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Title: Ferien an der Adria - Bilder aus Süd-Österreich Author: Heer, Jakob Christoph Language: German As this book started as an ASCII text book there are no pictures available. *** Start of this LibraryBlog Digital Book "Ferien an der Adria - Bilder aus Süd-Österreich" *** images of public domain material from the Google Books project.) Anmerkungen zur Transkription Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so ausgezeichnet~. Im Original gesperrter Text ist +so ausgezeichnet+. Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches. Ferien an der Adria Bilder aus Süd-Österreich von J. C. Heer 4.--8. Tausend Frauenfeld und Leipzig 1918 Verlag von Huber & Co. Den Einband zeichnete Otto Baumberger, Zürich ~Copyright 1918 by Huber & Co., Frauenfeld~ Druck von Huber & Co. in Frauenfeld Vorwort zur dritten Auflage 1887--1917. Dreißig Jahre sind es her, seit ich als junger Mann die »Ferien an der Adria«, mein erstes Buch schrieb. Dem Werklein war ein stiller Lebenslauf beschieden; denn die Landschaften, von denen es handelt, lagen nicht an den großen Straßen der Welt, etwa Triest ausgenommen. Zwanzig Jahre waren notwendig, daß sich die erste Auflage erledigte, und als ich 1907 die zweite zeichnete, war ich überzeugt, daß es zugleich die letzte sein und das Werklein der Jugend in den Schoß milder Vergessenheit fallen würde. Das wäre der natürliche Verlauf eines Buchschicksals gewesen, das nie auf große Wirksamkeit angelegt war. Nun haben es die Zeiten anders entschieden, und furchtbar schwere Träume, die schon in den achtziger Jahren über den schweigenden Fluren des Friauls lagen, haben sich erfüllt, das nur halblaute Flüsterwort der Bevölkerung: »Um unsere Dörfer und Städte, um unsere Felder und unser Meer wird zwischen Italien und Oesterreich noch einmal ein entsetzlicher Krieg geführt werden.« Wie ein Alpdruck lag schon damals die Furcht davor über jedermann. Nun haben sich die alten bösen Ahnungen erfüllt, und schauderhaft ist der Krieg während drei Jahren über das blaue Band des Isonzo hin und her gestampft, Ebene wie Berge jener Gegenden haben unermeßlich das Blut der kämpfenden Hunderttausende getrunken. Wo ist die Lieblichkeit von Görz, der Friede der Lagunen, der düsterschwere Schönheitstraum von Duino? So weit die Berichte zu uns in die Schweiz dringen, überall nur Trümmer. Wir Schriftsteller haben wahrlich keinen Anlaß, dem Krieg ein Loblied zu singen. Nicht einmal wir Neutralen. ~Inter bellum musae silent.~ Wie viele schöne Arbeitsstunden blieben unter dem Druck des großen Völkerkrieges unfruchtbar; wie manche Werke müssen ungedruckt im Pult liegen! Die furchtbaren Ereignisse aber, die sich im Friaul abspielten, haben da und dort noch einmal die Neugier derer, die dem italienisch-österreichischen Krieg mit Spannung folgen, auf meine halbvergessenen Schilderungen »Ferien an der Adria« gelenkt. So können sie im Gegensatz zu manchem Buch, dem der Krieg den Lebenslauf bedenklich schmälert, noch einmal in neuer Auflage erscheinen, was mich für meinen Erstling immerhin erfreut. Ein Geständnis aber an die Leser. Das Buch erscheint genau, wie es vor dreißig Jahren geschrieben worden ist, obgleich auch im Küstenland die Zeit nicht ohne Entwicklung vorübergegangen ist; namentlich hat sich ja inzwischen Triest wundervoll entfaltet und verdiente ein neues Kapitel der Schilderung. Es fehlen mir aber für dieses die Unterlagen eines neuern Besuches an der Adria, und jetzt im Krieg läßt sich ein solcher doch nicht leicht nachholen. Von Triest aber abgesehen dürften die Schilderungen im wesentlichen noch stimmen, das Landschaftliche voran. Dazu trage ich ein weiteres Bedenken gegen eine Umarbeitung des Werkleins. Wenn es auch keine hohen literarischen Ansprüche erhebt, so ist es doch aus empfänglichster jugendlicher Wanderstimmung geschrieben, die ich nach so viel Jahren nicht mit dem Stil des Alternden durchbrechen mag; mir ist, ein Jugendwerk ehrt man am besten, indem man es bestehen läßt, wie es ist. Damit mögen sich auch die Leser zufrieden geben. Die neue Auflage aber kann ich nicht einleiten, ohne dem Volk der darin geschilderten Gegenden mein herzliches Mitleid auszusprechen mit den furchtbaren Erlebnissen, die es selber erfahren hat oder deren Zeuge es gewesen ist. Möge dies- und jenseits des blauen Isonzo nach dem Schrecken der Schlachten bald wieder die gesegnete Stille einkehren, in der das Leben des Volkes am besten gedeiht, mögen die Wunden harschen, die Dörfer und Städte in neuer Blüte auferstehen und die Wellen der Adria wieder ein Land küssen, das sich nach Jahren tiefster Prüfung des süßen Friedens erfreut. Friede den Völkern -- das ist mir mehr Herzenssache, als daß dieses Büchlein aus Kriegsgründen noch einmal flüchtige Tagesbedeutung gewinnt. Weihnacht 1917. J. C. Heer. Inhaltsübersicht Seite Im Friaul 1 Venedig. -- Abendfahrt. -- Monfalcone. -- Meer und Tiefland. -- Ein Garten. -- Die Piazza grande. -- Der Markt. -- Leben und Lieben. -- Nord und Süd. -- Ein Original. -- Sein Hausregiment. -- Der Maler. -- Die Volksschule. -- Am Hafen. -- Die Fischer. -- Ein Strandgebiet. -- Die Malaria. -- Die Campagnen. -- Der Isonzo. -- Die bäuerliche Wirtschaft. -- Furlanische Dörfer. -- Italiener und Slovenen. -- Die Karstlandschaft. -- Eine Taubenhöhle. -- Verlorene Wasser. Österreichisch Nizza 27 Eine Wagenfahrt. -- Görz. -- Völker und Sprachen. -- Ein mittelalterliches Idyll. -- Industrie. -- Die Villen. -- Der Kurort. -- Ein Ausflug. -- Der Monte Santo. -- Wallfahrer. -- Lienhard und Gertrud. -- Aussicht. -- Bohnen in den Schuhen. -- Am Isonzo. -- In der Ebene. -- Gradiska. -- Ein Plan. Aquileja 45 Die Gründung. -- Die Blüte. -- Leben und Treiben. -- Der Untergang. -- Alte Lebensfasern. -- Fundgegenstände. -- Ein Stall. -- Das moderne Aquileja. -- Rückblick. -- Die ungetreuen Frauen. -- Die Erbin. -- Eine Auferstehung. -- Der Pozzo d'oro. -- Ein Wirrsal. -- Signore Moschettini. -- Das Museum. -- Skulpturen. -- Grabsteine. -- Anticaglien. -- Neujahrslampen. -- Ziegelinschriften. -- Der Campanile. -- Die Patriarchen. -- Der Dom. -- Die Krypta. -- Ein urchristliches Taufbecken. -- Die Aussicht. Lagune von Grado 73 Die Düne. -- Ebbe und Flut. -- Lagunenfahrt. -- Säkuläre Senkungen. -- Schöne Pläne. -- Gradonesische Fischer. -- Indolenz. -- Ein Asyl. -- Das Städtchen Grado. -- Badeleben. -- Inselgrün. -- Die steigende Flut. -- Südliche Nacht. Im Frühling von Miramare 87 Ein Badeort im Sumpfe. -- Der kürzeste Strom Europas. -- Naturrätsel. -- »Es stand in alten Zeiten ...« -- Duino. -- Meerbilder. -- Die Dolinen. -- Slavische Dörfer. -- An der Küste. -- Die Gärten von Miramare. -- Erzherzog Max. -- Das Trauerspiel von Mexiko. -- Der Kaiser. -- Charlotte von Belgien. -- Das Ende. -- Ein Gang durchs Schloß. -- Auf der Balustrade. -- Ave Maria. Triest 106 An den Quais. -- Der Hafen. -- Der Leuchtturm. -- Ausblick. -- Schiffer und Arbeiter. -- Der Fischmarkt. -- Meerspinnen und Muscheln. -- Die Stadt. -- Denkmäler. -- Die Einwohnerschaft. -- Gegensätze. -- Antikes. -- Winckelmann. -- Beim Antiquar. -- Das Arsenal. -- Der Schiffsbau. -- Seeleute. -- Ein Maschinist. Die Küste von Istrien 125 Meerfahrt. -- Capo d'Istria. -- Pirano. -- Das Volksleben. -- Schöne Frauen. -- Die Salzgärten. -- Die Punta Salvore. -- Spielende Delphine. -- Der Name Istrien. -- Der kleine Antiquar. -- Parenzo. -- Eine Schweiz im Wasser. -- Felsen und Riffe. -- Rovigno. -- Schiffersagen. -- Die Bucht von Pola. Im Kriegshafen von Österreich-Ungarn 143 Das Seearsenal. -- Schiffsmodelle. -- Trophäen und Standarten. -- Die Magazine. -- Die Riesen des Alpenwaldes. -- Werften und Docks. -- Das Stadtbild von Pola. -- Chidher, der ewig junge. -- Römische Denkmäler. -- Die Arena. -- Eine Überraschung. -- Arme Leutchen. -- Im Mondschein. -- Aus der Schenke. -- Ein Nachtspaziergang. -- Sonnenaufgang. -- ~La poveretta.~ -- Der Scirocco. -- ~Mal di mare.~ Der Karst und die Grotte von Adelsberg 163 Osterfahrt. -- Die Karstgewässer. -- Äcker und Weiden. -- Die Bora. -- Der Wald. -- Aufforstungen. -- Adelsberg. -- Am Grottentor. -- Die Grotte. -- Der große Dom. -- Der Höhlenfluß. -- Die Geschichte der Grotte. -- Die Tropfsteinbildungen. -- Der Tartarus. -- Geheimnisvolle Bildwerke. -- Festliches Leben. -- Unerforschte Gänge. -- Zum Kalvarienberg. -- An die Sonne. [Illustration] Im Friaul. Als der Schnee schon in die Berge zurückgewichen war, Lenzsonnenschein auf den Höhen, junge Wanderlust im Herzen lag, da brachte mir eine Briefschwalbe aus dem Süden unerwartete Botschaft: eine herzliche Einladung meines Onkel -- Direktor Johannes Heers in Monfalcone -- zu einem längeren Aufenthalte am Golfe von Triest. Ich las das freundliche Schreiben und jenes stille Heimweh nach dem sonnigen Süden, das Goethe mit seinen Mignon-Liedern uns Nordlandssöhnen nun einmal in die Brust gedichtet hat, brach durch; die schöne Süderde stand verführerisch vor meiner Seele: »Du hast Ferien, Junge, du hast etwas Kleingeld, du hast vor Jahren eine italienische Schulgrammatik durchgearbeitet, es fehlt dir nicht an Wandermut, geh und sieh dir den Garten unter den südlichen Alpenkämmen, die lombardischen Städte, die Meerkönigin, das wundersame Venedig, an und halte dann Wanderrast in Monfalcone, der kleinen Stadt am Golfrund von Triest.« Vierzehn Tage später flog ich durch den Gotthardtunnel. In Lugano und auf seinem herrlichen See bot ich im Geist Willkomm dem Lande ewigen Lenzes und sonniger Kunst, dem Land dunkler Weine und dunkler Frauen; in Lecco, wo die »~Promessi sposi~« in Liebesträumen gewandelt, fing ich an zu wandern die Kreuz und die Quer; in Verona ließ ich mir den Palast der Capulet und hinter einem Krautgarten das legendäre Grabmal Juliens zeigen, und vierzehn Tage nach meiner Abreise stand ich auf dem Markusplatz zu Venedig. »~La mia bella Venezia!~« Es war am dritten Tag meines dortigen Aufenthaltes, das schöne Venedig hatte mich gewaltig reisemüde gemacht, und ein feiner, trostloser Regen rieselte in die Lagune; da war mir die märchenschöne Stadt in tiefster Seele verleidet. Wenn man sie im Glanz des vollen Mondes gesehen hat, gibt's nichts Traurigeres, als Venedig bei Regenwetter; es ist dann wirklich nichts mehr als die Totenstadt der erschlagenen Republik. Ich atmete auf, als der Nachmittagszug Venedig-Triest die lange Brücke gegen Mestre hinüberdonnerte; ich hatte sogar nicht viel dagegen, daß in Treviso eine italienische Arbeiterkolonie, die hinaus nach Graz oder Wien wollte, lärmend und singend den Rest der Plätze besetzte und mich mit ihren Reisesäcken einpferchte. Der Regen floß in Strömen auf die im ersten, zarten Laubkleid prangende Tiefebene des östlichen Venetiens. Als wir ein paar Stunden gefahren, hielt der Zug plötzlich im freien Feld still; der Lärm der Italiener wurde noch größer; so viele Köpfe als unter den Wagenfenstern Platz hatten, reckten sich in den Regen hinaus. »~Addio, carissima patria, addio, addio!~« schrien die braunen Männer, schwenkten ihre roten Sacktücher, und ein blutjunger Bursche, der zum erstenmal von Vater und Mutter gegangen, zerdrückte eine Träne im Auge. Wir standen auf der Brücke des Judrio, auf der diesseitigen Grenztafel war das italienische Kreuz, auf der jenseitigen der österreichische Doppeladler. Eine Minute Halt, als Reverenz gegen die habsburgische Monarchie -- die Lokomotive schrillte, und ein Weilchen später waren wir in Cormons. Wagenwechsel -- Gepäckrevision -- dann sank melancholisch die Nacht herein; die Italiener wurden stiller und stiller; der Zug brauste die öden Hügellehnen, welche die julischen Alpen als Brustwehr gegen die Tiefebene hinausstellen, entlang und donnerte über die Isonzobrücke, während bergeinwärts ein Lichtfunkeln im Tal die Lage der Stadt Görz verriet. Der Schaffner schrie sein schnarrendes »Gorizia« -- dann »Rubbia-Savogna -- Zagrado -- Ronchi« und endlich -- meine Ungeduld war aufs höchste gestiegen -- »Monfalcone«! Als ich ausstieg, schloß mich ein hochgewachsener Mann mit einem großen schwarzen Bart in seine Arme. Das war mein Onkel, und die vier Kinder, die sich an mich drängten, sein blühender Nachwuchs. Das Direktionshaus der erst vor wenigen Jahren gegründeten großen Baumwollspinnerei im Osten des Städtchens war mir nun während drei Monaten freundliches Asyl, wo ich herzliche Gastfreundschaft genoß. Ich war frei und von jeher kein Stubenmensch; ich suchte von Land und Volk so viel zu erfassen, als in der kurzen Frist möglich war. Hier die Eindrücke, mit denen mich das sonnige Meer, das üppige Tiefland, die grottendurchwühlten Berge, das italienische Volksleben, die mehr als zweitausendjährige Geschichte des österreichischen Südens gefesselt haben. * * * * * »Du kleine Stadt, du weites Land, du blinkendes Meer, grüß euch Gott. Hier ist gute Wanderrast!« Als ich's rief -- oder vielmehr war's nur ein halblauter Gedanke -- stand ich auf einem jener steinigen Hügelrücken, welche vom innersten Winkel der Adria bis nach Görz und noch ein Stück weiter die nordadriatische Tiefebene begleiten. Ein klarer, wundervoller Morgen, wie ich während meines Aufenthaltes im Küstenland noch manchen, aber keinen schönern erlebt, lag über der regennassen Erde, die im Sonnenschein lächelte, wie ein Kind, dem noch die Tränen an den Wangen perlen. Mir zu Füßen lag, von West nach Ost, die kleine Stadt, und von dem großen, viereckigen Platz in ihrer Mitte tönte der Lärm des südlichen Marktes; allein nicht Stadt, nicht Markt fesselten mich; mein erster Blick war gebannt von jenem lieblichen Stück des »alten, heil'gen, ew'gen Meers«, welches bis gegen das Städtchen hin vordringt. Das ist der Golf von Monfalcone, der innerste Busen der Adria. An seiner felsenstarrenden Ostküste stehen die herrlichen Schlösser Duino und Miramare, weiter nach Süden, wo sich der Golf zur offenen See ausweitet, schimmert Triest an grünen Uferhügeln, und die dunkeln Küsten Istriens grüßen mit ihren blinkenden Hafenpunkten meerherüber. Dem Zauber des Meeres entzieht sich kein Sohn des Binnenlandes; denn es liegt etwas unendlich Träumerisches, Auflösendes im Anblick seiner ruhsamen, azurenen Flut, und immer wieder kehrt der Blick zu seinem sonnigverklärten Blau zurück. Allein kaum weniger mächtig reizte mich gebirgsgewohnten Mann die Ausschau auf die im Süden und Südosten sich unübersehbar dehnende, von keiner Erdwelle durchsetzte Ebene des untern Friauls, aus deren frühlingszartem Grün, wohin ich blickte, graziöse Kirchtürme gegen den tiefblauen Südhimmel aufstiegen. Am Horizonte dämmerte, zugleich Grabmonument einer der größten Römerstädte und weithin sichtbares Wahrzeichen des Friauls, der Campanile von Aquileja, der acht Jahrhunderte kommen und gehen sah. Meer und Tiefland sind schön durch ihre ahnungsvolle, träumerische Einförmigkeit; doch ebenso schön sind die Berge. In den wilden Häuptern der Alpen ist nichts Gleichartiges, da liegt in jeder Falte, in jeder Linie ein origineller Gedanke, wie ihn die geniale Natur gefaßt und zu Stein verhärtet hat. Die julischen Alpen sind zwar keine Schweizerberge, dafür fehlen ihnen die ewigen Firnen und die donnernden Gletscher, doch tragen sie bis weit in den Sommer hinein den Hermelin des Winters; sie stehen über den Hügeln des Karsts und den Fichtenwäldern des Tarnovanerwalds als achtungfordernde Pioniere nordischer Herrlichkeit und sind ein Schmuck der nördlichen Adria, gegen welchen die Südgestade dieses Meeres nichts zu vergleichen haben. Auf der höchsten Erhebung des Karstrückens, den ich erklommen, steht eine Ruine, ein runder Turm auf einem breitern, runden Grundbau. Das ist die Rocca von Monfalcone, die älteste Burg des Küstenlandes. Die Geschichte kennt nicht Ursprung, nicht Schicksal; die dichtende Sage aber verknüpft ihren Namen mit demjenigen Theodorichs, des Ostgotenkönigs. Ich kletterte über die äußere Mauerbrüstung und durchstöberte das einzige Gelaß der Burg; allein im Halbdunkel war außer vielem Schutt und einigen morschen Knochen nichts zu entdecken. Das war mein erster Spaziergang in Monfalcone, und nachmals bin ich noch oft auf die Höhe gewandert, um auszuschauen in die sonnigen Weiten; doch mein Lieblingsplätzchen wurde ein in der Nähe unseres Wohnhauses an den Hügel sich lehnender Garten, der früher einem Grafen Asquini gehörte, jetzt aber vernachlässigt ist. Da blühen ungehegt und ungepflegt Mandel- und Olivenbaum; Weinreben und Rosen ranken sich um die Stämme breitschirmiger Pinien, und im ungehindert wuchernden Grün stehen feierliche Zypressen. Mitten in die Romantik dieser Wildnis, in ein blühendes Lorbeerwäldchen, ließ ich mir ein Tischchen setzen. Da las ich in den Morgenstunden meinen Goethe, und er liest sich noch einmal so schön in dem ihm geistig heimischen Land. Manch eine Frucht seiner tiefen, geläuterten Lebensanschauung, um die ich im Norden vergebens rang, senkte sich unter dem grünen Laubdach leicht und zwangslos in die Seele. Dann wanderte ich hinunter in die Stadt, von der ich gerne viel Schönes und Interessantes schreiben würde; doch ist Monfalcone nicht anders als irgend eine italienische Kleinstadt der Lombardei oder der Toskana. Vor mancher andern zeichnet sie sich durch eine gewisse Reinlichkeit vorteilhaft aus, obwohl sich noch italienischer Absonderlichkeiten genug vor den Blick des Fremden drängen. Die alten römischen Städte hatten ihr Forum, die neuen italienischen, auch die kleinsten, wollen nicht ohne ihre »Piazza grande« sein. Auf derjenigen von Monfalcone steht, vielleicht in Nachahmung der drei Mastbäume auf dem Markusplatz zu Venedig, eine hohe Stange mit dem Wappentier der Stadt, dem Falken, auf der Spitze. Es erinnert daran, daß die Burg, jene verwitterte Rocca, im Mittelalter, als von der Longobardenzeit her noch ein deutscher Adel über die Gegend herrschte, die »Falkenburg« hieß. Ihren ins Italienische übersetzten Namen hat dann mit dem Emporkommen italienischer Volkselemente das Städtchen selber angenommen, während sein ursprünglicher deutscher -- Neuenmarkt -- in Vergessenheit geriet. Einige Gebäude unter dem Häuserviereck, welches die Piazza grande umschließt, sehen recht gedeihlich aus. Der schönste Schmuck des Platzes indes ist das in schlichtem Tempelstil gehaltene Stadthaus mit einem daran stoßenden kleinen Park. Das Kasino im Erdgeschoß des Gebäudes und die Vortreppe desselben bilden den Sammelort der vornehmen Welt von Monfalcone, doch beschränkt sich diese auf einige reiche Grundbesitzer, einige Rittmeister außer Diensten, einige Handelsleute und ein paar kleine Rentiers. Auf der Piazza entfaltete sich in den Morgenstunden ein lebhafter Markt, besonders stellen sich die Karstbauern mit ihren Fuhren von Wurzelwerk und Staudenholz ein; denn der Holzbedarf einer furlanischen Städterfamilie wird entweder täglich oder wöchentlich, selten aber durch große Einkäufe gedeckt. Der Mangel an diesem so unentbehrlichen Feuerungsmaterial ist fühlbar, die Qualität des Holzes sehr gering, da es fast ausnahmslos aus zehn- oder zwanzigjährigem Niederwald stammt. Längs des Stadthausparkes sind die Stände des Fischmarktes; doch kommen in Monfalcone selber nur die geringsten Sorten der Seeflosser, am häufigsten der Tintenfisch und der Aal, zum Verkauf; die schmackhafteren wandern fast alle auf binnenländische Märkte, besonders nach Wien. Östlich von der Piazza liegt der Kern des Städtchens, ein Viereck älterer Gebäude. Aus der Mitte steigt der Campanile der Parochialkirche, ein zierlicher Bau, dessen achteckiger Helm von acht Säulen getragen wird. Vier schöne Glocken schimmern zwischen denselben durch. Ich war entzückt, als ich das reine volle Geläute zum erstenmal hörte, allein es hat den Fehler eines Plauderers: man hört es zu viel; es ist keine Stunde in der Morgenfrühe, keine im Tag und keine am Spätabend, wo nicht Glockenklänge über das Städtchen hallen. Dazu hat der Italiener eine bewundernswerte Virtuosität, Mannigfaltigkeit in die Tonregister des Geläutes zu bringen, eine Virtuosität, die in abgebrochenen kurzen Klängen und in wimmerndem Gebimmel das Höchste leistet. Nur in der Charwoche, wenn die katholische Christenheit auch den Bilderschmuck ihrer Kirchen mit Tüchern verhängt, blieben, ein hübsches Sinnbild der Trauer, die Glocken stumm. Selbst der Stundenschlag hörte auf; aber an seine Stelle trat das weithin tönende Geklapper einer im Glockenhaus aufgestellten Maschine, das von der mit Handklappern durch das Städtchen schwärmenden Jugend verstärkt wurde. Am Ostende des die Kirche umschließenden Quartiers ist eine schöne Kastanienallee, die von der Zeit an, wo sie in der Pracht ihrer rötlichen Blütenkandelaber steht, bis in die letzten Tage des Herbstes, wo der Borasturm sie entblättert, den Lieblingsaufenthalt der Monfalconeser bildet. Hier oder im Park des Stadthauses hat der Fremde am ehesten Gelegenheit, das Leben und Lieben dieses Völkleins zu beobachten, und nie mehr als an einem Sonntagnachmittag, wenn leichte, lose Musik die Jugend zum Tanz unter die Baumkronen lockt, denn kein Bursche, kein Mädchen widersteht den Klängen. Wenn sich das italienische Barfüßele des Werktages sonntäglich schmückt, wenn es Haar und Büste mit Knospen und Blüten ziert, wenn es, das Köpfchen an die braune Brust des Burschen geschmiegt, wild und wilder durch die Reihen fliegt, die schwarzen Augen glühen, die Wangen gerötet sind, die Leidenschaft durch alle Bewegungen und Züge rinnt, dann liegt wirklich etwas exzentrisch Schönes in diesen südlichen Gestalten. Da kann man allerdings ein keckeres Kosen sehen als draußen im kühlen Nord, und manch ein braunes, glutäugiges Kind, das im Begriffe steht, eine Jungfrau zu werden, reift hier unter den sengenden Blicken seines Burschen rascher aus, als ihm vielleicht gut ist. Der Süden, der der Natur einen so kurzen Lenz zumißt, er gönnt auch dem Menschenkind keinen langen Lebensmai, und wenn das nordische Mädchen in seiner schönsten Blüte steht, ist diejenige des südlichen schon dahin. Auf der Nordseite der viereckigen Häuseranlage zieht sich die Straße, die von Triest nach Venedig führt, durch das Städtchen. Denke ich an diese Gasse, dann kommt mir die Erinnerung an einen liebenswürdigen und originellen Menschen, an den Signore Battistic. Ich habe in seinem Atelier zu manche Stunde verplaudert, als daß ich den würdigen Postwirt von Monfalcone totschweigen wollte. Er ist der berühmteste unter den Bewohnern des Orts, und sein Gasthof hat einen Ruf, der genau soweit reicht wie derjenige seines Städtchens. Nennt man einem Triestiner Monfalcone, so denkt er sicherlich nicht an die Stadt, er denkt an die Küche des Herrn Battistic, an die Schnepfen, an die Branzins, an die Austern, an die Spargeln, die man nirgends so gut bekommt, wie auf der Post zu Monfalcone. Ich habe zwar mehr die andern guten Eigenschaften des Herrn Battistic als diejenigen des Hoteliers kennen und schätzen gelernt. Er geht nämlich im Ruhm seines Gasthofes nicht auf, sondern ist der erste Naturforscher und der erste Nimrod der Gegend, er ist Antiquitätenhändler, Briefmarkensammler, ein Universalgenie; sein höchster Stolz aber ist die Kunst: er ist ein Meister des Pinsels und der Palette. Er mag jetzt seine vierzig Jahre haben und in seinen jüngern Zeiten war er zweifellos ein sehr hübscher Mann, denn er ist jetzt noch nicht häßlich, obwohl er sich eines gewissen Embonpoints erfreut. Noch flutet eine Fülle von Künstlerlocken in seinen Nacken, und die kleinen, klugen Augen sprühen zuweilen noch die Glut des verliebten Italieners. Man kann einen Embonpoint tragen und eine Vielseitigkeit des Geistes entwickeln, wie Herr Battistic, und dabei doch ein armer Teufel sein. Er war's. Wurde am Morgen für ein Gesellschäftchen aus Triest ein Abendessen bestellt, dann war mein Freund in Verzweiflung, kein Geld, kein Kredit und keine Ware. Er war nicht mehr zu sprechen, er irrte in seinen Schlappschuhen durch die Gemächer, er irrte durch die Stadt, verwünschte seine beschränkten Verhältnisse und raufte sich das dunkle Haar. Jedesmal wurde das Wunder neu. Wenn die Gäste kamen, war ein Essen da, wie man es nur auf der Post zu Monfalcone bekommt. Herr Battistic glänzte vor Vergnügen, sprach geistreich, und keiner seiner Gäste lernte ihn anders denn als einen Gentleman kennen. War man aber vertrauter, so machte er aus seinen bedenklichen Umständen kein Hehl. »Aber sagen Sie mir, wie kamen Sie denn in eine solche Lage, Sie, der kluge, lebenserfahrene Mann?« fragte ich ihn einmal. »Das kommt von meinem Hausregiment«, sagte er, »das kommt davon, daß meine Köchin und meine Kellnerin die größten Schelme sind auf der Welt. Brauch' ich im Tag einen Liter in der Wirtschaft, so trinken die beiden heimlich drei; bleibt von einer Mahlzeit ein Rest, den ich wieder verwenden könnte, so ist er fort, ehe ich danach sehen kann, und frage ich, wohin die Dinge gekommen seien, so antworten die beiden aus +einem+ Mund: »Wir wissen es nicht, wir sind ganz unschuldig, Patron.« Zuweilen erwische ich sie aber doch.« »Wie so denn?« »Nun, bald so, bald so. Ich habe schon eine Purgaz in den Wein getan. Sie können sich nicht vorstellen, was das für ein Rennen gab; aber bekannt haben die Weiber nicht. Ich habe auch einmal Hundsexkremente auf einen Teller gelegt und überzuckert; da haben sie, nachdem sie es zum Munde geführt, schrecklich gespien; aber gebessert haben sie sich nicht.« »Dann entlassen Sie die Unverbesserlichen.« »Ich kann nicht. Die Köchin ist die beste Stütze des Geschäftes, an die andere bin ich mich auch gewöhnt, und Wechseln würde doch nur den Tausch eines Schelmes mit einem Dieb bedeuten -- mein Gott, hätte ich nur 2000 Gulden, in zwei Jahren wäre ich Rentier.« Herr Battistic wußte Dutzende von Gelegenheitskäufen in Smyrna, in Bombay, ein großer Spekulant ist an ihm verloren gegangen. Allein die Malerei hilft ihm über die Misere des Lebens weg. Er malt in einer Art von Loggia, aus der man in den Hof seines Hauses sieht. Eine wirre Sammlung von Muscheln, ausgestopften Vögeln, selbstgemalten Bildern und aus Büchern ausgeschnittenen Holzstichen bringt die nötige Stimmung in sein Arbeiten. Steht er an der Staffelei, so hüllt er seine Gestalt in einen Schleier von Zigarrenrauch, aus dem das sonnige Gesicht des Künstlers in sanfter Verklärung strahlt, und so entstehen unter seinem Pinsel Strandlandschaften, Meerbilder, Jäger, Fischer, Netze und Wild. Mit diesem Künstler, und jovialen Gesellschafter, von dessen Naturerkenntnis und Jägererfahrung man, so oft er erzählte, das Sprichwort »~Se non è vero, è ben trovato~« anwenden mußte, bin ich immer gern einen Weg gewandert; er hat mir auch einen wesentlichen Dienst geleistet, eine kleine Sammlung von Muscheln und Krebstieren der nördlichen Adria hübsch präpariert. Hier muß ich auch noch eines andern lieben Mannes gedenken, des Herrn Primosciz, Schulleiter in Monfalcone, der mich eben so sehr durch seine Herzensgüte als durch seinen aufgeschlossenen Natursinn sympathisch an sich gefesselt hat. Dort, fast dem Gasthof zur Post gegenüber, steht das Schulhaus, in dem er mit fünf andern Kollegen wirkt. Es ist ein enger, abstoßender Bau und furchtbar mit Schülern überfüllt; allein es ist Hoffnung vorhanden, daß die Stadt in einigen Jahren ein würdiges Heim für die heranwachsende Jugend baut. Sonst bildet das Schulwesen ein trübes Blatt im furlanischen Volkstum. Es fehlt nicht immer an gebildeten Lehrern und in den Schulen nicht an guten, allgemeinen Lehrmitteln, für den Anschauungsunterricht sind sogar vorzügliche und reiche Bilder da, auch die Bücher der Jungen sind nicht ungeschickt abgefaßt, doch vielleicht etwas zu hoch; aber es fehlt die Hauptsache: Die Schule hat im Volk keine Wurzeln, man betrachtet sie als eine von der Regierung aufgebürdete Last, und das Obligatorium derselben wird durchbrochen, wo immer es geht. Nicht nur einmal sind mir draußen in den Pächterhütten der Campagna zehn- und elfjährige Rangen begegnet, die noch über keine Schulschwelle getreten waren. Herr Primosciz und ich, wir sind häufig miteinander gewandert hinab ans Meer, hinaus in die Campagna, hinein ins Gebirg -- und manch ein Merkwürdiges, das ich dort gesehen, habe ich seiner Führung zu verdanken. Ein Lieblingsziel war mir stets der Porto Rosega, der Hafen von Monfalcone. Man spaziert in einer halben Stunde dorthin, und so oft man kommt, sieht man etwas Neues. Der Hafen selber ist zwar nur ein ins Land einschneidender Kanal von etlichen Metern Breite. Nichtsdestoweniger gehört er zu den besten der adriatischen Nordküste. Und welch einen herrlichen Blick hat man, wenn man auf der äußersten Spitze seines Molo steht. Man sieht ein Golfoval, das zu den schönsten Stellen des Mittelmeeres gerechnet wird. Man hat den steilen Küstensturz von Duino und darüber die uralte gewaltige Veste selbst, wo die deutschen Kaiser auf ihren Italienfahrten gerastet, wo der Geist Dantes umgeht, man hat gerade vor sich Miramare, das Tränenschloß, zur Rechten Triest, sich hell und klar von silbergrauen Olivenhängen hebend, und noch ein paar istrianische Städte: Capo d'Istria, Isola und auf verblauendem Vorgebirg Pirano. Dazwischen liegt der von hellen Segeln belebte herrliche Golf, der bald wie Silber glänzt und gleißt und bald wie ein großes Träumerauge in stiller Ruhe blaut. Die Ebbe des Golfes, die im Mittel nicht mehr als sechzig Centimeter, im Maximum einen Meter beträgt, ruft zwar nicht jene großartigen Erscheinungen hervor, welche an der Nordsee den Fremden so gewaltig fesseln, doch legt sie an dem flachen Strand von Monfalcone weite Meergebiete bloß. Dann eilen halb entblößte Weiber und Kinder, einen Sack am Rücken, ein Netz in der Hand, auf die Sandbänke, waten weit hinein in die zurückweichende Flut und sammeln ihre »~frutti di mare~.« Es braucht den Mut dieser Strandläufer, immer frisch und keck in den krabbelnden Quark von Seespinnen, Krebsen, Strahltieren und Mollusken, zwischen denen sich wohl auch etwa ein Wasserschlänglein verfängt, hineinzugreifen. Der Golf von Monfalcone muß übrigens, sowohl was die Artenmenge, als die Farbenschönheit der Seetiere betrifft, als das am meisten durch Süßwasser geschwängerte Becken dieses Meeres, von den südlichen Gebieten desselben zurücktreten; doch schon bei Grado, einer kleinen Insel wenige Stunden mittäglich von Monfalcone, prangt das Meer mit vielen farbenprächtigen Muschelgebilden. Dagegen ist der Golf von Monfalcone sehr fischreich, und es bilden die Fischer ein wesentliches Element der monfalconesischen Bevölkerung. Wie oft bin ich im Morgenschein oder in der Abendglut hinausgefahren mit den braunen Männern, die Netze zu ziehen oder neu zu legen! Es war mir immer wohl bei den treuherzigen, einfachen Naturmenschen, welche den italienischen Volkscharakter von einer andern, bedeutend bessern Seite offenbaren als der schlaue Handelsmann oder Wirt und die unverschämten Ciceroni zu Venedig. Viele dieser Fischer haben ein schönes Stück Welt gesehen, denn sie haben bei der Marine gedient und wissen von den griechischen Inseln, von da und dort, wo österreichische Kriegsschiffe kreuzen, zu erzählen. Bei ihrer Arbeit singen sie ihre fulanischen Weisen und keine häufiger als jene, worin der mit dem Sturm ringende Schiffer seines Liebchens gedenkt: »~Il mar' è turpido E la barquetta pendole E nome tei è tendere Ch'è amic' sola me.