufe mich zu Dir; oder rufe mich auch nicht zu Dir und werde
nur gesund.

   Wenn nur Hygea ihre Kraft des Lebens
   Durch Deiner Glieder Fülle gießt,
   Wenn nur in Pulsen eines leichten Strebens
   Dein Blut sanft auf und nieder fließt,
   Wenn Du nur Gottes Luft mit freien Zügen
   Und frischer Brust zum Wohlseyn trinkst,
   Will ich entzückt an Deinen Busen fliegen,
   Wenn Du dem lieben Schwärmer winkst.
   Ich will zum Himmel wie ein Pilger beten,
   Daß Dir der Himmel Arzt und Heilung sei;
   Und darf ich bald Dir wieder nahe treten,
   So eil' ich hohen Herzensschlags herbei,
   Und sinke, Liebe, hin zu Deinen Knieen,
   Und danke mit dem seligsten Genuß
   Dir und dem Himmel nur in einem Kuß,
   In welchem alle Hochgefühle glühen.

Herrliches, liebes Mädchen, ich wünsche Dir baldige, feste, dauerhafte
Genesung. Dann mußt Du durchaus Dein Arzt selbst seyn, wenigstens keinen
andern als mich haben. Wenn ich nur ruhig seyn könnte! Ich küsse Dich so
zärtlich als ich Dich liebe. Dein auf ewig.

                                                              _Seume._

                      Vierter Brief an Dieselbe.

Heute bin ich schon etwas ruhiger Deinetwegen, da mir Sch. Nachricht von
Deiner Besserung bringt. Aber ganz ruhig werde ich nicht eher, als bis
ich Dich wieder einmal selbst sehe, und urtheile, daß Du gesund und wohl
bist. Denn Deiner Versicherung über Deine Gesundheit glaube ich auch
nicht; Du hast mich so oft getäuscht. Du glaubst, liebes Mädchen, hier
ist die Täuschung wohlthätig und besser als Wahrheit. Das spricht Deine
Liebe; aber das kann meine Liebe nicht glauben. Als ich Dich das letzte
Mal in meinen Armen hielt, liebes Mädchen, wie gut und zärtlich warst Du
da! wie liebevoll hingst Du an meinem Halse und athmetest an meinem
Herzen. Aber Du warst krank, Du warst schon recht krank, armes Mädchen.
Mir war's, als ob Deine Küsse doppelte Zärtlichkeit hätten; es ist etwas
Unaussprechliches in einem solchen Blicke, einem solchen Kusse. Wehe dem
Menschen, den ein solcher Kuß nicht ganz zum reinen Geweihten seiner
Liebe macht. Es liegt Wehmuth darin, unbeschreibliche Wehmuth,
theuerstes Mädchen, ich glaube, ich fange jetzt erst recht an, Dich zu
lieben, wie ich soll, und werde Dich an Zärtlichkeit übertreffen, wenn
ein Mann je ein Mädchen an Zärtlichkeit übertreffen kann. Siehst Du,
Liebe, ich lasse Dir und Deinem Geschlecht Gerechtigkeit wiederfahren;
ich gestehe, ihr mögt zärtlicher lieben, aber liebt ihr auch treuer und
standhafter und unverbrüchlicher? Das ist eine Frage, die ich nicht
entscheiden mag. Mich däucht, Du mußt ein Muster aller dieser Tugenden
seyn, weil Du mich wählen konntest. Das klingt stolz, Liebe, aber es ist
wahr; und mit diesem Stolze wirst Du wohl zufrieden seyn. Du konntest
wohl glauben, daß ein Mann, wie Du Dir meinen Charakter vorstellen
