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Title: Sicherer Wegweiser zu einer guten und gesunden Wohnung - Zwei Preisschriften
Author: Meyer-Merian, Theodor, Balmer-Rinck, Johann Jakob
Language: German
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  Sicherer Wegweiser
  zu einer
  guten und gesunden Wohnung.

  Zwei Preisschriften
  von
  #Theod. Meyer-Merian# und #J. J. Balmer-Rinck#,

  gekrönt und herausgegeben
  von der

  Gesellschaft des Guten und Gemeinnützigen
  #in Basel.#


  [Illustration: Dekoration]


  #Basel,#
  Bahnmaier's Buchdruckerei (C. Schultze).
  1859.



I.


1. Wie's mit den Wohnungen steht.

Nichts ist heutzutage allgemeiner, als die Klage über das Steigen der
Miethpreise und über die Schwierigkeit Wohnungen zu finden.

Diese Klagen sind nur zu wohl begründet. Die Ausdehnung, der Aufschwung
der Gewerbe und Fabriken zieht in deren Nähe immer größere Menschenmassen,
und da die vorhandenen Wohnungen nicht ausreichen und auch die neuerbauten
mit dem Anschwellen der Bevölkerung nicht Schritt halten, so entsteht ein
Gedränge, wenn sich Jeder eben doch sein Plätzchen sucht, wo er leben
mag. Das macht zugleich, daß die Miethen theurer werden; denn überall, wo
viel Nachfrage ist, steigt der Preis und so muß man jetzt im Vierteljahre
zahlen, was sonst für ein Jahr gereicht hatte.

Die Erwerblust der Hausbesitzer trachtet nun auf verschiedene Art zu
helfen und da nicht immer auf die uneigennützigste oder zweckmäßigste,
wie anderseits wieder die Miethsleute mit geringern und schlechtern
Wohnungen sich behelfen lernen. In dem Raume, den früher eine Haushaltung
bewohnt, haben sich jetzt mindestens zwei, und zwar einander wildfremde,
angesiedelt. Die bequemen Hausgänge und Sommerhäuser (Hausfluren) von
ehemals sind verschwunden, die Stuben scheinen nach allen vier Seiten
einzuschrumpfen, die Treppe muß sich gleichsam durch den Haufen von
Stuben und Kämmerchen hindurchstehlen, von irgend einem freien Raume ist
keine Rede mehr, er trüge ja nichts ab! Anhängsel jeder Art füllen den
alten Hof und fangen gierig den letzten frischen Lufthauch, den einzigen
Lichtstrahl weg, diese Gottesgaben, die vor Zeiten auch dem Aermsten
nicht vorenthalten waren. Bequemlichkeiten, wie Waschhaus, Holz- und
Vorrathskammern u. dgl. scheinen mit dem Zirkel in verkleinertem Maßstabe
ausgemessen und der oberste Dachraum, das abgelegenste Winkelchen wird mit
Menschen vollgepfropft, ja selbst der Raum unter der Erde, wo man ehemals
bloß Fässer, Kartoffeln und Krautköpfe untergebracht. Wenn so ein recht
besetztes Mieth- oder Kosthaus seine Bewohner mit einem Male herausließe,
es würde oft keine Seele glauben, daß die alle neben einander darin Platz
gehabt hätten, geschweige noch mit ihren Geräthen und Habseligkeiten dazu.

Von außen ist das Alles freilich nicht immer sichtbar, ein heller
neumodischer Anstrich läßt wohl gar einige Behaglichkeit vermuthen. Indeß
giebt es vielleicht doch mehr der Wohnungen, oder besser Wohnlöcher,
z. B. in alten Hinterhäusern, engen Gäßchen, darin noch lange der Winter
herrscht und geheizt werden muß, wenn in der übrigen Welt schon Alles
an der Frühlingssonne sich wärmt und erlabt. Es giebt übergenug mit
Menschen vollgepfropfte Häuser, in deren nächster Nähe Jahrelang nicht
geleerte Dunggruben, baufällige Schweineställe, schlechte Cysternen
die wenige Luft vollends verpesten, aus denen dem Eintretenden in dem
dunkeln, feuchten Hausgange eine modrige Kellerluft, mit Abtrittgeruch
verbunden, frostig entgegenschlägt, auf deren steiler, schlechter Treppe
nur ein herabschlotterndes Seil durch die Finsterniß leitet und vor dem
Halsbrechen schützt.


2. Musterwohnungen.

Solche Nothstände und deren Folgen für die Arbeiter, welche nicht nur wohl
oder übel sich ihnen unterziehen, sondern für die schlechten Wohnungen
noch hohe Miethen bezahlen, haben in verschiedenen Ländern wohldenkende
Menschen veranlaßt, besondere, für Arbeiter bestimmte, zweckmäßige Gebäude
zu errichten und gegen billige Preise auszuleihen. Man hat die Sache
nach den verschiedenen Grundsätzen, von denen man ausgieng und gemäß den
verschiedenen Verhältnissen, die vorlagen, von mehr als einer Seite
angegriffen, indem man entweder größere, casernenartige Wohnungen für
viele Haushaltungen aufführte, oder nur kleinere Gebäude für eine bis zwei
Familien; indem man ganze Arbeiterquartiere gründete oder solche Häuser
unter die der übrigen Leute zerstreute.

Ueber die Vorzüge und Nachtheile dieser und jener Art ist hier nicht der
Ort weiter einzugehen, es genügt die Bemerkung, daß man im Ganzen, bei
verhältnißmäßiger Wohlfeilheit, überall dem Bedürfnisse, der Gesundheit
und Bequemlichkeit der Bewohner Rechnung trug. Dahin gehört denn, daß die
Gebäude so viel als möglich freistehen, wohl gar kleine Gärten haben.
Neben einem heizbaren Zimmer, einer Nebenstube, Küche mit Wasserstein,
enthalten sie wenigstens noch eine verschalte Dachkammer, einen
Kellerraum, Platz zu Holz und Abtritt. Die Zimmer liegen womöglich auf
der Sonnenseite, Küche und Abtritt nach Mitternacht. Die Heiz-, Rauch-,
Abwasser- und Abtritteinrichtungen sind, als sehr wichtig, ebenfalls
sorgfältig berücksichtigt, sowie auf Nähe des benöthigten Wassers gesehen
ist.

Aber da wäre ja schon allem Uebel abgeholfen! Wird doch kein Mensch mehr
so thöricht sein, derlei wohleingerichteten Lokalien jene ungesunden,
winklichten und dumpfigen Nester vorzuziehen.


3. Warum mit den gutgebauten Wohnungen noch nicht Alles gethan ist.

Freilich sind diese Arbeiterwohnungen eine Hülfe, aber noch lange keine
genügende Abhülfe und dieß vorzüglich aus zwei Gründen nicht.

Einmal bestehen überall, im Vergleich zum Bedürfnisse, noch viel zu wenig
solcher wohleingerichteter Häuser. Es ist beim besten Fortgange auch kaum
die Zeit abzusehen, wann ihrer in genügender Anzahl vorhanden sein werden,
so daß sich unbemitteltere Familien stetsfort auch in die Miethhäuser
alten Schlages werden gewiesen sehen.

Der andere Grund aber, der die Wirksamkeit aller Abhülfe verkümmert, ist
der wichtigere, daß selbst die bestgebauten Wohnungen ihren Zweck nicht
erreichen, so lange die Grundbedingungen einer guten und gesunden Wohnung
so wenig bekannt sind, oder so sehr außer Acht gelassen werden. Mit andern
Worten: auch die am zweckmäßigsten gebaute Behausung wird viel zu häufig
noch durch den Bewohner selber zu einer ganz ungesunden und schlechten
gemacht.

Begeben wir uns einmal in eine solche Wohnung, ohne uns jetzt sonderlich
um ihre bauliche Einrichtung zu kümmern.


4. Das Inwendige einer schlechten Wohnung.

Oeffnen wir sofort die Thüre, keine davor gebreitete Strohdecke, kein
Scharrbrett wird uns aufhalten. Wir zögern, über die Schwelle zu
treten: eine üble, dumpfige Luft scheint uns wieder hinausdrängen, ein
unordentliches Durcheinander den Weg versperren zu wollen. Halten wir
indeß aus und überwinden die erste Regung, an's Fenster zu eilen und
dasselbe aufzureißen, damit doch die frische, freie Luft hereindringe, die
von den trüben Fensterscheiben zurückgehalten wird. Der Fußboden, -- er
wird wohl von Holz sein, -- trägt alle möglichen Spuren, von der Straße
draußen wie von dem Fette und den Speisen der Küche. Papierschnitzel,
Fadenresten, angebrannte Zündhölzer und Cigarrenstumpfen, abgenagte
Knochen und Kleidungsstücke finden sich da und dort. Auf dem Tische mitten
im Zimmer, auf dem, neben den Brosamen und Kafferingen noch vom Frühstück
her, die ungespülten Tassen stehen, sitzt die Katze und gehorcht ihrem
Reinlichkeitstrieb oder ihrer Naschhaftigkeit, indem sie die Reste aus
den Schüsselchen leckt. Ein großmächtiges Bett an der Wand befindet sich
noch ganz im selben Zustande, wie es die Bewohner vor 5 oder 6 Stunden
verlassen: Kissen, Federbett, Alles wirr durcheinander ohne Leintücher
indeß, wenn jenes Grau dort der Ueberzug sonst irgend eines Bettstückes
sein sollte. Und über all dieß wölbt sich, wie ein wolkiger, düstrer
Himmel, die von Oelqualm und Ofenrauch geschwärzte Zimmerdecke, gestützt
auf die unsaubere, in den Ecken schimmlichte Tapete der kahlen Wände.

Und doch sind die Leute hier drin nicht eben arm. Der Mann ist ein
geschickter Bandweber, er hat seinen guten und jetzt selbst reichlichen
Verdienst in einer Fabrik und auch die Frau bringt durch Arbeiten für
fremde Leute manchen Batzen in's Haus. Man erkennt's an Dem und Jenem, daß
der Mangel da nicht ein- und ausgeht: Einzelnes verräth sogar Wohlstand,
ja Luxus; aber es paßt Keines recht zum Andern, wie bei einem Trödler
stehen die Geräthe ohne rechte Beziehung zu einander. Ein währschafter
Schrank fehlt, eine neumodische Kommode vermag nicht Alles zu beherbergen,
wenn gleich darin die buntbebänderte Sonntagshaube, der Laib Brot, die
Unschlittkerzen und der Kamm noch so enge zusammenrutschen, und das
zerbrochene Spielzeug auf's bescheidenste sich zwischen eine Handvoll
Aepfel und die seidene Weste des Mannes versteckt. Deßhalb fährt auf Tisch
und Stuhl dieß, jenes Kleidungsstück vom vorgestrigen Sonntage herum,
oder selbes Geräthe, das ja in den nächsten vierzehn Tagen wahrscheinlich
wieder einmal gebraucht wird. Bedarf man aber des Stuhles, des Tisches
sonst, ei nun da ist das darauf Liegende ja bald zusammengerafft und auf
das Fenstersims, das Bette geflüchtet, wo es für den Augenblick nicht im
Wege liegt.

Wir wollen nicht in andere Räume treten, in die Küche so wenig, als an
noch verborgenere Oerter: dieß Zimmer schon predigt laut genug, hier sei
nicht gut wohnen! Und unbehaglich genug sieht's allerdings bei den Leuten
da aus, die bei sich selbst nirgends daheim, sondern vielmehr in stätem
Auszuge scheinen begriffen zu sein.


5. Wie die Bewohner einer schlechten Wohnung aussehen.

Sehen wir uns indeß ein wenig genauer nach den Bewohnern selber um.

Der Mann arbeitet seit früh auf der Fabrik; er kehrt erst Mittags
auf die kurze Zeit des Essens nach Hause und Abends vielleicht noch
schnell, bevor er im Wirthshause seiner Erholung nachgeht. Die Frau
ist heute nicht auswärts; im Wasserzuber der Küche wäscht sie einiges
Linnen in der Stube aus, um auf Sonntag reine Wäsche zu haben. Sie
breitet diese soeben um den Ofen aus, an dem, neben wollenen Strümpfen
und dem Waschlappen, bereits auch Windeln hängen, die naß sind, ohne
gewaschen zu sein. Mehr Raum zu gewinnen, stellt sie ein Paar feucht
gewordene Endefinken vom Ofen herunter in's Ofenrohr hinein, bei
welchem Anlasse sie den eingedorrten Speiserest entdeckt, welchen sie
gestern vergeblich dem Manne vom Nachtessen aufgehoben. Das Aeußere
der Frau ist allerdings nicht sehr einnehmend. Sie mochte einst kein
so übles Mädchen gewesen sein, aber diese ungekämmten, im Gesichte
herumhängenden Haare, die gelbe, verknitterte Haube, das zerrissene
bunte Halstuch passen zu einem ordentlichen Aussehen so wenig, als das
unreinliche Fähnchen von Indienneröckchen, welches sie trägt, oder als
die herabhängenden Strümpfe und niedergetretenen Schuhe. Man könne im
Hause nicht Staat machen! -- meint die Frau; denn allerdings, wenn sie
ausgeht, dann flattern um keine andere Haube so viele und so bunte
Bänder, da ist ihr Halstuch das blumenreichste, ihr Rock der steifste,
von gestickten Kräglein, Anstößlein, Vorstecknadeln und anderem Zierrath
nicht zu sprechen. Daneben geben ihr jetzt die Kinder viel zu thun, deren
eines gerade wieder krank ist und um deßwillen sie heute auch zu Hause
geblieben. Das ältere, ein Büblein, hockt am Boden und nagt an einem Weck.
Der kleine Kegel sieht drollig genug aus in seinen bis unter die Arme
reichenden Höslein, dem dicken, wollenen Halstuche und der Pelzkappe, die
er über die Ohren heruntergezogen, trotzdem er am Ofen sitzt und draußen
ein ganz hübscher Märztag ist. In der Nähe giebt's freilich allerlei an
ihm auszusetzen: so scheint mütterliche Liebe seine struppigen Haare
ebenso nachsichtig der Pein des Kämmens, als das aufgedunsene Gesicht der
Qual des Waschens zu überheben. Es hätte freilich dem armen Kleinen auch
gar zu wehe gethan, bei den Schorfen und Borken, die ihm auf dem Kopfe,
an der Nase, hinter den Ohren sitzen und deren schmerzhaftes Jucken ihn
so schon launisch und meisterlos genug machen, weßhalb ihm die Eltern in
Allem seinen Willen lassen müssen. Sein jüngeres Schwesterchen dagegen,
das leider den ganzen Winter den Doktor gebraucht und auch jetzt in den
Federkissen seines Bettchens tief versenkt liegt, zeigt sich als das
gerade Gegentheil von ihm. Es sei das beste Kind von der Welt! -- rühmt
es die Mutter, Tagelang bleibe es liegen, wo sie's hinlege und störe sie
in nichts, sobald es nur seinen Lutscher habe und was koste der, als ein
wenig Zucker und Brotkrumme! Wenn der Mehlbrei, -- und sie koche ihn doch
absichtlich recht steif, -- nur besser bei ihm anschlüge! (fügt sie
klagend bei,) aber es setze sich Alles in den Bauch, der werde kugelrund
und Aermlein und Beinlein blieben wie Schwefelhölzchen. Nächstens werde
das Emilie zweijährig und vom Stehen sei noch keine Rede bei ihm; auch
leide es an den Augen, gäb wie sie es vor dem kleinsten Luftzuge behüte!

Die arme Frau ahnt es nicht, daß sie allein mit ihrer unvernünftigen
Pflege der Gesundheit ihrer Kinder hindernd im Wege steht.


6. Wo's noch übler aussieht.

Es giebt viel hundert Wohnungen, darin es noch weit schlimmer aussieht,
in denen z. B. neben den Gliedern derselben Familie wildfremde Menschen,
Kostgänger, die gleichen Räume, ja Schlafgemächer bewohnen und überfüllen.
Sogenannte Haushaltungen giebt es, wo der Mann den größten Theil seines
Erworbenen in's Wirthshaus trägt, die Frau das, was in ihre Hände kommt,
an Flitter, an Leckereien, an Lustbarkeiten verschleudert. Allmälig wird
sie gleichgültig; wie bisher die Haushaltung, vernachläßigt sie nun auch
sich selbst und thut ihr Mögliches, dem Manne den Aufenthalt daheim
gründlich zu verleiden. So kommt er immer später und in halbtrunknem
Zustande nach Hause, indeß sie mit den Kindern zu darben beginnt. Es
giebt gegenseitige Vorwürfe, scharfe und harte Reden, in der Leidenschaft
und dem Trunke wohl noch Schlimmeres. Mürrisches Wesen, lieblose Worte
werden die tägliche Umgangssprache, Zorn und Verdruß machen den Mann zum
Trinker, erst in Wein und allmälig, wenn der seine Wirkung verliert oder
bei abnehmendem Verdienste zu theuer wird, in Schnaps. Unzufriedenheit,
Verdrießlichkeit setzen sich bleibend bei ihm fest, der gute Muth
schwindet, in gleichem Maße die Arbeitslust und Fähigkeit. Er wird ein
unzuverläßigerer, schlechtrer Arbeiter; um so besser freilich lernt er das
Aufbegehren. Aber je mehr er an Gott und Welt zu verbessern findet, um so
schneller geht's Stufe um Stufe mit ihm und den Seinen in den Sumpf des
selbstverschuldeten Elends und der Verworfenheit hinein, bis sie alle am
Ende hülflos der öffentlichen Wohlthätigkeit zur Last fallen.

