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Title: Der Dreispitz
Author: Alarcon, Pedro de
Language: German
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                Der Dreispitz



              Aus dem Spanischen

                     des

             D. Pedro de Alarcon

                übersetzt von

                Hulda Meister



                   Leipzig

    Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.



Inhaltsverzeichnis


      Vorrede                                                  3

   1. Wann es geschah                                          7

   2. Wie die Leute damals lebten                              9

   3. Do ut des                                               10

   4. Eine Frau von außen besehen                             13

   5. Ein Mann von innen und von außen besehen                16

   6. Fertigkeiten der beiden Ehegatten                       17

   7. Der Grund der Glückseligkeit                            19

   8. Der Mann mit dem Dreispitz                              21

   9. Hü, Esel!                                               24

  10. Vom Rebengeländer aus                                   25

  11. Das Bombardement von Pamplona                           28

  12. Zehnten und Erstlinge                                   35

  13. Da sagte die Krähe zum Raben                            38

  14. Garduñas Ratschläge                                     41

  15. Abschied in Prosa                                       46

  16. Ein Unglücksvogel                                       50

  17. Ein Dorfschulze                                         52

  18. Wie Tio Lucas nicht ans Schlafen dachte                 54

  19. Stimmen in der Wüste                                    55

  20. Zweifel und Wirklichkeit                                57

  21. Achtung, Herr!                                          64

  22. Garduña vervielfältigt sich                             69

  23. Noch einmal die Wüste und die bewußten Stimmen          72

  24. Ein König von damals                                    73

  25. Garduña's Stern                                         76

  26. Reaktion                                                77

  27. Im Namen des Königs                                     78

  28. Ave Maria purisima! Las doce y media, y sereno!         81

  29. Nach dem Gewölk ... Reveille                            83

  30. Eine Dame von Stande                                    84

  31. Die Strafe der Wiedervergeltung                         85

  32. Der Glaube versetzt Berge                               90

  33. Nun, und du?                                            92

  34. Auch die Corregidora ist reizend                        96

  35. Kaiserliches Dekret                                     99

  36. Schluß, Moral und Epilog                               102



Vorrede.


Es giebt wohl wenige Spanier, selbst wenn wir solche mitrechnen, die
wenig wissen und lesen, welche die dem vorliegenden Werkchen zu Grunde
liegende Erzählung nicht kennen.

Zuerst hörten wir sie von einem unwissenden Ziegenhirten, der nie aus
dem versteckten Dörfchen, in welchem er das Licht der Welt erblickt,
herausgekommen war. Er war einer jener ungelehrten, aber natürlich
schlauen, lustigen Bauern, die in unserer Nationallitteratur unter dem
Namen _picaros_ (Schelme, Spitzbuben) eine so große Rolle spielen. Gab
es eine Hochzeit, eine Taufe, oder kam die Herrschaft einmal zum Besuch,
so wurden diese Ereignisse im Flecken natürlich gefeiert, und seine
Aufgabe war es dann, die Possen und Pantomimen zu leiten, den Hanswurst
zu spielen und Romanzen und Erzählungen vorzutragen; und bei einer
solchen Gelegenheit war es (schon fast ein ganzes Menschenalter -- das
heißt, wohl mehr als fünfunddreißig Jahre -- ist darüber vergangen), bei
der er eines Abends unsere (relative) Unschuld mit der Erzählung in
Versen: =»Der Corregidor und die Müllerin«=, oder auch =»Der Müller
und die Corregidora«= blendete und entzückte. Wir übergeben sie heute
unter dem anspruchsvolleren und philosophischeren Namen (denn so
verlangt es der Ernst unserer Zeit) =»Der Dreispitz«= dem Publikum.

Zwar erinnern wir uns, daß an jenem Abende, an welchem der Ziegenhirt
uns eine so angenehme Kurzweil verschaffte, die dort versammelten
heiratsfähigen Mädchen sehr rot wurden, woraus die Mütter dann
schlossen, daß die Geschichte etwas saftig sein müßte, und den Hirten
gehörig zurechtsetzten; aber der arme Repela (so hieß der Hirt) war
nicht auf den Mund gefallen und antwortete auf der Stelle, daß sie gar
nicht nötig hätten, so aufgebracht zu sein, denn in seiner Erzählung
wäre nichts, was nicht jedermann hören könnte, ja, was nicht sogar die
Nonnen und die vierjährigen Mädchen wüßten...

»Und wenn nicht, so wollen wir doch einmal sehen,« fragte der
Ziegenhirt, »was lernt man aus der Geschichte vom =Corregidor und der
Müllerin=? Daß verheiratete Leute zusammenschlafen, und daß es keinem
Gatten paßt, wenn ein anderer Mann bei seiner Frau schläft.... Mich
dünkt, daß ist doch die reine Wahrheit!...«

»Freilich ist das wahr,« antworteten die Mütter, als sie das Gelächter
ihrer Töchter hörten.

»Beweis dafür, daß der Onkel Repela recht hat,« bemerkte hierauf der
Vater des Bräutigams, »ist, daß Groß und Klein, alle hier Gegenwärtigen
sich schon überzeugt haben, daß, sobald heute der Tanz zu Ende ist,
Juanete und Manolilla das schöne Ehebett einweihen werden, das die Tante
Gabriela eben unseren Töchtern gezeigt hat, um die Stickereien an den
Kopfkissen zu bewundern...«

»Mehr noch,« sagte der Großvater der Braut, »sogar in der Doctrin und in
den Predigten wird den Kindern von diesen so ganz natürlichen Sachen
erzählt, wie unsere liebe Frau Anna so lange unfruchtbar war, vom
keuschen Joseph, von Judiths Kriegslist und vielen anderen Wundern, die
mir jetzt nicht gerade einfallen... darum...«

»Ach was, Tio (Onkel) Repela,« riefen die Mädchen mutig aus, »erzählt
Eure Geschichte noch einmal, sie ist doch sehr lustig!«

»Und sogar sehr anständig,« fuhr der Großvater fort, »denn sie lehrt
euch nichts Schlechtes; -- keinem wird darin angeraten, schlecht zu
sein, und der schlecht gewesen ist, geht nicht ungestraft aus...«

»Nun, meinetwegen! wiederholt sie also!« sagte schließlich jede
Familienmutter.

Tio Repela wiederholte die Romanze, und da alle sie nun im Lichte jener
einfachen Kritik sahen, so gab es auch kein »aber« dabei, was ebenso gut
war, wie wenn sie gesagt hätten: Wir geben die =notwendige Erlaubnis=!

       *       *       *       *       *

Im Laufe des Jahres haben wir noch viele und sehr verschiedene Versionen
desselben Abenteuers von dem Müller und der Corregidora gehört und immer
von den Lippen eines Dorfgracioso nach der Art des schon verstorbenen
Tio Repela; dann haben wir sie auch in den »Romanzen eines Blinden«
gedruckt gesehen und sogar in den berühmten Romanzen des unvergeßlichen
Don Agustin Duran.

Die Grundlage der Erzählung ist überall dieselbe: tragikomisch,
spöttisch und entsetzlich epigrammatisch, wie alle dramatischen
Morallehren, für die sich unser Volk begeistert; aber die Form, der
zufällige Mechanismus, die eigentümlichen Vorgänge sind sehr, sind
außerordentlich verschieden von der Erzählung unseres Hirten; so sehr,
daß dieser keine der erwähnten Versionen in der Cortijada (Bauernhof)
hätte vortragen können, ohne daß sich die anständigen Mädchen die Ohren
zugehalten oder die Mütter ihm die Augen ausgekratzt hätten.

Bis zu solchem Grade haben die groben Tölpel anderer Provinzen die
traditionelle Erzählung, die in des klassischen Repela Version so
köstlich, anständig und rein erschien, aufgebauscht und entstellt.

So hatten wir denn schon seit langer Zeit den Plan gefaßt, die Wahrheit
der Dinge ans Licht zu bringen, indem wir der stark entstellten
Erzählung ihren ursprünglichen Charakter zurückgeben, denn ohne Zweifel
war derjenige, in dem der Anstand am meisten gewahrt worden, der
ursprüngliche. -- Wie könnte man auch daran zweifeln? Diese Art von
Erzählungen verlieren, wenn sie durch die Hände des Volkes gehen, ihre
Eigentümlichkeiten nicht dadurch, daß sie schöner, zarter und
anständiger gemacht werden, sondern indem sie durch die Berührung mit
der Gemeinheit und Roheit verstümmelt und verdorben werden.

Das ist die Geschichte des vorliegenden Buches... So wollen wir denn
loslegen, das heißt, wir wollen mit der Erzählung von dem Corregidor und
der Müllerin beginnen, in der Hoffnung, daß du, ehrenwertes Publikum, in
deinem gesunden Urteil, »nachdem du sie gelesen und mehr Kreuze
geschlagen hast, als wenn du den leibhaftigen Gottseibeiuns gesehen
hättest« (wie Estebanillo Gonzalez im Anfange der seinigen sagte), sie
für würdig und wert erachten wirst, veröffentlicht worden zu sein.



Der Dreispitz.


1.

Wann es geschah.

Es war zu Anfang dieses langen Jahrhunderts, das sich schon seinem Ende
zuneigt. -- Ganz genau weiß man das Jahr nicht, nur, daß es nach dem
Jahre 4 und vor dem Jahre 8 war.

Damals regierte Don Carlos der Vierte von Bourbon in Spanien; von Gottes
Gnaden, wie die Münzen besagten, aus Vergeßlichkeit nur von Bonapartes
besonderer Gnade, wie die französischen Bulletins es erklärten. Die
übrigen europäischen Herrscher, Abkömmlinge Ludwigs _XIV._, hatten
schon ihre Krone (und ihr Haupt seinen Kopf) verloren in dem rasenden
Sturme, der über diesen alten Teil der Welt seit 1789 dahinfegte.

Doch darin bestand die Eigentümlichkeit unseres Vaterlandes in jener
Zeit nicht allein. Der Soldat der Revolution, der Sohn eines unbekannten
korsischen Advokaten, der Sieger von Rivoli, von den Pyramiden, Marengo
und hundert anderen Schlachten, hatte sich soeben die Krone Karls des
Großen aufs Haupt gesetzt und ganz Europa umgewandelt, hatte Nationen
geschaffen, Nationen ausgelöscht, Grenzen aufgehoben, Dynastien
geschaffen, und den Städten, durch welche er auf seinem Streitroß gleich
einem Erdbeben, oder gleich dem Antichristen, wie ihn die Mächte des
Nordens nennen, kam, andere Formen, andere Namen, Lage, Sitte, ja sogar
ein anderes Ansehen gegeben. -- Und doch waren unsere Väter (Gott habe
sie selig!) weit davon entfernt, ihn zu hassen oder zu fürchten; im
Gegentheil gefielen sie sich darin, seine außergewöhnlichen Thaten zu
bewundern, wie wenn es sich um den Helden eines Ritterromanes oder um
Dinge gehandelt hätte, die sich auf einem anderen Planeten zugetragen,
und nicht im entferntesten fiel es ihnen ein, daß er auch hierher kommen
könne, um dieselben Grausamkeiten, die er in Frankreich, Deutschland,
Italien und anderen Ländern verübt, auch hier zu versuchen. Einmal
wöchentlich, höchstens zweimal kam die Post aus Madrid nach dem größten
Teile der bedeutenderen Städte der Halbinsel und brachte eine Nummer der
Zeitung (die auch keine tägliche war) mit, und durch sie erfuhren die
hauptsächlichsten Personen (wir wollen einmal annehmen, daß die Zeitung
über diese Geringfügigkeiten berichtete), ob jenseits der Pyrenäen ein
Staat mehr oder weniger existierte, ob wieder eine Schlacht geschlagen
worden war, in der sechs oder acht Könige und Kaiser gekämpft, und ob
Napoleon sich in Mailand, Brüssel oder Warschau befand. Im übrigen aber
lebten unsere Vorväter ganz nach der alten spanischen Weise, äußerst
langsam, an veralteten Gebräuchen klebend, im Frieden und der Gnade
Gottes, mit ihrer Inquisition und ihren Mönchen, ihrer malerischen
Ungleichheit vor dem Gesetz, mit ihren Privilegien, Gerechtsamen und
persönlichen Vorrechten, mit ihrem Mangel an jeder politischen oder
munizipalen Freiheit, wurden gleichzeitig von ihren berühmten Bischöfen
und mächtigen Corregidoren, deren respektive Machtvollkommenheiten nicht
leicht zu umgrenzen waren, da sich die einen wie die anderen mit dem
Zeitlichen und Ewigen befaßten, regiert, und bezahlten Zehnten,
Erstlinge, Handelsabgaben, Unterstützungsgelder, Almosen und gezwungene
Vermächtnisse, Renten, Rentchen, Kopfsteuern, königliche _tercias_,[1]
Abgaben, Steuern und wohl fünfzig Tribute mehr, deren Aufzählung hier
nicht notwendig ist.

Und hiermit ist alles gesagt, was die vorliegende Erzählung mit dem
militärischen und politischen jener Epoche zu thun hatte; denn unser
alleiniger Zweck, wenn wir vorführten, was damals in der Welt geschah,
war: zu konstatieren, daß in dem bewußten Jahre (sagen wir so um 1805)
in Spanien noch das =alte= System in allen Kreisen des öffentlichen
und privaten Lebens vorherrschte, wie wenn die Pyrenäen sich inmitten
all dieser Neuerungen und Umwälzungen in eine andere chinesische Mauer
verwandelt hätten.


2.

Wie die Leute damals lebten.

In Andalusien zum Beispiel (denn das, was ich erzählen will, trug sich
gerade in einer andalusischen Stadt zu) erhoben sich die Leute von Stand
sehr früh, gingen zur Frühmesse in die Kathedrale, wenn es auch kein
verordneter Festtag war, frühstückten um neun Uhr einen Eierkuchen und
eine Tasse Chokolade mit _picatostes_ (in Öl geröstetes Brot), aßen um
ein oder zwei Uhr nachmittags _puchero_[2] und _principio_,[3] wenn
es Wild gab, wenn nicht, dann nur _puchero_ allein, hielten nach dem
Essen ihre Siesta, machten darauf einen Spaziergang durchs Feld, gingen
in der Dämmerung in ihrem respektiven Kirchspiel zum Rosenkranz; zum
Avemaria tranken sie noch eine Tasse Chokolade, diesmal jedoch mit
Zwieback, und die vornehmsten unter ihnen gingen dann zur
Abendgesellschaft beim Corregidor, dem Dekan, oder welcher Titel gerade
der vorherrschende in der Stadt war. Beim Abendläuten zog man sich
zurück, schloß die Hausthür beim Zapfenstreich, aß Salat und _guisado_
(Geschmortes) aus Autonomasie, wenn nicht etwa frische Fische angekommen
waren, zum Abendbrot und legte sich sogleich mit seiner Frau zu Bett,
doch nicht, ohne daß während neun Monaten im Jahre das Bett vorher
gewärmt worden wäre... Das waren glückliche Zeiten, in denen unser Land
im ruhigen, friedlichen Besitz aller Spinnengewebe, allen Staubes, aller
Motten, allen Respektes, aller Glaubensmeinungen, aller Traditionen,
Gebräuche und durch die Jahrhunderte geheiligten Mißbräuche dahinlebte!
Glückliche Zeiten waren es, in denen es in der menschlichen Gesellschaft
verschiedene Klassen, verschiedene Meinungen, verschiedene Gebräuche
gab! Glückliche Zeiten! sage ich... und besonders für die Dichter, die
hinter jeder Ecke eine Legende, eine Erzählung, eine Komödie, ein Drama,
eine Novelle, ein Lustspiel, ein Zwischenspiel, ein Mysterium oder ein
Epos fanden an Stelle dieser prosaischen Gleichförmigkeit und des
geschmacklosen Realismus, den uns die französische Revolution als
Erbteil hinterließ. -- Glückliche Zeiten, wenn...

Aber da falle ich ja wieder in die alte Gewohnheit zurück. Genug also
mit Allgemeinheiten und Umschweifen und laßt uns mutig beginnen mit der
Geschichte =vom Dreispitz=.


3.

_Do ut des._

Zu jener Zeit gab es in der Nähe der Stadt *** eine prächtige Mühle, die
jetzt nicht mehr existiert, ungefähr eine Viertel Legua vom Orte
entfernt, zwischen zwei mit Weichsel- und anderen Kirschbäumen
bewachsenen Hügeln und einem sehr fruchtbaren Obstgarten, der einem
verräterischen, intermittierenden Flusse als Rand -- zuweilen auch als
Bett -- diente.

Seit einiger Zeit schon war die Mühle aus verschiedenen und
unterschiedlichen Gründen der bevorzugte Ziel- und Ruhepunkt der
angeseheneren Spaziergänger aus der vorerwähnten Stadt. Erstens führte
eine Landstraße dorthin, die weniger unbefahrbar war als alle übrigen
der Gegend. Zweitens befand sich vor der Mühle ein kleiner,
gepflasterter Platz, von einer riesigen, mit Wein überzogenen Laube
überschattet, in der man in sehr angenehmer Weise, dank dem
immerwährenden Wechsel der Weinblätter, die Kühle des Sommers und die
Sonne im Winter genießen konnte.... Drittens war der Müller ein sehr
achtbarer Mann, sehr zurückhaltend, sehr schlau, der, was man so sagt,
Menschenkenntnis besaß und die Leute zu nehmen wußte, und die großen
Herren, die ihn zur Vesperstunde mit ihrem Besuche zu beehren pflegten,
bewirtete, indem er ihnen anbot, was gerade die Jahreszeit so mit sich
brachte, jetzt grüne Bohnen, dann Kirschen und Weichselkirschen, rohen
Salat ohne Zuthaten (der ganz ausgezeichnet ist, wenn man ihn mit
Röllchen von in Öl geröstetem Brote ißt, welche die Herrschaften
gewöhnlich vorauszuschicken pflegten), Melonen, darauf Weintrauben von
demselben Weinstock, der ihnen als Baldachin diente, dann Maiskolben
und, wenn es Winter war, gebratene Kastanien, Mandeln und Nüsse und
zuweilen an sehr kalten Tagen ein Schlückchen guten Weines (dann aber
schon im Hause und beim wärmenden Feuer), dem man zu Weihnachten ein
wenig Gebäck, eine Butterschnitte, eine Brezel oder eine Schnitte
Schinken aus den Alpujarras hinzufügte.

War der Müller denn so reich, oder seine Gäste so anspruchsvoll? werdet
ihr, mich unterbrechend, ausrufen. Weder eins noch das andere. Der
Müller hatte nur gerade sein Auskommen, und jene Herren waren das
personifizierte Zartgefühl und Stolz. Aber in einer Zeit, in der man der
Kirche und dem Staat einige fünfzig verschiedene Abgaben bezahlte, da
setzte ein so verständiger und hellsehender Mann wie jener nicht viel
aufs Spiel, wenn er sich die Gunst der Regidoren, Canonici, Mönche,
Schreiber und anderer einflußreichen Personen zu erwerben suchte. Darum
fehlte es auch nicht an Leuten, die da behaupteten, daß der Tio Lucas,
denn so hieß der Müller, jedes Jahr ein hübsches Sümmchen zurücklegte,
weil er alle Welt bewirtete.

»Euer Gnaden könnten mir wohl ein altes Thürchen von dem
heruntergerissenen Hause geben,« sagte er zu dem einen. »Euer
Herrlichkeit,« sagte er zu dem andern, »könnten doch wohl Befehl geben,
daß man mir die Unterstützungsgelder oder die Kopfsteuer oder den
Steueraufschlag etwas erniedrigt.« -- »Ehrwürden erlauben mir wohl, daß
ich im Klostergarten ein bißchen Laub für meine Seidenwürmer abpflücke.«
-- »Durchlaucht geben mir wohl Erlaubnis, ein bißchen Brennholz im Walde
X. zusammenzulesen.« -- »Euer Väterlichkeit wird mir wohl ein paar Worte
schreiben, damit man mir erlaubt, im Walde H. ein wenig Nutzholz
abzuhauen.« -- »Euer Wohlgeboren muß mir da so ein kleines Schriftchen
aufsetzen, das nichts kostet.« -- »In diesem Jahre kann ich den Zins
nicht bezahlen.« -- »Ich hoffe, daß der Prozeß zu meinen Gunsten
entschieden werden wird.« -- »Heute habe ich einem ein paar Ohrfeigen
gegeben, und mich dünkt, der muß ins Gefängnis gesteckt werden, weil er
mich dazu herausgefordert hat.« -- »Hätten Euer Gnaden das wohl übrig?«
-- »Brauchen Sie das noch zu irgend etwas?« -- »Könnten Sie mir Ihr
Maultier leihen?« -- »Brauchen Sie morgen Ihren Wagen?« -- »Was meinen
Sie, darf ich wohl den Esel ein wenig holen lassen?« -- Und dies
Liedchen wiederholte sich stets und in allen Tonarten und erhielt immer
die großmütige Antwort: »Wie Sie wünschen.«

Daraus seht ihr wohl schon, daß Tio Lucas nicht auf dem Wege war, sich
zu Grunde zu richten.


4.

Eine Frau von außen besehen.

Der letzte und vielleicht der stärkste Grund, den die Herrschaften aus
der Stadt hatten, alle Nachmittage die Mühle des Tio Lucas zu besuchen,
war wohl der, daß sowohl die Geistlichen wie die Laien, vom Herrn
Bischof und dem Herrn Corregidor (denn auch diese verachteten es nicht,
sie zu besuchen) an, ganz nach ihrer Bequemlichkeit eines der schönsten,
anmutigsten, bewundernswürdigsten Werke betrachten konnten, die je aus
der Hand Gottes oder, wie man damals mit Jovellanos und der ganzen
französischen Schule unseres Vaterlandes sagte, des höchsten Wesens
hervorgegangen.

Dies Werk war die Seña Frasquita.[4]

Vor allen Dingen will ich erst sagen, daß die Seña Frasquita, die
rechtmäßige Frau des Tio Lucas, eine vortreffliche Frau war, und das
wußten alle illustren Besucher der Mühle. Ich sage noch mehr: keiner von
ihnen wagte es, sie auch nur mit begehrlichen Blicken oder in sündhafter
Absicht zu betrachten. Sie bewunderten sie, und Mönche und Herren,
Canonici und obrigkeitliche Personen beliebten, sie zuweilen, natürlich
in Gegenwart ihres Mannes, als ein Wunder von Schönheit, das seinen
Schöpfer ehrte, und als eine kleine Teufelin voll Übermut und
Koketterie, die unbewußt die schwermütigsten Geister aufheiterte, zu
preisen. »Sie ist ein schönes Tierchen,« pflegte der sehr tugendsame
Prälat zu sagen. -- »Sie ist wie eine Statue des hellenischen
Altertums,« bemerkte ein sehr gelehrter Advokat, ein korrespondierendes
Mitglied der Akademie der Geschichte. -- »Sie ist wahrhaftig eine
zweite Eva.« brach der Prior der Franziskaner los. -- »'s ist ein
königliches Weib,« rief der Oberst der Miliz. -- »Es ist eine Schlange,
eine Sirene, ein Dämon,« fügte der Corregidor hinzu. -- »Aber sie ist
eine gute Frau, ein Engel, ein liebliches Geschöpfchen, wie ein
vierjähriges Kindchen,« schlossen endlich alle, wenn sie von der Mühle,
vollgestopft mit Weintrauben oder Nüssen, heimkehrten, um ihren
düsteren, methodischen Herd aufzusuchen.

Die vierjährige Kleine, das heißt die Seña Frasquita, war so nahe an die
dreißig. Sie war über fünf Fuß groß und verhältnismäßig stark, oder fast
noch stärker als es für ihre stolze Figur paßte. Sie sah aus wie eine
kolossale Niobe, und doch hatte sie keine Kinder gehabt, ein weiblicher
Herkules, eine römische Matrone, wie man noch einige Exemplare im
Trastevere sieht. Aber das Bemerkenswerteste an ihr war die
Beweglichkeit, die Lebhaftigkeit und Anmut dieser respektablen Form. Um
eine Statue zu sein, wie der Akademiker behauptete, fehlte ihr die
monumentale Ruhe. Wie ein Rohr bog sie sich, drehte sich wie eine
Wetterfahne, tanzte wie ein Brummkreisel. Ihr Gesicht war noch
beweglicher und am wenigsten plastisch. In der reizendsten Weise wurde
es von fünf Grübchen belebt, zwei in einer Wange, eins in der andern,
ein ganz kleines am linken Winkel ihrer lachenden Lippen, und das
letzte, sehr große mitten in ihrem runden Kinn. Fügt zu all diesem
schelmische Grimassen, anmutiges Blinzeln und verschiedene
Kopfstellungen, welche ihre Unterhaltung noch angenehmer machten, und
ihr könnt euch eine Vorstellung von jenem Gesicht voll Geist und
Schönheit machen, das immer von Gesundheit und Heiterkeit widerstrahlte.

Weder die Seña Frasquita noch der Tio Lucas waren Andalusier; sie war
aus Navarra und er aus Murcia. Fünfzehn Jahre alt war er halb als Page,
halb als Diener des früheren Bischofs, nicht dessen, der augenblicklich
die Kirche regierte, nach *** gegangen. Sein Beschützer erzog ihn zum
Geistlichen, und damit es ihm nicht an der _cóngrua_ (dem Einkommen
des Priesters zu seiner Unterhaltung) fehle, hatte er ihm in seinem
Testamente jene Mühle vermacht; aber Tio Lucas, der beim Tode Sr.
Hochwürden noch nicht ordiniert war, hing zur selben Stunde seine
Kleider an den Nagel und ließ sich als Soldat anwerben, da er größere
Lust hatte, die Welt zu sehen und Abenteuer zu bestehen, als Messe zu
lesen oder Mehl zu mahlen. 1793 machte er den Feldzug in den westlichen
Pyrenäen als Ordonnanz des tapferen Generals Don Ventura Caro mit, war
bei der Einnahme von Castillo-Piñon und blieb dann lange Zeit in den
nördlichen Provinzen. In Estella lernte er die Seña Frasquita kennen,
die sich damals nur Frasquita nannte, verliebte sich in sie, heiratete
sie und nahm sie mit sich nach Andalusien in jene Mühle, welche sie so
friedlich und glücklich während des übrigen Teiles ihrer Pilgerschaft
durch dies Thal der Thränen und des Lachens sehen sollte.