mußtest, vorzüglich in so ernsten Dingen sehr ernst denkt, und doppelt
ernst handelt: und doch eiltest Du in meine Arme. Du bist ein Engel für
mich; ich weiß gar nicht, Mädchen, wie ich Dich ganz verdienen werde:
aber verdienen will ich Dich, das Zeugniß sollst Du mir einst noch
geben. Ich glaube, im ganzen Vaterlande ist kein Mädchen, das so gut und
liebevoll wäre, als Du bist, M..... Mädchen, ich fühle Deinen Werth in
mancher ganz kleinen Nüance, und liebe Dich täglich mehr. Das ist
vielleicht eine Formel; denn ich glaube, ich kann Dich nicht mehr
lieben, als gestern und ehegestern; und doch kommt mir's jedesmal so
vor, wenn ich Dich in meinen Armen halte. Aber weißt Du, Liebe, daß ich
Dich jetzt als meine theuerste Geliebte doch noch nicht so liebe, als
ich Dich lieben werde, wenn Du einst mein Weib seyn wirst: das fühle
ich, das lieget in der Natur und ich wollte es philosophisch beweisen.
Die Geliebte ist dem Liebhaber freilich das höchste, glühendste Ziel
aller seiner Wünsche und Hoffnungen, aber das Weib muß dem Manne
durchaus Alles, Alles, der ganze Zirkel seines Wesens seyn. Der Mann ist
ein Verräther, dem sein Weib das nicht ist; und wehe dem Weibe, welches
dieses alles dem guten Manne nicht seyn kann. Vergieb mir, liebe M.....,
Du weißt, ich bin kein Ueberzärtlicher, vergieb mir meine süße
Schwärmerei: das denke ich mir durchaus als die seligste Periode der
ganzen Erdenexistenz, wenn Du mir einen Knaben oder ein liebliches
Mädchen entgegen tragen wirst. Da Du mich kennst, wirst Du mich deswegen
nicht tadeln; da ich Dich kenne, darf ich wohl in den hohen Empfindungen
meines Herzens ein Wort dieser Art zu Dir sprechen. Wenn ich so oft
unter einer glücklichen Familie saß, und mich an den reinen Gesichtern
der kleinen, fröhlichen Kinder weidete, stieg oft eine unbekannte
Sehnsucht in mir auf. Ich dachte nie an die Hoffnung, selbst einst so
glücklich zu werden, und ließ die kleinen, krauslockigen Jungen mich in
den Haaren zausen und am Barte rupfen. Die Leute sagten immer, trotz
meiner Wildheit, sähen sie daraus, daß ich ein guter Mann sei. Du,
M....., hast mir diese neue Hoffnung geschaffen, und ich danke Dir dafür
wärmer, als für alle Deine Küsse. Werde nicht eifersüchtig über meine
sonderbare Philosophie. Du bist mir doch, bleibst mir doch Alles, der
ganze Inbegriff des Segens, den ich mir vom Himmel erbitte. Mädchen
werde nur wieder gesund: denkst Du etwa, das sei so ganz egoistisch? und
daß Du so blos meinetwegen gesund werden sollst? Glaube das nicht,
Liebe, ich wollte gern für Dich leiden und dulden, wenn ich Dir nur
Deinen Schmerz abnehmen könnte. Seit ich Dich so herzlich liebe, bin
ich, so wahr ich lebe, ein anderer Mann; ich habe das Leben selbst weit
lieber, und mich däucht, es sei nun doch des Wunsches werth zu leben.
Ehemals nahm ich mir wahrlich kaum die Mühe, das Leben zu wünschen.