~« Sie leben höchst einfach, diese wetterharten, tiefbraunen Fischer, die zuweilen mehrere Tage zur See bleiben. Ein schmaler, gedeckter Raum der Barke ist dann Stube, Küche und Schlafkammer zugleich, wo das Weib den Mais und die Meerfrüchte abkocht, ihren Kleinsten säugt und pflegt, und das Meer denselben in Schlummer wiegt, ihn sturm- und sonnenhart macht, den zukünftigen adriatischen Seemann. Keiner der Fischer ist selbständig. Entweder hängen sie von einem Händler ab, oder stehen im Dienst eines Unternehmers, so daß dann nicht einmal die Barke, auf der sie fahren, ihr Eigentum ist. Bezahlt werden sie durch einen kleinen Anteil an der Beute. Darum achtet kein Mensch ein Stück Kleingeld so hoch wie sie. Neben den Fischerflottillen, welche aus dem Porto Rosega in die Gewässer der obern Adria ausschwärmen, beleben wohl auch einige Lastschiffe den Hafenkanal; allein denkt man an jene Zeiten zurück, da die großen Handelskarawanen und Fuhrwerke, welche fast den ganzen Warentransport nach Kärnten und bis ins Tirol hinein besorgten, hier ihren Ausgang nahmen, Monfalcone ein berühmter Stapelplatz war, dann kann allerdings das Leben, das sich in der Gegenwart hier bewegt, nur als ein Abglanz von demjenigen früherer Tage erscheinen. Wenn man vom Porto Rosega südwärts wandert, so kommt man in ein seltsames Strandgebiet, wo der Meersand, nur von Salzpflanzen und sauren Gräsern durchwuchert, einen stundenbreiten Gürtel zwischen Meer und Campagna bildet, eine stille Landschaft, über welche die melancholische Poesie der Steppe schwebt. Da und selbst weit in den angrenzenden Campagnen ist für den Menschen keine bleibende Stätte, schwingt die Malaria ihre Geißel. Wachthäuser haben hier ihretwegen von den Zollwächtern, Pächterhütten von den Bauern verlassen werden müssen; ja auch an den Insassen weit vom Meer abliegender Gehöfte kann man noch den Einfluß des Sumpffiebers, aufgetriebene Leiber und blasse Gesichter, sehen. Die Sonne brütet über den Sandsümpfen; salziges und süßes Wasser, von denen eines die Organismen des andern tötet, fließen ineinander und werden zum fortwährenden Fäulnisherd. Das Seegeflügel hat die Herrschaft, die der Mensch nicht aufrecht halten konnte, übernommen, und König über seine Vasallen, den Storch, den wilden Schwan, den Kranich und Reiher, ist der Seeadler, der im Blau des Äthers seine einsamen Bahnen zieht. Nur der Zollwächter und der nächtliche Schmuggler haben ihre Wege in diesem traurigen Gebiet; doch es ist wie überall: Die Hüter des Gesetzes sind immer da, wo die Übertreter nicht sind. Wenigstens hört man selten von einem größern Fang, es sei denn, man halte ein furlanisches Weibchen, das in seinen großen Schuhen ein Kilogramm Kaffeebohnen aus der Freihafenstadt Triest etliche Stunden weit schleppt, dafür. In der Tat ist der Beruf eines »Finanzers« ein undankbarer; denn keine Verletzung hat im Volke einen solchen Rückhalt wie der Schmuggel und keine Beamten sind so verachtet wie die »~doganieri~«; ich aber, der ich kein Interesse hatte, ihnen gram zu sein, habe im Zollhaus am Porto Rosega hin und wieder gern Rast gehalten. Westlich von diesem öden Sandstrich beginnen jene üppigen Campagnen des untern Friauls, die sich fortsetzen in die Lombardei, bis hinüber zu den Seealpen. Die meisten Touristen schelten sie langweilig, und fast tödlich langweilig mögen sie für den Fußwanderer sein, der ihre schnurgeraden, endlosen, staubigen Straßen geht. Eine Spazierfahrt in offener Kalesche und am kühlen Abend hinaus in diese unabsehbare, leuchtende Pflanzenüppigkeit, die Wald und Feld und Garten zugleich ist, in der man Richtung und Himmelsgegend wie auf dem offenen Meer verliert, habe ich immer angenehm gefunden. Es ist wahr, wenn ich nichts sah als die offenen Weiten, das grenzenlose Grün, dann suchte ich fast ängstlich nach den Stützen des Firmaments. Am Horizont des Nordens standen dann weiße Schimmer. -- Waren es Wolken -- waren es Schneeberge? Ich konnte im Zweifel sein. Soweit der Blick des Auges reicht, ziehen sich längs der Ackerfurchen in zierlichen Reihen die Maulbeerbäume; und von Maulbeerbaum zu Ulme, von Ulme zu Kirschbaum, vom Kirschbaum zum Feldahorn, von diesem zum Maulbeerbaum schlingen sich, in die Baumkronen geheftet, die Rebenguirlanden, während das zarte Grün des jungen Maiskorns, das zweimal im Jahr den Erntesegen liefert, oder der mächtig in die Halme schießende Weizen die Felder deckt. Durch dieses üppige Landschaftsbild schlängelt sich halbwegs zwischen Monfalcone und Aquileja das blaue, breite Stromband des Isonzo, über welchen die Straße mit einer halbkilometerlangen Holzbrücke setzt. Wie alles in diesem Lande, so hat auch dieser Fluß seine Geschichte und zwar eine Geschichte in der geschichtlichen Zeit. Er ist der jüngste Strom Europas und kaum über vierhundert Jahre alt, während der Natisso, jener schiffbare Strom, der, wie die römischen Schriftsteller melden, an den Mauern Aquilejas vorüberfloß, verschwunden ist und durch jene Gegend jetzt nur ein seichtes Küstenwässerchen schleicht. Seltsamer Weise melden die mittelalterlichen Schriften kaum etwas, wie aus dem Natisso der Isonzo entstand. Man weiß nur, daß ums Jahr 580 während eines vollen Monats Wolkenbrüche, welche das ganze Landschaftsbild umformten, über das Friaul niedergingen, so daß die Leute glaubten, die zweite Sündflut sei gekommen. In dieser bösen Zeit, so glaubt man, habe der Natisso, durch einen Bergsturz in den julischen Alpen aus seinem Bette gedrängt, seinen Oberlauf, in den späteren Jahrhunderten immer mehr durch das Tiefland ostwärts vagierend, seinen Unterlauf geändert und am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts endlich diejenige Gestalt angenommen, mit der er dem Wanderer jetzt als Isonzo entgegentritt. Zwei Jahrtausende schon entzückt das Friaul -- so bezeugt es Herodian, der Geschichtsschreiber des zweiten Jahrhunderts -- den Fremden durch eine Üppigkeit, welche nur derjenigen der Lombardei zu vergleichen ist; zwei Jahrtausende aber ist der Bauer auch ein armer, enterbter Mann geblieben. Die mächtigen Latifundienbesitzer des Altertums und die Landbarone der Gegenwart, der bäuerliche Proletarier der Vergangenheit und der Colono des gegenwärtigen Jahrhunderts, die Gegensätze prahlenden Lebensgenusses und unsäglichen Darbens, sie sind anderthalb Jahrtausenden christlicher Entwicklung zum Trotz dieselben geblieben. Mit seiner Zeit und seiner Kraft, mit allem und jeglichem steht der Colono in der Schuld seines Herrn. Nach altem Herkommen sichert der Pachtvertrag dem Gutsbesitzer zwei Drittel vom Laub der Maulbeerbäume, zwei Drittel vom Wein und vom Obst, vom Weizen und Mais, er sichert ihm auch jene Dutzende von Abgaben an jungem Vieh, an Geflügel, Butter, Eier und Erstlingsfrüchten und überdies eine bare Pachtsumme oder Wohnungsmiete, wofür der Bauer mit dem Rest der Landerträge aufzukommen hat. Der Arme ist stets ein schlechter Wirtschafter, darum kann der Colono kein guter sein! In der Tat fehlt es ihm an allem, an Betriebskapital, an vorteilhaften Geräten, an einem erfreulichen Viehstand und an der Lust, irgend etwas zu verbessern. Was sollte er auch? Treibt sein Fleiß und seine Intelligenz den Ertrag der Pachtgründe in die Höhe, dann hat der Herr das größte, er selber das kleinste Interesse daran. Das Verhältnis des Grundbesitzers zum Colono ist im günstigsten Fall ein patriarchalisches; man läßt ihn nie ganz verkommen; man ermutigt ihn mit Pachtnachlässen, wenn Hagelschlag oder Dürre die Campagne heimsucht; im ungünstigsten Fall aber, wenn der Grundbesitzer ein Mann harten Rechts ist, waltet das Gesetz, und wehe dann dem Colono! Dann hat er zu Zeiten wohl auch das rauhe Brot der italienischen Armut, die Polenta, nicht mehr. Doch zuckt ein Morgenschimmer der Besserung über das Land. Der transozeanische Westen ist das Ziel, dem hundert furlanische Herzen entgegenklopfen, und es ist keine Frage, daß die genügsamen, braunen Tieflandssöhne drüben noch eine Zukunft haben. Die Colonenhütten sehen mit ihren rauhen, schwarzen Mauern und Hohlziegeldächern wenig wohnlich aus. Die viereckigen Löcher, in denen keine Fenster sind und die des Nachts mit vorgestellten Brettstücken geschlossen werden, geben ihnen etwas Ruinenhaftes im Ansehen. Allein es fehlt in den Dörfern des Friauls auch nicht an hübschen Bauten, oft sogar sieht man freundliche Villen, und ein besseres Bauernhaus, etwa dasjenige eines Verwalters, gewährt mit seinem hübsch verzierten Portal, mit der Zysterne des Hofes, über die sich eine schmiedeiserne Krone spannt, mit den feierlichen Zypressen oder einer gewaltigen Linde, die den Hofraum beschattet, einen echt südlichen und wohltuenden Eindruck. Entgegen der ersten Vermutung, der man beim Anblick der vielen halbzerfallenen Hütten Raum gewährt, sind die furlanischen Ortschaften sehr dicht bewohnt; zehn bis fünfzehn Personen sind unter dem gleichen Hüttendach nicht selten. So zählt Monfalcone 4800 Einwohner; es hat indes kaum mehr Häuser als ein schweizerisches Dorf von der halben Bevölkerungszahl. Der furlanisch-italienische Volksschlag tritt im allgemeinen vor demjenigen von Venedig an Schönheit und natürlicher Grazie zurück; denn wenn der Furlaner auch einen Dialekt spricht, der sich noch mehr dem Lateinischen nähert, als das Italienische selber, so rollt das italienische Blut doch nicht mehr so rein durch seine Adern, sondern ist mit slavischem und deutschem versetzt. Nur der flache Strand ist italienisch, und schon an den ersten Vorflügeln des Karsts erstirbt der melodiöse Laut des Südens in der konsonantenreichen windischen Sprache; das Volkselement der Italiener weicht dem gelassenen, wie von einer Art Schwermut durchzitterten slavischen Wesen. Der Gegensatz der italienischen und slovenischen Furlaner ist ebenso groß wie derjenige zwischen Romanen und Germanen, wenigstens hier, wo die Armut nicht das Leben ganz verkümmert, südliche Lebensfülle und südliche Lust, glutäugige, braune Mädchen, dort ein stummer Duldermut, ein tiefer fatalistischer Zug, blaßwangige Mädchen mit schlichtem Haar und wasserblauen Augen. Arm, wie der zerrissene Felsboden, den es bewohnt, ist auch das slovenische Volk. Wenn ein Fremder in ein solches Karstdörfchen kommt, dann springen aus allen Häusern die Kinder daher. Die halbzerlumpten, bleichen Gestalten werfen sich knielings in den Straßenstaub und bitten, die Arme über die Brust gekreuzt, mit den kläglichsten Gebärden um eine Gabe. Wirft man ihnen einige Kreuzerstücke zu, dann purzeln alle in den Staub, lüften ihre Mützen und werfen dem Spender unter beständigen Segenswünschen ihre Handküsse nach, bis er verschwindet. Nur der materielle Notstand des slavischen Colono läßt das Bild begreifen. Noch größer als dieser ist der geistige, denn ich habe es aus guter Quelle, daß in einigen dieser Karstdörfer selbst die Bürgermeister nicht schreiben können. Wenn man auf der Rocca von Monfalcone steht, sieht man hinein ins windische Land, Bühel an Bühel, unregelmäßig ohne bestimmte Richtung, grau und nackt, nur in den Frühlingswochen mit einem schwachen Flor sprießender Gräser überhaucht, sonst dürrer als eine Heide, eine Felsenwüste. Das ist der Karst. Wandert man von der Rocca über die Karren des Burghügels hinab, so kommt man an den kleinen See von Pietra rosa in einem einsamen Tälchen. Das Ried, das ihn umkränzt, ist das einzige Grün in dieser Steinwildnis. Das kleine Wasser und seine Umgebung mahnt an einen Alpensee unter der Grenze ewigen Schnees, etwa im Gotthardhochtal; allein in Tat und Wahrheit liegt es wenige Meter über der Adria, und wenn eine Springflut den Golf von Monfalcone schwellt, dann steigt auch in diesem Becken die Flut aus verborgenen Quellen auf, er ist ein kleiner Zirknitzersee und war für mich das erste kleine Wunder des Karsts, des Gebirges, wo man aus den Wundern nicht herauskommt. Doch hat das Seelein einen oberirdischen Abfluß und an diesem steht eine kleine Mühle. Ihr Klappern ist der einzige Laut des stillen Tales. Eine Bodensenkung führt im Norden der Mühle weiter hinein in den Karst, dessen Halden stellenweise ein mageres Eichengestrüpp bedeckt, und wir kommen nach Jaminiano hinüber, einem kleinen slavischen Dorf, das mit seinen elenden Hütten an der Halde eines Hügels klebt. Jaminiano bedeutet im Slovenischen »Ort bei der Grotte«, und in der Tat liegt ein Viertelstündchen davon eine ~grotta di columbe~, eine Taubenhöhle. Grotten gibt es im Karst fast so viele als Wasserfälle in den Alpen. Die Höhle von Jaminiano ist nur eine von den zahlreichen, in denen wilde Tauben ihr Geniste haben. Sie liegt nicht an einem Abhang, sondern in der Sohle eines von Osten nach Westen laufenden Tals, unfern eines kleinen Sees, und das Auge entdeckt von ihr nichts, bis man hart an ihrem Eingang steht. Es ist dies ein zehn Meter tiefer Felsenschacht, an dessen Rand ein kärgliches Gebüsche wächst. In dieser Kluft, in die man ohne Leiter und Seile nicht hinuntersteigen kann, öffnet sich in der Richtung gegen das Meer eine Höhle. Horcht man, so tönt aus derselben das »ruck, ruck, ruck« und das Girren von etlichen hundert Tauben, von denen man erst einige zu Gesichte bekommt, wenn man sie durch Steinwürfe oder besser noch durch einen Pistolenschuß erschreckt. Die Tiere führen hier ein idyllisches Leben; doch machen sich hin und wieder die Nimrode der Gegend den Spaß, daß einer von ihnen an Seilen die Höhle hinunter gelassen wird und die friedliche Vogelkolonie in Aufruhr bringt, während ihrer ein Dutzend mit gespanntem Hahn am Rande stehen und, zusammenpaffend was möglich ist, unter den Tieren ein Blutbad anrichten. Der See im Süden der Grotte hat keinen oberirdischen Abfluß; am Eingang der Taubenhöhle aber hört man die abfließenden Wasser in verlorenen Tiefen rauschen. Wer weiß, durch welche phantastische Tropfsteingänge und Hallen sie ziehen, bis sie den Timavo, jenen aus den Uferfelsen der Adria brechenden kurzen Strom erreichen. Als Andenken an den in Karrenfelder eingebetteten See von Dobredo und die Taubengrotte habe ich mir die Zwiebeln einiger bis halbmeterhoch werdenden Amaryllen und einiger Zyklamen, welche das stille Wasser umblühen, mitgenommen. Doch nun zu größern Ausflügen. Drüben im Hof des »~Cotonificio triestino~« knallt Antonio, der Kutscher, mit der Peitsche; dort scharren Bubo und Plato, die treuen Tiere. Geht's nach Görz, der furlanischen Gartenstadt, geht's nach Duino, dem gewaltigen Schloß am Meer oder in den märchenträumenden Frühling von Miramare? -- Von solchen vergnüglichen Fahrten plaudern die folgenden Blätter. [Illustration] [Illustration] Österreichisch Nizza. Es ließe sich mit Städtenamen und ihren Umschreibungen ein stattliches Lexikon füllen; vielleicht ist auf keinem Gebiete die schriftstellerische Paraphrase fruchtbarer gewesen als auf diesem, und eine Reihe dieser umschreibenden Städtebezeichnungen sind Gemeingut der Bildung geworden. Wer wüßte nicht, daß Amsterdam ein »nordisches Venedig«, München ein »deutsches Athen«, Dresden das »Elbeflorenz«, Montreux das »schweizerische Nizza« ist? Wo aber ist »österreichisch Nizza?« -- Es ist Görz, eine küstenländische Stadt an der Linie Triest-Venedig; und das Verdienst dafür, einen so schönen Namen aufgebracht zu haben, gebührt Baron Czörnig, der ein umfangreiches Buch über die Stadt geschrieben hat. Gewiß liegt etwas Verlockendes in dem Namen, denn ein »Nizza« bedeutet doch wohl milde Lüfte, steten Frühling, eine reizende Gegend, eine schöne, fröhliche Stadt, kurz ein Paradies! Wer wollte nicht in einem Paradiese sein? So dachte ich, und der Gedanke wurde zu einer frischen, frohen Frühlingsfahrt über den Karst nach Görz. Bis Ronchi, dem westlichen Nachbardorf von Monfalcone, brausten die beiden Apfelschimmel so feurig dahin, als gälte es einen Morgenbesuch in Venedig; allein an den Karstklippen, durch die sich die Straße zur Höhe emporwindet, brach der erste Schwung. Der Rückblick auf die grünen, leise wogenden Campagnen des Friauls und das am Horizont verdämmernde, ferne Meer, hielt das Auge noch eine Weile in Spannung. Als wir jedoch die Höhe eines in die furlanische Tiefebene vorspringenden Karstrückens hinter uns hatten, sahen wir nichts mehr als die wüsten Klippen und Klüfte des vegetationslosen Gebirgs. In seinem endlosen Grau bildeten nur die sich scheu in die flachen Bodensenkungen duckenden, kleinen Getreidefelder und Baumkrüppel einige Pflanzenoasen und erbarmungswürdiges Karstvieh, das nicht gedeiht und nicht verkommt, suchte in den Felsspalten nach einigen grünbraunen Halmen oder einem aufsprossenden Stäudchen. Die Straße senkte sich in ein von öden Hügeln eingerahmtes, wenig bewohntes Tal, aus dessen Steinklippen hie und da ein Häslein die Ohren reckte, und nach etwa einstündiger Fahrt erreichten wir die frischgrüne, lachende Ebene von Görz, eine große, vegetationsreiche Tieflandsbucht, welche die furlanische Ebene in die grauen, nackten Gebirgszüge des Karstes sendet. Der Blick ist bemerkenswert schön wegen zwei hübschen Bauten. Zur Rechten erhebt sich die Santa Scala von Merna, eine Kirche mit Doppelturm auf freiem Hügel; zur Linken das liebliche Schloß Rubbia in einem hellen Buchenschlag des äußersten Karstvorsprungs. Vor beiden zieht müde, mit keiner Welle plaudernd, als drückte sie ein Geheimnis aus dem Berginnern, die Wippach, die einige Stunden oberhalb Görz plötzlich als starker Fluß aus dem Gebirge quillt, mit gelbgrünen Wassern dahin, um unterhalb Rubbia in dem schönen, raschfließenden Isonzo aufzugehen. Jenseits des Wassers liegen Görz, seine großen Fabriken und seine Vorstädte im weinreichen, nach Süden geöffneten Kessel, und darüberhin die Felsenrücken der Isonzoberge. Auf einem derselben, der das Tal des türkis-blauen Flusses gegen Westen vollkommen abzuschließen scheint, schimmert ein großes, kastellähnliches Haus, die Pilgerherberge des Monte Santo. Das ist das Maria-Zell oder Maria-Einsiedeln des Küstenlandes, nach dem die Italiener der Tiefebene wie die Slaven des Gebirgs mit gleicher Verehrung und in großen Bußprozessionen wallfahrten. Merna, an dem wir eben jetzt vorüberkommen, ist der Schuhmacherort des Friauls, denn wie nach altem Herkommen an dem einen Ort ausschließlich Tischlerei, an dem andern die Töpferei, am dritten das Maurer- oder Steinmetzhandwerk das Gewerbe der ganzen Dorfschaft bildet, so blüht in Merna die Kunst der Fußbekleidung. Nachdem wir die Wippachbrücke passiert hatten, langten wir in Görz an. Eine Stadt mit 17000 Einwohnern kann nicht groß sein, aber doch manche Sehenswürdigkeiten enthalten. Görz ist weder groß, noch durch letztere merkwürdig; aber mit seinen vielen, schönen Gärten ist es eine ebenso saubere als reizende Stadt. Wenn man über den geräumigen Marktplatz geht und die ehrenfesten Bürger- und Patrizierhäuser sieht, dann fühlt man's heraus, daß man sich in einer alten, deutschen Stadt befindet, die durch den Zufall der Völkerverteilung in das schöne südliche Tal zu liegen kam. Jahrhunderte lang eine deutsche Sprachinsel und von einem deutschen Adel beherrscht, bewahrte sie zwischen italienischen und slavischen Volkselementen das deutsche Wesen treu, bis sie ums Jahr 1500 unter die österreichische Herrschaft kam. Allein mit dem steigenden Verkehr nach dem Venetianischen und dem Zuströmen italienischer Kaufleute und Handwerker, mit dem Verfall der Schulen im 17. Jahrhundert gelangte, trotz des Protestes der eingebornen Görzer im Jahr 1626, daß sie »echte, rechte, geborne, alte Teutsche« seien, im Ringen um die Sprachoberherrschaft der südliche Wohllaut über das kräftige germanische Wort zum Sieg. In steter Reibung mit dem alteinheimischen Deutschen und dem Slovenischen hat sich die italienische Sprache immer mehr befestigt, so daß jetzt 11000 Italiener und 4200 Slaven einem Rest von 1800 Deutschen gegenüberstehen, die indessen durch ihre Bildung und ihre soziale Stellung der deutschen Sprache einen dauernden Halt sichern, so daß Görz die Stadt bleiben wird, wo sich drei Sprachen stoßen. Deutsch ist in Görz der Mutterlaut, deutsch die Bildung und deutsch das Bier. Diese drei haben mich in der Stadt am meisten gefreut. Über dem Marktplatz und der Altstadt steht auf einem nach allen Seiten freien Hügel das durch Bastionen verstärkte, aber zum Teil verfallene Kastell, das ehemalige Schloß der mächtigen Grafen von Görz, deren Töchter selbst deutsche Kaisersöhne freiten. So war Elisabeth, die Gemahlin des Kaisers Albrecht, der durch die Hand des Johannes Parricida fiel, eine Görzerin, und das »kühne, unerschöpflich begierige Weib«, das sich nach dem Kaisermord zur gräßlichen Rachefurie wandelte, mag, da es später als stille Büßerin in der Klosterzelle von Königsfelden saß, wohl öfters der sonnigen Burg im Isonzotal, wo sie ihre Jugend verlebte, gedacht haben. Als Gegenstück zu der mit Blut gezeichneten Geschichte dieser Frau nimmt sich das Liebesidyll Emerentiens von Görz, die an der Wende des vierzehnten zum fünfzehnten Jahrhundert gelebt, noch einmal so freundlich aus. Ihre Brüder wollten sie nach dem Tode ihres Vaters in ein italienisches Kloster schicken und wählten als ihren Begleiter Balthasar von Welsberg, einen frommen und guten Ritter aus. Als aber die junge, schöne Maid die lachenden Gefilde Italiens, die prächtigen Städte und ihr fröhliches Leben sah, da wurde ihr beim Gedanken ans Klosterleben düster zu Mut und schwer ums Herz und sie verhehlte dem Ritter, der den stillen Gram gewahrte, ihre Leiden nicht. Herr Balthasar war nicht unritterlich und die Worte der Dame gingen ihm nahe. Statt ins Kloster führte er die schöne Anvertraute zu einem Priester, der ihrem Bündnis die Weihe gab, und sie flüchteten sich ins Tirol, wo sie zu Toblach im Pustertal in einer niedrigen Bauernhütte Flitterwochen hielten. Allein die jungen Grafen von Görz erklärten sich gegen solches Minneleben, sie wollten vor Welsberg ziehen. Da erschien irgend ein geistlicher Herr -- die Kirche hat ihre Sache nicht immer so gut gemacht -- löste alle Zwietracht in Frieden und laute Hochzeitsfreude auf, so daß Herr Balthasar seiner Emerentia sagte: »Engel, ös ist G'fahr vorbei.« Ein gewaltiges Stück mittelalterlicher Kriegsgeschichte ging mit den Grafen von Görz an der Stadt vorüber, und hätte sie sonst keinen Ruhm, so könnte sie auf den Lorbeeren der Vergangenheit ausruhen. Allein Görz hat eine blühende Gegenwart. Es besitzt am Isonzo eine beträchtliche Industrie für Mahlprodukte, Spinnerei, Weberei und Papierbereitung, einen bedeutenden Weinbau und einen lebhaften Handel, eine Realschule und ein Obergymnasium, wo die italienischen Studenten deutsche Wissenschaft einsaugen, ein geistliches Zentralseminar, dessen gutgedrillten Zöglingsscharen und schwarzen Führern man an allen Ecken der Stadt begegnet, woraus man die Gewähr dafür schöpfen kann, daß im Küstenland die Milch der frommen Denkungsart nicht ausgeht, eine Provinzialackerbauschule, in die man keine Coloni schickt, ein Damenstift und einige Klöster, in welche man die ehe- und weltscheuen Leute steckt, und einen Fürsterzbischof, der die Stadt segnet. Görz ist das südliche Pensionopolis Österreichs, die schöne, ruhmreiche Stadt, wo die küstenländischen und krainischen Beamten und Professoren im milden Glanz eines wohlverdienten Feierabends ihre Diäten verzehren, Bier trinken, Zeitungen lesen, über das Wetter plaudern, aber nicht politisieren; denn das hat ein Österreicher entweder nie begonnen, oder längst verlernt, wenn er die kaiserliche Pension genießt. Es ist zur Legende geworden, daß ein Pensionär mit seinen Einkünften nicht leben und nicht sterben kann; wenn aber ein Fremder von Görz hinaus gegen den Isonzo wandert, so staunt er über die Villenpracht. Das frische, kühlende Grün wohlgepflegter Gärten schaut in die spiegelnden Scheiben; unter großen weitschattenden Bäumen plaudert die Quelle; Marmorstatuen, wirkliche, wahrhaftige Antike von Aquileja nicken im dunkeln Lorbeer, und Blumenmosaik schmückt mit leuchtenden Farben das zarte Grün der Rasenbeete. Da wohnen wohl auch kaiserliche Pensionäre, nur nicht die legendären, sondern jene, denen der Zufall der Geburt schon eine Couponschere unter das Wiegenkissen gelegt. Diese herrlichen Villeggiaturen, denen ich in oberitalienischen Landen nichts zu vergleichen wüßte, stellen dem Geschmack der reichen Görzer das beste Zeugnis aus. Was mir an ihnen besser noch als die Pinienschirme, die Palmenwedel und die Orangerien gefallen, das ist das Blust unserer nordischen Obstbäume, das im ersten Frühling auf die Kieswege dieser Gärten niederschneit. Görzisches Obst gilt bei den italienischen Feinschmeckern als ein Leckerbissen. Auch der Arme von Görz muß sich nicht begnügen, zu sehen, wie der Reichen Gärten blühen; denn die Stadt, die nun einmal einen aufgeweckten Sinn für jedes mütterliche Lächeln der Natur bekundet, hat einen wunderschönen Volksgarten, nicht nur einen dünnbestockten Park mit ein paar krummen Wegen, sondern einen echten, wohlgepflegten, öffentlichen Garten von südlicher Üppigkeit. Wenn sich dazu auf der Stadtseite desselben der Blumenmarkt entfaltet, dann scheint für Görz allerdings kein Name passender, als derjenige einer Gartenstadt. Wer wollte einen südlichen Blumenmarkt beschreiben? Der Name der Gewächse ist das wenigste; die schweren Düfte, die leuchtenden Farben, die sich in Worten nicht wiedergeben lassen, schon mehr; das wählende, prüfende, feilschende Menschenkind, das sein Leben mit Blüten und Grünem schmücken will, das meiste an seiner Poesie. Wo die Blumen so herrlich gedeihen, wie in Görz, mußte man mit Naturnotwendigkeit zu der Frage kommen, ob da nicht auch dem verwelkenden Menschenkind ein neuer Lenz erblühe, das in den rauhen Klimaten nicht mehr fortkommen will. Görz ist klimatischer Kurort und -- was nicht jede aufstrebende Stadt wagen würde -- es stellt sich gleich neben Nizza. In manchen Dingen hat es das Wesen dazu, vor allem einen angenehmen, dem nordischen Frühling gleichenden Winter, der nicht einmal die Einstellung der Feldarbeiten bedingt, einen gemäßigten Sommer, von dem die reinen, frischen Gebirgswinde die italienische Schwüle fernhalten, eine herrliche Lage, welche nur wegen ihrer nackten, grauen Gebirgsrahmen hinter der Schönheit irgend eines südtirolischen Kurortes zurücksteht. Jetzt fühlt es indessen die Flut und Ebbe eines zu- und abströmenden Fremdenkontingents noch nicht stark; der mehrsprachige Verkehr, die engen gesellschaftlichen Verhältnisse der Kleinstadt, das Bestreben, sie ganz in ein italienisches Kleid zu stecken, stehen einer raschen Entwicklung des Touristenverkehrs entgegen; denn wo immer der Mensch auch zu gesunden suche, verlangt er ein Stück lebhafter Geselligkeit, und der Deutsche, namentlich der Deutsch-Österreicher, an den sich der Kurort Görz wendet, ein ungebrochenes, gemütliches Volksleben, das er eben in der italisierten Stadt vermißt. Ob sich nun der Traum eines »österreichischen Nizza« realisiere oder nicht, die gärtenumrahmte kleine Stadt wird jeder ihrer Besucher mit dem Eindruck lieblicher Schönheit verlassen. Allein nicht minder freundlich als die Stadt selber steht mir ein Ausflug in ihre Umgebung, zum Isonzoschlund hinterhalb Salcano und eine Besteigung des Monte Santo, die ich später einmal unternommen, vor meinem Gedächtnis. Ich streifte hinaus zu dem Totenacker von Görz und weiter gegen jenen nackten Felsenrücken, auf dem das Kirchenkastell des Monte Santo steht. Dann kam ich nach Salcano. Es ist eine kleine Ortschaft von 1400 Einwohnern, mit zum Teil sehr alten, ansehnlichen Häusern, die sich am linken Ufer des Isonzo aufreihen, der hier perlend und wogend aus einer Gebirgsklause heraustritt. Salcano ist die Mutter von Görz. Als dieses selber noch nicht in die Geschichte eingetreten war, blühte hier um die Wende des Jahrtausends ein Grafengeschlecht, das seine Burg auf den jetzigen Kastellhügel von Görz verlegte und damit Gründer der Stadt Görz geworden ist. Es geht so im Leben; die Tochter wächst der Mutter über das Haupt. Görz ist eine Stadt geworden, Salcano ein Dorf geblieben. Die Ritterlichkeit ist vergangen, die Naturherrlichkeit geblieben; denn hinterhalb Salcano schäumt der prächtige, hellblaue Isonzo zwischen den steilen Halden des Monte Santo und einem mit verbogenen Schichten aufragenden Vorberg durch einen Engpaß, wie im Bündnerland der junge Rhein. Wo man die Schlucht und den tosenden Bergstrom am schönsten überschaut, beginnt die Straße auf den Monte Santo. In einem Uferfelsen, zur Rechten des aufsteigenden Wanderers ist eine Gedenktafel zu Ehren ihres Erbauers, eines Herrn Joseph Koller, eingelassen, der sie in zierlichen, immer weiter gegen Süden als gegen Norden auslangenden Zickzacklinien sanft und sachte an der vegetationsarmen, klippigen Berglehne emporgezogen hat, so daß es eine wirkliche Kunststraße ist. Der Monte Santo ist kein Riese. Er hat die mäßige Seehöhe von 645 Metern; aber sein breiter, wenig entwickelter Felsrücken ragt immerhin achtmal höher als der herrliche Campanile von Aquileja über die Tiefebene empor. Diese liegt bei Salcano erst 85 Meter über Meer und so ist er denn doch eine stattliche Bergerscheinung. Es war bereits Nachmittag, als ich von Görz her an den Fuß des Berges gelangte. Nur der Vorsatz, das Isonzodefile zu sehen, hatte mich hieher geleitet; aber nun wurde der Bergfex in mir lebendig, und das hat mich nicht gereut. Ich benützte nur zum kleinern Teil die bequeme Straße des Herrn Joseph Koller, sondern klomm die alten rauhen Pilgerpfade von Kapelle zu Kapelle höher hinan. Die erste erhebt sich auf einer starken, nördlichen Gratsenke des Berges, von der aus man zugleich in den romantischen Talkessel von Salcano und in eine westliche Gebirgsmulde blickt, wo ein Slavendörfchen in steiniger Gebirgseinsamkeit liegt. Vor der zweiten lag ein Pilgrim auf den Knieen und betete seinen Rosenkranz. Es mußte ihn beleidigen, daß ich nicht das gleiche tat; denn er warf mir, als ich vorüberschritt, einen sehr zornmütigen Blick zu. Das böse Auge des Mannes gab mir zu denken. Hinter seinem Beten und meinem Wandern lag ja eigentlich die nämliche Idee: Unser armes Sein ein Weilchen von uns ab in den Schoß einer guten, großen Mutter zu legen. Nur hatten wir unser Vertrauen zwei verschiedenen Müttern zugewandt; er der schmerzenreichen, die einen Gott gebar und dafür in den Himmel kam, ich der Natur, die aus Staub nur Staub geschaffen und auf der Erde hat bleiben müssen. Ich dachte, ich stieg und kam zur letzten Kapelle. Da holte ich einen zweiten Wanderer ein, der lesend fürbaß ging. Als ich eben grüßend an ihm vorübergehen wollte, schaute er auf und rief mir ein lächelndes »~Chi va piano, va sano~« zu. Das war der Anfang unserer Unterhaltung -- und je länger ich mit ihm redete, desto merkwürdiger wurde mir der Mann; aber das Merkwürdigste an ihm war seine Lektüre: »Lienhard und Gertrud.« Es tut immer wohl, wenn man die Schriftsteller der eigenen Nation von Fremden gelesen sieht; ich konnte meine freudige Überraschung nicht verbergen; sie zwang mich, dem kleinen, klug dreinblickenden Mann mit den Augengläsern zu sagen, daß der berühmte Verfasser des Buches mein Landsmann sei. Da trat er einen Augenblick prüfend vor mich hin. »Sie sind Schweizer!« sagte er und ergriff meine beiden Hände. »Jetzt lasse ich Sie nicht gleich wieder los. Bitte erzählen Sie mir von Ihrem schönen Land, seinen herrlichen Bergen, seinem glücklichen Volk, seinen freien Institutionen.« Die Begeisterung des slavischen Lehrers nötigte mir ein Lächeln ab; aber ich fühlte, daß ein Ernst hinter seinen Worten liege, und wer plaudert nicht gern vom Heimatland? Plaudernd kamen wir auf den Gipfel, zu dem weitläufigen ehemaligen Franziskanerkloster, setzten uns vor der Pilgerherberge zum Abendtrunk und schauten aus auf das im Nachmittagsschein vor uns liegende Land, die Berge und das ferne Meer. Der Monte Santo ist ein südösterreichischer Rigi. Wunderhübsch ist der Blick auf die Stadt Görz und den hinter ihr liegenden Coglio, ein reizendes Hügelland, auf dessen Höhen weißschimmernde Kirchen und Dörfer stehen. Darüberhin ragt im fernsten Osten der Krainer Schneeberg, der zwar keinen Firn und keinen Gletscher, aber doch bis weit in den Sommer hinein eine glitzernde Schneekrone trägt. Von ihm aus ziehen sich in weiten Rundbogen, über die tannendunkeln Höhen des Birnbaumer- und Tarnovanerwaldes aufgebaut, die zerrissenen Gebirgsmauern und Kalkzinken der julischen und karnischen Alpen gegen Nordwesten. Aus dem Chaos der Spitzen hebt sich östlich der wildabstürzende Nanos, im Norden der Triglav, der scharfgezeichnete Krn, und, durch das tief eingeschnittene Isonzotal davon getrennt, der Monte Canin, der massige Rücken des Monte Matajur und dahinter eine Menge fernblauender Häupter, die den italienischen oder gar den tirolischen Alpen angehören. Dann weichen die Gebirge weit zurück und der Blick taucht in die venetianische Tiefebene. Im Süden dämmern der Campanile von Aquileja, die Lagune von Grado und der bleiche Schimmer der offenen See, im Südosten der Golf von Monfalcone, jenseits desselben eine matte Helle, die Stadt Triest, ein dunkler Wall, der Küstenhang von Istrien, der sanft im Horizont erstirbt. Wer daheim an jedem schönen Tag die Hochalpen vor Augen hat, der weiß mit den Kalkalpen nicht viel anzufangen. Ich schilderte meinem Slaven einen Morgen auf der Wengernalp, den Blick auf Jungfrau und Silberhorn, den steten Fall der Lawinen, die vor dem Beobachter donnernd ins Trümmletental niederstäuben. Da fing der gute Mensch an zu seufzen: »O nur einmal, einmal in die Schweiz! Allein es ist unmöglich.« Er malte mir Grau in Grau ein Bild des Lehrerlebens in einem slavischen Dörfchen, die Armut bei einer Besoldung von 200 Gulden im Anfang und bei einer wenig größern in den spätern Jahren, die Schulfeindlichkeit der Grundbesitzer, das Vorurteil der Bauern gegen den Lehrer und ihren tiefen Haß gegen den Schulzwang, die Laxheit der Behörden in der Durchführung der Gesetze: kurz die ganze Leidensgeschichte eines Streiters für die Bildung an einem Ort, wo er der einzige ist, der dafür kämpft. »Ich bin«, sagte er, »keiner der ärmsten, denn ich habe meinen allerdings kleinen Einkünften etwas väterliches Vermögen zuzusetzen; aber für eine Schweizerreise ...« Er starrte melancholisch vor sich hin. Wir waren bereits zu lange gesessen; ich stand auf und wollte von dem Lehrer Abschied nehmen. »So wollen wir nicht scheiden, mein Herr«, sagte er; »ich dachte mir zwar auf dem Monte Santo zu bleiben, allein ich werde Sie ein Stück Weges begleiten.« Meine Bitte, sich nicht zu bemühen, war erfolglos. Wir schritten wie zwei alte Freunde plaudernd bergabwärts. Da begegnete uns jener hohe, hagere Pilgersmann, den ich vor der untersten Kapelle hatte knieen sehen und der, Gebete vor sich hinmurmelnd, hinkend bergaufwärts ging. »Wissen Sie, warum der arme Mann so schlecht geht?« fragte mein Begleiter. »Die Pilgrime, die auf den Monte Santo wallfahren, pflegen in ihre Schuhe einzelne Bohnen zu legen, die beim Gehen große Schmerzen verursachen. Sie glauben dann von der Gottesmutter eher erhört zu werden.« Als ich das vernahm, hatte ich dem Pilger seinen bösen Blick schon verziehen. Bei der untersten Kapelle schied ich von dem slavischen Lehrer. »Lienhard und Gertrud«, sagte er, »ist eines der wenigen deutschen Bücher, die ich besitze; aber ich werde nie darauf zurückkommen, ohne mit lebhaftem Vergnügen mich der schönen Stunde zu erinnern, die mir an Ihrer Seite beschieden war. Grüßen Sie mir die Schweiz!