Dadurch, daß die Seña Frasquita von Navarra aus unmittelbar in diese
Einsamkeit verpflanzt worden war, hatte sie keine andalusischen Sitten
angenommen und unterschied sich darum auch sehr von den übrigen
Landbewohnerinnen der Umgegend. Sie kleidete sich einfacher, anmutiger
und eleganter als sie, wusch sich öfter und gestattete der Sonne und der
Luft, ihre entblößten Arme und ihren unbedeckten Hals zu liebkosen. Bis
zu einem gewissen Grade trug sie die Tracht der Damen jener Epoche, die
Tracht der Frauen von Goya, die Tracht der Königin Marie Louise; wenn es
auch nicht ein Rock von einem halben Schritt war, so war er doch nicht
mehr als einen Schritt weit, sehr kurz, so daß er ihre kleinen Füße und
den Ansatz ihres prachtvollen Beines sehen ließ, der Ausschnitt rund und
niedrig, nach Madrider Art und Weise, wo sie sich zwei Monate lang mit
ihrem Lucas aufgehalten hatte, als sie von Navarra nach Andalusien
übersiedelten. Das Haar war oben auf dem Wirbel zusammengenommen, was
die ganze Schönheit ihres Kopfes und Halses freiließ; prächtige
Ohrgehänge in ihren kleinen Ohren und viele Ringe auf den zugespitzten
Fingern ihrer harten, aber reinen Hände. Und zum Schluß: Seña Frasquitas
Stimme umschloß alle Töne eines sehr ausgedehnten, melodiösen
Instrumentes, und ihr Lachen war so heiter und silberhell, wie das
Geläute am heiligen Ostermorgen.

Nun wollen wir auch das Bild des Tio Lucas zeichnen.


5.

Ein Mann, von innen und von außen besehen.

Der Tio Lucas war häßlicher als Picio. Er war es schon immer gewesen,
und jetzt war er vierzig Jahre alt. Und doch hat wohl Gott wenige so
sympathische und angenehme Männer in die Welt gesetzt. Von seiner
Lebhaftigkeit, seinem Witz und seinem Verstande eingenommen, hatte ihn
der verstorbene Bischof von seinen Eltern, die Hirten, aber nicht
Seelen-, sondern leibhaftige Schafhirten waren, verlangt. Als Se.
Hochwürden gestorben war und der junge Bursche das Seminar mit der
Kaserne vertauscht hatte, zeichnete der General Caro ihn vor dem ganzen
Heere aus, indem er ihn zu seiner vertrauten Ordonnanz machte. Als Tio
Lucas endlich seine militärische Laufbahn aufgegeben, wurde es ihm
ebenso leicht, das Herz der Seña Frasquita zu erobern, wie es ihm leicht
geworden, die Achtung des Generals und des Prälaten zu erwerben. Die
Navarresin, die zu jener Zeit zwanzig Frühlinge zählte und der Augapfel
aller jungen Bursche von Estella, und darunter recht reiche, war, konnte
den fortgesetzten Artigkeiten, den witzigen Einfallen, den Blicken des
verliebten Affen und dem spöttischen, beständigen Lächeln voller
Bosheit, aber auch voller Sanftmut jenes kecken, beredten, klugen,
bereitwilligen, tapfern und witzigen Murcianers nicht widerstehen, und
so verdrehte er ihr endlich den Kopf, und nicht allein der vielbegehrten
Schönheit, sondern auch ihren Eltern.

Lucas war dazumal und bis zu dem Zeitpunkte, von dem wir jetzt sprechen,
von kleiner Statur (wenigstens im Verhältnis zu seiner Frau), mit etwas
hohen Schultern, sehr brünett, mit dünnem Bart, großer Nase, großen
Ohren und blatternarbig. Dagegen war sein Mund regelmäßig und sein Gebiß
unvergleichlich schön. Eigentlich konnte man sagen, daß nur die Schale
rauh und häßlich an jenem Manne war; sobald man aber anfing, in das
Innere einzudringen, so erschienen alle seine Vorzüge, und diese Vorzüge
begannen mit den Zähnen, dann kam die Stimme, vibrierend, biegsam,
anziehend, zuweilen männlich und ernst, süß und weich wenn er um etwas
bat, und fast stets unwiderstehlich. Darauf kam das, was er mit jener
Stimme sagte: Alles zur rechten Zeit, verständig, klug, überzeugend...
Und zuletzt waren in der Seele des Tio Lucas Mut, Aufrichtigkeit,
Ehrlichkeit, gesunder Menschenverstand, Wunsch nach Wissen, sowie
instinktive oder durch die Erfahrung gewonnene Kenntnisse vieler Dinge,
eine tiefe Verachtung aller Narren, welcher gesellschaftlichen Kategorie
sie auch angehören mochten, und ein Geist der Ironie, des Spottes, des
Sarkasmus, welcher ihm in den Augen des Akademikers das Ansehen eines
ungeschliffenen Don Francisko de Quevedo gab.

So war also der Tio Lucas von innen und von außen beschaffen.


6.

Fertigkeiten der beiden Ehegatten.

Die Seña Frasquita liebte also den Tio Lucas ganz wahnsinnig und hielt
sich für die glücklichste Frau der Welt, weil sie von ihm angebetet
wurde. Wie wir schon gesagt haben, hatten sie keine Kinder, und so
hatten sie es sich gegenseitig zur Aufgabe gemacht, sich mit unsäglicher
Sorgfalt zu pflegen und zu verhätscheln, ohne daß jedoch dies zärtliche
Besorgtsein in Sentimentalität und Süßigkeit ausartete, wie bei allen
übrigen kinderlosen Ehen. Im Gegenteil, sie behandelten sich mit einer
solchen Freiheit, Heiterkeit, einem Scherz und Vertrauen, wie man es bei
Kindern, bei Spielkameraden findet, die sich von ganzer Seele liebhaben,
ohne es sich zu sagen, ja vielleicht sich nicht einmal klar werden über
das, was sie fühlen.

Auf der ganzen Erde gab es gewiß nie einen besser gekämmten, besser
gekleideten, im Essen mehr verwöhnten Müller, der in seinem Hause so von
allen Bequemlichkeiten umgeben gewesen wäre, wie der Tio Lucas. Und
gewiß ist keine Müllerin, nein, auch keine Königin, der Gegenstand so
vieler Aufmerksamkeiten, so vieler Artigkeiten und Höflichkeiten
gewesen, wie die Seña Frasquita. Es ist ganz undenkbar, daß je eine
Mühle so viele notwendige, nützliche, angenehme, zur Erholung dienende
und sogar überflüssige Dinge enthalten hätte, wie die, welche der
Schauplatz fast der ganzen Erzählung sein wird.

Viel trug auch dazu bei, daß die Seña Frasquita, die saubere, thätige,
starke, gesunde Navarresin, zu kochen, nähen, stricken, fegen,
Zuckerwerk bereiten, waschen, plätten, ihr Haus tünchen, das
Kupfergeschirr putzen, Brot backen, weben, singen, tanzen, Guitarre
spielen, Trommel schlagen, Brisca und Tute spielen und noch viele andere
Dinge, deren Aufzählung endlos wäre, verstand, wollte und konnte. Und
nicht weniger trug zu diesem günstigen Resultate bei, daß Tio Lucas die
Mühle zu verwalten, das Feld zu bebauen, jagen, fischen, als Zimmermann,
Schmied und Maurer zu arbeiten, seiner Frau in allen häuslichen
Geschäften zur Hand zu gehen, lesen, schreiben, rechnen u. s. w. u. s.
w. verstand, wollte und konnte. Und dabei erwähnen wir noch gar nicht
einmal die Luxusbranchen, oder deutlicher gesprochen, seine
außerordentlichen Fertigkeiten ... zum Beispiel der Tio Lucas liebte die
Blumen (gerade wie seine Frau) und war ein so ausgezeichneter
Blumenzüchter, daß es ihm gelungen war, infolge mühevoller Kombinationen
neue Exemplare hervorzubringen. Er hatte auch etwas von einem
natürlichen Ingenieur, und das hatte er bewiesen, indem er ein Wehr,
einen Heber und eine Wasserleitung erbaut hatte. Er hatte einen Hund
tanzen gelehrt, eine Schlange gezähmt und einen Papagei dahin gebracht,
daß er die Stunden, welche eine von dem Müller an die Wand gezeichnete
Sonnenuhr angab, durch einen Ruf andeutete, und zwar so genau, daß er es
selbst an bewölkten Tagen und während der Nacht nicht verabsäumte.

Endlich besaß der Müller noch einen Obstgarten, der alle Arten Früchte
und Gemüse hervorbrachte; einen Teich, von einer Art von Jasminkiosk
umgeben, wo sich der Tio Lucas und die Seña Frasquita im Sommer badeten,
einen Blumengarten, ein Treibhaus für exotische Pflanzen, einen Brunnen
mit trinkbarem Wasser, zwei Esel, auf denen das Ehepaar in die Stadt
oder die umliegenden Ortschaften ritt, Hühnerhof, Taubenschlag,
Vogelhaus, Fischzuchtteich, Zucht von Seidenwürmern, Bienenstöcke, deren
Bienen aus dem Jasmin süße Nahrung sogen, Kelter mit dazugehörigem
Keller, beides freilich in Miniatur, Backofen, Webstuhl, Schmiede,
Zimmerhof u. s. w. u. s. w., all dies bei einem Hause mit acht Zimmern,
zwei Fanegas Acker und auf zehntausend Realen abgeschätzt.


7.

Der Grund der Glückseligkeit.

Also der Müller und die Müllerin liebten sich rasend, und fast konnte
man glauben, daß sie ihn noch mehr liebte, als er sie, obgleich er so
häßlich und sie so schön war. Das meine ich, weil die Seña Frasquita
eifersüchtig zu sein pflegte und vom Tio Lucas, wenn er sehr spät aus
der Stadt oder den umliegenden Dörfern, wo er Korn holte, zurückkehrte,
Rechenschaft verlangte, während Tio Lucas die Aufmerksamkeiten, welche
die seine Mühle besuchenden Herren der Seña Frasquita erzeigten, mit
Vergnügen bemerkte. Er erfreute und ergötzte sich daran, daß sie allen
so wie ihm gefiel, und obgleich er im Grunde seines Herzens fühlte, daß
manche ihn darum beneideten, sie wie einfache Sterbliche begehrten und
wer weiß was gegeben hätten, wenn sie eine weniger brave Frau gewesen
wäre, so ließ er sie doch ganze Tage allein, ohne die geringste Sorge,
und fragte nie gleich, was sie gethan hätte oder wo sie während seiner
Abwesenheit gewesen wäre.

Das lag aber nicht etwa darin, daß die Liebe des Tio Lucas weniger
leidenschaftlich gewesen wäre, als die der Seña Frasquita, sondern weil
er mehr Vertrauen zu ihr hatte, als sie zu ihm, weil er sie an
Scharfsinn übertraf und wußte, in welchem Grade er von ihr geliebt
wurde, und wie sehr seine Frau sich selbst achtete, es bestand
hauptsächlich darin, daß der Tio Lucas ein ganzer Mann war, ein Mann wie
die Shakespeareschen, mit wenigen, aber unteilbaren Gefühlen, des
Zweifels unfähig, der entweder glaubte oder starb, der liebte oder
tötete, der keine Abstufung oder allmählichen Uebergang zwischen der
höchsten Glückseligkeit oder dem Untergange seines Glückes zuließ. Er
war ein Othello von Murcia mit _alpargatas_ (Schuhe, mit Spartostricken
befestigt) und Jagdmütze im ersten Akt einer möglichen Tragödie.

Aber warum diese düsteren Noten in einem so lustigen Sang? Warum diese
erschrecklichen Blitze in einer so heitern Atmosphäre? Warum diese
melodramatischen Stellungen in einem Genrebilde?

Das werdet ihr alsogleich erfahren.


8.

Der Mann mit dem Dreispitz.

Es war zwei Uhr an einem Oktobernachmittag. Die kleine Turmuhr an der
Kathedrale läutete zur Vesper, das bedeutete, daß schon alle die
vornehmsten Personen der Stadt zu Mittag gegessen hatten.

Die Canonici wendeten sich nach dem Chor und die Laien nach ihren
Alkoven, um Siesta zu halten, und zwar besonders diejenigen, welche
infolge ihrer Obliegenheiten, wie zum Beispiel die Behörden, den ganzen
Morgen hindurch gearbeitet hatten.

Um so erstaunlicher war es also, daß zu jener Stunde, die schon, weil es
noch zu heiß war, zum Spaziergange ganz ungeeignet schien, der illustre
Herr Corregidor der Stadt zu Fuß, nur von einem einzigen _alguacil_
begleitet, dieselbe verließ, und darüber konnte kein Zweifel herrschen,
denn weder bei Tag, noch bei Nacht hätte man ihn mit irgend jemand
verwechseln können, erstens wegen seines ungeheuren Dreispitzes und dem
anfallenden Mantel von rotem Tuch, zweitens wegen seines eigentümlichen
grotesken Aussehens.

Von dem roten Tuchmantel und dem Dreispitz können noch viele Personen
aus eigener Anschauung erzählen. Wir unter ihnen, ebenso alle
diejenigen, welche in den letzten Jahren der Regierung Sr. Majestät Don
Fernando _VII._ in jener Stadt geboren wurden, erinnern uns sehr wohl
jener beiden veralteten Kleinodien, des Mantels und des Hutes, der
schwarze Hut darüber und den roten Mantel darunter an einem Nagel hängen
gesehen zu haben, als einzigen Schmuck einer bröckligen Wand in dem
Turme des Hauses, das Seine Herrlichkeit bewohnte und welches jetzt den
kindlichen Spielen seiner Enkel zum Schauplatz dient. Wie eine Art von
Gespenst des Absolutismns, eine Art von Schweißtuch des Corregidors,
eine Art von rückwärts gewandter Karikatur seiner Macht, mit Kreide und
Rotstift gezeichnet, wie so viele andere, hingen sie dort für uns kleine
Konstitutionelle vom Jahre 1837, die wir uns dort versammelten, eine Art
von Vogelscheuche, die zu anderen Zeiten eine Menschenscheuche gewesen
war, die mir heute fast Furcht einflößt, weil ich dazu beigetragen habe,
sie ihres Ansehens zu berauben, indem ich sie auf der Spitze eines
Schornsteinwischers zur Karnevalszeit durch die historische Stadt
getragen habe, oder indem sie einem Narren, der das Volk zu stetem
Lachen reizte, als Vermummung diente. Armes =Prinzip der Autorität=!
So haben dir diejenigen mitgespielt, die dich heute vergebens anrufen.

Was nun das groteske Aussehen des Herrn Corregidors betrifft, so bestand
es darin, daß er, wie man sagt, hohe Schultern hatte, noch viel höhere
als der Tio Lucas ... fast bucklig, um es gerade herauszusagen; seine
Statur war unter Mittelgröße und schwächlich, seine Gesundheit
schwankend; er hatte gewölbte Beine und eine Art und Weise zu gehen,
ganz sui generis, indem er sich von der einen Seite nach der anderen
wiegte, und von hinten nach vorne, die man nur mit der absurden Phrase
bezeichnen kann, daß es schien, wie wenn er auf beiden Füßen lahm wäre.
Zum Ersatz dafür aber fügt die Tradition hinzu, war sein Gesicht
regelmäßig, wenn auch durch den Mangel an Zähnen ziemlich runzlig,
grünlich brünett, wie fast alle Söhne Castiliens, mit großen, dunklen
Augen, in denen Zorn, Despotismus und Sinnlichkeit Blitze warfen, mit
feinen, verschmitzten Gesichtszügen, die zwar nicht den Ausdruck
persönlichen Mutes, aber einer versteckten, zu allem fähigen Bosheit
trugen; dabei eine gewisse Miene der Befriedigung, halb Aristokrat, halb
Libertin, die ganz deutlich zeigte, daß jener Mann, trotz seiner Beine
und seines Buckels, in seiner frühen Jugend den Frauen angenehm gewesen
und von ihnen angenommen worden war.

Don Eugenio de Zuñiga y Ponce de Leon (das war der Name Sr.
Herrlichkeit) war in Madrid geboren, aus berühmtem Geschlechte und war
zu jener Zeit ungefähr fünfundfünfzig Jahre alt. Vier Jahre war er als
Corregidor in der erwähnten Stadt gewesen, wo er sich, kurz nach seiner
Ankunft, mit der hervorragendsten Dame, von der wir noch weiter unten
sprechen werden, verheiratet hatte.

Don Eugenios Strümpfe, außer den Schuhen der einzige Teil seiner
Bekleidung, welchen der sehr umfangreiche rote Mantel freiließ, waren
weiß, und die Schuhe schwarz mit goldener Schnalle. Als aber die Wärme
auf dem freien Felde ihn veranlaßte, seine Umhüllung zu lüften, sah man,
daß er eine große Krawatte von Batist trug, eine taubenfarbige
Sergeweste, über und über mit grünen Zweigen gemustert, kurze,
schwarzseidene Beinkleider, einen ungeheueren Rock von demselben Stoffe
wie die Weste, einen Galanteriedegen mit Stahlgefäß, Stock mit Quasten
und ein respektables Paar Handschuhe von gelblichem Wildleder, die er
nie anzog und nur in der Mitte wie eine Art von Szepter umfaßte.

Der Alguacil, der dem Herrn Corregidor auf zwanzig Schritte Entfernung
folgte, hieß Garduña und war das leibhaftige Conterfei seines Namens
(Marder). Mager, sehr behend, sah er im Gehen vorwärts und rückwärts,
nach rechts und nach links zu gleicher Zeit, mit langem Halse, ganz
kleinem, widerwärtigem Gesichte, und mit zwei Händen, die wie zwei
Bündel Ruten aussahen, glich er sowohl einem Späher auf der Suche nach
Verbrechern, als dem Strick, der sie binden, und dem Instrumente, das
sie bestrafen sollte.

Als der Blick des ersten Corregidors auf ihn fiel, sagte dieser, ohne
weitere Erkundigungen einzuziehen, »du wirst mein wahrer Alguacil sein.«
Und vier Corregidoren hatte er gedient.

Er war achtundvierzig Jahre alt und trug einen Dreispitz, der viel
kleiner, als der seines Herrn, der, wir wiederholen es, einen ganz
ungewöhnlichen Umfang hatte, einen Mantel, schwarz wie die Strümpfe und
der übrige Anzug, einen Stock ohne Quasten und eine Art von Bratspieß an
Stelle des Degens.

Jenes schwarze Gespenst schien der Schatten seines auffallend
gekleideten Gebieters zu sein.


9.

Hü, Esel!

Wo auch immer diese Persönlichkeit und sein Untergebener vorüberkamen,
verließen die Arbeiter ihre Thätigkeit und entblößten ihre Häupter so
tief, daß der Hut die Erde fast berührte, doch eigentlich mehr aus
Furcht als aus Achtung; war er vorüber, so sagten sie mit leiser Stimme:

»Heute geht aber der Herr Corregidor sehr früh zur Seña Frasquita.«

»Sehr früh... und allein!« fügten andere hinzu, die gewohnt waren, ihn
diesen Spaziergang immer in Gesellschaft verschiedener anderer Personen
machen zu sehen.

»Höre du, Manuel, warum geht wohl der Herr Corregidor heute allein, um
die Seña Frasquita zu besuchen?« fragte eine Bäuerin ihren Mann, der sie
hinter sich auf dem Esel hatte.

Und während sie ihn fragte, kitzelte sie ihn, um ihn zu reizen. »Denk'
doch nicht gleich Schlechtes, Josepha!« rief der gute Mann aus, »die
Seña Frasquita ist nicht imstande...«

»Sage ich denn das Gegenteil? Aber darum ist doch der Herr Corregidor
nicht etwa nicht imstande, sich in sie zu verlieben... Ich habe sagen
hören, daß von allen, die zu den Schmausereien nach der Mühle gehen,
dieser Madrider, der den Unterröcken so nachläuft, der einzige ist, der
mit bösen Absichten dorthin geht.«

»Und was weißt du davon, ob er den Unterröcken nachläuft oder nicht?«
fragte seinerseits der Mann.

»Das sage ich nicht von mir selbst... Und wenn er auch tausendmal
Corregidor wäre, er würde sich wohl gehütet haben, mir auch nur zu
sagen, du hast schwarze Augen.«

Die so sprach, war häßlich im Superlativ.

»Na, sieh mal, Kind, da mögen sie zusehen!« erwiderte der Manuel
Genannte. »Ich glaube nicht, daß der Tio Lucas der Mann dazu ist, um
darauf einzugehen... Der hat ein hübsches Temperament, der Tio Lucas,
wenn er böse wird!«

»Na, aber man sieht ja, daß es ihm paßt,« fügte Tia Josepha hinzu und
rümpfte die Nase.

»Tio Lucas ist ein Biedermann,« entgegnete der Bauer, »und einem
Biedermanne können solche Dinge nicht passen.«

»Na ja, darin hast du recht... Mögen sie zusehen... Wenn ich die Seña
Frasquita wäre...«

»Hü, Esel!« schrie der Mann, um das Gespräch zu wechseln.

Der Esel setzte sich in Trab, und so konnte man den Rest der
Unterhaltung nicht mehr hören.


10.

Vom Rebengeländer aus.

Während so die den Corregidor grüßenden Ackerleute unter sich sprachen,
sprengte und fegte die Seña Frasquita sorgfältig den gepflasterten
Platz, welcher der Mühle als Atrium diente, und stellte ein halbes
Dutzend Stühle dahin, wo das Weinlaub der Laube noch am dichtesten war,
auf welche Tio Lucas gestiegen war und die besten Trauben abschnitt, um
sie künstlerisch in einem Korbe zu arrangieren.

»Nun ja, Frasquita,« sagte der Tio Lucas oben von der Laube herunter,
»der Herr Corregidor ist in sehr schlechter Weise in dich verliebt.«

»Das habe ich dir schon vor langer Zeit gesagt,« antwortete die Frau aus
dem Norden; »aber laß ihn doch seufzen... Nimm dich in acht, Lucas, daß
du nicht fällst!«

»Sei ohne Sorge, ich halte mich schon fest.... Auch gefällst du dem
Herrn...«

»Hör 'mal, jetzt höre auf mit deinen Nachrichten,« unterbrach sie ihn.
»Ich weiß nur zu gut, wem ich gefalle und wem nicht. Wenn ich doch nur
ebenso gut wüßte, warum ich dir nicht gefalle.«

»Na, das ist stark. Weil du so häßlich bist!« antwortete Tio Lucas.

»Hör 'mal... häßlich und alles, ich bin imstande, auf die Weinlaube zu
steigen und dich kopfüber auf den Boden zu werfen.«

»Viel wahrscheinlicher wäre es, daß ich dich nicht von der Laube
herabsteigen ließe, ohne dich vorher lebendig aufzuessen.«

»Da haben wir's... und wenn dann meine Anbeter kommen und uns da sähen,
dann möchten sie gar am Ende sagen, daß wir zwei Affen seien.«

»Und da würden sie den Nagel auf den Kopf treffen, denn du bist so ein
rechter Affe, und so hübsch, und ich sehe wie ein Affe aus mit meinem
Buckel...«

»Der mir gerade sehr gefällt.«

»Dann wird dir der des Corregidors noch besser gefallen, der ist ja noch
größer als meiner.«

»Ei, ei, sehen Sie einmal, mein Herr Don Lucas, seien Sie nicht so
eifersüchtig!«

»Ich eifersüchtig, auf den alten Waschlappen? Im Gegenteil, ich freue
mich sehr, daß er dich liebt.«

»Warum?«

»Weil in der Sünde selbst die Strafe liegt. Du wirst ihn nie lieben, und
ich bin während der Zeit der eigentliche Corregidor der Stadt.«

»Seht einmal den eitlen Menschen an! Stelle dir aber nun einmal vor,
daß ich ihn lieben lernte... Es sind schon seltsamere Dinge in der Welt
vorgekommen.«

»Das wäre mir auch ziemlich gleichgiltig.«

»Warum?«

»Weil du dann nicht mehr du sein würdest, und da du nicht bist, die du
bist, oder für die ich dich wenigstens halte, da mach' ich mir den
Teufel was daraus, ob dich alle Dämonen holen.«

»Aber was würdest du in einem solchen Falle thun?«

»Ich? Hm, hör 'mal, das weiß ich nicht... denn, da ich dann ein anderer
sein würde, als ich jetzt bin, so kann ich mir nicht vorstellen, was ich
dann wohl denken würde.«

»Und warum würdest du ein anderer sein?«

»Weil ich jetzt ein Mann bin, der an dich glaubt wie an sich selbst, und
dessen ganzes Leben nur dieser Glaube ist. Folglich, wenn ich nicht mehr
an dich glauben würde, so würde ich sterben oder mich in einen neuen
Menschen verwandeln, auf eine andere Art und Weise leben. Mir würde es
vorkommen, wie wenn ich eben erst geboren wäre, und ich würde andere
Gefühle hegen. Ich weiß nicht, was ich dann mit dir thun würde...
Vielleicht würde ich lachen und dir den Rücken wenden... Vielleicht
würde ich dich nicht kennen... Vielleicht... Aber geh doch, was für
einen Gefallen können wir daran finden, uns unnötig in üble Laune zu
versetzen. Was geht das uns an, wenn dich alle Corregidoren der Welt
lieben? Bist du nicht meine Frasquita?«

»Ja, du alter Barbar!« antwortete die Seña Frasquita, aus vollem Halse
lachend. »Ich bin deine Frasquita, und du bist mein Herzens-Lucas, der
häßlicher ist als ein Pavian, der mehr Talent hat als alle übrigen
Männer, der besser ist als das Brot, und den ich mehr liebe... Na,
steige nur erst von dem Spalier herunter, dann wirst du schon sehen, was
das »lieben« heißt!... Bereite dich nur vor, so viel Ohrfeigen zu
bekommen und so viel gekniffen zu werden, wie du Haare auf dem Kopfe
hast... Aber still, was sehe ich! Der Herr Corregidor kommt ganz allein
hierher... Und so früh... Der hat einen Plan.«

»Dann nimm dich ein wenig zusammen und sage ihm nicht, daß ich hier oben
bin. Er kommt gewiß, um mit dir allein eine Erklärung zu haben, denn er
nimmt an, daß ich meine Siesta halte. Ich will mich amüsieren, indem ich
seine Erklärung mit anhöre.«

So sprach Tio Lucas und reichte seiner Frau den Korb hinunter.