   Sonst sah' ich manchen Frühling blühn,
   Und sahe manchen Sommer fliehn,
   Und bückte an des Beetes Saum
   Mich nach der schönsten Blume kaum.
   Sonst strich mir mancher Herbst vorbei
   Und war mir immer einerlei,
   Ich aß da Aepfel ohne Dank,
   Die Traube ohne Frohgesang.
   Jetzt, M...., lieb' ich Dich
   Und Alles wird nun froh um mich
   In jeder Blume trägt die Luft
   Mir Labung zu, und Balsamduft.
   Der Apfel, den ich eben aß,
   Schmeckt würziger, als Ananas;
   Rund um ist Alles eingeweiht,
   Und selbst der Schnee ist Feierkleid.

Werde nur wieder gesund, meine Liebe! Ich küsse Dich zärtlich, recht
zärtlich. Ewig Dir treu und der Deinige, liebes Mädchen, ewig.

                                                                    S.

          Fünfter Brief an Dieselbe. (Einige Wochen später.)

M....

Dein Vater hat mir das Versprechen abgefordert, die Korrespondenz
abzubrechen: ich hatte schon geschrieben, es ihm zu geben; er hatte aber
nicht die Güte, den Brief, der es enthielt, anzunehmen; folglich habe
ich es ihm nicht gegeben: und sein Wille ist für mich unbedingt kein
Gesetz. Aber Du scheinst der nehmlichen Gesinnung zu seyn; und Deine
Wünsche sollen mir heilig seyn, bis zu meinem letzten Hauche. Fürchte
nicht, daß ich Dich weiter mit Zudringlichkeiten beschweren werde: nur
das traurige Vergnügen kann ich mir nicht versagen, in diesem letzten
Briefe noch einmal herzlich zu Dir zu sprechen. Ich will mich
rechtfertigen vor Dir, rechtfertige Du Dich auch vor Dir selbst. Mein
Herz soll und muß schweigen; ich habe Ursache zu fürchten, daß seine
Sprache nicht mehr verstanden wird; und ich will seine Empfindungen
nicht entweihen. Es ist seit einiger Zeit meine Beschäftigung gewesen,
daß ich alle Deine Briefe mit bitterm Gefühle wiederholt durchgelesen;
es ist, als ob die schöne Täuschung noch um mein Herz spielte, als ob
ich nicht aus dem süßen Traum erwachen könnte. Ich kenne viele Arten des
Zweifels; aber keiner giebt solche Scorpionenstiche, wie der Zweifel,
den Du mir gegeben hast. Ich bin glücklich gewesen, in meinem Wahn
glücklich gewesen, das danke ich Dir. Du kannst stolz seyn, es hat mich
kein weibliches Geschöpf glücklich gemacht, als Du; Du kannst sehr stolz
seyn, es wird mich keine wieder glücklich machen. Du bringst mich zu
meiner alten Philosophie über die Weiber zurück, und noch sehr zu
rechter Zeit. M...., Du hast nicht großmüthig, nicht redlich mit mir,
nicht weise mit Dir selbst gehandelt. Warum hast Du mir nicht Wahrheit
gesagt? Glaubst Du, daß ich Wahrheit scheue, auch wenn sie mich zu Boden
schlägt? Ich merkte Deine Veränderung gleich mit den Feiertagen: ich
lief herum voll Angst wie ein Gejagter. Von Dir kam kein Gruß, keine
liebreiche Erkundigung, keine Nachfrage nach einem Briefe, deren ich
wohl sieben geschrieben und zerrissen habe. Meine Seele war auf der
Folter; endlich sagte mir Sch., das Verhältniß müsse abgebrochen werden,
das wolltest Du; Du, die Du mir noch vor vierzehn Tagen die heiligsten
Betheuerungen schicktest: Dein Vater habe Dir alle Hoffnung benommen,
Dir mit seinem Fluche gedrohet. Von Allem dem war nichts wahr, wie ich
aus Deines Vaters Briefe sehe. Welche Partie glaubst Du denn, daß ich
nach meinem Charakter nehmen konnte, als Deinem Vater nun geradezu zu
schreiben, da ich nach Deiner Botschaft annehmen mußte, er wisse schon
Alles? Hättest Du mir die Wahrheit sagen lassen; ich hätte Dir mit einem
kurzen Kampfe Alles zurückgeschickt. Du klagst über meinen Stolz, und
nimmst Dir die Mühe, mich ganz zu demüthigen. Vielleicht gelingt es Dir,
vielleicht nicht. Dein Vater will keine Briefe von mir annehmen, auch
Deine Mutter nicht. Du vielleicht auch nicht. Das erniedrigt mich nicht;
ich finde mein Betragen ziemlich konsequent, so konsequent man in meiner
Gemüthsstimmung seyn kann. Was soll ich nun thun? Dein, Dein eigener
Antrieb war es, zu brechen. Du hättest mir und Dir und Deinen Aeltern
viele schmerzliche Gefühle ersparen können, wenn Du mit etwas mehr