Wer wüßte nicht Namen zu solchen Beispielen zu nennen? -- Oder wo
noch ein besseres häusliches Zusammenleben besteht und keine solche
Verlotterung um sich gefressen, da brechen Elend und Jammer an der Hand
von Krankheiten, besonders herrschender Seuchen, des Nervenfiebers, der
gefürchteten Cholera mit Vorliebe in die unreinlichen und vernachlässigten
Wohnungen. Der Vater, die Mutter werden auf's Krankenlager geworfen,
häufig genug zugleich auf's Todbette. Sie sind nicht das einzige Opfer.
Ein paar Tage später wird ein zweites Glied der Familie ergriffen und es
ist gar nichts Seltenes, ganze Häuser weggerafft zu sehen, indem jede
Erkrankung der Seuche nur immer neue Nahrung zuführt. Die Unreinlichkeit
steigert sich ja dadurch stets wieder, die sich anhäufenden schlechten
Ausdünstungen bilden eine ansteckende Pestluft aus, die alles Leben
vergiftet.

Dieß hat leider die Cholera der letzten Jahre überall, fern wie nah, des
Unläugbarsten dargethan, während Reinlichkeit und regelmäßiges Leben als
eine wahre Schutzmauer gegen die Seuche sich erwiesen.


7. Vom Allerinwendigsten einer schlechten Wohnung.

Aber warum sind denn nur auch gerade die schlechtesten und
unfreundlichsten Wohnungen immer so gesucht, als hätten viele Menschen
eine angeborne Vorliebe just für Spelunken und weder Augen, Nasen noch
Nerven überhaupt? Woher kommt das? --

Ja, diese schlechten Wohnungen, -- hören wir entgegnen, sind halt viel
wohlfeiler als jene gut eingerichteten, und darauf muß der gemeine Mann
bei so theurer Zeit vor Allem sehen. Sie liegen auch nicht so weit ab vom
Mittelpunkte des Verkehrs und des täglichen Erwerbes wie jene luftigern,
besser eingerichteten, die draußen vor den Thoren, an irgend einem Ende
der Stadt stehen!

Hierin liegt Etwas, wenigstens für den ersten Blick, wenn auch ein wenig
Bewegung in freier Luft, bevor man sich halbe Tage lang ununterbrochen
in eine Fabrikstube setzt, hinter einen Webstuhl stellt, gewiß weit mehr
anzurathen als zu vermeiden ist. Doch lassen wir die Antwort gelten und
fragen nur: warum sieht's denn bei diesen an sich schon so schlechten
Wohnungen auch ~drinnen~ so liederlich und verwahrlost aus? Warum stößt
man innert den vier Wänden noch extra auf Unreinlichkeit, Unordnung
und verkommenes Wesen? Warum wird der letzte Lichtstrahl durch die
schmuzigen Scheiben auch noch abgewehrt? die feuchte Luft noch besonders
verpestet? die morsche Diele mit einer Kruste Unraths eigens überzogen?
der beschränkte, schlecht eingetheilte Raum durch Unordnung noch mehr
verstellt?

Da kann nicht mehr von Einschränkung, von Genügsamkeit die Rede sein.
Dieß zeigt vielmehr, daß für solche Bewohner Reinlichkeit, Ordnung,
Wohnlichkeit überhaupt keinen Werth haben, daß ihnen im Gegentheil eine
derartige Umgebung zusagen muß, ihr Wesen und Treiben darin sich nicht
belästigt, nicht beengt findet, sondern beides vielmehr ganz zu einander
paßt. Wenn man mit Recht behauptet, von der Wohnung und Umgebung des
Menschen lasse sich auf diesen selbst und seine Neigungen und Gesinnungen
schließen, so sieht es eben in solchen Leuten selber nur zu oft dumpfig,
lichtscheu, unsauber, verschlossen aus. Die innere Unordnung versteckt
sich hinter die äußere wie hinter einen Schild und Scheuern, Lüften,
Ordnungschaffen thäte in derlei Köpfen und Herzen nicht minder Noth wie in
den von ihnen bewohnten Zimmern und Kammern und Vorräumen.

Dieß inwendige Verlottern kommt nicht plötzlich über Nacht. Häufig ist
schon früh bei der Erziehung gefehlt, der Sinn für Reinlichkeit und
Ordnung nicht geübt und genährt worden: der Vater war wenig zu Hause,
die Mutter hatte alle Hände voll zu thun und griff's sonst nicht zum
geschicktesten an, die Umgebung war auch nicht darnach, wo hätte da das
Kind drauf merken lernen? Später aber war man an die Vernachlässigung
gewöhnt. Bei dieser Gleichgültigkeit bleibt es nun nicht, es setzt sich
allmälig noch Andres dran und macht aus arg ärger.


8. Ein Wörtlein über Zerstreuungen und Erholungen.

Jeder Mensch will seine Erholung, seine Vergnügen haben und wer im
Schweiße des Angesichts arbeitet, dem sind diese doppelt zu gönnen. Nun
kann's einer Seele aber in solch schlechten Wohnungen unmöglich wohl
werden, wo einen Alles so unfreundlich und unwirthlich ansieht. Man sucht
deßhalb seine Freude sonstwo; Gelegenheiten gibt's genug, täglich werden
noch neue erfunden und in allen Blättern dazu eingeladen, -- zu ermäßigten
Preisen sogar. An diesem Vergnügungsorte, in jenem Wirthshause sieht's
dann freilich heitrer aus als in dem Neste daheim, man wird noch obendrein
wie ein Herr behandelt, die Gesellschaft ist unterhaltend, ein gutes
Glas Wein, ein schmackhaftes Bißlein, das Alles findet sich da, und wie
appetitlich! Der Arbeiter verdient ja seinen schönen Batzen, was soll er
nicht auch einmal sich wohl sein lassen, nicht eine Zerstreuung haben?
Und diese Gelegenheiten außer dem Hause gefallen einem so gut, daß man
sie bald wieder und immer häufiger sucht, dem Hause vollends den Rücken
kehrt, kaum noch drin schläft.

So trinkt man in der fremden Wirthschaft stets eifriger auf den Verfall
der eignen; die Zerstreuungen schlagen so wohl an, daß von einer Sammlung,
der Sammlung im eigenen Hause, keine Rede mehr ist.

Wenn es nur keine schlechten Zeiten, keine kranken Tage gäbe und das
lustige Leben die Arbeitslust nicht untergrübe! mit ~einem~ Worte: wenn
der Mensch nur einzig auf der Welt wäre, seinen Lüsten zu dienen! Da
dieser nun aber nicht blos für den Tag lebt, sondern für die Ewigkeit, so
geht's unter lauter Zerstreuung und Lustbarkeit erst allmälig bergunter,
bald rascher und man langt vergeblich da- und dorthin, an morsche Latten
und in Glasscherben nach Hilfe. Pflicht und Gewissen und Ehrbarkeit werden
auch nicht zu lange mehr berathen, dunkle Winkel aber, unsaubre Betten,
ungewischte Bänke und Tische, schmuzige Hände und Unordnung überall sind
dann für einen solchen Zustand wie geschaffen.

Wo jener leichtfertige Sinn sich festgesetzt hat, ja da mag man dann lange
gute und gesunde Wohnungen bauen. Das Wohlsein daheim kommt ja in keinen
Betracht und die kurzsichtige Verkehrtheit verwendet die paar Franken
ersparten Hauszinses schon im Voraus zu der und jener Lustbarkeit, diesem
Flitterzeug, selber Leckerei, ohne zu bedenken, daß Doktor und Apotheker
kommen und darauf und auf noch mehr Beschlag legen möchten.


9. Vom Fundamente des Hauses.

Erholung, Freude, Wohlbefinden dürfen nicht unterdrückt werden, bei Leibe
nicht! und ein gesundes Herz und ein gesunder Leib sollen dieses Glückes,
mit welchem Gott die Arbeit so gerne krönt, noch erst recht genießen.
Aber sie dürfen nicht mehr auf Mistbeeten aufgeilen, sondern müssen in
gutem Grund und Boden kräftige, lebensfähige Wurzeln schlagen. Dieser
Grund und Boden aber ist kein anderer als der des eignen Hauses, des
eignen Hauses, auch wo man mit Weib und Kind zur Miethe wohnt. Hier, bei
sich daheim, kann der Aermste reich sein und der Abhängigste Herr und
Meister von Gotteswegen, der Niedrigste wird sich da gehoben fühlen und
das Vergnügen kostet hier weder viel Geld, noch trägt es den Stachel der
Reue. Auf dieser Grundlage wächst allein jene innere Kraft, welche die
Stürme erträgt und der Verweichlichung durch gute Tage widersteht. Nur auf
dem Boden des Hauses wird auch in Wahrheit der Ehestand zu dem, was er
sein soll, nach dem alten Spruche: zu dem rechten Zuchtmeister, der den
Menschen erzieht für Zeit und Ewigkeit, und nicht, wie so manche halt- und
bodenlose Ehe, zu einer lebenslänglichen Strafanstalt. Durch gar nichts
ist der Segen des Familienlebens zu ersetzen, der auf dem natürlichsten
Wege aus jedem Augenblicke des Beisammenseins neue Nahrung zieht, aus
dem Munde des Vaters, dem Beispiele der Mutter, der Anhänglichkeit und
dem Gedeihen der Kinder, aus der Liebe, die Alle verbindet und dem
Gewöhnlichsten eine Bedeutung gibt.

Um aber zu dieser Erholung, dieser Freude, diesem Glücke zu gelangen, muß
es einem vor allem daheim innert den vier Wänden an Leib und Seele wohl
sein, man muß sich wirklich heimisch fühlen können. Wie wird dieß möglich?


10. Wer der wahre Baumeister ist.

Gewiß wird es immer bessre und weniger gute, ja geradezu schlechte
Wohnungen geben und der Arme wird letztere nie ganz meiden können. Ihre
Lage in Mitten der Städte, in der Nähe der Vermöglichen wird ihn sogar
anziehen und auch eine genaue Aufsicht der Gesundheitspolizei mag vollauf
Arbeit haben, nur die schreiendsten Uebelstände abzustellen, weil sie
das einzige Mittel, das bleibt, manche Wohnungen unschädlich zu machen,
nämlich sie zu schließen oder niederzureißen, nicht anwenden kann. Aber
ebenso gewiß ist es auch wieder, daß die schlechteste Wohnung sich
verbessern läßt, die empfindlichsten Nachtheile sich heben oder mindern
lassen. Dazu jedoch ist Eins unerläßlich, ~das Eine, daß ein Jeder selbst
die Hand anlege~. Denn wie der Bewohner eine vorzügliche Wohnung zu einer
nachtheiligen umwandeln kann, so ist er ebenso der Hauptbaumeister, der
eine schlechte Wohnung zu einer guten und gesunden zu erheben vermag, ein
Baumeister zugleich, den alle Baumeister der Welt nicht zu ersetzen im
Stande sind.

Dieser zu sein oder zu werden, dazu rüste du dich, der du's bisher
vielleicht versäumt hast, nur aus mit gutem Willen und Aufmerksamkeit;
mehr bedarf's nicht! Mit diesen schon wirst du deine Wohnung gesund und
wohnlich einrichten und dem Wirthshaus, den Lustbarkeiten draußen, dem
Flitter und der Hoffahrt gegenüber, dir ein sicheres Haus bauen, darin gut
wohnen ist, das der Stamm ist, darauf du allein gedeihest, darauf deine
Kinder und Kindeskinder wachsen und dir zum Segen reifen werden!

Weil aber Alles in der Welt will gelernt sein und jedes Handwerk seine
besondern Vortheile und Vorschriften hat, auch wenn diese durch bloße
Gewohnheit von Kindsbeinen an und ohne besonderes Kopfzerbrechen sich
aneignen ließen, so soll jetzt hier zu gutem Ende zusammengestellt
werden, was solchem Baumeister einer gesunden Wohnung zu wissen Noth
thut. Besondere Kosten sind keine mit verbunden, das Geheimniß ist bald
geoffenbart und die Kunst leicht zu lernen, nur macht aber auch hier
Uebung allein den Meister. ~Luft~, ~Licht~, ~Reinlichkeit~ und ~Ordnung~
indeß sind die Bausteine und das Pflaster, daraus unter Gottes Segen Jeder
sich eine gute und für Leib und Seele gesunde Wohnung aufführen kann!

Sehen wir zu, wie man diese am besten handhabt und am passendsten
verwendet.


11. Die Luft.

Die Luft zählt zwar für nichts. »Niemand kann von der Luft leben!« -- hört
man als gewöhnliche Redensart. Das ist aber grundfalsch; da verstanden's
die Alten besser, welche Luft die Nahrung, das Futter des Lebens nannten.
Und mit Recht, denn sie ist für unsern Leib gerade ein so nothwendiges
und unentbehrliches Nahrungsmittel als Speise und Trank.

Athmen ist nicht nur, daß man Luft einzieht und sie nachher wieder
ausbläst: die ausgeathmete Luft ist eine ganz andre als die eingezogene,
und was inzwischen mit ihr in der Brust vorgegangen, das ist eben das
Wichtige und der Zweck des Athmens. Das Blut hat da in der Lunge schnell
das, was ihm zur Erhaltung des Lebens nothwendig ist,[A] aus der beim
~Ein~athmen zugeströmten frischen Luft an sich gezogen und dagegen sein
Unnützes und Verbrauchtes abgegeben, das dann beim ~Aus~athmen mit dem
Uebrigen als umgewandelte und nunmehr unbrauchbare Luft wieder aus der
Brust ausgestoßen wird und sich mit der Luftmasse außer dem Menschen,
sei's in einem Zimmer oder im Freien, vermischt. Dieß wiederholt sich
bei jedem Athemzuge. Daß die abgeschlossene Zimmerluft dadurch allmälig
verschlechtert wird, ist leicht zu ermessen. Daraus läßt sich denn auch
entnehmen, wie die Luft keineswegs so gleichgültig ist, sondern sie
einerseits um so nachtheiliger sein wird, jemehr jene Bestandtheile,
welche als unbrauchbar vom Blute durch das Ausathmen[B] und durch die
Hautausdünstung[C] an sie abgegeben werden, in ihr sich anhäufen.
Anderseits aber muß sie um so vortheilhafter sein, je ungeschmälerter sie
den Bestandtheil enthält, welcher zur Neubelebung des Blutes taugt.

Es ist nun vom lieben Gott einmal so weise eingerichtet, daß es nicht
erst besonderer Vorkehrungen bedarf, diese uns zuträgliche Luft mit Mühe
und Kosten herzustellen. Im Gegentheil ist ~diese~ gerade die beste, die
unter dem freien Himmel liegt und in welche das Gras des Feldes und die
Bäume des Waldes ungehindert hineinwachsen. Es ist somit genug gethan,
wenn man solcher frei und überall vorkommenden Luft möglichst leichten
Zutritt verschafft. Nun ist's weiter eine einfache Rechnung: wo in einer
Stube ~viele~ Leute sind, da wird das uns Zuträgliche aus der Luft durch's
Einathmen gewiß schneller weggenommen und umgekehrt, durch's Ausathmen
mehr Verbrauchtes drin angesammelt werden, als wo nur ~eine~ Person sich
aufhält. Die Luft des Zimmers wird also immer schlechter werden und um so
schlechter, je kleiner seine Luftmenge, d. h. sein Raum ist.

Es braucht gar keiner feinen Nase, um die schlechte Luft zu erkennen. Wer
z. B. Morgens aus dem Freien in ein Schlafzimmer tritt, namentlich in
eins, darin mehrere Leute die Nacht zugebracht, den wird es auf der Brust
schnüren. Wo längere Zeit in einem geschlossenen Raume viele Menschen
beisammen gehalten werden, steigert sich die Athembeschwerde bis zu
Taumel, Uebelkeit und Ohnmacht. Darum ist ja auch auf überfüllten Schiffen
die Sterblichkeit so groß. In Calcutta wurden in der sog. schwarzen Höhle
146 Menschen zusammengesperrt; innert 10 Stunden gingen davon 123 zu
Grunde und zwar bloß, indem die Luft durch's Athmen der Eingeschlossenen
und keineswegs etwa durch andere schädliche Dünste und Gase verdorben
wurde. Kommt nun hiezu noch Oelqualm, Ofenrauch, die Ausdünstung von
feuchten Wänden, trocknender Wäsche, von Abgang und Speisen, von Abtritten
und Baugruben, Kellern und Cysternen, so ist klar, daß die Luft noch
viel untauglicher zum Athmen werden muß. Diese Extraverschlechterung
gehört indeß größtentheils ins Capitel der Reinlichkeit, von welcher
sich's wohl lohnt, noch besonders ein Wörtlein zu reden. Hier nur soviel:
Man kann lange frische Luft in eine Stube, eine Kammer, einen Vorraum
hereinlassen, es wird nicht viel damit gewonnen sein, wenn angehäufter
Unrath, verwesender Abgang, ein stinkender Wasserstein u. drgl. durch ihre
Ausdünstung die Luft fortwährend verderben. Nicht fleißig und schnell
genug können darum alle Stoffe, welche die Atmosphäre verunreinigen, aus
bewohnten Räumen entfernt werden.

Etwas Andres ist es mit der ganz unvermeidlichen Verschlechterung der
Zimmerluft durch's bloße Ausathmen und Ausdünsten der Bewohner, wobei es
sich um den gehörigen Zutritt guter und frischer Luft handelt, als Ersatz
und Verbesserungsmittel der verbrauchten.