»Das ist kein übler Gedanke,« rief sie und brach von neuem in ein
Gelächter aus. »Dieser Teufel von einem Madrileñer! Was glaubt der denn,
was mir ein Corregidor gilt? Aber, da kommt er. Garduña, der ihm in
einiger Entfernung folgte, hat sich im Graben in den Schatten gesetzt...
Wie albern! Verstecke dich gut hinter dem Weinlaub, denn wir werden mehr
lachen, als du dir vielleicht einbildest.«

Und nachdem sie dies gesagt, fing die schöne Navarresin an den Fandango
zu singen, mit dem sie schon ebenso vertraut war wie mit den Liedern
ihrer Heimat.


11.

Das Bombardement von Pamplona.

»Gott behüte dich, Frasquita,« sagte der Corregidor halblaut, als er
unter der Laube erschien und sich auf den Fußspitzen näherte.

»Wie gut von Ihnen, Herr Corregidor!« antwortete sie mit natürlicher
Stimme, indem sie ihm tausend Bücklinge machte. »Euer Gnaden schon zu
dieser Stunde! Und bei der Hitze! Setzen sich Eure Herrlichkeit! Hier
ist es hübsch kühl! -- Und Euer Gnaden haben die anderen Herren nicht
abgewartet?... Da stehen schon alle Sitze für die Herren... Heute
Nachmittag erwarten wir auch den Herrn Bischof in Person, er hat meinem
Lucas versprochen, die ersten Trauben vom Weinstock zu kosten. Und wie
befinden sich Euer Gnaden? Wie geht es der Frau Gemahlin?«

Der Corregidor war verwirrt; das so ersehnte Alleinsein, in dem er sich
mit der Seña Frasquita befand, kam ihm wie ein Traum vor oder wie eine
Schlinge, welche ihm das feindliche Geschick legte, um ihn in den
Abgrund der Täuschung fallen zu lassen.

So beschränkte er sich nur darauf, zu sagen:

»Es ist nicht so früh, wie du sagst... es wird ungefähr halb vier Uhr
sein.«

In dem Augenblicke pfiff der Papagei.

»Es ist einviertel auf drei,« sagte die Navarresin, und sah den
Madrileñer steif und unverwandt an.

Dieser schwieg, wie ein überführter Verbrecher, der auf die Verteidigung
verzichtet.

»Und Lucas? Schläft er?« fragte er nach einem Augenblicke.

Wir müssen hier noch bemerken, daß der Corregidor, wie alle Zahnlosen,
eine unbestimmte, zischende Aussprache hatte, wie wenn er seine eigenen
Lippen äße.

»Ja, freilich,« antwortete die Seña Frasquita. »Um diese Zeit, da
schläft er, wo es ihn gerade überfällt und wäre es am Rande eines
Abgrundes.«

»Nun höre, so laß ihn schlafen,« rief der alte Corregidor aus und wurde
noch bleicher, als er schon von Natur war. »Und du, meine liebe
Frasquita, höre einmal ... sieh... komm her... Setze dich hierher, so,
an meine Seite. Ich habe dir viele Dinge mitzuteilen.«

»Da sitze ich,« antwortete die Müllerin, ergriff einen niedrigen Stuhl
und setzte ihn in ganz geringer Entfernung von dem des Corregidors
nieder.

Sobald Frasquita sich gesetzt hatte, legte sie ein Bein über das andere,
bog den Körper ein wenig vor, stützte einen Ellbogen auf das
übergeschlagene Knie und das frische, schöne Gesicht auf eine ihrer
Hände, und so, den Kopf ein wenig zur Seite geneigt, mit lächelnden
Lippen, wobei alle fünf Grübchen in Thätigkeit kamen, und die heiteren,
reinen Pupillen auf den Corregidor geheftet, erwartete sie die
Erläuterung Seiner Gnaden. Wahrhaftig, man konnte sie mit Pamplona
vergleichen, welches das Bombardement erwartet.

Der arme Mann wollte sprechen, aber vor dieser grandiosen Schönheit, vor
dieser strahlenden Anmut, vor jener schrecklichen Frau mit der
Alabasterhaut, den üppigen Formen, dem reinen, lachenden Munde, den
blauen, unergründlichen Augen, die der Pinsel eines Rubens erschaffen zu
haben schien, blieb er mit offenem Munde wie behext sitzen. »Frasquita!«
murmelte endlich der Abgesandte des Königs mit schwacher Stimme, während
sein vertrocknetes Gesicht, das sich in Schweiß gebadet von seinem
Buckel abhob, eine unsägliche Qual ausdrückte, »Frasquita!«

»So heiße ich,« antwortete die Tochter der Pyrenäen. »Sie wünschen?«

»Was du willst,« erwiderte der Alte mit unendlicher Zärtlichkeit.

»Nun, was ich will, das weiß ja Ew. Gnaden,« sagte die Müllerin. »Was
ich will? Ew. Gnaden sollen einen Neffen von mir in Estella zum Sekretär
beim Stadtgericht ernennen, damit er jene Berge verlassen kann, wo es
ihm herzlich schlecht geht.«

»Ich habe dir schon gesagt, Frasquita, daß das unmöglich ist; der
gegenwärtige Sekretär...«

»Ist ein Dieb, ein Trunkenbold, ein Esel.«

»Das weiß ich. Er hat aber sehr gute Beschützer unter den
lebenslänglichen Regidoren, und ich kann ohne Einwilligung des
Stadtrates keinen anderen ernennen. Sonst setze ich mich aus -- --«

»Ich setze mich aus, ich setze mich aus.... Und welchen Gefahren würden
wir uns nicht um Ew. Gnaden willen aussetzen, wir alle, bis hinunter zu
den Katzen im Hause?«

»Würdest du mich um diesen Preis lieben?« stammelte der Corregidor.

»Nein, Herr Corregidor, denn ich liebe Ew. Gnaden umsonst.«

»Weib, gieb mir nicht so viele Titel! Nenne mich Sie oder wie du Lust
hast... Hä, so wirst du mich also lieben? ... Sag --«

»Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß ich Sie schon liebe?«

»Aber...«

»Dabei ist kein ›aber‹. Sie sollen nur sehen, wie hübsch und was für ein
braver Mensch mein Neffe ist!«

»Ja, du bist hübsch, Frasquita!«

»Gefalle ich Ihnen?«

»Gewiß gefällst du mir! Es giebt keine zweite Frau wie dich.«

»Nun sehen Sie, hier ist nichts Falsches,« antwortete die Seña
Frasquita, schob den Ärmel ihres Kleides ganz in die Höhe und zeigte dem
Corregidor den bisher verhüllten Teil ihres Armes, der einer Karyatide
würdig gewesen wäre und weißer als eine Lilie war.

»Und ob du mir gefällst!« fuhr der Corregidor fort, »Tag und Nacht, zu
jeder Stunde, überall, denke ich nur an dich.«

»Aber wie? Gefällt Ihnen denn die Frau Corregidor nicht?« fragte Seña
Frasquita mit einem so gut geheuchelten Mitleid, daß es einen
Hypochonder zum Lachen gebracht hätte. »Wie schade! Als mein Lucas Ihre
Alkovenuhr zurecht gemacht hat, da hat er das Vergnügen gehabt, sie zu
sehen und mit ihr zu sprechen, und er hat mir gesagt, daß sie sehr
hübsch und sehr gut und so liebenswürdig im Umgange sei.«

»Nicht so sehr, nicht so sehr!« murmelte der Corregidor mit einer
gewissen Bitterkeit.

»Dagegen haben andere mir gesagt,« sprach die Müllerin weiter, »daß sie
ein sehr böses Temperament habe, sehr eifersüchtig sei, und daß Sie vor
ihr wie vor einer grünen Rute zitterten.«

»Nicht so sehr, Frau,« wiederholte Don Eugenio de Zuñiga y Ponce de
Leon, indem er ganz rot wurde. »Nicht so viel und nicht so wenig, die
Frau Corregidora hat so ihre Launen, gewiß... aber zwischen dem und vor
ihr zittern ist doch noch ein großer Unterschied. Ich bin der
Corregidor.«

»Aber schließlich haben Sie sie lieb oder nicht?«

»Ich will dir sagen... ich liebe sie sehr... oder besser gesagt, ich
liebte sie sehr, bevor ich dich kennen lernte. Aber seit ich dich sah,
weiß ich nicht, was mir geschah, und sie selbst merkt, daß etwas in mir
vorgeht. Genug, heute zum Beispiel, wenn ich das Gesicht meiner Frau
berühre, so macht es mir den Eindruck, wie wenn ich mein eigenes
berührte. Siehst du wohl, mehr kann man sie doch nicht lieben und auch
nicht weniger fühlen. -- Dagegen, könnte ich diese Hand, diesen Arm,
dieses Gesicht, diese Taille berühren, würde ich dafür geben, was ich
nicht habe.«

Und während der Corregidor so sprach, versuchte er, sich des entblößten
Armes, den die Seña Frasquita ihm buchstäblich unter die Nase rieb, zu
bemächtigen; aber diese, ohne ihre Fassung zu verlieren, streckte die
Hand aus, berührte die Brust Seiner Gnaden mit der friedlichen Gewalt
und unwiderstehlichen Festigkeit eines Elephantenrüssels und warf ihn
mit Stuhl und allem auf den Rücken.

»_Ave Maria purisima!_« (Heilige Jungfrau Maria!) rief inzwischen die
Navarresin und lachte wie toll. »Der Stuhl war wohl gar zerbrochen?«

»Was geht hier vor?« rief in diesem Augenblicke Tio Lucas, indem er sein
häßliches Gesicht durch die Weinblätter steckte.

Noch lag der Corregidor auf dem Rücken am Boden und blickte mit
unaussprechlichem Entsetzen zu dem Manne empor, der in der Luft auf dem
Bauche liegend erschien.

Wie ein Teufel sah er aus, aber nicht wie einer von St. Michael, sondern
wie ein von einem anderen höllischen Dämon besiegter.

»Was soll hier vorgehen?« beeilte sich die Seña Frasquita zu sagen, »der
Herr Corregidor hatte seinen Stuhl nicht fest aufgestellt, er fing an
sich zu wiegen, und da ist er gefallen.«

»Jesus, Maria und Joseph!« rief seinerseits der Müller aus, »Ew. Gnaden
haben sich doch nicht etwa Schaden gethan? Wollen Ew. Gnaden ein wenig
Wasser und Essig?«

»Ich habe mir nichts gethan!« sagte der Corregidor, indem er, so gut er
konnte, aufstand.

Und dann fügte er leise, doch so, daß ihn die Seña Frasquita verstehen
konnte, hinzu:

»Das sollt Ihr mir bezahlen.«

»Dagegen haben aber Ew. Gnaden mir das Leben gerettet,« fuhr Tio Lucas
fort, ohne jedoch von seinem luftigen Sitze herabzusteigen. »Stelle dir
nur vor, Frau, ich sitze hier oben und betrachte die Weintrauben; da
schlafe ich auf einem Netz von Weinreben und Stangen, dessen
Zwischenöffnungen groß genug waren, um einen Körper hindurchgleiten zu
lassen, ein. Hätte mich also Sr. Gnaden Fall nicht zur rechten Zeit
aufgeweckt, so hätte ich mir späterhin den Kopf auf diesen Steinen
zerbrochen.«

»Also du... he?« rief der Corregidor aus. »Nun, Müller, das freut
mich... Ich sage, es freut mich sehr, daß ich gefallen bin.«

»Das sollst du mir bezahlen,« fügte er dann hinzu, indem er sich zur
Müllerin wendete.

Und das sprach er mit einem solchen Ausdruck von unterdrückter Wut, daß
die Seña Frasquita ganz traurig wurde.

Sie sah nur zu deutlich, daß der Corregidor zuerst erschrocken war, weil
er glaubte, daß der Müller alles gehört hätte.

Als er sich aber überzeugt hatte, daß der Müller nichts gehört, denn Tio
Lucas' Ruhe und Verstellung hätten selbst den schärfsten Luchs
getäuscht, da fing er an, seinem Zorn nachzugeben und Rachepläne zu
brüten.

»Na, na, komm nur herunter und hilf mir Sr. Gnaden reinigen, er ist ja
ganz mit Staub bedeckt,« rief die Müllerin aus.

Und während der Tio Lucas herunterkletterte, sagte sie zu dem
Corregidor, indem sie ihm mit der Schürze den Rock abstäubte, wobei
mancher Schlag die Ohren traf:

»Der Arme hat gar nichts gehört... der hat wie ein Klotz geschlafen.«
Diese Worte und mehr noch der Umstand, daß sie mit leiser Stimme zu ihm
gesprochen wurden, dadurch Mitwissenschaft und Geheimnis andeutend,
brachten eine wunderbare Wirkung hervor. »Du Schelm! Du Trotzkopf!«
stammelte Don Eugenio de Zuñiga mit wässerndem Munde, aber doch noch
scheltend.

»Ew. Gnaden hegen doch keinen Groll gegen mich?« entgegnete die
Navarresin arglistig schmeichelnd.

Als der Corregidor wahrnahm, daß die Strenge einen so guten Erfolg
hatte, versuchte er die Seña Frasquita recht wütend anzusehen; aber da
traten ihm ihr verführerisches Lächeln und ihre himmlischen Augen, in
denen eine liebkosende Bitte glänzte, entgegen -- all sein Zorn schmolz
sofort dahin, und mit süßlichem Ton, bei dem man erst recht den
vollständigen Mangel an Zähnen entdeckte, sagte er: »Das hängt von dir
ab, mein Schatz!«

In diesem Augenblicke sprang Tio Lucas von der Laube auf den Boden.


12.

Zehnten und Erstlinge.

Als der Corregidor seinen Stuhl wieder eingenommen hatte, warf die
Müllerin einen flüchtigen Blick auf ihren Gatten und sah ihn nicht nur
so ruhig wie immer, sondern daß er auch große Lust hatte, über diesen
Einfall vor Lachen zu bersten; im ersten Augenblicke, in dem sie sich
vom Corregidor unbeachtet glaubte, warf sie ihm eine Kußhand zu und
sagte dann mit einer Sirenenstimme, um die Kleopatra sie beneidet hätte,
zu diesem:

»Jetzt sollen Ew. Gnaden auch meine Weintrauben kosten.«

Und jetzt hätte man die schöne Navarresin sehen müssen, und so würde ich
sie malen, wenn ich Titians Pinsel hätte, wie sie so vor dem entzückten
Corregidor stand, frisch, prächtig, reizend, mit ihren edlen Formen,
ihrem engen Kleide, der hohen Gestalt, wie sie die entblößten Arme über
ihr Haupt erhob, in jeder Hand eine durchsichtige Traube, und mit einem
unwiderstehlichen Lächeln und einem bittenden Blick, in dem die Furcht
zitterte, zu ihm sagte:

»Noch hat der Herr Bischof sie nicht versucht... Es sind die ersten, die
wir in diesem Jahre pflücken...«

Sie glich einer riesigen Pomona, die einem ländlichen Gott, sagen wir z.
B. einem Satir Früchte anbietet. In diesem Augenblicke erschien am
äußersten Ende des gepflasterten Platzes der ehrwürdige Bischof der
Diöcese, von dem Advokaten-Akademiker und zwei Domherren in
vorgeschrittenem Alter begleitet, und von seinem Sekretär, zwei
Hausgenossen und zwei Pagen gefolgt.

Einen Augenblick hielt Se. Hochwürden an, um das zugleich komische und
schöne Bild zu betrachten, und dann sagte er mit dem würdevollen Ton der
Prälaten von damals:

»Das Fünfte: Zehnten und Erstlinge an die Kirche Gottes zu bezahlen,
lehrt uns die christliche Satzung; aber Sie, Herr Corregidor, begnügen
sich nicht damit, den Zehnten zu verwalten, sondern wollen auch die
Erstlinge essen.«

»Der Herr Bischof!« riefen die Müllersleute aus und verließen den
Corregidor, um den Ring des Prälaten zu küssen.

»Gott lohne es Ew. Hochwürden, daß Sie unserer armen Hütte solche Ehre
erweisen,« sagte Tio Lucas im Tone aufrichtiger Verehrung und küßte ihn.
»Wie freue ich mich, den Herrn Bischof so wohl und schön zu sehen!« rief
die Seña Frasquita aus, indem auch sie den Ring küßte. »Gott segne ihn
und erhalte ihn so viele Jahre, wie meines Lucas' Bischof!«

»Wie kann ich dir wohl eines Tages fehlen, wenn du mich mit Segnungen
überhäufst, statt sie von mir zu verlangen,« antwortete lachend der
gütige Hirt. Und zwei Finger ausstreckend, segnete er die Seña Frasquita
und darauf die übrigen Anwesenden.

»Hier sind auch Ew. Hochwürden Erstlinge!« sagte der Corregidor, indem
er eine Traube aus den Händen der Müllerin nahm und sie dem Bischof
höflich anbot. »Noch habe ich die Trauben nicht gekostet.«

Der Corregidor sprach diese Worte aus, indem er einen schnellen,
lüsternen Blick auf die strahlende Schönheit der Müllerin warf.

»Hoffentlich doch nicht, weil sie zu sauer sind, wie die in der Fabel,«
bemerkte der Akademiker.

»Die in der Fabel,« versetzte der Bischof, »waren nicht sauer, Herr
Licenziat, sondern außer dem Bereich des Fuchses.«

Keiner von beiden hatte eine Anspielung auf den Corregidor damit
bezweckt; aber die Aussprüche paßten so genau auf das, was soeben
vorgefallen war, daß der Corregidor Don Eugenio de Zuñiga blaß vor Zorn
wurde und, den Ring des Prälaten küssend, sagte:

»Dann wäre ich also der Fuchs, Hochwürden.«

»_Tu dixisti_« (Du sagst es), erwiderte dieser mit der leutseligen
Strenge eines Heiligen, der er auch gewesen sein soll. »_Excusatio non
petita, accusatio manifesta -- Qualis vir, talis oratio._ -- Aber
_satis jam dictum, nullus ultra sit sermo_. Oder, was dasselbe ist:
Lassen wir jetzt das Latein und bekümmern wir uns um diese famosen
Trauben.« Und er pflückte eine einzige Beere von der Traube, welche ihm
der Corregidor anbot. »Sie sind sehr gut,« rief er aus und hielt sie
gegen das Licht; dann reichte er sie seinem Sekretär. »Nur schade, daß
sie mir nicht gut bekommen.«

Der Sekretär betrachtete die Traube auch, nahm eine Miene höflicher
Bewunderung an und übergab sie einem der Hausgenossen.

Der Famulus wiederholte die Handlung des Bischofs und die Miene des
Sekretärs, ja, ging sogar so weit, an der Weintraube zu riechen, und
dann legte er sie mit der skrupulösesten Sorgfalt in den Korb zurück und
sagte mit leiser Stimme zu den Umstehenden:

»Sr. Hochwürden fasten...«

Tio Lucas aber, der die Traube mit dem Blick verfolgt hatte, nahm sie
dann ganz heimlich und aß sie verstohlen auf, ohne daß jemand es gesehen
hatte.

Darauf setzten sich alle; man sprach vom Herbste, der sehr trocken war,
obgleich die Prozession mit dem Strick des heiligen Franziskus
umgegangen, sprach von der Möglichkeit eines neuen Krieges zwischen
Napoleon und Österreich, bestand auf dem Glauben, daß die kaiserlichen
Truppen das spanische Gebiet nie betreten würden; der Advokat beklagte
sich über das Aufrührerische und alles Umstürzende jener Epoche und
beneidete die ruhigen Zeiten seiner Väter, _nota bene_ wie die Väter die
Zeiten der Großväter beneidet hatten -- da rief der Papagei fünf Uhr...
und auf ein Zeichen des ehrwürdigen Bischofs ging der jüngere der
beiden Pagen nach dem Wagen Sr. Hochwürden, der an demselben Graben
angehalten hatte, wie der Alguacil und kam mit einem prächtigen aus Brot
und Öl gebackenen, mit Salz bestreuten Kuchen zurück, der kaum vor einer
Stunde aus dem Ofen gekommen war. Ein kleiner Tisch wurde inmitten der
Anwesenden aufgestellt, die Torte wurde zerschnitten, auch Tio Lucas und
die Seña Frasquita erhielten, trotz ihrer heftigen Weigerung, ihr Teil,
und eine Stunde lang herrschte eine wirklich demokratische Gleichheit
unter dem rötlich schimmernden Weinlaube, durch das die letzten Strahlen
der untergehenden Sonne ihren Abschiedsgruß sandten.


13.

Da sagte die Krähe zum Raben.

Anderthalb Stunden später waren alle die erlauchten Vespergenossen in
die Stadt zurückgekehrt.

Der Bischof und seine »Familie« waren, dank dem Wagen, bedeutend früher
angekommen und waren schon im Palaste, wo wir sie bei ihrer Andacht
nicht weiter stören wollen.

Der ausgezeichnete Advokat, der sehr trocken war, und die beiden
Canonici, einer immer dicker und respektabler als der andere,
begleiteten den Corregidor bis zur Thür des Rathauses, wo, wie Sr.
Gnaden sagte, er noch zu arbeiten hatte, und schlugen dann den Weg zu
ihren respektiven Wohnungen ein, wie Schiffer von den Sternen geleitet,
oder wie Blinde die Ecken durch Tasten vermeidend, denn schon war die
Nacht hereingebrochen, der Mond war noch nicht aufgegangen, und die
Straßenbeleuchtung war, wie alle übrigen Lichter dieses Jahrhunderts,
noch im göttlichen Gehirn.

Dafür sah man nicht selten eine Laterne durch die Straßen irren, mit der
ein ehrerbietiger Diener seinem erhabenen Gebieter voranleuchtete, der
sich zu der gewohnten Tertulia[5] oder zum Besuch in das Haus seiner
Verwandten begab.

Fast neben allen niedrigen Gittern sah man, oder besser gesagt, spürte
man, ahnte man eine schwarze, schweigende Masse. Das waren Verlobte,
welche ihr Gespräch bei den herannahenden Schritten abgebrochen hatten.

»Wir sind aber wirkliche Leichtfüße,« sagten der Advokat und die beiden
Canonici im Gehen. »Was wird man nur in unseren Häusern von uns denken,
wenn man uns zu dieser Stunde ankommen sieht?«

»Aber was werden die uns auf der Straße Begegnenden sagen, wenn sie uns
auf diese Weise nach sieben Uhr nachts wie von der Finsternis beschützte
Reitersleute sehen?«

»Wir müssen wirklich unsern Lebenswandel ändern.«

»Ach ja! aber diese verflixte Mühle!«

»Meine Frau hat sie schon gewaltig im Magen,« sagte der Akademiker in
einem Tone, aus dem man die Furcht vor einer nahe bevorstehenden
Gardinenpredigt deutlich heraushörte.

»Nun, und meine Nichten!« rief einer der Canonici aus, der, nach seinen
äußeren Abzeichen zu schließen, Pönitentiarius war, »meine Nichten
sagen, daß die Priester keine Gevatterinnen besuchen sollten.«

»Und doch,« unterbrach sein Gefährte, der Magistral war, »kann es nichts
Unschuldigeres geben, als...«

»Ei gewiß, geht doch sogar der Herr Bischof...«

»Und dann, meine Herren, in unserem Alter!« versetzte der Pönitentiar.

»Gestern bin ich fünfundsiebzig Jahre alt geworden.«

»Das ist ja ganz klar,« erwiderte der Magistral. »Aber lassen Sie uns
von etwas anderem sprechen; wie reizend war heute die Seña Frasquita.«

»O ja, was das betrifft, reizend ist sie, sehr reizend,« sagte der
Advokat und heuchelte Unparteilichkeit.

»Sehr reizend!« wiederholte der Pönitentiarius hinter seiner Umhüllung.

»Und wenn nicht,« sagte der Prediger _de officio_, »so fragt nur den
Corregidor, der arme Mann ist verliebt in sie.«

»Na, das glaube ich schon,« rief der Beichtiger in der Kathedrale aus.

»Gewiß!« fügte der korrespondierende Akademiker hinzu. »Hier aber, meine
Herren, trennen sich unsere Wege, ich gehe hier herum, um eher nach
Hause zu gelangen. Gute Nacht, meine Herren.«

»Gute Nacht,« antworteten ihm die Kapitelherren.

Und schweigend gingen sie einige Schritte vorwärts.

»Auch dem gefällt die Müllerin!« murmelte darauf der Domherr und stieß
den Pönitentiarius sanft mit dem Ellbogen in die Seite.