Ueberlegung gehandelt hättest. Es scheint, als ob Du Dir ein Vergnügen
gemacht hättest, meine Empfindungen zu einer solchen Höhe zu winden, um
mich dann mein Nichts fühlen zu lassen. Es ist Dir ganz gelungen. Das
Mädchen, das noch kurz vorher an meinem Nacken hing, und mich um meine
Treue bat, hat nun nicht einmal den Muth, zu sagen, daß es mich liebt.
Ich bin zur Galanterie zu ernst, und Du hast Dich geirrt, wenn Du mich
unter diese Rubrike gebracht hast. Wir haben einander, wie es scheint,
Beide nicht gekannt; und dürfen also einander keine Beschuldigungen
machen. Daß ich Deine Ruhe gestört habe, vergieb mir; daß Du mir so
schöne Hoffnungen geschaffen und vernichtet hast, daß durch Dich mein
Friede zu Grunde gegangen ist, das will ich Dir vergeben, meine
Blödsinnigkeit anklagen, und Dich zu den ganz gewöhnlichen Mädchen
rechnen. Wenn ich das nur könnte, M...., ich wäre noch glücklich genug.
Mein Ernst hat Dir nicht gefallen; um ihn zu heilen, hast Du Bitterkeit
hineingegossen. Deinen Aeltern rechne ich nichts an; sie handeln nach
ihrem Begriff der Pflicht: aber wie Du nach Deinem Begriff der Pflicht
handelst, kann ich nicht einsehen. Du warst weder gegen Deinen Vater,
noch gegen mich, wie Du solltest. Die Gründe, welche Dein Vater gegen
mich anführt, sind alle gültig genug, da Du ihnen Gewicht giebst: ein
einziger hat mich mehr als alle getroffen, er heißt die Wankelmüthigkeit
des Weibes. Dein Vater läßt Dir Gerechtigkeit wiederfahren. M...., Du
hättest redlicher mit mir seyn sollen. Ich bin nicht der Mann, der das
weiche Herz eines Mädchens mißbraucht; ich fordere Dich auf, die
Wahrheit zu sagen. Bin ich nicht offenherzig mit Dir gewesen? Habe ich
Deine Empfindungen bestochen? Meine ganze Seele hängt noch an Dir, und
wird sich ewig nicht loswinden können. Wenn Du meiner unwerth wärest,
würde ich über Dich weinen und trauern. Sage mir nur offenherzig Deine
Wünsche, und traue mir Großmuth genug zu, sie alle zu befriedigen, und
wenn es mein Leben kostete. Wider meine Ehrlichkeit kannst Du nichts
fordern. Deine Briefe solltest Du längst wieder haben, wenn sie Dein
Vater nicht verlangte. Bekommen soll er sie nicht; aber lesen soll er
sie, wenn er darauf dringt, zu seiner Beruhigung und Deiner
Rechtfertigung. Hast Du etwas geschrieben, was Du zu gestehen Dich
schämest? Dich zu schämen Ursache hast? Mädchen, dann sind wir Beide zu
beklagen, Dein Vater und ich; und Du am mehrsten. Dann sollen sie zur
Tilgung alles Mißtrauens vor seinen Augen vernichtet werden. Wenn ich
auch das Angesicht Deines Vaters scheue, will ich mich doch vor ihm
nicht schämen. Ich bin gewohnt, mir Achtung zu erzwingen, wenn ich mir
auch keine Gewogenheit erwerbe. Ich kann mir vorstellen, wie viel
Nachtheiliges man Dir auf meine Kosten vorsagen wird; wenn Du das so
geradezu ohne Sichtung glaubst, so habe ich jede Empfindung meines
Herzens umsonst verschwendet. Ich bedaure Dich bei allem meinem Schmerz
noch weit mehr, als mich selbst: denn ich werde höchst wahrscheinlich
zeitlebens Dir zum Vorwurf herumlaufen. Mein Betragen wird Deine Strafe
seyn. Ich versichere Dich, Liebe, ich werde Dich nicht aus meiner Seele
verlieren. Ich habe mit keinem Mädchen in einer nähern Verbindung
gestanden; Du bist das einzige, das sich ganz in meinem Herzen
festgesetzt hat. Gehe hin, wo Du willst; ich werde Dich mit zu Grabe
nehmen. Du hörst vielleicht nach dreißig Jahren von mir noch den
nämlichen Ton, wenn Du Dich meiner gelegentlich erinnerst. M...., ich
bitte Dich um Gotteswillen, bei dem Glücke, das Du noch hoffst, sei
Deiner werth; ich kann nichts Schlimmes von Deinem Herzen glauben. Sei
Deines Vaters Freundin, wenn Du nicht meine Geliebte mehr bist. Wenn
mein Kuß Dich nicht edler gemacht hat, bin ich ein Verworfener, oder Du
ein Geschöpf ohne Sinn. Thue nichts, nichts heimlich: was ich that,
geschah Deinetwegen; sonst trete ich immer in's Licht. Meinetwegen zeige
auch diesen Brief Deinen Aeltern; ich werde ihnen gelegentlich nicht
bergen, daß ich ihn geschrieben.