« Er wandte sich gebirgseinwärts, ich auswärts. Der nächste Augenblick hatte den einen dem Blick des andern entzogen. Als ich wieder in Salcano ankam, lag der Abendsonnenschein auf den Klostermauern von Monte Santo. Unterhalb der Ortschaft steigt man auf hohem, steilem Uferbord zu einer Fähre des Isonzo hinab. Da ließ ich mich über den herrlichen, hellblauen Fluß ans rechte Ufer hinüberstoßen. Ein braunes, italienisches Mädchen saß mit mir im Kahn und wies mir den Weg hinauf nach dem Schlosse San Mauro, das als hübsche Villa über dem waldigen Ufer steht. Es war ein genußreiches Wandern durch jungbelaubten Buchenwald, als ich im Abendschein, hoch über dem Fluß, an einem Slavendörfchen vorbei, talabwärts schritt. Das Wellenspiel des Isonzo, der hier in einem tiefen Bette strömt, mahnte mich an den Rhein unterhalb seines Falles. Eine Brücke führt in der Nähe von Görz darüber hin. Im Dunkel des Abends schritt ich darüber; ich dachte an den Pilger mit den Bohnen in den Schuhen, an den slavischen Lehrer, an mein Heimatland, ich dachte an so vieles; wer wollte gedankenlos wandern zur Frühlingszeit! Man hat -- ich kehre hier zu jener ersten Wagentour, die wir nach Görz unternommen, zurück -- die interessanten Gebäude der Stadt bald gesehen, und der Liebreiz ihrer Gärten prägt sich rasch in den Sinn des Wanderers. Wir verließen es also am Spätnachmittag und fuhren hinaus gegen den langen, prächtigen Viadukt, mit dem die Linie Venedig-Triest das Tal des Isonzo überspannt. Jenseits desselben gelangten wir über den Fluß in die offene venetianische Tiefebene hinaus, zu der die Landschaft von Görz sich wie eine hügelumschlossene Bucht verhält. Am Ausgang dieses Tieflandwinkels liegt die Ortschaft Mainizza. Hier stießen im Jahr 489 die beiden gewaltigen Recken der deutschen Heldensage, der Herulerfürst Odoaker, der den letzten der römischen Schattenkönige, den Romulus Augustulus, vom weströmischen Kaiserthrone verjagt und selbst die Zügel des verrotteten Reiches ergriffen hatte, und der Ostgotenkönig Theodorich in furchtbarer Schlacht zusammen. Hier war es, wo der Stern des ersten germanischen Kaisers auf römischem Thron ins Sinken kam. Im folgenden Jahr wurde er an der Adda wieder geschlagen, im Jahre 493 von Theodorich in Ravenna belagert und zuletzt durch dessen eigene Hand niedergestoßen. Gegenüber Mainizza grüßt wieder das prächtige Schloß Rubbia mit blühendem Park, und zwischen beiden fällt die schleichende, trübe Wippach in den lichten Isonzo. Eine undurchdringliche Staubwolke lag stets hinter unserm Wagen; denn im Brand der italienischen Sonne hatten sich die furlanischen Straßen handtief in Staub aufgelöst, der das Wandern der Fußgänger unerträglich machte. Im Wagen litten wir weniger davon, und die Fahrt längs der letzten Karstausläufer bis zu dem Städtchen Gradiska war in der Abendkühle ein hoher Genuß. Dieses Städtchen, das im Jahr 1473 von den Venetianern zum Schutz gegen die Türken gegründet wurde, war von der Mitte des siebzehnten bis in den Anfang des achtzehnten Jahrhunderts hinein der Sitz einer kleinen Grafschaft. Jetzt ist sie mit derjenigen von Görz unter dem Namen der »gefürsteten Grafschaft Görz und Gradiska« zu einem selbständigen Kronland der österreichischen Monarchie vereinigt, das in Görz seinen Landtag hat. Im Osten des Städtchens, das aus wenigen Häuserreihen besteht und nur 1500 Einwohner zählt, sind noch achtunggebietende Reste der venetianischen Festungswerke, eine düstere Stadtmauer mit zwei ungemein festen Bastionen und einem dunkeln, engen Tor. Die früher davor liegenden Außenwerke sind im Laufe dieses Jahrhunderts einem ungewöhnlich großen, öffentlichen Platze gewichen, der mit seinem angenehmen Kastanienschatten und seiner hübschen Rotunde nicht nur dem kleinen Gradiska, sondern mancher größern Stadt wohl anstehen würde. Auf der andern Seite des Städtchens steht hart am Isonzo ein großes, weithin sichtbares Gebäude, das zu einer Strafanstalt für schwere Verbrecher umgebaute Schloß, dessen jetzigen Insassen wenigstens ein Schönes von der Welt geblieben ist: ein entzückender Blick ins südösterreichische und italienische Gebirge. An den hübschen Villen im Norden des Städtchens vorbei fuhren wir längs des Isonzo dem schlanken, zierlichen Campanile von Villesse entgegen; allein ehe wir ihn erreichten, bog der Weg wieder über den Isonzo. Er ist hier lange nicht mehr der hübsche Fluß wie beim Austritt aus dem Gebirge. In einem wohl fünfmal breitern Becken als jenem bei der Fähre von Salcano wirft er sich zwischen vielen Kiesbänken bald ans eine, bald ans andere Ufer und reißt den Ebenenbewohnern zur Linken und Rechten die besten Humusgründe weg. Er hat deswegen bei seinen Anwohnern einen übeln Ruf; allein was fragt er darnach, denn er hat seinen Plan. Mit all den Erdpartikeln aus dem Gebirge und der Ebene will er sich eine Brücke mitten durch den Golf von Monfalcone nach dem wunderschönen Schloß von Miramare hinüberbauen. Vielleicht ist's ein Jugendtraum, vielleicht ist's mehr. Der Isonzo kann noch etwas leisten; denn wie ich früher ausgeführt habe, ist er ein Kind gegenüber den uralten Strömen des übrigen Europa und der jüngste Fluß unseres Kontinents. Eine lange Holzbrücke führt nach Sagrado, einem freundlichen Dorf, das eine große Gerberei und viele Landhäuser mit lauschigen Gärten hat. In einer halben Stunde -- in Roncchi -- hatten wir den Zirkel unserer Fahrt beendet. Am frühen Abend waren wir wieder in Monfalcone. [Illustration] [Illustration] Aquileja. Eines Tages im Jahr 182 v. Chr. standen die Väter zu Rom früher auf, als sie sonst zu tun pflegten; denn der Fall war ernst: Die Kelten und Illyrier, die bislang in den julischen Bergen und Wäldern gesessen, zeigten Lust, sich in den venetianischen Gefilden längs der Adria niederzulassen. Das war die Sorge der Väter zu Rom. Sie schickten drei angesehene Männer mit einigen Priestern in den italienischen Osten, und als diese an jenen flachen Strand und Winkel kamen, wo -- um mit den jetzigen Namen zu reden -- der triestinische aus dem venetianischen Golfe tritt, pflügten sie mit einem Ochsen auf einer breiten Landwelle, etwas abseits vom Meer, ein Viereck aus, das ein Quadrat sein sollte und eins war. Da trat P. Scipio Nasica, einer der drei Abgesandten, in das Pseudoquadrat, erklärte ernst und feierlich: »Hieher kommt eine Stadt!« Die Priester fielen mit heiligen Messern über die Opfertiere her, spritzten das warme, rieselnde Blut auf den umgepflügten Grund, weissagten aus den Eingeweiden, reckten die Hände empor und flehten von den unsterblichen Göttern Gedeihen herab auf die Stadt. Da flog ein Storch, der in den Meerbinsen gefischt, über die Gegend, und sein Schatten fiel auf die Priester. Das war nicht gut; denn Störche haben später die Stadt verraten. Sie hieß Aquileja! Dreitausend Kolonisten bebauten den ~ager colonicus~ um sie her; die Kelten und Illyrier sahen aus achtungsvoller Entfernung zu und in langer Friedenszeit gedieh die Stadt herrlich empor. Als Augustulus seine ganze Herrscherhuld auf das blühende Gemeinwesen ausgoß, als er an das alte Aquileja ein neues, prächtiges fügte, in dessen Kranz stolzer Monumentalbauten der stolzeste Palast sein eigener war, den er mit der schönen Livia bewohnte, da war der Stadt ein liebliches Los gefallen. Großartige Bauten schmückten sie, und ein reiches Bürgergeschlecht erging sich in der Kühle aufrauschender Brunnen oder im Anblick reizender Marmorbilder, die auf Kapitol und Forum standen. In schimmernden Tempelhallen wachten die vestalischen Jungfrauen am ewigen Feuer, opferte das Volk dem Jupiter tonans und Ceres, der gütigen Göttin; das höchste Ansehen aber genoß Apollo Belenus, der gewaltige Sonnengott, dem die Stadt gewidmet war. Mit hochragenden Standarten zogen im Jubel der Fanfaren Kohorten und Legionen aus den weitläufigen Kasernen nach den fernen, nordischen Standquartieren oder schifften sich auf der Flotte, deren Mastenwerk vom Meer zur Stadt herübergrüßte, nach dem blühenden Osten ein; denn Aquileja war vor allem eine Militärstadt, ein mit Mauern und Türmen befestigtes Bollwerk und Ausfalltor gegen die im Osten und Norden drohenden Barbaren, ein Schlüssel des römischen Reichs. Hinter den siegreichen, römischen Legionen her zogen die Kaufmannskarawanen, zwar nicht der Römer -- denn diese hielten bekanntermaßen den Handel unter ihrer Würde -- aber diejenigen unternehmender Griechen und Orientalen, die in Aquileja ihre Niederlagen hatten, und dem Norden Europas die Erzeugnisse des Morgenlandes vermittelten. So war Aquileja im Altertum die Königin der Adria, eine Metropole des Welthandels, wie es ihr Kind, das prunkende Venedig, im Mittelalter wurde. An ihrem Strand entfaltete sich der Schiffsbau, in ihren Mauern die Waffenfabrikation, die Leinen- und Wollindustrie, die Purpurfärberei, welche die Gewänder der Könige und Kaiser lieferte, die Glasfabrikation und die mannigfaltigen Zweige des antiken Kunstgewerbes. Als Aquileja unter den Kaisern Trajan und Hadrian den Zenith seiner Machtfülle erreichte, war es eine der neun größten Städte des Römerreichs und unter den neun -- die Hauptstadt ausgenommen -- die reichste, so daß die Dichter und Schriftsteller jener Zeit mit den Ausdrücken höchster Bewunderung von ihrer Schönheit reden. Da soll es gegen eine halbe Million Einwohner gezählt und die aus dem Grün der Laubkronen schimmernden Villen der Vornehmen es stundenweit umgeben haben. Die nationale Toga der Römer und die Palla der Römerin trat in dem antiken Emporium der Adria vor der Menge fremdländischer Trachten zurück; denn alle reichen Grundeigentümer und Kaufleute aus Kleinasien und Nordafrika strömten nach der Eroberung jener Länder durch die Römer nach Aquileja. Denkt man sich nun die Kontingente germanischer, gallischer und illyrischer Soldaten dazu, die sich durch den prunkenden Adel, die geschäftige Handelswelt und das Proletariat bewegten, so haben wir ein anziehendes Bild seines Menschengemenges, das von allen Enden der damaligen Welt zusammengewürfelt war. Jeder fand in Aquileja seine Rechnung, der Marktschreier und der Müßiggänger, der Schauspieler und der Gladiator, der Lustigmacher und der Schmarotzer, und der heitere Epikuräismus der Kaiserzeit bot in Theater, Amphitheater und Zirkus den raffiniertesten sinnlichen Genuß, in marmornen Bädern die Liebe und in kühlen, rebenumgrünten Tabernen den Wein. Allein an Zeitläufen, wo die Bacchanalien und die laute Freude eines in seinem Reichtum schwelgenden Volkes im Ernst der Ereignisse unterging, hat es auch in Aquileja nicht gefehlt. Wenn es auch in den ersten drei Jahrhunderten seines Bestehens das Glück eines steten, tiefen Friedens genoß, so ist doch außer Rom keine Stadt so oft durch Krieg, Plünderung, Raub und Mord heimgesucht worden wie Aquileja, die östliche Feste des Reichs. Zum erstenmal wurde es im Jahr 172 von den Markomannen und Quaden bedroht, deren Macht sich indessen wirkungslos an der Festigkeit seiner Mauern brach. Im Jahr 237 erfuhr es durch den Tribun Maximinus eine Belagerung großen Stils. Er war wegen seiner Härte und Grausamkeit vom römischen Volke als Kaiser abgelehnt worden und umzingelte nun die Stadt in wildem Ingrimm mit einem furchtbaren Heer. Sie ging siegreich und mit dem Ruhm einer Retterin Italiens aus dieser Prüfung hervor. Vom Jahr 340, wo sie im Kriege, den die Söhne Constantius des Großen gegeneinander führten, eine Belagerung glücklich bestand, folgten sich die Umzingelungen fast Schlag auf Schlag. Schon 361 lag Julianus, der Apostat, der sich gegen Constantius empört, mit einem Heer vor ihren Mauern, 383 und 384 kämpfte Theodosius auf ihrem ~ager colonicus~ seine Kriege gegen K. Maximus und den Usurpator Johannes, im Jahr 400 wurde sie von Alarich, 406 von Radagais, 408 von den Vandalen geplündert. Wohl waren das herbe Prüfungen für den Wohlstand Aquilejas; aber seine Fundamente erschütterten sie nicht, und der aquilejensische Adler stieg immer wieder kraftvoll aus den Schreckensjahren auf. Da kam -- fast wie ein Blitz aus heiterm Himmel -- sein Untergang. Es war im Sommer des Jahres 452, als Attila »Godegisel« aus Pannonien her seine Hunnenhorden gegen Aquileja wälzte. Es fand unter seinem tapfern Oberbefehlshaber Cajus Menapius kaum Zeit, seine Festungswerke auszubessern, und das Landvolk der Umgebung floh entsetzt ins Gebirge und auf die nahen Lagunen. Drei Monate dauerte die Belagerung, ohne daß für die Belagerer ein Erfolg abzusehen war. »Da wurden die Hunnen sturmmüd und wollten endlich fort, Doch Attila, ihr König, ritt um die Mauern dort. -- Da rief er seinem Heere: Schaut zu den Giebeln dort, Von allen Genisten ziehen die weißen Störche fort. Sie wissen, wie bald in Flammen hinuntersinkt die Stadt, Drum auf zum neuen Sturme, wer Händ' und Füße hat. Da flogen die Feuerpfeile, da rannten die Widder an. Und von den Mauern stürzten die Trümmer nicht dann und wann, Nein, immer! Vom Hunnensturme wankte die ganze Stadt Als wie ein Schiff im Meere, das keine Segel hat. Aquileja, Aquileja wurde so berannt, Daß man nichts als die Stätte und nicht die Stätte fand!« A. Kopisch. Die frische, tauige Morgenfrühe, die schönste Tagesstunde des sonnenreichen Südens, lag über den unabsehbar weiten Campagnen des Friauls, und die Laubkronen nah und fern wogten, ein Meer von Grün, im leichten Wind. Wiehernd holten die beiden feurigen Pferde aus; wir flogen leicht und rasch, eine kleine Gesellschaft, dem großen Römerkirchhof Aquileja entgegen, wo die gewaltige Stadt mit ihren sechs Jahrhunderten römischen Kulturlebens, ihr reiches, übermütiges Volk ohne Zukunft und ohne Auferstehung verscharrt im Sand der Tiefebene liegt. Man berechnet den Weg von Monfalcone nach Aquileja zu vier bis fünf Gehstunden; unsere Pferde legten ihn in der halben Zeit zurück. Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus; die Nähe einer großen Stadt fühlt der Wanderer, lange ehe er ihre Türme und Kuppeln sieht; daß aber auch eine tote, verscharrte fast anderthalb Jahrtausende nach ihrem Untergang noch mit den letzten Resten alter Lebensfasern stundenweit über ihr ehemaliges Weichbild hinausgreifen würde, hätte ich nicht gedacht. Allein sobald man jenseits des Isonzo kommt, spürt man die Nähe Aquilejas deutlich. Sowohl in den schattigen Parks einiger Villenpaläste als an den halbzerfallenen Pächterhütten, die an der Straße stehen, begegnet der Blick den seltsamen Fundstücken aus der römischen Stadt. Basaltsäulen stehen an monumentalen Toreingängen, zierliche Aschenkrüge in den Rosenbeeten; nickende Faune und weibliche Götterbilder an den Parkwegen, Tritonen und Nimphenstatuen an den Teichen. Marmorfriese sind als Schmuck in die Mauern der Colonenhütten eingelassen; Inschriftenblöcke liegen als Ruhebänke neben den Türen, Grabvasen, die vielleicht einst den Staub einer edeln Römerin geborgen, sind zu Futterbecken des Geflügels geworden; überall begegnet man jenen roten tönernen Urnen, die auf dem ehemaligen Grund der Stadt zu Tausenden und Tausenden gefunden werden. Man kann dem römischen Altertum keine größere Ehrerbietung erweisen, als diejenige, daß man mit seinen Reliquien den Palast und die Hütte der Gegenwart schmückt. Immer mächtiger steigt der herrliche Campanile von Aquileja aus grüner Flur, und immer gewaltiger löst er sich aus der Bläue des südlichen Horizonts. Wir sind in Fiumecello, fünf Minuten später in Monastero, im Bereich des alten Aquileja! Halten muß hier Roß und Rad; nicht bloß deswegen weil Monastero eine der ausgiebigsten Fundstätten römischer Altertümer ist und nicht deswegen, weil hier das Vollendetste, was das römische Aquileja an Architektur besaß, das Hadrianeum stand, sondern weil Monastero ein Landgut ist, wie es im Friaul nicht zweie gibt, eine agrikolare Musteranstalt des neunzehnten Jahrhunderts auf dem klassischen Boden des Altertums. Es gehört den Herren von Ritter, den Fabrikanten in Görz. Schon der weite Hofraum des reichen Herrensitzes ist nicht ganz gewöhnlich, denn längs des Wohnhauses wie der Ökonomiegebäude, die ihn einrahmen, ist eine antiquarische Ausstellung, hinter der manches große, nordische Museum zurückbleibt. Sie enthält zwar nur die rudimentärsten der Fundstücke von Monastero: zerbrochene Säulenstümpfe, jonische, dorische, etruskische und korinthische Kapitäle, Inschriftenblöcke, Sarkophage, Urnen und Marmortorsen. Das Beste der aus dem Grund von Monastero aufgepflügten Reste, die herrliche von Rittersche Sammlung, ist leihweise an das Museum zu Aquileja übergegangen. Ein Aufseher des Landgutes hatte die Freundlichkeit, uns die andere ebenso große Sehenswürdigkeit der Villeggiatur -- ihre Ställe -- zu zeigen. Ein Viehstall in Monastero ist gegen viele tausend menschliche Wohnungen im Friaul ein Palast, und wären nicht die schönen Tiere, deren zu einem Hundert dort stehen, der Hauptschmuck der hallenartigen Gebäude, dann würde es ihre Reinlichkeit sein. Besonders hübsch ist der Kuhstall, wo das Vieh in zwei Reihen die breitgestirnten Köpfe gegen einander kehrt. Man sieht im Berneroberland keine schönern Tiere, als wenn man auf einer bequemen Rampe längs der prachtvoll gehörnten Köpfe des hellfarbigen Ungarviehs oder der gefleckten Emmentalerkühe dahinwandert. Hinter jedem der Tiere hängt eine Tafel an der Wand, aus der nicht nur der Zivilstand desselben, sondern auch der tägliche Milchertrag notiert ist. Sinkt bei einem Tier der letztere unter ein gewisses Minimum, dann ist's seinem Los verfallen; es wandert hinüber in den Schlachtviehstall, wo bereits eine stattliche Schar schwerster Mastochsen und rundlicher Kühe sich behaglich den Tod anfüttern. Ein flüchtiger Blick noch in den Pferdestall, wo neben den großknochigen Ackertieren die edelsten Ganzhufer des Friauls stehen, schlanke, feurige Tiere; ein Blick noch in die dem Landgut zugehörende Mühle, wo eintönig die Reisstampfen klopfen -- und fort geht's von Monastero. Aquileja, das moderne Aquileja ist nah, und neben dem Campanile wächst bereits der ehrwürdige Patriarchendom aus der Campagna. Da fahren wir, da sind wir, allein das Aquileja unserer Tage, das ungefähr 1750 Einwohner zählt, hat vor jedem andern furlanischen Nest nichts voraus als seinen herrlichen Dom und daß es ungefähr den Ort bezeichnet, wo die marmorschimmernde, römische Stadt gestanden, von welcher der Dichter Aug. Kopisch in seinen wuchtigen, knorrigen Nibelungenversen so treffend sagt, »Man nichts als die Stätte und nicht die Stätte --« findet. Es ist poetisch schwungvoll, daß er diese Tatsache in unmittelbare Beziehung zum Hunnensturme setzt; allein die Geschichte ist grausamer als die Dichtung. Wohl hat jene entsetzliche Zerstörung, in der 37000 Menschen das Leben verloren, jener langandauernde, an den Untergang Karthagos erinnernde Brand, dem Attila vom Kastellhügel zu Udine bewundernd zugesehen haben soll, das römische Aquileja tödlich getroffen. Allein eine so gewaltige Stadt stirbt auch im wildesten Völkertumult nicht auf einen Schlag und der Todeskampf der altadriatischen Königin hat Jahrhunderte, hat ein Jahrtausend gedauert; ja sie hat -- der ehrwürdige Dom ist das beredteste Zeugnis dafür -- eine Periode gezeitigt, die einem halben Wiederaufleben glich. Der Fall Aquilejas war eine Katastrophe. Sie kam und war zu Ende. Als die Trümmer der unglücklichen Stadt noch rauchten, wälzten sich die asiatischen Horden bereits von dannen; auf den Lagunen des venetianischen Südens aber lebten noch Tausende ehemaliger Bewohner, Frauen, Kinder und Priester und wohl auch noch beträchtliche Scharen wehrhafter Männer, die sich im allgemeinen Sturm zum rettenden Meere durchgeschlagen hatten. Als nach Tagen, Wochen, Monaten des Zitterns und Zagens und des allgemeinen Schreckens wieder etwas vom alten Lebensmut in die auf den Inseln zerstreuten Aquilejenserhaufen kam, Trüpplein um Trüpplein sich wieder aufs Festland hinüberwagte, da mag sich auf den Trümmern der alten, schönen Heimat manch eine rührende Wiedersehensszene, wo Totgeglaubte auferstanden, zugetragen haben. In diese furchtbar ernsten Tage der Sammlung hat der Humor der Geschichte eines seiner heitersten Stücklein geflochten, die Erzählung von den ungetreuen Frauen Aquilejas, die, ihre Männer erschlagen wähnend, so rasch eine zweite Ehe eingingen, daß manche der Aquilejenser bei ihrer Rückkehr die Frauen im Haus eines neuen Gatten fanden. Die Verzweiflung war groß, denn die Treulosen weigerten sich, ihre erste Ehe zu Recht zu erkennen. Da wandten sich die Männer an den heiligen Vater zu Rom, und kraft seines Amtes zu binden und zu lösen, erklärte er die zweite Ehe der aquilejensischen Frauen für nichtig. Langsam bevölkerte sich Aquileja wieder und ein halbes Jahrhundert nach seinem Fall fristete es wieder ein ziemlich behagliches Dasein. Noch ein halb Jahrhundert später wurde es unter Narses, dem griechischen Reichsvikar, wieder eine Festung, über die, ehe das erste Jahrtausend unserer Zeitrechnung voll wurde, wieder ein Dutzend Plünderungen ergingen. Allein weder die Hunnen, noch die Germanen und Slaven, welche es später bedrängten, waren die grausamsten Feinde der zwischen Leben und Tod ringenden Stadt. Das war das werdende Venedig! In jenen Zeiten unmittelbar nach dem Untergang Aquilejas, wo der Völkersturm in den wildesten Stößen von den Alpen zum Meer niederbrauste, wagte es nur ein kleinerer Teil der Lagunenflüchtlinge dauernd in die Stadt zurückzukehren. Die meisten blieben auf der südvenetischen Inselgruppe und gründeten hier eine Reihe kleiner, demokratischer Gemeinwesen. Unter diesen erwies sich dasjenige auf den drei größten Inseln, dem Rialto, Malamocco und Torcello, besonders lebenskräftig. Aus ihm entstand im Anfang des neunten Jahrhunderts Venedig, die Tochter Aquilejas. Diese Tochter, die nachmals im Schmuck ihrer Paläste so wunderherrlich prangte, hat ihre Mutter bei noch halblebendigem Leibe beerbt und ist zur Hyäne des Schlachtfeldes von Aquileja geworden! Zwar hatten schon nach dem Untergang der Stadt die Lagunenbewohner angefangen, mit ihren Barken die kostbaren architektonischen Reste nach den neuen Niederlassungen überzuführen; aber erst die Dogenresidenz, die hartherzige, eigensüchtige wagte es so recht, Hand an die Mutterstadt zu legen, sie im vollsten Sinn des Worts als Steinbruch für ihre Markuskirche, für alle jene Bauten, mit denen Venedig heut noch den Fremden entzückt, auszubeuten. Damit hatte sie das böse Beispiel für alle Städte im venetischen Land gegeben, so daß der heilige Paulin in einem lateinischen Liede klagt, Aquileja werde in alle umgebenden Länder verkauft; selbst die Toten hätten nicht Ruhe und würden ausgeworfen wegen des Schachers mit Marmor. Dadurch ist es begreiflich, daß von dem ganzen großen, marmorprunkenden Aquileja kein Turm und kein Tor, von seinen Amphitheatern, Theatern, Tempeln und Villen auch nicht eine Ruine auf uns gekommen, kein Stein auf dem andern geblieben ist und daß dasjenige, was man über die Topographie des alten Aquileja Sicheres weiß, verschwindet vor den weiten Gebieten, über welche die Vermutung und die Phantasie ihre Flügel schlägt. Obgleich sich schon vierzehn Jahrhunderte in den Gräberraub von Aquileja teilen, ist die Stätte noch nicht erschöpft. Manches haben die ehemaligen Bewohner vor dem Zusammenbruch der Stadt, manches hat die Natur selbst in furchtbaren Überschwemmungskatastrophen in den Schoß der Erde geborgen, und nur zögernd aufersteht vor dem Stoße der Pflugschar die Antike. Allein sie aufersteht! Die Obelisken mit ihren ägyptischen Hieroglyphen, die riesenhaften Götter- und Kaiserstatuen, die Säulen aus parischem und numidischem Marmor richten sich wieder auf; aus den bildgezierten Sarkophagen stäubt die Asche in die Luft; die Mosaikböden glänzen wieder im Schmuck ihrer farbigen Steine; aus den Topfscherben rollen die Münzen mit ihren Kaiserbildnissen; das Kind des furlanischen Bauers spielt arglos mit den Geheimnissen des antiken Frauengemachs, oder schmückt sich einen Augenblick mit dem silbernen oder goldenen Geschmeid der Römerin. Aquileja ist ein anderes Pompeji, nur mit dem Unterschied, daß hier systematische Grabungen erst sehr spät gemacht worden sind, daß es meist dem Zufall und dem aquilejensischen Bauer vorbehalten blieb, die Steine, »welche redend zeugen«, aus dem Schutt der Jahrhunderte zu ziehen. Manche der Funde verdankt man wohl der anmutigen Sage vom ~pozzo d'oro~, dem Goldbrunnen. »Lange bevor Aquileja unterging«, -- so lebt sich im Friaul die Erzählung fort, -- »haben gottbegnadete Seher die Zerstörung der Stadt in ihren Weisssagungen verkündet. Da ließen die Väter der Stadt, die Wucht des Schicksals zu mildern, einen ungemein tiefen, verschließbaren Brunnen bauen. Sie bestellten zwei ihrer Angesehensten zu Schlüßlern desselben und verordneten, daß jeder Bürger Aquilejas von seinem Reichtum einen Teil in die Tiefe des Schachtes werfe, damit dereinst, wenn das Verhängnis hereinbreche, ein Fonds zum Wiederaufbau der Stadt vorhanden sei. In edelm Wetteifer gaben die Einwohner ihr Bestes hin, was sie zu Hause an Edelsteinen und Perlen, an Gold und Silber besaßen, um den Schatz im Goldbrunnen zu mehren. Glückliche Eltern brachten bei der Geburt eines Knaben ihre Weihegeschenke; liebende Paare widmeten, ehe sie vor den Altar traten, die Geschmeide ihrer Jugendzeit, Gewissensbeladene schenkten reiche Sühnopfer, Sterbende einen Teil ihres Vermögens der Brunnenstiftung. So häufte sich im Schacht ein unermeßlicher Reichtum, der zum Bau eines neuen herrlichen Aquileja vollauf genügt hätte. Im Vertrauen darauf sahen die Bürger dem lang dräuenden Verhängnis ruhiger entgegen. Allein als dieses kam, da wurden die Schlüßler von den stürzenden Stadtmauern erschlagen und die Stadt so verwüstet, daß selbst die Überlebenden die Stelle, wo der Goldbrunnen gewesen, nicht mehr erkannten. Darum konnte Aquileja nicht wieder aufgebaut werden. Der Brunnen ist verschollen; noch niemand hat ihn entdeckt.« So sehr hat sich diese Sage ins furlanische Volk eingelebt, daß die Grundbesitzer in der Gegend von Aquileja bis in die neueste Zeit hinein es nie unterließen, sich beim Verkauf eines Landstückes durch die Klausel des ~pozzo d'oro~ das Anrecht auf den Schatz im Goldbrunnen zu sichern, wenn dieser zufällig im veräußerten Grunde entdeckt werden sollte. Wie über den Ausgrabungen, so hat auch über dem Schicksal der Fundgegenstände der Zufall, fast möchte ich sagen der gleiche Fluch gewaltet, der im Mittelalter die oberirdischen Baudenkmäler Aquilejas in alle vier Winde verschleuderte. Wollte man zu einigen der Statuen, deren Torsen in Aquileja liegen, die ergänzenden Glieder zusammenbringen, so müßte man den einen Arm im Mauerwerk einer furlanischen Hütte, den andern in einem Palaste Venedigs, die Hand in der Raritätenkammer eines englischen Schlosses, den Fuß in irgend einer archäologischen Sammlung Frankreichs suchen, während die übrigen Reste selbst in ihren kleinsten Teilen nirgends mehr zu finden wären, da sie zu Mörtelkalk verbrannt worden sind. Wie reich aber auch jetzt noch die Funde in Aquileja sind, mag die eine Tatsache verdeutlichen, daß Kenner einzig die Anzahl der geschnittenen Edelsteine, die im Laufe des 19. Jahrhunderts dort gefunden wurden, auf zehntausend Stücke schätzen, daß jetzt noch Jahr für Jahr zwanzig und mehr Inschriftentafeln, Hunderte von Graburnen und Glasgefäßen, Kannen, kleine Bronzen, Bein- und Bernsteinfiguren, Terracottasächelchen und ganze Reihen von Skulpturen ohne systematische Nachgrabungen aus der Erde gehoben werden und daß der Fremde sich jetzt noch für wenige Gulden eine hübsche Sammlung antiker Münzen, Bronzen und Töpferprodukte erwerben kann. Der erste Sammler aquilejensischer Altertümer war Joh. Dom. Bertoli, der im letzten Viertel des 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Domherr zu Aquileja lebte. Seither hat es immer einsichtige Privaten gegeben, welche die ausgegrabenen Marmorbilder, wenn es möglich war, ihrem gewöhnlichen Schicksal, zu Mauersteinen zerschlagen oder zu Kalk verbrannt zu werden, entzogen. Immer war die Möglichkeit nicht da. Kein moderner Palast ist aus kostbarerem Material gebaut als manche der elenden Pächterhütten in Aquileja; allein weitaus das grellste Bild aus dem Kapitel bäuerlicher Barbarei ist der Stall eines Signore Moschettini. Ein solcher steht wohl in der ganzen, weiten Welt nicht mehr, und an Originalität kann sich kein Antikenmuseum der Erde mit ihm messen. Seine Mauern samt und sonders sind aus einem Trümmerchaos von Statuen, Säulen, Gedenk- und Inschriftentafeln, Sarkophagen und Mosaikböden aufgebaut. Götterköpfe, Aphroditenleiber, Füße und Hände von Marmor, Säulenkapitäle, Kolumbarien sind zu diesem Zweck in handliche Stücke zerschlagen, vermauert und nach außen mit altchristlichen Grabsteinen, Inschriftenplatten, Aschenbehältern, Kaiserbildern, Medusenhäuptern und Büsten von Göttinnen belegt worden. Selbst das arme Hirn eines Geisteskranken könnte nicht so tollen Widersinn erdenken, wie an diesem Gebäude der Mörtel zusammenleimt. Es könnte einen Hypochonder zum Lachen bringen, einen Kunstschwärmer in Verzweiflung treiben, dieses zu Kraut und Rüben gemengte, zerschlagene Aquileja des marmornen Stalls! Zum Glück hat Aquileja nur einen Moschettini von solch genial barbarischem Geschmack besessen. Spät kam der Staat, um im Interesse der Archäologie seine schützende Hand über die Antiken Aquilejas zu legen; allein er kam. Im Herbst 1882 wurde in dem kleinen Ort feierlich ein Staatsmuseum eingeweiht und in einem zweckmäßig gebauten, geräumigen Haus untergebracht. Indes wären seine Schätze noch wenig bedeutend, hätten nicht die Gemeinde, die im Jahre 1873 zu sammeln begann, und die Gebrüder von Ritter in Monastero ihre hübschen Sammlungen leihweise dem öffentlichen Museum überlassen, so daß dieses jetzt dem Fremden ein lebendiges Bild von der Kunstfülle des römischen Aquileja zu geben vermag. Der weite, gegen die Straße liegende Hof des Museums, in welchem die kolossalsten der Monumente ihre Aufstellung gefunden haben, gleicht einem mit Denkmälern überladenen Kirchhof. Durch denselben wandelnd, weiß man nicht, soll man mehr die Kunstgewalt der alten Meister, die dem spröden Stein so herrliche Gebilde abgewonnen, soll man mehr die Wucht der Zerstörungskräfte bewundern, welche diese riesenhaften Säulen, diese Marmorquadern brachen. Doch hat im wilden Ringen der Verneinungsgeister gegen die lichte Kunstgewalt die letztere gesiegt. Durch allen Graus der Zerstörung und Verwitterung haben viele der Gebilde eine wunderbare Anmut, eine zu Herzen gehende Schönheit bewahrt, und denkt man an die Paläste, die Tempel, die Theater zurück, deren Teile sie einst gebildet, so drängt sich einem wie dem Dichter zu Venedig die Frage auf die Lippen: »Wo ist das Volk von Königen geblieben, Das solche Häuser durfte bauen?« Tausende von Skulpturen und eine Menge merkwürdiger Anticaglien, Nutz- und Schmuckgegenstände des altaquilejensischen Haushalts, haben im Innern des Museums ihre Aufstellung gefunden. Schon die Vorhalle bereitet mit ihren zahlreichen römischen und altchristlichen Grabsteinen, mit herrlichen korinthischen Kapitälen, mit einer prächtigen Sammlung schön geschweifter Henkelkrüge, Kolumbarien, die zum Teil noch die verbrannten Knochen enthalten, unsere Stimmung auf den Eintritt in die Museumssäle vor. Es ist nur zu bedauern, daß jene schöne Mosaik, welche die Entführung der Europa durch Zeus darstellt, zerbröckelt und unkenntlich geworden ist. Sie war so kunstvoll gearbeitet, daß sie als ein würdiges Gegenstück der berühmten Dariusschlacht galt, die man auf einem Fußboden zu Pompeji entdeckte. ~Avete Caesares!~ -- Der erste Museumssaal ist jenen Steindenkmälern gewidmet, die sich auf die römischen Kaiser und ihre Beamten beziehen, und fesselt besonders mit zwei fast vollständig erhaltenen Marmorstatuen das Kunstinteresse. Die eine derselben stellt in kühner, kräftiger Arbeit den Kaiser Tiberius dar, von dessen Haupt sich die Toga in herrlichem Faltenwurfe um den Körper drapiert; die andere ist das nicht minder schöne Bild des Kaisers Claudius. Man vermutet jedoch des eingesetzten Kopfes wegen, daß diese Statue erst Caligula, jenem Tollmenschen »~memoriae damnatae~«, der vom Jahr 37--41 auf dem römischen Thron gesessen, gegolten, und erst, als dieser in einer Palastrevolution fiel, das Haupt des Claudius erhalten habe. Beide Statuen sind von mehr als Lebensgröße, wie denn die kolossalen Verhältnisse der in Aquileja gefundenen Marmorbilder ein hervorragendes Charakteristikum derselben bilden. Unter den über lebensgroßen Torsen interessiert besonders deswegen eine nackte, starkbewegte Männergestalt, weil die unfertige Statue jene Vertiefungen -- Puntelli -- an die sich der Künstler bei seiner Arbeit hielt, noch zeigt und uns so einen Einblick in die Bildhauertechnik des Altertums gewährt. Der zweite Saal ist zum größten Teil eine Sammlung von Grabsteinen, die uns bald das Bild der Toten in Relief darbieten, bald mit kürzern und längern Inschriften von ihnen erzählen. So berichtet der eine von Cippus, dem Perlenhändler, der andere von dem Freigelassenen Sextilius Crescens, dem Fleischer. Hier hat ein antiker Salber einem kaiserlichen Haussklaven, dort ein Priester seinem Vorgänger, der 110 Jahre alt geworden war, ein frommes Andenken gestiftet. Der merkwürdige Grabstein des Afrikaners Restutus meldet, daß dieser die weite Reise aus seiner Heimat einzig deswegen unternommen habe, um Aquileja, die herrliche Stadt, zu sehen, daß er eine Weile da gelebt und von einer Bestattungsgesellschaft begraben wurde. Nun kommen wir in hohe Gesellschaft. Im dritten Saal schauen die lichten Gestalten des Olymps, Jupiter, der Vater der Götter und Menschen, im Schmuck des langwallenden Haupthaars und Barts, Merkur, der Gott mit geflügeltem Hut, dessen Gunst sich Aquileja so lange erfreute, der schmiedende Vulkanus, Mars mit reichverziertem Helm und Federbusch, Venus, die meergeborne Göttin mit dem Perlendiadem aus großen Medaillons auf uns Sterbliche nieder. Auf einem Grabstein spielt der efeubekränzte Silenus die Leier, und Pan, der friedliche, bläst auf der Hirtenflöte. Die Statue Neptuns, des meerbeherrschenden Gottes, ist leider nur noch ein Torso. Einem Marmorbild der Venus, die in der Stellung der medizäischen zu Florenz dargestellt ist und durch sorgfältige Ausführung und edle Verhältnisse eines der herrlichsten Stücke der Sammlung bildet, fehlt leider das Haupt. Ein allerdings entzückend schöner Venuskopf, der auf einer nahen Säule aufgestellt ist, entschädigt nicht ganz für das fehlende. Ein Gefühl des Mitleids mit den verstümmelten Bildern will sich in die Seele des Beschauers schleichen; denn, wenn auch gebrochen, sind sie doch nicht tot, sondern reden kraft der ihnen innewohnenden Schönheit mächtig zu seinem Gemüt. Verlassen wir nun die Säle, in deren Bildwerken sich die Künstlerschaft der antiken Meister noch in den Fragmenten so achtunggebietend offenbart, und treten wir in die Räume, wo die Anticaglien, jene zumeist in den Gräbern gefundenen zierlichen Werke der Kleintechnik hinter Glas und Rahmen liegen. Sie sind in ihrer Art nicht weniger interessant als der Marmorprunk der durchwanderten Gemächer. Eine Menge dieser kleinen Sachen führt ins altaquilejensische Haus. Es sind bronzene Nägel und Nadeln, Griffel, die zum Schreiben auf die Wachstafeln dienten, Zirkel, Lote, Schnellwagen, Gewichte, Schlüssel, und einige Messer da. Besonders schön ist eine Sammlung arretinischen Tischgeschirrs aus korallenrot gefärbter Terrakotta, die mit ihren zierlichen Reliefs in den Oberflächen gewiß einst den Stolz eines tafelfreudigen Aquilejensers gebildet. Tonplatten, welche in erhobener Arbeit Szenen aus der Mythologie oder dem täglichen Leben darstellen, schmückten, ähnlich wie unsere Gemälde, die Zimmerwände. Mannigfaltig ist die Ausstellung von Tonlampen, die, selten eines Reliefschmuckes entbehrend, bald zierliche Traghenkel, bald eine Einrichtung zum Aufhängen zeigen und manchmal für mehrere Dochte zugleich eingerichtet sind. Manche derselben tragen eine Inschrift, häufig einen Glückwunsch zum Jahreswechsel. Einige dieser Neujahrslampen, mit denen man seine Freunde zu beschenken pflegte, sind von zierlicher Schönheit und entfalten in Reliefdarstellung diejenigen Gaben, die der Geber dem Beschenkten wünschte: Feigen, Kuchen oder Münzen. Eine der schönsten stellt eine Siegesgöttin dar, die auf erhabenem Schilde die Inschrift: »~Annum novum faustum felicem mihi~« trägt. Allerliebste Tonfigürchen waren die Puppen der aquilejensischen Kinder. An den bittern Ernst des Lebens erinnern eine Menge Tränenfläschchen, die mit wohlriechenden Salben gefüllt, von den Alten in die brennenden Totenfeuer geworfen oder in die Gräber gelegt wurden. Den größten Reichtum der Anticagliensammlung indes bilden die vielen Schmuck- und Nippsachen: geschnittene Steine von Karneol, Jaspis, Onyx, in welche Szenen aus der Mythologie, aus dem täglichen Leben oder Tierbilder eingegraben sind. Bernsteinfigürchen, Haftnadeln und zierliche Statuetten aus Bronze, sehr große Fingerringe von Gold und Silber, die in der Stärke, wie sie da sind, nur als Totenschmuck gedient haben können, und endlich eine