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Title: Briefe aus Frankfurt und Paris 1848-1849, (1/2)
Author: Raumer, Friedrich von
Language: German
As this book started as an ASCII text book there are no pictures available.


*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Briefe aus Frankfurt und Paris 1848-1849, (1/2)" ***


Thorsten Kontowski, Reiner Ruf, and the Online Distributed
produced from scanned images of public domain material
from the Google Books project.)



  ##################################################################

                     Anmerkungen zur Transkription

Der vorliegende Text wurde anhand der 1849 erschienenen Buchausgabe
erstellt. Die Zeichensetzung wurde stillschweigend korrigiert
bzw. ergänzt. Französische Ausdrücke und Zitate wurden nur dann
harmonisiert, bzw. korrigiert, wenn ansonsten der Wortsinn verfälscht
würde. Vereinzelt wurden die Datumsangaben der Briefköpfe dem
Inhaltsverzeichnis entsprechend angepasst.

Altertümliche und sonstige ungewöhnliche Schreibweisen wurden
beibehalten, ebenso unterschiedliche Wortvarianten. Für Umlaute in
Großbuchstaben (Ä, Ö, Ü) wurden auch deren Umschreibungen(Ae, Oe, Ue)
verwendet; es wurde diesbezüglich keine Vereinheitlichung vorgenommen.
Korrekturen anhand der Liste der Druckfehler am Ende des Textes wurden
bereits in diese Version eingearbeitet. Die folgenden offensichtlichen
Fehler wurden korrigiert:

    S. 8: ‚Veränderuug‘ → ‚Veränderung‘
    S. 11: ‚Uber‘ → ‚Ueber‘
    S. 127: ‚Reihefolge‘ → ‚Reihenfolge‘
    S. 214: ‚Birch-Pfeifer‘ → ‚Birch-Pfeiffer‘
    S. 215: ‚Dem. Jauauschek‘ → ‚Dem. Janauschek‘
    S. 294: ‚Ubereinstimmung‘ → ‚Uebereinstimmung‘
    S. 314: ‚nichtiges‘ → ‚richtiges‘
    S. 326: ‚Ich erwiedrte‘ → ‚Ich erwiederte‘
    S. 364: ‚Ein Mann ihres Sinnes‘ → ‚Ein Mann Ihres Sinnes‘
    S. 366: ‚alsdie‘ → ‚als die‘
    S. 376: ‚einem alten Professor‘ → ‚einen alten Professor‘
    S. 399: ‚ein Gräue → ‚ein Gräuel‘

Für die von der Normalschrift abweichenden Schriftschnitte wurden
folgende Sonderzeichen verwendet:

    Kursiv:    _Unterstriche_
    Fettdruck: =Gleichheitszeichen=
    Gesperrt:  +Pluszeichen+
    Antiqua:   ~Tilden~

  ##################################################################



                                Briefe

                                  aus

                          Frankfurt und Paris

                               1848-1849

                                  von

                         Friedrich von Raumer.

                             Erster Theil.

                               Leipzig:
                           F. A. Brockhaus.
                                 1849



                    Briefe aus Frankfurt und Paris.

                             Erster Theil.



                                Briefe

                                  aus

                          Frankfurt und Paris

                               1848-1849

                                  von

                         Friedrich von Raumer.

                             Erster Theil.

                               Leipzig:
                           F. A. Brockhaus.
                                 1849.



Vorrede.


Die Schwierigkeit eine Geschichte der Gegenwart unparteiisch und
allseitig zu schreiben, ist mit Recht so oft hervorgehoben worden, daß
auch der Kühnste und durch seine Verhältnisse am meisten Begünstigte,
von solch einem Unternehmen abgeschreckt werden kann. Wer hingegen
Gelegenheit hat, einzelne Steine zu dem künftigen Bau einer allgemeinen
Geschichte darzubieten, ist behufs rascher Förderung der Wahrheit,
hiezu gewissermaßen verpflichtet.

Als einen solchen, wenn auch unwichtigen Beitrag, betrachte ich die
folgenden Briefe. Sehr Vieles ist als unanziehend aus denselben
weggelassen, nichts aber (mit Ausnahme einzelner Ausdrücke) geändert,
oder gar hintennach im Wesentlichen anders dargestellt worden. Denn
diese wohlfeile Weisheit eines vom Rathhause Kommenden hat gar keinen
Werth; wohl aber wird selbst der, unverhohlen mitgetheilte, Irrthum
lehrreich zur Erklärung der jedesmaligen (aber nach Maßgabe der
fortschreitenden Verhältnisse und Ereignisse natürlich wechselnden)
Eindrücke, Stimmungen und Beschlüsse. Wenn ich, dieser Rücksicht
halber, nicht alles scharf oder herbe Ausgedrückte milderte, oder
ganz abschwächte, so hoffe ich (sofern sich Jemand dadurch irgendwie
verletzt fühlen sollte) Entschuldigung zu finden.

Den Vorschlag: diese Briefsammlung erst nach vielen Jahren dem Publikum
vorzulegen, wies ich zurück. Sie würde bis dahin wesentlich an
Interesse verlieren und eine Berichtigung derselben, mit dem Ablaufe
der Zeit immer schwieriger werden.

Trotz aller Aufmerksamkeit sind manche Wiederholungen stehen geblieben;
eine Folge des Umstandes, daß alle diese Mittheilungen eigentlich nur
Variationen über dasselbe Thema sind.

Endlich hoffe ich, man werde es nicht als Eitelkeit bezeichnen, daß ein
Briefschreiber seine (in anderer Beziehung unbedeutende) Person oft
erwähnt und erwähnen muß.

=Berlin=, 15. August 1849.



Inhalt des ersten Theils.


    =Erster Brief.=                                                Seite
      Berlin, im März 1848.                                            1
              Den 14. Mai.                                            14
              Den 17. Mai.                                            19
              Den 20. Mai.                                            20
              Den 21. Mai.                                            21

    =Zweiter Brief.=
      Frankfurt a. M., den 25. Mai.                                   22
                       Den 26. Mai.                                   --
                       Den 27. Mai.                                   24
                       Den 28. Mai.                                   --

    =Dritter Brief.=
      Frankfurt a. M., den 30. Mai.                                   28

    =Vierter Brief.=
      Frankfurt a. M., den 31. Mai.                                   33
                       Den  1. Junius.                                35

    =Fünfter Brief.=
      Frankfurt a. M., den 2. Junius.                                 40
                       Den 3. Junius.                                 48
                       Den 4. Junius.                                 53

    =Sechster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 5. Junius.                                 57
                       Den 6. Junius.                                 60

    =Siebenter Brief.=
      Frankfurt a. M., den 7. Junius.                                 62
                       Den 8. Junius.                                 65

    =Achter Brief.=
      Frankfurt a. M., den  9. Junius.                                67
                       Den 10. Junius.                                70

    =Neunter Brief.=
      Frankfurt a. M., den 11. Junius.                                72
                       Den 12. Junius.                                76

    =Zehnter Brief.=
      Frankfurt a. M., den 12. Junius.                                77
                       Den 13. Junius.                                79
                       Den 14. Junius.                                83

    =Eilfter Brief.=
      Frankfurt a. M., den 14. Junius.                                84
                       Den 15. Junius.                                85

    =Zwölfter Brief.=
      Frankfurt a. M., den 15. Junius.                                91
                       Den 16. Junius.                                92

    =Dreizehnter Brief.=
      Frankfurt a. M., den 18. Junius.                                96

    =Vierzehnter Brief.=
      Frankfurt a. M., den 18. Junius.                               101
                       Den 19. Junius.                               102

    =Funfzehnter Brief.=
      Frankfurt a. M., den 22. Junius.                               110

    =Sechzehnter Brief.=
      Frankfurt a. M., den 23. Junius.                               113

    =Siebzehnter Brief.=
      Frankfurt a. M., den 24. Junius.                               118

    =Achtzehnter Brief.=
      Frankfurt a. M., den 25. Junius.                               121
                       Den 26. Junius.                               124
                       Den 27. Junius.                               132
                       Den 28. Junius.                               138

    =Neunzehnter Brief.=
      Frankfurt a. M., den 29. Junius.                               144
                       Den 29. Junius Nachmittags.                   148

    =Zwanzigster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 30. Junius.                               151
                       Den  1. Julius.                               153

    =Einundzwanzigster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 2. Julius.                                156

    =Zweiundzwanzigster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 4. Julius.                                163

    =Dreiundzwanzigster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 5. Julius.                                168
                       Den 6. Julius.                                170

    =Vierundzwanzigster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 6. Julius.                                173
                       Den 7. Julius.                                175
                       Den 8. Julius.                                177

    =Fünfundzwanzigster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 8. Julius.                                179
                       Den 9. Julius.                                181

    =Sechsundzwanzigster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 10. Julius.                               184
                       Den 11. Julius.                               188

    =Siebenundzwanzigster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 12. Julius.                               191

    =Achtundzwanzigster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 13. Julius.                               197
                       Den 14. Julius.                               202

    =Neunundzwanzigster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 15. Julius.                               203

    =Dreißigster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 15. Julius.                               209
                       Den 16. Julius.                               211

    =Einunddreißigster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 17. Julius.                               215

    =Zweiunddreißigster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 20. Julius.                               222

    =Dreiunddreißigster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 21. Julius.                               228
                       Den 22. Julius.                               231

    =Vierunddreißigster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 22. Julius.                               233

    =Fünfunddreißigster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 24. Julius.                               235

    =Sechsunddreißigster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 26. Julius.                               239
                       Den 27. Julius.                               242

    =Siebenunddreißigster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 28. Julius.                               246
                       Den 29. Julius.                               247

    =Achtunddreißigster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 30. Julius.                               251

    =Neununddreißigster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 31. Julius.                               252

    =Vierzigster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 1. August.                                254

    =Einundvierzigster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 1. August.                                256
                       Den 2. August.                                257

    =Zweiundvierzigster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 4. August.                                260
                       Den 5. August.                                261

    =Dreiundvierzigster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 5. August.                                264
                       Den 6. August.                                265

    =Vierundvierzigster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 7. August.                                266
                       Den 8. August.                                269

    =Fünfundvierzigster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 9. August.                                273

    =Sechsundvierzigster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 10. August.                               275

    =Siebenundvierzigster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 11. August.                               279
                       Den 12. August.                               280

    =Achtundvierzigster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 13. August.                               282
                       Den 14. August.                               282
                       Den 15. August.                               283

    =Neunundvierzigster Brief.=
      Frankfurt a. M., den 16. August.                               284
                       Den 19. August.                               285
                       Den 20. August.                               287

    =Funfzigster Brief.=
      Brüssel, den 23. August.                                       288

    =Einundfunfzigster Brief.=
      Paris, den 24. August.                                         290
             Den 25. August.                                         292

    =Zweiundfunfzigster Brief.=
      Paris, den 26. August.                                         292
             Den 27. August.                                         295
             Den 27. August Mittags.                                 296
             Den 27. August Abends.                                  297
             Den 28. August.                                         300

    =Dreiundfunfzigster Brief.=
      Paris, den 29. August.                                         300
             Den 29. August Nachmittags.                             301
             Den 30. August.                                         302

    =Vierundfunfzigster Brief.=
      Paris, den 31. August.                                         305

    =Fünfundfunfzigster Brief.=
      Paris, den 1. September.                                       310
             Den 1. September Nachmittags.                           311
             Den 1. September Abends.                                313

    =Sechsundfunfzigster Brief.=
      Paris, den 2. September.                                       314
             Den 3. September.                                       316

    =Siebenundfunfzigster Brief.=
      Paris, den 4. September.                                       319
             Den 5. September.                                       320
             Den 6. September.                                       322
             Den 7. September.                                       323

    =Achtundfunfzigster Brief.=
      Paris, den 8. September.                                       325
             Den 8. September Nachmittags.                           327
             Den 9. September.                                       330

    =Neunundfunfzigster Brief.=
      Paris, den 10. September.                                      333
             Den 11. September.                                      334

    =Sechzigster Brief.=
      Paris, den 12. September.                                      336
             Den 13. September.                                      339

    =Einundsechzigster Brief.=
      Paris, den 14. September.                                      342

    =Zweiundsechzigster Brief.=
      Paris, den 15. September.                                      345
             Den 15. September Mittags.                              346

    =Dreiundsechzigster Brief.=
      Paris, den 16. September.                                      348
             Den 16. September Nachmittags.                          353
             Den 17. September.                                      354

    =Vierundsechzigster Brief.=
      Paris, den 18. September.                                      356
             Den 19. September.                                      359

    =Fünfundsechzigster Brief.=
      Paris, den 20. September.                                      360
             Den 21. September.                                      361
             Den 22. September.                                      363

    =Sechsundsechzigster Brief.=
      Paris, den 23. September.                                      367

    =Siebenundsechzigster Brief.=
      Paris, den 25. September.                                      373
             Den 26. September.                                      377
             Den 26. September Mittags.                              379
             Den 27. September.                                      380

    =Achtundsechzigster Brief.=
      Paris, den 28. September.                                      385
             Den 29. September.                                      385
             Den 30. September.                                      388
             Den 1. October.                                         389
             Den 2. October.                                         390
             Den 3. October.                                         392
             Den 4. October.                                         396

    =Neunundsechzigster Brief.=
      Paris, den 5. October.                                         400
             Den 6. October.                                         401
             Den 7. October.                                         402
             Den 8. October.                                         407

    =Siebzigster Brief.=
      Paris, den 9. October.                                         409
             Den 10. October.                                        414
             Den 11. October.                                        418

    =Einundsiebzigster Brief.=
      Paris, den 12. October.                                        422



Erster Brief.


    Berlin, im März 1848.

Aus den Zeitungen werdet Ihr vollständige Kunde von den furchtbaren
Ereignissen dieser Tage bekommen. Ich will nur einige allgemeine
Andeutungen geben, meist mich aber an Das halten +was ich selbst
sah+, und was sich (Eurer Theilnahme bin ich gewiß) auf +mich
selbst+ bezieht.

Schon vor den pariser und den sich daran reihenden deutschen
Ereignissen hatte sich hier die Mißstimmung sehr gesteigert, und Viele
hegten die Überzeugung: „die Regierung könne mit den bisher wirksamen
Personen und in der bisherigen Weise und Richtung, unmöglich mehr lange
geführt werden. Die Behandlung der auswärtigen Angelegenheiten, die
kirchliche (unter dem Namen neuer größerer Freiheit geübte) Willkür,
die endlose Beaufsichtigung der Schulen und Universitäten, die
Anstellung einseitiger, die Entlassung würdiger Männer u. s. w. u. s.
w. regten täglich mehr auf, und die Berufung des Landtages ward täglich
lauter und dringender gefordert. „Die Ausschüsse (das ergab sich immer
deutlicher) konnten und sollten ihn nicht ersetzen. Wenn sich die
Stadt (in Bezug auf Das, was der König bei Entlassung der Ausschüsse
sagte) dankend ausspreche, so könne man (dies hoffte ich) Wünsche und
Bitten am besten daran anreihen. Ich entwarf zu diesem Zwecke folgende
Erklärung:

„Die königliche Bewilligung einer regelmäßigen Wiederkehr, oder
Wiederberufung des allgemeinen Landtages, und die Bestätigung der sehr
wichtigen Vorschläge zur Vervollkommnung des preußischen Staatsrechtes,
ist ein höchst folgenreiches, beglückendes Ereigniß; -- ein Ereigniß,
welches finstere Besorgnisse verscheucht, Hoffnungen erfüllt, oder
ihre Erfüllung bestimmt in Aussicht stellt, und die Einigkeit zwischen
Herrscher und Volk (ohne welche jeder Staat zu Grunde geht) aufs Neue
bekräftigt.

„Deshalb erlaube ich mir den Antrag: daß die Stadtbehörden Seiner
königlichen Majestät durch eine Schrift, oder Botschaft, den innigen
Dank darlegen, zu welchem uns gleichmäßig Kopf und Herz antreiben, und
dabei nochmals mit Nachdruck aussprechen mögen: Berlin, die Hauptstadt
des Reiches, werde in Unglück und Gefahr, (wie in Zeiten des Glücks
und der Ruhe) mit unwandelbarer Treue und dem Aufwande aller Kräfte
ihre ehrenvollen Pflichten erfüllen, von der Bahn des gesetzlichen
Rechtes niemals abweichen, und die persönliche Anhänglichkeit an
Seine Majestät den König und das königliche Haus, (ohne welche dem
Staatsrechte einer Monarchie die höchste Verklärung fehlt) wie ein
Heiligthum festhalten und bewahren.

Berlin, den 6. März 1848, Abends.

    v. Raumer.“

       *       *       *       *       *

Diese Erklärung hatte ich dem Vorsteher der Stadtverordneten bereits
zum Vortrage übergeben, als ich mich überzeugte: die Mißstimmung über
das angeblich Ungenügende der Bewilligungen sei bereits so gestiegen,
daß der Antrag, Dank auszusprechen, nur Vorwürfe gegen den König
hervorrufen würde. Ich nahm deshalb jenen Antrag zurück, schrieb jedoch
dem -- (mit Bezug auf frühere Gespräche): es sei zu befürchten, daß die
Versammlung der Stadtverordneten zu +mächtig+ werde; aber noch
ungleich gefährlicher, wenn sie (sehr wahrscheinlich) +ohnmächtig
werde+, und die Entscheidung in schlechtere Hände gerathe.

Die immer dringender werdenden Verhältnisse veranlaßten mich, (nach
Abhaltung der ersten Versammlung in den Zelten) Folgendes an -- zu
schreiben:

„Den Vorschlag, heute in der Stadtverordnetenversammlung ein
Dankschreiben an Se. Maj. den König zu beschließen, hat man
aufgeben müssen, um nicht Widersprüche und unangenehme Erörterungen
hervorzurufen. Nach Dem was sich hier und in andern Städten der
Monarchie vorbereitet und in dem ganzen übrigen Deutschland bereits
geschehen ist, hat es gar keinen Zweifel, daß eine ganze Reihe von
Forderungen an die Stadtverordneten gelangen, und zu einer (vielleicht
einstimmigen) Bitte um +eilige+ Berufung des vereinigten Landtages
führen wird. Dies ist der +mildeste+ Ausweg um jene Forderungen in
den Weg +besonnener, gesetzlicher+ Berathung zu leiten.

„Wenn Se. Maj. der König sich hierüber aus +eigener+ Macht ausspricht
und dem Magistrate und den Stadtverordneten eine beim Anfange
der Sitzung zu eröffnende Kabinetsordre zuschickt, so wird ihm
unermeßlicher Dank zu Theil, es wird die Begeisterung im Innern und
gegen das Ausland aufs Höchste steigen; er ist -- wie es sein soll --
der +Leit-+ und +Polarstern+ für +Alle+. Geschieht das +Unvermeidliche+
auch nur um einige Stunden zu spät, so verwandelt sich der glänzende
Sieg in eine unglückselige Niederlage, und ganz andere Personen
werden die Lorberen für sich in Anspruch nehmen. Möchten nicht kleine,
förmliche, die Wichtigkeit des Augenblicks verkennende Seelen, durch
unentschlossenen Rath, Alles den Händen des Königs entschlüpfen lassen.

„Verzeihen Sie, wenn ich mich in dieser ungewöhnlichen und vielleicht
ungebührlichen Weise ausspreche; meine Liebe zu König und Vaterland
und meine Kenntniß vaterländischer Angelegenheiten, verbot mir da zu
schweigen, wo Kopf und Herz zu reden befehlen.

Berlin, den 9. März 1848, Morgens 7 Uhr.“

       *       *       *       *       *

An demselben Tage um 4 Uhr begann die Sitzung der Stadtverordneten,
über welche die Zeitungshalle am genauesten Bericht erstattet.
Die überlauten Zuhörer hatten ohne Zweifel die Absicht: die
Stadtverordneten zu zwingen, +alle+ ihre Forderungen +auf der
Stelle+ anzunehmen und zu den ihrigen zu machen. Dies Bestreben ward
jedoch mit größtem Rechte vereitelt, und auch ich sprach (wie ihr in
der Zeitungshalle lesen könnt) für gründliche und ruhige Berathung.
Diese fand den 10. von 3-11 Uhr statt, und die Deputation, zu der ich
gehörte, vereinigte sich endlich für die bekannt gewordene Eingabe.
Sie ward den 11. in der Stadtverordnetenversammlung fast einstimmig
angenommen. So weit ich sehen konnte blieben nur die HH. N. und B.
verneinend sitzen, weil sie +mehr+, und minder +höflich+,
fordern wollten. Die Zuhörer, einer bekannten Gattung, waren ebenfalls
unzufrieden, und erhoben ein so gränzenloses, unanständiges Geschrei,
daß die Sitzung leider mußte aufgehoben werden. Meine Furcht, die
Stadtverordnetenversammlung dürfte zu +ohnmächtig+ werden, war nur
zu sehr gerechtfertigt.

Des Königs Antwort auf die Eingabe lautete zwar beruhigend, aber bei
täglich, ja stündlich steigender Aufregung keineswegs zufriedenstellend.

Über die +erste+ Versammlung in den Zelten erhielt ich einen
umständlichen, anonymen Bericht; wenige Tage später kam der Verfasser
zu mir, klagend daß die zweite Versammlung sich ungebührlich in
falscher Richtung bewegt, und großentheils aus anderen Personen
bestanden habe. Ich machte ihn darauf aufmerksam: wie schwer es
sei solcher Bewegungen Meister zu bleiben, wie verantwortlich sie
hervorzurufen.

Die Minister verloren die kostbarste Zeit, und behandelten das
Eiligste in den Formen der alten Geschäftsführung, während aus ganz
Deutschland, ja aus Wien Nachrichten von raschern Fortschritten
einliefen. Preußen, Berlin müsse sich an die Spitze stellen und die
Vorwürfe von Schläfrigkeit und Nichtigkeit widerlegen; -- dies war die
Ansicht Unzähliger. Planmäßig leiteten aber geschickt vertheilte,
laute Demagogen das Ganze und bezweckten leider, daß die Aufregung sich
zur Widersetzlichkeit steigere. Andererseits begingen die Kriegsführer
Mißgriffe, und die unbedeutenden Unruhen des Montags, nahmen den
bösesten Charakter an, als die ungebührlich gereizten und verhöhnten
Soldaten, Dienstags an der Brüderstraße, ohne Ansehen der Person Gewalt
übten. Man erließ zur Beruhigung eine Bekanntmachung, daß Militair- und
Civilpersonen die Sache untersuchen und Schuldige bestrafen sollten.
Magistrat und Stadtverordnete schrieben das Nöthige vor zur Bildung
unbewaffneter Schutzcommissionen. Als ich in meinem Bezirke zur
Vollziehung dieses Beschlusses aufforderte, schrien Mehre: ich wolle
(ein alter Thor) Bürger verführen sich verstümmeln und erschießen zu
lassen. -- Ich rief: wer Muth hat folge mir; so schlossen sich endlich
Viele meiner Führung an.

Donnerstag und Freitag (15., 16.) ward die Ruhe in der Stadt erhalten,
womit aber viele Begeisterte und viele Böswillige gleich unzufrieden
waren. Es verbreitete sich die sichere Kunde: man wolle Sonnabend um
2 Uhr dem Könige eine Bittschrift überreichen; viele Tausende wollten
mitziehen zum Schlosse. Mit Bestimmtheit ließ sich voraussehen, daß
dies nicht ohne Unordnung, ja Gefahr geschehen dürfte. Deshalb eilte
ich Sonnabend früh zum -- stellte ihm die üble Lage der Dinge vor,
und daß es schlechterdings nothwendig sei, daß bis Mittag 12 Uhr
beruhigende, unabweisliche und unausbleibliche Bewilligungen bekannt
gemacht würden. -- fand dies zweckmäßig und versprach sogleich zum
Könige zu fahren und ihm das Nöthige vorzustellen.

Mit einigen Stadträthen und Stadtverordneten (wir fanden uns auf der
Straße zusammen) ging ich zum Polizeipräsidenten, zum Kommandanten (wo
wir den Minister Bodelschwingh fanden), deren wohlwollende Sorge und
Theilnahme, ohne entscheidende Versprechungen nichts helfen konnte.
Deshalb ward von den zusammeneilenden Stadtverordneten beschlossen,
unverzüglich und gemeinsam mit dem Magistrate, eine Deputation an den
König abzusenden. Ich ward mit zu derselben gewählt, und wir fanden im
Vorzimmer die mit Orden überdeckten Stützen des Staates, gegen welche
wir (einige der Eil halber in Überröcken) sehr gering und unanständig
aussahen. Vorgelassen, ward dem Könige die volle, ungeschminkte
Wahrheit, mit solcher Kraft und Rührung gesagt, daß Viele sich der
Thränen nicht enthalten konnten.

Man bat um Preßfreiheit. -- Ist schon bewilligt. -- Um Berufung des
Landtags. -- Desgleichen. -- Um Veränderung der Grundsätze über
Wahlen und Abstimmungen. -- Antwort, günstig, jedoch so bedingt,
daß kein bestimmtes Ergebniß hervorging. -- Gleichstellung aller
Religionsbekenntnisse, ohne staatliche Bevorzugung. -- Antwort: ich bin
der größte Freund der Religionsduldung; die Leute dürfen sich ja nur
aussprechen. -- Zwischen E. M. und dem Volke stehen Räthe, welche das
Vertrauen des Volkes nicht besitzen. -- Antwort: diese Männer meinen es
redlich mit dem Volke und der Krone.

Ich hatte mich aus vielen Gründen schweigend im Hintergrunde gehalten,
sagte aber, als ich sah daß man zu keinem inhaltsreichen Ergebniß kam:
wenn ich S. M. nicht mißverstanden, wollten Sie die von der Stadt
Berlin vorgetragenen Wünsche, dem Landtage zur Berathung vorlegen
und nach Empfange eines Gutachtens entscheiden. -- Auf diesen Antrag
ging der König indeß nicht einfach ein, weil ja zu prüfen sei: ob die
Wünsche sich zu solch einer Vorlegung eigneten.

Der König sprach nach seiner Weise noch viel, verständig, gemüthlich;
hierauf von seiner Macht, seinem Rechte, seinem göttlichen Berufe. --
Sagen Sie laut, rief er, daß ich so wahr mir Gott helfe, Alles thun
will was zum Wohle meines Volkes gereicht, daß ich aber niemals auch
nur einen Fingerbreit von meinen Grundsätzen abweichen werde, daß mich
keine Macht der Welt jemals dazu vermögen wird. -- -- --

Mir vergingen, im hinteren Gliede stehend, von der unbeschreiblichen
Gemüthsbewegung fast die Sinne, ich hörte nur, was der König über die
Heilsamkeit der Mäßigung und allmäliger Entwickelung sagte, als er auf
mich zu ging, mit der Hand auf meine Schulter schlug, und die meine
ergreifend und schüttelnd, sagte: dies ist ein alter Professor der
Geschichte; er wird bezeugen ob ich Recht habe. Das konnte ich, in
Bezug auf seine zuletzt gesprochenen Worte, aus vollem Herzen; auch
war mir jener Handschlag ein Zeichen, daß der Zorn des Königs über
die akademische Rede ganz verschwunden, und er von meinem rechtlichen
Benehmen in der Stadtverordnetenversammlung überzeugt sei. -- Alle
diese Betrachtungen kamen jedoch erst hintennach; in jenem schweren
Augenblicke konnte Niemand an seine eigene unbedeutende Person denken.

Wir stellten endlich das Mildeste und Wesentlichste aus allen Reden des
Königs zusammen, sodaß Bewilligungen, Versprechungen und Hoffnungen
jeden Gemäßigten befriedigen konnten. Auch that diese von uns vorläufig
auf dem Schloßplatze ausgesprochene Verkündigung die beste Wirkung,
und die Berathung auf dem kölnischen Rathhause endete mit einem Vivat
auf den König, dem selbst die, sonst zu Unruhe und Widerspruch nur
zu geneigten Zuhörer, beistimmten. Ich habe bei dieser Gelegenheit
auch gesprochen, aber in solcher Aufregung, daß mein Gedächtniß mir
den Inhalt nicht vergegenwärtigt, und ich die Zeitungshalle darüber
nachlesen muß. Voller Freuden vertheilten wir uns in der Stadt, das
Erlangte zu allgemeiner Beruhigung mitzutheilen. Als ich heimkehrend
über den Schloßplatz ging, hatte der König vom Balkone gesprochen, die
Hüte in der Luft, Hurrahrufen, überall (so schien es) der glücklichste
Ausgang. -- Kaum aber hatte ich diese Kunde für -- dem -- mitgetheilt,
kaum war ich zu Hause angelangt, als die furchtbare Botschaft von
neuem Schießen und Einhauen anlangte. Sogleich legte ich meine Binde
als Schutzbeamter um, und forderte mir bekannte, wohlgesinnte Bürger
auf mir zu folgen, aber sie warfen mich buchstäblich in einen Laden
und beschworen mich mein Leben nicht nutzlos aufzuopfern; es sei ganz
unmöglich den Sturm zu beschwören. Gleichzeitig allgemeines Geschrei
von Verrath und Errichtung unzähliger Barricaden.

Ueber die Gründe und den Hergang des neuen Angriffs auf dem
Schloßplatze lauten die Aussagen, selbst der Augenzeugen, so
verschieden, daß schon jetzt kaum die volle Wahrheit aufzufinden ist.
Ich will nur das mir Wahrscheinliche zusammenstellen.

1) Die Generale, Officiere u. s. w. hielten es für eine Schmach, sich
vor Leuten, welche Forderungen in gesetzwidriger Weise geltend machen
wollten, zurückzuziehen und ihnen nachzugeben. --

2) Die gemeinen Soldaten waren durch Spott und Hohn aufs Höchste
gereizt.

3) Manche Soldaten und Führer hielten das Vivatgeschrei für ein
~pereat~ und fürchteten die Bestürmung des Schlosses.

4) Den revolutionairen Unruhstiftern war ein friedlicher Ausgang
durchaus ungelegen; sie thaten alles Mögliche, Unzufriedenheit mit dem
Bewilligten hervorzurufen, und bezweckten einen großen, gewaltigen
Aufstand.

5) Zu lange glaubte man auf dem Schlosse: man habe nur mit wenigem
Pöbel zu thun, den einige Schüsse verscheuchen würden.

Als der König später umherritt und vor dem kölnischen Rathhause still
hielt, eilten die Stadtverordneten hinab, und seiner wohlwollenden
Anrede folgte ein lautes, ununterbrochenes Hurrah des unzähligen Volkes.

Der an fünf Stunden dauernde Leichenzug ging mit höchster Ordnung
und ohne die geringste Störung vor sich. König und Königin sahen vom
Balkone herab; alle Hüte beim Vorbeigehen abgenommen, -- und doch
welche bittere Stellung für jene!

Der Prinz von Preußen ist der allgemeine Sündenbock und Blitzableiter
-- -- -- obwohl ganz unschuldig an dem ihm zur Last Gelegten. Es
offenbart sich in vielen Gegenden Deutschlands der künstlich berechnete
Plan, alle Thronfolger verhaßt zu machen.

Der Oberbürgermeister Krausnick ward auf eine Weise gezwungen,
sein Amt niederzulegen, die nach Form und Inhalt gesetzwidrig ist.
Insbesondere hatte er gar keinen Theil an Dem, was man ihm vorzugsweise
zur Last legt. Er ward des eisernen Bärensprung Nachfolger, weil man
seine Verträglichkeit und vermittelnde Milde laut pries; dieselben
Eigenschaften unterliegen, bei veränderten Verhältnissen, jetzt dem
bittersten Tadel.

„Am schuldigsten (so lauten die zahlreichsten und heftigsten Urtheile)
sind die abgegangenen Minister. Hätten sie irgend Scharfsinn und
Voraussicht besessen, hätten sie muthig und einstimmig dem Könige
Vorstellungen gemacht, hätten sie nicht das Abgestorbene gehätschelt
und gepflegt; wir wären in milderem Wege vorwärts gekommen. Die alte,
überkluge Bureaukratie hat einen Stoß bekommen, von dem sie sich nicht
erholen kann; und die jüngeren Männer werden und sollen sich, minder
gefesselt denn zuvor, Bahn machen und einen besseren Wirkungskreis
gewinnen.“ -- So die Urtheile!

Große Stürme stehen uns noch bevor; geistige Ruhe wird sobald nicht
wiederkehren und ein großer Theil des Vermögens geht verloren: wenn
wir aber zuletzt doch ein wahres Staatsrecht gewinnen, den niederen
Klassen (nicht das Unmögliche, was Louis Blanc verspricht) aber doch
einige Hülfe zu Theil wird; wenn Deutschland, neu begeistert, mächtiger
nach Ost und West aufzutreten fähig wird; -- so ist Leiden und Verlust
nur gering, im Verhältnisse zu dem Gewinn. Also: ~nil desperandum!~


    An -- -- -- --

    -- März 1848.

    Die Zukunft sahest Du mit Adlerblicke,
    Und herzzerreißend waren Deine Schmerzen!
    Wo find’ ich, riefst Du, wahrhaft treue Herzen,
    Die mich verstehen und der Welt Geschicke?
    Wer Dich gekannt, er war Dir treu ergeben,
    Und bleibt es selbst in dunkler Nächte Grauen,
    Du Bild der Anmuth, edelste der Frauen,
    Die gern das Volk geführt zu neuem Leben!
    So hoch gestellt, und dennoch fern vom Rathen;
    Cassandra unserer Zeit, Dein heilig Glühen
    Geopfert ward es unter Spott und Hohne!
    Was kann Dich trösten, als wenn neue Saaten,
    Die Du ersehnt, wie Keiner, jetzt erblühen
    Zu ewigem Schmucke Deiner Dornenkrone!


    Den 14. Mai.

Heute werde ich 67 Jahre alt, und bin nun so bejahrt wie der Vater,
als er starb. Vor drei Monaten war mein Haus so gut bestellt, daß ich
ruhig dahinfahren konnte; es ist nicht meine Schuld, daß es jetzt
ganz anders steht. Ein Glück, daß Frau und Kinder darüber ruhiger und
gefaßter sind, als viele Andere, die mit Seufzen und Wehklagen nicht
das Geringste ändern können und sich und ihren Umgebungen nur das Leben
sauer machen.

Heute schreibe ich meinen Mitbürgern, daß ich das Amt eines
Stadtverordneten niederlege und nicht wieder gewählt sein will.
Dafür sprechen viele -- unerfreuliche -- Gründe. Alter, Übermaß der
Geschäfte, falsche Richtung der Verwaltung, welche die Stadt bankerott
und die Besitzlosen zu Herren macht, Unmöglichkeit ohne Gewalt aus der
Anarchie zur Ordnung zurückzukehren u. s. w. Wenn man mich endlich bei
den Wahlen für die Reichstage als verbraucht (~usé~) betrachtet
hat, und meine gemäßigten Grundsätze feige und ungenügend nennt, so
will ich auch andern und jüngeren Kräften überlassen, mit größerer
Weisheit den städtischen Augiasstall auszumisten.

Die Frage über die Rückkehr des Prinzen von Preußen hat zu zwei sehr
unruhigen Nächten Veranlassung gegeben; die Unruhstifter wünschten die
Gelegenheit zu benutzen, in die Republik hineinzuspringen. Siegt das
Ministerium, so ist dies ein großer Gewinn; eine Niederlage wäre ein
+großes Unglück+.

Die Zeiten, wo Politik oder Theologie allein herrschen, sind
allemal unglücklich; alles Andere wird vergessen und mit der
ächten menschlichen Bildung geht es rückwärts. Auch die Studenten
vernachlässigen ihre Wissenschaft und wollen Dinge anordnen und
beherrschen, die sie nicht verstehen und die gar nicht ihres Amtes
sind. Als ich vorgestern nachsehen wollte, ob ich wohl Zuhörer fände,
hieß es: Heute sei keine Zeit, Vorlesungen zu hören; die Studenten
rathschlagten über den Prinzen von Preußen und die Entlassung des
Ministeriums!!!

Ich weiß noch nicht, welche literarische Arbeit ich vorzugsweise
unternehmen und ob ich etwas niederschreiben soll. Die Zeit des
französischen Terrorismus und Direktoriums erschreckt mich, oder widert
mich an. -- Vielleicht am besten, ich schreibe gar nichts mehr; dann
mag das Büchlein, welches ich anonym und unter dem Titel +Spreu+
ausgehen ließ, für eine Art von Testament gelten. Es würde mir
wahrscheinlich einiges Lob und noch mehr Tadel verschaffen, wenn unsere
Zeit Zeit hätte, sich um kleine Bücher zu bekümmern.

Bis etwa 14 Tage nach dem 18. März war überall (auch bei den
Stadtverordneten) fast nur die Rede von den unsterblichen
Barricadenhelden, die ihres Gleichen in der ganzen Weltgeschichte nicht
hätten, gegen welche Leonidas und seine 300 Spartaner nur jämmerliche
Stümper wären, denen man in Marmor und Erz ewige Denkmale errichten
müsse u. s. w. Seit 4-6 Wochen nimmt keiner mehr das Wort Barricade
und Barricadenheld in den Mund, der 18. März wird zum ~noli me
tangere~; und in vertrauteren Gesprächen wünscht man die Helden, und
die polnischen, französischen und deutschen Anordner der „glorreichen“
Nacht, zum Teufel. So ändern sich die Zeiten; und es ist für ein Glück
zu achten, wenn die höchlich erzürnten Bürger nicht die Proletarier
nächstens (wie in Rouen) niederschießen müssen um Ordnung herzustellen.
Sehr natürlich fordern die vergötterten Helden den Lohn ihrer
Heldenthaten. +Wir+, sagen sie, haben euch die Freiheit erkämpft,
während +ihr+ furchtsam hinter dem Ofen saßet u. s. w. -- Und
neben der Faulheit und dem Übermuthe, geht wahre, furchtbare Noth her,
entstehend aus dem Stillstande des Verkehrs und der Fabriken. Früher
haben die Fabrikherrn meist das Billigste verweigert; jetzt werden sie
zum Unbilligsten gezwungen -- und dadurch bankerott.

Ich fand soeben bei einem Gange durch die Stadt, Mauern und Pumpen
mit Anschlägen gegen den Prinzen von Preußen bedeckt und bestimmte
Zeugnisse daß Bürger, Proletarier und Klubs fraternisiren; während
Die, welche sich +gute+ Bürger nennen, nichts thun, die Hände in
den Schoß legen und abwarten, ob durch sogenannte Volksversammlungen
in den Zelten, das Ministerium gestürzt, oder ganz ohnmächtig wird!
Es fällt den Verblendeten nicht ein, welchem Schicksale Berlin
entgegengeht, das nur vom Hofe, Soldaten, Beamten und einigen Fremden
lebte. Man braucht nicht melancholisch, oder hypochondrisch zu sein, um
auf den Gedanken zu kommen: in den breiten Straßen könnte dereinst Gras
wachsen.

Neben dem jetzt unentbehrlichen stehenden Heere, ist die Bürgerwehr
entstanden, welche durch unzählige Übungen und stete Wachtdienste Zeit,
und also Erwerb und Geld verliert. Die an sich heilsame Einrichtung
strebt nicht der amerikanischen nach, sondern man ergötzt sich bereits
im Nachäffen mancher Bocksbeuteleien der europäischen Soldaten. Bei den
Stadtverordneten kam eine heftige Klage zur Sprache, daß Soldaten die
(ganz unnütze) Wache bei Montbijou besetzt hätten, wodurch die Freiheit
in Gefahr gerathe (!!), und die gehorsame Behörde unterstützte das
lächerliche Gesuch; während gleichzeitig berichtet wurde: 10 zur Wache
berufene Bürger hätten sämmtlich geantwortet: sie würden nicht kommen,
denn sie hätten etwas Besseres zu thun, als dort Maulaffen feil zu
bieten. -- So die Disciplin und die sogenannten Volksansichten. Jeder
Haufen von Tagedieben nennt sich Volk, und die lieben Bürger fürchten
sich vor den Barricadenhelden!


    Den 17. Mai.

Die Stadt ist wieder mehre Tage in Aufregung gewesen, welche das
Ministerium wohl hätte vermeiden können. Doch ist es beim Reden
geblieben und bei Maueranschlägen. Zuletzt gewannen Gottlob +die
Besseren+ die Oberhand, und bis zur Eröffnung des Landtages werden
die Böswilligen wenigstens nichts +durchsetzen+. Charakteristisch
daß die +Wahlmänner+ zweimal eine Mehrheit für den Republikaner
B. erstritten, und die +Bürger+ ihn bei der Stadtverordnetenwahl
unter bittern Vorwürfen haben durchfallen lassen. -- Ebenso merkwürdig
daß Arbeiter, denen Mitglieder des (fast terroristischen) politischen
Klubs vorgestellt hatten, sie möchten +faul+ sein um +länger+
beschäftigt zu werden, die Schändlichkeit des Rathschlags einsahen, in
die Versammlung drangen und die Verführer (wie Einige behaupten) selbst
mit Schlägen bedienten. All jener Gefahren würden wir gewiß Herr; daß
Frankreich aber den edlen, friedliebenden Circourt abruft und Arago
hersendet, der seines Terrorismus halber aus Lyon verjagt ward, daß
man im Marsfelde die Bildsäule Deutschlands aufstellt, ist eine nur zu
bestimmte Hinweisung auf Krieg und Zerrüttung unseres unglücklichen
Vaterlandes. -- Durch Mittel der ärgsten Art wirken die polnischen
Edelleute überall zur angeblichen Herstellung ihres Vaterlandes.
Beharren sie auf +diesen+ Wegen, so ist nach 30 Jahren (wie
Galizien zeigt) keiner mehr von ihnen übrig; haben sich doch schon im
Posenschen die polnischen Führer zu den Preußen retten müssen, um nicht
von ihren eigenen Landsleuten erschlagen zu werden.


    Den 20. Mai.

Gestern war die Wahl des Abgeordneten für Frankfurt. Die Radikalen
stellten den Vierfrager Jacobi mir gegenüber. Als die Wahlzettel
verlesen wurden und es hieß: Geh. Rath v. Raumer, oder Professor v.
Raumer, oder Friedrich v. Raumer, so erklärte ein Stimmzähler diese
Zettel für nichtig; denn es gebe mehre Geh. Räthe, Professoren und
Friedriche v. Raumer. Dennoch erhielt Jacobi nicht die Mehrheit;
bei der zweiten Abstimmung waren etliche auf meine Seite getreten,
und ich ward als Erwählter verkündigt. Jacobi dagegen ward nun zum
Stellvertreter erwählt, und die Versammlung aufgehoben. +Nachher+
haben einige Eiferer erklärt: sie protestirten, meine Wahl sei nichtig.
Und ich erklärte: erst wenn meine Wahl unbedingt für gesetzmäßig
erklärt werde, würde ich nach Frankfurt gehen, keineswegs aber mich
der Gefahr aussetzen, durch irgend einen Spruch, mit Spott und Hohn
zurückgeschickt zu werden. -- Ich wollte mich +nicht+ wieder
zum Stadtverordneten wählen lassen. Da aber meine Mitbürger (die
sich stets aufs Allerfreundlichste gegen mich benahmen) es dringend
wünschten und von 219 Stimmen 205 für mich fielen (während mehre
+Radikale+ in anderen Bezirken +durchgefallen+ sind), habe
ich, um den Schein feigen Rückzugs in schweren Zeiten abzuwälzen, die
Wahl zunächst für ein Jahr angenommen. Helfe Gott weiter!


    Den 21. Mai.

In dem Augenblicke, wo ich gestern die Bestätigung meiner, als
unantastbar bezeichneten Wahl für Frankfurt erhielt, bekam ich die
Nachricht daß ich auch in Quedlinburg und im Ascherlebischen Kreise für
den berliner Reichstag sei gewählt worden. Nach ernsten Überlegungen
habe ich mich für Frankfurt entschieden und reise heute nach Dessau,
dann über Köln nach Frankfurt.



Zweiter Brief.


    Frankfurt a. M., den 25. Mai 1848.

Spaziergang durch den sehr schönen Garten von Biberich. Auf der
Eisenbahn nach Frankfurt. Ankunft im Weidenbusch, 10 Uhr Abends. Heut
war ich zum ersten Mal in der Reichsversammlung. Sehr zahlreich, vom
entfernten Platze sehr schlecht gehört. Viel unnütze Anträge, schnell
und verständig genug beseitigt. Kein Lärm, Gagern guter Präsident. --
Nicht abzusehn wo hinaus, wann und welch Ende! -- Melancholisirt. --


    Den 26. Mai.

Ich fahre fort in meinem lakonischen Tagebuche. -- Gestern Nachmittag
ordnete ich Alles in meiner sehr hübschen Wohnung, las die ganz
verständige Geschäftsordnung für den Reichstag und ging dann zum
pariser Hofe, wo (wie es hieß) die preußischen Abgeordneten sich
versammelten. Hier fand ich solch Gedränge der Essenden, Trinkenden,
Sprechenden, so unerträgliche Hitze und so verdorbene Luft, daß ich des
Reiches Wohlfahrt daselbst nicht berathen konnte, sondern mich auf die
Flucht begab.


    7 Uhr Abends.

Heute waren, wie auch gestern, sehr viele Zuhörer in der Versammlung,
darunter fast die Hälfte Damen, welche meist bis zum Schlusse
beharrlich aushielten. Ich hatte mir einen näheren Platz ausgesucht
und hörte, wenn auch nicht gut, doch besser wie gestern. Auch fehlte
es nicht an Zurufen, lauter zu sprechen. Der Hauptvortrag betraf
die mainzer Angelegenheit. Der Bericht der Commission war ruhig und
unparteiisch gehalten; desto leidenschaftlicher und theatralischer
eine, besonders gegen die Preußen gerichtete, Rede eines mainzer
Abgeordneten Zitz. Die ultraliberale Partei, welche am meisten von
Deutschlands Einheit spricht, gab Äußerungen den höchsten Beifall,
welche es in Wahrheit zersplittern müßten. Lichnowski widerlegte
geschickt genug mehre Punkte, nur war auch er zu heftig und überschrie
sich so, daß man ihn kaum verstehen konnte. Robert Blum (Mitglied
der Commission) sprach über sie, wie Antonius über Brutus. Sehr gut
redete der österreichische Bundestagsgesandte. Welcker, der Badener
sprach, mir unerwartet, durchaus +conservativ+. N., immer auf
Allgemeinheiten hinsteuernd, ohne besonderen Anklang. Zum größten
Verdrusse der radikalen Partei beschloß die große Mehrheit zur
Tagesordnung überzugehn, d. h. die Sache in der Erwartung fallen zu
lassen, die Regierungen würden von selbst das Erforderliche thun.

Die entgegengesetzte Absicht ging dahin: die Verwaltung und die
vollziehende Gewalt, plötzlich oder allmälig an sich zu ziehen. Das
wäre ein unbedingter Despotismus, welcher Widerstand und Auflösung,
selbst der Versammlung, nach sich ziehen müßte. -- Die ganze
Verhandlung war sehr anziehend und der Beschluß beruhigend.


    Den 27. Mai.

Gestern Abend bin ich bei schönem Wetter fast um die ganze Stadt
gegangen. So viele enge, häßliche, winklige Gassen, die sie neben
einigen großen und schönen Straßen innerhalb ihrer Mauern zählt; so
schön sind die Spaziergänge ringsum, so mannigfaltig die Landhäuser
und Gärten. An einigen Stellen (so zwischen dem eschenheimer und
bockenheimer Thore) machen sie einen reizenden, man kann sagen
poetischen Eindruck.


    Den 28. Mai.

Der Anfang der gestrigen Sitzung bezog sich noch einmal auf die mainzer
Angelegenheit, wo man (angemessen und England analog) beschloß, am
Ende jeder längeren Berathung den Antragsteller und Berichterstatter
noch einmal zu hören. Hierauf folgte der dringende Antrag einiger
Österreicher, die Versammlung möge eine Erklärung erlassen, daß sie in
keiner Weise irgend einer Nationalität (z. B. hinsichtlich der Sprache,
Rechtspflege und dergl.) zu nahe treten wolle. Dies sei unumgänglich
nöthig für die slavischen Bewohner der österreichischen Staaten, welche
in böser Absicht unter obigem Vorwande von Panslavisten aufgeregt und
zu Haß gegen die Deutschen verführt würden. Der Antrag ward genehmigt.

Die wichtigste Verhandlung der „constituirenden Nationalversammlung“
(so nennt sie sich) am 27. Mai, reihte sich an einen mit sehr vielen
Verbesserungsvorschlägen umkränzten und allmälig geänderten Antrag des
Hrn. Raveau. Der Mittelpunkt des Ganzen war die +höchst wichtige+
Frage: über das Verhältniß der Gesammtverfassung Deutschlands zu
den Verfassungen der einzelnen Staaten. Die eine Partei hob hervor:
beides seien bis jetzt noch unbekannte Größen, über deren gegenseitige
Stellung nichts könne festgestellt werden. Die ganze Berathung sei
unnöthig und übereilt, und lasse sich erst mit Nutzen und Erfolg
anstellen, wenn der Entwurf zur Verfassung Deutschlands fertig sei.
Am Schlusse derselben möge man bestimmen, wie sich die besonderen
Verfassungen dazu verhalten sollten. Aus diesen Gründen müsse jetzt die
ganze Sache beseitigt und zur Tagesordnung übergegangen werden.

Die entgegengesetzte, zahlreichere (und nur über eine strengere oder
mildere Fassung uneinige) Partei fürchtete dagegen, daß, wie traurige
Erfahrungen vieler Jahre zeigten, auch jetzt wieder nichts für
Einigung und Kräftigung Deutschlands zu Stande kommen werde, wenn
die Versammlung den günstigen Augenblick versäume und, anstatt sich
mächtig hinzustellen und kräftig auszusprechen, feige und thöricht
warte, bis sich in den einzelnen Staaten Hindernisse und Widersprüche
unüberwindlich erhöben. -- Nach langen, schroff sich widersprechenden
oder vermittelnden Reden, beschloß endlich die Versammlung, zu
erklären: daß alle Bestimmungen in den Verfassungen einzelner
deutscher Staaten, welche mit der Gesammtverfassung Deutschlands nicht
übereinstimmen, nur nach Maßgabe der letzten gültig sind.

Da sich 90 Redner gemeldet hatten, und die Versammlung auf Abstimmung
drang, bevor die Hälfte gesprochen, so werdet Ihr und meine Herren
Wähler es sehr billigen, daß ich mich nicht als der 91. meldete; sonst
hatte ich allerdings mancherlei auf dem Herzen, was Keiner hinreichend
entwickelte. Man hielt sich nämlich immer nur an die +förmliche+
Frage, über das Verhältniß eines +Ganzen+ zu seinen +Theilen+, man
bewegte sich in dem Kreise dieser noch inhaltlosen, allgemeinen
Abstraction; während es mir durchaus nothwendig erscheint auf den
+Inhalt+ einzugehen, auf das Besondere, Concrete. Da ergiebt sich
unwiderleglich: daß die allgemeine Verfassung gewisse Dinge unbedingt
feststellen muß, gegen welche keine besondere Verfassung sich erklären
darf. Umgekehrt aber giebt es andere Dinge, welche diese besonderen
Verfassungen entscheiden, und in welche sich die allgemeine Verfassung
oder die centrale Behörde eines Bundesstaates gar nicht einmischen
darf. Beide, die allgemeine und die besonderen Verfassungen haben ihre
eigenthümlichen Rechte, und ein Hinausgreifen über diese Kreise führt
entweder zur Despotie, oder zur Auflösung und Zerbröckelung. Natürlich
fürchtet man hier das Letzte mehr wie das Erste; wahre Staatsmänner
müssen aber beide Abwege und Gefahren im Auge behalten und ihnen
vorbeugen. In dieser Weise sind die Amerikaner vorgeschritten und haben
die schwere Aufgabe glücklich gelöset.

Man macht den Einwand: die Nothwendigkeit besonderer Verfassungen
verstehe sich von selbst. Dasselbe gilt aber auch von der allgemeinen,
und ich will wünschen, daß jene Erklärung des Reichstages nicht
als eine Neigung ausgelegt werde, um der Einheit willen, die
Mannigfaltigkeit der Entwickelung allzu sehr zu beschränken. Ein
anderer Einwand: „jede nähere Bestimmung hätte in unzeitige endlose
Erörterungen geführt,“ beruht mehr auf der Voraussetzung, daß die
Versammlung dazu geneigt sei, als auf innerer Nothwendigkeit. Eine
halbe Zeile reicht hin zur Beruhigung, welche z. B. (wie ich höre)
die Luxemburger zum Schutze ihrer Verfassung verlangen. Zuletzt kommt
freilich Alles auf den Inhalt der zu entwerfenden +allgemeinen+
deutschen Verfassung an. Sie ist ohne Zweifel schwieriger zu Stande zu
bringen, wie jede +besondere+.



Dritter Brief.


    Frankfurt a. M., den 30. Mai 1848.

Gegen Abend nahm ich eine Droschke und fuhr durch Sachsenhausen bis
jenseit des nächsten Dorfes, durch zierliche Lustgärten, fleißig
bebaute Gemüsegärten und reiche Felder. Alles fruchtbar, anmuthig, an
die erfurtsche Gartencultur erinnernd, und wenn nicht erhaben oder
hochpoetisch, doch reizend, und den Geist in so heitere Stimmung
versetzend, daß man die Reichstagssorgen auf eine Zeit lang vergißt.

In der gestrigen Sitzung ergab sich was ich vorhergesehen: Abgeordnete
von Luxemburg und Triest widersprachen dem, Euch mitgetheilten
Beschlusse, welcher die Macht des Reichstages, auf Kosten der örtlichen
Verhältnisse und Verfassungen, zu weit auszudehnen schien. Dies gab
Veranlassung zu der Bemerkung, daß der Ausschuß für Entwerfung der
Verfassung so übermäßig beschäftigt sei, daß man ihm Gegenstände,
wie die erwähnten, nicht zuweisen möge. Deshalb beschloß man einen
besondern Ausschuß für völkerrechtliche und sogenannte internationale
Fragen und Aufgaben zu erwählen. Dies geschieht in der Weise, daß jede
der funfzehn Abtheilungen, in welche alle Mitglieder des Reichstages
verlooset werden, ein Ausschußmitglied erwählt. Die dritte Abtheilung,
zu welcher ich verlooset bin, deren Mitglieder mir aber zeither
persönlich ganz unbekannt waren, erzeigte mir unerwartet die Ehre, mich
mit einer sehr großen Stimmenmehrheit zu erwählen. Meine verspätete
Ankunft in Fr. schloß mich von allen bereits früher erwählten
Ausschüssen aus und minderte die Arbeitslast wenigstens Nachmittags;
jener völkerrechtliche Ausschuß ist aber fast der bedenklichste und
eine Art von ~noli me tangere~: denn Schleswig, Polen, Böhmen,
Luxemburg, Limburg, Südtirol, Triest u. s. w. dürften daselbst zur
Sprache kommen; ohne daß wir Macht haben, die Sprache in That zu
verwandeln, ja, ohne die wahre Lage der Verhältnisse hinreichend genau
zu kennen.

Hierauf folgte in der gestrigen Sitzung die Berathung über einen neuen
(den zweiten) Entwurf einer Geschäftsordnung, und es ließ sich (zu
meinem und vieler Andern Schrecken) so an, als werde über unzählige
Einzelheiten eine endlose, unnütze Rederei eintreten. Gottlob, daß
die Mehrheit dieses zeitvergeudende Uebel dadurch abschnitt, daß sie
die, von einer Commission genau geprüfte, Ordnung kurzweg im Ganzen
annahm und Berathungen über Einzelnes nur dann zulassen wollte, wenn
wenigstens 50 Mitglieder es verlangten. Ich wunderte mich, daß --
sich zuerst zum Sprechen gemeldet hatte. Ihr kennt seine Redeweise.
Sie machte um so weniger Eindruck, da man Vieles gar nicht verstand,
und was ich verstand, bezog sich vorzugsweise auf Allgemeinheiten
über die Größe und Schwierigkeiten unserer Aufgabe, wovon sich bei
jeder einzelnen Sache etwas sagen ließ, ohne zur Sache zu gehören. Die
einzige hervortretende Forderung: „Nichts durch Ausschüsse vorbereiten
zu lassen, sondern Alles von Anfang bis Ende allein in der vollen
Versammlung zu berathen“; war so unpassend und unpraktisch, daß sie zu
Boden fiel, und bei der Mittagstafel in der Mainlust Mehre bemerkten,
daß -- Rede ihren Erwartungen gar nicht entsprochen habe. -- Ich nahm
mir das ~ad notam~, schrieb es mir hinter die Ohren, dachte an
Splitter und Balken, und zupfte mich an meiner eigenen Nase.

Ungeachtet dieser Fingerzeige sammelt sich der Redestoff, und ich
werde mich über kurz oder lang der Gefahr aussetzen, mir die Finger
zu verbrennen. Insbesondere wegen der ganz unbegründeten Anklagen
oder Verläumdungen, welche unsinnige Eiferer aus Süddeutschland über
Preußen aussprechen. Wir kennen unsere Fehler besser als sie; aber wer
hat denn nicht gefehlt und gesündigt? Viel Gerede von Deutschlands
Macht und Einigkeit, während kaum +eine+ Million, +sechzehn+
Millionen hochmüthig abweiset! Da soll kein preußischer Landtag berufen
werden, bevor die frankfurter Versammlung Alles ins Reine und Feine
gebracht hat. Dann soll Preußen seinen Handel, ohne Ersatz und Dank,
für Schleswig opfern; oder um der Polen willen Rußland bekriegen u. s.
w.

Nachdem ich Häring gestern zur Eisenbahn begleitet hatte, hörte ich den
ersten Akt des Don Juan.

Wäre ich 20 Jahre jünger, würde ich Euch wohl umständlicher über die
Aufführung einen Bericht erstatten, wie das Haus, die Erleuchtung,
die Dekorationen, die Bänke beschaffen sind, wie jeder Herr und jede
Dame gesungen und gespielt hat u. s. w. Ich konnte diesmal andere
Nebengedanken nicht beseitigen. Diese Musik Mozart’s, unsterblich
und in stets blühender Jugendkraft, wird die Jahrhunderte siegreich,
entzückend und beglückend durchschreiten; -- und dagegen das Werk
unseres Reichstages (wenn anders eins wirklich zu Stande kommt)!
welchen Schmähungen wird es unterliegen, nach wie kurzer Lebensdauer
wird es hinsterben, wer wird dann all der Redner und der Reden noch
gedenken? Wo bleiben die Barricadenhelden, im Vergleiche zu den Helden
der Wissenschaft und Kunst!

Bald aber ging mein Melancholisiren noch viel weiter! Wo sind denn die
Meisterwerke griechischer Tonkünstler? Wo die Athene des Phidias, die
Aphrodite des Praxiteles, die Trauerspiele des Sophokles und Euripides,
die Gemälde des Apelles, die Bücher des Livius und Tacitus? Es giebt
auf Erden keine Dauer, selbst nicht für das Würdige, keine Bürgschaft
für diese Dauer! ~Vanitas vanitatum, et omnia vanitas.~ Ich sah
Deutschland in sich zerfallen, und während es von Herstellung des
immerdar haltungslosen Polen träumt, eine Beute, getheilt zwischen
östlichen und westlichen Feinden. Man wird dereinst streiten über die
Lage Frankfurts, wie über die Trojas und Vejis, man wird, eine Hand
aus dem Schutte hervorsuchend, streiten, ob sie zur Bildsäule Karl’s
des Großen oder Goethe’s gehörte; man wird in Buchbinderpappdeckeln,
sowie jetzt Bruchstücke des Livius oder der Nibelungen, so vielleicht
ein Stücklein der Ouverture des Don Juan entdecken! Nicht Franzosen,
nicht Russen, sondern Gott weiß, welches erdgeborne Volk wird dann den
deutschen Boden beherrschen, und gegen Schicksale, wie sie Aegypter,
Griechen und Römer erfuhren, schützt politisches Gerede, diese falsche
Magie, in keiner Weise! Ich ward glücklicherweise unterbrochen, sonst
hätte ich meine Jeremiade wohl noch viel länger ausgesponnen; und
doch muß der längsten Nacht, auch die Tag- und Nachtgleiche, und der
längste Tag folgen. Darum nach meinem Wahl- und Trostspruche: ~nil
desperandum~ und zur heutigen Sitzung des Reichstages.



Vierter Brief.


    Frankfurt a. M., den 31. Mai 1848.

Ich bezeuge wiederholt meine Freude über deinen Brief; denn
so lange Arbeit und Aufregung dauert, hält man sich aufrecht;
nochmals aber, wenn man sich wie ein altes Taschenmesser selbst
zusammenklappen muß, fühlt man die Einsamkeit doppelt bitter, und
daß alles Abgeordnetengerede, immer über dieselben Dinge, kein
Wasser vom Brunnquelle des Lebens ist. Allerdings ist hier wenig
rein +Erfreuliches+, man lebt von politischen ~omelettes soufflées~,
und merkt nicht daß, wenn Russen, oder Franzosen mit der Gabel
hineinstechen, der ganze Rühreiolymp zusammenfällt. So giebts selbst
Abgeordnete welche meinen, +man+ müsse Krieg und Hader mit Rußland
und England darüber anfangen, ob Hadersleben zu Deutschland gehöre.
Und doch will kein Mittel- und Süddeutscher einen Groschen zahlen,
oder einen +Mann+ stellen und ~verba sesquipedalia~ sollen für Kanonen
gelten. Indessen bleibt noch Hoffnung, daß die Vernünftigen und
Gemäßigten oben auf bleiben.

Die berliner Straßenskandale sind unter aller Kritik, und werden erst
ein Ende nehmen, wenn man Ernst gegen den Pöbel zeigt, und mit Strenge
straft. Schneider’s Ausweg ist heiter und führte zum Ziele; aber eine
solche Schwalbe, macht keinen Sommer.

Was du über deine Gefühle beim Anblicke der Bildsäule Friedrich’s
II. schreibst, stimmt fast wörtlich mit meinen ähnlichen frankfurter
Empfindungen.

In der heutigen Sitzung ward zuerst eine Erklärung vorgelesen und
angenommen, worin den Einwohnern Deutschlands von anderen Volksstämmen,
die Erhaltung aller ihrer volksthümlichen Rechte zugesichert wird.
Die übrige Zeit verging mit neuen Wahlen, auf kürzere und längere
Zeit. Präsident ward H. v. Gagern mit 434 Stimmen von 513. Erster
Vicepräsident v. Soiron mit 408, zweiter v. Andrian aus Wien mit
310 Stimmen. Mittags aß ich in der Mainlust und saß zwischen Grimm
und Veit. Nachmittags ordnete sich der schon erwähnte Ausschuß für
völkerrechtliche Fragen, wobei ich wieder einem alten Gegner, +Stenzel+
aus Breslau, freundlich und um so mehr die Hand reichte, da wir
beide ~socii malorum~ waren, das heißt im Ablaufe der Zeit graue
Haare bekommen hatten. Ein Versuch, nochmals über die schleswigsche
Angelegenheit einen übereilten Beschluß zu fassen, ward für +diesmal+
glücklich vereitelt. Doch drohen noch Gefahren dieser und anderer
Art von allen Seiten. So der Plan +hier+ eine vollziehende Gewalt zu
begründen und provisorisch zu erwählen; wobei sich wohl nur Wenige
etwas Deutliches und Bestimmtes denken. Insbesondere ist zu befürchten,
daß dies Provisorium Zwiespalt zwischen der hiesigen Versammlung und
den einzelnen Regierungen hervorbringen und später als Beweis für die
Tauglichkeit rein republikanischer Formen angeführt werden dürfte.

Eine andere noch größere Gefahr liegt in dem Zerfallen Oesterreichs und
den Berathungen aller slavischen Stämme, über eine neue Vereinigung zu
einem großen Reiche. So wird Deutschland an allen Seiten durch den, bis
zum Aberglauben vorherrschenden Begriff der Nationalität beschnitten,
ohne daß Elsaß, Lothringen, Kurland, Liefland u. s. w. gewonnen werden
könnte, ja der Verlust des linken Rheinufers, durch eigene Schuld und
fremde Habgier, in Aussicht steht.


    Den 1. Junius.

Es wird nicht mit Unrecht Klage geführt, daß die preußischen
Abgeordneten zu zerstreut sind und ihre Wirksamkeit sich dadurch
vermindert. Dem abzuhelfen war zu gestern Abend eine Versammlung
im Hirschgraben Nr. 9 angesagt, aber nur schwach besucht, theils
weil gleichzeitig Hrn. von Gagern ein Fackelzug und Vivat von den
Frankfurtern gebracht ward, theils weil Mancher sich wohl Denen
nicht zugesellen wollte, die man hier die äußerste Rechte zu
nennen pflegt, und welche den Hauptbestandtheil der Erschienenen
ausmachten. Ich läugne die Nothwendigkeit nicht, sich, wohlgeordneten
Gegnern gegenüber, auch zu organisiren, habe aber eine Abneigung
gegen alles Partei- und Klubwesen, wo man seine Freiheit und
Beweglichkeit aufgeben, und einem festen Symbole und (politischen)
Glaubensbekenntnisse unterordnen soll. Der Zweck und die Wirkung
lebendiger Berathung wird hiedurch oft gestört, das Mögliche nicht
vom Unmöglichen geschieden, und eine Niederlage schon dadurch
herbeigeführt, daß man die Nothwendigkeit einen Schlachtplan zu ändern,
nicht zur rechten Zeit anerkennt. Ich fand in jener Versammlung
Lichnowsky, Wartensleben, Arnim, Auerswald, Schubert, Vincke u.
A. Man hob zuvörderst hervor: wir müßten bestimmt wissen was wir
wollten und bezweckten, wir müßten uns über ein festes „Programm“
(in Berlin „politisches Glaubensbekenntniß“ genannt) einigen. Ein
solches lag nicht vor, und ein früher von Mittermaier entworfenes
ward zurückgewiesen, weil es viel zu unbestimmt laute; ja, gegen
seinen (des Abwesenden) künftigen Vorsitz Widerspruch erhoben. Um
nun aber einem anzunehmenden „Programme“ näher zu kommen, fand
eine vorläufige Besprechung statt, wobei sich sogleich die größten
Meinungsverschiedenheiten selbst unter diesem kleinen Bruchtheile
angeblich gleichgesinnter Personen hervorthaten. Einer der ersten,
welche ihre Ansichten entwickelten, war Herr v. Vincke, und, kaum weiß
ich wie es geschah, daß ich unmittelbar nach ihm (das +erste+ Mal in
Frankfurt) sprechen -- und ihm +widersprechen+ mußte. Er verlangte
nämlich, daß wir an der Spitze unseres Programms feststellen müßten:
die Nothwendigkeit eines sogleich auf Preußen zu übertragenden
erblichen Kaiserthums. +Erst wenn dies durchgefochten+ sei, lasse sich
mit Erfolg von allen anderen Dingen handeln. Hierauf beschrieb er die
Zukunft schwärzer, als schwarz, Trennung Deutschlands, Bürgerkrieg,
Verlust des linken Rheinufers u. s. w. -- Ich ließ mich auf diese
zweite Hälfte der Vinckeschen Rede nicht näher ein, sondern sagte im
Wesentlichen etwa Folgendes: wenn Preußen sich von Süddeutschland
trennt, so geräth es in Abhängigkeit von Rußland, Süddeutschland in
die Knechtschaft Frankreichs. +Jetzt+ aber ein erbliches Kaiserthum
für Preußen schon erstreiten wollen, ist bei den unläugbar hierüber
in diesem Augenblicke noch +vorherrschenden Ansichten ganz unmöglich+.
Wir würden uns dadurch in der Reichsversammlung völlig vereinzeln, ja
diese vielleicht auseinandersprengen. Die Frage über das Kaiserthum
und über Österreichs Stellung liegt noch so in Dunkel und Verwirrung,
daß erst +allmälig+ Einsicht und Verständigung eintreten kann.
Deshalb bin ich bestimmt der Meinung, den Thurm nicht von oben zu
bauen, sondern zunächst einen breiten festen Grund zu legen. Diese
Grundlegung, welche ganz Deutschland zunächst von uns erwartet, besteht
in Anerkenntniß, Bestätigung und Durchführung der großen Volksrechte
und nationalen Einrichtungen, z. B. Zollverein, Heeresmacht, Münze,
Rechtspflege &c. &c., wie sie bereits in dem Dahlmannschen Entwurfe
aufgezählt sind. Hierüber wird wenig Streit eintreten, und in Folge
so heilbringender, populairer Beschlüsse, mögen wir weiter aufwärts
fortschreiten zur Bildung der zweiten, der ersten Kammer. Wie wir dann
auch die Spitze aufsetzen und ausschmücken mögen, es ist leichter,
als jetzt in der Luft zu bauen; und selbst ohne Spitze behält der Bau
seine hohe Wichtigkeit und Bedeutung. -- Es schien mir anfangs nicht
als wenn meine Worte Eindruck machten, allmälig aber ergab sich daß
Lichnowsky, Auerswald, Wartensleben, Schubert, der Vinckeschen eiligen
Kaisermacherei nicht beitraten, sondern im Wesentlichen mit meiner
Ansicht übereinstimmten.

Die Verfassungsentwürfe wachsen hier so rasch und zahlreich empor, wie
Kresse auf einem warmen wollenen Lappen; oder mit denselben Stücklein
bemalten Holzes, legt man unzählige Muster zusammen. Da aus der
Vergangenheit fast nichts Ordnendes, oder Begränzendes beibehalten
werden soll; so drängen sich sehr natürlich unzählige Möglichkeiten
hervor, von rein republikanischen Formen, bis zu einem despotisirenden
Kaiser. Um nicht Alles in anarchische Willkür auseinanderfallen
zu lassen, findet der Gedanke von einem vollziehenden Triumvirat
Beifall, wozu Österreich ein, Preußen ein Mitglied ernennen, und
das dritte hier erwählt werden soll. Das klingt ganz einfach, wie
weit aber der unmittelbare Wirkungskreis dieser Dreieinigkeit, oder
Drei+un+einigkeit sich erstrecken soll, ist schwer zu bestimmen.
Sollen z. B. Radetzki, Wrangel u. s. w. unmittelbar Befehle aus
Frankfurt empfangen, oder theilen sich die Männer das Reich wie die
römischen Triumvirn, oder treten sie nur an die Stelle der 17 Stimmen
des Bundestages? Ihr seht man hat hier viel zu denken, zu überlegen, zu
gestalten. Sind es nur Willkürwolken des Polonius, oder werden daraus
Blitze herniederfahren und Deutschland auseinandersprengen, wie es
Österreich bereits ist? Gott helfe weiter!



Fünfter Brief.


    Frankfurt a. M., den 2. Junius 1848.

An welchen Fäden hängen die Schicksale der Reiche!! Ohne den 18. März,
sagt mir Herr v. L., wäre der König von Preußen ohne Zweifel zum
Kaiser von Deutschland erhoben worden. Damals hätte Österreich aber
wohl schwerlich eingewilligt; und hätte sich Preußen dadurch nicht in
unzählige Händel verwickelt und (wie schon jetzt) Undank und Schmähung,
statt des Dankes erfahren? Niemals sind die Deutschen ihrem Kaiser sehr
unterthan gewesen, und auch heutiges Tages sehe ich dazu noch keine
Neigung, obwohl die Nothwendigkeit einer einigen Leitung täglich mehr
heraustritt.

Täglich ziehen die Wolken neuer Verfassungsentwürfe am Horizonte auf,
und verwandeln ihre Umrisse auf die mannigfachste Weise. Laßt Euch
die Zeit nicht lang werden, heut einmal mit mir diese ~fata morgana~
anzuschauen.

Gestern hat mir Herr v. L. seinen „Beitrag zu einer künftigen deutschen
Reichsverfassung“ übergeben, aus welchem ich Folgendes entnehme. Die
Gesammtregierung soll bestehen aus einem hohen Rathe (Oesterreich,
Preußen, und ein Dritter aus allen Bundesgliedern auf Lebenszeit vom
Parlamente zu erwählender Fürst) und aus zwei völlig gleichberechtigten
und mit derselben Stimmenzahl versehenen Volkskammern. Die eine Kammer
wird halb aus ländlichen, halb aus städtischen Bewohnern gewählt
(wie, ist nicht gesagt); die andere dagegen zu ¼ aus ordentlichen
und außerordentlichen Universitätsprofessoren, ¼ aus Sachwaltern, ¼
aus Geistlichen, ¼ aus Kaufleuten und Fabrikanten. (Grundbesitzer
sind hier nicht wieder erwähnt.) Bei Meinungsverschiedenheiten
beider Kammern entscheidet die aus der +vereinigten+ Abstimmung sich
ergebende Mehrzahl. Zu Zeiten des Krieges, oder sonstiger Gefahr,
geht die ganze verfassungsmäßige Gewalt des Bundes, mittelst Wahl des
deutschen Parlamentes, auf einen der drei, den hohen Rath bildenden
Fürsten über, der dann persönlich in Frankfurt residiren muß. -- Ueber
die allgemeinen Rechte und Einrichtungen im Ganzen das Bekannte. --
Ich habe nicht Zeit, mehr mitzutheilen, oder das Mitgetheilte zu
beurtheilen, da ich auf die +wichtigeren baierischen Vorschläge+
übergehen will.

Diese lauten im Wesentlichen: Der Zweck des neuen deutschen
Bundesstaates ist die Vertheidigung und Vertretung Deutschlands
als politischer Einheit nach Außen, und die Einigung Deutschlands
in seinen gemeinsamen Interessen und Rechten nach Innen. Die
Hauptorgane für Erreichung dieser Zwecke sind: 1) der +Reichstag+
mit einem +Direktorium+ an der Spitze. 2) Das in +zwei Kammern+
getheilte +Parlament+. (Ueber die allgemeinen Volksrechte, nationale
Einrichtungen und Maßregeln finden sich keine erheblichen Abweichungen
von dem fast überall Gewünschten. Nachdruck wird indeß auch gelegt
auf die gemeinsame Errichtung einer Flotte, das Auswanderungswesen,
die Verbürgung der einzelnen Verfassungen und eine selbstständige
Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten.) -- Durch die allgemeinen
Einrichtungen des Gesammtbundes soll das eigenthümliche Recht und die
nothwendige Selbstregierung der einzelnen Staaten- und Volksstämme
nicht erstickt und verwischt werden. Deshalb sollen diese ihre
Vertretung und ihre Gewalt in den Centralorganen des deutschen
Bundesstaates finden. (Aehnlicherweise habe ich immer dafür gesprochen,
daß sich die Mannigfaltigkeit der Einheit zugesellen müsse, wie in
Nordamerika; nicht unbedingte Centralisation wie in Frankreich.) Das
Direktorium ist der Ausdruck und Repräsentant der Einheit der deutschen
Fürsten und Völker gegen Außen, und der Vertreter und Förderer der
Einigung der deutschen gemeinsamen Interessen und Rechte nach Innen. Es
ernennt die Mitglieder des Ministeriums und sämmtlicher Centralbehörden
aus der Candidatenliste der einzelnen Regierungen. Es eröffnet und
schließt, vertagt, beruft das deutsche Parlament nach zu erlassenden
Vorschriften. Das Direktorium wird nicht erwählt, es ist nicht erblich,
oder stets einer bestimmten Regierung angehörig; sondern es wechselt
entweder nach einem festen Cyclus der Regierungen von Nord-, Ost- und
Süddeutschland, oder drei Hauptstaaten Deutschlands nehmen gleichzeitig
daran Theil. (Der Cyclus unter Vielen ist schwer zu ordnen, und
schwerlich wären alle übrigen Staaten damit zufrieden, wenn Baiern
+allein+, ohne Wahl, neben Österreich und Preußen einträte.) -- Die
eine Kammer des Parlamentes bildet sich aus den unmittelbaren Wahlen
des deutschen Volkes, die andere aus denen der deutschen Ständekammern,
oder vielmehr aus der ersten Ständekammer und den ihr analogen
Bestandtheilen.

Den weiteren baierischen Erklärungen zu den Grundzügen der Verfassung
entnehme ich Folgendes: In dem ersten Nationalparlamente ist den
Regierungen der deutschen Staaten ihr nothwendiger Antheil an der
zukünftigen Constituirung Deutschlands +nicht+ zugesichert. (Sehr
wahr! Die Versammlung schwärmt für ihre Allmacht und Souverainetät;
so daß, wenn der Inhalt ihrer Beschlüsse nicht gemäßigt ausfällt,
Widerspruch der einzelnen Staaten schwerlich ausbleiben wird.)
Deshalb mögen alle Regierungen ihre Gesinnungen und Grundsätze durch
Bevollmächtigte in Frankfurt darlegen, um zu gemeinsamen, annehmbaren
Beschlüssen zu gelangen, und den Regierungen, wie den Volksstimmen ihre
nothwendige Lebensfähigkeit neben den Organen des Centralstaates zu
sichern. Sonst wird eine Despotie erschaffen, welche die Fürsten und
Völker Deutschlands, in dem Keime ihrer Macht, ihrer freien Bewegung
und ihres innersten Lebens vernichtet. (Es ist sehr natürlich, nach
so bösem Zerfallen Deutschlands in einer mächtigen Centralmacht die
beste, ja einzige Hülfe zu sehen. Der wahre Staatsmann muß aber die
Verhältnisse nicht blos nach dem letzten Augenblicke beurtheilen,
sondern von dem leicht eintretenden Zuviel zurückhalten, und das
Unmögliche vom Möglichen unterscheiden.)

Der Entwurf der 17 (fährt Baiern fort) verdient den bestimmtesten
Tadel; er bringt so umwälzende Vorschläge, daß (würden sie auch nur
von einer Minorität der deutschen Staaten und Völker angenommen)
dennoch eine totale Revolution aller bestehenden Verhältnisse, eine
totale Verwirrung, ja in der jetzigen aufgeregten Zeit leicht der
Bürgerkrieg die Folge derselben sein könnte. -- Insbesondere wird
eine vollkommene Despotie eines, noch nicht existirenden erblichen
Kaisers, eine Vernichtung aller bestehenden constitutionellen Rechte
und Freiheiten der einzelnen Volksstämme, eine Richtigkeitserklärung
gegen alle constitutionelle Fürsten Deutschlands vorgezeichnet. Ein
Wahlkaiserthum ist eine Thorheit, ein erbliches eine Unmöglichkeit. Man
schafft kein Kaiserthum, ebensowenig wie eine Republik, mit einigen
Federstrichen, oder doctrinairen Phrasen. -- Alle Restaurationen
vergangener und verrosteter Zeiten tragen den Keim des Todes in sich.
-- Die nationale Einheit kann nur das Ergebniß freier und wahrhafter
Einigung aller verschiedenen Interessen, Gegensätze und Rechte
sein. Auf der Grundlage der neu errungenen und alten Freiheiten,
wie Rechte, auf der Grundlage unserer bestehenden constitutionellen
Staatsformen allein, kann das neue Gebäude des deutschen Bundesstaates
auferbauet werden. Diese +müssen+ das Fundament des Gebäudes bleiben;
sie müssen den Völkern, wie den Fürsten garantirt werden. -- Nicht
dem Machtgebote, nicht dem insinuirenden Willen +einer+ Großmacht,
unterwirft sich ohne Despotie und Zwang, der freie Wille der deutschen
Stämme und Fürsten. (Ihr seht, wie Recht ich hatte, früher schon
Bedenken zu erheben und vorauszusetzen, gegen den Beschluß über das
unbedingte Voranstellen hiesiger Beschlüsse; mit wie großem Rechte ich
mich gegen den Vinckeschen Vorschlag erklärte.)

