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Title: Schillers Flucht von Stuttgart - und Aufenthalt in Mannheim von 1782-1785
Author: Streicher, Andreas
Language: German
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    Anmerkungen zur Transkription


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    Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so ausgezeichnet~.

    Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des
    Buches.



    Schillers Flucht
    von Stuttgart

    und

    Aufenthalt in Mannheim
    von 1782--1785

    Von

    Andreas Streicher

    Herausgegeben und mit einer Einleitung versehen

    von

    Prof. ~Dr.~ J. Wychgram


    Leipzig

    Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.



    Übersetzungsrecht vorbehalten



Einleitung.


Das Buch, das wir, nachdem es zum ersten- und einzigen Male im Jahre
1836, drei Jahre nach dem Tode seines Verfassers, erschienen war,
nun zum Schiller-Jubiläumstag neu in die Welt senden, ist nicht mit
Unrecht ein Kleinod unserer Literatur genannt worden. Nicht als ob es
schriftstellerische Vorzüge aufweisen könnte. Sein Wert liegt vielmehr
einmal in den berichteten Tatsachen, die für die Kenntnis von Schillers
Entwicklung von außerordentlichem Werte sind und die uns unbekannt
geblieben sein würden, wenn nicht Streicher sie uns erzählt hätte,
sodann aber in dem Geist und Sinn, der aus dem Buche spricht. Da die
Vorbereitungen zur Flucht aus Stuttgart und ihre Ausführung selbst sehr
geheim gehalten werden mußten und da das, was außerhalb des Weichbildes
von Mannheim mit Schiller geschah, nur Streicher zum Zeugen hatte,
so können wir in der Tat den Wert dieser Aufzeichnungen nicht genug
schätzen; aber auch, daß dieser Zeuge gerade Streicher war, ist von
der größten Bedeutung. Denn wir haben in diesem Manne, der ja, wie der
Leser aus dem Buche selbst erkennen wird, mit einer Art Vergötterung an
Schiller hing, einen Berichterstatter, der alle diese aufregenden und
abenteuerlichen Erlebnisse mit der größten Einfachheit, ohne subjektive
Färbung und mit einem treuen geschichtlichen Sinne uns erzählt.
Freilich ist das Buch selber erst geschrieben worden, als Streicher
bereits im Greisenalter stand; aber die Ereignisse der Jugend standen
ihm, soweit er sie selbst miterlebt hatte, als die denkwürdigsten
seines ganzen Lebens vor der Seele, und später erschienene Briefe
bezeugen uns, daß Streicher in der gewissenhaftesten Weise überall da,
wo entweder sein Gedächtnis ihn nicht mehr sicher beriet oder wo er
von Dingen zu erzählen hatte, die er selbst nicht mit angesehen (wie
zum Beispiel in dem Berichte über die letzte Begegnung Schillers mit
seiner Schwester und seiner Mutter), durch briefliche Erkundigung die
Lücke zu ergänzen oder falsche Gerüchte zu berichtigen suchte. Einen
solchen Brief teilen Speidel und Wittmann in ihrem vorzüglichen Buche
»Bilder aus der Schillerzeit,« S. 26, mit. So kann man sagen, daß die
Partien des Streicherschen Buches, die sich mit der Flucht und den auf
die Flucht folgenden Ereignissen beschäftigen, durchaus zuverlässig
sind und nur in ganz unwesentlichen Einzelheiten, in den Angaben
einiger Monatsdaten und ähnlichen Kleinigkeiten, von der späteren
Schiller-Forschung berichtigt worden sind.

Streicher hat nun dem Berichte von der Flucht eine kurze Übersicht
über Schillers Leben bis 1782 beigegeben; diese Übersicht mußte er
nach den damals zugänglichen Quellen abfassen, und sie ist daher,
wie wir gleich hier bemerken, nicht in demselben Maße unanfechtbar,
wie der eigentliche Kern des Buches. Insbesondere waren Streicher
die näheren Umstände, die das Zerwürfnis Schillers mit dem Herzog
veranlaßten, nicht bekannt; vermutlich hat Schiller selbst von dem,
was an Intrigen gegen ihn und gegen seinen Vater sich abgesponnen hat,
nicht alles gewußt. Wir verzichten hier darauf, die Einzelheiten zu
berichtigen, da der Leser dazu jede moderne Schillerbiographie benutzen
kann; es sei gestattet, auf die betreffenden Abschnitte in der von mir
verfaßten Biographie Schillers (4. Auflage, Bielefeld und Leipzig,
Velhagen & Klasing; Volksausgabe, ebenda 1904), zu verweisen, wo ein
ausführliches Bild gegeben wird. Die Universal-Bibliothek bietet die
Schiller-Biographie von Rudolf von Gottschall (Nr. 3879/80), die in
gedrängterer Form berichtet.

Andreas Streicher wurde als der Sohn unbemittelter Eltern im Jahre
1761 in Stuttgart geboren; er widmete sich der Tonkunst und sollte
bei Emanuel Bach in Hamburg seine Ausbildung als Musiker erhalten.
Von der Reise nach Hamburg aber wurde er durch die von ihm selbst
erzählten Umstände abgehalten; er blieb vielmehr einige Jahre, mit
Schiller und auch noch nach Schiller, in Mannheim, wandte sich dann
nach München und ging 1794 nach Wien, wo er als Klavierlehrer eine
auch an äußeren Erfolgen reiche Tätigkeit entwickelte. Später hat
er in Wien die Pianofortefabrik seiner Frau, einer geborenen Stein
aus Augsburg, übernommen und es in dieser Tätigkeit zu erheblichem
Wohlstande gebracht. Er starb am 15. Mai 1833. Wie sehr er an dem
Jugendfreunde hing, zeigt nicht nur das Buch selber, das er etwa in den
Jahren 1828--30 verfaßt hat, sondern dies wird uns auch aus Briefen,
die er nach Schillers Tode an dessen Angehörige schrieb, deutlich. Man
hat wohl bemerkt, es sei auffallend, daß Schiller selbst später nicht
wieder an den aufopferungsfreudigen Freund seiner Jugend geschrieben
habe, insbesondere Julian Schmidt hat in seinem Buche »Schiller
und seine Zeitgenossen« dieses Befremden ausgedrückt; man ist aber
damit im Irrtum gewesen. Wir besitzen noch einen Brief von Schiller,
der uns zeigt, wie Schiller in dankbarem Herzen die Erinnerung an
Streicher bewahrt hat. Im Jahre 1795 hatte Streicher einem Herrn seiner
Bekanntschaft einen Empfehlungsbrief an Schiller mitgeschickt; Schiller
antwortete darauf:

        »Mein teurer und hochgeschätzter Freund!

    Gestern erhielt ich durch Herrn von Bühler Ihren Brief, der mich
    auf eine sehr angenehme Weise überraschte. Daß Sie mich nach einer
    zehnjährigen Trennung und in einer so weiten Entfernung noch nicht
    vergessen haben, daß Sie meiner mit Liebe gedenken und mir ein
    gleiches gegen Sie zutrauen, rührt mich innig, lieber Freund, und
    ich kann Ihnen auch von meiner Seite mit Wahrheit gestehen, daß mir
    die Zeit unseres Zusammenseins und Ihre freundschaftliche Teilnahme
    an mir, Ihre gefällige Duldung gegen mich und Ihre auf jeder Probe
    ausharrende Treue in ewig teurem Andenken bleiben wird.

    Wie erfreuen Sie mich, lieber Freund, mit der Nachricht, daß es
    Ihnen wohl geht, daß Sie mit Ihrem Schicksale zufrieden sind und
    nun auch die Freuden des häuslichen Lebens genießen. Diese sind
    mir schon seit sechs Jahren zu teil geworden, und ich könnte, im
    Besitze eines hoffnungsvollen Knaben, sowie in meiner unabhängigen
    äußeren Lage ein ganz glücklicher Mensch sein, wenn ich aus dem
    Sturme, der mich so lange herumgetrieben, meine Gesundheit gerettet
    hätte. Indessen macht ein heiteres Gemüt und der angenehme Wechsel
    der Beschäftigung mich diesen Verlust noch ziemlich vergessen, und
    ich finde mich in mein Schicksal.

    Eben dieser Zustand meiner Gesundheit läßt mich nicht daran denken,
    eine Reise zu unternehmen, und raubt mir also die Freude, Ihre
    freundschaftliche Einladung anzunehmen. Aber was mir unmöglich ist,
    können Sie vielleicht ausführen, und um so eher, da ein Tonkünstler
    überall zu Hause ist und selbst auf Reisen die Zeit nicht verliert.
    Daß mir Ihre Erscheinung in Jena unbeschreiblich viele Freude
    machen würde, bedarf keiner Versicherung, und daß auch Sie nicht
    unzufrieden sein sollen, dafür, glaube ich, gutsagen zu können.
    Ich könnte Ihnen wenigstens dafür stehen, daß Sie in Weimar, wo
    man Musik zu schätzen weiß, eine sehr erwünschte Aufnahme finden
    sollten.

    Ihr aufrichtig ergebener

        Schiller.

    Jena, den 9. Oktober 95.

        An Herrn Andreas Streicher, Tonkünstler in Wien.«

Man sieht aus diesem Briefe, daß Schiller, wenn auch keine häufigeren
Anlässe zu lebhafterem Briefwechsel mit seinem Jugendfreunde vorlagen,
ihn doch in dankbarer Erinnerung bewahrte. Folgende beiden Briefe
mögen noch dem Leser zeigen, mit welcher Wärme Andreas Streicher spät
nach Schillers Tode für die Pflege von dessen Andenken gesorgt hat.
Der erste dieser Briefe ist am 30. August 1826 an Schillers einzige
überlebende Schwester Christophine, die verwitwete Hofrätin Reinwald
in Meiningen, gerichtet, der andere am 29. April 1829 an Schillers
bekannten Freund Körner. Die Briefe lauten folgendermaßen:


I.

        »Wohlgeborne Frau!

    Seit dem Tode Ihres herrlichen Bruders sind einundzwanzig Jahre
    verflossen, und noch ist er nicht begraben, sondern sein Sarg steht
    in Weimar in dem Gewölbe einer Sterbkassen-Gesellschaft unter
    dreißig bis vierzig andern versteckt, so daß es unmöglich ist, zu
    ihm zu gelangen oder ihn nur zu sehen.

    Man sagt, daß diese ungeheure Vernachlässigung die Schuld der Witwe
    sei.

    Als ich im Jahre 1820 die erste Nachricht hierüber in der
    »Allgemeinen Zeitung« las, schrieb ich sogleich nach Weimar und
    erkundigte mich um die Wahrheit derselben. Leider wurde solche
    bestätigt und die Vermutung geäußert, daß wohl der Vermögenszustand
    der Schillerschen Familie einige Schuld daran haben könne.
    Sogleich entschloß ich mich, eine kleine von mir verfaßte Schrift:
    »Schillers Flucht von Stuttgart und sein Aufenthalt in Mannheim
    von 1782 bis 1785,« die erst nach meinem Tode erscheinen sollte,
    jetzt schon, und zwar zu dem Zwecke herauszugeben, damit für den
    eingehenden Betrag Schiller ein ordentliches Grabmal errichtet
    werden könnte.

    Mancherlei Schwierigkeiten, die ich nicht beseitigen konnte und
    deren Aufzählung zu weitläufig sein würde, brachten diese Sache
    ins Stocken, bis endlich bei der Austeilung des neuen Kirchhofs
    in Weimar sich Frau von Schiller entschloß, eine Familiengruft zu
    wählen, und nur noch ihre Rückkehr von Köln erwartet wurde, um eine
    vollkommene Entscheidung herbeizuführen. Allein ein Schlagfluß
    überraschte sie in Bonn, wohin sie sich wegen einer Augenoperation
    begeben hatte, und brachte diese Sache insoferne wieder aufs neue
    zum Stillstande, als man sich deshalb nun an den ältesten Sohn
    in Köln wenden mußte. An diesen habe ich nun geschrieben, und es
    läßt sich erwarten, daß er die Pflicht des Sohnes erfüllen und
    das Murren aller Reisenden, sowie die in so vielen Zeitschriften
    darüber erhobenen Klagen stillen wird.

    Ich habe Herrn von Schiller auch zugleich um genaue Nachrichten
    in betreff der letzten Lebensjahre seines Vaters ersucht, welche
    in den Schriften von Körner, H. Döring und andern entweder
    ganz übergangen oder unrichtig angegeben sind, indem mir daran
    liegt, daß meine Schrift als (wenigstens kleines) Ganzes sich
    darstelle. Da aber die Angaben über seine Eltern, über seine ersten
    Jugendjahre gar zu karg aufgeführt sind, und solche weder in der
    Zeitfolge noch in der Sache selbst zusammenpassen, so legt man
    diese Schriften desto unbefriedigter weg, je gespannter man auf
    alle Nachrichten ist, welche diese merkwürdige Familie betreffen.

    Von dieser Periode lassen sich nun nur noch von Ihnen, wohlgeborne
    Frau, die allerzuverlässigsten Nachrichten erwarten, indem Sie
    der einzige noch lebende Zeuge derselben sind. Ich nehme mir
    daher die Freiheit, Ihnen einige Fragen vorzulegen, welche diesen
    Zeitraum betreffen, mit der Bitte, selbige einiger Aufmerksamkeit
    würdigen und mir gefälligst beantworten zu wollen. Da ich meine
    Absicht, warum ich alles dahin Gehörige zu wissen wünsche, deutlich
    ausgesprochen, so darf ich nicht fürchten, daß Sie diese Fragen
    als aus bloßer Neugierde oder aus einer unedlen Ursache gestellt
    ansehen werden, sondern habe gegründete Ursache, zu hoffen, daß Sie
    dem Jugendfreunde und Leidensgefährten Ihres Bruders sein Verlangen
    um so weniger versagen werden, weil dieses nur zur Verherrlichung
    des Verewigten gereichen solle. Da aber die Schrift schon in
    einigen Monaten in Druck gegeben werden muß -- da erst, wenn
    dieser schon im Gange ist, die Unterzeichnung darauf öffentlich
    angekündigt werden kann -- da auch nur alsdann erst zur Erbauung
    eines ordentlichen, würdigen Grabmals geschritten wird, wenn man
    der Kostendeckung versichert ist -- da meine Geschäfte mir nur
    sehr wenig Zeit zur Vollendung dieser Schrift gestatten, und da
    mein Alter, sowie meine Gesundheit es nicht ratsam machen, diese
    Angelegenheit noch länger als bis zum 9. Mai 1827 zu erstrecken,
    so muß ich den dringenden Wunsch beifügen, daß Sie die Güte haben
    und mir Ihre Antwort sobald als möglich übermachen wollen. Keine
    Ihrer Nachrichten soll für mein Eigentum abgegeben, sondern dankbar
    dem Publikum die Quelle genannt werden, aus welcher mir solche
    zugeflossen.

    Es sind nun volle dreiundvierzig Jahre, daß mir nicht mehr vergönnt
    ward, Sie zu sehen, und nur meine lebhafte Erinnerung an Sie, sowie
    an Ihr ganzes Haus, kann mir einige Schadloshaltung für dieses
    Glück gewähren.

    Mein innigster Wunsch ist, daß dieser Brief Sie, sowie Ihren Herrn
    Gemahl in bestem Wohlsein treffe, und daß von diesem durch eine
    gefällige Antwort recht bald die Überzeugung erhalte, wohlgeborne
    Frau, Ihr hochachtungsvoll ergebenster Diener

        Andreas Streicher, Tonkünstler.

    Wien, am 30. August 1826.«


II.

    »Das Werk erscheint gegen Unterzeichnung, und der reine Ertrag
    desselben, wenn er sich auf 20000 Gulden beläuft, soll erstens dazu
    verwendet werden, um eine Stiftung zu gründen, damit alle zehn
    Jahre die Interessen dieses Kapitals demjenigen (oder dessen Erben)
    eingehändigt werden, der während dieser Zeit das beste Schauspiel,
    Drama oder Trauerspiel, dessen Inhalt aus der deutschen Geschichte
    genommen sein muß, gedichtet hat. Zweitens, da aber die 10000
    Gulden Interessen des Kapitals in zehn Jahren wieder 2500 Gulden
    abwerfen, so werden diese demjenigen Schriftsteller als Preis
    zugeteilt, der in diesem Zeitraume das beste Werk für die Jugend
    oder das Volk in dem Sinne geschrieben, wie es Schiller in der
    Rezension von Bürgers Gedichten in den Worten: »Welches Unternehmen
    usw. bis: würden sie endlich selbst von der Vernunft abfordern,«
    angedeutet hat. Diese Preise würden einmal in Stuttgart, als der
    Hauptstadt von des Dichters Vaterland, das andere Mal in Weimar,
    wo er Unterstützung fand und starb, und das dritte Mal in Wien,
    wo seine hohe, gemütvolle Dichtung noch am meisten gewürdigt und
    empfunden wird, öffentlich und feierlich erteilt werden. Jeder der
    genannten Orte würde drei Schiedsrichter ernennen, welche die des
    Preises würdigsten Stücke bezeichnen würden.

    Dies ist das Hauptsächlichste von dem, was ich mir hierüber
    ausgedacht und auch Herrn Ernst von Schiller mitgeteilt habe.
    Dieser aber erwidert mir, daß ich durch Ausführung dieses Vorsatzes
    dem Verkaufe der sämtlichen Werke seines Vaters bedeutenden Schaden
    zufügen und vielleicht das ganze Unternehmen gefährden würde.
    Allein ich habe Freiherrn von Cotta diesen Plan voriges Jahr
    mündlich mitgeteilt und weder damals, noch seit jener Zeit irgend
    einen Widerstand von ihm erfahren. Auch scheint die abgesonderte
    Herausgabe des Briefwechsels von Goethe und Schiller darauf
    hinzudeuten, daß vorerst alles bisher noch Unbekannte von Schiller
    einzeln herausgegeben und dann erst in späterer Zeit eine ganz
    vollständige Ausgabe seiner Werke veranstaltet werden solle.

    Da ich nun den Zweck der Herausgabe von Nachrichten über unsern
    Dichter genau und wahr angegeben: da alles, was darauf Beziehung
    hat, gänzlich von einer Nebenabsicht frei und rein ist, da nichts
    anderes dadurch erreicht werden soll, als daß seine schwere
    Laufbahn die eines nicht unwürdigen Nachfolgers erleichtern solle;
    da es auch nicht gleichgültig ist, das Volk, für das er lebte
    und schrieb, nicht nur zu einer dauernden Anerkennung seines
    außerordentlichen Geistes aufzufordern, sondern damit auch zugleich
    der Dichtkunst einen Rang anzuweisen, den sie schon lange bei
    andern Nationen, aber leider bei den hadersüchtigen, nur nach Geld
    und Titeln strebenden Deutschen bisher nicht hatte; da eine genaue
    Schilderung seines Lebens, seines himmlischen Gemütes, der Tiefe
    und Fülle seiner Empfindung nur von denen getreu dargestellt und
    erwartet werden kann, die ihn im Glück und Unglück handeln sahen
    -- so werden Sie dieses Schreiben sowohl als auch die Fragen mit
    Nachsicht aufnehmen und nicht kalt zurückweisen.«

       *       *       *       *       *

Streicher ist durch Christophine und auch aus seinen anderen Quellen
nicht immer ganz richtig unterrichtet worden; es sind in dem
Originaldruck eine Reihe von Versehen. Diese sind in unserem Neudruck
entweder ohne weiteres korrigiert oder aber durch Fußnoten kenntlich
gemacht worden.

Im übrigen verweisen wir auf Streichers Büchlein selber; es mag durch
sich und für sich sprechen.

    Berlin, im Februar 1905.

        J. Wychgram.



Vorrede

der Hinterbliebenen Streichers zur Ausgabe von 1836.


Der Verfasser des nachstehenden Werkchens, Andreas Streicher, lebt
nicht mehr. Zu den schönsten Erinnerungen seines reich beschäftigten
Lebens gehörten die Tage, die er in Schillers Nähe zugebracht hatte,
dessen Andenken er mit liebender Begeisterung, mit schwärmerischer
Verehrung bewahrte. Er hatte den edlen Dichterjüngling im Unglücke
gesehen, im Kampfe mit feindlichen Verhältnissen, und treu und
aufopfernd an ihm festgehalten. Und gerade jenen Zeitraum, so
wichtig für die Darstellung von Schillers Charakter, als er es für
die Entwicklung desselben und seiner äußern Lage gewesen, fand der
Verfasser in allen Biographien des Verewigten fast nur erwähnt,
nur kurz und unvollständig behandelt. Er wußte, daß wenige der
Überlebenden in dem Falle waren, so richtig und ausführlich darüber
zu berichten als er, und es drängte ihn, die Feder zu ergreifen, um
das Seinige zur Charakteristik des für Deutschland und die Menschheit
denkwürdigen Mannes beizutragen. In weit vorgerückten Jahren begann
er mit der strengsten Wahrhaftigkeit und sorgsamer, gewissenhafter
Liebe die folgenden Mitteilungen auszuarbeiten. Diese Sorgfalt bewog
ihn, immer noch daran zu bessern; diese Liebe machte, daß er zuletzt
auch Materialien über spätere Lebensabschnitte seines Jugendfreundes
sammelte, und über dem Sammeln, Sichten, Ordnen -- ereilte ihn der Tod.

Er hatte sich oft und gern mit Entwürfen in Hinsicht auf die Verwendung
des Ertrages seiner Schrift zu einer passenden Stiftung, einem
Dichterpreis, irgend einem gemeinnützigen Zwecke beschäftigt. Seine
Hinterbliebenen halten es für ihre Pflicht gegen ihn und das Publikum,
die Herausgabe des Werkes zu besorgen, an welcher den Erblasser selbst
ein unerwartetes Ende hinderte. Überzeugt, ganz in seinem Sinne zu
handeln, legen sie das Honorar, welches die Verlagshandlung ihnen dafür
zugesagt, als Beitrag zu dem Denkmale Schillers, auf den Altar des
Vaterlandes nieder.

Sie geben das Werk, wie sie es in Reinschrift in seinem Nachlasse
fanden.

Sie befürchten nicht, daß der Titel »Flucht« auch nur einen leisen
Schatten auf das Andenken oder den Namen Schillers werfen dürfte, da es
allbekannt ist, wie dessen Entfernung von Stuttgart keineswegs Folge
irgend eines Fehltrittes war, sondern ganz gleich der Flucht seines
»Pegasus,« der mit der Kraft der Verzweiflung das Joch bricht, um
ungehemmten Fluges himmelan zu steigen.

Wie an dem Titel, so glauben sie auch an dem Inhalte, ja selbst an dem
Stile nichts willkürlich ändern zu dürfen, um das Eigentümliche nicht
zu verwischen, woran man den Zeitgenossen der frühesten Periode und
den Landsmann unsers gefeierten Dichters erkennen mag. Der Verfasser
war Musiker, nicht Schriftsteller, und was ihm die Feder in die Hand
gegeben, nur seine glühende Verehrung Schillers und der frohe und
gerechte Stolz, ihm einst nahe gestanden zu sein.

Aus diesem Gesichtspunkte betrachtet, den sie festzuhalten bitten, wird
seine Leistung nachsichtige Beurteiler in den geneigten Lesern finden.



Schillers Flucht von Stuttgart

und

Aufenthalt in Mannheim von 1782--1785.


Johann Kaspar Schiller, geboren 1723, war der Vater unseres Dichters
und ein Mann von sehr vielen Fähigkeiten, die er auf die beste,
würdigste Weise verwendete, und die sowohl von seiner Umgebung als auch
von seinem Fürsten auf das vollständigste anerkannt wurden.

In seiner Jugend wählte er zum Beruf die Wundarzneikunde und ging,
nachdem er sich hierin ausgebildet, in seinem zweiundzwanzigsten Jahre
mit einem bayrischen Husarenregiment nach den Niederlanden, von wo er,
nach geschlossenem Frieden, in sein Vaterland Württemberg zurückkehrte
und sich 1749 zu Marbach, dem Geburtsorte seiner Gattin, verheiratete.
Dem höher strebenden und mehr als zu seinem Fache damals nötig war,
ausgebildeten Geiste dieses Mannes konnte aber der kleine, enge Kreis,
in dem er sich jetzt bewegen mußte, um so weniger zusagen, als er
durchaus nichts Erfreuliches für die Zukunft erwarten ließ, und er
auch bei früheren Gelegenheiten, wo er gegen den Feind als Anführer
in den Vorpostengefechten diente, Kräfte in sich hatte kennen lernen,
deren Gebrauch ihm edler sowie für sich und seine Familie nützlicher
schien als dasjenige, was er bisher zu seinem Geschäft gemacht
hatte. Er verließ daher bei dem Ausbruch des Siebenjährigen Krieges,
an welchem der Herzog gegen Preußen teilnahm, die Wundarzneikunde
gänzlich, suchte eine militärische Anstellung und erhielt solche 1757
als Fähnrich und Adjutant bei dem Regiment Prinz Louis um so leichter,
da er schon früher den Ruhm eines tapfern Soldaten und umsichtigen
Anführers sich erworben hatte.

So lange als das württembergische Korps im Felde stand, machte er
diesen Krieg mit, benutzte aber die Zeit der Winterquartiere, um
mit Urlaub nach Hause zu kehren, und war im November 1759 bei der
Geburt seines Sohnes, der auch der einzige blieb, gegenwärtig. Nach
geschlossenem Frieden wurde er in dem schwäbischen Grenzstädtchen
Lorch als Werboffizier mit Hauptmannsrang angestellt, bekam aber,
sowie die zwei Unteroffiziere, die ihm beigegeben waren, während drei
ganzer Jahre nicht den mindesten Sold, sondern mußte diese ganze Zeit
über sein Vermögen im Dienste seines Fürsten zusetzen. Erst als er
dem Herzog eine nachdrückliche Vorstellung einreichte, daß er auf
diese Art unmöglich länger als ehrlicher Mann bestehen oder auf seinem
Posten bleiben könne, wurde er abgerufen und in der Garnison von
Ludwigsburg angestellt, wo er dann später seinen rückständigen Sold
in Terminen nach und nach erhielt. Sowohl während der langen Dauer
des Krieges als auch in seinem ruhigen Aufenthalte zu Lorch war sein
lebhafter, beobachtender Geist immer beschäftigt, neue Kenntnisse zu
erwerben und diejenigen, welche ihn besonders anzogen, zu erweitern.
Den Blick unausgesetzt auf das Nützliche, Zweckmäßige gerichtet, war
ihm schon darum Botanik am liebsten, weil ihre richtige Anwendung dem
Einzelnen, sowie ganzen Staaten Vorteile verschafft, die nicht hoch
genug gewürdigt werden können. Da zu damaliger Zeit die Baumzucht
kaum die ersten Grade ihrer jetzigen, hohen Kultur erreicht hatte, so
verwendete er auf diese seine besondere Aufmerksamkeit und legte in
Ludwigsburg eine Baumschule an, welche so guten Erfolg hatte, daß der
Herzog -- gerade damals mit dem Bau eines Lustschlosses beschäftigt --
ihm 1775 die Oberaufsicht über alle herzustellenden Gartenanlagen und
Baumpflanzungen übertrug.

Hier hatte er nun Gelegenheit nicht nur alles, was er wußte
und versuchen wollte, im großen anzuwenden, sondern auch seine
Ordnungsliebe und Menschenfreundlichkeit auf das wirksamste zu
beweisen. Um seine Erfahrungen in der Baumzucht, welche nach der
Absicht seines Fürsten für ganz Württemberg als Regel dienen sollten,
auch dem Auslande nutzbringend zu machen, sammelte er solche in einem
kleinen Werke: Die Baumzucht im großen, wovon die erste Auflage zu
Neustrelitz 1795 und die zweite 1806 zu Gießen erschien.

Auch außer seinem Berufe war die Tätigkeit dieses seltenen Mannes ganz
außerordentlich. Sein Geist rastete nie, stand nie still, sondern
suchte immer vorwärts zu schreiten. Er schrieb Aufsätze über ganz
verschiedene Gegenstände und beschäftigte sich sehr gern mit der
Dichtkunst -- zu welcher er eine natürliche Anlage hatte.

Es ist nicht wenig zu bedauern, daß von seinen vielen Schriften und
Gedichten weiter nichts als obiges Werkchen unter die Augen der Welt
kam; wäre es auch nur, um einigermaßen beurteilen zu können, wie
viel der Sohn im Talent zum Dichter und Schriftsteller vom Vater als
Erbteil erhalten habe. Der Herzog, der ihm endlich den Rang als Major
erteilte, schätzte ihn sehr hoch; seine Untergebenen, die in großer
Anzahl aus den verschiedensten Menschen bestanden, liebten ihn ebenso
wegen seiner Unparteilichkeit, als sie seine strenge Handhabung der
Ordnung fürchteten; Gattin und Kinder bewiesen durch Hochachtung und
herzlichste Zuneigung, wie sehr sie ihn verehrten.

Von Person war er nicht groß. Der Körper war untersetzt, aber sehr
gut geformt. Besonders schön war seine hohe, gewölbte Stirn, die
durch sehr lebhafte Augen beseelt, den klugen, gewandten, umsichtigen
Mann erraten ließ. Nachdem er seine heißesten Wünsche für das Glück
und den Ruhm seines einzigen Sohnes erfüllt gesehen und den ersten
Enkel seines Namens auf den Armen gewiegt hatte, starb er 1796 im
Alter von 73 Jahren an den Folgen eines vernachlässigten Katarrhs nach
achtmonatlichen Leiden in den Armen seiner Gattin und der ältesten
Tochter, die von Meiningen herbeigeeilt war, um mit der Mutter die
Pflege des Vaters zu teilen, zugleich auch die schwere Zeit des
damaligen Krieges und ansteckender Krankheiten ihnen übertragen zu
helfen.

Die Mutter des Dichters, Elisabetha Dorothea Kodweiß, war aus einem
alt-adligen Geschlecht entsprossen, das sich von Kattwitz nannte und
durch unglückliche Zeitumstände Ansehen und Reichtum verloren hatte.
Ihr Vater, der schon den Namen Kodweiß angenommen, war Holzinspektor
zu Marbach. Eine fürchterliche Überschwemmung beraubte ihn dort seines
ganzen Vermögens. Aus Not griff er nun, um seine Familie nicht darben
zu lassen, zu gewerblichen Mitteln, bei welchen er jedoch nichts
vernachlässigte, was die Bildung des Herzens und Geistes seiner Kinder
befördern konnte.

Diese edle Frau war groß, schlank und wohlgebaut; ihre Haare waren sehr
blond, beinahe rot; die Augen etwas kränklich. Ihr Gesicht war von
Wohlwollen, Sanftmut und tiefer Empfindung belebt, die breite Stirne
kündigte eine kluge, denkende Frau an. Sie war eine vortreffliche
Gattin und Mutter, die ihre Kinder auf das zärtlichste liebte, sie mit
größter Sorgfalt erzog, besonders aber auf ihre religiöse Bildung,
so früh als es rätlich war, durch Vorlesen und Erklären des Neuen
Testaments einzuwirken suchte.

Gute Bücher liebte sie leidenschaftlich, zog aber -- was jede Mutter
tun sollte -- Naturgeschichte, Lebensbeschreibungen berühmter Männer,
passende Gedichte sowie geistliche Lieder allen andern vor. Auf den
Spaziergängen leitete sie die Aufmerksamkeit der zarten Gemüter auf
die Wunder der Schöpfung, die Größe, Güte und Allmacht ihres Urhebers.
Dabei wußte sie ihren Reden so viel Überzeugendes, so viel Gehalt und
Würde einzuflechten, daß es ihnen in späten Jahren noch unvergeßlich
blieb. Ihre häusliche Lage war bei dem geringen Einkommen ihres Gatten
sehr beschränkt, und es erforderte die aufmerksamste Sparsamkeit,
sechs Kinder standesgemäß zu erhalten und sie in allem Notwendigen
unterrichten zu lassen.

Die allgemeine Lebensart und Sitte, welche damals in Württemberg
herrschte, erleichterte jedoch eine gute Erziehung um so mehr, als eine
Abweichung von Sparsamkeit, Ordnungsliebe, Rechtschaffenheit sowie der
aufrichtigsten Verehrung Gottes als ein großer Fehler angesehen und
scharf getadelt worden wäre. Die Begriffe von Redlichkeit, Aufopferung,
Uneigennützigkeit suchte man damals jedem Kinde in das Herz zu prägen.
In der Schule wie zu Hause wurde auf die Ausübung dieser Tugenden
ein wachsames Auge gehalten. Die Vorbereitungen zur Ablegung des
Glaubensbekenntnisses waren größtenteils Prüfungen des vergangenen
Lebens sowie eindringende Ermahnungen, daß alles Tun und Lassen Gott
und den Menschen gefällig einzurichten sei.

Ein nicht unbedeutender Teil der Bewohner Württembergs, zu welchem
sich aus allen Ständen Mitglieder gesellten, konnte sich aber an
derjenigen Religionsübung, welche in der Kirche gehalten wurde,
nicht begnügen, sondern schloß noch besondere Vereinigungen, um die
innerliche, geistige Ausbildung zu befördern, und den äußern Menschen
der Stimme des Gewissens ganz untertänig zu machen, damit dadurch hier
schon die höchste Ruhe des Gemüts und ein Vorgeschmack dessen erlangt
würde, was das Neue Testament seinen mutigen Bekennern im künftigen
Leben verspricht. Aber es war keine müßige, innere Anschauung, welcher
diese Frommen sich hingaben, sondern sie suchten auch ihre Reden
und Handlungen ebenso tadellos zu zeigen, als es ihre Gedanken und
Empfindungen waren.

Konnten auch die weltlicher Gesinnten einer so strengen Übung der
Religion und Selbstbeherrschung sich nicht unterwerfen, so hatten sie
doch nachahmungswürdige Vorbilder unter Augen, vor welchen sie sich
scheuen mußten, die rohe Natur vorwalten zu lassen oder etwas zu tun,
was einen zu scharfen Abstand gegen das Sein und Handeln der Frömmern
gemacht hätte. Für das Allgemeine hatten diese abgeschlossenen, stillen
Gesellschaften die gute Folge, daß der württembergische Volkscharakter
als ein Muster von Treue, Redlichkeit, Fleiß und deutscher Offenheit
gepriesen wurde, und Ausnahmen davon unter die Seltenheiten gezählt
werden durften.

In diesem Lande, unter solchen Menschen lebten die Eltern unseres
Dichters, und nach solchen frommen Grundsätzen erzogen sie auch ihre
Kinder. Die Eindrücke dieser tief wirkenden Leitung konnten nie
erlöschen; sie begleiteten die Kinder durch das ganze Leben, ermutigten
in den schwersten Prüfungen die Töchter und sprechen sich mit der
höchsten Wärme in den meisten Werken des Sohnes aus.

Auch diese gute, geliebte Mutter erlebte noch den ersehnten Augenblick,
ihren einzigen Sohn und Liebling als glücklichen Gatten und Vater, mit
errungenem Ruhm gekrönt, im Vaterlande selbst umarmen zu können.

Ein sanfter Tod entriß sie den Ihrigen im Jahr 1802. Ihre Ehe,
die ersten acht Jahre unfruchtbar, ward endlich durch sechs
Kinder beglückt, von denen gegenwärtig nur noch Dorothea Luise
Schiller, geboren 1766, an den Stadtpfarrer Frankh zu Möckmühl im
Württembergischen verheiratet, und Elisabetha Christophina Friederika
Schiller, geboren 1757, Witwe des verstorbenen Bibliothekars und
Hofrats Reinwald zu Meiningen, am Leben sind. Die jüngste Schwester,
Nannette, geboren 1777, verschied infolge eines ansteckenden
Nervenfiebers, das durch ein auf der Solitüde anwesendes Feldlazarett
verbreitet wurde, in ihrer schönsten Blüte schon im achtzehnten Jahre.
Zwei andere Kinder starben bald nach der Geburt.

Dem Bruder an Gestalt, Geist und Gemüt am ähnlichsten ist die edle
Reinwald, zu welchen Eigenschaften sich noch eine Handschrift gesellt,
welche der des Dichters so ähnlich ist, daß man sie davon kaum
unterscheiden kann.

Den frommen Gefühlen der Jugend getreu, konnte sie, auch als kinderlose
Witwe, am 16. September 1826 dem Verfasser schreiben: »Aber ich stehe
doch nicht allein, überall umgibt mein Alter der Freundschaft und
Liebe sanftes Band, und Gott schenkt mir in meinem neunundsechzigsten
Lebensjahr noch den völligen Gebrauch meiner Sinne und eine Heiterkeit
der Seele, die gewöhnlich nur die Jugend beglückt. So sehe ich mit
Zufriedenheit meinem Ziel entgegen, das mich in einer bessern Welt mit
den Geliebten, die vorangingen, wieder vereinigt.«

Unser Dichter, Johann Christoph Friedrich Schiller, wurde am 10.
November 1759 zu Marbach, einem württembergischen Städtchen am Neckar,
geboren. Obwohl Marbach damals nicht der Wohnort seiner Eltern war, so
hatte sich dennoch seine Mutter dahin begeben, um in ihrem Geburtsort,
in der Mitte von Verwandten und Freunden das Wochenbett zu halten.

Über die ersten Kinderjahre Schillers läßt sich mit Zuverlässigkeit
nichts weiter angeben, als daß seine Erziehung mit größter Liebe und
Aufmerksamkeit besorgt wurde, indem er sehr zart und schwächlich schien.

Erst von dem Jahr 1765 an werden die Nachrichten bestimmter und
verbürgen, daß der Knabe seinen ersten Unterricht im Lesen, Schreiben,
Lateinischen und Griechischen von dem Pastor Moser mit dessen Söhnen
zugleich in Lorch, einem schwäbischen Grenzstädtchen, erhielt, wohin
sein Vater, wie oben erwähnt, als Werboffizier versetzt ward.

Damals schon, im Alter von sechs bis sieben Jahren, hatte er ein sehr
tiefes religiöses Gefühl sowie eine sich täglich aussprechende Neigung
zum geistlichen Stande. Sowie ihn eine ernste Vorstellung, ein frommer
Gedanke ergriff, versammelte er seine Geschwister und Gespielen um
sich her, legte eine schwarze Schürze als Kirchenrock um, stieg auf
einen Stuhl und hielt eine Predigt, deren Inhalt eine Begebenheit, die
sich zugetragen, ein geistliches Lied oder ein Spruch war, worüber er
eine Auslegung machte. Alle mußten mit größter Ruhe und Stille zuhören;
denn wie er den geringsten Mangel an Aufmerksamkeit oder Andacht bei
der kleinen Gemeinde wahrnahm, wurde er sehr heftig und verwandelte
sein anfängliches Thema in eine Strafpredigt.

So voll Begeisterung, Kraft und Mut diese Reden auch waren, so zeigte
in den häuslichen Verhältnissen sein Charakter dennoch nichts von
jener Heftigkeit, Eigensinn oder Begehrlichkeit, welche die meisten
talentvollen Knaben so lästig machen, sondern war lauter Freundschaft,
Sanftmut und Güte.

Gegen seine Mutter bewies er die reinste Anhänglichkeit sowie gegen die
Schwestern die wohlwollendste Verträglichkeit und Liebe, welche von
allen auf das herzlichste, besonders tätig aber von der ältesten (der
noch lebenden Fr. Hofr. Reinwald) erwidert wurde, die öfters, obwohl
sie unschuldig war, die harten Strafen des Vaters mit dem Bruder teilte.

Obwohl ihn der Vater sehr liebte, so war er doch wegen eines Fehlers,
durch den die sparsamen Eltern oft nicht wenig in Verlegenheit gesetzt
wurden, hart und strenge gegen ihn. Der Sohn hatte nämlich denselben
unwiderstehlichen Hang, hilfreich zu sein, welchen er später in Wilhelm
Tell mit den wenigen Worten: »Ich hab' getan, was ich nicht lassen
konnte,« so treffend schildert.

Nicht nur verschenkte er an seine Kameraden dasjenige, über was
er frei verfügen konnte, sondern er gab auch den ärmeren Bücher,
Kleidungsstücke, ja sogar von seinem Bette.

Hierin war die älteste Schwester, die gleichen Hang hatte, seine
Vertraute, und über diese, da sie, um den jüngern Bruder zu schützen,
sich als Mitschuldige bekannte, ergingen nun gleichfalls Strafworte und
sehr fühlbare Züchtigungen.

Da die Mutter sehr sanft war, so ersannen die beiden Geschwister ein
Mittel, der Strenge des Vaters zu entgehen. Hatten sie so gefehlt, daß
sie Schläge befürchten mußten, so gingen sie zur Mutter, bekannten ihr
Vergehen und baten, daß sie die Strafe an ihnen vollziehe, damit der
Vater im Zorne nicht zu hart mit ihnen verfahren möchte.

So scharf aber auch öfters die zu große Freigebigkeit des Sohnes von
dem Vater geahndet wurde, so wenig verkannte dieser dennoch die übrigen
seltenen Eigenschaften des Knaben. Er liebte ihn nicht nur wegen seiner
Begierde, etwas zu lernen, und wegen der Fähigkeit, das Erlernte zu
behalten, sondern besonders auch wegen seines biegsamen, zartfühlenden
Gemütes.

Da sich bei dem Sohne die Neigung zum geistlichen Stande so auffallend
und anhaltend aussprach, so war ihm der Vater um so weniger hierin
entgegen, da dieser Stand in Württemberg sehr hoch geschätzt wurde,
auch viele seiner Stellen ebenso ehrenvoll als einträglich waren.

Als die Familie 1766 nach Ludwigsburg ziehen mußte, wurde der junge
Schiller sogleich in die Vorbereitungsschulen geschickt, wo er neben
dem Lateinischen und Griechischen auch Hebräisch -- als zu dem
gewählten Beruf unerläßlich -- erlernen mußte.

In den Jahren 1769--72 war er viermal in Stuttgart, um sich in den
vorläufigen Kenntnissen zur Theologie prüfen zu lassen, und bestand
jederzeit sehr gut. Sein Fleiß konnte nur wenige Zeit durch körperliche
Schwäche, welche durch das schnelle Wachsen veranlaßt wurde,
unterbrochen werden; denn wie seine Gesundheit kräftiger wurde, brachte
er das Versäumte mit solchem Eifer ein und lag so anhaltend über seinen
Büchern, daß ihm der Lehrer befehlen mußte, hierin Maß zu halten,
indem er sonst an Geist und Körper Schaden leiden würde. Teilnehmend,
wohlwollend und gefällig für die Wünsche seiner Mitschüler, konnte
er sich den jugendlichen Spielen leicht hingeben und in Gesellschaft
das mitmachen, was er allein wohl unterlassen hätte. Bei einer
solchen Gelegenheit, kurz vor dem Zeitpunkt, wo er in der Kirche sein
Glaubensbekenntnis öffentlich ablegen sollte, sah ihn einst die fromme
Mutter, und ihre Vorwürfe über seinen Mutwillen machten so vielen
Eindruck auf ihn, daß er noch vor der Konfirmation seine Empfindungen
zum erstenmal in Gedichten aussprach, die religiösen Inhalts waren.

Je näher die Zeit heranrückte, in welcher er in eines der
Vorbereitungsinstitute aufgenommen werden sollte, welche Jünglingen,
noch ehe sie die Universität beziehen konnten, gewidmet waren, mit um
so größerm Eifer ergab er sich nun seinen Studien.

Ohne Zweifel würde die Welt an Schillern einen Theologen erhalten
haben, der durch bilderreiche Beredsamkeit, eingreifende Sprache, Tiefe
der Philosophie und deren richtige Anwendung auf die Religion Epoche
gemacht und alles Bisherige übertroffen haben würde, wenn nicht seine
Laufbahn gewaltsam unterbrochen und er zum Erlernen von Wissenschaften
genötigt worden wäre, für die er entweder gar keinen Sinn hatte oder
denen er nur durch die höchste Selbstüberwindung einigen Geschmack
abgewinnen konnte.

Der Herzog von Württemberg hatte nämlich schon im Jahr 1770 auf seinem
Lustschlosse Solitüde eine militärische Pflanzschule errichtet, die
so guten Fortgang hatte, daß die Lehrgegenstände, welche anfänglich
nur auf die schönen Künste beschränkt waren, bei anwachsender Zahl der
Zöglinge auch auf die Wissenschaften ausgedehnt wurden.

Um die fähigsten jungen Leute kennen zu lernen, wurde von Zeit zu Zeit
bei den Lehrern Nachfrage gehalten, und diese empfahlen 1772 unter
andern guten Schülern auch den Sohn des Hauptmanns Schiller als den
vorzüglichsten von allen. Sogleich machte der Herzog dem Vater den
Antrag, seinen Sohn in die Pflanzschule aufzunehmen, auf fürstliche
Kosten unterrichten und in allem freihalten lassen zu wollen.

Dieses großmütige Anerbieten, das manchem so willkommen war,
verursachte aber in der ganzen Schillerschen Familie die größte
Bestürzung, indem es nicht nur den so oft besprochenen Plan aller
vereitelte, sondern auch dem Sohn jede Hoffnung raubte, sich als
Redner, als Schriftsteller und geistlicher Dichter einst auszeichnen zu
können.

Weil jedoch damals für die Theologie in dieser Anstalt noch kein
Lehrstuhl war, auch der junge Schiller schon alle Vorbereitungsstudien
für diesen Stand gemacht hatte, so versuchte der Vater diese Gnade
durch eine freimütige Vorstellung abzuwenden, die auch so guten Erfolg
hatte, daß der Herzog selbst erklärte, auf diese Art könne er in der
Akademie ihn nicht versorgen. Einige Zeitlang schien der Fürst den
jungen Schiller vergessen zu haben. Aber ganz unvermutet stellte er
noch zweimal an den Vater das Begehren, seinen Sohn in die Akademie zu
geben, wo ihm die Wahl des Studiums freigelassen würde und er ihn bei
seinem Austritt besser versorgen wolle, als es im geistlichen Stande
möglich wäre.

Die Freunde der Familie sowie diese selbst sahen nur zu gut, was zu
befürchten wäre, wenn dem dreimaligen Verlangen des Herzogs, das man
nun als einen Befehl annehmen mußte, nicht Folge geleistet würde,
und mit zerrissenem Gemüt fügte sich endlich auch der Sohn, um seine
Eltern, die kein anderes Einkommen hatten, als was die Stelle des
Vaters abwarf, keiner Gefahr auszusetzen.

Man mußte also den Ausspruch des Gebieters erfüllen und konnte sich
für das Aufgeben so lange genährter Wünsche nur dadurch einigermaßen
für entschädigt halten, daß die weitere Erziehung des Jünglings keine
großen Unkosten verursachen und eine besonders gute Anstellung in
herzoglichen Diensten ihm einst gewiß sein würde.

Was noch weiter zur Beruhigung der Mutter und Schwestern beitrug, war
die Nähe des Institutes; die Gewißheit, den Sohn und Bruder jeden
Sonntag sprechen zu können; dann die große Sorgfalt, welche man für
die Gesundheit der Zöglinge anwendete, und die vertrauliche, sehr oft
väterliche Herablassung des Herzogs gegen dieselben, durch welche die
strenge Disziplin um vieles gemildert wurde.

