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Title: Jüdische Flieger im Kriege - ein Blatt der Erinnerung
Author: Theilhaber-Berlin, Felix A.
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Jüdische Flieger im Kriege - ein Blatt der Erinnerung" ***


Anmerkungen zur Transkription:

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               *       *       *       *       *



  Jüdische Flieger
  im Kriege

  ein Blatt der Erinnerung

  von

  Dr. Felix A. Theilhaber-Berlin

  Berlin 1919

  Verlag von _Louis Lamm_



  Herrn Geheimrat Dr.

  Eugen Fuchs

  in Erinnerung an die Gründung der V. j. O. D.

  zugeeignet.



Zur Geschichte der Juden und über ihre Anteilnahme an den
großen Kriegen des vorigen Jahrhunderts erschien zu Beginn des
Weltkrieges eine eingehende Untersuchung von Professor Dr. Ludwig
Geiger. Den Anteil an den napoleonischen Kämpfen leitet ein Jude
namens Berck ein, der unter Kosziuszko ein Freikorps errichtet
und zum Chef eines Reiter-Regiments avanziert. Dieser Umstand
beeinflußte den preußischen Minister Schrötter, einen unbedingten
Gegner der Juden, im Jahre 1808 seinem König einen Entwurf
vorzulegen, der sich also anließ:

»Der Jude hat orientalisch-feuriges Blut und eine lebhafte
Imagination. Alles Anzeichen einer männlichen Kraft, wenn sie
benutzt und in Tätigkeit gesetzt wird.

Er ist in der älteren und auch in der mittleren Zeit sehr tapfer
gewesen und man hat selbst in ganz neuerer Zeit, sowohl im
amerikanischen als französischen Revolutionskriege auffallende
Beispiele von Juden gehabt, welche sich ausgezeichnet haben ...«

Eine amtliche Denkschrift der preußischen Regierung
ermittelte Jahrzehnte später die Anteilnahme der Juden an
den Befreiungskämpfen. Bei einzelnen Armeekorps war keine
konfessionelle Erfassung der Kriegsteilnehmer mehr möglich.

»Indessen« kommt die offizielle Untersuchung nach Geiger zu
diesen Schlüssen, »hat sich doch ergeben, daß beim 2., 3. und
5. Armee-Korps etwa je 40 Mann, beim 6. 60 Mann und beim 4. 80
Mann jüdischen Glaubens gedient haben, und es ist besonders
angeführt, daß sie beim 2. und 3. Armeekorps _fast sämtlich_
resp. größtenteils, beim 5. Armeekorps wenigstens die Hälfte,
beim 4. Armeekorps unter den überhaupt 80 Mann 2 Mann als
freiwillige Jäger eingetreten sind, während beim 1. Armeekorps,
obschon die Listen fehlen, doch als feststehend bezeichnet wird,
daß sich im Kriege _mehr freiwillige_ als im Frieden gemeldet
haben. Ihre Führung im Kriege wird beim 2. und 3. Armeekorps als
gut bezeichnet und beim letzteren, wie beim 2. Armeekorps wird
anerkannt, daß sie zum Teil _mit besonderer Auszeichnung_ gedient
haben, wie denn auch beim 7. Armeekorps ihnen das Zeugnis gegeben
wird, sich dem Feinde gegenüber sehr brav benommen zu haben und
vom Generalkommando des 1. Armeekorps angeführt ist, daß ihre im
Kriege geleisteten Dienste gelobt würden.«

Die amtliche Untersuchung gibt daher in den bezeichnenden Worten
Ausdruck:

»Faßt man den Inhalt dieser Ermittelungen zusammen, so darf
man als erfahrungsmäßiges Resultat annehmen, daß die Juden des
preußischen Heeres von den Soldaten der christlichen Bevölkerung
im allgemeinen nicht erkennbar unterschieden sind, daß sie im
Kriege gleich den übrigen Preußen sich bewährt.«

Ueber einzelne Heldentaten jüdischer Krieger sind bei Geiger
wertvolle Dokumente gesammelt, ebenso wie Stimmen nichtjüdischer
Autoren, die die Tapferkeit der jüdischen Soldaten und die
vaterländische Treue der ganzen israelitischen Bevölkerung
anerkennen.

Eine kleine Zahl von Juden brachte es deshalb auch zum Offizier.
Ein Jude Siegmund _Plessner_ aus Pleß bekam beim Abschied den
Hauptmannsrang (er war später Mathematiklehrer in Erfurt), Meno
_Burg_ wurde sogar aktiver Major. Seine Autobiographie hat Geiger
ebenfalls neu herausgegeben. Eine Reihe von Juden erhielten
Auszeichnungen, Eiserne Kreuze und andere Orden. Sogar den Orden
Pour-le-Mérite erhielt ein Jude, Simon _Kremser_ aus Berlin.
Er muß dem Heere und dem Fürsten Blücher wertvolle Dienste in
schweren Zeiten erwiesen haben. Eine Jüdin Louise _Grafemus_
(nach der Vossischen Zeitung vom 9. Dezember 1815) machte den
Feldzug als Freiwillige mit und wurde dabei zweimal verwundet;
auch sie erwarb sich das Eiserne Kreuz.

1866 und 1870 haben sich nach Geiger u. a. die Juden auf dem
Schlachtfelde vollauf bewährt.

Auf diese und andere historische Tatsachen wird hier nicht
eingegangen, da unsere Darstellung der heutigen Zeit gilt. Die
folgenden Blätter dienen einem erstmaligen Versuch, einige
Lebensläufe jüdischer Soldaten unseres Krieges zu sammeln, die
Erinnerung an sie festzuhalten, an der Hand objektiver und
subjektiver Dokumente ihrer Wesensheit nachzugehen und damit jenen
Bestrebungen, den Juden _generell_ Mannesmut, Pflichterfüllung
und Selbstaufopferung abzusprechen, entgegenzutreten. Nicht nur
der Kampf gegen den Antisemitismus erfordert diese Aufgabe. Die
heranwachsende Generation junger Juden darf und muß von der Art der
jüdischen Soldaten die volle Wahrheit erfahren, muß von Männern
hören, die Seite an Seite mit ihren nichtjüdischen Kameraden Gut
und Blut freudig und stolz der Staatsidee geopfert haben.

Wenn wir so Juden als Helden reklamieren, so sind wir uns
bewußt, daß der Beweis nicht einfach zu erbringen ist. Der
Begriff des Heldentums hat wenig objektive Merkmale. Mancher
Held der Geschichte verlor durch neue Enthüllungen oder hielt
den Maßstäben andrer Zeiten nicht mehr stand. Bekannt ist die
Börnesche Kritik an dem Schillerschen Nationalheros Tell, dessen
Tat dem Frankfurter ehemaligen Polizeibeamten aus dem Hinterhalt
heraus wenig ansprechend schien. Vielleicht paßt hierher das Wort
Friedrich des Großen, daß Alexander der Große ein Straßenräuber
gewesen sein mag, den aber zum mindesten sein Biograph geschickt
zum Helden, zum göttlichen Heros gemacht hat. Das Urteil der
Umwelt, die Macht eines großen Schriftstellers kann das Verdienst
vergrößern. Außerdem beeinflussen die verschiedene Beurteilung
des Beschauers, die schwankende Vorstellung des Moralischen
unserer Taten, der Wechsel des Maßstabes, und der ausgelösten
Wirkungen den Wert und die Benennung der Dinge. Die Taten eines
Götz von Berlichingen, eines Don Carlos, einer Corday, ja eines
Napoleon, wechselten als heroisch im Lichte des Tages und der
Geschichte. Jeanne d'Arc gilt den einen als ein hysterisches
Mädchen, als Typus psycho-pathologischer Weiblichkeit, auf der
anderen Seite wurde ihr nicht nur der Heiligenschein verliehen,
sondern an ihren Namen die Gloriole des höchsten Heldentums
geknüpft.

Und trotzdem begeben wir uns auf dieses schlüpfrige Parkett. Weil
wir glauben, daß unbeschadet all dieser Einwände eine _Summe von
Energie, selbstloser Hingabe und Todesverachtung_ immer wieder
Bewunderung wecken muß. Aber wo können wir diese nachweisen. Wo
müssen wir sie suchen und wo können wir sie darstellen?

Leistungen Hunderttausender sinken ins Namenlose. Die nächste
Umgebung übersieht sie. Die Historie erfährt nichts von dem
Elan der Tapfersten, weil ihrem Vorwärtsdrängen der Erfolg
ausblieb und ihnen das Glück nicht blühte, daß beredte Zeugen
ihre Tat schildern -- oder der Tod sie überraschte, ehe sich
Wirkungen auslösen konnten. Der geerntete Ruhm erhöht das
geleistete Opfer. Wer die feindliche Fahne entriß, die mit
Kanonen bespickte Bastion als erster besteigt: -- ist -- der
Held; und der Kamerad, der zehn Schritte vor ihnen als vorderster
tödlich getroffen niedersinkt -- ein unbeachtetes Opfer. Neben
der Leistung ist das praktische Resultat und ihre Anerkennung
eine Voraussetzung für das öffentliche Lob. Was alles in diesem
Krieg auf Vorposten und in Patrouillen in dunkler Nacht, im
Hagelschauer des Trommelfeuers, beim offenen Sturmangriff,
geleistet wird, kann nicht gezählt werden. Die Welt will das
Heldentum amtlich sozusagen festgestellt haben. Die Auszeichnung
und die Beförderung für bewiesene Geistesgegenwart und Wagemut
sind objektive Prüfsteine oder gelten wenigstens als solche.
Sie nehmen der Kritik die Handhabe, an den starken Qualitäten
eines Mannes zu zweifeln. Unsere Sammlung wird daran anknüpfen
müssen und auf diese äußerlichen Erscheinungen einen gewissen
Wert legen. Sie wird aus dem großen wechselvollen Spiel dieses
Krieges eine bleibende Erinnerung schaffen, uns einen Ausschnitt
bieten: das Bild jüdischer Flieger. Bei der Relativität der
Werttheorie, bei dem Mangel der Statistik, verzichten wir
darauf, erschöpfendes Material zu bieten. Wen die Frage des
jüdischen Soldaten interessiert, dem wird dieser Ausschnitt
einiges geben ....

_Heldentum und Tapferkeit_ sind der _Ausdruck einer
hochgeschraubten, individuellen Natur, sind starke, persönliche,
womöglich bewußte Impulse_ in Hinblick auf das Wohl der
Allgemeinheit, somit für das soziale Ganze. Von jedem Soldaten
wird diese restlose Hingabe verlangt und vorausgesetzt. Trotzdem
gibt es Nüanzierungen, Differenzen in der Tapferkeit der
Soldaten. In der Ausgabe der verschiedenen Orden und Ehrenzeichen
anerkennt jede Heeresleitung ihr Vorkommen.

Nicht mit Unrecht haben Infanterieoffiziere oft bittere Klage
geführt, daß ihr Opfersinn, das grauenhafte Leiden, was sie mit
Heroismus ertragen, der viele der berühmten Muster, die wir in
unserer Schulzeit bestaunten und bewundern mußten, übertrifft,
nicht genug Anerkennung findet. Gleichwohl! Die Stellung des
Linienoffiziers kann einen passiven Einschlag haben. Anthaeus
fand in der Berührung mit der Erde stetig neue Kraft. In der
Masse entwickelt mancher Infanterist sein Talent, fast jeder
stärkt an der Umwelt seine Triebe und wächst im Bewußtsein des
Siegeswillens der Nachbarn.

Die Welt des _Fliegers_ ist eine abgeschlossene. Auf sich
selbst ist der Flieger angewiesen; von seiner Umsicht hängt
das eigene Schicksal ab; nirgends ist der Zufall auf die Dauer
so ausgeschaltet wie beim Fliegerkampf. Die Tat des Fliegers
ist eine individuell-aktive, die Einflüsse der Außenwelt sind
stärker reduziert, die Erfolge persönlicher, sichtbarer. Das
soll das Leben des Liniensoldaten nicht herabsetzen; uns gilt
es eine Waffe zu sichern, bei der die Zahl der Mitläufer, der
Helden aus dem Augenblick, aus dem eisernen Muß heraus auf ein
Minimum beschränkt wird, wo tatsächlich das klare Bewußtsein und
das Vollgefühl der eigenen Tat als Voraussetzung gelten dürfen.
Und noch an eines möchten wir erinnern. Der Dienst bei der
Fliegertruppe ist ein freigewählter, das Menschenmaterial ein
ausgesuchtes. Ein Volk von physisch minderwertigen Elementen
stellt kein starkes Kontingent von tüchtigen Fliegern.

Aus solchen Gesichtspunkten heraus erschien die Darstellung
des jüdischen Einschlags an dem Ruhmesblatt der Fliegerwaffe
berechtigt. Erinnerungen an das Wirken von Juden bei anderen
Waffengattungen sollen folgen. Auf allen Kriegsplätzen sind
Judengräber geschaufelt. Tausende und Abertausende haben für
Deutschland geblutet und selbst dort, wo man von Juden keine
Ausstrahlungen ihres Mutes erwarten konnte, stoßen wir auf
wundersame Beispiele. Wer hätte an ihre Mitwirkung an den Taten
der Flotte gedacht? Aus dem Material ihres Wirkens auf U-Booten
und der Hochseeflotte darf vielleicht ein Dokument Zeugnis
ablegen. Es ist dies der Brief des Prinzen von Hohenzollern
(datiert: Malta, den 1. März 1915) an die Angehörigen des
Matrosen Levi (zitiert nach dem Hamburger »Israelitischen
Familienblatt«).

Der Brief lautet:

»In dem Gefecht bei der Kokosinsel, wo die Tätigkeit der
»Emden« ihr Ende fand, starb auch den Heldentod fürs Vaterland
der Matrose Levi. Ich bin vom Kommandanten des Schiffes,
Herrn Fregattenkapitän von Müller beauftragt, Ihnen zu dem
schweren Verlust, sein herzlichstes und wärmstes Beileid
auszusprechen. Auch im Namen der übrigen Offiziere, Deckoffiziere,
Unteroffiziere und Mannschaften der »Emden« und ebenfalls für
mich persönlich versichere ich Sie unserer aufrichtigsten
Teilnahme. Wir alle bedauern mit Ihnen den so frühzeitigen Tod
des tapferen Heimgegangenen, dessen junges Leben zu den schönsten
Hoffnungen berechtigte und der durch seinen großen Diensteifer
und sein kameradschaftliches Wesen bei Vorgesetzten und Kameraden
gleich beliebt war. Im Endgefecht der »Emden« hat er auf seiner
Gefechtsstation als Geschützmatrose sein Bestes getan und tapfer
ausgehalten bis ihm eine englische Granate einen kurzen und
schmerzlosen Tod bereitete. Im Herzen der Ueberlebenden von Sr.
Majestät Schiff »Emden« wird das Andenken an den tapferen und
beliebten Kameraden alle Zeit unvergessen bleiben.«

Ein Antisemit hat bekanntlich im Reichstage sich einen
Zwischenruf gestattet, der wohl nur eine rhetorische Frage
darstellte: »Zeigen Sie mir doch einmal einen jüdischen Flieger!«
Ich weiß nicht, ob er eine Antwort darauf bekam. Tatsache
ist, daß viele Leute glauben, es gäbe keine jüdischen Flieger,
weil ....

Selbst die Juden wissen nichts von den jüdischen Fliegern und
ahnen nicht deren Bedeutung. Täglich lesen wir irgendwo von
tapfren Bayern, oder sogar von _den_ tapfren Bayern -- als ob
jeder Bayer ein zweiter Schmied von Kochel wäre -- von dem
erprobten schlesischen Landsturm, dem zähen Märker, den braven
Ostpreußen. Und wenn ich jetzt in der Zeit des Burgfriedens,
noch mitten im Krieg, wo eigentlich jeder sich von den Tatsachen
überzeugen könnte, etwas von den Juden in der allgemeinen Presse
lese, dann steht es in der verbreiteten »Täglichen Rundschau«
oder in der »Deutschen Tageszeitung« und liest sich wahrlich
nicht zu unseren Gunsten. Jede Stadt, jede Volksschicht, ja
selbst kaufmännisch-technische Unternehmungen, Straßenbahnen oder
Kabelwerke, Handlungsgehilfenvereine und Studentenkorporationen
feiern ihre Toten und weisen -- obgleich es niemand je anzweifeln
würde -- auf ihre schweren Opfer und ihre vielen im Felde
stehenden Anhänger, Mitglieder und Freunde hin.