Die Art, wie der Siebzehner Entwurf eine erste Kammer bilden will,
ist untauglich: sie wäre nur ein Zwischending zwischen Schatten und
Wirklichkeit, das man eher mit Bedauern, als mit Achtung betrachten
könnte. Die Fürsten selbst werden durch Regierungsgeschäfte zu Hause
festgehalten; es wird also wieder in solchem Oberhause, der endlose
Weg der Instruktionen und der todte Weg der Mandate, wie auch der
deutschen Reichstage eingeschlagen, welche dann nur das wiederholen
und wiederkäuen, was bereits als Ansicht der Regierungen ausgesprochen
ist. Der Reichstag oder Senat besteht aus dem Inbegriffe aller
Regierungsbevollmächtigten, und das Nationalparlament bildet den
Inbegriff der Volksvertretung und ihrer Rechte. Von dem Reichstage und
beziehungsweise von dem Direktorium, empfängt das Ministerium seine
Instruktionen über die dem Parlamente vorzulegenden Gesetzentwürfe.
Der Reichstag vermittelt die Verbindung der Centralregierung mit den
Regierungen der einzelnen Staaten. Er übt das Recht der Sanktion aller
Gesetze nach Stimmenmehrheit aus, und stellt in der Gesammtheit der
Bevollmächtigten einzelner Staaten, als Vollmachtsträger derselben, mit
dem Direktorium, die Collektivsouverainetät des deutschen Bundes dar.

So viel, und für Ungeduldige wohl zu viel, aus den baierischen
Vorschlägen. Sie weichen in den wichtigsten Punkten von denen der
Siebzehner ab. Das Kaiserthum verworfen, die erste Kammer ganz anders
gestaltet, ein Reichstag oder Senat der Bevollmächtigten, mit größerem
Gewichte für die einzelnen Staaten aufgestellt, deren eigenthümlichen
Rechte vertheidigt u. s. w. Es wäre sehr wünschenswerth, man hätte
einen ähnlichen preußischen und österreichischen Entwurf; dann ließe
sich besser auf eine Verständigung der Hauptstaaten mit der hiesigen
Versammlung hinwirken. Am wenigsten deutlich und einleuchtend ist mir
im baierischen Entwurfe das Verhältniß des Reichstages oder Senats, der
mir etwas schwerfällig und eine Art Bundestag zu sein scheint. Denn auf
einen bloßen Staatsrath oder ~privy council~ ist es doch nicht
abgesehen.

Heute (2. Juni) erzählte mir Somaruga viel von Wien, wo die Auflösung
viel größer und die Anarchie viel ärger ist, als bei uns. Das
Ministerium hat nichts von der Flucht des Kaisers gewußt, und man
sieht darin allerdings das Werk einer rückläufigen Partei. Für Wien
sind die Aussichten noch viel schlimmer, als für Berlin. -- Den Grafen
D. machte ich darauf aufmerksam: wie übel es sei, daß Ausschuß und
Versammlung nichts Sicheres und Amtliches über den Stand des Krieges
und der Unterhandlungen in Schleswig wisse, während alle Heftigen auf
schnelle und gewiß übereilte Beschlüsse drängen. Dasselbe gilt von der
hiesigen Errichtung einer Centralregierung +mit+ oder +ohne+ Theilnahme
der bisherigen Regierungen. Beide Sachen kommen in diesen Tagen gewiß
zur Sprache, ohne daß man den Gang und Ausgang der Berathung mit
Sicherheit voraussehen kann. Wir segeln in unbekannten Gewässern ohne
Compaß.

Nachdem ich vorgestern aus der Abendversammlung hinweggegangen war,
hat man mir die Ehre angethan, vorzuschlagen: +meinen+ Vortrag, als
ein sogenanntes Programm, anzuerkennen. Da ich indessen nicht zur Hand
war, es aufzusetzen, hat man den, ohne Zweifel weit bessern Vorschlag
angenommen, gar kein allgemeines, bindendes Symbol aufzustellen,
sondern sich allmälig immer weiter und weiter zu verständigen. -- Das
war für +einen+ Tag (2. Junius), ein +langer+ Bericht. Möget Ihr ihn
nicht zu langweilig finden.


    Den 3. Junius.

~Quos deus vult perdere dementat~: wen Gott verderben will, den
verblendet er! Während Österreich anarchisch in kleine Stücke zerfällt,
sagte mir gestern ein österreichischer Abgeordneter: die einzige
Rettung Deutschlands sei ein Krieg mit Rußland, wozu Österreich 300,000
Mann stellen werde. Ihr könnt denken, was ich ihm antwortete. -- Ebenso
verblendet sind unsere Stammbrüder, die Dänen und Schweden, welche
mit Rußland ein Schutz- und Trutzbündniß schließen, wie einst die
Fürsten des Rheinbundes mit Napoleon. Doch zwang hier die Übermacht,
während dort alle Staatsklugheit in Leidenschaft zu Grunde geht. --
Heute wird ein neues Nothgeschrei der Schleswiger in der Versammlung
erhoben, und ihr Gesuch wohl an den neuen völkerrechtlichen Ausschuß
gewiesen werden, wo ich wahrscheinlich das wiederholen muß, was ich
schon gestern Abend im Hirschgraben aussprach. Die dasige Gesellschaft
hat keinen rechten Fortgang, theils weil man sie als äußerste Rechte
bezeichnet, theils wohl, weil man daselbst nicht ißt, trinkt und raucht.

Neben diesen Ergötzlichkeiten geht die Rederei im Weidenbusche
ununterbrochen her, wo unter Anderem A. R. vorgestern Abend gesagt hat
(~à la Marat~), man müsse viele Tausend Köpfe abschlagen! Doch ist er
darauf aufmerksam gemacht worden, daß der seinige zuerst mit an die
Reihe kommen dürfte. -- Ich habe mich schon in Berlin an sogenannter
Beredtsamkeit dergestalt übernommen, daß ich hier hinter manchem
Vielfraß zurückbleiben will und muß; -- aber eben deshalb von Einigen
wohl für einen untauglichen Abgeordneten gehalten werde. Auf meine
Anregung wollen sich jedoch die Herren im Hirschgraben statt um ½9 um 7
Uhr versammeln, was meine Theilnahme hoffentlich erleichtert; -- sofern
nicht die stets lebendige Erinnerung an das Heupferd und den Heuwagen,
störend dazwischentritt. Wiederum hat das Heupferd in seiner Theilnahme
und seiner tröstenden Hoffnung auf nützliche Einwirkung, keineswegs
so ganz Unrecht. Wo bliebe Begeisterung, Thätigkeit, Arbeitslust,
Freundschaft, Liebe, wenn man immer die Goldwage zur Hand hätte, und
sich immer zu leicht und unbedeutend fände!!

Als nicht politisches Zwischenspiel, erzähle ich, daß ich Goethe’s und
Jacobi’s Briefe theils durchblättert, theils mit großer Theilnahme
gelesen habe. Die süßliche Überschwänglichkeit des letzten, weicht
oft sehr ab von der heutigen Briefkochkunst; wer weiß aber, welches
Gewürz oder Nichtgewürz unserer Tage, den Nachkommen ebenfalls nicht
recht schmecken wird! Da ich mit Goethe sage (S. 261): „Ich für mich
kann, bei den mannigfaltigen Richtungen meines Lebens, nicht an +einer+
Denkweise genug haben“; so verständige ich mich nach meiner Natur mit
beiden Männern, ohne deshalb in Jeglichem mit ihnen übereinzustimmen.
So nicht mit Goethe, wenn er (S. 162) behauptet: „Geschichte sei das
undankbarste und gefährlichste Fach.“ -- Und nicht mit Jacobi, welcher
(245) fordert: „man solle Platon, +oder+ Spinoza +allein+ anhangen,
ihn +allein+ für den Geist der Wahrheit halten.“ -- Ich habe mich in
beide vertieft, mit Begeisterung hineingedacht, durch beide erhoben und
glücklich gefühlt. Die Welt ist reicher als das +allein+ seligmachende
Credo irgend +einer+ philosophischen, oder theologischen Schule; und
die Wahrheit ist nicht das Monopol einer +einzelnen+ Geistesrichtung.

In der heutigen Sitzung kam ein Widerspruch mehrer Polen zur Sprache,
welche +nicht+ im Reichstag erscheinen wollten. Er ward zuvörderst an
den völkerrechtlichen Ausschuß gewiesen. Für die Frage über die Bildung
einer hiesigen Centralgewalt, beschloß man einen neuen Ausschuß zu
wählen. -- Als in der dritten Abtheilung, zu der ich gehöre, +Einer+
zum Ausschuß über die Bildung der Centralgewalt gewählt werden sollte,
meldeten sich mehre Bewerber. Man verlangte: sie möchten sich über
ihre Ansicht der Sache erklären, bei welcher Gelegenheit ein Oberst
von Mayeren aus Wien verständig und gemäßigt sprach. Drauf manch
Gerede hin und her, zu dem ich um so mehr schwieg, da ich (schon einem
beschwerlichen Ausschusse zugesellt) mich nicht thöricht der Gefahr
aussetzen wollte, mit neuen Arbeiten übermäßig belästigt zu werden.
Doch wäre ich beinahe in diese Gefahr unabsichtlich hineingestürzt.
Als nämlich ein mir +unbekannter+ Mann, jene Bildung der Centralgewalt
+allein+ der Versammlung in Frankfurt zuweisen wollte, ohne irgend
eine Rücksprache mit den Regierungen; als er auf die, aller Freiheit
noch immer höchst gefährlichen Umtriebe der Fürsten schalt, oder
schimpfte u. dgl., so bat ich (die Geduld ging mir aus) ums Wort
und sprach lebhaft: daß man nicht immer auf Zwist, auf unbedingtes
Befehlen und Gehorchen hinarbeiten müsse, sondern auf Versöhnung und
Verständigung zwischen dem hiesigen Reichstage und allen Regierungen;
deren Bevollmächtigte möge man hören, ehe man übereilt beschließe und
dann vielleicht lauten Widerspruch finde. Von den behaupteten ganz
neuen und verdammlichen Umtrieben der Fürsten sei mir nichts bekannt,
oder nichts erwiesen; oder wenn Einzelne noch etwa die Sachen rückwärts
schieben wollten, sei dies in +diesem+ Augenblicke kein Gegenstand
ernster Furcht. So würde hoffentlich der Verstand und gesunde Sinn
der Deutschen ebenfalls des ultraradikalen Geschreis Herr werden.
Unsere Aufgabe sei nicht Händel zu suchen, sondern für die Einheit und
Mannigfaltigkeit Deutschlands gleichmäßig zu sorgen u. s. w.

Meine Worte fanden vielen Anklang und verschafften mir viele Stimmen,
doch ward Mayeren (mir willkommen) gewählt.

Ich habe ein eigenes Schicksal: meine erste Quasirede war gegen ein
Mitglied der äußersten +Rechten+, gegen Hrn. v. Vincke gerichtet;
die zweite gegen ein Mitglied der äußersten Linken, gegen -- wie ich
nachher erfuhr -- Hrn. Schlöffel!!

Vergleiche ich die hiesigen Verhandlungen, Alles zu Allem gerechnet,
mit den Berlinern, so mögen Sorgen und Hoffnungen gleich groß sein;
doch hält Gagern als ein tüchtiger Präsident die Sachen besser
zusammen, allmälig wird das Unwichtige kürzer behandelt und immer
nachdrücklicher auf die Hauptsachen hingewiesen. Auch lernt man hier
mehr interessante Personen kennen, und die Berathungen verbreiten
sich über die mannigfachsten und wichtigsten Gegenstände. So reut es
mich, trotz der Kehrseiten, der Einsamkeit und der Sehnsucht nach
Hause, doch nicht, daß ich +hieher+ gegangen und nicht in die
berliner Versammlung eingetreten bin; -- so fern +Agatho-+ oder
+Kakodämon+ mich nicht ganz in den Ruhestand versetzt. Noch ist
meine Wahlangelegenheit indeß nicht zur Sprache gekommen.


    Den 4. Junius.

Meine freundliche Wirthin hatte mich gestern Abend zu einem
Damenthee eingeladen, den ich gern besucht hätte; aber ich mußte
pflichtmäßig in den völkerrechtlichen Ausschuß wandern, um über
„Schleswig-Holstein meerumschlungen,“ ein Paar Stunden lang, zu
rathschlagen und zu politisiren. Zuvörderst ergab sich, daß, leider,
Ausschuß und Versammlung über die kriegerische und diplomatische
Lage amtlich gar nicht gehörig unterrichtet waren, mithin (bei
aufgeregten Leidenschaften) in der größten Gefahr schwebten, etwas
Unpassendes, Übertriebenes und Verletzendes zu beschließen. Es fehlt
unglücklicherweise an einem Organ, einer Behörde, durch welche
sich die Regierungen mit der Versammlung verständigen; denn der
hinsterbende, unbeliebte Bundestag reicht dazu nicht hin, und die
einzelnen Gesandten lassen ebenfalls nichts von sich hören. Mein
Vorschlag: zu fragen und über die Lage der Dinge Belehrung und Auskunft
einzuholen, erregte das Bedenken: es werde eine ablehnende Antwort
Mißvergnügen erregen, und eine inhaltsvolle wahrscheinlich die, ihrer
Allmacht frohe, Versammlung noch tiefer und gefährlicher in die Sache
hineinlocken und verwickeln.

Zwei Sachen wurden vorgetragen: erstens, ein (gemäßigtes) Gesuch der
holstein-schleswigschen Abgeordneten ihre Sache nicht aufzugeben,
sondern für das zu wirken, was Recht und Ehre verlange. Zweitens, ein
jammervoller Hülferuf der Hadersleber, sie, nach Wrangel’s Rückzug,
gegen die schreckliche Rach- und Straflust der Dänen zu schützen.
Gar viele Punkte kamen nunmehr zur Berathung, z. B. Holstein gehöre
gewiß zu Deutschland, und wenn dies in Hinsicht auf Schleswig auch
zweifelhaft sei, so gehöre es doch unbedenklich seit Jahrhunderten zu
+Holstein+ und könne davon nicht getrennt werden. Die Zerfällung
in zwei Theile (Dänen und Deutsche) nach der Volksthümlichkeit, sei
unrecht, unerwünscht; das Ganze müsse beisammen bleiben. Wiederum habe
England die Frage über das Schicksal des +nördlichen+ Theils von
Schleswig, als einen Gegenstand der Unterhandlungen hingestellt, und
es würde um so verkehrter sein, sich wider Palmerston’s Vorschläge
zu erklären, da Schweden und Rußland nur durch die Rücksicht auf
Großbritannien von Gewaltschritten abgehalten würden. Deutschland
sei unvorbereitet, aufgelöset, uneinig, ohnmächtig, und könne einen
Krieg gegen Rußland um Schleswigs willen um so weniger übernehmen, da
die Frage nicht der Art sei, das ganze deutsche Volk in Begeisterung
zu versetzen. Insbesondere schwebe Preußen in Bezug auf Rußland
in der höchsten Gefahr und dürfe (ohnehin abgeschwächt) sich für
Schleswig nicht opfern. Es müsse für sich und zur Erhaltung seines
Daseins handeln; es werde keinen Beschluß der frankfurter Versammlung
achten, sobald es dadurch in eine Todesgefahr komme, gegen welche
papierne Bundesverfügungen um so weniger schützten, da sie schon bei
dem dänischen Kriege hinsichtlich der zehnten Heeresabtheilung wenig
Gehorsam gefunden hätten. Ebensowenig könne es jemals Posen in die
Hände der Polen geben und dadurch den Russen den Weg in das Herz
der Monarchie öffnen. Der Gewinn Schleswigs sei ganz unbedeutend,
wenn gegenüber die Gefahr eines großen europäischen Krieges und die
Möglichkeit hervortrete, Ost- und Westpreußen, ja alles Land bis
zur Oder in den Händen der Russen zu sehen. An Rußland sei nur zu
verlieren, nichts zu gewinnen, Frankreich aber, trotz scheinbarer
augenblicklicher Mäßigung, doch ein gefährlicher, den Rheinlanden
nachtrachtender Bundesgenosse. Die Erhaltung und Herstellung des
Friedens sei höchster Zweck, und die Frage nach dem schleswiger Rechte,
verschwinde vor der höhern Politik und den unläugbaren Forderungen
der Staatsklugheit. Dies als Andeutung des Inhalts der Berathungen.
Das einstimmige Ergebniß war: der Versammlung zwei Erklärungen über
Schleswig und über Hadersleben vorzulegen, welche trösten, die Ehre
wahren, und doch so gemäßigt abgefaßt sind, daß sie die Mächte und die
Vermittler nicht verletzen, nicht vorlaut und übereilt in die Sachen
selbst eingreifen. Hoffentlich nimmt die Versammlung unsere Vorschläge
an, ohne leidenschaftliche Erörterungen. Die ganze Berathung im
Ausschusse war gemäßigt, verständig, anziehend, erfreulich, und mehrt
meine Hoffnungen von seiner nützlichen Wirksamkeit für die Zukunft. --
Nächstens kommt die Frage über die Bildung einer hiesigen Centralgewalt
zur Sprache, wo die Regierungen (unbegreiflicher- und thörichterweise)
wiederum versäumt haben, auf eine verständige und freundliche Weise die
Initiative zu ergreifen, wodurch die Herrschlust der Versammlung sich
nothwendig und natürlich verdoppelt.



Sechster Brief.


    Frankfurt a. M., den 5. Junius 1848.

So lange ich hier in Thätigkeit bin, hege ich keinen Zweifel darüber,
daß ich hiezu noch tauglich und befähigt sei. Sobald ich aber zum
Nichtsthun zurückkehre, scheint es mir verkehrt, nicht etwa selbst
anmaßend eine Rolle spielen zu wollen, sondern Rollen auf mir und rings
um mich spielen zu lassen. Doch muß ich mich mit dem ~sustine~ abfinden
lassen, bis etwa Hr. Agathon sein ~abstine~ durchsetzt.

In der heutigen Sitzung ward (bei den dringenden Gefahren Deutschlands)
beschlossen, einen Ausschuß für die Kriegs- und Wehrverfassung zu
bilden, in welchen unter Anderen Teichert und Stavenhagen erwählt
sind. Hierauf lange Verhandlungen über Böhmen und Mähren, wobei ein
Abgeordneter Jeiteles aus Olmütz sagte: er wünsche, daß das Jahr so
fruchtbar sei an Getreide und Kartoffeln -- wie an Reden. Allerdings
werden mit diesen, und mit Erklärungen und Proklamationen der
Versammlung, die großen Gegensätze und Zwistigkeiten der Tschechen
und Deutschen nicht ausgeglichen werden. Hofft man indessen davon
Trost und Hülfe, so mag man sie (vorsichtig gefaßt) immerhin ergehen
lassen. Weit heftigerer und ungebührlicher Streit und Lärm erhob sich
über die Frage: ob die erwählten Abgeordneten für den deutschen Theil
Polens sollten zugelassen werden. Die Linke, welche gern Händel für die
Deutschen in Schleswig suchte, will (die Polen unverantwortlich und
inconsequent mehr begünstigend) jene Abgeordneten ausschließen. Endlich
wurden sie vorläufig zugelassen, die staats- oder völkerrechtliche
Frage aber an den Ausschuß verwiesen, wo ich darüber mitsprechen
und entscheiden muß. Gewiß ist bei dieser Thätigkeit und Mühe mehr
Zusammenhang und Erfolg, als bei der Rederei in den verschiedenen
Quasiklubs. Doch mag dies als Ableiter dienen, sonst würden sich
noch Mehre in der Hauptversammlung vordrängen. Man sollte, da die
Redelustigen jede ihrer Reden doch wohl auf 5 Thlr. Werth schätzen,
diese Summe (etwa für die deutsche Flotte) abfordern, um diese flott
zu machen oder den Andrang zu vermindern. -- Merkwürdig, daß bei jener
Polenfrage die Ansicht der Funfziger von der Linken als maßgebend
hervorgehoben wurde, während kein Redner der Aufnahme Posens in den
deutschen Bund durch die Bundesversammlung erwähnte.

Es war im Hirschgraben wieder, in meiner Abwesenheit, davon die Rede
gewesen, daß ich ein +Programm+ für die Gesellschaft entwerfe. Bei
meiner Abneigung gegen bindende Glaubensbekenntnisse und gegen den
Schein, als wolle ich mich der äußersten Rechten unbedingt anschließen,
lehnte ich den Antrag ab. Ebenso den Vorschlag Lichnowsky’s: drei
Männer (darunter ich) sollten zwei verschiedene Gesellschaften sogleich
besuchen und bis morgen entscheiden, ob und welcher man beitreten,
oder ob man fernerhin im Hirschgraben weiter beisammen bleiben wolle.
Eine solche Diktatur dreier Männer, ohne Rückfrage und nähere,
nochmalige Berathung, würde sich gewiß keiner langen und allgemeinen
Beistimmung erfreut haben. Lichnowsky’s Weissagung: die Gesellschaft im
Hirschgarten werde sich auflösen, hat indeß guten Grund. Denn die Leute
wollen lieber Alles durcheinander durchplaudern, und die politische
Weisheit gleichzeitig mit Wein, Bier, Punsch, Beafsteaks, Cotelettes,
Kartoffeln und Cigarren hinunterschlucken. Mir ist (nachdem ich des
Tages Last getragen) solch Pandämonium für Leib und Seele unbequem, wo
Kellnergeschrei und Teller- und Gläsergeklapper, die Janitscharenmusik
zu der eingebildeten demosthenischen Weisheit bildet.

Die Gesellschaft im Hirschgraben (um nochmals darauf zurückzukommen)
gilt, obwohl mit Unrecht, für die äußerste Rechte, zu welcher sich die
Meisten so wenig bekennen wollen, als zur äußersten Linken. Deshalb
wird sie sterben, und jeder Gemäßigte sich anderwärts anschließen,
wenn er überhaupt das Bedürfniß fühlt sich einzupferchen. Lichnowsky
ist nicht ohne Geist und Rednertalent, aber viel zu ungeduldig und
leidenschaftlich. Wäre Arnim kein Graf, so würde man seine Vorzüge
mehr anerkennen. W. ist bereits verbraucht, weil er sich vordrängte;
v. S. hatte kein Talent zu präsidiren und die Leute in Thätigkeit zu
versetzen. -- Allerdings wird die einigere, jedes Mittel anwendende
äußerste Linke, sich länger halten, als die äußerste Rechte; wenn aber
kein Krieg und kein einschüchternder Krawal eintritt, bleibt sie gewiß
in der Minderzahl. Gestern machte -- den Vorschlag, den Herzog von
Limburg (d. h. den König der Niederlande) sofort über sein Benehmen
gegen dies Land, gleichsam studentenmäßig zu coramiren und zu so vielen
Händeln, noch eine Maulhelden-~querelle d’Allemand~ anzufangen.
Bei der Abstimmung erhob sich jedoch (die Versammlung ist bereits
gewitzigt) außer -- nur +Einer+ für den Aberwitz.


    Den 6. Junius.

Gestern Nachmittag erhielt ich zu großer Freude Euern den dritten
Nachmittags zur Post gegebenen Brief. Wäre nur der Zustand Berlins
erfreulicher. So lange man jeden Unruhstifter gewähren läßt, anstatt
ihnen muthig entgegenzutreten und sie zu bestrafen, oder kurzweg
auszuprügeln, werden die Verhältnisse nicht besser werden. Hoffentlich
wächst den Stadtverordneten der Muth, und die akademischen Behörden
schicken Die unerbittlich fort, welche die Gesetze übertreten.

Ich bin in einem Lebensalter, wo man eben nichts mehr zu hoffen und
zu fürchten hat, und werde also über alles Das, was von Außen mir
widerfährt, Haltung und Gemüthsruhe nicht verlieren; aber ebensowenig
mich feige auf die Flucht legen. Ich werde mich nicht vordrängen und
überschätzen, aber ebensowenig schweigen, oder Halbheiten auskramen,
oder mich verblüffen lassen, wo es darauf ankommt +rücksichtslos die
Wahrheit zu sagen+. Das ist, mit Verschmähung aller Heuchelei und
Künstelei und Superklugheit, mein unbedingter Grundsatz gewesen, das
ganze Leben hindurch. Und ich bin, vermöge desselben, auch besser
hindurchgekommen, obenauf geblieben und selbst von Gegnern mehr geehrt
worden, als wenn ich mich auf eine Art Diplomatik gelegt hätte, die
meiner Natur zuwider ist.

Von Balan lieh ich mir ein Buch vom Grafen de la Garde über die
Frivolitäten des wiener Congresses, geschrieben mit dem Glanze
oberflächlicher Hofschranzerei und plattirter Nichtigkeit. Es thut eine
furchtbare Wirkung, wenn man gleichzeitig an die jetzigen Zustände
Wiens denkt.



Siebenter Brief.


    Frankfurt a. M., den 7. Junius 1848.

Der Antrag, welchen ich meinem letzten Briefe beilegte, über die
Errichtung einer engern Regierungsgewalt, ist von großer Wichtigkeit
und bedeutenden Folgen. Deshalb sagen Einige: man hätte ihn gar
nicht machen sollen, da die bisherigen Mittel und Formen zu den
angestrebten Zwecken hinreichten, die Entwerfung und Annahme einer
neuen deutschen Verfassung abzuwarten ist, und die Gewalt der (ohnehin
zu anmaßenden) Reichsversammlung dadurch übermäßig erhöht wird.
Denn die drei Direktoren verwandeln sich gewiß bald in gehorsame
Diener der Versammlung; was in letzter Stelle zum Widerspruch der
einzelnen Staaten und zum Verfehlen der bezweckten Einigkeit führt.
-- Diese Ansichten und Gründe entbehren keineswegs aller Wahrheit; es
ist aber bei der jetzigen Stimmung der Versammlung ganz unmöglich,
dieselben durchzusetzen, und die Ernennung einer Regierungsbehörde
ganz zu vermeiden. Man muß diese, als einen auf wenige Personen
zusammengedrängten Bundestag betrachten, und die Wahl auf Männer
allgemeinen Vertrauens richten, oder (da dies so häufig wechselt)
auf Männer solcher Geistes- und Willensstärke, daß sie sich Ansehen
erzwingen. Die Besorgniß, daß sich die zwei andern Direktoren, stets
wider den preußischen vereinigen würden, ist bei der jetzigen Lage
Österreichs wohl nicht zu befürchten. Eher dürfte Preußen oft in der
Minderzahl bleiben, wenn man die Zahl der Direktoren auf fünf erhöhte.
-- Hoffentlich hält sich die Versammlung in den ihr (obwohl etwas
zweideutig) gesetzten Schranken, und lähmt nicht die Wirksamkeit und
nothwendige Unabhängigkeit durch stetes Einreden und die sonst so
lebhaft getadelte Vielregiererei. Mehr hievon, wenn die Sache in der
Versammlung zur Berathung kommt.

Für die schwierige und mit Worten nicht zu lösende Frage: „über die
Verhältnisse der Slaven zu den Deutschen in den österreichischen
Staaten“, ward heute ein besonderer Ausschuß ernannt, und dabei
geltend gemacht, daß die bedrängte österreichische Regierung einer
deutschen Unterstützung bedürftig sei und sie verdiene. N. wollte
hierauf entwickeln, was sich, besonders hinsichtlich Italiens,
gegen die österreichische Regierung sagen lasse, und sprach dabei
von ihrer +Thorheit+. Dieser Ausdruck ward von Etlichen, selbst vom
Präsidenten gerügt. Anstatt ihn sogleich zurückzunehmen oder höflich zu
berichtigen, suchte er seine Angemessenheit zu erweisen; was jedoch zu
lebhafterem Widerspruche, besonders seitens mehrer Österreicher führte
und seine Sache immer mehr verdarb. -- So hat er durch ein der Wahrheit
nachtrachtendes, aber zu schroffes, unvermittelndes Verfahren, sich Das
zugezogen, was ich ihm vor drei Tagen buchstäblich weissagte.

Bei einem andern Zwischenspiel offenbarte sich wieder einmal die,
anderes Böse bezweckende, Abneigung gegen Preußen. Robert Blum (und
ähnlich gesinnt zeigen sich mehre sächsische Abgeordnete) behauptet
von einem (nicht genannten) Minister gehört zu haben: daß Preußen
mehren deutschen Staaten den Rath gegeben, durch landschaftliche
Versammlungen, die Wirksamkeit der frankfurter zu vernichten oder sie
gewissermaßen zu sprengen. -- Wäre ein ähnlicher Rath gegeben, so
könnte es nur den Sinn haben, die +allgemeinen+ deutschen Rechte und
die der +einzelnen+ Staaten in ein richtiges Verhältniß zu bringen. Nun
übergiebt aber ein preußischer Abgeordneter ein amtliches Schreiben
unseres (verantwortlichen) Ministers der auswärtigen Angelegenheiten
des Hrn. v. Arnim, worin dieser +feierlich+ läugnet, daß jemals
Schreiben in jener Beziehung erlassen worden. -- Ueberdies behauptet
R. Blum: sein ungenannter Minister (oder, wie jetzt die Sachen stehen,
seine Klatscherei) verdiene ebenso viel Glauben. Man hat ihn aber
hiemit nicht durchgelassen, sondern darauf gedrungen, daß er Beweise
beibringe, damit man sehe, wo das Unrecht stecke, bei Arnim, dem
Unbekannten, oder R. Blum.


    Den 8. Junius.

Gestern war ein wunderschöner Abend; ich ging um einen Theil der
mit Gärten und schönen Anlagen umgebenen Stadt. Blühende Rosen und
Sträucher, Bäume noch im frischesten Grün, und eine Himmelspracht
und Glut, die nicht glänzender sein konnte. Solche erheiternde und
beruhigende Augenblicke thun hier wahrlich noth.

Viele preußische Abgeordnete sagen: Preußen ist überall (besonders
in Sachsen und Süddeutschland) so unbeliebt, so verläumdet, so
verhaßt, daß man schlechterdings schweigen muß, um das Uebel nicht
noch zu erhöhen. Jedes bestimmtere Auftreten, jedes zur Vertheidigung
gesprochene Wort hat gefährliche Wirkungen und kann Alles verderben.
-- Ich habe zeither dieser Schlußfolge widersprochen, mich aber
dennoch ihr murrend gefügt. Das muß aber ein Ende nehmen. Täglich
wird Preußen angegriffen und verdächtigt, täglich muß man sich von
Maulhelden behandeln sehen, als wäre man angesteckt, verpestet, von
Gewissensbissen geplagt, und wohl gar noch dankbar für die verdiente,
gnädige Strafe. Seit 14 Tagen sitze ich überbescheiden da, wie ein
stummer Hund, der nicht bellen kann. Meine Geduld ist zu Ende, und ich
werde Gelegenheit suchen und +finden+, meinen Mund aufzuthun.
Die Champagnerflasche ist nicht flattirt, sonder injuriirt und der
Pfropfen muß heraus. Für das Ganze kann daraus nichts Böses folgen;
mein Gewissen spricht mich frei, und Zischen und Trommeln soll mich
nicht abhalten, nach ~Dr.~ Luther’s Spruch zu verfahren.

In der heutigen Sitzung wurden Berichte der Ausschüsse vorgetragen
über Schleswig-Holstein, Luxemburg und die zu gründende deutsche
Flotte. Hierauf Verhandlungen, ob die Reichsversammlung in Frankfurt
sicher sei, zu ihrer Sicherung Vorkehrungen zu treffen, Commissionen
zu ernennen, oder mit dem hiesigen Magistrate Verhandlungen zu
eröffnen. Alle Vorschläge wurden zuletzt abgelehnt, weil die Gefahr
nicht erwiesen, Furcht nicht zu zeigen und Verhandlungen mit dem
(wohlgesinnten) Magistrate überflüssig, oder der Versammlung nicht
würdig seien. Beiläufig kam zur Sprache daß man, nöthigen Falls, die
Versammlung nach Erfurt, Nürnberg, Regensburg, Wien verlegen solle.

Nochmals Vorträge über R. Blum’s Anklagen. Er wiederholt, daß das
Vorgebrachte, ihm und zwei namhaft gemachten Zeugen von einem Minister
gesagt worden. Nachdem Auerswald und Lichnowsky gegen, Schaffrath für
ihn gesprochen, nahm die widerwärtige Erörterung (über welche noch
Unzählige sprechen wollten) ein unentscheidendes Ende.



Achter Brief.


    Frankfurt a. M., den 9. Junius 1848.

Ihr glaubt nicht, welche Anzahl von Anträgen und Gesuchen bei der
Versammlung eingehen! Alles, vom Größten und Wichtigsten, bis zum
Kleinsten und Unbedeutendsten, wird zur Sprache gebracht; die
Abgeordneten hätten damit bis zum jüngsten Tage zu thun und würden
dennoch nicht fertig! Indessen dient dies andererseits dazu, auf unsere
Hauptaufgabe hinzuweisen, und die Thätigkeit des Verfassungsausschusses
zu erhöhen. Die (deutsche) Breite, welche man mit Recht unseren alten
Behörden zum Vorwurf machte, thut sich jedoch auch hier schon kund,
und hindert regelmäßige schnelle Fortschritte. Wenige haben das Talent
gut den Vorsitz zu führen; oder wer dasselbe geltend machen will,
verletzt die breitspurigen Redner, oder Kohlmacher. Für die Klubs
und die Rederei spät Abends, wird von Manchen noch fleißig geworben;
während Andere allmälig den Geschmack und den Glauben daran verlieren.
Man bedenke, Sitzung 5-6 Stunden, Ausschuß 2-3 Stunden, Lesen der
Drucksachen eine Stunde; und nun soll nach 9-10 Stunden ernster
Anstrengung und Berathung, ein abgeklatschtes ~Da Capo~ angeblich
nützen, belehren, erfreuen. ~Credat Judaeus Apella.~ Mir genügt Abends
das Gespräch mit wenigen Personen, und dann um 10 Uhr zu Bett. Deshalb
entschuldigte ich mich gegen B., bei Herrn B. einer Gesellschaft von
Herren und Damen beizuwohnen, welche um die Zeit beginnt wo ich mich
zu Hause nicht festlich ankleide, sondern bequem auskleide, und welche
um die Zeit am lebhaftesten ist, wo ich am festesten schlafe. -- ~Ecce
signum~, den alten Mann! Und wenn er auch das Alles noch mitmachen
+könnte+, so +will+ er es aus Gründen nicht, die +ihm+ vollkommen
genügend erscheinen.

Gestern Abend ward ich im Schwane nochmals dringend aufgefordert,
Preußen wie ein ~noli me tangere~ zu betrachten und zu behandeln. Nun,
ich will den wohlgemeinten, wiederholten Rath nicht unberücksichtigt
lassen, Niemand angreifen, Niemand verletzen, von den zu Gebote
stehenden Kriegsmitteln wenig Gebrauch machen; obgleich dies heißt: mit
halbem Winde segeln und mit Hemmschuhen fahren.

Das Liebäugeln der Franzosen mit Deutschland erinnert an das ~Timeo
Danaos dona ferentes~, und die republikanisch-polnische Partei
würde Deutschland opfern, angeblich um Polen herzustellen. Diese
Freundschaftsversicherungen aus Norden und Süden, erinnern 1848, an das
Jahr 1648 wo Deutschland so heruntergekommen war, daß es sich seiner
eigenen Zerstückelung fast freute. Nur noch ein Jahr europäischer
Friede, dann wird (ich hoffe es) der gesunde Menschenverstand der
Deutschen obenauf bleiben. Krieg zerstört alle unsere hiesigen, ja alle
guten Bestrebungen, und führt nicht (wie Einige und die Eifrigsten
leider wähnen) zu republikanischer Freiheit, sondern durch Anarchie
hindurch zur Despotie, oder -- zur entsetzlichen Theilung Deutschlands!
-- Unter so vielen, fieberhaft aufregenden Sorgen, habe ich die erste,
große Freude darüber gehabt, daß der berliner Reichstag, Camphausen’s
Rede über den Prinzen von Preußen so theilnehmend und beifällig
aufgenommen. Auch die edle Prinzessin erblickt endlich an ihrem
einsamen Strande, die tröstende Morgenröthe. -- -- -- -- Könnte man
sich wundern daß hochgestellte Personen, wenn sie derlei Erscheinungen
erleben, zu Menschenhaß aufgeregt, oder doch gegen Lob und Tadel
gleichgültig würden?

Wie ich, in den Augen gewisser Leute, binnen Jahresfrist aus einem
ultra-liberalen Rebellen, ein knechtischer Royalist geworden bin; so
wird man mir vorwerfen aus einem Polenfreunde (siehe meine Schrift
über den Untergang Polens und meine geschichtlichen Beiträge) ein
Polenfeind geworden zu sein.

Ich höre mit Schrecken, daß Jemand einen Plan entworfen, wie die
Paulskirche im Winter am besten zu heizen sei; doch hoffe ich es
soll nur ein Schreckschuß sein, um auf die Nothwendigkeit raschen
Fortschritts hinzuweisen. Mehre Abgeordnete lassen ihre Frauen
nachkommen; gut für jene, während die Frauen viel allein sein werden.


    Den 10. Junius.

Gestern war eine sehr wichtige und anziehende Sitzung, welche
nur durch die eigensinnige Forderung der Linken, über eine Frage
durch namentlichen Aufruf abzustimmen, einen höchst langen und
langweiligen Anhang bekam. Sie dauerte von 9-4 Uhr, und betraf
die schleswig-holsteinische Angelegenheit. J. und B. sprachen in
revolutionair-heftiger Weise, z. B. es komme auf geschichtliche und
bestehende Rechte gar nicht an; +man+ habe sich (d. h. die 50 und das
Vorparlament) +Rechte genommen+: was denn freilich die Rechtsfrage
zur Seite wirft, und sich ganz auf den Boden der Macht und Gewalt
hinstellt; welche praktisch geltend zu machen, es uns aber eben an
genügenden Mitteln fehlt. G. hatte freilich ein Universalmittel in der
Tasche, oder sprach es vielmehr mit erstaunlichem Glauben an seine
Wirksamkeit laut aus: „die Versammlung möge beschließen, es solle sich
niemals eine fremde Macht in die deutschen Angelegenheiten mischen!!!“
-- Die Versammlung war aber doch zu praktisch, auf einen solchen
unpraktischen und nutzlosen Antrag einzugehen. Ebensowenig wirkte seine
angebliche Entdeckung, daß auch die Jütländer zum deutschen Stamme
gehörten. -- Dahlmann sprach gemäßigt; Waitz sehr verständig, besonders
gegen jene Revolutionaire; Heckscher aus Hamburg scharfsinnig und
muthig; mehre Schleswiger rhetorisirend um dadurch die, gewöhnlich bei
schwachen Constitutionen durchschlagende, Wirkung hervorzubringen.

Endlich habe auch ich meine Jungfernrede (~maiden speech~) halten
+müssen+! Da ich sie, nach meiner Weise vorher weder auswendig gelernt,
noch niedergeschrieben hatte, so bleibt der anliegende stenographische
Bericht (trotz seiner Mängel) die beste Quelle. Weil die Zeit
beschränkt war, und so viele Redner herzudrängten, so habe ich kaum die
Hälfte von Dem gesagt, was ich eigentlich sagen wollte, und dem „+höre
bald auf+,“ Folge geleistet. Ich will, trotz der Bravos am Schlusse,
nicht sagen daß meine Rede allgemeinen +Beifall+ gefunden; die
mitgetheilten Thatsachen erweckten aber allgemeines +Interesse+, und
selbst Anführer der Linken bezeugten, ich hätte gesprochen mit Anstand
und ohne zu verletzen. Vielleicht mißbilligen eher einige Mitglieder
der äußersten Rechten, daß ich rücksichtslos Wahrheiten ausgesprochen,
die sie lieber verheimlichten. Mir behagt aber weder der tölpelhafte
Enthusiasmus der äußersten Linken, noch die rückhaltende Diplomatik
mancher ihrer Gegner. Ich gehe, ungestört durch Beifall oder Mißfallen,
den Gang, welchen ich für den rechten halte. Ich hoffe Ihr seid bereit
mitzugehen.



Neunter Brief.


    Frankfurt a. M., den 11. Junius 1848.

Ich muß noch einmal klagend auf die namentliche Abstimmung am neunten
zurückkommen. Die Frage war: sollen die Friedensschlüsse zwischen
Deutschland und Dänemark dem verfassenden Reichstage zur +Bestätigung+
vorgelegt werden? Die eine Partei sagte +Ja!+ weil dadurch die deutsche
Ehre besser gewahrt und die Macht der Versammlung +erhöht+ wird. --
Die zweite Partei entgegnete: +Nein!+ weil jenes Geschäft gar nicht
zum Wirkungskreise der Versammlung gehört, und sie dadurch denselben
ungebührlich, eigenmächtig und gefährlich erweitern würde. Wenn unsere
Gegner ferner sagen, daß die Sache selbst hiedurch gewinnen werde,
so wollen wir nicht den Satz umkehren und sagen, daß ihr dadurch
geschadet werde; wohl aber müssen wir darauf aufmerksam machen, daß
die diplomatischen Verhandlungen hiedurch weitläufiger und erschwert
werden; ja zu besorgen ist, daß das englische Ministerium (insbesondere
der entschlossene Vermittler Lord Palmerston) nicht geneigt sein
dürfte, sich in Frankfurt anmaßlich beurtheilen zu lassen und gleichsam
auf den Moquirstuhl zu setzen. Ohnehin werden die befreundeten Mächte,
vor allen Preußen, von selbst Das durchzusetzen suchen, was der
Reichstag wünscht und bezweckt. -- So in aller Kürze die Gründe und
Gegengründe.

Sehr gescheit verlangte die Linke den namentlichen Aufruf; denn sie
harrte muthig aus, während Viele der sogenannten Wohlgesinnten das
Mittagsessen vorzogen und davongingen! Ferner (eine höchst jammervolle
Erscheinung) stimmten beim Aufstehen nur etwa 70 höchstens 100 für Ja!
während sich diese Zahl (und hierauf hatte die Linke gerechnet) beim
namentlichen Aufrufe bis zu 200 erhöhte!! So die Wirkung erbärmlicher
Furcht, und des Wunsches sich bei den unwissenden und aufgeregten
Massen beliebt zu machen!

So schwierig auch die Lage Preußens erscheint, ist doch die Österreichs
viel verwickelter und schwieriger. Allerdings macht uns schon der
kleine polnische Bestandtheil viel Noth; wie soll aber Österreich
seine Völkermusterkarte in einem Augenblicke beisammen erhalten, wo man
bis zur Übertreibung auf Sonderung der Völkerstämme dringt. Die wiener
Anarchie wird ein Ende nehmen, denn das Deutsche findet sich wieder
zum Deutschen und verständigt sich. Wie aber den Haß der slavischen
Stämme gegen Deutsche und Ungarn aussöhnen? Wie Böhmen und Mähren
bei gemischter Bevölkerung behandeln und sondern? Ist es räthlich
und möglich ein großes Slavenreich zu bilden und dem russischen
entgegenzustellen? Oder wird dies Alles verschlingen? Reichen besondere
Verfassungen und eigenthümliche Einrichtungen aus, um die Aufgeregten
zu beruhigen, welche +eine+ allgemeine Verfassung für unmöglich und
unklug halten? Könnten drei österreichische Prinzen, Könige der
Ungarn, Slaven und Deutschen, und doch eine Art von Mittelpunkt für
Alle gefunden werden! -- So drängen sich unzählige Fragen, deren
Beantwortung aus der Ferne und auch wohl in der Nähe unendlich schwer
ist, und deren Lösung Niemand vorhersehen kann. Gewiß wird die alte
Mischung nicht fortdauern, oder nicht herzustellen sein.

Muthigere Österreicher erklären sich günstiger über Hergang,
Zusammenhang und Zukunft. Österreich, sagen sie, war ein Conglomerat
von Staaten, hauptsächlich zusammengehalten durch ein Netz von Beamten
und Soldaten. Nur +diese+ nannten sich +Österreicher+; alle andern
Personen nannten und fühlten sich dagegen nach ihrem Geburtslande, als
Böhmen, Mähren u. s. w. Dies Gefühl, diese Richtung ward verstärkt,
weil die österreichische Regierung (abweichend von Preußen) auch
die geistige Bildung und Entwickelung hemmte und verknechtete. Nur
innerhalb der Nationalitäten verstattete man eine etwas größere
Freiheit, schon weil weniger Personen böhmisch, ungarisch u. s. w.
lasen, als deutsch. Gutentheils daher der Eifer für jene volksthümliche
Literaturen, und eine steigende Begeisterung für nationales
Abschließen. Man darf sich nicht wundern, daß nach so lang getragenen,
endlich gebrochenen Fesseln, das richtige Maß überschritten wird, und
man über Weg und Ziel nicht im Klaren ist. Allmälig bessern sich diese
Verhältnisse, den einzelnen Völkerstämmen wird und muß man einen großen
Theil der Selbstregierung überlassen; dann kehren alle ihre Blicke
wieder auf den alten Mittelpunkt, und Österreich wird (gereinigt von
alten und neuen Hemmnissen und Irrthümern) sich mächtiger erheben, denn
zuvor. Daß sich alle Slaven an Rußland anschließen würden, ist nicht
zu befürchten, und die große Überzahl der Bewohner Galiziens ist mehr
österreichisch, als polnisch gesinnt. Ein österreichischer Offizier
fragte einen Haufen bewaffneter galizischer Landleute: was habt ihr
vor? -- Wir wollen die Polen todt schlagen. -- Ihr seid ja selbst
Polen. -- Nein, die Edelleute sind Polen; wir sind österreichische
Bauern. So die galizischen Vorübungen zur Herstellung der sogenannten
polnischen Republik.


    Den 12. Junius.

Nachdem ich bei einem langen Jammer- und Jeremiadenduett mit --
willig die zweite Stimme gesungen, bin ich ihm wegen seiner bloßen
+Verneinungen+ zu Leibe gegangen. Niemand läugne die Krankheit;
es handele sich aber für den angestellten Arzt nicht blos davon,
gleichgültig oder verzweifelnd zu sagen: du mußt sterben! sondern
Heilmittel aufzusuchen und anzuwenden. Der jüngste Tag sei doch noch
nicht vor der Thür, und die Kinder und Kindeskinder würden dereinst mit
großem Rechte die Väter und Großväter tadeln können, wenn diese nichts
zum Vorschein gebracht, als ein endloses, fruchtloses, langweiliges OJe
und OWeh! Hat man nicht 1813 sich auch aus einer dunkeln Nacht wieder
zum Tage emporgearbeitet? Und kann man die Übel nicht vertilgen, so
kann man sie doch mindern, oder mit der Beruhigung untergehen, seine
Pflicht nach Kräften erfüllt zu haben.

Daß die Polen einen Krieg mit Rußland wünschen, ist natürlich genug;
wie ihn aber +ungerüstete+ Deutsche +jetzt+ betreiben können, ist
völlig unbegreiflich. Auch wissen sie dafür nicht den geringsten
vernünftigen Grund anzugeben. Denn daß dereinst (bei wichtigeren
Veranlassungen und in günstigerem Augenblicke) möglicherweise ein
Krieg eintreten könne, ist kein vernünftiger Grund für einen jetzt
unvernünftigen Beschluß. Erst bin ich Deutscher und Preuße, -- und
nicht polnischer Edelmann.



Zehnter Brief.


    Frankfurt a. M., den 12. Junius 1848,
    Nachmittags 5 Uhr.

Die Krawalls, welche alle Länder durchziehen und auch uns wie
Gewitterwolken umringen, haben gestern Abend in Offenbach
eingeschlagen. Hessische Soldaten verlangen Urlaub, und gehen (als er
ihnen abgeschlagen wird) eigenmächtig davon. Nach ihrer Rückkehr werden
sie, ganz von Rechts wegen, eingesperrt. Nicht blos ihre Kameraden,
sondern auch andere Leute suchen sie mit Gewalt zu befreien. Man ist
gezwungen nachzugeben; doch war die Zügellosigkeit oder die Übereilung
der Art, daß geschossen ward und Etliche leichtere oder schwerere
Wunden davontrugen. Gestorben ist noch Keiner; das Ereigniß wird man
aber ohne Zweifel ausbeuten zur Erhöhung der Leidenschaften und als
Vorübung zu größeren gesetzwidrigen Unternehmungen. Hat man doch
Hecker zum Abgeordneten gewählt und es stehen uns hier Scenen bevor,
denen ähnlich, welche in Berlin über die Barricadenhelden eintraten.

Die, man möchte sagen unmoralisch angetrunkene, Dummheit billigt leider
jetzt Alles unbesehens, was gewisse Leute in einer bekannten Richtung
vorbringen. Hr. B. erzählte: solchen Volksschwadronören werde stets ein
lautes Bravo zugerufen, und wenn man frage: was hat er gesagt? erhalte
man zur Antwort: wir haben nichts gehört.

Bei jener Auflösung aller kriegerischen Zucht, bei der Vernachlässigung
aller deutschen Kriegsvorbereitungen (welche General Peuker nächstens
öffentlich darlegen wird), schreien die Maulhelden nach Krieg. Gestern
sagte mir Hr. v. --: Wir +müssen+ einen Krieg mit Rußland haben. --
Warum? -- Wir +müssen+ einen Krieg mit Rußland haben. -- Geben Sie mir
gefälligst Ihre Gründe an. -- Wir +müssen+ einen Krieg mit Rußland
haben. -- Weiter war aus dem Manne +kein+ Wort herauszubringen. --
Krieg führen und Fasanen verspeisen, scheint ihnen gleich leicht und
erfreulich zu sein. Solche horntolle Leute mag es beim Anfange des
30jährigen Krieges auch gegeben haben. Und doch waren damals mehr
Gründe zu Gegensätzen und Gewalt vorhanden. ~Absit omen!!~


    Den 13. Junius.

Die Hitze erlaubte gestern nicht, Landvergnügungen in der Ferne
aufzusuchen; deshalb ging ich mit L. in das, selbst am zweiten
Pfingsttage nicht gefüllte, kühle Theater. Da es keine Zuschüsse
erhält und jetzt wenig besucht ist, wird es Bankerott machen oder zu
Herabsetzungen der Gehalte schreiten müssen. Wir sahen zuvörderst
Wallensteins Lager gut in Scene gesetzt und ganz gut gespielt, so der
Wachtmeister Hr. Reger, die Marketenderin Dem. Lindner, der Kapuziner
Hr. Hassel. Eine ausgezeichnet schöne Stimme und natürliche Sprechweise
hatte der wallonische Kürassier Hr. Breuer. Ich wundere mich jedesmal
wieder, daß Schiller dies, von allen seinen anderen so abweichende,
gelungene Werk zu Stande gebracht hat, im Wallenstein selbst aber
keine Spur dieser einwirkenden Lebensverhältnisse hervortritt. Für
unsere Zeit sollte dies Lager Lehre geben; denn wenn man noch länger
die Freiheit auf dem Wege des Aufstandes sucht, und die Heereszucht
befeindet oder untergräbt, wird die Tyrannei der Kriegsfürsten und
Soldaten, sowie die Sklaverei der Bürger und Bauern nicht ausbleiben.
-- Dem Lager folgte die Schulstube, nach dem Französischen, mit vielen
Anspielungen auf die jetzige Zeit, oft gut und treffend. Das Ganze sehr
ergötzlich und zum Lachen.

Heute Vormittag besuchte ich zunächst den polnischen Grafen P., der
mich verfehlt hatte. Er gehört zu den thätigsten Beförderern der
Herstellung Polens, und ich habe mein Möglichstes gethan, ihn, in
+dreistündigem+ lebhaften Gespräche, von unausführbaren Phantasien
zurückzubringen und auf den Standpunkt des praktischen Staatsmannes
zu stellen. Er blieb lange dabei: die polnische Nation verlange,
daß das ganze Herzogthum Posen lediglich von Polen regiert, und die
Deutschen ihrer Botmäßigkeit unterworfen würden. Die alte Landesgränze
entscheide, und auf eine eingedrungene, oder eingeschmuggelte deutsche
Bevölkerung (meist Beamte) komme es gar nicht an. Die deutschen
Abgeordneten Posens möge man nicht zulassen, sondern (wenigstens
provisorisch) ausschließen, und die Angelegenheiten des Herzogthums
durch drei hier erwählte Polenfreunde ordnen lassen. -- Ich erinnerte
zunächst an meine für Polen günstige Schrift, und dass ich nicht die
Sünden seiner Bewohner, die wesentlich zur Theilung beigetragen,
aufzählen wolle. Von 1756 bis 1763 habe Polen den Feinden Preußens
allen Vorschub geleistet, sei nichts gewesen als eine russische
Landschaft, und 1772 habe sich Friedrich II. gegen eine Wiederholung
dieser Übelstände und Feindseligkeiten schützen wollen. Wenn (fuhr
ich fort) Ihre Anträge im Ausschusse zur Berathung kommen, werde ich
dagegen stimmen, als Freund der Deutschen +und+ der Polen. Um
einige Hunderttausend Deutsche unter polnische Gewalt zu bringen,
verscherzen sie leichtsinnig und muthwillig die Theilnahme von
Millionen; sie trachten verkehrterweise sich einen Bestandtheil
anzueignen, der ihnen immer feindlich bleiben und ihre Entwickelung
hemmen wird. Auf die alte Landesgränze kommt jetzt (wo überall und
+übertrieben+ die Nationalitäten hervorgerufen werden) gar nichts
an, und die deutsche Bevölkerung ist da und muß anerkannt werden, und
wäre sie auch vom Himmel ins Herzogthum Posen hineingeregnet. Sie
hoffen auf den Beistand der hiesigen Linken; sie blamirt sich, wird
unfolgerecht und richtet ihren eigenen Boden zu Grunde, wenn sie die
Deutschen, um der Polen willen, feige oder fanatisch preisgiebt. Ordnen
Sie das rein polnische Posen und Galizien; streiten Sie nicht um ein
Paar Dörfer oder Quadratmeilen, hemmen Sie nicht durch Umtriebe aller
Art die Entwickelung Deutschlands und Preußens, drängen Sie nicht zu
einem Kriege, für den man keineswegs genügend gerüstet ist; lassen Sie
uns Zeit, uns zu ordnen und zu stärken; wirken Sie durch Mäßigung, daß
eine jetzt nicht mehr vorhandene Theilnahme für Polen zurückkehrt, und
man (wie früher) die Gefahr wieder ins Auge faßt, welche von Rußland
droht. Überwerfen Sie sich nicht ohne Noth mit den Regierungen und
den Völkern Preußens und Österreichs, halten Sie nicht frankfurter
Deklamationen für allmächtig; hoffen Sie nicht zu viel von der
unsichern Regierung Frankreichs, das zuerst an sich, und nur beiläufig
(wie einst Napoleon) an Polen denkt.

Meine aufrichtigen Worte (ich sprach im Eifer fließender Französisch,
als wenn bloße ~caquetage~ verlangt wird) schienen einigen Eindruck
zu machen. -- Auf dem Wege, den Sie betreten, schloß ich, wird Polen
nicht hergestellt, vielleicht aber Deutschland zu Grunde gerichtet und
getheilt.

Mein Vortrag über Schleswig, sagen Mehre, habe (durch die Kraft der
Tatsachen) erheblich auf das Durchgehen eines gemäßigteren Beschlusses
gewirkt. Nun so hätte ich +den+ Tag nicht verloren und meine Diäten
verdient. --

Die wichtigen Angelegenheiten treten immer wieder und immer mehr in den
Vordergrund, lassen sich immer weniger nach allgemeinen Grundsätzen
entscheiden, lassen kaum das Wahrscheinliche vom Unwahrscheinlichen,
das Mögliche vom Unmöglichen unterscheiden. Wir segeln mit vielerlei
Winden, und müssen zufrieden sein, wenn wir nur in irgend einen Hafen
einlaufen.


    Den 14. Junius.

L. kehrt heute zu seinen Vorlesungen zurück. Mir liegt alles
Universitätswesen jetzt so erstaunlich fern, als hätte ich nie
mitgespielt und würde nie wieder mitspielen. -- Welch ein Wechsel der
Ansichten und Verhältnisse! Mit wie jugendlicher Begeisterung spricht
Joh. Müller von seinen göttinger Lehrern; er nennt vertrauensvoll,
selbst mittelmäßige Leute, +groß+. Und jetzt: kein Vertrauen,
keine Anhänglichkeit, höchstens kalte, achselzuckende Kritik, und ein
Hochmuth, dem jede Verehrung als Knechtssinn erscheint. Die Nachwehen
äußerer Noth und innerer Leerheit können für allweise, weltregierende
Studenten nicht ausbleiben, und die Begeisterung, welche 1813 auch
einmal das Studiren unterbrach, war doch so gewiß eine edlere, als
der damalige unvermeidliche Krieg über unnöthige und willkürliche
Straßenkrawalls und Katzenmusiken hinausreicht.

Hoffentlich ist die, alle gesetzlichen Formen zerstörende Nachricht
unwahr, daß Wahlmänner aus eigener Macht ihre Wahl zurücknehmen wollen,
sobald der Erwählte einmal nicht ihren Wünschen und Vorurtheilen gemäß
stimmt. Sydow und Jonas müssen (wie unter der alten Regierung) muthig
ausharren. Das Mißfallen der Straßengesetzgeber bringt ihnen Ehre. --
Auch hier ist täglich die Rede von Krawalls, Puffs, Putschs, -- und
sobald Wählerschaften Leute wie Hecker wählen: was steht uns bevor,
wenn sie in die Versammlung aufgenommen und wenn sie hinausgeworfen
werden? Ihr seht, ich gerathe ins Melancholisiren, obgleich es erst
sechs Uhr Morgens ist. Heute beginnen unsere Sitzungen wieder, und
obgleich wir noch lange nicht beim +Kaiserschnitt+ sind, fühlen
wir die Wehen schon allzustark.



Eilfter Brief.


    Frankfurt a. M., den 14. Junius 1848.

Die Ehre, Mitglied des völkerrechtlichen Ausschusses zu sein, kostet
viel Zeit. Denn neben dem Lesen der Akten und Flugschriften, muß man
zahlreiche Besuche empfangen. Durch lange Gespräche mit unterrichteten
(wenngleich oft leidenschaftlichen) Leuten lernt man indessen mehr und
wirkt nützlicher, als wenn man große Reden in den Klubs anhört. Salomo
sagt: Alles hat seine Zeit; ich sage dagegen: Manches hat +keine+
Zeit. Oder breiter ausgedrückt: für manches Unvernünftige hat der
Vernünftige keine Zeit.

So eben verläßt mich ein Pole, C., mit dem ich ein Paar Stunden lang
Gespräche geführt habe, denen ähnlich, welche ich mit dem Grafen
P. hatte. Zuletzt bleibt doch etwas hängen zur Beruhigung und
unbefangeneren Würdigung der Verhältnisse. Ich will Euch indessen
nicht mit Wiederholung der Gründe und Gegengründe ermüden. Hr. C. hob
hervor: das ganze Herzogthum Posen müsse beisammen bleiben; das hieß
ihm, „unter polnischer Herrschaft,“ welche Jahrhunderte lang für die
Deutschen nützlich und bequem gewesen. Ich blieb ihm jedoch keine
Antwort schuldig und nannte es thöricht, wenn die Polen, zu eigenem
Verderben, den deutschen Bestandtheil mit Gewalt unter sich aufnehmen
wollten u. s. w., u. s. w.


    Den 15. Junius.

Beim Eintritte in die Paulskirche bemerkte ich gestern mit Vergnügen,
daß auf den Grund eines von mir entworfenen und von Mehren
unterschriebenen Antrags grüne Vorhänge vor den Fenstern angebracht
waren. Die hereinscheinende Sonne oder die weißen Rouleaus blendeten
vorher auf unerträgliche Weise.

Die ganze Sitzung handelte von Errichtung einer deutschen Flotte. Bei
der allgemeinen und lebhaften Stimmung für eine solche Unternehmung kam
die Frage: ob? eigentlich gar nicht zur Berathung, und ebensowenig,
wie viel sie, den großen Seemächten gegenüber, dereinst wirken und
nützen werde. Der Krieg mit Dänemark hatte zunächst den obwaltenden
Mangel hinreichend erwiesen. Ich will Euch nicht mit Mittheilung
dessen ermüden, was man über den Bau großer oder kleiner Schiffe,
über Zielen, Schießen, Treffen u. s. w. beibrachte, über das
amerikanische, englische, französische System des Schiffbaues u. s. w.
Ich besorge, daß wenn ein rechter Sachverständiger zugehört hätte, er
alle Redenden für Bönhasen und Dilettanten würde erklärt haben. Die
Berathung hatte aber, neben dem Technischen, sehr wichtige Seiten.
So fragte sich zuerst (oder vielmehr, man fragte nicht viel danach),
ob denn die verfassende Versammlung berechtigt sei, Beschlüsse über
den vorliegenden Gegenstand zu fassen, ob er überhaupt zu ihrem
Geschäftskreise gehöre? Von der laut vertheidigten und anerkannten
Volkssouverainetät aus hält man ihre Allmacht für unbestreitbar, und
überlegt höchstens, in wie weit man dieselbe will geltend machen.
Eine zweite Frage war: ob man vorgehen könne und solle, bevor eine
vollziehende Gewalt ernannt und in Thätigkeit, ob die Versammlung
derlei Verwaltungssachen zweckmäßig zu führen im Stande sei? Man
vereinigte sich dahin: daß die jetzt ergriffenen oder zu ergreifenden
Maßregeln nur vorbereitender Art seien, daß man dadurch Zeit erspare,
Vertrauen erwecke u. s. w. -- Der vollziehenden Gewalt wurde demnächst
Alles zur weiteren Ausführung übergeben. Durch den Beschluß: jetzt
drei Millionen und später wiederum drei Millionen, nach der zu
berichtigenden Bundesmatrikel, aus ganz Deutschland aufzubringen,
legte sich die Versammlung zum ersten Male das neue und wichtige Recht
bei, Steuern zu bewilligen und auszuschreiben. Der Gedanke: sogleich
+hier+ die Besteuerungsweise für ganz Deutschland zu bestimmen,
fiel indessen glücklicherweise zu Boden. Er würde zu den lautesten
Widersprüchen geführt und sich als ganz unausführbar erwiesen haben.
Man überläßt den einzelnen Regierungen hierüber in gesetzlicher Weise
das Nöthige zu bestimmen; -- und selbst dann wird das Einzahlen jetzt
die größten Schwierigkeiten finden. Sehr wichtig ist endlich der
Umstand, daß jetzt zum ersten Male für ganz Deutschland ein allgemeiner
materieller Zweck vorgesteckt und darüber etwas beschlossen wird, und
die Süddeutschen diesmal nicht blos reden, sondern auch zahlen sollen.

Die Linke ergriff wieder den Gegenstand, um zu rhetorisiren und zu
frondiren. S., der (laut allen Nachrichten) seine Arbeiter am härtesten
behandelt, sprach von ihrer vollständigen Armuth und ihrem Hungern, und
zugleich, als wolle man +ihnen+ die Aufbringung der Kosten für
die Flotte auflegen. Nachdem ihm diese dumme Rederei das beabsichtigte
erste Bravo der Galerie verschafft hatte, folgte (wie vorherzusehen
war) eine Anklage der Wohlhabenden, der Reichen und der Fürsten. Deren
Einnahmen mit Beschlag zu belegen ist die, gar nicht mehr verborgene,
Absicht gewisser Leute. Bei den Fragen über die Fragstellung und
die wörtliche Fassung des Beschlusses, bewegte sich der Präsident
auf einer Bahn mit Hindernissen, und es gab sich die alte deutsche
Schwerfälligkeit und Wortklauberei wieder einmal kund.

Gegen Abend ging ich zum holländischen Gesandten, Hrn. von Scherff,
der mich verfehlt hatte. Der Gegenstand des langen Gespräches
waren die Angelegenheiten Limburgs, worüber der völkerrechtliche
Ausschuß berichten soll. Hievon (da das Verwickelte Euch nicht
interessiren kann) für jetzt nur so viel. Der wiener Congreß hat, auf
unverantwortliche Weise, Deutschland von der Maaß abgeschnitten, und
es zeigt sich keine Möglichkeit in diesem Augenblicke, diese Sünde
wieder gut zu machen. Die Einwohner Limburgs sehen umher, wo die
Steuern am höchsten sind, in Holland, Belgien oder Deutschland, und
möchten deshalb sich ganz diesem anschließen und die Verbindung mit
Holland auflösen. Die letzte ist allerdings sehr unbequem, beruht aber
auf Verträgen, die man nicht einseitig ändern kann. In wiefern dies,
nach Entwerfung einer neuen deutschen Verfassung (z. B. hinsichtlich
des Zollwesens) nöthig wird, läßt sich noch nicht übersehen. Man wird
zunächst dies Alles der zu gründenden vollziehenden Gewalt zuweisen
müssen, damit sie diplomatische Verhandlungen anknüpfe.

Ich schrieb Euch, daß Hecker für Frankfurt erwählt ward, und lege
sein anarchisches, fanatisches, zu Bürgerkrieg hinweisendes Manifest
bei. Leider sind aber die so eben erst aus dem Schlafe erwachenden
Deutschen zum großen Theile der Meinung: aus völligem Zerstören alles
Bestehenden, aus dem anarchischen Chaos, gehe das Eldorado einer
beglückenden Freiheit hervor. Sie sehen nicht, welchem Despotismus
sie in die Hände arbeiten; die Verführer ahnen nicht, daß eine
unerbittliche Nemesis sie erreichen muß, Niemand weiß, ob die hiesige
Versammlung den Muth haben wird, H. zurückzuweisen; wahrscheinlicher,
daß man den Zurückgewiesenen wieder wählt. -- Wo sitzt nun die
eigentliche Volkssouverainetät? In den von vielen Millionen („nach der
breitesten Grundlage“) erwählten Abgeordneten, oder den von Hecker
zusammengetrommelten Crethi und Plethi? -- Gott bessere es! -- Wir
rollen den Stein des Sisyphus! Briefe schreiben ist eine Ableitung des
kranken Stoffes; der Stein liegt dann nicht mehr auf der Brust und man
kann sich einbilden, ihn eine Zeit lang mit Füßen zu treten.

Die Behandlung Sydow’s und Arnim’s ist skandalös! Wenn nicht Feigheit
und böser Wille vorherrschte, müßte man doch einmal irgend einen der
nichtsnutzigen Ruhestörer verhaften und strafen können. Man sollte
glauben, Polizei, Magistrat, Stadtverordneten, Bürgerwehr wären gar
nicht vorhanden. Wie ganz anders benahm man sich in London, und selbst
in Paris.

Der zweite preußische Landtag, „auf die breiteste Grundlage gegründet,“
-- nimmt sich viel schlechter aus, als der erste; und auf das frühere
Lob fremder Völker wird bittere Kritik nicht ausbleiben. Alles zu
Allem gerechnet, sind für Frankfurt tüchtigere Männer erwählt als für
Berlin, und besonders in den minder zahlreichen Ausschüssen fehlt es
nicht an Verstand, Haltung und Mäßigung. -- So schön jetzt die nächsten
Umgebungen Frankfurts sind, wäre ich doch lieber mit Euch in unserem
kleinen Garten. Könnte man nur Auge und Ohr gegen tausend andere Dinge
verschließen. Nun genug des Lamentirens, und zum Schlusse das alte
Motto: ~nil desperandum~.

Hier ist noch Alles ruhig; die Stimmung aber, besonders gen Baden
hin, revolutionair. Vielleicht erhält Frankreich jedoch noch eher
+einen+ Herrn, als in Deutschland der republikanische Betteltanz
losgeht. Wenn man (wie ich) die nordamerikanischen Freistaaten
bewundert, möchte man verzweifeln, wenn man sieht, aus welchen
Bestandtheilen man hier Freistaaten errichten will. Tugenden gehören
dazu, welche unsere Raisonneure am wenigsten besitzen: Mäßigung und
strenge Achtung vor den Gesetzen.



Zwölfter Brief.


    Frankfurt a. M., den 15. Junius 1848.

Hierauf ein Besuch des Hrn. Bassermann, den ich verfehlt hatte.
Der vernünftige Mann, welcher zuerst den kühnen Gedanken von einem
allgemeinen deutschen Parlamente aussprach, wird jetzt auch schon
verlästert und verketzert.

Jetzt erschien wiederum ein polnischer Abgeordneter, Graf P. Ich könnte
mir einbilden, daß meine immer nachdrücklich wiederholten, dialogischen
Vorstellungen Eindruck machten. Wenigstens ward er mit mir einig: die
rein deutsche Bevölkerung müsse von der polnischen getrennt und zu
Deutschland geschlagen werden. Die gemischte Bevölkerung müsse man nach
gütlicher Übereinkunft durch unparteiische Beauftragte, der deutschen
oder polnischen Seite zuweisen. Die Festung Posen müsse (selbst zum
Besten der Polen) in preußischen Händen bleiben. -- Ich will die Gründe
für diese Vorschläge nicht wiederholen. Es folgt aber gar nicht
daß, was Graf P. heute billigt, ihm nach genommener Rücksprache mit
mehr fanatisirten Polen, noch morgen billig und nützlich erscheint.
So lauten z. B. die Anträge des pariser polnischen Ausschusses
hinsichtlich der deutschen Bevölkerung auf unbedingte Unterwerfung
unter die zu errichtende polnische Regierung. Die Juden sollen ferner
in keinem Falle der deutschen Bevölkerung hinzugerechnet werden u.
s. w. Ich habe übrigens dem Grafen P. offen gesagt, was der Ausschuß
+wahrscheinlich+ annehmen und verwerfen dürfte, und für und gegen
welche Anträge ich stimmen würde.


    Den 16. Junius.

Ich erfuhr gestern, gewiß nicht zu Eurer Freude, daß die Abgeordneten
vieler demokratischen Vereine so eben beschlossen haben, Berlin zum
Mittelpunkte aller ihrer Bestrebungen zu erheben und Emissaire u. s.
w. dahin zu senden, um wo möglich durch ihre anarchischen Bestrebungen
den preußischen Staat (der allein noch einige Haltung hat) auseinander
zu sprengen. Wenn, wie man erzählt, die berliner Bürgerwehr nur
dann einschreiten will, wenn Eigenthum bedroht wird, nicht aber bei
politischen Bewegungen (wie gegen Arnim und Sydow), so wäre dies ein
höchst einfältiger oder höchst böswilliger Beschluß. Haben denn
die politischen Bewegungen nicht schon die Hälfte alles Vermögens
hinweggenommen, und ist dem Mißhandelten seine Haut nicht so nahe und
noch mehr sein Eigenthum, wie andere entbehrlichere Dinge? Sollen Sydow
und Arnim erst klagen, nicht wenn man ihnen den Hut vom Kopfe schlägt,
sondern wenn man ihn stiehlt? Die 10 Gebote sind aber freilich auch
nicht mehr ~à la hauteur du jour~, wie in der hiesigen Versammlung
gehaltene Reden zeigen. -- Die Thätigkeit der Demokraten ist ungemein
groß, sie haben ein festes Ziel, scheuen kein Mittel, verlocken
durch die Aussicht jeden Wohlhabenden nach Belieben zu schatzen, die
Fürsten wegzujagen und ihr Eigenthum zu vertheilen. Die matte, feige,
wankelmüthige Defensive der Fürsten und Regierungen vertilgt alles
Vertrauen, und erhebt noch weniger zu thätiger Begeisterung. Kann man
doch in Berlin nicht einmal zu dem in Paris gefaßten, so nothwendigen
als löblichen Beschlusse kommen, mit Nachdruck die Straßenunruhen zu
beenden und die heillosen Maueranschläge zu verbieten.

Im Badenschen denkt man bestimmt daran, die regierende Familie
wegzujagen. Täglich rückt die Gefahr näher. Ein allgemeiner deutscher
Bund könnte gewiß monarchische +und+ republikanische Staaten in
sich begreifen (wie es ja auch früher der Fall und die Zusammensetzung
viel mannigfaltiger war), allein wenn die letzten durch Gewalt
entstehen, ist eine Beruhigung und Versöhnung unendlich schwer.
Hat man sich nicht 30 Jahre lang bekämpft, bevor man begriff, daß
Katholiken und Protestanten friedlich nebeneinander leben können?
Gehen wir politisch einer ähnlichen Jammerzeit entgegen, oder werden
die Ultramontanen auch die religiöse Duldung hier von Neuem angreifen?
-- Es ist mehr als wahrscheinlich, daß, während eine Partei nur an
Republiken denkt, eine andere die großen unabhängigen Erzbisthümer
mit Kirchenfürsten herstellen möchte. Diesen wäre auch wohl ein
Schattenkaiser in Frankfurt und ein ihn gängelnder, mächtiger Papst
in Rom willkommen. Gott weiß, was das Chaos gebären wird; etwas Neues
muß nach dieser Schwängerung nothwendig in die Welt kommen; denn der
jüngste Tag ist noch nicht vor der Thür.

In der heutigen Sitzung des völkerrechtlichen Ausschusses kamen
die allerbuntesten, wunderlichsten, uns zugestellten, Anträge zu
vorläufigem Vortrage. Sie betrafen alle Länder und Völker Europas und
Amerikas, Krieg, Frieden, Zölle, Auswanderungen, Abtretungen, große
Proklamationen, und abermals Proklamationen u. s. w. Man theilte die
Schaaren ein in Unterabtheilungen, und für jede Abtheilung erwählte
man durch Abstimmung einen vorläufigen Berichterstatter. Mir wurden zu
Theil: Anträge auf eilige Beendung des österreichisch-italienischen
Krieges, Schutz oder Aufgeben Triests, Abtreten oder Nichtabtreten
Südtirols u. dgl. Ich erklärte: über gewisse geschichtliche
Curiositäten, auf welche Einige Gewicht legten, sei ich nicht
unterrichtet; indessen schienen mir jene Anträge im Ganzen durchaus
unzeitig, und ich sei entschieden dagegen, mit thörichter Großmuth
Landstrecken abzutreten, während Niemand ähnliche Großmuth gegen
Deutschland übe. Diese und ähnliche Bemerkungen, befreiten mich aber
nicht von jenem Auftrage, und so will ich denn zunächst eine, für mich
belehrende Rücksprache, mit dem österreichischen Gesandten Herrn v.
Schmerling nehmen.

-- kommt so eben aus einer Versammlung der Abgeordneten demokratischer
Vereine. Er sagt, die wilde Leidenschaft der Vorträge, die
Gewaltsamkeit der vorgeschlagenen Mittel, und die Thorheit der Zwecke
sei solcher Art gewesen, daß er geglaubt, er sei zu gleicher Zeit im
Tollhause und in einer Mördergrube. Diese Leute ziehen von Stadt zu
Stadt, von Dorf zu Dorf, Alle verlockend, verführend, verdutzend,
verdummend, verwildernd. Berlin soll von jetzt an ihre Residenz,
ihr Hauptquartier sein. Wahrt Euch, ehe es (wie beim gestürzten
Ministerium) +zu spät+ ist!!

Gestern, 16. Abends, hörte ich zu meiner größten Betrübniß, daß in
Berlin schon wieder Skandal gewesen. Wird denn Niemand der völligen
Auflösung der bürgerlichen Gesellschaft entgegentreten? Sind denn die
Stadtverordneten nichts wie Knechte des Pöbels? Und der Reichstag! Will
man es durchaus bis zu einem Bürgerkriege der Landschaften, gegen den
Pöbel und die Feiglinge der Hauptstadt treiben? Gott helfe weiter, denn
wir helfen uns leider nicht einmal in den Dingen, wo menschliche Hülfe
nöthig ist und ausreicht.



Dreizehnter Brief.


    Frankfurt a. M., den 18. Junius 1848.

Der alte Spruch findet hier volle Wahrheit, daß die Sorge den Menschen
nie verläßt: sie geht mit zu Bett, tritt im Traume vor Augen, steht
Morgens mit auf u. s. w. Und hat man sich mit den frankfurter Sorgen
etwas abgefunden, so langt eine neue Last mit der berliner Zeitung
an, des übrigen Europa nicht zu gedenken! Die Republikaner haben hier
+ganz öffentlich+ vielerlei tolle Dinge beschlossen, darunter die
sogenannte Emancipation der Frauen. Wichtiger und folgenreicher ist es,
daß sie einen Ausschuß von sieben Personen erwählten, um nach Berlin
zu gehen und mit Hülfe von „60,000 +bewaffneten+ Proletariern“
Stadt und Land zu revolutioniren. Alle Könige und Fürsten, sagen sie
laut, sollen mit einem Schlage in Deutschland vernichtet werden. Und
wenn Schwäche und Muthlosigkeit fortdauern wie bisher, ist dies nicht
blos möglich, sondern wahrscheinlich. Wie unentschlossen hat sich der
berliner Reichstag in Bezug auf die argen Frevel des 14. benommen, wie
achselträgerisch, mit dem Gesindel liebäugelnd, sich fürchtend, Alles
-- glatt streichend. Keine Spur gerechten, großartigen Zornes, keine
Maßregel die des Erwähnens werth wäre, keine Strafe, sondern unter
Lächeln und Händedrücken ein vertrauensvolles Fraternisiren mit Denen,
welche die Verbrechen begingen, oder doch ihre Schuldigkeit nicht
thaten!!

Auch der censurfreien Presse scheint der Pöbel ein härteres Joch und
einen schärferen Zügel aufgelegt zu haben. Doch genug über diese
furchtbaren Miserabilitäten. Arg ist es hier auch, aber doch nicht so
arg.

In der gestrigen (17.) Sitzung, ließ die Linke ihren Neigungen einmal
wieder freien Lauf, während der übrige Theil der Versammlung mit
Recht größtentheils schwieg. Zuvörderst vielerlei unnütze Einreden
gegen die Fassung des Protokolls; hierauf große Klagen, daß der
Präsident (weil nichts zum Vortrage reif war) die Freitagssitzung,
durch Bekanntmachung ausgesetzt und auf den Sonnabend verlegt hatte.
Daran reiheten sich die unnützesten Bedenken über einen möglichen
Mißbrauch seiner Macht, wie z. B. wenn er nun gar keine Sitzungen
berufe u. dgl. mehr; hauptsächlich aber war der Trödel angefangen,
um den (gutentheils noch mit Demokraten gefüllten) Galerien ein
Paradepferd vorzureiten und auf Kosten der angeklagten Versammlung,
schlechten Beifall aus der Höhe zu erhalten. Ueberdies haben fast
alle diese Demagogen beneidenswerthe Lungen, sie schreien ärger
wie die Zahnbrecher, scheuen sich nicht unzählige Male dasselbe zu
wiederholen, und stellen Mangel an Höflichkeit und Anstand, als Muth
in Rechnung. Insbesondere ließ es Herr -- an jenen guten Eigenschaften
so fehlen, daß ihn der Präsident zur Ordnung rufen mußte. Dies rechnen
sich aber manche Leute (des höheren Beifalls der Galerien gewiß) zur
Ehre. Er klagte also Versammlung und Ausschüsse der Faulheit an: sie
täusche alle Erwartungen des so lange gedrückten und mißhandelten
Volkes, erwecke Unzufriedenheit, sei Schuld an allen Aufständen,
rufe eine zweite, nothwendige, noch viel schrecklichere Revolution
hervor, sei schuldig am Untergange alles Bestehenden. -- So legte man
die eigene Schuld auf die Schultern der Unschuldigen, gegen eigenes
Wissen und Gewissen. Nachdem 6-8 Redner, alle von der Linken, sich
immer wiederholend ausgetobt hatten, legte Herr Bassermann in einer
einfachen, aber schlagenden Darstellung, die Wahrheit so vor Augen, daß
Keiner etwas zu erwidern wußte. Hierauf rechtfertigten die Vorsteher
der einzelnen Ausschüsse ihr Thun, und erwiesen den großen Fleiß und
die Anstrengungen derselben in einer Weise, daß jeder Unbefangene das
Geschrei der Linken mißbilligen mußte, und ihr mit Recht vorgeworfen
wurde: +sie+ sei hauptsächlich (wie am heutigen Tage) Schuld an
der Zeitvergeudung. -- Ungeschreckt bestieg Herr Schlöffel ein anderes
Paradepferd und verlangte mit groben, aufgebauschten Floskeln: daß die
Versammlung auf der Stelle die Unverletzlichkeit der Abgeordneten,
gegen hochverrätherische Fürsten, Behörden und Beamten dekretire. Und
zwar ging die Absicht dahin, alles und jedes Thun, auch außerhalb
der Versammlung zu sanktioniren. Als vor Kurzem von den Gefahren
durch Aufstände, Empörer u. dgl. die Rede war, hielt die Linke jede
Schutzmaßregel für überflüssig; jetzt schlug sie die strengsten
Maßregeln nach oben vor, während sie der dringenden Gefahr vom
souverainen Pöbel her, gar nicht erwähnte. Zuletzt fielen alle unnützen
Vorschläge mit großer Stimmenmehrheit durch. Überhaupt ist die hiesige
Versammlung besser zusammengesetzt und hat mehr Talent und Haltung,
als die berliner. Bleiben Revolutionen außerhalb derselben nur aus;
durch die Versammlung selbst wird mancher Fehler begangen, aber nicht
Anarchie +vorsätzlich+ hervorgerufen werden.