Mißmutigen Herzens verließ der vierzehnjährige Schiller 1773 das
väterliche Haus, um in die Pflanzschule aufgenommen zu werden, und
wählte zu seinem Hauptstudium die Rechtswissenschaft, weil von dieser
allein eine den Wünschen seiner Eltern entsprechende Versorgung einst
zu hoffen war. Aber sein feuriger, schwärmerischer Geist fand in diesem
Fache so wenig Befriedigung, daß er es sich nicht verwehren konnte, dem
Bekenntnis, welches jeder Zögling über seinen Charakter, seine Tugenden
und Fehler jährlich aufsetzen mußte, schon das erste Mal die Erklärung
beizufügen: »Er würde sich weit glücklicher schätzen, wenn er seinem
Vaterland als Gottesgelehrter dienen könnte.«

Auf diesen ebenso schön als bescheiden ausgesprochenen Wunsch wurde
jedoch keine Rücksicht genommen. Das Studium der Rechtswissenschaft
mußte fortgesetzt werden und wurde auch mit allem Fleiß und Eifer von
ihm betrieben. Aber nach Verlauf eines Jahres beschied der Herzog den
Vater Schillers wieder zu sich, um ihm zu sagen: »daß, weil gar zu
viele junge Leute in der Akademie Jura studierten, seinem Sohne eine so
gute Anstellung bei seinem Austritt nicht werden könne, wie er selbst
gewünscht hätte. Der junge Mensch müsse Medizin studieren, wo er ihn
dann mit der Zeit sehr vorteilhaft versorgen wolle.«

Ein neuer Kampf für den Jüngling! Neue Unruhe für seine Eltern und
Geschwister! Schon einmal hatte der zartfühlende Sohn aus Rücksicht
für seine Angehörigen die Neigung zu einem Stande aufgeopfert, den ihm
die Vorsehung ganz eigentlich bestimmt zu haben schien. Jetzt sollte er
ein zweites Opfer bringen. Er sollte, nachdem er ein volles Jahr der
Rechtswissenschaft gewidmet, ein anderes Fach ergreifen, gegen das er
die gleiche Abneigung wie gegen das zuerst erwählte an den Tag legte.
Jedoch der beugsame, kindliche Sinn, der ihn auch später in allen
Vorfällen seines Lebens nie verließ, machte ihm diesen schweren Schritt
möglich, und er unterwarf sich dem, was man über ihn bestimmt hatte.

Für den Vater war es zugleich nicht wenig lästig, daß er die
zahlreichen, zum Rechtsstudium erforderlichen Werke ganz unnützerweise
angeschafft hatte und nun für das neue Fach noch viel größere Ausgaben
machen mußte, indem nur den gänzlich Unvermögenden die nötigen Bücher
von der Akademie verabfolgt wurden.

Als der junge Schiller in die Klasse der Mediziner übertreten mußte,
war er in seinem sechzehnten Jahre, und so ungern er auch die neue
Wissenschaft ergriff, indem er nicht hoffen konnte, sich jemals
recht innig mit ihr zu befreunden, so fand er sie doch nach kurzer
Zeit um vieles anziehender, als er sich vorgestellt hatte; denn die
verschiedenen Teile derselben, so trocken auch ihre Einleitung sein
mochte, behandelten doch alle ohne Ausnahme die lebendige Natur
und versprachen ihm einst bei dem Menschen neue Aufschlüsse über
die Wechselwirkung des Körperlichen und des Geistigen aufeinander.
Sein schon von Jugend auf sehr starker Hang zum Forschen, zum
tiefen Nachdenken, wurde durch die Hoffnung angefeuert, hier einst
Entdeckungen machen zu können, die seinen Vorgängern entschlüpft
wären, oder daß es ihm vielleicht gelingen würde, die in so großer
Menge zerstreuten Einzelheiten auf wenige allgemeine Resultate
zurückzuführen. Aber bei allen diesen reizenden Vorahnungen und
ungeachtet der vorgeschriebenen Ordnung, die auch sehr streng gehalten
werden mußte, benutzte er doch jede freie Minute, um sich mit der
Geschichte, der Dichtkunst oder den Schriften zu beschäftigen, welche
den Geist, das Gemüt oder den Witz anregen, und vermied solche,
bei denen der kalte, überlegende Verstand ganz allein in Anspruch
genommen wird. Unter den Dichtern war es Klopstock, der sein Gefühl,
das noch immer am liebsten bei den ernsten, erhabenen Gegenständen
der Religion verweilte, am meisten befriedigte. Seinen eignen Genuß
an diesen Werken suchte er auch seiner ältesten Schwester wenigstens
in dem Maße zu verschaffen, als es durch briefliche Mitteilung in
Erklärung der schönsten und schwersten Stellen möglich war. In seiner
jugendlichen Unschuld, den hohen Stand noch gar nicht ahnend, zu
dem ihn die Vorsehung erwählt und mit allen ihren göttlichen Gaben
so überschwenglich reich beteilt hatte, konnte er wohl öfters die
entschiedene Neigung für dichterische oder andere Geisteswerke als eine
bloße Belustigung für seine Phantasie betrachten und sich Vorwürfe
darüber machen, wenn dadurch so manche Stunde seinem Berufsstudium
entzogen wurde. Aber eine innere, beruhigende Stimme rief ihm dann zu:
ist der große Arzt, der große Naturforscher Haller nicht auch zugleich
ein großer Dichter? Wer besang die Wunder der Schöpfung schöner und
herrlicher als Haller?

    »Du hast den Elefant aus Erde aufgetürmt,
    Und seinen Knochenberg beseelt,«

war ein Ausdruck, den Schiller nebst so vielen andern dieses Dichters
nicht nur damals, sondern auch dann noch mit Bewunderung anführte, als
seine erste Jugendzeit längst verflogen war.

Jedoch nicht nur das Beispiel Hallers erleichterte ihm die
Selbstentschuldigung wegen seines Hangs für die Dichtkunst, sondern es
waren in der Abteilung, in welche er jetzt versetzt war, noch mehrere
Zöglinge, die eine gleiche Leidenschaft für Genüsse des Geistes und
Gemütes hatten, unter denen sich Petersen Hoven, Massenbach und andere
als Dichter oder Schriftsteller später bekannt gemacht haben. Je
erkünstelter der Fleiß war, mit dem diese jungen Leute ihr Hauptstudium
trieben, je gieriger suchten sie Erholung in dichterischen Werken, von
denen endlich die von Goethe und Wieland ihnen die liebsten waren. Ihre
natürlichen Anlagen verleiteten sie, bei dem bloßen Lesen und Genießen
nicht stehen zu bleiben, sondern ihre Kräfte auch an eignen Aufsätzen
oder poetischen Darstellungen zu versuchen. Und daß keiner seine Arbeit
den anderen verheimlichte; daß jeder mit größter Offenheit getadelt
oder gelobt wurde; daß diese Jünglinge sich in ungewöhnlichen oder
verwegenen Dichtungen zu überbieten suchten, war eine natürliche Folge
ihrer Jahre und des Zwanges, dem sie unterworfen waren. Die gleiche
Lieblingsneigung, die sie nur verstohlenerweise befriedigen durften,
die gleiche Subordination, unter die sie ihren Willen beugen mußten,
ketteten sie so fest aneinander, daß sie in der Folge sich nie trafen,
ohne ihre Freude durch die fröhlichste Laune, oft durch wahren Jubel zu
bezeugen.

Unter allen diesen Schriften aber machten diejenigen, die für das
Theater geschrieben waren, den meisten Eindruck auf den jungen
Schiller. Jede Handlung im ganzen, jede Szene im einzelnen weckte
in ihm eine der schlummernden Kräfte, deren die Natur für diese
Dichtungsart so viele in ihn gelegt hatte, und die so reizbar waren,
daß er mit einem dramatischen Gedanken nur angehaucht zu werden
brauchte, um sogleich in Flammen der Begeisterung aufzulodern.
In seinem zehnten Jahre hatte er zwar schon in Ludwigsburg Opern
gesehen, die der Herzog mit allem Pomp, mit aller Kunst damaliger Zeit
aufführen ließ. So neu und wundervoll dem empfänglichen Knaben der
schnelle Wechsel prachtvoller Dekorationen, das Anschauen künstlicher
Elefanten, Löwen etc., die Aufzüge mit Pferden, das Anhören großer
Sänger, von einem trefflichen Orchester begleitet, der Anblick von
Balletten, die von Noverre eingerichtet, von Vestris getanzt wurden
-- so sehr dieses alles, vereinigt, ihn auch außer sich versetzen
mußte, so hatte es doch nur die äußern Sinne des Auges, des Ohres
berührt, aber Gefühl und Gemüt weder angesprochen noch befriedigt.
Dagegen waren Julius von Tarent, Ugolino, Götz von Berlichingen
und, einige Jahre vor seinem Austritt, alle Stücke von Shakespeare
diejenigen Werke, welche mit allen seinen Gedanken und Empfindungen
so übereinstimmten, seines Geistes sich dergestalt bemeisterten, daß
er schon in seinem siebzehnten Jahre sich an dramatische Versuche
wagte und das später so berühmte Trauerspiel, die Räuber, zu entwerfen
anfing. Gaben die genannten Schriften seiner Vorliebe für dramatische
Poesie schon überflüssige Nahrung, so wurde seine Neigung, sowie für
schöne Kunst überhaupt, schon dadurch unterhalten und bestärkt, daß
er mit jenen Zöglingen, die sich für die Bühne, die Tonkunst oder
Malerei bestimmt hatten, im genauen Umgange stand. Denn so streng auch
in dieser Akademie darauf gehalten wurde, daß jeder die Gegenstände
seines künftigen Berufes auf das gründlichste erlerne, so war, wenn
diesen Forderungen Genüge geleistet wurde, der Umgang der Zöglinge
untereinander gar nicht so beschränkt, daß sie ihre freien Stunden
nicht hätten nach ihrem Willen benützen dürfen, wenn dieser die
allgemeine Ordnung nicht störte. Auch war es denjenigen unter ihnen,
die Gefallen daran fanden, alle Jahre einigemal erlaubt, Theaterstücke
in einem akademischen Saale aufzuführen, bei denen aber die weiblichen
Rollen gleichfalls von Jünglingen besetzt werden mußten. Schiller
konnte dem Drange nicht widerstehen, sich auch als Schauspieler
zu versuchen, und übernahm im Clavigo eine Rolle, die er aber so
darstellte, daß sein Spiel noch lange nachher sowohl ihm als seinen
Freunden reichen Stoff zum Lachen und zur Satire verschaffte.

Es konnte jedoch nicht anders kommen, als daß diese dichterischen
Zerstreuungen nur zum Nachteil seiner medizinischen Studien genossen
wurden, und daß er manchen Verdruß mit seinem Hauptmann sowie öfters
Vorwürfe von seinen Professoren sich zuzog, wenn er das aufgegebene
Pensum nicht gehörig abgearbeitet hatte.

Und dennoch, sowohl aus Liebe zu seinen Eltern, denen er Freude zu
machen wünschte, als aus Ehrgeiz und edlem Stolze, war sein Fleiß
aufrichtiger und größer als der seiner Mitschüler. Aber geschah es
denn mit seinem Willen, daß ihn mitten im eifrigsten Lernen Bilder
überraschten, die mit denen, die das Buch darbot, nicht die mindeste
Ähnlichkeit hatten! -- War es seine Schuld, daß er anatomische
Zeichnungen, Präparate, fast unmöglich in ihrer eingeschränkten
Beziehung betrachten konnte, sondern seine Phantasie sogleich in dem
Großen, Allgemeinen der ganzen Natur umherschweifte? Oder konnte er es
seiner ihm so treu anhänglichen Muse verwehren, daß sie selbst in den
Kollegien, wenn er mit tiefsinnigem Blick auf den Professor horchte,
ihm etwas zuflüsterte, was seine Ideen von dem Vortrage wegriß und
seinen Geist auch den ernstlichsten Vorsätzen entgegen in dichterische
Gefilde leitete? -- Nichts von allem diesem. Ganz unfreiwillig mußte er
sich diesen Störungen unterwerfen. Wie durch eine zauberische Gewalt
herbeigeführt, gärten in seinem Innern Bilder und Entwürfe, die immer
stärker andrängten, je mehr der Mann sich in ihm entwickelte und seine
Vorstellungen sich bereicherten.

Er selbst sah sehr gut ein, daß er bei diesem nicht ungeteilten Treiben
seiner Berufswissenschaft sehr spät das Ziel erreichen würde, welches
er sich vorgesetzt hatte, und ob auch seine Lehrer die treffenden
Bemerkungen und Antworten von ihm weit höher als den mechanischen
Fleiß der andern achteten, so stellte er doch zu große Forderungen an
sich selbst, als daß ihm seine bisherigen Fortschritte hätten genügen
können. Er beschloß daher in seinem achtzehnten Jahre, so lange nichts
anderes, als was die Medizin betreffe, zu lesen, zu schreiben oder auch
nur zu denken, bis er sich das Wissenschaftliche davon ganz zu eigen
gemacht hätte. Der ungeheuern Überwindung, die es ihn anfangs kostete,
ungeachtet, verfolgte er diesen Vorsatz mit solcher Festigkeit und
studierte die ärztlichen Werke von Haller mit so viel unausgesetztem
Eifer, daß er schon nach Verlauf von kaum drei Monaten eine Prüfung
darüber bestehen konnte, von welcher er die größten Lobsprüche
einerntete. Diese außerordentliche Anstrengung, bei welcher er sich
auch den kleinsten Genuß, selbst ein aufmunterndes Gespräch versagte,
hatte zwar etwas nachteilig auf seinen Körper gewirkt, dagegen aber
ihn mit der Wissenschaft dergestalt vertraut gemacht, daß er nun mit
größter Leichtigkeit auf die Anwendung derselben sowohl in ihren
verschiedenen Fächern als in der Heilkunde selbst übergehen konnte.

Das höchste Opfer, welches er seinem künftigen Berufe bringen mußte,
war eine so lange dauernde Entsagung der Dichtkunst, die bei ihm schon
zur Leidenschaft geworden war. Aber er hatte sich von der Geliebten ja
nur entfernt! Untreu konnte er ihr niemals werden; denn so wie er den
Grad des Wissens, der ihn zum Meister der Arzneikunde machen sollte,
einmal erobert hatte, kehrte er mit allem Feuer ungestillter Sehnsucht
in die Arme der Göttin zurück und benutzte jeden freien Augenblick zur
Ausarbeitung seines angefangenen Trauerspiels. Auch dichtete er außer
vielen andern Sachen in diesem Zeitpunkt eine Oper, Semele, die so
großartig gedacht war, daß, wenn sie hätte aufgeführt werden sollen,
alle mechanische Kunst des Theaters damaliger Zeit (und man darf sagen,
auch der jetzigen) nicht ausgereicht haben würde, um sie gehörig
darzustellen.

Das Praktische der Medizin kostete ihn nun weit weniger Mühe, als ihm
das Theoretische verursacht hatte. Die Anwendung der vorgeschriebenen
Regeln erhöhten sein Interesse schon darum, weil er ihre Wirkung
beobachten und Bemerkungen darüber äußern konnte, die von seinen
Professoren oft bewundert wurden. Die günstigen Zeugnisse, die sie ihm
erteilten, hatten für ihn die angenehme Folge, daß er mit dem Antritt
seines zweiundzwanzigsten Jahres über eine von ihm selbst geschriebene
Abhandlung öffentlich disputieren durfte und für fähig gehalten
ward, nicht nur aus der Akademie treten, sondern auch eine ärztliche
Anstellung in herzoglichen Diensten bekleiden zu können. Er erhielt zu
Ende des Jahres 1780 bei dem in Stuttgart liegenden Grenadierregiment
Augé die Stelle eines Arztes mit monatlicher Besoldung von achtzehn
Gulden Reichswährung oder fünfzehn Gulden im Zwanzig-Gulden-Fuß.

Obwohl die Berufsfähigkeiten Schillers eine würdigere Auszeichnung
verdient hätten und auch die Stelle nebst ihrem kleinen Sold sehr tief
unter der Erwartung der Eltern war, die dem gegebenen Versprechen
des Herzogs gemäß auf eine weit bessere Versorgung gezählt hatten,
so durfte doch von keiner Seite ein Widerspruch erhoben oder eine
Einwendung dagegen gemacht werden.

Und derjenige, der die größte Ursache zu klagen gehabt hätte, war am
besten mit dieser Entscheidung zufrieden, weil nun seine Tätigkeit
freien Raum hatte und weil ihm der ungehinderte Gebrauch seiner
Dichtergabe gestattet schien, die sich von Tag zu Tag stärker
entwickelte; denn je mehr ihm der Zwang und die unabänderliche
Regelmäßigkeit mißfiel, in welcher er sieben Jahre seiner schönsten
Jugendzeit zubringen mußte, um so öfter und leidenschaftlicher
beschäftigte er sich mit Entwürfen, wie er einst seine Freiheit
genießen wolle; und als endlich die Hoffnung zur Selbständigkeit,
sowohl ihm als seinen jungen Freunden in Gewißheit überzugehen
anfing, war es ihre einzige, angenehmste Unterhaltung, sich ihre
Wünsche und Vorsätze hierüber mitzuteilen. Die letzteren betrafen
jedoch hauptsächlich literarische Gegenstände, die so tätig ins Werk
gesetzt wurden, daß Schiller sogleich nach dem Antritt seines Amtes
das Schauspiel, die Räuber, das er in den vier letzten Jahren seines
akademischen Aufenthaltes schrieb, gänzlich in Ordnung brachte und
solches zu Anfang des Sommers 1781 im Druck herausgab.

Es wäre vergeblich, den Eindruck schildern zu wollen, den diese
Erstgeburt eines Zöglings der hohen Karlsschule und, wie man wußte,
eines Lieblings des Herzogs in dem ruhigen, harmlosen Stuttgart
hervorbrachte, wo man nur mit den frommen, sanften Schriften eines
Gellert, Hagedorn, Ramler, Rabener, Utz, Kramer, Schlegel, Cronegk,
Haller, Klopstock, Stollberg und ähnlicher den Geist nährte; wo
man die Gedichte von Bürger, die Erzählungen von Wieland als das
Äußerste anerkannte, was die Poesie in sittlichen Schilderungen sich
erlauben darf -- wo man Ugolino für das schauderhafteste und Götz
von Berlichingen für das ausschweifendste Produkt erklärte; -- wo
Shakespeare kaum einigen Personen bekannt war und wo gerade die Leiden
Siegwarts, Karl von Burgheim und Sophiens Reise von Memel nach Sachsen
das höchste Interesse der Leseliebhaber erregt hatten. Nur derjenige,
der die genannten Schriften kennt, sich den ruhigen, stillen Eindruck,
den sie einst auf ihn machten, zurückruft und dann einige Auftritte
aus den Räubern liest; nur der allein kann sich die Wirkung lebhaft
genug vorstellen, welche diese -- in Rücksicht ihrer Fehler sowohl
als ihrer Schönheiten -- außerordentliche Dichtung hervorbrachte. Die
jüngere Welt besonders wurde durch die blendende Darstellung, durch die
natürliche, ergreifende Schilderung der Leidenschaften in die höchste
Begeisterung versetzt, welche sich unverhohlen auf das lebhafteste
äußerte.

Der Ruhm des Dichters blieb aber nicht auf sein Vaterland beschränkt.
Ganz Deutschland ertönte von Bewunderung und Erstaunen, daß ein
Jüngling seine Laufbahn mit einem Werk eröffne, womit andere sich
glücklich preisen würden, die ihrige beschließen zu können.

Diese Lobeserhebungen, so schmeichelhaft sie auch seinem Ehrgeize
waren, konnten ihn jedoch nicht in dem Grade berauschen, daß er
geglaubt hätte, schon vieles oder gar alles erreicht zu haben, sondern
waren eher ein Sporn für ihn, noch Größeres zu leisten.

Er veranstaltete im nämlichen Jahre noch die Herausgabe einer Sammlung
Gedichte, die teils von ihm selbst, teils von seinen Freunden schon
in der Akademie bearbeitet worden waren, und ließ solche unter dem
Titel Anthologie 1782 erscheinen. Da auch das von dem Professor
Balthasar Haug seit einigen Jahren herausgegebene Schwäbische Magazin
sich seinem Ende nahte, so beschloß er, in Gemeinschaft mit seinen
Freunden die erlöschende Monatschrift als ein Repertorium für Literatur
fortzusetzen; was um so leichter zustande kam, je größer der Vorrat
war, den sie schon früher gesammelt hatten. Mit wahrhaft jugendlichem
Übermut verfaßte er für diese Schrift in der Folge eine Rezension
seiner Räuber, welche so hart und beißend war, daß man nicht begreifen
konnte, wie jemand es wagen mochte, eine Arbeit so streng zu tadeln,
deren Glanz die meisten Leser verblendet und auch den größten Kennern
Achtung abgenötigt hatte. Der über diese Beurteilung häufig geäußerte
Tadel gewährte aber ihm desto mehr Belustigung, je weniger jemand
-- außer einigen Freunden, die darum wußten -- vermutete, daß der
Verfasser selbst diese scharfe Geißel über sich geschwungen.

Diese literarischen Beschäftigungen, welche eine lang gehegte Sehnsucht
befriedigten, und bei welchen sich Schiller ganz in seinem Element
befand, hätten ihm wenig zu wünschen übrig gelassen, wenn dadurch seine
körperlichen Bedürfnisse ebenso wie seine geistigen gehoben gewesen
wären. Allein dies konnte um so weniger der Fall sein, je kleiner in
Stuttgart die Anzahl der Buchhändler oder derjenigen Leute war, die
nicht nur lesen, sondern auch kaufen wollten. Es ließ sich schon für
die Räuber kein Verleger finden, der die Ausgabe auf seine Kosten
wagen, noch minder aber etwas dafür honorieren wollte, daher der
Dichter genötigt war, sie auf eigne Kosten drucken zu lassen und, da
seine Geldkräfte bei weitem nicht hinreichten, den Betrag zu borgen.

Um zu versuchen, ob er nicht zu einigem Ersatz seiner Auslagen gelangen
könne, und um sein Werk auch im Ausland bekannt zu machen, schrieb
er, noch ehe der Druck ganz beendigt war, an Herrn Hofkammerrat und
Buchhändler Schwan zu Mannheim, der durch den vorteilhaftesten Ruf
bekannt war, und schickte ihm die fertigen Bogen zu, welche er, mit
Bemerkungen begleitet, wieder zurückerhielt.

Ob allein die Ansichten des Herrn Schwan den Verfasser aufmerksam
machten, oder ob er selbst darüber erschrak, wie grell und widerlich
sich manches dem Auge darstelle, nachdem es nun gedruckt vor ihm lag --
genug, in den letzten Bogen wurde einiges geändert, die von der Presse
schon ganz fertig gelieferte Vorrede unterdrückt und eine neue mit
gemilderten Ausdrücken an deren Stelle gesetzt.

Wer es weiß, wie einseitig ein Dichter oder Künstler wird, wenn er
nicht mit andern seines Faches, die höher als er, oder doch mit ihm
auf gleicher Stufe stehen, Umgang haben und seine Ideen austauschen
kann; wer zugibt, daß bei einem reichen, feurigen Talent, in den ersten
Jünglingsjahren nur Begeisterung und Einbildungskraft herrschen,
Verstand und Geschmack aber von diesen übertäubt werden; der wird die
stärksten Auswüchse in den Räubern um so eher entschuldigen, als der
Dichter nicht in der Lage war, einen in der Literatur bedeutenden Mann
zum Vertrauten zu haben, und auch schon sein zweites Werk hinlänglich
bezeugte, mit welcher Umsicht er die Fehler des ersten zu vermeiden
gesucht.

So sehr Herr Schwan als Buchhändler Schillern nützlich zu werden
suchte, so eifrig verwendete er sich bei dem damaligen Intendanten
des Mannheimer Theaters, Baron von Dalberg, damit dieses Stück für
die Bühne brauchbar gemacht und aufgeführt werden könne. Demzufolge
forderte Baron von Dalberg den Dichter auf, nicht nur dieses
Trauerspiel abzuändern, sondern auch seine künftigen Arbeiten für die
Schauspielergesellschaft in Mannheim einzurichten. Schiller willigte
um so lieber in diesen Vorschlag, je entfernter der Zeitpunkt war,
in welchem eine seiner Dichtungen auf dem Theater in Stuttgart hätte
aufgeführt werden können, indem die Leistungen desselben bloß als
Versuche von Anfängern gelten konnten.

Vor dem Jahre 1780 war nie ein stehendes deutsches Theater in der
Hauptstadt Württembergs. Was man daselbst vom Schauspiel kannte, waren
die Opern und Ballette, welche früher, ganz auf herzogliche Kosten,
von Italienern und Franzosen, und nachdem diese verabschiedet waren,
von den männlichen und weiblichen Zöglingen der Akademie, gleichfalls
in italienischer und französischer Sprache gegeben wurden. In Mitte
der siebziger Jahre kam Schikaneder nach Stuttgart; durfte aber keine
Vorstellung im Opernhause geben, sondern mußte seine Operetten, Lust-
und Trauerspiele im Ballhause aufführen. Erst als die Zöglinge der
Akademie mehr herangewachsen, und man sie -- da sie doch einmal für das
Schauspiel bestimmt waren -- in Übung erhalten wollte, gaben sie so
lange, bis ein neues Theater gebaut wurde, die Woche einige deutsche
Operetten in dem Opernhause, für deren Genuß das Publikum ein sehr
mäßiges Eintrittsgeld bezahlte. Auch als das kleinere Theater fertig
stand, wurden anfänglich nichts als kleine, deutsche Opern aufgeführt;
was um so natürlicher war, da sich unter allen, welche sich dem Theater
gewidmet hatten, nur eine einzige Person fand, welche wahrhaft großes
Talent sowohl für komische als ernsthafte Darstellungen zeigte.

Diese war -- Herr Haller, ein wahrer Sohn der Natur. Wäre ihm damals
das Glück geworden in einer andern Umgebung zu sein, gute Vorbilder
und Beispiele zu sehen, so hätte er einer der besten Schauspieler
Deutschlands werden können, und sein Name wäre mit den Vorzüglichsten
dieser Kunst zugleich genannt worden.

Je tiefer nun diese vaterländische Schaubühne unter dem Ideale stand,
das Schillern von einem guten, besonders aber tragischen Schauspiel
vorschwebte, um so lebhafter ergriff er den Vorschlag, sein Stück
für eine Bühne zu bearbeiten, die nicht nur einen sehr großen Ruf
hatte, sondern sich auch um so mehr als die erste in Deutschland
achten durfte, da fast alle ihre Mitglieder in der Schule von Ekhof
gebildet waren. Mit all dem Eifer, den Jugend und Begeisterung zur
Erreichung eines Zweckes, der für ihn das höchste seiner Wünsche war,
nur immer hervorbringen können, ging Schiller an die Umarbeitung
seines Trauerspiels, die er sich weniger schwer dachte, als er in
der Folge fand. Denn wäre es ihm auch leicht geworden, seinen hohen,
dichterischen Flug den Schranken der Bühne und den Forderungen des
Publikums gemäß einzurichten; oder hätte er auch ohne Bedauern
manche Szenen und Stellen aufgeopfert, die er und seine Freunde
sehr hoch geschätzt hatten, so raubten ihm seine Berufsgeschäfte
den ungehinderten Gebrauch der Zeit sowie die nötige Stimmung, die
eine solche Arbeit erfordert. Seinem ganzen Wesen, das nicht den
mindesten Zwang ertragen konnte, war das immerwährende Einerlei der
Lazarettbesuche und ebenso das tägliche und genaue Erscheinen auf
der Wachtparade, um seinem General den Rapport über die Kranken
abzustatten, im höchsten Grad zuwider. Die unpoetische Uniform, aus
einem blauen Rock mit schwarzem Samtkragen, weißen Beinkleidern,
steifem Hut und einem Degen ohne Quaste bestehend, sah er als ein
Abzeichen an, das ihn unablässig an die Subordination erinnern solle.
Am härtesten fiel ihm jedoch, daß er ohne ausdrückliche Erlaubnis
seines Generals sich nicht aus der Stadt entfernen und seine nur eine
Stunde von Stuttgart wohnenden Eltern und Geschwister besuchen durfte.
In seiner schönsten Jugendzeit mußte er diesen Umgang meistens nur auf
schriftliche Unterhaltung beschränken, und jetzt, da er sich frei
glauben durfte, war es ihm um so schmerzlicher, den Besuch seiner
nächsten Angehörigen von der Laune seines Chefs erbitten zu müssen.

Die ganze Familie fand sich durch seine Anstellung als Regimentsarzt
getäuscht, indem sie, als der Sohn seiner Neigung zur Theologie
entsagen mußte, auf das von dem Herzog gegebene Versprechen fest baute,
daß er ihn für die gemachte Aufopferung auf die vorteilhafteste Art
schadlos halten würde.

Jedoch mußten alle sich fügen, und dem Sohne blieb nur der Trost, den
er in seinen dichterischen Beschäftigungen fand, und nebenbei die
Aussicht, sich dadurch im Auslande bekannt und seinen Wirkungskreis
bedeutender zu machen. Er schrieb daher auch an Wieland, den er nicht
allein wegen seiner Vielseitigkeit, sondern vorzüglich wegen der hohen
Vollendung seiner Dichtungen außerordentlich hochschätzte, und war
überglücklich, als er von diesem großen Mann eine Antwort erhielt, die
nicht nur das Ungewöhnliche und Seltene der frühzeitigen Leistungen
Schillers in vollem Maß anerkannte, sondern auch überhaupt sehr
geistreich und schmeichelhaft war. Für die Freunde von Schiller, die
an allem, was ihn betraf, mit dem wärmsten Eifer Anteil nahmen, war
es eine Art von Fest, diesen Brief zu lesen; sowohl die schöne, reine
Schrift als die fließende Schreibart zu bewundern und sich über dessen
Inhalt zu besprechen. Mit Stolz hoben sie es heraus, daß der Sänger der
Musarion auch ein Schwabe sei und von diesem Schwaben die Sprache der
Grazien der feinsten, gebildetsten Welt vorgetragen werde.

Ähnliche Ermunterungen vom Auslande nebst dem Drange, die Geschöpfe
seiner Einbildungskraft verwirklicht zu sehen, stärkten den Mut des
jungen Dichters und erhoben ihn über die Widerwärtigkeiten, welche ihm
seine Lage täglich verursachte. Außer den vielen Unterbrechungen aber,
die ihm sein Stand zur Pflicht machte, waren auch die Einwürfe des
Baron Dalberg nichts weniger als dazu geeignet, ihn bei guter Laune für
seine Arbeit zu erhalten, und man darf sich daher auch nicht wundern,
daß er zur Umschmelzung seines Schauspiels so viele Monate brauchte,
als es bei minderer Störung Wochen bedurft hätte.

Er besiegte jedoch alle Schwierigkeiten, so sehr sich auch sein ganzes
Wesen anfangs dagegen sträubte, und fühlte sich wie von der schwersten
Last erleichtert, als er sein Manuskript für fertig halten und nach
Mannheim absenden konnte. Um aber dem Leser das Gesagte anschaulicher
zu machen, sei es erlaubt einen Teil des Schreibens, welches die
Umarbeitung begleitete, aus den, bei D. R. Marx in Karlsruhe
erschienenen Briefen Schillers an Baron Dalberg hier einzurücken, indem
es zur Bestätigung des Obigen dient, und zugleich den Beweis liefert,
wie streng und mit wie wenig Schonung er bei der Abänderung verfuhr.
Selten wird wohl ein Dichter bei seinem ersten Werke schon alles für so
wichtig angesehen oder so scharf beurteilt haben, als es hier von einem
zweiundzwanzigjährigen Jüngling geschehen ist.

            Stuttgart, den 6. Oktober 1781.

    »Hier erscheint endlich der verlorene Sohn, oder die
    umgeschmolzenen Räuber. Freilich habe ich nicht auf den Termin,
    den ich selbst festsetzte, Wort gehalten, aber es bedarf nur eines
    flüchtigen Blicks über die Menge und Wichtigkeit der getroffenen
    Veränderungen, mich gänzlich zu entschuldigen. Dazu kommt noch,
    daß eine Ruhrepidemie in meinem Regimentslazarett mich von meinem
    ~otiis poeticis~ sehr oft abrief. Nach vollendeter Arbeit darf
    ich Sie versichern, daß ich mit weniger Anstrengung des Geistes
    und gewiß mit noch weit mehr Vergnügen ein neues Stück, ja selbst
    ein Meisterstück schaffen wollte, als mich der nun getanen Arbeit
    nochmals unterziehen. -- Hier mußte ich Fehlern abhelfen, die
    in der Grundlage des Stückes schon notwendig wurzeln, hier mußte
    ich an sich gute Züge den Grenzen der Bühne, dem Eigensinn
    des Parterre, dem Unverstand der Galerie, oder sonst leidigen
    Konventionen aufopfern, und einem so durchdringenden Kenner,
    wie ich in Ihnen zu verehren weiß, wird es nicht unbekannt sein
    können, daß es, wie in der Natur so auf der Bühne, für eine Idee,
    eine Empfindung, auch nur einen Ausdruck, ein Kolorit gibt. Eine
    Veränderung, die ich in einem Charakterzug vornehme, gibt oft dem
    ganzen Charakter, und folglich auch seinen Handlungen und der auf
    diesen Handlungen ruhenden Mechanik des Stücks eine andere Wendung.
    Also Hermann. Wiederum stehen die Räuber im Original unter sich
    in lebhaftem Kontrast, und gewiß wird ein jeder Mühe haben, vier
    oder fünf Räuber kontrastieren zu lassen, ohne in einem von ihnen
    gegen die Delikatesse des Schauplatzes anzurennen. Als ich es
    anfangs dachte und den Plan bei mir entwarf, dacht' ich mir die
    theatralische Darstellung hinweg. Daher kam's, daß Franz als ein
    räsonierender Bösewicht angelegt worden; eine Anlage, die, so gewiß
    sie den denkenden Leser befriedigen wird, so gewiß den Zuschauer,
    der vor sich nicht philosophiert, sondern gehandelt haben will,
    ermüden und verdrießen muß. In der veränderten Auflage konnte
    ich diesen Grundriß nicht übern Haufen werfen, ohne dadurch der
    ganzen Ökonomie des Stücks einen Stoß zu geben; ich sehe also mit
    ziemlicher Wahrscheinlichkeit voraus, daß Franz, wenn er nun auf
    der Bühne erscheinen wird, die Rolle nicht spielen werde, die er
    beim Lesen gespielt hat. Dazu kommt noch, daß der hinreißende Strom
    der Handlung den Zuschauer an den feinen Nuancen vorüberreißt,
    und ihn also wenigstens um den dritten Teil des ganzen Charakters
    bringt. Der Räuber Moor, wenn er, wie ich zum voraus versicherte,
    seinen Mann unter den HH. Schauspielern findet, dürfte auf dem
    Schauplatz Epoche machen; einige wenige Spekulationen, die aber
    auch als unentbehrliche Farben in dem ganzen Gemälde spielen,
    weggerechnet, ist er ganz Handlung, ganz anschauliches Leben.
    Spiegelberg, Schweizer, Hermann etc. sind im eigentlichsten
    Verstande Menschen für den Schauplatz; weniger Amalie und der Vater.

    Ich habe schriftliche, mündliche und gedruckte Rezensionen zu
    benutzen gesucht. Man hat mehr von mir gefordert als ich leisten
    konnte, denn nur dem Verfasser eines Stücks, zumal wenn er selbst
    noch Verbesserer wird, zeigt sich das ~non plus ultra~ vollkommen.
    Die Verbesserungen sind wichtig, verschiedene Szenen ganz neu, und
    meiner Meinung nach, das ganze Stück wert -- -- -- -- -- -- -- -- --

    Franz ist der Menschheit etwas nähergebracht, aber der Weg dazu
    ist etwas seltsam. Eine Szene, wie seine Verurteilung im fünften
    Akt, ist meines Wissens auf keinem Schauplatz erlebt, ebensowenig
    als Amaliens Aufopferung durch ihren Geliebten. Die Katastrophe
    des Stücks deucht mir nun die Krone desselben zu sein. Moor spielt
    seine Rolle ganz aus, und ich wette, daß man ihn nicht in dem
    Augenblick vergessen wird, als der Vorhang der Bühne gefallen ist.
    Wenn das Stück zu groß sein sollte, so steht es in der Willkür
    des Theaters, Räsonnements abzukürzen, oder hie und da etwas
    unbeschadet des ganzen Eindrucks hinweg zu tun. Aber dawider
    protestiere ich höflich, daß beim Drucken etwas hinweggelassen
    wird; denn ich hatte meine guten Gründe zu allem, was ich stehen
    ließ, und soweit geht meine Nachgiebigkeit gegen die Bühne nicht,
    daß ich Lücken lasse und Charaktere der Menschheit für die
    Bequemlichkeit der Spieler verstümmle.« -- -- -- -- -- -- -- -- --

    -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
    -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --

        +Fr. Schiller+, ~R. Medicus~.

Es würde die vorgesteckten Grenzen dieser Schrift überschreiten, wenn
auch die folgenden Briefe, welche die Einwürfe des Freiherrn von
Dalberg widerlegen sollten, hier angeführt würden. Nur so viel sei noch
hierüber gesagt, daß, so sehr auch Schiller den Zug in dem Charakter
Karl Moors, die Geliebte mit seiner Hand zu töten, als wesentlich zur
ganzen Rolle, ja als eine positive Schönheit derselben betrachtete,
sein Gegner davon nicht abzubringen war, daß Amalie sich selbst mit
dem Dolch erstechen müsse. Der andere Punkt, die Räuber in die Zeiten
Maximilians des Ersten zu versetzen und in altdeutscher Kleidung
spielen zu lassen, machte der theatralischen Wirkung gar keinen
Eintrag, indem die Handlung zu sehr hinriß, um Vergleichungen zwischen
der Sprache und dem Kostüm anstellen zu können, und damals nur äußerst
wenige der Kritik, sondern nur des Eindrucks wegen, den das Gesehene
bei ihnen zurücklassen sollte, das Schauspiel besuchten.

Mit welcher Unruhe Schiller den Nachrichten aus Mannheim entgegensah,
und in welcher Spannung er die Zeit zubrachte, welche zu den
Vorbereitungen, den Proben erforderlich war, mag wohl nur der am
richtigsten beurteilen, der als Dichter oder Tonkünstler sich zum
erstenmal in gleichem Fall befindet. Er selbst sagt hierüber in einem
der folgenden Briefe: »Auf meinen Räuber Moor bin ich im höchsten Grad
begierig, und von Herrn Böck, der ihn ja vorstellen soll, höre ich
nichts als Gutes. Ich freue mich wirklich darauf wie ein Kind.« Ferner:
»Ich glaube meine ganze dramatische Welt wird dabei aufwachen, und im
ganzen einen größern Schwung geben; denn es ist das erste Mal in meinem
Leben, daß ich etwas mehr als Mittelmäßiges hören werde.«

Endlich kam auch der so heftig gewünschte und ersehnte Tag heran, wo
er seinen verlornen Sohn, wie er anfangs die Räuber benennen wollte,
in der Mitte Januars 1782 auf dem Theater in Mannheim darstellen
sah. Aus der ganzen Umgegend, von Heidelberg, Darmstadt, Frankfurt,
Mainz, Worms, Speyer etc. waren die Leute zu Roß und zu Wagen
herbeigeströmt, um dieses berüchtigte Stück, das eine außerordentliche
Publizität erlangt hatte, von Künstlern aufführen zu sehen, die auch
unbedeutende Rollen mit täuschender Wahrheit gaben und nun hier um
so stärker wirken konnten, je gedrängter die Sprache, je neuer die
Ausdrücke, je ungeheuerer und schrecklicher die Gegenstände waren,
welche dem Zuschauer vorgeführt werden sollten. Der kleine Raum des
Hauses nötigte diejenigen, welchen nicht das Glück zu teil wurde, eine
Loge zu erhalten, ihre Sitze schon mittags um ein Uhr zu suchen und
geduldig zu warten, bis um fünf Uhr endlich der Vorhang aufrollte.
Um die Veränderung der Kulissen leichter zu bewerkstelligen, machte
man aus fünf Akten deren sechs, welche von fünf Uhr bis nach zehn Uhr
dauerten. Die ersten drei Akte machten die Wirkung nicht, die man im
Lesen davon erwartete; aber die letzten drei enthielten alles, um auch
die gespanntesten Forderungen zu befriedigen.

Vier der besten Schauspieler, welche Deutschland damals hatte, wendeten
alles an, was Kunst und Begeisterung darbieten, um die Dichtung auf
das vollkommenste und lebendigste darzustellen. Böck als Karl Moor
war vortrefflich, was Deklamation, Wärme des Gefühls und den Ausdruck
überhaupt betraf. Nur seine kleine, untersetzte Figur störte anfangs,
bis der Zuschauer von dem Feuer des Spiels fortgerissen, auch diese
vergaß. Beil als Schweizer ließ nichts zu wünschen übrig; so wie auch
Kosinsky durch die passende Persönlichkeit des Herrn Beck sehr gewann.
Durch die Art aber wie Iffland die Rolle des Franz Moor nicht nur
durchgedacht, sondern dergestalt in sich aufgenommen hatte, daß sie mit
seiner Person eins und dasselbe schien, ragte er über alle hinaus und
brachte eine nicht zu beschreibende Wirkung hervor, indem keine seiner
Rollen, welche er früher und dann auch später gab, ihm die Gelegenheit
verschaffen konnte, das Gemüt bis in seine innersten Tiefen so zu
erschüttern, wie es bei der Darstellung des Franz Moor möglich war.
Zermalmend für den Zuschauer war besonders die Szene, in welcher er
seinen Traum von dem Jüngsten Gericht erzählte, mit aller Seelenangst
die Worte ausrief: »Richtet einer über den Sternen? Nein! Nein!« und
bei dem zitternd und nur halblaut gesprochenen, in sich gepreßten
Worte: Ja! Ja! -- die Lampe in der Hand, welche sein geisterbleiches
Gesicht erleuchtete -- zusammensank. Damals war Iffland 26 Jahre alt,
von Körper sehr schmächtig, im Gesicht etwas blaß und mager. Dieser
Jugend ungeachtet, war sein Spiel auch in den kleinsten Schattierungen
so durchgeführt, daß es ein nicht zu vertilgendes Bild in jedem Auge,
das ihn sah, zurückließ.

Welche Wirkung die Vorstellung der Räuber auf den Dichter derselben
hervorbrachte, davon haben wir noch ein Zeugnis in dem Brief an Baron
Dalberg vom 17. Jänner 1782, wo er schreibt: »Beobachtet habe ich sehr
vieles, sehr vieles gelernt, und ich glaube, wenn Deutschland einst
einen dramatischen Dichter in mir findet, so muß ich die Epoche von der
vorigen Woche zählen etc.«

Daß auch ihn selbst das Spiel von Iffland überraschte, bezeugte er
in demselben Briefe mit Folgendem: »Dieses einzige gestehe ich, daß
die Rolle Franzens, die ich als die schwerste erkenne, als solche
über meine Erwartung (welche nicht gering war) vortrefflich gelang.«
Schiller hatte sich, ohne Urlaub von seinem Regimentschef zu nehmen,
aus Stuttgart entfernt, um sein Schauspiel zu sehen; es wußten daher
auch nur einige um seine Abwesenheit und sie blieb für diesmal
verborgen. Aber die Heiterkeit, welche vor der Abreise sein ganzes
Wesen beseelt hatte, war nach seiner Rückkehr fast ganz verschwunden;
denn so heftig er die Stunden des schöpferischen Genusses herbei
gewünscht hatte, so mißvergnügt war er nun, daß er seine medizinischen
Amtsgeschäfte wieder vornehmen und sich der militärischen Ordnung
fügen mußte, da ihm jetzt nicht nur der Ausspruch der Kenner, der
stürmische Beifall des Publikums, sondern hauptsächlich sein eignes
Urteil die Überzeugung verschafft hatte, daß er zum Dichter, besonders
aber zum Schauspieldichter geboren sei, und daß er hierin eine Stufe
erreichen könne, die noch keiner seiner Nation vor ihm erstiegen. Jede
Beschäftigung, die er nun unternehmen mußte, machte ihn mißmutig, und
er achtete die Zeit, die er darauf verwenden mußte, als verschwendet.
Es bedurfte wirklich auch einiger Wochen, bis sein aufgeregtes Gemüt
sich wieder in die vorigen Verhältnisse finden konnte, und als er etwas
ruhiger geworden war, brütete seine Einbildungskraft sogleich wieder
über neuen Sujets, die als Schauspiele bearbeitet werden könnten.

Unter mehreren, die aufgenommen und wieder verworfen wurden,
blieben Konradin von Schwaben und die Verschwörung des Fiesco zu
Genua diejenigen, welche ihm am meisten zusagten. Endlich wählte
er letzteres, und zwar nicht allein wegen des Ausspruchs von J. J.
Rousseau, daß der Charakter des Fiesco einer der merkwürdigsten sei,
welche die Geschichte aufzuweisen habe; sondern auch, weil er bei
dem Durchdenken des Planes fand, daß diese Handlung der meisten und
wirksamsten Verwicklungen fähig sei. Sobald sein Entschluß hierüber
fest stand, machte er sich mit allem, was auf Italien, die damalige
Zeit sowie auf den Ort, wo sein Held handeln sollte, Beziehung hatte,
mit größter Emsigkeit bekannt, besuchte fleißig die Bibliothek, las und
notierte alles, was dahin einschlug, und als er endlich den Plan im
Gedächtnis gänzlich entworfen hatte, schrieb er den Inhalt der Akte und
Auftritte in derselben Ordnung, wie sie folgen sollten, aber so kurz
und trocken nieder, als ob es eine Anleitung für den Kulissendirektor
werden sollte. Nach Lust und Laune arbeitete er dann die einzelnen
Auftritte und Monologe aus, zu deren Mitteilung und Besprechung ihm
aber ein Freund, von dessen Empfänglichkeit und warmer Teilnahme er
die Überzeugung hatte, um so mehr unentbehrlich war, da er auch bei
seinen kleinern Gedichten es sehr liebte solche vorzulesen, um das
dichterische Vergnügen doppelt zu genießen, wenn er seine Gedanken und
Empfindungen im Zuhörer sich abspiegeln sah.

Diese angenehmen Beschäftigungen, welche den edlen Jüngling für alles
schadlos hielten, was er an Freiheit oder sonstigem Lebensgenuß
entbehren mußte, wurden aber auf eine sehr niederschlagende Art
durch etwas gestört, was wohl als die erste Veranlassung zu dem
unregelmäßigen Austritt Schillers aus des Herzogs Diensten angesehen
werden kann. Die Sache war folgende: In den beiden ersten Ausgaben der
Räuber, in der dritten Szene des zweiten Aktes, befindet sich eine Rede
des Spiegelberg, welche einen Bezug auf Graubünden hat, und die einen
Bündner so sehr aufreizte, daß er eine Verteidigung seines Vaterlandes
in den Hamburger Korrespondenten einrücken ließ. Wahrscheinlich wäre
diese Protestation ohne alle Folgen geblieben, wenn nicht die Zeitung
als eine Anklage gegen Schiller dem Herzog vor Augen gelegt worden
wäre. Dieser war um so mehr über diese öffentliche Rüge aufgebracht,
indem derjenige, gegen den sie gerichtet worden, nicht nur in seinen
Diensten stand, sondern auch einer der ausgezeichnetsten Zöglinge
seiner mit so vieler Mühe und Aufmerksamkeit gepflegten Akademie war.
Er erließ daher an Schiller sogleich die Weisung, sich zu verteidigen,
sowie den Befehl, alles weitere in Druckgeben seiner Schriften, wenn es
nicht medizinische wären, zu unterlassen und sich aller Verbindung mit
dem Ausland zu enthalten.