Menge Kaiser- und Familienmünzen. So prangt nach anderthalb Jahrtausenden noch der aquilejensische Luxus, das reiche, häusliche Leben. Allein mitten in unsre Bewunderung für das Kunstschöne, das sich an diesem Wohlleben so reich entwickelt, erinnert uns die Inschrift, die wir auf einem Ziegel lesen: »~Cave malum, si non raseris lateres sexcentos; si raseris, minus malum formidabile~«: »Wenn du nicht sechshundert Ziegel verfertigst, so hüte dich vor einem Übel; verfertigst du sie, so wird das Übel weniger groß sein«, daran, daß die ganze Kultur des Altertums, die ganze römische Herrlichkeit auf einem sozialen Institute beruhte, von dessen Härte und Grausamkeit wir uns mit Abscheu wenden, auf der Sklaverei. Das ist der schwarze Punkt im lichten Bild der Antike. Aus der Sklaverei hat das Altertum Jahrhunderte lang seine Stärke geschöpft; an der Sklaverei ist es gestorben. Hätte im römischen Reich, als der Völkersturm durch Europa wogte, eine gewaltige Volksmasse, die nichts zu verlieren, wohl aber manches zu gewinnen hatte, nicht sympathielos das Alte stürzen sehen, sondern ihre Wucht mit derjenigen der Kriegsheere in die Wagschale der Geschicke geworfen, dann wäre es nicht zu schwer gewesen, den schönen Süden vor dem Schrecken der eindringenden Barbaren zu bewahren. Aquileja fiel. Nach ihm fiel Rom. Allein dort wie hier rang sich aus dem Schoß des untergehenden Altertums eine neue Welt: das Christentum. Dieses hat um die gewaltige Metropole des römischen Reichs mit dem kräftig aufstrebenden Papsttum einen neuen, die Völker blendenden Glanz gewoben; als ein heller Stern hat es auch über dem zerstörten Aquileja gestrahlt. Der herrliche Dom und sein stolzer Campanile, der in wahrhaft majestätischer Größe über die Hütten des modernen Aquileja steigt, zeugen dafür. Nur Rom selber kann sich rühmen, eine um wenige Jahre ältere Pflanzstätte der christlichen Idee gewesen zu sein, als Aquileja. Aus dem Blut überzeugungstreuer Märtyrer und aus einer Reihe wilder Verfolgungen heraus wuchs hier mitten im rauschenden Taumel des sich verzehrenden Römertums eine starke Anhängergemeinde, und als Konstantin die Göttertempel schließen ließ, hielt das Evangelium von Aquileja aus seinen Siegeszug in die norditalischen Lande und in die Alpen, so daß die Stadt als ein Mittelpunkt christlichen Lebens galt. Ihre Bischöfe genossen so hohes Ansehen, daß sie nach dem Papst als die ersten in der Christenheit gefeiert wurden und an den Kirchenversammlungen zu Rechten desselben saßen. Sie nannten sich Patriarchen. Um die Wende des Jahrtausends lächelte Aquileja noch einmal etwas wie Gedeihen und Entwicklung. Nachdem schon seine Vorgänger die Grundsteine dazu gelegt, bildete und festigte sich unter Popo, dem tatkräftigsten der aquilejensischen Kirchenfürsten, ein Staat eigenster Art, das Patriarchat von Aquileja, dessen Herrscher folgenschwer in die deutsche und italienische Geschichte, in jene gewaltigen Kämpfe zwischen Kaiser und Papst eingegriffen haben, indem sie bald den einen, bald den andern unterstützten. Allein der kurzdauernde Glanz dieses Kirchenstaates glich doch mehr einem plötzlichen Aufflackern als einer ruhigen Entwicklung. Schon zwei Jahrhunderte nach Popo, der die Ländereien vom Po bis an die ungarische Grenze in seine geistliche, das Friaul, Istrien und Krain in seine weltliche Machtsphäre gezogen hatte, begann der Verfall. Um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts siedelten die Geistlichen von Aquileja, dessen Klima sich infolge mangelhafter Instandhaltung der Wasserläufe und säkulärer Senkungen sehr verschlechtert hatte, nach Udine über, und nachdem Venedig und Österreich die Gebiete des Patriarchats an sich gezogen, nachdem der Papst das Erzbistum aufgehoben und dafür dasjenige von Udine und Görz gegründet hatte, erlosch der letzte Schein der zweiten Glorie, die über dem Tieflandsorte aufgegangen war. Aquileja sank und sank. Im Anfang des 17. Jahrhunderts sollen daselbst nur noch 35 Fischerfamilien gelebt haben. Tiefer kann ein Ort, der einst gegen eine halbe Million Einwohner zählte, wohl nicht erniedrigt werden. Allein noch steigt der altersgraue Dom mit seinem gewaltigen Campanile über die Flur. Er hat nichts gemein mit den kleinen Hütten, die ihn umstehen; er ragt in stolzer Vereinsamung in der prosaischen Gegenwart; er träumt von alter Patriarchenherrlichkeit; er träumt weit zurück in das jugendliche Christentum, denn während fünfzehn Jahrhunderten hat er den Gang der christlichen Religion gesehen. Als wir in der Frühe jenes schönen Morgens, der uns zu unserer Fahrt durch die Campagnen geleuchtet, in das große Gotteshaus eintraten, las eben ein blutjunger Priester von kleiner, schmächtiger Gestalt die Messe. Eine kleine Schar buntgeschmückter Weiber, sowie einige Koloni knieten vor dem Altar und hörten dem in einförmigen Kadenzen durch die Halle tönenden Meßgemurmel zu. Der junge Priester, das bißchen Volk, die bäuerlichen Meßknaben, sie verschwanden fast in der Weite des feierlichen, von einundfünfzig Fenstern mit Licht vollauf gesättigten Raums. Der Fußboden des Domes, unter dessen Platten die Patriarchen in ihren Grüften den Schlaf der Gerechten schlafen, liegt fast einen Meter tiefer als die äußere Umgebung des Gottshauses. Um so viel hat sich die letztere von der Zeit, wo man den Dom baute, bis jetzt erhöht. Die Baukunst von fünfzehn Jahrhunderten in sich vereinend, gehört die Basilika wesentlich dem romanischen Stil an. Ihre Grundform bildet ein Kreuz, dessen Stamm 70 Meter lang und 29 Meter breit ist, während der Querraum nur 43 Meter mißt. Der aus fünf Bogenabteilungen bestehende, netzartige Plafond des Mittelschiffes, welches bedeutend höher als die Seitenschiffe ist, ragt 22 Meter über den Fußboden empor. Je fünf Säulen, die durch Spitzbogen unter sich verbunden sind, trennen das Mittelschiff von den Seitenschiffen. Sie verraten die Kirche als ein Epigonenwerk. Ihre an Dicke und Höhe verschiedenen granitnen oder marmornen Schäfte, von denen einigen mit Unterlagen hatte nachgeholfen werden müssen, beweisen deutlich, daß man als Material zum Bau einfach die Ruinen des römischen Aquileja verwendet hat. Während wir das schmucklose, aber erhabene Innere der Kirche besichtigten, ging die Messe zu Ende. Wir baten den jungen Priester, uns die Krypta, die unter dem Chor liegende Unterkirche zeigen zu lassen, und zuvorkommend übernahm er selbst den Führerdienst. Als wir durch einen halbdunklen Gang in diese Krypta niederstiegen, mahnte es mich an die Kasemattengänge einer Festung; allein um wie viel älter sind diese ehrwürdigen Mauern als die älteste Burg; denn sie wie die Krypta stammen noch aus der Zeit vor dem Hunnensturme, vom ersten Kirchenbau Aquilejas her. Rohe Säulen mit sehr einfachen Kapitälen, aber ohne Sockel, stützen die in runden Halbbogen sich wölbende Decke. Fünf kleine, halbrunde Fenster verbreiten in dem kühlen, moderigen Raum ein geheimnisvolles Halbdunkel, das von den uralten, kunstlosen Malereien, welche Wände und Wölbung bedecken, nur wenig erkennen läßt. In der Mitte dieser unterirdischen Kapelle steht ein großer Sarkophag, der einst die Knochen des heiligen Hermagoras, des ersten Bischofs von Aquileja, enthielt. In den vielen Kriegen sind die heiligen Gebeine gestohlen worden. Der junge Führer sprach sich sehr bedauernd darüber aus; wir aber atmeten auf, als wir wieder in die gute Luft der Oberkirche kamen. Auf der Westseite des Domes steht eine andere, die Heidenkirche, die ~chiesa dei pagani~, ein öder, vernachlässigter Bau aus jener frühen Zeit unmittelbar vor der letzten Christenverfolgung. Interessanter ist das darangebaute Baptisterium, eine Taufhalle, wie aus der christlichen Vorzeit nur wenige auf uns gekommen sind. In einem achteckigen Hofe steht ein sechsseitiges, geräumiges Taufbecken, in das der Täufling über drei große Stufen hinabstieg. Wenn das Becken gefüllt war, reichte das Wasser einem Erwachsenen bis über die Brust hinauf, und durch dreimaliges Untertauchen vollzog sich die symbolische Handlung. Auf der Südseite des Domes stehen als letzte Reste des Patriarchenpalastes zwei stark verwitterte, mächtige Säulen; auf der Nordseite aber ragt der aus den Quadern des römischen Amphitheaters von Popo erbaute, 72 Meter hohe, freistehende Glockenturm empor. An der südlichen Flanke, eines breiten, aus Römerzeit stammenden Grundbaues, führt eine Freitreppe in den eigentlichen Turm hinauf. Ein junges Weib geleitete uns die hundertacht beschwerlichen Stufen, die von schießschartigen Löchern nur schlecht beleuchtet sind, zur Glockenstube empor. Da oben ist's wundervoll! Die Aussicht ist zwar nur aus wenigen Elementen zusammengesetzt, der endlosen, grünen Flur, dem unbegrenzten blauen Meer, den fernen, verschwimmenden Küsten von Istrien, den fernen, blassen Alpen, dem düster dämmernden Markusturm von Venedig. Fast fehlt es dem Bild an Linien; aber unsäglich schön ist der Luftton, halb Schleier, halb Klarheit! Tief unter uns liegt das kleine, unscheinbare Aquileja im Morgensonnenglanze; hoch über uns wölbt sich ein Himmel, wie es nur einen gibt auf der Erde, den italienischen, der so dunkel, so strahlend ist, wie das Auge der Italienerin. So war dieser Himmel schon, als die Römer über die Gefilde wandelten, und feuchte Augen haben schon damals in der Not der Seele aufgeblickt zum Firmament; auf unserm Stern aber waltet das Schicksal. Aquileja -- »gezählt, gewogen und geteilt!« [Illustration] [Illustration] Die Lagune von Grado. In einem halben Tag hat man zu Aquileja alles gesehen, was zu sehen ist, den Patriarchendom und die Rundsicht auf dem Campanile, die Antikensammlung und den Stall Moschettini. Ist man dazu ein paar Mal durch die wenigen Straßen spaziert, an denen in losen, kurzen Häuserzeilen das moderne Aquileja steht, ist man da und dort bei einem besonders zierlichen Relief still gestanden, das ein in seiner Art kunstsinniger Bauer in die Front seiner Hütte hat einmauern lassen, hat man über die Umfassungsmauern in einige kleine Gärten geblickt, in deren Pflanzengrün halb versteckt hübsche private Sammlungen enthalten sind, hat man gesehen, wie die Schweine aus antiken Sarkophagen, Katzen und Hühner aus antiken Graburnen fressen, dann hat man in der Tat alles gesehen, was das moderne Aquileja dem Fremden bieten kann. -- Auch bei einem zweiten Besuch habe ich in dem großen geplünderten Römerkirchhof nicht mehr entdeckt. Also »~partiamo!~« Der Kutscher warf sich in die Brust und knallte gewaltig, als wollte er die alten Aquilejenser aus dem Schlafe wecken; wir flogen südwärts über das ebene Land nach Beligna und Belvedere ungefähr eine Stunde Wegs durch einen dunklen Ackergrund, dessen Boden so fein ist, als wäre er durch ein Sieb gegangen. Waren hier die Gartenpaläste der Reichen; war hier die Nekropolis des ehemaligen Aquileja? Man sagt das eine und das andere, vielleicht ist keines wahr; hingegen weiß man, daß zu Beligna ein feierlicher Tempel des Sonnengottes Belenus stand, zu Belvedere ein römisches Arsenal war und eine Kolossalstatue mit brennender Fackel auf das Meer hinausleuchtete. Wir wollten nach Grado, jener kleinen Inselstadt, hinüberfahren, deren Namen sich mit Aquileja derart verschwistert hat, daß man den Namen der einen nicht nennen kann, ohne der andern zu gedenken, daß die beiden, in Glück und Unglück schicksalsverwandt, zusammengehören wie das Dioskurenpaar im Mythus der Hellenen. Bei dem Dorfe Belvedere erstirbt die Campagna im Dünensand; die gute Straße geht aus; die Räder sinken tief in den beweglichen Grund, die Gräser weichen dem Salzkraut, dem Meerginster und wie die Gewächse des Hallophytengeschlechtes heißen, die oft mit seltsamen, fettkrautartigen Bildungen den Strand überwuchern. Noch ein Viertelstündchen, und wir sind an der Lagune. Da steht, wie ein Stück Ideallandschaft anzuschauen, auf einem Dünenrücken ein nicht gar großer, aber alter Pinienwald, der mit seinen breiten, dunkeln Schirmen das Lagunenbild wundersam verschönt. Die Pineta, sagt man, sei nur ein Rest eines Piniengürtels, der im Altertum die ganze adriatische Nordküste umschlang. Wenn das richtig ist, dann ist dieses weite Meerufer um einen seiner herrlichsten Reize ärmer geworden. Als wir wenig nach Mittag am Strande ankamen, war die Barke, die wir von Aquileja aus telegraphisch in Grado bestellt, mit zwei tiefbraunen Gradoneserfischern schon an Ort und Stelle; die Lagune aber bot den seltsamsten Anblick, den man sich denken kann. Es herrschte tiefe Ebbe. Vom Land her strömten die Wässerlein, welche sonst die Niederungen bei Belvedere mit einem braunen Brackwasser füllen, in eiliger Hast, wie Kinder in den Schoß der Mutter fliehen, dem zurückweichenden Meere nach und furchten Dutzende von Rinnen in den grauen Lagunenschlamm. Die breiten Sandrücken, die vom Meer zurückgelassenen Tümpel und Lachen durchsetzten sich derart, daß man nicht sagen konnte, überwog die See das Land oder dieses die See. Es war ein interessantes Etwas, das niemand gefallen konnte als den Amphibien, den sich sonnenden Wasserschlangen und den im Schlamm steckenden Schildkröten. Selbst der Menge von Krustentieren, den Taschenkrebsen und Langschwänzern, die neben vielen kleinern und größern Muscheln den Schlamm bedeckten und hundert vergebliche Versuche machten, kriechend oder springend ihr natürliches Element zu erreichen, schien die Gegend schlecht zu bekommen. Man konnte es in der Tat für gleich unmöglich halten, zu Fuß oder zu Schiff nach Grado überzusetzen, dessen Häuser klar und fast zum Erlangen nah über die Lagune schimmerten; denn für das eine war zu wenig Land, für das andere zu wenig Wasser. Allein, was will eine Landratte urteilen! -- Unsere Gradoneserfischer stachelten ohne viel Besinnen die Barke durch den flüssigen Schlamm, bis wir in einen jener Kanäle kamen, die sich wie Flußbette in vielen Windungen durch den Lagunenboden ziehen. An eine direkte Fahrt nach Grado war nicht zu denken. Wir fuhren statt nach Süden weit ostwärts gegen die kleine Insel Barbana hinunter, wo einige feierliche Zypressen um eine alte Wallfahrtskirche stehn. Diese soll sich laut Legende da erheben, wo nach jener furchtbaren Naturkatastrophe vom Jahre 585 Schiffer ein auf den Wellen treibendes hölzernes Marienbild fanden, das heute noch wundertätig alljährlich Pilgerflotten von 30000 bis 40000 Wallfahrern nach Barbana lockt. Bald einer Sandbarre ausweichend, bald über eine hinschleifend, bald durch Meergras und Binsen wogend, änderte die Barke jeden Augenblick ihren Kurs, so daß wir auf unserer fast dreistündigen Fahrt nach Grado mindestens die zwiefache Strecke zurücklegten und es fast unmöglich schien, nach dem durch seine Nähe neckenden Städtchen zu gelangen. Es wäre etwas Mißliches um eine solche Fahrt im Zickzack, böte sie nicht ein ganz ungewöhnliches landschaftliches Interesse dar. Ein Lido flacher, grüner Inseln umschließt die Lagunen, und zwischen ihnen durch schimmert scheinbar erhöht der Azur des offnen Meers, das leistönend seine Wellen in den Lagunenfrieden treibt. Dazu zieht sich von der Isonzomündung bis gegen Grado hin ein vielfach vom Meer durchbrochener und unterwaschener Dünenzug, dessen einzelne steilabstürzende Hügel wie riesige Blockhäuser aus der wogenden See aufsteigen. Die kleine Inselstadt, die grünen, flachen Inseln des Lido, der Ausblick auf die offene See, die fernen Dünenpalisaden geben zusammen der Landschaft ein seltsam Reizvolles, das weniger schön als merkwürdig ist. Der Schaffensdrang der umgestaltenden Natur offenbart sich vielleicht nirgends gewaltiger als am Meeresstrand. Zweifellos war jener Dünenzug, dessen ruinenhafte Hügel dem Zusammensturz nahe scheinen, vor Zeiten eine geschlossene Sandbarre, und noch in römischer Ära muß die Lagune ganz anders ausgesehen haben als in unsern Tagen. Von Istrien, wo ein ehemaliger Stadtteil von Parenzo in der See versank, bis nach Venedig, wo im Gang der Jahrhunderte die unterirdischen Räume der Markuskirche ins Wasser zu stehen kamen, bemerkt man die Folgen einer säkularen Senkung des Bodens. Diese beträgt im Bereich der furlanischen Küste zwei Meter, und bei der Flachheit des Strandes hat sie dem Meer die Herrschaft über weite ehemalige Landstriche eingetragen. So kommt es, daß die Inseln des Lido, welche in der römischen Zeit mit Werkstätten für den Schiffsbau und Hafenanstalten jeder Art dicht besetzt waren, viel kleiner geworden sind, daß an der Stelle der ehemaligen Inselwälder, wo noch die Dogen Venedigs des Weidwerks pflogen, an der Stelle, wo der Pflug des mittelalterlichen Bauers den Acker furchte und das Vieh auf fetten Gründen weidete, die Lagunenwelle im Röhricht plätschert und von den zahlreichen Eilanden, Grado ausgenommen, keines mehr dem Menschen eine dauernde Wohnstätte bietet. So kommt es, daß große Strecken landeinwärts gegen Aquileja, welche früher in der Pflanzenüppigkeit der Campagna prangten, Meersumpf geworden sind, daß Mauerreste und Inschriftensteine, Mosaikböden und Lager von Amphoren, in welchen die Römer den Wein aufzubewahren pflegten, im Grund der Lagune und der Meersümpfe liegen. Man sagt, daß zur Blütezeit Aquilejas ein Damm von Belvedere nach Grado hinüber geführt habe. Vielleicht im Angedenken der ehemaligen Schönheit dieser Landschaft ist ein großartiges Projekt aufgetaucht: die ganze Lagune von der Isonzomündung bis zur italienischen Grenze, also auf eine Strecke von 30 Kilometern, durch Dämme, die sich von einer Lidoinsel zur andern ziehen, gegen die See abzuschließen, die Lagune selber durch Maschinen zu entwässern und ein Gebiet von sechzig Quadratkilometern Meer in Kulturland umzuschaffen. Allein dem schöngedachten Plan eines »adriatischen Hollands« mit Polderwerken und fetten Marschen, wo ein glückliches Volk, den Niederländern nacheifernd, auf altem Meergrund seine Felder baut, haftet der eine große Fehler an, daß es auf den griechischen Kalenden steht. Selbst für jenen andern, ungleich bescheidenern, jene Dammverbindung von Grado und Belvedere zu erneuern, lebt, obwohl die Existenzfähigkeit des Lagunenstädtchens eng damit verknüpft ist, in den Kreisen, die ihn vermöge ihrer sozialen Stellung zu einer allgemeinen Landessache machen könnten, wenig Sinn. Der Gedanke an Italien, das nur eine Gelegenheit abwartet, wo die Heere Österreichs anderwärts gebunden sind, um eine Erweiterung seiner Grenzen bis an den Golf von Triest oder sogar drüberhin zu versuchen, und die Möglichkeit eines Erfolges legt in Finanzkreisen jede größere Unternehmung im untern Friaul lahm. Bei Barbana nahm unsere Barke eine ziemlich gerade Richtung nach Grado. Auf vielen der binsenumwachsenen, niedrigen Sandinseln, welche sich längs der Lagunenkanäle hinziehen, standen zeltartige Schilfhütten. Das sind die Sommerfrischen gradonesischer Fischer, und wie eine Robinsonade mutet das Leben des Inselvölkleins an. Malerisch verwilderte Männergestalten besserten ihre Netze aus oder legten sie zum Trocknen an die Sonne, bronzefarbene Weiber schabten die gefangenen Fische, und junge Burschen und Mädchen wälzten sich kichernd und halbnackt in den Binsen. Oft hat -- ich weiß nicht durch welche Ideenassoziation -- der Anblick irgend einer Meerlandschaft in mir die Erinnerung an Hochgebirgsszenen wachgerufen, und als ich die rauchgeschwärzten Schilfhütten sah, die nur mit einer offenen Feuerstelle, einem Binsenlager im Hintergrund und einigen Holzklötzen zum Sitzen ausgestattet sind, mußte ich unwillkürlich an jene letzten Hütten, die der Mensch gegen die Grenzen des ewigen Schnees emporgebaut hat, denken. Allein wie viel einfacher lebt noch der adriatische Strandfischer, dessen ganzer Reichtum sein Schilfzelt, sein Kahn, sein Netz und sein Segel ist, gegen den letzten Sennen, der doch wenigstens noch jene Reihe von Geräten, wie man sie zur Käsebereitung bedarf, in seiner Alphütte birgt. Man sieht unter diesen Lagunenfischern und ihren Weibern viele Gesichter von hoher natürlicher Intelligenz und prächtig aufgeschlossenen Gesichtszügen und es lebt auch ein großes Stück Selbstgefühl in diesen malerischen Gestalten. Fordert Ihnen ein Gradonese am Strand von Belvedere fünf Gulden für die Überfahrt nach seiner Inselheimat und bieten Sie ihm zwei, womit seine Arbeit vollauf bezahlt wäre, eher kehrt er Ihnen den Rücken und fährt allein in seine Lagunen zurück, um in einer Woche mühsamer Fischerei die zwei Gulden nicht zu verdienen, als daß er auf Ihren durchaus billigen Vorschlag eingehe; er läßt nicht mit sich markten. Allein nicht minder groß als ihr Selbstgefühl ist ihre Gleichgültigkeit; sie sind wahre Diogenesnaturen. Als wir bereits in der Nähe von Grado waren, mußten unsere zwei Barkenführer noch eine lange, schmale Sandbarre umrudern. »Warum«, fragten wir einen derselben, »haben Sie denn diese Bank nicht längst durchstochen; es kürzte ja den Weg ungemein?« »Wer soll es machen?« antwortete er schulternzuckend. »Diese Arbeit von einem oder zwei Tagen, wir denken Sie oder Ihre Gefährten oder die Stadt Grado«, sagten wir. »Das Meer hat diesen Sand daher gespült«, erklärte er nun; »unsere Väter sind schon um denselben her gefahren; wir machen es ebenso; soll der Sand weg, dann mag ihn das Meer wegschaffen -- es wäre uns allerdings recht.« Wir bemühten uns nicht weiter, dem Manne die Vorteile einiger Spatenstiche klar zu machen; wir fuhren an einigen venetianischen Booten, die bei der Schlammbank in Quarantäne standen und mit der Wäsche ihrer Mannschaft beflaggt waren, vorbei, und ein kleines Weilchen später waren wir nach zweieinhalbstündiger Fahrt im Hafen von Grado, der schicksalsreichen Inselstadt. Zur Blütezeit Aquilejas war Grado das Herz des aquilejensischen Seelebens, der Mittelpunkt der Flottenstation und zugleich der Angelpunkt des aquilejensischen Urchristentums, den eine ganze Mätyrerschar, darunter viele Jungfrauen, mit ihrem Blute weihten. Dann wurde das Laguneneiland Port und Asyl der heimatlosen Aquilejenser. Wie mag das Wehegeschrei der Frauen und Kinder durch das kleine Inselland gehallt haben, als über den Meeresarm her der Lärm und das Getöse des Hunnensturms erscholl, als aus der glänzenden Heimatstadt die Feuerlohe zum Himmel schlug, als das erste wunde Kriegerhäuflein, das sich durch die Hunnenscharen geschlagen, an den Strand von Grado kam und auf die hundert durcheinander schwirrenden Fragen todestraurig die Antwort: »~Finis Aquilejae~« gab. Die schöne Aufgabe, ein Friedensport im Kriege zu sein, hat Grado durch die ganze schwere Zeit der Völkerwanderung gegenüber den Land- und Städtebewohnern des Friauls erfüllt. Es war nicht sein Schaden; denn »Neu-Aquileja«, wie sich der Ort im sechsten Jahrhundert nannte, war, ehe dem venetianischen Löwen die Flügel gar so mächtig wuchsen, der Vorort der Lagunenstädte. Die mittelalterlichen Schriftsteller rühmen seine starken Mauern und Türme, seine zahlreichen Kirchen und herrlichen Paläste, und von der Festlandsstadt hatte es nicht nur viele Kunstwerke, sondern auch einen Teil ihres blühenden Handels geerbt. In der Hunnenzeit war auch der Patriarch von Aquileja nach Grado geflohen. Seine Nachfolger hielten bald hier, bald dort ihre Residenz, bis in jenen uns kaum mehr verständlichen Streiten der orthodoxen Kirche gegen die verschiedenen Schismen auf Grado ein Konkurrenzpatriarchat zu demjenigen von Aquileja entstand, das, später auch rechtgläubig geworden, erst nach fast tausendjährigem Bestand von den Patriarchen des letztern aufgerieben wurde. Dann wurde es stiller und stiller auf dem Eiland; die Bevölkerung verarmte im Laufe der Jahrhunderte; die Insel wurde, von den Meereswogen zernagt, kleiner und kleiner; die Stadtmauern stürzten ins Meer, und heute ist Grado ein kleines Städtchen von 3000 Einwohnern, deren Ackerfeld, Garten, Werkstätte, Vorratskammer, deren ganzer Reichtum das Meer ist; denn die Gradonesen alle sind Fischer. Das Städtchen ist grad so groß als die Insel, deren Strandoval man in einem Viertelstündchen bequem umwandelt. So freundlich es von der Lagune her aussieht, so unreinlich ist es im Innern. Wie die Patriarchen von Aquileja sich in ihrem Dom und dessen weitausschauendem Campanile ein Denkmal errichteten, das ihre eigene Existenz um Jahrhunderte überdauerte, sicherten sich diejenigen von Grado in der Kathedrale Sant' Eufemia ein heut noch wohlerhaltenes Monument. Ihr Äußeres wird freilich in seinem Eindruck durch die umgebenden Häuser beeinträchtigt, und mit dem stolzen Gotteshaus von Aquileja darf sie sich nicht messen; aber ihr Inneres wetteifert an Alter und archäologischem Wert mit dem Dom von Aquileja. Sonst bietet die kleine Stadt kaum etwas Sehenswertes; doch ist ein Spaziergang auf dem neuen Damm, der die Südseite des Städtchens zum Schutz gegen die Meereswogen in einem Halbrund umzieht, von bedeutendem Reiz; denn von seiner Höhe genießt man einen wundervollen Blick auf die offene, in dunkelblauen Wellen pulsierende See. Dieser Damm und die an der Ostseite des Städtchens liegende, erst kürzlich in leichtem Holzstil aufgeführte Badeanstalt zeigen, daß Grado sich nicht willenlos in sein dereinstiges Schicksal, vom Meer aufgefressen zu werden, ergibt. Vorher möchte es noch eine Gesundheitsstation ersten Ranges, ein adriatisches Rügen werden. Es hat seine dankbare Klientel, die vom Seebade Grados entzückt ist. Sie spricht von seinem herrlichen Wellenschlage, als ob das Meer nirgends mehr so lieblich wogte, wie an diesem Strand, und findet den feinen, weißen Sand unvergleichlich. Allein die dankbarste Kundschaft ist die alljährliche wiederkehrende Kolonie einiger hundert skrofulöser Kinder, welche die Städte Triest und Graz auf das kleine Inselland in die Ferien senden. Diese armen, glücklichen Kinder untersuchen nicht; sie baden, sie spielen und werden gesund. Die roten Wangen, die lachenden Augen, sie sind die besten Anwälte für Grado. Allein so ein echter, rechter Kurort -- eben ein adriatisches Rügen -- kann Grado doch nicht werden. Dazu fehlt es an allem, an einer Promenade, wenn man nicht den bei ruhiger Luft unangenehm ausdünstenden Strand längs des Inseldammes dafür nehmen will, an Wohnungen, denn das Städtchen ist von den eigenen Einwohnern bereits übervölkert und an Platz für etwas ausgedehntere Neubauten, wenn man nicht ein neues Grado in die Lagunen hinaus gründen will. Wenn sich wenigstens nur etwas Baumgrün auf das Inselland pflanzen ließe, damit das Auge etwas mehr hätte, als das endlose Blau der See und des Himmels, den südlichen Sonnenschein und die reflektierenden Mauern der Stadt; allein alle Versuche, auf der Insel Bäume längere Zeit zu erhalten, scheitern. Sie verderben in kurzer Zeit an dem salzigen Grundwasser oder fallen, da ihnen der lockere Inselsand keinen Halt gewährt, den Seewinden zum Opfer. Selbst das freundliche Bild grünender, blühender Sträucher hat sich in einige ganz kleine Privatgärten, die zwischen den Häusern des Städtchens eingeklemmt sind, zurückgeflüchtet. Manches wird in Grado, um Kurgäste anzulocken, noch getan werden können. Von all den kleinen Anfängen, welche das Kurleben dort gezeitigt hat, schien uns die Gründung einer deutschen Bierhalle das bedeutsamste Ereignis. Wir haben es gewürdigt! Schäumender Gerstensaft, ein blühendes Gärtchen, eine gute Kegelbahn; wer wollte auf einem so kleinen Meereilande sich nicht damit zufrieden geben! Als wir nach einem dreistündigen Aufenthalt in der kleinen Inselstadt wieder unsere Fischer und unsere Barke aufsuchten, bot die Lagune ein ganz anderes Bild, als am Nachmittag. Die steigende Flut hatte die Sandbänke mit dem Blau des Meerwassers bedeckt; nur einige der höhern, auf welchen die Schilfhütten der Fischer standen, ragten noch, zwar um vieles verkleinert, über die hereinbrechende See. Die Gegend war kaum mehr zu erkennen. Die Lagune gestattet jetzt eine fast geradlinige Fahrt von Grado nach Belvedere; dazu schwellte ein angenehmer Seewind das Segel. Glücklich schwebten wir über der aus allen Tiefen emporquellenden Flut durch den schönen Meeresabend, tranken dunkeln Wein von Monfalcone und hellen von Gumboldskirch, aßen kaltes Geflügel und italienische Rauchschinken, Vorräte, die wir alle der gütigen Vorsorge unserer Hauswirtin verdankten, und sangen die Lieder unserer Heimat dazu. Die niedergehende Sonne zögerte noch ein Weilchen, als sie so fröhliche Menschen sah. Ihre Strahlen glühten über der kleinen Fischerstadt. Wir wünschten Grado, dem meerumschlungenen, viele Kurgäste und noch manche Jahre gedeihlichen Daseins; denn sterben muß es einmal doch. Wer es in tausend Jahren besuchen will, findet vielleicht nichts mehr von dem Eiland. Es sinkt und sinkt; die See nagt immerfort an seinen Flanken; überall beißen sich die Wellen in seine Ufer; Sandkorn um Sandkorn wird hinweggespült. Wenn später einmal der Fischer mit seinem Kahn über die Stelle fährt, dann faltet er die Hände und betet ein Requiem über der versunkenen Stadt. Als wir am Strand von Belvedere nach nicht viel mehr als einstündiger Fahrt ankamen, versank die Sonne rotgolden und groß in der venetianischen Tiefebene; als die stillen Straßen Aquilejas vom Hufschlag unserer Pferde widerhallten, hatte sich der Sternenschleier der südlichen Nacht über den dämmernden Dom und den riesengroßen Campanile gespannt; als wir durch die furlanische Campagna nordwärts flogen, da stoben lichte Schwärme von Leuchtkäfern in Büschen und Bäumen auf und erloschen im Campagnenwald, und als wir in Monfalcone ankamen, tanzte beim Klang der Trompete und den leidenschaftlichen Tönen des Fagotts noch das junge Volk unter den Kastanienbäumen. Qualmende Lichter warfen ihre Strahlen auf die Gruppen; in geröteten Gesichtern und in funkelnden Augen lag Liebesglut und Feuer des Südens. [Illustration] [Illustration] Im Frühling von Miramare. Wenn die junge Süderde im Lenzgeschmeide prangt, wenn es in den adriatischen Gärten blüht und duftet, dann pilgert der Naturfreund Triests hinaus zu dem Marmelschloß von Miramare, das in sonniger, märchenträumender Schönheit am innersten Golfe der Adria prangt. Gedenk ich jener Stunden, wo ich im blühenden Burgfrieden von Miramare die stillen Parkwege gewandelt, so kommt wieder der ganze Zauber jener Meerlandschaft, zu der sich wie im Heimweh nach der mütterlichen Flut der Karst, der dunkle Tarnovanerwald und die julischen Alpen mit ihren leuchtenden Berggesichtern niederdrängen, über mich. Es ist von Monfalcone nach Miramare fünf Stunden Wegs um das innerste Golfrund der Adria. Sie bieten dem Wanderer das Schönste, was im Bereich dieses Meeres liegt! Zwar weicht schon nach der ersten Wegstunde die Campagna stagnierenden Reissümpfen; allein auch sie sind nicht reizlos. Zwischen Sumpf und Meer steht, malerisch an einen Felsrücken gelehnt, die altersgraue Kapelle Sant' Antonio, welche alljährlich zur Frühlingszeit die Schiffer der Umgebung zur Bootsweihe in ihre Räume sammelt. Bereits im Sumpf erhebt sich ein hübsches, modernes Gebäude, das Bad Monfalcone. In seinem Hof dringt eine Schwefelquelle von 40 Grad Celsius aus dem Moorboden, die mit dem Meere ebbt und flutet. In den Gängen hangen die Krücken dankbarer Gichtbrüchiger, die als Lahme gekommen und als Gesunde gegangen sind. Die heilsame Quelle lockt allsommerlich eine kleine Fremdenkolonie nach Monfalcone. Da das Badegebäude wegen der fiebererregenden Dünste, welche am Abend aus den Sümpfen aufsteigen, nicht bewohnt werden kann, beleben die Badegäste die paar Gasthöfe der Stadt. Regte sich hier der nämliche Unternehmungsgeist, wie in manchen Tälern des Gebirges, so wäre Monfalcone der Welt schon lange als ein südösterreichisches Ragaz bekannt. Der Sumpf östlich vom Bad war um die Wende unserer Zeitrechnung noch ein mit dem Meer zusammenhängender Binnensee, in welchem hin und wieder eine römische Flotte vor Anker lag. Jetzt schleicht vom Karste her die Lokavaz, ein unheimliches, trübes Gewässer, durch diese Gegend zum nahen Meer. Jenseits des Flusses liegt der merkwürdige Ort, wo an der letzten innersten Bucht der Adria die lombardisch-venetianische Tiefebene ausgeht, die Alpen mit ihren felsklippigen Ausläufern sich ans Meerblau drängen, der flache, reizlose Lagunenstrand des adriatischen Westens den malerischen Felsenufern des Ostens weicht und sich die östlichste, von der Romantik der Halbkultur umschleierte große Halbinsel vom europäischen Festland löst. Es ist, als ob die Natur den Angelpunkt, wo sich Alpen, Meer und Tiefland stoßen, der europäische Osten sich vom Westen scheidet, selber mit einem ihrer herrlichsten Wahrzeichen hätte schmücken wollen; denn da rauscht in drei Quellen aus unerforschten Felsenschlünden der kürzeste Strom Europas, der Timavo auf. Die altersgraue Kirche San Giovanni, eine Mühle, deren Werke seit längerer Zeit ruhen, einige kleine Häuser und etwas Grün schmücken die Quellen, und Barken fahren bis an den Ursprung den langsam abfließenden Strom hinauf, der sich schon nach wenigen Kilometern Laufes in die Bläue des Meeres verliert. Seine Geschichte greift hinauf bis in die graue Sagenzeit, und seine Wasser sind geweiht durch Argonautenzug und Äneis. In einem heiligen Eichenhain stand an seinem Ufer ein Tempel des Diomedes, der den Griechen im Kampf gegen Troja mit achtzig Schiffen zu Hülfe gekommen war, und später einer der Hera, der großäugigen, lilienarmigen Göttin. Der Trimavus muß im Altertum, als er die damaligen Schriftsteller und Dichter, einen Virgil, einen Strabo, einen Plinius, Martial und Cornelius Nepos, zum höchsten Staunen hinriß, noch ein ganz anderer gewesen sein als in unserer Zeit; denn sie feiern ihn in bewundernden Ausdrücken als die »Mutter des Meers«, und der Sänger der Äneis meldet: »~... Per ora novem vasto cum murmure montis It mare proruptum et pelago premit arva sonanti~«[1] [1] »... Durch neun Münde und unter dem Seufzen des Berges Bricht er ins Meer und peitscht mit tönender Woge die Felder.