Ich muß die Forderung der Wähler, daß Sydow und Bauer ihre Stellen
niederlegen sollen, durchaus mißbilligen. Sie hebt Form und Wesen
der Repräsentation ganz auf, macht die Gesetzgebung von dem
leidenschaftlichen und windigen Belieben der Massen abhängig,
verwandelt die Abgeordneten in bloße Boten und Knechte, vertilgt
alle Festigkeit und Dauer gesetzlicher Bestimmungen und begründeter
Überzeugungen. Wenn wider jene Forderung gar kein ernstlicher
Widerspruch erhoben wird, so ist dies ein Beweis jämmerlicher
Furchtsamkeit, oder völliger Unwissenheit über geschichtliches, sowie
philosophisches Staatsrecht.

Unsere Sitzungen in Frankfurt werden von jetzt an immer wichtiger
werden. Der Ausschuß für Bildung einer vollziehenden Gewalt, hat
seine Vorschläge eingereicht (ich lege ein Exemplar bei) und der
Verfassungsentwurf wird (so weit er die Volksrechte betrifft) auch
schon in dieser Woche zur Berathung kommen. Über diese Berathungen
künftig mehr.



Vierzehnter Brief.


    Frankfurt a. M., den 18. Junius 1848.

Es mag kindisch von mir sein, aber ich kann mich gar nicht trösten über
den Sturz unserer schönen Linde! Mir ist als wäre mir ein treuer Freund
gestorben, von dem ich überzeugt war, er würde mich lange überleben.
Ist es aber, bei allem gerechten Schmerze, nicht zuletzt ein schöner
Tod? Durch die mächtige Hand des Himmels abgerufen in der Pracht seiner
Jugendblüthe, betrauert, beweint, bevor die Wurzeln nicht mehr den
Boden festhalten konnten, bevor die in Blättern und Blüthenreichthume
glänzende Krone vertrocknete, die kühnen Aeste zu Boden fielen, die
Theilnahme erlosch, und ein Todesurtheil von frierenden Gesellen oder
einem eigennützigen Bauherrn über ihn ausgesprochen ward. Ich möchte
mir wünschen, statt in die kalte Erde gelegt zu werden, in den Flammen
seines duftenden Scheiterhaufens gen Himmel zu steigen; denn hier --
geht es ohnehin mit mir zu Ende. -- Laßt nur bald ein Bäumchen an die
Stelle des Baumes pflanzen; obwohl der nach meinem Tode auch bald von
Baulustigen wird umgehauen werden. Auf dem jetzt betretenen Wege kann
es indessen bald dahin kommen, daß in der Residenzstadt Berlin die
Bäume wild wachsen und die Häuser einfallen.

Doch wozu Euch und mich noch weicher stimmen; indessen wechselt Wehmuth
und Zorn. Vielleicht stählt man sich auf diese Weise am besten. Ich
lasse mir aber auch eine Zerstreuung gefallen. Hr. Andre, von dem ich
das Fortepiano gemiethet, lud mich (wie anliegende Karte zeigt) zu
einem musikalischen Morgenvergnügen. Während des wehmüthigen Adagio
von Mozart dachte ich immer an unsere Linde. Sie war mir das Bild der
Vergänglichkeit für Blumen, Bäume, Städte, Throne, Völker. Ich mußte
mich zusammennehmen, um nicht (zu Ehren der Virtuosen) allzu gerührt
zu erscheinen. -- Hr. Jaell ist ein sehr fertiger Klavierspieler. Das
Vorgetragene litt jedoch meist an den neumodischen Schwierigkeiten,
Willküren und Kunststücken. Insbesondere war durchaus unbegreiflich,
warum Hr. Willmers sein Werk „ein Sommertag in Norwegen“ betitelt
hatte. Möglich, daß ein Paar norwegische Noten darin versteckt und
verdeckt waren, giebt das aber eine Analogie zu einem Sommertage? -- Im
Ganzen ward Alles gut ausgeführt, und beim Herausgehen besah ich mir
die frankfurter Damen. Gemischter Art, wie meist überall.


    Den 19. Junius.

Gestern Abend sah ich zwei Akte der Jüdin von Halevy. Die Aufführung
war besser wie die Musik selbst. Diesen Componisten liegt Alles zur
Hand: mehr wie sechs Oktaven auf und ab, viele sonst unbekannte oder
vervollkommnete Instrumente, große Vorbilder u. s. w.; und dennoch
verstehen sie daraus nichts zu erbauen, was Haltung, Maß, Styl,
Einheit hätte. Sie bringen es nicht über ein betäubendes Chaos der
Quantität. Nach zwei Akten begab ich mich, matt und zerschlagen, mit
dem Gymnasialdirektor Nizze auf die Flucht, um einen Spaziergang um
die abendliche Seite der Stadt zu machen. Himmel und Erde prangten in
gleicher, harmonischer Schönheit; wogegen das Treiben der Menschen sich
jetzt in lauter unaufgelöseten Dissonanzen gewaltsam weiter, -- oder
in unfruchtbarem Kreise --, bewegt. Laß es Dich nicht gereuen, für
vergängliche Blumen gesorgt und Dich daran erfreut zu haben. Nur das
Vergängliche bedarf und verdient unsere Sorgfalt, und den Tagen des
Sturmes und Hagels folgen in diesem und dem künftigen Jahre, auch Tage
heiteren Sonnenscheins. Darum sorge, nach wie vor, für den Garten.

Die spikersche Zeitung vom 17. hat doch einigen Trost gebracht:
Milde’s Erzählung, Sydow’s Erklärung, andere Stimmen für Ordnung und
Recht, Blesson’s Abdankung u. s. w. Wenn aber nicht ein Mann von
beherrschendem Muthe und großer Kraft an die Spitze der Bürgerwehr
kommt, bleibt Alles schwankend und unsicher.

Wenn es genügender Trost ist, Unglücksgefährten zu haben (~socios
malorum~), so könnten wir fast zur Heiterkeit zurückkehren, so viel
übler sieht es aus in Neapel, Prag, Paris. Im Fall die französische
Republik an den heranrückenden Gefahren stirbt, schwindet manche
Hoffnung deutscher Demokraten (welche z. B. in Maueranschlägen den
hiesigen Reichstag auffordern, Hecker höflichst einzuladen); aber ob
wir dann nicht noch schneller in Krieg verwickelt werden, läßt sich
nicht voraussehen. Louis Napoleon ist, des bloßen Namens halber, weder
ein Friedens- noch ein Kriegsheld; sondern ein Aushängeschild, eine
Firma, für welche Andere handeln wollen.

Heute beginnt die Berathung über die einstweilige vollziehende Gewalt.
Die Ansichten gehen weit aus einander, und die Bemühungen der Linken,
durch Unterschriften (+vor+ aller Berathung und Erörterung) eine
Verpflichtung zu +bestimmtem+ Abstimmen herbeizuführen, muß ich,
mit vielen andern tüchtigen Männern bestimmt mißbilligen. Zu den
Hauptfragen und Streitpunkten dürften folgende gehören:

1) Ist es nothwendig, oder nicht nothwendig, vor Entwerfung einer
dauernden Verfassung, auf kurze Zeit eine vollziehende Gewalt vorläufig
zu gründen?

2) Soll dieselbe anvertraut werden 1, 3, oder mehr Personen?

3) Wer soll dieselben ernennen? Die Regierungen; oder in welchem
Verhältniß sollen diese an der Ernennung Theil nehmen?

4) Welche Rechte soll die vollziehende Gewalt erhalten?

5) In welcher Weise soll sie ihre Beschlüsse zur Ausführung bringen?

6) Welche Minister sind nothwendig, und welche Stellung sollen sie zu
den Direktoren und zum Reichstage erhalten? u. s. w. u. s. w.

Ihr seht, des Stoffes ist genug zu Streit und zu Versuchen. Die
Woche wird wohl hingehen, bevor wir zu einer, hoffentlich nicht ganz
thörichten, Entscheidung kommen.

Die Sitzung dauerte heute von 9-½3 Uhr. Zuerst ein Bericht über die
böhmisch-tschechische Frage, wo man beschloß, eine große Proklamation
zu erlassen, während man die Deutschen in Prag todtschlägt.

Zu den alten 17 Anträgen über die neue vollziehende Gewalt, waren
34 neue gekommen, und 113 Redner meldeten sich. Der Vorschlag, daß
+Alle+ vor dem Schlusse gehört werden +müßten+, fiel Gottlob
durch, und eine allgemeine Untersuchung über die Nothwendigkeit der
Maßregel, ward für entbehrlich erklärt.

Die Linke war heute in den Erörterungen gewiß nicht die stärkere,
erfreute sich aber, wie natürlich, des Beifalls der Galerien. Ein Herr
-- ermüdete durch seine überlange und langweilige Rede, auch diese,
und einer meiner Nachbarn (ein wiener Advokat) schlief während der Zeit
wie eine Ratze. Nach einer verständigen Rede von Radowitz (an deren
voller Aufrichtigkeit jedoch Einige zweifeln) ließ sich ein Pfeifen,
oben, und vielleicht auch unten hören. Da verlor der Präsident Gagern
die Geduld und sprach von Ungezogenheiten und Bubenstücken; was das
Gesindel und die Schreivögel denn doch einschüchterte. Vortrefflich
redete Bassermann, sehr gut Dunker aus Halle; beide haben das
Verdienst, der Wahrheit und dem Rechte die Ehre gegeben zu haben. Der
ächte Sieg war auf ihrer Seite. -- Auf den Inhalt näher einzugehen,
fehlt mir heute die Zeit. Es wird genügen, künftig etwas über die
letzten Ergebnisse zu sagen.

Nach beendigter Sitzung hoffte ich ruhig bei Hrn. Jouy zu essen; zu
dem Tische hatten sich aber einige Studenten oder studentenartige
Kreaturen eingefunden, welche Deutschland durchzogen hatten und vom
Sinne und der Stimmung seiner Bewohner Dinge verkündeten, über die
man bittere Thränen hätte weinen können! In unseren Tagen (lehrten
die neugebackenen Propheten) giebt die +Macht allein+ das +Recht+.
Die Fürsten müssen gerichtet und weggejagt werden, ein Bürgerkrieg
ist nothwendig und nützlich u. s. w. Und in demselben Augenblicke,
wo der Wahnsinnige mit eiskalter Gleichgültigkeit diese furchtbaren
Behauptungen ausspricht und meint, die Ereignisse hätten immer und
allein +Recht+, erzählt er achselzuckend: man habe einen Deutschen zu
Prag im Wirthshause mit Biergläsern und seine Frau in ihrer Wohnung
todt geschlagen, und einen Andern lebendig gekreuzigt!! -- Mit
solchen Leuten hilft kein Streiten, diese Pestbeulen lassen sich mit
gewöhnlichen Arzneimitteln nicht heilen. Auch sind sie an den Gedanken
terroristischen Guillotinirens vollkommen gewöhnt und untersuchen
nur, wo und wie der Anfang zu machen sei. Ich eilte aus dieser, an
die schlechtesten Zeiten der Revolution erinnernden Gesellschaft
fortzukommen. Ja, die Franzosen hatten weit mehr Veranlassung zu ihrer
Tollheit, und es war wenigstens Methode in derselben. Baboeuf und
Consorten sind genial und großartig gegen diese fluchwürdigen, sich und
Andere aushöhlenden, leeren Schwätzer, Phrasendrechsler und lächelnden
Meuterer.

Die heutige Sitzung (20.) begann um 9 Uhr und endete ½3 Uhr. Zuvörderst
große Begeisterung, vermöge welcher erklärt wurde: ein fremder Angriff
auf Triest gelte für eine Kriegserklärung. Muth und Ehrgefühl genug,
aber vor der Hand keine Mittel, den Beschluß geltend zu machen. Ich
hoffe, Karl Albert wird deshalb die deutschen Handelsschiffe im
mittelländischen Meere nicht aufbringen lassen. Am Schlusse der
Sitzung war man drauf und dran, mit verkehrter Eil, ein Heer nach Prag
zu senden, um die Deutschen zu schützen. Wohlgemeint; noch ist aber
nach Zeugnissen von Böhmen die ganze tschechische Bevölkerung auf dem
Lande ruhig, und ein solcher Heereszug der Deutschen könnte leicht
einen neuen Hussitenkrieg entzünden. Endlich ging es durch, die Sache
zu ruhiger Ueberlegung an den bereits hiefür bestehenden Ausschuß
abzugeben.

Den Inhalt der mehrstündigen Berathung über die zu errichtende,
vollziehende Gewalt kann ich nicht einmal im Auszuge hier wiedergeben.
Nur einige unbedeutende Nebenbemerkungen können Platz finden. Doch
ist es keine Nebenbemerkung, wenn ich behaupte, die +Zögerungen+ und
die +Nichtigkeit+ der Regierungen habe jene +wichtige+ Frage ganz in
die +Hände der Nationalversammlung+ gebracht, und diese werde gewiß
durchsetzen, was ihr gefällt. Der wohlgemeinte Vorschlag des Hrn.
Bürgermeister -- --: die vollziehende Gewalt in die Hände Preußens zu
legen, war bei der Stimmung der Versammlung unzeitig, und ward mit so
schwacher Stimme und so ohne rednerisches Talent entwickelt, daß er
völlig zu Boden fiel. Unter den Rednern der Linken ist Robert Blum bis
jetzt der bedeutendste. Er benutzte die Schwächen seiner Gegner sehr
geschickt, wußte mit sophistischer Gewandtheit seine Ansichten und
Grundsätze für die leicht begeisterten Unwissenden glänzend vorüber zu
führen, und erhielt natürlich den lauten Beifall seiner Freunde und
der, noch immer nicht zu bändigenden, Galerie. Höchst langweilig war
dagegen die im sächsischen Dialekte hersyllabirte Rede eines ähnlich
Gesinnten. Jeder, sagte er, ist gleich bei der Geburt ein Souverain;
welche erhabene Äußerung viel Heiterkeit erregte. Welker sprach mit
großer Lebendigkeit für seine, im Verhältniß zur äußersten Linken,
conservative Ansicht. Ähnlich ein Wiener, von Würth; -- Beckerath
ruhig, gemüthlich, überzeugend.

Ich begreife allmälig, daß König F. W. III. alle Abende ins Theater
ging, um seine Regierungssorgen los zu werden; mir bleibt fast auch
nur dies Mittel, meinen Gedanken eine andere Richtung zu geben. So sah
ich (19.) gestern einige Akte eines dramatisirten Volksmärchens von
Musäus, wo der verzauberte Barbier sich lustig genug ausnahm. Diese
Posse des Abends war gewiß besser und ergötzlicher, als der wilde Ernst
der veralteten, im Kopfe verwirrten, im Herzen angefrorenen Jugend,
des Mittags. -- Den 20. Nachmittags machte ich einen Spaziergang rings
um einen großen Theil der Stadt. Die Umgebungen sind, ich wiederhole
es, in ihrer Art höchst reizend; und ich kenne keine Stadt, welche in
dieser Beziehung Frankfurt gleich zu stellen wäre.



Funfzehnter Brief.


    Frankfurt a. M., den 22. Junius 1848.

Die gestrige Sitzung dauerte von 9-½3, die Versammlung im
völkerrechtlichen Ausschusse von 6-8; hiezu Lesen, Vorbereitungen,
Geschäftsbesuche u.s.w. Es ist ein Wunder, daß man leiblich und geistig
diese Anstrengungen aushält. Auch werden Manche schon matt wie die
Herbstfliegen, und noch gestern bewunderte ein jüngerer Mann meine
67jährige Rüstigkeit. Dank sei dem Himmel, und daß ich immer der Natur
gemäß gelebt habe: nirgends zu +viel+, oder zu +wenig+. Denn das letzte
taugt auch nicht, und macht alt vor der Zeit.

Die Sitzung begann mit einem Berichte über die böhmischen Verhältnisse,
der die argen Uebereilungen zurückwies, denen man sich vorgestern
in falscher Begeisterung hingeben wollte. Erst wenn Österreich es
verlangt, wird der Bund Mannschaft nach Böhmen senden.

Hierauf Fortsetzung der Berathung über die Bildung einer vollziehenden
Gewalt. Es fehlt nicht an halbwahren Vergleichen, schiefen Bildern,
rhetorischen Kunststücken und vor Allem an +Grobheiten+ gegen
Bundesversammlung, Fürsten und einzelne Gegner. -- -- -- Ein anderer
Hauptredner der Linken, Herr --, sagte: ihr seid allmächtig! Verkündet:
es soll Niemand mehr Zoll bezahlen, und es bezahlt Niemand mehr;
sagt den Bauern, ihre Abgaben sollen aufhören, und sie hören auf.
Derlei demagogischer Unsinn fand nebenbei seine Widerlegung, als die
Rede darauf kam: ob jene Allmacht sich auch bei neuen +Forderungen+
zeigen würde? -- Lächerlich war es, als er die +Genügsamkeit+ der
Linken rühmte; zur Ordnung rief man ihn, als er sagte: wenn +hier+ die
Mehrzahl nicht thut was wir wollen, so haben wir +draußen+ mächtigere
Hülfe u. s. w. -- Sehr geschickt rief der Präsident Gagern +nicht+ zur
Ordnung, sondern sagte: man lasse den Redner ausreden, denn es ist
gut, daß wir erfahren, welche Mittel jene Herren anwenden können und
wollen. Den Schreiern folgten nun mehre Redner, welche auf die Sache
selbst eingingen, und statt der Phrasen und flacher Rhetorik, ernste
und oft witzige Gründe vorlegten. So Auerswald und Beisler. Endlich
erwies Vincke sein altes Talent und sprach seine Ansichten mit Kühnheit
und Geistesgegenwart aus, ohne sich durch das Ach und Oh seiner Gegner
einschüchtern zu lassen.

Wie haben sich die Zeiten geändert! Im vergangenen Jahre, wollte ihn
der König nicht sehen, er war im Verrufe bei allen Schwachköpfen, er
sollte seiner Stelle entsetzt werden; und jetzt vertheidigt er Könige
und Fürsten wider maßlose Angriffe! Ging und geht es mir aber nicht
ebenso? -- Wiederum erblickt man hinter allem Lobe der Demokratie, die
Hinneigung zur Diktatur und zum Terrorismus.

Im Ausschusse führte ich und der Hamburger Herr Heckscher einen
lebhaften Streit gegen das Ansinnen: der Berichterstatter in einer
Sache solle Thatsachen, Gründe, Gegengründe u. s. w. u. s. w.
buchstäblich niederschreiben und vorlesen. Es war auf ein Corrigiren
wie der Quintanerexercitia abgesehen, würde unsäglich viel Mühe und
Zeit kosten, ein unerträgliches, schriftliches Verfahren, an die
Stelle mündlicher rascher Verhandlungen setzen und folgerecht auch
ein Ablesen der Reden herbeiführen. -- Beim Abstimmen fiel, in Folge
unseres nachdrücklichen Widerspruchs, die, allweise sich anstellende,
Pedanterie zu Boden.

Nachdem alle diese Kelche geleert waren, ging ich mit einem gescheiten
Baier Hrn. Gombart, spazieren bis Bockenheim und hatte neue
Veranlassung die Anmuth der Umgegend, die Schönheit der Gärten und die
Mannigfaltigkeit der Landhäuser zu bewundern.

Ich freue mich über M--s muthige Äußerungen. Er hat ganz Recht, daß so
große Umgestaltungen in der Weltgeschichte nicht ohne Wehen und Verlust
abgehen können. Wenn man den Muth nicht verliert, nicht verzweifelnd
die Hände in den Schoß legt, so wird man im kleineren, wie im größeren
Kreise nützlich wirken und zur Erhaltung oder Wiedergeburt nach Kräften
beitragen. Das bloße Lamentiren (wie --) hilft zu gar nichts, auch üben
gewöhnlich persönliche Vortheile, oder Nachtheile einen großen Einfluß.
Bevor man sich nicht über diese Rücksichten erhoben hat, kann man gar
nicht unbefangen einwirken.

Die Linke ist in B. so schwach, wie hier; wenn man nach ächter
Erkenntniß und Politik fragt. Allein Vorurtheil, Fanatismus und
Ehrgeiz überflügeln oft in ihrer gewaltsamen Bewegung, alle Wahrheit
und Einsicht. +Gut+, daß Sydow und Bauer +nicht+ ausgetreten sind.
-- Schutz des Volkes ist ein wohlklingendes, verständiges Wort; wenn
aber der, Gesetze übertretende, Pöbel sich Volk nennt, soll man nicht
schwatzen und liebäugeln; sondern mit Muth und Kraft entgegentreten und
handeln.



Sechzehnter Brief.


    Frankfurt a. M., den 23. Junius 1848.

Ich dachte Euch heute endlich einmal einen recht fröhlichen Brief
zu schreiben, über den eingegangenen höchst wichtigen Bericht, die
Volksrechte betreffend. Nachdem wir hier so manches leere Stroh
gedroschen, handelt es sich von großen und wahren Fortschritten. --
Da langt die Nachricht von dem Abtreten des Ministeriums Camphausen
ein, welchem Ereignisse ich durchaus keine heitere, erfreuliche Seite
abgewinnen kann. Es fällt nämlich entweder durch eigene Schwäche
und Uneinigkeit, und das ist beklagenswerth. Oder es wird gestürzt
durch die steigende Macht der Linken; dann werden wir ein Ministerium
bekommen, wie das von Roland, Servan u. s. w. in Frankreich war, sich
stützend auf anarchische Massen, bis es in der allgemeinen Auflösung
mit hinweggeschwemmt wird. -- Oder das Ministerium zieht sich zurück
vor dem Könige, dem die Stellung eines constitutionellen Herrschers
nicht zusagt und der doch in der letzten Zeit nichts Erhebliches gethan
hat, seine wahren Freunde zu stützen und zu begeistern. Wer soll nun
der demokratisch-revolutionairen Klubs Herr werden, die in Berlin ihr
Nest aufschlagen wollen? Welch ein Mangel an wahren Männern, in Folge
einer Verwaltung, die allen Beamten die Flügel lähmte und den für
den besten hielt, der, wie ein begossenes Huhn, sich nicht über den
Boden erheben wollte und konnte! -- Suchen die Ultraroyalisten und
der König Hülfe bei den Russen, so trennt sich das übrige Deutschland
ohne Zweifel von den Preußen, und Vieles vom alten Sauerteige dürfte
in den neuen Brotteig gebacken werden. Beginnt man ohne fremde Hülfe
einen Bürgerkrieg, so ist der Ausgang sehr zweifelhaft: es könnte Reich
und Thron zusammenstürzen. Mit wahrem Muthe wäre jedoch Alles noch zu
retten. -- -- --

Es hatten verlangt über die vollziehende Gewalt zu sprechen,
189 Redner. Ein Zeichen parlamentarischer Ungeübtheit und
Plauderhaftigkeit. Ich steckte übrigens auch in jener Zahl, wußte
aber schon im Voraus, daß ich nicht an die Reihe kommen und der
Versammlung schon früher die Geduld ausgehen würde. Nun beschloß man
gestern: einigen vorhandenen, oder vorausgesetzten Parteien aufzugeben,
in +Privat+zusammenkünften je zwei Redner zu erwählen, die da noch
sprechen sollten. Ich schreibe deshalb heute dem Präsidenten: der
gestern gefaßte Beschluß, daß gewisse Personen in Privatzusammenkünften
eine Zahl Redner auswählen, alle übrigen aber schweigen sollen, mag für
den vorliegenden einzelnen Fall, als Nothbehelf zweckmäßig erscheinen;
sollte aber hierauf eine Regel gegründet werden, so müßte ich, mit
gleichgesinnten Freunden, dem Verfahren widersprechen, da es allen
parlamentarischen Gebräuchen zuwiderläuft. Denn alle Diejenigen würden
auf diesem Wege zu stetem Schweigen verurtheilt werden, welche für den
einzelnen Fall keiner bestimmten Partei beitreten; oder bei keiner
in Gunst stehen, oder (wie z. B. der edle Wilberforce und Andere in
England) es für ein Recht und eine Pflicht halten, ihre Unabhängigkeit
zu behaupten und die nicht blos scharfe Gegensätze erzeugen, sondern
für feste, positive, erreichbare Zwecke vermitteln möchten. Dem
Andrange einer Überzahl von Rednern, kann unseres Erachtens nur dadurch
abgeholfen werden, daß Mehre nach freundlicher Verabredung ihre Namen
ausstreichen lassen, wodurch die +Erwünschteren+ (aber in +anderer
Form+) an die Spitze kommen; oder daß die +volle+ Versammlung unter
den aufgeschriebenen Rednern aller verschiedenen Richtungen eine Wahl
trifft; oder daß sie die Berathung schließt, was parlamentarisch allen
Ansprüchen ein Ende macht.

Ich durfte so etwas sagen, da ich mich nie zum unnützen Reden
vordrängte und das eine Mal nur um wichtige Thatsachen vorzulegen.

Trotz aller, zum Theil gerechten Vorurtheile, die man gegen das
frühere Wirken von Radowitz hat, sprach er heute so verständig und
würdig, daß er (selbst für Abweichendes) Gehör fand. Desto mehr
phraseologirte Hr. Zitz, desto ungeschlachter und gröber ließ sich
Hr. -- vernehmen. Letzt soll er gesagt haben: damit es gut werden
könne, müsse man +Basser+männer und +Bieder+männer, und alle
ähnlichen +Männer+ köpfen. Mit ähnlichen Andeutungen, bedient
er die Fürsten und ein anliegender Antrag von Mareck zeigt, was man
amtlich zu fordern wagt! Als eine zweite Probe der Thorheit, lege ich
die erstaunenswürdigen Vorschläge des Eisenacher Studentenparlamentes
bei. Welche schöne Aussicht für die Professoren! Denn als Gegenstück
der Freiheit, keine Vorlesungen mehr zu hören, wird man doch den Satz
aufstellen: der Professor brauche keine mehr zu halten. Stoff zu
heiteren Lustspielen, den Raupach benutzen und ausarbeiten sollte. --
Bis jetzt glaubte ich, der Präsident Gagern stehe von Allen anerkannt,
ruhig und sicher auf der Tageshöhe; gestern Abend haben ihm aber
Souveraine von der Galerie und anderes Gesindel, eine Katzenmusik
gebracht. Einen Antrag Venedey’s hierüber eine Discussion zu eröffnen,
lehnte er mit Recht ab; da die Frankfurter sich nicht so nachtmützig
benommen haben, wie die Berliner. Sie schlugen drein, verhafteten
sogleich Mehre und einer der über eine Mauer entfliehen wollte,
brach (wie man erzählt) ein Bein. Man munkelt von Einwirkungen höher
gestellter Wühler. Ob derlei Leute mitschreien und mauzen, oder nicht,
gilt gleich; gewiß erregen ihre heillosen Reden zu Thaten solcher Art.
Hoffentlich schreckt der bewiesene Ernst der hiesigen Bürgerwehr von
Wiederholungen ab, und hätte man in Berlin nicht Alles mit weißer Salbe
bestrichen, hätte man den Spruch befolgt ~principiis obsta~,
würde man nicht ungestört im Zeughause plündern und hernach -- -- --



Siebzehnter Brief.


    Frankfurt a. M., den 24. Junius 1848.

Ich könnte mich allmälig für einen großen Diplomaten halten; denn ob
ich gleich den Polen, und den Abgeordneten aus Trient und Roveredo
(Pretis, Vettorazzi, Marsilli und Prato) mit gewohnter Aufrichtigkeit
sagte, hinsichtlich welcher Hauptpunkte ich bestimmt +gegen sie+
stimmen würde, sahen die Letzten doch, wie bereit ich war, in
+möglichen+ Dingen ihre Wünsche zu unterstützen. Und so schieden wir
als die besten Freunde; auch versprachen sie mir die beste Aufnahme,
wenn ich je wieder in ihre Gegend kommen sollte.

Soeben sehe ich, zu einigem Troste, aus der spikerschen Zeitung vom
22. d. M., daß sich endlich kräftige Stimmen für Recht und Ordnung in
Berlin erhoben, damit die Schande des Benehmens nicht Alle treffe, und
die Rückkehr zum Besseren angebahnt werde.

Die heutige Sitzung war sehr lang (9-3 Uhr), aber doch nicht
langweilig, vielmehr ward überwiegend gut gesprochen, und man schien
sich einem erfreulichen Ziel zu nähern. R. Blum begann in seiner
gewöhnlichen, geschickten, aber allerdings mit Sophismen durchzogenen
Weise. Doch versprach er ohne Bitterkeit und Persönlichkeit zu reden,
und hielt auf löbliche Weise sein Wort. Ähnlich Lichnowsky, obgleich
von ganz entgegengesetztem Standpunkte ausgehend und ihm vollgewichtig
die Wage haltend. -- Vogt aus Gießen schwächer, in Phraseologie
verfallend, Zweifelhaftes als unläugbar, Vorausgesetztes als erwiesen
hinstellend u. s. w. Raveaux brachte durch eine vorsätzliche
Seitenwendung die Rede auf die bekannte freundliche Erklärung
Frankreichs gegen Deutschland. Mit allgemeiner Begeisterung ward diese
Freundlichkeit von allen Seiten erwidert, zu gleicher Zeit aber mit
nicht geringerem Beifalle hinzugesetzt: jeder Verletzung deutscher
Rechte und Gränzen werde man einig und mit aller Kraft entgegentreten.
Beides war +gut+ und +löblich+. -- Ich übergehe Personen und Inhalt
anderer Reden; erst die des Präsidenten Gagern war praktisch, erneute
die Aufmerksamkeit und +überraschte sehr+ in zweifacher Weise.
Erstens durch die (von der Linken mit lautestem Beifall aufgenommene)
Erklärung: die +Versammlung+ solle den Reichsverweser, +ohne+ weitere
Theilnahme der Regierungen, ernennen; aber derselbe solle (der Rechten
gelegen) kein Privatmann, sondern Fürst aus einem der ersten Häuser
sein. Die Wahrscheinlichkeit ist hiedurch sehr gewachsen, ~a)~ die
Versammlung werde allein wählen; ~b)~ der Erwählte werde ein Fürst,
~c)~ es werde der Erzherzog Johann von Österreich sein. -- Nach vielem
Hin- und Herüberlegen möchte dies, aus vielen Möglichkeiten, der
beste Ausweg sein; oder wenigstens praktisch weniger Schwierigkeiten
und Widersprüche herbeiführen, als irgend ein anderer Vorschlag.
Jeden Falls ist es sehr wünschenswerth, daß sich für den zu fassenden
Beschluß eine +sehr große+ Mehrzahl ausspreche, und demselben dadurch
ein unentbehrliches Gewicht gebe.

Mit wie erstaunlichem Nachdruck tritt das ganz für aufgelöset erachtete
Österreich in Böhmen und Croatien auf. In Prag dieselben Schüsse (wie
in Berlin, Paris u. s. w.), dasselbe Geschrei von Verrath; dann aber
eine Entschlossenheit, welche nicht blos daraus hervorging, daß man des
Fürsten W. Gemahlin mörderisch erschossen hatte.



Achtzehnter Brief.


    Frankfurt a. M., den 25. Junius 1848.

Ich freue mich jetzt auf den Sonntag, wie ein schwer belasteter
Tagelöhner, und danke dem Himmel, daß der Vorschlag, auch an diesem
Tage Sitzung zu halten, verworfen ward. Gestern dauerte diese von 9-3
Uhr, hierauf Ausschuß von 6-8, endlich im Weidenbusche (nach eiligem
Abendbrote) Berathung von ½9-10 Uhr, Summa 9½ Stunde Berathungen,
und in den kurzen Zwischenzeiten die Pflicht gar vielerlei zu lesen und
zu hören.

Von der gestrigen Sitzung berichtete ich schon; im Ausschusse
wurden deutsche und wälsche Abgeordnete Tirols, sowie Österreicher,
gehört (davon künftig); zur Versammlung im Weidenbusch mußte ich
diesmal, meiner Pflicht halber, hingehen. Ich setzte nämlich (gleich
den Meisten) voraus: Hr. von Gagern werde seinen +untrennlichen+
Vorschlag +ungetrennt+ zur Abstimmung bringen; das heißt: ~a)~ Wahl
eines +Fürsten+, ~b)~ durch die +Versammlung+. Denn wenn das letzte
mit Stimmenmehrheit angenommen, das erste aber verworfen würde, so
hätte man sich auf einen Weg verlocken lassen, den sehr Viele gar
nicht betreten wollen. Nun will aber Hr. v. Gagern über seinen,
spät eingebrachten Vorschlag, gar nicht abstimmen lassen; sodaß
seine Rede nur die Wirkung haben dürfte, Manchen für die Wahl durch
die Versammlung zu stimmen, ohne jene erste wichtige Hälfte irgend
zu berücksichtigen. Hiedurch ward es doppelt nothwendig, sich über
die bevorstehende Fragestellung zu einigen und den Forderungen der
Linken, die des Centrums und der Rechten gegenüber zu stellen. Dies
ist geschehen; der Ausfall der Abstimmung aber noch gar nicht mit
Sicherheit vorherzusehen. Der Ausschuß hat seine frühern Vorschläge
wesentlich verändert, und Viele hoffen auf ihre Annahme (weil sie
die Theilnahme der Regierungen nicht ganz ausschließen), während die
Linke die Entscheidung allein in die Hand der Versammlung legen, und
die völlige Auflösung des Bundestages sogleich beschließen will. In
so weit als dessen früherer Wirkungskreis durch die neuen Gesetze
aufgehoben wird, nimmt er gewiß ein Ende; es ist aber gar viel
nachzuweisen, zu überweisen, Rechnung abzulegen u. s. w.; auch wird
der künftige Präsident, oder Reichsverweser und seine Minister immer
Personen bedürfen, durch welche er sich mit den einzelnen Staaten in
Verbindung setzt und auf sie wirkt. Jeden Falls ist dies nur möglich,
wenn der unbekannte +Eine+ (der Vorschlag 3 an die Spitze zu stellen
wird schwerlich durchgehen) wirklich das allgemeine Vertrauen
genießt, wenn er zur Weisheit, Mäßigung gesellt, und die Einigkeit
Deutschlands mehr ist als ein leeres Wort. Übel blieb es, daß man sich
immer in ~abstracto~ über die +Eins+ und die +Drei+ stritt, über diese
unbenannten Zahlen und bloßen +Quantitäten+; während noch mehr auf die
+Qualitäten+ ankommt, und jene Zahlen erst durch scharfe Benennung
und Bezeichnung die rechte Bedeutung und das rechte Gewicht erlangen
können. Aber selbst durch diese Bezeichnung der Person und ihres
Wirkungskreises sind die Schwierigkeiten nicht gehoben, welche sich
Jahrhunderte lang durch die deutsche Geschichte hindurchziehen, über
das Verhältniß der Kaisergewalt zur Fürstengewalt, und des Reiches
zu den einzelnen Staaten. Das +eine deutsche+ Heer z. B., welches
mehr oder weniger vom Reichsstatthalter abhängen soll, wird immer +zu
gleicher Zeit+ ein preußisches, österreichisches u. s. w. bleiben;
und ein Befehl von Frankfurt aus schwerlich überall raschen Gehorsam
finden, sofern er nicht mit Dem übereinstimmt, was man in Wien, Berlin,
München u. s. w. will. Hätte +hier+ die Versammlung (ihre Befugniß
überschreitend) sich noch mehr Kriege auf den Hals geladen; soll der
Ungehorsam für Hochverrath an Deutschland gelten? So hat schon der
einseitige Beschluß, Schleswig in den deutschen Bund aufzunehmen, die
übelsten Folgen gehabt; und man war unfolgerecht drauf und dran, in
thörichter Begeisterung ganz Posen umgekehrt den Polen zu opfern.
Doch, ich will nicht blos verneinen; man +muß+ auf dieser Bahn mit
Hindernissen vorwärts, man kann das unglückliche Provisorische jetzt
nicht mehr ganz vermeiden, man wird durch Feststellung der Volksrechte
einen +löblichen+ Grund zu einer +neuen+, +wichtigen+ Entwickelung
legen. Welche Anarchie, oder Despotie uns auch noch bevorstehen mag;
gewisse +große+ Wahrheiten und Grundsätze lassen sich (wenn sie einmal
mächtig in die Weltgeschichte eingetreten sind), auf die Dauer nicht
wieder ausrotten. Von solchen +politischen+ Grundsätzen war beim Sinken
des römischen Reiches nicht die Rede, und dogmatische Spitzfindigkeiten
konnten ihren Mangel nicht ersetzen. Darum fehlt es der Behauptung
an zureichenden und nothwendigen Gründen und Beweisen: wir gingen
unausbleiblich einer byzantischen Auflösung entgegen. Geschieht es
dennoch, so ist es Schuld der Einzelnen und der Völker; die natürlichen
Verhältnisse stellen eine solche Krankheitsgeschichte und einen solchen
Tod noch nicht als +unausweichlich+ vor Augen.


    Den 26. Junius.

Gestern waren zwei Versammlungen der Rechten und des Centrums im
Sarazin’schen Hause und im Weidenbusche, um sich über den hinsichtlich
der vollziehenden Gewalt einzuschlagenden Weg zu berathen. Dort fast
lauter Preußen, hier Abgeordnete aus allen Theilen Deutschlands.
Besonders in der letzten zeigte sich wieder ein großer Mangel an
parlamentarischer Zucht, und wie die angeblich Gleichgesinnten eben
nicht gleich gesinnt sind, es sei aus Mangel an Muth oder an Einsicht.
Während sich die Linke und das linke Centrum klüglich zu +einem+
Zwecke geeinigt haben und kleinere Verschiedenheiten fallen ließen,
fanden sich in dieser Beziehung in unseren Versammlungen die größten
Verschiedenheiten und Unbestimmtheiten. Ich gebe Beispiele: Man muß
bei der Mangelhaftigkeit der bisherigen Beschlüsse und der vorgelegten
Fragstellung, neue zweckmäßige Anträge machen (Tellkampf). -- Man muß
an den bisher vertheidigten Grundsätzen für wesentliche Theilnahme der
Regierungen bei Ernennung der vollziehenden Gewalt festhalten, und sich
selbst um so weniger aufgeben, da Herr von Gagern für die alleinige
Wahl durch die Versammlung, keine neuen Gründe beigebracht hat, und
eine solche auch keineswegs überall in Deutschland Beifall finden würde
(Radowitz, Vincke). -- Es genügt zu sagen: die Versammlung wählt, unter
+Voraussetzung+ der Beistimmung aller Regierungen (Beckerath). --
Sie wählt im +Vertrauen+ auf eine solche Beistimmung (Duncker).
-- Hrn. von Gagern’s Rede hat so viel Eindruck gemacht, daß es
vergeblich ist, sich für eine Theilnahme der Regierungen auszusprechen.
Man muß ein Princip aufgeben um der guten Sache willen, um eine große
Mehrzahl für den zu fassenden Beschluß zu erhalten, und dadurch eine
willige Anerkenntniß und kräftige Wirksamkeit für die neu zu schaffende
Gewalt herbeizuführen (Saucken, Simson) u. s. w. u. s. w.

Ich that auch einmal (ausnahmsweise) den Mund auf, und mag im
Wesentlichen Folgendes gesagt haben: Herr Tellkampf’s Antrag dürfte an
sich der beste sein, da er aber den gefaßten Beschlüssen widerspricht,
würde er gewiß, nach fruchtlosem Streite, verworfen werden. Doch kann
ich nicht unbemerkt lassen, daß die Art und Weise, wie man die Redner
gewisser Parteien wählen ließ und +allein+ ihnen das Wort verstattete,
ganz unparlamentarisch ist, und gutentheils die jetzige üble Lage
herbeigeführt hat. (Siehe was ich hierüber bereits früher schrieb.) --
Die Besserungsvorschläge der Herren Beckerath und Duncker sind ganz
ungenügend und bloße Worte. Denn die äußerste Linke wird sehr gern
+voraussetzen+ oder das +Vertrauen haben+, daß die Regierungen sich
ihren Vorschlägen und Wahlen +unterwerfen+. Jene Fassung läßt den
Regierungen gar kein +Recht+ der Bestätigung oder Verwerfung. Früher
schlug der +Ausschuß+ vor, die Regierungen sollten bezeichnen oder
wählen, und die Versammlung bestätigen. Will man jetzt die Reihenfolge
umkehren, so muß den Regierungen das Bestätigungsrecht bleiben. Will
man sich (lang vertheidigte Ansichten aufgebend) den Vorschlägen des
Hrn. von Gagern unterwerfen; nun so muß man sie wenigstens nicht
halbiren, und sich dadurch eine vollständige Niederlage zuziehen.
Will man die Wahl +allein+ der Versammlung zugestehen, so soll
vorher und als Ausgleichung, Gagern’s zweiter Vorschlag von den
Gegnern ebenfalls angenommen werden: nämlich, daß die Wahl auf einen
+Fürsten+ und nicht auf einen +Privatmann+ fallen müsse. Praktisch
mögen die Formen unbedeutend sein: denn Versammlung und Regierungen
können unter den gegenwärtigen Verhältnissen keinen Mann wählen oder
vorschlagen, der nicht der allgemeinsten Achtung genösse. Wie aber,
wenn dieser (etwa der Erzherzog Johann), der lästigen Bedingungen
halber, ablehnte; wenn dies ein Zweiter, ein Dritter thäte, so könnte
(beim Mangel aller gesetzlich regelnden Bestimmungen) Hr. Blum oder
Hr. Zitz zum Reichsverweser erwählt werden. Man sagt: um ein gutes
Ziel zu erreichen, muß man das Geringere, ein Princip, aufgeben.
Ist dies falsch, so versteht es sich von selbst, daß eigensinnige
Aufrechthaltung desselben nichts taugt; ist es aber richtig, so kann
dessen Vertheidigung der guten Sache nichts schaden. Nur eine schlechte
Sache verträgt sich nicht mit einem wahren Grundsatze. Auch handelt es
sich gar nicht um einen einzelnen Fall, um eine einzelne, sogenannte
gute Sache, sondern um einen folgereichen, allgemeinen Grundsatz.
Eine starke Minderzahl für denselben wirkt heilsamer, als eine durch
schwächliche Nachgiebigkeit erkaufte große Mehrzahl, hinter welcher
sich Irrthümer und die künftigen bösen Folgen nur zu leicht verbergen.
Geben wir zu: daß +eine Kammer+ überall ausreiche, daß sie +allmächtig+
sei, daß neben ihr in Deutschland +gar keine gesetzliche+ Gewalt mehr
bestehe, daß +alle+ Regierungen sich ihr +unbedingt+ unterwerfen
müssen; so ist es unnütz und thöricht, über irgend einen einzelnen
Punkt noch mit der Linken zu streiten. Sie hat obgesiegt, und wird uns
+aus+ allen unhaltbar gewordenen Stellungen vertreiben.

So ungefähr mein Stoßseufzer. Ich verließ, des Lärmens müde, die
Versammlung im Weidenbusche vor dem Schlusse; hoffe jedoch, die größere
Zahl wird sich dafür geeinigt haben: die Wahl +müsse+ auf einen
Fürsten fallen und die Bestätigung der Regierungen eingeholt werden.
Darohne mag der Reichsverweser viel befehlen, aber er wird wenig
Gehorsam finden, und seiner Stellung bald überdrüssig werden. Man hätte
die Zeit der weitläufigen Verhandlungen über ein kurzes Provisorium
lieber auf die eilige Entwerfung der Verfassung wenden, und wo möglich
ein Definitivum zu Stande bringen sollen.

Es mag wahr sein, daß die Regierungen lieber bestätigen, als
vorschlagen, um dadurch bevorstehenden Vorwürfen leichter zu entgehen;
ja manche sagen: wählt nach den Wünschen der Linken, um diese zu
beruhigen. Wird denn aber der Erwählte nebst seinen Gehülfen wirklich
in Ruhe verbleiben? Wird nicht der Lärm, nebst den Uebergriffen,
in höherem Wirkungskreise noch weit gefährlicher? Und zeigen nicht
abschreckende Erfahrungen, daß erwählte Parteihäupter schnell Anhang
und Einfluß verlieren, und denen Platz machen müssen, die sie wild
überbieten? Uebergeben Einzelne nicht schon jetzt der Versammlung
Vorschläge, alle Fürsten wegzujagen; das heißt, einen unabsehlichen,
entsetzlichen Bürgerkrieg zu beginnen? Bei dem Systeme, überall feige
Concessionen, Zugeständnisse zu machen, wird es auch +dahin+
kommen, und bei einer Volksversammlung in Höchst haben Einzelne gestern
gesagt: wenn die Reichsversammlung in der Paulskirche heute nicht so
stimme, wie man es fordere, werde sie gar nicht mehr stimmen. Einem
hierüber Erschrockenen und Furchtsamen entgegnete ich: es sei noch gar
nicht davon die Rede, auf curulischen Stühlen zu sterben, sondern etwa
Eindringende hinauszuwerfen und sie ledergar zu prügeln. Dazu seien 600
+unverletzliche+ Reichstagsabgeordnete stark genug; -- die höchst
entschlossene, muthige Bürgerschaft Frankfurts ungerechnet. So, um Muth
zu machen!

Ich komme aus der Vormittagssitzung (9-2 Uhr), welche recht deutlich
zeigte, wie üble Folgen scheinbar unbestrittene, aber verkehrte
Beschlüsse haben. Die Art, wie man Vielen das Wort versagte, und nur
einer willkürlichen Zahl von Parteimännern das Recht zu sprechen gab,
+schien+ übermäßige Weitläufigkeiten abzuschneiden und rasch zum
Ziele zu führen. Aber es +schien+ nur so; und es traten seitdem
allmälig alle die Uebelstände ein, welche ich vielen Abgeordneten
-- vergebens -- weissagte, und die ich in meinem Schreiben an den
Präsidenten wenigstens zum Theil bezeichnete. Viele Punkte wurden
nämlich gar nicht oder einseitig erörtert, und nachdem man darüber zur
Besinnung kam, wuchsen Einwendungen hervor, welche (seitdem man sich
einmal auf einen falschen Weg begeben hatte) keine gute Statt finden
konnten. Heute kamen also (gegen meinen Rath) von einigen Gliedern der
rechten Seite Verbesserungsvorschläge (Amendements) zum Vorschein,
denen die Linke, wie vorherzusehen, mit der Einrede entgegentrat:
daß dies, zufolge der Geschäftsordnung, nach dem Schlusse der
Berathung, nicht mehr erlaubt sei. Man erwiderte: ein solcher Schluß
sei noch nicht vorhanden, und nach +einer+ Abweichung von der
Geschäftsordnung sei es natürlich und nothwendig, deren +mehre+
zu gestatten. Meine Behauptung: die Linke werde, wenn man sich auf
diesen Boden begebe, Stimmen gewinnen und obsiegen, bestätigte sich so
sehr, daß selbst Radowitz und Vincke ihren Einwendungen beistimmten!!!
So die Einigkeit und Weisheit der Antirevolutionairen!! -- Hiezu kam
der innere Mangel der Verbesserungsvorschläge selbst. So schlugen Hr.
Bassermann und von Auerswald vor: „Die provisorische Centralgewalt wird
einem +nicht regierenden+ Mitgliede eines deutschen Regentenhauses
als Reichsverweser übertragen. Die Nationalversammlung wählt denselben
im +Vertrauen+ auf die Zustimmung der deutschen Regierungen.“
Hiegegen konnte man (selbst vom Centrum aus) fragen: warum sollen alle
+regierenden+ Fürsten ausgeschlossen werden? Man konnte (wie ich
schon oben) behaupten: die Redensart von Vertrauen sei inhaltslos und
führe zu gar nichts. Der Mangel an Entschlossenheit und Sicherheit
hinsichtlich der Ansichten und Zwecke offenbarte sich überdies von
Neuem, als Hr. Bassermann den Vorschlag +zurücknahm+, Hr. von
Auerswald aber daran festhielt. So blieben nicht einmal die Urheber
des Antrags eines und desselben Sinnes! Nun trat aber, nach ertheilter
Erlaubniß, auch die Linke mit neuen Behauptungen und Anträgen hervor:
„man habe keinen Grund, den Regierungen zu vertrauen, man müsse alle
Fürsten bestimmt von der Wahl ausschließen u. s. w.“ So ward denn die
fünfstündige Schlacht verloren, und in der auf heute Nachmittag 5 Uhr
anberaumten Sitzung werden höchst wahrscheinlich alle Vorschläge der
Rechten zurückgenommen, um wenigstens die +neuen+ Batterien der
Linken zu entwaffnen.


    Den 27. Junius.

Das war ein Jammer! Hr. Heckscher hatte zu dem Verbesserungsvorschlage
des Hrn. v. Auerswald einen anderen gestellt, des Inhalts: „Die
provisorische Centralgewalt wird einem Reichsverweser übertragen,
welchen die Nationalversammlung im +Vertrauen+ auf die Zustimmung
der deutschen Regierungen wählt.“ Man widersprach nun von der Linken
dem Anbringen jedes neuen Vorschlags, und insbesondere den letzten
Worten desselben. Mir schien es überhaupt unnöthig über diese
nichtssagende Formel großen Streit zu erheben; wenn man die Hauptsachen
(Vorschlags-, Ernennungs- oder Bestätigungsrecht der Regierungen)
aufgab. Hr. Heckscher weigerte sich seinen Vorschlag zurückzunehmen
(wonach man, der Billigkeit gemäß, auch der Linken das Recht einräumen
mußte neue Vorschläge zu machen), und sagte bei dieser Gelegenheit und
in Bezug auf eine Thatsache: die Galerie zolle den Vorschlägen der
Linken schon Beifall, bevor der Inhalt derselben bekannt geworden. Die
Linke sah hierin eine Verdächtigung, oder Beleidigung und verlangte daß
der Vorsitzende, v. Soiron, den Redner zur Ordnung verweise. Als Soiron
diese Forderung nicht begründet fand, erhob sich auf der Linken und
den Galerien ein solcher Lärm, daß die Sitzung erst unterbrochen, dann
aufgehoben werden mußte. Ich habe das Meer brausen, ich habe Ochsen
brüllen hören, ich habe mich entsetzt vor dem Chore, das Löwen und
Tiger in den Surreygardens im Wettgesange anstimmten; aber dies Alles
ward weit überboten von dem Schreien und Wüthen der Linken und der
Galerien, -- zum Beweise der neuen Einigkeit Deutschlands!!

Mochte Heckscher und der Präsident Unrecht haben, so gab es doch
ruhige, gesetzliche Mittel dasselbe abzustellen; jenes bestiale
Verfahren läßt sich in gar keiner Weise rechtfertigen, und macht (bei
Allen die nicht näher unterscheiden) die Versammlung verächtlich.

Ich tadele mich bisweilen, daß ich mich nicht hervordränge und
mitspreche. Es reden aber ohnehin schon zu Viele, und wie wenig man
damit ausrichtet, habe ich ja vorgestern selbst erfahren, wo meine
+warnenden+ Worte, selbst unter Gleichgesinnten, gar keine
Wirkung hatten, und man den ganz dummen Angriffsplan annahm, welcher
nothwendig zur Niederlage führen mußte. -- Im Weidenbusche machte
ich aufmerksam auf gefährliche Zweideutigkeiten, die Ernennung der
Feldherrn und den Oberbefehl über alle Heere betreffend. Man nahm, als
sei es unwichtig, darauf keine Rücksicht, hat aber bis 2 Uhr in der
Nacht geredet über Worte und Redensarten wie: +voraussetzen+,
+Vertrauen haben+ u. dgl. mehr. Jetzt, nach der Niederlage,
wundern sich Viele, daß das geschehen ist, was man ohne Weissagungsgabe
vorhersehen konnte. Bei der Weise, wie man täglich, ja stündlich,
Boden verloren, oder aufgegeben hat, wird höchst wahrscheinlich alle
wirksame Theilnahme der Regierungen bei der Wahl des Reichsverwesers
ausgeschlossen: sie +müssen+ vorschlagen bis die Versammlung
beistimmt, oder deren Wahl bestätigen, -- oder sie werden +gar
nicht+ gefragt. Das mag, hinsichtlich des letzten Ergebnisses, für
diesen +einzelnen+ Fall wenig bedeuten (denn die Mehrzahl der
Versammlung wird übereinstimmend mit den Wünschen der Regierungen
wählen); aber die +Allmacht+ der Versammlung zur Regel und zum
Gesetz erhoben, kann (der Form nach) zu den großen Übeln führen, die
in ähnlichen Verhältnissen fast nie ausgeblieben sind. Alle diese
Betrachtungen und Klagen sind jedoch jetzt völlig unnütz. Wie die
Sachen stehen und liegen, kommt es nicht mehr darauf an, sich auf
völlig unhaltbar gewordenem Boden unnütz abzumühen.

Nochmals von der Gagernschen Katzenmusik. Sobald die Wachen und die
Bürgerwehr Nachricht von dem Vorhaben erhielten, besetzten sie eiligst
die Straße von beiden Seiten, rückten in voller Breite derselben und
in geschlossenen Reihen vor, und nun gabs Prügel, blutige Köpfe und
Verhaftungen, mehr als die ganze berliner Bürgerwehr jemals ausgetheilt
oder zu Stande gebracht hat. Die Katzen sollen sich seitdem als heiser
haben melden und entschuldigen lassen.

Erst heute habe ich eine freie Stunde gefunden, das hiesige Museum zu
besuchen, und mich an seinen Schätzen zu erfreuen. Darunter manche
alte Bekannte, Huß, Ezelin u. s. w. Wie unendlich verschieden die
Auffassung des Schönen bei den Griechen war, lehrt jeder Blick auf die
Werke ihrer Bildnerei. Die Form steht ihnen höher, als das, was wir
wohl Bedeutung nennen. Je älter ich werde, desto mehr erbaue ich mich
(trotz aller Splitterrichter) an der Form; und werde gleichgültiger
gegen die angeblich tiefsinnigere Bedeutung; wenn sie nicht (wie bei
Michel Angelo) durch die Erhabenheit, oder (wie bei Raphael) durch
die Schönheit getragen und verklärt wird. So viel man auch über die
mediceische Venus kritisiren mag, ihre Formen sind die reinsten.

Man muß, wie es heißt, die Revolution acceptiren, sich den neuen
Verhältnissen anschließen, unter verschiedenen Übeln das kleinere
wählen, und erforschen in welcher Richtung etwas Gutes erreichbar
bleibt. In anderen Worten: man kann für kein Heer kämpfen, oder ihm
vertrauen, sobald alle Disciplin aufhört, sobald es sich in bloße
Tirailleurs auflöset, welche ~enfans perdus~ sind. Es paßt das
Wort: wie Schafe gehn, gehn wir zerstreut, und es hilft nicht sich
haupt- und willenlos von Wölfen fressen lassen. Was die sogenannte
Rechte, nach wochenlangem Schwadroniren, ihren Gegnern gegenüberstellt,
und in die Reihe der zu beantwortenden Fragen hat aufnehmen lassen,
ist beispiellos unbestimmt, nicht kalt, nicht warm, oder (unter den
unläugbar vorliegenden Verhältnissen) ganz unmöglich. Schon deshalb
wird sie hinsichtlich aller Hauptpunkte in der Minderzahl bleiben, es
werden Viele gegen diese Halbheiten stimmen, und sich dahin stellen
müssen, wo der Boden unter den Füßen nicht völlig untergraben ist.
Ja, es läßt sich (wenn nur Frevel außerhalb der Versammlung vermieden
werden) eher etwas ausrichten mit Leuten die da wissen, was sie wollen,
als mit solchen die hunderterlei, also eigentlich nichts wollen und
deshalb auch nichts zu Stande bringen. Ich sehe immer mehr ein wie
Recht ich hatte, mich keiner Partei, keinem sogenannten Programm zu
verschreiben; werde aber dem gewöhnlichen Vorwurfe nicht entgehen: ich
sei schwankend, charakter- und willenlos, abtrünnig an der guten Sache
u. s. w. u. s. w. Gewiß aber werden viele +ehrenwerthe+ Männer
denken und handeln, wie ich heute denken und in den nächsten Tagen
handeln muß.

--’s Gedanke, +ich+ hätte nach Amerika gehen und mir dort (als ein
beliebter Mann) ein bequemes, sorgenfreies Leben bereiten sollen, --
versetzt mich in lebhaften Zorn! Wie, ich soll mein Vaterland, dem
ich mit Leib und Seele angehöre, dem ich so viel verdanke, wie ein
feiger, egoistischer Schuft, in dem Augenblicke verlassen, wo es an
schwerer Krankheit daniederliegt? Ich soll mir schändlich einreden, ich
könne irgendwo ein bequemes, sorgenfreies Leben führen, während meine
Mitbürger furchtbar leiden? Der Kelch ist auch +mir+ bereitet, und ich
will einen Theil davon austrinken ohne Zagen. Ich überschätze meine
Wirksamkeit gewiß nicht, sei sie aber auch so gewichtlos wie Spreu,
so will ich lieber in Folge übergroßer Anstrengungen niedersinken und
sterben, als erbärmlicherweise nur an mich denkend ein unwürdiges, und
darum mit Recht unglückliches, Leben führen.


    Den 28. Junius.

Obgleich Ihr von der gestrigen wichtigen Sitzung (sie dauerte von 9 bis
½6 Uhr) in den Zeitungen umständliche Berichte lesen werdet, will ich
doch (nach meiner Weise) auch davon erzählen und Randglossen beifügen.
Alle schämten sich des gestrigen Herganges, Gagern ermahnte zum Frieden
und selbst R. Blum erklärte sich mit Verstand und Nachdruck gegen das
Benehmen, hauptsächlich seiner Partei. Und wenn man das Gestrige nicht
ungeschehen machen könne, solle man doch eine Wiederholung ähnlicher
Scenen vermeiden. So fehlte es dann zwar nicht an Geschrei; aber
es kam doch nicht zum Äußersten, und man rückte in den Hauptsachen
wesentlich vorwärts. In der Voraussetzung: man werde nochmals in lange
Erörterungen über die Besserungsvorschläge gerathen, hatte auch ich um
das Wort gebeten; gottlob zogen endlich alle Parteien ihre Neuheiten
zurück; darunter einen, aus der Linken hervorgehenden Vorschlag: man
solle (unter Zuziehung und Anhörung von Hofleuten) Lebensbeschreibungen
aller deutschen Prinzen entwerfen lassen!

Der von Dahlmann entworfene und dann geänderte Bericht des Ausschusses,
über die zu errichtende vollziehende Gewalt, schien hauptsächlich den
Zweck zu haben, durch Zweideutigkeit und Unbestimmtheit der Ausdrücke,
alle Abgeordneten und alle Parteien zu befriedigen; aber eben deshalb
befriedigte er keine: täglich verlor er Anhänger, und ward endlich von
den Urhebern selbst großentheils aufgegeben und zur Seite geworfen.

Zuerst kam, aus mehren Gründen, Vincke’s Vorschlag zur Abstimmung: „die
Nationalversammlung beschließt, vorbehaltlich des Einverständnisses
mit den deutschen Regierungen, daß eine vollziehende Regierungsgewalt
&c. -- bestellt werde. Der Reichsverweser soll von den deutschen
Regierungen ernannt werden“ &c. -- +Für+ diesen Antrag stimmten 31,
dagegen 577. Die nächste Frage war: soll der Reichsverweser (dieser
Name ward später statt des Präsidenten angenommen) die Beschlüsse der
Nationalversammlung verkündigen und vollziehen. Ja 261; Nein 277.

Hier offenbarte sich wieder die Unvollständigkeit der Berathung und
Fassung. Wenn man dem Reichsverweser jenes Recht, jenes Geschäft nicht
zuweiset, wer soll es denn übernehmen? Zwar hieß es: man sagt +Nein+,
damit er nicht ein bloßer Beamter der Versammlung werde. -- Aber dann
hätte man ihm vielmehr die Befugniß zu Einreden, man hätte ihm irgend
eine Art von aufschiebendem Veto zugestehen sollen. Dieses ~noli me
tangere~ wagte aber Keiner ernstlich zu berühren. Diese Kohle wollte
Keiner aus dem Feuer holen.

Die übrigen Punkte, den Geschäftskreis der vollziehenden Gewalt
betreffend, wurden durch Aufstehen mit großer Stimmenmehrheit
entschieden. Großer Streit erhob sich dagegen, hinsichtlich folgender
Fassung: „über Krieg und Frieden, und über Verträge mit auswärtigen
Mächten, beschließt der Reichsverweser im +Einverständniß mit der
Nationalversammlung+.“ -- Nein 143; Ja 408. -- Ich stimmte mit der
Mehrzahl, denn was für einen festen, wohlbegründeten König paßt, paßt
nicht für einen noch unbekannten, auf ein Paar Monate zu erwählenden
Reichsverweser.

„Soll das Oberhaupt der vollziehenden Gewalt Präsident heißen?“ Ja 171;
Nein 355. Ich stimmte mit der Mehrheit für Reichsverweser, weil mir das
fremde Wort und der republikanische Hintergrund mißfiel.

Nun die Hauptfrage: „der Reichsverweser wird von der
Nationalversammlung gewählt.“ -- Nein 135; Ja 403. Als diese
Entscheidung bekannt ward, entstand ein ungeheurer Jubel. Ich stimmte
mit der Mehrzahl, scheinbar +nicht+ folgerecht; allein es war ernstlich
zu bedenken:

1) Daß (wie die tägliche Erfahrung zeigte) die +große+ Gefahr
obwaltete, daß, bei auch nur geringer Verzögerung der Wahl, die
Versammlung sich zu +großen Übereilungen+, besonders hinsichtlich der
fremden Mächte, werde fortreißen lassen.

2) Daß in +diesem+ Augenblicke die Entscheidung der Wahl noch in den
Händen der +gemäßigten+ Mehrzahl ist; ein günstiger Umstand, der nach
kurzer Frist vielleicht nicht mehr obwaltet.

3) Die Regierungen kämen in noch üblere Lage, wenn die Versammlung
(schon um ihre Macht oder ihren Eigensinn zu zeigen) deren Vorschläge
verwürfe, oder doch, wie bestimmt verlangt wird, einer sehr bittern,
vielleicht skandalösen Kritik unterwürfe; wogegen die Versammlung
durch eine schlechte Wahl sich an den Pranger stellen und allen Credit
verlieren würde.

4) Lautete der Gegenvorschlag im Wesentlichen also: Es wird von den
deutschen Regierungen ein Reichsverweser +bezeichnet+, und von der
Versammlung +genehmigt+. -- Dieser Vorschlag ist aber nur ein halber,
unbestimmt, ungenügend, nicht zum Ziele führend. Was heißt z. B.
+bezeichnen+? Ich kann Jemandem zehn Gerichte bezeichnen zum Essen,
hundert Bücher vorschlagen zum Lesen; wenn er nun aber sagt: ich danke.
Wie wenn die Versammlung +nicht+ genehmigt. Solch schnöden Abweisungen
vorzubeugen, erklärte sich selbst Gagern für die Wahl durch die
Versammlung. Wie die Sachen nun einmal +wirklich+ stehen, würde hier
jeder von den Regierungen ausgehende, durch den +gehaßten+ Bundestag
vermittelte Vorschlag, mit Mißtrauen und Widerwillen aufgenommen
werden; er würde wahrscheinlich zu einem (vielleicht +gesuchten+)
Bruche führen; während man (~le meilleur l’ennemi du bien~) so im
Frieden über die nächsten gefährlichen Monate hinwegkommen dürfte.

Ich komme soeben aus der Sitzung und eile Euch zu melden, daß heute
die Abstimmung über die vollziehende Gewalt &c. zu Ende gebracht
ward. Was in der Anlage nicht ausgestrichen, oder geändert ist, ward
angenommen. Ihr werdet Euch hoffentlich herausfinden, nächstens einen
neuen, reinlichen Abdruck. Über den Hergang im Einzelnen, in Eil noch
Folgendes: bei ~No.~ 11: „der Reichsverweser ist unverantwortlich“
erhob sich Streit, wobei die Rechte mehr unanständigen Lärm erhob als
die Linke. Der Satz ward mit 373 gegen 175 Stimmen angenommen. Ich
stimmte +dafür+, weil die +Minister+ verantwortlich sind, und beiden,
dem Reichsverweser und den Ministern, nicht dieselbe Stellung zu geben
ist.

~No.~ 18: wonach der Bundestag ein Ende nimmt, mit 510 Stimmen bejaht,
und nur mit 35 verneint. Ich stimmte mit Ja: denn die gesetzgebende und
richterliche Gewalt hat er nicht mehr, und die vollziehende wird ihm
ja nun auch genommen. Dagegen weiset der nächste Absatz darauf hin, in
welcher Weise er wieder kann ins Leben gerufen werden. Die Abstimmung
zeigt, wie verhaßt die alte Einrichtung ist, und wie unmöglich es war
sie in der alten Form zu erhalten. Auch entstand ein großer Jubel
als das Ergebniß dieser Abstimmung verkündigt ward. Jetzt folgte die
Abstimmung über den +ganzen+ Entwurf: 450 dafür, 100 dagegen. Die
Verneinenden gehören zur Hälfte etwa der äußersten Rechten, zur Hälfte
der äußersten Linken. Jene wollen die ausdrückliche Beistimmung der
Regierungen, diese die Verantwortlichkeit des Reichsverwesers. -- Was
sollte nun aber wohl werden, wenn die +Nein+ überwogen und man das
Neuwerk begonnen hätte? -- Lichnowsky, Schmerling, Venedey gehörten
zu den Bejahenden; Vincke, Ruge, Jordan, Blum, Nauwerk, Itzstein,
Uhland zu den Verneinenden. Jene wollen die Souverainetät der Staaten,
diese die des Volkes erhalten wissen. Die abstrakten Grundsätze stehen
ihnen höher als das praktisch Rathsame. Morgen erfolgt die Wahl des
Reichsverwesers. Bis jetzt hat der Erzherzog Johann weit die meisten
Vermuthungen für sich. Es fragt sich aber ob er es annimmt. Ich kann
nicht glauben, daß Preußen irgend widersprechen würde.



Neunzehnter Brief.


    Frankfurt a. M., den 29. Jun. 1848.

Wenn der Mensch scheinbar etwas zu Stande gebracht hat und es
betrachtet, so möchte er gern sagen: „+und es war gut+.“ Wenn man
es aber schon unserem Herr Gott verübelt, daß er ein so kühnes Wort
ausgesprochen, und läugnet daß seine erschaffene Welt die beste sei;
so erheben sich (trotz alles Widerstrebens) gegen Menschenwerk noch
schärfere Einreden.

Haben wir mit Aufstellung einer deutschen Centralgewalt wirklich ein
erhebliches Ziel erreicht? In gewissem Sinne ist zwar alles Menschliche
+provisorisch+; doch setzt man das hoffentlich Dauernde, Definitive,
darüber hinauf, und begnügt sich eben mit dem Vorläufigen, als einem
Mangelhaften. Es finden manche Leute aber gerade an dem Mangelhaften
Gefallen, schon weil sie glauben, damit willkürlich umgehen zu dürfen;
und Andere verwechseln es mit dem Vollkommneren, legen die Hände in den
Schoß, unbekümmert um das Dauerhaftere, welches sie anfangs bezweckten.

Für lange Zeit wird jenes „+Vorläufige+“ Deutschland nicht genügen;
ja, bevor es sich gestalten und in wahre Thätigkeit kommen wird,
könnte und sollte der Verfassungsentwurf fertig sein, den die hiesige
Versammlung vorlegen soll. Das Provisorium, wie es jetzt gefaßt
ist, wird aber, sobald es sich in Thätigkeit setzen will, Streit
und Zweifel hervorrufen und sich zeigen, daß man nicht satt wird,
wenn man, wie die Katze, um den heißen Brei blos herumgeht. Um die
Freiheit und Unabhängigkeit des Reichsverwesers zu erhalten, streicht
man den Satz: daß er die Beschlüsse der Versammlung verkünden und
vollziehen solle. Wenn nun aber die Versammlung, ohne allen Zweifel,
Beschlüsse fassen wird, wer soll sie denn verkünden und vollziehen?
Muthet man dies dem Reichsverweser zu, so hat er (mit Bezug auf die
gepflogenen Verhandlungen) ein doppeltes Recht zu widersprechen, und
man müßte (sehr thöricht) eine zweite vollziehende Behörde für jene
Beschlüsse erschaffen. Giebt er hingegen nach, so verfehlt man den
Zweck, weshalb jener Satz verworfen wurde. Diese Verwirrung ist dann
(wie ich vorhergesagt) die nothwendige Folge dessen, daß keiner der
Redner, welchen man ein Monopol zu sprechen gab, auf die wichtige Frage
von Einreden und Widersprüchen des Reichsverwesers eingehen wollte.
Wäre ich zum Worte gekommen, würde ich den wichtigen Punkt von einem
aufschiebenden oder schließlichen Veto ans Licht gezogen haben. Die
Linke that es nicht, weil sie ein solches Recht läugnet, sobald es
nicht ausdrücklich überwiesen wird; und die Rechte fürchtete sich in
der Minderzahl zu bleiben. Oder sie hofft, man werde nachträglich das
scheinbar Vergessene nachholen können. Ist der Reichsverweser stark,
so wird er (ohne Gesetz) seinen Willen durchsetzen; ist er schwach,
so wird sich ergeben, daß jene Unbestimmtheit und Zweideutigkeit
ihn nicht auf die Füße stellt. Ich wiederhole: diese Eigenschaften
des Ausschußentwurfes und das Drechseln an und mit leeren Worten
(Vertrauen, voraussetzen und dergl.) mußte dahin führen, wohin wir
gekommen sind. -- Nun, ich will mich damit trösten, daß die große
Mehrzahl Derer, welche das Gesetz annahmen, es auch künftig stützen
will und stützen wird. Doch zeigen sich schon Hindernisse auf der,
heute zu betretenden Bahn. In einer Nummer der Zeitung, welche die
äußerste Linke herausgiebt, sind gestern sehr bittere Sachen wider den
Erzherzog Johann, wider den Präsidenten Gagern und den General Radowitz
ausgesprochen worden. Der erste sei ein unbedeutender Mann, der in
seinem Leben nichts Erhebliches gethan, sich dem Metternich’schen
Systeme nie widersetzt habe und noch jetzt den ungerechten Krieg
gegen die Italiener befördere. Daran reihen sich Vorwürfe wider alle
deutschen Prinzen, unter denen leider kaum einer sei, auf den man wegen
seiner ausgezeichneten Persönlichkeit (abgesehen von Geburt und Macht)
hinzeigen könnte (~digito monstrarier~). -- Die Einreden wider Gagern’s
Grundsätze und seine Unparteilichkeit deuten darauf hin, daß die Linke
bei der in diesen Tagen zu erneuernden Präsidentenwahl einen Bewerber
aus ihrer Mitte aufstellen und die frühere allgemeine Zustimmung für
Gagern nicht mehr im ganzen Umfange stattfinden dürfte. Gegen Radowitz,
der sich durch Annahme des Neuen, oder gemäßigte Vertheidigung des
Alten, Bahn zu machen strebt, sind die früheren Lebensverhältnisse und
verfehlten Zwecke in einem scharfen Sonette vorübergeführt.

Geheimrath C. sagt mir: in Berlin widersprächen Alle der Wahl eines
österreichischen Prinzen zum Reichsverweser; sie forderten einen
preußischen. Hier habe ich einen solchen Einwand, eine solche Forderung
noch nicht gehört. Erlaubt man Candidaten aufzustellen und über ihre
Eigenschaften zu sprechen, so wird +eine+ Sitzung auf diesem
Moquirstuhle hinreichen, jeden für immer zurückzuschrecken. Und doch
hat eine Wahl ohne Vorschlag, Prüfung und Beglaubigung, auch ihre
Schattenseiten.

Sehe ich von Frankfurt nach Berlin, so sind die Berathungen auf dem
preußischen Reichstage oberflächlicher und schwächer als hier, und
die bürgerliche Ordnung wird in dieser freien Stadt viel ernster
vertreten, als in der Residenz des Königs von Preußen, wo die Klubs
schrankenlos die Empörung hervorrufen, und das neue Ministerium schon
in seiner Geburtsstunde chicanirenden Widerstand findet. Bleibt es so
farblos und schwach, wie das abgetretene Ministerium (besonders seit
der Plünderung des Zeughauses), so wird es auch nicht lange leben und
zu den Blutmitteln führen, welche jetzt in Paris furchtbarer, länger
und allgemeiner wüthen, als jemals während der Revolution seit 1789. --
Über die Weisheit dieses Jahres scheint Hr. Waldeck, der Vorsteher des
Verfassungsausschusses, nicht hinausgekommen zu sein, ja nicht einmal
zu wissen, was Mirabeau z. B. über das Veto gesagt hat. Siegen seine
Ansichten ob, so wird die neue Verfassung nicht länger dauern, als die
französische von 1791. Wer jetzt drittehalb Gedanken in trivialen,
abgedroschenen Phrasen überlaut und selbstgefällig ausschreit, wird von
den Maulaufsperrern für einen großen Staatsmann gehalten. Die angeblich
unwiderleglichen, augenscheinlichen, handgreiflichen Lehren jener
falschen Propheten, sind ebenso tiefsinnig begründet, als wenn jetzt
ein Astronom behaupten wollte, die Sonne laufe in 24 Stunden um die
Erde.


    Den 29. Junius, 3 Uhr.

Die Kanonen donnern, alle Glocken läuten, überall die größte Aufregung
und Theilnahme! Vor einer Viertelstunde ist der +Erzherzog Johann+
zum Reichsverweser erwählt und unter höchstem, sechs Mal wiederholten,
Jubel und Lebehoch proklamirt worden. Er hatte 436 bejahende Stimmen,
der Präsident von Gagern 52, von Itzstein 32; des Abstimmens enthielten
sich 25. Über den nähern Hergang in größter Eile nur wenige Worte. Der
Vorschlag, durch Stimmzettel schweigend abzustimmen, hatte wohl die
Absicht, die Stimmen zu zersplittern, mehr Candidaten aufzustellen und
keine Rücksicht auf den, sehr beachtenswerthen, Willen der Mehrzahl
zu gestatten. Dieser Vorschlag fiel durch, und Jeder nannte bei
namentlichem Aufrufe laut den Namen seines Candidaten. Der irrige
Gedanke: man müsse ehrenhalber auch einen Preußen auf die Liste
bringen (und mit wenigen Stimmen durchfallen lassen), ward glücklich
ausgetrieben. Nirgends zeigte sich Eifersucht wider Österreich und
die Hoffnung steht fest, Johann werde zu allgemeinem Wohle die Wahl
annehmen und nicht die Nothwendigkeit einer zweiten, gefährlicheren
Wahl herbeiführen. Des Abstimmens enthielten sich Die, welche keinen
unverantwortlichen Reichsverweser wollten. Gagern nannten Etliche
seiner tüchtigen Eigenschaften halber, Andere wohl, weil sie keinen
Fürsten wollten. Für Itzstein stimmten +nicht Alle+, aber doch +nur+
Leute von der Linken, z. B. Jordan, Meyer aus Liegnitz, Tschucke aus
Meißen, Vogt aus Gießen, Wigard aus Dresden, Schaffrath, Nauwerk, Blum,
Simon aus Breslau, Eisenstuck aus Chemnitz und Andere. Ich stimmte
natürlich für den Erzherzog: denn seine Wahl beseitigt jede Besorgniß,
mit den Regierungen in Streit zu gerathen, zeigt daß die Versammlung
(trotz alles Geschreies der äußersten Linken und der Mißgriffe der
Rechten) noch nicht die Achtung vor der Vergangenheit und der Stellung
eines einflußreichen Fürsten ganz verloren hat. Auch Radowitz und
Lichnowsky stimmten für den Erzherzog; Vincke war abwesend.

Der unendlich wichtige Augenblick, die erste große That des ersten
deutschen Reichstages in dieser Form, die Nothwendigkeit und die
Schwierigkeit erheblicher Veränderungen, die Hoffnung, unser theures,
deutsches Vaterland werde feststehen wie ein Fels in Ungewittern und
neue, ungekannte Blüthen und Früchte treiben; -- dies und so vieles
Andere bewegten und erregten mir Kopf und Herz so, daß ich zugleich
Thränen der Freude und des Schmerzes vergießen mußte; -- und dies waren
keine Thränen dummer Sentimentalität oder lächerlicher Schwäche. Heute
also wieder einmal: ~nil desperandum~.

Gestern (28.) sah ich ¾ des Weltumseglers wider Willen. Hr. Hassel
spielte den Purzel ganz ergötzlich, obwohl Räder ihn noch übertraf.
Trotz aller Kunstmittel hatte er sich nicht dicker machen können,
als sein Ludwig (Fräulein Q.) von Natur war. Der Witz ist wohl schon
alt: es gäbe drei Zonen, die heiße, die kalte und die Amazone. Neu
war ein anderer Einfall: als man Purzeln bange machen will, was seine
Frau während seiner Abwesenheit daheim wohl thue? sagt er: o das weiß
ich, sie läuft (wie jetzt alle Weiber) ins Parlament. Dies fand großen
Beifall, und in der That wohnen viele Damen ausdauernd den Sitzungen
bei.



Zwanzigster Brief.


    Frankfurt a. M., den 30. Junius 1848.

Die Linke hat in den letzten Tagen so viel Fehler begangen als
zuvor die Rechte. Erstens nämlich, erscheint sie diesmal in ihren
Abstimmungen uneinig und gespalten. Zweitens, mißfällt allgemein die
Verwerfung des +ganzen+ Gesetzentwurfes über die vollziehende Gewalt.
Selbst die Galerie ist mit dem bloßen Verneinen unzufrieden und will
sich mit keinem ~da capo~ langer Berathungen langweilen. Drittens,
die Abstimmung für Itzstein zeigt die Schwäche dieser Partei in der
Versammlung. Und dies um so mehr, da etwa eine Hälfte unpraktisch
und hölzern an sogenannten Principien festhielt, +unbekümmert+,
daß aus der Wahl jenes Mannes unausbleiblich der größte Zwiespalt
hervorgegangen wäre. Die zweite Hälfte +wünscht+ dagegen einen
solchen Zwiespalt; er ist ihr Lebenselement. Beide Hälften sind in
Irrthum und Unrecht, und das: „ich wähle nicht, ich will keinen
Unverantwortlichen,“ -- machte nicht (wie Manche wohl erwarteten) einen
tiefen, erhabenen Eindruck, sondern ward, in verschiedenen Tonarten und
Betonungen ausgesprochen, fast lächerlich.