Dieß Herbeiziehen frischer Luft beschäftigt auch, um seiner Wichtigkeit
willen, besonders in neuerer Zeit wieder, die Sachverständigen in hohem
Grade. Zunächst in Beziehung auf Krankenhäuser, Gefängnisse, Kasernen,
kurz Räume, in denen viele Menschen angesammelt sind und folglich durch
das vermehrte Athmen und Ausdünsten die Luft in größerm Maße verdorben
wird. Die Wichtigkeit indeß ist für die Wohnung der einzelnen Familie
ganz dieselbe, namentlich wo diese zahlreich und der bewohnte Raum ein
beschränkter ist.

Zum Glücke für keine geringe Zahl Menschen erneut und verbessert sich die
Luft in den Wohnungen schon großentheils von selber, indem letztere nichts
weniger als für die äußere Luft unzugänglich sind. Diese dringt nicht nur
durch Thür- und Fensterspalten herein, sondern sogar buchstäblich durch
den Mörtel und die Backsteine der Mauerwände,[D] weßhalb es denn z. B.
bei empfindlichen Kranken, keineswegs nur Einbildung ist, wenn solche
über Luftzug aus dem Mauerwerke klagen. Geht draußen der Wind, so wird
dieser natürliche und unterbrochne, wenn auch verlangsamte, Luftwechsel
in den Wohnungen noch vermehrt, wie es ja bekannt genug ist, daß man im
Winter bei Wind weit mehr heizen muß, als wenn es ohne Wind bloß kalt
ist. Ein anderes wirksames Beförderungsmittel für die Verbesserung der
inwendigen schlechten Luft durch die zuströmende äußere gute ist auch
die verschiedene Wärme im Zimmer und im Freien. Es verlüftet eine Stube
des Winters gerade so erfolgreich, wenn man das Fenster nur eine halbe
Stunde öffnet, als wenn es des Sommers einen halben Tag lang aufgesperrt
wird. Freilich aus dem gleichen Grunde ist dann bei Armen, welche das Holz
sparen müssen, und besonders wo Viele beisammen wohnen, die Zimmerluft
im Winter um so nachtheiliger: Wenn es drinnen wie draußen fast gleich
kalt ist, so wird sich die schlechte Luft in der Stube mehr ansammeln,
ohne genügend durch zuströmende gute verbessert zu werden. Deßhalb ist
überhaupt auch kalte Stubenluft für die Gesundheit weit schädlicher als
kalte Luft im Freien.

Wie bedeutend indeß der natürliche Luftwechsel (Luftverbesserung) im
Innern der Wohnungen ist, er hat seine Grenze von wo ab er nicht mehr
ausreicht. Diese wird sein, wo der durch Ausathmung und Ausdünstung der
Menschen[E] sich verschlechternden Luft von der natürlich zuströmenden
guten nicht mehr die Waage gehalten wird;[F] also wohl überall, wo
Wohnungen stark bevölkert sind. Für diese Fälle ist man bemüht, künstlich
durch allerhand Vorkehrungen genügend gute Luft herbeizuschaffen.
Man hat dieß durch die verschiedensten Einrichtungen mittels Pumpen,
besonderer Kanäle und Leitungen, mit hohen Kaminen in Verbindung, zu
erzielen gesucht. Diese sog. Ventilationsapparate werden namentlich in
Kasernen, Spitälern, Gefängnissen, Arbeitsälen u. s. w. angewendet; für
einzelne und bescheidenere Wohnungen sind sie indeß zu kostspielig und
zu wenig einfach. In diesen letztern, um die es sich hier doch besonders
handelt, wird man sich mit zugänglichern und wohlfeilern, wenn auch
weniger gründlichen Hülfsmitteln noch eine Weile behelfen müssen. Man
wird sich darauf beschränken im Winter, selbst ein bischen auf Kosten
der Scheiterbeige, die Fenster gehörig zu öffnen und durch diese noch
mehr bessre Luft hereinzulassen, als von selber schon durch Spalten und
Mauerwerk hereinkommt. Solches tägliche Lüften ist in den Wohnzimmern
immer erforderlich; vor allem aber in Schlafkammern, die ohnedieß
schon meist etwas stiefmütterlich behandelt aussehen, hinsichtlich der
Räumlichkeit und der Reinlichkeit. Leintücher, und das Bettwerk überhaupt,
welches von der Ausdünstung während des Schlafens am meisten durchdrungen
wird, sollte man fleißig an die freie Luft hinaus, womöglich an die Sonne,
hängen und dort recht auslüften lassen. Ferner sind aus solchen Räumen
alle großen Möbeln, welche die so schon ungenügende Luftmenge noch mehr
beschränken, zu entfernen, namentlich die Kisten und Tröge und Koffer, die
man häufig als Behälter unreiner Wäsche, unter den Betten antrifft.

Wo diese Aushülfe nicht genügt, weil die Zimmerluft durch die vielen
Leute, vielleicht Kost- und Schlafgänger, doch immer zu schnell wieder
verdorben wird und man ja nicht fortwährend die Fenster kann offen stehen
lassen, da muß noch sonst wie Rath geschafft werden und zwar dadurch,
daß man einen Theil der Kost- oder Schlafgänger einfach abdankt und auf
diese Weise der Luftverderbniß entgegenwirkt, indem eine Verminderung der
Bewohner einer Lüftung gleich kommt.

Ist indeß die eigene Familie sehr zahlreich, so läßt sich freilich dem
Nachtheile der Ueberfüllung eines beschränkten Raumes nicht auf die
gleiche Weise begegnen, wohl aber, wenn man eine geräumigere Wohnung
bezieht. Denn ein Raum, in dem vier Personen ganz gesund wohnen, kann für
acht oder noch mehr Menschen zu einem wahren Krankheitsheerde werden. Es
ist darum auch in Dänemark durch Gesetz vorgeschrieben, wie viel Wohnraum
ein lediger und wie viel ein verheiratheter Arbeiter zum Mindesten haben
muß. Da es sich um das Beste für den Menschen und sonderlich für den
Arbeiter handelt, um seine Gesundheit, so sollte man auch ohne Gesetz zu
solchen Veränderungen sich nicht zu lange besinnen.

Man begegnet vielfach der Meinung, daß durch den Luftzug in Oefen und
Kaminen, die man in den Zimmern heizt, eine namhafte Reinigung der Luft
bewirkt werde. Diese Luftverbesserung aber wird meist viel zu hoch
angeschlagen. Genaue Untersuchungen weisen nach, daß sie kaum für mehr
ausreicht, als die Luft, die ein einzelner Mensch durch sein Ausathmen
verdirbt, wieder herzustellen. Wo daher mehrere oder gar viele Leute
beisammen sind, kann der Ofen- und Kaminzug nicht mehr in Betracht
kommen. Rechnet man zu diesem geringen Vortheil noch die Nachtheile,
welche durch Rauch im Zimmer oder zu frühes Schließen der Ofenklappe
leicht entstehen, so wird man dieser Zimmerheizung kaum sehr das Wort
reden wollen.

Was die meisten Menschen gegen das Einathmen schlechter Luft so
gleichgültig macht, ist wohl vorzüglich der Umstand, daß die nachtheiligen
Folgen nur in seltenen Fällen auf der Stelle, und damit recht augenfällig,
zu Tage treten. Das Einathmen untauglicher Luft auf kürzere Zeit schadet
unserm Körper auch weit weniger, als wenn es auf die Dauer geschieht. Die
Wohnungen auf dem Lande sind oft sehr vernachlässigt, indem dort mehr auf
die Pflege des lieben Viehes gesehen wird, als auf die der Menschen. Es
wird nie gelüftet, dagegen die Stube im Sommer fortgeheizt. Die Fenster
sind klein, die Zimmerdecke niedrig, man schläft unter bleischweren
Federbetten und Vierfüßer mehr als einer Art theilen neben den Hühnern
mit dem Menschen ein und denselben Wohnraum. Dazu ist das Essen oft
mangelhaft und nichts im Flor als die Unreinlichkeit. Man trifft deßhalb
in Dörfern allerdings auch häufig blasse kränkliche Kinder an. Diese wären
indeß noch weit zahlreicher, wenn nicht anderseits, sobald die Leute den
Fuß vor's Haus setzen, ihnen die frische Luft aufgezwängt würde, wenn
nicht zwischenein Sonne und Regen ungefragt die Naturen stärkten und
wieder gut machten, was die Menschen verdorben. Der Landbewohner sitzt
nur einen kleinen Theil des Jahres in seiner Stube, je mehr aber die
Landbeschäftigung zurücktritt und die Industrie (Weberei etc.) hervor, um
so bedeutungsvoller allerdings wird auch für ihn die Frage einer guten und
gesunden Wohnung werden.

Durch schlechte Luft wird also nicht auf der Stelle eine Krankheit
erzeugt, wohl aber die Gesundheit allmälig, fast unmerklich, geschwächt:
der Körper vermag nicht mehr schädlichen Einflüssen kräftigen Widerstand
entgegenzusetzen; was immer für eine Art Krankheit gerade herrschen mag,
Schleimfieber oder Katarrh, Entzündung oder Ruhr, keinen Augenblick ist
er vor ihnen sicher. Tritt gar irgendwo die Cholera, das Nervenfieber auf,
ja dann sind es diese schlechtgelüfteten Wohnungen und ihre armen Bewohner
jedenfalls zuerst, welche dem Besuche des furchtbaren Gastes blosgestellt
sind.

Beinahe schlimmer noch als diese rasch verlaufenden Krankheiten zeigen
sich inzwischen jene kriechenden, heimtückischen, die am Marke ganzer
Generationen zehren und sie langsam zu Grunde richten. Wir meinen
solche wie die Drüsenkrankheit (Scropheln) und die Lungenschwindsucht
(Tuberkeln). Für diese ist jene allmälige Schwächung und Vergiftung des
Körpers, wie sie das Einathmen verdorbener Luft herbeiführt, gerade der
gangbarste und sicherste Weg ihre Opfer zu erreichen. Ohne Aufsehen
serbeln in solchen Wohnungen schon die Kinder hin, man weiß nicht, woher
das kommt, wann es angefangen, hat nie einen Feind bemerkt: unsichtbar
in der dumpfigen Luft schwebend hat dieser auf das zarte Leben gedrückt,
immer schwerer und schwerer, bis er's endlich erstickt. »Die Luft ist ja
Nichts! man lebt nicht von der Luft!« -- nun, so stirbt man aber doch von
ihr.


12. Das Licht.

Hat Einer einen Blumenstock, so stellt er den vor's Fenster oder trägt
ihn hinaus an die Tonne, denn er weiß, daß er ihm im Schatten welk und
siech wird, die grünen Blätter erblassen und nur saft- und kraftlose
Triebe aufschießen. Er weiß auch, daß die Knospen und Blüthen stets nach
dem Lichte sich hinwenden und wachsen, wenngleich man immer wieder sie
anders kehrte. Das gleiche Bedürfniß der lieben Gottessonne hat nun auch
der Mensch und besonders als Kind. Nicht vergebens zieht es einen an
schönen Frühlingstagen an allen Haaren hinaus, die liebe Sonne sich auf
den Rücken scheinen zu lassen und die sonnendurchwärmte frische reine
Luft in vollen Zügen einzuathmen. Daß dieß nicht bloße Vergnügenssache,
sondern wirkliches Bedürfniß ist, zeigen uns die armen Menschen, die ihres
Lebens größten Theil hinter geschlossnen trüben Fenstern, zwischen engen
Mauern in sonnenlosen kalten Hinterhäusern und Erdgeschossen, ja gar unter
der Erde in Kellern zubringen müssen. Sie sehen da gerade so aus wie
jene armen serbelnden Pflänzchen, die mit aller Gewalt ans Licht möchten
und können doch nicht. Da schwinden die rothen Backen, der frische gute
Muth, der lebendige Blick. Dafür wird die Haut bleich und schlaff, Kinder
sehen alt und ernst aus, es entwickeln sich bei ihnen leicht Augenübel,
Drüsenkrankheiten, bei Aeltern Wassersucht, besonders wenn, wie gewöhnlich
der Fall, noch Mangel an frischer Luft und Unreinlichkeit dazu kommen. Es
müßte auch, schon ganz äußerlich betrachtet, ein Gemüth sehr verfinstert
sein, auf das nicht der erste helle Frühlingsstrahl einen heitern Eindruck
übte. Freilich ist's fatal, wenn dieser dabei auf einen schmierigen
Fußboden, auf unsaubre Wäsche und Gesichter oder auf unordentliches
Geräthe fällt, denn gar unerbittlich hebt er nur viel schärfer all die
Gebrechen hervor. Um aber da der heilsamen Kraft nicht verlustig zu gehn,
sondern ihr herzhaft Thür und Fenster öffnen zu können, wird es am besten
sein, man richte sich so ein, daß man das Sonnenlicht nicht zu scheuen hat
und dieß geschieht durch Reinlichkeit.


13. Reinlichkeit und Ordnung.

Reinlichkeit und ihre Schwester die Ordnung, sind die Grundlage aller
Wohnlichkeit und Behaglichkeit; ebenso sehr auch ein Hauptmittel der
Gesundheit. Wie sie die Armuth der Hütte verklären, so erlischt ohne
sie die Pracht des Palastes. Sie umfangen Alles: den Menschen selbst,
seine Kleidung, seinen Hausrath, seine Arbeit und die ganze Umgebung.
Der einfachste und gebrauchteste Tisch von Tannenholz, das gröbste und
geflickteste Hemde, wenn sie ganz und rein sind, stehen hoch über einer
unsaubern Commode von Mahagoni, einem schmuzigen gefältelten Vorhemdchen
mit vergoldetem Knöpfchen drin. Nehmt dasselbe Zimmer, die gleichen
Geräthe, die in ihrem unreinlichen und unordentlichen Zustande euch vor
Unbehaglichkeit hinaustreiben, und reiniget Alles gründlich, wascht den
Fußboden, das Getäfel, die Fenster, den Tisch, die Bettstelle, ebenso
die Vorhänge, die Bettwäsche, stellt Jedes dahin, wo's hingehört und ihr
werdet euch in einer neuen Welt finden, in der euch wohl und heimisch
ist und darin Alles, auch das Geringste, besser, freundlicher, weniger
armselig aussieht.

Es giebt zwar genug Leute, welche meinen, Reinlichkeit trage nichts ab
und habe mit dem Wohlsein nichts zu schaffen. Demgemäß lassen sie denn
auch auf ihrem Leibe sich ansammeln und ansetzen, was nur immer Lust
hat. Und unter ihrer Kruste von Unreinigkeit und abgestandener Haut
empfinden sie freilich nichts von dem stärkenden erfrischenden Gefühle,
das nach einem Bade den ganzen Körper durchströmt, als fließe nun das Blut
freier, kräftiger durch alle Adern durch. Nichts ist zuträglicher für die
Gesundheit als solche Bäder, oder, wo sie nicht möglich und im Winter, als
Ersatz kaltes Waschen des Körpers. Viele Krankheiten, und vor Allem die
ganze Reihe der langweiligen Erkältungskrankheiten, können buchstäblich
weggewaschen werden, indem die Haut durch's Waschen belebt, gestärkt wird
und so dem Einflusse der wechselnden Witterung widersteht. Besonders für
Kinder, deren Haut so saftreich und thätig ist, zeigt sich das kalte
Waschen heilsam und kräftigend.

Nicht umsonst hat der alte Moses seinen Israeliten so bestimmte und
einläßliche Vorschriften über die Reinlichkeit gegeben, ja dieselbe
zu einer religiösen Pflicht gemacht. Wie viele Christen hätten da von
den Juden zu lernen! Ueberhaupt steht unsre Zeit hierin der der Alten
bedenklich nach. Wie ganz anders sah's z. B. in dem alten Rom aus, als
in unsern neuen Städten, das modische Paris nicht ausgenommen! Ueberall
waren dort öffentliche Bäder eingerichtet, die man regelmäßig benützte.
Kostbare Riesenbauten, deren Ueberreste die Welt noch jetzt anstaunt,
führten das beste Wasser weit aus dem Gebirge herbei. Keine Gelegenheit
war da zu ferne, kein Preis zu hoch, man rechnete nicht ängstlich die
Zinse nach, denn es betraf ja Gesundheit, Wohlsein des Volkes und alle
Welt genoß der Wohlthat guten und reichlichen Wassers. Anderseits führten
die großartigsten unterirdischen Gänge und Kanäle (Kloaken) alles Unreine,
allen Abgang sogleich aus dem Bereiche der Menschen weg.

Im Gegensatz hiezu leiden bei uns nur zu häufig Arme und Reiche gleiche
Noth an gutem Wasser und da ist die ganz nothwendige Folge eben die
Unreinlichkeit; am auffallendsten freilich immer in der Wohnung des
Aermern. Wo man jeden Tropfen weit herholen und sparen muß, ja da wird
beim Fegen und Waschen keine große Verschwendung getrieben und man läßt
schon eher etwas »zusammenkommen«. Ganz natürlichen Schritt hiemit hält
die Gleichgültigkeit gegen schlechte Ausdünstungen, aus Winkeln und
feuchten Höflein, gegen Gerüche aus Mistgruben, Abtritten und Cysternen,
aus mangelhaften Dohlen und Löchern, in denen der Abfluß sog. Wassersteine
stehen bleibt. Da ist keine Vorkehrung getroffen, es wird für keinen
Ablauf, für keine Reinigung gesorgt. Wozu sollte dieß auch ein Einzelner?
fünfzig, hundert Menschen vielleicht, benutzen ja die »Gelegenheit«,
was sollte Einer den Narren machen für die Andern? Und so athmen denn
Hunderte und Tausende vieler Orten diese verpestete Luft und es hilft
dann allerdings nicht viel, zur Verbesserung der verdorbenen Zimmerluft
die Fenster zu öffnen und diese vielleicht ebenso schlechte Luft
hereinzulassen. Wie's da aber hernach aussieht, und namentlich in großen
Städten (wo die Menschen enge wohnen und die übeln Ausleerungen massenhaft
sich ansammeln,) wenn ansteckende Krankheiten, z. B. Cholera, ausbrechen,
das zeigen die Sterbetabellen leider nur zu deutlich.