»Das sieht man doch ganz deutlich,« antwortete dieser und blieb an
seiner Hausthür stehen. »Und so häßlich wie er ist! Also auf morgen,
Kollege. Mögen Ihnen die Trauben gut bekommen.«

»Auf morgen, so Gott will. Ich wünsche Ihnen eine recht gute Nacht.«

»Gott gebe uns eine gute Nacht!« betete der Pönitentiarius schon vom
Portal, das sich durch eine Laterne und eine Jungfrau auszeichnete. Und
er schlug mit dem Klopfer an die Thür.

Als der andere Canonicus sich allein auf der Straße befand -- er war
breiter als er lang war und schien sich rollend fortzubewegen -- ging er
langsam seinem Hause zu; aber ehe er jedoch dasselbe erreichte, stieß er
gegen eine Wand, die in späteren Zeiten den Verordnungen der städtischen
Polizei dienen sollte, und sagte, während er wahrscheinlich dabei an
seinen Chorbruder dachte:

»Und dir gefällt die Seña Frasquita auch... Es ist aber auch wahr,«
fügte er nach einem Augenblick hinzu, »reizend ist sie, sehr reizend!«


14.

Garduñas Ratschläge.


Inzwischen war der Corregidor, von Garduña gefolgt, in das Rathaus
eingetreten, und hielt mit diesem im Sitzungssaale eine so vertrauliche
Unterhaltung, wie sie sich für einen Mann von seinem Range und seinem
Amte gar nicht schickte.

»Trauen Ew. Gnaden doch nur einem Spürhunde, der die Jagd kennt,« sagte
der unedle Alguacil. »Die Seña Frasquita ist wahnsinnig in Ew. Gnaden
verliebt, und was Ew. Gnaden mir soeben erzählt haben, läßt es so hell
wie dieses Licht sehen...«

Und dabei deutete er auf eine Kerze, die kaum den achten Teil des Saales
erhellte.

»So ganz sicher wie du, bin ich doch nicht, Garduña,« antwortete Don
Eugenio seufzend.

»Dann weiß ich nicht, warum. Und wenn nicht, lassen Sie uns offen
darüber sprechen. Ew. Gnaden, mit Ihrer Erlaubnis sei es gesagt, haben
einen kleinen, ganz kleinen Fehler an Ihrem Körper, nicht wahr?«

»Gut, ja,« antwortete der Corregidor. »Aber der Tio Lucas hat denselben
Fehler. Er ist noch weit buckliger als ich.«

»Viel buckliger! Sehr viel buckliger! Er ist gar nicht mit Ihnen zu
vergleichen! Aber dafür, und das wollte ich eben sagen, haben Ew. Gnaden
ein sehr ansehnliches Gesicht, so, was man sagt ein schönes Gesicht,
während der Tio Lucas aussieht wie der Sergeant Utrera, der vor reiner
Häßlichkeit krepiert ist.«

Der Corregidor lachte mit einer gewissen Leutseligkeit.

»Übrigens,« fuhr der Alguacil fort, »ist die Seña Frasquita imstande,
sich aus dem Fenster zu stürzen, wenn sie dadurch die Ernennung ihres
Neffen erreichen kann.«

»Bis hierher stimmen wir überein; diese Ernennung ist meine einzige
Hoffnung.«

»Nun denn, Hand ans Werk, gnädiger Herr. Ich habe Ew. Gnaden ja schon
meinen Plan mitgeteilt... Er braucht nur heute Nacht ausgeführt zu
werden.«

»Ich habe dir schon vielmals gesagt, daß ich keine Ratschläge brauche!«
schrie Don Eugenio, indem er sich plötzlich erinnerte, daß er mit einem
Untergebenen sprach.

»Ich glaubte, daß Ew. Gnaden sie von mir verlangten,« stotterte Garduña.

»Antworte mir nicht!«

Garduña verbeugte sich.

»Also du sagst,« fuhr der Corregidor fort, indem er sich allgemach
besänftigte, »daß schon heute Nacht alles geordnet werden kann? Nun,
weißt du, das scheint mir sehr gut. Teufel noch einmal! So werde ich
doch endlich von dieser grausamen Ungewißheit befreit werden.«

Garduña schwieg.

Der Corregidor wandte sich an den Schreibtisch, schrieb einige Zeilen
auf Stempelpapier, das er seinerseits noch stempelte, und verwahrte es
dann in seiner Westentasche. »So, die Ernennung des Neffen wäre
gemacht,« sagte er dann und nahm eine Prise Tabak. »Morgen werde ich
mich mit den Regidoren (Stadträten) darüber verständigen, und entweder
sie genehmigen sie einstimmig, oder der Teufel soll sie holen. Meinst du
nicht auch, daß ich recht thue?«

»Das ist es, das ist es,« rief der begeisterte Garduña aus, indem er die
Pfote in die Tabaksdose des Corregidors versenkte und dieser eine Prise
entführte. »Das ist es, Ew. Gnaden Vorgänger ist auch niemals vor einem
Hindernisse zurückgeschreckt. Einmal...«

»Laß das Geschwätz!« versetzte der Corregidor, indem er der räuberischen
Hand einen Schlag mit dem Handschuh versetzte. »Mein Vorgänger war ein
Esel, weil er dich zum Alguacil hatte. Aber kommen wir wieder auf unsere
Angelegenheit zurück. Du sagtest mir, daß die Mühle des Tio Lucas zum
Gerichtsbezirk des nächsten Fleckens und nicht zu dem dieser Stadt
gehört... Bist du ganz sicher?«

»Ganz sicher. Der Gerichtsbezirk der Stadt hört mit dem Graben auf, wo
ich heute Nachmittag saß, um Ew. Gnaden zu erwarten. Heiliger Lucifer!
Wenn ich an Ihrer Stelle gewesen wäre.«

»Genug!« schrie Don Eugenio, »du bist ein Unverschämter!« Er ergriff
einen halben Bogen Papier, schrieb ein Billet, schloß es, indem er eine
Ecke umschlug und übergab es Garduña. »Da hast du den Brief, den du von
mir für den Alkalden des Ortes verlangt hast,« sagte er gleichzeitig zu
ihm. »Du wirst ihm noch mündlich alles erklären, was er zu thun hat. Du
siehst wohl, ich führe deinen Plan buchstäblich aus. Aber wehe dir, wenn
du mich in eine Sackgasse bringst!«

»Seien Ew. Gnaden unbesorgt,« antwortete Garduña. »Señor Juan Lopez hat
viel zu fürchten, und sobald er nur Ew. Gnaden Unterschrift sieht, wird
er alles thun, was man ihm befiehlt. Dem königlichen Rentamt schuldet er
mindestens tausend Fanegas Getreide und dem Kirchenamt ebensoviel. Und
dies letztere gegen alles und jedes Gesetz, denn er ist weder eine
Witwe, noch ein armer Arbeiter, um das Korn zu erhalten, ohne Zinsen
darauf zu zahlen, sondern ein Spieler, ein Trunkenbold und ein Ehrloser,
ein Freund von Weibern, über den der ganze Flecken entrüstet ist... Und
jener Mensch übt die Autorität aus. Aber so geht es in der Welt!«

»Ich habe dir gesagt, daß du schweigen sollst! Du störst mich,« brüllte
der Corregidor. »Aber um auf unser früheres Gespräch zurückzukommen,«
fügte er, den Ton ändernd, nach einiger Zeit hinzu, »es ist jetzt
einviertel auf Acht... Zuerst mußt du nach Hause gehen und die Señora
benachrichtigen, daß sie mich zum Abendbrot und zum Schlafen nicht
erwarten soll. Sage ihr, daß ich bis zum Zapfenstreich zu arbeiten habe
und nachher eine geheime Runde mit dir machen wolle, um zu sehen, ob wir
nicht ein paar Übelthäter fangen können u. s. w. u. s. w. Mit einem
Worte, täusche sie nur gut, damit sie sich ohne irgend welchen Verdacht
hinlegt. Unterwegs sage dem andern Alguacil, daß er mir das Abendbrot
herbringe. Ich wage es nicht, mich heute vor meiner Frau sehen zu
lassen; sie kennt mich zu gut, sie ist fähig, in meinen Gedanken zu
lesen. Trage der Köchin auf, daß sie nur einige von den Klößen schickt,
die es heute gegeben hat, und sage dem Alguacil, daß er mir aus dem
Wirtshause ein halbes Viertel Weißwein herüberbringt, so aber, daß es
niemand sieht. -- Dann gehst du nach dem Orte ab, wo du ganz gut um halb
neun Uhr sein kannst.«

»Schlag acht Uhr bin ich dort,« rief Garduña aus.

»Widersprich mir nicht!« heulte der Corregidor, der sich wieder
erinnerte, wer er war.

Garduña salutierte.

»Wir haben gesagt,« nahm jener, menschlicher werdend, wieder das Wort,
»daß du um acht Uhr im Orte sein kannst. Vom Dorfe bis zur Mühle wird es
ungefähr... ich glaube, es wird eine halbe Meile sein...«

»Eine kleine...«

»Unterbrich mich nicht.«

Der Alguacil salutierte von neuem.

»Eine kleine halbe Meile,« fuhr der Corregidor fort. »Folglich um Zehn.
Glaubst du, daß um zehn...«

»Vor Zehn, um halb Zehn kann Ew. Gnaden an die Thür der Mühle klopfen.«

»Kerl, sage mir nicht, was ich thun soll... Natürlich wirst du dort
sein...«

»Ich werde überall sein... Aber mein Hauptquartier wird im Graben sein.
Ach, bald hätte ich vergessen! Gehen Ew. Gnaden doch zu Fuß und ohne
Laterne.«

»Die Ratschläge haben mir auch gerade gefehlt! Glaubst du denn, daß ich
zum erstenmale einen solchen Feldzug unternehme?«

»Verzeihen Ew. Gnaden. Ach, noch etwas! Klopfen Ew. Gnaden nicht an die
große Thür, die auf den Platz unter der Weinlaube führt, sondern an die
kleine über dem Mühlgerinne.«

»Über dem Mühlgerinne ist noch eine Thür? Höre mal, das war' mir nicht
eingefallen.«

»Ja, Ew. Gnaden. Die kleine Thür über dem Gerinne führt direkt in das
Schlafzimmer der Müllersleute, und der Tio Lucas benutzt dieselbe nie.
So daß, sollte er unerwartet zurückkommen...«

»Ich verstehe... ich verstehe... Jetzt betäube mir die Ohren nicht
länger mit deinem Geschwätz.«

»Zum Schluß noch eins. Sehen Ew. Gnaden zu, daß Sie vor dem Morgengrauen
unsichtbar werden. Jetzt wird es um sechs Uhr Tag.«

»Das ist ein anderer überflüssiger Rat. Um fünf Uhr bin ich wieder in
meinem Hause... Aber wir haben genug gesprochen. Hebe dich weg von
meinem Angesicht!«

»Nun denn, Herr... viel Glück!« rief der Alguacil, indem er zugleich dem
Corregidor die Hand entgegenstreckte und andächtig die Augen zur Decke
erhob.

Der Corregidor gab Garduña eine Peseta, die wie weggezaubert verschwand.

»Alle Teufel!« murmelte der Alte nach einer Weile. »Hab ich doch
vergessen zu sagen, daß sie mir ein Spiel Karten mitbringen sollten!
Damit hätte ich mich bis halb Zehn unterhalten und sehen können, ob die
Patience aufging.«


15.

Abschied in Prosa.

Es mochte ungefähr neun Uhr an demselben Abende sein, als Tio Lucas und
die Seña Frasquita, nachdem sie alle Mühlen- und Hausgeschäfte besorgt
hatten, ihr Abendbrot verzehrten, das aus einer Schüssel Endiviensalat,
einem mit Tomaten gedämpften Stück Fleisch und einigen von den in dem
bewußten Korbe zurückgebliebenen Weintrauben bestand und mit ein wenig
Wein und vielem Gelächter auf Kosten des Corregidors begossen wurde;
darauf sahen sich die beiden Ehegatten, wie zufrieden mit Gott und sich
selbst, an und sagten unter wiederholtem Gähnen, das die ganze Ruhe und
den Frieden ihrer Herzen enthüllte:

»Na, dann wollen wir nur zu Bett gehen, morgen ist ein anderer Tag.«

In dem Augenblick hörten sie zwei starke Schläge gegen die große
Mühlenthür.

Der Mann und die Frau sahen sich erschrocken an.

Zum erstenmal hörten sie zu solcher Stunde an die Thür klopfen.

»Ich will nachsehen,« sagte die unerschrockene Navarresin und wendete
sich nach der Thür.

»Geh weg! Das ist meine Sache!« rief Tio Lucas mit einer solchen Würde
aus, daß Seña Frasquita ihm den Weg freiließ. »Ich habe dir doch gesagt,
daß du nicht hinausgehen sollst,« fügte er mit einiger Härte hinzu, als
er sah, daß die Navarresin Miene machte, ihm zu folgen. Diese gehorchte
und blieb im Hause.

»Wer ist da?« fragte Tio Lucas von der Mitte der Hausflur aus.

»Die Obrigkeit,« antwortete eine Stimme von der andern Seite des
Portals.

»Was für eine Obrigkeit?«

»Die des Ortes. Öffnet im Namen des Herrn Bürgermeisters.«

Inzwischen hatte sich Tio Lucas einem kleinen, versteckten Guckloch in
der Thür genähert und erkannte beim klaren Schein des Mondes den
ländlichen Alguacil des benachbarten Ortes.

»Du willst sagen, daß ich dem Trunkenbold Alguacil öffnen soll,«
antwortete der Müller, den Riegel zurückschiebend.

»Das ist dasselbe,« antwortete der draußen Stehende; »da ich aber einen
geschriebenen Befehl von Seiner Wohlgeboren bringe... Ich wünsche Euch
einen guten Abend, Tio Lucas,« fügte er mit einer etwas weniger
offiziellen Stimme hinzu und trat ein.

»Gott behüte dich, Toñuelo,« antwortete der Murcianer. »Laß einmal
sehen, was für ein Befehl das ist. Señor Juan Lopez hätte auch eine
andere passendere Stunde wählen können, um sich an Biedermänner zu
wenden. Natürlich wird es deine Schuld sein. Ich sehe schon, du hast
dich in den Obstgärten am Wege berauscht. Willst du noch einen Schluck?«

»Nein, Herr, es ist keine Zeit dazu. Sie müssen mir sofort folgen. Lesen
Sie den Befehl.«

»Wie, dir folgen?« rief Tio Lucas und trat, nachdem er das Papier an
sich genommen, in die Mühle zurück.

»Du, Frasquita, leuchte mir.«

Seña Frasquita warf etwas, was sie in der Hand hielt, fort und brachte
die Lampe.

Tio Lucas warf einen schnellen Blick auf den von seiner Frau
losgelassenen Gegenstand und erkannte seine alte Donnerbüchse, die mit
halbpfündigen Kugeln geladen wurde.

Da blickte der Müller die Navarresin voll Dankbarkeit und Zärtlichkeit
an und, sie beim Kinn nehmend, sagte er:

»Du bist Gold wert.«

Bleich und heiter wie eine Marmorstatue hob Seña Frasquita die Lampe in
die Höhe, ohne daß die Finger, welche sie hielten, auch nur vom
leisesten Zittern bewegt wurden, und antwortete trocken:

»Laß nur, lies!«

Der Befehl lautete folgendermaßen:

»Um Sr. Majestät, unserm König und Herrn (_Q. D. G._[6]) besser zu
dienen, benachrichtige ich Lucas Fernandez, Müller und hiesigen Bürger,
daß er sofort nach Empfang dieses Schreibens vor mir erscheine, ohne
irgend welchen Vorwand oder Entschuldigung, indem ich ihn zugleich
warne, es irgend jemanden mitzuteilen, da es eine vollständig
reservierte Angelegenheit ist, widrigenfalls er, im Falle des
Ungehorsams, den betreffenden Strafen verfallen wird.« Der Alkalde
(Bürgermeister) Juan Lopez.

Und statt des Federzuges war ein Kreuz.

»Höre, du, was heißt dies?« fragte Tio Lucas den Alguacil. »Wozu ist
dieser Befehl?«

»Das weiß ich nicht,« antwortete der Bauer, ein Mann von einigen dreißig
Jahren, dessen spitzes, boshaftes Gesicht, das Gesicht eines Räubers und
Mörders, gerade kein Vertrauen zu seiner Glaubwürdigkeit einflößte. »Ich
glaube, es handelt sich um Hexerei oder Falschmünzerei; Euch betrifft
die Sache nicht. Ihr sollt nur als Zeuge oder Sachverständiger vernommen
werden. Na, ich weiß nicht recht, ich hab's nicht recht verstanden. Der
Señor Juan Lopez wird es Euch schon erklären, mit allem, was drum und
dran hängt.«

»Gewiß!« rief der Müller aus. »Sag ihm, ich werde morgen kommen.«

»O nein, Herr, Ihr müßt auf der Stelle kommen, ohne auch nur eine Minute
zu verlieren. So lautet der Befehl, den mir der Herr Alkalde gegeben
hat.«

Einen Augenblick lang herrschte Stille.

Die Augen der Seña Frasquita sprühten Flammen. Tio Lucas erhob die
seinigen nicht vom Fußboden, wie wenn er dort etwas suchte.

»Du wirst nur doch wenigstens die nötige Zeit gestatten,« sprach er
endlich, den Kopf erhebend, »um nach dem Stall zu gehen und einen Esel
zu satteln.«

»Was Esel, was Teufel!« entgegnete der Alguacil. »Eine halbe Meile kann
doch wohl jeder zu Fuß gehen. Außerdem ist die Nacht sehr schön und der
Mond scheint. Ich habe schon gesehen, daß er aufgegangen ist.«

»Aber meine Füße sind sehr geschwollen.«

»Nun, dann wollen wir aber keine Zeit verlieren. Ich werde das Tier
satteln helfen.«

»Holla, Holla! Fürchtest du, daß ich davonlaufe?«

»Ich fürchte nichts, Tio Lucas,« antwortete Toñuelo mit der Kälte eines
seelenlosen Geschöpfes. »Ich bin die Obrigkeit.«

Und indem er so sprach, legte er die Waffen nieder und ließ die unter
seinem Mantel verborgene Büchse sehen.

»Hör 'mal, Toñuelo,« sagte die Müllerin, »da du doch in den Stall gehst,
um dein Amt auszuüben, so sei so gut und sattle auch den anderen Esel.«

»Wozu?« fragte der Müller.

»Für mich, ich gehe mit euch.«

»Das kann nicht sein, Seña Frasquita,« entgegnete der Alguacil. »Ich
habe Ordre, Euren Mann mitzubringen, aber nichts weiter, und zu
verhindern, daß Ihr ihm folgt. Dabei gilt es ja meine Stelle und meinen
Kopf. So teilte mir der Señor Juan Lopez mit. Also vorwärts, Tio Lucas.«
Und er wendete sich der Thür zu.

»Das ist sehr sonderbar,« stotterte der Müller, ohne sich zu regen.

»Sehr sonderbar,« antwortete die Seña Frasquita.

»Da steckt etwas dahinter... nur weiß ich nicht...« fuhr Tio Lucas
fort, doch so, daß er von Toñuelo nicht gehört werden konnte.

»Soll ich nach der Stadt gehen,« fragte die Navarresin, »und dem Herrn
Corregidor Nachricht geben von dem, was hier geschieht?«

»Nein,« antwortete Tio Lucas mit lauter Stimme, »das nicht.«

»Was soll ich denn aber thun?« fragte die Müllerin ungestüm.

»Sieh mich an,« antwortete der frühere Soldat.

Schweigend sahen sich die beiden Gatten an und waren von der Ruhe der
Entschlossenheit und Energie, welche sich ihre Seelen gegenseitig
mitteilten, so befriedigt, daß sie die Achseln zuckten und lachten.

Darnach zündete Tio Lucas eine andere Lampe an und wendete sich nach dem
Stalle, indem er unterwegs spöttisch zu Toñuelo sagte:

»Nun, Mann, komm und hilf mir, da du doch so liebenswürdig sein willst.«

Toñuelo folgte ihm, indem er leise ein Liedchen trällerte.

Wenige Minuten später verließ Tio Lucas die Mühle auf einer schönen
Eselin, vom Alguacil gefolgt.

»Schließ gut zu,« sagte Tio Lucas.

»Wickele dich gut ein, es ist frisch,« sagte Seña Frasquita, schloß mit
dem Schlüssel zu und schob den Riegel und die eiserne Stange vor. Und da
war kein Lebewohl weiter, kein Kuß, keine Umarmung, kein Blick. Wozu
auch?


16.

Ein Unglücksvogel.

Wir wollen dem Tio Lucas folgen.

Ohne ein Wort zu sprechen, waren sie schon eine Viertelmeile gegangen,
der Müller auf seinem Esel, den der Alguacil mit seinem Stock der
Autorität antrieb, als sie plötzlich auf einer Erhöhung des Weges den
Schatten eines ungeheueren, häßlichen Vogels wahrnahmen, der auf sie
zukam.

Scharf hob sich jener Schatten von dem vom Monde beleuchteten Himmel ab
und war so klar zu erkennen, daß der Müller sofort ausrief:

»Toñuelo, das ist Garduña mit seinem Dreispitz und seinen Drahtbeinen.«

Aber bevor noch der Angeredete antworten konnte, hatte der Schatten, der
jedes Zusammentreffen zu vermeiden schien, den Weg schon verlassen und
war mit der Geschwindigkeit eines wirklichen Marders quer über das Feld
gelaufen.

»Ich sehe niemand,« antwortete Toñuelo mit der größten Natürlichkeit.

»Ich auch nicht,« erwiderte Tio Lucas, seinen Ärger hinunterschluckend.

Und der Argwohn, der bereits im Müller aufgestiegen war, fing an, in dem
eifersüchtigen Geiste des Buckligen Gestalt und Form anzunehmen.

»Diese Reise,« sagte er sich innerlich, »ist eine Kriegslist des
Corregidors. Die heute oben von der Laube gehörte Erklärung beweist mir,
daß der erbärmliche alte, Madrileñer nicht länger warten kann. Ohne
Zweifel will er heute Abend seinen Besuch in der Mühle wiederholen, und
darum hat er damit angefangen, mich aus der Mühle zu entfernen... Aber,
was thut das? Frasquita ist Frasquita... und wird die Thür nicht
aufmachen, und wenn sie Feuer an das Haus legten. Ich gehe noch weiter.
Selbst wenn sie öffnete, selbst wenn es dem Corregidor gelänge, durch
irgend welche Hinterlist meine Navarresin zu überraschen, so würde der
arme Mann nicht mit heilem Kopfe wieder hinauskommen. Frasquita ist
Frasquita. Und doch,« fügte er nach einer Weile hinzu, »besser wäre es
doch, heute so bald wie möglich nach Hause zurückzukehren.«

Darüber waren der Tio Lucas und der Alguacil im Dorfe angekommen und
wendeten sich dem Hause des Alkalden zu.


17.

Ein Dorfschulze.

Der Herr Juan Lopez, der sowohl als Privatmann wie auch als Schulze die
personifizierte Grausamkeit und der eitle Stolz war, wenn es sich
nämlich um seine Untergebenen handelte, geruhte jedoch zu jener Stunde,
nachdem er die öffentlichen Angelegenheiten und sein eigenes Anwesen
besorgt und seiner Frau die gewohnte, tägliche Tracht Prügel verabreicht
hatte, in Gesellschaft des Schreibers und des Küsters einen Krug Wein zu
trinken, eine Operation, die bereits über die Hälfte jenes Abends in
Anspruch genommen hatte, als der Müller vor ihm erschien.

»Holla, Tio Lucas,« sagte er zu ihm, und kratzte sich den Kopf, um die
Ader der Täuschungen anzuregen. »Wie geht's mit Eurer Gesundheit?
Sekretär, schenkt dem Tio Lucas ein Glas Wein ein. Und die Seña
Frasquita? Ist sie noch immer so reizend? Ich habe sie schon seit so
langer Zeit nicht gesehen. Aber, Gevatter, ist Euer Mehl jetzt gut!...
Das Roggenbrot sieht aus wie vom feinsten Weizen. Also... na... Setzt
Euch und ruht aus; denn, Gott sei Dank, wir haben keine Eile.«

»Was mich betrifft, verflucht, wenn ich sie hätte,« antwortete Tio
Lucas, der bis dahin noch nicht den Mund aufgemacht hatte, dessen
Argwohn aber immer größer wurde, als er den ihm zu Teil gewordenen
freundschaftlichen Empfang nach einer so drohenden und dringenden Ordre
sah.

»Nun also, Tio Lucas,« fuhr der Alkalde fort, »wenn Ihr auch keine große
Eile habt, dann könnt Ihr ja heute Nacht hier schlafen, und morgen früh
machen wir dann unser Geschäft ab.«

»Das scheint mir sehr gut,« antwortete Tio Lucas mit einer Ironie und
einer Verstellung, die der Diplomatie des Herrn Juan Lopez um nichts
nachgaben. »Da die Sache nicht eilt, so werde ich die Nacht außerhalb
des Hauses zubringen.«

»Weder eilt sie, noch ist irgend welche Gefahr für Euch dabei,« fügte
der Alkalde hinzu, getäuscht von dem, den er zu täuschen glaubte. »Seid
ganz ruhig. Höre du, Toñuelo, nimm die halbe Fanega herunter, damit sich
der Tio Lucas setzen kann.«

»Nun denn... gebt mir noch einen Schluck,« rief der Müller aus, indem er
sich setzte.

»Kommt her!« antwortete der Alkalde und reichte ihm das volle Glas.

»Es ist in guter Hand. Trinkt nur zuerst.«

»Nun denn, auf Eure Gesundheit,« sagte der Herr Juan Lopez und trank die
Hälfte des Weines aus.

»Auf die Eure, Señor Alkalde!« entgegnete Tio Lucas und trank die andere
Hälfte.