Von den mutigen Juden scheint kein Wort, kein Lied jetzt und
später zu klingen. Der jüdische Dichter Lissauer hat dazu keine
Zeit, er muß die Wiederkehr von Luthers Geburtstag besingen. Und
wo wir anläßlich der famosen Judenzählung auf Fürsprache stießen,
da fanden wir Redensarten, allgemeine Phrasen, appellierend an
unser Recht oder allgemeine Hinweise auf schwere Opfer, die der
Gutgläubige akzeptierte und der Altdeutsche skeptisch bezweifelte.

Und doch könnten wir reichhaltiges Material bieten, das den
Opfermut unserer jüdischen Soldaten scharf umreißt, Beispiele
davon geben, daß auch wir Männer sind, die in nichts denen
anderer Stämme Deutschlands nachstehen. Wenn wir das Verdienst
der jungen Juden an die Oeffentlichkeit bringen, dann folgen
wir nur dem Beispiel der allgemeinen Presse, dem System der
Heldentafeln, wir mehren zwar unseren eigenen Ruhm, kommen aber
nur der historischen Gerechtigkeit nach, indem wir der Helden
gedenken, die ihr junges Leben freudig für uns alle dahingegeben
haben. Ob ihr Name fortleben darf und das Gedächtnis ihrer Taten
aufgezeichnet werden soll, darüber eine Debatte zu eröffnen,
erscheint mir mehr als überflüssig. Neben deren Größe verliert
die Anschuldigung an Boden, als ob die jüdische Jugend sich nur
aus »Muß«-, »Auch«- oder gar »Nicht«-Soldaten zusammensetze.

Einen guten Ausschnitt liefert der Beitrag »jüdische Flieger«. Im
Felde ist es schwer, sich als Privatmann einen guten Ueberblick
über die ruhmvolle Beteiligung der Juden an dieser Waffe zu
verschaffen. Meine Sammlung ist deshalb nur ein Torso, der aber
doch schon eine gewisse Orientierung gestattet und vor allem die
Erinnerung an einige Juden festhält, deren Namen nicht klanglos
zu ersterben brauchen.

Im Gewühl des Weltenbrandes ist die Erfüllung dieser Aufgabe
nicht ganz einfach, um so mehr, als die Abfassung dieses Buches
in die Kämpfe der Frühjahrsoffensive des Jahres 1918 fiel, in
eine Zeit, in der ein Truppenarzt eines Regiments unter Tausend
Widrigkeiten nur in Eile das Material, das sonst zerflatterte,
zu Papier bringen konnte. Der Leser wird daher den Mängeln der
Arbeit nachsichtig sein!

               *       *       *       *       *



    Horch, in Lüften kreist,
    Unser Denkergeist.
    Immer höher, immer schneller,
    Trommeln, wirbeln die Motoren und Propeller ...

Den, der dieses gesungen, nahm der Tod aus reichem dichterischen
Schaffen auf dem Schlachtfeld vor Soissons, am 8. Februar 1915
und seine dankbare Heimat schuf ein Denkmal an sein Wirken an
der ewig-brandenden Ostsee, an den jungen Walther _Heymann_; zu
früh traf ihn die feindliche Kugel, als daß er noch selbst hätte
Flieger werden können. Aber nach ihm kamen Söhne seiner Rasse,
die Jünger des Merkur, all die, die vordem auf dem Kontorsessel
gethront hatten, mit Maß und Elle hantiert oder den Böcken in
den Kontobüchern nachgejagt hatten, tauschten ihren Beruf ein
und saßen am Motor und Maschinengewehr, vergaßen die geblümten
und getipfelten Kattuns, Aktien und Kupons und wurden Genossen
der Abkömmlinge, die seit Geschlechtern in der Jagd, in der
Körperkultur und im Militär Lebensberuf oder Lebensfreude
gefunden hatten.

Nicht immer ging diese Metamorphose leicht vor sich: manch einer
zahlte schon sein Leben, ehe er den Flugplatz verließ.

Gedenken wir zuerst einiger Toten, denen nur eine kurze
Fliegerlaufbahn beschieden war. Einer der ersten von diesen war
der Leutnant d. Reserve Josef _Zürndorfer_ aus Rexingen, vor dem
Kriege Kaufmann in Bochum. Er hatte 1910 seiner Dienstzeit beim
6. württembergischen Inf.-Reg. als Einjähriger Genüge geleistet
und rückte mit dem 154. Inf.-Reg. ins Feld, wo er als einer der
Ersten das »Eiserne« und die Württembergische Verdienstmedaille
erhielt, sowie zum Offizier-Stellvertreter aufrückte. Bei
Combres, während eines Sturmangriffes verwundet, meldete er sich,
kaum genesen, zu den Fliegern. In einem Briefe nach Hause jubelte
er laut: »Meine Wünsche sind erfüllt, ich habe ein glückliches
Los gezogen«. Frühzeitig erliegt er einem Unfall.

    »Ich bin als Deutscher ins Feld gezogen, um mein bedrängtes
    Vaterland zu schützen. Aber auch als Jude, um die volle
    Gleichberechtigung meiner Glaubensbrüder zu erstreiten«,
    heißt sein Bekenntnis in seinem Testament.

Ebenso verunglückte der Kriegsfreiwillige Jakob _Lichtenstein_
bei der Fliegerabteilung Elsenmühle. Lichtenstein stammte aus
Neustadt bei Pinne.

In Gotha stürzte der Sohn des Stuttgarter Buchhändlers Karl Levi,
der 21jährige Eugen _Levi_ ab. Ein elsässischer Jude Martin
_Bloch_ aus Markirch erlitt 1916 dasselbe Geschick.

Dasselbe Los fand ein ausländischer Jude, der -- wie viele andere
-- die Sympathien für Deutschland mit dem Leben büßte.

Der Flugzeugführer Arthur _Chasanowicz_ (im Jahre 1892 geboren)
studierte auf der Technischen Hochschule in Charlottenburg,
wo er auch sein Diplom-Ingenieur-Examen ablegte. Bei Ausbruch
des Krieges meldete er sich, _obwohl er Russe war_ -- sein
Vater stammt aus Grodno, -- freiwillig als Motorradfahrer
bei verschiedenen Truppen, wurde aber abgewiesen, da er
herzkrank sei. Er ließ sich in der Kgl. Charité in Berlin
daraufhin untersuchen und hierbei wurde festgestellt, daß
zwar eine beträchtliche Herzneurose aber kein ausgeprägter
Herzfehler vorliege. Daraufhin meldete er sich nochmals bei der
Fliegerabteilung in Adlershof-Johannisthal; er wurde zum 1.
Februar 1915 eingestellt. Zuerst wurde er als Infanterist in
Alt-Glienicke bei Adlershof ausgebildet. Auf der Fliegerschule
in Johannisthal machte er seine Pilotenexamen und wurde dann
als Flugzeugführer zur Art.-Beobachterschule nach Jüterbog,
Altes Lager, abkommandiert. Von dort aus unternahm er größere
Ueberlandflüge. Auf einem solchen Fluge verunglückte er am
26. September 1915 beim Aufstieg auf dem Flugplatz in Breslau
(Gandau) und starb im dortigen Lazarett am 1. Oktober 1915. Ueber
diese Fahrt gibt sein letzter Brief vom 25. September 1915
näheren Aufschluß. Die Beerdigung nach erfolgter Ueberführung
nach Berlin war am 5. Oktober 1915 in Weißensee.


                               Breslau, den 25. August 1915.

                    Liebe Eltern!

    Nach einer durch wunderschönes Wetter begünstigten Fahrt von
    vier Stunden bin ich glücklich in Breslau angekommen. Eine
    solch schöne Fahrt habe ich noch nie gemacht, denn heute
    konnte ich recht die Freuden des Luftsportes kennen lernen.
    Ich flog über den Spreewald, über die Schlesische Seenplatte
    und die großen schlesischen Städte, die sich endlos an den
    Chausseen entlangziehen. Doch den schönsten Anblick genoß
    ich, als sich am Himmel, immer deutlicher werdend, das
    Riesengebirge dunkelblau schimmernd vom hellblauen Himmel
    abhob. Hoch hinaus ragte die Schneekoppe, der ich zu gern
    einen Besuch in der Luft abgestattet hätte. Wunderschön
    kam dann hinter dem Riesengebirge das Glatzer Bergland und
    die Böhmischen Höhenrücken hervor, so daß ich das schönste
    Panorama genoß. Als ich die Oder erreichte, auf der die
    Schiffe wie kleine Punkte aussahen, wurde es zwar schlechtes
    Wetter, doch kam ich glücklich in Breslau an. Wenn auch der
    Flug etwas anstrengend war, so war er doch der schönste,
    den ich bis jetzt gemacht habe. Ich habe einen Leutnant
    mit, der gerade nicht allzu nett ist, aber das stört mich
    nicht. Er kam nämlich auf diese Weise per Flugzeug zu
    seiner Großmutter zu Besuch, um ihr zu ihrem heutigen 75.
    Geburtstage zu gratulieren. Er wird sich sicherlich schon
    genug dort aufgeblasen haben, was er alles kann; sich sein
    Flugzeug anspannen lassen und dann »Kutscher auf, nach
    Breslau geflogen« ...

    Den zweiten Genuß bot mir nun die Stadt Breslau. Ja, wenn
    ich nun hier längere Zeit bleiben könnte, um das alles in
    mich aufzunehmen, was die Stadt architektonisch bietet, und
    was ich jetzt erst richtig verstehen und schätzen kann, dann
    würde ich unendlich viel lernen. Vielleicht, daß ich bitte,
    mich für einige Wochen nach Breslau zu versetzen. So konnte
    ich nur alte Erinnerungen auffrischen und konstatieren, daß
    ich recht viel behalten habe, so daß ich sogar die Straßen
    und die Lage der einzelnen Gebäude noch wußte. Hier merkt
    man auch sehr wenig vom Krieg. Die Leute bummeln auf den
    Hauptstraßen wie auf der Tauentzien, und auch ich werde mir
    heute Abend den Rummel ansehen. Ich wohne direkt fürstlich
    gegenüber einem Soldatenquartier in dem feinsten Hotel,
    in einem Damensalon mit Waschtoilette, Frisierspiegel
    und Toilette, Spiegelschrank und noch ein paar Spiegel,
    Damenschreibtisch mit zierlichen Möbeln, elegantes Bett mit
    wundervollen Gobelin-Dekorationen darüber und lauter feine
    Sachen, natürlich elektrisch, Telefon, Bad, das ganze
    Zimmer mit Friesteppich ausgelegt, also wie ein Fürst und
    das ganze auf Rechnung meines Leutnants, als Kutscherlohn
    für die Reise. Morgen früh geht es nach Dresden weiter und
    werde dort den Sonntag über bleiben. Vor allem danke ich für
    das Paket und die »süßen« Wollsachen, die leider schon alle
    sind.

    Nun seid alle vielmals gegrüßt und geküßt von Eurem

                                             Arthur
                                     Königl. Luftkutscher.


Während der Ausbildung, z. T. auch schon vor dem Feinde, fanden
folgende Flieger den Tod:

Aus Berlin der Referendar Dr. August _Moser_ (Sohn des
Kommerzienrat Moser), der im Besitz des »Eisernen Kreuzes«
I. Klasse war, stud. med. Fritz _Mecklenburg_, Mitglied des
akademisch medizinisch-naturwissenschaftlichen Vereins, Bruder
des H. Gustav M., Berlin, Friedrichstr. 227. Mecklenburg hatte es
als Jude beim Dragoner-Regiment 26 zum Reserveoffizier gebracht.
Mecklenburg ist mit mehreren anderen jüdischen Fliegern im Herbst
1917 in Weißensee beigesetzt.

Aus Köln stammte der Leutnant _Falk_, dessen Vater der
Stadtrat und Major Falk ist; Falk stand bei einer bayerischen
Fliegertruppe; aus Hannover kam der Unteroffizier _Cassel_;
aus Dresden der Leutnant Fritz _Gerstle_. Gerstle hat, wie mir
seine Mutter die Freundlichkeit hatte mitzuteilen, sich taufen
lassen, um anscheinend besser Karriere zu machen, bereute
aber diesen Schritt und trat bald wieder aus der christlichen
Religionsgemeinschaft aus. Gerstle war, wie so mancher andere
jüdische Flieger, vor dem Kriege Student der Medizin gewesen. In
seiner Zugehörigkeit zum Judentum nicht sicher gestellt, ist der
verunglückte Kriegsfreiwillige Dr. Alexander _Lippmann_ von der
Fliegertruppe Dresden-Kaditz, vor dem Krieg Geschäftsführer der
Gesellschaft zur Gründung eines Observatoriums in Oberhof.

Tödlich verunglückt ist ferner der Flieger _Hemmerdinger_, der
ursprünglich einem Infanterie-Regiment 28 angehörte, nähere
Personalien fehlen über den in den K. C. Blättern von Dr.
Mainzer angeführten _Perlhöfter_. Gestorben ist während der
Ausbildung bei der Feldfliegerabteilung Bromberg, der 19jährige
Georg _Hecht_. Seine Familie lebt in Charlottenburg.

[Illustration: J. Zürndorfer]

[Illustration: Arthur Chasanowicz]

Ueber die Tätigkeit einer Reihe anderer Flieger liegt uns keine
nähere Mitteilung vor. Wir nennen, soweit sie uns bekannt wurden:
Leutnant Kurt _Lämmle_ (in einem bayerischen Fliegerbataillon,
Patent vom 1. Mai 1915), Leutnant _Aronheim_, Leutnant und
Flugzeugführer Siegfried _Wittkowsky_, Sohn des H. Leopold W.
aus Ansbach, Leutnant Kurt _Königsberger_ (Sohn des Herrn Karl
Königsberger aus Fürth); Leutnant _Mayer_ früher bei dem 1. bayr.
Fuß-Artill.-Reg., sodann bei einer bayerischen Fliegerformation,
Leutnant Alex _Wetzlar_ (nach Mitteilung des »Jüd. Echo«).

Aus Frankfurt a. M. stammen: Leutnant d. R. _Fritz Haas_ und
die Brüder _Adolf_ und _Otto Neumann_. Dieser Fall, daß Brüder
bei der Flugzeugwaffe dienen, ist keine Ausnahme. Aus Hannover
kommen die Brüder Block. _Hans Block_, Leutn. d. Res. (Alter Herr
des K. C.), wohnte vor dem Krieg in Köln, sein Bruder ist der
Unteroffizier und Flugzeugführer _Fritz Block_; aus Freiburg die
Gebrüder _Rosin_. Von Fliegern, die es als Juden zum Offizier
brachten, seien ferner erwähnt: Leutnant d. R. _Leopold_ und
Leutnant d. R. Alfred _Kann_, Rechtsanwalt in Zempelburg, früher
beim 34. Inf.-Regiment.