Gott gebe nur, daß zwischen der neuen Centralgewalt und den einzelnen
Regierungen kein Zwiespalt entstehe, jene weder zu mächtig noch zu
ohnmächtig werde und eine festere Verfassung bald zu Stande komme. Mag
auch das Ergebniß langer hiesiger Berathungen noch so viel gerechten
Einwendungen unterliegen, es hat doch, Gottlob, nicht den furchtbaren,
blutigen Boden, wie das französische ~pouvoir exécutif~, welches vor
der Hand die Republik wieder zur Seite geworfen hat. Hoffentlich wird
man in Berlin Cavaignac’s Maßregeln gegen Wühler und Klubisten nicht
unberücksichtigt lassen, und zu ihnen nicht +nach+, sondern +vor+ dem
Blutvergießen gerechte und heilsame Zuflucht nehmen.

Gagern ist wieder mit 399 Stimmen zum Präsidenten, Soiron mit 359
Stimmen zum Vicepräsidenten erwählt worden. Für die erste Stelle hatte
der bekannte Simon 68, für die zweite Blum 104 Stimmen.

Als man (so höre ich) den Prof. V. darauf aufmerksam machte, daß
das Bestreben der Linken durch die Anarchie hindurch zur Despotie
führe, soll er geantwortet haben: und glaubt ihr denn, daß ich nicht
Lust habe ein Despot zu sein? -- Das paßt für alle über das Gesetz
hinauswirkende, angebliche Helden der Freiheit.


    Den 1. Julius.

Eine dreistündige Sitzung im völkerrechtlichen Ausschuß, die Abends
bis 9 Uhr dauerte und von Posen und Tirol handelte, machte mich (da
kaltes Regenwetter hinzutrat) körperlich todtmüde, und die Nachrichten
aus Paris, sowie der +Inhalt+ Eures und Waagen’s Brief vom 27. und
29. vermehrten meinen geistigen Kummer. Dort, in einer Zeit angeblich
höchster Brüderlichkeit, Scenen wie sie seit Marius und Sylla kaum
in der Weltgeschichte vorgekommen sind; im raschesten Wechsel, nach
lautem Preisen der Freiheit und Gleichheit, die einzige Rettung
durch militairischen Despotismus; die Nothwendigkeit langer Leiden,
furchtbaren Hasses, schrecklicher Armuth, und der blutige Ausgang noch
kein Zeugniß, keine Bürgschaft für zurückgekehrte Gesundheit. -- Dann
in Berlin: Regierung, Reichstag, Magistrat, Stadtverordnete, Bürger,
Arbeiter, täglich dem Abgrunde näher kommend, muthlos mit Aufrührern
capitulirend und liebäugelnd; Schwatzen und Schwadroniren ohne Ordnung,
Zusammenhang, Fortschritt; kein ausgezeichnetes Talent, kein großer
Charakter; das neue Ministerium ohne Vertrauen bei Andern oder zu sich
selbst, von Hause als krank (bald als todeswürdig) bezeichnet; der
König übermäßig zurücktretend, das Volk vom Königsthume immer mehr
entwöhnend; Berlin entvölkert, verarmt, papierne Geldpflaster auf die
Wunden legend; -- und dabei noch immer eitelem Hochmuthe hingegeben,
während man es von allen Seiten verächtlich behandelt!!

Muth und Unmuth wechseln ab, wie Tag und Nacht. Wenn ich mich durch die
größten Anstrengungen geistiger und leiblicher Art bis zur Ohnmacht
herabgedient habe, werfe ich mich auf den Boden des Vaterlandes nieder,
und wenn ich auch nicht aufstehe wie ein Antäus, dann doch mit +der+
Kraft, des Tages Last wieder zu tragen und mir, im Gefühle, daß ich
+Recht+ thue, muthig zu sagen: +Vorwärts!+

Heute beginnen die Verhandlungen über die Volksrechte. Ich hoffe, hier
soll im Ganzen Heilsames beschlossen werden; so scharf, ja +übereilt+,
auch wohl Manches in die noch bestehenden Verhältnisse eingreifen
wird. -- Alle Regierungen haben in die Wahl des Erzherzogs Johann
gewilligt und ihn davon durch den Bundestag eiligst benachrichtigt.
Er wird gewiß die Stelle annehmen; seine erste große Noth aber bei
Ernennung der Minister finden, wo jede Partei Männer ihrer Farbe an die
Spitze stellen und um jeden Preis durchbringen möchte. -- Republikaner
und Kriegslustige stören hier, wie in Berlin, und treiben zu Kriegen,
ohne irgend Kriegsmittel und Kriegskenntniß zu besitzen. General
Peuker hat hierüber eine sehr lehrreiche Schrift herausgegeben, welche
nur zu deutlich erweiset, wie sehr schlecht wir gegen die (besser
vorbereiteten) östlichen und westlichen Feinde gerüstet sind; wie man
ein stehendes Heer, Übung, Kenntniß u. s. w. nicht entbehren kann und
mit bloßen eilig zusammengebrachten, undisciplinirten Milizen und
Freischaaren kein wohlgeordnetes russisches oder französisches Heer
besiegen kann.



Einundzwanzigster Brief.


    Frankfurt a. M., den 2. Julius 1848.

Gottlob, heute ist wieder Sonntag, obgleich kein Ruhetag; denn ich habe
eben einen Bericht über Tirol und Randglossen zu dem Entwurfe über
die Grundrechte des deutschen Volkes niedergeschrieben. Gestern war
aber ein schwerer Arbeitstag: Sitzung von 9-3 Uhr, 3-4 Berathung in
der vierten Abtheilung (zu welcher ich neu verlooset bin), 6-9 Sitzung
des völkerrechtlichen Ausschusses; Summa 10 Stunden Arbeit, davon 6
in heißer, verdorbener Luft. Es ist ein Wunder, daß ich es in meinen
alten Tagen aushalte, an jedem Tage bis 12 Stunden in steter Thätigkeit
zu sein, -- da Jüngere ausspannen, oder sich zu erleichtern wissen.
Mit großem Rechte ist deshalb gestern beschlossen worden: wöchentlich
nur vier große Sitzungen zu halten, Montags, Dienstags und Donnerstags
über das Verfassungswerk, Freitags über andere Gegenstände. Dann würden
die Sitzungen der Ausschüsse auf Mittwoch und Sonnabend fallen, und
wenigstens Abends einige Ruhe und Erholung möglich sein. Hierdurch
verlängert sich aber wahrscheinlich der hiesige Aufenthalt.

In jeder Abtheilung, deren 15 für alle Abgeordnete gebildet sind, ward
gestern Einer zu einem Ausschusse gewählt, welcher die Gültigkeit der
Wahlen Hecker’s und Peter’s untersuchen soll. +Vor+ der Wahl des
Ausschußmitgliedes kam es in Anregung: jeder möge aussprechen, wie er
über Hecker denke. Professor L-- erhob sich hierauf und sagte in sehr
scharfer Weise: Hecker sei ein Hochverräther und verdiene den Tod.
Dies Benehmen erregte (wie vorherzusehen war) Widerspruch und stimmte
Manchen zur Milde. Ich bemerkte (und ebenso Gleichgesinnte), wir wären
gar nicht berufen, von +vorn herein+ abzuurtheilen. Der Ausschuß
solle ja eben die Thatsachen untersuchen, die Akten lesen und Bericht
erstatten; dann erst könne und solle Jeder, aus genügenden Gründen,
nach seinem Gewissen entscheiden. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird
Hecker +nicht+ aufgenommen (zweifelhafter steht es mit Peter),
aber die namentliche Abstimmung verlangt werden, um die Verneinenden
bei dem vornehmen und niedrigen Pöbel in Verruf zu bringen.

Im Ausschusse wurden zwei Polen (Graf P. und Prof. C.) über die posener
Angelegenheiten befragt. Kommen diese Begeisterten erst in den Trab,
dann geht es unaufhaltsam vorwärts, ihre Suade ist unerschöpflich
und unversieglich, und mit jeder Minute steigern und erweitern sich
Hoffnungen, Plane, Forderungen. Mich ermüdete das Alles gar sehr, da
ich es meist schon oft gehört hatte, und ich leider wieder bestätigt
sah, daß der +einzelne+ Pole wohl +Vernunft+ annimmt, daß sie sich
aber +untereinander hinaufschrauben+, bis sie Unmögliches für möglich
halten, durch das Unbegränzte ihrer Ansprüche sich selbst den größten
Schaden thun, und für Thatsachen und unläugbare Wahrheit keinen Sinn
behalten. Ein Beispiel statt vieler: der polnische Ausschuß behauptet:
das +ganze+ Herzogthum Posen müsse ganz polnisch organisirt werden,
die Deutschen würden sich dabei sehr wohl befinden und, mit Ausnahme
weniger Beamter, wünschten alle Deutsche unter polnische Herrschaft
zu kommen!! -- Und das glaubt die Mehrheit jener Eiferer, trotz der
unläugbaren Gewißheit, daß die Begeisterung für die Polen sich binnen
weniger Wochen in Haß und Bürgerkrieg verkehrte, und bei dem ersten
Versuche die Deutschen unter polnische Herrschaft zu stellen, der
blutige Streit sich erneuern würde.

Ich halte die Festsetzung der allgemeinen +Grundrechte+ der Deutschen
für einen äußerst wichtigen Theil unserer Arbeiten; auch wird er
uns wohl mehre Wochen beschäftigen. Die Hauptgefahr dabei ist: daß
man geneigt wird, aus Zorn über das frühere +Zuwenig+, jetzt ein
+Zuviel+ zu fordern und zu bewilligen; daß man im Andenken an zu
viele Verschiedenheiten innerhalb Deutschlands, jetzt Alles unter
ganz allgemeine Regeln bringen möchte, und die Schwierigkeiten
und Hindernisse zu gering anschlägt, welche daraus in den so
mannigfaltig eingerichteten, gebildeten oder ungebildeten deutschen
Staaten entstehen dürften. Ein anderer Irrthum ist der: die Freiheit
bedürfe gar keiner gesetzlichen Schranke, und könne (als ein reines,
unbedingtes Gut) gar nicht mißbraucht werden. Daher springt man aus
Preßzwang in Preßfrechheit, und die löblichen Vereine arten aus in
verdammliche Klubs. Nähmen doch deren Mitglieder, sowie die Behörden,
Das zu Herzen, was darüber der treffliche Jefferson sagt und, auf meine
Anregung, in Spiker’s Zeitung wieder abgedruckt ist. Viele reden von
Nordamerika und meinen, wenn sie nothdürftige Kenntniß einiger Formen
jenes Freistaates kennen gelernt haben, sie und ihre Städte und Länder
wären dann leicht in Republiken umzuwandeln. Wenn eine häßliche,
schiefe und bucklige Familie in das Museum geht und den Apollo, den
Antinous, die Artemis, die Aphrodite sehr genau, von hinten und von
vorn besieht: wird sie denn hiedurch schön, kommt sie verwandelt nach
Hause?

Unter Volkssouverainetät verstehen die Maul- und Fausthelden nichts
weiter, als daß ihr Belieben das höchste, täglich aufzustellende,
abzuändernde, wegzuwerfende Gesetz sei. Daher läugnen sie Schranke
und Maß; obwohl das Schrankenlose ganz gestaltlos, das Maßlose
ungemäßigt, und das Chaos letztes Ergebniß dieser Richtung ist. In
Amerika wird über die Abgeordneten viel raisonnirt und deraisonnirt;
aber es fällt Wahlmännern oder Urwählern nicht ein (im Widerspruch mit
den Gesetzen) neue Wahlen einzuleiten, weil ein Abgeordneter einmal
nicht so gestimmt hat, wie es ihnen behagt. Die sogenannte französische
Volkssouverainetät ist der vollkommene Gegensatz der amerikanischen;
oder das Volk entschied dort gar nichts, sondern Paris war der leitende
Hammel, oder der herrschende Tiger. Was bedeutet die Stürmung der
Bastille, der 12. Vendemiaire und Ähnliches, gegen die letzten, Tage
langen Schlachten mit ihren Grausamkeiten, Plünderungen, Minen &c.
Und doch hatten die Besiegten nicht +ganz+ Unrecht. Viele litten
bittere Noth in Folge der Ereignisse des Februar, in Allen hatte man
thörichte Hoffnungen erregt, Allen hatte man unsinnige Versprechungen
gegeben. Leute wie Louis Blanc sind die sündigen und verrückten Urheber
der Empörung. -- Wie rasch wechseln Dinge und Personen: Lamartine,
Rollin, Blanc u. A., wie verschieden! Darin aber Alle gleich, daß sie
verbraucht, ~usé~, sind und zur Seite geworfen werden. Welche
Warnungen gegen Ehrgeiz und Eitelkeit! Wem man heute eine Lorberkrone
aufsetzt, der kann mit Gewißheit darauf rechnen, daß sie ihm bald
nachher abgerissen und er angespien wird! Vincke, Camphausen, Sydow u.
A. geben selbst in unserem Vaterlande lehrreiche, bittere Beispiele,
-- Derer nicht zu gedenken, die sich selbst zu Grunde richteten, wie
E. und S. Doch überleben die Edelsten jede Ungerechtigkeit ihrer
Zeitgenossen, und gehen aus dem Fegefeuer der Geschichte unversehrt
hervor. Wäre dies aber auch nicht der Fall, so kann auch der Kleinste
und Geringste darüber ins Klare kommen, was zu thun seine Pflicht ist.
Also (trotz aller Belästigung) für mich, nicht die Hände in den Schoß
zu legen, nicht nach Amerika davonzulaufen, -- sondern hoffend muthig
auszuharren.

Die heutige Sitzung dauerte nur 4 Stunden; wir haben aber auch fast
nichts zu Stande gebracht, da mit (oft beklagter, jedoch noch nicht
abgestellter) deutscher Pedanterie eine Zahl von Fragen über die Form
des Berathens und Abstimmens, mit ermüdender unnützer Weitläufigkeit,
von einer langen Reihe von Rednern behandelt wurde. Und das geschieht
unter lauten Behauptungen: das lang geknechtete deutsche Volk erwarte
mit Schmerz seine Erlösung und wir dürften keinen Augenblick Zeit
verlieren! Endlich ward (ich übergehe das minder Wichtige) entschieden:
nach vollendeter Berathung über die Grundrechte, gehe Alles nochmals an
den Verfassungsausschuß zur Prüfung und Redaktion. Dann erfolge eine
zweite Berathung und Abstimmung über den berichtigten Gesetzentwurf.
Die Linke sprach gegen eine zweimalige Berathung, hauptsächlich weil
Jeder im Voraus wisse, wie er stimmen wolle, und (wie gesagt) keine
Zeit zu verlieren sei. Man entgegnete: wenn Niemand erhebliche neue
Gründe vorzubringen habe, werde er schweigen und die zweite Berathung
fast nur eine zweite Vorlesung sein. Wenn Neues, Wichtiges hervortrete,
sei der Gewinn für die Verbesserung eines so außerordentlich wichtigen
Gesetzes größer, als der geringe Verlust an Zeit. Überhaupt wollte
man, bei dem Mangel einer zweiten, wiederholt berathenden und
beschließenden Kammer, wenigstens ein Analogon, eine Hemmung auffinden
gegen das Überstürzen aus sogenannten unfehlbaren Grundsätzen, und das
Vernachlässigen des Landschaftlichen und der persönlichen Rechte. Die
Eiferer möchten, ungewarnt durch den Vorgang, einen Tag oder eine Nacht
des 4. August herbeiführen. Sie vergessen unter Anderem, daß in solch
einem Falle die Verwirrung in dem mannigfach gestalteten Deutschland
noch größer werden würde, als in dem damals gleichartigeren Frankreich.



Zweiundzwanzigster Brief.


    Frankfurt a. M., den 4. Julius 1848.

Der Ausschuß war gestern nicht so langweilig, wie ich voraussetzte.
Abgeordnete aus dem deutschen Theile Posens ergingen sich nicht in
Phantasien und Unmöglichkeiten, sondern hielten fest an Thatsachen und
widerlegten ausgesprochene Zweifel durch Beweise. So ist über allen
Zweifel hinaus erwiesen: daß die Deutschen sich um keinen Preis unter
die Herrschaft der Polen stellen lassen, und lieber den Krieg auf
ihre eigene Hand von Neuem beginnen. Wollte man jenes unfolgerecht
und schwach bewilligen, anordnen; das Bewilligte käme gewiß nicht
zur Vollziehung; und auf dem Wege übertriebener Forderungen, würden
die Hoffnungen der Polen -- wie schon so oft -- scheitern. Sie sind
tapfer, begeistert für ihr Vaterland, ermangeln aber aller Haltung,
Einigkeit und politischer Klugheit, und ziehen Diejenigen welche
ihnen nützen wollen oft mit ins Verderben. Die Ordnung, der Gehorsam
und Zusammenhang, welcher den Russen mag aufgezwungen sein, giebt
diesen eine solche Übermacht, daß Aufstände sie schwerlich aus Polen
verdrängen werden. Oder wenn es geschähe, würde dies Land (ohne
Umgestaltung des Nationalcharakters) schwerlich Festigkeit und
Einigkeit gewinnen. Doch wozu weissagen, was immer ein dummes Geschäft
ist; sofern die Ausleger nicht von vornherein entschlossen sind, Das zu
finden, was ihnen behagt.

Von dem Ausschusse ging ich (dringend aufgefordert) in eine
Gesellschaft wohlgesinnter Männer im Hirschgraben, welche sich
untereinander vortrugen, was sie in der Hauptversammlung vortragen
wollen. Es mag löblich sein, daß Mancher sich so vorbereitet, aber
mir erscheinen alle Vorbeschlüsse und Weisungen bedenklich, sofern
sie die Unabhängigkeit mindern und fertige Abstimmungen schon in
die Sitzung mitbringen, anstatt daß diese erst das Ergebniß der
beendigten Berathung sein sollen. Ich könnte mich allerdings daselbst
breit machen, und oft das Wort ergreifen; müßte aber befürchten, daß
man mir dann, (wie manchem „+Vielgeschrei+“ unter den Abgeordneten)
ein neues hohes Reichsamt übertrüge. So hat man den Einen zum
Reichsgeschäftsordnungsbewahrer erhoben, weil er fast jeden Tag von
der Geschäftsordnung spricht; einen Zweiten zum Reichsantragsteller;
einen Dritten (~sit venia verbo~) zum Reichszweifel--! Das sind die
~entremets~ oder ~hors d’oeuvres~, unseres sehr ernsten Gastmahls.

Heute kommt der erste Absatz des Gesetzentwurfes über die Grundrechte
zur Berathung. Unzählige Redner haben sich bereits angemeldet, und
wir werden sehr viele unnütze Worte hören müssen. Indessen ist die
jetzige Fassung allerdings ungenügend. Es heißt: „jeder Deutsche
hat das allgemeine deutsche +Staats+bürgerrecht.“ -- Nun giebt es
ja aber unzählige Deutsche außerhalb Deutschlands (in Siebenbürgen,
Nordamerika u. s. w.) die es nicht haben und nicht haben können;
während Franzosen, Polen, Böhmen, Slaven, die innerhalb Deutschlands
angesiedelt sind, mit Recht die Zulassung verlangen werden. Der Thurm
läßt sich nicht von oben bauen. Die wahren Stufen in Deutschland
sind: Familie, Gemeine, einzelner deutscher Staat, deutsches Reich.
Selbstständige Familienglieder sollen in eine Gemeine treten (nicht
wie Schutzverwandte ganz daneben vegetiren, und doch schwadroniren);
der Gemeinebürger hat Anspruch auf das Bürgerrecht des einzelnen
deutschen Staates, und diesem soll auch das Reichsbürgerrecht gewährt
werden. Nicht aber dürfen Reichsbürger, ohne Ansiedlung und Heimat,
in Deutschland umher vagabondiren, und sich dann wie Heuschrecken
da niederlassen, wo sie für sich reichen Fraß zu finden glauben. --
Ebensowenig ist das Verhältniß des 3. Paragraphen zum zweiten klar; wie
ich auch in den von mir entworfenen, von Schubert (nach einigen kleinen
Zusätzen) angenommenen Vorschlägen, bemerkt habe. Man könnte über den
Gesetzentwurf ein dickes Buch schreiben; hier durfte ich nur Einzelnes
herausgreifen und +kurz+ berühren, -- sonst lieset es kein Mensch.
~Dixi et salvavi animam!~

Die heutige Sitzung giebt Veranlassung eine schrecklich lange Berathung
über die Grundrechte befürchten zu müssen; denn wir sind über die
ersten zwei Absätze nicht hinausgekommen. Auch kostete eine sehr
unnütze Frage (oder Interpellation) Blum’s leider viele Zeit. Da es
lange vorher weltkundig war, man werde wohl den Erzherzog Johann zum
Reichsverweser erwählen, hatten die Bundestagsgesandten (auf den
Grund ihrer Berichte) die willige Zustimmung aller ihrer Regierungen
erhalten, und +nach+ der Wahl dies freudig dem Erzherzoge
gemeldet, um ihm alle, nach dieser Seite hin, etwa obwaltende Zweifel
zu benehmen. Dies natürliche, verständige, abkürzende Verfahren,
stellten Blum und Consorten, als eine verrätherische heimliche
Verabredung dar, als einen furchtbaren, allgemeines Mißtrauen
erweckenden Eingriff der Fürsten in die Rechte der Reichsversammlung,
als eine Quelle der allgemeinsten Unzufriedenheit im Volke u. s.
w. -- Noch nie hat Blum auf unhaltbarerem Boden gestanden und so
schlecht gesprochen; auch ward er vom Bundespräsidenten von Schmerling
gehörig zurecht gewiesen. Alle Anstrengungen seiner Freunde blieben
umsonst (Einige entsagten sogar der Rede, was, ich glaube, noch
nie geschehen); und anstatt die Bundesgesandten zurechtzuweisen und
zur Verantwortung zu ziehen, ging man ganz einfach zur Tagesordnung
über. -- Lächerlich war es, daß ein Schreiben der nach Wien eilenden
Abgeordneten, den über die Wahl Johann’s allgemein ausbrechenden Jubel
(insbesondere zu Nürnberg und Fürth) begeistert verkündete; während
Blum seine Schornsteinmalereien auftischte!

Am Anfange der Sitzung mußte ich Namens des völkerrechtlichen
Ausschusses drei (sehr kurze, gewiß nicht zu lange) Berichte vorlesen,
oder vielmehr mit größter Anstrengung herschreien: über Istrien,
Trient und Roveredo, und den österreichisch-italienischen Krieg. Ich
hoffe ein gedrucktes Exemplar beilegen zu können. So hätte ich mich
einmal pflichtmäßig hören lassen, und (ein sehr seltener Fall) durch
den zweiten Bericht zwei entgegengesetzte Parteien so befriedigt, daß
sie mein Benehmen billigen und sich bei mir bedankten. Mit dem dritten
wird es nicht so gehen, und -- (von seinen kosmopolitischen Grillen
ausgehend) wahrscheinlich heftig gegen Österreich Partei nehmen. Indeß
schienen die Meisten mit meinen Anträgen einverstanden zu sein, wie
denn auch der ganze Ausschuß, Inhalt und Fassung billigte.



Dreiundzwanzigster Brief.


    Frankfurt a. M., den 5. Julius 1848.

Noch immer giebt es Leute, die nach Krieg schreien und den unsinnigen
Glauben hegen: Freiheit und Ordnung würden am besten während eines
Krieges gegründet. Hiezu kommt daß, wenn man Peuker’s Buch lieset und
mit einem Berichte des Ausschusses für die Wehrverfassung vergleicht,
ohne Zweifel Rußland und Frankreich besser gerüstet sind, als das
zerstückte, zwischen beiden eingeklemmte Deutschland. Nur noch ein
Jahr Friede, und ich hoffe, trotz aller Wühlereien, werden doch Recht
und Ordnung sich wiederfinden; -- denn auf die Dauer sind sie ganz
unentbehrlich, und je ärger man sie verletzt, desto unausbleiblicher
ist der Rückschlag, und wäre er auch so furchtbar und blutig wie in
Paris.

Wenn die Unzahl eingegangener, zum Theil ganz unvernünftiger Anträge
und Petitionen, hier zur Berathung und Entscheidung kommen müßte,
so stürben die jüngsten Abgeordneten vor Beendigung der, meist ganz
unnützen, Arbeit. Es ließe sich aus jenen ein Quodlibet ergötzlicher
Narrheiten zusammensetzen; fehlte es unter den höchst ernsthaften
Geschäften nicht an Humor und Muße.

Ich benutzte die Muße des heutigen Feier- und Bummeltages um mich
zu baden, und dann wieder das städelsche Museum zu besuchen. Wäre
es meines Amtes, so könnte ich lange Kunstkritiken machen und z. B.
zu beweisen suchen, ein dortiger Rafael sei kein Rafael. Das haben
jedoch Andere wohl schon gründlicher gethan. In Overbeck’s großem
allegorischen Bilde ist die Musik zu kurz gekommen; auch bin ich ein
zu großer Verehrer der Frauen, um nicht zu rügen, daß sie ganz aus
dem Tempel hinausgetrieben sind. Der große Moreto erinnerte mich an
Bilder dieses Meisters in Verona. Das Manierirte und Unschöne so vieler
Gemälde stört den Eindruck in jeder zahlreichern Sammlung; wogegen die
Ausstellung der Rafaels im berliner Museum einen rein erfreulichen
Genuß gewährte, und aus der schweren Luft politischer Werkstätten in
reinere Regionen erhob.

Da ich so viel täglich muß deklamiren hören, nahm ich -- mehr des
ähnlichen Worts, als der inneren Aehnlichkeit halber --, Quintilian’s
Deklamationen zur Hand. Erzeugnisse kalten, künstlichen Scharfsinns,
ohne tiefere Wahrheit und Begeisterung. Wie viel anziehender und
lehrreicher wäre die Sammlung, wenn sie wirkliche Fälle und namhafte
Personen, mit scharfer Hinweisung und Erörterung römischer Gesetze
enthielte; wenn es ein Pitaval der Wahrheit wäre. Freilich zeigen die
Aufgaben eine krankhafte Zeit, aber viel zu unbestimmt und schwankend:
+ein+ wirklicher Fall im Tacitus giebt mehr Erleuchtung über die
damalige Ausartung, als diese ganze Sammlung. Wie konnte ein Mann, der
das geistreiche zehnte Buch seiner Institutionen schrieb, sich mit
diesen Schulexercitien begnügen?


    Den 6. Julius.

Die preußischen Wahlen, „hervorgegangen aus der +breitesten+
Grundlage“, erweisen, daß der +Kopf+ bei ihnen nicht mitgesprochen
hat. So übel die Sachen auch standen, als das Wahlgesetz gegeben ward,
hätten die Minister doch nicht mit Siebenmeilenstiefeln selbst über
das amerikanische hinausschreiten, sondern wenigstens von jedem Wähler
fordern sollen: +Ansiedelung+ und +Steuerzahlung+.

Bei der Aussicht, allzu lange hier zu bleiben, möchten Etliche die
Reichsversammlung unterbrechen und etwa im Herbste nach Hause gehen.
Eine unvollendete Verfassung ist aber gar keine Verfassung, und für
Uebereilungen erhält man vielleicht noch eher eine Lossprechung,
als für lange Verschleppungen. Ein sehr zusammengedrängter, rasch
handelnder Bundestag an der Spitze, wäre am wenigsten abweichend von
dem Früheren; ein solcher Gedanke ist aber seiner Unbeliebtheit halber
völlig unausführbar: obgleich ich für den, am entgegengesetzten Ende
stehenden, Gedanken +eines mächtigen+ Kaisers in diesem Augenblicke
noch weniger Freunde sehe. Die französische ~assemblée constituante~
blieb so lange beisammen, daß +daher+ keine Wahrscheinlichkeit für
unser +rasches+ Beenden zu holen ist. Möge das deutsche Kind nur
länger leben als das französische, selbst von den Eltern verläugnete,
halb todtgeborne, und dann mit Schmach und Hohn öffentlich ermordete!
Ueberhaupt können, nach den Erfahrungen der letzten 60 Jahre, alle
Verfassungsfabrikanten keineswegs auf Ruhm und Dank rechnen. Auch läßt
man den alten Spruch: ~in magnis voluisse sat est~, nicht gelten; wie
er denn freilich kaum halbwahr ist.

Sehe ich nach diesen weitaussehenden und weithingreifenden,
weltgeschichtlichen Betrachtungen, auf mich selbst, so bleibt fest
stehen, daß ich ausharren muß und nicht übereilt meinen Platz abtreten
darf, ohne Rücksicht darauf, ob und was zu Stande kommt, und ob man
Dank oder Vorwürfe dafür einernten wird. Man thut eben seine Pflicht!

Wenn ich hier manche Weltverbesserer in ihren gesuchten, abweichenden
Trachten, mit aufgedrückten, schiefgerichteten Mützen, in schmuzigem
Putze, mit großen Knitteln bewaffnet, breitspurig wie Matrosen, Alles
um sich verachtend einhergehen sehe, so werde ich unwillkürlich an
die amerikanischen Wilden erinnert, und möchte eine wilde, aller
Ordnung und ächten Bildung widersprechende Zeit befürchten. Gewiß ist
in all diesen Leuten auch nicht eine Spur von christlicher Demuth, und
ebensowenig von der Besonnenheit und dem schönen Maße, der Sophrosyne,
der Griechen. -- Das äußerliche Gegenstück zu jenen geputzten und
zugleich ungewaschenen Helden des Tages, sind die eleganten Damen.
Denn ihr Anzug ist von der Natur und Schönheit der Griechen so weit
entfernt, wie eine eingeschnürte, schiefhüftige Frau von Lukas Kranach,
von der Venus von Melos. Käme aber diese selbst hieher, und hielte
Vorlesungen darüber, wie man sich kleiden müsse; es würde selbst auf
die Schönsten keinen Eindruck machen, wenn irgend eine Modehändlerin
widerspräche.

Hiebei die ganze Paulskirche, damit Ihr Euch in Gedanken herversetzen
könnt, wie die 600 Weisen Deutschlands auf der breitesten Grundlage
sitzen. -- Ferner, meine drei, +sehr kleinen+ Berichte, über +sehr
wichtige+ Gegenstände. Auf den Lakonismus im Schreiben und Sprechen
sollte man hier große Belohnungen aussetzen!!



Vierundzwanzigster Brief.


    Frankfurt a. M., den 6. Julius 1848.

Heute habe ich zum ersten Male den Muth eines Mitgliedes des
britischen Unterhauses gehabt: das heißt, ich bin aus der Sitzung
davongelaufen, weil sie gar zu weitläufig und langweilig war. Zu
einem Satze werden 40-50 Verbesserungsvorschläge gestellt und über
jeden soll man abstimmen; zu jedem Satze haben sich an 60 Redner
gemeldet. Nach einer auf Thatsachen gegründeten und aus ihnen (wenn
es nicht anders wird) fortschließenden Berechnung würden wir im
April 1850 mit den Grundrechten fertig sein, und unsere Weisheit dem
theuern Vaterlande theuer zu stehen kommen, da ihm jede Minute der
Berathung angeblich sieben Thaler kostet. In dieser verzweifelten
Lage geschah der Vorschlag: nur ein von 20 Abgeordneten gebilligter
Antrag dürfe zur Sprache gebracht werden. So zweckdienlich dieser
Vorschlag beim ersten Anblicke auch erscheint, ward er doch (und ich
glaube mit Recht) verworfen: denn Parteileute finden leicht 20 ihres
Gleichen, Unparteiliche kommen nie zum Worte. Auch haben wir die übelen
Folgen einer ähnlichen Maßregel, schon bei der Berathung über die
Centralgewalt erfahren. -- Meine Herren (fragte ein Abgeordneter sehr
persönlich und anzüglich), wer von ihnen hat denn den heutigen Rednern
aufmerksam zugehört? -- und Alle schwiegen. -- Ich denke die Langeweile
und Ungeduld wird am besten zur Beschleunigung, ja vielleicht so sehr
wirken, daß man das Spätere übereilt. Schon jetzt wird +Bravo+
gerufen, wenn Einer auf das Wort verzichtet; ein Gleiches geschah
heute, weil Jemand sagte: ich nehme meinen Antrag zurück! Als er aber
hinzufügte: „ich stelle jedoch einen neuen“; hörte man tiefe Seufzer!

Zum Beweise für die Trefflichkeit des deutschen Familienlebens, steigt
mit jedem Tage der Ruf der Abgeordneten nach Frau und Kindern. Ich kann
(sagte Hr. v. Auerswald) meine aus neun Personen bestehende Familie
nicht aus eigenen Mitteln herschaffen, und Viele wollen (da sich der
Aufenthalt ganz ins Unbestimmte verlängert) darauf antragen, daß der
Staat ihnen Geldhülfe bewillige. Ich glaube nicht an eine Genehmigung
dieser Bitte: es wird aber allerdings mit jedem Tage (so lange noch
schöne Tage sind) nöthiger, daß die abwesenden Familienglieder mit sich
selbst ins Klare kommen, was sie thun und lassen wollen und -- können!

Heute hat man das Gerücht verbreitet, ja an den Straßenecken
angeschrieben: der Erzherzog Johann habe die Stellung als
Reichsverweser angenommen, jedoch nur unter der Bedingung, daß er
+nicht+ unverantwortlich sei. Der österreichische Gesandte weiß nichts
davon, und die Lüge ist wahrscheinlich zu dem Zwecke erfunden, um
anfangs sagen zu können: sehet, die Linke hat Recht; -- und nachher:
sehet, das Volk ist wieder getäuscht worden! -- Der nächstbevorstehende
Hauptlärm entsteht ohne Zweifel bei der Frage: ob Hecker soll in die
Versammlung aufgenommen werden.


    Den 7. Julius.

Die heutige Sitzung war (Gottlob!) nicht so langweilig, wie die
gestrige. Es kam zuerst der Vorschlag in Berathung: ob für die
Angelegenheiten der Kirche und Schule, ein Ausschuß, oder deren zwei
erwählt werden sollten. Dafür ward gesagt: daß beide Gegenstände von
der höchsten Wichtigkeit seien, und von der Reichsversammlung in
genauere Betrachtung müßten gezogen werden. Die wenigen allgemeinen
Sätze, welche man in die sogenannten Grundrechte aufgenommen habe,
reichten nicht aus, und bedürften einer weiteren Bearbeitung.
Wenigstens müßten schon jetzt die Materialien für die künftige genauere
Gesetzgebung gesammelt und vorbereitet werden. -- Gegen den Antrag
ward behauptet: es gehöre durchaus nicht für den Geschäftskreis
des verfassunggebenden Reichstages, Kirchen- und Schulordnungen zu
entwerfen. Statt rasch dem Ziele entgegenzugehen, belade man sich
mit unzähligen, lästigen Nebengeschäften, erschöpfe die Kräfte und
vergeude die Zeit. Wenige, allgemein anerkannte Grundsätze, möge man
in den Grundrechten aussprechen, alles Uebrige aber der späteren,
gesetzgebenden Reichsversammlung überweisen und sich nicht einbilden,
es ließen sich (bei der größten Mannigfaltigkeit der ländlichen und
örtlichen Verhältnisse) für alle deutschen Staaten passende Kirchen-
und Schulgesetze in Frankfurt entwerfen. Insbesondere müsse man
jeder einzelnen kirchlichen Genossenschaft überlassen, ihre eigenen
Angelegenheiten zu ordnen; man müsse da nichts vorschreiben wollen, wo
man durch Zwang noch nie zu einem Ziele gekommen sei. -- So, in aller
Kürze, die Hauptgründe dafür und dagegen. Man kam zu dem Beschlusse:
es solle ein Ausschuß für die Schule, nicht aber für die kirchlichen
Angelegenheiten erwählt werden.

Der zweite Hauptgegenstand der Berathung betraf die deutsche
Wehrverfassung. Aus einem Berichte des dafür ernannten Ausschusses und
einer sachverständigen Rede des Generals v. Radowitz ging hervor: daß
Deutschland seinen beiden mächtigen Nachbarn gegenüber, verhältnißmäßig
keineswegs genügend gerüstet und eine Vermehrung der schlagfertigen
Macht (nach Maßgabe der sehr gestiegenen Bevölkerung) nothwendig sei.
Mit sogenannter Volksbewaffnung könne man regelmäßig geordneten
Heeren nicht widerstehen; und die Kosten würden bei zweckmäßiger
Verbindung der Linie, der Landwehr und Bürgerwehr, nicht sehr steigen.
-- Hiegegen wurden (besonders von der Linken) die bekannten Klagen
über stehende Heere wiederholt, und behauptet: eine Volksbewaffnung
sei um so eher ausreichend, da kein Krieg drohe (obwohl sie immer
wider Rußland aufreizt) und man nur die brüderlichen Anerbieten der
Franzosen annehmen und entgegnen dürfe, um in tiefster Ruhe alle Kräfte
nützlicher auf die innere Entwickelung zu verwenden. -- Die Abstimmung
ward auf nächsten Freitag angesetzt.

Niemand hob hervor, daß ein fortgesetztes, stetes Steigern der
+bewaffneten+ Macht, von Seiten +aller+ Staaten, sie immer schneller
dem (mindestens finanziellen) Abgrunde entgegenführt. Deutschland muß
sich so rüsten, daß es vollgewichtig mitsprechen kann; dann aber darauf
dringen, daß +alle+ Landmächte verhältnißmäßig und Zug um Zug jenen
auszehrenden Kriegszustand während des Friedens ermäßigen.


    Den 8. Julius.

Gestern hatten wir hier (oder vielmehr in Sachsenhausen) auch einen
Krawall ganz nach gewöhnlichem Zuschnitte, Pflasteraufreißen, den
Bäckern (angeblich zu kleinen Brotes halber) die Fenster einwerfen,
Verhaftungen, Versuche des souverainen Pöbels die Eingesperrten zu
befreien, steigende Widersetzlichkeit bis zum Schießen. Die frankfurter
Soldaten und Bürger waren sogleich zur Hand, ernsthaftes Eingreifen,
Blöken und Brüllen der Lumpen, die Hecker leben ließen, Herstellung
der Ordnung und heute früh um 5 Uhr zur Aufrechthaltung derselben alle
Mannschaft schon wieder zur Hand: -- hoffentlich mit gutem Erfolge.
-- Einem Kellner im Schwan, der das Gesindel auch gern zu Helden
umgeschmort hätte, sagte ich: da einige Preise auf dem Speisezettel
erhöht wären, würde ich Sorge tragen, daß die Fenster im Schwane
auch eingeschlagen würden. Dies ~argumentum ad hominem~ machte ihn
stutzig, und als ich eine Strafpredigt ohne Ironie folgen ließ, ging er
eiligst seinen Geschäften nach. -- Im Buchladen fand ich gestern eine
Republikanerin aus Offenbach, welche klagte, daß sie die einzige dieses
Glaubens in ihrer Familie sei. -- Das Papier reicht nicht hin über
unsere angenehmen Discurse Bericht zu erstatten, welche meinerseits
zugleich höflich und grob waren. -- Sie: Der Prinz von Preußen hat u.
s. w. -- Ich: Gelogen! -- Sie: Der russische Kaiser hat die Plünderung
des berliner Zeughauses durch Geldspenden herbeigeführt. -- Ich: Er hat
auch einigen Demoisellen, welche mitplünderten, auf seine Kosten Hosen
machen lassen.



Fünfundzwanzigster Brief.


    Frankfurt a. M., den 8. Julius 1848.

S. ein Ungar, von Paris kommend, erzählte, wie man daselbst allgemein
von der Regierung +strenge+ Maßregeln wider die Unordnung fordere.
-- Ungarn und benachbarte Slaven hätten seit Jahrhunderten friedlich
nebeneinander gewohnt. Der ganz neue Zwist habe einen doppelten Grund:
1) Ränke und heimliche Umtriebe der Russen. 2) Bascule, Schaukelsystem
des gestürzten österreichischen Ministeriums, welches den mächtiger
auftretenden Ungarn gesucht habe, Slaven entgegenzustellen. Hoffentlich
sei der jetzige Zustand ein vorübergehender. Erzherzog Stephan werde
in Ungarn sehr geehrt und geliebt. -- Ein starkes Ungarn sei durchaus
nothwendig gegen die immer mehr hervortretenden Übergriffe der Russen;
auch würden die siebenbürger Deutschen durch einen engern Anschluß an
Ungarn besser wegkommen, als wenn sie von der Mehrzahl von Slaven und
Walachen abhängig würden.

Gestern habe ich mir zur Gemüthsergötzung Bulwer’s Pelham aus der
Lesebibliothek geholt; ergötze mich aber nicht daran und fühle mich
außer Stande das Buch buchstäblich zu lesen. Geschicklichkeit der
Auffassung und Darstellung -- aber welcher Personen und Gegenstände.
Die entschlossenen Teufelskerle und kräftigen Liederjans in Fielding’s
Romanen interessiren, und strecken doch ab und zu die Hand aus nach
poetischen Lebenselementen; aber Hr. Pelham ist ein inhaltsloser,
kenntnißloser, gedankenloser, gemüthloser, blasirter Fat und Dandy.
Sagt man: das soll er ja eben sein, so ist er dann wenigstens kein
Gegenstand, oder keine Person für ein Kunstwerk. Oder kommt das Beste
etwa hinten auf den letzten Seiten, zu denen ich wohl nicht vordringen
werde? Die erbärmlichste, beleckte, mit Schminkpflästerchen belegte
Frivolität des oberflächlichen Lebens; was soll ich mich in diese
elendeste Gesellschaft begeben? Lieber lege ich mich entschlossen zu
den Schweinen und rufe: mir ist so kannibalisch wohl u. s. w. Auch
die unerschöpfliche Liederlichkeit des Chevalier Faublas ist noch
anziehender; -- aber freilich nicht, wenn er Prügel bekommt, oder in
der Noth moralisch wird und ruft: ~o ma tendre Sophie!~ Moralische
Schwanzperücken, die man Büchern der Art anhängt, wachsen damit nie
zusammen und Feigenblätter helfen nicht gegen die Sünde. Zierereien,
erstes Häufchen.

Pelham erinnerte mich an die Sybille der Gräfin Hahn. Beide lieben
+nicht+, sie lieben vielleicht +nichts+; aber welch ein Unterschied.
Jener ist und bleibt innerlichst und für jeden Boden eine taube Nuß;
diese ist mir anziehender als ein ganzes Schock Mädchen und Frauen,
welche singen: bei Männern welche Liebe fühlen! Die Meisten bringen
es dabei nicht über eine physische, oder moralische Nothdurft hinaus;
die Noth werden sie dabei nie los. Der Diamant brennt auch; aber ich
kann ihn nicht mit einem Schwefelhölzchen, oder Lappenzunder entzünden.
Das erfährt Sybille. Lessing sagt: das Streben nach Wahrheit stehe
ihm höher als die Wahrheit. Alles ächte Leben beruht auf jener steten
Thätigkeit, ununterbrochenen Bewegung. Die Erde wirbelt seit der
Erschaffung und kommt nie an; ist ihr Streben, ihre Thätigkeit deshalb
nichts? Welcher Mensch kann sagen: er sei am Ziele angelangt? Das sagt
der Faule, oder der Erschöpfte. Beides ist freilich sehr menschlich und
natürlich! -- Übrigens widerrufe ich Alles, was ich gegen Pelham gesagt
habe; schon um des vollgewichtigen Einwandes halber: Sie haben das Buch
nicht durchgelesen!


    Den 9. Julius.

Gestern Abend hatten wir eine lange, ziemlich fruchtlose Sitzung im
völkerrechtlichen Ausschusse: Über die Noth deutscher Auswanderer in
Havre, welche sich ohne Geld und Vorsicht dahin begeben hatten. Gewiß
müssen künftig die deutschen Regierungen (oder die Bundesregierung)
mehr thun, um die Auswanderer zu belehren, gegen Betrug zu schützen,
ihnen eine sichere Aufnahme zu bereiten u. s. w.; wogegen ich erstens
nicht glaube, daß jemals durch Auswanderungen die Überbevölkerung
hinweggeschafft wird. Es werden (wie Irland zeigt) mehr Kinder neu in
die Welt gesetzt, als Erwachsene davongehen. Zweitens: Auswanderungen
auf Kosten des Staates zu betreiben, führt nicht zu übersehende
Ausgaben herbei und wird eine höchst drückende Armensteuer. Selbst
das reiche England hat sich nie darauf einlassen wollen. Drittens ist
es sehr irrig, hiebei etwa nur die Kosten der Überfahrt in Rechnung
zu stellen; die Kosten der Ansiedlung sind eben so nöthig und viel
größer; weshalb die Amerikaner auch untersuchen, ob der Ankömmling Geld
mitbringt, bevor sie ihn ans Land lassen.

Wie angeblich kluge Leute doch ganz thörichte Vorschläge machen können,
erfuhren wir gestern im Ausschusse. Ein Mann behauptete: Preußen habe
bei den Verhandlungen mit Dänemark die Interessen seiner eigenen
Unterthanen leichtsinnig, oder pflichtwidrig vernachlässigt, und sei
anzuweisen, sogleich Jütland zu besetzen und es zu behalten, bis die
Dänen in Alles einwilligten, was man verlange. Auf Machtverhältnisse,
auf die Einwirkung Schwedens, Englands und Rußlands, nahm der Mann
nicht die geringste Rücksicht; er wollte mit einem frankfurter
Maultrompetenstoß alle Hindernisse zu Boden stürzen und den Preußen
beibringen, -- was sie längst besser wissen.

Was heißt das: ich liebe König und Königin u. s. w., nenne aber das
jetzige Preußen nicht mein Vaterland. Es ist keine Kunst, in guten
Zeiten ein großes Gehalt zu beziehen, Diners geben und besuchen; wenn
sich dies aber ändert, Klaglieder Jeremiä vorzubemmeln. Ein Mann in
--s Jahren muß noch Hand anlegen, und je kränker ein Kind ist, desto
größer Liebe und Sorgfalt des Vaters und der Mutter. Wie oft hätten die
Preußen sonst verzweifeln müssen! Im Dreißigjährigen und Siebenjährigen
Kriege, im Jahre 1813 und -- jetzt! Dennoch: ~plus ultra~, Vorwärts,
Drauf!! -- Ruhe, Ordnung und Gesetz wird nicht dadurch im Vaterlande
hergestellt, daß man es verläßt. Beamte jener Art haben dem Sturze
nicht vorbeugen können, und werden den Aufbau nicht zu Stande bringen.
Ruhe, Ordnung und Gesetz geht mir auch über Alles; erst aber muß man
Hand anlegen, ehe es erlaubt ist zu sagen: ich wasche meine Hände in
Unschuld. -- Ich bin freilich nur ein Heupferd, aber ich sitze doch auf
dem Wagen, der da fährt, und komme mit vorwärts; wenigstens eher als
wenn ich auf einem vertrockneten Grashalm säße und einen und denselben
Singsang von Morgen bis zum Abend faullenzend ertönen ließe.

Die Leichtgläubigkeit ist überall gleich groß: bei den berliner
Bürgern und den Demoisellen in Offenbach. Zu gestern war hier wieder
ein Krawall angesagt, weil man einen Haupträdelsführer verhaftet und
nach Mainz geschickt hat. Es blieb jedoch Alles ruhig, vielleicht aus
einem löblichen Rechtsgefühle, oder aus Besorgniß vor den muthigen
Gegenanstalten.



Sechsundzwanzigster Brief.


    Frankfurt a. M., den 10. Julius 1848.

Gestern Nachmittag machte ich einen langen Spaziergang, nach einer mir
noch ganz unbekannten Gegend. Auch hier fand ich eine Überzahl schöner
Landhäuser, reich geschmückter Gärten, großer gesunder Bäume; dann
fruchtbare, wohlangebaute Felder. Alles vereinte sich zum angenehmsten,
heitersten Eindruck; obgleich mit der begonnenen Roggenernte und dem
Verschwinden der Rosenblüthe sich der Spätsommer bereits ankündigt.
Weiter und weiter gehend, kam ich unerwartet zu einem Orte, von dem
man mir gesagt: er sei zu entfernt, als daß man ihn zu Fuße erreichen
könne. Jeder erreicht ihn indeß zu Fuße, zu Pferde, zu Wagen; ja,
selbst dann, wenn er zu Hause bleibt. Auch mir wird daselbst bald
eine freie Wohnung angewiesen werden. Der +Friedhof+ gehört zu den
anmuthigern in Deutschland, obwohl er keine Kunstdenkmale zeigt. An
der einen langen Seite des, mit Mauern umschlossenen Gartens läuft
ein Bogengang, an dessen hinterer Wand die Namen der Familien und
ihrer Begräbnisse verzeichnet sind. Im Freien stehen einzelne kleine
Denksteine gleichsam in der Einsamkeit; an anderer Stelle drängen sich
die weißen, mit Namen bezeichneten Kreuze. Diese hölzernen Kreuze
verlängern das Andenken, wenigstens auf einige Zeit. Bald aber ergreift
der Tod auch sie; etwas später die steinernen Denkmale; bis man
dereinst an ausgegrabene Schädel die Vermuthung knüpft: hier sei ein
Friedhof -- oder ein Schlachtfeld gewesen! Beides zeugt für dasselbe,
für die Hinfälligkeit und Veränderlichkeit alles Irdischen!

Es steht geschrieben: ihre Werke folgen ihnen nach. Heißt das: sie
sind vorgeübt für ein neu beginnendes höheres Dasein, und kommen
deshalb in eine höhere Klasse? Oder muß ein Schriftsteller den
Spruch so deuten: seine gedruckten Werke werden sogleich, oder bald
nachher auch begraben? Unzählige Blumen und Kränze bezeugten die
herzliche Theilnahme der Überlebenden: aber die Blumen vertrocknen
und die spätern Geschlechter wissen nichts mehr von früherer Liebe,
Theilnahme, Schmerzen, Hoffnungen. -- Mit ernsten, wehmüthigen Gedanken
wanderte ich durch Seitenwege, über Felder und Gärten zurück, und ging
(so schnell wechseln Handlungen und Stimmungen) ins Schauspiel.

Oberon war plötzlich heiser geworden, deshalb gab man Stadt und Land;
nicht von der Birch-Pfeiffer, sondern ein wiener Stück, mit der
dortigen Gutmüthigkeit, Heiterkeit und lustigen Witzen ausgestattet.
Daß das Land den sittlichern Gegensatz zur verbildeten Stadt bietet,
versteht sich von selbst. Der verschmähte Bruder Ochsenhändler fällt
in die Kreise seines vornehm gewordenen Bruders nieder und verursacht
Jammer und Noth, bis er diesen zuletzt aus der Noth rettet. Des
Vornehmen kränkliche Tochter ist auf dem Lande bei ihrem Oheime
leiblich und geistig gesund geworden; des Ochsenhändlers Tochter in
der Stadt eitel und herzlos -- und wie die Gegensätze weiter lauten.
Keiner spielte schlecht; der Ochsenhändler (Hr. Merk) und ein, seinen
Herrn (wegen der ihm bekannten Herkunft desselben) beherrschender,
hochmüthiger, faul geldgieriger Bedienter (Hr. Hassel) zeichneten sich
aus, sodaß ich mich sehr gut amusirte und Gottlob (Staat und Kirche
vergessend) von Herzen lachte!

In der heutigen Sitzung ward ein Schreiben der nach Wien gesandten
Abgeordneten verlesen, worin sie Bericht erstatten, mit welcher
Theilnahme, mit welchem Jubel man sie, ihrer Botschaft halber, in
allen Orten (besonders in Regensburg, Linz und Wien) empfangen habe,
wie sie dem Erzherzog Johann vorgestellt worden, was er geantwortet u.
s. w. Auch in der Paulskirche erhob sich theilnehmender Beifallsruf;
nur die Linke blieb schweigend sitzen. Sehr überraschte die Nachricht,
der Erzherzog werde bereits morgen hier anlangen, sodaß die großen
Festlichkeiten, welche Frankfurt bezweckte, gutentheils wohl
unterbleiben müssen.

Hierauf begann eine stundenlange, ganz unnütze Rederei über
Zeitungsnachrichten, den in Holstein abgeschlossenen Waffenstillstand
betreffend. Einige Redner der Linken spielten hiebei Grobheiten gegen
den König von Dänemark und die Dänen aus, oder verläumdeten die
Preußen. Das allgemein bezeigte Mißfallen und der Ruf zur Ordnung
können Leute nicht einschüchtern, deren liebste Nahrung eben die
Unordnung ist. Brachte doch V. den Aberwitz vor: die Preußen föchten in
Holstein verrätherisch Krieg +für+ den König von Dänemark und +gegen+
Deutschland! Das Ende war der Beschluß: zur Tagesordnung überzugehen;
das hieß: nachdem man die Zeit und den Tag verloren hatte, nicht zur
Tagesordnung, sondern nach Hause zu gehen!


    Den 11. Julius.

Gestern Abend drei Stunden lang im Ausschusse; diesmal zwar
nicht +mit+ den Polen, aber doch +über+ die Polen. Gemüthliche
Schwäche, sentimentale Theilnahme, Rechtsgefühl sind weit häufigere
Eigenschaften, als politischer Verstand und staatsmännische Weisheit.
So kamen bei den gestrigen Erörterungen sonderbare Ansichten zu
Tage, z. B. im Staatsrechte gebe es keine Verjährung, Abgezwungenes
(etwa durch nachtheilige Friedensschlüsse) werde nie ein rechtlicher
Besitz, sondern der rückfordernde Anspruch dauere bis in Ewigkeit;
die von König F. W. III. den Polen freiwillig versprochene Erhaltung
ihrer +Nationalität+, schließe die Errichtung einer selbstständigen
polnischen Herrschaft in sich; eben so sei das Wort +Organisation+
jetzt zu verstehen, und überlasse die posener Deutschen den Polen!
Ansichten so einseitiger, wunderlicher Art werden jedoch in der
hiesigen Versammlung schwerlich jemals das Übergewicht gewinnen.

Der heutige Tag ist kalt, dunkel und regnerisch, also sehr ungünstig
zum Empfange des Erzherzogs im Freien. Doch brachte man schon gestern
Abend ganze Fuhren von grünen Bäumen und Zweigen herbei, und befestigte
Fahnen und Kränze an den Häusern.

Die Commission, welche dafür ernannt war, machte über den Empfang des
Erzherzogs in seiner Wohnung, Einführung in die Reichsversammlung,
Anrede des Präsidenten u. s. w. verständige Vorschläge, deren einfache
Annahme, ohne Erörterung, man erwartete. Dennoch eilte Hr. Simon aus
Trier auf die Rednerbühne und behauptete: Niemand solle den Erzherzog
empfangen, er solle zu +uns+, den Vornehmern, kommen. Und Hr. Wesendonk
aus Düsseldorf verlangte, daß des Präsidenten zu sprechende Worte
vorher mitgetheilt und durchcorrigirt würden. Beide Anträge fanden aber
+fast gar keine+ Unterstützung; selbst die Galerie hatte Gefühl für
Schicklichkeit und Anstand -- --

Funfzig erloosete Mitglieder der Reichsversammlung werden den
Reichsverweser empfangen. Fahnen, Kränze, mit Eichenlaub geschmückte
Hüte, Soldaten, Bürgerwehr, Zünfte, Alles in höchstem Prunke, am Thore
eine geschmackvolle Ehrenpforte, Volk auf und ab wogend, alle Fenster
voll, meist von Frauen und Mädchen.

+7 Uhr.+ So eben habe ich den Erzherzog und den ganzen Zug, von einem
guten Straßenplatz auf der Zeile gesehen. Er hat den gutmüthigen
Ausdruck des österreichischen Hauses, und der Empfang war so
freundlich, die Theilnahme so groß und allgemein, als man zu seinem und
des Vaterlandes Wohle nur wünschen kann. Nach einigen Tagen (so höre
ich) und nach Errichtung der Ministerien will er Frankfurt verlassen,
in Wien den Reichstag eröffnen und bald zurückkehren. Niemand kennt
die Zukunft; doch muß ich es (wie ich wohl schon früher schrieb) für
einen großen Gewinn halten, daß ein Mann gewählt ward, der in der
Reichsversammlung eine so entscheidende Stimmenmehrheit hatte, und
für den sich alle Regierungen aufrichtig erklären. Die Anarchisten
sind dadurch sehr in ihren Planen gestört worden. Mögen sie nur in
Berlin nicht die Oberhand wieder gewinnen. Die letzten Sitzungen des
Landtages zeigen weder Inhalt, noch Haltung, noch Würde, und der
beginnende Zank zwischen der zeither allzuzahmen Stadtbehörde, und der
allzu anmaßenden Bürgerwehr, giebt schlechte Aussichten. Mit Recht
weiset Sydow den hochmüthigen Brief einiger Wahlmänner muthvoll zurück.
Eben so Schreckenstein die Einmischung einzelner Abgeordneten in die
Kriegsverwaltung. Mögen ihn nur seine Kollegen nicht im Stich lassen.



Siebenundzwanzigster Brief.


    Frankfurt a. M., den 12. Julius 1848.

Heute, so ist die Voraussetzung, wird der Erzherzog in der
Reichsversammlung erscheinen. Der Andrang nach Eintrittskarten ist
so groß, daß man sie für hohen Geldpreis, oder Frauengunst, hätte
los werden können. Ich habe die meine, wie zeither immer, den lieben
Töchtern meiner Frau Wirthin überlassen.

Man bezeichnet diesen Tag, als höchst wichtig für die weitere
Entwickelung und Geschichte Deutschlands. Wer hätte vor Jahr und
Tag vorausgesagt: daß ein +so erwählter+ Reichstag, einen
österreichischen Erzherzog erwählen und jede Regierung dankbar
einwilligen würde! Die Wahl, die Form jenes Reichstags zeigt
eine Erhöhung der Volksgewalt und eine Minderung der fürstlichen
Macht, wie sie in der deutschen Geschichte so groß und rasch noch
nicht vorgekommen. Jahrhunderte lang kämpften die Fürsten gegen
den Kaiser, um die Landeshoheit zu erobern; jetzt bewegt sich der
Streit (nach Beseitigung des Kaisers) zwischen Fürsten und Volk mit
augenscheinlichem Übergewichte des Letzten; +so lange es sich
nicht zur Anarchie verlocken läßt, woraus die Fürstengewalt wieder
auferstehen würde+. Wenn gleich der hiesige Reichstag noch keine
Geld- und Kriegsmacht besitzt, dann doch eine große moralische
Kraft und eine sehr hohe Meinung von sich selbst. Die letzte kann
(Feigeren gegenüber) zum Siege, oder (Gewandteren gegenüber) zum
Sturze führen. Die Fürsten sind (schon ihrer Persönlichkeit wegen)
jetzt meist unbedeutend; vereinzelt werden sie keinen Boden gewinnen.
Wie aber, wenn der Reichstag (und dazu ist er sehr geneigt) für die
angepriesene Einheit Deutschlands zu viel thäte, zu viel von hier aus
vorschriebe, auf örtliche und landschaftliche Ansichten und Wünsche
keine Rücksicht nähme und das Allgemeine über alle noch lebendigen
Besonderheiten hinaufstellte? Dann könnte, ja würde sich Fehde erheben,
zwischen den ihr eigenthümliches Dasein vertheidigenden, deutschen
Volksstämmen und dem (nach französischer Weise) centralisirenden
Reichstage, und Reichsoberhaupt und Fürsten würden die eine, oder die
andere Richtung mit vertreten müssen. Die Gironde war außer Stande,
Frankreich in einen Bundesstaat zu zerfällen; Gedanke und Gewohnheit
der unbedingten Einheit war zu tief gewurzelt und der Wille von Paris
zu vorherrschend, als daß man in Erneuerung landschaftlichen Lebens
nicht mehr Verlust, als Gewinn gesehen hätte. Verfehlen Reichstag
und Reichsverweser das rechte Maß ihrer, meist vom guten Willen der
einzelnen Staaten abhängigen, Einwirkung; so könnte in Deutschland das
Umgekehrte eintreten. Die Art, wie verläumdungssüchtige Schreier hier
nur zu oft Preußen behandeln, schwächt selbst bei dessen Abgeordneten
die Begeisterung für die, blos dem Namen nach vorhandene Einheit und
Einigkeit Deutschlands, und erweckt den Zweifel: ob sie sich nicht
bei dem alten, abgeschlossenen Preußenthum besser befunden hätten
und auch künftig befinden würden? Wären unsere heimischen Zustände
nicht so beklagenswerth, zeigte sich im Landtage mehr Geist und
Charakter, hätten die Machthaber nur etwas von dem einfach verständigen
Regierungstalente Friedrich’s II. -- --, so -- aber!!! Man könne, trübe
gestimmt, ausrufen: ~quos Deus vult perdere, dementat!~

Dem Einzelnen ist ein +unvermeidliches+ Lebensziel gesetzt; alle
Weisheit und Tugend, alle Mäßigung und Besonnenheit, können es niemals
abwenden. Solch +nothwendiger+ Tod ist Völkern nicht vorbestimmt;
sie sind unsterblich, wenn sie das Rechte wollen und vollbringen. Ja,
sie können aus Todesgefahren (wie 1813) verjüngt hervorgehen; sie büßen
aber schnell die hergestellte Jugendkraft wieder ein, wenn sie dieselbe
nicht üben, oder mißbrauchen.

Sollten denn die Deutschen weniger Kraft besitzen von ihren politischen
und geselligen Krankheiten wieder zu erstehen, wie die Franzosen?
Sind die unseren etzt wirklich so groß, wie die französischen?
Freilich, wenn man sich zu den eigenen Krankheiten, die fremden
thöricht einimpft, oder sie für Gesundheitsmittel hält; -- dann ist
die Herstellung und Heilung doppelt schwer. Communismus, Socialismus,
Organisation der Arbeit, oder wie die Quacksalbereien politischer
Tollhäusler sonst heißen, sind jedoch durch pariser Blut wohl auch für
Deutschland fortgeschwemmt worden, und eine heilige Scheu eingetreten
sich aus Louis Blanc’s Sudelapotheke Arznei gegen die Leiden der
Menschheit zu holen. Der völlig mißlungene Versuch wird mit doppelter
Bestimmtheit auf die rechte Bahn hinweisen.

Gestern begegnete ich -- in Gesellschaft eines limburger Abgeordneten,
der seine Ansicht über die Angelegenheiten dieser Landschaft
für einleuchtend und unläugbar erklärte, den Widerspruch der
niederländischen Regierung nirgends berücksichtigen wollte und, mit
Zurücksetzung aller völkerrechtlichen Formen, vom Reichstage einen
augenblicklichen Beschluß verlangte, der Deutschland in einen Krieg
mit Holland (wie mit Dänemark) verwickeln müßte. Nachdem ich ohne
Erfolg höfliche Gründe ausgesprochen hatte und der Unfehlbare immer
schärfer auftrat, ließ ich meinen Gedanken und meiner Zunge auch
freiern Lauf, habe aber den Beifall des Eiferers gewiß nicht gewonnen;
-- worauf es indeß auch gar nicht abgesehen war. Gegen derlei bergab
stürzende Männer, wird der Reichsverweser und sein Ministerium doch als
nützlicher Hemmschuh wirken.

Die heutige Sitzung begann mit einem Berichte Heckscher’s (eines der
an den Reichsverweser geschickten Abgeordneten) über die Hinreise,
Aufnahme in Wien und die Rückreise. Er war höchst anziehend und
erfreulich. Ihr müßt ihn in den Zeitungen, oder den stenographischen
Berichten lesen, die ich an S. schicke. Überall dieselbe Theilnahme für
Deutschlands Wohl und Einigkeit, Jubel über die Wahl des Erzherzogs,
nirgends eine Spur rückläufiger Bestrebungen, überall Sinken, oder
Verschwinden der anarchischen Richtung, selbst in Breslau Vorherrschen,
in Leipzig voller Sieg der Gemäßigten. Thut endlich auch Berlin seine
Pflicht, so kann man sein Haupt ohne Scham wieder erheben; und nach den
Thorheiten der Absolutisten und Anarchisten, auf Gründung von Maß und
Ordnung hoffen.

Nach Anhörung des Heckscherschen Berichtes holten die 50 erlooseten
Abgeordneten den Reichsverweser in seiner Wohnung ab. Der Präsident
v. Gagern redete ihn in kurzer zweckmäßiger Weise an und das Gesetz
über die Centralgewalt ward verlesen. Der Reichsverweser antwortete
mit starker, fester Stimme, versprach das Gesetz zu halten und alle
Kräfte seinem neuen Berufe zu weihen; auch habe ihn der Kaiser (sobald
nur der Reichstag in Wien eröffnet worden) von allen weitern Pflichten
entbunden. Der Rede folgte lauter, anhaltender, allgemeiner Beifall. Ob
sich indeß Einige von der Linken ausgeschlossen haben, konnte ich nicht
sehen. Gewiß waren mache ihrer Plätze leer, und so drängten denn die
Damen in den, für die Abgeordneten bestimmten Raum und saßen in mancher
Gegend mit diesen vermischt, -- Folge ihrer Unwiderstehlichkeit, -- --
--. Der Erzherzog war in einfacher, schwarzer, bürgerlicher Kleidung,
hat die Figur meines Vaters; auch erinnert sein Gesicht an diesen,
wenn auch dessen Aehnlichkeit mit dem Vicekönige Rainer mir noch
auffallender erschien.

Euren Brief vom 10. habe ich heute früh erhalten, und trotz des
erhabenen Ernstes des heutigen Tages, mich an den mitgesandten berliner
Witzen ergötzt. Wozu Witze? sagte mir ein Abgeordneter; allerdings,
antwortete ich, ist ein Groschenbrot nöthiger und nützlicher. Ein
anderer Abgeordneter hatte sein Schnupftuch vergessen, holte einen
Haufen Papiere aus der Tasche und sagte: so muß ich mich in lauter
Amendements schneuzen! -- Für die meisten, der kürzeste Weg sie ihrer
Bestimmung zuzuführen.

Daß S. abwarten und Berlin nicht verlassen will, muß ich billigen;
soll aber das Briefschreiben eingestellt werden, bis es Rosen und
Lilien regnet, oder der Himmel voll Geigen hängt; so kann man alles
Briefpapier einstampfen und für die Straßenliteratur umarbeiten.



Achtundzwanzigster Brief.


    Frankfurt a. M., den 13. Julius 1848.

Der Himmel hellte sich gestern gegen Abend auf, sodaß die Erleuchtung
der Stadt nicht durch Regen gestört ward. In den Hauptstraßen war kaum
ein Haus unerleuchtet; sehr wenige Fenster zeigten nur 2-4 Lichter
oder Lampen, viele 6-8, noch mehr 12 Lichter, oder ununterbrochene
Reihen. Die Wache, einige Kirchen, Brunnen und Thore, der Römer und
einzelne Privathäuser glänzten in heiterer Pracht. Hiezu ein solch
Gedränge der Menschen, als wäre man in Paris, oder London. Auch hatte
die ganze Nachbarschaft ihren Beitrag geliefert, und alle Gasthöfe
waren so überfüllt, daß die unzähligen Fremden kaum ein Unterkommen
fanden. Allgemeine Heiterkeit und Zufriedenheit, welche auch ich
theilte. Und doch erschien mir Alles wie ein Traum, und ich konnte
mir den Hergang und die lange Stufenfolge der Ereignisse, kaum im
Gedächtnisse, bis zu dem letzten Augenblicke vergegenwärtigen: -- von
dem ersten Gedanken eines deutschen Volksreichstags, bis zur Einführung
eines, durch denselben erwählten, Reichsverwesers. Selbst den Kühnern,
schien jener Gedanke, dem bestehenden Bundestage +der Fürsten
gegenüber+, für unausführbar; und nun hat gestern der Reichsverweser
der letzten Sitzung des Bundestages beigewohnt, und der österreichische
Bundestagsdirektorialgesandte Herr v. Schmerling, hat das vom
Volksreichstage ausgesprochene Todesurtheil, er hat diesen Wechsel
(auf Selbstvernichtung ausgestellt) -- bestens acceptirt, und alle
Mitglieder sind ohne Sang und Klang, und Leichenfeier ruhig nach Hause
gegangen, um als eine Art von Departementsräthe beim Reichsverweser und
dessen Ministerium wieder zu erstehen, oder fort zu vegetiren. -- Und
das Alles wäre kein Traum? Nicht wunderbarer und unglaublicher, als die
meisten Träume?

Welche Stufen des Schauspiels in dieser politischen Laterna magica!
Unbeschränkter Absolutismus, zum letzten Male angebetet von der
königlich preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin; bis zu dem
Götzendienste mit Hecker und Struve! Das Unterste zu oberst gekehrt
in wenig Wochen, und alles Mittlere so betäubt und verblüfft, daß nur
Wenige den Versuch wagen, sich wieder auf ihre eigenen Beine zu stellen.

Erst: keine Centralgewalt; dann eine Centralgewalt gebildet aus
+drei+ von den Regierungen ernannten Häuptern; -- +ein+ Haupt
von ihnen ernannt, vorgeschlagen oder bezeichnet. -- +Nicht+ von
ihnen ernannt, vorgeschlagen, oder bezeichnet. -- Erwählt im Vertrauen,
oder der Voraussetzung ihrer Zustimmung, ihres Beifalls. +Nichts+
von Vertrauen, Voraussetzungen, Zustimmung, oder Beifall; sondern
völlig unabhängige Wahl durch den Volksreichstag! -- Nach solchem
Aufgeben aller irgend festen Stellungen, oder nach dem Herausjagen aus
denselben, nach solchen Niederlagen der Regierungen, der einzelnen
Staaten, des alten Monarchismus; die unerwartete siegreiche Wahl eines
Reichsverwesers aus dem alten Kaiserhause, und daneben Hrn. v. Itzstein
fast nur als Bajazzo genannt, oder aufgenommen.

Oft erschienen die Berathungen langsam und langweilig; spätere Zeiten
(wo die Dinge sich perspektivisch zusammendrängen) werden finden,
daß wir im +Sturme vorgeschritten+ sind. Wiederum haben wir noch
nicht einmal den Anfang des Endes erreicht: denn die Sphinx giebt
unerschöpflich neue Räthsel auf, und +ein+ Ödipus reicht nicht hin
sie alle zu lösen. Wenn der Landtag in Berlin doch wenigstens hiebei
zu Hülfe käme; sein babylonisches Kauderwelsch stört und verwirrt aber
nur die hiesigen Lösungsversuche, und arbeitet Denen in die Hände,
welche Preußen mediatisiren, und ihm seine Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft rauben möchten.

In den letzten Wochen haben sich allerdings die Verhältnisse in mancher
Beziehung gebessert, und die Macht der Anarchisten hat abgenommen; aber
sie ist noch keineswegs gebrochen, und eine große, unthätige Masse
wird von einer kleinern, aber thätig bewegten, leicht überflügelt. Wo
stände Preußen, wenn die Machthaber ihre Zeit verstanden und nicht
jeden günstigen Zeitpunkt versäumt hätten; ganz Deutschland würde sie
anbeten, während jetzt wohlgesinnte Preußen sich fast freuen +müssen+,
daß ein Erzherzog von Österreich an die Spitze ihres großen, deutschen
Vaterlandes gestellt ist!! -- Welch ein unseliges Zögern bis zum
18. März! Und gleich nachher der Traum, wie aus Tausend und einer
Nacht, von einem glanzreichen deutschen Königthume. Dann, nachdem
man darüber ungerecht und grausam geschmäht, eine matte Erläuterung,
-- -- --; -- endlich seitdem tiefe Stille, kein Wort des Muthes, der
Theilnahme, der Begeisterung; -- --; König und Königthum leider immer
mehr sich zurückziehend; Freude an unbedeutenden Kleinigkeiten als
Hülfsmitteln für eine rückläufige Bewegung, Zorn ohne Wirkung über das
Unvermeidliche! Besser als diese stete Qual, im Ardennerwalde (wie es
euch gefällt) ein phantastisch-poetisches Leben führen.

Man schilt hier: daß der Graf Brandenburg in Breslau nur von der
Einigkeit Preußens und Österreichs sprach, Deutschland aber gar nicht
nannte, und Reichstag und Reichstagsabgeordnete (diese Geburtshelfer
des Reichsverwesers) gleichsam als nicht vorhanden betrachtete. Der
Erzherzog berichtigte auf der Stelle diesen Mangel. Man schilt, daß
kein preußischer Prinz sich, etwa nach Halle, bemühte, um den Erzherzog
zu begrüßen; während alle andere deutsche Fürsten sich überboten, im
Bezeigen ihrer Theilnahme, ihrer Zustimmung und ihrer Hoffnungen. War
es in Potsdam Lässigkeit, Versäumniß des rechten Augenblicks, üble
Laune, Vorsatz oder was sonst? Während -- --, werden die hiesigen
preußischen Abgeordneten bitter getadelt, daß sie (von Allen verlassen,
ringsum mit Recht oder Unrecht angegriffen) das Preußenthum nicht auf
ihren schwachen Schultern zum Himmel emporhoben!

In der heutigen Sitzung ward verhandelt von Ansiedlung, Bürgerrecht,
Zünften, Handelsfreiheit, Armenpflege u. s. w., -- verständig und
unverständig, lehrreich und trivial, in bunter Abwechslung.


    Den 14. Julius.

Daß die Aufführung des Cäsar im Ganzen gelungen, freut mich sehr; ein
Glück, wenn Kunst und Wissenschaft einmal aus dem Meere politischen
Raisonnirens und Deraisonnirens auftaucht.

Wenn in der hiesigen Reichsversammlung täglich 10, wöchentlich 40
reden, so käme die Reihe zu sprechen binnen etwa 4 Monaten nur einmal
an jeden Einzelnen. Ich habe also trotz des Scheins der Faulheit
bereits bis zum November mein Pensum abgethan, mit einer Rede und
drei Berichtserstattungen. In der That ist aber die Arbeit in den
Ausschüssen nützlicher, als das viele Gerede in der Hauptversammlung.
Eitelkeit treibt hier sehr Viele auf die Rednerbühne, und die
Stichwörter von Volksrechten, Volkssouverainetät, Fürstenknechtschaft,
Revolutionsboden u. s. w., werden, zur Langenweile der Vernünftigen,
und zur theilnehmenden Bewunderung der Galerien, noch immer armsdick
hervorgesprudelt. Ein Begeisterter, welcher, sowie er die Rednerbühne
besteigt, Arm, Hand und Zeigefinger, so steif und weit als irgend
möglich, gegen die Versammlung ausstreckt, hat dafür die Würde eines
Reichsobermeilenzeigeraufsehers erhalten. -- Da man aus den ersten
Perioden in der Regel ganz richtig auf die Länge und Langeweile einer
Rede schließen kann, so weiß man in der Regel, wenn es Zeit ist das
Frühstück zu sich zu nehmen.



Neunundzwanzigster Brief.


    Frankfurt a. M., den 15. Julius 1848.

In der gestrigen Sitzung ward fast nichts von Dem verhandelt, was auf
der Tagesordnung stand. Denn wie vor acht Tagen der Waffenstillstand
mit Dänemark, fiel diesmal das anliegende Schreiben des hannöverschen
Ministeriums und die Erklärung der hannöverschen Abgeordneten wie eine
Bombe in die Versammlung, die allgemeinste Aufregung erzeugend. Ja,
Hr. Zitz (der Ankläger der preußischen Soldaten in Mainz), Hr. Simon
aus Trier und ähnliche Radikale, forderten: daß der König von Hannover
sogleich abdanke, ganz Hannover der neuen Centralgewalt überwiesen,
und das Volk aufgefordert werde, sich eine neue Regierung auszusuchen.
-- Dieser wilde Antrag fiel natürlich durch; doch zeigt er deutlich
genug, was jene Partei bezweckt. Ein zweiter Antrag: der König von
Hannover solle sogleich erklären: ob er die neue vollziehende Gewalt,
mit allen ihr zugewiesenen Rechten, anerkennen wolle, ging dagegen
durch: und ein dritter, milderer Vorschlag, für den ich mich erklären
wollte, kam deshalb gar nicht zur Abstimmung. -- Ich fürchte: jene
bestimmte Herausforderung wird zu bestimmtern Antworten führen, und
Streit erzeugen zwischen der hiesigen Versammlung und den einzelnen
Regierungen. Denn es läßt sich nicht läugnen, daß jene (trotz einzelner
schönen Worte) auf die letzten nicht die geringste Rücksicht nimmt
und unbedingten Gehorsam fordert, ohne bestimmt auszusprechen, welche
Rechte und Thätigkeiten den einzelnen Regierungen und Volksstämmen
verbleiben sollen. Ob der König von Hannover in diesem oder jenem
Falle abdanken will, geht uns nichts an, und ist eher als ein
nachgiebiger Rückzug, denn als eine anmaßliche Drohung zu betrachten.
Gar eigenthümlich ist die Schlußfolge: wenn der König das Fortregieren
für unverträglich mit seiner Ehre hält, so verlieren sein Sohn und alle
sonstigen Erbberechtigten ihre Ansprüche: -- da sie nicht weniger auf
ihre Ehre halten müssen, als der abdankende König!

Trotz des lauten Geschreies über jene hannöversche Erklärung, läßt sich
ihr Inhalt, mit Rücksicht auf alles früher Bestehende, fast durchweg
vertheidigen; sie wird nur verwerflich, wenn ich der Reichsversammlung
ganz unbedingte Rechte beilege; dergestalt, daß Bedenken und Zweifel
gegen ihre Ansichten und Beschlüsse schon als Verbrechen dargestellt
werden. Allerdings aber behandelt man den König von Hannover jetzt
gerade so, wie er früher die hannöversche Verfassung behandelte: die
Nemesis ergreift auch ihn. -- Sehr zweifelhaft bleibt es indeß, ob in
seinem Lande, ob in Preußen, das Einigkeitsgefühl für Deutschland so
stark ist, daß man alle eigenthümlichen Interessen, alle selbstständige
Wirksamkeit aufgeben will, um sich von Frankfurt aus unbedingt regieren
zu lassen. Die Österreicher werden, seitdem ein Erzherzog an die Spitze
gestellt ist, weit geneigter sein, der Centralgewalt Rechte zuzuweisen,
als wenn ein Anderer zum Reichsverweser erwählt wäre. Ich rechne aber
darauf, daß er (schon aus Klugheitsgründen) sich gemäßigt benehmen,
und z. B. nicht auf den Gedanken eingehen wird, die Reichsversammlung
nach Wien zu verlegen. Umgekehrt werden die preußischen Abgeordneten
besorglicher, und müssen sich jetzt schon von Denen schmähen lassen,
welchen die hiesigen Verhältnisse unbekannt sind, und die das Mögliche
nicht vom Unmöglichen unterscheiden. Es war nun einmal kein preußischer
Prinz da, der die Stimmen mit Sicherheit gewonnen hätte, und der
Prinz von Preußen, der ausgezeichnetste unter ihnen, welcher täglich
mehr Boden gewinnen konnte, hat sich aus brüderlicher Liebe -- --
-- zurückgezogen. Die Behauptung: man hätte gar keine vollziehende
Gewalt aufstellen sollen, ist leicht ausgesprochen; hier aber war
man fast ganz allgemein von ihrer Nothwendigkeit überzeugt; auch
wird sie hoffentlich als Ableiter dienen gegen die selbstgefälligen
Uebereilungen Derer, die da irrig meinen: nur Könige könnten ihre
Allgewalt mißbrauchen, nicht aber Nationalversammlungen, Parlamente u.
s. w.

Die Uebelstände, welche aus dem Mangel an Einheit für Deutschland
hervorgehen, sind nicht etwa erst in unsern Tagen entdeckt worden; man
kennt sie seit Jahrhunderten, und Friedrich I, Karl V, Ferdinand II. u.
A. strebten dahin sie fortzuschaffen, und eine stärkere Centralgewalt
zu begründen. Aber alle Bemühen scheiterten, die Mittel (bessere, wie
schlechtere) führten nicht zum Ziele, die Mannigfaltigkeit überflügelte
immer die Einheit, und die Landeshoheit besiegte die Kaisergewalt. Möge
man jetzt eine glücklichere, richtige Mitte finden.