« Neun Quellen, nach andern Schriftstellern auch zwölf, hatte also damals der Timavus, und schauerlich großartig trat er zu Tage -- heute ist er bis auf drei versiegt. Dennoch tritt auch jetzt noch der Wanderer mit einer gewissen Ehrfurcht an den seltsamen Fluß, der mit immer noch starker Wasserfülle als ein herrliches Naturrätsel von dannen strömt. Naturrätsel! Wenn das Rätsellösen so viel bedeutet, als an die Stelle des einen ein anderes zu setzen, dann ist auch der Timavo, seine einstige Wassergröße, seine jetzige Kleinheit, dann sind seine Zuflüsse enträtselt. Eine scharfsinnige Hypothese bringt nämlich seinen Wasserverlust mit der Bildung des Isonzo in Zusammenhang. Dieser soll im Altertum bei Görz im Karst verschwunden sein; allein im Mittelalter haben sich die unterirdischen Verbindungskanäle dann verstopft, der Isonzo sei nach Süden ausgebrochen, wodurch der jetzige Unterlauf desselben entstand, der Timavus aber um eine Reihe von Quellen verarmte. Diese Hypothese hat ungemein viel für sich. Noch heute existiert zwischen der Wippach und dem See Dobredo ein Zusammenhang; denn bei großen Wasserständen des Flusses steigt auch der See, und heute noch hört man in der Grotte von Jaminiano das Rauschen unterirdischer Wasser, die in der Richtung gegen Timavo abfließen. Seinen jetzigen Hauptzufluß -- das steht ganz außer Zweifel -- erhält der Timavo von der Reka, einem Karstwasser, das sich bei San Canziano ein paar Stunden gebirgseinwärts von Triest in eine Kalksteingrotte verliert. Die Entfernung von San Canziano zum Timavo beträgt über dreißig Kilometer. Man hat die Grotte, die sich in unmittelbarer Nähe der Kirche des Dorfes zum Empfang der Reka öffnet, eine Strecke weit erforscht. Es soll, so sagen die Höhlenpioniere von Canziano, ein wunderbares, unbeschreibliches Gefüge von Gängen, Hallen und Erkern sein, durch welches sich die Reka windet, ein Seitenstück zur Grotte von Adelsberg. Jenseits des Timavo beginnt die Straße mählich anzusteigen. Da liegt zwischen ihr und dem Meer der Wildpark von Duino, ein großer, dichter Terebinthenhain, der ein beredtes Zeugnis dafür bildet, daß der Karst von Natur aus kein kärglicher Boden ist, daß erst der Unverstand der Menschen ihn zu der dürren Steinwüste gemacht hat. Hinter dem Park ragen die altersgrauen, verwitterten Mauern des Schlosses Duino auf hohen, malerisch zur See abstürzenden Felsen auf ... »Es stand in alten Zeiten ein Schloß so hoch und hehr, Weit glänzt es über die Lande bis an das blaue Meer.« Man muß unwillkürlich an diese Uhlandsverse denken, wenn man die alte gewaltige Feste sieht. Man sagte mir, es sei die größte am Mittelmeer! Uralt ist sie; denn schon die Hohenstaufen haben auf ihren Italienfahrten in Tybein, wie der alte, deutsche Name der Burg lautet, gern gerastet; ja ihre Anfänge gehen bis in die Römerzeit zurück. Es muß damals in dieser Gegend ein vorzüglicher Wein gewachsen sein; denn Livia, die Gemahlin des Augustus glaubte es diesem zu verdanken, daß sie über die achtzig Jahre alt geworden ist. Landeinwärts vom Schloß bildet ein Dutzend dazu gehöriger Pächterhütten eine kleine Ortschaft. In ihrer Mitte ist das schwarze, ungemein feste Eingangstor zum Schloß. Dieses selber besteht aus einem Gefüge von Bauwerken aus verschiedenen Jahrhunderten, die sich alle um einen dicken, viereckigen Turm drängen. Die gegenwärtige Besitzerin des Schlosses, eine Fürstin Hohenlohe, hat die weitläufigen Gemächer desselben mit vielen römischen Fundstücken, alt-venetianischen Holzschnitzwerken und herrlichen Gemälden geschmückt, von denen manche den besten italienischen Meistern angehören. Sie ist selber eine Malerin von hohem Talent, und es kann für eine Künstlerin in der Tat keinen Ort geben, wo sich die Phantasie mehr befruchtet, als in dem sagen- und efeuumrankten Schloß, vor dem das südliche Licht über den Azur des Meeres zuckt und flutet. Achtzig Meter steigen die zerrissenen Uferfelsen lotrecht von der See auf, und in ihren Rissen grünt eine Vegetation, die mit ihren Agaven und Kakteen an noch südlichere Gestade erinnert. Auf einem grauen, verwaschenen Felsen in der See, der durch ein zackiges Riff mit dem Festland verbunden ist, liegen die Ruinen der Stammburg, Tore, Bogen und Türme, durch welche das tiefe Blau des Himmels scheint; ein ungemein malerisches Bild, wie denn das Meergestade von Duino in seiner Art etwas einzig Schönes hat. In der Nähe ist eine kleine Sardellenfabrik und der Hafen von Duino. Nichts Angenehmeres, als sich hier hinausrudern zu lassen auf das träumende Meer, unter dem Schloß hin und längs der steilen, zerrissenen Uferfelsen. Hier wäre der Ort für eine südliche Lorelei! Oben in einem Saal des Schlosses steht eine goldene Harfe; allein ich vermute, daß sie, die wohl von Harfner oder Harfnerin einst in Minneleid und Minnefreude geschlagen worden, nun gute Ruhe hat. Und wie sollte eine Lorelei hier Stätte haben, wo der Sterblichen Gewaltigster einer gedichtet hat. -- Dante! Man zeigt unter dem Schloß einen in die See vorspringenden Felsen, welchen die Sage zu einem Lieblingsaufenthalt des großen Florentiners weiht. Die Landschaft östlich vom Schloß mahnte mich etwas an den Urnersee. Es ist wunderbar still da unten; nur die prächtig gefärbten zierlichen Quallen, die in geselligen Schwärmen durch die Meerflut ziehen und vor der nahenden Barke fliehen, das Aufblinken sich tummelnder Seefische und das Geschrei aus- und einfliegender Tauben und Spyrschwalben, die ihre Geniste in den Löchern des Felsensturzes haben, bringen etwas Leben in den strengen Ernst des Ufers und das sonnige Lächeln des Meeres. Drei Felsen, die aus dem Steilhang des Ufers treten, heißen die »drei Altäre.« Die Bucht von Sistiana, ein reizendes Meeridyll, legt eine Bresche in den Felsengürtel, der das Meer von Duino umschlingt. An ihrem Eingang sieht man nach Aurisina hinüber, das ein halbes Stündchen entfernt sein mag. Dort steht das Maschinenhaus der Wasserversorgung von Triest. Die Pumpwerke derselben schaffen das am Meeresstrand den Felsen entquellende Wasser auf das Plateau von Nabresina hinauf, das hundert Meter über dem Seespiegel liegt. Bei Sistiana, wo eine Menge der Steine, die zum Hafenbau von Triest verwendet worden sind, gebrochen wurden, stiegen wir wieder hinauf auf die Straße Monfalcone-Triest. Sie führt durch eine Landschaft vom echtesten Karsttypus. Ringsum starrt ein Chaos zernagter Felsen, wie aus dem Boden gewachsen, uns entgegen. Doch bilden sie eine Menge, zum Teil großer Dolinen, seltsame, dem Karst eigentümliche Gesteinskessel, deren Grund mit einer üppigen Vegetationsdecke ausgeschlagen ist. Die Dolinen sind ein ungemein liebliches Kontrastbild zu der Trostlosigkeit der übrigen Landschaft; denn auf den Miniaturäckern, die im Grund derselben liegen, gedeihen, dem zerstörenden Hauch der Bora entrückt, die zuweilen mit furchtbarer Gewalt über diese Gegend fegt, Wein und Öl, Mandel und Feige wie drunten am Meer. In einem weiten Bogen überspannt ein Kolossaldamm der österreichischen Südbahn das Küstenplateau, und durch ein Tor dieser gewaltigen Baute gelangen wir in das berühmte Steinbruchgebiet von Nabresina, dessen mattweißer Marmor schon der Stolz des ehemaligen Aquileja war und das heutige Wien mit den Prachtbauten der Ringstraße schmückt. Durch einen Bogen eines zweiten, sechshundert Meter langen Bahnviaduktes gelangen wir nach Nabresina selbst, einem slavischen Dorf, bei dessen Station sich aus der Hauptlinie Venedig-Wien der Schienenstrang nach Triest herauslöst, um sich längs der Ufer von Miramare in die adriatische Handels- und Hafenstadt hinabzusenken. Nabresina und die mehr nach Osten vorgeschobenen Dörfer Santa Croce und Prosecco sind beliebte Ausflugsziele des nahen Triest, von dem die Straße in zahlreichen, engen Windungen nach Prosecco emporklimmt, fröhliche Stelldichein der lebenslustigen Jugend. Bei der eingebornen Landbevölkerung hat sich noch eine hübsche Mädchentracht, ein Schapel, ein weißes, geschmeidiges Brusttuch und eine rote oder blaue Schürze, alles von Seide und reich gestickt, erhalten. Es liegt etwas ungemein Gutmütiges, mehr Trauriges als Fröhliches, mehr Demütiges als Keckes in den Gesichtern ihrer Trägerinnen, deren wasserblaue Augen und wenig belebte Züge scharf gegen das ewig bewegliche Element und die Glutaugen der italienischen Strandbewohnerinnen abstechen. Da sind wir auf der Höhe von Prosecco, jenem kühnen Vorgebirg nächst Triest! »~Vedere e morire!~« Sieh's und stirbt -- So spricht der Neapolitaner von seiner Stadt; allein schöner kann Neapel nicht sein, als der Blick von Prosecco. Da steht man, schaut man, -- und schweigt! Tief zu unsern Füßen liegt wonnig und sonnig die Adria, und weiße Segler ziehen nah und fern auf leuchtender Flut. Etwas links baut sich, vom Mastenwald seines Hafens emporsteigend, Triest an grünen Hügeln auf. Über dem Golf von Capo d'Istria winkt Pirano auf olivenreichem Vorgebirg herüber, während in blauender Ferne Himmel und Meer eines ins andere übergehen. Zur Rechten senkt sich steil eine Riviera von silbergrauen Ölbäumen und dunkelgrünen Lorbeerwäldchen, von Rebengrün und Myrtenhainen zur Punta Grignana ab, auf deren äußerstem Vorsprung ein zu Stein gewordenes Märchen, Schloß Miramare, aus einem Terebinthen- und Lorbeerparke steigt. Noch weiter rückwärts gegen Duino stürzen die Karstfelsen jäh und handlos zur blauen Flut. Meerherüber grüßen die Pinien von Barbana, Grado, die Inselstadt, der Campanile von Aquileja, die Lagunen und in träumender, nordwestlicher Ferne die julischen und italienischen Alpen. Allein das sind nur einige Fixpunkte; denn ein Bild wie dasjenige von Prosecco läßt sich nicht wiedergeben; es kann nur ein selbstgeschautes, kein übertragenes sein. Was ich nicht zu beschreiben vermag, das ist der jäh wirkende Zauber des Meerbilds, der Wandel der übers Meer spielenden Sonnenlichter, jenes Geheimnisvolle, mit dem eine fast grenzenlose Meerperspektive auf die Seele wirkt und sie mit einem leisen Heimweh nach dem sonnigen Hellas und den Märchen des Morgenlandes füllt. Zögernd scheiden wir von dem herrlichen Punkt, zögernd, als könnte unserem Auge das schöne Bild mit den sonnigen Weiten plötzlich entzogen werden, und steigen durch die Weinberge von Prosecco, wo ein feuriger Schaumwein wächst, durch hochromantische Felsenpartien, malerische Kastanienwäldchen und Olivenhaine hinunter zur Südbahn, welche von Triest aus an dem üppigen Küstenhang das Plateau von Nabresina gewinnt, und hinunter zu den Lustgärten von Miramare. Miramare! -- Liegt nicht schon im Wort südlicher Wohllaut? »Wunder des Meeres« heißt's zu deutsch, und ein Wunder ist's, das Marmorschloß am Meer mit seinen Gärten. Da rauschen die Pinien im lauen Wind, und zierliche Wege ziehen drunter hin; da glänzen und duften Myrte und Lorbeer; da schreitet man unterm grünen Dach der Madeirareben, durch schattige Lauben und kühle Grotten, an halbverborgenen Teichen, über welche die Schwäne ihre Ringe ziehen, hinab zum Marmelpalast. Fast zu üppig ist hier der Duft blühender Schlingpflanzen, die über die Arkaden klettern. Die Kamelien blühen, die wie aus Wachs gegossen im Weiß der Lilie und im Rot der Rose prangen. Er ist einzig, der Kamelienflor von Miramare. Da, auf der Gartenterrasse nächst dem Schloß, wo herrliche Erzbilder auf ihren Postamenten stehen, wo wehende Palmen mächtig auf zum Sonnenlichte streben, mutet's den Wanderer märchenhaft an; da scheint eine Fee ihren lieblichsten Träumen Gestalt verliehen zu haben; da scheint alles gefeit gegen Sorge und Gram, gegen Unglück und Tod; ein Eden, dieses Miramar! Und dennoch trauert Miramare! Es trauert um den Erzherzog Max, seinen Schöpfer, der sich als ehemaliger Statthalter des lombardisch-venetianischen Königreichs mit freiheitlicher Gesinnung eine heute noch lebendige Sympathie in den Herzen der Küstenbewohner erworben hat, eine Sympathie, die mit schuld sein soll an der tragischen Geschichte des hochbegabten Fürsten. Es war im Jahr 1856, in seinen Bräutigamstagen, als Max auf der Punta Grignana Miramare, das in normännischem Stil gehaltene Schloß, dessen heller Schein so wundersam über das triestinische Golfrund leuchtet, und die Parkanlagen schuf. Im folgenden Sommer führte er sein junges Weib Charlotte, die schönheitsstrahlende, ehrgeizige Belgierin, in den zauberhaften Meerpalast heim. Er stand damals an der Schwelle der dreißiger Jahre und war ein liebenswürdiger, hochgebildeter Mann, der auf mannigfachen Reisen durch die gesamten Mittelmeerländer und auf einer Pilgerfahrt nach Jerusalem ein schönes Stück Welt gesehen hatte; sie eine kaum Siebenzehnjährige, mit allen Vorzügen einer ungewöhnlich tüchtigen Bildung, dabei von ernstem, arbeitsamem Wesen, aber auch von einem maßlosen Ehrgeiz. Das liberale Österreich sah mit Hoffnungen auf das Paar, welche den Neid der Wiener Hofburg herausforderten; denn Max war um seiner persönlichen Ritterlichkeit und Liebenswürdigkeit willen weitaus der volkstümlichste der Habsburger, doch für einen Staatsmann von zu weichem Naturell, und das hat denn auch die furchtbare Tragik in sein Leben gewoben. Man kennt das »Trauerspiel« in Mexiko. Das Land und die Ereignisse, welche damals zwei Welten in fieberhafter Spannung hielten, sind zwar in den geschichtlichen Hintergrund getreten; von den Hauptbeteiligten sind alle tot: Kaiser Max, das Opfer, Napoleon, der Komödiant und Verführer, Bazaine, das Werkzeug, Juarez, der großmütige Feind, Lopez der Verräter, General Diaz, der Scherge; nur eine lebt noch, wenn Irrsinn leben heißt, Charlotte, die schöne ehrgeizige Belgierin. Auf dem Schloß Tervueren bei Brüssel lebt sie noch. Allein wenn man auf den Parkwegen von Miramare wandelt, wird einem die Geschichte, die Johannes Scherr mit bitterer Ironie eine »Tragikomödie« nennt, wieder neu, und die Toten stehen wieder auf. Es war im Jahr 1860, als Napoleon ~III.~ zum erstenmal als Versucher an den Erzherzog herantrat und ihm die Kaiserkrone von Mexiko anbot. Man kann von Max zwar nicht sagen: »Versucht und verführt.« Nur zögernd, erst am 10. April 1864, als zu Miramare eine mexikanische Deputation erschien und ihm die Krone namens des mexikanischen Volkes bot, nahm er sie; allein er nahm sie, denn er war ehrgeizig, sein Weib Charlotte noch mehr, und die kaiserlichen Verwandten, denen die Volkstümlichkeit des Erzherzogs schon lange ein Dorn im Auge gewesen war, hatten nichts dagegen einzuwenden. Vier Tage später sagten Maximilian und Charlotte Miramare Lebewohl. Nie zuvor und nie später haben sich in den Wegen der herrlichen Gärten so viel Menschen bewegt, wie am Morgen des Scheidetags. Beim Einstieg des kaiserlichen Paars ins Boot blieb kein Auge trocken. Mit Recht! Was Max dem Küstenland gewesen, das haben die folgenden Jahrzehnte in keiner Weise ersetzt. Unter einem Blumenregen, unter den Segenswünschen des sich zudrängenden Volkes schritt das Paar zum kleinen Hafen, und ein Boot, auf dem ein roter Sammet-Baldachin aufgeschlagen war, führte es hinaus auf den Golf, wo die »Novarra«, das Lieblingsschiff des Kaisers, im Schmuck der Wimpel und Flaggen zur Aufnahme der kaiserlichen Passagiere bereit stand. Dann donnerten die Kanonen; vom Ufer schollen die »Lebewohl«; die »Novarra« fuhr, von dem französischen Kriegsschiffe »Themis« begleitet, im Glanz des jungen Frühlingsmorgens, beim klarsten Lächeln des südlichen Himmels hinab gegen Pirano, bis sie am Horizont verschwand. -- Die »Novarra« ist wiedergekehrt, der Kaiser nicht! Als Maximilian ~I.~ in Mexiko zu herrschen begann, waren alle tüchtigen Elemente des von den Franzosen vergewaltigten Volkes gegen ihn, den aufgezwungenen Herrscher, eingenommen, und der Widerstand der Freisinnigen trieb ihn in die Arme der Priesterpartei. Sie verführte ihn zu dem Dekrete vom 3. Oktober 1865, das seine mexikanischen Gegner für »vogelfrei und außer dem Gesetze stehend« erklärte, Hunderte von patriotischen Mexikanern dem Standrecht preisgab und im Land eine furchtbare Erbitterung gegen den Kaiser erregte. Zudem hatten die amerikanischen Nordstaaten Maximilian nie als Kaiser von Mexiko anerkannt, und als diese über die rebellischen Südstaaten, die dem Kaiser günstig gestimmt waren, gesiegt hatten, verlangte Johnson, der Präsident der Union, von Frankreich, daß es seine Truppen aus Mexiko zurückziehe. Vor seiner festen Sprache gab Napoleon nach; die Zustände in Mexiko wurden immer unhaltbarer und im Sommer des Jahres 1866 wollte Maximilian die mexikanische Kaiserkrone ablegen. Allein Charlotte hielt die Feder, welche diesem Entschluß Rechtskraft geben sollte, zurück; denn der Kaiserinnentraum war für sie zu schön, und sie verteidigte ihn mit einer Kraft, die einer bessern Sache wert gewesen wäre. Zwei Tage nach diesem Ereignis brach sie im fernen Mexiko nach Frankreich auf, um Napoleon ~III.~ um Innehaltung seines Vertrages zu bitten. Am 10. August kam sie in St. Cloud an und erlangte, als sie der wortbrüchige Herrscher nicht vorließ, mit Gewalt eine Unterredung mit ihm. Erst eine demütig um Hülfe Bittende und, als der Kaiser hart blieb, eine Furie, hat sie diesem Manne vielleicht das Bitterste gesagt, was er aus Frauenmund je gehört hat. Vierzehn Tage später irrte sie, eine Verzweifelnde, durch die Gemächer ihres Marmelpalastes am Meer; Verzweiflung und Irrsinn peitschten sie wieder fort, nach Rom zu den Füßen Pius ~IX.~ Dann kam sie wieder nach Miramare, eine vollständig Wahnsinnige. Maximilian hat sie nie mehr gesehen. Napoleon zog vertragsbrüchig Truppe um Truppe aus Mexiko zurück, und nach vergeblichen Versuchen, Maximilian zur Abdankung zu bewegen, überließ er ihn seinem Schicksal. Eine Weile schien es, als wollte Maximilian, den Tatsachen weichend, ernstlich den Rückzug vor den immer mächtiger vordringenden republikanischen Heeren vorbereiten; allein auf diesem Rückzug ereilte ihn in einer einsamen Hazienda bei Orizaba eine Depesche, welche ihm über das Schicksal seines Weibes Aufschluß gab. Niemand weiß nun recht, was im Hirn und Herzen des unglücklichen Kaisers vorging; genug, Maximilian kehrte um die Jahreswende 1866/67 in die Hauptstadt Mexiko zurück, und am 15. Mai erreichte ihn, von den republikanischen Heeren bis an die Grenze des Landes hinausgedrängt, zu Queretaro das Verhängnis. Von Oberst Miquel Lopez, einem Verwandten des Marschalls Bazaine, um 10000 Pesos verraten, gab Maximilian, nachdem er das letzte Bollwerk, den Cerro de las Campanas, mit einem Häuflein getreuer Österreicher verteidigt, den Degen ab und war der Kriegsgefangene der Republikaner. Ein Kriegsgericht von sieben Mann sollte über das Los des Gefangenen entscheiden; die europäische Diplomatie tat alles, um ihn zu retten; selbst Juarez, der feindliche Anführer, wollte großmütig das Leben Maximilians schonen. Allein der Fluch des Oktoberdekrets fiel auf seinen Urheber zurück. In der Mitternacht des 14. Juni wurden Maximilian ~I.~ und zwei seiner Generäle von dem republikanischen Kriegsgericht zum Tode verurteilt. Vier Tage später stand in der Morgenfrühe auf dem Cerro de las Campanas ein Truppenviereck und in dessen offener Seite Maximilian mit seinen zwei Generälen. Nachdem der Kaiser seinen letzten Besitz, eine Hand voll Geld, die er bei sich trug, durch einen Unteroffizier hatte verteilen lassen, rief er: »Möge mein Blut das letzte sein, welches für das Vaterland geopfert wird ... Es lebe Mexiko ... Auf die Brust! Zielt nach dem Herzen! Zielt gut! ... Arme Charlotte!« Unter dem Knattern der Gewehre, dem Wirbeln der Trommeln, dem Klang der Hörner und unter den freudigen Rufen der Mexikaner: »Freiheit und Unabhängigkeit!« sanken die drei Männer auf den Grund ... So starb Maximilian ~I.~ Ein Schrei der Entrüstung ging durch Europa; aufrichtig betrauert aber und nicht vergessen hat man Max nur an der Adria, im Küstenland. Seit er an jenem schönen Aprilmorgen auszog ins Kaiserelend, steht das Lustschloß vereinsamt und verwaist. Selten, und immer nur für wenige Tage, kehren die Glieder der kaiserlichen Familie in die luxuriösen Hallen ein; es scheint ihnen nicht wohl zu sein in den duftschwülen Gärten am Meer. Dafür wallt in blühender Sommerszeit der Naturschwärmer und Künstler Triests zum Lustschloß Miramar. Treten auch wir jetzt durch den mit mittelalterlichen Waffen geschmückten Korridor ins weite, helle Kaiserhaus, an der Hauskapelle vorbei in die marmelverzierten Gemächer, in die weite Bibliothek, wo die Büsten Homers, Dantes, Shakespeares und Goethes stehen. Bis an den Plafond reichen die offenen Büchergestelle, von prachtvollen Einbänden, von Gold und Silber schimmernd; aber die Bücher sind tot; seit Max gestorben, hat sie keine Hand mehr aufgeschlagen. Nebenan ist das Arbeitszimmer Maximilians. Es hat die Form der Kajüte, welche er auf der »Novarra«, jenem Schiff bewohnte, das ihn in seinen jungen Jahren in die verschiedenen Mittelmeerländer und später nach Mexiko geführt. Hier hat er jene anziehenden Bücher: »Aus meinem Leben« und »Aphorismen« geschrieben, die nach seinem Tod das teuerste Vermächtnis für seine Freunde waren. An den Wänden dieser Koje hangen zwei Bilder: »Die Ermordung Cäsars« und »Maria Antoinette im Gefängnis.« Ob der fürstliche Arbeiter sich's je geträumt, daß sie zu seinem eigenen Geschick beziehungsvoll würden? So geht es fort durch eine weite Flucht von Gemächern. Da funkelt's von Gold- und Seidentapeten; da stehen kunstvoll geschnitzte Möbel, altertümliche Uhren und Schränke; da gleitet der Fuß auf Wunderwerken von eingelegten Parketts; da hangen von herrlichen Decken zierliche Lustres, Meisterwerke der Goldschmiedekunst. Alles erzählt von der üppigen Phantasie seines Schöpfers, der einen großen Teil der Pläne und Zeichnungen für den Bau mit eigener Hand entworfen hat. Genug von dieser wundersamen Pracht. Viele stolze Schlösser und größere als Miramare habe ich in jüngern Wandertagen in Frankreich gesehen, aber keines, wo Natur und Kunst sich zu einem so wirkungsvollen Ganzen, zu so bestrickender Schönheit verschwistern wie in Miramare. Treten wir hinaus auf eine der Balustraden. Noch ist's das Bild von Prosecco: »Es singt und klingt das blaue Meer So sagenreich, so wunderhehr. Es rauscht der weiße Schaum der Welle Melodisch an die Marmorschwelle Und drücket auf des Schlosses Fuß Den schauerkühlen Nymphenkuß, Und als zurück die Wogen prallen, Da zittert's wonnig durch die Hallen.« Ich habe den schönen Versen, mit denen Max selber sein stolzes Haus gefeiert, nichts beizufügen. Und nun reißen wir uns los; denn freiwillig scheidet wohl keiner von dem »Wunder des Meers.« Drunten im Hafen an der Gartenterrasse wartet unser der Fährmann, der uns zurück nach Monfalcone führen soll. Das Ruder plätschert in kristallner Flut; die Berge stehen im Abendglanz; alles ist Daseinswonne, Frieden und Licht, und von Miramare her streicht der Blütenduft über die See. Bald ziehen Glockentöne übers Meer. »Ave Maria! Ave Maria!« Nah und fern fallen die rauhen, sonnverbrannten Fischer in ihren Segelbooten auf die Kniee und beten zur gnadenreichen Gottesmutter um glücklichen Fischfang, um ihren Schutz zur See, um gnädige Erhaltung von Weib und Kind. So kommt die Nacht, die laue Südnacht mit ihrem Sternbrevier. Von Triest her flammen tausend Lichter; der Leuchtturm spielt mit seinen wechselnden Signalen; doch schon beginnt »Den Osten Mondlicht zu erhellen, Und zitternd funkelt's auf den Wellen. Still wird's auf weitem Meeresplan, Und rauschen hört man nur den Kahn.« [Illustration] [Illustration] Triest. Wenn man von Venedig kommend bei Monfalcone den innersten Busen der Adria umfährt, dann schimmert an der östlichen Küste blendend weiß, wie der Leib eines schönen Menschen, der zum Bad ans Meerufer niedergestiegen ist, die Stadt Triest. Im Halbzirkel baut sie sich vom lachenden Golf zum Kastellhügel und malerischen Uferhöhen empor. Olive und Lorbeer haben die Unfruchtbarkeit des Karstgesteins besiegt und schlagen mit herrschaftlichen Gärten einen üppig grünen Rahmen um das glänzende Stadtbild. Von ferne könnte man glauben, alle Häuser seien von Marmor; kommt man aber hinein, so sind sie kaum anders als irgend sonst wo in einer großen Stadt; mächtig und prächtig, an die schönsten Plätze von Wien oder Paris erinnernd im neuen Teil, der das Vorland zwischen Küstenhang und Meer bedeckt, klein, düster und elend in der Altstadt, deren Straßen sich eng und steil von der Zitadelle zum neuen Stadtteile hinunterziehen. Doch hat Triest etwas Besonderes, was manch größere Stadt nicht hat, nämlich einen hochragenden Mastenwald vor seinen Häusern. Der Nationalstolz nennt Triest das »österreichische Hamburg«, eine Metapher, bei der man etwas Übertreibung mit in den Kauf nehmen muß. Triest ist kein Hamburg, aber immerhin das gewaltigste Handelsemporium an der Adria und, abgesehen von Fiume, das die Ungarn zur Blüte zu bringen suchen, der einzige große Hafen der habsburgischen Monarchie. Der Zug fährt von Nabresina in drei Viertelstunden in die Stadt hinunter und legt auf dem Wege dahin dem Reisenden die ganze Pracht des Golfes von Triest, ein wundersam wonniges Bild, zu Füßen. Aus der hohen Halle des schönen Bahnhofes tritt man auf den geräumigen Vorplatz, und vor dem eigentümlichen Reiz, der beim Anblick eines Seehafens das Herz der Landratte packt, muß in der ersten Stunde jedes andere Interesse dem am Hafenbilde weichen. So ging's mir nicht nur das erste, so ging's mir auch die folgenden Male, als ich nach Triest kam. Ich wurde nicht müde, den Quai auf und ab zu wandeln, mich an den bunten Flaggen und Wimpeln, die lustig gegen den dunkelblauen Himmel emporflatterten, an dem Gewirre von Masten, an den riesenhaften Kauffahrteischiffen, an dem lebendigen Gewühl der Gaete, Mistici, Navicelli, Trabaccoli, Brazzere, Tartome, und wie immer noch das Gewimmel jener kleinern Boote, Schaluppen und Kähne, die zwischen den Riesenleibern der Ostindienfahrer durchschwärmen, sich nennen mag, zu ergötzen. Diese gebrechlichen Nußschalen, oft von bizarrer Form und buntem Anstrich, mit ihrem sonnengebräunten, malerisch verwilderten Matrosen- und Fischervolk, sind nicht weniger interessant als die Giganten des österreichischen Lloyd, als der »Polluce«, der »Helios«, die gewaltige »Pandora« oder die »Medusa«, in deren Tauwerk die braunen Jungen mit der Gelenkigkeit von Katzen auf- und niederklettern. Macht ein solcher Schiffspalast »klar«, so verfinstert eine Rauchpinie den Molo, bis der Koloß hinauswogt in den offenen Golf. Man sagt, daß jährlich 1600 Dampfer und 7000 Schiffe langer Fahrt in den Hafen von Triest einlaufen und daß sie zusammen für über 400 Millionen Kronen Waren bringen. Kein Wunder, wenn hier alles Leben und Bewegung, Handel und Wandel ist! Dennoch fühlt sich der Fremde vom Hafenbild Triests einigermaßen enttäuscht; denn die durch acht größere und viele kleinere Moli voneinander getrennten Bassins, die sich in der Länge einer halben Stunde eines ans andere reihen, sind gegen das Meer hin offen und widersprechen durchaus jenem typischen Hafenbilde von der dreiseitig sturmverschlossenen Bucht, wo die Schiffe ruhsam ankern können. In der Tat war der Hafen von Triest früher wegen seiner vielen Schiffbrüche in Verruf, und die Stadt hätte nie der blühende Handelspunkt werden können, wenn sie sich nicht durch gewaltige Bauten jenen Schutz, den die Natur ihrer Rhede versagt, selber geschaffen hätte. Die neue Anlage hat dreißig Millionen Kronen gekostet. Ein dem Hafen vorgelagerter, sechszehn Meter vom Grund der See aufragender Damm, »der Wellenbrecher«, schützt ihn nun gegen den Wogendrang der hochgehenden Adria, so daß jetzt die ungünstigen natürlichen Verhältnisse desselben aufgehoben sind. Auf der Spitze des südlichsten Molos steht der 33 Meter hohe Leuchtturm, welcher im Anfang des 19. Jahrhunderts nach dem Modell des berühmten Turmes auf der Eddystoneklippe in nach oben verjüngt zulaufender Form gebaut worden ist. Während des Tages schmücken die Flaggen der jeweilen ankommenden Schiffe seinen Signalmast; wenn die Nacht hereinbricht, spielen die Feuersignale seiner Laterne mit blitzartigen, durch Momente vollkommener Dunkelheit getrennten, bald hellern, bald schwächern Lichtern über die See, sodaß der Adriafahrer schon 30 Kilometer von Triest das helle Blinken gewahrt. Wenn ich an den Leuchtturm von Triest denke, dann stehen zwei Bilder, die ich von der Höhe seiner Plattform genossen, vor meinem Blick: ein wundersamer, stiller Meeresabend, an dem die See regungslos und lächelnd, golden besonnt und unermessen vor mir lag. Das verworrene Geschrei der Lastträger, das Rasseln der Fuhrwerke und der schrille Laut der Dampfpfeife erreichten schon halb verhallt den schönen Standpunkt. Die lichtübergossene Uferlehne von Miramare im Norden, die schroffen istrianischen Küstenhänge im Süden und die Stadt mit ihren leuchtenden Häuserfronten zwischen ihnen fesselten das Auge gleichermaßen. Von Pirano her, der hellschimmernden Stadt auf dem westlichen Vorgebirge von Istrien, kam das winzige Lokalboot, während eine Flottille größerer Segler, die jedenfalls nur einen Levante abwarteten, um nach Venedig hinüberzufahren, unbeweglich vor der Bucht von Capo d'Istria stand. Andere stiegen am fernsten Horizont als schimmernde Punkte malerisch auf oder versanken; Scharen von Möven und andern Vögeln zogen über dem herrlichen Golfe ihre Kreise. Etwas unendlich Weiches, Träumerisches, ein wundersamer Frieden, der erlösend in die Menschenbrust übergeht, lag da im Meerbilde von Triest. Wie ganz anders habe ich die gleiche Landschaft das zweitemal gesehen! friedlos, von schmerzlicher Melancholie bewegt; das Land, sturmempört, vom Scirocco gepeitscht die See, ängstlich sich zum Hafen flüchtende Barken, bald hoch auf zerspritzenden Schäumen, bald tief in den Mulden der Wogen. In langgestreckten Zügen, wogend und ringend, hier zergehend, dort auferstehend, fluteten die Wellen, zerbarsten mit furchtbarem Prall an den Fundamenten des Turmes, daß es zitternd durch seinen Steinleib ging, und strömten brausend ins Meer zurück. Dazu rauschte und pfiff, sang und klang der Sturm. Es ist auch herrlich und unaussprechlich schön, aber liebe- und erbarmungslos, das stürmende, hochgehende Meer! Die nördlichen Hafenmauern sind durch Schienengeleise mit dem Warenbahnhofe verbunden, so daß die Eisenbahnfrachtwagen ihre Lasten bis dicht an die Flanken der Kauffahrteischiffe bringen können. Allein diese Verkehrserleichterung scheint dem lauten, beweglichen Leben auf dem Hafenquai, wo italienische und deutsche, slovenische und kroatische, morlakische und neugriechische Zunge vieltönig durcheinandergehen, keinen Eintrag zu tun. Der Lärm und die Zurufe von hundert emsigen Menschen, die sich um das Verladen der Schiffsfrachten auf die Fuhrwerke bemühen, das Rasseln der heransprengenden, das Geknarre der abfahrenden Lastwagen gestaltet das Ufer zu einem wunderbaren Tummelplatze der Arbeit. Doch auch die Idylle ist nicht weit. Drunten liegen italienische Schiffer und feiern Hafenrast. Sie singen abgebrochene Strophen alter Seemannslieder. Es ist seltsam; auch die bedürfnislosen Söhne des sonnigen Südens legen wie die Fergen der Nordlandsbuchten etwas Tieftrauriges, das einem nicht so leicht wieder aus dem Gehöre kommt, in ihre meergebornen Lieder, in jene eintönigen, getragenen Melodien, deren Schlußakkorde gerade so lange gehalten werden, als der Atem der Sänger reicht. So ist das triestinische Hafentreiben, hier ein ~dolce far niente~, dort Arbeit, aber voll eigentümlichen Lebens überall. Am Uferrand der Quais liegen die mannigfaltigsten Frachtgüter aufgespeichert: Fässer mit dalmatinischen Weinen, Salztonnen von Pirano, Baumwollballen aus Ägypten, Kaffeesäcke von Java, Indigo von Senegal, Wallonen aus der Levante, Farbholz aus Brasilien und die schwarzen Diamanten aus England, kurz, Schätze von allen Enden der Welt. Man beziffert den Wert der alljährlichen Einfuhr auf etwas mehr, denjenigen der Ausfuhr auf etwas weniger als 400 Millionen Kronen. Die teuerste Fracht aber ist der Mensch, der Mensch, dem das weite Heimatland zu eng wird und der das Glück im märchenträumenden Morgenland oder im Sonnenbrand Afrikas oder im fernen aufblühenden Westen suchen geht. Ich kann nicht sagen, wie viel Auswanderer jährlich den Weg über Triest nehmen; ich weiß nur, daß die einen lächeln, die andern weinen, alle prächtige Luftschlösser bauen, wenn das Schiff aus dem Hafen rauscht; daß die einen reich, die andern arm werden; daß sie alle schließlich wieder ein Luftschloß bauen, aber ein enges, kleines, ein wundersam bescheidenes: Sechs Fuß Raum in der Heimaterde. Manchem wird's zu teil, und wem es nicht zu teil wird, den drückt der fremde Boden auch nicht schwer. Wenden wir uns vom lauten Hafentreiben ab und der Stadt zu, die auf Strand und Hang so herrlich vor uns ausgebreitet liegt, so gelangen wir auf den mit dem Hafen in enger Beziehung stehenden Fischmarkt. Er ist in einem Gebäude der Salzquais untergebracht und bietet ein ins Italienische übersetztes Stück des berühmten Pariser Hallenlebens. Die Menge der in den ersten Morgenstunden zum Verkaufe gebrachten Seefische, Krebstiere und Muscheln wird nur erklärlich durch die Aufnahmefähigkeit, welche das triestinische Volk diesen Meerprodukten entgegenbringt. Das Meer ist die Delikatessenkammer des Wohllebens und der Garten der Armut, die sich das trockene Polentamahl mit in Öl gebratenen Sardellen würzt, den Tintenfisch im Topfe siedet, oder eine Art kleiner, den Asseln ähnlicher Krebse zum Abendbrote röstet. Der stachelflossige, bläuliche Tunfisch, der oft zwei Meter lang und zentnerschwer wird, ist der Riese des Marktes; doch liefern Tintenfisch, Meeraale und plattgedrückte, schiefmäulige Brassen die größte Warenmasse. Von wirklich feinem Geschmack und auch dem Gaumen des Binnenländers schmeichelnd sind indessen nur die blaue, goldig glänzende Makrele, eine schon bei den Römern hochgeschätzte Tafelzierde, und der Branzin, ein Brackwasserfisch, der in den furlanischen Lagunen häufig gefangen wird. Die Austern von Triest dagegen stehen den venetianischen im Wohlgeschmacke nach. Ich habe den durchdringenden Fischgeruch der Halle und den Anblick der im Sterben liegenden, schnappenden, zuckenden, oft bei lebendigem Leib verstümmelten Flosser nie lange ertragen können. Ihr Fang und Verkauf enthält ein furchtbares Stück menschlicher Grausamkeit. Am ruhigsten scheint das Geschlecht der gewaltigen Hummer und der langbeinigen Meerspinnen den Übergang aus der kühlen Salzflut in die warme Luft zu nehmen; denn sie führen, der gemeinsamen Not vergessend, einen letzten Scherenkampf. Merkwürdigerweise ist der Handel mit den schönen Muscheln in Triest viel weniger zu Haus als in mancher Binnenstadt; denn außer ein paar durchaus gewöhnlichen Exemplaren in einer an die Fischhalle lehnenden Bude fand ich in den triestinischen Läden nichts käuflich. Allerdings sollen hie und da schöne private Sammlungen bestehen, und das Ferdinand-Maximilian-Museum enthält die zum Teil prachtvollen, farbenreichen Muscheln der südlichen Meere in seltener Vollständigkeit. Östlich vom Hafenquai und südlich vom Bahnhof liegt die Neustadt. Der »große Kanal« dringt vom Hafen bis in den Hintergrund dieses Stadtteils und gestattet selbst Quersegelschiffen, unmittelbar bei den Magazinen zu löschen. Am Ende des Kanals steht St. Antonio nuovo, eine im Anfange dieses Jahrhunderts erbaute einschiffige Kirche mit hübschem Säulenportikus. Romantische Gedanken läßt die Neustadt nicht aufkommen. Dazu sind ihre Häuser zu modern, ihre Straßen zu rechtwinklig, ihr Pflaster zu gut; die Nüchternheit der triestinischen Handelsleute ist in der Architektur dieses Quartiers zu ihrem entsprechenden Ausdruck gekommen. Ich wüßte überhaupt keine Stadt von der Größe Triests, wo der Wanderer so unbeschwert von baulichen Merkwürdigkeiten und kunstgeschichtlichen Reminiszenzen seines Weges gehen könnte, wie in Triest. Es ist in dieser Hinsicht das Widerspiel Venedigs, dessen Kunstschätze es nicht zugleich mit dessen Handel geerbt hat. Das Wenige, was es an sehenswerten Gebäuden und Monumenten in der Tat besitzt, drängt sich im Süden der Neustadt um die gegen den Hafen offene »Piazza grande« zusammen. Den Hintergrund dieses Platzes schließt die reichgegliederte Fassade des Munizipalpalastes, eines modernen Prachtbaues, würdig ab. Auf dem Dach desselben schlagen wie auf der Markuskirche zu Venedig zwei eherne Mohren die Stunden. Davor stehen ein im blühendsten Rokokostil gehaltener, mit vielen Figuren verzierter Springbrunnen und die Marmorstatue Kaiser Karls ~VI.