Der nichtjüdische Reserveoffizier, der vor dem Kriege das
Offizierspatent erhielt, hat sich diese Beförderung durch
seine anscheinende Eignung als tapferer Soldat erwirkt. Der
Jude, der im Frieden bei keiner preußischen Formation in das
Offizierkorps aufsteigen konnte, hat sich sein Avancement
infolgedessen durchweg als Soldat vor dem Feinde erkämpft. Darin
liegt ein offenkundiger Beweis seines Mutes, wie seiner übrigen
Fähigkeit. Statistiken ergeben bis zum Frühjahr 1918 etwa 2000
jüdische Offiziers-Beförderungen, während naturgemäß mindestens
ebensoviel von jüdischen Einjährigen vorher gefallen oder so
schwer verwundet wurden, daß sie ausschieden. Außerdem waren
noch Tausende durch widrige Umstände, Krankheiten, Versetzungen
usw., an der Beförderung behindert, Hunderte litten unter dem
schwer überwindbaren Vorurteil, das Jahrzehnte hindurch als
feststehendes Dogma von allen preußischen Offizierkorps restlos
gepflegt und gehegt, nicht urplötzlich aus den Vorstellungen
und Erinnerungen der Vorgesetzten schwinden konnte. Dazu kam,
daß die Identifizierung der Juden als einheitliche Masse, der
notorische Minderwert einzelner -- den wir übrigens in allen
Volksschichten treffen -- die Leistungen und Fähigkeiten der
geeigneten Juden ungünstig beeinflußte. Einer Gemeinschaft, die
ihr Leben vorweg in den Büros der Großstädte zubrachte, die
körperlich von zu Hause wenig entwickelt, in ihren Berufen wenig
mit schwerer physischer Arbeit zu tun hatte, mußte es schwer
fallen, die Arbeiten, welche der Schützengrabenkrieg erforderte,
zu lösen, der einfache Soldat war hier nicht vor allem im
offenen Kampfe mit dem Feind, wo er seinen Mut zeigen konnte,
sondern er hatte zu graben und zu schaufeln, Lasten und schwere
Tornister zu tragen, Hunger und Kälte auszuhalten. Jeder einfache
Bauarbeiter beschämte den Bankprokuristen täglich und stündlich.
Daß energielose, schwächliche jüdische Kaufleute um so stärker
aus dem Rahmen fielen, ist kein Wunder. Wenn der jüdische Soldat
trotzdem vielen als wenig vorbildlich erscheint, so stammt das
Urteil daher, daß _ein_ krummer jüdischer Soldat mehr schlecht
macht als ein Dutzend vorzüglicher gut machen können. Ein
unfähiger nichtjüdischer Soldat fällt nicht auf. Wenn aber Cohn
oder Levi schlapp ist, heißt es im Urteil der Vorgesetzten und
Kameraden: »Der Jude ist schlapp«, seine Unfähigkeit schädigt
sozusagen den Ruf des jüdischen Soldaten im allgemeinen.

Beispiele für die Wahrheit dieser Dinge gibt es genügend. Für
die Beurteilung des jüdischen Soldaten wirkt ferner ungünstig,
daß bei vielen prächtigen jüdischen Erscheinungen die Umwelt
oft nicht weiß, daß sie Juden sind, oder sie eo ipso als
Ausnahmen betrachtet, während der Unglückswurm H. oder Y. als
Muster erkannt und deklariert wird. So erlebte ich selbst, daß
von dem ersten Träger des Eisernen Kreuzes 1. Klasse unter den
Mannschaften meines Regiments des Vizef. Gotthold Sender _bei
seiner Offizierswahl die Mehrzahl der Offiziere_ annahmen, daß
Sender Nichtjude sei und daß bis zu seinem Tode wenige Kameraden
über seine Zugehörigkeit zum Judentum unterrichtet waren.

Die Juden betragen knapp ein Prozent der Bevölkerung und
sind somit nur in ein bis zwei Exemplaren in den Kompagnien
anzutreffen. Ist der Jude, der oft im Frieden als untauglich nach
Hause geschickt wurde, kein besonders günstiger Repräsentant der
jüdischen Gemeinschaft, dann verstärkt er bei 100 bis 200 Leuten
das mißfällige Urteil über die Juden. Im anderen Falle wird
über seine jüdische Abstammung stillschweigend hinweggesehen,
der weiße Rabe gibt keine Veranlassung das verallgemeinernde
Urteil zu ratifizieren. Schopenhauer sagt einmal in seinen
»Aphorismen zur Lebensweisheit«: »Die menschliche Beschränktheit,
Verkehrtheit und Schlechtigkeit erscheint in jedem Lande in
einer anderen Form und diese nennt man den Nationalcharakter.
Jede Natur spottet über die andere und alle haben Recht«. Die
Bemerkung hat einen richtigen Kern. Der konservative Offizier
entrüstet sich leicht über den sozialistischen Städter und neigt
dazu, ihnen weniger Vaterlandsliebe zuzutrauen. Der evangelische
Orthodoxe traut dem orthodoxen Zentrumsmann nicht allzusehr.
Von der Ueberhebung der Franzosen, Engländer, Italiener, der
vielen anderen Völker gegenüber dem Deutschen können wir das
eine ersehen, wie leicht es ist, ein Volk als minderwertig
hinzustellen, wie rasch unwahre Auswürfe über eine Masse, die
nicht sofort die Macht hat, sich derlei Lügen zu verbitten,
nachwirken. Die Verleumdungen der Antisemiten haben daher,
wiewohl der größte Teil sich nachträglich als haltlos erwies,
doch nach dem bekannten Satz Erfolg: »Verleumde fest drauf los,
ein Manko bleibt immer an dem Verleumdeten hängen«, gewirkt. Noch
immer bringt man dem Juden Mißtrauen entgegen. Viele jüdische
Soldaten haben dagegen gekämpft und haben trotz mannigfacher
Beweise ihrer soldatischen Fähigkeiten das Vorurteil nicht
überwinden können. Einzelne ließen sich, wie wir sehen werden
sogar taufen, um diesem Vorurteil zu entgehen!

Protektion, Zufall oder Friedenstüchtigkeit, waren also
keine Faktoren, die der Beförderung jüdischer Offiziere
zu Hilfe kamen. Restlos war es ihre Bewährung im Felde und
vor dem Feinde. Die ganze jüdische Bevölkerung Deutschlands
beträgt 500 000 Seelen (die Ausländer abgerechnet). Ein
Teil davon ist naturgemäß nur die männliche Bevölkerung
im militärpflichtigen Alter und hiervon ein Bruchteil wiederum
hat die Einjährigen-Berechtigung. Darnach ist die Zahl der
jüdischen Offiziere (ohne die Sanitätsoffiziere) wohl entsprechend.
Das ist ein Beitrag für ihre Bewährung, ein anderer, daß wie
das »Hamburger Israelitische Familienblatt« in den 4 Jahren
aufzeichnen konnte, hunderte Eiserne Kreuze I. Klasse an
schlichte jüdische Soldaten verliehen wurden. Otto Flake spielt
in seinem Logbuche über mißliebige Deutsche im Ausland: »Es ist
nutzlos über diese Art Landsleute hinwegzusehen; sie ist darum
doch noch immer in der Welt.« Ueber die wenig erfreulichen
Exemplare der Judenheit haben die Reden im Reichstag, im
Herrenhaus und in den Zeitungen genug gestanden. Diese Exemplare
lassen sich nicht wegexemplizieren. Aber die Tausende, die auf
den weiten Fronten ein frühes Grab gefunden oder zu Krüppeln
geschossen wurden, die Zehntausende, die begeistert als
Kriegsfreiwillige sich gestellt haben, die nicht unbeträchtliche
Zahl der Offiziere und die Träger der Eisernen Kreuze erster und
zweiter Klasse auch nicht. Sie müssen jeden Vorstoß gegen die
Anteilnahme der Juden im Kriege, die verallgemeinernd absprechend
ist, zugleich als eine Gefahr empfinden, die ihr Verdienst
herabsetzt. In einer Zeit, wo allerlei zweifelhafte Elemente
ihrem Ich auf Kosten der Nebenmenschen rücksichtslos huldigen,
wo der Eigennutz einzelner in allen Bevölkerungsschichten kraß
zutage tritt, wirkt jede judengegnerische Behauptung direkt
lächerlich und selbst überhebend. Denn die Tatsache, daß
altgediente Berufssoldaten sich zu Hause oder in der Etappe
herumzudrücken verstanden, darf ebensowenig auf alle ausgedehnt
werden wie die, daß Juden, die bisher nicht gedient hatten, die
im Heere in den langen Friedensjahren einer starken Zurücksetzung
begegneten, eine starke Zuneigung zu Schreiberposten faßten.
Es wäre ein Wunder, wenn es anders wäre, wenn auf einmal
die deutschen Juden _nur_ Helden aufzuweisen hätten. Wer
aber die großen Verdienste und die starke Anteilnahme der
jüdischen Jungens an dem Kriege bestreitet, der betreibt eine
Verleumdungspolitik, über die wir angesichts der Tatsachen zur
Tagesordnung übergehen können ....

So sind unter den Fliegern nicht nur die geistigen Juden aus den
berühmten guten Häusern, die zur modernen Waffe streben, sondern
ganz einfache schlichte Jungens, aus dem breiten Volke, denen wir
im Fliegerdienst begegnen. Es handelt sich also nicht um wenige
Ausnahmefälle, daß Juden zur Fliegerei übergingen.

Die israelitische Erziehungsanstalt Dahlem, welche ihre
Zöglinge vor allem der Bodenkultur und dem Handwerk zuführt,
kann allein auf zwei Flieger hinweisen. Der eine ist ein
Flieger Paul _Goldmann_. Der zweite, Edgar _Hirsch_, im Frieden
Elektro-Monteur in Walsrode i. d. Heide, trat gleich bei der
Fliegerwaffe ein. Er erhielt am 28. August 1915 bei Arras einen
Schuß, der ihn zum Niedergehen zwang, wobei er sich ernstlich
verletzte. Hirsch hatte infolge nebeligen Wetters tief herabgehen
müssen, um seinen Auftrag durchzuführen. Hirsch ist ein Beispiel
dafür, daß wir schlichte Jungens haben, die technisch und
physisch ihren Platz ausfüllen.

Eine glückliche Synthese dieser Art verkörpert der Flugobermaat
_Rund_ aus Gleiwitz. Bei Ausbruch des Krieges in Amerika lebend,
weiß sich Rund auf kühne Weise als »Amerikaner« nach Deutschland
durchzuschlagen und tritt dann als Marineflieger bei der
Wasserflugstation in Seebrügge ein. Ueber seine Fahrt brachte die
deutsche Presse (»Hamburger Fremdenblatt« u. a.) ein längeres
Feuilleton. In Seebrügge tat er zwei Jahre seinen Dienst, wurde
Inhaber des Fliegerabzeichens u. a. Auszeichnungen. In einem
Korpstagesbefehl I a, Nr. 31 von 1916, heißt es:


                    Anerkennung!

    ... ebenso zolle ich meinen Dank und hohes Lob dem
    Leutnant zur See B., den Flugmeistern K. und J. und dem
    Flugobermaaten Rund für den kühnen Angriffsflug am 23.
    Januar 1916 auf die Luftschiffhallen in Hongham.
                                           gez. v. Schröder.
    Die Richtigkeit obiger Anerkennung bescheinigt: Fabr.-Oberltn.


Rund ist später in engl. Gefangenschaft geraten. Der Schauspieler
Moissi, von Geburt italienischer Staatsbürger, ist übrigens
gleichfalls auf einem Fluge gefangen genommen worden.

Eine Reihe weiterer jüdischer Soldaten wurden mir im
Flugwesen angegeben: Ein Flieger Fritz _Koppel_, Hans
_Rothschild_-Göppingen, Erich _Lewy_, Kriegsfreiwilliger,
Unteroffizier, Sohn des Direktors Hugo Lewy-Berlin, Otto _Cohn_
aus Fraustadt, Adolf _Fechenbach_ aus Eilenburg, Berthold
_Krämer_-Osterode (gestorben), Flugzeugführer Karl _Fromm_ (A.
H. der Viadrina), Flieger _Haußdorf_, Bordfunker aus Berlin;
Flugzeugführer Gefr. _Hermann Schmidt_ aus Stuttgart, Flugmaat
Ernst _Steinitz_, Fluglehrer bei einer Flug-See-Station, Gefr.
_Unger_, Berthold _Gutmann_ (Bavariae, K. C. Verbindung) und
Flugzeugobermaat _Rosenberger_ (Viadrina im selben Verband).

  _Lilienthal_-Berlin, Neffe des Syndikus der jüdischen Gemeinde;

  Unteroffizier _Maier_, Sohn des Großh. Bezirkstierarztes Dr.,
  Konstanz, Luftschiffer;

  Flieger Hugo _Kaplan_, Berlin, Brunnenstraße 181;

  Flieger _Warschauer_, Sohn des Archivrates in Danzig,

  Vizfw. Bruno _Offenbacher_, Sohn des Fabrikbesitzers O. in
  Fürth, Flugzeugführer.

  Flieger Albert _Bär_, stud. med. aus Windsbach in Bayern;

  Flieger Siegfried _Nossek_.

Fluglehrer und Flugdienstleiter war vom April 1917-1918 in
Köslin, jetzt in Schneidemühl, Erich _Oswald_, der bereits
August 1914 als Kriegsfreiwilliger bei der Fliegertruppe
eingetreten ist und später als Beobachtungsflieger auf mehreren
Kriegsschauplätzen verschiedene Ehrungen u. a. auch das
Fliegerabzeichen sich erwarb. Von den übrigen Fliegern ist mir
nichts Näheres bekannt geworden. Es ist z. Z. nicht möglich, das
Schicksal jedes einzelnen zu erforschen und zu prüfen, ob unter
den aufgeführten der eine oder andere aus der Zusammenstellung
auszuscheiden hat. Hoffentlich ist es bei einer Neuauflage
möglich, völlig genaue Angaben hier zu bieten. Der Verlag dieses
Buches ist gern erbötig, alle Hinweise für uns zu sammeln, damit
später einmal nach dem Krieg eine möglichst restlose Darstellung
gegeben werden kann.


Der jüdische Lyriker Arthur Silbergleit hat einmal ein kleines
Fliegerlied gedichtet, das launig endet:

    »Wir schweben sanft aus unsrer Welt,
    Der tollsten Abenteuer,
    Ein jedes Fliegerherz ein Held,
    Am Motor und am Steuer ...«

Diese Behauptung gilt -- wie gesagt -- #cum grano salis#.
Aber wer für Leistungen da oben, wo es fürchterlich sein
kann, sein Eisernes Kreuz I. Klasse abbekommen hat, hat es
sich ehrlich »ersessen«. Wie manche Auszeichnung fällt sie
oft Offizieren zu, die bei den hohen Stäben Intelligenz und
treueste Pflichterfüllung als Aequivalent aufwiesen; der Dienst
bei der Flugzeugwaffe erfordert eiserne Energie und täglichen
Todesopfermut! Da es bekanntlich keine jüdischen aktiven
Offiziere gibt und nur in Bayern vor dem Kriege Reserveoffiziere
angetroffen wurden, _gibt es keine bei höheren Stäben sitzenden
jüdischen Offiziere_. Die jüdischen Träger des »Eisernen
Kreuzes« haben sich diese Auszeichnung redlich und mühselig
im Feuerregen geholt, keine Anciennität, kein Schatten eines
höheren wohlwollenden Vorgesetzten, keinerlei Beziehung hat
ihnen diese Auszeichnung eingebracht. In der vordersten Linie
hat er viel erkämpft nach Schillers Spruch »und setzet Ihr
nicht das Leben ein«, ein Spruch der neben dem Grabenoffizier
vor allem dem Flieger gilt. Wenn also allein Dutzende von
»Eiserner erster« von Juden erflogen wurden, dann ist das wohl
nicht der letzte Beweis ihrer Ertüchtigung. Nennen wir hier
einige: Den Fliegerleutnant Richard _Scheuer_ aus Mainz, den
Fliegerleutnant Hermann _Back_, Sohn des Snichower Rabbiners
Dr. S. Bach (jetzt in Prag). Vor dem Kriege war Back Prokurist
der Firma Orosdi-Back, Konstantinopel. Die Schreibfeder und den
Kontorsessel beherrschte ehedem der Beamte der Dresdner Bank
Martin Jacobowitz, Sohn des Kaufmanns Hermann _Jacobowitz_ in
Breslau. Im Frühjahr erkämpfte der Vizefeldwebel Jacobowitz
das »E. K. I.« in Mazedonien in einem heißen und erbitterten
Ringen in der Luft, J. war in den ersten Mobilmachungstagen
als Kriegsfreiwilliger beim Leib-Kürass.-Reg. schles. Nr. 1,
eingetreten. Eine schwere Verwundung machte die Absetzung des
einen Beines nötig, so daß J. jetzt Kriegsinvalide ist. Ein
Landmann von ihm ist der Unteroffizier _Hans Lustig_, Sohn des
Simon Lustig aus Radzionkau in Oberschlesien, der neben dem
Eisernen Kreuz das Fliegerabzeichen besitzt. Als Flugzeugführer
erwarben sich das Eiserne »erster« der Vizefeldwebel _Kurt H.
Weil_, Sohn des Lehrers B. Weil in Kirn an der Nahe und der
Unteroffizier Siegfried _Heimann_, der Sohn der Witwe Clotilde
H. in Oberdorf-Bopfingen. Reich dekoriert sah einer meiner
Gewährsleute einen bayrischen Fliegerleutnant _Marx_, der in
Oesterreich wohnhaft war, auf Albatros oder L.V.G.-Doppeldecker
als Flugzeugführer (zuerst als Vizefeldwebel) fliegen. »Er kam
von der Fliegerschule Schleißheim bei München, mit ihm wurde
ein jüdischer Unteroffizier ausgebildet, dessen Name nicht in
Erfahrung zu bringen war«. Marx ist vermutlich identisch mit
dem jüdischen Fliegerleutnant Adolf Marx der 5. bayerischen
Feldfliegerabteilung. -- Hierher gehört auch der Sohn des
Zigarrenfabrikanten L. Wolff in Hamburg, der Ltn. d. Res.
_Wolff_. -- Auch die folgenden sind Ritter des E. K. I.