Wie übereilt und einseitig Manche hier gesetzgebern wollen, ohne
Rücksicht auf Örtliches und Bestehendes, auf Einnahmen und Ausgaben,
zeigt hinsichtlich des Zollwesens das anliegende Blatt (man möchte
sagen der Wisch), welchen Eisenstuck u. Comp. der Versammlung vorlegten
und augenblickliche Annahme verlangten. Diese ward zurückgewiesen
und die Prüfung des Vorschlags dem Ausschusse für Volkswirthschaft
überwiesen, wo man ihn schon mürbe machen wird. Theilt Dieterici das
Blatt mit, damit er sehe, daß Vorsicht, Einsicht, Wissenschaft und
Erfahrung überflüssige Dinge sind, und er seine Vorlesungen füglich
(gleich wie ich) einstellen kann.

Gestern Abend brachte ich wieder an drei Stunden im völkerrechtlichen
Ausschusse zu. Die posener Angelegenheit war der Hauptgegenstand
einer letzten Berathung. In den Vorschlägen zu den +Beschlüssen+
der Reichsversammlung war von einer völligen Herstellung Polens
viel bestimmter die Rede, als im englischen Parlamente oder
den französischen Kammern. Es war eine Art von Autorisation,
sich gegen Rußland fort und fort aufzulehnen. Ich behauptete:
der Berichterstatter, ja der Ausschuß, möge in Betrachtungen
und Beweggründen sich theilnehmend über die Polen aussprechen;
aber Aeußerungen jener Art gehörten nicht in einen staats- und
völkerrechtlichen Beschluß. Im Fall wir nur die Hälfte von dem gegen
Frankreich gethan hätten, was wir gegen Rußland uns erlaubten, würde
es uns schon den Krieg erklärt haben. Wenn man +diesen+ wolle, müßten
andere Gründe vorliegen und andere Mittel zur Hand sein u. s. w.
So ward denn das Sentimentale aus den Beschlüssen hinweg, in die
redensartlichen Betrachtungen gewiesen. Zweifel, ob die Polen je ein
geordnetes Volk und Reich werden könnten, ob sie je eine befreundete
Vormauer Deutschlands abgeben dürften, -- blieben mit Recht unerwähnt.
Die Organisation des polnischen Theils von Posen geht uns nicht an; für
die Begränzung des gemischten Theils lassen sich blos billige Wünsche
aussprechen; die Hauptsache bleibt der Antrag: die Abgeordneten des
deutschen Theiles schließlich in unsere Versammlung aufzunehmen. Trotz
aller polnischen Sympathien wird die Linke zwar sehr viel reden, aber
doch nicht jenen Antrag zurückweisen können, ohne alle Theilnahme für
die entschlossene, deutsche Bevölkerung aufzugeben.

Der zweite Gegenstand der gestrigen Berathung im völkerrechtlichen
Ausschusse war das dänische Embargo und die Entschädigung für die
großen Handelsverluste. Sehr natürlich fordert man diese zunächst von
Dänemark; wenn sie aber, unüberwindlicher Gegengründe halber, nicht zu
erlangen ist: so werden Schäden mancherlei Art, ausbleibender Gewinn
u. s. w. natürlich von den Einzelnen, ohne Ersatz getragen. Aber es
giebt auch gewisse Opfer und Verluste, welche in einem +deutschen+
Kriege von +Deutschland+ müssen übertragen und ausgeglichen
werden. Ich habe mich nach Kräften für Preußen und unsere Mitbürger
verwendet, die Thür für die Zukunft wenigstens offen gehalten.

Im Oberon hat gestern der Reichsverweser in seiner einfach natürlichen
Weise unter großem Beifall gesprochen. Als er sagte: ich werde in
Bälde wiederkehren und dann Frau und Kind mitbringen, hat sich die
Begeisterung verdoppelt, sodaß Manche Thränen der Freude und Theilnahme
vergossen.

Die Bildung eines Reichsministeriums ist hier noch schwieriger, als
in Berlin: denn es fehlt an einem festen, sichern Boden, an früherem
Herkommen, und unbestreitbaren Gesetzen. Die Männer werden wie in der
Luft schweben und der Gegenstand unzähliger Einreden sein, bis sie
verdrießlich und ermüdet abtreten. Nur große Charaktere können obsiegen
oder doch das rechte Maß finden.



Dreißigster Brief.


    Frankfurt a. M., den 15. Julius 1848.

Bei dunkelem Wetter beruhigt sich der Reisende nicht mit der
allgemeinen Gewißheit, daß sich der Himmel zuletzt gewiß aufhellen
werde; sondern er beobachtet theilnehmend, ob die Wolken irgendwo
zerreißen, und sich ein Stücklein blauen Himmels zeigt. So beobachte
ich aus der Ferne Euern berliner Horizont, und erfreute mich an der
großen Mehrzahl, mit welcher Jacobi’s unnütz aufregender Antrag
verworfen ward. Mag diese Mehrzahl auch daher entstehen, daß sich,
sonst entgegenstehende, Parteien vereinigten (nämlich die Gegner einer
demokratischen Verantwortlichkeit des Reichsverwesers, und einer
unbegränzten Allmacht der hiesigen Reichsversammlung); immer geht
daraus hervor, daß die Umtriebe der Linken noch nicht von Allen für den
rechten politischen Weihrauch gehalten werden, daß sich noch nicht Alle
bei der Nase herumführen lassen.

Lieb ist es mir ferner, daß die Stadtverordneten, hinsichtlich der
Brottaxen nicht von ihrem alten, wohlüberlegten Beschlusse abgegangen
sind. Endlich will ich gern in dem Steigen der Papiere eine Rückkehr
des unentbehrlichen Vertrauens sehen. Sehr zweifelhaft bleibt es mir
dagegen, ob die Minister muthig und staatsklug handelten, indem sie
bei jenen wichtigen Verhandlungen ganz still schwiegen und den Ausgang
unthätig erwarteten. Mochten sie dessen gewiß sein, so war es doch
keine Windstille, wo der Steuermann schlafen durfte. Hiemit steht
in Verbindung, daß die preußische Regierung sehr mit Unrecht keinem
einzigen der hiesigen Abgeordneten vertraulich einen Fingerzeig über
Zustände, Wünsche, Zwecke zukommen läßt, der Vielen zur Richtschnur,
oder doch zur Aufklärung dienen könnte. Bei umgekehrtem, jedoch
vorsichtigen Verfahren, würden weniger Zweifel, Spaltungen und
Unsicherheiten eintreten.

Es ist sehr natürlich, daß in dem Maße als die Dinge hier in Frankfurt
eine gewisse Festigkeit zu gewinnen scheinen, auch Forderungen und
Wünsche mancherlei Art hervortreten. So sind Gesuche und Beweise
eingegangen: das Reichsgericht sei nicht in Nürnberg zu errichten,
sondern wieder nach Wetzlar zu verlegen. Die Reichsversammlung müsse
man nach dem sichern, besser und mehr in der Mitte Deutschlands
liegenden Erfurt übersiedeln, und Stadt und Bezirk für unabhängiges
Reichsgebiet erklären. Auch Leipzig, auch Regensburg regen sich;
während Frankfurt allen Angriffen nachdrücklichst zu widerstehen sucht.
Gewiß ist dessen Lage die schönste und der Aufenthalt am angenehmsten.
Wenn einst diese Fragen entschieden werden, -- bin ich wahrscheinlich
auch schon versetzt, ohne mitzustimmen, -- oder auch nur davon zu hören!


    Den 16. Julius.

Die gestrige Sitzung war im Ganzen anziehend und wichtig; denn sie
betraf die Kriegsverfassung Deutschlands, und neben flachen und
langweiligen Reden wurden auch gründliche und zweckmäßige gehalten, z.
B. von Lichnowsky und Radowitz. Der Letzte hält vorzugsweise an Dem
fest, was er versteht, und stellt sich auf den Boden der Gegenwart,
ohne viel zu untersuchen, wie sich derselbe zu dem Boden seiner
Vergangenheit verhält.

Daß Deutschland verhältnißmäßig schlechter gerüstet sei, als Rußland
und Frankreich, konnte Niemand bestreiten; dessenungeachtet sprachen
Viele, aus verschiedenen Gründen, gegen den Antrag des Ausschusses.
Dieser ging nämlich dahin: die Zahl der kriegerisch Eingeübten, bis
zu zwei Procent der Bevölkerung zu vermehren, und hiebei nicht die
Volkszählung von 1815, sondern die neueste zum Grunde zu legen.

Man entgegnete: 1) die stehenden Heere sollen vermindert, nicht
vermehrt werden. -- Antwort: Hievon ist nicht die Rede, sondern von
einem schnellern Wechsel der Einzuübenden, wodurch die Zahl der
Krieger mittelbar vermehrt wird. -- 2) Die Kosten sind unerschwinglich
und zur Hebung der Gewerbe, Beschäftigung der Arbeiter u. dgl. zu
verwenden. -- Antwort: In noch ungünstigern, ärmern Zeiten (z. B.
1813) hat man größere Anstrengungen nicht gescheut. Auch werden die
Kosten, bei zweckmäßiger Beurlaubung, nicht sehr groß sein. Wenn
aber manche, besonders kleinere Staaten hiebei hinter ihrer, bereits
bestehenden, Pflicht zurückgeblieben sind, so ist dies ihre Schuld,
und kein Grund vorhanden, eine solche Nachlässigkeit länger zu dulden.
-- 3) Volksbewaffnung und Bürgerwehr reichen aus, ohne die Zahl der
stehenden Heere zu vermehren. -- Antwort: Die gesammte Kriegsgeschichte
widerlegt die Behauptung, und aus einzelnen, meist durch Oertlichkeit
(z. B. in der Schweiz) bedingten Beispielen, läßt sich das Gegentheil
nicht erweisen. In Spanien schlossen sich die Guerillas an das
vortreffliche englische Heer an. Eine Volksbewaffnung verursacht
endlich noch größere Ausgaben, als die von uns vorgeschlagene Maßregel.
-- 4) Von Rußland ist kein Krieg zu befürchten. -- Antwort: Sonderbar
daß Diejenigen, welche die Gefahr, ja die Nothwendigkeit eines
russischen Krieges hervorhoben, jetzt plötzlich (wiederum ohne Beweis)
das Gegentheil beweisen, und nicht berücksichtigen, was sich an der
untern Donau vorbereitet. -- 5) Frankreich reicht uns die Bruderhand,
und von da hat Deutschland nichts mehr zu befürchten. -- Antwort:
Alle Parteien, unter allen Regierungsformen, trachten nach dem linken
Rheinufer, und französischer Beistand ist nie ohne Eigennutz geleistet
worden u. s. w. u. s. w.

Etwa zwei Drittel stimmten für, etwa ein Drittel gegen den Vorschlag
des Ausschusses. Ich gehörte zu jenen, und die namentliche (von der
Linken verlangte, von Allen ohne Widerspruch angenommene) Abstimmung
scheint diesmal Keinen eingeschüchtert zu haben. Die Gegner des
Vorschlages sprachen nicht alle Gründe rücksichtlos aus; so nicht den,
daß sie sich dadurch bei den sorglosen, nur ihrer Bequemlichkeit
nachtrachtenden, Massen beliebt machen wollten. Nebenbei Complimente
über Bürgerwehr und Volksbewaffnung, Schelten auf die verknechteten
Soldaten u. s. w. Vor Allen aber stimmten die Abgeordneten der
kleinen Staaten wider einen Beschluß, der sie zur Erfüllung ihrer
vernachlässigten Pflichten anhalten sollte. Für Preußen, welches
zeither immer mehr gethan, als jener gesetzliche Buchstabe vorschreibt,
entsteht durchaus keine neue Last. Aber die kleinen Kläffer, welche
Preußen immer anbellen und verläumden, welche vorzugsweise immer
herrschen wollen, ohne etwas zu thun, suchen Vorwände aller Art jetzt,
nach wie vor, hinter ihrer Schuldigkeit zurückzubleiben.

Gestern Abend sah ich „Stadt und Land“ von der Birch-Pfeiffer zum
ersten Male. Obgleich ich Auerbach’s Erzählung nicht kannte, fühlt man
doch, daß die Grundlage epischer Art ist, und Vieles sich dramatisch
nicht abrunden will. Auch giebt der Schluß keine rechte Beruhigung und
Bürgschaft für die Zukunft. Ich ließ indeß, nach meiner Weise (bei dem
Zwecke, meinen Abend angenehm zuzubringen), alle verdrießliche Kritik
ganz zur Seite, und dies um so mehr, da in der That die Hauptpersonen
ausgezeichnet spielten: z. B. die Lindner als Bärbele, Dem. Hausmann
als Lorle, der Vater Hr. Meck; Ida Dem. Janauschek. --

Wie hat nur -- so sinken können, daß selbst seine alten Freunde hier
nichts mehr von ihm wissen wollen. Zuletzt hängt es mit dem Wahne
zusammen, daß Kraft und Wahrheit allein im Aeußersten, in den Extremen
zu finden sei, und doch hat schon Aristoteles erwiesen: die Tapferkeit
sei die rechte, lebendige Mitte, zwischen Feigheit und Tollkühnheit u.
s. w. -- Ich wünsche, daß Hrn. Pultes poetische Begeisterung, nach 50
Jahren, anerkannte prosaisches Wahrheit sei, und man die Sorgen der
jetzigen Tage völlig vergessen habe. Der Himmel fällt niemals auf die
Erde; die Unterwelt kann sich aber auch nie dauernd da auferbauen, wo
von Natur die Sonne herrscht.



Einunddreißigster Brief.


    Frankfurt a. M., den 17. Julius 1848.

Die preußischen und österreichischen Abgeordneten haben sich zeither
gut vertragen, und die letzten anerkennen müssen daß der Erzherzog
(es war kein anderer Ausweg möglich) seine Wahl der uneigennützigen
Beistimmung der ersten verdankt. Aus diesem Gelingen scheint den
Österreichern die Hoffnung zu erwachsen, das, zeither fast allgemein
zurückgewiesene, Kaiserthum in die Verfassungsurkunde hineinzubringen
und dasselbe für Österreich zu erobern. Wenigstens zeigen sich Spuren,
daß sie das Monarchische +nunmehr+ in einer Weise überall zu verstärken
suchen, welche (wenn ein preußischer Prinz erwählt wäre) ihren Beifall
gewiß nicht gehabt hätte. Leicht könnte sich daran ein Zerwürfniß
zwischen den österreichischen und preußischen Abgeordneten, oder (noch
allgemeiner) zwischen dem Interesse des Gesammtreiches und der Staaten
anknüpfen. So verlangen z. B. Mehre: es solle in Deutschland nicht blos
ein gleicher Münzfuß herrschen, sondern nur +eine+ Reichsmünzstätte
und +ein+ Gepräge sein. Werden es sich aber die Preußen und andere
Staaten gefallen lassen, ihren Herrscher oder ihr Stadtzeichen
nicht mehr auf den Münzen zu sehen? Andere wollen das Finanzwesen
der einzelnen Staaten und auch das Heerwesen auseinandersprengen,
die Regimenter durch ganz Deutschland fortzählen, ja wohl auch ein
buntes Fortrücken durch das eine +ganze Heer+ eintreten lassen. Die
hiesige Versammlung könnte (wenn sie sich mit scheinbarer Allmacht
in dieser Richtung zu weit verlocken läßt) leicht ihre moralische
Hauptgrundlage und Theilnahme einbüßen; es könnten (was die Meisten
mit zu großer Zuversicht für unmöglich halten) die Völkerstämme und
die Regierungen sich einigen und dieser französirenden, charakter- und
physiognomielosen Einerleiheit und Centralisation widersetzen. Schon
spricht sich hier neben dem zahlreichern Chorus der Gleichmacher,
manche einzelne Stimme gegen derlei Übereilungen aus, und wenn die
Österreicher sich von den Preußen trennen sollten, werden zunächst die
Baiern und dann wohl noch Andere abfallen und selbst in der Linken neue
Parteiungen entstehen. Die Gefahr wird jedoch dadurch geringer, daß man
sie von Weitem schon erkennt, und, das rechte Ziel ins Auge fassend,
zwischen der Scylla und Charybdis hindurchzusegeln sucht. Sehr viel
hängt davon ab, wie der preußische Landtag sich benimmt, und ob unser
besonderes Vaterland bald sein altes materielles und geistiges Gewicht
wieder gewinnt. Dann wird man mit Preußen nicht so von oben herab
umspringen können, wie man es jetzt mit Hannover versucht. Zunächst
ist wenigstens der Gedanke durchgefallen, von hier aus das preußische
Ministerium zu hofmeistern.

Die heutige Sitzung begann mit Ankündigung mehrer Fragen (zu deutsch
Interpellationen) an die kaum geborenen Minister, sodaß Jordan von
Berlin (der sich jetzt überhaupt mäßigt) mit Recht sagte: nach dem
Antragsfieber würden wir wohl das Interpellationsfieber bekommen. Der
Ausschuß für die Geschäftsordnung soll ein Gutachten abgeben, wie dem
drohenden Übel abzuhelfen sei.

Die Berathung über den ersten Abschnitt der Grundrechte dauert bereits
mehre Sitzungen hindurch, und manches Langweilige und Verkehrte ist
gesprochen worden; aber der Gegenstand ist auch von der höchsten
Wichtigkeit, und die Ansichten und Grundsätze sind allmälig geläutert
und berichtigt worden. Ich gebe, um Euch nicht zu ermüden, nur ein
Paar ganz kurze Andeutungen. Es handelt sich von dem Rechte der
Niederlassung, des Gewerbebetriebes, des Bürgerthums, des Armenrechtes;
von dem Verhältnisse des Gemeine-, Staaten- und Reichsbürgerrechtes.
Es fragt sich: ob man mit jenem ersten oder mit diesem beginne, und ob
das mittlere noch eigenthümliche Bedeutung behalte? Die Einen dringen
auf umfassende Begründung eines Reichsbürgerrechtes, welches dann schon
das Staats- und Gemeinebürgerthum, oder doch ein Anrecht auf dasselbe
gebe; sonst werde die Mannigfaltigkeit der Forderungen und Bedingungen
kein allgemeines Deutschthum aufkommen lassen, und die gegenseitige
Behandlung von Deutschen, als wären sie Ausländer, fortdauern. In
Preußen z. B. genüge es, gesunde Arme und Beine zu haben, um sich
anzusiedeln; in anderen deutschen Staaten mache man dagegen sehr
schwere, ja oft unerfüllbare Anforderungen u. s. w. -- Denen, welche
eine allgemeine, bestimmte, gleich anzuwendende Regel wollen, stehen
Andere gegenüber, welche die Erhaltung von Verschiedenheiten natürlich
finden, und behaupten, eine plötzliche Aufhebung derselben verletze
Herkommen und Eigenthum; so, wo zeither ein geschlossenes Bürgerthum,
Geldansprüche, Gemeinegüter vorherrschten oder vorhanden wären. Wolle
man auch dem sich meldenden Deutschen die Ansiedlung nicht verwehren,
so folge doch daraus nicht die Theilnahme an allen Gemeinerechten u. s.
w. -- Man fühlt: daß hier jedes einzelne Verhältniß ins Auge zu fassen
und mit dem im Allgemeinen unabweisbaren Fortschritt zu versöhnen; daß,
um Mißdeutungen oder thätliche Widersprüche zu vermeiden, jedes Wort
genau zu prüfen ist. Manches Einseitige, Übereilte, zu Allgemeine oder
zu Specielle ward schon verworfen, und wir kommen einer zweckmäßigen
Fassung täglich näher, -- wenn sie gleich vielfachem Tadel nicht
entgehen kann. Der Eine wird sagen, es sei zu viel, der Andere, es
sei zu wenig geändert und geneuert worden. -- Überall blickt die
Hauptfrage, das Haupträthsel hindurch: wie das +eine deutsche Reich
in ein richtiges Verhältniß zu den vielen deutschen Staaten zu bringen
sei+. -- Weit leichter sind die berliner Aufgaben, und doch bleibt
man dort hinter unseren Versuchen und Beschlüssen zurück.


    Den 18. Julius.

Man kann so wenig einen Staat, als sich selbst plötzlich ganz neu
machen. Es muß dem Veränderten etwas Beharrliches zu Grunde liegen,
und das Beharrliche kann (so lange es Leben in sich trägt) von dem
Verändern nicht ganz unberührt bleiben. Zwischen Sein und Nichtsein
liegt das Werden. Trunken von Begeisterung für das noch nicht ins
Dasein getretene, verschmähen jetzt Viele alles Frühere, sprechen mit
Hohn und Verachtung von der tausendjährigen deutschen Geschichte, und
vergeuden alle Errungenschaften um der künftig unausbleiblichen Schätze
willen. Sie vergessen: daß, wenn sie ihre Vorfahren nicht achten,
Kinder und Kindeskinder dereinst mit ihnen ähnlicherweise verfahren und
ihre neue, unerprobte Weisheit zur Seite werfen. -- Ists nöthig, die
Gegenfüßler dieser Sturmschreiter, dieser Siebenmeilenspringer oder
Radschläger näher zu bezeichnen? Es sind die zu Salzsäulen gewordenen
Maulwürfe und Faulthiere, welche in der Vergangenheit keine Bewegung
erkennen, denen die Gegenwart nur ein vereinzelter, götzendienerisch
verehrter Augenblick ist, und die an keine Zukunft glauben, auf keine
hoffen. -- Zeigt sich denn (wie das gemeine Geschrei behauptet) die
ächte Wahrheit und Kraft in diesen beiden Äußersten? Leben ihre
Bekenner nicht in dem äußersten, verbrannten oder erfrorenen Thule?
Vegetiren oder zappeln und strampeln sie nicht in der Sonnenferne von
dem belebenden Herzschlage der rechten Mitte?

Die heutige Sitzung begann mit dem ersten Anfalle des
Interpellationsfiebers; hierauf Zweifel, ob die Versammlung bei
Urlaubsgesuchen strenger verfahren solle; Berichte über thörichte
Gesuche (z. B. eines alten Schullehrers über Wiederanstellung!!);
Frage, ob namentliche Abstimmung abzuschaffen? (Nein! Damit, wenigstens
in wichtigen Fällen, die Wähler erfahren, wie jeder Abgeordnete
gestimmt habe; auch Keiner sich scheue, seine Überzeugung muthig
darzulegen.) In der Voraussetzung, daß Viele sich für jene Abschaffung
erklären würden, verlangten Einige diesmal namentlichen Aufruf, bis
sich beim Aufstehen ergab, fast Alle seien einig für die Beibehaltung.
-- Antrag, wiederum wöchentlich sechs Sitzungen zu halten. Aus früheren
Gründen (besonders der Arbeiten in den Ausschüssen halber) verworfen.
-- Antrag: die Sitzungen statt um 9 Uhr um 12 Uhr zu beginnen; von
Lichnowsky unterstützt, von mir bestritten.

Da zu verwickelten Arbeiten und schwerer Leserei die Fassung und
Gemüthsruhe fehlt, so werde ich mich in die Jugendzeit der Geschichte
versetzen und die Ilias und Odyssee wieder einmal griechisch lesen.
Es giebt wenig sogenannte Heldengedichte, oder Epopeen, denen man im
Alter noch rechten Geschmack abgewinnen kann. Die Nibelungen? Ja! --
Ariost und Tasso? Schwierig. -- Milton, Klopstock, Henriade gar nicht,
-- und am wenigsten die endlosen indischen Gedichte. -- Müßte ich indeß
zur Ilias und Odyssee alle die bändestarken kritischen und ästhetischen
Noten der Philologen lesen, oder gar die Sandhaufen unbedeutender
Varianten durchmustern, -- so würde ich schon bei den ersten funfzig
Versen Lust und Liebe verlieren. Welch ein unermeßlicher Wust unnützer
und geschmackloser Gelehrsamkeit in diesen philologischen Palästen des
Augias! Daran ermüdet unsere Jugend und verekelt sich die Meisterwerke
des Alterthums! -- Wie sich diese philologischen Schulmeister auf
dem Boden der Tagsgeschichte geberden, dafür haben wir nur zu viele,
traurige Beispiele.



Zweiunddreißigster Brief.


    Frankfurt a. M., den 20. Julius 1848.

In der gestrigen Sitzung kam zunächst die limburgsche Angelegenheit
zur Berathung. Keine giebt so viel Veranlassung über den wiener
Congreß und den Bundestag zu zürnen, als diese. Die wahren Interessen
Deutschlands und Limburgs sind hiebei auf eine kaum zu begreifende,
dumme und nichtswürdige Weise vernachlässigt, ja man möchte sagen
verrathen; sodaß die Verwirrung kaum zu lösen ist und etwas Neues und
Besseres -- mit Güte oder Gewalt -- an die Stelle des ganz Unhaltbaren
gesetzt werden muß. Eine von Seiten der niederländischen Regierung
herausgegebene Schrift sucht mit diplomatischer Kunst das Verwickelte,
man möchte sagen als +unlöslich+ darzustellen, und von den frühern
Dummheiten und Zweideutigkeiten den vortheilhaftesten Gebrauch zu
machen. Der Bericht unseres Ausschusses läugnet die Dummheiten u. s.
w. nicht, widerlegt aber mancherlei Vorurtheile und Mißdeutungen, und
erweiset die Nothwendigkeit anderweiter Bestimmungen, welche indeß
von den zähen Holländern schwer zu erreichen sein werden. Für den
bloßen Liebhaber giebt die anliegende Schrift von Steifensand genügende
Auskunft. Ihr dürft nur die kleine, beigefügte Charte ansehen um
Euch zu überzeugen, auf wie heillose Weise man Deutschland und die
Uferbewohner, von ihrer Lebensader, der Maas ausgeschlossen, und
Limburg zu gleicher Zeit mit Deutschland und Holland verbunden hat.
Hiedurch entstehen doppelte, sich widersprechende Rechte, Pflichten
und Ansprüche; es beruhen darauf sehr gerechte Klagen Limburgs, und
der neu zu organisirende Bundesstaat ist mit den alten Einrichtungen
gar nicht in Übereinstimmung zu bringen. Deshalb legt Holland die
alten Verträge so aus, als wäre es nur dem +ehemaligen+ deutschen
Bunde beigetreten, welche Deutung (wenn man sie jedem Mitgliede
desselben frei stellte) eine jede jetzt bezweckte Fortbildung unmöglich
machen würde. -- Die Anträge unseres Ausschusses sind fast einstimmig
angenommen, hiemit die Sache aber freilich erst begonnen, und nicht
schon zum Ziele gebracht.

Ihr habt gefürchtet ich würde hier zu viel reden, und findet nun ich
sei allzu schweigsam und setze mein Licht zu sehr unter den Scheffel.
Ich antworte: in diesen Tagen redete ein Redner darüber, daß das viele
Reden, Deklamiren, Phrasen drechseln u. s. w. nichts nütze, vielmehr
Zeit verderbe, und das Arbeiten in den Ausschüssen viel verdienstlicher
sei. Hier habe ich es nicht an einwirkendem Fleiße fehlen lassen; und
ebensowenig an Gesprächen mit Abgeordneten außerhalb der Versammlung
und am Abstimmen für das Rechte. Ferner habe ich mich bereits einige
Male zum Reden gemeldet, bin aber, da man in nicht unnatürlicher
Ungeduld die Berathung schloß, nicht zu Worte gekommen. Ja, wollte
+Jeder+ nur so viel sprechen, als ich bereits gesprochen habe,
würde frühstens im November wieder die Reihe an mich kommen. Ihr glaubt
nicht wie abgeneigt die Meisten den Lang- und Oftrednern werden; so
haben z. B. N-- und Z-- dadurch bereits allen Credit eingebüßt; sie
fallen mit ihren Anträgen fast jedesmal durch.

Laut des stenographischen Berichtes (welchen vor dem Druck durchzusehen
mir unnöthig erschien) habe ich gegen den Antrag die Sitzungen um 12
Uhr zu beginnen Folgendes gesagt: „Ich glaube, es liegt eine Täuschung
zum Grunde, wenn wir meinen durch die Verlegung des Anfangs der
Hauptsitzungen viel zu gewinnen. Zunächst gehen wir den Hundstagen
entgegen, und werden also wenn wir von 12-6 hier in schlechter und
heißer Luft zuhören sollen, sehr ermattet sein. Denn wenn Jemand von
Morgen bis Mittag in einem Ausschusse gesessen hat, muß er wahrlich
viel Kraft des Geistes und des Leibes besitzen, um dann noch von 12
bis etwa Abends 6 Uhr den Plenarversammlungen mit Aufmerksamkeit
zuzuhören. Es ist, nachdem wir die Verhandlungen in der Paulskirche
durchgemacht haben, viel leichter sich des Abends mit 15 oder höchstens
30 Männern zu verständigen, da dies mehr im Wege der Unterhaltung oder
gesprächsweise geschieht. Dagegen gehört hier viel mehr Aufmerksamkeit
dazu -- falls man nicht selbst oft die Tribüne besteigen will --
allen Rednern zu folgen; und es ist dies doppelt schwer, weil man an
manchen Orten dieses Raumes nicht gut hört, und Diejenigen welche
hinten sitzen, ihre Ohren ebenso anstrengen müssen, wie man beim
Lesen kleiner Schrift seine Augen anstrengt. Ich sehe deshalb nicht
ein, was damit gewonnen ist, wenn wir des Morgens Ausschußsitzungen
halten. Für die Ausschußsitzungen haben wir eher Kraft am Abend, als
für die Plenarsitzungen hier um 12 Uhr, wo man nicht weiß ob man vorher
frühstücken, oder zu Mittag essen soll. Will man etwas ändern, so mag
man die Hauptsitzungen statt um 9 um 8 Uhr anfangen, eine Stunde früher
schließen, und nach einem, den gewöhnlichen Bedürfnissen angemessenen
Mittagsessen, in den Ausschußsitzungen mit frischen Kräften
erscheinen.“ -- So mein Stoßseufzer. Die Langschläfer fürchteten
sich vor 8, die Frühaufsteher vor 12 Uhr, und so blieb es (zu großer
Zufriedenheit) bei der bisherigen Einrichtung.

Es ergab sich heute bei einer Abstimmung daß nur 397 Mitglieder
gegenwärtig waren, also der dritte Theil fehlte. Dies lenkte die
Aufmerksamkeit auf die zahlreichen Beurlaubungen, und es ward bemerkt
daß noch Keiner von der Linken darum nachgesucht habe. Ich werde
nächstens fragen: was hieraus folge, für Gesundheit, Beschäftigung,
Eifer und Begeisterung der Abgeordneten?

Man beschloß heute fast einstimmig für eine Wohnung des Reichsverwesers
zu sorgen; eine Geldentschädigung, oder Gehalt hat er abgelehnt.

Der Hauptgegenstand der heutigen Verhandlung waren die Auswanderungen,
wobei die Gegenwärtigen kaum hinreichende Geduld hatten sich über die
Thatsachen belehren zu lassen; großen Redensarten und Stichworten aber
den herkömmlichen Beifall nicht versagten. Endlich kam man mit dem
ersten Abschnitte der Grundrechte so weit, daß morgen darüber kann
abgestimmt werden. Eine ganze Reihe von Verbesserungsvorschlägen zu den
Anträgen des Verfassungsausschusses ward (zur Warnung und Besserung)
verworfen. Mein Nachbar hatte auch einen gestellt, schlief aber als er
an die Reihe kam, worauf ein Anderer rief: wird zurückgenommen! und
damit fiel er wirklich zu Boden.

Lebhafter Streit entstand: weil die Polen nochmals Vorwände suchen
und aussprechen, um die posener Angelegenheit hinauszuschieben. Sie
erwarten vortheilhafte Beschlüsse in Berlin, Bündniß mit Frankreich,
Krieg mit Rußland. Diesmal wird man auch namentlich abstimmen müssen
um zu sehen, ob die Deutschen, Polen über Deutschland hinaufsetzen. --
Gewiß werden die Berathungen sehr leidenschaftlich werden, um so mehr
da viele Katholiken sich haben aufreden lassen, es sei hier von der
Religion die Rede. Radowitz wirkt mit Recht gegen diese Thorheit.



Dreiunddreißigster Brief.


    Frankfurt a. M., den 21. Julius 1848.

Die heutige Sitzung war lang und anstrengend, doch sind wir auch mit
der Abstimmung über den ersten Abschnitt der wichtigen Grundrechte zu
Stande gekommen. Mit Vorbehalt einer zweiten Berathung, nach Erörterung
und Annahme des ganzen Gesetzes, lauten die vorläufigen Bestimmungen,
wie folgt:

1) Jeder Deutsche hat das Reichsbürgerrecht. Die ihm kraft desselben
zustehenden Rechte kann er in jedem deutschen Lande ausüben.

2) Jeder Deutsche hat das Recht an jedem Orte des Reichsgebiets
seinen Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen, Liegenschaften jeder Art zu
erwerben, und darüber zu verfügen, jeden Nahrungszweig zu betreiben und
das Gemeindebürgerrecht zu gewinnen.

Die Bedingungen für den Aufenthalt und Wohnsitz werden durch ein
Heimatsgesetz, jene für den Gewerbebetrieb durch eine Gewerbeordnung,
für ganz Deutschland von der Reichsgewalt festgesetzt.

Bis zur Erlassung der betreffenden Reichsgesetze, steht die Ausübung
der gedachten Rechte, jedem Deutschen in jedem einzelnen Staate
Deutschlands unter denselben Bedingungen wie den Angehörigen dieses
Staates zu. Kein deutscher Staat darf zwischen den ihm Angehörigen,
und den Angehörigen eines andern deutschen Staates zum Nachtheile
der letzten einen Unterschied machen hinsichtlich der bürgerlichen,
peinlichen und Prozeß-Gesetze.

3) Die Aufnahme in das Staatsbürgerthum eines deutschen Staates, darf
an keine anderen Bedingungen geknüpft werden, als welche sich auf die
Unbescholtenheit, und den genügenden Unterhalt des Aufzunehmenden, für
sich und seine Familie beziehen.

4) Die Strafe des bürgerlichen Todes soll nicht stattfinden, und da wo
sie bereits ausgesprochen ist, soll sie in ihren Wirkungen aufhören,
sofern nicht wohlerworbene Privatrechte dadurch verletzt werden.

5) Das Auswanderungsrecht ist von Staatswegen nicht beschränkt.
Abzugsgelder dürfen nicht erhoben werden. Die Auswanderung selbst steht
unter dem Schutze und der Fürsorge des Reiches.

Ihr seht wie viele große Schranken und Hemmungen innerhalb Deutschland
durch diese Bestimmungen zu Boden fallen. Für Preußen werden sie
jedoch insofern weniger neuern, als dasselbe auf dieser freisinnigen
Bahn schon viel weiter vorgerückt ist, als viele andere deutsche
Staaten. Dies wird noch weit mehr hervortreten, wenn +bald+ (wie
man beschlossen) ein neues Heimatsgesetz und eine neue Gewerbeordnung
für ganz Deutschland entworfen wird. Nur fürchte ich große
Unzufriedenheit, im Fall man örtliche und landschaftliche Gewohnheiten
und Wünsche gar nicht, oder doch zu wenig berücksichtigen sollte. Schon
jetzt zeigen sich oft Abstimmungen, wo die Rücksicht auf Staaten und
Volksstämme vorherrscht.

Die Sitzung schloß heute mit einem tragi-komischen Schauspiele. Anstatt
die Berathung über die Grundrechte nach der, innerlich in nothwendigem
Zusammenhange stehenden Folge, fortzusetzen, geschah der Vorschlag ganz
willkürlich diese und jene Sätze hervorzuheben und voranzustellen.
Insbesondere sprach Hr. M. aus -- gegen die neue Tyrannei der
Regierungen, für Preßfreiheit, Vereinsrecht, Briefgeheimniß, welche
Urrechte man jetzt schrecklicher Weise täglich verletze, obgleich sie
Jeder schon bei der Geburt +mit auf die Welt bringe+. Darauf
gegen die Centralgewalt, verrätherische Minister u. s. w.; -- all
das modige Wischi-Waschi des Tags. Er ward überlaut ausgelacht,
bezog dies aber nicht auf sich und seine lächerlichen Reden; sondern
beschuldigte die ihm nicht beifallende Versammlung: sie finde die
heiligen Volksrechte lächerlich. -- Der Präsident verwies ihn hierauf
zur Ordnung und auf der Linken hat man laut geäußert: man müsse ihn
von der Rednerbühne herunterziehen, denn sein Geschwätz blamire die
Linke. Nun Geschrei nach namentlicher Abstimmung, und als man bei der
gewöhnlichen Weise stehen blieb, erhoben sich nur ein Paar Abgeordnete
für jenen bombastisch ausposaunten Vorschlag: das deutsche Volk von der
dringenden Gefahr des Untergangs zu retten.


    Den 22. Julius.

Der Absatz 44 des Gesetzentwurfs für die Grundrechte lautet:
„jedes Grundstück muß einem Gemeineverbande angehören.“ Ich hatte
vorgeschlagen ihn so zu fassen: „jedes Grundstück, und jede Person
die einen bestimmten Wohnsitz hat, muß (jedoch nach Maßgabe der
örtlichen Gesetzgebung) einem Gemeineverbande angehören.“ -- Hr.
Moritz Mohl machte den Antrag, zwischen dem Absatze 3 und 4 der
obigen Bestimmungen, einen andern einzuschieben, welcher Ähnliches
verlangte. -- Ich sagte deshalb in der Sitzung vom 19. Juli: „da die
Sache jetzt zur Sprache gekommen ist, so nehme ich mir die Erlaubniß
(meinem Vorschlage) noch Folgendes hinzuzufügen. Es ist gesagt worden
das Gesetz handele nur von +Rechten+, aber nicht von Pflichten.
Meine Herren! ich halte es für ein großes Recht, Bürger einer Gemeine
zu sein; obgleich damit auch Pflichten verbunden sind, denn beides geht
ohne Zweifel in einander über. Wir haben offenbar in Deutschland vier
Stufen. Jeder tüchtige Mensch soll nämlich Mitglied einer Familie,
einer Gemeine, eines Staates, und hoffentlich nun auch des gesammten
Reiches sein. Wie übel es geht, wo es viele Beisassen giebt, welche
keinen Theil am Bürgerthum haben, das sehen wir bei der, sonst so
trefflichen, Städteordnung in Preußen. Unsere Schutzverwandten schweben
zwischen Himmel und Erde, ohne festen Boden zu haben. Die Folge ist:
daß die ärmsten Leute, wenn sie nur irgend ein Gewerbe treiben das
ihnen kaum das Leben fristet, die Lasten des Bürgerrechtes übernehmen
müssen, welche in diesen Kreisen größer sind, als die hervortretenden
Rechte. Hingegen werden die reichen Leute begünstigt. Diese Leute,
unsere reichen Schutzverwandten in Berlin, sind so gleichgültig
gegen die Gemeineangelegenheiten, als ob Berlin im Monde läge. Das
Staatsbürgerrecht zu besitzen, ohne Gemeine- oder Stadtbürger zu
sein, erscheint unzureichend; womit aber keineswegs gemeint ist, die
Erlangung des Staats- und Reichsbürgerrechtes lediglich von der Willkür
der einzelnen Gemeinen abhängig zu machen, wodurch der Partikularismus
in schädlicher Weise befördert würde. Ich glaube daß Hr. Mohl die
Sache so wie ich aufgefaßt hat, und schließe mich daher seinem Antrage
vollkommen an“. -- Es ward beliebt die Sache erst zu entscheiden wenn
Absatz 44 in der gewöhnlichen Folge an die Reihe komme.

Die Behauptung: Preußen werde nach Annahme obiger Sätze der Grundrechte
aus allen Theilen Deutschlands mit Bettelvolk überschwemmt werden, ist
irrig. Denn abgesehen davon daß auch Wohlhabende (angezogen durch die
freiere Gesetzgebung) einwanderten, ist diese Einwanderung zum Abweisen
der Armen ja durch Absatz 3 erschwert, wonach Jeder nachweisen soll, er
habe für sich und seine Familie genügenden Unterhalt. -- Gesunde Arme
und Beine galten bis jetzt als hinreichender Beweis; das neue Gesetz
läßt sich hingegen strenger deuten.



Vierunddreißigster Brief.


    Frankfurt a. M., den 22. Julius 1848.

Heute war der Bericht des völkerrechtlichen Ausschusses an der
Tagesordnung, über das Verhältniß Deutschlands zu fremden Staaten,
insbesondere zu Frankreich und Rußland. Im Ganzen ward die Berathung
(selbst von Ruge und Vogt) gemäßigt geführt und zuletzt im Wesentlichen
das vom Ausschusse Vorgeschlagene gebilligt. Also: Unsere auswärtige
Politik setzt die Ehre und das Recht Deutschlands über jede andere
Rücksicht. Deutschland wird keinen fremden Staat in der selbstständigen
Entwickelung seiner inneren Angelegenheiten irgendwie hindern, oder
je die Hand zu einem Kampfe um verschiedene Principien bieten. (Der
Gedanke, solche Principienfehden und Propaganden zu billigen, ward
zurückgewiesen; ein Vorschlag hingegen angenommen, welcher eine
künftige, allgemeine Verminderung der stehenden Heere zu bewirken
wünscht.) -- Die Centralgewalt soll die Verhältnisse Deutschlands zu
Rußland ins Auge fassen, damit eine hinreichende Macht der russischen
entgegengestellt werde. Die Nationalversammlung geht über die Anträge
auf Schutz- und Trutzbündnisse mit anderen Staaten zur motivirten
Tagesordnung über. Die Republik Frankreich wird anerkannt und ein
deutscher Gesandter nach Paris geschickt.

Ihr seht, daß Übereilungen und Übertreibungen +für+ Frankreich,
und +gegen+ Rußland zurückgewiesen sind, und man sich für eine
+friedliche+, aber +selbstständige+, Politik Deutschlands
erklärt hat. Das ist vor der Hand hinreichend. -- Mit Recht wurden
heftige Anklagen gegen England abgelehnt, und übermäßige Lobreden
auf Frankreich zum rechten Maße zurückgeführt. Ich hatte gewünscht
auch einmal meinen Mund aufzuthun, die Berathung ward aber wieder
geschlossen ehe ich an die Reihe kam, und so habe ich wenigstens den
Trost, mich gewiß mit meinem Reden nicht „blamirt“ zu haben!

Gestern sah ich ein +Glas+ Wasser. Ich habe mich gefreut daß der
Verfasser die mit 15 Kindern gesegnete Königin Anna so rasch in eine
verliebte Jungfrau verwandelt, und die stolze Herzogin von Marlborough,
sowie endlich die Abigail nicht minder verliebt gemacht hat in einen
und denselben ganz unbedeutenden Lieutenant. Gott, und einem jetzigen
dramatischen Schriftsteller, ist nichts unmöglich.



Fünfunddreißigster Brief.


    Frankfurt a. M., den 24. Julius 1848.

Von 9 bis ½3 Uhr habe ich heute geduldig der Berathung über die
posenschen, oder polnischen Angelegenheiten zugehört; dann ging ich
nach Hause und entbehre so, was Hr. V. des Breiteren darüber noch
beigebracht hat. Wenn ich bedenke wie viel Zeit ich in meinem Leben
auf Polen verwandte, wie viel Vorwürfe es mir zugezogen, wie viel Geld
es (das Rektorat) gekostet hat, wie viel Bücher und Handschriften ich
habe lesen, wie viel Sitzungen beiwohnen, wie viel Gespräche anhören
müssen; -- so erscheine ich wie ein wahrer Kreuzträger, den man wohl
entschuldigen kann, wenn er nach 5½ Stunde +Amen+ ruft. Und nicht
einmal +die+ Genugthuung wird mir für meine Anstrengungen zu
Theil, auch einmal ein Wort über eine Sache zu sagen, worüber ich fast
die wichtigsten Nachrichten aus den Archiven zu Tage gefördert. Denn
erst hieß es: ich sei der 13. der eingeschriebenen Redner, nun bin ich
plötzlich der 37. unter 65 (!!) -- das heißt -- schweige still. Um nun
nicht an Redesehnsucht zu sterben, werde ich ein kurzes Argumentum
niederschreiben und Euch schicken.

Ernsthaft gesprochen, muß ich behaupten oder einräumen, daß die heutige
Verhandlung im Vergleich zu den berlinern, bewundernswerth war, und
ich gewiß +nicht so gut+ gesprochen hätte, als es von einigen
Rednern geschah. Weit das Übergewicht der Gründe, des Inhalts, der
Beredtsamkeit, war auf Seiten Derjenigen, welche wider den falschen
Polenenthusiasmus und für die Deutschen sprachen. So gehörte eine Rede
des Abgeordneten Goeden aus Krotoszyn zu den besten die ich in der
Versammlung gehört. Noch mehr überraschte eine zweite +Jordan’s+.
Sonst zur äußersten Linken gehörig, hat er sie heute mit der größten
Geschicklichkeit bekämpft, ja bis jetzt aus dem Felde geschlagen. Er
legte alle Mißbräuche des alten Polenthums kühn zu Tage, wies nach
wie die Theilung möglich, ja nothwendig geworden, ein herrschender
Adel kein Volk bilde, sentimentale Träume keine Politik wären, und
das deutsche Vaterland und die Deutschen nicht, um der Polen willen,
preiszugeben und zu verrathen seien. -- Die Linke war überrascht, ich
möchte sagen verdutzt; und was Blum und Vogt beibrachten, waren dagegen
nur Worte über das polnische Himmelblau ins Blaue hinein gesprochen. --
Ich glaube nicht, daß wir morgen schon zur Abstimmung kommen, obwohl
gewiß das Wichtigste bereits gesagt ist. -- So zieht sich hier Alles
in die Länge, während meine Lebensdauer sich immer mehr verkürzt, und
meine hiesige Wirksamkeit mir täglich unbedeutender erscheint. Meine
+Spreu+, so überleicht sie ist, hat doch noch mehr Gewicht und ist
noch eher ein Zeichen eigenthümlichen Lebens, als all mein hiesiges
Laufen und Sitzen, Lesen, Reden und Schreiben!

Der Reichsverweser hat nicht daran gedacht sich selbst zum
Oberbefehlshaber der deutschen Heere zu ernennen; vielmehr glaubt
man bis jetzt: es sei am besten diese Stelle im Frieden unbesetzt zu
lassen. Erst beim Ausbruch eines Krieges könne man wissen, wer in
+dem+ Augenblicke der tauglichste sei. Doch wird die Art von
anerkennender Huldigung, welche der Reichsverweser von allen deutschen
Heeren verlangt, in vielen Staaten schon große Unzufriedenheit
erregen, wenn Form, Inhalt und Bedeutung nicht sehr geschickt erwählt
und erklärt wird. -- Noch mehr, und gerechten Anstoß, würde ein
neuer Abschnitt des Verfassungsentwurfes geben, wie ihn Theoretiker
entworfen haben. General Peuker (welcher jetzt nach seinem Wunsche
den Berathungen des Verfassungsausschusses beiwohnt) hat das Verdienst
darauf aufmerksam zu machen: Preußen werde sich in der bezweckten Weise
nicht mediatisiren lassen, und das Ziel auf dem eingeschlagenen Wege
nicht erreicht werden.

Gestern ward in der Reichsversammlung (trotz der langen und unnützen
Vorberathungen) von den deutsch-posener Abgeordneten, eine große
strategische Thorheit begangen. Die Meisten erklärten: sie wollten
in dieser +persönlichen+ Angelegenheit nicht mitstimmen; und
doch war von ihren +Personen+ gar nicht die Rede, sondern von
dem +Schicksale ihres Landes+, welches zu vertreten sie doppelt
verpflichtet waren. Sie gewannen durch diese falsche Großmuth auch
nicht eine Stimme; sondern veranlaßten, daß sich die Mehrzahl der
Versammlung gegen ihr Stimmrecht erklärte und vielleicht eine höchst
unglückliche, folgenreiche Niederlage des deutschen Interesses
herbeigeführt wird. Man wird dabei zu Muthe, als wenn ein Feldherr
den Theil seines Heeres davonlaufen sieht, auf den er glaubte sich am
meisten verlassen zu können!



Sechsunddreißigster Brief.


    Frankfurt a. M., den 26. Julius 1848.

Trotz früherer Beschlüsse haben wir heute, Mittwochs (gleich wie
in voriger Woche), die dritte Polensitzung. Ihr glaubt nicht, wie
matt und müde es Leib und Seele macht, 5-6 Stunden lang in der
Paulskirchenatmosphäre hundertmal Gelesenes und Gehörtes, noch
hundertmal wiederkäuen und wieder schreien zu hören. Man muß den Kelch
bis zum letzten Tropfen, das heißt bis zur Abstimmung, austrinken, und
weiß nicht einmal im Voraus, ob diese ihn zum zweiten Male anfüllen
wird.

Nebenher die gerechte Furcht: daß die am Himmel umherziehenden
„+Schwärke+“ sich zu einem furchtbaren Ungewitter zusammenziehen
und unsere ganze Ernte zerstören werden. Geht die Versammlung ein auf
die Vorschläge einiger unpraktischen Doktrinaire, so werden nicht
blos die kleineren Fürsten mediatisirt, sondern vor Allen -- Preußen.
Es geräth nachgebend in die Knechtschaft eines unbekannten Obern;
oder muß widersprechen und sich dazu ganz anders auf die eigenen Füße
stellen, als das schwache Ministerium und der babylonische Landtag es
vermögen. Die traurigsten Aussichten! weil so Viele die +Einheit+
Deutschlands nur in ertödtender Centralisation sehen, und die
Mannigfaltigkeit jedes höheren physischen und politischen Lebens nicht
begreifen. Alle Zeichen dieser Lebenskraft werden unter dem Namen
Sonderinteressen jetzt so in Verruf gethan, wie zuvor der Gedanke an
ein einiges Deutschland in Krieg und Frieden, Handel und Wandel.

Ich bin heute (mit Ausnahme weniger Minuten) von ½9 bis 3¼ in der
Paulskirche gewesen und ~rien que~ -- Posen! Ruge begann mit
aufgebauschten Redensarten (~sesquipedalia verba~) und einer aus
halbverstandener Philosophie hervorgehenden, neuen Weltschöpfung.
Hierauf sprach er unter Anderem den Wunsch aus: daß die Deutschen
möchten in Italien geschlagen werden. -- Deshalb erhob sich ein
gewaltiger Lärm und als sich der Präsident endlich konnte verständlich
machen, sagte er ungefähr: Die Äußerungen des Redners schließen einen
halben Verrath in sich; doch bin ich außer Stande ihn wegen seiner
bekannten Weltanschauung zur Ordnung zu rufen. Hierin sah der größte
Theil der Versammlung eine Erklärung: Hr. Ruge sei unzurechnungsfähig.
-- Als man des endlosen Geredes überdrüßig: zum Schluß rief; sagte
er: ich will so lange reden, bis sie sich zu meiner Überzeugung
bekehren, -- worüber große Heiterkeit entstand und sich Aussichten in
die Ewigkeit eröffneten. -- Spätere, mehr praktische Reden, brachten
sehr schlagend ans Tageslicht, daß die Polen sich nicht scheuen,
Unwahrheiten für ihre Wünsche auszusprechen, und Hrn. V--s stundenlange
Drahtzieherei steigerte die Ungeduld so, daß die Berathung durch
Stimmenmehrzahl geschlossen ward, und morgen abgestimmt wird. So bin
ich der Gefahr entgangen schlecht zu sprechen, oder doch hinter den
ausgezeichneten Rednern weit zurückzubleiben.

Als gestern ein polnisch Gesinnter anfing zu sprechen, verließ ein
baierscher Abgeordneter den Saal, badete im Main, aß hierauf zu Mittag
und mußte (in die Paulskirche zurückkehrend) hierauf den Redner noch 25
Minuten anhören. -- Überhaupt werden die Reden nicht kürzer, sondern
immer länger und Nestor ist ein Spartaner im Vergleiche mit dem
jetzigen +kürzesten+ Sprecher.

Diesmal ist von Seiten der Rechten auf namentliche Abstimmung
angetragen worden. Man will wissen, wer von der Linken und von
ultramontanen Katholiken, für die Aristokratie des polnischen Adels
und für die Polen, gegen die Deutschen stimmt. Neben dem Beweise:
Frankreich, das die Bruderhand darreiche, könne und werde die Deutschen
nie bekriegen, geht ungestört der Beweis her: es werde sogleich Krieg
erheben, wenn man die posener Deutschen (nach ihrem Wunsche und unter
Zustimmung des Königs, des Bundestages und des Reichstages) in den
deutschen Bund aufnehme, oder vielmehr die bereits erfolgte Aufnahme
bestätige. Wie auf einer Schaukel wird Deutschland den Rednern einer
Partei bald übermächtig, bald ohnmächtig, bald tollkühn, bald feige.
Ich sehe täglich, wie viel leichter es ist, halbwahre allgemeine
Grundsätze zuzustutzen, und durch leere bombastische Redensarten
Eindruck zu machen, als eine Sache praktisch anzugreifen und einer Rede
wahren, positiven Inhalt zu geben. Es ist eine wahre Wohlthat wenn man
aus jener Dunst- und Wolkenregion, aus dieser Schaukelei und Bammelei
zwischen Himmel und Erde, endlich einmal wieder festen Boden erreicht.
Jeder Narreneinfall gilt den Narren mehr als die wahren Verhältnisse
der Gegenwart und die ganze Geschichte der Vergangenheit. Jeder Schüler
dieser Schule hält sich für einen begeisterten Propheten; und Wahres,
Halbwahres, Irriges, Unmögliches, Gerechtes, Ungerechtes, Weises,
Dummes wird so durcheinander gequirlt, daß Einem Hören und Sehen
vergehen möchte: bis man den Muth faßt dreinzuschlagen und zu rufen: da
liegt der Quark!


    Den 27. Julius.

Über die Entstehung der gelben Reichscanarienwürde (dessen Inhaber ich
in bildlicher Ähnlichkeit übersandte) sind mir zwei verschiedene,
mythische oder geschichtliche, Berichte mitgetheilt worden. Nach dem
ersten sahen sich die Wähler genöthigt ihrem Erwählten einen vollen
Anzug machen zu lassen, und wählten dazu (der Ersparniß halber) ein
Stück Zeug gleicher Farbe. Nach dem zweiten Berichte, muß von der
Linken aus der Galerie ein Zeichen gegeben werden, wenn sie klatschen
oder zischen soll. Dies Zeichen ward, von dunkeln Gestalten ausgehend,
oft übersehen; deshalb gründete man die hellgelbe Reichscanarienwürde,
und Mißverständnisse sind nicht mehr möglich.

Ich eile über die heutige, sehr wichtige sechsstündige Sitzung, kurzen
Bericht zu erstatten. Zuvörderst erschrak ich als mir ein, von der
äußersten Linken ausgehender Antrag in die Hände kam, wonach ein
Ausschuß wegen Abschaffung des Cölibats sollte erwählt werden. In einem
Augenblicke wo es von höchster Wichtigkeit ist, keine confessionelle
Brandfackel zwischen die Parteien zu werfen, keine Sache in Anregung zu
bringen zu deren Ausführung wir weder berufen, noch ermächtigt, noch im
Stande sind, ließen sich selbst Männer zur Beistimmung verlocken, wie
-- u. s. w. Dieser Mißgriff ward auf der Stelle ausgebeutet um mehre
Katholiken hinsichtlich der posener Angelegenheit umzustimmen, und
Keiner konnte vorhersehen, daß die Gegner noch größere Fehler begehen,
und dadurch die Sache ~in integrum~ herstellen würden. Um nicht
über die Hauptfrage: die schließliche Aufnahme der deutsch-posener
Abgeordneten mitzustimmen, erklärte die Linke bescheiden: die Sache
sei nicht hinreichend aufgeklärt. Jeder sah aber den letzten Zweck
ein, die +dringend nothwendige+ Entscheidung ~ad calendas
graecas~ zu verschieben. Als nur 139 für, und 333 gegen den Antrag
stimmten, erklärte die Linke mit vermeintlich großem Rechte und großer
Würde, sie werde über jene Hauptfrage nicht mitstimmen, sondern sich
entfernen. Dieser Donnerschlag war aber ein kalter, und verblüffte
Niemand. Diese Escapade, dieser Hinterthürrückzug befriedigte weder
Polen noch Deutsche. Die Abstimmung entschied mit 342 gegen 31 Stimmen
für die Aufnahme des deutsch-posener Antheils in den deutschen Bund,
und die Zulassung seiner Abgeordneten. Der Sieg war entscheidend und
als die linken Abgeordneten zurückkehrten (über ihren großen Mißgriff
wohl zur verdrießlichen Klarheit gekommen) erhoben sie, ohne alle
weitere Veranlassung, ein bestiales Geschrei (ich möchte glauben sie
hätten sich in der Zwischenzeit betrunken). Man verstand kein Wort
in dem Tumulte, und erst nach langem Gebrüll, hörte man, daß der
Präsident ihr Betragen mit größtem Rechte als unwürdig bezeichnete.
-- Glänzend wie ein Sieger, stürzte Schaffrath auf die Rednerbühne
und forderte: daß die Nationalversammlung erkläre, Polens Theilung sei
eine Schmach, und seine Herstellung die heiligste Pflicht Deutschlands.
Einen Augenblick lang waren nicht Wenige bedenklich, wie sie stimmen
sollten; rasch aber liefen Erklärungen umher des Inhaltes: die
Versammlung sei nicht berufen, über längst vergangene geschichtliche
Thatsachen kritische Urtheile abzugeben, und für eine ungewisse
Zukunft Versprechungen und staatsrechtliche Erklärungen zu ertheilen.
Die namentliche Abstimmung, welche die Linke verlangte, ward (da dem
ganzen Angriff die Spitze abgebrochen war) unweigerlich angenommen.
331 sagten muthig: +Nein+, und 101 Ja. -- Nunmehr, ruft die
Linke, ist die Versammlung todt und vor ganz Europa an den Pranger
gestellt. Unbefangene werden dagegen einsehen: daß sie unbekümmert
um sentimentale Regungen und poetische Wünsche, lediglich an ihrem
jetzigen, staatsrechtlichen und völkerrechtlichen Berufe festgehalten
hat. Es ist ein Sieg der guten Sache, über wohlwollende oder böswillige
Thorheiten.



Siebenunddreißigster Brief.


    Frankfurt a. M., den 28. Julius 1848.

Je mehr ich an die +gestrigen+ Ereignisse denke, desto
unverständiger erscheint mir der schon erzählte Kriegsplan der
Linken. Sie hat Niemand getäuscht, Keinen befriedigt, sich
unanständig betragen und für ihre angeblichen Freunde, die Polen,
eine Niederlage herbeigeführt, die so bald nicht wird zu verwinden
sein. Die leidenschaftlich-kurzsichtige Berechnung: man wolle alle
Gegner dadurch blamiren, daß sie die Theilung Polens billigten; oder
sie dahin bringen, durch Verurtheilung derselben ihre Inconsequenz
an den Tag zu legen; mußte sich als ganz irrig erweisen, sobald die
Herausgeforderten sich nicht verblüffen ließen, und die Finte kühn
durchhieben. Alles jetzt erhobene Geschrei wird nicht verbergen wer
aus dem Felde geschlagen sei. Auch der von jener Partei ersehnte Krieg
gegen Rußland, ist durch +die+ Erklärung der Reichsversammlung
weit hinausgeschoben worden, daß Deutschland eine Herstellung Polens
nicht für seine erste, dringendste Pflicht halte. Es ist endlich gegen
alle Pietät nur immer von dem schmachvollen Benehmen Preußens und
Österreichs zu reden, die große Schuld der Polen selbst aber ganz in
den Hintergrund zu stellen.

Ich halte es nicht für unwahrscheinlich, daß, nach der Aufnahme des
deutschen +Theils+ von Posen in den deutschen Bund, die Polen
selbst Anträge machen das +Ganze+ aufzunehmen. Doch will ich nicht
über Möglichkeiten für und gegen sprechen. -- Zum +Vorwande+ wird
vielleicht Frankreich dereinst Polen nehmen, Krieg aber gewiß nur im
+eigenen+ Interesse beginnen.

Hansemann’s Finanzplane finden zum Theil ihre Entschuldigung in der
vorhandenen Noth; Anderes ist übereilt und wahrscheinlich unausführbar;
so die +neue+ Grundsteuer, welche als +Kapitalsteuer+ nur
den +augenblicklichen+ Grundeigenthümer trifft, und in der Regel
zu Grunde richtet. Pitt ordnete umgekehrt an: daß +vorhandene+
Grundsteuern durch eine mäßige Kapitalzahlung abzulösen seien.


    Den 29. Julius.

Gestern Nachmittag machte ich einen weiten Spaziergang, den Main
aufwärts, dann (zum Theil auf ungebahnten Wegen) über Felder und
Wiesen. Überall fruchtbar, gut bebaut, zum Theil schon abgeerntet.
Daran knüpfte der einsam Wandelnde natürliche Betrachtungen über
das rasche Dahinfließen der Zeit, und wie dem Rosenmonde bei meiner
Ankunft in Frankfurt, nun schon die Herrschaft der Sichel gefolgt
ist, und gelbe Blätter zwischen den grünen hervorleuchten. -- Bei
der Einsamkeit wird es hier für mich wohl verbleiben. Verabredungen
mit Abgeordneten zu gemeinsamer Erholung haben ihre Schwierigkeiten,
durch verschiedene Beschäftigungen, Ausschüsse, Eßzeit, entfernte
Wohnungen u. s. w. Hiezu kommt, daß Manche ihr ~dolce far niente~
da suchen, wo ich es nicht finden kann, und wohin ich meiner Natur
nach nicht mitwandern mag. Die Kneiperei, wo Kaffeetassen, Biergläser
und Tabackspfeifen die Souverainetät des Volkes erweisen, behagte
mir niemals, und jetzt um so weniger, da in der Gesellschaft von
Abgeordneten das Wiederkäuen der Paulskirchenspeise niemals ausbleibt.
Also ~sustine et abstine~!

Heute ist Gottlob keine Sitzung, keine Qual der Beredtsamkeit, kein
Stolz des Völkerbeglückens, kein Zanken und Schreien, keine neuen
Weltanschauungen, kein Glockengebimmel und Gebrumme, von Bundestag,
30jähriger Knechtschaft, Revolutions- und Rechtsboden, keine Anträge,
Berichte und Interpellationen, kein Gemetzel unter Privilegien; sondern
das eine neue Privilegium, trotz der Abgeordnetenwürde nichts zu thun,
nichts zu reden, nichts zu schreiben, -- nichts zu denken, -- und nur
die Pflicht Montag 9 Uhr, die Uhr wieder aufzuziehen um die Grundrechte
zu ergründen.

Die großen Sorgen über die künftige Stellung Preußens entstehen
weniger aus den von hier ausgehenden Angriffen und Beschlüssen; als
aus dem schwachen und schwankenden Benehmen der Regierung und der
Sinnesverwirrung im Volke. Dies braucht immer +Personen+ zu seiner
Führung und Begeisterung; es wird durch abstracte, allgemeine Lehrsätze
nur in Zweifel gestürzt, oder es vertraut abergläubig den Maulhelden,
welche dieselben verkünden. Die hiesigen preußischen Abgeordneten
befinden sich in der übelsten Lage. Sie werden von allen Seiten, und
am lebhaftesten von Denen angegriffen, welche gar nichts davon wissen,
wie sich die Dinge hier allmälig gestaltet haben; die nicht wissen,
daß man den schweren Kampf gegen anarchische Republikaner kämpfen
mußte, daß deren erfolgte Bezähmung ein großer Gewinn ist, und der
Beschluß über Polen eine Bürgschaft (wenigstens nach einer Seite hin)
für Frieden und Ordnung. Warum giebt die preußische Regierung auch
nicht den geringsten Fingerzeig, oder vielmehr warum hat sie nicht den
Muth sich in dem Sinne von 9/10 des Volkes auszusprechen? Was denkt,
was will sie hinsichtlich der Centralgewalt, des dänischen Krieges,
der Heere u. s. w.? War es nicht ganz thöricht, daß man sich hier auf
den Grund zweideutiger und unwahrer Zeitungsartikel einen ganzen Tag
lang über Sein und Nichtsein eines Waffenstillstandes mit Dänemark
herumzankte und Preußen verlästerte, während ein muthiges amtliches
(verkehrterweise aber nicht ausgesprochenes) Wort, alles Geschwätz und
alle Einreden zu Boden geschlagen hätte. Und doch wird die Noth der
Ostseeküste +zwingen+, das rechte Wort dann auszusprechen, wenn
die Gegner sich gestärkt haben. Da bin ich an meinem Feiersamstage
doch in den alten Butterfrauentrab verfallen. -- Welch ein Sprung
von der Paulskirche zur Ilias. Ist das dieselbe Erde, dasselbe
Menschengeschlecht? Blum und Agamemnon, Zitz und Ajax, Schaffrath
und Ulysses! Des herrlichen, beneidenswerthen Umgangs mit Athene und
Aphrodite nicht zu gedenken! -- Gut daß das Papier zu Ende geht; ich
könnte sonst in Ketzereien für den Alles belebenden und vergötternden
Polytheismus gerathen, und an Dryaden und Najaden, Musen und Grazien
mehr Gefallen finden, als an theologischen Fakultäten, welche ja die
allweisen Studenten auch aufheben wollen.

Am Grabe eines bekannten Abgeordneten Wirth, hat Blum eine so
feindselige, empörerische Rede gehalten, daß Alle, die ich bis jetzt
sprach, sie mit diesem Beinamen belegen. Es scheint, er will, nach
kurzer Mäßigung, sich wieder an die Spitze der äußersten Linken
stellen. Seine letzten Reden in der Kammer waren reich an Phrasen, arm
an Inhalt.



Achtunddreißigster Brief.


    Frankfurt a. M., den 30. Julius 1848.

Heute Nacht habe ich vor Aufregung wenig geschlafen. Ihr wißt, daß ich
seit meinem Hiersein den Prinzen und die Prinzessin von Preußen mit
größtem Eifer überall gegen nichtswürdige Verläumdungen vertheidigt
habe; anfangs mit nur mäßigem, dann mit größerem Erfolge.

Trotz dessen war ich gestern erstaunt zu hören, daß jetzt (mit Ausnahme
der äußersten Linken) fast alle Parteien sich aufs Lebhafteste für die
Ernennung des Prinzen zum Oberfeldherrn aussprechen. Ich habe behindern
müssen, daß -- -- --. Stände die Wahl der hiesigen Versammlung zu, der
Prinz erhielte zum Oberfeldherrn so viel Stimmen, wie der Erzherzog zum
Reichsverweser.



Neununddreißigster Brief.


    Frankfurt a. M., den 31. Julius 1848.

So wie man sonst wohl Königen und Prinzen schmeichelte, so jetzt öfter
den Demagogen und Volksrednern; Begeisterung und aufrichtige Theilnahme
ist indeß keine Schmeichelei. Da Sie indeß nur eine ganz einfache
Aufzählung von Thatsachen fordern, so schreibe ich Ihnen aus bester
Quelle Folgendes.

Es wird vielerlei für und wider den +Prinzen von Preußen+ in Wort,
Schrift und That unternommen; vom Standpunkte der Wahrheit läßt sich
nur Folgendes als richtig bezeichnen. Er hat in dem Winter von 1847 zu
1848 zu Maßregeln gerathen, welche, als zeitgemäß, wahrscheinlich viel
Unglück würden abgewendet haben. Er war ferner Mitunterzeichner der
wichtigen Proklamation vom 18. März, und zeigte sich stets bereit für
das Wohl des Vaterlandes zu wirken; allerdings aber auch, als Vertreter
der gesetzlichen Ordnung, dieselbe zu schützen.

Das Kommando am Rhein, welches ihm anvertraut worden war, veranlaßte
schon in der Woche +vor+ den Märztagen die Niederlegung seines
Amtes als Chef des Gardecorps. Die Abreise nach Köln wurde, der
unruhigen Auftritte in Berlin wegen, von Tag zu Tag verzögert: -- und
so fügte es sich, daß der Prinz Zeuge der verhängnißvollen Scenen
werden mußte, deren gründliche Erörterung dem gerechten Urtheile einer
späteren Zeit vorbehalten bleibt.

Am Spätabende des 19. März erhielt der Prinz auf dem königlichen
Schlosse, wo er sich mit seiner Gemahlin befand, Nachricht von der sich
gegen ihn kund gebenden Aufregung. Der König bat ihn Berlin auf einige
Tage zu verlassen, um der Stimmung Zeit zu gewähren sich zu beruhigen.

Ungern fügte sich der Prinz diesem Wunsche und weilte in der Nähe
Potsdams, bis ihm am 22. März der Auftrag ertheilt wurde, sofort
nach England zu reisen. Dies erfolgte in der Voraussetzung dort dem
Vaterlande nützlicher sein zu können, als während der Aufregung in
Berlin oder anderswo.

Seine Aufnahme in England war geeignet die trüben Eindrücke der
berliner Nachrichten zu mildern. Der Umschwung der öffentlichen
Meinung, welcher sich in den zahlreichen Adressen und in seiner Wahl
für die Nationalversammlung kund gab, verwischte bald die Erinnerung
an die ungerechte Verfolgung innerhalb der eigenen Vaterstadt; und
so kehrte der Prinz zurück um, der constitutionellen Sitte gemäß,
unbetheiligt an Regierungsgeschäften, im Kreise der Seinen zu leben.
Die Prinzessin von Preußen verließ ihren Gemahl erst im Augenblicke
der Abreise nach England und blieb, während die Stürme tobten, mit
ihren beiden Kindern in Potsdam, getreu ihren Pflichten als Gattin und
Mutter.



Vierzigster Brief.


    Frankfurt a. M., den 1. August 1848.

Ich muß fürchten, daß Ihr findet, ich habe über dem ~to print or
not to print~, meiner nicht gehaltenen sechs Reden die Tramontane
verloren; wer konnte aber auch auf die raschen Veränderungen und
Umstellungen gefaßt sein? Lob Preußens, Namens der Süddeutschen,
in der Paulskirche, Rückzug der Urheber des zweiten Abschnittes
jenes beleidigenden Verfassungsentwurfes; hierauf, in der gestrigen
Versammlung preußischer Abgeordneten, lebhafte Vertheidigung des
preußischen Heeres durch einen Rheinländer! Endlich, in einer
Zeitung, welche niemals Preußen freundlich behandelte, es nie lobte,
steht unerwartet heute, am 1. August: „Am wenigsten hat das endlich
geeinte Deutschland ein Interesse daran, das gerechte Hochgefühl des
preußischen Heeres, das eben jetzt für die deutsche Sache glorreich
gekämpft hat und wieder kämpfen wird, zu verletzen, sich den Geist
dieses Heeres zu entfremden, welches, wie kein anderes in Deutschland,
ein Volksheer ist; es wird zu stolz sein, um sich durch unwürdige
Äußerungen, welche gewisse Personen in der Paulskirche zur eigenen
Schande zu machen die Stirn haben, irgendwie beirren zu lassen; es
wird wissen, daß wir mit ihm und es mit uns dieselbe Sache vertritt,
dieselben Gegner bekämpft, dasselbe Ziel erstrebt: das der Freiheit,
Einheit und Hoheit des deutschen Vaterlandes, dasselbe Ziel, für
welches 1813 die Jugend Preußens die Waffen ergriff. Vor Allem sei
Preußen eingedenk, wie eben jetzt in Wien das deutsche Österreich
dem slavischen zu erliegen in Gefahr ist, und daß Deutschland in den
Gefahren, die ihm drohen von Osten und Westen, sich auf die Kraft
Preußens stützen muß; sei es gewiß, daß das dankbare Vaterland wissen
wird, welche Stelle dem Staate von 16 Millionen, der unsere Marken im
Osten und Westen zu hüten hat, in dem künftigen Reiche gebührt.“

Was will man mehr? So hat der ferne Donner die Böswilligen und
Leichtsinnigen erschreckt und die Wetterfahnen umgestellt. Mögen
die Preußen nun auch ihrerseits nicht zu weit gehen und den sich
hervordrängenden Verdacht: man bezwecke eine Rückkehr zum alten
Systeme, zurückweisen.



Einundvierzigster Brief.


    Frankfurt a. M., den 1. August 1848.

Es war heute gar langweilig in der Sitzung. All das hundert Mal Gehörte
wider +Adel+ und +Orden+ ward aufs Breiteste wiederholt und
durcheinander gerührt. Das Wahre war nicht neu, und das Neue nicht
wahr. In einer Minute kann man das stundenlang Auseinandergezogene
aussprechen und niederschreiben: nämlich, des Adels unhaltbar gewordene
Vorrechte hören auf; um alles Andere (in Wahrheit Unschädliche und
Unerreichbare) hat man sich dagegen nicht zu bekümmern. Auch der
Reichscanarienvogel hofirte zwitschernd in schlechtem Witze auf den
Adel; G. belehrte uns: +von+ sei eine Präposition, die den Dativ
regiere, also -- u.s.w. Mir erschien es ungebührliche Zeittödtung
zuzuhören, wenn man bestimmt weiß, wie man stimmen soll und muß; so
ging ich denn vor dem Schlusse ohne Gewissensbisse hinweg, um an Euch
zu denken und an Euch zu schreiben.

Unterhaltender als die Reden sind die anliegenden Karikaturen,
alle sprechend ähnlich, trotz der hieher gehörigen Übertreibungen.
1) +Robert Blum+, der Herausgeber der Reichstagszeitung, mit
Bezug auf eine daselbst befindliche Äußerung. 2) L. (zubenannt das
Wiesel, weil er geneigt ist, so rasch wie dies Thierchen auf die
Rednerbühne hinaufzuschlüpfen). Diesmal fuhr Gagern aus seiner Höhe
mit der glockenbewaffneten Riesenhand so ungeduldig und gewaltig
dazwischen, daß sich das Wiesel, wie zu schauen, auf die Flucht begab.
-- 3) +Ruge+, der Allesverachtende, mit Hegel’schen Redensarten
Genudelte, der Weltenschöpfer und Weltenanschauer, hängt seinem
Berufe nach oder krümmt sich unter ihm, in einer noch nie gesehenen
Michelangelo’schen Stellung.

Ich schrieb Euch, daß davon die Rede war, eine Deputation nach
Berlin zu schicken, um gerechte Klagen zu mildern, Mißverständnisse
zu beseitigen u. s. w. Bald aber traten Zweifel hervor; an wen denn
eigentlich jene Abgesendeten sich wenden, in welcher Art sie wirken
sollten. Vor Allem ward klar, daß nicht +zugleich+ Schlöffel,
Nauwerk, Vincke, Lichnowsky u. s. w. konnten vertreten werden; daß gar
nicht Alle dasselbe wünschten und bezweckten.


    Den 2. August.

Diejenigen preußischen Abgeordneten, welche von jeher der Meinung
waren: man müsse den süddeutschen und anderen Angriffen nur Geduld und
süße Redensarten entgegensetzen, schreien gewaltig über die Grobheit
und aufregende Leidenschaftlichkeit der Schrift Griesheim’s. Nun ja!
sie ist grob und leidenschaftlich; aber wie man in den Wald ruft, so
tönt es zurück. Auch streitet Griesheim nur gegen grobe Personen, oder
noch weit mehr gegen die Grobheit der Sachen; und daß er in dieser
letzten Hinsicht Unrecht habe, ist noch von Keinem behauptet worden.
Die Entrüstung der Preußen hat ihnen und ihrem Rechte in wenigen Tagen
weiter geholfen, als die weichliche Schafsgeduld, gegen die ich mich
seit meiner Ankunft erklärte und worüber ich mich immerdar ärgerte. Die
wahre Einheit Deutschlands ist mit der festen Größe Preußens besser
gefördert, als wenn ich mich hergebe seinen dummen oder böswilligen
Feinden die Hände oder gar den H.-- zu küssen.

In der heutigen Sitzung ward über den Adel weiter verhandelt und
dann abgestimmt. Fast Alle erklärten sich für die Abschaffung der
Adels+vorrechte+; die Abschaffung des Adels bis auf Namen,
Bezeichnung, Titel, Wappen (nach revolutionairer Weise) ward aber mit
einer Stimmenmehrheit von 115 verworfen. Wozu solche polizeiliche,
bedeutungslose, unausführbare Vorschriften unter die Grundrechte des
deutschen Volkes aufnehmen? Auch der Sturm gegen alle Orden mißlang;
wogegen es durchging, jeden nicht mit einem bestimmten Amte verbundenen
Titel aufzuheben! Endlich stimmte die Linke dafür: daß jeder Mensch
berechtigt sei, sich irgend einen Adelstitel beizulegen; -- worüber
große Heiterkeit entstand. Man rief: Graf Blum, Baron Canarienvogel u.
s. w.

Die angenommenen Sätze lauten: Alle Deutsche sind gleich vor dem
Gesetze. Standesprivilegien finden nicht statt. Titel, die nicht mit
einem Amte verbunden sind, werden aufgehoben und dürfen nicht wieder
eingeführt werden. Die öffentlichen Ämter sind für alle dazu Befähigten
gleich zugänglich. Das Waffenrecht und die Wehrpflicht ist für Alle
gleich; Stellvertretung bei letzterer findet nicht statt. -- Vergeblich
machte man darauf aufmerksam, daß man den Proletariern nicht Waffen in
die Hände geben solle. Bei der Ausführung wird der Beschluß Übelstände
in Menge herbeiführen, oder vielmehr nicht ausgeführt werden.

Die ganze Berathung hatte sehr wenig Erfreuliches. Insbesondere
konnte der Präsident mit Worten und Klingeln die Leidenschaft und das
Dreinreden der Linken kaum bändigen. Sie hofft, daß in Berlin und
Wien ihre Ansichten obsiegen werden. Leicht möglich, wenn die Klubs
ungestört ihre revolutionairen Umtriebe fortsetzen dürfen.

Ich holte aus der Lesebibliothek: Der +Rechte+ von der Gräfin
Hahn. Sie hat (eine seltene Eigenschaft bei schriftstellernden,
meist rückläufigen Frauen) sehr große Fortschritte gemacht, und mir
erscheint das Buch wie eine Vorstudie zu der ohne Zweifel vollkommneren
Sybille.

Ich habe eine Abneigung gegen breitgetretene, kränkliche
Liebesgeschichten, vor denen alle Gesundheit verschwindet oder als das
Geringere verächtlich behandelt wird. Mattherziges, faules, unthätiges,
unmännliches Gesindel, füttert und päppelt sich mit dem blähenden Kohle
hohler Redensarten von unerhörter, ungesehener, überpoetischer Liebe;
und wenn man das aufgeputzte, geschminkte, verhätschelte Götzenbild mit
dem Zauberstabe ächter Wahrheit und Schönheit berührt, so stürzt es
zusammen und es bleibt nichts übrig als ein wenig Unrath.



Zweiundvierzigster Brief.


    Frankfurt a. M., den 4. August 1848.

Gestern ist der Erzherzog unter ungeheurem Zulaufe des Volkes wieder
eingezogen. Diesmal waren denn auch mehre Hundert weiße Mädchen mit
Eichenkränzen zur Hand, von Kindern an bis zu sehr breiten Jungfrauen.
Nach Berlin ist Johann wohl der eingetretenen Mißstimmung halber nicht
gegangen. Heute erwartet man die Ernennung der übrigen Minister, wo
die kleinen Staaten gewiß wieder stärker vertreten werden, als Preußen.
Überhaupt muß sich dies selbst geltend machen, und nicht auf den
Reichsverweser und die hiesigen preußischen Abgeordneten allzu viel
bauen.


    Den 5. August.