Schiller beantwortete die Anklage damit, daß er die mißfällige Rede
nicht als eine Behauptung aufgestellt, sondern als einen unbedeutenden
Ausdruck einem Räuber, und zwar dem schlechtesten von allen, in den
Mund gelegt. Auch habe er hier nur eine Volkssage nachgeschrieben, die
er von früher Jugend an gehört.

War der strenge Verweis und das Mißfallen seines Fürsten, das er auf
eine so zufällige und ganz unschuldige Art sich zugezogen, schon im
höchsten Grad unangenehm für Schiller, so mußte der harte Befehl --
sich bloß auf seinen Beruf als Arzt und auf die Stadt, worin er lebte,
einschränken zu sollen -- noch schmerzlicher für ihn sein, indem es
ihm unmöglich fiel, den Hang, welchen er für die Dichtung hatte, zu
unterdrücken und sich in einer Wissenschaft auszuzeichnen, die er nur
aus Furcht vor der Ungnade des Herzogs ergriffen und der er seine
Lieblingsneigung, den ersten Vorsatz seiner Kinderjahre aufgeopfert
hatte. Durch das Verbot, sich in irgend eine Verbindung mit dem Ausland
einzulassen, war ihm jede Möglichkeit zur Verbesserung seiner Umstände
abgeschnitten, und selbst die kleinlichsten Sorgen, die härtesten
Entsagungen hätten es nicht bewirken können, mit einer so geringen
Besoldung auszureichen. Das Versprechen, welches der Herzog bei der
Aufnahme Schillers in die Akademie seinen Eltern gegeben hatte, war so
wenig erfüllt worden, daß sein Gehalt als Regimentsarzt kaum demjenigen
eines Pfarrvikars gleich kam und durch den Aufwand für Equipierung, für
standesmäßiges Erscheinen beinahe auf nichts herab gebracht wurde.

Was aber gewöhnliche Menschen niederbeugt, was ihnen Geist und Glieder
erschlafft, hebt den Mut der Starken, der Kraftvollen nur um so höher.
Noch in den Jünglingsjahren bewährte sich jetzt Schiller als einen
Mann, der sich durch keine Widerwärtigkeiten aus seiner Bahn bringen
läßt, sondern rastlos das vorgesteckte Ziel verfolgt. Anstatt sich
in nutzlosen Klagen auszulassen, arbeitete er nur um desto eifriger
an seinem Fiesco, den er als einen neuen Hebel zur Sprengung seines
Gefängnisses betrachtete und in dessen Ausarbeitung er all das Wilde,
Rohe, was ihm bei den Räubern zum Vorwurf gemacht wurde, zu vermeiden
suchte.

Eine widerliche Unterbrechung seiner dramatischen Arbeiten wurde durch
die Dissertation veranlaßt, welche er in diesem Frühjahr einreichen
mußte, um auf der hohen Karlsschule (welchen Titel nun die ehemalige
Militärakademie erhalten hatte) den Grad eines Doktors der Medizin
zu erhalten. Dieser Förmlichkeit konnte er sich schon darum nicht
entziehen, weil der Herzog seine neue Universität mit eifersüchtiger
Liebe pflegte und darauf besonders sah, daß diejenigen, welche er
erziehen lassen, vor den Augen der Welt sich als der Anstalt vollkommen
würdig zeigen sollten. Auch war Schiller, was seine Studien betraf,
einer der hervorstechendsten Zöglinge in der Akademie, weswegen er
nicht nur von seinem Fürsten, sondern auch von seinen Lehrern, wie
schon oben erwähnt, vorzüglich gelobt und geachtet wurde.

Überdies würde es dem Herzog weit mehr als seinem Zögling unangenehm
gewesen sein, wenn der junge Arzt bloß darum, weil er den Doktorhut
nicht genommen, von den Kollegen seiner Kunst Schwierigkeiten oder
weniger Achtung erfahren hätte.

Daß Schiller selbst gegen diese Ehre im höchsten Grad gleichgültig
war, äußerte er oft und stark genug gegen seine Freunde, und wer daran
noch zweifeln könnte, findet seine unverhohlene Äußerung hierüber
in dem Brief an Baron Dalberg vom 1. April 1782, wo er sagt: »Meine
gegenwärtige Lage nötigt mich den Gradum eines Doktors der Medizin
in der hiesigen Karlsschule anzunehmen, und zu diesem Ende muß ich
eine medizinische Dissertation schreiben, und in das Gebiet meiner
Handwerkswissenschaft noch einmal zurückstreifen. Freilich werde ich
von dem milden Himmelsstrich des Pindus einen verdrießlichen Sprung
in den Norden einer trockenen, terminologischen Kunst machen müssen;
allein, was sein muß zieht nicht erst die Laune und Lieblingsneigung zu
Rat. Vielleicht umarme ich dann meine Muse um so feuriger, je länger
ich von ihr geschieden war; vielleicht finde ich dann im Schoß der
schönen Kunst eine süße Indemnität für den fakultistischen Schweiß.«

(Sollte ein Arzt diese Äußerungen verdammen wollen, so möge er sich
erinnern, daß es in Schillers Gedicht »Die Teilung der Erde« nur der
Dichter ausschließend ist, zu welchem Jupiter sagt:

    Willst du in meinem Himmel mit mir leben,
    So oft du kommst, er soll dir offen sein.)

Mittlerweile wurden in Mannheim die Räuber sehr oft mit demselben
Zulauf, mit dem gleichen Beifall wie das erste Mal gegeben, und es war
nichts natürlicher, als daß der Ruf von der ungeheuren Wirkung dieses
Stücks sowie von der meisterhaften Darstellung desselben auch nach
Stuttgart gelangte und dort in den meisten Gesellschaften, besonders
aber in den Umgebungen des Dichters vielen Stoff zum Sprechen gab. Man
darf sich daher auch nicht wundern, daß Schiller den öftern Wünschen
und dringenden Bitten einiger Freundinnen und Freunde nachgab, eine
kurze Reise des Herzogs zu benützen und während dessen Abwesenheit,
ohne Urlaub zu nehmen, mit ihnen nach Mannheim zu gehen und daselbst
im Wiedersehen seines Schauspiels seinen eignen Genuß durch das
Mitgefühl seiner Reisegefährten zu erhöhen. Schiller willigte nur zu
gern ein und schrieb nach Mannheim, um die Aufführung der Räuber auf
einen bestimmten Tag zu erbitten, was ihm auch von der Intendanz sehr
leicht gewährt wurde. Aber bei der Anschauung dessen, was er mit seinen
ersten, jugendlichen Kräften schon geleistet, war auch der Gedanke
unabweislich, wie vieles, wie großes er noch würde leisten können, wenn
diese Kräfte nicht eingeengt oder gefesselt wären, sondern freien,
ungemessenen Spielraum erhalten könnten. Eine Idee, die durch seine
enthusiastischen Begleiter um so mehr angefeuert und unterhalten wurde,
je tiefer die Eindrücke waren, welche die erschütternden Szenen bei
ihnen zurückgelassen hatten.

Bei seiner ersten heimlichen Reise hatte er nur die einzige Sorge,
daß sie verschwiegen bleiben möchte. Auf die zweite nahm er schon
außer dieser Sorge das beschränkende Verbot mit, seine dichterischen
Arbeiten bekannt zu machen, nebst dem strengen Befehl, sich das Ausland
als für ihn gar nicht vorhanden denken zu müssen. Er kam daher auch
äußerst mißmutig und niedergeschlagen wieder nach Stuttgart zurück,
ebenso verstimmt durch die Betrachtungen über sein Verhältnis als
leidend durch die Krankheit, welche er mitbrachte. (Diese Krankheit,
welche durch ganz Europa wanderte, bestand in einem außerordentlich
heftigen Schnupfen und Katarrh, den man russische Grippe oder Influenza
nannte und der so schnell ansteckend war, daß der Verfasser dieses,
als er Schillern einige Stunden nach dessen Ankunft umarmt hatte, nach
wenigen Minuten schon von Fieberschauern befallen wurde, die so stark
waren, daß er sogleich nach Hause eilen mußte.)

Schiller äußerte sich gegen einen seiner jüngern Freunde, dem er völlig
vertrauen durfte, ganz unverhohlen, mit welchem Widerwillen er sich
Stuttgart genähert habe -- wie ihm hier nun alles doppelt lästig und
peinlich sein müsse, indem er in Mannheim eine so glänzende Aufnahme
erfahren, wo hingegen er hier kaum beachtet werde und nur unter Druck
und Verboten leben könne -- daß ihm nicht nur von seinen Bewunderern,
sondern von Baron Dalberg selbst die Hoffnung gemacht worden, ihn ganz
nach Mannheim ziehen zu wollen, und er nicht zweifle, es werde alles
mögliche angewendet werden, um ihn von seinen Fesseln zu befreien.
Sollte dieses nicht gelingen, so werde er notgedrungen, wolle er anders
hier nicht zugrunde gehen, einen verzweifelten Schritt tun müssen. Er
nahm sich vor, sowie er nur den Kopf wieder beisammen habe, sogleich
nach Mannheim zu schreiben, damit unverweilt alles geschehe, was seine
Erlösung bewirken könne. Es ist ein Glück für den Verfasser, daß Baron
Dalberg alle Briefe von Schiller an ihn so sorgfältig aufgehoben, und
daß sie durch den Druck bekannt geworden sind, indem sonst manches, was
jetzt und in der Folge vorkommt, als Anschuldigung oder bloße Meinung
erklärt, und unser Dichter weit weniger gerechtfertigt werden könne,
als es nun durch diese Beweise möglich ist. Der folgende Brief ist der
erste Beleg hierzu.

            Stuttgart, den 4. Junius 1782.

    »Ich habe das Vergnügen, das ich zu Mannheim in vollen Zügen genoß,
    seit meiner Hieherkunft durch die epidemische Krankheit gebüßt,
    welche mich zu meinem unaussprechlichen Verdruß bis heute gänzlich
    unfähig gemacht hat, E. E. für so viele Achtung und Höflichkeit
    meine wärmste Danksagung zu bezeigen. Und noch bereue ich beinahe
    die glücklichste Reise meines Lebens, die mich durch einen höchst
    widrigen Kontrast meines Vaterlandes mit Mannheim schon so weit
    verleidet hat, daß mir Stuttgart und alle schwäbischen Szenen
    unerträglich und ekelhaft werden. Unglücklicher kann bald niemand
    sein als ich. Ich habe Gefühl genug für meine traurige Situation,
    vielleicht auch Selbstgefühl genug für das Verdienst eines bessern
    Schicksals, und für beides nur -- eine Aussicht.

    Darf ich mich Ihnen in die Arme werfen, vortrefflicher Mann? Ich
    weiß wie schnell sich Ihr edelmütiges Herz entzündet, wenn Mitleid
    und Menschenliebe es auffordern; ich weiß wie stark Ihr Mut ist,
    eine schöne Tat zu unternehmen, und wie warm Ihr Eifer, sie zu
    vollenden. Meine neuen Freunde in Mannheim, von denen Sie angebetet
    werden, haben es mir mit Enthusiasmus vorhergesagt; aber es war
    diese Versicherung nicht nötig; ich habe selbst, da ich das Glück
    hatte, eine Ihrer Stunden für mich zu nutzen, in Ihrem offenen
    Anblick weit mehr gelesen. Dieses macht mich nun auch so dreist,
    mich Ihnen ganz zu geben, mein ganzes Schicksal in Ihre Hände zu
    liefern und von Ihnen das Glück meines Lebens zu erwarten. Noch bin
    ich wenig oder nichts. In diesem Norden des Geschmacks werde ich
    ewig niemals gedeihen, wenn mich sonst glücklichere Sterne und ein
    griechisches Klima zum wahren Dichter erwärmen würden.

    Brauche ich mehr zu sagen, um von Dalberg alle Unterstützung zu
    erwarten?

    E. Exz. haben mir alle Hoffnung dazu gemacht, und ich werde den
    Händedruck, der Ihren Verspruch versiegelte, ewig fühlen; wenn Eure
    Exzellenz diese drei Ideen goutieren und in einem Schreiben an den
    Herzog Gebrauch davon machen, so stehe ich ziemlich für den Erfolg.

    Und nun wiederhole ich mit brennendem Herzen die Bitte, die Seele
    dieses ganzen Briefs. Könnten E. E. in das Innere meines Gemütes
    sehen, welche Empfindungen es durchwühlen, könnte ich Ihnen mit
    Farben schildern, wie sehr mein Geist unter dem Verdrießlichen
    meiner Lage sich sträubt -- Sie würden -- ja ich weiß gewiß -- Sie
    würden eine Hilfe nicht verzögern, die durch einen oder zwei Briefe
    an den Herzog geschehen kann.

    Nochmals werfe ich mich in Ihre Arme und wünsche nichts anderes,
    als bald, sehr bald, Ihnen mit einem anhaltenden Eifer und mit
    einer persönlichen Dienstleistung die Verehrung bekräftigen zu
    können, mit welcher ich mich und alles, was ich bin, für Sie
    aufzuopfern wünsche.

    E. E.

        untertäniger Schiller.«

        Beilage.

    »Sie schienen weniger Schwierigkeit in der Art mich zu employieren,
    als in dem Mittel, mich von hier weg zu bekommen, zu finden. Jenes
    steht ohnehin ganz bei Ihnen, allein zu diesem könnten Ihnen
    vielleicht folgende Ideen dienen.

    1) Da im ganzen genommen das Fach der Mediziner bei uns so sehr
    übersetzt ist, daß man froh ist, wenn durch Erledigung einer
    Stelle Platz für einen andern gemacht wird; so kommt es mehr
    darauf an, wie man dem Herzog, der sich nicht trotzen lassen will,
    mit guter Art den Schein gibt, als geschehe es ganz durch seine
    willkürliche Gewalt, als wäre es sein eignes Werk und gereiche
    ihm zur Ehre. Daher würden E. E. ihn von der Seite ungemein
    kitzeln, wenn Sie in den Brief, den Sie ihm wegen mir schreiben,
    einfließen ließen, daß -- Sie mich für eine Geburt von ihm, für
    einen durch ihn Gebildeten und in seiner Akademie Erzogenen
    halten, und daß also durch diese Vokation seiner Erziehungsanstalt
    quasi das Hauptkompliment gemacht würde, als würden ihre Produkte
    von entschiedenen Kennern geschätzt und gesucht. Dieses ist der
    Passepartout beim Herzog.

    2) Wünsche ich (und auch meinetwegen) sehr, daß Sie meinen
    Aufenthalt beim Nationaltheater zu Mannheim auf einen gewissen
    beliebigen Termin festsetzen (der dann nach Ihrem Befehl verlängert
    werden kann), nach dessen Verfluß ich wieder meinem Herzog gehörte.
    So sieht es mehr einer Reise, als einer völligen Entschwäbung (wenn
    ich das Wort brauchen darf) gleich, und fällt auch so hart nicht
    auf. Wenn ich nur einmal hinweg bin, man wird froh sein, wenn ich
    selbst nicht mehr anmahne.

    3) Würde es höchst notwendig sein, zu berühren, daß mir Mittel
    gemacht werden sollten, zu Mannheim zu praktizieren und meine
    medizinischen Übungen da fortzusetzen. Dieser Artikel ist
    vorzüglich nötig, damit man mich nicht, unter dem Vorwand für mein
    Wohl zu sorgen, kujoniere und weniger fortlasse.«

Alles, was auch ein Augen- oder Ohrenzeuge erzählen könnte, wäre nicht
imstande, die traurigen Empfindungen des armen Jünglings über seine
beklemmende Lage stärker und wahrer zu schildern, als er es selbst in
diesem Briefe getan.

Daß er die Bitte nicht aufs Geratewohl, sondern durch Aufmunterung von
Leuten getan, die ihre Gewährung für sehr leicht und unfehlbar hielten,
erhellt aus der Stelle: »ich weiß, wie stark Ihr Mut ist, eine schöne
Tat zu unternehmen, und wie warm Ihr Eifer ist, sie zu vollenden. Meine
neuen Freunde in Mannheim haben es mir mit Enthusiasmus vorhergesagt
etc. etc.« und die folgende: »E. Exz. haben mir alle Hoffnung dazu
gemacht, und ich werde den Händedruck, der Ihren Verspruch besiegelte,
ewig fühlen etc.« beweist auf das deutlichste, daß Baron Dalberg selbst
ihm das Wort gab, sich für ihn bei seinem Fürsten zu verwenden.

Die drei Vorschläge, welche in der Beilage enthalten sind, waren ganz
auf die genaue Kenntnis vom Charakter des Herzogs berechnet, indem
er einen sehr verzeihlichen Stolz darein setzte, daß durch seine
Fürsorge und Leitung schon so viele talentvolle Jünglinge aus seiner
Akademie hervorgegangen, und er auch ein sehr großer Liebhaber des
Theaters, so wie einer der feinsten Kenner seiner Zeit war, der es
schon darum nicht ungern sehen konnte, wenn sich unter seinen Zöglingen
gute Dichter fanden, weil alle Jahre am Geburtsfeste der Gräfin von
Hohenheim (später Gemahlin des Herzogs) Gelegenheitsstücke mit großer
Feierlichkeit und dem größten Aufwande gegeben wurden, bei welchen
sowohl das Gedicht als auch die Musik von Eleven verfaßt waren.

Der dritte Punkt beweist weit mehr für die wahrhaft väterliche Sorge,
welche der Herzog für das Wohl derer hatte, die er erziehen ließ,
als alles, was man dafür anführen könnte, und es läßt sich nicht im
geringsten zweifeln, daß wenn Baron Dalberg unter den ihm angezeigten
Bedingungen versucht hätte, den jungen Dichter von Stuttgart nach
Mannheim zu ziehen, sein Fürst ohne Anstand -- gewiß aber mit der
Anempfehlung, für Schiller alle Sorge zu tragen -- das Gesuch bewilligt
haben würde.

Schiller nährte anfangs die besten Hoffnungen, daß er nun bald aus
seiner verdrießlichen Lage befreit sein würde. Als aber nach Verlauf
mehrerer Wochen nichts geschah, war es ihm um so schmerzlicher, seine
dringende, flehende Bitte umsonst getan zu haben und sich ohne alle
äußere Hilfe zu sehen. Allein, er ließ dessenungeachtet den Mut nicht
sinken, sondern arbeitete nur um so eifriger an seinem Fiesco, was
allein imstande war, ihn wenigstens zeitweise seinen Zustand vergessen
zu machen. Aber die Freundinnen des Dichters hatten nicht vergessen,
daß sie in seiner Gesellschaft zu Mannheim die Räuber hatten aufführen
sehen, und konnten dem Drange nicht widerstehen, die Wirkung dieses
Trauerspiels sowie das Verdienst der dortigen Schauspieler auch andern
nach Würden zu schildern. Unter dem Siegel des Geheimnisses erfuhr es
die halbe Stadt, erfuhr es auch der General Augé und endlich -- der
Herzog selbst. Dieser wurde im höchsten Grad über die Vermessenheit
seines ehemaligen Lieblings aufgebracht, daß er sich, ohne Urlaub zu
nehmen, mehrere Tage entfernt und seinen Lazarettdienst vernachlässigt
habe. Er ließ ihn vor sich kommen, gab ihm die strengsten Verweise
darüber, daß er sich dem ausdrücklichen Verbote zuwider aufs neue
mit dem Auslande eingelassen und befahl ihm, augenblicklich auf die
Hauptwache zu gehen, seinen Degen abzugeben und dort vierzehn Tage im
Arrest zu bleiben.

Obwohl die verhängte Strafe für die Übertretung des herzoglichen
Befehls ganz der militärischen Ordnung gemäß und nichts weniger als
zu streng war, so wurde Schiller davon dennoch in seinem Innersten
verwundet, und zwar nicht darum, weil ihm solche zu hart schien,
sondern weil er jetzt überzeugt sein mußte, daß jede Aussicht in eine
bessere Zukunft für ihn verloren und er nun eigentlich nichts anderes
als ein Gefangener sei, der seine vorgeschriebene Arbeit verrichten
müsse.

In der Tat konnte sein Verhältnis von seinen Freunden nicht anders
als im höchste Grade traurig und verzweifelt beurteilt werden, weil
an eine Milderung oder Zurücknahme der Befehle des Herzogs um so
weniger zu denken war, je mehr man ihn als Selbstherrscher kannte und
je seltener die Fälle waren, wo er von seinem ausgesprochenen Willen
hätte abgelenkt werden können. Was man auch raten oder erfinden mochte,
war unbrauchbar, untunlich, weil der fürstliche Machtspruch allem ein
unübersteigliches Hindernis entgegensetzte.

Wäre es aber auch Schillern möglich gewesen, seinen außerordentlichen
Hang zur Dichtung zu bekämpfen und sich ganz der Arzneikunde zu widmen,
so hätte es mehrere Jahre bedurft, um sich einen Ruf zu erwerben, der
ihn von dem Gemeinen, Alltäglichen unterschieden hätte. Auch fühlte
er es so sehr, wie unnütz die ernstlichsten Vorsätze, sein angebornes
Talent zu unterdrücken, sein würden, daß er lieber alle Entbehrungen,
alle Strafen sich hätte gefallen lassen, wenn ihm nur die Erlaubnis
geblieben wäre, den Reichtum seines Geistes in der Welt auszubreiten,
und sich denjenigen anzureihen, deren Name von der Mit- und Nachwelt
nur in Bewunderung und Verehrung genannt wird.

So wenig Vorteil Gold, Perlen und Diamanten in einer menschenleeren
Wüste bringen, so wenig konnte ihm die köstlichste Gabe des Himmels
nützen, wenn er sie nicht gebrauchen durfte, wenn er bei ihrer
Anwendung Strafe befürchten mußte. Ja diese Göttergabe konnte ihm nur
zur Qual, zur wirklichen Marter werden, weil alles was er dachte,
was er empfand, nur darauf Bezug hatte und es ihm die schmerzlichste
Überwindung gekostet haben würde, Ideen dieser Art abzuwehren.

Der Weihrauch, den man in öffentlichen Blättern ihm über sein erstes
Schauspiel, über seine ersten Gedichte gestreut, die schmeichelhaften
Zuschriften eines Wielands und anderer, die Lobeserhebungen derjenigen,
von deren gesundem Urteil er überzeugt war, besonders aber sein eignes
Bewußtsein hatten ihn seinen Wert schätzen gelehrt, und er hätte
lieber sein Leben verloren als dasjenige, was sein eigentliches ganzes
Wesen ausmachte, brach liegen zu lassen, oder den Lorbeerkranz des
Dichters den Beschäftigungen des Arztes aufzuopfern.

Am empfindlichsten hielt er sich aber dadurch gekränkt, daß ihm durch
dieses Machtgebot das Recht des allergeringsten Untertans -- von
seinen Naturgaben freien Gebrauch machen zu können, wenn er sie nicht
zum Nachteil des Staates oder der Gesetze desselben anwende -- jetzt
gänzlich benommen war, ohne daß ihm bewiesen worden wäre, dieses Recht
aus Mißbrauch verwirkt zu haben.

Die Übertretung der Militärdisziplin hatte er durch strengen Verhaft
gebüßt; was über diesen noch gegen ihn verhängt worden, hielt er für
eine zu harte Strafe.

Auf der Stelle würde er seinen Abschied gefordert haben, wenn nicht
sein Vater in herzoglichen Diensten gestanden, er selbst nicht auf
Kosten des Fürsten in der Akademie nicht nur erzogen, sondern auch mit
vorzüglicher Güte und Auszeichnung behandelt worden wäre, so daß voraus
zu schließen war, es würde statt einer Entlassung nur der Vorwurf der
größten Undankbarkeit und eine noch zwangvollere Aufsicht erfolgen. Um
jedoch nichts unversucht zu lassen, was seine Entfernung von Stuttgart
auf dem der Ordnung gemäßen Wege bewirken könnte, schrieb er noch
einmal an Baron Dalberg und bat ihn aufs neue um seine Verwendung bei
dem Herzog. Er sagt in seinem Brief: »Dieses einzige kann ich Ihnen
für ganz gewiß sagen, daß in etlichen Monaten, wenn ich in dieser Zeit
nicht das Glück habe zu Ihnen zu kommen, keine Aussicht mehr da ist,
daß ich jemals bei Ihnen leben kann. Ich werde alsdann gezwungen sein
einen Schritt zu tun, der mir unmöglich machen würde in Mannheim zu
bleiben.«

Schiller glaubte nicht mit Unrecht, daß Baron Dalberg um so leichter
für ihn einschreiten könnte, als der pfälzische und württembergische
Hof im besten Vernehmen standen, auch der Herzog schon einigemal
den italienischen Hofpoeten von Mannheim hatte kommen lassen, um bei
Aufführung der für das Stuttgarter Hoftheater von ihm gedichteten
Opern gegenwärtig zu sein. Ebenso konnte man auch vermuten, daß das
Verbot, welches Schillern wegen der Verbindung mit dem Ausland betraf,
größtenteils daher kam, weil bei Aufführung der Räuber das deutsche
Theater in Stuttgart übergangen und dieses Stück ohne Vorwissen, ohne
Anfrage bei dem Fürsten auf der Mannheimer Bühne zuerst gegeben worden
war.

Aus diesem sowie aus den angegebenen Gründen konnte der bedrängte
Dichter um so zuverlässiger einen günstigen Erfolg seiner Bitten
erwarten, indem der Rang den Baron Dalberg als Geheimrat,
Ober-Silberkämmerling, Vize-Kammerpräsident und Theaterintendant Sr.
kurfürstlichen Durchlaucht zu Pfalzbayern bekleidete, dem Herzog
Rücksichten auferlegt hätte, die bei jedem andern, der sich in
Stuttgart für diese Sache hätte verwenden wollen, nicht stattfinden
konnten.

Noch einige Zeit gab sich Schiller den besten Hoffnungen hin, indem
er glaubte, daß Baron Dalberg um so gewisser das gegebene Versprechen
erfüllen würde, je deutlicher ihm zu verstehen gegeben worden, daß
das Äußerste werde geschehen müssen, wenn keine Vermittlung eintrete.
Als aber nach Verfluß von vierzehn Tagen nichts für ihn geschah und
er nun überzeugt war, daß von daher, wo die Hilfe am leichtesten,
der gute Erfolg am gewissesten schien, kein Beistand zu erwarten
sei, verwandelte sich sein sonst so heiterer Sinn in finstere, trübe
Laune; was ihn sonst auf das lebhafteste aufregte, ließ ihn kalt und
gleichgültig; selbst seine Jugendfreunde, die sonst immer auf den
herzlichsten Willkomm rechnen durften, wurden ihm mit Ausnahme sehr
weniger beinahe zuwider.

Sein Fiesco konnte bei dieser Stimmung nur sehr langsam weiter rücken.
Auch war es leicht vorauszusehen, daß, wenn dieser Zustand noch
lange oder gar für immer hätte dauern sollen, er nicht nur für jede
Geistesbeschäftigung verloren sein, sondern auch seine Gesundheit, die
ohnedies nicht sehr fest war, ganz zugrunde gehen würde. Er selbst
hielt sich für den unglücklichsten aller Menschen und glaubte seiner
Selbsterhaltung schuldig zu sein, etwas zu wagen, was seinen Zustand in
Stuttgart auf eine vorteilhafte Art verändern oder aber sein Schicksal
ganz durchreißen und ihm eine andere, bessere Gestalt geben müsse.
Da er es nicht wagen durfte, seinem Landesherrn Vorstellungen gegen
den erlassenen Befehl zu machen, ohne neue Verweise oder gar Strafen
befürchten zu müssen, so hielt er für das beste, noch einmal heimlich
nach Mannheim zu reisen, von dort aus an den Herzog zu schreiben,
ihm darzulegen, daß durch das ergangene Verbot seine ganze Existenz
zernichtet sei und ihn um die Bewilligung einiger Punkte untertänigst
zu bitten, die er für sein besseres Fortkommen unerläßlich glaubte.
Wurden ihm diese Bitten nicht gewährt, so konnte er auch nicht mehr
nach Stuttgart zurückkehren, und er hegte die Hoffnung, daß er dann um
so leichter in Mannheim als Theaterdichter angestellt werden könnte, je
zuversichtlicher ihm dort von vielen versichert worden, daß ein solcher
Dichter wie er, ihre Bühne auf die höchste Stufe des Ruhmes heben würde.

Um diesen Plan nicht lächerlich oder ganz widersinnig zu finden, ist
es nötig, auf das ganz besondere Verhältnis aufmerksam zu machen, in
welchem Schiller zu seinem Fürsten stand.

Der Vater von Schiller, dem als Gouverneur der Solitüde alles, was
die vielfachen Bauten, Gartenanlagen und Baumzucht betraf, untergeben
war, führte dies so sehr zur Zufriedenheit des Herzogs aus, und wußte
dessen Willen, noch ehe er ausgesprochen war, so Genüge zu leisten,
daß er seine ganze Zufriedenheit sowie wegen der Rechtlichkeit und
Strenge, mit welchen er seinen Dienst ausübte, auch seine Hochachtung
erwarb. Es war zum Teil eine Folge dieser Achtung, daß der Sohn in
der Akademie mit besonderer Sorgfalt und Güte behandelt wurde; zum
Teil waren es aber auch die überraschenden Antworten und Bemerkungen,
welche der junge Zögling im Gespräch mit seinem erhabenen Erzieher
aussprach, die ihm eine besondere Auszeichnung und Zuneigung erwarben.
Es war diesem geistvollen Fürsten, der Scharfsinn und das Talent, was
er im hohen Grad selbst besaß, auch an andern vorzüglich schätzte, weit
weniger darum zu tun, an seiner Akademie eine militärische Prunkanstalt
zu haben, als bei den jungen Leuten alles das heraus zu bilden, was
ihre Anlagen zu entwickeln vermochte. Er ließ sich daher mit ihnen in
Einzelheiten ein, die einem gewöhnlichen Erzieher zu kleinlich oder
überflüssig scheinen würden, und erwarb sich dadurch, weit mehr als
durch sein Ehrfurcht gebietendes Ansehen, ein solches Zutrauen, daß die
Zöglinge weit lieber mit ihm sprachen oder ihm -- dem Herzog -- ihre
Fehler bekannten als den vorgesetzten Offizieren.

Als die Anstalt noch auf der Solitüde sich befand, verging nie ein Tag,
an welchem er nicht die Lehrstunden besuchte, um sich von dem Fleiße
der Lehrer und den Fortschritten der Schüler zu überzeugen. Und als die
Akademie nach Stuttgart verlegt wurde, waren es nur die alljährlichen
Reisen, die ihn auf Wochen oder Tage von derselben entfernt halten
konnten. Auch das freundliche Benehmen der Gräfin von Hohenheim, welche
sich an der Unbefangenheit der jüngsten Zöglinge ergötzte und sie mit
kleinen Geschenken beteilte, trug nicht wenig dazu bei, das streng
scheinende Verhältnis zu mildern. Wie oft wurden Strafen bloß darum
in ihrer Gegenwart ausgesprochen, um durch bittende Blicke oder Worte
dieser wohlwollenden, nichts als Güte und Teilnahme atmenden Frau,
entweder ganz erlassen, oder doch gemindert werden zu können.

Unter den Augen des Fürsten von Kindern zu Knaben, von Knaben
zu Jünglingen herangewachsen, von seinen durchdringenden Augen
oft getadelt oder mit Beifall belohnt, konnten sich die jungen
Leute, nachdem sie der akademischen Aufsicht entlassen waren, ihr
Dienstverhältnis unmöglich so scharf denken als andere, die mit der
Person des Herzogs gar nicht oder nur als ihrem Souverän bekannt waren.

Diese Verhältnisse allein können es begreiflich machen, wie Schiller
auf die so oft bezeigte Gnade und Zufriedenheit seines Fürsten so
fest sich verlassen konnte, daß er zu dem Glauben verleitet ward, der
Herzog werde ihm seine Bitten bewilligen, wenn er ihn an seine frühere
Huld erinnere und unwiderleglich dartue, daß er durch die gegen ihn
erlassenen Verbote zur Verzweiflung gebracht sei.

Nachdem diese Meinung ihn so beherrschte, daß sie sich in einen
unwiderruflichen Entschluß umwandelte, entstand nur noch die Frage,
auf welche Art und in welcher Zeit die heimliche Reise am besten
auszuführen sein würde; denn die harten Verweise des Herzogs, der
darauf folgende strenge Arrest hatten ihn so eingeschüchtert, daß
er sich in allen seinen Handlungen beobachtet halten konnte und die
schärfste Ahndung befürchten mußte, wenn er irgend einen Verdacht gegen
sich erregte. So wenig er seinen Vorsatz allein ausführen konnte, so
wenig konnte er sich seinen Schulfreunden anvertrauen, weil es eben so
unnütz als gefährlich gewesen wäre, sie um Beistand anzusprechen, indem
keiner von ihnen -- was die Hauptsache, die Anstalten zur heimlichen
Reise, betraf -- die geringste Hilfe leisten oder auf sonst eine Art
seine Pläne befördern konnte.

In diesem Zustande konnte er sein Herz mit voller Sicherheit nur einem
einzigen Freund eröffnen, der zwar nicht mit ihm in der Akademie
erzogen worden und auch zwei Jahre weniger als er zählte; durch dessen
Bekanntschaft er aber seit achtzehn Monaten die Überzeugung erlangt
hatte, daß er hier auf eine Hingebung und Aufopferung bauen könne,
die an Schwärmerei grenzten und die nur von den wenigen Edlen erzeugt
wird, deren Gemüt und Geist eben so viele Liebe und Freundschaft als
Verehrung und Hochachtung verdienen.

Der Leser möge erlauben, daß von diesem jungen Freunde, den wir mit
S. bezeichnen wollen, sowie von der Art, wie er zu dem genauen Umgang
mit dem herrlichen Jüngling gelangte, so viel erwähnt werde, als des
Folgenden wegen unumgänglich nötig ist.

Es war im Jahr 1780 in einer der öffentlichen Prüfungen, die -- wie
eingangs erwähnt worden -- alljährlich in der Akademie in Gegenwart
des Herzogs daselbst gehalten wurden und welche S. als ein angehender
Tonkünstler um so eifriger besuchte, da meistens über den andern Tag
eine vollstimmige, von den Zöglingen aufgeführte Musik die Prüfung
beschloß, als er Schillern das erste Mal sah. Dieser war bei einer
medizinischen, in lateinischer Sprache gehaltenen Disputation gegen
einen Professor Opponent, und obwohl S. dessen Namen so wenig als seine
übrigen Eigenschaften kannte, so machten doch die rötlichen Haare --
die gegeneinander sich neigenden Knie, das schnelle Blinzeln der Augen,
wenn er lebhaft opponierte, das öftere Lächeln während dem Sprechen,
besonders aber die schön geformte Nase und der tiefe, kühne Adlerblick,
der unter einer sehr vollen, breitgewölbten Stirne hervorleuchtete,
einen unauslöschlichen Eindruck auf ihn. S. hatte den Jüngling
unverwandt ins Auge gefaßt. Das ganze Sein und Wesen desselben zogen
ihn dergestalt an und prägten den ganzen Auftritt ihm so tief ein, daß,
wenn er Zeichner wäre, er noch heute -- nach achtundvierzig Jahren --
diese ganze Szene auf das lebendigste darstellen könnte.

Als S. nach der Prüfung den Zöglingen in den Speisesaal folgte, um
Zuschauer ihrer Abendtafel zu sein, war es wieder derselbe Jüngling,
mit welchem der Herzog auf das gnädigste sich unterhielt, den Arm
auf dessen Stuhl lehnte und in dieser Stellung sehr lange mit ihm
sprach. Schiller behielt gegen seinen Fürsten dasselbe Lächeln,
dasselbe Augenblinzeln wie gegen den Professor, dem er vor einer Stunde
opponierte.

Als im Frühjahr 1781 die Räuber im Druck erschienen waren und besonders
auf die junge Welt einen ungewöhnlichen Eindruck machten, ersuchte S.
einen musikalischen, in der Akademie erzogenen Freund, ihn mit dem
Verfasser bekannt zu machen. Sein Wunsch wurde gewährt, und S. hatte
die Überraschung, in dem Dichter dieses Schauspiels denselben Jüngling
zu erkennen, dessen erstes Erscheinen einen so tiefen Eindruck bei ihm
zurückgelassen hatte.

Wie jeder Leser eines Buches sich von dem Autor desselben ein Bild
seiner Person, Haltung, Stimme, seiner Sprache vormalt, so konnte
es wohl nicht anders sein, als daß man sich in dem Verfasser der
Räuber einen heftigen jungen Mann dachte, dessen Äußeres zwar schon
den tiefempfindenden Dichter ankündige, bei welchem aber die Fülle
der Gedanken, das Feuer seiner Ausdrücke sowie seine Ansichten der
Weltverhältnisse alle Augenblicke in Ungebundenheit ausschweifen müsse.

Aber wie angenehm wurde diese vorgefaßte Meinung zerstreut!

Das seelenvollste, anspruchloseste Gesicht lächelte dem Kommenden
freundlich entgegen. Die schmeichelhafte Anrede wurde nur ablehnend,
mit der einnehmendsten Bescheidenheit erwidert. Im Gespräche nicht ein
Wort, welches das zarteste Gefühl hätte beleidigen können.

Die Ansichten über alles, besonders aber Musik und Dichtkunst
betreffend, ganz neu, ungewöhnlich, überzeugend und doch im höchsten
Grade natürlich.

Die Äußerungen über die Werke anderer sehr treffend, aber dennoch voll
Schonung und nie ohne Beweise.

Den Jahren nach Jüngling, dem Geiste nach reifer Mann, mußte man seinem
Maßstabe beistimmen, den er an alles legte und vor dem vieles, was
bisher so groß schien, ins Kleine zusammenschrumpfte und manches, was
als gewöhnlich beurteilt war, nun bedeutend wurde.

Das anfängliche blasse Aussehen, das im Verfolg des Gespräches in hohe
Röte überging -- die kranken Augen -- die kunstlos zurückgelegten
Haare, der blendend weiße, entblößte Hals gaben dem Dichter eine
Bedeutung, die ebenso vorteilhaft gegen die Zierlichkeit der
Gesellschaft abstach, als seine Aussprüche über ihre Reden erhaben
waren.

Eine besondere Kunst lag jedoch in der Art, wie er die verschiedenen
Materien aneinander zu knüpfen, sie so zu reihen wußte, daß eine
aus der andern sich zu entwickeln schien, und trug wohl am meisten
dazu bei, daß man den Zeiger der Uhr der Eile beschuldigte und die
Möglichkeit des schnellen Verlaufes der Zeit nicht begreifen konnte.

Diese so äußerst reizende und anziehende Persönlichkeit, die nirgends
etwas Scharfes oder Abstoßendes blicken ließ -- Gespräche, welche den
Zuhörer zu dem Dichter emporhoben, die jede Empfindung veredelten,
jeden Gedanken verschönerten -- Gesinnungen, die nichts als die reinste
Güte ohne alle Schwäche verrieten -- mußten von einem jungen Künstler,
der mit einer lebhaften Empfänglichkeit begabt war, die ganze Seele
gewinnen und der Bewunderung, die er schon früher für den Dichter
hatte, noch die wärmste Anhänglichkeit für den Menschen beigesellen.

Auch Schiller schien mit seinem neuen Bekannten nicht unzufrieden; denn
freiwillig lud er ihn ein, so oft zu ihm zu kommen, als er nur immer
wolle. Diese Einladung wurde von S. so emsig benützt, daß während eines
Jahres selten ein Tag verging, an dem er Schillern nicht gesehen oder
auf kurze Zeit gesprochen hätte. Ein Vertrauen setzte sich zwischen
beiden fest, das keinen Rückhalt kannte, und von dem die natürliche
Folge war, daß die Verhältnisse Schillers sowie seine wahrhaft
unglückliche Lage der unerschöpfliche Gegenstand ihrer Gespräche
wurden. Auch schien beiden der Plan, dem Herzog auf neutralem Boden
zu schreiben, um so weniger des Tadels würdig, als Schiller durchaus
nichts begangen, was ihm den Vorwurf eines schlechten Dieners seines
Fürsten hätte zuziehen können, und er die zwei unerlaubten Ausflüge
durch den ausgestandenen Arrest schon genug gebüßt zu haben glaubte.
Außer S. machte Schiller auch seine älteste Schwester mit seinem
Vorsatze bekannt, und anstatt, wie er befürchtete, von ihr Abmahnungen
zu hören, glaubte sie, daß, weil ihm das gegebene Versprechen nicht
erfüllt worden, jeder Schritt entschuldigt werden könne, den er, um
sich von gänzlichem Verderben zu retten, unternehmen werde.

Ein Gefährte, mit dem die heimliche Reise zu unternehmen wäre und der
die nötigen Anstalten dazu erleichtern könne, war schon in seinem
Freunde S. vorhanden, der im Frühjahr 1783 eine Reise nach Hamburg
antreten wollte, um daselbst bei dem berühmten Bach die Musik zu
studieren, wozu ihm dort wohnende Anverwandte die beste Unterstützung
versprochen hatten, und der es nun bei seiner Mutter dahin zu bringen
wußte, diese Reise jetzt schon machen zu dürfen.

Dem Vater Schillers mußte die ganze Sache ein tiefes Geheimnis bleiben,
damit er im schlimmsten Fall als Offizier sein Ehrenwort geben könne,
von dem Vorhaben des Sohnes nichts gewußt zu haben. Was aber am meisten
zur Beruhigung der Teilnehmenden beitrug, war der schöne Grundsatz des
Herzogs, die Kinder nie wegen der Fehler der Eltern oder die Eltern
wegen Vergehen der Kinder etwas entgelten zu lassen. Man hatte schon
zu viele Beweise von dieser wahrhaft fürstlichen Großmut, als daß man
in dem gegenwärtigen Falle nicht auch darauf hätte rechnen können.
Nachdem alles zur Sache Gehörige zwischen beiden Freunden mit der
Selbsttäuschung, die dem Jünglingsalter so ganz natürlich ist, überlegt
war, als für mögliche, künftige Hindernisse, ihre Einbildungskraft
sogleich Mittel wußte, um sie zu überwinden oder zu beseitigen, blieb
der Entschluß Schillers unwiderruflich fest, indem er nur durch die
Ausführung desselben hoffen konnte, seine Umstände in allen Teilen zu
verbessern und eine Selbständigkeit zu erlangen, die er bis jetzt nur
dem Namen nach kannte. Nun aber mußte er sich mit Anspannung aller
Kräfte der Dichtung seines Fiesco widmen, indem die Reise nicht eher
ausgeführt werden konnte, als bis dieser vollendet war, und er bisher
-- da er in seinem Innern zu keiner Ruhe gelangen konnte -- außer
dem Plan kaum die Hälfte von dem Stücke niedergeschrieben hatte. Die
Gewißheit, was er tun wolle und, damit er dem Labyrinth entkomme, tun
müsse, belebte seinen Mut wieder; seine gewöhnliche Heiterkeit kehrte
zurück, und er gewann es über sich, alle Sorgen, alle Gedanken, die
nicht seiner neuen Arbeit gewidmet waren, zu unterdrücken, indem er
bloß für die Zukunft lebte, die Gegenwart aber nur insofern beachtete,
als er ihr nicht ausweichen durfte.

Welch ein Vergnügen war es während dieser Beschäftigung für ihn, seinem
jungen Freund einen Monolog oder einige Szenen, die er in der vorigen
Nacht ausgearbeitet, vorlesen und sich über Abänderungen oder die
weitere Ausführung besprechen zu können! Wie erheiterten sich seine von
Schlaflosigkeit erhitzten Augen, wenn er erzählte, um wie viel er schon
weiter gerückt sei, und wie er hoffen dürfe, sein Trauerspiel weit
früher als er anfangs dachte, beendigt zu haben. Je geräuschvoller die
Außenwelt war, um so mehr zog er sich in sein Inneres zurück, indem er
an allem dem, was damals der Seltenheit wegen jedermann beschäftigte,
nicht den geringsten Anteil nahm. Denn schon zu Anfang des Monats
August wurden nicht nur in Stuttgart, Hohenheim, Ludwigsburg, auf
der Solitüde etc., sondern auch in der ganzen Umgegend die größten
Vorbereitungen zu dem feierlichen Empfang des Großfürsten von Rußland
(nachmaligen Kaisers Paul) und seiner Gemahlin gemacht. Die Einwohner
Württembergs waren stolz darauf, in der künftigen Kaiserin aller Reußen
eine Nichte ihres Herzogs bewillkommnen zu können, die sie um so mehr
liebten, als ihre Erscheinung Erinnerungen an ihre erhabenen Eltern
hervorrief, die jedem württembergischen Herzen um so tiefer eingegraben
blieben, als sie solche aus Scheu vor ihrem Regenten nicht zu zeigen
wagen durften, und auch bei der verehrten Tochter die Gerüchte es
zweifelhaft ließen, ob ihre Güte des Herzens, die Eigenschaften ihres
Geistes oder ihre einnehmende Schönheit den Vorzug verdiene.

In der ersten Hälfte des Septembers trafen die hohen Reisenden zu
Stuttgart ein, denen schon einige Tage früher die meisten benachbarten
Fürsten und eine außerordentliche Menge Fremder vorausgeeilt waren,
um den Festlichkeiten, welche für die allerhöchsten Gäste bereitet
wurden, beiwohnen und die Prachtliebe des Herzogs wie nicht minder den
Geschmack, mit dem er alles anzuordnen wußte, bewundern zu können.
Die mit den schönsten, seltensten Pferden angefüllten Marställe sowie
die dazu gehörigen Equipagen, boten Gelegenheit zu Auffahrten, die
man damals wohl schwerlich irgendwo anders mit so großem Aufwand und
so vielem Glanze sehen konnte. Aber wirklich ungeheuer groß waren
die Anstalten, vermöge welcher man aus den vielen Jagdrevieren des
Landes eine Anzahl von beinahe sechstausend Hirschen in einen nahe bei
der Solitüde liegenden Wald zusammengetrieben hatte, die von einer
Menge Bauern am Durchbrechen verhindert wurden, und zu welchem Zweck
auch in der Nacht der ganze Umkreis des Waldes durch eine enge Kette
von Wachtfeuern erleuchtet war. Nicht leicht konnte dem Großfürsten
in einem andern Staat eine solche Anzahl von Wild beisammen gezeigt
werden, und um das Vergnügen der Jagd zu erhöhen, waren die edlen Tiere
bestimmt, eine steile Anhöhe hinaufgejagt und gezwungen zu werden,
sich in einen See zu stürzen, in welchem sie, aus einem eigens dazu
erbauten Lusthause, nach Bequemlichkeit erlegt werden konnten.

In dem Gewirr und der Unruhe, welche solche Vorkehrungen bei den
Städtern immer hervorbringen, blieb unser Dichter ganz auf sich
eingeschränkt und hatte zu Anfang des Septembers sein Trauerspiel so
weit gebracht, daß er es beinahe für vollendet halten durfte, indem
er die Auslassungen, die Abänderungen, welche etwa die Aufführung
erheischen sollte, auf eine ruhigere Zeit aufsparte und um so eher in
wenigen Tagen damit zu Ende zu kommen hoffte, als er schon während der
Arbeit an das Nötige hierüber gedacht.