Ein Frankfurter ist der Flugzeugführer Edgar _Rosenbaum_ (Sohn
des Alex Rosenbaum), Fliegerschütze der Vizefeldwebel Alfred
_Regensburger_, Sohn des Fabrikbesitzers Max R. in Fürth. Der
Fliegerleutnant Paul _Stadthagen_ aus Berlin, ist der Sohn des
verstorbenen Justizrats Stadthagen. Bei der Fliegerabteilung
steht ein jüdischer Oberleutnant _Fränkel_; die Nummer des
»Hamburger Fremden-Blattes« vom 13. 12. 17 bringt das Bild des
Fliegerltn. _Rüdenberg_ aus Hannover. Vom Frieden her Flieger ist
der Leutnant Willy _Rosenstein_ aus Gotha, früher Fluglehrer in
Gotha und Johannisthal, jetzt bei der Feldfliegerabteilung. Bei
den Feldluftschifferabteilungen sind eine Reihe weiterer Träger
des Eisernen Kreuzes I. Klasse, unter ihnen bei der Abteilung
der Weilburger Kaufmann Berthold _Jessel_, der Referendar aus
Berlin K. Rudolf _Cohn_ und der Kaufmann Hermann _Jonas_ aus
Aplerbeck, Sohn des verstorbenen Kaufmann Abraham Jonas, sämtlich
Leutnants der Reserve. Bei der Feldluftschifferabteilung steht
der Oberleutnant Dr. Benno _Öttinger_, Patentanwalt seines
Zeichens aus Berlin, ein Kaufmann und ein Leutnant d. Res. Max
_Strauß_ aus Frankfurt a. M. und Leutnant d. R. Erich _Eliel_,
Kaufmann aus Köln, Sohn des Stadtverordneten L. Eliel. Aus
Emmerdingen stammt der Leutnant Otto Erich _Bloch_, Führer
einer Luftschiffertruppe. Bloch ist der Sohn des Emmerdinger
Zigarrenfabrikanten Max Bloch. Und #last not least#: der Führer
eines Zeppelin, der Leutnant d. R. Max _Elias_, Ingenieur
von der Zeppelinwerft in Friedrichshafen, Max Elias ist der
Sohn des Herrn D. Elias in Hannover. Er erhielt das Eiserne
Kreuz II. als Luftschiffer bereits Anfang September 1914, das
I. Klasse ziemlich bald nachher. (Ein Dr. _Hermann Elias_
stammt aus Berlin[1]) Aber auch das Alter wollte der Jugend
nicht nachstehen: ein Veteran der deutschen Luftschiffahrt,
der 62jährige Herr Paul _Spiegel_ aus Chemnitz trat August
1914 als Kriegsfreiwilliger beim Königlichen bayrischen
Luftschifferbataillon in München ein. Spiegel ist nachweislich
heute der Altmeister der deutschen Luftschiffahrt, ein Mann, der
hunderte erfolgreiche Flüge mit dem Luftballon ausgeführt hat
und als Bahnbrecher auf allen Gebieten der Aeronautik Jahrzehnte
gewirkt hat. Da seine Bedeutung außerhalb der Geschichte des
Flugzeugwesens im Kriege liegt, müssen wir es uns versagen, den
eingehenden Lebenslauf dieses Veteranen zu bringen.

[1] Eine Reihe anderweitig aufgeführte Flieger sind gleichfalls im
Besitz der schönen Kriegsauszeichnung des E. K. I. Kl.

[Illustration: Spiegel]

[Illustration: Wilhelm Frankl]


      Am 26. April fiel im Luftkampf als Beobachtungsflieger
      der

          Leutnant der Reserve in einem Res.-Drag.-Regt.

                           Ernst Adler

  Inhaber des E. K. II. und der Hessischen Tapferkeitsmedaille

  Die Eskadron, der er bis zu seinem Übertritt zur Fliegertruppe
  angehörte, verliert in ihm einen schneidigen Offizier und lieben
  Kameraden und wird ihm stets ein ehrendes Gedenken bewahren.

                             Kießler

              Leutn. d. Res. u. stellv. Esk.-Führer


Diese Anzeige stand in der »Frankfurter Zeitung«. Sie bedarf
wohl keines Kommentars. Ein junger Kriegsfreiwilliger, der
eben Referendar geworden war, tritt sofort August 1914 bei
der Kavallerie ein, wo er auf Grund seines Verhaltens vor dem
Feinde Anfang 1916 Offizier wird. Durch die Auflösung seiner
Schwadron wurde ihm die Erfüllung eines lang gehegten Wunsches
der Uebertritt zur Fliegertruppe ermöglicht. Nach erfolgter
Ausbildung wurde er als Beobachtungsoffizier einer gegen die
englische Front aufgestellten Abteilung verwendet. Dort ist er in
treuester Pflichterfüllung den Heldentod gestorben. Eine Fülle
von Zuschriften seiner verschiedenen Vorgesetzten, Kameraden
und Untergebenen an seinen Vater, den Direktor der Frankfurter
Philanthropin, geben Kunde von den vorzüglichen menschlichen und
militärischen Vorzügen und von der großen Beliebtheit, deren er
sich erfreute.

Einer derer, die wir nicht vergessen dürfen, ist der
Fliegerleutnant Dr. Franz _Rosin_, der Sohn des Geheimen Rats
Prof. Dr. jur. Rosin in Freiburg, der wie sein Bruder bei den
Fliegern stand. Er selbst hat bei Lebzeiten bescheiden abgelehnt,
über seine Taten etwas in die Oeffentlichkeit gelangen zu lassen
und die Familie hat auch diesem Wunsch Rechnung getragen. Durch
einen Zufall verfügen wir aber über eine kleine Episode aus
Rosins Laufbahn, die der Kriegsberichterstatter der »Frankfurter
Zeitung« im Frühjahr 1917 brachte. Sie beschrieb eine seiner
Heldenfahrten und darf wohl wieder aufleben:

    »In derselben Nacht, als Laon mit Bomben heimgesucht wurde,
    erhielt ein deutscher Flieger den Auftrag, eine Ladung von
    500 Kilogramm Dynamit auf einen wichtigen Verkehrspunkt
    hinter der feindlichen Front abzuwerfen. Er stieg auf,
    suchte sein Ziel, konnte es aber im aufsteigenden Nebel
    nicht erkunden und flog zurück, um eine bessere Stunde
    wahrzunehmen. Ueber der Höhe von Laon sah er Sprengpunkte
    von Abwehrgeschützen in der Luft und entdeckte auch alsbald
    das betroffene französische Geschwader. Da kommt ihm ein
    Gedanke: vorsichtig hängt er sich dem Geschwader an den
    Schwanz und folgt ihm unbemerkt in der Dunkelheit über die
    feindliche Linie. Er vertraut darauf, daß man ihn für einen
    ausgepichten Franzosen halten werde, und so war es wohl
    auch. Nicht lange, so sah er unter sich die Landungsfeuer
    des französischen Flughafens. Die Piloten des Geschwaders
    gingen im Gleitflug zur Erde, und als letzter schickte
    sich auch unser Flieger scheinbar dazu an. Er steuerte in
    sonderbarem Ungeschick recht nahe über die Flugzeugschuppen
    hin, ließ aus geringster Entfernung, 50 Meter vielleicht
    nur, seine Ladung fallen, riß die Steuerung hoch und
    entschwand in der Nacht. Die Sprengladung, mit sechzig
    Sekunden-Zeitzünder versehen, krepierte genau und mit
    furchtbarer Wirkung.«

Am 4. Juni 1917 ist Rosin im Luftkampf gefallen.


Weiteren Kreisen bekannt wurde Wilhelm _Frankl_. Es war eine
Zeit lang der erfolgreichste deutsche Kampfflieger. Bevor er
Offizier wurde, glaubte er gut zu tun, die _jüdische Religion
abzustreifen_. Frankl, der aus einer alt jüdischen Familie
stammt, ist im Jahre 1914 aus der jüdischen Gemeinde ausgetreten.
Solange man allenfalls bei getauften Juden ihren semitischen
Geist und ihre »spezifischen Handlungen« unliebsam vermerkt, --
die jüdische Abstammung unterstreicht, solange in Deutschland
Heine und Börne, in Rußland Trotzky und Radew, als Juden gezählt
werden, solange mag auch ein Mann angeführt werden, der der
jüdischen Gemeinschaft entsproß, den Quell seiner Energie, seiner
Zähigkeit, seines Mannesmutes zum guten Teil aus dem ewigen Born
dieser Rasse saugte. Wir wollen uns selbstverständlich nicht an
Frankl als den Prototyp klammern, dazu liegt keine Ursache vor,
da neben ihm andere deutsche Juden nicht viel weniger geleistet
haben. Daß Frankl seine Qualitäten erst durch die Taufe im Jahre
1914 empfangen hat (neben dem Wunsche zu avanzieren, spielte auch
ein Heiratsproblem eine Rolle), wird niemand behaupten.

Im Jahre 1915 schrieb er an Verwandte, die ihn damals noch der
jüdischen Gemeinschaft zugehörig erachteten und den Brief im
»Hamburger israelitischen Familienblatt« zu veröffentlichen, über
die Verteilung des Eisernen Kreuzes I. Klasse:

    »Mein Eisernes Kreuz erster Klasse habe ich für drei Sachen
    erhalten: Einschießen des »Langen Heinrichs« auf Dünkirchen,
    bei dem ich mit noch einigen anderen Herren beteiligt war.
    Wir flogen in ziemlich heftigem Granatfeuer über der Stadt,
    und mein Beobachter signalisierte die Einschlagstellen bei
    dem Geschütz. Die Verwüstungen waren kolossal. Am 10. Mai
    1915 schoß ich mit einem fünfschüssigen Selbstladekarabiner
    ein feindliches Kampfflugzeug herunter, das Maschinengewehr
    an Bord hatte. Die Franzosen gaben dieses auch in ihrem
    offiziellen Tagesbericht zu. Und schließlich hatte
    ich im Mai ca. 16 000 Kilometer an Aufklärungsflügen,
    Artillerie-Einschießen usw. in Feindesland hinter mir. Daß
    nicht immer alles ganz glatt gegangen ist, davon kann meine
    Maschine mit ihren ca. fünfzig Schußlöchern ein Lied singen
    (neulich wurde mir ein Knopf meines Mantels abgeschossen),
    dazu kommen noch etliche Notlandungen dicht hinter unserer
    Front und paar Stürze mit anderen Maschinen.«

Der amtliche Heeresbericht vom 6. Mai 1916 aus dem Großen
Hauptquartier, der in allen Zeitungen veröffentlicht wurde,
sprach erstmalig von ihm:

    »Der Vizefeldwebel Frankl hat am 4. Mai einen englischen
    Doppeldecker abgeschossen und damit sein 4. feindliches
    Flugzeug außer Gefecht gesetzt. Seine Majestät der Kaiser
    hat seine Anerkennung für die Leistungen des Fliegers durch
    die Beförderung zum Offizier Ausdruck verliehen.«

Der Lebenslauf der meisten von uns angeführten Flieger liegt nicht
vor. Aber auch die wenigen zugänglichen Mitteilungen verlangen
ein gewisses Interesse. Es sind nicht immer erschütternde große
Tragödien, nicht stetig Beispiele herakleischer Größe. Aber
die Details, die in manchem Beispiel stecken, zeigen, daß der
Makabaeermut in den jüdischen Herzen schlägt. So kann Max
_Holzinger_ ohne Ueberhebung in unsere Ehrentafel eingereiht
werden. Als Sohn eines Fürther Fabrikanten (geboren 4. 11. 1892),
diente er in seiner Vaterstadt beim bayrischen Trainbataillon 3
und begab sich nach seiner Entlassung nach London, wo er bei der
General Electric-Compagnie tätig war. Er hätte dort zurückbleiben
und sich internieren lassen können, wie es über Hunderttausend
anderer Deutsche machten. Er zog es vor, in letzter Stunde, --
da ihm die Ueberfahrt verboten wurde -- durch List auf einen
Kohlendampfer zu flüchten. In der Heimat angekommen, wurde er
beim Train eingestellt, meldete sich aber von hier weg ins
bayrische Alpenkorps und machte an der Front den Feldzug in Tirol
mit. Bei den Kämpfen in Serbien wurde er im Herbst 1915 durch
einen Arm- und Brustschuß verwundet. Wiederhergestellt kam er auf
mehrfache Gesuche zur Fliegertruppe in Schleißheim.

    Seinen Entschluß, zur Fliegertruppe überzutreten, gab
    er seinen Eltern in folgendem charakteristischen Briefe
    kund: »Liebe Eltern! Mit herzlichem Dank für Eure lieben
    jüngsten Zeilen, teile ich Euch heute mit, daß ich ab 1.
    September zu den Fliegern nach .... kommandiert bin. Eltern
    können derartige Schritte ihrer Kinder nicht billigen,
    aber versucht, meine Gründe, die mich veranlaßt haben, zu
    verstehen. Nicht Ehrsucht hat mich bestimmt, zu dieser
    Waffe zu eilen. Ich will mehr leisten in diesem furchtbaren
    Völkergemetzel, als meine Pflicht und Schuldigkeit. Meine
    kräftige Körperkonstitution hat in mir den Glauben und das
    Vertrauen erweckt, daß ich bei den Fliegern meinen Platz
    voll und ganz ausfüllen werde. Blühende Gatten, bärtige
    Väter sind hinausgezogen in den Kampf; sollte ich, ein
    junger, kräftiger Mann, zurückstehen! Ihr werdet sagen, ich
    sei gefühllos! Nein, nein und nochmals nein. Schreibt mir
    bitte keine Briefe -- sie mögen noch so stark von glühender
    Liebe getragen sein -- die mich weich machen. Ich brauche
    nun viel mehr Kraft und Sicherheit, als das tägliche Brot.
    Es ist gleich, wo man steht in diesem riesigen Kampfe; ich
    sah es auf verschiedenen Kampfschauplätzen. Hauptsache ist
    -- Pflicht und Schuldigkeit -- dann ist alles recht! Lebt
    wohl! Mit herzinnigen Grüßen in Liebe Euer treuer Max.«

Vom Trainsoldaten rückte er nun zum Fliegerleutnant auf
und wurde wegen seiner glänzenden Leistungen zur Armee
Oberkommando-Abteilung versetzt.