Bevor ich zu sachlichem Berichte komme, muß ich persönlich tiefe
Seufzer ausstoßen, um dadurch mein Gemüth etwas zu erleichtern. Die
gestrige sechsstündige Sitzung (in welcher sehr viele Reden über die
Todesstrafe abgeschrien wurden und die Linke eine so starke Begleitung
übernahm, daß der Präsident sie mit dem Glockenspiele zu übertönen
suchte, aber die Glocke zerschlug, sodaß sie nur sehr heisere Töne
von sich gab) griff mich so an, daß mir fast die Sinne vergingen.
Beim Frühstück klagten Abgeordnete, daß von Tage zu Tage ihr Appetit
abnehme. Ich aß, sagte einer, erst drei, dann zwei Portionen; jetzt ist
mir eine fast zuwider. Ganz mein Fall.

Hierauf wandte sich (ganz in der Regel) meine Melancholie wider mich
selbst und meinen hiesigen Aufenthalt. Ich erschien mir völlig unnütz,
ein Tropfen im Meere. Es erschien mir verkehrt, in dieser Einsamkeit
auszuharren (denn 500 Menschen in der Paulskirche geben keine
Gesellschaft) und meine wenigen Lebenstage für etwas einzusetzen, was
viele Andere besser vollbringen könnten. Keineswegs verzweifele ich
an der Sache, keineswegs halte ich die großen Aufgaben für gering und
unlösbar, keineswegs jammere ich wie ein Trauerweib über Alles, was
mich in der Nähe umgiebt und was ich aus der Ferne höre. Ich sehe nur
+mich+ an, lege mich auf die Wage und finde mich allzu leicht.
Ich sehe mich an und finde, daß ich in +einem+ Tage hier an Seele
und Leib um mindestens zwei Tage älter werde, und ganz decrepit (ich
brauche ein fremdes Wort für eine üble Sache) zurückkommen, und dann
zum Troste keineswegs auf Lorberen ruhen werde, sondern hart liegen auf
dem Bewußtsein meiner Entbehrlichkeit und Nichtigkeit.

Auf einem Spaziergange mit einem Abgeordneten, Martens aus Danzig,
suchte mich dieser von meiner hiesigen, nützlichen Einwirkung zu
überzeugen; dies war aber wohlwollende Höflichkeit und führte nur zu
der noch verdrießlicheren Untersuchung, ob meine Verzagtheit wirklich
auf rechter Demuth beruhe. -- Endlich schnitt die Müdigkeit alle, in
der That ganz fruchtlosen Betrachtungen ab; und ein langer Schlaf
stellte die Kräfte so weit her, daß ich Euch diese Jeremiade schreiben
konnte. Jetzt zu den Sachen!

Der Hauptinhalt der gestrigen Berathung war also die Abschaffung
der Todesstrafe. Viele sprachen dafür, Wenige dagegen; so bringt es
die Stimmung des Tages mit sich. Mir scheint die Frage in unseren
Tagen (wo nicht mehr, wie sonst, Unzählige, sondern zu Folge der
veränderten Gesetze nur sehr Wenige zum Tode verurtheilt werden)
ungemein an Wichtigkeit verloren zu haben. Neben der Betrachtung
über eine wissenschaftliche Rechtfertigung der Todesstrafe, geht
aber (obwohl mehr oder weniger verdeckt) die Neigung her, sich nach
jetziger Humanität mehr der Schuldigen als der Unschuldigen anzunehmen,
mehr für den Einzelnen als für die bürgerliche Gesellschaft zu
sorgen. Ich hatte schon Lust den Vorschlag zu machen: man möge die
Todesstrafe abschaffen, dem Verbrecher aber die Wahl freistellen, ob
er sich lieber wolle köpfen lassen oder lebenslang in die angeblich
philosophisch-humanen, in Wahrheit fürchterlich grausamen, einsamen
Gefängnisse einsperren lassen. Diese sind eine Tortur neuer Art;
wenigstens schminkte sich die alte nicht mit süßen, sentimentalen
Reden, sondern anerkannte ihre Barbarei, -- angeblich auch für das
Beste der bürgerlichen Gesellschaft. Ihr erlaßt mir die Mittheilung
der für und gegen die Todesstrafe aufgezählten Gründe. Nur ein Paar
Curiositäten. M. behauptete: in den Vereinigten Staaten erfolge die
Hinrichtung nicht öffentlich, +weil+ die Regierung sich derselben
+schäme+; und ein Anderer führte für die Todesstrafe an, daß ohne
Christi Kreuzigung das Christenthum nicht in die Welt gekommen wäre!



Dreiundvierzigster Brief.


    Frankfurt a. M., den 5. August 1848.

Gestern Abend ging ich nach einsamem Spaziergange in das Theater, um
„Brandmarkung, Pranger und Prügel aller Art“, wovon in der Paulskirche
die Rede war, aus den Gliedern los zu werden. In dem Heirathsantrage
auf Helgoland spielte Hr. Reger den alten Oberbootsmann vortrefflich,
und Mozart’s Kapellmeister ließ die Paulskirche vergessen. Obgleich er
selbst steif und hölzern dargestellt wurde, ergötzte ich mich an Hrn.
Theaterdirektor Schikaneder; auch sangen die beiden Frauen recht brav.
Indessen blieben wehmüthige Erinnerungen auch hier nicht aus. Es setzte
sich nämlich ein etwa 16jähriges Mädchen neben mich, welche der Malvina
Eimbeck (als sie ebenso alt) außerordentlich ähnlich war, und gar
manche Fäden früherer Zeiten hervorrief, die ja (wie alles Vergangene)
nicht den Charakter des Sonnenaufganges, sondern des Sonnenunterganges
tragen und tragen müssen.

Wenn mir auf den Spaziergängen schon Blätter vor die Füße fallen, ich
den Mähern und Harkern zuschaue oder durch Stoppeln wandere, finden
sich auch ganz +natürlich+ andere Gedanken ein, als wenn ich im
Mai unter Rosen und Blumen aller Art mich ergötzte und verjüngte.
Von hier aus würde ich sogleich wieder in den Butterfrauentrab der
Paulskirchenpolitik verfallen, wenn nicht jetzt eben alle Glocken so
entsetzlich läuteten, daß mir alle Gedanken vergehen und ich deshalb
lieber abbreche.


    Den 6. August.

Das war heute eine so aufregende Sitzung, daß man ein Nervenfieber
davontragen könnte.

Bei Erörterung der Berichte über die Amnestie politischer Verbrecher,
und über Hecker’s Aufnahme, mußte man Reden anhören, die allen
Grundsätzen der Sittlichkeit Hohn sprachen und dem Verbrechen Altäre
bauten. Ich konnte diese Gräuel nicht länger aushalten, ging ins
Freie; hörte aber bei der Rückkehr schon draußen einen fürchterlichen
Lärm. Ein Abgeordneter, Brentano, hatte, dem Sinne nach, gesagt: wie
man den badener Verfolgten eine Amnestie verweigern könne, da man sie
dem Prinzen von Preußen bewilligt habe? Hecker und der Prinz wurden
also gleichgestellt. Vor 6 Wochen befürchtete ich schon eine solche
Explosion, und erbat mir für solch einen Fall das Wort.

Den Preußen ging diesmal die Geduld aus, um so mehr, da die Galerien
Beifall brüllten. -- Es war nahe daran, den höhnisch fortlachenden
Brentano von der Rednerbühne herabzuwerfen und mit einer großen
Prügelei zu enden. Der Präsident außer Stande, Ruhe herzustellen,
mußte die Sitzung aufheben; die preußischen Abgeordneten und viele
Nichtpreußen begaben sich ins Casino, waren eines Sinnes über jene
Unwürdigkeiten und versammelten sich um 5 Uhr im österreichischen
Locale zu weiteren Beschlüssen. Niemand weiß, was geschehen wird; aber
nochmals hat sich erwiesen, daß wir, wie ich immer behauptete, mit
Lammessanftmuth nichts ausrichten, sondern ~à la~ Griesheim die
Zähne weisen müssen.



Vierundvierzigster Brief.


    Frankfurt a. M., den 7. August 1848.

Heute um 5 Uhr versammelten sich etwa 250 Abgeordnete im Saale, wo die
Österreicher in der Regel zusammenkommen; die Überzahl Preußen, dann
Österreicher, Baiern, Hannoveraner u. s. w., aus allen Stämmen. Alle
erklärten einstimmig: Brentano’s unwürdige Rede habe nicht blos die
Preußen, sondern alle Deutsche beleidigt. Und so hat die Flegelei
nur die Folge bestimmteren Anschließens. Die Frage war: was soll man
beantragen, was thun? Der erste Vorschlag: Brentano’s Ausschließung
zu verlangen, ward sogleich abgelehnt, weil hiezu keine genügenden,
förmlichen und sachlichen Gründe vorlagen. Der zweite Antrag: ihn durch
den Präsidenten zur Ordnung anweisen zu lassen, hatte den Vorzug, daß
er alle weiteren Erörterungen abschnitt; allein er schien für das
ungewöhnliche Vergehen zu gelinde. Und wenn er auch für die Versammlung
genügte, so war mit Bestimmtheit vorauszusehen, daß man außerhalb
derselben und in ganz Preußen sagen würde: die preußischen Abgeordneten
hätten wieder wie Feiglinge und Nachtmützen geschwiegen, und nur der
Präsident einige Theilnahme und Ehrgefühl gezeigt. Deshalb ward der
dritte Vorschlag fast einstimmig angenommen: die +Versammlung+
solle ihre Mißbilligung aussprechen, daß Brentano einen deutschen
Volksstamm gröblich beleidigt habe. -- Möglich, daß sich daran neuer
Lärm anreihe, oder Viele nicht beistimmten: die Forderung sei indeß
gerecht, der Lärm nicht zu fürchten und nöthigenfalls namentliche
Abstimmung zu verlangen. Der Prinz ward nicht genannt, um jeden neuen
Angriff nach dieser Seite hin zurückweisen zu können. Der Gedanke,
dies Alles in geheimer Sitzung abzumachen und die Galerien heute zu
schließen, ward verworfen; denn wie die Beleidigung öffentlich war,
müsse es die Genugthuung sein und keine Furcht vor den Galerien gezeigt
werden. Erhöben sie wieder Lärm, müsse man sie räumen lassen und für
die Zukunft ein allgemeines, zügelndes Gesetz geben.

Diesmal war es mir, bei geringerem Andrange, in dieser
Privatversammlung gelungen, mich als den zweiten Redner einschreiben
zu lassen. Als ich meinen Spruch begann und der Vorsitzende (Graf S.)
bemerkte, daß ich vom Prinzen von Preußen reden würde, stand er auf und
gab mir zu verstehen: ich möge mich +nur+ darüber erklären, was
+jetzt+ hinsichtlich +Brentano’s+ zu thun sei? Ich ließ mich
aber durch diesen Hemmschuh gar nicht aufhalten, sondern behauptete:
nicht einmal die preußischen, viel weniger die gegenwärtigen
österreichischen, baierischen und die anderen deutschen Abgeordneten
wären von den Thatsachen, der Persönlichkeit, dem Benehmen des Prinzen
und der Prinzessin von Preußen genügend unterrichtet, und es sei mein
Recht und meine Pflicht, aus genauer Kenntniß der Verhältnisse, sie
gegen schändliche Lügen und Verläumdungen zu rechtfertigen. -- Jetzt
erscholl von allen Seiten des Saales der laute Ruf: Reden, Reden!!

Ohnehin schon übermäßig aufgeregt, warf ich nun alle Präsidentenzügel
zur Seite, stürmte darauf los und sagte, was ich nicht im Gedächtnisse
zusammensuchen kann, aber doch weiß, weil ich es immer im Kopfe und
Herzen getragen. Und auch Ihr wißt es, ohne ~da Capo~.

Am Schlusse: das lauteste Bravo und unermeßliches Händeklatschen; --
+nicht für mich, -- sondern für den Prinzen und die Prinzessin+.
Darum ist dieser Ausbruch der Theilnahme nicht ohne Wichtigkeit.


    Den 8. August.

Ich schwebe in Sorgen über den Gang und Ausgang der heutigen Sitzung.
Es blieb aber nichts übrig, als den Kampf zu wagen. Traurig, daß auch
preußische Abgeordnete sogenannte politische Principien, über Vaterland
und Vaterlandsliebe hinaufsetzen; -- wie im Dreißigjährigen Kriege
dogmatische Principien. -- Der Weg zum Untergange Deutschlands!

Gestern Abend hat man Hrn. Brentano ein Vivat gebracht, wobei Itzstein
und ähnlich Gesinnte betheiligt waren und Reden hielten an das
Straßenvolk, wie man sagt, des Inhaltes: der Prinz von Preußen könne
es sich zur Ehre rechnen, mit Hecker verglichen zu werden; zu neuen
Barricaden würde man sich doch einfinden u.s.w.

Die heutige Sitzung (9-3½ Uhr) war nicht erfreulicher als die gestrige.
Zwei Anträge über die Zurechtweisung Brentano’s lagen dem Präsidium
vor, eine etwas milder abgefaßt, als die andere. Gagern hatte den
Vorsitz an Soiron übergeben, weil sein Bruder in dem Hecker’schen
Aufstande erschossen worden. Soiron glaubte, das Allermildeste zu
thun, wenn er Brentano zur Ordnung rufe und dadurch härtere Vorschläge
und längere Berathungen abschneide. Kaum aber hatte er die Weisung
zur Ordnung ausgesprochen, so nahm die Linke dies nicht dankbar an;
sondern erhob einen Lärm, daß man kein Wort verstehen konnte, und die
Galerie stimmte in den Ton ein mit Brüllen und Trampeln. Alle Weisungen
zur Ruhe, alle Drohungen, die Galerien räumen zu lassen, blieben ohne
Wirkung, sodaß die Sitzung einstweilen nach 10 Uhr unterbrochen und
der Wiederanfang auf 11 Uhr angesetzt wurde. Die meisten Abgeordneten
verließen hierauf den Saal, die Galerien blieben überfüllt und jeder
sah im Voraus, daß um 11 Uhr die Fortsetzung folgen werde. So geschah
es. Das Präsidium befahl die Galerien zu räumen; neuer Lärm und
Hohngelächter. Einzelne in Frankfurt sehr bekannte Abgeordnete gingen
hinauf; ihre Vorstellungen blieben ohne Wirkung. Jetzt folgte ihnen der
Präsident Gagern selbst; aber Kerle mit dem Hute auf dem Kopfe stellten
sich vor ihm hin, und haben gewiß nicht höflich gesprochen. Erst als
Bürgerwehr ankam, machten die Ungehorsamen Anstalt zum Abzug, und die
frechen oder neugierigen Weiber fast zuletzt.

Nun sollte nach geleerten Galerien die Berathung über die Amnestie
fortgesetzt werden. Ich füge ein: daß in vielen Eingaben zwar
von Menschlichkeit, Leiden der Väter, Mütter, Geschwister u. s.
w. die Rede war; aber auch nicht die geringste Spur von Reue und
Besserung. Vielmehr (ebenso wie von mehren Rednern des gestrigen
Tages) ein Läugnen aller sittlichen Grundsätze, und ein Verachten
aller gesetzlichen und bürgerlichen Ordnung. Und +alle+ diese
Angeklagten sollte die Reichsversammlung ohne Rücksicht auf das Maß
ihrer Verschuldung, ohne Rücksicht auf die Sicherheit der einzelnen
Regierungen plötzlich frei sprechen und aus dem Auslande wieder in
Deutschland hineinlassen, wo die Meisten eine Empörung als Recht,
Pflicht und Ehre bezeichneten.

Jetzt behauptete die Linke (um Zeit zu gewinnen und morgen unter
Begleitung der Galerien, das hieß ihnen: des souverainen Volkes, ihren
Willen durchzusetzen), mit der Räumung der Galerien sei nothwendig die
Sitzung geschlossen. Diese Behauptung ward verworfen. Sie verlangte
nunmehr: daß man das, eben hinausgewiesene, draußen schreiende Volk
wieder einlasse; sie forderte hierüber die, Zeit kostende, namentliche
Abstimmung. Ihre Forderung ward mit 380 gegen 91 Stimmen abgewiesen.
Nun erhielt (leider) Hr. Brentano wieder das Wort und behauptete: er
habe nichts Beleidigendes gesagt, wohl aber hätten viele Mitglieder der
Rechten wider ihn Lärm erhoben (das ist wahr), ihn thätlich angegriffen
(wird, da er es nicht beweisen kann, als Lüge bezeichnet, und er auf
Pistolen gefordert). Das letzte, sowie der ungebührliche Lärm läßt sich
nicht läugnen, aber dies Alles ereignete sich im Wesentlichen erst nach
Schließung der gestrigen Sitzung.

Endlich wird die Discussion über die Amnestiefrage geschlossen, und
nur der Berichterstatter, Hr. Widemann bekam (nach gesetzlicher
Weise) noch das Wort. Er widerlegte die Einreden, und erwies aus den
Originalprotokollen, daß Itzstein und Brentano, welche gestern Hecker
gern in einen Helden und Heiligen verwandeln wollten, damals ihn in
der badenschen Kammer als Verbrecher bezeichnet hatten. -- Nochmaliger
Antrag: nicht abzustimmen, weil die Sitzung eine geheime und „das
Volk“ nicht gegenwärtig sei. Abgeschlagen, worauf ein großer Theil
der Linken die Kirche verläßt. -- Deshalb, behaupten ihre bleibenden
Genossen, +müsse+ man die Sitzung schließen. -- Abgeschlagen, sie
möchten wiederkommen. -- Unterdessen hatte die Bürgerwehr kurzen Prozeß
mit dem Janhagel gemacht, den Platz geleert, die Straßen gesperrt. --
In lächerlicher Nachahmung Mirabeaus’s rief Hr. Wigard aus Dresden:
wir können nicht berathen und abstimmen unter dem +Schutze+
der Bajonnette. -- Der Präsident bemerkte, beruhigen Sie sich, sie
sind nicht wider die Versammlung gerichtet. Diese bestand darauf,
+heute+ die Sache zu Ende zu bringen, und bei der namentlichen
Abstimmung erklärten sich 90 für die Amnestie, 317 aber für den Antrag
des Ausschusses: daß die Reichsversammlung nicht entscheiden, sondern
der Weg Rechtens um so mehr betreten werden solle, weil die Regierungen
ohne Zweifel da zur Milde geneigt wären, wo es mit der Sicherheit
verträglich sei. -- So der heutige Tag der neuen Brüderlichkeit,
der gesetzlichen Ordnung, und der außerordentlichen Fähigkeit für
republikanische Einrichtungen. Doch haben die Vernünftigen gesiegt, und
gegen die Wiederkehr ähnlicher Ereignisse wird man Maßregeln ergreifen.



Fünfundvierzigster Brief.


    Frankfurt a. M., den 9. August 1848.

Nach der gestrigen, stürmischen, Leib und Seele angreifenden Sitzung
ging ich zur Erholung ins Schauspiel, und sah: „eine Familie“, von
der Birch-Pfeiffer. Trügt mich mein Gedächtniß nicht, so ziehe ich
die hiesige Darstellung der berliner im Ganzen vor: löblich war unter
Anderen Fräulein Janauschek, vor Allen aber spielte Fräulein Lindner,
die alte Madame Braun, in jeder Beziehung +meisterhaft+. Jedes
Wort, jede Bewegung war angemessen, charakteristisch, anziehend. Keine
Uebertreibung, nichts auf bloßen Effekt berechnet, und doch Alles von
heiterer, rührender, großer Wirkung. Man hätte ununterbrochen klatschen
müssen (auch habe ich es in meiner theilnehmenden Bewunderung nicht
daran fehlen lassen) und der Hervorruf nach dem einen Akte war mehr
verdient als tausend andere.

Wenn ich von der Sorge und dem Aerger der letzten Tage absehe, so liegt
in dem Tadelnswerthen, Erschreckenden, wiederum viel Gutes und Hoffnung
Erweckendes. So z. B.

1) war (obwohl ohne Theilnahme der Regierungen) die Wahl des Erzherzogs
zum Reichsverweser ein Glück und ein Sieg über die anarchischen Plane
einer Partei.

2) Endete die gewaltige Aufregung über die Polen mit einem Siege der
deutschen Sache, und einer einstweiligen Bestätigung des Friedens mit
Rußland.

3) Haben Mißgriffe das sich auflösende Preußen aufgeweckt und zum
Selbstbewußtsein gebracht.

4) Sieht man täglich mehr ein: der Gegensatz, Deutschland +oder+
Preußen, sei ein thörichter. Eins kann nicht bestehen ohne das Andere.

5) Hat die Linke, trotz alles Skandals, in der Amnestiefrage eine
völlige Niederlage erlitten, und wird sie bei der Frage über Hecker’s
Wahl morgen wieder erleiden.

6) Hat das ungezogene Benehmen der Galerien endlich die meisten
Abgeordneten überzeugt: man dürfe den souverainen Pöbel nicht länger
hätscheln und mit dem Volke verwechseln. Zum +geistigen+ und
+leiblichen+ Wohle der Versammlung werden, wie ich höre, schon
morgen an 800 Menschen weniger eingelassen und die gewonnenen Räume zu
nützlicheren Zwecken verwandt. Als gestern wohl 1500 bis 2000 Menschen
hinausgetrieben waren, konnte man erst wieder bessere Luft einathmen.
Vorher, zum Ohnmächtigwerden!



Sechsundvierzigster Brief.


    Frankfurt a. M., den 10. August 1848.

Die Zeit hat mir nicht erlaubt zu meinen sechs gedruckten „in der
Paulskirche +nicht+ gehaltenen Reden,“ noch andere hinzuzufügen.
Ich hatte sonst Lust eine zu halten „+über die Abschaffung der
deutschen Geschichte+“, etwa folgenden Inhaltes: „Die pariser Tage
des Februar haben nicht blos den Franzosen, sondern auch den Deutschen
die Freiheit gebracht! Mit dem Jahre 1848 beginnt das Leben unseres
Volkes; was dahinter liegt, war Tyrannei der Könige, der Fürsten,
des Adels, der Patricier, der Zünfte, der Bischöfe, der Pfaffen;
ein unwürdiger, erbärmlicher Zustand, den zu achten Verrath, den zu
vergessen ein Glück, den zu verdammen eine Pflicht, mit welchem sich zu
beschäftigen, ein widerwärtiges, ekelhaftes Geschäft ist.

So ertönen mancherlei Stimmen mit solcher Sicherheit und Anmaßung, daß
ihnen zu widersprechen, Tollkühnheit und Thorheit zu sein scheint.
Und warum auch widersprechen? Die neue Lehre ist ja so bequem, der
Weg so kurz, das Ziel nahe und unfehlbar, und die neue Weisheit
leicht zu behalten. Zwar findet sich der Anfangspunkt des Deutschen
nicht in Deutschland, sondern in Paris; auch ist seine Lebensdauer
noch nicht so lang wie die eines Kindes, und es hat noch weniger
die Kinderkrankheiten überstanden. In seiner durch französische
Gevatterschaft geheiligten Geburtsstunde, liegt jedoch eine Bürgschaft
für die Ewigkeit und das Jahr 1848 wiegt tausend Jahre früherer
Geschichte auf. Hiemit, meine Herren, wäre denn freilich von Etlichen
die Abschaffung der deutschen Geschichte beschlossen, und diese
Abschaffung scheint noch weniger Anstoß zu geben, als die des Adels und
des Cölibats.

Soll ich, ein Lehrer der Geschichte, nun allein hierüber Klage erheben?
Soll ich mich nicht vielmehr freuen, daß alle historischen Aufgaben so
erleichtert und verkürzt, ja daß sie ganz bei Seite geworfen sind, weil
jetzt von Manchen allein diejenige Geschichte für würdig erklärt wird,
welche sie selbst machen.

Den größten Theil meines Lebens habe ich der Geschichte unseres
Vaterlandes gewidmet, mich für jene Zeiten großer Kaiser, gewaltiger
Päpste, edler Fürsten, kräftiger Städte begeistert! -- „Das Alles (höre
ich rufen) war Narrentheidung, lächerliche Verblendung, thörichter
Wahnsinn! Ihr Leben war ein gänzlich verlorenes Leben.“

Wie ich leben wollte und gelebt habe, das ist meine Sache; davon
handelt es sich nicht. Ich vertrete nicht meine Person, sondern
Deutschlands Geschichte; und so hoch ich die Versammlung in der
Paulskirche auch stelle, -- wenn aus ihren Grüften auf die Galerie
hinaufstiegen, Kaiser wie Friedrich I. und Friedrich II., Fürsten wie
Heinrich der Löwe und Friedrich der Weise, Adlige wie Hutten und Götz
von Berlichingen, Männer wie Luther und Melanchton; -- sie würde bei
aller Berufung auf ihre Allmacht nicht im Stande sein, die so besetzte
Galerie räumen zu lassen!

Wozu indeß mein Eifer? Es sind ja zuletzt nur Wenige (ich meine
außerhalb dieser Mauern), welche die Geschichte so hochmüthig
behandeln, Vorfahren lästern ohne zu erwägen, daß Nachkommen alsdann
dasselbe thun werden, Wurzeln des Daseins und Verbindungsfäden mit der
Vorzeit abschneiden, uneingedenk, daß alsdann auch das Werk des letzten
Tages abreißt und vertrocknet.

So fern Sie auch, meine Herren, von diesen Ansichten und Lehren
sind, liegt Ihnen doch die Gefahr keineswegs fern: viele durch
alle Jahrhunderte hindurchgehende Eigenschaften und Neigungen,
Leidenschaften und Vorurtheile, Vorzüge und Mängel unseres Volkes um
deswillen nicht unbefangen zu würdigen, weil die drückenden Mängel der
letzten Jahre sämmtlich nach +einer+ Seite hin lagen.

Im Jahre 1648 glaubte man auch das Allerbeste für die Ewigkeit
gegründet zu haben und rühmte sich dessen über Maß; -- und doch war
es nur ein Nothbehelf, erwachsend auf dem Boden, nicht der höchsten
Wahrheit und Liebe, sondern auf dem zerrütteten Boden der endlich
ermatteten Leidenschaften.

Soll Ihr Werk gesunder, dauernder, segensvoller sein, so gründen Sie
es auf dem Inhalte tausendjähriger deutscher Geschichte, befreien Sie
den Baum unseres Lebens von trockenen, oder unfruchtbaren Zweigen; aber
hauen Sie ihn nicht nieder, um Stecklinge in einen Boden zu pflanzen,
in welchem sie nicht gedeihen können!



Siebenundvierzigster Brief.


    Frankfurt a. M., den 11. August 1848.

Die heutige Sitzung begann damit: daß die Linke 17 Beschwerdepunkte
gegen den Vicepräsidenten von Soiron, in Bezug auf die letzten
stürmischen Sitzungen aufstellte. Ohne Zweifel haben sich +alle+
Theile und Parteien mancherlei zu Schulden kommen lassen; da es aber
wenig Anklang fand, die Sachen mit dem Mantel der Liebe zuzudecken,
die Thatsachen so wenig feststanden und die Aufregung noch so groß
war, daß man wahrscheinlich neue Ungebühr erlebt hätte, so wurden alle
Beschwerden und Anträge an den Ausschuß über die Geschäftsführung
verwiesen, um den Unrath genau zu untersuchen, und ihn uns dann mit
neuer Brühe versehen, aufzutischen.

Nun folgte die Berathung über Hecker’s Aufnahme, wobei viel Verkehrtes
und Sophistisches vorgebracht, am besten aber von Simson aus Königsberg
gesprochen wurde. Ihr kennt den Ausschußbericht und damit den
wesentlichen Inhalt der Sache. Von 466 stimmten 116 für, 350 gegen
Hecker’s Aufnahme; und so ist denn die widerwärtige Sache (wenigstens
innerhalb der Versammlung) abgethan; gebe der Himmel, daß sie sich
nicht außerhalb wiederhole. N. und andere preußische Radikale stimmten
für Hecker.


    Den 12. August.

Gestern Abend saß ich mit mehren Personen an einem kleinen runden
Tische im Schwan. Der Eine, neben ihm seine Frau, wunderte sich,
daß die Preußen Brentano’s Schmähung auf den Prinzen von Preußen
so übel genommen hätten. -- Herr, erwiderte ich, wenn Jemand Ihre
Frau schmähte, würden Sie es ruhig dulden und sagen, was geht es
mich an? Wir sind in Preußen noch nicht auf der neuen modigen Höhe
des Tages angelangt, den König und das königliche Haus, welches wir
noch haben und noch haben wollen, ungerügt beleidigen zu lassen. Die
Anarchisten sollen durch unsere Erklärung, „das +preußische Volk+
sei beleidigt“, erfahren, daß sie es mit +diesem+, von seiner
Regierung nicht gelöseten, zu thun bekommen. -- --

-- -- -- Doch billige ich sehr, daß der König nach Köln geht; es
ist ein wesentlicher Schritt zu der, schlechterdings nothwendigen
Versöhnung. Hier erklärt die Linke: die Preußen hätten solchen Lärm
nur erhoben, weil sie den König absetzen und den Prinzen von Preußen
auf den Thron erheben wollten. Dies Gewäsch ist zu dumm, als daß es
Glauben finden könnte.

Gestern sah ich im Schauspiele: das Tagebuch und Hr. Hampelmann der
eine Wohnung sucht. In jenem spielten Alle gut und Fräulein Hausmann
ausgezeichnet; in diesem ruht das Ganze auf der Titelrolle des Hrn.
Hassel. Es war ungemein ergötzlich, obgleich ich dem frankfurter
Dialekte nicht überall folgen konnte.

Von der heutigen Sitzung ist nicht viel zu berichten. Bei der Frage:
über das künftige Gehalt des Präsidenten der Reichsversammlung,
stimmte die Linke (um sich als sparend beim Volke beliebt zu machen),
für monatlich 1000 hiesige Gulden (zu etwa 14 Groschen Courant); die
Übrigen bedachten 1) Posten und Gehalt sei nur auf Monate, nicht auf
Lebenszeit; 2) man bedürfe eines mit Ausgaben verknüpften Aufwandes,
als Bereinigungsmittels der Parteien, und stimmten daher für monatlich
2000 Gulden; dieser Antrag ward angenommen.

Hierauf die Frage über den dänischen Krieg, und insbesondere die
+Entschädigung+ für unverschuldeten Kriegsverlust. Die Mehrzahl
wollte +nicht+ aussprechen, daß ganz Deutschland dazu verpflichtet
sei; was man an der Ostsee sehr übel aufnehmen, und was von Neuem
gegen Frankfurt aufreizen wird. -- Als R. anfing zu sprechen, verließ
eine Schar von Abgeordneten den Saal, um frische Luft zu schöpfen,
oder zu frühstücken. -- Da kommt man natürlich auf den Gedanken: es
sei besser zu schweigen und auch zu frühstücken. Hiebei wiederum eine
Karikatur, bezüglich auf die stürmische Sitzung: Vincke, Rösler, Soiron
und Herrmann.



Achtundvierzigster Brief.


    Frankfurt a. M., den 13. August 1848.

Ein höchst unerwartetes Intermezzo.

Der Reichsverweser und seine Räthe haben mich erwählt, um seine Wahl
u.s.w. -- zu notificiren -- in +Paris+!

Obs dabei bleibt, entscheidet sich +morgen Vormittag+. Dann
schreibe ich mehr. -- Höchstens dürfte meine Abwesenheit 14 Tage dauern.


    Den 14. August.

Ich fand gestern Hrn. P. noch voller Begeisterung. Er kannte zufällig
meine Reden, war davon entzückt und sagte zuletzt: ich sei der
+Jefferson+ Deutschlands, oder müsse es eiligst werden. Da ich nun
J. für einen der größten Männer halte, die je auf Erden lebten, und
mich zusammengehutzeltes Gerstenkorn damit ~bonnement~ verglichen
sah, stand mir der Verstand völlig still, über P--s beispiellos
vergrößerndes Glas.

Der Antrag nach Paris zu gehen, ist ohne Zweifel und um so mehr eine
Auszeichnung, da ich mich überall (wie ihr wißt) nirgends vorgedrängt,
und noch weniger um ein Geschäft beworben habe, wo man sich so leicht
+blamiren+ kann. Indessen glaubte ich zuletzt im Stande zu sein,
einen Brief zu übergeben und einige Gespräche über die hiesigen
Verhältnisse zu führen.


    Den 15. August.

Das Geschäft: ein Schreiben des Erzherzogs an den General Cavaignac
zu übergeben und dabei eine sehr kurze Rede zu halten, wäre einfach
und leicht genug. In der weiteren Instruktion kommen aber die
allerwichtigsten Fragen zur Sprache, über welche zu +unterhandeln+
mir eigentlich +nicht+ obliegt, über welche zu -- +plaudern+
aber schon viele Vorsicht, Kenntniß und -- viele Zeit kostet. Wenn ich
darauf dringe, daß +sehr bald+ ein Gesandter für Paris ernannt
werden müsse, erhalte ich keine Antwort; wahrscheinlich, weil man
nicht weiß, wen man senden soll. Ich habe aber gar keine Lust mir von
Posttag zu Posttag Galgenfristen setzen zu lassen, und mich in Sorgen
abzuquälen. Andererseits ist es lehrreich und vielleicht wichtiger in
Paris für Deutschland zu sprechen, -- als in der Paulskirche. So gehen
mir die Gedanken auf und ab. -- Nun, kommt Zeit, kommt Rath.



Neunundvierzigster Brief.


    Frankfurt a. M., den 16. August 1848.

Daß ich nach Paris gehe, um die Wiedergeburt des deutschen Reiches,
Namens des von einem Volksparlamente erwählten Reichsverwesers,
der französischen Republik anzumelden, diplomatische Verbindungen
anzuknüpfen, deutsche Verhältnisse zu erläutern, deutsche Beschlüsse
zu rechtfertigen und (wo möglich) das Auftreten Deutschlands als
europäische Großmacht anzubahnen; -- das wäre kein Traum!? --

Helfe Gott, daß Alles ohne Dummheiten und Vorwürfe ablaufe. Das heißt,
sofern die Dinge mir können zugerechnet werden. Alles Andere steht in
höherer Hand. +Frieden+ ist das höchste Losungswort, das höchste
Ziel, nicht blos meines ganz kleinen untergeordneten Auftrages,
sondern aller Derer, die es mit ihrem Vaterlande und der Menschheit gut
meinen.


    Den 19. August.

Der Erzherzog sagte mir: es sei Schade, daß ich so lange meinen
wissenschaftlichen Arbeiten entzogen werde. Hieraus folgte: daß +er
nicht+ der Meinung ist, mich auf längere Zeit in Paris festzuhalten;
-- woran vielleicht Andere für den Fall denken, daß ich auf der
dortigen Eisbahn nicht zu Falle komme. Als ein Zeichen (freilich nur
sehr geringes) diplomatischer Selbstbeherrschung kann ich anführen,
daß ich dem Erzherzoge nicht sagte, was ich sagen wollte: „in meinem
Alter bringe man überhaupt nichts mehr zu Stande.“ Er ist nämlich
fast meines Alters. -- Sonst befand ich ~homuncio~, mich dem
hohen Reichsverweser gegenüber so natürlich und bequem, daß es mir
kaum auffiel, als er mich „mein Freund“ nannte. Sein ganzes Wesen ist
einfach, verständig, bestimmt, und erinnerte mich lebhaft (auch sein
Äußeres) an meinen Vater.

Meine neue hohe Würde bringt mir von Thürstehern und Boten den Titel
Hr. Minister, auch wohl Excellenz. Nach einer Märchennacht bin ich
wieder Reichstagsabgeordneter, nach einer zweiten, Stadtverordneter,
nach einer dritten ein alter Professor den Niemand mehr hören will.
Und ist diese Sinecure nicht das beste Theil?

Gestern war ich wieder bei -- um mancherlei mit ihm zu besprechen;
damit insbesondere Preußisches und Deutsches nicht in Hader gerathe.
Die Zusammenkunft in Köln hat nützlich gewirkt; ebenso das kraftvolle
Benehmen der Preußen, nach dummem oder sentimentalem Dusel. Stände
nur der berliner Landtag nicht so weit hinter der außerhalb desselben
vorhandenen, höheren Bildung und Einsicht zurück, gäben nur Hansemann’s
husarische Finanzplane und seine Organisationen nach französischer
Weise, nicht so viel gerechten Anstoß.

Ich lese, daß in Preußen Viele noch immer zürnen, daß hier ein
Reichsverweser erwählt worden. In meinen Briefen hoffe ich dafür
hinreichende Gründe angegeben zu haben. Gewiß ist die demokratische
Richtung und die Neigung der Versammlung zur Vielregiererei dadurch
wesentlich gehemmt oder abgeleitet worden. Man muß derlei Dinge nicht
im Allgemeinen, ~in abstracto~ betrachten und beurtheilen; sondern
mit Rücksicht auf die vorliegenden Verhältnisse, das Mögliche oder
Unmögliche, das größere oder kleinere Übel u.s.w. Zudem war es ein
Glück, daß ein Mann wie der Erzherzog Johann vorhanden war, für den
sich die Stimmen so allgemein vereinigten, daß Die, welche Itzstein
vorzogen, sich und ihn lächerlich machten. Ob und wie dereinst eine
zweite Wahl heilsam und beifällig zu treffen sei, -- sind spätere
Sorgen. Jeder Tag hat seine eigene Plage.


    Den 20. August.

Herr von Biegeleben lieh mir Martens’ Handbuch für Diplomaten. Die
ganze Weisheit läuft aber dergestalt auf Nichtssagen, Phrasendrechseln
und Strohdreschen hinaus, daß ich das Buch sogleich zurückgab, in
der Hoffnung, die neue Diplomatie, oder vielmehr Staatskunst, gehe
auf die Sachen und einen wahren Inhalt hinaus. Zudem habe ich mehr
Gesandtschaftsberichte gelesen, als vielleicht irgend ein Mensch
in Europa; und lege dies, den vergessenen Formeln gegenüber in die
Wagschale. Zuletzt: ~quel bruit pour une omelette~; um einer
Sendung willen, die, möglicherweise ganz unterbleibt oder 14 Tage
dauert.



Funfzigster Brief.


    Brüssel, den 23. August 1848.

Die Frage, +ob+ ich nach Paris gehe, ist nunmehr freilich
entschieden; nicht aber die Frage nach dem Umfange und den Gränzen
meiner Geschäfte. Sie +können+ sehr einfach sein, aber auch
sehr verwickelt werden, und ich habe deshalb ernste Sorge über das
Gelingen oder Mißlingen meiner Sendung. Nur der Gedanke: daß ich nach
besten Kräften meine Pflicht erfüllen werde, und mich nicht füglich
zurückziehen konnte, hält mich aufrecht. In einer deutschen Zeitung
stand mit Recht: mir sei die +schwierigste+ Mission zu Theil
geworden, und im ~Journal des débats~ sagt ein wohlmeinender
Artikel: nach P. komme ~l’éminent Historien d. R.~

Neben allem Ernste habe ich Gelegenheit genug mich selbst zu parodiren
und meine 1001 Nachtstellung lächerlich zu finden: wenn Thürsteher und
Kellner (meine Sendung war ausgeplaudert) mich ~Mr. le Ministre~
nennen, ein Kerl vor mir (mit dem Hute in der Hand) herläuft, ein
anderer nachfolgt, ich im ersten Stock wohnen soll, und zwischen
den Schlafkammern für mich und B. eine Stube, genannt Salon, liegen
+muß+. Als ich gestern Abend hier ankam, bestellte ich Abendbrot
(da ich in Aachen nur gefrühstückt hatte) und aß sehr preislich,
während Engländer und Engländerinnen blos Thee tranken. Gleich
nachher fiel ich aber sehr aus meiner neuen Rolle: denn als ich eine
+halbe+ Bouteille Wein forderte, erhielt ich die Antwort: ~on ne
vend pas ici de +demi+ bouteilles!~

Ein Engländer fragte mich: ob ich mich nicht +fürchte+, nach Paris
zu gehen? er und seine Dame trügen Bedenken. -- Antwort: Man soll sich
nie fürchten, auch habe ich in Paris schon einmal Barrikaden erlebt u.
s. w.

Soviel als letztes Lebenszeichen aus Deutschland und dem ruhigen
Belgien. Hoffentlich ist in Paris kein neuer großer Skandal im Anzuge.
Wolken stehen freilich genug am babylonischen Himmel.

Lebt wohl und fleht den Himmel an, daß er mich auf rechtem Wege erhalte
und ich nichts begehe, was man als ~sottise~ und ~bêtise~
bezeichnen könnte. Händel kann freilich Jeder an Jedem suchen. Nun, so
werde ich mich wehren und auch die Zähne zeigen; -- wie die Preußen
nach Erschöpfung ihrer Geduld. Allen Grüße.



Einundfunfzigster Brief.


    Paris, den 24. August 1848.

Gestern früh 9½ Uhr fuhr ich aus Brüssel ab, war Abends 8½ in Paris,
und saß 9½ in den Euch bekannten Zimmern im Hôtel d’Hollande. Willisen
wohnt ebendaselbst, und O--s Bedenken: daß meine +Feinde+ es
übel auslegen würden, wenn ich mit einem preußischen Abgeordneten in
demselben Hause wohne, wies ich muthig zurück. Ein Zufall habe dies
herbeigeführt und es sei besser Einigkeit als Zwiespalt zwischen
Deutschland und Preußen vorauszusetzen.

Nach glaubwürdigen Nachrichten hat man sich hier weder amtlich noch in
geselligen Verhältnissen viel über die Stellung Deutschlands zu Italien
geäußert, dagegen herrscht eine allgemeine Aufregung hinsichtlich des
dänischen Krieges. Man tadelt das Benehmen der frankfurter Versammlung
und behauptet, sie habe den Dänen, wenigstens in gewissen Punkten,
Unrecht gethan. -- -- --

Dem ersten Anblick nach, ist Paris noch das alte; bei genauerer
Betrachtung sieht und hört man jedoch, wie sehr Verkehr und Geldumlauf
und Vertrauen abgenommen haben. So sind im Palais Royal viele Läden
geschlossen, die Zahl der Eßgäste bei Hallevant sank auf ein Fünftel,
die Preise der Miethen sind gefallen und viele Wohnungen stehen leer.
So leiden wir nicht allein, und wohl nicht am meisten. Von mehren
Seiten behauptet man: die Republik habe eigentlich fast gar keine
Anhänger und befinde sich im Belagerungszustande. Cavaignac übt eine
Macht wie seit Ludwig XIV sie kein König üben konnte, und auch keiner
der bourbonidischen Thronbewerber im Fall seiner Herstellung üben
dürfte; wie auszuüben man in Berlin hinsichtlich der Presse, der Klubs
und des Straßenunfugs nicht den Muth hat.

Im Vergleiche mit Paris erscheint mir Frankfurt wie eine Heimat:
es ist mir unbequem, mein kleinstes Thun oder Lassen geprüft und
wohl mißliebig beurtheilt zu sehen; ich fühle, wie ich mich hüten
muß, die seit so vielen Jahren gewahrte +völlige+ Freiheit und
Unabhängigkeit meiner Person, nicht preiszugeben. Das Wirken im Sinne
eines Andern, würde mir in meinen alten Tagen am wenigsten zusagen. So
lange also +meine+ Überzeugung mit der des +Andern+ stimmt,
~andiamo~; sonst links um, und ausgespannt. Indessen nicht aus
Faulheit, oder übler Laune halber, sondern nur, wenn Charakter, Pflicht
und Gewissen es gebieten.


    Den 25. August.

Auf allen großen Plätzen sind Freiheitsbäume errichtet. Das heißt,
man fand eine abgeschälte Fichtenstange (dies kahlste und trockenste
aller Sinnbilder) doch zu unpassend, und +pflanzte+ deshalb
wirkliche Bäume. Aber diese langen, dünnen, fast zweig- und blattlosen,
bereits zum Theil vertrockneten, lombardischen Pappeln, gewähren einen
erbärmlichen Anblick. Im Frühjahr wird kaum eine am Leben bleiben, und
so ist man fast gezwungen, an die Hinfälligkeit und Vergänglichkeit der
neuen Freiheit zu denken.



Zweiundfunfzigster Brief.


    Paris, den 26. August 1848.

Überlege ich, was mir seit meiner Abreise von Berlin eigentlich Freude
gemacht hat, so ist es an Euch Briefe schreiben und von Euch Briefe
empfangen. Da liegt denn aber die Frage nahe: ob man das nicht daheim
bequemer haben könne? Wenn mir die Eitelkeit nicht auf die Füße hilft
(weil mir das Organ dazu fehlt), so hänge ich mir den vorwurfsdichten
Mantel der Pflichterfüllung um, und wende die Worte der -- an, welche
mir schreibt: „ich kann mir denken, daß Sie sich nur durch geistige
Anstrengung aufrecht erhalten, und daß Sie es thun, freut mich“ u. s. w.

Jetzt ists vier Uhr. Was habe ich gethan? Besuche machen wollen, aber
die Leute verfehlt; Besuche angenommen, etwas in einem Romane von Mery
gelesen, und Überröcke von weitem angesehen, aber noch keinen gekauft.
Muß ich nun nicht wie Kaiser Titus sagen: diesen Tag habe ich verloren?
-- Heute Abend kommt indessen vielleicht noch das Beste: ich soll bei
Lamartine durch Willisen eingeführt werden! Lamartine wird allgemein
betrachtet, wie ein politisch todter Mann. Besser freilich, als, wie
le Blanc und Caussidière, durch die härtesten Anklagen noch länger dem
Publikum zur Schau ausgestellt bleiben.

Im Jahre 1830 las ich Inschriften für die Helden des Julius, welche
die ältere Linie der Bourboniden verjagten; heute für die Helden des
Februar, welche die damals eingesetzten Orleaniden stürzten! Die da
Helden des Junius werden wollten, sind hingegen erschossen, oder
geschlossen aus Frankreich hinweggeführt. In St.-Cloud der alte Hof,
Direktorium, Brumaire, Napoleon, Charles X., Louis Philipp u. s. w.
Fast gehen mir die Gedanken aus, indem ich dies Alles durchdenken will!
-- Wende ich mich von Weltgeschicken zu meinem eigenen Schicksale,
so erscheint mir das letzte Lebensjahr wie ein offenbares und doch
unerklärtes Räthsel. Ich habe die Fäden nicht verflochten, nicht
gelöset, sondern nur daran herumgespielt, oder mit mir spielen lassen.

Verhehlen darf ich nicht, daß Nachrichten, welche mir nur allzu
glaublich erscheinen, mich +sehr+ befürchten lassen: die
Hoffnungen, welche man hinsichtlich meines hiesigen Empfanges erregte
(und die auch wohl meine Absendung beschleunigten), dürften +viel
zu günstig+ und zu +rosenfarben+ gewesen sein. Gewiß werden
die persönlichen Formen, nach französischer Sitte, sehr höflich
ausfallen; es scheint aber, Frankreich ist gesonnen, seine Verhältnisse
zu Deutschland erst in Uebereinstimmung mit den übrigen Mächten
aussprechen und feststellen zu wollen. Drängte man auf eine schnellere
Entscheidung, so will man (wie ich höre) Zweifel erheben über Umfang
und Gränzen des deutschen Reiches, über die Art, wie ältere Verträge
mit den neuen deutschen Einrichtungen in Übereinstimmung zu bringen
seien u. s. w.

Ich füge noch zwei Worte über hier umlaufende Ansichten hinzu. Manche
sagen: „die frankfurter Versammlung, oder doch die Centralgewalt, geht
darauf aus, ganz Deutschland für Österreich zu gewinnen und in Bewegung
zu setzen. Zu einer solchen Richtung kann Preußen nie die Hand bieten,
weshalb es zweifelhaft bleibt, ob Frankfurt übermächtig oder ohnmächtig
wird.“ -- Andere sprechen: „bei Österreich, Preußen, Baiern kann man
sich etwas Bestimmtes denken; was man sich aber bei einer deutschen
Centralgewalt denken könne oder solle -- ist und bleibt unbegreiflich.
Obgleich nun aber Frankfurt in der Luft schwebt, wie ein Chateau
d’Espagne, greift es doch händelsüchtig nach allen Seiten über die
rechten Gränzen hinaus und erregt Besorgnisse fremder Mächte, statt in
stiller Bewegung für die heimatliche Entwickelung zu sorgen.“


    Den 27. August.

Soirée bei Lamartine ½10-½11. Stereotyp ebenso, wie ich deren so
viele besucht habe. Eine große Zahl Menschen, unter denen sich nur
wenige kennen, Sitze fast nur für die Damen, Stehplätze zu 2-3 Fuß.
Lamartine war freundlich und angenehm; Zeit und Sorgen haben ihn
jedoch sehr altern lassen. Melancholisch machte die hier, mehr als
irgendwo, immer wiederkehrende Betrachtung der schnellen Abnutzung
und Vergänglichkeit alles Menschlichen. Denn ziemlich laut sprach
man die Bemerkung aus: der Besuch des Salons sei unbedeutend im
Vergleiche zu Dem, was er vor einigen Monaten gewesen! Das Sprichwort:
„man wende sich zur aufgehenden Sonne,“ ist alt und wahr; hier aber
wenden sich die Gesichter unzählige Male hin und her, nach jeder neu
angesteckten Lampe oder Laterne. Denen, die da anstecken, folgen
schnell Diejenigen, welche auslöschen oder zerschlagen. -- Wäre ich
hier nur erst angezündet, -- an Auslöschen und Zurückziehen denke ich
jetzt schon selbst. -- Ich ward gestern einigen Herren (keiner Dame,
dazu bin ich zu alt) vorgestellt, z. B. einem Legitimisten, einem alten
Diplomaten, der mir erzählte: ich habe unter +Hardenberg+, Noten
an ihn erlassen u. s. w. Er verwechselte Hardenberg mit Haugwitz, und
mich mit dem alten Onkel. Ich ließ ihn aber, ohne Berichtigung, bei
seinem wohlgemeinten Glauben. Die Namen einiger anderen Herren wurden
nicht deutlich vorgesprochen, und so will ich sie nicht nachsprechen,
um ähnliche Verwirrungen zu vermeiden.


    Mittags.

So eben komme ich von der ersten Audienz bei dem Minister Bastide
zurück. Man hatte ihn mir als einen rechtlichen, aber finstern und
schweigsamen Mann beschrieben; er war aber sehr offen, zutraulich,
mittheilend, höflich. So hoffe ich denn, die Dinge werden in eine gute
Bahn kommen, sobald die Frankfurter nur nicht im irrigen Glauben an
ihre +Allmacht+, Alles bruskiren wollen, anstatt die Zeit walten
zu lassen. Formelle Schwierigkeiten lassen sich heben, sobald man über
die Sachen selbst einig ist. Die Thürsteherexcellenz wird hinter der
Thür stehen müssen, und der lange Gesandtentitel sich vor der Hand, --
oder vielmehr für mich auf immer --, in Friedrich v. Raumer verwandeln.
Wo dieser Name nicht hilft -- nun u.s.w. -- -- -- Herr Bastide empfing
mich übrigens in demselben Zimmer, wo ich früher Guizot gesprochen
hatte. ~Sic transit gloria mundi.~

Von allen Seiten höre ich, daß der Kampf im Junius dringend nöthig
gewesen und das Land vor den größten Übeln geschützt habe. Des
Langredens sei man, auch in den Kammern überdrüssig, freue sich der
Kürze Cavaignac’s, der durch bestimmtes Handeln täglich an Ansehen
gewinne. Doch sind sehr viele Wahlen für landschaftliche Behörden in
antirepublikanischem Sinne ausgefallen und über die Lebensdauer der
Republik äußert man sich überhaupt sehr skeptisch und skoptisch.


    Abends.

-- -- Noch einige Worte über die erste Unterhaltung mit Hrn. Minister
Bastide. Sie war wesentlich vertraulicher Art und eben dadurch
belehrender, als wenn wir uns in den alten, strengen Formen der
Diplomatie bewegt, oder vielmehr nicht bewegt hätten.

Hr. Bastide sagte im Wesentlichen: wir freuen uns über die neue
Entwickelung in Deutschland, wir wünschen enge, für immer dauernde,
freundliche Verbindungen; wir werden uns nie in die inneren
Angelegenheiten des Nachbarlandes einmischen; wir überlassen ihm,
seine Verfassung und Verwaltung nach Belieben einzurichten. -- Da
indessen die europäischen Staaten über ihr Verhältniß zu der neuen
Centralgewalt noch zu keiner gleichartigen Ansicht gekommen, und wir
durch mancherlei freundschaftliche Verträge mit den einzelnen deutschen
Staaten seit Jahrhunderten verpflichtet und gebunden sind, so wünschen
wir ein letztes, entscheidendes Wort erst dann auszusprechen, wenn wir
hierüber nähere Kunde eingezogen und uns in den Stand gesetzt haben,
desto unbefangener und bestimmter unsere theilnehmenden Ansichten an
den Tag zu legen.

Hr. Bastide bemerkte ferner: das an ihn gerichtete Schreiben veranlasse
einige Bedenken, über welche sich +schriftlich+ zu verbreiten
vielleicht Beiden unangenehm sein dürfte. Besser also, es in diesem
Augenblicke zur Seite zu lassen und zunächst sich +mündlich+ zu
verständigen. Den eigentlichen Anstoß mochte der Ausdruck: ~l’empire
germanique~ geben, welcher eine vollständige, augenblickliche
Anerkennung in sich zu schließen schien.

Hr. Bastide las hierauf das Schreiben Sr. kais. Hoheit, des
Reichsverwesers, fand es wohl abgefaßt und übernahm, dasselbe dem
Hrn. General Cavaignac vorzulegen, mir aber so schnell als möglich
dessen Entscheidung mitzutheilen. Als sich das Gespräch auf Schleswig
wandte, bemerkte Hr. Bastide: Frankreich würde sich am liebsten
von dem unglücklichen Streite fern gehalten haben. Eine dänische
Aufforderung, die Bürgschaft von 1720 zu vertreten, habe sich aber,
Ehren halber, nicht geradehin ablehnen lassen. Weitere Untersuchungen
hierüber ständen offen; vor Allem aber müsse man suchen, aus Gründen
der Gegenwart, den Krieg +baldmöglichst+ zu beenden. Über die
polnische Sache sagte Hr. Bastide nur wenige, keine erhebliche
Theilnahme zeigende Worte; sowie er auch ein näheres Eingehen in die
italienischen Angelegenheiten den nächsten Tagen vorbehielt.

Endlich erwähnte Hr. Bastide, zwar nicht als einen innerlich
gewichtigen, aber doch +unzeitigen+ und +unangenehmen+ Umstand, daß
in Deutschland Manche davon sprächen: Elsaß und Lothringen wieder
zu nehmen. -- Ich will nicht durch Niederschreiben meiner hierauf
ausgesprochenen Bemerkungen lästig fallen. Die Äußerung: daß sich
zahlreiche Versammlungen leicht zu weit fortreißen ließen, und dies
noch jetzt in Paris der Fall sei, gab mir Gelegenheit, auch für
Frankfurt einige Rücksicht zu verlangen.

Der Gesammteindruck des ganzen Gesprächs war durchaus angenehm. In
der Hauptsache: +Friede und Freundschaft+, zeigte sich die
vollkommenste Übereinstimmung mit Frankreich, und die Beseitigung
einiger unausbleiblicher Zweifel ward in nahe Aussicht gestellt; habe
doch die französische Republik auch Monate lang, ohne officielle
Gesandte, ihre Geschäfte nur durch in officiösen Verhältnissen stehende
Personen führen lassen. In Bezug auf meine Person drückte sich Hr.
Bastide weit schmeichelhafter aus, als ich es verdiene.


    Den 28. August.

In Frankfurt drückte das Übermaß der Arbeiten; hier wird die
Faullenzerei und vielleicht die leere Geselligkeit lästig werden.



Dreiundfunfzigster Brief.


    Paris, den 29. August 1848.

Gestern habe ich wieder viele Besuche abgestattet, oder doch Karten
abgegeben. B. Rothschild empfing mich sehr artig, und seine Frau fand
ich so einfach, liebenswürdig und verständig wie vor Jahren. Selbst ihr
einnehmendes Äußere hatte sich nicht verändert.

Mittags aß ich bei Spontini’s, die sich freuten mich wieder zu sehen.
Er ist sehr niedergeschlagen, da er, in Folge einer Erkältung, seit
Monaten schwer hört. Eine Verwandte der Spontini, Madame Bonnemaison,
welche mich früher sehr freundlich aufgenommen hatte, war gegenwärtig,
-- aber erblindet. So giebt es auch Leiden außerhalb der politischen
Kreise. Diese wurden denn natürlich im Gespräche berührt, welches ein
französischer Baron, ein wallonischer Abt und meine Wenigkeit lebhaft
genug führten. Daß nicht alle Franzosen mit den neuesten Veränderungen
zufrieden sind, wußte ich freilich schon vor pariser Mittagsmahlen.


    Nachmittags.

Ich wollte heute, mit W., Arago besuchen. Er war unwohl. Drauf
zum ~jardin des plantes~, wo Hr. Prof. Valenciennes uns, mit
größter Dienstfertigkeit, alles Sehenswerthe an Pflanzen und Thieren
gezeigt hat. Ich sah Alles mit großem Interesse, habe nun aber einmal
eine Vorliebe für die Menschen, und finde die Pflanzen poetischer
als die Thiere. Viele der letzten erscheinen mir als Vorübungen,
~rudimenta~, eines des Schaffens noch nicht recht kundigen
Werkmeisters. Dann bleibt mir das große Geheimniß der Individualität,
der durch Jahrtausende fortgepflanzten Natur u. s. w.

Auf dem Platze der Bastille Spuren der Kugeln (eine neben der anderen)
aus den Junitagen. General C. hat zu W. gesagt: von Soldaten und
Volkswache wären 4000 geblieben! Kaum ist jemals eine solche Schlacht
in einer Stadt unter Stamm- und Bürgergenossen vorgefallen.


    Den 30. August.

Ich wiederhole, daß, allem Anscheine nach, Hr. Minister Bastide aus den
bereits mitgetheilten Gründen wünscht, daß ihm einige Zeit verbleibe,
bevor er über die bekannte Hauptsache eine bestimmte oder schriftliche
Erklärung abgebe.

In einem Gespräche mit dem englischen Botschafter, Lord Normanby,
erinnerte sich derselbe sehr freundlich, mich bei meinem früheren
Aufenthalte in England gekannt zu haben. Er sagte ferner: ich weiß
noch nicht, welchen schließlichen Entschluß meine Regierung in Bezug
auf den Hrn. Reichsverweser u. s. w. gefaßt hat; doch ist man in den
Sachen wesentlich einig, und es handelt sich nur um einige Formen.
Ich habe +hier+ bereits alles Mögliche für Sie gethan (beiläufig
einige Höflichkeiten für meine Person) und werde +fortfahren es zu
thun, aber übereilen, bruskiren Sie nichts, haben Sie Geduld+. Es
giebt Schwierigkeiten, welche die Zeit am sichersten und leichtesten
beseitigt; es giebt Rücksichten und herkömmliche Formen, welche sich
nicht kurzweg vernichten lassen. Alle wollen +ein+ Ziel und
man wird es erreichen: am leichtesten und sichersten, wenn +Sie
meinem Rathe folgen+. So das Wesentliche in der zutraulichsten und
freundlichsten Weise.

Ich komme so eben von Hrn. Minister Bastide. Er wiederholte, unter
den Versicherungen der größten Bereitwilligkeit, alles Das, was ich
bereits schrieb. Von General Cavaignac wären die erhobenen kleinen
Schwierigkeiten gar nicht ausgegangen, sondern von +ihm+, da ihm
obliege, gewisse Formen zu wahren. Man möge ihm nur einige Zeit lassen,
um die Sache zum Ziele zu führen; doch hoffe er, mich noch heute dem
General Cavaignac vorzustellen. -- -- -- Hr. Minister Bastide sagte
ferner: den neuesten Nachrichten zu Folge werde der dänische Streit
wahrscheinlich bald ein Ende nehmen; desto bedenklicher stehe es in
Italien, weil die Österreicher (obwohl sehr höflich) die Mediation
abgelehnt hätten. Frankreich habe einmal nun sich verpflichtet, die
italienische Nationalität aufrecht zu halten, und wenn dies im Wege
der Mediation nicht gelinge, solle eine +bewaffnete+ Intervention
eintreten, zu welcher England zwar keine Kriegshülfe bewilligen, wohl
aber sich ruhig verhalten werde. -- Auf meine Bemerkung: daß der
Begriff einer Aufrechterhaltung der Nationalität mehre Auslegungen
erlaube, fügte der Minister hinzu: die Bewilligung einer Verfassung
und Verwaltung (etwa nach ungarischer Weise) und eine Verbürgung
derselben unter österreichischer Souverainetät dürfte vielleicht am
besten weiterer Zerwürfniß vorbeugen. Leicht würden die Franzosen die
siegreichen Österreicher zurückdrängen, aber selbst +nach+ dem
Siege keine anderen Bedingungen stellen, als vor demselben. Österreich
möge sich nicht in Italien schwächen, Frankreich wolle dessen Macht gar
nicht verringern, sondern gerne erhöhen, +aber nach dem Osten+ hin.

Meine dringende Bitte, in dieser hochwichtigen Sache sich nicht zu
übereilen, nicht das Schwert zu ziehen, sondern einer friedlichen
Lösung der Fragen zu vertrauen, schien aufrichtig geneigtes Gehör zu
finden. -- Alles zu Allem gerechnet, wage ich zu behaupten: daß die
ganz allgemein gehaltenen Versprechungen der Österreicher, in Italien
das Angemessene zu bewilligen, nicht ausreichen werden. Sie müssen
eiligst inhaltsreiche Erklärungen abgeben, sonst dürften die Franzosen
schwerlich länger zurückzuhalten sein. Hr. Bastide erkannte feierlichst
Werth und Nothwendigkeit des Friedens an, erörterte aber nochmals die
Schwierigkeit der Stellung, welche Frankreich nun einmal eingenommen
habe. Er versprach ferner Mäßigung und blos +schriftliches+
Verfahren, so lange es irgend möglich sei. Das große Interesse
Deutschlands bei dieser Angelegenheit erkannte er willig an, sowie die
Natürlichkeit der Forderung, daß man es nicht (wie zur Zeit des alten
Bundestages) bei Seite lassen dürfe. -- Über die Gränzen und einzelnen
Bedingungen des italienischen Friedens scheint man noch nicht ganz
entschieden zu sein. -- Ohne mich ungebührlich vorzuwagen, machte ich
darauf aufmerksam, daß jetzt für Frankreich der günstige Augenblick da
sei, durch moralische Mittel die Gesinnung und Gefühle der Deutschen
für sich zu gewinnen u. s. w.



Vierundfunfzigster Brief.


    Paris, den 31. August 1848.

Ich war gestern so beschäftigt, daß ich nicht zum Schreiben kommen
konnte. Heute versuche ich wenigstens Einiges nachzuholen. Bei einem
zweiten Besuche fand ich den geistreichen Letronne, der unter Anderem
erzählte, wie Guizot und Louis Philipp sich immer mehr in beschränkten
Kreisen und Umgebungen festgerannt, keinen Rath angenommen und die
täglich wachsenden Gefahren für unbedeutend gehalten hätten. Es sei
Alles nur Kaffeegeschwätz und Geklätsch. -- Über die spanische Heirath
denken jetzt Alle, so wie ich am ersten Tage und im Widerspruch mit
Eurer damaligen Sentimentalität. An das Aufgeben großer, sittlicher
Grundsätze, habe sich die täglich immer mehr wachsende, furchtbare
Verachtung des Königs angereiht. -- Mignet verfehlte ich. Er schrieb
der Gräfin Belgiojoso einen Brief über die italienischen Verhältnisse
und diese, welche (wie mir Letronne sagte) täglich ~plus folle et
plus maigre~ wird, läßt ihn in Mailand drucken. Der Inhalt stimmte
nicht mit den neuen Regierungsgrundsätzen, und in pariser Journalen
wird ein ungeheurer Lärm über den Direktor der Archive des auswärtigen
Departements erhoben. Hieran reiht sich ein Briefwechsel mit Bastide,
welcher damit endet, daß Mignet seine Entlassung einreicht.


    Herrn Bastide übergeben den 31. Aug. 1848.

    ~Considérations
    d’un vieux professeur d’histoire.~

~Le développement actuel de l’Allemagne est sans doute de la plus
haute importance non seulement pour ce pays même, mais pour l’Europe
entière. Il n’est donc point étonnant, que les gouvernements européens
pèsent mûrement leur position future vis-à-vis de l’Allemagne, tiennent
compte du passé et ne préjugent pas l’avenir. On doit espérer que les
délais inévitables qui peuvent s’en suivre, ne rencontreront pas trop
de susceptibilité à Francfort. Quelque ingrat que soit le métier de
prophète, on peut toutefois, sans crainte d’être démenti, prédire deux
choses: d’abord, que l’idée d’une unité plus grande de l’Allemagne ne
sera point abandonnée; puis, que tout en resserrant le lien fédératif,
les états, qui composent l’Allemagne, ne seront point annullés, mais
qu’il s’agira seulement de régler leurs rapports avec le pouvoir
central. Ce double mouvement n’a rien d’incompatible. Ces intérêts, en
apparence divergents, peuvent être conciliés.~

~Il n’en résulte aucun danger pour l’Etranger. -- Au contraire
l’étranger parait intéressé à contribuer en temps et lieu à la solution
pacifique de ce problème. A l’heure qu’il est, le refus de l’Autriche
d’accepter la médiation française et anglaise en Italie, donne lieu
à des considérations particulières. D’un côté la France a proclamé
le maintien de la nationalité italienne d’une manière si précise et
si enthousiaste, qu’elle peut difficilement l’abandonner aux chances
d’un tête-à-tête avec l’Autriche victorieuse; de l’autre côté une
intervention armée de la France dans les affaires de l’Italie conduit
indubitablement aux complications les plus regrettables non seulement
pour la France, l’Italie et l’Allemagne, mais encore pour l’Europe
entière.~

~Dans cet état des choses, il devient un devoir sacré de ne rien
précipiter et de faire valoir, avant de recourir aux armes, tout le
poids de conseils modérés, en demandant à l’Autriche des propositions
positives sur les garanties à donner à la nationalité italienne --
propositions propres à tranquilliser et à satisfaire à la fois, la
France, l’Italie et l’Allemagne.~

~La position de l’Allemagne vis-à-vis de l’Autriche offre
certainement bien des difficultés. Ce n’est pas ici le lieu de les
développer. Mais il importe de bien se pénétrer de la disposition des
esprits en Allemagne.~

~Le mot d’ordre, qui, à notre époque, agit sur les masses, c’est
l’indépendance des nations. Partant de ce point de vue, il y a bien des
Allemands, qui eussent désiré que l’Italie, _par sa propre force_, et
par l’influence _morale_ de ses alliés se soit émancipée de l’Autriche.
Mais il entrera dans les idées de bien peu de personnes en Allemagne,
-- et particulièrement dans l’assemblée de Francfort, -- qu’une telle
émancipation se fasse par les armes d’une nation étrangère, sans
prendre le caractère d’une _conquête_. Chaque victoire des armes
françaises en Italie réagira dans ce sens en Allemagne, et cimentera
le besoin de la concentration nationale plus que tous les discours de
l’assemblée de Francfort et tous les décrets du Ministère central.~

~On était convaincu à Francfort, que cette France, pour laquelle on
éprouvait de si vives sympathies, reconnaîtrait le pouvoir central
provisoire sans délai. On s’attendait plutôt a quelque difficulté de
la part de l’Angleterre, et surtout de la Russie. La confiance, avec
laquelle on tournait les yeux vers Paris, reposait peut-être sur des
suppositions erronées.~

~Toujours est-il, que les motifs d’une prolongation de rapports
seulement officieux entre Paris et Francfort seront difficilement
appréciés par l’opinion publique. Il est à prévoir que celle-ci subira
de notables changements, sur tout si d’autres puissances européennes
mettraient plus d’empressement à régler leurs relations internationales
avec l’Allemagne. Ce retour de l’opinion publique influerait
nécessairement la position de l’Allemagne et de son organe central au
sujet des affaires d’Italie. Et pour prévenir ce retour, ne serait-il
pas d’une bonne politique, d’écarter le plutôt possible les difficultés
formelles, qui, en d’autres circonstances, certes, seraient d’un poids
plus décisif? De cette manière les sympathies entre les deux pays
seraient maintenues et augmentées, une grande garantie de plus pour
un avenir pacifique serait consacrée, et les réserves exigées par les
obligations internationales envers les différens pays de l’Allemagne
ne seraient aucunement exclues.~

~Telle est l’opinion d’un vieux professeur d’histoire, qui de ses
longues études s’est formé la conviction que des rapports de sincère
amitié entre la France et l’Allemagne, sont le meilleur gage d’un
heureux avenir pour les deux pays et pour l’Europe.~



Fünfundfunfzigster Brief.


    Paris, den 1. September 1848.

Lord Normanby bedauerte gestern Österreichs Ablehnen der Mediation,
gab indessen zu, daß sie höflich in den Formen und nur eine vorläufige
sei. Sehr müsse man wünschen, daß Österreich nun bald genauer angebe,
was es eigentlich in und für Italien zu thun gedenke. Hierauf folgten
Erörterungen über die Nothwendigkeit des Friedens, die Gefahr jedes
Krieges, die Ungewißheit des Ausganges, die Unsicherheit einer
neutralen Stellung Englands. Ich hob hiebei die Interessen und die
Stellung Deutschlands im Allgemeinen hervor, ohne über die Gränzen
der Vorsicht hinauszugehen. Lord Normanby räumte ein: daß die neuen
Ereignisse eine +baldige+ Entscheidung über den deutschen
Reichsverweser doppelt nothwendig machten. Auch habe er wiederholt
in diesem Sinne zu Hrn. Minister Bastide gesprochen und werde es
unverzüglich nochmals thun.

An die Bemerkung: daß die Getreide- und Kartoffelernte in England
wahrscheinlich nicht günstig ausfalle, reihte Lord Normanby die
Äußerung: man müsse schlechterdings den Frieden mit Dänemark sogleich
abschließen und den freien Seehandel herstellen. Er hoffe, daß
Frankfurt keine Hindernisse in den Weg legen werde. Ein anderes
langes Gespräch hatte ich mit dem österreichischen Geschäftsträger,
Hrn. von Thom, welcher mir sagte: er habe über Österreichs Absichten
hinsichtlich der Organisation Italiens bereits eine bestimmtere
Erklärung abgegeben, welche auf Hrn. Minister Bastide einen günstigen
Eindruck gemacht zu haben scheine.

Nach den Äußerungen des Hrn. -- wäre Lord Normanby (wenn das Wort mir
erlaubt ist) unbequemer für Österreich, als Hr. Minister Bastide.
Des Lords langer Aufenthalt in Italien möge ihn günstiger für dieses
Land stimmen; es bleibe aber zweifelhaft, ob er ganz im Sinne Lord
Palmerston’s und der englischen Regierung verfahre oder ein englisches
Ministerium sich halten könne, das den Franzosen den Eingang in Italien
verstatte.


    Nachmittag 2 Uhr.

Ich komme so eben von Hrn. General Cavaignac, bei welchem mich Hr.
Minister Bastide einführte. Jener sprach seine höchste Achtung vor
der Person Sr. kaiserl. Hoheit des Erzherzogs Reichsverweser aus,
und versicherte wiederholt aufs Nachdrücklichste die Absicht der
französischen Regierung, mit Deutschland in Friede und Freundschaft
zu leben. Wenn jetzt eine kleine Zögerung beim Anknüpfen
+officieller+ Verhältnisse einträte (während die +officiösen+
angebahnt sind), so entstehe sie durchaus nicht wegen irgend einer
Abneigung, ja nicht einmal aus Gleichgültigkeit (~indifférence~),
sondern aus den und den Gründen. (Es waren dieselben, welche ich
bereits zufolge der Gespräche mit Hrn. Bastide vorgetragen habe.) Er
hege gar keinen Zweifel, daß jene Bedenken würden bald gehoben werden,
und einstweilen möge man die, für diplomatische Einleitungen u. s. w.
fast unentbehrliche, Zeit gönnen. Am Schlusse freute sich Hr. General
Cavaignac meine persönliche Bekanntschaft zu machen, und bemerkte, daß
ich in der Heimat den guten Ruf eines gemäßigten Mannes habe. Ich bat
um Nachsicht sofern ich, als ein Neuling, gegen diplomatische Formen
fehlen sollte. -- Auch wir, antwortete der General, sind Neulinge; wir
wollen gegeneinander abrechnen.

Hrn. Minister Bastide machte ich noch darauf aufmerksam, daß die sehr
günstige Stimmung Deutschlands leiden dürfte, wenn die +förmliche+
Anerkennung des Reichsverwesers lange hinausgeschoben werde; -- und er
fand diesen Umstand wahr und gewichtig.

Hinsichtlich Italiens legte Hr. Bastide nochmals großen Nachdruck auf
nationale Einrichtungen. In der auch mir mitgetheilten Note verspricht
Österreich diese auf die liberalste Weise. Die (wie Hr. Minister
Bastide bemerkte) kriegerische Stimmung des Hrn. -- entstand auf die
Nachricht eines französischen Seezuges nach Venedig. Wenn Österreich
jene nationalen Einrichtungen gewähre, so wolle Frankreich (laut Hrn.
Bastide) sehr gern darauf eingehen. Aber ächte Verfassungen lassen sich
freilich nicht aus dem Stegreife fertigen.

Die Stärkung Deutschlands durch eine Centralgewalt wird von der
hiesigen Regierung gewünscht und gebilligt; eine Centralisirung mit
Vernichtung der einzelnen Staaten hält man für +ungerecht+,
+unklug+ und +gefährlich+.


    Abends.

Das Schreiben vom 26. August über die Protestation, welche Frankreich
hinsichtlich Dänemarks an Preußen gerichtet hat, empfing ich den 31.
und habe Hrn. Minister Bastide den Inhalt vorgetragen. Die Denkschrift
konnte ich ihm indessen nicht übergeben, da sie bis jetzt noch nicht
bei mir eingegangen ist.

Hr. Bastide erwiderte: er habe auf den gerügten Ausdruck: ~la
violence qui a été faite~ u. s. w. gar kein Gewicht gelegt, sondern
nur dem Könige von Preußen eine Art von Höflichkeit oder Genugthuung
sagen wollen. Nachdem glücklicherweise der Waffenstillstand
abgeschlossen worden, dürfte sich Zeit zu weiteren Untersuchungen
und Erörterungen finden. Er setze keinen Zwiespalt zwischen der
Centralgewalt und den einzelnen Staaten voraus, und sei weit entfernt
ihn zu wünschen.



Sechsundfunfzigster Brief.


    Paris, den 2. September 1848.

Eine Stunde lang freute ich mich gestern meiner pflichtmäßigen
Thätigkeit; kaum aber ist ein „+Schwark+“ zertheilt, so steigt
ein anderer drohend auf und die Tantalusarbeit beginnt von Neuem.
Eigentlich jedoch nicht für mich; aber das Dabeistehen und Zusehen,
ermüdet in gleicher Weise, und wo Kopf und Herz Theil nehmen, ist an
gleichgültige Ruhe nicht zu denken. In Frankfurt war ich etwa 1/480;
hier kann Niemand sein richtiges Gewicht finden und angeben, denn ganz
Europa legt sich in die eine oder die andere Wagschale, und je mehr
Antheil an der Entscheidung, desto mehr Sorge und Verantwortlichkeit.
Dieser wohlbegründete Stoßseufzer besagt aber keineswegs, daß mir
Faulheit lieber sei als Thätigkeit, kleinlicher Egoismus höher stehe
als edle Sorge, und ein Maulwurfsleben angemessener als rastloses
Streben. Wenn man sieht, wie selbst reichbegabte Männer sich fallen
lassen, zusammentrocknen, aller Theilnahme an Welt und Menschen
entsagen; so soll der Minderbegabte hieran ein warnendes Beispiel
nehmen und die Flügel regen, wenn er sich auch nicht hoch über den
Boden erheben kann.

Gestern sah ich den neuen Gutsherrn von Boyeldieu und die Hälfte der
Gesandtin von Auber. Diese leichtsinnige Heiterkeit der Musik ist mir
lieber als die dumme Überladung, welche maßlose Ansprüche macht, sie
aber nie erfüllt.

Es ist sehr merkwürdig zu sehen, wie die allzu weit gehende humane,
oder socialistische Gesetzgebung des März, jetzt schon Rückschritte
macht. So z. B. hinsichtlich der Arbeitsstunden, der Verhaftung
Schulden halber u. s. w. Die letzte war abgeschafft, ist aber (da
Niemand mehr bezahlte) wieder eingeführt worden.

Die englische und französische Regierung haben vor zwei bis drei Tagen
eine +sehr dringende+ Note mit der Aufforderung nach Wien gesandt,
Venedig nicht anzugreifen oder gar zu bombardiren. Man solle den
Waffenstillstand auch für diese Stadt anerkennen.

Auf meine Bemerkung: man behaupte ja, daß bereits eine französische
Flottille nach Venedig bestimmt oder unterwegs sei; -- antwortete
-- +nein+, auf eine solche Weise beginnt und verfährt man
nicht sogleich mit einem Freunde. Sollte aber Österreich auf jene
Vorstellungen keine Rücksicht nehmen und Venedig mit Heeresmacht
angreifen oder gar einen Theil der Stadt zerstören, so habe ich die
+persönliche+ Überzeugung, daß Hr. General Cavaignac, trotz seiner
Friedensliebe, der öffentlichen Meinung wird nachgeben und bewaffnet
einschreiten müssen. Es wäre daher +sehr+ erwünscht, wenn man
+eiligst+ von Frankfurt aus jene Wünsche oder Forderungen Englands
und Frankreichs in Wien unterstützte.


    Den 3. September.

Bei M. lebhafte Gespräche, meist über die neuen Zustände Frankreichs.
Das Sein oder Nichtsein der Republik hing an einem Haar; sie hat sehr
wenige aufrichtige Freunde, aber die meisten Franzosen (so sagt man)
sind von ihrer jetzigen Nothwendigkeit überzeugt. Ihr Sturz würde einen
Bürgerkrieg, ja, nach Spaltung der Gesinnungen, mehre Bürgerkriege
herbeiführen. In dieser Besorgniß liegt auch eine Bürgschaft des
Friedens. Die Schlachtentage des Junius sah Jeder als unausbleiblich
voraus. Die Aufrührer waren sehr gut organisirt und die Hoffnung sie
mit mildern und halben Mitteln zu verscheuchen, schlug fehl. Der Kampf
war blutiger und kostete mehr Leben, als man gewöhnlich sagt; von
+einem+ Regimente wurden z. B. 18 Officiere getödtet. Ein Sieg der
Aufrührer hätte (und zwar nicht blos für Paris) aller Civilisation und
allem Eigenthum ein Ende gemacht. Man muß ähnliche Versuche fürchten,
aber die Macht der Unzufriedenen und ihre Kriegsmittel sind sehr
geschwächt. Ein Heer von mehr als 50,000 Mann steht in und um Paris.
Über Louis Blanc und seine Gehülfen ist unter allen Verständigen nur
eine, und zwar verdammende Stimme. Die berliner Stadtverordneten werden
sich hoffentlich nun auch von der Heillosigkeit seiner Lehren überzeugt
haben.

Eine Hauptstadt wie Paris ist ein natürliches, aber nicht zu
bezweifelndes Unglück. Ich habe hier das Gefühl als könne sie zerfallen
wie einst Rom. Stehen doch schon jetzt ganze Reihen angefangener Häuser
verlassen da; und wenn sich auch gern Arbeiter fänden, so fehlt Credit
und Kapital. Man sieht fast keine herrschaftlichen Equipagen; fast
lauter Omnibus und Lohnwagen. -- Ähnlich ists wohl in Berlin, und der
neue Dom wird wohl so wenig fertig werden als der Kölner. Leider lernt
man zu derlei Erscheinungen jetzt das +Warum+ begreifen.