»Du, Manuela!« rief darauf der Dorfschulze, »sage deiner Herrin, daß der
Tio Lucas hier schlafen wird. Sie soll ihm ein Kopfkissen auf den
Kornboden legen.«

»Ach was!... Doch nicht so viele Umstände! Ich schlafe im Strohstall wie
ein König.«

»Na hört einmal, wir haben noch Kissen.«

»Das glaube ich schon. Aber warum wollt Ihr denn die Familie erst noch
belästigen. Ich habe meinen Mantel.«

»Nun, wie es Euch beliebt. Manuela, sag deiner Herrin, daß sie es nicht
hinlege.«

»Nur müßt Ihr mir erlauben,« fuhr Tio Lucas fort, indem er auf
fürchterliche Weise gähnte, »daß ich mich gleich nachher niederlege.
Gestern Abend habe ich sehr viel zu mahlen gehabt, und ich habe noch
kein Auge seitdem geschlossen.«

»Zugestanden!« antwortete majestätisch der Alkalde. »Ihr könnt Euch
niederlegen, wann Ihr wollt.«

»Ich glaube, daß es auch für uns Zeit ist, uns niederzulegen,« sagte der
Küster und zog den Weinkrug an sich, um den Rest zu trinken. »Es muß
wohl schon zehn Uhr sein, oder wenig wird daran fehlen.«

»Dreiviertel auf Zehn,« bemerkte der Schreiber, nachdem er den Rest des
noch für jene Nacht bestimmten Weins in die Gläser verteilt hatte.

»Nun zu Bett, meine Herren!« rief der Amphitrion aus, indem er seinen
Teil trank.

»Auf morgen, meine Herren,« fügte der Müller hinzu und trank den seinen.

»Wartet doch, daß man Euch voranleuchte; Toñuelo, führe Tio Lucas nach
dem Strohstall.«

»Hierher, Tio Lucas,« sagte Toñuelo und nahm den Krug mit für den Fall,
daß noch einige Tropfen darin geblieben wären.

»Auf morgen, so Gott will,« fügte der Küster hinzu, nachdem er noch alle
Gläser untersucht.

Und taumelnd entfernte er sich und sang vergnügt das _De
profundis_...............

»So,« sagte der Alkalde zum Schreiber, als sie allein geblieben waren,
»der Tio Lucas hat nichts gemerkt. Wir können uns also ruhig hinlegen,
und wohl bekomm's dem Herrn Corregidor!«


18.

Wie Tio Lucas nicht ans Schlafen dachte.

Fünf Minuten nachher ließ sich ein Mann von dem Strohstallfenster des
Alkalden herab; das Fenster ging auf den Hof und war kaum vier Ellen vom
Erdboden entfernt.

Im Hofe stand ein Dach über einer großen Krippe, an der sechs oder acht
Reittiere verschiedener Rasse, aber alle dem schwachen Geschlecht
angehörig, angebunden waren; die Pferde, Maultiere und Esel vom starken
Geschlecht hatten ihren eigenen Schuppen in einem benachbarten Lokal.

Der Mann band eine noch ganz gesattelte Eselin los und ging, diese am
Zügel nach sich ziehend, nach der Thür des Hofes, schob die
Vorlegestange zurück, schloß das sie haltende Schloß auf, öffnete
vorsichtig die Thür und war mitten auf dem Felde.

Dort angekommen, bestieg er die Eselin, drückte ihr die Fersen in die
Flanken, und wie ein Pfeil flog er in der Richtung der Stadt dahin, aber
nicht auf der offenen Fahrstraße, sondern über Saaten und Gräben, wie
wenn er sich vor einem unangenehmen Zusammentreffen hüten wollte. Es war
der Tio Lucas, der sich nach seiner Mühle begab.


19.

Stimmen in der Wüste.

»Mir sollt ihr nur mit Alkalden kommen,« sagte der Murcianer, »ich bin
aus Archena. Morgen früh gehe ich zum Herrn Bischof, um allem
zuvorzukommen, und werde ihm alles erzählen, was heute Nacht hier
vorgekommen ist. Mich mit solcher Eile und so geheimnisvoll rufen zu
lassen, und zu einer so Angehörigen Stunde, mir zu sagen, daß ich allein
gehen soll, mir vom Dienst des Königs und von Falschmünzerei, von Hexen
und Kobolden zu sprechen, um nachher zwei Gläser Wein zu trinken und
mich zu Bett zu legen. Es kann gar nicht klarer sein! Garduña hat diese
Instruktionen von seiten des Corregidors nach dem Dorfe bringen müssen,
und zu dieser Stunde hat der Corregidor schon den Feldzug gegen meine
Frau eröffnet. Wer weiß, vielleicht treffe ich ihn, wie er an die Thür
der Mühle klopft! Wer weiß, vielleicht treffe ich ihn schon darin...
Wer weiß... Aber, was sage ich denn da! Ich an meiner Navarresin
zweifeln? O, das hieße sich an Gott versündigen. Unmöglich, daß sie...
Unmöglich könnte meine Frasquita... Unmöglich! -- Aber was rede ich denn
so dumm. Ist denn irgend etwas unmöglich auf der Welt? Hat sie sich doch
mit mir verheiratet, obgleich sie so schön ist, und ich so häßlich bin!«

Und als er diese letzte Bemerkung machte, fing der arme Bucklige an,
bitterlich zu weinen...

Um sich wieder ein wenig aufzuheitern, hielt er sein Tier an, trocknete
seine Thränen, seufzte tief auf, zog seine Gerätschaften zum Rauchen
hervor und machte sich eine Cigarette von schwarzem Tabak zurecht. Dann
nahm er Feuerstein, Zunder und Stahl, und nach einigen Schlägen gelang
es ihm, Feuer zu erhalten.

In diesem Augenblicke hörte er das Geräusch von Schritten in der Gegend
der Landstraße, die ungefähr einige dreihundert Ellen davon entfernt
war.

»Wie unvorsichtig bin ich doch!« sagte er. »Wenn man mich suchte, so
würden mich diese Funken verraten haben.«

Schnell verbarg er das Feuerzeug, stieg ab und versteckte sich hinter
der Eselin. Aber die Eselin verstand die Sache nach ihrer Art und Weise
und stieß ein lautes Geschrei der Befriedigung aus.

»Verfluchtes Tier!« rief Tio Lucas aus und versuchte ihr das Maul mit
beiden Händen zuzuhalten.

Da ertönte als galante Antwort gleiches Geschrei von der Landstraße her.

»Na, jetzt wird's gut,« fuhr der Müller in Gedanken fort. »Das
Sprichwort hat ganz recht, wenn es sagt: _El mayor mal de los males es
tratar con animales_.« (Das größte der Übel ist, wenn man mit Tieren zu
thun hat.[7])

Und so sprechend bestieg er von neuem seinen Esel, trieb ihn an und
ritt, wie aus der Pistole geschossen, in der Richtung fort, welche dem
Orte, an dem das zweite Eselgeschrei laut geworden war, gerade
entgegengesetzt war.

Das merkwürdigste aber war, daß die Person auf dem antwortenden Tiere
sich ebenso sehr vor Tio Lucas zu fürchten schien, wie Tio Lucas vor
ihr, denn auch sie bog vom Wege ab und ritt in vollem Galopp durch die
Saatfelder auf der anderen Seite desselben.

Der Murcianer bemerkte es, und schon darüber beruhigt, grübelte er
folgendermaßen weiter:

»Was für eine Nacht! Was für eine Welt! Was für ein Leben führe ich seit
einer Stunde! Alguacils werden zu Kupplern gemacht, Alkalden verschwören
sich gegen meine Ehre, Esel schreien, wenn es nicht nötig ist, und hier
in meiner Brust trage ich ein elendes Herz, das gewagt hat, an der
edelsten Frau, die Gott geschaffen, zu zweifeln. Gott im Himmel, Gott im
Himmel! gieb nur, daß ich bald nach Hause komme und dort meine Frasquita
antreffe!«

So ritt Tio Lucas fort durch Felder und Büsche, bis er endlich etwa
gegen elf Uhr nachts ohne besondere Zufälligkeiten an der großen Thür
der Mühle anlangte. Verdammt! die Thür der Mühle stand offen.


20.

Zweifel und Wirklichkeit.

Sie stand offen, und er hatte beim Fortgehen seine Frau dieselbe mit
Schlüssel, Vorlegstange und Schloß schließen hören!

Folglich hatte auch nur seine Frau dieselbe öffnen können!

Aber wie? wann? warum? Infolge einer Täuschung? infolge einer Ordre?
Oder wohlüberlegt und freiwillig, kraft einer vorhergegangenen
Übereinstimmung mit dem Corregidor?

Was würde er sehen? Was würde er erfahren? Was erwartete ihn im Innern
seines Hauses? War er mit der Seña Frasquita geflohen? Hatten sie ihm
dieselbe geraubt? Wäre sie am Ende gar tot? Oder würde er sie in den
Armen seines Rivalen finden?

»Der Corregidor hat darauf gerechnet, daß ich heute die ganze Nacht
hindurch nicht nach Hause kommen würde,« sagte Tio Lucas düster. »Der
Alkalde des Ortes wird wohl Befehl erhalten haben, mich eher in Fesseln
zu schlagen, als mir die Rückkehr zu gestatten. Wußte Frasquita all das?
War sie an dem Komplott beteiligt? Oder war sie das Opfer eines
Betruges, einer Vergewaltigung, einer Nichtswürdigkeit?«

Der Unglückliche brauchte nicht mehr Zeit, um alle diese grausamen
Bemerkungen zu machen, als die, welche nötig war, um den Platz unter der
Weinlaube zu durcheilen.

Auch die Hausthür stand offen, und der erste Wohnraum, wie in allen
ländlichen Gebäuden, war die Küche. In der Küche war niemand. Und doch
brannte ein riesiges Feuer im Kamin... im Kamin, der vollständig
erloschen war, als er hinausging und der nie vor Ende Dezember geheizt
wurde.

Schließlich hing noch an einem der Haken der Küchenbretter eine
brennende Lampe.

Was bedeutet all dies? Und wie stimmten die scheinbaren Anstalten der
Wachsamkeit und Geselligkeit zu dem Todesschweigen, das im Hause
herrschte?

Was war aus seiner Frau geworden?

Da, und erst in dem Augenblick wurde Tio Lucas einige Kleidungsstücke
gewahr, die auf den Lehnen einiger um den Kamin gestellten Stühle
ausgebreitet lagen.

Er untersuchte die Kleider näher und stieß ein so fürchterliches Gebrüll
aus, daß es ihm, in einen unhörbaren, erstickten Seufzer verwandelt, in
der Kehle stecken blieb.

Der Unglückliche glaubte zu ersticken und fuhr sich mit den Händen nach
dem Halse, während er bleich, mit verzerrten Zügen, mit
hervorgequollenen Augen und mit einem Entsetzen jene Kleider
betrachtete, wie es der zum Tode verurteilte Verbrecher beim Anblicke
des Armensünderhemdes empfinden muß.

Denn was er dort sah, war der rote Mantel, der Dreispitz, der
turteltaubenfarbige Rock und die Weste, das schwarzseidene Beinkleid,
die weißen Strümpfe, die schwarzen Schnallenschuhe, und sogar der Stock,
der Degen und die Handschuhe des verabscheuungswürdigen Corregidors.
Das, was er dort sah, war das Armensünderhemd seiner Schande, das
Leichentuch seiner Ehre, das Schweißtuch seines Glückes. Die
schreckliche Donnerbüchse lehnte in demselben Winkel, in welchem sie die
Navarresin vor Stunden gelassen hatte.

Mit dem Sprunge eines Tigers stürzte Tio Lucas auf sie zu und
bemächtigte sich derselben. Er untersuchte das Rohr mit dem Ladestock
und fand, daß sie geladen war. Dann sah er nach dem Stein, und siehe da!
er war an seinem Platze.

Darauf wendete er sich nach der Treppe, die zu dem Zimmer führte, wo er
so viele Jahre mit der Seña Frasquita geschlafen, und murmelte dumpf:

»Da sind sie.«

Er that einen Schritt nach jener Richtung, dann hielt er inne und
blickte um sich, ob ihn auch jemand beobachte.

»Niemand!« sagte er innerlich. »Nur Gott... und der hat dies gewollt!«

Nachdem er so das Urteil bestätigt, that er einen anderen Schritt. Da
bemerkte sein irrender Blick ein gefaltetes Blatt auf dem Tische.

Es sehen, darauf zustürzen, es zwischen seinen Fingern halten, war das
Werk eines Augenblicks!

Jenes Papier enthielt die Ernennung des Neffen der Seña Frasquita, von
Don Eugenio de Zuñiga y Ponce de Leon unterzeichnet.

»Das war also der Preis ihres Verkaufs!« dachte Tio Lucas, und steckte
das Papier in den Mund, um sein Schluchzen zu ersticken und seiner Wut
Nahrung zu geben. »Immer habe ich geargwöhnt, daß sie ihre Familie
lieber hätte als mich... Ach, warum haben wir keine Kinder gehabt!...
Das ist an allem schuld!«

Und der Unglückliche war wieder nahe daran, zu weinen. Aber bald wurde
er wieder wütend und mit einer schrecklichen Gebärde, wenn auch nicht
mit der Stimme, schien er zu sagen:

»Hinauf, hinauf!«

Und so fing er an, die Treppe hinaufzukriechen; mit der einen Hand
suchte er den Weg, mit der andern hielt er die Büchse, und zwischen den
Zähnen hielt er das nichtswürdige Papier.

Zur Bekräftigung seines logischen Argwohns drangen, als er sich der
geschlossenen Thür des Schlafzimmers näherte, durch einige Ritzen in
deren Brettern und durch das Schlüsselloch etliche Lichtstrahlen.

»Da sind sie!« sagte er von neuem.

Und er hielt einen Augenblick inne, um den neuen Trank der Bitterkeit
hinunterzuschlucken.

Dann stieg er weiter hinauf, bis er vor der Thür des Schlafzimmers
selbst stand.

Hinter derselben hörte er nicht das geringste Geräusch.

»Wenn niemand dort wäre!« sagte schüchtern die Hoffnung.

Aber in demselben Augenblick hörte der Unglückliche im Zimmer husten.

Es war der halb asthmatische Husten des Corregidors.

Es war kein Zweifel mehr! In diesem Schiffbruche fand er keine rettende
Planke.

In der Finsternis lächelte der Müller auf eine schreckliche Weise.

Warum leuchten solche Blitze nicht in der Dunkelheit? Was ist alles
Feuer der höllischen Qualen gegen die heiße Lohe, die zuweilen im Herzen
des Menschen brennt?

Und doch, sobald Tio Lucas den Husten seines Feindes hörte, fing er an
sich zu beruhigen, denn so war seine Seele, wie wir schon an anderer
Stelle bemerkten.

Die Wirklichkeit war ihm weniger gefährlich, als der Zweifel. Genau so,
wie er es an jenem Nachmittage der Seña Frasquita gesagt hatte, von dem
Augenblick an, wo er den einzigen Glauben, der sein Leben und seine
Seele war, verlor, fing er an ein neuer Mensch zu werden.

Gleich dem Mohren von Venedig (mit dem wir ihn schon bei der
Beschreibung seines Charakters verglichen haben) tötete die Enttäuschung
in ihm mit einem Schlage alle Liebe, verwandelte sofort das ganze Wesen
seines Geistes und ließ ihn die Welt wie eine ganze neue Region sehen,
zu der er eben erst gekommen war. Der einzige Unterschied bestand darin,
daß der Tio Lucas aus Idiosynkrasie weniger tragisch, weniger streng und
weniger selbstsüchtig war, als der unvernünftige Opferer Desdemona's.

Sonderbar! aber doch wieder ganz richtig in solcher Lage! Zweifel oder
auch Hoffnung, was in dem Falle wohl dasselbe ist, quälte ihn noch einen
Augenblick...

»Wenn ich mich geirrt hätte,« dachte er, »wenn Frasquita gehustet
hätte...«

In seinem überwältigenden Unglück vergaß er ganz, daß er die Kleider des
Corregidors vor dem Kamin gesehen hatte, daß er die Thür der Mühle offen
gefunden, daß er die Bescheinigung seiner Schande gelesen...

Er bückte sich und blickte durch das Schlüsselloch, vor Ungewißheit und
Bangen zitternd.

Der Gesichtskreis umfaßte nur ein kleines Dreieck am Kopfende des
Bettes; aber gerade in jenem kleinen Dreieck sah er das äußerste Ende
der Kopfkissen und auf den Kopfkissen den Kopf des Corregidors.

Ein erneutes diabolisches Lächeln verzerrte das Gesicht des Müllers.

Fast konnte man meinen, er fühle sich wieder glücklich.

»Jetzt bin ich im Besitz der Wahrheit,« murmelte er und richtete sich
ruhig auf. Dann stieg er ebenso leise und tastend, wie er die Treppe
hinaufgestiegen war, dieselbe hinunter.

»Die Angelegenheit ist sehr delikat... Ich muß noch überlegen. Ich habe
noch zu allem Zeit,« überlegte er, während er hinunterschlich.

Als er wieder in der Küche angekommen war, setzte er sich inmitten
derselben nieder und verbarg das Gesicht in den Händen. So blieb er
lange Zeit sitzen, bis ein leichter Schlag, den er auf einem Fuße
fühlte, ihn aus seinem Nachdenken aufschreckte.

Es war die Donnerbüchse, die an seinen Knien heruntergeglitten war und
ihm dieses Zeichen machte.

»Nein, ich sage dir, nein,« murmelte Tio Lucas und blickte auf die
Waffe. »Du bist nicht das, was ich gebrauche. Alle Welt würde Mitleid
mit ihnen haben, und mich würden sie aufhängen. Es handelt sich ja um
einen Corregidor, und einen Corregidor zu töten ist in Spanien noch eine
unverzeihliche Sache; sie würden sagen, ich hätte ihn aus unbegründeter
Eifersucht getötet und dann ausgezogen und ins Bett gelegt. Sie würden
weiter sagen, daß ich meine Frau auf den einfachen Verdacht hin getötet
hätte. Und mich würden sie aufhängen. Und =ob= sie mich nicht
aufhängen würden. Übrigens hätte ich wenig Beweise von Herz und Verstand
gegeben, wenn ich an meinem Lebensende bemitleidet werden müßte. Alle
würden über mich lachen! Sie würden sagen, daß mein Unglück ganz
natürlich wäre, weil ich buckelig und Frasquita so schön war. -- Nichts,
nein, Rache brauche ich, und nachdem ich mich gerächt habe, will ich
triumphieren, verachten, lachen, viel lachen, über alle lachen, und so
vermeide ich, daß man über diesen Buckel spotten kann, den man jetzt
fast beneidet und der am Galgen so grotesk sein würde.«

So sprach und überlegte Tio Lucas, ohne sich vielleicht genau
Rechenschaft darüber abzulegen, und kraft dieser Rede stellte er die
Büchse an ihren Ort und fing an, mit auf dem Rücken verschränkten Armen
und gesenktem Haupte auf und ab zu gehen, wie wenn er seine Rache auf
dem Fußboden, in der Erde, unter den Trümmern seines Lebensglückes in
einer lächerlichen, vulgären Kriegslust suchte, die seine Frau und den
Corregidor dem Gelächter preisgeben sollte. Er suchte die Rache nicht in
der Gerechtigkeit, in der Verzeihung, im Himmel, wie ein anderer Mann es
an seiner Stelle gethan hätte, dessen Temperament sich weniger als das
seine gegen alle Forderungen der Natur, der Gesellschaft und seiner
eigenen Gefühle aufgelehnt hätte.

Plötzlich blieben seine Augen auf den Kleidern des Corregidors haften.
Da richtete er sich auf...

Nach und nach wurde sein Gesicht von einer unerklärlichen Heiterkeit,
Freude und Triumph verklärt, bis er selbst auf eine entsetzliche Art
anfing zu lachen, das heißt, es waren tolle Ausbrüche, ohne daß man auch
nur den geringsten Laut hörte, damit die oben nicht auf ihn aufmerksam
wurden; er drückte die Fäuste auf die Kinnladen, um nicht vor Lachen zu
bersten, schüttelte sich wie ein von Krämpfen Befallener und ließ sich
endlich in einen Stuhl fallen, bis der Anfall sarkastischer Freude
vorüber war; es war wirklich ein mephistophelisches Gelächter.

Sobald er sich beruhigt hatte, fing er an, sich mit fieberhafter Hast
umzukleiden; seine Kleider legte er genau auf dieselben Stühle, auf
denen die des Corregidors gelegen hatten, zog alle Kleinodien an, die
jenem gehörten, bis zu den Schnallenschuhen und dem Dreispitz, umgürtete
sich mit dessen Degen, hüllte sich in den roten Mantel, ergriff den
Stock und die Handschuhe, verließ die Mühle und ging auf die Stadt zu,
indem er sich genau in derselben Weise wiegte, wie Don Eugenio de Zuñiga
zu thun pflegte, und von Zeit zu Zeit wiederholte er eine Phrase, die er
in Gedanken weiter auslegte.

»Auch die Corregidora ist reizend.«


21.

Achtung, Herr!

Lassen wir jetzt den Tio Lucas und beschäftigen wir uns mit dem, was in
der Mühle vorgefallen ist, seit dem Augenblicke, in dem wir die Seña
Frasquita allein ließen bis zur Rückkehr ihres Mannes, der so wunderbare
Dinge wahrnehmen sollte.

Ungefähr eine Stunde, nachdem der Tio Lucas mit Toñuelo die Mühle
verlassen hatte, hörte die Seña Frasquita, welche sich vorgenommen
hatte, sich bis zur Rückkehr ihres Mannes nicht niederzulegen, und in
dem im obern Stockwerk gelegenen Schlafzimmer ruhig strickend saß,
außerhalb des Hauses, ganz in der Nähe des Mühlgerinnes, ein
jämmerliches Geschrei.

»Zu Hilfe. Ich ersticke! Frasquita! Frasquita!« rief eine Männerstimme
in düsterm Tone der Verzweiflung.

»Sollte das Lucas sein?« dachte die Navarresin mit einem Entsetzen, das
wir nicht zu beschreiben brauchen.

Im Schlafzimmer selbst war eine Thür, von welcher uns Garduña schon
erzählt hat, und die wirklich auf den obern Teil des Mühlgerinnes ging.
Ohne zu zögern, öffnete Frasquita dieselbe, obgleich sie die Hilfe
heischende Stimme nicht erkannt hatte, und fand sich dem Corregidor
gegenüber, der in demselben Augenblicke triefend aus dem ungestüm
dahinströmenden Graben auftauchte.

»Gott verzeih es mir! Gott verzeihe mir!« stotterte der nichtswürdige
Alte. »Ich glaubte, ich würde untergehen.«

»Was? Sie sind es? Was bedeutet das? Wie können Sie es wagen? Was wollen
Sie hier zu dieser Stunde?« rief sie, mehr entrüstet als erschreckt,
aber doch unwillkürlich zurückweichend.

»Schweig! Schweig doch, Frau!« stotterte der Corregidor, indem er hinter
ihr in das Gemach glitt. »Du sollst alles wissen. Beinahe wäre ich
ertrunken. Schon trug mich das Wasser wie eine Feder fort. Sieh nur,
sieh, wie ich zugerichtet bin.«

»Hinaus! Hinaus von hier!« erwiderte Seña Frasquita mit der äußersten
Heftigkeit. »Sie brauchen mir nichts zu erklären. Nur zu gut verstehe
ich alles! Was geht es mich an, ob Sie ertrinken? Habe ich Sie gerufen?
Ah! Was für eine Nichtswürdigkeit! Darum also haben Sie meinen Mann
festnehmen lassen?«

»Höre, Frau!«

»Ich höre nichts! Verlassen Sie sofort das Haus, Herr Corregidor! Gehen
Sie sofort, oder ich stehe nicht für Ihr Leben!«

»Was sagst du?«

»Das, was Sie hören! Mein Mann ist nicht im Hause; doch ich genüge, um
ihm die Achtung zu verschaffen. Gehen Sie, woher Sie gekommen sind, wenn
Sie nicht wollen, daß ich Sie mit meinen eigenen Händen wieder in das
Wasser zurückwerfe.«

»Kleine, Kleine! schreie doch nicht so, ich bin ja nicht taub,« rief der
Libertin aus. »Wenn ich hier bin, so wird es auch wohl einen Zweck
haben. Ich will den Tio Lucas, den ein Dorfschulze irrtümlich eingezogen
hat, in Freiheit setzen. Aber vor allen Dingen muß ich erst meine
Kleider trocknen. Ich bin bis auf die Haut durchnäßt!«

»Ich sage Ihnen, daß Sie gehen sollen!«

»Schweig doch, Thörin! Was weißt du? Sieh, hier bringe ich dir die
Ernennung deines Neffen. Zünde Feuer an, und dann wollen wir weiter
sprechen. Übrigens, während meine Kleider trocknen, werde ich mich in
dies Bett legen...«

»Aha, schon! Also, nun erklären Sie schon, daß Sie um meinetwillen
gekommen sind? Also nun gestehen Sie schon, daß Sie darum meinen Lucas
gefangen nehmen ließen? Also haben Sie schon Ihre Ernennung und alles
gebracht? Heilige des Himmels! Was hat dieses Ungeheuer nur von mir
gedacht!«

»Frasquita! Ich bin der Corregidor!«

»Und wären Sie der König! Mir das? Ich bin die Frau meines Mannes und
die Herrin meines Hauses. Glauben Sie, daß ich mich vor den Corregidoren
fürchte? Ich weiß meinen Weg nach Madrid zu finden und bis ans Ende der
Welt, um gegen einen unverschämten Alten, der seine Autorität durch den
Schmutz schleift, Gerechtigkeit zu verlangen. Und ganz besonders weiß
ich mir morgen meine Mantille umzulegen und zur Frau Corregidora zu
gehen.«

»Du wirst nichts von alledem thun!« antwortete der Corregidor, der
anfing, die Geduld zu verlieren und seine Taktik änderte. »Du wirst
nichts von alledem thun, denn ich werde dir eine Kugel durch den Kopf
jagen, wenn ich sehe, daß du nicht vernünftig sein willst.«

»Eine Kugel!« rief die Seña Frasquita mit dumpfer Stimme aus.