Nach den Mitteilungen eines Kameraden leistete Leutnant
Holzinger besonders im Anfange der Abteilung gute Dienste, in
dem er sich für Artillerie-Einschießen, insbesondere für die
schwer zu beobachtenden kleinkalibrigen Batterien als am besten
geeignet erwies. »Es kam anfangs wiederholt vor, daß, wenn unsere
sämtlichen Offiziere beim Artillerie-Einschießen versagten, man
einfach den »Kleinen Holzinger«, wie er gern genannt wurde,
nach vorne schickte. Er hat die Aufträge dann meistens spielend
erledigt. Recht gut bediente er auch als einer der ersten die
funkentelegraphischen Einrichtungen im Flugzeug. Er war ein
vorsichtiger Flieger. Bei den übrigen Offizieren, insbesondere
bei den Vorgesetzten, erfreute er sich großer Beliebtheit. Das
Ende seiner Tätigkeit ereilte ihn auf der Rückfahrt von einem
Frontfluge, bei welcher sich in einer Höhe von zirka 3-4000 Meter
eine Tragfläche loslöste und das Flugzeug zum Absturz brachte.
Leutnant Holzinger und sein Flugzeugführer waren sofort tot.«
(11. September 1917.)

Der Abteilungsführer der Feldflieger-Abteilung Armee Oberkommando
setzte die Eltern davon mit folgenden Worten in Kenntnis:


                           Im Felde, den 11. September 1917.

           Sehr geehrter Herr Holzinger!

    Schweren Herzens ergreife ich die Feder, um meinem Telegramm
    von heute früh die ausführliche Nachricht vom Tode Ihres
    Sohnes Max nachfolgen zu lassen, der uns Allen ein schwerer
    Verlust ist.

    Ihr Sohn war zu einem Bilderkundungsfluge hinter unserer
    Linie gestartet und ist anscheinend nicht mit dem Gegner
    in Berührung gekommen. Augenzeugen berichten, daß über
    Bergnicourt plötzlich sich das Flugzeug mehrmals überschlug
    und dann auseinanderbrach. Ihr Sohn und der Flugzeugführer
    Leutnant Oelsner müssen sofort tot gewesen sein.

    Lassen Sie mich Ihnen und Ihrer Familie unser Aller
    tiefstes und aufrichtigstes Beileid zum Tode Ihres Sohnes
    aussprechen, der es in der kurzen Zeit seines Hierseins
    verstanden hat, durch sein zuvorkommendes Wesen, seine
    Bescheidenheit und seine große Dienstfreudigkeit sich die
    Herzen seiner Kameraden zu gewinnen. Das Vaterland hat
    wieder einmal einen seiner Besten gefordert!

                   Mit vorzüglicher Hochachtung

                                        Ihr sehr ergebener
                                      Graf v. _Beroldingen_.


Diesem Schreiben schloß sich der Führer der Flieger-Abteilung
Herr Oberleutnant Mühl nach einigen Tagen mit folgenden
Ausführungen an:


                           Im Felde, den 17. September 1917.

            Sehr geehrter Herr Holzinger!

    Als Abteilungsführer drängt es mich, Ihnen und Ihrer ganzen
    Familie anläßlich des Heldentodes Ihres Sohnes mein und der
    ganzen Abteilung aufrichtigstes und herzlichstes Beileid
    auszusprechen. Daß wir alle tiefbetrübt und erschüttert
    sind, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Wir alle hatten den
    so jäh aus unserer Mitte gerissenen Kameraden sehr gerne
    gehabt wegen seines offenen, bescheidenen, grundvornehmen,
    gemütvollen Wesens. Uns tröstet nur der Gedanke, daß er
    einen schönen Soldatentod gestorben ist. Die Abteilung
    wird den Verlust schwer verwinden. Ihr heldenmütiger Sohn
    hat durch seine mit ungewöhnlicher, todesverachtender
    Unerschrockenheit unternommenen Flüge an erster Stelle
    dazu beigetragen, der Abteilung den Ruf zu sichern, den
    sie jetzt genießt. Dafür gebührt ihm auch über das Grab
    hinaus unser unauslöschlicher Dank. Wie oft haben wir ihn
    bei der Ausübung seines mühevollen und so gefährlichen
    Dienstes bewundert, wenn es weder Maschinengewehren, noch
    Schrapnells, noch feindlichen Kampfeinsitzern gelang, ihn
    von seiner Aufgabe abzubringen und wie oft hat er so kühn
    dem Tode ins Auge geschaut ...

    Wir haben unseren tapferen Kameraden mit seinem
    Flugzeugführer in einer Fülle von Blumen und jungem
    Birkengrün in der kleinen Ortskirche feierlich aufgebahrt.
    Zu seinen Häupten brannten Kerzen, Freiwillige hielten die
    Totenwache ...


Aus der Fülle der ergreifenden Worte, die anläßlich seiner
Aufbahrung in Frankreich und an seinem Grabe ihm gewidmet wurden,
mag hier die Grabrede des Fliegerleutnants Meyer, welcher die
Flieger-Ersatzabteilung Fürth vertrat, zitiert werden. Sie klang
aus in den Worten:

    Trauernd stehen wir an der Bahre unseres lieben Kameraden
    Max Holzinger. Nie haben wir einen prächtigeren Menschen
    verloren, einen Flieger, dessen Tüchtigkeit und Schneid
    allgemein anerkannt wurde, einen Kameraden, geschätzt und
    geachtet von Jedem, der ihn näher kennen lernte. Nicht der
    Feind, dem er auf seinen Flügen so oft und kühn ins Auge
    blickte, hat ihn besiegt, sondern ein jäher und tückischer
    Zufall hat ihn seiner, ihm so lieb gewordenen Waffe
    entrissen, die seinen Tod aufrichtig bedauert und betrauert.
    So lege ich nun im Namen der Offiziere und Flugzeugführer
    der Flieger-Ersatzabteilung Fürth diesen Kranz an Deiner
    Bahre nieder als letzten Ehrengruß; schlafe wohl, Kamerad,
    ruhe sanft, Du hast Deine Pflicht bis zum letzten Atemzug
    erfüllt und starbst als Held!


Die freie schlagende Verbindung Salia in Würzburg widmete ihrem
Mitgliede _Ernst Müller_, cand. med. aus Hannover, Sohn des
Bankdirektors Siegfried Müller einen Nekrolog, der also beginnt:

    »Die Bundesbrüder kennen seine Soldatenlaufbahn. Bei
    Ausbruch des Krieges Sanitätsgefreiter der Reserve,
    stellte er sich freiwillig zur Waffe, zieht als einer der
    ersten hinaus, so daß schon der erste unserer Berichte von
    seiner mit Mut und Kampfesfreude überstandenen Feuertaufe
    in der vordersten Sturmlinie erzählen kann. Von seinen
    Vorgesetzten anerkannt, ist er als der bestqualifizierte
    unter den ersten Auserwählten des Offizierskurses, der ihm
    hervorragende Eignung zuerkennt. Der junge Leutnant kehrt
    in den Schützengraben zurück. Nach den heißen Kämpfen bei
    Ban de Sapt, in deren Brennpunkt er kämpft, genügt die nun
    ruhigere Vogesenfront seinem Tatendrang nicht mehr. Er wird
    Flieger, seine Tapferkeit wird einzige Kühnheit: im Begriffe
    vom Beobachtungsfluge zum Kampffluge überzugehen, ereilt
    ihn das von manchem Freunde in steter Besorgnis befürchtete
    Fliegerschicksal, von schwindelnder Höhe, vollsten
    Lebensbewußtseins hinabzustürzen in das Nichts.

    Wir haben leiden gelernt in diesem Kriege. Fast der
    zehnte Teil unseres Bundes, unsere Tüchtigsten, sanken
    vor dem Feinde. Aber dieser neue Schmerz zerwühlt unser
    Inneres mit bitterster Verzweiflung. Hier war ein
    Kühner, ein Reichbegabter, ein Charakter, ein Mann von
    Ueberzeugungstreue und ungebeugtem Nacken, ein lebendiger
    Geist, ein tiefes Gemüt -- und all diese hervorragenden
    Eigenschaften schienen für ihn nur vorhanden zu sein, um sie
    restlos einzusetzen in den Dienst der Gemeinschaft.«

Es verlohnt sich seinem Leben nachzuspüren. Ernst Müller war zu
Kriegsbeginn cand. med., und da er gedient hatte, gehörte er
eigentlich zum Sanitätsdienst als Sanitätsunteroffizier, da er
die Gefreiten-Qualität hatte. Er begnügt sich als Gefreiter in
der Font mitzumachen. Sein Humor bleibt jeder Zeit unverwüstlich.
Nach 1 1/2 Jahren Krieg, nach vielen schweren Erlebnissen,
schreibt er den Freunden in der Salia:

    »Der Krieg fängt wieder an. Das ist erfreulich«, und unter
    dem 22. II. 16 weiter: »Die Stimmung hier ist unentwegt
    zuversichtlich und zukunftsfroh«. Vorher hat er die
    wertvolle bayerische Auszeichnung, das Militärverdienstkreuz
    3. Klasse mit Kronen erhalten.

[Illustration: Holzinger]

[Illustration: Ernst Müller]

Zu Beginn des Jahres 1916 kommt er in Schleißheim bei den
Fliegern an, wird ausgebildet und der Feldfliegerabteilung
überwiesen.

Im September läßt er sich wieder einmal vernehmen. Er fliegt
jetzt in den Brennpunkten der Kämpfe, zuletzt bei Verdun. »Was
man sieht und hört, ist außerordentlich interessant, eignet sich
leider nicht zur Mitteilung. Mir gefällt meine Tätigkeit sehr
gut«. Einige Zeit später:

    »Bei einigermaßen ausreichendem Wetter wird viel geflogen.
    Meine Staffel bekam heute für einen feinen Flug nach Nancy
    am 4. 10. (bei dem ich auch einen Luftkampf mit zwei
    Franzosen hatte) die höchste Anerkennung des Kronprinzen
    ausgesprochen. Wir sind als Etappenflieger überall hin
    bekannt, weil wir beim Fliegen weit in der französischen und
    sonst weit hinten in der deutschen Etappe herumtollen. Ich
    bin Kasinovorstand und habe viel mit Küche und Keller zu
    tun. Dieser Tage zum Beobachter-Abzeichen eingegeben. Also
    es ist eine Lust zu leben. Heute gehts nach Vadelaincourt
    südlich Verdun, um Flugplatz und Ausladebahnhof der
    Franzosen etwas aufzumuntern. Aber sonst gehts mir famos.«

Eines Tages aber blieben seine Briefe aus. Dafür kamen die seines
Staffelführers, des Oberltn. Schwenden u. a. Offiziere. Sein
Vorgesetzter schrieb dem Vater:

    Am 11. Nov.: Euer Hochwohlgeboren wurden bereits
    telegraphisch verständigt, daß Ihr Herr Sohn Ernst von einem
    Erkundungsflug am 9. XI. nicht zurückgekehrt ist. Es drängt
    mich, zumal Ihr Herr Sohn als Beobachtungsoffizier bei der
    Staffel ganz hervorragenden und vorbildlichen Schneid zeigte
    und eine meiner besten Stützen war, Euer Hochwohlgeboren
    soweit als mir möglich über die ganze Sache aufzuklären.
    Verzeihen Sie, daß ich Ihnen durch diesen Brief schwere
    Stunden bereiten muß. Wir alle hoffen zuversichtlich, daß
    Ihr Herr Sohn in französische Gefangenschaft geraten ist und
    daß in einigen Wochen Ihr Herr Sohn selbst Nachricht aus
    Frankreich gibt. Wolle Gott, daß wir in Kurzem die ganze
    Gewißheit erhalten, daß Ihr Herr Sohn noch am Leben ist.
    Das wünsche ich nicht nur Ihnen als Vater, sondern auch
    ihm, der stets bereit war, sein Alles einzusetzen für sein
    Vaterland. Die Dankbarkeit für Ihren Herrn Sohn wird mich
    jederzeit bereit finden, mich Euer Hochwohlgeboren stets
    voll und ganz zur Verfügung zu stellen.

    Vom 16. Nov.: Mit einem Worte, das Schicksal Ihres Herrn
    Sohnes und meines trefflichen Beobachters ist noch vorläufig
    in vollkommenes Dunkel gehüllt. Wir wollen uns nicht selbst
    betrügen, sogern ich dies tun würde, um nicht an den eventl.
    Tod meines Beobachters, der mir durch seine hervorragenden
    soldatischen Eigenschaften so sehr ans Herz gewachsen war,
    glauben zu müssen. Mit Spannung wartet die Staffel auf die
    Nachricht, die aus der Schweiz eintrifft. Wir wollen die
    Freundspflicht zu unserer verlorenen Flugzeugbesatzung
    dadurch in den nächsten Tagen erfüllen, daß wir durch Abwurf
    aus dem Flugzeug bitten, die Franzosen möchten uns das
    Schicksal dieser Besatzung mitteilen. Bisher hinderte uns
    das schlechte Wetter daran. Aus Ihrem Briefe entnehme ich,
    daß Ihr Herr Sohn Ihnen von den Erfolgen meiner Staffel
    berichtet hat. Meinen ganz vortrefflichen Offizieren
    hatte ich dies zu verdanken. Um so eher werden Euer
    Hochwohlgeboren verstehen, wie mein Herz an jedem einzelnen
    hängt und wie schwer mir besonders dieser Verlust ankommt.
    Darf ich Euer Hochwohlgeboren daher nochmals bitten, unsere
    gegenseitigen Kräfte zu vereinen, um möglichst bald Klarheit
    und hoffentlich freudige Klarheit in das bisherige Dunkel zu
    bringen.

Vom 6. bayer. Kampfgeschwader, der Kampfstaffel, kamen noch
weitere Briefe, deren wichtigste wir anführen müssen, um die
Geschichte zu Ende zu erzählen:

    Am 10. XII.: Soeben von einer dienstlichen Reise
    zurückgekehrt, stellen mich Ihre beiden Briefe leider vor
    die traurige Tatsache, daß Ihr Herr Sohn Ernst und mein
    trefflicher Beobachter den Heldentod gefunden hat. Die ganze
    Staffel wird hierdurch mit mir in die aufrichtigste Trauer
    versetzt. Wir alle möchten Ihnen und Ihrer hochgeschätzten
    Familie unser allertiefstes und inniges Beileid aussprechen
    für den schweren Schlag, der Sie durch den Heldentod meines
    einzig schneidigen Beobachters und unseres lieben, teuren
    und heiteren Kameraden getroffen hat. Meine wie zu Eisen
    geschmiedete Staffel, durch Bestehung gemeinsamer Gefahren,
    hat durch den Tod Ihres Herrn Sohnes eine tiefe, nur schwer
    zu reparierende Scharte erlitten. Mir persönlich stand
    er durch seinen vorbildlichen Schneid und sein offenes,
    gerades und heiteres Wesen besonders nahe. So wie sein
    Wesen, war auch sein Ende ehrenvoll. In der Verkörperung
    des frischen draufgängerischen Fliegergeistes hat er im
    offenen ehrlichen Kampf sein junges Blut seinem Vaterland
    geopfert. Lassen Sie mich Ihnen, dem so schwer geprüften
    Vater, meinen und unseren Dank aussprechen dafür, was er
    Hervorragendes geleistet hat, mir, seinem Staffelführer, und
    besonders seinem großen Vaterland. Sein Geist wird um uns
    sein und uns anspornen, es ihm gleich zu tun, d. h. unser
    Bestes, das Leben dem Vaterland freudig wie er zu opfern.
    Wir aber werden nicht aufhören, ihm auch nach seinem Tode
    die Treue zu bewahren, die er uns gezeigt hat. Auf unseren
    Abwurf hin ist leider von Seiten der Franzosen noch nichts
    erfolgt. Die Franzosen sind dafür nicht zu haben. Auch
    kommt nie ein Franzose hinter unsere Linien bei Verdun. Zur
    Beruhigung von Euer Hochwohlgeboren werden wir es jedoch
    noch ein zweites Mal versuchen. Beide wurden wahrscheinlich
    im Luftkampf schwer getroffen, mußten drüben niedergehen
    und starben in einem Lazarett in Verdun. Abgestürzt können
    sie nicht sein, denn sonst hätten sie schon tot am Boden
    ankommen müssen. Der einzige Weg zu weiterer Ermittlung
    bleibt der von Euer Hochwohlgeboren vorgeschlagene. Wir
    werden jedoch nichts unversucht lassen, um durch Abwurf
    oder durch Gefangenenaussagen Näheres herauszubringen. Die
    Erlaubnis von Euer Hochwohlgeboren voraussetzend, habe
    ich die Todesanzeige in die »Frankfurter Zeitung« setzen
    lassen. Wenn es mir irgend wie möglich ist, stehe ich Euer
    Hochwohlgeboren jederzeit bereitwilligst zur Verfügung. Für
    meinen braven Beobachter ist mir kein Dienst zu schwer.
    Möge Ihnen und Ihrer hochgeschätzten Familie der Gedanke,
    daß Ihr Herr Sohn seinen Lebenszweck durch seinen Heldentod
    für's Vaterland auf das Ruhmvollste erfüllt hat, über diese
    schweren Stunden hinweg helfen. Neben der Trauer muß der
    Stolz auf den gefallenen Sohn ausgleichend wirken.