Der mit Dänemark abgeschlossene Waffenstillstand ist ein großes, hier
allgemein herbeigewünschtes Glück. Wären die, viel gefährlicheren,
italienischen Verhältnisse doch auch so weit gediehen! Sie lassen sich
nicht so zur Seite schieben, wie die, durch die Schuld der Polen,
wiederum ganz abgenutzte Polenfrage. Es fällt hier keinem Menschen ein
(wie die Linke in Frankfurt behauptete) ihrethalben einen Krieg zu
beginnen. Wenn vier Polen (sagte mir der Minister --), in einer Stube
zusammenkommen, so beschuldigt jeder Einzelne die drei anderen des
Hochverraths.

Es ist sehr bezeichnend, daß der Belagerungszustand für Paris, auch
während der Berathungen über die neue Verfassung fortdauern soll. Wie
einleuchtend muß das Bedürfniß sein, wenn sich 529 dafür und nur 140
Stimmen dagegen erklären. -- Die Frage über eine oder zwei Kammern,
wird von Neuem zur Sprache kommen. Die verlangten Gegensätze laufen
jedoch nur auf Das hinaus, was die Direktorialverfassung in dem Rathe
der Alten und der 500 darbot. Auf Gemeinen, Landschaften, Magisträte
nimmt man bei den Wahlen keine Rücksicht. Im ~Journal des débats~
steht heute ein verständiger Artikel über Italien. Er erinnert mit
Recht an die eigene Schuld der Italiener, ihre Uneinigkeit und
Leidenschaften, und schließt ganz in meinem Sinne: ~Il n’est pas de
puissance sur la terre capable de sauver malgré lui-même un peuple
qui emploie les dons les plus précieux de la nature et du génie à se
détruire par la main de ses enfans.~ -- Leider erinnert Italien
(trotz seiner großen Vorzüge und vieler Verschiedenheiten) doch in
mancher Beziehung an Polen, -- ob auch an Deutschland?



Siebenundfunfzigster Brief.


    Paris, den 4. September 1848.

Abends ging ich mit W. in das ~Théâtre français~, jetzt Theater
der Republik genannt, und zwar (weil wir durch einen Zwirnsfaden
mit Kaisern und Königen zusammenhängen und fortgezogen werden) --
in ~stalles d’Orchestre~, wo man gut sitzt, sieht und hört. Das
letzte (so viel kommt auf die Aussprache an) jedoch nicht bei jedem
Schauspieler gleich gut. Die ~femmes savantes~ von Moliere wurden
recht brav gegeben, vom ~Bachelier~ sah ich indeß nur zwei Akte,
-- zusammen sieben; dann ging ich, um 10 Uhr, nach Hause. Auf die Dauer
möchte jenes Theater, trotz der Verluste großer Künstler, immer noch
mehr anziehen, als die kleineren; obwohl mich das nahe Wiederauftreten
der Dem. Rachel nicht so übermäßig anzieht, als die rhetorisirenden
Franzosen. Ihr Trauerspiel ist noch immer weit schwülstiger
aufgebauscht, als das unsere; im Lustspiel wird dagegen hier rascher,
einfacher und natürlicher gesprochen, als in Berlin. Selbst Frankfurt
erschien mir in dieser Beziehung auf besserem Wege.

Ich benehme mich hier mit größter Vorsicht, höre mehr als ich spreche,
oder spreche meistens nur wie ein alter Professor der Geschichte. --
Ich darf jedoch nicht verhehlen, daß man auf diesem Wege +keinen
Einfluß+ übt und gewinnt, und daß allgemein erwartet wird:
Deutschland werde +bald+ und +kräftig+ zum Besten Europas für
den +Frieden+ auftreten. Jede bewaffnete Einmischung Frankreichs,
so sprechen alle Unterrichtete, führt zu einem allgemeinen Kriege.
Deutschland kann und darf nicht Österreich fallen lassen, ohne die
größten Gefahren für sich selbst herbeizuziehen; wohl aber kann
und soll es in Wien dafür wirken, daß Italien (laut wiederholter
Versprechungen) nationale Einrichtungen erhalte.


    Den 5. September.

Ich war heute auf dem Louvre und ging zuerst nach den sogenannten
assyrischen Denkmalen von Ninive. Sie erinnern so sehr an die
persepolitanischen Bildwerke (auch die Keilschrift), daß ich sie nicht
höher hinaufstellen möchte. Von griechischem Einflusse keine Spur;
wahrscheinlich fallen sie in die Zeit zwischen Cyrus und Xerxes.

Dann zu den Bildsäulen, endlich zu den Gemälden, die ganz umgehangen
und nach Schulen geordnet sind. In manchen Dingen kann ich meine
ketzerische Haut nicht mehr wandeln. So erkenne ich den lebendigen
Reichthum von Rubens gewiß an, fühle aber keine rechte Anziehung für
seine dicken Frauen, oder den Mischmasch der Marie Medici mit den alten
Göttern: Reifröcke und nackte Kerle! Auch das unbestimmt Verschwimmende
der Umrisse und der Farben im Morillo scheint mir eher ein Mangel zu
sein, als ein Verdienst; in der französischen Schule endlich fühle
ich Rhetorik vorherrschend, oder auch Langeweile, wie in den vielen
grauen und weißen Mönchsgestalten le Sueur’s. Hätten wir ganze Werke
der Griechen von Phidias, Apelles u. s. w., wie würden da ganze Massen
unschöner Kunstwerke neuerer Zeit in Nacht versinken.

Gestern ist bei dem österreichischen Geschäftsträger ein neues
Schreiben des Hrn. von Wessenberg eingelaufen, wonach nochmals
versprochen wird: für die +Nationalität+ der Italiener Sorge
zu tragen. Hr. Minister Bastide hat sich hierüber sehr erfreut und
hinzugefügt, ich habe heute viel größere Hoffnung für Erhaltung des
Friedens als vor einigen Tagen.

In allen amtlichen und nichtamtlichen Gesprächen tritt Frankreichs
Wunsch und Forderung, daß etwas für die Nationalität der Italiener
geschehe, in den Vordergrund. Man hält sich für verpflichtet,
Lamartine’s Worte als eine Erbschaft (obwohl +ungern+) anzunehmen;
auf die geographischen Gränzen, die Souverainetät, die dynastischen
Interessen (worüber nichts versprochen worden) scheint man weit weniger
Nachdruck zu legen.

Der jüngere A. -- klagt bitterlich daß Lamartine seinen Onkel mit
lauter Unwahrheiten hingehalten und bedient habe: es sei vorsätzlich,
oder aus Selbsttäuschung, oder weil er Vieles nicht gewußt habe.


    Den 6. September.

Gestern Abend fuhr ich mit W. zum General Cavaignac. Die Zimmer waren
so mit Menschen überfüllt, daß man sich nicht regen und bewegen konnte.
So war es vor drei Monaten bei Lamartine, so -- wird es sein --? --?

Man klagt über Mangel an Freiheit, Preßbeschränkung, Klubauflösung,
militairische Tyrannei; -- und muß doch anerkennen, daß dies Alles
nothwendig, und die geringeren Uebel sind.

Uebrigens tragen die Leute, trotz des Republikanismus, gern Orden, wenn
sie sie haben.

Gestern lief eine Fliege an der Decke meines Wagens gar eifrig hin und
her; sie bildete sich wahrscheinlich ein, ihre Pflicht zu erfüllen
und zum Fortkommen des Wagens viel beizutragen. Bin ich nicht auch
eine Art diplomatischer, hin und herlaufender, redender, schreibender
Fliegen? -- Die Langeweile zieht schon langsam ein, und Mery’s schwache
Romane, und Dumas’ Monte Christo werden die eintretende Leere nicht
hinreichend ausfüllen. Zuletzt lese ich diese Bücher nur der Sprache
halber. Andererseits bin ich hier weniger geschoren und mit Geschäften
überhäuft, wie in Frankfurt, auch ist die Lebensart gesunder; endlich
muß ich eingestehen, daß ich keine Sehnsucht nach Fakultätssitzungen
und Hörsälen habe. So nützlich wie dort, bin ich hier und in Frankfurt
alle Tage.


    Den 7. September.

Ein Herr wunderte sich gestern allzu viel über Das, was man in
Deutschland thue und bezwecke; worauf ich mir die Erlaubniß nahm,
über manches Französische mein Erstaunen auszudrücken, und so das
Gleichgewicht Europas herzustellen.

Viele gestehen: daß die Republik in Frankreich keineswegs allgemein
Beifall finde, den letzten Wahlen durch übereilte Begeisterung,
Einschüchterung, ja Gewalt, eine demokratische Richtung gegeben worden,
und neue Wahlen in anderem Sinne ausfallen dürften. Daher werde die
jetzige Versammlung ihre Auflösung so lange als möglich verhindern;
wenn sie aber die Gesinnung des Landes nicht mehr ausdrücke, ihr
Ansehen verlieren und gestürzt werden. -- Gestern kam noch zur Sprache:
daß Louis Philipp durch Ernennung unbedeutender und serviler Personen,
Ansehen und Macht der Pairskammer untergraben und dadurch mittelbar
eine Vorliebe für das Einkammersystem herbeigeführt habe.

Daß man nun doch die Vermittelung Frankreichs und Englands in Wien
angenommen, erfreute Hrn. Bastide sehr; die Zeitungsnachricht: „man
habe in Frankfurt den Waffenstillstand mit Dänemark verworfen,“
erzeugt dagegen überall den größten Unwillen. Man behauptet, dies sei
schlechterdings thöricht und unverständig, und es werde Frankfurt in
Mißcredit bringen, Streit und Unglück erzeugen -- u. s. w. Ich hoffe,
die ganze Nachricht ist unwahr. Gewiß würde Frankreich und England, --
auch wohl Preußen --, die Sache dauerhaft übel aufnehmen. Ich schreibe
dies in höchster Eile, um die Post nicht zu versäumen.



Achtundfunfzigster Brief.


    Paris, den 8. September 1848.

Ich stellte gestern Hrn. Bastide vor:

1) Die Einwendungen über den Ausdruck: +Reich+ und die
+Neuheit+ der Centralgewalt seien jetzt vollständig widerlegt.

2) Verliere, nach dem Vorgange Englands, Belgiens, Sardiniens u. s. w.,
die Frage: „was andere Staaten thun würden“ alles Gewicht.

3) Desgleichen die, über Verträge u. s. w. mit deutschen Regierungen.
Alle hätten den Reichsverweser längst anerkannt, die Geschäftsträger
von Österreich, Preußen, Baiern wünschten die baldige Annahme des
Schreibens Sr. kaiserl. Hoheit; kein kleinerer deutscher Staat werde
oder dürfe widersprechen, oder doch Deutschland und Frankreich einen
solchen unzeitigen und unbedeutenden Widerspruch unberücksichtigt
lassen.

Wenn also bei diesen Verhältnissen da, wo man auf die freundlichste
Annahme gerechnet habe, die größten Schwierigkeiten erhoben würden,
wenn +ich allein+ dem mir gewordenen ehrenvollen Auftrage nicht
genüge, so würden das Publikum und die Behörden zunächst annehmen: der
Fehler liege +an mir+; mein Benehmen und Das, was ich gesagt oder
gethan, sei der eigentliche Grund des Mißlingens. Man werde sagen: ich
sei zu zaghaft und feige, oder zu ungeschickt und unhöflich gewesen,
man werde mich als Sündenträger verstoßen und opfern u. s. w. Da nun
aber in +Wahrheit+ große Angelegenheiten +nicht+ durch die
Persönlichkeit +untergeordneter+ Personen entschieden würden, so
dürfe man sich nicht wundern, wenn Besorgliche zu der Vermuthung kämen:
es müßten noch +andere+, +wichtigere+ Gründe mit im Spiele
sein u. s. w.

Hr. Minister Bastide erklärte hierauf wiederholt: er sei mit mir und
meinem Benehmen +vollkommen+ zufrieden und werde gern fernerhin
mit mir verhandeln. Er fragte ferner: ob ich nicht ein förmliches
Beglaubigungsschreiben als Gesandter mitgebracht habe. Ich erwiederte:
mein Auftrag sei ein besonderer und außerordentlicher, und erst wenn
derselbe erledigt sei, werde man in Frankfurt entscheiden, wer tauglich
sei, hier ferner die Geschäfte zu führen.

Aufs Feierlichste protestirte hierauf Hr. Minister Bastide: daß der
eingetretenen Zögerung durchaus keine Abneigung, üble Absicht oder eine
andere unbekannte, geheime Ursache zum Grunde liegt. Frankreich sei
den Deutschen und der deutschen Entwickelung in keiner Weise zuwider.
Er wolle sogleich von der jetzigen (veränderten) Lage der Dinge Hrn.
General Cavaignac Vortrag halten und werde mir +heute+ mündlich
oder schriftlich dessen Entscheidung melden.


    Mittags 2 Uhr.

Ich habe bis jetzt von Hrn. Minister Bastide noch keine weitere
Nachricht erhalten und muß (gebe Gott mit Unrecht) fürchten, daß der in
der Paulskirche gefaßte Beschluß über den dänischen Waffenstillstand
der Angelegenheit eine neue, sehr +ungünstige+ Wendung geben
wird. -- „Unter dem Scheine eines unwichtigen und doch ehrenvollen
Amendements habe man verworfen, was ganz Europa dringend wünsche und
fordere. Preußen sei bloßgestellt und auf neue Verluste hingewiesen,
die gegebene Vollmacht mißgedeutet; der Glaube, es mit ganz Europa
aufnehmen zu können, für eine eben erst entstehende Macht ein
Aberglaube. Der Apfel der Zwietracht werde von Leichtsinnigen, schlecht
Unterrichteten oder Böswilligen hingeworfen, zur Freude aller Feinde
der Ordnung, der Ruhe und des Friedens. Dem Ministerium bleibe kein
anderer Ausweg, als zu seiner Ehre und zum Besten der Sache selbst vom
Schauplatze abzutreten. Bald werde sich alsdann ergeben, ob Andere
im Stande wären, auf anderem entgegengesetzten Wege die Sachen zum
Ziele zu führen.“ So in aller Kürze das Wesentliche Dessen, was ich
leider von allen Seiten höre. Möchten doch bald beruhigende Nachrichten
eintreffen!

Wenn --, wie der Dachs im Loche sitzt und sich um nichts bekümmert, was
rings um ihn vorgeht, so ist dies mindestens unpassend und kaum für
einen Dichter zu rechtfertigen. Ich würde im Käfig hin und herlaufen,
wenn mir kein weiterer Spielraum verstattet wäre. -- Du gehst, sagt
man vielleicht, wie der Esel in die Mühle. -- Nun, so gehe ich doch,
und liege nicht auf der faulen Eselshaut; ich sehe doch näher hin, wie
Geschichte gemacht wird, und Lamartine, Arago, Cavaignac, Bastide,
Thiers, Mignet, Toqueville, Rothschild u. s. w. sind doch anziehender
und merkwürdiger, als einige berliner, weltverbessernde Studenten, die
mich für einen reaktionairen Dummkopf halten.

Es ist auffallend, daß man über die Einleitung zur neuen französischen
Verfassung in ähnliche, weitläufige Berathungen geräth, wie 1789
über die Menschenrechte. Man möchte jetzt, wie damals, mathematisch
sichere Grundsätze für das Staatsrecht auffinden, und einen Regulator
hinstellen, an dem sich Alles und Jedes prüfen lasse, und der die
Wahrheit und das Recht unbezweifelbar ausscheide und bestätige. Man
könnte jetzt Mirabeau’s Rede über das Trügliche, oder doch Unnütze
solcher Bemühungen nochmals halten, oder abdrucken lassen. So ist der
Satz: ~la République reconnaît des droits et des dévoirs antérieurs
et supérieurs aux lois positives~, gewiß wohlgemeint und einer
richtigen Auslegung fähig. Andererseits aber giebt er Gelegenheit
zu den größten Mißdeutungen, und zu vielfacher Entschuldigung von
Ungehorsam und Aufruhr. Die Widerlegung von solcherlei schwankenden,
halbwahren Theorien und Praktiken ist dann ~l’état de siège~: der
Kanonendonner muß des Geschwätzes und der sich daran reihenden Thaten
Herr zu werden suchen.

Gestern war Hr. A. bei mir. Sonst ein überkräftiger Mann, jetzt durch
Anstrengungen aller Art sehr gealtert. Mit Lamartine’s neuester Schrift
über die dreimonatliche Regierung war er keineswegs ganz zufrieden,
und wird wahrscheinlich allerhand Berichtigungen ans Licht bringen.
Lamartine’s phrasenreiche Rede hat in der Kammer entschieden, daß der
Verfassung ein Präludium edler, ewiger Grundsätze vorangeschickt werde;
man hält ihn aber weit mehr für einen Dichter (ich möchte sagen für
einen einbildungsreichen Mann) als für einen Staatsmann. Preiswürdig
erscheint seine Friedensliebe; A. behauptet aber, sie beruhe mit
darauf, daß die neugeborene Republik nicht im Stande gewesen, mehr als
100,000 Mann ins Feld zu stellen. Auch habe Lamartine sich Gelüsten
nach Belgien und Savoyen hingegeben; und die Versuche ausgewanderter
Deutschen bewaffnet in Deutschland einzubrechen, habe +er+,
A., durch die schärfsten Befehle vereitelt. Gewehre dagegen, für die
Volkswache in Lille bestimmt, wären (kaum könne man sagen wie) in die
Hände der belgischen Aufrührer gekommen.


    Den 9. September.

Als Hr. Minister Bastide mir gestern keine Nachricht oder Ladung
zukommen ließ, ging ich in seine Abendgesellschaft. In dem Gespräche,
welches er mit mir begann, legte er seine Mißbilligung der frankfurter
Beschlüsse über den Waffenstillstand höflich, aber unverholen an den
Tag. Ich ließ, unter Anführung von Gründen, die Hoffnung vorwalten,
daß die Feindseligkeiten dennoch nicht wieder beginnen würden, und die
Anerkennung des Reichsverwesers durch jenes Ereigniß nicht gestört
oder aufgehalten werde. Hr. Bastide trat der letzten Bemerkung bei,
fügte jedoch hinzu: Die Erklärung vom 31. August: eine Übertragung der
+Bundesgewalt+ auf die +Centralgewalt+ betreffend, genüge vollkommen;
allein die letzte werde in dem Schreiben des Reichsverwesers als eine
+neue+ bezeichnet, an welchen Ausdruck sich seine Zweifel anreihten.
Ich bemerkte hierauf: die +neue+, +authentische+ Erklärung hebe meines
Erachtens jene Zweifel vollkommen. Hrn. Minister Bastide schien
diese Auskunft und Wendung hinreichend; er setzte jedoch, trotz
meiner deutlich erklärten Wünsche, noch keinen Tag zum Empfang des
erzherzoglichen Schreibens fest, und ich trug Bedenken, in diesem
+ungünstigen+ Augenblicke die Sache auf die Spitze und vielleicht
zum Bruche zu treiben. Sowie beruhigende Nachrichten aus Frankfurt
eingehen, dürfte vielleicht das Ziel erreicht werden. -- Die Aufregung
und Unzufriedenheit über den frankfurter Beschluß ist allgemein und
unbeschreiblich. Gestern in der Abendgesellschaft bei Hrn. Minister
Bastide richteten Gesandte und Nichtgesandte, Bekannte und Unbekannte
(in einer sehr unerfreulichen Weise) ihre Aufmerksamkeit auf meine
Person, und ich konnte den Sturm nur dadurch beschwichtigen, daß ich
keineswegs den frankfurter Beschluß vertheidigte, wohl aber (als
wisse ich es) mit Zuversicht behauptete: es werde nicht zu neuen
Feindseligkeiten kommen. -- Heute Abend, wo ich bei Lord N. esse, steht
mir ohne Zweifel ein zweites Ungewitter bevor.

+Ringsum höre ich unverholen sagen+: wie kann Frankfurt im
Widerspruche mit den Wünschen und Forderungen von Dänemark, Schweden,
Rußland, England, Frankreich, Preußen, Händel beginnen, und anstatt
mit Weisheit und Mäßigung den Frieden anzubahnen, die Kriegsfahne
aufstecken? Wie, im Aberglauben an seine Allmacht, mit den Soldaten
aus Nassau, Baden, Hessen, -- Europa Gesetze vorschreiben wollen?
Bildet es sich ein, der König von Preußen werde die Maulschelle (~le
soufflet~) ruhig hinnehmen und sein halbes Reich den Grillen einer
Majorität von 15 schlecht unterrichteten und leichtsinnigen Männern
opfern? Wie unweise, jetzt (wo in Frankreich Alle den Frieden wollen,
und selbst Thiers und seine sonst kriegslustige Partei lebhaft dafür
sprechen) ohne alle Rücksicht auf die französische Protestation im
Norden neue Fehden beginnen! Wie thöricht, in einem Augenblicke, wo
selbst das siegende Österreich sich gemäßigt und nachgiebig zeigt, eine
solche ~querelle d’Allemand~ beginnen u. s. w. --

So, und noch Härteres ertönt von allen Seiten, und das Härteste kommt
nicht einmal zu meiner Kenntniß!!

Sie wissen: daß ich die pariser Sendung nicht aus Eitelkeit oder
aus anderen schlechten Gründen, sondern nur darum angenommen habe,
weil ich hoffte, meinem Vaterlande nützlich zu werden, und weil
meine Überzeugung mit den erklärten Grundsätzen des Reichsministerii
übereinstimmte. Hier fand ich leider die Ansichten und Verhältnisse
keineswegs so günstig, wie man sie +irrigerweise+ dargestellt
hatte. Indessen gelang es mir allmälig viele Irrthümer und Vorurtheile
über Frankfurt zu berichtigen. Jetzt ist das Alles, wie man sagt, in
den Brunnen gefallen und meine Stellung sorgenvoller als je.

Niemals in meinem Leben habe ich etwas gegen meine Überzeugungen
vertheidigt; ich habe mich wohlbefunden bei diesem Grundsatze und
bin nicht gesonnen, ihn in meinen alten Tagen zu verläugnen. Sollte
also in Frankfurt ein +neues+ Ministerium gebildet werden und
+andere gewaltsame+ Bahnen einschlagen wollen, so muß ich an einem
+europäischen+ Erfolge +sehr+ zweifeln und mich für ein
untaugliches Werkzeug erklären, in +dieser+ Richtung mitzuwirken.



Neunundfunfzigster Brief.


    Paris, den 10. September 1848.

Ihr Schreiben über die +Abdankung+ des gesammten Reichsministerii
erhalte ich in dem Augenblicke, wo alle gegen den Zweck meiner Sendung
erhobenen Schwierigkeiten so gut wie beseitigt waren. Ich muß darin
(so weit meine Kenntniß reicht) nicht blos einen Wechsel der Personen,
sondern auch des Systems und der künftigen Handlungsweise erblicken.
Da ich nun der Überzeugung lebe, daß die frankfurter Beschlüsse über
den Waffenstillstand mit Dänemark die innere Einigkeit Deutschlands
leider stören und die unangenehmsten Verwickelungen mit den übrigen
europäischen Staaten herbeiführen, so kann und will ich in dieser
Richtung nicht mitwirken, sondern lege hiemit das mir anvertraute Amt
in die Hände Sr. kaiserl. Hoheit des Hrn. Reichsverwesers nieder. Ich
werde jedoch (wie sich von selbst versteht) bis auf weitere Befehle in
Paris verweilen, obgleich, bei der großen Unzufriedenheit der hiesigen
Regierung über jene Beschlüsse, für jetzt wenig oder +nichts+ wird
zu Stande gebracht werden. Erst nach Rücknahme derselben kann von der
so sehr gewünschten Verständigung und Einigung zwischen Frankreich und
Deutschland wieder die Rede sein.


    Den 11. September.

Gestern Nachmittag fuhr ich mit W. und dem wieder hergestellten B.
zum Hippodrome. Reiterkünste auf schönen Pferden, Wettrennen von
Affen auf kleinen Ponys, Wettrennen von vier Amazonen mit glänzender
Kühnheit, Schule meisterhaft geritten vom alten Frankoni. Dies hatte
ich ähnlicher Weise schon gesehen. Zum Schluß aber kam der Sonnenwagen,
~le char du soleil~. Der Nacht folgend, stürzte eine Schar
schöner, mannigfach gekleideter Mädchen auf muthigen Rossen in die
Rennbahn, als Horen, Auroren, oder wie man sie sonst bezeichnen will.
Hierauf der Sonnenwagen, hoch in der Mitte Apollon mit einem Fuße auf
der sich drehenden Erdkugel stehend, die Arme ausgebreitet, auf den
Seiten des Wagens andere Mädchen in den schönsten Stellungen, endlich
hinter den Schultern Apollons zwei Mädchen wagerecht in der Luft
schwebend, freundlich mit ihren Schleiern spielend und sich bewegend.
Das Ganze wahrhaft zauberisch, wie ein Wunder aus der alten Fabelwelt
in größter Schnelligkeit vorüberstürmend. Unerklärlich und noch ein
Geheimniß ist es, wie dieses freie Schweben, diese Schönheit und
Kühnheit möglich wird, ohne daß man einen Stützpunkt sieht, der doch
ohne Zweifel da sein muß. -- Nur ein Gedankenschatten fiel in diese
Zauberwelt: was wird aus diesen schönen, heiteren, vorüberschwebenden
Nymphen und Horen -- wenn das Alter sie beschleicht? -- Andere Freuden
und Sorgen auf dem großen Mittagsmahle bei Lord N. General Changarnier,
welcher neben mir saß (Alle in bürgerlicher Tracht), ist Befehlshaber
der pariser Nationalgarde und gilt für einen der besten französischen
Generale. Ich unterhielt mich mit ihm meist über Algier und Afrika.
Nachdem die Beduinen besiegt sind, fehlt nur Holz und Wasser, um
das Land emporzubringen. Trotz der Nähe bleiben neue Ansiedlungen
kostspielig, auch ist das Klima für Europäer nicht günstig. Doch stehen
wesentliche Fortschritte in Aussicht.

General Lamoricière, der jetzige Kriegsminister, erzählte von der
großen Gefahr in den Junitagen, von der Furchtbarkeit des Kampfes, und
daß an 250,000 Gewehre auf beiden Theilen in Bewegung gewesen wären!

Als ich Hrn. Bastide erzählte, was ich nach Frankfurt berichtet habe,
billigte er, daß ich seine Mißbilligung über die gefaßten Beschlüsse
ausgesprochen, und fügte in Bezug auf meine persönliche Stellung hinzu:
ich bin bereit, Ihnen schriftlich zu bezeugen, daß wir mit Ihrem
Benehmen durchaus zufrieden sind, daß kein Anderer mehr, ja nicht
einmal so viel wie Sie ausgerichtet haben würde. Denn Sie haben unser
Vertrauen gewonnen, und wir werden gewiß für die Sache und Sie thun
was irgend möglich ist und in England vor den frankfurter Beschlüssen
geschah u. s. w.



Sechzigster Brief.


    Paris, den 12. September 1848.

Ich habe schon angezeigt: daß die gegen Annahme des Schreibens
Sr. kaiserl. Hoheit des Hrn. Reichsverwesers ausgesprochenen
Schwierigkeiten so gut wie gehoben waren, als die Nachricht von
Verwerfung des dänischen Waffenstillstandes, der gelungenen
Unterhandlung eine neue, durchaus ungünstige Wendung gab. Die hiesige
Regierung sah darin eine verletzende +Geringschätzung+ ihrer
Protestation, welche ihr um so unangenehmer ward, weil sie aus
vielen Gründen abgeneigt und verhindert war, sich in die dänischen
Angelegenheiten zu mischen. Sie wird es aber gewiß nicht unterlassen,
so weit Ehre und Verträge sie dazu zwingen.

Hiezu kommt, daß man hier ganz allgemein die Aufnahme Schleswigs in den
deutschen Bund als ein gegen Dänemark begangenes Unrecht und den Krieg
(wenigstens in +dieser+ Beziehung) als ungerecht betrachtet.

Auf Hrn. Minister Bastide’s ausgedrückten Wunsch: die Annahme des
erzherzoglichen Schreibens wenigstens so lange auszusetzen, bis man
aus Frankfurt neue Nachrichten erhalte, hätte ich eine bestimmte,
schroffe Forderung aussprechen können, allein ich mußte voraussetzen,
daß 1) hieraus (bei der augenblicklichen sehr großen Aufregung und
Unzufriedenheit) sogleich ein völliges Abbrechen aller Unterhandlungen
und auch wohl meine Abreise folgen würde. Einen solchen Ausgang hielt
ich aber für so unangenehm und gefährlich, daß ich ihn ohne die
+allerbestimmtesten+ Befehle herbeizuführen für pflichtwidrig
erachtete; 2) lebte ich der Hoffnung, daß man in Frankfurt (bei dem
Widerspruche aller Mächte) einen vermittelnden Ausweg auffinden werde
und auffinden müsse, -- wo dann die hiesige Unterhandlung auf die
frühere Stelle zurückkehren und vielleicht zum Ziele geführt werden
wird.

Überhaupt aber darf man nicht glauben, daß Lamartine’s in der
Paulskirche viel bewunderte Worte von „Brüderlichkeit und Nationalität“
auch das unbedingte Glaubensbekenntniß der jetzigen Machthaber in
Frankreich sind. Sie betrachten den Stand und Gang der europäischen
Angelegenheiten keineswegs allein nach bloßen Gefühlen und abstrakten
Grundsätzen; sie halten hingegen fest an den einfachen Lehren des
gesunden Menschenverstandes, sind weit mehr Praktiker als Theoretiker,
unterscheiden das Mögliche vom Unmöglichen, das Nützliche vom
Schädlichen, nennen Lamartine’s geflügelte Worte eine sehr unbequeme
Erbschaft, und legen gar kein Gewicht auf die Akklamationen in der
Paulskirche, sobald ebendaselbst der dänische Waffenstillstand
verworfen wird. Diejenigen also, welche für diese Verwerfung gestimmt
haben, legten dadurch der von ihnen gewünschten Einigung Frankreichs
und Deutschlands das größte Hinderniß in den Weg, und geben leider nur
zuviel Gelegenheit zu einer höchst gefährlichen Annäherung Rußlands an
Frankreich.


    Den 13. September.

Gestern Abend aß ich beim --, wo von mehren Personen sehr harte
Urtheile über Lamartine ausgesprochen wurden. Man läugnete nicht
nur seine Fähigkeit, ein Staatsmann zu sein, sondern auch seine
Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit. Ja, Einer behauptete: -- -- -- Wie
soll da der Geschichtschreiber die Wahrheit entdecken? Uebrigens haben
während der provisorischen Regierung sich gewiß Viele eigennützig
gezeigt. Daß der jetzige Zustand in Frankreich der einer freien,
demokratischen Republik sei, wird Niemand behaupten; daß aber die
Regierung mehr Muth und Kraft besitze, als irgend eine in Deutschland,
hat keinen Zweifel. Auch zügelt die allgemeine Überzeugung von der
Nothwendigkeit die Ordnung streng aufrecht zu erhalten, alle Parteien,
und stellt um des höchsten allgemeinen Zweckes willen, die besonderen
in den Hintergrund. Diese besonderen Ansichten und Grundsätze (z. B.
Legitimität, Kriegsehre u. dergl.) werden ferner nicht von großen
Persönlichkeiten gestützt und getragen: Heinrich V und die Bonapartiden
sind an sich unbedeutende Leute, und mit bloßen Erinnerungen an Andere
regiert man heut zu Tage kein Land. Die Herzogin von Orleans genießt
großer Achtung, ist aber eine Fremde, ihre Kinder sind zu jung, und
Allen fehlt die eiserne Faust, mit welcher afrikanische Generale die
pariser Empörer erdrücken. Deren Sieg (man kann es nicht oft genug
wiederholen, um sich mit dem Gegenwärtigen zu versöhnen, oder noch
zu verständigen), deren Sieg hätte die bürgerliche Gesellschaft,
Sicherheit und Eigenthum ganz vernichtet. Und in Deutschland würden
diese Gräuel nur zu viel Anklang und Wiederhall gefunden haben!

Überall jedoch wird sich in Europa ergeben, daß in diesem Augenblicke
neben einer ganz unbeschränkten Presse und unbeschränkten Klubs, keine
Regierung bestehen kann. Wußte dies doch Jefferson selbst für Amerika;
wenigstens ist das französische und deutsche Klubwesen des letzten
Jahres dort gar nicht vorhanden. Wo eine wohlgeregelte Verfassung und
Regierung besteht, wird das Klubwesen freiwillig (oder durch Gewalt)
ein Ende nehmen. Die Einrichtungen für Staat, Landschaft, Städte und
plattes Land können und sollen hinreichen, Jeden in eine angemessene,
wahrhaft nützliche Thätigkeit zu setzen. Was daneben geht, oder darüber
hinausgeht, ist fast immer vom Uebel.

Ich komme so eben von einem Sicilianer, A-- den ich in Italien kennen
lernte, und der mir sein Werk über sicilische Geschichte zusandte. Er
ist im Auftrage der sicilianischen Regierung hier, um französischen
Beistand in Anspruch zu nehmen. Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß
die Freiheit durch eigene Kraft gewonnen werden müsse. -- Ehe sich
die Sicilianer (erwiderte er) unter das neapolitanische Joch beugen,
lassen sie sich sämmtlich todtschlagen. -- Dies ist das alte Elend,
fügte ich hinzu, italienische Uneinigkeit, trotz aller sonstigen
Verschiedenheit an Polen erinnernd. -- Der Haß gegen Neapel ist wohl
begründet. -- Gewiß, aber doch ein trennendes Unglück, obgleich ich
an die Möglichkeit und den Nutzen einer centralisirten Einheit für
Italien nicht glaube. Solch eine Einheit würde das Schönste in Italien
ertödten; es bedarf, gleichwie Deutschland, der Mannigfaltigkeit und
einer föderativen Einheit. Fremde Einmischung ändert blos die Herren,
bringt aber keine Unabhängigkeit. Hüten Sie sich Franzosen oder
Engländer herbeizurufen: nur was Sie selbst zu Stande bringen, wird
Dauer gewinnen und gern von Europa anerkannt werden.

Sind wir Deutschen nicht in einer ähnlichen Lage wie die Italiener?
Streiten wir nicht mit Stammgenossen in Dänemark und Holland? Schimpfen
nicht die Deutschen, welche laut auf Deutschlands Einigkeit dringen, am
lebhaftesten auf Preußen?



Einundsechzigster Brief.


    Paris, den 14. September 1848.

Ich hatte gestern mit Hrn. A-- ein drittes Gespräch über die
Angelegenheiten Siciliens und Neapels. Er behauptete: der Haß gegen den
König und seine Familie sei so groß, und diese so untauglich, daß keine
Aussöhnung oder Vermittelung möglich bleibe. Zwischen Sicilianern und
Neapolitanern finde sich dagegen gar keine Mißstimmung und sie würden
einig in einem größeren italienischen Bunde wirken. -- Jene Mißstimmung
ist aber in Wahrheit allerdings vorhanden, und die Einigkeit zwischen
einem +neuen+ König von Sicilien und dem +alten+ Könige
von Neapel kaum vorauszusetzen. Auch findet sich ja nicht allein
+dieser+ feindliche Gegensatz: das alte Elend der italienischen
+Uneinigkeit+ zeigt sich auch in Rom, Livorno, Genua, Turin u.
s. w. -- Abends traf A-- bei Thiers mit Mignet zusammen, der ihm
fast wörtlich wiederholte, was ich ihm schon des Morgens vorgehalten
hatte, nur noch schärfer und schroffer. Insbesondere behauptete er
(gegen A--), daß der König von Neapel unverständig und ungerecht von
den Demokraten sei +angegriffen+ worden, daß er sich +nur
vertheidigt+ und der Gesandte der französischen Republik die Hand
mit im Spiele gehabt habe. A-- berichtete: der Angriff auf Messina sei
mißlungen, während die telegraphische Nachricht eintraf, die Stadt
sei erobert; -- obgleich allerdings der Krieg in Sicilien damit noch
nicht entschieden ist. Beharren die Italiener auf diesen Wegen der
Zerwürfniß, so wird die Begeisterung für ihre Sache so sinken und
verschwinden, wie die Begeisterung für die Polen. Gleichwie diese,
reden auch jene schon überall von Verrath, wo sie nur sich selbst
anklagen sollten; so z. B. hinsichtlich der Unthätigkeit der Mailänder
und ihrem Instichlassen der Piemontesen.

Thiers theilte gestern Abend sehr lehrreiche Dinge mit, über die
Versuche eine sogenannte Organisation der Arbeit zu Stande zu bringen.
Sie begannen mit einer erzwungenen Erhöhung des Tagelohnes und einem
Verwerfen alles Arbeitens im Verdung (~à tâche~). Hierauf wurden
Aufseher und Präsidenten erwählt, berathende Sitzungen ausgeschrieben
u. s. w. Im Vertrauen auf den Mehrgewinn durch das erhöhte Lohn,
setzten die Arbeiter sehr häufig das Arbeiten aus, lasen Zeitungen,
gingen in die Klubs, hielten politische Berathungen und Aufzüge.
Die Fleißigen (deren Anstrengungen man nicht höher bezahlt), wurden
lässig, die Lässigen ganz faul, und am Ende war der tägliche Verdienst
im Durchschnitt um ein Drittel geringer, als vor dem Beginne aller
dieser närrischen Kunststücke. Die organisirte Association machte
bankerott und fiel auseinander. -- Thiers hielt gestern über „das Recht
auf Arbeit“ in der Kammer eine verständige Rede, welche, Gottlob,
großen Eindruck gemacht hat. Die verführten Massen kommen aber nur
allmälig und mit Gewalt wieder zu Verstande. Es herrscht ungeheure
Verwirrung in diesen Dingen. Wenn man blos bezweckt, die Hindernisse
hinwegzuräumen, welche den Fleißigen (z. B. durch Zunftmonopole) von
vorhandener und dargebotener Arbeit abhalten; so wird Jeder diesen
Zweck billigen. Daß aber der Staat (mit einer Vielregiererei, die Alles
überbietet, was zeither in dieser übeln Richtung dagewesen ist) alle
Gewerbe übernehmen, leiten, einkaufen, fabriciren, verkaufen soll, daß
alle Privatthätigkeit aufhören und die Gesammtheit für das Unmögliche
eintreten und Bürgschaft leisten soll: das ist in der That der höchste
Unsinn und die größte Tyrannei, welche jemals von Schwärmern und Thoren
aufgestellt oder gefordert ward! -- So einleuchtend dies auch ist,
nimmt doch das Gerede in der Versammlung darüber kein Ende.

Zum Schlusse eine Anekdote von Voltaire. Er bekommt Lust endlich einmal
einen vielgerühmten Sonnenaufgang zu sehen, wird mächtig ergriffen und
ruft: ~Dieu, je crois, je crois en Dieu.~ -- Dann aber setzt er
sogleich hinzu: ~mais quant à Monsieur votre fils, et Madame sa mère,
c’est autre chose!~



Zweiundsechzigster Brief.


    Paris, den 15. September 1848.

Die Nachricht: daß Hr. Dahlmann kein kriegslustiges Ministerium hat
zu Stande bringen können, machte auf die hiesigen Machthaber den
günstigsten Eindruck und gab meinen Vorstellungen ein neues Gewicht.

So habe ich denn heute das Schreiben Sr. kaiserl. Hoheit, des Hrn.
Reichsverwesers, in der Art übergeben, wie dies, soviel ich weiß, in
London geschehen ist. Nachdem ich Hrn. General Cavaignac mit einigen
Worten angeredet, deren Inhalt Hr. Bastide vollkommen vorher gebilligt
hatte, antwortete jener in so freundlicher als bestimmter Weise: er
nehme das Schreiben, worin eine vollendete Thatsache angekündigt werde,
in dieser Beziehung gern an, und wiederholte, daß die französische
Republik sich in den inneren Entwickelungsgang Deutschlands nie
einmischen werde. Wie groß ihre Friedensliebe sei, gehe augenscheinlich
daraus hervor, daß sie ihre Gränzen nie überschritten; während dies
von vielen anderen Mächten, so von Schweden, Rußland, Preußen und
Österreich geschehen sei. Überall wirke sie für Aussöhnung und hoffe,
nie gezwungen zu werden, ihre Ehre, Rechte und Pflichten nachdrücklich
vertheidigen zu müssen.

Da die diplomatischen Verhältnisse der einzelnen deutschen Staaten und
der Centralgewalt zum Auslande noch nicht vollständig geordnet wären,
so dürfe Frankreich nicht voreilig entscheiden und etwa accreditirte
Gesandte wegweisen, bevor deren Regierungen ihre Wünsche und Beschlüsse
unmittelbar an den Tag gelegt hätten. Mit mir werde man indessen gern
weiter verhandeln und wünsche, daß ich dazu länger hier verweilen
möge. Es wäre unschicklich, auf das für mich schmeichelhaft Gesagte
umständlicher einzugehen, doch bemerke ich noch, daß die Hrn. Cavaignac
und Bastide äußerten: sie würden ihre Ansichten und Wünsche hierüber in
Frankfurt aussprechen lassen.

Der Himmel gebe, daß keine neuen Kriegsbeschlüsse von der
Reichsversammlung gefaßt werden, sie würden hier alle Zuneigung, ja --
alle Achtung vor der politischen Weisheit der Abgeordneten gänzlich
untergraben.


    Mittags 12 Uhr.

Ich lese so eben im ~Journ. des débats~ einen strengen Tadel
der ~Times~ über die frankfurter Beschlüsse. Er schließt mit
den Worten: ~l’assemblée de Francfort n’est pas assez forte pour
ébranler la paix de l’Europe; mais elle peut très bien ruiner l’union
naissante de la Germanie, et, en s’attirant le mépris universel,
amener sa dissolution. Nous attendions mieux d’une assemblée composée
des meilleurs esprits de l’Allemagne; mais ses premiers pas dans une
question pratique de la politique européenne, nous montre combien elle
est au-dessous de la tâche qu’elle s’était imposé.~

    Raumer’s Ansprache an Hrn. General Cavaignac.

    ~Monsieur le Général!~

~J’ai l’honneur de Vous présenter une lettre de son Altesse
impériale, l’Archiduc Jean d’Autriche, Vicaire de l’Allemagne, qui
annonce les dispositions les plus amicales de ce pays envers la
France.~

~Cette France républicaine a déclaré que la conservation de la
paix sera dorénavant le but principal de sa politique; l’assemblée
de Francfort a applaudi a cette manifestation avec un enthousiasme
général, et la nation allemande a répondu d’une voix unanime cet élan
spontané de ses représentans.~

~Les difficultés qui pourront se présenter sur cette route aussi
glorieuse que nouvelle, seront certainement vaincues par la conviction
intime et la volonté puissante de deux gouvernements et de deux
peuples, dont la vocation est de contribuer d’un commun accord au
progrès de la civilisation.~

~Quant à moi, je considère ce jour comme le plus heureux de ma vie;
puisque (à la fin d’une longue carrière vouée à l’histoire) il m’est
accordé de voir naître pour deux grandes nations (malheureusement
souvent ennemies) une ère nouvelle d’amitié, de fraternité et d’union
pacifique!~



Dreiundsechzigster Brief.


    Paris, den 16. September 1848.

Ich füge meinem gestrigen +eiligen+ Schreiben heute noch einige
einzelne Bemerkungen hinzu.

1) Hr. General Cavaignac bemerkte tadelnd, daß Mehre in Deutschland
den Grundsatz der Nationalität übertrieben und von Erwerbung des Elsaß
und Lothringens sprächen, wozu die eine und untheilbare Republik
Frankreich niemals die Hand bieten, sondern sich ernstlich widersetzen
werde. -- Ich erwiderte: es sei nicht zu hindern, daß Einzelne derlei
Reden führten, politisch hätten sie gar keine Bedeutung. Jener
Grundsatz der Nationalität werde thöricht, sobald man ihn +unbedingt+
in Deutschland, Frankreich, Österreich oder +Italien+ zur Anwendung
bringen wolle.

2) Hr. Minister Bastide sagte: er wolle +gern+ mit mir über +Italien+
sprechen, um so mehr, da ich schon wisse, wie +gemäßigt+ die Absichten
Frankreichs wären. Das Gespräch ward hier unterbrochen; ich sehe aber
voraus, daß die Rede nächstens auf denselben Gegenstand kommen wird.
Mit Bezug auf Hrn. Bastide’s +frühere Äußerungen+ und meine persönliche
Überzeugung bemerke ich Folgendes:

~a)~ Dem Wunsche Deutschlands, an den Verhandlungen über Italien
friedliebenden Antheil zu nehmen, wird man hier schwerlich etwas in den
Weg legen.

~b)~ Frankreich wird sich wahrscheinlich hinsichtlich der Gränzen und
der Souverainetät nachgiebiger zeigen, sobald nur (nach Lamartine’s
Worten) ernstlich +wahrhaft nationale+ Einrichtungen von Österreich
bewilligt und eingeführt werden.

~c)~ Die Zerwürfnisse und das bald feige, bald leidenschaftliche,
anarchische Treiben der Italiener machen hier den unangenehmsten
Eindruck, und wenn dasselbe noch lange ohne Besserung fortdauert, wird
man ihrer so überdrüßig werden, wie der Polen. Sagte doch schon Hr. B--
wie soll man einem Volke helfen, das gar nicht versteht sich selbst zu
helfen.

Wenn man in Frankfurt zu der Begeisterung nicht politische Klugheit
und Mäßigung gesellt, wird die Versammlung in der europäischen
Völkerfamilie bald ganz vereinzelt dastehen und nicht das Heil, sondern
die Zerwürfniß Deutschlands herbeiführen. -- So sprechen nicht blos die
französischen, sondern auch die englischen Machthaber.

Ich will meinem gestrigen Briefe -- -- über meine Audienz beim Hrn.
General Cavaignac heute noch Einiges zusetzen.

Hr. von Andrian schreibt mir in Bezug auf das ähnliche Ereigniß
Folgendes aus London: „Lord Palmerston stellte mich der Königin vor,
der +Oberceremonienmeister+ begleitete mich bis an den Wagen und
Alles erfolgte mit +großer Würde+ und +Feierlichkeit+.“ --

Mich wollte Hr. Minister Bastide abholen. Da er aber bereits den ganzen
Morgen bei Hrn. General Cavaignac beschäftigt war, bat er mich allein
zu fahren, und das geschah dann nicht (wie ehemals) mit großem Gefolge
und vielen sechsspännigen Wagen, sondern mit einem +Zwei+spänner
(sonst genügt mir ein Einspänner) und einem Bedienten, den ich (um 2
Fliegen mit einer Klappe zu schlagen) auch zu meinem Geheimen Sekretair
und Kanzellisten erhoben habe.

Auf meinen Wunsch, Hrn. Bastide noch vor der Audienz zu sprechen,
damit er meine Anrede an Hrn. General Cavaignac prüfe, kam er im
Überrock und eine Cigarre rauchend, sodaß ich mit weißer Halsbinde
und schönem Jabot fast wie ein allzu geputzter Pfau aussah. Jene
Vernachlässigung des Äußern sagt übrigens meiner bequemen Natur sehr
zu; sie wird durch offenes, ungezwungenes, vertrauensvolles Benehmen
in eine höhere Region gehoben, und ich kann mir kaum einen Minister
denken, mit dem angenehmer zu verhandeln wäre, als mit Hrn. Bastide.
Wenn Andere anders urtheilen, so liegt dies an ihnen selbst; ihre
veralteten, oberflächlichen, wahrheitslosen diplomatischen Kunststücke
sind ihm zuwider, und machen ihn verdrießlich und wortkarg, was er
gegen mich nie gewesen ist.

Ich erwartete, Hr. General Cavaignac werde mich doch mit einiger
Feierlichkeit empfangen und ich +ihm gegenüberstehend+ meinen Spruch
herdeklamiren müssen. -- Keineswegs, in Papieren kramend, sagte er:
~bon jour Mr. de Raumer, asseyez Vous.~ -- Das geschah dann auch, und
mein Spruch war (wie Ihr leset) für diesen Conversationston viel zu
feierlich. Er ging indeß etwas abgeändert schnell vorüber, und das
Gespräch ward nun zwischen dreien (Hr. Bastide saß am Tische neben
mir) in ganz natürlicher einfacher Weise fortgeführt. -- So war ich an
diesem Tage (ganz gegen meine sonstige Natur) der Feierlichste und
Aufgebauschteste. Doch kann ich mir darüber keine Vorwürfe machen:
denn nach so zahllosen ~précédents~, durfte ich Karnikel nicht in
allzugeringem Volkstone beginnen. -- Ähnliches könnten andere Gesandten
erzählen über den Wegfall aller Feierlichkeiten.

Die Berathungen über das +Recht zur Arbeit+ haben endlich ihr Ziel
in einer vermittelnden Formel erreicht: ~la République doit, par une
assistance fraternelle, assurer l’existence des citoyens nécessiteux.~
Hiedurch wird die unausführbare, unbedingte Rechtsfrage, meist in eine
bedingte Liebesfrage verwandelt, und die Narrheit des Hrn. Louis Blanc
muß der Weisheit Jesu Christi Platz machen.

Die Noth der unbeschäftigten und ungeduldigen Arbeiter drängt zur
Abführung von Kolonisten nach Algier. Wäre die Unternehmung im Großen
nur nicht so kostspielig, und hätten nicht Grillen von Association,
Theilung des gemeinsamen Ertrags u. dgl. noch immer täuschenden Einfluß.

Sehr viele Soldaten stehen in und um Paris noch im Zeltlager, was bei
einbrechendem Herbstwetter immer unbequemer wird. Noch mehr mißfällt
ihnen, daß man die ~garde mobile~ besser bezahlt, unter welche Leute
aufgenommen wurden, die im Junius zwar großen Muth zeigten, aber theils
sehr jung, theils roh, ja selbst, wie man behauptet, Verbrecher sind.
Die Soldaten wagt man noch nicht von Paris zu entfernen, und was die
~garde mobile~ thun wird, wenn man sie nicht mehr bezahlen kann, oder
will, das ist schwer zu sagen. Wenn nur nicht die platzende Bombe einen
großen Krieg herbeiführt. Die nächste Gefahr droht dann dem Könige von
Sardinien. Die Österreicher hassen ihn aufs Äußerste und nennen ihn
falsch, lügenhaft, wortbrüchig; als Sieger würden sie ihn aufs Härteste
behandeln. Dringen umgekehrt die Franzosen in sein Land ein, so werden
ihn seine Unterthanen wegjagen und eine Republik errichten; diese
aber läuft an der französischen Leine, -- bis (wie schon so oft) die
französische Herrschaft durch irgend einen Umschwung ein Ende nimmt.


    Den 16. September Nachmittags.

Ich erfahre so eben aus guter Quelle, daß das frankfurter Verwerfen
des dänischen Waffenstillstandes und die dadurch angedrohte neue
Unterbrechung des Handels, den ernsten Gedanken hervorgetrieben hat,
sogleich einen Congreß von Abgeordneten zu berufen, um sowohl jenen
Waffenstillstand aufrecht zu halten, als den Frieden vorzubereiten.
Zuerst sollte London, dann (als dies Widerspruch fand) Hamburg
zum Sitze des Congresses gewählt werden, und man rechnete auf das
Erscheinen der Abgeordneten von England, Frankreich, Rußland, Schweden
und Preußen. Da die deutsche Centralgewalt noch nicht von allen diesen
Mächten anerkannt sei, werde sie nur +officiös+ vertreten werden
können. -- So der wesentliche Inhalt der mir zugekommenen Nachrichten.


    Den 17. September.

Als ich hier ankam, war Cavaignac’s Ansehen noch im Steigen; jetzt sagt
man, es sinke bereits. Weil er und seine Freunde die Pariser retteten,
von der Plünderung, von Mord und Brand, fühlten sie sich lebhaft zum
Danke verpflichtet; jetzt vergessen Manche schon, welche Gefahr sie
bedrohte und wie diese noch fortdauert. Sie denken blos an die +Übel+,
nicht an die +Nothwendigkeit+ des Belagerungszustandes, und jeder
Raisonneur hält sich für fähig an Cavaignac’s Stelle zu treten. Man
vergißt, welches Unheil jede plötzliche Umgestaltung der Regierung fast
immer hat, und daß bei häufigem Wechsel der Personen und Grundsätze,
Achtung und Vertrauen entweicht, und nichts wahrhaft Nützliches und
Dauerndes zu Stande gebracht wird. Läugnen läßt sich nicht, daß
mancher Andere eben so viel als Cavaignac gethan zu haben behauptet
und in sofern mindestens gleiche Ansprüche macht, daß Cavaignac nicht
auf frühere Thaten so hinweisen kann, wie Bonaparte am 18. Brumaire;
allein Schickung, oder Zufall, oder die vollendete Thatsache, haben und
behalten ihre große Bedeutung. Die verneinende Kritik, welche, wie in
der Literatur, so auch in den öffentlichen Verhältnissen vorherrscht,
bringt nichts zu Stande, sondern wirkt verletzend und zerstörend.
Was man Begeisterung nennt, hat oft gar keinen positiven, belebenden
Ursprung; sie wächst empor aus dem Hasse gegen alles Bestehende, aus
Selbstgefälligkeit und Eitelkeit, und ist gar oft versetzt mit einem
großen Bestandtheil ganz offenbarer Dummheit.

Oder wie soll man es nennen, wenn die Versammlung in Frankfurt (welche
kaum geboren ist und die Kinderkrankheiten noch nicht überstanden hat)
schon in der Wiege um sich schlägt, mit ganz Europa Händel anfängt,
und so überall Liebe und Vertrauen und Achtung verliert? Politische
Klugheit ist (wie ich in meiner Spreu sage) ganz abhanden und in Verruf
gekommen, und Jeder, der in die Paulskirche, oder die Singakademie
hingefallen ist, hält sich für einen neugebornen Staatsmann; -- obwohl
er in seinem ganzen Leben noch nicht an die hochwichtigen Aufgaben
gedacht hatte, über welche er nunmehr übereilt und anmaßend abspricht
und abstimmt.



Vierundsechzigster Brief.


    Paris, den 18. September 1848.

Gestern war ich, nach B. und W. Abreise, zum ersten Male ganz allein
und fand den Tag sehr lang, und im Schauspiele Marion de Lorme sogar
langweilig. Länger beschäftigt mich Monte Christo von Dumas; aber
auch er ist viel zu lang, und man spürt, daß das bogenweise bezahlte
Honorar manche Drahtzieherei und Abschweifung herbeigeführt hat. Gewiß
besitzt Dumas ein Talent zu erfinden, Aufmerksamkeit und Theilnahme
zu erwecken und lebendig darzustellen. Andererseits sind in Monte
Christo viele Dinge ganz unglaublich, ohne uns auf den Boden des
Wunderbaren zu versetzen, wo man gern +Alles+ glaubt. Ferner wird fast
lauter Lumpengesindel (trotz des Reichthums Vieler) auf den Schauplatz
geführt, und trotz des Mitleids mit dem Helden, giebt doch ein
einziger Gedanke (der, der +Rache+) keinen hinreichenden Inhalt, kein
genügendes Lebensprincip für ein Kunstwerk. Während die Gesetzgeber
die Todesstrafe abschaffen, führen die schönwissenschaftlichen
Schriftsteller „Martern aller Arten,“ ein.

Paris war während der letzten Tage in lebhafter Aufregung über die Wahl
einiger neuen Abgeordneten. Die große Zahl der Bewerber läßt fürchten,
daß (wie gewöhnlich) die sogenannten Guten sich eigensinnig spalten,
und die Böswilligen sich besser einigen und verständigen werden.
Wahrscheinlich wird Ludwig Bonaparte unter den Erwählten sein, und
dann, wie man mit oder ohne Grund behauptet, seine Unfähigkeit bald an
den Tag legen.

Der Plan des Ministeriums, Abgeordnete aus der Versammlung in die
Landschaften zu schicken, um die Gesinnungen zu erforschen und zu
berichtigen, hat so allgemeinen Widerspruch gefunden, daß er höchst
wahrscheinlich nicht zur Ausführung kommen wird. Man sagt: hiezu sind
die verwaltenden Beamten und die Belehrungen der Presse hinreichend;
und Beauftragte jener Art (willkürlich aus der Versammlung gewählt)
entweder übermächtig, oder ohnmächtig. Jeden Falls zeigt jener Plan,
daß man nicht glaubt, ganz Frankreich sei mit der jetzigen Regierung
oder Regierungsweise zufrieden. Wie wäre dies auch möglich bei einer,
die so rasch, so unerwartet entstanden ist, und ihr größtes Verdienst
in der rücksichtslos angewandten Gewalt findet und finden muß! Wenn
lang begründete Herrschaft (die da Vorfahren hat, Ahnen, Verdienste),
einzelner wahrhafter, oder vorausgesetzter Mängel halber, jetzt den
Äquinoctialstürmen der Gleichmacherei unterliegt; wie soll eine,
aufgeschossen in der Eile und Hitze des Tages (bitterer, auf Lappen
gesäeter Kresse vergleichbar) tiefe Wurzeln treiben, und das tägliche
Harken, Eggen, Graben und Wühlen überstehen?

Die Zeiten, wo die Person nichts gilt, sondern von der guten oder
bösen Regel niedergestürzt wird, sind ohne Zweifel +vom Übel+;
aber ebensowenig taugen die, wo der Einzelne sich +nirgends
unterordnen+ will; woraus dann nothwendig der Krieg Aller gegen
Alle entsteht, und es keine Helden mehr giebt, als die auf Barrikaden
einherreiten. Wie viel tiefsinniger ist des alten Aristoteles so
oft geschmähte richtige Mitte, als diese Lehre des Tages, welche in
fieberhaften Paroxysmen die rechte Gesundheit, in dem Zappeln der
äußersten Glieder den Mittelpunkt des Lebens, in der Karikatur die
wahre Schönheit und das richtige Maß erblickt.

Wie jeder Mensch, so hat auch jede Stadt, jedes Volk, jeder Staat
einen höchsten Punkt des Daseins, wo er culminirt, und von wo ab er
nicht mehr steigt, sondern sinkt. Ich will nicht ein Unglücksprophet
sein, aber wer kann (umherblickend) sich der Sorge enthalten! Wiederum
sind noch so viel Lebenselemente vorhanden, und es bedürfte z. B.
für Preußen nur rechten Muthes, um der Thorheiten und Bosheiten des
vergangenen und des jetzigen Jahres gleichmäßig Herr zu werden und
wahre Fortschritte anzubahnen. Thäte nur Jeder das Seine, nicht mehr
und nicht weniger!

Die hiesige Nationalversammlung, minder eilig als die frankfurter, hat
den Antrag auf Abschaffung der Todesstrafe verworfen. Was vor Zeiten,
wo Hunderte zum Tode verurtheilt wurden, höchst wichtig war, verliert
sein Gewicht, seitdem jene Strafe nur einzelne der ärgsten Verbrecher
trifft. Robespierre war der größte Gegner der Todes+strafe+, aber als
~mésure politique~ hielt er sie für natürlich und gerechtfertigt.
Diese Ansicht wagt Gottlob Keiner mehr zu rechtfertigen. -- In wie
platter, anarchischer Weise hat B--s in Berlin den Begriff der
Volkssouverainetät aufgefaßt; noch unausführbarer und atomistischer
als die französische Verfassung von 1793. Eine Verfassung, im ächten
Sinne, ist nach jener Lehre ganz unmöglich, da das augenblickliche
Belieben des großen Haufens, für das höchste Gesetz gilt. -- Ist
Jeder nur ein +Einer+ unter Millionen von +Einern+, wie läßt sich die
Obrigkeit begründen, welche die augenblickliche Willkür der +Einzelnen+
zügeln soll; wie kann etwas da Dauer gewinnen, wo man allen Werth
des Dauerhaften läugnet, und ihn ausschließlich im Verändern und im
Veränderlichen sucht? Eins gehört zum Andern, sowie zum Genießen das
Entsagen, zur Thätigkeit die Ruhe.


    Den 19. September.

Die gestern Nachmittag über Straßburg angekommene telegraphische
Nachricht: daß die Reichsversammlung nunmehr den Waffenstillstand
angenommen habe, erregt nicht blos in den diplomatischen Kreisen,
sondern bei Allen, welche den Frieden wünschen, die größte Freude.
Das entgegengesetzte Verfahren hätte +hier+ das Ansehen der
Versammlung ohne Zweifel ganz untergraben, und in den Versuchen
deutscher Einigung nur Versuche für größere Zerwürfniß erblicken lassen.

Man nimmt hier an: das alte Ministerium werde hergestellt oder doch an
den gemäßigten und friedlichen Grundsätzen nichts geändert werden.



Fünfundsechzigster Brief.


    Paris, den 20. September 1848.

Die Wahlen für Paris werden heute bekannt gemacht. Man klagt, daß bei
dem allgemeinen Stimmrechte, wenige Personen die Übrigen führen und
verführen. Ludwig Bonaparte ist unter den Gewählten; ein Mittelpunkt
und Werkzeug für Andere. Leider sieht man im Allgemeinen, daß es
jetzt an großen Männern fehlt und überall die Mittelmäßigkeit sich
breit macht und herrscht, obgleich sie noch nicht einmal das ABC
des Staatsrechts und der Staatsklugheit versteht. -- Ein anderer
Erwählter soll Raspail sein, der vorläufig seiner Großthaten halber
im Gefängnisse sitzt. -- Zwar entscheiden wenige Wahlen der Art noch
nichts; sie sind aber den jetzigen Machthabern natürlich unwillkommen
und zeigen an, in welcher Richtung Gefahren obwalten. Doch herrscht
(Alles zu Allem gerechnet) jetzt in Frankreich eine mächtigere,
gleichartigere Überzeugung von der Nothwendigkeit der +Ordnung+,
als in Deutschland; wo die Hauptmaul- und Knüppelhelden meinen: aus
dem Mistbeete der Fäulniß und Unordnung werde unser Vaterland erneut
emporwachsen.


    Den 21. September.

Gestern in einer Abendgesellschaft beim sardinischen Botschafter
von Brignole nahm ich (als Privatmann und in vertraulicher Weise)
Gelegenheit ihn zu fragen, was er und sein Hof wohl dazu sagen werde,
wenn man von Frankfurt aus wünschen oder verlangen sollte, daß (aus
den und den bekannten Gründen) Deutschland an den Verhandlungen über
Italien Theil nehme. -- Er erwiderte: eine amtliche Antwort (die ich
auch gar nicht gefordert hatte) könne er hierauf allerdings nicht
geben. Für seine Person finde er jedoch die für Deutschlands Theilnahme
angeführten Gründe gewichtig und dessen Zulassung zu den Verhandlungen
natürlich; -- vorausgesetzt jedoch, daß es nicht als ein offener
Gegner Italiens auftreten wolle. -- Hierüber konnte ich ihm beruhigend
antworten.

Ich komme soeben von Hrn. Minister Bastide, mit dem zu verhandeln
eine Freude ist. Er spricht sich nämlich über alle Dinge (wenigstens
gegen mich) so offen, einfach und klar aus, daß man ohne Halbheiten,
Verschweigungen, Horchen und Verstecken sogleich weiß, wie man mit ihm
daran ist und was er will. Das Wesentliche Dessen, was er mir sagte,
ist Folgendes:

Wir sind bereit, bei der Centralgewalt einen Gesandten zu accreditiren
und einen solchen hier accreditiren zu lassen; wir sind auch geneigt,
die Mitwirkung Deutschlands eintreten zu lassen, vorausgesetzt, daß
Deutschland nicht mit Österreich ganz gleichbedeutend sei, aber
hiedurch zwei Stimmen für eine in diese Wagschale gelegt werden.

Vor Allem aber hängt unsere Stellung zu Deutschland davon ab, wie sich
die Dinge weiter in Frankfurt gestalten. Eine kriegslustige Partei
hat, im Widerspruche mit ganz Europa, und alle Klugheit bei Seite
setzend, auf einige Tage obgesiegt. Es sind ferner, nach berichtigender
Aufhebung des irrigen Beschlusses, große Ungebührlichkeiten in
Frankfurt vorgefallen, welche eine Auflösung aller Ordnung und
einen furchtsamen Rückfall in die alten Übel wenigstens als möglich
erscheinen lassen. Daher muß Frankreich bestimmtere Erklärungen
in diesem Augenblicke noch aussetzen. Sobald das alte Ministerium
hergestellt oder ein neues gebildet und in sichere Thätigkeit
gesetzt ist; sobald dies die Grundsätze anerkennt, welche uns als
Glaubensbekenntniß und Leitfaden deutscher Politik durch Sie übergeben
wurden, werden wir mit größerer Sicherheit und vollkommnerem Vertrauen
die Hand bieten. Ohne zu wissen, welche +Grundsätze+ dauernd in
Frankfurt obsiegen, welche Personen als +Minister+ angestellt, als
+Gesandte+ hieher geschickt werden, lassen sich Verhandlungen über
wichtige Gegenstände nicht mit Erfolg zum Ziele führen. Ordnung
aufrecht zu halten, muß in Deutschland wie Frankreich Hauptzweck sein;
dafür muß man im Inlande und in Beziehung auf das Ausland hinwirken,
und weder durch Kriegsmacht noch durch Propaganda die bürgerliche
Gesellschaft aufzulösen trachten u. s. w.

So hängt also der weitere Erfolg ganz von den in Frankfurt zu fassenden
Beschlüssen ab. --


    Den 22. September.

Mit Bezug auf frühere Mittheilungen muß ich wiederholen, daß Hr.
Bastide aufs Deutlichste erklärte: er wolle mit einem Ministerium
„~à la Dahlmann~“ nichts zu thun haben, und überhaupt erst
weiter in die Sachen eingehen, wenn in Frankfurt ein +festes+
und +gemäßigtes+ Ministerium gebildet sei. -- Ein Mann Ihres
Sinnes (fügte er verbindlich hinzu) würde uns bei Behandlung der
italienischen Angelegenheiten willkommen sein: -- wie aber, wenn
man Sie morgen abruft, und einen die Lehre von den Nationalitäten
thöricht übertreibenden Mann aus der Linken herschickt? Welche
Unannehmlichkeiten und Hindernisse würde uns ein solcher bereiten!

Daß nicht blos Hr. Dahlmann, sondern auch Hr. Hermann kein Ministerium
zu Stande bringen konnte, fand bei der hiesigen Regierung großen
Beifall; die blutigen Unruhen haben aber Theilnahme und Vertrauen zu
Frankfurt und zur Centralgewalt für den Augenblick +ganz vernichtet+.
Vergebens erinnert man an pariser Zustände. -- „Wir haben (so lauten
die Antworten) seitens der Regierung die Ansichten und Grundsätze der
Anarchisten und Communisten aufs Nachdrücklichste mißbilligt, wir haben
sie mit Waffen bekämpft und zu Boden geworfen.“ -- Dies ist, fiel ich
ein, so viel man weiß, auch in Frankfurt geschehen. -- „Man hat (fahren
jene Ankläger fort) geduldet, daß Mitglieder der Reichsversammlung vor
zusammengelaufenen oder zusammengerufenen Volkshaufen ihre gemäßigten,
verständigen, friedliebenden Collegen für Verräther erklärt haben;
man hat jene nicht zur Untersuchung gezogen, nicht gestraft. Unter
dem Vorwande, für die Einheit und Einigkeit Deutschlands zu wirken,
geschehen in allen Landschaften und Städten ähnliche Frevel! -- und die
Centralgewalt, deren heiligste Pflicht wäre, aufs Lauteste und mit dem
größten Nachdrucke dagegen aufzutreten (wie es ähnlicher Weise hier
geschehen ist), legt die Hände in den Schoß, und die Reichsversammlung
berathet in pedantischer Weise über Grundrechte, während sie Alles
zu Grunde gehen läßt. So rathschlagte einst die französische
Nationalversammlung über Artikel des peinlichen Rechtes und die
Bekleidung des Heeres, während die Gironde den Thron und der Berg die
Girondisten stürzte. Muß man nicht auf den Gedanken kommen: man freue
sich in Frankfurt auf die anarchische Ungebühr, und die Auflösung und
Untergrabung der gesetzlichen Regierungen in den einzelnen Staaten,
weil man thöricht wähnt, auf diesem Wege die Centralgewalt zu stärken.
Wenn der Ekel über die Thorheiten und die blutige Leidenschaft der
rothen Republikaner ungestört überhand nimmt, so wird die Centralgewalt
nebst der Reichsversammlung vom Boden Deutschlands verschwinden, und
aus eurem zur erschreckenden Wüste gewordenen Vaterlande eine Tyrannei
emporwachsen, furchtbarer als sie vielleicht je in einem Volke gewüthet
hat. Trotz eurer gerühmten Weisheit und Philosophie seid ihr einem
dreißigjährigen Kriege näher, als die Schwachen, Dummen und Feigen
jetzt glauben. Wir können zur Centralgewalt und zu einem frankfurter
Ministerium erst Vertrauen fassen und Achtung vor ihm haben, wenn es
offen und muthig alle anarchischen Bestrebungen und Unternehmungen
bekämpft und besiegt.

Leider geben die hiesigen Zustände auch zu traurigen Betrachtungen
Veranlassung. Die sogenannten wohlgesinnten Leute haben sich über die
Candidaten nicht geeinigt, sie haben die Hände in den Schoß gelegt,
während ihre Gegner wohlorganisirt und thätig vorwärts gingen -- und
obsiegten. Bonaparte’s Wahl (sagte mir ein Franzose) erfolgte zur
Schmach Cavaignac’s, Fould’s Wahl zur Schmach der Republik, Raspail’s
zur Schmach der Nationalversammlung. Diese drückt nicht mehr die
Gesinnung des Volkes aus, und wer sich auf sie stützt, wird bald zu
Falle kommen. Noch mehr Fehler, als die Versammlung, läßt sich das
Ministerium zu Schulden kommen, und Cavaignac geht dem allgemeinen
Schicksale entgegen: -- er wird bald verbraucht, ~usé~, sein!

Sollte die jetzige Regierung, welche Ordnung und Frieden will, gestürzt
werden und eine rothe Republik oder ein Kriegsfürst hervortreten, so
müssen daraus auch für Deutschland die übelsten Folgen erwachsen. Wenn
dagegen die Centralgewalt in diesem dringenden, letzten, entscheidenden
Augenblicke (ehe es +zu spät+ ist) den deutschen Anarchisten +offene
Fehde+ ankündigt, wird sie (hoffentlich!!) unser Vaterland noch
erretten und auch auf Frankreich nützlich zurückwirken.



Sechsundsechzigster Brief.


    Paris, den 23. September 1848.

Lord N. äußerte: es sei von Bildung eines europäischen Congresses
über die italienischen Angelegenheiten eigentlich nicht die Rede,
sondern nur, daß zwei befreundete Mächte, zwei sich bekriegende Mächte
versöhnen wollten. Andere, hiezu nicht aufgeforderte Reiche (z. B.
Rußland) würden dadurch nicht verletzt; -- oder Alle würden sonst
gleiche Rechte und Pflichten in Anspruch nehmen können. Ich setzte
hierauf auseinander, in welcher näheren Beziehung Deutschland zu den
obschwebenden Fragen stehe, und wie um so weniger Grund vorhanden sei,
es auszuschließen, da Österreich und Sardinien nichts gegen seine
Theilnahme einwendeten, ja sich damit einverstanden erklärten. Was
würde man sagen (fragte Lord N.), wenn Preußen zugezogen würde? Ich
erwiderte: für diesen Fall wäre eine Zurückweisung des Reichsverwesers
und der Centralgewalt doppelt unbegründet und nicht zu rechtfertigen.

Zuletzt fand Lord N. die Forderung, als mitinteressirter Theil
aufzutreten und mitzuwirken, billig und natürlich, kam aber, wie Hr.
Minister Bastide, auf die unerläßliche Vorbedingung zurück: daß in
Frankfurt ein +gemäßigtes+ und zugleich +kräftiges+ Reichsministerium
gebildet werde, welches die +Anarchisten zügele+ und nicht darauf
ausgehe, die einzelnen deutschen Staaten zu vernichten. Ganz in
ähnlichem Sinne sprach Hr. Bastide von der Nothwendigkeit, Preußen
mächtig zu erhalten und die rebellischen Versuche dasselbe zu
schwächen, mit Nachdruck zu vereiteln.

Die hier soeben eingegangenen Nachrichten, daß das Reichsministerium
keineswegs +schwächlich+ den Aufrührern in Frankfurt nachgegeben,
sondern sie in =höchst preiswürdiger= Weise bekämpft und besiegt
hat, macht hier bei allen Freunden der Ordnung und Gesetzlichkeit den
+größten+ und +erfreulichsten+ Eindruck. Man hofft, daß sich
dieselben auch in der Reichsversammlung fester einigen und für einen
Mann stehen werden.

Was mein persönliches Verhältniß zu Hrn. General Cavaignac und zu Hrn.
Minister Bastide anbetrifft, so kann es gar nicht angenehmer sein.
Alles klar, offen, bestimmt, wohlbegründet; Alles hat (wie man sagt)
Hand und Fuß. Meinerseits habe ich fast in Jeglichem das +Gegentheil+
Dessen gethan, was sogenannte routinirte und überängstliche Diplomaten
mir riethen; -- und sie müssen jetzt eingestehen, meine ehrliche,
aufrichtige, vertrauliche Weise habe -- ihnen unerwartet -- Vertrauen
erworben und Beifall hervorgerufen. Die HH. Cavaignac und Bastide
haben mir dies nicht blos mehre Male, sondern auch Anderen gesagt,
ihre Zufriedenheit mit meinem Benehmen amtlich in Frankfurt zu
erkennen gegeben und den Wunsch ausgesprochen, daß ich hier +länger+
in Thätigkeit bleibe -- Hr. v. Schmerling (welcher einstweilen in
Frankfurt das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten übernommen)
schreibt mir: „ich hoffe, daß Sie in dem jetzigen schwierigen
Zeitpunkte, +da Ihre Dienste unentbehrlich+ sind, es gut finden werden,
wenn eine Verfügung auf Ihr Entlassungsgesuch unterbleibt, bis Sie sich
zu einer späteren Wiederholung desselben an das künftige definitive
Ministerium -- +wider Verhoffen+ -- veranlaßt sehen sollten.“ -- Ich
antwortete gestern: „Eure Exc. Wiederübernahme der Geschäfte betrachte
ich als eine Bürgschaft, daß bald ein zugleich gemäßigtes und kräftiges
Ministerium zu Stande kommen werde. Und so will ich denn (bei dem mir
hier und in Frankfurt gütigst geschenkten Vertrauen) gern mit meinen
geringen Kräften für mein Vaterland fernerhin zu wirken versuchen.“

Mithin werde ich, nachdem ich so viele Jahre meines Lebens unzählige
diplomatische Berichte gelesen habe, nun noch eine Zeit lang etwelche
schreiben müssen!

Von Mittagsgesellschaften ist hier fast gar nicht mehr die Rede: ich
ward vor Jahren, als bloßer Professor, viel öfter eingeladen als
jetzt. Die Abendgesellschaften (welche ich zum Theil von Amtswegen
besuchen +muß+) sind hinsichtlich des Kommens und Gehens bequem; aber
bald überfüllt (so bei Cavaignac, Lamoricière u. A.), bald zu leer,
wie bei Anderen. Dann stecken zwei und zwei die Köpfe zusammen und
tuscheln, während man verlassen daneben steht und sich langweilt; oder
es gerathen Mehre in Eifer und sprechen dann so schnell, und recht
eigentlich in ihre großen Bärte hinein, daß ich oft nicht weiß, ob
sie französisch, oder chinesisch reden. Auch viele Frauen befleißigen
sich (vielleicht weil es zum guten Tone gehört) einer undeutlichen
Aussprache. Allerdings trifft die Schuld des +Nicht+verstehens auch
mich, des Hörens Ungeübten; aber keineswegs +allein+, denn Frau von
Rothschild, Hr. Mignet und Andere sprechen so schön und deutlich, daß
man, ohne alle Anstrengung und ohne ängstliches Rathen, jedes Wort
versteht. --

Wie schlecht durch Uneinigkeit und Nachlässigkeit der sogenannten
Wohlgesinnten die neuesten Wahlen hier ausgefallen sind, und wie
mangelhaft sich das allgemeine Stimmrecht noch immer erweiset, habe ich
wohl schon bemerkt, obwohl das frühere Geldmonopol auch nichts taugte.
Es regen sich rothe Republikaner (Plünderungslustige), Bonapartisten
(Kriegslustige), Orleanisten (Mitleidige), Legitimisten (Rückläufige);
was soll nun aus all diesen Mischungen hervorgehen, oder welche
einzelne Partei wird obsiegen? -- Schwerlich wird eine friedliebender,
oder auch nur ebenso friedliebend sein, wie die jetzige Regierung.
Freilich gewährt und bezeugt ein Belagerungszustand keine politische
Freiheit; er ist aber hier, wie in Frankfurt, das Rettungsmittel gegen
Mord und Brand.

Es macht einen sehr traurigen Eindruck überall zu bemerken, daß der
Begriff und das Gefühl der +Verehrung+ fast ganz abhanden gekommen
ist. Überall tritt Verneinung, Tadel, Geringschätzung, Verachtung
hervor, womit kein Einzelner ein rechtes Leben führen kann, und noch
weniger ein Staat sich regieren läßt. -- Fast wird es wie etwas
Unausbleibliches, Unausweichbares, wie ein mathematischer Grundsatz
bezeichnet und anerkannt, daß jeder Mensch (und deshalb zuletzt auch
jede Lehre, jede Regierung) +binnen sehr kurzer Frist+ verbraucht
(~usé~) sein +werde+ und sein +müsse+. Daher kein Widerstand,
kein Muth, kein Glaube, kein Vertrauen. -- So ist es aber auch in
Deutschland, von den Straßenjungen und Studenten aufwärts, bis zu den
berliner Reichstagsabgeordneten.

Überall werden jetzt die Minister durch unnütze Fragestellungen (zu
deutsch, Interpellationen) geschoren; hier jedoch weniger wie in Berlin
und Wien, und gestern hat eine solche in der Nationalversammlung dem
Generale Cavaignac einen neuen Beweis ihres allgemeinen Zutrauens
gebracht, dessen er zur Beruhigung der aufgeregten Gemüther sehr
bedarf. Wie, trotz des übermäßigen politischen Schwatzens und Eiferns,
doch bei Vielen eine verdammliche Gleichgültigkeit vorherrscht, ergiebt
sich daraus, daß in dem Departement der Seine von 406,929 Wählern,
bei den Wahlen 159,687 nicht erschienen sind. -- In einem Artikel
des ~Journ. d. débats~ vom 18. Sept. steht (ganz übereinstimmend mit
meinen Ansichten) Folgendes über Deutschland. ~Nous continuerons à
soutenir le sentiment de l’unité allemande, et nous continuerons aussi
à en signaler les excès. -- La tentative de centraliser l’Allemagne
a l’instar de la France, est contraire à l’histoire et au génie
l’Allemagne. -- Si l’assemblée de Francfort ne tempère pas l’ardeur
de centralisation dont elle s’est prise, elle échouera dans la
constitution de l’unité allemande. Cette constitution est possible,
à condition de n’être point excessive. -- On passe ordinairement par
l’enthousiasme, pour arriver au bon sens etc.~



Siebenundsechzigster Brief.


    Paris, den 25. September 1848.