Erlaube mir noch einmal, mich in die süße Täuschung der Harmonie unserer
Herzen zu setzen. Du hast ein schönes Werk zerstört, Liebe; das hättest
Du nicht thun sollen, oder nicht sollen bauen helfen. Du fragst, was ich
denke? und nicht, was ich fühle? Ich bin unendlich traurig; und von
welcher Art meine Empfindungen sind, magst Du in Zukunft von meinem
Gesichte lesen. Ich bin vielleicht nie wieder so glücklich, eine Sylbe
mit Dir zu sprechen; aber mein Herz wird Dich begleiten, denn ich bin
unveränderlich.

                                                              _Seume._

                            An Herrn ***.

Mein Herr!

Wir kennen einander nicht; aber die Unterschrift wird Ihnen sagen, daß
wir einander nicht ganz fremd sind. Meine ehemaligen Verhältnisse zu
Ihrer Frau können, dürfen und müssen Ihnen nicht unbekannt seyn. Sie
würden vielleicht nicht übel gethan haben, meine Bekanntschaft früher
gemacht zu haben; ich störe Niemandes Glück. Ob Madam *** gegen mich
ganz gut gehandelt hat, kann ich nicht entscheiden, eben so wenig als
Sie; da wir Beide nicht gleichgültig sind. Ich vergebe ihr gern und
wünsche ihr Glück; es war ja nie etwas anders der Wunsch meines Herzens.
Einige meiner Freunde wollen mir Glück wünschen, daß die Sache so
gekommen ist; sie überzeugen fast meinen Kopf, aber mein Herz blutet bei
der Ueberzeugung. Da Sie mich nicht kennen, dürfen Sie über mich nicht
urtheilen. Ich bin weder Antinous, noch Aesop, und Mademoiselle *** muß
doch vorzüglich den ehrlichen, guten Mann zu sehen geglaubt haben, als
sie mir sehr theuere Versicherungen gab. Doch stille davon! Es geziemt
mir nicht, mich zu rechtfertigen, und noch weniger, Andere anzuklagen.
Was die Leidenschaft that, hat -- die Leidenschaft gethan. Ich bin nicht
Ihr Freund, das leiden die Verhältnisse nicht: da ich aber ein ehrlicher
Mann bin, ist es für Sie so gut, als ob ich es wäre. Sie selbst, mein
Herr, haben bei der Sache als ein junger, nicht ganz ernsthafter Mann
gehandelt. Ich wünsche Ihnen Glück; Sie haben das nöthig. Ihre Frau ist
gut, ich habe sie tief beobachtet, und ich würde nicht im Stande gewesen
seyn, mein Herz an eine Unwürdige zu verlieren. Daß zwischen uns nichts
Strafbares vorgefallen ist, dafür muß Ihnen mein Charakter und meine
jetzige Handelsweise bürgen. Sie hat Fehler: sie kann hassen, verzeiht
nicht leicht, und ist leichtsinnig. Sie haben also keinen leichten Gang
mit ihr. Sie müssen ihr manchen Fehler vergeben und selbst keinen
begehen. Es ist mir daran gelegen, daß Sie Beide glücklich sind: das
wird Ihnen begreiflich seyn, wenn Sie etwas vom Herzen des Menschen
wissen und mich nicht für einen ganz gewöhnlichen Menschen halten. Ich
werde höchst wahrscheinlich unterrichtet seyn, wie Sie leben, so weit
man im Allgemeinen unterrichtet seyn kann: denn ich bin in B., wo ich
oft war, nicht ganz Fremdling: Ich kann nun einmal nicht wieder
gleichgültig werden, das hätte Madam *** ehemals glauben und ihre
Maßregeln zur Zeit nehmen sollen. Das Schrecklichste würde mir seyn,
wenn Sie je eine Ehe nach der Mode führen sollten. Ich bitte Sie bei
Ihrem Glück und bei dem Rest von meiner Ruhe, noch mehr aber bei dem
Glück der Person, die uns theuer seyn muß, nie -- nie leichtsinnig zu
seyn. Sie sind Mann; von Ihnen hängt Alles ab. Wenn M.... je von ihrem
Charakter sinken könnte, ich würde den meinigen fürchterlich rächen.
Verzeihen Sie und halten das nicht für Impertinenz. Sie müssen Zeiten
und Menschen kennen. Furcht giebt Sicherheit. Ich werde Ihre Frau mit
meinem Willen nie wieder sehen. Wenn Sie selbst Ihre Pflichten immer
erfüllen, so führen sie ihr immer in _einer ernsthaften Stunde_ mein
Andenken wieder zu. Es kann ihr heilsam werden, und soll Ihnen nicht
schaden. In meiner Seele kann in diesen Verhältnissen nur Liebe oder
Verachtung wohnen; ich kenne mich; die erste kann nur mit dem
Stufenjahre Freundschaft werden, und der Himmel bewahre Sie und mich vor
der zweiten: ihr Vorbote würde schrecklich seyn.

Ich kann aus der Seele des Weibes herauslesen, was Madam *** jetzt über
oder auch wohl wider mich sagen wird, und ich wünsche aufrichtig, daß
sie nie mit Reue an mich zu denken Ursache habe. Es ist Ihr eigenes,
großes Interesse, mein Herr, dafür mit beständiger Aufmerksamkeit zu
sorgen (hier fehlt ein Stück von der sehr zerknitterten Handschrift) --
-- gewöhnliches Weib; nur -- -- Unglück, wenn sie -- -- wäre.

Höchst wahrscheinlich kann ich Ihnen nie einen Dienst leisten, so wenig
als Sie mir bei meiner Denkungsart. Sollten Sie aber je glauben, daß ich
es könnte, so hätte ich in mir Ursache genug, es mit Vergnügen und Eifer
zu thun.