    Und am 16. XII.: Soeben erfahre ich Näheres über die
    Ursachen des Todes und über den Tod Ihres Herrn Sohnes
    selbst. Gestern wurde bei Pont-à-Mousson ein Nieuport
    zur Landung gezwungen. Insasse: 1 französ. Kapitain. Er
    sagt aus: »Ich war gerade in Verdun, als das Flugzeug
    Bemsel-Müller abgeschossen wurde. Der Walfisch griff einen
    Farman an über der Zitadelle von Verdun. Das deutsche
    Flugzeug bemerkte anscheinend einen dem Farman zu Hilfe
    eilenden Nieuport nicht. Nach kurzem Kugelwechsel ging
    die deutsche Maschine nieder, um wahrscheinlich auf einer
    Wiese westlich der Zitadelle zu landen. In 100 Meter Höhe
    stürzte das Flugzeug plötzlich senkrecht ab. Die beiden
    Insassen hatten Bauchschüsse und starben noch ehe sie hätten
    abtransportiert werden können. Sie wurden im Militärfriedhof
    von Verdun beerdigt. Der Herzog von Connaught, der sich
    zufällig in Verdun befand, hat das Maschinengewehr an sich
    genommen als Andenken. Ein französisches Flugzeug hat eine
    Meldung über das Geschick der Besatzung abgeworfen.« Soweit
    die Aussagen des Franzosen.

Nachträglich kommen noch zwei Zuschriften: Die eine betrifft
den Königl. Erlaß, wodurch unter dem 17. 11. der Bayerische
Militär-Verdienstorden 4. Klasse mit Schwertern ihm verliehen
wurde. Der Umtausch dieses Ordens war Ernst Müller schon früher
angeboten worden. Er war aber stolz auf seinen Unteroffizierorden
und gab ihn nicht heraus.

Schließlich wurde auch noch die Kapsel gefunden. Man schrieb den
Eltern:

    Wir haben jetzt noch den franz. Text, eine Abschrift von
    der französischen, aus einem Flugzeug abgeworfenen Meldung,
    bekommen.

    »Vom Heldentod unseres lieben Müller.« Folgende Nachricht
    der Franzosen wurde am 26. Dezember von den Deutschen
    gefunden, soll aber einige Tage nach dem Unglück abgeworfen
    sein:

    #Le 9 novembre 1916; le lieutenant Ernst Müller et le
    sous-officier Christian Bemsel, pilote, ont èté abattus sur
    Verdun et enterrés en ce lieu avec les honneurs militaires.
    Ils se sont battus heroique ment.#[2]

[2] Uebersetzung: Am 19. 11. 16 fielen der Ltn. Müller und
Flugzeugführer Untrffz. Chr. Bemsel. Sie wurden an Ort und Stelle
mit militärischen Ehren bestattet. Sie haben wie Helden gekämpft.

               *       *       *       *       *


            Am 15. Mai 1918 fand den Fliegertod durch
            Absturz mit einem Flugzeuge in =Schüsselndorf= bei
            Brieg der Beobachter-Vorschüler

                       Leutnant der Reserve

                         Simon Pinczower

          Inhaber des Eisernen Kreuzes I. und II. Klasse

  Die Abteilung beklagt tief den Verlust dieses tüchtigen, vor dem
  Feinde bewährten Offiziers und hochgeschätzten Kameraden, dessen
  besonderer persönlicher Schneid für unsere Waffe zu den besten
  Hoffnungen berechtigte.

       Die Abteilung wird ihm ein treues Andenken bewahren.

                           Hildebrandt,

     Hauptmann und Kommandeur der Flieger-Ersatz-Abteilung 11


Dieser Nachruf galt einem jungen Oberschlesier. Geboren am
12. 10. 1895 in Beuthen O.S., wo er April 1912 den Einjährigen
Berechtigungsschein am Gymnasium erhielt. Der Krieg überraschte
ihn als angehenden Kaufmann in Breslau, welchem Beruf er sofort
Valet sagte; seine Metamorphose machte ihn zum Kriegsfreiwilligen
im Inf.-Reg. 156 in Beuthen, das er bald mit dem östlichen
Kriegsschauplatz vertauschte. Im Juni 1916 kam er als Vizefeldwebel
und M.G.-Schütze bei den Fliegern an, als welcher er in Freiburg
ausgebildet wurde. Januar 1917 nach dem Westen kommandiert, begann
er seine Flugtätigkeit, die wiederholte Anerkennung fand. Im ganzen
brachte er es auf 108 Frontflüge, wofür er Mitte Februar 1918 »_in
Anerkennung seines vorbildlichen Schneids und seiner hervorragenden
Verdienste als M.G.-Schütze_ (Abwehrschlacht in Flandern und
Cambraischlacht 1917)« das E.K. I. Klasse empfing. Kurz darauf
wurde er zum Reserveoffizier der Fliegertruppen befördert und zu
einem Beobachter-Vorkursus nach Brieg kommandiert, wo er bei einem
Photo-Flug seinen Tod fand. Nach einer Version soll das Flugzeug
infolge eines Vergaserbrandes abgestürzt sein, andere sagen ein
Propeller wäre gebrochen. Nur das eine steht fest, daß Pinczower,
als das Flugzeug Feuer fing, heraussprang und sich auf diese Weise
noch zu retten versuchte.

Unter den Nachrufen mag noch eine Abschrift hier Platz finden,
die vom Führer seiner Truppe, Rittmeister Völkel, stammte.


    »... Die Abteilung, insbesondere das Offizierskorps bedauert
    mit Ihnen und Ihrer Gattin aufs Tiefste den Heimgang Ihres
    Sohnes. Uns allen wird er unauslöschlich in der Erinnerung
    bleiben. Als ein Soldat, der stets sein Blut, sein Leben,
    sein ganzes Können, sein Fühlen und Denken für seinen Kaiser
    und sein Vaterland eingesetzt hat, dem von seiten seiner
    Vorgesetzten und Untergebenen stets das vollste Vertrauen
    entgegengebracht wurde, als Kamerad, der die Liebe des
    gesamten Offizierskorps besaß.

                                       Hochachtungsvoll ...«


Einen, dem man den persönlichen Mut nicht bestreiten wird
können, wollen wir nun anführen: Den _Oberarzt_ d. R. Dr. med.
Hermann _Jaffé_, Sohn des Herrn Adolf Jaffé aus Santomischel
(in Berlin, Tile Wardenbergstr. 9, wohnhaft). Jaffé rückte in
den Augusttagen jenes merkwürdigen Jahres voll Begeisterung
als Kriegsfreiwilliger hinaus. Er nahm an den Schlachtplätzen
der Westfront teil. Obwohl Arzt, ward er doch, um seinen
persönlichen Mut besser beweisen zu können, Flieger. Fünfmal
wurde er verwundet, das vierte mal im Januar 1918, kaum von der
Verwundung genesen, eilte er erneut ins Feld, bis er am 17. Mai
1918 den Folgen einer fünften Verwundung im Lazarett in Damaskus
erlag. Eine Reihe von Auszeichnungen (Eisernes Kreuz I. Klasse,
Eiserner Halbmond usw.) könnten angeführt werden. Aber dieses
Soldatenleben spricht wohl ohnedies genügend für sich.


Am 13. Januar fiel durch einen feindlichen Herzschuß der
Fliegerleutnant Max _Pappenheimer_. Es verlohnt sich, seinen
Lebenslauf zu überblicken. Er entstammt einem Lehrerhaus in
Mergentheim und studierte Rechtswissenschaften, gehörte dabei
einer zionistischen Korporation an. Damals hätte ihm sicher
niemand das Horoskop gestellt, daß er in bälde ein deutscher
Fliegeroffizier werden würde, er, der nicht einmal zum Dienst mit
der Waffe eingezogen worden war, da er bei der Untersuchung nur
zum Ersatz-Reservisten tauglich befunden wurde.

Im Kriege kam alles anders. Auf dem Truppenübungsplatz Meiningen
kurze Zeit nach Kriegsausbruch ausgebildet kam er im November
1914 zum W. Inf.-Reg. 127 in die Argonnen, wo er sich durch
Mut und Ausdauer auszeichnete. Im März 1915 wurde er bereits
Offizier, und als solcher zum Regiment 52 versetzt, wo er im
Priesterwalde stand, aber weder als Soldat noch als Mensch
genügend Anerkennung fand, sogar antisemitische Uebergriffe
blieben ihm nicht erspart.

Vom August bis Anfang Dezember 1916 verweilte er in der
Fliegerschule Böblingen in Württemberg und in der Fliegerschule
Großenheim in Sachsen. Von Mitte Dezember 1916 flog er im Westen
und zwar in Flandern, bei Arras und zuletzt bei Cambrai.

Am 27. 4. 17 erhielt er vom Kom. Gen. der Luftstreitkräfte das
Abzeichen für Beobachtungsoffiziere. Zehn Tage später stürzte er
ab, konnte aber bald wieder fliegen und sich das Eiserne Kreuz 1.
Klasse erwerben. Zahlreiche Anerkennung, welche in dieser Zeit
seine Fliegerabteilung erhielt, hatte Pappenheimer reichlich
mitverdient.

    Am 15. August lautete der Divisions-Befehl der X.
    Res.-Division:

    »Ltn. Pappenheimer mit Ltn. Friedrichs als Führer (Flieger
    Abt. X) hat gestern unter schwierigsten Verhältnissen
    bei ungünstiger Witterung, tiefer Wolkenlage, starkem
    feindlichen Beschuß und in niedriger Höhe fliegend eine
    Artilleriesperrfeuerprüfung durchgeführt. Für diese
    schneidige und gute Leistung spreche ich beiden Offizieren
    volle Anerkennung aus.«

Und der Artill.-Kommandeur _persönlich_ am 19. 10. 17.

    »Das von Leutnant Friedrichs als Führer und Ltn.
    Pappenheimer als Beobachter besetzte Flugzeug der
    Feldflieger-Abt. X hat der Artillerie der X. Res.-Division
    besonders gute Dienste geleistet. Beide Herren waren bei
    jeder Wetterlage zu jedem Fluge bereit, haben sich stets
    angeboten und trotz allen entgegenstehenden Schwierigkeiten
    für das Einschießen und die Erkundung der Artillerie Großes
    geleistet. Sie waren unermüdlich, kaum gelandet, starteten
    sie von Neuem, wenn die Aufgabe es erforderte; weder die
    feindlichen Flugzeuge noch die Ungunst des Wetters hielt
    sie von ihrer erfolgreichen Tätigkeit ab. Die Artillerie
    verdankt gerade diesem Flugzeug einen Hauptteil ihres
    gelungenen Schießens; seine Tätigkeit ist ganz besonders
    anzuerkennen.«

Eine weitere Auszeichnung -- die goldene Militärverdienstmedaille
-- blieb dann nicht aus.

Das Jahr 1918 begann Pappenheimer mit einem neuen Führer, mit
dem er nur noch wenige Flüge ausführen sollte. Bald fand er vor
dem Feinde den Heldentod. Er liegt auf dem württembergischen
Bezirksfriedhof Unterbalbach zur letzten Ruhe gebettet.

Sein Hauptmann aber weihte ihm über das Grab hinaus folgende
ehrenvolle Worte, die dem Briefe an seinem Vater entnommen sind:

    »Am 13. Januar 1918, einem klaren, kalten Wintertag,
    hatte Ihr Herr Sohn den Auftrag, eine unserer Batterien
    gegen eine feindliche Batterie einzuschießen. Wie immer
    erfüllte er in meisterhafter Weise seine Aufgabe, wie
    nachträglich aufgenommene Photographien der beschossenen
    Batterien zeigen. Kurz vor dem Heimfluge wurde das
    Flugzeug von einem englischen Jagdeinsitzer angegriffen.
    Die erste Maschinengewehrgarbe traf Ihren Herrn Sohn,
    welcher sofort mit Herzschuß leblos zusammensank.
    Der Flugzeugführer (Flieger Nolte) landete das stark
    beschädigte Flugzeug diesseits unserer Linien bei Lehancourt
    nördlich St. Quentin. _Ihr Herr Sohn war einer der besten
    Beobachtungsoffiziere, die nicht nur die Abteilung, sondern
    die ganze Fliegertruppe zu verzeichnen hatte._ In einem
    Jahre war er 228 mal gegen den Feind geflogen und hat 100
    Batterien mit Erfolg eingeschossen, _eine Leistung, die wohl
    einzig dasteht_ und die belohnt werden sollte durch die
    Eingabe zum Ritterkreuz des Kgl. Hausordens von Hohenzollern.

    Ihr Herr Sohn nahm eine Sonderstellung in der Abteilung
    ein, jeder bewunderte ihn wegen seiner Leistungen und
    jeder mochte ihn besonders gerne wegen seiner vornehmen
    bescheidenen Gesinnung. Mir persönlich war er der fleißigste
    und tüchtigste Mitarbeiter und ein lieber Freund.

    Suchen Sie Trost in dem Gedanken, daß Ihr Herr Sohn als ein
    für unsere große nationale Sache durch und durch überzeugter
    Mann gekämpft und als Held gestorben ist.

[Illustration: Dr. H. Bettsak]

[Illustration: Pappenheimer]

    Er geht denn von uns, aber sein Geist wird weiter leben und
    die Erinnerung werden wir stets hochhalten.«

Im »Reutlinger Generalanzeiger« (Nr. 16 vom 19. Januar 1918)
gab sein Hauptmann auch noch öffentlich Kenntnis von seinem
Heldentode:


    »Am 13. 1. 18 fiel durch Herzschuß im Luftkampf der Leutnant
    der Reserve und Beobachtungsoffizier Max Pappenheimer,
    Inhaber des Eisernen Kreuzes 1. und 2. Klasse und der
    goldenen Verdienstmedaille. Sein Wort: »Es liegt im Wesen
    des Soldatenberufes, vor dem Feinde freudig sterben zu
    wissen« kennzeichnet diesen tapferen Offizier und lieben
    Kameraden. Es war einer unserer Besten. Ehre seinem Andenken.