Unter den angekommenen Fremden befand sich auch Baron Dalberg, der
einige Tage früher, als die Festlichkeiten ihren Anfang nahmen,
eintraf, sowie die Gattin des Regisseurs Meier vom Mannheimer Theater,
die aus Stuttgart gebürtig war. Schiller machte dem Baron Dalberg
seinen Besuch, ohne von seinem Vorhaben das geringste zu erwähnen.
Ebenso verschlossen blieb er gegen Madame Meier, die er öfter sah. Die
Ursachen dieses Schweigens waren keine anderen, als weil der Vorsatz,
etwas zu wagen, viel zu stark und die Hoffnung auf einen glücklichen
Erfolg -- wenn er seine Bitten in diesem Tumult von Festivitäten
und Vergnügen an seinen Fürsten gelangen lasse -- viel zu groß bei
ihm geworden war, als daß er sich der widerlichen Empfindung hätte
aussetzen mögen, durch Zweifel belästigt oder durch Beweise eines
ungewissen Erfolges widerlegt zu werden.

Was den Freiherrn von Dalberg insbesondere betraf, so vermutete
Schiller, daß seiner dringenden Vorstellungen ungeachtet nur darum
keine Verwendung für ihn geschehen, weil er noch in herzoglichen
Diensten stehe. Käme aber das Schlimmste, daß er diese Dienste
verlassen müßte, so wäre es ganz unmöglich, daß Baron Dalberg nach den
vielen Versicherungen der aufrichtigsten Teilnahme und der größten
Bereitwilligkeit, seine Wünsche zu gewähren, ihn ohne Hilfe und
Unterstützung lassen würde. Im Gegenteil hegte er die gewisse Hoffnung,
daß er dann als Theaterdichter in Mannheim angestellt und somit ein
Ziel erreichen würde, welches er als das glücklichste und für ihn
passendste anerkannte.

Madame Meier als aufrichtige, wahrheitsliebende Landsmännin hätte zwar
die Äußerungen der Schmeichelei, der Güte, des Wohlwollens, womit
Schiller bei seiner letzten Anwesenheit in Mannheim überschüttet
worden, sehr leicht in den Dunst und Nebel, aus dem sie bestanden,
auflösen können, aber sie hätte dann die schönsten Träume, die
sehnlichsten Wünsche des jungen Mannes zerstört und ihn wieder an die
Klippe zurückgeworfen, die ihn zu zerschellen drohte. Das Beharren
in dem jetzigen Zustande ließ allerdings den Regimentsdoktor, wie er
vorher war, zernichtete aber den Dichter. Das Wagnis des Losreißens
eröffnete Aussichten, die, auch nur zum Teil erfüllt, gegen den frühern
Zwang gehalten, die Wonne eines Paradieses erwarten ließen.

Aber die Zeit verfloß. Nur wenige Tage waren noch übrig, welche so
geräuschvoll und unruhig sein konnten, daß man unbemerkt eine Reise
hätte antreten können. Schiller ging mit seinem Freund und Mad. Meier
auf die Solitüde, um seine Eltern und Schwestern noch einmal zu sehen,
besonders aber von seiner Mutter, die jetzt von allem auf das genaueste
unterrichtet war, Abschied zu nehmen und sie zu beruhigen. Der in der
lachendsten Gegend fortlaufende Weg dahin wurde zu Fuß gemacht, welches
die Gelegenheit bieten sollte, um von Mad. Meier unvermerkt alles
erfahren zu können, was die innere Beschaffenheit des Theaters oder
die Hoffnungen des Dichters betraf. Da aber alles dahin Einschlagende
nur oberflächlich berührt wurde, auch ernsthaftere Fragen aus Furcht,
erraten zu werden, nicht wohl gestellt werden konnten, so blieb die
Zukunft in derselben Dämmerung wie bisher, und es war nichts übrig,
als sich auf das Glück zu verlassen.

Bei dem Eintritt in die Wohnung von Schillers Eltern befand sich nur
die Mutter und die älteste Schwester gegenwärtig. So freundlich auch
die Hausfrau die Fremden empfing, so war es ihr doch nicht möglich,
sich so zu bemeistern, daß S. die Unruhe nicht aufgefallen wäre,
mit der sie ihn anblickte und oft zu reden versuchte, ohne ein Wort
hervorbringen zu können. Glücklicherweise trat bald der Vater Schillers
ein, der durch Aufzählung der Festlichkeiten, welche auf der Solitüde
gehalten werden sollten, die Aufmerksamkeit so ganz an sich zog, daß
sich der Sohn unvermerkt mit der Mutter entfernen und seine Freunde der
Unterhaltung mit dem Vater überlassen konnte.

Es war mir auffallend, bei diesem kleinen, untersetzten Mann außer
einer sehr schönen, großen Stirne wenig Ähnlichkeit mit seinen Sohne
wahrnehmen zu können und auch in der klaren, bestimmten, durchaus
scharfverständigen Sprache den Schwung und die milde Wärme zu
vermissen, womit sein Sohn als Dichter und Philosoph jeden Gegenstand
des Gespräches zu beleben und zu erheben wußte.

Nach einer Stunde kehrte Schiller zur Gesellschaft zurück, aber -- ohne
seine Mutter. Wie hätte diese sich zeigen können! Konnte und durfte sie
auch den vorhabenden Schritt als eine Notwehr ansehen, durch die er
sein Dichtertalent, sein künftiges Glück sichern und vielleicht einer
unverschuldeten Einkerkerung vorbeugen wollte, so mußte es ihr doch das
Herz zermalmen, ihren einzigen Sohn auf immer verlieren zu müssen, und
zwar aus Ursachen, die so unbedeutend waren, daß sie nach den damaligen
Ansichten in jedem andern Staat ohne besondere Folgen geblieben wären.
Und dieser Sohn, in welchem sie beinahe ihr ganzes Selbst erblickte,
der schon an der mütterlichen Brust die sanfte Gemütsart, die milde
Denkweise eingesogen zu haben schien -- er hatte ihr von jeher nichts
als Freude gewährt; sie sah ihn mit all den Eigenschaften begabt,
die sie so oft, so inbrünstig von der Gottheit für ihn erfleht hatte!
Und nun! -- -- -- -- -- -- -- -- -- Wie schmerzhaft das Lebewohl von
beiden ausgesprochen worden sein mußte, ersah man an den Gesichtszügen
des Sohnes, sowie an seinen feuchten, geröteten Augen. Er suchte diese
einem gewöhnlichen, ihn oft befallenden Übel zuzuschreiben und konnte
erst auf dem Wege nach Stuttgart durch die zerstreuenden Gespräche der
Gesellschaft wieder zu einiger Munterkeit gelangen.

Auf der Solitüde erfuhr man, daß daselbst am 17. September die große
Hirschjagd, Schauspiel und eine allgemeine, prächtige Beleuchtung
stattfinden solle. Zu Hause angelangt, wurde zwischen Schiller und
S. alles, was ihre Reise betraf, noch um so eifriger besprochen, als
keine Zeit mehr zu verlieren war, da die Festlichkeiten bald zu Ende
sein würden. Als man auch erfahren, welchen Tag Schillers Regiment
die Wachen nicht zu besetzen habe, er folglich unter den Stadttoren
Soldaten treffen werde, denen er nicht so genau wie seinen alten
Grenadieren bekannt sei, so wurde die Abreise auf den 17. September
abends um neun Uhr festgesetzt.[1]

Die bürgerliche Kleidung, welche sich Schiller hatte machen lassen,
seine Wäsche, die Werke von Haller, Shakespeare etc. etc., noch einige
andere Dichter wurden nach und nach von S. weggebracht, so daß für die
spätern Stunden nur wenig mehr zu tun übrigblieb. Am letzten Vormittag
sollte nach der Abrede um zehn Uhr alles bereit sein, was von Schiller
noch wegzubringen war, und S. fand sich mit der Minute ein. Allein er
fand nicht das mindeste hergerichtet. Denn nachdem Schiller um acht
Uhr in der Frühe von seinem letzten Besuch in dem Lazarett zu Hause
gekehrt war, fielen ihm bei dem Zusammensuchen seiner Bücher die Oden
von Klopstock in die Hände, unter denen eine ihn schon oft besonders
angezogen und aufs neue so aufregte, daß er sogleich -- jetzt in einem
so entscheidenden Augenblick! -- ein Gegenstück dichtete. Ungeachtet
alles Drängens, alles Antreibens zur Eile mußte S. dennoch zuerst
die Ode und dann das Gegenstück anhören, welchem letzterem -- gewiß
weniger aus Vorliebe für seinen begeisterten Freund -- der Schönheit
der Sprache und Bestimmtheit der Bilder wegen, S. einen entschiedenen
Vorzug gab. Eine geraume Zeit verging, ehe der Dichter von seinem
Gegenstand abgelenkt, wieder auf unsere Welt, auf den heutigen Tag zu
der fliehenden Minute zurückgebracht werden konnte. Ja es erforderte
öfteres Fragen, ob nichts vergessen sei, sowie mehrmaliges Erinnern,
daß nichts zurückgelassen werde. Erst am Nachmittag aber konnte alles
in Ordnung gebracht werden, und abends neun Uhr kam Schiller in die
Wohnung von S. mit einem Paar alten Pistolen unter seinem Kleide.

Diejenige, welche noch einen ganzen Hahn, aber keinen Feuerstein hatte,
wurde in den Koffer gelegt; die andere, mit zerbrochenem Schloß, in den
Wagen getan. Daß aber beide nur mit frommen Wünschen für Sicherheit
und glückliches Fortkommen geladen waren, versteht sich von selbst.
Der Vorrat an Geld war bei den Reisenden nichts weniger als bedeutend;
denn nach Anschaffung der nötigen Kleidungsstücke und anderer Sachen,
die für unentbehrlich gehalten wurden, blieben Schillern noch
dreiundzwanzig und S. noch achtundzwanzig Gulden übrig, welche aber
von der Hoffnung und dem jugendlichen Mut auf das Zehnfache gesteigert
wurden.

Hätte Schiller nur noch einige Wochen warten und nicht durchaus sich
schon jetzt entfernen wollen, so würde S. die nötige Summe bis Hamburg
in Händen gehabt haben. Aber die Ungeduld des unterdrückten Jünglings,
eine Entscheidung herbeizuführen, ließ sich schon darum nicht bezähmen,
weil er fürchtete, eine so gute Gelegenheit zum unbemerkten Entkommen
ungenützt vorbeigehen zu lassen und dann weit mehr Schwierigkeit bei
dem Herzog für die Gewährung seiner Bitten zu finden. Bis Mannheim wie
auch für einige Tage Aufenthalt daselbst konnte das kleine Vermögen
ausreichen, und was zum Weiterkommen fehlte, sollte S. nachgeschickt
werden.

Nachdem der Wagen mit zwei Koffern und einem kleinen Klavier bepackt
war, kam der schwere Kampf, den Schiller vor einigen Tagen bestanden,
nun auch an S. -- von seiner guten, frommen Mutter Abschied zu
nehmen. Auch er war der einzige Sohn, und die mütterlichen Sorgen
ließen sich nur dadurch beschwichtigen, daß Schiller nicht nur die
unveränderlichste Treue gegen seinen Freund gelobte, sondern auch
die zuverlässige Hoffnung aussprach, in vierzehn Tagen wieder zurück
eintreffen und von der glücklich vollbrachten Reise Bericht geben zu
wollen. Von Segenswünschen und Tränen begleitet, konnten die Freunde
endlich um zehn Uhr nachts in den Wagen steigen und abfahren.

Der Weg wurde zum Eßlinger Tor hinaus genommen, weil dieses das
dunkelste war und einer der bewährtesten Freunde Schillers -- möchte
ihm das Vergnügen gegönnt sein, diese Zeilen noch zu lesen -- als
Leutnant die Wache hatte, damit, wenn sich ja eine Schwierigkeit
ergäbe, diese durch Vermittlung des Offiziers sogleich gehoben werden
könne.

Es war ein Glück, daß damals von keinem zu Wagen Reisenden ein Paß
abgefordert wurde. Nur S. hatte sich einen nach Hamburg geben lassen,
welches aber nur der überflüssig scheinenden Vorsicht wegen geschah.

So gefaßt die jungen Leute auch auf alles waren, und so wenig sie
eigentlich zu fürchten hatten, so machte dennoch der Anruf der
Schildwache -- Halt! -- Wer da! -- Unteroffizier heraus! -- einen
unheimlichen Eindruck auf sie. Nach den Fragen: Wer sind die Herren? Wo
wollen Sie hin? wurde von S. des Dichters Name in Doktor Ritter, und
der seinige in Doktor Wolf verwandelt, beide nach Eßlingen reisend,
angegeben und so aufgeschrieben. Das Tor wurde nun geöffnet, die
Reisenden fuhren vorwärts, mit forschenden Blicken in die Wachtstube
des Offiziers, in der sie zwar kein Licht, aber beide Fenster weit
offen sahen. Als sie außer dem Tore waren, glaubten sie einer großen
Gefahr entronnen zu sein, und gleichsam als ob diese wiederkehren
könnte, wurden, so lange als sie die Stadt umfahren mußten, um die
Straße nach Ludwigsburg zu gewinnen, nur wenige Worte unter ihnen
gewechselt. Wie aber einmal die erste Anhöhe hinter ihnen lag, kehrten
Ruhe und Unbefangenheit zurück, das Gespräch wurde lebhafter und bezog
sich nicht allein auf die jüngste Vergangenheit, sondern auch auf
die bevorstehenden Erlebnisse. Gegen Mitternacht sah man links von
Ludwigsburg eine außerordentliche Röte am Himmel, und als der Wagen in
die Linie der Solitüde kam, zeigte das daselbst auf einer bedeutenden
Erhöhung liegende Schloß mit allen seinen weitläufigen Nebengebäuden
sich in einem Feuerglanze, der sich in der Entfernung von anderthalb
Stunden auf das Überraschendste ausnahm. Die reine, heitere Luft
ließ alles so deutlich wahrnehmen, daß Schiller seinem Gefährten den
Punkt zeigen konnte, wo seine Eltern wohnten, aber alsbald, wie von
einem sympathetischen Strahl berührt, mit einem unterdrückten Seufzer
ausrief: »Meine Mutter!«

Es war ganz natürlich, daß die Erinnerung an die Verhältnisse, welche
vor einigen Stunden auf das Ungewisse hin abgerissen wurden, nicht
anders als wehmütig sein konnte. Andererseits war es aber wieder
beruhigend, als gewiß voraussetzen zu können, daß in diesem Wirbel von
Festen außer den Müttern und Schwestern niemand an die Reisenden denke,
folglich Mannheim ohne Hindernis erreicht werden könne.

Morgens zwischen ein und zwei Uhr war die Station Entzweihingen
erreicht, wo gerastet werden mußte. Als der Auftrag für etwas Kaffee
erteilt war, zog Schiller sogleich ein Heft ungedruckter Gedichte
von Schubart hervor, von denen er die bedeutendsten seinem Gefährten
vorlas. Das merkwürdigste darunter war die Fürstengruft, welches
Schubart in den ersten Monaten seiner engen Gefangenschaft mit der
Ecke einer Beinkleiderschnalle in die nassen Wände seines Kerkers
eingegraben hatte. Damals, 1782, war Schubart noch auf der Festung, wo
er aber jetzt sehr leidlich gehalten wurde. In manchem dieser Gedichte
fanden sich Anspielungen, die nicht schwer zu deuten waren, und die
keine nahe Befreiung ihres Verfassers erwarten ließen.

Schiller hatte für die dichterischen Talente des Gefangenen sehr viele
Hochachtung. Auch hatte er ihn einigemal auf dem Asperg besucht.

Nach drei Uhr wurde von Entzweihingen aufgebrochen, und nach acht
Uhr morgens war die kurpfälzische, durch eine kleine Pyramide
angedeutete Grenze erreicht, die mit einer Freude betreten wurde, als
ob rückwärts alles Lästige geblieben wäre und das ersehnte Eldorado
bald erreicht sein würde. Das Gefühl, eines harten Zwanges entledigt
zu sein, verbunden mit dem heiligen Vorsatz, demselben sich nie mehr
zu unterwerfen, belebten das bisher etwas düstere Gemüt Schillers zur
gefälligsten Heiterkeit, wozu die angenehme Gegend, das muntere Wesen
und Treiben der rüstigen Einwohner wohl auch das ihrige beitrugen.
»Sehen Sie,« rief er seinem Begleiter zu, »sehen Sie, wie freundlich
die Pfähle und Schranken mit Blau und Weiß angestrichen sind! Ebenso
freundlich ist auch der Geist der Regierung!«

Ein lebhaftes Gespräch, das durch diese Bemerkung herbeigeführt wurde,
verkürzte die Zeit dergestalt, daß es kaum möglich schien, um zehn Uhr
schon in Bretten angekommen zu sein. Dort wurde bei dem Postmeister
Pallavicini abgestiegen, etwas gegessen, der von Stuttgart mitgenommene
Wagen und Kutscher zurückgeschickt, nachmittags die Post genommen und
über Waghäusel nach Schwetzingen gefahren, allwo die Ankunft nach neun
Uhr abends erfolgte. Da in Mannheim als einer Hauptfestung die Tore mit
Eintritt der Dunkelheit geschlossen wurden, so mußte in Schwetzingen
übernachtet werden, welches auf zwei unruhige Tage und eine schlaflose
Nacht um so erwünschter war.

Am 19. September waren die Reisenden des Morgens sehr früh geschäftig,
um sich zu dem Eintritt in Mannheim vorzubereiten. Das Beste, was die
Koffer faßten, wurde hervorgesucht, um durch scheinbaren Wohlstand
sich eine Achtung zu sichern, die dem dürftig oder leidend Aussehenden
fast immer versagt wird. Die Hoffnung Schillers, seine kranke Börse
in der nächsten Zeit durch einige Erfrischungen beleben zu können,
war keine Selbsttäuschung; denn wer hätte daran zweifeln mögen, daß
eine Theaterdirektion, die schon im ersten Jahre so vielen Vorteil aus
den Räubern gezogen, sich nicht beeilen würde, das zweite Stück des
Dichters -- das nicht nur für das große Publikum, sondern auch für den
gebildeten Teil desselben berechnet war -- gleichfalls aufzunehmen?
Es ließ sich für gewiß erwarten -- die Entscheidung des Herzogs möge
nun gewährend oder verneinend ausfallen -- daß noch in diesem Jahre
Fiesco aufgeführt werde und dann war der Verfasser durch eine freie
Einnahme oder ein beträchtliches Honorar auf so lange geborgen, daß er
sich wieder neue Hilfsmittel schaffen konnte. Mit der Zuversicht, daß
die nächsten vierzehn Tage schon diese Vermutungen in volle Gewißheit
umwandeln müßten, wurde die Postchaise zum letztenmal bestiegen und
nach Mannheim eingelenkt, das in zwei Stunden, ohne irgend eine Frage
oder Aufenthalt an dem Tore der Festung, erreicht war.

Der Theaterregisseur, Herr Meier, bei welchem abgestiegen wurde, war
sehr überrascht, Schillern zu einer Zeit bei sich zu sehen, wo er
ihn in lauter Feste und Zerstreuungen versunken glaubte; aber seine
Überraschung ging in Erstaunen über, als er vernahm, daß der junge
Mann, den er so hoch verehrte, jetzt als Flüchtling vor ihm stehe.
Obwohl Herr Meier bei der zweimaligen Anwesenheit Schillers in Mannheim
von diesem selbst über sein mißbehagliches Leben und Treiben in
Stuttgart unterrichtet war, so hatte er doch nicht geglaubt, daß diese
Verhältnisse auf eine so gewagte und plötzliche Art abgerissen werden
sollten. Als gebildeter Weltmann enthielt er sich bei den weitern
Erklärungen Schillers hierüber jedes Widerspruchs und bestärkte ihn
nur in diesem Vorhaben, noch heute eine Vorstellung an den Herzog
einzusenden und durch seine Bitte eine Aussöhnung bewirken zu wollen.
Die Reisenden wurden von ihm zum Mittagessen eingeladen, und er hatte
auch die Gefälligkeit, in der Nähe seines Hauses eine Wohnung, die in
dem menschenleeren Mannheim augenblicklich zu haben war, aufnehmen zu
lassen, wohin sogleich das Reisegeräte geschafft wurde.

Nach Tische begab sich Schiller in das Nebenzimmer, um daselbst an
seinen Fürsten zu schreiben. Als er in einigen Stunden fertig war, las
er den vorher nicht aufgesetzten, aber vortrefflich geschriebenen Brief
den wartenden Freunden vor, dessen wesentlicher Inhalt folgender war:

    »Im Eingang erwähnte er, daß er in der Akademie das Studium, zu dem
    er eine entschiedene Neigung gehabt, niemals habe treiben dürfen
    oder können, und er sich nur aus Gehorsam gegen den fürstlichen
    Willen, zuerst der Rechtswissenschaft und dann der Arzneikunde
    gewidmet habe. Er erinnerte den Herzog an die vielen und großen
    Gnaden, welcher er während der sieben Jahre seines Aufenthaltes
    von ihm gewürdigt worden, und die so bedeutend waren, daß er ewig
    stolz darauf sein werde, sagen zu dürfen, sein Fürst habe ihn in
    seinem Herzen getragen. Dann setzte er erstens die Unmöglichkeit
    auseinander, mit seiner geringen Besoldung leben oder durch seinen
    Beruf als Arzt sich ein besseres Auskommen verschaffen zu können,
    indem die Anzahl der Mediziner zu groß in Stuttgart sei, und ein
    Anfänger zu lange Zeit brauche, um sich bekannt zu machen, er auch
    von Haus nichts zuzusetzen habe.

    »Zweitens bat er um die Aufhebung des Befehls, keine andern als
    medizinische Schriften drucken zu lassen, indem die Bekanntmachung
    seiner dichterischen Arbeiten allein imstande sei, seine Einnahme
    zu verbessern.

    »Drittens möge es ihm erlaubt werden, alle Jahre, auf kurze Zeit,
    eine Reise in das Ausland zu machen.

    »Viertens, daß er sehr gern wieder zurückkehren wolle, wenn ihm das
    fürstliche Wort gegeben würde, daß seine eigenmächtige Entfernung
    verziehen sei und er keine Strafe dafür zu befürchten habe.«

Dieses Schreiben wurde einem Brief an seinen Regimentschef, den General
Augé, beigeschlossen und dieser ersucht, die vorgelegten Bitten nach
seinen besten Kräften sowie durch seinen ganzen Einfluß bei dem Herzog
unterstützen zu wollen. Schiller glaubte für seine Sicherheit so wenig
befürchten zu dürfen, daß er den General bat, ihm seine Antwort durch
die Adresse des Herrn Meier zukommen zu lassen. Obwohl letzterer über
das wahrscheinliche Verfahren des Herzogs nicht so ruhig sein konnte
als derjenige, den es zunächst betraf, so mußte er doch die Möglichkeit
zugestehen, daß der Fürst durch die rührenden und bescheidenen
Vorstellungen seines ehemaligen Günstlings wie auch aus Rücksicht gegen
dessen Eltern vielleicht bewogen werden könne, von den gewöhnlichen
Verfügungen für diesmal abzugehen und wenigstem einen Teil der Bitten
zu bewilligen.

Den andern Tag abends traf Madame Meier von Stuttgart wieder zu
Hause ein. Sie erzählte, daß sie schon am 18. vormittags Schillers
Verschwinden erfahren, daß jedermann davon spreche und allgemein
vermutet werde, man würde ihm nachsetzen lassen oder seine Auslieferung
verlangen. Schiller beruhigte jedoch seine Freunde durch die
Versicherung, daß er den großmütigen Charakter seines Herzogs durch zu
viele Proben habe kennen lernen, als daß er nur die geringste Gefahr
befürchte, so lang' er den Willen zeige, wieder zurückzukommen.

Dies sei geschehen, eines Vergehens könne man ihn nicht anklagen;
eigentlicher Soldat sei er nicht, folglich könne man ihn auch
nicht unter die Klasse derjenigen zählen, denen bei freiwilligem
Abschiednehmen nachgesetzt wird.

Indessen wurde es doch für ratsam gehalten, daß er sich nirgends
öffentlich zeigen solle, wodurch er nun auf seine Wohnung und das
Meiersche Haus allein eingeschränkt blieb. Für die Reisenden war es
sehr angenehm, in der Hausfrau eine teilnehmende Landsmännin und sehr
gebildete Freundin zu finden, die in alles einging, was ihr jetziges
oder künftiges Schicksal betraf, und dasjenige mit leichter Zunge
behandelte, über was sich Männer nur sehr ungern offen erklären.

Nicht nur für diese bedenkliche Zeit, sondern auch in der Folge blieben
diese würdigen Leute Schillers aufrichtigste, wahrste Freunde, und
Madame Meier bewies sich besonders bei dieser Gelegenheit so sorgsam
und tätig wie eine Mutter, die sich um ihren Sohn anzunehmen hat.

Mittlerweile hatte S. schon am ersten Abend mit Herrn Meier über das
neue, beinahe ganz fertige Trauerspiel Fiesco gesprochen und desselben
als einer Arbeit erwähnt, die den Räubern aus vielen Rücksichten
vorzuziehen sei. Es ergab sich nun von selbst, daß der Dichter
darum angegangen wurde, die erregte Neugierde durch Mitteilung des
Manuskriptes zu befriedigen, wozu sich aber dieser nur unter der
Bedingung verstand, wenn eine größere Anzahl von Zuhörern gegenwärtig
sei. Man fand dies um so natürlicher, da wohl unter allen Schauspielern
sich keiner befand, der nicht im höchsten Grad auf die zweite Arbeit
eines Jünglings begierig gewesen wäre, welcher sich schon durch seine
erste auf eine so außerordentliche Art angekündigt hatte. Es wurde
daher sogleich ein Tag festgesetzt, auf welchen die bedeutendsten
Künstler des Theaters eingeladen werden sollten, um der Vorlesung des
neuen Stücks beizuwohnen.

Nach zwei erwartungsvollen Tagen traf die Antwort von General Augé
an Schiller ein, welche folgendes enthielt: »Der General habe den
Wünschen Schillers entsprochen und sein Schreiben dem Herzog nicht
nur vorgelegt, sondern auch durch sein Vorwort die getanen Bitten
unterstützt. Er habe daher den Auftrag erhalten, ihn wissen zu lassen:
da Se. herzogliche Durchlaucht bei Anwesenheit der hohen Verwandten
jetzt sehr gnädig wären, er nur zurückkommen solle.«

Da dieses Schreiben von allem dem nicht das geringste erwähnte, um was
Schiller zur Erleichterung seines Schicksals so dringend gebeten hatte,
so schrieb er dem General augenblicklich zurück, daß er diese Äußerung
Sr. Durchlaucht unmöglich als eine Gewährung seines Gesuches betrachten
könne, folglich genötigt sei, bei dem Inhalt seiner Bittschrift zu
beharren, und seinen Chef ersuche, alles anzuwenden, um den Herzog zur
Erfüllung seiner Wünsche zu vermögen.

Durch diese Antwort seines Generals in Zweifel gesetzt, was er zu
hoffen oder zu fürchten habe, schrieb Schiller -- was er schon am
zweiten Tag seiner Ankunft an seine Eltern getan -- sogleich an einige
Freunde, damit, wenn sie etwas erführen, was ihm schaden könnte, sie
ihm doch alsobald Nachricht geben möchten, und sah den Antworten mit
ebensoviel Unruhe als Neugierde entgegen.

Der Nachmittag war zur Vorlesung des neuen Trauerspiels bestimmt, wozu
sich gegen vier Uhr außer Iffland, Beil, Beck noch mehrere Schauspieler
einfanden, die nicht Worte genug finden konnten, um ihre tiefe
Verehrung gegen den Dichter sowie über die hohe Erwartung auszudrücken,
die sie von dem neuesten Produkt eines so erhabenen Geistes hätten.
Nachdem sich alle um einen großen, runden Tisch gesetzt hatten,
schickte der Verfasser erst eine kurze Erzählung der wirklichen
Geschichte und eine Erklärung der vorkommenden Personen voraus, worauf
er dann zu lesen anfing.

Für S. war das Beisammensehen so berühmter Künstler wie Iffland, Meier,
Beil, von denen das Gerücht Außerordentliches sagte, um so mehr neu
und willkommen, als er noch nie mit einem Schauspieler einigen Umgang
gehabt hatte. Im stillen feierte er schon den Triumph, wie überrascht
diese Leute, die den Dichter mit unverwandten Augen ansahen, über die
vielen schönen Stellen sein würden, die schon in den ersten Szenen,
sowie in den folgenden noch häufiger vorkommen, und sah nicht den
Vorleser, sondern nur die Zuhörer an, um die Eindrücke zu bemerken,
welche die vorzüglichsten Ausdrücke bei ihnen hervorbringen würden.

Aber der erste Akt wurde zwar bei größter Stille, jedoch ohne das
geringste Zeichen des Beifalls abgelesen, und er war kaum zu Ende,
als Herr Beil sich entfernte und die übrigen sich von der Geschichte
Fiescos oder andern Tagesneuigkeiten unterhielten.

Der zweite Akt wurde von Schiller weiter gelesen, ebenso aufmerksam
wie der erste, aber ohne das geringste Zeichen von Lob oder Beifall
angehört. Alles stand jetzt auf, weil Erfrischungen von Obst, Trauben
etc. herumgegeben wurden. Einer der Schauspieler, namens Frank, schlug
ein Bolzschießen vor, zu dem man auch Anstalt zu machen schien. Allein
nach einer Viertelstunde hatte sich alles verlaufen, und außer den zum
Haus Gehörigen war nur Iffland geblieben, der sich erst um acht Uhr
nachts entfernte.

Als ein vollkommener Neuling in der Welt konnte sich S. diese
Gleichgültigkeit, ja diese Abneigung gegen eine so vortreffliche
Dichtung von denen am allerwenigsten erklären, die kaum vor einer
Stunde die größte Bewunderung und Verehrung für Schiller ihm selbst
bezeugt hatten, und es empöre ihn um so heftiger, alle die Sagen von
Neid und Kabale der Schauspieler jetzt schon bestätigt zu sehen, da die
Antwort des Generals Augé wenig Hoffnung ließ, daß sein Freund jemals
zurückkehren dürfe; wo alsdann sein Schicksal bei solchen Leuten sehr
beklagenswert sein müßte.

Aber der Unerfahrene sollte noch mehr in Verlegenheit gesetzt werden;
denn als er eben im Begriff war, sich über die ungewöhnliche und
beinahe verächtliche Behandlung Schillers bei Herrn Meier zu beklagen,
zog ihn dieser in das Nebenzimmer und fragte: »Sagen Sie mir jetzt
ganz aufrichtig, wissen Sie gewiß, daß es Schiller ist, der die Räuber
geschrieben?«

Zuverlässig! Wie können Sie daran zweifeln?

»Wissen Sie gewiß, daß nicht ein anderer dieses Stück geschrieben und
er es nur unter seinem Namen herausgegeben? Oder hat ihm jemand anderer
daran geholfen?«

Ich kenne Schillern schon im zweiten Jahre und will mit meinem Leben
dafür bürgen, daß er die Räuber ganz allein geschrieben und ebenso auch
für das Theater abgeändert hat. Aber warum fragen Sie mich dieses alles?

»Weil der Fiesco das Allerschlechteste ist, was ich je in meinem Leben
gehört, und weil es unmöglich ist, daß derselbe Schiller, der die
Räuber geschrieben, etwas so Gemeines, Elendes sollte gemacht haben.«

S. suchte Herrn Meier zu widerlegen und ihm zu beweisen, daß Fiesco
weit regelmäßiger für die Bühne und darin alles vermieden sei, was an
den Räubern mit Recht so scharf getadelt worden. Er müsse das neue
Stück nur öfter hören oder es selbst durchlesen, dann werde er es
gewiß ganz anders beurteilen und ihm Geschmack abgewinnen. Allein alle
diese Reden waren vergebens. Herr Meier beharrte um so mehr auf seiner
Meinung, weil es ihm als einem erfahrnen Schauspieler zukommen müsse,
aus einigen Szenen den Gehalt des Ganzen sogleich beurteilen zu können,
und sein Schluß war: »Wenn Schiller wirklich die Räuber und Fiesco
geschrieben, so hat er alle seine Kraft an dem ersten Stück erschöpft
und kann nun nichts mehr als lauter erbärmliches, schwülstiges,
unsinniges Zeug hervorbringen.«

Dieses Urteil, von einem Mann ausgesprochen, den man nicht nur als
einen vollgültigen Richter, sondern auch als einen solchen Freund
Schillers ansehen durfte, dem an der guten Aufnahme des Stückes beinahe
ebensoviel als dem Verfasser selbst gelegen sei, machte auf S. einen so
betäubenden Eindruck, daß ihm die Sprache für den Augenblick den Dienst
versagte. War dies Herr Meier, der so zu ihm sprach? Hatte er auch
recht gehört? Sollte er die Erwartungen Meiers zu hoch gespannt haben?
Wäre es möglich, daß er sich getäuscht und dasjenige vortrefflich
gefunden, was andere, die man für Kenner gelten lassen mußte, nun
als schlecht, als unsinnig beurteilen? Oder hat sich Meier mit den
andern verschworen, zum Untergang des Stücks und seines Verfassers
mitzuwirken? Diese Fragen, durch das Unbegreifliche des Vorganges und
der Äußerungen Meiers hervorgerufen, machte S. an sich selbst und fand
sie um so quälender, da ihre Auflösung nicht sogleich erfolgen konnte.
Die Abendstunden wurden von den Anwesenden mit größter Verlegenheit
zugebracht. Von Fiesco erwähnte niemand mehr eine Silbe. Schiller
selbst war äußerst verstimmt und nahm mit seinem Gefährten zeitlich
Abschied. Bei dem Weggehen ersuchte ihn Meier, ihm für die Nacht das
Manuskript da zu lassen, indem er nur die zwei ersten Akte gehört und
doch gern wissen möchte, welchen Ausgang das Stück nähme. Schiller
bewilligte diese Bitte sehr gern.

Über den kalten Empfang Fiescos, von dem man die willkommenste Aufnahme
erwartet hatte, wurde zu Hause nichts, und überhaupt sehr lange wenig
gesprochen, bis sich Schiller endlich Luft machte und über den Neid,
die Kabale, den Unverstand der Schauspieler Klagen führte. Jetzt zum
erstenmal sprach er den ernstlichen Vorsatz aus, daß, wenn er hier
nicht als Schauspieldichter angestellt oder sein Trauerspiel nicht
angenommen werde, er selbst als Schauspieler auftreten wolle, indem
eigentlich doch niemand so deklamieren könne wie er. S. wollte dem
mißlaunigen Freunde nicht geradezu widersprechen, gab ihm aber doch
zu bedenken, in welche Verlegenheit er seine Mutter und Schwester,
besonders aber seinen Vater setzen würde, wenn sie erfahren müßten, daß
er nun weiter nichts als ein Schauspieler geworden sei, da er selbst
sich doch einen so glänzenden Erfolg von seiner Reise versprochen. Er
erinnerte ihn an das Vorurteil, das man in Stuttgart gegen diesen Stand
hege, wo man zwar dem einzelnen Gerechtigkeit widerfahren lasse, sich
aber doch jedes nähern Umganges mit ihm enthalte. Er möge doch mit
Geduld warten, bis Baron von Dalberg in Mannheim eintreffe, von dem
allein die günstige Wendung seines Schicksals zu hoffen sei.

Mit bangen Erwartungen wegen des Endurteils, das über Fiesco und seinen
Verfasser gefällt werden sollte, begab sich S. den andern Morgen
ziemlich früh zu Herrn Meier, der ihn kaum ansichtig wurde, als er
ausrief: »Sie haben recht! Sie haben recht! Fiesco ist ein Meisterstück
und weit besser bearbeitet als die Räuber. Aber wissen Sie auch was
schuld daran ist, daß ich und alle Zuhörer es für das elendeste
Machwerk hielten? Schillers schwäbische Aussprache und die verwünschte
Art, wie er alles deklamiert! Er sagt alles in dem nämlichen
hochtrabenden Ton her, ob es heißt: Er macht die Türe zu, oder ob es
eine Hauptstelle seines Helden ist. Aber jetzt muß das Stück in den
Ausschuß kommen, da wollen wir es uns vorlesen und alles in Bewegung
setzen, um es bald auf das Theater zu bringen!«

Der Schluß von Herrn Meiers Rede verwandelte die Niedergeschlagenheit
von S. in eine solche Freude, daß er, ohne Schillern zu entschuldigen
oder die herabsetzende Meinung von dessen Ansprache und
Deklamationsgabe widerlegen zu wollen, augenblicklich nach Hause eilte,
um dem Dichter, der eben aufgestanden war, die angenehme Nachricht zu
hinterbringen, sein Trauerspiel werde bald in lebendigen Gestalten
vor ihm erscheinen. Daß seine Mundart, seine heftige Aussprache den
schlechten Erfolg von gestern hervorgebracht, wurde ihm sorgfältig
verschwiegen, um sein ohnehin krankes Gemüt nicht zu reizen.

Am andern Tage traf die Antwort des Generals Augé auf das zweite
Schreiben Schillers ein, welche aber von ganz gleichem Inhalt wie
die erste war, nämlich: »Da Se. herzogliche Durchlaucht jetzt sehr
gnädig wären, er nur zurückkommen solle.« Allein Schiller konnte in
keinem Fall wagen, wieder heimzukehren, da ihm weder Straflosigkeit
zugesichert, noch eine seiner Bitten bewilligt worden war. Der
entscheidende Schritt war einmal geschehen, und so wenig Glänzendes
sich auch jetzt zeigte, so ließ sich doch dieses von der Zukunft
hoffen; ja er fand es geratener, weit eher einem ungewissen Schicksal
entgegen zu gehen, als sich das frühere Joch wieder auflegen zu lassen,
das ihm ohnehin schon den Nacken wund gerieben und in der Folge
zuverlässig auf das Mark des Lebens eingedrungen sein würde.

Er hielt nun das, was er zu tun habe, für so gewiß entschieden, daß er
nicht mehr an seinen General schrieb, sondern dem Rate seiner Freunde
folgte, sich auf einige Wochen zu entfernen, indem es doch möglich
wäre, daß seine Auslieferung von der pfälzischen Regierung verlangt
würde, weil er auf Kosten des Herzogs in der Akademie erzogen worden
und auch, da er Uniform getragen, einigermaßen zum Militärstande
gerechnet werden könne. Geschähe in einigen Wochen nichts gegen ihn, so
wäre man beinahe versichert, seine Entweichung sei vergessen oder der
Herzog werde seiner gewöhnlichen Großmut gemäß nicht weiter nach ihm
fragen.

Da auch Baron Dalberg noch immer in Stuttgart verweilte und seine
Rückkehr ungewiß blieb, folglich für die Bestimmung Schillers nichts
getan werden konnte, so wurde nach einem Aufenthalt von sechs
oder sieben Tagen die Reise über Darmstadt nach Frankfurt am Main
beschlossen, wo auch die weiteren Nachrichten von Haus oder von
Mannheim abgewartet werden konnten.

Aber diese Reise mußte zu Fuß gemacht werden; denn das kleine Kapital,
das jeder von Stuttgart mit sich nehmen konnte, war durch die Herreise,
durch das Verweilen in Mannheim so herab geschwunden, daß es bei der
größten Sparsamkeit nur noch zehn oder zwölf Tage ausreichen konnte.
Für Schiller war es wohl nicht tunlich, sich bei seinen Eltern um
Hilfe zu bewerben; denn seinem Vater durfte er nicht schreiben, um
ihn keinem Verdachte bloßzustellen, und seiner Mutter wollte er nicht
den Kummer machen, sie wissen zu lassen, daß er jetzt schon Mangel
leide, da sie gewiß geglaubt, er würde einem sehr behaglichen Zustand
entgegengehen. Es schrieb daher S. an seine Mutter, ihm vorläufig, aber
so bald als möglich dreißig Gulden auf dem Postwagen nach Frankfurt zu
schicken, weil Schiller in Mannheim nichts bezogen habe, beide nur noch
auf einige Tage mit Geld versehen seien und er den Freund in diesen
Umständen unmöglich verlassen könne.

Nach dem herzlichsten Abschied von Herrn und Madame Meier und nur
mit dem Unentbehrlichsten in den Taschen gingen die Reisenden nach
Tisch über die Neckarbrücke von Mannheim ab, schlugen den Weg nach
Sandhofen ein, blieben in einem Dorf über Nacht und gingen den andern
Tag durch die herrliche, rechts mit Burgruinen prangende Bergstraße
nach Darmstadt, wo sie abends gegen sechs Uhr eintrafen. Sehr ermüdet
von dem ungewohnten, zwölfstündigen Marsch begaben sie sich in
einen Gasthof und waren sehr froh, nach einem guten Abendessen in
reinlichen Betten ausruhen und sich durch Schlaf erholen zu können.
Letzteres sollte ihnen aber nicht zu teil werden; denn aus dem tiefsten
Schlafe wurden sie durch ein so lärmendes, fürchterliches Trommeln
aufgeschreckt, daß man glauben mußte, es sei ein sehr heftiges Feuer
ausgebrochen. Sie horchten, als das schreckliche Getöse sich entfernt
hatte, ob man nicht reiten, fahren oder schreien höre; sie öffneten
die Fenster, ob sich keine Helle von Flammen zeige, aber alles blieb
ruhig, und wenn es nur einer allein gehört hätte, würde er sich endlich
selbst überredet haben, es sei ein Traum gewesen. Am Morgen erkundigten
sie sich bei dem Wirt, was das außerordentlich starke Trommeln in der
Stadt zu bedeuten gehabt, und erfuhren mit Erstaunen, daß dieses jede
Nacht mit dem Schlag zwölf Uhr so wäre. Es sei die Reveille!

Des Morgens fühlte sich Schiller etwas unpäßlich, bestand aber doch
darauf, den sechs Stunden langen Weg nach Frankfurt noch heute zu
gehen, damit er alsogleich nach Mannheim schreiben und sich die
indessen an ihn eingelaufenen Briefe schicken lassen könne.

Es war ein sehr schöner, heiterer Morgen, als die Reisenden ihre
ermüdeten Füße wieder in Gang zu bringen versuchten und den Weg
antraten. Langsam schritten sie vorwärts, rasteten aber schon nach
einer Stunde, um sich in einem Dorfe mit etwas Kirschengeist, in Wasser
geschüttet, abzukühlen und zu stärken. Zu Mittag kehrten sie wieder
ein, weniger wegen des Essens, als daß Schiller, der sehr müde war,
sich etwas ausruhen könne. Allein es war in dem Wirtshause zu lärmend,
die Leute zu roh, als daß es über eine halbe Stunde auszuhalten
gewesen wäre. Man machte sich also noch einmal auf, um Frankfurt in
einigen Stunden zu erreichen, welches aber die Mattigkeit Schillers
kaum zuzulassen schien; denn er ging immer langsamer, mit jeder Minute
vermehrte sich seine Blässe, und als man in ein Wäldchen gelangte, in
welchem seitwärts eine Stelle ausgehauen war, erklärte er, außerstande
zu sein noch weiter zu gehen, sondern versuchen zu wollen, ob er sich
nach einigen Stunden Ruhe wenigstens so weit erhole, um heute noch die
Stadt erreichen zu können. Er legte sich unter ein schattiges Gebüsch
ins Gras nieder, um zu schlafen, und S. setzte sich auf den abgehauenen
Stamm eines Baumes, ängstlich und bange nach dem armen Freund
hinschauend, der nun doppelt unglücklich war.

In welcher Sorge und Unruhe der Wachende die Zeit zugebracht,
während der Kranke schlief, kann nur derjenige allein fühlen, der
die Freundschaft nicht bloß durch den Austausch gegenseitiger
Gefälligkeiten, sondern auch durch das wirkliche mit Leiden und mit
Tragen aller Widerwärtigkeiten kennt. Und hier mußte die innigste
Teilnahme um so größer sein, da sie einem Jüngling galt, der in allem
das reinste Gemüt, den höchsten Adel der Seele kund gab und all
das Erhabene und Schöne schon im voraus ahnen ließ, das er später
so groß und herrlich entfaltete. Auch in seinen gehärmten, düstern
Zügen ließ sich noch der stolze Mut wahrnehmen, mit dem er gegen ein
hartes, unverdientes Schicksal zu kämpfen suchte, und die wechselnde
Gesichtsfarbe verriet, was ihn, auch seiner unbewußt, beschäftige.
Das Ruheplätzchen lag für den Schlafenden so günstig, daß nur links
ein Fußsteig vorbeiführte, der aber während zwei Stunden von niemand
betreten wurde. Erst nach Verlauf dieser Zeit zeigte sich plötzlich
ein Offizier in blaßblauer Uniform mit gelben Aufschlägen, dessen
überhöflicher Ausruf: »Ah! hier ruht man sich aus!« einen der in
Frankfurt liegenden Werber vermuten ließ. Er näherte sich mit der
Frage: »Wer sind die Herren?« worauf S. etwas laut und barsch
antwortete: »Reisende.«

Schiller erwachte, richtete sich schnell auf und maß den Fremden mit
scharfem, verwundertem Blick, der sich nun auch, da er wohl merken
mochte, daß hier für ihn nichts zu angeln sei, ohne weiter ein Wort zu
sprechen, entfernte.

Auf die schnelle Frage von S., wie geht's, wie ist Ihnen? erfolgte
zu seiner großen Beruhigung die Antwort: »Mir ist etwas besser, ich
glaube, daß wir unsern Marsch wieder antreten können.« Er stand auf,
durch den Schlaf soweit gestärkt, daß er, anfangs zwar langsam, aber
doch ohne Beschwerde fortgehen konnte. Außerhalb des Wäldchens traf
man auf einige Leute, welche die Entfernung der Stadt noch auf eine
kleine Stunde angaben. Diese Nachricht belebte den Mut, es wurde etwas
schneller gegangen, und ganz unvermutet zeigte sich das altertümlich
gebaute, merkwürdige Frankfurt, in welches man auch noch vor der
Dämmerung eintrat.

Teils aus nötiger Sparsamkeit, teils auch, wenn Nachforschungen
geschehen sollten, um so leichter verborgen zu sein, wurde die
Wohnung in der Vorstadt Sachsenhausen bei einem Wirte der Mainbrücke
gegenüber gewählt und mit demselben sogleich der Betrag für Zimmer und
Verköstigung auf den Tag bedungen, damit man genau wisse, wie lange der
geringe Geldvorrat noch ausreichen würde.

Die Gewißheit, hier genugsam verborgen zu sein, die vergönnte Ruhe und
ein erquickender Schlaf gaben Schillern die nötigen Kräfte, daß er des
andern Tages einige Briefe nach Mannheim schreiben konnte. Unter diesen
befand sich auch derjenige an Baron Dalberg, der sich in obengenannter
Sammlung Seite 71 befindet. Gern würde der Verfasser dieses dem Leser
einen kleinen Schmerz ersparen, aber er muß es wissen, und bei diesem
außerordentlichen, jetzt beinahe vergötterten Dichter, wiederholt
bestätigt sehen, daß in Deutschland keinem großen Mann in seiner
Jugend auf Rosen gebettet wird; daß -- ist er nicht schon durch die
Eltern mit Glücksgütern gesegnet -- er die rauhesten, mit verwundenden
Dornen belegten Wege betreten muß, und selten, leider äußerst selten,
eine freundliche Hand sich findet, um ihm die Bahn gangbarer, um
seiner Brust das Atmen leichter zu machen. Man überschlage den Brief
nicht; denn er wurde mit gepreßtem Gemüt und nicht mit trockenen Augen
geschrieben.