»Eine Kugel, ja! Und daraus kann mir kein Nachteil erwachsen. Zufällig
habe ich in der Stadt zurückgelassen, daß ich heute Nacht auf die Jagd
nach Verbrechern ginge. Also, sei nicht thöricht... und liebe mich...
wie ich dich anbete.«

»Herr Corregidor, eine Kugel?« wiederholte die Navarresin und warf die
Arme zurück und den Körper vorwärts, wie wenn sie sich auf ihren Gegner
stürzen wollte.

»Wenn du es so treibst, werde ich sie wirklich abfeuern, um mich von
deinen Drohungen und deiner Schönheit befreit zu sehen,« antwortete der
Corregidor voller Furcht und zog ein Paar Taschenpistolen hervor.

»Also auch Pistolen? Und in der anderen Tasche die Ernennung meines
Neffen!« sagte die Seña Frasquita und nickte mit dem Kopfe. »Nun denn,
Herr, da ist die Wahl nicht schwer. Warten Ew. Gnaden einen Augenblick,
ich will nur das Feuer anzünden.«

Und so sprechend, wendete sie sich der Treppe zu und war in drei
Sprüngen unten.

Der Corregidor ergriff das Licht und folgte der Müllerin, weil er
fürchtete, daß sie ihm entschlüpfen könnte. Da er aber viel langsamer
ging, so traf er, als er in die Küche gelangte, schon auf die
Navarresin, die auf dem Wege war, zu ihm zurückzukehren.

»Also Sie sagten, Sie wollten mir eine Kugel durch den Kopf jagen?« rief
die unerschrockene Frau aus und trat einen Schritt zurück. »Nun denn,
Achtung, Herr, ich bin fertig.«

Sprach's und hielt ihm die schreckliche Donnerbüchse entgegen, welche in
dieser Geschichte eine so bedeutende Rolle spielt.

»Halt ein, Unglückliche! Was willst du thun?« schrie der Corregidor,
halb tot vor Schreck. »Das mit meiner Kugel war ja nur ein Scherz. Sieh,
die Pistolen sind nicht geladen... Aber wahr ist das mit der Ernennung
... Hier ist sie... Nimm sie... Ich schenke sie dir ... Sie ist dein,
umsonst, ganz umsonst...«

»Da liegt sie gut!« antwortete die Navarresin. »Morgen wird sie mir dazu
dienen, das Feuer zum Frühstück meines Mannes damit anzuzünden. Von Euch
will ich selbst nicht die ewige Seligkeit, und sollte mein Neffe einmal
von Estella kommen, so sollte er Euch nur diese häßliche Hand zertreten,
die seinen Namen auf dies ekle Papier geschrieben hat... So, ich habe es
gesagt! Verlassen Sie mein Haus! Luft! Luft! schnell... denn schon
steigt mir das Blut in den Kopf.«

Der Corregidor antwortete nicht auf diese Rede.

Er war blaß, fast blau geworden, die Augen waren verdreht, und ein
Fieberschauer schüttelte seinen Körper. Schließlich fing er an, mit den
Zähnen zu klappern, und von einem entsetzlichen Krampfe befallen stürzte
er zu Boden.

Der Schreck, als er in den Graben fiel, die durchnäßten Kleider, die
heftige Scene im Schlafzimmer und die Furcht vor der von der Navarresin
auf ihn gerichteten Büchse hatten die Kräfte des schwächlichen Alten
erschöpft.

»Ich sterbe,« stammelte er. »Rufe Garduña, rufe Garduña, der hier an der
Grabenhecke sein muß... Ich darf nicht in diesem Hause sterben.«

Er konnte nicht weiter. Er schloß die Augen und blieb wie tot.

»Und er wird sterben, wie er sagt,« brach die Seña Frasquita los. »Herr
im Himmel, das ist noch das Tollste von allem! Was fange ich jetzt mit
diesem Menschen in meinem Hause an? Was werden sie von mir sagen, wenn
er stirbt? Was wird Lucas sagen? Wie kann ich es rechtfertigen, daß ich
ihm selbst die Thür geöffnet habe... O nein, ich darf nicht hier bei ihm
bleiben. Ich muß meinen Mann aufsuchen, ich will lieber die Welt in
Allarm bringen, als meine Ehre aufs Spiel setzen.«

Als sie diesen Entschluß gefaßt hatte, warf sie die Büchse fort, ging
nach dem Hofe, löste den darin zurückgebliebenen Esel von der Halfter,
sattelte ihn, so gut es ging, öffnete die große Thür am Zaune, sprang
trotz ihrer. Korpulenz mit einem Satze auf das Tier und wendete sich
nach dem Grabenrande.

»Garduña, Garduña!« schrie die Navarresin, als sie sich der Stelle
näherte.

»Hier,« antwortete bald darauf der Alguacil, indem er hinter einem
Busch hervorkam. »Sind Sie es, Seña Frasquita?«

»Ja, ich bin's. Geh nach der Mühle und hilf deinem Herrn, der liegt im
Sterben.«

»Was sagen Sie? Das ist doch nur ein Scherz?«

»Es ist, wie du hörst, Garduña.«

»Und Sie, meiner Seelen, wohin gehen Sie denn zu dieser Stunde?«

»Ich? Weg da, Dummkopf! Ich gehe nach der Stadt zum Arzt,« antwortete
die Seña Frasquita, indem sie die Eselin mit dem Druck ihrer Ferse und
Garduña mit einem Fußtritt antrieb.

Sie schlug nicht den Weg nach der Stadt ein, wie sie eben gesagt hatte,
sondern den, welcher zum nächsten Dorfe führte.

Auf diesen letzteren Umstand achtete Garduña jedoch nicht, sondern lief
spornstreichs nach der Mühle, während er bei sich dachte:

»Sie geht nach dem Arzte! Die Ärmste kann nicht mehr thun! Aber er ist
ein unseliger Mensch! Das ist auch gerade eine schöne Gelegenheit, um
krank zu werden! -- Ja, ja, der liebe Gott giebt dem Zuckerwerk, der es
nicht mehr beißen kann.«


22.

Garduña vervielfältigt sich.

Als Garduña die Mühle betrat, fing der Corregidor gerade an, wieder zum
Bewußtsein zu kommen, und versuchte, sich vom Boden zu erheben.

Auf dem Fußboden und neben ihm stand die angezündete Kerze, welche Sr.
Gnaden aus dem Schlafzimmer mitgebracht hatte.

»Ist sie schon fort?« war Don Eugenios erste Frage.

»Wer?«

»Der Teufel! Ich wollte sagen die Müllerin.«

»Ja, gnädiger Herr... sie ist schon fort, und ich glaube, in nicht sehr
guter Laune!«

»Ach, Garduña, ich sterbe.«

»Aber was fehlt denn Ew. Gnaden? Ums Himmels willen!«

»Ich bin in den Mühlgraben gefallen und bin ganz durchweicht, die Kälte
geht mir durch Mark und Bein.«

»Na ja, und nun kommen Sie damit!«

»Garduña, nimm dich in acht, paß auf, was du sagst.«

»Ich sage nichts, Herr.«

»Nun, dann hilf mir aus dieser Verlegenheit.«

»Ich fliege; Ew. Gnaden sollen nur sehen, wie schön ich alles besorgen
werde.«

So sprach der Alguacil, und im Handumdrehen ergriff er mit der einen
Hand das Licht, mit der anderen nahm er den Corregidor unter den Arm,
trug ihn in das Schlafzimmer hinauf, entkleidete ihn, legte ihn ins
Bett, lief nach dem Holzschuppen, nahm einen Arm voll Holz, eilte nach
der Küche, zündete ein großes Feuer an, trug die Kleider seines Herrn
hinunter, breitete sie auf den Lehnen einiger Stühle aus, zündete eine
Lampe an, hing sie am Küchenbrett auf und kehrte dann nach dem
Schlafzimmer zurück.

»Nun, wie steht's mit uns?« fragte er dann und hob das Licht in die
Höhe, um Don Eugenio ins Gesicht zu leuchten.

»Vortrefflich! Ich fühle, daß ich schwitzen werde... Morgen hänge ich
dich auf, Garduña!«

»Warum, Herr?«

»Und du wagst noch darnach zu fragen? Denkst du denn, daß, als ich
deinen mir vorgezeichneten Plan ausführte, ich glaubte mich allein in
das Bett zu legen, nachdem ich das Sakrament der heiligen Taufe zum
zweitenmale empfangen? -- Morgen hänge ich dich auf!«

»Aber erzählen mir Ew. Gnaden doch... die Seña Frasquita...«

»Die Seña Frasquita hat mich morden wollen. Das ist alles, was ich mit
deinen Ratschlägen erreicht habe. -- Ich sage dir, morgen früh hänge ich
dich auf!«

»So arg wird es doch nicht sein, Herr Corregidor!« antwortete der
Alguacil.

»Warum sagst du das, unverschämter Kerl? Weil du mich hier
darniederliegen siehst?«

»Nein, Herr. Ich sage nur, daß die Seña Frasquita unmöglich so
unmenschlich an Ihnen handeln konnte, wie Ew. Gnaden erzählen, da sie
doch in die Stadt gegangen ist, um einen Arzt zu holen.«

»Heiliger Gott! Bist du sicher, daß sie nach der Stadt gegangen ist?«
rief Don Eugenio erschrockener als je aus.

»Wenigstens hat sie so zu mir gesagt...«

»Eile, lauf, Garduña! Ach, ich bin ohne Gnade verloren! Weißt du, zu
welchem Zwecke die Seña Frasquita in die Stadt gegangen ist? Um alles
meiner Frau zu erzählen!... Um ihr zu sagen, daß ich hier bin. O, mein
Gott, mein Gott! Wie konnte ich mir das auch denken! Ich glaubte, sie
wäre nach dem Dorfe zu ihrem Manne gegangen, und da er dort in gutem
Verwahrsam ist, so war es mir ganz gleichgiltig. Aber nach der Stadt zu
gehen!... Garduña, lauf, fliege, du bist ein so guter Fußgänger, und
rette mich vom Verderben. Du mußt es vermeiden, daß die schreckliche
Müllerin mein Haus betritt.«

»Und werden mich Ew. Gnaden nicht aufhängen lassen, wenn ich es
erreiche?« fragte der Alguacil.

»Im Gegenteil! Ich will dir ein Paar noch ganz gute Schuhe schenken, die
mir zu groß sind. Ich will dir alles schenken, was du willst.«

»Dann fliege ich! Ew. Gnaden können ruhig schlafen. In einer halben
Stunde bin ich zurück, nachdem ich die Navarresin ins Gefängnis
gesperrt habe. Nicht umsonst bin ich leichtfüßiger als eine Eselin!«

Sprach's und verschwand die Treppe hinunter.

Es versteht sich von selbst, daß der Müller gerade während der
Abwesenheit des Alguacils in der Mühle war und durchs Schlüsselloch
Gesichte sah.

Lassen wir jetzt den Corregidor im fremden Bette schwitzen und Garduña
nach der Stadt laufen, wohin ihm Tio Lucas bald mit dem Dreispitz und
dem Mantel folgen sollte, und verwandeln wir uns in rüstige Fußgänger,
um der mutigen Seña Frasquita auf dem Wege nach dem Dorfe zu folgen.


23.

Noch einmal die Wüste und die bewußten Stimmen.

Das einzige Abenteuer, welches der Navarresin auf ihrer Reise von der
Mühle nach dem Dorfe zustieß, war der Anblick einer Person, welche
mitten in einem Saatfelde Feuer schlug, was ihr einen heillosen
Schrecken verursachte.

»Sollte das etwa ein Häscher des Corregidors sein? Wenn er mich
anhielte?« dachte die Müllerin.

In dem Augenblick hörte sie in jener Richtung Eselsgeschrei.

»Esel zu der Stunde im Saatfelde?« dachte die Müllerin weiter. »Hier
herum ist doch kein Obstgarten, keine Koppel! Gott im Himmel! heute
Nacht scheinen die Kobolde ihr Wesen zu treiben!«

Die Eselin, auf der die Seña Frasquita ritt, schien es in jenem
Augenblicke für schicklich zu halten, das Geschrei zu erwidern.

»Schweig, du Racker!« sagte die Navarresin und stieß ihr eine lange
Nadel ins Kreuz.

Und da sie eine vielleicht unangenehme Begegnung fürchtete, so führte
sie das Tier vom Wege ab und ließ es durch die Saat laufen.

Aber bald beruhigte sie sich, denn sie sah ein, daß der Feuer schlagende
Mann und der zuerst schreiende Esel etwas Zusammengehöriges bildeten,
und daß diese Wesenheit in der ihr entgegengesetzten Richtung entflohen
war.

»Einem Feiglinge begegnet ein noch größerer Feigling,« rief die Müllerin
und lachte über ihre Furcht und die des andern.

Und ohne weiteren Unfall gelangte sie ungefähr um elf Uhr nachts an das
Haus des Dorfschulzen.


24.

Ein König von damals.

Schon lag der Herr Alkalde in tiefem Schlafe, indem er seinen Rücken dem
seiner Ehehälfte zuwendete und, wie unser unsterblicher Quevedo sagt,
auf diese Weise die Figur des österreichischen, zweiköpfigen Adlers
bildete, als Toñuelo an die Thür des ehemaligen Schlafgemaches klopfte
und den Herrn Juan Lopez benachrichtigte, daß die Seña Frasquita, die
von der Mühle, mit ihm zu sprechen verlange.

Wir sehen davon ab, alle Flüche und Schwüre, welche das Aufstehen und
Ankleiden des Dorfschulzen begleiteten, wiederzugeben und versetzen uns
in den Augenblick, in dem die Müllerin ihn herankommen sah, wie er die
Schläfrigkeit von sich zu schütteln suchte, gleich einem Gymnastiker,
der seine Muskulatur versucht, und unter unendlichem Gähnen ausrief:

»Guten Abend, Seña Frasquita! Was bringt Sie hierher? Hat Ihnen Toñuelo
nicht gesagt, daß Sie in der Mühle bleiben sollten? Gehorchen Sie so der
Obrigkeit?«

»Ich muß meinen Lucas sehen,« antwortete die Navarresin. »Ich muß ihn
auf der Stelle sehen. Sie sollen ihm sagen, daß seine Frau hier ist.«

»Ich muß! Ich muß! Frau, Ihr vergeßt, daß Ihr mit dem Könige sprecht.«

»Ach was, König hin, König her, Señor Juan, ich bin nicht zum Scherz
aufgelegt! Ihr wißt wohl zur Genüge, was mir widerfährt. Und zur Genüge
weiß ich, warum man meinen Mann arretiert hat.«

»Ich weiß nichts, Seña Frasquita... Und Euer Mann ist nicht arretiert,
sondern schläft ruhig in diesem seinem Hause, und ist behandelt worden,
wie ich achtbare Leute behandele. Du, Toñuelo! Toñuelo! geh nach dem
Strohstall und sage dem Tio Lucas, daß er aufwache und hierhereile...
Also, nun erzählen Sie mir, was Ihnen zugestoßen ist. Haben Sie sich
gefürchtet, allein zu schlafen?«

»Schämt Euch, Señor Juan! Ihr wißt wohl, daß mir weder Euer Ernst, noch
Euer Scherz gefällt. Das, was mir passiert ist, ist sehr einfach -- Ihr
und der Señor Corregidor habt mich ins Verderben stürzen wollen, und Ihr
seid gründlich hineingefallen! Hier stehe ich, ohne daß ich zu erröten
brauche, und der Herr Corregidor liegt in der Mühle im Sterben.«

»Im Sterben? der Herr Corregidor?« rief sein Untergebener aus. »Frau,
wißt Ihr, was Ihr sagt?«

»Das, was Ihr sagt. Er ist in den Mühlgraben gefallen und wäre beinahe
ertrunken und hat sich eine Lungenentzündung geholt, oder was weiß ich.
Das ist Sache der Corregidora. Ich will meinen Mann holen und werde
wahrscheinlich morgen gleich nach Madrid gehen, um es dem Könige zu
erzählen...«

»Teufel, Teufel!« murmelte Señor Juan Lopez. »Du, Manuela, Mädchen, geh
und sattle mir das Maultier. Seña Frasquita, ich gehe nach der Mühle.
Wehe Euch, wenn Ihr dem Herrn Corregidor ein Leid zugefügt habt!«

»Señor Alkalde! Señor Alkalde!« rief in diesem Augenblicke Toñuelo aus,
der mehr tot als lebendig eintrat. »Tio Lucas ist nicht im Strohstall.
Sein Esel ist auch nicht an der Krippe, und die Hofthür ist offen...
Der Vogel ist davongeflogen.«

»Was sagst du da?« schrie Señor Juan Lopez.

»Heilige Jungfrau von Carmen! Was wird in meinem Hause passieren?« rief
die Seña Frasquita aus. »Laßt uns eilen, Señor Alkalde, laßt uns keine
Zeit verlieren! Wenn mein Mann den Corregidor zu dieser Stunde trifft,
dann schlägt er ihn tot.«

»Glaubt Ihr denn, daß der Tio Lucas in der Mühle ist?«

»Wie soll ich es nicht glauben? Ich sage noch mehr ... Als ich kam, habe
ich mich mit ihm, ohne ihn zu kennen, gekreuzt. Ohne Zweifel war er es,
der inmitten eines Saatfeldes Feuer angeschlagen hat. Mein Gott, wenn
man bedenkt, daß die Tiere mehr Verstand haben als die Menschen. Denn
Ihr müßt wissen, Señor Juan, unsere beiden Eselinnen haben sich erkannt
und sich begrüßt, während mein Lucas und ich uns weder begrüßt, noch
erkannt haben.«

»Das ist mir ein schöner Lucas, Ihr Lucas,« erwiderte der Alkalde. »Nun,
wir werden ja gleich unterwegs sein und bald zu beschließen haben, was
mit euch allen zu machen ist. Mit mir könnt Ihr aber nicht spielen! Ich
bin der König! Aber nicht ein König, wie wir ihn in Madrid haben, oder
im Prado, sondern wie der einst in Sevilla, den sie Pedro den Grausamen
nannten. Du, Manuela! bring mir den Stock und sage deiner Frau, daß ich
fortgehe.«

Die Magd, die eigentlich hübscher war, als es sich für die Alkaldin und
die Moral schickte, gehorchte, und da das Maultier des Herrn Juan Lopez
gesattelt war, so machten sich die Seña Frasquita und er, von dem
unvermeidlichen Toñuelo gefolgt, auf den Weg nach der Mühle.


25.

Garduña's Stern.

Wir wollen ihnen vorauseilen, da wir ja Vollmacht haben, schneller als
irgend ein anderer zu gehen.

Garduña, der die Seña Frasquita in allen Straßen der Stadt gesucht
hatte, befand sich bereits auf dem Rückwege nach der Mühle.

Der schlaue Alguacil war auf dem Wege im Hause des Corregidors gewesen,
wo er alles sehr ruhig gefunden hatte. Die Thüren waren ebenso
geschlossen, wie mitten am Tage, wie es Gebrauch zu sein pflegt, wenn
die Obrigkeit ihre geheiligten Pflichten außerhalb vollzieht. Auf dem
Treppenabsatz und im Vorsaal schliefen andere Alguacilen und Beamte, die
ruhig ihren Herrn erwarteten; als sie aber Garduña hörten, wachten
einige von ihnen auf und fragten ihn, der ihr Haupt und Vorgesetzter
war:

»Kommt der Herr schon?«

»Nicht im Entferntesten! Bleibt nur ganz ruhig. Ich will nur wissen, ob
irgend etwas vorgefallen ist.«

»Nichts.«

»Und die Señora?«

»Schläft in ihren Zimmern.«

»Ist nicht vor kurzem eine Frau durch diese Thüren gekommen?«

»In der ganzen Nacht ist niemand vorübergekommen.«

»Nun, so laßt auch niemand eindringen, wer es auch sei und was er auch
sagen möge. Im Gegenteil! Legt sogar Hände an den Morgenstern, wenn er
etwa kommen und sich nach dem Herrn oder der Frau erkundigen sollte, und
führt ihn ins Gefängnis.«

»Es scheint, daß Ihr heute auf der Jagd nach besonderen Vögeln seid,«
fragte einer von den Häschern.

»Auf Edelwild,« fügte ein anderer hinzu.

»Auf das edelste,« fügte Garduña feierlich hinzu. »Denkt doch nur, wenn
der Herr Corregidor und ich selbst die Treiber machen. Also, auf
Wiedersehen, und paßt gut auf!«

»Gehen Sie mit Gott, Herr Bastian,« antworteten alle und grüßten
Garduña.

»Mein Stern geht unter,« murmelte dieser beim Hinausgehen. »Sogar die
Frauen täuschen mich. Die Müllerin geht nach dem Dorfe zu ihrem Manne,
statt nach der Stadt zu kommen... Armer Garduña, was ist aus deiner
Spürnase geworden?«

Und so sprechend, machte er sich wieder auf den Rückweg nach der Mühle.

Wohl hatte der Alguacil recht, wenn er seinen alten Spürsinn vermißte,
denn auch einen Mann übersah er, der sich in jenem Augenblicke hinter
einigen in der Nähe der Stadt befindlichen Weiden versteckte und in den
Bart oder vielmehr in seinen roten Mantel murmelte:

»Aufgepaßt, Pablo! Da kommt Garduña! Er darf mich nicht sehen.«

Es war Tio Lucas, als Corregidor gekleidet, der sich der Stadt zuwendete
und von Zeit zu Zeit seine diabolische Phrase wiederholte:

»Auch die Corregidora ist reizend!«

Ohne ihn zu sehen ging Garduña vorüber, und der falsche Corregidor
verließ sein Versteck und verschwand im Orte.

Kurz darauf kam der Alguacil bei der Mühle an, wie wir schon angedeutet
haben.


26.

Reaktion.

Genau so, wie Tio Lucas ihn durch das Schlüsselloch gesehen hatte,
verharrte auch jetzt noch der Corregidor im Bett.

»Wie gut ich schwitze, Garduña! Ich habe mich dadurch vor einer
Krankheit geschützt!« rief er aus, als er den Alguacil ins Zimmer treten
sah. »Und die Seña Frasquita? Hast du sie angetroffen? Begleitet sie
dich? Hast du mit der Herrin gesprochen?«

»Die Müllerin, gnädiger Herr,« antwortete Garduña mit gedrückter Stimme,
»hat mich armen Mann getäuscht und ist nicht nach der Stadt gegangen,
sondern nach dem Dorf, um ihren Mann aufzusuchen. -- Verzeihen mir Euer
Gnaden die Dummheit...«

»Um so besser, um so besser!« sagte der Madrileñer mit vor Bosheit
funkelnden Augen. »Dann sind wir gerettet. Noch bevor es tagt, sollen
Tio Lucas und die Seña Frasquita, aneinander gekettet, in den Kerker der
Inquisition wandern, und dort sollen sie verfaulen, ohne irgend jemand
die Abenteuer dieser Nacht zu erzählen. -- Bringe mir meine Kleider,
Garduña, denn sie müssen schon trocken sein. Bringe sie mir und zieh
mich an. Der Liebhaber wird sich jetzt in den Corregidor verwandeln.«

Garduña ging in die Küche hinunter, um die Kleider zu holen. --


27.

Im Namen des Königs.

Inzwischen hatten sich die Seña Frasquita, Señor Juan Lopez und Toñuelo
der Mühle genähert und kamen wenige Minuten darauf in derselben an.

»Ich werde vorausgehen,« rief der Dorfschulze aus. »Zu was bin ich denn
die Autorität? Folge mir, Toñuelo, und Ihr, Seña Frasquita, wartet an
der Thüre, bis ich Euch rufe.«

Also ging der Señor Juan Lopez unter die Weinlaube, wo er beim
Mondschein einen fast buckligen, wie den Müller gekleideten Mann
bemerkte, mit Jacke und Beinkleid von braunem Tuch, schwarzer Binde,
blauen Strümpfen, der murcianischen Felbelmütze und dem Mantel auf der
Schulter.

»Das ist er!« schrie der Alkalde. »Im Namen des Königs! Ergebt Euch, Tio
Lucas!«

Der Mann mit der Jagdmütze wollte sich nach der Mühle zurückwenden.

»Halt!« rief nun Toñuelo, indem er sich auf ihn stürzte, am Halse
packte, ihm mit dem Knie einen Stoß ins Rückgrat versetzte und ihn so
zur Erde riß.

Zugleich aber warf sich eine Art von wildem Tier auf Toñuelo, und indem
es ihn um den Leib faßte, zog es ihn auf das Steinpflaster und fing an,
ihn zu ohrfeigen.

Es war die Seña Frasquita, die nun ausrief: »Landstreicher! Laß meinen
Lucas los!«

Aber in diesem Augenblicke warf sich eine Person, die soeben, einen Esel
am Halfter führend, erschienen war, entschlossen zwischen die beiden und
versuchte Toñuelo zu retten...

Garduña war es, der den Alguacil des Dorfes für Don Eugenio de Zuñiga
hielt und zu der Müllerin sagte:

»Señora, haben Sie Achtung vor meinem Herrn!«

Und rücklings warf er sie auf den Alkalden.

Als die Seña Frasquita sich auf diese Weise zwischen zwei Feuern befand,
versetzte sie Garduña einen solchen Stoß vor den Magen, daß er so lang
wie er war auf den Boden fiel.

Mit ihm waren es nun schon vier Personen, die sich auf der Erde
herumwälzten.