~, des letzten Herrschers aus dem Mannesstamme der Habsburger, der mit ihm im Jahre 1736 ausgestorben ist. Bedeutender noch ist das neue Gebäude, das sich im Süden des Platzes und angesichts des Hafens erhebt. Gleich ausgezeichnet durch seine einfache, edle Gliederung, wie durch seine monumentale Größe, ist es das prunkende Heim des österreichisch-ungarischen Lloyd, jener mächtigen Dampfschiffgesellschaft, die mit ihren gewaltigen Kapitalien und siebenzig in ihrem Dienst stehenden großen Meerdampfern nicht nur den Schiffsverkehr der Adria, sondern auch einen großen Teil des europäischen Handels nach der Levante und Indien beherrscht. Im Norden der Piazza grande stehen das Stadttheater und das Tergesteum, der größte der triestinischen Paläste, von vier engen Gassen umzogen, ziemlich vergraben in den umgebenden Häusern. Sein Erdgeschoß bildet einen Bazar, wo man alles, was schön und teuer ist, kaufen kann. Auf dem Vorplatze der alten Börse, eines im dorischen Stil gehaltenen Baues, steht auf hoher Säule das in Erz gegossene Standbild Leopolds ~I.~ Als ich einen meiner Triestiner Bekannten fragte, wie der grausame Unterdrücker des Protestantismus in Ungarn zu der Ehre eines solchen Denkmals komme, lächelte er fein und sagte: »Die Ehre gilt im Grunde nicht dem Kaiser; sie gilt seinem genialen Feldherrn, dem Prinz Eugen, dem Sieger von Belgrad, und dem Starhemberg, dem Verteidiger Wiens in der Türkennot. Indem wir den Kaiser sehen, denken wir an seine Helden!« Auf dem Börsenplatze beginnt die Via del Corso, die fashionable Straße von Triest, die, zu beiden Seiten mit großen, reichen Kaufläden besetzt, sich zur Piazza della Legna hinaufzieht. Auf ihren Trottoirs wandelt am Nachmittag die feine Triestiner Welt auf und ab. An feiner Toilette, an Geschmack und an Luxus weicht der Triestiner keinem andern Städter der Welt. Selbst Paris hat keine feinern Ponies, keine zierlicheren Breaks als die ~jeunesse dorée~ der adriatischen Handelsstadt, und auf der Karosse des Grafen von Paris haben wie auf der Kutsche des Triestiner Baumwollbarons auch höchstens vier galonierte Lakeien, zwei hinten und zwei vorn, Platz. Viele Damen entstellt der Reispuder. Man sieht unter den feinen Schichten der triestinischen Gesellschaft stets viele Armenier und Griechen, prächtige Gestalten mit kühn geschnittenen, ausdrucksvollen Gesichtern, während man die schönen Frauen dieses Volkes, das eine Aspasia, eine Laïs besaß, in Triest wohl vergebens sucht. In Anmut und Temperament werden die Fremden alle von der italienischen Triestinerin besiegt. Obwohl das gebildete Triest einen ausgesprochenen kosmopolitischen Charakter trägt und dieses Gemisch deutscher, französischer, griechischer und armenischer Elemente die stärkste Stütze seines Gedeihens bildet, ist es eine vorwiegend italienische Stadt. Von den 110000 Einwohnern sind vier Fünftel Italiener; der Rest wird durch die kulturell wenig bedeutenden Slaven und etwa 5000 Fremde gebildet. Dieses starke Übergewicht des italienischen über das slavische und das deutsche Element läßt die reiche Stadt zu einem Schmerzenskind des habsburgischen Reiches werden. Die Irredenta, die Gesellschaft des »unerlösten Italiens«, die dem jungen Königreich vor allem gern die schöne Adriabraut zuführen möchte, wühlt in der Handelsstadt. Es waltet in den triestinischen Kreisen kein Zweifel, daß die italienische Rauflust ihre nächsten Lorbeeren im Bereiche des schönen Golfes holen wird. Heute führt Triest noch den Ehrennamen der »allergetreuesten Stadt.« Auf ihrem Korso hängt die glutäugige Italienerin am Arme des deutsch-österreichischen Offiziers, und ihr helles Geplauder klingt nicht wie Kriegserklärung. Der Korso scheidet die Neustadt von der Altstadt. Unmittelbar hinter den stolzen Häusern dieser Straße liegt jener verrufene Stadtteil, wo der Typhus und die Blattern kaum ausgehen, die Cholera je und je, wenn sie ihren Totenritt durch die Südlande unternimmt, ihr Rastquartier aufschlägt, wo die Werkstätten der italienischen Handwerker und die düstern Matrosenkneipen sind und manch ein armes Kind dem Laster erzogen wird. Doch hat Alt-Triest mit seinen vom Rauch der Jahrhunderte geschwärzten Bauten einen Vorzug vor der neuen Stadt. Seine Häuser haben eine lange Geschichte, doch keines eine längere als das Gotteshaus von San Giusto, das, dem Dom von Aquileja und der Kathedrale von Parenzo in Istrien an Alter ebenbürtig, aus der legendenumsponnenen Kindheit des Christentums stammt. Durch die Gassen und Gäßchen der Altstadt flanierend kam ich in die Via Trionfo, zu dem Rest eines alten Bogens. Er mag in Wahrheit von einem römischen Siegestor oder auch nur von einer antiken Wasserleitung herrühren. Vom Volke aber wird er dem König Richard Löwenherz, jenem ritterlichen Kreuzfahrer zugeschrieben, der im Jahre 1192 siegreich aus Palästina zurückkehrend von einem Sturm an die Küste von Aquileja verschlagen worden war, und heißt Arco di Ricardo. Nun hinauf zu der Kathedrale von St. Just! In ihrer jetzigen Gestalt ist sie ein Doppelbau aus zwei Basiliken. An die ältere, schon drei Jahrhunderte nach dem Stifter des Christentums entstandene, wurde im 6. Jahrhundert eine byzantinische Kirche angefügt und beide im 14. Jahrhundert zu einer einzigen Halle vereinigt, welche durch vier Säulenreihen in fünf Schiffe geschieden wird. Durch einen von ein paar Bäumen beschatteten Hof tritt man vor die Giebelfassade des Baues. Sie hat eine riesige Fensterrose. Christliche Insignien sind zwischen der Türe und dem massigen, das Gotteshaus flankierenden Turm, der römische Säulen enthält, eingemauert. Das höchste archäologische Interesse gewähren zwei Mosaiken im Innern. Sie schmücken die Apsis und bilden ein herrliches Zeugnis künstlerischen Könnens im Mittelalter. In Farben auf Goldgrund stellen sie die Gottesmutter und einen sie umschwebenden Chor von Engeln, sowie die zwölf Apostel dar. Ihr Ursprung geht zum Teil ins 7., zum Teil ins 11. Jahrhundert zurück. Neben der Kathedrale, dem einzigen kunstgeschichtlich merkwürdigen Baudenkmal der großen Adriastadt, liegt ein ehemaliger Kirchhof. An einem in grünumrankter Bogenwölbung stehenden Sarkophag liest man die Inschrift: »~Joanni Winckelmanno, domo Stendelia -- -- --~« Es ist das Grab Johannes Winckelmanns, des Schöpfers der deutschen Kunstgeschichte, der zu Rom als Kustode des antiken Museums lebte und im Sommer 1768 seiner nordischen Heimat einen Besuch abstatten wollte. Auf dieser Reise fiel er in einem Gasthofe Triests unter den Messerstichen eines italienischen Räubers. Dicht über der Kathedrale erheben sich die grauen Mauern des 200 Jahre alten, auch gegenwärtig noch Befestigungszwecken dienenden Kastells, das Stadt und Hafen schützend überschaut. Es mag wohl an der Stelle des Kapitols stehen, das im Beginn unserer Zeitrechnung die römische Kolonie Tergeste beherrschte. Ein Weilchen rastend hier zu stehen und Überschau zu halten über Triest, seinen Hafen und seinen Golf ist herrlich. Allein ich hatte einen Empfehlungsbrief für einen Seemann in der Tasche, dessen Schiff, der gewaltige Lloyddampfer Jupiter, im Arsenal der Bucht von Muggia lag. Ich eilte wieder hinunter zur Piazza grande, wo sich ein lärmendes südliches Markttreiben entfaltet hatte. Es geht nichts über welsche Lungen, welsche Verkäufer und Verkäuferinnen; denn so ausdauernd, unverwüstlich wie jene, so abenteuerlich und drollig sind diese. Man kann bei ihnen alles Mögliche und noch einiges kaufen: Juwelen und Perlen aus Glas, Uhren und Zigarrenetuis, Stubenvögel und junge Ziegen, Käse und Salami, von Insekten umschwärmte Orangen, frische Datteln, die in langen Trauben noch aneinander hängen, Sträuße und Blumen in Töpfen. Immer führen zum Erbarmen schwer beladene Maultiere und Esel, von schmutzigen Titschenbauern gelockt und getrieben, neue Lasten von Lebensmitteln herbei. Ich stand vor der Auslage eines italienischen Antiquars, der Volksbücher, Heiligenbilder, Holzschnitte, mittelalterliche Erd- und Himmelsgloben, sowie einen Wust deutscher und italienischer Literatur aus dem vorigen Jahrhundert feilbot. Ich entdeckte darunter eine alte Ausgabe der Gedichte von G. A. Bürger mit einigen Stichen und blätterte darin. »Kaufen Sie es, mein Herr«, sagte der Jude, abgefeimt lächelnd in einem Tone, als hätte er mir das größte Geheimnis mitzuteilen; »der Autor hat so pikant geschrieben, und er hat alles selbst erlebt -- -- -- --.« Was er noch sagte, trieb mir die Zornröte ins Gesicht. Es ist wahr, der Amtmann zu Gelnhausen hat nicht für Kinder geschrieben; aber für die Marktkniffe eines italienischen Antiquars war mir der ehrbare, brave Bürger denn doch zu gut. Ich warf das Buch hin und eilte auf die schöne Piazza Lipsia, einem prächtig grünen öffentlichen Garten südlich von der Piazza grande. Es drängte mich hinaus aus der Stadt. Nur das prächtige Standbild Maximilians ~I.~ auf der Piazza Giuseppina hielt mich noch auf, denn die tragische Geschichte des mexikanischen Kaisers hatte mir nun einmal seine Gestalt menschlich nahe gerückt. Der Erzguß ist ein Meisterwerk Schillings, des gefeierten Dresdener Bildhauers, der auch das Nationaldenkmal auf dem Niederwald geschaffen hat. Er stellt den Kaiser als eine imposant schöne Gestalt mit hoher, träumerischer Stirne dar. Ein mit allegorischen Figuren reich geschmückter Sockel trägt vier Inschriftentafeln. Drei feiern den Kaiser als Schützer der Kriegs- und Handelsflotte und als Verschönerer von Triest, während diejenige der Frontseite den Testamentspruch enthält, worin er seiner Freunde an der Adria und der österreichischen Marine am Tage vor seinem Tode mit einem letzten Lebewohl gedenkt. Vom südlichsten Teile des Hafens zieht sich ein angenehmer Spaziergang längs des Meeres, an den Landhäusern von Sant' Andrea vorüber, zum Lloyd-Arsenal, das ein Halbstündchen von der Stadt entfernt liegt. Da die Straße langsam steigt, übersieht man am Eingangstor des Arsenals die ganze Anlage der gewaltigen Schiffsbauwerkstätten, die sich zwischen Straße und Meer ausbreiten. »~Signore Rossi, macchinista sul Giupitro!~« las der Portier als Adresse auf meinem Empfehlungsschreiben. »Treten Sie ein«, sagte er; »wo das Schiff eben liegt, kann ich Ihnen nicht sagen; doch wird man Sie drunten weisen können.« Ungehindert stieg ich durch ein turmartiges Treppenhaus in den Fabrikhof hinunter und schlug mich glücklich zwischen den Gebäuden, dem Rauschen, Rasseln und Dröhnen, das aus den Werkstätten klang, zum Meeresstrande durch. Da war wieder ein Teil jenes Waldes, der in aller Herren Ländern gewachsen ist, zwar nicht so groß, wie der im Hafen von Triest, aber immerhin groß genug, um mich in einige Verlegenheit zu bringen. Welche der ragenden Bäume gehörten dem Jupiter an? Als Ausweis meine Briefadresse zur Hand, wanderte ich über die provisorisch von Schiff zu Schiff geschlagenen Stege, bis ich fast zufällig vor dem Bauch eines der gewaltigsten Schiffe stand. »Giupitro« glänzte der Name am Pavillon desselben. Herr Maschinist Rossi empfing mich mit großer Liebenswürdigkeit. Ein Schiff ist ein Schiff und wesentlich immer dasselbe; aber ein Ostindienfahrer wie dieser Jupiter nötigt der Landratte doch einen Zoll ehrlicher Bewunderung ab. Es ist nicht allein seine Größe, die dazu zwingt; es ist fast mehr noch die Art, wie eine in sich vollkommene Welt in die Planken des schwimmenden Meerpalastes gefügt ist, die technisch vollendete Einteilung des Raumes von den Kohlenbehältern durch drei Etagen hinauf bis zu den Salons, die mit Glühlichtlampen erhellt werden und im Glanze luxuriösen Komforts strahlen. Als das Schiff bei Anlaß des russisch-türkischen Krieges im Jahre 1878 nebst anderen Lloyddampfern von den Russen zum Militärtransport gemietet war, faßte es, wie mir Herr Rossi erzählte, 3500 Mann, also die Bewohnerschaft einer kleinen Stadt. Eine Maschine treibt mit der Kraft von 2000 Pferden dieses gewaltige Haus von einem Ende der Welt zum andern, daß es leicht und schön einherzieht wie ein über die See hinschwebender Riesenaar. Jetzt war diese Maschine zerlegt. In einem elf Tage andauernden Sturme im indischen Ozean, während dessen selbst an den Wogengang des Meeres gewöhnte Matrosen eine Beute der Seekrankheit wurden, hatte sie sich überarbeitet. Doch sollte das Schiff schon in vierzehn Tagen wieder in die See stechen. »Auf Matrosen, die Anker gelichtet, Segel gespannt, den Kompaß gerichtet, Liebchen, ade! Morgen, da geht's in die wogende See!« So singt das deutsche Lied; allein der Seemann, wenn er vom heimischen Strande fährt, singt nicht. Auch er in seinem großen Kasten empfindet sein Handwerk als einen Kampf ums tägliche Brot und beneidet den Arbeitsmann zu Land, der nach getanem Tagewerke wenigstens ein Heim hat, wo er im Kreise seiner Lieben und auf fester Erde ruht. Den Seemann wiegt die falsche Woge, und nur ein Brett scheidet ihn vom Tode. Als wir auf der Steuermannsbrücke des Schiffes standen, hatten wir einen reizenden Blick über die Bucht, an welcher das Arsenal gelegen ist, auf Muggia, eine kleine, altertümliche Stadt, und gegenüber auf einer hügeligen Landzunge, auf die benachbarten Schiffswerften von San Rocco und das großartige Etablissement Strudthoff, wo man die stolzen Panzerschiffe der österreichischen Kriegsmarine baut, auf uralte Burgen, die im Hintergrunde der Bucht wie Geierhorste an den felsigen Küstenwänden kleben, und auf das sich freundlich im Golfe spiegelnde Servolo. Dieses hat seinen Namen vom Schutzpatron der Stadt Triest bekommen, der dort als seltsamer Grottenheiliger gelebt haben soll. Nachdem wir unsern Rundgang durch das Schiff beendet hatten, führte mich Herr Rossi in die Werkstätten des Lloyd, in welchem 2000 Arbeiter beschäftigt sind. Ein paar Dutzend derselben krabbelten eben wie Ameisen an den Rippen eines auf der Werfte im Bau liegenden Ostindienfahrers und nieteten die Wandplatten fest. Ich habe später die nicht minder interessanten Werkstätten des österreichisch-ungarischen Kriegshafens zu Pola gesehen. Da der Eindruck, den der Fremde hier und dort empfängt, wesentlich der gleiche ist, will ich mir die Schilderung eines Marine-Arsenals für jene Gelegenheit aufsparen. Nur das sei noch anerkennend erwähnt, daß der Lloyd in der Nähe seiner Werkstätten freundlich auf das Meer ausblickende Arbeiterhäuser hat, die zum Besten gehören, was ich in dieser Art im südlichen Österreich entdeckte. Und nun zurück nach Triest! Wenn sich zwei Männer befreunden, dann darf ein kühler Trunk nicht fehlen, und die Stadt hat feine Bierquellen. Wir haben lang getrunken und lang geplaudert. Eine junge, hübsche Triestinerin hörte mit mir dem jungen, liebenswürdigen Erzähler Rossi zu und wurde recht nachdenklich. Ich glaube erraten zu haben, was sie dachte: »Mag Gott das junge Blut behüten!« Und wenn schöne Lippen so recht innig für einen fernen Seemann beten, dann tut der Himmel wohl ein Einsehen! Als ich drei Wochen später wieder nach Triest kam, war der »Giupitro« bereits nach Bombay unterwegs. [Illustration] [Illustration] Die Küste von Istrien. Der Hafen von Triest lag hinter uns, vor uns die Adria. Das niedrige Ufergebiet des Isonzo und die Lagunen-Inseln waren unter den Horizont gesunken; nur der Leuchtturm von Barbana und der graue Kirchturm von Aquileja verrieten, daß dort im Westen noch etwas anderes als Salzwasser liege. Ein tiefer, blauer Himmel stand über dem tiefen, blauen Meer, und die Morgensonne, die über den istrianischen Bergen emporgestiegen war, leuchtete über die wonnig zitternde Flut. »Unermeßlich und unendlich, Glänzend, ruhig, ahnungsschwer, Liegst du vor mir ausgebreitet, Altes, heil'ges, ew'ges Meer!« Die schönen Verse von Anastasius Grün, dem Grazer Poeten, kamen mir zu Sinn, als ich die weite See übersah, von der ich in meiner Jugend so oft geträumt hatte. Nur hatte ich damals gemeint, wenn ich einmal darüber hinfahre, so müsse es auf einem gewaltigen Meerdampfer sein, auf einem Ostindienfahrer mit geblähten Segeln, wo die Matrosen im Tauwerk klettern und ein kleiner Hydriot im Mastkorb sitzt. Nun war's auf einem istrianischen Küstenfahrzeug, dreimal so groß wie eine Nußschale. Wir hatten Südwestkurs nach Pirano, das am westlichsten Kap von Istrien mattweiß über die See hinschimmerte. Unterhalb Triest öffnet sich die liebliche Bucht von Muggia, welche, wie der Busen von Fiume im Osten, hier im Westen die Halbinsel Istrien vom Festland abschnürt, daß sie wie ein Herz am Kontinent hängt. Das übrige Europa hört wenig vom Schlag dieses Herzens. Selbst in der österreichisch-ungarischen Monarchie kümmert man sich nicht viel darum, was in dem stillen, vergessenen Land vorgeht. Es suchen und fliehen, lieben und hassen sich auf seinem dürren Felsboden 300000 Menschen gerade so heftig und so innig, wie in den Ländern der Hochkultur; aber nur je der zweite Mann und je die dritte Frau kann ein Brieflein schreiben. An der Grenze des triestinischen und istrianischen Gebietes sahen wir drei große ostindische Kauffahrer stehen, welche dort ihre vierzehntägige Quarantäne hielten. Die Kolosse lagen wie im tiefsten Schlaf; die Segel waren eingerefft; die gewaltigen Schlote rauchten nicht; kein Mann rührte sich auf Deck. Quarantäne! Das Wort steht in üblem Ansehen bei den Schiffsleuten. Der Seemann hat auch ein Herz im Leibe; er hat Frau und Kind, oder ein Liebchen in der Stadt; und nun muß er abrasten im Anblick des Ziels, abzählen den Stundengang langsam hinrinnender Zeit, ehe er nach monatelanger Abwesenheit das weinende Weib in die Arme schließt, den lachenden Buben küßt, oder mit seinem Liebchen die kurze, tolle Liebe des Matrosen lebt. Auch die Wasserratte sehnt sich von Zeit zu Zeit aufs Land. »Lieber im Sturm als in der Quarantäne«, hat mir Herr Rossi erklärt. Hinter zwei Landzungen öffnete sich nach halbstündiger Fahrt von Triest die große Bucht von Capo d'Istria, und auf einem anmutigen Hintergrund grüner Uferhöhen und fern verdämmernder Berge winkte das alte Städtchen, das dem Wasserbecken seinen Namen lieh. Palladia, Ägida, Justinianopolis, Kapris und Capo d'Istria sind fünf Namen, ein kolchischer, ein römischer, ein byzantinischer, ein slavischer, ein italienischer, und alle meinen dieselbe Stadt. Viel Waffenklang, Männerstreit und vieler Völker Blut liegt zwischen diesen Namen innen; kein Wunder also, daß der Wein von Capo d'Istria so dunkel im Glase schäumt und so feurig durch die Adern rollt. Über den altersgrauen Häusern steht ein großes, modernes Gebäude mit einem Belvedere. Es beherrscht Stadt und Bucht, wie in den bildungsfreundlichen Gegenden unserer Heimat etwa ein Schulbau von lichter Höhe ins Tal, auf Stadt oder Dorf herunterleuchtet. »~Un ginnaso od un' academia?~« fragte ich, darauf zeigend, meinen Nachbar, einen ältern, freundlichen Herrn. »~Un penitenziario~«, eine Strafanstalt, antwortete er. »Armes Land, das so schöne Strafanstalten hat!« Ich sagte es nicht, aber ich dachte es, und der Herr mochte mir meine Enttäuschung vom Gesichte lesen. Er lächelte und bemerkte, wenn man nicht gerade einen bedeutenden Wert auf die Bewegung im Freien setze und Geld genug zur Verfügung habe, so lebe sich's im großen Hause von Capo d'Istria nicht übel. Ich hatte an dem vertrauenerweckenden Alten einen liebenswürdigen Gesellschafter, den ich in Citta nuova ungern verlor; denn er ließ sich durch mein ziemlich gebrochenes Italienisch nicht abschrecken, mir manches Wissenswerte über Istrien mitzuteilen. Als ich einiges davon notierte, war er sehr erfreut. »Schreiben Sie«, sagte er zu mir, »etwas besonders Schönes von Rovigno; meine Frau war eine Rovignesin, und einer meiner Söhne, ein schöner, zwanzigjähriger Mensch, liegt dort begraben. Er hat schon mit fünfzehn Jahren Verse gemacht wie Dante und Ariost. Die meisten klugen Menschen sterben früh.« So kamen wir in die Nähe von Isola, das sich pyramidenförmig an einem Hügel der steilen, weit nach Westen vorspringenden Küste aufbaut. Altersgraue, viereckige Türme haben es zu Kriegszeiten gegen das Innere der Halbinsel geschirmt. Heute hält dieser Schutz nicht mehr stand; die Mauern und Wachten zerbröckeln. Die alten, aus venetianischer Zeit stammenden Stützmauern aber, welche das Städtchen ins Meer hinabsendet, damit der Wogenprall der durch Borastürme aufgeregten See seinen Grund nicht unterspüle, sind heute noch von Wichtigkeit für den steil am Ufergebirge klebenden Ort. Auf einer gleichen, sich aus der Ferne viaduktähnlich ansehenden Schutzbaute ruht der schöne Dom von Pirano. Sankt Georg, der auf dem Turme desselben steht, ist ein wetterwendischer Heiliger, der seinen Mantel nach dem Winde dreht und heute, da ein leichter Levante über die See strich, gegen Grado hinübersah, als wollte er Sant' Eufemia drüben grüßen. Man fährt von Triest aus in anderthalb Stunden nach Pirano, das von den Terrassen eines steilen Vorgebirges die Adria nach drei Richtungen überblickt. Altersgraue Kastellmauern, an welchen Reben und Olivengesträuch emporwuchert, überragen es malerisch. Malerisch! Das sind die Küstenstädte Istriens alle. In ihren geborstenen Festungsmauern liegt das Kriegselend einer großen Vergangenheit und das Stillleben der trostlosen Gegenwart ausgestellt. Wie die kriechenden Lianen den Verfall der alten Schutzwehr, so deckt ein sorgloses Volksleben den Mangel einer modernen Geschichte zu. Als Venedig blühte, und die Herrin der Adria war, da hatten auch diese Vasallenstädte eine goldene Zeit, und so erinnert denn, was darinnen an Gebäuden irgendwie von Bedeutung ist, an die versunkene, venetianische Herrlichkeit; Rathaus und Dom tragen die Wappen Venedigs; allein »Es wirft nur Schatten her aus alten Tagen, Es liegt der Leu der Republik erschlagen.« Eine lebendige Berühmtheit haben aber diese istrianischen Städte doch und besonders auch Pirano, schöne Frauen. Glücklicherweise braucht man nicht die engen, halsbrecherischen Gassen, die sich von der Höhe zum Meer hinunterziehen, empor zu klettern, um die hübschen Mädchen Piranos zu sehen; denn zweimal im Tag, um neun Uhr, wenn der Küstendampfer von Triest, und um drei Uhr, wenn derjenige von Pola im Hafen anlegt, eilt, wer immer im Städtchen Zeit hat, auf den Molo. Das ist der Korso der istrianischen Kleinstädter. Schöne Frauenbilder, die Zenda, ein schwarzes Kopftuch mit reicher Spitzengarnitur, malerisch ums Hinterhaupt geschlagen und um die Schultern gewunden, ergehen sich auf demselben sich selbst zur Freude und den andern zur Augenweide. Es sind darunter Madonnengesichter, so rein und schön, wie diejenigen in den goldenen Rahmen der Pinakotheken; aber ich habe neben diesen auch andere wandeln sehen, wo die Not, das Elend, die Leidenschaft tiefe und unschöne Linien in ihr Antlitz gegraben hat. Die Hafenszene, die sich nach der Ankunft eines Schiffes in einer istrianischen Küstenstadt entwickelt, dieses laute, geschäftige Treiben hat für einen Fremden so viel Reiz, daß ihm die Viertelstunde, welche über dem Ein- und Ausladen der Waren verstreicht, rasch vorübergeht, besonders wenn er sich von einem italienischen Barfüßele den »~vino nostrale~«, den schwarzen, feurigen Landwein, kredenzen läßt. Mein genügsamer inländischer Gesellschafter nahm bescheiden mit der »~acqua fresca~«, vorlieb, das eine stämmige kroatische Bäuerin aus zwei Kübeln servierte, die sie an einem Holzbogen über der Schulter trug; andere knackten zur Kurzweil die »~bianche, belle noci~« eines aus Leibeskräften schreienden Jungen. Die Fracht der istrianischen Küstenfahrer besteht zumeist aus vollen oder leeren Weinfässern, die oft den Platz auf dem Verdeck derart beschränken, daß der Reisende froh sein muß, wenn er innerhalb dieser Faßbarrikaden ein halbwegs bequemes Plätzchen für sich selber findet. Daneben bilden Kübel und Kisten, in welche frische oder »~à la mode de Nantes~« zubereitete Sardellen verpackt sind, einen Haupttransport. Die kleinen Fische, deren Züge im Becken des Mittelmeeres für die fehlenden Häringe einigen Ersatz bieten, werden in der Adria zu Millionen und Millionen gefangen und in den Sardellenfabriken von Barcola, Isola, Rovigno zum Versand zubereitet. Um die äußerste Westspitze von Istrien, die Punta Salvore, zu erreichen, durchquert das Schiff die Bucht von Sicciolo. In ihrem Hintergrund liegen zu Füßen einer schroffen Küste die Salzgärten von Pirano, die durch eine Reihe weißer, schimmernder Sudhäuser angedeutet sind. Die ganze Anlage bedeckt einen Raum von 600 Hektaren und hat über 7000 Salzgärten, die jährlich eine halbe Million Meterzentner dieses Minerals liefern. Man läßt das Meerwasser in größere Becken strömen, wo ein Teil desselben innerhalb einiger Tage verdunstet. Die derart erhaltene Sole wird durch ein Schleusensystem in die Salzkammern geführt. Da schlägt sich unter dem Einfluß des Sonnenscheins das Salz, das nachher in den Sudhäusern noch einem letzten Trocknungsprozeß unterworfen wird, als weiße Kruste nieder. An der Punta Salvore steht ein Leuchtturm, ein prächtiger Bau, und hinter ihm liegt, soweit das Auge schweift, eine klippige, flache Küste, über welche das mattglänzende Laub endloser Ölwälder flimmert. »Sie kennen wohl die Geschichte des Kaisers Barbarossa?« sagte mein Gefährte. »Des Hohenstaufen, der so viel in den italienischen Landen gekämpft hat«, antwortete ich zum Zeichen meines Verständnisses. »Ich kann Ihnen mehr sagen«, erwiderte er; »er hat an der Punta Salvore gekämpft, hat da eine Schlacht verloren und einen Sohn dazu.« »An wen?« »An den Dogen zu Venedig.« »Wann?« »Es ist so lange her, daß es wohl niemand mehr weiß.« Ich erfuhr nachträglich, daß es am Himmelfahrtstag 1176 war, als der Hohenstaufe Otto, an dessen Seite auch die Genuesen und Pisaner gekämpft, nach unglücklicher Schlacht in die Hand des Dogen Ziani fiel. »Etwas anderes kann ich Ihnen auch noch sagen, junger Herr«, nahm mein Gesellschafter nach einigem Stillschweigen das Wort wieder auf. »An der Punta Salvore ist schon manches Weib eine Witwe geworden. Ich habe es selbst mitangesehen, daß im Süden des Kaps die See so ruhig lag wie ein schlafendes Kind und -- ~maladetta~ -- im Norden, da hat das Meer gestürmt, ich sage nichts; aber ein Schiff ist bald hin. Wer den Hafen von Pirano nicht erreichen kann, der sehe, wo er sich birgt. An allem ist die Bora schuld, deren Macht sich hier an der Punta Salvore bricht. Jenseits hat sie keine Gewalt mehr.« Heute lag die blaue Adria so wonnig, sonnig da, als könnte sie niemandem, selbst keinem armen, braunen Fischerknaben ein Leid antun. Aus ihrem Spiegel schnellten die spielenden Delphine empor und verfolgten sich und tummelten sich wie die jungen Menschenkinder im Haschespiel. Die letzten Alpengipfel, die bis dahin ins Meer hinaus geleuchtet, waren im Dunst des nördlichen Horizonts dem Auge entschwunden, und der schmale Küstenstreifen, der dem Blick noch blieb, war ein Nichts gegen das weite, wunderschöne Blau des Meeres, über das fernher die weißen Segel einiger Fischerflotillen wie gewaltige Vogelschwingen schimmerten. Die Fahrt von der Punta Salvore gegen Süden ist einförmig. Die flache Küste mit ihren verwaschenen Klippen und dem rauhen Karstgrund tritt mehr und mehr gegen Osten zurück, sendet aber von Ort zu Ort wieder eine felsige Landzunge in die See. Die Buchten zwischen diesem flachen Vorgebirge sind so tief, daß dort kein Schiff ankern könnte, obwohl die Adria im Bereiche der istrianischen Küste nur eine Tiefe von 36--40 Metern, also nicht einmal diejenige der meisten Alpenseen, aufweist. Nach einstündiger Fahrt von Pirano erreichten wir etwas vor zehn Uhr Umago, ein kleines Städtchen mit einem geräumigen Hafen, von welchem aus ein ziemlich lebhafter Holzhandel nach Venedig getrieben wird. Es ließe sich von Umago gar manches aus allerlei Nöten erzählen, von Krieg und Pest, von Wassersnot und Erdbeben, insbesondere auch von einer Bodensenkung, welche einen Teil des Städtchens in die Wellen begrub, wo man an klaren Tagen jetzt noch die Mauerreste sieht. Hübscher als das Städtchen selber ist die Landschaft, aus deren Olivenhainen, Eichenwäldchen und Gärten halbe versteckte Landhäuser und Villen istrianischer Vornehmer herübergrüßen. Unser Schiff legte weder in Umago noch in Citta nuova, das wie dieses nach einer langen Lebensgeschichte eine stille Gegenwart fristet, im Hafen an, sondern ließ sich die Passagiere im Fischerboot herüberbringen. Hier verlor ich meinen bisherigen Gesellschafter. »Grüßen Sie mir Rovigno und tragen Sie ein freundliches Bild von Istrien mit sich fort!« Mit diesen Worten bot er mir die Hand zum Abschied, und noch vom Kahne aus rief er mir ein herzliches »~Buon viaggio!~« nach. Unterhalb Citta nuova, das keineswegs, wie sein Name zu bedeuten scheint, eine »neue Stadt«, sondern eine uralte ist, die allerdings, nachdem sie türkische Seeräuber im Jahr 1687 in Asche legten, nur eine bescheidene Auferstehung erlebte, liegt die weite Mündungsbucht des Quieto, des größten istrianischen Stromes. Die alten Schriftsteller sollen ihn für die Fortsetzung des Isters, wie damals die Donau hieß, gehalten und selbst so genannt haben. Dadurch erkläre sich der Landesname »Istrien«, der also das Umgelände des Quieto bedeuten würde. Allein lassen wir die etymologische Untersuchung ruhen und uns dafür vom Küchenjungen, der zugleich Kellner und Oberkellner des kleinen Dampfers ist, einen ~mezzo-litro~ schenken. Während der schmächtige Bursche den Blechhumpen füllt, schielen seine schwarzen Augen schon nach dem Trinkgeld; aber er serviert mit einer Grazie, als wäre er Angestellter des Hotel de Ville in Triest, und hat er erst sein Trinkgeld, so läßt er sich's nicht nehmen, sich als ein Mann von Welt zu dokumentieren. Er spricht von Athen oder Neapel so gelassen, wie ein Landknabe seines Alters -- er ist zwölfjährig -- vom Krautgarten des Nachbars. »Was sagen Sie zu unserm Wein?« »Er ist vorzüglich.« »Sie werden auf keinem Schiff einen bessern trinken.« Er sprach mit solchem Ernst, daß man nicht wußte, war er mehr Schlingel oder Gentleman. »Der Herr ist ein Deutscher?« fuhr er fort. »Zu dienen.« »Sie werden bald ein gutes Italienisch sprechen, aber ich ein schlechtes Deutsch. Ich kenne noch keine zwanzig Worte.« »Sie wünschen es zu lernen?« »Mein Gott -- mein Handel würde florieren! -- wer kauft lieber die schönen Muscheln und die herrlichen Antiquitäten, als die Deutschen!« Er eilte in seine Kabine und holte eine Kiste mit Konchylien und kleinen Altertümern. »Sehen Sie diesen Mark Aurel!« Er betrachtete das Stück mit dem Blicke eines Numatikers von Fach. »Zwei Gulden, mein Herr! Sie finden den Preis wohl nicht zu hoch?« »Man kauft in Aquileja zehn Stück für einen halben Gulden.« »Sie entschuldigen, wenn das wahr ist, bin ich ein ruinierter Mann.« In diesem Augenblicke wurde er gerufen -- ich ließ mir den Wein schmecken. »~Un uom' rovinato~« und ein Schiffsjunge von zwölf Jahren. Umsonst suchte ich es mir zusammenzureimen. Als ich eben wieder einen Schluck zu tieferer Ergründung des Gedankens aus meinem Blechbecher tun wollte, waren wir in Parenzo, und ich sagte seinem alten Dom Grüß Gott! Die Stadt gefiel mir ausnehmend, und ich hätte ihr bald eine Standrede gehalten. »Parenzo«, hätte ich gesagt, »du bist ein grünes Reis auf dem alten Stamm, der Parentium hieß und eine römische Kolonie war. Es ist dir wenig geblieben von der alten Herrlichkeit: zwei Säulenstümpfe und ein Pfeiler auf dem Platze Marafor; das andere liegt drunten im Meer, und die Krabben kriechen drüber hin. Manche deiner Schwesterstädte stehen zwar malerisch auf einem Vorgebirge, du auf einer flachen Landzunge; aber du hast, was jene nicht haben, einige moderne Bauten. Ich ziehe meinen Touristenhut ab vor deinem Dom, der dreizehn und ein halbes Jahrhundert an sich vorübergehen sah. Allein wäre er nicht von Stein gewesen, dann hätte er wohl in Jammer und Elend gewankt, als vor fünfhundert Jahren die Pest deine Kinder, junge und alte, zu Tausenden würgte und die letzten Dreihundert knierutschend zu deiner Schutzheiligen flehten: Heilige Eufrasia, schone uns! Die Heilige tat ein Einsehen; sie schonte die Dreihundert, und heute sind's wieder fast dreitausend. Sie bauen Schiffe, sie verkaufen Wein und Holz, sie schleppen die Netze, ein Bischof segnet ihre Arbeit, und nie ist's schöner bei dir zu wohnen, als wenn die dreiunddreißig Landräte von Istrien durch deine Gassen wimmeln und dem Wohle des Landes nicht schaden. Fürwahr, du bist nicht die Kleinste von Istrien!« Da rollten die Matrosen eben wieder eine Partie der unvermeidlichen Weinfässer ins Schiff; ich mußte meine Füße in Sicherheit bringen und brach den stummen Sermon ab, ohne dem Schönsten an Parenzo gerecht geworden zu sein, dem vor der Stadt liegenden wunderhübschen Eiland San Nicola. Es ist eine südliche Ufenau! Es stehen zwar keine Fruchtbäume darauf, aber viel helles Oliven- und dunkles Lorbeergesträuch; kein Kirchlein grüßt vom Fels, aber ein halbzerfallener Turm; kein Ulrich von Hutten hat darauf sein einsames Grab, aber wer weiß, ob die Lorbeeren von San Nicola nicht über einem toten Helden rauschen? Unser Schraubendämpferchen zischte wieder; ade Parenzo! ade San Nicola! Ist die felsige, flache Küste von Cap Salvore bis Parenzo reizlos, so entschädigt, wenn man das grüne Eiland im Süden umfahren hat, die entzückende Fahrt durch den Scoglienarchipel den Touristen vollauf! »Eine Schweiz im Wasser!« Ich kann nicht mehr sagen, welcher Reiseschriftsteller diese Bezeichnung für das liebliche Wirrsal kleiner Inseln aufgebracht hat. Der seltsame Reiz, den diese Felseneilande auf das Auge üben, kann allerdings mit demjenigen einer schönen Schweizerlandschaft verglichen werden; aber Schweizerisches ist nichts daran. »Ein Karst im Wasser!