Ich erwarte weder Antwort, noch Dank; sehen Sie nur das, was ich so kalt
als möglich sagte, mit meiner Seele oder nur mit gehöriger Gleichmuth
an, und Sie werden Alles sehr natürlich finden.

Ich versichere Sie herzlich meiner völligen Achtung, und es muß Ihnen
daran gelegen seyn, sie zu verdienen. Leben Sie wohl und glücklich! Auch
dieser Wunsch geht ganz von Herzen, ob er gleich mit etwas mehr Wehmuth
geschieht, als der Mann fühlen sollte.

Grimma.

                                                            _Seume._ ]

[Fußnote 15: Mein erster Gang war Schnorr aufzusuchen &c.

Ja auch mir thut es heute noch leid! --! Ich dachte so oft an meinen
Freund, allein ich erwartete seine baldige Ankunft in Paris durchaus
nicht. Hätte ich nur die leiseste Ahnung davon gehabt, ich würde mich
gern auf's möglichste eingeschränkt haben, so sehr auch mich der kleine
Rest meiner Baarschaft an die Rückkehr in mein Vaterland mahnte.]

[Fußnote 16: Man hat mir zu Hause wohl manches Kompliment über meine
Sprache gemacht &c.

S. sprach sehr gut Deutsch und hatte etwas von dem Dialekte der
gebildeten Lievländer, der bekanntlich einer der angenehmsten ist. Auch
war sein Vortrag so gut und so bündig, daß man ihn stets hätte
nachschreiben können.]

[Fußnote 17: In Weimar freute ich mich &c.

Vom Vater Wieland sprach S. stets mit einer reinen, kindlichen
Verehrung. Wenn ich des Abends meinen kranken Freund besuchte, und es
war wieder einmal ein Brief von Weimar angekommen, so erheiterte ihn
stets ein sehr wohlthätiges Interesse für den ganzen Abend.]

[Fußnote 18: Aber mit einem Philister macht bekanntlich ein preußischer
Officier nicht viel Umstände &c.

Guter Seume, Du bist todt, und die alte Klage ist noch oft gehört
worden. Es wäre traurig, wenn es nicht Ausnahmen gäbe, die sich von
selbst verstehen. Unter diese für die Erinnerung so wohlthätigen
gehörten auch jener preußische Oberste mit seinem Hauptmanne, welche wir
auf den Ruinen in Tharand trafen. Wie freundlich redeten sie uns an, --
und wir waren eben nicht prächtig gekleidet -- und mit welchem Ausdruck
von Achtung behandelten sie Dich, verewigter Freund, als sie mit
Diskretion nach unsern Namen gefragt hatten.

Diese Herren waren auch preußische Officiere; aber gebildete und
kenntnißvolle Männer!

Wie wahr unser Seume auch damals in einem langen, interessanten Gespräch
mit diesen Männern das Kommende prophezeihte, und wie sehr alles dieses
denselben einleuchtete, dessen erinnere ich mich noch mit dem
lebhaftesten Gefühl.

Unser guter, redlicher S. war in so mancher Hinsicht zu beklagen; aber
am meisten schmerzte ihn, daß er sich mußte die letzten Jahre ernähren
lassen. Er äußerte dann und wann nur wenige Worte gegen mich; aber auch
die wenigen Worte waren hinreichend, seine schmerzhaften Gefühle zu
erkennen zu geben. Noch ein großes Glück war es für ihn, daß er seine
Unterstützung aus den Händen achtungswürdiger Menschen erhielt! Ruhe
sanft, redlicher Mann! jedes Andenken ist ein Segen Deiner Asche
geweiht!]

                 Druck von B. G. Teubner in Leipzig.



Anmerkungen zur Transkription


Das Inhaltsverzeichnis des zweiten Bandes wurde direkt hinter das
Inhaltsverzeichnis des ersten Bandes verschoben.

Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Hervorhebungen, die im Original
g e s p e r r t sind, wurden mit Unterstrichen wie _hier_
gekennzeichnet. Textstellen, die im Original in Antiqua gesetzt waren,
wurden ^so^ markiert.

Die variierende Schreibweise und Grammatik der Vorlage wurden weitgehend
beibehalten. Lediglich offensichtliche Fehler wurden berichtigt wie hier
aufgeführt, teilweise unter Verwendung weiterer Ausgaben
(vorher/nachher):

   [S. I.11]:
   ... aus schnelle tiefer moralischer Empfindung her. Das
       Zuchtmeisteramt ...
   ... aus schneller tiefer moralischer Empfindung her. Das
       Zuchtmeisteramt ...