Inzwischen verhinderte Juan Lopez den mutmaßlichen Tio Lucas am
Aufstehen, indem er ihm einen Fuß auf die Nierengegend pflanzte.

»Garduña! Zu Hilfe! Im Namen des Königs! Ich bin der Corregidor!« schrie
endlich dieser letztere, als er fühlte, daß die mit Stierhaut bekleidete
Pfote des Alkalden ihn buchstäblich zermalte.

»Der Corregidor? Das ist aber auch wahr!« sagte Señor Juan Lopez ganz
erstaunt.

»Der Corregidor!« wiederholten alle.

Und schnell waren alle Niedergeworfenen auf den Füßen.

»Alle ins Gefängnis!« rief Don Eugenio de Zuñiga.

»Alle an den Galgen!«

»Aber, Herr,« warf Señor Juan Lopez ein und kniete vor ihm nieder.
»Verzeihen mir Euer Gnaden, daß ich Sie gemißhandelt habe. Wie konnte
ich nur Euer Gnaden unter dieser gewöhnlichen Kleidung vermuten?«

»Barbar!« erwiderte der Corregidor. »Etwas mußte ich doch anziehen!
Weißt du nicht, daß man mir meine Sachen geraubt hat? Weißt du nicht,
daß eine Räuberbande, die Tio Lucas befehligt...«

»Sie lügen!« rief die Navarresin.

»Hört einmal, Seña Frasquita,« sagte Garduña zu ihr und rief sie
beiseite. »Mit der Erlaubnis des Herrn Corregidors und der ganzen
Gesellschaft. Wenn Ihr die Geschichte nicht in Ordnung bringt, dann
werden wir alle aufgehängt, und Tio Lucas zuerst.«

»Ja, was ist denn geschehen?« fragte Seña Frasquita.

»Tio Lucas geht zu dieser Stunde als Corregidor verkleidet in der Stadt
umher... und weiß Gott, ob er nicht in dieser Verkleidung sogar bis in
das Schlafzimmer der Corregidora gedrungen ist.«

Und in wenigen Worten erzählte ihr der Alguacil das uns bereits
Bekannte.

»Jesus!« rief die Müllerin aus. »So hält mich mein Mann also für
entehrt! So ist er also in die Stadt gegangen, um sich zu rächen!
Vorwärts, vorwärts, laßt uns in die Stadt gehen und rechtfertigt mich in
den Augen meines Lucas!«

»Wir wollen in die Stadt gehen und verhindern, daß dieser Mann meiner
Frau all die eingebildeten Dummheiten wiedererzählt,« sagte der
Corregidor und schritt auf eine der Eselinnen zu. »Helft mir ein wenig
beim Aufsteigen, Señor Alkalde.«

»Ja, wir wollen nach der Stadt gehen,« fügte Garduña hinzu, »und gebe
der Himmel, Herr Corregidor, daß Tio Lucas sich begnügt hat, mit der
Herrin zu sprechen.«

»Was sagst du, Unglücklicher?« brach Don Eugenio de Zuñiga aus. »Glaubst
du, daß er fähig wäre...«

»Zu allem!« antwortete Seña Frasquita.


28.

_Ave Maria purísima! Las doce y media, y sereno!_[8]

So rief durch die Straßen der Stadt derjenige, welcher dazu berechtigt
war, als die Müllerin und der Corregidor, jedes auf einem Mülleresel,
der Señor Juan Lopez auf seinem Maultier, die beiden Alguacilen zu Fuß,
an der Hausthür des Corregidors ankamen.

Die Thüre war geschlossen.

Man konnte sagen, daß für jenen Tag sowohl für die Regierung wie für die
Regierten alles zu Ende war.

»Schlimm das!« dachte Garduña.

Er klopfte zwei- oder dreimal mit dem Klopfer an die Thüre.

Eine kleine Weile verging, die Thüre wurde nicht geöffnet, niemand
antwortete.

Die Seña Frasquita war bleich wie Wachs.

Der Corregidor hatte schon alle Nägel von beiden Händen abgebissen.

Niemand sagte ein Wort.

Bum... Bum... Bum... Schläge und wieder Schläge an die Thüre der
Wohnung, welche die beiden Alguacilen und Señor Juan Lopez nach einander
verabfolgten. Und nichts, niemand antwortete, niemand öffnete die Thüre.
Nicht eine Fliege rührte sich.

Nur das leise Plätschern eines Röhrbrunnens auf dem Hofe des Hauses
drang zu ihnen herüber.

So verflossen Minuten, wie Ewigkeiten so lang. Endlich, gegen ein Uhr,
wurde im zweiten Stockwerk ein Fenster geöffnet und eine weibliche
Stimme fragte:

»Wer ist da?«

»Das ist die Stimme der Amme,« murmelte Garduña.

»Ich!« antwortete Don Eugenio de Zuñiga. »Öffnet.«

Ein Augenblick des Stillschweigens trat ein.

»Und wer sind Sie?« entgegnete die Amme.

»Nun, hörst du es denn nicht? Ich bin es, der Herr ... der Corregidor!«
--

Eine zweite Pause.

»Geht mit Gott!« antwortete die gute Frau. »Mein Herr ist vor etwa einer
Stunde nach Hause gekommen und hat sich gleich niedergelegt. Legt Euch
auch nur ins Bett und schlaft den Rausch aus, den Ihr im Kopfe habt.«

Und knallend schloß sich das Fenster.

Die Seña Frasquita bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.

»Amme!« donnerte der Corregidor außer sich. »Hört Ihr nicht, daß ich
Euch sage, Ihr sollt die Thüre öffnen? Hört Ihr nicht, daß ich es bin?
Wollt Ihr, daß ich Euch auch aufhänge?«

Das Fenster öffnete sich von neuem.

»Aber was soll denn das heißen?« sprach die Amme. »Wer seid Ihr, daß Ihr
so schreit?«

»Ich bin der Corregidor!«

»O, ich bin nicht so dumm! Habe ich Euch nicht gesagt, daß der Herr
Corregidor schon vor zwölf Uhr nach Hause gekommen ist? Ich habe es doch
mit meinen eigenen Augen gesehen, wie er in das Zimmer der Herrin
gegangen ist... Ihr wollt Euch nur über mich lustig machen... Aber
wartet, Ihr sollt schon sehen, was Euch beschert wird.«

Und plötzlich öffnete sich die Thüre, und eine Wolke von Dienern und
Angestellten, mit großen Knüppeln bewaffnet, stürzte sich auf die
Draußenstehenden, und wütende Rufe erschallten:

»Wo ist der, welcher sich Corregidor nennt? Wo ist der Tölpel? Wo ist
der Trunkenbold?«

Und in der Dunkelheit entspann sich ein solcher Kampf, ein so lauter
Lärm, daß keiner den Andern verstehen konnte, und daß sowohl der
Corregidor, wie Garduña, Señor Juan Lopez und Toñuelo nicht ohne Schläge
ausgingen.

Das war schon die zweite Tracht Prügel, welche das Abenteuer jener Nacht
Don Eugenio eingetragen hatte, außer dem Bade im Mühlgraben.

In geringer Entfernung von jenem Labyrinth weinte die Seña Frasquita zum
erstenmale in ihrem Leben.

»Lucas, Lucas!« sagte sie. »Und du hast an mir zweifeln können. Und hast
eine andere in deine Arme schließen können... Ach! unser Unglück ist
grenzenlos!«


29.

Nach dem Gewölk... Reveille.

»Was hat dieser Lärm zu bedeuten?« sagte endlich eine ruhige,
majestätische Stimme von angenehmer Klangfarbe, den Höllenlärm
übertönend.

Alle erhoben die Köpfe und sahen eine schwarzgekleidete Dame auf dem
Hauptbalcon des Hauses.

»Die Señora!« sagten die Dienstleute und unterbrachen ihre
Prügelretraite.

»Meine Frau!« stotterte Don Eugenio.

»Laßt diese Herren eintreten... Der Herr Corregidor sagt, daß er es
erlaubt,« fügte die Corregidora hinzu.

Die Diener gaben den Weg frei, und der Señor de Zuñiga und seine
Begleiter traten in das Portal und stiegen die Treppe hinauf.

Wohl nie ist ein Verbrecher mit so unsicherm Schritte und so entstellten
Zügen zur Richtstätte gegangen, wie der Corregidor, als er die Treppe
seines Hauses hinaufging. Und doch fing schon der Gedanke an seine
Schande an mit edler Selbstsucht all das durch ihn veranlaßte und ihn
drückende Unrecht zu überragen und die ganze Lächerlichkeit seiner Lage
mit dem Schleier der Vergessenheit zu umhüllen.

»Vor allen Dingen,« dachte er, »bin ich ein Zuñiga und ein Ponce de
Leon! Wehe denen, die es vergessen haben. Wehe meiner Frau, wenn sie
meinen Namen befleckt hat!«...


30.

Eine Dame von Stande.

Die Corregidora empfing ihren Gatten und seine ländlichen Begleiter im
großen Saale des Amtsgebäudes.

Sie war allein, stand aufrecht, und ihre Augen waren fest auf die Thür
gerichtet.

Es war eine Dame aus vornehmem Hause, noch ziemlich jung, von einer
ruhigen, strengen Schönheit, mehr geeignet für den christlichen Pinsel,
als für den ungläubigen Meißel, die mit der ganzen Vornehmheit und
Ernsthaftigkeit jener Epoche gekleidet war. Ihr Kleid mit kurzem, engem
Rock und bauschigen, hochstehenden Ärmeln war von schwarzem Bombasin,
ein Tuch von weißen, etwas gelblichen Blonden verhüllte ihre
bewundernswerten Schultern, und lange Handschuhe von schwarzem Tüll
bedeckten ihre alabasterweißen Arme. Majestätisch wehte sie sich mit
einem ungeheuren Fächer von den Philippinen Kühlung zu, und in der
anderen Hand hielt sie ein Spitzentuch, dessen vier Ecken symmetrisch
mit einer Regelmäßigkeit herunterhingen, die sich nur mit ihrer ganzen
Haltung und jeder ihrer geringsten Bewegungen vergleichen ließ.

Die schöne Frau hatte etwas von einer Königin, mehr aber noch von einer
Äbtissin in ihrer Erscheinung und flößte allen, die sie sahen, Verehrung
und Furcht ein. Übrigens bewiesen der sorgfältige Anzug zu so
ungewöhnlicher Stunde, der Ernst ihres Antlitzes und die vielen im Salon
angezündeten Lichter, daß die Corregidora bemüht gewesen war, jener
Scene eine theatralische Feierlichkeit und zeremonielle Färbung zu
geben, welche mit dem rohen Abenteuer ihres Mannes um so schärfer
kontrastierten.

Schließlich wollen wir noch hinzufügen, daß jene Dame Doña Mercedes
Carrillo de Albornoz y Espinosa de los Monteros hieß und Tochter,
Enkelin, Urenkelin, Ururenkelin, ja Enkelin im zwanzigsten Grade der
Stadt war, als Sprößling von deren berühmten Conquistadoren. Ihre
Familie hatte sie aus weltlicher Eitelkeit mit dem alten, begüterten
Corregidor verheiratet, und sie, die sonst Nonne geworden wäre, weil
eine innere Stimme sie dem Kloster zuführte, willigte in jenes
schmerzbringende Opfer.

Zur Zeit hatte sie zwei Sprößlinge von dem verwegenen Madrileñer, und
man munkelte, daß wieder »Mauren an der Küste zu sehen wären.«

Und damit wollen wir wieder zu unserer Geschichte zurückkehren.


31.

Die Strafe der Wiedervergeltung.

»Mercedes!« rief der Corregidor aus, als er vor seiner Frau erschien,
»ich muß sofort wissen...«

»Oho, Tio Lucas, Ihr hier?« sagte die Corregidora, ihn unterbrechend.
»Ist ein Unglück in der Mühle geschehen?«

»Señora, ich bin nicht zu Scherzen aufgelegt,« sagte der Corregidor
wütend. »Bevor ich von meiner Seite irgend welche Erklärung abgebe, muß
ich erst wissen, was aus meiner Ehre geworden ist.«

»Was geht das mich an? Habt Ihr sie mir vielleicht in Verwahrung
gegeben?«

»Ja, Señora! Ihnen,« entgegnete Don Eugenio. »Die Frauen sind die
Bewahrerinnen der Ehre ihrer Gatten.«

»Dann fragt doch Eure Frau danach... Da steht sie ja gerade und hört
uns.«

Seña Frasquita, welche an der Saalthüre stehen geblieben war, stieß eine
Art von Gebrüll aus.

»Kommen Sie näher, Señora, und setzen Sie sich,« fügte die Corregidora
hinzu, indem sie sich mit erhabener Würde an die Seña Frasquita wendete.

Sie selbst schritt auf das Sofa zu.

Die hochherzige Navarresin begriff sofort die ganze Größe in der Haltung
der beleidigten und vielleicht doppelt beleidigten Gattin. Darum erhob
sie sich im Augenblick zu gleicher Höhe, beherrschte ihre natürlichen
Triebe und bewahrte ein anständiges Stillschweigen. Und glaubt nur nicht
etwa, daß die Seña Frasquita in all ihrer Unschuld und Kraft Eile gehabt
hätte, sich zu verteidigen... Große Eile hatte sie anzuklagen, sehr
große... aber gewiß nicht die Corregidora. Mit wem sie ein Hühnchen zu
pflücken hatte, das war mit dem Tio Lucas, und Tio Lucas war nicht dort.

»Seña Frasquita,« wiederholte die edle Frau, als sie sah, daß die
Müllerin sich nicht von der Stelle gerührt hatte, »ich habe Ihnen
gesagt, daß Sie näher kommen und sich setzen sollen.«

Diese zweite Aufforderung wurde mit noch herzlicherer und gefühlvollerer
Stimme ausgesprochen, als die erste. Fast konnte man sagen, daß die
Corregidora beim Anblick des ruhigen Antlitzes und der männlichen
Schönheit jener Frau instinktiv erraten hatte, daß sie es nicht mit
einem gewöhnlichen, verächtlichen Wesen, vielmehr mit einer anderen
Unglücklichen zu thun hatte... unglücklich, ja, um der einzigen
Thatsache willen, daß sie den Corregidor kennen gelernt.

Darum tauschten die beiden Frauen, welche sich für doppelte
Nebenbuhlerinnen hielten, verschiedene Blicke des Friedens und der
Nachsicht aus und bemerkten zu ihrem größten Erstaunen, daß ihre Seelen
Gefallen aneinander fanden, wie zwei Schwestern, die sich erkennen.

Auf dieselbe Weise erkennen und grüßen sich von fern die weißen
Schneefelder auf den umhüllten Bergen.

Als diese sanften Empfindungen sie durchdrangen, trat die Müllerin ein
und setzte sich auf den äußersten Rand eines Stuhles.

Da sie in der Mühle vorausgesehen hatte, daß sie in der Stadt vielleicht
wichtige Besuche zu machen haben würde, so hatte sie ihre Kleider ein
wenig geordnet und eine schwarze Flanellmantille mit großen Fransen
übergeschlagen, die ihr wundervoll stand. Sie sah ganz wie eine Dame
aus.

Der Corregidor dagegen hatte während dieser Episode vollständiges
Stillschweigen beobachtet. Das Gebrüll der Seña Frasquita und ihr
Erscheinen auf dem Schauplatze hatten ihn natürlich erschreckt. Jene
Frau verursachte ihm jetzt mehr Entsetzen, als seine eigene.

»Nun also, Tio Lucas,« fuhr Doña Mercedes fort und wandte sich an ihren
Gatten. »Hier ist die Seña Frasquita. Ihr könnt jetzt Euer Verlangen
wiederholen.«

»Mercedes! um der Nägel Christi willen!« rief der Corregidor, »du weißt
nicht, wessen ich fähig bin. Von neuem beschwöre ich dich, laß den
Scherz beiseite und erzähle mir alles, was während meiner Abwesenheit
vorgefallen ist. Wo ist dieser Mann?«

»Wer? Mein Gatte? Mein Mann ist eben im Begriff aufzustehen und wird
wohl nicht mehr lange zögern.«

»Aufzustehen?« heulte Don Eugenio.

»Ihr wundert Euch darüber? Nun, wo sollte ein anständiger Mann denn zu
dieser Stunde sein, wenn nicht in seinem Hause, in seinem Bett und an
der Seite seiner rechtmäßigen Gattin, wie Gott es befiehlt?«

»Mercedes! Paß auf, was du sagst. Denke daran, daß man uns hört... Denke
daran, daß ich der Corregidor bin!«

»Wenn Ihr auf diese Weise anfangt, Tio Lucas, so werde ich nach den
Alguacilen schicken, damit sie Euch ins Gefängnis abführen,« entgegnete
die Corregidora und stand auf.

»Ich ins Gefängnis? Ich? Der Corregidor der Stadt?«

»Der Corregidor der Stadt, der Vertreter der Gerechtigkeit, der
Bevollmächtigte des Königs,« antwortete die hohe Dame mit einer Strenge
und Energie, welche die Stimme des angeblichen Müllers vollständig
erstickten, »kam zur schicklichen Stunde nach Hause, um von den edlen
Aufgaben seines Amtes auszuruhen und morgen fortzufahren, die Ehre und
das Leben der Bürger zu schützen, die Heiligkeit des Herdes und die
Sittsamkeit der Frauen zu schirmen und zu verhindern, daß irgend jemand
als Corregidor oder in anderer Weise verkleidet in das Schlafgemach
einer fremden Frau eintrete, damit niemand die Tugend in ihrer sorglosen
Ruhe überraschen könne, niemand ihren keuschen Schlaf mißbrauchen...«

»Merceditas! Was sagst du da?« zischte der Corregidor zwischen Lippen
und Gaumen. »Wenn es wahr ist, daß dies in meinem Hause vorgekommen ist,
so sage ich dir, daß du eine Treulose, eine sittenlose Person bist.«

»Mit wem spricht dieser Mensch?« unterbrach ihn die Corregidora
verächtlich und ließ ihren Blick über die Umstehenden schweifen. »Wer
ist der Wahnsinnige? Wer ist der Betrunkene? Kaum kann ich noch glauben,
daß Ihr ein ehrlicher, anständiger Müller wie der Tio Lucas seid,
trotzdem Ihr sein ländliches Kleid tragt. -- Señor Juan Lopez, wißt,«
fuhr sie fort, indem sie dem vernichteten Dorfschulzen ins Gesicht sah,
»daß mein Mann, der Corregidor der Stadt, vor zwei Stunden nach Hause
gekommen ist, mit seinem Dreispitz, seinem roten Mantel, seinem
Kavaliersdegen und seinem Amtsstock... Die hier gegenwärtigen
Dienstboten und Alguacilen sind aufgestanden und haben ihn gegrüßt, als
sie ihn durchs Portal kommen, die Treppe hinauf und durchs
Empfangszimmer schreiten sahen. Dann haben sie die Thüren geschlossen,
und seit der Zeit ist niemand in meine Wohnung eingetreten, bis Sie
ankamen. Ist das wahr? Antwortet ihr...«

»Es ist wahr, es ist sehr wahr,« antworteten die Amme, die Diener und
die Polizeidiener, die alle, an der Salonthür gruppiert, jener
eigentümlichen Scene beiwohnten.

»Hinaus mit euch allen!« rief Don Eugenio wutschnaubend. »Garduña!
Garduña! Komm und nimm diese Elenden, die den Respekt vergessen,
gefangen. Alle ins Gefängnis! Alle an den Galgen!«

Garduña war nirgends zu sehen.

»Übrigens, Señor,« fuhr Doña Mercedes fort, indem sie den Ton änderte
und ihren Mann anzusehen und ihn als solchen zu behandeln geruhte, da
sie fürchtete, der Scherz könnte vielleicht zu unheilbaren Resultaten
führen, »nehmen wir einmal an, daß Sie Don Eugenio de Zuñiga y Ponce de
Leon wären...«

»Ich bin es!«

»Nehmen wir einmal an, daß mich einige Schuld träfe, weil ich einen
Mann, der als Corregidor gekleidet in mein Schlafzimmer drang, für Sie
gehalten habe...«

»Infame Canaille!« schrie der Alte, griff mit der Hand nach dem Degen
und fand nur den leeren Platz und die Binde des murcianischen Müllers.

Die Navarresin bedeckte mit einem Zipfel ihrer Mantille ihr Gesicht, um
die Flammen der Eifersucht zu verbergen.

»Nehmen wir alles das an, was Sie wollen,« fuhr Doña Mercedes mit einem
unerklärlichen Gleichmut fort. »So sagen Sie mir doch erst eins, mein
Herr! Hätten Sie ein Recht, sich zu beklagen? Könnten Sie mich als
Richter verurteilen? Kommen Sie vielleicht aus der Predigt? Kommen Sie
vielleicht aus der Beichte? Kommen Sie aus der Messe? Oder woher kommen
Sie mit diesem Anzuge? Woher kommen Sie mit dieser Frau? Wo haben Sie
die Hälfte der Nacht zugebracht?«

»Mit Verlaub...« rief die Seña Frasquita aus und stand, wie von einer
Feder emporgeschnellt, auf und trat keck zwischen die Corregidora und
deren Gatten.

Dieser war im Begriff zu sprechen, blieb aber mit offenem Munde stehen,
als er sah, daß die Navarresin ins Feuer trat.

Aber Doña Mercedes kam ihr zuvor und sagte:

»Señor, bemühen Sie sich nicht, mir Erklärungen zu geben. Ich verlange
sie durchaus nicht von Ihnen. Hier kommt derjenige, der das Recht hat,
sie von Ihnen zu fordern. Verständigen Sie sich mit ihm.«

Zugleich öffnete sie die Thür eines Kabinetts, und in ihr erschien Tio
Lucas, vom Kopf bis zu den Füßen als Corregidor gekleidet, mit Stock,
Handschuhen und Degen, wie er in den Ratssaal zu treten pflegte.


32.

Der Glaube versetzt Berge.

»Ich wünsche Ihnen allen einen guten Abend,« sprach der zuletzt
Angekommene, nahm den Dreispitz ab und sprach mit zusammengefallenem
Munde, wie Don Eugenio de Zuñiga.

Dann durchschritt er, sich nach allen Seiten wiegend, den Saal und küßte
die Hand der Corregidora.

Alle standen starr vor Erstaunen. Die Ähnlichkeit des Tio Lucas mit dem
wirklichen Corregidor grenzte ans Wunderbare.

Darum konnten auch die Dienerschaft und sogar Señor Juan Lopez ein
Gelächter nicht zurückhalten.

Don Eugenio fühlte diese neue Herabwürdigung und stürzte sich wie ein
Basilisk auf Tio Lucas.

Aber Seña Frasquita war schneller als er und entfernte den Corregidor
mit ihrem eisernen Arm; und Seine Gnaden, im Andenken an einen andern
Purzelbaum und das darauffolgende Hautabschürfen, ließ sich
zurückwerfen, ohne auch nur einen Laut auszustoßen. Augenscheinlich war
jene Frau von Geburt an dazu bestimmt, den armen Alten in Schach zu
halten.

Tio Lucas wurde bleicher als der Tod, als er sah, daß seine Frau sich
ihm näherte; aber er beherrschte sich gleich, und mit einem
schrecklichen Lachen, so daß er die Hand aufs Herz legen mußte, weil es
ihm zu springen drohte, sagte er, immer noch den Corregidor nachahmend:

»Gott behüte dich, Frasquita! Hast du deinem Neffen schon die Ernennung
geschickt?«

Da hättet Ihr die Navarresin sehen müssen! Sie warf ihre Mantille
zurück, erhob das Haupt mit dem Stolz einer Löwin, und ihre Augen wie
zwei Dolche in die des falschen Corregidors versenkend, sagte sie ihm
gerade ins Gesicht:

»Ich verachte dich, Lucas!«

Alle glaubten, daß sie ihn angespien hätte, solch eine Geste, solch eine
Bewegung, solch ein Ton der Stimme begleiteten jene Worte.

Das Gesicht des Müllers verklärte sich, als er die Stimme seiner Frau
hörte. Eine Art von Inspiration, wie die des religiösen Glaubens, war in
seine Seele gedrungen und überflutete sie mit Licht und Freude. Und
einen Augenblick vergaß er, was er in der Mühle gesehen und zu sehen
geglaubt hatte und rief mit Thränen in den Augen und vollster
Aufrichtung in der Stimme aus:

»Also bist du noch meine Frasquita?«

»Nein,« antwortete die Navarresin außer sich. »Jetzt bin ich deine
Frasquita nicht mehr! Ich bin... Befrage deine Heldenthaten dieser
Nacht, und sie werden dir sagen, was du mit diesem Herzen gemacht hast,
das dich so geliebt.«

Und wie ein sinkender Eisberg, der anfängt zu schmelzen, begann sie zu
weinen.

Die Corregidora konnte sich nicht enthalten, auf sie zuzugehen und sie
mit herzlichster Freundlichkeit in ihre Arme zu schließen.

Und ohne recht zu wissen, was sie that, fing die Seña Frasquita an, sie
zu küssen und sagte, schluchzend wie ein Kind, das Schutz bei seiner
Mutter sucht:

»Señora, Señora, wie unglücklich bin ich!«

»Nicht so sehr, wie Sie glauben,« antwortete die Corregidora, die auch
großmütig weinte.

»Ja, ich bin sehr unglücklich,« seufzte Tio Lucas und kämpfte mit seinen
Thränen, wie wenn er sich schämte, sie zu vergießen.

»Nun, und ich?« brach schließlich Don Eugenio los, der sich durch das
ansteckende Weinen der Übrigen erweicht fühlte, oder sich auf dem
feuchten Wege, ich meine auf dem Wege des Weinens, zu retten hoffte.
»Ach, ich bin ein Schelm, ein Ungeheuer, ein leichtsinniger Mensch, der
seinen Lohn empfangen hat!«

Und traurig fing er an zu blöken, indem er den Leib des Señor Juan Lopez
liebend umschlang.