    »Eure Exzellenz werden von meinen Freunden zu Mannheim meine Lage
    bis zu Ihrer Ankunft, die ich leider nicht mehr abwarten konnte,
    erfahren haben. Sobald ich Ihnen sage, ich bin auf der Flucht,
    sobald hab' ich mein ganzes Schicksal geschildert. Aber noch kommt
    das Schlimmste dazu. Ich habe die nötigen Hilfsmittel nicht, die
    mich in den Stand setzten, meinem Mißgeschick Trotz zu bieten.
    Ich habe mich von Stuttgart meiner Sicherheit wegen schnell und
    zur Zeit des Großfürsten losreißen müssen. Dadurch habe ich meine
    bisherigen ökonomischen Verhältnisse plötzlich durchrissen und
    nicht alle Schulden berichtigen können. Meine Hoffnung war auf
    meinen Aufenthalt zu Mannheim gesetzt; dort hoffte ich, von E. E.
    unterstützt, durch mein Schauspiel mich nicht nur schuldenfrei,
    sondern auch überhaupt in bessere Umstände zu setzen. Dies ward
    durch meinen notwendigen plötzlichen Aufbruch hintertrieben. Ich
    ging leer hinweg, leer in Börse und Hoffnung. Es könnte mich
    schamrot machen, daß ich Ihnen solche Geständnisse tun muß; aber
    ich weiß, es erniedrigt mich nicht. Traurig genug, daß ich auch an
    mir die gehässige Wahrheit bestätigt sehen muß, die jedem freien
    Schwaben Wachstum und Vollendung abspricht.[2]

    »Wenn meine bisherige Handlungsart, wenn alles das, woraus E. E.
    meinen Charakter erkennen, Ihnen ein Zutrauen gegen meine Ehrliebe
    einflößen kann, so erlauben Sie mir, Sie freimütig um Unterstützung
    zu bitten. So höchst notwendig ich jetzt des Ertrags bedarf, den
    ich von meinem Fiesco erwartete, so wenig kann ich ihn vor drei
    Wochen theaterfertig liefern, weil mein Herz so lange beklemmt war,
    weil das Gefühl meines Zustandes mich gänzlich von dichterischen
    Träumen zurückriß. Wenn ich ihn aber bis auf besagte Zeit nicht nur
    fertig, sondern, wie ich auch hoffen kann, würdig verspreche, so
    nehme ich mir daraus den Mut, Euer Exzellenz um gütigsten Vorschuß
    des mir dadurch zufallenden Preises gehorsamst zu bitten, weil ich
    jetzt vielleicht mehr als sonst durch mein ganzes Leben dessen
    benötigt bin. Ich hätte ungefähr noch 200 fl. nach Stuttgart zu
    bezahlen. Ich darf es Ihnen gestehen, daß mir das mehr Sorge macht,
    als wie ich mich selbst durch die Welt schleppen soll. Ich habe so
    lange keine Ruhe, bis ich mich von der Seite gereinigt habe.

    »Dann wird mein Reisemagazin in acht Tagen erschöpft sein. Noch
    ist es mir gänzlich unmöglich mit dem Geiste zu arbeiten. Ich habe
    also gegenwärtig auch in meinem Kopf keine Ressourcen. Wenn E.
    E. (da ich doch einmal alles gesagt habe) mir auch hiezu 100 fl.
    vorstrecken würden, so wäre mir gänzlich geholfen. Entweder würden
    Sie dann die Gnade haben, mir den Gewinst der ersten Vorstellung
    meines Fiesco mit aufgehobenem Abonnement zu versprechen, oder mit
    mir über einen Preis übereinkommen, den der Wert meines Schauspiels
    bestimmen würde. In beiden Fällen würde es mir ein leichtes sein
    (wenn meine jetzige Bitte die alsdann erwachsende Summe überstiege)
    beim nächsten Stück, das ich schreibe, die ganze Rechnung zu
    applanieren. Ich lege diese Meinung, die nichts als inständige
    Bitte sein darf, dem Gutbefinden E. E. also vor, wie ich es meinen
    Kräften zutrauen kann, sie zu erfüllen.

    »Da mein gegenwärtiger Zustand aus dem Bisherigen hell genug wird,
    so finde ich es überflüssig, E. E. mit einer drängenden Vormalung
    meiner Not zu quälen.

    »Schnelle Hilfe ist alles, was ich jetzt noch denken und wünschen
    kann. Herr Meier ist von mir gebeten mir den Entschluß E. E. unter
    allen Umständen mitzuteilen, und Sie selbst des Geschäftes mir zu
    schreiben zu überheben.

    Mit entschiedener Achtung nenne ich mich

    Euer Exzellenz

        wahrster Verehrer

            Friedr. Schiller.«

Vorstehender am 29. oder 30. September[3] geschriebener Brief wurde an
Herrn Meier überschickt und dieser in einer Beilage, nachdem ihm der
Inhalt desselben bekannt gemacht worden, ersucht, sowohl die Antwort
des Baron Dalberg entgegenzunehmen, als auch selbe nach Frankfurt zu
senden, wo man sie von der Post abholen wolle.

Diese Darstellung seiner Umstände kostete Schillern eine
außerordentliche Überwindung. Denn nichts kann den edlen, stolzen
Mann tiefer beugen, als wenn er um solche Hilfe ansprechen muß, die
das tägliche Bedürfnis betrifft, die ihm dem Gemeinen, Niedrigen
gleichstellt und für die der Reiche selten seine Hand öffnet. Aber
die Bezahlung der 200 fl. nach Stuttgart war so dringend, daß der
Ausdruck in seinem Briefe: »Ich darf es Ihnen gestehen, daß mir das
mehr Sorge macht, als wie ich mich selbst durch die Welt schleppen
soll -- Ich habe solange keine Ruhe, bis ich mich von der Seite
gereinigt habe,« die ernstlichste Wahrheit ausdrückte. Um die Pein,
welche diese -- wohl manchem sehr unbedeutend scheinende -- Summe von
200 fl. dem edelmütigen Jüngling verursachte, zu erklären, sowie zur
Warnung für angehende Dichter oder Schriftsteller, sei eine kurze
Auseinandersetzung erlaubt.

Schon oben ist erwähnt worden, daß Schiller die Räuber auf seine
Kosten drucken lassen und das Geld dazu borgen mußte. Dieses Borgen
konnte aber nicht bei dem Darleiher selbst geschehen, sondern es
verwendete sich, wie es gewöhnlich geschieht, eine dritte Person dabei,
welche die Bezahlung verbürgte. Auch bei dem Druck der Anthologie
mußte nachbezahlt werden, wodurch denn nebst anderthalbjährigen
Zinsen eine Summe, die ursprünglich kaum 150 fl. betrug, sich auf
200 anhäufte. Solange Schiller in Stuttgart war, konnte er leicht
den Rückzahlungstermin verlängern, da man an seinen Eltern, obwohl
sie nicht reich waren, doch im schlimmsten Fall einige Sicherheit
vermutete. Da jedoch durch den Befehl des Herzogs das Herausgeben
dichterischer Werke Schillern auf das strengste verboten war und er
sich nur durch solche Arbeiten seine ärmliche Besoldung von jährlichen
180 fl. zu vergrößern wußte, so mußte wohl eine solche Verlegenheit zu
dem Entschlusse, Stuttgart zu verlassen, viel beitragen, und er hatte
auch in diesem Sinne vollkommen recht, wo er anführt: »Die Räuber
kosteten mich Familie und Vaterland.« Nach der Abreise Schillers konnte
sich der Darleiher nur an die Zwischenperson halten, und diese, da sie
zur Zahlung unvermögend war, konnte in den Fall geraten, verhaftet
zu werden, was dann demjenigen, der die Ursache davon war, das Herz
zernagen mußte. Seine ganze Hoffnung war nun auf den Baron Dalberg
gerichtet, und daß dieser, der ihm früher so viele Versicherungen
seiner Teilnahme gegeben, ihn schon darum aus dieser Verlegenheit
befreien würde, weil er den Wert der erbetenen Hilfe in dem Manuskripte
von Fiesco schon in Händen hatte, konnte nicht im mindesten bezweifelt
werden. Überdies war Baron Dalberg nicht nur sehr reich, sondern hatte
auch wegen des häufigen Verkehrs mit Dichtern und Schriftstellern
durch die Artigkeit seines Benehmens gegen sie (was bei diesen Herren
für eine sehr schwere Münze gilt) den Ruf eines wahren Gönners und
Beschützers der schönen Wissenschaften und Künste sich erworben.

Da Schiller durch obiges Schreiben die schwerste Last von seinem Herzen
abgewälzt hatte, gewann er zum Teil auch seine frühere Heiterkeit
wieder. Sein Auge wurde feuriger, seine Gespräche belebter, seine
Gedanken, bisher immer mit seinem Zustande beschäftigt, wendeten sich
jetzt auch auf andere Gegenstände. Ein Spaziergang, der des Nachmittags
über die Mainbrücke durch Frankfurt nach der Post gemacht wurde,
um die Briefe nach Mannheim abzugeben, zerstreute ihn, da er das
kaufmännische Gewühl, die ineinander greifende Tätigkeit so vieler hier
zum erstenmal sah. Auf dem Heimwege übersah man von der Mainbrücke
das tätige Treiben der abgehenden und ankommenden, der ein- und
auszuladenden Schiffe, nebst einem Teil von Frankfurt, Sachsenhausen,
sowie den gelblichen Mainstrom, in dessen Oberfläche sich der heiterste
Abendhimmel spiegelte. Lauter Gegenstände, die das Gemüt wieder hoben
und Bemerkungen hervorriefen, die um so anziehender waren, als seine
überströmende Einbildungskraft dem geringsten Gegenstand Bedeutung gab
und die kleinste Nähe an die weiteste Entfernung zu knüpfen wußte.
Diese Zerstreuung hatte auf die Gesundheit Schillers so wohltätig
eingewirkt, daß er wieder einige Eßlust bekam, die ihm seit zwei
Tagen gänzlich fehlte, und sich mit Lebhaftigkeit über dichterische
Pläne unterhalten konnte. Sein ganzes Wesen war so angelegt, sein
Körperliches dem Geistigen so untergeordnet, daß ihn solche Gedanken
nie verließen und er ohne Unterlaß von allen Musen umschwebt schien.
Auch hatte er kaum das leichte Nachtessen geendet, als sich aus seinem
Schweigen, aus seinen aufwärts gerichteten Blicken wahrnehmen ließ, daß
er über etwas Ungewöhnlichem brüte. Schon auf dem Wege von Mannheim
bis Sandhofen und von da nach Darmstadt ließ sich bemerken, daß sein
Inneres weniger mit seiner gegenwärtigen Lage als mit einem neuen
Entwurfe beschäftigt sei; denn er war so sehr in sich verloren, daß
ihn selbst in der mit Recht so berühmten Bergstraße sein Reisegefährte
auf jede reizende Ansicht aufmerksam machen mußte. Nun, zwischen vier
Wänden, überließ er sich um so behaglicher seiner Einbildungskraft, als
diese jetzt durch nichts abgelenkt wurde und er ungestört sich bewegen
oder ruhen konnte. In solchen Stunden war er wie durch einen Krampf
ganz in sich zurückgezogen und für die Außenwelt gar nicht vorhanden;
daher auch sein Freund ihn durch nichts beunruhigte, sondern mit einer
Art heiliger Scheu sich so still als möglich verhielt. Der nächste
Vormittag wurde dazu verwendet, um die in der Geschichte Deutschlands
so merkwürdige Stadt etwas sorgfältiger als gestern geschehen konnte,
zu besehen und auch einige Buchläden zu besuchen. In dem ersten
derselben erkundigte sich Schiller, ob das berüchtigte Schauspiel
die Räuber guten Absatz finde und was das Publikum darüber urteile?
Die Nachricht über das erste fiel so günstig aus und die Meinung der
großen Welt wurde so außerordentlich schmeichelhaft geschildert, daß
der Autor sich überraschen ließ und, ungeachtet er als Doktor Ritter
vorgestellt worden, dem Buchhändler nicht verbergen konnte, daß er,
der gegenwärtig das Vergnügen habe mit ihm zu sprechen, der Verfasser
davon sei. Aus den erstaunten, den Dichter messenden Blicken des Mannes
ließ sich leicht abnehmen, wie unglaublich es ihm vorkommen müsse, daß
der so sanft und freundlich aussehende Jüngling so etwas geschrieben
haben könne. Indes verbarg er seine Zweifel, indem er durch mancherlei
Wendungen das vorhin ausgesprochene Urteil, welches man so ziemlich als
das allgemeine annehmen konnte, wiederholte. Für Schiller war jedoch
dieser Auftritt sehr erheiternd; denn in einem solchen Zustande wie
er damals war, konnte auf sein bekümmertes Gemüt nichts so angenehmen
Eindruck haben als die Anerkennung seines Talentes und die Gewißheit
der Wirkung, von der alle seine Leser ergriffen worden.

Zu Haus angelangt, überließ sich Schiller aufs neue seinen
dichterischen Eingebungen und brachte den Nachmittag und Abend im Auf-
und Niedergehen oder im Schreiben einiger Zeilen hin. Zum Sprechen
gelangte er erst nach dem Abendessen, wo er dann auch seinem Gefährten
erklärte, was für eine Arbeit ihn jetzt beschäftige.

Da man allgemein glaubt, daß bei dem Empfangen und an das Lichtbringen
der Geisteskinder gute oder schlimme Umstände ebenso vielen Einfluß
wie bei den leiblichen äußern, so sei dem Leser schon jetzt vertraut,
daß Schiller seit der Abreise von Mannheim mit der Idee umging, ein
bürgerliches Trauerspiel zu dichten, und er schon soweit im Plan
desselben vorgerückt war, daß die Hauptmomente hell und bestimmt vor
seinem Geiste standen.

Dieses Trauerspiel, das wir jetzt unter dem Namen Kabale und Liebe
kennen, welches aber ursprünglich Luise Millerin hätte benannt werden
sollen, wollte er mehr als einen Versuch unternehmen, ob er sich auch
in die bürgerliche Sphäre herablassen könne, als daß er sich öfters
oder gar für immer dieser Gattung hätte widmen wollen. Er dachte so
eifrig darüber nach, daß in den nächsten vierzehn Tagen schon ein
bedeutender Teil der Auftritte niedergeschrieben war.

Am nächsten Morgen fragten die Reisenden auf der Post nach, ob keine
Briefe für sie angelangt wären? Aber der Gang war fruchtlos, und da die
Witterung trübe und regnerisch war, so mußte die Zuflucht wieder zur
Stube genommen werden. Am Nachmittag wurde auf der Post noch einmal
angefragt, aber ebenso vergeblich wie in der Frühe.

Diese Verspätung deutete S. um so mehr als ein gutes Zeichen, indem
der angesuchte Betrag entweder durch Wechsel oder durch den Postwagen
übermacht werden müsse, was dann notwendig einige Tage mehr erfordern
könne als ein bloßer Brief. Er war seiner Sache so gewiß, daß er
Schillern ersuchte, ihm seine in Mannheim zurückgelassenen Sachen
nach Frankfurt zu schicken, weil er dann, sowie die Hilfe von Baron
Dalberg eintreffe, seine Mutter ersuchen wolle, ihm außer dem, was er
jetzt schon besitze, noch mehr zu senden, damit er von hier aus die
Reise nach Hamburg fortsetzen könne. Schiller sagte dieses sehr gern
zu und versprach noch weiter, ihm auch von Meier sowie von seinen
andern Freunden Empfehlungsbriefe zu verschaffen, indem ein junger
Tonkünstler nie zu viele Bekanntschaften haben könne. Diese Hoffnungen,
die von beiden Seiten noch durch viele Zutaten verschönert wurden,
erheiterten den durch eine bessere Witterung begünstigten Spaziergang
und störten auch abends die Phantasie des Dichters so wenig, daß er
sich derselben, im Zimmer auf und ab gehend, mehrere Stunden ganz
ruhig überließ.

Den nächsten Morgen gingen die Reisenden schon um neun Uhr aus, um die
vielleicht in der Nacht an sie eingelaufenen Briefe abzuholen, die
auch zu ihrer großen Freude wirklich eingetroffen waren. Sie eilten
so schnell als möglich nach Haus, um den Inhalt derselben ungestört
besprechen zu können, und waren kaum an der Tür ihrer Wohnung, als
Schiller schon das an ~Dr.~ Ritter überschriebene Paket erbrochen
hatte. Er fand mehrere Briefe von seinen Freunden in Stuttgart, die
sehr vieles über das außerordentliche Aufsehen meldeten, das sein
Verschwinden veranlaßt habe, ihm die größte Vorsicht wegen seines
Aufenthalts anrieten, aber doch nicht das mindeste aussprachen, woraus
sich auf feindselige Absichten des Herzogs hätte schließen lassen. Alle
diese Briefe wurden gemeinschaftlich gelesen, weil ihr Inhalt beide
betraf und allerdings geeignet war, sie einzuschüchtern. Allein da sie
in Sachsenhausen geborgen waren, so beruhigten sie sich um so leichter,
da sie in dem Schreiben des Herrn Meier der angenehmsten Nachricht
entgegen sahen. Schiller las dieses für sich allein und blickte dann
gedankenvoll durch das Fenster, welches die Aussicht auf die Mainbrücke
hatte. Er sprach lange kein Wort, und es ließ sich nur aus seinen
verdüsterten Augen, aus der veränderten Gesichtsfarbe schließen, daß
Herr Meier nichts Erfreuliches gemeldet habe. Nur nach und nach kam es
zur Sprache, daß Baron Dalberg keinen Vorschuß leiste, weil Fiesco in
dieser Gestalt für das Theater nicht brauchbar sei; daß die Umarbeitung
erst geschehen sein müsse, bevor er sich weiter erklären könne.

Diese niederschlagende Nachricht mußte dem edlen Jüngling um so
unerwarteter sein, je mehr er durch die ihm von Baron Dalberg bezeugte
Teilnahme zu seiner Bitte und zur Hoffnung, daß sie erfüllt würde,
berechtigt war. Am meisten mußte aber sein Ehrgeiz dadurch beleidigt
sein, daß er seine traurige Lage ganz unnützerweise enthüllt und sich
durch deren Darstellung der Willkür desjenigen preisgegeben, von dem er
mit Recht Unterstützung erwartete.

Wenige junge Männer würden sich in gleichen Umständen mit Mäßigkeit und
Anstand über eine solche Versagung ausgesprochen haben. Schiller aber
bewies auch hierin sein reines, hohes Gemüt; denn er ließ nicht die
geringste Klage hören; kein hartes oder heftiges Wort kam über seine
Lippen, ja nicht einmal eines Tadels würdigte er die erhaltene Antwort,
so wenig er sich auch vor seinem jüngeren Freunde hätte scheuen dürfen,
seinen Unmut auszulassen. Er sann alsobald nur darauf, wie er dennoch
zu seinem Zweck gelangen könne, oder was zuerst getan werden müsse. Da
die Hoffnung geblieben war, daß, wenn Fiesco für das Theater brauchbar
eingerichtet sei, derselbe angenommen und bezahlt würde, oder, wenn
dieses auch nicht der Fall wäre, doch das Stück in Druck gegeben und
dafür etwas eingenommen werden könne, so beschloß er in die Gegend von
Mannheim zu gehen, weil es dort wohlfeiler als in Frankfurt zu leben
sei, und auch um den Herren Schwan und Meier nahe zu sein, damit, wenn
es auf die tiefste Stufe des Mangels kommen sollte, von diesen einige
Hilfe erwartet werden könne. Er wäre sogleich dahin aufgebrochen,
allein man war noch an Frankfurt gebannt, denn bei jedem Griff in den
Beutel war schon sein Boden erreicht, und die durch S. von seiner
Mutter erbetene Beihilfe war noch nicht angelangt. Bis diese eintreffe,
mußte man hier aushalten, und um gegen die Möglichkeit, daß sie spät
ankäme, oder vielleicht gar ausbliebe, doch einigermaßen gedeckt zu
sein, entschloß sich Schiller ein ziemlich langes Gedicht, Teufel Amor
betitelt, an einen Buchhändler zu verkaufen.

Dieses Gedicht, von dem sich der Verfasser dieses nur noch folgender
zwei Verse:

    »Süßer Amor, verweile
    Im melodischen Flug«

mit Zuverlässigkeit erinnert, war eines der vollkommensten, die
Schiller bisher gemacht und an schönen Bildern, Ausdruck und Harmonie
der Sprache so hinreißend, daß er selbst -- was bei seinen anderen
Arbeiten nicht oft eintraf -- ganz damit zufrieden schien und seinen
jungen Freund mehrmals durch dessen Vorlesung erfreute. Leider ging es
in den nächsten vier Wochen (wie der Leser später erfahren wird) mit
noch andern Sachen, wahrscheinlich durch die Zerstreuung des Dichters
selbst, in Verlust, indem sich in der von ihm herausgegebenen Sammlung
seiner Gedichte keine Spur davon findet und das meiste davon der
Bekanntmachung fast würdiger gewesen wäre als einige Stücke aus seiner
frühern Zeit.

Von dem Buchhändler kam Schiller aber ganz mißmutig wieder zurück,
indem er fünfundzwanzig Gulden dafür verlangte, jener jedoch nur
achtzehn geben wollte. So benötigt er aber auch dieser kleinen Summe
war, konnte er es doch nicht über sich gewinnen, diese Arbeit unter
dem einmal ausgesprochenen Preise wegzugeben, und zwar sowohl aus
herzlicher Verachtung gegen alle Knickerei als auch, weil er den
Wert des Gedichtes selbst nicht gering achtete. Endlich, nachdem
der Reichtum der geängstigten Freunde schon in kleine Scheidemünze
sich umgewandelt hatte, kamen den nächsten Tag auf dem Postwagen die
bescheidenen dreißig Gulden für S. an, der auch ohne das geringste
Bedenken für jetzt seinen Plan nach Hamburg aufgab und bei Schillern
blieb, um ihn nach seinem neuen Aufenthaltsorte zu begleiten. Dieser
schrieb noch am nämlichen Abend an Herrn Meier, daß er den nächsten
Vormittag nach Mainz abgehen, am folgenden Abend in Worms eintreffen
werde, wo er auf der Post Nachricht erwarte, wohin er sich zu begeben
habe, um ihn zu sprechen und den Ort zu bestimmen, in welchem er sein
Trauerspiel ruhig umarbeiten könne. Gleich den andern Morgen begaben
sich die Reisenden auf das von Frankfurt nach Mainz täglich abgehende
Marktschiff, mit welchem sie des Nachmittags bei guter Zeit in
letztbenannter Stadt anlangten, dort sogleich in einem Gasthofe das
Wenige, was sie bei sich hatten, ablegten und noch ausgingen, um den
Dom und die Stadt zu besichtigen.

Am nächsten Tage verließen sie Mainz sehr früh, wo sie, die Favorite
vorbei, den herrlichen Anblick des Zusammentreffens vom Rhein- und
Mainstrome bei der schönsten Morgenbeleuchtung genossen und den echt
deutschen Eigensinn bewunderten, mit welchem beide Gewässer ihre
Abneigung zur Vereinigung durch den scharfen Abschnitt ihrer bläulichen
und gelben Farben bezeichneten.

Da man auf den Abend in Worms eintreffen wollte, so mußten die Wanderer
als ungeübte Fußgänger sich ziemlich anstrengen, um den neun Stunden
langen Weg zurückzulegen. Als noch am Vormittag Nierenstein erreicht
wurde, konnten beide der Versuchung nicht widerstehen, sich an dem in
der Gegend wachsenden Wein, den sie nur aus den Lobeserhebungen der
Dichter kannten, zu stärken, welches besonders Schiller, der von Mainz
bis hierher nur wenige Worte gesprochen, sehr zu bedürfen schien. Sie
traten in das zunächst am Rhein gelegene Wirtshaus und erhielten dort
durch Bitten und Vorstellungen einen Schoppen oder ein Viertelmaß von
dem besten ältesten Weine, der sich im Keller fand und der mit einem
kleinen Taler bezahlt werden mußte.

Als Nichtkenner edler Weine schien es ihnen, daß bei diesem Getränk wie
bei vielen berühmten Gegenständen der Ruf größer sei, als die Sache
verdiene. Aber als sie ins Freie gelangten, als die Füße sich leichter
hoben, der Sinn munterer wurde, die Zukunft ihre düstere Hülle etwas
lüftete und man ihr mit mehr Mut als bisher entgegenzutreten wagte,
glaubten sie einen wahren Herzenströster in ihm entdeckt zu haben, und
ließen dem edlen Weine volle Gerechtigkeit angedeihen. Dieser angenehme
Zustand erstreckte sich aber kaum über drei Stunden; denn so fest
auch der Wille war, so sehr die Notwendigkeit zur Eile antrieb, so
konnte Schiller doch das anstrengende Gehen kaum bis in die Mitte des
Nachmittags aushalten; was aber vorzüglich daher kommen mochte, weil er
immer in Gedanken verloren war, und nichts so sehr ermüdet als tiefes
Nachdenken, wenn der Körper in Bewegung ist. Man entschloß sich daher
eine Station weit zu fahren, wodurch es allein möglich war, daß Worms
um neun Uhr nachts erreicht wurde.

Am andern Morgen fand Schiller auf der Post einen Brief des Herrn
Meier, worin dieser die Nachricht gab, daß er diesen Nachmittag mit
seiner Frau in Oggersheim in dem Gasthause, zum Viehhof genannt,
eintreffen wolle, wo er ihn zu sehen hoffe, um weitere Abrede mit ihm
nehmen zu können. Die Reisenden begaben sich um so ruhiger auf den
Weg, als sie hoffen durften, daß endlich aller Ungewißheit ein Ende
sein würde, und trafen zur gesetzten Zeit in Oggersheim ein, wo sie
auch schon Herrn und Madame Meier nebst zwei Verehrern des Dichters
vorfanden.

Für Herrn Meier war es eine unangenehme, lästige Aufgabe, dem jungen
Manne, den er als Dichter und Menschen gleich hoch achtete, die
Ansichten des Baron Dalberg über Fiesco und warum er sich in keinen
Vorschuß einlassen könne, auseinander zu setzen. Er wußte jedoch seinen
Ausdrücken eine solche Wendung zu geben, daß sie keinen der beiden
Gegenstände hart berührten, sondern alles so gelind als natürlich
darstellten. Auch gab er die Versicherung, daß Fiesco unbezweifelt
angenommen werde, sobald er um mehrere Szenen abgekürzt und der fünfte
Akt ganz beendigt sei. Schiller benahm sich auch bei dieser Gelegenheit
wahrhaft edel und weit über das Gewöhnliche erhaben; denn so sehr ihm
aus oben berührten Rücksichten daran gelegen sein mußte, den Preis
seines Stückes schon jetzt zu haben, so sehr er auch sein in den Baron
Dalberg gesetztes Vertrauen nur durch Ausflüchte erwidert fand, so
sprach er doch kein Wort, das irgend eine Art von Empfindlichkeit über
die vereitelte Hoffnung hätte erraten lassen oder als Widerlegung der
über Fiesco gemachten Bemerkungen hätte ausgelegt werden können. Mit
der freundlichen, männlichen Art, die im Umgang ihm ganz gewöhnlich
war, leitete er das Gespräch darauf hin, den Ort zu bestimmen, wo er
sich einige Wochen, als solange die Umarbeitung wohl dauern werde,
ruhig und ohne Gefahr aufhalten könne. Aus vielen Ursachen wurde es
am besten befunden, wenn er hier in Oggersheim bleibe. Dieses sei nur
eine kleine Stunde von Mannheim entfernt, er könne, so oft er es nötig
finde, des Abends in die Stadt kommen und wäre in der Nähe seiner
Bekannten und Freunde wenigstens nicht ganz ohne Hilfe, wenn sich etwas
Widriges ereignen sollte.

Da die von Madame Meier den Reisenden eingehändigten Briefe aus
Stuttgart noch immer von Gefahr der Auslieferung sprachen und die
möglichste Verborgenheit empfahlen, so wurde der Name Ritter, den
Schiller bisher geführt, in Doktor Schmidt umgewandelt und er von
den Anwesenden in Gegenwart des herbeigerufenen Wirtes also gleich
mit diesem Titel angeredet. Auch hier wurde der Betrag für Kost und
Wohnung auf den Tag bedungen und Madame Meier ersucht, die in Mannheim
gebliebenen Koffer und das Klavier den Reisenden übermachen zu wollen.
Der eintretende Abend schied die Gesellschaft. Die Freunde, nun wieder
ganz auf sich eingeschränkt, begaben sich auf das ihnen angewiesene
Zimmer, wo sie aber nur ein einziges Bett vorfanden, mit dem sie sich
begnügen mußten.

Da man die täglichen Kosten des Aufenthaltes wußte, so ließ sich
leicht berechnen, daß die Barschaft auf höchstens drei Wochen
ausreichen könne, in welcher Zeit Schiller seine Arbeit zu beendigen
hoffte. Allein es ließ sich leicht voraussehen, daß dieses nicht der
Fall sein würde, indem er viel zu sehr mit seinem neuen Trauerspiel
beschäftigt war und schon am ersten Abend in Oggersheim den Plan
desselben aufzuzeichnen anfing. Gleich bei dem Entwurf desselben
hatte er sich vorgenommen, die vorkommenden Charaktere den eigensten
Persönlichkeiten der Mitglieder von der Mannheimer Bühne so anzupassen,
daß jedes nicht nur in seinem gewöhnlichen Rollenfache sich bewegen,
sondern auch ganz so wie im wirklichen Leben zeigen könne. Im voraus
schon ergötzte er sich oft daran, wie Herr Beil den Musikus Miller so
recht naiv-drollig darstellen werde und welche Wirkung solche komische
Auftritte gegen die darauffolgenden tragischen auf die Zuschauer
machen müßten. Da er die Werke Shakespeares nur gelesen, aber keines
seiner Stücke hatte aufführen sehen, so konnte er auch noch nicht aus
der Erfahrung wissen, wie viele Kunst von seiten des Darstellers dazu
gehöre, um solchen Kontrasten das Scharfe, das Grelle zu benehmen, und
wie klein die Anzahl derer im Publikum ist, welche die große Einsicht
des Dichters oder die Selbstverleugnung des Schauspielers zu würdigen
verstehen.

Er war so eifrig beschäftigt, alles das niederzuschreiben, was er bis
jetzt darüber in Gedanken entworfen hatte, daß er während ganzer acht
Tage nur auf Minuten das Zimmer verließ. Die langen Herbstabende wußte
er für sein Nachdenken auf eine Art zu benützen, die demselben eben
so förderlich als für ihn angenehm war. Denn schon in Stuttgart ließ
sich immer wahrnehmen, daß er durch Anhören trauriger oder lebhafter
Musik außer sich selbst versetzt wurde, und daß es nichts weniger als
viele Kunst erforderte, durch passendes Spiel auf dem Klavier alle
Affekte in ihm aufzureizen. Nun mit einer Arbeit beschäftigt, welche
das Gefühl auf die schmerzhafteste Art erschüttern sollte, konnte ihm
nichts erwünschter sein, als in seiner Wohnung das Mittel zu besitzen,
das seine Begeisterung unterhalten oder das Zuströmen von Gedanken
erleichtern könne.

Er machte daher meistens schon bei dem Mittagtische mit der
bescheidensten Zutraulichkeit die Frage an S.: »Werden Sie nicht heute
abend wieder Klavier spielen?« -- Wenn nun die Dämmerung eintrat, wurde
sein Wunsch erfüllt, während dem er im Zimmer, das oft bloß durch das
Mondlicht beleuchtet war, mehrere Stunden auf und ab ging und nicht
selten in unvernehmliche, begeisterte Laute ausbrach.

Auf diese Art verflossen einige Wochen, bis er dazu gelangte, über die
bei Fiesco zu treffenden Veränderungen mit einigem Ernste nachzudenken;
denn so lang er sich von den Hauptsachen seiner neuen Arbeit nicht
loswinden konnte, so lange diese nicht entschieden vor ihm lagen, so
lang er die Anzahl der vorkommenden Personen und wie sie verwendet
werden sollten, nicht bestimmt hatte, war auch keine innere Ruhe
möglich.

Erst nachdem er hierüber in Gewißheit war, konnte er die Anordnungen
in dem frühern Trauerspiel beginnen, wobei er aber dennoch den Ausgang
desselben vorläufig unentschieden lassen mußte. Daß dieser Ausgang
nicht so sein dürfe, wie er durch die Geschichte angegeben wird, wo ihn
ein unglücklicher Zufall herbeiführt, blieb für immer ausgemacht. Daß
er tragisch, daß er der Würde des Ganzen angemessen sein müsse, war
ebenso unzweifelhaft. Nur blieb die schwierige Frage zu lösen, wie,
durch wen oder auf welche Art das Ende herbeizuführen sei? Schiller
konnte hierüber so wenig mit sich einig werden, daß er sich vornahm,
alles Frühere vorher auszuarbeiten, die Katastrophe durch nichts
erraten zu lassen und obige Zweifel erst, wenn das übrige fertig wäre,
zuletzt zu entscheiden.

Beinahe ein Monat war verflossen, und Fiesco noch immer nicht
vollendet; ja wäre der Dichter nicht gezwungen gewesen, alles zu
versuchen, um sich aus seiner Verlegenheit zu retten, so wäre dieses
Stück sicher erst dann umgearbeitet worden, wenn er das bürgerliche
Trauerspiel ganz fertig vor sich gesehen hätte.

Nur diejenigen, welche nicht selbst Fähigkeit zu Arbeiten haben, wobei
Begeisterung und Einbildungskraft beinahe ausschließend tätig sein
müssen, können diese Unentschlossenheit, diese Zögerungen Schillers
eines Tadels würdig finden. Zu Werken des ruhigen Verstandes, der
kalten Überlegung läßt sich der Geist leichter beherrschen, sogar
öfters nötigen; da im Gegenteil Dichter oder Künstler auf den
Augenblick warten müssen, wo ihnen die Muse erscheint, und diese, so
freigebig sie auch gegen ihre Lieblinge ist, sich doch alsobald mit
Sprödigkeit wegwendet, wenn die dargebotenen Gaben nicht augenblicklich
erhascht werden. Aus diesen Gründen lassen sich bei einem Jüngling,
dessen Trieb zur Dichtung so vorherrschend ist, daß alle übrigen
Eigenschaften bloß diesem zu dienen bestimmt sind, Ideen, die sein
Inneres aufgeregt haben, so wenig abwehren, daß, wenn er es auch
versuchen wollte, sie doch immerdar den Hintergrund seiner Gedanken
bilden würden und er nicht früher zur Ruhe gelangen könnte, bis er
nicht wenigstens die Zeichnung entworfen hätte.

Daß Schiller unter diesen Hochbegünstigten Apollos einer der
vorzüglichsten war, dafür spricht jede Zeile, die er niederschrieb.
Aber auch ungerechnet die Verhinderungen, welche ihm sein eignes Talent
in den Weg brachten, konnte die Ursache, wegen welcher er den Fiesco
gerade jetzt beendigen mußte, für ihn nichts weniger als erfreulich
sein. Denn so hoch er die Gaben des Himmels achtete, so gleichgültig
war er gegen diejenigen, welche die Erde bietet, und es war gewiß nicht
ermunternd, zur Erwerbung der letzteren sich gezwungen zu wissen. Der
Aufenthalt in Oggersheim war in dem feuchten, trüben Oktobermonat
gleichfalls nicht erheiternd.

Mochten auch die nach Mannheim und Frankenthal führenden Pappelalleen
anfangs recht hübsch aussehen, so fand man doch bald, daß sie nur darum
angepflanzt seien, um die flache, kahle, sandige Gegend zu verbergen;
daher waren die Reisenden um so früher an der mageren Aussicht
gesättigt, als sie von zarter Jugend an an die üppigen Umgebungen von
Ludwigsburg und Stuttgart gewöhnt waren, wo, besonders bei letzterer
Stadt, überall Gebirge das Auge erfreuen oder schon die ersten
Schritte aus den Stadttoren in Gärten oder gut gepflegte Weinberge
führen.

Im Hause selbst war der Wirt von rauher, harter Gemütsart, welche seine
Frau und Tochter, die sehr sanft und freundlich waren, öfters auf die
heftigste Art empfinden mußten. Nur der Kaufmann des Orts war ein Mann,
mit dem sich über mancherlei Gegenstände sprechen ließ, da er ein sehr
großer Freund von Büchern und, zu seinem nicht geringen Nachteil, ein
wahrhaft ausübender Philosoph war. Wollte Schiller mit Meier oder Herrn
Schwan sich unterreden, so konnte er nur um die Zeit der Dämmerung
in die Stadt gehen, wo er dann über Nacht bleiben mußte und erst bei
Anbruch des Tages zurückkehren konnte. S. war, was diesen Umstand
betraf, viel freier, weil er für sich keine Gefahr befürchten zu
dürfen glaubte. Er war manchen halben Tag daselbst, um Bekanntschaften
anzuknüpfen, die ihm in der Folge sehr nützlich wurden.

Der Oktober nahte sich seinem Ende und mit diesem auch die Barschaft,
welche beide mit hieher gebracht hatten. Es blieb kein anderes Mittel,
als daß S. noch einmal nach Hause schrieb und seine Mutter bat, ihm den
Rest des ihm nach Hamburg bestimmten Reisegeldes hieher zu schicken,
indem er wahrscheinlich genötigt sein werde, in Mannheim zu bleiben,
wenn sich das Schicksal Schillers nicht so vollständig verbessere, als
beide erwarteten.

Endlich war in den ersten Tagen des Novembers das Trauerspiel Fiesco
für das Theater umgearbeitet und ihm der Schluß gegeben worden, welcher
der Geschichte, der Wahrscheinlichkeit am angemessensten schien. Man
darf glauben, daß die letzten Szenen dem Dichter weit mehr Nachdenken
kosteten als das ganze übrige Stück, und daß er den begangenen Fehler,
die Art des Schlusses nicht genau vorher bestimmt zu haben, mit großer
Mühe gut zu machen suchen mußte. Aber in welchen unruhigen Umständen
befand sich der unglückliche Jüngling, als er dieses Trauerspiel
entwarf! Und wie war die jetzige Zeit beschaffen, in welcher er
ein Werk ausführen sollte, zu dem die ruhigste, heiterste Stimmung
erfordert wird, die durch keine Bedrückung des täglichen Lebens,
keine Beängstigung wegen der Zukunft gestört werden darf, wenn die
Arbeit zur Vollkommenheit gebracht werden soll! Seine lebhafte, kühne
Phantasie, sonst immer gewöhnt sich mit den Schwingen des Adlers in
den höchsten Regionen zu wiegen, wie stark war diese von der traurigen
Gegenwart niedergehalten! Mit welchen schweren bleiernen Gewichten zu
dem Gemeinen, Niedrigen des Lebens herabgezogen! -- In den verflossenen
neun Jahren durfte er seinem leidenschaftlichen Hang zur Dichtkunst
nur verstohlenerweise einige Minuten, höchstens Stunden opfern; denn
er mußte Studien treiben und Geschäfte verrichten, die mit seinen
Neigungen, seinem mit poetischen Bildern überfüllten Geist in dem
härtesten Widerspruch standen; und es gehörten so reiche Anlagen wie er
besaß dazu, um über die vielen stets sich erneuernden Kämpfe nicht in
Wahnsinn zu verfallen, sowie sein weiches, zartes Gemüt, um sich allen
Anforderungen zu fügen. Ohne eigne Erfahrung hätte er in späterer Zeit
seinen poetischen Lebenslauf in der herrlichen Dichtung »Pegasus im
Joche« unmöglich so getreu darstellen, so natürlich zeichnen können,
daß derjenige, der mit seinen Verhältnissen vertraut war, recht wohl
die Vorfälle deuten kann, auf die es sich bezieht. Laßt uns den Dichter
wegen der Mängel, die sich in Fiesco, in Kabale und Liebe finden, nicht
tadeln; vielmehr verdient es die höchste Bewunderung, daß er bei den
ungünstigsten äußern Umständen die Kräfte seines Talentes noch so weit
bemeistern konnte, um zwei Werke zu liefern, denen, um ihrer vielen und
großen Schönheiten willen, die späte Nachwelt noch ihre Achtung nicht
versagen wird.

Mit weit mehr Ruhe und Zufriedenheit als früher begab sich Schiller
nach der Stadt, um Herrn Meier das fertige und ins Reine geschriebene
Manuskript einzuhändigen. Da er alles geleistet, was der Gegenstand
zuließ, oder von dem er hoffen konnte, daß es den Wünschen des Baron
Dalberg sowie zugleich den Forderungen der Bühne angemessen sei, so
glaubte er auch, daß seine Bedrängnisse bald beendigt sein würden und
er das Leben auf einige Zeit mit frohem Mute werde genießen können.
Es verging jedoch eine ganze Woche, ohne daß der Dichter eine Antwort
erhielt, die ihm doch auf die nächsten Tage zugesagt worden. Um der
Ungewißheit ein Ende zu machen, entschloß er sich an Baron Dalberg
zu schreiben und sich noch einmal zu Herrn Meier zu begeben, um eine
Auskunft über das, was er erwarten könne, zu erhalten.

Es war gegen die Mitte Novembers, als Schiller und S. des Abends
bei Herrn Meier eintraten und diesen nebst seiner Gattin in größter
Bestürzung fanden, weil kaum vor einer Stunde ein württembergischer
Offizier bei ihnen gewesen sei, der sich angelegentlich nach Schillern
erkundigt habe. Herr Meier hatte nichts gewisser vermutet, als
daß dieser Offizier den Auftrag habe, Schillern zu verhaften, und
demzufolge beteuert, daß er nicht wisse, wo dieser sich gegenwärtig
befinde. Während dieser Erklärung klingelte die Haustür und man wußte
in der Eile nichts Besseres zu tun, als Schiller mit S. in einem
Kabinett, das eine Tapetentür hatte, zu verbergen. Der Eintretende war
ein Bekannter vom Hause, der gleichfalls voll Bestürzung aussagte:
er habe den Offizier auf dem Kaffeehause gesprochen, der nicht nur
bei ihm, sondern auch bei mehreren Anwesenden sehr sorgfältig nach
Schillern gefragt habe; allein er seinerseits hätte versichert, daß
der Aufenthalt desselben jetzt ganz unbekannt wäre, indem er schon vor
zwei Monaten nach Sachsen abgereist sei. Die Geflüchteten kamen aus
ihrem Versteck hervor, um die Uniformsaufschläge und das Persönliche
des Offiziers zu erforschen, weil es vielleicht auch einer von den
Bekannten Schillers sein konnte; allein die Angaben über alles waren so
abweichend, daß man unmöglich auf eine bestimmte Person raten konnte.
Noch einigemal wiederholte sich dieselbe Szene durch neu Ankommende,
die mit den andern voller Ängstlichkeit um die beiden Freunde waren,
weil diese mit Sicherheit weder in der Stadt übernachten, noch auch
nach Oggersheim zurückgehen konnten.

Wie aber der feine, gewandte Sinn des zarteren Geschlechtes allezeit
noch Auswege findet, um Verlegenheiten zu entwirren, wenn die Männer
-- immer gewohnt nur starke Mittel anzuwenden -- nicht mehr Rat zu
schaffen wissen, so wurde auch jetzt von einem schönen Munde ganz
unerwartet das Mittel zur Rettung ausgesprochen. Madame Curioni (mit
Dank sei heute noch ihr Name genannt) erbot sich, Schillern und S.
in dem Palais des Prinzen von Baden, über welches sie Aufsicht und
Vollmacht hatte, nicht nur für heute, sondern solange zu verbergen, als
noch eine Verfolgung zu befürchten wäre. Dieses mit der anmutigsten
Güte gemachte Anerbieten wurde mit um so lebhafterer Erkenntlichkeit
aufgenommen, da man daselbst am leichtesten unerkannt sein konnte und
sich auch niemand in der Absicht, um jemand zu verhaften, in dieses
Palais hätte wagen dürfen. Auf der Stelle wurden die nötigen Anstalten
zur Aufnahme der verfolgt Geglaubten getroffen und sie dann sogleich
dahin geleitet. Herr Meier hatte versprochen, am nächsten Morgen zum
ersten Sekretär des Ministers Grafen von Oberndorf zu gehen, um diesen,
da er ihn sehr gut kenne, zu fragen, ob der Offizier in Aufträgen an
das Gouvernement hier gewesen sei?

Das Zimmer, welches den beiden Freunden als Zuflucht angewiesen worden,
war sehr schön und geschmackvoll, mit Notwendigem sowie Überflüssigem
ausgestattet. Unter den zahlreichen Kupferstichen, mit denen die Wände
behangen waren, befanden sich auch die zwölf Schlachten Alexanders, von
Lebrun, welche den Betrachtenden bis spät in die Nacht die angenehmste
Unterhaltung gewährten. Gegen zehn Uhr des andern Morgens wagte sich S.
aus dem Palais, um sich zu Herrn Meier zu begeben und zu vernehmen, ob
etwas zu befürchten sei? Diesen aber hatten seine eignen Sorgen schon
in aller Frühe zu dem Sekretär des Ministers getrieben, von dem er die
Versicherung erhielt, daß der Offizier keine Aufträge an Graf Oberndorf
gehabt und sich auch aus dem Meldezettel des Gastwirt ergebe, daß er
schon gestern abend um sieben Uhr abgereist sei. Nach einigen kurzen
Besuchen begab sich S. sogleich zu Schillern, um ihm diese beruhigende
Kunde zu überbringen und ihn aus seinem schönen Gefängnis zu befreien,
welches er auch sogleich verließ, um sich zu Herrn Meier zu verfügen.

Hier wurde nun die unsichere Lage des Dichters umständlich besprochen,
welche der unnützen Angst von gestern ungeachtet, ebenso gefährlich
für ihn selbst als für jeden, der Anteil an ihm nahm, beunruhigend
schien. Schiller mußte zugeben, daß er für jetzt nicht in Mannheim
verweilen könne, so willkommen es ihm auch gewesen wäre, für das
Theater wirksam zu sein und zugleich durch Anschauung der aufgeführten
Stücke seine Einsicht in das Mechanische der Bühne zu erweitern. Daher
wurde mit allgemeiner Zustimmung seiner Freunde von ihm beschlossen,
daß, sobald die Annahme seines Fiesco entschieden sei, er sich
sogleich nach Sachsen begeben wolle. Daß er, aller etwa anzustellenden
Nachforschungen ungeachtet, daselbst einen sichern, von allen Sorgen
befreiten Aufenthalt finden könne, dafür hatte er glücklicherweise
schon in Stuttgart Anstalten getroffen. Frau von Wolzogen, die ihn
sehr hoch achtete, und deren Söhne mit ihm zugleich in der Akademie
erzogen worden, hatte ihm, als er ihr nach seinem Arrest den Vorsatz,
von Stuttgart entfliehen zu wollen, vertraute, feierlich zugesagt, ihn
auf ihrem in der Nähe von Meiningen liegenden Gute -- Bauerbach --
solange wohnen und mit allem Nötigen versehen zu lassen, als er von
dem Herzog eine Verfolgung zu befürchten habe. Dieses in einer guten
Stunde erhaltene Versprechen wollte jetzt Schiller benützen und schrieb
sogleich an diese Dame nach Stuttgart, wo sie sich aufhielt, um die
nötigen Vollmachten, damit er in Bauerbach aufgenommen werde.