Es ist hier allerdings mehr das Gebiet der obrigkeitlichen Fürsorge und
der Einzelne, besonders der Miether, wird unmittelbar kaum viel mehr zur
Verbesserung beitragen können, als daß er selber so wenig als möglich
Ansammlung von solchem Unrathe in seiner Nähe veranlaßt und auf Abhilfe
~der~ baulichen Uebelstände dringt, denen mit einiger Leichtigkeit zu
begegnen ist. Wo es dagegen schwer, vielleicht unmöglich zu helfen,
da wird er am klügsten handeln, solche gefährliche Nachbarschaft oder
Einrichtung zu fliehen, indem er auszieht. Im Ganzen aber ist es schon
ein Gewinn, wenn nur die allgemeine Aufmerksamkeit sich auf Dergleichen
richtet, der Uebelstand als solcher erkannt, das Bedürfniß empfunden wird;
einmal so weit und die Abhülfe wird auch selten mehr gar zu entfernt sein.

Reinlichkeit kann Jeder üben, selbst der Aermste, es kostet kaum mehr als
ein bischen Mühe. Und laßt sie nur einmal irgendwo recht Wurzel schlagen,
sie wird sich bald über eure ganze Umgebung verbreiten. Wer seinen Körper
reinlich hält, der wird nicht allein auch auf frische und saubere Wäsche
halten, sondern zugleich seine Kleider weniger verunreinigen. Er wird
keinerlei Abgang nur so in die Ecke werfen; sein Auge wird empfindlich:
ein ungescheuerter Tisch, ein schmuziger Fußboden werden ihm bald zum
Greuel und den Fliegen mag er fürder weder das Glas des Spiegels, noch
der Fenster zum Mißbrauche überlassen. Bricht einmal leidigerweise eine
Scheibe, dann schickt er doch lieber zum Glaser und nimmt sich vor,
künftighin vorsichtiger zu sein, als daß er ~das~ Loch nur so mit einem
Lumpen zustopft oder ein Papier drüber klebt. Abfall von Speisen in der
Küche, Kehricht, gebrauchtes Waschwasser und dergleichen Alles wird nicht
Tage- und Wochenlang aufbewahrt, sondern im Gegentheil sofort aus der
menschlichen Nähe geschafft. Jeden Morgen werden alle Räume, Treppen wie
Zimmer, gescheuert, wöchentlich auch gefegt; das versteht sich bald von
selbst und verursacht wenig Mühe und Unbequemlichkeit mehr. An den blanken
Fenstern will man saubre Vorhänge erblicken, je nach vier, sechs Wochen
versieht man die Betten mit frischen Leintüchern und hängt wöchentlich,
beim Wechseln der Leibwäsche, auch ein reines Handtuch hinter die Thüre.
Alle paar Jahre wird man überdieß im Frühjahr finden, die Zimmerdecke sei
den Winter über durch Ofenrauch und Oeldampf doch auch gar zu schwarz
geworden und entstelle das ganze Zimmer. Man rechnet zwar, sperrt sich,
indeß am Ende wird der Reinlichkeitssinn siegen und der Entschluß wird
gefaßt, zum Gypser zu schicken und weißen zu lassen: es gefalle einem dann
nachher noch eins so wohl zu Hause!

Schon durch diese regelmäßig wiederkehrende Thätigkeit aber wird eine
bestimmte Zeiteintheilung, mit dieser von selbst die Ortseintheilung,
das heißt eine allgemeine Ordnung sich ergeben, ohne daß man eigentlich
sieht wie? bei der man blos sich sehr behaglich, zufrieden, glücklich
fühlt und in welcher der gesammte Haushalt nur mit der halben Mühe gegen
früher scheint geführt zu werden. Nehmen dabei die einzelnen Staats- und
Modestücke auch ab, man wird sich trösten und weniger das Bedürfniß haben,
etwas vorstellen, scheinen zu wollen, weil man das innerliche Gefühl hat,
daß man wirklich etwas ~ist~. Sieht inzwischen die Frau auf der Straße
nicht wie eine Dame aus, ei nun, so gleicht sie dafür im Hause doch
keiner Hexe mehr: eine bequeme, einfache, reinliche Kleidung wird in ihr
stets die Hausfrau erkennen lassen. Gleicherweise hält sie ihre Kinder
reinlich und einfach und scheucht weder durch vernachlässigten Aufzug und
Unordnung, noch durch im Zimmer zum Trocknen aufgehängte Wäsche den Mann
~ferner~ in's Wirthshaus hinaus.


14. Recht sehen und richtig rechnen.

Die Bewohner aber, die einmal so in's rechte Geleise gekommen sind, werden
auch von selbst bald anders ~sehen~ und anders ~rechnen~ lernen.

Sie werden nicht nur merken, daß ihre ordentliche und reinliche Wohnung
und die damit verbundene Lebensweise ihnen mehr zusagt, als die frühere
vernachlässigte und ihnen, wie man sagt, dabei um's Herz wohl ist,
sondern auch, daß sie auf die neue Weise in Allem besser fahren. Und
wem wirklich der gute Stand seiner Wohnung eine angelegentliche Sache
ist, wer mit der Lüftung, der Reinlichkeit und Ordnung desselben Ernst
macht, der wird auch bald erkennen, wie weit ~er~ helfen kann und an
welche Uebelstände ~seine~ Hand nicht mehr hinanreicht. Liegen diese
in fehlerhafter Bauart, in schlechter Einrichtung, in nachtheiliger
Umgebung, so wird er, wenn er zur Miethe wohnt, sich mit Vorstellungen
an den Hausbesitzer wenden. Er wird Manches so erlangen können, weil der
Eigenthümer gerne an seinem Hause etwas verbessert, wenn er sieht, daß
sein Miethsmann ihm zu der Wohnung Sorge trägt, sie im guten Stande hält,
nicht Alles drin und dran verlottern läßt, wo ihn sonst freilich jeder
Batzen reuen würde. Solches wirkt oft mehr als alles Bitten und Beten. Wer
in seinem Haushalte Ordnung hat, der ist auch ein regelmäßiger Zahler,
es braucht keines Mahnens und Zuwartens, wenn der Zinstag da ist; man
hat von solchen Leuten überhaupt weniger Störung, Verdrießlichkeiten zu
erleiden und so ist es, neben dem natürlichen Wohlwollen, zugleich der
wohlverstandene Vortheil des Hausherrn, wenn er seinem Miethsmanne sich
gefällig zeigt. Thäte er dieß thörichter Weise nicht, oder ließe sich
großen Uebelständen überhaupt gar nicht abhelfen, dann würde sich freilich
der auf ein ordentliches und gesundes Quartier haltende Bewohner nach
einer andern, gesundern, bessern Behausung umsehen müssen. Sie zu finden,
würde ihm wohl nicht zu schwer fallen, denn einmal ist sein Auge geübt,
er weiß, worauf es ankommt, was nachtheilig und was vortheilhaft ist und
tappt nicht mehr gleichgültig oder unverständig in den ersten besten Raum,
der sich ihm aufthut, ohne nur zum Fenster hinausgesehen zu haben, oder es
zu beachten, wenn er mit dem Kopfe fast an die Zimmerdecke stößt. Und dann
werden seine Ordnungsliebe, seine Pünktlichkeit, sein guter Ruf ihn den
Hausbesitzern empfehlen vor zehn nachlässigen und leichtfertigen Miethern,
wie sie alle Vierteljahr aus- und einziehen und ohne welche die Zahl der
elenden Wohnungen bald sich vermindern würde, weil die Waare stets nach
dem Käufer sich richtet.

Es ist möglich, ja wahrscheinlich, daß, wer auf ein freundliches,
gesundes, wohnliches Logis sieht, etwas mehr Miethe zahlen muß als für
eine Spelunke. Daneben wird er rechnen: So viele Franken muß er allerdings
jetzt vierteljährlich mehr ausgeben, was hat er dafür? In der sonnigen
heitern Behausung kann er im Frühjahr und Spätherbste wenigstens ein paar
Wochen lang das Heizen sich ersparen, das ihm nun, gegenüber dem frühern
feuchten und kalten Winkel, die bloße Sonnenlage abnimmt. Dann geht ihm
von seinem Hausrathe, von Bettwerk und Kleidern in der trockenen und
luftigen Wohnung weniger zu Schanden als in einem dumpfigen Loche, wo sich
überall Schimmel und Faulflecken ansetzen. Die Hauptsumme indeß, die er
gewinnt, besteht in den Franken, die ihn seine kränkelnde Frau und Kinder
vordem kosteten und die in der gesunden Wohnung nun ganz oder zum großen
Theile erspart werden. Es ist nicht nur das Geld, welches baar an Doktor
und Apotheker ausgegeben wird, sondern auch jenes noch, das er in der
Zeit zu verdienen versäumt, der ganzen Zeit, die Krankheit und Pflege der
Seinen oder eigene Erkrankung ihn zu Hause festhielten.

Von den Bewohnern solcher geordneten, reinlichen und gesunden Wohnungen,
auch wenn sie in Fabriken arbeiten, gilt dann die allgemeine Annahme nicht
mehr, daß ihre Lebensdauer eine viel kürzere sei, als die der vermöglichen
Klassen. Daß von dieser größern Sterblichkeit die Wohnung und Lebensweise
daheim weit mehr der Grund sind als die Arbeit, das beweisen am
schlagendsten z. B. jene Arbeiterfamilien in den Musterwohnungen der Stadt
London. In diesen sterben von tausend Menschen im Jahre höchstens 13 bis
14, während in andern schlechtern Häusern, ganz im gleichen Quartiere, ja
mitten unter jenen Musterwohnungen, 27 bis 28 Todesfälle vorkommen. Solche
Erfahrungen und Zahlen reden denn doch deutlich und es scheint, Jeder
dürfte sie gar wohl mit in die Rechnung bringen, wenn er eine Wohnung
aussucht und den geforderten Miethzins in Erwägung zieht. Wenn sich nun
so beim Abschluß der Rechnung zeigt, daß die bess're, theurere Wohnung
doch zugleich die billigere ist, so kann kein Vernünftiger mehr in seinem
Entscheide schwanken, besonders wenn er ja noch Behagen, Zufriedenheit,
Glück, die er darin findet, gratis obendrein erhält.

[Illustration: Dekoration]



II.


1.

Die Dämmerung ist hereingebrochen; Liese und das 19jährige Liseli
erwarten jeden Augenblick den Vater, denn das einfache Nachtessen ist
parat. Unterdessen sitzen Mutter und Tochter am Fenster; nicht der
Aussicht wegen, denn gegenüber gibt's nichts als graue, halb vom Kalk
entblößte Mauern und halbverfaulte Läden, so nah noch, daß man meint, man
könnte das Alles zum Fenster hinaus mit der Hand ergreifen. Also Aussicht
gewährt das Fenster keine, wenn man nicht den Flügel öffnet und den Kopf
in's enge Gäßchen hinunterbeugt, wo freilich zu jeder Tages- und fast zu
jeder Nachtzeit etwas zu sehen wäre, was wunderfitzige und klatschsüchtige
Augen und Zungen ergötzt. Aber zu dieser Klasse gehören unsere beiden
Frauenzimmer nicht. Liese ist Wunderfitz und Klatschen vergangen, ohnedieß
hat das nie ihre starke Seite ausgemacht; jetzt sitzt sie meist still und
scheinbar nachdenklich in ihrem ererbten hochlehnigen Großvaterstuhl mit
dem zierlich geschweiften und in der Mitte gegipfelten Zierrath, der die
Füße des Stuhls in's Kreuz verbindet. Obgleich ihre 45 Jahre sie noch
nicht beugen können, sitzt sie doch welk da, düster und trüben Angesichts.
Zu klagen weiß sie nichts Besonderes, krank fühlt sie sich gerade nicht;
aber sie ist matt, ohne gearbeitet zu haben, appetitlos, ohne gegessen zu
haben, wehmüthig, ohne beleidigt zu sein, hat Schmerzen, ohne sagen zu
können: »Ich bin krank, mir fehlt das oder jenes.« Sie möchte klagen, aber
weil sie eigentlich nichts Besonderes zu klagen hat, so verschließt sie,
um Niemand Unrecht zu thun noch zu betrüben, ihre Klagen in sich, -- und
denkt fast ohne Aufhören, wie beklagenswerth sie sei.

Liseli sucht die stille, verschlossene Mutter aufzuheitern. Sie spricht
von allem Möglichen, vom Markt und von der Eisenbahn, vom Unglück mit
dem Steinweidling und vom Krieg; aber die Mutter gibt wenig Antwort.
Liseli ist eine zartfühlende Tochter; was sie nach ihres Herzens
Drang am liebsten erführe, das verschweigt sie am sorgfältigsten;
die Mutter würde ihr den Kummer ja doch nicht offenbaren, der sie zu
drücken scheint. Liseli thut, was in ihren Kräften steht, die Mutter zu
stützen und zu erheitern, führt die ganze kleine Haushaltung und putzt
dazwischen Bändel. Aber mit dem musterhaften Fleiß und dem schonenden
Zartgefühl der Tochter ist der Einziggeborenen auch kein geringes Theil
von Empfindsamkeit zu Theil geworden. Nicht daß sie solche je blicken
ließe; aber in der dunkeln Küche, wo sie nicht beobachtet werden kann,
rinnt Thräne um Thräne über die Wangen und sie fragt sich tausendmal in
Gedanken, hab' ich etwa das gesagt, hab' ich etwa jenes gethan, daß der
Vater, daß die Mutter unzufrieden ist? Und außer ihrem eignen Leid, das
diese krankhafte Zärtlichkeit gegen ihre Eigenliebe ihr bringt, hat sie
auch noch ein anderes, gerade bei solcher Gemüthsart tief einschneidendes
Leid zu tragen. Sie sieht ja täglich, wie zwischen Vater und Mutter
keine Liebe ist, wie sie, ohne zu zanken, doch allerlei kleine Ursachen
zur Unzufriedenheit an einander suchen und finden, und wie so Eines dem
Andern Unrecht thut, Eins das Andere täglich verwundend behandelt. Sie ist
ja eine treue, liebende Tochter, wie sollte ihr das nicht durch's Herz
gehen, daß Vater und Mutter so gegen einander sind. -- Jetzt kommt der
Vater heim. Statt dem guten Abend heißt's nur: »Habt ihr kein Licht in
der Küche, ich könnte mir Hals und Bein brechen, bis ich zur Stubenthür
komme.« Schnell holt Liseli ein Licht und ohne Umstände setzt man sich und
ißt die Suppe, die trotz Salz und Pfeffer nicht gewürzt ist. Gleich darauf
geht der Vater noch »zu einem Kameraden, um sich zu erholen;« es ist ihm
zu trübe zu Hause. Mancher Andere geht noch in's Bierhaus; er nicht. Und
darum hält er sich für einen musterhaften Hausvater, und weil er Frau und
Kind nicht schilt und zankt.

Liese geht erschöpft zu Bette, um in ängstlichen Träumen und unruhigem
Schlummer das freudlose Leben des Tages fortzuleben; Liseli aber muß auf
die späte Zurückkunft des Vaters warten, ehe es seine Ruh' im Kämmerlein
suchen kann.


2.

Es ist merkwürdig, es ist bejammernswerth, wie viele Familien eines
wackeren Arbeiterstandes vergeblich ringen und streben, glücklich zu
werden und es nicht werden können. Wohl suchen sie das Glück im Frieden
und zanken und streiten nicht, aber es ist ein fauler Friede; wohl
sind sie arbeitsam und sparen, aber während das Sparkassenbüchlein
wächst, wird ihr Herz ärmer und ärmer. Das Herz des Menschen bleibt
zwar immer die Hauptquelle alles Uebels, das ihn trifft; aber es gibt
doch auch äußere Ursachen, die wie ein Mistbeet jene Disteln und Dornen
hervortreiben, durch welche die Arbeit in Fluch verkehrt wird; und eine
der wesentlichsten ist ~eine unzweckmäßige Wohnung~. Das zeigte sich z. B.
bei unsrer Familie.