   [S. I.17]:
   ... seiner Aburthelung über meine Dummheit nicht ganz; war aber ...
   ... seiner Aburtheilung über meine Dummheit nicht ganz; war aber ...

   [S. I.19]:
   ... großgewachsenes Mädchen, daß sich in der Schule durch ...
   ... großgewachsenes Mädchen, das sich in der Schule durch ...

   [S. I.20]:
   ... weitere Eröterung fing die Bearbeitung noch exemplarischer
       zum ...
   ... weitere Erörterung fing die Bearbeitung noch exemplarischer
       zum ...

   [S. I.38]:
   ... kein Oepidus dazu gehörte, zu sehen, was es gewesen war und ...
   ... kein Oedipus dazu gehörte, zu sehen, was es gewesen war und ...

   [S. I.40]:
   ... nicht weiter, nachdem er sie gelesen hatte; woraus ich
       schloß, das ...
   ... nicht weiter, nachdem er sie gelesen hatte; woraus ich
       schloß, daß ...

   [S. I.40]:
   ... der ästhetische Urthelspruch sehr sonderbar vor, nach dem,
       was ...
   ... der ästhetische Urtheilspruch sehr sonderbar vor, nach dem,
       was ...

   [S. I.42]:
   ...  mir immer das Liebste; ein gutes Butterbrot und reines ...
   ... war mir immer das Liebste; ein gutes Butterbrot und reines ...

   [S. I.66]:
   ... daß heißt im mittelsten, stand, entging ich den Puffen, ohne ...
   ... das heißt im mittelsten, stand, entging ich den Puffen, ohne ...

   [S. I.70]:
   ... Seewasser, halb mit süßem Wasser, und altem altem
       Schöpsenfett ...
   ... Seewasser, halb mit süßem Wasser, und altem Schöpsenfett ...

   [S. I.80]:
   ... selten an etwas frischem Wild auf den Tisch: denn die
       Lieferungsartikek, ...
   ... selten an etwas frischem Wild auf den Tisch: denn die
       Lieferungsartikel, ...

   [S. I.105]:
   ... Roman ist 1788 gedruckt erschien. Das Honorar dafür wurde
       nach ...
   ... Roman ist 1788 gedruckt erschienen. Das Honorar dafür wurde
       nach ...

   [S. I.126]:
   ... waren, beweist der füchterliche Aufstand, in welchem der
       Fürst-Bischof ...
   ... waren, beweist der fürchterliche Aufstand, in welchem der
       Fürst-Bischof ...

   [S. I.130]:
   ... Deceember ein Spaziergang von sechs tüchtigen Stunden nach ...
   ... December ein Spaziergang von sechs tüchtigen Stunden nach ...

   [S. I.132]:
   ... welche er seine Nation enpfänglich machen wollte. Alle seine
       für ...
   ... welche er seine Nation empfänglich machen wollte. Alle seine
       für ...

   [S. I.147]:
   ... letzten Seufzer über das so grausende Gemälde des niederns
       Leben ...
   ... letzten Seufzer über das so grausende Gemälde des niedern
       Leben ...

   [S. I.156]:
   ... Es eine sehr alte Bemerkung, daß fast jeder Schriftsteller in ...
   ... Es ist eine sehr alte Bemerkung, daß fast jeder
       Schriftsteller in ...

   [S. I.176]:
   ... Gesellschaft, gewährt dem frommen Seelen noch viel Trost. Es ...
   ... Gesellschaft, gewährt den frommen Seelen noch viel Trost. Es ...

   [S. I.182]:
   ... und Aebte und Domherren können in diesem Punkte weder Sitz ...
   ... und Aebte und Domherren können in diesem Punkte weder Sinn ...

   [S. I.201]:
   ... zuwider. Da ist Juvenal ein gang anderer Mann, neben dem ...
   ... zuwider. Da ist Juvenal ein ganz anderer Mann, neben dem ...

   [S. I.202]:
   ... dem letzten Orte mehr und mehr zusammenschießen, begegnete
       mir ...
   ... dem letzten Orte mehr und mehr zusammenschließen, begegnete
       mir ...

   [S. I.227]:
   ... meine Rechnung und wollte zum Tempel hinaus. ...
   ... meine Rechnung und trollte zum Tempel hinaus. ...

   [S. I.258]:
   ... Vergnügen bewährt hätten. Mein Cicerone war ein gewaltig
       gelehrter ...
   ... Vergnügen gewährt hätten. Mein Cicerone war ein gewaltig
       gelehrter ...

   [S. I.288]:
   ... und klopfen und rammeln, so viel man will, mann gewinnt ...
   ... und klopfen und rammeln, so viel man will, man gewinnt ...