Gegen Ende Novembers erfolgte endlich die Entscheidung des Baron
Dalberg über Fiesco, welche ganz kurz besagte: »Daß dieses Trauerspiel
auch in der vorliegenden Umarbeitung nicht brauchbar sei, folglich
dasselbe auch nicht angenommen oder etwas dafür vergütet werden könne.«

So zerschmetternd für Schiller ein Ausspruch sein mußte, der die
Hoffnung, das quälende, seine schönsten Augenblicke verpestende
Gespenst einer kaum des Namens werten Schuld von sich zu entfernen,
auf lange Zeit zerriß -- so sehr er es auch bereute, daß er sich
durch täuschende Versprechungen, durch schmeichelnde, leere, glatte,
hohle Worte hatte aufreizen lassen, von Stuttgart zu entfliehen -- so
ungewöhnlich es ihm scheinen mochte, daß man ihn zur Umarbeitung seines
Stückes verleitet, die ihm nahe an zwei Monate Zeit gekostet, all sein
Geld aufzehrte und ihn noch in neue Schulden versetzte, ohne ihn auf
eine entsprechende Art dafür zu entschädigen oder auch nur anzugeben,
worin denn die Unbrauchbarkeit dieses Trauerspiels bestehe -- so sehr
dieses alles sein großmütiges Herz zernagte, so war er dennoch viel zu
edel, viel zu stolz, als daß er sein Gefühl für eine solche Behandlung
hätte erraten lassen. Er begnügte sich gegen Herrn Meier, der ihm diese
abweisende Entscheidung einhändigen mußte, zu äußern: er habe es sehr
zu bedauern, daß er nicht schon von Frankfurt aus nach Sachsen gereist
sei.

Um jedoch den Leser zu versichern, daß die Mitglieder des
Theaterausschusses, denen Fiesco zur Prüfung vorgelegt worden, die
Meinung ihres Chefs nicht völlig teilten, werde schon jetzt das Votum
eines derselben, das Schiller ein Jahr später in dem Protokoll des
Theaters fand, angeführt.

    »Obwohl dieses Stück für das Theater noch einiges zu wünschen
    lasse, auch der Schluß desselben nicht die gehörige Wirkung zu
    versprechen scheine, so sei dennoch die Schönheit und Wahrheit der
    Dichtung von so ausgezeichneter Größe, daß die Intendanz hiemit
    ersucht werde, dem Verfasser als Beweis der Anerkennung seiner
    außerordentlichen Verdienste eine Gratifikation von acht Louisdor
    verabfolgen zu lassen.«

    Unterzeichnet war: Iffland.

Allein Se. Exzellenz Freiherr von Dalberg konnten diesem Gutachten,
das noch heute Iffland die größte Ehre bringt, ihren Beifall nicht
schenken, sondern entließen den Dichter eben so leer in Börse und
Hoffnung aus Mannheim, wie er vor zwei Monaten daselbst angekommen war.

Das nächste, das einzige und letzte, was nun zu tun war, unternahm
Schiller sogleich, indem er zu Herrn Schwan ging und ihm Fiesco für
den Druck anbot. Herr Schwan, der als Gelehrter und Buchhändler den
Ruf eines vortrefflichen Mannes mit vollem Rechte genoß, übernahm
dieses Stück mit großer Bereitwilligkeit und bedauerte nur, als er
es durchlesen, daß er die vortreffliche Dichtung nicht höher als den
gedruckten Bogen mit einem Louisdor honorieren könne, da ihm durch die
überall lauernden Nachdrucker kein anderer Gewinn übrig bleibe, als den
er von dem ersten Verkauf ziehe.

Was Schillern aber unter allen diesen Widerwärtigkeiten am
schmerzlichsten fiel, war der Gedanke, daß er seinen Freund S. in
sein böses Schicksal mit verflochten, indem dieser all das Geld, das
er zu der vorgehabten Reise nach Hamburg hätte verwenden sollen, in
der Hoffnung, daß der Dichter in Mannheim reichliche Unterstützung
finden müsse, aufgeopfert hatte, und nun an keinen Ersatz zu denken
war. Schon im August hätte S. nach Wien reisen sollen, wo ihn eine
Aufnahme erwartete, die ihn zwar jeder Sorge für seine Bedürfnisse
überhoben, aber in seiner Kunst nicht weiter gefördert hätte. Er zog es
also vor, seine jungen Jahre nicht müßig zu vergeuden, sondern lieber
nach Hamburg zu gehen, um, wenn es auch mit den größten Entbehrungen
geschehen müßte, sich in der Musik so viel als möglich auszubilden;
worin ihm auch Schiller, dem er diese Sache schon früher vertraut
hatte, vollkommen beistimmte. Nun konnte S. weder in den einen noch
in den andern Ort gelangen, indem seine Mutter nicht wohlhabend genug
war, um ihm sogleich wieder neue Hilfe zukommen zu lassen. Nach allen
Meinungen schien es das beste zu sein, daß er vorderhand in Mannheim
bleibe, weil noch mehrere Mitglieder der kurfürstlichen Kapelle
daselbst wohnten, deren Unterricht oder Beispiel er benützen konnte,
wozu die Herren Schwan, Meier und seine Freunde alles beizutragen
versprachen. S. ergab sich in das, was vorläufig nicht zu ändern war,
viel williger, als daß er jetzt schon in die Stadt ziehen und Schillern
noch acht bis zehn Tage in Oggersheim allein lassen sollte. Allein es
mußte sein. Beide hatten sich aufgezehrt; im Gasthof war es zu teuer,
und ihre Not war schon so groß geworden, daß der Dichter seine Uhr
verkaufen mußte, um nicht zu vieles schuldig zu bleiben. Die letzten
vierzehn Tage mußte man aber dennoch auf Borg leben, wo man dann auf
der schwarzen Wirtstafel recht säuberlich mit Kreide geschrieben sehen
konnte, was die Herren Schmidt und Wolf täglich verbraucht hatten.

Der arme Dichter erhielt für Fiesco gerade so viel, um besagte
Kreidenstriche auslöschen zu lassen, um einige unentbehrliche Sachen
für den Winter anzuschaffen und um seine Reise bis Bauerbach ohne
Furcht vor neuem Mangel bestreiten zu können. Der Antritt dieser Reise
war auf den letzten November bestimmt. Da Schiller mit dem Postwagen
über Frankfurt, Gelnhausen usw. nach Meiningen gehen, sich aber auf
der Post in Mannheim nicht zeigen wollte, so kam Herr Meier mit ihm
überein, ihn mit S. und einigen Freunden in Oggersheim abzuholen und
von da nach Worms zu bringen, wo er dann den nächsten Tag mit dem
Postwagen abfahren könne.

An dem bestimmten Tage fuhren die Freunde nach Oggersheim, wo sie
Schiller gerade beschäftigt fanden, seine wenige Wäsche, seine
Kleidungsstücke, einige Bücher und Schriften in einen großen
Mantelsack zu packen. Bei einer Flasche Wein, die er reichen ließ,
wurde alles besprochen, was ihn über die Zukunft beruhigen oder
seine Munterkeit befördern könnte. Allein bei ihm war dies gar nicht
so nötig, als wohl bei den meisten Menschen, denen ihre Hoffnungen
fehlschlagen, der Fall ist. Nur die Erwartung, die Ungewißheit einer
Sache hatte für sein Gemüt etwas Unangenehmes, Beunruhigendes. Sowie
aber einmal die Entscheidung eingetreten war, zeigte er all den Mut,
den ein wackerer Mann braucht, um Herr über sich zu bleiben. Er übte
-- was wenige Dichter tun -- seine ausgesprochenen Grundsätze redlich
aus und befolgte den Vorsatz des Karl Moor »die Qual erlahme an meinem
Stolze« bei Umständen, in welchen jeden andern die Kraft verlassen
hätte.

Von Oggersheim brach die Gesellschaft bei einer starken Kälte und
tiefliegendem Schnee nach Worms auf, wo sie gerade noch zur rechten
Zeit ankam, um in dem Posthause, wo sie abgestiegen waren, von
einer wandernden Truppe Ariadne auf Naxos spielen zu sehen. Daß die
Aufführung ebenso ärmlich als lächerlich sein mußte, ergibt sich schon
daraus, daß an dem Schiffe, welches den Theseus abzuholen erschien,
zwei Kanonen gemalt waren, und daß der Donner, durch welchen Ariadne
vom Felsen geschleudert wird, mittels eines Sackes voll Kartoffeln, die
man in einen großen Zuber ausschüttete, hervorgebracht wurde. Meier
und seine Freunde fanden hier eine reiche Ernte für ihre Lust alles
zu belachen und zu verspotten. Schiller aber sah mit ernstem, tiefem
Blick und so ganz in sich verloren auf das Theater, als ob er nie etwas
Ähnliches gesehen hätte oder es zum letztenmal sehen sollte. Auch nach
beendigtem Melodram konnten die Bemerkungen der andern ihm kaum ein
Lächeln entlocken; denn man sah es ihm an, daß er nicht gerne aus der
Stimmung trete, die sich seiner bemächtigt hatte.

Das Nachtessen, bei dem auch Liebfrauenmilch nicht fehlte, machte ihn
jedoch etwas heiterer, so daß man endlich ganz wohlgemut aufbrechen
konnte, um nach Mannheim zurückzukehren und dem allen wert gewordenen
Dichter das Lebewohl zu sagen. Meier und die andern schieden sehr
unbefangen und redselig.

Allein was konnten Schiller und sein Freund sich sagen? -- Kein Wort
kam über ihre Lippen -- keine Umarmung wurde gewechselt; aber ein
starker, lang dauernder Händedruck war bedeutender als alles, was sie
hätten aussprechen können!

Die zahlreich verflossenen Jahre konnten jedoch bei dem Freunde die
wehmütige Erinnerung an diesen Abschied nicht auslöschen; und noch
heute erfüllt es ihn mit Trauer, wenn er an den Augenblick zurückdenkt,
in welchem er ein wahrhaft königliches Herz, Deutschland edelsten
Dichter, allein und im Unglück hatte zurücklassen müssen!

Die außerordentlich strenge Kälte, welche in den ersten Tagen des
Dezembers herrschte, ließ um so weniger für den Dichter eine angenehme
Reise erwarten, da er ohne schützende Kleidung, nur mit einem leichten
Überrocke versehen, einige Tage und Nächte auf dem Postwagen zubringen
mußte, dessen (damaliger) Schneckengang selbst in einer bessern
Jahreszeit die Stunden zu Tagen ausdehnte.

Seine Freunde beklagten ihn sehr, und ihre zu spät erwachte
Gutmütigkeit erinnerte sich jetzt an manches Entbehrliche, womit ihm
die rauhe Witterung weniger empfindlich hätte gemacht werden können;
und je mehr die Mittel hierzu sich fanden, um so ernstlicher wurde
bedauert, daß man nicht früher daran gedacht oder deshalb gemahnt
worden.

Ebenso natürlich war es auch, daß dieselben Menschen, welchen die
Versprechungen, die Schillern gemacht worden, bekannt waren, und
die ihm die Hoffnung, daß sie erfüllt würden, ganz unbezweifelt
darstellten, jetzt auch ihren scharfen Tadel über seine Flucht äußerten
und solche für ebenso leichtsinnig als unbegreiflich erklärten.

Daß er, um dem bisher erlittenen, unerträglichen Zwange zu entgehen,
das Äußerste gewagt -- daß er durchaus nicht Arzt, sondern Dichter
sein wollte -- daß er, um sich dem so reizend scheinenden Stande mit
ganzer Kraft widmen zu können, eine sehr kümmerliche Besoldung aufgeben
konnte, schien ebenso unüberlegt, als es wenige Kenntnis der Welt und
ihrer Verhältnisse anzeigte.

Man berechnete sorgfältig den Reichtum berühmter Ärzte und verglich
damit die Einkünfte deutscher Dichter, die, wenn sie auch den größten
Ruhm sich erworben, dennoch in einer Lage waren, welche man wahrhaft
ärmlich nennen konnte.

Auch fürchtete man, daß die Erwartungen, die Schiller durch sein erstes
Schauspiel erregt, viel zu groß wären, als daß er dieselben durch
nachfolgende Werke befriedigen oder seine Kräfte in gleicher Höhe
erhalten könnte.

Der einzige, aber auch sehr warme Verteidiger unseres Dichters war
Iffland, der, den Beruf zum Schauspieler in sich fühlend, in noch
jungen Jahren bloß mit etlichen Talern in der Tasche und nur mit den am
Leibe tragenden Kleidungsstücken versehen, seinem wohlhabenden Vater
entfloh, um sich zu Ekhof zu begeben und in dessen Schule zu bilden.
Iffland allein wußte die Lage Schillers gehörig zu würdigen, indem er
aus eigner Erfahrung beurteilen konnte, wie unerträglich es ist, ein
hervorstechendes, angebornes Talent unterdrücken, die herrlichsten
Gaben vermodern lassen zu müssen und nur das gemeine Alltägliche tun zu
sollen, oder gar durch Zwang zu dessen Ausübung angehalten zu werden.
Nicht nur gab er dem mutigen Entschlusse Schillers seinen völligen
Beifall, sondern machte auch mit dem ihm reichlich zu Gebote stehenden
Witze den Kleinmut derer lächerlich, die es für ein Unglück halten,
einige Meilen zu Fuß reisen zu müssen oder zur gewohnten Stunde keinen
wohlbesetzten Tisch zu finden. Seine treffenden Bemerkungen ließen die
Verhältnisse des Dichters in einem mehr heiteren Lichte erscheinen.
Vorläufig konnte man sich insofern beruhigen, als er doch auf einige
Zeit wenigstens gegen Mangel oder Verfolgungen gesichert war.

Nur wurde nicht mit Unrecht bezweifelt, ob seine dramatischen Arbeiten
in gänzlicher Abgeschiedenheit gefördert werden könnten, oder ob sein
Geist, von allem erheiternden Umgang abgeschnitten und bei Entbehrung
der nötigen Bücher, nicht in kurzer Zeit abgestumpft würde. Sein tiefes
Gefühl, seine frische, jugendliche Kraft ließen letzteres zwar nicht so
bald befürchten; indessen vereinigten sich doch alle Wünsche dahin, daß
ein glücklicher Zufall eintreten und für ihn die günstigsten Umstände
herbeiführen möchte.

Seine Freunde waren auf die Nachrichten von seiner Ankunft sehr
gespannt und wurden durch nachstehenden Brief an S. vollkommen beruhigt.

            Bauerbach, den 8. Dezember 1782.

        Liebster Freund!

    Endlich bin ich hier, glücklich und vergnügt, daß ich einmal am
    Ufer bin. Ich traf alles noch über meine Wünsche; keine Bedürfnisse
    ängstigen mich mehr, kein Querstrich von außen soll meine
    dichterischen Träume, meine idealischen Täuschungen stören.

    Das Haus meiner Wolzogen ist ein recht hübsches und artiges
    Gebäude, wo ich die Stadt gar nicht vermisse. Ich habe alle
    Bequemlichkeit, Kost, Bedienung, Wäsche, Feuerung, und alle diese
    Sachen werden von den Leuten des Dorfes auf das vollkommenste und
    willigste besorgt. Ich kam abends hieher -- Sie müssen wissen, daß
    es von Frankfurt aus 45 Stunden hieher war -- zeigte meine Briefe
    auf und wurde feierlich in die Wohnung der Herrschaft abgeholt,
    wo man alles aufgeputzt, eingeheizt und schon Betten hergeschafft
    hatte. Gegenwärtig kann und will ich keine Bekanntschaften machen,
    weil ich entsetzlich viel zu arbeiten habe. Die Ostermesse mag sich
    Angst darauf sein lassen.

    Schreiben Sie mir doch, wo Sie gesonnen sind zu bleiben. Halten Sie
    sich, wenn Sie zu Mannheim bleiben, nur immer fleißig an Schwan,
    Meier und meine Freunde. Besser Sie bleiben aber nicht dort und
    verfolgen Ihren ersten Anschlag, der mir immer der vernünftigste
    schien.

    Was Sie tun, lieber Freund, behalten Sie diese praktische Wahrheit
    vor Augen, die Ihren unerfahrnen Freund nur zu viel gekostet hat:
    Wenn man die Menschen braucht, so muß man ein H...t werden oder
    sich ihnen unentbehrlich machen. Eines von beiden oder man sinkt
    unter.

    Wenn Sie Ursache hätten nicht nach Wien zu gehen, so könnte ich
    Ihnen allenfalls einen anderen Ausweg anraten, der mir von mehreren
    Seiten besehen, nicht gar verwerflich scheint. Sie sind jung, weit
    genug in Ihrer Kunst, um brauchbar zu sein, halten Sie sich an
    einen Meister in einer großen Stadt, von dem Sie wissen, daß er
    viele Geschäfte hat, lassen Sie sich auch zu dem Handwerksmäßigen
    Ihrer Kunst herab, machen Sie sich ihm nützlich, so finden Sie
    erstlich Gelegenheit den Mann zu studieren, finden Brot, und
    wenn Sie weggehen Empfehlung. Der große Titian war Raffaels
    Farbenreiber. Weit gefehlt, daß ihm das schimpflich wäre, macht es
    seinem Namen nur desto größere Ehre.

    Empfehlen Sie mich bei Schwan, Meier, Cranz, Gern, Derain, dem
    Steinschen Hause, auch auf dem Viehhof. Schreiben Sie mir, was sich
    von dem Offizier, der mich aufsuchte, bestätigt hat.

    Noch etwas: bei dem neulichen schnellen Aufbruche von Oggersheim
    haben wir beide vergessen, die Zeche im Viehhof zu bezahlen. Ich
    will nicht haben, daß Sie in Schaden dabei kommen. Sie werden also,
    weil das Geld zu wenig beträgt, um 65 Stunden geschickt zu werden,
    eine Anweisung dafür und für andere abgelegte Kleinigkeiten an
    Schwan bekommen, der mir, weil Fiesco gewiß mehr als 10 Bogen stark
    wird, noch Geld herauszahlen wird.

    Jetzt muß ich eilen, das ist bereits der fünfte Brief, und
    wenigstens noch soviel hab' ich zu schreiben.

    Leben Sie recht wohl, lieber Freund, vergessen Sie mich nicht und
    sein Sie vollkommen versichert, daß ich tätig an Sie denken werde,
    sobald sich meine Aussichten verschönern, welches, wie ich hoffe,
    nicht lange mehr anstehen soll. Noch einmal leben Sie recht wohl.
    Wenn Sie mir schreiben, legen Sie den Brief bei Schwan oder Meier
    nieder.

    Ohne Veränderung ihr aufrichtigster

        Schiller.

Da wir jetzt unseren so lang in ängstlichen Sorgen und Ungewißheit
lebenden Dichter geborgen wissen und, nach seinen eignen Äußerungen,
mit seinen Lieblingsarbeiten und in einer Idyllenwelt lebend vermuten
dürfen, so sei es erlaubt, die Personen, denen er empfohlen zu sein
wünscht, dem Leser etwas näher bekannt zu machen und mit einer kurzen
Erklärung vorzustellen. Die Herren Schwan und Meier sind schon früher
erwähnt worden. Herr Cranz -- damals auf Kosten des Herzogs von Weimar
in Mannheim, um sich bei Fräntzel auf der Violine und bei Holzbauer
in der Komposition auszubilden -- war bei Herrn Meier Kostgänger, sah
also Schiller sehr oft daselbst, der ihn auch wegen seines biederen,
obwohl sehr trockenen Charakters wohl leiden mochte. Herr Gern, der
ältere, war ein braver, überall brauchbarer Schauspieler sowie ein
ausgezeichnet guter Baßsänger. Er betrat in Mannheim zuerst die Bühne,
war täglich im Meierschen Hause und wurde dann später auf das Theater
nach Berlin berufen.

In dem kleinen Oggersheim war Herr Derain der einzige Kaufmann,
welcher sich aber weit mehr mit Politik, Literatur, besonders aber
mit Aufklärung des Landvolkes als mit dem Vertrieb seiner Waren
beschäftigte.

Seinen Eifer für das Wohl der Landleute, die bei ihm Zucker, Kaffee,
Gewürz oder andere entbehrliche Sachen kaufen wollten, trieb er so
weit, daß er ihnen oft recht dringend vorstellte, wie schädlich diese
Dinge sowohl ihnen als ihren Kindern seien, und daß sie weit klüger
handeln würden, sich an diejenigen Mittel zu halten, welche ihnen ihr
Feld, Garten oder Viehstand liefern könne. Daß solche Ermahnungen
die Käufer eher abschreckten als herbeizogen, war ganz natürlich.
Aber Herr Derain, als lediger Mann zwischen 40 und 50 Jahren, der
ein kleines Vermögen besaß, kümmerte sich um so weniger hierüber,
je seltener er durch das Geklingel seiner Ladentür im Lesen oder in
seinen Betrachtungen gestört wurde. Das Gemüt des Mannes war aber von
der edelsten Art, und eine große Bescheidenheit machte seinen Umgang
äußerst angenehm. Er brachte auf eine sonderbare Art in Erfahrung, wer
denn eigentlich die Herren Schmidt und Wolf seien, die in seiner Nähe
wohnten, und deren Bekanntschaft er schon lange gewünscht hatte.

Es wurden nämlich bei der gänzlichen Abänderung des Fiesco die früher
geschriebenen Szenen gar nicht mehr beachtet, sondern wie jedes unnütze
Papier behandelt. Mit diesen sowie mit vielen Blättern, worauf die
Entwürfe zu Luise Millerin verzeichnet waren, wurde nun nichts weniger
als schonend verfahren, was dann die Gelegenheit gab, daß die Frau
Wirtin -- die mit einer sehr großen Neigung zum Lesen eben so viele
Neugier für alles Geschriebene verband -- diese Blätter, deren Sprache
ihr ganz neu und ungewöhnlich schien, sammelte und solche zu Herrn
Derain brachte, welchen sie öfters sprach, um ihm ihre häuslichen
Leiden zu klagen oder durch ein geliehenes Buch sich Trost und
Vergessenheit zu verschaffen. Dieser zeigte den Fund seinem Verwandten,
Herrn Kaufmann Stein in Mannheim, der eine sehr reizende und in allen
neueren Werken der Dichtkunst ganz einheimische Tochter hatte.

S. war von Stuttgart aus Herrn Stein empfohlen. Die Blätter seines
Reisegefährten wurden ihm vorgezeigt, und dasjenige, was mit der
größten Standhaftigkeit jedem Manne verleugnet worden wäre, wußte das
schmeichelnde Mädchen allmählich herauszulocken. Herr Derain, dem unter
Gelobung der tiefsten Verschwiegenheit dieses Geheimnis auch anvertraut
wurde, unterließ bei dieser Gelegenheit nicht, seine hohe Achtung für
ausgezeichnete Dichter oder Schriftsteller auf das herzlichste kund zu
geben. Mit wahrem Eifer bat er um Erlaubnis, die Bekanntschaft eines
noch so jungen und schon so berühmten Mannes machen zu dürfen, und
erhielt solche um so williger, als für Schiller und seinen Freund eine
zerstreuende Unterhaltung in den trüben, nebligen Novemberabenden eine
wahre Erquickung war. Die Freundschaft und Achtung für Herrn Derain
erhielt sich auch noch in den nächstfolgenden Jahren.

Der Offizier, dessen Erscheinung Schiller und seine Freunde in den
größten Schrecken versetzte, war nach einem Schreiben von Schillers
Vater an Herrn Schwan kein Verfolger, sondern ein akademischer Freund,
der bei einer Reise ausdrücklich den Umweg über Mannheim machte, um den
Dichter zu sprechen, welches aber, wie oben erwähnt, auf die sorgsamste
Weise verhindert wurde.

Und hier ist auch der Ort, um den Leser zu versichern, daß der Herzog
von Württemberg auf keinerlei Weise jemals die geringste Vorkehrung
treffen ließ, um seinen entflohenen Zögling wieder in seine Gewalt
zu bekommen und zu bestrafen. Er mochte sich wohl erinnern, daß er
Schiller wider dessen Willen und fast zwangsweise in die Akademie
aufgenommen -- daß der Knabe sowie der Jüngling durch treffende,
überraschende Antworten, durch untadelhafte Sitten seine wahrhaft
väterliche Zuneigung sich erworben -- daß ein schon im ersten Versuche
sich so kühn aussprechendes Talent unmöglich durch einen militärischen
Befehl unterdrückt werden könne. Oder war es Rücksicht gegen den ihm
fast unentbehrlich gewordenen Vater; war es Anteil an dem Kummer der
achtungswerten Familie? -- Wollte er das mißbilligende Gefühl, das sich
wegen der Gefangenhaltung Schubarts in ganz Deutschland allgemein
und laut äußerte, nicht noch weiter aufreizen? -- War es natürliche
Großmut? -- -- Genug, der Herzog gab dieser Sache nicht die geringste
Folge und bewies dadurch ganz offenkundig, daß er die Flucht Schillers
nur als einen Fehler, aber nicht als ein Verbrechen beurteilte.

Nicht nur diese Gewißheit ergab sich aus dem Briefe des Vaters, sondern
auch die Hoffnung, daß er dem Sohne noch mit warmer Liebe zugetan sei,
und ihm, wenn der äußerste Fall einträte, die nötige Unterstützung
nicht versagen würde. Verglich man diesen Brief mit denen, welche
Herr Schwan und S. aus Bauerbach erhalten, so konnten die Freunde des
Dichters um so mehr unbesorgt sein, als dieser mit seinem Zustand im
höchsten Grade zufrieden schien, und sich nun nach einem Jahre voller
Sorgen und Unruhe solchen Beschäftigungen widmen konnte, die, außer dem
Vergnügen, das sie ihm selbst machten, auch noch mit Ehre und Vorteil
verbunden waren.

Ohne Zweifel teilt jeder Leser diese Meinungen, und glaubt vielleicht,
das Schicksal, nachdem es seine alles beugende Gewalt habe empfinden
lassen, werde dem Ermüdeten nach so manchen Stürmen endlich Ruhe
vergönnen?

Der Verfasser bedauert innigst, daß er diese Hoffnungen nicht
bestätigen kann, sondern genötigt ist, neue Schwierigkeiten zu melden,
die sich in dem so friedlich scheinenden Zufluchtsorte ganz unerwartet
erhoben; denn kaum vier Wochen nach dem ersten erhielt er nachstehenden
zweiten Brief.

            H., den 14. Jän. 1783.

    So bin ich doch der Narr des Schicksals! Alle meine Entwürfe sollen
    scheitern! Irgend ein kindsköpfischer Teufel wirft mich wie seinen
    Ball in dieser sublunarischen Welt herum.

    Hören Sie nur!

    Ich bin, wenn Sie den Brief haben, nicht mehr in Bauerbach.
    Erschrecken Sie aber nicht. Ich bin vielleicht besser aufgehoben.

    Frau von Wolzogen ist wieder hier und hat ihren Bruder, den
    Oberhofmeister von Marschalk, der bei Bamberg eine Erbschaft von
    beinahe 200000 Gulden getan, begleitet. Sie können sich vorstellen,
    mit welcher Ungeduld ich ihr entgegenflog -- -- -- -- Aber nun!

    Lieber Freund, trauen Sie niemand mehr. Die Freundschaft der
    Menschen ist das Ding, das sich des Suchens nicht verlohnt. Wehe
    dem, den seine Umstände nötigen, auf fremde Hilfe zu bauen.
    Gottlob! das letztere war diesmal nicht.

    Die gnädige Frau versicherte mich zwar, wie sehr sie gewünscht
    hätte ein Werkzeug in dem Plane meines künftigen Glückes zu
    sein -- aber -- ich werde selbst so viel Einsicht haben, daß
    ihre Pflichten gegen ihre Kinder vorgingen, und diese müßten es
    unstreitig entgelten, wenn der Herzog von W. Wind bekäme; das
    war mir genug. So schrecklich es mir auch ist, mich wiederum in
    einem Menschen geirrt zu haben, so angenehm ist mir wieder dieser
    Zuwachs an Kenntnis des menschlichen Herzens. Ein Freund -- und ein
    glückliches Ungefähr rissen mich erwünscht aus dem Handel.

    Durch die Bemühung des Bibliothekars Reinwald, meines sehr
    erprobten Freundes, bin ich einem jungen Hrn. von Wrmb bekannt
    geworden, der meine Räuber auswendig kann und vielleicht eine
    Fortsetzung liefern wird. Er war beim ersten Anblick mein
    Busenfreund. Seine Seele schmolz in die meinige. Endlich hat er
    eine Schwester! -- Hören Sie, Freund, wenn ich nicht dieses Jahr
    als ein Dichter vom ersten Range figuriere, so erscheine ich
    wenigstens als Narr, und nunmehr ist das für mich eins. Ich soll
    mit meinem Wrmb diesen Winter auf sein Gut, ein Dorf im Thüringer
    Walde, dort ganz mir selbst und -- der Freundschaft leben, und was
    das beste ist, schießen lernen, denn mein Freund hat dort hohe
    Jagd. Ich hoffe, daß das eine glückliche Revolution in meinem Kopf
    und Herzen machen soll.

    Schreiben Sie mir nicht, bis Sie neue Adressen haben. Den Verdruß
    mit der Wolzogen unterdrücken Sie. Ich sei nicht mehr in Bauerbach,
    das ist alles, was Sie sagen können. -- -- -- -- -- --

    Tausend Empfehlungen an meinen lieben, guten Meier. Nächstens
    schreib ich ihm wieder. Auch an Cranz, Gern u. s. f. viele
    Komplimente. Mein neues Trauerspiel, Luise Millerin genannt, ist
    fertig. Beiliegendes übergeben Sie an Schwan, dem Sie mich vielmals
    empfehlen.

    Ohne Veränderung

    Ihr

        Schiller.

So schien nun auch dieser Plan gescheitert, auf den nicht nur der
Dichter selbst seine größte, letzte Hoffnung gesetzt hatte, sondern
welcher auch als der sicherste von allen Freunden zur Befolgung
angeraten war. Aufs neue war sein Schiff den veränderlichen Winden
preisgegeben, indem die Freundschaft mit Hrn. von Wrmb viel zu
schwärmerisch, mit viel zu großen Erwartungen geschlossen schien, als
daß man auf einige Dauer hätte zählen können.

Größeres Vertrauen flößte die Bekanntschaft mit Hrn. Reinwald ein,
der Hrn. Schwan als rechtlicher Mann, als Dichter und Schriftsteller
bekannt war und sich gewiß um so inniger an Schiller anschloß, je
genügsamer dieser in seinen Forderungen und anmutiger im Umgange sich
gegen jeden zeigte.

Was die Äußerungen der Frau von Wolzogen betrifft, so waren
diese ebenso verzeihlich als begreiflich; denn ihre Söhne, deren
Bekanntschaft Schiller den Schutz zu danken hatte, der ihm jetzt
gewährt wurde, waren noch in der Akademie, und erfuhr der Herzog,
von wem sein flüchtiger Zögling verborgen gehalten werde, so konnte
er leicht -- vorausgesetzt, daß er sich zu einer Rache herablassen
möge -- seine Ungnade den Söhnen der Frau von Wolzogen auf eine Art
empfinden lassen, die ihr Glück nicht nur für jetzt, sondern auch in
der Zukunft bedeutend gestört haben würde.

Der Verfolg zeigte jedoch, daß die Besorgnisse der Beschützerin
entweder nicht sehr ernsthafter Art gewesen oder daß Schiller seine
Empfindlichkeit darüber zu besiegen wußte; denn er blieb nicht nur
den ganzen Tag[4] in Bauerbach, sondern brachte auch die Hälfte des
folgenden Sommers daselbst zu. Durch ähnliche Nachrichten wie die,
welche er seinem Freunde nach Mannheim schrieb, versetzte er auch
seine älteste Schwester in die größte Unruhe, und ein Brief, den sie
deshalb an den Bruder schrieb, gab zufällig die Veranlassung zu ihrer
Bekanntschaft mit Herrn Reinwald, die sich einige Jahre später in
eine lebenslängliche Verbindung umwandelte. Aus dem Briefe des Herrn
Reinwald an die Schwester von Schiller möge das Wichtigste, was sich
hierauf bezieht (mit der damals gebräuchlichen Rechtschreibung) einen
Platz finden.

            Meiningen. 27ten Mai 1783.

        Mademoiselle

    Ein besonderer Zufall macht mich so frei, an die Schwester meines
    Freundes diese Zeilen zu schreiben. Unter etlichen Papieren, die
    Hr. ~D.~ S** nach einem Besuch bei mir liegen lassen, fand ich
    einen Brief von Ihnen. Es war wohl nicht Sorglosigkeit allein daran
    Schuld, sondern auch Vertrauen, denn ich glaube gänzlich, daß er
    mich liebt.

    Ich fand in diesem Briefe, den ich gelesen und nochmals gelesen und
    abgeschrieben habe, so viel reifes Denken und so viel herzliche,
    besorgte Wohlmeinung gegen Ihren Herrn Bruder, daß ich mich gefreut
    habe, und scheue mich nicht, jeden Gedanken, der mir zu seiner
    Ausbildung oder Glückseligkeit einfällt, mit Ihnen zu theilen.

    Vielleicht kann ich Ihnen oder Ihren lieben Eltern auch manche
    Unruhe benehmen, die Ihnen über die Situation Ihres Herrn Bruders
    aufsteigt, und ich werde gerade seyn und nicht schmeicheln
    etc. -- -- -- -- -- -- -- -- --

    Mir ist es selbst Räthsel, warum sie (Fr. v. W.) so sehr Verachtung
    fürchtet, und daß sie auf die Veränderung von unseres Freundes
    Aufenthalt dringen soll; viele Umstände scheinen dem letzteren
    zu widersprechen, es müßte denn seyn, daß sie aus Beweggründen
    der Sparsamkeit handelte etc. etc. Alle Gefahren des Bekanntseyns
    wären gleich Anfangs vermieden gewesen, wenn man entweder niemanden
    auswärts geschrieben hätte, daß Ihr Herr Bruder da wäre, wo er
    ist, sondern nur Meiningen angegeben, oder wenn er wirklich in dem
    traurigsten Theile des Jahres hieher gezogen wäre. Hier residirt
    ein Herzog, den der Ihrige nicht im Geringsten deshalb züchtigen
    kann, wenn er jemand da wohnen läßt, dem der würtembergische Hof
    ungünstig ist. Welche Verantwortung kann da der Fr. v. W. auf den
    Hals fallen.

    Ihr Herr Bruder muß menschliche Charaktere viel kennen, weil er sie
    auf der Bühne schildern soll, item, er muß sich durch Gespräche
    über Natur und Kunst durch freundschaftliche, innige Unterhaltung
    aufheitern, wenn durch Denken und Niederschreiben das Mark seines
    Geistes vertrocknet ist. Die Gegend, wo er sich jetzt aufhält, und
    die nur im Sommer ein wenig von der Seite lächelt, gleicht mehr der
    Gegend, wo Ixions Rad sich immer auf einem Orte herumdreht, als
    einer Dichter-Insel, und einen zweiten Winter da zugebracht, wird
    Hrn. ~D.~ S. völlig hypochondrisch machen.

    Ich wünschte daher sehnlich, daß er künftigen Herbst in einer
    großen Stadt, wo ein gutes deutsches Theater ist, z. Ex. in Berlin
    verweilte, doch unter dem Schutze gelehrter und rechtschaffener
    Männer, die ihn von der Ausgelassenheit bewahrten, die an diesem
    Orte herrscht.

    Wien (wo ich ehedem selbst eine Zeit lang war) hat zwar weniger
    verderbte Sitten und mehr Teutschheit, aber der Fehler ist da, daß
    man mit dem Gelde gut umzugehen verlernt, denn man nimmt meist viel
    ein, und gibt noch mehr aus.

    Noch scheint es aber nicht, daß Ihr Herr Bruder zum Weggehen
    inclinirt, er scheint ganz an seine Wohlthäterin gefesselt, die ihn
    von der Seite seines guten und dankbaren Herzens eingenommen hat.

    Ich hatte die Idee ihn nach Pfingsten mit nach Gotha und Weimar
    zu nehmen, wo ich Freunde und Verwandte habe, zu denen ich eine
    Gesundheitsreise thun werde, ich wollte ihn den dasigen zum Theil
    wichtigen Gelehrten präsentiren, ich wollte ihn wieder an die offne
    Welt und an die Gesellschaft der Menschen gewöhnen, die er beinah
    scheut, und sich allerhand Unangenehmes von ihnen vorstellt. Aber
    so geneigt er im Anfang zu meinem Vorschlag war, so sehr scheint
    jetzt sein Geschmack davon entfernt. Ich werde also das Vergnügen
    dieser Reise nicht mit ihm theilen können.

    Wenn ich gleich unendlich dabei verliere, wenn Ihr Herr Bruder
    einst diese Gegend verlassen sollte, und keiner meiner bisherigen
    Freunde mir diesen Verlust ersetzen würde, so wollte ich doch
    lieber all mein Vergnügen der Ausbildung und Glückseligkeit eines
    so guten und künftig großen Mannes aufopfern etc. etc.

    Leben Sie mit Ihren lieben Eltern wohl.

    Ihr gehorsamster Diener und Verehrer

        W. H. Reinwald.

Dieser Brief macht es wahrscheinlich, daß Schiller nicht, wie er im
Januar willens war, mit Hrn. von Wrmb nach Thüringen reiste, sondern
fortwährend in Bauerbach blieb. War dies der Rat seines Freundes
Reinwald? Oder bedachte er es selbst, daß sein Aufenthalt bei Hrn. von
Wrmb von so zarter Beschaffenheit sein würde, daß ein Wörtchen, ja nur
eine Gebärde ihn wieder entfernen und in die größte Verlegenheit setzen
müßte?

Gewißheit kann der Verfasser hierüber nicht geben, indem er sich nicht
erinnert, in der Folge mit Schillern darüber gesprochen zu haben, und
er auch einige Briefe von diesem aus (jetzt freilich sehr bedauerter)
Nachlässigkeit verloren. Übrigens müßte es auffallend scheinen, daß der
gerechte, edle Stolz und Ehrgeiz des Dichters auch nur einen Augenblick
es ertragen konnte, Frau v. W. einer Verlegenheit auszusetzen, wenn wir
nach obigem Brief nicht annehmen dürften, daß es ihr mit dem Dringen
auf seine Entfernung nicht sehr ernst gewesen wäre. Außer diesem mochte
auch Schillern der Umstand nachgiebiger machen, daß er hier frei von
allen Sorgen für die kleinlichen Bedürfnisse des Lebens, ohne die
mindeste Störung gänzlich seiner Laune, seinen Träumen, Idealen und
dichterischen Entwürfen leben konnte; wo ihm kein Befehl vorschrieb,
wie er gekleidet sein müsse, oder die Minute bezeichnete, zu welcher
er im Spital oder auf der Wachtparade erscheinen solle, und wo er nur
seinen großartigen Gefühlen und der Freundschaft leben durfte.

Man muß den edlen Jüngling genau gekannt und in den Jahren 1781 und
82 mit ihm in (dem damals so zwangsvollen) Stuttgart gelebt haben,
um gewiß zu sein, daß ein nur einigermaßen leidliches Gefängnis, in
welchem sein Tun und Lassen nicht vorgeschrieben worden wäre, ihm
gegen seinen damaligen Zustand gehalten, als eine wirkliche Wohltat
erschienen sein würde. Weiter unten werden wir aus einem Briefe von ihm
selbst erfahren, daß nur die zuletzt angeführten Gründe die einzigen
sein konnten, welche ihm den Aufenthalt in Bauerbach so wert und
unvergeßlich machten.

Die Lobsprüche, welche ihm Herr Reinwald in seinem Brief erteilt,
beweisen, wie einnehmend seine Persönlichkeit gewesen und wie duldsam
er jede Eigenheit an andern zu ertragen wußte, indem Hypochondrie und
immerwährende Kränklichkeit Herrn Reinwald sehr reizbar und empfindlich
machten und er auch von der höchsten Bedächtlichkeit war. Aber der Kern
dieses Mannes, seine Kenntnisse sowie sein Herz waren vortrefflich, und
wir werden sehen, wie hoch Schiller diesen Freund achtete.

Hätte Herr Reinwald den jungen Dichter dazu vermocht, mit ihm nach
Weimar und Gotha zu reisen, so würde er in ersterem Orte Goethe und
Wieland kennen gelernt haben, die ihm, aller Wahrscheinlichkeit
nach, einen Lebensplan vorgezeichnet, ihn mit Rat und Empfehlungen
unterstützt und in die nützlichsten Verbindungen gebracht hätten. Auch
wären ihm dadurch zwei Jahre erspart worden, die er meistens in Verdruß
zubrachte, und die von den nachteiligsten Folgen für seine Gesundheit
waren.

Was Schiller aber von dieser Reise abhielt, war die Sirenenstimme, die
sich von dem Theater zu Mannheim wieder vernehmen ließ und die seine
Nerven so sehr in Schwingung versetzte, daß er ihren Lockungen nicht
widerstehen konnte und alles andere von sich abwehrte. Denn schon im
März 1783, also kaum drei Monate später, nachdem der Dichter sieben
Wochen vergeblich in Oggersheim aufgehalten und auf eine äußerst harte
Weise entlassen worden war, schrieb ihm Baron Dalberg wieder, um sich
nach seinen theatralischen Arbeiten zu erkundigen, und zwar in solchen
Ausdrücken, daß Schiller an Herrn Meier in Mannheim schrieb: »es müsse
ein dramatische Unglück in Mannheim vorgegangen sein, weil er von Baron
Dalberg einen Brief erhalten, dessen annähernde Ausdrücke ihn auf diese
Vermutung brächten.«

Dieser Schluß war jedoch nur insofern richtig, als Baron Dalberg, der
sich sehr gern mit Umänderungen von Theaterstücken beschäftigte, und
damals gerade Lanassa und Julius Cäsar von Shakespeare unter der Schere
hatte, wohl fühlen mochte, daß Schiller zu solchen Arbeiten nicht ganz
ungeeignet sein dürfte. Auch geschah es oft, daß die Mitglieder des
Theaterausschusses von Fiesco sowie von dem bürgerlichen Trauerspiele
Luise Millerin sprachen, dessen ganzer Plan S. bekannt war und den
dieser, da ihn kein Versprechen zur Geheimhaltung verpflichtete, so
umständlich als lebhaft auseinandersetzte.

Am wahrscheinlichsten bleibt jedoch, daß sich Baron Dalberg der
frühern Versprechungen und gegebenen Hoffnungen erinnerte, die er
Schillern gemacht, und welche diesen zu seinem verzweifelten Schritte
verleitet. Jetzt, nachdem der Herzog von Württemberg nicht die mindeste
Vorkehrung zur Habhaftwerdung des Flüchtlings getroffen, konnte mit
voller Sicherheit und ohne sich im mindesten bloß zu stellen, demselben
Genugtuung gegeben, die öfters mahnenden Wünsche der Schauspieler
erfüllt, sowie durch Anstellung eines solchen Dichters der Bühne ein
Glanz erteilt werden, der sie über alle andern von Deutschland erhob,
und von welcher der größte Teil ihres Ruhmes auf deren Intendanten
zurückstrahlen mußte.

Möge nun dieser oder jener Beweggrund den Brief des Baron Dalberg an
Schillern veranlaßt haben, so ist es, zur Rechtfertigung des letztern,
von der größten Wichtigkeit zu zeigen, daß er auch jetzt wieder, wie
im Jahre 1781 angelockt, ja gewissermaßen zur Veränderung seines
Aufenthaltes aufgefordert worden, ohne daß er es gesucht oder sich
deshalb beworben hätte. Der anteilnehmende Leser möge diesen Umstand
um so weniger übersehen, weil es zur unparteiischen Beurteilung des
Schicksals und Benehmens des Dichters unumgänglich notwendig ist zu
wissen, durch wen und durch was er zu nachteiligen Schritten verleitet
worden. Nachfolgendes ist die Antwort (S. Schillers Briefe an Freiherrn
von Dalberg S. 80), welche auf die Anfrage erteilt wurde.

            S.-Meiningen, den 3. April 1783.

    Euer Exzellenz verzeihen, daß Sie meine Antwort auf Ihre gnädige
    Zuschrift erst so spät erhalten -- -- -- --

    -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --

    Daß Euer Exzellenz mich auch in der Entfernung noch in gnädigem
    Andenken tragen, kann mir nicht anders als schmeichelhaft sein. Sie
    wünschen zu hören, wie ich lebe?

    Wenn Verbannung der Sorgen, Befriedigung der Lieblingsneigung,
    und einige Freunde von Geschmack einen Menschen glücklich machen
    können, so kann ich mich rühmen, es zu sein.

    E. E. scheinen, ungeachtet meines kürzlich mißlungenen Versuchs,
    noch einiges Zutrauen zu meiner dramatischen Feder zu haben. Ich
    wünschte nichts, als solches zu verdienen; weil ich mich aber der
    Gefahr, Ihre Erwartung zu hintergehen, nicht neuerdings aussetzen
    möchte, so nehme ich mir die Freiheit, Ihnen einiges von dem Stück
    vorauszusagen.

    -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --

    Wenn diese Fehler, die ich E. E. mit Absicht vorhersage, für
    die Bühne nichts Anstößiges haben, so glaube ich, daß Sie mit
    dem übrigen zufrieden sein werden. Fallen sie aber bei der
    Vorstellung zu sehr auf, so wird alles übrige, wenn es auch noch
    so vortrefflich wäre, für Ihren Endzweck unbrauchbar sein und ich
    werde es besser zurückbehalten. -- --

        ~Dr.~ Schiller.

Wer diesen Brief gegen die früheren vergleicht, dem muß die kalte
geschraubte Sprache desselben auffallen, indem darin durchaus nichts
ist, woraus zu schließen wäre, Schiller bewerbe sich wieder um den
Schutz des Baron Dalberg. Eher noch sind Vorwürfe gegen diesen nicht
undeutlich ausgesprochen, denn die Schilderung der Unabhängigkeit und
des Glücks, welches der Dichter jetzt genieße, scheint absichtlich als
Gegensatz angeführt zu sein.

Ungeachtet alles dessen wurde der Briefwechsel fortgesetzt, und
Schiller konnte der süßtönenden Stimme um so weniger widerstehen, als
nach seinen Begriffen die Schaubühne sowie die Arbeiten für dieselbe
einen Einfluß und eine Wichtigkeit hatten, die durch keine andere
Kunst oder Wissenschaft bewirkt werden könne. Und bei der ersten Bühne
Deutschlands sollte er nun Dichter, Lenker eines reinen, veredelten
Geschmackes werden! Jetzt wäre der Zeitpunkt eingetreten, wo er seine
Ideale, die Geschöpfe seiner Einbildungskraft lebend, handelnd der
gespannten Aufmerksamkeit einer Menge von Zuschauern vorführen könnte!
Und diese so lang ersehnte Gelegenheit sollte er zurückweisen?

Zu viel wäre dieses gefordert! Er mußte dem Anerbieten entsprechen und
traf auch in den ersten Tagen des Septembers 1783,[5] nur von Herrn
Meier und dessen Frau erwartet, in Mannheim ein.

Seinem zurückgelassenen Freunde S. wurde absichtlich von der ganzen
Unterhandlung nichts gesagt, weil er sich (da sein eignes Glück durch
den unnützen Aufenthalt in Oggersheim gestört worden) schon zu oft
gegen das Versprechen und Verlocken geäußert und das Verfahren gegen
den unglücklich gemachten Dichter bei seinem wahren Namen benannt hatte.

Auch wurde ihm durch dieses Verheimlichen eine Überraschung bereitet,
die vollkommen gelang. Denn als er zur gewöhnlichen Stunde bei Herrn
Meier eintrat, konnte er kaum seinen Augen glauben, daß es der in
weiter Entfernung vermeinte Schiller sei, welcher mit der heitersten
Miene und dem blühendsten Aussehen ihm entgegentrat.