Vom Lande, wo die kleine Landwirthschaft und daneben das Posamenten eine
kleine Haushaltung ordentlich durch's Leben bringt, wo aber gerade der
letztere Erwerb etwas unregelmäßiger Frucht trägt, als das Arbeiten in der
Fabrik selbst, zogen Heiri und Liese mit ihrem Liseli in die Stadt, um es
»besser zu machen.« Bei der allgemeinen Noth, um ein passendes Geld ein
passendes Logis zu bekommen, war es ihnen sehr erwünscht, daß der Vetter
Hans, welcher in einer hintern Gasse ein eigenes Haus hatte, und wo er
durch Vermiethen seiner kleinen Logis »frei« saß, ihnen aus Freundschaft
ein solches, eine Stiege hoch, um den gewöhnlichen Zins anbot. -- Zwar
wollte ihnen die Wohnung nicht recht behagen, aber so viel sie sich vorher
erkundigt hatten, sie sahen eben ein, daß fast Niemand ihres Standes und
Berufes besser versorgt sei. Giebt es doch Häuser mit 6 Kreuzstöcken in
der Fronte, wo 11, sage elf Familien wohnen, weil fünf gegen den engen
Hof hinaus die einzige Aussicht haben. -- Und der Vetter war recht
ordentlich, kujonirte nicht wie mancher, der sich als Hausherrn fühlt,
seine Abmiether mit allerlei unnöthigen Scherereien, daß man sich kaum zu
regen wagt. Er war nicht stolz, sondern recht freundlich, und besonders
gegen Heiri's. Daher schickten sie sich in das nothwendige Uebel und
zogen damals ein und waren eben jetzt in's vierte Jahr da. Wie schätzten
sie sich im Anfang glücklich, in die Stadt gezogen zu sein; denn der
Verdienst gieng recht ordentlich und das Geld floß wie ein bescheidenes
Brünnlein regelmäßig in's Haus. Auch das Logis lernten sie trotz vieler
Unbequemlichkeiten schätzen; denn sie hatten im Hause Frieden. Freilich
auf dem Lande hört man nicht oft von Hausstreit zwischen Nachbarn, außer
wenn sich an ihnen das Sprüchwort erwahrt: »Halbes Haus, halbe Hölle.«
Aber in der Stadt, wo so viele Hausleute zusammengepfercht wohnen, sind
Zwist und Unfrieden leider nicht selten. Neid, Eifersucht, Klatschsucht,
Ungefälligkeit, Empfindlichkeit, Kinder, Gassenkehren und unzählige
andere Ursachen verbittern manches Leben, zerstören manchen Hausfrieden.
Jahrelang können Nachbarn sich in ein Leben von Haß und Bosheit einnisten,
einander durch alle erdenklichen Mittel, Verklagen beim Hausherrn, das
Leben verleiden, Hohn und bissige Worte aus dem Logis zu vertreiben
suchen, und vergessen darüber den hohen Adel und die himmlische Berufung
der menschlichen Seele.

All' dieß Leid erfuhren Heiri's nicht an sich selber; denn der Vetter
wachte streng über die Hausordnung, und deßhalb waren seine Logis gesucht
und nie eines leer. Aber es gab aus der nächsten Nachbarschaft manchen
bedauerlichen Auftritt zu hören, oft am Morgen, ein anderes Mal am Abend,
heute links, morgen rechts, daß Liese oft sagte: »Gott Lob und Dank, daß
wir beim Vetter sind!« Sie vergaß darüber beinahe die Unbequemlichkeiten
und das Unfreundliche und Unbehagliche ihres Hauses. Denn so heimelig
wie auf dem Dorfe war's just nicht. Die enge, düstere Gasse war selten
trocken, weil die Sonne nie auf den Boden scheinen konnte, und weil vom
Morgen bis zum Abend, wenn nur nicht gerade der Landjäger da war, manches
Spül- und Bartwasser von oben herunter oder von der Hausthüre aus auf's
Pflaster gegossen wurde. Trat man in den Hausgang, so roch's just auch
nicht nach Rosenöl, sondern fast wie bei der Gasfabrik; denn zunächst an
der Hausthüre war der gemeinschaftliche Abtritt und dahinter ein Verschlag
für alle Arten von Abgängen, die von Morgens bis Abends von allen
sechs Hauspartheien hier zusammengeworfen und dann in Kehrordnung dem
melancholischen Schellenwagen anvertraut wurden. Die Passage war im engen
Hausgang oft durch den offenen Kellerhals unterbrochen, was besonders
Abends immer einige Vorsicht nothwendig machte, für Fremde aber wirklich
gefährlich war. Weit hinter dem langen Gang war die Stiege, die man aber,
wenn man so vom Tageslicht hereinkam, nicht mit den Augen, sondern mit
den Füßen aufsuchen mußte; auch über diese Schwierigkeit half Uebung und
Gewohnheit. Oben kam man von der Stiege aus wieder an die Küchenthüre,
welche ein paar Glasscheiben hatte, die fast eben so gut hätten wegbleiben
können; trat man durch die Küche weiter, so gelangte man abermals zu einer
Thüre mit Glasscheiben, die Stubenthüre; und neben der Thüre gieng auch
noch ein Fenster aus der Küche in die Stube; denn außer dieser Beleuchtung
gab's kein anderes Tageslicht in der Küche. Die Stube war gegen die sonst
im Hause herrschende ägyptische Finsterniß hell; denn sie hatte einen
breiten Kreuzstock, wobei es nicht viel ausmachte, daß das zweischläfrige
Bett etwas vor dem Fenster stand. Neben der Stube war noch ein Kämmerlein;
denn, merkwürdigerweise kommt das nicht selten vor, das Haus ging hier
vor einem Theil des Nachbarhauses durch, so daß man sich denken kann,
welche Fülle von Licht der Nachbar in seinem versteckten Winkel haben
mag. Diese sonderbaren Verzackungen werden wohl jener Zeit ihren Ursprung
verdanken, wo ein Bürger dem andern bei einem Glase Wein die wichtigsten
Hausgerechtigkeiten »für einen Abendimbiß« verhandelte. Aber gerade für
Vetter Heiri's Haus war das ein Vorzug, weil es gegen die Gasse zwei
Fenster, hatte. Gar viele Logis haben statt eines Kämmerleins nichts
als einen dumpfen, dunkeln Alkoven hinter der Stube, eine Einrichtung,
welche meist durch erwähnte einspringende Winkel oder durch große Tiefe
der Häuser bei geringer Breite veranlaßt wird. Das sind aber wahre
Mördergruben; denn in solchen Winkeln setzt sich die Feuchtigkeit so fest,
daß keine Tapete hält, daß feines grünes Moos sich ansetzt, ja im Winter
das Wasser wie an feuchten Felsen heruntertropft. Und wer da schlafen
muß, wo der Leim der Bettstellen in Furnieren und Fugen sich auflöst, wo
ein eckelhafter Modergeruch Betten und Kleider durchdringt, wie kann der
bei stärkster Gesundheit gesund bleiben? Es giebt leider solche Häuser,
besonders, wo stark bevölkerte Quartiere in hügeligen Gegenden der Stadt
vorkommen, in welchen die Hinterräume und Hinterhäuser in den Berg
eingebaut sind. Da sollte von Polizei wegen die Anordnung von Luftkanälen
zur Ventilation vorgeschrieben und im Nothfall zwangsmäßig ausgeführt
werden, da sollten sämmtliche feuchten Mauerwände mit Asphaltmörtel, mit
Theer- oder mit Asphaltfilz bekleidet und vertäfelt oder doppelt (zuerst
mit starkem Packpapier) tapeziert werden. Denn nur Schutz gegen äußere und
Auftrocknung der innern Feuchtigkeit, gleichzeitig angewendet, vermögen
diesen schreiendsten Uebelstand zu heben.

Wie gesagt, Vetter Heiri's Haus hatte manchen Vorzug vor andern Häusern
gleicher Klasse, und darum ließ sich's zur Noth darin wohnen; darum
trachteten auch Heiri und Liese nicht nach einem andern »Losament.« Heiri
war den Tag über auf der Arbeiterstube; der spürte am wenigsten von der
Unbequemlichkeit des Hauses. Aber Liese weinte im Anfang zuweilen in der
Stille, weil es das Heimweh nach seinem freundlichen Stüblein auf dem
Dorf nicht ganz verwinden konnte. Zwar, ob's das Dorf sei, mit seinen
Baumgärten und grünen Matten und niedern Häusern oder die trauliche
Bekanntschaft der Leute im Dorf, die Alle einander duzen, das wußte es
nicht; aber etwas fehlte ihm. Jahr aus, Jahr ein war's auch das ewige
Einerlei in der Arbeit, nur daß man im Winter noch zu heizen hatte.
Am Morgen brannte in der finstern Küche das Aempele, im Winter selbst
Mittags, und Abends jedenfalls wieder. Ob das Geschirr sauber und blank
sei, war beim besten Willen nicht gut zu unterscheiden und Alles mußte
mehr im Griff als nach dem Augenschein geputzt oder gekocht werden. Kein
Wunder, daß Liese zunächst die gewohnte Freude an der Reinlichkeit in der
Küche verlor. Liseli bekam manchen »Schnauz«, wenn es die Pfanne, welche
die Mutter schon ausgerieben hatte, noch einmal visitirte; denn Liseli
war sehr exakt und nahm eher Kellen und Löffel und Gabeln und Messer
an's Stubenfenster, als daß es auf's Gerathewohl das Geschirr auf dem
Küchenschaft versorgt hätte.

Im Winter gings nicht sehr früh her. Der Milchmann kam spät und vorher
nützte das Aufsein nicht viel. Wäre Liseli gern, wie gewohnt, um 5 oder
halb 6 Uhr aufgestanden, so war der Vater unzufrieden, man müsse das
Licht ja schon am Tag genug in der Küche brennen und zu thun sei ja
nichts Nothwendiges. Liese kam so in jenen verderblichen Schlendrian der
Hausordnung, wo man den ganzen Vormittag in ungekämmtem Haarschmuck und im
schlampigen Staat des Unterrocks und Nachtkittels herumhanthiert und sich
lobt, daß man das Bett gemacht und die Stube gewischt hat. Das war aber
dem Liseli gar schwer; doch durfte es aus Ehrfurcht und Scheu der Mutter
nichts sagen und strengte sich in seinem Theil um so mehr an, der Ordnung
heil'ge Zucht zu wahren. Es nahm den Staub fleißig auf und überschwemmte
regelmäßig am Samstag Nachmittag den Stubenboden mit einer Fluth warmen
Wassers und fegte und wirthschaftete im Zimmer, bis alles rein und hell
schien; so auch im Kämmerlein, wo es schlief. Dabei wurden die Fenster
und Thüren aufgemacht, daß es lustig durch die Stube blies, damit Alles
schneller trocknete. Dieß Lüften wäre, besonders im Winter, eine rechte
Wohlthat gewesen, wenn man dem schädlichen Zuge und dabei der Feuchtigkeit
hätte ausweichen können. Aber daß dieser Luftzug schädlich sei, wußten
weder Liese noch Liseli; auf dem Lande ist man ja bei der Landarbeit
immer der freien Luft und allem Wind ausgesetzt, ohne Nachtheil. Zahnweh
und Kopfweh schrieben sie vielmehr der veränderten Kost, der andern
Luft und dem vielen Sitzen zu. Zudem that ihnen der erfrischende Hauch
einer zum Fenster hereinströmenden Luft für den Augenblick wohl, denn
der Küchenqualm und der Stubendunst waren oft recht drückend. Aber im
letzten Winter wurde die Mutter anhaltend unpäßlich, ohne daß sie wußte
warum, noch eigentlich sagen konnte, was ihr wehe that. Bald Stechen in
der Seite, bald Kopfweh, wenig Appetit und wenig Muth, das war ihr Uebel.
Dabei wurde sie blässer und abgezehrter. Den Doktor wollte sie nicht, denn
von Zeit zu Zeit gings wieder besser. Endlich aber wurde dem guten Liseli
bang und es ließ nicht nach, bis der Vater zum Doktor ging.


3.

Der Doktor kam; ein freundlicher Mann mit wohlwollendem Blick und klugen
Augen, ein Freund der Leidenden und gar oft und viel ein Tröster und
treuer Berather der Armen. Es war gerade der rechte Zeitpunkt, um auch den
Heiri anzutreffen, der eben Feierabend gemacht hatte. Denn Heiri hätte
gerne gewußt, was seiner Frau fehle, theils um sich zu versichern, daß
es keine kostspielige Krankheit gebe, theils weil er eigentlich doch mit
seiner Frau rechtes Mitleid gehabt hätte, wenn es mit ihrem Leiden länger
oder ärger geworden wäre.

Der Herr Doktor war bald fertig mit seinen Fragen und sagte dann
freundlich aber ernst: »Liebe Leute, die Sache ist nicht gefährlich und
nicht bedeutend, aber sie kann es werden, wenn ~Ihr~ nicht Schritte
thut. Eure Frau bedarf eigentlich keine Medizin; doch will ich ihr etwas
verschreiben, das ihr für jetzt Erleichterung verschafft. Aber sie
bedarf eine ~Kur~.« So tröstlich der Anfang für Heiri war, so unangenehm
berührte ihn dieß Wort. »Aus diesem »~Loch~« müßt ihr heraus, sonst
endet's mit Gicht und Typhus, Euch fehlt hier ja Luft und Licht, diese
unentbehrlichsten Bedingungen der Gesundheit. In dieser engen Gasse, wo
Massen von Menschen zusammengedrängt athmen, wo bis in weite Entfernung
kein grüner Baum, kein freier Platz zu treffen ist, da ist die Luft
verdorben und wird zudem noch mehr verschlechtert durch die vielen
unreinen Stoffe, die man aus Bequemlichkeit auf die Gasse wirft, statt
in den Abtritt; und dann noch die Nähe der School, dieses Pfuhls von
Gestank und Unrath. Jedes Thier und jede Pflanze bedarf frischer Luft zum
Gedeihen, um wie viel mehr der Mensch mit seinem zarten und wundervollen
Körperbau. Wenn auch die Regierung alles Mögliche thut, den bestehenden
Uebelständen abzuhelfen, so kann sie nun einmal den Hauseigenthümern nicht
verbieten, Leute ins Logis zu nehmen, drum sollten diese selbst auf ihre
Gesundheit denken und dahin gehen, wo sie genug frische Luft haben. -- Und
hier habt ihr ja nie einen Sonnenblick, entbehrt sogar den freien Anblick
des Himmels, wenn ihr nicht das Fenster aufmacht und den Kopf gewaltsam in
die Höhe dreht. Streckt sich doch jede Blume der Sonne entgegen und öffnet
ihr verlangend ihre Krone. Betrachtet einmal die Keime der Rüben und
Kartoffeln im Keller; die bringen freilich Blätter hervor, aber was für?
Bleichsüchtige, kraftlose, schwammige Gebilde, die mit dem üppigen Grün
und vollen Wuchs der Ackerpflanzen sich gar nicht vergleichen, sie gar
nicht einmal erkennen lassen. Wie ist's denn anders möglich, als daß der
Mensch in solch' dunkeln und dumpfigen Räumen verderbe an Leib und Seele?«

Der Doktor hatte wahr gesprochen ~an Leib und Seele~. Den Schaden hatte
er in seinem vollen Umfang durchschaut, wenigstens geahnt. Denn wohin
war Liese's Zufriedenheit und Freundlichkeit, wohin Liseli's offenes,
heiteres, und dabei doch zartfühlendes Wesen geflohen? Sie waren dahin,
unerkannt und allmälig, und Heiri war, wie er meinte, nüchterner geworden
und nicht mehr so narrächtig gegen seine Liese; aber im Grunde hatte
er nur die Liebe des Gatten gegen das kalte und mürrische Betragen
eines Eheknechts vertauscht, der sich nicht mehr von den Fesseln einer
veredelnden Zuneigung, sondern von denen der Pflichtschuldigkeit
gefangen fühlt. Darum mied er Abends Frau und Kind und hielt sich an den
muntern, witzigen Kameraden; darum fehlte diesem Hause der Segen eines
Familienlebens.

So viel vermag der Einfluß einer ungünstigen Wohnung. Er kann glückliche
Geistes- und Gemüthsanlagen erdrücken, kann Wohl in Wehe, Gesundheit in
Krankheit verkehren, -- und man wird sich nicht bewußt, woran's liegt,
schiebt die Schuld allein auf bösen Willen, Gleichgültigkeit, düstere
Gemüthsart seiner Nächsten. Und s'ist doch so klar, daß die düstere Stube,
in der man das halbe Leben und mehr zubringt, nicht trübe Augenblicke
erheitern, die feuchte Luft, die man athmet, nicht feuchte Wangen trocknen
kann, daß die Frische der Gemüthsstimmung und des Leibeslebens vielmehr
dahinwelken muß.

Welchen Eindruck des Doktors Rede in den verschiedenen Gemüthern der
kleinen Familie hervorbrachte, läßt sich leicht voraussehen. Liese, die
stille, meist in sich verschlossene Gewohnheitsnatur konnte sich's gar
nicht reimen noch richten, daß sie aus des Vetters Haus sollten. Von
dem, was der Doktor gesagt hatte, begriff sie wenig, sie glaubte ihm
nur, weil er sie mit Gicht und Typhus geängstigt hatte. Wie dem Vetter
die Sache mitzutheilen, ihm des Arztes Gründe deutlich zu machen auf
schonende Art, das machte sie rathlos; wie ein anderes Logis finden, wo
es das erstemal schon so schwer gehalten, das waren der ängstlichen Natur
vollends unübersteigliche Hemmnisse. Liseli wußte eigentlich nicht, was
nun werden sollte, ob die Mutter den ganzen Sommer nach Frenkendorf oder
gar auf die Sennweid gehen müsse, um sich zu erholen; oder ob sie wieder
auf's Land ziehen würden, um das frühere Leben auf's Neue zu beginnen;
aber sie erschrak ob dem Gedanken, daß nun die Last einer wenn auch
kleinen Haushaltung allein und einzig auf ihre Schultern fallen würde.
Heiri aber schien in sich gekehrt. Er fühlte halb und halb, daß es von
ihm Unrecht gewesen sei, nicht besser auf die Gesundheit seines Weibes
geachtet zu haben und überhaupt ein gleichgültiger Lebensgefährte der
Seinen gewesen zu sein. Er wollte anders werden; aber wie schwach ist
der Mensch? So lange der Eindruck des Vorgefallenen frisch blieb, hielt
er sich brav, aber die alten Umstände zogen ihn unwiderstehlich in die
alten Gewohnheitsfesseln, bis auch in der äußern Lebensführung ein neuer
Abschnitt ihn in neue Verhältnisse brachte, und zwar zunächst in eine
neue Wohnung.