« Damit hätte man wenigstens die geologische Eigenart dieser Inseln charakterisiert; aber Karst sind nur die furchtbar verwaschenen Felsenfundamente, die malerischen Riffe und Wellenbrecher, die sie der hereinflutenden See entgegenstellen. Die Rasendecke dagegen, die bald wie ein Teppich und bald nur wie ein Häubchen die Scoglien deckt, die malerischen Baumgruppen, die kleinen Fischerhäuser sind zu anmutig, als daß man sie in eine Karstlandschaft einfügen dürfte; sie sind mit der blauen Flut und dem öden Fels ein einzig schönes Meeridyll. Den großen Meerschiffen sind die Scoglien verschlossen, und selbst das kleine Küstenschiff krümmt und windet sich mit Mühe durch die Kanäle, welche den Archipel labyrinthisch durchziehen, bald sich zum Engpaß schließen, bald zum freundlichen Bild eines Binnensees ausweiten, hier den Blick auf ein kleines Landschaftsbild begrenzen und dort dem Auge den Durchblick auf das ruhig-große Meer erschließen. Wenn aber die See rast, und die sturmgepeitschten Wogen an den Scoglien zerschellen, dann mag die stille Schönheit dieser Inseln einem furchtbaren Bilde weichen. Darum wächst auf diesen Felseneilanden ein Lotsengeschlecht, dessen Ruhm an der Adria kein anderes verdunkelt. Der Lotse zur See, der Führer im Hochgebirge, sie beide stehen im Dienste des Lebens anderer, und manch einer, dessen Name in der großen Welt mächtig widerhallt, wäre kaum würdig, diesen schlichten Helden, von denen man wenig singt und sagt, auch nur die Schuhriemen zu lösen! Da, wo sich die kleinen Inseln am dichtesten drängen, hängt das Städtchen Orsera an steiler Küstenhöhe. Nicht gar fern davon schneidet eine schmale Felsenbucht tief ins Land. Es ist der Canale di Leme, ein in den Süden versetzter norwegischer Fjord. Nun sieh dort das Heiligenbild, das hoch vom fernen Campanile glitzert und glänzt! Das ist Sant' Eufemia im Strahlenkranz, die Schutzheilige von Rovigno, der Stadt, die ich grüßen soll, und ich grüße sie gern; denn ein Hauch südlicher Romantik webt über ihr und ihrem gewaltigen Dom, der, auf dem Vorgebirge stehend, all die Profanhäuser der Stadt, wie eine Henne die Küchlein, um sich sammelt. Ein Rätsel ist mir nicht gelöst worden, nämlich warum die Rovignesen vor anderthalbhundert Jahren ihren alten Schutzpatron, den heiligen Georg, der doch als wackerer Kriegsmann während mehr als einem Jahrtausend die Stadt vor Sarazeneneinfall, Ungarwut und Pest gehütet, als Schutzpatron abgesetzt und sich unter den Schirm einer Heiligen gestellt haben. Ich vermutete indes, daß es als eine Huldigung an die schönen Frauen Rovignos geschah, die sich so seltsam und reizend zu kleiden verstehen. Welche unserer Damen weiß, was eine »Vestura« ist? Ein leichter, luftiger Überwurf, der wie eine rückwärts gebundene Schürze empor gezogen wird und, ähnlich wie ein venetianischer Schleier über Scheitel und Oberkörper gewunden, Antlitz und Büste duftig schmückt. Es war schon Nachmittag, als unser Schiff an der hübschen Insel San Catterina vorbei, welche sich als ein natürlicher Wellenbrecher vor dem Hafen Rovignos lagert, in die südlichen Scoglien steuerte. Sie sind größer und vegetationsreicher als die nördlichen, und bergen hie und da unter dem Schutze eines kleinen Hügels an blauer Meerbucht ein schimmerndes Fischerdörfchen. Ja selbst die Rauchwolken aus dem Schlote einer Zementfabrik ziehen über die Olivenwäldchen von Sant' Andrea, einer größern Insel in der Nähe Rovignos. Allein sie stören den märchenträumenden Frieden des stillen Meergeländes nur einen Augenblick; denn »Aus des Meeres tiefem, tiefem Grunde Klingen Abendglocken dumpf und matt, Uns zu geben wunderbare Kunde Von der schönen, alten Stadt. In der Fluten Schoß hinabgesunken Blieben ihre Trümmer stehn: Ihre Zinnen lassen goldne Funken Wiederscheinend auf dem Spiegel sehn.« So meldet eine Schiffersage auf San Giovanni, und das Merkwürdigste daran ist der Umstand, daß einige von den Inselnbewohnern vorgewiesene Funde ihr einen realen Hintergrund zu geben scheinen. Sodom, Gomorrha, Stavoren, Vineta, und hier eine schicksalsverwandte Stadt, deren Name selbst vergangen ist! Es mag merkwürdig zugehen, wenn am jüngsten Tage das Meer seine Toten ausspeit! Ich beugte mich über den Rand des Schiffes, um nach den versunkenen Türmen und Dächern zu spähen. Eine Qualle, die wie eine zierliche Hängelampe mit ausgespanntem Schirm durch die Meerflut zog, wollte mir dazu leuchten; allein das Schiff fuhr vorbei, die schöne Meerampel verschwand, und es ging mir, wie es vielen schon gegangen -- ich habe das istrianische Vineta nicht gesehen. Südlich vom Scoglienarchipel sticht das Fahrzeug in den Kanal von Fasana, der sich wie ein breiter, ruhiger Strom zwischen den Klippen des Festlandes und dem grünen Teppich der brionischen Inseln durchwindet. Um drei Uhr erreichten wir die kleine Stadt, deren Name sich auf den Meeresarm übertragen hat, und sahen auch Perri, die bocchesisch-montenegrinische Kolonie, die rings umgeben von istrianischen Volkselementen den heimatlichen Typus fast unversehrt behalten hat. Bald sind wir in Pola. Dort auf der größten der Inseln, auf der Brion grande dräut von der höchsten Hügelkuppe das erste Festungswerk. Es führt den ehrenvollen Namen Tegethoffs, des Siegers von Lissa, der sich ruhmbedeckt in die Kriegsgeschichte von 1866 eingetragen hat; denn hier am Kanal von Fasana hat der kühne Admiral sein Geschwader, für dessen Kriegstüchtigkeit ganz Österreich bangte, gesammelt und es von hier aus zur heißen Seeschlacht bei der dalmatinischen Insel geführt. An dem Eiland San Girolomo vorbei kamen wir in die Bucht von Pola. Sie könnte mit der blauen, ruhsamen Flut, den grünen Hügeln, welche sie umkränzen, ein idyllisches Meerbild genannt werden, schaute nicht von den Uferhöhen Fort an Fort auf den stillen Golf und blickten nicht hundert Mündungen blanker Stahlgeschosse aus den engen Schießscharten der Festungsrondellen auf den Wasserspiegel, die das Friedensbild zum furchtbaren Festungsrayon verwandeln. Die Bucht weitet sich birnenförmig aus. In ihrem Hintergrund liegt der von Barken belebte Handelshafen von Pola und südöstlich, durch die Oliveninsel und ein anderes kleines Eiland abgeschlossen, der eigentliche Kriegshafen, wo die abgetäuten Panzerschiffe schwimmen. Die Stadt lagert sich staffelartig um einen zwischen den Häfen vorspringenden Hügel. Das Erste, was der Reisende von Pola erblickt, ist die Kolossalruine des römischen Amphitheaters, das den Sturm fast zweier Jahrtausende überdauert hat. Ernst und beschaulich sieht es auf den Golf, wo sich eine moderne Großmacht mit ihrer Seewehr brüstet. [Illustration] [Illustration] Im Kriegshafen von Österreich-Ungarn. Vor undenklichen Zeiten fuhren im fernen Osten, wo die ersten Menschen gewachsen sind, zwei Fischer in ihren Einbäumen auf eine Meerbucht hinaus. Der eine machte einen guten Fang; die Netze des andern blieben leer. Da wurde dieser neidisch und zornmütig. Es entstand ein Streit, und der Stärkere schlug den Schwächern tot. Das war der erste Seekrieg! Man weiß nicht, wann die Kunst, Menschen auf dem Meere totzuschlagen, in den Westen gewandert ist. Den Kampf im Einbaum hat man schon lange aufgegeben. Die aufstrebenden, schaffensfreudigen Völker Europas haben jetzt andere Kriegswerkzeuge zur See: Panzer, Torpedos und gezogene Kanonen. Ein Einbaum und ein modernes Kriegsschiff gleichen sich wenig; aber heute noch wird der Stärkere über den Schwächern Meister. Darum will jedes Volk stark sein. Es läßt zu diesem Zwecke die Künste, die Wissenschaften darben; es legt die Nerven der Industrie lahm; es opfert den Segen des Landbaues; es unterbindet den Handel; es begräbt das Nationalvermögen in Festungen, Kasernen, Panzerschiffe und wirft die Blüte der Männer hinein. Das ist der moderne Militarismus! Wo ein Reich ein schönes Stück Nationalvermögen hingegeben an den angenehmen Gedanken, stark zu sein, stand ich jetzt, am Kriegshafen der österreichisch-ungarischen Monarchie, am Quai von Pola, und dachte an die Leberknödel meiner lieben Wirtin zu Monfalcone. Ich will es nur gestehen, daß mir im frischen Hauch der Meerluft ein gutes Beefsteak, ein Nierenbraten, eine Ganskeule oder ein Presciutto stets als besonders begehrenswerte Dinge vorgekommen sind. In Pola bekam ich für Geld und gute Worte etwas Lämmernes, und es wurde mir davon sehr friedlich zu Mute. Allein nun galt's, den Tag noch auszunutzen! Nachdem ich in einem Hotel ein Zimmer bestellt, stand ich etwas vor vier Uhr am Eingangstor zu den Werkstätten des k. k. See-Arsenals. Sie ziehen sich in der Länge eines Kilometers am südlichen Ufer der Bucht von Pola hin, während die Etablissemente für den Schiffsbau und die Docks den Scoglio olivi, eine der Stadt zu Füßen liegende Insel, bedecken. Nirgends findet der Fremde ein freundlicheres Entgegenkommen als in Österreich. Die einfache Visitenkarte öffnet ihm, sofern nicht Glieder des Herrscherhauses selber da sind, die kaiserlichen Schlösser; sie genügt auch, um Eintritt ins Seearsenal zu erlangen. Als Führer wurde mir ein junger, hübscher Mann in Unteroffizierstenue vorgestellt, und ich war angenehm überrascht, statt des langweilig pathetischen Erklärungstones der italienischen Ciceroni ein gemütliches Grazerdeutsch zu hören. So wanderten wir denn. Schon im Waffensaal, wo die großen Geschütze in Reih und Glied stehen, die Bomben und Granaten zu Tausenden kunstreich geschichtet auf ihren Lagern liegen, wird dem Laien ganz kriegsandächtig zu Mute. Allein erst im Marine-Museum, wo alle die verschiedenen Dinge, die zur Flotte und ihrer Geschichte eine Beziehung haben, in einer Flucht von Gemächern aufgestapelt liegen, offenbart sich ihm vom Schlachtenhandwerk zur See ein Stück intimen Lebens. Besonders fesselnd ist die Menge zierlicher Schiffsmodelle, die eigentliche Kunstwerke der Kleintechnik sind. Sie gewähren in ihrer Gesamtheit ein lehrreiches Bild von jenem gewaltigen Umschwunge, der sich in den letzten dreißig Jahren im Marinewesen vollzogen hat. An manch eines der ältern ließe sich eine fesselnde Schiffsgeschichte knüpfen. Viele Schiffe, deren Modelle hier noch ein lebhaftes Interesse erregen, stehen entmastet, zu einem Warenlager oder Pulvermagazin erniedrigt irgendwo im letzten Hafen oder fahren, von der Verwaltung ausrangiert, neu aufgeputzt und neu bewimpelt, unter der Flagge irgend einer halbzivilisierten Macht, die den Marinesport der europäischen Nationen nachahmen will. Auch ein Schiff hat sein Schicksal. Vielleicht keines ein traurigeres als die »Maria Anna«, einer der schönsten Kriegsdampfer. Zwischen Triest und Venedig kreuzend, verschwand sie mit ihrer Mannschaft an einem stürmischen Märztage des Jahres 1852, ohne daß es je gelungen wäre, Bestimmtes über ihren Untergang zu erfahren. Was immer die österreich-ungarische Flotte auf ihren Kreuz- und Querzügen durch die Meere an nautischen Gegenständen von fremden Küsten hergetragen, indianische Canoes und figurenbedeckte asiatische Fahrzeuge, das liegt hier aufbewahrt. An den Wänden und in Schreinen hangen die Trophäen aus den Seetreffen älterer und neuerer Zeit, die blauweiße Flagge, die Don Juan von Österreich in der Schlacht von Lepanto im Jahre 1571 auf seinem Admiralschiff führte, und zahlreiche tunesische, marokkanische und egyptische Wimpel aus den Jahren 1829 und 1830. Mit besonderer Sorgfalt sind die Trophäen aus der Seeschlacht von Lissa und mannigfache Erinnerungszeichen an Admiral Tegethoff, Uniformen, Feldzeichen, Orden, Lorbeerkränze aufbewahrt worden. Sie mahnen aus ihren Glasschränken heraus an jene blutig bewegten Tage, da Österreich unter dem furchtbaren Eindruck der Niederlage von Königgrätz, trotzdem es in jenem Doppelkrieg sich Italien gegenüber zu Land und zur See siegreich behauptet hatte, das reiche Venetien durch die Vermittlung Napoleons ~III.~ dem ~re galant' uomo~ hingab. Nun traten wir in die Artilleriewerkstätten, wo ein Arbeiterbataillon hämmert und feilt, hobelt und bohrt, poliert und dreht. Was bereiten denn diese hundert und hundert emsigen Gesellen, diese rollenden Maschinen? Was wird aus den hochgeschichteten Stößen von Erz, was aus den brodelnden Metallmassen, die aus den Öfen zischend in die Formen schießen? Waffen; allein wo das Torpedo, die furchtbarste Wehr zur See, bereitet wird, da führt man keinen Uneingeweihten hin. Wer sich nicht ganz vom Militärevangelium der Gegenwart den Verstand hat berauschen lassen, hat ohnehin genug gesehen. Ein Protest gegen den Krieg, die vom Staat und dem Patriotismus geheiligte, von den Dichtern verherrlichte, große Menschenschlächterei geht an diesem Orte, wo ohne Unterlaß die Werkzeuge zum Massenmord bereitet werden, durch seine Seele. Doch sieh, da sind wir ja aus dem sinnbetäubenden Rasseln und Dröhnen der rußigen Werkstätten in ein friedliches Asyl, in eine große Schneiderwerkstätte gekommen. Das ist der Saal der Segelmacher, wo man den schweren Kriegsdampfern die leichten Schwingen zurechtschneidet, für die hochragenden Masten die rot-weiß-rot gestreiften Kriegs- und für den Manövrierdienst die verschiedenfarbigen Signalflaggen zusammensetzt. Man könnte bei dem Anblick der vielen farbigen Tücher, der bunten Nationalbanner aller Seemächte, fast auf den Gedanken kommen, daß hier die Kostüme für eine große Maskerade oder die Wimpel für ein Fest vorbereitet werden. Es ist aber alles blutiger Ernst! Am chemischen Laboratorium vorbei, wo man die Sprenggeschosse füllt, kommen wir ins Aus- und Abrüstungsmagazin, in dessen Kammern jene unzähligen Gegenstände in Depot liegen, deren ein Schiff, um segelfertig zu werden, bedarf. Hier liegt auch jenes Boot aufbewahrt, in welchem die Nordpolfahrer Weyprecht und Payer mit ihren Gefährten im Jahre 1874 nach zweijährigem Aufenthalt im äußersten Norden den schwierigen Rückzug nach Novaja Semlja ausführten, als das Expeditionsschiff »Tegethoff« in eine Eisscholle eingefroren unrettbar nach Norden trieb. Sechsundneunzig Tage brachte die Mannschaft mit ihren braven Führern, die das Franz-Josephs-Land entdeckt, in dem kleinen Fahrzeuge zu, bis die immer südwärts Steuernden an der Küste von Novaja Semlja einen russischen Schooner entdeckten, der sie in den Hafen Vardóe in Schweden brachte. Ein Blick noch auf die gewaltigen Vorräte von Mastenholz, jene geschundenen Riesentannen des Alpenwaldes, die sich auf dem Meer in Heimweh härmen, ein Blick noch auf die Bootswerfte, wo die kleinern Schiffe gebaut werden, und wir wanderten längs des im Abendschein vergoldeten Meeres allmählich zurück, hier rasch ins Ketten- und Ankermagazin tretend, dort das Bootsmagazin musternd, wo eine Menge kleinerer Fahrzeuge über und nebeneinander aufgeschichtet liegen, bis zu dem gewaltigen Scherenkrahn, der von anständiger Kirchturmshöhe ist und Lasten von über tausend Zentnern Gewicht auf die Kriegsschiffe überträgt. Nicht weit davon ist die gewaltige Kesselschmiede und der Maschinensaal mit einem Anhang weitläufiger Nebenwerkstätten. Die Uhrenfabrikation und der Schiffsbau bezeichnen zwei Pole der Industrie. Dort müht sich der Arbeiter mit der Loupe an dem kleinsten, hier mit dem dampfgetriebenen Krahne an dem größten mechanisch Darstellbaren. Hier geht alles ins Kolossale. Der Arbeiter ist im Vergleich zu den Maschinen, an denen er hantiert, eine Ameise, während die Hämmer, welche die Panzerplatten schmieden, die Werkzeuge von Kyklopen zu sein scheinen. Staunend schaut der Fremde eine Weile in das tosende, riesenhafte Getriebe; dann wendet er sich gern wieder ab. Es liegt etwas Übermenschliches, an den Vulkanmythus Mahnendes, etwas Beängstigendes in diesen donnernden, sausenden, singenden und ächzenden Kolossalmaschinen. Ich atmete auf, als ich wieder draußen auf der Hafenstraße von Pola stand. Sie war reich belebt von spazierenden Militärs. Ich ließ mich ohne Rast zum Scoglio olivi hinüberstoßen, wo in zwei weiten eisernen Hallen die Werften für den Kriegsschiffbau liegen. Ein Kriegsschiff war nicht im Baue; hingegen lag auf einem der beiden Trockendocks ein Panzerschiff in Reparatur und glich, wie es da außer Wasser stand, einem gestrandeten Walfisch. Der augenfällige Unterschied zwischen einem Handels- und einem Kriegsschiff besteht darin, daß die schwimmende Festung statt der vielen Kajütenfenster nur eine Reihe viereckiger Öffnungen zeigt, durch die ebenso viele Kanonenmündungen blitzen, und daß auf dem Deck ein oder zwei drehbare Panzertürme, runden Kesseln nicht unähnlich, mit Schießlucken stehen. Wirklich schwer gepanzert ist es nur etwa zwei Meter über und unter der Wasserlinie und da, wo die Werke zum Drehen der Türme stehen. Das Balancedock ist ein ungeheurer Kasten, der wie ein Schiff auf dem Meere schwimmt, aber durch Einpumpen von Wasser derart versenkt werden kann, daß das größte Kriegsschiff zwischen seinen Seitenwänden einfahren kann, worauf das Schiff durch das Auspumpen des Wassers im Dock ins Trockene gehoben wird. Nicht minder merkwürdig ist der »Zyklop«, ein Werkstättenschiff, welches die Arbeitsräume und Maschinen für die Reparatur der Marineboote enthält. Es ist ein schwimmendes Arsenal, welches ein in die See stechendes Geschwader begleiten kann. Der Tag ging zur Neige, als ich meinen Gang durch das Arsenal beendet hatte. Um von dem Städtchen noch etwas zu sehen, verzichtete ich auf eine Kahnfahrt nach dem Kriegshafen, wie sie mir mein Führer vorgeschlagen hatte; ich begnügte mich, den grauen, stählernen Ungeheuern mit den Kanonenmündungen von ferne meine Reverenz zu erweisen. Während mich der Führer zurückruderte, genoß ich den reizenden Anblick des sich an den südlichen Hügelstufen emporbauenden Stadtbildes von Pola. Der Ort selber ist uralt; denn unter dem Namen Pietas Julia blühte hier eine römische Kolonie, und im Mittelalter beherrschten von hier aus die Markgrafen von Istrien ihr Land; aber in gewissem Sinne ist es doch der Benjamin der istrianischen Städte. Nachdem es im 13. und 14. Jahrhundert bald von den Venetianern, bald von den Genuesen verwüstet und im 17. von der Pest entvölkert worden war, so daß es kaum mehr ein halbes Tausend Einwohner zählte, ist es erst durch Anlage des Kriegshafens und zum großen Teil auf Kosten der istrianischen Schwesterstädte wieder ein Gemeinwesen von einiger Bedeutung geworden und zählt gegenwärtig etwas über 10000 Einwohner. Seine Geschichte bringt es mit sich, daß sich in der Stadt Altes und Neues aufs wunderlichste mischen, daß fast an jedem Plätzchen eine alte Historie klebt. Hier sollen Jason und Medea auf ihrer Flucht vor den Kolchiern gerastet, dort die schöne Cenide mit dem jugendlichen Vespasian einen erotischen Roman durchlebt haben; am dritten Ort zeigt man die Stelle, wo am Charfreitag 1271 die Familie der Sergier, die als erbliche Generalkapitäne die Stadt verwalteten, vom Volke meuchelmörderisch niedergemacht worden ist. Vielleicht die interessanteste dieser Erinnerungen aber hat der Ort da, wo jetzt mit leuchtender Front die Infanteriekaserne auf den Golf herniederschaut; denn hier stand im Altertum ein Venustempel, im Mittelalter ein Nonnenkloster, jetzt also eine Militäranstalt. »Und aber nach fünfhundert Jahren, Als ich desselbigen Wegs gefahren« -- -- -- Kann man sich eine lebendigere Illustration zur Sage von »Chidher, dem Ewigjungen«, denken? Auf einem Hügel oberhalb der Kaserne erhebt sich das alte venetianische Kastell, und nicht weit davon steht eines der sehenswertesten Altertümer: die zierliche Triumphpforte, welche Salvia Postumia ihrem Gemahl, dem Tribunen Servius Lucius, und dessen Verwandten errichtet hat. Das vollkommen freistehende, von einem prächtigen Rostton überzogene Denkmal gehört mit seinen paarweise geordneten korinthischen Säulen und dem stark vortretenden, von etwas Strauchwerk umwucherten Gesimse der besten Zeit römischer Baukunst an. Ebenso schön ist ein anderes ganz in den Häusern verstecktes römisches Denkmal: ein eleganter Tempel des Augustus und der Roma, ein wunderbar wohlerhaltener Bau, obgleich er unter den wechselnden Besitzern von Pola schon als Kirche und als Kornkammer gebraucht wurde. Noch liest man an dem Fries der von sechs korinthischen Säulen gebildeten Vorhalle die Widmungsinschrift »~Patri Patriæ~«, und die zierliche Ornamentik des Giebels hat durch den Verwitterungsvorgang von fast zwanzig Jahrhunderten -- der Tempel wurde im Jahre 8 gebaut -- nicht wesentlich gelitten. Neben diesem 13 Meter hohen Bau stand im Altertum ein anderes Heiligtum, der Tempel der Diana, von welchem aber nur die Rückseite auf uns gekommen ist; denn in seine Vorderseite hinein ist nicht ohne Geschick das Stadthaus von Pola, ein anmutiger Palast in maurisch-gotischem Stil, gebaut worden. Vor seiner Parterreloggia liegt der Hauptplatz von Pola, das antike Forum. Vom Triumphbogen der Sergier zieht sich die mit Kastanienbäumen besetzte Ringstraße um das Kastell her gegen den innersten Teil des Hafens und gegen das Amphitheater hinab. Dieses kann sich zwar an Größe mit demjenigen von Verona nicht messen; denn die Maßverhältnisse sind fast ein Drittel geringer als am »Haus Dietrichs von Bern«; immerhin beträgt die Länge seines Ovals 120, die Breite 96 Meter und sein Raum faßte über 20000 Personen. Von all den Arenen des Südens ist sie die einzige im Außenbau erhaltene, während man freilich, um ein Bild ihres ausgeplünderten Inneren zu gewinnen, das Bild des Amphitheaters an der Etsch zu Hülfe nehmen muß. Da die Arena, die von der alten römischen Gemeinde um das Jahr 200 zur Auslösung eines Gelübdes und zu Ehren der Kaiser Septimus Severus und Caracalla aufgeführt wurde, am Abhange eines Küstenhügels steht, so verkürzt sich der Bau von der Golfseite gegen hinten um die ganze Höhe der untersten Bogenreihe, während am zweiten Stockwerk die 72 Bogen recht schön zur Darstellung kommen. Über den viereckigen, fensterartigen Ausschnitten des dritten Stockwerkes krönt eine Steingalerie den 24 Meter hohen Bau, an welchem vier turmartige Anbauten eine besondere Eigentümlichkeit bilden. Als ich auf dem Hügel über dem Amphitheater stand, erhaschte ich eben noch die letzten Strahlen der scheidenden Sonne, die herrlich durch die öden Räume des gewaltigen Baues fluteten. Dann versank das purpurne Gestirn in der fernen See; die Dämmer woben über dem Hafenrund von Pola. Ich setzte mich auf den kurzen Rasen des Hügels, und im Anblick des dunkeln Ruinenkolosses sah ich, als hätten sich die Zeiten um mehr denn anderthalb Jahrtausende zurückgedreht, ein seltsam Bild. Römische Männer und Frauen schritten in Toga und Palla zu den vier Toren der Arena. Auf den Galerien plauderte viel müßiges Volk: Kriegsleute, Freigelassene und Sklaven, und unter Trompetenklängen kam von der Pietas Julia die Schar der Gladiatoren gezogen. Nun scholl auf zur Loge, wo im Purpurgewand mit müdem Lächeln der junge Kaiser saß: »~Ave Caesar, morituri te salutant!~« »Sei gegrüßt, Cäsar, die Todbereiten grüßen dich!« »Hie Hyplomachos, hie Thraker.« Nun ein erstes Scheingefecht, dann heller Schwertesklang! Der Thraker sinkt in die Kniee und hält um sein Leben bittend die Hand empor. Allein das Volk will Blut sehen. Der Hyplomachos gibt ihm unter dem wilden Jubel der Zuschauer den Todesstoß. Noch haben kaum die Angestellten den zuckenden Leichnam versenkt, »Da speit das doppelt geöffnete Haus Zwei Leoparden auf einmal aus.« Ich kam nicht weiter mit meinem Schiller ... »Guten Abend, mein Herr, darf ich Sie um etwas Feuer bitten?« sagte jemand im feinsten Deutsch zu mir. Ich schnellte aus meinen Träumen und von dem Rasenlager empor, und vor mir stand ein hagerer, fadenscheiniger Mensch. »Bitte, bedienen Sie sich.« Allein der Mann sah mich nur mit einer Art stummen Jammers an. »Gnädiger Herr«, sagte er dann, »um Gotteswillen, bezahlen Sie mir und meiner Frau ein Abendbrot; wir sind deutsche Schauspieler und heute sechs Stunden über das Land gewandert; aber gegessen haben wir nichts. Erst müssen wir spielen, dann können wir essen. -- Mein Gott, was ist das für ein Spielen, wenn man vor Hunger zusammenfällt!« »Wir wollen sehen«, sagte ich und ging mit dem armen Teufel gegen den Quai hinunter, als aus dem Schatten der Arena ein junges Weib hervortrat. »So haben wir uns nicht getäuscht«, sagte sie, auf uns zutretend; »der gnädige Herr will etwas für uns tun.« Meine Hand ergreifend, wollte sie dieselbe küssen. »Leutchen, aber wie kommen Sie denn überhaupt dazu, mich so zu überfallen?« fragte ich halb abwehrend, halb von den erwartungsvollen Gesichtern belustigt. »Verzeihen Sie, wir haben Sie an der Arena vorüber auf den Hügel steigen sehen, und ich sagte zu meinem Mann: »Dieser Herr wird uns helfen.« Sie haben so ein liebes, gütiges Gesicht. Da sind wir Ihnen gefolgt bis zur Höhe«, sprach das junge Weibchen schmeichelnd, aber noch ungewiß, ob mich all das rühren werde. Da die Leutchen mir wirklich mehr arm als gaunerhaft vorkamen und ich frei sein wollte, gab ich den beiden zu einem Abendbrot. Sie dankten überschwenglich und luden mich, ich weiß nicht mehr wohin, ein, ihr Spiel anzusehen. Ich hatte indes Neu-Pola, das sich um einen Hügel südlich vom Kastell lagert, einen Besuch zugedacht, und dazu war jetzt die rechte Zeit. Über den östlichen Höhen war der volle Mond aufgegangen, und die Nacht war so hell und klar, daß ich selbst meinen Bädeker, der übrigens von Pola wenig schreibt, ohne Mühe lesen konnte. So wanderte ich denn hinauf auf die höchste Kuppe zur Sternwarte, auf deren Terrasse das Monument des Admirals Tegethoff, ein prachtvoller Erzguß, steht, den Kaiser Franz Joseph im Jahre 1877 errichten ließ. »Tapfer kämpfend bei Helgoland, glorreich siegend bei Lissa, erwarb er unsterblichen Ruhm sich und Österreichs Seemacht« lautet die Inschrift auf dem Sockel des Denkmals, dessen Fuß mit vier allegorischen Figuren geschmückt ist. Wunderschön ist der Standort; denn da liegt nicht nur die Stadt selbst, sondern auch der Golf mit den Forts, die ihn umrahmen, und die See, die mondbeglänzte, lichtgesättigte, dem Beschauer zu Fuß. Dann führte mich der Weg hinab zu reizenden Baum- und Buschanlagen, wo im tiefsten Parkfrieden das Maximiliansmonument, eine zu jeder Seite mit drei Schiffsschnäbeln gezierte, schlanke Säule, steht, die von einer geflügelten, auf einer Kugel stehenden Viktoria bekrönt ist. Ich habe die Figur im ersten Augenblick für eine Fortuna gehalten, hat doch der unglückliche Kaiser von Mexiko mehr von der Macht der launenhaften, flüchtigen Göttin des Glückes als von der lorbeerspendenden des Sieges erfahren, zu deren Bildnis sich die mexikanische Kaisergeschichte wie eine bittere Satire ausnimmt. Nachdem ich Pola im Mondschein noch mehrmals durchstreift, ging ich ermüdet von der Triumphpforte der Sergier gegen den Quai hinunter. Da hörte ich aus einer Schenke die Stimme einer Sängerin. Sie sang das Lied: »Komm, flieh mit mir und sei mein Weib.« Ich hörte stillstehend zu, bis die Schlußworte »verdorben, gestorben« verklungen waren. Als eben eine Schar Seeleute dem Gesang händeklatschend ihren Beifall gab, trat ich ein. Es war der Schauspieler und sein Weib, die ich auf so seltsame Art bei der Arena kennen gelernt hatte, welche in dem raucherfüllten, nicht sonderlich reinen Raume sangen. Man trank ein leidliches Bier, und in eine Ecke gedrückt hörte ich den Deklamationen und Gesängen des armseligen jungen Künstlerpaares zu. Gewiß hatten diese Leutchen schon bessere Gesellschaft gesehen. Hier leuchtete ihnen kein Stern. Plötzlich verlangten die Italiener unter den Seeleuten einen italienischen Vortrag, und das ausgehungerte Paar war in größter Verlegenheit. Jeder Versuch einer weitern deutschen Deklamation wurde durch italienische Gesänge vereitelt, der Wirt hob die Vorstellung auf, und mit der unglücklichsten Miene von der Welt eilte der deutsche Schauspieler mit seinem Weibe davon. Es war mir selbst unbehaglich geworden; denn die Deutschen und die Italiener suchten sich gegenseitig mit ihren Liedern zu übertönen und einige Minuten nach der abgebrochenen Vorstellung suchte auch ich meinen Gasthof auf und nahm mir vor, bis um fünf Uhr morgens so fest zu schlafen, wie daheim bei der Mutter. Das Bett war wirklich vortrefflich; allein ich hatte meine Rechnung ohne die Plagegeister des Südens gemacht. Schon bald nach Mitternacht erwachte ich von einem Schmerz, wie wenn ich im dichtesten Nesselbusche läge, und als ich Licht machte und die Decke zurückschlug, rannten eben die letzten der braunroten Halbflügler davon. Ratlos stand ich am Fenster und sah zum Mond hinauf, der ruhsam über die Dächer von Pola zog. Draußen lag eine lichtvolle sommerlich warme Nacht. »Ruhe findest du hier keine mehr«, sagte ich mir; »wie wär's, wenn du hinauswandertest, einsam wandertest in das fremde, mondhelle Land?« Der Gedanke hatte etwas Romantisches; ich widerstand ihm nicht lange und das Türschloß des Gasthofes auch nicht. So zog ich denn hinaus, ein stiller Gänger, am Amphitheater vorbei hinauf auf das Plateau und immer südwärts über die öden Karstgründe dahin. Wer nie so menschenverlassen gewandert ist, der faßt kaum die Poesie eines solchen nächtlichen Streifzuges. Sie läßt sich in Worten nicht wiedergeben. Die Steinklippen, die Ränder der Mulden, selbst das Laub des Gesträuchs leuchteten mit einem fahlen Schein; auch nicht ein Mensch begegnete mir; nur in einem fernen schlafenden Gehöfte schlug ein Hund an, um sich dann rasch wieder zu beruhigen. Und doch war die Einöde fern und nah tonerfüllt. Sangen die Zikaden, sangen die Vögel im Traume? Ich glaube das letztere. Als der Morgen kam, da klangen über dem gottverlassenen Karstlande, in den Steinwinkeln und in der Bläue der Luft so viele Vogellieder, daß ich mich nur wundern mußte, in dem Gefelse ein so reiches Tierleben zu finden. Trotzdem ich ohne Hast gegangen war, stand ich um vier Uhr auf einer Uferhöhe, nicht fern von Medolina, das an einer lieblichen Bucht ganz im Süden der Halbinsel liegt. Schon stritten sich Mondlicht und Dämmerschein und als eine schwarze Felsenbarre zog sich die äußerste Spitze von Istrien -- Promontore -- und der Scoglio Porer in das perlmutterglänzende Meer hinaus. Fern im Osten über dem Quarnero stieg die Sonne groß und golden aus der See empor und umflutete die Küstenhöhen mit einer Garbe jungen Lichts; dann wurden auf dem Meer Segel sichtbar; die Flut selber war überhaucht von Sonnengold. So führt im hellenischen Mythus Helios seinen goldenen Wagen über das Meer herauf. Von einer immergrünen Eiche steckte ich mir ein Zweiglein auf den Hut; dann wanderte ich schneller, als ich gekommen war, nach Pola zurück. Auf dem Wege dahin sah ich ein istrianisches Idyll: Eine junge Bäuerin, die, auf einer Eselin sitzend, mit der einen Hand die Kunkel hielt, mit der andern ein grobes Baumwollgarn spann und eine Ziegenherde vor sich her trieb. Noch mehr aber als dieses Bild erheiterte mich die Überraschung, die sich auf dem Gesichte meines Wirtes spiegelte, als ich mit allen Spuren einer Morgenwanderung vor ihn trat. Er schwur hoch und teuer, daß es in seinem Hause keine Wanzen gebe; als ich aber meine Rechnung bezahlte, bat er mich, es keinem Menschen zu verraten, daß ich bei ihm schlecht geschlafen habe. Nach dem Frühstück eilte ich auf das Dampfboot, wo ich kaum eine Minute vor der Abfahrt anlangte. Als dasselbe aus dem Hafen manövrierte, sah ich die Sängerin von gestern abend zwischen ein paar großen Weinfässern des zweiten Platzes kauern. Erst jetzt fiel mir so recht auf, wie jung, kaum über die zwanzig Jahre, und wie erbarmungswürdig das Wesen in seinem schwarzen Kleide dreinsah. Als sie sich jedoch von mir beobachtet fühlte, da stieg eine tiefe Röte in ihr Gesicht; meine Entdeckung schien sie peinlich zu berühren. Dann aber kam sie plötzlich auf mich zu. »Wir haben uns getrennt«, sagte sie; »wir waren in Wahrheit nur so weit hinabgewandert, um uns im Meer das Leben zu nehmen; allein der Tod tut weh! Ich gehe heim in die Steiermark; denn ich habe einen Vater und eine Mutter dort. Zu ihnen will ich zurückkehren und will arbeiten. Ich bin ihnen fortgelaufen. Der Sänger ist nicht mein Mann; aber wir hatten einander lieb. Er war immer gut mit mir, und gestern nacht, als ich weinte und mich das Heimweh überkam, da schenkte er mir die ganze gestrige Einnahme und sagte: »So geh, du mein armes, armes Kind; ich darf dich nicht länger halten!« Mein Gott, was wird aus ihm jetzt werden! Er wird allein tun, was wir zusammen nicht vollbringen konnten. Er hat keinen Halt mehr; ich hätte ihn nicht verlassen sollen.« Sie hatte das letztere mehr zu sich selbst als zu mir gesagt und lehnte nun in stummer Verzweiflung an einen Warenballen. Bis nach Rovigno hinauf waren ein sehr elegantes, italienisches Fräulein, das von Cattaro kam, und ich die einzigen Passagiere erster Klasse. Mit steigender Aufmerksamkeit hatte diese junge Dame die eben geschilderte Szene beobachtet, und als ich in ihre Nähe kam, erkundigte sie sich einläßlich, was dem armen Wesen fehle. »~O poveretta, poveretta!~« rief sie, als ich ihr die Umstände der Sängerin erzählte, und übernahm an ihr das Amt der barmherzigen Samariterin. Sie erledigte sich seiner in einem gebrochenen Deutsch, das man für drollig hätte halten können, wäre es nicht die Sprache einer Menschenfreundin gewesen, und mit ebenso viel Anmut, als Erfolg; denn als wir uns Rovigno näherten, war der Ausdruck dumpfer Verzweiflung in dem Gesichte der Steiermärkerin demjenigen einer stillen Ergebung gewichen. »Ich werde die Arme in Triest in ein Haus begleiten, wo man für ihre Heimkehr sorgen wird!