Nach den herzlichsten Umarmungen und nachdem die eiligsten Fragen
beantwortet waren, kündigte Schiller seinem Freund an, daß er von
Baron Dalberg als Theaterdichter nach Mannheim berufen worden und
als solcher mit einer Besoldung von 300, sage: dreihundert, Gulden
Reichswährung nächstens sein Amt antreten werde. Seine Zufriedenheit
über diese Anstellung sprach aus jedem Wort, aus jedem Blick, und er
mochte sich wohl denselben Himmel in der Wirklichkeit dabei denken, der
auf dem Theater oft so täuschend dargestellt wird.[6]

Unter dem ruhigen Genuß seiner Freunde und der Schaubühne -- unter
einer Menge von Plänen und Besprechungen über seine künftigen Arbeiten
vergingen mehrere Wochen, und ehe er noch an den Abänderungen des
Fiesco oder der Luise Millerin etwas angefangen hatte, überfiel ihn das
kalte Fieber, welches ihn anfänglich zu allem untüchtig machte.

Der Sommer dieses Jahres 1783 zeichnete sich durch eine ungewöhnliche
Hitze aus, durch welche aus dem mit Morast und stehendem Wasser
gefüllten Festungsgraben eine so faule, verdorbene Luft entwickelt
wurde, daß kaum die Hälfte der Einwohner von diesem Übel verschont
blieb. Auch verursachte die dumpfe Luft in dieser Festung, deren hohe
Wälle jeden Zug, jede Strömung eines Windes verhinderten, bei allen
Krankheiten gefährlichere Folgen als sonst, und der Tod beraubte in
der Mitte des Oktobers Schiller eines Freundes, der ihm um so werter
geworden, je mehr er Gelegenheit gehabt hatte, dessen edles, offenes
Gemüt kennen zu lernen. Der Theaterregisseur, Herr Meier, dessen schon
so oft erwähnt worden, starb an einer anfangs unbedeutend scheinenden
Krankheit, wodurch nicht nur seiner Frau und seinen Freunden, sondern
auch seinen Kunstgenossen sowie der Schaubühne selbst ein sehr lang
gefühlter Verlust verursacht wurde. Denn nicht allein war er als Mensch
höchst achtungswert, er war auch ein in Ekhofs Schule gebildeter, sehr
bedeutender Künstler, der in den meisten, vorzüglich aber in sanften
Rollen nichts zu wünschen übrig ließ. Zur Rechtfertigung der ärztlichen
Kenntnisse Schillers darf hier versichert werden, daß er die schlimmen
Folgen der Mittel, welche der Theaterarzt verordnet hatte, voraussagte.

Wenn schon das Wechselfieber den tätigen, kühnen Geist des Dichters
lähmte, so waren die Einwendungen, welche man gegen sein zweites
Trauerspiel machte und die er beseitigen sollte, noch weniger geeignet,
seine Einbildungskraft aufzuregen.

Die Bahn, die er sich in seinen Arbeiten für die Bühne vorgezeichnet
hatte, war ganz neu und ungewöhnlich, daher es den Schauspielern,
die meistens nur bürgerliche oder sogenannte Konversationsstücke
aufzuführen gewohnt waren, sehr schwer und mühsam wurde, die Ausdrücke
des Dichters so zu geben, wie er sie schrieb, und in welche sich, ohne
deren Sinn zu stören oder ins Gemeine herabzuziehen, durchaus nichts
aus der Umgangssprache einflicken ließ. Daß bei den Räubern derlei
Einwendungen weniger gemacht wurden, davon war der überwältigende
Stoff sowie die ergreifende Wirkung, welche die meisten Szenen
hervorbrachten, die Ursache. Besonders eiferte letzteres jeden
Mitwirkenden an, alle Kräfte beisammen zu halten, um auch in den
unbedeutend scheinenden Teilen keine Störung zu verursachen, damit
das Werk so, wie es aus der dichterischen Kraft entsprungen, ein
erstaunungswürdiges Ganzes bliebe.

Bei Fiesco war der Inhalt schon an sich selbst kälter. Die schlauen
Verwicklungen erwärmten nicht; die langen Monologe, so meisterhaft sie
auch waren, konnten nicht mit Begeisterung aufgefaßt und gesprochen
werden, indem sich größtenteils nur der Ehrgeiz darin malte und zu
fürchten war, daß die Zuschauer ohne Teilnahme bleiben würden. Man
gestand nicht gern, daß die Anstrengung des Darstellers mit dem zu
erwartenden Beifall nicht im Verhältnis stehen möchte, weil erstere zu
groß und letzterer zu gering sein würde.

Am meisten wurde gegen den Schluß eingewendet, weil er weder den
ersten Schauspielern noch dem Publikum Genüge leisten könne und eine
Empfindung zurücklassen müsse, welche den Anteil, den man an dem
Vorhergehenden des Stückes genommen, bedeutend schwächen würde.

Wenn man bedenkt, daß der tiefe, umfassende Geist Schillers sich auch
in späterer Zeit nie bequemen konnte, ein Stück so zu entwerfen und
zu schreiben, daß es den Forderungen oder, eigentlicher zu reden --
da vorzüglich die unterhaltenden Künste den geringern Kräften der
Menge angepaßt werden müssen -- dem Handwerksmäßigen des Theaters in
allen seinen Teilen angemessen hätte sein können; so kann man sich
vorstellen, mit welchem Widerwillen er sich an Abänderungen (worunter
nicht Abkürzungen verstanden sind) überhaupt, besonders aber wie bei
Fiesco der Fall war, an solche sich machte, wo dem Verstand und der
Wahrheit zugleich der stärkste Schlag versetzt werden müßte. War auch
sein Kopf gewandt genug, um jede Begebenheit als möglich darzustellen,
so mußte doch an die Stelle des Zerstörten etwas Neues geschaffen
werden, das -- wie jeder, dem Geistes- oder Kunstarbeiten bekannt sind,
gestehen muß -- entweder nicht so gut gerät oder doch viel schwieriger
als ersteres ist.

Indessen mußte er diese Einwürfe berücksichtigen, und ungeachtet
der Unterbrechungen durch seine Krankheit und die dadurch gestörte
gute Laune wurde er dennoch in der zweiten Hälfte des Novembers mit
Umarbeitung des Fiesco fertig.

Nun mußte aber das ganze Stück ins Reine und in der genauen Folge
geschrieben werden, wozu, da man diese beschwerliche Arbeit nicht von
ihm verlangen konnte, ein Regiments-Furier vorgeschlagen wurde, der
eine sehr deutliche und hübsche Handschrift hatte. Da so vieles aus
der ersten Bearbeitung gestrichen, zwischen hinein abgeändert oder
ganz neu eingelegt war, so durfte die Anordnung dem Abschreiber nicht
überlassen bleiben, sondern mußte ihm in die Feder gesagt werden.

In den ersten Stunden fühlte sich der Verfasser sehr behaglich, indem
er nach Bequemlichkeit bald sitzend, bald auf und nieder gehend
vorsagen konnte. Als aber der Mann weggegangen war, wie entsetzte sich
Schiller, als er seinen ihm so wert gewordenen Helden Fiesco in Viesgo,
die liebliche Leonore in Leohnohre, Calcagna in Kallkahnia verwandelt
und in den übrigen Eigennamen falsche Buchstaben, sowie die meisten
Worte der gewohnten Rechtschreibung entgegen fand.

Seine Klagen hierüber waren ebenso bitter als auf eine Art
ausgesprochen, die zum Lachen reizte, indem er gar nicht begreifen
konnte, daß jemand, der so schöne Buchstaben mache, nicht auch jedes
Wort richtig sollte schreiben können.

Noch einmal, nachdem er den Mann vorher alle Namen ordentlich hatte
aufzeichnen lassen, versuchte er es wieder vorzusagen. Als er aber
dennoch fand, daß Fiesco jetzt mit einem F, und später mit einem
V anfing, da verlor er die Geduld so gänzlich, daß er, um diese
Augenmarter nicht länger aushalten zu müssen, sich entschloß, selbst
das ganze Stück ins reine zu schreiben. Er war so fleißig dabei,
daß solches in der Mitte Dezembers dem Baron Dalberg überreicht
werden konnte. Zufrieden mit seiner in den verflossenen zwei Monaten
bewiesenen Tätigkeit konnte der kranke Dichter allerdings sein,
obwohl diese, da er nur die vom Fieber freien Tage und die Nächte
benützen konnte, seine Kräfte sehr abspannte und sein sonst immer
heiteres Gemüt sich öfters verdüsterte. Aber nicht allein eine solche
Anstrengung war geeignet, jede muntere Laune zu verscheuchen, auch
sein übriges Verhältnis, das in Beziehung des Einkommens im grellsten
Widerspruch mit seinen früheren Erwartungen stand, mußte ihn schon
darum zum Mißvergnügen reizen, weil ihm dieses in den Briefen von
seiner Familie sehr bemerklich gemacht wurde. Besonders war der Vater
sehr unzufrieden, seinen Sohn in einem so ungewissen, nichts dauernd
zeigenden Zustand zu wissen, und er glaubte ihn nur dann für die
Zukunft geborgen, wenn er wieder Arzt und unter dem Schutze des Herzogs
wäre. Das Herz der Mutter, konnte es ruhig schlagen, wenn sie ihren
Liebling in seiner Gesundheit, in seinem häuslichen Wesen, in seinen
Sitten -- die sie bei dem Theater sich zügellos denken mochte -- im
höchsten Grade gefährdet glaubte? Auch die älteste Schwester vereinigte
ihre Wünsche mit denen der Eltern und veranlaßte folgende Erwiderung
des Bruders.

            Mannheim, am Neujahr 84.

        Meine teuerste Schwester!

    Ich bekomme gestern Deinen Brief, und da ich über meine
    Nachlässigkeit, Dir zu antworten, etwas ernsthaft nachdenke, so
    mache ich mir die bittersten Vorwürfe von der Welt. Glaube mir,
    meine Beste, es ist keine Verschlimmerung meines Herzens; denn so
    sehr auch Schicksale den Charakter verändern können, so bin doch
    ich mir immerdar gleich geblieben -- es ist ebensowenig Mangel an
    Aufmerksamkeit und Wärme für Dich; denn Dein künftiges Los hat
    schon oft meine einsamen Stunden beschäftigt, und wie oft warst
    Du nicht die Heldin in meinen dichterischen Träumen! -- Es ist
    die entsetzliche Zerstreuung, in der ich von Stunde zu Stunde
    herumgeworfen werde, es ist zugleich auch eine gewisse Beschämung,
    daß ich meine Entwürfe über das Glück der Meinigen und über Deins
    insbesondere bis jetzt so wenig habe zur Ausführung bringen können.
    Wie viel bleiben doch unsere Taten unseren Hoffnungen schuldig!
    und wie oft spottet ein unerklärbares Verhängnis unseres besten
    Willens --

    Also unsere gute Mutter kränkelt noch immer? Sehr gern glaube ich
    es, daß ein schleichender Gram ihrer Gesundheit entgegen arbeitet,
    und daß Medikamente vielleicht gar nichts tun -- aber Du irrst
    Dich, meine gute Schwester, wenn Du ihre Besserung von meiner
    Gegenwart hoffst. Unsere liebe Mutter nährt sich gleichsam von
    beständiger Sorge. Wenn sie auf einer Seite keine mehr findet, so
    sucht sie sie mühsam auf einer andern auf. Wie oft haben wir alle
    uns das ins Ohr gesagt! Ich bitte Dich auch, ihr es in meinem Namen
    zu wiederholen. Ich spreche ganz allein als Arzt -- denn daß eine
    solche Gemütsart das Schicksal selbst nicht verbessern, daß sie
    mit einer Resignation auf die Vorsicht durchaus nicht bestehen
    könne, wird unser guter Vater ihr öfter und besser gesagt haben.
    Dein Zufall ficht mich wirklich nicht wenig an. Ich erinnere mich,
    daß du ihn mehrmals gehabt hast, und bin der Meinung, daß eine
    Lebensart mit starker Leibesbewegung, neben einer verdünnenden Diät
    ihn am besten hemmen werde. Nimm zuweilen eine Portion Salpeter mit
    Weinstein, und trinke auf das Frühjahr die Molken.

    Du äußerst in Deinem Brief den Wunsch, mich auf der Solitüde
    im Schoße der Meinigen zu sehen, und wiederholst den ehmaligen
    Vorschlag des lieben Papas, beim Herzog um meine freie Wiederkehr
    in mein Vaterland einzukommen. Ich kann Dir nichts darauf
    antworten, Liebste, als daß meine Ehre entsetzlich leidet, wenn
    ich ohne Konnexion mit einem andern Fürsten, ohne Charakter und
    dauernde Versorgung, nach meiner einmal geschehenen gewaltsamen
    Entfernung aus Württemberg, mich wieder da blicken lasse. Daß
    der Papa den Namen zu dieser Bitte hergibt, nützt mir wenig,
    denn jedermann würde doch mich als die Triebfeder anklagen, und
    jedermann wird, so lang ich nicht beweisen kann, daß ich den Herzog
    von Württemberg nicht mehr brauche, in einer (mittelbar oder
    unmittelbar, das ist eins) erbettelten Wiederkehr ein Verlangen, in
    Württemberg unterzukommen, vermuten.

    Schwester, überdenke die Umstände aufmerksam; denn das Glück Deines
    Bruders kann durch eine Übereilung in dieser Sache einen ewigen
    Stoß leiden. Ein großer Teil von Deutschland weiß von meinen
    Verhältnissen gegen euern Herzog und von der Art meiner Entfernung.
    Man hat sich für mich auf Unkosten des Herzogs interessiert -- wie
    entsetzlich würde die Achtung des Publikums (und diese entscheidet
    doch mein ganzes zukünftige Glück), wie sehr würde meine Ehre durch
    den Verdacht sinken, daß ich diese Zurückkunft gesucht -- daß meine
    Umstände mich meinen ehmaligen Schritt zu bereuen gezwungen, daß
    ich diese Versorgung, die mir in der großen Welt fehlgeschlagen,
    aufs neue in meinem Vaterlande suche. Die offene edle Kühnheit, die
    ich bei meiner gewaltsamen Entfernung gezeigt habe, würde den Namen
    einer kindischen Übereilung, einer dummen Brutalität bekommen, wenn
    ich sie nicht behaupte. Liebe zu den Meinigen, Sehnsucht nach dem
    Vaterland entschuldigt vielleicht im Herzen eines oder des andern
    redlichen Mannes, aber die Welt nimmt auf das keine Rücksicht.
    Übrigens kann ich nicht verhindern, wenn der Papa es dennoch tut --
    nur dieses sage ich Dir, Schwester, daß ich, im Fall es der Herzog
    erlauben würde, dennoch mich nicht bälder im Württembergischen
    blicken lasse, als bis ich wenigstens einen Charakter habe, woran
    ich eifrig arbeiten will; im Fall er es aber nicht zugibt, mich
    nicht werde enthalten können, den mir dadurch zugefügten Affront
    durch offenbare Sottisen gegen ihn zu rächen. Nunmehr weißt Du
    genug, um vernünftig in dieser Sache zu raten.

    Schließlich wünsche ich Dir und Euch allen von ganzem Herzen ein
    glückliche Schicksal im 1784sten Jahr; und gebe der Himmel, daß wir
    alle Fehler der vorigen in diesem wieder gut machen, geb' es Gott,
    daß das Glück sein Versäumnis in den vergangenen Jahren in dem
    jetzigen einbringe.

    Ewig Dein treuer Bruder

        Friedrich S.

Wahrlich, ein Beweis, wie er als Sohn, Bruder und Mann dachte, läßt
sich durch nichts so offen, kräftig und schön als durch diesen Brief
darstellen, dessen Inhalt um so schätzbarer ist, da er im größten
Vertrauen geschrieben wurde und sich keine Ursache finden konnte,
einen Gedanken anders auszudrücken als ganz so, wie er entstand. Denn
diese Anhänglichkeit, diese kindliche und brüderliche Liebe war nebst
dem stolzen Gefühl für Ehre und Erwerbung eines berühmten Namens der
mächtigste Sporn für ihn, um durch sein Talent das Glück der Seinigen
ebenso gewiß als sein eignes zu befördern. Schon in Stuttgart, noch
eh' er den Entschluß zu entfliehen gefaßt hatte, war dieses sehr oft
der Inhalt seiner vertrauten Gespräche, so wie es auch, da er die
Unmöglichkeit einsah, diesen Wunsch in seinen drückenden Verhältnissen
verwirklichen zu können, ein Grund mehr wurde, sich eigenmächtig zu
entfernen. Auf das treueste schildert er zehn Jahre später seine
damaligen Erwartungen in dem Gedicht: Die Ideale

    »Wie sprang, von kühnem Mut beflügelt,
    Beglückt in seines Traumes Wahn,
    Von keiner Sorge noch gezügelt,
    Der Jüngling in des Lebens Bahn!
    Bis an des Äthers bleichste Sterne
    Erhob ihn der Entwürfe Flug,
    Nichts war so hoch und nichts so ferne,
    Wohin ihr Flügel ihn nicht trug.

    Wie leicht ward er dahin getragen,
    Was war dem Glücklichen zu schwer!
    Wie tanzte vor des Lebens Wagen
    Die luftige Begleitung her!
    Die Liebe mit dem süßen Lohne,
    Das Glück mit seinem goldnen Kranz,
    Der Ruhm mit seiner Sternenkrone,
    Die Wahrheit in der Sonne Glanz!«

So waren seine Hoffnungen, als er das Kleinliche, Eigensüchtige der
Menschen noch nicht aus der Erfahrung kannte, als quälende Sorgen mit
ihren zackichten Krallen sich noch nicht an ihn geklammert hatten, als
er noch glauben durfte, die Deutschen zu sich erheben und ihnen etwas
Höheres als bloße Unterhaltung darbieten zu können.

Nur zu bald mußte er ausrufen:

    »Doch ach! schon auf des Weges Mitte
    Verloren die Begleiter sich,
    Sie wandten treulos ihre Schritte,
    Und einer nach dem andern wich.«

Aber sein Mut blieb dennoch unbeugsam! Denn was tausend andere in
ähnlichen Verwicklungen niedergedrückt oder zur Verzweiflung gebracht
hätte, wurde von seinem mächtigen Geiste -- der immer nur das höchste
Ziel im Auge behielt -- entweder gar nicht beachtet oder, wenn es auch
schmerzte, nur belächelt.

Im Verfolg der Erzählung wird das Gesagte noch weiter bestätigt werden.

Noch während der Umarbeitung des Fiesco wurde es eingeleitet, daß
Schiller in die deutsche Gesellschaft zu Mannheim, von welcher
Baron Dalberg Präsident war, aufgenommen werden solle. Außer der in
Deutschland so sehr gesuchten Ehre eines Titels hatte der Eintritt
in diese Gesellschaft wenigstens den Vorteil, daß sie sich des
unmittelbaren kurfürstlichen Schutzes erfreute, wodurch denn der
Dichter, im Fall er noch von dem Herzog von Württemberg angefochten
worden wäre, wenigstens einigen Schutz hätte erwarten dürfen. Zu seinem
Eintritt schrieb er die kleine Abhandlung: »Was kann eine gute stehende
Schaubühne wirken?« welche noch immer die Mühe verlohnt, sie aufs
neue durchzulesen, um den Zweck des Theaters überhaupt und auch die
Ansichten des Verfassers über die Wirkung desselben kennen zu lernen.

Einige Monate nach dieser Aufnahme faßte er den Plan, eine Dramaturgie
herauszugeben, um durch diese die Mannheimer Bühne als Muster für ganz
Deutschland bilden, auch sich zugleich einen größern Wirkungskreis
erwerben zu können. Anfangs glaubte man, daß es am besten sein würde,
die Aufsätze den Jahrbüchern der deutschen Gesellschaft einzuverleiben.
Jedoch der ganze, so eifrig gefaßte und so vielversprechende Vorsatz
scheiterte, indem diese Jahrbücher, die nur ernste, trockene
Forschungen enthielten, durch Berichte über ein so flüchtiges Ding, wie
das Theater zu sein scheint, profaniert geworden wären, und weil die
Theaterkasse die von dem Dichter verlangte jährliche Schadloshaltung
von 50 Dukaten nicht zu leisten vermochte. (Das Nähere hierüber findet
sich in den Briefen an Baron Dalberg S. 104, 124.) Endlich in der Mitte
Januars 1784 wurde das republikanische Schauspiel Fiesco aufgeführt,
dessen durch Unlenksamkeit der Statisten veranlaßten häufigen Proben
dem Verfasser manchen Ärger, viele Zerstreuung und öfters auch
Aufheiterung verschafften. Es war alles, was die schwachen Kräfte des
Theaters vermochten, angewendet worden, um das Äußerliche des Stücks
mit Pracht auszustellen; ebenso wurden auch die Hauptrollen, Fiesco
durch Böck, Verrina durch Iffland, der Mohr durch Beil, vortrefflich
dargestellt, und manche Szenen erregten sowohl für den Dichter als
für die Schauspieler bei den Zuschauern die lauteste Bewunderung.
Aber für das Ganze konnte sich die Mehrheit nicht erwärmen; denn eine
Verschwörung in den damals so ruhigen Zeiten war zu fremdartig, der
Gang der Handlung viel zu regelmäßig, und was vorzüglich erkältete,
war, daß man bei dem Fiesco ähnliche Erschütterungen wie bei den
Räubern erwartet hatte.

Dichter, Künstler, deren erstes Werk schon etwas Großes,
Außerordentliches darstellt, und dessen Bearbeitung in gleicher
Höhe mit dem Inhalt sich findet, können selten die Erwartungen in
demjenigen, was sie in der nächsten Folge liefern, ganz befriedigen,
indem die Anzahl derer ganz unglaublich gering ist, die ein Kunstwerk
ganz allein für sich, ohne Beziehung oder Vergleichung mit anderm
zu würdigen verstehen. Mit seltener Ausnahme hat jeder Zuhörer oder
Zuschauer seinen eignen Maßstab, mit dem er alles mißt, und wenn auch
nur eine Linie über oder unter der als richtig erkannten Länge ist, es
auch sogleich als untüchtig verwirft. Besonders werden die Werke der
Einbildungskraft weit mehr nach dem Gefühl, das sie zu erregen fähig
sind, als mit dem Verstande beurteilt, und alle Leistungen, welche das
erste im hohen Grad ansprechen -- mögen sie übrigens noch so fehlerhaft
sein -- werden der Menge weit mehr zusagen als solche, bei denen der
Verstand, die schöne weise Verteilung, die freie Beherrschung des
Stoffes, den großen Meister andeutet. Daher hatte Wieland vollkommen
recht, als er in seinem ersten Brief an Schiller schrieb: »er hätte mit
den Räubern nicht anfangen, sondern endigen sollen.«

Wir werden weiter unten erfahren, welcher Ursache es der Dichter
beigemessen, daß Fiesco in Mannheim die gehoffte Wirkung nicht hatte.

Nach einigen Wochen Erholung begann er die Umarbeitung von Luise
Millerin, bei welcher er wenig hinzuzufügen brauchte, wohl aber
vieles ganz weglassen mußte. Schien ihm nun auch dieses ganze
bürgerliche Trauerspiel ziemlich mangelhaft angelegt, so ließ sich
doch an den Szenen, die den meisten Anteil zu erregen versprachen,
nichts mehr ändern; sondern er mußte sich begnügen, die hohe Sprache
herabzustimmen, hier einige Züge zu mildern und wieder andere ganz
zu verwischen. Manche Auftritte, und zwar nicht die unbedeutendsten,
gründen sich auf Sagen, die damals verbreitet waren, und deren
Anführung viele Seiten ausfüllen würde. Der Dichter glaubte solche hier
an den schicklichen Platz stellen zu sollen und gab sich nur Mühe,
alles so einzukleiden, daß weder Ort noch Person leicht zu erraten
waren, damit nicht üble Folgen für ihn daraus entstünden.

Während dieser Umarbeitung brachte Iffland sein Verbrechen aus Ehrsucht
auf die Bühne.

Er war so artig, es Schillern vor der Aufführung einzuhändigen und ihm
zu überlassen, welche Benennung dieses Familienstück führen solle, und
dem der bezeichnende Name, den es noch heute führt, erteilt wurde.
Der außerordentliche Beifall, den dieses Stück erhielt, machte die
Freunde Schillers nicht wenig besorgt, daß dadurch seine Luise Millerin
in den Schatten gestellt werde, denn niemand erinnerte sich, daß ein
bürgerliches Schauspiel jemals so vielen Eindruck hervorgebracht hätte.
Letzteres durfte jedoch meistens der Darstellung beigemessen werden,
die so lebendig, der ganzen Handlung so angemessen war und in allen
Teilen so rund von statten ging, daß man den innern Gehalt ganz vergaß
und, von der Begeisterung des Publikums mit fortgerissen, sich willig
täuschen ließ.

Nicht lange nachher kam die Vorstellung des neuen Trauerspiels unseres
Dichters an die Reihe, welchem Iffland, dem es vorher übergeben wurde,
die Aufschrift »Kabale und Liebe« erteilte. Um der Aufführung recht
ungestört beiwohnen zu können, hatte Schiller eine Loge bestanden und
seinen Freund S. zu sich dahin eingeladen.

Ruhig, heiter, aber in sich gekehrt und nur wenige Worte wechselnd,
erwartete er das Aufrauschen des Vorhanges. Aber als nun die Handlung
begann -- wer vermöchte den tiefen, erwartenden Blick -- das Spiel der
unteren gegen die Oberlippe -- das Zusammenziehen der Augenbrauen, wenn
etwas nicht nach Wunsch gesprochen wurde -- den Blitz der Augen, wenn
auf Wirkung berechnete Stellen diese auch hervorbrachten -- wer könnte
dies beschreiben! -- Während des ganzen ersten Aufzuges entschlüpfte
ihm kein Wort, und nur bei dem Schlusse desselben wurde ein »es geht
gut« gehört.

Der zweite Akt wurde sehr lebhaft und vorzüglich der Schluß desselben
mit so vielem Feuer und ergreifender Wahrheit dargestellt, daß,
nachdem der Vorhang schon niedergelassen war, alle Zuschauer auf eine
damals ganz ungewöhnliche Weise sich erhoben und in stürmisches,
einmütiges Beifallrufen und Klatschen ausbrachen. Der Dichter
wurde so sehr davon überrascht, daß er aufstand und sich gegen das
Publikum verbeugte. In seinen Mienen, in der edlen, stolzen Haltung
zeigte sich das Bewußtsein, sich selbst genug getan zu haben, sowie
die Zufriedenheit darüber, daß seine Verdienste anerkannt und mit
Auszeichnung beehrt würden.

Solche Augenblicke, in welchen das aufgeregte Gefühl eines bedeutenden
Menschen sich plötzlich ganz unverhohlen und natürlich äußert, sollte
man durch eine treue Zeichnung festhalten können; dies würde einen
Charakter leichter und bestimmter durchschauen lassen, als in Worten zu
beschreiben möglich ist.

Die ungewöhnlich günstige Aufnahme dieses Trauerspieles war den
Freunden Schillers beinahe ebenso erfreulich, als ihm selbst, indem
sie, da seiner Arbeit nicht nur von Kennern, sondern auch von dem
Publikum ein entschiedener Vorzug vor andern ähnlicher Art gegeben
wurde, hoffen durften, daß er durch neue Werke, nicht wie bisher nur
Ehre und Beifall, sondern auch solche Vorteile gewinnen werde, die
seine Verhältnisse des Lebens befriedigender gestalten könnten. Der
Theaterdirektion konnte es gleichfalls willkommen sein, daß in den
verflossenen zwei Jahren auch zwei solche Stücke von ihm geliefert
worden, deren Wert sich für eine lange Zukunft verbürgen ließ; und
konnte er, wie es auch den Anschein hatte, so fortfahren, so war seine
geringe Besoldung sehr gut angelegt.

In der Berauschung, die ein öffentlicher, mit Begeisterung geäußerter
Beifall immer zur Folge hat, konnte er jedoch die Nachricht der
Schwester (S. vorstehenden Brief), daß die Mutter aus Sehnsucht nach
ihm kränklich sei, nicht vergessen, und erlaubte es früher -- nachdem
keine seiner Erwartungen erfüllt war -- sein Stolz nicht, seiner
Mutter sich zu zeigen, so war dieser durch den Titel eines Mitgliedes
der kurpfälz'schen deutschen Gesellschaft, wie durch den überraschenden
Erfolg seiner zwei letzten Stücke, insoweit wenigstens befriedigt,
daß er mit gerechtem Selbstgefühl seinen Angehörigen vor Augen treten
durfte. Er entschloß sich daher, in Bretten, einem außerhalb der
württemberg'schen Grenze liegenden Städtchen, mit seiner Mutter und
ältesten Schwester zusammen zu kommen, und wenige Tage nach der ersten
Aufführung von Kabale und Liebe begab er sich zu Pferd dahin.[7]

Wäre es möglich, das tiefempfindende, sorgenvolle Gemüt der Mutter, und
die Wehmut, mit der sie ihren, nun aus seinem Vaterlande wie von seinen
Eltern verbannten Liebling an die Brust drückte, die Lebhaftigkeit,
den männlichen Verstand der Schwester, das zarte, weiche, sich immer
edel und schön aussprechende Herz des Sohnes gehörig zu schildern,
so wäre dieses wohl eines der anziehendsten Gemälde, die sich in dem
Leben eines solchen Dichters und einer so seltenen Familie darbieten
können. Es muß der Einbildungskraft des Lesers überlassen bleiben,
diese Szene, nebst dem nach kurzem Aufenthalte gewaltsamen Losreißen
dreier vortrefflicher Menschen, die das von zitternden Lippen gepreßte
Lebewohl! für lange, lange Zeit ausgesprochen glauben mußten, sich
teilnehmend ausmalen zu können.

Es war ganz natürlich, daß der Wunsch des Vaters wie der Mutter, dem
Sohn auf das angelegentlichste empfohlen wurde, sich doch um eine
sichere, dauernde Anstellung zu bewerben, damit seine eigenmächtige
Entfernung gerechtfertigt und sein Glück dauerhaft begründet sein möge.
Allein mit allem guten Willen hierzu konnte er eine solche Veränderung
nicht sogleich herbeiführen, und es blieb vorläufig nichts zu tun, als
mit dem festen Vorsatz nach Mannheim zurückzukehren, durch neue sich
auszeichnende Arbeiten seinem Schicksal eine bessere Wendung zu geben.
Er glaubte, daß dieses ein Schritt dazu wäre, wenn er in Gesellschaft
von Iffland und Beil, die zu Ende Aprils von Grosmann in Frankfurt auf
Gastvorstellungen eingeladen waren, die Reise dahin machte, und dadurch
den Kreis seiner Verehrer und Freunde erweiterte.

Bei seinem Aufenthalt daselbst wurde Verbrechen aus Ehrsucht wie auch
Kabale und Liebe gegeben. Seine Äußerungen über die Verschiedenheit der
Frankfurter gegen die Mannheimer Bühne sowie über die Mitglieder von
beiden, finden sich in seinen Briefen an Baron Dalberg.

Daß sich in Frankfurt diejenigen, welche Sinn für höhere Poesie hatten,
an den Dichter drängten, der in so jungen Jahren schon so viele Beweise
der Überlegenheit seines Geistes an den Tag gelegt, läßt sich sehr
leicht denken. Denn die Zeit war damals so ruhig, so harmlos, die
Gedichte und Schauspiele Schillers trugen so sehr den Stempel der Größe
und Neuheit, daß sich die jüngere Lesewelt nur mit diesen beschäftigte,
und ihr alles, was zu gleicher Zeit die Presse in diesem Fache
förderte, klein oder nichtsbedeutend schien.

Unter andern neuen Bekanntschaften machte er auch die des Doktor
Albrecht und dessen Gattin, welche letztere (S. Schröders Leben) später
das Theater betrat. Beide waren auch Freunde des Bibliothekars Reinwald
in Meiningen und erinnerten Schiller an die -- allen, deren Wirken
nicht bloß durch die Einbildungskraft geschieht, ganz unbegreifliche --
Nachlässigkeit, diesem, dem er so viele Verbindlichkeit hatte, seit der
Abreise aus Bauerbach noch nicht geschrieben zu haben.

Kaum nach Mannheim zurückgekehrt, beeilte er sich, seinen Fehler
durch ein offenes Geständnis wenn auch nicht zu rechtfertigen, doch
wenigstens zu mildern, und schrieb Herrn Reinwald folgenden Brief,
dessen Inhalt für jeden seiner Verehrer nicht anders als höchst
anziehend sein kann.

            Mannheim, den 5. Mai 84.

        Bester Freund!

    Mit peinigender Beschämung ergreife ich die Feder, nicht um mein
    langes Stillschweigen zu entschuldigen -- kann wohl ein Vorwand in
    der Welt Ihre gerechten Ansprüche auf mein Andenken überwiegen?
    -- Nein, mein Teuerster, um Ihnen diese Undankbarkeit von Herzen
    abzubitten, und Ihnen wenigstens mit der Aufrichtigkeit, die Sie
    einst an mir schätzten, zu gestehen, daß ich mich durch nichts als
    meine Nachlässigkeit rechtfertigen kann. Was hilft es Ihnen, wenn
    ich auch zu meiner Verantwortung anführe, daß ich Aussichten hatte,
    Sie diesen Frühling selbst wieder zu sehen, daß ich die tausend
    Dinge, die ich für Sie auf dem Herzen habe, mündlich zu überbringen
    hoffte --

    Dieser Traum ist verflogen, wir sehen uns nunmehr so bald nicht,
    und nichts als Ihre Freundschaft und Liebe wird mein großes
    Versehen entschuldigen. Glauben Sie wenigstens, daß Ihr Freund noch
    der vorige ist, daß noch kein anderer Ihren Platz in meinem Herzen
    besetzt hat, und daß Sie mir oft, sehr oft gegenwärtig waren,
    wenn ich von den Zerstreuungen meines hiesigen Lebens in stilles
    Nachdenken überging. -- Und jetzt will ich auch auf immer einen
    Artikel abbrechen, wobei ich von Herzen erröten muß.

    Wie haben Sie gelebt, mein Teurer? Wie steht es mit Ihrem Gemüt,
    Ihrer Gesundheit, Ihren Zirkeln, Ihren Aussichten in bessere
    Zukunft? -- Ist noch kein Schritt zu einer solidern Versorgung
    geschehen? Müssen Sie sich noch immer mit den Verdrießlichkeiten
    eines armseligen Dienstes herumstreiten? -- Hat auch Ihr Herz noch
    keinen Gegenstand aufgefunden, der Ihnen Glückseligkeit gewährte? --

    Wie sehr verdienen Sie alle Seligkeiten des Lebens, und wie viele
    kennen Sie noch nicht! -- Auch um einen Freund mußte ich Sie
    betrügen! Doch nein! Sie haben ihn niemals verloren und werden ihn
    auch niemals verlieren.

    Vielleicht wünschen Sie mit meiner Lage bekannt zu sein. Was sich
    in einem Briefe sagen läßt, sollen Sie erfahren.

    Noch bin ich hier, und nur auf mich kommt es an, ob ich nach
    Verfluß meines Jahres, nämlich am 1. September, meinen Kontrakt
    verlängern will oder nicht. Man rechnet aber indes schon ganz
    darauf, daß ich hier bleiben werde, und meine gegenwärtigen
    Umstände zwingen mich beinahe auf längere Zeit zu kontrahieren, als
    ich vielleicht sonst würde getan haben. Das Theater hat mir für
    dieses Jahr in allem 500 Gulden Fixum gegeben, wobei ich aber auf
    die jedesmalige Einnahme einer Vorstellung meiner Stücke Verzicht
    tun mußte. Meine Stücke bleiben mir frei zu verkaufen. Aber Sie
    glauben nicht, mein Bester, wie wenig Geld 600 bis 800 Gulden in
    Mannheim, und vorzüglich im theatralischen Zirkel ist -- wie wenig
    Segen, möchte ich sagen, in diesem Geld ist -- welche Summen nur
    auf Kleidung, Wohnung und gewisse Ehrenausgaben gehen, welche ich
    in meiner Lage nicht ganz vermeiden kann. Gott weiß, ich habe mein
    Leben hier nicht genossen, und noch einmal soviel als an jedem
    andern Orte verschwendet. Allein und getrennt! -- Ungeachtet meiner
    vielen Bekanntschaften, dennoch einsam und ohne Führung, muß ich
    mich durch meine Ökonomie hindurchkämpfen, zum Unglück mit allem
    versehen, was zu unnötigen Verschwendungen reizen kann. Tausend
    kleine Bekümmernisse, Sorgen, Entwürfe, die mir ohne Aufhören
    vorschweben, zerstreuen meinen Geist, zerstreuen alle dichterischen
    Träume, und legen Blei an jeden Flug der Begeisterung. Hätte ich
    jemand, der mir diesen Teil der Unruhe abnähme, und mit warmer,
    herzlicher Teilnehmung sich um mich beschäftigte, ganz könnte ich
    wiederum Mensch und Dichter sein, ganz der Freundschaft und den
    Musen leben. Jetzt bin ich auch auf dem Wege dazu.

    Den ganzen Winter hindurch verließ mich das kalte Fieber nicht
    ganz. Durch Diät und China zwang ich zwar jeden neuen Anfall,
    aber die schlimme hiesige Luft, worin ich noch Neuling war, und
    meine von Gram gedrückte Seele machten ihn bald wiederkommen.
    Bester Freund! ich bin hier noch nicht glücklich gewesen, und fast
    verzweifle ich, ob ich je in der Welt wieder darauf Anspruch machen
    kann. Halten Sie es für kein leeres Geschwätz, wenn ich gestehe,
    daß mein Aufenthalt in Bauerbach bis jetzt mein seligster gewesen,
    der vielleicht nie wieder kommen wird.

    Vorige Woche war ich zu Frankfurt, Grosmann zu besuchen und einige
    Stücke da spielen zu sehen, worin zwei Mannheimer Schauspieler,
    Beil und Iffland, Gastrollen spielten. Grosmann bewirtete mich
    unter andern auch mit Kabale und Liebe. (Nicht wahr, jetzt zürnen
    Sie wieder, daß ich noch den Mut habe, dieses Stück vor Ihnen
    zu nennen, da ich Ihnen auch nicht einmal ein Exemplar davon
    geschickt. Werden Sie mir vergeben, wenn ich Ihnen sage, daß nicht
    nur dieses Stück, sondern auch die beiden andern für Sie schon
    zurückgelegt waren, daß ich fest entschlossen war, sie Ihnen selbst
    nach der hiesigen Vorstellung zu bringen, wovon mich eine traurige
    Notwendigkeit abhielt, und daß ich das aufgegeben habe, als ich bei
    Schwan erfuhr, Sie hätten das Stück schon kommen lassen?) Hier zu
    Mannheim wurde es mit aller Vollkommenheit, deren die Schauspieler
    fähig waren, unter lautem Beifall und den heftigsten Bewegungen der
    Zuschauer gegeben.

    Sie hätte ich dabei gewünscht -- den Fiesco verstand das Publikum
    nicht. Republikanische Freiheit ist hierzulande ein Schall ohne
    Bedeutung, ein leerer Name -- in den Adern der Pfälzer fließt kein
    römisches Blut. Aber zu Berlin wurde es vierzehnmal innerhalb drei
    Wochen gefordert und gespielt. Auch zu Frankfurt fand man Geschmack
    daran. Die Mannheimer sagen, das Stück wäre viel zu gelehrt für sie.

    Eine vortreffliche Frau habe ich zu Frankfurt kennen lernen --
    sie ist Ihre Freundin -- die Madame Albrecht. Gleich in den ersten
    Stunden ketteten wir uns fest und innig aneinander; unsre Seelen
    verstanden sich. Ich freue mich und bin stolz, daß sie mich liebt,
    und daß meine Bekanntschaft sie vielleicht glücklich machen kann.
    Ein Herz, ganz zur Teilnahme geschaffen, über den Kleinigkeitsgeist
    der gewöhnlichen Zirkel erhaben, voll edlen, reinen Gefühls für
    Wahrheit und Tugend, und selbst da noch verehrungswert, wo man ihr
    Geschlecht sonst nicht findet. Ich verspreche mir göttliche Tage in
    ihrer nähern Gesellschaft. Auch ist sie eine gefühlvolle Dichterin!
    Nur, mein bester, schreiben Sie ihr, über ihre Lieblingsidee zu
    siegen, und vom Theater zu gehen. Sie hat sehr gute Anlagen zur
    Schauspielerin, das ist wahr, aber sie wird solche bei keiner
    solchen Truppe ausbilden, sie wird mit Gefahr ihres Herzens, ihres
    schönen und einzigen Herzens, auf dieser Bahn nicht einmal große
    Schritte tun -- und täte sie diese auch, schreiben Sie ihr, daß der
    größte theatralische Ruhm, der Name einer Clairon und Yates mit
    ihrem Herzen zu teuer bezahlt sein würde. Mir zu Gefallen, mein
    Teuerster, schreiben Sie ihr das mit allem Nachdruck, mit allem
    männlichen Ernst. Ich habe es schon getan, und unsere vereinigten
    Bitten retten der Menschheit vielleicht eine schöne Seele, wenn wir
    sie auch um eine große Aktrice bestehlen.

    Von Ihnen, mein Liebster, wurde langes und breites gesprochen.
    Madame Albrecht und ich waren unerschöpflich in der Bewunderung
    Ihres Geistes und Ihres mir noch schätzbareren Herzens. Könnten wir
    uns in einen Zirkel von mehreren Menschen dieser Art vereinigen,
    und in diesem engern Kreise der Philosophie und dem Genusse der
    schönen Natur leben, welche göttliche Idee! -- Auch der Doktor ist
    ein lieber, schätzbarer Freund von mir. Sein ganzes Wesen erinnerte
    mich an Sie, und wie teuer ist mir alles, wie bald hat es meine
    Liebe weg, was mich an Sie erinnert.

    Noch immer trage ich mich mit dem Lieblingsgedanken, zurückgezogen
    von der großen Welt, in philosophischer Stille mir selbst, meinen
    Freunden und einer glücklichen Weisheit zu leben, und wer weiß
    ob das Schicksal, das mich bisher unbarmherzig genug herumwarf,
    mir nicht auf einmal eine solche Seligkeit gewähren wird. In dem
    lärmendsten Gewühl, mitten unter den Berauschungen des Lebens,
    die man sonst Glückseligkeit zu nennen pflegt, waren mir doch
    immer jene Augenblicke die süßesten, wo ich in mein stilles Selbst
    zurückkehrte und in dem heitern Gefilde meiner schwärmerischen
    Träume herumwandelte, und hie und da eine Blume pflückte. -- Meine
    Bedürfnisse in der großen Welt sind vielfach und unerschöpflich,
    wie mein Ehrgeiz, aber wie sehr schrumpft dieser neben meiner
    Leidenschaft zur stillern Freude zusammen.

    Es kann geschehen, daß ich zur Aufnahme des hiesigen Theaters ein
    periodisches, dramaturgisches Werk unternehme, worin alle Aufsätze,
    welche mittelbar oder unmittelbar an das Geschlecht des Dramas oder
    an die Kritik desselben grenzen, Platz haben sollen. Wollen Sie,
    mein Bester, einiges in diesem Fach ausarbeiten, so werden Sie
    sich nicht nur ein Verdienst um mich erwerben, sondern auch alle
    Vorteile für Ihre Börse davon ziehen, die man Ihnen verschaffen
    kann, denn vielleicht verlegt und bezahlt die kurfürstliche
    Theaterkasse das Buch. Schreiben Sie mir Ihre Entschließung darüber.

    Daß ich Mitglied der kurfürstlichen deutschen Gesellschaft und also
    jetzt pfälz'scher Untertan bin, wissen Sie ohne Zweifel.

    Den Einschluß überschicken (oder überbringen) Sie an Frau von
    Wolzogen, und fahren Sie fort, Ihren Freund zu lieben, der unter
    allen Verhältnissen des Lebens ewig der Ihrige bleiben wird

        Fried. Schiller.

Wer es tadeln wollte, daß vorstehender Brief seinem ganzen Inhalte nach
mitgeteilt worden, der möge erwägen, daß er ein sehr wichtiger Beitrag
zur Kenntnis der Denkungsart und der häuslichen Verhältnisse Schillers
ist, und daß ein Zeugnis, welches jemand von sich selbst ablegt, um
vieles bedeutender sein muß, als was andere ausgesprochen. Ungerechnet
die feine Art, mit welcher er den von ihm vernachlässigten Freund
wieder zu gewinnen suchte, zieht er auch diejenigen, welche glauben,
sein Aufenthalt in Mannheim wäre so angenehm gewesen, aus einem großen
Irrtum.

Mehrere Stellen dieses Briefes, als die Klagen über sein häusliches
Leben -- über das Unzulängliche seiner Einnahme -- seine Zerstreuung
und schwärmerischen Träumereien -- die Sehnsucht nach Bauerbach usw.
fordern hier um so mehr einige Erläuterungen, als er ein viel zu
bedeutender Mensch war, um solche Umstände übergehen zu können, und
weil hierüber ein Zeuge berichten kann, dem nichts verborgen oder
verhehlt wurde.

Ist es für einen jungen Mann, der nicht Vermögen genug besitzt, um
sich eigne Bedienung halten zu können, eine beinahe unmögliche Sache,
seine Kleidung, Wäsche, Bücher, Schriften usw. dergestalt in Ordnung
zu halten, daß keine Verwirrung entstehe, so ist dieses bei Dichtern,
Künstlern, Gelehrten oder überhaupt denjenigen, die bloß allein mit
ihrer Einbildungskraft arbeiten, und den Eingebungen ihres Geistes
folgen müssen, noch weit weniger der Fall.

Je umfassender nun ein Genie, je höher seine Kraft, sein Wollen, seine
Pläne sind, um so weniger kann es sich mit solchen Sachen befassen,
die auch dem gewöhnlichen Manne schon als solche Kleinigkeiten
erscheinen, daß er deren Besorgung unter seiner Würde erachtet. Wenn
nun diese Abneigung auch bei solchen stattfindet, deren Wirken mehr
nach vorgeschriebenen Regeln, als im Erfinden oder Erschaffen besteht;
um wie viel störender muß es einem Dichter oder Künstler sein,
wenn er durch die Bedürfnisse des Tages aus seinem Nachdenken, aus
seiner Begeisterung gerissen, und gewissermaßen aus einer wärmenden
Behaglichkeit in eiskaltes Wasser geworfen wird. Ließe sich eine Idee,
ein Ausdruck festhalten, oder würde die Gedankenreihe durch eine
Unterbrechung dieser Art nicht so zerstreut, daß man den Anfang und die
Folge derselben oft wieder aufs neue suchen muß, so würde die Geduld
keine so harte Probe bestehen müssen.

Man denke sich nun unsern Schiller im Brüten über den Plan eines
Trauerspieles, in dem Entwurfe einer Szene, in der Ausarbeitung eines
Monologes, und stelle sich vor, wie ihm sein mußte, wenn ihm reine
Wäsche übergeben und die gebrauchte gefordert wurde, wenn er letztere
erst suchen und deren durchsichtigen Zustand erklären mußte, wenn er
nach spätem Erwachen die wenigen Stücke seiner Kleidung beschädigt
fand, oder sein nur nach Viertelstunden bedungener Diener zu unrechter
Zeit eintraf; man denke sich dieses, und glaube dann, daß er trotz
seiner Gutmütigkeit oft in eine widerliche Gemütsstimmung geriet.