                               Sommer
               Hauptmann und Führer einer Fliegerabteilung.«


Die Redaktion des Reutlinger Generalanzeigers bemerkt hierzu im
redaktionellen Teile:

    »Max Pappenheimer gefallen. Heute erreichte uns die
    schmerzliche Kunde, daß Max Pappenheimer, der der
    Schriftleitung des Reutlinger Generalanzeigers in den Jahren
    1912 und 1913 angehörte und noch lange in engen Beziehungen
    zu ihr stand, als Fliegerleutnant den Tod fürs Vaterland
    gestorben ist. Ein Herzschuß hat im Luftkampfe seinem Leben
    ein jähes Ende bereitet. Für die breitere Oeffentlichkeit
    ist der Gefallene einer von den vielen Tausenden, die
    ihr Leben für den Schutz des Vaterlandes in die Schanze
    schlagen; uns war er mehr: ein treuer, schaffensfroher
    und wertvoller Mitarbeiter, ein Mensch vorbildlichen
    Charakters nach jeder Richtung. Wir können auch für
    uns nur wiederholen, was Major Sommer in der amtlichen
    Trauerkundgebung zum Tode Pappenheimers sagt: Er war einer
    unserer Besten.«

Die Anführung der Daten und Taten, die Betonung der äußerlichen
Anerkennung, die Verleihung von Rang, Orden und Ehrenzeichen --
diese Summation von objektiven Erscheinungen bleibt das Primäre
unserer Darstellung. Ohne diese lauten Gunstbezeichen der großen
Welt, fehlt dem Helden die offizielle Charakterisierung. Aber
so sehr die starken Ereignisse das erste und letzte Wort haben,
es gibt Imponderabilien, die Gewicht haben: seine gemütliche
Stimmungen und seelische Regungen, welche einen so starken
Wert haben, daß sie als Erinnerung über den Kreis der nächsten
Freunde hinauswirken. Solche #documents humaines#, die wir
einzeln nicht mit den gewöhnlichen Maßstäben, mit Scheffeln
messen können, erschließen uns erst recht das Innerste und
Tiefste, die psychische Verfassung der jüdischen Jugend. Daß wir
im Nachlaß der anerkannten Matadoren auf Zeugnisse ausgeprägter
Persönlichkeit, auf prächtigen Humor und Geistesgröße stoßen,
versteht sich am Rande; aber auch der Nachwuchs, dem es
nicht vergönnt war, den höchsten Lorbeer zu pflücken, zeigt
kerngesunde, männliche und opferwillige Art.

Einer von ihnen war _Heinz Bettsak_. Mit 21 Jahren, zu Beginn
des Weltkrieges, bereits Referendar und Doktor der Rechte in
Berlin, trat er am 1. August 1914 als Kriegsfreiwilliger bei
den Zietenhusaren ein. Wie viele andere konnte auch er es nicht
erwarten, bis er die »endlose« Ausbildungszeit hinter sich hatte
und ran an den Feind durfte.

Am 20. November 1914 kommt er aus der Garnison ins Feld. Schon am
22. schreibt er seinen Eltern folgenden unruhigen Brief:

    »Ich muß gestehen, daß mich die Tatenlosigkeit, zu der
    wir hier vorläufig verdammt sind, schon jetzt zu quälen
    beginnt. Die wilde Romantik der Vogesenberge, der Donnerhall
    der Geschütze, so manche kreuzgeschmückte Infanteriebrust
    stimmen uns junge Burschen naturgemäß kampflustig. Es ist
    auch ein eigenes Gefühl, den Feind kurz vor sich zu wissen
    und nicht an ihn heranzukommen. Freilich haben die Bayern
    und Badenser, die hier oben in sichern Stellungen liegen,
    sich ihre Ruhe teuer erkaufen müssen. Die Geschichte der
    Vogesenkriege ist vielleicht dereinst -- das habe ich
    schon mit eigenen Augen sehen können und von den alten
    Leuten, die die Sache von Anfang an mitgemacht haben,
    des weiteren erfahren -- das blutigste und grausigste
    Kriegserlebnis, von dem der Chronist zu berichten hat.
    Hier steht auf grünen Matten Grabmal an Grabmal. Hier ist
    das ruhmreiche Regiment der Chasseurs alpins, eines der
    besten französischen Regimenter, fast völlig von den maßlos
    wütenden Bayern, die nur noch mit Stilett und Gewehrkolben
    gearbeitet haben, aufgerieben worden. Auch auf unserer
    Seite sind ganze Kompagnien verschwunden. Ich bin sozusagen
    nach der Mahlzeit hierher gekommen. Wir sowohl wie die
    Franzosen haben uns derartig raffiniert verschanzt und
    eingegraben, daß wir nicht mehr rückwärts, aber auch nicht
    _vorwärts_ können. Wir halten hier nur die Wacht, um den
    Elsaß vor neuen Einfällen zu bewahren. Gewiß werden auch
    noch jetzt hier und da größere Patrouillen gemeldet, um die
    Wälder nach Versprengten abzusuchen, aber alles in allem
    haben wir hier doch Frieden im Krieg. Doch der Kriegsgott
    ist wetterwendisch, vielleicht kommen wir irgendwie bald
    vorwärts ...«


                                Laitre (Vogesen), 4. 12. 14.

    In Moussey hat's mich nicht lange gelitten. Immer nur hinter
    dem Feind zu sein, seine Granaten und Schrapnells über
    dem Kopf zu hören, ohne an ihn ran zu können, im Felde zu
    stehen, ohne jemals einen Franzosen gesehen zu haben, ist
    auf die Dauer nerventötend. Ein seltsamer Zwischenfall hat
    mich aus dieser reizlosen Lage befreit. Wir saßen gerade
    Mittwoch beim Abendtisch, als die Regimentsordonnanz mit
    der Meldung eintrat, daß unsere jungen Husarenoffiziere,
    die hinter der Front in Ruhe und Wohlleben sich ergingen,
    schon am nächsten Morgen zur Front aufzubrechen hätten,
    um an die einzelnen Infanteriebrigaden, die auf den
    Vogesenkämmen in Schützengräben den französischen Stellungen
    gegenüber liegen, zugeteilt zu werden. Sofort bat ich
    einen der Herren, Leutnant Gropius, der sich im übrigen
    als Architekt einen hervorragenden Namen geschaffen hat,
    sich auch im Kriege äußerst tüchtig auf Patrouillenritten
    bewährt hat und ein sehr feinsinniger Mensch ist, mich
    als Ordonnanz mitzunehmen. Er ging sofort zum Rittmeister
    aufs Schloß und dieser erteilte mir freundlichst seine
    Erlaubnis. Die Sache hat mir, nebenbei gesagt, die Knöpfe
    eingebracht. In der Nacht packte ich also in Ruhe meine
    Sachen in die Packtaschen, und Donnerstag früh begann der
    Aufbruch zur Front. Ich habe an diesem Tage prächtige,
    mir unvergeßliche Eindrücke gehabt. Die imposantesten
    Kriegsbilder sind an meinen Augen vorbeigezogen. Es war
    ein finsterer gewitterschwerer Tag. Ueber die Vogesenkämme
    ging der Ritt durch zerschossene Dorfschaften hindurch. An
    den Seiten überall verlassene französische Schützengräben,
    Granatlöcher, Waffenstücke. Stellenweise mußten wir
    absitzen, da die Chaussee von franz. Mitrailleusen
    beschossen wurde. Durch enge Hohlwege mußten wir unsere
    ängstlich zitternden Gäule führen. In ...... hatten wir
    uns beim Brigadekommandeur zu melden. Mein Lt. erhielt
    den Auftrag, zunächst nach Ch. zu reiten und dort bei
    Ausbruch der Dunkelheit in unsere Stellung hier oben
    hinaufzugehen. So ritten wir also nach Ch. weiter. Der Ort
    bot einen ebenso unheimlichen wie reizvollen Anblick. Er
    besteht eigentlich nur noch aus Löchern, die unsere und die
    französischen Granaten, lauter Volltreffer, in die Häuser
    dieser Aermsten geschossen haben. In Ch. mußten wir unsere
    Pferde zurücklassen. Damit habe ich aufgehört, Kavallerist
    zu sein. Nun bin ich Infanterist geworden, und -- wie ich
    gleich verraten will -- mit Leib und Seele. Als der Abend
    dunkelte, wurde ein Wagen angespannt, der uns und unser
    Gepäck in die Berge zur Stellung fahren sollte. Es war
    ein wundervoller Abend. Silberner Mondschein überspielte
    die Abhänge und Waldungen. Ab und zu fiel ein Schuß von
    den französischen Posten jenseits des Waldes, der wohl
    das Knarren der Wagenräder gehört hatte, zu uns herüber.
    Vor einem verfallenen Hause machte der Wagen halt und lud
    uns aus. Eine Ordonnanz empfing uns und führte uns durch
    geheimnisvolle Unterschlüpfe und überdeckte Wege hinauf nach
    L., zum Standquartier meines Bataillons. Hier empfing uns
    der Major, ein äußerst liebenswürdiger Bayer und behielt uns
    gleich zum Abendessen bei sich. Ganz besonderes Interesse
    wandte er mir zu, weil er Gefallen daran fand, daß ich
    mich als Kavallerist freiwillig zur Infanterie gemeldet
    hatte. Er nennt mich immer nur den »kleinen Doktor«,
    erkundigt sich fast täglich, ob mir meine Mutter auch schon
    geschrieben hat usw. Die Nacht brachte ich dann in einem der
    grandios hergestellten Unterstände zu, jenen unterirdischen
    Bretterhäusern, die gegen Wind und Wetter wie feindliches
    Feuer vollkommen geschützt sind.

    Am nächsten Morgen meldete ich mich bei meinem Hauptmann
    Nagelsbacher. Laßt Euch sagen, daß dieser Mensch, dem ich
    erst zwei Tage lang in seine blauen Kinderaugen geschaut
    habe, der Inbegriff aller Mannestugenden ist. Auf einem
    hochgewachsenen Körper sitzt ihm ein edles vollendet schönes
    Gesicht, glattrasiert, stark an Matkowsky erinnernd. Das
    ist der Mann, von dem mir seine Bayern erzählten, daß er im
    ärgsten Kugelregen sich gemütlich seine Pfeife angezündet
    hat, der in grenzenloser Wut über die Rothosen hergefallen
    ist. Das ist aber auch der Mann mit dem Kinderherz, der
    es nicht über sich gewinnt, seinen Leuten die kleinste
    Bequemlichkeit zu verweigern. Mit hervorragender Intelligenz
    verbindet sich bei ihm eine feinsinnige Bildung. Die
    Stellung, die er hier oben hat anlegen lassen und die
    von eminentem strategischen Wert ist, weil wenn sie
    durchbrochen wird, die Franzosen wieder im Elsaß stehen,
    ist ein Meisterwerk. Sie besteht nicht etwa aus offenen
    Schützengräben, sondern aus überdeckten Erdwällen, lauter
    kleinen Sandhäusern, in denen immer zwei Mann Deckung haben.
    Alles habe ich besichtigt: die fast undurchdringlichen
    Stacheldrahtverhaue, Läutewerke usw.

    Gleich am ersten Tage meines Hierseins bin ich mit auf
    Patrouille gewesen bis 10 m an den Feind heran. Nur eine
    kleine Waldlichtung trennte uns von der ersten französischen
    Schützenlinie. Das war ein Feuerregen! Ein Glück für alle
    deutschen Mütter, daß die Franzosen so gemein schlecht
    schießen. Seit den acht Wochen, wo die Bayern hier sind,
    ist von ihnen trotz des täglichen Schußwechsels nur ein
    Mann durch eigene Unvorsichtigkeit abgeschossen worden.
    Gestern hat die Blase mit Gebirgsartillerie in unsere
    Stellung hineingefunkt. Wir saßen gerade beim Kaffee, als
    der Spektakel losging. Was ist geschehen? Der Erdboden ist
    um einige Granatlöcher reicher geworden! Ein Vivat unserer
    deutschen Befestigungskunst!

    Das Schießen gehört bei den Franzosen zum täglichen Leben.
    Während auf unserer Seite tagelang kein Schuß fällt, weil
    nur geschossen werden darf, wenn vom Feinde etwas zu sehen
    ist, funken die Kerle uns ununterbrochen in die Bude. Wir
    haben ausgerechnet, daß einer vom Walde her jeden Tag um die
    nämliche Nachmittagsstunde in die blaue Luft hineinpufft. Er
    ist von den Bayern allgemein der »Sepp vom Walde« geheißen.


                                         Laitre, 11. 12. 14.

    Nun bin ich erst wenige Tage hier oben bei den Bayern, und
    doch habe ich soviel erlebt und mitgemacht, wie ein alter
    Krieger. Schleichpatrouillen an den Feind, Beschießungen
    durch franz. Gebirgsartillerie, Nachtgefechte. Und alles
    gut und heil überstanden. Meine persönliche Stellung im
    Regiment ist eine fast _märchenhafte_. Während andere
    Kriegsfreiwillige sich wie jeder gemeiner Soldat abplagen
    müssen, behandelt man mich hier ganz unverdientermaßen
    chevaleresk. Wenn ich mich nicht von selbst zu diesem
    oder jenem Dienst erböte, man ließe mich von jeder Arbeit
    unbehelligt. Ich rangiere unter den jüngsten Offizieren in
    dem kleinen Kasino, das der Bataillonsstab unten im Dorfe
    gegründet hat und wo ein Regensburger Koch uns ausgezeichnet
    verpflegt. Man zollt mir für jedes kleinste Wagestück
    reiche Anerkennung, insbesondere mein Hauptmann, zu dem ich
    eine innige Zuneigung gefaßt habe, läßt keine Gelegenheit
    außer acht, mich dem inspizierenden Regiments- oder
    Brigadekommandeur vorzustellen.


                                         Belval, 30. 12. 14.

            Liebste, beste Eltern!

    Vom Regimentskommandeur selbst zum Unteroffizier und Ritter
    des Eisernen Kreuzes für »vorbildliches, tapferes und
    schneidiges Verhalten« vorgeschlagen. Bin leicht verwundet
    und liege z. Zt. hinter der Front in B. Näheres folgt. Seid
    ohne Sorge.

                                          Euer treuer Heinz.


Ein Brief von fremder Feder zeigt, wie stark der Eindruck war,
den der junge Kriegsfreiwillige auf seine Vorgesetzten hinterließ
und wie lebenswahr der Inhalt seiner Briefe ist. Wir lassen zum
Beweis einen dieser Dokumente folgen:


                                              A. 1. I. 1915.

            Lieber Bettsak!

    Ltn. Gropius, der heute hier war, erzählte uns wie
    ausgezeichnet Sie sich bewährt haben. Ich gratuliere Ihnen
    aufs Herzlichste. Schöner als alle Anerkennung -- das
    Eiserne Kreuz wird ja sicher nicht ausbleiben -- wird Sie ja
    das Bewußtsein glücklich machen, voll und ganz Ihre Pflicht
    getan zu haben. -- Hoffentlich sind Sie bald wieder wohl
    auf. Ich würde mich freuen, bald wieder etwas von Ihnen zu
    hören und bin mit den besten Grüßen Ihr

                                              Sillmann
                                      Ltn. und Komp.-Führer.


Das war der Auftakt seines Kriegslebens.

Bei der Kavallerie ist ihm zu wenig los. Vermutlich wäre es
ihm als überzeugtem Juden, der aus seiner Abstammung kein Hehl
machte, hier schwer geworden, zum Offizier befördert zu werden.
Sein Tatendrang drängt ihn weiter, er meldet sich freiwillig zur
Infanterie und wird zu einem Infanterie-Regiment abkommandiert,
wo er bereits im September 1915 Leutnant wird.

Auch hier ist er keiner von denen, welche ein geruhiges
Herdenleben der Gefahr vorziehen.

Ein Dokument mag seine militärische Entwicklung beleuchten:


    X. Reservekorps.                     Qu., 16. Jan. 1916.
      Tagesbefehl.

    Zahlreiche Patrouillengänge der X. Landw.-Brigade führten zu
    erfolgreichen Erkundungen von feindlichen Postierungen und
    Verteidigungsanlagen.

    Besonders wichtig und anerkennenswert waren die
    Beobachtungen des Hauptm. Zörner und des Ltn. d. Res.
    Bettsak, Res.-Inf.-Rgt. ..., denen es gelang, genauen
    Einblick in die franz. Vor- und Hauptstellung beiderseits
    der Straße La Chapelotte-Allencombe und am Westhang der Höhe
    542 zu gewinnen.

    Ich spreche allen in den Patrouillengängen beteiligten
    Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften meine
    Anerkennung aus.

                  von X
            General d. Infanterie.


Im Oktober 1916 wurde endlich seinen _mehrfachen_ Gesuchen um
Versetzung zu den Fliegern stattgegeben. Seine Ausbildung als
Flugzeugführer erhielt er in Hamburg und Hannover.

Lassen wir den ersten Briefen aus seinem Kriegsleben noch die
letzten folgen. Wie als junger Kriegsfreiwilliger, so segelt
er auch als Flieger tollkühn und unternehmungslustig in die
feindliche Welt hinein.