Obwohl ich gesonnen bin, Euch vorzugsweise über hiesige Verhältnisse
Bericht zu erstatten, beherrscht mich Tag und Nacht die Sorge über die
deutschen Angelegenheiten. Der alte Ruhm, oder das alte Eigenlob, von
deutscher Bildung und Mäßigung, geht in dem angeblich ruhmvollsten
aller Jahre, 1848, verloren. Dagegen ist 1648 vorzuziehen: denn
in diesem Jahre kamen die Deutschen wieder zu Verstande; in jenem
scheinen sie ihn verloren zu haben. Solche Gräuel, wie sie der
+Anfang+ des neuen Bürgerkrieges in Frankfurt zeigt, sind erst in
der +späteren+ Zeit des Dreißigjährigen Krieges vorgekommen, und
die neuen Freiheitsproklamationen Struve’s beginnen mit der Einziehung
des Vermögens Aller, die ihm nicht feige und knechtisch gehorchen
wollen. Paris ist nicht mehr allein das große Babel: die deutsche,
überall emporwachsende Brut stellt sich schon in der Wiege ihm gleich,
oder wuchert darüber hinaus. -- Als gute Folge der frankfurter (von
den Anarchisten +übereilt+ herbeigeführten) Ereignisse betrachte
ich den daselbst gesteigerten Muth, sie zu bekämpfen, und eine Art
Versöhnung zwischen den Freunden der Einheit und der Mannigfaltigkeit
Deutschlands. Die Actien Frankfurts, welche hier äußerst gesunken
waren, steigen durch den bewiesenen, bisher siegreichen Ernst. Gott
gebe, daß die in Mittel- und Süddeutschland aufgestellte Heeresmacht
fernerhin Frieden und Ordnung erhalte.

Die +größte Gefahr+ ist in Berlin! Wenn die neuesten Versuche
mißlingen, die Klubs und den Wahnsinn der Versammlung zu zügeln, so
wird (wenigstens vor der Hand) die Monarchie zu Grabe getragen. Führt
umgekehrt ein Sieg zu alten Mißbräuchen zurück, so bleibt ein zweiter
18. März nicht lange aus. Scylla und Charybdis, durch welche nur ein
sehr geschickter Steuermann hindurchzusegeln fähig wäre. Wo ist ein
großer Charakter, ein Mann von Muth und Kraft, an den man glaubt,
der mit sich fortreißt? -- und die noch vorhanden sind, sucht und
will man nicht. Welche Männer, welche Einigkeit, welcher Lohn, welche
Auferstehung im Jahre 1813; -- und jetzt! Erst die volle Kenntniß der
vorhandenen Übel und Gefahren läßt die Mittel zu Kampf und Heilung
auffinden und anwenden. Wer zuletzt nur mit Seufzen und Händeringen
abschließt, ist ein gutes Klageweib, aber kein Arzt. Wäre ich in
Frankfurt geblieben, würde ich meinen (wenn gleich homöopathisch
kleinen) Antheil zu der Erkenntniß und den Heilmitteln abzuliefern
versucht haben. Von hier aus käme Alles zu spät, und ich besitze
Selbsterkenntniß und Bescheidenheit genug, mich auf den nächsten
Kreis der Pflichten zu beschränken, welche der Himmel mir +hier+
auferlegt hat, und die nicht unbedeutend sind.

       *       *       *       *       *

Hr. Ledru-Rollin (terroristisches Mitglied des ~gouvernement
provisoire~) hat +bei+, oder vielmehr +nach+ einem Gastmahl eine Rede
gehalten, welche, wenn man sie von großen, Bravos hervorrufenden
Redensarten entkleidet, als anzustrebenden Inhalt der Zukunft
hinstellt: Steuern in stets wachsendem Verhältnisse, Papiergeld,
Propaganda und allgemeinen Krieg!! Diesem Vertheidiger des Convents
und seiner Maßregeln ruft das ~Journal de débats~ zu: ~Ce que le Roi
Frédéric-Guillaume a voulu faire pour le moyen âge, Mr. Ledru-Rollin
voudrait le faire pour la convention. On sait comme la chose a reussi
au delà du Rhin!~ Bastiat, der Verfasser des geistreichen Büchleins
wider die Hochschutzzöllner, hat die Frage: was ist der Staat?
ähnlicherweise behandelt. Hiebei zählt er auf, was man jetzt vom Staate
fordere, nämlich: Organisation der Arbeit und der Arbeiter, Ausrottung
der Eigenliebe, Unterdrückung der Anmaßung und Tyrannei des Kapitals,
Versuche über Mist und Eier, Gründung von Musterwirthschaften,
Gründung harmonischer Werkstätten, Kolonisirung von Afrika, Ammen für
neugeborne, Erziehung der anderen Kinder, Unterstützung für das Alter,
Wegschicken der städtischen Bewohner auf das platte Land, Feststellung
des Gewinnes von jedem Gewerbe, zinsfreie Darlehen an Alle welche sie
verlangen, Befreiung von Italien, Polen und Ungarn, Erziehung und
Vervollkommnung der Reitpferde, Begünstigung der Kunst, Bildung von
Sängerinnen und Tänzerinnen, Handelsverbote, Handelsflotten, Entdeckung
der Wahrheit. Der Staat soll die Seelen der Bürger aufklären,
entwickeln, vergrößern, stärken, vergeistigen und heiligen!

Meine Herren! ruft der trübselig aussehende Staat, ein wenig Geduld:
~Uno a la volta, per carità!~ u. s. w. u. s. w.

Alle jene Forderungen (und wohl noch mehr) sind wirklich aufgestellt
worden. Sie bezeichnen die babylonische Verwirrung und Unwissenheit
heutiger Staatsweisen, und müßten einen alten Professor des
Staatsrechtes in Verzweiflung bringen, hätte er nicht gerade Ferien
und wären nicht die Studenten schon mit Siebenmeilenstiefeln über ihn
hinwegspaziert. Dagegen sagt die Allgemeine Zeitung: Ich lebte hier in
thatenloser Verzweiflung und wickele mir (da ich den Minotaurus nicht
finden könne) den Faden um die Finger! -- Meinethalben!

Ich mache Euch nochmals auf Jerome Paturot von Reybaud aufmerksam: es
ist ein geistreiches, witziges, unterhaltendes Werk, aus dem man die
hiesigen Zustände, Bestrebungen, Eitelkeiten, Thorheiten u. s. w. sehr
gut kennen lernt.


    Den 26. September.

Zweifelhaft liegt noch immer die italienische Frage. So wiederholte
heute --: man habe keinen europäischen Congreß bezweckt und besorge,
daß wenn Deutschland neben Österreich noch besonders vertreten werde,
insbesondere Rußland laute Einrede erheben dürfte. Ich erwiderte:
Deutschland sei bei den vorliegenden Fragen näher interessirt, als
irgend eine europäische Macht, und wenn Österreich, Neapel und
Sardinien nicht widersprächen, so schiene noch weniger Grund vorhanden
zu sein, daß England und Frankreich Besorgnisse zeigten. Der Kaiser
von Rußland habe seine feste mächtige Stellung in Europa; England und
Frankreich wüßten sehr wohl, was er wolle und bezwecke, und seine
Wünsche und Forderungen würden gewiß nicht unberücksichtigt bleiben.
Die deutsche Centralgewalt hingegen sei eine neue, deren Macht, Werth
und Einfluß noch keineswegs überall richtig gewürdigt und anerkannt
werde. Das Beiseitesetzen derselben erscheine also nicht (wie bei
Rußland) als eine bloße, fast gleichgültige Förmlichkeit, sondern
als eine bedeutungsvolle Thatsache. Überdies sei die Stimmung von
Deutschland hinsichtlich dieser Angelegenheit +so+, daß man sich
leicht sehr verletzt fühlen dürfte, und es erscheine nicht rathsam die
+Form+ als Entschuldigung voranzustellen, wo es sich um einen
+Inhalt+ handele. Die Besorgniß endlich, daß man einen Störefried
zum Congreß senden werde, habe nach Herstellung eines gemäßigten
Ministeriums keine Bedeutung mehr u. s. w.

Ich hoffe, die gründliche frankfurter Darlegung der Verhältnisse in
dem hier eingegangenen und mitgetheilten Schreiben wird endlich eine
günstige Entscheidung herbeiführen. -- bemerkte jedoch: es sei weder
eine leichte noch erfreuliche Aufgabe, Schwierigkeiten lösen und
Parteien versöhnen zu lassen, welche täglich schroffer entgegentreten.
Nachrichten aus Turin zu Folge wären die Italiener gereizter als je
(~plus montés~) und die Aussicht, daß Österreich in dem ruhigen
Besitze der Lombardei bleiben könne, habe sich in den letzten 14 Tagen
wiederum vermindert. Die Sieger hätten nicht verstanden die Gemüther
zu gewinnen, Auswanderungen dauerten fort und auch das Landvolk werde
unruhig und den Österreichern abgeneigt u. s. w. -- Diese läugnen
ihrerseits die Wahrheit dieser Anklagen und behaupten: sie beruhen auf
leidenschaftlichen Berichten entflohener Aufrührer u. s. w.


    Mittags.

Gestern Abend war ich bei dem Präfekten der Seine, Hrn. Trouvé-Chauvel.
Das neue Gebäude der Mairie und die Wohnung des Präfekten ist höchst
prachtvoll und sehenswerth. Die Erleuchtung glänzend, alle Säle und
Stuben überfüllt von Nationalgardisten, unter denen einige schwarze
Würmer einzeln und mühsam umherkrochen, oder sich durchwanden. Von
Gesprächen oder Erfrischungen also natürlich nicht die Rede. Die Luft
(obgleich einige Fenster geöffnet waren und die Zimmer sehr hoch sind)
doch überhitzt und kaum athembar. -- Hr. Trouvé stand an der Thür und
war genöthigt, unzählige freundliche Bücklinge zu machen, und unzählige
Hände aller Art zu drücken. Seine Frau (Leidens- und Freudensgefährtin)
saß neben ihm allein, wie auf der Sellette. Macht das nun glücklich,
ist das Geselligkeit? Geselligkeit der höchsten, ausgebildetsten,
pariser Art? Ich kann mir wohl denken daß hungrige Proletarier, welche
dies sehen, oder davon hören, Lust bekommen drein zu schlagen und zu
plündern!

So lange Cavaignac und Bastide an der Spitze stehen, hat Deutschland
von Frankreich nichts zu fürchten, unsere Wühler haben nichts zu
hoffen. Daher verwandelt sich ihr früheres Lob der hiesigen Regierung
bereits in bitteren Tadel, und sollten sie einst mich und meine
Bestrebungen bemerken, werde auch ich ihren Schmähungen nicht entgehen.

Die eine finanzielle Hauptthorheit: „~L’impôt progressif~“, ist
gestern, Gott Lob! in der Nationalversammlung mit 644 Stimmen gegen
96 durchgefallen. Möge es mit dem Vorschlage nur einer Kammer ebenso
gehen. -- Wie in Deutschland, ist man auch hier über die frankfurter
Gräuel empört, und äußert sich bitter über die Unthätigkeit der dasigen
Bürgerwehr. In Bezug auf Struve’s neue Schilderhebung heißt es heute in
der „Presse“: ~Si l’Allemagne serait demain une république; tous ces
chefs sans talens et sans idées, s’entretueraient, les uns les autres;
ou pour échapper à la guerre civile, ils déclareraient la guerre
extérieure à l’Europe entière. La plupart des Démocrates unitaires ne
savent ce qu’ils veulent ni où ils tendent etc.~


    Den 27. September.

Endlich ist er mir nach mehrfachem vergeblichen Bemühen gelungen, den
sehr beschäftigten und überlaufenen Hrn. Minister Bastide zu sprechen,
und zwar

1) über die deutschen Schutzlager;

2) über die gesandtschaftlichen Verbindungen zwischen Frankreich und
der deutschen Reichsgewalt;

3) über die italienischen Angelegenheiten.

Obwohl Hr. Bastide die hierauf bezüglichen Schreiben aus Frankfurt
kannte, und ich ihm Ähnliches wie dem -- bereits gesagt hatte, nahm ich
mir die Erlaubniß noch Folgendes hinzuzufügen:

Zu 1) Die Reichsgewalt hat zum Schutze der Ordnung und des Eigenthums
den von der französischen Regierung bei ähnlichen Gefahren betretenen
Weg ebenfalls eingeschlagen. Da nun Hr. Minister Bastide mir früher
selbst sagte: „er halte es für ein Verbrechen, Aufrührer in einem
fremden Staate mit Heeresmacht zu unterstützen oder auch nur durch
eine Propaganda zu fördern“ -- so zweifle ich nicht, daß er in diesem
Augenblicke wird bestimmte Befehle ergehen lassen, daß aus Frankreich
keine Mannschaft den Aufrührern zugewiesen und keine Kriegsmittel ihnen
eingehändigt werden.

Zu 2) Die Annahme des erzherzoglichen Schreibens und die sehr
freundliche Art, mit welcher der Hr. Minister mich behandelt, ist
allerdings ein erwünschter Anfang zur Anknüpfung diplomatischer
Verhältnisse; -- aber es ist doch nur ein +Anfang+. Nachdem die
Gründe der ersten Zögerung sämmtlich beseitigt sind, und in Frankfurt
ein gemäßigtes und kräftiges Ministerium neu gebildet und befestigt
ist; nachdem dessen ernste Maßregeln die Einigkeit mit den einzelnen
Staaten verstärkt und das Vertrauen erhöht haben; nachdem die
Nothwendigkeit einer Reichsgewalt ins hellste Licht gesetzt und ihre
heilsame Wirksamkeit erwiesen ist; -- möchte kein irgend haltbarer
Grund vorhanden sein, auf jenem diplomatischen Wege nicht +weiter+
vorzuschreiten und einige Gesandte in Frankfurt und Paris anzustellen
oder zu accreditiren. Sobald die französische Regierung die Thatsache
anerkennt, daß eine Reichsgewalt gegründet und ein Reichsverweser
erwählt ist, so muß sie folgerecht auch auf Das eingehen, was damit
unzertrennlich verbunden ist oder daraus entspringt. Wenn Gesandte
kleiner deutscher Staaten von Neuem in Paris accreditirt werden und
ihre Geschäfte (nach dem technischen Ausdrucke) +officiell+ führen,
so erscheint es auf die Dauer unpassend, daß ein Beauftragter der
Reichsgewalt jenen nachsteht und nur in +officiöser+ Weise gehört wird.
Ich erlaube mir daher die Bitte: daß der Hr. Minister gütigst angebe,
in welcher Weise diese Zweifel und Mißverständnisse am besten +bald+ zu
lösen sind.

Zu 3) Nach Wiederholung des bereits Geschriebenen und Gesagten, fügte
ich hinzu: Seitens der Österreicher wird laut behauptet, daß ohne
französische und englische Einmischung der italienische Friede längst
würde geschlossen sein, und jedes Hinausschieben der Verhandlungen
die Kriegsleiden, die Ausgaben, die Störungen des Verkehres u. s.
w. verlängere und erhöhe. Deutschland hat das größte Interesse
an einer baldigen Herstellung des Friedens, und seine Theilnahme
kann und wird den edeln Zweck nur befördern. Wenn beide oder alle
kriegführenden Staaten (Österreich, Sardinien, Neapel) dies einsehen
und anerkennen; wie kommt England und Frankreich dazu mehr Besorgnisse
zu hegen und gewissermaßen ein Monopol in diesen Angelegenheiten zu
verlangen? Deutschland wünscht sehnlichst, immerdar mit Frankreich
in den freundschaftlichsten Verhältnissen zu leben; es macht weder
anmaßende, noch unbillige, noch unnatürliche Forderungen, es wünscht
nur Zeichen wechselseitiger Anerkennung und gegenseitigen Vertrauens.
Durch williges Eingehen in die heute besprochenen drei Punkte,
legt Frankreich mühelos ein moralisches Gewicht in die Wagschale
Deutschlands, und dies wird dankbar die gezeigte Freundschaft
anerkennen und die für Frankreich günstige Stimmung verdoppeln.
Ein entgegengesetztes Verfahren wird und +muß+ auf dieselbe
+nachtheilig+ wirken u. s. w.

Auf diese und ähnliche Vorstellungen antwortete Hr. Minister Bastide:

Zu 1) Er freue sich sehr über die Kraft und den Muth, welchen die
Reichsregierung in der letzten Zeit entwickelt habe, billige die
Aufstellung der Schutzlager und sehe darin durchaus nichts, was
seitens der französischer Republik Besorgnisse erregen könnte.

Zu 2) Er sei bereit, bei den jetzigen Verhältnissen einen französischen
Gesandten förmlich in Frankfurt zu accreditiren und seitens der
Reichsgewalt in Paris accreditiren zu lassen. In so weit, als
jedoch die deutsche Reichsverfassung noch nicht in +allen+ Theilen
festgestellt und angenommen sei, geschehe dies natürlich ohne Präjudiz
für künftige, vielleicht +anders gestaltete+ Verhältnisse.

Zu 3) Er habe seinerseits jetzt (nach dem Obsiegen der Gemäßigten) gar
nichts dagegen, daß ein deutscher Abgeordneter an den Verhandlungen
über Italien Theil nehme. Da jedoch von Preußen ein ähnliches Gesuch
gestellt worden, und Frankreich durchaus mit England in Übereinstimmung
handeln wolle, so werde man eine gleichlautende, und wie er hoffe,
+genügende+ Antwort ertheilen. Es hat für mich keinen Zweifel, daß
lediglich der in Frankfurt gezeigte Muth und die Festhaltung an den
früher aufgestellten Grundsätzen die hiesige Regierung günstiger
stimmte, und jedes heftigere Auftreten meinerseits früher keinen
Erfolg, sondern nur ungünstige Antworten (mit Bezug auf die Verwerfung
des Waffenstillstandes von Malmoe) würde herbeigeführt haben.



Achtundsechzigster Brief.


    Paris, den 28. September 1848.

Bei Cavaignac, Trouvé, Lamoricière ist Abends ein Gedränge, daß man
sich nicht rühren kann; bei Thiers waren gestern vier bis sechs Herren!
So wechselt Gunst und Andrang nach Maßgabe von Macht und Einfluß. O der
Eitelkeiten!


    Den 29. September.

Wenn Sie (und ähnlicher Weise mehre Zeitungen) bemerken und rügen,
daß die Erklärung im Moniteur über die Annahme des Schreibens des
Reichsverwesers nicht genügend und entsprechend sei, so bin ich +ganz
damit+ einverstanden, und Annahme wie Bekanntmachung sind zwischen
Hrn. Bastide und mir umständlich besprochen worden. Ich habe Das, was
Sie +schonend+ rügen, +hier+ viel nachdrücklicher gelten zu machen
versucht. Wenn ich hierüber nicht zu meiner Rechtfertigung Genaueres
schrieb, so hatte dies mehre Gründe. -- Als ich hier ankam, war Hr.
Bastide durch gewisse Vorübungen und Vorbereitungen des Hrn. --
(auf die ich nicht wieder zurückkommen mag) so gereizt, daß schon
ein Schreiben entworfen war, welches den Brief des Erzherzogs und
meine Annahme ganz ablehnen sollte. Mein erstes Auftreten wirkte so
beruhigend, daß es bei Seite gelegt wurde. Alle Hindernisse waren
allmälig beseitigt, als man in Frankfurt den Waffenstillstand verwarf.
Die Actien des Reichstages und der Reichsgewalt sanken hierdurch
dergestalt, daß Hr. Minister Bastide erklärte: er wolle mit einem
Ministerium Dahlmann oder Hermann gar nichts zu thun haben. Ich darf
ohne Eitelkeit und Hochmuth behaupten, daß in diesem Augenblicke,
wo irgend ein Zeichen des Zutrauens der französischen Regierung so
erwünscht war, meine dringende Vorstellungen bei dem (gegen mich
persönlich so außerordentlich freundlichen) Hrn. Minister Bastide es
bewirkten, daß die Annahme des Schreibens nicht ganz ins Unbestimmte
hinaus verschoben ward. Jede schärfere, bruskirende Forderung über die
Art der Annahme und Bekanntmachung hätte in jener Zeit der +kläglichen
frankfurter+ Anarchie nicht zu günstigeren Ergebnissen, sondern zu den
unangenehmsten schriftlichen Erklärungen geführt.

Selbst das +Mündliche+ mochte ich (~res scripta manet~) nicht
niederschreiben und lieber unausbleiblichen Vorwürfen entgegengehen,
als mit Wahrung +meiner Person+ mein +Vaterland+ einer strengen und
leider gerechten Censur unterwerfen. ~Chi va piano, va sano.~ Ich
habe den bittern Kelch einer schwierigen, diplomatischen Stellung bis
auf die Hefen geleert, aber niemals die Hoffnung eines endlichen
glücklichen Ausganges ganz aufgegeben. Der Vorwurf: ich habe mich
schwach oder charakterlos benommen, ist für den entfernteren Beobachter
so +natürlich+, daß ich mich darüber +gar nicht+ beschweren kann.
Vorstehende Andeutungen und Zeugnisse des Hrn. Ministers Bastide,
sowie aller vom Gange der Dinge hier unterrichteten Gesandten, würden
die Überzeugung hervorrufen, daß ich mich nicht anders benehmen und
(trotz des besten Willens und der reiflichsten Überlegung) in höchst
ungünstigen Verhältnissen nicht mehr und nichts schneller erreichen
konnte.

Zu Dem, was ich am 21. d. M. über die +italienischen Angelegenheiten+
schrieb, füge ich noch Folgendes hinzu: -- In einer gestrigen Audienz
klagte Hr. Minister Bastide sehr, daß die erneute Blokade Venedigs den
Gang der Unterhandlungen erschwere, die Aussicht auf den nothwendigen
Frieden vermindere und den Österreichern zuletzt keine bessere
Bedingungen verschaffe, als sie ohnedies erhalten würden. Hr. Bastide
wünscht, daß die Reichsgewalt diese Ansichten theile und unterstütze.
Hr. von Thom hat dies in seinem gestrigen Berichte ebenfalls gethan,
gegen Hrn. Bastide aber bemerkt, daß die Blokade wahrscheinlich +mit
Recht+ deshalb erneut sei, weil von Ankona aus Schiffe mit Mannschaft
und Kriegsmitteln in Venedig eingelaufen seien.

Hr. Bastide wünscht Beschleunigung der Vermittlung, stellt eine etwaige
Gränzveränderung ganz in den Hintergrund, bezeugt aufs Feierlichste,
bei einem Kriege würde kein Theil gewinnen, sondern Alle +verlieren+,
verspricht alles Mögliche für Erhaltung des Friedens zu thun, klagt
aber daß sich immer wieder neue und große Schwierigkeiten erzeugten.

Frankreich wünsche ernstlich, daß Österreich groß und mächtig bleibe,
an der unteren Donau schützend auftrete und eine innige Annäherung und
Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich stattfinde.

Die Verzögerung der italienischen Vermittlung und die Schwierigkeit,
welche Deutschlands Theilnahme findet, scheint +weit mehr+ von
+England+ als von +Frankreich+ auszugehen.


    Den 30. September.

Es ist merkwürdig, wie die Beschlüsse der hiesigen Nationalversammlung
in Weisheit und Thorheit abwechseln, z. B. Verwerfen der steigenden
Auflagen und Assignaten, Bewilligung von Ausfuhrprämien, eine Kammer
statt zweier u. s. w. Lamartine hat in seiner breiten Empfehlung
+einer+ Kammer zuletzt nichts gesagt, als: Die Gefahren des
Augenblicks machten die Diktatur oder Despotie nothwendig. Mit Recht
hat Odilon-Barrot dies hervorgehoben, aber mit Unrecht hinzugefügt:
verfassungsgebende Verfassungen müßten nur +eine+ Kammer haben. Die
englische Reformbill ward z. B. von beiden Häusern des Parlaments
berathen und beschlossen, und in Frankfurt und Berlin geht es
mangelhaft zu, weil die ermäßigende erste oder zweite Kammer fehlt. --
Da die Wahl des zukünftigen Präsidenten der französischen Republik den
allgemeinen Wahlen zugewiesen wird, hiebei aber aus Bequemlichkeit,
Gleichgültigkeit oder anderen Gründen Hunderttausende ausblieben, so
wird das Ergebniß doppelt ungewiß, und ist als eine Art von Glücksspiel
zu bezeichnen. Cavaignac’s dreimonatliche Herrschaft dauert Vielen
schon zu lange, die da herrschen, oder Herrscher erschaffen wollen.


    Den 1. October.

Deutsche Zeitungen klagen fortwährend: daß ich hier nicht mehr
ausgerichtet und Frankreich sich nicht zuvorkommender benommen hätte.
Die Anklagenden vergessen, daß vorzugsweise die äußerste Linke in
Frankfurt den Franzosen ihre Freundschaft anbot; diese Linke aber beim
General Cavaignac gerade so beliebt ist, wie die rothen Republikaner,
welche er im Junius todtschießen ließ. Ferner standen den frankfurter
höflichen +Redensarten+ feindliche +Thaten+ gegenüber; sehr natürlich
also, daß die Franzosen sich durch jene nicht bestechen ließen.


    Den 2. October.

Gestern fuhr ich nach St.-Cloud zu einem großen Feste. Das Schloß
war geöffnet, und wir zogen mit Unzähligen durch die prächtigen,
aber mit Gemälden und Zierathen überladenen Zimmer. Auch hätte ich
mir nicht die Gemälde von Rubens über die Verheirathung Heinrich’s
IV. mit der unangenehmen Marie von Medici (welche im Louvre hängen),
als Gobelintapeten, noch einmal und immerdar vor die Augen bringen
lassen. Die Springbrunnen belebten den Garten, und unzählige Menschen
warteten auf den Augenblick, wo der größere Wasserfall mit vielen
kleineren Springbrunnen in Thätigkeit gesetzt würde. Da kam plötzlich
vom Himmel herab ein so starker Wasserfall, daß Alle die lang und
sorgfältig verwahrten Plätze verließen und Schutz suchten. Doch nahm
der Regen bald ein Ende, sodaß man das heitere Schauspiel ungestört
ansehen konnte. Unzählige Buden bildeten einen großen Jahrmarkt;
dazu Schießübungen, Glücksspiele, Schaukeln aller Art, Anstalten
sich wiegen zu lassen, Marktschreier u. s. w. -- hinreichende Mittel
und Bestandtheile zu einem Volksfeste. Ich weiß nicht, ob ich mich
irre, aber die Franzosen scheinen mir ernster und kälter, oder doch
stiller als sonst bei Volksfesten, in den Straßen, in Omnibus- und
Eisenbahnwagen. An Gründen des Ernstes und vorsichtigen Schweigens
fehlt es freilich auch nicht, und wenn man gezwungen ist, viel
an seine eigenen Verhältnisse zu denken, ist man ein schlechter
Gesellschafter.

In dieser unsichern, bewegten Zeit hilft aber das Nachdenken oft zu
gar nichts: so denke ich nach, ob, wann, wie lange ich hier, oder in
Frankfurt bleiben, wenn eher ich wieder in den berliner Hafen einlaufen
werde? Nun ist es zwar möglich, zur Verwirklichung des Einen oder des
Andern wesentlich beizutragen: wenn sich aber die gegenseitigen Gründe
ungefähr das Gleichgewicht halten, kommt man zu keinem Beschlusse, und
wartet bis das Übergewicht von Außen herbeigeführt wird. Man möchte
sich bisweilen mit dem Fanatismus der Muhamedaner beruhigen, oder die
Vorherbestimmung Calvin’s schon aus Bequemlichkeit annehmen.

Seit 20 Jahren werden Berichte über die peinliche Rechtspflege in
Frankreich bekannt gemacht. Die längeren Erfahrungen erlauben schon
eher Schlüsse aus gewissen Thatsachen zu ziehen. Ich theile zunächst
einige der letzteren mit. Von 100 Verbrechen sind etwa 27 gegen
Personen, 73 gegen das Eigenthum gerichtet. Die Zahl der Verbrechen
hat seit 20 Jahren, im Verhältniß zur Volksmenge, +nicht+ zugenommen;
wohl aber haben +einzelne+ Verbrechen (betrügerische Bankrotte,
Falschmünzerei) zugenommen, während andere sich minderten. Die Zahl
der Vergehen (~délits~) ist mehr gestiegen, als die der Verbrechen.
Es scheint, als ob die Zahl der Rückfälligen (~récidivistes~) zunähme,
was Folge der Art der Gefängnisse, oder genauerer Voruntersuchungen
sein kann. -- Landschaft und Sitten haben den größten Einfluß auf die
Verbrechen, so von 100 im Departement der Seine 89 gegen das Eigenthum,
in Korsika 81 gegen die Personen. Auf dem platten Lande finden
keineswegs weniger Verbrechen statt, als in den Städten; auch sind sie
öfter von der schwersten Art und gegen Personen gerichtet. Man soll
also (sagt ein Berichterstatter) Unschuld und Tugend nicht vorzugsweise
auf dem Lande suchen. Von 100 Angeklagten konnten, im Jahr 1846, 52
weder lesen, noch schreiben; also ist die Zahl der nicht unterrichteten
Verbrecher verhältnißmäßig viel größer. Seitdem mehre, allzuharte
Strafen gemildert sind, finden weniger Lossprechungen statt, denn zuvor.


    Den 3. October.

Wenn man täglich Dasselbe sieht, hört und lieset, so ist es sehr
natürlich, daß man auch Dasselbe schreibt. Dies unaufhörliche,
unvermeidliche Andrängen derselben Gegenstände, Ereignisse und Urtheile
hat seine große, eigenthümliche Bedeutung: es ergiebt sich daraus,
was die Zeit beherrscht, was man wünscht, oder fürchtet, was mit
Vorliebe behandelt, was unbillig und einseitig zurückgesetzt wird. Die
sittliche und politische Cholera hat ihre Zeit, wie die körperliche:
Niemand soll deshalb ganz verzweifeln oder nutzlos flüchten, sondern
der Gefahr muthig entgegengehen, auf Heilmittel sinnen und sie
anwenden. Der schrecklichste Wahnsinn ist: die Krankheit für Gesundheit
zu halten, mit ihr zu hätscheln, das Gift mit Wohlgefallen zu erzeugen
und zu verbreiten. Der Schrecken über die frankfurter Gräuel hat die
Frechheit der äußersten Linken nicht vermindert, und ein Frevler
und Tollhäusler, wie Struve, wird von ihr zum Märtyrer gestempelt
werden. Selbstaufopferung allein giebt aber keinen Anspruch auf ächtes
Märtyrerthum; sie ist eine doppelte Sünde, wenn sie für eine schlechte
unedle Sache frech gewagt wird.

In Berlin beschließt ein Klub: die frankfurter Meuterer hätten sich
ums Vaterland verdient gemacht, und ein Mann, dem Verbrechen halber
das Bürgerrecht genommen worden, der Jahre lang im Zuchthause saß,
der ehemalige weggejagte Mädchenlehrer und verdorbene Conditor
Karbe, wird vom Pöbel im Triumphe umhergeführt als Vertheidiger der
höchsten Freiheit. Und dies geschieht in einer Stadt, welche sich
rühmt, an der Spitze der geistigen Bildung zu stehen, und die besten
Schulanstalten zu haben! Die Geschichte Berlins im Jahre 1848, das
gerühmte Feuerwerk, ist in die dunkelste Nacht gesunken, und die
Gräuel des alten Roms sind großartig und furchtbar im Vergleiche mit
der Feigheit, Nichtigkeit, Albernheit und Misère, welche leider nur
zu Viele an vielen Orten zeigen oder dulden. Auch meine Collegen, die
Stadtverordneten, möchte man mit Siebenschläfern vergleichen, die nur
von Zeit zu Zeit taktlos aufseufzen.

Wenn man dies Alles sieht und fühlt, darf man Frankreich (wie manche
Deutsche es noch immer thun) nicht allein und vorzugsweise anklagen. Es
fällt der hiesigen Regierung nicht ein, mit den frankfurter Meuterern
zu liebäugeln, oder Struve und seine Rotte irgend zu beschützen. Sie
hat sich hinsichtlich der diplomatischen Beziehungen zur Reichsgewalt
nicht übereilen wollen, ist aber friedlicher gegen Deutschland gesinnt,
als irgend eine französische Regierung seit dem Kardinal Richelieu. Ihr
Sturz würde wahrscheinlich schlimmere und gefährlichere Verhältnisse zu
unserm Vaterlande herbeiführen; -- und doch, wer kann für ihre Dauer
einstehen!

Man spricht und schreibt jetzt so viel davon, daß keine Regierung
sich über verschiedene Völker erstrecken solle; auch hat dies den
guten Sinn, daß jede Regierung den Eigenthümlichkeiten jedes einzelnen
Volkes solle angepaßt werden, und die Vernachlässigung dieses
Grundsatzes, Unzufriedenheit und Aufruhr erzeuge. Andererseits haben
sich Regierungen thatsächlich (und zuletzt auch aus natürlichen und
zureichenden Gründen) über verschiedene Völker erstreckt, von den
Assyrern, Medern und Persern, bis auf England und Österreich. In der
That wird aber der Grundsatz über die vereinzelte Unabhängigkeit der
Völker von den heutigen Weltverbesserern einem andern untergeordnet:
+dem+ der Übereinstimmung hinsichtlich gewisser Ansichten. Daher
erklären Ruge und Consorten (oder Complicen) jede Vaterlandsliebe für
Thorheit; das politische Glaubensbekenntniß trennt oder einigt jetzt
so, wie das theologische im 17. Jahrhunderte, und Stammgenossen richten
sich in wahnsinnigem Bürgerkriege zu Grunde, statt in Liebe und Treue
auch in bösen Tagen miteinander auszuhalten. Deutschland, dessen wahre
Staatsweisheit verlangt, sich mit der Schweiz, Holland, Schweden und
Dänemark zu einem großen germanischen Bunde zu einigen, ist mit Allen
(die Schuld theilt sich) in Händel gerathen, und es wird sehr viel Zeit
und Mühe kosten, die wahrhaft natürlichen Verhältnisse herzustellen.
Unterdessen werden die einzelnen Regierungen immer schwächer, nirgends
ein Fürst von so überlegener Größe daß er für die Monarchie begeistern
könnte, nirgends bei den Demokraten Achtung vor den Gesetzen,
republikanische Träumereien, ohne republikanische Selbstbeherrschung
und Aufopferung!

-- -- Wir sind aus der weinigen Gährung in die saure, ja in die faulige
gerathen. Freilich ist das in Deutschland schon öfters vorgekommen
(Bauernkrieg, Thomas Münzer, Bockold, Dreißigjähriger Krieg), und ich
will deshalb nicht verzweifeln. Um sich aber dazu Glück zu wünschen,
dazu gehört ein starker Glaube, -- oder Aberglaube. Ob die Krankheit
nach Ausscheidung des Giftstoffes (mag er von Metternich dem Fürsten,
oder Metternich dem Aufrührer herstammen) zu verstärkter Gesundheit, zu
langem, langem Siechthume, oder zum Tode führen wird, das liegt nicht
mehr in der Hand des Einzelnen, -- er sei König oder Demagog.


    Den 4. October.

Gestern Abend beim General Cavaignac, unzählige Officiere, wenig
schwarze Civilisten, noch weniger Damen; beim sardinischen Gesandten
Brignole das Umgekehrte. Dieser Mann macht das angenehmste Haus,
während sein König in Gefahr schwebt, auf dreifache Weise gestürzt zu
werden, durch Feinde, Verbündete oder Freunde: Österreicher, Franzosen,
eigene Unterthanen. Die Lösung der italienischen Frage zieht sich
unglücklicherweise sehr in die Länge, wobei Palmerston (der sich jetzt
auf dem Lande erholt) nicht ohne Schuld sein soll. -- Ebenso zögert
Preußen in unentschlossener Weise mit Ernennung zweier Männer für die
provisorische Regierung in Holstein, und unterdessen begehen Dänen und
Holsteiner neue Thorheiten. -- Ich endlich, bin ich nicht auch in die
verkehrte Welt gerathen? In den Stunden, wo ich sonst ruhig arbeitete,
mache ich Besuche bei Gesandten und Nichtgesandten; Abends, wo ich
sonst schon des Zubettegehens gedachte, fahre ich zierlich geputzt
in die famosen Soireen; statt mich meines eigenen wohlgeordneten
Hauses zu erfreuen, besehe ich Wohnungen nicht für mich, sondern für
meinen künftigen, unbekannten Nachfolger; der ich am liebsten zu Hause
Hausmannskost aß, muß täglich zum Restaurateur laufen und aus seiner
Garküchenkarte mir mühsam meine Nahrung heraussuchen; der ich mir sonst
die entferntere Bekanntschaft französischer Romane wünschte, studire
sie jetzt eifrig -- hauptsächlich um unbekannte neue Worte zu lernen.
-- Man möchte rufen: ~Beatus ille qui procul!~ Aber wo ist man
denn fern von den Sorgen der Zeit, und am Ende einer Laufbahn, wo ich
wissenschaftlich nichts mehr zu Stande bringen kann, darf ich es für
ein Glück, oder doch für eine Schickung halten, in diese Bahn geworfen
zu sein. Doch werde ich gewiß nicht lange darauf verharren, sondern
bald wieder Nr. 67, Kochstraße, unterkriechen.

In unseren Tagen, wo auch das scheinbar Geheimste nach wenigen Tagen,
ja Stunden zur Öffentlichkeit kommt, ist den Gesandten der meiste
Stoff ihrer Berichte genommen. Seine eigene Meinung aber als gewichtig
aussprechen zu wollen, läuft gegen die Gesetze der Wahrheit und der
Bescheidenheit. Bisweilen fühlt man jedoch das Bedürfnis nicht sowohl
einer amtlichen Berichterstattung, als einer vertraulichen Besprechung
und Herzensergießung.

Der Beschluß, daß in Frankreich nur +eine+ Kammer gebildet werden
solle, macht eine gemäßigte und ermäßigte republikanische Regierung
fast unmöglich. Die Kammer wird wahrscheinlich allmächtig oder
ohnmächtig, und in beiden Fällen tritt Tyrannei abwechselnd mit
Anarchie ein, welche beide sich am liebsten nach Außen hin Luft machen.
Als die athenische Volksversammlung den Rath, die römische den Senat
beseitigte, ging es mit republikanischen Formen und republikanischer
Freiheit zu Ende. Dasselbe geschah in England während des 17.
Jahrhunderts, nach Beseitigung des Königs und des Oberhauses. Die
~Assemblée constituante, législative~ und der Convent verfehlen das
vorgesteckte Ziel, 30 amerikanische Staaten halten fest an zwei Kammern
und Berlin und Frankfurt haben so viele entgegengesetzte Beispiele noch
nicht widerlegt.

Zwei Hauptbewerber, L. Bonaparte und Henri V., hält man hier für
persönlich ungeschickt, Frankreich zu regieren. Die Hauptstütze des
Letzten ist der Begriff erblicher Legitimität, welcher Vielen ein
Gräuel oder doch nicht die Mode des Tages ist. Der Erste beruft sich
auf einen Namen, von dessen Gutem oder Bösem, man weiß noch nicht
was, auf ihn übergegangen ist. Könnte Einer oder der Andere die
Theorien und Praktiken, auf welche sie sich beziehen, geltend machen,
in wie ganz +entgegengesetzte+ Richtungen würde dadurch Frankreich
geschleudert. Wie gefährlich ist die Unsicherheit, nicht zu wissen, wer
durch das allgemeine Wahlrecht mehr oder weniger, kürzer oder länger
Herr von Frankreich -- oder doch auf die +Tagesordnung+ gesetzt wird.
Ja wohl auf die +Tagesordnung+: denn ein Wahlsieg mit nur relativer
Stimmenmehrheit verbürgt keine Dauer!

Uns Deutschen aber thut Ordnung und Einigkeit mehr Noth als je;
denn bei aller Friedensliebe der einzelnen Regierungen könnten die
obwaltenden Mißverständnisse vielfacher Art leicht und unerwartet zu
einem großen Kriege führen. Daher: ~si vis pacem, para bellum~, --
jedoch so wohlfeil als möglich. Die Franzosen sind jetzt weit besser
gerüstet als die Deutschen und gegen das Ausland immer +einig+. Würde
das jetzt in Deutschland der Fall sein und nicht vielmehr zu dem
fremden Kriege sich ein nichtswürdiger Bürgerkrieg gesellen, wie im 17.
Jahrhunderte?

Die Reichsgewalt kann und muß mit steigender Gefahr doppelten Muth
zeigen und sich von Denen nicht einschüchtern lassen, welche frech auf
der Bahn der frankfurter Meuterer beharren.



Neunundsechzigster Brief.


    Paris, den 5. October 1848.

-- -- -- Persönliche Freiheit und Unabhängigkeit ist mir zeitlebens das
Wünschenswertheste und Erfreulichste gewesen, und nun sollte ich mir im
Alter die Eitelkeiten dieses glänzenden Gesandten-Elends dummerweise
selbst umhängen, Sklaverei der Freiheit vorziehen, mit allen Menschen
verkehren, nur nicht mit meinen Freunden, statt in deutscher Zunge
zu reden, in fremder radebrechen, wachen, wenn ich schlafen möchte,
Steine des Sisyphus wälzen, tantalisch Wasser schöpfen, mich über Dinge
belehren und zurechtweisen lassen, die ich zuletzt besser verstehe,
nichts mehr lesen als Zeitungen, keine Geschäfte betreiben, als die des
letzten Tages, oder der letzten Stunde u. s. w. u. s. w.

Ich bin hieher gegangen, weil ich es für Pflicht hielt, das unerwartet
Dargebotene nicht zurückweisen, weil ich hoffte, meinem Vaterlande
in diesem Augenblicke nützlich zu werden. Einmal Kohlen aus dem
Feuer holen; -- gut! -- Immer Stroh dreschen! -- Nein! Ich kenne
die steten Klagelieder der Gesandten aus zahllosen Depeschen; ich
will in diesem Chore keine obligate Stimme übernehmen. Ich werde aber
auch nicht davonlaufen, bevor das angefangene Stück ausgespielt hat.
-- Schon einmal wollte ich (ich denke mit Ehren) davongehen, und so
hoffe ich, wird sich ein zweites Mal der rechte Augenblick ergreifen
lassen. -- Das Alles unter uns: denn ich möchte nicht, daß daraus
eine Klatschgeschichte, von thörichtem Hochmuthe oder falscher Demuth
zusammengedrechselt würde.


    Den 6. October.

Ganz Deutschland muß künftig dem Auslande gegenüber in einer andern
und kräftigern Weise vertreten werden. Nur scheinbar verlieren die
einzelnen kleinen Staaten; auf dem politischen Boden waren ihre
Gesandten bloße Nullen, gebraucht zum Klatschen und Nacherzählen. Wer
sich aber einmal an dieses angeblich wichtige, in Wahrheit nichtige
Leben gewöhnt hat, kann darohne nicht leben, findet die Arbeit ächter
Geschäftsmänner langweilig und bildet sich ein, derlei persönliche
Ansichten und Wünsche hätten sachlichen, festen Boden. Pfiffiger sind
die fremden Minister auswärtiger Angelegenheiten: sie vertheidigen
derlei diplomatischen Krimskrams und Tand, stellen sich auf den
sogenannten Rechtsboden der Gegenwart, preisen die (von Napoleon
umgehangene) Theatersouverainetät jedes deutschen kleinen Fürsten,
wünschen die fortdauernde Zerstückelung Deutschlands, ohne den Werth
der +rechten+ Mannigfaltigkeit zu begreifen, und fürchten über
Alles, daß ein Volk von 45 Millionen Menschen einmal einstimmig denken
und handeln könne.


    Den 7. October.

Ich fragte einen französischen Abgeordneten: glauben Sie denn,
daß Frankreich durch +eine+ Kammer und einen vom Volke erwählten
Präsidenten kann regiert werden? -- Antwort: Nein! -- Wird nicht
die Kammer, oder der Präsident, allmächtig oder ohnmächtig werden?
-- Antwort: Ja! -- Wie kommt es aber, daß sich nun so große
Stimmenmehrheit für jene Einrichtung ausgesprochen hat? -- Weil von 900
Abgeordneten wenigstens 700 ganz und gar nichts von der Sache verstehen.

Soeben ist erschienen: „~Jerome Paturot à la recherche de la meilleure
des républiques par Reybaud~“, gleich der (schon von mir erwähnten)
ersten Hälfte, ein anziehendes, lehrreiches, vortreffliches Buch, das
man ins Deutsche übersetzen und verbreiten sollte. Alle französischen
(und deutschen) Irrthümer, Thorheiten, Lächerlichkeiten, Verbrechen
des +letzten+ Jahres sind so geistreich und schlagend entwickelt und
dargestellt, wie die der +früheren+ Jahre, in jener ersten Hälfte.
Ich gebe einige kleine Proben. -- „Die Erfinder neuer Thorheiten
(sagt der Verfasser) haben einen so überschwänglichen Glauben, daß
sie kein Mißlingen stört, daß sie außerhalb ihrer Meinungen nichts
anerkennen, und Alles, was entgegentritt, rücksichtslos verdammen.
-- Meinungen sind meist Gewohnheiten, man nimmt sie an, ohne nähere
Prüfung. -- -- Die Organisation der Arbeit ist (mit anderen Worten)
die Organisation der Sorglosigkeit und Faulheit. -- Es ist leicht,
das Volk durch unzählige, wohlklingende Redensarten über seine Leiden
aufzubringen und in den Gemüthern Zorn und Galle anzuhäufen. Es ist
leicht, in der Ungleichheit menschlicher Verhältnisse einen Text zu
finden für stete Deklamationen, und Grundlagen zu einem furchtbaren
Aufruhr gegen Reichthum und Größe. Alles dies ist leicht, besonders
für kräftige und leidenschaftliche Schriftsteller: -- schwer aber
ist es (wie man jetzt sieht), die aufgeregten Wogen zu beruhigen
und die tiefen Wunden zu heilen. -- Das viel besprochene Recht auf
Arbeit ist eine Thorheit, oder eine Lüge. -- Sonst fiel es Niemand
ein, Arbeit und Almosen zu vermischen und zu verwechseln, Almosen
mit dem Scheine einer (nutzlosen) Arbeit zu bedecken. Es ist ein
furchtbares Spiel, auf den Grund eines bloßen Traumes, das gesammte
Wesen der Arbeit, ihre natürliche Bewegung, ihren Werth für die Menge
in Unordnung zu bringen. -- Es ist eine schwere Verantwortlichkeit,
das Daseiende umzustürzen, Gewohnheiten zu erschüttern und Gefühle
zu beunruhigen, lediglich in der Aussicht auf gewisse Combinationen,
welche weder Bestandtheile der Ordnung, noch Bürgschaft der Dauer in
sich schließen. -- In den meisten Klubs war Alles höchst mittelmäßig:
kein Talent, keine Idee; Ungeheuerlichkeiten ohne Ende, Aermlichkeiten
in Ueberzahl. Alle Gemeinplätze, welche seit einem halben Jahrhunderte
die Bücher füllten, fanden jetzt ihre Stelle auf der Rednerbühne. Statt
der Einfachheit und des gesunden Verstandes lauter Sophismen, leere
Übertreibungen. Weder Natur, noch wahre Begeisterung, sondern ein
Gemisch von Trivialitäten und Aufgeblasenheiten.“ -- So viel Paturot
für heute, vielleicht ein andermal noch einige Proben.

Die wichtigste Frage des Tages ist die, über die Wahl und Stellung
des künftigen Präsidenten der französischen Republik. Eine Partei
will gar keinen, irgend unabhängigen Präsidenten; denn das führe nur
zu Gegensätzen, Streitigkeiten, Siegen oder Niederlagen. Die allein
souveraine Nationalversammlung ernenne nach Belieben einen Bureauchef,
mit allerhand Ministern oder Räthen. Sie entlasse +Alle+, sobald sie
ihr nicht mehr behagten! Nur auf diesem Wege herrsche zwischen der
Versammlung und ihren Beamten immerdar die größte Einigkeit, es zeige
sich eine stets unbestrittene Allmacht. -- Offenbar ist dies ein System
des Despotismus und einer aller Haltung und Festigkeit ermangelnden
Beweglichkeit. Folgerecht müßten alsdann auch die Wähler jeden Tag die
Nationalversammlung umgestalten dürfen. -- Die zweite Partei will den
Präsidenten durch die Nationalversammlung wählen lassen; denn diese
habe hiezu ein unläugbares Recht und die größte Geschicklichkeit. Nur
auf diesem Wege würde Einigkeit zwischen der Nationalversammlung und
dem Präsidenten möglich sein. -- Die Nationalversammlung (wendet man
ein) hat zu einer solchen Wahl kein Recht, und der Präsident wird von
ihr allzu abhängig. Aus einer geringen Mehrheit hervorgegangen, fehlt
ihm ohnehin das nöthige Ansehen; oder wenn eine andere Ansicht die
Oberhand gewinnt, müßte er und die Minderzahl eigentlich herrschen. --
Der Präsident (sagt die dritte Partei) muß durch das ganze Volk gewählt
werden; dann sind Alle zufrieden, und er hat (der Nationalversammlung
gegenüber) die nöthige Macht und Unabhängigkeit. Auf diesem Wege ist
jede Wahl unantastbar, erfreut sich allgemeinen Beifalls, und erhebt
den geehrtesten und beliebtesten Mann. -- Für diese Ansicht hat
Lamartine eine lange Rede gehalten, die man sehr bewundert; während
ich darin nur ein verirrtes Hin- und Herreden finde, und einen neuen
Beweis, daß Lamartine gar kein Staatsmann ersten Ranges ist. -- Er sagt
z. B.: er wolle alle wissenschaftlichen und geschichtlichen Gründe
und Betrachtungen bei Seite setzen; was mir als ein sehr thörichtes
Verfahren erscheint. -- Die Beliebtheit (~popularité~) spricht er
weiter, ist die ganze Macht (~le pouvoir tout entier~); und doch hat
er selbst erfahren, daß sie bei ihm nicht hingereicht hat, drei Monate
zu regieren, da war ihm bereits alle Macht entschlüpft. Bei einer
Wahl des Präsidenten durch das Volk werde wenigstens +er+, +oder+ die
Nationalversammlung beliebt, und nicht beide gleichzeitig verbraucht
sein. -- (In diesem Gegensatze könnte man vielmehr eine Gefahr oder
einen kläglichen Trost sehen.) -- Es sei thöricht und lächerlich, zu
glauben und zu fürchten, daß es einem ältern oder jüngern Bourboniden,
oder einem Bonapartiden eingefallen sei, oder einfallen werde, nach
Einfluß, Gewalt und Herstellung zu streben. Der einfache, gesunde
Menschenverstand erkläre dies für unmöglich. -- Es ist unbegreiflich,
wie man gegen die Natur der Dinge und unzählige Thatsachen derlei leere
Rederei anmaßlich hinstellen oder bewundern, und obenein wenige Zeilen
später sogleich hinzusetzen kann: „wir befinden uns (in Beziehung
auf die aus dem Stegreife erschaffene Republik) in der peinlichsten,
traurigsten, gefährlichsten Lage. Die ersten Tage, die ersten Monate
der Begeisterung, der Hoffnung, des Beifalls, der allgemeinen
Zustimmung, haben sich in einem großen Theile Frankreichs verwandelt
in Zweifel, Mißtrauen, Unglauben und Abfall von der Republik. -- Aber
der neue Präsident wird sein das Haupt, der Vermittler, der Anordner
republikanischer Institutionen; er wird beschützen dein Eigenthum,
deine Familie, deine Kinder! Wiederum hat er zwar keinen Antheil an
der Souverainetät, aber er wird sich täglich stärken und erfrischen
in der einzigen Quelle der wahren Macht, dem Gewissen der Bürger.
Der Würfel ist gefallen! Ueberlassen wir etwas der Vorsehung! Möge
sie das Volk aufklären. Was aber auch geschehe; es wird schön sein
in der Geschichte, daß wir die Republik gedacht, ausgesprochen, in
vier Monaten entworfen haben; dieselbe Republik der Begeisterung,
der Mäßigung, der Brüderlichkeit, des Friedens, des Schutzes für
Geselligkeit, Eigenthum, Religion, Familie; -- diese Republik
Washington’s!!“ -- -- Solch verwirrtes, thörichtes Wischi-Waschi gilt
für Beredtsamkeit und Staatsweisheit!!!


    Den 8. October.

Nur eins weiß man über die Zukunft Frankreichs mit Gewißheit,
nämlich, daß sie völlig unbekannt und ungewiß ist. Denn wenn auch
die Nationalversammlung höchst wahrscheinlich für die Wahl eines
Präsidenten durch das ganze Volk (ohne Abstufung) entscheiden wird,
so steht doch gar nicht fest, wer die Mehrheit der Stimmen erhalten,
und ob man sich dieser (vielleicht nur geringen) Mehrheit ruhig
unterwerfen wird. Viele Legitimisten haben nichts gegen L. Bonaparte:
denn er müsse erst völlig abgethan und verbraucht sein, bevor ihr
Bewerber mit sicherem Erfolge an die Reihe komme. -- Eine angenehme
Aussicht auf mannigfaltige Umwälzungen!! -- Die Hoffnung: man könne
durch irgend eine förmliche Bestimmung der Verfassungsurkunde alle
Wünsche unterwerfen und vereinigen, alle Ansprüche beseitigen, alle
Leidenschaften bändigen, -- ist durchaus täuschend. Nach so vielem
Wechsel von Regierungsformen und regierenden Personen hält man jede
neue Veränderung für leicht und erlaubt; ehe etwas Wurzel gefaßt hat,
wird es ausgerissen und weggeworfen. Die Forderung: daß zwischen der
Nationalversammlung und dem Präsidenten steter Friede sein soll, lautet
gar schön, wird aber den ewigen Frieden nicht so mühelos herbeiführen,
wie Lamartine und ähnliche Phantasten sich einbilden. Wer da, in
der etwa ausbrechenden Fehde obsiegen wird, hängt zuletzt (wie die
Erfahrung gezeigt hat) weit weniger von buchstäblichen Vorschriften
und ängstlichen Auslegungen, als von den Personen ab, von ihrem Muthe
und ihrer Kraft. Das beweisen z. B. der 18. Fructidor und der 18.
Brumaire. -- Wenn man die ganze Verfassungsurkunde ins Feuer wirft,
so kommt gar nichts mehr darauf an, was in einem einzelnen Absatze
steht. -- Doch genug für heute von den Krankheiten Frankreichs. Stände
es nur daheim besser! Ist es nicht ein Jammer, daß die Reichsminister
der preußischen Regierung sagen und sagen müssen, sie möchten
Preßfreiheit und Klubs zügeln, und daß sie dennoch nicht den Muth und
die Geschicklichkeit haben, es zu thun! -- -- -- --



Siebzigster Brief.


    Paris, den 9. October 1848.

Die jetzige französische Regierung hat dafür gestimmt, daß der künftige
Präsident durch die Nationalversammlung und nicht durch allgemeine
Volkswahl ernannt werde. Sie konnte aber wohl kaum überrascht sein,
daß sich die Mehrzahl der Abgeordneten für das letzte Verfahren
erklärte, da man ja in unseren Tagen (ohne Rücksicht auf volksthümliche
Verhältnisse) das am meisten Demokratische überall für das Beste hält.
Merkwürdig, daß man zu gleicher Zeit unbedingte Einheit (~unité~) der
Gewalt verlangt, hiebei vergessend, wie jene Einheit eben die +Form+
der Despotie, der unbedingten Allmacht ist, mag nun ein Czar, ein Senat
oder ein Convent an der Spitze stehen.

Nachdem gestern meine gesandtschaftlichen Arbeiten beendet waren, ging
ich den Kays der Seine entlang, zur Kirche ~Notre-Dame~. Jene Kays (die
in London an der Themse leider fehlen) erhöhen die Schönheit von Paris
gar sehr, und tragen gewiß auch zur Gesundheit einiger Stadttheile bei.
Die Kirche unserer lieben Frauen ist groß und merkwürdig, steht jedoch
den vollkommeneren Bauwerken dieser Art nach, sowohl hinsichtlich der
Auffassung und der Verhältnisse des Ganzen, als in Rücksicht auf die
Vollkommenheit der einzelnen Theile. -- Nun zum Luxemburg.

Im Hofe war große militairische Parade. Die Soldaten lebendig, kühn,
furchtbar; die Bewegungen gewandt, doch ohne ängstliche Pedanterie; die
Ausführung der Musik gut, die Compositionen gesucht und manierirt. --
Der Garten, bekanntlich ein würdiges Seitenstück zu den Tuilerien, eine
Wohlthat für diesen Theil der großen Stadt; Gottlob noch gut erhalten.
-- Die Sammlung von Gemälden neuerer französischer Meister. Ich danke
dem Himmel, daß ich nicht verpflichtet bin ein großer Kunstkenner
zu sein, oder ihn zu spielen und mit aufgebauschten, schwülstigen,
gestempelten Redensarten um mich zu werfen. Mir ist +diese+ ganze
Richtung der Kunst widerwärtig; ich halte sie für eine Ausartung die
man bekämpfen, und der man nicht (um einzelner Vorzüge und einzelner
Ausnahmen willen) schmeicheln und sie verhätscheln soll. Welche
Technik! ruft man mir entgegen. Diese sogenannte Technik findet sich
aber keineswegs überall; vielmehr sehe ich Nachlässigkeiten unmittelbar
neben der Sorgfalt, Verzeichnungen, häßliche Farben, unnatürliche
Verkürzungen u. s. w. Wenn der Zeus, oder die Athene des Phidias sich
herabließen in den Tuilerien spazieren zu gehen, und sich daneben ein
Seiltänzer auf dem Schleppseile sehen ließe, würden die privilegirten
Kunstkenner diesen auch vorziehen und ausrufen: welche Technik!!
-- Die Wahl fast aller Gegenstände zeigt eine krankhafte, unschöne
Leidenschaftlichkeit; eine Vorliebe für das Gewaltsame, Übertriebene,
Unschöne. Oder, wo große Künstler durch Ermäßigung verschönerten,
schlagen diese in einer Art von schlechter Branntweinbegeisterung den
umgekehrten Weg ein. So z. B. ein Prometheus in der unnatürlichsten,
widrigsten Stellung; Abel, ein lümmelhaftes Ungethüm, im Vergleiche mit
dem vielbekrittelten, rührenden Werke von Begasse. Der Hund auf dessen
Bilde ist mehr werth, als der ganze französische Skandal. -- Fast kein
Bild ohne Kranke und Leichen; ja, ohne Zweifel ist die Zahl der Leichen
größer, als die der Bilder, und zwar Leichen blau, grün und gelb, der
widrigsten Art. Sowie manche ekelhafte Schwelger stinkendes Fleisch
und stinkende Fische allen frischen, gesunden Speisen vorziehen,
scheinen diese französischen Künstler, Aas und Leichen den schönsten
lebendigen Gestalten vorzuziehen und sich daran zu ergötzen. -- Daß
sie sehr selten religiöse Gegenstände behandeln, mag gut sein, es
würde doch nur auf eine Profanation des Heiligen hinauslaufen: ein
Christus erinnert sehr an die Schröder-Devrient. Ich könnte noch viel
Einzelnes beibringen; dieser Stoßseufzer mag indeß genügen. -- Auf dem
Rückwege sahen wir noch die Kirche S. Sulpice und daneben einen neuen,
reichlich fließenden Springbrunnen. In vier Nischen sitzen über den
Wasserfällen: Flechier, Massillon, Fenelon, Bossuet; die letzten ruhig
nebeneinander, obwohl sie sich den Rücken zukehren. Das nebenstehende
College für Erziehung der Geistlichen, hat wohl Veranlassung zu dieser
Ausschmückung des Springbrunnens gegeben.

Die französischen Zeitungen beschäftigen sich viel mit deutschen
Angelegenheiten. In der Regel verstehen sie nichts davon, oder
nehmen gern alle Lügen auf, die in ihren Kram dienen. Schlimmer,
wenn ein Mann wie Ledru-Rollin darüber mit großer Anmaßung dummes
Zeug vorbringt. Das ~Journal des débats~ hat ihn heute über
mehre Punkte zurechtgewiesen und auch die Frage über das deutsche
Gesandtschaftswesen berührt und dessen Schwierigkeiten nachgewiesen.
Diese zu beseitigen ist lediglich Sache der Deutschen; nicht
unnatürlich wenn sie aber auch +hier+ hervortreten und mir meine
Bahn erschweren. Das ~Journal des débats~ thut mir indessen die
Ehre an zu sagen: ~la personne de Mr. de Raumer est faite pour sauver
bien des difficultés~. -- Erst störten mancherlei Thorheiten meine
Kreise; jetzt die Raschheit mit welcher man von Frankfurt aus alle
deutschen Gesandtschaften aufheben möchte. Ich wiederhole zwar: daß
mit Anerkenntniß eines Reichsgesandten, neben allen anderen Gesandten,
nichts über deren jetzige und künftige Stellung ausgemacht sei und
ausgemacht werden solle; man wird dennoch hier scheu und möchte keinen
Schritt thun, der von Einzelnen als verletzend könnte ausgelegt und
aufgenommen werden. -- Das frankfurter Schreiben an Preußen war in
der That sehr unzart abgefaßt und konnte nicht: ~sauver bien des
difficultés~.

Die jetzigen Machthaber werden, zufolge des obigen Wahlbeschlusses,
darauf dringen, daß der provisorische Zustand +baldigst+ beendet
und ein Präsident erwählt werde. Jene fühlen, sie seien schon im
Sinken begriffen und suchen die Entscheidung schwieriger Sachen ihren
Nachfolgern zuzuschieben. Auch meine Zwecke werden deshalb langsamer,
oder jetzt gar nicht erreicht; und ein Tag nach dem anderen vergeht,
ohne daß eine Macht der Welt im Stande ist, in dieser allgemeinen
Bewegung etwas Dauerndes festzustellen, oder festzuhalten. Bastide ist
seiner Stellung überdrüssig und sein Nachfolger wird für mich (sofern
ich dann noch hier bin) gewiß minder bequem sein.


    Den 10. October.

Wenn in Nordamerika (wo die Menschen an strenge Befolgung der Gesetze
gewöhnt sind) die in zwei Abstufungen eintretende Wahl des Präsidenten
dennoch eine lange und große Aufregung hervorbringt; wie viel mehr
wird dies bei +einer+, ganz allgemeinen Wahl in Frankreich der
Fall sein, wo man so unruhig und so geneigt ist, sein persönliches
Meinen und Wünschen über die Gesetze hinaufzustellen. Hiezu kommt,
daß in Amerika gewöhnlich 2, höchstens 3 Bewerber auftreten und von
alten Ansprüchen oder Berechtigungen gar nicht die Rede ist. Lamartine
läugnet zwar, gegen die offene Wahrheit, deren Dasein, Bedeutung und
Einfluß; wenn jene Präsidenten aber auch sämmtlich zur Seite bleiben,
oder zur Seite geworfen werden, so bessern sich die Verhältnisse
dadurch keineswegs, sondern die Unbestimmtheit und Ungewißheit wird
noch größer. Oder wo ist der Mann auf den ganz Frankreich mit
Vertrauen und Ehrfurcht hinblickte, oder hinzublicken genügenden
Grund hätte, wie auf einen Washington, Jefferson oder Napoleon. --
Cavaignac hat zu wenig gethan um den Leuten auf die Dauer zu imponiren,
und was man ihm im Augenblicke der Angst vor der rothen Republik zu
Gute rechnete, wird bereits vergessen, oder als übertriebene Härte
dargestellt und umgedeutet. Lamoricière steht mit Cavaignac ungefähr
auf derselben Stufe; Ledru-Rollin ist ein neuer Abdruck des alten
Terrorismus; und Lamartine ein Rhetor, dessen Verwirrung und Schwäche,
Andere als Heuchelei bezeichnen. Und doch hat er vielleicht geglaubt
mit seiner letzten Rede die Präsidentenwürde zu erobern. Sie Jahre lang
zu behaupten, würde ihm so unmöglich werden, als auf die Vendomesäule
hinaufspringen und sich auf die Schultern Napoleon’s setzen. Daß
übrigens Lamartine keinen Blick für geschichtliche Wahrheit hat,
erweiset seine Geschichte der Gironde jedem unbefangenen Kenner.
Welch eine Thorheit für einen Staatsmann, das, hier ganz unpassende
Wort Cäsars zu wiederholen: ~jacta est alea!~ aus dem Regieren
vorsätzlich ein dummes Glückswürfelspiel machen, und es durch
einseitige, unbedachtsame Beschlüsse darin verwandeln.

Anlagen zur Demokratie, ächte Lebenselemente derselben, sehe ich
fast nirgends; überall nur demokratische +Gelüste+, beruhend auf
Eitelkeit, Anmaßung und Verachtung alles Gesetzlichen. Wer sich
nirgends unterordnen will, sondern Willkür des Einzelnen an die Spitze
stellt, der hat das ABC einer rechten Demokratie noch nicht begriffen.
Damit daß man Namen verändert, ist für die Sachen noch kein anderes
Dasein begründet: ~rue royale~ oder ~rue de la révolution~; ~théâtre
français~ oder ~de la république~! An allen Kirchen, öffentlichen
Gebäuden, Ministerwohnungen: ~liberté, égalité, fraternité~; ein gutes,
einträgliches Geschäft für Die, welche es anschrieben und dereinst,
für Bezahlung aus öffentlichen Kassen, vielleicht wieder auslöschen.
Die Republik, sagen Manche, ist nicht improvisirt, nicht aus dem
Stegreife hervorgegangen; Frankreich war dafür längst vorbereitet und
reif. Dennoch wußte selbst Lamartine, als er in den Februartagen seine
großen Reden begann, nicht was er am Schlusse sagen wollte, und nachdem
er der Herzogin von Orleans Kußhändchen zugeworfen und Katzenpfötchen
gezeigt, machte er linksum und lief einer Dulcinea nach, welche der
neue Donquixote Republik nannte. Bis jetzt zeigt und giebt sie keine
Erlösung vom Bösen, sondern ist die Scylla, in welche man gerathen ist,
um die Charybdis loszuwerden. Der National beweiset: Frankreich sei
die einzige Macht, welche hinreichende Quellen besitze, Jahre lang
bequem einen großen Krieg zu führen; ich wünsche ihm Kräfte, Mittel
und Weisheit, Jahre lang den Frieden zu erhalten, ohne welchen Europas
Bildung zu Grunde geht und Barbarei hereinbricht. Trotz unzähliger
Erfahrungen, will die eine Partei noch immer nicht glauben, daß die
+Form+ der Verfassung niemals gleichgültig ist; die andere nicht
begreifen, daß sie nie entscheidend und allmächtig ist, sondern die
+Personen+ mit gleich großem Gewichte in die Wagschale hineinsteigen.
+Dieselbe+ Form, aber ein Ludwig XVI. oder Napoleon, welch ein
unermeßlicher Unterschied!

Jetzt zur Abwechslung (oder auch nicht zur Abwechslung) wieder eine
kleine Portion Paturot. „Eifer und Anstrengung sah man nur in den
Parteien, welche mit den Leidenschaften auf der Straße verbündet waren.
Die Anderen zweifelten an ihrer eigenen Überlegenheit. Sie sahen
eine eingerichtete Gewalt vor sich, und waren geneigt sie zu hassen
während ihnen die Kraft entwich, sie zu zerstören. -- In Zeiten der
Revolutionen erhebt und zerbricht man gar rasch die Götzenbilder. Kein
Name, kein Ruf widersteht diesem Gesetze des Augenblicks, keine Größe
bleibt unbesiegt. -- Der gesunde Menschenverstand ist seltener als man
glaubt, und nichts kann ihn ersetzen. -- Vergleiche (~transactions~)
mit der Unordnung helfen nicht; sie schieben das Übel hinaus und
vermehren dasselbe. -- Tausend Beispiele zeigen, was ein ausdauernder
Wille vermag. Die offenbarsten Narrheiten, die sinnlosesten Träume
haben sich durch Ausdauer einen Weg gebahnt. Jahre lang wiederholten
die Sektirer dieselben Irrthümer und Sophismen, veränderten den
Ausdruck unendliche Male, und verkleideten sie unter lügenhaften
Formeln; und dies reichte hin um die bürgerliche Gesellschaft zu
verführen, zu verderben und die Völker in den Abgrund zu stürzen. --
Kunststücke, Auskunftsmittel (~expédients~) haben niemals ein Reich
gerettet.“


    Den 11. October.

Gewiß hat es Hr. Bastide mit jener ersten Erklärung aufrichtig gemeint,
und ich kann sie in der That nicht mißverstanden haben. Doch darf
ich Vermuthungen über die etwaigen Gründe neuer Zögerungen nicht
unterdrücken. Nämlich: England scheint der +officiellen+ Anknüpfung
diplomatischer Verhältnisse mit der Reichsgewalt weit mehr entgegen zu
sein, als Frankreich. Lord N. wiederholte mir gestern alle die alten,
meines Erachtens hinreichend widerlegten Einwendungen. Ich nahm mir
hierauf (als Privatmann) die Erlaubniß, etwas schärfer aufzutreten und
ihm zu sagen: England weiß, wie abgeneigt viele Deutsche seiner Politik
sind, wie sie darin nur Eigennutz zu sehen glauben oder vorgeben. Und
nun erhebt England unerwartet die meisten Schwierigkeiten und scheint
durch sein Beispiel auch auf Frankreich störend einzuwirken. Ist das
aber eine großartige Politik, um diplomatischer Kleinigkeiten willen
die öffentliche Meinung Deutschlands zu verscherzen? Die Bemerkung:
„mit Frankreich könne man eher +officielle+ Verhältnisse anknüpfen,
denn wie es auch seine Verfassung ändere, bleibe doch immer Frankreich
übrig“ beweiset gar nichts; denn wie auch Deutschland seine Verfassung
ändert, bleibt auch Deutschland übrig. Daß aber die großen Bewegungen
in Deutschland auf lange Zeit mit einem leeren +Nichts+ endigen werden,
ist ein großer Irrthum. Wer kennt die Zukunft Frankreichs auch nur auf
Monate hinaus. Dringen die Franzosen in Italien oder gen Deutschland
vor, so bricht der Bund mit England und das englische Ministerium
zusammen, und man wird zu spät bereuen, Deutschland vernachlässigt und
verletzt zu haben.

L. Bonaparte hat in der Kammer kurz und patzig, oder doch so gesprochen
daß es den meisten Zuhörern nicht behagte. Deshalb wollen ihn Mehre
zu häufigeren Reden aufreizen, damit er +ver+braucht sei, ehe er
+ge+braucht sei. An derlei dünnen Fäden hängt die Zukunft Frankreichs;
oder es wird doch vermuthet und geglaubt, man könne sie daran aufhängen.

Gestern Abend war es beim General Cavaignac noch überfüllt; trotz der
Stürme oder der Ruhe, die ihm bevorstehen. Ich nahm Gelegenheit Hrn.
Bastide über die dummen Klatschartikel zu sprechen, welche man in
Frankfurt angeblich aus meinen Berichten über ihn zusammengedrechselt
hat. Er (einst selbst Journalist) weiß sehr wohl, in welcher Weise
Zeitungscorrespondenten hiebei oft verfahren, und mißt mir, Gottlob,
nicht die geringste Schuld bei. Ich wiederholte die Hauptsachen die
ich nach Frankfurt geschrieben habe, und er bestätigte, dies sei genau
seine Meinung und seine Äußerung.

Beim sardinischen Gesandten traf ich gestern Hrn. Baruffi, der sich
in Turin gegen mich äußerst freundlich gezeigt hatte. Wir sprachen
viel über Italien. Ich nahm mir die Erlaubniß ihm zu sagen: es kommt
weniger auf Landesgränzen und Wechsel der Dynastien, als auf eine gute
Verfassung und Verwaltung an; aber die Italiener (immerdar uneinig)
sind sich selbst die größten Feinde! -- Es ergab sich, daß alle meine
turiner Freunde und Bekannte, damals die Häupter der liberal Gesinnten
(Balbo, Sclopis, Petitti, Villa Marina und Andere) jetzt von Leuten
weit revolutionairerer Art überflügelt sind. ~Tout comme chez nous!~

Es hat den Anschein, als werde es mit meinen Geschäften, aus vielen
Gründen, sehr langsam, oder gar nicht, vorwärts gehen. Preußen wird
(mit +vollem Rechte+) bei den provisorischen Zuständen in Frankfurt,
sein Gesandtschaftsrecht als Großmacht nicht ausstreichen lassen;
während (wie ich höre) beide Hessen schon darauf verzichteten.

Salbadereien ~à la Lamartine~, Lobpreisungen des Convents ~à la
Ledru-Rollin~, Gebell aus der Ferne oder den Gefängnissen ~à la Louis
Blanc~ und ~Raspail~, sind gewiß widerwärtig und unsinnig; -- aber
die berliner politischen Ikeleye, die in ihrem Sandwasser Courbetten
schneiden und sich dabei selbstgefällig besehen, sind noch erbärmlicher
und katzenjämmerlicher. Gott bessere es! -- Alle Humanität läuft bei
diesen Leuten darauf hinaus: Verbrechen ungestraft zu lassen, ehrliche
Leute zum Vortheil des Gesindels zu Grunde zu richten, und Canaillerien
aller Art, unter die sinnlose Rubrik: +unschuldiger, politischer
Verbrechen+ unterzustecken.



Einundsiebzigster Brief.


    Paris, den 12. October 1848.

Ich höre, daß Beauftragte aus den Landschaften die Kunde zurückbringen:
durch allgemeine Wahl (besonders des Landvolks) würde L. Bonaparte
zum Präsidenten der französischen Republik ernannt werden. Seine
Vertrauten versichern: er wolle nie eine +höhere+ Würde annehmen und
nie Krieg führen. Beides wäre (bei seiner Persönlichkeit) gewiß das
Klügste; aber Gelegenheit macht Diebe und Niemand weiß, wer ihn zu
anderen Beschlüssen verführen oder zwingen dürfte. Man erzählt: es
seien schon vorläufige Unterhandlungen mit Molé und Thiers angeknüpft
worden, ob sie an die Spitze seines Ministeriums treten wollten, aber
noch nichts zu Stande gekommen. Einige meinen: wenn die Wahl des
Präsidenten noch um einige Zeit hinausgeschoben würde, dürfte der bloße
Name Bonaparte abgenutzt und seine Unfähigkeit so an den Tag gelegt
sein, daß die Wähler ihre Ansichten ändern müßten; Andere zweifeln,
daß pariser Überzeugungen (bei der Mißstimmung gegen Hauptstadt und
Republik) so schnell die Ansichten in den Landschaften umgestalten
dürften. Eine dritte Partei vermuthet: die Stimmenmehrheit werde bei
den Urwahlen nicht entscheidend sein, sondern die Entscheidung unter
den Höchstgenannten, der Nationalversammlung anheimfallen. Wer weiß
denn aber, welches diese höchsten Bewerber sein und wie die Mitglieder
der Nationalversammlung entscheiden werden? Überall also Ungewißheit,
welche zu beseitigen Lamartine (mit Beiseitesetzung alles Verstandes
und aller Thätigkeit) mit gekreuzten Armen der Vorsehung zuweiset --
oder vielmehr der Dummheit und Leidenschaft.

Trotz der viertägigen Schlacht und Niederlage im Junius erheben die
rothen Republikaner ihr Haupt an vielen Orten, bringen Cavaignac und
der Regierung ein Pereat, und lassen Convent, Terrorismus, Assignate,
Guillotine, Ledru-Rollin, Raspail und Complicen leben. -- Nach Euch,
sagen die Legitimisten, kommen +wir+: -- Aussichten auf Umwälzungen
ins Unendliche, -- ohne Dauer, Sicherheit, Wahrheit, Glauben und
Selbstverläugnung! -- Daneben geht das tägliche Leben in Paris seinen
Gang, aber nur scheinbar ungestört. Rom ist nicht in einem Tage
erbaut, aber auch nicht zu Grunde gegangen. Andeutungen für künftige
Ruinen finden sich jedoch in Paris schon in hinreichender Zahl, --
und der neue Dom in Berlin wird vielleicht auch in diese sentimentale
oder bejammernswerthe Reihe hineingerathen. Kein Wunder, wie unter
solchen Geburtswehen und Todeskämpfen die gewöhnliche Diplomatie ganz
vernachlässigt wird und nichts von der Stelle rückt; obgleich Fragen,
wie die über Schleswig und Italien, wichtiger sind als babylonische
Reden über allerlei Verfassungskunststücke.

Man behauptet hier sehr laut, daß neue und enge Verbindungen zwischen
den französischen, polnischen und deutschen Anarchisten eingetreten
wären. Im Vertrauen auf die fortdauernde Schwäche und Muthlosigkeit
der preußischen Regierung sollte ein Hauptschlag (besonders gegen die
frankfurter Reichsversammlung) in Berlin versucht werden.

-- -- Friedrich’s II. Ausspruch ist in der letzten Hälfte vollkommen
wahr, welche vorlauten Tadel der göttlichen Vorsehung zurückweiset;
aber der Vers: ~dieu ne descend point jusqu’à l’individu~, ist ein
geringer Trost für den Leidenden und Preßhaften. Was hilft es diesem
zu sagen: Gott sorgt nur dafür, daß sich die Erde binnen 24 Stunden
um ihre Achse dreht, oder daß sie in Jahresfrist um die Sonne läuft;
-- wenn Gott sich um die Menschen nicht kümmert, die doch mehr sind,
als der größte Erdenkloß. Allerdings begreife ich nicht (wie überhaupt
Keiner) wie die menschliche Freiheit, Selbstbestimmung, Tugend,
Sünde, Zurechnung sich mit der besondersten göttlichen Vorsehung und
Allmacht verträgt; es ist aber auch gar nicht meine Aufgabe dies
Räthsel zu lösen, dies Geheimniß zu entziffern. Mit vollkommener,
genügender Gewißheit weiß ich, daß Gott mich mit Vernunft begabt
hat, daß ich sie gebrauchen, Tugend üben, Laster meiden soll; --
unbekümmert um theologische oder philosophische Sophismen. Der höchste
Gedanke, der mir angeboren ist, oder den ich mir erwerbe, ist der
eines allmächtigen, allgütigen Gottes; und wenn ich diesen Gedanken
als eine Täuschung vernichten sollte, würde ich mich selbst oder das
rechte Lebensprincip vernichten. Auch mag ich Gott (den Weltschöpfer,
Welterhalter und Weltbeweger) nicht in eine unerreichbare Ferne
hinausschieben; ich bedarf seiner zu täglichem Umgange und Verkehr; und
auf diesem Wege kommt man zur Lehre von einem Mittler und von Heiligen.
Auch die Vielgötterei der Griechen beruht auf dem Bedürfnisse einer
harmonischen Annäherung des Göttlichen und Menschlichen, wo ~Dieu~ und
~l’individu~ in stetem, wechselseitigem Verkehre stehen. Allerdings
wächst auf diesem Boden auch dummer Aberglaube; ich mag mich aber da
nicht ansiedeln wo gar nichts wächst, und halte um so fester an dem
Glauben an eine höhere, göttliche Leitung, als mir die der Menschen
dümmer und sündhafter erscheint.

Die Verbreitung der lehrreichen Schrift Dieterici’s wird gewiß sehr
heilsam wirken, und doch Manchen auf den rechten Weg zurückbringen.
Auch hier herrscht Unwissenheit über diese Dinge, und Louis Blanc läßt
sich (durch die bittersten Erfahrungen) nicht von seiner hochmüthigen
Narrheit abbringen. Thiers hat eine lehrreiche Rede gegen Assignaten
und Papiergeld gehalten, und der Vorschlag sich diese Pest nochmals
einzuimpfen, ist Gottlob für jetzt durchgefallen.

    Druck von +F. A. Brockhaus+ in Leipzig.



Druckfehler.


    Seite 125 Zeile 11 v. oben lies: in unseren
      „   215   „    1 v. oben lies: Lorle
      „   223   „   11 v. unten lies: Steifensand





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