Aus diesem Zustande hätte ihn nur weibliche Fürsorge erlösen können,
die aber in Mannheim fehlte, weil er abgesondert wohnte, sich auch
seine kärgliche Mittagskost, von der noch für den Abend etwas
zurückgehalten werden mußte, aus einem Gasthause holen ließ. Es
würde übrigens eine sehr belustigende und des Pinsels eines Hogarths
würdige Aufgabe sein, das Innere des Zimmers eines von immerwährender
Begeisterung trunkenen Musensohnes recht getreu darzustellen; denn es
würde sich hier durchaus nichts Bewegliches und selbst das nicht, was
sonst immer dem Auge entzogen wird, an seinem Platze finden. Unordnung
bei jungen Männern ist etwas Gewöhnliches, aber bei den sogenannten
Genies übertrifft sie jede Vorstellung. Seine Einnahme während acht
Monaten setzt er selbst auf 500 Gulden Reichswährung an. Wem dieses zu
wenig scheint, dem darf versichert werden, daß auch diese unbedeutende
Summe noch beinahe um 100 Gulden zu hoch angegeben ist, denn außer
seiner Besoldung von 300 Gulden, die er vorausnehmen mußte, konnte ihm
nur der Ertrag des Druckes von Kabale und Liebe zufließen. Mit diesen
geringen Mitteln mußte er sich neu kleiden, Wäsche, Betten, Hausgeräte
anschaffen; er mußte, wie er selbst sagt, sogenannte Ehrenausgaben, das
heißt, kleine gesellschaftliche Unterhaltungen, Ausflüge auf das Land
mitmachen; daher er denn auch immer, nicht nur für den nächsten Monat,
sondern für die nächste Woche, ja oft für den nächsten Tag in Sorgen
war und doch immer schuldige Rückstände bezahlen sollte.

Zu dieser bangen, qualvollen Lage gesellte sich dann auch noch das
kalte Fieber, welches besonders im Entstehen alle Martern des Tantalus
mit sich führte. Denn der brennendste Durst, der heißeste Hunger durfte
nicht genugsam gestillt werden, um die Krankheit nicht zu unterhalten.
Die Hilfe dagegen, nur in Brechmitteln und Chinarinde bestehend,
schwächte den Magen ebensosehr, als sie ihn belästigte; und wenn nichts
mehr helfen wollte, mußte man wohl den Rat des Arztes befolgen und
so viele Chinapulver, als man sonst in 24 Stunden hätte gebrauchen
sollen, zwei Stunden vor dem Eintritte des Fiebers auf einmal nehmen,
was freilich oft half, aber ein solches Toben des Magens veranlaßte,
daß man glaubte vergehen zu müssen, und was auf lange Jahre hinaus die
übelsten Folgen zurückließ.

Möge der Leser, wenn er sich an den Schönheiten von Fiesco und Kabale
und Liebe ergötzt oder in den herrlichen Szenen von Don Carlos seine
Gefühle schwelgen läßt, doch nie vergessen, daß unter so drückenden,
beugenden Umständen die obigen Stücke verändert und der erste Akt des
letztern gedichtet wurde; alsdann erst wieder den Göttersohn bewundern,
der unter so vielen Übeln seinen Geist immer tätig erhielt und an der
heiligen Flamme nährte, die nicht von der Erde, sondern von oben her
leuchtet.

Man wird es begreiflich finden, daß der Augenzeuge dieser Lage, der
Freund des Dichters, es später nie mehr über sich gewinnen konnte,
eines dieser drei Stücke vorstellen zu sehen. So oft er den Versuch
dazu machte, so mußte er dennoch sich bei dem ersten Auftritte schon
entfernen, weil ihn ein Schmerz, eine Wehmut befiel, die sich nur im
Freien stillen konnten.

Deutschland! Deutschland! Du darfst dich deiner großen Söhne nicht
rühmen, denn du tatest nichts für sie; du überließest sie dem Zufall
und gabst ihr geistiges Eigentum jedem Preis, der sie auf offener
Straße darum berauben wollte. Nur der eignen Kraft, dem eignen Mute
der einzelnen, nicht deinem Schutze, nicht deiner Fürsorge hast du es
beizumessen, wenn andere Völker dich um deine großen Geister beneiden
und sich an ihrem Licht entzünden.

Wie wahrhaft sagt Schiller:

    »Kein Augustisch Alter blühte,
    Keines Mediceers Güte
    Lächelte der deutschen Kunst;
    Sie ward nicht gepflegt vom Ruhme,
    Sie entfaltete die Blume
    Nicht am Strahl der Fürstengunst.
    -- -- -- -- -- -- -- -- --
    -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
    -- -- -- -- -- -- -- -- --
    Rühmend darf's der Deutsche sagen,
    Höher darf das Herz ihm schlagen:
    +Selbst+ erschuf er sich den Wert.«

Wolle man diesen Ausbruch einer gerechten Klage verzeihen, die sich
immer wieder erneuert, so oft diese trüben Tage des -- jetzt so hoch
gefeierten -- Dichters der Erinnerung vorschweben.

Die Äußerung in obigem Briefe, »daß sein Aufenthalt in Bauerbach bis
jetzt sein seligster gewesen,« war ganz seinen damaligen Umständen
angemessen. Dort, in diesem stillen Ort, in Gesellschaft und unter dem
Schutz einer wohlwollenden Freundin, hatte er keine Sorgen, durfte sich
um die Bedürfnisse des Lebens nicht bekümmern, brauchte kein Geld, weil
die Gelegenheit zu Ausgaben fehlte, und konnte um so ungestörter seinen
Träumen nachhängen, als ihm zarte Achtsamkeit und Pflege jede Mahnung
an die Kleinigkeiten des Tages ersparten. Diese Ruhe, dieser behagliche
Zustand war ihm so unvergeßlich, daß er nach Versicherung seiner
Schwester noch nach vielen Jahren die damalige Zeit als die schönste
und glücklichste seines Lebens rühmte; »daß er sich über tausend kleine
Sorgen, Bekümmernisse, Entwürfe, die ihm ohne Aufhören vorschwebten,
und seinen Geist, seine dichterischen Träume zerstreuten usw.« gegen
Herrn Reinwald beklagte, kam daher, daß er in einer Gesellschaft, die
jeden Augenblick Forderungen an ihn machte, leben mußte und lästige
Frager, Besucher oder Amtsgeschäfte nicht zurückweisen durfte.

Ihm mußte alles Störungen verursachen, da er wachend und träumend für
nichts und in nichts als theatralischen Dichtungen lebte, in diesen
wie in seinem eigentlichen Elemente sich befand, sie immerwährend
ordnend, niederschreiben zu wollen schien und dennoch bei der Menge
sich ihm darbietender Gegenstände zu keiner Entscheidung gelangen
konnte. Schon in Stuttgart hatte er sich vorgenommen, Konradin von
Schwaben zu bearbeiten; später wurde er von Baron Dalberg aufgefordert,
den Don Carlos dafür zu nehmen. Während er sich noch in Mannheim mit
der Geschichte Spaniens recht vertraut zu machen suchte, glaubte er
es leichter, einen ganz eignen Plan zu erfinden, der bald diese,
bald jene, aber immer eine tragische Entwicklung haben sollte.
Endlich glaubte er einen solchen festhalten zu müssen, in welchem
die Erscheinung eines Gespenstes die Entscheidung herbeiführte, und
beschäftigte sich so gänzlich damit, daß er schon anfing, seine
Gedanken niederzuschreiben. Aber er gab den Plan wieder auf, indem es
ihm unter der Würde des Dramas und eines wahren Dichters schien, die
größte Wirkung einer Schreckgestalt schuldig sein zu sollen.

Er machte die richtige Unterscheidung, daß ihm das Beispiel
Shakespeares, der in Cäsar und Macbeth einen Geist erscheinen läßt,
hierin nicht rechtfertigen könne, indem dieser nur als eine Nebensache
angewendet worden, die weder auf die Handlung selbst noch auf deren
Ausgang den mindesten Einfluß ausübe.

Diese Unentschlossenheit in der Wahl, dieses immerwährende Ausspinnen
einer verwickelten Gegebenheit ermüdete ihn aber weit mehr, als wenn er
die wirkliche Ausarbeitung begonnen hätte.

Jedoch er konnte nicht anders. Es war seiner Natur ganz entgegen, an
irgend etwas nur oberflächlich zu denken. Alles sollte erschöpft,
alles zu Ende gebracht werden. Daher beschäftigten sich seine Gedanken
so lange mit einem Plane, bis er entweder die Hoffnung, einen
wirkungsvollen Ausgang herbeizuführen, verlor, oder bis seine Kräfte
ermüdeten, und er dann, um diese nicht ganz abzuspannen, auf etwas
anderes überging. Seine Erregbarkeit für dichterische Gegenstände ging
ins Unglaubliche. Er war dafür gleichsam eine immer glühende, nur mit
leichter Asche bedeckte Kohle. Ein Hauch, und sie sprühte Funken.

Der Leichtigkeit gemäß, mit welcher er Pläne zu Dramen schnell
entwerfen konnte, hätte er einer der fruchtbarsten Schriftsteller für
die Bühne werden können, aber wenn es an das Niederschreiben kam, da
erlaubte sein tiefes Gefühl der Feder keine Eile. So wie er jede Sache
in ihrem ganzen Umfang erfaßte, so sollte sie auch durch Worte nicht
nur auf das deutlichste, sondern auch auf das schönste dargestellt
werden. Daher das Erschöpfende, Volle, Satte und Runde seiner Ausdrücke
und Wendungen, welche die Gedanken ebenso wie das Gefühl aufregen und
sich dem empfänglichen Gemüt einprägen.

Solche Dichter, denen ihre Gaben nur sparsam zugemessen worden, sind
um vieles mehr entschlossen. Kaum ist ein Gegenstand gefunden, so wird
schon die Feder eingetaucht, damit die Arbeit schnell fertig werde.
Schnell werden auch Vorteile damit erreicht, aber --

    »der Ruhm mit seiner Sternenkrone«

kann nie auf einem solchen Haupte verweilen. Während Schiller noch
immer unentschlossen blieb, welche Handlung er zu einem neuen
Trauerspiele wählen solle, war schon das Frühjahr verflossen, und
Baron Dalberg vernahm weder von ihm selbst noch von andern, daß er
sich für einen Stoff entschieden habe, wodurch denn die Hoffnung
verschwand, in diesem Jahre noch ein neues Stück von ihm auf der
Bühne zu sehen. Konnte dieses nicht geliefert werden, so war die
Besoldung des Theaterdichters für nichts ausgegeben, was der magern
Kasse nicht anders als schmerzlich sein konnte. Um nun Schillern zur
Arbeit anzutreiben, oder wenn dieses nicht gelingen sollte, auf eine
gute Art wieder loszubringen, beredete Baron Dalberg einen Bekannten
desselben, seinen Hausarzt, den Hofrat Mai, jenem zu raten, das Studium
der Arzneikunde wieder zu ergreifen; was eigentlich so viel heißen
sollte, diese Feder, aus welcher schon die trefflichsten Gedichte und
drei Trauerspiele geflossen, welche alle anderen der damaligen Zeit
übertrafen, und noch heute nach fünfzig Jahren auf allen deutschen
Bühnen gegeben werden, wegzuwerfen, und dafür eine solche zu nehmen,
mit welcher bloß Rezepte ausgefertigt werden könnten.

Kaum eine Viertelstunde nachdem Hr. Mai fort war, trat S. zu dem
Dichter ein, der ihm mit argloser, gutmütiger Freude den gemachten
Vorschlag berichtete und denselben -- wenn ihm auf einige Jahre
Unterstützung zu teil würde -- als das einzige Rettungsmittel aus
seinem sich täglich mehr verwirrenden Zustand ansah. Er entschloß sich,
alsogleich an Baron Dalberg zu schreiben, und obwohl ihm vorausgesagt
war, daß nur eine hofmäßige, ausweichende Antwort darauf erfolgen
würde, so ließ sich sein edles, reines Herz, das andere nur nach der
eignen Weise beurteilte, doch nicht abhalten, eine Bitte zu tun, die
zu seinem eignen Besten, sowie zur Ehre des deutschen Namens unerfüllt
blieb.

Was hätte auch die Welt, was Schiller dabei gewonnen, wenn derjenige,
den er als seinen hohen Gönner achtete, einige hundert Gulden daran
gewagt hätte, damit der Dichter wieder in einen Arzt, das heißt
in einen solchen Mann umgewandelt würde, der alles, was er bisher
geschaffen, vergäße -- der den Boden, welcher schon so herrliche,
prachtvolle Früchte getragen, wieder versumpfen ließe, um sein
tägliches Brot sicherer als bisher erwerben zu können. Auch wären die
Anstrengungen von neuen zwei Jahren um so gewisser vergeblich gewesen,
da er sich wohl nie zu dem ängstlichen Fleiße, zu einer in das kleinste
eingehenden Teilnahme hätte herablassen mögen, ohne die ein ausübender
Arzt gar nicht gedacht werden und ohne welche er nicht die geringsten
Vorteile für sein Glück erwarten darf. Wahrscheinlicherweise hätte er
sich in das Philosophische der Medizin geworfen; vielleicht -- wozu
er nur zu viele Anlage hatte -- hätte er ein ganz neues System der
Heilkunde aufgestellt.

Allein wie lange würde dieses gedauert haben? -- Jedes Geschlecht
sieht Ähnliches entstehen, und jedes erlebt auch dessen Untergang.
Sein Gebiet war ausschließend die Dichtkunst. Hier war er Held, hier
war er Herrscher; hier fühlte er seine unbezwinglichen Kräfte, und nur
durch diese konnte er sich ein Reich errichten, das nie zerstört und
dessen Grenze wohl schwerlich von jemand überschritten wird. Dieser
Antrag hatte jedoch die gute Folge, daß er seinem bisherigen Wanken
ein Ende machte und Schiller sich ernstlich entschloß, alles andere
vorläufig nicht mehr zu beachten, sondern seine ganze Zeit Don Carlos
zu widmen. Von diesem hatte er schon mehrere Szenen entworfen, auch
den Gang des Stückes so ausgedacht, daß er zwar der Geschichte nicht
ganz widerspräche, doch aber der Charakter Philipps etwas gemildert
erscheine. Überdenkt man den Inhalt seiner drei ersten Trauerspiele,
so wird man die längere Überlegung des Dichters sowie sein Zaudern,
sich schnell an diese Arbeit zu wagen, sehr begreiflich finden. Im Don
Carlos hatte er Charaktere zu schildern, die sich in der allerhöchsten
Sphäre bewegten, die nicht nur den größten Einfluß auf ihre Zeit
ausübten, sondern auch der Menschheit die tiefsten Wunden schlugen.
Wäre es nur darum zu tun gewesen, die handelnden Personen als Tyrannen,
als blutdürstige Henker zu zeichnen, so wäre die Schwierigkeit für
ihn sehr gering gewesen. Aber er mußte, oder wollte wenigstens, die
verabscheuungswürdigsten Menschen mit derselben Larve, die sie im
Leben und besonders an Philipps Hofe trugen, getreu darstellen, ihre
folgenden Handlungen andeuten und das Ganze dennoch auf eine solche
Art stellen, daß es ein höchst anziehendes Schauspiel, aber keinem
Zuschauer widerlich wäre. Seine Gespräche verbreiteten sich nicht
allein über den Plan selbst, sondern auch über die ganz neue Art von
Sprache, die er dabei gebrauchen müsse. Er wollte sie mit all dem Fluß
und Wohllaut ausstatten, für welche er ein so äußerst empfindliches
Gefühl hatte. Er glaubte daher auch, daß hierzu Jamben der Würde der
Handlung sowie der Personen am angemessensten sein würden. Im Anfange
machte ihm dieses einige Schwierigkeit, indem er seit zwei vollen
Jahren durchaus nichts mehr in gebundener Rede geschrieben hatte. Jetzt
mußte er seine Ausdrücke rhythmisch ordnen; er mußte, um die Jamben
fließend zu machen, versuchen, schon rhythmisch zu denken. Wie aber nur
erst eine Szene in dieses Versmaß eingekleidet war, da fand er selbst,
daß dieses nicht nur das passendste für das Drama sei, sondern, da es
auch gemeine Gedanken heraushebe, um so viel mehr das Erhabene und die
Schönheit der Ausdrücke veredeln mußte. Seine Freude, sein Vergnügen
über den guten Erfolg erhöhten seine Lust am Leben, an der Arbeit,
und er sah mit Ungeduld der Abendstunde entgegen, in welcher er S.
dasjenige, was er den Tag über fertig gebracht hatte, vorlesen konnte.
Dieser kannte schon früher keinen höhern Genuß als die prachtvolle, so
vieles in sich fassende und dennoch so glatt dahinrollende Prosa seines
Freundes. Nun aber mußte sein Gefühl sich in Entzücken verwandeln, als
er Gedanken und Ausdrücke wie folgende:

    »Ich stand dabei, als in Toledos Mauern
    Der stolze Karl die Huldigung empfing,
    Als graue Fürsten zu dem Handkuß wankten,
    Und jetzt in einem -- einem Niederfall
    Sechs Königreiche ihm zu Füßen lagen.
    Ich stand und sah das junge, stolze Blut
    In seine Wangen steigen, seinen Busen
    Von fürstlichen Entschlüssen wallen, sah
    Sein trunknes Aug' durch die Versammlung fliegen
    In Wollust brechen -- Prinz -- und dieses Aug'
    Sprach laut: ›Ich bin gesättigt.‹«

nach den Gesetzen der Tonkunst aussprechen hörte.

Wie glücklich, wie erhaben waren solche Stunden, in welchen der hohe
Meister sein Werk einem reinen, warmen Sinne vorlegen und den tiefen,
unverfälschten Eindruck gewahren konnte, den es in dem Gemüte des
begeisterten Jünglings hervorbrachte. Jeder Vers wurde als trefflich,
jedes Wort, jeder Ausdruck als erschöpfend anerkannt, denn es war auch
alles groß, alles schön, jeder Gedanke voll Adel. Er konnte ja nichts
Gemeines hervorbringen. Der enthusiastische Freund beschwor Schillern,
bei ähnlichen Gegenständen sich doch gewiß nie mehr zur Prosa
herabzulassen, indem er selbst wahrnehmen müsse, wie viele Wirkung
schon die ersten Versuche erregten.

Nun arbeitete er sehr fleißig an diesem Trauerspiel, übte sich aber
auch zugleich, um seine Einbildungskraft zeitweise ausruhen zu lassen,
in der französischen Sprache, die ihm seit zwei Jahren fremd geworden
war, und welche er sowohl zum Lesen von Racine, Corneille, Diderot
usw. als auch zum Übersetzen sich wieder geläufig machen wollte. Zu
letzterem bewog ihn besonders, seit das Projekt einer Dramaturgie
rückgängig geworden, der Vorsatz, eine Monatschrift herauszugeben,
welche zwar vorzüglich theatralischen Arbeiten und Beurteilungen
gewidmet sein sollte, von der aber auch andere Sachen, die für die
Lesewelt anziehend sein könnten, nicht ausgeschlossen wären. Das
Sammeln der Materialien für mehrere Hefte, das Ausarbeiten derselben,
welches in Mannheim, da er noch keinen Mitarbeiter hatte, ganz auf ihm
lastete, beschäftigte ihn oft bis tief in die Nacht, erhöhte aber auch
seinen Mut, weil er daraus größere Vorteile als durch Stücke für die
Bühne zu ziehen hoffen durfte. Während dieser Anstrengungen, in denen
er sich nur wenige Ruhe gönnte und wo er alles zu ergreifen suchte, um
sein Leben nur einigermaßen von Sorgen frei zu halten, wurde er an eine
Verpflichtung gemahnt, die er noch in Stuttgart eingegangen, und an die
er nur mit Bangigkeit denken konnte.

Es ist aus seinem Briefe aus Frankfurt an Baron Dalberg ersichtlich,
daß er diesen auf die edelste, rührendste Art um einen Vorschuß von 200
Gulden gebeten, damit er die dringendsten Schulden, die seine schnelle
Entfernung zu bezahlen ihm unmöglich machte, damit tilgen könne. Er
sagt dabei: »Ich darf es Ihnen gestehen, daß mir das mehr Sorgen macht,
als wie ich mich selbst durch die Welt schleppen soll. Ich habe so
lange keine Ruhe, bis ich mich von der Seite gereinigt habe.«

Diese für einen reichen Mann so leicht zu erfüllende Bitte wurde
ihm aber nicht gewährt, sondern er wurde durch erregte Hoffnungen
veranlaßt, seine wenige Barschaft in Oggersheim vollends aufzuzehren.
Auch seine folgenden Verhältnisse gestatteten ihm nicht, die gemachten
Versprechungen zu halten und mit deren Erfüllung eine Last von sich
abzuwälzen, die für sein wohlwollendes, für die Ehre sehr empfindliches
Gemüt die drückendste seines früheren und späteren Lebens war. Beinahe
zwei Jahre schon war die Geduld der Gläubiger hingehalten worden; er
durfte also die Meinung hegen, daß dieses vielleicht noch länger der
Fall sein könnte. Allein zu seinem nicht geringen Schrecken kam es
anders. Die Person, welche sich für ihn auf obige Summe verbürgt hatte,
wurde so sehr von den Darleihern gedrängt, daß sie aus Stuttgart nach
Mannheim entfloh. Man setzte ihr nach, erreichte sie dort und hielt sie
gefangen.

Um sie für jetzt und für die Zukunft zu retten, blieb kein anderes
Mittel, als ihr die 200 Gulden zu erstatten, für welche sie sich
verbürgt hatte. Aber woher sollte diese für den, der keine andere
Sicherheit als die Früchte seiner Feder leisten konnte, sehr bedeutende
Summe aufgebracht werden? Von daher, wo er schon zweimal vergeblich
Hilfe suchte, durfte er keine gewärtigen. Auch wollte er sich, da die
ganze Sache ein Geheimnis bleiben sollte, nur jemand vertrauen, von
dessen Verschwiegenheit er versichert sein konnte. Glücklicherweise
war er mit einem sehr achtungswerten Manne, dem Baumeister Herrn Anton
Hölzel, bei welchem S. wohnte, nicht nur bekannt, sondern wurde von
ihm auch außerordentlich hochgeachtet, und dieser, so wenig er auf
Reichtum oder Wohlhabenheit Anspruch machen konnte, scheute kein Opfer,
um die verlangte Hilfe zu verschaffen, damit er aus einer Verlegenheit
befreit würde, die von höchst nachteiligen Folgen für ihn hätte sein
können. Es wäre vielleicht möglich gewesen, daß seine Eltern diesen
Betrag erlegt oder wenigstens Bürgschaft dafür geleistet hätten, aber
um dieses einzuleiten war die Zeit zu kurz. Um Rat zu schaffen, durfte
kein Augenblick verloren werden. Und dann war auch sein Stolz zu groß,
um seine gefährliche Lage dem Vater zu enthüllen, welcher seine Flucht
sowohl als auch seine ungewissen Verhältnisse bisher immer mißbilligt
hatte.

Dieser höchst unangenehme Vorfall machte auf den gepeinigten Dichter
einen um so tieferen Eindruck, als jetzt durchaus nicht mehr abzusehen
war, wie oder in welcher Zeit eine Rettung aus seinen Geldnöten möglich
sein würde. In dem für ihn so fatalen Mannheim war keine Erlösung aus
den Sorgen zu hoffen; denn bei so geringen Einkünften mußten sich seine
Umstände immer tiefer und endlich auf einen solchen Grad verschlimmern,
daß ihm zuletzt kein anderes Mittel zu Gebote gestanden hätte, als sich
heimlich zu entfernen. Aber wohin??? -- -- -- dies war eine Frage, auf
die keine Antwort sich finden ließ.

Wie aber oft das dichteste, schwärzeste Gewölk sich plötzlich öffnet,
um einen erquickenden Strahl der Sonne durchzulassen, oder auch der
schwere Arm des Schicksals über den harten Prüfungsschlägen selbst
ermüdet, so geschah es hier, und der erste Schritt, um Deutschland
seinen edelsten Dichter zu erhalten, wurde nicht von seiner Umgebung,
die täglicher Zeuge seines großen Charakters war, auch nicht von denen,
die von den Früchten seines Geistes Vorteile zogen, sondern von solchen
Menschen getan, deren Dasein ihm gar nicht bekannt war. Ganz unerwartet
nämlich erhielt er durch den Postwagen[8] ein Päckchen, in welchem
vier Bildnisse, mit farbigen Stiften auf Gips gezeichnet, nebst einer
gestickten Brieftasche mit Schreiben sich befanden, welch letztere von
der wärmsten, tiefsten Verehrung gegen seine großartigen Arbeiten sowie
von der richtigen Würdigung seines außerordentlichen Dichtergeistes
zeugten.

Wie wohltuend der Eindruck gewesen, den diese schöne Überraschung
auf Schiller machte, dies kann selbst der Augenzeuge nicht gehörig
beschreiben. Obwohl er auch hierüber sich ebenso auf die edelste,
männlichste Art wie über alles äußerte, so zeigte dennoch seine
vermehrte Heiterkeit fast in höherem Grade als seine Gespräche, wie
erfreulich es ihm sei, in weiter Ferne von gebildeten Menschen erkannt,
hochgeachtet und wegen seiner Leistungen geliebt zu werden; daß diese
aus einem Gesichtspunkt angesehen würden, welcher ihn hoch über seine
Zeit stellte -- daß, wenn auch die meisten, welche ihn umgaben, stumm
blieben und nur Kälte zeigten, es noch an manchen Orten Herzen geben
könne, die für ähnliche Gefühle wie das seinige schlügen -- daß er,
seiner bittern, düstern Verhältnisse ungeachtet, sich durch eine solche
Anerkennung weit höher als durch Reichtümer belohnt finde.

Hätten doch Herr Körner, seine Braut, deren Schwester und Professor
Huber, von denen dies die Abbildungen waren, sehen können, wie
glücklich diese Aufmerksamkeit Schillern machte, welche Ruhe,
welche Zufriedenheit dadurch in sein ganzes Wesen kam, wie es ihm
schmeichelte, die erhaltenen Beifallsbezeugungen mit seinen eignen
Ansichten übereinstimmend zu finden, wahrlich, sie hätten die süße
Genugtuung empfunden, dem Dichter das Vergnügen, welches er ihnen durch
seine Werke verschafft, reichlich vergolten zu haben!

Wer nie in dem Falle war, bei sich selbst oder bei andern
wahrzunehmen, wie stumpf, wie gebeugt der Geist endlich werden muß,
wenn dasjenige, was das Talent erschafft, nicht gehörig gewürdigt
oder nicht verhältnismäßig belohnt wird, der kann es auch unmöglich
fassen, wie sehr eine unvermutete Anerkennung des wahren Wertes dem
Selbstvertrauen, der Tätigkeit eine Schnellkraft verleiht, die das
ganze frühere Empfindungsvermögen so sehr verändert, daß derjenige,
welcher soeben erst in sich zusammengesunken war, plötzlich mit
erhobenem Haupte sich aufrichtet. Den Dichtern, Künstlern ist es zwar
immer angenehm, wenn ihre Verdienste durch Ehre, Geld oder andere
Zeichen des Beifalls belohnt werden; aber höher als alles dieses achten
sie es dennoch, wenn die innersten Absichten ihrer Arbeiten so gänzlich
begriffen werden, daß sie in demjenigen, der über sie urteilt und ihnen
kenntnisreiche Lobsprüche spendet, ihr eigentliches Selbst erkennen.

Dieselbe Wirkung brachte diese Überraschung auf Schillern um so
mehr hervor, weil sie von Fremden ausging, er seine Umgebung schon
gewohnt war und nur äußerst wenige sich fanden, welche seine hohen
Darstellungen sowie den tiefen Sinn, der in ihnen lag, genugsam hätten
würdigen können. Allmählich wurde auch die Hoffnung in ihm erregt, daß
diese neuen Freunde wohl keine Verwendung unterlassen würden, um ihn
aus seinem dermaligen Zustande zu erlösen und in bessere Verhältnisse
zu setzen. Dieses bestätigte sich auch später in einem solchen Grade,
daß es für denjenigen, der sich an den Werken des Unsterblichen stärkt
und kräftigt, noch heute eine Art von Pflicht ist, dabei auch Körners,
seines erhaltenen, unwandelbaren Freundes dabei eingedenk zu sein.

Ehre demjenigen, der einem aus drückenden Lebensverhältnissen befreiten
Talente seine Achtung und Aufmerksamkeit beweist! Aber die größte
Ehre sei dem, welcher einem hohen Geiste die Hindernisse wegräumt,
die seinem freien Wirken sich entgegenstellen, und der nicht seinen
Überfluß, sondern sein Notwendiges mit ihm teilt. Der Eifer und
die Tätigkeit Schillers schienen durch den Briefwechsel mit den
neuen Freunden einen lebhaften Schwung erhalten zu haben, denn er
arbeitete nun ohne Rast an Don Carlos und an dem ersten Hefte seiner
Monatsschrift. Eine angenehme Zerstreuung verschaffte ihm der Besuch
seiner ältesten Schwester, welche, von Herrn Reinwald begleitet, auf
kurze Zeit nach Mannheim kam. Die blühende, kräftige Jungfrau schien
entschlossen, ihr künftiges Schicksal mit einem Manne zu teilen, dessen
geringe Einkünfte und wankende Gesundheit wenig Freude zu versprechen
schienen. Jedoch waren ihre Gründe dazu so edler Art, daß sie auch
in der Folge es nie bereute, das Herz ihrem Verstande und einem
vortrefflichen Gatten geopfert zu haben. Nicht lange nach der Schwester
Abreise wählte Herr von Kalb, damals Offizier in französischen
Diensten, wo er die Feldzüge des nordamerikanischen Befreiungskrieges
mitgemacht und sich dabei sehr ausgezeichnet hatte, mit seiner Gemahlin
und Schwägerin seinen Aufenthalt zu Mannheim. Schiller lernte sogleich
diese in jedem Betracht edle Familie kennen, in welcher Frau von
Kalb durch ihren richtigen Verstand und feine Geistesbildung sich
besonders auszeichnete. Für den Dichter war der Umgang mit diesen
seltenen Menschen ebenso wichtig als erheiternd, indem kein Gegenstand
der Literatur sich fand, mit welchem diese Dame nicht vertraut gewesen
wäre, oder irgend eine Weltbegebenheit, bei deren Beurteilung man das
Umfassende, Scharfsinnige und die klaren Ansichten ihres Gemahls nicht
hätte bewundern müssen.

Die Musik verschaffte S. das noch stets in Andenken erhaltene Glück,
Frau von Kalb mehrmals in der Woche zu sehen und, da sie eben in der
Dichtung eines Romans begriffen war, auch über andere Gegenstände
mit ihr zu sprechen. Es war nichts natürlicher, als daß sehr oft von
Schiller und seinen Arbeiten die Rede war, von denen aber S. den
Don Carlos, den der Dichter jetzt unter der Feder habe, weit über
alles früher Geleistete setzte. Die Neugierde der Frau v. K. wurde
durch die begeisterten Lobeserhebungen auf das höchste gespannt. Sie
ersuchte Schillern einigemal, ihr doch etwas davon lesen zu lassen.
Allein dieser wollte erst noch einige Szenen fertig machen, dann ins
Reine schreiben und, um jede Schönheit gehörig herauszuheben, selbst
vorlesen. Frau v. K. fügte sich um so eher in diesen Aufschub, weil sie
hoffte, daß einige weitere Szenen ihr Vergnügen erhöhen müßten und sie
auch davon den schönsten Genuß sich versprach, die ihr mit so vielem
Enthusiasmus angerühmte prachtvolle Sprache aus des Dichters eignem
Munde zu vernehmen. Dieser brachte endlich eines Nachmittags seinen Don
Carlos zu der in der größten Erwartung harrenden Frau und las ihr den
fertigen Teil des ersten Aktes vor. Lauschend heftete die Zuhörerin
ihre Blicke auf den mit Pathos und Begeisterung deklamierenden
Verfasser, ohne durch das leichteste Zeichen ihre Empfindung erraten zu
lassen. Als dieser geendigt hatte, fragte er mit der unbefangensten,
freundlichsten Miene: »Nun, gnädige Frau! wie gefällt es Ihnen?« Diese
suchte auf die schonendste Art einer bestimmten Antwort auszuweichen.
Als aber wiederholt um die aufrichtige Meinung über den Wert dieser
Arbeit gebeten wurde, brach Frau v. K. in lautes Lachen aus und sagte:
»Lieber Schiller! das ist das Allerschlechteste, was Sie noch gemacht
haben.« -- »Nein! das ist zu arg!« erwiderte dieser, warf seine
Schrift voll Ärger auf den Tisch, nahm Hut und Stock und entfernte
sich augenblicklich. Kaum war er aus der Tür, als Frau v. K. nach dem
Papiere griff und zu lesen anfing. Sie hatte die erste Seite noch
nicht geendigt, als sie sogleich dem Bedienten schellte. »Geschwind,
geschwind lauf' Er zu Herrn Schiller: ich lasse ihn um Verzeihung
bitten, ich hätte mich geirrt, es sei das Allerschönste, was er noch
geschrieben habe, er solle doch ja sogleich wieder zu mir kommen.« Der
Auftrag wurde ebenso schnell als genau ausgerichtet. Allein Schiller
gab der Bitte kein Gehör, sondern kam erst den folgenden Tag zu der
feinsinnigen Frau, die zwar ihr erstes Urteil sehr willig zurücknahm,
ihm aber auch erklärte, daß seine Dichtungen durch die heftige,
stürmische Art, mit welcher er sie vorlese, unausbleiblich verlieren
müßten.

Als Kabale und Liebe wieder aufgeführt wurde, hatte Schiller die
Aufmerksamkeit, den Namen des Hofmarschalls umschaffen zu wollen.
Allein Herr und Frau von Kalb dachten viel zu groß, um sich durch
einen erdichteten Namen irren zu lassen, und widersetzten sich einer
Abänderung aus dem sehr richtigen Grunde, daß ein anderer Name als der
frühere die Vermutung herbeiführen müsse, als sei der vorherige auf
jemand aus ihrer Familie abgesehen gewesen.

Der Umgang mit diesen wahrhaft edlen, vortrefflichen Menschen nebst
dem Briefwechsel mit den Freunden in Leipzig verschafften dem
Dichter zwar viele erheiternde Stunden, konnten aber dennoch seine
häuslichen Verhältnisse und seine schwankende, unbestimmte Stellung
nicht verbessern, sondern er mußte in so beunruhigenden Umständen
auch den Herbst nebst dem Anfange des Winters noch ebenso wie bisher
zubringen, obwohl er sich mit Sachen beschäftigte, welche nur der ganz
sorgenfreien Laune an den Tag zu fördern möglich sind.

Endlich zu Anfang des Jahres 1785[9] verbreitete sich in Mannheim das
Gerücht, der regierende Herzog von Weimar werde auf einen Besuch zu
der landgräflichen Familie nach Darmstadt kommen. Schiller, von seinem
eignen Verlangen ebensosehr als von Herrn und Frau Kalb angeeifert,
wünschte nichts so sehnlich, als bei dieser aus den feinsten Kennern
des wahrhaft Schönen bestehenden Zusammenkunft sich als denjenigen
zeigen zu dürfen, der wohl würdig wäre, dem schönen Bunde in Weimar
beigesellt zu werden, welcher den Namen seines hohen Beschützers auf
die späteste Nachwelt übertragen würde. Die Güte, die Herablassung
nebst aufrichtiger Anerkennung großer Eigenschaften waren von dem
Herzoge von Weimar ebenso zu erwarten, als das zuvorkommende Benehmen
der Frau Landgräfin gegen jeden ausgezeichneten Künstler oder Dichter
sich schon so oft gezeigt hatte. Der Ruf von dem hohen Werte der
theatralischen Arbeiten Schillers war keinem Deutschen unbekannt,
daher die Empfehlungsbriefe von Herrn und Frau von Kalb nebst denen
von Baron Dalberg an die nächste Umgebung der fürstlichen Personen mit
freundlichster Berücksichtigung aufgenommen wurden.

Schillers wichtigste Angelegenheit war, seinen Don Carlos in demjenigen
Kreise bekannt zu machen, für den er eigentlich gedichtet schien.
Hatte er darin die richtigste Ansicht getroffen, die würdigste
Sprache gewählt, so durfte er nicht allein den ungeteilten Beifall
der hohen Gesellschaft, sondern auch die wichtigste Entscheidung für
seine Zukunft erwarten. Sein Wunsch, Don Carlos selbst vorzulesen,
wurde mit fürstlichem Wohlwollen gewährt und diese majestätische
Dichtung mit so entschiedenem Anteil aufgenommen, daß es bei einer
folgenden Unterredung mit dem Herzoge von Schiller nur einer leisen
Bitte bedurfte, um von demselben eine öffentliche Anerkennung seines
außerordentlichen Geistes zu erhalten.

Schiller kehrte als Rat des Herzogs von Weimar nach Mannheim zurück.

Konnte dieses einsilbige Wörtchen den Verdiensten des schon damals
alles überragenden Dichters auch keinen neuen Glanz verleihen, so hatte
es wenigstens für die Gegenwart dennoch die Wirkung eines Talismans;
denn seine Verhältnisse, von denen sich nur die traurigste Wendung
erwarten ließ, gestalteten sich von nun an um vieles beruhigender, ja
sie erhielten dadurch einen Anhaltspunkt, der bis jetzt nur ersehnt,
aber nicht erreicht werden konnte. Das Verlangen der Eltern, er möchte
durch eine dauernde Versorgung einem Fürsten angehören, schien erfüllt,
seinen in Stuttgart zurückgelassenen Tadlern wurde bewiesen, daß seine
Talente im Auslande weit größere Würdigung als in Württemberg gefunden
und auch solche, die gegen seine Arbeiten gleichgültig geworden waren,
mußten für ihn höhere Achtung gewinnen, da er von einem so vollgültigen
Richter würdig befunden wurde, dem schönsten Geisterverein, welchen
Deutschland jemalen aufzuweisen hatte, für immer anzugehören.

Ohne daß Schiller es ahnte oder zu wissen schien, hatte dieser kleine
Beisatz zu seinem Namen dennoch einen sehr großen Einfluß auf ihn.
Sein Betragen wurde freier, bestimmter. Dieser Titel hatte in ihm
die Gewißheit erweckt, sich ein neues besseres Vaterland erwerben
zu können. Die Beurteilungen des Theaters wurden kälter, schärfer
ausgesprochen, als früher geschah. Seine Tätigkeit war wie neu belebt;
auch arbeitete er jetzt mit um so mehr Freude, je näher eine günstige
Veränderung seines ihm bisher nur Unheil bringenden Aufenthaltes zu
hoffen war.

Aber auch der Theaterdichter wurde von dem Herrn Rat nun mit ganz
andern Augen angesehen, weil jener nie aus der begonnenen Bahn treten,
weil er immer dieselbe Last tragen muß, wohingegen dieser, von Stufe
zu Stufe immer höher steigend, seinen Ehrenkreis erweitern kann.
Vorzüglich aus letzterer Ursache schloß er, daß sein Verbleiben in
Mannheim ihm nicht nur unnütz, sondern sogar schädlich sein müsse,
weil es ihm nicht die geringste Verbesserung darbieten könne. Er
leitete deshalb nicht nur mit seinen Leipziger Freunden, sondern auch
mit Herrn Schwan das Nötige ein, um seinen bisherigen Aufenthalt im
Anfange des Frühjahres zu verlassen. Gegen das Theater selbst war er
um so gleichgültiger geworden, weil es keine seiner Erwartungen ganz
erfüllt hatte; zum Teil aber auch, weil der größte Teil der Mitglieder
ihn jetzt schmähte und erbost auf ihn war. Dieser fast allgemeine
Haß war durch die Beurteilungen (in dem ersten Hefte der Rheinischen
Thalia) der Darstellung einiger Stücke veranlaßt, in welchen mehrere
Mitglieder, die früher an vieles Lob von ihm gewöhnt waren, sehr
hart mitgenommen wurden. Diese Kritiken mußten um so mehr auffallen,
als damals eine Zeitung oder ein Journal sehr selten über einzelne
Schauspieler etwas erwähnte und diese ohnehin es mit den meisten
Künstlern gemein haben, sich für vollkommen oder unfehlbar zu achten.
Zu Anfang des März 1785 wurde alles von ihm veranstaltet, um Mannheim
bald verlassen zu können, welches, durch erhaltene Wechsel aus Leipzig
erleichtert, zu Ende des Monats auch wirklich ausgeführt wurde. Den
Abend vor seiner Abreise, welche bei Anbruch des kommenden Tages vor
sich gehen sollte, brachte S. bis gegen Mitternacht bei ihm zu. Die
vergangenen zwei Jahre, welche auf eine sehr unangenehme Weise von ihm
verlebt waren, berührte er nur insofern, als sie in ihm die traurige
Überzeugung hervorgebracht, daß in Deutschland, wo (1785) das Eigentum
des Schriftsteller wie des Verlegers jedem preisgegeben, ja als
vogelfrei erklärt sei, und bei der geringen Teilnahme höherer Stände
an den Erzeugnissen der deutschen Literatur ein Dichter, würde er auch
alle andern der verflossenen oder gegenwärtigen Zeit übertreffen, ohne
einen besoldeten Nebenverdienst, ohne bedeutende Unterstützung, bloß
durch die Früchte seines Talents unmöglich ein solches Einkommen sich
verschaffen könne, als einem fleißigen Handwerksmanne mit mäßigen
Fähigkeiten dieses gelingen müsse. Er war sich bewußt, alles getan zu
haben, was seine Kräfte vermochten, ohne daß es ihm gelungen wäre, das
wenige zu erwerben, was zur größten Notwendigkeit des Lebens gezählt
wird, noch weniger aber so viel, daß er bei seiner Abreise auch seine
Geldverbindlichkeiten hätte erfüllen können. Von nun an sollte nicht
mehr die Dichtkunst, am wenigsten aber das Drama, der einzige Zweck
seines Lebens sein, sondern er war fest entschlossen, den Besuch der
Muse nur in der aufgereiztesten Stimmung anzunehmen; dafür aber mit
allem Eifer sich wieder auf die Rechtswissenschaft zu werfen, durch
welche er nicht nur aus jeder Verlegenheit befreit zu werden, sondern
auch einen wohlhabenden, sorgenfreien Zustand zu erwerben hoffen dürfe.

Diesen Plan besprach er von allen denkbaren Seiten. Wenn auch eine
sich als widrig zeigte, so wäre sie doch nicht von der demütigenden
Art, wie solche, die sich täglich dem Dichter darbieten, der in der
höheren Gesellschaft nicht aufgenommen, wenn er seine Feder der Bühne
widme, sogar verachtet sei, auf keinen Rang unter den Ständen Anspruch
machen dürfe und wie ein fremdes, heimatloses Wesen seinen kärglichen
Unterhalt mit unablässiger Anstrengung erringen müsse. Seinen Talenten,
seiner Beharrlichkeit traute er es zu, in weniger als einem Jahre
die Theorie der Rechtswissenschaft, unterstützt von den reichen
Hilfsmitteln der Leipziger Universität, soweit inne zu haben, daß er
auch darin wie in der Arzneikunde den Doktorhut nehmen und dadurch sich
nicht nur einen bessern, sondern auch beständigern Zustand bereiten
könne. Er glaubte den Schluß mit vollem Rechte machen zu dürfen, wenn
die Erlernung dieser Wissenschaft einem gewöhnlichen Kopf in einigen
Jahren möglich sei, so müsse es ihm -- der von Jugend auf zum Studieren
von Systemen angehalten worden -- der in den zwei ersten Jahren,
die er in der Akademie zubrachte, bedeutende Fortschritte in dieser
Wissenschaft getan -- der das Lateinische ebenso geläufig wie seine
Muttersprache inne habe -- der Hallers Werke in drei Monaten sich so
eigen gemacht, daß er eine Prüfung darüber mit Ehren bestehen konnte --
dem das Nachdenken eine Lust, ein Bedürfnis sei -- um so viel leichter
werden, den Schneckengang anderer mit seinen weit ausgreifenden
Schritten zu überholen und schnell dahin zu gelangen, wo ihn auch die
kühnste Erwartung erst nach Jahren vermute.

Sein Vorsatz darüber war so fest, die Ausführung schien ihm so
leicht, eine ehrenvolle Anstellung bei einem der kleinen sächsischen
Höfe so nahe, daß er und der zurückbleibende Freund sich die Hände
darauf gaben, so lange keiner an den andern schreiben zu wollen, bis
er Minister oder der andere Kapellmeister sein würde. Mit diesem
feierlichen Versprechen schieden beide voneinander.

Aber die Himmlischen hatten anders über ihn beschlossen. Sie ließen es
nicht zu, daß eine solche Fülle von Gaben, reich genug, um Millionen zu
beglücken, nur auf einen engen Kreis beschränkt oder ganz unfruchtbar
bleiben sollte. Mit Liebe leiteten sie nun an sanfter, gütiger Hand
ihren Begünstigten in die Arme von Freunden, die alles aufboten, damit
er seinem hohen Berufe nicht ungetreu würde, damit er die unendliche
Menge des wahrhaft Schönen und Guten, welches er in sich trug, zur
Veredlung der Menschheit, zur Erleuchtung und Stärkung kommender
Geschlechter, zu unvergänglichem Ruhme seiner selbst sowie zu dem
seines eigentlichen Vaterlandes anwenden konnte.

       *       *       *       *       *

Durch diese nach allen Umständen getreue Erzählung darf der Verfasser
glauben, eine sehr bedeutende Lücke, die sich -- ohne irgend eine
Ausnahme -- in allen Lebensbeschreibungen des großen Mannes findet,
ausgefüllt, und einem künftigen Biographen die vollständige Darstellung
eines auf seine Zeit so einflußreichen Lebens erleichtert zu haben.
Der verehrte Leser wolle nun diese von einem Augenzeugen gegebene
Mitteilung mit den früher von andern dem Publikum vorgelegten
vergleichen und dann die Glaubwürdigkeit letzterer beurteilen.


        Ende.


        Auf Kriegspapier gedruckt.



Fußnoten


[1] Tatsächlich hat die Flucht am 22. September stattgefunden.

~W.~


[2] Wenn man die Zeitverhältnisse und die Lage Schillers
berücksichtigt, so wird man die Allgemeinheit und bittere Härte dieser
Äußerung entschuldigen.

Anm. Streichers.


[3] Vermutlich ist dieser Brief erst Anfang Oktober geschrieben.

~W.~


[4] Tag. Soll heißen: Winter.

~W.~


[5] »In den ersten Tagen des Septembers 1783.« Dies ist ein Irrtum.
Schiller kam am 27. Juli in Mannheim an.

~W.~


[6] Der Kontrakt ist tatsächlich erst am 20. August geschlossen worden
und lief vom 1. September 1784 an.

~W.~


[7] Diese Zusammenkunft geschah in Wirklichkeit schon vor der Abreise
nach +Bauerbach+ zwischen dem 22. und 25. November 1782.

~W.~


[8] Vielmehr durch Götz, Angestellten in der Schwanschen Buchhandlung,
der von der Leipziger Messe zurückkehrte.

~W.~


[9] Die Vorlesung des Don Carlos fand am 26. Dezember 1784 statt.

~W.~



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    Weitere Anmerkungen zur Transkription


    Offensichtlich fehlerhafte Zeichensetzung wurde stillschweigend
    korrigiert.

    Korrekturen (die korrigierten Wörter sind in {} eingeschlossen):

    S. 109: gegewesen → gewesen
      ein württembergischer Offizier bei ihnen {gewesen} sei

    S. 172: das → daß
      Ohne {daß} Schiller es ahnte





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