Nichts gilt ihm die Gefahr, gern setzt er stündlich sein junges,
hoffnungsreiches Leben ein.


                                         Toulis, 2. 9. 1917.

    ... den ersten Feindflug habe ich nun auch, vom Gegner
    unbehelligt, erledigt. Ich startete gestern mit einem
    alten Beobachter zum Einschießen der Feldartillerie in
    unserem Abschnitt. Zu diesem Zweck werden am Abend vorher
    telefonisch die Ziele, auf welche die Batterien sich
    einschießen wollen, mitgeteilt. Mit mir startete eine
    andere Flugzeugbesatzung, die uns zu schützen, d. h. vor
    überraschenden Angriffen durch französische Kampfeinsitzer
    (#spads#) zu bewahren hat. Ich flog die mir ein für allemal
    zugeteilte Maschine, von neuerem Typ mit 200 PS, die
    allgemein an der Westfront in Gebrauch ist. In 150 m Höhe
    verschluckte sich der Motor infolge zu starker Benzinzufuhr;
    ich flog gleichwohl Laon an, mich in niedriger Höhe (etwa
    1500 m) haltend. War der Himmel beim Start nur leicht
    bewölkt, so hatte sich bald alles zugezogen; wir flogen
    einer starken Wolkendecke, die bis 500 m herabreichte,
    entgegen. Ich entschloß mich, drüber zu gehen und hatte
    in 2500 m Höhe die Wolken unter mir. Dafür war weder von
    der Schutzmaschine, die über mir fliegen sollte, noch
    von der Erde etwas zu sehen. Nur ab und zu sah man durch
    Wolkenlöcher unsere Fesselballons, ein Zeichen, daß wir der
    Linie zuflogen. Auf einmal macht mein Beobachter im Spiegel
    3 X, d. h.: über uns sind drei deutsche Kampfflugzeuge,
    ein beruhigendes Gefühl. Wie ich einmal unter mich sehe,
    nehme ich eine dunkle Linie, vor und hinter der Loch an
    Loch liegt, wahr: die Front. Dann sieht man rechts einen
    Kanal, der durch ein Waldstück geht. Ich nehme Gas weg und
    lasse mir vom Beobachter erklären, ich erfahre, daß wir über
    Chemin des Dames sind, wo wir gar nichts zu suchen haben.
    Da wegen des dicken Nebels die Orientierung schlecht, ein
    Einschießen undenkbar war, winkt er mich zum Heimflug ein.
    Wir stoßen durch die Wolken, die Maschine wird von starken
    Böen erfaßt, und ich habe ordentlich zu arbeiten. Nach
    1 1/2 Stunden landen wir glatt im Heimathafen, ohne von der
    französischen Artillerie, die sonst sehr lebhaft schießt,
    oder dem Gegner erkannt worden zu sein. Bald darauf erschien
    auch die Schutzmaschine, die sich ebenfalls »verfranzt«
    hatte.


                                                   7. 9. 17.

    ... gestern morgen um 5:30, besser gestern Nacht,
    habe ich einen famosen Infanterieflug mitgemacht. Ich
    hatte ein anderes Flugzeug der Abteilung bei einem
    Patrouillenunternehmen der Infanterie zu schützen (bei
    Vauxaillon, im franz. Bericht vom 6. als gescheitert
    erwähnt; stimmt nicht ganz). Wir starteten in die Nacht
    hinein, schraubten uns nur wenig hoch. Mittels einer
    elektrischen Taschenlampe konnte ich nur die Höhe vom
    Höhenmesser ablesen. Schon in 100 m sah man in kurzen
    Abständen von einander Gaslaternen, so schien es, in
    der Luft. Das waren die mit Fallschirmen versehenen
    französischen Leuchtraketen. Die Front erscheint von oben
    als eine lange erleuchtete Straße. Dann flogen wir ran,
    etwa 1000 m hoch, die Maschine stark gedrückt und dabei
    mit großer Fahrt. Es war ein herrliches Flammenschauspiel.
    Man sah die feuernden Batterien, auch französischerseits
    die Einschläge der Geschosse und Minenwerfer. In stetigen
    Kurven, um nicht von der Erde aus durch die besonderen
    Abwehrmaschinengewehre getroffen zu werden, sausten wir
    über die Front. Obwohl wir bis auf 400 und 700 m herunter
    gingen, blieben wir durch starke Nebelschwaden dem Feinde
    verdeckt. Durch Blinksignale wurden wir von der Infanterie
    aus über den Ausgang des Unternehmens, das einige Gefangene
    einbrachte, verständigt. Wir selbst funkten an die
    Divisionen das Ergebnis weiter, außerdem hatten wir die
    ganze Gefechtslage zu überwachen, z. B. gegebenenfalls
    Sperrfeuer anzufordern und auf feindliche Batterien zu
    achten. Es war riesig eindrucksvoll. Um 7 Uhr waren wir
    wieder wohlbehalten im Hafen. Es ist dies mein vierter
    Feindflug. Im übrigen ist der Himmel stark bewölkt, und das
    bedeutet tödliche Langeweile. Tagelang beschäftigungslos zu
    sein, ist im Kriege wirklich entnervend.


                                         Bei Laon, 8. 9. 17.

    ... Ich habe bis jetzt fünf Feindflüge, darunter einen sehr
    brenzligen. Wir hatten uns zu Joffre im Nebel verfranzt und
    wurden eklig unter Flaks genommen. Die Granaten dröhnten
    einem nur so um die Ohren, und die Schrapnells pfiffen.
    Durch einige Sturzflüge und Spiralen entwanden wir uns und
    kamen schweißbedeckt zu Hause an. Vorgestern habe ich einen
    herrlichen Nachtflug mitgemacht. Ich schützte ein anderes
    Flugzeug der Abteilung, das einem Patrouillenunternehmen der
    Infanterie zur Verbindung und Ueberwachung mitgegeben war.
    Du kannst Dir die Schönheit des Flammenspiels der feuernden
    Batterien und Minenwerfer, der Leuchtkugeln usw. von oben
    nicht vorstellen. Wir flogen bis 400 m in rasender Fahrt
    über die Gräben weg, ohne im Morgennebel von M.G.'s oder Fl.
    beschossen zu werden. Unsere Gegner, die franz. Spads, sind
    glücklicherweise ziemlich lausig. Wenn ihnen der erste Stoß
    nicht glückt, hauen sie wieder ab.


Drei Tage später, am 11. September 1917 erlitt Bettsak bei der
Rückkehr von einem Erkundungsflug vor Laon einen tödlichen
Absturz. Am 23. September fand seine Beisetzung auf dem jüdischen
Friedhof der Berliner Gemeinde in Weißensee unter militärischen
Ehren statt, zu welcher Feier Kameraden seiner Fliegerabteilung
aus dem Felde erschienen, um ihm das letzte Geleite zu geben.

Ueber den Tod hinaus fanden seine Kameraden und Vorgesetzten noch
Worte, die das Bild dieses schlichten, aber äußerst tapferen und
wagemutigen Soldaten ins rechte Licht rücken; und so heißt es in
dem Lebewohl, das ihm seine Bekannten zurufen in den Briefen, die
die Eltern erhielten:


    ... als damaliger Ordonnanzoffizier beim Stabe des
    Res.-Inf.-Rgt. ... lernte ich Ihren Sohn als einen tapferen,
    wagemutigen, uns allen einen lieben Kameraden gewordenen
    Offizier kennen, dem wir alle ein treues Andenken bewahren
    werden.

                                            Dr. Julian Reis.


    ... genau so wie wenn unser Heinz noch heute mit mir
    plaudert. Menschen, die so ausgeprägte Persönlichkeiten
    waren und mit denen man so gut Kamerad war, können einem nie
    ganz genommen werden.

                                 Fliegerobltn. Hans Bergner.


    ... ich lernte Ihren Sohn in Hannover auf der
    Flieger-Ers.-Abtlg. kennen und machte mit ihm zusammen, kurz
    vor Ostern, jenen so glänzend verlaufenen Ueberlandflug von
    Hannover über den Harz und Berlin nach Hannover zurück, bei
    welcher Gelegenheit er Sie ja auch besuchte. Schon vorher,
    aber besonders bei diesem Fluge, bei dem wir ja vollständig
    aufeinander angewiesen waren, lernte ich Kamerad Bettsak
    schätzen, so daß gerade dieser Flug zu meinen schönsten
    Erinnerungen gehört. Stets lustig und fidel sorgte er dafür,
    daß alle sich wohlfühlten.

                            Fliegerleutnant Ernst Reinholdt.


    ... wenn Ihr Sohn auch nur kurze Zeit der Abteilung
    angehören durfte, so hat er doch durch Pflichttreue und
    entschlossenes Einsetzen seiner Person sich die Achtung und
    Anerkennung seiner Vorgesetzten, durch sein liebenswürdiges
    Wesen die Zuneigung seiner Kameraden erworben. Die Abteilung
    wird sein Andenken in hohen Ehren halten.

    Vielleicht lindert es Ihren Schmerz etwas, zu hören, daß Ihr
    Sohn in treuer Pflichterfüllung für Kaiser und Reich vor dem
    Feinde gefallen ist und daß sein Ende kurz und schmerzlos
    war.

                                   von Wehrmann,
                            Hauptmann und Abteilungs-Führer.

               *       *       *       *       *



Perikles sagte im Jahre 439 v. Chr. in seiner Leichenrede für
die jungen Männer, die im Kriege gegen Samos fielen: »Dem Jahre
ist der Frühling geraubt worden«. Auch den jüdischen Familien
Deutschlands sind viele Hoffnungen genommen. _Die Tatsächlichkeit
jüdischen Heldenmutes_ -- auch im Dienste der Fliegerwaffe --
_bestreiten zu wollen, heißt ihr Andenken und ihr Grab besudeln_.
Und wenn in der Geschichte dieses Krieges, die doch nur auf
die Berichte der deutschen Heeresleitung zurückgreifen wird,
einmal die Frage darnach gestellt wird, welche von den deutschen
Stämmen in dem furchtbaren Ringen sich hervortaten, dann wird
man mit Recht auf die Meldungen hinweisen, in denen es heißt,
daß alle Stämme gleichmäßig Gut und Blut fürs Vaterland geopfert
haben. Oftmals greift der Heeresbericht die vorzügliche Haltung
einzelner Teile heraus, unterstreicht ihren Anteil und schreibt
so die Geschichte der einzelnen Stämme. Wie aber während des
langen Kampfes Vermischungen eingetreten sind, daß in rheinischen
Regimentern Märker, Friesen und Ostpreußen ein erhebliches
Kontingent darstellten, wie letzten Endes kein Chronist restlos
die geleistete Arbeit auf die einzelnen Teile zurückführen
kann, so kann auch die Bedeutung der jüdischen Beihilfe nicht
herausgeschält werden. Schulter an Schulter haben sie mitgekämpft
und die Taten ungezählter werden vergessen und namenlos bleiben.
Die Erinnerung an einzelne aber soll festgehalten werden. Wie die
Geschichte der drei Ringe bei Lessing sich dagegen auflehnt, daß
sich eine Gemeinschaft überhebt, allein im Besitz der Wahrheit
zu sein, so sind auch die Bilder einzelner jüdischer Kameraden
Zeichen dafür, daß auch in deren Reihen Mannesmut und Hingabe für
das große Ganze bestanden hat.

Man kann zum Kriege jedwede Stellung einnehmen: die Tatsache, daß
junge Juden als moderne Dädalus und Ikarus ihre eigenen Kreise
ziehen wollen, daß sie in sich den Trieb zu Höherem und Weiterem
verspüren -- das beweist die Trefflichkeit und Lebensfähigkeit
einer Rasse, die sich im Kampf ums Dasein durch Jahrtausende
erhielt. --

Erschüttert lesen wir den Schwanengesang unseres Dichters Hugo
Zuckermann, des Verfassers des bekannten österreichischen
Reiterliedes, der nach schwerer Verwundung auf seinem Totenbette
seine Makkabäergedanken in die wunderbaren Worte kleidete:

    »Heute darf ich den Genossen
    Makkabäerlieder singen,
    Weil ich selbst ein Schwert getragen
    Und mein rotes Blut vergossen ...«

Und noch ein anderer jüdischer Dichter hat in seinem Nachlaß
ein Bild zurückgelassen, das ergreifend schlicht alles das in
wenige Worte zusammenfaßt. Es ist das Bild des jungen 20jährigen
Ludwig Franz _Meyer_, Sohn eines Sanitätsrats aus Gnesen, der um
dieselbe Zeit im Frühjahr 1915, wie der ältere Walter Heymann
und Hugo Zuckermann, vor Sochaczew tödlich verwundet wird und
wenige Tage später stirbt. Aber sein Bild lebt und klingt wie
die Synthese weichherzigen Judenschmerzes und kraftvollen
Judenstolzes:

    »Ich weinte lange, eh' ich Lieder sang.
    Dann aber legten sich die weißen Tränen,
    Und über mich kam kraftbeschwingtes Sehnen,
    Und gab mir weicher Worte schönen Klang,
    Ich weinte lange, eh ich Lieder sang ....
    Doch nicht zu singen nur bin ich auf Erden,
    Nicht um zu singen weckt ich meine Brüder --
    _Das ist mein Ziel, daß alle meine Lieder
    Zu großen kraftbeschwingten Taten werden.
    Denn nicht zu singen nur bin ich auf Erden_ ...«


Druck von Carl Hause, Berlin SO. 26.

               *       *       *       *       *



Anmerkungen zur Transkription:

Die folgende Liste enthält alle geänderten Textstellen in der
Form Original -> Korrektur.


  S.  5  jüdischen Glaubes -> jüdischen Glaubens
  S.  7  Jeanne d'Are -> Jeanne d'Arc
  S.  8  ins Nameslose -> ins Namenlose
         geeerntete -> geerntete
  S. 10  Israelitschen -> Israelitischen
  S. 13  Josef _Zürndörfer_ -> Josef _Zürndorfer_
  S. 14  Arthur _Chansanowicz_ -> Arthur _Chasanowicz_
  S. 16  Königl. Luftkutscher.« -> Königl. Luftkutscher.
  S. 17  keine Fußnote hinter "_Adolf_ und _Otto Neumann_"
  S. 19  Vaerlandsliebe -> Vaterlandsliebe
  S. 20  500 0000 -> 500 000
         Bvölkerungsschichten -> Bevölkerungsschichten
  S. 21  den wir -> denen wir
         als Amerikaner« -> als »Amerikaner«
  S. 22  aus Fraustadt Adolf -> aus Fraustadt, Adolf
  S. 24  Firma Oxodi-Back -> Firma Orosdi-Back
         13. 12. 17. -> 13. 12. 17
  S. 25  #lest not least# -> #last not least#
  S. 27  In derselben Nacht -> »In derselben Nacht
         »spezifischen Handlungen -> »spezifischen Handlungen«
  S. 28  Langen Heinrichs« -> »Langen Heinrichs«
         Salbstladekarabiner -> Selbstladekarabiner
  S. 29  Huntertausend -> Hunderttausend
  S. 30  Ihres Sohne -> Ihres Sohnes
  S. 32  Bau de Sapt -> Ban de Sapt
  S. 34  »Soeben von -> Soeben von
  S. 35  hinter unser Linien -> hinter unsere Linien
         abgeworfen. Soweit -> abgeworfen.« Soweit
  S. 37  Fliegr-Ersatz-Abteilung -> Flieger-Ersatz-Abteilung
         empfing Kurz darauf -> empfing. Kurz darauf
         keine Fußnote hinter "empfing"
  S. 39  Ltn. Pappenheimer -> »Ltn. Pappenheimer
  S. 42  _Heinz Bettsack_ -> _Heinz Bettsak_
  S. 48  Batterien auch -> Batterien, auch
  S. 49  ziemlich laurig. -> ziemlich lausig.
         und macht mit ihm -> und machte mit ihm
  S. 52  auf Erden_ ... -> auf Erden_ ...«





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