4.

Nach vierzehn Tagen kam der Doktor mit Schulmeisters Fritz Abends zu
Heiri's. Fritz war seit zwei Jahren in Basel und Aufseher bei den
Zettlerinnen in der S...'schen Fabrik. Gewandt, anschicklich und in allem
genau und treu, hatte er das Zutrauen und Wohlwollen seiner Herren bald
gewonnen und eine angenehme Stellung erlangt.

Als kleiner achtjähriger Knabe war Fritz oft zu Heiri's, die neben dem
Schulhaus wohnten, hinübergegangen; dann aber hatte sein Vater eine andere
Lehrerstelle bekommen und seitdem hatte man sich nicht mehr gesehen.
Fritz gab sich zuerst zu erkennen und Heiri und Liese freuten sich des
längst fast ganz vergessenen Nachbarn. Liseli, das bei Fritzens und seiner
Eltern Wegzug aus ihrem Dorfe erst zwei Jahre alt gewesen war, hatte keine
Erinnerung an jene Zeiten mehr, Fritz war ihm eine weltfremde Seele und es
blieb in der Küche und kochte beim trüben Schein des Lämpleins.

Der brave Doktor rückte nun zuerst heraus, warum er gekommen. Er hatte
den Leuten ein Logis ausfindig gemacht, wie sie's brauchten; nicht viel
größer, fast gleich in der Einteilung, und nur unbedeutend theurer als
ihr jetziges; aber dafür freundlich, bequem, hell, luftig und sonnig. Das
Logis gehörte eben dem Fritz, der vor dem Thor ein eigen Häuslein gebaut
hatte nach dem Muster der vordersten Arbeiterwohnungen auf der Breite. Ein
Häuslein für zwei Familien mitten in einem Gärtlein, und neben ihm ein
Nachbar an gemeinschaftlicher Scheidemauer.

Fritz hatte noch vor wenigen Jahren gerne in Kleidern und sonntäglichen
Lustparthieen den Flotten gemacht, war sogar einmal, als er bald nach
dem Eintritt in seinen jetzigen Dienst zu Zettlerinnen auf's Land mußte
im Interesse des Geschäfts, mir nichts dir nichts einen Ausflug nach
Zürich gemacht und so drei Tage alle Geschäfte seiner Herren an's
Nägelein gehängt. Aber das strenge Mahnwort der Herren, die einen weniger
Brauchbaren auf solchen Leichtsinn hin ohne weiteres verabschiedet hätten,
war ein gutes Wort zu guter Zeit für ihn geworden. Ein guter Geist leitete
diesen muthwillig kräftigen Strom in sein rechtes Bette; er dachte daran,
seinen reichlichen Verdienst zur Erwerbung eines Heimwesens zu verwenden,
und als sich ihm Gelegenheit bot, mit einem Andern gemeinschaftlich
einen Viertel Land zu kaufen, gab er freudig seine theils von den
sel. Eltern ererbten, theils ersparten 1500 Fränklein dafür hin. Ohne
Säumen wurde mit seinem Halbpartmann das Nothwendige verabredet und sie
verakkordirten einem geachteten, für das Wohl der Arbeiterklassen thätigen
und liebevoll besorgten Baumeister ihre Häuser nebst gemeinschaftlichem
Ziehbrunnen, wofür jeder 7500 Fr. zu bezahlen hatte. Alle Rücksichten
auf Bequemlichkeit und Gesundheit waren aufs Sorgfältigste erwogen, bis
Baumeister und Bauherrn sich befriedigt gefühlt hatten. Leider fing schon
mancher an zu bauen, ehe er recht wußte, was er wollte, wünschte nachher
Veränderungen und die Folgen waren, daß keine rechte Einheit in's Ganze
kam und am Ende die Kosten fast um die Hälfte den Voranschlag überstiegen
und daß der Bauherr sich ein ganzes Leben lang mit Schulden und Sorgen zu
schleppen hatte, an denen nichts als seine Voreiligkeit und Sorglosigkeit
Schuld war. Fritz hatte kluger gehandelt und hat's später nie bereut.
Und die Herren hatten ihm gerne geholfen und ihm das nöthige Geld zu
billigen Procenten dargelehnt. Das Haus war eben fertig geworden. Fritz
behielt das obere Stockwerk für sich, das untere nebst Kammer, Keller-
und Estrich-Antheil mit einem kleinen Gärtlein wollte er verlehnen. Das
hatte der Herr Doktor erfahren, ihn aufgesucht und ihn hieher geführt,
damit er selber die Sache ins Reine bringe. Heiri sollte, so wurde nun
ausgemacht, am nächsten Sonntag das Logis einsehen, darüber seinen Leuten
Bericht abstatten, und wenn's Allen recht war, wurde der Miethakkord fix
und fertig gemacht. Unterdessen sollte auch Liese mit ihrem Vetter, dem
Hausherrn, ein Wörtlein reden, und sich auf den Herrn Doktor berufen,
daß sie eine Luftveränderung machen müsse und daß sie nicht gern von der
Haushaltung gehe und daß sich's gerade so schön schickte mit dem Logis
von Fritz. Sie durfte auch wahrheitsgemäß beisetzen, daß sie nicht gerne
aus des Vetters Haus fortgingen und nur Gutes und Liebes von ihm erfahren
haben, so lange sie bei ihm gewohnt hätten.


5.

Am Sonntag nach dem Essen bürstete Heiri den Hut mit dem Rockärmel ab
und ging vor's Thor zu Fritzens neuem Häuslein. Das war freilich eine
ordentliche Strecke bis da hinaus, das kostete ihn auch ein paar Schuh
mehr im Jahr; und vollends bei Regenwetter und Sturmwind, bei Hagel und
Hurlete im Winter, und wenn man gar den Regenparisol nicht bei sich hatte?
Heiri wurde fast mit jedem Schritt bedenklicher: eine halbe Viertelstunde
noch vors Thor hinaus! Und gar nicht an der Straße, sondern so abseits;
das war ja gar zu langweilig, wenn man am Werktag keine Marktleute und am
Sonntag keine Spaziergänger sah.

Nach einigem Suchen kam er zum richtigen Fahrweg und sah die zwei
niedlichen Häuslein mit ihrer röthlichen Farbe und grünen Läden und dem
schimmernden neuen Dach. Vorn war es mit Latten einfach eingehegt und ein
lebendiger Haag dahinter angepflanzt. Durch's Gätterlein ging's, um die
Ecke herum, -- und an der Hausthüre stand er, wo Fritz ihn freundlich
bewillkommte.

»S'ist doch weit zu Ihnen, aber hübsch ist's, das muß man sagen, wenn
man's erlebt hat, herauszukommen.« -- Freilich, antwortete Fritz, ich
tauschte jetzt nicht mehr mit dem besten Logis in der Stadt. Seit
vorgestern übernachte ich hier zum erstenmal und -- s'ist ein ganz ander
Leben. Von des Lehenmanns dort hab' ich einstweilen das Essen, und wenn
ich Hausleute habe, und sie mögen, so will ich die Kost bei denen nehmen
bis auf weiteres. Darum wär's mir lieb, wenn Ihr's wäret. Man hat halt
mehr Zutrauen zu seinen Bekannten.

Jetzt gingen sie in's Haus. Die gegen Sonnenaufgang gerichtete Hausthüre
führte zu einem kurzen und nicht sehr breiten Gang, links eine Thüre,
hinten eine Thüre und rechts zunächst die Kellerthüre und unmittelbar
daneben der Antritt der Stiege ins obere Stockwerk. Die Thüre links führte
in die Wohnstube. Sie war nicht groß, aber hatte Platz genug, um bequem
und schicklich ein Bett, Tisch, Kommode und ein paar Stühle zu stellen
und enthielt in der Seitenmauer einen geräumigen Wandkasten. Rechts neben
der Thüre war der Kunstofen, der vom Kochen in der Küche warm wurde,
aber im Sommer auch vom Küchenfeuer abgeschlossen werden konnte. Das
breite Fenster sah gegen die Mittagseite und man überblickte von da aus
die Gegend gegen Gundeldingen und St. Jakob und dahinter erhoben sich
die Anhöhen bei Mönchenstein und Muttenz mit den in ihren Buchten wie in
sicherm Mutterschoß gebetteten Gütern Asp und Gruth, überragt von den
Zeugen längst vergangener Zeiten und Ereignisse, den altersgrauen Ruinen
von Wartenberg und Reichenstein.

Zunächst unter dem Fenster war der hintere Theil des Gartens
in Gemüsebeeten nach der Schnur getheilt, von einem gekreuzten
rabattenumsäumten Kieswege durchschnitten; die nähere Hälfte sollte zum
untern Logis gehören, die jenseitige behielt sich Fritz vor. Noch war
nichts Grünes zu sehen, erst kurz noch die in den Rabatten an weiße Pfähle
abwechselnd festgehefteten Rosenbüsche und Spalierbäumchen hingepflanzt
worden. Alles war erst im Werden. Aber ein Sinn, das Nützliche mit dem
Angenehmen zu verbinden, waltete wohlthuend und Billigung weckend durch
die ganze Anordnung.

Als man die mit einer hellen blauen Tapete bekleidete, an Lambrieen und
Thüren und Fenstern perlfarben gemalte Stube genugsam und wohlgefällig
betrachtet hatte, ging man ins Nebenstüblein. Es hatte, gleich der Stube
selber, Länge genug, um längs der Scheidemauer zwei Betten hintereinander
zu stellen; vorn war das Fenster, in der wohlgemessenen Breite eines
Flüges, so weit auf die Stubenseite hinübergerückt, daß rechts davon eine
volle Bettbreite reichlich übrig blieb; und dem Fenster gegenüber, gerade
seiner Stellung und Breite entsprechend, eine etwas schmälere Thüre, denn
gebräuchlich. Das Stübchen war noch breit genug, um an der Riegelwand
links ein Kensterlein oder eine kleine Kommode zu stellen, und die helle
graue Tapete mit ihrem einfachen Muster und der rothen Bordüre machte das
Zimmerchen recht heimelig und wohnlich.

Nun schritt man durch die schmale Thüre hinaus in die Küche. Wie nett
alles eingerichtet, daß man glaubte, man könnte nur dreinstehen und
kochen. Das Fenster war nicht breiter als im Kämmerlein, aber für den
nicht sehr großen Raum breit genug bei seiner freien Aussicht. Am Fenster
der Wasserstein und neben dem Fenster herunter das Wassersteinrohr aus der
obern Küche; rechts daneben, gegen die Ostseite zu, in der Wandecke, der
Wasserbank, links in der Ecke der Fensterseite genügender Platz für einen
Tisch; gerade gegenüber neben der Kammerthüre Geschirrschäfte, und ein
Pfannenbrett um die Kaminschoß; so daß die ganze Seite an der Scheidemauer
frei blieb für einen oder zwei Küchekästen. In der Ecke aber zwischen
Gangthüre und Kammerthüre war der Heerd mit zwei Löchern, einfach aber
bequem, daneben in der Eckseite, ganz unter der eigentlichen Kaminröhre
ein Kohlenrost über dem Aschenbehälter. Die gelbe Ocherfarbe und der
frisch gelegte Plättleinboden sahen recht appetitlich und reinlich aus.

Nun hinaus in den Gang. Zunächst links, etwas zurücktretend, das
unvermeidliche Uebel, der Abtritt, der so vielen Häusern zur Plage, und
ihren Bewohnern zur Last und zum Verderben ist. Man wollte da nicht
vorübergehen. Es war reinlich und hell in diesem Gemächlein, gegypst,
Boden und Sitz gehobelt; hob man den Scharnierdeckel des Sitzes auf, so
bemerkte man den innen glacirten Becher und die Röhre; der Deckel aber
schloß durch sein eigenes Gewicht ziemlich dicht. Heiri hätte wohl nicht
so neugierig diese ganze Abtheilung des Hauses untersucht, wenn ihm nicht
Liese besonders diesen Punkt eingeschärft hätte; warum, kann man sich
denken. Und jetzt ging's die Stiege hinauf, denn unten war man fertig.

Fritz zeigte sein eigenes Logis; da man doch einmal dran vorbei mußte, und
weil auch dem Heiri es hier je länger desto besser zu gefallen schien. Da
war Alles genau gleich eingetheilt, bis auf die Tapeten. Im Wohnzimmer
streute sich gleichsam ein Regen von zartblättrigen weißen und rothen
Röselein über den bläulich grauen Grund der Tapete herab und im Kämmerlein
wucherten in dichtem Geflechte helle gelbliche Blätter auf lilafarbnem
Grunde. Die Aussicht war die gleiche, nur durch die Höhe freier und
lichter. Aus Stube und Nebenstube die malerische Rundsicht auf Hügelketten
und dazwischen hinein in das breite, stattliche Birsthal, aus der Küche
nach Norden hinüber auf das Häusermeer der Stadt, auf das Geschwisterpaar
der Münsterthürme und links den hohen gelben Giebel von St. Leonhard. Vom
Gang aus blickte man durch einen Kreuzstock von gewöhnlicher Größe nach
Osten gegen die offene Thalweite des Rheins zwischen den noch blätterlosen
Baumgruppen und Landhäusern auf dem Göllert hindurch und hinaus, und die
Lokomotivpfeife der Centralbahn rief gerade ihren Bewillkommnungsgruß
herüber; im Gange selbst war es hell und die bequeme Stiege gut und
zweckmäßig erleuchtet.

Auch Kammern und Keller wurden mit der Inspection nicht verschont. Gerade
über der Wohnstube war eine wohnliche, mit hellem Giebelfenster versehene,
gewickelte und weißgetünchte Kammer, ein Stüblein, wenn man lieber
will; daneben mit Dachfenster gegen Süden eine ähnliche; der hintere
Estrich neben der Stiege war durch Latten in zwei Holzkammern getheilt
und zwischen beiden Kammerseiten zog sich eine Art von Gang hin bis zur
Scheidemauer, wo man im Nothfall bei Regenwetter Wäsche trocknen konnte.

Unten aber im Keller gelangte man zuerst in den auf der Nordseite
liegenden Vorkeller, und von hier aus in die beiden wohlerleuchteten
lattengetheilten und verschließbaren Kellerräume auf der Südseite.

Fritz füllte eine Flasche aus einem kleinen Fäßchen Füllinsdörfer und
nahm sie mit hinauf. Da tranken sie denn in Ehren noch ein Gläschen auf
künftige gute Nachbarschaft und auf der lieben Liese Gesundheit.


6.

Liese hatte unterdessen auch ihre Erlebnisse gehabt. Sie hatte das Liseli
zum Vetter geschickt, ob er nicht wollte so gut sein und ein wenig
herunterkommen, es mache ihr gar viel Mühe, die zwei Stiegen zu steigen;
aber sie sollte etwas Nothwendiges mit ihm reden. Der Vetter versprach
bald zu kommen; es sei nur jemand bei ihm und die Base sei noch nicht
heim, werde aber bald aus der Kirche zurück sein. Nicht lange, so war der
Vetter unten und: »Guten Abend, wie geht's Base?« gab er dem Gespräch
sogleich für die diplomatischen Absichten der Liese erwünschten Eingang.
Leider hatte Liese jetzt nicht vom Besten zu rühmen, und ein Wort gab's
andere, von der Kränklichkeit zum Doktor und vom Doktor zur Landluft und
von der Landluft zum Logis vor einem Thor -- und jetzt war's gesagt.

Der Vetter war nicht betroffen, sah Alles Punkt für Punkt wohl ein, und
es hielt nicht schwer, ihr den schweren Sorgenstein vom Herzen zu nehmen.
Es traf sich ja ganz prächtig. Der Freund, der oben bei ihm war, suchte
gerade ein Logis auf 1. April und hatte gehofft, bei ihm anzukommen.
Natürlich hätte es ihm wehe gethan, jemand aufzukünden, am schwersten
hätte es ihm aber gemacht, seine Verwandten zum Ausziehen irgendwie zu
veranlassen, obgleich jener ihm ein lieber Freund und gegenwärtig in
Verlegenheit sei.

Liese war das schon recht; nur auf ersten April schon? Wie das gehen
sollte, konnte sie sich nicht vorstellen; es war ja nicht mehr volle vier
Wochen.