Dieser und die Dienstboten weinten gleichfalls, alles schien zu Ende zu
sein, und doch hatte sich niemand erklärt.


33.

Nun, und du?

Tio Lucas war der erste, der endlich in diesem Thränenmeer wieder flott
wurde, weil er anfing, sich dessen zu erinnern, was er durchs
Schlüsselloch gesehen.

»Señores, lassen Sie uns jetzt abrechnen,« sagte er.

»Hier giebt es nichts abzurechnen, Tio Lucas,« rief die Corregidora aus.
»Eure Frau ist eine Heilige.«

»Gut... ja... aber...«

»Nichts von aber. Laßt sie sprechen, und Ihr werdet sehen, wie sie sich
rechtfertigen wird. Sowie ich sie sah, sagte es mir das Herz, daß sie
eine Heilige sei, trotz alledem, was Ihr mir erzählt hattet.«

»Gut, so mag sie sprechen!« sagte Tio Lucas.

»Ich spreche nicht,« antwortete die Müllerin. »Du mußt zuerst sprechen.
Denn die Wahrheit ist, daß du...«

Und die Seña Frasquita sagte nichts mehr, aus unbesiegbarer Achtung vor
der Corregidora.

»Nun, und du?« antwortete Tio Lucas, der von neuem allen Glauben verlor.

»Jetzt handelt es sich nicht um sie,« rief der Corregidor, der auch
wieder eifersüchtig wurde. »Es handelt sich jetzt um diese Dame. Ach,
Merceditas! Wer hätte mir jemals gesagt, daß du...«

»Nun, und du?« antwortete die Corregidora, ihn mit dem Blicke messend.

Und während der nächsten Augenblicke wiederholten die beiden Ehepaare
wohl hundertmal dieselben Sätze.

»Und du?«

»Nun, und du?«

»Na, du!«

»Nein, du!«

»Aber, wie konntest du...«

Und so weiter, und so weiter, und so weiter.

Vielleicht wäre die Angelegenheit nie beendet worden, wenn nicht die
Corregidora schließlich, ihre Würde wieder annehmend, zu Don Eugenio
gesagt hätte:

»Höre einmal, jetzt schweige du! Unsere Privatangelegenheit werden wir
später ordnen. Das Dringendste ist in diesem Augenblick jedenfalls, Tio
Lucas' Herzen den Frieden zurückzugeben. Meiner Ansicht nach ist das
ganz leicht; denn dort sehe ich Señor Juan Lopez und Toñuelo, die
nichts sehnlicher wünschen, als die Seña Frasquita zu rechtfertigen.«

»Mich brauchen die Männer nicht zu rechtfertigen,« antwortete diese.
»Ich habe zwei Zeugen von größerer Glaubwürdigkeit, von denen niemand
sagen kann, daß sie bestochen worden sind...«

»Und wo sind diese?« fragte der Müller.

»Sie sind unten, an der Thür.«

»Dann sage ihnen, daß sie heraufkommen, mit der Erlaubnis der Señora.«

»Ach, die Armen können nicht heraufkommen...«

»Ah, sind es zwei Frauen? Schöne, glaubwürdige Zeugen das!«

»Es sind auch keine zwei Frauen, nur zwei weibliche Wesen.«

»Noch schlimmer! Dann sind es zwei kleine Mädchen? Sei so gut und nenne
mir ihre Namen.«

»Die eine heißt Piñona, die andere Liviana.«

»Unsere beiden Esel! Frasquita, du willst mich verspotten!«

»Nein, ich spreche sehr vernünftig und förmlich. Durch das Zeugnis
unserer beiden Esel will ich dir beweisen, daß ich nicht in der Mühle
war, als du den Herrn Corregidor dort gesehen hast.«

»Ich bitte dich, um Gottes willen, erkläre dich...«

»Höre, Lucas, und stirb vor Scham, daß du je an mir zweifeln konntest.
Als du heute Nacht vom Dorf nach der Mühle rittest, da eilte ich von
unserm Hause nach dem Dorf, folglich kreuzten wir uns auf dem Wege. Aber
du warst außerhalb desselben und schlugst mitten auf einem Saatfelde
Feuer an.«

»Ich habe angehalten, das ist wahr. Fahre fort.«

»Da schrie dein Esel...«

»Wahrhaftig! O, wie glücklich bin ich! Sprich, sprich, denn jedes Wort
giebt mir ein Jahr meines Lebens zurück.«

»Und auf jenes Geschrei antwortete ein anderes vom Wege her.«

»O, ja, ja! Gesegnet seist du! Ich glaube es noch zu hören.«

»Es waren Liviana und Piñona, die sich erkannt hatten und wie gute
Freundinnen begrüßten, während wir beide uns weder grüßten noch
erkannten...«

»Sage mir nichts mehr! Sage mir nichts mehr.«

»So wenig erkannten wir uns,« fuhr die Seña Frasquita fort, »daß wir
beide erschraken und nach entgegengesetzten Richtungen entflohen. Nun
siehst du doch wohl ein, daß ich nicht in der Mühle war. Wenn du jetzt
wissen willst, warum du den Herrn Corregidor in unserm Bett angetroffen
hast, so fühle die Kleider, die du trägst und die noch feucht sein
müssen, an, und sie werden es dir besser sagen als ich. Se. Gnaden ist
in das Mühlgerinne gefallen, Garduña hat ihn entkleidet und dort
gebettet. Willst du wissen, warum ich die Thür geöffnet habe? Weil ich
glaubte, daß du es wärest, daß du ertränkest und mich zu Hilfe riefest.
Und schließlich, wenn du das mit der Ernennung wissen willst... Aber
vorläufig brauche ich nichts weiter zu sagen. Wenn wir allein sind, dann
werde ich dir noch verschiedene Einzelheiten erzählen, die ich dir vor
dieser Dame nicht mitteilen kann.«

»Alles, was die Seña Frasquita gesagt hat, ist die reinste Wahrheit!«
rief der Señor Juan Lopez, der sich Doña Mercedes' Gunst erwerben
wollte, da er wohl sah, daß sie das Corregimiento beherrschte.

»Alles, alles!« fügte Toñuelo hinzu, der seinem Herrn nacheifern wollte.

»Bis jetzt alles!« sprach der Corregidor, sehr zufrieden, daß die
Erklärungen der Seña Frasquita nicht weiter gegangen waren.

»Also bist du unschuldig?« rief inzwischen der Müller aus und
ergab sich dem Augenschein und der Überzeugung. »Meine Frasquita!
Herzens-Frasquita! Verzeih' mir die Ungerechtigkeit und laß mich dich
umarmen!«

»Oh, das ist Mehl aus einem andern Sack,« antwortete die Müllerin, den
Körper wegbiegend. »Bevor ich dich umarme, muß ich erst deine Erklärung
hören.«

»Ich werde sie für ihn und mich geben,« sagte Doña Mercedes.

»Seit einer Stunde warte ich schon darauf,« stieß der Corregidor hervor
und versuchte sich aufzurichten.

»Aber ich werde sie nicht eher geben,« fuhr die Corregidora fort, indem
sie ihren Mann verächtlich ansah, »als bis die Herren die Kleider
gewechselt haben, und auch dann werde ich sie nur demjenigen geben, der
sie zu hören verdient.«

»Schnell, schnell, wir wollen uns umkleiden,« sagte der Murcianer zu Don
Eugenio, und freute sich, daß er ihn nicht getötet hatte, wenn er ihn
auch mit einem wahrhaft maurischen Haß betrachtete. »In den Kleidern Ew.
Gnaden ersticke ich, und wie unglücklich bin ich gewesen, während ich
sie trug!«...

»Weil du es nicht verstehst,« antwortete der Corregidor. »Ich dagegen
wünsche nichts sehnlicher, als sie wieder anzulegen, um, wenn mir die
Erklärung meiner Frau nicht genügt, dich und die halbe Welt aufhängen zu
lassen.«

Als die Corregidora diese Worte hörte, beruhigte sie die Versammlung mit
einem sanften Lächeln, wie es den Engeln eigen, deren Aufgabe es ist,
die Menschen zu bewachen.


34.

Auch die Corregidora ist reizend.

Als der Corregidor und Tio Lucas den Saal verlassen hatten, setzte sich
die Corregidora von neuem auf das Sofa, zog die Seña Frasquita neben
sich, und sich zu den die Thür füllenden Dienstboten und Polizeidienern
wendend, sagte sie mit liebenswürdiger Einfachheit:

»Nun, Kinder, erzählt jetzt, was ihr Schlechtes von mir wißt.«

Rasch drängte der vierte Stand vorwärts, und zehn Stimmen wollten
zugleich sprechen; aber die Amme, die doch im Hause die wichtigste
Person war, gebot den Übrigen Schweigen und sprach folgendermaßen:

»Sie müssen wissen, Seña Frasquita, daß wir, ich und meine Herrin,
heute Nacht mit der Pflege der Kinder beschäftigt waren. Wir warteten
auf die Rückkunft des Herrn und beteten, um die Zeit hinzubringen,
schon den dritten Rosenkranz, denn Garduña hatte gesagt, daß der Herr
einige sehr schreckliche Missethäter verfolge, und da war natürlich
nicht eher ans Zubettgehen zu denken, als bis wir ihn unbeschädigt
wieder heimkehren sahen -- als wir in dem daran stoßenden Alkoven,
in dem meiner Herrschaft Ehebett steht, ein Geräusch wie von Leuten
hörten. Wir nahmen, halbtot vor Angst, das Licht, um nachzusehen, wer
in dem Alkoven herumginge, als wir, o heilige Jungfrau von Carmen!
einen Mann sahen, wie mein Herr gekleidet, der er aber doch nicht war
(da er ja Ihr Mann war), und der sich hinter dem Bett zu verstecken
suchte. ›Räuber!‹ fingen wir an wie wahnsinnig zu schreien, und
einen Augenblick nachher war das ganze Zimmer voller Leute, und die
Alguacilen zogen den nachgemachten Corregidor aus seinem Versteck
hervor. -- Meine Herrin, die, wie wir alle, den Tio Lucas erkannt
hatte, und, weil sie ihn in den Kleidern des Corregidors sah,
fürchtete, er hätte jenen ermordet, erhob ein jämmerliches Wehklagen,
das die Steine hätte erweichen können. ›Ins Gefängnis, ins Gefängnis!‹
sagten inzwischen die Übrigen. ›Räuber! Mörder!‹ waren noch die besten
Worte, die der Tio Lucas zu hören bekam, und so stand er da wie eine
Leiche, an die Wand gelehnt, und brachte kein Wort hervor. Aber als er
sah, daß sie ihn ins Gefängnis bringen wollten, sagte er: ›Ich werde
es ihnen wiederholen, wenn es auch besser wäre, es zu verschweigen.
Señora, ich bin kein Räuber, ich bin kein Mörder; der Räuber und Mörder
meiner Ehre ist in meinem Hause und liegt mit meiner Frau im Bette.‹«

»Armer Lucas!« seufzte die Seña Frasquita.

»Die Ärmste bin ich!« murmelte die Corregidora ruhig.

»Das sagten wir alle... Armer Tio Lucas und arme Señora! Weil... denn...
nun, wir hatten schon aus kleinen Andeutungen erfahren, daß mein Herr
ein Auge auf Sie geworfen hatte, und... na, obgleich niemand sich denken
konnte, daß Sie«...

»Amme!« rief die Corregidora streng. »Auf diesem Wege gehts nicht fort.«

»Ich werde auf einem anderen fortfahren,« sagte ein Alguacil, der die
Unterbrechung benutzte, um sich des Wortes zu bemächtigen. »Der Tio
Lucas, der uns, als er ins Haus trat, mit seinem Anzuge und seiner Art
und Weise zu gehen, so gut angeführt hatte, daß wir ihn alle für den
Corregidor hielten, war gewiß nicht mit guten Absichten gekommen, und
wenn die Señora nicht wach gewesen wäre... Stellen Sie sich nur vor, was
da hätte passieren können«...

»Na ja, schweig' doch nur!« unterbrach ihn die Köchin. »Du sagst nichts
als Dummheiten. Ja, Seña Frasquita, um seine Anwesenheit im Schlafzimmer
der Herrin zu erklären, mußte er den Zweck bekennen, der ihn hierher
geführt. Natürlich konnte die Herrin, als sie es hörte, sich nicht
enthalten, ihm einen Schlag auf den Mund zu geben, so daß ihm die Hälfte
der Worte im Halse stecken blieben. Ich selbst habe ihn mit Schmähungen
und Schimpfworten überhäuft und wollte ihm die Augen auskratzen. Denn
das wissen Sie ja, Seña Frasquita, wenn es auch Ihr Mann ist, aber wenn
man mit solchen Absichten«...

»Du bist eine alte Schwätzerin!« rief der Portier und stellte sich vor
die Rednerin. »Was hättest du denn thun wollen? Hört mich, Seña
Frasquita, und kommen wir zur Sache. Die Señora sagte und that alles,
was sich gehörte, aber als sich ihr Ärger etwas abgekühlt hatte,
bemitleidete sie den Tio Lucas, dachte über das schlechte Betragen des
Herrn Corregidors nach und sprach diese oder ähnliche Worte: ›Wenn auch
Euer Gedanke sehr nichtswürdig gewesen ist, Tio Lucas, und ich Euch
diese Unverschämtheit nie verzeihen kann, so müssen Eure Frau und mein
Mann doch ein paar Stunden lang glauben, daß sie sich in ihren eigenen
Netzen gefangen haben und daß Ihr, unterstützt durch Eure Verkleidung,
Schmach mit Schmach vergolten habt. Wir können uns nicht besser an ihnen
rächen, und die Täuschung ist so leicht, daß wir sie aufklären können,
wenn es uns paßt.‹ Als die Señora diesen witzigen Entschluß gefaßt
hatte, lehrte sie und Tio Lucas uns, was wir zu sagen und zu thun
hätten, wenn Se. Gnaden zurückkehrte; und dem Sebastian Garduña habe ich
einen solchen Schlag aufs Hinterteil versetzt, daß er die St. Simon- und
St. Judas-Nacht nicht sobald wieder vergessen wird.«

Schon seit längerer Zeit, noch während der Portier sprach, flüsterten
sich die Corregidora und die Müllerin gegenseitig in die Ohren, umarmten
und küßten sich alle Augenblicke und konnten verschiedene Male das
Lachen gar nicht verbeißen.

Schade! daß man nicht hörte, was sie sprachen. Aber der Leser wird es
sich wohl ohne große Mühe denken können, und wenn nicht der Leser, so
doch die Leserin.


35.

Kaiserliches Dekret.

In diesem Augenblicke kehrten der Corregidor und der Tio Lucas, jeder in
seinen eigenen Kleidern, in den Saal zurück.

»Jetzt ist die Reihe an mir,« sagte der erlauchte Don Eugenio de Zuñiga
eintretend.

Und nachdem er einigemale heftig mit dem Stocke auf den Boden gestoßen
hatte, wie um seine Energie wieder zu sammeln, gleich einem offiziellen
Antäos, der sich nicht eher stark fühlt, als bis sein Bambusrohr die
Erde berührt, sagte er mit unbeschreiblicher Emphase und Dreistigkeit zu
der Corregidora:

»Merceditas! ich erwarte deine Erklärungen.«

Inzwischen stand die Müllerin auf, kniff den Tio Lucas zum Zeichen des
Friedens so stark, daß ihm Funken vor den Augen tanzten, und blickte ihn
zugleich mit gar nicht mehr ärgerlichen, sondern bezaubernden Augen an.

Der Corregidor, der jene Pantomime beobachtet hatte, erstarrte fast zur
Salzsäule, weil er sich eine so =unmotivierte= Versöhnung nicht
erklären konnte.

Dann wandte er sich von neuem an seine Frau und sagte in essigsaurem
Tone:

»Señora, alle verständigen sich hier, nur wir nicht. Reißen Sie mich aus
meinen Zweifeln. Ich befehle es als Mann und als Corregidor.«

Und wieder dröhnte der Stock gegen den Fußboden.

»Sie wollen also gehen?« rief Doña Mercedes aus und näherte sich der
Seña Frasquita, ohne sich um Don Eugenio zu kümmern. »So gehen Sie also
ohne Sorge, der Skandal wird keine Folgen haben. Rosa, leuchte den
Herrschaften, sie wollen ja schon gehen. Geht mit Gott, Tio Lucas!«

»O nein!« schrie Don Eugenio, indem er sich hineinmischte. »Tio Lucas
wird nicht fortgehen. Tio Lucas wird so lange im Arrest bleiben, bis ich
die volle Wahrheit weiß. Halloh, Alguacilen! Im Namen des Königs!«

Nicht einer der Polizeidiener gehorchte Don Eugenio. Alle blickten die
Corregidora an.

»Nun, Mann, mache Platz!« fügte diese hinzu, indem sie ihn fast umstieß
und sich von allen mit der größten Feinheit verabschiedete, das heißt,
den Kopf leicht zur Seite geneigt, ergriff sie ihr Kleid mit den
Fingerspitzen und neigte sich anmutig, bis sie die Modereverenz jener
Zeit ausführte, die man _la pompa_[9] nannte.

»Aber ich... aber du... aber wir... aber die da,« murmelte der arme Alte
noch immer, zog seine Frau am Kleide und störte ihre bestangefangenen
Verbeugungen.

Vergebliches Bemühen! Niemand kümmerte sich um Sr. Gnaden.

Als alle fortgegangen und die entzweiten Gatten im Salon allein waren,
geruhte die Corregidora endlich im Tone einer Czarin aller Reussen,
welche über einen gefallenen Minister den Blitzstrahl der ewigen
Verbannung nach Sibirien schlendert, zu ihrem Gatten zu sagen:

»Und lebtest du tausend Jahre, so sollst du doch nie erfahren, was in
dieser Nacht in meinem Schlafzimmer vorgefallen ist. Wenn du darin
gewesen wärest, wie es natürlich war, so brauchtest du niemand danach zu
fragen. Was mich anbetrifft, so habe und werde ich nie einen Grund
haben, der mich nötigen könnte, es zu enthüllen, dazu verachte ich dich
zu sehr, und wenn du nicht der Vater meiner Kinder wärest, so würde ich
dich jetzt vom Balkon herunterstürzen ... Und hiermit gute Nacht,
Caballero!«

Als die Corregidora diese Worte ausgesprochen hatte, die der Corregidor
anhörte, ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken (denn wenn er allein
war, wagte er es nicht, gegen seine Frau aufzutreten), ging sie in das
Schlafzimmer, schloß die Thüren hinter sich zu, und der arme Mann blieb
mitten im Saal aufgepflanzt stehen und murmelte mit einem beispiellosen
Cynismus zwischen den Gaumen -- Zähne hatte er ja nicht:

»Gott sei Dank! Ich glaubte nicht, daß es so gut enden würde... Garduña
wird mir eine andere suchen.«


36.

Schluß, Moral und Epilog.

Fröhlich zwitschernd grüßten die Vögel den Morgen, als Tio Lucas und die
Seña Frasquita die Stadt verließen, um sich nach der Mühle zu begeben.

Die Gatten gingen zu Fuß, vor ihnen her trabten die beiden
zusammengekoppelten Esel.

»Am Sonntag mußt du zur Beichte gehen,« sagte die Müllerin zu ihrem
Mann, »denn du mußt dich von all den schlechten Meinungen und
verbrecherischen Absichten dieser Nacht reinigen.«

»Da hast du einen guten Gedanken,« antwortete der Müller. »Aber du mußt
mir dafür auch einen Gefallen thun und die Matratzen und das Bettzeug
unseres Bettes den Armen geben und alles neu anschaffen. Ich lege mich
nicht wieder dahin, wo dies giftige Gewürm geschwitzt hat.«

»Nenne ihn nicht, Lucas!« versetzte die Seña Frasquita. »Aber um von
etwas anderem zu sprechen. Ich möchte dich noch um einen anderen
Gefallen bitten...«

»Bitte nur.«

»Im künftigen Sommer wirst du mich nach Solan de Cabras bringen, um eine
Badekur zu gebrauchen.«

»Warum?«

»Um zu sehen, ob wir Kinder bekommen werden.«

»Das ist eine sehr glückliche Idee. Wenn Gott uns das Leben schenkt,
sollst du dorthin gehen.«

Sie langten bei der Mühle an, gerade als die Sonne, ohne noch
aufgegangen zu sein, die Gipfel des Gebirges vergoldete. -- -- --

Zur größten Überraschung der Gatten, die nach einer so ärgerlichen
Szene, wie die der vergangenen Nacht, keine Besuche von hohen
Herrschaften mehr erwarteten, versammelten sich am Nachmittage mehr
Personen denn je. Der ehrwürdige Prälat, viele Domherren, der Lehrer der
Rechtswissenschaft, zwei Priore von Mönchsklöstern und verschiedene
andere Personen, die, wie man bald erfuhr, Se. Hochwürden
zusammenberufen hatte, füllten den ganzen Platz vor dem Hause.

Nur der Corregidor fehlte.

Als alle versammelt waren, ergriff der Herr Bischof das Wort und sagte,
daß, gerade weil gewisse Dinge in jenem Hause vorgefallen wären, seine
Domherren und er wie früher kommen würden, damit weder die braven
Müllersleute, noch die übrigen gegenwärtigen Personen vom öffentlichen
Tadel betroffen würden, den nur jener verdiente, welcher durch sein
rohes Betragen eine so gesittete, anständige Gesellschaft entweiht
hatte. Er ermahnte die Seña Frasquita väterlich, fürderhin weniger
herausfordernd und verführerisch in ihren Worten und Bewegungen zu sein,
die Arme mehr bedeckt und den Ausschnitt des Kleides etwas höher zu
tragen, riet dem Tio Lucas, seinen Vorgesetzten gegenüber mehr
Uneigennützigkeit, größere Zurückhaltung und weniger Unbescheidenheit zu
zeigen, gab dann schließlich seinen Segen, und da er an jenem Tage nicht
fastete, würde er mit vielem Vergnügen ein paar Trauben essen. Dasselbe
meinten alle, nämlich das letztere -- und der Weinstock erzitterte den
ganzen Nachmittag. -- Der Müller schätzte den Konsum an Weintrauben auf
zwei Arrobas.[10] -- --

Ungefähr drei Jahre lang dauerten diese angenehmen Zusammenkünfte, als
wider alles Erwarten die Heere Napoleons in Spanien eindrangen und der
Freiheitskrieg begann.


Der Herr Bischof, der Magistrat und der Pönitentiar starben im Jahre
1808, und der Advokat und die übrigen Teilnehmer in den Jahren 9, 10, 11
und 12, weil sie den Anblick der Franzosen, Polen und anderer Raubtiere
nicht ertragen konnten, welche in das Land einfielen und sogar im
Presbyterium der Kirchen, während der Militärmesse, ihre Pfeifen
rauchten!

Der Corregidor, der nie wieder nach der Mühle kam, wurde durch einen
französischen Marschall ersetzt und starb im Kerker in Madrid, weil er
sich auch nicht einen Augenblick, zu seiner Ehre sei's gesagt, mit der
Fremdherrschaft einverstanden erklären wollte.

Doña Mercedes hat sich nicht wieder verheiratet und erzog ihre Kinder
ganz ausgezeichnet. Im Alter zog sie sich in ein Kloster zurück und
starb dort im Geruche der Heiligkeit.

Garduña wurde französiert.

Señor Juan Lopez kämpfte im Guerillakriege als Anführer und starb,
gleich seinem Alguacil, in der berühmten Schlacht bei Baza, nachdem er
sehr viele Franzosen getötet hatte.

Zum Schluß: Tio Lucas und die Seña Frasquita, obgleich sie keine Kinder
bekamen, trotzdem sie nach Solan de Cabras gegangen waren und viele
Gelübde abgelegt hatten, liebten sich immer auf ihre Weise und
erreichten ein hohes Alter. Sie sahen den Absolutismus in den Jahren
1812 und 1820 dahinsinken und ihn 1814 und 1823 wieder erscheinen, bis
endlich nach dem Tode des Absoluten Königs die Konstitution eingeführt
wurde; und sie schlummerten zu einem besseren Leben hinüber gerade beim
Ausbruch des siebenjährigen Bürgerkrieges, ohne daß die damals schon
allgemein getragenen Cylinderhüte =jene Zeiten= bei ihnen in
Vergessenheit geraten ließen, welchen als Symbol diente -- =der
Dreispitz=.


                        =Ende.=



FUSSNOTEN:

[1] Zwei Neuntel von allen Zehnten, die der König bekommt.

[2] Suppe mit Gemüse und Fleisch.

[3] Gleich nach der Suppe zu essen.

[4] Volkstümlich für Señora Frasquita, Frau Fränzchen = Franziska.

[5] Abendgesellschaft, Versammlung.

[6] _Que Dios guarde_, den Gott erhalte, übliche Formel.

[7] Es handelt sich hier um ein unübersetzbares Wortspiel zwischen
_males_ und _animales_.

[8] »Ave, reinste Maria! Halb Eins und schönes Wetter!« Dies
der gewöhnliche Ruf der Nachtwächter, die, weil die Nächte meist heiter
(_sereno_) sind, hiervon auch vielleicht den Namen _serenos_ erhalten
haben. Regnet es, so fügen sie der Angabe der Zeit _y lloviendo_ (und
es regnet) hinzu.

[9] _pompa_ ist Pracht, Prunk, aber auch der Bausch, welchen die
Frauenkleider beim Niederbeugen machen.

[10] Eine Arroba gleich 11-1/2 Kilogramm.



Notizen des Bearbeiters:

Hinzugefügt: Inhaltsverzeichnis

Text in Antiqua-Schrift gekennzeichnet durch _..._

Gesperrter Text gekennzeichnet durch =...=





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