   [S. I.290]:
   ... hierbei eine pragmatische Bemerkung machen. Vielleicht weiß
       Du ...
   ... hierbei eine pragmatische Bemerkung machen. Vielleicht weißt
       Du ...

   [S. I.292]:
   ... So bin ich den unwidersprechlich hier an der gelben Tiber,
       und ...
   ... So bin ich denn unwidersprechlich hier an der gelben Tiber,
       und ...

   [S. I.328]:
   ... Melke das Schäfchen, das da ist; warum verfolgst Du den
       Flüchtling ...
   ... Melke das Schäfchen, das da ist; warum verfolgst Du den
       Flüchtling? ...

   [S. I.349]:
   ... ist es warscheinlich wo vor mehrern Jahren ein merkwürdiger
       Erdfall ...
   ... ist es wahrscheinlich wo vor mehrern Jahren ein merkwürdiger
       Erdfall ...

   [S. II.9]:
   ... wenn es noch da wäre, und das vermuthlich in dieser kleinen ...
   ... wenn es noch da wäre, und daß vermuthlich in dieser kleinen ...

   [S. II.9]:
   ... ich Dir alle die veschiedenen Gestalten der kleinen und
       größern Begräbnißkammern ...
   ... ich Dir alle die verschiedenen Gestalten der kleinen und
       größern Begräbnißkammern ...

   [S. II.10]:
   ... nennt es einen schreckichen Kerker. Hin und wieder sieht ...
   ... nennt es einen schrecklichen Kerker. Hin und wieder sieht ...

   [S. II.10]:
   ... habe sich vor einigen Jahren durch Maschine mit einigen
       Engländern ...
   ... habe sich vor einigen Jahren durch Maschinen mit einigen
       Engländern ...

   [S. II.19]:
   ... einen Religiosen einen etwas sonderbaren genialischen Auszug. ...
   ... einen Religiosen einen etwas sonderbaren genialischen Aufzug. ...

   [S. II.22]:
   ... hier, die so schwelgerisch furchtbar wären, wie das
       Kampanerthal: ...
   ... hier, die so schwelgerisch fruchtbar wären, wie das
       Kampanerthal: ...

   [S. II.22]:
   ... sich durch ein sanftes seliges Ende aus allen Verdruß. Hätten
       die ...
   ... sich durch ein sanftes seliges Ende aus allem Verdruß. Hätten
       die ...

   [S. II.23]:
   ... auch alle mittgetheilt hat. An der Arethuse kann man ...
   ... auch alle mitgetheilt hat. An der Arethuse kann man ...

   [S. II.29]:
   ... und sein Bruder sind Männer von vieler Humaniät und
       unermüdetem ...
   ... und sein Bruder sind Männer von vieler Humanität und
       unermüdetem ...

   [S. II.43]:
   ... bildeten flockige Nebenwolken und breiteten sich aus und
       flossen zusammen. ...
   ... bildeten flockige Nebelwolken und breiteten sich aus und
       flossen zusammen. ...

   [S. II.72]:
   ... um die schönen Verse; ...
   ... um die schönen Verse! ...

   [S. II.74]:
   ... ehemals die beiden Seen, der Lukriner und den Averner,
       zusammen ...
   ... ehemals die beiden Seen, den Lukriner und den Averner,
       zusammen ...

   [S. II.99]:
   ... Die Uhr saß, wie in Sicilien, tief, und das Taschenbuch stark ...
   ... Die Uhr saß, wie in Sicilien, tief, und das Taschenbuch stak ...

   [S. II.110]:
   ... Herüber gähnt, und jetzt mit Herschermiene ...
   ... Herüber gähnt, und jetzt mit Herrschermiene ...

   [S. II.145]:
   ... Menschheit aus diesem Kriege ein neues Phänomen, das man ihn ...
   ... Menschheit aus diesem Kriege ein neues Phänomen, daß man ihn ...

   [S. II.160]:
   ... Nun ging ich über Basançon und Auxonne nach Dijon herunter. ...
   ... Nun ging ich über Besançon und Auxonne nach Dijon herunter. ...

   [S. II.172]:
   ... ist. Ueber das Skück selbst schweige ich, da ich im Ganzen ...
   ... ist. Ueber das Stück selbst schweige ich, da ich im Ganzen ...

   [S. II.204]:
   ... Menschenkind waef komisch den Pinsel weg, zog das beste ...
   ... Menschenkind warf komisch den Pinsel weg, zog das beste ...

   [S. II.234]:
   ... Dir zusprechen; aber mein Herz wird Dich begleiten, denn ich
       bin ...
   ... Dir zu sprechen; aber mein Herz wird Dich begleiten, denn ich
       bin ...





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