Als der Vetter sich wieder verabschiedet hatte, sprachen Mutter und
Tochter noch allerlei von der bevorstehenden Aenderung und was wohl der
Vater für Bericht bringen werde und ob vielleicht das und ob vielleicht
jenes. -- Und der Vater brachte frohe Nachricht. Vergessen war der lange
Weg, vergessen Sturm und Schneegestöber, Regen und Riesel. »Als ich dort
wegging, war mir's, ich käme aus einem Kirchlein, und es tönte in mir
wie Orgelton und Lobgesang und der Weg heim ist mir vorgekommen wie eine
Spanne.« -- Und weißt du auch, daß wir schon in vier Wochen fortkönnen,
und brauchen nicht erst aufzukünden? Der Vetter ist dagewesen ... und
nun ging's an ein Erzählen hin und her und Pläne wurden gemacht, was
man alles pflanzen wolle und wie man alles stellen wolle und wie man im
Gärtlein ein Cabinetlein machen müsse, daß man bei schönem Wetter dort
Kaffee trinken oder gar zu Mittag essen, oder auch am Sonntag in der
Stille etwas Schönes lesen könne. -- Man wurde nicht fertig. Der Kaffee,
der nebst den gepregelten Erdäpfeln für Abends und Nachtessen zugleich
galt, wurden kalt, ehe man fertig war mit Essen und Erzählen, und selbige
Nacht haben sie Alle unruhig geschlafen; aber nicht vor Schmerzen, sondern
vor freudiger Bewegung des Gemüths. Vor dem Bettgehen aber wünschte,
seit lange zum erstenmal, die Mutter noch etwas Erbauliches zu hören,
war's ja doch Sonntag, und sie vor acht Wochen zum letztenmal in der
Kirche gewesen. »Liseli, lies doch vor, es ist mir beim Licht und für
die Brust zu beschwerlich.« Und Liseli las nach Angabe des Kalenders das
Evangelium am Sonntag Reminiscere: vom cananäischen Weibe, und las weiter
von den vielen Heilungen und von der Speisung der 4000 bis zu Ende des
Capitels. -- Und das, was sie gehört hatte, bewegte die Leidende auch in
ihrem Herzen, da sie nicht schlafen konnte in jener Nacht, und ist etwas
mit ihr vorgegangen, was ich jetzt nicht weiter ausbringen will, damit der
Segen nicht verloren gehe.

Und am Montag Abend wurde die Sache mit dem Fritz ausgemacht und Heiri
drückte ihm ein neues Fränklein in die Hand als Gottespfennig.


7.

Den geschäftigen Tag des Einzugs im neuen Logis wollen wir vorbeigehen.
Liese strengte sich fast über Kräften an beim Zusammenpacken, und daß
jedes Geräthe sorgfältig auf den Wagen komme. Am Abend kam der Heiri, um
mit ihr die neue Heimath zum ersten Mal heimzusuchen. Der Vetter und die
Base geleiteten sie noch fast bis zum Thor und nahmen herzlichen Abschied
unter gegenseitigen Glücks- und Segenswünschen. Und als sie daheim waren,
schien der Vollmond gegen die Hausthüre und beleuchtete den Kranz von
Epheu, den Liseli unterdeß geflochten und daran gehängt hatte; und die
Sterne flimmerten wie alte Bekannte vom Lande zum freundlichen Willkomm.

O, hätte ich nun die Feder eines Dichters, um dennoch wahrheitsgetreu zu
schildern, welch' ein neues Leben sich für die Bewohner des neuen Hauses
aufthat, um zu erzählen, wie jeder Tag eine neue Freude in's Herz und
einen neuen Segen in die Familie brachte.

Man stand, von der Sonne geweckt, frühe auf, ging in den Garten und
machte da etwas zurecht; der frischende Morgenwind und der Gesang der
Vögel, die sich der neuerwachten Frühlingskräfte und des lieblichen,
jungen Tages freuten, das glänzende, goldene Licht, das sich über die
Häuser und grünenden Wiesen und fernen Berge ergoß, und die Morgennebel
in's klare Blau des Himmels auflöste, weckte ungewohnte, und doch unsere
ehemaligen Landbewohner seltsam anheimelnde Gefühle, Gefühle wie von
lieblichen Mährchen der Kindheit, die nun plötzlich wahr geworden.
Während Fritz und Heiri draußen Bohnenstecken zurecht machten, oder
die jungen kräftigen Triebe einer an der Ostseite des Hauses links und
rechts von der Hausthüre neu gepflanzten Rebe anhefteten, machte Liseli
die untere Stube und das Stüblein. Denn Liese war auch aufgestanden und
mahlte unter der offenen, der Sonne entgegengewendeten Hausthüre, vom
warmen, wollenen Halstuch gegen die frische Morgenluft geschützt, ihren
Kaffee. So strömte durch die geöffneten Fenster und den Hausöhren ein
belebender Odem des neugeborenen Tages, und mit ihm eine erfrischende,
kräftigende Lebensspende. Die Morgenseite eines Hauses ist immer die
trockenste; denn der Ostwind kömmt über weite Landstrecken, von Asien
her zu uns und bringt nicht die feuchten Dämpfe irgend eines Meeres mit
sich. Auch ist die Wirkung der Morgensonne, namentlich im Sommer, äußerst
kräftig; denn ihre Strahlen prallen von Morgens 4 Uhr bis gegen 9 Uhr fast
senkrecht gegen die in dieser Richtung stehenden Mauern. Im Waisenhause
sind die Schlafsääle gegen Morgen gerichtet, und man hat stets den
erfreulichsten Gesundheitszustand bei den vielen, vielen, oft von Haus aus
vernachlässigten Kindern bemerkt.

Warum wohl Fritz kein Fenster in den Stuben gegen Osten anbringen ließ,
statt der Wandkästen? -- Erstens war das Fenster gegen Süden für die
mäßige Stube übrig groß genug, zweitens wäre dadurch das Haus im Winter
kälter geworden; drittens kostspieliger, denn unten ein Kreuzstock, oben
ein Kreuzstock mit Schreiner- und Glaserarbeit, mit Fenstern, Vorfenstern
und Läden mit dreifachem Oelanstrich, das hätte schon wieder ein paar
Hundert Fränklein gekostet; viertens endlich brennt im Sommer die Sonne
den ganzen Vormittag durch ein solches Fenster in's Zimmer hinein, macht
man aber alsdann die Läden zu, so ist eben der Zweck solcher Fenster nicht
einleuchtend. So wär's auch mit Fenstern auf der Westseite gewesen beim
Nachbar; drum hatte auch der's unterlassen.

Aber auf die Liese machte die Morgenluft und Morgensonne einen wunderbaren
Eindruck; wohl griff sie es im Anfang etwas mehr an und machte sie müde,
wie nach angestrengter Arbeit; aber sie fühlte es, wie das Strahlenbad
durch ihre Glieder drang bis auf's innerste Mark und wie die Ermüdung
nur eine erneute Anstrengung aller Lebenskräfte bewies. Später in der
Jahreszeit setzte sich Liese auch ~vor~ die Hausthüre und strickte dabei
oder verlas und flickte Kleider, Hemden und Strümpfe; und dazu war sie in
den Nerven bald stark genug; nur mit der Gartenarbeit wagte sie sich noch
nicht an's Schwerere.

Wir haben vorhin Liese beim Kaffeemahlen getroffen; der Kaffee ist
unterdessen fertig geworden, und die völlig geordnete, wohlgelüftete Stube
nimmt ihre Bewohner auf und ladet sie zum dampfenden, warmen Getränk. Beim
ersten Morgenessen hatte Keines anfangen wollen; es war Ihnen gewesen, als
fehle ihnen etwas, was sie selbst nicht recht wußten. Das zweite Mal gab
sich's von selber. Liese faltete still ihre Hände, ehe sie anfing, und
die Andern thaten ihr's unwillkürlich nach. Ob sie Worte gebetet haben in
Gedanken, bezweifle ich, aber es war ein schüchterner Tribut des Dankes,
zu dessen Entrichtung sie sich gedrungen fühlten.

Es ist merkwürdig, den Unterschied beim Essen zu beobachten in
verschiedenen Häusern. Bei den Einen kommt Eins um's Andere zum Tisch
und ißt und geht, wie's ihm bequem ist. Bei den Andern falten Alle
gleichzeitig, stehend oder sitzend, die Hände, oder Eines spricht für
Alle das Vaterunser oder Komm, Herr Jesu, sei unser Gast und segne, was
Du uns bescheeret hast. Dort ist kein Anfang und kein Ende; hier ist ein
Gepräge von Ordnung und frommer Gesittung. Das hängt eben auch unbewußt
oder bewußt von der Lebensweise, und die wieder mehr oder weniger vom
Hause ab. Steht man in den engen Gassen, wo's lang nicht tagen will, spät
auf, so ist das Kaffeekochen die einzige Einleitung zum Frühstück; denn
es hat sonst noch Keines eine andere Arbeit in der Hand gehabt. Aber auf
dem Lande haben sich die Hände schon gerührt, ehe man zum Morgentrinken
kommt, sie legen sich fast von selbst zur Ruhe gefaltet zusammen, und
dann erst tragen sie die erquickende Nahrung als eine gute Gottesgabe zum
Munde. Es ist ein viel größerer Schritt vom verdrießlichen Schlendrian
der Gleichgültigkeit zum allereinfachsten stillen Anstand der ehrwürdigen
Väter- und Christensitte, als von da zur erbaulichen Hausandacht im Hause
eines Seelsorgers. Ob diese Sitte gerade zum gesunden Wohnen gehört, weiß
ich nicht; aber das weiß ich aus Erfahrung, sie gehört zur Ruhe und zum
heitern Frieden des Gemüths, und diese Güter haben noch Niemand krank
gemacht.

Fritz stand allein; die Magd der benachbarten Lehenfrau, die ihm Essen und
Kaffee brachte, machte ihm gegen ein bestimmtes Trinkgeld auch das Zimmer.
Er zog es vor, es etwas unbequemer zu haben, lieber als in Kosthäusern das
unerquickliche Zusammenleben mit Unbekannten zu genießen, wo das trauliche
Gefühl des Daheimseins unter dem Getreibe einer Art von Gastgebern
verloren geht. Ein rechtes Kosthaus, gleichsam ein Familienhaus mit einer
Art von traulichem Familienleben bleibt noch immer ein frommer Wunsch,
dessen Erfüllung manchen Segen stiften würde.

Die für's Morgentrinken angefangene Sitte wurde auch Mittags und Abends
festgehalten; denn das Gefühl vom Kirchlein, das den Heiri bei der
Hausschau durchschauert hatte, gewann bei Allen die Oberhand. Sie fühlten
etwas Festtägliches an jedem Tage; es war, als ob der Sonntag durch jeden
Werktag hindurchgedrungen wäre und ihn geheiligt hätte, während in der
Stadt in dumpfer, düsterer Stube auch der Sonntag etwas Werktägliches
angenommen hatte, werktäglich durch den Lärm und das Gekarre in den Gassen
unten, durch das Geklopfe nebenan, durch die Negligetrachten gegenüber.
Weder Heiri noch Liese hatten Heimweh nach der Stadt; die Stille und Ruhe
des Friedens um sie her, das immer voller und schwellender und wärmer
sprossende Grün auf Matten und an Baumgruppen, der freie, offene Himmel,
die frische reine Luft die trockene, gesunde, helle Wohnung boten ihnen
kaum geahnte Genüsse und sie ließen den äußern Frieden und das äußere
Glück in ihr Herz strömen und thauten auf in erneuter gegenseitiger Liebe.
Heiri's Wangen bräunten sich in der Kraft der Sonnenstrahlen, Liese ward
wieder jung wie ein Adler, und Liseli blühte wie eine Blume des Feldes.

Nie klagte Heiri über die große Entfernung, nie über Regen, schlechten
Weg oder Hitze. Bei der meist ruhig stehenden Lebensweise im Arbeitersaal
bekam ihm der täglich viermalige Gang recht wohl, und er spürte nichts
mehr von Beschwerden des Unterleibes, wie früher. Bei einer ruhigen,
sitzenden oder stehenden Lebensart ist nichts der Gesundheit so
zuträglich, wie regelmäßige tägliche Bewegung. Das wissen die Contorherren
gar wohl, die manchmal im Sommer in der Morgenkühle ihr Luftbad auf der
Rheinbrücke nehmen, und dabei 4 oder 5 Mal darüber hin und herwandeln.

Manche Bekannte Heiri's hatten ihm allerlei prophezeit, und dem Fritz
am Hause allerlei getadelt. Dem Heiri, er werde den Verleider bekommen
am langen Wege und seine Leute werden die liebe Noth haben, ein Gemüse
zu bekommen, weil es so abgelegen sei. Dem Fritz, er sei ein rechter
Sonderling, sich so weit von der Stadt und dazu an so abgelegenem Ort, wo
einen kein Mensch erfragen kann, anzusiedeln. Jahr aus Jahr ein sei's
schrecklich langweilig und öde. Warum er auch die Hinterseite gegen den
Weg, und die Wohnstube gegen das Feld gewendet habe; das Haus sei ja
ganz verdreht und um zur Hausthüre zu kommen, müsse man ja ums ganze
Haus herumgehen. Da habe doch der Nachbar die gescheitere Nase gehabt,
der die Seite gegen den neuen Centralbahnhof gewählt habe. Das sei halt
auch so ein halber Physigucker, der Fritz, an dem's auch wahr werde: wie
gelehrter, wie verkehrter. -- Aber weder Heiri noch Fritz ließen sich
dadurch ihr Paradies verleiden. Der Eine hatte zum Voraus überlegt und der
Andere hintendrein erfahren, was das bessere Theil sei und keiner noch
das Geringste bereut. Der Heiri bekam den Verleider nicht am langen Weg
und mit den Gemüsen ging's eben auch; was der Garten nicht trug, das gab
um billiges Geld die Lehenfrau, und der Milchkarren brachte ihnen Fleisch
und Brod aus der Stadt mit; und wenn das nicht gewesen wäre, so hätte sich
weder Fritz noch Heiri gescheut, es selber heimzutragen. Aber der Garten
war fruchtbar, als ob ein besonderer Segen darauf ruhe.

Und ja, es ruhte ein großer Segen darauf, mehr als man gleich anfangs
merkte. Wenn man so den Binnetsch und den Salat wachsen sah und das
Jörgenkraut, und wenn man's abschnitt und es auf der linnengedeckten
Tischplatte wie eine Zierde aufgestellt war, da meinte man nicht, es
sei mit Zinsen für's Land und mit Arbeit erkauft, sondern wie ein ganz
besonderes Geschenk vom lieben Gott kam's einem vor, auf das man keinen
Anspruch hatte, und man fühlte den Dank aus dem Herzen heraufsteigen bis
in den Mund, daß es manchmal ein wenig überlief. Da gehe man nur auf
den Markt und kaufe. Bis man da und dort verlesen und gehandelt und mit
Markten noch fünf Centimes abgedrückt und dann mit gutem baarem Geld aus
dem eigenen Beutel bezahlt hat, da glaubt man auch nicht mehr, daß man
deshalb gebetet habe: Gib uns heute unser täglich Brod. Man freut sich
etwa des billigen Einkaufs, den man seiner Pfiffigkeit und Zähigkeit
verdankt, aber an den, der zum Wachsen Regen und Gedeihen gab, erinnert
man sich nicht.


8.

Was die dem Fritz gemachten Vorwürfe betrifft, so war's zum ersten
nicht langweilig. Das fühlten Alle im Hause. Hier draußen im Grünen
brachte jeder Tag etwas Neues. Welche Lust zu sehen, wie die erst noch
nackten Bäume Triebe und Schoße brachten, wie sie fast in einer Nacht
hervorbrachen in tausend und tausend Blüthen, jetzt die Kirschen, jetzt
fleischroth Pfirsige, dann Aepfel und Birnen im Schmuck der Lilien- und
Rosenfarbe. Und abermal kleidete frisches Grün die noch blühenden Bäume,
bis ein sanfter Regen die Blüthenblätter aus den Kelchen wischte und
der Wind sie wie Schnee durch die Luft trieb. Und dann wieder wob sich
in's Grün der Matten das Gold der Sonnenwirbel und die zarte Lilafarbe
der honigschwangern Kleewirtel. Das alles genießt der reiche Städter
nicht; er sieht im wenigwochigen Landaufenthalt nur den geringsten Theil
dieser reichen, mächtigen Entwicklung, gleichsam den höchsten Glanz des
Naturlebens in seiner vollsten Fülle. Und vollends der Arbeiter, der in
enger, dunkler Gasse der Stadt wohnt, kaum kommt er am Sonntag dazu, vor's
Thor zu gehen, -- mit Augen, die nicht sehen, mit Ohren, die nicht hören,
weil er verlernt hat zu achten auf die großen Werke des Herrn. (Wer ihrer
achtet, der hat eitel Lust daran.) Da fahren sie auf der Eisenbahn, um
in Muttenz oder Prattelen oder auch in Frenkendorf und Liestal lustig
zu sein beim Glase Wein, daß draufgeht, was man vom Zahltag her in der
verflossenen Woche nicht gebraucht. Und wenn man genug gejodelt und getobt
hat und den Kopf wüste und öde von Alle dem was hinein- und hinausging;
dann hat man sich erholt und gestärkt für die Arbeit der künftigen Woche?
Dann hat man die freie Gottesnatur genossen?

Aber nicht nur das Betrachten, auch das Arbeiten im Gärtlein verkürzte
die Zeit. Pfeilschnell flogen die Tage dahin, und doch war man in kurzer
Zeit so an Alles gewöhnt, als obs nicht Monate, sondern Jahre her wäre.
Fritz verstand Rosen zu veredeln und okulirte Wildlinge oder pfropfte edle
Reiser auf kräftige Gerten. Die Reben am Hause wucherten üppig, wie wenn
unerschöpfliche Lebensfülle aus dem Boden in ihre Reiser sich ergöße, so
daß den ganzen Sommer über Aberschosse wegzubrechen waren. Und wenn etwa
am Mittwoch Abend Heiri die Liese ans Sommerkasino spazieren führte, daß
man aus der Ferne oder von der Straße her sich am lustigen wogenden Schall
der Musik ergötzen könne; und wenn dann Liseli die Blumen spritzte, die
von des Tages Hitze nach Erquickung lechzten, da wurde auch dem Fritz so
eigen zu Muthe. Liseli kam ihm vor wie eine traute Bekannte, und doch
hatte er noch nie gewagt, ihr nur die Hand zu geben. Was er sprach, war
wenig, desto mehr dachte und fühlte er. Und das Alles verkürzte ihm die
Zeit ungemein.