« sagte mir die Cattaresin. Kein Mensch hätte ihr dankbarer sein können als ich, daß ich endlich einer Reisebekanntschaft, die ich dreimal unter den seltsamsten Umständen gemacht, auf eine so schickliche Weise ledig wurde. Bis in die Gegend von Parenzo hatten wir wieder prachtvolle Fahrt bei spiegelglatter See; dann aber verdüsterte sich der Himmel, wurde bleiern, und ein sengend warmer Scirocco brach ein. Schon in der Gegend von Cittanuova schwankte unser Küstendämpferchen bedenklich, und bald war die See nah und fern mit weißen Schäumen überdeckt, die gleich gescheuchten Herden vor dem Seewind flohen. Es war kein Sturm, aber ein Stürmchen, gerade stark genug, um mir noch eine Vorahnung dessen zu geben, was zur See schlechtes Wetter heißt. Abgeschlagen und wohl auch der Seekrankheit nahe, kam ich in Triest an. Unser Schiff hatte zwei Stunden Verspätung, und noch am folgenden und zweitfolgenden Tag fühlte ich die Nachwehen der paar Stunden unruhiger Fahrt, ein Gefühl des Schwankens, als wäre ich noch zu Schiff. Und als ich dann zu Monfalcone wieder am Strande stand, das Meer sonnig war und glatt, fern und nahe die kleinen und großen Schiffe segelten, da dachte ich an das »~male di mare~« wie an ein Erlebtes und wünschte glückliche Reise und ruhiges Wetter allen, die hinfahren über das schöne, falsche Meer. [Illustration] [Illustration] Der Karst und die Grotte von Adelsberg. Es ist etwas Eigenes um jene vielgerühmten Stellen, die zu Zielpunkten eines allsommerlichen Touristenstromes geworden sind. Seit sie jedes Reisehandbuch bespricht, seit sie nur noch durch die Spießrutengasse der Spekulation zu erreichen sind und sich das reisende Volk aller Winde an ihnen sammelt, wirken sie auf den selbständigen Touristen nur noch mit halber Anziehungskraft. Es mutet ihn an, als ob sie durch den ihnen überreich dargebrachten Tribut gelitten hätten, und das Reizendste an ihnen, die Frische und Unmittelbarkeit des ersten Eindrucks dahin sei. Allein wochenlang am Karst und in seiner nächsten Nähe zu flanieren, mit der größten Gefahr für die lieben Knochen sein Karrengefelse zu durchwandern, um einige Fledermaus- und Taubenhöhlen, einige seiner in verlorenen Schluchten rauschenden Quellen und kleinen Seen zu sehen, ohne einmal das berühmteste unter den vielen Wundern dieses eigenartigen Gebirges, die Adelsberger-Grotte, zu schauen, wäre denn doch gegen mein Gewissen gegangen. Sie ist zwar auch eine jener Sammellinsen des Fremdenverkehrs, eines jener Schaustücke, an die man mit dem Gefühle herantritt, es möchte sich um eine abgegriffene Münze handeln. Als ich sie aber sah, da wurde ich aus einem Saulus ein Paulus. Der frühe Osterschein flutete wonnig auf den blauen Golf von Triest, als der Kurierzug meinen liebenswürdigen Gastgeber, Direktor Johannes Heer von Monfalcone, und mich aus dem Bereiche voll entfalteten Lenzes, aus der klassisch schönen Meerlandschaft von Duino und Miramar in das noch winteröde Karsthochland von Nabresina und Sesana trug. Der Schienenweg dahin bildet eine gewaltige, nach Norden ausweichende Schlinge, die sich nach einem vierzig Kilometer langen Weg bei Sesana wieder bis auf zwei Stunden dem adriatischen Handelsemporium nähert. Die fahlen Steinklippen der Gegend von Nabresina erscheinen, nachdem man die Duftwellen des Frühlings von Miramar geatmet, unsäglich vegetationsarm, ärmer, als sie in Tat und Wahrheit sind; denn das Pflanzenleben hat sich in die Dolinen, die merkwürdigen Gesteinskessel des Karsts, zurückgezogen. Da feiert es, vor der Bora geschützt, seinen einsamen, wenig beobachteten Frühling und bedeckt die rötliche Erde dieser Vertiefungen mit dem Schnee fallender Olivenblüten. Nähert man sich Sesana, so schimmert der weiße Steinobelisk von Obcina, der von Triest aus gesehen auf steiler Bergeshöhe steht, horizontal über das Plateau her. In dem freundlich aus grauen, wenig bebuschten Karren emporsteigenden Ort sind wir bereits drei und ein halbhundert Meter über Meer. Ein Hauch des Nordens zieht hier selbst im Sommer, wenn Triest zum unausstehlichen Glühkessel wird, durchs Land. Darum ist Sesana die Sommerfrische der reichen Triestinerfamilien, deren Landhäuser aus kleinen, dem Karst abgerungenen Gärten heraus auf die im einzelnen ebenso bizarren, als im ganzen einförmigen Steinklippen schauen. Allmählich geht die Gegend in ein Gebirgsland über, dessen Bodenerhebungen nur hügelartig als ein Wirrsal von Geröllkuppen über die Landschaft steigen. Als wäre ein weiter, gewaltiger Bergsturz über das Land gegangen, starrt, wohin immer der Blick auch streift, das lichtgraue, zerklüftete Gefelse auf. Wilder Thymian und andere kleine Heidekräuter überwuchern es, ohne die grenzenlose Blöße des Landschaftsbildes zu verhüllen. Der Karst ist ein weites Gebirge; denn der Hirt der Tolmeinberge, der seine Ziegen unter dem Predilpasse weiden führt, und der montenegrinische Schäfer am Scutarisee hüten ihre Tiere an seinen Gehängen. Er bildet abgeschlossene Talbecken, wo ein Seespiegel oder ein Wasserfaden glänzt, der aus dem Berge sprudelt, sich lustig im Lichte sonnt, bis er sich wieder in einen Höhlengrund stürzt und, dem menschlichen Blick entzogen, eine tolle Welt von Tropfstein baut. Die Hänge und die Höhen aber dürsten wie der reiche Mann in der Gehenna. Ein toniger Humus, die ~terra rossa~, füllt die Karstklüfte und Mulden aus. Er ist der Träger der Pflanzenwelt und, wo genügend Wasser vorhanden ist, ungemein fruchtbar. Man sagt, daß die Bauern auf den Miniaturäckern, welche im Grunde der Gebirgstrichter liegen, drei Jahre Weizen ernten können, ohne zu düngen. Allein die Felder und fruchtbaren Talböden bedecken nur ein Fünftel des Karsts; mehr als die Hälfte ist Weide; doch gibt es unter diesen Weiden Flächen von der Größe eines Quadratkilometers, wo sich keine Ziege satt fressen könnte; der Rest ist Wald, aber stundenweit steht kein armsdicker Baum. Nur im Ternovanerwald bei Görz schlägt man noch Mastbäume; im Tiergarten von Duino stehen dunkle, große Terebinthen, und in Lippiza bei Sesana weiden die Füllen eines Gestüts im Schatten eines Hochwaldes. Der übrige Wald ist ein lichtes Gebüsch von Eichen und Wachholder, Ahorn und Pappeln, welches die Klippen begrünt. Auf einer solchen Waldoase ruht das Auge, wenn der Zug an einer Berglehne hinbrausend ins Tal der Reka tritt, eines kleinen Karstwassers, das seine Wellen plaudernd gegen St. Kanzian hinunterträgt, wo es sich in einem Felsenschlund verliert. Man nimmt an, daß die Dolinen des Plateau von Nabresina das unterirdische Flußbett der Reka zu den drei mächtig aufrauschenden Quellen des Timavo andeuten. Längs der Eisenbahn stehen hölzerne und steinerne Schutzwehren gegen die Bora, graue, unheimliche Bauten, die auch dem im goldenen Sonnenschein durch den Karst fahrenden Fremden nahe führen, wie wild die Geister der Luft in dieser Felswüstenei zuweilen ihre Sturmorgien feiern. Zu solchen Zeiten leisten die Bahnangestellten dieser Gegend den Sicherungsdienst mit Steigeisen an den Schuhen. Sogar die Gewalt der Lokomotive bricht sich zu Winterszeiten hin und wieder an den von der Bora geteilten zusammengewehten Schneemassen, so daß der Verkehr auf dieser Linie stockt. Dann mögen sich die Reisenden, die in einem armseligen Karstdörfchen eingeschneit auf Erlösung warten, sehnsüchtig an die Beefsteaks Wiens oder die Meerfische Triests erinnern! Die Bora steht ebenso sehr durch ihre Kälte als durch die explosionsartige Heftigkeit ihrer Stöße in Verruf; allein so erstarrend sie auch auf den Körper wirkt, ihre Temperatur sinkt selten auf den Gefrierpunkt, und das Kältegefühl, das sie erzeugt, beruht aus einem subjektiven Vorgang, auf der durch die Trockenheit des Windes hervorgerufenen, lebhaften Verdunstung der Haut. Man hat, ähnlich wie zur Ergründung des Föhns, zu dem die Bora so recht die Kontrasterscheinung bildet, allerlei künstliche Theorien herbeigezogen, um ihr Wesen zu erklären; die neueren, meteorologischen Forschungen haben indes erwiesen, daß sie einfach der Abfluß eines hohen Luftdruckes, der über den Saveländern lagert, gegen das Adriabecken ist. Nirgends tritt die vegetationsertötende Wirkung dieses Windes und die grenzenlose Armut des Karsts so überredend vor den Blick, wie bei St. Peter, der zweiten Station von Adelsberg. Überschaut man diese Öde, so glaubt man es kaum, doch ist es durch geschichtliche Dokumente bezeugt, daß der Karst einst mit nur unterbrochenem Hochwald bestockt war. Im Volke lebt die Sage, die Venetianer hätten die gewaltigen Eichenhaine geschlagen, um Bauholz für ihre Flotten zu gewinnen. Da sei der Fluch der an die Schiffsplanken hingeschmiedeten Galeerensklaven über die Heimat des Schiffsholzes gekommen, und die Forste seien abgestanden. ~Vox populi, vox Dei!~ Nur hier nicht. Venedig hat lange vor andern Staaten in seinen Provinzen für die Erhaltung des Waldes Sorge getragen, und als der Markuslöwe seine Flügel über die Karstländer schlug, da war das Hauptwerk der Forstverwüstung bereits getan. Die Jahrhunderte alte Schuld trägt die Mißwirtschaft der Gemeinden, der Karstbauer mit seinem Weidgang. Eigentlich virtuos geht man in einigen Gegenden Istriens gegen den Wald vor, wo der »~contadino~« nicht warten mag, bis sich durch die Wurzeltriebe etwas verkäufliches Staudenwerk gebildet hat, sondern die Wurzeln selber ausgräbt und in die nahen Städte zu Markte führt. Unter dem wenigen Guten, das man dem österreichischen Großgrundbesitz nachreden kann, gehört das vielleicht zum Besten, daß er in den Karstgegenden am meisten die Kraft besaß, den ursprünglichen Hochwald, so die schönen Buchenhaine Oberkrains, in die Gegenwart herüber zu retten, während die Gemeinden ihre einstigen Forste, soweit sie nicht der vegetationslosen Öde gewichen sind, auf Niederwald herabgewirtschaftet haben, der je nach der Holzart alle sieben oder vierzehn Jahre geschlagen wird. Die christliche Legende erzählt, der blinde Missionar Beda habe, von einem Knaben irre geführt, einst den Steinen gepredigt; da hätten diese statt der Menschen gerufen: »Amen! Amen!« Auch die nackten Karstklippen rufen. »Gebirgsvölker, schont den Wald!« rufen sie. Seit drei Jahrzehnten macht sich eine Bewegung, deren Seele der k. k. Forstrat Ritter von Guttenberg ist, für eine Verbesserung der Waldverhältnisse des Karstes geltend. Das große Losungswort heißt: »Wiederaufforstung« und Gesetz bietet die staatliche Grundlage für die Wiederbewaldung wenigstens des küstenländischen Karsts. Man hofft, durch diese die Gewalt der Bora zu brechen, die Bodenfeuchtigkeit zu vermehren, die seit der Entforstung gesteigerten Gegensätze des Klimas zu mildern und nach und nach den durch Gewitterregen weggeschwemmten Humus wieder zu gewinnen. Es liegt etwas Großartiges in diesem Plan. Allein die Anlagen sind teuer, und Wien ist weit; ja die Karstgemeinden selber leisten Widerstand; der Bauer läßt sich seinen Weidgang nicht gern beschränken. Ob der Karst je wieder im Schmuck eines geschlossenen Hochwaldes prangen wird? Künftige Generationen werden es sagen können. Wer ihn jetzt bei St. Peter sieht, kann es kaum glauben. Anders schaut die Gegend schon bei der folgenden Station aus, bei Prestanek, wo das grüne Wald- und Wiesental der Poik, das sich zur Linken öffnet, unsern Blick aus dem Klippengrau erlöst, und langen wir auf der Station Adelsberg an, so grüßt das kleine Städtchen gar freundlich aus weitem grünem Talgrund auf. Nur die öden Berglehnen verraten, daß wir uns noch mitten im Karst und zwar auf seiner höchstgelegenen Station, 583 Meter über der See, befinden. Es war uns eine Herzenserleichterung, als wir aus dem engen Bahnwagen hinaus in den österlichen Sonnenschein traten. Um der Zudringlichkeit der Führer und Hotelwerber ein rasches Ende zu bereiten, vertrauten wir uns dem eleganten Omnibus des Adelsbergerhofes an. Während die Pferde davontrotteten, überblickten wir von seinem Imperiale herunter das bergumrahmte, grüne Tal, auf welches von kahlem Felsgipfel ernst und streng die Trümmer der Burg Adelsberg herunterblicken. Bald hatten wir den »Markt« erreicht, wie sich Adelsberg in der Rangstufe österreichischer Ortschaften nennt. Seine stattlichen, blankgeweißten Häuser mit den Flachziegeldächern muten uns mehr deutsch denn slavisch an. Bei seiner hübschen Pfarrkirche vorbei gelangen wir zu dem großen, modernen Hotelbau des Adelsbergerhofes im Norden des Städtchens. Dem goldig herniederflutenden Ostersonnenschein zum Trotz schien außer dem Omnibusführer das gesamte Hotelpersonal noch im Winterschlaf zu liegen, bis endlich ein erwachsendes Dornröschen, eine junge, wenig gesprächige Dame erschien und das Halbdutzend Grottengäste, die sich im Hausflur zusammengefunden, in die nächsten Räume wies. Während sie wieder für ein Viertelstündchen unsichtbar wurde, bemerkten wir, die Fensterläden öffnend, daß wir uns in einem sehr hübsch ausgestatteten Lesesaal, aber jedenfalls noch nicht in der ~haute saison~ von Adelsberg befanden. Allein am Dornensträuchlein der Geduld wuchs denn doch ein frugaler Morgenimbiß auf, und bald kam die Nachricht, daß sich in den verschiedenen Gasthöfen der Stadt etliche dreißig Fremde zum Besuche der Grotte eingefunden hätten und ihre Beleuchtung um halb elf Uhr in Szene gehen könne. So hatten wir uns denn in der Voraussetzung, es werde der Ostermontag, dieser in Nord und Süd gleich beliebte Ausflugstag, auch ein Häuflein Neugieriger am Grottentor von Adelsberg versammeln, nicht getäuscht. Es ist für die Touristen, welche alljährlich zu den Höhlenwundern der krainischen Berge pilgern, ein wahres Glück, daß die Tropfsteinunterwelt von Adelsberg eine Staatsdomäne und so der Privatspekulation entzogen ist. Sie steht unter einer aus Staats- und Gemeindebeamten zusammengesetzten Verwaltung, welche den Grottenbesuchern durch eine wirklich liberale Besuchsordnung entgegenkommt und den Grottenapparat, den Führerdienst, die Wege und die Beleuchtung in einen Stand gesetzt hat, der allen Ansprüchen genügt. Ihre spekulative Mäßigung sticht wohltuend ab von der Touristenschererei der Hotels. Ihr hat es Adelsberg zu verdanken, daß es ein so blühender Touristenort ist, der seine zweitausend Einwohner unmittelbar oder mittelbar durch den Fremdenverkehr ernährt. Eine hübsche Allee junger Linden führt längs eines nicht gar hohen felsklippigen Bergrückens zum Eingangstor der Grotte, die als ein stundenlanges Labyrinth den Leib dieses Höhenzuges mit ihren Tropfsteingängen durchzieht. An die grauen, mit spärlichem Eichenwuchs geschmückten Hänge schlängelt sich ein dunkelglänzendes Wasserband, die Poik heran, und verliert sich, nachdem sie noch ein klapperndes Mühlenrad geschlagen hat, mit raschem Wellenzug ins Innere des Berges. Eine gar gemischte Gesellschaft standen wir erwartungsvoll am gotischen Gittertor und wehrten den zudringlichen Jungen, welche zierliche Tropfsteingebilde und Erinnerungsstücke feilboten und mit jeder Minute um fünf Kreuzer billiger wurden. Endlich kamen die Führer und Grottenwächter, alles ältere Leute in zerschossenen Knappentrachten, die Bergmannslaterne im Gürtel, dahergeschritten. Der Riegel klirrte; die Karawane, in welcher die Gestalt eines mit Fez und weißem Filzmantel angetanen bochesischen Magnaten besonders hervorstach, zog, nachdem sie zum Schutz gegen die nur 8--9° ~R~ betragende Höhlentemperatur die Überröcke und Shawls umgeworfen, in die Grotte ein. Die ersten fünfzig Schritte boten nichts Bemerkenswertes, und schon wollten wir unserer kühlen Stimmung recht geben, da horch -- verlorenes Wasserrauschen -- da sieh -- eine weite Halle über uns und herrlich hereinflutend eine Garbe elektrischen Lichts. Wir selber stehen hoch auf einer Felsengalerie über einem Höhlenabgrund, in dem mit flimmernden Wellen der unterirdische Fluß durchs Halbdunkel zieht. Es geht allen Besuchern gleich. Sie sind bezaubert vom Anblick des »großen Doms«, der gewaltigen Halle, mit welcher die Adelsberger Grotte kaum 30 Meter vom Eingang überrascht. Und doch muß das Auge sich erst an die Kontrastlichter gewöhnen, in denen Höhlendunkel und elektrische Flamme sich widerstreiten, ehe es die gewaltige Deckenspaltung und die Höhe des weiten Raums ermißt. Mögen die Führer in ihren ledernen Erklärungen jene zu 45, diese zu 28 Meter angeben, auch in der dürftigsten Seele ist die Phantasie machtvoll erwacht, und den Meterstab bei Seite setzend, mißt sie den Naturdom nur mit ihrer bewundernden Andacht aus. Etwas unendlich Geheimnisvolles, Düsterschönes, liegt in dem weltabgeschiedenen Raum. So mag die ahnende Seele des Griechen sich die Ufer der Lethe und den Totenfluß selber vorgestellt haben, wie hier die Poik zwischen feuchten Felsensäumen strömt. Die Wände und das Gewölbe des großen Domes sind zwar arm an jenen wundersamen Tropfsteingebilden, welche die Zierde anderer Grottenteile bilden; aber gerade durch dieses Zurücktreten der Einzelformen wirken die gewaltigen Ausdehnungen hinreißend auf die Phantasie. Im Innersten erregt, schreiten wir die Stufen der westlichen Wand zu einer Naturbrücke hinab, unter welcher die Poik rauschend aus dem Höhlengestein quillt, um ihre im Licht erzitternden Wasser nach doppelt gekrümmtem Laufe bei den Ostfelsen des unterirdischen Münsters wieder in unerforschte Höhlenschachte einzusargen. In den verborgenen Wasseradern und in den Tümpeln der Grotte lebt ein seltsames Tier, ein spannenlanger, aalähnlicher Lurch von farblosem oder hübsch rosa angehauchtem Leib, mit vier zierlichen Beinchen und noch viel zierlichern, roten Kiemenbüscheln, der Olm. Der lichtscheue, kleine Geselle kommt nur etwa nach langem Regenwetter und am häufigsten in der mit der Adelsberger in Verbindung stehenden Magdalenengrotte zum Vorschein, hat aber den Gelehrten schon viel zu reden gegeben; denn er ist einer der Hauptzeugen für die Darwinsche und Häckelsche Anpassungstheorie. Sie haben ihn mit dem Namen des Proteus belegt, da er wie dieser sich verwandeln kann. Je nachdem er in tiefem oder seichtem Wasser lebt, ist er Kiemen- oder Lungenatmer, gewissermaßen also Fisch oder Vogel. Ein Führer, der uns in einer Wasserflasche ein solches Tierchen zeigte, behauptete, daß es jahrelang ohne Nahrung lebe. Jenseits der Naturbrücke, welche über die Poik führt, steht, damit wir ja nicht vergessen, daß wir, wenn auch im Berginnern, doch immer noch im loyalen Österreich sind, ein Denkmal, das in den devotesten Ausdrücken der Untertanenehrfurcht die Erinnerung an Franz ~I.~ feiert, der den großen Dom im Jahre 1816 besucht hat, und wandern wir auf einer künstlich in die Felswand eingesprengten Galerie dem Hintergrunde der Halle zu, wo bei einem zweiten Monument die Ferdinandsgrotte anhebt, so stehen wir gar vor dem Polsterwagen einer Schiebbahn, mit der bequeme Grottengäste von den Wächtern etwas mehr als anderthalb Kilometer weit bergeinwärts gestoßen werden können. Man kann darüber, wie weit die Technik, ohne den guten Geschmack zu verletzen, ein Naturschönes zu Bequemlichkeitszwecken antasten darf, verschiedener Meinung sein. Man mag die hübsch geebneten Wege, welche die frühern Treppen und holperigen Steige der Grotte ersetzen, das herrliche elektrische Bogenlicht an Stelle einer unruhigen Fackelbeleuchtung über alles Lob angenehm finden, ohne zugleich diese Schiebbahn, die denn doch nur einem winzigen Teil der Adelsberger Gäste wirkliches Bedürfnis ist, für eine glückliche Schöpfung ansehen zu müssen. Wo sie beginnt, hat man einen hübschen Rückblick auf den großen Dom, die gewaltige Vorhalle des übrigen Grottensystems. Sie war bis im Anfang des 19. Jahrhunderts der einzige bekannte Raum, wurde aber schon im 13. Jahrhundert besucht; denn in einer Nebengrotte sind noch eingehauene Namen und Jahrzahlen von 1213 und 1290 erhalten. So sind durch sechs Jahrhunderte hindurch die Geschlechter im großen Dom bewundernd gestanden, ohne zu ahnen, was für märchenhafte Schönheit von Tropfsteingebilden in den Gängen und Hallen des tieferen Berginnern prangt. Erst das Jahr 1818 hat die Entdeckung der weiter zurückliegenden Grottenteile, insbesondere der an den großen Dom anschließenden Ferdinandsgrotte gebracht. Vorwärts nun! Bald hat sich der milde weiße Schein der Bogenlampen, die den großen Dom erhellen, unserem Blicke entzogen; allein nun flammen in den Falten und Nischen, an den Erkern und Gesimsen des Höhlenschachtes, der sich hier zum Engpaß schließt, dort zur herrlichen Halle weitet, Hunderte von Kerzen auf. Es ist ein Gang durch ein Märchenreich: »An den Wänden rankt in buntem Formenspiel des grauen Tropfsteins Geisterhaftes Steingeweb, Bald wie Tränen, die der Fels weint, Bald wie reizverschlung'ne Zierat Riesiger Korallenäste.« (Scheffel.) Schlank wie die Palmen des Morgenlandes, dann kräftig und knorrig wie deutsche Eichen wachsen die Steinschäfte, von Lianen umschlungen, zur Ornamentik der Höhlendecke auf. Da hängt nächst dem Grotteneingang an grauer Tropfsteinwand eine »Kanzel.« Allein wer möchte da droben stehen und predigen, wo die Steine in ihrer Pracht den Menschen überschreien! Da steht, damit es dem staunenden Wanderer nicht gar zu andächtig ums Herz wird, eine »Metzgerbank«, und die »Speckschwarten« hangen drüber hin; da ist eine »Diamantengrube«, wo das Licht sich tausendfach an blitzenden Kristallen bricht; dort ein feiner »Regen« von wunderzarten Tropfsteinröhrchen; jetzt wandeln wir durch die reizenden Gebüsche eines »englischen Gartens.« Wie sie nur zu Wege kamen, diese feierlichen Hallen, dieser Säulenprunk, diese tolle, andächtig schöne Märchenwelt! Gewiß wüßte der Höhlenfluß, die Poik, die am Karst entspringt, einige Stunden im Sonnenlicht wandert, dann sich in die Unterwelt von Adelsberg verkriecht und, durch ein Felsentor im Tal von Planina wieder zu Tage tretend, Unz heißt, sich aufs neue in ein Gebirge begräbt und jenseits desselben als Laibach, Schiffe auf ihrem Rücken tragend, der Save zueilt, gewiß wüßte sie das Geheimnis der Grotte zu lösen. Allein sie plaudert mit ihren Wellen nur in Rätsellauten von dem Schattenreich, das sie durchwandert. Sonst würde sie uns vielleicht erzählen von uraltem Tagewerk, wie sie einst -- es mögen hunderttausend Jahre her sein -- müd der Sonne und der oberflachen Welt, bei Adelsberg an die Höhe hinkroch, sich langsam eine dunkle, einsame Gruft in den Kalkstein des Gebirges wühlte und nagte, bis sie sich einsargen konnte in einen stillen, selbstgeschaffenen Hades. Dieses abgeschiedene Gelände aber war noch öde und leer. Da kamen andere Werkmeister, kleine, aber nicht verachtungswürdige. Es waren die vom Bergrücken durch das Gestein hinunterkriechenden Wassertropfen, ganz gewöhnliche Wassertropfen. Einer lief dem andern nach, und jeder brachte eine kleine Ladung Kalk auf dem Rücken. So damals, so vor einer Jahrmyriade, vor einem Jahrtausend, vor einem Jahrhundert, so gestern, so heute. Einer hat sein Körnchen Kalk hübsch zu dem Körnchen seines Vorgängers gelegt, und alle die Dinge wurden, wie sie nun sind: die Pforten, die Hallen, die Obelisken, die Säulen, die Zacken, die Bäume, die Falten, die Tierfiguren und die Menschengestalten. Fast im Hintergrunde des Höhlenlabyrinthes ist eine schauerlich zerklüftete Nebengrotte, der Tartarus. Da sind die kleinen Arbeiter noch nicht fertig mit ihrem Werk; da sieht man sie noch an der Arbeit. Von der Decke einer 19 Meter hohen Halle fällt ein Wasserfaden auf einen Stalagmitkegel. Aus dem Becken des rötlich glänzenden Steines spritzen perlende Wassertropfen heraus und rieseln über den Kegel nieder. Durch ihre Kalkablagerungen wächst der Tropfbrunnen allmählich zur Decke empor. Allein der Stein wächst langsam, man sagt in dreizehn Jahren einen Millimeter, in tausend Jahren nicht einmal einen Meter. Da die höchste Säule zehn Meter über den Höhlengrund steigt, so muß sie also über zehntausend Jahre alt sein. Zehntausend Jahre! Und als vor sechzig Jahren mit rauchenden Fackeln und klopfenden Herzen die Menschen in das Labyrinth von Adelsberg eindrangen und wenn sie heute von ferne her in die Höhle kommen, so halten sie verwundert den Atem an. »Hat hier nicht ein unterirdisches Volk gelebt und unsere Dinge nachgeahmt?« rufen sie verwundert aus. »Steht dort nicht noch der Thron, auf dem sein König gesessen? Dort hängt noch das Bild der Maria mit dem Kinde in der Nische, vor dem sie betend gekniet. Dort ist die Wiege, worin es seine Kinder gewiegt; dort stehen die Särge, worin es seine Toten gebettet. Auch die Kannen, aus denen es getrunken, sind noch da und das Handwerkszeug, mit dem es gearbeitet. Noch hangen an den Decken die Felle des Gerbers, die Linnen der Waschfrau; hier ist das Zelt, unter dem es gerastet, dort die Dorfkirche, in der es den Sonntag gefeiert; es fehlt nicht die Orgel und nicht der Beichtstuhl; es hat also auch gesündigt, dieses Höhlenvolk! Und geliebt wohl auch! Denn was sollten sonst die lauschigen Erker, die stillen Wälder! Jene vermummten, klagend vorgebeugten Gestalten, sind es nicht die letzten der Höhlenbewohner? Vielleicht, wenn man den Stein behutsam losschälte von den armen Leuten, wer weiß, fände man einen Leib mit warmem Blut, mit einem pochenden Herzen. Vielleicht könnte man eine verzauberte Seele erlösen!« Es ist wunderbar, was für geheimnisvolle Bildwerke die sickernden Wassertropfen im Schleier ewiger Nacht gebaut! Und Bewohner hat diese Märchenwelt wirklich gehabt. Zwar nicht menschliche Troglodyten, aber den plumpen, zottigen Höhlenbär. Wo sich die Ferdinandsgrotte zu einem hohen gotischen Münster weitet, hat man im Boden seine Knochen gefunden. Jetzt dient das Bärenlager der Vorzeit als Tanzsaal. Am Pfingstmontag, wenn das Grottenfest gefeiert wird, fünftausend Menschen durch die Tropfsteinhallen und Gänge wogen, dann ziehen heitere Klänge hier brausend, dort fern verklingend durch das stille Reich, und in dem weiten Raume reigt junges und altes Volk; am Sonntag Trinitatis aber ist hier Gottesdienst. Ich möchte nicht tanzen in dieser Halle; ich möchte darin auch keine Predigt hören; am liebsten würde ich, ein stiller Bürger des Hades, einsam und ungestört die Tropfsteingewächse entlang schreiten; denn einem einfachen Gemüte gehen im Alleinsein die schönsten Erkenntnisse auf. Wirklich war ich ein paar Dutzend Schritte hinter der Karawane zurückgeblieben, um mich ungestört meinen Betrachtungen hinzugeben. Allein ich hatte meine Rechnung ohne die Grottenwächter gemacht, die in einiger Entfernung der Wandergruppe folgten und die Kerzenlichter auslöschten, da immer nur der Teil der Grotte erleuchtet ist, wo sich die Grottenkarawane bewegt. »Vorwärts, vorwärts, junger Herr!« mahnte ein gutmütiger Alter. »Sie könnten sich so verirren, daß wir selber Sie nicht mehr fänden.« Ich lächelte; aber er hatte recht. Es gibt in der Unterwelt von Adelsberg Nebengrotten, die noch nicht gangbar gemacht worden, zum Teil noch nicht einmal gründlich erforscht sind; wo, geriete ein Wanderer durch einen unglücklichen Zufall hinein, vielleicht erst nach Jahren ein Wagehals oder ein Forscher die gebleichten Knochen des armen Verirrten fände; denn kein Ariadnefaden führt aus diesem Labyrinth heraus. Warum hat man diese nicht wegbar gemacht? Wohl aus Kostengründen, wohl auch, um in Zukunft mit ihrer Erschließung den Ruf der Grotte wieder neu zu beleben. Wer jetzt durch dieselbe geht, wird es nicht bedauern, daß ihm einige Räume entzogen bleiben; denn man sieht auf der dreistündigen Wanderung so unendlich viel des Schönen, Sonderbaren, Fremden und Phantastischen, daß auch das Auge des Unersättlichsten satt dieser Steintollnis wird. Die letzte Halle der Kaiser Ferdinands-Grotte ist das »Grab.« Bei einem versteinerten Springbrunnen, einer Ruine und einer Hieroglyphensäule stehen die vertropften egyptischen Mumien. Da teilt sich die Grotte in zwei, die Franz-Joseph- und Elisabeth-Grotte zur Linken, die Maria-Anna-Grotte zur Rechten. Sie treffen sich tiefer im Berginnern wieder. Wir schritten durch diejenige zur Linken ein und gingen später durch diejenige zur Rechten hinaus. In der Franz-Joseph- und Elisabeth-Grotte brechen viele rosig überhauchte Tropfsteine aus blendend weißen Wänden hervor; überraschend schöne Steinfalten hängen durchschimmernd an den Decken; in einer diamantenfunkelnden Kammer liegt unter einer Trauerweide eine schlafende Jungfrau, und an der Decke hängt über ihr das Damoklesschwert. In der Maria-Anna-Grotte ist der Leuchtturm von Triest, der Dom von Mailand und vielleicht das berühmteste Stück der ganzen Adelsberger Unterwelt -- der Vorhang. Man traut seinen Augen kaum! Drei Meter lang und einen Meter breit hängt dieses wunderzarte, schimmernde Gebilde von nur acht Millimetern Dicke aus der Wand und prangt mit feinem, durchsichtigem Faltenwurf und einer braun und rot gestreiften Einfassung von überraschender Natürlichkeit, als wäre es eine Stickerei von kunstfertiger Frauenhand. Wo sich die beiden Grotten wieder vereinen, treten wir in eine Trauerhalle von schwarzbraunem Gestein, und nun führt der Weg an kristallenem und elfenbeinernem Bilderschmuck hinauf zum letzten der ungeheuern Dome, hinan zum Kalvarienberg. Was soll ich von ihm sagen? -- 58 Meter hoch und 200 in der Weite wölbt sich die Halle über einen 41 Meter hohen, an die Nordwand anlehnenden Hügel. Über einen Bergsturz steigt man an acht wunderlichen Kolossen vorbei auf die Spitze, wo die Arche Noah ist. Da übersieht man eine kleine Landschaft. Es ist eine ewig geheimnisvolle Welt von vertropften Gebilden. Funkensterne glitzern an Statuen; blau und rote Flämmlein zucken zwischen den Bildwerken auf, und kein Menschengedanke wird klug aus dem düsterschönen Rätsel. Ist's ein versteinerter Wald? Ist's ein mit halbzerstörten, verwitterten Denkmälern übersäter Kirchhof oder der zu Stein erstarrte Zug des Volkes auf die Höhe von Golgatha? Zum Glück hatte ich nicht Zeit, den Faden dieser Gedanken weiter zu spinnen. Die Führer mahnten zum Aufbruch; sie wußten, daß man die Leute nicht zu lange auf die melancholischen Gruppen des Kalvarienberges darf schauen lassen. Schneller als wir gekommen, schritten wir bergab, bergauf, zurück durch die Grottenhallen. Es kamen wieder neue Gestalten, neue Bilder; allein ich sah sie nur noch halb. Das wohlige Gefühl, mit dem ich eingewandert war, hatte mich verlassen; die Traurigkeit dieses Schattenreiches hatte es mir angetan; ich dürstete nach Sonnenlicht, Himmelblau, Wiesengrün. Und wieder standen wir über dem Höhlenfluß. Rauschend und flimmernd zog er einher; aber vom Grotteneingang wehte schon ein warmer, milder Hauch von Tagesluft. Noch ein paar Schritte, und der Bann der Unterwelt war gebrochen; herzinnig grüßte ich das goldige, sonnige Licht, und dankbar schaute ich auf zum blauen Dom des Himmels. Ich habe die Grotte von Adelsberg beschreiben wollen? Nicht doch! Wenn tausend Schriftsteller es tun wollten, sie bleibt doch ewig unbeschreiblich; denn sie ist wie die Gletscher des Hochgebirgs, wie das in Sturmlauten tönende Meer eine Naturoffenbarung, deren Schönheit der Mensch nie ganz ausbegreift. [Illustration] Von +J. C. Heer+ ist bei +Huber & Co.+ in Frauenfeld und Leipzig erschienen: Streifzüge im Engadin Gebunden 3 Fr. +Inhalt+: Vorspiel. -- Über den Flüela. -- Schuls-Tarasp. -- Uinatal und Finstermünz. - Von Schuls nach Zernetz. -- Von Zernetz nach Samaden. -- Samaden. -- Pontresina und Morieratsch. -- Die Diavolezzatour. -- St. Moritz. -- Sils-Maria. -- Auf dem Maloja. -- Über den Julier. Ein Dichter und ein Meister kraftvoller Schilderung ist Heer. Er weiß nicht nur die überreichen Schönheiten des Engadin in leuchtenden Farben dem Leser vor Augen zu führen; auch die politischen und kulturellen Verhältnisse vermag er, ebenso gut wie Rückblicke aus der Vergangenheit und Betrachtungen zur Gegenwart, einzuflechten. Ein Muster in dieser Hinsicht ist der Abschnitt Schuls-Tarasp. »Münchner Neueste Nachrichten« Bücher der Zeit aus dem Verlag von +Huber & Co.+ Frauenfeld und Leipzig Aus der Brandung Zeitgedichte von +Robert Faesi+ Kartoniert Fr. 1.40 Faesis Zeitgedichte sind das erste wirklich bedeutende Kriegsgedichtbuch der deutschen Schweiz und eines der edelsten Stücke der deutschen Kriegslyrik überhaupt. »Das Literarische Echo« Krieg und Frieden Frei nach Aristophanes von +Hugo Blümner+ Geheftet Fr. 3.-- Aristophanes-Blümner hat das erste bühnengerechte, dichterisch vollwertige Friedensdrama des Weltkriegs geschrieben! Es ist ein einzigartiger Fall, daß ein Werk nach zweitausend Jahren noch einmal stärkste Aktualität gewinnt. Kriegs- und Friedensparteien, Hetzer und Verständigungspolitiker, ehrliche Patrioten und Gesinnungslumpen, stehen sich gegenüber wie heute. Der starke Mann Eine schweizerische Offiziersgeschichte von +Paul Ilg+ Broschiert Fr. 4.-- Gebunden Fr. 5.-- Der Roman sprüht und glüht von einer Jugendkraft, um die Paul Ilg zu beneiden ist. »Neue Zürcher Zeitung« Es konnte nicht anders sein: Staub hat das Buch viel aufgewirbelt. ... Mit unheimlichen Kräften geladen, sorgsam in aller Knappheit durchgeführt, fesselt die Handlung bis zuletzt. »Kunstwart« In diesen Zeiten Erzählungen von +Robert Wehrlin+ Gebunden Fr. 2.-- Turmhoch über das Geschreibsel so vieler Kriegsbücher erhebt sich das Werkchen dieses Schweizer Schriftstellers. Jede der fünf Geschichten ist ein Kunstwerk und bereitet reinen Genuß. »Hamburger Fremdenblatt« In tiefster russischer Provinz Zwei Erzählungen von +L. Haller+ Gebunden Fr. 4.50 Wäre dieses prächtig erzählte Buch nicht einige Monate vor dem Krieg sondern während des Kriege erschienen, es hätte bereits Massenauflagen erlebt. Wer die Seele des russischen Volkes mit ihren tiefen Wundern und Unfaßlichkeiten, ihren chaotischen und dumpfen Leidenschaften und ihrem gutmütig-tölpelhaftem Humor in der Spiegelung eines scharfen, neutral beobachtenden Auges sehen will, muß Hallers Schilderungen lesen. Weitere Anmerkungen zur Transkription Offensichtlich fehlerhafte Zeichensetzung wurde stillschweigend korrigiert. Unterschiedliche Schreibweisen wurden beibehalten. Korrekturen (das korrigierte Wort ist in {} eingeschlossen): S. VII: Sloveneu → Slovenen Italiener und {Slovenen} S. VIII: Dee → Die {Die} Geschichte der Grotte S. 2: Aufenhaltes → Aufenthaltes dritten Tag meines dortigen {Aufenthaltes} S. 10: etwes → etwas dann liegt wirklich {etwas} exzentrisch Schönes S. 20: Selsamer → Seltsamer {Seltsamer} Weise melden die mittelalterlichen Schriften S. 37: zu Mutter → Mutter zu in den Schoß einer guten, großen {Mutter zu} legen S. 41: ihrer → Ihrer die mir an {Ihrer} Seite beschieden war S. 42: Ausang → Ausgang Am {Ausgang} dieses Tieflandwinkels S. 42: west römischen → weströmischen vom {weströmischen} Kaiserthrone verjagt S. 46: Kelter → Kelten die {Kelten} und Illyrier sahen aus achtungsvoller S. 48: zusamengewürfelt → zusammengewürfelt der damaligen Welt {zusammengewürfelt} war S. 49: ein → eine {eine} Belagerung glücklich bestand S. 57: Rönierin → Römerin goldenen Geschmeid der {Römerin} S. 77: pläschert → plätschert die Lagunenwelle im Röhricht {plätschert} S. 98: Siebenzehnzährige → Siebenzehnjährige sie eine kaum {Siebenzehnjährige} S. 105: Leuchturm → Leuchtturm der {Leuchtturm} spielt mit S. 109: innen → ihnen Häuserfronten zwischen {ihnen} fesselten S. 122: Tag → Tage In einem elf {Tage} andauernden Sturme S. 123: die → der Als wir auf {der} Steuermannsbrücke S. 128: habe → haben viereckige Türme {haben} es zu Kriegszeiten S. 134: nouva → nuova weder in Umago noch in Citta {nuova} S. 135: als als → als sich {als} ein Mann von Welt S. 146: egypische → egyptische marokkanische und {egyptische} Wimpel S. 157: sömmerlich → sommerlich eine lichtvolle {sommerlich} warme Nacht S. 165: bizzarren → bizarren im einzelnen ebenso {bizarren} S. 176: sieht → steht Da {steht}, damit es dem staunenden Wanderer *** End of this LibraryBlog Digital Book "Ferien an der Adria - Bilder aus Süd-Österreich" *** Copyright 2023 LibraryBlog. 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