Und was den andern Vorwurf betrifft, er hätte das Haus hinterfür gestellt,
so kannte er ja zum Voraus den Wahrspruch: Wer da bauen will an der
Straßen, muß sich's Meistern g'fallen lassen. Seine Gründe waren wichtig
genug und schon älter als das heilige römische Reich. Denn Fritz hatte
sein Haus ganz einfach nach der Sonne gerichtet, wie schon die alten
Aegypter ihre berühmten Tempel und Pyramiden. Man braucht auch nur durch
die Landschaft hinaufzureisen, so fällt es jedem auf, wie in den Dörfern
links an der Straße stattliche Häuserfassen stehen, rechts aber eine
Reihe Dunghäufen und dahinter Stallthüren und Scheunenthore; und durch
die letztern gelangt man durch's Haus hindurch zu den Stuben auf der
Feldseite. Das ist aber, weil fast alle Landleute sich nicht nach der
Straße, sondern nach der Sonne richten; und 's ist eine alte, ererbte aber
vernünftige Ueberlieferung. Das erregende Licht und die belebende Wärme
der Sonnenstrahlen war auch dem Fritz wichtiger als der Weg und als das
Geschwätz der Leute; war's nach außen nicht prunkend, sein Haus, so war's
doch innen wohnlich und freundlich und heimelig.

Im hohen Sommer, wenn die Sonne weit über dem Rhein, im Nordosten,
aufging, und nahe am Isteiner Klotz wieder hinunter, da stand sie am
Mittag fast senkrecht über dem Hause und beschien nur von 11 bis 1 Uhr
das Simsbrett am Fenster; im obern Stock gab überdieß das vorspringende
Dach noch Schatten. Um die Hitze zu vermeiden, bog man nur die Läden
zusammen über die heiße Tageszeit, während man am frühen Morgen die kühle
frische Morgenluft durch Stuben und Haus hatte streichen lassen. Im Winter
dagegen ging ja die Sonne stets auf der Sonnenseite auf und unter, und bei
jedem hellen Himmel half der tief ins Zimmer dringende Strahl das Zimmer
heizen. Das war wohl die Hinter-, aber gewiß nicht die Schattenseite am
Haus. Die Küche dagegen und der Abtritt mögen die Wärme nicht vertragen,
sonst gerinnt im Kasten die Milch, die Speiseresten werden faul und sauer;
und vom Abtritt her hat man einen ungebetenen Wetterprophet, und ist er
schlecht, so prophezeit er erst noch bei schönem Wetter ganz falsch. Das
hatte Fritz überlegt und beachtet und hatte Küche und Nr. 100 gegen den
Weg gesetzt, d. h. auf die kühle Mitternachtsseite.

Und warum lieber ostwärts, statt westwärts. Das war zwar weniger wichtig,
ob so oder so, und wäre die Hausthüre vorn oder hinten gewesen, das
hätte auch nichts gemacht, statt auf der Seite. Aber auf der Seite hatte
man keinen großen Umweg zu machen, um zum hintern Gärtlein und Brunnen
(vor den Stuben) zu kommen, auch keinen großen Umweg auf die Straße
oder zu dem vor dem Haus an der Straße liegenden Rasenplatz mit seinem
Sauerkirschenbaum. Dann war's gegen Osten, wie immer und überall, trocken,
sonst hieße nicht die Abendseite immer nur die Wetterseite, auch genoß
man im Sommer bis gegen 9 Uhr früh den Vortheil der kühlenden Ostwinde,
ließ so lange die Hausthüre offen, und schloß nachher unerbittlich
den allzuaufdringlichen Sonnenpfeilen den Paß zu. Ueberdieß ist die
Morgenseite bei Fritzens Haus fast die schönste wegen der Aussicht. Am
Nachmittag aber, von 12 Uhr an, war hier wieder Schatten bis zum andern
Morgen und 's gab unter der Hausthüre oder auf der Lattenbank am Giebel
ein herrliches Plätzlein zu sitzender Arbeit oder zum Gemüserüsten für
den folgenden Tag; ein Plätzchen, fast zu verführerisch, dem Himmel in's
blaue Angesicht zu schauen, oder dem mannigfach wechselnden Grün der Bäume
zwischen die schattenden Aeste und daneben hindurch in die fernen, duftig
verhüllten Berge, bis endlich, immer wärmer und glühender, das Gold der
scheidenden Sonne über die ganze Landschaft hinströmte zu zauberhaftem
Gemälde.

Und war die Sonne im Sinken und wollte man ihren majestätischen Glanz
genießen, so kostete es nur ein paar Schritte. Zwischen den Blumenrabatten
des Gärtleins auf und abwandelnd versenkte man sich in den Anblick des
feuerfarbenen Lichtmeeres, auf dem die feingeschnittenen Blätter der
Bäume und die scharfen Firstlinien der Dächer mit ihren Kaminen sich
schattenrißartig abzeichneten, bis nach und nach die überwältigende
Kraft des feurigen Lichtes dem goldgesäumten Purpur fast durchsichtiger
Wolkenschichten wich, bis endlich violette Schatten ringsum alles
umschlossen.


9.

Und Heiri's lernten die Vorzüge ihrer Wohnung aus Erfahrung immer mehr
schätzen; Fritz hatte sie zudem belehrt, wie sie diese durch die Lage
gebotenen Vortheile, denen sie und besonders Liese täglich so viel für
ihre Gesundheit zu danken hatten, durch jene einer klugen und verständigen
Hausordnung erhöhen könnten. Beim Bau des Hauses war von Seite des
Fritz, wie seines Baumeisters alle Sorgfalt auf Zweckmäßigkeit, wie
auf trockenes und gesundes Baumaterial verwendet worden. So hatte man
nicht nur wegen des Nutzens, sondern auch wegen der Trockenheit unter
dem ganzen Hause Keller gemacht, so konnte man durch Stube und Gang,
oder durch Kammer und Küche einen reinigenden Luftzug bewerkstelligen.
Auch war zu den Bodenauffüllungen nicht Schutt und Straßenstaub oder
feuchtigkeitanziehender Sand genommen, sondern Koakasche, wohlfeil
wie jenes andere, äußerst trocken und dabei sehr feuersicher. -- Aber
dennoch hatte Fritz angelegentlich empfohlen, im Winter nicht zu oft, und
überhaupt nie zu naß zu fegen. Um das Zimmer und das Haus rein zu halten,
war vor der Hausthüre ein Scharreisen, und im Gang eine Strohmatte.

Unter dem Kunstofen zeigte er eine Klappe, die man öffnen und schließen
konnte. Diese ging aus der Stube in die Küche; wenn nun das Feuer
brannte, sollte man öffnen, und konnte nachher wieder schließen. Diese
Vorrichtung leistete namentlich im Winter vortreffliche Dienste. Denn ein
Feuer bedarf zum Brennen Luft, und wenn in der Küche alles fest zu ist, so
muß eben diese Luft durch's Kamin selbst herabkommen und treibt den Rauch
zurück bis zum Ersticken; selbst das Feuer brennt ungern. Ist aber jene
Klappe offen, so kommt der erforderliche Zug aus dem Zimmer und reinigt
solchermaßen zugleich die Stuben von der verbrauchten und schädlich
gewordenen Luft. In Häusern, wo man mit besondern Oefen heizt, wendet man
jetzt häufig die holzsparenden und im Zimmer zu heizenden Straßburgeröfen
an, um ihrer luftreinigenden Eigenschaft willen. Ja ein sehr geachteter
Arzt hat alle seine Oefen umändern und zum inwendig Einfeuern einrichten
lassen.

Für den Winter waren für Stuben und Nebenstübchen Vorfenster bereit;
das sparte viel Holz an der Heizung, und um das Einfrieren der
Wassersteinröhre und die damit verknüpften Unannehmlichkeiten zu
verhindern, waren dieselben innerhalb der Mauer herabgeführt und mündeten
ganz zu unterst in ein von eichenem Deckel bedecktes Wasserfaß, dessen
Inhalt täglich zum Spritzen der Pflanzen verwendet werden konnte. Wurde
dieß Faß beinahe voll, so sorgte ein Ablauf in die Abtrittsgrube für den
etwaigen Ueberschuß. Das gab der Seite gegen den Weg ein gefälligeres
Ansehen, als wenn winklige Rohre dieselbe verunstaltet hätten. Um aber das
Haus möglichst trocken zu machen, hatte man beim Bau den Keller weniger
tief gegraben als sonst und den Schutt zu einer Auffüllung um's Haus
verwendet, daß es wie auf einer kleinen sanften Erhöhung stand.

So war bei Fritzens Haus für Trockenheit, für Licht und Luft, für Wärme
und richtige Kühle, mit einem Wort für alle Erfordernisse zu einem
gesunden und behaglichen Wohnen, und damit zu einem schönen und der Würde
des Menschen angemessenen Familienleben und zum Genusse edler Freuden
gesorgt.


10.

Aber dem Fritz fehlte noch etwas. Das bemerkten auch Heiri und Liese;
nur Liseli hatte keine Ahnung davon, wenigstens that sie, als merkte sie
nichts. »Ich weiß nicht, was der Fritz hat; er kommt nicht mehr so oft
zu uns in die Stube herunter wie früher; du hast ihm doch nichts in den
Weg gelegt, Liese?« Ich wüßte nicht was, er ist aber auch stiller als
sonst. »Und früher hat er mir einmal gesagt, wenn wir einziehen bei ihm,
wolle er die Kost bei uns nehmen, und hat seitdem kein Sterbenswörtlein
mehr davon verlauten lassen.« So redeten sie hin und her und erschöpften
sich in allerlei Vermuthungen. Liseli hatte auch etwas wie einen Druck
auf dem Gemüthe und sang nicht mehr so munter wie früher. Aber Liese
dachte an ihre eigene Jugend zurück und dachte: das sei noch Folge der
Körperentwicklung, war doch Liseli oft blaß und dann plötzlich wieder
roth, wie wenn sie das Wechselfieber hätte.

Einst sollte Liseli Abends in die Stadt. Unter der Hausthüre gab die
Mutter noch einen vorher vergessenen Auftrag. In diesem Augenblick kam
Fritz heim. Aber wie er zur Hausthüre hinein und Liseli heraustreten
wollte, waren beide plötzlich wie gebannt, und jedes fühlte nur die Gluth
zum Kopfe steigen und das Herz gewaltig pochen. Aus lauter Verlegenheit
vor einander und vor der Mutter konnte keines ein Wort herausbringen.
Da ging Fritz wie gleichgültig an Liseli vorüber, sagte zu Liese mit
erzwungener Ruhe seinen Guten Abend und schnell in's Zimmer hinein. -- Und
Liseli wußte auch nicht wie sie in die Stadt kam, und wie wieder heim; und
hatte 1 Vierling Kaffee und 1 Pfund Cichorie mitgebracht und die Bändel in
die Sonntagsschuhe vergessen.

Und am Sonntag Abend klopfte es an der Stubenthüre beim Heiri, und herein
trat Fritz im neuen schwarzen Kleid und dem feinen Seidenhut in der Hand.
Und der Fritz mußte etwas Wichtiges mit dem Heiri und seiner Frau reden
und das Liseli ging trotz seiner Neugier ungeheißen in die Küche. Es muß
auch recht wichtig gewesen sein, was sie zusammen ausmachten, und Liese
hatte feuchte Augen, als ob ihnen das liebgewordene Logis aufgekündet
worden wäre. Aber Liseli wurde endlich hereingerufen und den Abend ein
extraguter Kaffee für alle Viere gemacht. Denn Fritz hatte um's Liseli
angehalten, und Liseli hatte vor Thränen nicht Nein sagen können.

Im Spätherbst war die Hochzeit, und jetzt leben Fritz und Liseli im obern
Stock als treues Ehepaar, und Gesundheit, Glück und Frieden wohnt im Hause
bei den Vieren. Das möge ihnen Gott der Herr erhalten und reichlich mehren!

[Illustration: Dekoration]



Fußnoten:


[A] Sauerstoff.

[B] Kohlensäure.

[C] Wasser. Ein Mensch athmet durchschnittlich in 1 Stunde 300 _Litres_
Luft aus, worunter 12 _Litres_ Kohlensäure enthalten sind.

[D] Pettenkofer.

[E] Kohlensäure und Wasser.

[F] Wenn auf 1000 Theile Luft 1 Theil Kohlensäure kommt.



Anmerkungen zur Transkription:


Das Original ist in Fraktur gesetzt.

Im Original in _Antiqua_ gesetzter Text wurde mit _ markiert.

Im Original ~gesperrt~ gesetzter Text wurde mit ~ markiert.

Im Original #fett# gesetzter Text wurde mit # markiert.

Doppelte Anführungsstriche wurden durch » (unten) und « (oben) ersetzt.

Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen;
lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert.

Einige Ausdrücke wurden in beiden Schreibweisen übernommen:

blos (Seiten 15 und 29) und bloß (Seiten 6, 19 und 20)

Brot (Seite 9) und Brod (Seite 57)

casernenartige (Seite 7) und Kasernen (Seiten 20 und 22)

düstrer (Seite 8) und düstere/düsterer (Seiten 38, 44 und 56)

geschlossenen (Seite 19) und geschlossnen (Seite 25)

giebt (Seiten 6, 11, 12, 26, 37 und 40) und gibt (Seiten 16, 36 und 37)

giebt's (Seite 10) und gibt's (Seiten 14 und 35)

gieng/ausgieng (Seiten 6, 38 und 39) und ging/ging's (Seiten 39, 42, 47,
48, 49, 52, 53, 57, 60, 61 und 63)

Hülfe/hülflos/Hülfsmittel/Abhülfe (Seiten 7, 8 und 12) und Hilfe/hilft
(Seiten 15 und 27)

Kommode (Seiten 9, 48 und 49) und Commode (Seite 26)

saubre (Seite 28) und saubere (Seite 28)

unsaubere (Seite 9) und unsaubre (Seiten 15 und 25)

Folgende offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert:

  geändert wurde "genug sieht's allerdngs bei den Leuten"
              in "genug sieht's allerdings bei den Leuten"
                 (Seite 9)

  geändert wurde "Fenster kann offen stehn lassen, da"
              in "Fenster kann offen stehen lassen, da"
                 (Seite 22)

  geändert wurde "ebenso die Vorhänge, die Bettwasche, stellt"
              in "ebenso die Vorhänge, die Bettwäsche, stellt"
                 (Seite 26)

  geändert wurde "kaum mehr als ein Bischen Mühe."
              in "kaum mehr als ein bischen Mühe."
                 (Seite 28)

  geändert wurde "es ist bejammerswerth, wie viele"
              in "es ist bejammernswerth, wie viele"
                 (Seite 37)

  geändert wurde "wo 11, sage eilf Familien wohnen"
              in "wo 11, sage elf Familien wohnen"
                 (Seite 37)

  geändert wurde "zogen Heiri und Liesi mit ihrem Liseli"
              in "zogen Heiri und Liese mit ihrem Liseli"
                 (Seite 37)

  geändert wurde "von allen sechs Hausparthieen hier zusammengeworfen"
              in "von allen sechs Hauspartheien hier zusammengeworfen"
                 (Seite 39)

  geändert wurde "das Geschirr auf dem Kücheschaft versorgt hätte."
              in "das Geschirr auf dem Küchenschaft versorgt hätte."
                 (Seite 41)

  geändert wurde "aber dem Lisele gar schwer; doch"
              in "aber dem Liseli gar schwer; doch"
                 (Seite 41)

  geändert wurde "weder Liese noch Lisele; auf dem Lande"
              in "weder Liese noch Liseli; auf dem Lande"
                 (Seite 41)

  geändert wurde "freundlich aber ernst: »Lieben Leute, die Sache ist"
              in "freundlich aber ernst: »Liebe Leute, die Sache ist"
                 (Seite 42)

  geändert wurde "Denn wohin war Liesi's Zufriedenheit und"
              in "Denn wohin war Liese's Zufriedenheit und"
                 (Seite 43)

  geändert wurde "Mühe, die zwei Stegen zu steigen; aber"
              in "Mühe, die zwei Stiegen zu steigen; aber"
                 (Seite 51)

  geändert wurde "und: »Guten Abend, wie geht's Bäse?« gab er"
              in "und: »Guten Abend, wie geht's Base?« gab er"
                 (Seite 51)

  geändert wurde "ein Wort gab 's andere, von"
              in "ein Wort gab's andere, von"
                 (Seite 51)

  geändert wurde "wollenen Halstuch gegen den frischen Morgenluft
                  geschützt, ihren Kaffee."
              in "wollenen Halstuch gegen die frische Morgenluft
                  geschützt, ihren Kaffee."
                 (Seite 53)

  geändert wurde "einen wunderbaren Eindrnck; wohl griff"
              in "einen wunderbaren Eindruck; wohl griff"
                 (Seite 54)

  geändert wurde "dessen Entrichtung sie sich gedrungen fühlten"
              in "dessen Entrichtung sie sich gedrungen fühlten."
                 (Seite 55)

  geändert wurde "Straßen, muß sich 'sMeistern g'fallen lassen."
              in "Straßen, muß sich's Meistern g'fallen lassen."
                 (Seite 59)





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